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Full text of "Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie"

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l^ 


3  ^/ 


^arbarb  College  Itbrarp 


FROM  THE 

J.  HUNTINGTON  WOLCOTT 

FUND 

GINTN  BY  ROGER  WOLCOTT  [CLASS 
OF  1870]  IN  MEMORY  OF  IIIS  FATHER 
FOR  THE  "PURCHASE  OF  HOOKS  OF 
PERMANENT  VALUE,  THE  PREFERENCE 
TO  BE  C.IVEN  TO  WORKS  OF  HISTORY, 
POLITICAL  ECONOMY  AND  SOCIOLOGY" 


Das  Wesen  und  der  Hauptinhalt 

der 

theoretischen  Nationalökonomie. 

Von 

Dr.  Joseph  Schumpetcr. 


Leipzig, 

Verlag    von   Duncker  &   Humblot. 
19118. 


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JUL  au  1909    1 


f    JUL  au  ; 


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Alle  Becht«  vorbehalten. 


AlUBbnre 

nannch*  RofbuehilrackMw 

Staphu  (Hlbal  1  Co. 


Frau  Johanna  von  Keler 

verw.  Schumpeter 
ist  dieses  Buch  gewidmet. 


Vorwort 


Ein  guter  Sinn  liegt  in  dem  geflügelte^  Worte:  Alles 
verstehen  heifit  alles  verzeihen.  Treffender  noch  könnte 
man  sagen:  Wer  alles  versteht,  sieht,  dafi  es  nichts  zu  ver- 
seihen gibt.   Und  das  gilt  auch  auf  dem  Gebiete  des  Wissens. 

Der  Laie  sieht  im  Wissen  seiner  Zeit  das  Bild  der 
Vollkommenheit  Lehrsätze  alterer  Systeme  gelten  ihm  ein- 
iach  als  ,,falsch*.  Das  «falsche*'  ptolemäische  System  z.  B. 
mußte  dem  «richtigen"  kopemikanischen  weichen,  das  nun 
endgültig  feststeht.  Wäre  er  sich  darüber  klar,  daß  auch 
die  modernste  Theorie  nur  ein  provisorisches  Gerüst  ist, 
bestimmt,  über  kurz  oder  lang  neueren  oder  korrekteren 
Formen  der  Darstellung  —  anderes  sind  alle  Wissenschaften 
nicht  —  Platz  zu  machen,  so  würde  er  an  der  Wissenschaft 
verzweifeln.  Das  Schlagwort  „Bankerott  der  Wissenschaft" 
erfaßt  treffend  den  Eindruck,  den  eine  solche  Erkenntnis 
auf  weitere  Kreise  macht.  Auf  unserem  Gebiete  jedoch  ist 
das  nicht  bloß  der  Standpunkt  des  „Laien *".  Physiker  und 
Mathematiker  gleichen  wohlgeübten  Triariem,  die  ruhig  in 
ihrer  Stellung  bleiben,  wenn  auch  das  Gefecht  eine  bedenk- 
liche Wendung  zu  nehmen  droht,  unsere  Autoren  dagegen 
haben  sich  nicht  so  standhaft  gezeigt.  Es  mag  eine  Folge 
der  verhältnismäßigen  Jugend  der  Sozial  Wissenschaften  sein, 
daß  sich  ihre  Vertreter  so  leicht  zu  neuen  Richtungen  be- 
kennen und  dabei  das  von  den  Früheren  Geleistete  recht 
wenig  beachten,  daß  man  geneigt  ist,  über  den  Differenzen 
das  Gemeinsame  zu  vergessen,  daß  man  Reformen  statt  so 
schonend  als  möglich,  so  grundstürzend  als  möglich  durch- 


VI  Vorwort 

führt,  dafi  man  einen  Neubau  von  Grund  auf  verständnis- 
vollem Ausbauen  des  Bestehenden  vorzieht.  So  kommt  esr 
dafi  die  Gegensätze  innerhalb  unserer  Disziplin  so  unüber- 
brüekbar  scheinen,  nicht  nur  die  Gegensätze  zwischen  den 
verschiedenen  Richtungen,  sondern  auch  innerhalb  der  reinen 
Theorie,  welche  uns  hier  vor  allem  interessiert. 

Das  ist  nicht  mein  Standpunkt.  Wie  vielen  Fach- 
genossen in  der  Gegenwart,  so  hat  sich  auch  mir  die  Über- 
zeugung aufgedrängt,  daß  fast  jede  „Richtung"  und  jeder 
individuelle  Autor  mit  seinen  Behauptungen  Recht  hat: 
So  wie  sie  gemeint  sind,  und  vom  Standpunkte  der 
Zwecke,  für  die  sie  gemeint  sind,  sind  die  meisten  Be- 
hauptungen wahr,  und  es  kommt  nur  verhältnismäßig  selten 
vor,  dafi  wir  einem  Satze  gar  keinen  Sinn  abzugewinnen 
vermögen  und  genötigt  sind,  ihn  als  hoffnungslos  verfehlt 
zu  bezeichnen.  Wir  mögen  Grund  haben,  eine  andere  Auf- 
fassungsweise vorzuziehen,  aber  das  berechtigt  uns  im  all- 
gemeinen nicht,  eine  entgegengesetzte  ohne  Weiteres  zu  ver- 
werfen. Sie  hat  ihren  Zweck  vielleicht  ganz  gut  erfüllt 
und  die  neue  wäre  vielleicht  nicht  möglich  ohne  sie.  Einen 
Gedanken  durchzudenken  ist  auch  dann  ein  Verdienst  und 
notwendig,  wenn  sich  weiter  nichts,  als  seine  Unbrauchbar- 
keit  ergibt.  Meist  jedoch  steht  es  >iel  günstiger  und  wir 
können  wennigstens  etwas  aus  fast  jeder  Theorie  gewinnen. 

Wir  nun  wollen  uns  redlich  bemühen,  eine  jede  zu 
verstehen;  das  geschieht  besonders  dadurch,  daß  wir  ihre 
Voraussetzungen  formulieren,  was  der  Autor  selbst  nur 
selten  ausreichend  tut.  Und  dann  zeigt  sich  meist,  daß  die 
Sache  logisch  einwandfrei  ist  und  manche  erbitterte  Kontro- 
verse von  selbst  wegfällt.  Verstehen  wollen  wir  und 
nicht  bekämpfen,  lernen,  nicht  kritisieren,  analysieren 
und  das  Richtige  an  jedem  Satze  herausarbeiten ,  nicht  ein- 
fach billigen  oder  verwerfen. 

Nichtnur gegenüberverschiedenen  Meinungen innerhalbder 
Theorie  wollen  wir  stets  so  verfahren,  auch  über  verschiedene 
„Richtungen''  der  Nationalökonomie  denken  wir  nicht  anders 
und  werden  immer  wieder  betonen,  dafi  zwischen  denselben  über- 


Vorwort.  VII 

haapt  kein  Oegensats  in  dem  Sinne  besteht,  dafi  die  eine 
wertlos  sein  mflfite,  wenn  die  andere  „richtig**  ist.  So 
teilen  wir  die  ExklusivitAt  oder  Parteitrene  nicht,  die  die 
meisten  Nationalökonomen  auszeichnet  und  sind  völlig  willens, 
jedermann,  soweit  unser  Verständnis  reicht,  Gerechtigkeit 
widerfahren  zu  lassen.  Und  damit  stehen  wir  heute  nicht 
allein.  Freilieh  gibt  es  einen  Punkt,  der  auf  unserem  Ge- 
biete eine  Verständigung  erschwert;  da&  ist  der  Umstand, 
daß  der  Forscher  hier  fast  immer  auch  Politiker  ist  und 
seiner  wissenschaftlichen  Arbeit  sehr  oft  nicht  unvoreingenom- 
men obliegt;  doch  wir  glauben,  daß  sich  Theorie  und  Politik 
trennen  lassen,  ja  im  Grunde  nichts  miteinander  gemein 
haben.  Aber  wenn  man  uns  auch  darin  nicht  beistimmen 
sollte,  so  wird  man  uns  doch  kaum  widersprechen,  wenn  wir 
sagen,  daß  der  „Schulenstreit**  zwischen  reiner  Theorie  und 
Geschichte  zum  größten  Teile  als  überwunden  anzusehen  ist. 
Und  jedenfalls  wollen  wir  uns  nicht  daran  beteiligen,  sondern 
ruhig  bei  jedem  einzelnen  Probleme  untersuchen,  ob  die 
eine  oder  die  andere  Behandlungsweise  sich  mehr  empfiehlt. 
Dabei  kommen  wir  nicht  zu  einer  allgemeinen,  sondern  zu 
einer  in  jedem  Falle  verschiedenen  Antwort. 

So  hat  dieses  Buch  keine  Parteistellung.  Der  Leser 
wird  eine  vollkommene  Ruhe  konstatieren.  Weder  für 
wissenschaftliche  noch  für  politische  Dogmen  irgendeiner 
Art  wird  hier  gestritten.  Es  hätte  mich  in  allen  Punkten 
nicht  die  geringste  Überwindung  gekostet,  das  Gegenteil 
von  dem  zu  schreiben,  was  man  hier  lesen  wird,  wenn  ich 
es  für  richtig  gehalten  hätte.  Warum  auch?  Praktischer 
Politik  stehe  ich  ferne  und  habe  kein  anderes  Streben,  als 
Erkenntnis;  und  ebensowenig  liegt  für  mich  irgendein  Grund 
vor,  mich  für  eine  bestimmte  Methode  oder  Richtung  zu  er- 
wärmen oder  eine  andere  zu  attackieren.  Würde  ich  zur 
Überzeugung  kommen,  daß  eine  andere  Methode  oder  anderes 
Material,  als  das  von  mir  verwendete,  besser  zum  Ziele 
führte,  so  läge  für  mich  kein  Grund  vor,  an  meinem  bis- 
herigen Vorgange  festzuhalten.  Vielmehr  wäre  es  mir  nur 
ein  Vergnügen  —  und  viel  Anregung  und  Befriedigung  würde 


VIII  Vorwort. 

ich  davon  erwarten  — ,  eben  zu  jener  anderen  Behandlungs- 
weise  überzugehen  und  fehlende  Kenntnisse  zu  erwerben. 

Auch  ist  es  mir  vUlig  gleichgültig,  woher  ein  Satz,  den 
ich  vertrete,  stammt,  welches  das  Vaterland  einer  Theorie 
oder  Richtung  ist.  Sache  des  Dogmenhistorikers  ist  es,  in 
dieser  Beziehung  Grerechtigkeit  zu  üben,  uns  handelt  es  sich 
um  die  Sache  und  nicht  um  Personen.  Lediglich  aus  Zweck- 
mäßigkeitsgründen spreche  ich  vom  „Systeme  Ricardos''  der 
„Osterreichischen  Schule''  usw.,  weil  das  übliche  Ausdrücke 
sind,  bei  denen  jedermann  schnell  sieht,  was  gemeint  ist, 
ohne  dafi  lange  Umschreibungen,  die  freilich  korrekter  sein 
mögen,  nötig  wären. 

Allerdings  ist  das  dogmenhistorische  Moment  zum  vollen 
Verständnisse  eines  Theorems  nötig  und  soweit  das  der  Fall 
ist,  wollen  wir  ihm  sein  Recht  werden  lassen.  Indessen 
können  und  wollen  wir  in  dieser  Beziehung  nicht  vollständig 
sein.  Dafi  der  Leser  darüber  informiert  ist  und  meine 
kurzen  Andeutungen  versteht,  wird  vorausgesetzt,  wie  das 
Buch  überhaupt  nicht  für  Anfänger  oder  Laien  berechnet 
ist.  Nur  bei  recht  genauer  Kenntnis  des  Standes  unserer 
Wissenschaft  kann  seine  Lektüre  ihre  eventuellen  Früchte 
tragen.  Andernfalls  —  und  es  ist  meine  Pflicht,  das  zu 
betonen,  um  so  mehr  als  diese  Bedingung  gerade  in  unserem 
Kreise  oft  nicht  erfüllt  ist,  weil  der  Anfänger  sich  meist 
frühzeitig  spezialisiert  und  nur  selten  gründliche  Kenntnis 
aller  Teile  der  Disziplin  mitbringt,  wo  namentlich  die  reine 
Theorie  vielen  Fachgenossen  nur  oberflächlich  bekannt  ist  — 
kann  von  einem  ausreichenden  Verständnisse  keine  Rede 
sein.  Ich  mußte  so  verfahren,  wollte  ich  den  Umfang  des 
Buches  nicht  ungebührlich  vergrößern.  Spreche  ich  also 
z.  B.  von  der  „Boehm-Bawerkschen  Theorie",  so  folgt  dem 
kein  genaues  Referat  derselben.  Werden  auch  ihre  Elemente 
besprochen,  so  reicht  das  nicht  dazu  aus,  der  Diskussion  zu 
folgen,  wenn  man  das  betreffende  Werk  selbst  nicht  gelesen 
hat.  Allerdings  suche  ich  speziell  auf  das  deutsche  Publikum 
Rücksicht  zu  nehmen   und  l)ei  Materien,  die  ihm  fremder 


Vorwort.  IX 

smd  als  andere,  das  Nötigste  zur  allgemeinen  Information 
n  sagen« 

.  Im  allgemeinen  vermeide  ich  Zitate  und  Namensnennungen 
ao  fiel  als  möglich.  Ich  folge  hier  dem  englischen  Gebrauche, 
der  mir  viele  Vorteile  zu  haben  scheint :  Vollständigkeit  in 
literatarangaben  ist,  wie  gesagt,  hier  unmöglich  und  es  ist 
ungerecht,  einzelnen  Schriftstellern  zum  Verdienste  oder 
zom  Vorwurfe  zu  machen,  was  viele  tun.  Der  Leser  muß 
wissen,  welche  Richtungen  und  Gedankengänge  —  Personen 
spielen  hier  für  uns  keine  Bolle  —  gemeint  sind,  wenn  von 
«einer  verbreiteten  Theorie''  die  Rede  ist  oder  die  Wendung 
gebraucht  wird:  „Man  hat  oft  gesagt^.  Und  er  wird  auch 
zu  beurteilen  haben,  was  das  Buch  an  Neuem  bringt  und 
iawieweit  es  nur  referierend  ist.  Ich  erhebe  meinerseits 
keinerlei  Ansprache:  Sollte  ich  jemals  finden,  daß  ein 
Resultat,  das  ich  für  mein  Eigentum  hielt,  schon  früher 
erreicht  worden  ist,  so  würde  mich  das  nur  freuen. 

Die  Arbeit  der  Späteren  entwickelt  sich  organisch  aus 
der  der  Früheren  und  gerne  behalte  ich  die  überkommenen 
Ansichten  bei,  wo  es  mir  möglich  scheint.  Je  weniger  in 
den  folgenden  Seiten  als  neu  und  fremd  berührt,  um  so 
besser.  Nur  kurz  sei  bemerkt,  daß  L.  Walras  und  v.  Wieser 
jene  Autoren  sind,  denen  der  Verfasser  am  nächsten  zu 
stehen  glaubt. 

Findet  man  auch  nicht  viele  Namen  in  diesem  Buche, 
so  dürfte  dasselbe  doch  die  meisten  Gedanken  enthalten, 
welche  die  reine  Ökonomie  der  Gegenwart  ausmachen,  so- 
daß  es  in  diesem  Sinne  wohl  einen  Überblick  über  den 
Stand  dieser  Disziplin  gibt.  Alle  Ansätze  zu  weiterer  Ent- 
wicklung hoffe  ich  berücksichtigt  zu  haben.  Und  stets  war 
es  mein  Bestreben,  weiterzubauen,  ohne  mehr  als  unbedingt 
nötig  niederzureißen.  Jede  exakte  Wissenschaft  muß  sich 
langsam.  Schritt  für  Schritt,  ihren  meist  so  steinigen  Pfad 
brechen,  unbekümmert  darum,  daß  ihr  Fortschritt  weiteren 
Kreisen  oft  unbedeutend  scheint.  Auf  unserem  Gebiete  ge- 
»«hieht  das  leider  zu  wenig,  und  noch  immer  ist  das  Streben 
uicht  ausgestorben,  womöglich  mit  jedem  Buche  eine  neue 


X  Vorwort. 

Ökonomie  zu  begrttnden.  Das  wird  besser  werden,  wenn 
unsere  Disziplin  zu  ihren  Jahren  kommt.  Wir  wollen  uns 
des  Wertes  der  vorgeleisteten  Arbeit  bewußt  bleiben  und 
ihre  Hilfe  nicht  verschmähen,  freilich  auch  keineswegs  der 
Ansicht  huldigen,  daß  nichts  Wesentliches  mehr  zu  tun  ist. 
Die  Zahl  der  grundlegenden  Gedanken  ist  eine  geringe; 
manche,  aber  noch  nicht  alle,  sind  gefunden. 

Doch  auch  hier  wird  man  kaum  vollständige  Befriedi« 
gung  in  den  folgenden  Erörterungen  finden.  Bei  manchen 
Punkten,  die  uns  besonders  wichtig  oder  zu  wenig  beachtet 
erscheinen  und  bei  denen  wir  etwas  zu  sagen  zu  haben 
glauben,  verweilen  wir  länger,  andere  streifen  wir  nur. 
Was  uns  genügend  klargestellt  scheint  —  mag  es  auch  sehr 
wichtig  sein  — ,  wird  nahezu  abergangen.  Der  Leser  be- 
denke, daß  er  kein  Lehrbuch  vor  sich  habe,  auch  kein 
systematisches  Werk,  dessen  Aufgabe  es  wäre,  mit  gleicher 
Sorgfalt  alle  Teile  der  Disziplin  darzustellen. 

Das  Gebotene  soll  dem  Vorhandenen  etwas  hinzufügen, 
nicht  das  Getane  wiederholen.  Wir  wollen  im  allgemeinen 
vorwärts  und  nur  soweit  rückwärts  blicken,  als  es  nötig  ist. 
Und  außerdem  interessieren  uns  die  einzelnen  Theoreme 
nicht  so  sehr  an  sich,  als  ihre  Natur  und  ihre  Stellung  im 
Systeme  der  Wissenschaft.  Hochwichtige  praktische  Fragen 
haben  nur  die  Bedeutung  von  Beispielen  für  uns,  an 
denen  wir  die  Art  und  die  Resultate  unserer  Raisonnements 
beobachten.  So  wird  die  Darstellung  mehr  als  ein- 
mal gerade  dort  abgebrochen,  wo  die  Sache  für 
manchen  Leser  interessant  zu  werden  beginnt,  und  an 
diesen  Punkten  macht  sich  unsere  Unvollständigkeit  be- 
sonders fühlbar.  Aber  es  liegt  im  Wesen  der  Sache,  daß 
wir  nur  wenige  Fragen  erschöpfend  behandeln  können  und 
bei  den  meisten  nur  Beiträge  zu  diesem  Ziele  bieten.  Ich 
glaube  trotzdem  nicht,  daß  jemand,  der  sich  der  Mühe  unter- 
zieht, dieses  Buch  zu  lesen,  mir  den  Vorwurf  der  Ober- 
flächlichkeit oder  ungenügender  Kenntnis  machen  wird. 

Zum  Gegenstande  unserer  Diskussion  haben  wir  ein 
ganz  enges  Gebiet  aus  dem  Reiche  der  Sozialwissenschaften 


Vorwort  XI 

gewählt,  das  sich  dadurch  auszeichnet,  dafi  es  exakte  Be- 
ktndlung  zuläfit 

Es  mag  sein,  da6  schon  der  blofie  Name  der  exakten 
Ökonomie  manchen  abschreckt.  Wer  für  den  Vorgang  der 
exakten  Disziplinen  keinen  Geschmack  hat,  der  lege  das 
Buch  ungelesen  beiseite.  Es  liegt  mir  feine,  jemand  daraus 
einen  Vorwurf  machen  zu  wollen.  Und  wer  der  Ansicht 
ist,  dafi  er  für  praktische  Fragen  daraus  nichts  lernen 
könne,  hat  Recht:  Anderes  ist  für  den  Praktiker,  anderes 
für  den  Theoretiker  wichtig. 

Das  klassische  System  der  Nationalökonomie  liegt  in 
Trümmern.  Dennoch  wird  es  von  vielen  noch  immer  als 
«die*  Nationalökonomie  betrachtet.  Viele  Autoren  wandten 
sich  davon  ab  und  anderen  Arbeitsgebieten  zu,  welche 
methodologisch  und  selbst  inhaltlich  kaum  etwas  gemein 
damit  haben.  Außerdem  jedoch  entstand  eine  neue  Theorie, 
al^r  auf  teilweise  anderen  Grundlagen  und  mit  teilweise 
anderen  Zielen.  Das  sieht  verwirrend  und  keineswegs  er- 
freulich aus,  fast  chaotisch. 

In  welchem  Verhältnisse  steht  die  Theorie  zu  jenen 
aoderen  Richtungen  und,  innerhalb  der  ersteren,  das  alte 
und  das  neue  System?  Und  was  kann  man  davon  erwarten? 
überhaupt:  Was  nun?  Gibt  es  Wege,  die  weiterführen,  und 
wo  sind  sie  zu  suchen?  Über  alles  das  hat  mau  soviel 
diskutiert,  aber  wirkliche  Klarheit  —  obgleich  sie  durch- 
zuleuchten beginnt  —  wurde  nicht  erreicht.  Das  kam  da- 
her, daß  man  mit  prinzipiellen,  allgemeinen,  aprioristischen 
und  oft  sogar  außerwissenschaftlichen  Argumenten  arbeitete 
und  nie  ins  Einzelne  einging.  Mehr  einer  politischen  Fehde 
glich  die  Diskussion,  Schlagworte,  auf  die  die  Anhänger 
schworen,  traten  an  die  Stelle  ruhiger  Auseinandersetzung 
und  so  wurden  zahllose  Mißverständnisse  aufgehäuft,  die 
sehr  schwer  zu  beseitigen  sind.  Man  kann  heute,  un- 
beschadet der  Tatsache,  daß  die  Fortgeschrittensten  über 
den  Methodenstreit  längst  hinaus  sind,  ohne  Übertreibung 
sagen,  daß  viele  Ökonomen  über  diese  Fragen  durchaus  im 
Unklaren  sind  und  sozusagen  nicht  aus  und  nicht  ein,   vor 


XII  Vorwort. 

allem  aber  nicht  weiter  wissen.  Jeder  kann  seine  prin- 
zipielle Stellung  angeben  und  mit  allgemeinen  Sätzen  ver- 
teidigen, aber  wie  sich  die  Sache  im  Grunde  verhält,  mit 
Rücksicht  auf  jedes  einzelne  Problem,  und  was  von  der 
Nationalökonomie  zu  halten,  was  ihre  Natur,  Bedeutung  und 
ihre  Zukunft  denn  eigentlich  ist,  darüber  herrscht  —  und 
nicht  blofi  in  den  weitesten  Kreisen  —  bedauerliche  Un- 
klarheit. 

Darauf  nun  wollen  wir  Antwort  zu  geben  versuchen. 
Aber  nicht  wiederum  mit  allgemeinen  Argumenten,  die  alle 
wahr  sind  und  doch  zu  nichts  führen ;  nicht  mit  „Dialektik'', 
mit  der  man  alles  beweisen  kann,  sondern  aus  unserer 
Arbeit  heraus. 

Stets  wollen  wir  uns  klarzumachen  suchen,  was  eigent- 
lich jeder  unserer  Sätze  bedeutet,  was  sein  Wert  und  seine 
Natur  ist.  Daraus  wird  sich  etwas  wie  eine  Erkenntnis- 
theorie der  Ökonomie  ergeben  oder  doch  ein  Beitrag 
dazu.  Es  ist  meine  Überzeugung,  daß  nur  so  jene  Fragen 
endgültig  gelöst  werden  können,  nicht  mit  allgemeinen 
Argumenten.  Bisher  hat  jeder  Nationalökonom  seine  Er- 
örterungen mit  gewissen  aprioristischen  Obersätzen  über  das 
Wesen  des  Wirtschaftens  oder  des  menschlichen  Handelns 
begonnen  und  daraus  deduktiv  Behauptungen  für  diese  oder 
jene  Methode  gewonnen.  Das  kann  zu  keinem  Resultate 
führen.  Der  Satz:  „Alles  Geschehen  ist  dem  Kausalgesetze 
unterworfen,  daher  müssen  exakte  Gesetze  auch  auf  dem 
ökonomischen  Gebiete  möglich  sein*',  beweist  gar  nichts. 
Denn,  abgesehen  davon,  daß  der  moderne  ErkenntDistheo- 
retiker  denselben  nicht  ohne  Weiteres  unterschreiben  wird, 
bliebe  noch  immer  die  Frage  offen,  ob  die  Kausalzusammen- 
hänge, mit  denen  wir  es  zu  tun  haben,  einfach  genug  sind, 
um  die  Aufstellung  allgemeiner  Sätze  von  hinlänglichem 
Interesse  zu  ermöglichen.    Und  darauf  kommt  es  an. 

Auf  der  anderen  Seite,  ein  Satz  wie:  „In  den  Geistes- 
wissenschaften ist  der  naturwissenschaftliche  Gesetzesbegriff 
unanwendbar^  ist  ebenso  wertlos.  Wiederum  abgesehen  von 
der  Frage,  ob  und  in  welchem  Sinne  er  überhaupt  richtig 


Vorwort.  XIII 

ist,  sehlieBt  er  das  Bestehen  von  Regelmäßigkeiten,  welche 
exikt  beschrieben  werden  können,  nicht  aus.  Und  ob  solche 
bestehen  —  was  fQr  die  Möglichkeit  exakter  Behandlung 
Töllig  ausreichen  wfirde  — ,  kann  nur  die  Untersuchung  am 
einzelnen  Probleme  lehren.  Das  ffihrt  uns  auf  den  zweiten 
Punkt,  in  dem  unseres  Erachtens  gefehlt  wird.  In  all- 
gemeinen methodologischen  Werken  ist  von  konkreten  Pro- 
blemen meist  gar  nicht  die  Rede ;  vielmehr  bewegt  sich  die 
Diskussion  in  allgemeinen  Behauptungen;  oft  fehlt  —  und 
das  mufi  nicht  nur  Darstellungen  wie  denen  Wundt's  und 
Sigwart's  zum  Vorwurfe  gemacht  werden,  sondern  sehr  oft 
sogar  Nationalökonomen  vom  Fach  —  ausreicheode  Sach- 
kenntnis bezüglich  der  Details  der  Theorie.  Sogar  das 
Gebiet  der  Ökonomie  wird  auf  Grund  allgemeiner  Er- 
wägungen abgesteckt.  Und  selbst  methodologische  Er- 
örterungen in  den  Einleitungen  von  Werken,  die  es  mit 
konkreten  Problemen  zu  tun  haben,  tragen  diesen  Charakter: 
Sie  stehen  nicht  im  organischen  Zusammenhange  mit  dem 
Folgenden,  sondern  stellen  meist  nur  eine  Art  Glaubens- 
bekenntnis dar,  das  durch  die  Praxis  des  Handelns  oft 
desavouiert  wird.  Man  erklärt  z.  B.,  daß  man  die  Not- 
wendigkeit der  Verwendung  historischen  Materiales  anerkenne, 
oder  daß  man  nicht  nur  Daten  sauimeln,  sondern  „Gesetze" 
finden  wolle  —  tatsächlich  tut  man  es  nicht.  Man  sagt, 
daß  man  keine  praktischen  Vorschläge  machen  dürfe,  tat- 
sächlich findet  dann  der  Leser  dennoch,  daß  ihm  solche  auf- 
gedrängt werden.  Man  spricht  davon,  daß  statistische  Grund- 
lagen nötig  seien ,  tatsächlich  führt  man  statistische  Daten 
nur  beispielsweise  an  und  kommt  durch  abstraktes  Raisonne- 
ment  und  nicht  durch  jene  zu  seinen  Resultaten.  So  kann 
es  uns  nicht  wundernehmen,  daß  man  oft  den  allgemeinen 
Argumenten  eines  Autors  völlig  beistimmen  kann,  und  die 
Sache  ganz  in  Ordnung  zu  sein  scheint,  doch  aber  in  allen 
praktischen  Fällen  die  größte  Unsicherheit  über  den  ein- 
zuschlagenden Weg  herrscht. 

Unserer  Ansicht  nach  darf  man  sich  nicht  die  metho- 
dologischen Anschauungen  a  priori  zurechtzimmern,  sondern 


XIV  Vorwort. 

mufi,  unbeeinflußt  von  allen  Erw&gungen,  in  jedem  Falle 
tun,  was  am  weitesten  führt.  Man  darf  besonders  das  Ge- 
biet der  Ökonomie  nicht  apriori  abgrenzen  wollen.  Wir 
müssen  vielmehr  ruhig  an  die  Fragen,  die  uns  interessieren, 
herantreten  und  über  sie  klar  zu  werden  suchen.  Die  Me- 
thode, die  uns  dabei  nützlich  war,  braucht  aber  deshalb  noch 
nicht  allgemeingültig  zu  sein.  Wohl  werden  wir  ver* 
suchen,  sie  auch  weiter  anzuwenden,  aber  dieser  Versuch 
kann  gut  oder  schlecht  ausfallen,  und  in  letzterem  Falle  ist 
unsere  Methode  ebensowenig  allgemein  schlecht,  wie  in 
ersterem  allgemein  gut  Daraus  nun,  daß  man  Behaup- 
tungen, die  für  manche  Probleme  und  Zwecke  richtig  sind« 
allgemein  ausspricht,  ergibt  sich  der  eigentümliche  Zustand, 
daß  dieselben  sowohl  mit  allgemeinen  Gründen  verteidigt, 
als  auch  mit  Beispielen  belegt  werden  können,  ohne  doch 
jemand  völlig  zu  befriedigen.  Es  ist  ein  Leichtes  für  den 
Gegner,  andere  allgemeine  Gründe  und  andere  Beispiele  an- 
zuführen, welche  genau  das  Gegenteil  beweisen  und  da  beide 
nur  auf  jene  Dinge  blicken,  die  ihnen  am  Herzen  liegen,  so 
ist  eine  Verständigung  fast  ausgeschlossen.  Jeder  ist  von 
seinem  ausschließlichen  Rechte,  weil  er  es  zum  Teile 
klar  nachweisen  kann,  überzeugt,  und  der  Anfänger  weiß 
nicht,  woran  er  sich  halten  soll. 

Die  ganze  Geschichte  des  Methodenstreites  liegt  in 
diesen  Worten.  Nicht  neue  allgemeine  Sätze  zu  finden  ist 
unser  Bestreben:  Der  einzige  ganz  allgemeine  Satz,  der 
wirklich  a  priori  haltbar  ist,  ist  meines  Erachtens  der,  immer 
vernünftig  vorzugehen.  Auch  wollen  wir  uns  nicht  für  die 
eine  oder  die  andere  Partei  entscheiden.  Wir  wollen  jene 
allgemeinen  Sätze,  deren  Richtigkeit  wir  anerkennen,  in 
das  richtige  Verhältnis  zueinander  setzen,  präzise  ihre  Grenzen 
und  relative  Tragweite  angeben,  durch  Studium  der  Einzel- 
fälle sehen,  wie  sich  denn  die  Sache  wirklich  verhält. 

Man  kann  also  das  Studium  der  Methoden  nicht  von 
dem  der  konkreten  Probleme  trennen.  Nur  mit  Hinblick 
auf  die  letzteren  haben  die  ersteren  Sinn.  Auf  das  Detail 
kommt  es  an,  die  großen  Allgemeinheiten  haben  wenig  In* 


Vorwort.  XV 

tt.  Nur  aus  unserer  Arbeit  heraus  dürfen  sieh  Regeln 
g^WD,  welche  aber  der  Vervollkommnung  und  Änderung 
^ig«  ja  der  Desayouierung  in  jedem  neuen  Falle  ausgesetzt 
id.  Nicht  das  erste,  sondern  das  letzte  Kapitel  eines 
rgtemes  mOfite  die  Methodenlehre  sein.  Was  unter  diesem 
Itel  in  logischen  Systemen  steht,  kann  uns  wenig  nQtzen, 
fesehen  davon,  daß  die  Ökonomen  das  Neueste  —  das  in 
esem  Falle  meines  Eraehtens  das  Beste  ist  —  noch  immer 
■orieren. 

Ein  Beispiel  ist  die  Diskussion  Qber  Induktion  und 
Bduktiou.  Zunächst  wurde  sie  mit  allgemeinen  Redens- 
ten  geführt  Das  Resultat  und  das  Beste,  was  darüber 
sagt  wurde,  war,  wie  es  nicht  anders  sein  konnte,  dafi 
ide  Prozesse  gleich  unentbehrlich  seien.  Aber  das  hilft 
»  nicht  weiter,  ist  eigentlich  nur  selbstverständlich.  Inter- 
sant  ist  lediglich,  zu  untersuchen,  welchen  Charakter  jeder 
Qzelne  unserer  Sätze,  jeder  Schritt  den  wir  tun,  trägt. 
as  ist  allerdings  nötig,  um  die  Bedeutung  und  den  Wert 
des  derselben  beurteilen  zu  können.  Und  da  zeigt  sich 
'nn,  dafi  manche  Sätze  vorwiegend  auf  induktivem,  andere 
»rwiegend  auf  deduktivem  Wege  gewonnen  wurden,  sodafi 
n  allgemeines  Urteil,  das  auf  die  eine  oder  die  andere 
Fentnalität  ausschliefilich  lautet,  notwendig  unbefrie- 
gend  sein  mufi.  Man  erwies  meines  Eraehtens  der  reinen 
koBomie  einen  schlimmen  Dienst,  als  man  sie  schlechthin 
s  „deduktiv*'  bezeichnete:  Viele  Angriffe  zog  man  ihr  da- 
irch  zu,  denen  Berechtigung  nicht  abzusprechen  ist,  die 
mn  aber  ihrerseits  viel,  viel  zuweit  gingen. 

Ähnlieh  steht  es  mit  Kontroversen  innerhalb  der  reinen 
beorie.  Ein  Beispiel  ist  die  berühmte  Wertkontroverse, 
rstens  operierte  man  zuviel  mit  ,,falsch"  und  „wahr*",  statt 
it  „zweckmäßig^  und  ,,unz weckmäßig *".  Daß  die  Sonne 
lufgehe",  ist  nicht  „falsch"  und  widerspricht  nicht  dem 
itze,  daß  jene  Erscheinung  durch  die  Bewegung  der  Erde 
Tursaeht  sei:  Beide  Sätze  sind  Beschreibungen  desselben 
organges  und  an  sich  gleich  falsch  oder  richtig ;  für  manche 
wecke  aber  ist  der  eine,  für  manche  der  andere  praktischer 


XVI  Vorwort.  * 

—  das  ist  alles.  Dann  werden  wir  nicht  versuchen,  eine  all*  i 
y  em  ei  ne  Diskussion  der  Wert-  und  der  Kostenhypothete  « 
nochmals  durchzuführen.  Vielmehr  wollen  wir  in  jedem  ^ 
Falle,  wenn  wir  sie  nicht  beide  zulassen,  angeben,  warum  i 
wir  der  einen  von  beiden  den  Vorzug  geben.  Und  durch  t 
-  dieses,  ich  möchte  sagen,  „pragmatische''  Vorgehen,  weicht  i 
noch  nie  eingeschlagen  wurde,  wird  unser  Urteil  nicht  nur 
viel  präziser  werden,  als  es  sein  könnte,  wenn  wir  es  ganz 
allgemein  fassen  wollten,  sondern  es  wird  auch  die  Kontro- 
verse viel  von  ihrer  Schärfe  verlieren,  sich  ganz  natarlich 
lösen ,  und  ganz  klar  werden  wir  Recht  und  Unrecht  auf 
beiden  Seiten  sehen.  Absichtlich  spreche  ich  an  ver-  1 
schiedenen  Stellen  Qber  die  Frage  und  versuche  sie  in  ver- 
schiedenen  Beleuchtungen  vorzufahren. 

Diese  Art,  an  unsere  Probleme  heranzutreten,  mag  be- 
fremdend erscheinen.  Sie  entspricht  jedoch  einer  Richtung 
der  modernen  Erkenntnistheorie,  welche  aus  der  praktischen 
Arbeit  an  Problemen  der  exakten  Naturwissenschaften  heraus* 
gewachsen  ist  Wir  wollen  und  können  darauf  nicht  ein- 
gehen, möchten  vielmehr  verhüten,  dafi  unsere  Ausführungen 
von  der  Anerkennung  jener  Richtung  abhängig  erscheinen: 
Sie  sollen  natürlich  und  unbefangen  aufgefaßt  werden,  wie 
sie  unbefangen  von  irgendwelchen  Obersätzen  geschrieben 
wurden.  Nur  für  den  Fall,  dafi  manche  Wendung  oder  Be- 
merkung in  dieser  Beziehung  auffallen  sollte ,  möchte  ich 
bemerken,  dafi  ich  mit  meinen  erkenntnistheoretischen  An- 
schauungen keineswegs  allein  stehe.  Ich  bin  darauf  gefaßt, 
dafi  meine  Ausführungen  über  die  Werthypothese  und  einige 
verwandte  Fragen  auf  Widerspruch  stofien  werden.  Den- 
noch glaubte  ich  die  Darstellungsweise,  welche  allein  meines 
Erachtens  das  Wesen  des  Vorganges  der  ökonomischen 
Theorie  wirklich  blofilegt,  nicht  den  Vorteilen  einer  popu- 
läreren opfern  zu  dürfern. 

In  diesem  Zusammenhange  möchte  ich  auch  erwähnen, 

dafi    ich   —   im   exakten   Gedankengange   —   die   Begriffe 

„Ursache**    und   „Wirkung"   tunlichst  vermeide  und  durch 

'  den  vollkommneren  Funktionsbegriff  ersetze.    Wie  wichtig 


Vorwort  XVII 

dfts  ist,  wie  sehr  das  zur  Klarheit  und  Beinheit  des  Raisonne- 
■lents  beiträgt,  kann  hier  nicht  auseinandergesetzt  werden. 
Aber  ich  giaube,  daß  es  gerade  für  die  exakte  Ökonomie 
wesentlich  ist,  sich  strenger  Korrektheit  zu  befleißigen,  mag 
dadurch  die  Darstellung  auch  trocken  und  leblos  werden, 
Tiel  wesentlicher,  als  für  jene  Disziplinen,  die  im  großen 
imd  ganzen  schon  zu  Klarheit  in  den  Grundlagen  und  Sicher- 
heit in  der  Lösung  konkreter  Probleme  vorgedrungen  sind. 

Klarheit  in  den  Grundlagen  und  Sicherheit  in  der  Lösung 
spezieller  Probleme!  Das  ist  es,  was  wir  anstreben,  das 
ist  es,  worum  wir  die  exakten  Wissenschaften  beneiden  und 
wozu  wir  etwas  beitragen  möchten.  Eine  Fülle  von  Hinder- 
nissen finden  wir  auf  unserem  Wege,  noch  ehe  wir  an  die 
eigentlichen  Probleme  unserer  Wissenschaft  herantreten 
können,  und  alle  Diskussion  darüber  hat  sie  bisher  nicht 
völlig  hinwegzuräumen  vermocht.  Unsere  Aufgabe  dem 
gegenüber  besteht  nicht  so  sehr  in  neuen  Lösungsversucheu, 
als  in  dem  Nachweise,  daß  es  möglich  ist,  um  dieselben  herum- 
zusteuern, ohne  an  ihnen  zu  stranden.  Die  Fragen  von 
Telos  und  Causa  können  im  Rahmen  einer  exakten  Disziplin 
nicht  gelöst,  sie  können  nur  sozusagen  neutralisiert  werden : 
Man  kann  zeigen,  daß  sie  unseren  Weg  nicht  verbarri- 
kadieren —  und  so  steht  es  mit  vielen  ähnlichen  Schwierig- 
keiten. 

Es  wäre  überflüssig,  darüber  zu  streiten,  ob  die  Ökonomie, 
wie  so  oft  gesagt  wird,  eine  „Wissenschaft  des  Lebens"  und 
der  Biologie  mehr  verwandt  sei,  als  etwa  der  Mechanik, 
wenn  man  zeigen  kann,  daß  das  irrelevant  ist  für  unsere 
Resultate.  Und  gerade  Bemerkungen  solcher  Art  haben 
auf  weite  Kreise  Eindruck  gemacht  und  ihr  Vertrauen  zu 
unserer  Disziplin  erschüttert.  Derartige  Schlagworte  gibt 
es  viele  und  alle  Beiträge  zu  einer  „Erkenntnistheorie" 
unserer  Wissenschaft  wimmeln  davon.  Was  daran  denn 
eigentlich  wahr  ist  und  welche  Tragweite  ihnen  zukommt, 
darauf  muß  endlich  präzise  und  leidenschaftslos  geantwortet 
werden.     Und   diese    Antwort   bezüglich   einer   Reihe   von 

Hehompeter,  Nationalökonomie.  II 


XVIII  Vorwort. 

wichtigen  Punkten  soll  sich  gleichsam  von  selbst  aus  der 
folgenden  Darstellung  ergeben. 

Was  also  von  der  reinen  Ökonomie  von  heute  denn  zu 
halten,  welches  ihre  Natur,  ihre  Methoden,  Resultate  sind 
und  wo  und  wie  weiterzuarbeiten  ist,  das  möchten  wir 
herausarbeiten.  Ihre  Grenzen  und  schwachen  Punkte  sollen 
ins  Licht  gesetzt  und  dem  Leser  Vorschläge  über  die  Besserung 
der  letzteren  unterbreitet  werden.  Auch  hier  ist  man  zu 
rigoros :  Entweder  man  hält  das  Bestehende  für  vollkommen 
und  sieht  keine  wesentlichen  Fortschritte  mehr  oder  man 
verwirft  es  von  Grund  aus.  Beides  ist  ebenso  oberflächlich 
wie  bequem.  Aber  die  Einzelbetrachtung  lehrt,  daß  keine 
dieser  beiden  Ansichten  ganz  wahr  ist,  daß  jedoch  in  beiden 
Elemente  von  Wahrheit  stecken.  Das  fühlt  jeder,  ohne  aber 
im  Stande  zu  sein,  präzise  anzugeben,  für  welche  konkreten 
Sätze  das  eine  und  für  welche  das  andere  gilt:  Das  nun  ist 
es,  was  wir  tun  wollen. 

Die  allgemeinen  Argumente  findet  man  hier  nicht ;  weder 
über  politische,  noch  über  methodologische  und  andere 
prinzipielle  Fragen.  Was  da  zu  leisten  ist,  scheint  uns 
geleistet  und  wird  als  bekannt  vorausgesetzt.  Nur  in  wenigen 
Punkten  fügen  wir  der  Diskussion  etwas  hinzu,  bei  All- 
gemeinheiten aber,  die  ebenso  wahr  wie  billig  sind,  wollen 
wir  uns  nicht  aufhalten:  Unsere  Arbeit  an  konkreten  Pro- 
blemen selbst  lehrt  uns  unsere  Methode  und  gibt  uns  unsere 
prinzipielle  Stellung  zu  den  Grundfragen  und  zu  den  ein- 
zelnen Richtungen  innerhalb  unserer  Wissenschaft.  Wir 
nehmen  nicht  a  priori  an,  daß  die  wirtschaftlichen  Tat- 
sachen eine  hinreichende  Regelmäßigkeit  aufweisen,  daß  die 
Aufstellung  exakter  „Gesetze*'  möglich  ist,  sondern  es  werden 
sich  uns  solche  ergeben,  und  gleichzeitig  ihre  Voraus- 
setzungen, ihre  Natur,  ihre  Grenzen  und  Mängel  und  ihr 
Wert.  W^ir  werden  sehen,  daß  wir  uns  gewisser  Sätze  mit 
größter  Sicherheit  bedienen  können  und  daß  dieselben  ein 
in  sich  geschlossenes  System  bilden  und  präzise  augeben, 
welchen  Wert  dasselbe  besitzt  und  in  welchem  Sinne  und 
inwieweit    es    allgemeingültig    ist,    ferner  was  davon  auf 


Vorwort.  XIX 

prinzipiell  wiilkarlichen  Voraussetzungen  und  Definitionen 
und  was  auf  Tatsachenbeobachtung  beruht.  Die  Resultate 
dieser  Detailarbeit  weichen  nicht  unerheblich  von  denen  der 
allgemeinen  aprioristischen  Diskussion  ab.  Doch  genug 
davon. 

Fast  möchte  ich  sagen,  dafi  die  konkreten  Resultate 
f&r  meinen  Zweck  von  nur  sekundärer  Bedeutung  sind. 
Jedenfalls  strebe  ich,  wie  gesagt,  nicht  systematische  VoU- 
stindigkeit  an.  Nur  eine  verhältnismäßig  kleine  Zahl  von 
grundlegenden  Sätzen  soll  vorgefahrt  werden.  Im  Zentrum 
steht  das  Gleichgewichtsprobl.QqiLA  dessen  Bedeutung  vom 
Standpunkte  praktischer  Anwendungen  der  Theorie  nur 
gering,  das  aber  fundamental  für  die  Wissenschaft  ist.  In 
t>eutschland  ist  ihm  nicht  hinlängliche  Beachtung  geschenkt 
worden  und  es  ist  von  Wichtigkeit  hervorzuheben,  daß  es 
die  Basis  unseres  exakten  Systemes  ist.  Die  Tausch-,  Preis- 
und  Geldtheorie  und  deren  wichtigste  Anwendung,  die  exakte 
Verteilungstheorie,  basieren  darauf  und  ihnen  ist  der  größte 
Teil  der  folgenden  Ausftlhrungen  gewidmet.  Diese  Dinge 
bilden  jenen  Teil  der  Nationalökonomie,  der  für  exakte  Be- 
handlung reif  und  dem  eine  solche  bisher  zuteil  geworden  ist. 

Meine  Darstellung  beruht  auf  der  fundamentalen  Scheidung 
zwischen  „Statik"  und  „Dynamik"  der  Volkswirtschaft,  ein 
Punkt,  dessen  Bedeutung  nicht  genug  betont  werden  kann. 
Die  Methoden  der  reinen  Ökonomie  reichen  vorläufig  nur 
für  die  erstere  aus,  und  nur  für  die  erstere  gelten  ihre 
wichtigsten  Resultate.  Die  „Dynamik"  ist  in  jeder  Beziehung 
etwas  von  der  „Statik"  völlig  verschiedenes,  methodisch 
ebenso  wie  inhaltlich.  Gewiß  ist  jene  Scheidung  nicht  neu. 
Besonders  wurde  sie  von  den  amerikanischen  Theoretikern 
betont.  Aber  in  Deutschland  ist  sie  bisher  wenig  beachtet 
und  auch  im  Auslande  ihre  volle  Tragweite  nicht  erfaßt 
worden.  Wir  werden  namentlich  sehen,  daß  in  ihr  der 
Schlüssel  zur  Lösung  vieler  Kontroversen  und  vieler  schein- 
barer Widersprüche  liegt,  daß  sie  nicht  mit  einer  Bemerkung 
in  der  Einleitung  abgetan  werden  kann,  sondern  sich  fast 

bei   jedem   konkreten   Probleme   aufdrängt.     Nur   mit   der 

II* 


XX  Vorwort 

Statik  wollen  wir  uns  hier  befassen;  lediglich  Ausbliche 
auf  und  gelegentliche  Bemerkungen  Ober  das  Gebiet  der 
Dynamik  sollen  gegeben  werden. 

Im  ZusammenhaDge  damit  sei  ein  Punkt  berührt,  der 
mir  sehr  am  Herzen  liegt,  es  ist  das,  was  man  hier  ttber 

'  das  Kapital-  und  das  Zinsproblem  lesen  wird.  Verzeihe 
der  Leser,  dafi  diesbezüglich  eigentlich  nur  negative  Resul- 
tate im  Rahmen  dieser  Arbeit  TorgefQhrt  werden.  Der 
wichtigste  Satz,  den  man  in  diesem  Abschnitte  linden  wird, 
ist  der,  daS  der  Zins  kein  „statischer"  Eiakommeuszweig 
und  mehr  mit  dem  Untemehmergewinne  im  engeren  Sinne 
des  Wortes  als  mit  Lohn  und  Grundrente  verwandt  sei. 
Ich  weis  wohl,  daS  die  Mehrheit  der  Theoretiker  entgegen- 
gesetzter Ansicht  ist.  Doch  hat  sich  mir  jene  Überzeugung 
unabweisbar  aufgedrängt  und  mir  scheint,  daß  jener  Umstand 
das  eigentümlich  Unbefriedigende  an  allen  mir  bekannten 
Zinstbeorien  erklärt.  Aber  bei  diesem  Ergebnisse  muBle 
ich  stehen  bleiben,  wenn  nicht  eine  verfrühte  Darstellung 
meine  eigene  Zinstheorie  kompromittieren  sollt«.  Hoffentlich 
ist  es  mir  vergönnt,  derselben  eine  vollkommenere  Aus- 
arbeitung zuteil  werden  zu  lassen,  als  es  hier  möglich  wäre. 
Nicht  gerne  habe  ich  die  Insuffizienz  der  bisherigen  Theovien 
konstatiert,  sondern  nur  deshalb,  weil  ich  nicht  anders 
konnte.  Eine  neue  —  ungefähr  wohl  die  fOnfundz wanzigste 
oder  dreifligste  —  Zinstheorie  vorzutragen  ist  eine  Aufgabe, 
die  wenig  beneidenswert  ist.  Ich  habe  sie  nicht  geHUcbt, 
sondern  sie  hat  sich  mir  aufgedrängt. 

Noch  manches  hätte  ich  zur  Einführung  meines  Buches 
zu  sagen,  so  über  die  Bedeutung  des  „Zurechnungsprohlemes" 

-  nnd  dessen,  was  ich  „Variationsmethode"  nannte.  Diese 
trockenen  Abschnitte  kOnnen  nar  den  Theoretiker  von  Fach 
interessieren,  der  seinerseits  wiederum  tinden  mag,  daß  sie 
mehr  bieten  sollten.  Doch  liegt  es  in  der  Natur  der  Sache, 
da6  es  in  unserer  Wissenschaft  besonders  schwer  ist,  gleich- 
zeitig Theoretikern  und  der  Theorie  femerstehendeu  Nattonal- 
Okonomen,  welche  sich  gleichwohl  für  theoretische  Probleme 
interessieren,  Befrie<)igendes  zu  bieten,  gleichzeitig  nicht  zu 


Vorwort.  XXI 

Abstrus  und  nicht  zu  inkorrekt  zu  sein,  gleichzeitig  die 
i^issensehaftliche  Strenge  der  exakten  Wissenschaften  an- 
zustreben und  die  Eigenart  unseres  Gebietes  nicht  zu  ver- 
leugnen. Am  ehesten  wird  der  letzte  Abschnitt  auf  all- 
gemeineres Interesse  rechnen  können. 

Einer  meiner  Zwecke  ist,  das  deutsche  Publikum  mit 
manchen  Dingen  —  Begriffen,  Lehrsätzen,  Auffassungs- 
weisen —  vertraut  zu  machen,  »welche  ihm  bisher  fremd  ge- 
blieben sind,  weil  die  Entwicklung  der  Theorie  nicht  hin- 
länglich verfolgt  wurde.  Der  deutsche  Nationalökonom  weifi 
oft  nur  sehr  ungefähr,  womit  sich  eigentlich  der  „reine^ 
Theoretiker  beschäftigt.  Und'  wenn  auch  Kenntnis  der 
Theorie  vorausgesetzt  wird,  so  kann  doch  manches  zu  dem 
Ziele  geschehen,  die  Theorie  anderer  Länder  der  deutschen 
Wissenschaft  näher  zu  bringen. 

Einer  der  wichtigsten  Punkte  in  diesem  Zusammenhange 
ist  die  Frage  der  „mathematischen  Methode".  Mancher 
Leser  wird  von  ihr  kaum  etwas  und  wohl  nur  wenige 
werden  mehr  als  allgemeine  Gründe  für  und  wider  gehört 
haben.  Es  würde  nun  zu  nichts  führen,  wollten  wir  solche 
allgemeine  Gründe  anführen,  welche  immer  mehr,  ent- 
sprechend dem  rapiden  Fortschreiten  dieser  Richtung,  einen 
Bestandteil  wenigstens  der  englischen  Lehrbuchliteratur  zu 
bilden  tendieren.  Ebensowenig  können  wir  längere  mathe- 
matische Deduktionen  bringen,  für  deren  Verständnis  die 
Vorbedingungen  nicht  vorhanden  sind  und  welche  nur  ab- 
schrecken würden.  Allerdings  glauben  wir,  daß,  wenn  man 
Oberhaupt  Theorie  betreiben  will,  man  das  so  exakt  wie 
möglich  tun  müsse,  und  daß  die  Denkformen  der  höheren 
Mathematik  sich  geradezu  unseren  Gedankengängen  auf- 
drängen. Und  doch  sprechen  wir  nicht  etwa  den  Satz  aus, 
daß  die  Mathematik  notwendig  sei,  weil  unsere  Begriffe 
quantitativer  Natur  seien  oder  daß  wirkliche  Exaktizität, 
besonders  bei  komplizierteren  Problemen,  nur  in  mathe- 
matischer Form  erreichbar  sei.  Wir  begnügen  uns,  das 
Wesen  des  exakten  Raisonnements  auf  unserem  Gebiete 
herauszuarbeiten   und   einige  Punkte  aufzuzeigen,   wo  der 


XXII  Vorwort. 

Gedankengang  selbst  mathematische  Formen  annimmt,  ob 
wir  wollen  oder  nicht,  und  sorgfältig  auseinanderzusetzen, 
was  dabei  geschieht,  was  der  Vorgang  bedeutet  und  was 
dabei  herauskommen  kann.  Der  Leser  selbst  mag  dann 
urteilen,  ob  etwas  Anstößiges  darin  liegt,  ob  es  ihm  der 
MQhe  wert  scheint,  sich  näher  damit  zu  befassen  und  was 
von  den  Einwendungen  dagegen  zu  halten  ist.  Wir  gehen 
nirgends  soweit,  daß  wirklich  mathematische  Kenntnisse 
zum  Verständnisse  nötig  wären.  Das  würde  dem  Zwecke 
des  Buches  zuwiderlaufen.  Und  wir  hoffen,  diesen  neuen 
Tendenzen  vielleicht  so  einen  größeren  Dienst  zu  leisten  und 
eher  jemand  für  dieselben 'zu  gewinnen,  als  wenn  wir  im 
allgemeinen  darüber  argumentieren  und  dem  Leser  mangelnde 
Vorbildung  vorwerfen  würden. 

Wie  jede  Polemik,  so  liegt  mir  auch  jede  Bitterkeit 
ferne.  Ich  vertraue  der  Zukunft  unserer  Disziplin  und  be- 
dauere nichts  von  der  Vergangenheit.  Gleichweit  von 
Autoritätsglauben  und  Festhalten  an  alten  Dogmen  wie  von 
rücksichtsloser  Zerstörungssucht,  von  melancholischem  oder 
selbstzufriedenem  Skeptizismus  wie  von  überschwänglichen 
Hoffnungen  blicke  ich  mit  Ruhe  in  den  neuen  wissenschaft- 
lichen Tag,  der,  wenn  ich  nicht  irre,  zu  grauen  beginnt. 

Kairo,  2.  März  1908. 

J.  Schampeter. 


Inhaltsverzeichnis. 


Seilt: 

Vorwort V 

L  TdL  Qntndltgu^g 1 

L  Kapitel.   Zur  Einführung 3 

§  1.  Ein  Vergleich  zwischen  den  auf  unserem  Arbeits- 
gebiete herrschenden  Zuständen  mit  den  in  anderen 
Wissenschaften  herrschenden 3 

§  2.  Bemerkungen  über  den  Entwicklungsgang  unserer 
Disziplin    und    Übersicht    über    ihre    wichtigsten 

„Richtungen'' 7 

IL  Kapitel.   Der  Ausgangspunkt  unserer  Theorie    22 

§  1.  Über  die  Art,  wie  die  großen  Prinzipienfragen, 
die  uns  an  der  Schwelle  der  Ökonomie  begegnen, 
zu  behandeln  sind,  um  Klarheit  und  Sicherheit 
ihrer  Grundlagen  zu  erreichen 22 

§  2.   Eine  exakte  Grundlegung  der  Ökonomie 28 

§  3.  Erläuterung  dazu:  Erster  Punkt:  Einige  Definitionen 
der  Ökonomie;  gehört  das  Wesen  des  wirtschaft- 
lichen Handelns  zu  derselben?  Rechtfertigung  un- 
serer Definition  und  andere  Bemerkungen  ....       29 

§  4.  Zweiter  Punkt  der  Erläuterung :  Die  Abhängigkeits- 
verhältnisse zwischen  den  Gütermengen ;  gegen  Miß- 
verständnisse der  eindeutigen  Bestimmtheit  der- 
selben; über  die  Ausdrücke  „normal '^  und  „natürlich** ; 
das  Gleichgewicht •:J8 

§  5.  Dritter  Punkt  der  Erläuterung:  Was  wir  unter 
einer  wissenschaftlichen  Erklärung  verstehen;  Er- 
klärung und  Beschreibung;  zur  Erkenntnistheorie 
der  Ökonomie;  Theorie  und  Deskription «^7 

§  6.  Vierter  Punkt  der  Erläuterung:  Die  ökonomischen 
Gesetze;  statistische  Gesetze;  statements  of  ten- 
dencies;  unsere  Hypothesen;  weitere  Bemerkungen 
besonders  über  den  Funktionsbegriff 43 


iDhaltsrerzeichnis. 


1[L  Kapitel.  Die  TaiiBchretation 4» 

§  1.   EinfQhruQg    und    DiskusBion    der   Bedeutung    der 
TauBchrelation     (ar    die    Theorie;     Rechtfertigung 
dieses   Ausgangspunktes;    andere   Auffassung  des- 
selben ;  einige  Einschränkungen  unseres  Gebietes  .     49 
IV.  Kapitel;  Erfirterung  der  Frage,  wie  die  Tausch- 
relation  am  besten  zu  erfassen  ist  und  einige 

andere  Punkte .iö 

§  1.  Über  verschiedene  Prinzipien  xur  Beschreibung  der 
Tauachrelation ;  Wesen  und  Rolle  derselben;  An- 
forderungen aji  sie;  drei  Prinzipien,  Kriterium  für 
.,  die  Wahl  zwischen  ihnen;  Diskussion  des  Kosten- 
prinzipes;  methodologische  und  erkenntnistheore- 
tische Bemerkungen 55 

-  g  2.   Wahl  des  Wertprinzipes ;  gegen  das  Eingehen 

vr        in  die  Psyche fi;f 

S  8.  Wesen  und  korrekte  Form  des  Wertprinzipes;  Fraj^e, 
ob  es  wirklich  aus  der  Psychologie  stammt;  ea  ist 
kein  Geeets,  sondern  eine  formale,  methodologische 

Annahme;  wesentlich  willkttrlich (SU 

V.Kapitel.     Weitere    Bemerkungen     zu    unserem 
Vorgehen.  (Weitere  ErUnteningen  zu  Kap.  II,  §  2)     .     76 
§  1.   Begriff  der  Eiakiheit;    die  Ökonomie  keine  Philo- 
sophie des  wirtschaftlichen  Handelns;  keine  Theorie 
'  der  Motive;  für  die  Ökonomie  belanglose  Probleme; 
Bahnung  unseres  Weges  an  unlösbaren  Kontroversen 
vorbei ;  gegen  die  Hereinziehung  der  Probleme  des 
Egoismus  und  Altruismus;   und   andere  Punkte    .    .     7H 
§  2.   Nochmals  der  Egoismus;  homo  oeconomicus,  homme 
mojen,  ordinary  business  man;  unser  Weg  durch 
diese    Schwierigkeiten;    Verzicht    auf   überflüssige 

Behauptungen 8a 

VI.  KapiteLDermethodoIogischelndividualismus  8« 
§  1.  Die  Kontroverse  über  den  Atomismus  einst  und 
jetzt;  praktische  Seite  der  Sache;  Unterscheidung 
zwischen  politischem ,  materiellem  nnd  methodo- 
logischem Individualismus.  Ablehnung  allgemeiner 
Argumente:  Wesen  des  metliodotogischen  Indivi- 
dualismus; die  beiden  Gruppen  von  .sosiBlen"  Be- 
griffen in  der  Theorie 8» 

VII.  Kapitel.    Zum  Wertbegriffe »9 

g  1.    Über    die    Unterscheidung    zwischen    Wert     und 

Nutzen W 

g  2.  Der  Begritf  des  Gesamtwertei 101 


luhaltsverzeichnis.'  XXY 

Seite 

§  3.    Ein  weiteres  Wort  zur  Kostendiskassion  und  einige 

verwandte  Gegenstände 105 

§  4.    Ober  das  Problem  der  Messung  des  Wertes    .   .   .  llX: 

iL    Das  Problem  des  statisdien  Qleichgewichtcs 115 

Erster  Abschnitt. 

I.  Kapitel.    Einleitung    für    die    folgende     Dar- 
stellung     117 

§  1.    Rückblick;    Zentrum    des    folgenden   Argumentes; 

Gang  der  weiteren  Untersuchung 117 

§  2.  Unser  System  und  die  Wirklichkeit;  das  formale 
Moment,  das  wir  herausgreifen;  „Ursachen"  jedes 
konkreten  Zustandes  der  Wirtschaft;  Wechsel- 
wirkung zwischen  denselben;  Sinn  der  reinen 
Ökonomie 120 

g  8.    Ableitung  des  Gleichgewichtszustandes;   Nachweis 

seiner  Konstanz:  empirisch  und  exakt 125 

§  4.  Grundgesetz  der  reinen  Ökonomie;  Ausgangspunkt; 
was  wir  tan  können  und  was  wir  dazu  brauchen; 
das  fundamentale  Gesetz  vom  Grenz  nutz  enniveau ; 
seine  Bedeutung;  exakte  und  populäre  Darlegung; 
Schluß 128 

§  5.  Betrachtung  des  Gleichgewichtszustandes  der  Ver- 
kehrswirtschaft; Produktions-  und  Konsumkom- 
bination; Weiteres  über  Wesen  und  Bedeutung 
unserer  Betrachtungsweise;  wieder  ein  Wort  zur 
Kostendiskussipn  u^d  andere  Punkte 188 

§  6.    Resum^;   ein  Gleichnis;   eine  wichtige  Konsequenz 

unserer  Betrachtungsweise 140 

II.  Kapitel.   Kritik  der  üblichen  Darstellung  und 

ihr  Verhältnis  zu  der  unseren 145 

§  1.    Einleitendes  über  den  Inhalt  dieses  Kapitels;  übliche 

Fragestellung;  Basen  des  ökonomischen  Lehr- 
systemes;  Daten  desselben;  methodologische  Funk- 
tion der  Lehre  von  den  Produktionsfaktoren;  Ein- 
wendungen gegen  das  übliche  Vorgehen;  ein  Reform- 
vorschlag 145 

§  2.   Über  die  Lehre  von  den  Produktions faktoren  u.  ä. 

a)  Menschennatur,  b)  Organisation,  c)  Land,  d)  Arbeit  153 

§  3.   Fortsetzung :  e)  Über  die  Lehre  vom  Kapitale ...  161 

IIL  Kapitel.   Statik  und  Dynamik 176 

§  1.  Grund  fär  diese  Scheidung  und  die  zu  ihr  führende 
Methode;  fundamentale  Wichtigkeit  derselben; 
praktische  Bedeutung;  Abgrenzung  der  Statik.   .   .  176 


loh  al  ts  veczeichnie. 


I.  K«pitBl.   Vorfragen  zur  Preisthaorie 187 

g  1.  BemerkuDgen  über  PreiBbildung ;  Arten  von  Freie- 
bildung,  die  nicht  nacb  den  Regeln  der  reinen 
Theorie  vor  eich  geben;   „Stfirungsmomente"  .    .    .   187 

§  2.  Die  freie  Konkurrenz  einst  and  jetzt :  Forderung 
und  Hypothese;  verschiedener  Charakter  der  Hypo- 
tbeae:  Annahme  über  Tatsachen  und  methodo- 
logisches Hilfsmittel;  Nachweis,  daB  jede  Kontro- 
verse darüber  überflüssig  ist 198 

§  3.  Das  MBiimumtbeorem  einst  and  jetzt;  Stand  der 
Frage;  Bemerkung  über  die  Kontroverse;  Prinsip 
unserer  Auffaaanng;  weitere  Erlftuterungcn  dasu; 
Analogien  mit  Haximnrotheoremen  anderer  Wissen- 
Bcbaften;  Aufklärung  einiger  Zweifel;  Unschald 
und  materielle  Bedeutungslosigkeit  des  Theoremea; 

Endurteil;  sein  statischer  Charakter 198 

II.  Kapitel.   DasZurechnungsproblcm  und  die  sich 

daran  anschließenden  Fragen 313 

g  1.  Ableitung  der  Gleichung:  Gieninutzen  gleidi 
Grenzkosten ;  formaler  Charakter  der  darin  liegenden 
Walirheit;  methodologische  Bemerkungen;  über  die 
Interpretation  der  Gleichung;  zur  KoBtendiskuasion  213 

g  2.  Diskussion  der  Gleichung.  Kernpunkt  der  Kosten- 
diakuBsiou;  wahrer  Sinn  derselben;  Disutilitj- 
Theorie;  Wesen  unserer  Auffiucung;  neue  Recht- 
fertigung der  Greninntsentheorie;  Resultat;  Be- 
merkungen Qber  die  Kontroverse 219 

%  3.  tnstruiernng  des  ZurechnungBproblemeB;  ÄnnU)«niIig 
unseres  Gedankenganges  an  daaseibe  auf  Qnuid  d«« 
Vorhergehenden;  korrekte  Fragestellung;  popnltre 
Darlegung  derselben S3S 

§  4.  LSeung  des  Zurech  nun  gsproblemee.  Vorbereitende 
Bemerkungen;  Alter  des  Problemes;  Erlftutemngen 
zum  Sinne  desselben;  die  crui  der  Verteilnnga- 
theoric ;      Prinzip     der    Lösung ;     Schwierigkeiten; 

Lösung M8 

UI.  Kapitel.  Elemente  der  Preistheorie 20) 

g  1.   Bedeutung    der    Preistheorie;    ihr   Hauptproblom ; 

LOsung  desselben 9N 

g  2.   Der  Fall   des   Monopoles;   sein  Wesen;   Sinn   dea 

theoretischen  Monopolpreises 28S 

g  3.   Fall  der  beschrtnkten  Konkurrenz;  des  „isolierttn 


Inhaltsyerzeichnis.  XXVII 

S«ite 
Tausches^;  Präzisierung  aller  Voraussetzungen  der 

„freien  Konkurrenz*';  Schlußbemerkung 269 

§  4.   Der  indirekte  Tausch 273 

lY.  Kapitel.   Grundlagen  der  Geldtheorie    ....  276 
§  1.    Allgemeine  Bemerkungen   über   die  Natur   dieser 
Theorie;     Methodologisches     und    Erkenntnistheo- 
retisches; Preistheorie  und  Geldtheorie 276 

§  2.  Überblick  über  den  heutigen  Stand  und  Inhalt  der 
Geldtheorie ;  fremde  Bestandteile ;  keine  befriedigende 

Theorie  vorhanden 280 

§  3.   Grundlagen   einer  Geldtheorie;   zwei  Grundsteine 

derselben;   Diskussion   einiger  spezieller  Probleme  286 

y.  Kapitel.   Die  Theorie  des  Sparens 298 

§  1.  Methodologische  Erörterungen;  die  übliche  Spar- 
tbeorie;  was  wir  für  dieses  Thema  leisten  können 
und  wie ;  Resultate ;  deren  Wert ;  eine  Ausdehnung 
des  Gebietes  der  reinen  Ökonomie;  wichtige  Ein- 
schränkung der  Bedeutung  unserer  Spartheorie  .  .  298 
Note  über  Kapitalbildung 307 

I.  TcO.    Die  Yertdlongstheorie 318 

I.  Kapitel.   Die  Einkommen;  Allgemeines  ....  315 

§  1.  Einleitung;  Schwierigkeiten;  Ablehnung  von  Wert- 
urteilen über  bestehende  Verhältnisse;  neue  Theorie 
and  alte  Fehler;  zwei  Klippen;  andere  Punkte  .   .  315 

§  2.  Was  wir  leisten  können;  rein  ökonomisches  Wesen 
der  Einkommensbildung;  was  dieses  Prinzip  bietet; 
nicht  wirtschaftlich  zu  erklärende  Einkommen,  nicht 
statisch  zu  erklärende;  gegenwärtiger  Stand  der 
Theorie;  der  moderne  Eklektizismus 821 

§  3.  Wesensgleichheit  der  statischen  Einkommenszweige; 
gegen  mehrere  Einwendungen;  Wichtigkeit  dieser 
Erkenntnis ;  Grundlage  der  Lohth^dind  Rententheorie : 
eine  nötige  Fiktion 325 

n.  Kapitel.   Die  Lohntheorie 330 

§  1.  Grundlage;  einfachste  Form  der  Theorie;  weitere 
Probleme;  Stellung  der  Ökonomie  zu  denselben; 
Beschränkung  unserer  Aufgabe;  über  eine  verfehlte 
Verallgemeinerung   der   Theorie;    methodologische 

Bemerkungen 330 

S  2.  Verifikation  der  Theorie.  Zuerst  des  einfachsten 
Falles;  Schwierigkeiten  darüber  hinaus;  Problem 
des  einheitlichen  Lohnsatzes;  verschiedene  Fragen ; 
Beweglichkeitder  Arbeit  und  anderes;  Resum^;  teil- 


^VIII  lubaltsverzeichDis. 

s« 

weise  negatives  Reaultat;  einziges  Auakunfs mitte) 
dem  gegenüber.  Anmerkang  über  da«  Fehlen  völlig 
freier  Konkurrenz  am  Arbeitamarkte 310 

g  3.  Unteraucbung  der  Fi-age,  ob  ein  Zusamnieuhang 
nwiachen  den  „Produktioaskoaten  der  Arbeit"  und 

dem  Lohne  besteht 3 

Note  über:  Das  eherne  Lohngeaetz;  Reproduk- 
tioDakoaten-  und  Exiatenzminimumtheorie :  Standard 
of  life  Theorie;  Wesen  und  Wert  dieser  Theorien; 
ihr  verschiedener  Charakter;  werden  die  LShne  nus 
dem  Eapitalu  gezahlt?  Die  Lohnfondatheorie,  waa 
von  ihr  zu  halten  ist,   ihre  Stellung  einst  und  jetzt  3tS 

%  4.   Wie  weit  reicht  daa  Gebiet  der  Lobneracheinnng?  366 
HL  Kapitel.   Die  Theorie  der  Grundrente 3  ~ 

§  1.  Prinzip  und  Hauptinhalt;  gewisse  Einwendungen 
und  Klarstellungen ;    ein  einheitlicher  „Bentensatz"  H 

§  2.  Das  Problem  des  Bodenwertes;  Verifikation  der 
Bententheorie :  Erki&rt  aie  Wert  und  Preis  der 
BodenleistuQgen?    lat  dieser  Preis  die  Grundrentel  374 

g  8.  Unser  Verhältnis  zur  klassischen  Qrundrententbeorie 
und  ihren  Weiterbildungen;  Endurteii  ühcr  sie;  Ober 
das  Durchdringen  der  neuen  Grundren tentheorie  io 

der  Literatur 879 

tV.  Kapitel.     Ober    den    dritten    statiachen    Ein- 

kommenszweig S 

§  L  Einleitende  Bemerkungen;  Über  den  taente  Oblichen 
Eklektizismus  und  daa  Venneiden  einer  pifttiaen 
Theorie;  unsere  Aufgabe;  erster  Schritt;  funda- 
mentale Schwierigkeit;  kein  Zins  im  statischen 
SystemujEntgegnungaufprelimin&re  Einwendungen; 
ein  Wort  über  das  Weitere 3d4 

§  2.  Das  Reinertragsproblem  und  das  Problem  des 
Kapitalersatzea;  Kr«ata  und  Neuschaffung;  Ersatz 
kein  statischer  Prozeß S 

g  3.  Zum  Zinsphänomene;  ist  der  Preis  der  Produktions-' 
mittel  die  Quelle  des  Zinses?  andere  Bemerkungen  9 

%  4.  Über  einige  statische  Zinstheorien ;  ProduktivitUa- 
nnd  Nntzungstheorie ;  wahre  Ursache  aller  Hift* 
erfolge  der  Zinstheorien;  Glaik;  Jevons;  Benlor; 
prinzipielle  Bemerkungen 4 

§  5.   Zur    Theorie    v.   Boebm  -  Bawerka ;    aie    ist    nicht 

statisch 4(8 

Prolegomen«  lu  einer  dynamischen   Theori« 


Inhaltsverzeichnis.  XXIX 

Seite 

I.  Einleitung  und  Zusammenfassung;  wie  Einkommen 
aus  Werkzeugbesitz  entstehen  kann;  dasselbe  nicht 
Zins 414 

11.  Wo  die  Erklärung  des  Zinses  zu  suchen  ist  ...  .  416 
in.  Die  Hauptmomente  dieser  Erklärung;  Entwicklung 
und  Kredit;  zur  Theorie  der  Neuschaffung  und  des 
Wiederersatzes  des  Kapitales;  scheinbare  Tatsache 
der  Selbsterhaltung  des  Kapitales ;  Diskussion  prak- 
tischer Beispiele  fttr  das  Entstehen  und  Vergehen 
der  Kapitalien;  Beweglichkeit  des  Kapitales.  .  .  .  420 
IV.  Zur  Zinserscheinung 424 

V.  Nochmals  die  Theorie  von  Boehm-Bawerks ;  andere 
Momente;    Verwandtschaft    von    Zins    und    Unter- 
nehmergewinn; teilweise  zurück  zur  alten  Einheit- 
lichkeit des   „Profites";    v.  Philippovichs  Theorie;- 
Schluß 427 

V.  Kapitel.   Ober  die  Theorie  des  Unternehmer- 
gewinnes   431 

§  1.    Rententheorie  des  Untemehmergewinnes 481 

§  2.    Andere  Theorien  desselben;  Unzulänglichkeit  aller; 

methodologische  Erwägungen 434 

Schlußbemerkung 439 

V.  TcO.   Die  Yariationsmethode 441 

I.  Kapitel.    Allgemeiner  Teil 443 

§  1.  Das  zweite  große  Problem  der  reinen  Ökonomie; 
Wesen  und  Bedeutung  des  Problemes  der  Variation 
der  ökonomischen  Quantitäten;  unsere  Aufgabe; 
Scheidung  verschiedener  Momente;  Hauptunter- 
schiede unserer  Methode  gegenüber  der  der  Klas- 
siker; methodische  Einheit  einer  Fülle  von  Pro- 
blemen;   unsere  Methode  der   einzige   Beitrag   der 

Ökonomie  zu  ihrer  Lösung 448 

§  2.  Einfachste  Form  der  Variationsmethode;  Grundlage; 
Erläuterungen  über  ihr  Wesen;  Beispiele;  die 
übliche  Diskussion  mittelst  „Argumenten" ;  Bei- 
spiele; Richtigkeit  widersprechender  Argumente; 
praktische  Vorteile  der  mathematischen  Behandlung.  451 
§  3.  Ein  weiterer  Beitrag  zum  Verständnisse  der  „Statik*^ ; 
Btatischer  Charakter  der  Methode ;  korrekteste  Form 
derselben;  strenge  Voraussetzungen;  Analogie  mit 
der  Denkweise  der  Infinitesimalmethode;  Regel  über 
die  Größe  der  Veränderungen,  die  wir  erfassen 
können;   über  Wert   und  Resultate   der  Methode; 


XXX  luhaltaveneichnis. 

StUe 

wichtige  EioBcbHliikungeD ;  Unvergleichb&rkeit  sta- 
tischer und  dynAinischer  Momente 456 

§  4.  Ein  Schritt  üher  die  strengen  Oreozen  der  Methode 
hinaus;    wieweit   möglich;    Vorana eetiuu gen    und 

Sinn  dieses  Vorgehens;  Beispiele 463 

§  5.  Weitere  Modifikation en  nnaerer  Methode  j  wichtige 
Vereinfachangen ;  ihr  ijinn  und  Wert;  Raisonne- 
munt  des  Alltages;  SchluBbemerkung;  Reaum^    .   .  468 

n.  Kapitel.   Beispiele 478 

§  1.  Erstes  Beispiel;  Einiges  Qber  die  exakte  Theorie 
der  Wirkang  von  Stenem.  Einleitung;  ein  ein- 
fachster Fall ;  ein  anderer  einfacher  Fall;  ein  etwas 
komplisierterer;  Beispielsweise  DnrchfBhrung  eines 
eiakten  Raisonnementa  mit  Eriftutemng  jedes 
Schrittes  für  den  Nichtmathematiker;  Inteipretation ; 
einige  Resulfste  verschiedener  Art;  Monopolfall; 
Prilmien;  t;inecbr4nknngcn  unserer  Resultate;  da- 
gegen Ausdehnung  derselben  auf:  Steuern  auf  ein 
„PIub";  (iqt  Hausateuer);  Ein  kommen  ateuer  ....  478 
§  2.  Zweites  Beispiel;  Bemerkungen  über  die  exakte 
Theorie  der  Wirkungen  von  Zöllen:  Unterschei- 
dungen; Grundlagen  der  Theorie;  einige  Resultate 
und  Hinweie  auf  andere;  Beiapiele  für  deren  prftk- 
tiachen  Wert;    Beden tangslosigkeit  der   statischen 

Resultate  für  die  Schutzzollkontrorerse SOS 

g  3.    Drittes   Beispiel:    Zur    exakten    Theorie   der   £in- 

kommensverschiebungen 509 

§  4.  Weitere  Beispiele  und  AnwendungsmQglichkeiten : 

auf  Transportwesen    und    andere    Dinge;    anf  die 

Wirkung  der  Einführung  von  Maachinen;  SchlaB   .  511 

V.  Tcfl.   Zdummeiifuniig  dessen,  was  lieh  aa«  dem  VortaergdiM- 

den  znr  Bcnrtdlnng  des  Wesens,  Erkenntniswertes  und  der 

EntwicUnngsniSglldikdten  der  theoretisdien  Ökonomie  cr- 

elbt 521 

I.  Kapitel.   Natur  oder  Wesen  der  eiakten  Öko- 
nomie   E 

§  1.  Ziele  dieaea  Teiles;  Subjektivitftt  dea  darin  Ent- 
haltenen  6 

§  2.  Wesen  nnseres  exakten  Sjrstemes.  Woher  kommt 
die  Allgemeingültigkeit  unserer  Sfiitxe  und  ihr  Passen 
auf  die  Wirklichkeit?  Nochmals  über  unsere  Oe- 
srtze:  arbitrftrcr  Charakter  unseres  Vorgehens  be- 
sonders gegenüber  instantiae  conlrariae;   Sinn,    in 


iDhaltsverzeichnis.  XXXI 

S«ite 

dem  die  Theorie  „absolut  richtig^  ist;  täuschender 
Schein  dieses  Satzes;  Deduktion  und  Induktion; 
Charakter  unserer  Hypothesen ;  andere  Bemerkungen ; 
Analogie  mit  Mechanik;  über  die  Einteilung  der 
Ökonomie  in  das  Schema  von  Natur-  und  Geistes-"^ 
Wissenschaften 527 

§  3.   Die  biologische  Analogie  wenig  glücklich ;  Biologie  - 
und  Ökonomie.  Auch  Ökonomie  und  Soziologie  un- 
abhängige Disziplinen 536 

§  4.    Ökonomie  und  Psychologie;  eine  Bemerkung  über 

die  Beziehungen  zur  Ethik 541 

§  5.  Ökonomie  und  Ethnologie  und  einige  andere  Be- 
merkungen     547 

EL  Kapitel.    Wert  der  reinen  Ökonomie 554 

§  1.  Ihr  Erkenntniswert.  Einleitung;  lohnt  die  Theorie 
der  Mühe  ?  E  i  n  e  Seite  des  Argumentes :  Abstrahieren 
wir  nicht  gerade  vom  Interessantesten?  Über  das 
höchste  Interesse  der  Theorie;  Bedeutung  ihrer  An- 
wendungen. Andere  Seite  des  Argumentes:  Die 
Theorie  deckt  eine  überaus  große  Masse  von  Tat- 
sachen ;  dagegen  vorhandene  Drawbacks ;  was  darauf 
zu  antworten;  was  von  Einwendungen  bestehen 
bleibt 554 

§  2.  Praktischer  Wert  unserer  Erkenntnisse;  pessi- 
mistisches Resultat;  sie  versagen  an  den  großen 
Fragen;  keine  Hoffnung  auf  die  Zukunft  dies- 
bezüglich; weicher  praktische  Wert  unseren  Sätzen 
dennoch  zukommt;  derselbe  ist  gering;  Theorie  und 
Praxis 574 

IIL  Kapitel.     Nochmals  die  Grenzen  und  Mängel 
der  Ökonomie 581 

§  1.  Einleitung;  positive  Abgrenzung  ihres  Gebietes; 
negative  Abgrenzung.  Mängel :  vermeidliche  Mängel 
des  ökonomischen  Lehrsystemes;  inhärente  Mängel 
unserer  Betrachtungsweise;  verschiedene  short- 
comings 581 

IV.  Kapitel.      Über     Reformen     und     Reform- 
bestrebungen     590 

§1.  Einleitung;  die  im  üblichen  Lehrsysteme 
nötigen  Reformen;  über  einige  andere  Ansichten 
darüber;    Reformfrage   für   das   exakte   System   in 

seiner  korrekten  Form 590 

I  2.  Über  einige  Desiderata  in  letzterer  Hinsicht:  Das 


|[  1 1  InbaltsTeraeichnis. 

aatiala    Homent;    effort    und    Entwicklung;     daa 

Moment  der  Zeit S» 

V.  Kapitel.    Die  EntwickluagsmSglichkeiten  der 

theoretischen  Ökonomie 59» 

§  1.  Die  EntwickUngBmSglichkeiten  unseres 
exakten,  statischen  Systeme s.  Richtung 
weiterer  Arbeit;  Ausbildung  der  Varintionsmethode 
in  vencbiedener  Weise.  Eine  gro&e  neue  Ent- 
wich lungBm  Sgl  ichkeit:  Konkretes  rechnendes  Ver- 
fahren; AnachluK  an  die  Statistik  und  die  Technik 
in  bestimmter  Weise;  Ans&tte  dazu:  ein  letztes 
Wort  9ber  die  Verwandtschart  der  Ökonomie  rait 
den  exakten  Naturwissenschaften $99 

g  2.  Ausblick  KufdieDynamik.  Einleitung;  Grund- 
lage derselben;  Wesen;  Gruppe  von  Problemen, 
kein  exaktes  System;  wie  soll  man  diese  Probleme 
behaudeln?  MCgIichkeit  der  Vervollkonimnnng  der 
statischen  Erkenntnis  durch  die  Dynainik;  einige 
weitere  Probleme  der  letzteren;  nur  äußerliche  Be- 
ziehung zwischen  denselben ;  keine  einheitliche 
Methode  und  kein  einheitliches  Grundpriniip;  über 
das  Problem  der  Entwicklung;  über  eine  „ener- 
getische" Theorie  der  Ökonomie 814 

Ober  die  Zukunft  der  theoretiscbeu  Ökonomie ftSi 


Bemerknng  an  den  Leser. 

Der  I.,  lEI.  und  V.  Teil  bieten  wenig  Schwierigkeiten.  Wohl 
aber  dürfte  jeder,  der  nicht  Theoretiker  von  Fach  ist,  aolchen  im  IL 
and  IV.  Teile  begegnen.  Dennoch  kann  ich  weder  ein  Überschlagv 
dieser  Teile,  iiocb  eine  andere  Reihenfolge  der  Lektüre  etnpfehlat> 
Beides  würde  unter  anderem  auch  die  Außassnng  des  im  V.  Teuf 
Gesagten  beeintritchtigen.  Aber  einzelnes  allzu  „Spezielles"  kann  jk 
überschlagen  werden. 


Erster  Teil. 
Grundlegung. 


lehvmpalfT.  NitionalSkoDuml*. 


I.  Kapitel 
Zur  Einffihrung. 


§  1.    Wer  unsere  Disziplin  auch  nur  oberflächlich  kennt, 
weiß  von  der  Vielheit  der  Richtungen  und  der  Heftigkeit 
des  Prinzipienstreites  zwischen  denselben.     Allein  so  ver- 
wirrend, ja  abschreckend  das  den  Anfänger  oder  den  Laien 
berühren  mag,  an  sich  ist  es  weder  etwas  Singuläres,  noch 
etwas  so  sehr  Befremdendes.    Freilich  ist  es  ärgerlich,  daß 
man  kaum  e  i  n  Werk  zu  nennen  vermag,  das  sich  allgemeiner 
Anerkennung  erfreuen  und  den  Stand  der  Wissenschaft  all- 
seitig befriedigend  darlegen  würde,  so  daß  man  es  mit  Be- 
ruhigung  zur   allgemeinen    Information   empfehlen   könnte. 
Aber  das  liegt  keineswegs  daran,  daß  jene  Gegensätze  un- 
überbrückbar  sind;   vielmehr  hofife  ich,   im  folgenden  das 
Gegenteil  zeigen  zu  können;  auch  kann  man  nicht  sagen, 
(lafi  solche  in  anderen  Wissenschaften  fehlen,  wie  wir  gleich 
sehen  werden.    Der  Grund  für  jenen  sicher  unerfreulichen 
Tatbestand  ist,  man  darf  wohl  sagen  glücklicherweise,  ein 
viel  oberflächlicherer:    Der  erbitterte  Streit  ist  verhältnis- 
iQäBig  neu,  noch  ist  nicht  hinlänglich  Ruhe  eingetreten  und 
statt  das,  was  gemeinsam  ist,  zu  betonen,  beeilt  sich  jeder 
Sationalökonom,  zu  erklären,  daß  er  mit  allen  Standpunkten, 
die  nicht  der  seine  sind,  nichts  gemein  haben  wolle  und 
sucht  den   Anfänger  für  sich  zu   gewinnen  und  zu  einem 
Kämpfer  heranzubilden.    So  wird  der  letztere  zu  früh  in 
Kontroversen   hineingezogen,   deren    wahren    Sinn   er   noch 
^cht  erfaßt,  und  er  hat  meist  eine  fertige  Parteistellung, 
«he  er  noch  an  selbständige  Arbeit  denkt.    Politische  und 


4  OrnDdlegDDg. 

andere  außerwissenscbaftliche  Tendeozen  sind  nicht  ohne 
Anteil  an  diesem  Vorgehen. 

Aber  an  sich  befindet  sieb ,  wie  gesagt ,  die  National- 
ökonomie hier  in  keiner  schlimmeren  Lage  als  andere 
Wissensgebiete.  Den  Schluß  ziehen  zu  wollen,  daß  sie 
brauchbarer  Methoden,  gesicherter  Resultate  oder  gar  eines 
klarumgrenzten  Gebietes  entbehre,  wftre  unberechtigt,  so 
sehr  es  begreiflich  ist,  daß  mancher,  des  Streites  mtlde, 
wirklich  dieser  Ansicht  zuneigt.  Da  unsere  Behauptung 
vielleicht  nach  all  dem  Lärme  des  Methodenstreites  etwas 
paradox  erscheint,  wollen  wir  ganz  kurz  einige  Belege  fflr 
sie  aafohren.  Ganz  abgesehen  von  der  Philosophie,  Staats- 
lehre und  anderen  Gebieten ,  die  man  kaum  als  exakte 
Wissenschaften  bezeichnen  kann,  gibt  es  genug  Dieziplinen, 
anf  die  wir  hinweisen  können.  In  der  Psychologie  z.  B. 
gibt  es  sehr  verschiedene  Richtungen  und  wir  kOnnen  ruhig 
behaupten,  daß  es  innerhalb  unserer  Disziplin  keinen  Gegen- 
satz gibt,  der  größer  wUre,  als  der  zwischen  introspektiver 
und  experimenteller  Psychologie.  Forseber  ganz  verschiedenen 
Entwicklungsganges  beschäftigen  sich  mit  diesen  Richtungen, 
von  denen  die  eine  nach  der  Philosophie,  die  andere  nach 
der  Physiologie  hin  gravitiert.  Methoden  und  Besultate 
beider  haben  kaum  etwas  miteinander  zu  tun,  und  wenig 
stehen  die  Psychologen  den  National  Ökonomen  an  Energie 
in  der  Verteidigung  ihrer  prinzipiellen  Standpunkte  nach. 
Auf  dem  Gebiete  der  Logik  selbst  steht  es  kaum  andere: 
Eine  ganze  Welt  trennt  die  „kategoriale"  von  der  „modernen' 
und  auch  hier  hat  der  Prinzipienstreit  zu  keiner  Einigung 
geführt.  Diese  Gegensälze  sind  mit  Kontroversen  Ober  ein- 
zelne Probleme  nicht  zu  verwechseln:  Nicht  eine  einzelne 
Frage,  sondern  ganze  Richtungen,  ganze  Systeme  als  solche 
mit  ihren  Grundfesten,  stehen  auf  dem  Spiele. 

Wichtiger  nocli  ist  es,  daß  wir  denselben  Sachverhalt 
auch  bei  den  exakten  Naturwissenschaften,  welche  dem 
Laien  als  der  Inbegriff  der  Sicherheit  und  Einigkeit  er- 
scheinen, konstatieren  können.  Das  schlagendste  Beispiel 
ist  die  Chemie:   Die  exakte  und  die  experimentelle  sind  in 


Zur  Einführung.  5 

der  Regel  durch  verschiedene  Persönlichkeiten  vertreten  und 
haben  in  Methoden  und  Zielen  recht  wenig  gemein.  Sie 
verfolgen  ihren  Weg  getrennt  und  treffen  sich  fast  nur,  um 
»eh  zu  bekämpfen. 

Und  dasselbe  gilt  von  der  exaktesten  von  allen,  der 
Mechanik.  Das  ist  besonders  merkwürdig,  weil  die  Arbeiter 
auf  diesem  alten,  wohlgepflttgten  Felde  eine  bemerkenswerte 
Gleichheit  in  Ausbildung,  Entwicklungsgang  und  Auffassung 
der  Erscheinungen  aufweisen  und  weil  man  sich  über  die 
konkreten  Resultate  ziemlich  einig  ist.  Dennoch  vermag 
das  alles  nicht,  Einheit  der  Methoden  und  Grundprinzipien 
zu  sichern.  Nicht  nur  ist  die  Differenz  zwischen  klassischer 
und  modemer  Mechanik  eine  grofie  —  das  wäre  nur  natur- 
gemäße Folge  des  wissenschaftlichen  Fortschrittes  —  sondern 
es  gibt  mehrere  deutlich  unterschiedene  Parteien  innerhalb 
der  modernen,  zwischen  denen  nicht  mehr  und  nicht  weniger 
als  alles,  die  gesamte  Auffassung  vom  Wesen  und  Werte 
dieser  Disziplin  streitig  ist.  Außerdem  kann  man  auch  — 
ganz  wie  bei  uns  —  beim  Praktiker  eine  weitgehende  Gleich- 
giltigkeit  gegen  alle  Fragen,  denen  nicht  unmittelbar  prak- 
tisches Interesse  zukommt,  beobachten.  Überblickt  man  das 
Schlachtfeld,  so  sieht  man,  daß  gegenwärtig  alle  Grundfesten 
jenes  stolzen  Gebäudes  erschüttert  sind  und  ein  allgemeines 
Gefühl  der  Unbefriedigung  herrscht.  Zeigt  das  nicht  hin- 
länglich, daß  Prinzipienkämpfe  allen  Wissenschaften  eigen 
und  nicht  etwa  bloß  ein  Erbteil  der  Ökonomie  sind,  daß 
alle  Systeme  bestimmt  sind,  immer  neuen  Platz  zu  machen 
und  daß  es  sehr  unrecht  ist ,  wegen  des  Sturzes  des  klassi- 
schen Systemes  der  Ökonomie  an  derselben  tlberhaupt  zu 
verzweifeln?  Eher  könnte  man  darin  ein  Symptom  der 
Entwicklungsfähigkeit  sehen. 

Man  könnte  uns  entgegnen,  daß  der  Methodenstreit 
innerhalb  der  Ökonomie  sich  dadurch  auszeichne,  daß  dem 
Standpunkte  des  Gegners  so  wenig  Ver:tändnis  entgegen- 
gebracht werde,  daß  die  meisten  Ökonomen  ihnen  fremde 
Richtungen  und  deren  Resultate  überhaupt  nicht  ausreichend 
•rennen.     Indessen    ist    das    überall   so:    der   introspektive 


Psychologe  glaubt  sich  miBverstanden  von  dem  experimen- 
tiereDden  und  dieser  ist  geneigt,  jenem  jede  Berechtigung 
fOr  sein  Vorgehen  abzusprechen.  Der  mathematische  und 
exakte  Chemiker  schätzt  den  experimeDtellen  mitunter  recht 
gering  ein  und  der  letztere  weiß,  wie  ich  wiederholt  sah, 
mitunter  gar  nichts  von  der  Existenz  des  ersteren  and 
dessen,  womit  derselbe  sich  besch&ftigt.  Und  ganz  ahnliehe 
Verhältnisse  herrschen  gegenwärtig  auf  dem  Gebiete  der 
Mechanik,  ja  sogar  die  reine  Mathematik  hat  darunter  zu 
leiden. 

Es  kann  uns  das  kaum  wundernehmen,  wenn  wir  be- 
denken, daß  nicht  nur  der  Wissensstoff  so  groB,  sondern 
auch  das  Gebiet  der  Methoden  so  abwechslungsreich  ist, 
daß  ein  Mann  fast  niemals  selbst  nur  eine  Disziplin  in 
allen  Teilen  gleich  gut  beherrschen  kann.  Er  wfthlt,  was 
ihm  am  nächsten  steht  und  seine  Richtung  ist  ein  -  Teil 
seiner  Persönlichkeit,  der  er  oft  —  und  gerade  die  Besten 
sind  in  diesem  Falle  —  so  wenig  entsagen  kann ,  wie  etwa 
seinem  moralischen  Charakter.  Daraus  folgt  oft  eine  Un- 
möglichkeit der  Verständigung,  die  aber  ein  notwendiges 
Ergebnis  der  wissenschaftlichen  Entwicklung  und  die  zu 
bekämpfen  so  mU6ig  ist,  wie  etwa  ein  Versuch  der  Einigung 
der  Religionen. 

So  nehmen  wir  auch  die  Zerrissenheit,  die  die  Ökonomie 
aufweist ,  nicht  allzu  tragisch.  Wir  werden  in  unserer 
Hoffnung,  daB  dieser  Zustand  die  Zukunft  unserer  Disziplin 
nicht  vernichten  werde,  durch  die  Beobachtung  bestärkt, 
daß  eine  bedeutsame  Besserung  in  neuester  Zeit  unverken- 
bar  eingetreten  ist  und  sich  eine  gesunde  communis  opinio 
immer  mehr  Bahn  bricht.  Das  ist  immerhin  ein  Resultat 
der  Diskussion.  P'reilich  wollen  und  können  wir  nicht 
leugnen,  daß  dasselbe  keineswegs  völlig  befriedigend,  uod 
wir  wollen  gleich  hier  erwähnen,  was  unseres  Erachtens 
die  Ursache  davon  ist. 

Nehmen  wir  den  Streit  zwischen  den  Vertretern  ab- 
strakter Theorie  und  der  historischen  Schule:  Mit  ihren 
allgemeinen  Behauptungen   haben  meist  beide  Teile  Recht 


Zur  Einfahning.  7 

Aber  man  verkennt  deren  Grenzen  und  übersieht,  dafi  der 
eine  oft  an  andere  Probleme  denkt,  als  der  andere.  Jede 
Methode  hat  ihr  konkretes  Anwendungsgebiet  und  es  führt 
ZQ  nichts,  wenn  man  für  ihre  Allgemeingültigkeit  streitet. 
Wir  werden  immer  wieder  hervorheben,  dafi  eine  Diskussion 
über  Methodenfragen  nur  in  Zusammenhang  mit  praktischer 
winenschaftlicher  Arbeit  Sinn  hat.  Unser  Standpunkt  läßt 
sieh  kurz  dahin  charakterisieren,  dafi  historische  und  ab- 
strakte Richtung  in  keinem  Wiederspruche  stehen,  dafi  der 
einzige  Unterschied  im  Interesse  für  verschiedene  Probleme 
liegt.  Die  reine  Preistheorie  z.  B.  läfit  sich  einfach  nicht 
historisch,  das  Problem  der  Organisation  der  Volkswirtschaft 
nicht  abstrakt  behandeln.  Und  hätte  man  das  immer  be- 
achtet und  einiges  andere,  was  wir  später  berühren  werden, 
so  wäre  der  Streit  nie  so  heftig  geworden.  Heute  sieht 
man  das  bereits  mehr  und  mehr  ein.  Aber  freilich,  nicht 
allen  Richtungen  kommt  diese  relative  Berechtigung  zu. 

§  2.  Hier  soll  nun  in  aller  Kürze  eine  Übersicht  über 
die  für  die  Gegenwart  wichtigsten  Richtungen  gegeben 
werden.  Wir  folgen  damit  einer  alten  Übung.  Fast  jeder 
Arbeit  ökonomischen  Inhaltes  und  besonders  systematischen 
Werken  geht  eine  solche  Übersicht  voraus.  Das  hat  den 
Vorteil,  den  Leser  über  die  prinzipielle  Stellung  des  Autors 
zu  informieren  und  auch  in  die  Literatur  etwas  einzuführen. 
Anch  wir  müssen  das  tun,  wenn  auch  das  Verständnis  un- 
serer Bemerkungen  schon  Kenntnis  der  letzteren  voraus- 
setzt Aufierdem  haben  wir  einen  weiteren  Anlaß  dazu: 
Wir  betrachten  es  als  unsere  Aufgabe,  zu  einer  Würdigung 
der  einzelnen  Richtungen  beizutragen,  dieselben  gegen- 
einander abzugrenzen  und  womöglich  in  ein  präzises  Ver- 
hältnis zueinander  zu  setzen.  Zu  diesem  Zwecke  sollen 
einige  der  wichtigsten  hier  genannt  werden,  wenngleich  wir 
an  dieser  Stelle  im  allgemeinen  nur  sine  ira  et  studio  refe- 
rieren und  lediglich  in  wenigen  Punkten  kritisch  sein  wollen. 
Kn  Maßstab  zu  einer  Kritik  soll  sich  dem  Leser  erst  aus 
der  Gesamtheit  unserer  Erörterungen  ergeben;  es  liegt  uns 


g  GroDdlegnng. 

ferne,  an  der  Schwelle  unserer  Ausfohrnngen  allgemeine 
Urteile  abgeben  zu  wollen,  wie  es  oft  geschieht  Bei  dieser 
allgemeinen  Informatiun  legen  wir  hauptsächlich  auf  einige 
Punkte  Gewicht,  über  die  wir  selbst  etwas  zu  sagen  haben. 
Den-  allgemeinen  Entwicklungsgang  unserer  Wissenschaft, 
Howie  das,  was  in  der  Regel  in  diesem  Zusammenhange  ge- 
sagt zu  werden  pflegt,  setzen  wir,  wie  gesagt,  als  bekannt  vor^ 
aus.  In  dem  Zwecke ,  den  wir  verfolgen ,  liegt  die  Ent- 
scbuldigung  far  die  Un Vollständigkeit  dessen,  was  wir  sagen 
wollen,  und  wo  wir  Namen  nennen,  geschieht  das  nur  bei- 
spielsweise und  in  so  geringem  Maße  als  möglich,  haupt- 
sächlich nur  dort,  wo  auch  der  mit  der  Literatur  vertraute 
Ijeser  im  Zweifel  darOber  sein  könnte,  welche  Autoren  wir 
meinen. 

Wir  beginnen  mit  dem  Systeme  der  Klassiker  und 
denken  da  in  erster  Linie  an  A.  Smith,  Ricardo  und  deren 
unmittelbare  Nachfolger,  ohne  zu  untersuchen,  in  wieweit 
die»ell)en  von  älteren  Autoren  abhängig  sind.  In  zweifacher 
HinEicbt  mQssen  wir  desselben  hier  gedenken.  Erstens  ist 
es  der  Ausgangspunkt  der  meisten  Richtungen  und  seine 
Betrachtung  unentbehrlich  zum  Verständnisse  derselben. 
Zweitens  aber  ist  es  auch  heute  noch  direkt  eine  lebendige 
Macht ,  insofcmc  manche  Nationalökononien  der  Gegenwart 
auf  seinem  Boden  stehen.  Zunächst  zum  ersten  Punkte,  der 
uns  einen  Ausblick  auf  die  Entwicklung  unserer  Wissenschaft 
eröffnet. 

Natura  non  facit  saltum  —  diesen  Satz  hat  Marshall 
iils  Motto  seinem  Werke  vorangestellt,  und  in  der  Tat  drückt 
er  treffend  den  Charakter  dosseihen  aus.  Aber  ich  mOehte 
ihm  entgegenhalten ,  daß  die  Entwicklung  der  menBchlichen 
Kultur  wenigstens,  und  namentlich  die  des  Wissens,  gerade 
sprungweise  vor  sich  geht.  Gewaltige  Anläufe  und  Perioden 
der  StDguatioii ,  Uberschwängliche  Hoffnungen  und  bittere 
Enttäuschungen  wechseln  sich  all  und  ma-n  das  Neue  auf 
dem  Alten  fußen,  so  ist  der  Fortschritt  doch  kein  stetiger.' 
Unsen>  Wissenschaft  weiß  davon  zu  berichten. 

Die  Frische  dt-s  jungen  Tages  liegt  über  den  Werken  der 


'  Zur  EinfuhruDg.  9 

^iker.  Welche  Fülle  von  Tatsachen  und  Resultaten, 
Tiele  Ansätze,  von  denen  noch  heute  nicht  alle  verwertet 
i,  bietet  uns  der  „Wealth  of  Nations"!  Man  stürmte 
*w&rt8,  ohne  den  Weg  auf  Verläfilichkeit  zu  prüfen  und 
Bb  rücksichtslosen  Raubbau  auf  dem  Neubruche.  Mit 
leht  drangen  die  neuen  Ideen  —  vielfach  entstellt  und 
ets  unzulässig  verallgemeinert  —  in  die  weitesten  Kreise. 
e  Ernüchterung  blieb  nicht  aus  und  es  trat  ein  Zustand 
i,  der  völlig  analog  einer  wirtschaftlichen  Krise  ist:  Auf 
•hes  Schaffen  folgte  Ermatten,  auf  unbedingtes  Vertrauen 
mso  übertriebenes  Mißtrauen.  Das  Charakteristische  an 
»er  Sachlage  ist  nicht  das  Verhalten  weiterer  Kreise  zur 
:onomie,  sondern  ihr  innerer  Zustand.  Ganz  plötzlich  trat 
I  Stillstand  in  ihrer  Entwicklung  ein ;  es  sah  so  aus,  wie 
nn  ihr  Gebiet  erschöpft  sei,  wie  wenn  nichts  weiteres  aus 
n  gewonnen  werden  könnte,  und  das  trotz  augenfälliger 
iDgel  des  Bestehenden,  die  zur  Weiterarbeit  einluden :  Es 
iden  sich  keine  Arbeiter  dazu.  Halb  noch  unvollendet 
d  halb  sclion  verfallen  war  das  Gebäude  der  Ökonomie, 
i  ihm  mächtige  Gegner  entstanden.  Ich  könnte  diesen 
^ntttmlichen  Stillstand,  diese  hippokratischen  Züge  der 
ODomischen  Literatur  etwa  zwischen  1830  und  1870  nicht 
küren.  Aber  die  Tatsache  scheint  mir  ganz  zweifellos, 
dwenn  sie  auch  meines  Wissens  nie  hervorgehoben  wurde,  so 
rfte  mir  jeder  Kenner  der  Literatur  hierin  zustimmen: 
cht  äußeren  Feinden  ist  das  klassische  System  erlegen  — 
wenig,  wie  man  im  allgemeinen  den  Untergang  eines 
iiaeinwesens  durch  äußere  Feinde  wirklich  befriedigend 
klären  kann  —  sondern  durch  innere  Erstarrung.  Die 
storische  Schule  erstürmte  eine  Festung,  deren  Besatzung 
ß  Invaliden  bestand.  Die  Werke  der  „Epigonen"  wären  von 
iriagem  Werte,  auch  wenn  es  niemals  eine  historische  Richtung 
«eben  hätte.  Es  soll  nicht  geleugnet  werden,  daß  in  jener 
Ml  immerhin  etwas  geleistet  wurde:  Fast  jeder  Autor 
fctte  seine  Verdienste  in  diesem  oder  jenem  Detail.  Aber 
ie  Schöpferkraft  war  versiegt.  Das  gilt  vor  allem  auch 
oo  J.  St.  Mill,  so  peinlich  es  mir  ist,  über  einen  Einzelnen 


10  Grundlegung. 

SO  kurz  zu  urteilen.  Auch  finden  sich  Ansätze,  die  auf  die 
spätere  Entwicklung  hindeuten :  Jedoch  ist  es  eben  charakte- 
ristisch für  die  Lähmung,  in  der  die  Ökonomie  sich  befand, 
da6  sie  keine  Beachtung  erhielten. 

Ich  kann  den  Eindruck,  den  ich  von  der  Literatur  jener 
Zeit  habe,  nicht  besser  charakterisieren,  als  mit  dem  Aus- 
drucke „Nicht- weiter- wissen "".  Vielleicht  hätten  Smith  und 
Ricardo  selbst  nicht  weitergewußt.  Jedenfalls  waren  die 
„  Epigonen  "^  in  diesem  Falle.  Jene  Art  des  Vorgehens  war 
am  Ende  ihrer  Leistungsfähigkeit,  und  man  wußte  sie  nicht 
zu  ersetzen.  Ganz  begreiflich,  daß  man,  was  nur  von  einer 
Betrachtungsweise  galt,  auf  die  Nationalökonomie  überhaupt 
übertrug  und  glaubte,  daß  ihre  Zukunft  keine  glänzende 
sein  könne.  Manche  hielten  ihr  System  für  vollendet  und 
abgeschlossen  —  was  immer  ein  bedenkliches  Symptom  ist  — , 
andere  hatten  ein  allgemeines  Gefühl  des  Unbehagens,  aber 
ohne  Rat  zu  wissen. 

Diese  Sachlage  trat  charakteristisch  zutage  bei  der 
Feier  des  hundertsten  Geburtstages  des  Wealth  of  Nations 
im  Political  Economy  Club  in  London.  Eigentlich  gehört 
ja  das  Jahr  1876  schon  der  neuen  Periode  an.  Aber  noch 
fanden  die  Arbeiten  der  Neuerer  keine  Beachtung  und  die 
Ruhe  des  Todes  schien  über  unserer  Disziplin  zu  liegen. 
Wie  treffend  drückte  doch  Mr.  Lowe,  der  die  Debatte  eröffnete, 
jene  Stimmung  aus,  wenn  er  unter  anderem  sagte:  „I  am  not 
sanguine  as  to  any  very  large  or  any  very  startling  develop- 
nient  of  political  economy.  I  observe  that  the  triumphs 
which  have  been  gained,  have  been  rather  in  demolishing 
that  which  has  been  found  to  l)e  undoubtedly  bad  and 
erroneous,  than  in  establishing  new  truth;  and  imagine 
that,  before  we  can  attain  new  results,  we  must  be  fumis- 
hed  from  without  with  new  truths.  to  which  our  principles 
can  he  applied  ...  the  great  work  has  be  done/ 
Was  heißt  das  anderes,  als  daß  die  Nationalökonomie  mit 
ihren  Krilften  ^fertig"  sei,  daß  sie  aus  sich  selbst  nichts 
Beachtenswertes  melir  leisten  könne  und  man  über  ihre 
Grenzen   hinausblicken   müsse,  wenn   man  Interessantes  er* 


Zur  Einf&hnuig.  11 

Uhren  wolle.  Die  einzigen,  die  Selbstbewufitsein  und 
Schaffensfreude  äufierten  und  mit  Vertrauen  in  die  Zukunft 
blickten,  waren  die  „Historiker**,  voran  Cliffe  Leslie.  Und 
eine  Zeitung  drückte  die  Ansicht  weiterer  Kreise  treffend 
ans,  wenn  sie  sagte,  da6  jene  Versammlung  eher  eine 
Leichenfeier  als  ein  Jubiläum  der  Ökonomie  beging. 

Mit   der    inneren    Kraft   verlor   die'  Ökonomie    ihren 
Infleren  Einflufi  umsomehr,  als  sie  sich  in  der  Zeit  des  Auf- 
schwunges viel,  viel  zuweit  auf  das  Gebiet  der  praktischen 
Probleme  vorgewagt  und  kurze  und  allgemeine  Antworten 
auf  Fragen  erteilt  hatte,  die  zu  kompliziert  sind,  um  im 
ersten  Angriffe  gelöst  zu  werden.    Wie  Stein  um  Stein  aus 
dem  wissenschaftlichen  Gebäude  —  Lohnfonds-,  Bevölkerungs- 
theorie  usw.    —    abbröckelte,    so    wurde    ein   praktisches 
Resultat  nach  dem  anderen  von  den  Tatsachen  desavouiert. 
Und  soviel  hatte  man  von  Ökonomie  gehört,  so  grofi  waren 
die  Prätensionen  und  so  evident  der  Mißbrauch  der  Wissen- 
Schaft  gewesen,   dafi  man  voll  Überdruß  sich   von   ihr  ab- 
wandte. 

So  hatte  die  historische  Richtung  einen  großen  Erfolg : 
Man  ging  daran,  die  Theorie,  mit  der  mau  alles  und  nichts 
beweisen  konnte,  die  in  leeren  Phrasen  erstarrte,  über  Bord 
zu  werfen  und  sich  der  Sammlung  von  Tatsachen  und 
praktischen  Problemen  der  Sozial-  und  Wirtschaftspolitik 
zuzuwenden.  Indessen  war  dieser  Erfolg  kein  vollständiger. 
Dafi  in  der  Diskussion  von  Tagesfragen  noch  immer  auf 
die  alten  klassischen  Argumente  zurückgegriffen  wurde,  daß 
Freihandelspartei  und  Manchestertum  sich  von  diesen  ihnen 
80  gUnstigen  Theorien  nicht  trennen  wollten,  das  allerdings 
hatte  geringe  Bedeutung  für  die  Wissenschaft  als  solche 
gehabt.  Aber  auch  viele  wissenschaftliche  Ökonomen  hielten 
an  der  Theorie  fest.  Eine  Zeitlang  konnte  man  sich  darüber 
trfeten  mit  der  Hoffnung,  daß  dieselbe  vom  Strome  der 
Zeit  würden  weggespült  werden.  Aber  diese  Hoffnung  be- 
gütigte sich  nicht  Vielmehr  erwachte  neue  Tätigkeit  in 
j^er  Ruine,  und  die  Schar  der  Theoretiker  begann  sich  zu 
erneuern,  zu  vermehren  und  bald  zum  Angriffe  überzugehen. 


12  Gnindlegung. 

Die  Historiker  wurden  sich  nicht  sogleich  gewahr,  da6  ihnen 
nun  andere  Gegner  gegenüberstanden  und  vermischten  die- 
selben mit  den  übriggebliebenen  Epigonen  der  Klassiker. 
Und  doch  waren  es  nicht  die  letzteren,  sondern  neue 
Kämpfer,  die  den  so  bekannten  Methodenstreit  aufnahmen. 
Es  war  ein  Mißgriff,  dieselben  mit  den  alten  Argumenten, 
die  die  Klassiker  getroffen  hatten,  zu  bekämpfen,  aber  es 
mufi  zugegeben  werden,  dafi  sie  selbst  dazu  Anlafi  gaben, 
indem  sie  Neigung  zeigten,  das  Erbteil  der  Klassiker  an- 
zutreten. 

Der  Leser  weifi,  an  welche  Gruppe  von  Nationalökonomen 
wir  hier  denken :  an  Menger,  Jevons,  Walras  und  ihre  Nach- 
folger. Ihre  Stellung  war  anfangs  eine  schwierige.  Der 
Periode  der  Nichtbeachtung  folgte  eine  solche  der  Bekämp- 
fung und  des  Mißverständnisses.  Man  hatte  die  Theorie 
ad  acta  gelegt  und  war  nicht  geneigt,  sie  wiederum  an- 
zuerkennen. Aber  die  neue  Richtung  behauptete  sich  und 
machte  immer  größere  Fortschritte,  und  heute  kann  man 
sagen,  daß  wir  wiederum  in  einem  theoretischen  Aufschwünge 
begriffen  sind.  Das  klassische  System  freilich  gewann 
wenig  dadurch,  vielmehr  erfuhr  es  einen  neuen  Angriff,  der 
es  vollends  erschütterte. 

Um  diese  Sachlage  zu  verstehen,  muß  man  sich  über 
die  Natur  und  den  Inhalt  dessen,  was  wir  das  klassische 
System  nannten,  mehr  im  Klaren  sein,  als  das  im  allgemeinen 
der  Fall  ist.  Das  erste,  was  am  Werke  der  Klassiker  auffällt,  ist 
meines  Erachtens  die  Tatsache,  daß  es  aus  sehr  verschiedenen 
Kiementen  besteht.  Es  ist  in  der  Tat  erstaunlich,  daß  das 
so  wenig  lieachtet  wurde,  und  uns  scheint  ein  wesentlicher 
Grund  für  die  teilweise  Resultatlosigkeit  des  Methodenstreites 
darin  zu  liegen,  daß  man  dieselben  nicht  hinreichend  schied 
und  Argumente,  die  auf  eines  passen  mochten,  auf  alle 
anzuwenden  strebte.  Das  Erbteil  der  Klassiker  besteht  aus 
einem  wissenschaftlichen  und  einem  politischen  Teile.  Es 
ist  nun  nicht  zu  viel  l^ehauptet,  wenn  wir  sagen,  daß  der 
große  Erfolg  wie  die  große  Niederlage  des  klassischen  , 
Svstemes  viel  mehr  aus  dem  letzteren,  als  aus  dem  ersteren  * 


Zar  Einfahrung.  13 

rklären  ist.  Freihandel  und  laisser  faire  waren  die 
Qden  Schlagworte  der  ersten  Hälfte  des  neunzehnten 
londerts  und  die  Reaktion  gegen  dieselben  und 
1  die  praktischen  Spitzen  anderer  Theorien  wie  z.  B. 
des  Lohnes  richtete  sich  vor  allem  der  Angriff  der 
tischen  und  der  neueren  sozialpolitischen  Riebtungen.  Für 
igentliche  ökonomische  Theorie  hatten  diese  Kreise  gar 
Interesse.  Trotzdem  aber  nahm  man  stillschweigend 
afi  dieselbe  mit  jenen  praktischen  Behauptungen  und 
ilaten  falle.  Das  ist  nun  entschieden  unrichtig.  Die- 
a  sind  keineswegs  die  notwendige  Konsequenz  der  rein- 
nschaftlichen  Ausführungen  der  Klassiker  und  lassen 
^hr  wohl  davon  trennen.  Es  wäre  nicht  schwer,  das 
suweisen:  Man  sieht  z.  B.  leicht,  daß  der  theoretische 
t  des  Kapitels  über  den  Lohn  bei  Ricardo  keineswegs 
lieh  selbst  zu  dem  führt,  was  der  Autor  im  Anschlüsse 
i  über  die  „poor-laws"  sagt.  Verwirft  man  das  letztere, 
Lon  noch  immer  der  erstere  haltbar  bleiben.  Und  nur 
las  wissenschaftliche  Erbteil  der  Klassiker  handelt  es 
ans.  Aber  auch  dieses  ist  nicht  ganz  homogen.  Wohl 
ie  Ökonomie  sein  wichtigster  und  wertvollster  Be- 
teil. Aber  daneben  enthält  es  noch  Philosophien  über 
?hema  des  Individualismus  und  Kollektivimus,  über  die 
e,  die  das  Handeln  des  Menschen  bestimmen  usw. 
alles  das  nicht  in  die  Ökonomie  gehört,  werden  wir 
r  zeigen.  Wir  können  —  und  müssen  —  zugeben, 
luch  hier  die  Angriffe  berechtigt  waren.  Aber  das  ist 
alles,  die  reine  Ökonomie  der  Klassiker  blieb,  so 
lox  das  klingt,  von  dem  historischen  Angriffe  fast  un- 
urt.  Man  drang  gar  nicht  bis  zu  ihr  vor  und  begnügte 
sie  ganz  allgemein,  zusammen  mit  jenen  anderen  Dingen, 
lenen  vermischt  sie  auftrat,  zu  verdammen,  eine  Tat- 
,  die  man  auch  gegenwärtig  bei  jeder  Diskussion  dieser 
3n  konstatieren  kann. 

Es  waren  die  Vertreter  der  neuen  Theorie,  welche  die 
ische  Ökonomie  nachprüften.  Haben  sie  sie  vernichtet 
etwas  Neues  an  ihre  Stelle  gesetzt  ?  Das  ist  eine  Frage, 


14  Grundlegung. 

die  sehr  verschieden  beantwortet  wird.  Wir  wollen  sie  hier 
nicht  lösen  —  die  folgenden  Anführungen  in  ihrer  Gesamt- 
heit geben  die  Antwort  darauf  — ,  doch  möchten  wir  unsere 
Ansicht  nicht  verhehlen :  Ja,  das  System  der  modernen  Theorie 
ist  wesentlich  neu,  und  selbst  jene  Resultate,  welche  mit 
denen  des  klassischen  Systemes  übereinstimmen,  sind  auf 
anderem  Wege  gewonnen.  Sicherlich  verdanken  wir  den 
Klassikern  ein  ganzes  Arsenal  von  Begriffen  und  Gedanken, 
sicherlich  wäre  die  neue  Theorie  nicht  möglich  ohne  die  alte, 
aber  dennoch  ist  die  letztere  ganz  naturgemäß  ebenso  ^^über- 
wunden^,  wie  es  die  ältere  Literatur  jeder  anderen  Wissen- 
schaft ist.  Diese  Auffassung  scheint  mir  nicht  mehr  als 
natürlich  zu  sein  und  ist  gleichweit  von  allen  den  Extremen 
entfernt,  die  man  so  oft  hören  kann. 

Die  vorhergehenden  Ausführungen  sollten  die  Grundlage 
für  eine  kurze  Schilderung  der  gegenwärtigen  Partei  gruppierung 
auf  dem  Gebiete  unserer  Disziplin  geben.  Wir  sahen  zum 
Teile  soeben,  zum  Teile  werden  wir  sofort  sehen,  da6  man 
so  gut  wie  alle  Richtungen  auf  die  Klassiker  als  ihren  Aus- 
gangspunkt zurück  zu  verfolgen  vermag.  Ob  man  ihre 
Bahnen  verfolgte  und  ihre  Methoden  weiter  ausbaute  oder 
sie  kritisierte  und  anderes  an  die  Stelle  des  Verworfenen 
zu  setzen  suchte,  ob  man  bewunderte  oder  angriff  — ,  stets 
startete  man  von  ihnen.  Man  wird  meist  geneigt  sein,  das 
in  Abrede  zu  stellen;  jede  neue  Richtung  sucht  soviel  als 
möglich  auf  eigenen  Füßen  zu  stehen  und  lehnt  die  Zu- 
mutung eines  Zusammenhanges  mit  älteren  Arbeiten  mehr 
oder  weniger  energisch  ab;  und  doch  besteht  ein  solcher. 
Die  historische  Schule  ging  aus  von  einer  Kritik  der  klassischen 
Resultate.  Die  Klassiker  gaben  ihr  ihr  ökonomisches  Begriflb- 
system  und  ihre  Systematik  und  klassische  Gedanken  findet 
man  bewußt  und  unbewußt  geäußert  in  Werken  dieser' 
Richtung.  Daß  dasselbe  in  noch  höherem  Maße  von  der 
neueren  Theorie  gelten  muß,  ist  klar. 

So  können  wir  also  auch  für  unsere  Disziplin  einen 
zwar  nicht  geraden,  gleichmäßigen  und  ruhigen,  aber  doch 
deutlich  erkennbaren  Entwicklungsgang   konstatieren.    Wie 


Zar  Einföhrang.  15 

die  Arme  eines  FluBdeltas  kommen  die  einzelnen  Richtungen 
WOB  einer  gemeinsamen  Quelle  und  hängen  organisch  mit 
einander  zusammen.  Man  kann  oft  die  Behauptung  hören, 
dafi  besonders  die  deutsche  Ökonomie  die  Fühlung  mit  den 
Klassikern  yerloren  habe:  Das  ist  sicher  nicht  richtig,  was 
die  Theorie  anlangt;  soweit  in  Deutschland  überhaupt 
Theorie  getrieben  wird,  wird  den  Klassikern  ihr  Recht  ge- 
geben. Aber  auch  aufierhalb  der  reinen  Theorie  wirken  sie 
stin  aber  tief. 

Der  Nationalökonom,  der  in  seiner  „Einleitung^  die  ver- 
schiedenen Richtungen  der  Ökonomie  abhandelt,  unterscheidet 
neist  reine  Theorie  —  die  er  je  nach  seinem  Standpunkt 
,eukt*  oder  „spekulativ**  oder  „deduktiv**  nennt  —  dann 
besonders  Wirtschaftsgeschichte  und  Wirtschaftsbeschreibung 
Qod  sucht  dieselben  mit  einigen  allgemeinen  Bemerkungen 
ZQ  charakterisieren.  Das  ist  ganz  unzulänglich.  Denn 
innerhalb  der  Theorie  gibt  es  soviele  Verschiedenheiten,  daß 
ein  Gesamturteil  über  dieselben  nur  in  den  allgemeinsten 
Sitzen  ausgedrückt  werden  kann.  Wir  wollen  daher  sorg- 
fältig die  verschiedenen  Gruppen  auseinanderhalten. 

Nach  unserer  Auffassung  haben  wir  also  im  klassischen 
Systeme,  soweit  wenigstens  die  rein  wissenschaftliche  Seite 
der  Sache  inbetracht  kommt,  die  gemeinsame  Wiege  aller 
Riehtungen  der  Ökonomie  zu  sehen.  Und  damit  glauben 
vir  ihm  Gerechtigkeit  erwiesen  zu  haben.  Auch  nicht 
einer  seiner  Bestandteile  ist  heute  voll  aufrecht  zu  erhalten, 
*ber  jeder  hat  zu  dem  heutigen  Stande  der  Wissenschaft 
beigetragen.  Indessen  sind  die  Klassiker  noch  heute  eine 
lebendige  Macht,  in  viel  stärkerem  Maße,  ^Is  das  in  irgend 
«mer  anderen  Wissenschaft  der  Fall  ist.  Manch  tüchtiger 
Mathematiker  hat  Newton  oder  Laplace  nicht  gelesen.  Das 
ist  nicht  möglich  auf  unserem  Gebiete :  Viele  Leute  wenden 
^  heute  noch  direkt  an  A.  Smith  oder  Ricardo.  Der 
<inmd  dafür  ist,  daß  man  auf  unserem  Gebiete  nicht  so 
einig  darüber  ist,  was  uns  unsere  Klassiker  heute  noch 
lehren  und  wie  sie  aufzufassen  sind,  während  in  anderen 
Wissenschaften  die  wertvollen  Bestandteile  der  älteren  Werke 


16  Grundlegung. 

in  den  neueren  in  einer  allgemein  anerkannten  Form  weiter- 
leben; aber  es  gibt  noch  einen  anderen  Grund:  Weitere 
Kreise,  denen  nicht  jedes  Verständnis  für  Theorie  fehlt, 
stehen  gleichwohl  dem  modernen  Systeme  der  Theorie,  deren 
wissenschaftliches  Gebäude  viel  schwieriger  zugänglich  ist, 
verständnislos  gegenüber,  während  sie  den  Ausführungen  der 
Klassiker  mit  Nutzen  folgen  können,  dort  auch  viel  mehr 
Befriedigung  finden  hinsichtlich  kurzer  Antworten  auf 
brennende  praktische  Fragen.  Nicht  nur  der  Laie  also, 
auch  der  Nationalökonom  von  Fach,  wendet  sich  oft  auch 
heute  noch  mit  Vorliebe  an  die  Klassiker,  statt  an  die 
Modernen.  Haben  wir  demnach  zunächst  die  Bedeutung  der 
Klassiker  für  die  Entwicklung  unserer  Wissenschaft  und  so 
indirekt  für  die  Gegenwart  gewürdigt,  so  müssen  wir  sie 
auch  geradezu  unter  den  modernen  Richtungen  anführen: 
Sie  leben  heute  noch. 

Es  ist  eine  eigentümliche  Erscheinung,  jene  Gruppe  von 
Forschern,  welche  noch  immer  ganz  auf  dem  Boden  des 
klassischen  Systemes  stehen.  Wir  wollen  uns  darüber  hier 
kein  Urteil  erlauben  und  auch  keinen  Versuch  machen,  diese 
Erscheinung  zu  erklären.  Sicherlich  sind  die  Gründe,  die 
wir  soeben  als  für  weitere  Kreise  bestimmend  behaupteten, 
hier  nicht  oder  nicht  immer  ausreichend,  da  sich  Forscher 
hier  finden,  deren  Hauptinteresse  der  reinen  Theorie 
gilt.  Aber  wir  müssen  aileniings  sagen,  daß  es  in  der  Tat  unseres 
Wissens  in  keiner  anderen  Wissenschaft  vorkommt ,  dafi  ein 
Teil  der  Fachgenossen  der  Entwicklung  der  letzten  vierzig  Jahre 
fast  fremd  gegenübersteht.  Die  Nationalökonomen,  an  die 
wir  hier  denken,  sind  z.  B.  Professor  Sunmer  in  Amerika, 
Proff.  Nicholson  und  Cannan  in  England,  Prof.  Dietzel  u.  a. 
in  Deutschland.  In  mancher  Hinsicht  ist  auch  A.  Wagner 
hierherzuzählen  und  die  weniger  bedeutenden  Anhänger  dieser 
Anschauung  sind  zahlreich.  Nach  derselben  wären  die  Grund- 
lagen der  reinen  Theorie,  wie  sie  von  den  Klassikern  gelegt 
wurden,  auch  heute  noch  brauchbar  und  dem  neuen  Systeme 
der  Theorie,  dessen  Neuheit  und  Wert  außerdem  noch  stark 
bezweifelt  wird,  vorzuziehen. 


Zur  Einffthrang.  17 

Dieser  Gruppe  yon  Theoretikern  können  wir  eine  andere 
gegenüberstellen,  nämlich  jene,  welche  wir  als  die  „moderne" 
bezeichnen  können.  Die  Begründer  dieser  Richtung  wurden 
bereits  genannt :  Es  sind  St.  Jevons,  G.  Menger  und  L.  Walras^ 
Sie  traten  mit  dem  Ansprüche  auf,  die  exakte  Ökonomie 
auf  eine  neue  Grundlage  zu  stellen ,  die  keine  Fortbildung, 
sondern  eine  Vernichtung  des  klassischen  Systemes  der 
Theorie  bedeute.  In  der  Tat  unterscheiden  sich  ihre  Ar- 
beiten geradezu  in  allem,  in  der  Abgrenzung  des  Gebietes, 
in  den  methodischen  Hilfsmitteln,  in  den  Resultaten,  von 
den  Klassikern  und  stehen  in  bewußtem  —  und  oft  sehr 
scharfem  —  Gegensatze  zu  diesen  und  ihren  Vertretern  in 
der  Gegenwart.  Nur  kurz  wollen  wir  bemerken,  daß  es 
auch  innerhalb  dieser  Richtung  wiederum  Gegensätze  gibt: 
„Die  Österreichische  Schule",  deren  hervorragendste  Ver- 
treter bekanntlich  Menger,  v.  Boehm-Bawerk  und  von  Wieser 
und  zu  der  auch  eine  Reihe  nicht  österreichischer  Gelehrter  — 
Wickseil,  Pantaleoni,  Smart,  Pierson  zum  Beispiel  —  zu 
Ahlen  sind,  hebt  sich  charakteristisch  von  der  „Amerika- 
nischen" —  J.  B.  Clark  und  seinen  Nachfolgern  —  ab.  v.  Pareto, 
E.  Barone  u.  a.  wird  man  aus  verschiedenen  Gründen  eben- 
falls eine  besondere  Stellung  anzuweisen  geneigt  sein. 

Eine  dritte  Gruppe  bilden  jene  Theoretiker,  welche  sich 

um  A.  Marshall  scharten.    Eigentliche  Schüler  hat  St.  Jevons 

in  England   nicht   gehabt,   so  bedeutend  sein  Ansehen  war. 

Zwar   finden   sich   seine  Ideen    in    fast  jedem   Buche   über 

theoretische  Ökonomie,  aber  selten  wird  ihnen  rückhaltslose 

Anerkennung  gezollt.    Die  Theoretiker  dieser  Richtung  halten 

seine  Kritik  der  Klassiker  für  viel  zu  weit^ijohend  und  seine 

Auffassungsweise   nur   für  eine  Ergänzung  derjenigen   der 

letzteren.    Der  Gegensatz  zwischen  beiden  sei  nicht  so  groß, 

wenn   man   die  Altmeister  unserer  Wissenschaft  nur  loyal 

interpretiere  und  nicht  aus  jeder  Breviloquenz  ein  Verbrechen 

^  In  dieser  Übersicht,  die  es  mit  wissenschaftlichon  Parteien 
zu.  tan  bat,  kommt  es  uns  auf  Einzelerscheinungen ,  so  bedeutend  sie 
s«tn  mögen,  nicht  an,  daher  keine  Erwähnung  von  Goßen,  v.  Thünen 
and  Conmot. 

8obump«t«r,  Nationalökonomie.  2 


13  GnmdlegtiDg. 

mache.  Die  neuere  Werttheorie  eei  einseitig  und  für  sieb 
allein  unzureichend.  So  zeichnet  sich  diese  Biehtuog  durch 
einen  gewissen  Eklektizismns  auB,  Ober  den  man  verschieden 
denken  mag,  der  aber  auf  der  gegenwärtigen  Entwicklungs- 
stufe unserer  Disziplin  großen  Anklang  gefunden  hat  Mar- 
fihall  ist  deijenige  Theoretiker,  dem  auch  von  der  Theorie 
femestehenden  Kreisen  die  meiste  Anerkennung  gezollt 
wird.  Und  wirklich  gibt  es  kaum  ein  anderes  Buch,  auE 
dem  man  soviel  lernen  könnte,  wie  aus  seinem  großen  Werke. 
Diesen  „theoretischen"  Richtungen  können  nun  ver- 
schiedene andere  Forschungsrichtungen  gegenObergestelH 
werden,  welche  zu  ihnen  in  größerem  oder  geringerem  Gegen- 
satze stehen.  Wir  erwähnten  bereits  die  Gruppe  der  Wirt- 
schaftsbifitoriker.  Hier  muß  einer  interessanten  Erscheinung 
gedacht  werden,  nämlich  der  Entwicklung  von  neuen  Theorien 
auf  Grund  historischen  Materiales.  Das  bekannteste  Bei- 
spiel daftlr  ist  wohl  die  „Theorie  des  modernen  Kapitalismus* 
von  W.  Sombart.  Alle  Anzeichen  sprechen  dafür,  daß  diese 
Richtung  sich  in  schnellem  Aufschwünge  beündet  und  bald 
über  eine  erhebliche  Literatur  verfugen  wird.  Doch  kann 
sie  nicht  ohne  weiteres  neben  das  gestellt  werden,  was  wir 
die  „exakte  Theorie"  nannten;  vielmehr  ist  sie  ihrem  Wesen 
und  ihrem  Ziele  nach  von  derselben  völlig  verschieden: 
Sie  baut  Dicht  an  einem  exakten  Systeme,  sondern  stellt 
einzelne  Hypothesen  über  konkrete  Fragen  auf,  Hypothesen 
von  der  Art,  wie  sie  auch  die  politische  Geschichte  kennt 
Dieselben  streben  keine  Allgemeingiltigkeit  an ,  beziehen 
sich  vielmehr  stets  auf  bestimmte  historische  Tatsachen. 
Zusammenhang  zwischen  denselben  besteht  meist  nicht,  längere 
deduktive  Gedankengänge  kommen  nicht  vor.  Sie  haben 
also  eine  Ähnlichkeit  mit  den  Hypothesen  der  Biologie,  die 
noch  dadurch  verstärkt  wird,  daß  auch  sie  es  meist  mit 
Problemen  der  Entwicklung  zu  tun  haben.  So  sind  sie  alles 
andere  als  „statisch",  worin  allein  eine  entscheidende  Differenz 
mit  unserer  essentiell  statischen  Theorie  liegt  Aber  viel- 
leicht gehört  ihnen  das  Gebiet  der  „Dynamik"!  Das  muß 
sich  erst  zeigen. 


Zur  Einf&hnmg.  19 

Eine  andere  Gruppe  von  Nationalökonomen  widmet  sich 
den  grofien  Problemen  der  Gregenwart,  den  Entwicklungs- 
tendenzen der  Weltwirtschaft,  den  Fragen  der  Währungs- 
politik, den  modernen  Monopolerscheinungen  usw.  Diese 
Richtung  unterscheidet  sich  von  unserer  Theorie  einerseits 
durch  den  vorwiegend  praktischen  Charakter  ihrer  Arbeiten 
imd  anderseits  dadurch,  dafi  sie,  direkt  von  bestimmten  Er- 
scheinungen der  Wirklichkeit,  von  statistischer  und  ander- 
weitiger Tatsachensammlung  ihren  Ausgangspunkt  nimmt, 
ohne  abstrakte  Hypothesen  und  ähnliche  Instrumente  exakten 
Denkens  zur  Grundlage  zu  nehmen,  von  der  historischen 
Riehtang  durch  ihre  Beziehung  zur  Gegenwart.  Sicher- 
lich muB  unsere  Theorie  zu  den  Resultaten  dieser  Arbeiten 
in  Zusammenhang  gebracht  werden,  für  uns  aber  ist  es  von 
Wichtigkeit,  vor  allem  zu  betonen,  dafi  diese  verschiedenen 
Dinge  auseinandergehalten  werden  müssen. 

Andere  Nationalökonomen  haben  ihr  Interesse  der  Sozial- 
politik zugewandt,  manche  so  sehr,  daß  sie  nur  dem  Namen 
nach  „Ökonomen"   sind.    Bekanntlich   ist  das  besonders  in 
Deutschland  der  Fall.    Es  ist  hier  nicht  unsere  Aufgabe, 
diese  Richtung  zu  werten.    Es  würde  mir  leid  tun,  wenn 
man  aus  dem,  was  ich  gelegentlich  vom  Standpunkte  der 
ökonomischen  Theorie  über  diese  Richtung  zu  sagen  haben 
werde,  den  Eindruck  gewänne,  als  ob  ich  ihr  nicht  hinlänglich 
Anerkennung   zollte.    Gerade   das   Gegenteil    ist   der  Fall. 
Aber  es  mufi  hervorgehoben  werden,   daß  die  ökonomische 
Theorie   und  die  Sozialpolitik  völlig  getrennte  Gebiete  sind 
and   weder  methodisch  noch   inhaltlich  etwas  mit  einander 
zu  tun   haben,   dafi   das   Urteil   des   Sozialpolitikers   über 
theoretische  und  des  Theoretikers  über  sozialpolitische  Pro- 
bleme notwendig  ein  arbiträres  sein  muß. 

Dennoch  finden  wir  solche  Übergriffe  oft.  Als  einen 
anderen  Typus  für  eine  unglückliche  Vermischung  ver- 
schiedener Dinge,  kann  man  die  Mehrheit  der  französischen 
Kationalökonomen  anführen,  welche  eine  weitere  selbständige 
Gruppe  bilden.  Diese  Richtung,  namentlich  die  Ökonomen 
der  Akademie,  kann  man  als  Erben  des  praktisch-politischen 


20  ^  Grandlegung. 

Nachlasses  der  Klassiker  bezeichnen.  Die  Theorie  ist  ihnen 
nicht  Selbstzweck  sondern  nur  Dienerin  politischer  Tendenzen. 
Wir  müssen  konkrete  Leistungen  derselben  für  die  Theorie 
würdigen,  prinzipiell  aber  müssen  wir  betonen,  dafi  wir  mit 
ihnen  nichts  gemein  haben.  Hierher  sind  viele  Ökonomen 
zu  rechnen,  deren  Interesse  der  Wirtschaftspolitik  gilt  und 
die  der  Tiieorie  nie  wirkliches  Verständnis  entgegenbringen, 
ohne  doch  auf  dieselbe  verzichten  zu  wollen. 

Endlich  ist  hier  der  wissenschaftliche  Sozialismus  zu 
nennen,  der  bekanntlich  über  eine  eigene  Theorie  verfügt, 
die,  wenngleich  sie  nicht  mit  seinen  praktischen  Postulaten 
steht  oder  fällt,  vielmehr  auch  von  manchen  NichtSozialisten 
vertreten  wird,  doch  der  übrigen  Theorie  charakteristisch 
gegenübersteht.  Doch  müssen  wir  uns  ausdrücklich  gegen 
die  Bezeichnung  der  letzteren  als  „bürgerlicher"  verwahren. 
Die  exakte  Theorie,  wie  sie  hier  vertreten  wird,  hat  keine 
Parteistellung  und  führt  zu  keinen  praktischen  Postulaten. 
Das  wurde  schon  oft  behauptet,  ohne  dafi  es  wirklich  dar- 
getan werden  konnte:  Im  Gegenteile,  immer  wieder  finden 
sich  in  theoretischen  Werken  Ausfälle  gegen  den  Sozialismus, 
Versuche,  die  gegenwärtige  Verteilung  des  Produktions- 
ertrages zu  rechtfertigen  usw.  Wie  kann  das  auch  anders 
sein,  wenn  die  Theorie  nachweist,  daß  die  freie  Konkurrenz 
zu  einem  „Nutzenmaximum''  führe?  Diese  Frage  wollen 
wir  zu  beantworten  suchen.  Hier  sei  nur  bemerkt,  dafi  wir 
nicht  etwa  aus  Abneigung  gegen  Sozialismus  irgend  welcher 
Art  die  sozialistische  Theorie  im  wesentlichen  von  unserer 
Darstellung  ausschließen,  sondern  nur  aus  theoretischen 
Gründen,  denen  jede  praktische  Bedeutung  fehlt. 

Das  ist  alles,  was  für  unsere  Zwecke  zu  sagen  nötig 
war.  Die  folgende  Darstellung  gehört  der  Gruppe  der  rein- 
theoretischen Arbeiten  an  und  sucht,  so  korrekt  als  möglich 
die  Grundlagen,  Methoden  und  Hauptresultate  der  reinen 
Ökonomie  auf  ihre  Natur,  ihren  Wert  und  ihre  Entwicklungs- 
fähigkeit zu  prüfen.  Das  mag  zur  ersten  Einführung  ge- 
nügen; weitere  Bemerkungen  über  die  Beziehungen  des 
engen  Gebietes,  mit  dem   wir  uns  hier  beschäftigen,   wird 


Zur  Einführung. 


21 


man  im  Laufe  der  Darstellung,  besonders  im  zweiten  Teile 
und  dann  gegen  das  Ende  des  Buches  hin  finden. 

Nun  wollen  wir  an  unsere  Aufgabe  gehen  und  vorerst 
gewisse  Grundlagen  der  reinen  Theorie  darlegen,  und  zwar 
80  trocken  und  schmucklos  als  möglich ,  um  so  einwandfrei 
als  möglich  sein  zu  können. 


IL  Kapitel. 
Der  Au^angspunkt  unserer  Theorie. 


§  1.  An  der  Schwelle  unserer  Disziplin  begegnen  wir 
einer  Reihe  von  Schwierigkeiten,  welche  scheinbar  in  ihrer 
Kstur  begründet  sind.  Eine  Folie  von  unzweifelhaft  hoch- 
interessanten und  hochwichtigen  Problemen  entrollt  sich  obi 
in  den  ersten  Sätzen  fast  jeder  Darstellung  nationalOko- 
Domischer  Themen.  Die  Motive  menschlichen  Handelns,  die 
bewegenden  Kräfte  sozialen  Geschehens,  die  Zwecke  dei 
Wirtschaftens  usw.  —  alles  das  und  vieles  andere  glaubt 
man  abhandeln  zu  müssen,  ehe  man  an  die  eigentliehra 
Probleme  unserer  Wissenschaft  herantreten  kann.  Welehsr 
Art  die  Bedürfnisse  der  Menschen,  wie  sie  zu  erkUm 
seien  und  wie  ihre  Befriedigung  augestrebt  wird,  welche 
relative  Bedeutung  den  einzelnen  BedUrfnisarten  zukonune, 
darüber  wird  uns  eine  fertige  Ansicht  aufgedrängt,  and  mit 
ihr  scheint  das,  was  dann  folgt,  zu  stehen  und  zu  fallen. 
Meist  sind  es  groBe  allgemeine  Obersätze,  die  gleich  eok« 
lidischen  Axiomen,  in  autoritativem  Tone  dargeboten  werdm. 
Ob  sie  ausdrücklich  ausgesprochen  oder,  nur  dem  geQbtea 
Auge  erkennbar,  zwischen  den  Zeilen  der  Darstellung  ent* 
halten  sind,  macht  keinen  Unterschied  für  uns.  Auch  der 
Autor,  der  über  sie  hinweggeht,  kann  sich  derselben  nicht 
erwehren,  sobald  er  sich  über  das.  was  er  sagt,  tiefere  (Je- 
danken  macht.  Allein,  dieselben  sind  nicht  so  unschuldig, 
wie  die  Euklids.  Eine  fast  unUberhIickbare  Diskussion  hat 
Bich  über  dieselben  erhoben,  und  manche  Ökonomen    habe« 


Der  Ausgangspunkt  unserer  Theorie.  23 

ihr  ihre  ganze  Kraft  gewidmet.     Man  könnte  sagen,  daB 
ihnen   allein  das   Interesse  vieler  Fachgenossen   gilt,   und 
dafi  dieselben  gar  nie   über  sie   hinaus  zu   ruhiger  Arbeit 
gelangen.    Ist  das  Individuum  oder  die  „Gesellschaft"'  die 
treibende    Kraft   der   Volkswirtschaft?  Wird    der   Mensch 
vorwiegend  von  egoistischen  oder  von  altruistischen  Motiven 
geleitet?  Und,  sei  das  eine  oder  das  andere  der  Fall,  sind 
diese  Motive  ganz  oder  hauptsächlich  wirtschaftlicher  Natur 
oder  spielen  andere,  Ehrgeiz,  Herrenwillen,  Vaterlandsliebe 
usw.,  eine  größere,   vielleicht  die  bestimmende  Rolle?  In 
der  Tat,  was  scheint  natürlicher,  als  daB  diese  Dinge  für 
wirtschaftliehe  Probleme  von  entscheidender  Bedeutung  sein 
mttssen,   daB  man  sie  lösen  müsse,  ehe  man   weitergehen 
kinn?  Ja  man  mag  der  Ansicht  sein,   daB  das  noch  nicht 
genug  ist    Sind  die  Handlungen  der  Menschen  hinlänglich 
einfach  und   regelmäßig,   um   wissenschaftlich   beschrieben 
werden  zu   können   oder   entspringen  sie  einer   souveränen 
Willensfreiheit,  die  exakte  Behandlung  dieser  Erscheinungen 
tnsfichlieBt?   Können   die   Motive,   die   sie   bestimmen,   auf 
grofie   Naturgesetze   zurückgeführt,  als  meßbare    „Kräfte'' 
tn^Safit   werden,   wie   etwa  [die  „Kräfte'',  mit  denen   die 
exakten  Naturwissenschaften  arbeiten?   So  geraten  wir  gar 
in  das    Problem    der  Willensfreiheit   hinein.     Wollen    wir 
ater  diese  Probleme  wirklich  in  Angriff  nehmen,  so  müssen 
wir  zugeben,   daß  es   bedenklich   um   unsere  Wissenschaft 
steht.   Wir  sind  verurteilt,  alle  diese  Dinge  in  dieselbe  auf- 
xonehmen  und   haben   ein   für   allemal    auf  Klarheit    und 
Selbständigkeit  unserer  Ausführungen  zu   verzichten.    Auf 
Klarheit:   Denn  man  sieht,  daß  die  angedeuteten  Probleme 
einen  Charakter  tragen,  welcher  klare  und  präzise  Lösungen 
amschließt.    Zum  Teile  gehören  sie  ja  in  das  Gebiet  der 
Metaphysik  und  dieser  Umstand  allein  macht  wahre  Exakt- 
iieit  unmöglich.    Wie  dichte  Nebel  lagern  dann  die  Unklar- 
heiten der  Metaphysik  auf  unserem  Wege  und  behindern 
den  freien  Ausblick.     Auf  Selbständigkeit:   Denn   manche 
Jener  Probleme  gehören  anderen  Wissenszweigen   an,  der 
P^chologie,  Physiologie,  Biologie.     Auf  diese  Disziplinen» 


24  GrandlegUDg. 

in  denen  wir  stets  nur  Dilettanten  sein  können,  bleiben 
wir  angewiesen,  und  von  wirklicher  Autonomie  unseres  Ge- 
bietes kann  keine  Rede  sein. 

Tatsächlich  stellen  jene  Fragen  ebensoviele  Angrifb- 
punkte  für  die  Gregner  unserer  Wissenschaft  dar.  Ja,  die 
Existenz  prinzipieller  Gegner  überhaupt  ist  vornehmlich  in 
dem  angedeuteten  Sachverhalte  begründet.  Ein  resultatloser 
Streit  wird  um  diese  Dinge  geführt,  der  nur  aufhört,  wenn 
die  Parteien  desselben  überdrüssig  sind,  nicht,  weil  eine 
Verständigung  einträte.  Und  solange  nicht  weniger  als 
alles  in  Frage  steht,  kann  nicht  auf  eine  solche  gerechnet 
—  kann  überhaupt  von  niemand  verlangt  werden,  da6  er 
Vertrauen  zu  unserer  Disziplin  habe.  Aber  müssen  wir 
wirklich  warten,  bis  sich  die  Menschheit  über  diese  Fragen 
klar  geworden  ist?  In  diesem  Falle  müßte  man  die  Öko- 
nomie überhaupt  aufgeben,  da  manche  derselben  sicherlieh 
erst  mit  dem  letzten  Atemzuge  des  letzten  Menschen  ver- 
stummen werden.  Da  erhebt  sich  denn  die  Frage,  ob  wirj 
denn  wirklich  alle  jene  P 
Klippen  wirklich  in  die  L 
müssen,  und  ob  es  nicht 
selben  herumzusteuern.  Das  letztere  geschieht  ja 
auch  in  anderen  Disziplinen.  Wollte  die  Mechanik  eine 
befriedigende  Antwort  darauf  geben,  was  „Kraft",  Be- 
wegung", „Masse"  usw.  wirklich  »ist",  so  wäre  nie  das 
stolze  Gebäude  entstanden,  das  wir  heute  bewundern.  Ist 
es  nicht  auch  auf  unserem  Gebiete  möglich,  an  seine  Prob- 
leme heranzutreten,  ohne  eine  Vorarbeit  zu  leisten,  an  der 
wir  unsere  Kraft  erfolglos  verschwenden? 

Überblicken  wir  das  Arsenal  unserer  exakten  Resultate« 
so  machen  wir  eine  Beobachtung,  welche  uns  auf  den  richtigen 
Weg  weist:  Die  Erörterungen,  welche  uns  das  an  unserer 
Disziplin  wirklich  Wertvolle  liefern,  enthalten  ganz  erstaun- 
lich wenig  von  jenen  grofien  Streitfragen.  Wer  sich  z.  B. 
fragt,  was  der  Kapftalzins  ist  und  welches  seine  Bewegunga- 
gesetze  sind,  kümmert  sich  wenig  darum,  ob  ökonomische 
oder  künstlerische  Interessen  eine  größere  Macht  über  die 


ch  denn  die  Frage,  ob  wiri 
robleme  lösen,  ob  allel 
uft  gesprengt  werdeni 
möglich   ist,   um  die-' 


Der  Ausgangspunkt  unserer  Theorie.  25 

Wirtschaftssubjekte  haben.  Für  die  Geldtheorie  gilt  dasselbe 
and  so  könnte  man  noch  viele  Beispiele  anführen.  Nur  in 
Einleitungen  und  allgemeinen,  aprioristischen  Diskussionen 
spielen  solche  Fragen  eine  große  Rolle.  Aber  in  der  kon- 
kreten Arbeit,  sozusagen  in  der  Praxis  der  Wissenschaft, 
eine  recht  geringe.  Das  legt  den  Gedanken  nahe,  daB  die- 
selben vielleicht  weniger  essentiell  sind,  als  es  scheinen 
kdnnte,  und  sofort  eröfifhet  sich  ein  Weg  aus  diesen 
Schwierigkeiten. 

Ihn  wollen  wir  denn  auch  betreten.  Nicht  neue  Lösungs- 
fersnehe  wollen  wir  anstreben,  nicht  neue  Gründe  für  die 
Stehe  einer  der  vielen  sich  bekämpfenden  Parteien  anführen. 
Ein  anderes  Verfahren,  das,  wenn  und  soweit  erfolgreich, 
ii  radikaler  Weise  unfruchtbaren  Kontroversen  wehrt,  habe 
ich  eulgeschlagen,  ein  Verfahren,  welches  zwar  zur  Popu- 
hriUt  der  Ökonomie  nichts  beitragen  kann,  aber  jedermann 
nur  Würdigung  empfohlen  werden  muß,  dem  es  Ernst  ist 
Bit  konkreter  wissenschaftlicher  Arbeit,  und  der  Präzision 
nid  erkenntnistheoretische  Korrektheit  unklaren  Phrasen 
nnd  seiüllernden  Allgemeinheiten  vorzieht. 

Es  ist  das  folgende:  Wir  betrachten  die  Gruppe  von 
konkreten  Resultaten,  welche  man  gemeiniglich  als  reine 
Ökonomie  bezeichnet  und  fragen  uns,  wie  wir  mit  dem 
geringsten  Aufwände  an  Voraussetzungen  und  Obersätzen 
ia  den  Besitz  desselben  gelangen  können ;  wir  untersuchen, 
ns  von  jenen  Präliminarien  wirklich  nötig  ist  und  weigern 
ttM,  zu  irgendeinem  jener  Probleme  Stellung  zu  nehmen, 
ehe  wir  nicht  seine  Lösung  als  unentbehrlich  für  uns  erkannt 
hiben.  Wir  untersuchen  mit  anderen  Worten,  welche  Dienste 
jedes  derselben  unserer  Theorie  leistet,  und  ob  diese  Dienste 
lidit  auch  in  anderer,  unverfänglicherer  Art  geleistet  werden 
ktanten  oder,  noch  anders,  was  denn  die  Ökonomen 
Bit  jedem  derselben  wollen,  was  sie  eigentlich 
tan,  wenn  sie  solche  allgemeine  Behauptungen 
'ormulieren.  Nicht  was  solche  Behauptungen  im  all- 
geiieinen  bedeuten  und  ob  sie  allgemein  wahr  sind,  ist  für 
un  wichtig,  sondern  was  sie  für  uns  bedeuten  und  ob  sie 


26  Grundlegung. 

8ich  in  jenen  Fällen,  in  denen  wir  sie  brauchen,  bewähren. 
Man  sieht  sofort,  daß  dadurch  die  Sache  wesentlich  ver- 
einfacht, weil  eingeschränkt  wird.  Außerdem  bricht  man 
manchem  mit  Leidenschaft  betonten  Gegensatze  die  Spitze 
ab,  wenn  man  erklärt,  die  betreifenden  Fragen  nicht  all- 
gemein, sondern  nur  für  gewisse  festumschriebene  Zwecke 
lösen  zu  wollen. 

Wir  wollen  unseren  Ausgangspunkt  nicht  ausschmückmi, 
sondern  so  trocken  als  möglich  formulieren ;  nicht  möglichst 
viel,  sondern  möglichst  wenig  über  Dinge  sagen,  die  nicht 
völlig  unserer  Domäne  angehören.  So  farblos  und  formal, 
aber  dafür  so  klar  und  korrekt  als  möglich,  sollen  unsere 
grundlegenden  Sätze  sein.  Sie  müssen  gereinigt  werden 
von  jedem  Worte,  das  nicht  für  das  Folgende  strikte  not» 
wendig  ist.  Je  weniger  der  Leser  hinnehmen  muß,  um  dem 
Weiteren  beistimmend  folgen  zu  können,  desto  besser. 
Namentlich  müssen  wir  uns  davor  hüten,  in  Fragen,  die 
nicht  uns  zugehören,  zu  tief  sein,  namentlich  unsere  Vor* 
aussetzungen  begründen  zu  wollen:  Lassen  wir  uns  in 
die  philosophischen ,  soziologischen ,  physiologischen  and 
andere  Gründe  gewisser  Erscheinungen  ein,  so  sieht  es  dann 
aus,  wie  wenn  unsere  Ausführungen  von  deren  Richtigkeit 
abhängig  wären  und  von  Philosophen»  Soziologen,  Physio- 
logen usw.  widerlegt  werden  könnten.  Nicht  stark  genug 
kann  ich  betonen,  daß  das  auf  Täuschung  beruht,  und  stets 
werde  ich  darauf  zurückkommen. 

Eine  Kritik  der  Grundlagen  unserer  Wissenschaft  mit'< 
dem  Zwecke,  herauszuarbeiten,  was  der  exakte  Inhalt 
allerjener  wortreichen  Behauptungen  ist,  denen 
wir  an  derSchwelle  derökonomie  begegnen,  die 
uns  geboten  werden,  wenn  man  nach  den  Funda* 
menten  der  theoretischen  Ökonomie  fragt,  das 
ist  es,  wozu  wir  beitragen  wollen.  Gerne  wollen  wir  viel 
von  dem  Interesse,  das  dieselbe  stets  erweckt  hat,  wissen- 
schaftlicher Strenge  opfern.  Können  wir  eine  trockene  An- 
nahme, die  an  sich  gar  nichts  Interessantes  sagt,  über  deren 
Sinn  aber  kein  Zweifel  bestehen  kann,  an  die  Stelle  der 


Der  Ausgangspankt  unserer  Theorie.  27 

blendendsten  Philosophien  setzen,  so  werden  wir  das  als 
einen  Fortschritt  betrachten.  Jeder  mag  sich  dann  dieselbe 
ansschmficken  oder  begründen,  wie  es  ihm  beliebt  —  wenn 
er  sie  nnr  anerkennt,  so  fragen  wir  nicht  darnach,  was  ihn 
dazu  veranlassen  mag.  Wir  wollen  uns  auf  ein  kleines  Ge- 
biet beschränken,  wenn  wir  nur  dadurch  erreichen,  daß  wir 
wenigstens  dieses  wirklich  halten  können. 

Was  ist  nun  das  Resultat  dieses  Vorgehens?  Leistet 
es«,  was  es  leisten  soll?  Darüber  mag  der  Leser  selbst 
urteilen,  doch  soll  schon  hier  bemerkt  werden,  daß  wir  unseres 
Eraehtens  in  ganz  überraschender  Weise  erreichen,  was  wir 
wollen:  Eine  Reihe  von  Streitfragen  fällt  einfach  weg.  Be- 
handelt man  sie  nicht  mit  allgemeinen  Argumenten,  sondern 
sieht  man  näher  zu,  wie  sich  die  Sache  wirklich  verhält, 
so  entdeckt  man,  daß  diese  Hindernisse  gar  nicht  auf  un- 
serem Wege  liegen,  daß  sich  derselbe  vielmehr  hindurch- 
windet, ohne  sie  zu  berühren.  Und  die  übrigen  —  alle 
übrigen;  meines  Eraehtens  bleibt  kein  dunkler  Punkt  zurück  — 
lassen  sich  so  formulieren,  daß  die  gefährliche  Stelle,  über  die 
eine  Verständigung  nicht  leicht  möglich  ist,  nicht  berührt, 
sondern  irgendwie  umgangen,  sozusagen  neutralisiert  wird. 
Alle  mir  bekannten  Bedenken  und  Einwendungen  können 
in  befriedigender  Weise  berücksichtigt  werden  und  wer  die 
große  Bedeutung  einer  exakten  Disziplin  vom  menschlichen 
Handeln  würdigt,  mag  sie  auch  nur  einen  ganz  kleinen 
Teil  desselben  decken,  wird  sich  zu  dem  Opfer  und  der 
Selbstverleugnung  entschließen,  die  jener  Reinigungsprozeß 
naturgemäß  involviert. 

In  dem  Bestreben  nun,  aus  den  Vor-  und  Prinzipien- 
fragen der  exakten  Ökonomie  alles  Unwesentliche  und  Ver- 
fängliche abzuscheiden,  gelangen  wir  zu  den  Aufstellungen, 
die  wir  nun  machen  wollen  und  die  einem  kahlen  Geri])pe 
gleichen  —  um  so  schärfer  aber  die  Linien  unserer  Disziplin 
ber%'ortreten  lassen.  Dem  Kationalökonomcn  mögen  sie  be- 
fremdend erscheinen,  weshalb  das  Vorhergehende  zu  ihrer 
Einführung  gesagt  wurde  und  schon  nach  wenigen  Sätzen 
die  Darlegung  zum  Zwecke   weiterer  Kommentare   unter- 


28  GrundlegUDg. 

brochen  werden  wird.  Aber  jeder,  der  sich  für  die  exakten 
Wissenschaften  interessiert,  wird  in  ihnen  ihm  wohlbekannte 
Gedanken  finden.  Sie  führen  ohne  Umschweife  sofort  an 
die  Probleme  heran,  mit  denen  wir  es  zu  tun  haben. 

§  2.  Überblicken  wir  irgendeine  Volkswirtschaft,  so 
finden  wir  jedes  Wirtschaftssubjekt  im  Besitze  bestimmter 
Quantitäten  bestimmter  Güter.  Am  Boden  unserer  Dis- 
ziplin liegt  nun  die  Erkenntnis,  daB  alle  diese 
Quantitäten,  welche  wir  kurz  „ökonomische 
Quantitäten^  nennen  wollen,  in  gegenseitiger 
Abhängigkeit  voneinander  stehen,  in  der  Weise, 
daß  die  Veränderung  einer  derselben,  eine  solche 
aller  nach  sich  zieht.  Das  ist  eine  einfache  Erfahrungs-* 
tatsache,  die  so  sehr  auf  der  Hand  liegt,  daß  sie  kaum  einer 
Erörterung  bedarf.  Wir  wollen  sie  ausdrücken,  in-- 
dem  wir  sagen,  daß  jene  Quantitäten  die  Ele- 
mente eines  Systemes  bilden.  Seien  sie  also  anda 
alle  zusammen  willkürlich  oder  zufällig  oder  wie  ma& 
das  sonst  nennen,  und  welchen  Sinn  man  damit  verbindeB 
mag,  so  können  doch  nicht  die  Einzelnen  an  sich 
fällig  und  unabhängig  sein. 

Finden  wir  nun,  daß  sie  in  einer  solchen  VerH 
bindung  stehen,  daß  zu  einer  gegebenen  Größe 
einer  oder  einiger  derselben  eine  gegebene  Größe 
der  anderen  und  nurEine  gehört,  so  nennen  wir 
das   System    eindeutig   bestimmt.     Mit   „Gehören* 
meinen  wir  hier,  daß  sich  diese  Größe  der  nicht  gegebenei 
Quantitäten   von  selbst  herzustellen  strebt  und  daß,  wenn  j 
sie  einmal  eingetreten  ist,  jede  Tendenz  zu  einer  weiterei 
Änderung  im  Systeme  fehlt.    Wir  nennen  diesen  Zq-t 
stand  den   Gleichgewichtszustand.     Die   einzelnen 
Quantitäten  in  diesem  Zustande  nennen  wir  normal  oder 
natürlich. 

Unsere  Aufgabe  ist  es  nun,  wenn  uns  irgendein  Zustand 
einer  Volkswirtschaft  gegeben  ist,  jene  Änderungen  der 
Quantitäten  abzuleiten,  welche  im  nächsten  Augenblicke  ifot 


Der  Aasgangsponkt  unserer  Theorie.  29 

ben  werden,  wenn  nichts  Unvorhergesehenes  eintritt. 
Ableitung  ist  es,  die  wir  „Erklärung" 
n.  Sie  wird  bewerkstelligt  durch  Beschreibung 
bhängigkeitsverhältnisse,  so  daB  wir  unsere  Aufgabe 
isehreiben  unseres  Systemes  und  seiner 
{ungstendenzen  definieren  können.  Ist  dieselbe  in 
iger  Weise  möglich,  ohne  im  Laufe  des  Gedanken- 
8  auf  materielle  Sätze  anderer  Disziplinen  bezug 
1  zu  müssen,  so  gibt  es  eine  in  sich  abge- 
(sene  Disziplin  der  Ökonomie.  Die  Sätze,  aus 
lie  Beschreibung  besteht,  nennen  wir  dann  „ökono- 
e  Gesetze",  wenn  sie  von  hinreichender  Be- 
tt g  sind.  Ihre  Gesamtheit  macht  die  Disziplin  der 
i"  oder  „theoretischen  Ökonomie"  aus. 

)•  Machen  wir  nun  Halt,  um  die  Bedeutung  des 
3n  und  die  Vorteile  dieser  Art  vorzugehen,  etwas  zu 
3ren.  Vor  allem  leistet  uns  dieselbe  eine  präzise, 
er  Unklarheit  freie  Definition  unseres  Themas.  Frei- 
,nn  das  erst  am  Ende  unserer  Darlegungen  voll  ge- 
t  werden.  Es  ist  ja  überhaupt  eine  Eigentümlichkeit 
chaftlich  strengen  Vorgehens,  daß  der  Leser  oder 
r  erst  im  Laufe  der  Dinge  sieht,  wo  der  Autor 
will,  und  warum  er  gerade  diese  Aufstellungen  in 
dieser  Weise  machte.  Obgleich  am  Anfange  stehend, 
ie  ersten  Sätze  stets  Resultat  späterer  Überlegung 
r,  was  an  präliminaren  Aufstellungen  für  das  Folgende, 
ihn  bereits  feststeht,  notwendig  und  hinreichend  ist. 
ick  auf  einige  der  üblichen  Definitionen  lehrt,  daß 
tionalökonomen  meist  nicht  so  vorgingen,  aber  auch, 
mgelhaft  ihre  Definitionen  sind.  Wir  wollen  nicht 
en  sprechen,  welche  die  Ökonomie  als  die  Lehre  von  den 
Mitteln  zu  wirtschaftlichem  Wohlergehen  und  ähnliches 
inen  und  ihr  so  überhaupt  den  streng  wissenschaftlichen 
:ter  nehmen;  denn  diese  sehen  wir  als  überwunden 
tber  auch  die  in  dieser  Beziehung  korrekteren  sind 
eiflich  unbefriedigend.    Man  hat  z.  B.  die  Ökonomie 


30  Gmndlegun«. 

als  die  Lehre  von  der  Befriedigung  der  BedflrfniBse  be- 
zeichoet.  Allein,  die  Befriedigung  der  Bedürfnisse  ist  eine 
Frage  der  Physiologie  oder,  von  einem  anderen  Standpunkte 
betrachtet,  eine  Frage  der  Technik  oder,  noch  anders  an- 
gesehen ,  eine  solche  der  Kulturgeschichte.  Eine  derartige 
Definition  erweckt  alle  möglichen  Erwartungen,  die  dann 
enttäuscht  werden  mOssen,  nur  nicht  jene,  welche  gerecht- 
fertigt wären.  Nichts  von  dem  Inhalte  der  reinen  Theorie 
wird  durch  sie  angedeutet,  auf  keines  ihrer  konkreten 
Probleme  weist  sie  hin.  Noch  weniger  kann  man  sich  Ober 
die  Grenzen  derselben  eine  Vorstellung  bilden.  Und  endlieb 
bringt  diese  Definition  durch  Verwendung  des  Begriffes 
„Bedürfnisbefriedigung"  eine  ganze  Reihe  von  Schwierig- 
keiten und  Unklarheiten  in  die  Grundlagen  unserer  Wiseen- 
schaft. 

Nicht  besser  steht  es  mit  der  Definition  der  National- 
ökonomie als  Lehre  vom  wirtschaftlichen  Handeln.  Denn 
darnach  würde  eine  volle  Erklärung  des  „wirtsehaftliebN 
Handelns"  in  unsere  Disziplin  gehören,  das  heiSt,  eine  An>- 
kunft  darQber,  worin  das  Wesen  des  menscblichen  HaDdefau 
und  speziell  des  wirtschaftlichen  besteht,  wie  die  wirtsebaft- 
liehen  Ideen  und  Gewohnheiten  zu  erklären  sind  usw.  Dieae 
tiefen  Probleme  gehören  aber  in  die  Biologie.  Und  dn 
Eigenart  der  Probleme,  welche  die  reine  Ökonomie  au- 
machen,  wird  man  auf  diese  Weise  nicht  gerechL  Dieaelbei 
erschöpfen  das  wirtschaftliche  Handeln  nicht ,  ja  sie  haben, 
wie  wir  sehen  werden,  mit  seinen  Gründen  nichts  ii 
tun:  Gewiß  sind  z.  B.  die  Preise  Resultate  „wirtschaft- 
lichen Handelns".  Aber  der  entscheidende  Punkt  ist,  daS 
wir  dieselben  auf  Grund  gewisser  formaler  An- 
nahmen behandeln,  gleichsam  an  sich  und  ohne 
in  das ,  worauf  sie  weiterhin  basieren ,  einzugehen ,  daher 
nicht  genötigt  sind,  uns  mit  dem  wirtschaftlichen  Handeln 
des  Menschen  des  näheren  zu  beschäftigen.  Und  wenn  vir 
dazu  nicht  genötigt  sind,  so  tun  wir  es  nicht  nach  den 
Grundsätze  „wissenschaftlicher  Ökonomie".  Doch  kann  du 
erst  s))äter  voll  verstanden  werden. 


Der  AuBgangsponkt  unserer  Theorie.  31 

Zu  weit  ist  auch  eine  Definition  vermittelst  „des  wirt. 
ifUichen  Prinzipes*".    Denn  dieses  Prinzip  hat  ein  weit, 

größeres  Anwendungsgebiet,  ist  von  der  Allgemeinheit 
r  logischen  Regel.  Ist  aber  diese  Definition  einerseits 
reit,  so  enthält  sie  doch  anderseits  nicht  alles  Nötige: 

wirtschaftliche  Prinzip  für  sich  allein  reicht  nicht  dazu 

um  unsere  Probleme  vorzuführen  und  zu  lösen.  Noch 
m  Grundsteine  benötigen  wir,  um  das  Gebäude  unserer 
lenschaft  aufrichten  zu  können.  Immerhin  ist  diese 
'assung  der  Ökonomie  korrekter  als  jede  andere  mir 
innte  und  jedenfalls  als  jene,  nach  welcher  die  Ökonomie 

Mechanik  des  Individualegoismus  ist.  Auch  diese  De- 
ion  ist  zu  weit.  Denn  man  kann  auch  außerhalb  des 
ietes  des  Wirtschaftens  egoistisch  handeln.  Aber  ab- 
hen  davon  trifft  sie  besonders  der  Vorwurf,  die  Ökonomie 
m  Schwierigkeiten  und  Angriffen  auszusetzen,  die  leicht 
lieden  werden  können,  weil  das  Moment  auf  das  sie 
Hauptgewicht  legt,  wie  wir  sehen  werden,  gar  keine 
e  in  unseren  Problemen  spielt. 

Noch  eine  Definition  sei  erwähnt:  Oft  nennt  man  die 
Domie  die  Lehre  von  der  Produktion,  Verteilung  und 
mmtion  der  Güter.  Allein  wir  behandeln  in  der  Theorie 
t  alles,  was  zur  „Produktion"  gehört.  Nicht  z.  B.  die 
inik  der  Produktion,  Von  der  Konsumtion  behandeln 
nur  wenige  Fälle,  z.  B.  den  Konsumtionsaufschub,  der 
sparen  liegt;  im  allgemeinen  aber  steht  dieselbe  sozu- 
Q  hinter  den  Vorgängen,  die  uns  interessieren.    Und 

das  Verteilungsproblem  behandeln  wir  nicht  erschöpfend, 
em  nur  eine  Seite  desselben.    Welche  Teile  von  diesen 

Phänomenen   Gegenstand   unserer   Erörterungen   sind, 

nicht  gesagt  —  das  charakteristische  Moment  fehlt. 
Alle  diese  Definitionen  —  vielleicht  überhaupt  alle, 
jemals  formuliert  wurden  —  fehlen  durch  ihren- 
»ristischen  Charakter.  Statt  auf  ihre  konkreten  Pro 
B  zu  sehen,  haben  die  Theoretiker  —  Definitionen, 
le  mehr  als  die  reine  Theorie  umfassen  wollen,  inter- 
iren  uns  hier  nicht  —  stets  den  Namen  ihrer  Disziplin 


\ 


32  Crrandlegnng. 

erklären  wollen.  Und  dieser  Natnen  ist  „Ökonomie*  oder 
ein  ähnlicher.  Was  scheint  natürlicher,  als  dafi  der  Inhalt 
einer  Wirtschaftswiesenschaft  ErgrtlnduDg  des  WirtschaftenB 
ist  nnd  daS  dessen  Wesen  vor  allem  definiert  werden  maB? 
Dennoch  ist  das  durchaus  nicht  selbstverstfindlich  wie  man 
aus  dem  Beispiele  anderer  Disziplinen  sehen  kiuin.  Die 
Psychologie  z.  B.  behandelt  keineswegs  etwa  die  Frage  nach 
dem  Wesen  der  Seele;  sie  gibt  nicht  einmal  ein  Urteil 
Qber  deren  Existenz  ab.  So  wllre  es  keineswegs  so  nn- 
erhört,  zu  sagen,  daB  die  reine  Wirtschaftstheorie  Didits 
mit  dem  Wesen  des  Wirtschaftens  zu  tun  hat,  daS  man  du 
Wirtschaften  Oberhaupt  nicht  zu  defiuieren  braucht.  Darin 
läge  kaum  etwas  Paradoxes.  Wenn  wir  femer  bedenken, 
daß  die  wirtschaftliche  Nomenklatur  in  jedem  gegebenen 
Momente  eine  Erbschaft  vergangener  Perioden  ist  und  dafl 
die  Entwicklung  der  Wissenschaft  zur  Spezialisierung  der 
Disziplinen  und  oft  zu  teilweiser  Verschiebung  ihrer  Probleme 
führt,  so  kennen  wir  uns  nicht  wundern,  wenn  die  Termino- 
logie den  Anforderungen  der  Gegenwart  nicht  immer  ent- 
spricht. Trotzdem  ist  es  oft  zweckmäßig  und  förderlich, 
sie  beizubehalten,  mag  auch  manches  Mißverständnis  nnd 
manche  schiefe  Vorstellung  besonders  in  weiteren  Kreisea 
daraus  entstehen. 

Wir  nun  blickten  auf  die  konkreten  Probleme  der 
reinen  Theorie  und  kamen  durch  schrittweise  Abspaltnni 
alles  Unnötigen  zu  jener  trockenen,  aber  strengen  Definitioi, 
die  oben  vorgefahrt  wurde.  Bei  ihrer  Beurteilung  mufi  mu 
sich  zwei  Ding«'  gegenwärtig  halten:  Erstens,  dafi  wir  nicht 
das  gan7.e,  weile  Ft'ld,  das  heute  den  Namen  „National- 
ökonomie" oder  ^Politische  Ökonomie"  fuhrt,  definieren 
wollten,  soadern  nur  jenes  viel  kleinere,  das  wir  als  nreine 
Ökonomie"  bezeichneten.  Es  gibt  noch  andere  Theoriti 
0)>er  ökonomische  Probleme,  welche  nicht  zu  dieser  Gmppe 
^'chdren,  so  daß  wir  hier  auii  GrOnden  tenninologiacfaer 
Zweckmäßigkeit  einen  Untei-schied  zwischen  dem  Gebiete 
der  „theoretischen  Ökonomie"  und  dem  der  „CkonomiBchei 
Theorie"  nmchen.    Das  letztere  ist  weiter  als  das  erstere. 


Der  Ausgangspunkt  unserer  Theorie.  33 

Der  Grund,  warum  wir  eine  Gruppe  der  ökonomischen 
Theorien  herausgreifen,  statt  deren  Gesamtheit  zu  behandeln, 
ist,  dafi  jene  Gruppe  ein  in  sich  geschlossenes  System^ 
bildet.  Es  liegt  uns  jede  Tendenz  ferne,  das  Gebiet  der 
Wirtschaftswissenschaft  ungebührlich  beschränken  zu  wollen. 
Wir  wollen  lediglich  einen  Teil  desselben,  der  sich  von 
selbst  von  dem  Reste  abhebt,  rein  von  allen  ihm  fremden 
Beimengungen  und  in  seiner  wahren  Form  darstellen. 

Zweitens  vergesse  man  nicht,  daB  wir  eine  „strenge'' 
Definition  geben  wollten,  welche  die  für  das  Folgende 
nötigen  Elemente  und  nur  diese  enthält  und  welche  wirklich 
den  An£angsakkord  des  weiteren  Gedankenganges  bildet, 
nicht  aber  eine  populäre.  Für  didaktische  Zwecke,  um 
zu  sagen,  was  an  materiellen  Theoremen  der  Leser  zu  er- 
warten habe,  mag  eine  andere  zweckmäßiger  sein.  Wir 
wollten  nur  den  exakten  Inhalt  der  üblichen  Definitionen 
heransarbeiten  und  verkennen  nicht,  daß  der  Anfänger  mit 
der  unseren  wenig  anzufangen  wüßte. 

§  4.  Gehen  wir  nun  weiter:  Gewisse  Abhängigkeits- 
verhältnisse oder  Funktionalbeziehungen  also 
sind  nach  unserer  Auffassung  der  Gegenstand  unserer 
Untersuchungen. 

Die  Tatsache,  daß  die  ökonomischen  Quantitäten  in  solchen 
Beziehungen  zueinander  stehen,  ergibt  die  Berechtigung 
einer  gesonderten  Behandlung  derselben  dann,  wenn  sie 
eindeutig  bestimmt  sind.  Die  eindeutige  Bestimmtheit  eines 
Systemes  von  Quantitäten  ist  eine  wissenschaftliche  Tatsache 
von  der  größten  Bedeutung.  Sie  bedeutet,  daß  wir,  wenn 
gewisse  Daten  gegeben  sind,  alle  nötigen  Kiemente  bei- 
saiLmen  hal)en,  um  die  Größen  jener  Quantitäten  und  ihre 
Bewegungen  zu  „verstehen".  In  diesem  Kalle  ist  eine 
gesonderte,  selbständige  Disziplin  über  solche  Erscheinungen 

'  Daß  wir  Jas  Wort  „System"  in  zwei  vorschiedcnon  liodoutungcn 
gebrauchen  —  als  „wissftnschaftliches  System  von  Tlu^oremon'*  !ind 
al§  , System  von  zasammengeliörigon  Quantitäten"  —  wird  hoffentlich 
xa  keiner  Verwirrung  AnlaB  ^eben. 

Sebainp*t*r,  Nationalökonomie.  8 


34  Grandlegnng. 

mligUch,  und  das  ist  es  d&her,  was  wir  vor  allem  andern 
nachzuweisen  haben.  Wenn  ein  Gleichungssystem  gar  niebts 
anderes  bietet,  als  den  Kachweis  einer  eindeutig  beetimmten 
Interdependenz,  so  ist  das  schon  sehr  viel :  Es  ist  der  Grund- 
stein eines  wissenschaftlichen  Gebäudes.  Haben  wir  dieselbe 
nachgewiesen,  so  haben  wir  als  das  erste  große  Beaultat, 
dae  die  ökonomischen  Quantitäten  nicht  be- 
liebige GrOfien  sondern  in  gewissem  Sinne  not- 
wendig bestimmt  sind. 

Dieser  Satz  ist  sehr  oft  mißverstanden  worden.  Aber 
in  Kontroversen  über  diesen  Punkt  handelt  es  sich  fast 
immer  um  die  sozialpolitischen  Konsequenzen  desselben.  Vor 
allem  scheint  nichts  klarer,  als  daß  die  ökonomischen  Quan- 
titäten eben  nicht  eindeutig  bestimmt  sind,  vielmehr  ibi^ 
Größe  sozialen  Machtverhältnissen  verdanken  und  willkQrlieli 
abgeändert  werden  können.  Deshalb  wurde  vom  soiial- 
politischen  Standpunkt  der  Satz  immer  und  immer  wieder 
verurteilt.  In  der  Tat  scheint  er  ein  sehr  hartes  Urteil 
über  alle  sozialpolitischen  Bestrebungen  auszusprechen.  Be- 
sondere die  Vertreter  der  Arbeiterklasse  vermuten  stets  — 
und  oft  mit  Recht  —  hinter  Nolcheu  Sätzen  eine  politische 
Stellungnahme.  Dem  gegenüber  soll  gleich  an  dieser  Stelle 
nachdrncklicb  betont  werden,  daß  z.  B.  der  Satz,  daß  die 
relative  Größe  der  Einkommen  nicht  rein  zußillig,  sondern 
in  gewissem  Sinne  „naturnotwendig"  bestimmt  ist,  hier  absolat 
nichts  anderes  bedeutet,  als  das  man  sie  aus  gewissen  Daten 
ableiten  kann.  Über  sozialpolitische  Bestrebungen  zur  Änderung 
der  bestehenden  Einkommensverhältnisse  ist  also  in  jenem 
Satze  kein  Urteil  ausgesprochen ,  da  nichts  darüber  gesagt 
ist,  ob  mau  jene  Daten  abändern  kann  oder  nicht.  AbOT 
unser  Satz  scheint  auch  der  täglicheu  Erfahrung  zu  wider- 
sprechen: Es  scheint,  daß  z.  B.  eine  Lohnerhöhung  vorsieh 
gehen  kann,  ohne  daß  sich  die  Verhältnisse  der  betreffenden 
Unternehmung  geändert  haben  oder  sonst  eine  Änderung  in 
den  ökonomischen  Verhältnissen  eingetreten  ist.  Dieser  Ein- 
wand soll  hier  nur  ervähnt  und  wird  später  behandelt  werden. 
Auch  noch  aus  anderen  Granden   wehrt  man  sich  vielfach 


Der  AoBgangspiuikt  unBerer  Theorie.  35 

gegen  Ausdrücke  wie  „natOrlich*',  „gesetzmäBig'',  „normal^ 
usw.  in  diesem  Zusammenhange.  Zum  Teil  ist  diese  Stellung- 
nahme durch  die  klassischen  Nationalökonomen  verschuldet, 
welche  tatsächlich  vielfach  Mißbrauch  mit  derartigen  Aus- 
drücken trieben,  zum  Teile  auch  ist  sie  nicht  wissenschaft- 
licher Natur.  Wir  wollen  auf  die  hier  liegenden  Fragen 
nicht  eingehen,  da  es  sich  zeigen  wird,  daß  wir  sie  ver- 
meiden können.  Worauf  es  uns  hier  ankommt ,  ist  nur, 
unsere  Ausdrücke  „normal''  und  „natürlich''  gegen  den  Ver- 
dacht zu  schützen,  daß  wir  am  Ende  doch  etwas  anderes 
meinen,  als  wir  früher  sagten,  und  philosophische  oder 
politische  Obersätze  irgendwelcher  Art  zur  Geltung  bringen 
möchten.  Diese  Ausdrücke  beziehen  sich  lediglich  auf  einen 
gegebenen  Zustand  unseres  Systemes  von  Güterquantitäten, 
Ober  welchen  an  sich  wir  kein  Urteil  abgeben.  Ob  es  nor- 
male oder  abnormale,  wünschenswerte  und  verwerfliche  Zu- 
stande gibt  oder  ob  sie  alle  die  gleiche  relative  Berechtigung 
haben,  ist  für  uns  gleichgültig.  Wir  werden  sehen ,  daß 
unsere  Darlegungen  überhaupt  von  jedem  konkreten  Zustande 
unabhängig  sind.  Es  wird  hier  nun  nicht  behauptet,  daß 
der  Güterbesitz  der  Wirtschaftssubjekte  oder,  wie  man  es 
auch  ausdrücken  kann,  die  Verteilung  der  Güter  im 
Untersuchungsgebi'ete,  nicht  auch  anders  gestaltet  sein 
könnte,  auch  nicht,  daß  jene  besondere  Verteilung, 
welche  die  Theorie  ergibt,  von  irgend  einem 
Standpunkte  aus  die  beste  sei.  Sicherlich  könnte 
ein  gewaltsamer  Eingriff  sie  abändern  und  man  kann  keines- 
wegs behau])ten,  daß  die  Volkswirtschaft  als  ganze  genommen, 
dabei  notwendig  schlechter  fahren  würde;  was  behauptet 
wird,  ist  nur,  daß  man  aus  einer  gegebenen  Verteilung,  wenn 
noch  gewisse  andere  Daten  gegeben  sind ,  eine  andere  ab- 
leiten kann  und  daß  diese  letztere  eintritt,  wenn,  wie  wir 
es  ausdrückten,  „nichts  Unvorhergesehenes",  d.  h.  z.  B.  ein 
solcher  gewaltsamer  Eingriff,  vorfällt.  Jede  ökonomische 
Quantität  im  Systeme  hat  eine  bestimmte  (iröße,  welche 
wir  aus  der  Theorie  so  ableiten  können,  daß  es  w(Mter 
nichts  zu  fragen  gibt.  Zeigt  es  sich,  daß  in  einem  kon- 


36  Grundlegung. 

kreten  F&Ue  ein  Wirtsehaftssubjekt  eise  andere  Menge  eines 
bestimmten  Gutes  erlangt,  als  diese,  so  ist  das  vom  Stand- 
punkte unserer  Theorie  insoferne  abnormal,  alB,andere  Er- 
klftrungsgrOnde,  als  sie  bietet,  gefunden  werden  mOssen. 
Das  heifit  aber  keineswegs,  daß  wir  einen  ttolchea  Fall 
mifibiUigen,  auch  nicht,  daß  wir  ihn  als  eine  Aus- 
nahme oder  als  vorabergehende  Erscheinung  be- 
trachten. Vielleicht  suggeriert  der  Ausdruck  „normal"  and 
noch  mehr  der  Ausdruck  .natDrlich"  beides;  in  diesem 
Falle  sind  diese  Termini  irreführend  und  wir  betonen,  dafi 
wir  mit  den  Ökonomen ,  welche  mit  ihnen  jenen  Sinn  ver- 
binden,  nichts  gemein  zu  haben  wünschen.  Ans  Zwetk- 
mäßigkeitsgründen  halten  wir  sie  fest,  wollen  aber  mit 
ihnen  keinen  anderen  als  den  angeführten  Sinn  verbinden; 
damit  nehmen  wir  ihnen  den  kontroversen  Cha- 
rakter, der  ihnen  anhaftet.  Aber  der  Preis,  den  vir 
dafür  zahlen,  eine  Reihe  von  tiefgehenden  Streitfragen  za 
vermeiden,  ist  ein  hoher:  Wir  verzichten  auf  fast  jede  materielle 
Behauptung  und  drucken  diese  Terminologie  zu  einem  härm-  ! 
losen  aber  nichtssagenden  Hilfsmittel  des  wissenscbaftlieben 
Gedankenganges  herab.  Doch  nur  als  solches  brauchen  wir 
sie  auf  unserem  Gebiete  —  wenn  man  das  auf  Grund 
des  Folgenden  gesehen  haben  wird,  so  wird  man  einseben,  . 
daß  die  angedeuteten  Kontroversen,  welche  eine  erhebliche 
Bolle  in  der  Literatur  spielen,  völlig  aberflQssig  änd.  ' 
daß  ihnen  unsere  strenge  Definition  jeden  Boden  ent- 
zieht. Und  auch  das  ist  —  vom  Standpunkte  unserer 
Zwecke  —  eine  „Lösung"  derselben:  Wirhabenunsereo 
Weg  von  ihnen  befreit. 

Eine  Bemerkung  Ober  den  Ausdruck  Gleichgewicht  sei 
hier  noch  gemacht.  Gleichgewicht  ist  ein  nicht  sehr  glück- 
licher Ausdruck  für  einen  Zustand,  in  dem,  so  lange  keine 
Störungsursache  von  außen  hereinkommt,  keine  Tendeni  n 
Änderungen  besteht.  Wir  nennen  den  Ausdruck  unglock- 
lich,  weil  er  sehr  an  die  Mechanik  gemahnt  und  mechanische 
Analogien  vielfach  unbeliebt  sind  und  tatsächlich  andi 
manches  gegen  sich  haben.    Wir  wollen  wiederum  betonen.    , 


Der  Ausgangspunkt  unserer  Theorie.  37 

dafi  es  uns  völlig  ferne  liegt,  irgend  welche  Konse- 
quenzen aus  einer  solchen  Analogie  zu  ziehen, 
und  dafi  ?rir  nur  den  einmal  üblich  gewordenen  Ausdruck 
beibehalten ,  ohne  mit  ihm  jemals  einen  anderen  Sinn  ver- 
binden zu  wollen  als  den  definierten.  Was  zur  ein- 
deutigen Bestimmung  des  Gleichgewichts- 
zustandes unseres  Interdependenzsystemes 
strikte  notwendig  ist,  bildet  den  Grundstock 
unserer  Theorie,  ist  als  ihr  zentrales  Problem 
anzusehen.  Doch  wird  das  besser  auf  einer  späteren 
Stufe  unserer  Erörterungen  näher  dargelegt. 

§  5«  Wir  haben  die  Beschreibung  der  Abhängig- 
keitsverhältnisse der  Elemente  unseres  Systemes 
zum  Zwecke  der  Zurttckführung  verschiedener 
Zustände  desselben  aufeinander  als  die  Aufgabe 
unserer  Disziplin  bezeichnet  und  gesagt,  daß  wir  unter 
einer  wissenschaftlichen  Erklärung  der  Er- 
scheinungen, mit  denen  sie  sich  beschäftigt,  nichts  anderes 
verstehen,  als  eben  diese  Beschreibung.  Danach  sind  die 
Ausdrücke  „Erklärung"  und  „Beschreibung"  für 
ons  überhaupt  synonym  oder,  mit  anderen  Worten, 
wir  wollen  und  können  zur  Erklärung,  zum  Ver- 
st&ndni  SS  ederwirtschaftlichenXat  Sachen  nichts 
anderes  beitragen  als  ihre  Beschreibung. 

Das  ist  gewiß  nicht  die  gewöhnliche  Auffassung^  und 
es  mag  paradox  klingen,  wenn  ein  Theoretiker  sagt,  daB 
er  lediglich  Tatsachen  beschreiben  wolle.  Man  ptiegt  im 
Gegenteile  Erklärung  und  Beschreibung  in  einen  Gegensatz 
zu  stellen  und  von  der  Theorie  die  Auffindung  der  „Gründe 
der  Tatsachen"  und  der  „Kräfte"  und  „Gesetze",  die  die- 
selben „beherrschen",  zu  verlangen.  Wenn  man  aber  näher 
zusieht,  so  überzeugt  man  sich  leicht,  daß  der  Kern  jeder 
Theorie,  das,  was  sie  wirklich  sagt,  immer  nur  eine 
Aussage  über  funktionelle  Beziehungen  zwischen  irgend 
welchen  Größen  ist;  alles  andere  ist  Zutat,  ist  unwesentlich. 
Das   tritt  am  deutlichsten  bei  jenen  Wissenschaften  hervor. 


38  OmndleguDg. 

welche  die  weiten  Gewänder  der  Spekulation  am  meisteb 
abgestreift  haben,  bei  den  exakten  NaturwiBsenschaften,  und 
hat  seinen  klarsten  Ausdruck  in  der  berühmten  Definition ' 
der  Mechanik,  die  KirchhofT  gegeben  hat,  gefunden.  Ende 
und  GrQnde  zu  finden,  ist  uns  versagt,  aber  wir  bedQrfen 
ihrer  auch  nicht,  um  zu  unseren  konkreten  Resultaten  la 
gelangen. 

Wir  behaupten  nun,  dafi  sich  das  auch  auf  dem  Gebiete 
unserer  Wissenschaft  so  verhält,  dafi  alles  Wertvolle,  was 
Ober  reine  Ökonomie  jemals  geschrieben  wurde,  nur  Be- 
schreibung von  Tatsachen  ist  und  daß  die  Ökonomen  aberall 
irren,  wo  sie  mehr  zu  leisten  vorgeben.  Sie  irren  mindestens 
in  der  Ausdrucksweise.  Sehr  oft  nämlich  haben  Sätze,  die 
sich  als  Spekulationen  darstellen,  in  Wirklichkeit  eine  StQtze 
in  den  Tatsachen ,  sind  im  Grunde  nichts  anderes  als  Tat- 
Sachenbeschreibungen.  Dann  ist  es  möglich,  sie  zu  halten 
und  eventuelle  Angriffe  abzuwehren  lediglich  durch 
korrekte  Formulierung  und  durch  Preisgabe  der 
spekulativen  HUlle.  Aber  oft  auch  irrt  man  in  der 
Sache  —  und  dann  müssen  die  Resultate  aufgegeben 
werden. 

Ein  Beispiel  für  die  erstere  Art  von  Fehlgriffen  bietet 
uns  der  Satz,  daß  jedermann  „naturgemäß  die  gröStm&gtichste 
Befriedigung  seiner  Bedürfnisse  anstrebe."  So  wie  er  ist, 
erscheint  er  uns  als  einer  jener  allgemeinen  Obersätze,  gegen 
die  sich  mit  vollem  Rechte  die  Kritik  der  Historiker  richtet 
Zur  Ableitung  unserer  Sätze  genügt  aber  die  W  a  h  r- 
nehmung,  daß  auf  dem  Markte  im  allgemeinen  jeder- 
mann so  billig  als  möglich  zu  kaufen  und  so  teuer  als  mOglicb 
zu  verkaufen  strebe,  und  tatsächlich  soll  jener  große  Ober- 
n  satz  gar  nichts  anderes  bedeuteu.  Diese  Wahrnehmung  aber 
kann  sehr  wobl  als  das  Resultat  der  Beobachtung  der  Vor- 
gänge auf  irgend  einem  Marke  betrachtet  werden  und  be- 
währt sich  in  weitem  Maße.  Ein  Beispiel  für  die  zweite 
Art  wäre  etwa  die  Behauptung,  daß  die  individuelle  Freiheit 
den  Individuen  wie  den  Gemeinwesen  immer  und  Qbersll  xum 
größten  Vorteil  gereichen  müsse.   Dieser  Satz  und  alle  seine 


Der  Aasgangspunkt  unserer  Theorie.  39 

Konsequenzen  k ö n n e n  nicht  länger  verteidigt  werden, 
wenigstens  nicht  in  dieser  Allgemeinheit. 

Es  wird  sich  nun  zeigen,  daß  im  groflen  und 
ganzen  die  Theoreme  der  Ökonomie  korrekt 
formuliert  werden  können  und  von  Obersätzen 
dieser  Art  nicht  abhängig  sind.  Aber  dennoch  wird 
man  fragen:  Wie  können  wir  denn  behaupten,  daß  die 
Ökonomie  lediglich  „beschreibe**?  Woher  käme  denn  dann 
die  Sicherheit  und  AUgemeingiltigkeit  ihrer  Resultate?  Be- 
sehreibt denn  der  theoretische  Ökonom  einzelne  Tauschakte, 
'.  gibt  er  eine  Geschichte  der  Preise?  Die  Antwort,  die  wir 
auf  diese  Frage  geben  wollen,  enthält  den  Kern  einer 
Erkenntnistheorie  der  reinen  Ökonomie. 

Wollen  wir  in  irgendein  Problem  Einsicht  gewinnen, 
80  müssen  wir  eigentlich  alle  individuellen  Tatsachen  be- 
trachten, welche  auf  dasselbe  Bezug  haben.  Sicherlich  ist 
das  der  einzige  Weg,  der  zu  vollkommenen  Resultaten  führt. 
Es  gibt  keinen  anderen  —  wenigstens  ist  jeder  andere 
trflgerische  Spekulation.  Und  auch  er  führt  nicht  in  das 
fWesen  der  Dinge"",  er  zeigt  uns  nur  Beziehungen  zwischen 
denselben.  Aber  ein  Versuch,  diesen  Weg  zu  betreten, 
^rde  uns  zweierlei  lehren :  Erstens,  daß  es  unmöglich  und 
zweitens,  daß  es  für  gar  keinen  Zweck  notwendig  ist,  alle 
individuellen  Tatsachen  zu  überblicken.  Es  ist  unmöglich, 
weil  nahezu  immer  unser  Material  notwendig  unvollständig 
sein  muß  und  sodann,  weil,  selbst  wenn  es  vollständig  wäre, 
^  aller  Regel  niemand  auch  nur  einen  erheblichen  Teil 
sieh  merken  könnte.  Es  ist  aber  auch  gar  nicht  nötig,  um 
die  Tatsachen  zu  beherrschen. 

Vor  allem  beobachten  wir,  unbeschadet  der  unendlichen 
Mannigfaltigiceit  eine  sehr  weitgehende  Ähnlichkeit 
onter  den  Erscheinungen  einer  Klasse.  Jedes  Blatt  eines 
Baumes,  jeder  Mensch  einer  Rasse  ist  verschieden  von  allen 
uideren  Blättern  und  Menschen,  aber  im  großen  und  ganzen 
wt  die  Zahl  der  ähnlichen  Merkmale  weit  größer  als  die 
(fer  unähnlichen.  Außerdem  bemerken  wir,  daß  uns  nicht 
^le  Merkmale  gleich  interessieren ;  nach  dem  Grunde  dieses 


40  CtruudleguDg. 

Unterschiedes  fragen  wir  nicht,  aber  sein  Vorhandensein  ist 
eine  Tatsache  und  eine  weitere  Tatsache  ist,  daS  gerade 
jene  Merkmale,  welche  uns  am  meisten  interessieren  und 
die  wir  daher  als  die  wichtigsten  bezeichnen,  gerade  jene 
sind,  in  denen  dieÄbnlichkeit  am  weitesten  geht. 
Sodann  sehen  wir,  daß  aus  diesen  GrOnden  die  Kenotnis 
eines  verhältnismäßig  kleinen  Bruchteiles  von  Tateaehea 
ausreicht,  um  zu  bewirken,  daß  man  sich  in  dem  ganzen 
Gebiete  recht  gut  zurechtfindet.  Sehr  bald  wird  ein 
Punkt  erreicht,  an  dem  ein  weiterer  Zusatz  von  neuen  Tat- 
sachenkenntnissen  immer  weniger  zu  jenem  „Zurecht> 
finden'  beiträgt.  Es  gilt  hier  sozusagen  ein  Gesetz  des 
abnehmenden  Ertrages:  Die  ersten  Tatsachen,  die  wir  ans 
einem  neuen  Erscheinungsgebiete  kennen  lernen,  lehren  una 
am  meisten,  aber  die  Sätze,  die  aus  ihnen  allein  induziert 
sind,  sind  so  vielen  Fehlgriffen  und  IrrtOmem  ausgesetzt, 
daß  es  vorteilhaft  ist,  mit  der  Beobachtung  fortzufahren. 
Wir  erfahren  da  nicht  mehr  so  viel  Neues.  Der  Gewinn  / 
sinkt.  Aber  immerhin  sind  die  Korrekturen  und  die  neuen 
Dinge,  die  wir  erfahren,  höchst  wertvoll  und  machen  unser 
Bild  brauchbarer  und  genauer.  Aber  schließlich  konunen 
wir  an  die  Stelle,  wo  das  Bild  brauchbar  und  genau  genng 
ist,  und  weitere  Vervollkommnungen  wertlos  und  schließlieh 
störend  werden.  Das  gilt  auch  für  unser  Gebiet.  Wohl 
bereiten  sich  die  Menschen  in  ihrem  Handeln  immer  Über- 
raschungen, aber  das  kommt  größtenteils  daher,  daß  der 
einzelne  immer  nur  sehr  wenige  kennt  und  gerade  der  Um- 
stand, daß  man  Überrascht  ist,  )>e\veist,  daß  man  gewOhnt 
ist,  mit  großer  Sicherheit  eine  bestimmte  Hand- 
lungsweise zu  erwarten.  Außerdem  erfolgen  Über- 
raschungen mehr  in  den  Einzelheiten  des  praktischen  Lebens. 
Unsere  Wissenschaft  aber  interessieren  gewisse  große  Er- 
scheinungen und  auch  diese  nur  in  ihren  ursprUnglichstni 
Formen,  so  daß  es  hier  wenig  Raum  zur  Überraschung  gibL 
Woher  kommt  dasV  Man  könnte  versucht  sein  zu  ant- 
worten, von  der  Existenz  von  großen  Gesetzen,  was  sehr 
bald    auf  das  Problem    des   Determinismus   führen  vQrde. 


Der  AuBgangspankt  unserer  Theorie.  41 

Uns  liegt  nichts  ferner  als  das,  wir  konstatieren  einfach 
die  Tatsache,  daß  sich  Generalisationen  in  weitem 
Umfange  bewähren.  Dabei  sind  wir  uns  bewußt,  daß 
wir  jeden  Augenblick  desavouiert  werden  können,  nur  ist 
es  ein  Faktum,  das  wir  nicht  begründen,  sondern  nur  kon- 
statieren, so  auf  dem  Boden  der  Tatsachen  bleibend,  daß 
wir  im  allgemeinen  eben  nicht  desavouiert  werden  und 
daß  man  im  praktischen  Leben  sich  der  bloßen  Generalisati'on 
von  Erfahrungstatsachen  mit  großem  Erfolge  bedient.  Wenn 
ein  vernünftiges  Wesen,  das  heißt  eines  mit  unserem 
logischen  Apparate,  zur  Erde  käme  und  einem  Menschen 
begegnete,  ohne  bisher  einen  gesehen  zu  haben,  so  würde 
es  sieber  von  demselben  auf  alle  Menschen  schließen.  Nach 
den  Grundsätzen  scholastischer  Logik  ist  das  einfach  ein 
Denkfehler,  wir  dagegen  meinen,  daß  das  die  gesündeste 
Methode  ist,  die  denkbar  ist.  Freilich  erfährt  unser  Wesen 
durch  seinen  Schluß  auch  eine  Menge  Falsches,  aber  das  ist 
verschwindend  wenig  im  Verhältnisse  zur  Fülle  des  Richtigen, 
die  es  erfährt.  Nach  den  Zwecken  und  nach  der  Anlage 
des  Beobachters  ist  die  Menge  der  Tatsachen,  die  er  braucht, 
verschieden,  aber  für  jeden  Zweck  und  für  jeden 
Beobachter  gibt  es  sozusagen  ein  Höchstrende- 
ment  von  Kenntnis  bei  einer  ganz  bestimmten 
Menge  von  Erscheinungen,  so  ähnlich  wie  es  für  die 
Betrachtung  eines  Kunstwerkes  eine  günstigste  Entfernung 
gibt,  welche  freilich  für  jeden  Beschauer  und  für  jeden  Zweck 
jedes  Beschauers  verschieden  ist. 

Theorie  sowohl  wie  „Deskrii)tion"  gehen  dementsi)rechend 
vor.  Auch  der  „deskriptive"  Nationalökonom  oder  der  Hi- 
>toriker  unternimmt  nicht  die  unmögliche  Aufgabe,  jede 
Tatsache,  die  streng  genommen  in  sein  Thema  fällt,  alles 
was  er  in  seinen  Quellen  findet,  zu  beschreiben,  und  er  tröstet 
sieb  dieser  unmöglichen  Aufgabe  gegenüber  mit  dem  Be- 
wußtsein vor  allem,  daß  nicht  alle  Tatsachen  gleich  inte- 
ressant sind  und  sodann  damit,  daß  eben  auch  ^ungestützte"* 
Induktionen  sich  in  aller  Kegel  bewähren,  so  duß  eine  un- 
voIlstAndige  Darstellung   mehr  deckt,  als  die  dargestellten 


42  Ctmadlegung. 

Fakten  aHein.  Würde  er  das  nicht  hoffen,  k&nnte  ihm  seine 
Arbeit  höchstens  kanstlerischeB  Interesse  bieten.  In  dieser 
Beziehung  also  ist  zwischea  der  Theorie  nnd  Geschichte 
gar  keine  Differenz.  Speziell  ist  Vorhersage  von  Er- 
scheinungen sicherlich  das  Ziel  beider,  wenn  sie  Oberhaupt 
das  Ziel  auch  nur  eines  von  beiden  ist.  Es  ist  unrichtig, 
sie  in  eiuea  prinzipiellen  Gegensatz  zu  stellen,  zu  behaupten, 
dafi  beiden  verschiedene  Auffassungen  vom  Wesen  einer  Wissen- 
schaft zugrunde  liegen  und  fthnliches.  Der  Unterschied  liegt 
im  folgenden :  Die  Deskription  macht  bei  der  Katalogisierung 
von  Fakten  Halt,  die  Theorie  nimmt  eine  Umformung  mit 
denselben  vor,  aber  keineswegs  zu  einem  besonders  weit- 
reichenden oder  geheimnisvollen  Zwecke,  sondern  lediglich 
zu  einer  besseren  Übersiebt  über  dieselben.  Siekonstruiert 
ein  Schema  für  sie,  das  den  Zweck  hat,  die  an-  ' 
Obersehbare  Fülle  von  Tatsachen  kurz  zum  Aus- 
drucke zu  bringen  und  jenes  Zurechtfinden  in 
denselben,  das  wir  als  Verstündnis  bezeichnen, 
in  so  kurzer  und  so  vollständiger  Weise  wie 
möglich  zu  erreichen.  Ihre  Itesultate  sind  natürlich 
nur  wahrscheinlich  und  nie  gewiß,  ila  sie  nur  auf  einem  Teile 
des  wirklich  vorhandenen  Tatsachen materiales  beruhen,  aber 
auch  die  Resultate  der  Deskription  sind  nie  gewifi,  wenn 
mau  Oberhaupt  Resultate  aus  ihr  gewinnen  will.  Und  das 
will  man  auch,  denn  die  Fakten  an  sich  w&ren  ja  ohne  viel 
Interesse. 

Aber  auf  unserem  Gebiete  besteht  dennoch  ein  grofier 
Unterschied  zwischen  Theorie  und  Deskription:  Derselbe 
liegt  jedoch  nicht  im  Wesen  der  Sache,  sondern  kommt  daher, 
daß  sich  Theoretiker  und  Historiker  in  allgemeinen  und 
auch  naturgemäß  mit  verschiedenen  Problemen  befassen  und 
über  die  Wahl  der  Tatsachen  verschiedeuer  Meinung  sind. 
Es  ist  daher  kein  Wunder,  daß  Theoretiker  und  Historiker 
wechselseitig  die  andere  Richtung  als  wertlos  bezeichneten. 
Da  Deskription  und  Theorie  verschiedene  Methoden  erfordern, 
und  Louteu  von  sehr  verschiedenen  Anlajien  und  Geistes- 
richtungon  symi>athisch  sind,  so  erklilrt  sich  der  bestehende 


Der  Aiugangtpnnkt  unserer  Theorie,  43 

Gegeosttz  mebr  als  zur  GenDge,  besonders  dann,  wenn  beide 
Teile  das  Gebiet  strenger  Wiasenschaft  Qberschreiten ,  um 
dieselben  praktischen  Fragen  in  Angriff  zu  nehmen. 

S  6.  Die  Erklärung,  die  unsere  Theorie  leistet,  ist  also 
eine  Beschreibung  von  funktionellen  Beziehungen  zvischen 
den  Elementen  unseres  Systemes,  mittelst  möglich  kurzer 
and  möglichst  allgemeingiltiger  Formeln.  Diese  Formeln 
nennen  wir  nun  „  Gesetze".  Der  Gesetzesbegriff  in  der 
Ökonomie  ist  von  einem  ganzen  Walde  von  Mifi verstau  dnissen 
umgeben  und  bekanntlich  der  Gegenstand  stets  erneuerter 
Kritik.  Die  Frage,  ob  es  überhaupt  Gesetze  vom  menschlichen 
Hudeln  geben  könne  und  ob  dabei  eine  bestimmte  Stellung- 
nahme im  Probleme  der  Willensbestimmung  nötig  sei,  wird 
immer  wieder  erörtert.  Metaphysische  und  politische  Be- 
denken gegen  deuselben  und  ebensolche  Gründe  fUr  ihn 
machen  diese  Diskussiou  besonders  unerquicklich.  Wir 
glauben  nun,  daß  unsere  Definition  desselben  alle  Schwierig- 
keiten umgeht.  Nach  derselben  sind  die  ökonomischen  Ge- 
setze vor  allem  keine  Postulate  von  der  Art  moralischer 
Vorschriften.  Sie  stellen  kein  Ideal  der  Wirksamkeit  gegen- 
Dber,  sondern  sollen  einfach  ein  Bild  wirklicher  Vorgänge 
sein.  Es  wird  nicht  behauptet,  daß  ihre  Geltung  wünschens- 
wert sei,  noch  weniger,  daß  man  auf  sie  hinarbeiten  und 
die  Wirtschaftspolitik  auf  sie  basieren  mUsse.  Das  war  tat- 
sächlich die  Auffassung  vieler  Kationalökonomen  und  ist  es^ 
auch  heate  noch.  Selbst  wenn  manche  Autoren  eine  der 
unseren  ähnliche  Ansicht  prinzipiell  zum  Ausdrucke  bringen, 
so  bandeln  sie  doch  nicht  darnach  und  suchen  fttr  das  „freie 
Walten"  jener  Gesetze  einzutreten,  was  so  aussieht,  wie 
wenn  dieselben  selbständige  Faktoren  des  wirtschaftlichen 
Geschehens  darstellen  würden.  Wie  wenn  in  denselben  ewige 
Kräfte  enthalten  wären,  wird  von  ihrer  „Wirksamkeit"  ge- 
sprochen. Mag  das  auch  oft  nur  eine  unvollkommene  Aus- 
dmcksweise  für  richtige  Behauptungen  sein,  jedenfalls  hat 
es  sehrdazubeigetragen,  die  Nationalökonomie  zu  diskreditieren. 

Nach  dem  Gesagten  braucht  kaum  noch  hervorgehoben 


44  Grundle^Dg. 

zu  werden,  daß  wir  nichts  dergleichen  behaupten  wollen. 
Auch  keine  großen  Kausalzusammenhänge  sollen 
aufgefunden ,  sondern  nur  einfach  sichtbare  Vorgänge  be> 
sehrieben  werden.  Spekulationen  irgendwelcher  Art  können 
vom  Historiker  nicht  schärfer  verurteilt  werden,  als  von 
uns.  Wir  philosophieren  nicht  Qber  das,  was  sein  mQsse 
auf  Grund  irgendwelcher  ,, Notwendigkeit",  sondern  wir  be- 
schreiben, was  in  vielen  Fällen  ist.  Dabei  erwarten  wir 
allerdings,  daß  dasselbe  auch  in  anderen  Fällen,  die  wir  nicht 
beobachteten,  sei,  eine  Erwartung  die  wir  durchaus  nicht 
hegrQoden  wollen,  aber  tatsächlich  in  hinreichend  ireiteig 
Maße  bestätigt  finden.  Wir  könnten  allerdings  unserer  De- 
finition noch  ein  Wort  hinzufügen,  das  dieses  Moment  mm 
Ausdrucke  bringt,  wir  könnten  unsere  Gesetze  als  verall- 
-  gemeinerte  Beobachtungen  bezeichnen.  Doch  wollen  wir  das 
Dicht  tun ,  da  wir  eine  vollständige  Verallgemeinemng  in 
dem  Sinne,  daß  wir  jede  Möglichkeit  einer  instantia  contraria 
ausschließen,  uicht  anstreben.  Gewiß  erwarten  wir,  daS 
unsere  Sätze  auch  andere  Tatsachen,  als  die  beobachteten 
decken,  wie  jeder  Historiker,  der  z.  B.  einige  tausend  Ur- 
kunden aber  ein  bestimmtes  Rechtsgeschäft  gelesen  hat, 
erwartet,  daß  au  demselben  Orte  und  zu  derselben  Zeit 
auch  andere  Rechtsgeschäfte  derselben  Art  in  ähnlicher  Weise 
abgeschlossen  wurden.  Sonst  wtkrden  wir  jeue  Sätze  ttber- 
haupt  nicht  aufstellen.  Und  wir  suchen  sie  so  zu  formulieren, 
daß  wir  darüber  vernfinftigerweise  beruhigt  sein 
können.  Al>er  im  Prinzipe  behaupten  wir  nicht,  daß  es 
50  sein  mttsse. 

Man  hat  oft  „exakte"  Gesetze  in  einen  prinzipielle 
Gegensatz  zu  „statistischen*^  gestellt.  Wir  sehen  nunmehr, 
daß  soweit  kein  solcher  prinzipieller  Gegensatz  zwiscb«! 
beiden  besteht.  Beide  beruhen  auf  Beobachtungen  von  Tat- 
tmchen.  Wenn  den  ersteren  oft  die  Sammlung  von  Tatsachen, 
die  die  letzteren  stutzt,  zu  fehlen  scheint,  so  liegt  das 
lediglich  daran,  daß  sich  dieselben  meist  auf  so  allgemein 
bekannte  Erscheinungen  t>eziehen,  welche  jedermann  aub 
seiner  Erfahrung  genau  kennt,  daß  ueue  Btatistisebe  Tabellen 


Der  Ausgangsponkt  unserer  Theorie.  45 

darüber  ersichtlich  überflüssig  wären,  daß  jedermann  in 
seiner  Erfahrung  jene  Menge  von  Tatsachen  vorfindet,  die 
nötig  ist,  um  jenes  ,,Höchstrendement**  von  Einsicht  abzu- 
werfen. Wo  das  nicht  der  Fall  ist,  wie  z.  B.  bei  manchen 
Problemen  der  Geldtheorie,  müssen  auch  wir  weitere  Tat- 
sachen sammeln. 

Uns  scheint  das  alles  ganz  klar  und  einfach  zu  sein, 
so  da6  kein  Grund  vorliegt,  mit  A.  Marshall  unsere  Gesetze 
als  .Statements  of  tendencies''  zu  bezeichnen.  Was  damit 
gesagt  sein  soll,  ist  nichts  anderes,  als  daß  Umstände  ein- 
treten können,  welche  andere  Resultate  hervorbringen,  als 
unsere  Gesetze  erwarten  lassen.  Aber  das  ist  nicht  mehr 
als  selbstverständlich  und  reicht  nicht  aus,  unseren  Formeln 
ihren  Charakter  zu  nehmen.  Auch  jedes  naturwissen- 
schaftliche Gesetz  ist  dieser  Eventualität  unterworfen.  Ein 
auf  einem  Tische  liegender  Stein  kann  nicht  zu  Boden 
fallen.  Will  man  aus  diesem  Grunde  das  Gravitationsgesetz 
als  eine  „Präzisierung  von  Tendenzen"  bezeichnen,  so  mag 
man  das  tun:  prinzipiell  ist  nichts  dagegen  einzuwenden. 
Aber  ein  Merkmal,  das  speziell  unseren  Gesetzen  eigen 
wäre,  liegt  hierin  nicht. 

Indessen  haben  wir  das  Wesen  unserer  Gesetze  noch 
nicht  völlig  erschöpft.  Sie  werden,  wie  gesagt,  nicht  un- 
mittelbar aus  den  Tatsachenmateriale ,  sondern  auf  dem 
Umwege  einer  Schematisierung  desselben  gewonnen.  An 
ihrem  Wesen  ändert  das  nichts.  Aber  ein  gegenteiliger 
Anschein  ist  unleugbar  vorhanden.  Wir  gehen  von  Tat- 
sachen aus.  Aber,  um  unsere  Beschreibung  kürzer  und 
übersichtlicher  gestalten  und  jene  Momente  an  denselben, 
für  welche  wir  uns  nicht  interessieren,  abscheiden  zu  können, 
stellen  wir  gewisse  Hypothesen  auf,  mit  deren  Hilfe  wir  sie 
konzise  ausdrücken  können.  Diese  Hypothesen  nun  sind 
Gegenstand  vieler  Diskussionen  gewesen.  So  wie  sie  meist 
ausgedrückt  werden,  erscheinen  sie  als  große,  allgemeine 
Sätze  und  lassen  hinlängliche  Begründung  in  den  Tatsachen 
vermissen.  Sie  trifft  daher  sehr  oft  der  Vorwurf  aprio- 
ristischer    Spekulation.      Die     „unbewiesene    Hypothese" ! 


46  Grundlegung. 

Welcher  Theoretiker  hat  dieses  Schlagwort  nicht  gehört 
und  irgendwie  zu  widerlegen  versucht?  Steht  und  fällt  das 
Gebäude  der  Ökonomie  wirklich  mit  der  Anerkennung  un- 
bewiesener und  vielleicht  unbeweisbarer  Sätze? 

Man  hat  versucht  die  nötigen  Hypothesen  zu  begründen 
oder  man  hat  ihre  Geltung  dahingestellt  sein  lassen  und 
zugegeben,  daß  das  Folgende  von  ihrer  Wahrheit  abhängig 
sei.  Zweifellos  ist  der  letztere  Weg  vorzuziehen,  da  der 
erstere  in  die  Gebiete  anderer  Disziplinen  führen  mofi. 
Das  ist  klar.  Aber  wenn  man  wirklich  eine  Anzahl  von 
Sätzen  glauben  muß,  um  den  weiteren  beistimmen  zu  können, 
so  ist  das  nicht  unbedenklich:  Man  weiß,  welcher  Art 
manche  dieser  Hypothesen,  von  wie  kontroversem  Charakter 
sie  sind.  Wir  wollen  sie  hier  nicht  diskutieren,  sondern 
nur  unseren  Standpunkt  präzisieren:  Die  Hypothesen,  die  wir 
machen,  sind  an  sich  ebenso  willkürlich  wie  Definitionen.  i 
Wohl  werden  wir  durch  Tatsachen  zu  ihrer  Aufstellung 
veranlaßt.  Aber  prinzipiell  schaffen  wir  sie  aus  eigener 
Machtvollkommenheit.  Nur  diesem  Umstände  verdanken 
sie,  wiederum  gleich  Definitionen,  ihre  scheinbare  Sicherheit 
Aber  wir  tragen  Sorge,  in  ihnen  so  wenig  als  möglich 
zu  behaupten  und  auch  dieses  wenige  wird  nur  als  ein« 
Hilfsmittel  der  Darstellung  verwendet,  keineswegs 
aber  als  eine  Erkenntnis  ausgegeben.  Diese  beiden 
Punkte  unterscheiden  unsere  Hypothesen  von  aprioristischen 
Spekulationen  und  genügen  meines  Erachtens,  um  alle  Be- 
denken zu  l)eruhigen.  Wir  werden  unser  Vorgehen  sehr 
bald  an  einem  wichtigen  Beis])iele  nilher  darlegen  und  auch 
später  wiederholt  auf  diese  Fragen  zurückkommen.  Hier 
möchten  wir  uns  auf  das  Nötigste  beschränken,  um  nicht 
erkenntnisth(^oretische  Erörterungen  zu  sehr  von  prak* 
tischem  Arbeiten  an  Problemen  zu  trennen.  Daher  seien 
nur  noch  einige  wenige  Bemerkungen  gemacht. 

Auch  das  i'ben  Gesagte  bildet  keinen  wesentlichen 
Unterschied  zwischen  exakten  und  statistischen  Gesetzen. 
Denn  auch  solche  haben  stets  gewisse  Voraussetzungen  und 
wenn  dieselben  meist  nicht   scharf  hervortreten,  so  ist  das 


Der  Ausgangspunkt  unserer  Theorie.  47 

Dar  ein  Mangel  der  Ausdrucksweise.  Und  auch  der  Histo- 
riker kann  ohne  Hypothesen  nicht  auskommen.  Ja  über- 
haupt jeder  Satz,  welchen  Inhaltes  immer  er  sein  mag,  hat 
nur  unter  gewissen  Voraussetzungen  Sinn.  Wir  können 
nicht  anstreben,  dieselben  zu  unterdrücken,  sondern  nur,  sie 
so  zu  wählen  und  so  zu  formulieren,  daß  sie  der  Geltung 
unserer  Resultate  so  wenig  Eintrag  als  möglich  tun.  Unsere 
Beschreibung  unterscheidet  sich  von  der  Statistik  also 
höchstens  durch  einen  komplizierteren  Apparat,  aber  keines- 
wegs etwa  durch  aprioristische  Obersätze.  Sie  basiert  auf 
Tatsachen,  eben  so  sehr  als  die  Geschichte.  Mit  Philosophien 
wollen  wir  ebensowenig  zu  tun  haben  als  diese. 

Dieses  Bestreben  geht  soweit,  daß  wir  sogar  die  Be- 
griffe Grund  und  Folge  tunlichst  vermeiden  wollen.  Wir 
möchten  nicht  von  „Ursachen"  der  Erscheinungen,  sondern 
nur  von  funktionellen  Beziehungen  zwischen  denselben 
sprechen  und  zwar  der  größeren  Präzision  wegen.  Der 
Funktionsbegriif,  der  von  der  Mathematik  sorgfältig  aus- 
gearbeitet wurde,  hat  einen  klaren  zweifelsfreien  Inhalt, 
der  ürsachenbegriff  aber  nicht.  Und  besonders  für  unser 
Thema  und  ganz  abgesehen  von  allgemeinen  Gründen 
empfiehlt  sich  das.  Was  die  einzelnen  Elemente  unseres 
Systemes  „sind",  und  warum  sie  gerade  so  und  nicht  anders 
sind,  warum  irgendein  Wirtschaftssubjeki  gerade  diese  und 
keine  andere  Ment^e  Brot  besitzt,  das  können  wir  nicht  bis 
auf  „letzte  Gründe"  verfolgen.  Wir  nehmen  sie  als  gegeben 
an  und  wir  werden  sehen,  daß  sich  die  konkreten  Resultate 
unserer  Disziplin  aus  gewissen  Wechselbeziehungen  ergeben, 
sodafi  sich  uns  der  Funktionsbegriif  und  nicht  die  Kausal- 
relation aufdrängt.  Die  Klarheit,  die  durch  seine  Ver- 
wendung möglich  wird,  hilft  über  manche  Schwierigkeit 
hinweg  und  es  versteht  sich  von  selbst,  daß  wir  tiberall 
dort,  wo  der  Funktionsbegriff  sich  ungezwungen  anwenden 
läßt,  ihn  vorziehen  werden,  da  wir  mit  ihm  weniger  be- 
haupten, als  wenn  wir  von  Grund  und  Folge  sprechen,  und 
so  den  Raum  für  Kontroversen  beschränken  ^ 


'  Daa  wir  vollends  jeder  Teleologie  fernstehen,  bedarf  nach  dem 
Gesagten  kaum  mehr  besonderer  Hervorhebung. 


48  Grundlegung. 

Lediglich  Beschreibung  und  zwar  Beschreibung  gewisser 
funktioneller  Beziehungen  bietet  uns  also  die  Theorie.  Es 
ist  eine  Täuschung  zu  glauben,  daß  sie  mehr  bieten  kann. 
Oft  ist  es  eine  harmlose  Täuschung,  die  die  konkreten 
Resultate  nicht  beeinträchtigt.  Aber  auch  dann  verwirrt 
sie  uns,  wenn  wir  über  die  Grundlagen  unserer  Disziplin 
nachdenken,  und  auch  dann  kann  sie  zu  Einwendungen 
gegen  die  Nationalökonomie  überhaupt  führen.  Vielleicht 
hätte  der  Methodenstreit  nie  diesen  Umfang  gewonnen« 
wenn  die  Theoretiker  nicht  gleichsam  eine  höhere  Weihe 
für  die  Theorie  in  Anspruch  genommen  hätten.  Die  Be- 
hauptung, daß  unsere  Sätze  eine  größere  Sicherheit  hätten, 
als  die  Erfahrung  bieten  könne,  daß  sie  das  Wesen  der 
wirtschaftlichen  Erscheinungen  und  ihre  Gesetze  über  jeden 
Zweifel  hinaus  feststellen,  sind  für  viele  wohlbekannte  An- 
griffe verantwortlich,  denen  aber  wiederum  entgegengehalten 
werden  muß,  das  Schicksal  unserer  Disziplin  ohne  genügende 
Prüfung  mit  jenem  dieser  Behauptungen  verknüpft  zu  haben. 


IIL  Kapitel- 
Tauschrelation. 


§  1.  Wenn  wir  nun  also  an  die  Aufgabe  herantreten, 
jene  Abhängigkeitsverhältnisse,  von  denen  wir  sprachen,  zu 
beschreiben,  so  fällt  uns  eine  bereits  fertige  Relation  zwischen 
den  ökonomischen  Quantitäten  in  die  Augen :  der  Preis, 
oder  besser  die  Tauschrelation.  Nahezu  alle  Güter 
stehen  in  dieser  Beziehung  zueinander.  In  einer  voll- 
kommenen Verkehrswirtschaft  steht  jedes  Gut  in  jedem 
gegebenen  Zeitpunkte  in  einer  festen  Tauschrelation  zu 
allen  anderen,  kann,  anders  ausgedrückt,  um  einen  bestimmten 
Preis  gekauft  und  verkauft  werden.  In  diesem  Falle  ist 
es  dann  klar,  daß  wir  mit  Hilfe  dieser  Tauschrelation  alle 
ökonomischen  Quantitäten  abwechselnd  auseinander  ableiten 
können.  Kennen  wir  z.  B.  die  Tauschrelation,  in  der  Arbeit 
zu  allen  anderen  Gütern  steht,  so  können  wir  für  jeden 
gegebenen  Arbeiter  die  Menge  der  Güter,  die  er  sich  ver- 
schaffen wird,  ableiten.  Dabei  ist  vorausgesetzt,  daß  der 
Mann  eine  bestimmte  Arbeitskraft,  bestimmte  Arbeitslust, 
bestimmte  Geschmacksrichtung  usw.  hat  und  daß  sich  das 
nicht  plötzlich  ändert.  Auf  letztere  Voraussetzung  kommen 
wir  noch  zurück. 

Aber  die  Tauschrelation  ist  nicht  immer  vorhanden, 
nicht  in  der  isolierten  Wirtschaft  und  nicht  in  jenen  Ele- 
menten isolierter  Wirtschaft,  die  sich  tatsächlich  auch  in 
der  Verkehrswirtschaft  wiederfinden.  Um  nun  trotzdem 
nicht'  auf  dieses   schon  bereitliegende  Werkzeug  oder   auf 

Sehuinp#t#r,  Nationalökonomie.  4 


50  Grundlegung. 

AllgemeiDgiltigkeit  unserer  Resultate  verzichten  zu  mOsseo. 
wollen  wir  es  auch  dort  ergänzen,  wo  es  fehlt,  indem  wir 
alles  wirtschaftliche  Handel  n  alsTausehen  auf- 
fassen und  annehmen,  daß  auch  dort,  wo  keine  Taosch- 
relatiOD  vorhanden  ist,  die  Wirtschaft  ebenso  ablftaft,  wie 
wenn  eine  solche  vorhanden  wäre.  Das  ist  keinesw^s  so 
paradox  wie  es  aussieht.  Man  beachte,  dafi  alles  wirt- 
schaftliche Handeln  fUr  uns  nichts  anderes  ist,  als  eine 
Veränderung  der  Okououüschen  QuaDtitAten.  Wer  Arbeit 
z.  B.  gegen  Brot  vertauscht,  verändert  die  in  seinem  Besitze 
befindlichen  Mengen  beider  Güter,  und  dasselbe  tut  der 
isolierte  Wirt,  der  ein  Stack  Wild  erlegt,  indem  er  etwa 
seinen  Vorrat  an  Kugeln  oder  Arbeitskraft  verringert  und 
den  au  Nahrungsmitteln  vergrOfiert.  In  dieser  Weise  kann 
man  das  Schema  des  Tausches  auf  jede  wirtschaftliehe 
Handlung  unweuden  und  sogar  darüber  hinaus,  wovon  noch 
'die  Rede  sein  wird.  Es  ist  das  auch  keineswegs  neu.  Die 
Produktion  z.  B.  als  Austausch  produktiver  Dienste  auf- 
zufassen, ist  ein  alter  Gedanke*.  Wir  finden  unseren  Voi^ 
gang  gerechtfertigt,  wenn  wir  beachten,  daS  wir  ja  bei  der 
Besrlireibuiig  unserer  Tauschreliition  von  keinen  Annahmen 
Gebrauch  machen,  welche  sich  nicht  auf  die  isolierte  Wirt- 
schaft anwenden  ließen;  sodann  läfit  sich  verstehen,  dafi 
hier  und  dort  —  wenigstens  insoweit  —  dasselbe  vor  sieb 
geht  und  endlich  werden  wir  uns  mit  unserer  Auffassung 
zufrieden  geben,  wenn  die  Resultate,  zu  denen  sie  fllbrt, 
klappen. 

Der  Tau»;li  bildet  also  sozusagen  die  Klammern,  welche 
das  ökonomische  System  tusammenhalten  oder,  mit  einem 
anderen  Bilde,  dessen  Leitungsdrahte.  In  der  Tauseh- 
relation  Hegt  alles  Reinökonomisclie,  was  nach  dem  OeBagten 


■  Et  ist  derselbe  Gni&nke,  der  Biachof  Whately  (Introdactotj 

Lectnrcal  versnl&Bte,  unsere  WisaenBchaft  „Cttalactica"  lu   nmnoL 

Et  drückt  ebo  der  unseren  g&nc  ihnlioha  Au^'^uung  aus,  wenn  er 

'  sagt,  dall  für  (H<-  Ökonomie  der  Mcnteh  ein  Wesen  sei,  das  tKoacht, 

nnd  (laß  dor^elbc  fQr  aie  nur  in  di«iem  Punkt«  iatercsMtit  a«L 


Die  Tauschrelation.  51 

nicht  mehr  als  selbstverständlich  ist,  und  zwar  gilt  das,  wie 
gesagt,  auch  von  der  isolierten  Einzelwirtschaft  und  vom 
sozialen  Staate.  Wenn  wir  jede  wirtschaftliche  Handlung 
als  Tauseh  auffassen  oder  noch  richtiger,  wenn  wir  alles, 
was  in  unserem  Systeme  geschieht  und  was  nichts  anderes 
sein  kann,  als  eine  Veränderung  der  ökonomischen  Quanti- 
täten, Tausch  nennen,  so  behaupten  wir  nicht,  daß  jede 
andere  Behandlungsweise  schlechter  oder  falsch  sei,  und 
wir  wollen  auch  keineswegs  soziale  Konsequenzen  auf  diese 
Auffassung  stützen.  Man  hat  das  öfters  getan  —  ein  Bei- 
spiel geben  uns  die  Harmonieökonomen  — ,  und  daher 
kommt  zu  einem  guten  Teile  die  Animosität  gegen  diese 
Aa£Eusungy  die  zweifellos  vorhanden  ist  Man  hat  das 
vielfach  als  einen  Versuch  aufgefaßt,  soziale  Gegensätze  zu 
verwischen  oder  als  harmlos  darzustellen.  Sowohl  die  so- 
genannten Harmonisten  als  auch  die  Klassiker  machten  an 
diesem  Punkte  manche  Seitensprünge  in  die  Welt  der  sozi- 
alen Kämpfe  und  von  der  anderen  Seite  wurde  oft  mit 
Nachdruck  hervorgehoben,  daß  die  Ausdrucksweise  der 
Ökonomen  den  sozialen  Gegensätzen  nicht  gerecht  werde. 
Wir  aber  wollen  nichts  derartiges  behaupten.  Wenn  wir 
dennoch,  wie  sich  in  der  Verteiluugstheorie  zeigen  wird, 
auf  diese  Gegensätze  nicht  eingehen,  so  geschieht  das  nicht, 
um  irgend  welche  sozialpolitische  Resultate  zu  erzielen, 
sondern  nur  um  unserer  Überzeugung  Ausdruck  zu  geben, 
daß  die  reine  Theorie  der  Wirtschaft  dieselben  mit  ihren 
Mitteln  nicht  behandeln  kann,  daß  sie  anderen  Gebieten 
angehören,  welche  anderen  Charakter  haben  und  andere 
Methoden  erfordern.  Auf  diese  Differenzen  zwischen  unserer 
Auffassung  und  der  der  älteren  Nationalökonomie  werden 
wir  immer  zurückzukommen  haben.  Die  letztere  gab  sich 
der  Hoffnung  hin,  das  Getriebe  des  sozialen  Lebens  vom 
Standpunkte  der  Ökonomie  erfassen  zu  können.  Ihre  letzte 
Konsequenz  in  dieser  Beziehung  ist  die  sogenannte  öko- 
nomische Geschichtsauffassung  und  alles,  was  in  dieser 
Richtung  liegt    Wir  aber  verzichten  auf  alles  das. 

4* 


52  GrUDdleping. 

Die  heutige  NatiODalftkooomie  geht  meieit  anders  vor: 
Sie  behandelt  diese  Fragen,  aber  nicht  auf  Grund  der 
reinen  Theorie  in  der  Weise  der  Früheren,  eondern  korrekter 
auf  Grund  neuen  Tatsachenmateriales.  Dieser  Weg  hat 
gewiß  seine  Berechtigung.  Doch  betreten  wir  ihn  nicht, 
weil  ich  der  Ansicht  bin,  daß  Arbeitateilung  fttr  so  yer- 
sehiedene  Gebiete  vorzuziehen  ist.  Wen  gerade  jene  Prob- 
leme interessieren,  der  lege  dieses  Buch  aus  der  Hand. 
Aber  es  wäre  ungerecht,  meine  AnffasBong  als  veraltet  tu 
bezeichnen.  Sie  entspricht  den  modernen  Anschauungen 
über  die  Behandlung  der  sozialen  Probleme  vollkommen  and 
wenn  sie  dieselbe  aus  der  reinen  Ökonomie  ausschließt,  so 
liegt  darin  ganz  dieselbe  Kritik  der  einseitig  Ökonomischen 
Auffassung  derselben ,  wie  in  dem  üblichen  Voi^ehen : 
Ausscheidung  dieser  Probleme  oder  Behandlung  auf 
neuen  Grundlagen  —  für  die  reine  Theorie  kommt  beides 
auf  dasselbe  hinaus;  in  jenem  Falle  muß  die  letztere  darauf 
verzichten,  hier  das  entscheidende  Wort  zu  sprechen  und 
gerade  in  ihrem  Interesse  liegt  es,  daß  das  auch  von  theo- 
retischer Seite  betont  werde.  Vergesse  man  bei  Beurteilung 
moderner  Theorie  nicht,  daß  sie  sich  selbst  auf  ein  weit 
kleineres  Gebiet  beschränkt,  als  die  ältere.  Und  nur  dieses 
kleine  Gebiet  wollen  wir  behandeln. 

Zu  erklären  was  der  Preis  ist ,  und  gewisse  formale 
Bewegungsgesetze  abzuleiten,  ist  unser  einziges  Bestreben. 
Gewiß  verzichten  wir  damit  Huf  alles  das,  was  den  meisten 
I^euten  gerade  als  das  Interessanteste  erscheint,  und  die 
Korrektheit  unserer  Sätze  bezahlen  wir  mit  einem  groflen 
Teile  ihres  Wertes.  Worin  derselbe  besteht,  werden  wir 
an  verschiedenen  Orten  darzulegen  suchen,  doch  liegt  es 
uns  ferne  zu  leugnen,  daß  man  darüber  sehr  verschiedener 
Ansicht  sein  kann.  Wohl  aber  behaupten  wir,  daS  diese 
Betrachtungsweise  auf  das  genannte  enge  Problem  am  besten 
paßt,  l>esser  als  die  anderen.  Große  soziale  Resultate  kAunea 
dabei  nicht  herauskommen.  Nirgends  zeigt  sich  diese  Differenz 
der  Auffassung  mehr  als  beim  Maximumprobleme,  «o  wir 
die  korrekte  Formulierung  und  die  Allgemeingut igkeit  unserer 


Die  TauschrelatioD.  53 

Sätze  mit  all  dem  aktuellen  Interesse  erkaufen,  das  das 
Problem  der  freien  Konkurrenz,  des  Freihandels,  des  laisser 
faire,  des  Individualismus  von  jeher  erweckt  hat.  Ein  anderes 
Beispiel  ist  das  Wertprinzip :  Wir  knüpfen  daran  nicht  etwa 
KoDsequenzen,  die  jenen  ähnlich  wären,  die  Marx  aus  dem 
Arbeitsprinzip  zieht.  Manche  Theoretiker  haben  das  aller- 
dings getan,  worauf  wir  noch  zurückkommen  werden.  Aber 
für  uns  ist  der  Wert  lediglich  ein  Erklärungsprinzip,  das 
uns  dazu  hilft,  die  Eindeutigkeit  unseres  Systemes  nach- 
zuweisen und  die  Bedingungen  des  Gleichgewichtes  voll- 
kommener anzugeben  als  es  die  ältere  Theorie  tut.  Wir 
leugnen,  wie  gesagt,  nicht,  dafi  man  auch  für  die  Erfassung 
der  rein  wirtschaftlichen  Vorgänge  mit  sozialen  Kategorien 
zuwerke  gehen  könnte,  ja  wir  geben  sogar  zu,  daß  man 
in  mancher  Hinsicht  wertvollere  Resultate  erzielt,  wenn  man 
das  tut.  Man  kann  etwa  von  den  Vorstellungen  ausgehen, 
die  der  Ausdruck  „Preiskampf**  wachruft  und  auf  das,  was 
wir  reine  Ökonomie  nennen,  überhaupt  verzichten,  ohne  im 
grofien  und  ganzen  eine  besondere  Lücke  zu  fühlen.  Das 
tut  denn  auch  die  deutsche  Wissenschaft  seit  nunmehr  ge- 
raumer Zeit.  Was  wir  für  unsere  Auffassung  anzuführen 
haben,  ist  hauptsächlich  nur,  daß  sie  zu  einem  klaren  exakten 
Systeme  führt ,  dem  einzigen ,  das  es  auf  dem  Gebiete  der 
Wissenschaften  vom  Menschen  bisher  gibt.  Unsere  Auf- 
fassung jeder  wirtschaftlichen  Tätigkeit  als  Tausch  kann 
also,  weil  lediglich  formal,  unmöglich  anstößig 
sein,  und,  so  wie  wir  sie  definiert  haben,  umfaßt  sie  nicht 
nur  eine  sogenannte  „Verkehrstheorie",  sondern  es  ist  alle 
reine  Wirtschaftstheorie  nur  eine  Untersuchung  des  Tausch- 
problemes.  Man  hat  oft  getadelt,  daß  die  Theorie  alles 
Wirtschaften  auf  „Schachern"  zurückführt,  und  mit  einem 
Seitenblicke  auf  soziale  und  ethische  Bedenken  den  Ausdruck 
.Börsenökonomie**  geprägt.  Dieser  Einwurf  beruht  sicher 
zu  einem  großen  Teile  auf  einem  Mißverständnisse  methodischer 
Hilfsmittel,  wenn  er  auch  in  einzelnen  Fällen  begründet 
sein  mag,  namentlich  dort,  wo  die  Theoretiker  auf  praktische 
Fragen   zu   sprechen    kommen.    Nach    unserer   Auffassung, 


54 


Grundlegung. 


die  den  Tausch  auch  dort  einführt ,  wo  es  keinen  Verkehr 
gibt,  ist  dieser  Ausdruck  lediglich  ein  Synonymum  für  „wirt- 
schaftliche Handlung**  oder  „wirtschaftliche  Überlegung  mit 
Rücksicht  auf  eine  mögliche  Handlung**  oder  besser,  das 
Moment  des  Tausches  bildet  den  exakten  Kern,  der  in  diesen 
Worten  liegt. 


IV.  Kapitel. 

Erörterang  der  Frage,  wie  die  Tausclirelation  am 
besten  zu  erfassen  ist,  und  einige  andere  Punkte. 


§  1.  Die  Tauschrelation  also  charakterisiert  unser  Gebiet. 
Sie  scheidet  aus  dem  Tatsachenmateriale  ab,  was  nicht  rein- 
ökonomisch ist.  Wir  werden  sehen,  daß  alles,  was  sie  nicht 
umfaßt,  entweder  anderen  Disziplinen  angehört  oder  exakter 
Behandlung  überhaupt  nicht  zugänglich  ist.  Nun  suchen 
wir  vor  allem  nach  einem  Prinzipe,  das  uns  die  Tausch- 
relation beschreibt.  Jeder  Ausdruck,  der,  wenn  gewisse 
Größen  in  ihn  eingesetzt  werden,  uns  die  gesuchten  Elemente 
unseres  Systemes  ergibt,  ist  dazu  geeignet,  ohne  daß  wir 
danach  fragen  müßten,  ob  er  an  sich  genommen  eine  wert- 
volle Erkenntnis  darstellt  oder  nicht.  Da  wir  ferner  natur- 
gemäß nie  alle  in  der  Wirklichkeit  vorkommenden  Tausch- 
relationen beobachtet  haben  können,  so  hat  dieses  Prinzip 
den  Charakter  einer  willkürlichen  Hypothese,  die  wir  so 
lange  benutzen  können,  als  sie  uns  nicht  auf  einen  un- 
erklärlichen Widerspruch  mit  den  Tatsachen  führt.  Wir 
werden  naturgemäß,  wenn  wir  können,  von  der  Beobachtung 
irgend  einer  Tatsache  ausgehen,  und  insoweit  ist  das  Prinzip 
nicht  ganz  willkürlich.  Wir  werden  aber  in  der  ausgeführten 
Weise  dasselbe  dann  auch  auf  Fälle  anwenden,  die  wir  nicht 
beobachten  können  z.  B.  auf  solche,  die  in  der  Zukunft 
liegen.  Wir  werden  unsere  Hypothese  auch  nicht  jedesmal 
oaehprüfen  können  oder  wollen,  sondern  bis  auf  weiteres 
wdiich  darauf  bauen.    Darin  liegt  ja  überhaupt  das 


56  Grundlegung. 

Wesen  eines  wissenschaftlichen  Erklärungs- 
prinzip es.  Haben  wir  ein  solches  Prinzip  gefanden,  aus 
dem  sich  die  Tausehrelation  ergibt,  und  das  uns  gestattet, 
die  Größe  und  die  BeweguDgsgesetze  der  ökonomischen 
Quantitäten  daraus  zu  gewinnen,  so  ist  alles  getan.  Die 
Diskussion  der  Bewegungsgesetze  derselben  gibt 
dann  die  ganze  reine  Ökonomie. 

Die  ganze  Natur  unseres  Systemes,  der  Anblick  unseres 
theoretischen  Gebäudes  hängt  von  dem  Prinzipe  ab,  das  wir 
wählen  und  je  nach  der  Verschiedenheit  des  Prinzipes  können 
die  wissenschaftlichen  Bilder  einer  und  derselben  Wirklich- 
keit verschieden  ausfallen.  Eine  solche  Verschiedenheit  be- 
deutet an  sich  noch  nicht,  daß  eine  Meinungsverschiedenheit 
über  das  Wesen  der  Wirtschaft  oder  über  praktische  Fragen, 
daß  überhaupt  eine  prinzipielle  Verschiedenheit  zwischen 
den  Autoren  der  Bilder  besteht.  Wenn  jemand  den  Wert 
und  jemand  anderer  die  Arbeit  als  Bindeglied  annimmt,  so  be- 
deutet das  noch  keineswegs  eine  Verschiedenheit  in  der 
Auffassung  des  sozialen  Geschehens.  Wenn  trotzdem  die 
Arbeitstheorie  eine  sozialistische  Färbung  hat,  und  die 
meisten  Vertreter  der  Werttheorie  antisozialistisch  gesinnt 
sind,  so  kommt  das  nicht  von  der  Rolle,  die  Arbeit  und 
Wert  in  deren  respektiven  Lehrsystemen  spielen  ^^  sondern 
daher,  weil  beide  Teile  diesen  beiden  grundlegenden  Mo- 
menten eine  über  die  Rolle  eines  Erklärungsprinzipes  hinaus- 
gehende Stellung  anwiesen.  Wir  tun  das  nicht,  aus  dem 
Grunde,  weil  unsere  Resultate  dadurch  nichts  gewinnen 
könnten,  und  weil  es  eben  unser  Grundsatz  ist,  nur  das  zu 
erörtern,  was  für  die  Resultate  entscheidend  ist  Ein  Er- 
klärungsprinzip kann  daher  ganz  gut  irgendein  Umstand 
sein,  der  außerhalb  unseres  Gebietes  und  speziell  für  die 
soziale  Diskussion  jedes  Interesses  entbehrt.  Wenn  wir  also 
unser  System  überblicken,  um  ein  solches  Prinzip  zu  finden. 


'  Dali  jener  theorctirtchc  Ausgangspunkt  nicht  notwendig  jene 
praktische  Stellungnahme  zur  Folge  hat,  zeigt  das  Heispiel  nicht- 
sozialistischer  Marxisten. 


Erörterung  der  Frage,  usw.  57 

SO  machen  wir  uns  keineswegs  die  Fragestellung  Marx'  zu 
eigen,  nämlich,  was  den  Gütern  gemeinsam  sei,  worin  sie 
vergleichbar  seien.  So  tief  gehen  wir  nicht.  Nach  einer 
metaphysischen  Gleichheit  in  irgendeiner  Eigenschaft  suchen 
wir  nicht,  wir  fragen  uns  nicht,  wie  es  möglich  ist,  daß 
man  so  verschiedene  Dinge  vergleichen  kann,  wir  begnügen 
uns  mit  der  Tatsache,  dafi  solche  Relationen  bestehen. 

Vielleicht  vor  allem  bietet  sich  zur  Beschreibung  dieser 
Relationen  das  „Kostenprinzip''  dar.   Dasselbe  gestattet  ohne 
weiteres,  Quantitäten  von  Gütern  auf  solche  anderer  Güter 
zorückzuführen  und  aufierdem,  eine  Anzahl  Tauschrelationen 
eben&Us  auf  andere  zurückzuführen.    Ähnlich  sind  Güter- 
mengen durch  das  Moment  der  Arbeitsaufwendung  verbunden, 
was  bekanntlich  zu  einer  einigermaßen  vom  Kostenprinzipe 
verschiedenen    Auffassung   führt.     Endlich   haben    wir   das 
Wertprinzip.     Die  Wahl   zwischen    diesen    Prinzipien   wird 
nim  für  uns  nicht  von  einer  aprioristischen  Diskussion  ihrer 
Richtigkeit  abhängen.   Es  ist  im  allgemeinen  unser  Grund- 
satz, nicht  a  priori  über  Prinzipien  zu  streiten;  außerdem 
würde  uns   nicht   ihre   Richtigkeit,   sondern   nur  ihre 
Brauchbarkeit    interessieren.     Wir   machen   an   dieser 
Stelle  wiederum   auf  unsere   Art  aufmerksam,  die  großen 
Kofltroversen  in  unserer  Wissenschaft  zu  behandeln.   Solche 
aprioristische  Diskussionen  suchen  wir  tunlichst  zu  vergessen 
und  ohne  dem  einen  oder  anderen  Teile  Recht  oder  Unrecht 
ta  geben,  suchen  wir  uns  Schritt  für  Schritt  unseren  Weg 
n  unseren  Resultaten.    Wir  werden  das  Wertprinzip  be- 
nutzen,  aber  nicht   deshalb,  weil  wir  das  für  die  allein 
richtige  Auffassung  halten,  sondern  weil  es  für  die  Erzielung 
unserer  Resultate  am  praktischsten  ist,  weil  wir  damit  am 
weitesten  kommen.    Aber  wir  werden  nicht  behaupten,  daß 
jede  andere  Auffassung  „falsch"  sei  und  zu  keinem  brauch- 
baren Resultate  führen  könne,  wie  es  oft  geschieht. 

Gewiß  zeigt  es  sich,  daß  die  Preise  der  Güter  im  all- 
gemeinen mit  ihren  Kosten  in  engem  Zusammenhange  stehen 
und  daß  man  die  Tauschrelation  sehr  häutig  als  Verhältnisse 
der   Kosten   definieren   könnte.     In    diesen   Fällen   ist   das 


58  Grundlegung. 

sicher  Dicht  falsch,  und  zu  sagen,  dafi  der  Preis  eine  Funktion 
der  Kosten  sei,  ist  in  der  grofien  Mehrzahl  der  Fälle  ein» 
fach  unbestreitbar.  Wenn  man  diesen  Sachverhalt  so  aus- 
drückt, daß  man  sagt,  die  Kosten  seien  die  Ursache  des 
Preises,  so  werden  wir  uns  allerdings  dagegen  wehren,  weil 
wir  den  Ursachenbegriff  überhaupt  eliminieren  möchten,  aber 
wenn  man  damit  nichts  anderes  sagen  will,  ahs  dafi  man 
den  Preis  in  vielen  Fällen  aus  den  Kosten  ableiten  könne, 
so  haben  wir  dagegen  nichts  einzuwenden. 

Es  sind  die  praktischen  Mängel,  die  Mängel  fQr  die 
Praxis  der  wissenschaftlichen  Arbeit,  welche  uns  veranlassen, 
das  Kostenprinzip  abzulehnen.  Es  versagt  vor  allem,  wie 
bekannt,  an  nicht  vermehrbaren  Gütern,  sodann  bei  der  Er- 
klärung der  Monopolpreise,  und  es  vermag  uns  aofierdem 
nichts  gerade  über  die  interessantesten  Probleme  unserer 
Disziplin  zu  sagen.  Wenn  wir  nämlich  die  ZurQckfQhmogen 
vornehmen,  die  das  Kostenprinzip  überhaupt  vorzunehmen 
gestattet,  so  kommen  wir  auf  Arbeit  und  Boden  als  die 
letzten  Elemente  zurück.  Nun  stehen  aber  diese  ihrerseits 
auch  in  Tauschrelationen  zu  anderen  Gütern,  als  zu  denen, 
die  bestimmte  Quantitäten  von  ihnen  erzeugt  haben,  das 
heißt,  sie  haben  einen  Preis,  ohne  daß  auf  sie  das  Kost«n- 
prinzip  anwendbar  wäre.  Das  ist  nun  sehr  unangenehm, 
weil  Arbeit  und  Boden  gerade  jene  Güter  sind,  deren  Preis- 
bestimmung zu  den  interessantesten  Problemen  der  Ökonomie 
gehört.  Daß  es  sich  aber  so  verhflit,  sieht  man  nirgends 
deutlicher  als  in  dem  Systeme  Ricardos.  Es  ist  nichts 
klarer,  als  daß  das  Kostenprinzip  es  nicht  vermag,  eine 
Theorie  des  Lohnes  und  der  Grundrente  zu  geben.  Ricardo 
muß  sich  also  nach  anderen  Momenten  umsehen,  um  diese 
Lücke  auszufüllen.  Bei  der  Rententheorie  geschieht  das 
vermittelst  der  Heranziehung  eines  ganz  neuen  Momentes, 
nämlich  des  Gesetzes  vom  abnehmenden  Bodenertrage.  Man 
sieht  da  ganz  klar,  und  es  ist  auch  ganz  konsequent,  dafi 
der  Boden  eigentlich  keinen  Preis  haben  könnte,  und  dafi 
der  Umstand,  daß  er  ihn  tatsächlich  hat,  geeignet  ist,  das 
ganze  System,  wenn  es  logisch  strenge  auf  dem   Kosten- 


ErOrtenmg  der  Frage,  usw.  59 

prinzipe  beruhen  sollte,  umzustofien.  Ricardo  betritt  auch 
wirklich  den  einzigen  möglichen  Weg,  den  es  von  seinem 
Standpunkte  gesehen  aus  dieser  Sackgasse  gibt,  wenn  er 
Tersacht,  den  Preis  des  Bodens  zu  eliminieren,  indem  er 
ihn  als  ein  „plus**  erklärt.  So  wird  die  Rente  abgeleitet, 
ohne  sie  als  Preis  zu  erklären.  Die  Tatsache,  daß  der 
Grand  und  Boden  tatsächlich  einen  Preis  hat,  wird  weg- 
erklärt, indem  gesagt  wird,  dafi  dieser  Preis  kein  Preis  sei. 

Ganz  ähnlich  steht  die  Sache  mit  dem  Lohne.  Wenn 
Ricardo  sein  Kapitel  über  den  Lohn,  wie  bekannt,  mit  den 
Worten  einleitet,  dafi  Arbeit  eine  Ware  sei,  die  einen 
Marktpreis  hat  wie  jede  andere,  so  ist  darauf  zu  entgegnen, 
daß,  wenn  er  Arbeit  nicht  zu  den  unreproduzierbaren  Gütern 
rechnen  will,  wie  alte  Gemälde,  er  entweder  den  Lohn  ebenso 
wie  die  Rente  wegerklären  oder  die  Arbeit  als  reproduzier- 
bares Gut  auffassen  und  den  Lohn  als  gleich  den  Re- 
produktionskosten annehmen  muß.  Vom  Standpunkte  des 
klassischen  Systemes  ist  diese  letztere  Theorie  die  einzig 
mögliche.  Außerhalb  dieses  Systemes  hat  sie  dann  eine 
ganz  andere  Stellung  und  für  die  Theorie  eine  viel  geringere 
Bedeutung. 

Das  ist  ein  hübsches  Beispiel  für  den  Unterschied,  der 
besteht  zwischen  dem  theoretischen  und  dem  praktischen 
Interesse  an  einer  Theorie.  Dem  Praktiker  ist  es  in  der 
Regel  ganz  gleichgültig,  was  den  Theoretiker  zur  Aufstellung 
seiner  Theorien  veranlaßt.  Für  den  Theoretiker  natürlich 
ist  es  sehr  entscheidend,  ob  eine  Theorie  für  sein  System 
essentiell  ist  oder  aber  nur  auf  einem  ad  hoc  herbeigezogeneu 
Momente  beruht,  das  man  ohne  Schaden  für  den  Rest  des 
Svstemes  wieder  fallen  lassen  kann.  Auch  dafür  ist  unser 
Satz  ein  lehrreiches  Beispiel,  eine  wie  ganz  andere  Stellung 
ein  und  dieselbe  Theorie  auch  innerhalb  einer  und  derselben 
Disziplin  auf  verschiedenen  Entwicklungsstufen  derselben 
haben  kann.  Das  Kostenprinzip  angenommen  und  zur  Grund- 
lage des  theoretischen  Systemes  gemacht,  führt  deduktiv  zu 
der  Reproduktionskostentheorie  des  Lohnes.  In  einem  Systeme 
der  Ökonomie,  das  auf  dem  Wertprinzipe  beruht,  ergibt  sich 


60  Grundlegung. 

deduktiv  keine  solche  Theorie.  Wird  sie  dennoch  aufgestellt, 
so  muß  sie  durch  die  Tatsachen  uns  aufgedr&ngt  werden. 
Im  ersteren  Falle  dagegen  ist  bloß  erforderlich,  dafi  sie  von 
den  Tatsachen  nicht  desavouiert  wird.  Das  gibt  zu 
den  folgenden  Bemerkungen  Anlaß. 

Erstens,  eine  solche  Theorie  kann  zu  einem  wirklich  be- 
rechtigten Kriterium  zwischen  zwei  Systemen  einer  und  der- 
selben Wissenschaft  werden,   einem  berechtigteren,   als  es 
aprioristische  Obersätze  und  allgemeine  Grundprinzipien  sind. 
Kommen    wir   auf  Grund    eines   Systemes    zu    einem   de- 
duktiven Resultate,  wie  es  diese  Theorie  ist,  so  haben  wir 
es  wie  alle  anderen  Resultate  an  der  Wirklichkeit  zu  prüfen. 
Das  Ergebnis  dieser  Prüfung   wird   nun  zu  unserer  Wahl 
zwischen  beiden  Systemen  sehr  wesentlich  beitragen.  Erweist 
sich   das  Resultat  als  richtig  und  wertvoll,  und  ergibt  es 
sich  nicht  ohne  weiteres  auch  aus  dem  zweiten  Systeme,  so 
wird   das  sehr  für   das  erstere  sprechen.    Desavouiert  die 
Wirklichkeit    das  Resultat,   dann  wird  es  als  ein  Vorteil 
eines  Systemes  erscheinen,  wenn  es  über  diesen  Punkt  über- 
haupt nichts  aussagt,  aber  wir  sind  noch  keineswegs  genötigt, 
das  erste  Svstem  aus  diesem  Grunde  zu  verlassen.    Im  all- 
gemeinen  werden  wir  das  auch  nicht  tun,  nur  deshalb,  weil 
es   in   einem  Punkte  versagt.    Gewiß  macht  uns  das  das 
ganze  System  verdächtig,  weil  man  darauf  gefaßt  sein  mufl, 
nun   auch   andere   Diskrepanzen   mit   der  Wirklichkeit  zu 
entdecken,   aber  wenn  uns  Gründe   veranlassen,  auf  dem 
Boden   des  Systemes   zu   bleiben,    so  werden   wir  uns  mit 
einer  Hilfshypothese  helfen.    Vielleicht  das  bekannteste  Bei- 
spiel  in   der  Geschichte  der  Wissenschaft  für  ein  solches 
Vorgehen    ist   die  Geschichte  'des  ptolemäischen  Systemes: 
Endlich  und  schließlich  wächst  die  Zahl  der  Hilfshypothesen 
so,  daß  wir  uns  von  dem  Flickwerke  abwenden,  sobald  wir 
es  nur  entbehren  können,    und  eine  neue  Hypothese,  all- 
gemeiner, einfacher  und  jugendkräftig  tritt  an  die  Stelle  der 
alten,  um  schließlich  demselben  Schicksale  anheimzufallen, 
wenn   ihr  Tagwerk    vollbracht  ist.     Nun  wäre  nichts  ver- 
fehlter, als  das  alte  System  zu  verspotten  oder  als  grund- 


Erörterung  der  Frage,  usw.  61 

falsch  zu  erklären.    Abgesehen  davon,  daß  es  uns  immer 
noeh  manches  za  lehren  vermag,   darf  man  nie  vergessen, 
dmfi  es  etwas  absolut  Richtiges   und  Vollkommenes   nicht 
gibt,  dafi  es  auf  verschiedenen  Entwicklungsstufen  verschiedene 
Dinge  sind,  die  zu  glauben  heilsam  ist,  daß  das  neue  System 
nie  entstanden  wäre  ohne  das  alte  und  daß  der  ruhige  Gang 
einer  organischen  Entwicklung  gewahrt  bleiben  muß.    Es 
ist  aber  nicht  nur  fair,  seinen  Vorgängern  diese  Gerechtigkeit 
zu  erweisen,  sondern  es  ist  auch  höchst  schädlich  für  die 
Wissenschaft,  wenn  man  zuviel  zu  neuem  sucht,   das  alte 
zu  früh  verläßt  und  mit  neuen  Hilfsmitteln  arbeitet,  deren  Zeit 
noch  nicht  gekommen  ist   Wann  der  Übergang  stattzufinden 
hat,  ist  eine  Frage,  deren  Entscheidung  viel  Takt  erfordert. 
Zweitens,   mit   großer  Macht  sind  die  Gedanken  der 
Klassiker  in  das  praktische  Leben   gedrungen.    Man  kann 
im  Zweifel  darüber  sein ,  ob  das  von  Vorteil  für  sie  war. 
Denn  zahllosen  Mißverständnissen  wurden  sie  ausgesetzt  und 
ein  ungeheuerer   Mißbrauch   wurde    mit    ihnen    getrieben, 
dessen  natürliches  Resultat  eine  vollständige  Diskreditierung 
war.  Aber  was  besonders  auch  von  wissenschaftlichen  Öko- 
nomen vernachlässigt  wurde,  das  war  der  Zusammenhang 
ihrer  Lehrsätze  untereinander.    Gewiß  war  ihr  System  kein 
so  ganz  einheitliches.    In  verschiedener  Hinsicht  nicht ,  vor 
allem  deshalb  nicht,  weil  es  überhaupt  nicht  reinökonomisch 
war,  was  wir  schon  andeuteten.    Aber  dennoch  kann  man 
nicht  nach   Belieben  einzelne  Teile  festhalten   und  andere 
verwerfen,  wenigstens  dann  nicht,  wenn  man  sich  in  rein- 
ökonomischen Bahnen  bewegt.    Das  ist  aber  nun   vielfach 
geschehen;  Sätze,  welche  nur  Sinn  und  Bedeutung  im  ganzen 
Systeme  der  Klassiker  haben,  nur  in  dessen  Zusammenhange 
voll  verstanden  werden  können,  werden  vielfach  von  Leuten 
vertreten,   welche   auf  ganz   anderem   prinzipiellen   Boden 
stehen.     Das   beste   Beispiel   dafür   ist    die  Rententheorie, 
welche  nichts  ist  als   die  Reversseite  des  Kostenprinzipes 
und  jede  Berechtigung  verliert,   wenn   dieses   gefallen   ist. 
Doch    empfiehlt  es  sich  auf  die  weitere   Diskussion  dieses 
Froblemes  in  anderem  Zusammenhange  einzugehen. 


Q2  Grandlegang. 

Kommen  wir  dud  zu  dem  zurück,  wovon  wir  sprachen. 
Ein  Lückenbüßer  für  die  mangelnde  Bestimmung  des  Lohnes 
ist  auch  die  Lohnfondstheorie  und  auch  für  sie  liegt  der 
Angelpunkt  des  Verständnisses  durchaus  in  den  Grundlagen 
des  Systemes  der  Klassiker.    Man  darf  nicht  etwa  aus  dem 
Satze  Ricardo's,  den  wir  zitierten,  schlieöen,  dafi  er  den 
Preis  der  Arbeit  aus  Angebot  und  Nachfrage  ableiten  wolle, 
im  Sinne  der   modernen  Theorie.    Das  lag  ihm  vollständig 
ferne  und  es  gehört  zu  den  wohlwollenden  Mißdeutungen, 
denen   man  Ricardo  unterwirft  um  ihn  zu  retten  und  den 
Modernen   ihre  Originalität  zu  bestreiten,  wenn  man  der- 
gleichen behauptet.   Wenn  aber  Ricardo  wirklich  die  Erklärung 
des  Lohnes  im   Werte  der  Arbeit  gesucht  hätte,  so  läge 
darin  eine  Bestätigung  unserer  Behauptung,  dafi  das  Kosten- 
prinzip hier  versagt^  und  man  sich   nach  einem  anderen 
Hilfsmittel  umsehen   muß.     Aber,   wie  gesagt,   darin  liegt 
nichts  so  Schreckliches,  und  wir  wären  bereit,  ebenfalls  diesen 
Weg  zu  betreten.    Wenn  wir  aber  ein  Prinzip   finden,  das 
keine  Hilfshypothese  nötig  macht  und  das  ein  tadellos  reines 
System  ganz  einheitlich  abzuleiten  gestattet,  das  viele  wert^ 
volle  Resultate  liefert,  ohne  daß  diesen  Vorteilen  irgendein 
Kachteil   gegenüberstünde,  so  wUre  es  doch  einfach  töricht, 
dasselbe  abzulehnen,  zumal  es  uns  durchaus  freisteht,  unsere 
Ausdrucksweise  so  einzurichten,  dafi  sie  in   vielen  Fällen 
auf  beide  Auffassungsweisen  paßt.    Es  kommt  noch  hinzu, 
dafi  uns  wenig  geholfen  wäre,    wenn  wir  Arbeit  und  Boden 
auf  andere  Güterquanten  zurückführen  könnten.    Denn  wenn 
wir  Arl)eit  und  Boden  in  der  angegebenen  Weise  auflösen 
könnten,  würden  wir  uns  im  Kreise  drehen,  da  die  betreffenden 
Güterquanten  wieder  auf  Arbeit  und  Boden  zurückzuführen 
wären.     So   kann  es  mit  Hilfe  des  Kostenprinzipes  nie  zu 
einer   vollständigen   Analyse   kommen.    Aber   was   uns  am 
meisten  bestimmt,  vom  Kostenprinzipe  abzugehen,  sind  nicht 
seine  Mängel  für  die  Beschreibung  unseres  Systemes  in  ab- 


*  Dcnu  Angebot  und  Nachfrap^c  fubren  auf  den  Wert,  wie  wir 
sehen  worden. 


Erörterung  der  Frage,  usw.  63 

soluter  Rahe,  sondern  vielmehr  seine  Unfähigkeit,  uns  jene 
BeweguDgsgesetze  zu  geben,  welche  unsere  interessantesten 
Resultate  bilden.  Es  ist  nichts  leichter  zu  sehen,  als  daß, 
wenn  wir  eines  der  Elemente  des  Systemes  variieren,  man 
Termittelst  des  Kostenprinzipes  nie  dazu  kommen  kann,  alle 
Variationen,  welche  infolge  dessen  eintreten,  zu  erfassen, 
aas  dem  Grande,  —  wenn  wir  für  einen  Moment  uns  eines 
von  ons  nicht  gebührend  eingeführten  Ausdruckes  bedienen 
dürfen  —  weil  für  das,  was  geschieht,  wenn  in  dem  öko- 
nomischen Systeme  etwas  verändert  wird,  doch  nicht  blofi 
die  Kosten,  sondern  zum  allermindesten  a  u  c  h  die  Nachfrage 
entscheidend  ist.  Wenn  von  irgend  einem  Gute,  z.  B.  in 
Folge  einer  guten  Ernte,  mehr  vorhanden  ist,  so  kann 
uns  unser  Prinzip  nichts  darüber  sagen,  wie  das  auf  den 
Preis  wirken  wird.  Wo  immer  die  Klassiker  und  jene,  die 
auf  demselben  Boden  stehen,  von  Bewegungsgesetzen  sprechen, 
ziehen  sie  immer  das  Moment  der  Nachfrage  heran  oder 
setzen  eine  bestimmte  Art  der  Wirksamkeit  desselben  als 
gegeben  voraus  oder  ziehen  nichtökonomische  Momente 
heran  z.  B.  das  Gesetz  vom  abnehmenden  Ertrage,  bestimmte 
Sfttze  über  Bevölkerungsvermehrung  und  dergleichen  mehr. 
Was  wir  vom  Kostenprinzipe  gesagt  haben,  läßt  sich  unschwer 
auf  das  Arbeitsprinzip  anwenden.  Dasselbe  stellt  sich  ja, 
wenn  es  sich  nicht  vollständig  mit  dem  Kostenprinzipe  deckt, 
im  großen  und  ganzen  als  nichts  anderes  dar,  als  eine 
schärfere  Formulierung  desselben,  oder  besser,  als  ein  Schritt 
weiter  in  derselben  Richtung. 

§  2.  Diese  Mängel  veranlassen  uns  also,  das  Wert- 
prinzip zu  verwenden.  Man  sieht,  uns  liegt  nichts  ferner, 
als  ein  großer  Prinzipienstreit.  Nur  deshalb  verdient  das 
Wertprinzip  den  Vorzug,  weil  es  sich  in  praxi  l)esser  be- 
währt, als  die  eben  diskutierten  Erklärungsprinzipien.  Das 
war  aber  nicht  der  Standpunkt  jener  Forscher,  welche  es 
zuerst  vertraten.  Sie  legten  weniger  Gewicht  auf  die 
Fruchtbarkeit  als  auf  die  Wahrheit  des  Wertprinzipes 
und    bemühten   sich,  nachzuweisen,  daß  es  die   „richtige'* 


64  Gmndleg^og. 

Auffassung  der  wirtschaftlichen  Vorgänge  enthalte.  Darin 
wollen  wir  ihnen  nicht  folgen  und  zwar  aus  zwei  Gründen. 
Erstens  und  vor  allem  kommt  es  uns  auf  die  absolute  Rich- 
tigkeit unserer  Hypothesen  nicht  an.  Sie  sind  nicht  Teil 
unserer  Resultate,  für  die  wir  einzustehen  haben,  sondern 
lediglich  methodische  Hilfsmittel,  deren  Wert  wir  nur  aus 
ihren  Früchten  erkennen.  Nur  formal  ist  ihre  Rolle,  und 
unsere  Gesetze  gewinnen  nichts  dadurch,  daB  man  nachweist, 
daß  sie  auch  an  sich  Wahrheiten  sind.  Zweitens  hat  man 
sich  durch  dieses  Vorgehen  in  eine  aprioristische  Diskussion 
verwickelt,  die,  mit  allgemeinen  Gründen  und  Gleichnissen 
geführt,  nur  schwer  zu  einer  Einigung  führen  konnte  und 
die  sich  auf  dem  von  mir  vorgeschlagenen  Wege  leicht  um- 
gehen läßt. 

Außerdem  al>er  führt  der  Versuch,  die  WerthyiK)these 
zu  begründen,  in  Gebiete,  die  uns  als  NationalOkonomen 
fremd  sind,  nämlich  in  die  der  Psychologie  und  Physiologie. 
Man  geht  von  den  Bedürfnissen  aus  und  definiert  die  wirt- 
schaftlichen Güter  als  Dinge  der  Außenwelt,  welche  in 
einem  Kausalverhältuisse  zur  Bedürfnisbefriedigung  stehen. 
Aus  der  relativen  Intensität  der  Bedürfnisregungen  der 
tauschenden  Wirtschaftssubjekte  leitet  man  die  Tauseh- 
relatiouen  ab,  und  zu  diesem  Zwecke  werden  die  Gesetze 
der  Wertung  auf  Grund  psychologischer  Beobachtungen 
festgestellt.  Man  sagt  z.  B.,  daß  mit  Fortschreiten  in  der 
Sättigung  das  Bedürfnis  nach  weiterer  Nahrung  abnehme, 
und  daher  das  gesättigte  Individuum  nur  einen  immer 
geringeren  Preis  für  jede  weitere  Menge  zu  zahlen  bereit 
sein  werde.  Zu  dieser  Art  des  Vorgehens  ist  zu  bemerken : 
Warum  wird  eine  solche  Erklärung  gegeben?  Die  Tatsache, 
die  wir  sehen,  ist  doch  nur  die,  daß  das  Individuum 
einen  geringeren  Preis  anbietet;  warum  es  das  tut,  ist 
zunächst  nicht  interessant  vom  Standpunkte  der  Ökonomie, 
und  außerdem  sehen  wir  ja  nur  daraus,  daß  das  Individuum 
so  handelt,  daß  es  tatsächlich  gesättigt  ist.  Wir  stehen 
daher  vor  folgender  Alternative:  Entweder  wir  geben  zu, 
daß  der  einzige  Umstand,  der  uns  berechtigt,  auf  die  Ge- 


£rörteniiig  der  Frage,  usw.  65 

fohle  des  Individuums  zu  schließen,  seine  Handlungsweise 
ist,  oder  wir  sind  auf  die  Resultate  der  Introspektion  an- 
gewiesen. 

Betrachten  wir  beide  Möglichkeiten  etwas  näher.    Im 
ersteren   Falle   ist  die   psychologische  Ableitung    lediglich 
eine  Tautologie.     Wenn   wir    sagen,   jemand    bietet   einen 
höheren  Preis  für  etwas,  als  jemand  anderer,  weil  er  die 
Sache  höher  wertet,  so  ist  damit  gar  keine  Erklärung  ge- 
geben,  da  wir  auf  seine  Wertgefühle  ja  eben  nur  daraus 
schließen«  daß   er  einen   höheren  Preis   bietet.     Ganz  ab- 
gesehen also  davon,  dafi  wir  eine  Kausalbetrachtung  über- 
haupt zu  vermeiden  wünschen,  dafi  femer  jene  Definition 
auch  noch  andere  bedenkliche  Punkte  hat  —  nämlich  den 
sehr   an    Metaphysik    erinnernden    Ausdruck    „Dinge    der 
Aufienwelt"  —  so   ist   vom  Standpunkte    des   Beobachters, 
der  in  die  Psyche  des  beobachtenden  Individuums  nicht  ein- 
gehen kann,  gar  nichts  gewonueu,  wenn  man  der  einfachen 
Beobachtung    der    wirtschaftlichen    Handlung    noch    einen 
solchen  psychologischen  Satz  hinzufügt.     Daß  der  Anschein 
ein  anderer  ist,   daß  man  damit   wirklich   etwas   gewonnen 
XU  haben  glaubt,  ist  vor  allem  durch  das  ererbte  Vertrauen 
auf  die  Kausalrelation  zu  erklären.    Wenn  man  zwei  Dinge 
durch  ein  „Weil"  verbinden  kann,  so  glaubt  man  bereit«^, 
einen  Einblick   in   ihre  Beziehungen    gewonnen   zu   haben. 
Hier  haben  wir   aber  nur,   abgesehen   von   allem   anderen, 
ein  Glied   der  Kette,   das   andere   wird  nicht  durch  eine 
unabhängige  Beobachtung   gegeben,   sondern  nur  aus   dem 
ersten  abgeleitet.     Wenn   wir   sehen,   daß   Dinge   gewertet 
werden  (und  zwar  sehen  wir  das  eben  aus  dem  Umstände, 
daß  das  Individuum    etwas    tut,    um    in    ihren    Besitz   zu 
kommen   oder  sich  in   demselben   zu   erhalten)  und   sagen, 
dafi  das  geschieht,    weil  das  Ding   in  einer  Kausal relation 
zur  Bedürfnisbefriedigung  des  Individuums  steht,  so  geschieht 
das   nicht    deshalb,    weil    wir    den   Wertungsvorgang    ganz 
Qberblicken  können.    Es  ist  daher  keineswegs  eine  Aussage 
über  Tatsachen,  wie  etwa  die,   daß  auf  gewisse  elektrische 
Vorgfinge  eine  Lichterscheinung  folgt,   sondern  es  ist  eine 

Schampeter,  Nationalökonomie.  t> 


66  Orandlegnng. 

Hypothese  Ober  die  psychischen  Voi^finge  des  Individuums, 
zu  der  wir  lediglich  durch  sein  sichtbares  Handeln  veranlagt 
werden. 

Aber  selbst  wecn  wir  die  Wertungsvorg&nge  sehen 
oder  sonst  sinnlich  wahrnehmen  könnten,  w&re  uns  wenig 
geholfen.  Wir  hätten  dann  zwei  Reihen  von  Wahruehmimgen, 
die  eine  bestehend  aus  Wertungsvorg&ngen  und  die  andere 
aus  wirtschaftlichen  Handlungen,  und  könnten  experimentell 
das  VorhandeoBein  einer  Wechselbeziehung  zwischen  beiden 
feststellen.  Aber  Ober  die  Natur  dieser  letzteren  wQSten 
wir  auch  dann  nichts.  Wie  sich  die  Wertungsvorgftnge  in 
wirtschaftliche  Handlungeu  umsetzen  und  besonders,  ob  sie 
als  deren  „Ursachen"  zu  betrachten  seien,  w&re  noch  immer 
ein  Problem,  Ober  das  man  sehr  verschiedener  Ansicht  sein 
könnte.  Nur  hei  Annahme  eines  Souveränen  Willens,  der 
ohne  irgendwelche  bestimmende  Einflösse  das  Handeln 
regiert,  wflre  die  Sache  verhältnismAßig  einfach.  Aber 
diese  Annahme  würde  uns  bestritten  werden.  Die  moderne 
Psychologie  und  Biologie  st«ht  zum  Teile  auf  einem  anderen 
Standpunkte  und  ist  kaum  geneigt,  dem  Willen  jene 
Stellung  einzuräumen.  Wir  können  auf  dieses  Problem 
nicht  nilher  eingehen,  dürften  uns  jedoch,  im  Falle  vir  die 
Nationalökonomie  in  das  Problem  derWertungen  und  Wollungen 
verankern  wollten,  keineswegs  über  jene  Dinge  hinwegsetzen. 
Wie  unangenehm,  uns  sagen  zu  müssen,  daB  unsere  Wissen- 
schaft von  einer  bestimmten  Stellungnahme  in  ihr  fremden 
Problemen  alihängig  sei,  möglicherweise  gewisse  metaphysieehe 
Voraussetzungen  habe. 

Daß  man  sich  an  das  halten  solle,  was  man  sieht,  ist 
ein  Grundsatz,  für  den  man  jemand,  wenn  von  naturwissen- 
schaftlichen Problemen  die  Kede  ist,  verhftItnism&Big  leicht 
gewinnen  kann.  In  unserer  Disziplin  scheint  die  Sache 
anders  zu  stehen.  Wir  sind  hier  unseren  Problemen  näher, 
stecken  sozusagen  in  den  Dingen  darin,  und  die  wissen- 
schaftliche Erklärung  scheint  einen  Schritt  weitergehen  zu 
können.  Weil  da  von  uns  und  unseren  Handlungen  die 
Rede  ist.  plaulwn  wir  die  Vorgange  besser  und   Oberhaupt 


Erörterung  der  Frage,  usw.  07 

in  einem  anderen  Sinne  zu  „verstehen'',  als  jene  der  Natur. 
Jedermann  glaubt  seine  eigenen  Handlungen  zu  verstehen, 
glaubt,  dafi  er  sie  mit  freiem  Wollen  beherrsche  und  urteilt 
mit  großer  Sicherheit  über  die  anderer.  Selten  gibt  man 
sieh  Rechenschaft  darüber,  wie  schmal  die  Basis  dieses 
sogenannten  Verständnisses  ist.  Wie  wir  im  gewöhnlichen 
Leben  uns  wenig  Gedanken  über  den  Vorgang  des  Sehens 
machen  und  dieser  doch  ein  so  kompliziertes  Problem  bildet, 
so  gleiten  wir  in  praxi  auch  über  jene  Bedenken  hinweg. 
Aber  in  den  Grundlagen  einer  Wissenschaft  dürfen  wir 
derartige  Unklarheiten  nicht  dulden. 

Wir  haben  jedoch  noch  eine  andere  Alternative,  wir 
haben  die  innere  Wahrnehmung.  Bei  der  Introspektion 
allerdings  ist  die  Sache  ganz  klar.  Hier  könnte  man,  wenn 
man  wollte,  ein  Kausalverhältnis  annehmen.  Hier  hat  man 
wirklich  zwei  Erscheinungen  vor  sich:  Ich  kann  meine  Be- 
dOrfniserregung  und  mein  Wertgeftihl  unmittelbar  beobachten. 
Aber  damit  wäre  mir  nicht  gedient,  da  es  nicht  bloß  auf 
meine  Wertgefühle,  sondern  auch  auf  die  aller  anderen 
Wirtschaftssubjekte  ankommt  und  diesen  gegenüber  bin  ich, 
weil  ich  ihre  psychischen  Erscheinungen  ja  nicht  beobachten 
kann,  in  genau  derselben  Lage  wie  vorher,  das  heißt,  als 
ich  auf  Introspektion  verzichtete.  Denn  wenn  ich  die  Re- 
sultate der  Introspektion  überhaupt  verwerten  will,  so  bin 
ich  genötigt  die  Hypothese  zu  machen,  daß  die  Wertungs- 
prozesse aller  andern  Leute  in  ähnlicher  Weise  vor  sich 
geben,  wie  die  meinen.  Würde  ich  diese  Hypothese  nicht 
miichen,  so  stände  ich  ihnen  ebenso  verständnislos  gegenüber 
wie  bisher.  In  diesem  Falle  müßte  ich  bereit  sein,  es  als 
möglich  anzunehmen,  daß  jemand  anderer  z.  B.  Nahrungs- 
mittel immer  höher  wertet,  je  mehr  er  hat.  Bin  ich  nun 
entschlossen,  eine  solche  Möglichkeit  nicht  zuzulassen  und 
konstruiere  ich  meine  Hypothese,  so  mache  ich  wiederum 
nichts  anderes  als  eine  formale,  willkürliche  Fortsetzung. 
Was  immer  für  Worte  ich  sonst  noch  machen  mag,  um  die 
Hypothese  gerechtfertigt  erscheinen  zu  lassen  oder  gar 
ihren  hypothetischen  Charakter  zu   bemänteln,   so   ist  das 


r»* 


Qg  Qrandiegnng. 

alles  für  die  reine  ökoDOmie  bedeatungslos  und  alle  meta- 
physische oder  soDStwoher  geholte  BegrQDduDg  meioer 
Hypothese  konnte  sie  nicht  retten,  wenn  ihre  Auwendungen 
auf  Result&te  führen  würden,  die  mit  der  Wirklichkeit 
kollidierten.  Ein  Schema  abzogeben,  das  ein  passendes  Bild 
der  ökonomischen  Wirklichkeit  gibt,  das  ist  ihr  einziger 
Zweck,  nur  darin  kann  ihr  Verdienst  liegen,  und  dafür  ist 
es  ganz  gleichgiltig,  woher  sie  stammt  und  wie  sie  geschmückt 
ist.  Es  scheint  uns  wichtig  auf  diesen  Punkt  ao  nach- 
drücklich hinzuweisen,  weil  nichts  so  sehr  geeignet  ist,  das 
Wesen  und  die  architektonischen  Formen  der  Theorie  on- 
verhüllt  und  plastisch  hervortreten  zu  lassen,  and  so  Freund 
und  Feind  in  ihrer  wahren  Gestalt  zu  zeigen,  als  größte 
Rigorosität  in  dieser  Beziehung.  Um  unsere  Hypothese 
plausibel  und  verständlich  zu  machen,  mag  man  ja  immer 
solche  Erörterungen  an  sie  knüpfen.  Sicherlich  wurde  die 
Annahme  dieser  Betrachtungsweise  dadurch  erleichtert.  Nor 
darf  man  sich  nicht  wie  in  der  Regel  bisher  dadurch  ober 
ihr  Wesen  täuschen  lasReo. 

§  8.  Was  ist  also  dieses  Wesen  ?  Was  bleibt  uns  übrig, 
wenn  wir  alles  Bedenkliche  ausscheiden?  Fällt  nicht  das 
W^ertprinzip  mit  der  Zulässigkeit  seiner  psychologischen 
Begründung?  Die  letztere  Frage  ist  zu  verneinen,  und  das 
ist  es,  was  die  Gegner  der  psychologischen  Ökonomie  Ober- 
sehen hüben.  Wenn  wir  aus  allen  den  psychologischen 
Ausführungen  das  fortlassen,  was  uns  keine  ganz  gesicherte 
Grundlage  zu  haben  scheint,  so  bleibt  noch  immer  etwas: 
nämlich  eine  formale  Annahme  zu  methodologischen  Zwecken. 
Das  ist  das  Essentielle  an  der  Sache,  der  exakte  Kern  jener 
Ausführungen,  das,  was  durch  dieselben  wirklich  geleistet 
wird.  Wir  verzichten  auf  die  Wertbypothese  als  eine  Aas- 
sage über  Realitäten,  aber  wir  verzichten  deshalb  noch  nicht 
auf  sie  ü)>erhaupt  Auch  hier  sehen  wir,  wie  verfehlt  es 
ist,  aus  ungemeinen  Gründen  zu  billigen  und  zu  verwerfen: 
Nur  die  Detailunlersuchung  zeigt  uns,  was  brauchbar  und 
was  unhaltbar  ist.    Wir   müssen  und  können    itaraof  ver- 


Erörterung  der  Frage,  usw.  69 

ziehten,   von    einer   Theorie    der  Bedürfaisse   auszugehen, 
wenn  wir  streng  korrekt  sein  wollen.    War  dieselbe  über- 
haupt der  Ausgangspunkt  der  Werttheorie  ?  Auch  wenn  das 
der  Fall  w&re,  würden  wir  unser  Urteil  nicht  ändern ;  denn 
es  kann  sich  etwas  sehr  wohl  als  heuristisches  Hilfsmittel  be- 
währen, waszur  strengen  Ableitung  der  Resultate  nicht  nötig  ist. 
Zwischen  dem  Auffinden  einer  Theorie  und  ihrer  strengen 
Darstellung  besteht  ein  Unterschied;  nicht  alles,  was  zu  ihr 
geführt  hat,  mufi  notwendig  haltbar  sein.    Dafür  gibt  es 
viele  Beispiele  in  der  Geschichte  der  Wissenschaften,   und 
mancher  Gedanke,  der  für  die  Entwicklung  einer  Theorie 
von  gröfiter  Bedeutung  war,   mufi  fallen   gelassen   werden, 
wenn  man  darangeht,  das  Errungene  kritisch  zu  betrachten. 
Aber  deshalb  ist  er  noch  nicht  notwendig  falsch  und  die 
aus   ihm   abgeleiteten   Resultate    noch   nicht    unbrauchbar. 
Es  ist  eine  oft  gemachte  Erfahrung,  daß  der  Weg,  der  tat- 
sächlich zu  wertvollen  Resultaten  geführt  hat,  sich  auf  die 
Dauer  nicht  bewährt.    Und  besonders  häufig  kommt  es  vor, 
dafi  das,  was  man  anfangs  für  fest  auf  Tatsachen  begründet 
liielt,  sich  als   im  Grunde   willkürliche  Annahme  erweist. 
Es  seheint  in  der  Natur  der  Sache  zu  liegen,  daß  die  ersten 
Eroberer  eines  neuen  Gebietes  sich  nicht  ängstlich  um  die 
erkenntnistheoretischen  Grundlagen  bemühen,  vielmehr  diese 
Arbeit  späteren  Entwicklungsstadien   überlassen.    Da  zeigt 
es  sieh  denn,  dafi  das  Gebäude  nicht  so  fest  steht,  als  man 
glaubte;   man   wird   sich  oft   erst  der  Kühnheit   des  Vor- 
gehens bewufit,  wenn  man  auf  seinen  Weg  zurückblickt  und 
oft  stellt  sich  ein  schwindelartiges  Gefühl  ein.    Die  exakten 
Naturwissenschaften  haben  gegenwärtig  diesen  Prozeß  durch- 
zumachen, während  dessen  alles  in  Frage  zu  stehen  scheint. 
Aber  es  ist  nicht  so   schlimm.     Wohl   muß   man   manche 
Grundlage  aufgeben,  die  man  für  felsenfest  gehalten  hat, 
oiineher  Hoffnung  entsagen;  namentlich  bemerkt  man,  daß 
der  wirklich   errungene  Boden  ein   viel   beschränkterer  ist, 
dafi   das   Geleistete    weniger    bedeutet,    als   man   glaubte; 
aber  die  exakten   Resultate   werden    wenig  be- 
rührt  von    der   Revolution    in    den    Grundprin- 


70  Grandlegang. 

zipieD:  Fast  könnte  mitn  sagen,  daß  das  alles  nur  auf 
eine  Eorrigierung  der  Ausdrueksweise  hinauslauft.  Und 
so  steht  es  auch  auf  unserem  Gebiete.  Ich  glaube  allerdings, 
daß  die  Fundamente  unserer  Wissenschaft  der  Erkeuntnis- 
theorie  manches  zu  entschuldigen  geben ;  dafi  man  sie  etwas 
anders  formulieren  muß,  wenn  man  korrekt  sein  will;  auch 
daß  diese  Formulierung  das  Hypothetische,  Willkarlicbe, 
an  der  Sache  mehr  hervortreten  läßt,  auch  der  Ökonomie 
au  Popularität  und  Interesse  nehmen  muß  und  zeigt,  daß 
ihre  Grenzen  recht  enge  und  ihr  Zusammenhang  mit  den 
großen  Fragen  des  menschlichen  Wollens  und  Handeina  nur 
lose  ist;  aber  ich  glaube  auch,  daß  keines  ihrer  wesent- 
lichen Resultate  ernstlich  leidet,  wenn  man  gewisse  Aus- 
gangspunkte aufgibt,  nachdem  sie  geleistet  haben,  was  sie 
sollten. 

Doch,  war  die  Lehre  von  den  Bedürfnissen  wirklich  der 
Ausgangspunkt  der  Werttheorie?  Solche  Fragen  sind  fOr 
ans  außerordentlich  interessant.  Nichts  ist  instruktiver  und 
nichts  fohrt  tiefer  in  das  Verständnis  der  Theorie  als  ihre 
Beantwortung.  Allerdings  ist  sie  schwierig  und  niemals 
kann  sie  ganz  sicher  sein;  aber  stets  wollen  wir  versuchen, 
zu  sehen,  aus  welcher  Quelle  die  leitenden  Gedanken  ent^ 
sprangen  und  vermögen  wir  ihren  Urhebern  gleichsam  oaeh- 
zufühten,  so  haben  wir  damit  meist  auch  alle  zur  Beurteilung 
nötigeu  Elemente  gewonnen.  Ja  wir  haben  sie  dann  erst 
uns  wirklich  zu  eigen  gemacht,  sodaß  wir  weiterbauen,  sehen 
können,  was  wir  von  ihnen  zu  erwarten  haben.  Frage  man 
nun  die  einzelnen  Wirtschaftssubjekte,  was  sie  fOr  eine  be- 
stimmte Menge  irgend  eines  Gutes  zu  geben  bereit  sei«! 
lieber,  als  darauf  zu  verzichten,  so  werden  sie  so  gut  wie 
immer  eine  bestimmte  Antwort  erteilen.  Stets  wird  für 
jedes  Wirtschaftssubjekt  und  jede  Menge  eines  Gutes  eine 
Menge  irgend  eines  andereu  Gutes  augegehen  werden  k&nnen, 
die  es  zu  gehen  l)er(>it  ist,  während  bei  einem  nur  um  wenig 
größeren  „Preise"  kein  Tausch  mehr  zustande  kommt.  Man 
ki>DUte  diesen  Preis  gewiß  mittelst  des  Kostenprinzipes  zu  be- 
schreiben versuchen;  man  könnte  z.B.  manchmal  sagen,  daß  es 


ErOrterang  der  Frage,  usw.  71 

jener  6ei,  der  den  Kosten  entspricht,  die  die  Erzeugung  des 
betreffenden  Gutes  dem  „Käufer''  machen  würde;  allein  das 
würde  die  früher  erwähnten  Nachteile  haben.    Lassenwir 
also    einen   solchen    Erklärungsversuch    lieber 
weg    und    nehmen    wir    einfach    den    Preis   zur 
Kenntnis.    Und   fragen  wir  dieselben  Leute  in  dem- 
selben Zeitpunkte,  was  sie  für  eine  a  n  d  e  r  e  bestimmte 
Menge  desselben  Gutes  zu  geben  bereit  wären,  lieber,  als 
auf   sie   zu    verzichten,    wobei    wir    darauf    achten 
mOssen,    dafi   diese    andere    Menge    nicht    etwa 
andere  Verwendungen  ermögliche,  als  dieerste. 
Notieren  wir  wiederum  die  Antwort.    Wiederholen  wir  unsere 
Frage  so  oft  als  möglich.    Nehmen  wir  an,  da@  die  befragten 
Wirtschaftssubjekte  gegebenenfalls  wirklich  so  und  unter 
denselben  oder  ungefähr  denselben  Verhältnissen  immer  so 
handeln  würden,  eine  Annahme,  die  sicherlich  nicht  stets, 
wohl  aber   annähernd  in  genügend    weitem  Maße  mit  der 
Wirklichkeit  übereinstimmt. 

Nun  tragen   wir   für  jedes  Wirtschaftssubjekt  die  ver- 
schiedenen   Mengen    auf   der    Abszissenachse    eines    recht- 
winkeligen  Koordinatensystemes   und   die   Preise,    die   uns 
dasselbe  angegeben  hat,  als  Ordinaten  auf.    Und  endlich 
verbinden  wir  die   gewonnenen  Flächenpunkte  durch  Inter- 
polation zu  einer  kontinuirlichen  Kurve   und  fingieren, 
dafi  das  Wirtschaftssubjekt  innerhalb  eines  gewissen  luter- 
valles  für  jede,   durch  irgend  eine   Abszisse  versinnlichte 
Menge  den  durch  die  zugehörige  Ordinate  gegebenen  Preis 
geben  würde,  wenn  es  sie  nicht  billiger  erhalten  kann.    Das 
letztere   ist  eine  Fiktion,   weil  nicht  jede  Menge  in  praxi 
m^ich  ist,   da  viele  Güter  nicht  beliebig  teilbar  und  auch 
die  physisch  beliebig  teilbaren  nur  in  gewissen  Quantitäten 
getauscht   werden  können.    Die   durch  diese  Kurve  veran- 
schaulichte Funktion  nun  ist  Alles,   was  wir  brauchen,  zu- 
gleich Alles  was  die  Ökonomen  wirklich  erreichen,  wenn  sie 
Wertpeychologie  treiben.    Durch  jede   weitere  Begründung 
wird  ihre  Natur  nicht  geändert,  sie  wird  nur  verschleiert. 
Allein  warum   heißt  diese  Funktion  die  Wertfunktion? 


70  GruDdlegung. 

zipien:  Fast  kOnnte  mao  sagen,  daß  das  alles  nur  auf 
eine  Korrigierung  der  AuBdrucksneibe  hinanslftuft.  Und 
80  steht  es  auch  auf  unserem  Gebiete.  Ich  glaube  allerdings, 
dafi  die  Fundamente  unserer  WisseDSchaft  der  Erkenntnis- 
theorie manches  zu  entschuldigen  geben ;  daß  man  aie  etwas 
anders  formulieren  muß,  wenn  man  korrekt  sein  will;  auch 
daß  diese  Formulierung  das  Hypothetisehe,  WillkQrliche, 
an  der  Sache  mehr  hervortreten  l&St,  auch  der  Ökonomie 
an  Popularitfit  und  Interesse  nebmen  maß  und  zeigt,  daß 
ihre  Grenzen  recht  enge  und  ihr  Zusammenhang  mit  den 
großen  Fragen  des  menschlichen  WoUens  und  Handelns  nur 
lose  ist;  aber  ich  glanbe  auch,  dafi  keines  ihrer  wesent- 
lichen Resultate  ernstlich  leidet,  wenn  man  gewisse  Aus- 
gangspunkte aufgibt,  nachdem  sie  geleistet  haben,  was  sie 
sollten. 

Doch,  war  die  Lehre  von  den  Bedfirfnissen  wirklieb  der 
Ausgangspunkt  der  Werttheorie?  Solche  Fragen  sind  für 
uns  außerordentlich  interessant.  Nichts  ist  instruktiver  und 
nichts  fahrt  tiefer  in  das  VerstAndnis  der  Theorie  als  ihre 
Beantwortung.  Allerdings  ist  sie  schwierig  und  niemals 
kann  sie  ganz  sicher  sein;  aber  stets  wollen  wir  versuchen, 
zu  sehen ,  aus  welcher  Quelle  die  leitenden  Gedanken  ent- 
sprangen und  vermögen  wir  ihren  Urhebern  gleichsam  nach- 
zufühlen, 80  haben  wir  damit  meist  auch  alle  zur  Beurteilung 
nötigen  Elemente  gewonnen.  Ja  wir  haben  sie  dann  erst 
uns  wirklich  zu  eigen  gemacht,  sodaß  wir  weiterbaLen,  sehen 
können,  was  wir  von  ihnen  zu  erwarten  haben.  Frage  man 
nun  die  einzelnen  Wirtschaftssubjekte,  was  sie  für  eine  be- 
stimmte Menge  irgend  eines  Gutes  zu  geben  bereit  seien 
lieber,  als  darauf  zu  verzichten,  so  werdeu  sie  so  gut  wie 
immer  eine  bestimmte  Antwort  erteileu.  Stets  wird  für 
jedes  Wirtschaftssubjekt  und  jede  Menge  eines  Gutes  eine 
Menge  irfiend  eines  anderen  (iute»  angegeben  werden  können, 
die  es  zu  geben  )>ereit  ist.  w&hrend  bei  einem  nur  um  wenig 
gröfiereu  „Preise"  kein  Tausrli  mehr  zustände  kommt.  Man 
könnte  diesen  Preis  gewiß  mittelst  des  Kostenprinzipes  zu  be- 
schreiben versuchen ;  mau  konnte  z.  B.  manchmal  sagen,  dafies 


ErOrterang  der  Frage,  usw.  71 

jener  sei,  der  den'  Kosten  entspricht,  die  die  Erzeugung  des 
betreffenden  Gutes  dem  „Käufer''  machen  würde;  allein  das 
wQrde  die  früher  erwähnten  Nachteile  haben.  Lassenwir 
also  einen  solchen  Erklärungsversuch  lieber 
weg  and  nehmen  wir  einfach  den  Preis  zur 
Kenntnis.  Und  fragen  wir  dieselben  Leute  in  dem- 
selben Zeitpunkte,  was  sie  für  eine  andere  bestimmte 
Menge  desselben  Gutes  zu  geben  bereit  wären,  lieber,  als 
auf  sie  zu  verzichten,  wobei  wir  darauf  achten 
mOssen,  dafi  diese  andere  Menge  nicht  etwa 
andere  Verwendungen  ermögliche,  als  dieerste. 
Notieren  wir  wiederum  die  Antwort.  Wiederholen  wir  unsere 
Frage  so  oft  als  möglich.  Nehmen  wir  an,  da@  die  befragten 
Wirtschaftssubjekte  gegebenenfalls  wirklich  so  und  unter 
denselben  oder  ungefähr  denselben  Verhältnissen  immer  so 
handeln  würden,  eine  Annahme,  die  sicherlich  nicht  stets, 
wohl  aber  annähernd  in  genügend  weitem  Maße  mit  der 
Wirklichkeit  übereinstimmt. 

Nun  tragen   wir   für  jedes  Wirtschaftssubjekt  die  ver- 
schiedenen   Mengen    auf   der    Abszissenachse    eines    recht- 
winkeligen  Koordinatensystemes   und   die   Preise,    die    uns 
dasselbe  angegeben  hat,  als  Ordiuaten  auf.    Und  endlich 
verbinden  wir  die  gewonnenen  Flächenpunkte  durch  Inter- 
polation zu  einer  kontinuirlichen  Kurve   und  fingieren, 
daß  das  Wirtschaftssubjekt  innerhalb  eines  gewissen  luter- 
vtlles  für  jede,   durch  irgend   eine   Abszisse   versinnlichte 
Menge  den  durch  die  zugehörige  Ordinate  gegebenen  Preis 
geben  würde,  wenn  es  sie  nicht  billiger  erhalten  kann.    Das 
letztere  ist  eine  Fiktion,    weil   nicht  jede  Menge  in  praxi 
möglich  ist,    da  viele  Güter  nicht  beliebig  teilbar  und  auch 
die  physisch  beliebig  teilbaren  nur  in  gewissen  Quantitäten 
getauscht   werden  können.     Die   durch  diese  Kurve  veran- 
schaulichte Funktion  nun  ist  Alles,   was  wir  brauchen,  zu- 
gleich Alles  was  die  Ökonomen  wirklich  erreichen,  wenn  sie 
Wertpsychologie  treiben.    Durch  jede   weitere  Begründung 
wird  ihre  Natur  nicht  geändert,  sie  wird  nur  verschleiert. 
Allein  warum   heißt  diese  Funktion  die  Wertfunktion? 


1 


72  OnindlegaDg. 

Das  ist  nicht  schwer  zu  erklären.  Die  befragten  Wirtscbafts- 
sabjekte  werden  sagen,  dafi  ihnen  eine  bestimmte  Menge 
eines  Gutes  im  äußersten  Falle  soviel  „wert'  und  nicht 
mehr  als  soviel  „wert"'  sei.  Fragte  man  sie  weiter,  warum 
sie  Oberhaupt  einen  Preis  für  ein  bestimmtes  Gut  za  Kahlen 
bereit  sind,  so  würden  sie  antworten,  daß  sie  dasselbe 
brauchen.  In  der  Tat,  man  kannte  den  Grundgedanken 
der  Werttheorie  nicht  präziser  und  populärer  aoadrQckeD, 
als  durch  den  Satz:  Die  Preise  werden  gezahlt,  weil  man 
die  Güter,  far  welche  sie  gezahlt  weiden,  braucht.  Und 
das  nun  ist  der  Ausgangspunkt  der  neueren  Theorie:  Ihr 
Wesen  besteht  darin ,  ein  bestimmtes  Verhalten  der  nach- 
fragenden Wirtschaftssubjekte,  oder  besser  weil  prftnaer, 
eine  bestimmte  Skala  von  Nachfragepreisen  nicht  weiter 
zu  analysieren ,  sondern  als  letzte  Tatsache  hinzunehmen. 
Was  nun  zu  diesem  Vorgehen  veranlaßt,  ist  der  Umstand, 
dag  eine  Analyse  der  Guterquantitäten,  wie  wir  sahen,  wieder 
auf  andere  Guterquantitäten  zurückfahrt,  daß  also,  wenn 
wir  eine  solche  Analyse  versuchten,  sich  die  Erklärung  im 
Kreise  drehen  würde:  Aus  diesem  Grunde  treten  wir  so- 
zusagen einen  Schritt  zurück  von  unserem  Systeme  von 
Guterquantitäten  und  konstruieren  von  außen  einen  Überbau 
von  solchen  Funktionen  über  dieselben,  welcher  ans  die 
zwischen  ihnen  bestehenden  Abhängigkeitsverhältnisse  wieder^ 
spiegeln  solle. 

Das  ist,  wie  angeführt,  unsere  Auffassung.  Aber  aueh 
die  psychologischen  Ökonomen  meinen  tatsächlich  nur  das- 
selbe. Doch  gelangen  sie  auf  einem  etwas  anderen  Wege 
zu  unseren  Funktionen.  Auch  sie  lehnen  es  ab,  jene  Ana* 
lyse  vorzunehmiien,  welche  man  mit  Hilfe  des  Kostenprinxipes 
versuchte.  Audi  sie  gehen  von  bestimmten  sichtbaren  Tat- 
sachen aus.  Sie  drücken  jedoch  diese  Tatsachen  aus  durch 
den  Begriff  des  „Brauchens",  des  Wertes,  und  sie  suchen 
eine  Analyse  dieses  BegrilTes  vorzunehmen,  indem  sie  den- 
iiell)en  auf  die  Bedürfnisse  begründen  und  in  deren  psycho- 
logische und  |ihysiologisclie  Hasen  eingehen.  Nun,  das  letztere 
ist  ersichtlich  eine  Zutat,  die  weder  das  heuristische  Prinzip 


Erörterung  dar  Frage,  usw.  73 

unserer  Werthypothese  noch  auch  für  sie  notwendig  ist. 
Aber  aaeh  der  Begriff  des  Brauchens  ist  sozusagen  zu  weit 
und  bringt  den  Kern  der  Sache,  der  in  einer  tatsächlich  zu 
beobachtenden  Preisgestaltung  besteht,  nicht  scharf  genug 
zum  Ausdrucke;  schon  dieser  Begriff  stellt  einen  Versuch 
zu  einer  Begründung  unserer  Hypothese  dar,  welcher  er- 
kenntnistheoretisch nicht  einwandfrei  ist,  mag  er  auch  in 
den  Anfangsstadien  höchst  nützlich  gewesen  sein. 

Die  Korrektur,  die  wir  vorschlagen,  betrifft  also  im 
Wesentlichen  nur  die  Ausdrucksweise.  Die  Rolle  des 
Wertprinzipes  in  der  Praxis  der  wissenschaftlichen  Arbeit 
wird  dadurch  nicht  beeinträchtigt  —  und  das  ist  es,  was 
viele  seiner  Gegner  übersehen  — ,  wenn  man  über  seine  Natur 
anderer  Ansicht  ist  Präzisieren  wir  denn  nochmals,  was  das 
Wertprinzip  ist:  Eine  hypothetische  Funktion,  an  sich  un- 
reell und  prinzipiell  willkürlich  zu  der  wir  aber  durch 
Tatsachenbeobachtung  veranlaßt  werden.  Wir  haben  oben 
gesagt,  was  an  ihr  hypothetisch  und  was  Tatsachen- 
beobachtung ist. 

Die  Ausdrucksweise  des  Alltages  veranlaßt  uns,  unsere 
Funktion  die  Wertfunktion  zu  nennen,  ohne  daß  darin,  wie 
wv  nun  sehen,  notwendig  irgend  etwas  Psychologisches  oder 
Metaphysisches  liegen  würde  —  stets  haben  wir  nur  gewisse 
wirtschaftliche  Tatsachen  im  Auge,  wenn  wir  von  ihr 
sprechen  oder  ihr  bestimmte  Formcharaktere  zubilligen. 
Das  letztere  ist  nötig.  Wir  könnten  mit  unserer  Funktion 
nichts  anfangen,  wenn  wir  nicht  einiges  über  ihre  Gestalt 
aussagen  könnten.  Einiges,  nicht  alles:  Wir  brauchen 
keineswegs  ihre  exakte  Gleichung  angeben  zu  können,  um 
sie  in  unseren  Gedankengängen  zu  verwerten.  Man  hat  oft 
gemeint,  daß  sie  wertlos  sei,  wenn  wir  das  nicht  können 
und  hat  daraus  eine  Ablehnung  dieser  ganzen  Betrachtungs- 
weise abgeleitet.  Indessen  weiß  jeder  mit  der  höheren  Ana- 
lysis  Vertraute,  daß  gerade  in  derselben  die  Mittel  liegen, 
tun  aus  den  gegebenen  Formcharakteren  einer  Kurve,  auch 
wenn  sie  dieselbe  nicht  vollständig  bestimmen,  die  größt- 
niöglichste    Ausbeute    von    Theoremen    zu    gewinnen.     So 


V.  Kapitel. 
Weitere  Bemerkungen  zu  unserem  Vorgehen. 

(Weitere  Eiläuterungen  zu  Kap.  II,  g  2.) 


5  1.  Ein  Weg  der  Art .  wie  wir  ihn  einzuschlagen 
euchen,  und  wie  wir  ihn  zu  anderen  möglichen  Arten,  die 
Sache  einzuleiten,  in  Gegensatz  stellten,  ist,  was  wir  unter 
„exakt"  verstehen.  Wo  ein  solcher  möglich  ist,  sprechen 
wir  von  einer  exakten  Disziplin.  Sein  Wesen  liegt  darin, 
dafi  man  nur  jene  Schritte  tut,  welche  zur  Erreichung  des 
Zieles  nötig  sind,  und  dieses  Ziel  ist,  ober  eine  Gruppe 
von  Tatsachen  nicht  durch  einfache  individuelle  Beschreibung, 
sondern  durcli  Aufstellung  eines  Schemas,  das  nicht  an  sich 
sondern  nur  in  seinen  Resultaten '  mit  der  Wirklichkat 
übereinstimmen  muß,  einen  Überblick  zu  geben,  und  der 
Vorteil,  um  dessen  willen  er  eingeschlagen  wird,  besteht  in 
verhältnismäßiger  Kärze  und  Einfachheit  und  in  der  Ab- 
scheidung des  Wesentlichen  vom  Unwesentlichen ;  kurz  und 
vulgär  gesagt,  exakt  sein  heißt,  alle  nötigen  und  nur  die 
nötigen  Worte  zu  machen.  Daß  aprioristiscbe  Spekulation 
und  ein  einseitig  deduktives  Vorgehen  uns  so  fem  als 
möglich  liegt,  ist  nun  wohl  zur  GenOge  klar.  Von  WillkOr- 
üchkeiten  sind  wir  gewiß  nicht  frei,  doch  verfolgen  dieselben 
lediglich  methodologische  Zwecke.    Auch  in  diesem  Begriffe 

'  Wu  wir  unter  ^nicht  an  sich  EOndem  nur  in  aeinen  BesalteUn* 
verstehen,  und  daß  darin  weder  eine  Unklarheit,  noch  eina  Haa^ 
epalterei  liegt,  dürfte  dem  Leser  wohl  genügend  klar  sein,  am  im 
der  Notwendigkeit  zu  überheben,  daa  weiter  auuufQhren. 


Weitere  Bemerkungen  zu  unserem  Vorgehen.  77 

des  Exakten  liegt  also  sicherlich  nichts  Anstößiges,  und 
wenn  er  bei  manchen  Nationalökonomen  in  üblem  Rufe 
steht,  so  kann  doch  unsere  Fassung  desselben  kaum  Be- 
denken erregen.  Wir  definieren  ihn  nicht  in  dem  Sinne, 
in  dem  ihn  die  „exakte  Philosophie''  versteht;  wir  fällen, 
wenn  wir  unser  Vorgehen  als  „exakt''  bezeichnen,  kein  ab- 
Ülliges  Urteil  über  andere  Gedankenrichtungen ;  wir  nehmen 
endlich  keine  ungebührliche  Anlehnung  an  die  Physik,  ob- 
gleich wir  keinen  Grund  sehen,  warum  man  für  unsere 
Wissenschaft  einen  anderen  Begriff  der  Exaktizität  kon- 
struieren sollte,  als  für  jene.  Wie  bereits  anläßlich  der 
Diskussion  des  Gesetzbegriffes  gesagt  wurde,  geht  auch  in 
der  Natur  nicht  alles  „exakt"  vor  sich,  und  wenn  man 
trotzdem  so  spricht,  wie  wenn  das  der  Fall  wäre,  so  ist  das 
taeh  dort  nicht  mehr  als  eine  zweckmäßige  Fiktion. 

Der  wichtigste,  praktische  Vorteil  der  exakten  Formu- 
lierung unserer  Ausgangspunkte  ist,  wie  angedeutet,  der, 
diB  uns  dadurch  erspart  wird,  in  die  Psyche  und  in   die 
Grflnde  und  Gesetze  des  wirtschaftlichen  Handelns  als  solchen 
einzugehen.    Es  ist  ein  Satz  von   ganz  fundamentaler  Be- 
deutung, der  noch  nie  entsprechend  hervorgehoben  wurde: 
I)ie  exakte  Ökonomie  ist  keine  Philosophie  des  wirtschaft- 
lichen  Handelns    des    Menschen.     Natürlich    ist   sie   keine 
Philosophie   des   menschlichen   Handelns    tiberliaupt.     Auch 
das  hat   man   nämlich  behauptet;  man  hat  vielfach  gesagt, 
daß  das  menschliche  Handeln  sich  aus  wirtschaftlichen  Mo- 
tiwn   restlos  erklären  lasse.     Was   wir  nun   hervorzuheben 
wQnschen,  ist  nicht  etwa  ein  Urteil  darüber,  ob  das  richtig 
orler  falsch  ist,  sondern,  daß  das  für  jene  Tatsaohengruppo, 
die  wir   als  Gegenstand    der    reinen   Okunoniie   l)e/eichnen, 
Oberhaupt  belanglos  ist,  daß  die  reine  Ökonomie  davon 
nicht    abhängig   ist  und   darüber  nichts   zn   sagen   vermag. 
Sie  ist  keine  Theorie  der  wirtschaftlichen  Motive.    Ob  die- 
«eU>en   im  Wollen   und   Handeln   des   Menschen   eine   große 
oder  kleine  Rolle  spielen,  gehört  nicht  zu  unseren  Problemen. 
Welche   Motive   den  Menschen   bestimmen,   darnach   fragen 
wir  nicht.    Und   das  ist  der  alleinige  Grund,   warum   wir 


V.  Kapitel. 
Weitere  Bemerkungen  zu  unserem  Vorgehen. 

(Weitere  EilänteruiigeD  zu  Kap.  II,  §  2.) 


§  1.  Ein  Weg  der  Art.  wie  wir  ihn  einzuschlagen 
euchen,  und  wie  wir  ihn  zu  anderen  mdglichen  Arten,  die 
Sache  einzuleiten,  in  Gegensatz  stellten,  iet,  was  wir  unter 
„exakt"  verstellen.  Wo  ein  solcher  möglich  ist,  aprechen 
wir  von  einer  exakten  Disziplin.  Sein  Wesen  li^  darin, 
dafi  man  nur  jene  Schritte  tut,  welche  zur  Erreichung  des 
Zieles  nötig  sind,  und  dieses  Ziel  ist.  Über  eine  Gruppe 
von  Tatsachen  nicht  durch  einfache  individuelle  Beschreibung, 
sondern  durch  Aufstellung  eines  Schemas,  das  nicht  an  sich 
sondern  nur  in  seinen  Resultaten '  mit  der  Wirklichkeit 
übereinstimmen  muß ,  einen  Überblick  zu  geben ,  und  der 
Vorteil,  um  dessen  willen  er  eingeschlagen  wird,  besteht  in 
verhältnismäßiger  Kürze  und  Einfachheit  und  in  der  Ab- 
scheidung des  Wesentlichen  vom  Unwesentlichen;  kurz  und 
vulgär  gesagt ,  exakt  sein  heißt ,  alle  nötigen  und  nur  die 
nötigen  Worte  zu  machen.  Daß  aprioristische  Spekalatios 
und  ein  einseitig  deduktives  Vorgehen  uns  so  fem  als 
möglich  liegt,  ist  nun  wohl  zur  GenUge  klar.  Von  WillkQr- 
licbkeiteu  sind  wir  gewiß  nicht  frei,  doch  verfolgen  dieselben 
lediglich  methodologische  Zwecke.     Auch  in  diesem  Begrife 

■  Was  wir  unter  .nicht  an  sich  sondern  nur  in  eein«n  BcHiltaUa* 
verarehen.  und  (lall  darin  weder  eine  Unklarheit,  noch  ein«  flur- 
epaltcrei  liegt,  dürfte  dt-m  Leser  wohl  genügend  klar  Min,  nm  na 
der  Notwendigkeit  zu  überheben,  da»  weiter  auunführeB.  v 


Weitere  Bemerknngen  zu  unserem  Vorgehen.  77 

des  Exakten  liegt  also   sicherlich  nichts  Anstößiges,  und 
wenn   er  bei   manchen   Nationalökonomen   in   üblem  Rufe 
steht,  80  kann  doch  unsere  Fassung  desselben  kaum  Be- 
denken erregen.     Wir  definieren  ihn  nicht  in  dem  Sinne, 
in  dem  ihn  die  „exakte  Philosophie''  versteht;  wir  fällen, 
wenn  wir  unser  Vorgehen  als  „exakt''  bezeichnen,  kein  ab- 
filliges  Urteil  über  andere  Gedankenrichtungen ;  wir  nehmen 
endlich  keine  ungebührliche  Anlehnung  an  die  Physik,  ob- 
gleich wir  keinen  Grund   sehen,  warum  man   für  unsere 
Wissenschaft    einen   anderen   Begriff  der  Exaktizität  kon- 
struieren  sollte,   als  für  jene.    Wie  bereits  anläßlich    der 
Diskussion  des  Gesetzbegriffes  gesagt  wurde,  geht  auch  in 
der  Natur  nicht   alles   „exakt"   vor   sich,  und  wenn  man 
trotzdem  so  spricht,  wie  wenn  das  der  Fall  wäre,  so  ist  das 
aaeh  dort  nicht  mehr  als  eine  zweckmäßige  Fiktion. 

Der  wichtigste,  praktische  Vorteil  der  exakten  Formu- 
lierung unserer  Ausgangspunkte  ist,  wie  angedeutet,  der, 
daß  uns  dadurch  erspart  wird,  in  die  Psyche  und  in  die 
GrQnde  und  Gesetze  des  wirtschaftlichen  Handelns  als  solchen 
einzugehen.  Es  ist  ein  Satz  von  ganz  fundamentaler  Be- 
deutung, der  noch  nie  entsprechend  hervorgehoben  wurde: 
Die  exakte  Ökonomie  ist  keine  Philosophie  des  wirtschaft- 
lichen Handelns  des  Menschen.  Natürlich  ist  sie  keine 
Hiilosophie  des  menschlichen  Handelns  überhaupt.  Auch 
das  hat  man  nämlich  behauptet;  man  hat  vielfach  gesagt, 
daB  das  menschliche  Handeln  sich  aus  wirtschaftlichen  Mo- 
tiven  restlos  erklären  lasse.  Was  wir  nun  hervorzuheben 
wQnschen,  ist  nicht  etwa  ein  Urteil  darüber,  ob  das  richtig 
oder  falsch  ist,  sondern,  daß  das  für  jene  Tatsachengruppe, 
die  wir  als  Gegenstand  der  reinen  Ökonomie  bezeichnen, 
überhaupt  belanglos  ist,  daß  die  reine  Ökonomie  davon 
nicht  abhängig  ist  und  darüber  nichts  zu  sagen  vermag. 
Sie  ist  keine  Theorie  der  wirtschaftlichen  Motive.  Ob  die- 
selben im  Wollen  und  Handeln  des  Menschen  eine  große 
oder  kleine  Rolle  spielen,  gehört  nicht  zu  unseren  Problemen. 
Welche  Motive  den  Menschen  bestimmen,  darnach  fragen 
wir  nicht.    Und  das  ist  der  alleinige  Grund,   warum   wir 


78  Onmdlegnng. 

die  ethischen  Motive  nicht  berOcksichtigen  können.  So 
stehen  wir  also  in  keinem  prinzipiellen  Gegenfiatze  zur  so- 
genannten ethischen  Schule.  Wir  lei^^en  nicht  die  Be- 
deutung ethischer  Momente.  Da  „wirtschaftliches  Handeln' 
von  den  Moti^'en  des  Handelns  unabhängig  ist,  so  sind  Ethik 
und  Wirtschaft  überhaupt  nicht  Grftfien  derselben  Art,  daher 
auch  keine  Gegensätze.  Man  kann  einerseits  aas  wirtschaft- 
lichen Motiven  und  doch  z.  B.  aus  Ungeschick  nicht  b*>i^ 
EChaftlich"  handeln ,  anderseits  kann  man  ganz  aus  alt- 
ruistischen Motiven  handeln  und  doch  „wirtschaftlich"  ver- 
fahren. Wenn  man  z.  B.  Jemand  aus  dem  Wasser  zieht,  so 
ist  das  im  allgemeinen  sicher  altruistisch  gehandelt.  Und 
doch  lassen  sich  aaf  den  Vorgang  gewisse  wirtschaftliche 
Grundsätze  anwenden:  Man  schwimmt  auf  dem  kürzesten 
Wege  auf  den  Betreffenden  zu,  erfaßt  ihn  in  der  zweck- 
mäSigsten  Weise  und  sucht  ihn  so  schnell  wie  möglich  und 
mit  dem  geringsten  Kraftaufwande  als  möglich  wieder  ans 
Land  zu  bringen.  Man  hat  das  formale  Prinzip,  das  wir 
auf  diese  Vorgänge  anwenden  können,  das  wirtschaftliehe 
Prinzip  genannt  und  an  Stelle  der  Hypothese  vom  Egoismus 
gesetzt  Das  ist  sicher  ein  Fortschritt,  aber  wir  bedOrfen 
auch  eines  solchen  Prinzipes,  wie  sich  zeigen  wird,  nicht  weiter. 
Die  Lehre  von  den  Motivationen,  das  Reich  der  Wer- 
tungen geht  uns  nichts  an.  Man  könnte  ja  versucht  sein, 
alle  Wissenschaften,  die  sich  mit  dem  Handeln  der  Menschen 
beschäftigen,  zusammenzufassen  unter  einer  höheren  Einheit, 
unter  dem  Gesichtspunkte  des  Werturteiles.  Dann  wäre 
die  Ökonomie  zu  detinieren  wie  die  Lehre  von  den  wirt- 
schaftlichen Wertungen  und  Ethik,  Ästhetik  usw.  in  ana- 
loger Weise  Aber  wir  können  vom  Standpunkte  der  Öko- 
nomie eine  solche  Zusammenfassung  nicht  zulassen,  weil  sie 
uns  in  Dinge  verwickelt,  die  wir  entbehren  können.  Da.<s 
l^roblem  der  Persönlichkeit,  des  Bewußtseins,  der  Wollungen 
usw.  wurde  von  anderer  Seite  schon  mit  so  viel  Erfolg 
attackiert,  daß  wir  uns  mit  dem  Resultate  dieser  Bestre- 
bungen unmöglich  leichten  Herzens  in  Widerspruch  setzen 
können  und  das  veranlaßt  uns,  mit  dem  Begriffe  des  Wertes 


Weitere  Bemerkungen  zu  unserem  Vorgehen.  gl 

schied  gegenüber  der  Lehre  von  den  Motivationen.  Die 
MotiTe  der  Menschen  mögen  sich  im  Laufe  der  Geschichte 
andern,  ihre  relative  Bedeutung  mag  sich  verschieben;  so 
abstrakte  Gesetze  aber  wie  die  unsem  unterliegen  einer 
solchen  Änderung  nicht  oder  nur  in  Zeiträumen,  von  denen 
wir  keine  Vorstellung  haben. 

Die  ältere  Nationalökonomie  ging  vom  Individualegoismus 
ans.    Im  Sinn  ihrer  Vertreter  war  das  teils  eine  Behauptung 
Ober  das  tatsachliche  Tun  der  Menschen,   teils  eine  Forde- 
rung.    In  Übereinstimmung  mit  der  Naturrechtsphilosophie 
jener  Zeit  suchte  man  im  Individuum  den  Schlüssel  für  das 
Verständnis  des  Soziallebens  und   erhob   bewußt   und  un- 
bewufit  den  Satz  zum  Axiome,  daß  die  freie  Tat  des  Indi- 
vidauma   Staat  und  Gesellschaft  schaffe  und  auch  für  die 
Wirtschaft  entscheidend  sei.    Sodann  suchte  man  nachzu- 
weisen, daß  das  Individuum  nur  von  egoistischen  Motiven 
geleitet  sei  und  auch  geleitet  sein  solle,   weil  durch  die 
freie  Betätigung    der   Individualität    auch    das    allgemeine 
Beste   am   meisten   gefördert  werde.     Der   Egoismus    und 
seine  Entwicklung  zu  voller  Freiheit  wurden  als  das  wünschens- 
werte  Ziel    hingestellt.     Im    Zusammenhange    mit    diesem 
Individualismus  gewann  auch   die  freie  Konkurrenz  die  Be- 
deutung eines  Postulates,  das  zu  einer  Reihe  praktischer 
Forderungen  führte,   wie  Freihandel,   Vertragsfreiheit  usw. 
Ein  stolzer  Bau,  der  halb  Wissenschaft  und  halb  praktisches 
Programm  war,  wurde  auf  diesem  Boden  errichtet.    Oft  ist 
hervorgehoben  worden,  wie  die  ZeitverluUtnisse  diese  An- 
schauungen bedingten,   welche  Bedeutung  ihnen   in  der  Ge- 
schichte der  politischen  Ideen  zukommt  und   wie  und   aus 
welchen   Gründen   eine   Reaktion   dagegen   erfolgte.     Eine 
^ethische"    Auffassung   der   wirtschaftlichen   Erscheinungen 
und  ein    ganzes  Lehrgebäude   der   Negation    des   Egoismus 
wurde    einerseits   und    die    historische   Tatsachenforschung 
andererseits    dagegen    aufgeführt,    al)er    die    Wissenschaft 
gewann  wenig  dabei,  so  wenig,  wie  die  exakte  Naturwissen- 
schaft etwas  dabei  gewinnt,   wenn  an  die  Stelle  des  einen 
philosophischen  Systemes  ein  anderes  tritt.     Aber  das  ist 

?4ehuinp«t*r,  Natiünalökononii*.  (\ 


80  Grandlegung. 

Bewußtsein  wirtschaftlicher  Motive  ist  hier  nicht  nötig; 
jeder  befolgt  den  Grundsatz  des  kleinsten  Kraftaufwandes 
so  gut  er  kann,  und  nur  dort  hört  er  zu  gelten  auf,  wo 
die  Grenzen  vernünftigen  Handelns  aufhören.  Dagegen 
erstreckt  sich  seine  Geltung  auch  über  das  Handeln  der 
Menschen  hinaus  und  läfit  sich  auch  bei  Tieren  beobachten. 
Das  führt  auf  folgende  wichtige  Bemerkung:  Unsere  Ge- 
setze evolvieren  nicht,  sie  gelten  im  Prinzipe  für  den  mo- 
dernen Menschen  ebenso,  wie  für  den  primitivsten,  und  das 
erleichtert  es  uns  sehr,  eine  exakte  Disziplin  aufzurichten, 
legt  uns  allerdings  auch  die  Vermutung  nahe,  daß  wir  die 
Erklärung  für  die  wirtschaftliche  Entwicklung  anderswo 
werden  suchen  müssen,  respektive  daß  die  Entwicklung 
überhaupt  keine  rein  wirtschaftlich  erklärbare  Erscheinung 
ist.  Das  sei  hier  nur  im  Vorübergehen  bemerkt  und  wird 
besser  an  einem  späteren  Orte  erörtert  werden,  wenn  wir 
uns  mit  dem  Inhalte  unserer  Sätze  vertraut  gemacht  haben. 
Sodann  aber  reicht  die  Anwendbarkeit  unserer  Raisonnements 
auch  noch  in  einer  anderen  Beziehung  über  unser  Gebiet 
hinaus,  nämlich  über  die  rein  wirtschaftlichen  Vorgänge: 
alles  menschliche  Handehi  läßt  sich  in  analoger  Weise  wie 
das  wirtschaftliche  als  Tausch,  nämlich  als  Vertausch  eines 
Zustandes  mit  einem  andern  auffassen  und  die  Grenze,  die 
das  wirtschaftliche  von  anderweitigem  Handeln  trennt,  ist 
daher  keine  scharfe.  Betätigungen  jeder  Art,  in  Kunst, 
Sport  usw.  lassen  sich  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  be- 
trachten. Ks  ist  sozusagen  Geschmackssache,  ob  man  einen 
Spaziergang  z.  B.  als  wirtschaftliche  Handlung  auffassen 
will  oder  nicht'.  Möglich  ist  es  jedenfalls,  und  so  könnte 
es  auch  exakte  Theorien  über  diese  Dinge  geben;  auch 
diese  wären  allgemein  giltig,  und  ihre  Sätze  wären  kaum 
einer  Evolution  unterworfen.    Das  ist  ein  wichtiger  Unter- 

^  Wir  haben  ii.  a.  deHhalb  auch  nicht  auf  wirtschaftliche 
Handlungen,  sondern  auf  Güterquantitäten  Gewicht  gelegt,  als  wir 
uuRorc  Disziplin  definierten.  Aber  auch  den  Gutsbefi^riif  kann  man 
innerhalb  weiter  Grenzen  willkürlich  und  für  vordchicdene  Zwecke 
ver8chie<len  abgrenzen. 


Weitere  Bemerkungen  zn  unserem  Vorgehen.  gl 

Khied  gegenüber  der  Lehre  von  den  Motivationen.  Die 
Motive  der  Menschen  mögen  sich  im  Laufe  der  Geschichte 
ändern,  ihre  relative  Bedeutung  mag  sich  verschieben;  so 
abstrakte  Gesetze  aber  wie  die  unsem  unterliegen  einer 
lolehen  Änderung  nicht  oder  nur  in  Zeiträumen,  von  denen 
wir  keine  Vorstellung  haben. 

Die  ftitere  Nationalökonomie  ging  vom  Individualegoismus 
aus.   Im  Sinn  ihrer  Vertreter  war  das  teils  eine  Behauptung 
Aber  das  tatsächliche  Tun  der  Menschen,   teils  eine  Forde- 
rung.   In  Übereinstimmung  mit  der  Naturrechtsphilosophie 
jener  Zeit  suchte  man  im  Individuum  den  Schlüssel  für  das 
Verständnis  des  Soziallebens  und   erhob  bewufit   und  un- 
bewnflt  den  Satz  zum  Axiome,  daß  die  freie  Tat  des  Indi- 
fidnnms   Staat  und  Gesellschaft  schaffe  und  auch  für  die 
Wirtschaft  entscheidend  sei.    Sodann  suchte  man  nacbzu- 
weisen,  dafi  das  Individuum  nur  von  egoistischen  Motiven 
geleitet  sei   und  auch   geleitet  sein  solle,    weil  durch  die 
freie  Betätigung    der   Individualität    auch    das    allgemeine 
Beste   am   meisten   gefördert   werde.     Der   Egoismus    und 
seine  Entwicklung  zu  voller  Freiheit  wurden  als  das  wünschens- 
werte  Ziel    hingestellt.     Im    Zusammenhange    mit    diesem 
Individualismus  gewann  auch   die  freie  Konkurrenz  die  Be- 
deutung eines  Postulates,  das  zu  einer  Reihe  praktischer 
Forderungen  führte,   wie  Freihandel,   Vertragsfreiheit  usw. 
Ein  stolzer  Bau,  der  halb  Wissenschaft  und  halb  praktisches 
Programm  war,  wurde  auf  diesem  Boden  errichtet.    Oft  ist 
kervorgehoben  worden,  wie  die  Zeitverhältnisse  diese  An- 
schauungen bedingten,  welche  Bedeutung  ihnen  in  der  Ge- 
schichte der  politischen  Ideen  zukommt  und  wie  und  aus 
welchen   Gründen   eine   Reaktion   dagegen   erfolgte.     Eine 
iCthische*'    Auffassung   der   wirtschaftlichen   Erscheinungen 
und  ein   ganzes  Lehrgebäude  der   Negation   des   Egoismus 
wurde   einerseits   und    die    historische   Tatsachenforschung 
Andererseits    dagegen    aufgeführt,    aber    die    Wissenschaft 
gewann  wenig  dabei,  so  wenig,  wie  die  exakte  Naturwissen- 
schaft etwas  dabei  gewinnt,  wenn  an  die  Stelle  des  einen 
philosophischen  Systemes  ein  anderes  tritt.     Aber  das  ist 

Sehampeter,  Nationalökonomie.  6 


g2  Gnindlegong. 

nicht  die  Reaktion,  die  wir  von  unserem  Standpunkte  fOr 
nötig  halten,  wenn  sie  auch  sicher  vollberechtigt  war.    Wir 
geben  den  Angreifern  gerne  jene   großen  Probleme  preis, 
die  uns  fremd  sind,  und  die  sich  zur  exakten  Behandlung 
überhaupt  nicht  eignen,   aber  es  ist   uns  mehr  darum  xa 
tun,  zu  zeigen,  dafi  eine  exakte  Disziplin  der  reinen  Öko* 
nomie  ohne  Stellungnahme  dazu  möglich  ist,  ja  ihrem  Wesen 
nach  sogar  keine   solche  Stellungnahme  gestattet,  und  das 
man  das,  was  die  Klassiker    an   reinökonomischen  Wahr- 
heiten erkannten,  aufrecht  erhalten  und  weiter  entwickeln 
kann,  obgleich   ihre  Sozialphilosophie  in  Trümmern   liegt. 
Die  Nationalökonomie  hat  jedoch  aus  dieser  Zeit  noch 
manche  Züge  behalten,   welche  auf  diese  Dinge  hindeuten. 
Ich  spreche  hier  nicht  davon,  daß  jedes  nationalökonomische 
Lehrbuch    Erörterungen    über    Kollektivismus    und   Indivi- 
dualismus, über  Egoismus  und  Altruismus  u.  dergl.  bringt: 
Das  läßt  sich  ja  vom  rein  ökonomischen  Texte  trennen,  und 
ist  oft  durch  didaktische  Rücksichten  geboten.  Aber  schlimmer 
ist,  daß  sich  auch  in  der  reinen  Theorie  und  besonders  in 
deren  Grundlagen  Begriffe  und  Gedankengänge  eingeschlichen 
haben,  welche  geeignet  sind,  die   alten  Einwendungen,  die 
gegenüber    den    Klassikern    berechtigt    waren,    wiederum 
hervorzurufen,  obgleich  die  ganze  Entwicklung  der  neueren 
Ökonomie  dahin  geht,  davon  loszukommen.    Daher  ist  es 
wichtig,  ganz  klar  hervorzuheben,  daß  wir  nicht  behaupten, 
erstens,   daß    das   wirtschaftliche  Handeln   ganz   oder  vor- 
nehmlich  von  Egoismus  geleitet  sei,  zweitens,  daß  das  zum 
Besten  aller  Beteiligten  führe,  drittens,  daß  eine  Tendenz 
dazu    bestehe,    den    Individualegoismus    immer   mehr   zur 
Geltung  zu  bringen.    Was  in  der  neueren  Nationalökonomie 
an  diese  Dinge  anklingt,  hat  einen  ganz  anderen  Sinn,  als 
in  der  älteren,  ist  nicht  mehr  Behauptung  oder  Forde- 
rung,  sondern  lediglich  methodisches  Hilfsmittel.   Diese 
Auffassung  verbreitet  sofort  Klarheit  über  unseren  Weg  und 
verscheucht    metaphysische    Unklarheiten    sehr    gründlich. 
Sie   ermöglicht  uns  unsere  Position  zu   halten,   mit  jedem 
Worte  einen  klaren  Sinn  zu  verbinden,  über  den  kein  Streit 


Weitere  Bemerkimgen  zu  unserem  Vorgehen.  83 

möglich  ist  allerdings  um  den  Preis  der  Aufgabe  vieler 
interessanter  und  kühner  Behauptungen.  Selbst  ein  Gegner 
der  Klassiker  hat  gesagt,  dafi  sich  die  tiefsten  Fragen  der 
Ökonomie  nicht  „durch  mathematische  Formeln,  sondern 
nor  durch  Anschluß  an  Geschiebte  und  Philosophie"  lösen 
lassen.  Allerdings  dachte  er  offenbar  besonders  an  prak- 
tische Fragen,  namentlich  die  der  Sozialpolitik  u.  a. 

Darauf  müssen  wir  jedoch  entgegnen,  daß  diese  Fragen 
ebai  nicht  Fragen  der  exakten  Ökonomie  sind  und  daß  sie, 
soweit   Philosophie    irgendwelcher    Art    ins    Spiel    kommt, 
wissenschaftlichen    Charakters    überhaupt    entbehren.      Ein 
Beispiel  dafür  sind  die  Probleme  der  Steuerpolitik.    Fragt 
man,  wie  eine  Steuer  wirkt,  so  ist  das  eine  ökonomische 
Frage,  und  diese  läßt  sich  ökonomisch  lösen,    wobei  mathe- 
matische Formeln  sehr  nützlich  sind.    Fragt  man  aber,  ob 
eine  Steuer  „gerecht''  sei,  dann  hat  man  zu  sagen,  was  man 
ODter   „gerecht''    versteht,    ehe   man   sie   lösen   kann.    An 
diesem   Punkte    hört    wissenschaftliche    Behandlung    über- 
haupt auf.    Ist  man  jedoch  über   denselben  einmal   einig, 
dann  kann  die  wissenschaftliche  Diskussion  beginnen.    Wir 
wollen  nun   mit  Philosophien,  wie  die  über  das  Gerechtig- 
kdtsidealy   nichts   zu  tun   haben  und   wenden  uns  mit  der 
größten   Entschiedenheit    von    dem   Wortschwalle   ab,    der 
unter  diesem  Namen  die  ökonomischen  Diskussionen   über- 
schwemmt.   Gewiß   ist   auch  eine   solche   Betrachtung  der 
wirtschaftlichen  Tatsachen  möglich:  Wie  das  vielgestaltige 
Handeln   des  Menschen  die  verschiedensten   Urteile  auszu- 
losen vermag,   so  kann  es  auch  wissenschaftlich  und  außer- 
wissenschaftlich von  den  verschiedensten   Seiten  betrachtet 
werden.    Aber  wir  wollen  beschreiben  und  sonst  nichts. 
Wir  verurteilen  gewiß  nicht  eine  andere  Auffassung,  aber 
wir  halten  uns  davon  ferne. 

§  2.   Präzisieren  wir  nochmals,  was  wir  über  das  Moment 

des  Egoismus  als  die  Grundlage  der  reinen  Ökonomie  zu 

^gen  haben. 

Dasselbe  stellt  sich  als  eine  Hypothese  dar,  die  allerdings, 

6* 


g4  Grundlegung. 

wenn  man  unsere  Bedenken  gegen  ein  Ausgehen  von  deo 
Motiven  nicht  teilt,  im  großen  und  ganzen  als  mehr  gesichert 
betrachtet  werden  kann, als  ihre  Gegner  meinen.  Wie  nachgerade 
hervorzuheben  an  der  Zeit  ist,  könnte  man  sagen,  daB  die 
egoistische  Handlungsweise  ein  Gebot  der  Natur  ist,  auf 
dessen  Nichtbefolgung  Todesstrafe  steht,  und  daB  deshalb 
der  Egoismus  unter  allen  Motiven  des  ^[enschen  immer  eine 
grofie  Rolle  spielen  wird.  Deshalb  würde  er  sicher  gestatten, 
das  menschliche  Handeln  zu  einem  Teile  zu  erklftren.  Aber 
dessen  Größe  verschiedene  Ansichten  möglich  sind,  der  aber 
jedenfalls  erheblich  ist.  Abgesehen  davon  hat  es  auch 
dann  Interesse,  jene  Handlungsweise  festzustellen,  welche 
Konsequenz  egoistischer  Motive  wäre,  wenn  man  sich  gans 
darüber  klar  ist,  daß  der  Mensch  tatsächlich  nicht  darnach 
handelt;  denn  immer  würde  er  seine  egoistischen  Motive 
gegen  seine  nichtegoistischen  abwägen  und  sich  klar  zu 
machen  suchen,  was  er  aufgibt,  wenn  er  nicht  egoistisch 
handelt.  Auch  die  ethischen  Motive  haben  ihr  Gesetz  und 
sind  weder  unendlich  noch  beliebig,  sondern  stehen  in  festen 
Verhältnissen  zu  den  übrigen.  Aus  diesem  Grunde  wären 
die  Konsequenzen  des  Individualegoismus  keineswegs  so  be- 
langlos, wie  manche  Schriftsteller  zu  glauben  scheinen. 
Nimmt  man  allerdings  eine  Hypothese  des  Individualegoismus 
zum  Ausgangspunkte  unserer  Disziplin,  so  kann  man  der 
Frage  nicht  ausweichen,  inwieweit  derselbe  wirklich  herrscht, 
und  von  welchen  Zielen  er  geleitet  ist,  obgleich  das  im 
Sinne  des  Gesagten  nicht  für  die  Richtigkeit  sondern  nur 
für  die  Bedeutung  der  Resultate  wichtig  wäre.  Dabei 
müßte  man  aber  immer  untersuchen,  inwieweit  man  die 
Hypothese  wirklich  braucht,  um  eine  eventuelle  Kontroverse 
auf  ein  möglichst  enges  Gebiet  einzuschränken.  Es  ist  sicher, 
daß  die  dem  Individuum  bewußten  Motive  seiner  Handlungen 
nicht  lediglich  egoistischer  Natur  sind  und  dann  auch,  daß 
der  Individualegoismus  nicht  lediglich  auf  wirtschaftlichen 
sondern  auch  auf  anderen  Momenten  beruht.  Die  erstere 
Erkenntnis  vernichtet  die  Theorie,  daß  der  Mensch  lediglich 
Egoist  sei,  nur  dann  nicht,  wenn  man  den  Egoismus  so  weit 


Weitere  BemerkoDgeD  zu  unserem  Vorgehen.  85 

defiDiert,  daß  auch  jede  Betätiguog  des  Altruismus  aus  dem 
Grande,  weil  sie  ein  Bedürfnis  befriedigt,  darunter  fällt, 
ein  Auskunftsmittel ,  welches  die  Theorie  zu  einer  Selbst- 
TersüUidlichkeit  herabdrückt.  Die  letztere  Erkenntnis  nimmt 
dem  Individual-Egoismus  jene  Einfachheit  und  Einheitlichkeit 
welche  ihn  als  Erklärungsprinzip  so  sehr  empfiehlt.  Wille 
zur  Macht,  Freude  an  der  Anstrengung  und  ähnliche  Dinge 
machen  es  notwendig,  zwischen  einem  eudämonistischen 
oder  hedonistischen  und  einem  energischen  oder  volunta- 
ristisehen  Egoismus  zu  unterscheiden,  und  man  kann  uns 
daher  kaum  vorwerfen,  daß  wir  auf  ein  so  sehr  einfaches 
HiÜBmittel  verzichten,  wenn  wir  von  Egoismus  nichts  wissen 
wollen,  gar  nicht  zu  reden  von  den  Einwendungen  historischer 
UBd  sozialer  Natur,  denen  solch  ein  Ausgangspunkt  sicher- 
lich —  mit  Recht  oder  Unrecht  —  begegnet.  Wir  können 
Tielmehr  froh  sein,  daß  wir  hedonistischer  u.  ä.  Hypothesen 
zar  Erklftrung  der  Preiserscheinung  nicht  bedürfen,  und 
sollte  an  irgend  einer  Stelle  derartiges  doch  notwendig 
werden,  so  wird  man  gut  tun,  seine  Annahmen  auf  das 
Notwendigste  und  vor  allem  auf  das  konkrete  Problem,  für 
das  sie  notwendig  sind,  zu  beschränken. 

Wir  halten  es  auch  nicht  für  nötig,  einen  homo  oecono- 
nicas,  eine  Art  Personifizierung  des  hedonischen  Egoismus 
za  konstruieren  wie  es  öfter  geschah.  Nicht  als  ob  wir  das 
für  prinzipiell  falsch  hielten;  wir  verstehen  vollkommen,  daß 
die  Autoren  dieser  Hilfskonstruktion  nichts  Unrichtiges 
meinen,  aber  wir  finden,  daß  wir  sie  entbehren  können  und 
vermeiden  sie  daher.  Wir  betrachten  auch  nicht  von  vorn- 
herein einen  homme  moyen.  Mitunter  kann  es  zweckmäßig 
^in,  die  Behauptung  aufzustellen,  daß  die  Wertfuuktionen 
verschiedener  Individuen  einander  ähnlich  sind.  Das  können 
wir  freilich  nie  strikte  beweisen,  und  ein  so  gewonnenes 
Resultat  bedarf  sicherlich  der  Bestätigung  an  den  Tatsachen, 
wobei  sich  dann  ebensogut  zeigen  kann,  daß  es  sich  über- 
raschend bewährt,  mehr  als  wir  erwarteten,  sozusagen  wahrer 
ist  als  seine  Vorraussetzung,  wie  auch,  daß  ein  auf  breitester 
Basis  stehendes  Resultat,  das  aus  den  gesichertsten  Voraus- 


86  GniDdlegnnf;. 

BetzuDgeo  deduziert  oder  aus  der  reichsteo  Beobachtung 
induziert  ist,  in  Folge  irgend  welcher  Umstftnde  ganz  klfigUch 
versagt ;  aber  wir  werden  diese  Annahme  erst  in  dem  Momente 
machen,  wo  sie  uns  zweckmäßig  erscheint  und  dann  nur 
auf  den  betreffenden  Fall  beschränken. 

Endlich  halten  wir  es  auch  nicht  für  nOtig,  unsere 
Resultate  auf  den  ordinär;  business  man  zu  beühranken, 
wie  es  A.  Marshall  tut.  Sicherlich  steht  uns  diese  Kon- 
struktion —  denn  eine  solche  ist  auch  dieser,  scheinbar 
unmittelbar  auf  die  Beobachtung  der  Wirklichkeit  basierte 
Begriff  —  am  n&chsten.  Wir  wollen  nur  Oberhaupt  nicht 
auf  die  handelnden  Menschen  sehen,  sondern  nur  auf  die 
Gatermengeoinderen  Besitze:  Wir  wollen  deren  Verftodernngen 
oder  richtiger,  eine  gewisse  Art  ihrer  Ver&ndeningen  be- 
schreiben ,  wie  wenn  sie  sich  automatisch  vollzögen ,  ohne 
die  Menschen,  die  dieselben  tatsächlich  bewirken,  weiter  zu 
beachten.  Ftlr  viele  der  Zwecke  der  Nationalökonomie  in 
ihrem  weiteren  und  Üblicheren  Sinne,  mag  diese  Betrachtungs- 
weise nicht  ausreichen  und  eine  andere  besser  sein;  vom 
Staud]iunkte  der  reinen  Ökonomie  aber  ist  sie  u.  £.  die 
passende.  Schärfer  als  irgendeine  hebt  sie  das  Wesen  ihrer 
Sätze  hervor  und  sie  ist  nichts  anderes,  als  der  exakte  Kern 
dessen ,  was  die  Ökonomen  uns  über  Motive  usw.  zu  sageu 
haben  —  mag  sie  sich  auch  auf  den  ersteu  Blick  wenig 
empfehlend  ausnehmen. 

Das  ist  es  deuu,  was  von  diesem  Teile  des  ftlteroi 
Systemes  der  Ökonomie  Übrig  bleibt:  Wenn  man  absieht 
von  politischen,  ethischen  u.  a.  Einwendungen  verschiedener 
Art  und  sieb  auf  das  Gebiet  der  reiutheoretischen  DiskussioD. 
beschränkt,  so  kann  man  sageu,  daß  durch  kritische  Arbeit 
in  ununterlirochenem  Entwicklungsgänge  sich  drei  Typen 
von  Betrachtungsweisen  herauskristallisiert  haben,  die  ällo 
Leistungen  darstellen,  die  nicht  ohne  Wert  sind  und  den 
methodischen  Hilfsmitteln  auch  besser  entwickelter  WisseiH 
Schäften  an  die  Seite  gestellt  werden  kOnneu:  Jene  mit 
Hilfe  des  homo  oeconomifus  —  der  hedonischen  Rechen- 
mascliine  —  jene  des  ordinary  business  man  und  die  tos 


Weitere  BemerkuDgen  zu  nneerem  Vorgehen.  g7 

mir  vertretene.    Alle  drei  sind  „richtig",  das  heißt  frei  von 
Unklarheiten  und  prinzipiellen  Fehlern,  und  alle  drei  gehen 
in  ihren  Wurzeln  bis  auf  die  Anfänge  unserer  Wissenschaft 
zurück;   aber  doch  sind  sie   sehr  verschieden.     Der  homo 
oeconomicus   ist  eine   Konstruktion,    deren   hypothetischer 
Charakter  nunmehr  erkannt  ist,  wodurch  er  sich  vom  wirt- 
schaftenden   Individuum    der    Frtlheren,    dessen    wirkliche 
Existenz   behauptet   wurde,    unterscheidet.     Der   ordinary 
business  man  stellt  eine  Berücksichtigung  der  neueren  An- 
schauungen über  die  Motive  des  Menschen  und  den  loyalsten 
Versuch  dar,  die  Lehre  der  Klassiker  mit  denselben  in  Ein- 
klang zu  bringen.    Unsere  Betrachtungsweise  ist  sicherlich 
die  strengste  und  klarste  und  u.  E.  dort  vorzuziehen,  wo 
es  sich    um   korrekte   Hervorhebung   des  Wesens  unserer 
Disziplin  handelt;  aber  nur  dort,  in  anderen  Fällen  steht 
es  jedermann  frei,   zwischen  den  anderen  Eventualitäten  zu 
wfthlen. 


VI.  Kapitel. 
Der  methodologische  Individualisnitts. 


§  1.  Wir  haben  die  Unklarheiten,  die  um  die  Wert- 
hypothese und  um  das  Problem  der  Motive  des  menschlichen 
Handelns  herumliegen,  aus  unserem  Wege  entfernt  Es 
erübrigt  nur  noch  zu  rechtfertigen,  daß  auch  wir  vom  Güter- 
besitze des  Individuums  ausgehen.  Wir  müssen  sicher 
erwarten,  daß  das  auf  einigen  Widerspruch  stoßen  wird,  da 
bekanntlich  die  individualistische  Betrachtungsweise  gegen- 
gegenwärtig vielfach  als  verfehlt  angesehen  wird:  Der 
Atomismus  ist  ja  einer  der  beliebtesten  Angriffspunkte  der 
Gegner  der  Theorie.  Die  Betrachtung  der  Klassiker  ging 
vom  Individuum  aus  und  die  neuere  Ökonomie  ist  derselben 
im  großen  und  ganzen  gefolgt  und  hat  sich  so  denselben 
Angriffen  ausgesetzt,  welche  zuerst  gegen  die  ersten  gerichtet 
wurden.  Der  Gegner  der  Theorie  ist  sich  im  allgemeinen 
nicht  bewußt,  daß  ein  und  was  für  ein  Unterschied  zwischen 
dem  alten  und  dem  neuen  System  der  Ökonomie  in  diesem 
Punkte  l)esteht  und  richtet  seine  Argumente  meist  unter- 
schiedlos gegen  l)eide.  Die  Theoretiker  sind  die  Antwort 
nicht  schuldig  geblieben ,  und  wir  haben  eine  jener  Kontro- 
versen vor  uns,  welche  jene  eigentümliche  Resultatlosigkeit 
aufweisen,  die  wir  bei  so  vielen  die  Grundfragen  unserer  Dis- 
ziplin betreffenden  Diskussionen  finden:  Beide  Teile  halten 
sich  allgemeine  Argumente  vor  und  verteidigen  dieselben 
mit  einer  durch  die  angenommene  politische  und  soziale 
Tragweite  derselben  bedingten  Erbitterung.    Natürlich  kann 


Der  methodologische  Individualismas.  89 

SO  gar  nie  eine  Verständigung  erzielt  werden,  und  oft  sieht 

es  so  aus,  als  ob  eine  solche  gar  nicht  beabsichtigt  wäre; 

und  wiederum  ist  kaum  etwas  anderes  zur  Aufklärung  der 

Sache   nötig,   als  sich   mit   Ruhe  zu   fragen,   far   welche 

Probleme  und  Zwecke,  die  sich  gegenüberstehenden  Ansichten 

eigentlich  gemeint  sind.    Wenn  man  das  tut,  bemerkt  man, 

dafi  der  Streit  seinen  odiosen  Charakter  verliert  und  sich 

die  Schwierigkeitei^  ganz  von  selbst  auflösen.    Das  wollen 

wir  denn  auch  in  aller  Ruhe  tun.    Zunächst  wollen  wir  die 

Einwendungen  der  Gegner  der   Theorie  gegen  die  indi-. 

vidualistische  Auffassung  der  Dinge  betrachten  und  sodann 

verschiedene   Tendenzen    innerhalb   der   Theorie   selbst, 

welche  den  gleichen  Zweck  verfolgen. 

Was  wollten  die  Kritiker  des  klassischen  Systemes,  als 
sie  die  individualistische  Grundlage  desselben  angriffen? 
Wie  fast  alle  Angriffe  gegen  das  klassische  System,  so 
richtet  sich  auch  dieser  vornehmlich  gegen  gewisse  praktische 
Spitzen.  Der  Individualismus  ist  dem  Sozialismus  und  jeder 
Art  von  Sozialpolitik  in  größerem  oder  geringerem  Mafie 
entgegengesetzt,  den  Schlagworten  vom  „freien  Spiele  der 
wirtschaftlichen  Kräfte *",  der  individuellen  Initiative  und 
Verantwortlichkeit  wurden  andere  Schlagworte  gegenOber- 
gestellt.  Die  politische  Niederlage  des  individualistischen 
Liberalismus  schädigte  auch  das  wissenschaftliche  Ansehen 
jener  Werke ,  in  denen  im  scheinbaren  Zusammenhange  mit 
den  Grundlagen  der  reinen  Ökonomie  individualistische 
Poetulate  aufgestellt  wurden.  Das  sind  alles  sehr  bekannte 
liinge.  Man  weiß  auch,  wie  die  gewaltige  Entwicklung  der 
sozialpolitischen  Bestrebungen,  an  der  die  wissenschaftlichen 
Kreise  so  hervorragenden  Anteil  nahmen,  dazu  führte,  daß 
Qttn  sich  mit  Heftigkeit  aus  ethischen  nicht  weniger  als 
&^  politischen  Gründen  gegen  den  Individualismus  wandte. 
Ei^rgisch  hielt  man  dem  Individuum  vor,  daß  es  seine 
^stenz  und  seine  Entwicklung  der  Gesellschaft  verdanke, 
^  die  Frucht  seiner  Arbeit  nicht  ihm  allein  gehöre.  Doch 
genug  davon.  Es  ist  nicht  zu  viel  behauptet,  wenn  man 
^t   daß   die   Animosität  gegen   den   Atomismus   in   der 


92  Orundlegung. 

Ud6  scheint  die  erwähnte  Tendenz  zu  eiDem  grofien 
Teile  aus  der  eben  besprochenen  hervoi^egangen  zu  seio. 
Der  Sozjalpolitiker  und  der  Nationalökonom  sind  ja  sehr 
oft  eine  und  dieselbe  Person.  Legt  der  erstere  so  sehr  auf 
soziale  Momente  Grewicht,  so  liegt  es  fflr  den  letzteren  nahe, 
dasselbe  zu  tun.  Wir  werden  dem  gegenüber  aof  das  Ge- 
sagte hinweisen,  n&mlich,  daß  dieser  Zusammenhang  kein 
notwendiger  sei.  Doch  können  wir  Ober  die  wissenschaft- 
liche Auffassung  dieser  Gruppe  nicht  ohne  weiteres  hinw^- 
gehen,  sondern  müssen  sie  an  sieh  betrachten.  Zu  einem 
anderen  Teile  kommt  uns  von  der  Biologie  und  der.SQzio- 
loRie  her  eine  Anregung  in  derselben  Richtung.  Manche 
biologen  sprechen  von  einem  „erreur  indiTidualiste",  der 
darin  liege,  dafi  man  das  Individuum  zu  sehr  an  sieb  be- 
trachte, wahrend  es  doch  nichts  anderes  sei  als  ein  Glied 
in  der  Kette  einer  langen  EntwickluDg.  In  JÜinlieher  Weise 
meinen  manche  Ökonomen  ausgehend  von  der  Tatsache, 
daß  der  Mensch  allein  nicht  leben  könne  und  nur  aus  seioem 
sozialen  Milieu  heraus  zu  verstehen,  femer  tausenderlei 
sozialen  Einflüssen  unterworfen  sei,  welche  an  dem  Einzelnen 
schlechterdings  nicht  studiert  werden  können,  daß  eine  indi- 
I  vidualistische  Ökonomie  wenig  Wert  habe,  und  viele  Sfi^ie- 
Ijlgen  haben  uns  Ähnliches  gesagt.  Auch  noch  direkter  hat 
die  Biologie  Einfluß  genommen,  nftmlich  durch  das  Medium 
der  sogenannten  organischen  Staatsauffassung,  welche  uns 
jedoch  hier  nicht  weiter  interessiert.  Das  dritte  Element 
der  in  Rede  stehenden  Tendenz  endlich  bilden  maaehe 
Theoretiker,  welche  mit  dem  Begriffe  der  Gesellschaft  und 
des  gesellschaftlichen  Wertes  auch  innerhalb  der  reinen 
Theorie  operieren. 

Gehen  wir  nun  etwas  näher  auf  dieselbe  ein.  Es  wfirde 
uns  wenig  frommen  in  die  allgemeine  Diskussion  einzutreten, 
welche  übrigens  nur  zu  bekannt  ist  Wollten  wir  z.  B.  du 
Wesen  der  Volkswirtschaft  untersuchen,  so  mOfiten  vir  xn 
den  beiden  Auffassungen  Stellung  nehmen,  welche  die  ent- 
gegengesetzten Standpunkte  auf  diesem  Gebiete  scharf  cha- 
rakterisieren.   Es  sind  das  die  Auffassungen  der  Volks- 


Der  methodologische  lodividoalismus.  91 

ausgehe.  Die  Frage  ist  nun  lediglich  die,  ob  dieser  Aus- 
gangspankt  zweckmäßig  sei  und  ausreichend  weit  führe  oder 
ob  man  für  manche  Probleme  oder  die  ganze  National- 
ökonomie besser  die  Gesellschaft  zum  Ausgangspunkte  wähle. 
Das  aber  ist  lediglich  eine  methodologische  Frage  ohne  jede 
prinzipielle  Bedeutung.  Der  Sozialist  kann  sie  im*  Sinne 
des  methodologischen  Individualismus ,  der  politische  Indi- 
vidualist im  Sinne  einer  sozialen  Betrachtungsweise  lösen, 
ohne  mit  sich  selbst  in  einen  Widerspruch  zu  geraten* 
Damit  haben  wir  etwas  erreicht:  Wir  haben  unsere  Frage 
der  praktischen  Tragweite  und  der  Dornenkrone  des  aktu- 
ellen Interesses  entkleidet.  Das  ist  in  der  neueren  Ökonomie 
anch  sonst  schon  in  ziemlichem  Umfange  geschehen  und 
darin  liegt  ein  großer,  —  vielleicht  der  gröfite  —  Unter- 
schied zwischen  dem  modernen  und  dem  älteren  System  ^ 
derselben.  Bei  ersterem  ist  es  oft  schwer,  reine  Theorie 
und  praktische  Stellungnahme  zu  sondern,  obgleich  es  meist 
möglich  ist,  das  letztere  hält  sich  mehr  von  Abschweifungen 
frei  und  manche  Theoretiker  haben  die  Gemeinschaft  mit 
dem  ^Manchestertum''  energisch  abgelehnt.  Freilich  wird 
immer  wieder  dagegen  verstoßen  und  soweit  haben  die 
Oegoer  Recht,  aber  im  Ganzen  kann  man  die  Wissenschaft 
als  von  diesem  Hemmschuh  befreit  ansehen. 

Nun  wenden  wir  uns  dem  zweiten  Teile  unserer  Auf- 
gabe zu.  Dabei  müssen  wir  bemerken,  daß  wir  an  dieser 
Stelle  nicht  viel  mehr  tun  können,  als  zu  zeigen,  daß  wir 
die  erhobenen  Einwendungen  kennen,  und  wie  wir  über  sie 
denken;  eine  erschöpfende  Antwort  auf  diese  ganze  Frage 
gibt  nur  die  Gesamtheit  unserer  Erörterungen. 

Die  individuelle  Betrachtungsweise  durch  eine  soziale 
m  ersetzen  oder  wenigstens  das  soziale  Moment  mehr  zu 
berücksichtigen,  ist  eines  der  wichtigsten  Desiderata,  eines, 
das  man  sehr  häufig  hören  kann.  Würde  man  jemand 
fragen,  was  er  für  die  dringendste  Reform  auf.  unserem 
Gebiete  halte,  so  würde  er  unter  anderen  unfehlbar  diesen 
Punkt  nennen.  Doch  wie  soll  denn  das  geschehen  und 
welchen  Vorteil  hätten  wir  davon? 


92  Grundlegung. 

Uns  scheint  die  erwähnte  Tendenz  zu  einem  großen 
Teile  aus  der  eben  besprochenen  hervorgegangen  zu  sein. 
Der  Sozialpolitiker  und  der  Nationalökonom  sind  ja  sehr 
oft  eine  und  dieselbe  Person.  Legt  der  erstere  so  sehr  auf 
soziale  Momente  Gewicht,  so  liegt  es  für  den  letzteren  nahe, 
dasselbe  zu  tun.  Wir  werden  dem  gegenüber  auf  das  Ge- 
sagte hinweisen,  nämlich,  dafi  dieser  Zusammenhang  kein 
notwendiger  sei.  Doch  können  wir  über  die  wissenschaft- 
liche Auffassung  dieser  Gruppe  nicht  ohne  weiteres  hinweg- 
gehen, sondem  müssen  sie  an  sich  betrachten.  Zu  einem 
anderen  Teile  kommt  uns  von  der  Biologie  und  der  Sozio- 
loficie  her  eine  Anregung  in  derselben  Richtung.  Manche 
biologen  sprechen  von  einem  „erreur  individualiste'',  der 
darin  liege,  dafi  man  das  Individuum  zu  sehr  an  sich  be- 
trachte, während  es  doch  nichts  anderes  sei  als  ein  Glied 
in  der  Kette  einer  langen  Entwicklung.  In  ähnlicher  Weise 
meinen  manche  Ökonomen  ausgehend  von  der  Tatsache, 
dafi  der  Mensch  allein  nicht  leben  könne  und  nur  aus  seinem 
sozialen  Milieu  heraus  zu  verstehen,  femer  tausenderlei 
sozialen  Einflüssen  unterworfen  sei,  welche  an  dem  Einzelneu 
schlechterdings  nicht  studiert  werden  können,  dafi  eine  indi- 
vidualistische Ökonomie  wenig  Wert  habe,  und  viele  Sozio- 
logen haben  uns  Ähnliches  gesagt.  Auch  noch  direkter  hat 
die  Biologie  Einflufi  genommen,  nämlich  durch  das  Medium 
der  sogenannten  organischen  Staatsauffassung,  welche  uns 
jedoch  hier  nicht  weiter  interessiert.  Das  dritte  Element 
der  in  Rede  stehenden  Tendenz  endlich  bilden  manche 
Theoretiker,  welche  mit  dem  Begriffe  der  Gesellschaft  und 
des  gesellschaftlichen  Wertes  auch  innerhalb  der  reinen 
Theorie  operieren. 

Gehen  wir  nun  etwas  näher  auf  dieselbe  ein.  Es  würde 
uns  wenig  frommen  in  die  allgemeine  Diskussion  einzutreten, 
welche  übrigens  nur  zu  bekannt  ist.  Wollten  wir  z.  B.  das 
Wesen  der  Volkswirtschaft  untersuchen,  so  müfiten  wir  zu 
den  beiden  Auffassungen  Stellung  nehmen,  welche  die  ent- 
gegengesetzten Standpunkte  auf  diesem  Gebiete  scharf  cha- 
rakterisieren.   Es   sind   das  die   Auffassungen   der   Volks- 


Der  methodologische  Individualismus.  93 

wirteehaft  einerseits  als  „Organismus"  und  anderseits  als 
»Resultante  des  wirtschaftlichen  Handelns  und  Seins  der 
Indiyidaalitäten''.  Wir  sehen  hier  wieder  einmal,  da6  gar 
nichts  leichter  ist,  als  beide  Auffassungen  mit  allgemeinen 
Gründen  zu  verteidigen.  Jede  Massenerscheinung  besteht 
natürlich  aus  individuellen  Erscheinungen,  und  so  liegt  der 
Schlag  nahe,  da6  man  die  letzteren  untersuchen  müsse,  um 
die  ersteren  zu  verstehen.  Ebenso  klar  ist  es,  dafi  die 
Angehörigen  einer  Volkswirtschaft  oder  einer  Klasse  irgend- 
welcher Art  innerhalb  derselben  durch  unzählige  Bande 
sehr  viel  enger  untereinander  verbunden  sind  als  mit  An- 
gehörigen anderer  Volkswirtschaften,  dafi  Wirkungen  und 
Wechselwirkungen  wirtschaftlicher  und  anderer  Art,  Koope- 
ration und  Antagonismen  eine  große  Rolle  spielen ,  welche 
sich  nicht  ohne  weiteres  am  Individuum  zeigen  und  das 
hinwiederum  führt  zur  Konsequenz,  daß  man  irgendeine 
soziale  Gruppe  zum  Ausgangspunkte  des  Gedankenganges 
und  als  Einheit  für  denselben  nehmen  müsse.  Die  eine 
Partei  kann  der  anderen  ebenso  gut  beweisen,  daß  der  Staat 
kein  animalischer  Körper  sei,  und  daß  jede  Maschine  aus 
nnterscheidbaren  Bestandteilen  bestehe,  wie  diese  der  ersteren, 
dafi  die  Menschen  nie  allein  leben  und  arbeiten  und  eine 
Maschine  mehr  sei,  als  eine  Summe  von  zusammenhangslosen 
Eisenstücken.  Daß  Analogien  und  Allgemeinheiten  zu  nichts 
führen,  betonen  wir  immer :  die  Detailuntersuchung  nur  kann 
beachtenswerte  Resultate  geben;  aber  hier  handelt  es  sich 
wn  etwas  anderes:  Was  die  Volkswirtschaft  nämlich  ist, 
nnd  ob  das  Individuum  die  treibende  Kraft  sei  oder  eine 
solche  anderswo  gesucht  werden  müsse,  ist  belanglos  für 
^8.  Wir  sind  im  allgemeinen  gerne  bereit,  alles  was  Sozial- 
politiker und  Historiker  uns  über  diesen  Punkt  zu  sagen 
kaben,  zu  akzeptieren  und  würden  irgendeine  abstrakte 
Konstruktion  etwa  im  Sinne  des  Naturrechtes  nicht  einmal 
'ftr  würdig  halten,  diskutiert  zu  werden.  Daß  soziale  Ein- 
flösse das  Handeln  des  Einzelnen  bestimmen,  und  daß  der 
Einzelne  ein  verschwindend  kleiner  Faktor  sei,  geben  wir 
durchaus  zu,   aber  hier  ist  das  alles  gleichgültig.    Nicht 


94  Grundlegung. 

darauf  kommt  es  uns  an,  wie  sich  diese  Dinge  wirklich 
verhalten,  sondern  wie  wir  sie  schematisieren  oder  stylisieren 
müssen,  um  unsere  Zwecke  möglichst  zu  fördern,  das  heifit 
also,  welche  Auffassung  die  vom  Standpunkte  der  Resultate 
der  reinen  Ökonomie  praktischeste  sei. 

Das  ist  ein  ebenso  parodoxer  wie  fundamentaler  Satz: 
Für  den  Nationalökonomen  soll  das  Wesen  der  Volkswirt- 
schaft gleichgültig  sein?  Wir  zögern  nicht  die  Frage  zu 
bejahen.  Ja  wir  gingen  noch  weiter,  wir  sagten,  dafi  selbst 
das  Wesen  des  Wirtschaftens  für  uns  gleichgültig  sei.  Wir 
haben  auf  d  a  s  zu  blicken,  was  wir  erreichen  wollen  —  da« 
ist  in  diesem  Falle  die  Preiserscheinung  —  und  nur  das 
anzuführen,  was  zur  Erreichung  unseres  Zieles  unbedingt 
nötig  ist  Nur  dann  treten  die  Formen  unseres  Gedanken- 
ganges und  seine  wirkliche  Bedeutung  scharf  und  plastisch 
hervor.    Und  was  nötig  ist,   läfit  sich  nicht  a  priori  sagen. 

Angewendet  nun  auf  die  Frage,  mit  der  wir  es  hier  zu 
tun  haben,  läßt  uns  das  Gesagte  das  Wesen  dessen,  wofür 
wir  den  Niimen  „methodologischer  Individualismus *"  vor- 
schlagen, deutlich  verstehen.  Wir  sahen  schon  früher,  dafi 
er  keine  praktische  Forderung  und  keine  moralischen  und 
sonstigen  Wertungen  verschiedener  Organisationsformen  der 
Volkswirtschaft  enthalte,  mithin  von  Einwendungen  dieser 
Kategorie  nicht  getroffen  werden  könne;  wir  sehen  nun 
weiter,  dafi  er  auch  keine  Aussage  über  Tatsachen  enthalte 
denn  wir  sagen  nichts  darüber  aus,  was  für  das  Handeln 
des  Menschen  bestimmend  sei.  Wir  wollen  gewisse  wirt- 
schaftliche Vorgänge  beschreiben  und  auch  das  nur  innerhalb 
ganz  enger  Grenzen.  Die  tieferen  Gründe  derselben  mögen 
interessant  sein,  aber  sie  berühren  unsere  Resultate  nicht 
Sie  gehören  zu  dem  Gebiete  der  Soziologie  und  daher  kann 
unsere  Auffassung  auch  nicht  durcn  den  Nachweis  unmöglich 
gemacht  werden,  dafi  man  die  Vorgänge  in  einer  Volks- 
wirtschaft tatsächlich  nicht  als  rein  individuelle  erklären 
könne.  Wenn  der  Nationalökonom  seine  individualistische 
Methode  mit  Tatsachen  verbrämt  und  etwa  behauptet,  dafi 
das   Individuum   der   Angelpunkt  aller   Erklärung   sei,  so 


Der  methodologische  Individualismus.  95 

können  wir  das  nicht  billigen  und  geben  soweit  vollkommen 
den  Gegnern  Recht.  Aber  man  wird  nicht  vergessen  dürfen, 
daß  man  sehr  oft  und  sogar  in  der  Regel  derartige  Be- 
hauptungen einfach  weglassen  kann,  ohne  daß  das  Rein- 
ökonomische  an  der  Sache  alteriert  wird.  In  diesem  Falle 
kum  die  Kritik  leicht  zu  weit  gehen  und  Recht  und  Unrecht 
fast  unentwirrbar  vermischt  werden. 

Der  methodologische  Individualismus  ist  endlich  keine 
Spekulation  philosophischer  Natur,  kein  Zukunftsideal  und 
dergleichen  mehr.  All  das  wurde  der  Theorie  imputiert, 
halb  mit  Recht,  halb  mit  Unrecht  in  der  ausgeführten  Weise. 
Jeder  unbefangene  Urteiler  wird  zugeben  müssen,  daß  unsere 
Darstellung  keinem  dieser  zu  Schlagworten  gewordenen  und 
bis  zum  Überdrusse  wiederholten  Angriffen  ausgesetzt  ist- 

Wir  meinen  nichts  anderes,  als  daß  die  individuelle  Be- 
trachtungsweise kurz  und  zweckmäßig  zu  iu  erheblichem 
Mafie  brauchbaren  Resultaten  führt  und  allerdings  auch, 
daß  innerhalb  der  reinen  Theorie  uns  eine  soziale  Betrachtungs- 
weise keine  wesentlichen  Vorteile  gewährt  und  mithin  über- 
tlössig  ist  Sicherlich,  sobald  wir  die  Grenzen  der  reinen 
Theorie  überschreiten,  gestaltet  sich  die  Sache  anders.  In 
der  Organisationslehre  z.  B.  und  überhaupt  in  der  Soziologie  . 
kirne  man  wohl  mit  dem  Individualismus  nicht  weit,  was 
aber  nicht  besonders  zu  bedauern  ist,  wenn  man  über  den 
lediglich  methodologischen  Charakter  desselben  im  Klaren  ist. 

So  haben  wir  nun  einen  weitereu  Schritt  getan  und 
QUtDche  Schwierigkeiten  beseitigt ,  welche  immerfort  Steine 
des  Anstoßes  bilden,  allerdings  auch  unsere  Frage  jedes 
auch  nur  wissenschaftlichen  prinzipiellen  Interesses  entkleidet. 
Vir  haben  weniger  ein  Problem  gelöst  als  nachgewiesen,  daß 
^  dasselbe  nicht  zu  lösen  brauchen.  Ganz  von  selbst 
ergibt  sich,  daß  jene  theoretischen  Erörterungen,  welche 
oiit  dem  berühmten  oder  berüchtigten  Instrumente  des 
iHobinson*  arbeiten,  von  der  Einwendung  nicht  getroffen 
werden  können,  daß  ein  solcher  nur  in  Ausnahmefällen  und 
nie  for  lange  existieren  könne.  Hier  tritt  das  Mißverständnis, 
das  in  vielen  solchen  Einwendungen  steckt,  besonders  klar 
^ötage. 


96  Grundlegung, 

Prinzipielle  Einsendungen  gegen  den  .Atomismns",  so 
wie  wir  ihn  vertreten  gibt  es  also  nicht.  Wrb  an  solchen 
vorgebracht  wurde,  bezieht  sich  auf  Dinge,  die  gewifl  in 
einem  scheinbaren  Zusammenhange  mit  ihm  atehen,  aber 
von  ihm  getrennt  werden  können.  Gewiß  intereasiereD  uns 
die  individuellen  Vorgänge  an  sich  nicht,  wohl  aber  sollen 
sie  uns  dazu  dienen,  die  MaEsenerscheiDungen  auf  unaerem 
Gebiete  zu  beschreiben.  Das  Tun  eines  iDdividnams  an 
sich  ist  uns  so  gleichgiltig,  wie  dem  Ethnologen  die  Haar- 
farbe eines  solchen.  Aber  doch  kann  er  die  Haarfarbe 
eines  Volkes  nicht  an  einem  Volke  an  sich ,  sonderti  nur 
an  Individuen  beobachten,  um  dann  aus  den  Einzelbeobaeh- 
tungen  irgendwie,  etwa  im  Sinne  der  „typiachen"  oder  der 
.repräsentativen"  Methode  der  Statistik,  ein  Urteil  Ober 
die  erstere  konstruieren.  Das  Beispiel  trifft  nicht  ganx  zu. 
Es  zeigt  uns  aber,  daß  individuelle  Methode  und  soziale 
Resultate  keineswegs  inkompatibel  sind. 

Wir  glauben  nun,  daß  die  alte  individualistische  Methode 
tatsjlchltch  auch  heute  unentbehrlich  ist,  freilich  nur  fbr 
die  Zwecke  der  reinen  Theorie  im  engsten  Sinne.  Unsere 
Methode  passt  nur  darauf  und  hat  nur  auf  diesem  Gebiete 
brauchbare  Resultate  geliefert.  Einerseits  ist  es  nnmOglieh, 
andererseits  abertlüssig  —  beides  für  den  Kreis  der  Prob- 
leme, die  heute  wirklich  ausgearbeitet  sind  — ,  sie  zu  ver- 
lassen. Vielleicht  wird  das  spftter  einmal  geboten  sein,  so 
wie  es  schon  gegenwärtig  außerhalb  jenes  ganz  engen  Ge- 
bietes der  Fall  ist.  Aber  für  jetzt  und  die  nächste  Zukunft 
wäre  eine  Neuerung  wahrem  Fortschritte  nur  hinderlieh. 
Freilich  können  wir  das  hier  nicht  mit  allgemeinen  GrUnden 
beweisen ;  nur  die  Betrachtung  des  Details  der  reinen  Theorie 
kann  das  lehren,  an  jedem  ihrer  einzelnen  Sätze  muß  man 
es  untersuchen. 

Alles,  was  wir  tun  konnten,  war,  einigen  Etnwendnngeik 
zu  begegnen,  Mißverständnisse  zu  zerstreuen  und  dem  Lraer 
zu  zeigen,  daß  wir  nichts  wollen,  was  prinzipielle  Bedenken 
erregen  könnte.  Nur  das  ließ  sich  allgemein  erörtern.  Sc 
werden  wir  denn  im  Folgenden  im   allgemeinen  nicht  voi> 


Der  methodologische  Individualismus.  97 

sozialen  Kategorien  sprechen  und  bo  durch  die  Tat  zeigen, 

daß    die   individualistische   Betrachtungsweise    in    unserem 

Sinne,  von  jedem  praktischen  Interesse  entblößt,   sich  auf 

unserem  Gebiete  bewährt  und  für  dasselbe  ausreicht.   Dieser 

xweite  Teil  unseres  Beweisthemas  ergibt  sich  also  nur  aus 

der  Gesamtheit  des  Folgenden.    Dabei  steht  es  jedermann 

fiei,  fQr  die  Zwecke  der  Diskussion  sozialer  oder  politischer 

ProUeme  ökonomische  Begrifife  sozialer  Kategorie  zu  bilden, 

wo  es  wünschenswert  erscheint.    Wir  betonen  immer  wieder, 

nar  f&r  das  System  der  Theorie  in  seiner  reinsten  Form 

gilt  das  Gesagte. 

Hier  seien  noch  die  beiden  wichtigsten  Gruppen  von 
Begriflfen  erwähnt,  bei  denen  man  das  soziale  Moment  ein- 
fthmü  wollte  und  welche  wir  im  ausgeführten  Sinne  für 
jetzt  ablehnen  möchten.  Die  erste  ist  charakterisiert  durch 
die  Worte  „Volkseinkommen",  „Volksvermögen",  „Sozial- 
kapital"  und  spielt  besonders  in  der  deutschen  Literatur 
eine  Rolle  (Held,  Wagner).  Besonders  energisch  wurde  die 
Notwendigkeit  ihrer  Einführung  von  Stolzmann  vertreten. 
Aber  nichts  spricht  so  sehr  für  uns  als  der  Umstand,  daß 
der  letztere  in  eigentlich  theoretischen  Fragen  dennoch 
wenig  Gebrauch  davon  macht.  Wo  er  es  tut,  ist  das  nur 
eine  Frage  der  Ausdrucksweise  und  ändert  die  individua- 
listische Grundlage  der  Theorie  nicht. 

Wenn  man  das  Gebäude  unserer  Theorie  unbeeinflußt 
^on  Vorurteilen  und  von  außen  kommenden  Forderungen 
aufbaut,  so  begegnet  man  diesen  Begriffen  überhaupt  nicht. 
Wir  werden  uns  daher  mit  ihnen  nicht  weiter  beschäftigen ; 
wollten  wir  das  aber  tun,  so  würde  sich  zeigen,  welche 
Fülle  von  Unklarheiten  und  Schwierigkeiten  ihnen  anhaftet, 
wie  sie  in  engem  Zusammenhange  mit  vielen  schiefen  Auf- 
fassungen stehen,  ohne  auch  nur  zu  einem  wirklich  wert- 
vollen Satze  zu  führen. 

Die  zweite  Gruppe  ankert  im  Begriffe  des  sozialen 
Wertes.  Schon  in  den  frühesten  Stadien  der  Theorie  finden 
^ch  Anklänge  daran,  prinzipielle  Bedeutung  hat  er  erst  in 
der  Gegenwart  gewonnen  und   zwar   im    „sozialen  Werte" 

SehQ]np«t«r,  Nationalökonomie.  7 


100  Grundlegung. 

Getrftnke  u.  dergl.  Es  mag  zweckmABig  sein,  die  Subjek- 
tivität der  Wertungen  auch  in  der  Terminologie  zum  Aua- 
drucke  zu  bringen.  Aber  es  gibt  nichts  absolut  „NOtzliches*, 
ebensowenig  wie  absolut  „Wertvolles".  , Nutzen'  ist  geradeso 
wie  „Wert"  ein  Ausdruck  für  individuelle  Schätzungen,  and 
es  liegt  daher  fOr  uns  kein  Grund  vor,  zwischen  beiden  m 
unterscheiden.  Wollte  man  verhindern,  daß  Nebenbedeutongea 
der  von  uns  verwendeten  Begrifbbezeichnungen  zu  Hiß- 
verstfindnissen  führen,  so  wäre  es  wohl  am  besten,  ein 
eigenes  Wort  zu  konstruieren,  wie  etwa  Pareto's  „Opheli- 
mitat".  Aber  wir  wollen  das  nicht  tun.  Hier,  wo  wir  die 
Elemente  als  bekannt  voraussetzen,  sind  Schwierigkeiten 
solcher  Art  kaum  zu  ffirchten.  Wir  wollten  diesen  Punkt 
nur  streifen  und  halten  uns  nicht  dabei  auf. 

Zum  anderen  sodann  wurde  nur  jenen  Dingen  Wert 
zugeschrieben,  welche  in  verhältnismäfiig  geringer  Quantität 
vorhanden  sind.  Man  folgte  da  dem  Sprachgebranehe, 
welcher  z.  B.  Wasser  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  als 
„wertlos"  bezeichnet,  ol^leich  es  offenbar  „nQtzlich*  ist. 
„Der  Nutzen  wird  zum  Werte,  igsofem  sein  Nichtvorhanden- 
sein in  Betracht  kommt",  sagt  einer  jener  Theoretiber, 
damit  treffend  die  Ansicht  jener  Gruppe  zum  Ausdrucke 
bringend,  v.  Boehm-Bawerk  sagt:  „Damit  Wert  entstehe, 
muß  sich  zur  NQtzlichkeit  auch  Seltenheit  gesellen'  *.  .Ein 
Mann  sitzt  an  einer  reichlich  sprudelnden  Quelle  guten 
Trinkwassers.  Er  hat  seinen  Becher  angeftlllt,  und  Wasser 
genug,  um  hundert  andere  Becher  zu  fallen,  quillt  in  jeder 
Älinute  an  ihm  vorQber.  Und  nun  denken  wir  uns  einen 
anderen  Mann,  der  in  der  Wüste  reist.  Eine  lange  Tag- 
reise durch  heißen  Wüstensand  trennt  ihn  noch  von  der 
nächsten  Oase,  und  er  besitzt  nur  noch  einen  einzigen,  den 
letzten  Becher  Wassers .  . .  Nützlich,  das  ist  mhig,  ein 
Bedürfnis  zu  befriedigen,  ist  der  Becher  Wassers  im  ersten 
Falle  geradeso  wie  im  zweiten.  Auch  genau  im  gleicheik. 
Grade"  *.    Aber  nur  im  letzteren  habe  derselbe  ,Wert'.    E^ 

'  Pos.  Theorie  p.  H2. 
■  Ebenda  p.  140  f. 


VIL  Kapitel. 
Zum  Wertbegriffe. 


S  1.  Obgleich  die  volle  Bedeutung  dessen,  was  wir 
Ober  dieses  lliema  noch  zu  sagen  haben,  sich  erst  später 
zeigen  kann  und  es  sonst  unser  Grundsatz  ist,  die  Dinge 
dort  zu  behandeln,  wo  wir  sie  brauchen,  so  sollen  doch  hier 
einige  notwendige  Bemerkungen '  zusammengefaßt  werden. 
Erst  wenn  wir  uns  das  Erklftrungsprinzip,  das  wir  verwenden 
wollen,  ganz  klar  gemacht  haben,  wollen  wir  zur  Betrachtung 
der GDtermengen  übergehen,  deren  methodologischer  Überbau 
die  Wertfunktiouen  sind,  Wertfunktionen  und  Gütermengen, 
das  ist  alles,  was  es  auf  unserem  Untersuchuugsgebiete  gibt, 
alles,  woraus  sich  unser  Bild  der  Wirklichkeit  zusammen- 
wtzt.  Nur  die  letzteren  sehen  wir,  die  ersteren  kon- 
struieren wir,  wie  gesagt,  hinzu.  Betrachten  wir  uns  unsere 
XoQgtruktion  noch  etwas  näher.  Bei  den  folgenden  Be- 
flKrkungen  werden  wir  eine  psychologische  Ausdrucksweise 
nicht  immer  ängstlich  vermeiden,  da  dieselbe  sicherlieh  oft 
bequem  und  kurz  ist. 

Zunächst  sei  darauf  hingewie^eD,  daß  wir  die  Begriffe 
-Wert"  und  „Nutzen"  nicht  unterscheiden,  vielmehr  beide 
Termini  ganz  synonym  verwenden.  Die  psychologischen  Wert- 
tbeoretiker  haben  meines  Wissens  ausnahmslos  einen  solchen 
Unterschied  gemacht  und  zwar  in  doppelter  Weise.  Einmal 
»urde  gesagt,  daß  oft  Dinge  „gewertet"  würden,  welche 
dem  Individuum  nicht  „nützlich"   sind,  z.   B.  alkoholische 

'  Uieulbea  sind  nur  für  den  Theuretiker  von  Fach  von  Interesse- 


100  OrundleguDg. 

GeträDke  a.  dergl.  Es  mag  zweckmäßig  sein,  die  Subjek- 
tivität der  Wertungen  auch  in  der  Terminologie  zum  Aus- 
drucke zu  bringen.  Aber  es  gibt  nichts  absolut  ,NQtzliches', 
ebensowenig  wie  absolut  „WertYoUes".  „Nutzen"  ist  geradeso 
wie  „Wert"  ein  Ausdruck  fur  individuelle  Schätzungen,  und 
es  liegt  daher  für  uns  kein  Grund  vor,  zwischen  beiden  zu 
unterscheiden.  Wollte  mnn  verhindern,  dnß  Nebenbedeutungen 
der  von  uns  verwendeten  BegrifTsbezeichnungen  zu  Mi&- 
verstftndnissen  führen,  so  wftre  es  wohl  am  besten,  ein 
eigenes  Wort  zu  konstruieren,  wie  etwa  Pareto's  ,Opheli- 
mität".  Aber  wir  wollen  das  nicht  tun.  Hier,  wo  wir  die 
Elemente  als  bekannt  voraussetzen,  sind  Schwierigkeiten 
solcher  Art  kaum  zu  furchten.  Wir  wollten  diesen  Pnnkt 
nur  streifen  und  halten  uns  nicht  dabei  auf. 

Zum  anderen  sodann  wurde  nur  jenen  Dingen  Wert 
zugeschrieben,  welche  in  verhältnismäßig  geringer  Quantität 
vorhanden  sind.  Man  folgte  da  dem  Sprachgebrauehe, 
welcher  z.  B.  Wasser  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  als 
„wertlos"  bezeichnet,  obgleich  es  offenbar  „natzlJch*  ist. 
„Der  Nutzen  wird  zum  Werte,  igsofem  sein  Nichtvorhanden- 
sein in  Betracht  kommt",  sagt  einer  jener  Theoretiber, 
damit  treffend  die  Ansicht  jener  Gruppe  zum  Ansdnieke 
bringend,  v.  Boehm-Bawerk  sagt:  „Damit  Wert  entatehe, 
muß  sich  zur  Nützlichkeit  auch  Seltenheit  gesellen*  *.  .Ein 
Mann  sitzt  an  eiuL'r  reichlich  sprudelnden  Quelle  guten 
Trinkwassers.  Er  hat  seinen  Becher  angefüllt,  und  Wasser 
genug,  um  hundert  andere  Becher  zu  füllen,  quillt  in  jeder 
Minute  an  ihm  vorüber.  Und  nun  denken  wir  uns  einen 
anderen  Mann,  der  in  der  WUste  reist.  Eine  lange  Tig- 
reji^e  durch  heißen  Wüstensand  trennt  ihn  noch  von  der 
nächsten  Oase,  und  er  besitzt  nur  noch  einen  einzigen,  den 
letzten  Becher  Wassers . . .  Nützlich,  das  ist  fähig,  ein 
Bedürfnis  zu  befriedigen,  ist  der  Becher  Wassers  im  ersten 
Falle  geradeso  wie  im  zweiten.  Auch  genau  im  gleichen 
Grade" '.    Aber  nur  im  letzteren  habe  derselbe  „Wert".    Es 

'  PoB.  Theorie  p.  ua. 
«  Ebenda  p.  140f. 


Zum  Wertbegriffe.  101 

sei  nun  nicht  zuviel  behauptet,  wenn  mau  diese  Unter- 
scheiduDg  fflr  eine  der  fruchtbarsten  und  fundamentalsten 
unserer  ganzen  Wissenschaft  erkläre.  Gegen  Güter,  die 
nur  nfltzlich  sind,  benehme  sich  der  praktische  Wirt 
achtlos  und  gleichgiltig.  Solche  Güter  seien  praktisch  für 
unsere  Wohlfahrt  Nullen  und  nur  solche  haben  Wert,  von 
denen  wir  ein  Stück  Befriedigung,  Wohlfahrt,  Lebensgenufi 
abhängig  wissen,  mit  anderen  W^orten,  die  in  einer  im  Ver- 
htitnis  zum  Bedarfe  geringer  Menge  vorhanden  sind. 

Dazu  haben  wir  einiges  zu  sagen.  Vor  allem  scheint 
uns  jener  Unterschied  nicht  so  scharf  zu  sein.  Güter,  denen 
Wer  Wert  abgesprochen  wird,  sind  jene,  deren  „Grenz- 
nutzen''  gleich  Null  ist.  Nun,  der  Übergang  von  einem 
sehr  kleinen  Grenznutzen  zum  Grenznutzen  Null  ist  offenbar 
ein  allmählicher  und  kein  plötzlicher,  springender.  So  kann 
auch  die  Grenze  zwischen  freien  und  wirtschaftlichen  Gütern 
nnr  eine  flieflende  sein. 

Aber  wichtiger  ist  das  folgende:  Auch  freie  Güter  haben 
Wertfunktionen.  Davon  kann  man  sich  eben  dadurch 
überzeugen,  dafi  man  sie  durch  Yerringeruug  der  vor- 
handenen Menge  in  wirtschaftliche  überführt.  Ja  sogar  um 
festzustellen,  daß  ein  bestimmtes  Gut  für  ein  bestimmtes 
Individuum  ein  .freies"  ist,  brauchen  wir  die  Wertfunktion, 
da  der  Nullpunkt  des  Grenznutzens  eben  auch  von  ihrer 
Gestalt  oder,  populärer  gesprochen,  vom  Bedarfe  abhängt. 
Es  besteht  also  kein  wesentlicher  Unterschied  zwischen 
freien  und  wirtschaftlichen  Gütern,  und  aus  diesem  Grunde 
sollen  auch  in  dieser  Bedeutung  Wert  und  ^'utzen  für  uns 
synonym  sein. 

§  t.  Das  führt  uns  auf  einen  wichtigen  Punkt,  auf 
den  Begriff  des  Gesamtwertes.  Eine  Wertfunktion  ist  auch 
bei  freien  Gütern  vorhanden,  nur  ist  ihr  Grenznutzen  gleich 
Null.  Wie  steht  es  mit  dem  Werte  der  ganzen  Menge 
des  betreifenden  Gutes  für  ein  Individuum?  Man  hat  mit- 
unter gesagt,  dafi  dieser  Gesamtwert  ebenfalls  gleich  Null 
sei,   (v.  Wieser,   neuestens  F.  A.  Fetter).     Der  Gedanken- 


104  OniDdlegung. 

auszudehnen,  deren  Wert  fOr  das  Individuum  Aber  alles 
groß  ist,  d.  h.  nicht  von  Null,  sondern  von  einer  bestimmten 
Untergrenze  aus,  Über  die  hinaus  das  Lebensinteresse  nicht 
mehr  ins  Spiel  kommt,  zu  integrieren.  Wir  m&sseD  dem 
Individuum  sozusagen  ein  Existenzminimum  überlassen  und 
können  nur  den  Wert  jener  Gütermengen  ausdrOeken,  welche 
über  dasselbe  hinausgehen. 

Das  ist  eine  wichtige  Einschränkung,  welche  aber 
niemand  wundernehmen  wird,  der  die  Funktionensysteme 
anderer  Wissenschaften  und  überhaupt  die  Funktionentheorie 
kennt.  In  der  modernen  Funktionentheorie  werden  sogar 
zuerst  die  Grenzen,  zwischen  denen  die  Funktion  besteht, 
und  dann  erat  diese  selbst  untersucht.  Immer  sind  es  nur 
bestimmte  Intervalle,  in  denen  wir  uns  bewegen  können. 
Was  außerhalb  derselben  geschieht,  muß  uns  gleicbgiltig  sein. 

W'tr  giengen  bei  dieser  Betrachtung  von  den  freien 
Gutem  aus.  Aber  es  ist  ersichtlich,  daß  ganz  dasselbe 
auch  von  den  wirtschaftlichen  gilt,  daß  auch  ihr  Gesamtwert 
kein  Produkt,  sondern  ein  Integral  ist. 

Noch  mochten  wir  auf  einen  Grund  hinweisen,  der  jene 
Theoretiker  unter  anderem  zu  der  erwähnten  Auffassung  des 
Gesamtwertes  geführt  liaben  mag.  Es  ist  der  Wunsch,  die 
Voi^änge  in  der  Verkehrs  Wirtschaft  unmittelbar  aas  der 
Werterscheinung  abzuleiten,  nachzuweisen,  daß  die  DonnaleD 
Preise  stets  der  Ausdruck  des  vollen  Wertes  eines  Gutes 
seien  und  daß  der  wirtschaftliche  Verkehr  nichts  an  der 
Bedeutung  der  Güter  Andere,  welche  dieselben  in  der  iso- 
lierten Wirtschaft  hätten.  Für  den  Preis  ist  der  Grenz- 
nutzen entscheidend.  Wäre  er  das  nun  nicht  auch  für  den  Ge- 
samtwert, so  würde  sich  eine  Diskrepanz  zwischen  Wert- 
summe und  Preissumme  ergeben.  Eine  solche  Diskrepanz 
nun  besteht  tatsächlich:  es  ist  eine  Täuschung,  zu  glauben, 
daß  man  namentlich  das  Einkommenproblem  schon  geltet 
habe,  wenn  man  die  Werterscheinungen,  die  jenen  Preisen, 
aus  denen  sich  direkt  die  Einkommen  ergeben  —  denen 
der  „produktiven  Leistungen"  —  zugrunde  liegen,  abgeleitet 
hat    So  tun  es  z.  B.  Clark   und   seine  Nachfolger.     Wir 


Zum  Wertbegriffe.  103 

wobei  vorausgesetzt  wird,  dafi  die  anderen  erhalten  bleiben. 
Diese  Wertgröfien  sind  nun  nicht  weiter  addierbar,  was 
keineswegs  erstaunlich  ist  Dafi  der  Gesamtwert  größer 
ist  als  der  Wert  der  Teile,  ist  nur  solange  ein  Paradoxon, 
als  man  alle  zugleich  nur  mit  dem  Grenznutzen  anschlägt. 
Der  Satz  verliert  alles  Befremdende,  wenn  man  sich  den 
Sinn  der  verschiedenen  Operationen  vergegenwärtigt  Ist 
der  Wert  der  Ausdruck  der  „Bedeutung  eines  Gutes  fttr 
muere  Wohlfahrt^,  so  ist  es  klar,  dafi  man,  wenn  man  den 
Wert  des  ganzen  Vorrates  eines  Individuums  fttr  dasselbe 
finden  will,  nicht  blofi  den  Grenznutzen,  sondern  fort- 
schreitend auch  allen  höheren  Nutzen  der  von  der  Grenze 
abliegenden  Teilchen  anschlagen  mufi,  d.  h.  man  darf  nicht 
die  Gesamtmenge  mit  dem  Grenznutzen  multiplizieren, 
sondern  man  mufi  jede  Teilmenge  mit  der  Mafizahl  der 
Intensität  multiplizieren,  die  der  Stelle  entspricht,  an  der 
es  nach  der  allerdings  beliebigen  Anordnung  steht  und 
dann  die  Summe  dieser  Produkte  ziehen,  d.  h.  man  mufi 
integrieren. 

Dann  verschwindet  das  Paradoxon,  dafi  viele  gerade 
der  unentbehrlichsten  Gttter  „keinen  Wert"  haben,  wie  z.  B. 
das  Wasser.  Gewifi  haben  sie  einen  „Gesamtwert**,  nur  ihr 
Grenznutzen  ist  gleich  Null,  woraus  sich  Agibt,  dafi  sie 
keinen  Preis  erzielen. 

Diese  Betrachtungsweise  ist  erstens  allgemeiner  und 
zweitens  scheint  sie  uns  weit  besser  auf  die  Tatsachen  zu 
passen  als  die  ttbliche.  Der  Begriff  des  Gesamtwertes  bietet 
übrigens  noch  manche  Schwierigkeiten,  von  denen  wir,  um 
den  Leser  nicht  mit  Details  der  Theorie  zu  ermttden,  nur 
die  wichtigste  anführen  wollen.  Der  Gesamtwert  vieler 
GQter  ist  ttberaus  grofi,  man  kann  ihm  das  Symbol  «un- 
endlich** zuordnen.  Das  ist  bei  allen  jenen  der  FalK  von 
denen  die  Erhaltung  des  Lebens  des  Wirtschaftssubjektes 
abhängt,  z.  B.  Nahrungsmittel  usw.  Wollen  wir  einen 
endlichen  Ausdruck  für  den  Gesamtwert  haben,  mit  dem 
allein  wir  etwas  anfangen  können,  so  bleibt  nichts  anderes 
tibrig  als  unsere  Integration   nicht  bis  zu  jenen   Mengen 


106 


Omodlegang 


erscbeinuDg  ist,  nftmlich  das,  was  schon  A.  Smith  mit  „toil 
und  trouble"  bezeichnete.  Und  so  kann  man  in  einem 
Sinne  —  wir  kommen  darauf  Docb  zurück  —  gewifi  sagen, 
daß  der  „Werf  ebenso  von  den  „Koeteo*  bestimmt  wird 
wie  vom  Nutzen.  Die  bekannten  Gleichnisse  Professor 
Marshalls  und  Professor  Edgeworth',  mit  denen  dieser 
Sachverhalt  veranschaulicht  werden  sollte,  sind  in  dieaem 
Sinne  durchaus  zutreffend  und  man  kann  verstehen,  daS 
die  Vertreter  des  Kostenprinzipes  gar  nicht  begreifen  kfinnoi, 
wie  man  das  leugnen  kann.  In  der  Tat  hat  sieh  die  Wert- 
diskussion der  neueren  Zeit  immer  zu  sehr  um  ^Wert'  im 
allgemeinen  gedreht  und  wiederholt  haben  sieh  die  Argu- 
mente der  streitenden  Parteien  Oberhaupt  verfehlt. 

Uns  scheint  iu  jener  klaren  Unterscheidung,  die  be- 
sonders die  mathematische  Darstellung  —  und  eigentliclk. 
nur  sie  —  ermöglicht,  eine  Lösung  der  Kontroverfle  m. 
liegen,  welche  zwar  fttr  uns  nicht  völlig  endgültig  ist.  die 
wir  aber  doch  hier  vorführen  wollen. 


Tragen  wir  auf  der  Abszissenachse  eines  rechtwinkelige« 
Koordinatensystemes  die  Mengen  eines  Gutes  im  Bentff 
eines  Individuums  auf  und  interpretieren  wir  die  Ordinttw  j 
als  die  Intensitäten  des  Wertes  —  als  die  „GrenznntM*  : 
jeder  Teilmenge,  wenn  das  Individuum  nicht  mebrbes&Bse  — 
so  ergibt  sich  eine  Kurve  —  MN — der  Intensittten,  eben 
die  Wertfnnktion.  Ihr  Integral,  d.  i.  die  FUeks 
ACDB  —  entsprechend  dem  früher  Gesagten  schlieflen  wir 
die  Menge  OA,  deren  Nutzen  unendlich  sei,  weil  von  ihrem 
Besitze  das  Leb^n  des  Individuums  abh&nge,  ans  —  ist 
unser  Gesamtwert.    Beides  sind  völlig  verBchiedeDB  Dhige. 

Auch    über    das   Wesen    des    Grenznatzens    klirt    nu 


Zum  Wertbegriffe.  105 

werden  noch  darauf  zu  sprechen  kommen  und  sehen,  daß 
die  Preisbildung  tatsächlich  dazu  führt,  daß  demjenigen, 
der  ein  Gut  austauscht,  im  allgemeinen  nicht  der  Gesamt- 
irert  vergütet  wird. 

§  8.  Wir  sahen,  wie  wichtig  es  ist,  zwischen  Wert 
und  Wertfunktion  zu  unterscheiden.  Hat  in  der  älteren 
Ökonomie  die  Unklarheit  und  Vieldeutigkeit  des  Wert- 
begrifles  große  Schwierigkeiten  gemacht,  die  ja  auch  dem 
Anftoger  so  sehr  bekannt  und  noch  lange  nicht  ganz  über- 
wunden sind,  ist  die  neuere  in  Gefahr,  in  einer  anderen 
Richtung  in  Mißverständnisse  zu  geraten,  welche  kaum 
weniger  ärgerlich  und  störend  sind  und  bereits  zu  manchen 
Unklarheiten  geführt  haben.  Deshalb  wollen  wir  dabei 
etwas  verweilen.  Es  handelt  sich  um  das  Folgende:  Wenn 
man  vom  Werte  einer  bestimmten  Gütermenge  für  ein  be- 
stimmtes Wirtschaftssubjekt  spricht,  so  muß  man  sich  stets 
darüber  klar  sein,  ob  man  Wertfunktion,  Gesamtwert  oder 
Grenznutzen  meint.  Der  Satz:  „Der  Wert  hängt  von  der 
Nfltzlichkeit  ab"  —  ist  nur  dann  richtig,  wenn  man  ihn  von 
der  Wertfunktion  versteht.  Diese  basiert  sicherlich  auf 
den  Bedürfnissen  des  Individuums,  wie  sich  dieselben  in 
seinen  geäußerten  Wertschätzungen  zeigen.  Man  nennt  das 
mit  einem  geläufigen  Namen  „Inteusitätsskala  des  Wertes". 
Aber  meint  man  den  Gesamtwert,  wenn  man  jenen  Satz 
ausspricht,  so  ist  er  ersichtlich  unvollständig  und  kann  so- 
g»r  falsch  sein.  Nur  wenn  die  Menge  des  Gutes  fest  ge- 
geben ist,  so  daß  man  sie  —  als  eine  Konstante  —  nicht 
weiter  zu  beachten  braucht,  trifft  er  auch  in  diesem  Sinne 
2U.  Variiert  sie  aber,  so  ist  der  Gesamtwert,  ebenso  wie 
der  Grenznutzen  ganz  wie  von  der  Nützlichkeit,  auch  von 
den  Umständen  abhängig,  welche  diese  Variationen  be- 
stimmen. Diese  Umstände  bestehen  allerdings  zum  Teile 
^eder  in  Werterscheinungen.  Wenn  es  sich  darum  handelt 
ein  Gut  zu  produzieren  oder  zu  erwerben,  so  hat  man  den 
Nutzen  jener  Güter,  die  man  zu  diesem  Zwecke  aufwenden 
^ttß,  zu  erwägen.    Aber  es  gibt  einen,  der  keine  Wert- 


106 


Orandle^ng 


erscheinuLg  ist,  Dämlich  das,  was  schon  A.  Smith  mit  „toil 
und  trouble"  bezeichnete.  Und  so  kann  man  in  einem 
Sinne  —  wir  kommen  darauf  noch  zurück  —  gewiä  sagen, 
daß  der  „Werf  ebenso  von  den  „Kosten'  beBtimmt  wird 
wie  vom  Nutzen.  Die  bekannten  Gleichnisse  Professor 
Marshalls  und  Professor  Edgeworth' ,  mit  denen  dieser 
Sachverhalt  veranschaulicht  werden  sollte,  sind  in  diesem 
Sinne  durchaus  zutreffend  und  man  kann  verstehen,  dafi 
die  Vertreter  des  Kostenpriozipes  gar  nicht  begreifen  können, 
wie  man  das  leugnen  kann.  In  der  Tat  hat  sich  die  Wert- 
diskussion der  neueren  Zeit  immer  zu  sehr  am  „Wert*  im 
allgemeinen  gedreht  und  wiederholt  haben  sich  die  Argu- 
mente der  streitenden  Parteien  Oberhaupt  verfehlt. 

Uns  scheint  iu  jener  klaren  Unterscheidung,  die  be- 
sonders die  mathematische  Darstellung  —  und  eigratlicfc 
nur  sie  —  ermöglicht,  eine  Lösnng  der  Kontroverse  zu 
liegen,  welche  zwar  fUr  uns  nicht  völlig  endgültig  ist,  dr< 
wir  aber  doch  hier  vorführen  wollen. 


'1 

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-~~Af 

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B 

Tragen  wir  auf  der  Abszissenachse  eines  rechtwinkelige« 
Koordinatensystemes  die  Mengen  eines  Gutes  im  Beätz< 
eines  Individuums  auf  und  interpretieren  wir  die  Ordinstei 
als  die  IntensitAten  des  Wertes  —  als  die  „Greüznntxen* 
jeder  Teilmenge,  wenn  das  Individuum  nicht  mehr  besftsse  -~ 
so  ergibt  sich  eine  Kurve  —  MN — der  Intensititen,  ebei 
die  Wertfunktion.  Ihr  Integral,  d.  i.  die  Flieh* 
ACDS  —  entsprechend  dem  früher  Gesagten  schließen  wii 
die  Menge  OA,  deren  Nutzen  unendlich  sei,  weil  von  ihreff 
Besitze  das  Lelifn  des  Individuums  abhänge,  ans  —  is< 
unser  Gesamtwert.    Beides  sind  völlig  verschiedene  Dinge. 

Auch    aber    das   Wesen    des    Grenznutzens    klärt   iW 


Zum  Wertbegriffe.  107 

unsere  Figar  auf.     Auch  dieser  Ausdruck  kann  zweierlei 
bedeuten:   Erstens  die  Wertintensität  (^-)  des  letzten 

Teilchens  und  zweitens  den  Wert  desselben  ( 3-  •^^)-    Ini 

ersteren  Falle  ist  er  durch  die  Grade  BD,  im  letzteren 
durch  ein  sehr  schmales  Flächenstttck  von  der  Höhe  BD 
dargestellt.  Die  übliche  Definition  des  Grenznutzens  als 
«Wert  des  letzten  Teilchens^  ist  also  nicht  ganz 
klar  und  eindeutig.  Man  pflegt  den  Begrifif  zu  verdeutlichen, 
indem  man  auf  den  Verlust  hinweist,  den  ein  Individuum 
an  seiner  Bedürfnisbefriedigung  erlitte,  wenn  ihm  jenes  letzte 
Teilehen  entzogen  würde.  Hier  meint  man  die  letztere 
Bedeutung.  Für  den  mit  den  Schriften  der  „mathematischen*^ 
Ökonomen  auch  nur  flüchtig  Vertrauten  sind  das  alte  Dinge. 
Es  scheint  mir  jedoch  nicht  überflüssig,  einem  weiteren 
Kreise  gegenüber  nochmals  auf  dieselben  hinzuweisen. 

Eine  Einigung  in  der  Wertkontroverse  scheint  durch 
diese  Unterscheidungen  ganz  von  selbst  gegeben.  Wo  die 
Klassiker  von  „Wert"  sprachen  und  Tauschwert  meinten, 
^ar  ihre  Analyse  nicht  ganz  klar  und  nicht  vollständig, 
aber  sie  war  nicht  falsch:  Der  Tauschwert  hängt  von 
dem  Grenznutzen,  dieser  nicht  nur  von  Wertfunktion,  son- 
dern auch  von  der  Menge  eines  Gutes,  die  jemand  hat,  ab 
und  diese  auch  von  anderen  Momenten  als  dem  der  Wert- 
erscheinung. Und  wo  die  modernen  Vertreter  der  Kosten- 
theorie unter  Wert  „Gesamtwert"  verstehen,  gilt  ganz  das- 
selbe. Aber  die  letzteren  irren,  wenn  sie  dadurch  die 
psychologische  Theorie  widerlegt  zu  haben  glauben.  Um- 
gekehrt, die  psychologischen  Werttheoretiker  haben  Recht 
niit  ihren  allgemeinen  Gründen  für  die  Suprematie  des 
Wertes;  aber  nur  soweit  die  Wertfunktion  gemeint  ist, 
^t  das  zweifellos.  Wo  sie  den  Gesamtwert  meinen,  sind 
ibre  Ausführungen  nur  zum  Teile  einwandfrei. 

Man  könnte  nun  die  ganze  Kostenkontroverse  und  alle 
verwendeten  Argumente  danach  prüfen  und  ihre  wahre  Be- 
deutung feststellen,  eine  Aufgabe,  die  uns  indes  zu   weit 


108  GrandlegDDg. 

fuhren  wOrde.  Nur  die  Rolle  des  Wertes  wie  sie  sieb  nach 
unserer  Ansicht  darstellt,  soll  später  Dochmals  prftzisiert 
werden,  woraus  sich  dann  die  genaue  Tragweite  der  Be- 
hauptungen heider  Parteien  ersehen  lassen  wird. 

Besonders  auffallend  ist,  daß  selbst  jene  Autoren,  welche 
durch  Sorgfalt  und  Klarheit  sich  besonders  auszeichnen  and 
welche  jene  Unterscheidung  ausdrücklich  macheo,  sie 
doch  in  der  Kostenkontroverse  wieder  Temachlftssigen,  so 
A.  Marshall. 

Auch  in  einer  anderen  Beziehung  ist  es  nicht  länger 
zulässig,  von  „Wert"  im  allgemeinen  zu  sprechen.  Jeder 
Wert  bezieht  sich  auf  ein  wertendes  Subjekt.  Mach  Ein- 
führung der  subjektiven  Wertfunktionen,  kann  es  keinea 
„objektiven"  Wert  mehr  geben,  sondern  nur  einen  Wert  für 
irgend  jeniaad.  und  es  ist  mindestens  irreleitend,  den  Preis 
einen  objektiven  Wert  zu  nennen.  Er  scheint  nur  ein 
solcher  zu  sein  auf  einem  großen  Markte  und  vom  Stand- 
punkte des  Einzelnen  betrachtet,  der  für  praktische  Zwecke 
seinen  eigenen  Einfluß  auf  ihn  vernachlässigt.  Streng 
richtig  ist  das  auch  da  nicht  und  falsch  wird  es,  wena 
die  Zahl  der  Tauschenden  eine  geringe  oder  der  EinfloS 
des  einzelnen  Individuums  aus  irgend  einem  Grande  etD 
merklicher  ist.  Es  ist  ein  großes  Verdienst  der  neueren 
Theorie,  ein  auf  die  Fluktuationen  der  Preise  viel  besser 
passendes  Bild  geschaffen  zu  haben,  als  es  die  Klassiker 
bieten.  Und  es  ist  bloß  eine  ein£ache  Konsequenz  davon« 
daß  der  Begriff  des  objektiven  Wertes  Oberflassig  wird. 
Wir  werden  ihn  daher  uiclit  verwenden  und  wollen  ans 
dabei  nicht  aufhalten,  da  diese  Materie  von  unseren  Vor- 
gängern  schon  erschöpfend  erörtert  wurde. 

Aber  Qber  einen  anderen  BegrifT  sind  einige  Worte 
nötig,  nämlich  aber  den  des  Tauschwertes.  Daß  die  Unter- 
scheidung zwischen  Gebrauchs-  und  Tauschwert  nicht  so 
fundamental  ist,  wie  man  früher  annahm,  oder  besser,  dafl 
sie  ihre  im  Systeme  der  Klassiker  fundamentale  Bedeutung 
im  modernen  verloren  hat,   wurde  schon  oft  gesagt.    Aber 


Zum  Wertbegriffe.  109 

doeh  behielt  mau  den  Begriff  des  Tauschwertes  bei.  Wenn 
jemaDd  eine  Tauschmöglichkeit  für  sein  Gut,  das  er  bisher 
nach  seinem  ^Gebrauchswerte"  schätzte,  sich  eröffnen  sieht, 
so  wird  er  es  nun  anders  und  zwar  höher  schätzen,  denn 
wenn  er  Oberhaupt  an  den  Tausch  denkt,  so  muß  sein  Gut 
ihm  in  dieser  Verwendung  einen  höheren  Nutzen  bringen, 
als  durch  seine  direkte  Konsumtion  oder  produktive  Aus- 
ntttzmig.  Aber  dieser  neue  Wert  des  Gutes  ist  nichts 
Originäres.  Er  ist  nichts  anderes,  als  der  Wert  der  Güter, 
die  eingetauscht  werden  sollen.  Gewiß  nun  hat  diese  neue 
Wertfunktion  unseres  Gutes  ihre  Bedeutung.  Wir  werden 
davon  noch  zu  sprechen  haben.  Aber  es  ist  das  keine  neue 
Art  von  Wert,  es  handelt  sich  dabei  nur  um  zwei  Gebrauchs- 
werte —  den,  welchen  das  Gut  direkt  darbietet  und  den 
der  dafür  einzutauschenden  Güter  — ,  die  gegeneinander 
abgewogen  werden. 

Das  hat  man  subjektiven  Tauschwert  genannt  und  es 
ist  nichts  gegen  diese  Konstruktion  einzuwenden.  Aber 
wdann  sprach  man  auch  von  einem  objektiven  Tauschwerte, 
womit  einfach  die  „Kauf kraft "^  dieses  Gutes  gemeint  ist. 
Diese  Ausdrucksweise  ist  sicherlich  schief  und  wird  im 
Interesse  der  Reinheit  unseres  Systemes  besser  vermieden. 
•Wert"  wird  hier  in  einem  anderen  Sinne  gebraucht,  in 
«inem  ähnlichen  wie  etwa  in  „Heizwert"  u.  dergl.  Aber 
wihrend  z.  B.  der  Heizwert  einer  Kohlensorte  eine  gegebene 
&uf  gewissen  chemischen  Eigenschaften  fest  begründete 
GröBe  ist,  kommt  dem  Tauschwerte  eine  solche  Klarheit 
önd  Bestimmtheit  nicht  zu.  Außerdem  ruft  der  Ausdruck 
Vorstellungen  aus  einer  vergangenen  Phase  unserer  Wissen- 
schaft wach,  in  der  er  tatsächlich  eine  viel  festere  Be- 
deutung hatte,  und  endlich  —  das  scheint  mir  entscheidend  — 
hat  dieser  Begriff  seine  frühere  Basis  ganz  verloren.  Be- 
hauptet man  z.  B.,  daß  der  Tauschwert  eines  Gutes  gleich 
der  in  ihm  enthaltenen  Arbeitsmenge  sei,  dann  ist  er  etwas 
sehr  Festes,  quantitativ  Bestimmtes.  Sieht  man  in  ihm 
ferner  etwas  vom  Gebrauchswerte  Verschiedenes,  dann  hat 
^r  große  Wichtigkeit.     Hat  man  aber  diese   Auffassungen 


]  10  Grandlegung. 

verlassen,  so  wäre  es  eioe  Qbel  aDgebracfate  Piet&t,  diesen 
Begriff,  der  gaoz  ilir  Kind  ist,  zu  sciionen.  ' 

Nimmt  die  Menge  eines  Gutes  Ober  jenen  Pankt,  au 
dem  der  Grenznutzen  zu  Null  wird,  zu,  so  senkt  sich  die 
Wertkurve  unter  die  Abszissenachse  —  man  findet  einen 
negativen  Wert.  Daß  mau  Dinge,  die  in  geringerer  Menge 
geschätzt  werden,  wenn  sie  in  allzugroSer  vorhanden  sind, 
negativ  werten  könne,  ist  klar  und  hat  nichts  Befremdendea. 
Wasser  bei  Überschwemmungen,  Holz  im  Urwalde  u.  dergl. 
bieten  allbekannte  Beispiele.  Der  psychologische  National- 
4)konom  wird  von  einem  UnlustgefOhle  sprechen,  daä  jene 
Güter  im  erwähnten  Falle  hervorrufen.  Wir  haben  dazu 
zwei  Bemerkungen  zu  machen. 

Erstens :  Dadurch,  daß  man  von  etwas  zu  viel  hat,  wird 
es  noch  nicht  wertlos.  Ebenso  wie  ein  Gut  vom  Greni- 
nutzen  Null  einen  bedeutenden  Gesamtwert  haben  kann,  so 
auch  ein  Gut  mit  negativem  Grensnutzen.  Es  ist  lediglich 
der  durch  das  unter  der  Abszissenachse  liegende  Flächen- 
stock  dargestellte  Schaden  vom  positiveu  Gesamtwerte  ab- 
zuziehen, woraus  sich  dann  der  tatsächliche  Gesamtwert 
ergibt.  Ersichtlich  wäre  es  falsch,  die  ganze  Menge  Aes 
Gutes  mit  dem  negativen  Grenznatzen  zu  multiplizieren, 
was  darauf  hinauskäme,  daß  das  betrachtete  Wirtsdiafts- 
Subjekt  das  Gut  gar  nicht  haben  wolle,  was  in  der  groflen 
Mehrzahl  der  Fälle  handgreiflich  unzutreffend  wäre. 

Zweitens:  Nur  das,  diesen  Schaden,  dieses  Unlust- 
gefuhl,  wenn  man  will,  die  infolge  einer  zu  großen  Menge 
eines  Gutes  eintreten ,  verstehen  w  i  r  unter  .ne^tivem 
Werte"  in  wirtschaftlichem  Sinne.  Man  hat  noch  anderes 
darunter  gefaßt.  Mit  „Unlust"  im  allgemeinen  bescbAftigen 
wir  uns  nicht.  Uns  handelt  es  sich  nur  darum,  ob  nach 
einem  Dinge  verlangt  wird  oder  nicht.  Alles  andere  ist 
uns  gleichgiltig  und  die  „hedonischeD"  oder  „utilitarischen* 
Philosophien  mancher  Ökonomen  sind  ffir  uns  ohne  Belang. 
Kur  über  eine  besondere  Art  von  „Unlust"  mflsaen  wir 
sprechen.  Über  jene  nämlich,  ^||^che  die  Arbeit  und  der 
UenuBaufschub    auslösen.      Maff   hat    geradeza   Arbeit   als 


Zum  Wertbegriffe.  111 

negativen  Wert  aufgefafit.  Ob  das  zutriift  und  welche 
Konsequenzen  sich  daraus  ergeben,  wird  später  erörtert. 
Hier  sei  nur  gesagt,  dafi  wir  diese  Auffassung  ablehnen. 

§  4.  Noch  wollen  wir  das  Problem  der  Messung  des 
Wertes  streifen.  Einige  der  wichtigsten  Einwände  gegen 
die  ,ipsychologische  Richtung'^  und  das  neue  System  der 
Ökonomie  überhaupt  liegen  hier.  Sofort  nachdem  dasselbe 
größere  Aufmerksamkeit  auf  sich  gezogen  hatte,  entspann 
sich  eine  eifrige  Diskussion  darüber,  ob  eine  Messung  einer 
psychologischen,  einer  „IntensitätsgrOfie**,  überhaupt  möglich 
sei.  Man  war  geneigt,  das  zu  verneinen  und  behauptete, 
daB  niemand  angeben  könne,  was  ihm  ein  bestimmter  Genuß 
eigentlich  wert  sei.  Femer  verzweifelte  man  an  der  Mög- 
lichkeit, eine  Einheit,  auf  welche  sich  eine  eventuelle  Mafi- 
zahl des  Wertes  beziehen  sollte,  zu  finden.  Endlich  sagte 
man,  dafi  ein  präzises  Wertsystem  eine  Errungenschaft  der 
Verkehrswirtschaft  sei  und  in  primitiven  Zuständen  fehle. 
Der  Wilde  sei  sich  durchaus  über  den  Wert  seines  Güter- 
besitzes im  Unklaren;  von  einem  Abwägen  der  Tausch- 
möglichkeiten sei  bei  ihm  keine  Rede. 

Der  erste  Einwand  ist  müfiig  angesichts  der  Tatsache 
psychologischer  Messungen  und  hätte  bei  hinlänglichem 
Verständnisse  der  Wahrscheinlichkeitstheorie  und  aus- 
reichender Kenntnis  der  modernen  Psychologie  nicht  erhoben 
werden  können.  Daß  es  nichts  Schwierigeres  sei,  das 
Fühlen,  als  das  Erwarten  zu  messen,  was  die  Wahr- 
scheinlichkeitstheorie tut;  dafi  die  moderne  Psychophysik 
uns  verschiedene  Methoden  an  die  Hand  gebe,  welche  uns 
wenigstens  die  prinzipielle  Möglichkeit  der  Messung  zeigen; 
dafi  zwar  niemand  angeben  könne,  wieviel  ihm  etwas,  wohl 
aber,  ob  etwas  ihm  mehr  oder  weniger  als  etwas  anderes 
wert  sei;  ferner,  dafi  wir  stets  nur  Grenzwerte  betrachten 
—  alles  das  findet  der  Leser  in  den  Arbeiten  der  Vertreter 
jener  Richtung  ausgeführt.  Dafi  man  nicht  sinnlich  eine 
bestimmte  Anzahl   von  Dimensionen  am  Werte  wahrnehmen 


X12  Grund  le^ng. 

kann,  ist  Debensächlicli,  wie  jeder  weiß,  der  sieh  mit  dieseo 
Dingen  befaßte. 

Der  Mangel  einer  Einheit,  ferner,  w&re  ebenfallB  nicht 
essentiell.  Das  Beispiel  lier  Wahrscheinlich keitalehre  zeigt 
uns  auch,  daß  wir  sehr  wohl  ohne  eine  solche  auskommen 
kOnnen,  wo  es  sich  nur  um  Verhältnisse  handelt  Oder 
richtiger,  wo  wir  eine  Einheit  brauchen,  kOnnen  wir  sie 
uns  willkarlich  konstruieren.  Daher  ist  der  besonders  von 
Cassel  gegen  die  österreichische  Schule  erhobene  Einwand, 
daß  MaBzahlen,  die  sich  nicht  auf  eine  bestimmte  Einheit 
beziehen,  sinnlos  seien,  hinfällig :  Wo  es  sich  um  Ver- 
gleichungen  von  Werten  bandelt,  kann  einer  derselben  als 
Einheit  angeuommen  und  alle  anderen  darin  auagedrflckt 
wenlen.  Und  da  es  sich  nicht  um  eine  bestimmte,  Bondem 
nur  um  das  prinzipielle  Vorhandensein  irgendeiner  Ein- 
heit handelt,  so  kann  man  eine  solche  stets  den  Maßzahlen, 
die  jene  Autoren  anfuhren,  hinzufügen  nnd  ihr  Voi^ng 
hat  daher  sehr  woiil  einen  Sinn,  auch  wenn  sie  es  unter- 
lassen, diese  Begründung  hinzuzufügen.  Ganz  derselbe  Vor- 
gang findet  sich  in  der  Mechanik:  Die  Massen  der  Körper 
sind  nur  Verhältniszahlen  und  können  beliebig  ausgedrQckt 
wenlen;  aber  wenn  eine  derselben  festgesetzt  ist,  so  sind 
damit  auch  alle  anderen  bestimmt. 

Der  Leser  sei  für  die  Ableitung  einer  solchen  Einheit 
für  unser  Gebiet  auf  die  Arbeit  Irving  Fisber's;  „Matbe- 
matical  Investigatioos  into  the  theory  of  value  and  prices* 
verwiesen. 

Gewiß  glaube  ich  nicht,  dieses  in  erkenntnistheoretiscber 
Beziehung  so  interessante  Thema  mit  diesen  wenigen  Be- 
merkungen erschöiift  zu  halten.  Dennoch  beschränke  ich 
mich  auf  dieselben;  das  einzige,  was  wir  zum  Streite  um 
den  psychologischen  Wertmaßstab  zu  sagen  haben,  ist  ja. 
daß  er  überflüssig  ist  und  wir  in  Übereinstimmung  mit 
unserer  )irinzipiellen  Stellung  zur  Werthypothese  Oberhaupt 
mit  dem  Probleme  der  Messung  psychologischer  GrOßen 
nichts  zu  tun  haben :  Es  gehört  zu  jenen,  die  wir  nicht  za 
lösen,  sondern  auszuscheiden  haben,  zu  jenen,  Ober  die  steh 


Zum  Wertbegriffe.  113 

die  Ökonomen  ganz  unnötigerweise  ereiferten.  Wir  sehen 
hier  wie  oft,  daß  sich  vieles,  was  manchem  als  unüber- 
steigliches  Hindernis  erscheint,  das  den  Weg  verbarrikadiert, 
bei  Eäherem  Zusehen  überhaupt  nicht  auf  demselben  findet. 
Der  Tourist  würde  nicht  weit  kommen,  der  sich  jedesmal 
abschrecken  liefie,  wenn  es  so  aussieht,  wie  wenn  sich  sein 
Pfad  im  Gesteine  verlieren  wollte;  wenn  er  weiterklimmt, 
wird  er  meist  sehen,  dafi  die  Sache  viel  leichter  ist  als  sie 
aoBBah,  daB  mancher  Fels,  den  er  übersteigen  zu  müssen 
glaabte,  gar  nicht  auf  seinem  Wege  liegt.  Aber  erst  an 
Ort  und  Stelle  sieht  er  das,  von  der  Feme  vermag  er 
nicht  m  überblicken,  ob  sein  Pfad  weiterführt.  So  müssen 
aaeh  wir  verfahren  und  wenn  wir  es  tun,  bemerken  wir, 
▼ielleieht  nicht  ohne  Erstaunen,  daß  wir  zwischen  den 
philosophischen  Klippen  durchsteuern  können,  ohne  an 
ihnen  zu  stranden.  Unser  Weg  nun  ist  ganz  derselbe,  wie 
der  der  Mechanik  mit  Rücksicht  auf  die  Massen  der  Körper. 

Nur  etwas  möchte  ich  noch  bemerken,  hier  nur 
in  Kürze :  In  der  theoretischen  Konstruktion  unserer  Einheit 
liegt  der  eine  Grundstein  der  Geldtheorie.  Soweit  nämlich 
das  Geld  als  Wertmesser  funktioniert,  läßt  sich  sein  Wesen 
auf  Grund  solcher  Betrachtungen  verstehen. 

Der  dritte  Einwand,  den  wir  erwähnten,  beruht  auf 
einem  Mißverständnisse:  Jeder,  der  überhaupt  handelt,  ver- 
fügt auch  über  einen  Wertmaßstab,  sonst  könnte  er  nie 
zwischen  mehreren  Eventualitäten  wählen.  Doch  wollen 
wir  darüber  an  anderer  Stelle  etwas  ausführlicher  sprechen. 


8ehi&mp«t«r,  NaUooalOkonomie.  8 


Zweiter  Teil. 

Das  Problem  des  statischen  Gleich- 
gewichtes. 


%' 


Erster  Abschnitt. 


I.  Kapitel 
Einleitung  ffir  die  folgende  Darstellung. 


\ 


§  1.  Wir  haben  im  Vorhergehenden  versucht,  manche 
Schwierigkeiten  zu  beseitigen  oder  zu  umsegeln,  welche  den 
Grundlagen  unserer  Disziplin  anhaften.  Es  handelte  sich 
darum,  zu  zeigen,  dafi  eine  exakte  Disziplin  von  der  mensch- 
lichen Wirtschaft  an  sich  nichts  Widersinniges  ist,  dafi  auch 
die  Einwendungen,  welche  weite  Kreise  veranlafiten^  sich 
von  derselben  abzuwenden,  bei  näherem  Zusehen  weniger 
enistzunehmen  sind,  als  man  auf  den  ersten  Blick  glauben 
möchte. 

Wir  haben  unseren  Weg  soweit  frei  gemacht,  dafi   wir 
nun  einen  Schritt  weiter  gehen  können.    Wir  wollen  nun 
daran  gehen,  unser  exaktes  System  zu  beschreiben,  was 
nach  unserem  Standpunkte   nichts  Geringeres  bedeutet,  als 
die  ganze  reine  Ökonomie  darzulegen.    Dabei  können   wir 
allerdings  nicht  alle  Einzelheiten  der  Theorie  bringen  und 
besonders  nicht  in  alle  Diskussionen  eingehen,  welche  jemals 
geführt  wurden,   sondern  müssen  uns  auf  die  großen  Züge 
des  Gebäudes  und  auf  verhältnismäßig  wenige  Fragen  von 
vitaler  Bedeutung  beschränken.    Sowohl  für  die  Erkenntnis- 
theorie als  auch  für  den  materiellen  Inhalt  unserer  Wissen- 


1 

i 


l\Q  D«g  Problem  äee  statischen  Oleichgevidit««. 

Schaft,  sowohl  far  die  GniDdlagen  wie  far  kookrete  Probleme 
glauben  wir  so  Einiges  leisten  zu  können,  und  es  liegt  im  Inter- 
esse der  Darstellung,  nicht  zu  viel  in  das  Detail  einzugehen. 

Im  Zentrum  dieses  Teiles  steht  das  Gleichgewichtfi- 
probleiu.  Es  wird  sich  empfehlen,  hierüber  sofort,  zon&ehst 
einleitend.  Einiges  zu  sagen. 

Von  unserem  Standpunkte  ist  die  gegenseitige  Ab- 
hängigkeit der  Elemente  unseres  Systemes  von  fundamentaler 
Bedeutung.  Ihr  Gleiehgewichtszustantl  ist  sozusagen  das 
Problem  der  statischen  Ökonomie:  Methodolc^seh  wie 
materiell  ist  es  die  Grundlage  fOr  alle  unsere  Resultate. 
Dem  Leser  jedoch  werden  die  sich  daraus  ergebeodeu 
und  daran  anschließenden  Erörterungen  wichtiger  sein,  und 
diese  werden  wir  nur  kurz  skizzieren.  Wenn  wir  die  Ele- 
mente unseres  Systemes  Qberblicken,  so  e^bt  sieh  vor 
allem  die  Frage,  welche  derselben  als  Ausgangspunkte 
gewählt  und  als  Daten  des  Problemes  betrachtet  werden 
sollen.  Wir  beantworten  diese  Frage  dahin,  dafl  alle 
Elemente  gleichzeitig  gegeben  sind  und  unr  ihre 
Variationen  gefunden  werden  kOnnen  und  gehen 
Aber  die  Tatsache  des  Gegebenseins  nicht  hinaus.  Ge- 
wöhnlich aber  versucht  man  das:  Jeder  NationalOkonom 
bringt  gewisse  Erörterungen,  welche  das  Vorhandensein 
aller  Guter  erklären  sollen,  also  z.  B.  solche  Ober  geo- 
graphische und  klimatische  Verhältnisse,  Ober  die  Natur 
des  Menschens  usw.  Auch  wir  haben  uns  mit  diesen  Dingen 
zu  beschäftigen,  allerdings  zu  einem  anderen,  lediglieh  nega- 
tiven Zwecke,  nämlich  um  nachzuweisen,  dafi  diese  Dinge 
fremde  Elemente  im  Systeme  der  Ökonomie  darstellen.  Das 
ist  der  erste  Programmpunkt.  Es  schließt  sich  daran  eine 
Einfuhrung  des  methodologisch  so  wichtigen  Hilfsmittels 
der  Unterscheidung  von  Statik  und  Dynamik,  dessen  Be- 
deutung sich  freilich  erst  aus  der  Gesamtheit  unserer  Aus- 
führungen ergeben  wird,  und  eine  weitere  Bemerkung  aber 
das  Kostenprinzip,  welche  sich  in  diesem  Zusammenhange 
von  selbst  ergibt. 

Dann  n&hem  wir  uns  der  Preistheorie,  welche  ja  den 


Einleitung  für  die  folgende  Darstellung.  119 

Kern  der  reinen  Ökonomie  bildet,  und  welche  erst  den 
strikten  Beweis  der  eindeutigen  Bestimmtheit  des  Gleich- 
gewichtszustandes liefert  und  uns  über  die  Natur  der 
Wechselbeziehungen  zwischen  den  Elementen  aufklärt  Gleich- 
wohl werden  wir  sie  nur  kurz  behandeln  und  auch  hier 
mehr  auf  einige  wichtig  scheinende  Punkte,  als  auf  syste- 
matische Vollständigkeit  Wert  legen.  Vorher  jedoch  werden 
wir  einiges  Qber  das  Znrechnungsproblem  sagen  und  auch 
die  viel  umstrittenen  Fragen  der  freien  Konkurrenz  und 
des  Maximumtheoremes  erörtern.  In  der  Preistheorie 
finden  sich  femer  zwei  Abschnitte  von  großem  prak- 
tischen Interesse.  Der  eine  ist  die  Theorie  des  Geldes,  der 
andere  die  des  Sparens,  letztere  mit  einer  kurzen  Bemerkung 
Qber  Kapitalbildung.  Diese  Dinge  lassen  sich  von  der 
Preistheorie  nicht  trennen,  sondern  ergeben  sich  unmittelbar 
aus  derselben,  was,  nebenbei  gesagt,  sehr  fttr  die  Frucht- 
barkeit des  Wertprinzipes  spricht. 

Wir  wollen  hier  noch  kurz  den  Gang  unserer  weiteren 
Untersuchungen  andeuten.  Der  dritte  Teil  bringt  eine 
weitere  Anwendung  der  reinen  Preistheorie:  die  Theorie 
der  Verteilung.  Auch  da  ist  von  Vollständigkeit  und  Aus- 
f&hrlichkeit  keine  Rede.  Wir  sagen  überall  hauptsächlich 
das,  was  wir  selbst  hinzuzufügen  haben,  und  überlassen  es 
im  allgemeinen  dem  Leser,  das  Fehlende  aus  den  Darstellungen 
der  modernen  Theoretiker  zu  ergänzen.  Auch  da  ferner 
findet  sich  Gelegenheit,  methodologische  Bemerkungen  zu 
machen.  Diese  und  einige  negative  Resultate  bezüglich  der 
Zinstheorie  stellen  das  wesentliche  Ergebnis  dieses  Teiles  dar. 

Der  vierte  Teil  beschäftigt  sich  mit  dem,  was  ich  die 
,  Variationsmethode''  nenne,  als  deren  praktische  Anwendungen 
dann  die  reine  Steuer-,  Schutzzolltheorie  und  anderes  kurz 
gestreift  wird.  Diese  letzteren  Dinge  haben  nur  den  Cha- 
rakter von  Beispielen,  um  die  vorher  allgemein  dargelegten 
Grundsätze  lebendiger  zur  Anschauung  zu  bringen  und  ent- 
halten nicht  nur  nichts  Neues,  von  einigen  Anregungen 
abgesehen,  sondern  bleiben  sogar  weit  hinter  dem  zurück, 
was  über  diese  Gegenstände  heute  gesagt  werden  könnte. 


120  I^*  Problem  des  sUlischeo  GleichgairUtM. 

Das  Wichtige  ist  nur,  die  Methode,  vennittelat  welcher 
die  praktischen  Resultate,  welche  die  reine  Ökonomie  oaeh 
dieser  Richtung  hin  zu  bieten  vermag,  gewonnen  werden, 
klar  herauszuarbeiten  und  zu  zeigen,  daß  sie  die  einzige 
ist,  die  zu  diesem  Ziele  führt. 

Der  fünfte  Teil  stellt  in  mancher  Hinsicht  eine  Zusamnisn- 
fassung  des  Gesagten  dar,  bringt  keine  weiteren  materiellen 
Resultate,  sondern  beschränkt  sieh  darauf,  ein  abschliefiendes 
Urteil  Ober  Wesen  und  Wert  der  statischen  Ökonomie  in 
geben  und  Einiges  über  die  Richtung  und  die  Aassichten 
weiterer  Arbeit  anzudeuten. 

§  2.  Betrachten  wir  die  Wirtschaft  irgendeines  Indi- 
viduums oder  ii^endwelcher  Individuen  irgendwo  and  irgend- 
wann. Was  uns  daran  vom  Standpunkte  der  engumschriebenen 
Zwecke,  die  wir  im  Auge  haben,  interessiert,  ist,  wie  gesagt, 
die  Tatsache,  daß  jedes  Wirtschaftssubjekt  sieh  in  jedem 
gegebenen  Augenblicke  im  Besitze  bestimmter  Arten  und 
Mengen  von  Gutem  befindet.  Diese  Tatsache  besteht  for 
jeden  Zustand  der  Wirtschaft.  Mag  es  bei  der  onendlichen 
Folie  der  Formen  des  Wirtschaftens  apriori  zweifelhaft  sein, 
ob  man  etwas  Allgemeingiltiges  über  dasselbe  aussagen 
kann  und  noch  mehr,  ob  das,  was  sich  allgemein  sagen 
läßt,  genug  Inhalt  hat,  um  der  Aufmerksamkeit  wert  lu 
sein;  mag  jede  komjiliziertere  Wirtschaft  Erscheinungen 
darbieten,  welche  in  einfacheren  fehlen;  stets  läßt  sich  der 
wirtschaftliche  Zustand  eines  Individuums  oder  einer 
Gruiipe  durch  deren  Besitz  ad  Gütern  charakterisieren.  Er 
ist  das  Kei^ultat  aller  Momente,  die  den  Beobachter  in 
diesem  Zusammenhange  interessieren  kdnnen,  und  dieselben 
lassen  sich  aus  ihm  gleichsam  ablesen.  Er  ist  femer  der 
AusfiangspuDkl  für  die  exakten  Methoden  der  reinen  Öko* 
uomie,  stellt  ihre  Handhabe  dar,  um  die  Probleme  des  Wirt- 
schiiftens  zu  erfassen. 

Welche  Guter  nsich  Art  undMenge  haben  die 
einzelnen  Wirtsch  aftssubjekteV  Wie  ist  gerade 
dieser  GUterl>esitz  und  dieses  Verhalten  der  wirtschaftenden 


Einleitong  für  die  folgende  Darstellung.  121 

Individum  dazu  zu  erklären  V  Zur  Beantwortung  dieser  Fragen 
sollen  wir  etwas  beitragen,  nach  der  Ansiebt  Mancber 
sogar  alles. 

Nicht  zwei  Wirtschaftssubjekte  haben  denselben  Gttter- 
besitz,  nicht  zwei  wQrden  sich,  auch  wenn  dieser  Fall  ein- 
träte, in  gleicher  Weise  dazu  verhalten.  In  ihrem  wirt- 
sehaftliehen  Handeln  spiegeln  sich  alle  ihre  Lebensverhält- 
nisse, alle  persönlichen  und  sozialen,  ihre  ganze  Geschichte 
und  die  ihrer  Vorfahren,  nicht  weniger  die  Gebote  der  um- 
gebenden Natur. 

Vom  Boden,  den  sie  beherrschen,  vom  Klima,  in  dem 
sie  leben,  kurz,  vom  geographischen  Milieu,  hängt,  mehr 
oder  weniger,   aber  jedenfalls   in   sehr   erheblichem   Maße 
jener  geistige  und  physische  Habitus  ab,  den  man  mit  dem 
Ausdrucke  ^Bassencharakter''  bezeichnet.  Ethnologie,  „Etho- 
logie'' und  von  anderer  Seite  her  auch  die  Biologie  lehren 
uns,   daß    wie  Flora   und   Fauna  so  auch    zum    mindesten 
viele  Dinge  am  Menschen  und  seinem  Handeln  und  Leiden 
aus  jenen  Einflössen  zu  begreifen  sind,  mithin  ihnen,  insoweit, 
nicht    als    unabhängig    gegenObergestellt    werden    können. 
Weil  aber   einmal   erworbene  Charaktere  sich   auch   unter 
anderen  Verhältnissen  lange  erhalten,  so  gewinnen  sie  doch 
eine  gewisse  Selbständigkeit   und  können  für  viele  Zwecke 
als    besondere    Erklärungsniomeute    neben    die    genannten 
gestellt  werden.    Da   ferner  eine  Einwirkung  auf  das  geo- 
graphische Milieu  seitens  der  Menschen  innerhalb  gewisser 
Grenzen  möglich  ist,  so  läßt  sich  von  einer  Wechselwirkung 
zwischen  demselben  und  der  Natur  des  Menschen  sprechen, 
sodafl  das  Milieu  seine  Menschenrassen,  aber  auch  die  Rassen 
ihr  Milieu  formen. 

Man  kann  verschieden  denken  über  die  Frage,  inwieweit 
mao  die  soziale  Organisation  von  dieser  Seite  her  erklären 
kann,  und  ob  dieselbe  Momente  darbietet,  welche  anders 
begriffen  werden  müssen.  Sicherlich  aber  steht  sie  zum 
Teile  unter  dem  Einflüsse  von  „Natur  und  Rasse".  Und 
wiederum,  sie  vermag,  einmal  vorhanden,  auch  dann  noch 
^ine  Zeitlang    fortzubestehen,    wenn    die    Kräfte,    die    sie 


122  ^BB  Problem  des  BUtiechen  Gleicbgewicktes. 

schufeD,  ZU  virken  aufgeh&rt  haben.  Sie  gewinot  eine 
aelbBtftndige  Existenz,  ein  eigenes  Leben  and  mofi  als  ein 
neuer  Faktor  in  Betracht  gezogen  werden,  wo  es  konkrete 
ZuBtfinde  zu  erklären  gilt.  Dabei  kann  sogar  ein  Einflufi 
auf  die  Entwicklung  und  die  Eigenschaften  der  Rasse  und 
selbst  auf  die  ftuflere  Natur  konstatiert  werden,  sodaS  von 
einer  Wechselwirkung  auch  hier  gesprochen  werden  kann. 
Weit  mußten  wir  ausholen,  wenn  wir  uns  näher  auf  diese 
Dinge  einlassen  wollten.  Doch  handelt  es  sich  ans  onr  am 
einen  Punkt.  Es  soll  hervorgehoben  werden,  wie  schwer 
es  w&re,  eine  klare  Kausalkette  herausarbeiten  zn  wollm. 
In  der  Tat  mOfite  man  der  Wirklichkeit  Gewalt  antun, 
wenn  man  darauf  bestünde.  Eine  allgemeine  gegenseitige" 
Abhängigkeit  besteht  in  allen  diesen  Dingen  und  es  wire 
ebenso  unrichtig  oder  unvollständig,  von  der  Vemrsadiang 
des  einen  durch  das  andere,  wie  des  anderen  durch  das  eine 
zu  sprechen,  wenigstens  vom  Standpunkte  der  Wissenschaften 
vom  menschlichen  Handeln. 

Das  Resultat  aller  dieser  Verhältnisse  ist  daao  — 
wiederum,  ganz  oder  zum  Teile  —  die  Persönlichkeit.  Sie 
mag  mehr  oder  weniger  an  eigenen  Merkmalen  haben,  welche 
sich  nicht  ohne  weiteres  aus  jenen  ergeben.  Sie  kann  besser 
oder  schlechter,  nach  dieser  oder  nach  jener  Seite  veranlagt, 
ein  Egoist  oder  ein  Menschenfreund,  von  starkem  oder 
schwachem  Willen  usw.  sein.  Ihre  Stellung  im  sonaleB 
Leben,  ihre  Schicksale,  Erfahrungen  und  Beziehongen  zn 
andern  mögen  sich  aus  der  einen  oder  der  anderen  Gra|^ 
von  Momenten  ergeben,  in  sehr  verschiedener  Weise  auf- 
gefaßt und  beurteilt  werden.  Jedenfalls  kann  ein  gewichtiger 
Einfluß  von  jener  Seite  her  von  niemand  geleugnet  werden. 
Und  ebenso  wirkt  sie  wieder  auf  jene  Momente  zurDck  und 
muß.  sei  es,  weil  sie  ülier  unerklärte  ihr  eigent&mliche 
Eigenschaften  verfOgt,  sei  es,  weil  auch  sie  ein  ,D«ner- 
tyiius"  ist  und.  einmal  geformt,  zu  einen  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  selbständigen  Faktor  wird,  an  und  für  nch 
berücksichtigt  werden  als  ein  unabhängiges  Moment 

So  bietet  uns  also  die  Natur  der  Sache  keine  beqaemen 


Einleitung  für  die  folgende  Darstellung.  12S 

Handhaben  dar,  um  alle  diese  Dinge  zu  beschreiben.  Viel- 
mehr haben  wir  ein  unendlich  kompliziertes  Gewirre  von 
Wirkungen  und  Gegenwirkungen  vor  uns. 

Der  wirtschaftliche  Zustand  und  das  Verhalten  des  Indi- 
TidnoniB  dazu  ergibt  sich  aus  alledem.  Aus  der  Gesamtheit 
dieser  Verhältnisse  heraus  mOssen  beide  begriiTen  werden, 
aber  wie  sie  aus  ihnen  folgen,  so  wirken  sie  auch  wieder 
auf  diese  Dinge  zurttck.  Tatsächlich  ist  es  nicht  mehr,  als 
eine  allbekannte  banale  Wahrheit,  daß  nicht  nur  das  wirt- 
schaftliehe Handeln  verschiedener  Leute  je  nach  dem  vor- 
handenen Güterbesitze,  auch  abgesehen  von  der  persön- 
liehen  Verschiedenheit  der  Wirtschaftssubjekte  ein  ver- 
schiedenes sein  muß,  sondern  auch,  daß  das  wirtschaftliche 
Handeln  und  der  wirtschaftliche  Zustand  selbst  Persönlichkeit 
und  endlich  Rasseneig^ntOmlichkeiten  beeinflußt.  Es  ist 
klar,  daß  z.  B.  Art  und  Quantität  der  Nahrung  die  physischen 
and  selbst  Charaktereigenschaften  des  Konsumenten  beein- 
flußt, daß  ganze  Rassen  durch  unzulängliche  Versorgung 
sich  geistig  und  physisch  verändern  können.  Ebenso  bekannt 
ist  es,  daß  die  Art  der  Tätigkeit,  der  täglichen  Arbeit,  dem 
Menschen  ihren  Stempel  aufdrückt  und  zum  Erwerbe  von 
geistigen  und  physischen  Merkmalen  führt,  die  dann  in  der 
weiteren  Entwicklung  des  Individuums  und  der  Nation  eine 
große  Rolle  spielen  können.  Und  auch  diese  Dinge  werden 
zu  selbständigen  Mächten  und  die  Spuren,  die  sie  im  Menschen 
hinterlassen,  verschwinden  nicht  plötzlich  und  nicht  schnell. 
Sicherlich  mögen  sich  die  Grundlagen  des  wirtschaftlichen 
Handeln  im  großen  und  ganzen  aus  dem  Milieu  er- 
kl&ren,  und  für  viele  Zwecke  wird  eine  solche  Betrachtung 
ausreichend  sein;  in  der  Nationalökonomie  und  den  ihr 
nahestehenden  Disziplinen  aber  haben  wir  es  oft  mit  solchen 
Einzelheiten  und  mit  so  kurzen  Perioden  zu  tun,  daß  von 
diesem  Standpunkte  aus  alle  diese  Dinge  als  selbständige^ 
aufeinander  wirkende  Faktoren  zu  betrachten  sind.  Be- 
trachtet man  z.  B.  den  Zusammenhang  des  physischen  und 
moralischen  Habitus  des  Menschen  mit  der  umgebenden 
Natur,  so  kann  man  der  Behauptung,  daß  der  erstere  aus 


124  I^"  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

der  letzteren  vollkomiDeo  erklärbar  sei,  ruhig  aaeb  daDD 
noch  beistimmen,  wenn  diese  Erklärungsweiae  nicht  Qberall 
ganz  paSt,  vorausgesetzt  nur,  daß  man  die  Diskrepanzen 
durch  Wanderungen  ausreichend  erklären  kann.  Von  unserem 
Standpunkte  aber,  also  etwa  bei  der  Erklärung  einer  kon- 
kreten wirtschaftlichen  Erscheinung,  ist  es  ganz  gleich- 
galtig,  ob  man  einen  bestimmten  Cbarakterzng  fOr  aas  dem 
Milieu,  dem  ein  Individium  früher  angehörte,  erkUrbar 
anerkennen  kann.  Er  ist  einmal  da  und  hat  BelbstftndigeB 
Leben  gewonnen. 

Wenn  man  also  sagte,  dafi  der  wirtschaftliehe  Zustand 
und  das  wirtschaftliche  Handeln  von  der  Gesamtheit  aller 
jener  Verhältnisse  abh&nge,  so  w&re  das  nur  die  eine  Hälfte 
der  Sache.  Die  andere  ist,  dag  jene  beiden  auf  diese  zurück- 
wirken. Wie  sich  aus  jenen  ergibt,  was  jeder  erarbeitet 
und  verzehrt,  so  beeinflußt  das,  was  jeder  erarbeitet  und 
verzehrt,  wiederum  alle  umgebenden  Verhältnisse.  So  kann 
also  das  wirtschaftliche  Handeln  nicht  erklärt  werden  ohne 
das  wirtschaftliche  Handeln  selbst,  und  der  wirtschaftliche 
Zustand  nie  ohne  den  wirtschaftlichen  Zustand  selbst  oder. 
etwas  korrekter  ausgedrOckt,  unter  den  Momenten, 
die  man  zur  Erklärung  des  Güterbesitzes  der 
betrachteten  Individuen  heranziehen  mafi,  be- 
findet sich  auch  der  Guterbesitz  von  frtther. 
Mag  man  also  die  Geschichte  der  menschlichen  Wirtschaft 
Stufe  for  Stufe  zurück  verfolgen,  so  wird  man  allerdings 
aus  jedem  gegebenen  Zustande  den  früheren  ablesen  kOnnen, 
aber  man  wird  niemals  dahin  gelangen,  eines  oder  mehrere 
der  Erklärungsmomente  auf  andere  zurOckzufOhren,  sondern 
wird  immer  dieselben  vorfinden. 

Die  Wirkung  und  Wechselwirkung  dieser  Momente  aof- 
einauder  ist  der  eigentliche  Gegenstand  wissenschaftlicher 
Betrachtung  auf  sozialem  Gebiete.  Es  ist  höchst  wichtig, 
das  anzuerkennen,  da  dadurch  Licht  in  viele  fruchtlose 
Streitigkeiten  gebracht  und  eine  tiefere  Einsicht  tu  das 
soziale  Geschehen  erreicht  werden  kann.  Aber  wir  wollen 
Bicht    weiter  bei  diesen  Gedanken   verweilen.    W^ir  wollten 


Einleitung  für  die  folgende  Darstellung.  125 

hauptsächlich  nur  ein  Beispiel  für  ein  grofies  System  von 
interdependenten  Momenten  anfahren,  ehe  wir  nun  zeigen, 
daß  etwas  Ähnliches  bezüglich  der  reinen  Ökonomie  besteht. 
Inmitten  dieser  grofien  Bewegungen  liegt  das  kleine 
Gebiet,  dem  unsere  Aufmerksamkeit  gilt.  Alle  seine  Er- 
scheinungen hängen  natQrlich  von  den  grofien  Dingen  ab, 
welche  wir  eben  andeuteten,  aber  wir  möchten  sehen,  ob 
sieh  die  Bewegungen  auf  demselben  nicht  doch  in  allgemeinen 
Sätzen  beschreiben  lassen,  die  kQrzer  und  einfacher  sind, 
als  es  möglich  wäre,  wenn  man  all  das  berücksichtigen  wollte. 
Ersichtlich  ist  es  ein  riesiges  Gebiet,  das  man  beherrschen 
mfifite,  um  jeden  konkreten  Zustand  einer  Wirtschaft  gründ- 
lich zu  verstehen;  und  das  bringt  es  mit  sich,  dafi  man 
nur  wenig  allgemein  darüber  sagen  könnte,  femer,  dafi 
solche  allgemeinen  Sätze  nur  sehr  wenig  Inhalt  haben 
würden.  Das  Problem  ist  daher,  zu  sehen,  ob  man  nicht, 
ohne  in  alle  diese  Dinge  einzugehen,  die  auf  unserem 
Gebiete  zu  beobachtenden  Regelmäßigkeiten  beschreiben 
können,  gleichsam  an  sich  und  ohne  tiefere  Begründung 
zu  suchen.  Diesem  Zwecke  galt  unsere  exakte  Grund- 
legung, die  wir  im  ersten  Teile  vorführten  und  deshalb 
haben  wir  auch  versucht,  den  Begriff  des  wirtschaftlichen 
Handelns,  der  uns  sofort  in  jene  Dinge  hineinzieht,  zu 
eliminieren.  Wollten  oder  könnten  wir  das  nicht,  so  stünde 
es  schlimm  um  unsere  Disziplin.  Die  historische  Schule 
sagt  uns  nichts  Neues,  wenn  sie  darauf  hinweist,  dafi  jede 
wirtschaftliche  Erscheinung  ein  Resultat  vielgestaltiger  Ein- 
flüsse, komplizierter  Prozesse  ist;  aber  die  Forderung,  auf 
all  das  einzugehen,  bedeutet  Verzicht  auf  eine  Wirtschafts- 
wissenschaft. In  dem  Versuche,  diese  Schwierigkeiten  zu 
umgehen,  liegt  keine  Leugnung  ihrer  Existenz,  sondern  nur 
eine  methodologische  Operation.  Und  das,  nicht  die  all- 
gemeinen Argumente  der  Theoretiker,  kann  man  den  Histo- 
rikern entgegenhalten. 

§  S.   Wie   dem  aber  auch  sein   mag,   stets   hat   jedes 
Wirtschaftssubjekt    gewisse    Gütermengen.     Und    die    Ver- 


J-Jj)  l^a^  Pro))lpin  do.s  statisclu'n  Gloichgewiohtos. 

iiiHleruiigeii,  die  es  an  denselben  vornimmt,  was  es  hinzu- 
erwirbt und  wovon  es  sich  entäußert,  das  haben  wir  zu 
beschreiben.  Wir  betrachten  hier  nicht  den  Konsum. 
Derselbe  geht  als  Resultat  des  Wirtschaftsprozesses,  gleich- 
sam als  dessen  Eonsequenz  vor  sich  —  wenn  er  auch,  anders 
betrachtet,  das  Ziel  und  der  Angelpunkt  der  Wirtschaft 
sein  mag.  Wir  betrachten  eher,  wie  das  Mahl  vorbereitet, 
nicht  wie  es  verzehrt  wird  und  halten  uns  an  die  Güter- 
mengen vor  dem  Akte  des  Eonsumes,  so  wie  wir  es  audi 
nicht  mit  dem  technischen  Produktionsprozesse,  soodeni  mit 
seinen  reinökonomischen  Voraussetzungen  zu  tun  haben. 

Die  Wirtschaftsssubjekte  können  sich  ihre  Güter  in 
sehr  verschiedener  Weise  verschaffen,  sie  eintauschen  oder 
selbst  erzeugen.  Wir  wollen  aber  alles  das,  wie  früher 
ausgeführt,  unter  dem  Gesichtspunkte  des  Tausches  begreifen 
und  wollen  auch  für  die  Zwecke  dieses  Überblickes  keinen 
Unterschied  diesbezüglich  machen. 

Daserste,  wasuns  auffallt,  ist,  dafidielndi- 
viduen  keineswegs  alle  jene  Güter  haben  und 
alle  jene  Veränderungen  an  ihnen  vornehmen, 
welche  im  Bereiche  der  Möglichkeit  liegen. 
Was  das  anlangt,  könnten  sie  ebensogut  auch  andere  GOter- 
arten  und  -mengen  besitzend  GewiB  besitzen  und  erlangen 
sie  femer  auch  Güter,  deren  Besitz  wirklich  den  Charakter 
der  Zufälligkeit  trägt:  Sie  mögen  etwas  unversehens  ge- 
schenkt bekommen,  erbeuten,  finden,  im  allgemeinen  aber 
sehen  wir,  daß  die  Veränderungen  der  einzelnen  Güterarten 
und  -mengen  keineswegs  „planlos^  vor  sich  gehen,  vielmehr 
zunächst  eine  Güterart  erworben,  dann  an  einem  bestimmten 
Punkte  zum  Erwerbe  einer  anderen  übergegangen  wird  und 
so  fort.  Und  in  jedem  Falle  können  wir  sozusagen  eine 
Art  Idealzustand  festhalten,  an  den  sich  die  Wirklichkeit 
mehr  oder  weniger  anschließt.  Die  betrachteten  Wirtschafts- 
subjekte bebauen  eine  bestimmte  Bodenfläche,  arbeiten  eine 


>  So  daS  ihr  Gulerbesitx  vom  Standpunkte  der  phyiischen  M5gUch< 
keiten  gesehen,  als  ^xuAUig"  erscheint. 


Eialeitang  für  die  folgende  Darstellung.  127 

gewisse  Zeit  mit  einer  gewissen  Energie  in  einer  gewissen 
Richtung,  verwenden  ihre  übrigen^  Güterarten  in  einer 
bestimmten  Weise.  In  diesen  Dingen  drücken  sich  alle  jene 
Verhältnisse  aus,  die  wir  früher  angedeutet  haben.  Wir 
mftfiten,  um  jeden  einzelnen  Fall  zu  erklären,  jenes  weite 
Gebiet  im  Einzelnen  darstellen.  In  jedem  Eulturzustande, 
an  jedem  Orte,  bei  jeder  Rasse  gestaltet  sich  all  das  ver- 
schieden, besonders  wichtig  ist  aber  der  Umstand,  dafi  wir 
keineswegs  das  Individuum  als  solches  den  übrigen  Dingen 
gegenüberstellen  können,  also  etwa  Mensch  und  Natur  als 
Daten  unseres  Problemes  betrachten  können.  Denn  erstens 
beide  Dinge  nicht  unabhängig  und  zweitens  sind  ihre 
Iren  nicht  zu  trennen :  Wenn  wir  uns  die  Güter- 
mengen, die  ein  Individuum  besitzt,  betrachten,  so  ergibt 
sich,  dafi  gar  nichts  davon  bloß  von  der  Natur 
nnd  gar  nichts  davon  bloß  vom  menschlichen 
Handel  abhängig  ist.  Das  gilt  selbst  vom  Boden. 
Aber  wir  wollen  eben  nicht  jeden  einzelnen  Fall  erschöpfend 
erU&ren,  sondern  begnügen  uns  mit  der  Beobachtung,  daß 
jene  Veränderungen  in  den  vorhandenen  Güterarten 
and  -mengen  regelmäßig  vor  sich  gehen. 

Es  ist  für  uns  von  fundamentaler  Bedeutung,  daß  in 
aufeinanderfolgenden  Wirtschaftsperioden  im  ganzen  und 
Srofien  erstens  dieselben  Güterarten  produziert  und 
konsumiert  werden.  Wohl  ändert  sich  das  im  Laufe  der 
Estwicklung;  jedoch  nur  langsam  und  allmählich  und  wenn 
lutnnur  kurzePerioden  betrachtet,  so  sieht  man,  daß 
die  überragend  große  Mehrheit  der  Güterarten  immer  wieder 

'  Wie  man  sieht,  betrachten  wir  die  Arbeit  als  ein  wirtschaft- 
Hchcs  Gut  Wir  haben  den  Begriff  des  wirtschaftlichen  Gutes  nicht 
^^^iert  und  keine  Behauptungen  über  die  Eigenschaften  aufgestellt, 
<lie  nötig  sind,  van  etwa«  lu  einem  wirtechaftliehen  Gute  zu  machen : 
^u  betraehten  einfach  alles  das  als  wirtschaftliches  Gut, 
^Qf  was  unsere  Betrachtungsweise  als  Element  unseres 
^xtkten  Sjstemes  ungezwungen  anwendbar  ist.  Das  aber  kann 
^uii  keine  Spekulation,  sondern  nur  der  Versuch  lehren.  Einen 
••leben  Verrach  machen  wir  bezfiglich  der  Arbeit.  Über  ihr  ^^Wesen*" 
wird  dadnrck  nichts  aasgesagt. 


128  Du  Problem  des  statiachen  Gleichgetricbtes. 

auftaucht  und  es  verhältnismaSig  nur  selten  vorkommt, 
daß  eine  dereelben  verschwindet  oder  eine  neue  biozutritt. 
Die  grofie  Masse  ist  Behr  konstant.  Und  zweitens  ist  es 
fundamental  fOr  uns,  daö  auch  die  Mengen,  welche  die 
einzelnen  Wirtschaftssubjekte  in  aufeinanderfolgenden  Peri- 
oden von  diesen  Gtitem  erwerben,  ebenfalls  unter  der 
gleichen  Voraussetzung,  in  bemerkenswerter  Weise 
konstant  sind  und  sieb  Änderungen  in  denselben  zum  Teile 
auszugleichen  streben.  Das  sind  zwei  Tatsachen,  welche 
wir  im  fünften  Teile  dieser  Arbeit  noch  diskutieren  werden. 

Um  sie  jedoch  als  Grundlage  unseres  Systemes  ver- 
wenden zu  können,  mttsseu  wir  sie  durch  die  folgenden 
beiden  Annahmen  sozusagen  behauen ,  zureehtümmem. 
Die  erste  ist  die,  daß  sich  Arten  —  und  Qualitäten  —  sowie 
die  Verwendungsarten  der  GQter  gar  nicht  indem  und 
die  zweite,  daß  jene  „häufigsten"  Mengen  derselben  sich 
tatsächlich  immer  und  genau  so  herausstellen,  daß  keine 
Tendenz  zu  Änderungen  besteht.  Das  sind  Annahmen 
oder  besser  Fiktionen;  sicherlich  stimmen  sie  mit  der 
Wirklichkeit  nicht  genau  aberein.  Inwieweit  sie  das  tun 
und  welches  die  Tragweite  darauf  gebauter  Resultate  ist, 
werden  wir,  ebenfalls  im  fQnften  Teile  dieser  Arbeit,  sorg- 
fältig zu  untersuchen  haben. 

Das  ist  nun  nichts  anderes  als  eine  neue  Ableitung 
dessen,  was  wir  schon  früher  den  Gleichgewichtszostind 
nannten.  Jene  beiden  Tatsachen  für  sich  könnte  man  den 
empirischen,  sie  beide  mit  den  zwei  angefahrten  An- 
nahmen verbunden  den  exakten  Gleichgewichtsxuatand 
nennen. 

§  4.  Wir  sagten  bereits,  daß  wir  weder  das  konkrete 
Handeln  noch  den  konkreten  Wirtschaftszustand  eines  Indi- 
viduums vollständig  erschöpfend  erklären  kOnnen  und  difl 
es  unser  einziges  Bestreben  sein  muß,  zu  sehen,  ob  wir 
nicht  trotzdem  irgendwelche  Sätze,  welche  nattirlich  nnr 
formal  und  allgeiufiuen  Inhaltes  sein  können,  zu  finden 
vermögen,  in  ähnlicher  Weise,  wie  die  Mechanik  Bewegunfsii 


EinMtaiig  für  die  folgende  Darstellang.  129 

beschreibt,  ohne  sie  und  die  anderen  Eigenschaften  der 
bewegten  Körper  näher  zu  ergründen.  Warum  ein  be- 
stimmtes Individuum  eine  bestimmte  Menge  eines  bestimmten 
Gutes  hat,  k&nnen  wirnicht  begründen;  wir  wissen  nichts 
Ober  das  Individuum  oder  ober  das  Gut.  Ist  z.  B.  das 
letztere  ein  Nahrungsmittel,  so  kann  uns  der  Physiologe 
etwas  tiber  seine  Bedeutung  fQr  das  erstere  und  der  Biologe 
etwas  Aber  die  Art  sagen,  wie  das  Handeln  des  Individuums 
inbezng  auf  das  Gut  mit  jener  Bedeutung  zusammenb&ngt. 
Der  Knltnrhistoriker  mag  sich  dafQr  interessieren,  ob  Kleidung 
oder  Schmuck  dem  Menschen  wichtiger  scheint.  Fbr  uns  ist  alles 
das  belanglos.  Und  ebenso  bekfimmem  wir  uns  nicht  um  den 
technischen  ProzeB  der  Produktion.  Kurz,  wir  haben  es  nicht 
mitGOtem  an  sich,  sondern  nur  mitRelationen  zwischen  den- 
selben  und  auch  nicht  mitBelationen  zwischen  bestimmten 
QOtem,  sondern  nur  mit  solchen  zwischen  Gütern  oder,  noch 
besser,  zwischen  Gütermengen,  Oberhaupt  zu  tun. 

Wir  untersuchen  also  nicht,  auf  welche  Art  von  Gütern 
die  erste,  und  auf  welche  dann  die  zweite  Wahl  fällt  usw. 
Aber  wir  notieren,  daß,  welches  Gut  immer  zuerst  er- 
zeig werden  mag,  stets  bei  einer  gewissen  Menge  desselben 
Halt  gemacht  und  zu  dem  Erwerbe  eines  anderen  aber- 
gegangen  wird  usw.  Der  Punkt,  an  dem  der  Erwerb 
jedes  Gutes  für  jedes  Wirtschaftssubjekt  auf- 
hört, ist  fOr  uns  also  von  fundamentaler  Bedeutung:  In 
^  Lage  aller  dieser  Punkte  zueinander  drückt  sich  die 
Beziehung  zwischen  den  Mengen  der  vom  Wirtschaftssub- 
jekle  erworbenen  GOter,  ein  bestimmtes  Verhältnis 
ivischen  denselben  aus,  und  auf  Grund  des  Gesagten 
'oird  man  verstehen,  wenn  wir  weiter  sagen,  daß  in  diesem 
Systeme  von  Grenzpunkten  des  Gütererwerbes 
*faeD  jenes  formale  Moment  liegt,  welches  wir  behandeln 
kAnnen,  ohne  uns  um  konkrete  GUterarten  und  konkrete 
'     lodividnen  zu  kümmern. 

,  Was  wir  brauchen,  sind  also  nicht  Theorien  über  die 

i     Onuide  des    wirtschaftlichen    Handelns ,    sondern    formale 
I     Annahmen,  welche  uns  diese  Grenzpunkte  kurz,  einfach  und 

I  B(hBBp*t*r,  HatiaulOkoDomi*.  9 


130  I^^"  Probtem  des  Btatischen  Oleichgewichtee. 

formal  ergeben,  Funktionen,  welche  die  Bedingung 
zum  Ausdrucke  bringen,  daß  weiterer  Erwerb 
eines  Gutes  aufhört,  wenn  seine  Menge  in  einem 
bestimmten  Verhältnisse  zu  den  Mengen  der 
anderen  GQter  steht,  die  im  wirtschaftlichen  Bereiche 
des  Wirtsehaftssubjektcs  liegen.  Diese  Funktionen  mögen 
etwas  wirklich  Existierendes  versinnlicheD  oder  nicht,  dieses 
gEtwas"  mögen  wir  nennen,  wie  wir  wollen,  das  ist  altes 
unwesentlich.  Wesentlich  ist  nur,  daS  sie  gewisse  Eigen- 
schaften haben,  und  was  immer  die  Ökonomen  darttber  tu 
sagen  haben  mögen,  ist  nebensachlich. 

Und  nun  eine  kurze  mathematische  Bemerkung,  deren 
Sinn  sogleich  klar  werden  wird:  DaS  die  Zaw&ehse  der 
Gütermengen  an  jenen  Grenzpunkten  verschwinden,  heiSt, 
da6  die  Differenzialquotienten  unserer  Funktion  inbeiug  auf 
diese  Mengen  gleich  Null  sein  müssen.  Messen  wir  alle 
Güter  mit  einer  und  derselben  Maßeinheit,  z.  B.  in  Geld' 
und  seien  q„,  gi,,  qr  usw.  die  Mengen  der  GOter  A,  B,  C  osw^ 
so  haben  wir  die  Gleichung: 

Diese  Funktion  (f  ist  nichts  anderes  als  eine  Art  Oesant- 
wertfunktion  des  Guterbesitzes  unseres  Wirtschtftssubjektes 
und  diese  Gleichung  drttckt  einen  Gleichgewichts-  und 
Maximumzustand  aus.  Mit  ihrer  Hilfe  können  wir  auch  iv 
jener  Beziehung  zwischen  den  Mengen  der  GQter,  die  das 
Individuum  im  Gleichgewicht  besitzt,  gelangen.  Da  nimlich 
die  , Preissumme "  der  „verkauften"  und  die  Preiasumine 
der  „gekauften"  GQter  gleich  sein  muB,  so  haben  wir,  weoD 
wir  die  Preise  der  Einheiten  der  einzelnen  Gdterarten 
respektive  mit  ;>,.,  p,.,  p.   usw.  bezeichnen  die  Gleicfaang: 

I',.  rfy.,  +  pi.  dq,.  +  prdq,  +  ...  =  ©■...  2. 
woi-aus  sich  im  Zusammenhalte  mit  Gleichung  1  ei^bt: 

'  Ohne  daH  ,c;i-ld-  bereits  eingeführt  su  haben,  mKli«n  wir  Uc^ 
von  einem  Momente  (iebrauch,  dessen  llrauchbftrkcit  vaX  der  HuA 
liegt  uiiil  das  leicht  kii  verRtehen  ist,  ohne  in  die  theontiKhen  Schwiaip- 
keiten  der  Sftrlie  einzugehen. 


Einleitaiig  för  die  folgende  Darstellung.  131 


1  dq> 1  dq> 1  dq) 


3. 


Pa  dqa       Pb  dqt      Pe  dqc 

welche  Gleichung  das  fundamentale  Gesetz  des  Grenz- 
nutzenniveaus  zum  Ausdruck  bringt. 

In  der  Ausdrucksweise  der  „psychologischen**  Theorie 
heiSt  das,  daß  jedes  Gut  in  solcher  Menge  erworben  wird, 
daß  die  letzterworbenen  Teilmengen  aller  gleich 
intensive    Bedürfnisregungen    befriedigen. 
Dieses  allbekannte  Theorem  ist  es,  das  auch  wir  abgeleitet 
haben.    Es  ist  nichts  anderes  als  Gleichung  3,  nur  mund- 
gerecht gemacht  und  ausgeschmückt  mit  allerhand  Zutaten. 
Wer  an  denselben  keinen  Anstoß  nimmt  und  jene  Ableitung 
11  trocken  findet,  kann  immer  an  dieser  Ausdrucksweise 
festhalten.    Ich  wollte  nur  zeigen,  daß  der  Kern  der  Sache 
sieh   streng    exakt   und   einwandfrei   fassen   laßt   und   daß 
wissenschaftliche  Korrektheit  im  Sinne  des  Physikers  auch 
auf  unserem  Gebiete  keine  Unmöglichkeit  ist.     Bezüglich 
der   praktischen    Resultate    aber    besteht    keine    Dififerenz 
zwischen   uns  und  den  Psychologen.     Mit  all  den  psycho- 
logischen  Erörterungen    wird    nichts   anderes    beabsichtigt 
und  erreicht,  als  auch  wir  mit  unserem   strengeren   Vor- 
gehen beabsichtigen  und  erreichen.    Noch  sei  bemerkt,  daß 
in  dem  Gesagten  eine  etwas  andere  Ableitung  der  Wert- 
AiBktion  liegt,  als  die  im  ersten  Teile  vorgeführte.     Wir 
gdien  nicht  nfther  auf  dieselbe  ein,  da  das  in  theoretische 
Details  führen  würde,  welche  außerhalb  des  Rahmens  dieser 
Arbeit  liegen. 

Das  Gleichungssystem  3  also  stellt  alles  dar,  was  wir 
^  der  lebensvollen  Wirklichkeit  herausheben,  den  Aus- 
schnitt, der  die  reine  Ökonomie  enthält.  Nicht  die  wirt- 
schaftenden Individuen,  auch  nicht  dieeinzelnen 
konkreten  Güter,  sondern  gewisse  Vorgänge  oder 
Besieh un gen,  schematisiert  in  diesem  Ausdrucke,  sind 
^Substrat  unserer  Diskussionen.  Es  ist  ein  Gebilde  unserer 
Willktir,  aber  doch  nicht  aus  der  Luft  gegrififen,  eine 
^chöpfang  des  Forschers,  aber  doch  nicht  ohne  Beziehung 


132  ')>■  Problem  de*  italischeD  Gleichgewicbtea. 

zur  Wirklichkeit.  Für  dea ,  der  das  begriffeo  hat ,  gibt  es 
keine  Zweifel  mehr  Ober  die  Grundlagen  der  Ökonomie  und 
die  Kontroversen  darüber  tosen  sich  auf,  doch  wollen  wir 
später  noch  auf  diese  Dinge  zurückkommen  und  hier  nicht 
weiter  dabei  verweilen. 

Ein  GQrtel  von  Gleichungen  begrenzt  den 
wirtschaftlichen  Machtbereich  des  Individuums. 
Man  kann  sich  denselben  als  einen  Kreis  vorstellen,  in  dessen 
Mitte  das  letztere  steht  und  auf  dessen  Peripherie  die 
Grenzpunkte  des  GQtererwerbes  liegen.  Sie  alle  stehen 
dem  Individuum  gewissermaßen  gleich  nahe.  Psychologisch 
gesprochen,  alle  Grenzmeogen  sind,  in  demselben  MaSe  aos- 
gedrockt,  ihm  gleichviel  wert,  so  daß  es  keine  derselben, 
fUr  einen  gleichgroßen  Zuwachs  an  einem  anderen  Gute 
aufzugeben  geneigt  wAre,  wie  immer  sich  sein  wirtschaft- 
liches Handeln  sonst  gestalten  mag.  Und  das  —  und  nur 
das  —  besagt  die  Redensart,  daß  das  Individuum  im  Gleich- 
gewichtszustande ein  Maximum  der  BedQrfnisbeh-iedigUDg 
erreiche. 

In  dem  Gesagten  liegt  nun  meiner  Auffassung  nach  'die 
exakte  Grundlage  der  Ökonomie  und  es  muß  verstanden 
sein,  wenn  man  das  Wesen  unserer  Disziplin  verstehen  will. 
Wohl  weiß  ich,  daß  meine  gedrängte  Darstellung  diesem 
Verständnisse  im  Wege  steht;  allein  ich  konnte  nicht  aus- 
führlicher sein.  Jeder  Satz  ist  von  Bedeutung.  Der  Leeer, 
den  diese  Dinge  interessieren,  ist  gebeten,  ihnen  einiges 
Kachdenken  zu  widmen.  Auch  eine  nochmalige  LektQre 
dieser  r)arleguDg  durfte  empfehlenswert  sein.  Ich  bedauere, 
nicht  ein  l')>erschlagen  dieses  Kapitels  empfehlen  zu  k&unen, 
da  es  durchaus  essentiell  ist.  Auf  dem  Wege  Eur  Ex&ktheit 
und  zu  wirklicher  Korrektheit  muß  sieh  unsere  Dissiplin 
naturgemäß  von  Popularität  entfernen.  Das  ist  nicht  meine 
Schuld,  wenn  auch  meine  Darlegung  sehr  mangelhaft  sein 
mag.  Auch  die  populärste  Auseinandersetzung  enthftlt  die- 
lielben  Gedanken,  nur  täuscht  sie  Ober  die  Schwierigkeiten 
hinweg.  Will  man  wirkliche  Befriedigung,  so  kommt  nuD 
um  sie  nicht  herum. 


Einleitung  für  die  folgende  Darstellung.  133 

Noch  etwas  möchte  ich  erwähnen:  Ganz  fremd  stehen 
auch  die  filteren  Ökonomen  unserer  Erkenntnis  nicht  gegen- 
ober. Wir  finden  unser  Gesetz  vom  Grenznutzenniveau 
schon  bei  Ricardo  in  dem  Gesetze  der  Gleichheit  der  Profit- 
rate. Femer  hat  fast  jeder  Ökonom  einen  größeren  oder 
geringeren  Teil  der  Sache  erkannt.  Das  Neue  liegt  in  dem 
Herausarbeiten  des  Kernes  derselben,  der  „Interdependenz*" 
in  ihrer  Allgemeinheit  und  grundlegenden  Bedeutung;  Aus- 
schnitte daraus  findet  man  hftufig,  und  einzelne  der  Zu- 
sammenhänge, auf  die  wir  hindeuteten,  wurden  schon  oft 
isoliert  behandelt.  Einer  derselben  bildet  ja  auch  den  In- 
halt des  Kostenprinzipes,  wovon  man  sich  bei  einigem  Nach- 
denken leicht  Oberzeugt.  Doch  gehen  wir  weiter  und  er- 
örtern wir  noch  Einiges,  was  zu  näherer  Erklärung  des 
Gesagten  beitragen  mag. 

§  5.  Unser  Gesetz  vom  Grenznutzenniveau  und  unser 
Gleichgewichtszustand  gilt  für  jedes  Wirtschaftssubjekt,  es 
mag  ein  isoliertes  sein  oder  in  Beziehungen  zu  andern 
stehen.  Beide  Fälle  unterscheiden  sich  gewiß  von  einander, 
namentlich  bestehen  in  letzterem  mehr  und  kompliziertere 
Möglichkeiten  für  den  Wirtschaftsverlauf,  aber  in  beiden 
ist  der  Vorgang  doch  wesentlich  derselbe.  Immer  hängen 
die  Grenzpunkte  des  Gütererwerbes  eines  Individuums  von- 
einander ab;  nur  kommt  im  zweiten  Falle  noch  hinzu,  daß 
sie  auch  von  den  analogen  Grenzpunkten  des  Gütererwerbes 
aller  anderen  Individuen  abhängen.  So  kann  man  denn 
ohne  weiteres  weiter  gehen  und  auch  für  die  Volkswirtschaft 
ein  eindeutig  bestimmtes  Grenznutzenniveau  annehmen.  Am 
einfachsten  macht  man  sich  das  Bestehen  eines  solchen  klar, 
wenn  man  die  Volkswirtschaft  als  ein  Wirtschaftssubjekt 
betrachtet  —  „John  Bull  &  Co."  z.  B.  —  und  sich  dieselbe 
mittelst  einer  „repräsentativen  Firma "^  versinnlicht  nach  dem 
Vorgange  A.  Marshalls.  Allein  dieses  Bild  ist  inadäquat 
und  verdeckt  die  wesentlichen  Charakterzüge  der  Verkehrs- 
wirtschaft; nur  für  die  „geschlossene",  verkehrslose  Wirt- 
schaft pafit  es  ganz.    Für  die  erstere  kann  die  Konstruktion 


134  I^aa  Problem  de*  aUtiichen  Otcichgewicht««. 

nur  eio  präliminares  Bild  gebCD,  dazu  bestimmt,  eine  erste 
Vorstellung  von  der  Sache  zu  fixieren;  aber  sonst  spricht 
man  besser  von  einem  Systeme  von  Grenznutzenniveaos  in 
der  Volkswirtschaft.  Immerhin  ist  es  eine  grofle  Wahrheit, 
dafi  auch  in  der  Volkswirtschaft  als  ganzer  alle  GQterartea 
nnd  Mengen  und  mithin  auch  die  „volkswirtschaftlichen'' 
Grenzpunkte  allen  GQt«rerwerbes  eindeutig  bestimmt  und 
von  einander  abhängig  sind;  nur  muß  man  das  i'ichtig  ver- 
stehen; in  der  Verkehrswirtscbaft  wird  dieser  Zustand 
nicht  etwa,  wie  jenes  Bild  von  der  repräsentativen  Firma 
suggerieren  könnte,  durch  eine  zentrale,  soziale  Aktion  und 
die  Wirkung  „sozialer"  Bedarfnisse  herbeigeführt,  sondern 
ist  das  Resultat  der  Wechselwirkui^n  der  individuellen 
Orenznutzenniveans  aufeinander. 

Auf  jeden  Fall  also,  nochmals,  leistet  uns  unser  Gesetz 
sowohl  für  die  isolierte  oder  geschlossene  wie  für  die  Ver- 
kehrswirtschaft in  gleichem  Maße  zweierlei.  £s  grenat  die 
Beziehungen,  die  zu  beschreiben  die  Aufgabe  der  Ökonomie 
ist,  von  andern  ab  und  zwar  sowohl  von  anderen  Beziehungen, 
ethischen,  sozialen  zwischen  den  Wirtschaftssubjekten,  wie 
von  anderen,  technischen  usw.,  zwischen  den  Gutem.  Und 
sodann  liefert  es  uns  das  Grundgesetz  dieser  Beziehungen, 
aus  dem  alles  Weitere  folgt,  es  beschreibt  die  Verhältnisse 
der  Gütermengen  zueinander,  die  unter  gewissen  Vorans- 
setzungen  eintreten  und  sich  erhalten  werden,  es  gibt  uos, 
mit  einem  anderen  Ausdrucke,  die  Proilnktions-  und 
Konsumkombination  unserer  Individaen,  die  aus  deren 
Veranlagung  usw.  und  aus  deren  wirtschaftlichen  MOglidi- 
keiten  folgt.  Ks  ist  ein  Problem  ökonomischer.Effi- 
z  i  e  n  z ,  das  da  gelöst ,  eine  Logik  der  wirtsehaftlicben 
Dinge,  die  da  erreicht  wird.  Dieses  Problem  mufi  von  dem 
der  technischen  Effizienz,  mit  dem  besonders  sein 
erster  Teil,  die  Prodiiktionskombination  leicht  verwechaelt 
werden  kann,  geschieden  werden,  ist  ihm  aber  methodo- 
logisch analog.  Die  folgenden  Betrachtungen  mAgen  nun 
noch  der  Aufmerksamkeit  des  Lesers  empfohlen  sein. 

Alle    Erscheinungen    oder    Bewußtseinsinhalte,    welche 


Einleitnog  f&r  die  folgende  Darstellang.  135 

die  „Weif"  ausmachen,  stehen  in  Wechselbeziehungen  zu- 
einander und  bedingen  sich  gegenseitig.  Faßt  man  einen 
Teil  derselben  als  gegeben  auf,  um  einen  anderen  Teil 
daraus  abzuleiten,  so  ist  das  immer  nur  ein  methodologisches 
Hilfsmittel,  das  für  bestimmte  Zwecke  nützlich  oder  selbst 
notwendig  sein  mag,  aber  nie  die  ganze  Wahrheit  enthalt. 
Das  wissenschaftliche  Weltbild,  das  uns  die  exakten  Wissen- 
schaften bieten,  ist  nichts  anderes,  als  ein  großartiges  System 
von  Größen,  welche  sich  gegenseitig  bestimmen  und  deren 
Beziehungen  anzugeben  die  Aiü[gabe  der  Wissenschaft  ist. 
In  kleinerem  Maßstabe  stellt  auch  jede  Einzeldisziplin  ein 
«olches  System  dar  und  beschreibt  die  Abhängigkeitsver- 
hältnisse zwischen  irgendwelchen  Daten,  in  deren  „W^sen"" 
sie  aber  nicht  einzudringen  vermag.  Und  so  auch  die  reine 
Ökonomie. 

Alle  Güterquantitäten  im  Untei-suchungsgebiete  sind 
uns  gegeben  und  die  Frage,  mit  der  wir  uns  zu  befassen 
haben,  ist  immer  nur:  Wie  ändern  sich  dieselben,  wenn 
eine  von  ihnen  geändert  wird?  Oder:  In  welchem  Verhält- 
nisse müssen  sie  zueinander  stehen,  damit  keine  Änderung 
eintritt?  Das  ist  alles,  was  wir  mit  unserer  Methode  unter- 
suchen können.  Wiederum,  das  ist  keine  Theorie  der  Wirt- 
schaft, aber  es  ist  alles,  was  an  den  Werken  der  „Theore- 
tiker" von  wirklichem  Werte  ist. 

Nicht  alle  Änderungen,  welche  an  den  Gütermengen  vor 
sich  gehen,  können  wir  beschreiben,  sondern  nur  eine  Gruppe 
derselben,  nämlich  jene,  welche  durch  die  Tauschrelation 
charakterisiert  ist.  Daß  uns  die  chemischen  usw.  Wirkungen 
unzugänglich  sind,  ist  nicht  weiter  verwunderlich.  Aber  es 
gibt  auch  andere,  welche  durch  das  wirtschaftliche  Handeln 
verursacht  werden  und  die  wir  doch  nicht  erklären  können. 
Ein  Eingriff  der  gesetzgebenden  Gewalt  unter  anderen  mag 
große  Veränderungen  in  unserem  Systeme  herbeiführen, 
ohne  daß  wir  viel  darüber  zu  sagen  hätten.  Da  müssen 
wir  uns  damit  trösten,  gewisse  ökonomische  Wirkungen 
desselben  darzulegen,  was  ja  immerhin  etwas  ist. 

Irgendeine   Gütermenge    erfahre    einen   Zuwachs,    wie 


136  ^^  Problem  des  tUtiichen  Oleichgewicbtet. 

wirkt  das  auf  alle  anderen  ?  Alle  anderen  GQter  und  Preise 
werden  dadurch  aftiziert  Eb  mag  sein,  das  manche  dieser 
Wirkungen,  namentlich  wenn  der  Zuwachs  nicht  groß  ist 
oder  in  einem  wenig  wichtigen  Gute  eintritt,  so  gering  sind. 
daB  man  sie  nicht  zu  bemerken  vermag  und  vernachlässigen 
kann  und  oft  werden  sie  nur  in  Tendenzen  bestehen.  Dann 
sieht  es  so  aus,  wie  wenn  die  Wechselbeziehungen  zwischen 
den  GQterquantitäten  keine  vollständigen  wären  und  sich 
nicht  Ober  das  ganze  Untersuchungsgebiet  erstrecken  wQrden. 
Tatsächlich  wird  fast  immer  nur  eine  oder  wenige  der 
Wechselwirkungen  bedeutend  und  augenfiLllig  sein.  Und 
das  veranlaßt  die  Ökonomen  auch  in  der  Regel,  nur  auf 
diese  Gewicht  zu  legen  und  gewisse  einfache  Kausalketten 
aufzustellen.  Aber  wenn  das  auch  oft  für  viele  Zwecke 
ausreicht,  so  darf  doch  nie  vergessen  werden,  dafi  man 
dabei  andere  Wirkungen  vemachläBigt,  welche  nicht  nur 
„im  Prinzipe*"  vorhanden ,  sondern  mitunter  auch  von  prak- 
tischer Bedeutung  sind. 

Um  ein  Beispiel  anzufahren:  Nimmt  aus  irgend  einem 
Grunde  die  vorhandene  Getreidemenge  zu,  so  ist  es  klar, 
daß  im  allgemeinen  das  Geldeinkommen  jener  Wirtschafts- 
subjekte, welche  nun  mehr  Getreide  zu  verkaufen  haben, 
steigt.  Aber  nicht  notwendig;  es  mag  sein,  daß  der  Preis 
infolge  des  größeren  Angebotes  so  sehr  sinkt,  daß  der  Erlös 
sogar  ein  geringerer  sein  kann,  als  vorher.  Angenommen 
das  erstere  sei  der  Fall,  so  werden  die  Verkäufer  des  Ge- 
treides eine  größere  Nachfrage  nach  anderen  Gütern  ent- 
falten; das  wird  auf  deren  Preise  wirken  und  im  allgemeinen 
auch  auf  ihre  Produktion.  Dann  aber  werden  die  Preise 
ihrer  Produktivgüter  steigen,  z.  B.  die  Löhne,  der  in  ihrer 
Proiiuktiou  ))eschäftigten  Arbeiter,  was  einerseits  die  Folge 
hat,  daß  von  dieser  Seite  vermehrte  Nächfrage  nach  ver- 
schiedenen Gütern  erfolgt  und  andererseits,  daß  sich  andere 
Arl>eiter  jenen  Industriezweigen  zuwenden  werden,  was  den 
Lohn  allgemein  erhöhen  wird  usw.  Sinkt  aber  der  Preis 
des  (letreides  erheblich,  so  werden  dessen  Konsumenten 
begünstigt   werden,  sodaß  dann   von  dieser  Seite  her  Wir- 


Einleitung  für  die  folgende  Darstellung.  137 

kongen  derselben  Art,  wie  die  angedeuteten  ausgeben  werden. 
Ein  wahrhaft  unübersehbares  Gewirr    von  Wirkungen  und 
Gegenwirkungen  über  die  ganze  Volkswirtschaft  hin  folgt 
aus  jener  einen  Veränderung  und  wenn  manche  derselben 
kaum  erkennbar  sind,   so  kann  man  doch   sagen,   daß  es 
eher  die  Aufgabe  der  Theorie  sei,   die   verborgeneren  auf- 
zufinden, als  jene,   welche  jedermann  so  leicht  sehen  kann. 
Diesen  Verhältnissen  wird  nun  unsere  Auffassung  weit  mehr 
gerecht,  als  die  übliche,  und  das  ist  das  praktische  Moment, 
das  uns  dieselbe  empfiehlt,   neben  dem  theoretischen,  daß 
sie  auch  wissenschaftlich  korrekter  ist.    Bei   Untersuchung 
z.  B.  der  Wirkungen  eines  Zolles  oder  einer  Steuer  auf  ein 
bestimmtes  Gut  kommt  man  leicht  auf  Abwege,   wenn  man 
die  allgemeine  Interdependenz  der  ökonomischen  Quantitäten 
ftbersieht.    Die  populäre  Behauptung,  daß  z.  B.  eine  Steuer 
auf  den  Konsumenten  fallen  müsse,  wurzelt  hier :  Man  findet, 
dafi  die  Produktionskosten  der  Einheit  einfach  um  den  Steuer- 
betrag erhöht  werden  und  nimmt  diese  selbst  und  alles  andere, 
Angebot  und   Nachfrage,   als   fest   au.     Die  Tatsache,   daß 
die  angebotene    und   nachgefragte    Menge   des   Gutes   sich 
infolge  der  Steuer  ändern  kann,  was  nichts  anderes  heißt, 
dafi  Kosten    und   Absatz    voneinander   abhängige   Variable 
sind,   führt    zu    einer   etwas    tieferen    Erkenntnis    unseres 
Systemes.     Aber   alle  darüber   hinausgehenden   Wirkungen 
der  Steuer  pflegen  vernachläßigt  zu  werden  und   wenn  sich 
einmal  eine  solche  weitere  Wirkung  darbietet,  so  erscheint 
^  als  eine  besondere  Entdeckung,  auf  sie  hinzuweisen. 

Besonderes  theoretisches  Interesse  hat  unsere  Auffassung 
fOr  die  Klarstellung  der  Wertdiskussion.  Wir  haben  darauf 
bereits  im  ersten  Teile  dieser  Arbeit  hingewiesen :  Allerdings 
wt  vom  Standpunkte  des  Psychologen  der  Wert  das  herrschende 
Prinzip  der  Wirtschaft  und  auch  für  die  Zwecke  der  (>ko- 
Qomie  wird  sich  zeigen,  daß  in  den  „Kosten"  kein  selb- 
ständiges Prinzip  liegt.  Aber  der  Gesamtwert  einer  be- 
stimmten Menge  von  Kostengütern  und  der  Gesamtwert 
einer  bestimmten  Menge  von  Genußgütern  sind  voneinander 
abhängige    Variable,    stehen    zueinander    in    umkehrbarer 


138  Du  Problem  dei  BtetiBchen  aieiebg»wiAt«a. 

funktiooeller  Beziehung,  was  nicht  im  geringsten  dem  Si 
vidersprieht.  welcher  als  die  Grundlage  der  psyehologisc 
Werttheorie  aufzufassen  ist,  namlieb,  dafi  beiden  dasM 
Prinzip,  das  des  Wertes,  zugrunde  li^.  Wir  werden  ni 
mals  darauf  zurückkommen.  Hier  wollen  wir  nur  darauf  1 
weisen,  dafi  die  Aufstellung  einer  Kausalkette  zwisc 
beiden  nur  den  Sachverhalt  verdunkelt.  Der  Satz:  , 
Wert  der  GenuBgQter  ist  die  Ursache  des  Wertes 
Kostengfiter"  ist,  wenn  er  etwas  anderes  bedeuten  soll 
daß  die  Erzeugung  von  Genußgfltem  das  Ziel  des  W 
schaftens  ist,  an  sich  nicht  richtiger  als  der  nmgekeh 
„Der  Wert  der  Kostengüter  ist  die  Ursache  des  Wertes 
GenufigOter".  Beide  Sätze  mögen  im  einzelnen  Falle 
eignet  sein,  die  Veränderung  einer  der  beiden  GrOflen 
erklären.  Wenn  der  Wert  und  Preis  eines  Kostengi 
steigt,  so  wird  im  allgemeinen  die  Folge  sein,  daS  der  V 
und  Preis  jener  GenuSgQter  steigt,  zu  deren  Erzeug 
dasselbe  nötig  ist.  Und  zur  Beschreibung  dieses  Fallet 
es  zulässig,  die  erstere  Gröfie  als  unabhängige  and 
letztere  als  abhängige  Variable  zu  betrachten  d.  h.  i 
den  letzteren  Satz  zu  akzeptieren.  Im  entgegengeaeti 
Falle  gilt  das  Umgekehrte.  Nie  aber  liegt  die  ganze  Wi 
heit  darin,  welche  vielmehr  nur  durch  die  Anerkennung 
allgemeinen  Interdependenz  gegeben  ist.  Jeder  sok 
Kausalkette  läßt  sich  eine  andere  gegenüberstellen  und 
allgemeinen  wird  man  ffir  beide  passende  Beispiele  finc 
fOr  ihre  allgemeine  Geltung  zu  streiten  aber  ist  mfißig. 

Dasselbe  gilt  bezüglich  des  Instrumentes  der  ,Gt 
produktivit&t".  Daß  der  Ertrag  der  letztaufgewaui 
„Dose"  eines  Produktionsmittels  dessen  Gesamtwert 
stimme",  ist  nicht  falsch.  Aber  man  kann  mit  demse 
Rechte  sagen,  daß  der  Wert  eines  Produktionsmittels 
stimme,  wieviel  von  ihm  aufgewandt  werden  und  was  d; 
der  Ertrag  jenes  letzten  Teilchens,  was  die  Grenzproi 
tivjt&t  sein  wird.  Als  Feststellungen  von  funktionellen 
Ziehungen   zwischen  den   Elementen   unseres  Systemea 


ESnleitäiig  fl&r  die  folgende  Darstellang.  139 

186  Sätze  richtig  und  sie  alle  sind  in  unserer  Auf- 
enthalten. Aber  ihr  absoluter  Wert  ist  gering.  Sie 
brauchbar  als  Ausgangspunkte  des  wissenschaftlichen 
enganges  und  stellten  Entdeckungen  eines  Teiles  des 
M  interdependenter  ökonomischer  Quantitäten  dar, 
gen  femer  zur  Beschreibung  spezieller  Fälle  aus* 
Im  allgemeinen  aber,  und  wo  es  sich  darum 
,  streng  korrekt  zu  sein,  sind  sie  nicht  länger  zu- 
stellen sie  eine  ersichtlich  unvollkommene,  ja  primi- 
offässung  dar.  Durch  die  Erkenntnis  der  vollen 
einheit  der  Wirkungen  und  Gegenwirkungen  inner* 
Dseres  Systemes  oder  besser,  durch  die  Erkenntnis 
stenz  eines  solchen  Systemes  von  einander  bestimmenden 
ten  ist  sie  als  überwunden  anzusehen, 
tn  sieht,  daB  wir  dieser  Erkenntnis  —  welche  im 
nicht  mehr  als  eine  ganz  banale  Wahrheit  enthält 
e  fundamentale  Bedeutung  beilegen.  Wir  stehen 
m,  zu  sagen,  dafi  sie  den  größten  Fortschritt  der 
1  Ökonomie  und  ihren  wesentlichsten  Unterschied 
ber  der  älteren  darstellt.  Es  ist  für  die  Klassiker, 
lieh  für  Ricardo,  und  ihre  Nachfolger  geradezu 
teristibch,  daß  sie  nur  einzelne  Teile  davon  aus  dem 
e  herausheben  und  ohne  organischen  Zusammenhang 
mder  behandeln;  und  darin  scheint  uns  der  wich- 
:heoretische  Mangel  derselben  zu  liegen.  Unsere 
itnis  stellt  die  ganze  Theorie  auf  eine  neue  Grund- 
ibt  ihr  eine  klarere,  korrektere  Form,  zeigt  uns  ihr 
und  ihre  Aufgabe  in  einem  helleren  Lichte.  Wir 
en  eine  einheitliche  Methode  und  Geschlossenheit  und 
nenhang  zwischen  unseren  Resultaten,  endlich  einen 
Standpunkt  zur  Beurteilung  nahezu  aller  reinöko- 
ben  Streitfragen  und  Spezialtbeorien.  Was  unsere 
i  leisten  kann  und  wo  ihre  Grenzen  liegen  —  alles 
gt  mehr  oder  weniger  direkt  daraus. 
e  Nationalökononien,  welche  zuerst  und  am  voll- 
sten diesen  Sachverhalt  erkannten,  sind  L.  Walras, 
ser  und  A.  Marshall.    Sie  kamen  dazu  in  origineller 


140  I^i>3  Problem  des  Htatiacheii  Oleichgeirichtes. 

Weise  und  von  verschiedenen  Ausgangspunkten,  Walras 
durch  seine  bewundernswerten  Gleichungssyateme,  v.  Wieser 
durch  das  Zurechnungsproblem  und  A.  Marshall  durch 
Weiterentwicklung  der  Grundlagen  der  Klassiker.  Der 
letztere  Umstand  erklärt  es,  daß  Maraballs  Darstellung  noeh 
viel  von  der  älteren  Auffassung  anhaftet  und  dieselbe  die 
Reinheit  und  Einheitlichkeit  des  Werkes  Walras'  nicht 
erreicht.  Besonders  iu  der  Kostenfrage  veranlaBt  ihn  seine 
GenerositAt  gegenaber  den  Klassikern,  nicht  hinlängliches 
Gewicht  auf  den  Umstand  zu  legen,  daß  die  Reform  der 
(>konomie  durch  die  Werttheoretiker  dadurch  nicht  an  Be- 
deutung verliert,  daß  man  Jevon's  Kausalketten  eine  absolate 
Geltung  abspricht :  Das  hindert  ja  keineswegs,  wie  wir  an»* 
führten,  daß  die  Einführung  der  Wertfunktionen  die  ganie 
Theorie  auf  eine  neue  Grundlage  stellt  Auch  sonst  behält 
er  mehr  vom  klassischen  Systeme  bei,  als  sich  meines  Er^ 
achtens  rechtfertigen  läßt,  und  es  bedarf  eines  tieferen 
Einblickes,  um  zu  erkennen,  daß  auch  sein  System  im 
Wesen  völlig  modern  ist.  Seine  zahlreichen  Nachfolger 
jedenfalls  —  und  er  ist  der  einzige  aus  jenen  dreien,  der 
wirklich  Schule  gemacht  hat  —  haben  es  meist  OberMhen. 
So  steht  heute  noch  die  Qbergroße  Mehrzahl  der  Ökonomen 
auf  einem  Standpunkte,  der  als  veraltet  bezeichnet  irarden 
mufi. 

§  6.    Resümieren   wir   einen   Teil   unseres  Argamentae. 
Der  Güterbesitz  eines  Wirtschaftssubjektes  und  sein  Vei^ 
hniten  zu  demselben  ist  das  Produkt  unendlich  komplizierter 
Verhältnisse,   das  Produkt   eines   unübersehbaren   Gewinei 
von   Wirkungen    und   Gegenwirkungen  verschiedenater  Art    i 
und  verschieden  in  jedem  einzelnen  Falle.  Warum  hat  diem  { 
oder    jenes    Wirtschaftsaubjekt    gerade    diese    Art«n    aad  1 
Mengen  von  Gütern   und    warum   verhält   es   sich   so  vai  [ 
nicht  anders  dazu?  Nach  unserer  Auffassung  und  im  Gegen-  I 
Satze  zur  üblichen,   ist  das  keineswegs  die  Grundfrage  der  I 
(>konomie.    Nicht  viel  weniger  als  das  gesamte  Q^^et  ta   j 
Wissens,  das  ganze  Heer  von  Disziplinen,  die  der  I 


Eioleitang  fQr  die  folgende  Darstellang.  14  X 

geist  geschaffen  bat,  mttfite  herangezogen  werden,  um  sie 
n  beantworten;  im  Grunde  ist  das  nicht  mehr  als  selbst- 
Terständlich,   und  wir  glauben,  es  im  Vorhergehenden  ge- 
nfigend  betont  zu  haben.    Und  selbst  dann  wäre  es  fraglich, 
ob  die  Antwort  auf  jene  Frage,  die  so  einfach  klingt  und 
doch  80  aufierordentlich  unbescheiden  ist,   befriedigend  aus- 
fallen könnte.    Unser  ganzes  Bestreben  ist  vielmehr  darauf 
gerichtet,  aus  der  Lebensfalle  der  Erscheinungen   in   das 
klare   und    einfache   Gebiet   gewisser   formaler  Belationen 
iwischen  denselben  „hinaberzu wechseln  "^  ohne  der  ersteren 
Gewalt  anzutun,  ohne  sie  zu  analysieren  und  ohne  irgend 
etwas  Materielles  über  sie   auszusagen.    Wir  können  in 
ihre  Erkl&rung  nicht  eingehen,  weil  das  weit  in  uns  fremde 
Gebiete  fQhrt,  wir  brauchen  das  nicht  zu  tun,  weil,  wie 
rieh  bei  näherer  Betrachtung  zeigt,  Erörterungen  darüber 
nichts  zur  Vervollkommnung  jener  kleineu  Gruppe  von  Resul- 
taten,  welche   wir  gewinnen   möchten,   beitragen   und   wir 
wollen  es  nicht,  um  nicht  die  Anerkennung  unserer  Dis- 
ziplin von  Sätzen  abhängig  zu   machen,   über   welche  nur 
andere  Disziplinen    urteilen    können,   um   sie   nicht  in  ihr 
fremde  Kontroversen  zu   verwickeln  und   endlich,   um   ihr 
ihren   exakten   Charakter    und    ihre    methodologische    und 
inbaltliehe  Einheit  nicht  zu  nehmen.    Und  unser  Problem 
ist  ein  viel  engeres  und  bescheideneres :  nilmlich,  wie  früher 
auseinandergesetzt,   die  Beschreibung  gewisser  Beziehungen 
zwischen    den   Güterquantitäten    im    Untersuchungsgebiete. 
Ich  glaube,   daß  diese  Begründung  des  Raisonnements  der 
Ökonomie  jenen  Einwendungen  nicht  ausgesetzt  ist,  welche 
gegen  die  übliche   erhoben  zu   werden   ])iiegen.    Nicht  als 
bedeutungslos  erklären  wir  alles  außerhalb  unseres  Gebietes 
Gelegene;  wir  behaupten  auch  nicht,  daß  es  von  ökonomischen 
Gesetzen  beherrscht  sei;  wir  grenzen  unsere  Disziplin   ab, 
ohne  an  irgendeine  prinzipielle   Ansicht  über  diese   Dinge 
anzustoßen. 

Rasse,  Kulturstufe,  soziale  Stellung,  Erziehung,  Per- 
sönlichkeit der  Wirtschaftssubjekte,  alles  das  bestimmt  ihr 
wirtschaftliches   Handeln   und   alle   diese  Momente  wirken 


142  I^A8  Problem  des  statischen  Gleichgewielites. 

aufeinander;  die  Möglichkeiten  der  umgebenden  Natur  und 
sozialen  Organisation  und  die  eigene  Tätigkeit  der  Wirtschafts- 
subjekte bestimmen  ihren  Güterbesitz;  beide  Gruppen  von  Ein- 
flttssen  sind  voneinander  abhängig ;  und  auch  wirtschaftliches 
Handeln  und  Güterbesitz  bestimmen  sich  gegenseitig.  Aber 
das  alles  bietet  eine  Fülle  von  Problemen  und  auch  eine  Fülle 
von  möglichen  Betrachtungsweisen  ein  und  desselben  Phi- 
nomenes  dar,  speziell  dessen  der  Wirtschaft;  wir  versuchen,  uns 
eine  zu  eigen  zu  machen  und  glauben,  dafi  auch  sie  ihre 
Berechtigung  hat.  Im  Grunde  hat  sie  kein  aussehliefiliehes 
Recht  auf  den  Titel  „ökonomisch".  Auch  viele  andere  Wege, 
den  ökonomischen  Erftcheinungen  beizukommen,  sind  mög- 
uud  wertvoll,  für  manche  Zwecke  vielleicht  besser  als  der 
unsere,  der  nirgends  in  das  Wesen  der  Dinge  führt,  nie 
die  „treibenden  Kräfte'^  aufzuzeigen  versucht.  Nur  aus 
Gründen  terminologischer  Zweckmäßigkeit  behalten  wir  für 
ihn  die  Bezeichnung  „rein  ökonomisch''  bei.  Aber  das 
meinen  wir  allerdings,  daß  er  sich  am  besten  dazu  eignet, 
gerade  jene  formalen  Sätze  zu  finden,  denen  hier  unser 
Interesse  gilt. 

Bildlich  kann  man  sich  unser  Vorgehen  etwa  so  ver- 
sinnlichen :  Wir  nehmen  sozusagen  eine  Momentphotographie 
der  Volkswirtschaft  auf.  Das  Bild  zeigt  alle  Vorgänge  in 
einem  bestimmten  Stadium  und  in  scheinbarer  Ruhe.  Wir 
sind  uns  aber  bewußt,  daß  in  Wirklichkeit  lebensvollste 
Bewegung  herrscht  und  wünschen.  Einiges  davon  zu  be- 
schreiben.  Diese  Beschreibung  soll  uns  in  den  Stand  8et»n 
—  das  ist  ihr  einziger  Zweck  —  das  Augenblicksbild,  das 
uns  die  Wirklichkeit  im  nächsten  Momente  bieten  würde, 
aus  dem  ersten  abzuleiten,  ohne  eine  neue  Aufnahme  zu 
machen  —  nicht  aber,  irgend  etwas  an  jenem  Bilde  bis  auf 
den  Grund  zu  erklären  und  in  das  ^Wesen**  der  Vorgänge 
einzudringen.  Jedoch  soll  unsere  Konstruktion  des  neuen 
Augenblicksbildes  sich  nur  auf  die  Änderungen  in  den  Güter- 
quantitäten, die  sich  im  Besitze  der  einzelnen  Wirtschafts- 
subjekte befinden,  beschränken.  Kur  das  ist  der  Zweck  der 
Ökonomie   und   nur  diesem  Zwecke   dienen  die  Annahmen 


fiinleitaDg  ffir  die  folgeode  Darstellung.  143 

nd  HilfiBkonstruktioneD,  mit  denen  sie  an  die  Erscheinungen 
kenntritt.  Die  erkenntnistheoretiscbe  korrekteste  Defi- 
nition der  reinen  Ökonomie  wäre  also  die:  Dieselbe  hat 
die  Gttterqvantit&ten,  die  sich  im  Besitze  der  einzelnen 
Wirtsehmftssiibjekte  in  irgendeinem  Zeitpunkte  befinden,  auf 
jese  zorQckzufQbreD,  die  dieselben  einen  „Augenblick^  vorher 
benßen,  und  zwar  auf  dem  kürzesten  Wege,  welcher  der 
der  formalen  Annahmen  ist. 

Das  kann  nicht  befremden.    Ähnliches  ließe  sich  von 
tUen  exakten  Disziplinen  sagen.    Der  Zweck  der  Gesamt- 
hät  der  exakten  Wissenschaft  ist,  die  Welt  der  Erschei- 
imigen,  wie  sie  sieh  in  einem  gegebenen  Zeitpunkte  dar- 
bietet, darcb  Beschreibung  der  zwischen  ihnen  bestehenden 
Oller  als  bestehend   angenommenen  Beziehungen,   aus  dem 
betnehteten ,    unmittelbar     vorhergehenden    Zustande     ab- 
zuleiten.    Und  der  Zweck  jeder  Spezialdisziplin  ist,  diese 
Arbeit  für  gewisse  Erscheinungen  und  gewisse  Beziehungen 
nrischen  diesen  zu  leisten.    Wir  können  dabei  nicht  länger 
verweilen;  mag  das  Vielen  auch  unbefriedigend  erscheinen, 

—  der  moderne  Erkenntnistheoretiker  wird  zufrieden  damit 
sein. 

Dabei  ist  ein  Punkt  von  besonderer  Bedeutung.  Wir 
leiten  den  Güterbesitz  der  Individuen  ab  aus  einem  anderen, 
der  ihm  zeitlich  unmittelbar  vorhergeht.  Dieser  letztere 
ist  also  ein  Datum  unserer  Probleme.  Alle  Güterquanti- 
t&ten  hängen  in  jedem  Momente  von  allen  ab  und  bestimmen 
sieh  gegenseitig.  Wäre  auch  nur  ein  Element  unseres 
Sjstemes  anders,  als  es  ist,  so  würden  alle  anders  sein. 
Und  nur  alle  zusammen  sind  sie,  nach  unserer  Auffassung, 
eindeutig  bestimmt.  Das  wurde  bereits  ausgeführt.  Immer 
fbhren  ?rir  einen  Güterbesitz  auf  den  anderen  zurück,  nie 
erklären  wir  den  Anfang  der  Dinge.  Ja  selbst  dieselben 
Kategorien  finden  wir  im  allgemeinen  vor.    Stets  kann  man 

—  mit  praktisch  belanglosen  Ausnahmen — den  (iüterbesitz 
eines  Wirtscbaftssubjektes  einteilen  in  Land,  Arbeit,  Werk- 
zeuge, Rohmaterialien  und  Genußgüter.  Und  im  Güterbesitze, 
den  wir  daraus  mit  Hilfe  unserer  Annahmen  ableiten,  finden 


144  1^8  Problem  des  statischen  Oleicbgevicbtes. 

wir  wiederum  dieselben  Kategorien  von  GOtern  vor.  Ja 
wir  linden  sogar  ähnliche,  nur  wenig  verscfaiedeae  Mengen 
und  jedenfalls  dieselben  Arten  von  Gutem  Oberhaupt. 

Nach  unserer  Auffassung  können  vir  also  nicht  die 
eine»  Kategorien  von  Gütern  aus  den  andern  ableiten, 
sondern  nur  alle  aus  allen.  Wir  können  z.  B.  nicht  die 
Arten  und  Mengen  der  GenußgOter  ans  den  Arten  and 
Mengen  der  ProduktivgUter  allein  gewinnen.  Darauf  kommen 
wir  später  noch  zurück.  Es  ist  aber  schon  hier  leicht 
ersichtlich,  daß  der  Wirtschaftsprozeß  und  seine  Besultate 
nicht  nur  vom  Besitze  von  Produktivgütem  abhängt,  sondern 
daß  sich  beide  auch  bei  einem  und  demselben  Vorrate  an 
solchen  noch  sehr  verschieden  gestalten  können,  je  nach  Art 
und  Menge  der  GenufigUter,  die  die  Wirtscbaftesubjekte  bei 
seinem  Beginne  besitzen.  Nur  der  gesamte  GQterbesitz 
eines  Wirtschaftssubjektes  charakterisiert  seinen  wirtsehaflr 
liehen  Machtbereich  und  gestattet  die  Ableitung  eines 
anderen.  Alle  Mengen  und  Arten  von  G&tem  mQssen 
zugleich  gegeben  sein,  wenn  unser  Raisonnement  Oberhaupt 
möglich  sein  soll.  Und  deshalb  haben  wir  bei  unserer 
Grundlegung  kein  Gewicht  auf  die  Unterscheidung  zwischen 
Genuß-  und  Produktivgutem  gelegt,  sondern  nur  von  GQter- 
mengen  im  allgemeinen  gesprochen. 


II.  Kapitel. 

Kritik  der  üblichen  Darstellung  und  ihr  Verhältnis 

zu  der  unseren. 


{  1.   Unser  Vorgang  ist  nicht  der  übliche.   Namentlich 
seine  letztgenannten  Konsequenzen  scheinen  wesentlich  ver- 
schieden von  den  gewöhnlichen  und  wohl  auch  weniger  be- 
friedigend   zu    sein    als    diese.    Wir   müssen    daher    Halt 
machen  und  werden  in  diesem  Kapitel  erörtern,  was  die 
Ökonomen  bei  der  Einleitung  ihres  Raisonnements  eigentlich 
tan  und  was  das  Wesentliche  daran  ist.    Wir  wollen  alles, 
was  Qblicberweise  geschieht,  in  seiner  methodologischen  und 
inhaltlichen   Bedeutung    untersuchen   und   tiefer   verstehen 
lernen.     Dabei    wird   sich   zweierlei   zeigen:    Erstens   wird 
man  klar  und  pn'lzise  sehen,  welcher  Wert  den  betreifenden 
Erörterungen  zukommt  und  zweitens,  worin  der  Unterschied 
gegenüber   unserer   Auffassung   liegt.     Wir   kümmern   uns 
wenig  um  die  allgemeinen  Sätze  an  sich,  die  man  auszu- 
sprechen pflegt,  um  die  Argumente  für  und  wider;  es  soll 
vielmehr  angegeben  werden,  was  der  gewöhnliche  Ausgangs- 
punkt für  uns  eigentlich  leistet.     Schon  hier  mag  bemerkt 
werden,   daß   sich   ergeben   wird,    daß  unsere  Darstellung 
nichts  anderes  ist  als  eine  Präzisierung  eben  dessen,  was 
alle  Ökonomen   tun,   nur  von   allem   Beiwerke   gereinigt. 
Immerbin   folgt   eine  neue  Auffassung  mancher  Teile  des 
ökonomischen    Lehrgebäudes    daraus,    welche    meines    Er- 
achtens  geeignet  ist,  eine  ganze  Menge  von  Kontroversen 
zu  beseitigen  und  scheinbar  widersprechende  Theorien  in  das 
richtige  Verhältnis  zu  einander  zu  setzen.    Dabei  hoffe  ich 

Scbamp«t«r,  Nfttionalokonomi«.  10 


146  Uaa  Problem  des  statiscben  Oleichgewichtu. 

ZU  zeigeD,  daß  uod  warum  meine  Auffassung  die  korrektere 
ist,  und  unsere  Disziplin  „reinzubUrsten"  tou  vielen  Dingen, 
die  nicht  in  sie  gehören,  sie  abzugrenzen  gegen  manche 
wesensverschiedene  Materien ,  welche  sich  ja  doch  in  ihrem 
Rahmen  nicht  auszuleben  vermögen,  ferner  zum  Verstandnisse 
und  zur  besseren  Beurteilung  eines  Teiles  unserer  Wissen- 
schaft beizutragen. 

Man  stellt  sich  in  der  Regel  wirklich  jenes  groß- 
artigere Problem,  von  dem  wir  sprachen,  nämlich  das  wirt- 
schaftliclie  Handeln  des  Menschen  und  seine  Gatervenoi^ung 
zu  erklären.  Aber  wie  löst  man  das  Versprechen  ein,  das 
darin  liegt? 

Vor  allem  stößt  man  dabei  auf  die  Probleme  des 
menschlichen  Handelns  Oberhaupt.  Man  wünscht  gewisse 
Sätze  ilai-Ober  zu  gewinnen,  von  denen  man  ausgehen  kann. 
Dieselben  können  als  so  bekannt  und  unbestreitbar  be- 
trachtet werden,  daß  sie  keiner  weiteren  Begründung  be- 
dürfen, oder  man  kann  eine  solche  versuchen.  Dem  letzteren 
Zwecke  dient  die  Bedürfnislehre,  Betrachtungen  über  eine 
sich  immer  gleichbleibende  wirtschaftliche  Natur  des  Menschen 
und  dergleichen  mehr.  Aber  mag  man  der  einen  oder  der 
anderen  Auffassung  sein,  für  die  reine  Theorie  bleibt  sich 
das  ganz  gleich,  für  sie  sind,  wie  früher  gezeigt,  diese 
8iitze  immer  nur  Annahmen,  in  welcher  Form  immer  sie 
erscheinen,  auch  dann,  wenn  sie  sich  als  Resultate  and  Be- 
hauptungen über  Tatsachen  ausgeben.  Die  Fragen  der 
menschlichen  Natur  und  des  menschlichen  Handelns  mit 
seinen  Beweggründen  und  seiner  Entwicklung  können  rein 
wirtschaftlich  nie  begriffen  werden,  mag  man  noch  so  viel 
darüber  zu  sagen  haben.  Sie  kOnncn  nur  ausgeschieden, 
gleichsam  in  ein  Bündel  zusammengefaßt  und  beiseite  gelegt 
wenleu.  Und  diesem  Zwecke  dient  die  Konstruktion  des 
-homo  oeconomicus  und  alle  Philosophien  der  Ökonomen 
darüber,  daß  der  Mensch  auf  Jeder  Kulturstufe  und  unter 
allen  Umständen  nach  wesentlich  gleichen  Grundsfttzeu 
handle.  Man  sieht  hier  die  methodologische  Funktion  dieser 
Erörterungen    und    den    Grund ,    warum    sie    von    vielen 


Kritik  der  üblichen  Darstellung  usw.  J47 

Ökonomen   so  energisch  verfochten  werden.    Es   soll  das 
menschliche   Handeln    erklärt    oder    das,    was   man    nicht 
erklären  kann,  als  konstantes  Datum  unserer  Probleme  er- 
wiesen  werden,    um   unser  eigentliches  Gebiet  vor  Beun- 
ruhigungen von  dieser  Seite  her  zu  sichern.   Eine  wirkliche 
Theorie  des  menschlichen  Handelns  wird  aber  auf  diesem 
Wege  nie  zu  erreichen  sein.    Doch  dartlber   sprachen  wir 
bereits.    Der  Mensch  oder,  besser,  eine  bestimmte  Hand- 
lungsweise desselben  wird  und  muß  als  gegeben  angenommen 
werden,  was,  wie  gesagt,  auf  unser  Verfahren  der  formalen  An- 
Dahmen  hinausläuft,  wenn  man  es  korrekt  ausdrücken  will. 
Aber  selbst  wenn  das  menschliche  Handeln  ganz  klar 
und  verständlich  wäre  und  keine  Probleme  darböte  —  was 
ja  tatsächlich  der  Standpunkt  vieler  Ökonomen  ist,  ohne 
daß  wir  ihnen  daraus  einen  Vorwurf  machen  wollen   — , 
könnte  die  Ökonomie  nicht  alles  erklären,  was  es  am  Wirt- 
schaften zu  erklären  gibt.   Denn  ersichtlich  hängt  die  Güter- 
versorgung zum  Teile  von  Verhältnissen  ab,  an  denen  der 
Mensch  nichts  zu  ändern  vermag,  kurz  gesagt  von  der  um- 
gebenden Natur  und  ihren  Möglichkeiten.   Diese  bilden  also 
ein  zweites    „Bündel",    das   aus    unserer    Erklärung    aus- 
geschaltet werden   muß  und  dessen  Inhalt  sich  als  Datum 
für  die   Erklärung   eines   bestimmten  Wirtschaftszustaudes 
darstellt.    Wiederum  ist  es  unwesentlich,  ob  man  dasselbe 
Sans  phrase  hinnimmt  oder  sich  in  Betrachtungen  darüber 
ergeht.     Über   die   letzteren    werden    wir   sehr   bald   noch 
einige  Bemerkungen  machen. 

Analysiert  man  demnach  die  Basen,  auf  denen  das 
Lehrgebäude  der  Ökonomie  in  dieser  Beziehung  ruht,  so 
findet  man  zwei  Gruppen  von  Daten,  welche  sich  mit  den 
Porten  „Mensch  und  Natur"  charakterisieren  lassen.  Sie 
hilden  seine  Grenz-  und  Grundsteine  und  liegen  außerhalb 
der  eigentlichen  Theorie.  Wir  sahen,  daß  man  beide  ein- 
ander nicht  einfach  gegenüberstellen  kann,  da  zwischen 
ihnen  eine  gegenseitige  Abhängigkeit  besteht,  aber  auch, 
d«ß  man  für  gewisse  Zwecke  der  Theorie  von  derselben  ab- 
^hen  und   beide   als   unabhängig   betrachten   könnte.     In 

10* 


148  ^^  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

diesem  Falle  würde  sich  also  das  Problem  der  Ökonomie 
darauf  restringieren,  jene  Erscheinungen  des  Wirtschafts- 
lebens zu  erklären,  welche  vom  menschlichen  Handeln  hervor- 
gerufen werden  in  einem  gegebenen  Milieu  der  ftuBeren 
Natur  und  auf  Grund  gewisser  Annahmen  eben  Ober  das 
menschliche  Handeln.  Und  sicher  würden  die  darin 
enthaltenen  Einschränkungen  allgemein  anerkannt  werden 
und  weiter  nicht  auffallen. 

Allein,  diese  Daten  reichen  keineswegs  aus.  Es  ist 
z.  B.  klar,  daß  auch  ein  gewisser  Stand  der  Technik  ge- 
geben sein  muß,  um  einen  bestimmten  Zustand  der  Wirt- 
schaft zu  erklären,  und  darüber  läßt  sich  ähnliches  sagen, 
wie  Ober  die  beiden  anderen  Datengruppen.  Wenig  könnte 
uns  die  Nationalökonomie  über  die  Entwicklung  der  Technik 
sagen,  da  dieselbe  ja  zum  Teile  von  Umständen  abhängt, 
welche  sich  strengwissenschaftlicher  Behandlung  entziehen, 
weil  sie  keine  beachtenswerten  Regelmäßigkeiten  aufweisen, 
von  Erfindungen  usw.  Schließlich  beachtete  man  auch  — 
und  es  ist  sicher  auch  ein  Verdienst  der  historischen  Schule, 
das  betont  zu  haben  — ,  daß  für  die  konkrete  Gestaltung 
der  Wirtschaft  die  Organisation,  die  unter  den  Wirtschafts- 
subjekten besteht,  von  entscheidender  Bedeutung  sei.  Gegen- 
wärtig ist  es  daher  üblich,  daß  jedes  systematische  Werk 
längere  oder  kürzere  Erörterungen  über  dieses  Thema 
bringt.  Darüber  werden  wir  noch  zu  sprechen  haben.  Mit 
dem  aber,  was  wir  reine  Theorie  nannten,  hat  dasselbe  recht 
wenig  zu  tun  und  von  dem  Standpunkte  des  ersteren  muß 
auch  das  als  ein  Datum  betrachtet  werden,  das  ausgeschaltet 
werden  muß  und  nicht  durchgreifend  erklärt  werden  kann. 
So  führt  also  die  Analyse  des  Lehrsystemes  der  Ökonomie 
dazu,  ihr  Problem  ganz  gewaltig  einzuschränken  und  uns 
zu  zeigen,  daß  jene  Fragestellung,  welche  wir  als  die  übliche 
bezeichneten,  viel  zu  weit  ist. 

Doch  ist  das  nicht  die  einzige  Einwendung  gegen  die- 
selbe. Wir  deuteten  bereits  wiederholt  an,  daß  gar  nichts 
an  der  Wirtschaft  bloß  von  der  „Natur"  abhängig  und  gar- 
nichts   ganz  von  ihr  unabhängig  ist,  mithin  die  erwähnte 


Kritik  der  üblichen  Darstellung  uaw.  149 

GegenaberstelluDg  uicht  zweckmäßig  scheint.  Unentdeckte 
oder  deo  Mitteln  der  Technik  einer  bestimmten  Kulturstufe 
nicht  zugängliche  Erzlager  z.  B.  sind  wirtschaftlich  nicht 
vorhanden,  und  so  läfit  es  sich  leicht  allgemein  zeigen,  daß 
für  die  Wirtschaft  nicht  schlechtweg  die  äußere  Natur  maß- 
gebend ist,  sondern  das,  was  der  Mensch  aus  ihr  macht. 
Wieviel  Boden  kultiviert  wird  und  in  welcher  Weise,  hängt 
sicherlich  nicht  allein  von  seiner  physikalischen  Beschaffen- 
heit ab,  wird  jedenfalls  nicht  eindeutig  durch  dieselbe  be- 
stimmt. Und  umgekehrt  ist  es  ersichtlich,  daß  nie  und 
nirgends  das  wirtschaftliche  Handeln  von  den  Verhältnissen 
der  umgebenden  Natur  ganz  unabhängig  ist,  was  fast  zu 
banal  ist,  um  ausgesprochen  werden  zu  müssen. 

Aber  kann  man  nicht  wenigstens  den  Besitz  an  Genuß- 
gütern aus  irgendwelchen  Daten  ableiten,  so  daß  seine  Er- 
klärung zum  Probleme  der  Ökonomie  wird?  In  der  Tat  ist 
das  das  Ziel,  auf  dessen  Erreichung  der  übliche  Apparat 
unserer  Disziplin  eingerichtet  ist.  Und  auch  damit  könnte 
nian  sich  zufrieden  geben.  Schließlich  ist  doch  der  Erwerb 
vou  Genußgütern  der  Zweck  der  Wirtschaft  und  durch  ihn 
j^t  in  jedem  Zeitpunkte  der  Yersorguugszustand  der  Volks- 
wirtschaft charakterisiert.  Es  seien  also  für  irgendeine 
Volkswirtschaft  die  ebenangeführten  Momente,  welche  man 
passend  „Entwicklungsbedingungen  der  Volkswirtschaft"  ge- 
nannt hat,  gegeben  und  dieselbe  außerdem  mit  l)e- 
ßtimmten  Produktivgütern  ausgerüstet;  dann  wäre  also  das 
Problem  der  Ökonomie,  daraus  alle  Preise,  Einkommen  und 
^i^  Mengen  der  Genußgüter,  welche  produziert  werden, 
^  linden  —  die  Arten  der  letzteren  sind  durch 
^ie  Momente  „Menschennatur"  und  „Kulturstufe"  oder 
»•Technik"  bereits  gegeben.  Jene  Produktivgüter  werden 
'^^^kanntlich  in  die  Kategorien  Land,  Arbeit  und  Kapital 
^'Dgeteilt  und  jeder  derselben  eine  Diskussion  gewidmet. 
^'^It'he  leicht  die  Tatsache  verschleiern  kann,  daß  sie  von 
^^r  Theorie  als  weiter  nicht  zu  analysierende  Daten 
'^ȟzunehmen  sind. 

Die  Funktion  der  Lehre   von  den   Produktionsfaktoren 


150  ^^  Problem  de«  atatiBchen  Gleichgawichtea. 

Land,  Kapital  und  Arbeit,  zu  denen  mitunter  auch  eine 
oder  einige  der  „Entwicklungsbedingungen"  gerechnet  werden 
—  z.  B.  von  Marshall  die  Organisation  —  im  Organismus 
ouEerer  Wissenschaft  ist  eine  doppelte.  Zunftchst  soll  sie 
uns  eine  gewisse  Menge  an  Wissensstoff  vermitteln  — 
darüber  werden  wir  noch  sprechen  —  and  zweitens  soll  sie 
den  Ausgangspunkt  der  eigentlichen  Theorie  bilden,  gleich- 
sam den  Ankergruud  des  Raisonnements.  Um  jene  drei 
Begriffe  werden  jeoe  Momente  gruppiert ,  welche  die  reine 
Theorie  aus  sich  heraus  nicht  erklären  kann,  auf  denen 
ihre  Resultate  jedoch  fuBen.  Man  muß  bestimmte  Goter- 
mengen  haben,  wenn  bestimmte  Preise  abgeleitet  werden 
sollen  und  dieselben  dfirfen  sich  nicht  beliebig  Andern,  weil 
dann  diese  Preise  sofort  nicht  mehr  gelten  wttrden.  Solange 
wir  keine  Garantie  gegen  diese  Eventualität  haben,  hängt 
unser  Gebäude  in  der  Luft,  gehorcht  unser  Gedankengang 
keinem  Steuer.  Damit  er  das  tue,  mOsscn  wir  unser  System 
irgendwie  stabilisieren,  brauchen  wir  sozusagen  einen  Ballast 
für  dasselbe.  Alle  Güterquanti täten  will  man  nicht  als 
gegeben  annehnieu,  denn  sicherlich  klingt  es  paradox,  wenn 
die  Wirtschaftswissenschaft  die  Resultate  des  Wirtschaftens, 
die  Guter,  zu  ihren  Daten  rechnen  müßte.  Deshalb  nimmt 
man  einige  Gilterquanlitäten  als  gegeben  an,  nämlich  — 
aus  leicht  ersichtlichen  Gründen  —  die  Produktivgüter,  mit 
denen  der  WirtschaftsprozeB  startet  und  schmeichelt  sich, 
dann  doch  diesen  letzteren  wenigstens  erklären  zu  kOnnen. 
Diese  Erkenntnis  und  die  aus  ihr  folgende  Übung,  die 
Lehre  von  den  I*roduktion^fi)ktorcn  an  die  S|>itze  des  Lehr- 
systemes  zu  stellen,  ist  sicherlich  ein  Fortschritt,  wenn  auch 
ihre  tiefere  theoretische  Redeutung  meist  nicht  erkannt  oder 
hervorgehoben  wird.  In  der  Regel  sieht  es  so  aus,  wie 
wenn  dieser  Abschnitt  und  die  später  folgende  reine  Theorie 
gar  nicht  viel  miteinander  zu  tun  hätten  und  der  erstere 
nur  seinem  materiellen  Inhalte  zu  Liebe  an  seinem  Platze 
Staude:  Seine  Unentbehrlicbkeit  für  das  übliche  Lehr- 
gebäude kommt  den  meii^ten  Schriftstellern  gar  nicht  zum 
Bewußtsein. 


Kritik  der  üblichen  Darstellung  usw.  151 

So  angesehen,  erscheint  die  Lehre  von  den  Produktions- 
faktoren in  einem  neuen  Lichte.  Wir  werden  darauf  noch 
zurückkommen.  Für  jetzt  wollen  wir  nur  darauf  hinweisen, 
daß  in  dieser  Hinnahme  der  Produktionsfaktoren  als  Daten 
unserer  Probleme  ein  wichtiges  Eingeständnis  liegt,  welches 
uns  dazu  hilft,  diese  Auffassungsweise  in  die  unsere  hinüber- 
zoführen,  zu  zeigen,  daö  die  erstere  nur  eine  unvollkommenere 
Fonn  der  letzteren  ist,  das  Eingeständnis  nämlich,  daß  sich 
nicht  alle  Gütermengen  mit  Hilfe  der  Theorie  finden  lassen, 
dafi  wenigstens  einige  davon  gegeben  sein  müssen. 

Was  idt  nun  von  diesem  modus  procedendi  zu  halten? 
Ist  alles  in  Ordnung?  Wirklich  scheint  es  so  auf  den  ersten 
Blick.  Die  Genufigüter  bestehen,  wirtschaftlich  gesprochen, 
aus  Produktivgütem.  Wenn  es  gelingt,  die  Mengen  der 
ersteren,  die  sich  im  Besitze  der  betrachteten  Wirtschafts- 
subjekte befinden,  zurückzuführen  auf  die  Mengen  der 
Produktivgüter,  die  dieselben  besaßen,  dann  fühlen  wir  uns 
^iedigt,  unsere  Arbeit  ist  getan,  unsere  Neugierde  gestillt, 
Md  wir  haben,  als  Ökonomen,  nichts  mehr  zu  fragen.  Unser 
System  scheint  zurückgeführt  auf  jene  Daten,  von  denen  es 
naturgemäß  abhängt. 

Allein  bei  näherem  Zusehen  verschwindet  leider  das 
befriedigende  Aussehen  der  Sache. 

Wenn  die  vorhandenen  Mengen  von  Land,  Kapital  und 
Arbeit  fest  gegeben  oder  doch  unabhängige  Variable  wären, 
^  ließe  sich  viel  dafür  sagen,  daß  mau  von  ihnen  ausgehen 
Solle.  Das  ist  aber  nicht  der  Fall.  Sie  sind  Änderungen 
unterworfen  und  stehen  in  Abhängigkeit  von  einander  und 
'len  Mengen  und  Werten  der  Genußgüter,  wie  wir  bereits 
sagten  und  wie  man  leicht  sieht.  Und  diese  Verhältnisse 
werden  durch  die  in  Rede  stehende  Auffassung  verdunkelt. 
Dieselbe  lähmt,  zerreißt  die  allgemeine  Interdependenz 
zwischen  den  Elementen  unseres  Systemes.  Über  diesen 
f^ökt  glaube  ich  bereits  genug  gesagt  zu  haben.  IW  leitet 
jedoch  zu  einem  anderen  über: 

Ganz  ebensogut  —  oder  ebensowenig  —  wie  man  aus 
"^Ji  Produktivgütem   die   Mengen   der  Genußgüter   finden 


].j2  J^»H  J'roblein  deh  aXMiii<k.*z, 

kann,  kann  man  auch  unigekrhn  -ix  sTsa^sym  xas  «ien 
letzteren  ahh'iten:  Ka  niuß  mögliri  ^«ix  ms»  'Lau  ](>HifM 
der  Genuft^titer.  tlU'  jemand  ennrr«.  >Hie  .ier  PpninktiT- 
«rüTer.  dif  rT  p'ehalit  haben  mu£.  z^  ^vizuuüi.  ami  es  ist 
niohr  eiu/iir-ehen.  \i'arum  der  eine  \orz^z£  ueär  Bensencinu 
hiiheu  sollte  u\<  der  andere.  Elie:i5«>£^:  v:e  «ixie  Kenfs 
tlei  Produktivj/uter  kann  man  jene  der  K}iLHiiiicivxtt&er  ai$ 
it^A  ii*'*if:^'f'U  ;innehnien:  eine  Fiktion  iü  ja.  ▼ti*  wir  SüheB. 
das  rill*'  wi«.'  fjas  and«Te.  Wohl  Mehl  e:^  5i>  4a&  «LlL  wwb 
wir  die  Oenuß;.Mjter  als  Un):iekaante  Kcradiren.  mkk 
L'-su::t:  d«--  I'rol»]<'ijje-  causd  nnita  ist.  wÜinHiii  ans  die 
A;  !•■::';:;■-'  df-r  Meiii:-ij  der  Pr^i^lukti v guter  niü*  50  befrwdigt. 
'K-  -ie  im?  an  die  l*foile  neuer  rroMeme  fehrt.  E*  erheM 
>:■:':.  «laiiii  niiinli«;!]  die  Fra^'e.  warum  uiisen?  Wirtsriufb- 
>;;':  vk'e  jeradv  di*  ^e  und  keine  anderen  Menden  ^«ä  Lani 
Ki\ii:a;  uiA  ArW-ir  re^itzHU.  Dieser  Unter^hied  ist  jedöd 
i.\:\  -cl:cinlv.i  uij'i  ;•-:.♦•  liefrie^ligunc  illusorisch.  E^enii  •ües<? 
It.-'.-  Mirir.t  au'h  iiu  *-isttrij  Falle  öiTeu.  sie  dringt  sich  ud> 
!.v.r  wrijij.-!  ].i\u*\'jTKiui*:h  auJ.  Was  wir  cewinn^u.  ist  in 
■ ' :  i«  II  Fiiiirii  w»:*»-ijtlic!i  tias?^]]*,  nämlich  «jütenuea^ea  aus 
..:.iL'!vi:  «iii-'-Uieii;:»  .'i.  uiiil  wie  inimer  wir  die  Sache  üssen 
i:."-''ii.  -:.;'*  l'lei'M  eil:  unerklärter  iJesi  zurück,  wie  es  j* 
.  Ui-:.  :;.i. ;.  .i»-iji  }ii;i.»-r  *r»-?iiirten  nicht  anders  sein  kann. 

Ki:T-  '!•  :i#:ii  I  iili-r  i*i  die  dritte  Einwendung,  die  wir 
\  '!/u''!ii .-»11  :.d'».ii.  l;v-tim:ii:t'  Mengen  von  Land.  Kapital 
vr.A  Ai'-ii  !»■:.::.»•:;  iia:  hi«:).!  aus.  um  die  Menden  der 
II-  iiiirii  «iiit  •!  zi;  r.i..i''!..  i-.ui'l  im  Vereine  mit  den  übrigen 
I'.itrn  üioiit.  ^•.'I;  'i»:'ii»:i  wii  >ii:.ii'i:rii.  E>  ist  ja.  wie  eheu- 
m!;>  iiul.ir  ;iu-::»iiiii!t .  klar,  ihiü  für  die  Gestaltung  des 
N\  :!!v'l;a:t«*]  r.iA'>st-  uii  l  -eiiit-r  R-.sultate  nichi  hloß  der 
N''v../.  ..!i  ri.»duki:vL:u:vni.  sondern  auch  die  bereits  \or- 
!  a*.a?in-ii  ^u'iiu:  jii''-!iiiviii;eu  t'Utscheiiifiid  >ind.  Und  so 
\\A\:\x'  \\..\\\  liaiii.  'tiiT  li  lini  rrüdukii.-nsfAkioren  noch  einen 
N.i'a:'.  :::■..  uium'ii.  i..ni.;u:i  div  iewf;l>  vviLuidenen  GeuuB- 
iiiiri  1:j  dri  Tat  i^i  d.is  üichi  Mh'.imnitT.  als  die  Annahme 
»■:»i^  l'i^niiiii.ii'u  Mi'Uiie  Kajdiai^.  l^euii  wie  man  auch 
i>rn  Uiiixrt    ili'tinuMvn   uia*: ,   >tei>   umta-ii  er  produzierte 


Kritik  der  üblichen  Darstellung  usw.  153 

Güter  irgendwelcher  Art,  und  seine  Einreihung  unter  die 
uötigen  Daten  sehliefit  also  irgendwelche  Wirtschaftsprozesse 
aus  der  Erklärung  aus.  Daß  und  warum  das  so  ist,  wird 
später  noch  näher  auseinandergesetzt  werden.  Aber  auf  alle 
Einwendungen,  die  man  uns  gegen  unseren  vierten  Pro- 
duktionsfaktor —  den  schon  andere  Autoren,  z.  B.  Jevons 
durch  die  Tat,  wenn  auch  nicht  ausdrücklich  anerkannt 
haben  —  machen  mag,  können  wir  entgegnen,  daß  er  ebenso 
nötig  ist  wie  das  „Kapitar ,  welches  hinwiederum  zu- 
gestandenermaßen nicht  entbehrt  werden  kann  —  wenigstens 
gibt  das  die  Mehrheit  der  Ökonomen  zu. 

Es   gibt   also   keine  Elemente   unseres  Systemes,   von 

denen  wir  sagen  können,  daß  sie  die  anderen  bestimmen, 

oder  vielmehr,  alle  gehören  in  diese  Kategorie.   Und  damit 

sind  wir  wiederum  bei  unserer  eigenen  Auffassung  angelangt 

und  haben  die  Behauptung  gerechtfertigt,  daß  die  übliche 

nichts  anderes  sei,   als   eine   primitivere  P'orm   derselben. 

Mau   braucht   nur  von   den   gewöhnlicheu   Grundlagen  aus 

folgerichtig  weiter  zu  denken,  um  zu  dem  zu  gelangen,  was 

früher  auseinandergesetzt  wurde.      In  der  Einführung  jenes 

vierten   Produktionsfaktora,   im  Verzichte   darauf,    gewisse 

Kleiuente    unseres   Systemes    als    festgegeben   anzunehmen, 

ini  Verzichte    weiter    auf    eine    durchgreifende    Diskussion 

<ier  nicht  in  unser  System  gehörigen  Dinge  —  darin  liegen 

^•ie  Hauptunterschiede.     Und   ich   glaube   sagen   zu  können, 

^aß  diese  kleine  Reform,  deren  Erörterung  uns  auch  wiederum 

<*ie  Bedeutung  unseres  Systemes  interdependenter  QuantitiUen 

^or  Augen   geführt  hat,  für  die  Reinheit  und  Korrektheit 

loserer  Theorie  nicht  ohne  Belang  wäre. 

§  2.  Nachdem  wir  die  prinzipielle  Stellung  und  methodo- 
''Hrische  Funktion  jener  Momente  erörtert  hal)en.  für  welche 
^ir  den  Ausdruck  „systenibestimmende  Tatsachen"  vor- 
^ilagen    möchten,    erübrigt    nun  noch,   einige  Worte   ül)er 

.  !  ^Jen  Wissensstoff  an  sich  zu  sagen,  den  uns  ijkoncnuische 
Werke  in  der  Lehre   von    den  ^Kntwicklungsbedingungen*" 

!     Und  ^Froduktionsfaktoren'' zu  übermitteln  ptiegen.    Es  sind 


•r 


-  I 


154  ^^^  Ptoblem  des  it^iscliaB  OleichgewielitM. 

die  Kapitel  Ober  Laod,  Arbeit  und  Kapital  ond  Bodaim  die 
heute  allgemeio  anerkannten  Erginzungen  bezOglieh  Or- 
ganisation und  Menschennator,  welche  wir  meinen. 

Ein  wenig  erfreuliches  Bild  bietet  sich  dar.  Diese 
Abschnitte  stellen  sozusagen  Zwitterdisziplinen  dar,  welche 
keinen  Fortschritt  aufweisen  und  nicht  leben  und  nicht 
sterben  können:  Inadäquate  und  zusammenhanglose  Er- 
Orterungen  über  Dinge,  welche  gründlich  nnr  in  anderen 
Disziplinen  entwickelt  werden  und  so,  wie  sie  sind,  zum 
Ansehen  unserer  Wissenschaft  nichts  beitragen  können. 
Nichts  ist  klarer,  als  daß  der  Ökonom  hier  immer  Dilettant 
und  das,  was  er  sagt,  rückständig  und  unbefriedigend  sein 
mu0.  Wir  %erden  sehen,  dafi  wir  auf  nichts  besonders 
Wertvolles  verzichten,  wenn  wir  diese  Dinge  ans  unserer 
DiszipHu  abscheiden  und  dafi  einer  Kritik  gegenüber  «irk- 
lich nur  das  übrig  bleibt,  was  auch  wir  festhalten  wollen  — 
die  Annahme  der  Konstanz  dieser  Tatsachen.  So  wird 
unsere  Diskussion  dazu  beitragen,  unsere  Abgrenzung  der 
<'>konomie  nach  diesen  Seiten  zu  rechtfertigen,  ihr  Wesen 
abzuheben  von  diesen  fremden  Bestandteilen,  ihr  System 
zu  klären  und  zu  vereinheitlichen  und  endlich,  unsere 
Forderung  nach  Arbeitsteilung  in  den  Wissen- 
schaften vom  menschlichen  Handeln  zu  stützen.  Nur  bei 
der  Erörterung  des  Kapitales  werden  sich  auch  andere 
Kt'sultnte  ergeben. 

Über  das  Moment  der  , Menschennatur"  haben  wir 
bereits  so  viel  gesagt,  daß  wir  hier  mit  einer  kurzen  Be- 
merkung darüber  hinweggehen  wollen.  Philosophien  Ober 
die  Motivationen,  Untersuchungen  der  und  Schlosse  aus 
der  Verschiedenheit  der  menschlichen  Natur  nach  Ort  und 
Zeit  und  die  Bedürfnislehre  der  psychologischen  National- 
ökonomen, das  sind  die  drei  Punkte,  welche  wir  im  Auge 
hiilven.  Wir  sahen,  daß  wir  diese  Dinge  nicht  brauchen  und 
dilti  die  reinökonomischrn  Resultate  von  ihnen  unabhängig 
sind.  Nun  möchten  wir  noch  hinzufügen,  daß  nur  der 
Psvchologe,  Ethnologe.  Biologe  und  endlich  der  Kultur- 
historiker Ober  sie  etwas  Beachtenswertes  sagen  kann,  und 


Kritik  der  üblichen  Darstellung  usw.  155 

wir  uns  für  Alles,  was  über  den  Kreis  von  Banalitäten 
hinausgehen  soll,  an  diese  letzteren  wenden  müssen,  ohne 
doch  imstande  zu  sein,  alle  diese  Disziplinen  im  Einzelnen 
verfolgen  zu  können.  Da  also  unsere  Erörterungen  darüber 
einerseits  für  unsere  Zwecke  nicht  nötig,  andererseits  aber 
auch  an  sich  nicht  selbständig  und  wenig  wertvoll  sind,  so 
ergibt  sich  für  uns  der  Schluß,  daß  wir  sie  besser  aus 
unserem  Gebiete  ausscheiden  und  ferner,  daß  dieser  Verlust 
nicht  groß  ist. 

Nun    zur    „Organisationslehre''.     Dahin    gehört    nicht 
bloß  die  Lehre  von  den  Staatsformen  usw.,  sondern  zweitens 
auch  die  von  den  Bechtsformen   und  den  übrigen  sozialen 
Beziehungen  und  Gebilden  und  drittens  der  wirtschaftlichen 
Organisation  im  eigentlichen  Sinne,  einerseits  Arbeitsteilung 
usw.,  andererseits  Kartellbildung,  Arbeitervereinigungen  usw. 
Nun  diese  Dinge  kann  man  von  sehr  verschiedenen  Stand- 
punkten und   zu   sehr    verschiedenen  Zwecken    betrachten, 
welche   wir   zur  Übersicht   mittelst   zwei   sich   kreuzenden 
Einteilungen  erfassen  wollen. 

Die  erste  ist  die  folgende:   Man  kann  alle   diese  Arten 
von  Organisation,   besonders  aber  die  beiden   erstercn  vom 
religiös-rechtlichen  Standpunkte   betrachten.     Er  ist 
der  älteste  und  auch  heute  noch   wichtig  für  die  politische 
Diskussion.    Allein,    wie  immer  man  über  ihn  denken  mag, 
sicher  ist,  daß  er  nicht  in  das  Gebiet  strenger  Wissenschaft 
ftllt.    Die  letztere  kann  lediglich  die   darübiM-  bestehenden 
Ansichten  beschreiben  und  ihre  Entwicklung  verfoljien,  aber 
öie  Urteile  anderer  Art  über  ihn   abgeben.     Das  ist  sehr 
klar  und   dürfte  kaum   auf  Widerspruch   stoßen.     Weniger 
allgemein  anerkannt  ist  aber,  daß  für  den  t  e  I  e  o  1  o  j^  i  s  c  h  e  n 
Standpunkt  dasselbe   gilt.     Vielmehr   bringen   <li<»    meisten 
systematischen  Werke  der  Nationalökonomie   Erörterungen 
über  die  „Zweckmäßigkeit''   des  Erbrechtes,  des  Eigentums 
oder   gar   der   einzelnen    Staatsformen.     Und    doch    ist    es 
nicht    schwer  zu   sehen,   daß  die   Begriffe  des  Wünschens- 
werten, Seinsollendt^n,    wie  immer  sie  detiniert  sein  mögen, 
nach  der  Metaphysik  gravitieren  und  der  exakten  Erfassumr 


156  ^^^  Problem  des  Btatischen  Gleichgewiclites. 

unzugänglich  sind,  daß  sich  die  letztere  nur  auf  eine  refe* 
rierende  Entwicklungsgeschichte  der  betreffenden  Ideen  be- 
schränken kann,  wenn  sie  Kontroversen  vermeiden  will,  die 
nur  mit  der  Menschheit  verstummen  werden.  Überhaupt, 
Teleologie  und  Wissenschaft  sind  Gegensätze,  werden  es 
immer  sein.  Und  noch  etwas:  wie  unendlich  banal  sind 
diese  Diskussionen  meist!  Welchen  Sinn  hat  es  denn,  sorg* 
fältig  auszufahren,  daß  Arbeitsteilung  größere  technische 
Fertigkeit  ermöglicht,  aber  der  persönlichen  Entwicklung 
nicht  förderlich  ist?  Kann  man  es  jemand  verübeln,  wenn 
er  eine  Wissenschaft  nicht  sehr  schätzt,  die  ihm  derartiges 
mitteilt  und  zwar  als  an  sich  wertvolles  Resultat,  nicht 
etwa  als  Grundstein  weitreichender  Gedankengänge?  Was 
haben  wir  davon,  die  Vor-  und  Nachteile  der  republikanischen 
Staatsform  zu  diskutieren ?  Selbst  wenn  wir  werten  wollten, 
so  müßten  wir  eben  sagen,  daß  jede  Staatsform  gut  oder 
schiecht  sein  kann ;  das  hängt  nicht  von  allgemeinen  Argumenten 
sondern  den  konkreten  Verhältnissen  ab.  Ist  nicht  einmal 
diese  Erkenntnis  Gemeingut  geworden? 

Der  dritte  Standpunkt  —  und  wir  können  nicht  umhin, 
ihn  als  den  wissenschaftlichen  zu  bezeichnen  —  ist 
der  einfacher  Beschreibung  sowohl  der  Tatsachen  der  Or- 
gauisationsformen  wie  jener  rechtlichen   und  teleologischen 
Ideen  der  Menschen  über  dieselben.    Nur  er  kann  in  Frage 
kommen,  wo  wir  von  Wissenschaft  sprechen ;  nur  ihn  könnten 
wir  eventuell  in  die  Nationalökonomie  einschließen ,  wenn  sie 
eine  Wissenschaft  sein  soll.    Wohlgemerkt,  darin  liegt  kein 
Urteil  über  die  prinzipielle  Stellung  der  Nationalökonomen 
in  diesen  Fragen;   ihre    Bedeutung   in    der  Geschichte  der 
politischen   Ideen   wird   dadurch   nicht    geschmälert;   sicher 
ist  dieselbe  groß  —  besonders  die  der  deutschen  National- 
ökouomen.    Nur  muß  dieses  Moment  getrennt  werden  vom 
wissenschaftlichen.     Das    fordert   das   Lebensinteresse    un- 
befangener Forschung. 

Die  andere  Einteilung  der  Standpunkte,  die  hier  für 
uns  wichtig  ist,  ist  die  in  praktische  und  theoretische.  Die 
t  rsteren    gehören  der  Sozialpolitik   zu.     Wie   immer    man 


Kritik  der  üblichen  Darstellung.  157 

Qber  die  Beziehungen  zwischen  Wissenschaft  und  Politik 
denken  und  welche  Auffassung  der  Sozialpolitik  sich  daraus 
ergeben  mag,  unverkennbar  ist  der  wesentliche  Unterschied 
zwischen  praktischen  Vorschlägen  und  theoretischem  Interesse 
entspringender  Beschreibung.  Sollen  sich  beide  ausleben 
können  und  Mißverständnisse  vermieden  werden,  so  muß 
man  sie  scheiden.  Mit  der  Sozialpolitik  —  wiederum: 
deren  Bedeutung  wir  sicher  nicht  verkleinem  wollen  — 
haben  wir  es  nicht  zu  tun,  sondern  nur  mit  der  Beschreibung, 
womit  wir  auf  den  eben  angedeuteten  „dritten  Standpunkt *" 
zurfickkommen. 

Diese  gehört  nun  zwei  Disziplinen  zu,  der  Geschichte 
and  der  Soziologie.  Aber  ist  das  nicht  bloß  eine  Frage 
von  Worten?  Was  hindert  uns,  sie  in  die  Nationalökonomie 
aufzunehmen  ?  Prinzipiell  gar  nichts ;  im  Anfange  der  Sozial- 
wissenschaften war  es  durchaus  einwandfrei  und  praktisch, 
alle  diese  Dinge  zusammen  zu  behandeln;  jedes  für  sich 
bitte  zu  wenig  Inhalt  geboten  und  seinen  Mann  nicht  aus- 
gefällt Femer  wäre  es  ja  gewiß  kein  logischer  Fehler, 
^  B.  Chemie  und  Biologie  zu  vereinigen.  Alles  was  wir 
behaupten,  ist,  daß  beides,  reine  Ökonomie  und  Organisations- 
lehre, getrennt  werden  kann;  daß  sie  voneinander  unab- 
tangig  sind  und  gegenseitig  zu  ihren  konkreten  Resultaten 
nichts  beitragen;  daß  es  ein  Irrtum  ist  zu  glauben,  daß 
tlles,  was  das  Wirtschaften  beeinflußt,  auch  schon  notwendig? 
«ur  Ökonomie  gehören  mtlsse  —  ebensogut  würde  dann  die 
Geologie  zu  ihr  gehören  oder  das  gesamte  Gebiet  der 
Technik  — ;  femer,  daß  es  sich  em])fiehlt,  sie  zu  trennen, 
^enn  es  am  Tage  liegt,  daß  ein  Mann  das  (iebiet  beider 
Dicht  mehr  beherrschen  könne,  was  uns  eben  der  Fall  zu 
sein  scheint;  endlich,  daß  es  der  Klarheit  und  der  Ent- 
wicklung der  l)eiden  Disziplinen  schadet,  wenn  sie  nicht 
scharf  geschieden  und  gesondert  betrachtet  werden  —  das 
verwirrt  die  Ansichten  über  ihr  Wesen  und  entzieht  ihnen 
den  Vorteil,  einen  spezialisierten,  für  ihre  Zwecke  ge- 
schulten und  zielbewußten  Stab  von  Arbeitern  zu  ge- 
winnen« 


158  ^^^  Problem  dea  Btfttitchen  Qleiehgeirichtea, 

Das  veranlaßt  uns  nun,  da  es  einmal  eine  Soziologii 
—  und  auch  „Verwaltungslehre"  —  gibt,  deren  Haupt 
aufgäbe  eine  Theorie  der  OrganiBationaformen  ist,  und  di< 
Ober  eigene  Methoden,  eigene  Arbeiter  und  ein  eigene) 
Publikum  verfugt,  ihr  dieses  Gebiet  auch  zu  Qberlasseu 
Das  heiSt  nicht,  daß  irgendein  „MationalOkonom"  dasselb« 
aufgeben  solle;  nur  die  „Nationalökonomie"  soll  es  tun,  jenei 
aber  möge  sich  als  Soziologe  bezeichnen  und  in  seinen 
I'rteile  Qber  Fragen  der  theoretischen  Ökonomie  vorsicbtif 
sein.  Das  beißt  auch  nicht,  daß  die  Übung,  beide  Gebiet« 
in  Lehrbüchern  und  Kollegien  zusammen  zu  behandeln, 
sofort  aufhören  solle ;  das  wäre  didaktisch  wohl  nicht  leicht 
m&glich ;  aber  man  soll  die  Verschiedenheit  der  Gebiete 
nicht  verdecken,  sondern  betonen  und  sich  mit  anderen 
Prätendenten  für  das  Gebiet  der  Organisationslehre  — 
Staatsrechtslehrern  usw.  —  verständigen,  statt  es  in  Stacke 
zu  zerreilien.    - 

Das  ist  alles;  für  uns  ist  nur  von  Wichtigkeit,  fest- 
zuhalten, daß  unsere  Theorie  ein  in  sich  geschlossenes,  eigen- 
artiges System  bildet,  dem  die  Organisationslehre  methodisdi 
wie  inhaltlich  fremd  gegenübersteht.   Gehen  wir  nun  weiter! 

Wo  nehmen  wir  die  Berechtigung  her,  über  den  Grund 
und  Boden  und  die  uhrigen  Verhältnisse  des  geographischen 
Milieus  etwas  zu  sagen  V  Sind  wir  Klimatologea  oder  Geo- 
logen? Die  Konsequenz  unserer  Anmaßung  bleibt  nicht  aus: 
Wollen  wir  nichts  Falsches  sagen  und  doch  nicht  eben  Geo- 
logen usw.  werden,  so  müssen  wir  uns  auf  Gemeinpifitie 
der  allertraurlgsten  Art  beschränken,  vor  allem  auf  die 
Tatsache,  daß  die  Bodenverhältnisse  usw.  für  die  Wirt- 
schaft von  erheblicher  Wichtigkeit  sind.  Wir  können  sagen, 
daß  die  Temperatur  des  Nordj>ole8  dem  Weinbaue  wenig 
förderlich,  daß  das  Kleidungsbedürfuis  am  Äquator  eii 
geringeres  ist  als  in  Grönland.  Und  wer  das  liest  —  wi( 
wird  er  über  unsere  Disziplin  denken?  Für  uns  folgt  daraui 
ein  weiteres  Argument  —  das  erste  und  wichtigste  war,  dai 
wir  diese  Dinge  nicht  zur  Erreichung  unserer  Resnltah 
brauchen  —  dafUr,  diese  Erörterungen  auszuscheiden.   Kn 


Kritik  der  üblichen  Darstellung  usw.  159 

wenn  es  sich  darum  handelt,  konkrete  Zustände  der  Wirt- 
lehaft  zu  erklären,  werden  sie  wichtig,  für  ihre  „allgemeinen 
Gesetze''  aber  sind  sie  bedeutungslos  und  allgemein  aus- 
gesprochen verlieren  sie  außerdem  alles  Interesse. 

Im  Kapitel  von  dem  Produktionsfaktor  „Arbeitskraft" 
iteht  die  Sache  nicht  ganz  so.  Wir  finden  nämlich  da  eine 
Theorie,  welche  in  der  Nationalökonomie  Bürgerrecht  ge- 
I  Wonnen  zu  haben  scheint  und  auf  die  man  nicht  leicht  ver- 
oehten  wird.  Es  ist  jene,  die  den  Namen  Malthus'  trägt. 
Aueh  sie  soll  „ ausgeschieden ""  werden?  Nun,  daß  sie  außer- 
halb unseres  reinen  Systemes  steht,  ist  klar.  Die  Wechsel - 
virkung  zwischen  dem  Nahrungsmittelspielraum  und  der 
Bevölkerungszahl  ist  aber  überhaupt  keine  ökonomische 
oder  doch   nicht   reinökonomische.    Zum  Teile   gehört   sie 

IBcherlich   in    das  Gebiet   der   Biologie.     W-ir    können  uns 
illerdings  eine  Frage   stellen,   welche  in   dieser  Richtung 
liegt  und  reinökonomisch  ist,  nämlich :  Wie  wirkt  eine  Ver- 
nehrang  des  Arbeitsangebotes  auf  die  übrigen  Quantitäten 
Buseres  Systemes?  Hier  ist  die  Vermehrung  der  Bevölkerung 
eine  jener  Störungsursachen,   deren  Wirkung    wir  mit  den 
Mitteln  der  Theorie  bis  zu  einem  gewissen  (jrade  untersuchen 
hönnen,   und  soweit   gehört  uns   dieses  Thema.    Aber  ab- 
gesehen davon,  daß  diese  Frage  keine  irgendwie  tief  in  das 
»ziale  Geschehen  führende  Antwort  finden   kann,  sondern 
flur  zu  einem  sehr  speziellen  Resultate  bezüglich  der  Tat- 
sachen der  Lohnbildung  führt,  ist  sie  nicht  jene,  welche  hier 
in  erster  Linie  in  Betracht  kommt.    Das  ist  vielmehr  die 
umgekehrte  Frage,   nämlich  die,   wie  ein   bestimmter  Ver- 
sorgungszustand   auf  die    Bevölkerungsvermehrung    wirkt. 
Und  darül>er  können  wir  als  Ökonomen  gar  nichts  sagen, 
iQch  dann  nicht,  wenn  wir  der  Annahme  zustimmen  wollen, 
daB  sich  das  Maß  der  letzteren  aus  ökonomischen  Momenten 
begreifen  lasse.    Nur  dann  könnten  wir  sie  in  unser  Schema 
bringen,  wenn  wir  soweit  gehen  wollten,  die  Menschen  nach 
Analogie  von  Maschinen  zu  behandeln  und  für  ihre  Ver- 
mehrung   Angebot   und    Nachfrage    entscheidend    sein    zu 
lassen.    Allein,  wenn  man  der  Ansicht  ist,  daß  das  nicht 


\GQ  Das  Problem  dca  statischen  Oleichgewichtea. 

geht,  SO  wird  man  auf  eine  ökonomische  Theorie  der  Be- 
völkerungsvennebrung  verzichten  müssen.  Wiederum  muS 
betont  werden,  daß  lange  nicht  alles,  was  irgendwie  mit 
Skonomiscben  Momenten  zusammenhängt,  der  Erfassung 
durch  die  exakte  Ökonomie  zugänglich  ist.  Wo  das  aber 
nicht  der  Fall  ist,  werden  die  ökonomischen  Momente  za 
bloßen  BanalitHten,  da  wir  dann  der  Möglichkeit  beraubt 
sind,  längere  Gedankengänge  darauf  aufzubauen.  Diese 
Gründe,  unterstützt  durch  die  Tatsache,  daß  auch  die  andere 
Seite  der  Malthusianischen  Theorie,  nämlich  die  für  sie 
nötige  Hypothese  über  die  künftige  Entwicklung  des  Nahrungs- 
mittelspielraumes, nichts  mit  der  ökonomischen  Theorie  xa 
tun  hat,  veranlassen  uns  also,  jenen  theoretischen  Bau  «üb 
der  Ökonomie  auszuschlieSen  oder  doch  wenigstens  zu  be- 
tonen, daß  beide  voneinander  unabhängig  sind  und  kein 
organisches  Ganze  bilden. 

Wenn  unser  Standpunkt  richtig  ist,  so  kann  man  sich 
von  der  Bevölkerungstheorie  keinen  glänzenden  Erfolg  Ter- 
sprecfaen.  Es  scheint  uns  nun  sehr  für  uns  zu  sprechen, 
daß  sie  tatsächlich  sich  in  traurigem  Znstande  befindet. 
Nicht  der  geringste  Fortschritt  ist  bemerkbar.  Vielmehr 
beschränkt  man  sich  darauf,  den  einen  Malthu&ianischo 
Gedanken  immerfort  mit  immer  denselben  Argumenten  fOr 
und  wider  zu  diskutieren.  Von  einem  Weiterbauen,  einer 
Entwicklung  igt  nichts  zu  sehen:  Eine  nur  halb  wissen- 
schaftliche Kontroverse  wird  über  diese  unwissenschaftliche 
Theorie  mit  ebensolchen  Mitteln  geführt,  und  wenn  sieh 
etwas  daraus  ergeben  hat,  so  ist  es  die  Erkenntnis  der 
geringen  Tragfähigkeit  des  Bauwerkes.  Da  wir  aber  nichts 
an  seine  Stelle  zu  setzen  haben  —  ist  es  nicht  besser,  diesen 
Beetandteil  der  Nationalökonomie  überhaupt  fallen  zu  lassea, 
der  ihr  weder  methodologisch  noch  inhaltlich  zur  Zierde 
gereicht?  Dann  aber  bleibt  von  der  ökonomischen  Be- 
völkerungstheorie nichts  Übrig. 

Ich  hoffe,  daß  der  Leser  den  Eindruck  haben  wird,  dafl 
die  Natur  der  Sache  und  nicht  etwa  engherzige  Fachsinpelei 
mich  zu  meiner  Stellungnahme  in  allen  den  Fragen,  die  kh  is 


der  üblichen  Darstellung  usw.  161 

Kapitel  streifte^  veranlaßt    Nochmals,  wenn  diese 
Themen  entsprechend  behandelt  würden,  so  würde  ich 
xwar  noch  immer  im  Interesse  der  Klarheit  dafür  eintreten, 
'  dafi  man  sie  nicht  mit  der  reinen  Theorie  der  Ökonomie  zu- 
nmmenwerfe,  aber  im  übrigen  freudig  jede  Leistung  aner- 
kennen.  Gewiß  kann  ein  Nationalökonom  auch  z.  B.  Ethno- 
kge  sein.  —  Professor  Ripley  schrieb  die  „Races  of  Europe''. 
Aber  dann  mnfi  er  es  auch  ordentlich  sein  und,  wenn 
er  nicht  schon  selbst  Schädel  mißt ,  sich  doch  wenigstens 
ndt  4er  Literatur  dieser  Dinge  vertraut  machen.    Unzulässig 
aber  ist  es,  darüber  Behauptungen  auszusprechen,  welche 
um  Jahrhunderte  hinter  dem  heutigen   Stande  jener  Dis- 
ziplinen zurückliegen  —  und  namentlich  Theorien  darauf 
aofnibauen,  wie  das  öfters  geschieht.    Besser  ist  ein  auf- 
richtiger Verzicht,  der  ja  durchaus  möglich  ist. 

Auch  leugne  sich  keineswegs ,  daß  sich  einmal  aus  der 
Kombination  ethnologischer  usw.  und  ökonomischer  Resultate 
neue,  fruchtbare  Erkenntnisse  gewinnen  lassen  werden. 
Nor  wird  man  auch  hier  fordern  müssen ,  daß  man  dabei 
mit  Sachkenntnis  vorgehe  und  diese  Gebiete  nicht  vermische. 
Heute  scheint  es  mir  das  Nächste  und  Wichtigste  zu  sein, 
rine  Trennung  durchzuführen  und  besonders  unser  Arbeits- 
gebiet frei  von  fremden  Elementen  und  ohne  über  seine 
Grenzen  hinauszuschweifen  zu  bearbeiten.  Nur  so  kann  man 
rieh  über  dasselbe  und  das,  was  es  leisten  kann,  klar  werden. 
Und  auf  was  man  dabei  verzichtet,  ist  wenigstens  heute 
Boch  nicht  viel. 

§  $•  Gegenüber  dem  dritten  Produktionsfaktor,  dem 
Kapitale,  ist  unsere  Aufgabe  eine  etwas  andere.  Was 
darüber  gesagt  zu  werden  pflegt,  läßt  sich  charakterisieren 
durch  die  Worte:  Diskussion  des  Begriffes,  Annahme  des 
Kapitales  als  eines  selbständigen  Produktionsfaktors  und 
endlich  Erörterung  der  Kapitalbildung.  Und  zu  diesen 
Punkten  haben  auch  wir  einiges  zu  sagen.  Aber  den  dritten 
wollen  wir  an  einer  späteren  Stelle  behandeln,  und  über  den 
zweiten   sprachen  wir  bereits,    so  daß  nur  der  erste  übrig 

8ehQiBp«t«r,  NationalOkonoini«.  11 


Iti2  ^"B  Problem  des  gtatischen  Gleichgewicht«. 

bleibt.  Wir  wQnschen  uun  keineswegs,  die  bekamite  lange 
Diskussion  des  Begriffes  weiterzufafareo ;  das  wQrde  wenig 
Zweck  haben;  auch  nicht,  uns  fQr  den  einen  oder  anderen 
zu  entscheiden;  das  kOnnte  in  einem  Satze  geBchehen;  aber 
vir  möchten  etwas  zum  besseren  VerständnisBe  mancher 
Kapital  begriffe  beitragen,  weil  es  uns  scheint,  daß  sich  fQr 
die  meisten  Verschiedenes  anfuhren  l&Bt  und  daß  bei  näherem 
Zusehen  manche  veraltete  Auffassung  sich  besser  ausnimmt, 
als  man  glauben  mOchte  —  dag  sich  die  ftlteren  Ökonomen 
mehr  dessen  bewuBt  waren,  was  sie  taten  und  mehr  in  ihren 
als  Definitionen  und  Wortstreitigkeiten  erscheinenden  Aus- 
fuhrungen  steckt,  als  es  erscheint.  Sicherlich  können  wir 
nicht  die  ganze  lange  Reihe  von  Kapitalbegriffen  vorführen, 
müssen  dieselben  vielmehr  im  Wesen  als  bekannt  voraus- 
setzen. Nur  einige  Punkte,  die  wir  der  Diskussion  hinzu- 
zufügen haben,  sollen  hier  erwShnt  werden.  Der  Leser  sei 
im  übrigen  namentlich  auf  die  Untersuchungen  v.  Boehm- 
Bawerks,  J.  B.  Clarks  und  auf  eine  Reihe  von  Artikeln  im 
Economic  Journal,  endlich  auf  das  Werk  Jrving  Fishers 
„Capital  and  Incorae"  verwiesen. 

Es  ist  für  die  Beurteilung  der  Rolle  und  Bedeutung 
eines  Begriffes  eutscheidend,  den  Zweck  zu  kennen,  den  der 
Schöpfer  desselben  im  Auge  hatte.  Da  die  n-issenschaftliche 
Begriffsbildung  naturgemäß  willkürlich  ist,  so  hat  es  keinen 
Sinn,  über  „Richtigkeit"  oder  „Falschheit"  eines  Begriffes 
zu  streiten.  Auch  kann  man  nicht  im  vorhinein  Begriffe, 
die  den  gleichen  Kamen  fuhren,  nebeneinander  stellen  und 
sich  ein  für  alle  mal  für  einen  der  mit  den  letzteren  ver- 
bundenen'  Yorstellungsinhalte  entscheiden  wollen;  es  ist 
vielmehr  durchaus  möglich,  für  einen  Zweck  den  einen,  für 
einen  anderen  den  anderen  zu  wAhlen,  und  alles,  was  mau 
von  jedem  Theoretiker  diesbezüglich  verlangen  kann,  ist 
erstens,  keine  Konfusion  anzurichten  und  zweitens,  von 
keinem  dieser  Vorstellungsinhalle  etwas  auszusagen,  was  ihm 
nicht  zukommt.  Jene  prinzipielle  WillkUrlicbkeit  erkl&rt 
die  große  Zahl  der  vorhandenen  Kapitalbegriffe,  ohne  daß 
wir    darin  an  sich  —  die  Sache  bat  noch  einen  andern 


Kritik  der  üblichen  Darstellung  usw.  133 

Aspekt . —  etwas  so  sehr  Bedauernswertes  sehen  würden. 
Sagen  wir  gleich,  wie  wir  mit  dem  Kapitalsbegriffe  ver- 
fahren wollen.  Sa  viel  als  möglich  werden  wir  ihn  ver- 
meiden und  überall,  wo  es  angeht,  einfach  sagen,  was  wir 
meinen,  z.  B.  Werkzeuge  usw.  Das  hat  den  Vorteil  der 
Klarheit  und  dann  noch  einen  anderen ,  auf  den  wir  gleich 
kommen  werden.  Aber  auch  wo  wir  das  Wort  gebrauchen, 
halten  wir  keineswegs  an  einer  Definition  fest;  wir  tun  es 
jedoch  nur  dann,  wenn  über  seinen  Sinn  kein  Zweifel  be- 
stehen kann. 

Was  sind  nun  die  Zwecke,  denen  der  Kapitalbegriff  in 
der  ökonomischen  Literatur  dient?  Es  ist  das  Verdienst 
T.  Boehm-Bawerks,  zwei  ganz  unabhängige  geschieden  zu 
haben.  „In  den  Systemen  der  Volkswirtschaftslehre,"  sagt 
er  in  der  Einleitung  zur  „Positiven  Theorie  des  Kapitales", 
jcbegegnet  man  dem  Namen  und  der  Theorie  des  Kapitales 
regelmäßig  zweimal  in  zwei  gesonderten  Gebieten.  Das  erste 
Mal  in  der  Lehre  von  der  Produktion ,  das  zweite  Mal  in 
der  Lehre  von  der  Verteilung  der  Güter.  Das  erste  Mal 
^rd  uns  das  Kapital  als  ein  Faktor  oder  Werkzeug  der 
Produktion,  als  ein  Hebel  dargestellt,  dessen  die  Menschen 
sich  bedienen,  um  mit  desto  größerem  Erfolge  der  Natur 
Gütergestalten  abzuringen.  Das  zweite  Mal  erscheint  es  als 
Einkommensquelle  oder  Rentenfonds;  hier  wird  uns  gezeigt, 
^e  es  bei  der  sozialen  Auseinandersetzung  über  das  gemein- 
em geschaffene  Produkt  als  ein  Magnet  wirkt,  der  einen 
Teil  des  Nationalproduktes  an  sich  zieht  und  seinem  Eigen- 
tümer als  Rente  überliefert:  es  erscheint  mit  einem  Worte 
&Is  die  Quelle  des  Kapitalzinses.'' 

Diese  Scheidung  zweier  Rollen  des  Kapitales  und  zweier 
daraus  folgender  Gruppen  von  Kapitalbegriffen  scheint  uns 
in  der  Tat  wesentlich,  und  auch  wir  wollen  sie  machen. 
Doch  möchten  wir  zwei  Dinge  dazu  bemerken.  Einmal 
müssen  wir  uns  dessen  erinnern,  was  wir  über  die  Rolle 
der  Produktionsfaktoren  im  Systeme  der  Nationalökonomie 
sagten.   Sie  besteht  darin,  dasselbe  gleichsam  zu  stabilisieren, 


164  I^  Problem  d«*  lUtüchen  GleichgewiditM. 

Dinge  auszuschliefien  und  als  Daten  des  Gedankengange» 
zu  erklaren,  velcfae  wir  mit  unseren  Mitteln  nicht  selbst 
wieder  erklären  kOnneo;  das  Niveau  der  Wirtschaft  xu 
charakterisieren,  von  dem  wir  ausgehen  müssen  —  nicht 
aber  etwa  darin,  ein  gesondertes  Kapitel  Ober 
die  „Produktion"  zu  verTollstAndigen:  Ein  solches 
gibt  es  nicht  fOr  uns.  Nun,  diese  Rolle  des  Kapitalbegriffes 
wird  uns  viele  seiner  Definitionen  verstehen  lehren.  Sodann 
aber  tnufi  auch  noch  auf  ein  weiteres  —  drittes  —  Moment, 
eine  dritte  Rolle  des  Kapitalbegriffes  hingewiesen  wwden, 
die  man  mit  HCharakterisUkon  der  kapitalistischen  Wirt- 
schaft* bezeichnen  könnte.  In  der  Tat,  die  Ökonomen 
wollen  mit  ihrem  Kapitalbegrifife  auch  —  und  vielleieht  vor 
allem  —  einen  Beitrag  zur  Analyse  des  BKapitalimnns* 
liefern,  zum  Verständnisse  des  kapitalistischen  Wirtschafts- 
Prozesses  und  des  sozialen  Geschehens.  Das  gibt  zu  den 
folgenden  Bemerkungen  Anlafi. 

Erstens.  Dieses  Moment  liegt  keineswegs  schon  in  den 
beiden  anderen.  Welcher  Gotervorrat  angenommen  werden 
muß ,  um  das  Wirtschaftsniveau  zu  charakterisieren ,  von 
welchem  Gütervorrate ,  der  gegeben  sein  mufi,  wir  aas- 
geben sollen,  ist  eine  rein  theoretische  Frage  oder  besser 
eine  methodologische  Frage,  welche  nichts  mit  der  zu  tun 
hat,  was  das  Charakteristikon  der  als  „KapitalJsmiu*  be- 
zeichneten Erscheinung  ist.  Wir  können  die  erstere  iQsen, 
ohne  auch  nur  zu  wissen  oder  wissen  zu  wollen,  worin  das 
Wesen  des  Kapitalismus  bratehe.  Aber  ebenso  onabbingig 
ist  davon  die  Frage,  woher  der  Zins  komme.  Wir  kOnnen 
keineswegs  a  priori  sagen,  daß  es  sich  nur  in  der  kapita- 
listischen Wirtschaft  zeige;  mag  sein,  daß  dem  so  ist,  aber 
notwendig  ist  es  nicht.  Die  Behauptung  z.  B.,  dafi  der 
Zins  aus  dem  .Einschlagen  von  vorteilhaften  Prodoktions- 
umwegen'  folge,  und  die,  daß  darin  auch  das  wesentliche 
Merkmal  des  Kapitalismus  liege,  sind  durchaus  unabhingig 
von  einander  und  stehen  und  fallen  nicht  notwendig  logleieh. 
Wir  werden  also  eine  dritte  Gruppe  von  Kapitalbegriffen 
oder  von  Typen  derselben  oder,  noch  besser,  von  Elemsntw 


Kritik  der  üblichen  DarstelloDg  vlmw.  Ig5 

i  n  d  e  n  Kapitalbegriffen  zu  unterscheiden  haben ;  dazu  wird 
2.  B.  der  Begriff  Marx'  zu  rechnen  sein. 

Zweitens.  Man  wird  nicht  fehlgehen,  wenn  man  in  der 
eben  erwähnten  die  Hauptrolle  oder  doch  den  Anlaß  zur 
Bildung  des  Kapitalbegriffes  zu  sehen  glaubt  Das  Wort 
.Kapital*  ist  ganz  Qberflüssig,  wenn  wir  nichts  anderes 
wollten  als  unser  .Wirtschaftsniveau''  charakterisieren. 
Seine  Verwendung  erspart  uns  die  Aufzfthlung  der  Güter- 
kategorien, die  in  diesem  Sinne  dazu  gehören,  keineswegs 
und  femer  kann  dieselbe  so  kurz  geschehen ,  dafi  uns  jener 
Terminus  kaum  einen  Vorteil  bietet.  Nicht  so  leicht  wird 
man  dasselbe  für  das  Kapital  als  Einkommenstrftger  zugeben. 
Und  doch  verhält  sich  die  Sache  hier  genau  ebenso.  Aller- 
dings stehen  Kapital  und  Zins  im  Sprachgebrauche  in 
bekanntem  Zusammenhange;  allein,  wenn  man  für  die  Zwecke 
der  Wissenschaft  untersucht,  woher  der  Zins  kommt  und 
findet,  dafi  er  z.  B.  auf  die  produktiven  Leistungen  der 
Werkzeuge  zurückzuführen  ist,  so  kann  man  zwar  sagen, 
dafi  das  Kapital  in  jenem  populären  Sinne  in  Werkzeugen 
bestehe,  aber  nicht  ohne  weiteres,  dafi  das  Wesen  dessen, 
was  ein  anderer  populärer  Sinn  als  „Kapitalismus"  be- 
zeichnet, in  der  Verwendung  von  Werkzeugen  liegt;  kann 
man  das  aber  nicht  sagen,  dann  sind  bei  jener  Lösung  des 
Zinsproblemes  die  Begriffe  „Kapital '^  und  „Werkzeuge" 
lediglich  synonym,  und  der  erstere  ist  entbehrlich.  Nur 
dort  ist  der  Kapitalbegriff  in  „seinem  Elemente^,  nur  dort 
ist  er  nicht  entbehrlich,  wo  es  sich  um  Analyse  des  Kapitalis- 
mus handelt  —  und  nur  deshalb,  weil  die  Theoretiker  auch 
dafür  etwas  leisten  wollen,  führen  sie  diesen  Terminus  ein. 
Für  uns  aber  kommt  es  nur  auf  die  ersten  beiden  Punkte 
an,  und  so  brauchen  wir  eigentlich  den  Kapitalbegriff  gar 
nicht,  was  eben  der  zweite  Grund  ist,  der  uns  veranlaßt, 
ihn  tunlichst  zu  vermeiden. 

Drittens.  Bei  dieser  letzten  Rolle  des  Kapitales,  als 
Merkmal  des  Kapitalismus,  nun  zeigt  es  sich  deutlich,  dafi 
wir  es  keineswegs  mit  einer  bloßen  Definition,  sondern  mit 
einem  Probleme  zu  tun  haben,  wenn  wir  nach  dem  .Wesen 


IQQ  Da«  Problom  doa  Btatüchen  Gleichgawiehtea. 

des  Kapitales"  fragen  und  daß,  wie  auch  sonst  oft  in  unserer 
Disziplin,  Wortdishussionen  und  „BegriS^bearbeitungen" 
keineswegs  völlig  zwecklos  sind,  vielmehr  dabei  nicht  um 
Worte,  sondern  am  Theorien  gestritten  wird.  Wenn  wir 
also  sagten,  d:'.6  die  BegrifTsbildung  willkürlich  sei,  so  gilt 
das  nur  fQr  einen  Aspekt  der  Sache;  insofern  in  den 
Begriffen  schon  Problemlösungen  Hegen,  trifft  das  nicht  zu, 
und  die  betreffenden  Kontroversen  gewinnen  an  Bedeutung 
und  Interesse  —  werden  Überhaupt  erst  erkl&rlich  — ,  so 
unvollkommen  auch  die  Methode  des  Streitens  um  Wort- 
bedeutungen sein  mag. 

Das  fahrt  weiter.  Auch  fttr  die  anderen  beiden  Rollen 
des  Kapital  begriffes  gilt  dasselbe  und  in  ihrer  Fiziening 
kommen  Theorien  zum  Ausdruck.  Und  da  erkennen  wir 
denn,  dafi  diese  so  langweiligen  Auseinandersetzungen 
namentlich  der  älteren  Ökonomen  aber  ihre  Begriffbbildungen 
viel  mehr  enthalten,  als  man  glauben  könnte.  Stellen  wir 
uns  nun  ausdrücklich  die  drei  Probleme,  welche  den  drei 
Rollen  der  Knpitalbegriffe  entsprechen  und  sich  hinter  deren 
Definitionen  verstecken :  Welche  Güterarten  müssen  außer 
Land  und  Arbeit  als  gegeben  vorausgesetzt  werden,  um  die 
Entwicklung  unserer  Theorien  zu  ermöglichen?  Aus  welcher 
Quelle  fließt  der  Zins?  Was  ist  das  Merkmal  der  kapita- 
listischen Wirtschaft?  Alle  drei  Fragen  können  mit  dem 
Worte  „Kapital"  beantwortet  werden;  allein  das  würde  an 
sich  nichts  sagen,  die  eigentliche  Antwort  erscheint  in  der 
Form  der  Definition  des  Kapitales.  Wir  billigen  diese 
Methode  nicht,  wollen  auch  den  Kapitalbegriff  aus  den  ersten 
beiden  Problemen  ausscheiden,  aber  hier,  wo  es  sich  uns 
nur  darum  handelt ,  zu  dem  Verständnisse  des  üblichen 
Lehrsystemes  der  Ökonomie  und  der  Kapitalkontroverse  bei- 
zutragen, können  wir  uns  diese  Betrachtungsweise  zu  eigen 
machen. 

Vor  allem  muß  betont  werden,  dafi  nur  die  ersten 
beiden  Fragen  sicher  zur  Domflne  der  theoretischen  Ökonomie 
in  unserem  Sinne  gehören.  Die  dritte  gehört  nicht  zu 
ihrem  Systeme  in  seiner  einfachsten  Form,  schon  deshalb 


Kritik  der  üblichen  Darstellung  usw.  137 

nicht,  weil  dasselbe  für  alle  Wirtschaftsformen  gelten  soll, 
während  man  vom  Phänomen  des  Kapitalismus,  was  immer 
sonst  sein  Wesen  sein  mag,  nicht  ungezwungen  in  der 
Wirtschaft  eines  Beduinen  oder  Austrainegers  sprechen  kann. 
Dazu  kommt  aber  noch,  daB  dasselbe  vielleicht  —  wir 
wollen  kein  Endurteil  fällen  —  viel  mehr  durch  ethische, 
soziale  und  andere  Momente  als  durch  wirtschaftliche 
charakterisiert  ist,  femer  mehr  durch  konkrete  Momente — z.  B. 
Vorhandensein  einerseits  ganz  besitzloser  Wirtschaftssubjekte 
und  andererseits  sehr  reicher  —  als  durch  allgemeine, 
abstrakte.  Das  ist  das  eine:  Abscheidung  des  Momentes 
des  Kapitalismus  von  den  rein  theoretischen  Verwendungen 
des  Kapitalbegriffes  und  Anerkennung  der  Tatsache,  daß 
diese  Erscheinung  nicht  in  das  Reich  jener  „wirtschaftlichen 
Logik**  gehört,  als  welche  man  unser  System  bezeichnen 
könnte.  Das  andere,  was  uns  diese  Erkenntnis  leistet,  ist 
das  Verständnis  mancher  Argumente  im  Streite  um  den 
Kapitalbegriff.  Man  hat  sich  dagegen  gewehrt,  die  Arbeit 
in  das  Kapital  einzuschließen.  Das  geschah  aus  verschiedenen 
Motiven,  uns  aber  interessiert  hier  nur  eines :  Man  sagt,  daß 
man  dadurch  den  Arbeiter  zum  Kapitalisten  mache.  Was 
tut  das?  Für  die  reine  Theorie  ist  das  sehr  nebensächlich. 
Der  Unterschied  zwischen  Arbeiter-  und  Kapitalistenklasse, 
den  man  nicht  verwischt  sehen  will,  ist  sehr  wichtig  für  die 
soziale  Betrachtung,  ihr  Gegensatz  ein  wesentliches  Moment 
zum  Verständnisse  des  sozialen  Geschehens;  aber  was  soll 
er  uns  in  der  Theorie?  Hier  haben  wir  ein  Beispiel  eines 
modus  procedendi  vor  uns,  der  in  der  Ökonomie  schon  viel 
Sehaden  angerichtet  und  zu  mancher  resultatlosen  Diskussion 
geführt  hat,  jener  Neigung,  Begriffe  und  Theoreme  mit  all- 
gemeinen Gründen  zu  diskutieren  ohne  zu  bedenken,  daß 
der  Zweck  die  theoretischen  Instrumente  nicht  nur  heiligt, 
sondern  auch  erst  verständlich  macht,  daß  für  eine  Klasse 
von  Problemen  nützlich  und  richtig  sein  kann,  was  für  eine 
andere  falsch  und  unzweckmäßig  ist. 

Nun  zur  zweiten  „Rolle",  ehe  wir  uns  der  ersten,  hier 
wichtigsten  zuwenden.    Warum  definiert  Jevons  das  Kapital 


\QQ  Du  Problem  dM  atatiKhen  Gleiehgeirielit«s. 

als  GenufigQterromt ,  warum  nennen  viele  Theoretiker 
dauerbare  GQter  mit  Ausnahme  von  Land,  wanun  andere 
Werkzeuge  und  noch  andere  Werkzeuge  und  Rohmaterialien 
„Kapital"?  Einfach  deshalb,  weil  ae  daraus  den  Zins  ab- 
leiten und  dabei  mit  dem  populftren  Zusammenhange  zwiaehen 
Kapital  und  Zins  in  Übereinstimmung  bleiben  wollen. 
Keineswegfi  ist  da  das  Kapital  als  Seele  des  KapitalismuB 
zu  verstehen ;  wenn  manche  Theoretiker  glauben,  mit  ihrem 
Vorgehen  sozusagen  zwei  Fliegen  auf  einen  Sehlag  getötet 
zu  haben,  so  ist  das  ein  Irrtum,  eine  schOne  Illnaion.  Aber 
der  Kapitalsbegriff  ist  da  auch  keine  blofie,  ganz  willkOrliehe 
Definition;  vielmehr  wird  zunfichst  eine  Zinstheorie  auf- 
gestellt und  dann  der  .Zinsfond*  Kapital  genannt  —  und 
das  ist  das  Moment,  das  fQr  die  Beurteilung  dieser  Begriffe 
entscheidend  ist,  Freilich  hielten  wir  es  fttr  besser,  einfaeh 
von  einem  "Zinsfonde"  zu  sprechen;  nur  jene  Illusion  ist 
dem  hinderlich,  sonst  würde  es  keinen  Grand  dagegen 
geben.  Aber  wenn  man  den  Tenuious  Kapital  schon  rer- 
wcndet,  dann  darf  man  ihn  nicht  an  sieh  und  im  allgemeüien, 
sondern  nur  auf  Grund  der  Zinstheorie  selbst,  deren  Diener 
er  ist,  aburteilen.  Sonst  kann  unmöglich  etwas  dabei  heraus- 
konimeo.  Daß  es  endlich  nahezu  —  nicht  ganz  *  —  aoviele 
KapitalltegriiTe  wie  Zinstheorien  geben  maß,  ist  datnaeh 
nicht  niolir  als  selbstverständlich,  und  das  BemOhen  mancher 
Theoretiker,  auf  eine  Konvention  Ober  den  Inhalt  des 
Knpita)l>egriffes  hinzuarbeiten ,  ohne  auf  das  Zinsproblem 
ItiK-ksifht  zu  nehmen,  muß  notwendig  resultatlos  bleiben, 
Milange  und  s<.>weit  Kapital  und  Zins  untrennbar  verbnoden 
sind. 

Scblieälirh  !^>hen  wir  auch  auf  Grund  unserer  froheren 
Ausftlhningt>i),  dnil  !<elb.<t  in  jenen  Kapitaldefinitiooea,  welcbe 
wi^loi'  mit  IliiiMii'k  auf  den  Zins  noch  mit  Hinblick  auf 
das  Vlianomeu  dos  Kapitalismus  geschaffen  wurden,  ein  ge- 
sundtT    mclhudoKtcisihcr    Kern    und   mehr   als   eine   bloSe 

^  boniki  anf  MB«m  Kapiulbagrifle, 


r\ 


Kritik  der  üblichen  Darstellung  usw.  Ig9 

Definition  liegt.  Die  ,,  Beziehung  zum  Erwerbe  und  zur 
Produktion*,  welche  nach  v.  Boehm-Bawerks  glücklichem 
Ausdrucke  so  viele  Kapitaldefinitionen  charakterisiert  — 
fast  alle  —  welchen  Sinn  hat  sie?  Der  Theoretiker  weifi, 
dafi  er- nicht  alle  produzierten  Güterarten  und  -mengen  mit 
den  Mitteln  der  Theorie  ableiten  kann  aus  den  Daten  der 
,Natar?erh&ltnisse".  Deshalb  will  er  wenigstens  die  Konsum- 
güter der  Wirtschaftssubjekte,  deren  Erwerb  ja  auch  das 
Ziel  des  Wirtsehaftens  bildet,  ableiten  und  stellt  den  Pro- 
dukttoDflgütervorrat  als  ein  Datum,  einen  weiteren  Pro- 
duktionsfaktor, neben  jene.  Darin  liegt  eine  viel  gesündere 
Einneht,  als  in  der  Selbstverständlichkeit,  dafi  dieser  Vor- 
rat eben  nicht  von  der  Natur  gegeben  ist,  sondern  selbst 
prodnxiert  werden  mufi.  Das  hilft  uns  wenig,  wenn  wir 
seine  Produktion  als  außerhalb  unseres  Systemes  liegend 
anerkennen  müssen.  Ferner  sahen  manche  Ökonomen,  dafi 
die  Unterscheidung  von  Produktionsgütem ,  welche  vor- 
handen sein  müssen  und  Genußgütem,  welche  damit  erzeugt 
werden  sollen,  nicht  völlig  passend  und  ausreichend  ist.  Es 
werden  auch  in  der  Periode,  die  wir  betrachten  und  deren 
Vorgänge  wir  ableiten  können,  Produktionsgüter  erzeugt 
und  Genußgüter  aus  der  vorhergehenden  übernommen,  was 
den  Gang  der  Wirtschaft  wesentlich  beeinflußt.  Außerdem 
ist  für  das,  was  jedes  Individuum  konsumieren  kann  und 
wird,  nicht  bloß  sein  Besitz  an  Produktions-  und  Konsumtions- 
gütem  entscheidend,  sondern  auch  das,  was  er  dafür  ein- 
tauschen kann.  Auch  Genußgüter  kommen  für  manche 
Wirtschaftssubjekte  nur  in  dieser  Beziehung  in  Betracht 
und  der  Gütervorrat,  mittelst  dessen  sie  sich  ihren  Lebens- 
unterhalt beschaffen,  kann  auch  aus  Genußgütern  bestehen. 
Das  erklärt  uns  den  Begriff  des  „Erwerbskapitales^  als  „Pro- 
duktionsfaktor*"  und  den  Einschluß  von  Genußgütem  in 
den  Kapitalsbegriff.  In  einem  gewissen  Sinne  treten  wir 
selbst,  wie  der  Leser  sah,  für  die  letztere  Maßregel  ein. 

Und  endlich  läßt  sich  von  diesem  Standpunkte  auch 
etwas  für  jene  „maßlos  weit**  erscheinenden  Kapitalbegriffe 
sagen,  welche  gegenwärtig  als  veraltet  angesehen  werden 


170  ^^  Problem  dea  statiadieii  OleiehgewiditeB. 

kJ>nneD,  für  jene,  welche  z.  fi.  auch  den  Staat  usw.  ein- 
schließen.  Gegeben  sein  und  unveraiidert  festgehalten  werden 
mOssen  die  Organisationsverhaltnisse  osw.  gewiß.  Ob  man 
sie  nun  als  Entwicklungsbedingungen  bezeichnet  oder  als 
Produktionsfaktoren  und  ob  man,  im  letzteren  Falle  wiederum, 
sie  als  selbständige  Froduktionsfaktoren  auffaSt  oder  mit 
anderen  Daten  zusammen  begreift,  also  etwa  mit  dem  Ka- 
pitale, ist  anwesentlich.  Es  mag  das  unpraktisch  sein;  aber 
dieser  Nachteil  verschwindet  neben  dem  erheblichen  Ver- 
dienste, der  gesunden  methodologischen  Einsicht,  die  in  der 
Auffuhrung  dieser  Dinge  unter  den  Daten  des  Okonomiscbeo 
Gedankenganges  liegt. 

Begnügen  wir  uns  mit  diesen  Andeutungen,  die  ndi 
leicht  gusfahren  und  an  all  den  einzelnen  KapitalbegrifEen 
dieser  Gruppe  demonstrieren  ließen  —  eine  Aufgabe,  die 
hier  zu  weit  fahren  wOrde  und  die  ich  dem  Leser  Ober- 
lassen möchte.  Vielleicht  ist  das  wenige,  was  wir  sagten, 
zusammen  mit  dem,  was  wir  über  die  anderen  Arten  von 
Kapital  begriffen  bemerkten,  geeignet,  die  Kapitalsdiskassioa 
in  einem  neuen  Lichte  erscheinen  zu  lassen  und  ein  neues 
Moment  in  sie  einzufahren,  das  zu  einem  beaseren  Ver- 
ständnisse dieses  Kapitels  unserer  Theorie  beitragen  bion. 
Besumieren  wir  nochmals  den  letzten  Teil  unseres  Argu- 
mentes. Was  die  Nationalökonomen  zur  Aufstellung  dieses 
dritten  Produktionsfaktors  —  vielleicht  besser:  Faktors 
des  Wirtschaft&prozesaes  —  veranlagte,  war  die  Erkenntnis 
oder  das  Gefühl,  daß  das  System  der  reinen  Theorie  mit 
den  beiden  anderen  nicht  auskommt,  vielmehr  zu  unserH' 
Beschreibung  des  Wirtschaftsprozesses  noch  eine  weitere 
Gruppe  von  Daten  —  bestehend  in  g^ebenen  Vorr&ten  an 
produzierten  Gütern  —  nötig  sei.  Und  diese  Erkenntnis 
oder  dieses  Gefühl,  war  sehr  richtig.  Darin  Hegt  der  ge- 
meinsame Kern  aller  dieser  Konstruktionen  und  dieser  Eero 
ist  gesund.  Freilich  dachte  man  verschieden  Ober  die  Art 
dieser  noch  weiter  nötigen  Daten;  bald  glaubte  man  mit 
der  Annahme  eines  Vorrates  von  dauerbaren  GOtem  — 
„stehendem   Kapitale"    —    bald    mit    einem   solchen  toi 


Kritik  der  Ablichen  DarsteUnng  usw.  X7X 

ProdnhtivgOterD  anskommeD  zu  könDCD,  bald  ging  man  noch 
weiter;  nur  selten  dachte  man  den  Gedanken  bis  zu  Ende 
mos  und  ging  so  veit,  wie  wir  es  tun.  Aber  im  großen  und 
ganzen  betrachtet,  liegt  hier  immer  dieselbe  —  und  im 
Wesen  richtige  —  methodologische  Maßregel  vor  K 

Koch  etwas  ergibt  sich  aus  diesen  Erörterungen,  näm- 
lich ein  Urteil,  Ober  die  vielfach  vorgenommene  „Auflösung 
des  Kapitales  in  Arbeit  und  Boden'  oder  auch  nur  in  Arbeit. 
Man  hat  sich  nftmlich  —  mitunter  nicht  ohne  Seitenblick 
auf  sozialpolitische  Momente  —  dagegen  gewehrt,  das  Ka- 
pital als  Belbstfindigen  Froduktionsfaktor  neben  Arbeit  und 
Boden  zu  stellen-  Allein,  wenn  man  das  tut,  gehorcht  man 
lediglich  einer  methodologischen  Notwendigkeit ,  die ,  wie 
wir  Mhon  sahen  und  noch  sehen  werden,  es  mit  sich  bringt, 
dafi  eine  Theorie  der  Kapitalbildung  außerhalb  des  reinen 
SystemeB  der  Theorie  steht  und  uns  zwingt,  von  gegebenen 
Gfiterquantit&ten  auszugehen.  Daher  kann  darin  nichts 
Anstößiges  liegen,  wie  etwa  der  Versuch,  den  Anspruch 
TOD  Kapitalbesitzern  auf  Einkommen  fester  zu  stützen  und 
and  in  ihrem  Interesse,  auf  eine  selbständige  Rolle  eines 
selbständigen  Faktors  „Kapital"  Gewicht  zu  legen.  Der- 
gleichen verurteilen  wir  gewiß,  aber  das  Hegt  nicht  in  jener 
.methodologischen  Maßregel"  an  sich.  Wir  leugnen  nicht, 
da6  das  Kapital  aus  Arbeit  oder  aus  Arbeits-  und  Boden- 
leistnngen  „bestehe",  nur  sind  wir  der  Ansicht,  daß  wir  den 
Prozeß  seines  Entstehens  aus  diesen  Elementen  im  Rahmen 
des  exakten  Systemes  nicht  beschreiben  können  —  daß 
BD8  die  reine  Tauschtheorie  nicht  ohne  weiteres  eine  Hand- 
habe dazu  bietet,  vielmehr  ihr  Apparat  dieses  Problem  aus- 
schließt —  und  daß  wir  ihm  fUr  die  kleine  Gruppe  von 
Resultaten,  welche  wir  später  als  den  Inhalt  der  „statischen 
Ökonomie"  bezeichnen  werden,  auch  gar  nicht  zu  beschreiben 


'  Natfirlicb  aber  ist  es,  wie  v.  Bochm - Bawerk  hervorhob,  ein 
•chwerer  Fehler,  wenn  mao,  „geblendet  von  der  Symmetrie  iwiachen 
<len  drei  Prodaktionsfaktoreu  und  den  drei  Ein  komm  ensiweigen*, 
<lum  ohne  weiteres  glanbt,  daS  dieeea  „Kapital"  Zina  tiagen  müsse. 


braaebes.  WoU  ktaaseK  «tr  MiimfcM  fiev  Aaflömf 
voreduae«,  nrilinebt  ut  liAi  Mf>r  Baacte  Tartale.  Xu* 
nllfit«B  wir  daan  as  SteOe  des  taherig^  Dubbs  .Cafital* 
«io  Auler««  auieliBea,  idatieh  cne  gegetgt  M<9ge  tm 
.TOTgülaMr'*  Arbeit  snd  ^Toigekütete»*  BadcalmtiBeei, 
ein«  Art  .Arbeits--  vad  ,B«lnIeHKnwiIlerte*.  me 
dieMr  Vorrat  aagehioft  nrde.  kteana  «ir  töAt  «Mbt- 
Baefaei):  dabei  wurden  aoaeie  ,5tstiKkcB*  llettadea  nr- 
.  lagen ;  er  mOfite  gelben  sein,  vcbb  awek  aickt  ih  bertmataa 
Ofttem  aber  als  abstrakter  Foad  tom  Prodaktir- 
kraft.  Wie  er  Tervendet  wird,  das  MeageaieikUtais  der 
ao»  ihm  erzeugten  ProdnktiTgoter  zDeiBander.  köanten  wir 
vielleicht  erkUren,  aber  nicht  sein  Voriundoneia,  d^  Uni- 
«tand,  daS  diese  Arbeits-  and  BodenleistaaBea  der  Zuknnft 
and  der  Entwicklung  und  nicht  der  Gegenwart  dienstbar 
gemacht  wurden ,  denn  das  erkllrt  sich  aas  Momenten ,  die 
sii:h  im  Gleichgewicbtsznstande  nicht  zeigen  —  and  nur 
anf  diesen  paßt  unser  System  heute  in  befriedigender  Weise. 
D«rr  Annahme  eines  solchen  Fondes  steht  nichts  im  Wege. 
Wir  braueben  dieselbe  nicht,  da  wir  einfach  alle  GQter- 
arten  und  -mengen  als  gegebene  betrachten  and  nur  die 
Verhältnisse  der  letzteren  zueinander  und  die  Varifttionen 
derselben  betrachten,  welche  zum  Gleichgewichte  fohren. 
Aber  prinzipiell  haben  wir  gegen  sie  nichts  einzuwenden  — 
wohl  aber  gegen  jede  anders  geartete  .Anflösnng'  Toa 
Kapital  in  Boden  und  Arbeit  ftkr  die  Zwecke  unseres  Ge- 
bietes. 

Jeder  Kenner  der  neueren  Theorie  weifi  nun,  dafi  wir 
soeben  eine  Konstruktion  verteidigt  und  zu  verstehen  gelwnt 
haben,  welche  in  der  Gegenwart  zu  lebhaften  Diskaasionan 
Anlafi  gegeben  hat,  nämlich  den  Kapitalsbegriff  Professor 
J.  B.  Clarks.  Bei  diesen  Diskussionen  wurde  jedoch  auf 
andere  Punkte  Gewicht  gelegt,  als  jene,  die  uns  interessieren, 
uAiulich  auf  die  Frage ,  ob  jener  Konstruktion  citwas  in  der 
Wirklichkeit  entspreche  oder  nicht.  Sei  es  mir  daher  er- 
laubt, in  Korze  einiges  zur  Sache  zu  bemerken.  Der  Leser 
8f>i  fOr  jene  Kontroverse  auf  die  Artikel  Clarks  und  t.  Boehm- 


Kritik  der  üblichen  Darstellung  usw.  173 

Bawerks  selbst  verwiesen;  hier  soll  die  Angelegenheit  nicht 
enchöpft,  auch  in  die  Argumente  beider  Autoren  nicht 
ciBgegBDgen  werden.  Es  handelt  sich  uns  um  das  Fol- 
ll«iide: 

Professor  Clark  unterscheidet  zwischen  Kapital  und 
Kapitalgfitem.  Letzterer  Begriff  umfaßt  Rohmaterialien 
und  Produktionswerkzeuge,  also  das,  was  der  immer  mehr 
in  Verwendung  kommende  Begriff  v.  Boehm-Bawerks  um- 
fkfit,  und  außerdem  das  Land,  mithin  alle  sachlichen  Pro- 
doktiansfaktoren ,  eine  Zusammenfassung,  die  deren  wesent- 
lich gleiche  Stellung  vom  Standpunkte  der  reinen  Theorie 
got  hervorhebt  Das  Kapital  ist  aber  nach  ihm  etwas 
anderes.  Es  ist  ein  beständiger,  dauernder  Fonds  von  Pro- 
diktionsvermögen.  In  jedem  gegebenen  Augenblicke  fällt 
er  mit  dem  Inbegriffe  der  vorhandenen  konkreten  Kapital- 
guter  zusammen,  aber  sonst  unterscheidet  er  sich  von  dem- 
selben dadurch,  daB  er  normalerweise  nicht  durch  die  Pro- 
duktion vernichtet  wird,  wie  sie,  sondern  fortbesteht.  Clark 
weist  auf  die  Tatsache  hin  —  oder  er  betrachtet  es  als 
eine  völlig  unbestrittene  und  einfache  Tatsache  —  daß  der 
Kapitalist  sein  Kapital  behalt  durch  alle  Produktionsperioden 
hindurch.  Die  Kapitalgüter  gehen  unter  oder,  wie  man  es 
vom  wirtschaftlichen  Standpunkte  in  teil  weisem  Gegensatze 
zum  physikalischen  ausdrücken  kann,  sie  gehen  in  GenuB- 
gftter  über,  andere  treten  —  nach  Clark  ganz  von  selbst  —  an 
ihre  Stelle,  das  Kapital  als  solches  aber  bleibt.  Mit  zahl- 
reichen Bildern,  in  immer  neuen  Variationen  ringt  er  nach 
dem  Ausdrucke  dieses  Gedankens.  Wie  ein  Fluß  immer 
derselbe  Flufi  bleibt,  obgleich  immer  andere  Wassertropfen 
ihn  zusammensetzen,  wie  ein  Mensch  immer  derselbe  Mensch 
bleibt,  obgleich  alle  Gewebe  seines  Organismus  sich  erneuern, 
80  auch  das  Kapital  trotz  des  steten  Wechsels  seiner  kon- 
kreten Bestandteile. 

Nun  unsere  Bemerkungen  hierzu:  Dieser  Kapitalfond 
stellt  eine  Fiktion  dar,  aber  eine  brauchbare  und  vom 
Standpunkte  Clarks  notwendige.  Wie  immer  er  seine  Auf- 
gabe als  Quelle  des  Zinses  erfüllen  mag,  die  als  Ausgangs- 


174  O^  Problem  des  statücheD  GldchgeirichtM. 

punkt  des  ökonomiBchen  Raiaonnements  zu  dienen,  als  Pro- 
duktiODsfaktor  usw.,  erfüllt  er  wirklich.  Dario  differieren 
'  wir  von  beiden  Autoren.  Von  Clark  dadurch,  dafi  wir  nicht 
wie  er  seine  RealitSt  behaupten  und  ihn  auch  als  Fond 
aufgestapelter  Arbeits-  und  Bodenleistungen  etwas  anders 
auffassen ,  von  v.  Boehm-Bawerk  dadurch ,  dafi  wir  ihm 
gesunden  Sinn  und  Brauchbarkeit  nicht  absprechen.  Sodann 
verstehen  wir ,  in  welchem  Sinne  man  mit  Clark  diesem 
Fonds  vollständige  Beweglichkeit  zusprechen,  von  ihm  sagen 
kann ,  daß  er  frei  von  einer  Industrie  zur  andern  wandern 
könne.  In  Wirklichkeit  sehen  wir  freilich  nur  geformte, 
konkrete  Guter,  aus  denen  sich  jene  abstrakte  Produktions- 
kraft nicht  ohne  weiteres  herausziehen  läfit;  will  man  aber 
das  Vorhandensein  gerade  dieser  Güter  in  diesen  Mengen 
erklären,  so  kann  man  so  verfahren,  daß  man  jedes  Wirt- 
scbaftssubjekt  mit  einer  gewissen  Menge  solcher  Produktiv- 
kraft  a  limine  ausstattet  und  nun  gleichsam  beobachtet,  wie 
es  dieselbe  verwenden,  woraus  sich  dann  mit  Hilfe  von 
unserem  Gesetze  vom  Grenznutzenniveau  analogen  Betrach- 
tungfin  eben  jene  tatsachlich  vorhandenen  Güter  und  Grenz- 
outzen  ergeben  müssen.  Weiters  —  drittens  —  sagt  Pro- 
fessor Clark,  daß  sein  KapitalbegrifT  dem  der  geschäftlichen 
Praxis  entspreche.  Ich  glaube  nicht,  daß  das  richtig  ist, 
vielmehr  daß  hier  eine  Täuschung  durch  gewisse  äußerliche 
Ähnlichkeiten  vorliegt.  Doch  interessiert  uns  das  hier  nicht, 
und  wir  wollen  uns  begnügen,  zu  konstatieren,  daß  dieser 
Punkt  für  die  theoretische  Brauchbarkeit  der  Clarkschen 
Fiktion  irrelevant  ist.  Endlich  —  viertens  —  nimmt  Clark 
an,  daß  dieser  Kapittilfond  stets  erhalten  bleibe  und  in  der 
Produktion  nicht  untergehe.  Gewiss  ist  das  die  bedenklichste 
Fiktion  von  allen.  Aber  welcher  Ökonom  ist  ganz  frei  vor 
der  Idee,  dnS  der  Ersatz  des  verbrauchten  .Kapitales' 
gleichsam  selbstverständlich,  mehr  oder  weniger  automatisch 
vor  sich  gehe?  Fast  keiner;  und  dann  ist  der  Sehritt  zur 
Clarkschen  Auffassung  nicht  mehr  groß.  Dieselbe  wird  sich 
kaum  vermeiden  lassen,  wenn  man  im  Rahmen  unseres 
S^'stems  bleiben  will. 


Kritik  der  übliclieD  Dantellnng  naw. 


175 


Noch  viele  andere  Punkte  gäbe  es  hier  zu  erörtern ;  nur 
einen  kleinen  Beitrag  zur  Lösung  der  hier  liegenden  Fragen 
konnteD  wir  bieten.  Wir  mOssen  zufrieden  Bein,  wenn  unsere 
ErOrterangen  unseren  früher  entwickelten  Standpunkt  recht- 
fertigen und  Bufierdem  dem  Leser  zeigen,  wie  viel  es  auf 
diesem  Gebiete  noch  zu  tun  gibt. 


1 


III.  Kapitel 
Statik  und  Dynamik. 


§  1.  Wir  kommen  nun  zu  einem  Thema,  du  von 
grofier  tnetbodologischer  Bedeutung  ist  und  dem  die  Hehr- 
beit  dvf  deutschen  NationalOkonomen  nicht  entspreehende 
Beachtung  gescheckt  hat.  Unsere  berühmtesten  raetfaodolo- 
giBchen  Werke  übergehen  es  und  in  der  Tat  wird  seine 
Wichtigkeit  uns  erst  aus  konkreter  Arbeit  ood  nicht  aas 
allgemeinen  Erörterungen  über  prinzipielle  Fragen  klar. 
Doch  berührt  es  so  gut  wie  jede  ökonomische  Arbeit  ood 
man  kann  sagen,  daß  Klarheit  darüber  zu  wirkliebem  Ver- 
stAndnisse  einer  jeden  nötig  ist. 

Unser  Gedankengang  geht,  wie  wir  gesehen  haben,  too 
einem  bestimmten  Güterbesitze  der  Wirtechaftssutgekte  tu. 
Dabei  legten  wir  Gewicht  darauf,  daß  diese  GOterquantitUen 
in  einem  bestimmten  Zeitpunkte  vorhanden  seien  und  sagtoi, 
daß  unsere  Resultate,  wenn  unsere  Theorie  überhaupt  jewtls 
so  weit  kommen  wird ,  konkrete ,  numerische  Resultate  n 
liefern,  nur  für  diesen  Zeitpunkt  oder  für  einen  benaehbarteit 
gelten.  Allerdings  sind  unsere  Theoreme  an  sich  allgemein- 
gOltig,  d.  h.  unabhängig  von  bestimmten  Örtlichen  and  leit- 
lichen  Verhältnissen;  aber  sie  sind  auch  nur  formal  und  sagen 
nichts  über  einen  konkreten  Zustand  aus;  und  selbst  dann, 
wo  wir  also  auf  keinen  solchen  Bezug  nehmen,  hielten  wir 
es  für  nötig,  festzusetzen,  daß  sich  unsere  —  allerdings 
irgendwie  beschaffenen,  beliebigen  —  Daten  nicht  so- 
zusagen unter  unseren  Händen  verändern.  Warum  haben 
wir  das  getan? 


Statik  und  Dynamik.  X77 

Ebenso  haben  wir,  als  wir  die  Wertfunktionen  sozusagen 
den  Wirtsehaftssubjekten  abfragten,  oder  besser,  als  wir  sie 
festsetzten  oder  annahmen,  betont,  daß  alle  ihre  Teile  auf 
einen  und  denselben  Zeitpunkt,  und  ein  und  dasselbe 
geographische,  soziale,  kulturelle  usw.  Milieu  sich  beziehen 
sollen.  Als  wir  von  der  Tauschrelation  sprachen,  haben 
wir  die  gleiche  Verwahrung  gemacht.  Besonders  bei  der 
Diskussion  der  Lehre  von  den  Produktionsfaktoren  hat  die 
Voraussetzung  eine  Rolle  gespielt,  daß  unser  System  in 
wesentlichen  Punkten  stabil  sein  und  nur  ganz  bestimmte 
Veränderungen  seiner  Elemente  aufweisen  solle.  Und  so 
kaben  wir  auch  an  anderen  Stellen  derartige  Einschränkungen 
^rgenommen.  Am  besten  wird  das  durch  das  Gleichnis 
fcr  ^Momentphotographie"  veranschaulicht,  deren'  Zweck 
eben  ist,  uns  einen  Zustand  der  Ruhe  vor  Augen  zu  stellen ; 
wenn  wir  auch  dann  diesen  Bann  lösen  und  einen  Teil  des 
Bildes  beleben,  so  halten  wir  doch  für  einen  anderen  — 
und  den  weitaus  größeren  —  jenen  Ruhestand  fest. 

Sofort  sei  bemerkt ,    daß   unser  Festhalten    an   einem 

und  demselben  Zeitpunkt  oder  an  ganz  kurzen  Zeitperioden 

nnr  diesen  Zweck   hat;    wir  zielen  dabei  nur  darauf  ab, 

gewisse  Teile  unseres  Bildes  der  Wirklichkeit  unverändert 

in  erhalten.    Würden  wir  längere  Perioden  betrachten ,  so 

würde  diese  Festsetzung  zu  sehr  mit  den  Tatsachen  kolli- 

dieren,  da  in  denselben,  wie  man  leicht  sieht,  unvermeidlich 

Ereignisse   auftreten  würden,  welche  unser  ganzes  System 

verftndem  und  gegenüber  welchen  die  Vorgänge,  mit  denen 

wir  uns  beschäftigen,   ganz  verschwinden   würden.    Darauf 

kommen  wir  in  einem  späteren  Teile  dieses  Buches  zurück. 

Sind   nun  alle  diese  Annahmen,  welche  jedem  unserer 

Sätze  anhaften,  nur  Redensarten,   die  man  ebensogut  auch 

weglassen  könnte?    Die  Antwort  lautet  natürlich  verneinend. 

Wir  gehen  nicht  aus  Laune  oder  Willkür  so  vor,  sondern 

einfach,  weil  wir  nicht  anders  können.    Und  nicht  nur  wir 

können  nicht  anders  verfahren  und  sehen  uns  genötigt,  hier 

eine  wichtige  Einschränkung  unserer  Methoden  anzuerkennen, 

sondern  jeder  Theoretiker  im  engeren  Sinne  ist  in  dieser 

Sebo]np«t«r,  Nationalökonomie.  «n 


178  I^  Problem  dM  statischen  Oleiehgewicht«!. 

Laf;e,  mag  er  es  aoerkenneD  oder  nicht  Spricht  Ricardo 
VOD  dem  Einfiusse  der  EinfDbnmg  von  Maschinen,  so  geht 
er  von  einem  gegebenen  Zustande  der  Volkswirtschaft,  einem 
bestimmten  Kapitale,  bestimmtem  Beschftftignngsgrade  der 
Arbeiter  aus.  Malthus'  bevOlkerungstheoretische  Resultate 
nehmen  eine  bestimmte  Technik  oder  doch  einen  bestimmten 
Entwicklungsgang  derselben,  eine  bestimmte  Organisation 
der  Volkswirtschaft  und  eine  bestimmte  BeT&lkerungsver- 
mehrung  als  gegeben  an  —  und  wohl  auch  noch  andere 
Umstände.  Und  diese  Annahmen  sind  essentiell  zum  Ver- 
ständnisse seiner  Theorie,  und  zur  Beurteilung  ihrer  Resul- 
tate. V.  ThOnens  Raisonnement  hat  bald  g^ebene  Mengen 
von  Arbeit,  bald  solche  von  Kapital  usw.  zur  Voranssetznng, 
Es  ist,  besonders  nach  dem  frQher  Gesagten,  kaum  nOtig, 
mehr  Beispiele  anzufahren.  Niemand,  der  ein  rein  theo- 
retisches Thema  behandelt,  kann  sich  diesen  Festaetzungeo 
entziehen,  welche  freilich  nur  selten  ausdrOcklJeh  formnlieit 
sind.  Aber  sie  liegen  ja  schon  dann  vor,  wenn  jemand  ohne 
weiteres  im  Laufe  seines  Gedankenganges  von  dem  .vor- 
handenen Lande",  „Kapitale"  usw.  spricht  oder  irgendwelche 
Momente  mittelst  des  „ceteris  paribus"  ausschaltet. 

Dieses  letztere  Hilfsmittel  —  ich  möchte  es  das  Motto  der 
Isoliermethode  nennen  —  ist  allerdings  unentbehrlich,  nicbt 
nur  für  uns,  sondern  far  jede  Disziplin,  geradeso  wie  aacb 
die  Isoliermethode  selbst.  Es  ist  ja  klar,  daß  man  eise 
Erscheinung  gar  nie  in  das  rechte  Licht  setzen  und  vSllig 
verstehen  kann,  wenn  man  sie  nicht  fttr  sich  beachreiM 
und  Momente,  welche  das  Bild  trOben  wQrden,  ausscheidet- 
So  machen  wir  denn  oft  von  ihr  Gebrauch,  auch  auf  onserni 
Gebiete:  Will  ich  die  Preisbewegungen  einer  Ware  beschreiben. 
80  wird  es  sich  meist,  fttr  eine  erste  Ann&herung  wenigstefls, 
empfehlen,  von  den  sie  begleitenden  Veränderungen  in  dem 
Werte  des  Geldes  abzusehen.  Aber  das  meine  ich  hier 
nicht.  Im  angeführten  Falle  steht  es  mir  frei  —  und  du 
bildet  sogar  einen  Teil  meiner  Aufgabe  —  spftter  jene  Vari- 
ationen des  Geldwertes  in  das  Problem  einzuführen  oder  sie 
ihrerseits  an  sieh  zu  betrachten,  sodafi  in  diesem  Vorgehen 


Statik  und  Dynamik.  J79 

nur  eine  temporäre  Einschränkung  unserer  Resultate  liegt 
Hier  handelt  es  sich  aber  um  eine  definitive  —  eine  wenig- 
stens für  die  reine  Ökonomie  definitive  —  und  eine  sehr 
ernste  außerdem. 

Wir  sahen  bereits,  daß  es  sehr  viele  Dinge  gibt,  die, 
obgleich   von   entscheidender   Bedeutung   für   das   Wirt- 
schaften, doch  außerhalb  des  Gebietes  der  Ökonomie 
liegen.    Wir   wollen   sie   nicht   wiederum  aufzählen.     Daß 
wir  über  dieselben  an  sich  nichts  sagen  können ,  i^t'  weder 
verwunderlich  noch  zu  bedauern.    Aber  wir  müssen  sie  auch 
als  unveränderlich  annehmen,  und  das  ist  ernster,  da 
eine  solche  Annahme,  wie  gesagt,  die  Brauchbarkeit  unserer 
Resultate  nur  für    ganz  kurze   Perioden  nicht  vernichtet. 
Daß  dem  aber  so  ist,   daß  sich  jene  Dinge  wirklich  nicht 
ändern  dürfen,  sieht  man  leicht.    Eine  Veränderung  in  der 
Menschennatur ,    in    dem    geographischen    Milieu,    in    der 
Technik,   der   sozialen   Organisation    ändert    unser    ganzes 
System.    Unser  gegebener  Gütervorrat,   von  dem  wir  aus- 
gehen, verliert,  auch  wenn  er  dadurch  nicht  materiell  affiziert 
worden  ist,  seine  bisherige  Bedeutung :  ändern  sich  die  Wert- 
Ainktionen  z.  B.,  so  wird  nun   anderes   produziert   werden 
»Is  bisher,  und   so   werden  Veränderungen    in   den  Güter- 
Quantitäten  —  und  Güter  arten  —  eintreten,   denen   wir 
inacbtlos  gegenüberstehen,    über   die   wir   nichts   aussagen 
können.    Sicherlich,   unsere  formalen  Gesetze  gelten  auch 
^nn;  aber  sie  verlieren   aller  Interesse   gegenüber  jenen 
Änderungen  in  den  Grundlagen  der  Volkswirtschaft.    Unser 
Gleichge?richtssystem  ist  gestört;  wohl  wird  sich  ein  neues 
Gleichgewicht  herstellen,   aber  wie  es  aussieht  und  durch 
Welche  Vorgänge  es  herbeigeführt  wird,   können   wir  nicht 
Sagen.    Nur  wenige  kleine  Beiträge   können  wir  eventuell 
dazu  leisten.    Große  Probleme  entgehen  uns  darnach,  so  z.  B. 
das  der  Tendenzen  der  Einkommenverteilung  und  überhaupt 
alle,  bei  denen  jene  Dinge  die  Hauptrolle  spielen. 

Aber  das  ist  nicht  alles.  Die  Ökonomen  gehen  ja  auch 
von  gewissen  gegebenen  Gütermengen  aus.  Wir  aller- 
dings nehmen,  wie  ausgeführt,  keine  Gütermengen  als  un- 

12* 


ISO  I^  Problem  dea  atatiMhen  Gldebgevlchtw. 

veranderlicli  an,  sondern  lassen  bei  allen  Variationen  zu; 
aber  gegeben  massen  uns  dafOr  alle  sein,  wenn  auch  nur 
fQr  jenen  Augenblick,  der  uns  mm  Ausgangspankte  dient 
Sieberlich  ist  aber  ihr  Vorhandensein  ein  Problem  und  man 
wird  nicht  umhin  können,  dasselbe  als  ein  OkonomiBches 
zu  betrachten.  DeoDOch  können  wir  es  nicht  lOsen.  Seibat 
wenn  wir  das  Land  als  einfach  von  der  Natur  gegebea 
auffassen  wollteu ,  so  könnten  wir  das  nicht  beztkglich  der 
geleisteten  Arbeit  und  des  vorhandenen  Kapitales  tun: 
Wohl  können  wir  für  beide  Spezialtheorien  konstruieren, 
also  etwa  Bevölkerungs-  und  Kapitalbildungstheorien,  aber 
vom  Standpunkte  der  exakten  Theorie  im  eigeotlicbeo  Sinne 
wird  dadurch  nichts  gewonnen  —  es  bleibt  wahr,  daß  sie 
aus  sich  selbst  diese  Dinge  nicht  erklären  kann,  soodem 
als  Daten  hinnehmen  mu6.  Besonders  ungOnstig  sieht  die 
Sache  aus,  wenn  man  unsere  Auffassung  vollständig  an- 
nimmt, da  nach  derselben  eben  alle  GOter  unter  den  Daten 
figurieren;  doch  zeigten  wir,  dafi  die  Obliche  Auffassung 
in  die  unsere  von  selbst  Übergeht  und  an  sich  nicht  halt- 
bar ist. 

Da  das  ein  Punkt  von  fundamentaler  Bedeutung  ist, 
so  wollen  wir  uns  noch  einmal  klar  machen,  warum  denn 
eigentlich  eine  solche  Erklärung  der  Kapitalbildung  und 
Qberhnupt  des  Vorhandenseins  aller  produzierter  Qfiter  im 
Rahmen  unseres  Systems  nicht  gefunden  werden  kann  und 
dieselben  Daten  und  nicht  Probleme  fOr  das  letztere 
sein  niQssen.  Dieser  Standpunkt  weicht  so  sehr  vom  Qblichen 
ab  und  ist  fQr  wirkliches  Verständnis  unseres  Gebietes  so 
wesentlich,  daB  ich  ihn  kaum  genug  betonen  kann.  Wir 
können  sicherlich  —  und  es  ist  das  unsere  einzige  Aufgabe  — 
einen  Zustand  unseres  Systemes  aus  einem  anderen  ableiten 
und  so  sieht  es  dann  aus,  wie  wenn  wir  die  Reihe  der  auf- 
einanderfolgenden Zustände  zurQckfQhren  könnten  bis  zu  den 
primitivsten  Anfängen  der  Wirtschaft.  Aber  das  geht  nicht. 
Vor  allem  aus  dem  angeführten  Grunde,  nämlich  weil  wir 
im  Laufe  unserer  Ableitungen  sehr  bald  auf  Umstände 
stoßen  worden,   welche  die  Kontinuität  derselben  zerstören 


SUtik  and  DTsunik.  igl 

und  unser  System  vod  Grund  aus  erscbottern.  Wenn  das 
aber  auch  niclit  der  Fall  wäre,  so  konnten  wir  doch  nie 
weiter  zurückgehen,  als  wir  dieselben  Arten  von  Gütern 
TOrfinden.  Wir  könnten  nie  das  moderne  Haus  auf  den 
Pfohlbau,  die  ArmstrongrevolTerkanone  auf  einen  KnDttel 
oBw.  znrQckf Qhren ,  denn  wenn  der  Mensch  die  Erwerbung 
einer  GQterart  ganz  aufgibt,  um  zu  einer  anderen  Uber- 
xogebeo,  so  versagen  sofort  unsere  GleichuDgssysteme,  um 
ganz  anderen  Platz  zu  machen  und  wir  vermögen  nichts 
darüber  zu  sagen,  warum  der  Übergang  erfolgt  und  welches 
Beine  —  jedenfalls  sehr  komplizierten  —  Wirkungen  sind. 
Ja  wir  werden,  wenn  wir  sp&ter  auf  diese  Materie  wieder 
xarfickkommen ,  sehen,  daß  sogar  nicht  alle  Veränderungen 
in  den  Gfitermengen,  sondern  nur  nicht  zu  große  in 
den  Kreis  unserer  Betrachtungen  fallen  können.  Und  im 
Grunde  genommen  ist  das  nur  selbstverstAndlicb.  Wo  sich 
das  ganze  Wertsystem  eines  Wirtschaftssubjektes,  wo  sich 
an  seiner  Wirtschaft  geradezu  alles  ändert  oder  wo  auch 
Qor  dieselbe  erheblich  anders  wird,  da  läßt  sich  ebensowenig 
Exaktes  sagen,  als  Ober  die  Wirkungen  der  Eruption  eines 
Volkanes. 

Das  gilt  nun  auch  fQr  das  Kapital.  Mag  man  auch 
die  GenußgDter  in  ihre  Froduktionsfaktoren  auflösen,  so 
werden  unter  denselben  immer  wieder  Güter  sein,  welche 
produziert  sind  und  mag  man  die  Auflösung  noch  solange 
fortsetzen,  so  wird  man  doch  immer  auf  andere  Kapital- 
elemente stoßen.  Aber  aus  den  angeführten  Gründen  kann 
man  diese  Auflösung  innerhalb  desSy&temes  nicht  in  infinitum 
fortsetzen,  und  seibat  wenn  man  es  könnte  und  die  von 
einigen  Autoren  versuchte  Konstruktion  einer  kapitallosen 
Wirtschaft  in  unser  System  einzuführen  vermöchte,  es  wäre 
keine  Brücke  zur  „kapitalistischen"  Wirtschaft  vorhanden, 
da  sich  alle  konkreten  Größen ,  unbeschadet  der  Weseus- 
gleichheit  der  Vorgänge,  hier  anders  verhalten.  Man  kann 
nicht  etwa  eine  kapitallose  Wirtschaft  betrachten  und  dann 
in  dieselbe  eine  bestimmte  Menge  Kapitales  einführen,  um 
zu  sehen,   was  geschieht.    Dadurch  würde  alles  veHindert 


182  I^w  Problem  des  atatisclien  GleicligewlehtM. 

werden:  Die  Werte  aller  GOter  —  manche  würden  eine 
neue  Rolle  bekommen,  andere  entwertet  werden  — ,  ihre 
Mengen,  alle  Wertfunktionen,  ja  selbst  der  Mensch  wQrde 
sich  lindem  and  die  Natur,  soweit  sie  wirtschaftlieh  in 
Betracht  kommt.  Alles  was  wir  tun  können,  ist  aaeh  beim 
Kapitale  nur,  die  Variationen  seiner  Menge  anter  dem 
Einflüsse  der  Daten  mvd  Elemente  des  Systemes  and  die 
Wirkung  von  unabhängigen  —  nicht  zu  großen  —  Variatioaen 
seiner  eigenen  Menge  auf  die  der  anderen  Elemente  in 
beschreiben. 

Nun,  diese  EioBchrBnlcnngen  sind  wichtig  genug.  Es 
gibt  also  zweifellos  ökonomische  Probleme,  welche  die  reinp, 
in  sich  abgeschlossene  und  von  anderen  Disziplinen  nnnh- 
hBngige  Theorie  nicht  zu  lösen  vermag.  Und  so  zerftllt 
denn  das  Gebiet  der  Wirtschaftslehre  in  zwei  Teile,  in  unser 
exaktes  System  und  in  jene  Probleme,  welche  streng  „wirt- 
schaftlich" sind,  ohne  in  dem  ersteren  bebandelt  werden  lu. 
können.  Das  ist  nicht  etwa  eine  Spielerei  eines  einteilnngS' 
süchtigen  Logikers,  sondern  ergibt  sich  natQrlich  aus  dem 
Wesen  der  Sache. 

Wenn  unsere  Ausführungen  vielleicht  zum  Teile  b^ 
fremdend  berühren,  so  liegt  das  nur  daran,  daB  wir  ans  t*^ 
rauhen,  scharf  und  klar  zu  präzisieren;  die  UnterscheidatiS 
und  überhaupt  das  Wesentliche  am  Gesagten  ist  ebensoweniS 
neu,  wie  unsere  Auffassung  der  Lehre  von  den  Prodaktion^' 
faktoren.  Wir  sagen  nur,  was  mehr  oder  w^iger  jedenn»»" 
anerkennt,  wenigstens  durch  die  Tat.  In  neuerer  Zeit  i^' 
man  auf  die  Sache  auch  prinzipiell  aufmerksam  geword^>' 
und  hat  jenen  beiden  Gruppen  von  Problemen,  in  die  unsfi« 
Wissenschaft  zerfallt,  die  Namen  „Statik"  und  „Dynamili'' 
gegeben,  eine  Terminologie,  die  wir  aus  Bequemlichkeit  bei' 
behalten  wollen,  obgleich  sie  meines  Erachtens  recht  un- 
glücklich ist. 

Diese  Unterscheidung  ist  fandamentat.  Statik  und 
Dynamik  sind  völlig  verschiedene  Gebiete,  haben  es  nicht 
nur  mit  verschiedenen  Problemen  zu  tun,  sondern  auch  mit 
verschiedenen  Methoden  and  verschiedenem  Materiale.    Sie 


Statik  und  Dynamik.  Ig3 

sind  nicht  etwa  zwei  Kapitel  ein-  und  desselben  theoretischen 
GebAudes,  sondern  zwei  völlig  selbständige  Bauwerke.  Nur 
die  Statik  ist  bisher  einigermafien  befriedigend  bearbeitet 
worden  und  nur  mit  ihr  beschäftigen  wir  uns  im  wesentlichen 
in  diesem  Buche.  Die  Dynamik  steht  noch  in  den  Anfängen, 
ist  ein  .Land  der  Zukunft "". 

Nicht  nur  wurden  beide  Gebiete  nicht  immer  befriedigend 
abgegrenzt  und  überhaupt  ihre  Verschiedenheit  nicht  immer 
richtig  aufgefaßt  und  in  ihrer  Bedeutung  gewürdigt,  man 
hat  sie  auch  oft  übersehen.    Und  das  hat  sich  besonders 
bei  Kontroversen  oft  sehr  fühlbar  gemacht,  ja  man  kann 
ttgen,  dafi  eben  in  dem  Umstände,  daß  sich  die  streitenden 
Hrteien  unterschiedslos  statische  und  dynamische  Argumente 
vorhielten    oder  besser,  den  statischen   oder  dynamischen 
Charakter    derselben    nicht   erkannten,    die    Hauptursache 
fl^  manche  resultatlose  Kontroverse  liegt.  Beispiele  dafür  haben 
wir  bereits  angeführt  und  werden  später  noch  andere  kennen 
lernen,  darunter  das  praktisch  weitaus  wichtigste,  die  Frei- 
luuidelskontroverse.    Unsere  Unterscheidung  ist  also  keines- 
wegs blofi  von*  prinzipieller  Wichtigkeit,  sondern  auch  ganz 
wesentlich  für  den  Charakter  und  Wert  konkreter  Resultate. 
Geradezu  die  erste  Frage,  die  man  sich  stellen  mu6,  um 
^e  Theorie  gründlich  verstehen  und  analysieren  zu  können, 
^,  ob  sie   „statisch^  gemeint  sei  oder  nicht.    Und  unser 
Urteil  über  sie  wird  oft  von  der  Beantwortung  dieser  Frage 
abhängen.    „Statisch''  sein  heißt  für  eine  Theorie,  mit  jenem 
Apparate  von  Voraussetzungen  und  Daten  gewonnen  sein. 
Welcher  eben  die  Statik  auszeichnet;  eine  solche  Theorie 

• 

18t  nur  von  den  Grundlagen  unseres  Systemes  aus  zu  ver- 
üben und  hat  nur  in  demselben  Sinn  und  Bedeutung.  Sie 
steht  dann  in  unlösbarem  Zusammenhange  mit  allen  anderen 
Theoremen  desselben  und  kann  nicht  für  sich  allein  akzep- 
tiert oder  verworfen  werden.  Und  immer  wieder  vergißt 
man  das,  zwängt  anders  geartete  Behauptungen  in  unser 
System  oder  beurteilt  einen  Satz  desselben  ohne  jede  Rück- 
sicht auf  die  Zusammenhänge,  in  denen  er  begriffen  werden 
muß,  vergißt  femer  u.  a.,  daß   nur  derjenige  einen  Sat7 


Ig4  Om  Problem  des  statüchen    Gletcbgewichtei, 

uDseres  SyBtemes  beurteilen  kann,  der  dieseE  selbet  gensn 
kenDt,  dafi,  wenn  diese  Bedingung  nicht  zutrifft,  sehr  leicht 
etwas  als  handgreiflich  falsch  oder  gar  Ucherlicb  erscheinen 
kann,  was  in  jenem  Milieu  seinen  guten  Sinn  hat 

Noch  in  anderer  Weise  zeigt  sich  die  sehr  reelle  Be- 
deutung der  Forderung,  Statik  und  Dynamik  auseioaeder 
zu  halten.  Ihre  Yernachl&ssigung  erkl&rt  nftmlich  den  an- 
hefriedigenden  Stand  mancher  Teile  unserer  Wiäsensehaft. 
Ausgehend  von  dem  Vorurteile,  dafi  die  ökonomische  Theorie 
allen  ökonomischen  Problemen  gewachsen  sein  müsse  und 
im  Glauben,  daß  die  Statik  die  ganze  Ökonomie  enthalte, 
versucht  man  oft,  deren  Methoden  auf  Materien  anzuwenden, 
welche  einer  solchen  Behandlung  widerstreben.  Dann  begnOgt 
Dian  sich  mit  einigen  dfirftigen  Sätzen  darOber  und  etwa 
einigen  „BegrifTsbearbeitungen",  Ober  die  man  nicht  hioMis- 
konimen  kann  und  die  seit  den  Klassikern  immer  wiederholt 
werden,  ohne  irgendwelche  Fortschritte  zu  machen.  Ich 
denke  z.  B.  an  die  Theorie  der  Kapitals-  oder  Vermögens- 
bildung,  an  die  Spartheorie,  das  gewaltige  Problem  des 
Ökonomischen  Fortschrittes  und  dergleichen  mehr.  Als  das 
wichtigste  Beispiel  einer  durch  diese  Einzwängnng  in  ooser 
System  verkrüppelten  Theorie  werden  wir  die  des  Zinses 
kennen  lernen.  FQr  alle  diese  Probleme  ist  es  von  vitaler 
Bedeutung  ausgeschieden,  von  jener  Zwang^acke,  zu  der 
far  sie  der  Apparat  der  Statik  wird,  befreit  zu  werden. 
Nur  dann  kann  ihnen  die  adäquate  Behandlung  werden. 
wozu,  wie  schon  hier  betont  werden  mag,  meist  vor  allem 
die  ZufQhruDg  von  neuem  Tatsacbenmateriale  gehört.  Hier 
liegen  die  Punkte,  wo  die  Kritik  der  „Historiker"  oft  nur 
allzu  berechtigt  ist  —  viel  mehr  als  gegenOber  anaerem 
Systeme  im  allgemeinen.  Diese  Abscheidung  ist  aber  nur 
möglich  bei  genauer  Kenntnis  des  Wesens  unseres  exakten 
Raisonnements  und  seiner  Grundlagen. 

Was  nun  ist  die  genaue  Grenze  der  Statik  gegenüber 
der  Dynamik  ?  Wir  werden  uns  hQten ,  darauf  allgemein 
zD  antworten  und  eine  absolute,  unbiegsame  Regel  von  vom' 
herein  zu   geben.    Das  witre  ganz  gegen  unsere  Prinzipien. 


Statik  und  DTiiamik.  Ig5 

Wollen  wir  deDselben  treubleiben,  so  können  wir  nur  folgender- 
mafien  vorgehen:  Wir  werden  unser  exaktes  System  ent- 
wickeln und  in  allen  seinen  Teilen  betrachten  und  unsere 
Methode  ruhig  so  lange  anwenden,  als  es  ungezwungen  geht 
und  wir  glauben,  daß  die  dabei  sich  ergebenden  Resultate 
der  Mfihe  lohnen  und  mindestens  ebenso  vollkommen  werden, 
als  jene,  die  wir  etwa  anders  gewinnen  könnten.  Dabei 
wird  sich  eine  Gruppe  von  Anwendungen  ergeben,  über  die 
wir  vernünftigerweise  beruhigt  sein  können,  aber  leider  nur 
zu  bald  werden  wir  auf  Probleme  stoßen ,  über  welche  wir 
KU  wenig  sagen  können;  diese  werden  wir  eben  der  „Dyna- 
mik* überlassen.  Dazwischen  aber  gibt  es  ein  Gebiet,  das 
methodologisch  und  erkenntnistheoretisch  höchst  interessant 
ist ;  jenes  Gebiet  nämlich,  auf  dem  es  sich  empfiehlt,  unsere 
Methoden  anzuwenden ,  obgleich  deren  Voraussetzungen 
strenggenommen  nicht  vorliegen,  weil  sie  zu  de  facto  brauch- 
baren Resultaten  führen  und  wo,  auf  der  anderen  Seite,  es 
vorkommt,  daß  wir  eine  andere  Methode  vorziehen,  obgleich 
wir  die  unsere  anwenden  könnten,  weil  bei  Anwendung  der 
letzteren  „zu  wenig  herauskommt''.  Hier  richtig  vorzugehen, 
erfordert  Takt  und  Urteil,  ich  möchte  fast  sagen,  „Instinkt'', 
und  hier  treffen  wir  auf  die  vielleicht  anziehendsten  Fragen 
der  Erkenntnistheorie.  Wir  werden  von  diesem  Gebiete  an 
einer  anderen  Stelle  sprechen,  hier  wollen  wir  nur  wenige 
Worte  über  die  beiden  „zweifelsfreien"  sagen. 

Ganz  allgemein  gesprochen,  müssen  wir  bei  Abgrenzung 
des  Geltungsbereiches  einer  Methode  zwei  entgegengesetzten 
Erwftgungen  Rechnung  tragen.  Wir  müssen  uns  seiner 
Grenzen  bewußt  sein  und  überall  dort,  wo  wir  uns  eine 
Abweichung  von  strengster  Korrektheit  erlauben  wollen,  die 
nötigen  Reserven  machen.  Das  darf  uns  aber  nicht  ver- 
leiten, zu  ängstlich  zu  sein  und  zu  nervös  zu  prüfen,  ob 
wir  wirklich  auf  ganz  sicherem  Boden  stehen.  Denn  da- 
durch würden  wir  wohl  dahin  kommen,  uns  auf  sehr  wenige 
und  überdies  inhaltsleere  Sätze  zu  beschränken.  Da  ist  es 
denn  von  Vorteil,  die  Voraussetzungen  der  Methode  nicht 
für  alle  unsere  Zwecke  ein-  für  allemal  festzulegen,  sondern 


1S(;  Das  I^roblem  (l('s  statischen  Gloichgewichte?. 

sie  jedem  derselben  anzupassen ,  und  ,  wo  Ausnahm  ^^" 
bestimmüngeu  zweckmäßig  scheinen,  so  liberal  wie  mögli^c:^^ 
zu  sein.  Die  Bevölkerungstheorie  Malthus'  z.  B.  würd^^n 
wir,  wenn  wir  sie  in  unsere  Betrachtung  einsehliefien  wollte  ^n, 
was  wir  allerdings  nicht  tun,  sicherlich  statisch  nennen,  o  *B>* 
gleich  wir  sonst  in  der  Statik  die  Bevölkerungszahl  w^l^ 
konstant  annehmen.  Aber  diese  Theorie  hält  so  viele  ^C 
mente  als  konstant  fest  und  verliert,  wenn  man  die 
schaftliche  Entwicklung  und  ihre  Möglichkeiten,  sow^i^ 
mögliche  Änderungen  in  den  Gewohnheiten  derMenschen,  welcli^ 
auf  andere  Art  zu  erklären  sind  als  durch  den  Nahrungsmittel- 
Spielraum,  in  Betracht  zieht,  so  sehr  an  Bedeutung,  dafi  sie 
ersichtlich  am  ehesten  auf  statische  Verhältnisse  pa6t  Uod 
solche  Eonzessionen  zu  machen,  wären  wir  auch  sonst 
bereit,  wenn  sich  hier  auch  weiter  kein  Anla6  dazu  bieten 
wird.  Gesichert  ist  die  Preistheorie  und  deren  wichtigste 
Anwendungen,  nämlich  die  Geld-,  Verteilungstheorie  usw.  Da- 
für reichen  die  Methoden  der  Statik  aus,  und  diese  Probleme 
bilden  ihre  eigentliche  Domäne.  Und  nicht  zugänglich  ist 
ihr  alles  das,  was  mit  dem  Phänomene  der  Entwicklung 
zusammenhängt.  Ja  —  die  Entwicklung  und  alles,  was  zu 
ihr  gehört,  entzieht  sich  unserer  Betrachtung,  das  rein- 
ökonomische System  ist  essentiell  entwicklungslos.  Wir 
werden  noch  wiederholt  von  dieser  Einschränkung  zu  sprechen 
haben,  welche  die  schmerzlichste  von  allen  ist,  sich  aber 
natürlich  und  unvermeidlich  aus  dem  Wesen  unseres  Systemes 
ergibt.  FQr  jenes  große  Problem  sind  ganz  andere  Momente 
entscheidend,  als  jene,  die  unser  System  zur  Darstellung  bringt 
und  die  Kompliziertheit  der  in  Betracht  kommenden  Verhält- 
nisse wird  wohl  noch  fQr  lange  eine  exakte  Behandlung  aus- 
schließen. Und  doch  kann  man  nicht  verkennen,  daß  die  Ent- 
wicklung das  wichtigste  aller  der  Phänomene  ist,  nach  deren 
Erklärung  wir  streben.  Wir  werden  auch  sonst  selbst  noch 
darlegen,  wie  unbefriedigend  das  Bild  der  Wirklichkeit  ist» 
das  die  Statik  gibt.  Aber  doch  ist  ihre  wissenschaftliphe 
Bedeutung  eine  große,  und  so  verdient  sie  gar  wohl  sorg- 
fältige Bearbeitung.  


-vr 


\. 


Zweiter  Abschnitt. 


I.  Kapitel. 
Vorfragen  zur  Pretstheorie. 


S  1.  Wir  wenden  uns  nun  der  Ableitung  der  Tausch- 
relationen zu,  in  denen  und  deren  Bewegungsgesetzen,  wie 
wir  ausfQhrten,  die  ganze  reine  Ökonomie  liegt.  Auf  die 
Einwendungen,  die  gegen  diese  Auffassung  der  letzteren 
erhoben  werden  können,  glauben  wir  ausreichend  entgegnet 
zu  haben;  aber  selbst  wenn  man  sich  derselben  anschließt, 
kann  man  an  das  Preisproblem  noch  in  sehr  verschiedener 
Weise  herantreten.  Selbst  wenn  man  alles  das,  was  wir 
Ober  das  Reinökonomische,  über  die  Abscheidung  der  Organi- 
sationslehre usw.  gesagt  haben,  annimmt,  wenn  man  uns 
willig  bis  hierher  gefolgt  und  nun  bereit  ist,  die  Tausch« 
relationen  an  sich  zu  studieren,  lediglich  beschreibend  wie 
wir  es  vorschlagen,  so  kann  man  uns  noch  immer  vor- 
werfen, da6  wir  uns  auf  eine  Art,  die  Sache  zu  behandeln. 
einseitig  beschränken,  abgesehen  davon,  daß  diese  Art  viel- 
leicht nicht  die  vollkommenste  und  zum  Teile  sogar  falsch 
ist  Die  Daten  unseres  Problemes  sind  Gütermengen  im 
Besitze  der  einzelnen  Wirtschaftssubjekte  und  dazu  gehörige 
Wertfunktionen.  Wir  fragen  nach  den  Preisen  aller  Güter 
und  gelangen  zu  ihrer  Bestimmung  durch  ein  formales  Ver- 


18g  Du  Problem  de«  ■tatüchen  GlächgewiditM. 

fahren,  dem  wir  AllgemeingJltigkeit  vindiziereo.  Man  könnte 
nun  Bagen,  dsfi  die  Preisbildung  im  allgemeinen  in  sehr 
verscliiedener  Weise  und  außerdem  sehr  hKufig  nicht  so  vor 
sich  geht,  wie  unser  Bild  es  angibt.  HAtte  man  selbst  jene 
Bedenken  überwunden,  welche  manche  Nationalfikonomen 
darin  hindern,  die  Art,  wie  der  Wilde  tauscht,  neben  die 
Vorgange  an  einer  modernen  Bftrse  zu  stellen,  und  h&tte 
inan  die  Wesensgleichheit  beider  auch  eiogesehen  oder  zu- 
gegeben, so  bleibt  noch  iniiper  genug,  um  an  unserer  Be- 
handlungsweise  irre  zu  werden.  Sehr  viele  Preise  sind 
zunächst  Oberhaupt  nicht  durch  die  beteiligten  Parteien 
bestimmt.  Ein  solcher  Fall,  der  oft  in  der  Geschichte  eine 
große  Rolle  spielte  und  eine  gewisse  Rolle  noch  spielt,  ist 
der  der  obrigkeitlichen  Preistaxen.  Kommt  hier  noch  hinzu, 
daß  der  Verkäufer  eine  bestimmte  Menge  des  betreffenden 
Gutes  anbieten  muß,  so  daß  er  sein  Angebot  nicht  frei 
regulieren  kann  wie  z.  B.  der  Fiaker,  der  eine  gewisse  Zeit 
auf  seinem  Platze  stehen  und  jede  Fahrt  annehmen  muß, 
oder  daß  der  Kaufer  eine  bestimmte  Quantität  abnehmen 
muß,  wie  das  z.  B.  in  dem  Frankreich  des  ancien  r^ne 
beim  Salze  der  Fall  war,  so  sind  die  Regeln,  die  wir  ab- 
leiten wollen,  geradezu  vollständig  oder  nahezu  vollständig 
mattgesetzt.  Die  Einflüsse,  die  hier  den  Preis  bestimmen, 
sind  andere  als  jene,  welche  wir  betrachten.  Mögen  sie 
nun  wirtschaftlicher  oder  außerwirtschaftl  icher  Natur  sein  — 
beides  ist  möglich,  beides  war  der  Fall,  ohne  daß  dieeer 
Unterschied  far  uns  von  Wichtigkeit  wftre  — ,  eine  Be- 
trachtung der  Preiserscbeinung,  welche  etwa  von  den  soxiftleD 
Machtfaktoren  ausgeht,  vermag  diesen  Fall  ganz  gut  zn 
erfassen,  wahrend  die  unsere  bei  demselben  schlechterdings 
zu  versagen  scbeint.  Freilich  können  wir  sagen,  daß  wir 
solchen  Preistixen  gegenüber  trotzdem  zwei  Dinge  tun 
können :  Wir  können  sie  erstens  in  unser  System  einaetien, 
wobei  sie  dann  Daten  bilden,  und  wir  können  zweitens 
die  Wirkung  einer  solchen  Preistaxe  auf  die  Einkommenft- 
bildung  der  Beteiligten  untersuchen,  und  zwar  bleibt  ndir 
oder  weniger  zu  tun,  je  nachdem  die  obrigkeitlicbe  Fest- 


Vorffftgen  inr  Preistheorie.  189 

Setzung  dem  Verkehre  mehr  oder  veniger  Spielraum  last. 
Femer  wird  die  Preistaxe  meist  nicht  allzuweit  vom  Preise 
nnaerer  Theorie   abweichen   und  endlich  der  letztere  stets 
zam  Vergleiche  herangezogen  werden;  aber  dennoch  bleibt 
es  wahr,  dafi  unsere  Theorie  hier  nur  eine  sekund&re  Rolle 
spielt.    Ein  sehr  wichtiger  Fall  dieser  Art  tritt  gerade  in 
der  Gegenwart  hervor,   es   ist  das  die  Preispolitik  großer 
Unternehmungen.     Das  erste  Beispiel  boten  EiEeobahnen, 
auf  deren  Tarife   sich   die   Regierungen  Einfluß  sicherten 
und  auch  andere  Interessengruppen  Einfluß  gewannen.  Diese 
EiaflOSBO  wurden  in  sehr  verschiedener  Weise  geltend  ge- 
macht, jedenfalls  ist  sicher,  daß  die  Preisanstellungeo,  die 
nach  unserer  Theorie  zu  erwarten  gewesen  wären,  dadurch 
erheblich  modifiziert  wurden,  ohne  daß  wir  ein  Mittel  be- 
säßen, diese  Einflösse  mit  der  Methode  unseres  Systeme:« 
zu  behandeln.     In  der  Gegenwart  bat  nun  die  Kartell-  und 
Trustbildung  das  Gebiet   dieser  Erscheinungen  immer  mehr 
ausgedehnt.    Die  Preispolitik  derselben  hat  sehr  bald  das 
Öffentliche    Augenmerk    auf   sich    gezogen,    und    es    haben 
Regierungen,  Parteien,  InteresBeogruppen,  öffentliche  Meinung 
usw.  dieselbe  beeinflußt,    wiederum  in  sehr    verschiedener 
Weise.     Schon  die   weitreichenden  Interessen   solcher  ge- 
waltiger Organisationen  und  ihrer  Machthaber  bringen  es 
mit  sieh,  daß  so  einfache  Funktionen,  wie  wir  sie  brauchen, 
schwer  konstruiert    werden   können,    und  die   Preisbildung 
Tiel  mehr  unter  dem  Einflüsse  nationaler  und  anderweitiger 
politischer  Verhältnisse  steht,  daß  ganz  andere  Dinge  1)6' 
stimmend  und  für  den  Beobachter  interessant  werden.    Die 
Krkl&rung  für  diese  Preisbildung  müßten  auch  wir,  wenigstens 
nun  Teile,   in  nicht  rein^k onomischen    Momenten  suchen, 
luid  es  scheint  tatsftchlich,  daß  unsere  exakte  Betrachtungs- 
weise nnanwendbar  wird.    Manche  Nationalökonomen  halten 
daraus  auch  ganz  interessante  Konsequenzen  gezogen.     So 
W  G^^OtAtv  zur    Behandlung    der    Eisenbahntarife    die 
Analogie   mit   der  Besteuerung   herangezogen,    weil    unter 
diesem  Gesichtspunkte  sich  ihm  dieselben  leichter  zu  er- 
UlRQ  Bdiienen  und  Acworth  hat  dem  neuestens  zum  Teile 


190  ^<^3  Problem  des  stktiachen  Gloiehgewicktei. 

zugestimmt.  Obgleich  wir  diese  AuffaBsung  nicht  teilen 
kOnneD,  &o  muß  doch  zugeben  werden,  daß  in  Bolehen  F&Uen 
die  Freisbildung  so  zu  sagen  von  außen  her  in  unser  Sjatem 
hineingestellt  wird  und  aus  demselben  so  ohne  weiteres  nicht 
erklärt  werden  kann.  Wir  werden  später  noch  mehr  Ober 
diesen  Punkt  sagen.  Zu  allen  diesen  Schwierigkeiten  kommt 
noch  hinzu,  daß  hier  die  Preisbildung  monopoliBtisch  wird, 
was  fOr  sich  allein  schon,  wie  wir  sehen  werden,  unser 
Problem  schwieriger  macht.  Außerdem  wird  bei  aolchen 
großen  Erscheinungen  unser  Interesse  so  sehr  von  andern 
Punkten,  als  den  formalen  Gesetzen  der  Preisbildung,  in 
Anspruch  genommen,  von  sozialen,  entwicklungstheoretistdien 
usw.,  daß  die  ersteren  selbst  dann  wenig  Beachtung  finden, 
wenn  ihre  Resultate  besser  passen.  Der  Gesichtspunkt 
der  sozialen  Machtfaktoren  also  scheint  hier  unsere  Be> 
traclitutig  ganz  zu  verdrängen. 

Aber  abgesehen  davon  gibt  es  noch  andere  Momente, 
welche  unsere  Betrachtungsweise  erschweren.  Die  Preise 
weisen  eine  gewisse  Beharrung  auf  und  zwar  auch  dann, 
wenn  nach  unseren  Gesetzen  eine  Änderung  erfolgen  mOSte. 
Das  lehrt  uns  vor  allem ,  daß  andere  Momente  als  die  be- 
trachteten hier  wirken  z.  B.  Gewohnheit,  Sitte  usw.  Sehr 
oft  ist  es  der  Fall,  daß  an  gewissen  Preisen  festgehalten 
wird,  obgleich  sich  alle  Verhältnisse  ändern.  Im  Detail- 
handel sind  die  Preise  viel  weniger  empfindlich  als  im  Groß- 
handel. Eine  andere  Störungsursache  ist,  daß  bei  manchea 
Waren  ein  Teil  des  Preises  in  der  Form  eines  Gescheakes 
gezahlt  wird,  auf  das  der  Verkäufer  rechnet  und  ohne  das 
der  Preis  ein  anderer  wäre.  Diese  Bestandteile  des  Preises 
haben  nun  große  Konstanz.  Weitere  Beispiele  fOr  diflM 
allgemeinbekanuten  Tatsachen  anzufahren,  wäre  QberflQssig. 

Wir  lernen  weiter  aus  diesen  Tatsachen,  daS  in  in- 
selben  Zeit  und  unter  denselben  VerhBltnissen  doch  -nr- 
schiedene  Preise  fflr  ein-  und  dasselbe  Gut  m&glieb  ä.ti 
und  sich  dauernd  erhalten.  Nun  ist  es  aber,  wie  nod 
später  erörtert  wird  und  schon  gesagt  wurde,  von  fondi- 
ntentaler   Bedeutung   fttr   unsere  Theorie,   daS   sie  eion 


VoT&vgen  sur  Pniitheorie.  \Ql 

eiDdeutig  bestimmten  PreiB  abzuleiten  vermag.  Trotzdem 
wird  in  der  gewüholieben  Praxis  innerhalb  oft  erheblicher 
Grenzen  ein  Preis  sich  ebensogut  erhalten,  wie  ein  anderer. 
Du  lehrt  ans,  dafi  die  Marge  nicht  so  gering  ist,  wie  die 
Theorie  sie  darstellt  Diese  Dinge  pflegt  man  unter  dem 
Kamen  gFriktionewiderBtHnde'  zusammenzufassen ,  und  es 
wird  dann  behauptet,  da6  diesen  Dingen  keine  prinzipielle 
Bedeutung  zukomme.  Nun  kann  man  aber  ruhig  sagen, 
d&B  es  sieh  gewiS  nicht  um  GröSen  höherer  Ordnung 
liandelt,  die  man  so  einfach  vernachlässigen  könnte.  Ea 
hudelt  sich  vielmehr  hier  um  wichtige,  dauernde  Momente, 
weiche  den  Gang  der  Wirtschaft  wesentlich  beeinflussen  und 
wichtige  Folgen  zeitigen. 

Endlich  aber  beobachten  wir,  da6  auch,  wenn  alles  das 
in  Ordnung  wäre,  die  Preisbildung  eben  nicht  so  vor  sich 
geht,  wie  die  Theorie  es  angibt.  Davon  überzeugt  man 
>ich  ganz  leicht,  wenn  man  die  Obliche  Weise  der   theo- 

I  fetiBchen  Ableitung  betrachtet,  Mao  sagt  z.  B.  eine  Preis- 
erhöhung geht  in  der  Weise  vor  sich,  daß  die  schwächsten 
Verkäufer  wegfallen,  dadurch  das  Angebot  verringert  und 
so  die  Konkurrenz  unter  den  Käufern  schärfer  wird,  worauf 

I  lieh  ein  schiießliches  Steigen  des  Preises  ergibt.  In  der 
Wirklichkeit  sehen  wir  fast  immer,  daS  die  Preise  steigen. 
Weil  die  Verkäufer  sie  einfach  erhöhen,  wenn  ein  Anlaß 
dazu  vorliegt  und  oft  mehr,  als  dieser  Anlaß  rechtfertigt. 
Das  ist  die  Auffassung  des  Alltages,  deren  Schwäche  zu 
Uhr  auf  der  Hand  liegt,  um  besonderer  Darlegung  zu 
bedOrfen ;  aber  wir  wollen  nicht  leugnen,  daß  ein  ganz 
kleiner  Kern  von  W  a  h  r  h  e  i  t  darin  liegt.  Es  ist  das 
Moment  des  „Preiskampfes",  auf  das  Gegner  der  Theorie  hier 
Gewicht  legen;  und  es  kann  nicht  in  Abrede  gestellt  werden, 
daß  dasselbe  Elemente  enthält,  welche  den  Instrumenten 
BDserer  Theorie  entschlüpfen,  und  daß  diese  Elemente  viele 
Erscheinungen  am  Preise  zutreffend  zu  erklären  geeignet 
sind,  ja  die  Basis  für  eine  wesentlich  andere  Preistheorie 
ftt^ben  k&nnten. 

Wenn  man  uns  fragt:  Was  nützt  es,  Regeln  abzuleiten. 


192  Dm  Problem  de«  «tatiMhen  Oleiehgawieht«». 

die  immer  Ausnabmeo  erleiden  und  zvar  solche,  die  dauernd 
und  wichtig  und  an  sich  interessant  sind,  interessanter  mit- 
unter, als  jene  Regeln  selbst?  —  so  können  wir  nicht  nmhin, 
dieser  Frage  einige  Berechtigung  zuzuerkennen.  Manche 
Theoretiker  haben  darauf  geantwortet,  daS  die  Theorie 
einen  Idealzustand  der  Wirklichkeit  gegenfiberstelle  und 
auch,  daß  die  wirtschaftliche  Entwicklung  einem  solchen 
Zustande  zustrebe.  Wflre  das  so,  dann  w&re  es  ja  gut. 
Aber  es  durfte  nicht  so  sein.  W  i  r  betrachten  das  Bild, 
das  die  Theorie  entwirft,  nicht  als  ein  Ideal  —  es  wSre 
wohl  schwer  Dachzuweisen,  daß  es  ein  solches  ist  —  und 
wagen  auch  nicht  zu  behaupten,  daß  es  das  Ziel  der  Ent- 
wicklung darstelle,  erklärten  vielmehr  schon,  dafi  solche 
Fragen  besser  ganz  ausgeschaltet  werden. 

Wozu  also  ersetzen  wir  die  Betrachtung  der  Wirklich- 
keit durch  eine  so  unbefriedigende  Theorie?  Alles,  was 
wir  darauf  antworten  kdnnen,  ist  nur,  dafi  wir  trotz  alledem 
glauben,  rlaS  ihre  Resultate  hinreichend  grofie  Be- 
deutung haben,  dafi  sie  einen  erhebliehen,  selbst  sehr 
erheblichen  Teil  des  zu  beschreibenden  Gebietes  decken  und 
sich,  innerhalb  von  Grenzen,  die  man  nie  aus  dem  Auge 
verlieren  darf,  recht  gut  bewähren.  Und  das  kann  meines 
Erachtens  nicht  leicht  in  Abrede  gestellt  werden. 

§  2.  Alle  die  Einwendungen,  die  wir  eben  besprachen, 
lassen  sich  dahin  ausdrOcken,  dafi  die  „freie  KoDkurrenz", 
die  von  den  Theoretikern  vorausgesetzt  werde,  fast  immer 
in  der  Wirklichkeit  fehle.  Wir  berühren  damit  einen  Punkt, 
der  in  der  Geschichte  der  N'atioualOkonoraie  eine  groSe 
UoUe  gespielt  hat,  und  an  dem  der  Unterschied  zwischen 
unserem  exakten  Systeme  und  dem  der  Klassiker  scharf 
hervortritt. 

Gewifi  setzen  auch  wir  in  der  Regel  freie  Konkorreni 
voraus.  Den  näheren  Inhalt  dieser  Annahme  werden  wir 
noch  genauer  festsetzen.  Aber  wir  sagen  damit  ranäcbst 
nur,  dafi  wir  eben  den  Preis  bloß  dort  bestimmen  wollen 
und  können,   wo  er  nicht  durch  andere  Einflösse,  als  dia 


Vorfragen  sar  Prdstheori«.  193 

hier  betrachteteD,  fixiert  wird.  Inwieweit  das  der  Fall  ist, 
dämm  kOmmern  wir  uns  zunächst  oieht. 

Bei  den  Elassikem  hingegen  erscheint  die  Sache  in 
gaoz  anderer  Beleuchtung.  Es  wird  auf  eine  ganz  andere 
ErseheinuDg  das  Hauptgewicht  gelegt ,  nämlich  auf  das 
„freie  Spiel  der  wirtschaftlichen  Krftfte".  Gegenseitiges 
Unterbieten  —  „Konkurrenzkampr'  —  Abhandeusein  anderer 
als  wirtschaftlicher  Motive,  Seltotrerantwortung  usw.  wird 
als  der  normale  Zustand  hingestellt,  dem  die  Entwicklung 
zustrebe.  Das  bedeutet  einen  bestimmten  Zustßnd  der 
Volkswirtschaft,  einen  gewissen  geistigen  Habitus  der  wirt- 
schaftenden Menschen. 

und  nun  geht  man  einen  Schritt  weiter  und  bezeichnet 
das  als  wünschenswert.  Der  Gedankengang  ist  klar,  der 
von  da  aus  zur  Forderung  des  laisser  faire,  des  Freihandels 
usw.  fahrt.  So  wird  die  freie  Konkurrenz  zu  einem  Fosta- 
late,  um  das  sich  eine  Partei  schart,  und  so  wird  die  Öko- 
nomie in  einen  Gegensatz  zu  jeder  Art  von  regelnden  Ein- 
griffen,' zum  Sozialismus  jeder  Fftrbung  gebracht.  Es  wird 
behauptet,  daS  die  Konkurrenz  zu  einer  besten  Befriedigung 
aller  BedQrfnisse,  zu  einem  idealen  Zustande  fahre.  Beim 
Mazimumprobleme  kommen  wir  auf  einen  Punkt  zu  sprechen, 
den  wir  hier  Qbergehen.  Aber  es  mufi  dem  Leser  hier  klar 
gesagt  werden,  daß  wir  in  diese  Bahnen  nicht  folgen.  Die 
.Naturgesetze  der  Wirtschaft"  fordern  keineswegs  die  freie 
Konknrrenz,  haben  keine  Tendenz,  sie  herbeizu- 
fahren. Man  mag  die  Vor-  und  Nachteile  der  wirtschaft- 
lieben Freiheit  mit  anderen  Argumenten  diskutieren;  z.  B. 
kann  man  sagen,  daß  sie  dem  Individuum  Spielraum  für 
grOSere  Anstrengungen  gibt,  daß  sie  dasselbe  zwingt,  sein 

1    Beates  zu  leisten  und  man  mag  darauf  mit  anderen  ebenso 
bekannten  Argumenten  entgegnen.    Aber  die  reine  Ökonomie 
litt  keinen    Anteil    daran.     Sie    „fordert"    nichts,    sie    gibt 
t     keilten  Maßstab  für  die  Beurteilung  der  Natzlichkeit  irgend- 

t^iaer  Organisationsform.  Nicht  besser  kann  man  unsere 
Hypothese  mit  dieser  Forderung  kontrastieren,  als 
wenn  man  die  Äußerung  eines  hervorragenden  Vertreters 

t  Seliiiap*t*r,  NMionalakonomia.  \'A 


.  194  ^'^  Problwa  det  ■tatischen  QMehgewiehtaa. 

jener  Gruppe  voo  NationiilOkonoBken  hersDiieht,  «rtAe  in 
Wissenschaft  wie  Politik  jenem  alten  StaBdpnnkte  trea  ge- 
blieben sind,  der  ÖkODOmeo  des  .Institut':  ,.  ..lenonde 
^conomique  est  gouvernö  . . .  par  des  lois  inmuables  qni  y 
inaintieanent  l'ordre  et  en  asanrest  l'existence  et  le  proerts 
. . .  les  obetacles,  il  faut  les  lerer,  dötniiro  les  monopoles 
naturels,  n'en  pas  cr6er  d'artifioiels  et  laiBser  faiie."  lan 
ganzes  Progamm  der  Sozial-  und  Wirtsehaftqnlitik  liegt 
in  diesen  'Worten.  Wir  haben  nicht«  damit  tn  tun.  Wir 
sind  uns  bewußt,  da&  man  auf  jene  Argumente  entgegnen 
kann,  daß  femer  die  Eutwiekluag  die  entgf^engeeetzte 
Richtung  einzuschlagen  scheint.  Und  wir  wttnaehen  oder 
bedauern  das  nicht.  Unsere  Gesetze  haben  nicht  die  höhere 
Weihe,  die  ihnen  oft  gegeben  wurde.  Wohl  sind  sie  in 
gewissem  Sinne  uttabftnderlich,  aber  eben  in  einem  anderen; 
die  reinwirtscbaftlichen  Vorgänge  lassM  sich  wohl  immer 
in  stets  gleichen  Formeln  beschreiben  und  diese  dannlegeD 
ist  der  Gegenstand  unseres  Studiums  —  aber  die  konkreten 
Resultate  derselben,  sind  durch  die  UmstUule  bestimmt,  so 
wie  auch  das  Werturteil  daröber. 

Angesichts  der  Tatsache,  daß  auoh  die  meisten  modenken 
Theoretiker  es  sich  nicht  versagen  können,  dw  HTpotbese 
noch  etwas  hinzuzufügen,  ist  es  vor  allem  wichtig,  hervor- 
zuheben, daß  man  sie  in  der  Gestalt,  wie  sie  fOr  unsere 
Resultate  wirklich  nötig  ist,  von  allem  übrigen,  mit  dem 
sie  vermengt  wird,  trenneu  kann.  In  der  Tat,  die  reiB 
theoretischen  Resultate  werden  nicht  alteriert,  wenn  man 
diese  Dinge  einfach  fortläßt;  sie  verschwind«!  ganz  von 
selbst,  wenn  wir  uns,  unserer  Ge|)flogenheit  gemAfi,  fragen. 
was  das  im  Kerne  ist,  was  die  Theoretiker  tun;  behatten 
wir  Dur  die  essentiellen  Tunkte,  so  sehen  wir,  dafi  in 
ihnen  nichts  liegt,  was  auf  jene  anderen  Probleme  fQbre« 
würde- 

£3  wäre  vielleicht  besser,  den  Ausdruck  „freie  Kon- 
kurrenz'', der  sofort  politische  und  soziale,  etbisebe  und 
historische  Vorstellungen  wachruft  und  manchen  sogleich 
mifitrauisch   macht,    überhaupt    zu    vermeiden.     Er    briogt 


VavfnigeB  ini  Preiatheofie.  ]95   . 

uDOÖtigarweiBe  eine  Sckwierigheit  in  Huserea  1\'eg.  Jeden- 
fjitla  mofi  msD  sidi  bewußt  Ueibeo,  daS  wir  hier  nur 
jenen  ganz  aidnen,  ewgeHc^räBhten  ^q  danit  verbinden 
woll«n. 

Venicbteo  wir  wirklich  auf  viel,  wenn  wir  uns  eise 
solche  Entsagung  auferlegen?  Vor  allem  verzichten  wir  auf 
eine  UntenBChug  der  Entwicklung  der  Organisations- 
formen  md  der  „treibenden  Krfifte"  der  Volkswirtschaft 
Das  ist  ja  aber  ein  Gebiet,  das  vaaereB  Methoden  ohnehin 
veraeUoeim  ist,  wie  wir  bereits  assgefohrt  haben  und  nicht 
iriederheten  walkn.  Sodsom  auf  die  Diskttseion  der  Vor- 
und  Machteile  der  freien  Konkurrent  als  ainialer  Wirt- 
aebaftrform.  Nun,  ist  es  wirkUcb  so  schwer,  auf  jene  immer 
gleichen  Argumente  ftr  ntkd  wider  zu  verzichten,  die  gar 
keine  exakte  Bebandlang  ztkseea,  deren  Wttrdigung  „  Anaichts- 
sacbe",  Qlier  die  Verständigung  so  gut  wie  ansgesehlosaen 
ist,  «eil  jeder  sicherlich  bei  dem  bleibt,  was  seiner  Anlage, 
seiner  sozialen  und  wirtschaftlichen  Position  entspricht  V 
'Es  sdieint  ans  das  zu  jenen  Dingen  zu  gehfiren,  die  man 
vregen  ihrer  Wert1osi{^eit  ruhig  fortlassen  kann,  mag  auch 
ihre  praktische  Bedieotung  eine  große  sein. 

ITvterdrttcIning  des  Schwächeren,  Schftdignng  sozialen 
Interesses  durch  rQcksichtslose  „Schautzkonknrrenz"  usw. 
einerseits,  Vorteile  freier  Betätigung  andererseits  —  das 
liegt  ja  alles  auf  d&t  Hand.  Eine  allgemeine  Diskussion 
darüber  kann  kaum  mehr  als  Banalitäten  bringen.  Das, 
vras  fOr  uns  wichtig  ist,  was  allein  wir  brauchen,  das  ist 
lediglieh  jene  Annahme  als  methodisches  Hilfs- 
mittel. Kur  das  ist  die  Rolle  der  freien  Kon- 
kurrenz im  reinökonomischen  Systeme  der  Zu- 
kunft. Wflrde  diese  Ansicht  Boden  gewinnen,  so  würden 
sehr  fiele  Urteile  aber  unsere  Wissenschaft  anders  lauten 
und'  viele  Gegner  Terstummen,  welche  gegenwärtig  mit 
ihrer  Opposition  noch  durchaus  im  Rechte  sind. 

Noch  eine  Bemerkung  möchten  wir  machen:  Die  Hypo- 
these (ter  freien  Konkurrenz  deckt  keinenwegs  nur  Vor- 
gänge in   einer   entwickelten  Verkehrswirtschaft.     Freilich 


196  ^'*  Problem  de*  (tatiseheo  Gleieligewiehtea. 

ist  sie  auch  hier  nie  ganz  verwirklicht;  aber  sie  kano  auch 
bei  Betrachtung  von  manchen  Vorgängen  in  Wirtschaften 
angewendet  werden,  deren  Organisation  das  gerade  Gegenteil 
von  freier  Konkurrenz  zu  involvieren  scheint.  Wenn  Bauern 
auf  einem  Frohnhofe  Äpfel  gegen  Nüsse  tauschten  —  ich 
weifi  atcht,  ob  ihnen  auch  das  verboten  war  — ,  so  besteht 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  freie  Konkurrenz  zwischen 
ihnen.  Und  selbst  in  der  Wirtschaft  eines  Robinson  kann 
man  sagen,  daß  zwischen  den  möglichen  Verwendungen  eines 
Gutes  etwas  Ähnltcfaes  besteht,  wie  „freie  Eonkurreuz'. 
Das  in  ihr  liegende  Prinzip  ist  also  auch  in  einer  verkehrs- 
losen, etwa  kommunistischen  Wirtschaft  nicht  vOllig  matt- 
gesetzt, was  nicht  waDdemebmen  kann  und  alles  Paradoxe 
verliert,  wenn  man  es  auf  seinen  exakten  Inhalt  beschränkt 
und  aus  dem  Kreise  von  Assoziationen  loslOst,  in  dem  es 
aufzutreten  püef^t. 

Exakt  ausgedrückt  bedeutet  dasselbe  nichts  anderes, 
als  das  Abhandensein  von  Momenten,  welche  unser 
System  lAhmen  oder  unsere  Aufmerksamkeit  so 
sehr  an  sich  ziehen,  daß  seine  Resultate  ihr  Interesse 
dem  gegenüber  verlieren.  Seine  Funktion  im  Organismus 
der  reinen  Theorie  ist  also  eine  vornehmlich  negative : 
Es  behauptet  nichts  und  fordert  nichts,  es  scheidet  nur  ab, 
was  nicht  hineingehört.  So  ist  es  also  soweit  nur  ein 
Isolierapparat  und  das  ist  so  ziemlich  alles,  was  ihm  von 
seiner  einstigen  Bedeutung  bleibt 

§  3.  Nun  wollen  wir  in  ganz  ähnlicher  Weise,  wie  es 
soeben  bezüglich  der  Hypothese  der  „freien  Konkurreni' 
geschah,  einen  andern  Stein  des  Anstoßes  beseitigen,  der 
auf  der  Bahn  der  reinen  Theorie  liegt.  Wir  meinen  das 
berühmte  undberttcbtigte  Max  imumtbeorem.  Der  Theore- 
tiker wird  schuldig  befunden  des  Verbrechens,  behauptet 
zu  haben,  daß  das  „freie  Spiel  der  wirtschaftlichen  Kräfte' 
zu  größtem  Nutzen  und  Frommen  aller  Glieder  der  Volk»- 
Wirtschaft  führe,  während  es  doch  für  so  viele  unerfreuliche 
Erscheinungen    des    modernen   Konkun'enzkampfes   verant- 


Vorfragen  anr  Preiatheorie.  ]^97 

wörtlich  sei ;  ferner,  daß  jeder  EingritF  in  daeeelbe  scbädlicli 
and  alle  Vereuche,  dem  sozialen  Elend  abzuhelfen,  das  er 
ttberdies  durch  seine  „harmoDistische"  Auffassung  über- 
tttnebe,  notwendig  ohnmächtig  seien,  ja  das  Übel  nur  ver- 
Bchlimmern.  Ist  diese  Anschuldigung  richtig,  so  ist  das 
Behr  bedenklich.  Denn  ganz  abgesehen  davon,  ob  der  Theore- 
tiker mit  den  ihm  imputierten  Behauptungen  Recht  bat 
oder  nicht,  wird  unsere  Wissenschaft  jedenfalls  in  eine 
uferlose  Diskussion  verwickelt,  genötigt,  in  dem  Streite  der 
sozialen  Parteien  Stellung  zu  nehmen  und  anwissenschaft- 
liehem  Mißbrauche  einerseits  und  lebhaftem  Hasse  anderer- 
Kits  ausgesetzt.  Und  sicherlich  ist  sie  zum  Teile  richtig. 
Wer  kdnnte  das  leugnen  angesichts  der  klaren  Aussprache 
lablloser  NationalOkonomen ,  welche  keinen  Zweifel  ge- 
BtattenV  Die  Rettung  liegt  aber  nicht  in  dem  Nachweise 
<ler  Richtigkeit  derselben,  vielmehr  möchte  ich  vor  allem 
hetonen,  daß  ich  von  ihrer  Falschheit  durchaus  überzeugt 
QDd  der  Ansicht  bin,  daß  in  ihrer  Bekämpfung  durch  Histo- 
riker und  Sozialpolitiker  ein  großes  Verdienst  und  ein  Ge- 
«inn  fQr  Wissenschaft  wie  Politik  liegt.  Soll  unsere  Theorie 
nicht  zusammenstQrzen,  so  muß  sie  von  diesem  brandigen 
Cliede  befreit  d.  h.  es  muß  entweder  nachgewieeen  werden, 
diB  das  Maximumtheorem  nicht  essentiell  ist  und  ohne 
Schaden  für  den  Rest  weggelassen  oder  daß  es  so  formu- 
liert werden  kann,  daß  es  nichts  von  all  dem,  was  wir  an- 
gedeutet haben,  behauptet.  Das  erstere  ist  nicht  möglich  — 
vir  können  das  Maximumtheorem  nicht  entbehren,  wie  wir 
gleich  sehen  werden  —  wohl  aber  das  letztere.  Unsere 
fbeorie  selbst  geht  unschuldig  aus  dem  ihr  gemachten 
Prozesse  hervor,  mag  auch  viele  —  die  meisten  —  ihrer 
Vertreter  jenes  Verdikt  treffen. 

Dabei  sehen  wir  wiederum  —  wie  so  oft,  wenn  auch 
"ieht  immer  — ,  daß  die  Kritik  der  (Jegner  der  Theorie 
in  weit  geht  Fast  stets  richtet  sie  sich  entsprechend  deren 
luteresseukreise  vor  allem  gegen  gewisse  praktische  Konse- 
quenzen und  dringt  gar  nicht  in  die  eigentliche  Theorie 
Bin,  meint  vielmehr,   dieselbe   zi^leich  mit  den  erstetea 


198  1^  Problem  des  ttatüehMi  OlcMgewiehtes. 

wtderiegt  zu  haben,  ohne  zu  imtMBDChea,  ob  die  BrOeke 
zwischen  Theorie  und  Praxis  wirklich  so  fest  ist.  Das 
heifit  aber,  das  Kind  mit  dem  Bade  ausechattea  und  führt 
meist  zu  allgemeinen  Abnrteilnngen,  auf  veldie  die  Theore- 
tiker leicht  entgegnen  können.  Ihrerseits  aber  Terkenoen 
oder  übergehen  diese  das  richtige  Element  der  Kritik  und 
unterlassen  es,  die  Autonomie  der  Theorie  gegenüber  jenen 
Konklusionen  zu  betonen.  So  ist  es  oft  schwer,  Recht  nod 
Unrecht,  welche  sich  auf  beiden  Seiten  finden,  zu  scheiden. 
Wenn  man  das  aber  sorgfältig  tat,  so  löst  sich  die  Sache 
mit  Leichtigkeit  Freilich  zeigt  sich  meist  und  auch  hier, 
daß  dabei  viel  preisgegeben  werden  mu6.  Auch  unser 
Maximumtbeorem  ist,  aa  sich  und  soweit  die  Theorie  seiner 
benötigt,  ganz  einwandfrei,  wie  jedermann  nach  der  folgenden 
Darlegung  zugeben  wird.  Aber  sein  praktischer  Inhalt. 
seine  soziale  Färbung  und  grofie  wissenschaftJiehe  Be- 
deutung  verschwindet  dabei  —  es  ist  für  uns  methodo> 
logisch  wichtig,  aber  was  es  aassagt,  ist  nicht  mehr. 
als  eine  banale  Selbstverständlichkeit. 

Den  Gleichgewichtszustand  der  ökonomischen  Quanti- 
täten zu  beschreiben  —  und  gewisse  Variationen  desselben  — 
ist  das  Problem  der  Ökonomie.  Alle  Tausehakte  tendieren 
danach,  ihn  zu  realisieren,  d.  h.  einen  Znstand  zu  realisieren, 
in  dem  keine  Veränderung  der  Quantitäten  mehr  erfolgt, 
der  sich  daher  zu  erhalten  strebt  und  deshalb  besonders 
interessant  ist.  Und  in  diesem  Zustande,  in  dem  die  Tausch- 
akte aufhören,  müssen  uns  unsere  Funktionen,  welche  elien 
die  Beschreibung  der  VerAnderungen  zum  alleinigen  Zwecke 
haben,  für  weitere  Veränderungen  die  Größe  Null  ergeben. 
Dadurch  ist  der  Gleichgewichtszustand  definiert  und  deshalb 
heißt  es  so.  Und  die  Differenzialrechnnng  lehrt  uns,  daß 
an  dieser  Stelle,  an  der  gewisse  Differenzialqnotienten, 
welche  eben  das  Maß  der  Veränderungen  darstellen,  gleich 
der  Null  sind,  verschwinden,  gewisse  Funktionen  — 
das  sind  in  unserem  Falle  die  Wertfunktionen  —  einen 
Maximalwert  annehmen.  Das  ist  eine  Tatsache,  die  vno 
jeder  Interpretation  dieser  Funktionen  unabhängig  ist:  Das 


iofhören  weiterer  Tauschakte  d.  h.  VerJbideniDgeii  in  den 
OkonomisclMii  QoantiULten,  und  das  Maximumwerden  der 
f^oktioaen  istgleicbbedeatend,  und  der  Oleichgevichts- 
zastand  kann  ebenso  durch  das  erstere,  wie  durch  das 
letztere  Moment  charakterisiert  werden.  Im  ersterm  Falle 
können  wir  ihn  als  den  Rubezastand,  im  letzteren  als  den 
MaximumzuBtand  bezeichnen:  Beide  Ausdrucke  besagen 
danelbe,  sind  synonym.  Das  ist  nnser  Prinzip;  alles  : 
weitere  dient  nur  seiner  Erlfiutening. 

Der  exakte  Inhalt  des  Maxiniumtheoremes,  der  Kern 
allee  dessen,  was  Ober  dieses  Tielumstrittene  Problem  jemals 
gesagt  wurde,  ist  also  nichts  anderes,  als  dieser  Satz:  Im 
Gleichgewichtszustände  liegt  keine  Tendenz  zu 
weiteren  Verftnderungen  vor.  Und  die  Rotte,  die 
dieser  Satz  spielt  in  der  Theorie,  ist  lediglich  die,  den 
Gleichgewichtszustand,  also  das,  was  zu  untersuchen  unsere 
Hauptaufgabe  ist,  zu  definieren  und  sodann,  uns  zur 
Feststellung  jenes  Preises  zu  helfen,  welcher  be- 
stehen muS,  wenn  Gleichgewicht  herrschen  soll. 

Für  diesen  letzteren  Zweck  ist  unser  Theorem  aller- 
dings unentbehrlich.  Ohne  dasselbe  könnten  wir  den 
Gleichgewichtspreis  nicht  bestimmen.  Daß  die  gekauften 
and  verkauften  Mengen  eines  Gutes  einander  gleich 
seien,  ist  die  eine  Bedingung  fOr  sein  Bestehen.  Aber 
sie  trifft  fQr  jeden  Preis  zu.  Um  aus  den  unendlich 
vielen  möglichen  den  uns  interessierenden  Gleich- 
gewichts preis  herauszugreifen ,  niUssen  wir  eben  zum 
Ausdrucke  bringen,  daB  er  und  die  unter  seiner  Herrschaft 
sieh  ergebende  GOterverteilung  sich  zu  erhalten  streben, 
d.  fa.,  dafi  die  weitere  Veränderungen  zum  Ausdrucke 
bringenden  Symbole  zu  Null  werden.  Unter  welchen  Be- 
dingungen das  letztere  geschieht  und  oh  nur  einer  oder 
mehrere   solcher  Gleich gewichtspreise   in   einem   gegebenen 

Zeitpunkte  und   für  ein   gegebenes  Gut   bestehen    können, 

sind  dann  weitere  Fragen,  die  uns  hier  nicht  bertlhren. 
Damit  haben  wir  die  uns  beschäftigende  Frage  l>eant- 

'*ortet:   Das   Maximumtbeorem   drtlckt   das  Abhandenaein 


200  D»  Problen  dea  itetüAea  OkM^gcvicktM. 

TOD  TendenzeD  zd  Vertadenuigeii  in  Dnaerem  Sptem  ans 
und  ist  im  WeseDÜiehra  eine  BestimmaDgBgleichong 
zur  Flxiemiig  des GleichgewiehtszoBtaDdes desnlben.  Alles 
übrige  daran  ist  fOr  die  Theorie  nnveseatlich 
und  das  tiefe  soziale  Problem,  das  damit  in  Verbindung 
gebracht  «urde,  berührt  dieselbe  nicht  FOhrra  wir  das 
Qocb  weiter  ans. 

Vor  allem  wollen  wir  uns  unser  Resultat  anschaulicher 
machen,  indem  wir  uns  einer  popul&ren  Ausdmeksweise  be< 
dieuen.  Wir  sagen  von  einer  Wirtschaft,  dafi  sie  sieh  im 
Gleichgewichte  befinde,  wenn  ihr  Subjekt  beine  weiteren 
Tauschakte  —  erinnern  wir  uns,  daB  wir  darunter  jede 
wirtschaftliche  Handlung  verstehen  und  darunter  wiederum 
nur  gewollte  Veränderungen  an  den  in  seinem  Besitze  be- 
findlichen Gütermengen,  wobei  wir  Arbeitsleistungen  als 
Verminderungen  des  Besitzes  an  Arbeit  auffassen  —  vor- 
Dimmt,  weil  es  seine  Lage  oder  seine  BedQrfnisbefriediguDg 
durch  solche  nicht  mehr  erhöhen  könnte.  Und  wir  inter- 
essieren uns  für  diesen  Zustand  deshalb,  weil  jedermann 
ihm  vemanftigerweise  zustrebt  —  an  strenge  Korrektheit 
sind  wir  ja  in  diesem  Momente  nicht  gebunden  —  und  des- 
halb dieser  Zustaud,  wenn  nichts  AufiergewAhnliches  ge- 
schieht, im  allgemeinen  erreicht  werden  und  sich  zu  ei^ 
Imlten  streben  wird,  während  alte  anderen  Zustande  als 
bloße  DurchgaugBstndien  auf  dem  Wege  zu  diesem  einen 
Iwtrachtet  werden  können  und  keine  solche  Tendenz  zur 
Beharrung  aufweisen.  Die  Wirtschaftssubjekte  tauschen 
deshalb,  weil  sie  die  Gfiter,  die  sie  eintauschen,  mehr  brauchen, 
als  jene,  welche  sie  dafür  herzugeben  haben  und  sie  daher 
von  dem  Tausche  einen  Vorteil  haben.  Aber  jedermann 
weiö,  daß  früher  oder  später  der  Punkt  erreicht  wird,  an 
dem  man  neuen  Erwerb  nicht  mehr  verlangt,  als  weiteren 
Verlust  schmerzlich  empfindet,  an  dem  mithin  der  Tauseh 
keinen  Vorteil  mehr  und  vielleicht  sogar  Nachteil  bringt 
und  man  daher  zu  tauschen  aufhört,  also  jenes  .Gleich- 
gewicht" erreicht  ist.  Wenn  wir  die  tauschenden  Individueo 
)>eobachten,  so  können  wir  ans  zwei  Fragen  stellen.    Ist  der 


Tor&ngen  cor  Preistheorie.  201 

Preis,  EU  dem  jemand  tauscht,  irgendvie  fixiert,  so  werden 
wir  fragen,  wieviel  das  Individuum  eintauschen  wird.  Das- 
selbe wird  antworten:  Ich  werde  eine  solche  Menge  kaufen, 
als  mir  .für  mein  Geld  steht".  Unsere  weitere  Aufgabe 
besteht  dann  darin,  festzustellen,  welche  Menge  das  ist,  ab«r 
das  tun  wir  eben,  indem  wir  fortschreitend  immer  weitere 
Mengen  herausgreifen  und  jedesmal  dem  Individuum  vor- 
halten: .Steht  dir  diese  Menge  noch  für  dein  Geld?"  Und 
sobald  wir  ein  Nein  zur  Antwort  bekommen  haben,  ist 
DDsere  Neugierde  befriedigt,  und  es  erübrigt  nur  noch, 
wenn  wir  können,  eine  allgemeine  Regel  aufzustellen,  wann 
die  Individuen  sich  befriedigt  zu  erklären  pflegen  — 
immer:  bei  diesem  gegebenen  Preise.  Die  Weigerung 
der  Individuen,  einen  weiteren  Erwerb  vorzunehmen,  welche 
eben  die  Erreichung  des  Gleichgewichtszustandes  bedeutet, 
hilft  uns  also  zugleich,  diesen  Zustand  und  die  Bedingungen 
seines  Eintretens  festzustellen.  Ist  aber  der  Preis  nicht  fix 
Eondem  soll  er  sich  erst  auf  dem  Markte  herstellen,  so  wird 
unser  Interesse  naturgemäß  zunächst  der  Frage  gelten, 
welcher  Preis  das  sein  wird:  Haben  wir  sie  beantwortet, 
so  ist  dieser  Fall  auf  den  ersten  zurückgeführt.  Nun,  wenn 
dieser  Preis  des  Interesses  wert  sein  soll,  so  muß  er  einige 
Behaming  aufweisen  und  das  kann  er  nur  dann,  wenn  ihn, 
unter  den  gegebenen  VerhältnisseQ,  niemand  unter-  oder 
Qberbieten  kann,  ohne  sich  selbst  zu  schaden  —  wenigstens 
oamittelbar;  die  weiteren  Folgen  mögen  ja  für  ihn  vorteil- 
haft sein,  berühren  uns  aber  hier  nicht  —  d.  h.  ohne  ent- 
weder fOr  ein  Gut  mehr  zu  zahlen,  als  es  ihm  „wert"  ist 
oder  weniger  dafür  zu  erhalten,  als  es  ihm  wert  ist.  Es  ist  das 
femer  jener  Preis,  bei  dem  sich  auch  niemand  lediglich 
lum  Nachteile  eines  anderen  vom  Tausche  fern- 
halten kann,  ohne  selbst  —  wiederum:  unmittelbar  — 
einen  Nachteil  zu  erleiden.  Das  ist  der  Gleichgewichtspreis. 
\her  welcher  von  allen  den  Preisen,  bei  denen  tkberhaupt 
getauscht  wQrde,  ist  es?  Wiederum  können  wir  nicht  anders 
vorgehen,  als  zu  sehen,  bei  welchem  Preise  das  der  Fall  ist, 
und  welcher  solche  Mengen  mit  Vorteil  auszutauschen  ge- 


202  Du  Problem  doi  ttstnehaB  OMAgewiehtoa. 

Stattet,  dafi  niemanti  geoeigt  ist,  ihn  dmch  weitere  Kach- 
frage biaaubutreibeo  oder  dnrch  weiteras  Aagebot  herab- 
zadrttcken.  Man  hat  gesagt,  daS  das  jener  sei,  bei  dem 
die  Nachfrage  gleich  dem  Angebote,  prixner  die  TU-langte 
nnd  die  angebotene  Menge  eines  Guts  einander  gleich  seien. 
Aber  das  würde  ia  nur  dann  aasreichen,  wenn  wir  schon 
etwas  Ober  diese  beiden  Gr&Sea  wOßt» ,  sonst  ist  daa  ane 
Gleichung  zwischen  zwei  Unbekannten.  Gegeben  ist  uds 
nur  die  vorhandene  Menge  der Goter  und  wieviel  da\-OD 
angeboten  und  von  Wirtschaflssatqektan,  welche  nicbta  oder 
nicht  genug  davon  besitzen,  verlangt  werden  wird,  mufi  ge- 
funden  werden.  Die  bloße  Gleiehlräit  beider  Mengen  reicht 
dazu  nicht  aus.  Und  die  fehlende  Bestimmung  gibt  eben 
das  Maximumtheorem:  erstens  mflssen  jene  Mengen  gleich 
sein  und  zweitens  darf,  «enn  sie  zu  jenem  Preise  aus- 
getauscht sind,  keine  weitere  Kachfrage  und  kein  weiteres 
Angebot  hervortreten.  Der  Gleichgewichtspreis  muß  gerade 
soviel  Umsatz  vorteilhaft  erscheinen  lassen,  daß  .Kftufer' 
und  „Verkäufer"  bei  ihm  stehen  bleiben:  Eben  dadurch 
unterscheidet  er  sich  von  anderen  Preisen  und  das  ist  der 
Inhalt  unseres  Theoremes.  Wir  wollen,  um  Mißveistftndnissen 
vorzubeugen,  ausdrücklich  sagen,  daß  wir  keineswegs  glauben, 
damit  eine  wesentliche  Korrektur  an  der  Formel  .Angebot 
gleich  Nachfrage"  angebracht  zu  haben.  Sicherlich  hat 
J.  St.  Mill,  als  er  sie  aufstellte,  ganz  dasselbe  gemeint  wie 
wir  und  bloß  die  beiden  Bedingungen,  die  zum  Gleichgewicht 
nOtig  sind,  nicht  ausdrQcklich  geschieden.  Es  schien  ihm 
das  wohl  QberllQssig  zu  sein,  aber  gemeint  hat  er  mit 
jener  Formel  beide.  Auch  reicht  diese  Ausdrucksweise  im 
allgemeinen  durchaus  hin,  nur  hat  sie  den  Nachteil,  den 
Zusammenhang  des  Gleich  gewiclilsprobleioes  mit  dem 
Maximumtfaeoreuie  nicht  ins  Licht  zu  setzen  und  so  den 
Weg  zu  verbarrikadieren,  der  zu  klarem  Verst&ndnisse 
beider  ftthrt. 

Eine  andere  Erläuterung  den  Wesens  und  der  Rolle  des 
.Maxim umtheoremes  kann  man  gewinnen,  wenn  sein  Wesro 
und  seine  Rolle  in  anderen  Disziplinen  betrachtet  wird.  Da^ 


]~'    ■  ""'1 


VarficageB  zur  Preistheorie.  203 

hat  naUrlich  nur  fOr  seine  formale  !Natar  Bedeutung  und 
hat  mit  eiaer  materiellea  Anlehnung  an  dieselben  nichts  zu 
tun.  Auch  heifit  das  nicht,  dafi  das  Maximumtheorem  ein 
ans  fremden  Wissensgebieten  herbeigesogenes  Instrument  sei, 
das  auf  unser  GeUet  vielleicht  nicht  passen  könnte ;  lediglich 
ein  erliutemdes  Beispiel  wollen  wir  heranziehen.  Wir 
wAhlen  dajEU  das  der  Mechanik,  aber  nicht,  weil  dieselbe 
der  Ökonomie  irgendwie  verwandt  sei,  sondern  weil  sie  am 
sorgfältigsten  ausgearbeitet  ist.  Sdbst  wenn  ein  „biologisches 
Gleichgewicht*'  mehr  mit  unserer  Wissenschaft  zu  tun  hAtte  — 
eine  Frage,  die  wir  hier  weder  diskutieren  noch  präjudi- 
zieren  —  könnten  wir  uns  das  erlauben,  ebenso  wie  man 
eine  logische  Kegel  im  allgemeinen  auf  einem  beliebigen 
Gebiete  demonstrieren  kann. 

Nun,  ein  Körper  befindet  sich  im  Gleichgewichte,  wenn 
er  sich  nach  keiner  Richtung  —  oder  in  bezug  auf  keinen 
anderen  —  bewegt.    Dieser  Satz  ist,  so  wenig  wertvoll  und 
so  selbstverständlich  er  aussieht,  von  erheblicher  Bedeutung 
und  sein  mathematischer  Ausdruck  definiert  nicht  nur, 
sondern  bestimmt  auch  die  Gleichgewichtslage.     Dieser 
Ausdruck  sagt,  aus  der  Sprache  der  Symbole  Übersetzt,  daB 
die  Summe  aller  Zuwächse  an  Bewegungen  oder  aller  Be- 
schleunigungen im  Gleichgewichtszustande   gleich  Null  sei. 
Und  dafi  heifit  wiederum,  dafi  alle  diese  Bewegungen  be- 
schreibenden Funktionen,  populär  „Kräfte''  genannt,  in  diesem 
Punkte  einen  Maximalwert  annehmen.    Wenn  das  der  Fall 
ist,   so   geschieht   nichts   mit   dem  Körper  oder  in  dem 
Systeme  von  Mässenpunkten ,  den  oder  die  man  betrachtet: 
Sie  befinden  sich  in  Ruhe.    Solange  ihnen  nicht  irgendwie 
eine    neue   Beschleunigung    erteilt    wird,   bleiben   sie   in 
Ruhe,  in  ihnen  selbst  liegt  keine  Tendenz  zu  irgendeiner 
Störung  dieses  Zustandes,  zu  einer  Lageveränderuug.  Jedes 
System  von  Massenpunkten  ,,strebt  einem  solchen  Zustande 
zu*'  und  deshalb  ist  seine  Untersuchung  und  die  Angabe 
der  Bedingungen  seines  Eintretens  von  besonderem  Interesse. 
Ja  die    ganze   Welt    der   Erscheinungen    hat   ein   solches 
^Streben   nach  einem   bestimmten   Zustande''    und  deshalb 


204  ^*B  Problem  des  Blatüchen  Gleichgewichtes. 

kann  man  alle  Vorg&nge  unter  eine  allesumfassende  Formel 
bringen ,  welche  eben  die  Existenz  eines  solchen  Kam  Aus- 
drucke bringt.  Ich  denke  an  Machs  Ausdruck  f(x,  */,!!•  ■)=(>. 
Überall  ist  die  Stellung  und  wesentliche  Bedeutung  des 
Maximumtheoremes  dieselbe  und  sein  mathematischer  Ans- 
druck  gleichlautend  —  immer  ist  es  eine  Bestimmongs- 
gleichung,  deren  Inhalt  eine  SelbstverstAndHchkeit  und  an 
sich  ohne  Interesse,  wenn  auch  als  Glied  in  der  Kette  des 
wissenschaftlichen  Gedankenganges  unentbehrlich  ist 

Jedoch  sind  wir  noch  nicht  zu  Ende  mit  dem,  was  wir 
zu  sagen  haben.  Wir  haben  allerdings  gesagt,  daß  wir  mit 
der  Maximumtheorie  im  Sinne  der  Individualisten  und 
Marmonieten  nichts  zu  tun  haben  wollen  und  gezeigt,  worin 
der  exakte  Inhalt  und  das,  was  daran  fUr  die  Theorie 
essentiell  ist,  besteht,  auch,  daß  das  sicher  einwandfrei  ist. 
Aber  besteht  wirklich  keine  Brücke  zwischen  beiden  V  Ganz 
gewiß  scheint  eine  solche  zu  bestehen,  und  sie  mag  im 
Laufe  des  Gesf^en  dem  Leser  sehr  wohl  aufgefallen  «ein: 
Allerdings  machen  wir  keinen  ungebührlichen  Gebrauch  von 
unserem  Theoreme,  geben  kein  Werturteil  über  den  Gleich- 
gewichtszustand  ab,  denken  vor  allem  nicht  daran,  ihn  als 
n wünschenswert"  zu  bezeichnen  oder  seine  Herbeifühmi^ 
zu  fordern;  auch  vermeiden  wir  es,  in  die  Psyche  des 
Menschen,  seine  Bedürfnisse  und  Motive  einzugehen  usw.; 
der  Leser  kann  wohl  darüber  beruhigt  sein,  dafi  in  dieser 
Sichtung  ein  Verstoß  unsererseits  nicht  zu  befQicbten  ist; 
aber  sprechen  wir  nicht  doch  von  Maximum?  Wenn  wir 
hervorgehoben  haben,  daß  das  Wesentliche  daran  das  Ab- 
handensein von  Veränderungen  —  Charakterisierung  des 
Ruhezustandes  —  ist,  so  ändert  das  doch  nichts  daran,  dafi, 
wie  wir  selbst  betonten,  eben  dieser  Ruhezustand  mit  einem 
Maximumwerte  unserer  Funktionen  koinzidiere.  Freilich 
sagten  wir,  daß  der  Charakter  der  letzteren  ein  lediglich 
formaler  und  es  für  ihr  Wesen  gleichgültig  sei,  wie  wir  sie 
interpretieren,  aber  tatsächlich  haben  wir  sie  doch  Wert- 
fuuktionen  genannt,  sind  sie  mit  den  Wertskalen  des  psycho- 
Jogiseben  Ökonomen  ihrer  Gestalt  nach  identisch,  und  alle 


Voift«geii  «nr  PreiBtheorie.  205 

unsere  erkenntnistbeoretisehen  Barrikaden  werden  uns  nicht 
davor  scb&tzen,  daS  man  unser  Maximumtheorem  so  aas- 
drhcken  wird:  Im  Gleichgewichtszustande  erhält  jeder' 
Taoachende  ein  Maximum  an  Wert  oder  wohl  gar  an  „Be- 
friedigung''. Und  das  ist  jene  Formulierung,  welche  mau 
als  die  Obliche  bezeichnen  kann.  Ich  verzichte  nun  um  so 
mehr  darauf,  hier  auf  meinem  prinzipiellen  Standpunkte  zu 
bnteben,  als  ich  weiter  zu  zeigen  wnuBche,  daß  auch  die 
psfchologiBche  Formulierung  des  Theoremes,  also  jene  Form 
desselben,  der  man  in  der  modernen  theoretischen  Literatur 
1>^gnet  —  wohl  zu  unterscheiden  von  der  der  Harmonisteo- 
gnippe  — ,  in  der  hier  besprochenen  Beziehung  an  sich  ein- 
■udfrei  ist,  was  allerdings  nicht  ausschliefit,  daß  manche 
I  daran  geknßpfte  Betrachtungen  Ober  das  Gebiet  reiner 
Theorie  hinausgehen  mögen  nod  soweit  unhaltbar  sind. 
Die  Rolle  des  Theoremes  der  Theorie  wird  durch  jene  For- 
mnlierung  nicht  geändert,  so  daß  wir  wiederum  nichts  taten, 
ilt  den  exakten  Kern  dessen  zu  präzisieren,  was  alle  mo- 
dernen Ökonomen  tun. 

Wie  steht  also  die  Sache  denn  eigentlich ,  wenn  wir 
jene  Formulierung  unseres  Theoremes  akzeptieren V  Be- 
haupten wir  damit  nicht  doch,  daß  jenes  Gleichgewicht,  das 
bei  freier  Konkurrenz  zustande  komme ,  zu  dem  größt- 
möglichen Mutzen  fUr  alle  Glieder  der  Volkswirtschaft  führe  V 
Vor  allem  ließe  sich  sagen,  daß  Wert  und  Bedürfnis- 
befriedigung im  Sinne  der  Psychologen  ja  nicht  dasselbe 
sei  und  sehr  wohl  die  Maxima  beider  ansei  oanderfallen 
können.  Maximum  an  Wert  bedeutet  nicht  Maximum  au 
virtschaftlicbem  Wohlergehen.  Das  haben  die  Führer  der 
psychologischen  Richtung  hinlänglich  auseinandergesetzt  und 
teil  wir  dieser  Betrachtungsweise  nicht  ganz  zustimmen,  so 
halten  wir  uns  bei  diesem  Argumente  nicht  weiter  auf. 

Aber  eine  andere  Erwägung  kann  —  ebenfalls  nur 
prima  vista  und  vorbereitend  — jener  Frage  entgegengehallen 
werden.  Kehmen  wir  an,  daß  irgendeine  Macht  den  „Preis" 
eines  Gutes  willkürlich  fixiere  und  zwar  so,  daß  er  nicht 
Biit  dem  Gleichgewichtspreise    zusammenfalle.    Auch  dann 


206  I>»  Problem  d«*  •tadsAen  OMabgeiriebtei. 

wird,  wenn  ftberfaaapt  au  diesem  Preis»  gsUwcbt  wird,  nach 
eiser  gewissen  Anaafal  tod  Tauschaktem  ein  Gtaichgewichts- 
zustand  cantreten.  Und  dieser  «itsprtckt  im  Simte  des 
froher  Gesagten  eWttfalls  einem  Maxirnnm.  Wir  kAaaen 
uns  TorBtel>eD ,  daß  dec  Preis  in  einer  fOr  alle  oder  einen 
Teil  der  Taaschendeo  b&cbat  nnTorteilhftfteD  Weise  iiiert 
sei  nad  doch  werden  wir  von  einem  „Maximam  der  Befriedi- 
gung" sprechen.  Hier  ist  es  klar,  daft  wir  diesen  Zwtaad 
nicht  als  ideal  betrachten  and  in  welchem  Smne  jenes 
„Maximum"  gmneint  ist:  Es  wird  jener  Grad  der  Bedarfsis- 
befriediginifr  erreicht,  der  bei  diesem  Preise  m&Klieli 
ist,  und  das  ist  nicht  mehr  als  seftstTerstAndltch,  und 
auch  nicht  mehr,  als  wir  früher  sagten,  nftmlicfa  die 
Chankterisiemng  des  RubeniBtMide&  Gewiss  ist  damit 
unser  Theorem  noch  nicht  gerettet,  da  noch  immer  die  Be- 
hauptung m&glich  wilre,  daß  der  Gleidigewiditspreis  ein 
größeres,  ein  absolutes  Maximum  der  Befriedignag  ge- 
statte. Aber  wir  sehen  nui  den  Punkt,  auf  wetdien  alles 
ankommt,  nämlich  die  Voraussetzungen,  unter  denen  das 
Zustandekommen  jenes  Maximnmzuslandes  behanptet  wird. 
Und  nun  die  Hauptsache. 

Betrachten  wir  zua&chst  ein  isoliertes  Wirtschaftsaubjekt. 
Seine  Wirtschaft  wird  einem  GteicbgewicbtsiOBtande  zn- 
Etrebeo,  in  dem  die  Grenzmengen  seiner  Gflter  ia  festem 
Verhältnisse  zaeinander  stehen  werden,  die  wir  in  unserem 
Sinne  ^Preise"  nennen  können.  Und  da  in  diesem  Zustande  keilte 
Tendenz  zu  einer  Änderung  besteht,  so  werden  wir  sagen, 
das  ein  Wertmaximum  vorliege.  Der  psychologische  Natienal- 
ökonom,  der  in  die  Seele  unseres  Subjektes  sehen  lu  ktaaen 
glaubt,  wird  konstatieren,  daß  dasselbe  seine  prodoktir«! 
Mittel  in  der  „ vorteil haftesten"  Weise  verteilt  und  die 
größtmöglichst«  Befriedigung  erzielt  habe.  Wir  wissen  nichts 
Näheres  tkber  dieses  Maximum,  das  nach  Rasse,  Kulturstufe. 
individueller  Anlage  verschieden  ist  und  auf  verschiedene 
Weise  erreicht  wird.  Die  Tatsache  aber,  daß  ein  Maximum 
%'ortiegt.  ist  sicher,  wenn  nicht  etwa  der  Wirtsehaft^lan 
miSlungen  ist:    Denn  sonst  wQrde  unser  Mann  seine   wirt- 


Yorfirageii  snr  Pveistheorie.  207 

schaflliehe  Lage  eben  zu  verändern  suchen.    Aber  ist  dieses 

Maximum  ein  „absolutes"'  ?    Wird  jene  Befriedigung  erreiekt^ 

welcher  das  IttdiTiduuiL  überhaupt  fkhig  ist  ?  Sieherlieh  nicht ; 

die  auf  der  Hand  liegende  Einschränkung  ist  in  den  Daten 

unseres  SystMKS  gegeben :  Sidberlich  wird  die  gröfltMögliche 

Befriedigung  erreM^,  aber  eben  nur  jene,  die  unter  den 

gegebenen  Verhältnissen  möglich  ist.     Diese  sind, 

wie   bekannt:    Äufiare  Natur,   Technik,  Güter  Vorräte  am 

Beginne   des   Wirtsclnftsprozesses    und    dergleichen    mehr. 

Alles  waa  unser  Theorem  fordert,  ist  also,  dafi  jedermann 

sich  setnem  Geschmacke  aadi  so  gut  einrichte,  als  es  die 

VerhältnisBe  gestatten.    Gewifi  ein  einwandfreier  Satz,  den 

wir  ahrigena  von  uuetem  speziellen  Standpunkte  aus  noch 

korrekter   und  einwandfreier  formulieren  könnten;.     Doch 

genug  davon:    Auch  die  gewöhnliche  Form  des  Maximum- 

titeoremes  enthält  in  diesem  Punkte  nachts  Falsches^  und  ich 

glaube  nicht,  dafi  über  denselben  eine  Meinuagsverschieden- 

heit  besteht.     Die  Sache  ist  für  den  Ökon<Hnen,  der  von 

unseren  erkenntnistheoretischen  Bedenken  frei  ist,  auch  bei 

dieser  Formulierung  klar,  ja  selbstverständlich. 

Die  Zweifel  beginnen  erst  in  der  Yerkehrswirtschaft. 
Sicherlich  trägt  jeder  Tauschakt,  der  ja  stets  durch  freie 
L^bereinkunft  zustandekommt^  auch  hier  zur  Erhöhung  der 
,.Befriediguag''  aller  Teile  bei,  sonst  käme  er  eben  nicht 
zustande.  Und  angehört  wird  —  der  Gleichgewichtszustand 
tritt  ein  — ,  weil  beide  sich  gegenüberstehende  Parteien 
glauben,  dafi  eine  Fortsetzung  des  Tauschens  ihnen  bei 
diesem  Pveiae  keinen  Vorteil  brächte  und  das  heifit,  dafi 
sie  allen  erreichbaren  Vorteil  erzielt  zu  haben  meinen,  dafi 
der  letztere  ein  Maximum  ist.  Aber  es  ist  nach  dem  Ge- 
sagten nicht  schwer,  den  wahren  Sinn  und  die  Grenzen 
dieses  Satzes  anzugeben,  worauf  jene  Zweifel  von  selbst 
versehwinden. 

Er  gilt  ja  nur  unter  auf  der  Hand  liegenden  Voraus- 
setzungen. Sicherlich  können  wir  auch  für  die  Verkehrs- 
wirtschaft sagen  —  unter  wohlbekannten  Reserven  — ,  dafi 
jedermann    sich,    unter    gegebenen    Verhältnissen,    in    ver- 


208  I^u  Problem  dea  «tatiaehen  OWekgewicbtM. 

sefaiedeoer  Weise  eiDiiehtea  kann,  welche  zu  verschied«) 
großen  „BefriedigODgen"  fahren,  und  unter  velefaeD  eben 
jene,  welche  dem  Gleichgewichtfznstande  entspricht,  zn  der 
größten  fohrt;  ebenso,  daß  im  allgemeinen  jedermann  sich 
unter  gegebenen  Verhältnissen  so  gnt  als  mt^lich  einzu- 
richten sucht  und  deshalb  eine  Tendenx  besteht,  jenen 
Gleichgewichtszustand  herbeizuführen.  Aber  welchen  Hinder- 
nissen begegnet  dieses  Streben  V  Vor  allem  natttriich  den- 
selben, wie  in  der  isolierten  Wirtschaft:  der  Begrenztheit 
der  nattirlicben  Möglichkeiten  —  das  wird  niemand  an- 
zweifeln wollen.  Sodann  aber  haben  wir  hier,  was  dort 
nicht  nötig  war,  eine  gegebene  soziale  Organisation  anzu- 
nehmen, und  dafi  auch  diese  eine  Voraussetzung  bildet,  in- 
bezug  auf  welche  unser  Theorem  verstanden  werden  muß, 
wurde  zwar  oft  nicht  hervorgehoben,  wird  aber,  wenigstens 
heute,  ebenfalls  nicht  bestritten  werden.  Doch  gibt  es  noch 
eine  dritte  Voraussetzung,  nftmlich  den  Preis,  den  Gleich- 
gewicbtspreia  selbst:  Ersichtlich  kann  jedermann  nur  jene 
Befriedigung  erreichen,  welche  bei  diesem  Preise  —  Tausch- 
verhftltnisse  —  möglich  ist. 

Das  nun  ist  weniger  allgemein  anerkannt.  Der  Grund 
daffir,  warum  der  Mehrzahl  der  Nationalökonomen  dieses 
Moment  zu  entgehen  scheint,  dttrfte  in  dem  Umstände 
liegen,  daß  ja  dieser  Preis,  ein  Produkt  des  allgemeinen 
Strebens  nach  dem  Maximum  der  Befriedigung,  gewisser- 
maßen die  Garantie  bietet,  daß  er  dasselbe  auch  ver- 
wirkliche. 

Darauf  laßt  sieh  jedoch  vor  alleoi  entgegnen,  daß  jeder- 
mann nur  nach  dem  Maximum  seiner  Befriedigung  strebt  — 
mitchen  wir  uns  fUr  den  Augenblick  diese  Betrachtungsweise 
zu  eigen,  welche,  wie  der  Leser  weiß,  nicht  völlig  die  unsere, 
wohl  aber  die  so  gut  wie  aller  anderen  Natiooalökonomen 
ist  ~  und  daher  das  Resultat  dieser  Einzelbestrebungen 
keineswegs  notwendig  das  für  alle  vorteilhafteste  sei. 
Man  ist  sich  nicht  darüber  klar,  daß  das  letztere  erst  eines 
besonderen  Beweises  bedurfte.  Aber  darauf  ließe  sich 
manches  antworten.    Gehen   wir  also  etwas  tiefer.    Wovon 


aK^^c«^ 


Vorfragen  mr  Preistheorie.  209 

hängt  jener  Preis  ab?  Gewifi  zum  Teile  von  den  „Bedürfhis- 
skaien*; aber  ebenso  gewifi  von  den  Gütermengen,  die  jeder- 
mann vor  dem  Tausche  besitzt  und  anzubieten  hat:  Die 
Grenznutzen,  aus  denen  die  Preise  sich  ergeben,  sind,  wie 
wir  wissen,  das  Resultat  sowohl  der  Wertfunktion  wie  der 
besessenen  Menge.  Und  da  sind  wir  bei  dem  sprin- 
genden Punkte:  Das  Maximum,  das  der  Gleichgewichts- 
zustand verwirklicht,  hängt  ab  von  der  vorherigen  Verteilung 
aller  Genufi-  wie  Produktionsgüter,  die  uns  gegeben  sein 
mufi;  nur  jenes  Maximum  kann  erreicht  werden,  das  auf 
Grund  derselben  durch  freien  Tausch  erzielt  werden  kann. 

Das  bringt  nun  sofort  Licht  in  gewisse  zweifelhafte 
Punkte,  auf  die  niemals  hinreichend  eingegangen  wurde, 
so  groB  die  Rolle  war,  die  sie  in  der  Diskussion  spielten. 
Ein  .Hungerlohn''  soll  eventuell  das  Maximum  der  Be- 
friedigung sein,  das  ein  Arbeiter  erreichen  kann?  Wenn 
ein  solcher  dem  Gleichgewichtszustande  entspricht,  so  soll  der 
Arbeiter  nie  auf  etwas  anderes  hoffen  dürfen  ?  Wie  oft  hat 
man  der  Theorie  das  entgegengehalten!  Aber  die  Antwort 
ist  einfach :  Gewifi,  durch  freien  Tausch  und  auf  Grund  der 
gegebenen  Güterverteilung  wird  unser  Arbeiter  nicht  mehr 
erlangen,  als  dem  Gleichgewichtszustande  entspricht  und  das, 
was  er  erlangt,  mag  es  ihn  auch  kaum  vor  dem  Verhungern 
schützen,  gibt  ihm  jenes  Maximum  der  Befriedigung,  ist 
das  Beste,  was  er  erreichen  kann  —  auf  diese  Art  und 
unter  jenen  Bedingungen.  Die  Behauptung,  welche 
man  so  oft  als  Unsinn  bezeichnete,  verliert  alles  Paradoxe. 
Freilich  wurde  oft  viel  mehr  damit  gemeint  und  jene  Be- 
dingtheit übersehen,  oft  gerade  dann,  wenn  wichtige  Schlüsse 
für  die  Praxis  daraus  gezogen  wurden:  Nun,  das  ist  un- 
haltbar und  jene  Schlüsse  sind  falsch  —  da  haben  die 
Gegner  Recht. 

Und  jeder  Eingriff  in  jenen  Gleichgewichtszustand  soll 
schädlich  sein  und  die  Gesamtbefriedigung  veriingem?  Die 
Antwort  lautet  bejahend  —  unter  jenen  Voraussetz- 
ungen: Wird  z.  B.,  ohne  dafi  sich  irgend  etwas  sonst 
ändert,  ohne  besonders,  dafi  eine  Entwicklung  irgendwelcher 

Sehumpeter,  KationftlOkonomie.  \^ 


210  I^  Problem  des  sUtiaclieu  GIdebgnrichtes. 

Art  dadurch  bervorgenifen  wird,  der  Preis  eines  Gutes  z.  B. 
durch  eiue  Taxe  Ober  den  Gleicbgewichtspreis  erhöht, 
so  ist  die  unmittelbare  wirtschaftliche  Folge  sicher  nur  die, 
daß  eine  Reihe  von  Tauschakten  verhindert  wird,  welche 
mit  Vorteil  abgeschloBsen  werden  köODten  und  es  Iftßt  sich 
exakt  zeigen,  daß  dieser  Nachteil  nnd  der,  welchen  die 
„Käufer",  welche  auch  zatn  hdberen  Preise  kaufen,  erleiden, 
gr&fier  ist,  als  der  Gewinn,  den  die  . Verkäufer*  an  der  doch 
und  mit  hfiberem  Gewinne  verkauften  Menge  erzielen.  In 
diesem  Sinne  ist  z.  B.  die  Fixierung  eines  Maximalarbeits- 
tages „schädlich".  Aber  derselbe  mag  eine  Notwendigkeit 
fQr  die  Entwicklung  der  Rasse  sein,  er  mag  zu  technischen 
Fortschritten  fuhren,  er  mag  bewirken,  daß  in  der  kürzeren 
Zeit  ebensoviel  und  mehr  geleistet  wird,  al»  in  der  längeren. 
Alles  das  widerspricht  dem  Maximumtheoreme  gar  nicht, 
wenn  man  es  nur  richtig  auffaßt.  Von  den  außerwirtschaft- 
licben  Momenten  sieht  es  ab  und  die  Entwicklungsmöglicb- 
keiten  betrachtet  es  nicht.  Man  kann  sagen,  daß  das  gerade 
die  entscheidenden  Punkte  sind  und  unser  Theorem  so  jede 
praktische  Bedeutung  verliert;  aber  das  sagen  wir  ja 
selbst,  und  worin  seine  theoretische  besteht,  haben  wir 
oben  auseinandergesetzt.  Wohl  kann  man  es  auch  anders 
begrttoden  z.  B.  durch  die  Hypothese,  daß  die  freie  Be- 
tätigung zur  höchsten  Leistung  fahre  usw.  und  dann  ge- 
winnt es  höhere  Bedeutung;  aber  dann  fällt  es  ans  dem 
Gebiete  der  Theorie  heraus,  welche  solche  Behauptungen 
weder  zu  begründen,  noch  für  ihre  eigenen  Resultate  weiter 
zu  verwerten  vermag. 

So  ist  auch  fQr  die  „Verkehrswirtschaft"  unser  Theorem 
.richtig",  sogar  im  Grunde  genommen  selbstverstAndlieb; 
man  kann  sagen,  daß  es  soweit  richtig  ist,  als 
es  selbstverständlich  ist.  Und  das  ist  denn  auch 
das  Resultat,  das  wir  auszusprechen  haben:  Man  vertraue 
der  Maximumtheorie,  soweit  sie  handgreiflich 
wahr  ist  und  nichts  besonders  Interessantes 
sagt  — ,  aber  man  mißtraue  ihr,  wo  sie  mehr  be- 
hauptet,   wo   sie   mehr   sein    will   als  eine   Be- 


Vorfragen  znt  Preiatlieorie.  211 

stimmangfigleicbuiig!  Wir  gewinnen  etwas  mit  dieser 
Erkenntnis,  so  melacctiolisch  sie  auch  klingt:  Sielehrtuns, 
das  das  Gebäude  der  Ökonomie  frei  ist  von  einem  Mangel, 
den  viele  fflr  tOtlich  hielten.  Und  wir  verziehten  mit  ihr  ' 
keineswegs  auf  viel;  Was  wQrde  es  notzen,  mit  einem  ein- 
gebildeten Beichtume  weiter  zu  wirtschaften?  All  die  Sozial- 
philosophie, die  auf  das  Masimumtheorem  aufgebaut  wurde, 
ist  ja  doch  wohl  wenig  wert. 

Wir  sind  am  Ende  unserer  Ausführungen;  nur  zwei 
Bemerkungen  wollen  wir  noch  machen. 

Zonftchst  sind  wir  nunmehr  imstande,  den  Unterschied 
zwischen  jenen  beiden  Auffassungen  des  Maximuiiitheoretneä 
ganz  scharf  zu  präzisieren.  Abgesehen  von  anderen  Vor- 
aussetzungen basiert  dasselbe  auf  der  Annahme  eines  be- 
stinunten  ursprünglichen  Verteilungszustandes  aller  GQter 
—  auch  der  Genu6gttter,  da,  wie  man  sich  leicht  überzeugt 
und  wie  auch  schon  ausgeführt  wurde,  die  Resultate  des 
WirtschaftBprozesses  selbst  bei  gegebenen  Mengen  und  ge- 
gebenem Verteilungszustande  der  Produktivgüter  noch  sehr 
verscbiedeiie  sein  können  je  nach  Art,  Menge  und  Verteilung 
der  an  seinem  Beginne  und  während  seines  Verlaufes  vor- 
handenen GenuSgüter.  Ob  aber  diese  Verteilung  selbst, 
welche  ein  Datum  unseres  Problemes  bildet,  wiederum  ihrer- 
seits unter  der  Herrschaft  irgendeiner  Maximumbedingung 
zustande  kam,  ist  eine  ganz  andere  Frage,  and  eine  weitere 
Frage  ist  dann,  welcher  Natur  dieselbe  ist,  wenn  vorhanden. 
Während  man  früher  nun  diese  beiden  verschiedenen  Maxi- 
-momprobleme  zusammenwarf  und  gelOst  zu  haben  glaubte, 
wenn  man  das  erstere  gelöst  batte,  so  scheiden  wir  sie 
streng  und  sehen  von  einer  Untersuchung  des  letzteren,  das 
in  die  Soziologie  und  Geschichte  hineinführt,  ab.  Wir 
glauben,  daß  diese  Scheidung  unsere  Kontro- 
verse löst  und  zu  klarer  Beurteilung  der  Argumente 
beider  Parteien  ausreicht.  Sie  macht  den  zum  Teile  geradezu 
lächerlichen  MiBverständuissen,  denen  die  Theorie  begegnete, 
und  den  zum  Teile  ebenso  lächerlichen  Prätensionen  mancher 
Theoretiker    ein    Ende    und    läfit    die    Demarkationslinie 


212  Du  Problem  dea  itaüaebea  GMehgowichtM. 

zwisehen  Becht  aod  Unrecht  auf  beiden  Seiten  kl&r  ber- 
vortreten. 

Endlieh  mu8  auf  einen  letzten  Ponkt  hingewieBen  verden : 
■-  es  ist  der  streng  statische  Charakter  anaerea  Theoreraes. 
Wir  haben  gesehen,  vas  es  alles  TOraossetzt,  am  richtig  zu 
sein,  und  speziell  hervorgehoben,  da6  es  bei  ErscheinuDgen 
der  Entwicklung  versagt,  als  wir  das  Beispiel  vom  Maximal- 
arbeitstage  erw&hnten.  Es  bat  seinen  Sinn  nur  im  statischen 
Systeme  und  auf  der  Basis  eines  in  allen  wesentlichen 
Punkten  feststehenden ,  nnverSnderlichen  wirtschaftlichen 
Zostandes.  Aber  verstehe  man  mich  recht.  Ich  behaupte 
nicht,  daß  ein  .dynamisches*  Gleichgewicht  onmftd^ich  sei. 
Vielmehr  ist  ein  solches  vielleicht  ebenfalls  durch  die  Tat- 
sachen gegeben,  was  wir  indessen  hier  nicht  weiter  ver- 
folgen wollen.  Nur  werden  seine  Bedingungen  andere  sein. 
Das  Maximumtheorem,  das  bisher  allein  wirklich  ausgear- 
beitet wurde  und  das  allein  fOr  die  reine  Theorie,  soweit 
sie  gegenwärtig  Anspruch  auf  allgemeine  Anerkennung  hat, 
nOtig  ist,  ist  essentiell  statisch.  Man  mag  sagen,  daB, 
wie  ein  „biologisches'  Gleichgewicht,  so  auch  eine  die  Ent- 
wicklung berocksichtigende  Fassung  des  Maximnmtheoremes 
der  Ökonomischen  Wirklichkeit  mehr  entspreche;  mag  sein; 
aber  wissenschaftlich  und  ffir  die  uns  hier  beschäftigenden 
Zwecke  kOnnen  wir  g^enw&rtig  mit  einem  solchen  wenig 
anfangen.  Tatsächlich  kommen  auch  die  Ansätze,  welche 
sich  diesbezQgltch  bei  manchen  Ökonomen  finden,  nicht  Ober 
die  Forderung  selbst  und  einige  Allgemeinheiten  hinaus. 
Da  es  unser  Grundsatz  ist,  wissenschaftliche  Instrumente 
nicht  eher  zu  schmieden,  als  bis  wir  ihrer  bedürfen  und 
uns  an  das  zu  halten,  was  wir  befriedigend  ausarbeiten 
k&nneu,  ohne  Phrasen  zu  machen,  welche  unvermeidliche 
Mängel  unserer  Methoden  verhallen  kSnnten,  ohne  sie  zu 
bessern,  so  beschränken  wir  uns  auf  das  Gesagte.  An  einer 
späteren  Stelle  wollen  wir  selbst  hervorheben,  wie  not- 
wendig ein  Mehr  hier  und  an  anderen  Punkten  wäre. 


II.  Kapitel. 

Das  Zarechnungsproblem  und  die  sich  daran  an- 
scIilieBenden  Fragen. 


{  1.  Ehe  wir  die  Ableitang  der  Freisrelationen  vor- 
führeo,  m&ssen  wir  einige  prinzipielle  Fragen  erledigCD, 
welche  wir  noch  nicht  genQgend  klargelegt  haben.  Wir 
sagten,  daß  „ein  Gürtel  von  Gleichungen"  den  wirtschaft- 
licheo  Machtbereich  eines  jeden  Wirtschaftssubjektes  begrenze 
uod  der  exakte  Ausdruck  desselben  sei.  Diese  Gleichungen 
sagen,  dafi  im  Systeme  Gleichgewicht  herrscht,  wenn  die 
TauschrelatioD  jedes  Gutes  zu  jedem  andern  gleich  sei  dem 
reziproken  Werte  ihres  Grenznutzenverhältnisses.  Ist  das 
der  Fall,  so  wird  keine  Tendenz  bestehen,  die  Tauschrelationen 
und  jenen  Zustand  der  Gütermengen,  der  sich  unter  ihrer 
Herrschaft  herausstellt,  zu  ändern.  Jede  dieser  Gleichungen 
sieht  etwa  so  aus: 

Grenznutzen  des  Gutfis  A  _ 

Grenznutzen  des  Gutes  B  ~ 
1 


Tau8chre!ation  oder  Preis  von  B  in  A' 
Sei  also  der  Preis  des  Gutes  A,  ausgedruckt  in  Einheiten 
des  Gstes  B  z.  B.  gleich  drei,  sei  also  jemand  geneigt,  auf 
einem  Markte  Einheiten  des  Gutes  A  um  je  drei  Einheiten 
des  Gutes  B  zu  kaufen,  aber  nicht  um  mehr,  oder  ein 
isolierter  Wirt  geneigt,  je  drei  Einheiten  des  Gutes  B  für 
die  Erlangung  (also  Produktion)  von  je  einer  Einheit  des 
Gutes  ^  aufzuwenden  aber  nicht  mehr,  so  ist  das  obige 


214  I^  Problem  dea  aUtischen  älöehgewichtw. 

GrenzDutzenverMltois  gleich  drei.  Popul&r  ausgedrOekt, 
besagen  diese  Gleichungen  nur,  daß  jedermaim  so- 
lange  produziere  oder  soviel  von  einem  Gute  eintausche, 
als  ihm  vorteilhaft  scheint.  Und  da  darin  sich  eben  alt 
sein  Wirtschaften  ausdrOekt,  so  sagten  wir,  daß  jene 
Gleich ungssysteme  dasselbe  charakterisieren  und  sein  exakt- 
wissenschaftliches Spiegelbild  darstellen.  Sie  sind  Kern 
und  Grundstein  der  reinen  Ökonomie,  ihr  alpha  und  omega, 
enthalten  die  ganze  reine  Theorie  in  nuce. 

Nehmen  wir  nun  an  unserer  Gleichung  eine  einfache 
Umformung  vor:  multiplizieren  wir  beide  Seiten  derselben 
mit  dem  Nenner  der  linken.    Wir  haben  dann: 
Grenznutzen  des  Gutes  Ä  =  Grenznutzeo  des  Gutes  B  X 

1 

Preis  von  S  in  A' 
Nehmen  wir  für  den  Augenblick  den  Gleichgewichtspreis  — 
sei  er  wiederum  drei  Einheiten  von  B  ffir  eine  Einheit 
von  A  —  als  festgegeben  an,  was  er  natürlich  sonst  nicht 
ist,  so  ergäbe  sich,  dafi  der  Grenznutzen  des  Gutes  £  gleich 
ist  einem  Drittel  des  Grenznutzens  des  Gutes  A.  Das 
wirtschaftliche  Handeln  des  Individuums  oder,  korrekter, 
die  Veränderungen,  die  wir  in  den  Mengen  der  beiden 
Güter  wahrnehmen,  sind  also  beschrieben  durch  eine  Gleichung 
zwischen  den  Grenznutzen  derselben.  Wiederum  populär 
gesprochen,  unser  Wirtschaftssubjekt  wird  sich  so  verhalten, 
solche  Tauschakte  vorzunehmen,  daß  es  ihm  schließlich 
gleichgiltig  ist,  ob  es  noch  eine  weitere  Einheit  von  A  mit 
der  Aufwendung  von  drei  Einheiten  von  B  erwirbt  oder 
diese  letzteren  behalt.  Es  kostet  ihm  moralisch  gleichviel, 
auf  eine  weitere  Einheit  von  A  wie  auf  weitere  drei  Ein- 
heiten von  B  zu  verzichten  —  und  daher  macht  es  Schluß 
mit  den  Tauschakten.  Wenn  man  „tauscht",  gibt  man  eisen 
Wert  für  den  andern  auf  und  zwar  ebenso  bei  der  Produktion 
wie  beim  verkehrswirtschaftlichen  Tausche.  Will  mau  aus- 
drucken, daß  man  das  Gut  A  besitze  und  auf  einen  Teil 
desselben  verzichten  müsse,  um  von  dem  Gute  S  etwas  zu 


Das  ZarechnangBproblem  usw.  215 

erwerben  and  zu  geniefien,  so  kann  man  das  tun,  indem 
man  sagt,  dafi  das  erstere  oder  richtiger,  sein  Wert  die 
Kosten  des  letzteren  bilden.  Diese  Ausdrucksweise 
gibt  an,  welches  von  beiden  Gütern  das  ist,  auf  das  man 
verziehtet.  Aber  sonst  nichts,  und  streng  genommen 
kann  man  das  Umgekehrte  sagen.  So  kann  man  denn 
unsere  umgeformte  Gleichung  auch  so  ausdrücken: 

Grenznutzen  des  Gutes  A  =  Grenzkosten  des  Gutes  A. 

Das  ist  nun  jene  Form  unserer  Gleichung,  in  der  sie  zuerst 
aufgestellt  wurde.  Bekanntlich  hat  man  sie  nicht  in  der 
vorgeführten  Weise  abgeleitet,  sondern  direkt  auf  Grund 
augenfälliger  Beobachtungen  aufgestellt  und  ganz  anders 
interpretiert.  Ganz  andere  Auffassungsweisen  und  Ge- 
dankenriehtungen knüpften  sich  an  sie  und  als  die  neue 
Werttheorie  auftrat,  sah  es  so  aus,  wie  wenn  dieselbe  eine 
andere  Definition  des  Gleichgewichtspreises  aufstellen  wollte. 
Das  ist  jedoch,  wie  wir  eben  sahen,  nicht  richtig :  Nur  in 
der  Interpretation  kann  der  Unterschied  liegen.  Die 
Gleichung  zwischen  Grenznutzen  und  Grenzkosten  selbst, 
mithin  wechselseitige  Abhängigkeit  zwischen  beiden  Mo- 
menten, muß  sicherlich  von  beiden  sich  gegenüberstehenden 
Parteien  anerkannt  werden,  denn  auch  die  neuere  Preis- 
ableitung führt  auf  sie. 

Das  ist  es  nun,  was  wir  hier  weiter  ausführen  wollen, 
um  dann  noch  über  die  verschiedenen  möglichen  Inter- 
pretationen einige  W^orte  zu  sagen.  Auch  wir  also  wollen  für 
jetzt  auf  unsere  Ableitung  vergessen  und  diese  Gleichung  an 
sich  betrachten,  was  wiederum  in  die  Kostendiskussion  hinein- 
führt. Man  sieht,  dafi  jene  Ökonomen  Unrecht  haben, 
welche  diese  Kontroverse  heute  perhorreszieren  und  der 
Mühe  nicht  für  wert  halten.  Gegen  die  Art,  wie  sie  ge- 
führt wurde,  ist  gewifi  manches  einzuwenden,  fundamental 
aber  ist  sie  jedenfalls.  Wir  selbst  suchen  sie  nicht  und 
wollen  sie  nirgends  ex  professo  behandeln,  aber  immer 
kommt  sie  in  unseren  Weg,  wir  stolpern  sozusagen  alle 
Augenblicke  darüber. 


21(}  Das  Problem  det  lUtiMbrni  Glticbgewichtet. 

MuD,  was  sagt  uosere  Gleichung  Orenikoaten  =  Grenz* 
nutzen  eigentlich,  wenn  vir  sie  n&her  betrachten?  WaB  soll 
me  leisten?  Die  Antwort  auf  diese  Fragen  dürfen  wir  nicht 
in  klaren  AussprOchen  oder  io  allgemeinen  Erörterungen 
der  Nationalökonomen  suchen-  Selten  sagt  man  gaoi  deut- 
lich, was  man  und  warum  man  es  tut,  )a.  ich  glaube,  daS 
man  sich  darOber  auch  meist  gar  nicht  im  klaren  ist  Wir 
uiDssen  vielmehr  auf  das  sehen,  was  tats&chlicb  erreicht 
wird  und  uns  fragen,  was  zur  Erreichung  der  konkreten 
Resultate  nOtig  ist.  Das  glaube  ich  bereits  getan  zu  haben 
und  kann  hier  kurz  sein.  Sagen  wir  also,  der  Zweck  der 
reinen  Theorie  sei,  die  „reinwirtschaftlichen*  Vorginge  zn 
beschreiben  und  daher  vor  allem  jenen  Zustand  der  Wirt- 
schaft zu  untersuchen,  den  dieselben  von  selbst  herbeizu- 
führen tendieren,  den  Gleichgewichtszustand.  Dieser  ist, 
wie  wir  wissen,  definiert  und  charakterisiert  dadurch,  dafl, 
wenn  er  besteht,  keine  Tendenz  zu  einer  weiteren  Änderung 
vorhanden  ist.  Nun,  nehmen  wir  einen  Produzenten  in  einer 
Verkehrswirtschaft  und  halten  wir  uns  an  die  Beobachtungen 
und  die  Ausdrucksweise  des  Alltages.  Wann  wird  fQr  den 
Mann  „keine  Tendenz"  vorliegen,  Veränderungen  vorzu- 
nehmen, das  heißt  weiter  zu  produzieren?  Wenn  der  Erl&s, 
den  er  vom  Verkaufe  weiterer  Produkte  erwarten  kann, 
keinen  Überschuß  über  die  Kosten  mehr  aufweist,  welche 
diese  weitere  Produktion  verursachte,  das  heiSt,  wenn  der 
Grenzerlös  gleich  den  Grenzkosten  ist.  Und  da  haben  wir 
denn  den  Ursprung  unserer  Gleichung.  Aber  man  kann 
die  Sache  noch  allgemeiner  fassen.  Auf  jene  Fassung  könnt« 
man  ja  entgegnen,  daS  aus  verschiedenen  wirtschaftlichen 
und  außer  wirtschaftlichen  Gründen  sowohl  mehr  wie  weniger 
produziert  werden  kann.  Außerdem  paßt  sie  nur  auf  die 
Verkehrswirtschaft.  Sagen  wir  also  einfach,  der  Gleich- 
gewichtszustand ist  jener,  wo  die  auf  weiteren  Erwerb  eines 
Gutes  —  sei  es  nun  „Geld"  oder  ein  anderes  —  hinar- 
beitenden Tendenzen  jenen  die  Wage  halten,  welche  in 
entgegengesetzter  Richtung  wirken.  Das  nun  drückt  unsere 
Gleichung  aus,  das  ist   ihr  eigentlichster  Inhalt.     Da6  eine 


Du  ZorechiuingBproblem  tuw.  217 

solche  Gleiefaimg  avigeatellt  werden  kano,  ist  unzweifelhaft, 
sagt  sie  ja  doch  nur  eine  SelbstTerstandlichkeit.  Wir  sehen 
also,  dafi  onsera  Gleichung  an  eich  ganz  unabhängig  davon 
ist,  wie  wir  diese  .EinfloSBe"  oder  „KrAfte",  deren  Gleieh- 
gewidit  sie  aussagt,  nennen.  Ja  auch  einen  Maximam- 
tmtand  derselben  stellt  sie  immer  dar,  wie  wir  dasfrOher 
imeinaoderBetzten.  Das  hat  nichts  AnfOüliges,  wenn  man 
<icb  gegenwSrtig  hftlt,  daß  darin  ja  nur  die  Eonsequenz 
eioer  mathematiBchen  Regel,  als  ein  ganz  formales  Moment 
liegt. 

Zun&cbBt  befinden  wir  uns  daher  nicht  auf  kontroversem 
Grunde.  Wir  wollen  die  Existenz  eines  Gleichgewichts- 
tnsUndes  cum  Ausdrucke  bringen,  die  von  allen  Theoretikern 
uerkannt  wird.    Das  kann  man  ganz  formal  tun,  ohne  eich 

I  UlKr  die  Natur  jener  „Kräfte",  die  ihn  herbeiführen,  Ge- 
danken zu  machen.  Wir  haben  ausgefahrt,  daS  die  Be- 
Khreibung  des  ökonomischen  Gleichgewichtes  und  jener 
Bewegungen  in  den  ökonomischen  Quantitäten,  welche  zu 
ihm  fahren,  unser  Ziel  ist  und  daß  wir  dazu  gewisse  formale 
Funktionen,  seien  sie  nun  Wertakalen  oder  sonst  etwas, 
aufitellen  mQsseo.  Das  Entscheidende  ist  ihre  Form;  ist 
■OBu  über  dieselbe  einig,  so  wird  mau  zu  den  gleichen 
ßesnltaten  gelangen.  Soweit  das  der  Fall  ist,  liegt  wenig 
Aul&fi  vor,  sich  Ober  ihre  Natur  zu  ereifern.  Und  das 
ist  bis  zu  einem  gewissen  Grade  der  Fall  in  unserer  Theorie. 
Man    verlangt    nur    wenige    Formcharaktere    von    unseren 

f    Funktionen  und  Ober  dieselben  kann  kein  Zweifel  bestehen. 

I  Daher  kommt  es,  dafi  die  konkreten  Resultate  des  „Wert- 
Iheoretikers"  so  wenig  von  denen  des  „Kostentheoretikers" 
differieren  und  ihr  exakter  Ausdruck  oft  identisch  ist.  Hat 
man  die  Wahrheit  begriffen,  dag  das  Wesen  jeder  exakten 
Disziplin  in  Beschreibung  von  Vorgängen  auf  Grund  formaler 
Annahmen  besteht  und  ist  man  sich  bewußt,  daß  die 
letzteren  nur  metbodieche  Hilfsmittel  sind,  die  ihr  Dasein 
unserer  W^illkOr  verdanken,  so  wird  man  in  dem  Gesagton 
nichts  Befremdendes  sehen. 

MiBt  man  beide  Seiten   unfierer  Gleichung   mit  einem 


218  ^^  Problem  des  statischeo  Oleichgewiehtea. 

gemeiDBamen  Maße  z.  B.  in  Geld,  was  ja  notwendig  ist,  so 
ergibt  sich  ein  Aasdruck,  den  unter  gewissen  Beserven 
jedermann  anerkennt,  und  für  sein  Bestehen  ist  es  gleich- 
gültig, „aus  was"  der  Grenzerlös  und  die  Grenzkostea 
zusammengesetzt  sind.  Ebenso  weiß  man,  daß  je  grOßer 
die  produzierte  Menge  wird,  deeto  mehr  der  Grenzerlfls 
sinkt  und  die  Grenzkosten  steigen  und  das  reicht  aus,  um 
in  der  bekaunteu  Weise  beide  Momente  durch  zwei  sich 
schneidende  Kurven  darzustellen  und  eioe  ganze  Reibe  von 
Preisbewegungen  zu  erfassen.  Freilich  ist  das  alles  nicht 
so  einfach,  wie  es  aussieht  und  bei  näherem  Zusehen  bietet 
sich  uns  eine  ganze  Menge  von  nicht  wenig  komplizierten 
Fragen  dar.  Aber  doch  liegt  eine  wichtige  Wahrheit  darin, 
welche  nicht  nur  viele  —  unzählige  —  Erfahrungen  des 
täglichen  Lebens  zum  Ausdrucke  bringt,  sondern  auch  for 
viele  theoretische  Resultate  ausreicht.  Fragt  mau  z.  B. 
Dach  der  Wirkung  einer  auf  die  Einheit  eines  Gutes  ge- 
legten Steuer  auf  den  Preis  desselben,  so  hat  man  ihren 
Betrag  einfach  seinen  Einheitskosten  zuzuschlagen  und  zu 
beobachten,  wie  sich  das  Gleichgewicht  infolgedessen  ver- 
schiebt Und  das  Resultat  ist  unabh&ngig  davon,  was  jene 
Einheitskosten  „sind".  Mit  Recht  geht  der  Nationalökonoai, 
der  sich  mit  einer  solchen  Frage  beschäftigt,  nicht  auf  das 
Problem  von  Wert  und  Kosten  ein. 

Und  doch  müssen  wir  das  mitunter  tun.  Vor  allem 
ist  das  geboten  mit  Rücksicht  auf  die  Zukunft  unserer 
\\'i3senschaft :  Wenn  man  später,  um  zu  kompliziertereu  und 
konkreteren  Resultaten  zu  kommen,  mehr  Formcbaraktere 
unserer  Kurven  brauchen  und  besonders,  wenn  man  zu 
wirklich  rechnendeD  Verfahren  auf  Grund  unserer  Theorie 
vorgehen  wird,  dann  ist  die  Frage  sehr  entscheidead.  ob 
wir  mit  jenen  auskommen,  welche  wir  Wertfuaktionen 
nannten,  oder  noch  andere  konstruieren  mltssen.  Sodann 
aber  ist  die  Kostenkoutroverse  für  die  UntersuehoDg  aller 
Wechselbeziehungen  zwischen  den  Mengen  aller  Güter 
essentiell  und  namentlich  für  die  Verteilungstheorie,  derea 


Dm  ZnrecbniiDgaprobleiD  naw.  219 

ganzer  Ban  davon  abbftngt,  wie  im  ersten  Teile  dieser  Arbeit 
bereits  auBgefOhrt  wurde. 

§  2.  Was  siad  also  die  Momente,  welche  die  beiden 
Kurven,  die  man  bekanntlich  die  Angebot»-  und  die  Naeh- 
fragekurre  nennt,  bestimmen  —  was  bedeuten  die  beiden 
Glieder  unserer  Gleichung? 

Über  die  Nachfragekurve  und  die  auf  der  linken  Seite 
unserer  Gleichung  stehende  Greldsumme  besteht  keine 
MeinuDgsverBcbiedenbeit.  Die  Nachfragekurre  ist  einfach 
die  Wertfunktion  ^  und  der  Grenzerlös  miSt  einen  Grenz- 
nutzen. Auch  die  Klassiker  hätten  das  nicht  bestritten, 
haben  es  zwar  nicht  so  deutlich  ausgeBprocben,  wie  die 
Modernen,  aber  jedenfalls  gemeint.  Und  das  heute  so 
häufige  Dictum,  daB  sie  es  nur  deshalb  nicht  ausspracheD, 
weil  es  ihnen  selbstverBtändlich  schien,  gibt  uns  —  richtig 
oder  nicht  —  jedenfalls  das  Recht,  die  Sache  als  res  judicata 
zu  betrachten  und  von  weiterem  Eingehen  abzuseheo. 

Aber  was  sind  die  Kosten  ?  Welches  sind  die  Momente, 
die  die  Angebotskurve  versinDÜcht?  Darüber  sind  ver- 
schiedene Ansichten  möglich.  Die  entscheidende  Differenz 
ist  die  folgende:  Die  Geldsumme,  welche  auf  der  rechten 
Seite  unserer  Gleichung  steht,  ist  sicherlich  ein  Äquivalent 
fQr  irgend  etwas.  Und  zwar  entweder  fOr  die  Werte  auf- 
gewandter Güter  oder  für  eine  Aufwendung  anderer  Art. 
Im  ersten  Falle  haben  wir  nur  ein  Prinzip  für  die  Er- 
klärung des  Preises  vor  uns,  im  letzteren  zwei  unabhängige. 


'  IndMBen  kOnnte  maa  cwischeD  beiden  die  folgende  Unter- 
•cheidang  machen,  die  vielleicht  nicht  unpraktiacb  w&re:  Die  Wert- 
fouktion  konnte  ohne  RQckeicbt  auf  die  Variationen  in  der  Schäteung 
de«  Gate«,  deaaen  Grenznntzeo  die  HaSeinfaeit  abgibt,  konstruiert 
werden,  an  lediglich  die  Wert*kala  des  betrachteten  Gutes  rein 
dan  US  teilen.  Die  Nachfragefunktion  könnte  diese  Variationen  mit 
begreifen,  bo  daB  sie  auch  zum  Ausdrucke  brächte,  wie  das  größere 
Opfer  an  dem  Preisgnte,  daB  infolge  von  Kauf  gröBerer  Mengen  des 
erateren  oder  infolge  von  höheren  Preisen  deMelben  nötig  ist,  die 
Nachfrage  beeinflufit. 


220  I^  Problem  dw  •Utüeh«)  CHdcfcgmri^tas. 

Ersteres  ist  die  Antwort  der  gGreDXDutzen-",  letiteres  die 
der  „Kostentheoretiker". 

Was  iBt  nun  dieses  selbständige  Prinzip  der  Kosten? 
Bekanntlich  antwortet  man:  ArbeitsmQhe  und  Gennfianfaebub. 
Die  Preise,  aus  denen  die  Kostensumme  besteht,  sollen 
Äquivalente  sein  nicht  fOr  Gaterwerte ,  Boodem  für  die 
MQhe,  welche  die  Produktion  dieBer  Güter  verursacht. 

Fttr  uns  entsteht  nun  die  Frage,  welche  von  beiden 
Betrachtungsweisen  wir  wählen  sollen.  Wir  stehen  hier 
vor  dem  Kernpunkte  der  Wertkoutroverse.  Unsere  frObeien 
Erörterungen  darüber  haben  hofiimtlich  einen  Teil  derselben 
aufgehellt  und  gezeigt,  was  von  einer  Gruppe  der  vor- 
gebrachten  Argumente  zu  halten  ist.  Ihre  hauptsächliche 
Frucht  ist,  daB  wir  nun,  nachdem  wir  zwischen  Gesamtwert 
und  Wertfunktion  unterscheiden  können  und  Sinn ,  Aus- 
gangspunkt und  methodologische  Bedeutung  der  Kontroverse 
verstehen,  von  einer  präziseren  Fragestellui^  aoagefaen 
können  und  die  ganze  Angelegenheit  an  dem  nnseres  Er- 
achtens  springenden  Punkte  konzentriert  haben.  Dabei  haben 
wir  auch  unsere  Bereitwilligkeit  gezeigt,  der  Bedeutung 
der  Kostentbeorie  des  Preises  in  der  Entwicklung  unserer 
Wissenschaft  und  ihrer  relativen  Berechtigung  Gerechtigkeit 
widerfahren  zu  lassen  und  dem  Standpunkte  der  Kosten- 
theoretiker  auch  sonst  manche  Konzessionen  zu  machen. 
Aber  noch  erObrigt  die  Hauptsache.  Nicht  immer  im  Ver- 
laufe der  Diskussion  stand  jedoch  das,  was  wir  fOr  die 
Hauptsache  erklären,  nämlich  die  Entscheidung  Qber  die 
Theorie  der  ArbeitsmQhe  und  des  GenuSaufschubes  im 
Zentrum  des  Interesses,  vor  allem  nicht  in  den  froheren 
Stadien  der  Kontroverse.  Wohl  aber  ist  das  heute  der 
Fall.  Wir  sind  uns  bewußt  —  und  hier  stimmen  wir  voll- 
kommen mit  v.  Boehm-Bawerk  Qberein  — ,  daB  früher  die 
Kostentheorie  einen  anderen  Sinn  hatte  und  die  moderiK 
Form  derselben  —  nennen  wir  dieselbe  die  Theorie  der 
„Disutility"  —  nicht  die  der  Klassiker  war,  wenn  auch  die 
Vertreter  der  DisuUlitytheorie  die  Unterschiede  la  ver- 
wischen und  den  Klassikern  ihre  neue  Auffassung  la  inpa- 


Das  Zurechnung9j)roblein  usw.  22'^ 

ileii  wissenschaftlichen  Gedankengang  eingeführt  werden  soll. 
VVorin   also   besteht   diese   „Mühe   und  Anstrengung"?    In 
Arbeit?    Das  liegt  in  der  Tat  am  nächsten.   Aber  die  Ein- 
wendungen gegen  diese  Auffassung  sind  zu  klar,  als  daß 
man  viel  Lu9t  auf  dieselbe  gehabt  hätte.    Vor  allem  würde 
die  Analyse  der  Kostengüter  nie  bloß  auf  Arbeit  zurück- 
fQbren  —  sondern  wenigstens  auch  auf  Boden,  was  ganz 
fatal  für  diese  Theorie  wäre  —  und  sodann  entstünde  die 
Frage,  ob  wirklich  die  mit  der  Arbeit  verbundene  Unlust 
das  entscheidende  Moment  wäre  oder  nicht  vielleicht  deren 
Wert,  welch'  letztere  Eventualität  die  Notwendigkeit  einer 
Kapitulation  vor  der  Grenznutzentheorie  in  gefährliche  Nähe 
locken    würde.    Ob    man    derselben   entgeht,   werden  wir 
Beben;  jedenfalls  versuchte  man  es.    Zwar  bietet  das  Bei- 
spiel der  sozialistischen  Werttheorie  noch  einen  Stützpunkt, 
^hr  dieselbe  lag  doch  nicht  im  Sinne  jener  Theoretiker. 
Sie  antworteten  vielmehr,  das  Moment  des  „toil  and  trouble'' 
bestehe  in  Arbeitsmühe  und  in  Opfern,  in  effort  and  sacrifice. 
Diese  Formel  nun  ist  recht  unglücklich,  denn  was  heißt 
•Opfer''?    Doch  nichts   anderes  als   Aufgabe  von  Gütern 
«um  Zwecke  der  Erwerbung  anderer.    Und  die  Größe  des 
Opfers    kann    nur    im    Wert  jener     in    Produktion    oder 
Tausch  aufzugebenden  Gütern  bestehen.    Hätten    sie    nicht 
irgendwelchen  Wert,  so  wäre  ihre   Aufgabe  kein  „Opfer", 
und  nur  insofern  ist  sie  es,  als  sie  einen  solchen  haben. 
Alles  was  man  durch  jenen  Ausdruck  erreicht,  ist  also,  daß 
nuui  aus  dem  Komplexe  von  Kostengütern  eines,  nämlich 
die  Arbeit,  abspaltet  und  erklärt,  daß  für  sie  nicht  ihr 
Wert,  sondern  die  mit  ihrer  Aufwendung  verbundene  Unlust 
in  Betracht  komme.    Darüber   später.    Hier  noch  einiges 
fiber  das  Moment  des  „sacrifice".    Will  man  jene  Sackgasse 
vermeiden,  so  muß  auch  für  die  aufzugebenden  Güter  ein 
Ersatz  für  den  Moment  des  Wertes  gesucht  werden.   Sie  in 
Arbeit  aufzulösen,  geht,  wie  gesagt,  nicht  an.    So  kam 
man  denn  auf  den  Genußaufschub,  waiting  oder  abstinence, 
and  beeilte  sich,  dieses  Moment  dem  der  Arbeitsmühe  hinzu- 
zufügen.   Obgleich  es  nicht  neu  ist  —  es  stammt  bekannt- 


224  I^B  Problem  des  atatiwben  Gln«hg«wiehtM. 

lieh  von  Senior  — ,  so  var  es  doch  neu  in  diesem  Zusammen- 
hange,  und  seine  EinfDhrung  wird  in  der  engltscben  Theorie 
oft  als  ein  Fortschritt  gegenttber  der  älteren  Auffassung 
bezeichnet,  ah  eine  notwendige  Korrektur  der  älteren  Dis- 
utilitytheorie,  welche  nur  auf  die  Arbeitsmafae  Gewicht  legte. 
Das  ist  es  auch:  die  Erkenntnis,  daß  dieses  Moment  nicht 
ausreicht,  eine  zu  schmale  Basis  far  die  Kostenerscheinung 
ist,  ist  sicherlich  ein  Gewinn.  Aber  was  ist  von  diesem 
Instrumente  an  sich  zu  halten?  Man  lOst  die  GenuBgtlter 
in  Arbeit,  Boden  und  „Kapital"  auf  —  unsere  prinzipiellen 
Einwendungen  gegen  diese  Operation  nbergehen  wir  hier  — 
und  konstruiert  das  Angehot  an  GenuBgfitem  aus  diesen  drei 
Elementen.  Der  Begriff  sacrilice  oder  waiting  —  beide 
kommen  auf  dasselbe  hinaus,  wenn  man  nicht  vermittelst 
des  ersteren  in  die  Grenznutzentheorie  hineingeraten  will  — 
steht  also  an  Stelle  des  Wertes  von  Boden  und  „Kapital" 
oder  nur  von  „Kapital",  wenn  man  den  Boden  mittelst  der 
klassischen  Bententbeorie  ausschaltet.  Und  was  damit  ge- 
sagt  wird,  ist,  daß  nicht  der  Wert  der  das  „Kapital"  bilden- 
den ProduktivgOter  fttr  die  Preisbildung  der  GenußgOter 
entscheidend  sei,  sondern  die  Größe  des  ITnlustgefQhles, 
welche  es  dem  Kapitalbesitzer  bereitet,  sein  „Kapital  pro- 
duktiv arbeiten"  zu  lassen,  anstatt  es  sofort  zu  konsumieren 
oder  besser,  daß  der  Wert  der  KapitalgOter  eben  auf  diesem 
UnlustgefQhle  basiere.  Aber  worin  besteht  denn  dieses 
letztere?  Doch  nur  in  der  „Unlust",  welche  die  Aufgabe 
einer  Befriedigung  verursacht,  und  die  GrOfie  derselben  ist 
geradezu  detinitionsmfißig  nichts  anderes,  als  der  Wert  der 
Gttter,  deren  Genuß  „aufgeschoben"  wird.  Mithin  sind  wir 
wiederum  bei  einer  Werterscheinung  angelangt,  und  dieser 
Einwand  scheint  uns  so  schlagend,  daß  wir  eine  Reihe  an- 
derer übergehen,  welche  sich  gegen  diese  Auffassung  vei^ 
wenden  lassen.  Mit  jener  dualistischen  Disutility  ist  et 
also  nicht».  Kann  mnn  mit  dem  Momente  der  Ar- 
heitsmOhe  nicht  auskommen,  so  wird  man  kein« 
Rettung  im  Momente  des  Genußaufechubes  finden;  dasselb« 
ist  lediglich  ein  anderer  Ausdruck  für  eine  Werteracheinmit  / 
Und  e/flges(andenermaßea  Vtaua  man  es  nicht  I 


Du  ZürechnnagiprobleDi  now.  225 

Gehen  wir  nun  zu  unserer  zweiten  Frage  Ober.  Was 
soll  die  Disutilitytheorie  leisten?  Die  Antwort  kann  keine 
udere  sein,  als  die :  sie  soll  die  Gestalt  der  Angebotskurve 
erklSren.  Wir  brauchen  eine  Angebotskurve,  welche  erstens 
for  tinsere  Zwecke  brauchbar  sein  muß  und  zweitens  nie 
mit  den  Tatsachen  kollidieren  darf.  Das  ist  alles  und  das 
beifit,  wie  man  sich  bei  näherer  Überlegung  Qberzeugt, 
noch  nicht,  dafi  ihr  selbst  etwas  in  der  Wirklichkeit  ent- 
sprechen, sondern  bloS,  daS  sie  gewisse  Formcharaktere 
haben  muS.  Dasselbe  lägt  sich,  wie  früher  erörtert  wurde, 
von  der  Nachfragefunktion  sagen:  ihre  psychologische  Be- 
grflndnng  dient  nur  dazu,  solche  Formcharaktere  festzustellen 
nod  gewisse  wirtschaftliche  Erscheinungen,  mit  denen  wir  uns 
eben  nicht  in  diesem  Zusammen- 
hange befassen  wollen ,  auszu- 
ficbeiden.  Wurde  z.  B.  far  ein 
Gut,  wenn  seine  Menge  eine 
gewisse  Größe  erreicht  hat,  eine 
neue  Verwendung  möglich,  was 
sieh  darin  äußert,  daß  sein  Wert 
nun  plötzlich  grOfier  wird,  statt  ^ 
abzunehmen,  so  wOrde  die  Nach- 
fragekurve nicht  mehr  sinken,  sondern  steigen.  Dann  aber 
könnte  es  geschehen,  daß  sie  sich  mit  der  Angebotskurve 
flberhanpt  nicht  sehneidet  und  sich  kein  Gleichgewichts- 
rastand oder  sogar  mehrere  ergeben.  Soll  das  nicht  ge- 
schehen, so  muß  diese  Möglichkeit  ausgeschlossen  werden 
und  dazu  eignet  sich  eben  jenes  psychologische  Gesetz.  Ganz 
Ibniich  liegt  die  Sache  bei  der  Angebotsfunktion.  Sie  muß 
die  entgegengesetzten  Formcharaktere  zeigen ,  nftmlich  mit 
dem  Preise  und  der  vorhandenen  Menge  eines  Gutes  steigen 
tns  dem  doppelten  Grunde,  weil  das  nötig  ist,  um  den 
Schnitt  mit  der  Nachfragekurve  und  so  das  Bild  des  Gleich- 
gewichtszustandes sicherzustellen  und  sodann,  am  jene  wirt- 
Klitftlichen  Tatsachen  des  Stetgens  des  Angebotes  unter  den 
Enannten  Bedingungen  zum  Ausdrucke  zu  bringen.  Sehen 
•ir  nas  die  Sache  an  (siehe  obige  Figur): 


226  ^^  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

Tragen  wir  alle  möglichen  Preise  eines  Gutes  auf  der 
Ordinatenachse  eines  rechtwinkligen  Coordinatensystemes  auf 
und  die  Mengen  desselben,  welche  zu  diesen  Preisen  angeboten 
und  verlangt  werden,  auf  der  Abszissenachse,  so  ergibt  sich  eine 
„Nachfragekurve"  von  der  Gestalt  MN  und  eine  „Angebots- 
kurve" von  der  Gestalt  PS.  Der  Schnittpunkt  -B  gibt  den  Gleich- 
gewichtszustand,  RQ  versinnlicht  den  Gleichgewiehtspreis 
und  OQ  die  zu  diesem  Preise  umgesetzte  Menge.  Keine 
der  beiden  Kurven  darf  Umkehrpunkte  haben,  wenn  unser 
einfaches  Bild  nicht  getrQbt  werden  soll,  und  aus  diesem 
Grunde  machen  wir  eine  Reihe  von  Voraussetzungen,  die 
hier  nicht  weiter  dargelegt  werden  sollen.  Überhaupt  sind 
wir  weit  entfernt,  dieser  Darstellung  Vollständigkeit  oder 
strenge  Korrektheit  zu  vindizieren.  Wir  sind  uns  bewußt» 
daß  wir  über  viele  theoretische  Detailfragen  hinweggehen 
und  dem  Theoretiker  manches  zu  entschuldigen  geben.  Aber 
wir  dürfen  unsere  Arbeit  nicht  mit  Details  überlasten  und 
begnügen  uns,  das  für  unser  Argument  Nötige  zu  sagen. 

Nun  hat  man  nach  einer  Hypothese  gesucht,  um  diese 
Gestalt  der  Angebotskurve  zu  erklären.  Wir  müssen  jedoch 
vor  allem  bemerken,  da6  eine  Meinungsverschiedenheit  über 
eine  solche  nur  dann  Sinn  hat,  wenn  dadurch  irgend  etwas 
an  den  Resultaten  geändert  wird.  Andernfalls  ist  jeder  Streit 
darüber  müßig  und  ohne  praktischen  Wert. 

Es  fällt  nun  auf  den  ersten  Blick  auf,  daß  die  Angebots- 
kurve, formell   betrachtet,  nichts  anderes  ist  als  eine  ver- 
kehrte Wertkurve.    Was   könnte   das   für  eine  Wertkurve 
seinV    Nun.  einfach  die  jener  Güter,  welche  zur  Erwerbung 
des  in  Rede  stehenden  aufgegeben  werden  müssen,  also  ent- 
weder die  eines  „Preisgutes"  oder  die  der  bei  der  Produktion 
des  ersteren  aufzuwendenden  Produktionsgüter.    Nicht  nur 
umfaßt    diese    Betrachtungsweise    zugleich   die    Fälle  des 
Tausches  wie  der  Produktion,  sondern  sie  hat  auch  eineo 
anderen   Vorteil.     Wenn    es  nämlich  gelingt,  die  als  eine 
Wertfunktion    aufgefaßte    Angebotskurve   in    Beziehung  tu 
den  Wertfunktionen  der  Genußgüter  zu  setzen,  so  dafi  DU 
sie   aus  den  letzteren  ableiten  kann,  so  eröffnet  sieh  die 


D«B  Znrechnnngsproblem  luw.  227 

Möglichkeit,  die  Zahl  unserer  Grundannabmen  erbeblich  zu 
beschrflnkeu ;  man  braucht  dann  nui'  die  Wert- 
fuDktioaen  der  Genußgnter  den  Individuen  „abzu- 
fragen" und  gewinnt  daraus  alle  übrigen.  Das  wttrde  uns 
in  den  Stand  setzen,  die  Wechselwirkungen  zwiecfaen  den 
Werten  der  Genufi-  und  ProduktioDSgQter  rein  theoretisch 
und  mit  den  Mitteln  unseres  Systemes  zu  beschreiben,  ohne 
auf  weitere  Tatsachenbeobacbtungen  zu  rekurrieren,  wahrend 
eine  solche  Beziehung  gar  nicht  besteht,  wenn  die  Augebots- 
kurve  auf  einem  selbst&ndigen  Prinzipe  basiert.  Wie  schon 
angedeutet  ist  das  besonders  wichtig  fOr  die  Verteilnngs- 
tbeorie:  Wenn  das  Geldmaß  der  ProduktivgQter,  jenes 
„Äquivalent",  das  auf  der  rechten  Seite  unserer  Gleichung 
steht,  sich  durch  Wertfunktionen  beschreiben  1&8t,  so  ist 
damit  das  Verteilungs-  auf  das  Tauscbproblem  zurQckgefahrt 
und  man  kann  sagen,  daß  es  damit  im  Prinzipe  bereits  ge- 
löst ist  Und  das  ist  mCglich;  die  Angebotskurve  l&ßt  sich 
tats&chlicb,  wie  wir  sahen,  als  Wertkurve  auffassen.  Der 
„Psycholog'  mag  das  dann  noch  weiter  begronden,  wir 
wollen  es  dabei  genug  sein  lassen.  Die  Sache  ist  so  sehr 
in  Ordnung,  daß  kaum  etwas  zu  wQnscben  übrig  bleibt  und 
I  der  Grund,  warum  wir  eine  anderweitige  Kostentheorie  ab- 
iebnen, ist  einfach  der,  daß  kein  Grund  dafür  spricht,  nach 
einer  solchen  zu  suchen. 

Sicherlich   kann    man    die  Gestalt  der  Angebotskurve 
>   auch  anders  erklären.     Das  ist  nicht  weiter  verwunderlich, 
!    da  wir  ja  nur  so   wenig  allgemeine  Charaktere  derselben 
kennen  —  und  brauchen.    Aber  es  ist  überflüssig,  audere 
Hypothesen  heranzuziehen.    Das  ist  unser  eigenes  Argu- 
ment und  nur  darauf  legen  wir  den  Ton.    Für  all  die  an- 
i    deren,  welche  in  diesem  Zusammenhange  angeführt  wurden, 
:   ^erweisen  wir  auf  andere  Darstellungen  und  erwähnen  nur 
I    gel^entlich  einige  davon.  Der  Tatbestand,  den  die  Angebots- 
Vurve  versinnlicht ,  kann  auf  zwei  verschiedene  Arten  aus- 
gedruckt werden:  Wenn  der  Angebotspreis  eines  Gutes  zu- 
I  nimmt,  so  nimmt  die  angebotene  Menge  unter  sonst  gleichen 
I  l-'msUnden  zu.    Oder:    Wenn  die  angebotene  Menge  steigt. 


228  Du  Problem  de«  Bl«tisoh«ii  Gleidigeiriehtea. 

SO  nimmt  der  Angebotspreis  zu.  Beide  S&tze  s&geu  das- 
selbe, auch  dann,  wenn  man  in  beiden  statt  des  „wenn"  ein 
^weil"  setzt.  Wohl  scheint  ein  .weil'  mehr  m  sagen  als 
ein  „wenn";  ist  man  sich  jedoch  darQber  klar,  daß  aach 
ein  in  der  Sprache  der  Kansalrelation  aasgedrOckter  Satz 
im  Grunde  genommen  nur  Tatsachen  beschreibt,  so  weiß 
man,  daß  das  eine  T&aschung  ist  und  wird  nie  daran 
denken,  beweisen  zu  wollen,  daß  der  eine  jener  beiden  Sfttze 
richtiger  ist  als  der  andere. 

Beide  lassen  sich  vermittelst  unserer  Aufbssung  von 
der  Sache  gleich  leicht  erklären  und  das  gilt  auch  von  der 
Formulierung:   Weil   die   angebotene    Menge   eines   Gates 
zunimmt,  so  steigt  sein  Angebotspreis.   Dieselbe  war  jedoch 
der  Ausgangspunkt  anderer  Hypothesen.    In  ähnlicher  Weise  | 
wie  die  Physiker  früherer  Zeiten  dem  Wasser  einen  „horror  | 
vacui"  imputierten,  um  sein  Steigen  in  einer  luftleeren  Rfibre 
ZM  erklären,  so  haben  auch  die  National  Ökonomen  nach  eintr  | 
besonderen  Kraft  gesucht,  um  dieses  Steigen  der  Angebots-  I 
kurve  zn  begrOnden.    Und  es  litge  nicht  in  unserem  SiDoe,  r 
das  Vorgehen  beider  als  „falsch"  zu  bezeichnen.    Der  „hortor  l 
vacui"    ist    sicherlich   geeignet,   jene   Erscheinung   zu  !*•  | 
schreiben   und   der  Fortschritt,  der  in  der  heutige* 
Auffft5}>ung  liegt,   besteht   lediglich  darin,  difl  r 
man    dieselbe    mit    Mitteln    beschreiben    ktDi>  f 
welche    auch     zu    anderen    Zwecken    verweDdet? 
werden   können,  daß  man   nicht  auf  eine  spezielle  Ei^ 
klarung  zu   rekurrieren   braucht,   sondern   die  Erscheinung  f 
unter  eine   große  Kategorie   subsumieren   und  in  einer  wA 
dersellwn   Formel    mit   vielen   anderen   erfassen    kann.    So 
find    auch  jene   Hypothesen  der  Ökonomen   nicht   .falsch'. 
Fs   sind   jene,   welche  mnn   „Gesetz   des  abnehmenden  E^ 
träges'  und   „Diputility"   nennt.     Sie  lassen  sich   mit  Tat- 
sachen  tielegen  und  leisten  im  großen  and  ganzen,  was  9B 
solli-n.    A))er  wenn   mnn  sie   durch  unsere  Wertfunktionei 
ersetzen   kann,  so  werden  wir  das  als  einen  Fortschritt  be- 
trachten   und    uns   der   großartigen   Einheit   and    Reinheil 
freuen,  welche  unser  System  dadurch  gewinnt. 


\ 


Dm  ZwecknQogsprobkm  usw.  229 

Das  ist  unser  Hauptargument ,  wie  gesagt.  Aber  es 
ften  jenem  Hilfsmitteln  auch  noch  andere  Mängel  an.  An 
h  sind  sie  ganz  plausibel :  Das  nach  Bedürfnisbefriedigung 
"ebende  Wollen  des  Menseben  als  die  eine  und  die  Be- 
enztheit  der  physischen  MdgUchkeiten  der  Natur  —  darauf 
mnit  das  Gesetz  vom  abnehmenden  Ertrage  hinaus  —  oder 
3  physischen  Möglichkeiten  der  Arbeitsleistung  —  das  ist 
r  Kern  der  Disutilitytheorie  —  als  die  andere  der  be- 
inunenden  Kräfte  des  Wirtschaftens  aufzufassen,  ist  sicher- 
;h  logisch  zulässig.  Wollen  des  Menschen  und  Können 
r  Natur,  BedQrinisbefriedigung  und  Last  der  Anstrengung, 
id  das  nicht  ebenso  großzügige,  wie  berechtigte  Ausgangs* 
inkte?  Allein  bei  näherer  Betrachtung  ergibt  sich,  dafi 
m  mit  ihnen  weniger  weit  kommt,  als  man  glauben  sollte. 

Das  Gesetz  vom  abnehmenden  Produktionsertrage  wurde 
nächst  für  die  landwirtschaftliche  Produktion  aufgestellt 
id  dann  auf  jede  Art  von  Produktion  erweitert.  Sicherlich 
St  es  sich,  sorgfältig  formuliert,  für  einen  rein  statischen 
istand  halten.  Sicherlich  kann  man  sagen,  dafi  jede  wirt- 
laftliche  Produktion  über  eine  gewisse  Produktenmenge 
*M  hinausgehen  kann,  ohne  dafi  sich  die  Kosten  der 
odukteinheit  erhöhen,  wenn  man  an  dem  produktiven 
)parate  keine  Vervollkommnungen  anbringt,  eine  Klausel, 
ilche das  Gesetz  vom  zunehmenden  Ertrage  ausschliefien 
II.  In  dieser  Form  spielt  das  Gesetz  vom  abnehmenden 
rtrage  eine  sicher  bedeutende  Rolle  in  der  englisch-ameri- 
Jiisehen  Literatur.  Während  man  früher  bekanntlich  alle 
odaktionen  in  drei  Gruppen  einteilte,  in  solche,  welche 
Dem  Gesetze  des  abnehmenden,  solche,  welche  einem  Gö- 
tze des  zunehmenden  und  solche,  welche  einem  Gesetze 
8  gleichbleibenden  Ertrage  folgen,  so  ist  es  gegenwärtig 
dich  geworden,  für  die  Statik  lediglich  das  erstgenannte 
zuerkennen,  und  wir  wollen  nicht  leugnen,  dafi  darin  ein 
beblicher  Fortschritt  liegt.  Dem  Falle  des  gleichbleibenden 
träges,  der  als  ein  Grenzfall  jedes  der  beiden  anderen 
esetze*^  aufgefaßt  werden  kann,  kommt  kein  grofies 
teresse  zu.    Aber  die  Erkenntnis,  dafi  ein  zunehmender 


230  ^^^  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

Ertrag  innerhalb  der  Voraussetzungen  der  Statik  unmöglich 
ist,    ist  gewiß   nicht  ohne  Bedeutung.    Erkennt   man  nun 
die  Allgemeingiltigkeit  des  Gesetzes  vom  abnehmenden  Er- 
trage in  der  Statik  an,   so  ist  dasselbe  geeignet,  das  kon- 
stante  Steigen  der  Angebotskurve  zn  erkl&ren.    Aber  wir 
brauchen  es  nicht  oder  besser,  wir  haben  bereits  ein  solches 
Gesetz   des   abnehmenden  Ertrages:    Je   mehr  von    einem 
Gute  „eingetauscht''  wird,   um  so  wichtigeren  Bedürfnissen 
muß  es  der  Verkäufer  entziehen  oder  um  so  wichtigeren 
Verwendungen  müssen  die  betreffenden  ProduktivgOter  ent- 
zogen werden  und  so  würde  der  „Nutzertrag**  des  Kaufes 
oder   der  Produktion    selbst   dann   sinken,    wenn  der  von 
weiterem     Erwerbe    zu    erwartende    Befriedigungszuwacbs 
konstant  bliebe,   und  nur  bei   erhöhtem   „Preise''   möglieb 
sein.     Wenn    nun    auch    der   physische   Produktionsertrag 
sinkt,   so  wird  jener  Befriedigungszuwachs  noch   schneller 
abnehmen,   als    wenn  das  nicht  der   Fall   wftre,   aber  nur 
unsere    Angebotskurve   zu    gewinnen,   bedürfen   wir  dieses 
Momentes  nicht.    Aber  noch  etwas:  Die  bloße  Tatsache  der 
Abnahme  des  physischen  Produktionsertrages  mit  Zunahme  | 
der  produzierten  Menge  würde  für  sich  allein  nie  ausreichen, 
um  den  Angebotsi)reis  zu  bestimmen.    Eine  bloß  diese  Tat-  ' 
sache  versinnlichende  Angebotskurve  wftre  mit  der  ja  jeden- 
falls auf   der   Werthypothese    beruhenden    Nachfragekurve 
inkommensurabel  und  wir  könnten  nie  die  beiden  einander 
gegenüberstellen.    Es  müßte  trotzdem  noch   der  Wert  der 
in  der  Angebotskurve   versinnlichten  Gütermengen  bekannt  j  • 
sein,  wenn  das  möglich  sein  und  ein  eindeutig  bestimmter 
Schnittpunkt  gefunden  werden  soll.    Bei  der  Rententheorie 
werden  wir  noch  auf  dieses  Moment  zu  sprechen  kommen. 
Während    also    das    wert  theoretische    Gesetz  des  ab- 
nehmenden  Ertiages  das   physische   völlig   zu  ersetzen  ' 
vermag  —  ein  Leichtes  wäre  es,  das  letztere  in  der  Gestalt  \ 
der  Wertkurve,   welche  unsere  Angebotsfunktion  bildet,  in 
berücksichtigen  — ,  so  ist  das  Umgekehrte  nicht  der  Fall 
und   niemals   könnte    man  mit   dem   physischen    Abnahme- 
geset/e    allein    auskommen.      Da    wir   desselben   auch  fttr  ; 


Du  Znrechn  aagaproblem  nair,  231 

UDfiere  Rententheorie  nicht  bedürfen,  wie  wir  sehen  werden, 
so  haben  wir  schlechterdings  keine  Verwendung  dafDr  — 
seine  Bolle  ist  im  modernen  Systeme  der  NationalCkODomie 
ausgespielt.  Es  interessiert  uns  nicht  mehr,  als  andere 
prodaktionsteclmische  Tatsachen,  welche  ja  auch  auf  Art 
und  Menge  der  zu  produzierenden  GOter  Einfiafi  üben,  ohne 
deshalb  Bestandteile  der  reinen  Ökonomie  zu  sein.  Auf 
diese  Scheidung  des  physischen  und  des  werttheo- 
retischen  Gesetzes  vom  abnehmenden  Ertrage  legen  wir 
groSen  Wert  Nicht  immer  wird  sie  klar  erkannt;  doch  ist 
sie  unter  anderem  sehr  wichtig  fQr  die  Beurteilung  der 
neueren  amerikanischen  Literatur. 

Nicht  ganz  dasselbe  Iftßt  sich  von  der  Disutilitytheorie 
sagen.  GewiB,  die  Arbeitsmfibe  —  nur  mit  ihr  haben  wir 
es  hier  noch  zu  tun,  nachdem  wir  das  andere  Element  der 
Disatüity  bereits  bebandelt  haben  —  steigt  mit  dem  Fort- 
sehreiten der  Arbeitszeit  im  allgemeinen  aberproportional 
lur  letzteren  und  schließlich  bis  in»  Unerträgliche,  sodaß 
auch  dieses  Moment  die  Gestalt  der  Angebotskurve  erklären 
fcSnnte.  Und  auch  hier  werden  wir  vor  altem  sagen,  daß 
wir  seiner  nicht  bedürfen  und  nach  dem  Prinzipe  der  „Denk- 
ftkonomie'  daher  davon  abzusehen  haben.  Aber  unseren 
zweiten  Einwand,  den  wir  gegen  die  Erklärung  der  Gestalt 
der  Angebotskurve  durch  das  Gesetz  vom  abnehmenden 
Ertrage  vorbrachten,  daß  das  letztere  nämlich  das  Wert- 
gesetz nicht  ersetze,  können  wir  hier  nicht  verfferten; 
wenigstens  in  nicht  ganz  demselben  Sinne:  etwas  Ähnliches 
allerdings  wird  sich  auch  hier  ergeben. 

Was  sagt  uns  also  eigentlich  die  Disutilitytheorie?  Das 
kommt  in  der  Gleichung  zum  Ausdrucke: 
Grenznutzen  =  Grenzleid, 
welche  heißt,  daß  dort  Gleichgewicht  eintrete,  wo  die  durch 
die  Wertfunktion  zu  erklärende  Nachfragekurve,  die  durch 
eine  Unlustfunktion  zu  erklärende  Angebotskurve  schneidet, 
also  einfach  bei  jener  Gütermenge,  bei  der  der  Nutzen 
weiteren  Zuwachses  dem  „Schaden"  weiterer  Arbeitsmüheo 
und   GenufiaufschObe   die   Wage   hält.    Wir  sahen  jedoch. 


232  ^8  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

dafl  wir  die  Genufiaufschübe  einfach  als  Au^be  von  Güter- 
werten  auffassen  können,  sodaß  unsere  Gleichung  so  aus- 
gedrückt werden  kann: 

Grenznutzen  =  Grenzarheitsmühe  +  Grenznutzen  der 
aufzuwendenden  Güter,  oder,  um  das  nunmehr  lediglich  in 
Betracht  kommende  Moment  der  Arbeitsmühe  herauszu- 
heben: 

Grenznutzen  des  Produktes  —  Grenznutzen  der  auf- 
zuwendenden Güter  =  Grenzarheitsmühe.  Nennen  wir  der 
Kürze  halber  den  auf  der  linken  Seite  dieser  Gleichung 
stehenden  Ausdruck  „Grenznutzen  des  Arbeitsproduktes*^. 
Dann  würde  die  DisuIitit}^heorie  darauf  hinauslaufen,  die 
Angebotskurve  der  Arbeit  anders  zu  interpretieren,  als  die 
aller  andern  Güter  oder  korrekter,  die  der  andern  Pro- 
duktiv guter,  und  einfach  ein  Glied  einer  Gleichung  des 
Systemes,  das  den  Gleichgewichtszustand  der  Wirtschaft 
beschreibt,  anders  zu  nennen  als  alle  andern.  Aber  wozu? 
Der  exakte  Ausdruck  dieses  einen  Gliedes  unterscheidet 
sich  durch  nichts  von  jenen  der  andern,  die  dasselbe  ver- 
sinnlichende  Kurve  ist  dieselbe  oder  eine  Ähnliche,  wie  jene, 
welche  die  andern  versiunlichen.  Warum  also  nicht  auch 
eine  eiubeitliche  Interpretation?  Was  gewinnen  unsere  Resul- 
tate dadurch?  Man  könnte  sagen,  daß  die  Disutility  eben 
eine  „bestimmende  Kraft "^  der  Wirtschaft  sei;  mag  sein 
oder  nicht;  es  wäre  nichts  AuffftUiges,  wenn  sich  ergäbe, 
daß  sie  sich  in  unserem  exakten  Bilde  der  Wirtschaft 
nicht  zeigt. 

Allein,  möglich  wäre  es  allerdings,  die  Angebotskurve 
aus  der  Disutility  heraus  zu  erklären  und  der  Wertkurve 
gegenüberzustellen.  Man  könnte  sagen,  daß,  psychologisch 
gesprochen,  Lust  und  Unlust  kommensurable  Größen  seien 
und  daher  die  Disutilityfunktion  ohne  Intervention  der 
Wertfunktion  aufgestellt  werden  kann.  Man  kann  beide 
miteinander  vergleichen.  Während  ich  die  Tatsachen  des 
Gesetzes  vom  abnehmenden  Ertrage  erst  in  die  Sprache  der 
Wertrechnuug  kleiden  und  zu  diesem  Zwecke  die  physischen 
(lütereinheiteu  mit  der  gewählten  Werteinheit  in 


Das  Zurechnungsproblem  usw.  233 

setzen  muß,  ist  das  hier  nicht  nötig;  Wert  und  Disutility 
können  ohne  weiteres  mit  irgendeinem  gemeinsamen  Maße 
gemessen  werden.  Und  doch  kommt  man  auch  da  nicht 
ohne  Hilfe  des  Wertes  aus.  Das  wurde  schon  von  anderer 
Seite  betont  und  soll  hier  nur  kurz  und  populär  erwähnt 
werden.  Erzeugt  ein  isolierter  Wert  nur  ein  einziges  Gut  mit 
seiner  Arbeit,  so  gilt  jene  Interpretation,  welche  in  der 
Gleichung  „Grenznutzen  ==  Grenzleid*'  zum  Ausdrucke  kommt 
sicherlieh.  Unnötig  auszuführen,  dafi  er  solange  produzieren 
wird,  bis  weiterer  Nutzenzuwachs  weitere  Arbeitsanstrengung 
nicht  mehr  aufwiegt  Verwendet  er  aber  seine  Arbeit  auch 
nur  auf  die  Erzeugung  von  zwei  Gütern,  so  ist  die  Sache 
etwas  anders.  Wohl  wird  er  auch  dann  solange  arbeiten 
bis  jene  Gleichung  verwirklicht  ist.  Wieviel  aber  von  der 
so  bestimmten  Arbeitszeit  auf  das  eine  und  wieviel  auf  das 
andere  Gut  verwendet  wird,  das  sagt  sie  uns  nicht.  Dieses 
Yerh&ltniSi  das  doch  für  die  Mengen,  die  von  jedem  der 
beiden  Güter  produziert  werden,  entscheidend  ist,  hängt 
ersichtlich  von  deren  Werte  ab.  Und  was  liegt  nun  näher, 
als  die  Angebotskurve  der  Arbeit  vom  Standpunkte  jedes 
der  Güter  als  die  umgekehrte  Wertfunktion  des  andern  zu 
betrachten  ? 

Ganz  ähnlich  steht  es  in  der  Yerkehrswirtschaft.  Auch 
die  Arbeiter,  denen  nur  eine  Arbeitsgelegenheit  offen 
steht,  werden  sich  so  verhalten,  wie  der  isolierte  Wirt. 
Stehen  ihnen  aber  mehrere  offen,  so  werden  für  die  Art, 
wie  sie  sich  auf  dieselben  verteilen,  mithin  für  das  Angebot 
an  Arbeit  in  jeder  derselben,  die  Löhne  entscheidend  sein, 
und  wenn  dieselben  eine  Tendenz  haben  sich  auszugleichen, 
80  ist  das  eben  die  Folge  jener  Bewegungen,  welche  der 
W^ert  herbeiführt  oder,  besser,  beschreibt. 

Die  Gleichung  also :  Grenzkosten  =  Grenzerlös  gilt  sicher 
allgemein  und  wenig  kommt  es  im  Priozipe  auf  die  Inter- 
pretation beider  Größen  an,  wenn  man  über  ihre  Bewegungs- 
gesetze einig  ist.  Aber  die  Interpretation  der  „Kosten*'  als 
«Unlust*^  würde  nur  bei  der  Arbeit  selbständige  Bedeutung 
haben,  und  auch  bei  dieser  nur  in  gewissen  speziellen  Fällen 


r  iM  n  njBi   ii 


234  ^^  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

ZU  denselben  Bewegungsgesetzen  führen,  wie  jene  als  „Werf", 
in  anderen  aber  versagen;  Und  so  leimen  wir  sie  denn  ab. 
Aber  gibt  sie  uns  nicht  doch  etwas,  was  uns  der  Wert 
nicht  geben  kann,  nämlich  einen  Bestimmungsgrund  far  die 
gesamte  Arbeitsmenge,  die  überhaupt  geleistet  wird,  ein 
selbständiges  Moment  für  die  vorhandene  Menge  des  Gutes 
„ Arbeit ""?  Ja  gewifi  —  es  kann  nie  mehr  Arbeit  geleistet 
werden,  wenigstens  nicht  von  freien  Arbeitern,  als  durch 
das  Resultat  derselben  aufgewogen  wird.  Aber  dieses  Mo- 
ment ist  durchaus  analog  den  technischen  Eigenschaften 
der  andern  Produktionsfaktoren.  In  jedem  gegebenen  Zu- 
stande der  Wirtschaft  ist  jene  Arbeitsmenge  eine  gegebene 
und  mit  ihr  wird  gewirtschaftet  ebenso  wie  mit  dem  ge- 
gebenen Boden,  der  ja  auch  sehr  verschieden  ausgenützt 
werden  kann,  gewirtschaftet  wird.  Sie  ist  abhängig  von 
Bevölkerungszahl,  Rasse,  Klima,  der  gesamten  sozialen 
Ordnung  usw.  Gewifi  könnte  man  versuchen,  sie  weiter  zu 
begründen.  Die  Abgrenzungen,  die  wir  machen,  liegen  ja 
nicht  in  den  Dingen  selbst,  sind  vielmehr  willkürlich.  Aber 
in  unser  geschlossenes  System  könnten  wir  die  Disutility 
nur  dann  aufnehmen,  wenn  wir  sie  an  Stelle  des  Wertes 
der  Arbeit  setzten,  wenn  wir  sagten,  dafi  Arbeit  keinen 
W^ert,  sondern  nur  Disutility  habe.  Denn  unser  Gleich- 
gewichtssysiem  ist  eindeutig  bestimmt:  Wir  haben  schon 
soviel  Gleichungen  wie  Unbekannte  und  können  daher  der 
Arbeit  nicht  Wert  und  Disutility  zubilligen,  da  dadurch 
unser  Problem  überbestimmt  würde.  So  müssen  wir  denn 
wählen.  Das  weifi  niemand  besser  als  ein  Mathematiker 
wie  Marshall,  und  so  ersetzt  er  den  W^ert  der  Arbeit  durch 
ihre  Disutility.  Das  gebt  aber  nicht,  wie  wir  sehen;  wir 
können  auch  bei  der  Arbeit  den  Wert  nicht  entbehren  — 
nun,  so  müssen  wir  eben  auf  die  Disutility  verzichten  und 
sie  in  jene  Momente  einreihen,  welche  sozusagen  hinter 
unserem  exakten  Systeme  stehen.  Die  Notwendigkeit  ist 
nur  eine  methodologische,  aber  nichtsdestoweniger  zwingend. 
Man  mag  das  als  einen  Mangel  unserer  Methode  bezeichnen, 
aber  solcher  hat  sie  viele.    Glaubt  man  dennoch,  daß  sie 


Das  Zurechnungsproblem  qsw.  235 

von  Nutzen  fOr  viele  Zwecke  sei,  so  mufi  man  sich  damit 
befreunden.  Und  darauf  hinzuweisen,  betrachten  wir  stets 
als  eine  unserer  Hauptaufgaben.  Der  Nichtmathematiker 
sieht  den  Sachverhalt  nicht  so  deutlich  und  fühlt  höchstens 
vage,  dafi  das  Moment  der  Disutility  Schwierigkeiten  biete. 
So  operiert  er  denn  entweder  ruhig  damit  oder  sucht  ihre 
Bedeutungslosigkeit  nachzuweisen.  Aber  so  kann  man  nie 
zur  Klarheit  kommen.  Im  innersten  Wesen  unseres  Systemes 
liegt  der  Schlüssel  zum  Verst&ndnisse.    Doch  genug  davon. 

Unser  Ergebnis  ist,  dafi  wir  dazu  gezwungen  sind,  die 
Angebotsskala  als  eine  Wertkurve  zu  betrachten.  Es  sind 
also  zweiNachfrage  kurven,  die  sich  schneiden  und  nicht 
eine  Nachfragekurve  und  eine  wesensverschiedene  Angebots- 
kurve. Wenigstens  glauben  wir,  dafi  sich  im  ganzen  und, 
wenn  man  alle  Gründe  für  und  wieder  wägt,  diese  Auf- 
fassung am  besten  bewährt,  am  ehesten  empfiehlt  Wenn 
man  meint,  sie  noch  tiefer  begründen  zu  können,  umso 
besser;  für  unsere  Zwecke  ist  es  wichtiger  zu  betonen,  dafi 
ein  Moment  der  Willkür  in  diesem  Arrangement  liegt  und 
zu  zeigen,  dafi  die  beiden  Kurven  in  erheblichem  Mafie  von 
Meinungsverschiedenheiten  über  ihre  Natur  unabhängig  sind. 
Auf  den  Laien  mögen  Erkenntnisse  dieser  Art  deprimierend 
wirken,  wirkliches  Verständnis  aber  kann  nur  mit  ihrer 
Hilfe  gewonnen  werden. 

Ganz  fremd  sind  Anschauungen,  welche  sich  den  unseren 
berühren,  auch  Theoretikern  nicht,  die  aufierhalb  des  Kreises 
der  Grenznutzentheorie  stehen.  Schon  Mill  hat  gesagt,  dafi 
in  jeder  Nachfrage  ein  Angebot  und  in  jedem  Angebote 
eine  Nachfrage  liege,  und  Äufieruogen  ähnlicher  Art  ließen 
sich  viele  anführen,  aus  alter  und  neuer  Zeit;  das  mag 
jene  freuen,  deren  Bestreben  es  ist,  auch  heute  noch  für 
die  Klassiker  einzustehen  und  wirklich  liegt  ja  auch  etwas 
Erfreuliches  darin.  Allein  solche  einzelne  Äußerungen 
haben  nur  geringe  Bedeutung;  das  Wesentliche  ist  das, 
was  man  aus  ihnen  macht.  Eine  Bemerkung,  ein  Apergu, 
ist  bald  gemacht,  aber  erst,  wenn  es  zur  Grundlage  eines 
größeren   Ganzen   wird,  ist  die   entscheidende  Tat   getan. 


236  Dm  Problem  de*  ■tatüclieti  QleiehgtnrichtM. 

D&9  gilt  auch  hier.  Trotz  allen  DurchlencbteDS  der  Er- 
kenntnis, dafi  die  Altere  Betraehtuagsweise  noTollkommen 
sei,  h&lt  man  auch  heute  noch  an  dem  Daalisroas  von 
Nachfrage  and  Angebot  fest  und,  trotz  des  Eingest&ndniBses, 
dafi  es  nicht  znl&Bsig  sei,  die  Nachfrage  auf  den  Weit  und 
das  Angebot  auf  die  Kosten  allein  zu  Bttttzen,  welches  wir 
bei  Fortgeschritteneren  finden,  bleibt  alles  beim  alten.  Aach 
das  Dictum,  daß  eben  Angebot  and  Nachfrage  sich  in  aDen 
Stocken  gegenseitig  beeinflussen  und  durcheinander  bedingt 
seien,  ftndert  nichts  daran,  eine  so  tiefe  Wahrheit  darin 
auch  liegt  Was  soll  also  das:  „Schon  gut,  schon  gut,  das 
wissen  wir  auch,  das  ist  ja  Belbstverst&ndlieh",  mit  dem 
die  Argumente  der  Werttheoretiker  immer  wieder  begrttßt 
werden?  Tats&chlicb  ist  man  sich  eben  nicht  klar,  wie 
sieh  die  Sache  im  Einzelnen  denn  eigentlich  verb&lt.  Jene 
Punkte  nun,  auf  die  es  ankommt,  darzulegen,  haben  wir 
eben  versucht. 

§  3.  Doch  noch  ist  nicht  alles  gesagt.  Wir  wollen 
also  die  Angebotskurve  als  eine  verkehrte  Kacbfragekurve 
auffassen,  als  eine  Wertkurve  der  ProduktionsgOter.  W'ie 
gesagt,  kOunten  wir  uns  damit  begnOgen,  den  Wirtschafts- 
suhjekten  in  ähnlicher  Weise  die  Grenzpreisskalen  der 
letzteren  abzufragen,  wie  wir  das  bei  der  Wertkurve  der 
CienufigQter  taten  und  dann  konnten  wir  es  dahingestellt 
sein  lassen,  was  die  Wirtschaftssubjekte  zu  ihren  Antworten 
veranlaßt.  Namentlich  könnte  man  dieselbe  sowohl  im 
Sinne  der  Grenznutzen-  wie  der  Disutilitytheorie  deoten. 
Aber  aus  den  angefahrten  Granden  wählen  wir  die  erstaie 
Alternative  und  nehmen  an,  dafi  die  Wertfunktionen  der 
rroduktionsgüter  sich  aus  denen  der  Genufigüter  ergeben, 
zu  deren  Pro«luktion  man  sie  verwenden  kann.  Wir  fassen 
also,  wie  man  das  vielleicht  am  anschaulicbsten  ansdrocken 
könnte,  die  Produktions-  als  potentielle  GenuS- 
gQter  auf.  Den  Vorgang  der  Produktion  eines  Gutes 
stilisieren  oder  schematisieren  wir  for  unsere  Zwecke  als 
einen  Tausch  von  Produkt  ion&gOtem  gegen  jenes  Gut,  wobei 


Du  ZDTOcImniigfprobleiB  uiw.  2S7 

die  ersteren  einfacli  als  poteotielle  Genu^Dter  erscheinen. 
Oder  noch  deutlicher:  Bei  jeder  Produktion  tauscht  man 
GeDaSg&termengen,  welche  maa  mit  gewissen  Produktions- 
gfitermengea  sonst  noch  produzieren  kftnnte,  gegen  eine 
Menge  eines  bestimmten  GenuBgutes,  n&mlich  jenes,  das 
man  tatsächticb  produziert,  aus.  In  jeder  Produktion 
liegt  ein  Verzicht  auf  anderweitige  m&gliche  Ver- 
wendungen der  zu  derselben  nötigen  ProduktivgOter  zugunsten 
einer  der  möglichen  Verwendungen.  Diese  Anpassung 
hilft  uns  dazu,  zur  Ableitung  der  .Preise'  der  Produktiv* 
gOter  —  welche  die  statischen  Einkommenszweige  ergeben  — 
das  Moment  des  Tausches  zu  verwenden,  also  die  Verteilungs- 
theorie  auf  die  Wertkurven  zu  basieren,  aber  außerdem 
noch,  alle  Veränderungen  in  Preisen  und  Gtltennengen,  die 
innerhalb  der  statischen  Voraussetzungen  vorkommen  können, 
mit  ihrer  Hilfe  zu  beschreiben. 

Deshalb  ist  diese  Auffassung  außerordentlich  wichtig. 
In  ihrem  Verständnisse  und  ihrer  Beurteilung  ist  es  aber 
essentiell,  sich  darOber  klar  zu  sein,  daß  sie  eine  Au- 
nahme,  eine  im  Prinzipe  willkürlich eFestsetzung 
ist.  Wir  können  sie  nicht  beweisen,  ebensowenig  wie  vir 
beweisen  können,  daß  die  Wertfunktion  eines  Genußgutes 
aaf  dem  psychologischen  Gesetze  der  Bedarfnissättigung 
beruht.  Der  psychologische  Ökonom  mag  das  versuche»; 
plausibel  ist  es  ja  sicher,  auch  trflgt  es  sehr  zur  Populari- 
sierung der  Theorie  bei.  Aber  wenn  man  dem  im  ersten 
Teile  dieser  Arbeit  darüber  Gesagten  zustimmt,  so  wird 
man  auch  hier  ohne  weiteres  das  Vorhandensein  einer 
neuen  Hypothese  konstatieren.  Dieselbe  ist  brauchbar  und 
wertvoll  und  kollidiert  nirgends  mit  der  Wirklichkeit,  aber 
an  sich  sind  andere  Hypothesen  ebenso  möglich  und  „be- 
rechtigt". In  den  Resultaten  nur  liegt  das  Kriterium 
zwischen  den  möglichen  Hypothesen  und  da  kann  man  denn 
sagen,  daß  die  unsere  weitaus  die  fruchtbarste  ist.  Ihre 
Einfahrung  —  bekanntlich  durch  v.  Wieser  —  ist  deshalb 
eine  wissenschaftliche  Tat  von  großer  Bedeutung,  ja  es 
wftre  nicht  falsch,  erst  von  ihr  die  Existenz  eines  einheit- 


*-p«l^"  L"aui'".  T***» 


238  ^M  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

liehen,   befriedigenden   Systemes  der  reinen  Ökonomie  zu 
datieren.    Allein  an  ihrem  Charakter  ändert  das  nichts. 

Nun  aber  erhebt  sich  die  Frage,  wie  unsere  Annahme 
des  näheren  durchzuführen  ist.  Die  Angebotskurve  eines 
Gutes  gibt  uns,  ist,  die  Wertfunktion  der  ProduktionsgOter. 
und  diese  ist  die  Wertfunktion  jener  Genufigüter,  welche 
mit  den  letzteren  sonst  noch  erzeugt  werden  können.  Aber 
dieser  Genufigüter  gibt  es  meist  eine  grofie  Anzahl.  Wenn 
wir  uns  mit  den  Funktionen  von  solchen  genug  sein  lassen 
und  die  der  Produktivgüter  daraus  ableiten  wollen,  so 
ergibt  sich  ein  neues  Problem:  Nur  wenn  lediglich  eine 
andere  Verwendung  der  Produktionsgüter  des  betrachteten 
Genufigutes  möglich  wäre,  würde  die  Sache  ganz  einfach 
sein.  In  diesem  Falle  wäre  die  Angebotskurve  die  um- 
gekehrte Wertkurve  eben  jener  anderen  Verwendungsart. 
Im  allgemeinen  ist  das  aber  nicht  der  Fall.  Besonders 
wenn  man,  wie  es  üblich  und  im  Hinblicke  auf  gewisse 
Zwecke  notwendig  ist,  alle  Produktionsgüter  in  die  drei 
Kategorien  Arbeits-,  Kapital-  und  Bodenleistungen  einreiht, 
muß  man  anerkennen,  daß  diese  drei  Produktionsgüter 
eben  in  allen  Produktionen  verwendet  werden,  sodafi  in  der 
Allgebotskurve  eines  jeden  Gutes  die  Wertkurven  aller 
andern  Güter  irgendwie  zum  Ausdrucke   kommen    müssen. 

Tatsächlich  ist  das  nicht  mehr  wie  selbstverständlich. 
In  einer  „geschlossenen**  etwa  „kommunistischen**  Wirtschaft 
kann  deren  Leitung  nur  dann  daran  gehen,  gewisse  Mengen 
jener  drei  Produktionsfaktoren  einer  bestimmten  Produktion 
zuzuwenden,  wenn  sie  sich  überzeugt  hat,  dafi  es  mit  den 
ersteren  keine  wichtigeren  Bedürfnisse  des  Gemeinwesens 
zu  befriedigen  gibt  —  wobei  es  natürlich  für  unseren  Zweck 
gleichgiltig  ist,  wie  festzustellen  ist,  daß  etwas  „Bedürfnis 
des  Gemeinwesens**  und  ferner  das  wichtigste  dieser  Be- 
dürfnisse ist  —  und  diese  Überzeugung  wird  nur  durch 
Betrachtung  der  gesamten  übrigen  Güterversorgung  gewonnen 
werden  können.  Bei  jeder  wirtschaftlichen  Aufwendung 
wird  jene  Leitung  unter  dem  Drucke  der  Werte  aller 
anderen   möglichen  Aufwendungen  stehen  und  eben  dieser 


Dna  ZorechnnngBproblem  anr.  239 

^Drack'  wird  einen  bestimmendeD  EinfluB  auf  die  Gr&Se 
der  ersteren  haben  —  ist  er  doch  nichts  anderee  als  die 
Folge  der  Beschränktheit  der  OQtervorr&t«  und  des  Bestrebens, 
das  Beste  aus  ihnen  zd  machen.  Unsere  Theorie  von  der 
Angehotslturve  —  und  im  Grunde  alle  unsere  Theorie  — 
bringt  nun  die  Tatsache  zum  Ausdrucke,  daß  diese  beiden 
Momente  dazu  ausreichen,  um  eine  bestimmte  Handlunga- 
weise  unter  gegebenen  VerhSltnisBen  zu  erzwiDgen  und 
speziell  die  Größe  des  Angebotes  an  jedem  einzelnen  Gute 
sehr  merklich  der  WillhUr  zu  entrQcken.  Und  sie  bringt 
uns  auch  zum  Bewußtsein,  daß  nur  alle  jene  Elemente,  von 
denen  sie  ihren  Aasgangspunkt  nimmt  —  Wertfunktionen 
und  Mengen  aller  GOter  —  zuBtunmea  zur  Bestimmung 
jedes  derselben  ausreichen. 

Prinzipiell  ganz  ebenso  liegt  die  Sache  in  der  Verkehrs- 
wirtschaft:  Das  Angebot  an  einem  Gute  wird  bei  gegebenem 
Preise  von  den  Preisen  der  drei  ProduktionsgQter  abhAngen 
und  je  mehr  man  von  ihm  erzeugt,  umso  höher  werden 
diese  steigen,  so  an  einem  bestimmten  Punkte  der  Pro- 
duktion ein  Ende  setzend.  Und  aus  demselben  Grunde  wie 
froher,  nAmlich,  weil  sie  immer  wichtigeren  anderen  Ver- 
wendungen entzogen  werden  mfissen.  So  werden  also  auch 
hier  die  Werte  and  Preise  der  ProduktionsgOter  in  allen 
anderen  Verwendungen  das  Angebot  an  jedem  einzelnen 
Genußgute  mitbestimmen  und  so  wird  sich  auch  hier  der 
Ein6aB  aller  Genufigüterwerte  und  -preise  bei  jedem 
einzelnen  foblbar  machen.  Wollte  man  denselben  ignorieren, 
BO  ließe  sich  stets  eine  bestimmte  Größe  in  „Geld"  oder 
einem  anderen  Wertmaße  angeben,  welche  den  dadurch 
angerichteten  „Schaden"  mißt.  Und  zwar  ganz  ebenso  in 
der  verkehrslosen  wie  in  der  Verkehrswirtschaft.  Wollte 
man  sich  popul&r  ausdrucken  und  darüber  hinwegsehen, 
daß  diese  Ausdrucksweise  sowohl  erkenntnistheoretische  wie 
andere  M&ngel  hat,  so  könnte  mau  sagen,  daß  es  das  Grund- 
problem der  Ökonomie  sei,  gewisse  Notwendigkeiten,  die 
die  Beschränktheit  der  GOtermengen  dem  wirtschaftlichen 
Handeln  auferlegt  —  immer  und  überall,  mögen  die  kou- 


tti  i  mM^^vnttmt^ 


240  I^as  Problem  des  statiaehen  Gleiehgawichtee. 

kreten  Formen  und  aDderen  Verh&ltniBae  der  Wirtschaft 
welche  immer  sein  — ,  zu  beschreiben  und  deren  Konse- 
quenzen abzuleiten.  Unser  Ausgehen  von  den  Gütermengen 
erscheint  also  hier  in  einer  „tieferen''  Bedeutung,  in  etwas 
anderem  Lichte  als  früher. 

Das  hat  nun  eine  wichtige  Konsequenz  für  unsere 
Angebotskurve.  Es  erklärt  uns,  warum  die  besten  Theore- 
tiker nie  von  einem  Angebote  eines  Produktes,  sondern 
immer  von  dem  Angebote  an  Produktivgütern  sprechen. 
An  sich  würde  uns  ja  nichts  hindern,  der  Nachfrage  nach 
einem  Gute  sein  Angebot  gegenüberzustellen.  Allein,  wenn 
wir  das  täten,  so  würden  wir  nur  einen  Ausschnitt  der 
Wirklichkeit  vor  uns  haben,  der  nur  für  manche,  nicht  fftr 
alle  Fälle  zu  brauchbaren  Resultaten  ausreichen  würde. 
Betrachte  ich  das  Angebot  an  einem  Gute  an  sich,  wie 
wenn  es  nur  vom  Werte  und  den  sonstigen  Verhältnissen 
dieses  einen  Gutes  abhängig  wäre  und  ohne  Rücksicht  auf 
die  Werte  der  andern,  so  mag  das  ausreichen,  um  gewisse 
Wahrheiten  zu  demonstrieren  —  korrekt  ist  es  auch  da 
nicht  —  aber  unvollständig  ist  das  sicherlich,  da  dieses 
Angebot  ja  unter  dem  Einflüsse  der  Mengen  und  Werte 
aller  andern  Güter  steht.  Und  diese  letzteren  wirken  eben 
durch  die  Werte  der  Produktivgüter  hindurch.  Will  ich 
also  diese  Einwirkung,  die  ja  der  hauptsächlichste  Hebel 
für  die  Adjustierung  aller  Werte  und  Mengen  ist,  nicht 
vernachlässigen  und  das  Angebot  jedes  Gutes  in  seiner 
Wechselwirkung  mit  allen  andern  Angeboten  erfassen,  so 
darf  ich  nicht  für  jedes  Gut  eine  individuelle  Angebots- 
kurve konstruieren,  sondern  tue  besser,  von  einem  Angebote 
an  Produktionsmitteln,  das  natürlich  bei  jedem  Gute  ver- 
schieden zusammengesetzt  ist,  zu  sprechen.  In  der  so  inter- 
pretierten Wertkurve  kommen  dann  die  Gesamtwerte  aller 
Güter  und  die  gegenseitige  Abhängigkeit  derselben  znm 
Aus<lrucke.  In  jedem  gegebenen  Zustande  der  Wirtschaft 
gibt  es  mit  Hinblick  auf  alle  in  demselben  vor  sich  gehenden 
Produktionen  eindeutig  bestimmte  Angebote  an  Produktions- 
mitteln für  jede  derselben,   welche  alle  entscheidenden  Mo- 


Das  Zarechnongsproblem  qsw.  239 

„Druck'  wird  einen  bestimmenden  Einflufi  auf  die  Gröfie 
der  ersteren  haben  —  ist  er  doch  nichts  anderes  als  die 
Folge  der  Beschränktheit  der  Gütervorrftte  und  des  Bestrebens, 
das  Beste  aus  ihnen  zu  machen.  Unsere  Theorie  von  der 
Angebotskurve  —  und  im  Grunde  alle  unsere  Theorie  — 
bringt  nun  die  Tatsache  zum  Ausdrucke,  dafi  diese  beiden 
Momente  dazu  ausreichen,  um  eine  bestimmte  Handlungs- 
weise unter  gegebenen  Verhältnissen  zu  erzwingen  und 
speziell  die  Größe  des  Angebotes  an  jedem  einzelnen  Gute 
sehr  merklich  der  Willkür  zu  entrticken«  Und  sie  bringt 
uns  auch  zum  Bewußtsein,  dafi  nur  alle  jene  Elemente,  von 
denen  sie  ihren  Ausgangspunkt  nimmt  —  Wertfunktionen 
und  Mengen  aller  Güter  —  zusammen  zur  Bestimmung 
jedes  derselben  ausreichen. 

Prinzipiell  ganz  ebenso  liegt  die  Sache  in  der  Verkehrs- 
wirtschaft: Das  Angebot  an  einem  Gute  wird  bei  gegebenem 
Preise  von  den  Preisen  der  drei  Produktionsgüter  abhängen 
und  je  mehr  man  von  ihm  erzeugt,  umso  höher  werden 
diese  steigen,  so  an  einem  bestimmten  Punkte  der  Pro- 
duktion ein  Ende  setzend.  Und  aus  demselben  Grunde  wie 
früher,  nämlich,  weil  sie  immer  wichtigeren  anderen  Ver- 
wendungen entzogen  werden  müssen.  So  werden  also  auch 
hier  die  Werte  und  Preise  der  Produktionsgüter  in  allen 
anderen  Verwendungen  das  Angebot  an  jedem  einzelnen 
Genußgute  mitbestimmen  und  so  wird  sich  auch  hier  der 
Einfluß  aller  Genußgüterwerte  und  -preise  bei  jedem 
einzelnen  fühlbar  machen.  Wollte  man  denselben  ignorieren, 
80  ließe  sich  stets  eine  bestimmte  Größe  in  „Geld''  oder 
einem  anderen  Wertmaße  angeben,  welche  den  dadurch 
angerichteten  „Schaden''  mißt.  Und  zwar  ganz  ebenso  in 
der  verkehrslosen  wie  in  der  Verkehrswirtschaft  Wollte 
man  sich  populär  ausdrücken  und  darüber  hinwegsehen, 
daß  diese  Ausdrucksweise  sowohl  erkenntnistheoretische  wie 
andere  Mängel  hat,  so  könnte  man  sagen,  daß  es  das  Grund- 
problem der  Ökonomie  sei,  gewisse  Notwendigkeiten,  die 
die  Beschränktheit  der  Gütermengen  dem  wirtschaftlichen 
Handeln  auferlegt  —  immer  und  überall,  mögen  die  kon- 


»^^^mmum 


242  ^&s  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

und  die  Regeln  dieser  „Zurechnung*  zu  finden  haben,  so 
sind  wir  endlich  angelangt  bei  y.  Wiesers  Problem. 

Populär  kann  man  seinen  Inhalt  etwa  so  ausdrücken: 
Es  geht  davon  aus,  dafi  die  Produktivgttter  Wert  haben, 
weil  man  sie  braucht,  dafi  Lohn,  Rente  und  Zins  gezahlt 
werden  und  auch  in  der  geschlossenen  Wirtschaft  Arbeit, 
Boden  und  Kapital  Gegenstände  wirtschaftlicher  Fürsorge 
und  wirtschaftlicher  Erwägungen  sind,  weil  sie  zum  Erwerbe 
von  Genußgütem  führen.  Und  es  wird  als  Mafi  dieses 
„Brauchens''  eben  der  Wert  der  letzteren  angenommen,  die 
Gröfie  der  Bedürfnisbefriedigung,  welche  von  den  letzteren 
abhängt.  Befriedigung  von  Bedürfnissen  geben  direkt  nur 
Genufigüter,  in  ihnen  „entsteht^  also  der  Wert.  Und  dieser 
Wert  strahlt  sozusagen  auf  die  Produktivgüter  zurück,  wie 
das  Licht  eines  Leuchtkörpers  auf  eine  „dunkle"  Wand. 
Es  erhebt  sich  nun  die  Frage,  wie  dieser  Wert  auf  die 
Produktivgüter  zurückstrahlt  und  wieviel  Wert  sie  dadurch 
selbst  bekommen. 

Die  methodologische  Bedeutung  und  das  Wesen  dieser 
Auffassung  haben  wir  bereits  dargelegt.  Nur  deshalb  und 
um  sie  in  das  richtige  Verhältnis  zu  andern  möglichen  Auf- 
fassungen zu  setzen,  haben  wir  jene  trockenen  Erörterungen 
vorgeführt.  Wir  glauben,  daß  dieselben  nicht  ohne  Wert 
waren;  denn  wenn  man  schon  Theorie  betreibt,  so  mufi 
man  es  so  gründlich  und  korrekt  wie  möglich  tun.  Wen 
alle  die  gestreiften  Probleme  nicht  interessieren,  der  kann 
sich  mit  dem  eben  Gesagten  begnügen.  Dann  hätte  man 
aber  kein  Recht,  ül>er  unbefriedigende  und  unklare  Punkte 
in  der  Theorie  zu  klagen.  Sicherlich  lohnt  vielleicht  die 
tiefere  Analyse,  die  wir  versuchten,  nicht  der  Mühe;  aber 
dann  gibt  man  besser  die  Theorie  überhaupt  auf.  Will 
man  das  nicht,  so  muß  man  eben  tiefer  gehen,  als  all- 
gemeine Argumentationen  für  oder  gegen  Freihandel  usw. 
es  gestatten.  Und  da  ich  den  Eindruck  habe,  daß  mancher 
das  heutzutage  wünscht  und,  müde  von  Prinzipienstreiten, 
einmal  näher  in  die  Sache  eingehen  will,  so  hoffe  ich,  dafi 
mau   meine   Ausführungen,   so   abstrus  sie  aueh   seheinen 


Du  Zntachiuiiigaproblem  ntw.  24S 

mögen,  eDtBcbnldigen  wird.  Freilieb  sind  bie  keine  faszi- 
nierende Lektttre,  aber  ich  glaabe,  daß  man  daf&r  von 
ihnen  einen  wirklichen  Gewinn  haben  und  das,  womit  sieh 
die  Theoretiker  eigentlich  plagen,  nunmehr  besser  yer" 
stehen  wird. 

§  4.  Eb  erübrigt  nur  noch,  das  Zurechnangsproblem 
za  lösen,  d.  b.  die  Wertskalen  der  einzelnen  Prodaktiv- 
gOter  wirklich  abzuleiten.  Wie  wir,  um  nicht  noch  trockener 
sein  zn  mOssen,  als  es  ohnebin  nötig  ist,  schon  bisher  nicht 
immer  strenge  an  jeaer  AusdraeksweiBe  festhielten,  welche 
wir  als  die  korrekte  ansehen,  so  wollen  wir  uns  auch  welter' 
hin  der  gleichen  Freiheit  bedienen,  wo  es  ohne  Schaden 
möglich  scheint.  Aber  jeder,  dem  daran  liegt,  wird  sich 
unschwer  davon  Überzeugen  können,  daß  psychologische 
Ausdmeksweise  asw.  für  uns  nie  wesentlich  sind  und  leicht 
korrigiert  werden  können. 

Wirkliche  Lösungen  des  Zurechnungsproblemes  werden 
nur  von  der  „österreichischen  Schule"  geboten.  Dieselben 
lauten  nicht  ganz  gleich.  Es  liegt  jedoch  im  Wesen  der 
Sache,  dafi  solche  Difierenzen  keine  weiterreichenden  Kon- 
sequenzen haben.  Was  wir  wollen  und  können  ist  ja  nur, 
zn  zeigen,  daß  Produktivgüter  ebenso  und  ebensolche  Wert- 
funktionen  haben,  als  GenufigQter  und  daß  sich  die  der 
ersteren  aus  denen  der  letzteren  ableiten  lassen.  Der  erste 
Punkt  dient  nur  zur  Interpretation  der  Angebotskurve  und 
der  zweite  erspart  es  uns,  di^elbe  empirisch  feststellen  zu 
mOssen  und  gibt  uns  jene  Relation,  auf  der  die  Theorie 
der  Einkommensbildung,  d.  h.  der  Wert-  und  Preisbildung 
der  Produktionsgüter  beruht.  Allein,  das  ist  alles,  was 
nötig  ist  Wenn  man  sich  darüber  und  Ober  die  Lösbarkeit 
des  Probleraes  einig  ist,  so  werden  alle  Konklusionen  aus 
der  Zureehnungstheorie  identisch  sein,  mögen  auch  die 
Lösungen  des  Problemes  difTerieren.  Da  wir  ja  keine  kon- 
kreten Rechnungen  durchfahren,  sondern  uns  mit  den  er- 
wlbnten  allgemeinen  Momenten  begnOgen,  so  können  solche 
Differenzeo   nicbt  zu   Differenzen  z.  B.  in  der  Verteilungs- 


244  ^M  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

theorie  führen  oder  sonst  irgendwelche  Folgen  haben. 
Namentlich  wird  auch  eine  fehlerhafte  Lösung  keineswegs 
die  weiteren  Resultate  beeinflussen ,  und  selbst  das  Ab- 
handensein einer  konkreten  Lösung  überhaupt  wird  sich, 
wenn  die  Lösbarkeit  selbst  nicht  in  Frage  steht,  nicht  be- 
sonders fühlbar  machen.  Diese  Tatsache  erklärt  es,  warum 
dieses  fundamentale  Problem  so  spät  und  so  wenig  be- 
handelt worden  ist.  Man  kann  sagen,  dafi  viele  Autoren 
es  einfach  als  gelöst  betrachteten  und  mit  den  Werten  der 
Produktivgüter  ebenso  sicher  operierten,  wie  mit  jenen  der 
Genufigüter.  Alle  jene  haben  das  getan ,  welche  sich 
fragten,  was  der  „Anteir  der  einzelnen  Produktivgüter, 
etwa  der  Arbeit  oder  des  Bodens,  an  dem  produktiven 
Effekte  sei.  Thünens  Theorie  z.  B.  ist  auf  diese  Weise 
sicherlich  ein  Versuch  einer  Zurechnungstheorie  und  die 
modernen  Arbeiten  über  das  Yerteilungsproblem  wird  man 
zweifellos  ebenfalls  unter  diesem  Titel  begreifen  können. 
Was  sonst  als  eine  Zurechnungstheorie  ist  das  System 
J.  B.  Clarks?  Ja  selbst  viele  Ausführungen  der  Klassiker 
können  so  aufgefaßt  werden.  So  ist  denn  unser  Problem 
seinem  Wesen  nach  nicht  neu,  was  freilich  nicht  ausschließt, 
daß  es  erst  neuestens  bewußt  formuliert  und  in  seiner 
fundamentalen  Bedeutung  erkannt  wurde.  Bis  dahin  klaffte 
eine  tiefe  Lücke  im  Systeme  unserer  Wissenschaft;  und 
wenn  sie  auch  meist  übersehen  wurde  und  das,  wie  gesagt, 
auch  ein  Weitergehen  nicht  unmöglich  machte,  so  war  sie 
doch  nichtsdestoweniger  vorhanden  und  jede  tiefere  Analyse 
mußte  auf  sie  führen. 

Wir  wollen  uns  nur  kurz  mit  der  Lösung  des  Problemes 
l)efassen  und  andere  Lösungen  nicht  diskutieren.  Auch  so 
noch  ist  die  Sache  ziemlich  kompliziert.  Übrigens  wollen 
wir  sie  uns  tunlichst  vereinfachen.  Da  wir,  wie  gesagt,  ja 
nicht  daran  denken  können,  konkrete  Fälle  aus  der  Wirk- 
lichkeit zu  behandeln  und  uns  begnügen  müssen,  zu  zeigen, 
wie  sich  die  Sache  im  Prinzipe  verhalt,  so  hindert  uns 
nichts,  unsere  Beispiele  so  einfach  zu  wählen,  wie  möglich. 

Zur  Vorbereitung  zunächst  einige  anschauliche  FUle: 


Dm  Zaiedmangsproblem  ntw.  243 

mögen,  entschuldigen  wird«  Freilich  sind  bie  keine  faszi- 
nierende Lektttre,  aber  ich  glaube,  dafi  man  dafür  von 
ihnen  einen  wirklichen  Gewinn  haben  und  das,  womit  sich 
die  Theoretiker  eigentlich  plagen,  nunmehr  besser  ver- 
stehen wird. 

§  4»  Es  erübrigt  nur  noch,  das  Zurechnungsproblem 
zu  lösen,  d.  h.  die  Wertskalen  der  einzelnen  Produktiv- 
guter  wirklich  abzuleiten.  Wie  wir,  um  nicht  noch  trockener 
sein  zu  müssen,  als  es  ohnehin  nötig  ist,  schon  bisher  nicht 
immer  strenge  an  jener  Ausdrucksweise  festhielten,  welche 
wir  als  die  korrekte  ansehen,  so  wollen  wir  uns  auch  weiter- 
hin der  gleichen  Freiheit  bedienen,  wo  es  ohne  Schaden 
möglich  scheint«  Aber  jeder,  dem  daran  liegt,  wird  sich 
unschwer  davon  überzeugen  können,  dafi  psychologische 
Ausdrucks  weise  usw.  für  uns  nie  wesentlich  sind  und  leicht 
korrigiert  werden  können. 

Wirkliche  Lösungen  des  Zurechnungsproblemes  werden 
nur  von  der  „österreichischen  Schule"  geboten.  Dieselben 
lauten  nicht  ganz  gleich.  Es  liegt  jedoch  im  Wesen  der 
Sache,  dafi  solche  Differenzen  keine  weiterreichenden  Eon- 
sequenzen haben.  Was  wir  wollen  und  können  ist  ja  nur, 
zu  zeigen,  daß  Produktivgüter  ebenso  und  ebensolche  Wert- 
funktionen haben,  als  Genufigüter  und  dafi  sich  die  der 
ersteren  aus  denen  der  letzteren  ableiten  lassen.  Der  erste 
Punkt  dient  nur  zur  Inteq)retation  der  Angebotskurve  und 
der  zweite  erspart  es  uns,  die6ell)e  empirisch  feststellen  zu 
müssen  und  gibt  uns  jene  Relation,  auf  der  die  Theorie 
der  Einkommensbildung,  d.  h.  der  Wert-  und  Preisbildung 
der  Produktionsgüter  beruht.  Allein,  das  ist  alles,  was 
nötig  ist.  Wenn  man  sich  darüber  und  über  die  Lösbarkeit 
des  Problemes  einig  ist,  so  werden  alle  Konklusionen  aus 
der  Zurechnungstheorie  identisch  sein,  mögen  auch  die 
Lösungen  des  Problemes  differieren.  Da  wir  ja  keine  kon- 
kreten Rechnungen  durchführen,  sondern  uns  mit  den  er- 
wähnten allgemeinen  Momenten  begnügen,  so  können  solche 

Differenzen  nicht  zu  Differenzen  z.  B.  in  der  Verteilungs- 

16  •. 


246  ^^  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

es  praktisch  einen  Sinn  haben  soll:  Man  mQflte  dabei  im 
Auge  behalten,  dafi  ja  die  produktive  Leistung  eines 
Produktionsfaktors  noch  nicht  die  Zuweisung  seines 
ganzen  Ertrages  an  seinen  Besitzer  rechtfertigt,  daß  femer 
vor  allem  anderen  wirkliches  Not  leiden  eines  Teiles  der 
Wirtschaftssubjekte  vermieden  werden  muß,  ganz  ohne 
Rücksicht  auf  den  Wert  des  Produktionsmittels,  über  das 
sie  verfügen  und  dafi  das  moralische  Urteil  viel  mehr  auf 
dieses  Moment  reagiert,  als  auf  irgend  ein  anderes. 

Aber  hier  interessieren  uns  andere  Fragen«  Vor  allem, 
*^—  ist  unser  Beispiel  etwa  sinnlos?  Was  hat  es  denn  ffir 
einen  Zweck,  zu  sagen,  dafi  der  Fiaker  mir  einen  Dienst 
leistet,  der  500  Mark  wert  ist,  wenn  er  weder  soviel  be- 
kommt, noch  soviel  bekommen  sollte,  noch  auch  eine 
Tendenz  besteht,  ihm  soviel  zuzuweisen?  In  der  Tat  wäre 
kein  Vergnügen  billiger,  als  unsere  Darstellung  des  Falles 
lächerlich  zu  machen.  Ganz  dasselbe  ließe  sich  ja  von  allen 
anderen  Kostenelementen  meiner  Geschäftsreise  sagen.  Er- 
gäbe sich  da  nicht,  dafi  alle  zusammen  viel  mehr  wert  sind, 
als  ihr  Erfolg  selbst?  Und  doch  liegt  nichts  Sinnloses 
darin.  Wäre  sich  der  Fiaker  seiner  Vorteile  bewuSt,  so 
könnte  er  wirklich  viel  mehr  erlangen  als  seine  Taxe,  und 
zwar  im  äußersten  Falle  500  Mark.  Freilich  kann  man 
dasselbe  von  allen  anderen  Leuten  sagen,  deren  Mitwirkung 
ich  zu  meinem  Geschäfte  bedarf  und  alle  zusammen  können 
nicht  mehr  erhalten,  als  jene  Summe.  Aber  von  vornherein 
hat  jeder  von  ihnen  die  gleiche  Anwartschaft  darauf  und 
jedermanns  Höchstgewinn  und  der  Wert  der  Leistung  jeder- 
manns für  mich  ist  durch  die  500  Mark  gemessen. 

Dennoch  ist  unser  Beispiel  nicht  glücklich.  Solche  ein- 
fache Fälle  sind  immer  eine  zweischneidige  Waffe,  und  iri^ 
möchten  allen  Theoretikern  raten,  der  Versuchung  zu  wide^ 
stehen,  derartige  Fälle  zu  konstruieren.  Sie  sind  gut  ge- 
meint und  an  sich  durchaus  einwandfrei,  doch  begegnen  sie 
oft  Mifiverständnissen ,  machen  mitunter  auf  den  Kicht- 
theoretiker,  der  ihre  tiefere  Bedeutung  nicht  erfaßt,  einen 
geradezu  komischen  Eindruck.    Beispiele  aus  einem  groß- 


Das  Zurechnungsproblem  usw.  247 

artigeren  Rahmen  wirken  viel  besser  und  sind  dem  Ansehen 
der  Theorie  viel  förderlicher,  so  anziehend  es  scheinen  mag, 
die  großen  Gesetze  des  Wirtschaftslebens  an  kleinen  Bei- 
spielen der  alltäglichen  Erfahrung  zu  demonstrieren  und  so 
nachzuweisen,  dafi  dieselben  Formeln  auf  alle  Vorgänge 
passen.  Wählen  wir  also  ein  anderes:  Verschiedene  Inter- 
essengruppen beteiligen  sich  an  einem  Unternehmen  z.  B.  einem 
Bahnbaue.  Die  Mitwirkung  aller  sei  unentbehrlich,  so  dafi 
der  Erfolg,  gemessen  in  Geld  an  dem  „Reingewinne'',  von 
jeder  derselben  abhängt.  Jede  mufi  so  viel  erhalten,  dafi 
ihr  ihre  „Kosten*'  ersetzt  werden,  d.  h.  so  viel  als  sie  für 
ihre  Aufwendungen  anderweitig  erlangen  könnte,  sonst  wird 
sie  im  allgemeinen  nicht  mitwirken.  Wohl  mögen  andere 
Gründe  sie  dennoch  dazu  veranlassen,  sie  mag  z.  B.  Wert 
darauf  legen,  auf  diese  Unternehmung  Einflufi  zu  gewinnen 
und  zu  diesem  Zwecke  auch  zu  Opfern  bereit  sein;  doch 
Momente  dieser  Art  werden,  so  wesentlich  sie  auch  zum 
Verständnisse  eines  konkreten  Falles  sein  mögen,  die 
groflen  Linien  der  Vorgänge  nicht  verwischen.  Aber  dann 
bleibt  ein  Überschufi,  dessen  Erlangung  eben  der  un- 
mittelbare wirtschaftliche  Grund  der  Unternehmung  ist 
und  dieser  Überschuß  kann  von  jeder  der  mitwirkenden 
Gruppen  an  sich  gerissen  werden«  Je  nach  ihrer  Energie, 
Organisation,  publizistischen  und  parlamentarischen  Ver- 
tretung werden  sie  größeren  oder  geringeren  Erfolg  haben, 
von  vornherein  aber  kann  jede  derselben  auf  den  ganzen 
hoffen;  jedenfalls  ist  der  ganze  von  ihrer  Mitwirkung  ab- 
hängig, mithin  ihr  zuzurechnen.  Handelt  es  sich 
darum,  auf  ihre  Mitwirkung  zu  verzichten,  eröffnet  sich  ihr 
z.  B.  eine  andere  Erwerbsgelegenheit,  welche  ihre  Mitarbeit 
an  dem  Bahnbaue  ausschließt,  so  werden  die  anderen  Be- 
teiligten den  Übergang  zu  derselben  eventuell  mit  dem 
Opfer  nahezu  des  ganzen  Überschusses  hintanzuhalten 
suchen.  So  liegt  denn  nichts  Widersinniges  darin,  den 
Wert  der  Mitwirkung  aller  einzelnen  mit  dem  Gesamtwerte 
anzuschlagen,  den  die  Unternehmung  verwirklicht  Aber, 
auf  der  anderen  Seite,  die  Gruppen  müssen  sich  schliefilich 


am 


248  ^^  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

doch   in  den  Ertrag   teilen,   nicht  alle  können    alles  be- 
kommen. 

Das  ist  nun  die  grofie  crux  der  Verteilungstheorie. 
Arbeiter,  Kapitalisten  und  Grundeigentümer,  sie  alle,  oder 
doch  die  Produktivgüter,  die  sie  besitzen,  sind  unentbehrlich 
zu  jeder  Produktion.  Es  ist  leicht  zu  zeigen,  da6  der  pro- 
duktive Erfolg  von  allen  drei  Kategorien  in  gleicher  Weise 
abhängt  und  dafi  es  kein  Kriterium  gibt,  welches  geeignet 
wäre,  den  einen  Produktionsfaktor  vor  dem  anderen  in 
dieser  Beziehung  auszuzeichnen.  Nur  bei  der  Arbeit  freilich 
ist  man  mitunter  soweit  gegangen,  ihr  den  ganzen  Wert  der 
Produkte,  die  mit  ihrer  Hilfe  erzeugt  werden,  zuzurechnen. 
Aber  ebenso  leicht  ließe  sich  vom  rein  wirtschaftlichen 
Standpunkte  dasselbe  für  die  anderen  Produktions- 
faktoren nachweisen.  Deshalb  scheint  also  diese  Betrachtungs- 
weise nicht  sehr  weit  zu  führen.  Einen  Verteilungsmafistab 
jenes  Überschusses  an  Wert,  den  wir  hier  mit  Geld  messen  und 
als  Reinertrag  bezeichnen,  jenes  Überschusses  über  den  Wert  der 
einzelnen  Produktionsmittel  in  anderen  Verwendungen,  als 
jene ,  welche  man  gerade  betrachtet ,  gibt  sie  uns  jedenfalls 
nicht.  Sie  hat  sicherlich  eine  Bedeutung  für  die  Wirklich- 
keit und  ist  kein  Phantasiegebilde  ohne  Rückhalt  in  den  Tat- 
sachen; denn  wirklich  kann  unter  Umständen  eines  der  drei 
Produktionsmittel  den  ganzen  Überschuß  davontragen.  Aber 
dennoch  reicht  sie  nicht  aus.  In  verschiedener  Weise  hat  man 
sich  aus  diesen  Schwierigkeiten  zu  ziehen  gesucht.  Wir  wollen 
den  folgenden  Weg  einschlagen.  Im  Prinzipe  sollen  jedem 
Produktionsgute  die  Werte  aller  jener  Produkte  zu- 
gerechnet werden,  an  deren  Produktion  es  teilnimmt 
oder  vielmehr,  es  sollen  in  den  Wertfunktionen  der 
Produktionsgüter  die  Wertfunktionen  aller  jener 
Produkte  erscheinen.  Das  hat  allerdings  die  Folge, 
daß  die  Wertskalen  der  ersteren  nicht  addierbar  sind. 
Aber  was  macht  dasV  Zu  welchem  Zwecke  wäre  eine 
solche  Addition  nötig?  Bleibt  man  sich  nur  immer  bewußt, 
was  unsere  Wertkurven  eigentlich  bedeuten,  so  wird  man 
darin    nichts    Auffälliges    finden.     Und    diese  Wertkurven 


Das  Zarechnungsproblem  asw.  247 

artigeren  Rahmen  wirken  viel  besser  und  sind  dem  Ansehen 
der  Theorie  viel  förderlicher,  so  anziehend  es  scheinen  mag, 
die  großen  Gesetze  des  Wirtschaftslebens  an  kleinen  Bei- 
spielen der  alltäglichen  Erfahrung  zu  demonstrieren  und  so 
nachzuweisen,  dafi  dieselben  Formeln  auf  alle  Vorgänge 
passen.  Wählen  wir  also  ein  anderes:  Verschiedene  Inter- 
essengruppen beteiligen  sich  an  einem  Unternehmen  z.  B.  einem 
Bahnbaue.  Die  Mitwirkung  aller  sei  unentbehrlich,  so  daß 
der  Erfolg,  gemessen  in  Geld  an  dem  „Reingewinne",  von 
jeder  derselben  abhängt.  Jede  muß  so  viel  erhalten,  daß 
ihr  ihre  „Kosten"  ersetzt  werden,  d.  h.  so  viel  als  sie  für 
ihre  Aufwendungen  anderweitig  erlangen  könnte,  sonst  wird 
sie  im  allgemeinen  nicht  mitwirken.  Wohl  mögen  andere 
Gründe  sie  dennoch  dazu  veranlassen,  sie  mag  z.  B.  Wert 
darauf  legen,  auf  diese  Unternehmung  Einfluß  zu  gewinnen 
und  zu  diesem  Zwecke  auch  zu  Opfern  bereit  sein;  doch 
Momente  dieser  Art  werden,  so  wesentlich  sie  auch  zum 
Verständnisse  eines  konkreten  Falles  sein  mögen,  die 
großen  Linien  der  Vorgänge  nicht  verwischen.  Aber  dann 
bleibt  ein  Überschuß,  dessen  Erlangung  eben  der  un- 
mittelbare wirtschaftliche  Grund  der  Unternehmung  ist 
und  dieser  Überschuß  kann  von  jeder  der  mitwirkenden 
Gruppen  an  sich  gerissen  werden.  Je  nach  ihrer  Energie, 
Organisation,  publizistischen  und  parlamentarischen  Ver- 
tretung werden  sie  größeren  oder  geringeren  Erfolg  haben, 
von  vornherein  aber  kann  jede  derselben  auf  den  ganzen 
hoffen;  jedenfalls  ist  der  ganze  von  ihrer  Mitwirkung  ab- 
hängig, mithin  ihr  zuzurechnen.  Handelt  es  sich 
darum,  auf  ihre  Mitwirkung  zu  verzichten,  eröffnet  sich  ihr 
z.  B.  eine  andere  Erwerbsgelegenheit,  welche  ihre  Mitarbeit 
an  dem  Bahnbaue  ausschließt,  so  werden  die  anderen  Be- 
teiligten den  Übergang  zu  derselben  eventuell  mit  dem 
Opfer  nahezu  des  ganzen  Überschusses  hintanzuhalten 
suchen.  So  liegt  denn  nichts  Widersinniges  darin,  den 
Wert  der  Mitwirkung  aller  einzelnen  mit  dem  Gesamtwerte 
anzuschlagen,  den  die  Unternehmung  verwirklicht.  Aber, 
auf  der  anderen  Seite,  die  Gruppen  müssen  sich  schließlich 


250  '^  Problam  dei  «Utiicheii  OUicbgewichtes. 

das  zu  einer  solchen  Kombination  gehört,  immer  der  gaoze 
Nutseffekt  in  Betracht  kommt.  Und  deshalb  «fthleo  vir 
diese  Auffassung;  eine  Addition  der  sich  so  ergebendeo 
Gesamtwerte  solcher  GDter  aber  h&tte  keinen  Sioo,  wflnle 
eine  Wertsumme  ergeben,  die  größer  wäre  als  der  Wert 
des  gemeinsamen  Nutzeffektes. 

Nur  solange  als  man  diese  Addition  vornehmen  will 
und  an  der  Vorstellung  festbftlt,  daS  der  Wert  eines  Pro- 
duktes sich  auf  die  ProduktivgOter  desselben  verteilen  didB, 
wie  die  W&rme  eines  KOrpeis  auf  eine  von  ihm  bestrahlte 
Wand,  besteht  die  Schwierigkeit,  von  der  wir  spracbaL 
Gibt  man  die  erstere  auf  Jind  erinnert  man  sich  stete 
daran,  was  unsere  Kurven  bedeuten  und  was  wir  mit  ihueo 
wollen,  so  verschwindet  die  letztere. 

In  den  angeführten  F&llen  fehlte  jedoch  ein  Momeoi, 
das  geeignet  scheint,  der  Wertzurechnung  die  vermiSte  Be- 
stimmtheit zu  geben.  Es  ist  das  der  Konkurrenz.  V^eoB. 
um  wieder  auf  unser  Beispiel  vom  Bahnbaue  zurDekn- 
kommen,  die  Arbeiter,  Kapitalisten  und  Grandeigentamer 
nicht,  wie  wir  sagten,  drei  Gruppen  bilden,  soDdem  sich 
untereinander  unterbieten,  so  wird  ihr  Anteil  beatimiut 
werden;  bei  völlig  freier  Konkurrenz,  aus  der  sich  eigil*. 
das  sogleich  auch  andere  Bahnen  gebaut  worden,  wenD  Av 
erste  einen  solchen  „Überschuß"  Ober  die  „Kosten"  giW- 
mfißte  außerdem  dieser  Überschuß,  der  aufgeteilt  weniei 
soll,  eine  Tendenz  zum  Verschwinden  haben.  Wie  steht » 
nun?  Gewiß,  die  Anteile  der  Produktivgüter  am  Erlöse  «n* 
einer  Produktion  sind,  wie  wir  noch  in  der  Preistbeon* 
sehen  werden,  nur  im  Falle  „freier  KonkurrenE*  eindeutig 
bestimmt.    Wenn   dieser  nicht  vorliegt,  reicht  auch  niwef« 


■  Hoffentlich  ist  sich  der  Leier  über  die  Bedentang  aoMi«  i 
Terminologie  klar;  z.  ß.  heißt  hier  der  Aasdrock  „Kosten":  W«H  >■  j 
Geld,  der  io  anderen  Verwendungen  realiBiert  wird.  Di«  Klino  mutm  j 
DiskoMion  macht  vClIige  Korrektheit  in  der  Anwlnicksweise  umri^fi^  ' 
und  ich  lege  Wert  darauf,  den  Leser  vor  mfigUchen  IT 


Das  Zurechnungsproblem  usw.  2.')! 

Auffassung  zu  einer  eindeutigen  Bestimmung  dieses  Anteiles 
nicht  aus.  Ihr  Vorteil  besteht  da  lediglich  darin,  dafi  sie 
uns  die  Anwendung  der  Tauschgesetze  ermöglicht.  Aber 
das  Resultat  ist  nicht  eindeutig. 

Allein,  unterscheiden   wir  näher.     Das,   was  nur  im 
Falle  der  freien  Konkurrenz  —  und  sonst  nicht  —  eindeutig 
bestimmt  ist,  ist  nichts  anderes  als  der  Preis  der  Produktiv- 
guter  und  femer  ihre  schließlichen  Grenznutzen.  Ihre  Wert- 
funktionen stehen  auch  sonst  nach  unserer  Auffassung 
völlig  fest    Hier   handelt  es  sich   darum,   ob  nicht   auch 
diese  durch  das  Moment  der  Konkurrenz  eine  Bestimmtheit 
erlangen  können,  welche  ihnen  nach  der  Auffassung  mancher 
Theoretiker  andernfalls  fehlt.    Und  zwar  kommt  hier  nicht 
die  Konkurrenz  anderer  Wirtschaftssubjekte,  sondern  eine 
andere  Art  von  Konkurrenz  in  betracht,  nämlich  die  anderer 
Verwendungsmöglichkeiten.    Man  kann  auch  so  argumen- 
tieren:   Wenn    Produktivgüter   nur   eine    bestimmte   Ver- 
wendung haben,  zur  Erzeugung  nur  eines  Produktes  ge- 
eignet sind,  so  ist  die  Wertfunktion  jedes  derselben  nicht 
weiter  bestimmt.    Hat  aber  z.  B.  eines   von  ihnen  auch 
noch  eine  andere  Verwendung,  soda6  es  aus  dieser  herbei- 
gezogen werden  kann,  so  hängt  von  einer  konkreten  Menge 
desselben  nicht  der  ganze  Wert,  den  die  erstere  Verwendung 
realisiert,  ab,  sondern  nur  jener,  auf  welchen  man  verzichten 
mnfi,  wenn  man  es  aus  der  letzteren  herauszieht,   welche 
notwendig  geringwertiger  sein  mufi,  wenn  der  ganze  Prozeß 
überhaupt  vor  sich  gehen  soll.    Nur  mit  diesem  geringeren 
Werte  würde  dieses  Produktivgut  anzuschlagen  sein,   und 
wir  wären  in  der  Lage,   es  mit  einem   bestimmten,   eben 
diesem  geringeren,  Werte  in  unsere  Rechnung  einzustellen 
and  hätten  den  Überschuß  nur  auf  die  übrigen  Produktions- 
gflter  zu  verteilen.   Da  aber  fast  alle  mehrere  Verwendungen 
gestatten,  so  würden  sich  auch  für  andere  ebensolche  be- 
stimmte Werte  ergeben  und  es  liegt  im  Sinne  dieser  Auf- 
üissung,  auf  diese  Art  dahin  zu  kommen,   unseren  Über- 
fchufi  nur  einem  der  mitwirkenden  Faktoren  zurechnen  zu 
können,   womit  denn  dasselbe  erreicht  scheint,  wie  durch 


252  ^^  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

unsere  Auffassung:  nämlich   die  Bestimmtheit  der  Werte 
aller  Produktivgüter. 

In  unseren  Beispielen  also  würde  der  Wert  der  Leistimg 
des  Fiakers  nur  soviel  betragen,  als  der  jener  Fahrt,  welche 
er  sonst  machen  könnte,  der  Wert  der  Leistung  unserer 
Arbeiter  am  Bahnbaue  nur  soviel,  als  der  jener  Arbeit,  die 
sie  sonst  erlangen  könnten  usw.  Und  sicherlich  würde 
diese  Auffassung  in  vieler  Hinsicht  plausibler  sein  als  die 
unsere. 

Allein  die  folgenden  Bedenken  scheinen  sie  mir  uo- 
möglich  zu  machen.  Vor  allem  löst  sie  das  Problem  niehtt 
sondern  schiebt  es  nur  um  einen  Schritt  zurück.  Woher 
kommt  denn  der  Wert  in  jener  anderen  Verwendung?  Ent- 
weder es  gibt  noch  eine  weitere  oder  nicht.  In  letzterem 
Falle  stehen  wir  vor  ganz  demselben  Probleme  und  auch 
der  erstere  muß  früher  oder  später  auf  eine  letzte,  gering- 
wertigste Verwendungsart  zurückführen,  deren  Wert  dann 
der  Erklärung  ermangelt.  So  kommen  wir  dann  doch  wieder 
auf  jene  Schwierigkeiten  zurück,  welche  zu  unserer  Auf- 
fassung führen.  Sodann,  wie  steht  es,  wenn  alle  zu- 
sammenwirkenden Güter  einen  solchen  geringeren  Wert 
haben,  welchem  soll  da  der  Überschuß  zugerechnet  werdenlf 
Ein  solcher  Fall  ist  durchaus  möglich  und,  wenn  er  eis* 
tritt,  hängt  jener  Wertüberschuß  völlig  in  der  Luft.  V^i 
das  darf  nicht  geschehen;  es  muß  der  ganze  Wert  des 
Produktes  in  den  Wertfunktionen  der  Produktivgüter  unter 
gebracht  werden,  wenn  wir  unser  Problem  als  gelöst  be- 
trachten sollen. 

Diese  beiden  Einwendungen  führen  auf  die  dritte: 
Diese  Auffassung  übersieht  etwas,  nämlich  die  Wertsteigenuft 
welche  die  Folge  einer  neuen  Verwendungsmöglichkeit  fU 
ein  Produktivgut  ist.  Der  Grund,  warum  sie  das  übersieht 
liegt  in  der  von  uns  schon  wiederholt  gerügten  Vermengufig 
von  Wertfunktion  und  Gesamtwert.  Wenn  eine  neue  vor- 
teilhafte Verwendung  eines  Gutes  möglich  wird,  so  steigt 
sein  Wert  aus  zwei  Ursachen:  Vor  allem  deshalb,  weil  nun 
für   die    bisherigen   Verwendungen    eine    geringere   Menge 


Dm  Znrechnuiigsproblem  usw.  251 

Aoffassong  zu  einer  eindeutigen  Bestimmung  dieses  Anteiles 
nicht  aus.  Ihr  Vorteil  besteht  da  lediglieh  darin,  dafi  sie 
uns  die  Anwendung  der  Tauschgesetze  ermöglicht.  Aber 
das  Resultat  ist  nicht  eindeutig. 

Allein,  unterscheiden  wir  näher.  Das,  was  nur  im 
Falle  der  freien  Konkurrenz  —  und  sonst  nicht  —  eindeutig 
bestimmt  ist,  ist  nichts  anderes  als  der  Preis  der  Produktiv- 
gfiter  und  femer  ihre  schließlichen  Grenznutzen.  Ihre  Wert- 
funktionen  stehen  auch  sonst  nach  unserer  Auffassung 
völlig  fest  Hier  handelt  es  sich  darum,  ob  nicht  auch 
diese  durch  das  Moment  der  Konkurrenz  eine  Bestimmtheit 
erlangen  können,  welche  ihnen  nach  der  Auffassung  mancher 
Theoretiker  andernfalls  fehlt.  Und  zwar  kommt  hier  nicht 
die  Konkurrenz  anderer  Wirtschaftssubjekte,  sondern  eine 
andere  Art  von  Konkurrenz  in  betracht,  n&mlich  die  anderer 
Verwendungsmöglichkeiten.  Man  kann  auch  so  argumen- 
tieren: Wenn  Produktivgüter  nur  eine  bestimmte  Ver- 
wendung haben,  zur  Erzeugung  nur  eines  Produktes  ge- 
eignet sind,  so  ist  die  Wertfunktion  jedes  derselben  nicht 
weiter  bestimmt.  Hat  aber  z.  B.  eines  von  ihnen  auch 
noch  eine  andere  Verwendung,  soda6  es  aus  dieser  herbei- 
gezogen werden  kann,  so  hängt  von  einer  konkreten  Menge 
desselben  nicht  der  ganze  Wert,  den  die  erstere  Verwendung 
realisiert,  ab,  sondern  nur  jener,  auf  welchen  man  verzichten 
muß,  wenn  man  es  aus  der  letzteren  herauszieht,  welche 
notwendig  geringwertiger  sein  muß,  wenn  der  ganze  Prozeß 
überhaupt  vor  sich  gehen  soll.  Nur  mit  diesem  geringeren 
Werte  würde  dieses  Produktivgut  anzuschlagen  sein,  und 
wir  wären  in  der  Lage,  es  mit  einem  bestimmten,  eben 
diesem  geringeren,  Werte  in  unsere  Rechnung  einzustellen 
und  hätten  den  Überschuß  nur  auf  die  übrigen  Produktions- 
güter zu  verteilen.  Da  aber  fast  alle  mehrere  Verwendungen 
gestatten,  so  würden  sich  auch  für  andere  ebensolche  be- 
Btinunte  Werte  ergeben  und  es  liegt  im  Sinne  dieser  Auf- 
fassung, auf  diese  Art  dahin  zu  kommen,  unseren  Über- 
schuß nur  einem  der  mitwirkenden  Faktoren  zurechnen  zu 
können,   womit  denn  dasselbe  erreicht  scheint,  wie  durch 


254  ^^  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

geringstwertigen ,  noch  tatsAchlich  vorgenommenen  Ver- 
wendung und  die  zu  einer  neuen  Verwendung  nOtige  Menge 
eines  Produktivgutes  sicherlich  „von  der  Grenze''  genommen 
wird,  so  sieht  es  so  aus,  wie  wenn  wirklich  nur  die  geringit- 
wertige  Verwendung  den  Wert  unseres  ProdukÜTgutes 
nach  wie  vor  bestimmen  müßte.  Das  ist  aber  nicht  ganz 
richtig  oder  besser,  das  gilt  nur  unter  der  Voransaetiong. 
dafi  sich  die  Wertfunktion  nicht  ändert  Da  tue  es  aber 
tut,  so  ist  diese  Betrachtungsweise  unanwendbar.  Jedoch 
nur  soweit,  als  man  den  Gesamtwert  und  die  Wertfonktion 
im  Auge  hat.  Der  Grenznutzen  unseres  Produktivmittels 
wird  tatsächlich  durch  die  Wertfunktion  der  geringst- 
wertigen  Verwendung  bestimmt.  Und  wenn  die  zur  neuen 
Verwendung  nötige  Menge  so  klein  ist,  da6  ein  und  dieselbe 
Verwendung  vor«  und  nachher  die  gerin gstwertige  ist,  so 
wird  der  Grenznutzen  allerdings  nur  wenig,  das  heißt  nur 
soviel  geändert,  als  durch  die  Verringerung  der  Menge  in 
derselben  bedingt  ist.  Weil  ferner  der  Grenznutzen  für  den 
Preis  entscheidend  ist,  so  kann  es  geschehen,  daß  sich  in 
demselben  die  neue  Verwendung  fast  gar  nicht  geltend 
macht,  z.  B.  unser  Bahnbau  die  Löhne  der  Arbeiter  nicht 
mehr  erhöht,  als  durch  die  Verringerung  des  Arbeitsangebotes 
in  der  wenigst  lohnenden  Beschäftigung  erklärt  werden 
kann.  Aber  das  gilt  nicht  allgemein  —  wenn  auch  i> 
praxi  in  der  Regel  —  und  nicht  im  Prinzipe.  Und  nie 
gilt  es  für  alle  Teile  der  Wertskala  des  ÄroduktiTgates 
und  seinen  Gesamtwert.  Wir  sehen  wiederum,  wie  wichtig 
es  ist,  zwischen  Wertfunktion  und  Grenznutzen  zu  scheiden. 
Die  erstere  ist  das,  was  wir  ableiten  wollen^. 

Das  andere  Element  von  Wahrheit  in  der  in  Bede 
stehenden  Auffassung  ist  das  folgende:  Wenn  eine  bisher 
nicht  mögliche  neue  Verwendungsart  eines  Gutes  plfttdich 
möglich  wird,  so  kann  man  allerdings,  wenn  man  ent- 
scheiden will,   ob  und  inwieweit  sie  vorgenommen  werden 


^  Dm  ist  der  Hauptunterechied  zwiichon  anierer  Ltauig  md 
der  Prof.  v.  Wieser's. 


Das  Ziirechnun<j:sproblem  usw.  255 

soll ,  nur  so  verfahren ,  daß  man  den  durch  sie  realisier- 
baren Wert  dem  bisher  in  den  anderen  Verwendungen 
realisierten  gegenQberstellt.  WQrde  man  den  ersteren  bei 
dieser  Betrachtung  bereits  in  die  Wertfunktion  des  Produktiv- 
gutes  einrechnen,  so  wäre  das  wirklich  falsch  und  würde 
XU  dem  Besultate  fahren,  dafi  durch  die  Neuerung  kein 
Natzenzuwachs  erzielt  wird.  Jede  der  möglichen  Ver- 
wendungsarten kann  man  von  diesem  Gesichtspunkte  be- 
trachten und  in  diesem  Sinne  sagen,  daB  jedes  Gut  soviele 
Wertfunktionen  als  Verwendungsarten  hat.  Handelt  es  sich 
darum,  die  wirtschaftliche  Bedeutung  einer  Verwendungsart 
festzustellen,  also  den  durch  sie  erzeugten  Nutzgewinn  zu 
berechnen,  so  kann  tatsächlich  nicht  anders  vorgegangen 
werden.  Sicherlich  hat  dieser  Tatbestand  hauptsächlich  zu 
dieser  Auffassung  geführt.  Allein,  wenn  alle  die  betrach- 
teten Verwendungen  regelmäßig  vorgenommen  und  ihre 
Resultate  vollkommen  vorausgesehen  werden,  so  werden  die 
Werte  aller  sich  in  den  Wertfunktionen  der  betreffenden 
Güter  zeigen,  müssen  sie  sich  zeigen,  wenn  keine  „Über- 
schflsse'^  vorhanden  sein  sollen,  mit  denen  wir  nichts  anzu- 
fügen wüfiten.  Und  das  ist  unser  Fall.  Im  statischen 
Zustande  müssen  wir  die  Wertfunktionen  als  konstant 
annehmen,  denn  sie  sind  notwendige  Daten  unserer  Prob- 
leme. Keine  Überraschung,  kein  Fortschritt  zu  neuen 
^oduktionen  darf  stattfinden,  da  das  unser  System  von 
Gnmd  auf  ändern  würde.  Alle  Produktionen  müssen  genau 
^  und  mit  genau  dem  Erfolge  vor  sich  gehen,  den  man 
vorhersah  und  alle  Produktions-  und  Konsumtionskombi- 
i^tionen  müssen  ein  für  allemal  fixiert  sein.  Sie  spiegeln 
tich  in  den  Wertfunktionen  wieder,  auf  denen  unsere  Re- 
Mtate  beruhen,  ebenso  wie  alle  Tatsachen  der  Bedürfnisse, 
Anlage,  der  umgebenden  Natur  usw. 

Fügen  wir  noch  hinzu,  dafi  auch  alle  Tauschakte  vorher 

gesehen   und   das  System   der  Wertfunktionen   nach   ihnen 

Adjustiert  sein   muS,    so   ist   alles    gesagt.      Das  für   den 

Titöoretiker  von  Fach.     Wir  wollen  auf  diese  trockenen 

Fragen  nicht  weiter  eingehen,  sondern  nur  in  Kürze  unsere 


mm 


256  ^^  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

Losung  des  Problemes,  deren  leitende  Grundsätze  wir  ebeo 
auseinandersetzten,  vorführen.  Auch  das  kann  ohne  Schsdeo 
für  das  Verständnis  des  folgenden  überschlagen  werdei. 
Ich  behaupte  nicht,  alle  Punkte,  die  der  Aufklärung  be 
dürfen,  gestreift  zu  haben,  bin  mir  vielmehr  der  Unvoll- 
ständigkeit  meiner  Ausführungen  über  dieses  schwierige 
Problem  durchaus  bewußt  ^  Doch  ist  es  im  Rahmen  dieser 
Arbeit  nicht  möglich,  mehr  zu  bieten. 

Die  Lösung,  die  wir  vorschlagen,  ist  also  im  Wesen 
die  folgende. 

Hat  ein  Gut  nur  eine  Verwendung,  kann  also  z.  B. 
aus  einem  Produktionsmittel  nur  ein  Genußgut  erzeugt 
werden,  und  gibt  es  keinen  Ersatz  für  dasselbe,  so  ist  seine 
Wertfunktion  einfach  die  jener  Verwendung,  jenes  Geottfi- 
gutes.  Seine  Angebotsfunktion  ist  dann  diese  Wertkurve, 
nur  eben  „verkehrt**.  Das  letztere  wollen  wir  hier  nicht 
immer  wiederholen,  vielmehr  uns  begnügen,  die  Wertfunk- 
tionen  und  zwar  die  Wertfunktionen  der  Produktions- 
mittel abzuleiten,  obgleich  das  auch  für  die  Genufigflter 
mit  mehreren  Verwendungen  gilt. 

Ein  Genußgut  habe  mehrere  ProdtthiitniflgUter,  die  ztt 
nichts  anderem  verwendet  und  nicht  ersetzt  werden  können. 
Die  Wertfunktionen  dieser  letzteren  sind  dann,  jede  fttf 
sich,  mit  der  Wertfunktion  des  ersteren  identisch,  wobei 
nur  noch  zu  berücksichtigen  ist,  daß  für  die  Abszissen  der 
Wertkurven  der  Produktivgüter  solche  Einheiten  gewählt 
werden  müssen,  welche  der  Menge  dieser  Güter  entsprecheOi 
die  zur  Erzeugung  der  Einheit  des  Produktes  nötig  sind- 
Auch  das  sei  hier  ein-  für  allemal  erwähnt. 

Ein  Produkt  habe  ein  Produktivgut,  daß  „unersetzlicb'i 
aber  anderweitig  verwendbar  sei.  Die  Wertfunktion  d^ 
letzteren  ist  eine  Art  von  Wertfunktion  der  Gruppe  f^ 
Gütern ,  zu  deren  Erzeugung  es  nötig  ist.    Sie  setzt  sieb 


>  Etwas  mohr  über  einige  hierher  gehörige  Punkte  in  mon^ 
„Bemerkungen  über  das  Zurechuungsproblem".  Zeitachr.  f.  Volks^*' 
"««dalp.  u.  Ver^'.   Wien  1908. 


Das  Zarechnangsproblem  asw.  255 

soll,  nur  80  verfahren,  da6  man  den  durch  sie  realisier- 
baren Wert  dem  bisher  in  den  anderen  Verwendungen 
realisierten  gegenüberstellt.  WQrde  man  den  ersteren  bei 
dieser  Betrachtung  bereits  in  die  Wertfunktion  des  Produktiv- 
gutes  einrechnen,  so  wäre  das  wirklich  falsch  und  würde 
zu  dem  Besultate  führen,  dafi  durch  die  Neuerung  kein 
Nutzenzuwachs  erzielt  wird.  Jede  der  möglichen  Ver- 
wendungsarten kann  man  von  diesem  Gesichtspunkte  be- 
trachten und  in  diesem  Sinne  sagen,  dafi  jedes  Gut  soviele 
Wertfunktionen  als  Verwendungsarten  hat.  Handelt  es  sich 
darum,  die  wirtschaftliche  Bedeutung  einer  Verwendungsart 
festzustellen,  also  den  durch  sie  erzeugten  Nutzgewinn  zu 
berechnen,  so  kann  tatsächlich  nicht  anders  vorgegangen 
werden.  Sicherlich  hat  dieser  Tatbestand  hauptsächlich  zu 
dieser  Auffassung  geführt.  Allein,  wenn  alle  die  betrach- 
teten Verwendungen  regelmäfiig  vorgenommen  und  ihre 
Besultate  vollkommen  vorausgesehen  werden,  so  werden  die 
Werte  aller  sich  in  den  Wertfunktionen  der  betreffenden 
Güter  zeigen,  müssen  sie  sich  zeigen,  wenn  keine  „Über- 
schüsse"' vorhanden  sein  sollen,  mit  denen  wir  nichts  anzu- 
fangen wüfiten.  Und  das  ist  unser  Fall.  Im  statischen 
Zustande  müssen  wir  die  Wertfunktionen  als  konstant 
annehmen,  denn  sie  sind  notwendige  Daten  unserer  Prob- 
leme. Keine  Überraschung,  kein  Fortschritt  zu  neuen 
Produktionen  darf  stattfinden,  da  das  unser  System  von 
Grund  auf  ändern  würde.  Alle  Produktionen  müssen  genau 
80  und  mit  genau  dem  Erfolge  vor  sich  gehen,  den  man 
vorhersah  und  alle  Produktions-  und  Konsumtionskombi- 
nationen müssen  ein  für  allemal  fixiert  sein.  Sie  spiegeln 
«ich  in  den  Wertfunktionen  wieder,  auf  denen  unsere  Re- 
sultate beruhen,  ebenso  wie  alle  Tatsachen  der  Bedürfnisse, 
Anlage,  der  umgebenden  Natur  usw. 

Fügen  wir  noch  hinzu,  dafl  auch  alle  Tauschakte  vorher 
gesehen  und  das  System  der  Wertfunktionen  nach  ihnen 
adjustiert  sein  muS,  so  ist  alles  gesagt.  Das  für  den 
Theoretiker  von  Fach.  Wir  wollen  auf  diese  trockenen 
Fragen  nicht  weiter  eingehen,  sondern  nur  in  Kürze  unsere 


258  ^^  Problem  des  statischen  Gleichf^wichtes. 

nach  einem  ähnlichen  Prinzipe  gebaute  Wertfunktion,  nur 
daß  für  deren  Stücke  die  Funktioüen  seiner  Ersatzmittel 
in  jenen  Verwendungen  in  Betracht  kommen,  auf  die  ioi 
Falle  ihres  Heranziehens  verzichtet  werden  müfite.  Darin 
liegt  das  zweite  grundlegende  Prinzip  unserer  Problem- 
lösung. 

Habe  femer  ein  Produkt  zwei  Produktivgüter,  wovon 
das  eine  anderweitig  verwendbar  sei,  das  andere  aber  nicht. 
Beide  seien  unersetzlich.  Nur  für  das  anderweitig  verwend- 
bare gelten  die  bisherigen  Regeln,  beim  anderen  ist  zu 
berücksichtigen,  daß  man,  wenn  man  seinen  Wert  realisieren 
will,  auf  einen  anderen  —  den  der  anderweitigen  Ver- 
wendungen des  auch  sonst  verwendbaren  Produktivmittels  - 
verzichten  muß.  Die  Wertfunktion  des  letzteren  kann  also 
nicht  die  des  Produktes  sein,  sondern  ihre  Ordinaten  müssen 
verkürzt  werden  um  einen  diesem  Umstände  entsprechenden 
Betrag.  Nochmals  sei  aber  betont,  daß  die  Wertfunktion 
des  anderweitig  verwendbaren  Faktors  nicht  bloß  aus  jenen 
dieser  anderweitigen  Verwendungen  zusammengesetzt  ist. 
sondern  auch  die  unseres  Produktes  enthält. 

Wenn  ein  Produkt  mehrere  Produktivgüter  bat. 
welche  unersetzlich  aber  anderweitig  verwendbar  sind,  so 
hat  jedes  derselben  die  Wertfunktion,  die  in  der  vorgeführten 
Weise  sich  aus  seinen  Verwendungen  ergibt,  aber  ibr^ 
Ordinaten  sind  entsprechend  den  Werten  der  andere» 
Produktivgüter  in  deren  anderen  Verwendungen  zu  vcv 
kürzen. 

Sind  diese  Produktivgüter  aber  außerdem  noch  ersetzlid^* 
so  wird  kein  neues  Prinzip  nötig  und  ebenso  kann  man  d^^ 
Fall,  in  dem  solche  Produktivgüter  mit  unersetzlichen  uO^ 
anderweitig  nicht  verwendbaren  zusammenwirken,  erledig?^ 
Diese  Probleme  können  nur  den  Si)ezialisten  interessieren  uO^ 
wir  eilen,  diese  so  trockenen  Erörterungen  zu  schließen. 

Alles,  was  festzuhalten  ist,  ist  nur  die  prinzipiell^ 
Mi)glichkeit  der  Lösung  des  Zurechnungsproblemes.  Diesell** 
wird  schon  durch  die  Tatsache  bewiesen,  daß  wir  Produktioii^ 
läutern   mit   der    gleichen  Sicherheit   bestimmte  Werte   z«^ 


Das  ZorechniuigBproblem  asw.  257 

zasammen  ans  jenen  Teilen  der  Wertfunktionen  dieser  Güter, 
welche  jeweilig  die  größten  Ordinaten  haben.  Erklären  wir 
das  in  psychologischer  Sprache:  Zunächst  wird  jene  Ver- 
wendung eingeschlagen,  welche  den  gröfiten  Nutzen  liefert 
Solange  man  bei  derselben  bleibt  und  für  jenes  Stück  der 
Abszissenachse,  welches  die  dieser  Verwendung  gewidmete 
Menge  des  Gutes  versinnlicht,  gibt  eben  die  Wertkurve  jener 
Verwendung.  Hätte  das  betrachtete  Wirtschaftssubjekt  nur 
diese  Menge  des  betrachteten  Gutes,  so  würden  die  anderen 
Verwendungen  nicht  in  Frage  kommen,  und  nur  die  Wert- 
funktion dieser  Verwendung  würde  für  unser  Gut  gelten. 
Wenn  das  Wirtschaftssubjekt  aber  von  demselben  mehr  hat 
und  dieses  „mehr''  erst  einer  anderen,  dann  einer  dritten 
Verwendung  zuführt  und  so  immer  weiter,  so  werden  für 
jene  Mengen  unseres  Produktivmittels,  die  den  einzelnen  ge- 
widmet werden,  eben  die  Wertfunktionen  dieser  Verwendungen 
gelten,  wobei  es  in  der  Natur  der  Sache  liegt,  dafi  die  ein- 
zelnen Stücke,  aus  denen  die  Wertfunktion  des  Produktiv- 
mittels sich  also  zusammensetzt,  aneinander  anschliefien; 
denn  an  der  Stelle  des  Überganges  von  einer  Verwendung 
zur  anderen  muß  die  Wertfunktion  der  einen  die  der  an- 
deren berühren,  da  die  erstere  an  dieser  Stelle  von  oberhalb 
kommend  unter  die  letztere  herabsinkt.  Dabei  kann  es  ge- 
schehen, daß  die  Wertfunktion  einer  Verwendung,  nachdem 
sie  unter  die  anderer  einmal  herabgesunken  ist,  später 
einmal  wieder  bestimmend  wird  infolge  des  schnelleren 
Sinkens  der  anderen,  d.  h.,  daß  eine  bereits  zugunsten 
anderer  aufgegebene  Verwendung  später  wieder  aufgenommen 
wird.  Das  ändert  nichts  an  dem  Prinzipe,  das  wir  so  aus- 
sprechen können:  Für  die  einzelnen  Teile  der  Wertfunktion 
eines  für  verschiedene  Verwendungen  geeigneten  aber  für 
diese  unentbehrlichen  Gutes  kommen  stets  diejenigen  Wert- 
funktionen in  Betracht,  welche  den  tatsächlichen  Ver- 
wendungen seiner  einzelnen  Teilmengen  ent- 
sprechen. 

Ist    nun    weiter    ein    Produktivgut    zu   mehreren    Ver- 
wendungen geeignet  und  in  allen  ersetzbar,  so  hat  es  eine 

Schump«ter.  Natiunaloknnoinie.  1* 


IIL  Kapitel. 
Elemente  der 


§  1.    Nun  endlich  kommen  wir  zur  Preistheorie.    Es 
ist   fast   überflüssig,   dem   Leser   zu   sagen,   dafi   es  eine 
Täuschung  ist,  zu  glauben,  daß  uns  dieselbe  nichts  anderes 
leisten  soll  als  die  Erklärung  einer  allerdings  sehr  wich- 
tigen Ersclieinung  der  Verkehrswirtschaft.    Dieser  Eindruck 
wird  nur  durch  unvollkommene  Darstellungen  hervorgerafen. 
Aber  es  ist  nunmehr  wohl  klar,  daß  die  Grundlagen  der  Preis- 
theorie auch  auf  die  reinökonomischen  Vorgänge  der  isolierteD. 
verkehrslosen  Wirtschaft  anwendbar  sind ;  sodann,  daß  sie  and 
ihre  Anwendungen  überhaupt  die  ganze  statische  Wirtschaft 
umfassen,  ein  System  der  Logik  der  wirtschaftlicben 
Dinge    darstellen.     Was    aber    weiter    in   nichtoiatbe- 
matischen  Darstellungen  übersehen  wird,  ist  nicht  bloß  umI 
nicht  vor  allem  eine  ganze  Menge  erreichbarer  Resultate, 
sondern  namentlich  der  Umstand,  in  dem  das  Hauptinteresse 
der  Preistheorie  für  die  Wissenschaft  ankert,  der  Umstand, 
daß  sie  den  exakten  Nachweis  liefert,  daß  im  Wesentlichen 
unsere  Voraussetzungen,  das  heißt  also,  die  Momente,  auf 
denen  unser  System  beruht,  dazu  ausreichen,  die  Preise  der 
Güter   und   die  ^fengen  derselben,  die  die  Indiriduen  er- 
werben und  aufgeben  werden,  eindeutig  zu  bestimmen  und 
zwischen  allen  Preisen  und  Mengen  eine  eindeutig  bestimmte 
Wechselwirkung   zu    erkennen;    daß    also  einerseits   unser 
System  in  sich  geschlossen  ist   und  alle  Elemente  enthält, 
die  dazu  nötig  sind,  um  die  Vorgänge,  zu  deren  Besdireibung 


Elemente  der  Preistheorie.  261 

es  geaebaSen  wurde,  von  einem  Standpunkte  wenigstens 
aus  vollBtHndig  zu  «verstehen-  und  dafi  es  anderseits  in 
einem  bestimmten  Sinne  normale  Gr&6en  dieser  Preise  and 
Mengen  —  eine  Logik  der  wirtschaftlichen  Dinge  —  gibt 

Das  Problem  der  Preistheorie  ist  also  in  seiner  Allgemein- 
heit das  folgende: 

Gegeben:  m  Individuen  A,  B,  C  .  .  .  .  und  ihre 
Wertfiinktionen  far  n  GQter  I,  II .  .  .  .,  sodann  ihr  Besitz 
an  diesen  Gfitem  ^si,  g^t  .  .  ■  .  9&1,  gti  ■  .  .  . 

Gesucht:   Die  Tauschrelationen  j>„  p, zu  denen 

getauscht  werden  wird  und  die  —  positiven  oder  negativen  — 
Zuwachse  dqai,  dq^a  ■  ■  ■  ■  dgn,  d^t,  .  .  .  .,  welche  jene  ge- 
gebenen Goterbesitze  dabei  erfahren  werden. 

Das  ist  das  Gmndproblem,  das  zahlreiche  Variationen 
und  Bereicherungen  gestattet  und  dessen  Bedeutung  eine 
ganz  grundlegende  ist.  Seine  Ausarbeitung  und  die  Dis- 
kussion seiner  Resultate  macht,  richtig  verstanden,  die  ge- 
samt« reine  Ökonomie  aus,  d.  h.  eben  jene  in  sich  ge- 
schlossene, sich  selbst  genügende  und  methodologisch 
und  inhaltlieh  einheitliche  Disziplin,  von  der  wir  hier 
sprechen.  Diese  Ausarbeitung  und  Diskussion  ist  noch  nicht 
vollst&ndig  durchgef&hrt,  aber  dennoch  ist  dieses  Gebiet  das 
am  besten  bearbeitete  der  gesamten  Sozialwissenschaft.  Wir 
können  nicht  daran  denken,  es  hier  weiterzubilden  oder  auch 
nnr,  so  viel  es  bereits  exploitiert  ist,  darzustellen.  Das 
wOrde  uns  weit  Ober  den  Rahmen  dieser  Arbeit  hinaus- 
fahren. Alles,  was  wir  wollen,  ist,  diese  Theorie  in  ihrer 
Bedeotung  zu  zeigen,  einige  wenige  Punkte  zu  berühren, 
irelche  in  Darstellungen,  die  die  Denkformen  der  hflheren 
Analyse  verschmähen,  nicht  geuQgeud  oder  überhaupt  nicht 
hervortreten,  und  den  Leser  einzuladen,  sich  mit  der  Literatur 
dieses  Gegenstandes  vertraut  zu  machen,  ehe  er  Ober  Wesen 
und  Wert  der  theoretischen  Ökonomie  urteilt,  ihn  vor  allem 
an  den  großen  Meister  der  exakten  Theorie  zu  weisen ,  an 
LöOD  Walras. 

Vor  allem  haben  wir  die  eindeutige  Bestimmtheit  der 
Preise   and  Zuw&chse  der  Güter   innerhalb    jenes  Grund- 


202  1^  Problem  d««  BUtüehen  Gldcfafewiebt««. 

problemes  nachzuweisen.  Das  geschieht,  indem  wir  zeigen, 
daß  wir  imstande  sind,  ebensoviele  Bestimmungsgleicbungea 
aufzustellen,  als  wir  Unbekannte  haben.  Nun,  die  Zahl 
der  letzteren  ist  ersichtlich  gleich  der  Zahl  der  zu  be- 
stimmenden Gdterpreise  —  also  n  —  i'  —  mehr  der  Zahl 
jener  Zuwächse  der  ökonomischen  Quantitäten  — die  wiederum 
gleich  iat  der  Zahl  der  vorhandenen  Wirtschaftssnbjekte 
mal  der  Zahl  der  vorhandenen  GOter,  also  ffl.ft  — ,  demnach 
gleich  n  (m  +  1)  —  1.  Unsere  Bestimmungsgleichungen  zer- 
fallen in  zwei  Gruppen.  Erstens  muß  nach  dem  Abschlüsse 
der  Tauschakte  fttr  jedermann  unser  Gesetz  vom  Grenz- 
nutzenniveau verwirklicht  sein  —  das  gibt  Gleichungen  von 
der  Zahl  der  Individuen  —  m~~  mal  der  Zahl  der  GOter 
weniger  eins,  wie  man  leicht  sieht:  also  m(n  —  Jj;  daher 
fehlen  noch  m  +  n  —  1  Gleichungen.  Diese  liefert  uns  eine 
andere  Gruppe;  drucken  wir  aus,  dafi  in  unserem  Markte 
die  ver-  und  gekauften  Mengen  jedes  Gutes  einander  gleich 
sein,  sich  aufheben,  also  ihre  Summen  gleich  Null  sein 
müssen:  das  gibt  n  Gleichungen;  und  dracken  wir  ferner 
noch  aus,  daä  für  jedes  Individuum  „ErlAs"  und  , Ausgabe* 
sich  balancieren  müssen,  so  erhalten  wir  noch  weitere 
m  Gleichungen.  Also  scheinbar  um  eine  zuviel;  allein  die 
Summe  der  zuletzt  genannten  folgt  aus  der  Gleichheit  der 
ver-  und  gekauften  Mengen  aller  Güter,  sodaS  sieb  die  Zahl 
unserer  Gleichungen  um  eine,  das  heifit  auf  die  Zahl  der 
Unbekannten  reduziert. 

Mit  KQcksicht  auf  das  früher  Gesagte,  erfordert  diese 
Darlegung  kaum  mehr  eine  weitere  Erklärung.  Sie  umfafit 
sowohl  Tausch  in  engerem  Sinne,  wie  Produktion  und  Exn- 
komiDeusbildung.  Auf  den  dritten  Punkt  werden  wir  noch 
ausführlich  zu  sprechen  kommen,  zum  zweiten  aber  mochten 
wir  noch  bemerken,  dafi  sich  da  die  Möglichkeit  eioer 
wichtigen  Bereicherung  unseres  Gleichungssystemes  bietet. 
Es  hindert  uns  iiAmlich  nichts,  die  ProduktionskoeftiiienteD 

'  n  —  l  nod  nicht  »,  weil  ein  Gut  sU  WertmftB 


Elemente  der  Preistbeorie.  26$ 

der  einzelnen  Produkte  in  dasselbe  einzufahren,  das  heißt, 
die  Mengen  der  Prodaktivguter  zu  berOcksich- 
tigen,  welche  zur  Erzeugung  der  einz einen 
Produkte  technisch  nötig  sind.  Doch  wollen  wir 
darauf  nicht  näher  eingehen. 

Unsere  Lösung  des  Problemes  besteht  also  erstens  in 
dem  Kachweise  seiner  eindeutigen  Bestimmtheit  und  zweitens 
dem  der  gegenseitigen  Abhängigkeit  aller  Preise,  Werte 
und  Mengen,  woraus  sich  auch  verschiedene  Bewegungs 
gesetze  derselben  ergeben,  worauf  wir  zurilckkommen  werden. 
Mehr  allerdings  können  wir  nicht  leisten.  Wohl  könnten 
wir  aber,  wenn  uns  die  Wertfunktionen  und  Gütermengen 
konkret  gegeben  wären,  daraus  die  Preise  und  die  Ände- 
rungen dieser  Mengen,  die  sich  ergeben  werden,  ableiten; 
solange  das  aber  nicht  der  Fall  ist,  ist  der  Kachweis  der  ein- 
deutigen Bestimmtheit  und  der  Existenz  eines  Gleichgewichts- 
zustandes, femer  die  klare  und  korrekte  Abbildung  der 
ökonomischen  Wechselbeziehungen  zwischen  den  Elementen 
der  Guter  alles,  was  uns  die  Theorie  bietet. 

§  2.  Das  nächste,  was  uns  dieselbe  bietet,  ist  eine  Dar- 
stellung der  Preisbildung  im  Falle  eines  Monopoles.  Darunter 
verstehen  wir  die  völlige  Beherrschung  entweder  der  Nach- 
frage  nach  einem  oder  des  Angebotes  ao  einem  Gute  durch 
ein  Individuum  oder  eine  Kombination  von  solchen,  wenn 
die  letztere  eine  gemeinsame  Preispolitik  zur  Folge  hat 
und  jede  Konkurrenz  zwischen  ihren  Mitgliedern  ausschließt. 
Dieser  Fall  unterscheidet  sich  von  dem  vorgeführten  in 
einem  wesentlichen  Punkte.  Jene  Gleichungen,  welche  wir 
als  unsere  „zweite  Gruppe"  zusammenfaßten,  gelten,  wie 
leicht  ersichtlich,  auch  hier:  Was  an  dem  monopolisierten 
Gute  gekauft  wird,  muß  dem  gleich  sein,  was  von  ihm  ver- 
kauft wird  und  ebenso  muß  der  „Erlös"  jedermanns  mit 
Einschluß  des  Monopolisten  gleich  sein  der  „Ausgabe"  in 
irgendeinem  gemeinsamen  Maße  ausgedrückt.  Aber  die 
Gleichungen  der  ersten  Gruppe  gelten  hier  nicht  ganz  in 
derselben  Weise.     Wohl  muß    schließlich    sowohl   für  den 


264  ^^  Problem  des  statischen  Qleichgewichtet. 

Monopolisten  wie  für  seine  konkurrierenden  Gegenkontra- 
henten das  Gesetz  vom  Grenznutzenniveau  verwirklicht 
werden,  allein  zwischen  dem  des  ersteren  und  jenen  der 
letzteren  besteht  nicht  ganz  dieselbe  Beziehung,  wie  im 
Falle  der  freien  Konkurrenz.  Warum  sollte  der  Monopolist 
einem  Preise  zustimmen,  der  nur  seinem  reziproken  Grenz- 
nutzenverhältnisse für  Monopol-  und  Preisgut  entspricht, 
wenn  er  mehr  erhalten  kann?  Wir  sahen  ja  früher  schon, 
daß  konkurrierende  Individuen  das  nur  deshalb  ton,  weil 
sie  sonst  unterboten  werden  würden.  Der  Monopolist  kann 
aber  nicht  unterboten  werden,  und  deshalb  bildet  jener  der 
freien  Konkurrenz  entsprechende  Preis  nur  eine  Untergrenze 
für  ihn,  unter  die  er  nicht  heruntergehen  wird,  aber  keines- 
wegs zugleich  auch  die  Obergrenze,  die  er  nicht  überschreiten 
kann.  Ist  also  der  Monopolpreis  etwa  nicht  ^eindeutig  be- 
stimmt? In  der  Tat,  unser  Gleichungssystem  versagt,  sowie 
es  ist;  zwar  könnte  man  leicht  eine  obere  Grenze  unseres 
Monopolpreises  angeben:  Sie  würde  durch  jenen  Preis  dar- 
gestellt, bei  dem  niemand  mehr  kaufen  will;  aber  zwischen 
diesen  beiden  Grenzen  sind  unendlich  viele  Preise  und  an- 
endlich viele  Größen  der  abgesetzten  Mengen  möglich. 

Glücklicherweise  aber  können  wir  ein  Moment  heran- 
ziehen, daß  uns  eine  eindeutige  Bestimmung  des  Monopol- 
preises ermöglicht;  und  mit  seiner  Hilfe  hat  sich  denn 
auch  trotz  dieses  Sachverhaltes  eine  exakte  Theorie  der 
monopolistischen  Preisbildung  entwickelt,  ja  sie  hat 
sich  besonders  fruchtbar  gezeigt  und  gestattet  die  An- 
wendung exakter  Methoden  und  die  Gewinnung  exakter 
Resultate  sogar  in  größerem  Maße,  als  die  Theorie  des 
Konkurrenzpreises,  wurde  sogar  viel  früher  korrekt  dar- 
gestellt als  diese.  Der  Leser  sei  1)esonders  auf  die  Dar- 
stellung A.  Marshalls  verwiesen.  Fassen  wir  die  Sache  so: 
Es  ist  ganz  klar,  daß  wir,  wenn  uns  der  Monopolpreis,  der 
Preis,  den  der  Monopolist  tatsächlich  verlangen  will,  ge- 
geben wäre,  die  Mengen  des  Monopolgutes,  die  zu  diesem 
Preise  abgesetzt  werden  würden,  mit  Hilfe  unseres  Gleichongs- 
systemes  ableiten,   bzw.  ihre  eindeutige  Bestimmtheit  nadi- 


Elemente  der  Preiatheorie.  265 

weisen  könnten.  Haben  wir  ihn  also,  so  ist  alles  in  Ord- 
nung; im  schlimmsten  Falle  könnten  wir  daher  auch  dann 
noch  etwas  Ober  diese  Vorg&nge  sagen,  wenn  wir  den 
Monopolpreis  als  Datum  betrachten  mtlssten;  auf  dieses 
„etwas"  reduziert  sich  in  diesem  Falle  die  Leistung  unseres 
GleichuDgssjstemes,  sber  ganz  versagt  es  nicht:  Wieviel 
jedes  Individuum  bei  jenem  Preise  vom  Monopolgute  er- 
werbeD  und  wie  die  Grenznutzenniveaus  aller  Individuen  — 
mit  Einschluß  dessen  des  Monopolisten  —  sich  gestalten 
worden,  das  ließe  sich  immer  noch  sagen  und  ich  lege 
Gewicht  darauf,  zu  betonen,  daß  das  keineswegs  nichts  ist. 
Aber,  wie  gesagt,  wir  kOnnen  mit  Hilfe  einer  Hypothese 
auch  etDCD  Monopolpreis  selbst  ableiten,  der  unter  allen 
den  auf  Grund  unseres  Gleichungssystemes  streng  genommen 
möglichen  Monopolpreisen  sich  dadurch  auszeichnet,  daß 
er  tatsächlich  sehr  hiluiig  sein  und  noch  häufiger  angestrebt 
werden  wird  und  daß  er,  wenn  auch  der  Monopolist  aus 
irgend  einem  Grunde  sich  fQr  einen  andern  entscheidet, 
immer  derjenige  sein  wird,  mit  dem  man  jeden  anderen 
wirklich  herrschenden  vergleicht  und  den  man  als  den 
Monopolpreis  xor'  Izo^n''  betrachtet.  Diese  Hypothese  ist, 
daß  der  Monopolist  seinen  „Erlös"  zu  einem  Maximum  zu 
machen  strebe.  Man  beachte,  daß  wir  keineswegs  behaupten, 
daß  dieses  Streben  „naturgemäß"  oder  die  Regel  sei.  Das 
würde  unseren  Grundsätzen  ganz  widersprechen.  Wir 
billigen  dieser  Tendenz  nur  die  beiden  angeführten  Merk- 
.  male  zu  und  sagen  weiter  nur,  daß  sie  diizu  ausreicht,  aus 
sich  heraus  einen  und  nur  einen  Monopolpreis  zu  fixieren. 
Das  erstere  dürfte  wohl  haltbar  sein  und  das  letztere  werden 
wir  sofort  nachweisen.  Man  sieht  also,  daß  wir  keineswegs 
verkennen,  daß  ethische  Momente,  Eingriffe  der  Staats- 
gewalt und  Rücksichten  auf  die  Zukunft  den  Monopolisten 
veranlassen  können,  einen  anderen  Preis  zu  fordern,  aber 
zugleich  auch,  daß  solche  Einflüsse  unserem  Raisonnement 
nicht  jede  Bedeutung  nehmen.  Inimerhiu  muß,  da  das  oft 
tibersehen  vrird,  hervorgehoben  werden,  daß  hier  eine  neue 
Hypothese   liegt:    Unter  den   Konkurrenzpreis  können    die 


266  ^^  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

Beteiligten  nur  dann  gehen,  wenn  sie  sich  dazu  yersteheo 
wollen,  einen  Schaden  zu  erleiden  —  der  Monopolist 
könnte  seinen  „Monopolpreis''  herabsetzen,  wenn  er  aoch 
nur  mit  einem  geringeren  Gewinne  vorlieb  nehmet 
will ;  und  daß  er  das  nicht  tut,  ist  eine  weitergehende  Hypo- 
these, welche  bewirkt,  daß  die  Resultate  von  der  Wirk- 
lichkeit weiter  abliegen  und  schwerer  zu  verifizieren  sind, 
als  die  unseres  ersten  Gleichungssystemes ;  über  den  Kon- 
kurrenzpreis kann  nicht  hinausgegangen  werden,  md 
niemand  einen  höheren  bezahlen  würde  —  der  Monopolist 
kann  über  jenen  „Monopolpreis''  hinausgehen,  wenngleich 
ihn  das  schädigt. 

Macht  man  aber  jene  Hypothese,  so  kann  nian  einen 
eindeutig  bestimmten  Preis  ableiten.  Das  läßt  sich  leicht 
zeigen,  auch  ohne  höhere  Mathematik,  wenngleich  zu  weiteren 
Schlüssen  daraus  dieselbe  unentbehrlich  wird.  Wir  wollen 
auf  diese  aber  nicht  eingehen  und  uns  mit  dem  Beweise  in 
seiner  einfachsten  Form  begnügen.  Dabei  soll  noch  sur 
weiteren  Vereinfachung  angenommen  werden,  daß  das  Monopol- 
gut den  Monopolisten  nichts  kostet,  also  etwa  ein  „Geschenk* 
der  Natur  ist,  wie  eine  Mineralquelle.  Nebenbei  bemerkt, 
entwertet  eine  solche  Vereinfachung  keineswegs  unsere 
Resultate,  sondern  dient  nur  dazu,  ein  Prinzip  klar  and 
einfach  hervortreten  zu  lassen,  weshalb  es  wenig  Sinn  hat, 
über  solche  Konstruktionen  der  Theoretiker  zu  lächeln  oder 
sie  für  praktisch  bedeutungslos  zu  halten.  Der  Robinson, 
der  Meteorstein,  unsere  Mineralquelle,  das  sind  nur  Ver- 
körperungen methodologischer  Maßregeln,  welche  das  Ver- 
ständnis erleichtern  und  lediglich  ein  Entgegenkommen 
gegenüber  jenen  Laien  darstellen,  welche  dann  am  meisten 
geneigt  sind,  darüber  zu  spotten. 

Nun,  es  gibt  sicherlich  immer  einen  Preis  für  unser 
Monopolgut,  der  gerade  so  hoch  ist,  daß  die  Nachfrage  nach 
demselben  aufhört.  Könnte  der  Monopolist  sein  Gut  oder 
auch  nur  einen  Teil  desselben  zu  diesem  Preise  absetzen, 
so  würde  er  einen  großen  Gewinn  machen;  wie  aber  die 
Dinge  stehen,  würde  er  eben  nichts  absetzen  und  sein  Erlds 


Elemente  der  Preistheorie.  265 

weisen  könnteD.  Haben  wir  ihn  also,  so  ist  alles  in  Ord- 
nung; im  schlimmsten  Falle  könnten  wir  daher  auch  dann 
noch  etwas  tlber  diese  Vorgänge  sagen,  wenn  wir  den 
Monopolpreis  als  Datum  betrachten  mQssten;  auf  dieses 
„etwas"  reduziert  sich  in  diesem  Falle  die  Leistung  unseres 
Gleichungssystemes,  aber  ganz  versagt  es  nicht:  Wieviel 
jedes  Individuum  bei  jenem  Preise  vom  Monopolgute  er- 
werben und  wie  die  Grenznutzenniveaus  aller  Individuen  — 
mit  Einschluß  dessen  des  Monopolisten  —  sich  gestalten 
wttrden,  das  ließe  sich  immer  noch  sagen  und  ich  lege 
Gewicht  darauf,  zu  betonen,  daß  das  keineswegs  nichts  ist 
Aber,  wie  gesagt,  wir  können  mit  Hilfe  einer  Hypothese 
auch  einen  Monopolpreis  selbst  ableiten,  der  unter  allen 
den  auf  Grund  unseres  Gleichungssystemes  streng  genommen 
möglichen  Monopolpreisen  sich  dadurch  auszeichnet,  daß 
er  tatsächlich  sehr  häufig  sein  und  noch  häufiger  angestrebt 
werden  wird  und  daß  er,  wenn  auch  der  Monopolist  aus 
irgend  einem  Grunde  sich  für  einen  andern  entscheidet, 
immer  derjenige  sein  wird,  mit  dem  man  jeden  anderen 
wirklich  herrschenden  vergleicht  und  den  man  als  den 
Monopolpreis  xor'  ^;oxr>  betrachtet.  Diese  Hypothese  ist, 
daß  der  Monopolist  seinen  „Erlös^  zu  einem  Maximum  zu 
machen  strebe.  Man  beachte,  daß  wir  keineswegs  behaupten, 
daß  dieses  Streben  „naturgemäß*"  oder  die  Kegel  sei.  Das 
würde  unseren  Grundsätzen  ganz  widersprechen.  Wir 
billigen  dieser  Tendenz  nur  die  beiden  angeführten  Merk- 
male zu  und  sagen  weiter  nur,  daß  sie  dazu  ausreicht,  aus 
sich  heraus  einen  und  nur  einen  Monopolpreis  zu  fixieren. 
Das  erstere  dürfte  wohl  haltbar  sein  und  das  letztere  werden 
wir  sofort  nachweisen.  Man  sieht  also,  daß  wir  keineswegs 
verkennen,  daß  ethische  Momente,  Eingriffe  der  Staats- 
gewalt und  Rücksichten  auf  die  Zukunft  den  Monopolisten 
veranlassen  können,  einen  anderen  Preis  zu  fordern,  aber 
zugleich  auch,  daß  solche  Einflüsse  unserem  Raisonnement 
nicht  jede  Bedeutung  nehmen.  Immerhin  muß,  da  das  oft 
übersehen  wird,  hervorgehoben  werden,  daß  hier  eine  neue 
Hypothese  liegt:   Unter  den   Konkurrenzpreis  können   die 


14^ 


268  ^*^  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

z.  B.  nach  dem  Vorgänge  Marshalls  die,  daß  der  Monopolist 
seinen  Gewinn  mehr  dem  der  „Käufer*'  zu  einem  Maximum 
machen  wolle  und  anderes.    Alle  diese  Hypothesen  wQrden 
zu  verschiedenen  und  ebenfalls  eindeutig  bestimmten  Preisen 
führen,  ohne  daß  eine  derselben  absolute  Vorzüge  für  sich 
in  Anspruch  nehmen   könnte.    Die  Gewalt  der  Tatsachen 
pulsiert  viel  stärker  in  unserer  Ableitung  des  Konkurreni- 
Preises,  dem  Monopolpreise  haftet  unleugbar  etwas  Arbitrftres 
an.     Allerdings   spricht  viel   für  die   von   uns   adoptierte 
Hypothese;   mit  demselben  Bilde  könnte  man   sagen,  daS 
man  in  ihr  den  Pulsschlag  des  wirtschaftlichen  Lebens  besser 
fühlt  als  in  den  anderen;  und  wir  glauben  gewiB,  dafi  man 
sich  im  großen  und  ganzen  bei  ihr  beruhigen  kann.    Kur 
weil  es  uns  hier  darauf  ankommt,   ganz  sicher  zu  gehen 
und  unsem  Pfad  Schritt  für  Schritt  kritisch  zu  beleuchten, 
legten  wir  auf  diese  Seite  der  Sache  soviel  Gewicht  Freilich 
aber   wird   man  das,   was   unsere  Hypothese   leisten  kann, 
nicht  überschätzen  dürfen.    Es  kommt  ja  noch  hinzu,  daS 
wegen  der  sozialen  Bedeutung,  die  vielen  Monopolen  zukommt, 
Eingriffe  der  politischen  Gewalt  und  auch  andere  „störende* 
Momente  hier  eine  größere  Rolle  spielen,  als  für  die  Wirt- 
schaft eines  von  vielen  konkurrierenden  Individuen,  die  ein 
Tropfen  in   einem  Meere  ist.    Auch    bringt  es  die  Gröfie, 
Kraft  und  gesicherte  Lage,  ferner  auch  die  weiterblickende, 
fähigere  Leitung   vieler   Monopole  —  besonders  jener  der 
modernen  Trusts  usw.  —  mit  sich,  daß  in  ihrer  Preispolitik 
die  Zukunft  und  bewußtes  Manöverieren  viel  mehr  benro^ 
tritt,  als  bei  einer  großen  Menge  von  Konkurrenten,  die  in 
höherem  Maße  nur  tun,  was  sie  müssen,  in  höherem  Mafle 
dem  Strome  der  Dinge  folgen  und  deren  Handeln  mehr  von 
den  Verhältnissen  erzwungen  wird  —  mehr  geschoben  wird 
als  schiebt  — ,  was  natürlich  seine  Beschreibung  erleichtert 
Alles  das  ist   anders  bei   großen  Monopolisten,   wenn  man 
sich  auch   hüten  muß,  dieses  Moment  zu  sehr  zu  fürchten. 
Dann  aber  wird  die  reine,    statische  Theorie  sehr  oft  dea 
tatsächlichen  Monopolpreis  als  ein  Datum  hinnehmen, 
auf  seine  Erklärung  verzichten  müssen,  und  es  ist  gut  für 


Elemente  der  Preistheorie,  267 

daher  Null  Bein.  Wenn  er  überhaupt  keinen  Preis  forderte, 
das  hei6t  den  Preis  Null,  so  wttrde  er  vielleicht  seines 
ganzen  Vorrates  ledig  werden,  was  an  sich  und  wenn  er 
nur  etwas  dafür  bekäme,  ganz  gut  wäre,  unter  den  ge- 
gebenen Verhältnissen  aber  ebenfalls  zum  Erlöse  Null  führen 
würde.  Von  dem  ersten  Preise  zu  dem  zweiten  führt  nun 
eine  stetige  Linie  abnehmender  Preise  und  eine  andere 
zunehmender  Absätze.  Die  Abnahme  des  Gewinnes  an  der 
Einheit  Jind^e  Zunahme  der  Zahl  der  abgesetzten  Ein- 
heiten sind  zwei  sich  entgegenarbeitende  Bestimmungsgründe 
des  Erlöses,  der  immer  durch  das  Produkt  Preis  mal  Absatz 
gegeben  ist.  Das  Herabsetzen  des  Preises  von  jenem  Höchst- 
stände wird  dieses  Produkt  zunächst  erhöhen;  wenn  man 
damit  aber  fortfährt,  wird  es  schließlich  wieder  sinken. 
Und  dazwischen  liegt  daher  ein  Höchstwert  desselben,  ein 
Maximum  des  Erlöses.  Sollte  das  nicht  überzeugend 
scheinen,  so  ließe  es  sich  allerdings  nur  mit  Hilfe  des 
Rolleschen  Satzes  exakt  erweisen,  aber  wir  wollen  uns  damit 
begnügen. 

Ganz  analog  gestaltet  sich  dieser  Beweis  für  den  Fall, 
daß  die  Erzeugung  des  Monopolgutes  eine  fixe,  nicht  mit 
der  Menge  des  Produktes  variierende  Summe  von  Kosten 
mit  sich  bringt  und  ahn  lieh,  wenn  die  Kosten  eine 
Funktion  der  erzeugten  Menge  desselben  sind.  Doch  wollen 
wir  darauf  nicht  näher  eingehen,  auch  jenen  interessanten 
Fall  nicht  untersuchen,  der  vorliegt,  wenn  es  neben  einem 
großen  Monopolisten  (wie  z.  B.  die  Standard  oil  Co.)  noch 
^kleine"  konkurrierende  Verkäufer  gibt,  ein  Fall,  dem  be- 
sondere praktische  Bedeutung  zukommt.  Endlich  sei  noch 
bemerkt,  daß  alles  Gesagte  mutatis  mutandis  auch  für  das 
Einkaufsmonopol  gilt. 

In  diesem  Sinne  gibt  es  also  auch  einen  eindeutig  be- 
stimmten Monopolpreis.  Vergesse  man  aber  nicht,  daß 
dieser  Sinn  ein  anderer  ist  als  der,  in  dem  wir  vor  einem 
eindeutig  bestimmten  Konkurrenzpreis  sprechen.  Man  sieht 
das  besonders  deutlich,  wenn  man  l)edenkt,  daß  wir  an 
Stelle  der  unseren  noch  andere  Hypothesen  machen  könnten. 


268  I^  Problem  des  atotiscben  Qleicfagewiebt«. 

z.  B.  nach  dem  Vorgänge  Marshalls  die,  daß  der  Monopolist 
seinen  Gewinn  mehr  dem  der  „Käufer"  zu  einem  Maximum 
machen  wolle  und  anderes.  Alle  diese  Hypothesen  wQrden 
zu  vermiedenen  und  ebenfalls  eindeutig  bestimmten  Preisen 
fahren,  ohne  daß  eine  derselben  absolute  VonQge  für  sich 
in  Anspruch  nehmen  kjtnnte.  Dil  Gewalt  der  Tatsachen 
pulsiert  viel  stArker  in  unserer  Ableitung  des  Konkoireni- 
preises,  dem  Monopolpreise  haftet  unleugbar  etwas  Arbiträres 
an.  Allenlings  spricht  viel  für  die  von  uns  Adoptierte 
Hypothese;  mit  demselben  Bilde  könnte  man  sagen,  dafl 
man  in  ihr  den  Pulsscblag  des  wirtscfaaftlicheu  Lebens  besser 
fühlt  als  in  den  anderen;  und  wir  glauben  gewifi,  daß  man 
sich  im  großen  und  ganzen  bei  ihr  beruhigen  kann.  Nnr 
weil  es  uns  hier  darauf  ankommt,  ganz  sicher  zu  gehen 
und  unsem  Pfad  Schritt  für  Schritt  kritisch  zu  beleuchten, 
legten  wir  auf  diese  Seite  der  Sache  soviel  Gewicht.  Freilick 
aber  wird  man  das,  was  unsere  Hypothese  leisten  kann, 
nicht  überschätzen  dürfen.  Es  kommt  ja  noch  hinzu,  daß 
wegen  der  sozialen  Bedeutung,  die  vielen  Monopolen  zukommt, 
Eingriffe  der  politischen  Gewalt  und  auch  andere  „st&rende* 
Momente  hier  eine  größere  Rolle  spielen,  als  für  die  Wirt- 
schaft eines  von  vielen  konkurrierenden  Individuen,  die  ein 
Tropfen  in  einem  Meere  ist.  Auch  bringt  es  die  Grdße, 
Kraft  und  gesicherte  Lage,  ferner  auch  die  weiterblickende, 
filbigere  Leitung  vieler  Monopole  —  besonden  jener  dw 
modernen  Trusts  usw.  —  mit  sich,  daß  in  ihrer  Preiapolittk 
die  Zukunft  und  bewußtes  Manöverieren  viel  mehr  hervoP 
tritt,  als  bei  einer  großen  Menge  von  Konkurrenten,  die  in 
höherem  Maße  nur  tun,  was  sie  müssen,  in  höherem  Maße 
dem  Strome  der  Dinge  folgen  und  deren  Handeln  mehr  tob 
den  Verhftltnissen  erzwungen  wird  —  mehr  geschoben  wird 
als  schiebt  — ,  was  natOrlich  seine  Beschreibung  erleichtert. 
Alles  das  ist  anders  bei  großen  Monopolisten,  wenn  man 
sich  auch  hüten  muß,  dieses  Moment  zu  sehr  zu  fürchteD. 
Dann  aber  wird  die  reine,  statische  Theorie  sehr  oft  den 
tatsächlichen  Monopolpreis  als  ein  Datum  hinnehmen. 
auf  seine  Erklärung  verzichten  müssen,  und  es  ist  gut  für 


Elemente  der  Preistheorie.  271 

t'rage:  Was  ist  deim  eigentlich  nötig,  damit  „freie  Kou- 
turrenz"  bestehe?  In  einem  Sinne  haben  wir  an  früherer 
Stelle  gesagt,  daß  sie  schon  vorliege,  wenn  nur  wenige  oder 
selbst  nur  zwei  Individuen  unbeeinflußt  tauschen.  Aber  das 
war  nur  eine  Seite  der  Sache  —  sie  betraf  das  Abhanden- 
seia  von  „Störungsursachen*".  In  diesem  Sinne  könnte 
man  auch  in  der  Wirtschaft  eines  Individuums^  von  freier 
Konkurrenz  sprechen.  Ihre  weiteren  Voraussetzungen  aber 
sind,  ganz  exakt  gefaßt,  die  folgenden: 

Erstens:  Die  Zahl  der  Kontrahenten  muß  eine  sehr 
große  sein,  streng  genommen  muß  unser  „m**  gleich  un- 
endlich sein.  Denn  nur  dann  wird  das  Intervall,  in  dem 
der  Preis  liegen  muß,  so  klein,  daß  es  als  ein  Punkt  be- 
tiBchtet  werden  kann. 

Zweitens:  Alle  Güter  müssen  unendlich  teilbar  sein, 
und  es  dürfen  keine  marktüblichen  Quantitäten  bestehen, 
unter  denen  nicht  getauscht  werden  kann. 

Drittens:  Jedes  Individuum  muß  mit  jedem  tauschen 
können,  sonst  würden  sich  innerhalb  des  Marktes  Teilmärkte 
bilden,  was  unsere  erste  Voraussetzung  illusorisch  macheu 
müßte;  und  kein  Individuum  darf  so  mächtig  sein,  daß  es, 
tuch  wenn  andere  dasselbe  Gut  anzubieten  oder  zu  verlangen 
luiben,  Monopolpolitik  betreiben  kann. 

Daß  keine  Verabredung  zwischen  den  Wirtschaftssub- 
jekten bestehen  darf,  ist  selbstverständlich,  Abhandensein 
Ton  Rücksichten  auf  andere  usw.  und  volles  Bewußtsein 
der  wirtschaftlichen  Interessen,  sowie  Willen,  nur  sie  zu 
fördern,  dagegen  nicht  nötig:  Inbezug  auf  den  letzteren 
Punkt  meinen  wir  im  Gegensatze  zu  den  meisten  Autoren, 
daß  sich  diese  Dinge  teils  in  die  Nachfragefunktion  ein- 
sehlieflen  lassen,  teils  —  wie  Irrtum  usw.  —  einfach  außer- 
aeht  gelassen  werden  können,  ohne  die  Brauchbarkeit  unseres 
Bildes  wesentlich  zu  beeinflussen. 


*  Wamm  im  Falle  des  isolierten  Individuums  alle  Gütermengen 
und  jyTauBchrelationen'^  bestimmt  sind,  dürfte  klar  sein.  Siehe  darüber 
das  beim  Getetze  vom  Grenznutzenniveau  Gesagte. 


272  ^^^  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

Das  Resultat,  zu  dem  wir  gelangen,  ist  einigenmflea 
überraschend :  Nicht  nur  existiert  freie  Konkurrenz  nie  ud 
nirgends,  sie  kann,  in  dem  Sinne  der  Theorie  au^ebSt, 
gar  nicht  existieren.  Was  wollen  wir  nun  davon  denken? 
Allein,  die  Sache  ist  nicht  so  schlimm  als  sie  aussieht  Es 
zeigt  sich  blo6  auch  auf  unserem  Gebiete,  was  ebenso  für 
alle  exakten  Wissenschaften  gilt,  daß  unser  exaktes  SysteiB, 
korrekt  dargestellt  und  bis  auf  den  Grund  ausgedadit, 
eben  ein  wirklichkeitsfremdes  Gebilde  ist.  Das  bindert 
nicht,  daß  es  dennoch  auf  die  Wirklichkeit  recht  gut  p«6t 
Unsere  Erkenntnis  mag  weitere  Kreise  befremden  und  auch 
viele  Fachgenossen  abstoßen.  Wer  aber  exakte  Wissenschaft 
kennt  und  liebt,  wird  sich  darüber  wenig  wundem,  noch  aacb 
deshalb  an  der  Ökonomie  verzweifeln.  Es  ist  meine  Auf- 
gabe, gerade  die  schwachen  Punkte  zu  präzisieren  und  io 
den  Vordergrund  zu  stellen;  aber  das  hindert  mich  nicht, 
Vertrauen  zu  unserer  Wissenschaft  zu  haben.  Gewiß  muß 
man  vor  den  dünnen  Stellen  des  Eises  warnen,  auf  dem 
wir  uns  vergnügen,  aber  es  wäre  thöricht,  ihrethalben  das 
Schlittschuhlaufen  aufzugeben.  Das  Gesagte  ist  ein  Memento 
für  manche  Theoretiker,  sich  nicht  zu  sicher  zu  fühlen  and 
eine  Mahnung,  die  Illusion  aufzugeben,  daß  die  Theorie 
sozusagen  bombensicher  sei.  Aber  es  rechtfertigt  die 
Haltung  ihrer  Gegner  nicht.  Ja  wir  können  sagen,  daS 
unsere  diesbezüglichen  Ausführungen  mehr  erkenntnis- 
theoretisch  interessant  als  von  praktischer  Bedeutung  sind; 
sie  ändern  die  Tatsache  nicht,  daß  trotz  allem  unser  System 
auf  einer  breiten  Basis  von  Tatsachen  beruht  und  trotx 
allem  ein  bewundernswerter  Bau  ist,  der  sich  in  praxi  in 
weitem  Maße  bewährt. 

Das  ist  alles,  was  wir  über  die  Grundlagen  der  reinen 
Preistheorie  sagen  möchten.  Es  ist  nur  wenig.  Aber  wir 
können  nicht  mehr  bieten,  und  dieses  „Mehr""  mQBte  auch 
größtenteils  nur  ein  Referat  sein.  Ziemlich  genaue  Kenntnis 
des  Geleisteten  ist  zum  Verständnisse  dieses  Paragraphen 
nötig;  nur  der  mit  der  modernen  Preistheorie  Vertraute 
wird   namentlich    über   die   von    uns   hervorgehobenen   Be- 


Elemente  der  PreiBthcone.  27)^ 

(lenken  hinwegkoiiiiiien.  Nur  einen  Punkt  wollen  wir  noch 
erwähDen,  ehe  wir  dieses  Gebiet  verlassen,  das  eines  tieferen 
Studiums  80  würdig  wäre. 

§  4.  Dieser  Punkt  ist  der  folgende:  Wir  haben  gesagt, 
daß  für  jedes  Wirtschaftssuhjekt  und  jedes  Gut  der  Preis 
gleich  dem  reziproken  Werte  des  Grenznutzenverhältnisses 
der  ausgetauschten  Güter  sein  muß,  wenigstens  im  allge- 
meinen. Allein,  damit  sich  unser  Grenznutzenniveau  heraus- 
stelle, muß  noch  etwas  hinzukommen.  Es  genügt  nicht* 
daß  jene  Formel  für  jedes  einzelne  Gut  verwirklicht  sei; 
vielmehr  müssen  noch  weiter  die  Preise  aller  einzelnen 
Güter  in  einem  bestimmten  Verhältnisse  zueinander  stehen, 
sieh  nämlich  ebenso  verhalten,  wie  die  Grenznutzen  der 
Güter,  für  die  sie  gelten.  Das  liegt  an  sich  keineswegs 
schon  in  jenem  ersten  Satze,  wenn  man  ihn  so  ausspricht, 
wie  wir  es  soeben  taten,  sondern  bildet  eine  weitere  Be- 
dingung des  Gleichgewichtszustandes.  Bisher  freilich  haben 
wir  stets  beides  gemeint,  wenn  wir  von  dem  Grenznutzen- 
niveau  sprachen,  aber  nun  wollen  wir  betonen,  daß  ganz 
streng  genommen  beide  Bedingungen  zu  scheiden  sind.  Man 
sieht  das  leicht,  wenn  man  die  Mengenveränderungen  eines 
jeden  Gutes  für  sich  betrachtet:  Tauscht  ein  Wirtschafts- 
subjekt erst  ein  Gut  A  gegen  ein  Gut  B  und  dann  ein 
Gut  C  gegen  ein  Gut  D,  so  muß  die  Tauschrelation  von*^ 
und  B  und  die  von  C  und  D  allerdings  dem  reziproken 
Werte  des  Grenznutzenverhältnisses  von  A  und  B  im  ersten 
Falle  und  von  C  und  D  im  zweiten  Falle  gleich  sein.  Aber 
eine  Beziehung  zwischen  diesen  beiden  Tauschrelationen 
scheint  prima  vista  nicht  zu  bestehen.  Eine  solche  tritt  erst 
dann  hervor,  wenn  wir  auf  beide  Fälle  ein  und  dasselbe 
Wertmaß  anwenden.  Tun  wir  das  nun  in  der  Weise,  daß 
wir  annehmen,  unser  Individuum  tausche  nur  ein  Gut,  z.  B. 
A,  gegen  B  und  D  ein  —  dann  lassen  sich  beide  Fälle  ver- 
gleichen. „Kostet"  ihm  eine  Einheit  von  B  drei  Ein- 
heiten von  A  und  eine  Einheit  von  D  vier  Einheiten 
von  -4,  ist  also  der  Preis  von  B  in  A  gleich  drei,  der  von  D 

Schampeter.  Nationalökonomie.  IH 


mMBMWH 


274  Das  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

in  A  gleich  vier,  so  mu6  also,  wenn  das  Gleichgewichtspreise 
sein  sollen ,  das  Grenznutzenverhältnis  von  A  und  B  gleich 
ein  Drittel,  das  von  A  und  2>  gleich  ein  Viertel  sein.  Mao 
sieht  aber  auch,  daß  sich  die  Preise  von  B  und  D  in  i, 
drei  und  vier,  so  verhalten  müssen  wie  die  Grenznutzen  von 
B  und  D,  also  auch  wie  drei  zu  vier.  Sonst  wQrde  ein 
Ruhezustand  nicht  eintreten.  In  der  Tat,  nehmen  wir  an, 
daß  sich  die  Preise  von  B  und  D  nicht  so  verhalten,  son- 
dern z.  B.  wie  drei  zu  sechs,  während  das  Grenznujbcen- 
Verhältnis  von  B  und  D  unverändert  gleich  drei  Viertel 
bleibe,  und  sehen  wir,  was  geschehen  wird.  Wenn  unser 
Individuum  nun  eine  Einheit  von  D  verkauft,  so  wird  es 
sich  zwei  Einheiten  von  B  für  den  „Erlös"  in  A  verschaffen 
können,  mithin  einen  größeren  Nutzgewinn  machen,  wie 
wenn  es  jene  Einheit  von  D  behielte.  Es  wird  das  also 
tun  und  sich  nicht  eher  zufrieden  geben,  bis  kein  solcher 
Gewinn  mehr  zu  macheu,  d.  h.  jenes  Verhältnis  zwischen 
den  Preisen  der  beiden  Güter  verwirklicht  ist. 

Nun    erhebt    sich   die  Frage:    Kann   ein   solcher  Fall 
überhaupt  eintreten,  kann  es  geschehen,  daß  zur  Erreichung 
des  unter  den   gegebenen  Verhältnissen  möglichen  Nutzen- 
niaximums  ein  solcher  Umweg,  ein  solches  Erwerben  von 
(i  titern  lediglich  zum  Zwecke  weiteren  Tausches 
nötig  wird?   Ganz  gewiß.    Warum  sollte  es  nicht  vorkommen 
können,  daß  auf  dem  Markte  dir  Preise  der  Güter  B  und  D 
sich  mit  „.9  ^**  und  „6*  A*^  feststellen,  während  es  Individuen 
gibt,   deren  Grenznutzenverhältnis  zwischen  den  Gütern  B 
und  D  gleich  drei  Viertel  ist?    Und  alle  diese  Individuen, 
alle  ferner,  die  sich  in  analogen  Fällen  befinden,  werden 
dann   außerstande   sein,   durch   direkten  Tausch  der  Güter, 
die  sie  besitzen,  gegen  jene,  die  sie  zu  erwerben  wünschen, 
zu  jenem   Zustande   vorzudringen,   den    unser  Gesetz    vom 
(Wenznutzennive.au  ab])ildet.    Sie  mijssen   und  werden  viel- 
nl^br  Gütermengen  erwerben,  die  sie  nicht  brauchen,  lediglich, 
irtfr^sie  gegen  jene,  welche  sie  wirklich  brauchen,  wiederum 
*fitik'ütauschen.    Nur  durch  diesen  Vorgang  wird  jenes  Ver- 
hVWtii's  'zwischen  den  Preisen,  welches  zum  Bestehen  unseres 


Elemente  der  Preistheorie.  273 

deoken  hinwegkommen.  Nur  einen  Punkt  wollen  wir  noch 
erwähnen,  ehe  wir  dieses  Gebiet  verlassen,  das  eines  tieferen 
Studiums  so  würdig  wäre. 

§  4.  Dieser  Punkt  ist  der  folgende :  Wir  haben  gesagt, 
daß  für  jedes  Wirtschaftssubjekt  und  jedes  Gut  der  Preis 
gleich  dem  reziproken  Werte  des  Grenznutzenverhältnisses 
der  ausgetauschten  Güter  sein  muß,  wenigstens  im  allge- 
meinen. Allein,  damit  sich  unser  Grenznutzenniveau  heraus- 
stelle, muß  noch  etwas  hinzukommen.  Es  genügt  nicht* 
daß  jene  Formel  für  jedes  einzelne  Gut  verwirklicht  sei; 
vielmehr  müssen  noch  weiter  die  Preise  aller  einzelnen 
Güter  in  einem  bestimmten  Verhältnisse  zueinander  stehen, 
sich  nämlich  ebenso  verhalten,  wie  die  Grenznutzen  der 
Güter,  für  die  sie  gelten.  Das  liegt  an  sich  keineswegs 
schon  in  jenem  ersten  Satze,  wenn  man  ihn  so  ausspricht, 
wie  wir  es  soeben  taten,  sondern  bildet  eine  weitere  Be- 
dingung des  Gleichgewichtszustandes.  Bisher  freilich  haben 
wir  stets  beides  gemeint,  wenn  wir  von  dem  Grenznutzen- 
niveau sprachen,  aber  nun  wollen  wir  betonen,  daß  ganz 
streng  genommen  beide  Bedingungen  zu  scheiden  sind.  Man 
sieht  das  leicht,  wenn  mau  die  Mengenveränderungen  eines 
jeden  Gutes  für  sich  betrachtet:  Tauscht  ein  Wirtschafts- 
subjekt erst  ein  Gut  A  gegen  ein  Gut  B  und  dann  ein 
Gut  C  gegen  ein  Gut  7>,  so  muß  die  Tauschrelation  von -4 
und  B  und  die  von  C  und  D  allerdings  dem  reziproken 
Werte  des  Grenznutzenverhältnisses  von  A  und  B  im  ersten 
Falle  und  von  C  und  D  im  zweiten  Falle  gleich  sein.  Aber 
eine  Beziehung  zwischen  diesen  beiden  Tauschrelationen 
scheint  prima  vista  nicht  zu  bestehen.  Eine  solche  tritt  erst 
dann  hervor,  wenn  wir  auf  beide  Fälle  ein  und  dasselbe 
Wertmaß  anwenden.  Tun  wir  das  nun  in  der  Weise,  daß 
wir  annehmen,  un  er  Individuum  tausche  nur  ein  (iut,  z.  B. 
A,  gegen  B  und  I>  nn  —  dann  lassen  sich  l)eide  Fälle  ver- 
gleichen. „Kostet"*  ihm  eine  Einheit  von  B  drei  Ein- 
heiten von  A  und  eine  Einheit  von  D  vier  Feinheiten 
von  A,  ist  also  der  Preis  von  B  in  A  gleich  drei,  der  von  D 

Schumpeter.  Natinnalökcnoinie.  IH 


IV-  Kapitel. 
Grundlagen  der  Geldtheorie« 


§  !•  Fragen  wir  uns,  was  dem,  was  wir  soeben  atr- 
leiteten,  in  der  Wirklichkeit  entspreche,  so  lautet  die  Ant- 
wort: Das  Phänomen  des  Gehles.  Nun,  das  ist  nicht  wenig^- 
Da  haben  uns  die  steilen  Pfade  der  Theorie  in  der  Tat  z«-* 
einem  schönen  Aussichtspunkte  geführt. 

Wrnn  wir  schwache  Punkte  der  Theorie  nie  verbergen  - 
vielmehr    die    Aufmerksamkeit    des   Lesers    stets   auf  ihr^^ 
Mängel  lenken,   so  dürfen  wir  wohl  auch  mit  unverhehlte^ 
Genugtuung  auf  ein   bedeutungs-   und    wertvolles  Resultat 
derselben   hinweisen.     Und   wirklich   könnte  die  Sache  hier 
vom  Standpunkte  des  Theoretikers  kaum  zufriedenstelleDder 
sein.     Unser   Sy^item   ergibt   ganz   von   selbst,   ohne  jeden 
Kunstgriff   und    ohne   Herbeiziehung   neuer   Momente  eioe 
erschöpfende  und   l)efriedigende   Erklärung  einer  wichtigen 
wirtschaftlichen  Erscheinung,   welche  so  treffend  und  kla^ 
ist,    das   kaum    etwas   zu    fragen   übrig   bleibt,   einer  Er- 
scheinung, welche  Gegenstand  vieler  S])ekulationen  war,  ja 
vielleicht  der  älteste  Bestandteil  der  Ökonomie  ist,  ohne  d«6 
man   zu   gesichiTten  Resultaten   gekommen    wftre.     Es  giM 
uns  alle  zum  Verständnisse  derselben  nötigen  Momente,  ge- 
stattet eine  ganze  Anzahl  von  Ableitungen  daraus  und  ver- 
breitet helles  Licht  über  die  Kontroversen,  die  es  hier  gibt. 
Alles   das   ergibt  sich  deduktiv  aus  seinen  Grundlagen,  und 
wenn  auch  IWbachtungen  aus  der  Wirklichkeit  sowohl  wr 
Veritizierung  wie  zur  Lösung  praktischer  Probleme  natQrlich 


Elemente  der  Preistheorie.  275 

^Nutzenmaximums  erfordert  wird,  erreicht  werden  können. 
Wir  sehen  ohne  weiteres,  daß  dieser  Fall  ein  außerordentlich 
häufiger  und  daher  der  indirekte  Tauseh  ein  notwendiges 
Element  des  Mechanismus  jedes  Marktes  sein  muß,  in  dem 
mehr  als  zwei  Waren  getauscht  werden.  Man  könnte  sagen, 
daß  es  auf  einem  solchen  Markte  ohne  indirekten  Tausch 
keine  freie  Konkurrenz  geben  könnte,  daß  er  zu  ihrem  Be- 
stehen notwendig  gehört.  Es  wird  und  muß  daher  in 
weitaus  den  meisten  Fällen  eine  Nachfrage  nach 
Gütern  —  einem  oder  mehreren  —  geben,  welche 
sich  nicht  aus  „Bedürfnissen"  im  engeren  Sinne, 
sondern  nur  aus  den  technischen  Notwendig- 
keiten des  Mechanismus  des  Marktes  erklärt. 

Dieses  Resultat  ist  überaus  wichtig,  nicht  nur  weil  es 
ein  essentielles  Moment  der  Tausch  Vorgänge  beleuchtet, 
sondern  auch,  weil  es  eine  sehr  bedeutsame  Anwendung 
gestattet.  Zu  dieser  letzteren  kommen  wir  nun  im 
nächsten  Kapitel.  Der  Umstand,  daß  vor  uns  das  Ge- 
sagte meines  Wissens  nur  von  einem  Theoretiker,  nämlich 
L.  Walras,  in  der  Preistheorie  ausgeführt  wurde,  welcher 
letztere  übrigens  diese  entscheidende  Anwendung  nicht 
machte,  erklärt  so  manchen  schwachen  Punkt  im  ökono- 
mischen Lehrsystem  der  Gegenwart. 


18 


278  ^^  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

Wir  könnten,  lediglich  auf  Grund  theoretischer  Erwftgnngen, 
lediglich  durch  Diskussion  der  Gleichungen  der  Tausch- 
theorie zu  dem  Resultate  kommen,  dafi  es  etwas  derartiges 
geben  müsse.  Und  auch  die  grundlegenden  Gesetze  der 
Erscheinung  könnten  wir  finden,  ohne  einen  Blick  in  das 
Getriebe  der  Geldwirtschaft  zu  tun. 

Da  wir  de  facto  aber  mit  der  Tatsache  des  Geldes  sehr 
gut  vertraut  sind,  so  könnte  man  meinen,  daß  unsere  »Ent- 
deckung" nicht  eben  großartig  sei.  Aber  ein  wenig  Nach- 
denken würde  die  Oberflächlichkeit  einer  solchen  Auffassung 
zeigen.  Vor  allem  berührt  dieser  Umstand  die  prinzipielle 
Seite  der  Sache  nicht.  Noch  immer  wäre  es  ein  großer 
Erfolg  der  Theorie,  noch  immer  ein  schöner  Beweis  für  den 
Wert  und  die  Brauchbarkeit  der  Konzeption  unseres  Systemes, 
wenn  sich  aus  ihr  auch  nur  etwas  Allbekanntes  ergäbe. 
Die  prinzipielle  Bedeutung  desselben  würde  dadurch  nicht 
tangiert  und  immer  bliebe  jener  „Erfolg"  ein  bedeutsames 
Moment  für  manche  Gegner  der  Theorie  und  eine  Wider- 
legung mancher  bekannter  Argumente  derselben.  Ja  gerade 
die  Banalität  eines  Resultates  ist  in  den  Wissenschaften 
vom  menschlichen  Handeln,  deren  Aufgal)e  die  Beschreibung 
und  Erörterung  vieler  Dinge  ist,  welche  dem  Alltage  ver- 
traut sind  und  der  „Praxis"  keine  Probleme  zu  bilden 
scheinen,  keineswegs  eine  Einwendung  von  durchschlagender 
Bedeutung,  vielmehr  oft  geradezu  ein  Vorteil,  als  ein  Kri- 
terium der  Richtigkeit  eines  Resultates:  Der  Ton  liegt  ja 
darauf,  daß  wir  dasselbe  eben  nicht  dem  Alltage  entnahmen, 
sondern  aus  tieferen,  verborgeneren  Quellen  ableiteten. 
Stimmt  es  so  sehr  mit  der  Wirklichkeit,  daß  es  banal 
scheint,  so  ist  das  nur  ein  Beweis,  daß  Wahrheit  aus  jenen 
Quellen  fließt.  Trotzdem  würden  wir  auf  Grund  dieses 
Resultates  sagen  können,  daß"  unsere  Theorie  wenn  auch 
nicht  der  Entwicklungsstufe,  so  doch  dem  Wesen  nach 
neben  dem  Systeme  der  mathematischen  Physik  stehe,  dessen 
Vertreter  es  ja  auch  als  ihren  stolzesten  Erfolg  betrachten, 
wenn  ihre  Theorie  eine  Erscheinung  der  Wirklichkeit,  die  . 
sie  bei   Legung   der  Fundamente  nicht  im  Auge   hatten,/ 


Grandlsgen  der  G«Idtheorie.  279 

nnmittelbar  ergibt.  Darin  liegt  iramer  die  beste  Leistung 
einer  Theorie,  eine  Bereicherung  der  Erkenntnis  durch 
ZurQekfQhrung  von  „Unbekanntera"  auf  , Bekanntes",  mag 
auch  das  „Uobekannte"  in  wissenschaftlichem  Sinne  dem 
gewöhnlichen  Leben  sehr  gut  „bekannt"  sein.  Auf  weitere 
Kreise  macht  allerdings  eine  Leistung  dieser  Art  besonders 
dann  —  eigentlich  nur  dann  —  Eindruck,  wenn  eine 
Theorie  durch  eine  Erscheinung  bestätigt  wird,  bei  der  das 
letztere  nicht  der  Fall  ist,  namentlich  also,  wenn  eine 
, Prophezeiung"  in  ErfQllung  geht.  Daher  das  Aufsehen,  das 
z.  B.  Leverriers  Entdeckung  machte.  Nur  dann  hat  der 
Laie  das  Gefflhl,  daä  in  den  abstrusen  Gleichungen  der 
exakten  Wissenschaften  wirklich  „etwas  steckt".  Prinzipiell 
aber  und  für  die  Wissenschaft  ist  dieses  Moment  irrelevant, 
ebenso  wie  die  Frage,  ob  ein  wissenschaftliches  Theorem 
technische  Anwendungen  gestattet  oder  nicht.  Mag  nun 
unser  Resultat  auch  nur  cid  bescheidenes  sein,  so  ist  es 
doch  von  gleicher  Art  wie  die  besten  Erfolge  der  exakten 
Naturwissenscliaften,  und  der  Theoretiker  hat  sehr  wohl 
Grund,  sich  seiner  zu  freuen. 

Sodann  aber  ist  es  keineswegs  selbstverständlich,  banal 
oder  belanglos,  denn  es  gibt  uns,  populär  gesprochen,  das 
„Wesen"  und  die  Beweguugsgesetze  des  Wtrtes  des  Geldes 
und  ist  der  Grundstein  einer  wertvollen  und  entwicklungs- 
fähigen Theorie,  der  ersten  und  einzigen  brauchlmren  Geld- 
theorie —  und  deshalb  auch  ein  wichtiges  Argument  zu- 
gunsten unseres  !Systemes  der  reinen  Ökonomie  überhaupt. 

Nach  unserer  Auffassung  also  bildet  die  Geldtheorie 
einen  integrierenden  Bestandteil  des  Systemes  der  reinen 
Ökonomie  Überhaupt,  In  dem  Siuue,  daß  mau  sie  nicht  von 
den  übrigen  Teilen  desselben  trennen  kann.  Einerseits 
nämlich  ergibt  sie  sich  aus  der  Preistheorie.  Die  letztere 
ist  zu  ihrem  Verständnisse  unentbehrlich  und  wenn  man 
eine  Geldtheorie  schreiben  will,  so  kann  man  es  nicht  ver- 
meiden, vorher  die  gesamten  Grundlagen  unseres  Svstemes 
vorzuführen,  nicht  bloß  etwa  in  dem  gleichen  Sinne,  in  dem 
man   sagen  mag,   daß  man  nie   ein  Theorem  an  sich  und 


278  ^^  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

Wir  könnten,  lediglich  auf  Grund  theoretischer  Erwftgnngen, 
lediglich  durch  Diskussion  der  Gleichungen  der  Tausch- 
theorie zu  dem  Resultate  kommen,  dafi  es  etwas  derartiges 
geben  müsse.  Und  auch  die  grundlegenden  Gesetze  der 
Erscheinung  könnten  wir  finden,  ohne  einen  Blick  in  das 
Getriebe  der  Geldwirtschaft  zu  tun. 

Da  wir  de  facto  aber  mit  der  Tatsache  des  Geldes  sehr 
gut  vertraut  sind,  so  könnte  man  meinen,  daß  unsere  .Ent- 
deckung" nicht  eben  großartig  sei.  Aber  ein  wenig  Nach- 
denken würde  die  Oberflftchlichkeit  einer  solchen  Auffassung 
zeigen.  Vor  allem  berührt  dieser  Umstand  die  prinzipielle 
Seite  der  Sache  nicht.  Noch  immer  wäre  es  ein  großer 
Erfolg  der  Theorie,  noch  immer  ein  schöner  Beweis  für  den 
Wert  und  die  Brauchbarkeit  der  Konzeption  unseres  Systemes, 
wenn  sich  aus  ihr  auch  nur  etwas  Allbekanntes  ergäbe. 
Die  prinzipielle  Bedeutung  desselben  würde  dadurch  nicht 
tangiert  und  immer  bliebe  jener  „Erfolg"  ein  bedeutsames 
Moment  für  manche  Gegner  der  Theorie  und  eine  Wider- 
legung mancher  bekannter  Argumente  derselben.  Ja  gerade 
die  Banalität  eines  Resultates  ist  in  den  Wissenschaften 
vom  menschlichen  Handeln,  deren  Aufgal)e  die  Beschreibung 
und  Erörterung  vieler  Dinge  ist,  welche  dem  Alltage  ver- 
traut sind  und  der  „Praxis"  keine  Probleme  zu  bilden 
scheinen,  keineswegs  eine  Einwendung  von  durchschlagender 
Bedeutung,  vielmehr  oft  geradezu  ein  Vorteil,  als  ein  Kri- 
terium der  Richtigkeit  eines  Resultates:  Der  Ton  liegt  ja 
darauf,  daß  wir  dasselbe  eben  nicht  dem  Alltage  entnahmen, 
sondern  aus  tieferen,  verborgeneren  (Juellen  ableiteten. 
Stimmt  es  so  sehr  mit  der  Wirklichkeit,  daß  es  banal 
scheint,  so  ist  das  nur  ein  Beweis,  daß  Wahrheit  aus  jenen 
Quellen  Hießt.  Trotzdem  würden  wir  auf  Grund  dieses 
Resultates  sagen  können,  daß*  unsere  Theorie  wenn  auch 
nicht  der  Entwicklungsstufe,  so  doch  dem  Wesen  nach 
neben  dem  Systeme  der  mathematischen  Physik  stehe,  dessen 
Vertreter  es  ja  auch  als  ihren  stolzesten  Erfolg  betrachten, 
wenn  ihre  Theorie  eine  Erscheinung  der  Wirklichkeit,  die  : 
sie  bei   Legung   der  Fundamente  nicht  im  Auge   hatten J 


Grondlsgeo  der  Geldtheorie.  279 

Qnmittelbar  ergibt.  Darin  liegt  immer  die  beste  Leistung 
einer  Theorie,  eine  Bereicherung  der  Erkenntnis  durch 
Zurttckführong  von  „Unbekanntem"  auf  „Bekanntes",  mag 
auch  das  „Unbekannte"  in  wissenschaftlichem  Sinne  dem 
gewöhnlichen  Leben  sehr  gut  „bekannt"  sein.  Auf  weitere 
Kreise  macht  allerdings  eine  Leistung  dieser  Art  besonders 
dann  —  eigentlich  nur  dann  —  Eindruck,  wenn  eine 
Theorie  durch  eine  Erscheinung  bestätigt  wird,  bei  der  das 
letztere  nicht  der  Fall  ist,  namentlich  also,  wenn  eine 
„Prophezeiung"  in  Erfüllung  geht.  Daher  das  Aufsehen,  das 
z.  B.  Leverriers  Entdeckung  machte.  Nur  dann  bat  der 
Laie  das  GefQhl,  daß  in  den  abstrusen  Gleichungen  der 
exakten  Wissenschaften  wirklich  „etwas  steckt".  Prinzipiell 
aber  und  fUr  die  Wissenschaft  ist  dieses  Moment  irrelevant, 
ebenso  wie  die  Frage,  ob  ein  wissenschaftliches  Theorem 
technische  Anwendungen  gestattet  oder  nicht.  Mag  nun 
unser  Resultat  auch  nur  eiu  bescheidenes  sein,  so  ist  es 
doch  von  gleicher  Art  wie  die  besten  Erfolge  der  exakten 
Naturwissenschaften,  und  der  Theoretiker  hat  sehr  wohl 
Grund,  sich  seiner  zu  freuen. 

Sodann  aber  ist  es  keineswegs  selbstverständlich,  banal 
oder  belanglos,  denn  es  gibt  uns,  populär  gesprochen,  das 
„Wesen"  und  die  Bewegungsgesetze  des  Wertes  des  Geldes 
und  ist  der  Grundstein  einer  wertvollen  und  entwicklungs- 
fähigen Theorie,  der  ersteu  und  einzigen  brauchbaren  Geld- 
theorie —  und  deshalb  auch  ein  wichtiges  Argument  zu- 
gunsten unseres  iSystemes  der  reinen  Ökonomie  überhaupt. 

Nach  unserer  Auffassung  also  biMet  die  Geldtheorie 
einen  integrierenden  Bestandteil  des  Systemes  der  reinen 
Ökonomie  Überhaupt,  in  dem  Sinne,  daß  man  sie  nicht  von 
den  übrigen  Teilen  desselben  treuneu  kann.  Einerseits 
nämlich  ergibt  sie  sich  aus  der  Preistheorie.  Die  letztere 
ist  zu  ihrem  VerstAndnisse  unentliehrlich  und  wenn  man 
eine  Geldtheorie  schreiben  will,  so  kann  man  es  nicht  ver- 
meiden, vorher  die  gesamten  Grundlagen  unseres  Svstemes 
vorzuführen,  nicht  bloß  etwa  in  dem  gleichen  Sinne,  in  dem 
man    sagen  mag,    daß  man  nie   ein  Theorem  an  sich  und 


280  ^^  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

ohne  die  Zusammenhänge,  in  denen  es  steht,  verstehen  kann, 
sondern  in  einem  viel  direkteren :  Es  ist  einfach  unmöglich, 
die  Geldtheorie  „an  sich"  zu  behandeln.  Andererseits  aber 
ist  dieselbe  auch  unentbehrlich  zum  Verständnisse  der 
Vorgänge  in  einer  Verkehrswirtschaft.  Es  liegt  darin  ein 
sehr  erheblicher  Unterschied  derselben  gegenüber  der  iso- 
lierten. Ohne  die  Erscheinung  des  indirekten  Tausches 
können  wir  sie  unmöglich  vollständig  verstehen,  da  ohne 
sie  die  Vorgänge  sich  wesentlich  anders  gestalten  würden. 
Wir  haben  also  nicht  etwa  die  Wahl,  ob  wir  die  Geldtheorie 
hier  behandeln  wollten  oder  nicht,  sondern  müssen  es  tun. 
Es  kann  das  allerdings  nur  in  aller  Kürze  geschehen,  nur 
einige  wenige  Grundprinzipien  sollen  dargelegt  werden,  da 
uns  eine  vollständigere  Darlegung  weit  über  den  Rahmen 
dieser  Arbeit  hinausführen  würde.  Wir  wollen  nur  einige 
Prinzipienfragen  erörtern  und  die  Grundlagen  und  Umrisse 
der  Geldtheorie  andeuten,  mehr  um  zu  zeigen,  worin  sich 
unsere  Geldtheorie  von  der  üblichen  unterscheidet  und  wie 
sehr  sie  geeignet  ist,  uns  das  Wesen  der  Sache  verstehen 
zu  lassen  und  uns  in  den  Stand  zu  setzen,  über  andere 
Theorien  zu  urteilen,  als  um  alles  zu  sagen,  was  sie  uns 
zu  sagen  gestattet. 

§  2.  Vorher  wollen  wir  einen  Blick  auf  den  gegen- 
wärtigen Stand  der  Geldtheorie  werfen.  Die  Kapitel,  die 
in  systematischen  Darstellungen  diesen  Titel  zu  führen 
pflegen  und  auch  die  monographischen  Arbeiten  über  dieses 
Thema,  welche  sich  in  der  letzten  Zeit  in  beinahe  unüber- 
sehbarer Menge  anhäufen,  bieten  keineswegs  einen  erfreu- 
lichen Anblick  und  jeder,  der  an  diese  Literatur  denkt, 
wird  sicherlich  einigermaßen  erstaunt  sein,  wenn  wir  be- 
haupten, daß  die  Geldtheorie  einen  so  großen  Erfolg  der 
theoretischen  Ökonomie  darstellt.  Wir  beeilen  uns  auch 
zu  erklären,  daß  das  nicht  für  die  übliche  Behandlung 
dieses  Gebietes  gilt,  sondern  nur  für  das,  was  die  Theorie 
sein  könnte  und  gewiß  bald  sein  wird,  für  das,  was  die 
Ökonomie  bietet  und  nicht  für  das,  was  ihre  Vertreter 


Gmndlagen  der  Geldtheorie.  281 

schreiben.  Dieses  Urteil  aber  hindert  uns  nicht  anzuer- 
kennen, dafi  in  der  gewaltigen  Literatur  über  das  Geld- 
phänomen  sehr  viele  wertvolle  Leistungen  liegen.  Nur 
beziehen  sich  dieselben  mehr  auf  die  Lösung  konkreter 
Fragen  der  Währungspolitik  usw.,  wie  wir  gleich  sehen 
werden,  und  nicht  auf  die  theoretischen  Grundlagen  der 
Sache.  Und  mit  den  letzteren  hat  es  unsere  Kritik  vor- 
nehmlich zu  tun,  deren  Kürze  hoffentlich  nicht  als  Ober- 
flächlichkeit ausgelegt  werden  wird. 

Vor  allem  bildet  die  Geldtheorie,  so  wie  sie  vorgetragen 
zu  werden  pflegt,  nichts  weniger  als  einen  integrierenden 
Bestandteil  der  Preistheorie.  Vielmehr  ist  es  üblich  ge- 
worden, sie  ganz  für  sich  zu  behandeln  und  in  rein  theo- 
retischen Diskussionen  den  „Geldschleier",  der  die  wirt- 
schaftlichen Vorgänge  umhülle,  zu  entfernen.  Das  letztere 
wird  sogar  allgemein  als  ein  Fortschritt  der  wissenschaft- 
lichen Betrachtungsweise  gegenüber  der  des  praktischen 
Wirtes  angesehen.  Tatsächlich  hat  dieses  Vorgehen  seine 
Vorteile:  Gewisse  Grundprinzipien  können  in  der  Tat  recht 
gut  und  viel  einfacher  dargelegt  werden,  wenn  man  vom 
Gelde  absieht,  und  es  ist  auch  wahr,  daß  der  gegenteilige 
modus  procedendi  zu  mehreren  Fehlgriffen  geführt  hat. 
Aber  das  ändert  nichts  daran,  daß  ein  vollständiges  Er- 
fassen aller  Vorgänge  auf  diesem  Wege  nicht  erreicht 
werden  kann  und  diese  Betrachtungsweise  nur  dann  strenge 
korrekt  ist,  wenn  man  sich  auf  die  „verkehrslose"  Wirt- 
schaft beschränkt.  Daß  man  das  übersah,  kommt  lediglich 
daher,  daß  die  Tatsache  des  indirekten  Tausches  nicht 
klar  erkannt  oder  doch  nicht  hinlänglich  gewürdigt  wurde, 
was  erst  der  „mathematischen  Methode"  vorbehalten  war. 
Infolgedessen  fehlte  der  Anker,  der  die  Gcldtheorie  an  die 
Preislehre  fesselt,  und  so  war  es  natürlich,  daß  die  erstere 
ziemlich  unabhängig  schien.  Noch  ein  anderer  Nachteil 
ergab  sich  und  erklärt  sich  daraus.  Man  hat  die  „Ein- 
führung" des  Geldes  stets  aus  Zweckmäßigkeitsgründen 
erklärt  und  gesagt,  daß  das  „Gehl"  entstanden  sei,  um  den 
Tausch    zu    „erleichtern",    um    die    Tauschenden    der  Un- 


282  ^^  Problem  des  stadschen  Gleichgewichtes. 

bequemlichkeit  zu  überbeben,  nach  jemand  zu  suchen,  der 
gerade  des  Gutes  bedürfe,  das  sie  anzubieten  haben  und 
gerade  das  besitze  und  austauschen  wolle,  das  sie  zu  er- 
werben wünschen.  Darin  liegt  nicht  der  entscheidende 
Punkt.  Auch  wenn  jeder  ohne  jede  Schwierigkeit  auf  einen 
geeigneten  Gegenkontrahenten  stofien  könnte,  wäre  Geld, 
das  heißt  indirekter  Tausch,  dennoch  nötig.  Auf  die  Ud- 
entbehrlichkeit,  nicht  die  bloße  Zweckmäßigkeit 
eines  Geldgutes  für  den  Mechanismus  des  Marktes  kommt 
es  an  und  eben  darin  liegt  der  Schlüssel  des  Verständnisses. 
Diese  Erkenntnis  findet  sich  selbst  bei  L.  Walras  nicht  aus- 
drücklich. Wohl  hat  femer  Jevons  seine  Geldtheorie  mit 
einer  Tauschtheorie  eingeleitet,  aber  auf  den  entscheidenden 
Punkt  hat  er  kein  Gewicht  gelegt.  Und  dasselbe  gilt 
von  vielen  Anklängen  an  unsere  Theorie,  die  man  hier  und 
dort  finden  kann.  Gerade  jener  wichtige  Punkt,  der,  wie 
wir  sahen,  auch  erkenntnistheoretisch  so  interessant  ist  und 
die  Geldtheorie  in  das  alleinrichtige  Verhältnis  zur  Preis- 
theorie setzt,  fehlt  meines  Wissens  immer. 

So  erscheint  denn  die  Geldtheorie  nur  als  ein  Annex 
des  übrigen  Gebäudes  unserer  Wissenschaft,  als  eine  Spezial- 
theorie  über  eine  Erscheinung,  die  eben  erklärt  werden 
muß,  weil  sie  ebenfalls  eine  wirtschaftliche  ist,  aber  daza 
besonderer  Hilfsmittel  bedarf.  Was  steht  nun  eigentlich 
in  diesen  selbständigen  Geldtheorien  V  Sie  zerfallen  in  zwei 
deutlich  unterscheidbare  Bestandteile,  in  eine  Grundlegung 
und  in  Diskussionen  praktischer  Fragen.  Was  enthält  nun 
die  erstereV 

Die  Antwort  kann  nicht  erfreulich  sein.  Wir  haben 
hier  eines  jener  Kapitel  vor  uns,  die  der  Nationalökonomie 
nicht  zur  Ehre  gereichen.  Meines  Erachtens  könnte  der 
Beurteiler  nicht  verfehlen,  den  Eindruck  zu  haben,  daß  er 
gar  wenig  Wertvolles  daraus  erfahre  und  ich  glaube,  nicht 
zuviel  zu  behaupten,  wenn  ich  sage,  daß  sein  Urteil  nur 
lauten  kann:  eine  Wissenschaft,  die  nicht  mehr  bietet» 
lohne  der  Mühe  nicht.  Und  wirksamer  als  alle  prinzipiellen 
Einweu(iun»;en  der  Historiker  wird  ihn  das  von  der  Theorie 


OniiidlBgeii  der  fleldtbeorie.  283 

üb-  QDd  zum  „Tatsachenstudium"  hioleDtteo  —  ohne  daß 
man  ihm  Unrecht  gebeir  könnte.  Die  Gemeinplfttzlichkeit, 
lie  völlige  Interesselosigkeit,  die  das  Geboteoe  —  von  der 
Diskussion  einiger  praktischer  Fragen  at^esehen  —  aus- 
zeichnet, ist  ein  Charakteristikon  geldtfaeoretischer  Arbeiten, 
ist  eine  unleugbare  Tatsache,  die  dadurch  nicht  gutgemacht 
wird ,  dafi  ihre  Autoren  mitunter  die  Schwierigkeit  und 
Tiefe  der  Probleme  betonen,  mit  denen  sie  sich  beschäftigen. 
Doch  zur  Sache!  Die  dtlrftigen  Eleiiitente  von  Theorie, 
welche  sie  bringen,  zu  umhüllen,  ergehen  sich  die  meisten 
Darstellungen  in  technischen  Details.  Das  weitaus  nm- 
fangreichste  Kapitel  in  Jevon's  „Money"  ist  der  Aufzählung 
und  Diskussion  alter  jener  Stoffe  gewidmet,  aus  denen 
jemals  „Geld"  erzeugt  wurde.  Abgesehen  von  einem  ge- 
wissen kulturhistorischen  Interesse  mu6  solchen  Ausfohrungen 
jede  Bedeutung  abges))rochen  werden.  Was  soll  dadurch 
erreicht  werden  ?  Könnte  man  nicht  ebensogut  auch  die 
verschiedeneu  NahruDgsniittel  und  ihre  Vor-  und  Nachteile 
in  der  Theorie  diskutieren?  Dergleichen  findet  sich  aber  in 
jeder  Geldtheorie,  in  Walker's,  Helfferich's,  de  Foville's, 
Laughlin's  usw.,  um  nur  einige  modernere  zu  nennen.  Und 
nicht  das  allein.  Das  gleiche  gilt  ja  von  Mitteilungen  Ober 
die  Technik  der  Prägung  und  anderen  mehr.  Welche 
wissenschaftliche  Erkenntnis  soll  sich  daraus  ergeben?  Zum 
mindesten  die  ökonomische  Theorie  —  ich  weiß  nicht,  ob 
ein  anderer  Wissenszweig  —  kann  dabei  doch  nicht  das 
Mindeste  gewinnen.  Und  mit  einer  KegelniUßigkeit,  die 
man  für  manche  fundamentale  Theoreme  schmerzlich  ver- 
mißt, pflegt  ein  Punkt  wiederzukehren,  über  den  ich 
niemals  höre  oder  lese,  ohne  ein  lebhaftes  Gefühl  der  Be- 
Echilmung  zu  empfinden;  es  ist  die  Diskussion  der  Vorteile, 
durch  welche  sich  die  Edelnielalle  auszeichnen  und  durch 
welche  sie  sieb  als  (leldmaterial  besonders  empfehlen.  Ja 
gewiß,  sie  sind  sehr  teilbar,  kleine  Mengen  haben  großen 
Wert,  sie  verändern  sich  nicht  —  aber  ist  es  wirklich 
unsere  Aufgabe,  dergleichen  Siltze  auszusprechen,  wohl- 
gemerkt, nicht  etwa  als  Anfangspunkte  eines  exakten  Ge- 


284  ^^  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

dankenganges,  sondern  als  an  sich  interessante  Wahrheiten? 
Wäre  das  der  Fall,  so  könnte  man  nur  jene  Konsequenz 
daraus  ziehen,  die  die  Historiker  bereits  gezogen  haben. 
Jovons  hat  es  gar  für  zweckmäßig  gehalten,  die  wünschens- 
werten Eigenschaften  des  Geldmateriales  allgemein  auf- 
zustellen: Divisibility,  Portability  usw.  Wir  wollen  ans 
Achtung  gegen  diesen  glänzenden  Theoretiker  nicht  darüber 
spotten.  Aber  man  kann  solche  Elemente  in  unserer  Theorie 
nur  bedauern  —  diese  Art  von  Geldtheorie  ist  leider  nicht 
ohne  Analogien  in  andern  Teilen  der  Nationalökonomie  — 
und  muß  sich  beeilen  zu  sagen,  daß  sie  Freiodkörper  sind, 
die  leicht  daraus  entfernt  werden  können,  im  Grunde  gar 
nicht  hineingehören  und  ohne  jeden  Zusammenhang  mit  dem 
Reste  sind. 

Sodann  pflegt  uns  eine  Entwicklungsgeschichte  des 
Geldes  gegeben  zu  werden,  wie  um  die  fehlende  Erklärung 
zu  ersetzen.  Wie,  wo  und  wann  das  Geld  entstiinden  sei, 
ist  sehr  gleichgiltig  für  die  Zwecke  der  Theorie  von  unserem 
Standpunkte,  nach  dem  siclf  dieselbe  deduktiv  ergibt;  hat 
man  eine  solche  Ableitung  aber  nicht,  so  muß  man  allerdings 
jene  Tatsachen  untersuchen,  um  durch  ihre  Betrachtung  zu 
einer  Beantwortung  der  Grundfragen  zu  kommen.  Allein 
das  tat  man  im  allgemeinen  nicht,  vielmehr  ist,  was  sich 
als  eine  Tatsachenaussage  ausgibt,  eine  Hypothese, 
welche  gleichzeitig  die  Geldtheorie  ergeben  soll.  Darüber 
kann  gar  kein  Zweifel  bestehen.  Hören  wir,  daß,  als  der 
Tauschverkehr  sich  mehr  zu  entwickeln  begann,  ^man  aof 
das  Auskunftsmittel  verfiel"  .  .  .  usw.  in  der  bekannten  Weise, 
so  liegt  darin  sicherlich  kein  Resultat  urgeschichtlicher 
Studien.  Vielmehr  haben  wir  da  eine  jener  Behauptungen 
vor  uns,  deren  Blütezeit  vor  dem  Aufkommen  solcher 
Studien  lag  und  welche  —  übrigens  mehr  in  jenem  Gebiete, 
welches  man  Soziologie  nennen  kann,  als  in  der  eigentlichen 
Nationalökonomie  —  eine  große  und  nicht  immer  unbedenk- 
liche Rolle  spielten  und  fast  an  Rousseau  erinnern.  Wir 
sind  freilich  der  Ansicht,  daß  die  Kritik  solcher  Theorien 
viel  zu  weit  ging,  namentlich   übersah,  daß  vieles,  was  it 


GnindUigeii  der  Geldtheorie.  285 

der  Sprache  von  Tatsachenreferaten  ausgedrückt  war,  nicht 
als  solche  zu  verstehen  ist,  aber  gewifi  ist  auch  viel  Wahres 
an  ihren  Einwendungen  und  die  Forderung  sorgfältigeren 
Quellenstudiums  nicht  unberechtigt.  Die  Bedeutung  einer 
solchen  hypothetischen  Entwicklungsgeschichte  reduziert  sich 
jedenfalls  auf  einen  Versuch,  das  Wesen  und  die  Rolle 
des  Geldes  tunlichst  allgemein  und  überzeugend  zu  defi- 
nieren. 

Diese  Definitionen  sind  es  denn,  welche  übrig  bleiben, 
wenn  man  alles  Fremde  und  alles  a  limine  Unhaltbare  aus 
der  heutigen  Geldtheorie  entfernt.  Sie  und  die  sich  an  sie 
anknüpfenden  Diskussionen  machen  deren  wahre  Grundlage 
aus.  Im  Anschlüsse  an  sie  erörtert  man  die  Fragen,  was 
als  Geld  zu  betrachten  und  ob  „wertloses"'  Geld  möglich 
sei,  was  seine  Rolle  und  seine  Surrogate  sind.*  Dazu  kommt 
nur  noch  etwas,  allerdings  etwas  sehr  Wichtiges.  Es  ist 
die  Quantitätstheorie,  welche  den  einzigen  Bestandteil  der 
Geldtheorie  bildet,  der  —  ob  wahr  oder  falsch  —  wirklich 
etwas  sagt.  Man  ist  .über  sie  nicht  herausgekommen.  Gründe 
für  und  wider  dieselbe  wurden  immer  mehr  angehäuft,  zu 
einer  Lösung  der  Fragen  aber,  die  sie  aufwirft,  und  nament- 
lich zu  einer  neuen  Tlieorie,  welche  sie  ersetzen  könnte,  ist 
man  noch  nicht  gelangt.  Die  Angelegenheit  liegt  so,  wie 
viele  andere  auf  unserem  Gebiete:  Niemand  ist  befriedigt 
von  dem  Bestehenden,  aber  niemand  weiß  es  zu  bessern 
und  eine  Diskussion,  deren  Mangelhaftigkeit  eigentlich  jeder 
einsieht,  schleppt  sich  ohne  Ende  fort^  Viele  sind  der 
Meinung,  daß  die  Quantitätstheorie  überwunden  sei,  aber 
schließlich  konnte  man  ihr  doch  nicht  entsagen  und  gerade 
in  neuester  Zeit  hat  eine  Reaktion  zu  ihren  Gunsten  ein- 
gesetzt.   Viel  weniger  glücklicli  waren  ihre  Gegner  („Kredit- 

'  Die  Gegen^ründe  bleiben  immer  dieselben,  wahrend  die  posi- 
tiven Darlegungen  der  QuantitatHtheorie,  besonders  in  England,  einigen 
ForUcliritt  in  Fa^Bung  und  Verteidigung  aufweisen.  Auch  ein  Ver- 
buch --  «wler  vielmehr  drei  -  sie  an  den  Tatsachen  zu  j)rrifen»  wurde 
gemacht  —  natürlich  mit  negativem  Reitultat;  eine  Verifizierung  der 
rersuchten  Art  mußte  mißlingen. 


286  I^M  Problem  des  statischen  Gieiehgewichtes. 

theorie  des  Geldes"  unter  anderem)  und  manche  Versuche 
in  neuester  Zeit,  auf  die  wir  nicht  eingehen  wollen.  Aber 
wie  immer  dem  sein  mag,  dafi  die  Quantitätstheorie  eine 
vollständige  Erklärung  des  Geldphänomens  enthalte,  hat 
noch  niemand  behauptet,  und  so  kann  man  sagen,  ohne  viel 
Widerspruch  befürchten  zu  müssen,  daß  die  Nationalöko- 
nomie weder  über  eine  Geldtheorie  verfügt,  noch  jemals 
verfügt  hat. 

§  3.  Wir  wollen  nun  kurz  die  Richtung  andeuten,  in 
der  eine  solche  unseres  Erachtens  gesucht  werden  maß, 
wobei  wir  auch  hier  und  da  noch  auf  einige  der  üblichen 
Theorien  zu  sprechen  kommen  werden.  Es  sind  nnr 
wenige  fundamentale  Sätze,  durch  die,  wie  wir  holSen,  die 
Geldtheorie  auf  neue  und  entwicklungsfähige  Grundlagen 
gestellt  werden  kann. 

Wie  gesagt  ist  der  indirekte  Tausch  der  Grundstein 
der  Erklärung.  Sobald  mehr  als  zwei  Waren  zwischen  mehr 
als  zwei  Individuen  getauscht  werden  sollen,  werden  Tausch- 
akte stattfinden,  deren  Zweck  Gütererwerb  zu  weiterem 
Tausche  ganz  oder  zum  Teile  ist.  Jedes  Gut,  das  Gegen- 
stand eines  solchen  Tauschaktes  ist,  ist  insoweit  Geld,  d.  h. 
erfüllt  eine  lediglich  technische  Funktion  im  Dienste  des 
Mechanismus  des  Marktes,  eben  jene,  die  gegenwärtig  und 
seit  geraumer  Zeit  vom  ^Gelde"  im  populären  Sinne  erflült 
wird. 

Nun  steht  es  uns  natürlich  frei,  den  wissenschaftlichen 
Inhalt  dieses  Begriffes  auf  den  U  tzteren,  d.  h.  also  auf  das 
heute  und  überhaupt  meist  vom  „Staate''  geprägte  Geld  n 
beschränken  und  eine  Diskussion  darüber  wäre  ein  blofief 
Wortstreit.  An  dem  wesentlichen  Zusammenhange  dieses 
staatlichen  (ieldos  mit  der  Ei'scheinung ,  von  der  wir  eben 
sprachen,  würde  das  sicherlich  nichts  ändern,  nur  empfiehlt 
er  uns  eben  unsere  Terminologie.  Bei  der  wissenschaftlichen 
Erklärung  jedoch  nur  auf  dieses  formale  Moment  Gewicht 
zu  legen,  wäre  so  ersichtlich  oberflächlich,  dafi  wir  darflber 
kein  Wort  verloren  hätten,   wenn  es  nicht  tatsächlich  g^ 


Grandlagen  der  Gkldtheorie.  287 

D  Wäre.  Aber  auch  so  ist  zu  einer  besonderen 
jrlegung^  kein  Anlaß  vorhanden.  Vielmehr  werden 
$hen,  daß  sich  von  einem  anderen  Standpunkte  etwas 
ese  Stellungnahme  sagen  läßt,  was  freilich  nicht  gut- 
»  daß  dabei  der  wesentliche  Punkt  übersehen  wird, 
^'ir  sprachen  also  den  ersten  fundamentalen  Grundsatz 
eldtheorie  aus,  in  dem  die  Erklärung  des  Wesens  des 
tiänomens  liegt.  Auch  die  Gesetze  des  Wertes  der 
Id  dienenden  Güter  folgen  unmittelbar  daraus.  Schon 
luschmöglichkeit  überhaupt  alteriert  die  Wertfunktion 
jeden  Gutes,  wie  früher  ausgeführt  wurde.  Sie  stellt 
e  besondere  Verwendung  desselben  vom  Standpunkte 

Besitzers  dar.  Es  ist  auch  leicht  zu  sehetf ,  w  i  e 
ih  die  Wertfunktionen  alteriert  werden.  Man  muß 
erte  jener  Güter,  welche  für  die  betreffenden  Güter 
anseht  werden  können  und  von  diesen  wieder  jene, 
5  tatsächlich  eingetauscht  werden,  in  die  Wert- 
onen  der  ersteren  einführen  in  der  Weise,  wie  wir 
3zeigt  haben. 

ür  ein  Gut,  das  nicht  nur  zum  Tausche  bestimmt, 
rn  schon  zu  diesem  Zwecke  erworben  worden  ist,  gilt 
be  in  noch  verstärktem  Maße.  Der  indirekte  Tausch 
also  eine  weitere  Alteration  der  Wert f unk tionen  der 

herbei,  welche  zu  seiner  Durchführung  verwendet 
n,  in  welcher  Weise  kann  sich  der  Leser  leicht  selbst 
iren.  Allein  noch  in  einer  anderen  Art  beeinflußt  der 
kte  Tausch  die  AVerte,  diesmal  nicht  bloß  die  Wert- 
tionen  jener  Güter.  Es  liegt  nämlich  in  ihm  die 
nz,  dieselben  ihrer  Verwendung,  der  sie  unmittelbar 
enen  geeignet  sind,  zu  entziehen.  Wenn  es  freilich 
solcher  Güter  gibt,  wird  das  weniger  hervortreten,  be- 
jedoch  die  Übung,  nur  ein  oder  nur  wenige  Güter  zur 
iführung  der  indirekten  Tauschakte  zu  verwenden,  so 
n,  wie  das  bei  den  Edelmetallen  gegenwärtig  der  Fall 
md  sicher  bei  allen  typisch  als  „Geld"  dienenden  Gütern 
all  w  a  r ,  relativ  große  Mengen  dauernd  der  eigentlichen 
mdung  derselben  entzogen  sein.   Das  hat  wie  jede  Be- 


288  ^^  Problem  des  statUchen  Gleichgewichtes. 

schränkung  der  Menge  eines  Gutes  die  Folge,  ihre  Grenz- 
nutzen zu  erhöhen. 

Beide  Momente  sind  gleich  wichtig,  wenn  auch  nur  das 
letztere  hervorgehoben  zu  werden  pflegt.  Beide  zeigen  sich 
am  klarsten,  wenn  nur  ein  einziges  Gut  als  Geld  ver- 
wendet wird ,  obgleich  sie  im  Prinzipe  sonst  ebenso  wirken. 
In  diesem  Falle  spiegeln  sich  sozusagen  die  Wertfunktionen 
aller  Güter,  mit  Einschluß  derjenigen  seiner  eigenen  Gebrauchs- 
verwendung,  in  der  Wertfunktion  desselben,  und  die  als  Geld 
dienende  Menge  läßt  sich,  obgleich  in  steter  Wechselwirkung 
mit  der  dem  direkten  Gebrauche  dienenden,  in  jedem  ge- 
gebenen Augenblicke  deutlich  von  ihr  unterscheiden.  Die 
ganze  Geldtheorie  liegt  in  nuce  in  diesen  Sätzen  und  ein- 
fache Diskussion  und  Entwicklung  derselben  ergibt  uns  eine 
reiche  Ernte  an  Erkenntnis  des  Phänomenes  des  Geldes. 

Wir  freilich  können  hier  nur  weniges  sagen.  Ehe  wir 
aber  das  tun,  muß  etwas  anderes  erörtert  werden,  etwas- 
das  wir  in  gewissem  Sinne  als  den  anderen  Grundstein  der 
Geldtheorie  bezeichnen  können. 

Wir  bedürfen  nämlich  eines  Wertmaßes,  um  Wertgrößen 
miteinander  vergleichen  zu  können.  Im  ersten  Teile  dieser 
Arbeit  wurde  die  prinzipielle  Möglichkeit  eines  solchen  er- 
örtert. Dort  wurde  auch  gesagt,  wie  wir  unsere  Wert- 
funktionen exakt  feststellen:  nämlich  so,  daß  wir  sie  den 
einzelnen  Individuen  „abfragen".  Die  Antworten  werden 
uns  gegeben  ausgedrückt  in  „Mengen  eines  anderen  Gute8\ 
so  daß  die  Einheit  dieses  —  beliebigen  —  Gutes  uns  als 
Wertmaß  diente.  Ebensogut  wie  jedes  andere  ist  nun  das 
als  „Geld"  dienende  Gut  zu  dieser  Rolle  geeignet,  ja  e* 
emptielilt  sich  aus  ersichtlichen  praktischen  Gründen,  das- 
selbe dazu  zu  wählen.  Allein  es  ist  unendlich  wichtig,  ond 
ich  lege  Gewicht  darauf,  diese  Wahrheit  dem  Leser  troti 
der  Kürze,  in  der  ich  sie  erwähne,  recht  sehr  ans  Herx  in 
le^en,  daß  beides,  die  Funktion  eines  Gutes  als  Tauschmittel 
und  die  Funktion  als  Wertmaßstab,  streng  zu  scheiden  j 
ist:    Beide   Funktionen   sind   ihrem   Wesen  nach 


Grundlagen  der  Geldtheorie.  289 

völlig  verschieden,  haben  miteinander  im  Prin- 
zipe  nichts  zu  tun  und  sind  namentlich  völlig 
trennbar.  Wir  können  „Geld"  als  Taascbmittel  verwenden 
und  dennoch  alle  Guter,  sagen  wir  in  Äpfeln  schätzen,  ohne 
dafl  das  irgend  eine  prinzipielle  Schwierigkeit  hätte.  Tat- 
sächlich wird  beides  mitunter  getrenot:  Wenn  ein  bestimmtes 
Gut  fQr  jemand  besondere  Bedeutung  hat,  so  wird  er  geneigt 
sein,  jedes  andere  in  Einheiten  des  ersteren  zu  schlitzen, 
obgleich  das  Getdgut  ein  anderes  ist.  Der  arme  Familien- 
vater drückt  mitunter  seine  Wertungen  in  Einheiten  von 
Brot  aus,  der  Theaterliebhaber  in  Theaterhillets.  So  gering 
die  praktische  Bedeutung  dieser  Fälle  auch  sein  mag,  das 
zeigen  sie  doch,  das  eine  solche  Trennung  möglieb  ist. 

Diese  Erkenntnis  scheint  mir  nun  von  fundamentaler 
Bedeutung  für  das  richtige  Verständnis  des  Geldphänomenes 
und  ihr  Fehlen  die  Ursache  mancher  irrtümer  zu  sein.  Den 
Terminus  „Geld"  gebraucht  man  mitunter  für  die  eine,  mit- 
unter für  die  andere  beider  Funktionen  und  meist  fUr  beide. 
Dabei  kommt  es  vor,  daß  man  Sätze,  die  für  die  eine  richtig 
sind,  auf  die  andere  anwendet;  eine  wirklich  klare  Auf- 
fassung jedenfalls  ist  nicht  möglich,  solange  man  beide  zu- 
sammenwirft. Nur  einige  der  Fftlle,  bei  denen  diese  Unter- 
scheidung praktisch  wichtig  ist,  wollen  wir  im  Folgenden 
kennen  lernen. 

Die  Theorie  des  Geldes  als  Wertmaßstab  und  die 
Theorie  des  Geldes  als  Tauschmittel  sind  völlig  verschiedene 
Dinge.  Hier  zunächst  einige  SiUze  über  die  erster«:  Daß 
ein  Gut  zum  Wertninßstabe  gewählt  wird,  hat  —  im  Gegen- 
satze zu  seiner  Wahl  zum  Tauschniittel  —  nicht  den  ge- 
ringsten Kinriuß  auf  seineu  „Wert".  Es  wird  dadurch  weder 
seine  Wertfunktion  noch  seine  Menge  alteriert,  uiitliiD  auch 
nicht  sein  Grenziiutzen.  Wenn  ich  als  Einheit  meiner 
Wertungen,  psychologisch  gesprochen,  den  Genuß  annehme, 
den  mir  der  Konsum  eines  Apfels  pro  Tag  unter  sonst 
gegel;e»en  Umständen,  nanieutlich  also  bei  fest  gegol>ener 
Konsum-  und  Proiiuktionskombinatiou,  bereitet,  wenn  ich 
demnach   alle  Güter,  die  ich   besitze  oder  erwerlwu  kann. 


290  ^M  Problem  des  statischen  Gleichgewidites. 

in  ,  Apfel  werten  **  anschlage,  so  ändert  das  nichts  an  der 
Größe  dieses  Genusses. 

Dabei  ist  das  folgende  zu  beachten:  Ich  mag  sagen, 
daß  mir  eine  Menge  irgend  eines  Gutes  z.  B.  tausend  solchen 
„A|)fel werten"*  gleichkommt.  Ich  besitze  vielleicht  garnicht 
tausend  Äpfel.  Und  wenn  ich  sie  besäße,  so  wQrde  ich 
jeden  derselben  weit  geringer  schätzen,  als  jenen  einen, 
so  daß  dadurch  sich  mein  Wertmaß  verändern  wttrde.  Auf 
Grund  des  Grenznutzens,  den  ein  Apfel  dann  fttr  mich 
hätte,  müßte  ich  jene  Gütermenge  vielleicht  mit  1  Million 
Äpfel  einschätzen  usw.  Aber  doch  hat  meine  frühere 
Schätzung  einen  guten  Sinn.  Drückte  man  sie  freilich  so 
aus:  „Jene  Gütermenge  ist  mir  tausend  Äpfel  wert",  so 
könnte  das  zu  Mißverständnissen,  jedenfalls  zu  Unklarheiten 
führen.  Aber  so  darf  ich  mich  eben,  wenn  ich  nur  das 
sagen  will,  wovon  hier  die  Rede  ist,  nicht  ausdrücken. 
Wenn  ich  aber  sage:  Der  Genuß,  den  mir  die  Konsumtion 
der  Gütermenge  verursacht,  ist  tausendmal  so  groß,  als 
jener,  den  mir  die  Verzehrung  des  einen  Apfels  pro  Tag 
bereitet"  oder:  ^ Für  jene  Gütermenge  würde  ich  äußersten 
Falles  tausendmal  jenen  Apfel  geben",  so  ist  die  Sache 
in  Ordnung  und  bedarf  keiner  weiteren  Erörterung.  Der 
Leser  ist  nun  imstande,  noch  eine  Korrektur  an  unserer 
Aufstellung  der  Wertfunktionen  vorzunehmen,  welche  wir 
an  ihrer  Stelle  unterließen,  um  unsere  Darlegung  nicht  mit 
einem  Momente  zu  belasten,  welches  dort  noch  nicht  er- 
örtert werden  konnte. 

(ieben  wir  nun  weiter.  In  der  englischen  Literatur 
besonders  ist  es  üblich  geworden,  vier  Funktionen  des  Geldes 
zu  unterscheidt^n.  Dieselben  sind  charakterisiert  durch  die 
Worte:  Tau>chmittel.  Wertmaßstab  und  zwei,  die  ich  besser 
imUber>etzt  lasse,  nämlich  störe  of  value  und  Standard  of 
deferred  payments.  Wir  sind  nun  in  der  Lage,  dieselben 
zu  l)eurteihMi.  Die  l)eiden  ersten  Ix^sprachen  wir  soeben; 
sie  sind  von  grundle^^ender  Bedeutung,  aber  von  völlig  ver- 
schiedenem Wesen.  Nur  die  erstere  erfüllt  das  Geld  not- 
wendig, die  letztere  wohl  in  der  Regel,  al>er  nicht  immer. 


I  -,^i^m-  ir—aMa^gBigJ 


Grundlagen  der  Geldtheorie.  291 

Wie  steht  es  mit  den  beiden  anderen?  Sicherlich  kann 
man  Vermögen  auch  in  anderer  Weise  aufbewahren ,  als  in 
Geld.  Jedes  Gut,  das  nicht  dem  Verderben  ausgesetzt  ist, 
eignet  sich  im  Prinzipe  dazu.  Es  bedarf  also  kaum  einer 
weiteren  Ausführung,  daß  diese  Funktion  keine  wesentliche 
ist.  Soweit  das  Geld  allerdings  sie  tatsächlich  ausfüllt, 
liegt  darin  ein  für  den  Geldwert  wichtiges  Moment.  Denn 
dadurch,  daß  man  das  Geldgut  „aufbewahrt'',  hoarded,  wird 
seine  für  die  Zirkulation  und  sonstige  Verwendung  verfüg- 
bare Menge  verringert.  Das  ist  gewiß  nicht  ohne  Bedeutung, 
von  prinzipieller  Wichtigkeit  für  die  Grundlagen  der  Theorie 
ist  es  nicht.  Die  vierte  Funktion  endlich  enthalt  ebenfalls 
kein  selbständiges  Moment,  sondern  hebt  nur  einen  der  Fälle 
hervor,  bei  denen  ein  Wertmaß  nötig  ist. 

Nun  wollen  wir  uns  zwei  wichtige  Fragen  vorlegen,  an 
denen  wir  die  Fruchtbarkeit  unserer  Theorie  zeigen  können. 
Es  sind  das  erstens  die  Frage,  ob  „Geld*"  aus  einem  Stoffe 
bestehen  kann,  der  keinen  „Gebrauchswert"  hat  und  zweitens 
die,  wie  eine  Vermehrung  des  Geldes  auf  seinen  Wert  wirkt. 
Diese  Fragen  haben  in  der  Geschichte  der  Geldtheorie  eine 
erhebliche  Rolle  gespielt  und  sind  von  einer  ersichtlichen 
praktischen  Bedeutung,  so  daß  man  ihre  Beantwortung 
geradezu  als  Prüfstein  einer  Geldtheorie  bezeichnen  kann. 
Ja  man  könnte  sagen,  daß  ihre  Lösung  die  Hauptaufgabe 
der  Theorie  bildet.  Die  Probleme  des  Papiergeldes  und  der 
Ursachen  der  Preisbewegungen  sind  bekanntlich  die  prak- 
tischen Spitzen  derselben,  Probleme,  über  die  es  eine  ganze 
Literatur  gibt,  welche  teils  theoretischer  und  teils  „de- 
skriptiver** Natur  ist.  Kann  unsere  Theorie  etwas  All- 
gemeines darüber  sagen  oder  kann  uns  nur  Tatsachenstudium 
zu  einer  Erkenntnis  führen?  Wir  wollen  sehen.  Doch  ist 
es  schon  von  vornherein  klar,  daß  wir  zur  Analyse  kon- 
kreter Fälle  auch  konkreter  Daten  bedürfen  würden. 
Das  kann  uns  nicht  wundernehmen  und  ist  auf  allen  Ge- 
bieten so.  Es  wird  sich  nur  um  einen  Beitrag  zu  allge- 
meinem Verständnisse  solcher  Probleme  überhaupt  und 
höchstens  noch  um  eine  theoretische  Grundlegung  für  die 


292  ^^  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

Betrachtung  konkreter  Fälle  handeln  können.  Alles  Weitere 
muß  die  Statistik  und  Geschichte  leisten  —  und  man  kann 
sehr  wohl  argumentieren,  daß  gerade  dieses  «Weitere*  der 
beste  Teil  der  Sache  ist. 

Was  zunächst  die  erste  Frage  betrifft ,  so  genügt  eine 
klare  Formulierung  der  Sache  auf  Grund  des  Gesagten 
auch  schon  zur  Lösung.  Vor  allem  muß  betont  werden, 
daß  wir  hier  nicht  von  „Kreditgeld"  sprechen.  Eine  Ur- 
kunde, die  ein  Versprechen  einer  bestimmten  Summe 
„Geldes""  enthält,  kann  im  allgemeinen  und  wenn  ihre  Ein- 
lösung gesichert  ist,  ebenso  zirkulieren,  als  „Geld""  selbst 
Sie  verstehen  wir  nicht  unter  „Geld  aus  wertlosem  Stoffe" 
sondern  nur  wirkliches  Geld,  d.  h.  Dinge,  welche  die  Rolle 
des  Geldes  ausfüllen  gleichsam  aus  eigener  Macht  und  ohne 
ihren  Wert  auf  andere  Dinge  zu  stützen,  auf  die  sie  eine 
Anweisung  darstellen. 

Unterscheiden  wir  wiederum  klar  zwischen  Geld  als 
Tauschmittel  und  Geld  als  Wertmaßstab.  Sicherlich  kann 
als  Wertmaßstab  nur  etwas  dienen ,  was  selbst  Wert  hat. 
Das  ist  fast  zu  klar,  um  einer  Begründung  zu  bedürfen. 
Um  die  Werte  drr  verschiedenen  Güter  miteinander  ver- 
gleichen zu  können,  muß  man  sie  auf  einen  gemeinsamen 
Nenner  bringen;  dazu  ist  eine  Werteinheit  nötig;  und  was 
immer  man  als  solche  Werteinheit  wählt,  immer  muß  es 
ein  Wert  sein.  Um  in  der  psychologischen  Ausdrucksweise 
zu  verbleiben:  Ks  wäre  mir  möglieh,  irgendein  Wertgefühl 
einer  bestimmten  Intensität  zur  Werteinheit  meiner  Güter 
zu  wählen .  wenn  ich  dasselbe  nur  hinlänglich  festzuhalten 
vermag,  um  es  stets  pe^zenwärtig  zu  haben.  Dassell>e 
brauchte  gar  keinem  wirtschaftlichen  Gute  zu  entspreche«, 
sondern  könnte  irgendwoher  genommen  sein.  So  kann  ich 
auch  exakt  die  Ordinaten  meiner  Wert  funk  tionen  irgend- 
wie messen,  ohne  daß  die  Gestalt  der  letzteren  dadurch 
geändert  wird,  denn  nur  auf  das  Verhältnis  der  Ordinaten 
zueinander  kommt  es  an.  Ja  sogar,  wie  wir  bereits  sahen, 
einfache  Verhältniszahlen  können  mir  diesen  Dienst  leisteu. 
aber  ihre  Einheit  wird  stets  einen  bestimmten,  wenn  auch 


^^  ^  -'    *•-— *-*g^--     '«=i~r   ■rf~..iS»Fm-i    .^>M».    —  ,      -  X.-..K-W. 


Grundlagen  der  Geldtheorie.  293 

beliebigen  Wert  darstellen.  Nennt  man  also  den  Wertmaß- 
stab „Geld",  so  kann  dieses  Geld  einer  Wertgrundlage 
nicht  entbehren. 

Das  Geld  als  Tauschmittel  nun  kann  ebenfalls  nicht 
ohne  eine  solchen  auskommen.  Denn  sonst  könnte  es  nicht 
in  bestimmten  Tauschrelationen  zu  andern  Gütern  stehen. 
Aber  das  heißt  nur,  daß  sich  mit  ihm  die  Vorstellung  von 
etwas  „Werthabenden"  verbinden,  nicht  aber,  daß  der  Stoflf, 
aus  dem  es  besteht  und  der  tatsächlich  zirkuliert,  selbst 
Wert  haben  muß.  Ein  Stück  Papier,  mit  dem  die  Vor- 
stellung des  Wertes  eines  Schafes  verbunden  ist,  kann  an 
sich,  die  nötigen  Bedingungen  vorausgesetzt,  ebensogut 
zirkulieren,  wie  das  „Schaf"  selbst,  wenn  diese  Papiere  nur 
in  keiner  größeren  Anzahl  vorhanden  sind,  wie  die  wirk- 
lichen Schafe.  Dann  wird  man  in  der  Regel,  wenn  es  sich 
um  die  Verwendung  der  Schafe  zu  indirektem  Tausche 
handelt,  jene  Papiere  statt  wirklichen  Schafen  erwerben. 
Und  darin  —  in  dieser  Unterscheidung  zwischen  Stoff- 
wert des  Geldes  und  Beziehung  auf  Wert  —  liegt  die 
Antwort  auf  unsere  Frage.  Dabei  ist  klar,  daß  irgendeine 
ordnende  Macht  darüber  wachen  muß,  daß  nicht  beliebig 
viele  solcher  Papiere  erzeugt  werden,  und  in  diesem  Sinne 
kann  man  sagen,  daß  es  Geld  solcher  Art  nur  im  Staate 
geben  kann.  Die  populäre  Frage,  ob  Papiergeld  „Geld"  sei, 
ist  also  zu  bejahen. 

Und  nun  zu  dem  zweiten  Probleme,  das  wir  lösen 
wollen:  Wie  wirkt  die  Vermehrung  des  Geldes  auf  seinen 
Wert?  Hier  ist  die  Unterscheidung  zwischen  Wertmaßstab 
und  Tauschmittel  noch  wichtiger. 

Wenn  sich  mein  Besitz  an  jenem  Gute  vermehrt,  dessen 
Grenznutzen  mir  als  Wertmaßstab  dient,  wie  wirkt  das  auf 
den  letzteren?  Sehr  einfach:  Dieser  Grenznutzen  wird 
sinken,  und  so  wird  denn  mein  Wertmaßstab  insoweit  kleiner, 
die  Zahlenausdrücke  meiner  Schätzungen  werden  insoweit 
größer  werden,  allerdings  nicht  in  jenem  Verhältnisse,  das 
nach  der  Quantitätstheorie  zu  erwarten  wäre,  nämlich  pro- 
portionell  zum  Zuwachse,  den  mein  Besitz   an  jenem  Gute 


294  ^^  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

erfährt,  aber  wohl  in  einem  anderen,  das  durch  meine 
Grenznutzenskala  gegeben  ist. 

Aber  wir  können  uns  auch  eine  Fragestellung  zu  eigen 
machen,  welche  uns  zur  Antwort  der  Quantitfltstheorie 
führt.  Ich  kann  meinen  Güterbesitz  mittelst  einer  beliebigen 
Werteinheit  messen.  Verdopple  ich  nun  z.  B.  die  Zahl 
derselben,  was  mir  ja  freisteht  und  an  meinen  Schätzungen^ 
deren  Sinn  und  Zweck  nur  in  Fixierung  von  Verhältnissen 
besteht,  nichts  Wesentliches  ändert,  so  wird  natürlich  meine 
Werteinheit  auf  die  Hälfte  ihrer  bisherigen  Gröfie  sinken 
und  der  Zahlenausdruck  meiner  Schätzungen  auf  das  Doppelte 
steigen.  Und  das  ist  nun  der  richtige  Kern  der  Quantitäts- 
theorie; ohne  weiteres  ergibt  sich  ein  Endurteil  über  sie 
oder  doch  das  Prinzip  eines  Endurteiles  — ,  zu  einer  er- 
schöpfenden Würdigung  wären  noch  andere  Momente  nötig, 
auf  die  wir  hier  nicht  eingehen  können  — :  In  ihrem 
innersten  Wesen  und  so,  wie  sie  z.  B.  J.  S.  Mill  meinte, 
ist  sie  richtig;  aber  auch  selbstverständlich  und  weiter 
nicht  interessant;  was  sie  darüber  hinaus  noch  sagt,  mag 
nicht  einfach  falsch  sein,  aber  es  ist  doch  jedenfalls  un- 
vollkommen und  muß  mit  großer  Vorsicht  behandelt  werden. 
Es  kann  ja  sein,  daß  jener  richtige  Kern  sich  in  praxi  besser 
bewährt,  als  man  glauben  möchte,  und  ferner  daß  er  sich 
noch  besser  zu  bewähren  scheint,  als  es  wirklich  der 
Fall  ist;  und  das  letztere  trifft  meines  Erachtens  für  die 
Quantitätstheorie  zu.  Aber  die  Einwendungen,  daß  sie  rein 
äußerlich  und  oberflächlich  ist  und  auf  die  Grundlagen  der 
Preistheorie  nicht  zurückgeht,  ferner  daß  sie  sich  wenigstens 
in  ihrer  rigorosen  Form  nur  in  einer  —  und  wenig  wichtigen  — 
Beziehung  bewährt,  dürften  kaum  zu  widerlegen  sein. 

Wie  wirkt  die  Vermehrung  des  Tauschmittels  „Geld" 
auf  seinen  WertV  liier  müssen  wir  wiederum  unterscheiden 
zwischen  Vermehrung  der  Menge  des  Gutes,  das  die 
Wertrundlage  des  Tauschmittels  abgibt  und  derjenigen 
eventueller  .(ieldzeichen"  ohne  solche  des  Gutes,  auf 
das  sie  sich  beziehen.  Im  ersteren  Falle  haben  wir 
zwei   Arten   von  Wirkungen    vor  uns.     Erstens   wird  Wert 


GrundUgen  der  Geldtheotie.  295 

und  Preis  jenes  Gntes  sinken,  d.  h.,  die  in  Einheiten  des 
letzteren  ausgedrQcktea  Preise  steigen  und  zwar  entsprechend 
der  für  dieses  Gut  bestehenden  Nachfrageakalen.  Soweit 
wird  die  Änderung  des  Preisniveaus  lediglich  nominell  sein. 
Zweitens  aber  wird  noch  eine  andere  Wirkung  eintreten. 
Wenn  nfimlich  die  Vermehrung  ungleichmäSig  vor  sich 
geht,  z.  B.  nur  hei  einem  Teile  unserer  Wirtschaftssubjekte 
eintritt,  was  bei  weitem  der  häufigste  Fall  sein  muß,  so 
wird  wenigstens  zun&chet  eine  Verschiebung  in  der  Kauf> 
kraft  derselbeu  stattfinden.  Alle  jene,  die  über  eia  festes 
Einkommen  verfugen,  werden  zunAchst  benachteiligt  sein, 
und  Produktion  wie  Konsumtion  werden  andere  Bahnen 
einzuschlagen  streben.  Allerdings  wird  sich  bald  eine 
Reaktion  gegen  diesen  Vorgang  einstellen,  aber  bis  das 
geschieht,  können  schon  so  fundamentale  Veränderungen 
des  früheren  Zustanries  der  Volkswirtschaft  vor  sich  ge- 
gangen sein,  daß  eine  Rückkehr  zu  demselben  unmöglich  ist. 
Betrachten  wir  nun  den  anderen  Fall.  Es  werden,  um 
bei  unserem  Beispiele  zu  bleibeo,  neue  Papierstücke  emit- 
tiert, welche  den  Wert  vou  einzelnen  Schafen  verkörpern 
sollen,  während  bisher  nur  soviele  vorhanden  waren,  als 
wirkliche  Schafe.  Was  werden  die  Wirkungen  sein?  Zu- 
nächst die  beiden  angeführten,  sodaS  diese  „Emission"  soweit 
wie  eine  Vermehrung  der  vorhandenen  Schafe  wirkt.  Der 
Preis  der  Schafe  wird  sinken.  Schon  der  Preis,  der  sich 
für  dieselben  festgestellt  hatte,  als  nur  soviel  Papiergeld- 
einheiten zirkulierten,  als  es  Schafe  gibt,  war  geringer,  als 
jener,  der  bestanden  hätte,  wenn  es  kein  Papiergeld  gegel)en 
hätte,  die  Schafe  .aber  doch  Tauschmittel  gewesen  wären. 
Denn  diese  Funktion  würde  sie  sonstigem  Gebrauche  zum 
Teile  entzogen  haben.  Nun  aber,  nachdem  die  Papiergeld- 
menge noch  weiter  vergrößert  wurde,  wird  es  noch  sellener 
vorkommen,  daß  Schafe  zur  Verwendung  als  Tauschmittel 
herangezogen  werden,  weshalb  die  für  andere  Zwecke  ver- 
fügbare Menge  derselben  steigen  und  so  ihr  Wert  und  Preis 
sinken  wird.  Die  Emission  von  Papiergeld  also 
verringert  den  Wert  des  Gutes,  auf  das  dasselbe 


296  ^^  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

lautet,  und  damit  haben  wir  den  einen  Grund  seiner 
entwertenden  Wirkung  auf  das  „Geld**  überhaupt  —  mit 
Einschluß  des  Papiergeldes  selbst  —  herausgearbeitet 
Diese  Wirkung  kommt  auch  dem  Kreditgelde  jeder  Art, 
mit  Einschluß  von  Buchkrediten,  zu,  insoweit  es  nicht  „voll 
gedeckt"  ist. 

Die  zweite  Ursache  der  Entwertung,  die  ebenfalls  auch 
fXiT  „Kreditgeld""  gilt,  so  verschieden  dessen  Stellung  in 
anderen  Beziehungen  sein  mag,  liegt  in  folgendem  Momente. 
Der  Zuwachs  an  Kaufkraft,  den  jene  Wirtschaftssubjekte 
erfahren,  denen  direkt  oder  indirekt  jene  Papiergeldemission 
zugute  kommt,  wird  naturgemäß  —  wenigstens  müßte  das 
in  einem  sonst  statischen  Zustande  so  sein,  wobei  wir  gerne 
zugeben,  daß  wir  solche  Vorgänge  innerhalb  der  Statik 
nur  zum  kleinsten  Teile  erfassen  können  —  der  Befriedigung 
von  Bedürfnissen  immer  geringerer  Intensität  zugewendet, 
woraus  ein  weiteres  Sinken  des  Grenznutzens  des  Geldes 
für  dieselben  folgt,  das  freilich  von  einem  Steigen  dieses 
Grenznutzens  für  jene  Wirtschaftssubjekte,  die  an  diesem 
Vorteile  keinen  Anteil  haben,  in  leicht  ersichtlicher  Weise 
l)egleitet  ist.  Dabei  kann  es  geschehen,  daß  der  Wert 
einer  Papiergeldeinheit  auch  ohne  die  Dazwischenkunft  des 
Momentes  des  Mißtrauens  in  das  Papiergeld,  von  dem  wir 
absehen,  so  wichtig  es  in  praxi  ist,  unter  den  Wert  der 
Einheit  des  Gutes,  auf  das  es  sich  bezieht,  herabsinkt :  Das 
letztere  wird  dann  ganz  aus  der  Zirkulation  verschwinden 
und  lediglich  seinen  sonstigen  Verwendungen  zugeführt 
werden,  der  Wert  des  Papiergeldes  aber  in  diesem  Falle 
völlig  unabhängig  sein. 

Ncbenl>ei  l)emerkt,  werden  wir  uns  auch  nicht  wundem, 
wenn  ein  Geldgut  einen  viel  höheren  Wert  hat,  als  ihm 
nach  dem  Werte  des  Stoffes,  aus  dem  es  l>esteht,  zukommen 
würde.  In  diesem  Falle  wird  dann  der  gesamte  Vorrat  an 
diesem  Gute  in  den  Dienst  der  Zirkulation  gestellt  und  der 
Wert  nur  danach  bemessen  werden,  ein  Fall,  der  in  dieser 
Form  wohl  nie  vorkam,  aber  in  einer  anderen  —  wenn 
nämlich   eine  Heranziehung   weiterer   Mengen   eines  Geld- 


Grundlagen  der  Oeldtheorie.  297 

gutes  aus  sonstigen  Verwendungen  nicht  mflglich  war,  also 
bei  „Einstellung  freier  Prägung"  —  wiederholt  beobachtet 
werden  konnte. 

Damit  wollen  wir  uns  begnügen.  Ich  glaube  nicht  zu- 
viel  zu  behaupten,  wenn  ich  sage,  daß  in  diesen  AusfQhningea 
alle  nötigen  Elemente  zu  einer  ebenso  natürlichen  wia 
klaren  Lösung  aller  das  Geldphänomen  betreffenden  Probt 
leme  liegen.  Gewiß  konnten  nicht  alle  Schwierigkeiten  in 
den  wenigen  Bemerkungen,  die  mir  die  dieser  Arbeit  ge- 
steckten Grenzen  zu  machen  gestatten,  beseitigt  werden. 
Aber  die  Richtung,  in  der  man  ihre  Beseitigung  suchen 
muS,  in  der  man  auch  auf  eine  Ldsung  des  Problemes  des 
Bimetallismus  stoßen  wird,  dürfte  dennoch  klargestellt  sein. 
Und  ist  das  der  Fall,  so  kann  das  gewiß  nicht  ohne  Einfluß 
auf  das  Urteil  über  unser  exaktes  System  bleiben.  [Mehr 
als  irgendwo  muß  auf  dem  Gebiete  des  Geldwesens  sowohl 
der  Historiker  wie  der  Praktiker  Theorie  treiben.  Die 
kleinste  Behauptung  über  die  Wirkung  dieser  oder  jener 
monetären  Maßregel  involviert  unvermeidlich  mehr  oder 
weniger  „Theorie'^.  Es  liegt  in  der  Matur  der  Sache,  dag 
auch  im  trockensten  Referate  über  Tatsachen  der  Geld- 
geschichte, in  der  Bedeutung,  die  dieser  oder  jener  Er- 
scheinung zugesprochen  nird,  sich  Hypothesen  finden  müssen, 
welche  man  weder  fortlassen  kann,  ohne  den  betreffenden 
Abschnitt  selbst  fortzulassen,  noch  entsprechend  prftzisiereD 
und  rechtfertigen  kann,  ohne,  bewußt  oder  unbewußt,  offen 
oder  verhüllt,  Stellung  in  den  Fragen  der  Geldtheorie  zu 
nehmen.    Eine  ernste  Mahnung  folgt  daraus. 


V.  Kapitel. 
Die  Theorie  des  Sparens. 


§  1.  Noch  einen  Schritt  wollen  wir  weitergehen  und 
versucheo,  eine  Erscheinung  in  unser  System  einzufügen, 
welche  die  Nationalökonomen  viel  beschäftigt,  nämlich  das 
Sparen.  Das  allererste,  worauf  wir  die  Aufmerksamkeit  des 
Lesers  lenken  wollen,  ist  wiederum  unsere  Art  vorzugehen. 
Und  dabei  behaupten  wir,  ebenfalls  wie  gewöhnlich,  daß  in 
derselben  nicht  etwas  bloß  uns  Eigenes  liegt,  etwas,  das 
nur  für  dieses  Buch  Bedeutung  hätte  und  bloB  durch 
unsere  eigenen  methodologischen  Anschauungen  bedingt 
wäre,  sondern  vielmehr,  daß  unser  modus  procedendi  im 
Wesen  der  Sache  liege  und  darin  lediglich  zum  Ausdruck 
komme,  was  alle  tun.  Wir  präzisieren  bloß  die  übliche 
Methode  und  bemühen  uns  zu  zeigen,  welches  ihre  wahre 
Natur  ist,  frei  von  Unklarheiten  und  Ausschmückungen. 
Das  soll  uns  dazu  helfen,  ein  Urteil  darüber  zu  gewinnen, 
was  von  ihr  zu  halten  ist,  was  sie  leistet  oder  leisten  kann. 
und  wo  die  (irenzen  und  Bedingungen  ihrer  Brauchbarkeit 
liegen.  Wir  wollen  sehen,  was  die  statische  Ökonomie  für 
dieses  Problem  und  w  i  e  sie  es  tun  kann  und  welcher  Wert 
dem,  was  in  theoretischen  Werken  darüber  geschrieben  lu 
werden  pflof^t,  zukommt. 

Ein  nicht  uninteressanter  Beitrag  zur  Erkenntnistheorie 
unserer  Disziplin  und  zum  Verständnisse  ihres  Wesens  und 
ihrer  Resultate,  ergiht  sich  meim»s  Erachtens  dabei,  ja  ein 
Beitraj^  zur  Erkenntnis  des  Wesens  aller  Theorie  überhaupt. 


Die  Theorie  des  Sparen«.  299 

Wir  betonen  ja  immer,  daß  e&  wenig  Sinn  bat,  dasselbe  im 
allgemeinen  diskutieren  zu  wollen,  vielmehr  nur  die  Arbeit 
an  konkreten  Problemen  zu  einer  Einsicht  von  wirklichem 
Werte  fahren  kann.  Nur  diese  kano  uns  dazu  fuhren, 
wirklich  etwas  von  der  Sache  zu  verstehen  und  nur  rück- 
blickend auf  theoretische  Erfahrung,  wenn  man 
80  sagen  darf,  gewinnt  man  ein  Urteil ,  das  Sinn  hat. 
Dasselbe  stellt  sich  dann  von  selbst  ein  als  eine  der  Früchte 
der  Arbeit  und  bedarf  keiner  allgemeinen  Begründungen 
mehr;  es  ist  nicht  so  kurz  und  einfach  wie  alle  die  land- 
Iftufigen  es  zu  sein  pflegen  und  kann  dem  Laien  nicht  so 
leicht  plausibel  gemacht  werden ;  aber  es  ist  ihnen  auch  s  o 
überlegeD.  daß  dieselben  daneben  nur  wie  feuilletonistische 
Apercus  aussehen,  an  denen  das  Wahre  und  Falsche  so 
klar  gesehen  werden  kann,  wie  Öl  und  Wasser  in  einem 
Glase. 

Der  Punkt,  der  methodologisch  an  unserem  gegen- 
wärtigen Thema  so  interessant  ist,  ist  der  folgende.  Wir 
haben  in  der  Geldtheorie  ein  Beispiel  einer  deduktiven  — 
und  nichtsdestoweniger  sehr  wertvollen  —  Erkenntnis  ge- 
sehen und  so  durch  die  Tat  und  nicht  durch  aprioristische 
Obersatze  gefunden,  daß  unter  Umstanden  rein  theoretische 
Erwägungen  zu  neuen,  das  heißt  nicht  schon  in  ihren  Vor- 
aussetzungen enthaltenen,  Wahrheiten  führen  können,  welche 
uns  kein  Tatsachenstudium  besser  zu  zeigen  vermag.  Nun 
werden  wir  ein  Beispiel  einer  Theorie  kennen  lernen,  die 
zwar  auch  exakt  aber  doch  ganz  anderer  Natur  ist,  die 
auf  Grund  von  neuen  Tatsachen,  sozusagen  induktiv,  von 
außen  in  unser  System  eingefügt  werden  kann,  wenigstens 
bis  zu  einem  gewissen  Grade.  Ist  sie  einmal  in  das  System 
eingeführt,  sind  diese  Tutsachen  einmal  so  stilisiert,  daß 
das  möglich  ist,  so  unterscheidet  sich  diese  Art  von  Theorie 
gar  nicht  von  der  andern  und  leicht  kann  der  tlUchtige 
Beobachter  den  Unterschied  zwischen  beiden  übersehen. 
Praktisch  ist  das  auch  kein  großes  Unglück,  aber  hier,  wo 
wir  uns  die  Theorie  gründlich  ansehen  wollen,  ist  derselbe 
fundamental.    Und  es  ist  meines  Krachtens  ein  ganz  glück- 


300  ^As  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

lieber  Zufall,  daß  zwei  Instanzen  fQr  zwei  ganz  verschiedene 
Leistungen  unserer  Theorie  hier  aufeinanderfolgen. 

Was  sagen  uns  die  Nationalökonomen  aber  das  Phä- 
nomen des  Sparens?  Nur  wenige*  geben  eine  eigentliche 
Theorie  derselben;  worin  dieselbe  besteht,  wollen  wir  gleich 
angel)en.  Die  meisten  sagen  uns  zwei  Dinge.  Erstens,  da6 
es  gut  und  schön  sei,  zu  sparen  und  daß  es  sich  fttr  jeder- 
mann sehr  empfehle,  nicht  sein  ganzes  Einkommen  aus- 
zugeben. Die  volkswirtschaftliche  Bedeutung  des  Sparens 
sei  groß,  hänge  von  den  moralischen  Eigenschaften  der 
Bevölkerung  ab  und  dergleichen  mehr.  Oft  vervollständigen 
statistische  Daten  diese  Darlegungen,  welche  zu  jenen  gehören, 
die  wir  im  Interesse  des  Ansehens  unserer  Disziplin  dringend 
ausgeschieden  wissen  möchten.  Zweitens  sagt  man  uns  — 
wenigstens  viele  Nationalökonomen  tun  das  — ,  daß  das 
Sparen  die  Bildung  des  Kapitales  oder  des  Vermögens  er- 
kläre. Das  ist  allerdings  sehr  wichtig,  und  wir  werden 
diesen  Satz  noch  zu  prüfen  haben.  Im  ganzen  kann  man 
jedenfalls  sagen,  daß  die  Spartheorie  einen  der  schwächsten 
Punkte  der  Ökonomie  bildet. 

Zunächst  aber  wollen  wir  die  reine  Theorie  des  Sparens 
entwickeln.  Beachte  mau,  wie  wir  dabei  zu  Werke  gehen. 
Das  Sparen  ist  sicherlich  eine  wirtschaftliche  Erscheinung 
von  größerer  oder  geringerer  Bedeutung.  Deshalb  werden 
wir  den  Wunsch  haben,  sie  in  unserem  Systeme  zu  berück- 
sichtigen, falls  dies  geht.  Es  muß  keineswegs  gehen 
und  es  kann  in  sehr  verschiedenem  Maße  gelingen,  wenn 
es  überhaupt  gelingt.  Denn  es  berechtigt  uns  nichts,  von 
vornherein  anzunehmen,  daß  unsere  formalen  Voraussetzungen 
auf  jede  wirtschaftliche  Erscheinung  passen  müssen,  daS 
sich  jede  derselben  in  unser  Schema  bringen  läßt.  Tat- 
sächlich ist  (las  auch  bei  einer  Reihe   wichtiger  wirtschaft- 

^  Vor  allein  diu  Mathematiker:  L.  Walras,  V.  Pareto,  Iiring 
Fislier,  W.  Lauiihardt:  von  Niehtmathematikem  eigeDtlich  nv 
V.  Hoehm-Hawerk.  Doch  machen  auch  die  Genannten  manche  An- 
wendungen von  der  Theorie,  welche  wir  ablehnen  mflssen. 


Die  Theorie  dea  äparena.  301 

licher  Tatsachen  nicht  der  Fall  und  wir  waren  bereits  ge- 
zwungen, einzusehen,  daß  die  Statik  keineswegs  auch  nur 
die  Theorie  der  Wirtschaft  erschöpft.  Es  könnte  sich 
nun  auch  hier  zeigen,  dafi  ucsere  Betrachtungsweise  unan- 
wendbar  ist.  Wir  wUrden  dieselbe  deshalb,  eingedenk  der 
Dienste,  die  sie  uns  dennoch  zu  leisten  vermag,  noch  nicht 
verwerfen,  sondern  vorerst  die  Tatsache  des  Spareos  in 
die  Dynamik  verweisen  und  in  der  Statik  von  ihr  absehen. 
Aber  selbst  wenn  es  sich  ergibt,  daß  unsere  statischen  Me- 
thoden hier  nicht  versagen,  wird  daraus  nicht  folgen,  daß 
sie  notwendig  die  ganze  Erscheinung  und  alle  ihre  Konse- 
quenzen decken.  Sie  können  uns  etwas -darüber  zu  sagen 
gestatten  und  an  anderen  Funkten  versagen.  Ob  wir  in 
diesem  Falle  das  Sparen  in  der  Statik  behandeln  werden 
oder  nicht,  hftngt  von  der  Größe  dieses  „etwas"  ab.  Dabei 
müssen  wir  uns  vor  zwei  entgegengesetzten  Fehlern  hOten. 
Wir  dfirfen  einerseits  nicht  vor  jeder  Schwierigkeit  zurück- 
scheueo,  die  vielleicht  mit  einem  kleinen  KunstgritFe  zu 
beseitigen  ist,,  andererseits  aber  den  Tatsachen  nicht  Gewalt 
antun:  Wir  dürfen  nicht  leichten  Herzens  erklären,  daß  aus 
diesem  oder  jenem  Grunde  das  Sparen  keine  Erscheinung 
der  statischen  Wirtschaft  sei,  wenn  wir  doch  zu  brauch- 
baren Theoremen  kommen  können.  Aber  wir  sollen  auch 
nicht  darauf  bestehen,  eine  Ersclieiuung  in  ein  Schema  zu 
pressen,  wenn  sie  dadurch,  seihst  wenn  wir  nichts  logisch 
Fehlerhaftes  dabei  tun,  ihre  wesentlichen  Merkmale  ver- 
liert, sich  sozusagen  darin  nicht  ausleben  kann.  Nach  beiden 
Richtungen  wird  gesündigt.  Mun  behandelt  oft  Erscheinungen 
mit  Methoden,  deren  Voraussetzungen  gerade  das  Wesent- 
liche an  der  Sache  verbarrikadieren  —  ein  Beispiel  wird 
uns  in  der  Zinstheorie  begegnen  —  und  mit  denen  mau 
nur  Banalitäten  oder  direkt  fnlsche  Resultate  gewinnt.  Und 
wohl  ebenso  oft  erklärt  utnii  einfach,  daß  diese  oder  jene 
Erscheinung  der  Theorie  un/ugjlnglie1i  sei ,  wo  doch  ein 
Versuch  sie  anzuwenden,  reclit  gut  gelingen  würde.  Ali- 
gemeine Regeln  dafUr,  wann  das  eine  und  wann  das  andere 
am  Platze  ist,  gibt  es  nicht;  es  ist  das  Sache  des  Taktes, 


302  I^As  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

der  wissenschaftlichen  Befähigung.  Wie  der  Staatsmann 
bald  mit  eiserner  Hand,  bald  mit  einem  Samthandschuhe 
vorzugehen  hat  und  in  der  richtigen  Wahl  des  einen  oder 
des  anderen  Vorgehens  ein  wesentliches  Kriterium  seines 
Talentes  liegt,  so  muß  auch  der  Theoretiker  bald  sozusagen 
seine  Autorität  gegenüber  den  Tatsachen  wahren,  sie  bis 
zu  einem  gewissen  Grade  meistern  und  sich  nicht  von  ihnen 
tiberwältigen  lassen,  was,  gestehen  wir  es  nur  offen,  nie 
ohne  jede  Willktirlichkeit  geht  —  ganz  ohne  WillkOr 
ist  keine  Theorie  — ,  bald  vorsichtig  und  schonungsvoll 
ihre  Einzelheiten  berücksichtigen.  Und  im  Erfolge,  nicht 
in  allgemeinen  Regeln,  liegt,  ebenfalls  in  beiden  Fällen,  die 
Rechtfertigung  für  den  eingeschlagenen  Weg. 

Alles,  was  wir  tun  können,  ist  also,  zu  versuchen,  ob 
wir  unsere  Methoden  auf  das  Phänomen  des  Sparens  an- 
wenden können  und  was  dabei  herauskommt.  Das  wollen 
wir  denn  auch  tun.  „Unsere  Methoden  anwenden",  heißt 
nichts  anderes,  als  das  Schema  des  Tausches  anwenden. 
Können  wir  das?  Was  ist  dazu  nötig?  Die  Antwort  ist 
einfach:  erstens  ein  „Gut"  und  zweitens  eine  Wertfunktion 
von  gleichen  Eigenschaften  wie  alle  andern.  Was  den  ersten 
Punkt  betriflft,  so  müssen  wir  zu.  diesem  Zwecke  eine  neue 
„ökonomische  Quantität",  eine  neue  Art  von  Elementen 
unseres  Systemes  kreieren  und  annehmen,  daß  unsere  Wirt- 
schaftssubj(»kte  neben  der  Produktion  und  der  Konsumtion 
dienenden  Gütern  auch  „Sparfonde"  besitzen,  welche  natO^ 
lieh  auch  gleich  Null  sein  können  —  ebenso  wie  die  Mengen 
jedes  ihrer  übrigen  Güter.  Diese  Sparfonde  können  in 
irgendwelchen  Gütern  bestehen,  wir  werden  sie  passend  ab 
Geldsummen  auffassen.  Man  sieht  unmittelbar,  dafi  das 
keine  Schwierigkeiten  hat,  und  wir  diese  neuen  Elemente 
soweit  ohne  Anstand  neben  die  alten  stellen  können.  Allein 
der  zweite  Punkt,  die  Wertfunktionen  dieser  neuen  Art  von 
(lütern,  mag  ein  Problem  bilden.  Der  p^ychologittbe 
Nationalökonom,  der  die  Wertfunktionen  auf  Bedürfiiis- 
befriedigung  basiert,  wird  genötigt  sein,  hier  einen  wesent- 
lichen Unterschied   zu  konstatieren,  da  der  Sparfond  eben 


Die  Theorie  des  Sparens.  303 

nicht  dem  Genüsse  dienen  soll,  ihm  vielmehr  zunächst  ent- 
zogen ist.  Man  kann  seinen  Wert  also  nur  aus  der  Be- 
friedigung künftiger  Bedürfnisregungen  erklären,  wenn  man 
nicht  von  einem  besonderen  Sparbedürfnisse  sprechen  will. 
Beide  Wege  sind  indessen  durchaus  möglich  und  haben 
guten  Sinn.  Wir  jedoch  wollen  hier  ebenso  vorgehen,  wie 
bei  Aufstellung  der  andern  Wertfunktionen,  das  heifit  wir 
wollen  auch  hier  den  Individuen  ihre  Schätzungen  für  ver- 
schiedene große  Sparfonde,  von  Null  stetig  fortschreitend, 
abfragen  und  sehen,  ob  die  so  erhaltene  Funktion  ebenso 
aussieht,  wie  alle  andern.  Es  ist  klar,  daß  das  erstere 
möglich  und  das  letztere  der  Fall  ist.  Wir  wollen  uns 
nicht  dabei  aufhalten,  des  Näheren  zu  zeigen,  daß  auch 
für  das  Spargeld  ein  Gesetz  vom  abnehmenden  Grenznutzen 
gilt,  daß  auch  hier  jeder  weitere  Zuwachs  geringer  geschätzt 
wird  als  der  unmittelbar  vorhergehende  von  gleicher  Größe 
und  an  bestimmten  Punkten  unsere  Individuen  zu  sparen 
aufhören  unter  denselben  Voraussetzungen,  welche  wir  bei 
andern  Gütern  zu  machen  haben. 

Wir  können  also  den  Sparfond  für  unsere  Zwecke 
ganz  ebenso  auffassen,  wie  andere  Güter  und  das  Sparen 
erscheint  demnach  als  eine  wirtschaftliche  Verwendung  der 
vorhandenen  Mittel  ganz  so,  wie  jeder  andere  Gütererwerb. 
Es  ergibt  sich  daraus,  wie  man  leicht  sieht,  daß  wir  unser 
Gesetz  vom  Grenznutzenniveau  auch  auf  das  Sparen  aus- 
dehnen und  von  einer  festen  Tauschrelation  des  Sparfonds 
2U  allen  andern  Gütern  sprechen  können,  also  geradezu 
von  einem  Preise  desselben.  Hoffentlich  wird  das  keinem 
Mißverständnisse  begegnen,  auch  wenn  wir  es  uns  versagen, 
darauf  näher  einzugehen.  Das  wesentliche  Resultat,  das 
sich  daraus  ergibt,  ist  die  eindeutige  Bestimmtheit  des 
Sparfondes  jedes  Wirtschaftssubjektes.  In  der  Tat  reichen 
die  angedeuteten  Momente  aus,  exakt  nachzuweisen,  daß 
das  „Spargeld"*  in  der  Volkswirtschaft  unter  gegebenen 
Verhältnissen  und  in  jedem  Zeitpunkte  in  eindeutig  be- 
stimmter Menge  vorhanden  und  unter  die  einzelnen  Wirt- 
schaftssubjekte in    eindeutig  bestimmter  Weise  verteilt  ist. 


304  ^^  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

auch  mit  den  Mengen  aller  andern  Güter  in  fester  Wechsel- 
wirkung steht,  durch  sie  bedingt  ist  und  seinerseits  sie 
mitbestimmt  und  ein  gewisses  —  „normales''  oder  .not- 
wendiges" —  Verhältnis  zu  ihnen  einhält. 

Das  ist  alles,  darin  liegt  die  ganze  reine,  statische 
Theorie  des  Sparens.  Ist  sie  etwas  wert,  ist  sie  namentlich 
der  Mühe  wert?  Gewiß  ist  sie  nicht  ohne  Bedeutung,  und 
man  könnte  dieselbe  durch  eine  vollere  Darstellung  viel 
eindrucksvoller  hervorheben,  als  uns  das  hier  möglich  ist. 
Die  Erkenntnis  der  eindeutigen  Bestimmtheit  des  Spar- 
fondes,  seiner  Bedingtheit  durch  die  andern  Elemente 
unseres  Systemes,  ja  die  Möglichkeit  selbst,  ihn  als  ein 
Gut  wie  alle  andern  aufzufassen  —  das  alles  ist  nicht  ohne 
wissenschaftlichen  Wert.  Außerdem  könnten  wir  auf  Grund 
unserer  Theorie  gewisse  Bewegungsgesetze  des  Sparfondes 
ableiten  von  derselben  Art,  wie  die  anderer  Gütermengen  ^ 
Aber  liier  wiederum  muß  zugegeben  werden,  daB  wir  nii-ht 
mehr  bieten  und  namentlich  keine  weitgehenden  Anwendungen 
von  unserer  Theorie  machen  können,  worauf  wir  noch 
kommen  werden.  Wir  werden  es  wie  gewöhnlich  als  „Ge- 
schmacksache" bezeichnen  müssen,  ob  man  günstig  oder 
ungünstig  über  sie  denken  will.  Vorliebe  für  oder  Abneigung 
gegen  exakte  Gedankengange  wird  dabei  die  Hauptrolle 
spielen  und  wen  Anlage  oder  Bildungsgang  und  InteresseD- 
krcis  die  eine  Kventualität  wilhlen  läßt,  wird  sich  bewußt 
bleiben  müssen,  daß  sein  Urteil  wie  alle  Urteile  eben  nur 
subjektive  Geltung  hat,  wenn  es  auch  insoweit  sicherlieh 
immer  Anspruch  auf  Beachtung  hat.  Am  Schluß  dieses 
Buches  werden  wir  das  nochmals  zusammenfassend  betonen. 

Bemerken  wir  noch,  daß  mau  ganz  denselben  Vorgang 
auch  auf  andere  Dinge  anwenden  und  ebenso  von  einem 
Wohltiltigkeitsftmde  und  der^^leichen  sprechen  könnte.  Und 
auch    solchen    Theorien    würde   dasselbe    relative  Interesse 

'  Uii«I  i-n'llich  kann  man  hoffm.  durch  weitere  Dateu  nm\ 
H\H'z\o\\orv,  kfihniTO  Annahmen  n«H'h  weitere  Sätze  zu  gewinnen.  Ich 
toilo  dii'so  Ilortiiunj;  un«l  nnr  Haumrucksichten  halten  mich  ab.  h*» 
dict>em  in  m(»hr  al.-*  rinrr  Hins'icht  intiTessanten  Punkte  au  verweil«. 


Die  Theorie  des  Sparens.  305 

und  derselbe  bescheidene,  aber  nicht  völlig  illusorische  Er- 
kenntniswert zukommen,  wie  der  des  Sparens.  Hier  eröffnet 
sich  also  eine  Möglichkeit  der  Erweiterung  des  Gebietes 
der  exakten  Ökonomie,  eine  Aussicht  auf  weitere  Entwick- 
lung. Doch  denken  wir  sicherlich  nicht  sehr  hoch  darüber. 
Es*  sei  aber  erwähnt,  daß  die  Spartheorie  sich  von  diesen 
letzteren  Dingen  durch  ein  Moment  unterscheidet,  welches 
sie  für  das  System  der  reinen  Ökonomie  notwendig 
macht,  wenigstens  dann,  wenn  dasselbe  allen  Anforderungen 
genügen  soll:  In  gewissen  komplizierteren  Fällen  zeigt  sich 
nämlich,  daß  der  Sparfond  zur  eindeutigen  Bestimmtheit 
des  Gleichgewichtszustandes  nötig  ist.  Es  gehört  das  zu 
den  Details  der  mathematischen  Theorie,  und  wir  wollen 
darauf  hier  nicht  eingehen.  Ferner  aber  bedürfen  wir  des 
Sparfondes  mitunter  dann,  wenn  wir  die  Wirkungen  von 
Preisbewegungen  studieren,  und  davon  werden  wir  im  vierten 
Teile  dieser  Arbeit  sprechen. 

Aber  hat  die  Spartheorie  nicht  eine  höchst  wichtige 
Anwendung,  erklärt  sie  nicht  die  Kapitalbildung?  Nun, 
soweit  unsere  exakte  Theorie  des  Sparens  in  Betracht  kommt, 
kann  die  Antwort  nur  rundweg  verneinend  lauten.  Wir 
können  schon  nicht  erklären,  wie  die  Sparfonde  entstehen, 
müssen  vielmehr  solche  als  gegeben  annehmen  und  uns 
darauf  beschränken,  ihre  eindeutige  Bestimmtheit  im  Gleich- 
gewichtszustande und  ihre  Variationen  zu  untersuchen 
bzw.  zu  beweisen.  Und  zwar  aus  demselben  Grunde,  wie 
bei  allen  andern  Gütern :  Weil  das  unser  statischer  Apparat 
nötig  macht.  Ein  Übergang  aus  einem  Zustande,  in  dem 
nicht  gespart  würde,  zu  einem  solchen,  wo  das  geschieht 
oder  wo  auch  nur  eine  größere  prinzipielle  Disposition  zum 
Sparen  vorhanden  ist,  setzt  eine  Änderung  in  der  Natur 
des  Menschen,  mithin  in  allen  Wertfunktionen  voraus  und 
ist  für  uns  deshalb  ebenso  unerfaßbar,  wie  der  Übergang 
zur  Produktion  von  Gütern,  die  bisher  unbekannt  waren, 
oder  zu  neuen  Wirtscbaftsmethoden.  Alles  das  muß  fest- 
stehen, darf  sich  nicht  ändern,  wie  wir  das  ausgeführt 
haben.    Vollends  können  wir  die  Verwendungen   des  Spar- 

Sobnmpvter.  NfttionalOkonomie.  ^^ 


306  ^A8  Problem  des  statäscbeu  Gleipbgewichtes. 

fondes  zur  Schaffung  von  Produktioußmittoln  usw.  niebt 
untersuchen.  Das  würde  ja  eine  Entwickluug  zur  Folge 
haben,  auf  einen  neuen  Kulturzustand  hinarbeiten,  in  dem 
alles  anders  ist.  Ss  fahrt  zu  neuen  Bedürfnissen,  neuen 
^Erscheinungen  jeder  Art.  Ihnen  gegenüber  versagen  unsere 
Methoden  und  selbst  soweit  sie  das  nicht  tun,  treten  andere 
Dinge  dabei  in  den  Vordergrund  des  Interesses,  auf  die 
andere  Betrachtungsweisen  besser  passen.  Nur  die  Ersparuag 
kleiner  Summen,  wenigstens  verhältnismäöig  kleiner,  dereo 
Investition  nicht  in  Betracht  kommt  und  welche  den  Gang 
der  Wirtschaft  nicht  wesentlich  beeinflussen,  sind  im  Prin- 
zipe^  in  der  statischen  Wirtschaft  möglich,  sonst  hArt  sie 
auf,  statisch  zu  sein.  Namentlich  das  Entstehen  neuer 
„Kapitalien''  —  und  das  gilt  für  i^Ue  die  Bedeutungen,  die 
dieses  Wort  haben  kann  —  ist  ein  so  essentiell  „dynamisches* 
Moment,  kann  so  sehr  nur  im  Zusammenhange  mit  dem 
Trobleme  der  Entwicklung  behandelt  werden,  dafi  jeder 
Versuch,  es  in  den  Uahmen  der  Statik  zu  pressen,  nur  kllglidi 
mißglücken  kann.  Das  wird  schlagend  durch  die  rein  Uieo- 
retischen  Kapitalbildungstheorieu  bewiesen,  welche  so  un- 
leugbar unbefriedigend  sind  und  dem  Historiker  soviel  zu 
entschuldigen  geben.  Wir  wagen  es  jedenfalls  nicht,  diesen 
Schritt  zu  tun,  wenn  auch  unsere  Spartheorie  dadurch 
bedauerlich  eingeschränkt  wjrd.  Lieber  wollen  wii  zugeben, 
daß  sie  nur  das  Spargeld  „im  Strumpfe**  deckt,  als  beim 
Angeln  nach  Problemen  der  Dynamik  vom  statischen  Ufer 
aus  einen  Fall  ins  Wasser  zu  riskieren.  Wenigstens  ist  das 
wenige,  das  uns  bleibt,  dann  einwandfrei.  Und  etwas 
bleibt  uns  ja.  Der  ständige  Saldo,  den  wir  im  Kontokorrente 
unserer  Bank  haben  —  nicht  aber  das,  was  wir,  wenn  auch 
momentan  nicht  investiert,  im  Depositenkonto  haben  — 
gehört  hierher^   und   ähnlicher  Beispiele  ließen  sieb  viele 

*  Was  nicht  liindert,  größere  in  der  Geldtheorie  in  berftck- 
itichtigen. 

^  Von  unHcrom  Standpunkte  aus  gesehen  wanigstent  und 
dann,  wenn  wir  keine  Zinsen  dafür  empfiuigen,  wie  das  bei  enf- 
liscben  Hanken  meist  der  Fall  ist. 


Die  Theorie  des  Spuren*.  307 

finden.  Diese  UnterEcheidung  ist  auch  an  sieli  nicht  ohne 
Interesse,  und  wir  mUssen  unseren  Methoden  dankbar  sein, 
'dafi  sie  uns  auf  dieselbe  fuhren.  Aber  veiter  kOnnen 
wir  nieht  gehen. 

Note  6ber  die  Theorie  der  Kapitalbildniig. 

Wür  wollen  hier  einige  Worte  Ober  ^ie  Frage  sagen,  ob  <lie 
Encheinang  des  Sparen«  die  Kapitalbildung  erkläre.  SicherUclf  ist 
«ine  Theorie  der  letcteren  nicht  im  Rahinen  der  Statik  mfiglicb  npd 
unsere  Bemerkangen  werden  daher  nic)it  eigentlicb  znm  Gegeiuttnde 
dieMs  Baebea  au  rechnen  eein.  Aber  aowobl  um  ups  darüber  so  be- 
Tuhigen,  daB  wir  nicht  etwa  auf  leicht  erreichbare  Erkenntnisse  rei- 
sicbten,  wenn  wir  uns  Jene  Zurückhaltung  auferlegen  qnd  ferner,  am 
dem  L«ter  tn  seigen,  daß  sich  die  Statik  und  die  Iljnainik  in  4w 
T»t  scharf  voneinander  abheben  und  ihre  Unterscheidung  keiaasw^l 
eine  theoretische  Laune  ist,  um  also  dem  Gesagten  noch  einen  Unter- 
ton  zu  geben,  der  lu  seinem  vollen  Verstindniue  durcbaas  nStjg  iit  — 
aus  diesen  Gründen  wollen  wir  uns  eine  kurze  Abschweifung  g». 
statten  nnd  einiges  über  ein  Thema  sagen,  mit  denh  man  Bftnde  flillen 
kannte.  Die  uns  gebotene  Kurie  gestattet  nicht  ängstliche  {{orrekt- 
beit  der  Ausdrucks  weise  nud  kann  leicht  su  einer  Kritik  Anlaj  geben, 
die  eine  rollere  Darstellung  nicht  lu  fürchten  h&tte.  Wir  appellieren 
hier  an  die  Uenorositlt  des  hoffentlich  „geneigten"  Lesers. 

Um  den  ärgerliclien  Schwierigkeiten,  die  um  den  Kapitalbegriff 
herumliegen,  su  entgehen,  wollen  wir  unsere  Frage  in  iwei  andere 
serlegen:  Erklärt  dos  Sparen  die  Bildung  der  „VermSgen"  im  popu- 
lären Sinne  des  Wortes?  und:  Erklärt  das  Sparen  die  Kapitalbildung, 
unter  Kapital  „produzierte  Froduktionsmittel"  verstanden?  Nur  Tat- 
sachen betraeh  tun  g  kann  uns  das  lehren.  Vor  allem  zur  ersten  Frage. 
Wie  entstehen  „VermCgen"?  Oder:  Wober  kommen  Jene  Oeldsummen, 
die  man  im  gewöhnlichen  Leben  als  „sein  VermSgen"  beseichnet? 
Man  kann  ohne  Widerspruch  befürchten  oder  eine  lange  Erklärung 
geben  in  müssen  wenigstens  dem  Theoretiker  von  Fach  gegenüber 
vor  allem  antworten :  Diese  Summen  stellen  kapitalisierte  Ertrag« 
dauernder  Einkommensquellen  dar.  Wie  diese  Kapitalisierung  erfolgt 
und  woher  die  Einkommensquelle  stammt  —  ob  sie  auf  wirtschaftlichem 
oder  auBerwirtschaft liebem  Wege,  i.  1).  durch  Landschenknng  er- 
worben wurde  —  ist  für  unseren  Zweck  gleichgülti);.  Was  uns  inter- 
essiert ist  die  TatKache ,  doB  ein  solches  Vermögen  sicherlich  nicht 
„erspart"  wurde.  Uag  auch  die  Einkommensquelle  erarbeitet  und  selbst 
in  irgendeiner  Weise  auf  Spartätigkeit  zu rückiu führen  sein,  sicher  ist 
jene  Snmme,  die  da«  Vermögen  darstellt,  nicht  durch   Sparen  anf- 


308  ^&B  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

gestapelt   worden;   sie   hat   ihren  Ursprung  eben  in  dem  genannten 
Prozesse  der  Kapitalisierung. 

So  ist  sicherlich   eine  große,   sehr  große  Anzahl  von  Vermögen 
entstanden.    Wer  dagegen    könnte  jemals   ein  irgendwie   erhebliches 
Vermögen   dadurch   erwerben,  daß  er  sich  von  seinen  täglichen  Auf- 
gaben  etwas  ersparte?    Wer  spait  denn  überhaupt  in  dieser  Weise? 
Die  letztere  Frage  ist  die  wichtigere,  da  es  uns  nichts  nützen  konnte, 
eine  allgemeine  Regel  darüber  aufzustellen,  wer  sparen  „kann'',  wenn 
die  Betreftenden   nicht   tatsächlich   8])aren.     Gute  Lehren  können  wir 
höchstens  uns  selbst  erteilen.    Nun,  die^ie  Frage  muß  auf  Gmod  von 
Tatsachen beobachtungen    beantwortet   werden.      Ich    kann  jene   Ma- 
terialien, die  mich  zu  meiner  Antwort  veranlassen,  hier  nicht  darlegen, 
sondern  muß  mich  darauf  beschranken,  diese  selbst  zu  geben.    Allein 
ich   meine,  daß  sie  eher  auf  Zustimmung  als  auf  Widerspruch  stoften 
wird.     Ich   glaube   nämlich ,  daß  nicht  jene   Leute   .,sparen'',  die  die? 
größten  Einkommen   haben,  sondern  viel  eher  die  Arbeiter-  und  vor 
allem  die  Mittelklassen.  Wenn  die  Spartätigkeit  eine  einfache  Ennktioa 
der  Größe  des  Einkommens  wäre,  so  würde  das  wahrscheinlich  anders 
sein,   obgleich   auch  hier  bei  sehr  großem  Einkommen  ein  Punkt  eiil- 
treten    würde,    wo    mit   Rücksicht   auf  die   Gleichgültigkeit  weiteren 
Erwerbes  das  Siiatcn  aufhören  würde,  obgleich,  mit  anderen  W^orten. 
auch  dann  die  Spartätigkeit  der  Größe  dos  Einkommens  sicherlich  nicht 
proportional   wäre  —  wie   auch   bei   anderen  Gütern   bekanntlich  der 
Erwerb  nicht  mit  dem  Steigen  der  Mittel  des  Erwerbers  Schritt  liält. 
Allein  die  Spartätigkeit  ist  zweifellos  k  e  i  n  e  solche  Funktion  des  Ein- 
koniineiis.    Die  Momente  der  sozialen  Stellung,  der  „ Verpflichtungen ~. 
der  Lehensaiisprüche,  (Tewohnheiten  usw.,  kurz,  die  Verschiedenheit 
der  Anlagen  der  Menschen  und  ihrer  sozialen  Milieus  verhindern  da« 
und  zwar  in  einem  (irra<le,  welcher  eine  Abstraktion  davon  zwar  nicht 
u  n  m  (i g  1  i  c h ,   wohl   aber   w  e  r  1 1  o s   macht.     Der  Tatbestand  scheint 
mir   nun    der   zu   sein  —  und    wir   sind  ja   gegenwärtig   sowohl  nicht 
ohne  Statistik,  wie  nicht  ohne  Monographien  darüber,  wenn  auch  ein 
Mehr    hier    dringend    erwünscht    wäre    — ,    daß    hohe    Stellung    und 
luxuriöse  ( Jewolmheiten  —  hoher   Standard    of  life  —  die  Grotte  der 
Einkommen   meist   mehr   als   balancieren   und  Leute  mit  großem  Ein- 
kommen,   auch    abgesehen    von    dem    reintheoretischen    Momente   des  . 
sinkenden  <ireiiznut/.ens   des  Sparfonds,   weniger  intensiv  sparen,  als 
solche   mit    kleinem,  ja   meist    oder  in   einem   sehr   erheblichen  Teile 
aller  FiiUe.   gar   nicht.     Tnd   aus  Beobachtungen  und  Erwägungen 
dieser  Art   ergab   sich  mir,   daß  das  Sparen  eine  bedeutend  geringere 
Wichtigkeit  als   soziale  Erscheinung  und   als  ErklArungsprinzip  wirt- 
schaftlicher Probleme  habe  —  wenn  auch   immer  noch  eine  grotte  — 
als   die   meisten  Volkswirte  anzunehmen   pflegen.    Ich   kann  das  hier 
ebensowenig    begründen,   wie   ich  die   ziemlich   weitreichenden  Kon- 


Die  Theorie  des  Sparens.  309 

Sequenzen  dieser  Ansicht  vorzuführen  vermag.  Allein  ich  m&chte  be- 
merken, daS  sich  mir  in  diesem  Zniammen hange  nene  Elemente  für 
eine  Kapitalbildungstheorie  und  noch  darüber  hinaus  fär  eine  Art 
Theorie  der  wirtschaftlichen  Entwicklung  ergeben  haben.  Und  wenn 
-dieser  Standpunkt  richtig  ist,  bewShren  sieh  nicht  die  Methoden  der 
Statik ,  welche  uns  Bescheidenheit  lehren  und  vor  Fehlgriffen  be- 
wahren, überraschend  gut?  Entdecken  wir  nicht  unerwartete  Über- 
«inslimronng  des  theoretischen  Bildes  mit  der  Wirklichkeit? 

Doch  entstehen  Vcrmilgen  nicht  auch  anders  als  durch  , Kapitali- 
sierung"? Gewiß,  eine  andere  wichtige  Entstehuugsursache  sind  die 
Geschäftsgewinne.  Ich  gebrauche  diesen  Ausdruck  hier  in  popul&rcm 
Sinne  und  verstehe  darunter  nicht  bloß  Zufalls-  und  Spekulations- 
gewinne in  engster  Bedeutung,  sondern  jene  „Unteruehmcrgewinne" 
jeder  Art,  aus  Gründungen  usw.,  weiche  bekanntlich  viel  bedeutender 
sind,  als  die  reine  Theorie  uns  glauben  machen  möchte,  —  besonders 
deshalb,  weil  die  Konkurrenz  so  gut  wie  nie  „frei"  ist,  —  und  welche 
greifbarerweise  die  Quelle  vieler  Vermögen  sind.  Wie  sie  sich  er- 
klären, geht  uns  hier  nichts  an,  davon  werden  wir  noch  an  anderer 
Stelle  sprechen.  Sie  sind  da.  und  das  mag  für  jetzt  genügen.  Nun 
erhebt  sich  aber  die  Frage,  ob  bei  der  Erklärung  der  VermOgens- 
bildung  aus  diesen  Elementen,  nicht  doch  das  Sparen  eine  aehr  wesent- 
liche Rollo  spielt.  In  der  Tat  hat  man  das  behauptet  Während  ein 
Teil  der  Theoretiker  die  Vermägennbildung  —  eigentlich  die  Kapilal- 
bildnng;  aber  das  kommt,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  für  unseren 
Zweck  auf  dasselbe  hinaus  —  aus  produktiver  Tätigkeit  —  industiy  — 
erklärte,  hat  ein  anderer  hier  auf  das  Sparen  Gewicht  gelegt  und 
noch  andere  haben  beide  Momente  vereinigt.  Nichts  scheint  einfacher, 
als  alle  drei  Theorien  zu  begründen.  Wenn  Vermögen  auf  diese 
Art  —  d.  h.  nicht  durch  Kapitalisierung  —  entstehen  soll,  so  muß  es 
irgendwie  , produziert"  werden:  ebenso  natürlich  darf  das  ..Produkt" 
nicht  sofort  konsumiert  werden,  wenn  Vermögen  entstehen  soll;  und 
so  ist  es  schließlich  auch  selbstverständlich,  daß  beides  —  Produzieren 
und  Nichtr erzehren  —  zusammenwirken  muß. 

Allein  ist  dieses  -Nicht verzehren"  gleiehbedentend  mit  „Sparen"? 
Nennen  kann  man  es  freilich  so.  aber  die  Frage  ist,  ob  es  dieselbe 
Erscheinung  ist.  welcher  wir  hier  begegnen  und  welche  wir  im  Texte 
behandelten.  Die  Antwort  hniiii  nur  verneinend  lauten.  Dort  hatten 
wir  es  mit  einem  Absparen  vom  gewohnten  Einkommen .  das  die 
Grundlage  des  Standard  of  lifo  der  Betreffenden  bildet,  au  tun,  hier 
liegt  ein  Gewinn  vor,  der  aiiHerhalb  des  gewöhnlichen  Budgets  steht 
und  nie  als  wirkliches  Einkommenelement  betrachtet  wurde.  Dort 
handelte  es  sich  um  Schaffung  eines  kleinen  Reservefonds,  hier  um 
Schaffung  der  Grundlage  zu  neuen  Produktionen  und  Konsumtionen, 
4'iner  neuen  Lebenshaltung.    Dieser  Uutereehied  ist  wesentlich  und 


310  ^c^  Problem  des  statischen  Gleichgewichtes. 

ich  blauere  nur,  ihn  nicht  eindringlicher  ausführen  zu  können.  Nennt 
man  beide  Vorgänge  „Sparen'',  so  muft  man  sagen,  daA  dasselbe  swei 
verschiedene  Rollen  habe.  Aber  nur  in  einem  Falle  sagt  uns  da» 
Moment  des  ^^Sparens''  etwas  Interessantes:  Es  zeigt  uns  eine  be- 
stimmte Art  der  Einkommenverwendung.  Im  a  n  d_fi.r£n .  aber  nor 
eine  BanaHtSt:  Daß  niemand  oder  so  gut  wie  niemand  seinen  in- 
dustriellen Gewinn  sofort  konsumiert.  In  diesem  letzteren  Falle  liegt 
alles  Wichtige  in  dem  Momente  des  Erwerbes:  Ein  solcher  Erwerb 
steht  außerhalb  des  Einkommens,  sozusagen  außerhalb  des  Grenz- 
nutzenniveaus des  Erwerbenden  und  seine  Konsumtion,  die  die  ganze 
Lebenshaltung  verändern  würde,  kommt  meist  gar  nicht  in  Frage. 
Er  ist  in  der  Statik,  in  der  alles  vorhergesehen  ist  und  freie  Kon- 
kurrenz alle  Gewinne  auf  die  Kosten  herabdrückt,  nicht  möglich,  ist 
essentiell  ein  Phänomen  der  Entwicklung.  Durch  außerordentliche 
Anstrengungen,  durch  eine  Energie,  welche  vorwärts  will  und  nicht 
ängstlich  ein  hedonisches  Gleichgewicht  sucht  —  wir  dr&cken  uns 
der  Kürze  wegen  so  inkorrekt  aus  —  und  welche  oft  anderen  Motiven 
gehorcht  als  eudämonistischem  Egoismus,  wird  er  erreicht.  Daß  er  nicht 
„konsumiert'*  wird,  ist  meist  selbstverständlich.  Dazu  würde  er  meist 
gar  nicht  erworben.  Beim  statischen  Einkommen  ist  es  hingegen 
gar  nicht  selbstverständlich,  daß  etwas  gespart  wird.  Denn  es  ist 
zunächst  zu  unmittelbarer  Bedürfnisbefriedigung  da. 

Sofort  werden  wir  nun  die  erste  der  drei  genannten  Kapital* 
bildungstheorien  günstiger  beurteilen.  Sie  legt  wirklich  auf  das  cnt- 
scheidende  Moment  Gewicht  und  es  liegt  eine  viel  tiefere  Erkenntni.« 
in  ihr,  als  man  glauben  sollte.  Auch  die  zweite  Theorie,  die  „SpÄr- 
theorie*^  der  Vermögensbildung.  ist  keineswegs  banal.  Doch  ißt  .«if 
falsch,  wie  wir  nun  sehen.  Aber  die  dritte  Theorie  stellt  sich  im 
ungünstigsten  dar.  Wir  sehen  auch  u.  a.,  warum  uns  ein  „s]>arender 
Rothschild",  dem  wir  in  der  Theorie  mitunter  begegnen,  so  humoristisch 
bei-ührt.  Es  ist  zwar  möglich,  daß  ein  Millionär  auch  eine  Spartötiff- 
keit  in  iins«*n'm  Sinne  entfaltet,  nämlich  von  dem  etwas  zurückl«[t, 
was  er  als  sein  dauernd  gesichertes  Einkommen  betrachtet.  Allein 
seine  Millionen  kann  man  nie  daraus  erklären'. 

Ich  bedauere  lebhaft,  daß  ich  nicht  mehr  bei  diesen  Dingen  ver- 
weilen kann  und  sie  in  einer  Form  der  Öffentlichkeit  übergeben  moB. 
welche  in  so  vieler  Hinsicht  nnvoUkommen  ist.  Vielleicht  venn*f: 
ich  später  einmal  zu  zeigen,  wie  wichtig  jener  noch  nie  gemachte 
Unterschied  zwischen  jenen  beiden  Arten  von  Sparen  ist,  und  ▼>' 
sich  das  (besagte  zu  einer  korrekten  Einkommendefinition  verwende» 
läßt,  wie  es  ein  wichtiges  Glied  einer  Kette  ist,  von  der  interessante 
neue  Erkenntnisse  abhängen,  welche  dazu  führen  können,  manche  i<*hr 
nnbefri (fügende  Teile  der  Nationalökonomie  zu  regenerieren. 

Kommen    wir   zum    Schlüsse:     Die   Vermögensbildung   ist   keis 


Die  Theorie  des  SpveiM.  311 

et«ti«cb«r  ProceB  und  auBerdem  nicht  durch  das  Moment  des  Sparen« 
2u  erklftren.  Oani  dasselbe  lUt  sieb  nun  ancb  von  der  Schaffung 
von  Kapital  im  Sinne  von  produzierten  Produktionsmitteln  wiederholen  i 
Ans  „Sparen"  entstehen  dieeelben  nicht,  das  ist  sicher.  Ancb  sie  sind 
Errungenschaften  von  Anstrengungen,  welche  unseren  Oleichgewichts- 
lustandceretJtren  und  insoweit  von  der  NationalSkonoraieniebefriedigend 
bebandelt  wurden,  als  dieselbe  noch  nicht  Ober  die  Statik  hinaus  ge- 
diehen ist.  Und  nicht  nnr  diese  Anstrengungen,  auch  ihre  Fiflchte 
indem  das  ganie  „System".  Doch  werden  wir  damit  noch  in  tun 
haben  und  so  seblieBeo  wir  hier.  Aber  man  sieht,  wir  haben  sehr 
wohl  Grund,  uns  innerhalb  der  Statik  in  hatten  nnd  kennen  Ober  die 
Beschränkungen,  die  nni  dos  auferlegt,  kaum  murren.  Versucht  man 
es  doch,  darüber  hi naueiu gehen ,  ehe  die  WafFen  dazu  geschmiedet 
sind,  so  baut  man,  wo  es  keinen  festen  Boden  gibt  —  nnd  die  historische 
Kritik  gewinnt  nur  allia  große  Berechtigung:  Ja,  hier  liegt  gewiB 
ein  Punkt,  wo  nur  neue  Tatsachen  helfen. 


Dritter  Teil. 
Die  Verteilungstheorie. 


I.  Kapitel. 
Die  Einkommen;  Allgemeines. 


§  1.  Würde  man  gefragt,  was  die  reioe  Ökonomie  an 
pralttisch  brauclilMtFen  Resuitaten  liefere,  so  könnte  man  vor 
allem  zwei  Dinge  anführen:  Dafi  sie  nAmlich  erklftrt,  „was 
die  Preise  sind"  und  daß  sie  gewisse  Bewegungsgesetze  der- 
selben gibt.  Den  ersten  Punkt  haben  wir  im  Wesen  er- 
ledigt ,  zum  zweiten  werden  wir  im  vierten  Teile  dieser 
Arbeit  kommen.  Hier  nun  haben  wir  es  mit  der  wichtigsten 
Anwendung  der  Preistheorie  zu  tun,  mit  der  Theorie  der 
Einkommen,  Die  Wichtigkeit  des  Problems  braucht  nicht 
hervorgehoben  zu  werden  —  das  Wesen  der  wirtschaftlichen 
Verteil  ungsvorgänge  zu  ergründen,  ist  immer  ein  Hauptziel 
der  Ökonomie  gewesen.  Ja  man  kann  sagen,  daß  das  der 
alleinige  Zweck  vieler  Systeme  der  Ökonomie  war  und  ist. 

Wir  begegnen  hier  Ähnlichen  Schwierigkeiten  wie  beim 
Preisprobleme  im  allgemeinen,  nur  in  verstärktem  Mafie. 
Eine  Fülle  von  Vorstellungen  und  Gefühlen  ruft  schon  der 
Titel  „Verteilungstheorie"  wach:  Erbitterte  Kämpfe,  Leiden 
und  Genüsse,  ein  Tt'il  der  Geschichte  der  Menschheit  scheint 
darin  zu  liegen.  HolTiiungen  und  Befürchtungen  ruft  jede 
Diskussion  dieses  Themas  wach,  und  auch  die  Wissenschnft 
ist  bis  heute  noch  nicht  zu  einer  lediglich  beschreibenden  Be- 
handlung desselben  vorgedrungen.  Sein  eminentes  praktisches 
Interesse,  das  auch  den  Gelehrten  gefangen  nimmt,  macht  das 
so  schwer.  Es  gibt  sogar  getug  Leute,  welche  eine  rein  wissen- 
scbaftliche  Behandlung  dieser  Fragen,  eine  kohle  Sachlichkeit 


316  I^*c  Verteilungstheorie. 

Übelnehmen  und  als  Mangel  an  sozialem  Denken  betrachteo. 
So  kann  denn  eine  Tendenz  zur  Verteidigung  oder  Be- 
kämpfung der  bestehenden  Verhältnisse  fast  in  jedem  Werke 
nachgewiesen  werden;  fast  nie  konnte  und  kann  man  eich 
enthalten,  praktische  Schlüsse  zu  ziehen,  die  naturgemäß 
stets  einer  oder  der  anderen  Partei  unangenehm  sein  mußten 
und  deren  überlegener  Ton,  deren  Darstellung  als  unantast- 
bare wissenschaftliche  Resultate  und  als  absolute  Wahrheiten 
l>esonders  aufreizend  wirkte.  Sagt  man  dem  Proletariate, 
daß  all  sein  Elend  „naturgemäß""  sei,  sogar  einem  Nutzen- 
maximum  entspreche,  so  kann  man  von  der  Seite  seiner 
Vertreter  um  so  weniger  auf  Zustimmung  rechnen  als  das 
in  eklatantem  Widerspruche  mit  der  Tatsache  des  Erfolges 
von  sozialpolitischen  Bestrebungen  verschiedenster  Art 
steht.  Nervös  erklärte  man  schließlich,  daß  es  allgemeine 
Wahrheiten  hier  nicht  gebe  und  brandmarkte  jenen  Ver- 
such, dergleichen  auszusprechen,  als  unfaires  politisches 
Manöver,  das  lediglich  den  Zweck  habe,  verschiedene  Be- 
strebungen und  Iloifnungen  mattzusetzen.  Daß  diese  An- 
schauung von  einem  großen  Teile  der  wissenschaftlichen  Welt 
geteilt  wird  und  daß  gegen  einen  anderen  großen  Teil  der- 
sell)en  derartige  Vorwürfe  gerechtfertigt  sind,  ist  ja  bekannt. 
Wir  kommen  darauf  gleich  zurück. 

Wir  haben  ferner  wiederholt  gesagt,  daß  an  den  Tat- 
sachen die  soziale  Seite,  die  Machtverhältnisse,  die  Ent- 
wicklung und  dergleichen  geradezu  das  Interessanteste  sind 
und  daß  unser  theoretisches  Bild  dazu  nichts  beizutragen 
vermag,  auch,  daß  es  so  wirklichkeitsfremd  ist,  daß  nur  der 
geübte  Blick  überhaupt  eine  Ähnlichkeit  mit  der  Wirklich- 
keit darin  entdeckt,  daß  eine  Fülle  von  Tatsachen  der  Er- 
fassung durch  unsere  Methode  und  von  unserem  Standpunkte 
entschlüpft.  Aber  nicht  das  soll  hier  ausgeführt  werden. 
Es  wurde  das  vielmehr  schon  l)esprochen ,  und  wir  haben 
darauf  verzichtet,  für  die  praktische  Diskussion  und  für  die 
konkn'te  Entwickluiifr  Erhebliches  gewinnen  zu  wollen. 
Hier  haben  wir  es  mit  jenen  Schwierigkeiten  hauptsächlich 
zu  tun,  welche  dem  Verteilungsprobleme  eigentümlich  sind. 


Die  Einkommen;   Allgemeines.  317 

Von  verschiedenen  Seiten  kann  man  an  dasselbe  heran- 
treten, zu  den  verschiedensten  Zwecken  dasselbe  diskutieren, 
und  jeder  Zweck  und  jede  Betrachtungsweise  hat  ihre  eigene 
Methode,  die  nur  mit  Rücksicht  auf  jene  ihre  Berechtigung 
hat.  Es  liegt  uns  ferne,  über  irgendwelche  dieser  Methoden 
und  Zwecke  ein  Urteil  abgeben  zu  wollen.  Keine  erklären 
wir  für  unberechtigt  oder  falsch,  nur  scheiden  muß  man 
sie,  scheiden  vor  allem  Theorie  und  Praxis,  wissenschaft- 
liche Beschreibung  und  politische  Diskussion.  Besonders 
wichtig  ist  es  nun  für  uns,  zu  erklären,  daß  wir  durchaus 
nichts  gemein  haben  wollen  mit  jenen  Versuchen  der  Theo- 
retiker, immer  wieder  ein  Urteil  über  Wert  oder  Unwert 
der  bestehenden  Zustände  abgeben  zu  wollen,  wodurch  jener 
eigentümliche  Gegensatz  zwischen  sozialistischer  und  sozial- 
politischer Richtung  einerseits  und  der  sogenannten  „bürger- 
lichen'' Ökonomie  andererseits  entsteht.  Wir  haben  darauf 
bereits  hingewiesen,  aber  gerade  bei  der  Einkommensverteilung 
tritt  dieses  Moment  ko  schroff  herAor,  daß  wir  wiederum  darauf 
zurückkommen  müssen.  Die  prinzipielle  Notwendigkeit  der 
Scheidung  wird  ja  anerkannt,  aber  dann  lesen  wir  doch 
immer  wieder  Sätze  wie  die  folgenden:  „Competition,  per- 
fect  competition,  affords  the  ideal  for  the  distributiou  of 
wealth**.  „Competition  affords  the  only  absolute  security 
possible  for  the  equitable  and  beneficial  distribution  of  the 
products  of  industry**.  „The  question  whether  the  lahourer 
is  exploited  or  robl)ed  depends  on  the  question  wheter  he 
gets  bis  producf.  Man  spricht  von  der  „Berechtigung"  des 
Zinses,  von  den  „Ansprüchen'*  der  Arbeit,  als  Produzent  des 
ganzen  Produktes  zu  gelten,  die  Frage  des  „gerechten** 
Lohnes  wird  immer  wieder  mit  der  des  „nat ürlichen*". 
vermengt  usw.  Das  ist  ganz  unhaltbar.  Es  könnte  sich 
ergeben,  daß  z.  B.  infolge  von  Ül^ervölkerung  der  Lohn  so 
gering  ist,  daß  er  nicht  einmal  vor  dem  Verhungern  schützt; 
trotzdem  werden  wir  ihn  als  den  „natürlichen**  bezeichnen, 
•  jn  sogar  von  einem  durch  diese  Verteilung  herbeigeführten 
•'  Nutzeumaximum  sprechen  müssen,  wie  wir  das  ausgeführt 
haben.     Es  soll   das  nicht  nochmals  erörtert  werden;   die 


318  ^1®  Verteiluigpstheorie. 

Lösung  aller  dieser  Paradoxa  liegt  einfach  in  der  Seheidong 
von  Beschreibung  und  Werturteil.  Man  sieht  aueh,  diB 
man  beide  ganz  leicht  trennen  und  so  jenen  dem  Wesoi 
einer  Wissenschaft  ins  Gesicht  schlagenden  politischen  Ab- 
hang  ganz  gut  entbehren  kann.  Wir  müssen  so  viel  Ton 
darauf  legen,  weil  die  in  der  Gegenwart  so  lebhaft  gefQhrte 
Diskussion  des  Verteil ungsproblems  immer  wieder  auf  soldie 
Punkte  führt. 

Das  Interesse  an  Theorie  ist  neu  erwacht.     Wir  haben 
uns  davor  zu  hüten,  wieder  in  den  alten  Fehler  einzulenken 
und  so  der  neuen  Theorie  dieselben  Angriffe,  Mifideutungen 
und   Niederlagen   zuzuziehen,   denen   die   alte   erlegen  ist. 
Jeder  Ökonom,  der  seine  Wissenschaft  um  ihrer  selbst  willen 
liebt,   sollte   diese   Warnung   nicht   überhören.     Auf  zw« 
Dinge  muß  besonders  hingewiesen  werden,  welche  eine  be- 
sondere Rolle  in  der  Gegenwart  spielen  und  besonders  ge- 
eignet scheinen,  der  Wissenschaft  geradezu  verhängnisvoll  zu 
werden.     Erstens  hat  die  Fragestellung  des  Zurechnongs- 
problemes,    welche    unter    verschiedenen  Namen    fast  alle 
Theoretiker  beschäftigt,  dazu  geführt,  von  dem  „Prodakte 
der  einzelnen  Produktionsfaktoren''  zu  sprechen,  nach  deren 
„Produkten''    zu   fragen.    Diese  an  sich  schon  unglückliche 
Ausdrucksweise  hat  sich  besonders  die  amerikanische  Theorie 
zu   eigen  gemacht,   nachdem  die  frühere  Phase  dieser  Auf- 
fassung, wie  sie  sich  in  der  älteren  Literatur  zeigt,  glücklieh 
überwunden  schi(*n.    Man  stellt  nun  den  Satz  auf,  daß  gegen 
die   Verteilung    vom    Standpunkte    der    Moral    nichts    ein- 
zuwenden sei,  wenn  jeder  Produktionsfaktor  das  bekomme. 
was  er  erzeuge.     Selbst   wenn   das  Beweisthema   wirklich 
ausgeführt  würde,   was  schon  deshalb  ganz  unmöglich  ist 
weil  die  Produkte  der  einzelnen  Faktoren  sich  nicht  trennen 
lassiMi,  weil  der  Ausdruck  „Produkt  eines  einzelnen  Faktors* 
ja  nur  figürlich  gemeint  sein  kann,  wAre  noch  immer  nicht 
einzusehen ,  warum  eine  solche  Verteilung  gerecht  sein 
solle.     Denn  es  wird  ja   nicht  das  Produktionsmittel   „ent- 
lohnt" gleichsam  für  sein  Wohlverhalten,  sondern  der  Be- 
sitzer  desselben   erhillt   das   Produkt.    Mag  nun   für  die 


Die  EiT^lioTumpft;  4UgiBmeipe0.  319 

Arbeit  pine  Verteilung  n^cb  diesem  Prip^ipe  recht  plausibel 
ersebeipep«  w  Uegt  auf  der  Han4,  daQ  z.  B.  der  Qrimd- 
eigßptQiner,  fßr  die  lieistungen  semes  PodeffS  entlohnt,  da- 
4arch  ebenaognt  einen  ^^gprechten''  wie  ßinen  „ungerephtep*' 
Anteil  erhalten  Jc^nn-  Zweitens  bftben  manc)ie  Theoretiker 
versucht,  einßQ  iiUgemeinen  v^A  notwendigen  Zusap^menh^ng 
zwischen  Ein)coniinen  und  persönlicher  Tüchtigkeit  des- 
jenigen* der  es  bezieht,  zu  konstruieren,  pißse  Verirrung 
ist  besonders  gpfährlicb,  weil  sie  sehr  )eipbt  zu  der  sonst 
der  Ökonomie  gan?  fremden  Bßhanptung  binQberleitet,  daß 
die  besitzendßn  Klaßsen  höherwertige  Elemente  repräsen- 
tißren,  ein  S^tz,  der  für  sich  allein  schon  ausreicht,  für 
viele  I#eiitß  unsere  ganze  Pisziplin  ungenießbar  zu  machen. 
In  diesem  ZusamnAenhang  können,  obgleich  selbständig  ent- 
wiekeJti  jene  Theorien  sehr  leicht  zu  einer  bedenklichen 
Bedeutung  gelangen,  welche  Zins  und  Grundrente  aus  Ent- 
haltaiqikßlt  be^w.  Arbeit  erklären*  Pieser  Theorie  gegen* 
Oberi  welche  lilso  höheres  Einkommen  aus  höherer  persön- 
licher l^eistupg  erklärt,  brauchen  wir  uns  in  eine  Wider- 
legung gar  nicht  einzulassen ,  da  das  deutsche  Publikum 
ohnehin  von  ihrer  Falschheit  genügend  überzeugt  ist,  wir 
brauchen  nur  hervorzuheben,  daß  in  den  rein  ökonomischen 
Gedankengängen  nicht  das  geringste  liegt,  was  auf  der- 
artiges hinweisen  würde. 

Wir  haben  wahrlich  keinen  Grund,  zum  zweiten  Male 
nur  allzu  berechtigten  Angriffen  von  Seite  des  Historikers 
und  Sozialpolltikers  die  Flanke  zu  bieten*  und  es  zwingt 
uns  nichts  dazu.  Wer  die  Theorie  zu  solchen  Zwecken  aus- 
beuten will,  der  mißbraucht  sie.  Sie  steht  im  wahrsten 
Sinne  des  Wortes  über  den  Parteien  und  kann  von  jeder- 
mitnn  akzeptiert  werden,  was  immer  seine  politische 
Stellung  sein  mag. 

Wir  glauben  genug  gesagt  zu  haben,  um  gegen  jeden 
Vorwurf  dieser  Ai^t  gesichert  zu  sein.  Was  man  uns  vor- 
werfen könnte,  ist  nunmehr,  nachdem  wir  sowohl  den  Vor- 
wurf des  Obecsehens  von  Tatsachen,  als  den  sozialpolitischer 
Parteiujihme  erörtert  haben,  soviel  wir  sehen  können,  nur 


320  ^^®  Verteilungstheorie. 

noch  Folgendes:  Man  mag  sich  gegen  die  eindeutige  Be- 
stimmung der  Einkommen  verwahren  mit  Hinweis  auf  die 
Tatsache  des  Erfolges  von  Strikes  usw.  DarQber  glaubea 
wir  im  Früheren  befriedigenden  Aufschluß  gegeben  zu  haben 
und  wollen  auch  noch  einiges  darüber  in  anderem  Zusammen- 
hange sagen.  Auch  über  die  Rolle  des  ethischen  Momentes 
sprachen  wir  bereits  und  sagten,  daß  wir  die  Wirksamkeit 
anderer  als  wirtschaftlicher  Momente,  wie  etwa  Altruismus, 
Herrenwillen  und  dergleichen,  nicht  übersehen.  In  diesem 
Zusammenhange  möchten  wir  noch  auf  die  Abneigung  hin- 
weisen, die  sich  die  Theorie  dadurch  zieht,  dafi  sie  die  mensch- 
liche Arbeit  in  manchen  Beziehungen  wie  eine  gewöhnliche 
Ware  auffaßt.  Wir  tun  das  nur  soweit,  als  mensehliehe 
Arbeit  eben  gekauft  und  verkauft  wird  und  knüpfen  weiter 
nichts  daran.  Endlich  kann  man  sich  gegen  die  Auffassung 
der  Einkommensbildung  in  unserer  Weise  aus  dem  Grunde 
sträuben,  weil  die  Einkommensbildung  ein  sozialer  ProzeB 
ist,  weil  dabei  ein  soziales  Produkt  durch  soziale  M&chte 
zur  Verteilung  gelangt.  Wir  leugnen  nicht  die  Berechtigung 
dieser  Betrachtungsweise,  sie  ist  der  unseren  sogar  in 
mancher  Beziehung  überlegen,  wie  wir  gleich  sehen  werden. 
Nur  ist  eben  für  manche  Zwecke  das  Ausgehen  vom  Indivi- 
duum, wie  früher  ausgeführt,  nötig  und  darin  liegt  kein 
Widerspruch  gegen  jene  soziale  Auffassung. 

Kurz:  Verständnis  für  Theorie  überhaupt  und  klarer 
Blick  dafür,  was  eine  Theorie  wirklich  sagt,  was  der  Kern 
ihrer  oft  so  unvollkommenen  Formulierung  ist,  das  sind  die 
unumgänglich  nötigen  Voraussetzungen  zu  einer  Würdigung 
auch  der  Verteilungstheorie.  Nur  derjenige,  der  diese  mit- 
bringt, kommt  über  ihre  Schwierigkeiten  und  oft  so  paradox 
klingenden  Behauptungen  hinweg.  Für  ihn  ergibt  sich  das 
folgende  Resultat:  Viele  Behauptungen  der  Theoretiker 
sind  wirklich  unhaltbar.  Aber  sie  lassen  sich  vom  Kerne 
der  Theorie  trennen.  Allerdings  leidet  die  TermiDOlogie 
dersell>en  vielfach  noch  unter  dem  Einflüsse  falscher  Ideen 
und  trügerischer  Hoffnungen  und  hier  liegt  der  Punkt,  wo 
jener   klare  Blick   ^o   nötig  ist.     Und  das  sind  nicht  -^mT 


Die  Kokommen;  AIIgenMines.  321 

einzigen  Mftngel;  auch  manche  Konklusionen  und  selbst 
einzelne  Theoreme  mQaseu  aufgegeben  werden.  Aber  den- 
noch ist  der  wesentliche  Inhalt  der  Theorie  grSfitenteils 
prinzipiell  einwandfrei.  Einwendungen  gegen  ihn  beruhen 
oft  und  vielleicht  meist  auf  dem  Fehlen  jener  Voraus* 
Setzungen.  Aber  nicht  immer,  und  es  ist  schwer,  Recht  und 
Unrecht  blar  zu  scheiden.  Fast  nie  auch  wird  es  ruhig  und 
aacblich  versucht.    Doch  gehen  wir  weiter. 

§  i.  Wenn  wir  uns  nun  also  fragen,  was  wir  von 
unserem  Standpunkte  aus  zum  Verständnisse  der  Verteilongs- 
vorg&nge  beizutragen  vermögen ,  so  wissen  wir  schon  im 
Toraus,  daß  es  nicht  alles  und  erwarten,  daß  es  möglicher- 
weise nicht  einmal  viel  ist.  Wir  wissen  vor  allem  nicht, 
ob  wir  alle  Einkommen  erklären  können.  Aber  selbst  wenn 
das  der  Fall  wfire,  könnten  wir  sie  nicht  ganz  und  in  allen 
ihren  Beziehungen,  durchblicken.  Was  wir  tun  können  ist, 
eben  unser  System  zu  betrachten  und  uns  zu  fragen,  was 
davon  zur  ErklUrung  der  EinkommensbilduDg  brauchbar  ist. 
Man  kann  dann  sagen,  daß  wir  jene  Einkommen 
mehr  oder  weniger  erklären  können,  welche 
sich  als  Preissummen  darstellen  lassen.  In  unserem 
Systeme  werden  Güter  verschiedenster  Art  vertauscht,  zu- 
nftchst  Genußgttter  gegen  GenußgOter  und  sodann  Produktiv- 
gOter  gegen  andere  ProduktivgUter  oder  gegen  Genußgttter. 
Findet  ein  Tausch  statt,  dessen  Zweck  es  ist,  gegen  ein 
Genufigut,  das  zum  Gebrauche  bestimmt  war,  ein 
anderes  auszutauschen,  um  es  zu  gebrauchen,  so  interessiert 
uns  dieser  Tausch  hier  nicht  weiter.  War  das  Genußgut 
aber  erzeugt  oder  erworben  worden,  um  eben  ausgetauscht 
zu  werden,  dann  fassen  wir  es  einfach  als  eine  Form  von 
produktiven  Diensten  auf,  was  wir  ohne  weiteres  können. 
Nach  dieser  Festsetzung  sagen  wir,  daß  wir  die  Ver- 
teilongsvorgänge  insoweit  erklären  können,  als 
sie  in  der  Freisbildung  produktiver  Leistungen 
bestehen.    Das  ist  das  reinökonomische  „Wesen"  der  Ein- 

SahiimpataT,  NmtlanilekoDoml*.  %\ 


322  ^®  Verteiliuigstheorie. 

kommenBbildung  und  es  fragt  sich  nun,  was  uns  dieses 
Moment  zu  bieten  vermag. 

Auch  hier  ist  wieder  die  Reserve  zu  machen,  daß  wir 
auch  an  einem  Tausche  nicht  schlechterdings  alles  erkliren 
können.  Aber  abgesehen  davon  können  wir  die  Bildung 
jener  Einkommen  oder  Teile  von  Einkommen,  welche  diesen 
Charakter  haben,  wirklich  verstehen.  Der  Einkommens- 
zweige, die  wir  unterscheiden,  wftren  also  ebenso  viele,  als 
es  in  unserem  Systeme  Arten  von  Produktivgfitem  gibt 
Diese  aber  kann  man  in  drei  Gruppen  zusammenfassen, 
nämlich  Arbeit,  Grund  und  Boden  und  endlich  produzierte 
Güter.  Andere  Einkommensarten  als  jene,  die  sich  aus 
diesen  drei  Gruppen  ergeben  mögen,  kann  es  in  unserem 
Systeme  nicht  geben.  Ehe  wir  zur  näheren  Erörterung 
derselben  übergehen,  haben  wir  die  folgenden  Bemerkungen 
zu  machen.  Vor  allem  könnte  man  sich  fragen,  ob  nicht 
das  „Untemehmereinkomnien"  einen  weiteren  Einkommens- 
zweig  darstelle.  Wir  sprechen  hier  vom  „Unternehmer*, 
ohne  ihn  weiter  zu  definieren,  da  wir  das  nicht  als  unsere 
Aufgabe  l)etrachten,  vielmehr  andere  Wissenschaften  mehr 
ül)er  diese  Erscheinung  zu  sagen  haben.  Femer  scheiden 
wir  Kapitalzins  im  üblichen  Sinne  und  auch  das,  was  man 
Unternehnierlohn  nennt ,  von  seinem  Einkommen  ab.  Da 
bleibt  nun  zweifelsohne  noch  etwas,  eine  mitunter  sehr  er- 
hebliche Größe,  wie  die  Erfahrung  lehrt,  und  die  Unte^ 
suchung  dieses  „etwas"  ist  sicherlich  ein  höchst  wichtiges 
Problem.  Man  hat  versucht,  dasselbe  als  die  Entlohnung 
irgendeines  l)esondereu  Dienstes,  der  vom  Lohne  allerdings 
wesentlich  verschieden  sei,  zu  betrachten.  Die  Mehrzahl 
der  Theoretiker  jedoch  erklärt  dieses  Einkommen  in  anderer 
Weise.  Wir  wollen  auf  diese  Frage  erst  später  weiter  ein- 
gehen. Aber  unser  System  jedenfalls  gibt  keine  Erklärung 
desselben:  Wir  können  keinen  Preis  angeben,  der  uns 
dazu  helfen  könnte,  und  stehen  an  einer  Grenze  unseres 
Systems. 

Wir  sehen  zunächst  an  diesem  Beispiele,  dafi  es  Ein- 
kommen  gibt,  welche  unser  statisches  System  nicht  erklärt 


Die  S^nkoDunen;   Allgemeines.  323 

Es  mag  noch  aodere  geben.  Die  Aufgabe,  die  uns  ds  er- 
wächst, ist  nachzuweisen,  dafi  die  reinökoDomiscfaen  Theorieo, 
welche  eioe  solche  Erkläruog  versuchten,  UDbrauebbar  sind, 
oder  daß  wir  ebensoweit  kommen  wie  sie.  WQrde  uns  dieser 
Kachweis  nicht  geliugeo,  so  wäre  unser  System  zum  min- 
desten einer  Ergänzung  bedürftig,  und  wenn  das  oft  Tor- 
bäme,  so  worden  wir  uns  von  demselben  abwenden.  Femer 
aber  muß  stets  gezeigt  werden,  ob  die  fragliche  Erscheinung 
«twa  dynamischen  Charakters  ist,  das  heißt,  wohl  wirtschaft- 
lich aber  nicht  mit  den  Mitteln  des  statischen  Systemes 
erklärbar  ist,  oder  ob  wir  ein  Recht  haben,  sie  einer  anderen 
'Wissenschaft  abzutreten.  Bei  dem  Unternebmereinkommen 
ist  sicherlich  das  letztere  nicht  der  Fall ,  und  wir  haben 
eine  wirtschaftliche  Erklärung  zu  finden.  Es  ist  jedoch 
ziemlich  allgemein  anerkannt,  dafl  dasselbe  nur  im  dyna- 
mischen Zustande  hervortritt. 

Der  Fall  des  Unternehmergewinnes  ffihrt  uns  manche 
Mangel  unserer  Betrachtungsweise  klar  vor  Augen.  Es 
gibt  also  Einkommenszweige  (und  wir  werden  sehen,  daß 
es  außer  dem  Untemehmergewinne  noch  einen  andern 
solchen  gibt),  welche  sich  unserer  Erklärung  hier  entziehen. 
Dann  aber  gibt  es  noch  Einkommen,  bei  denen  die  rein 
wirtschafliche  Betrachtung  vollkommen  versagt  z.  B.  die 
Zivillisten  regierender  Häupter,  ferner  andere,  bei  denen 
sie  so  wenig  leistet,  daß  man  sie  besser  ganz  fallen  läßt. 
Das  ist  z.  B.  bei  Einkommen  aus  politischer  Tätigkeit,  bei 
manchen  liberalen  Berufen,  beim  Gehalte  des  Beamten, 
mehr  oder  weniger  der  Fall.  Sicherlich  kann  man  diese 
Dinge  nicht  ohne  jede  wirtschaftliche  Betrachtung  verstehen; 
daß  sie  überhaupt  vorhanden  sind,  ist  in  einigen  dieser 
"FiMe  sicherlich  nur  wirtschaftlich  zu  erklären;  aber  dieser 
Beitrag  ist  so  gering,  dafl  man  den  Theoretikern  nur  eu- 
stimmeu  kann,  die  von  diesen  Einkommensarten  in  aller 
Begel  absehen.  Die  Beweguogsgesetze,  wie  die  Regel  von 
Angebot  und  Nachfrage,  treten  nur  wenig  hervor  und  andere 
Betrachtungsweisen,  die  der  sozialen  Machtverhältnisse  z.  B., 
passen  ungleich  besser,  und  sagen  uns  ungleich  mehr.   U  nser 


324  ^®  Verteilungstheorie. 

Beitrag  zum  Verständnisse  der  Verteilungs- 
Vorgänge  steht  zum  ganzen  Probleme  in  einem 
ähnlichen  Verhältnisse  wie  die  Theorie  der 
internationalen  Werte  zum  ganzen  Probleme  der 
Weltwirtschaft. 

Was  uns  bleibt,  gegenüber  allen  Einschränkungen,  die 
wir  schon  früher  machten  und  den  beiden,  die  wir  jetzt 
eben  zu  machen  genötigt  waren  durch  Anerkennung  von 
Einkommenszweigen,  welche  sich  überhaupt  nicht  wirt- 
schaftlich und  solchen,  welche  sich  nicht  im  Rahmen  der 
Statik  erklären  lassen,  ist  immer  noch  wichtig  genug. 
Außerdem  wurde  es  sehr  überschätzt,  und  so  haben  die 
Theoretiker  aller  Zeiten  ihr  Augenmerk  ganz  vornehmlich 
darauf  gerichtet,  und  die  Neubelebung  des  theoretiseheo 
Interesses  hat,  nachdem  die  neuen  Grundlagen  gelegt  und 
in  großem  Umfange  angenommen  waren,  einen  förmlichen 
Sturmlauf  der  Theoretiker  auf  das  Verteilungsproblem  zur 
Folge  gehabt.  Überblicken  wir  die  Schlachtlinie,  um  zu 
sehen,  wie  die  Sache  steht,  so  könnte  man  etwa  sagen,  daß 
viele  Positionen  genommen  sind,  und  die  Kapitulation  der 
Festung  bevorsteht.  Tatsächlich  aber  ist  die  Flagge  noch 
nicht  gestrichen.  Am  festesten  stehen  noch  die  nicht  statischen 
Einkommen,  aber  auch  auf  dem  Gebiete  der  Statik  wird 
noch  heftig  gekämpft. 

Es  ist  schwer,  den  gegenwärtigen  Stand  dieser  Fragen 
kurz  zu  charakterisieren.  Im  Kreise  der  Theoretiker  steht 
die  Sache  ungefähr  folgendermaßen:  Bezüglich  der  Grund- 
rente herrscht  noch  in  weitem  Maße  die  Theorie  Ricardos 
und  alle  Eiuwenilungen  gegen  dieselbe  haben  nicht  ver- 
mocht, die  Mehrzahl  der  Theoretiker  davon  abzubringen, 
8el))St  dann  nicfit,  wenn  sich  deren  übrige  Theorien  nicht  mit 
der8ell)en  vertragen.  Beim  Arbeitslohne  hat  man  sich  immer 
mehr  mit  den  konkreten  Verhältnissen,  als  mit  einer  all- 
gemeinen Theorie  ))efaßt,  aber  jedenfalls  ist  innerhalb  der 
letzteren  die  Zurechnungstheorie  v.  Wiesers  wohl  unwider- 
sprochen geblieben.  Man  kann  die  Ausarbeitung  der  Lohn- 
theorie  durch  die  Amerikaner  nur   als  eine   Spielart  der- 


Die  £iDkommen;  Allgemeines.  325 

selben  bezeichnen.  Der  dritte  Einkommenszweig  pflegt 
Zins  genannt  zu  werden.  Er  war  von  jeher  ein  Tummel- 
platz verschiedenster  Spezialtheorien.  Die  Kritik  v.  Boehm- 
Bawerks  hat  jedenfalls  dieselben  zurückgedrängt,  und  seine 
«igne  Theorie  scheint  immer  mehr  an  Einfluß  zu  gewinnen, 
wie  ich  glaube,  viel  mehr,  als  im  allgemeinen  geglaubt  oder 
eingestanden  wird.  Daneben  haben  sich  nur  die  Produktivitäts- 
und  die  Abstinenztheorie  erhalten. 

Bei  der  Beurteilung  des  einzelnen  Gedankens  darf  man 
üie  aus  dem  Auge  verlieren,  daß  er,  wie  wir  immer  wieder 
i)etonen,  nur  in  seinem  Zusammenhange  Sinn  und  Bedeutung 
hat.  Es  beruht  in  der  Regel  auf  Oberflächlichkeit  und 
bringt  Fehler  mit  sich,  wenn  man  einen  einzelnen  Gedanken 
aus  dem  Systeme  einer  früheren  Zeit  einfach  in  das  neuere 
verpflanzt,  wie  das  mit  der  Rententheorie  geschehen  ist. 
Man  darf  auch,  wenn  man  gerecht  sein  will,  nicht  einen 
einzelnen  Gedanken  vom  Standpunkt  eines  andern  Systemes 
beurteilen:  Der  Wert  desselben  ist  verschieden  in  den  ver- 
schiedenen Systemen,  er  kann  uns  verschieden  viel  sagen  auf 
verschiedenen  Stufen  der  wissenschaftlichen  Entwicklung. 
Hingegen  scheint  es  uns  nicht  richtig,  mit  manchen  Theore- 
tikern der  Gegenwart  der  Ansicht  zu  sein,  daß  sich  die 
einzelnen  Gedanken  immer  ergänzen.  Das  ist  nur  in  be- 
schränktem Maße  der  Fall.  Im  allgemeinen  steht  die  Sache 
so,  daß  sich  verschiedene  theoretische  Betrachtungsweisen 
mit  Rücksicht  auf  ihren  formalen  Charakter  gegenseitig 
recht  wenig  zu  sagen  haben,  und  die  theoretischen  Grund- 
probleme eine  Behandlung  mit  verhältnismäßig  einfachen 
Mitteln  gestatten:  Der  eine  Gedanke  ergänzt  den  andern 
nicht,  sondern  macht  ihn  entbehrlich.  Es  ist  ein  lobens- 
wertes Bestreben ,  gegen  unsere  Vorgänger  gerecht  zu  sein, 
über  man  mag  sehr  verschieden  denken  über  die  Versuche 
mancher  moderner  Theoretiker,  zwischen  den  verschiedensten 
Dingen  nicht  die  geringste  Verschiedenheit  finden  zu  wollen. 

§  3.  Das  erste  Resultat,  das  unsere  Betrachtungsweise 
ains  auf  diesem  Gebiete  liefert,  ist  die  Erkenntnis,  daß  die 


326  Die  Verteilangstheorie. 

in  der  Statik,  wie  wir  sie  abgrenzen,  vorkommenden  Ein- 
kommenszweige wesensgleich  sind,  das  beifit,  daß  sie 
anf  denselben  Momenten  beruhen  und  in  derselben  Weise 
sich  erklären  lassen.  Dieses  Resultat  ist  sehr  wichtig  nnd 
gibt  unserm  Systen^e  eine  Einheitlichkeit,  die  als  großer 
Fortschritt  gegenüber  den  altern  bezeichnet  werden  muß. 
Diese  Einkommen  sind  Preissummen  und  als  solche  ein- 
deutig bestimmt.  Wir  brauchen  nicht  nach  speziellen  Gründen 
zu  suchen,  welche  uns  dieselben  aufklären  sollen,  wie  das 
die  Klassiker  taten.  Das  eben  ist  der  größte  Erfolg  der 
Zurechnungstheorie.     Wohl    haben   auch  die  Klassiker  die 

,  Tatsache,  daß  die  Einkommen  „Preise"  sind,  nicht  völlig 
verkannt.  Das  ist  aber  nicht  entscheidend.  Es  ist  ein 
anderes,  eine  Tatsache  gelegentlich  zu  sehen  und  ein  anderes, 
ihre  wissenschaftliche  Bedeutung  zu  erfassen.  Wohl  steht 
auch  in  den  altern  Systemen  fast  stets  eine  Preistheorie 
vor  der  Verteilungstheorie,  aber  doch  tritt  man  an  die  Ein- 
kommen heran,  wie  wenn  sie  selbständige  Erscheinungen 
wftren,  die  eine  eigene  Erklärung  erfordern.  Der  einzige 
Einkommenszweig,  bei  dem  sie  die  Preisnatur  klar  erkannten, 
ist  der  Arbeitslohn,  aber  auch  bei  ihm  biegt  die  Darstellung 
sofort  ab,  um  andere  Momente  heranzuziehen.  Dagegen 
wurde  die  Rente  und  der  Zins  immer  speziell  begründet. 
Das  hängt  mit  der  Preistheorie  der  Klassiker  zusammen, 
wie  bereits  angedeutet  wurde. 

Indem  wir  diese  Wesensgleichheit  der  Einkommenszweige 
betonen,  verkennen  wir  keineswegs  jene  Verschiedenheiten, 
zwischen  denselben,  die  sich  ja  bei  der  flüchtigsten  Be- 
trachtung zeigen.  Wir  behaupten  bloß,  daß  die  rein  öko- 
nomische „Natur"  der  P^inkommenszweige  die  gleiche  sei 
und  daß  jene  Verschiedenheiten  in  nicht  rein  ökonomischen 
Momenten  liegen,  z.  B.  in  der  sozialen  Position  derjenigen, 
die  die  Einkommen   beziehen.    Das   letztere  ist   sicherlich 

'  ein  wichtiges  Moment,  welches  viel  dazu  beigetragen  hat, 
jene  fundamentale  P>kenntnis  zu  verschleiern.  Die  Arbeiter 
und  die  Grundeigentümer  heben  sich  so  scharf  von  einander 
ab,  die  Art  wie  sie  zu  ihren  Einkommen  gelangen,  ist  eine 


Die  Einkommen;  Allgemeines.  827 

80  verschiedene,  alle  Lebensverhältnisse  femer  und  der  ganze 
soziale  und  politische  Habitus,  alles  das  ist  verschieden. 
Dazu  kommt,  daß  die  Interessen  dieser  Klassen  so  oft 
kollidieren,  dafi  in  der  Tat  alles  für  die  Vermutung  zu 
sprechen  scheint,  dafi  die  ökonomischen  Grundlagen  ihres 
Daseins  ebenfalls  verschieden  seien,  and  besonders  hier 
können  wir  dem  Vorwurfe  begegnen,  dafi  unsere  Darstellungs- 
weise die  sozialen  Gegensätze  übertünche.  Aber  dieser 
Vorwurf  ist  unbegründet,  wenn  man  uns  recht  versteht.  Es 
handelt  sich  uns  nur  um  die  Tatsache,  dafi  diese  Einkommen 
aus  Preisen  gebildet  werden.  Daraus  ergibt  sich  eine 
formale  Gleichheit,  welche  auch  zu  einer  Ähnlichkeit  in  den 
Bewegungsgesetzen  führt,  aber  die  ja  nichts  darüber  aussagt, 
ob  diese  Einkommen  grofi  oder  klein  sind  und  welche 
soziale  Funktion  sie  erfüllen.  Die  Klassengegensätze  werden 
keineswegs  dadurch  hin  weggeleugnet;  im  Gegenteile,  zur 
Beleuchtung  der  wirtschaftlichen  Seite  an  denselben  ist 
unsere  Betrachtungsweise  ganz  praktisch.  Man  hat  auch 
gesagt,  dafi  es  wenig  Sinn  habe,  erst  die  Produktionsfaktoren 
gleich  zu  behandeln  und  sodann  doch  wieder  jene  Ver- 
schiedenheit zu  betonen.  Eine  prinzipielle  Gleichheit  nütze 
nichts,  wenn  die  graduelle  Verschiedenheit  eine  gewisse 
Gröfie  überschreite.  Auch  dieser  Vorwurf  scheint  nicht 
ganz  gerechtfertigt:  Die  prinzipielle  Gleichheit  und  die 
graduelle  Verschiedenheit  sind  eben  bei  verschiedenen  Klassen 
von  Problemen  interessant.  Wo  es  sich  darum  handelt,  zu 
sagen,  was  diese  Einkommen  sind,  dort  läfit  sich  derselbe 
Gedankengang  auf  alle  statischen  anwenden,  und  das  ist 
wichtig  genug,  um  von  einer  Wesensgleichheit  zu  sprechen; 
fragt  man  dann  nach  weiteren  Umständen,  welche  diese  so 
interessanten  „Preise"  bestimmen,  so  wird  man  auf  Ver- 
schiedenheiten kommen,  was  aber  nichts  daran  ändert,  dafi 
die  Grundlage  überall  die  gleiche  ist.  WMe  die  einzelnen 
Tropfen  eines  Wasserfalles  verschiedene  Wege  durch  das 
Gestein  finden,  sich  vereinigen  und  trennen  und  die  ver- 
schiedensten Schicksale  haben,  ohne  darum  aufzuhören,  aus 
derselben  Quelle  zu  stammen,  so  nehmen  die  einzelnen  Ein- 


328  ^®  Verteilangstheode. 

kommen  verschiedene  Wege,  werden  von  verschiedenen  um- 
ständen näher  bestimmt,  aber  deshalb  bleibt  es  doch  interessant, 
daß  sie  desselben  Wesens  sind. 

Diese  Erkenntnis  bricht  sich  nur  langsam  Bahn;  auf 
wirklich  festem  Grunde  steht  sie  nur,  wenn  sie  auf  der 
Zurechnungstheorie  beruht  Auch  gegenwärtig  ist  sie  noch 
nicht  allgemein  akzeptiert,  obgleich  sie  an  Boden  gewinnt 
Erst  wenn  sie  ganz  durchgedrungen  ist,  ist  die  erste 
Phase  unserer  Wissenschaft  abgeschlossen,  das 
klassische  System  endgültig  überwunden,  nicht  infolge 
dialektischer  Diskussionen,  sondern  durch  die 
Macht  des  Erfolges.  Hier  erst  hat  die  neuere  Wert- 
theorie gezeigt,  was  sie  vermag  und  diese  neue  Klarheit  und 
Einfachheit  ist  für  sich  allein  schon  ein  Grund,  ihr  den 
Vorzug  zu  geben. 

Während  die  klassische  Theorie  die  Grundrente  nicht 
als  einen  Preis  bezeichnet,  sondern  aus  einem  besondem 
Umstände  erklärt,  so  können  wir  sie  neben  den  Lohn  stellen, 
umsomehr  als  es  sich  zunächst  nur  um  die  einfachsten 
grundlegenden  Dinge  handelt  Die  Sache  gestaltet  sich 
also  ganz  einfach :  Boden-  wie  Arbeitsleistungen  erzielen  in 
der  besprochenen  Weise  einen  Preis,  und  ihre  „Besitzer* 
sind  in  der  Lage,  denselben  beliebig  zu  verwenden,  da  sie 
in  der  nächsten  Wirtschaftsperiode  auf  dieselben  Boden- 
oder Arbeitsleistungen  rechnen  können.  Wenn  man  den 
Produktionsprozeß  vollendet  hat,  so  hat  man  erstens  das 
Produkt  und  zweitens  den  Boden  und  die  Arbeitskraft 
Der  Vergleich  mit  einer  stetig  fließenden  Quelle  ist  nahe- 
liegend und  brauchbar  und  die  Tatsache,  daß  Arbeiter  und 
Grundeigentümer  über  Einkommen  verfügen,  hat  an  sich 
nichts  Auffälliges.  Alles  weitere  mag  dann  ganz  kompliziert 
sein,  die  Grundlagen  sind  klar  genug.  Es  gibt  gar  nichts 
Einfacheres  und  nichts,  was  weniger  Widerstand  zu  fürchten 
brauchte,  als  die  Behauptung,  daß  man  Boden-  und  Arbeits- 
leistungen wertet  und  bezahlt,  weil  man  sie  braucht 
An  diesem  Tatbestande  vermag  selbst  der  Umstand  nichts 
zu  ändern,  daß  der  Besitzer  von  Boden  und  Arbeitskraft 


Die  Einkommen;   Allgemeines.  329 

nicht  ganz  im  Rechte  ist,   wenn  er   die  Wiederkehr  jener 
Leistungen,   die   ihm  sein  Einkommen   sichern,   als   gewifi 
annimmt.     Der  Arbeiter  wird  Alter,  der  Boden  abgenützt 
werden.    Bei  dem  letztern  etwa  als  selbstverständlich  an- 
zunehmen, daß  er  durch  Meliorationen  usw.  immer  auf  der- 
selben   Stufe   der  Ertragsfähigkeit   erhalten   werden   wird, 
geht  nicht  so  ohne  weiteres  an.    Selbst  wenn  das  möglich 
wäre,   so  bedürfte  es  einer  besonderen  Erklärung,   warum 
ein  Teil  des  Geldertrages  darauf  verwendet  wird,  und  diese 
Erklärung  gibt  man  nicht,  wenn  man  einfach  erklärt,  bevor 
jene  Operation  vorgenommen  sei,   sei  Reinertrag  überhaupt 
nicht  vorhanden.    Gegeben   ist  nur  der  Rohertrag  und 
wenn  derselbe  eine  andere  Verwendung  findet,  als  die  der 
Konsumtion,  so  bedarf  das  der  Begründung.    Wir  werden 
diesem  Probleme   bei  dem  dritten  Einkommenszweige,  der 
angeführt  zu  werden  pflegt,  begegnen  und  wollen  es  hier 
nicht  aufrollen,  vielmehr  annehmen,  fingieren, daß  Arbeits- 
kraft und    Boden    wirklich    zwei    unerschöpfliche    Quellen 
bilden,  die  immer  und  gleichmäßig  fließen.    Das  ist  sicher- 
lich eine  Fiktion,  die  aber  für  kurze  Zeiträume  der  Wirk- 
lichkeit nahe  ist.    Von  Werkzeugen  und  vollends  von  Roh- 
materialien könnte  man  dasselbe  nicht  sagen  und  das   ver- 
anlaßt uns,  au  den  „Zins**  nicht  mit  der  gleichen  Sicherheit 
heranzutreten,  wie  an  Lohn  und  Rente.    Kur  diese  beiden 
sind   sicherlich    „statische*"    Einkommenszweige,   deren    Er- 
klärung sich  leicht  und  klar  aus  unserem  Systeme  ergibt. 
Vom  Zinse  wollen  wir  daher  noch  nicht  sprechen :  ihn  wollen 
wir  uns  zuletzt  ansehen. 


IL  Kapitel. 
Die  Lohntheorie. 


§  1.  Die  Lohntheorie  ist  geradezu  ein  ScholbeiBpie] 
für  gewisse  zur  Methodologie  und  Erkenntnistheorie  unserer 
Disziplin  gehörigen  Punkte  und  das,  was  wir  anstreben, 
kann  vielleicht  nirgends  besser  klar  gemacht  werden.  Sei 
es  daher  erlaubt,  die  Aufmerksamkeit  des  Lesers  besonders 
auf  die  Art  unseres  Vorgehens  zu  lenken.  Für  Klarheit 
einerseits  über  das  Geleistete  und  anderseits  Ober  die  Wege, 
auf  denen  weiterer  Fortschritt  zu  erhoffen  ist,  dürfte  das- 
selbe nicht  ohne  Vorteil  sein,  mag  dieses  Kapitel  auch  nur 
Altbekanntes  bieten. 

Ganz  von  selbst  ergibt  sich  aus  unserem  Systeme  ein 
Preis  der  Arbeit.    Ist  dasselbe  einmal  gegeben,  so  kommt 
ein  solches  Resultat  daraus  wie  aus  einem  Automaten,  gleich- 
sam ganz  von  selbst,  ohne  daß  eine  Heranziehung  irgend- 
einer neuen   Beobachtung  oder   Hypothese  oder  sonst  eine 
Maßregel  nötig  würde.    Nötig  war  nur  die  Erkenntnis  oder 
richtiger  die  Annahme,  daß  Arbeitsmengen  Elemente  unseres 
Pystenios  seien  oder  daß  ^  Arbeit **  eine  Wertfunktion  habe 
oder  endlich,   ganz  klar  und  populär,  daß  Arbeit  ein  wirt- 
schaftliches Gut   sei.    Und  das  ist  nach  unserer  Auffassung 
vom    Wesen    der   Werthypothese   nicht   etwa   nur   belegt 
von,  sondern  gleichbedeutend  mit  der  Beobachtung, 
daß  Arbeit  gekauft  und  verkauft  werde,  wie  es  in  der  ersten 
Zeile  von   Ricardos  Kapitel    .On  Wages*'  steht.    Denn  nur 
daraus  schließen  wir,  daß  sie  ,,gewertet"  wird. 


Die  Lobntbeorie.  331 

Unser  Resultat  besteht  im  WeHen  darin ,  dag  der  Preis 
der  Arbeit  sieb  prinzipiell  ebenso  bildet  wie  alle  anderen 
Preise  und  dafl  er  eindeutig  bestimmt  ist.  Wir  haben  die 
Wertfunktionen  der  —  direkten  oder  indirekten  —  Eftufer 
fOr.  Arbeit  uud  Geld ,  die  gleichen  Wertfunktionen  fOr  dea 
Arbeiter  und  könueu  das  dann  ebenso  mathematisch  nach- 
weisen, wie  bei  allen  anderen  Gtltern. 

Weiter  ist  nicht  nur  der  Preis,  sondern  auch  die  ge- 
leistete Arbeitemenge  eindeutig  bestimmt  —  ebenfalls  wie 
bei  allen  Gutem  deren  Mengen  und  Preise.  Endlich  be- 
steht bei  diesem  Tausche  ein  ähnlich  geartetes  Nutzen- 
maximum und  es  steht  Preis  und  Menge  der  Arbeit  in 
vollständiger  Interdependenz  mit  allen  anderen  Preisen  und 
Gotermengen  in  unserem  Systeme.  Und  das  ermöglicht 
uns  die  Anwendung  der  später  zu  erörternden  Variations- 
methode, welche  uns  gewisse  Bewegungsgesetze  von  Preis 
und  Menge  der  Arbeit  gibt. 

Unser  Resultat  ist  sicher  nicht  wertlos.  Aber  doch 
bleiben  sehr  viele,  besonders  interessante  Fragen  offen.  Es 
ist  auch  klar,  daß  die  ältere  Theorie  allerhand  weitere 
Fragen  und  Behauptungen  aufzustellen  (vw>i,8te.  Wie  stehen 
wir  nun  dazu  und  was  können  wir  uns  darüber  fUr  ein 
Urteil  bilden?  Vorher  aber  wollen  wir  noch  unser  Resultat 
diskutieren  und  das  ist  es,  worauf  wir  besonderes  Gewicht 
legen. 

Es  läßt  ferner  au  Einfachheit  und  Überzeugungskraft* 
kaum  etwas  zu  wünschen  übrig.  Leide:,  verschwindet  beides 
aber  bei  näherem  Eingehen.  Sofort  stößt  man  da  auf 
Schwierigkeiten ,  welche  allgemein  gefühlt ,  aber  nicht  ge- 
nügend scharf  erkannt  werden.  So  hat  auch  dieser  Zweig 
unserer  Disziplin  jenen  eigentümlichen  Zug  vou  Unbe- 
friedigung.  Und  fast  jeder  Autor  hebt  das  hervor,  um  dann 
doch  wieder  wesentlich  dasselbe  vorzutragen,  wenn  er  nicht 
vorzieht ,  die  Theorie  überhaupt^  zu  übergehen  und  sich 
sozialpolitischen  Eröiterungen  zuzuwenden.  Dieses  Gebiet 
gehört  zu  jenen  to^n  Punkten  der  Sozialwissenschaften,  in 
denen  aller  Fortschritt  zu  stocken  scheint.   Wir  wollen  diese 


332  ^^^  Verteilun^theorie. 

Verhältnisse  später  kurz  schildern.  Vielleicht  gelingt  es 
uns  durch  ruhige  vorurteilsfreie  Betrachtung  der  Sache  den 
Boden  zu  ebnen. 

Unsere  reine  Theorie  des  Preises  der  Arbeit  ist  n- 
nächst  deduktiv.  Immer,  wo  sich  aus  unserem  Systeme  ein 
Resultat  ergibt,  das  irgendeine  Erscheinung,  an  die  min 
bei  Konstruktion  der  Grundlagen  nicht  speziell  dachten  er- 
klären soll,  liegt  eine  Deduktion  im  eigentlichen  Sinne  vor. 
So  in  unserem  Falle.  Die  naheliegendsten  Formen  der  Preis- 
erscheinung, von  denen  die  Preistheorie  unmittelbar  ausgieng, 
sind  die  Preise  der  Genußgüter.  Wenn  wir  dasselbe  Rai- 
sonnement  auch  darüber  hinaus  anwenden,  so  liegt  uns, 
mögen  wir  auch  jeden  Schritt  unseres  Gedankenganges  ge- 
])rüft  und  sorgfältig  erwogen  haben,  doch  viel  mehr  als  sonst 
die  Pflicht  ob,  unser  Resultat  mit  der  Wirklichkeit  zu  ver- 
gleichen. 

So  haben  wir  uns  zwei  Fragen  vorzulegen:  Erstens: 
Erklärt  unser  Resultat  die  I^reise  der  Arbeit?  Zweitens: 
Wie  weit  reicht  das  Phänomen  des  Preises  der  Arbeit? 
Sagen  wir  genauer,  was  wir  mit  denselben  meinen.  Die 
erstere  läuft  auf  die  Forderung  der  Verifizierung  unseres 
ResulUites  hinaus.  Nennen  wir  den  Preis  der  Arbeit  Lohn. 
so  gibt  es  uns  eine  Lohntheorie.  Dieser  Schritt  scheint 
unendlich  natürlich  und  einfach,  so  daß  man  oft  Qbersielit» 
daß  hierin  überhaupt  ein  Schritt  weiter  liegt  und  seine 
Fundierung  in  der  Wirklichkeit  für  so  klar  hält,  dafi  man 
kein  Wort  weiter  darüber  zu  verlieren  braucht.  Dem  ist 
nicht  so,  vielmehr  ist  es  ein  nicht  ganz  einfaches  Problem. 
ob  unser  Wert  und  Preis  der  Arbeit,  wie  wir  sie  aus 
unserem  Systeme  abgeleitet  haben,  die  Lohnerscheinnng  er- 
klärt. Das  wollen  wir  zuerst  erörtern.  Sodann  werden 
wir  zur  zweiten  Frage  gehen,  welche  wir  nun  auch  so  aus- 
drücken können :  Lassen  sich  alle  Einkommen ,  welche  auf 
Arl>eitsleistung  zurückzuführen  sind,  oder  besser,  bei  denen 
Arbeitsleistungen  irgendwie  ins  Spiel  kommen,  als  Löhne 
auffassen,  und  zwar  als  Löhne  in  unserem  eben  defininierten 
Sinne,  nicht  etwa  als  „ Entlohnungen **  im  moralischen  Sinne, 


Die  Lohntheorie.  333 

welcher  f Qr  uds  nicht  in  Betracht  kommt  ?  Sicherlich  reicht 
unsere  Erklärung  weiter,  als  jene  Erscheinung,  welche  man 
im  gewöhnlichen  Leben  als  Lohn  im  engsten  Sinne  bezeichnet, 
aber  wie  weit?  Vorher:  Würde  sich  ergeben,  dafi  unsere 
auf  dem  Werte  basierende  Preistheorie  das  Lohnproblem 
ohne  weiteres,  wenigstens  im  Prinzipe  durchaus  befriedigend 
löst,  erstens,  und  dafi  alle  Einkommen,  bei  denen  eine 
persönliche  Leistung  vorliegt,  unter  das  Schema  „Lohn^  be- 
griffen werden  können,  zweitens:  so  würde  uns  das  eine 
geradezu  großartige  Erkenntnis  geben.  Ja  man  könnte  dann 
sagen,  dafi  die  Ökonomie  imstande  sei,  eine  Art  Theorie 
der  Gesellschaft  zu  geben.  Sie  würde  in  einem  anderen 
Sinne,  als  gemäfi  der  ökonomischen  Geschichtsauffassung 
zur  Grundlage  der  Soziologie.  Würden  alle  „Löhne'  in 
diesem  weiten  Sinne  nämlich  einfach  vom  Werte  der  be- 
treifenden Arbeitsleistungen  abhängen,  so  würde  es  zwar 
auch  dann  keinen,  oder  nur  irgendeinen  künstlichen  Sinn 
haben,  zu  sagen,  dafi  der  Arbeiter  sein  „Produkt""  bekomme!; 
aber  ebenso,  wie  die  verschiedenen  Preise  verschiedener 
Qualitäten  eines  Genufigutes,  würde  der  Wert  die  Skala 
der  Arbeitseinkommen  geben,  und  würde  femer  die 
höherwertige  Arbeit  auch  von  der  höherwertigen  Arbeits- 
kraft geleistet,  ähnlich,  wie  das  bessere  Werkzeug  ^natur- 
gemäß die  bessere  Nutzung  gibt,  dann  wären  alle  jene  Ein- 
kommen und  die  soziale  Position  jener,  die  sie  geniefien, 
aus  ihren  Fähigkeiten  und  dem  Werte  ihrer  Leistungen  zu 
erklären:  das  soziale  Gebäude  würde  vom  Wert- 
prinzipe  aus  begreiflich  und  würde  auf  einer 
durchsichtigen  ökonomischen  Grundlage 'ruhen. 
Diese  tiefe  Einsicht  von  herrlicher  Einfachheit  und  eine 
Reihe  von  wissenschaftlichen  —  besonders  bezüglich  der 
Entwicklungstendenzen  —  und  praktischen  —  bezüglich  der 
Sozialpolitik  und  des  Werturteiles  über  die  sozialen  Dinge  — 
Konsequenzen  von  kaum  zu  überschätzender  Bedeutung  würde 
sich  ergeben.  Und  noch  vervollständigt  würde  das,  wenn 
man  zwei  Schritte  weiter  tut.  Würde  man  annehmen,  dafi 
man  bei   der  Arbeitskraft  von  Kosten  in  demselben  Sinne^ 


334  ^^®  Yerteilungstheorie. 

wie  etwa  bei  einer  Maschine  sprechen  könne,  die  ebenlalls 
von  dem  Wertprinzipe  beherrscht  würden,  dann  wftre  der 
Kreis  der  Erscheinungen  geschlossen  und  wirklich  w&re  der 
Wert  die  Grundlage  der  Sozialwissenschaft.  Zur  Erfassong» 
aller  Einkommenverwendungen  hätte  man  dann  ein  exaktes 
Instrument:  Große  Einkommen  und  Luxusausgaben  mQfiten 
dann  als  Mitte]  der  Reproduktion  von  hochwertiger  Arbeits- 
kraft aufgefaßt  werden.  Wäre  das  möglieb,  so  hätten  wir 
wissenschaftlich  unendlich  viel  gewonnen.  Der  andere  Schritt 
besteht  darin,  daß  man  Einkommen  aus  „Kapitalbesits* ' 
auf  Leistungen  der  Besitzer  zurückführt,  sei  es  im  Sinne 
der  Abstinenztheorie,  sei  es,  daß  man  eine  Art  Untemeh^le^ 
tätigkeit  des  Kapitalisten  annimmt.  Dann  gäbe  es  nur  mehr 
eine  Kategorie  von  Einkommen,  nämlich  das  aus  Grund- 
besitz, welches  eine  Ausnahme  bilden  würde.  Und  selbst 
hierfür  gibt  es  zwei  Auskunftsmittel.  Vor  allem  die  Carej* 
sehe  Grundrententheorie.  Und  sodann  noch  ein  anderes, 
Qämlich  die  Annahme,  daß  man  die  Leistungen  jedes  Pro- 
duktionsmittels einfach  als  Leistung  seines  Besitzers  auf- 
fassen kann,  daß  man  von  „Leistungen  meines  Bodens**  ganz 
analog  sprechen  könne,  wie  von  Leistungen  meiner  Arbeits- 
kraft. Das  geschieht  in  der  Tat  sehr  oft  und  über  den 
Unterschied,  von  dem  wir  schon  an  anderer  Stelle  sprachen, 
gleitet  man  ruhig  hinweg.  Dann  aber  wäre  ein  großartiges 
Gebäude  unter  Dach. 

Nicht  leicht  wird  jemand  diesen  Gedankengang  ganz 
unverhüllt  und  in  der  Schärfe,  wie  wir  ihn  dargelegt 
haben,  halten  wollen.  Elemente  desselben  aber,  welche  zu 
ganz  denselben  Konsequenzen  tendieren,  sind  geradezu  die 
Regel  in  der  Theorie.  Wir  müssen  eben  seine  verschiedenen 
Stufen  beachten.  Die  unterste  ist  weit  verbreitet.  Skizzieren 
wir  nun  in  einigen  Punkten  die  Stellung  wichtiger  theo- 
retischer Richtungen  dazu. 

Ablehnend  sind  die  Sozialisten  und  die  deatachea 
Sozialpolitiker,  selbständig  oder  unter  deren  Einflösse.    Am 

^  Id  pnpuUrcm  Sinne. 


Die  Lohntheorie.  335 

meisten  zustimmend  die  französischen  Akademiker,  welche 
tatsächlich  eine  solche  Verteilung  als  naturgesetzlich  he- 
zeichnen  und  wenn  sie  sie  auch  zum  Teile  nur  postulieren,  doch 
auch  in  weitem  Maße  verwirklicht  und  noch  mehr  der  Ver- 
wirklichung nahend  glauben.  Ganz  konsequent  sind  sie  ja 
nicht.  Aber  sie  helfen  sich,  indem  sie  die  Schlimmsten- 
Diskrepanzen  als  Abnormalitäten ,  Rudimente,  die  ver- 
schwinden werden,  auffassen  und  die  schmerzliche  Kluft  zur 
Wirklichkeit  so  klein  als  möglich  erscheinen  lassen.  Natür- 
liche und  künstliche  Monopole  führen  Abweichungen  herbei, 
aber  doch  streben  alle  Einkommen,  sich  dem  Wertmaßstabe 
zu  adjustieren.  Der  Kapitalzins  wird  als  Frucht  von  Arbeit 
und  Genufiaufechub  erkl&rt,  der  Untemehmergewinn  auf 
eine  besondere  Unternehmertätigkeit  und  auf  den  Dienst  der 
Übernahme  des  Risikos  zurückgeführt.  Solche  Anschau- 
ungen, nur  vielleicht  nicht  so  sehr  politischer  Stellung- 
nahme dienstbar  gemacht,  finden  sich  auch  außerhalb  dieses 
Kreises.  Die  Abstinenztheorie  des  Zinses  lebjt.noch  immer. 
Neuestens  ist  besonders  von  Cassel  scharf  das  Moment  des 
Angebotes  von  und  der  Nachfrage  nach  „waiting*"  aus- 
gearbeitet worden,  farver  hat  es  mit  einer  Produktivitäts- 
theorie verbunden.    Darauf  kommen  wir  später. 

Bezüglich  des  Untemehmergewinnes  ist  dieser  Stand- 
punkt nahezu  die  Regel,  z.  B.  nach  der  Theorie  Walkers 
und  ähnlich  nach  der  v.  Mangoldts,  welche  wir  an  ihrer 
Stelle  kennen  lernen  werden,  erscheint  der  Unternehmer 
geradezu  als  der  begabteste  Arbeiter.  Nur  sein  Talent 
würde  ihn  in  seine  Stellung  und  zu  seinem  Einkommen  führen. 
In  diesem  Sinne  sagt  Cassel,  daß  hohe  „business-capacity*" 
ein  seltenes,  also  wirtschaftliches  Gut  und  daher  „highly 
paid  for**  sei.  Und  selbst  in  Darstellungen,  bei  denen  auch 
andere  Momente  zu  Worte  kommen,  z.  B.  —  es  ist  eigent- 
lich ungerecht,  einzelne  zu  nennen  —  in  der  F.  A.  Fetters 
wird  doch  eine  Reihe  von  Eigenschaften  aufgezählt,  die  ein 
Unternehmer  haben  müsse  mit  dem  offenbaren  Zwecke,  seine 
Tätigkeit  als  eine  Arbeit  und  die  Natur  derselben  zu  charak- 
terimren  und  so  einen  Preis  derselben  plausibel  zu  machen. 


336  ^1^  Verteilnngstheorie. 

Solche  Gedanken,  die  Absicht,  ein  ökonomisches  Prinzip 
nicht  bloß  zur  Grundlage  der  Theorie,  sondern  des  Ver- 
ständnisses des  sozialen  Gebäudes  zu  machen ,  lassen  sich 
auch  bei  Clark  und  v.  Wieser  nachweisen.  Eine  interessante 
Spielart  sehen  wir  bei  Walras,  wobei  wir  indes  den  Politiker 
und  Sozialphilosophen  streng  von  dem  Theoretiker  trennen 
müssen.  Er  scheint  der  Ansicht  zu  sein,  dafi  alle  Ein- 
kommen sich  einfach  aus  der  Werttheorie  von  persönlichen 
Leistungen  erklären  lassen,  mit  Ausnahme  der  Grundrente, 
und  daher  seine  Forderung  der  Nationalisierung  des  Landes. 
Sei  das  geschehen,  so  sei  alles  Ordnung,  —  ein  interessantes 
Beispiel  dafür,  wie  aus  theoretischen  Überlegungen  praktische 
Forderungen  herauswachsen  können,  welche  der  ökonomischen 
Wissenschaft  soviel  von  ihrem  Ansehen  gekostet  haben.  Hier- 
her gehört  auch  die  Paretosche  Theorie  der  Einkommens- 
kurve,  wrlche  zu  einer  kühnen  Anwendung  durch  Laurent  ge- 
führt hat.  Eine  ganze  Theorie  also  des  Mechanismus  oder 
Organismus,  sagen  wir,  um  nach  keiner  Seite  Anstoß  zu  er- 
regen, des  Seins  und  Werdens  der  Gesellschaft  liegt  hierin. 
Es  führt  das  zu  der  Konsequenz,  daß  die  herrschenden 
Klassen  die  l)efiUngtsten ,  besten  sind,  ein  Resultat,  zu  dem 
auf  anderem  We^^e  auch  die  sog.  ^^Rassentheorie"  kommt 
ein  nicht  uninteressantes  Zusammentreffen. 

Aber  wir  müssen  es  uns  versagen ,  darauf  einzugehen. 
Denn  <ias  liegt  alles  schon  außerhalb  des  Gebietes  der 
Ökonomie.  Nur  soviel  wollen  wir  sagen,  daß  wir  jene 
Theorie  für  radikal  verfehlt  halten,  daß  wir  glauben,  daft 
sie  eklatant  der  Wirklichkeit  widerspricht,  daß  jener  stolze 
Bmu  nur  ein  Truggebilde  ist.  Dann  freilich  ist,  was  erklärt 
schien ,  wieder  in  die  Nacht  eines  Chaos  zurQckgesnnken, 
und  unsere  Ansicht  ü1>er  die  Möglichkeiten,  Lieht  hinein- 
zubringen,  müssen  wir  verschweigen,  wenn  wir  dieselbe  durch 
eine  flüchtige  Darstellung  nicht  kompromittieren  und  dem 
begründeten  Vorwurfe  des  Dilettantismus  aussetzen  wollen  ^ 

^  I)i('r(«Mi  V«irwiirf  infiRRPii  wir  vielmehr  selbst  manchen  Ökonomen 
g(*^«'iiribor  4T)ir'b«Mi.     Die  Beliandlung  dos  modernen  Probleme»,  ob 


Ka  Lohntheorie.  337 

Machen  wir  also  H&lt  an  der  Grenze  uneeres  Gebietes  und 
begnügen  wir  uns  damit,  nachzuweiHo,  dafi  wir  an  einer 
solchen  stehen.     Möge  sie  nie  verletzt  werden. 

Kehren  wir  bescheidee  zu  den  Problemen  unserer 
Wissenschaft.  fQr  die  allein  wir  die  Vorbedingungen  haben, 
zurück  und  fragen  wir  uns  zun&ehst,  wober  denn  >ene  Grens- 
abersehreitung  komme,  wo  der  Punkt  liegt,  au  dem  das 
Raisonnement  den  festen  Boden  unter  den  Fofien  rerliert. 
Die  Antwort  ist  nicht  schwer  zu  geben:  Man  nahm  das 
Resultat  der  Theorie  hin ,  ohne  es  zu  veriliziereD  und  man 
machte  die  weiteste  Anwendung  auf  alles,  was  sich  nach 
seinem  Schema  modeln  zu  lassen  schien,  ohne  seine  Grenzen 
lu  anterBuchen.  So  gelangt  man  zu  Theoremen  von  schein- 
bar absoluter  Allgemeingültigkeit,  mit  denen  man  an  die 
Wirklichkeit  herantrat,  ohne  zu  beachten,  daß,  selbst  wenn 
„riehtig",  eine  exakte  Konstruktion  nie  dazu  ausreiche, 
jH-aktische  Konsequenzen  aufzustellen.  Und  doch  ist  gar 
nichts  absolut  wahr  und  die  Zahl  und  der  Inhalt  ganz  all- 
gemeiner Sätze  ist  gering.  Das  hätte  man  sich  vor  Augen 
halten   sollen  und  »ofort  wäre  man  mifitrauisch  geworden. 

Noch  etwas  möchten  wir  gerne  hervorheben.  Jene  in 
der  exakten  Lohntheorie  fufiende,  eine  zu  weite  Ver- 
allgemeinung  derselben  darstellende  Theorie  ist  keineswegs 
etwa  eine  „Spekulation",  wie  sie  der  Nationalökonomie  oft 
zum  Vorwurfe  gemacht  wird.  Sie  basiert  auf  keinen 
metaphysischen  oder  durch  irgendwelche  Dialektik  heraus- 
geklogelten  Obersiltzen.  Vielmehr  beruht  sie  auf  einer 
exakten  Grundlage  und  durch  deren  Vermittlung 
auf  Xatsaehenbeobaclitungen ,  und  trotzdem  glauben  wir 
nachweisen  zu  können,  das%  sie  wesentlich  irrig  ist.  Hier 
haben  wir  also  einen  Fall  einer  wirklich  wissenschaftlichen 
Theorie,  die,  wie  man  glauben  sollte,  richtig  sein  müßte, 
wenn   ihre   Voraussetzungen   zuträfen ,    und   deren  Voraus- 

nicht  die  tfichtigsten  Elemento  der  Nntioneii  infolge  der  geringeo 
Fruchtbarkeit  der  oberen  Klassen  dem  Anssterben  geweiht  aind,  rpcht- 
fertigt  ihn  Kbon  für  sich  allein  und  mnB  Jeden  ernsten  Beurteiler 
UBHie  Diaiiplin  im  übeUten  Lichte  erscheinen  lassen. 

Sehainpatat,  NatiaDalOkonomi*.  Ht 


338  ^*6  Vert^ilungstheorie, 

Setzungen  auf  Tatsachen  basieren  und  die  trotz  allem  nicht 
befriedigend  ist.  Müssen  wir  da  nicht  an  der  Ökonomischen 
Theorie  irre  werden  ?  Was  scheidet  denn  die  in  Rede  • 
stehende  Theorie  von  der  Theorie  irgend  eines  anderes 
Preises,  von  der  wir  auch  zugeben,  daß  die  Wirklichkeit  sie 
niemals  ganz  bestätigt?  Soeben  scheinen  wir  ja  auch  zu- 
gegeben zu  haben y  daß  kein  wesentlicher  Unterschied  be- 
steht. Nun,  das  ist  ein  ausgezeichnetes  Beispiel,  um,  unserem 
Grundsatze,  daß  wir  Methoden-  und  erkenntnistheoretische 
Fragen  an  den  Dingen  selbst  und  nicht  mit  allgemeinen 
Gründen  studieren  wollen,  getreu,  unseren  Standpunkt 
wiederum  darzulegen. 

Ja,  es  besteht  wirklich  kein  wesentlicher  Unterschied 
zwischen  Theorien,  die  wir  vertreten  und  dieser  hier,  welche 
uns  in  Übereinstimmung  mit  anderen  Theoretikern  als  eine 
T^ngebeuerlichkeit  erscheint.  Der  Widerspruch  ist  nur 
scheinbar  unlöslich  und  klArt  sich  ganz  einfach  auf.  Der 
Unterschied  ist  freilich  nur  graduell  und  der  Grad  der 
Abweichung  des  theoretischen  Bildes  von  der  Wirklichkeit 
mit  Rücksicht  auf  jeden  Fall  und  jeden  Forschens- 
zweck  ist  das  entscheidende  Moment.  Die  Grenzen  sind 
keine  scbarfon,  sondeni  ändern  sich  mit  den  genannten  Um- 
ständen und  der  Entwicklung  der  Erkenntnis.  Und  des- 
halb könnm  wir  nicht  oft  genug  betonen,  daß  es  ganz  wert- 
los ist  und  zu  gar  nichts  führt ,  a  priori  mittelst  großer 
Prinzipien  über  „Wert  der  Theorie"  und  „Zulftssigkeit"  der 
Abstraktion  zu  entscheiden.  Wie  gesagt,  wir  lehnen  das 
vollständig  ab  und  untersuchen  Fall  für  Fall,  wobei  sich 
keineswegs  immer  dasselbe  Resultat  ergibt.  Dabei  eben 
zeigt  sich  uns  die  relative  Berechtigung  aller  scheinbar  doch 
so  entgeRen}:jesetzten  Behauptungen  für  und  wider  die 
Theorie,  und  das  ist  der  Weg,  auf  dem  uns  Klarheit  und 
Einigung  erreichbar  scheint.  Sagt  ein  Gegner  der  Theorie. 
diesellH»  >ei  wirkliclikeitsfremd,  so  hat  er  —  im  allgemeinen, 
^tets  enthält  eine  solche  Behau]itung  auch  eine  Menge 
falscher  und  ti  rner  fremder  Elemente,  z.  B.  sozial- 
ptditisclier  Erwä^unj^eii,  praktischer  politischer  Tendenzen 


Die  Lohntheorie.  339 

USW.,  die  man  abscheiden  muß,  worauf  wir  hier  nicht  wieder 
eingehen  —  ganz  Recht.  Man  widerlegt  ihn  durch  die 
Entgegnung,  daß  das  im  AVesen  aller  Theorie  liegt  nur  dann, 
wenn  er  für  dieses  Wesen  wirklich  kein  Verständnis  und 
davon  keine  Kenntnis  hatte.  Sonst  aber  beweist  man  nichts 
für  die  Theorie.  Und  so  steht  es  mit  allen  Gründen  für 
und  wider  überall.  Fast  immer  sind  dieselben  wahr,  aber 
in  ihrer  Allgemeinheit  kraftlos,  sodaß  sie,  wie  man  das  auch 
tatsächlich  sehen  kann,  gar  nie  jemand  überzeugen.  Nicht 
sie  sind  für  die  Zulässigkeit  der  Abstraktion  und  der  Isolier- 
methode und  für  das  Schicksal  der  Theorie  entscheidend, 
sondern  nur  jene  Detailuntersuchung,  die  noch  nie  ordentlich 
durchgeführt  wurde,  bzw.  ihr  Gesamtresultat,  ergibt  das  Urteil. 
Wir  kamen  zum  Schlüsse,  daß  die  Preistheorie  im  all- 
gemeinen nicht  wertlos  ist,  trotzdem  sie  nur  ein  „stylisiertes" 
Bild  eines  Ausschnittes  aus  der  Wirklichkeit  liefert,  wir 
kommen  zum  entgegengesetzten  bezüglich  der  hier  dis- 
kutierten Theorie.  Theoretisch  „richtig**  könnte  man  auch 
sie  nennen,  da  sie  keinen  logischen  Fehler  enthält,  aber 
brauchbar  ist  sie  nicht,  weil  ihr  Resultat  zu  sehr  von 
der  Wirklichkeit  abweicht.  Und  nur  auf  Brauchbarkeit 
kommt  es  uns,  wie  früher  ausgeführt,  an.  Wohl  kann  man 
die  Annahmen  machen,  die  zu  ihr  führen,  aber  man  kommt 
entweder  nicht  weit  oder  auf  Abwege  damit.  So  sehen  wir, 
daß  eine  an  sich  „richtige**  Theorie  auf  „falsche**  Kon- 
sequenzen führen  kann,  und  so  ein  Element  von  Wahrheit 
in  der  Stellung  jener  liegt,  welche  es  ablehnen,  die  Isolier- 
methode als  lediglich  formales  Hilfsmittel,  das  nur  unvoll- 
ständige,abernichtfalsche  Resultate  liefern  könne,  zu 
betrachten.  Sie  ist  ein  wertvoller,  ja  unentbehrlicher,  aber 
nicht  ungefährlicher  Bundesgenosse,  der  nur  unter  strenger 
Kontrolle  seine  glänzenden  Dienste  leistet.  Ganz  das- 
selbe Raisonnement  leistet  viel  besseres  u.  a.  für  die 
Grund rententheorie,  warum,  werden  wir  sogleich  sehen. 
Dicht  nebeneinander,  durch  keine  prinzipielle,  leicht  erkenn- 
bare Wand  geschieden,  liegen  Schuld  und  Verdienst  der 
exakten  Methode. 


340  I^i®  Verteilungstheorie. 

Wir  geben  uns  der  HoiTuung  hin,  dafi  BetrachtnngeD 
dieser  Art,  am  eiuzelnen  Falle,  wo  sie  wirklich  exakt  durch- 
geführt werden  können  und  jene  prinzipielle  Spitze  nicht 
haben,  die  den  allgemeinen  Streit  so  erbittert  macht,  dazu 
beitragen  können,  zu  Klarheit  und  Einigung  zu  fQhren  und 
speziell  das  Verteilungsproldem  einer  befriedigenden  Lösung 
anzunähern,  die  wirkliche  Einsicht  in  die  Verteilungsvorgftnge 
wenigstens  erhoffen  läßt.  Sei  noch  bemerkt,  dafi  die  Schwierig- 
keiten, die  wir  nun  genauer  betrachten  wollen,  vielleicht 
eine  der  Ursachi?n  sind,  warum  viele  Schriftsteller  die  Arlteit 
nicht  als  „Ware"  betrachtet  wissen  wollen  —  man  scbmttekte 
das  dann  mit  ethischen  u.  a.  Motiven  aus. 

Nachdem  wir  gesagt  haben,  daß  wir  jene  Theorie  der 
Arbeitseinkommen  entschieden  ablehnen,  können  wir  es  uns 
gestatten,  zuzugeben,  daß  wir  ihr  nicht  alle  und  jede  Be- 
deutung absprechen.  Gewiß,  wenn  unsere  allgemeinen 
Voraussetzungen  zuträfen,  müßte  die  Wirklichkeit  so  au^- 
sehen.  Und  ebenso  gewiß  gibt  es  manche  Erscheinungen 
weit  außerhalb  der  »'Ujjten  (Frenzen  der  Lohntheorie,  auf 
welclie  diese  Betrachtungsweise  paßt.  Wir  lielten  keine 
extremen  B«'hau|»tungen  und  wollen  jedes  Körnchen  Wahr- 
heit erhalten.  Wieviel  Wahrheit  nun  in  derselben  liegt,  das 
wird  man  verschieden  beurteilen.  Je  nach  dem  Lande,  d;is 
man  betrachtet  und  selbst  je  nach  den  Erfahrungen  und 
Beobachtungen,  die  man  persönlich  im  Lel)en  macht,  wird 
man  mit  verschiedenen  Dispositionen  an  diese  Frage  heran- 
treten. Wir  wtdien  sie  hier  nicht  zu  entscheiden  versuchen, 
vielmehr  nur  exakt  untersuchen,  wieweit  und  unter  welchen 
Voraussetzungen  sich  unser  theoretisches  Resultat  nachweis- 
bar bewährt. 

§  2.  So  wenden  wir  uns  denn  den  beiden  Fragen, 
deren  Beantwortung  wir  als  notwendig  erkannten,  zu.  Zu- 
niLchst.  wie  gesagt,  der  ersteren. 

Erinnern  wir  uns  vor  allem  daran,  was  wir  unter  „Er- 
klärung** verstehen.  Nichts  anderes,  als  die  Angabe  einer 
eindeutig  iK'stimmten   (iröße  fUr  unsere  Unbekannten   mid 


Die  Lohntheorie.  341 

^on  Bewegungsgesetzen  derselben.  Jede  theoretische  Kon- 
struktion, die  das  leistet,  ist  „richtig**  für  uns  und  jene, 
<lie  das  am  einfachsten  und  besten  tut,  nennen  wir  die 
„brauchbarste". 

Die  „Variationsmethode",  die  wir  spÄter  kennen  lernen 
werden,  wird  uns  die  rein  ökonomischen  Bewegungsgesetze 
der  Güterpreise  und  -mengen  immer  unter  denselben  Voraus- 
setzungen geben,  welche  uns  die  eindeutige  Bestimmung  der 
Oröße  einer  ökonomischen  Quantität  gestatten,  sodaß  sich 
unsere  erste  Frage  auf  die  folgende  reduzieren  lÄßt:  Ist 
der  eindeutig  bestimmte  Lohnsatz,  den  unser  System  ergibt, 
auch  tatsächlich  der  der  Wirklichkeit?  Ist  das,  was  wir 
abgeleitet  haben,  wirklich  jenes  Moment,  das  den  ver- 
schiedenen Lohnformen  zugrunde  liegt?  Natürlich  meinen 
wir  nicht  eine  numerische  Größe,  eine  solche  gibt  uns  unser 
System  ja  nicht;  auch  nicht  eine  allgemeingültige  Propo- 
sition, wie  sie  z.  B.  von  Thünen  zu  geben  versuchte.  Wir 
sind  uns  bewußt,  daß  l)eides  je  nach  den  Verhältnissen 
wechselt.  Aber  dennoch  meinen  wir  mehr,  als  die  bloße  Tat- 
sache der  eindeutigen  Bestimmtheit:  W'ir  wünschen  zu  wissen, 
ob  unser  ganzes  Schema  auf  die  Lohnerscheinung  paßt. 

Nun,  es  scheint,  als  ob  diese  Verifizierung  bei  der  Arbeit 
keine  größeren  Schwierigkeiten  haben  könnte,  als  bei  allen 
anderen  Gütern.  Die  Vorgänge  auf  einer  Arbeitsbörse  wie 
auf  einem  Bauernhofe,  auf  dem  ein  Knecht  aufgenommen 
wird,  sind  ersichtlich  im  Wesen  keine  anderen  als  die  auf 
einer  Warenbörse  oder  bei  einem  anderen  Geschäfte  des 
Bauern.  Mögen  dort  etwas  mehr  außerökonomische  Momente 
ins  Spiel  kommen,  besonders  im  Falle  des  Bauern  Sitte  und 
Gewohnheit,  sowie  vielleicht  persönliche  Rücksichten  eine 
größere  Rolle  spielen  als  hier,  immer  sind  die  Ökonomischen 
Grundzüge  deutlich  erkennbar,  und  zu  einer  prinzipiellen 
Unterscheidung  reichen  solche  Momente  besonders  für  uns, 
die  wir  dieselben  zum  Teil  wenigstens  in  die  Wertfunktion 
einschließen,  nicht  aus.  Das  Bild  der  Theorie  mag  etwas 
weniger  gut  passen,  im  großen  und  ganzen  aber  paßt  es. 
Wo  Arbeitsmangel  herrscht,  wird  der  Lohn  hoch,  wo  Über- 


342  ^^®  VerteiluDgstheorie. 

flufi  herrscht,  ceteris  paribus  niedriger  stehen  —  es  ist  das 
fast  zu  klar,  um  angeführt  zu  werden  und  Belege  aus  der 
Wirklichkeit,  etwa  aus  neuen  Kolonien  einerseits  und  «über- 
völkerten*' Ländern,  wie  Indien  oder  China  andererseits,  sind 
überreich  vorhanden. 

Sicherlich  trifft  man  auch  hier  auf  Schwierigkeiten: 
Die  Fabriksordnungen  enthalten  fast  immer  eine  bestimmte 
Stundenzahl.  Auch  der  kräftigere  Arbeiter  mag  keine  Ge- 
legenheit zur  Ausnutzung  seiner  Überlegenheit  über  seine 
Genossen  haben.  Soziale  Machtverhältnisse,  ökonomisch  nicht 
zu  erklärende  Eingriffe  in  seine  Selbstbestimmung  (Aus- 
wanderungsverbote usw.)  mögen  die  Bildung  unseres  theo- 
retischen Lohnsatzes  verhindern.  Ein  besonders  wichtiger 
Fall  ist  der  der  Kombination,  welche  nicht  nur  zu  monopol- 
artigen Erscheinungen  führen  und  so  das  Lohnniveau  stören, 
sondern  auch  durch  ihre  soziale  und  politische  Macht  zu 
Errungenschaften  gelangen  kann,  zu  deren  Erfassung  die 
Mittel  der  Statik  nicht  ausreichen. 

Aber  das  gibt  es  bei  allen  Gütern,  und  dieselben  Gründe, 
die  uns  bei  diesen  veiaulaßten,  an  unserer  Theorie  fest- 
zuhalten, bewähren  sich  auch  hier.  Die  Stundenzahl  der 
Fabriksordnung  wird  im  allgemeinen  jener  Zeit,  die  sich  aus 
einem  theoretisch  freien  Verkelire  ergeben  würde,  angepaßt 
sein  —  höchstens  wird  eine  Abrundung  auf  ganze  Stunden 
vorgenommen,  wobei  die  übrigen  Arbeitsbedingungen  (Pausen« 
sanitäre  Verhältnisse  usw.)  Anlaß  bieten,  den  Rest  auf  andere 
Weise  auszugleichen.  Jene  störenden  Einflüsse  sieht  man 
oft  auch  bei  anderen  Waren,  Ausfuhr-  oder  Einfuhrverbote 
oder  -erschwerungen  jeder  Art  usw.:  und  doch  behalten 
unsere  Gesetze  ihren  Platz  trotz  solchen  Abweichungen,  wie 
angeführt.  Das  gleiche  gilt  von  den  Kombinationen  und 
und  die  Analogien  für  Strikes,  wenngleich  weniger  hftuiig 
und  ausgeprägt  als  diese,  liegen  so  auf  der  Hand,  daß  es  ver- 
wunderlich ist,  daß  darauf  l)isher  in  der  Theorie  so  wenig 
Gewicht  gelegt  wurde.  Die  Frage  also,  die  wir  uns  stellten, 
lie  uns  so  oft  von  Gegnern  der  Theorie  gestellt  und  von 
enselben  verneint  wird,   ist  sicherlich  soweit  zu  bejahen. 


Die  Lohntheorie.  343 

Freilich  ist  die  Diskrepanz  mit  der  Wirklichkeit  groß,  größer 
als  die  meisten  Theoretiker  zuzugeben  geneigt  sind  und  was 
unserem  Resultate  an  Erkenntniswert  bleibt,  darüber  sind 
sicherlich  verschiedene  Ansichten  möglich;  aber  wer  in  dem 
Sinne,  wie  wir  es  tun,  diesen  Wert  für  immerhin  erheblich 
hält,  der  kann  auch  kaum  anders,  als  unsere  Lohntheorie 
annehmen,  sc.  soweit. 

Das  ist  ein  erster  Schritt.  Die  Lohntheorie  ^würde 
sich  demnach  als  ein  Spezialfall  der  exakten  Preistheorie 
auffassen  lassen,  durch  deren  Schema  befriedigend]  dar- 
gestellt sein,  sich  auch  in  hinreichender  Übereinstimmung 
mit  der  Wirklichkeit  befinden,  wobei  freilich  sehr  wichtige 
Resultate,  in  deren  Besitze  sich  schon  die  Klassiker  glaubten, 
in  unerreichbare  Ferne  gerückt  würden.  Aber  einmal  ist 
das  nicht  alles.  Nur  für  die  eine  Seite  der  Sache,  die 
einfachste,  die  zuerst  und  die  allerdings  in  den  üblichen 
Darstellungen  der  Preistheorie  allein  behandelt  wird,  baben 
wir  das  nachgewiesen,  nämlich  für  die  Bildung  des  Preises 
bei  vorhandenen,  festgegebenen  Mengen.  Bei  den  übrigen 
Gütern,  mit  Ausnahme  des  Bodens  und  anderer  „Gaben  der 
Natur"  können  wir  ja  weitergehen  und  die  Wert-  und  Preis- 
betrachtung auch  auf  deren  Kostengüter  ausdehnen  und  so 
den  wirtschaftlichen  Kreislauf  ganz  erfassen.  Können  wir 
das  auch  bei  der  Arbeit?  Nur  dann  würde  unsere  Theorie 
die  Lohnerscheinung  der  Wirklichkeit  uns,  im  Prinzipe 
wenigstens,  ganz  erklären,  andernfalls  muß  die  Arbeits- 
kraft als  gegeben  angenommen,  das  heißt  eingestanden 
werden,  daß  wir  ihre  Bildung  und  Größe  nicht  erklären 
können.  Der  Leser  weiß,  daß  das  letztere  unsere  Ansicht 
ist.  Wir  haben  ja  deshalb  die  Bevölkerung  und  ihre  phy- 
sischen und  moralischen  Eigenschaften  —  allerdings  auch 
deshalb,  um  konstante  Nachfragefunktionen  zu  haben  — 
als  Daten  unserer  Probleme,  als  „systembestimmend"  aner- 
kannt.   Es  muß  das  hier  nicht  weiter  gerechtfertigt  werden. 

Zum  anderen  ist  aber  selbst  an  dem  erreichten  Ergeb- 
nisse nicht  alles  klar,  und  wir  begegnen  einer  Schwierigkeit, 
welche   uns   nötigen   kann,    dasselbe   zu    modifizieren   und 


344  ^^^  VerteÜHngstheorie. 

selbst  von  dem  bescheidenen  Erkenntniswerte ,  den  wir  der 
Theorie  vindizierten,  noch  etwas  abzuscheiden.  leb  möcbte 
da  wiederum  darauf  hinweisen,  wie  notwendig  sieh  eiie 
ganz  detaillierte  Untersuchung  erweist.  Wie  leicht  kOiinte 
man  sich  bei  unserem  „ersten  Schritte *"  zufrieden  geben; 
scheinbar  klappt  alles  und  sicherlich  ist  alles  logisch  em* 
wandfrei  und  dennoch  wird  sich  zeigen,  daß  noch  Zweifel 
vorhanden  sind.  Und  solche  GrQndlichkoit  ist  meist  nicht 
in  ökonomischen  Werken  zu  finden.  Es  ist  da  noch  ei« 
hartes  StQck  Arl)eit  zu  leisten^  das  unserem  Systeme  mehr 
zu  geben  vermag,  als  manche  kühne  Neuerung. 

Die  Schwierigkeit,  die  wir  hier  meinen,  wurde  schon 
angedeutet,  sie  liegt  in  dem  „einheitlichen  Lohnsatze",  wie 
ihn  die  Theorie  gibt. 

Ersichtlich  gibt  es  keinen  solchen  in  der  Wirklichkeit. 
Abgesehen  davon,  daß  bekannte  Umstände  in  derselben 
Weise  wie  bei  anderen  Gütern  eine  örtliche  Ausgleichung 
verhindern,  —  Umstände,  welche  zunächst  hier  keine  größere 
Rolle  spielen  als  bei  diesen  und  daher  übergangen,  wenn 
auch  keineswegs  tibersehen  werden  sollen  —  gibt  es  ver- 
schiedene Lohnsätze  für  verschiedene  Tätigkeiten.  An  sich 
hat  das  nichts  Auffälliges  und  widerspricht  auch  nicht  der 
theoretischen  P",inheit  des  Lohnsatzes.  Auch  bei  anderen 
WarcMi  wird  die  l)e8sere  Qualität  besser  bezahlt,  ohne  da6 
man,  wenn  anders  man  die  Theorie  richtig  versteht,  an  der 
Feinheit  des  Preises  zweifeln  würde.  Güter  derselben  Art 
aber  verschiedener  Qualität  sind  eben  ökonomisch  vec- 
scliiedene  Güter.  Aber  zwischen  ihren  Werten  und  Preisen 
b<  >toht,  wie  tiberhauj)t  zwischen  allen  Gütern,  eine  eben 
durch  die  Wert-  und  Preistheorie  gegebene  Relation.  Die 
einzelnen  Qualitäten  sind  in  genau  den  Mengen  vorhanden. 
wie  die  Nachfrage  es  verlangt  und  erzielen  einen  verhflltnis- 
n)äßigcn  Preis.  Das  beste  Stück  ist  auch  das  bestbezahlte. 
Hat  ein  Stück  Fleisch  bei  sonst  ganz  gleichen  Umst&nden, 
den  «loppelten  Nährwert  eines  anderen,  so  wird  es  wie  zwei 
gleich  große  der  letzteren  Art  gewertet  werden.  Freilich 
werden   die   „Umstände''  nie  gleich  sein,   in   unserem  Bei- 


Die  LfOhntheorie.  345 

spiele  Yielleieht  ein  Unterschied  im  Geschniacke  usw.  vor- 
liegen. Solche  anderweitigen  Elemente  werden  besonders 
gewertet,  wie  Clark  hervorgehoben  hatS  und  es  wäre  im 
allgemeinen  nicht  zulässig,  aus  den  physikalischen  auf  pro- 
portionelle  Preisunterschiede  zu  sebliefien.  Immer  wird 
nicht  nur  der  Wert  besserer  Qualitäten,  sondern  auch  die 
Kaufkraft  und  Zahl  jener  Käufer  in  Betracht  kommen, 
welche  gerade  um  dieselben  konkurrieren.  Ein  Teil  der 
Käufer  der  sich  von  allem  Anfange  an  mit  den  minderen 
zufrieden  geben  will  oder  muß,  wird  bei  den  besseren  nicht 
mitkonkurrieren,  und  so  wird  die  Preisbildung  dersell)en 
eine  weitgehende  Unabhängigkeit  haben.  Wohnungspreise 
sind  ein  instruktives  Beispiel.  Koch  mehr  tritt  das  in 
jenen  Fällen  hervor,  wo  bessere  Qualitäten  anderen  Be- 
dürfnissen dienen,  aber  stets  wird  eine  Relation 
bestehen,  die  mit  den  Mitteln  der  Wert-  und 
Preisrechnung  erfaßt  werden  kann. 

Ebenso  wird  eine  Maschine,  die  doppelt  soviel  „erzeugt", 
als  eine  andere,  zwar  nicht  ganz  doppelt  gewertet  werden 
können  —  wenigstens  in  strenger  Theorie  muß  die  Abnahme 
des  Grenznutzens  des  Produktes  l)erticksichtigt  werden  — 
aber  ihr  Wert  und  Preis  wird  in  einem  festen ,  klar  ver- 
ständlichen Zusammenhange  mit  Wert  und  Preis  der  minder 
brauchbaren  stehen.  Nur  wenn  dieser  Zusammenhang  be- 
steht, ist  die  Preisbildung  eines  Gutes  vollständig  von 
unseren  Gesetzen  l)eschrieben. 

Ist  das  nun  bei  der  Arbeit  soV  Unterscheiden  wir  der 
KOrze  halber,  ohne  auf  die  feineren  Unterschiede,  die  heute 
gemacht  zu  werden  pflegen,  einzugehen,  nur  „gewöhnliche** 
und  „qualifizierte""  Arbeit  und  letztere  wieder  in  jene,  bei 
der  die  Qualifikation  wesentlich  in  Erlernung  einer  Fertig- 
keit und  jene,  bei  denen  sie  wesentlich  in  höherer  natür- 
licher Anlage  l)esteht.  Sicherlich  ist  nicht  jeder  zur  Er- 
lernung jeder  Fertigkeit  befähigt  und  die  Verwertung 
höheren  Talentes    bedarf  in  der  Regel   irgend   einer  Aus- 


1  Distribution  of  Woalth  1899. 


346  ^^^  VerteiLungstheorie. 

bilduDg.  Dennoch  wird  man  unschwer  zugeben,  dafi  wir 
hier  zwei  unterscheidbare  Momente  vor  uns  haben.  So  er- 
geben sich  aus  der  eben  gestellten  Frage  die  folgenden: 
Stehen  die  Entlohnungen  jeder  Art  von  Arbeit  in  jenem 
mittels  unserer  Theorie  beschreibbaren  Verh&Itnisse  V  Sodum: 
Erklären  sich  die  verschiedenen  Werte  der  Arbeitsleistungen 
aus  einer  Verschiedenheit  der  Qualifikationen?  Endlich: 
Steht  die  Qualifikation  durch  Erlernung  in  jenem  Zusammen- 
hange zu  der  Qualifikation  durch  Veranlagung,  in  dem  die 
Eigenschaften  z.  B.  eines  Rohstoffes  zu  dessen  weiterer 
Verarbeitung  stehen?  —  der  beste  Rohstoff  wird  am  feinsten 
verarbeitet  —  ist  das  auch  bei  der  Arbeit  so?  Das  sind 
quaestiones  facti.  Von  ihrer  Beantwortung  hängt  ab, 
ob  das  Wertprinzip  die  Lohnsätze  erklärt. 

Wir  stehen  hier  vor  einem  Probleme,  dessen  Vorhanden- 
sein oft  augedeutet  oder  doch  gefühlt  worden  ist.  Es  ist 
das  ein  Grund  dafür,  daß  viele  Ökonomen  die  Lohntheorie 
nur  auf  ,,gemeine"  Arbeit,  common  labour,  angewendet 
wissen  wollten  ^  In  dieser  Stellungnahme  liegt  schon  eine 
Erkenntnis  der  Schwierigkeiten,  die  in  der  Preisbildung 
qualifizierter  Arbeit  liegen  und  zeigt,  wiederum,  dafi  die 
Erkenntnis  der  älteren  Theoretiker  viel  tiefer  ging,  als  oft 
angenommen  wird^.  Aber  eine  Lösung  derselben  bat  nur 
Marx  und  seine  Richtung  unternommen.  Sie  haben  diese 
Fragen  bejaht,  allerdings  vom  Standpunkte  des  Arbeits- 
])rinzii)es  und  das  Auskunftsmittel  vorgeschlagen,  qualifizierte 
Arl)eit  auf  unqualifizierte  dadurch  zurückzuführen,,  dafi  man 
die  erstere  als  ein  Vielfaches  der  letzteren  auffaßt  Und 
einer  Bejahung  neigen  auch  die  Vertreter  des  Wertprinzipes 
zu.  Wie  bei  Marx  auf  eine  Arl)eitseinheit,  so  wird  bei 
ihnen  ausdrücklich  oder  stillschweigend  alle  Arbeit  auf 
eine  Werteinheit,  auf  eine  und  dieselbe  Wertskala  zurück- 
geführt,   wie   angedeutet.     Und    für   die    „Leistungs- 

«  Der  nmloTQ  ist  dio  Rücksicht  auf  die  Subsistenitheorie. 

*  Al)t»r  darauf  ist  zu  entgegnen,  daß  das  sehr  traurig  ftr  die 
Theorie  wäns  weil  nur  ein  Tril  auch  der  Handarbeit  gans  .common* 
ij^t  und  bei  jeder  änderten  sofort  das  Problem  auftaucht. 


Die  Lohntheorie.  347 

einheit"  besteht  dar uacheineinheitlicher  Lohn- 
satz. 

Nun,  betrachtet  man  die  Arbeiterschaft  einer  Unter- 
nehmung oder  selbst  einer  Branche  *^  oder  endlich  eines 
Landes,  so  könnte  auf  den  ersten  Blick  eine  solche  Bejahung 
wirklich  naheliegen.  Die  bessere  Leistung  tendiert 
wenigstens  nach  besserer  Entlohnung,  ihre  Überlegenheit 
erklärt  sich  aus  einer  besonderen  erlernten  Fertigkeit  oder 
größerer  Kraft  oder  Geschicklichkeit  und,  wenn  das  auch 
nicht  so  sicher  ist,  es  wird  der  „bessere  Mann''  auch  am 
ehesten  die  erstere  erwerben.  Der  höhere  Lohn  wird  der 
Ansporn  dazu  sein  und  Angebot  und  Nachfrage  werden 
beide  vom  Wertprinzipe  beherrscht  sein.  Eine  Wertskala 
wird  diese  Arten  von  Arbeit  umfassen.  Dieselbe  Betrachtungs- 
weise pafit  ebenso  auf  die  zur  Erzeugung  eines  bestimmten 
Produktes  aufgewandten  Arbeitsmengen.  Alle  Arbeiter,  die 
z.  B.  zur  Erzeugung  eines  Rockes  mithelfen,  vom  Schäfer 
bis  zum  Arbeiter,  der  das  „tailor  pressing"  vornimmt, 
werden  nach  dem  Werte  ihrer  Arbeit  entlohnt.  Das 
scheint  klar. 

Und  doch  gibt  es  auch  hier  Erscheinungen,  die  uns 
bedenklich  machen  können.  Mag  auch  der  Chinese  in 
S.  Francisco  ganz  dasselbe  leisten,  wie  der  Amerikaner,  er 
wird  doch  nicht  denselben  Lohn  erhalten.  Und  wir  brauchen 
nicht  nach  solchen  Fällen  —  die  übrigens  nicht  selten  sind, 
vgl.  z.  B.  die  Löhne  der  italienischen  Arbeiter  in  Österreich 
oder  Südfrankreich  —  zu  suchen.  Ganz  nahe  liegt  das 
Beispiel  der  Entlohnung  der  Frauenarbeit.  Dieselbe  ist 
selbst  dort  erheblich  niedriger,  wo  eine  Frau  die  Arbeit 
ganz  ebensogut  leisten  kann  und  leistet,  wie  ein  Mann. 
Man  könnte  einwenden,  daß  sich  Analoges  auch  bei  andern 
Gütern  findet.  Eine  altberühmte  Firma  kann  höhere  Preise 
erzielen  auch  für  ganz  dieselben  Erzeugnisse,  wie  ihre 
jüngeren  Konkurrenten.  Und  wenn  wir  diesem  Falle  keine 
prinzipielle  Bedeutung  zumessen,  so  dürfen  wir  das  auch 
hier  nicht  tun.  Mag  sein.  Wir  könnten  zwar  erwidern, 
daß  der  Unterschied   allerdings  nur  graduell  sei,  daß  aber 


348  ^^^  Verteilnngstheorie. 

IQ  einem  Falle  die  Abweichung  von  der  Wirklichkeit  nicht 
allzu  groß,  im  anderen  nicht  zu  vernachlAssigen  sei.  Aber 
wir  wollen  darauf  nicht  bestehen,  da  wir  an  dieser  Stelle 
noch  nicht  unser  entscheidendes  Bedenken  ins  TreffeH  fthreo 
können. 

Doch  hat  jede  Unternehmung,  wenigstens  jede  groBe, 
eine  Kategorie  von  Arbeitern,  welche  als  „Beamte"  be- 
zeichnet zu  werden  pflegen.  In  welchem  Verhältnisse  steht 
deren  „Gehalt"  zum  „Lohne**  der  Arlieiter?  Der  zweifelhafte 
Punkt  ist,  daß  ein  solcher  Beamter,  der  einer  andere! 
sozialen  Klasse  angehört,  gar  nie  „Arbeiter*  werden  wOrde, 
auch  wenn  sich  das  besser  lohnen  würde.  Diese  Tatsache 
ist  unbestreitbar  und  ebenso  sicher  ist,  daß  er  auch  beim 
Beginne  seiner  Ausbildung  meist  nicht  die  Wahl  zwischen 
beiden  Berufen  hatte,  sondern  den  des  „Beamten''  hätte 
anstreben  müssen,  selbst  dann,  wenn  die  „Aussichten"  dieser 
Lauf])ahn  von  vorneherein  ungünstiger  gewesen  waren.  Es 
ist  nicht  nur  seine  Ausbildung  ein  „sunk  capital",  das  nuo 
nicht  mehr  zurückzuziehen  ist  —  dafür  bieten  alle  Pro- 
duktionen Beispiele  —  sondern  schon  von  allem  Anfange 
an  war  er  sozial  gezwungen,  zum  mindesten  in  der  Regel 
oder  doch  sehr  oft,  jenen  Weg  zu  betreten. 

Und  das  leitet  uns  sofort  weiter  zu  den  Löhnen  in 
allen  „höhen»n"  Berufszweigen.  Wer  könnte  die  Tatsache 
übersehen,  daß  in  aller  Regel  jedermann  danach  strebt,  in 
seiner  sozialen  Klasse  zu  bleiben,  daß  dieselbe  ihm  eherne 
Fesseln  anlegt?  Alle  die  jungen  Leute,  die  jahraus,  jahreis 
in  unserer  Heimat  dem  Staatsdienste  zustreben ,  le^en  sich 
Ober  die  Möglichkeiten  außerhalb  desselben  kaum  eine  Rechen- 
schaft ab.  Im  Gegenteil  wird  es  ihnen  meist  bewußt  sein, 
daß  ihre  Aussichten  in  wirtschaftlicher  Hinsicht  im  all- 
gemeinen keine  günstigen  sind.  Trotzdem  bieten  sie  ihre 
Arbeitskraft  hier  an,  an  der  Stelle,  wo  nicht  die  größte, 
sondem  vielleicht  die  geringste  Entlohnung  winkt  und  wo 
die  Nachfrage  ersichtlich  ülK»rschritten  ist.  Sie  haben  tat- 
sächlich keine  Wahl,  als  Kinder  ihres  Landes  und  ihrer 
Klasse.     Kin    Militär   kann   im  allgemeinen   seinen  Beruf 


Die  Lohntheorie.  ^9 

nicht  wechseln,  ohne  eine  sehr  fühlbare  soziale  »capitis 
deminutio''.  In  diesen  Berufen  treten  auch  nationale  und 
politische  Grenzen  viel  schärfer  ins  Spiel,  als  sie  es  ver- 
mittelst von  Auswanderungsverboten  tun  kannten.  Den 
letzteren  kann  man  entgehen,  aufierhalb  ihrer  gesellschaft- 
lichen Beziehungen  aber  sind  jene  Leute  hilflos  und  vermögen 
es  nicht,  sich  auf  ihrem  bisherigen  sozialen  Niveau  zu  be- 
haupten. Genüge  das  Gesagte,  das  befriedigend  auszuführen 
Gegenstand  einer  interessanten  sozialen  Studie  sein  könnte. 
Vervollständigen  wir  es  nur  noch  durch  ein  Moment:  Der 
Künstler,  der  Gelehrte  produziert  seine  Werke  nicht  immer, 
aber  häufig  ohne  Rücksicht  auf  Nachfrage,  obgleich  er  den- 
noch mit  seiner  Arbeit  —  wiederum  mindestens  häufig  — 
auch  wirtschaftliche  Resultate  anstrebt.  Von  Arbeiten,  die 
ohne  diese  Absicht  geleistet  werden,  etwa  den  Zeitschrift- 
artikeln eines  Politikers,  gar  nicht  zu  reden. 

Der  Unternehmer,  der  Beamte,  der  Künstler,  der 
Arbeiter,  sie  alle  werden  das  durch  zwingende  Umstände, 
nicht  durch  freie  Wahl.  Das  ist  die  Regel,  welche  durch 
das  Aufsehen,  das  eine  Ausnahme  erregt,  nur  bestätigt  wird. 
Das  heißt  nun  ökonomisch  nichts  anderes,  als  daß  das 
Angebot  von  Arbeit  nicht  vom  Wertprinzipe 
beherrscht  wird,  wie  das  von  Grund  und  Boden  und 
jedem  anderen  Gute  gilt.  Unser  System  ist  hier  durch- 
brochen, sein  Lebensmark,  die  „Interdependenz'',  gelähmt. 
Nur  innerhalb  eines  nationalen  und  sozialen  Kreises  herrscht 
freie  Beweglichkeit  der  Arbeit,  und  nur  wenn  man  diese 
Klausel  anbringt  und  im  Übrigen  die  Verteilung  der 
Arbeit  als  systembestimmende  Tatsache  erklärt,  nur  dann 
gilt  die  Wertrechnung.  Und  das  Gesagte  bewährt  sich 
im   weitesten  Maße  bei  jeder  Art  von  qualifizierter  Arbeit. 

Andere  als  ökonomische  Momente  also  bestimmen  die 
Verteilung  der  Arbeitsmenge  der  Volkswirtschaft  und  der 
ganzen  Erde.  Das  ist  vielleicht  die  größte  Konzession,  die 
wir  der  ethischen  Richtung  machen.  Sie  hat  Recht  in 
diesem  Punkte.  „Arbeif"  im  allgemeinen  ist  nicht  so  frei 
beweglich,  wie  es  ökonomisch  selbst  das  Land  ist    Und  wenn 


350  I^i^  Vert«iltU)gatheorie. 

man  uns  hier  entgegnen  wOrde,  daß  auch  bei  andern 
Gütern  eine  freie  Beweglichkeit  nicht  Torbandea  sei,  w 
können  wir  befriedigend  darauf  entgegnen.  Soweit,  unter 
Berücksichtigung  von  Fracht  und  Zoll  die  Warenpreise  bä 
freier  Konkurrenz  nicht  Qberall  gleich  sind,  beruht  das  anf 
weiter  nicht  interessanten  „FrihtionswiderstaDden*,  als  u- 
genogender  Kenntnis,  fehlendem  Untemehmungsgetste  ntv. 
Anders  bei  der  Arbeit.  GroBe,  wichtige  Momente,  die  mu 
unmaglich  übersehen  kann,  stehen  der  Beweglichkeit  der 
Arbeit  im  Wege.  Nation  algefahl  oder  besser,  das  Moment 
des  Antagonismus  der  Rassen,  soziale  Beziehungen  jeder 
Art,  kurz  die  ganze  Struktur  der  Gesellschaft,  alles  was  sie 
zusammenhftlt,  erschwert  jede  derartige  Annahme.  Während 
ferner  die  Produktion  sonst  stets  dem  Wertprinzipe  folgt,  sind 
in  erster  Linie  andere  Momente  fflr  die  Verteilung  der  Arbeit 
entscheidend.  Diese  Momente  wirken  auch  innerhalb  der 
Volkswirtschaft.  Aber  auch  die  geographischen  Fesseln,  von 
denen  wir  sprachen,  haben  hier  eine  ganz  andere  Bedeutung 
als  bei  anderen  Gutem.  Jene,  die  auch  bei  diesen  herrschen, 
sind  auch  hier  vorhanden,  aber  außerdem  noch  andere, 
mftchttgere.  So  wird  qualifizierte  Arbeit  nicht  immer  so 
entlohnt,  wie  man  es  nach  unserer  Theorie  erwarten  sollte, 
und  wenn  man  von  „Arbeit"  ganz  allgemein  spricht,  so  ist 
die  letztere  unanwendbar.  Wie  die  Wertskala,  so  vereagt 
Ubrigens  auch  die  Arbeitsskala  Marx',  wie  man  leicht 
sehen  kann. 

Was  die  zweite  Frage  anlangt,  so  taacht  ein  neues  Be- 
denken auf.  Bei  allen  anderen  Gütern  steht  das  beste  Stück 
dort,  wo  die  höchste  Leistung  nötig  ist  und  von  dieser,  von 
seiner  Fähigkeit  sie  zu  leisten,  erhAlt  es  seinen  Wert  und 
Preis,  seinen  Platz  auf  der  Wertskala.  Mun  scheint  es  mir, 
als  ob  das  bei  „Arbeit  im  allgemeinen"  absolut  nicht  der 
Fall  wäre.  In  der  Regel  wird  die  Unteroehmerstellung  oder 
doch  die  Möglichkeit  sie  zu  erlangen,  ererbt  und  ihre 
Funktion  in  weitem  Maße  ohne  Rücksicht  auf  besondere 
Eignung  ausgefällt.  Trotzdem  ist  die  Leistung  eine  wert- 
volle  und    der  Unternehmer  ist  im  Rechte,  wenn  er  sich 


Die  Lolmtlieorie.  *  351 

nnen  hohen  Lohn  dafür  berechnet.  Es  IftBt  sich  aber 
lurchaus  nicht  behaupten,  da6  er  der  dazu  geeignete 
Arbeiter  sei.  Jene  jedoch,  die  ebenso  oder  besser  dazu  ge- 
dgnet  wären,  können  meist  mit  ihm  nicht  darum  konkur- 
ieren. Auch  ganz  abgesehen  von  Kapitalmangel  haben  sie 
[einen  Weg,  dazu  zu  gelangen.  Der  gewöhnliche  Arbeiter 
n  aller  Regel  sicher  nicht,  aber  auch  nicht  der  Beamte. 
iuT  die  ganz  überragende  Kraft  und  auch  diese  nur  bei 
sonstigen  Zufällen  setzt  sich  durch.  Konkurrieren  kann 
nit  ihm  nur  jemand  in  gleicher  sozialer  Position,  nur  da 
3t  die  Sonne  gleich  verteilt.  Das  gilt  allgemein.  Auch  im 
Staatsleben  und  in  allen  liberalen  Berufen  ist  es  nicht  not- 
rendig  die  beste  Kraft,  die  die  höchstwertigen  Leistungen 
lervorzubringen  hat.  Außer  Tüchtigkeit  sind  eine  Reihe 
on  Bedingungen  zu  erfüllen,  welche  danach  tendieren, 
renigstens  oft  sehr  tüchtige  Konkurrenten  auszuscheiden. 
!^s  ist  nicht  so,  daß  die  höherwertige  Leistung  immer  höhere 
Qualifikationen  erfordert.  Auf  allen,  auch  den  höchsten 
>tufen  kann  das  Durchschnittsmaß  vom  Durchschnitts- 
nenschen  geleistet  werden  und  im  allgemeinen  kann  man 
vohl  sagen,  daß  die  Spitze  der  sozialen  Pyramide  nicht  von 
len  tüchtigsten,  ihre  Grundfläche  nicht  von  den  untüchtigsten 
«dementen  gebildet  wird.  Wir  könnten  zeigen,  daß  zum 
;ewöhn1ichen  Unternehmer  durchaus  kein  Komplex  jener 
lohen  Eigenschaften  gehört,  welche  ihm  manche  Dar- 
tellungen  zuschreiben,  daß  er  sie  in  aller  Regel  auch  nicht 
»esitzt.  Nicht  er,  ganz  andere  Dinge  sind  die  treibenden 
{rftfte  seiner  Unternehmung.  Und  auch  sonst  zeigt,  meine 
ch,  vorurteilsfreie  Beobachtung,  daß  keineswegs  die  best- 
[ualifizierte  Arbeitskraft  dazu  gelangt,  die  höchstwertige 
^eistung  hervorbringen  zu  können.  Aber  machen  wir  Halt 
Cs  ist  ein  peinliches  Gefühl  für  mich,  Probleme,  die  tief  in 
lie  „Soziologie''  hineinreichen,  so  kurz  andeuten  zu  müssen. 
Jnd  doch  war  das  nötig,  um  unsere  Stellungnahme  zu 
echtfertigen. 

Wir    treten    nicht   in    die   Diskussion    der   Frage   ein, 
reiche  Momente  es  sind,  die  die  Verteilung  der  Arbeits- 


350  ^^®  Verteilungstheorie. 

man  uns  hier  entgegnen  würde,  da6  auch  bei  anderen 
Gütern  eine  freie  Beweglichkeit  nicht  vorhanden  sei,  m 
können  wir  befriedigend  darauf  entgegnen.  Soweit,  unter 
Berücksichtigung  von  Fracht  und  Zoll  die  Warenpreise  bei 
freier  Konkurrenz  nicht  überall  gleich  sind,  beruht  das  auf 
weiter  nicht  interessanten  „Friktionswlderständen",  als  un- 
genügender Kenntnis,  fehlendem  Untemehmungsgeiste  usw. 
Anders  bei  der  Arbeit.  Große,  wichtige  Momente,  die  mao 
unmöglich  übersehen  kann,  stehen  der  Beweglichkeit  der 
Arbeit  im  Wege.  Nationalgefühl  oder  besser,  das  Moment 
des  Antagonismus  der  Rassen,  soziale  Beziehungen  jeder 
Art,  kurz  die  ganze  Struktur  der  Gesellschaft,  alles  was  sie 
zusammenhält,  erschwert  jede  derartige  Annahme.  Während 
ferner  die  Produktion  sonst  stets  dem  Wertprinzipe  folgt,  sind 
in  erster  Linie  andere  Momente  für  die  Verteilung  der  Arbeit 
entscheidend.  Diese  Momente  wirken  auch  innerhalb  der 
Volkswirtschaft.  Aber  auch  die  geographischen  Fesseln,  von 
denen  w  i  r  sprachen,  haben  hier  eine  ganz  andere  Bedeutung 
als  l)ei  anderen  Gütern.  Jene,  die  auch  bei  diesen  herrschen, 
sind  auch  hier  vorhanden,  aber  außerdem  noch  andere, 
mächtigere.  So  wird  qualifizierte  Arbeit  nicht  immer  so 
entlohnt,  wie  man  es  nach  unserer  Theorie  erwarten  sollte. 
und  wenn  man  von  „Arbeif  ganz  allgemein  spricht,  so  ist 
die  letztere  unanwendbar.  Wie  die  Wertskala,  so  versagt 
übrigens  auch  die  Arl)eitsskala  Marx',  wie  man  leicht 
sehen  kann. 

Was  die  zweite  Frage  anlangt,  so  taucht  ein  neues  Be- 
denken auf.  Bei  allen  anderen  Gütern  steht  das  beste  Stück 
dort,  wo  die  höchste  Leistung  nötig  ist  und  von  dieser,  von 
seiner  Fähigkeit  sie  zu  leisten,  erhält  es  seinen  Wert  und 
Preis,  seinen  Platz  auf  der  Wertskala.  Nun  scheint  es  mir, 
als  ob  das  bei  ,, Arbeit  im  allgemeinen"  absolut  nicht  der 
Fall  wäre.  In  der  Re^el  wird  die  Unternehmerstellung  oder 
doch  die  Mögliclikcit  sie  zu  erlangen,  ererbt  und  ihre 
Funktion  in  weitem  Maße  ohne  Rücksicht  auf  besondere 
Eignung  ausgefüllt.  Trotzdem  ist  die  Leistung  eine  wert- 
volle und    der   Unternehmer  ist   im  Rechte,  wenn  er  sich 


Die  Lolmtheorie.  *  351 

einen  hohen  Lohn  dafür  berechnet.  Es  IftBt  sich  aber 
durchaus  nicht  behaupten,  da6  er  der  dazu  geeignete 
Arbeiter  sei.  Jene  jedoch,  die  ebenso  oder  besser  dazu  ge- 
eignet wären,  können  meist  mit  ihm  nicht  darum  konkur- 
rieren. Auch  ganz  abgesehen  von  Kapitalmangel  haben  sie 
keinen  Weg,  dazu  zu  gelangen.  Der  gewöhnliche  Arbeiter 
in  aller  Regel  sicher  nicht,  aber  auch  nicht  der  Beamte. 
Nur  die  ganz  überragende  Kraft  und  auch  diese  nur  bei 
günstigen  Zufällen  setzt  sich  durch.  Konkurrieren  kann 
mit  ihm  nur  jemand  in  gleicher  sozialer  Position,  nur  da 
ist  die  Sonne  gleich  verteilt.  Das  gilt  allgemein.  Auch  im 
Staatsleben  und  in  allen  liberalen  Berufen  ist  es  nicht  not- 
wendig die  beste  Kraft,  die  die  höchstwertigen  Leistungen 
hervorzubringen  hat.  Außer  Tüchtigkeit  sind  eine  Reihe 
von  Bedingungen  zu  erfüllen,  welche  danach  tendieren, 
wenigstens  oft  sehr  tüchtige  Konkurrenten  auszuscheiden. 
Es  ist  nicht  so,  daß  die  höherwertige  Leistung  immer  höhere 
Qualifikationen  erfordert.  Auf  allen,  auch  den  höchsten 
Stufen  kann  das  Durchschnittsmaß  vom  Durchschnitts- 
menschen geleistet  werden  und  im  allgemeinen  kann  man 
wohl  sagen,  daß  die  Spitze  der  sozialen  Pyramide  nicht  von 
den  tüchtigsten,  ihre  Grundllftche  nicht  von  den  untüchtigsten 
Elementen  gebildet  wird.  Wir  könnten  zeigen,  daß  zum 
gewöhnlichen  Unternehmer  durchaus  kein  Komplex  jener 
hohen  Eigenschaften  gehört,  welche  ihm  manche  Dar- 
stellungen zuschreiben,  daß  er  sie  in  aller  Regel  auch  nicht 
besitzt.  Nicht  er,  ganz  andere  Dinge  sind  die  treibenden 
Kräfte  seiner  Unternehmung.  Und  auch  sonst  zeigt,  meine 
ich,  vorurteilsfreie  Beobachtung,  daß  keineswegs  die  best- 
qualifizierte Arbeitskraft  dazu  gelangt,  die  höchstwertige 
Leistung  hervorbringen  zu  können.  Aber  machen  wir  Halt 
Es  ist  ein  peinliches  Gefühl  für  mich,  Probleme,  die  tief  in 
die  „Soziologie''  hineinreichen,  so  kurz  andeuten  zu  müssen. 
Und  doch  war  das  nötig,  um  unsere  Stellungnahme  zu 
rechtfertigen. 

Wir    treten    nicht   in    die   Diskussion   der   Frage  ein, 
welche  Momente  es  sind,  die  die  Verteilung  der  Arbeits- 


352  *      1^16  Verteilungatheorie. 

kraft  bestimmeD,  sondern  begnügen  uns,  zu  konstatieren, 
daß  diesen  Verhältnissen  gegenüber  unsere  ökonomischeD 
Mittel  versagen  und  wollen  die  Konsequenz  des  eben  be- 
sprochenen UmStandes  für  die  ökonomische  Theorie  femo» 
lieren.  Damit  die  Wertrechnung  umfassend  und  befriedigeiul 
sei,  ist  es  durchaus  nötig,  da6  die  Arbeitskräfte  nur  Tom 
Standpunkt  des  Wertes  der  Leistungen  verteilt  seien  und 
die  Nachfrage  nach  Leistungen  dem  Schema  der  Wert- 
funktion entspreche.  Nur  dann  werden  die  Werte  der  ein- 
zelnen Leistungen  normale  im  Sinne  unseres  Systemes  sein. 
Das  ist  nun  nicht  der  Fall  bei  der  Arbeit.  Wir  sahen 
schon,  daß  das  Angebot  selbst  der  vorhandenen  Arbeit  nicht 
vom  Wertprinzipe  beherrscht  sei,  nun  sehen  wir  noch,  daS 
es  auch  die  Nachfrage  nicht  ist.  Oder  richtiger,  sie  ist  es 
nur  unter  derselben  Einschränkung,  wie  das  Angebot,  mit 
der  Klausel:  „in  demselben  sozialen  und  nationalen  Kreise'. 
Das  geht  soweit,  daß  mau  sich  fragen  kann,  ob  die  An- 
wendung der  Kategorien  Angebot  und  Nachfrage  hier  über- 
haupt nocli  Sinn  und  Wert  hat. 

Leicht  ist  es,  zu  sehen,  wie  wir  die  dritte  Frage  be- 
antworten wollen.  Sie  verneinen  wir  am  allerentschiedensten. 
Nicht  derjenige  erwirbt  Qualifikationen  —  welcher  Art 
immer  —  oder  wendet  sich  „höheren"  Berufen  zu,  der  dazu 
l)eson(lers  geeignet  ist ,  sondern  wer  die  Gelegenheit  dazu 
besitzt,  welche  wiederum  hauptsächlich  durch  das  Klassen- 
moment charakterisiert  wird.  Und  wiederum :  Innerhalb 
drrseiben  ökonomisclieu  und  sozialen  Klasse,  mag  allerdings 
ein  Zusammenhang  zwischen  Qualifikation  und  natürlicher 
Anhige,  wie  er  für  die  Wertrechnung  nötig  ist,  bestehen. 
Ül)er  seine  Bedeutung  im  Verhältnisse  zu  anderen  Momenten, 
die  auch  innerhalb  des  angedeuteten  Kreises  wirksam  sind, 
kann  man  verschieden  denken.  Gewiß  besteht  er  in  er- 
heblichem Maße.  So  wird  also  auch  „Veredlung*  am 
Rohmateriale  des  Gutes  „ArlH'it''  nicht  nach  den  wirtschaft- 
lichen Gesetzen  vorgenommen,  wenigstens  kann  dae  mcbt 
allgemein  und  nicht  in  jenem  Sinne  behauptet  werden,  wie 
bei  allen  anderen  Gütern. 


Di«  LdiBtheorie.  353 

Resamierett  wir:  leh  hAtte  prinzipiell  Btehte  dagegen, 
die  Arbeit  ganz  so  wie  alle  anderen  Güter,  als  „Ware**,  wie 
nan  es  amsdrüekt,  zu  behandeln,  wenn  dieses  Schema  zu 
brauebterett  Resultaten  führen  wtrde.  Sieh  aus  Rücksieht 
auf  „Menseben wtrde*  oder  durch  Gründe  wie  der,  dafi  der 
Mensch  Subjekt  der  Wirtschaft  sei  und  daher  nicht  ihr  Ob- 
jekt feil  könne,  dagegen  zu  striluben,  scheint  uns  auf  einem 
MflBrersUUidiisse  unserer  Theorie  zu  beruhen«  Aber  unsere 
Untersudiung  über  die  Verifikation  unseres  Resultates  fahrt 
UBSdazUy  dasselbe  als  unzulänglich  zu  erkennen.  Wir  stdien 
VW  Erscheinungen,  ixl  denen  von  unserem  Systeme  aus 
keine  Brüdce  führt.  Gleich  Inseln  sind  die  ein- 
zelnen Gruppen  von  Arbeitern  im  weitesten 
SinnO;  die  es  in  der  Volkswirtschaft  gibt,  von 
einander  getrennt  und  kaum  gibt  es  einen  „Ver- 
kehr''  zwischen  denselben.  Wohl  sind  jene  sozialen 
Bande  nicht  ewig  und  die  Jahrhunderte  n&hem  die  „Inseln^. 
Für  unsere  Zwecke,  für  unser  nur  für  kurze  Perioden  kon- 
struiertes System,  existiert  diese  Wechselbeziehung  kaum. 
Auf  jeder  Insel  allerdings  herrscht  das  Wertprinzip.  Und 
darin  liegt  unser  Auskunftsmittel,  das  wir  an  die  Stelle 
deijenigen  von  Marx  und  der  Werttheorie  setzen  möchten. 
Wir  nehmen  an,  daß  jede  Art  von  Arbeit  und  Arbeitern  ein 
für  allemal  vorhanden,  festgegeben  sei:  In  unserem  Unter- 
suchungsgebiete gibt  es  eine  feste  Zahl  von  Beamten, 
Künstlern,  gelernten  und  ungelernten  Handarbeitern  usw., 
zwischen  welchen  Gruppen  jede  Beziehung,  jedes  Übergehen 
von  einer  zur  anderen,  fehlt.  Das  scheint  uns  besser  auf 
die  Wirklichkeit  zu  passen  und,  so  korrigiert,  gilt  unsere 
Lobntheorie.  Für  jede  dieser  Gruppen  gibt  es  einen  ein- 
deutig bestimmten  Lohnsatz,  der  zu  den  anderen  Lohnsätzen 
nicht  in  einer  einfachen  Relation  steht,  wie  man  gerne 
glauben  möchte.  Allerdings  besteht  doch  eine  Relation,  nur 
ißt  sie  «eimö  andere.  Wir  wollen  sie  dann  gleich  erörtern. 
Freilich  dürfen  wir  uns  dann  nicht  verhehlen,  daß  unsere 
Theorie  vom  Standpunkte  praktischer  Resultate  nahezu 
zu  einer  Selbstverständlichkeit  herabgedrückt  wird,  jedenfalls 

8ehiimp«t«r,  Nationalökonomie.  ^ 


354  ^®  Verteilungstheorie. 

jene   große   Bedeutung,    die    ihr    sonst   zukommen   würde, 
verliert. 

Wir  wollen  noch   die  Bedeutung  präzisieren,  die  der 
üblichen    Konstruktion    zukommt.     Könnte    man    nicht  in 
einem  ganz  abstrakten  Untersuchungsgebiete  dieselbe  doch 
durchführen?    Sicherlich  und  dann  würde  sich  jene  Organi- 
sation   der  Gesellschaft    ergeben,    welche    wir   skizzierten. 
Aber  man  darf  nicht  vergessen,   daB  dazu  mehrere  neue 
Voraussetzungen  nötig  sind,  viel  weitergehende,  als  wir  sie 
sonst    für    unser    System    brauchen.     Es    würde    nämlich 
nicht  hinreichen,  einfach  eine  isolierte  Nation  anzunehmen. 
Denn  auch  eine  Nation,  die  uns  sehr  homogen  erscheint,  ent- 
hillt  sehr  viele  ethnische  Elemente,  zwischen  denen  nie  freie 
Konkurrenz  bestehen  kann.    Wir  müßten  eine  konstruieren, 
wie  sie,   gegenwärtig  wenigstens,  nirgends  existiert.     Pis 
wjlre  die  ei-ste  Voraussetzung.    Zweitens.    Aber  auch  inner- 
halb   einer    solchen    würden    wir    möglicherweise   —   nach 
manchen  Theorien  würde  es  allerdings  nicht  der  Fall  sein — 
dem  Phäuomen  der  Klasseubildung  begegnen  und  jedenfalls 
den  zahllosen  individuellen  Wechselbeziehungen,  welche  das 
soziale   Milieu,    die    soziale    Hasis  jedes    Individuums   aus- 
machen.    Auch   davon   müßte  abgesehen   werden.     Die  ein- 
zelneu (iruppen,   die  sich  um  gewisse  Interessen  und  Stell- 
ungen   herum    bilden,     werden    sicherlich    jedem    Outsider 
Widerstand   entgegensetzen    und   selbst  in  einem  kommuni- 
stischen  (lenuMn Wesen   würden   ganz   sicher  persönliche  Be- 
ziehun^'en  eine  Kolle  spielen,  welche  der  Auswahl  nach  der 
Tüchtifikeit    und   sonstigen  Qualifikation,  wie   sie  l>ei  je<lem 
anderen  (lute  besteht,   eine  andere  Art  von  Auslese  an  die 
Seite  >etz«  n  würden.    Unser  Schema  müßte  darül)er  hinweg- 
sehen.    Drittens   winde  auch   hier  Güterbesitz  und  Erwerb 
von  Qualitikationen   in   einem  Zusammenhange   stehen,  der 
wichti^i»r  sein  dürfte,   als  der  zwischen  natürlicher  Anlage 
und   .sonst i«;er  Qualitikation.     »Soll  die  AVertrechnung  durch- 
greift nd   anwendbar  sein,   so  müßte  auch  davon  abstrahiert 
werden.   Hier  würde  dann  für  die  Leistungseinheit  ein  ein- 
heitlicher Preis   bestehen.     Für  die   Arbeitseinheit  auch 


Die  Lohntheorie.  355 

dann  nicht,  denn  die  natürliche  Fähigkeit  würde  ein  störendes 
Moment  bilden. 

Wozu  kann  eine  solche  Konstruktion  aber  dienen,  welcher 
Wert  käme  ihr  zu?  Sie  stellt  vor  allem  eine  weitere 
Stufe  der  Abstraktion  dar,  als  sonst  unser  System. 
Das  muß  vor  allem  festgehalten  werden.  Auf  solche  Unter- 
scheidungen der  verschiedenen  Stufen  der  Ab- 
straktion legen  wir  stets  ein  besonderes  Gewicht,  da  sie 
zum  richtigen  Verständnisse  der  einzelnen  Theorien  an  sich 
und  in  ihrem  Verhältnisse  zueinander  ganz  wesentlich  sind. 
Man  könnte  sagen,  daß  unsere  Erörterungen,  die  wir  eben 
durchführten,  eigentlich  keinen  anderen  Zweck  hatten,  als 
eben  den  Nachweis  zu  führen,  daß  jene  große  Theorie 
der  Gesellschaft  und  sogar  die  gewöhnliche 
Lohntheorie  eine  solche  weitere  Stufe  darstellt, 
daß  sie  einen  anderen  Charakter  trägt  und  weiter  von  der 
Wirklichkeit  entfernt  ist,  als  andere  Teile  der  theoretischen 
Ökonomie,  als  der  größte  Teil  derselben.  Und  es  ist  lehr- 
reich, zu  bemerken,  daß  sich  im  Laufe  unserer  Gedanken- 
gänge ganz  von  selbst  oft  Hyi)0thesen  einschleichen  können, 
ohne  daß  wir  es  gewahr  werden,  ohne  daß  wir  uns  bewußt 
sind,  den  sicheren  Boden  zu  verlassen  und  mit  neuen 
Momenten  zu  arbeiten. 

Die  Wirtschaftssubjekte,  mit  denen  es  die  Konstruktion, 
til>er  deren  Wert  wir  jetzt  ein  Urteil  fällen  wollen,  zu  tun  hat, 
sind  keine  Menschen,  sondern  Nützlichkeitsmaschinen,  welche 
aller  der  Merkmale  entbehren,  welche  den  im  Sozialverbande 
leidenden  Mensclien  auszeichnen,  welche  den  Sozialverband 
ausmachen.  Hier  sind  wirklich  jene  Annahmen  l)ezüg- 
lich  der  „hedouischen"  Motive  und  dem  Abhandensein  alles 
Nichtwirtschaftlichen  nötig,  welche  die  Ökonomen,  mit  Un- 
recht und  die  (ieltung  unserer  Sätze  überflüssig  beschränkend, 
allgemein  für  das  ganze  System  aufstellen.  Auch  das 
i.st  ein  wichtiges  Resultat,  welches  geeignet  erscheint,  die 
einzelnen  Teile  unserer  Theorie  in  schärferem  Lichte  zu 
zeigen,  und  auch  naclizuweisen ,  daß  unser  System  an  sich 

gar  nicht  soweit  von  der  Wirklichkeit  steht,  als  oft  geglaubt 

23* 


2BSß  Die  VerteihnigBth«orie. 

wird,  4a6  dieser  Anscbein  trat  von  einig^B  der  ahw- 
mischen  Theorien  hervorgerufen  wird.  Hier  haben  wir  eiae 
derefelben  vor  «ns.  Schon  unser  Sjrstem  a1»er  uejeht  gerade 
genng  von  den  Tatsachen  ab ;  diese  Theorie  dtrfte  das  Msft 
des  Braudhbaren  nherschreiten  tfDd  da  sie  zu  radikal  falschen 
I>ednkthMien  sozialer  Natur  den  Anktft  gelben  kann  «Bd  ge- 
geben hat,  so  wollen  wir  ans  von  ihr  abwenden.  Doch 
wollen  wir  4105001  Urterle  eine  Milderung  hinzufigen.  Wir 
haben  schon  gesagt,  4at  ihr  nicht  jeder  Wert  fehlt.  Und 
das  wellen  wir  mtn  noch  nach  einer  anderen  Richtung  his 
ergänzM.  Die  Theorie  ist  nicht  noitwendig  zur  ErkÜraBg 
des  Wesens  des  Lohnes.  Dieses  Resultat  können  wir  auch 
auf  korrekterem  Wege  erreichen ,  indem  wir  den  Leim  anf 
jeder  unserer  theoretischen  Inseln  utftefBUeben.  Sie  gibt 
uns  nicht  „den**  Lohnsatz  der  Wirklichkeit,  denn  ein 
solcher  einheitlicher  Satz  besteht  überhaupt  nicht.  Insofern 
sie  uns  zu  dieser  Ansicht  vei'führt,  ist  ihnre  Rolle  eine  ver- 
derbliche. Aber  wenn  wir  uns  ihres  Wesens  und  ihrer 
Vorausseftzungen  bewu^  bleiben,  dann  ist  diese  Theorie 
nicht  „falsch**,  wie  gesagt.  Und  dann  lehrt  sie  uns  auch 
etwas.  Sie  lehrt  uns  nftmlich  durch  die  eklatante  Diskre- 
panz ihrer  Resultate  mit  der  Wirklichkeit,  dafi  das  Wert- 
prinzip das  Gebiet  der  Arbeit,  als  Ganzes  betrachtet,  nicht 
beherrscht.  Das  kann  man  eben  mit  ihr  am  besten  be- 
weisen. Darin  nun  liegt  meines  Erachtens  ihr  wichtigster 
praktischer  Krkenntniswert.  Ein  negatives  Resultat  gibt 
sie  uns  nur,  aber  auch  das  ist  nicht  zu  verachten,  und 
seine  Ableitung  und  Diskussion  gibt  uns  einen  wichtigen 
Fingerzeig  nach  der  Richtung,  wo  die  entscheidenden  Momente 
zu  suchen  sind. 

Das  Fehlen  eincfl  einheitlicben  Lohnsaties  kann  man  kan  mit 
dorn  Fehlen  völlig  freier  Konkurrenz  begründen.  Diese  Anadnick»- 
weise  ist  aber  einerseits  unvollständig,  lifit  die  eimelnen  wiehtigsn 
Punkte  im  Dunkeln,  und  anderseits  mißverständlich.  So  haben  wir 
sie  uns  nicht  zu  (>ig(>n  gemacht.  Aber  an  dieser  Stelle,  wo  wir  auf 
■ie  hinweisen,  wollen  wir  doch  noch  bemerken,  dafi  der  Mechmniiwai 
der  freien  Kornknrrenz  auch  sonst  noch  bei  der  Arbeit  weniger  glatt 
fanktioBiert,  als  bei  den  anderen  Gütern.  An  einen  besonderen  Qrand 


Die  Lotuiiheorie.  957 

ffäj;  die  gering  i^BewegUclikeit''  gerade  der  Arbeit,  den  wir  iÄbrigeof 
l>ereit8  berührten,  sei  da  besonders  erinnert,  auf  jenen  von  Professor 
Bdgeworth  hervorgehobenen:  Nur  wenn  jeder  „Käufer^  mit  jedem 
^Verkänfer^  tauschen  kann,  wird  vollkommenes  Gleichgewicht  erreicht 
^werden.  Der  Arbeiter  jedoch  muB  im  allgemeinen  seine  ganze  Arbeit 
an  einen  einaigen  Unternehmer  verkaufen.  Und  das  allein  wüide,  wie 
sidi  xeigen  l&Bt,  einen  erheblichen  Unterschied  x wischen  der  Pr^a- 
bildung  der  Arbeit  und  der  anderer  Güter  begründen. 

§  S.  Wir  haben  das  Gesagte  noch  durch  die  Unier- 
«ttchuDg  zu  vervollständigen,  ob  ein  uud  welcher  ZusamHieu- 
haug  zwischen  den  Werten  und  Preisea  der  vom  „Arbeiter*' 
Jeder  Art  von  seiner  Geburt  an  konsumierten  Gütern  und 
Minem  Lohne  besteht  Wir  sagen  absichtlich  nicht  «uad 
-den  von  ihm  produzierten  Gütern",  um  die  Schwierigkeiten  zu 
vermeiden,  die  um  den  Begriff  „Produkt  der  Arbeit"*  herum- 
liegen und  die  uns  auch  durch  die  moderne  Zurechnungs- 
theorie nur  zum  Teile  —  wenn  auch  zum  größten  Teile  --- 
behoben  scheinen. 

Ein  solcher  Zusammenhang  besteht  bei  allen  Gütern, 
4ie  von  der  Natur  nicht  „freiwillig''  dargeboten,  die  also 
produziert  werden,  und  nur  wenn  er  besteht,  ist  die 
Wertrechuung,  wenigstens  nach  dieser  Richtung  hin,  durch- 
greifend anwendbar.  Wiederum:  Wir  haben  keine  vor- 
gefaßte Meinung  darüber,  wie  das  sich  bei  der  Arbeit  ver- 
hält. Es  wäre  sehr  zwecklos,  darüber  zu  philosophieren, 
'Ob  die  Arbeit  als  produziertes  Gut  oder  als  „Gabe  der 
Natur**  aufgefaßt  werden  solle.  Aprioristische  Gründe  für 
Asls  eine  oder  das  andere  können  uns  gar  nicht  helfen.  Noch 
weniger  natürlich  sind  soziale,  politische,  oder  moralische 
Momente  für  unsere  Stellung  bestimmend.  Für  uns  gehört 
die  Arbeit  nicht  schon  apriori  zu  einer  oder  der  anderen 
Jener  Güterkategorien.  Es  steht  bei  uns,  welcher  wir  sie 
zuzählen  wollen.  Das  eine  oder  das  andere  ist  lediglich 
methodologisches  Hilfsmittel,  eine  technische  Maßregel  so- 
zusagen und  nicht  die  geringste  Tatsachenaussage  oder 
soziale  Behauptung  oder  Forderung  liegt  darin.  So  haben 
wir  ganz  freie  Wahl.  Wir  werden  uns  für  jene  Eventuali- 
tät eütscheiden,  welche  besser  zu  unserem  Systeme  paßt  und 


358  ^^  Verteiluogstheorie. 

bessere  Ableitungen  gestattet  einerseits  und  welche  zu  mehr 
auf  die  Wirklichkeit  passenden  Eonsequenzen  führt  ander-    •  < 
seits.    Die  prinzipielle  Willkürlichkeit  unserer  Wahl  aber 
müssen  wir  uns  stets  vor  Augen  halten. 

Ein  Grund,  der  uns  bei  derselben  bestimmen  könnte, 
wftre  sicherlich  der,  daß  wir,  wenn  wir  die  Arbeit  als  produ- 
ziertes Gut  betrachten  würden,  unsere  Analyse  nach  Analogie 
mit  anderen  produzierten  und  reproduzierbaren  Gütern  einige 
Schritte    weiter   fortsetzen   und    mehr  Resultate   gewinnen 
könnten,  als  bei  nicht  produzierbaren  Gütern.    Und  wenn 
diese  Resultate  brauchbar  sind,  so  wäre  das  nicht  zu  ver- 
achten.   Doch  müssen  wir  daran  erinnern,  daß  für  uns  nicht 
jene    zwingenden    Gründe    vorliegen,    die    wir    für    die 
Klassiker  a.  a.  O.^  nachwiesen.    Wir  müssen  das  nicht  tun 
wie  sie,   um   unser   System  zu   halten.    Daß  wir  es  nicht 
müssen,    ist   ein   Vorzug  unserer  Betrachtungsweise,   ein 
großer    Vorzug    des    modernen    Systeines.      Insoweit   jene 
klassische  Theorie  nur  auf  diese  theoretische  Notwendigkeit 
zurückzuführen  wilre,   würden  wir  sie  einfach  fallen  lassen, 
wie  manche  andere  Dinge.    Aber  die  ,,  Reproduktionskosten- 
theorie" des  Lohnes  hat  noch  eine  zweite  Bedeutung,  welche 
im  Interesse   ihrer  Würdigung  von   der  eben  erwähnten  zu 
unterscheiden  ist  —  sie  ist  an  sich  eine  interessante  Theorie. 
Abgesehen  von  ihrer  Rolle  in  der  Literatur:     Unser  Gebiet 
bearl>eitend,  den  Wert  unseres  Systemes  und  das  Feld  seiner 
Anwendbarkeit  überblickend  finden   wir,   daß  sich  hier  ein 
Schacht    öffnet,   der   mögiicherweise   zu   einer  Mine    führt. 
Wir  sehen  eine  Möglichkeit  unseren  Besitz  an  Theorien  zu 
tereichern.     Sie  darf  nicht  vernachlässigt  werden,  und  wir 
wollen  sie  uns  l)etrachten,   ohne  ä  tont  prix  auf  ihr  zu  Um- 
stehen.   Entdecken  wir  etwas,  was  uns  anspricht,  so  werden 
wir    die    Arl)eit   nach    Analogie    der   reproduzierbaren,    im 
anderen  Kalle  gleichmütig  nach  Analogie  der  nicht  reprodu- 
zierbaren (rüter  behandeln   und  darnach  dann  die  Grund- 
lagen unseres  Systemes  einrichten.    Unsere  Untersuchung 


*  Im  «THton  Teile  diesen  Buches. 


Dio  Lolintln^oric.  ',\'^() 

hat  ganz  deiiselhen  Charakter  wie  die  vorh('rg''hen(le.  Wie 
wir  dort  zu  sehen  hatten,  ob  es  in  der  Wirklichkeit  etwas 
gebe,  was  dem  einheitlichen  Lohnsatze  der  Theorie  ent- 
sprechen würde,  so  haben  wir  hier  zu  prüfen,  ob  die  Resul- 
tate, die  sich  aus  der  Behandlung  der  Arbeit  als  reproduzier- 
baren Gutes  ergeben  würden,  auf  die  Wirklichkeit  passen. 
Auch  hier  handelt  es  sich  um  einen  Verifikationsversuch. 

Nun  das  erste  Resultat,  das  sich  bewähren  müßte,  wäre 
die  Gleichung  zwischen  „Produktionskosten"  und  Lohn. 
Alle  anderen,  die  zu  erhoffen  wären,  hängen  von  diesem 
Satze  ab,  sind  nur  über  diese  Brücke  zu  erreichen.  Im 
Falle  wir  ihn  verifizieren  könnten,  müßten  wir  dieselbe 
Operation  dann  bei  jedem  Schritte  wiederholen.  Können 
wir  es  nicht,  brauchen  wir  nach  dem  Weiteren  nicht  zu 
fragen.  Der  Leser  vermag  bereits  zu  sehen,  was  unser 
Urteil  sein  wird.  Darauf  hindeutende  Momente  haben  wir 
schon  erwähnt.  Da  in  Deutschland  die  Reproduktionskosten- 
theorie der  Arbeit  ohnehin  nie  ganz  festen  Fuß  faßte  und 
wenig  Anhänger  zählt,  so  wollen  wir  kurz  sein.  Am  klarsten 
ist  es  bei  allen  „höheren''  Berufen,  daß  jene  Gleichung  nicht 
besteht.  Nehmen  wir  wieder  das  Beispiel  eines  Staats- 
beamten. Als  Kosten  hätte  er  sich  Auslagen  für  Studien 
usw.  und  außerdem  seine  Arbeit  dabei,  endlich  seinen  Unter- 
halt bis  zu  seiner  Anstellung  zu  berechnen.  Diese  Summe 
wäre  dem  auf  den  Zeitpunkt  der  Berechnung  diskontierten 
Wert  seiner  künftigen  Bezüge  gleichzusetzen.  Auf  Detail- 
fragen bezüglich  dieser  Berechnung  gehen  wir  nicht  ein,  weil 
uns  dieselbe  nicht  anwendbar  zu  sein,  den  Vorgängen  der 
Wirklichkeit  nicht  hinlänglich  nahezukommen  scheint.  Aus 
folgenden  Gründen: 

Erstens:  Ein  Teil  der  Erziehungskosten  kann  nicht 
als  Kosten  für  einen  bestimmten  Beruf  aufgefaßt  werden, 
sondern  würde  jedenfalls,  auch  wenn  ein  ganz  privates 
Leben  beabsichtigt  wäre,  aufgewandt.  Das  ist  so  klar,  daß 
Beispiele  fiberflüssig  sind.  Für  die  Erziehung  entscheiden 
hauptsächlich  die  Anschauungen  und  Gewohnheiten  der 
sozialen  Klasse,   der   der  Betreffende   angehört   und  nicht 


360  I^ie  VerteüungBtheorie. 

ökonomische  Momente.  Schon  das  allein  müfite 
unserer  Gleichung  irre  machen.  Beachten  wir,  daB  4ii 
nicht  nur  fQr  „höhere''  Berufe,  sondern  mehr  oder  weniger 
für  jede  Art  von  Arbeit  gilt.  Auch  der  gewöhnliehe  Arbeiter 
lernt  z.  B.  in  der  Volksschule  viele  Dinge,  die  nicht  oder 
nicht  ungezwungen  als  Vorbereitung  fQr  seinen  Beruf  gelten 
können  und  fQr  deren  Erlernung  ersichtlich  andere  Gründe 
maßgebend  sind.  Man  könnte  nun  die  Gleichung  auf  j^ie 
speziellen  Vorbereitungen,  beim  ganz  unqualifizierten  Arbeiter 
also  auf  die  „Auf Ziehungskosten''  beschränken  wollen.  Dts 
würde  aber  an  der  Tatsache,  dafi  auf  den  Mensehen  andere 
als  bloß  ökonomisch  gerechtfertigte  Kosten  aufgewandt 
werden,  nichts  andern,  im  Gegenteil  sie  nur  hervorhebeiL 
Sodann  wäre  diese  Unterscheidung  nicht  immer  leicht  durch- 
zuführen: Manches  z.  B.  Gymnasialbildung  ist  für  den 
Staatsbeamten  einerseits  Vorbedingung  für  seinen  Berat 
anderseits  würde  es  für  die  Angehörigen  jener  Klasse  meist 
unter  allen  Umständen  aufgewandt,  auch  ohne  Rücksicht  auf 
den  Beruf.  Diese  Schwierigkeiten  wären  allerdings  nicht  un- 
überwindlich. Doch  wollen  wir  das  nicht  weiter  verfolgen,  da 
uns  noch  weitere  (t runde  von  dieser  Betrachtungsweise  ablenken. 
Zweitens  wird  jene  Berechnung,  die  bei  keinem  anderen 
Gute  unterlassen  wird,  hier  tatsächlich  in  der  Regel 
nicht  aufgestellt.  Wer  fragt  sich  denn,  ob  die  Gleichung 
für  ihn  bestehen  wird?  Oft  wird  man  sich  bewußt  sein, 
daß  der  PMolg  ökonomisch  geringer  sein  wird,  als  die  Kosten 
und  noch  öfter  wird  man  das  Gegenteil  hoffen.  Sozialer 
Zwang,  Ehrgeiz  usw.  drängen  die  ökonomischen  Momente 
zurück.  Und  auch  das  Kind  des  Arbeiters  wird  aufgezogen, 
ohne  daß  solche  Erwägungen  auch  nur  entfernt  vorhanden 
sind.  Bei  dem  Erwerbe  einer  speziellen  Qualifikation  aller- 
dings wird  unsere  Gleichung  oft  zutreffen,  aber  gewiß  auch 
hier  nicht  ausnahmslos  und  nicht  einmal  in  der  Regel. 
Sicherlich  gibt  es  Fälle,  die  sich  in  das  Schema  der  „produk- 
tiven Konsumtion''  einfügen  lassen.  Diese  ganze  Theorie, 
von  der  wir  hier  sprechen,  hängt  ja  sicher  nicht  in  der  Luft. 
Aber  diese  Fälle,  bei  denen  sie  zutrifft,  sind  selten  und  un- 


Die  Lohatheorie.  361 

liedevtMMl  im  Verbältnisse  la  der  M^nge  deijenigen^   wo 
aatere  MoHiente  herrschen. 

IhitteiiB:  Speiiell  das  in  der  eigenen  Arbeit  an  der 
AvsbUdnng  liegende  Kostenelement  widerstrebt  jenem  Schema. 
£s  ist  fast  nur  bei  ^höheren''  Berufsarten  wirksam.  Und 
hier  ist  einerseits  Neigung ,  „Wille  lur  Macht*  usw.  viel 
wichtiger  und  andererseits  —  vielleicht  noch  mehr  —  der 
Umstand,  daB  der  Angehörige  gewisser  Klassen  mit  seiner 
Arbeitskraft  nichts  anderes  anfangen  kann,  mithin  sozial 
g^Ewongen  ist,  sie  in  einer  der  wenigen  ihm  offenstehenden 
Arten  zu  verwerten,  auch  wenn  das  den  ökonomischen  Regeln 
durchaus  nicht  entspricht 

Viertens  fallen  Kosten  und  Erfolg  meist  oder  doch  sehr 
oft  nicht  denselben  Personen  zu.  Die  ersteren  tragen  z.  B. 
oft  die  Eltern  und  in  mancher  Hinsicht  die  Gemeinwesen, 
ohne  auf  einen  ökonomischen  Erfolg  zu  hoffen  und  daher 
auch  ohne  eine  Gleichheit  der  Kosten  mit  demselben  an- 
streben zu  können. 

Fünftens  endlich  vergeht'  zwischen  Aufwendung  und  Er- 
folg meist  eine  lange  Zeit.  Alle  Verhältnisse  können  sich 
w&hrend  derselben  ändern  und  ändern  sich  tatsächlich  fast 
immer.  Ein  genaues  Stimmen  unserer  GleichungOD  ist  daher 
nicht  zu  erwarten  und  femer  wird,  wenn  eine  Berechnung 
vorgenommen  würde,  gewiß  auf  dynamische  Veränderungen 
gerechnet.  Dabei  muß  auch  beachtet  werden,  daß  bei  der 
Ausbildung  auch  direkt  dynamische  Momente  ins  Spiel 
kommen,  Anstrengungen  jeder  Art,  welche  in  unser  statisches 
Oleichgewicht  nicht  passen.  Für  unser  System,  das  ja  so- 
zusagen nur  eine  Augenblicksexistenz  führt,  sind  solche  Vor- 
gänge unfaßbar.  Einmal  aufgewendete  Kosten  werden  daher, 
da  sie  nicht  mehr  rückgängig  gemacht  werden  können,  sich 
ähnlich  verhalten  wie  der  Boden,  d.  h.  es  muß  genommen 
werden,  was  zu  erreichen  ist,*  ohne  daß  man  durch  Vari- 
ierung des  Angebotes  auf  den  Preis  wirken  könnte.  Und 
diesen  Charakter  haben  auch  alle  aus  „Neigung**  erworbenen 
Fertigkeiten. 

So  weist  uns  dieses  Moment  direkt  darauf  hin,  bei  der 


362  ^®  VerteiloDgstheorie. 

Arbeit  eine  Gleichung  der  erwähnten  Art  nicht  aufzustellen* 
In  der  Tat  ist  das  das  Ergebnis,  zu  dem  wir  gelaDgen: 
Aus  diesen  Gründen  werden  wir  bei  der  Arbeit 
in  die  Produktion  nicht  eingehen.  Und  nun  erst 
haben  wir  die  volle  Begründung  dieser  an  früherer  Stelle 
entwickelten  Stellungnahme  ^ 

wir  sind  am  Ende  dieses  Gedankenganges.  Manebem 
wird  es  scheinen,  das  wir  zu  lange  dabei  verweilten.  Und 
doch  schien  uns  das  nötig,  da  wir  hierin  die  Schwierigkeiten 
erblicken,  die  einer  klaren  Erfassung  des  Lohnproblemes  im 
Wege  stehen  und  die  Quelle  vieler  Mißverständnisse  UD(i 
Kontroversen  bilden.  Unser  Resultat  ist  nicht  erfreulieb 
für  den  Theoretiker,  denn  es  ergibt  sich,  daB  der  ökonon- 
ischen  Theorie  in  diesen  wichtigen  Fragen  nur  eine  be- 
scheidene Rolle  zukommt. 

Bezüglich  des  letzten  der  besprochenen  Punkte  möchten  wir 
noch  betonen,  daß  wir  keineswegs  die  Möglichkeit  leugnen,  daB  eine 
statistische  Untersuchung  trotzdem  einen  Zusammenhang  zwischen 
Kosten  und  l^reis  der  Arbeit  nachweisen  könnte.  Wir  behaupten 
nur,  daß  vom  Standpunkte  der  Theorie  und  mit  ihren  Mitteln  ein 
solcher  nicht  zu  konstruieren  und  daß  es  zweckmäßiger  und  vor- 
sichtiger ist,  diesen  Weg  nicht  zu  betreten.  Wir  lösten  unsere 
Frage  lediglich  nur  im  Interesse  unseres  Systemes.  Auf  Anklänge  in! 
Sinne  eines  solchen  Zusammenhanges  haben  wir  ja  selbst  hingewiesen. 
Vor  allem  aber  ist  es  die  große  Tatsache  t  daß  die  Mehrzahl  der  Ar- 
beiter nur  ungefähr  das  erwirbt,  was  zur  Erhaltung  von  Leben  und 
Arbeitskraft  nötig  ist,  auf  welche  die  Vertreter  jener  Theorie  sieb 
stützen  können.  Zwar  weiß  der  moderne  Sozialstatistiker  genug 
Daten  anzuführen,  welche  zeigen,  daß  darin  weder  etwas  Allgemeine» 
noch  etwas  Notwendiges  liegt,  aber  wir  wollen  nicht  in  Abrede 
stellen,  daß  es  sich  im  großen  und  ganzen  doch  so  verhält.  Nur 
meinen  wir,  daß  man  darauf  nicht  zu  sehr  vertrauen  darf.  Keine 
logische  Notwendigkeit,   kein    großes  Gesetz  drückt  sich  darin  ans, 


'  Der  Leser  wird  uns  verstehen,  wenn  wir  sagen,  daß  darin  kein 
vollständiger  Verzicht  auf  die  Gleichung  Kosten  «=  Nutzen  liegt  Tat- 
sächlich wird  dieselbe  noch  immer  fundamental  für  uns  sein.  Aber 
unter  „Kosten*  darf  man  nichts  anderes  verstehen  ab  ^Wert  in  an- 
deren Verwendungen**,  und  stets  muß  man  ferner  der  Einschränkungen 
eingedenk  bleiben,  unter  denen  sie  gilt  —  unseres  IMldes  von  den 
.Inseln**. 


l)i<'  Loliiiflicorii».  ',\{u\ 

80ii(l(»ri)    nur    di«'  Tat.-^aclic ,    dal)    die  (iiitrrvrsorguuL:  <l<'r  Mt'iisclilicit 
ebeu  im  ganzen  eine  sehr  dürftige  ist. 

Die  Reproduktionskostentheorie  des  Lohnes  ist,  in  Anwendung 
ftuf  unqualifizierte  Arbeit,  eine  Existenzminimumtheorie,  läuft  also  auf 
das  „eherne  Lohngesetz**  hinaus.  Das  letztere  würde  sich  also  aller- 
dings aus  der  Theorie  ergeben,  wenn  die  Arbeit  allseitig  als  eine 
„Ware**  wie  alle  anderen  aufgefaßt  werden  könnte.  Ihr  Zusammen- 
hang mit  einer  entsprechenden  Bevölkerungstheorie  ist  klar,  ja  viel- 
leicht wird  man  sagen  können,  daß  Beobachtungen  aus  dem  Gebiete 
der  Lohntatsachen  und  die  Bedürfnisse  der  Lohntheorie  zu  jener 
klassischen  Bevölkerungstheorie  beigetragen  haben.  Tatsächlich  glaube 
ich  das.  Die  letztere  ist  nicht  aus  einem,  etwa  biologischen,  Studium 
der  Bevölkerungsvermehrung  hervorgegangen;  denn  das  hätte  zu 
anderen  Resultaten  geführt;  auch  nicht  aus  unparteiischen,  unvor- 
eingenommenen Beobachtungen  ihrer  Tatsachen  an  sich;  denn  dabei 
hätten  sich  meines  Erachtens  andere  Momente  aufdrängen  müssen, 
als  jene,  aus  denen  die  Theoreme  dieser  Theorie  fließen,  mindestens 
auch  andere.  Nein,  sie  wurde  lediglich  mit  Hinblick  auf  die  Er- 
klärung gewisser  wirtschaftlicher  Erscheinungen  konstruiert  und 
diese  stellten  ihren  Ausgangspunkt  dar.  Ich  bedauere,  bei  diesen 
sehr  interessanten  Betrachtungen  nicht  länger  verweilen  zu  können. 
Der  wesentliche  Punkt  ist,  daß  unsere  Betrachtungsweise  uns  ein 
klares  Urteil  über  die  Reproduktionskostentheorie  des  Lohnes  und 
über  das  eherne  Lohngesetz,  das  also  lediglich  einen  Spezialfall  der- 
selben darstellt  —  schon  ein  wichtiges  Resultat  — ,  gestattet.  Fassen  wir 
es  nochmals  zusammen.  Beide  Theorien  stellen  sich  unter  zwei  Aspekten 
dar,  die  sorgfältig  geschieden  werden  müssen:  1.  als  notwendige 
Elemente  des  klassischen  Lehrsystemes,  welches  ihrer  bedarf;  2.  als 
auch  an  sich  interessante  Theorien.  Ihre  erste  Rolle  ist  ausgespielt 
im  modernen  Systeme:  Wir  bedürfen  ihrer  nicht.  Der  zweite 
Aspekt  derselben  gibt  uns  ein  interessantes  Beispiel  für  Theorien, 
welche  sicher  auf  Tatsachen  beruhen,  die  zu  ihrer  Aufstellung  ver- 
locken, und  sich  trotzdem  nicht  bewähren.  „Falsch*^  sind  sie  nicht, 
vielmehr  unter  gewissen  Voraussetzungen  zu  halten.  Aber  die  letzteren 
sind  derart,  das  man  das  auf  sie  Basierte  besser  fallen  läßt.  Die  erste 
Rolle  kann  man  die  deduktive,  die  zweite  die  induktive  nennen. 
Beide  waren  von  Bedeutung  in  der  Vergangenheit,  die  Gregenwart 
aber  bedarf  beider  nicht  mehr.  Wir  kommen  also  zu  dem  Schlüsse, 
daß  sowohl  die  Reproduktionskostentheorie  des  Lohnes ,  wie  das 
eherne  Lohngesetz  nicht  mehr  Bestandteile  der  theoretischen  Ökonomie 
bilden.  Wir  lassen  sie  fallen  —  ihr  Interesse  ist  nur  mehr  ein 
historisches. 

Ein  Wort  noch  über  die   „Standard  of  life'^ -Theorie.    Als  sich 
bezüglich  des  ehernen  Lohngesetzes  die  Angriffe  und  Zweifel  häuften. 


364  ^0  Verteilungstheorie. 

gUabte  man  die  Position  der  Theorie  durch  sie  retten  nnd  sngkidi 
die  letztere  der  Wirklichkeit  annähern  zn  können.  Sie  iet  aleo  Mi 
der  Existenzminimumtheorie  entstanden  und  als  deren  Korrektir  ge- 
meint. Nun,  ihr  l&fit  sich  wenig  Gutes  nachrühmen.  Vor  allem  be- 
ruht sie  auf  einer  Verkennung  des  Umstandee,  daB,  wenn  jeaer  Za- 
sammenhang  zwischen  „Kosten  der  Arbeit^  im  Sinne  von  Elrziehongt- 
oder  Aufziehungskosten  und  dem  Lohne  nicht  besteht,  dieser  ganie 
Gedankengang  fallen  gelassen  werden  muß.  Sodann  zerstört  diese 
^jKorrektur**  die  Grundfesten  der  Theorie,  bricht  ihr  den  Kern  ans, 
indem  sie  gerade  auf  das  Wesentliche  versichtet.  Endlich  sagt  sie 
nur  eine  Banalit&t,  nämlich,  daß  jeder  Arbeiter  im  Preiskampfe  ver- 
suchen wird,  einen  Lohn  zu  erzielen,  der  es  ihm  ermöglicht ,  seine 
bisherige  Lebenshaltung  mindestens  fortzuführen.  Dabei  wird  er  dnrck 
Sitte  und  andere  Beharrungsmomentc  unterstützt,  so  daß  der  bisherige 
Standard  of  life  tatsächlich  meist  aufrechterhalten  und  der  Unter- 
nehmer im  allgemeinen  nicht  fehlgehen  wird,  wenn  er  den  Lohn,  den  er 
zu  zahlen  haben  wird,  mit  der  dem  Standard  entsprechenden  Größe  ia 
seine  Kalkulationen  einstellt.  Allein  von  der  Tiefe  und  der  Bedeutung 
des  ehernen  Lohngesetzes  und  auch  von  dem  praktischen  Interesse 
desselben  hat  die  Theorie  des  Standard  of  life  nichts.  Ja  ihre  Grund- 
lage ist  —  in  der  Tat  ihr  ganzer  Charakter  —  eine  völlig  andere. 
Sie  ist  nur  ein  oberflächlicher  Notbau,  der  den  Stil  des  ganzen  Ge- 
bäudes verdirbt,  eine  Korrektur  gewisser  zu  evident  unzutreffender 
Konsequenzen,  ohne  Reform  der  Fundamente  und  ohne  Rücksicht 
darauf  und  Verständnis  dafür,  daß  der  Unterbau  eine  solche  Alteration 
nicht  verträgt. 

Leider  müssen  wir  es  uns  versagen,  auszuführen,  wie  auch  an- 
dere —  meines  Erachtens  alle  anderen  —  Spezialfragen  von  unserem 
Standpunkte  aus  einer  klaren  und  gründlichen  Lösung  zugeführt 
werden  können ,  die  den  endlosen  Kontroversen  radikal  und  be- 
friedigend ein  Ende  macht.  Die  wichtigste  Frage  in  diesem  Zo- 
sammeubange  wäre,  wie  es  mit  den  Bewegungsgesetzen  des  Lohnet 
in  bezug  auf  die  anderen  Einkommennzweige  steht,  jenen  Gesetzen« 
welche  die  Klassiker  mit  so  großer  Sicherheit  ableiteten  und  welche 
eine  so  große  Rolle  in  der  Diskussion  ökonomischer  Probleme  spielten 
und  noch  spielen,  ohne  daß  jemand  sie  wirklich  zu  halten  oder  gründ- 
lich zu  widerlegen  vermöchte.  Anführungen  von  Tatsachen  für  und 
wider  —  beides  ist  leicht  —  fuhren  ebeuBOwenig  zu  wirklicher  Ein- 
sicht, wie  allgemeine  Argumente.  Nebenbei  gesagt,  zeigt  diese  Dis- 
kussion, daß  auch  der  Historiker  und  der  Praktiker  sich  doch  an  dt« 
Theorie  wenden  oder  wenigstens  theoretisieren  müssen,  wenn  sie  n 
einem  Gesamturteile  kommen  wollen.  Hierher  gehört  z.  B.  die  Fiags 
der  Wirkungen  eines  Streikes,  dann  der  Wirkungen  einer  Lohn* 
erhöhung  auf  andere  Einkommenszweige  und  namentlich  jene,  welche 


Die  Lohndteorie.  955 

EmkxßumeomBwmgt  sieh  gl-eiclizeitig  «nd  welche  sidi  iui'Gegeii* 
imtsesa«iBaBd«r^^0rgrö0eniit]idTenniiitaii.  Einiges  wird  dtrfiber 
AB  «ftaer  aptteieii  Stefie  gesagt  werden,  aber  nur  so  viel,  um  m  zeigen, 
daft  unsere  Theorie  da  wirklieh  etwas  Brauchbares  zu  leisten  vermag. 
Eine  volle  Darstellung  der  Resultate  ist  im  Rahmen  dieser  Arbeit 
nnmiSgüdi. 

Nur  cwei  Spezialfragen  woHen  wir  hier  berübven^  erstens  die 
Frage,  ob  die  Löhne,  wie  man  zu  sagen  pflegt,  „aus  dem  Kapitale 
gezidilt  werden^  oder  nicht.  Die  Antwort  ist  einfach:  Nennt  man 
alle  jene  Oflter  eines  Individuums  „Kapital**,  welche  es  nicht  zu  seiner 
Konsumtion  verwendcft,  so  ist  die  Frage  selbstverstftndlich  zu  bejahen. 
Fragt  man  al>er,  ob  die  GtennfigQter  der  Arbeiter  einfach  als  „Pro- 
InktionsmitM**  zu  betrachten  sind,  wie  etwa  das  <^1  einer  Maschine, 
K)  ist  das  ebenso  selbstverständlich  zu  verneinen. 

Mag  das  ;genfigen,  wir  können  es  nicht  weiter  ausfahren.  Ebenso 
kun  wollen  wir  die  zweite  Frage  beantworten:  Was  ist  von  dem 
„Lohnfonde*  zu  halten?  Nun,  sicherlich  ist  die  Gesamtsumme  der 
Löhne  in  jedem  gegebenen  Augenblicke  ganz  ebenso  durch  unser 
&leichgewichtsÜieorem  «eindeutig  bestimmt,  wie  der  einzelne  Lohnssttz 
und  ebenso,  wie  etwa  die  Gesamtsumme  der  Grundrenten.  Es  gibt 
dso  einen  Lohnfond  ebenso  wie  einen  „Rentenfond**,  und  soweit  ist 
der  Ausdruck  zutreffend  und  brauchbar.  Wenn  persiflierend  — 
übrigens  sehr  geistreich  —  gesagt  wurde,  daß  man  dann  auch  von 
einem  „Kartoffelfond**  sprechen  könnte,  so  ist  darauf  zu  entgegnen, 
daß  es  in  der  Tat  mitunter  zweckmäßig  sein  könne,  die  Gesamtsumme 
der  Produkte:  verkaufte  Mengen  mal  Preis  —  den  „Absatz**  —  fär 
ein  Gut  zu  betrachten  und  daß  daher  der  „Kartoffelfond**  und  umso« 
viel  mehr  die  gleiche  Größe  für  ein  so  wichtiges  Gut  wie  die  Arbeit 
sehr  wohl  eine  Aufgabe  erfülle  und  einem  wissepschaftlichen  Be- 
dfirfnisse  genfige.  Ja  auch  die  Auffassang,  daß  eine  größere  Zahl 
ron  Arbeitern  sich  in  dieselbe  Summe  werde  teilen  müssen,  wie  eine 
l^ringere,  ist  von  der  Wirklichkeit  nicht  so  entfernt,  als  man  glauben 
könnte:  Sicherlich  wächst  diese  Summe  im  statischen  Zustande 
nicht  proportional  zur  Menge  der  angebotenen  Arbeit  Aber  das  ist 
auch,  alles.  Die  übrige  Bedeutung  des  Lohnfonds  im  klassischen 
S^rsteme  fällt  im  modernen  weg,  und  die  Lohnfondstheorie  der  Alteren, 
obgleich  gewiß  nicht  an  sich  durchaus  falsch  und  obgleich  namentlich 
unter  den  Voraussetzungen  der  Statik  —  ein  Moment,  das  bei  ihrer 
Beurteilung  viel  zu  wenig  beachtet  wurde,  dessen  Fruchtbarkeit  sich 
iber  an  dieser  Stelle  wieder  einmal  zeigt  —  in  erheblichem  Maße 
lialtbar,  gehört  ihrem  Wesen  nach  zu  dem  Rüstzeuge,  das  wir  ab- 
biegt haben.  Sie  kann  nicht  mehr  als  integrierender  Bestandteil 
unseres  Systemes  betrachtet,  mithin  auch  nicht  als  Waffe  gegen  dae- 
lelbe  verwendet  werden.     Mögen  wir  uns   ihrer  auch   gelegentlich 


d 


366  ^®  Verteilungstheorie. 

noch  bedienen  und  namentlich  den  Ausdruck  „Lohnfond''  mitunter 
verwenden,  so  ist  es  doch  wichtig,  klar  zu  begreifen,  daB  sie  nicht 
zu  unseren  Grundlagen  gehört  und  sich  eben  eventnell  am  einzelnen 
Falle  bewähren  muß. 

§  4.  Es  erübrigt  nur  noch,  unsere  zweite  Frage  zu  be- 
antworten, die  Frage :  Wie  weit  reicht  das  Gebiet  der  Lohn- 
erscheinung? Das  kann  ganz  kurz  geschehen.  Nicht  jede 
Tätigkeit  ist  „Arbeit",  nicht  jede  Arbeit  eintet  ökonomische 
Entlohnung,  nicht  jede  ökonomische  Entlohnung  ist  „Lohn'', 
d.  h.  jener  Preis,  den  die  Theorie  ableitet.  Gewiß  sind 
manche  theoretische  Sätze  auf  nahezu  jede  Tätigkeit  an- 
wendbar. Jeder  Spaziergang  läßt  sich  in  der  Sprache  der 
Ökonomie  beschreiben:  Man  geht  soweit,  bis  die  Gleichung 
Grenznutzen-Grenzkosten  erfüllt  ist,  d.  h.  bis  Ermüdung  oder 
der  Wert  einer  anderen  Verwendung  von  Kraft  und  Zeit 
dem  Vergnügen  weiteren  Gehens  die  Wage  hält.  Und  das 
läßt  sicli  von  Betätigungen  des  Gemeinsinnes  oder  der  Wohl- 
tätigkeit usw,  ebenfalls  sagen.  Nicht  immer  paßt  diese  Be- 
trachtungsweise: Der  Sportsmann  arbeitet  sein  Pferd  oft 
länger,  als  es  das  unmittelbare  Vergnügen  rechtfertigt,  der 
Politiker  strengt  sich  mehr  an,  als  man  vom  Standpunkte 
unmittelbarer  Befriedigung  erwarten  sollte.  Al^er  soweit 
eine  statische  Betrachtun  jzsweise  überhaupt 
auf  die  Dinge  paßt,  soweit  trifft  auch  jene  Beschreibung 
zu.  In  gewisser  Beziehung  nun  kann  man  dergleichen  in 
die  Lohntheorie  einbeziehen ,  aber  wo  es  sich  um  die  eine 
große  Erscheinung  des  Arbeitslohnes  handelt,  wird  man 
Tätigkeit ,  die  Selbstzweck  ist  oder  außerwirtschaftliche 
Zwecke  verfolgt,  besser  ausscheiden.  Nur  eine  solche  wird 
man  betrachten,  die  Einkommen  im  gewöhnlichen  Sinne 
erntet.  Auch  hier  nun  reicht  die  Lohnerscheinung  der 
Theorie  über  das,  was  im  gewöhnlichen  Leben  Lohn  genannt 
wird,  hinaus,  so  im  Falle  des  selhstarbeitenden  Unternehmers, 
also  vor  allem  des  Bauern,  Handwerkers  usw.  Aber  wie 
weit?  Man  könnte  versucht  sein,  zu  antworten:  soweit 
ArkMtsleistungen  in  Betracht  kommen.  Allein,  bei  jedem 
Erwerbe  kommt  irgendeine  Arl)eit  in  Betracht.    Der  „Kapi- 


Die  Lohntheorie.  367 

talist"  hat  nicht  etwa  nur  Kupons  abzuschneiden,  sondern  auch 
seine  Anlagen  zu  wählen,  der  Grundherr  im  ökonomischen 
Sinne  seine  Pächter  zu  überwachen  usw.,  ohne  daß  diese 
„Arbeit"  besonders  entlohnt  würde.  Aber  viel  wichtiger  ist 
die  Tätigkeit  des  Unternehmers  und  zwar  jene,  welche  nicht 
dem  „Unternehmer! ohne"  entspricht,  sondern  dem  Unter- 
nehmergewinne im  engeren  Sinne.  Diese  wird  gewiß 
„entlohnt",  sogar  oft  sehr  hoch,  aber  nicht  durch  einen 
„Lohn",  der  dem  des  Arbeiters  analog  wäre.  Hier  also 
wird  eine  Tätigkeit  wohl  ökonomisch  vergolten,  jedoch  paßt 
das  Lohnschema  nicht  auf  dieses  Entgelt;  vielmehr  würde 
seine  Anwendung  das  Bild  der  Wirklichkeit  verfälschen :  Es 
findet,  wie  wir  später  noch  ausführen  werden,  kein  Angebot 
und  keine  Nachfrage  solcher  Leistungen  auf  dem  Markte 
statt,  wie  bei  anderer  Arbeit  —  sie  werden  nicht  separat 
ge-  und  verkauft.  Endlich  gibt  es  Einkommen,  wie  z.  B. 
Zivillisten,  denen  gewiß  eine  Tätigkeit  entspricht,  ohne  daß 
der  ökonomische  Begriff  des  Lohnes  adäquat  wäre.  Andere 
Betrachtungsweisen,  z.  B.  mittels  des  Momentes  der  Steuer, 
passen  besser. 

Danach  ergibt  sich  die  Antwort  auf  unsere  Frage  ganz 
von  selbst:  Die  Lohnerscheinung  reicht  soweit,  als  man 
mit  dem  Schema  Angebot  und  Nachfrage,  Kauf  und  Verkauf, 
einen  guten,  ungekünstelten  Sinn  verbinden  kann.  Damit 
ist  das  Gebiet  der  Lohntheorie  abgesteckt;  Versuche,  darüber 
hinauszugehen,  empfehlen  sich  nicht 


[IL  Kapitel 
Die  TlK6fic  4er  Gnmdrciitc« 


f  L  Ebenso  eiBfaidi  wie  beim  Lohne  «rget)eii  eioh  Se 
GmndUgem  der  ßenftentheorie  «ns  unserem  Systeme.  KaMi 
ist  es  ndtig,  dieselben  des  Näheren  darsnlegen.  In  misereii 
Systeme  hat  jedes  Grundstück  seinen  eindeutig  bestinmtett 
Wert  «nd  Preis,  der  sich  in  ganz  derselben  Weise  erklärt 
und  ganz  denselben  formalen  Gesetzen  unterliegt  wie  Wert 
und  Preis  jedes  anderen  Gutes. 

Er  steht  in  demselben  Verhältnisse  von  Wirkung  rad 
Wechselwirkung  zu  allen  anderen  Preisen  in  der  Volks- 
wirtschaft und  Oberhaupt  zu  allen  Bedingungen  derselbeB, 
¥rie  Zahl,  Arbeitskraft  und  Bedürfnisrichtung  der  Bevölkemng, 
Organisation  des  sozialen  Verbandes,  Stand  der  Technft, 
Gröfie  und  Art  des  vorhandenen  Gütervorrates  usw.:  AUei 
das  drückt  sich  im  Werte  und  Preise  jedes  Grundstftekai 
aus.  In  allen  diesen  Punkten  unterscheidet  sich  Grund  und 
Boden  nicht  im  geringsten  von  anderen  Elementen  unser» 
Systenies  und  für  die  Grundlagen  der  exakten  Ökonomie 
brauchen  wir  uns  um  seine  besonderen  Eigenschaften  ob 
Prinzipe  ebensowenig  zu  kümmern  wie  um  die  technisdieB 
Besonderheiten  etwa  einer  Maschine.  Ebenso  wie  wir  fii 
Preisbildung  des  Zuckers  in  der  Theorie  nicht  von  der  dei 
Weizens,  werden  wir  auch  die  Preisbildung  des  Grundes  uid 
Bodens  nicht  von  der  der  Arbeit  unterscheiden.  Wir  sprechet 
ja  überhaupt  in  der  Theorie  nur  von  Gütern  im  allgemeinei 
und  wo  wir  besondere  Güterarten  nennen,  geschieht  das 


Die  Theorie  der  Grandrente.  369 

nur  zum  Zwecke  der  Belebung  der  Darstellung  und  hat  mit 
dem  Wesen  unseres  Vorgehens  nichts  zu  tun.  Unser  Schema 
ist  abstrakt  und  allgemeingtiltig  auch  in  diesem  Sinne,  und 
nur  zum  Zwecke  der  Behandlung  spezieller  »Fragen  ftihren 
wir  mitunter  Umstände  ein,  welche  nur  der  einen  oder 
der  anderen  Ware  eigentümlich  sind.  Diese  Regel  gilt 
auch  hier. 

Unvoreingenommener  Beurteilung  muß,  glaube  ich,  diese 
Auffassung  ungezwungen,  ja  selbstverständlich  erscheinen. 
Was  ist  natürlicher  als  zu  sagen,  daß  für  Grund  und  Boden 
ein  Preis  gezahlt  wird,  weil  er  nützlich  ist,  weil  man  ihn 
braucht?  Und  doch  hat  man  die  Rentenerscheinung  fast 
stets  anders  erklärt,  und  auch  heute  noch  muß  man  die 
Rententheorie  Ricardos  als  herrschend  bezeichnen.  In  der 
Tat,  es  klingt  geradezu  paradox,  zu  sagen,  daß  Grundrente 
im  Wesen  dasselbe  sei  wie  Arbeitslohn.  Viel  eher  könnte 
man  offenbar  von  einem  Gegensatze  sprechen.  Der  Grund- 
herr und  der  Arbeiter,  das  sind,  wie  gesagt,  so  verschiedene 
soziale  Typen,  daß  man  unwillkürlich  nach  Verschieden- 
heiten in  der  wirtschaftlichen  Grundlage  ihrer  Existenz 
sucht.  Ihre  Interessen  sind  öfter  entgegengesetzte  als  über- 
einstimmende, mag  dieser  Gegensatz  auch  oft  und  vielleicht 
meist  übertrieben  worden  sein.  Man  könnte  uns  beschuldigen, 
das  Bild  der  Wirklichkeit  zu  trüben,  wenn  wir  all  das  un- 
berücksichtigt lassen  wollen.  Allein  bei  näherem  Zusehen 
verschwindet  das  Paradoxe  an  der  Sache.  Vergegenwärtige 
man  sich  das,  was  wir  über  die  Natur  unseres  exakten 
Systemes  bereits  gesagt  haben.  Es  liegt  uns  natürlich  ferne, 
jene  Gegensätze  leugnen  zu  wollen.  Der  Umstand,  daß  wir 
eine  und  dieselbe  Erklärung  für  das  Einkommen  des  Grund- 
herren wie  für  das  des  Arbeiters  heranziehen,  bedeutet  nicht, 
daß  beide  vom  sozialpolitischen  oder  von  irgendeinem  anderen 

■  ff 

Standpunkte,  als  dem  der  theoretischen  Ökonomie,  gleich 
zu  beurteilen  seien,  sondern  nur,  daß  eine  kleine  Gruppe 
von  formalen  Gesetzen  sowohl  für  das  eine  als  für  das 
andere  gilt. 

Der   Arbeiter    wird    ja   auch    nicht   zum   Kapitalisten^ 

Sohninpeter,  Nationalökonomie.  ^"L^ 


870  ^'^  Verteiluugatheorie. 

wenn  jemand  die  Arbeit  als  Kapitalgut  bezeichoet,  und  nor 
bei  mangelDdem  Verstflndnisse  oder  Übelwollen  kann  man 
in  einer  solchen  methodologiBchen  Maßregel  etwas  Anstößiges 
erblicken.  Doch  glaube  ich  über  die  nach  dieser  Ricbtting 
hin  liegenden  Bedenken  bereits  genug  gesagt  zu  haben  and 
mOchte  daher  nicht  näher  auf  diese  Dinge  eingehen.  Es  sei 
genug,  zu  wiederholen,  daß  sozialpolitische  und  soziologische 
Erwägungen  keine  Rolle  spielen  können,  wo  es  sich  um  die 
Zwecke  der  reinen  Preistheorie  handelt.  Sie  wären  nur 
hinderlich,  und  eine  Rücksichtnahme  darauf  ist  unvereiobar 
mit  gesunder  Arbeitsteilung. 

Doch  auch  rein  theoretisch  betrachtet,  begegnet  unsere 
Auffassung  einigen  Schwierigkeiten.  Ee  ist  ja  bekanntlich 
fiblicb,  eine  ganze  Reihe  von  Merkmalen  anzufahren,  die 
Grund  und  Boden  vor  anderen  GOtem  auszeichnen.  Be- 
sonders in  der  englischen  Literatur  nimmt  diese  Diskussioo 
einen  ziemlich  breiten  Raum  ein.  Wir  hatten  schon  Ge- 
legenheit, auszufuhren,  daß  wir  diesem  Thema  kein  be- 
sonderes Interesse  abzugewinnen  vermögen.  Wir  sagten, 
daß  aprioristische  Erörterungen  Über  solche  Dinge  zu  nichts 
fuhren,  daß  vielmehr  der  jeweilige  Zweck,  den  man  im 
Auge  hat,  allein  entscheidet.  Ein  Beispiel  ist  die  Unvermehr- 
barkeit  des  Bodens:  Es  wurde  von  uns  einerseits  ausgefOhrt, 
daß  kein  Gut  absolut  veniiehrbiir,  vielmehr  in  jedem  ge- 
gebenen Augenblicke  jedes  eigentlich  unvermehrbar  ist  Und 
andererseits  ist  die  Quantität  des  Bodens  nicht  ganz  äi 
gegeben.  Abgesehen  davon,  daß  der  wirtschaftlich  ver- 
wertete Boden  durch  Xeukulturen  immer  noch  vermehrt  und 
durch  Aufgabe  der  Kultivierung  vermindert  werden  kanD. 
so  verändert  sich  die  einer  bestimmten  Verwendung  ge- 
widmete Bodenmenge  dadurch,  daß  man  bisher  andern 
Zwecken  dienenden  Boden  ihr  zufuhren  oder  umgekehrt,  die 
ihr  zur  Verfügung  stehende  Menge  solchen  andern  Zwecken 
zuweisen  kann.  Und  so  steht  es  auch  mit  den  andern 
unterschieden,  welche  Üblicherweise  betont  zu  werden  pflegn- 
Das  widerspricht  nicht  der  Behauptung,  daß  für  gewisse 
Zwecke  solche  Umstände  mit  Nutzen  in  Betracht 


Die  Theorie  der  Grundrente.  371 

werden  können.  So  kann  man  bei  der  Erörterung  der 
Frage,  wie  eine  Änderung  im  Preise  eines  Produktes  auf 
die  Preise  der  beteiligten  Produktionsfaktoren  wirke,  sicher- 
lich auf  den  Umstand  Rücksicht  nehmen,  daß  im  allgemeinen 
das  Angebot  von  Grund  und  Boden  weniger  elastisch  ist, 
als  das  von  Kapital  und  Arbeit  Aber  das  spielt  keine 
Rolle  bei  den  Grundfragen  und  es  empfiehlt  sich,  dieselben 
zunächst  so  einfach  und  einheitlich  als  möglich  darzulegen. 
Dadurch  erreicht  man,  daß  sich  die  einzelnen  Theoreme  und 
ihre  verschiedenen  Voraussetzungen  plastisch  von  einander 
abheben. 

Im  Zusammenhange  mit  dem  eben  erwähnten  Momente 
steht  die  Auffassung  von  der  Monopolähnlichkeit  des  Ein- 
kommens aus  Grund  und  Boden.  Die  behauptete  Unvermehr- 
barkeit  schließt  aber  Konkurrenz  unter  den  Grundeigen- 
tfimem  keineswegs  aus,  und  es  wurde  mit  Recht  hervor- 
gehoben, daß  von  einem  Monopole  nur  dort  die  Rede  sein 
könne,  wo  ein  Wirtschaftssubjekt  das  Angebot  eines  Gutes 
vollständig  beherrscht.  Das  ist  aber  hier  offenbar  nicht  der 
Fall.  Man  könnte  mit  demselben  Rechte  auch  von  einem 
Kapitalmonopol  der  Kapitalisten  und  einem  Arbeitsmonopol 
der  Arbeiter  sprechen.  Für  manche  Zwecke  mag  eine  solche 
Betrachtungsweise  ihre  Vorteile  haben  und  gewisse  Theoreme 
lassen  sich  vermittels  derselben  demonstrieren.  Aber  eine 
allgemeine  Wahrheit  liegt  darin  nicht,  vielmehr  kann  man 
sie  eher  als  eine  Fiktion,  die  sich  mitunter  bewährt,  be- 
zeichnen. Im  allgemeinen  ist  es  besser,  den  Bodenpreis  mit 
Hilfe  der  Hypothese  der  freien  Konkurrenz  abzuleiten. 

Es  könnte  scheinen,  daß  wir  auch  in  diesem  Falle  nicht 
von  einem  einheitlichen  Preise  des  Bodens  sprechen  können. 
Denn  jedes  Grundstück  hat  seine  besonderen  Eigenschaften 
und  unterscheidet  sich  gewiß  von  jedem  anderen,  es  ist  so- 
zusagen immer  einzig  in  seiner  Art.  Lage  und  Boden- 
beschaffenheit sind  im  Großen  und  Ganzen  fest  gegeben, 
und  so  könnte  man  wenigstens  häufig  in  einem  anderen  als 
dem  eben  erwähnten  Sinne  sagen,  daß  jeder  Grundeigentümer 
in    Bezug    auf    sein    Grundstück    eine   Art   Monopolisten- 

A 


372  ^10  Verteilungstheorie. 

Stellung  habe.  Während  also  die  meisten  Theoretiker  keinen 
Anstand  nehmen,  von  einem  einheitlichen  Lohnsatze  and 
einer  einheitlichen  Zinsrate  zu  sprechen,  so  ist  es  durchaus 
nicht  üblich  und  klingt  es  ganz  fremdartig,  eine  einheit- 
liche Rate  der  Rente,  einen  einheitlichen  Grundrentensatz 
anzunehmen.  Man  ist  vielmehr  gewohnt,  in  der  Grundrente 
ein  sogenanntes  „Differenzialeinkommen*"  zu  sehen,  also 
gerade  einen  Gegensatz  zu  den  durch  die  freie  Konkurrenz 
bestimmten  einheitlichen  Raten  von  Lohn  und  Zins.  Und 
dennoch  deutet  unsere  Ableitung  der  Grundrente  als  eines 
Preises  auf  etwas  derartiges  hin.  Können  wir  daher  die 
letztere  Betrachtungsweise  anwenden,  so  ist  damit  viel  für 
die  Einheitlichkeit  unseres  Systemes  gewonnen  und  es  mOssen 
sich  von  diesem  Standpunkte  interessante  Ergebnisse  ft^r  die 
Bewegungsgesetze  der  Grundrente  ergeben. 

Glücklicherweise  ist  das  ohne  weiteres  möglich  mit 
Hilfe  eines  einfachen  Kunstgriffes.  Statt  von  Grund  und 
Boden  an  sich,  müssen  wir  einfach  von  Bodenleistungen 
sprechen.  Darin  liegt  durchaus  nichts  Gezwungenes  oder 
Anstößiges.  Auch  bei  der  Arbeit  betrachten  wir  nicht  die 
Arbeitskraft,  sondern  die  Arbeitsleistung,  nicht  den 
Wert  der  ersteren  als  solcher,  sondern  den  Wert  irgend 
einer  Einlieit  der  letzteren.  Auch  der  Ausdruck  „Kapital- 
nutzungen'' ist  durchaus  üblich.  Und  die  Einheitlichkeit 
des  Lohnsatzes  und  des  Kapitalzinses  wird  nicht  von  der 
gesamten  Arbeitskraft  und  von  Kapitalgütern  als  solchen, 
sondern  nur  von  Einheiten  von  Arbeitsleistungen  und  Kapitals- 
nutzungen gleicher  Art  behauptet.  Die  Sache  verhält  sich 
also  bei  Grund  und  Boden  nicht  im  Geringsten  anders  als 
bei  andern  Produktionsfaktoren:  weder  bei  Boden  noch  bei 
Arbeit  und  Kapital  gibt  es  ^inen  Einheitspreis,  wenn  man 
die  Güter  als  solche  im  Auge  hat,  wohl  aber  gibt  es  einen 
solchen,  und  zwar  nicht  weniger  für  den  ersteren  wie  für 
die  letzteren,  wenn  man  sich  an  die  Einheit  der  Leistung  hält 

Jedes  Grundstück  also  enthält  eine  bestimmte  Art  und 
Anzahl  von  möglichen  Leistungen  ganz  ebenso,  wie  ein 
Arbeiter  entsprechend  seiner  Anlage  und  Ausbildung  eine 


Die  Theorie  der  Grandrente.  378 

gewisse  Art  und  Anzahl  von  Arbeitsleistungen  auf  den  Markt 
zu  bringen  vermag.  Für  diese  Bodenleistungen  besteht  dann 
ein  einheitlicher  Preis,  ganz  so  wie  für  jedes  andere  Gut, 
und  die  Preistheorie,  namentlich  auch  die  Hypothese  der 
freien  Konkurrenz,  paßt  darauf  ganz  so  und  mit  denselben 
Einschrllnkungen  wie  auf  jeden  anderen  Preis.  Das  der 
eine  Grundeigentümer  ein  größeres  Einkommen  hat  als  ein 
anderer,  bildet  von  diesem  Stundpunkte  überhaupt  kein 
Problem  mehr.  Es  ist  nicht  mehr  verwunderlich,  als  daß 
der  Besitzer  einer  wirksameren  Maschine  oder  höherer 
Arbeitskraft  ein  größeres  Einkommen  erzielt  als  der  einer 
weniger  brauchbaren  Maschine  oder  geringeren  Arbeitskraft: 
Er  besitzt  eben  mehr  oder  wertvollere  Bodenleistungen,  ein 
wertvolleres  Gut,  als  der  andere  und  ist  in  genau  derselben 
Lage  wie  ein  Grundbesitzer,  der  zwar  ein  größeres,  aber 
weniger  fruchtbares  Grundstück  besitzt.  Daß  jemand,  der 
ein  fruchtbareres  Feld  hat,  mehr  Rente  bezieht,  als  der  Be- 
sitzer eines  weniger  fruchtbaren,  ist  nicht  befremdender,  als 
daß  der  Besitzer  eines  größeren  bei  gleicher  Fruchtbarkeit 
mehr  Rente  erhält  als  der  eines  kleineren.  Eines  besonderen 
Prinzipes  zur  Erklärung  dieser  Dinge  bedürfen  wir  nicht, 
vielmehr  ist  die  Sache  ganz  klar,  so  daß  nichts  zu  fragen 
übrig  bleibt.  Unser  System  gibt  uns  also  ganz  von  selbst 
eine  vollkommen  befriedigende  Rententheorie. 

Es  stünde  uns  dabei  ganz  frei,  ob  wir  uns  darauf  be- 
schränken wollen,  nur  eine  bestimmte  Art  von  Boden- 
leistungen anzunehmen,  so  daß  sich  ein  einheitlicher  Renten- 
satz ergäbe,  oder  verschiedene  Arten  derselben  und  für  jede 
je<le  von  ihnen  einen  besonderen  Rentensatz  zu  konstruieren. 
Das  letztere  mag  besser  auf  die  Wirklichkeit  passen ,  aber 
im  Prinzipe  hindert  uns  nichts,  als  einzigen  Unterschied 
zwischen  Grundstücken  die  verschiedene  Zahl  der  in  ihnen 
enthaltenen  Leistungseinheiten  zu  betrachten.  Auch  beim 
Vergleiche  von  Böden,  welche  nicht  zu  denselben  Produk- 
tionen dienen  können,  gienge  das  ganz  gut.  Denn  wenn  es 
auch  scheint,  daß  man  die  Einheiten  verschiedener  Arten 
von  Leistungen  nicht  miteinander  vergleichen  könne  —  wenn 


374  ^^  Verteilnngstheorie. 

es  auch  scheint,  daß  man  in  unserem  Schema  zwar  z.  B.  yer- 
schieden  ergiebige  Arten  von  Weizenboden,  aber  nicht  Weizen- 
boden  und  Weidegrund  vergleichen  könne  —  so  sieht  man 
doch  leicht,  daß  wir  die  Leistungseinheit  so  einrichten 
können,  daß  sie  auf  jede  Art  von  Boden  pafit  Unter 
anderem  wäre  auch  eine  Werteinheit  dazu  geeignet.  W&hrend 
bei  den  verschiedenen  Arten  von  Arbeit  die  Wertrechnung 
mit  Rücksicht  auf  die  erwähnten  Umstände  nicht  ganz  be- 
friedigende Dienste  tut,  wfirde  sich  beim  Boden  das  Gegen- 
teil ergeben:  Seine  Verwendung  wird,  wenn  nicht  aus- 
schließlich, so  doch  im  Prinzipe  von  wirtschaftlichen  Rück- 
sichten bestimmt.  Von  der  Werteinheit  des  Bodens  für 
jedes  Wirtschaftssubjekt  kann  man  also  sagen,  dafi  sie  einen 
einheitlichen  Preis  erzielt.  Diese  Rechnung  nach  Wert- 
einheiten läßt  sich  auch  auf  Böden  verschiedener  Lage  an- 
wenden und  ferner  sowohl  auf  landwirtschaftlich  wie  auf 
zu  Gebäuden  verwendete.  Wollte  man  allerdings,  z.  B. 
auf  Grund  der  chemischen  Bestandteile  eine  Leistungseinheit 
des  Bodens  konstruieren,  so  müßte  für  städtischen  Boden 
eine  andere  angenommen  und  auch  die  Lage  als  selbständiges 
Moment  berücksichtigt  werden.  Es  würde  zu  weit  führen, 
das  näher  dazulegen,  aber  ich  glaube,  daß  jeder  Kenner  der 
Theorie  sieht,  daß  hier  keine  prinzipielle  Schwierigkeit  liegt. 

§  2.  Wir  haben  vor  allem  den  Wert  von  Bodenleistungen 
abgeleitet,  und  das  ist  in  der  Tat  dasjenige,  was  für  die 
statische  Theorie  vor  allem  —  und  eigentlich  allein  — in 
Betracht  kommt.  Große  Besitzveränderungen  können  ja  in 
dem  statischen  Zustande  der  Volkswirtschaft  nicht  vorkommen 
und  alles,  was  an  ihnen  wirklieh  interessant  ist,  gravitiert 
nach  dem  großen  Probleme  der  Entwicklung.  Da  außerdem 
für  das  Verteilungsproblem  der  Preis  der  Bodenleistungen 
und  nicht  der  des  Bodens  selbst  wichtig  ist,  so  könnten  wir 
vom  Werte  und  Preise  des  letzteren  ganz  gut  absehen.  Wir 
würden  dann  nicht  anders  verfahren,  als  es  die  Wirklichkeit 
oft  tut:  Für  die  größte  Epoche  der  deutschen  Wirtschafts- 
geschichte z.  B.  kam  der  Preis  des  Bodens  nicht  in  Be- 


Die  Theorie  der  Grundrente.  375 

tracht,  und  es  gab  kaum  einen  Anlaß,  sich  seines  Wertes 
bewußt  zu  werden.  Die  wirtschaftliche  Entwicklung  und 
außerökonomische  Momente  beeinflussen  den  Wert  des  Bodens 
an  sich  viel  mehr,  als  den  der  einzelnen  Bodenleistung 
und  bewirken,  daß  der  erstere  eine  weitgehende  Unabhängig- 
keit gegenüber  dem  letzteren  zeigt. 

Nicht  mit  großer  Sicherheit  und  namentlich  nicht  mit 
viel  Selbstbewußtsein  gebe  ich  also  die  Antwort  der  Theorie 
auf  die  Frage  nach  dem  Boden  werte.  Sie  selbst  ist  freilich 
einfach  genug:  Der  Wert  eines  Grundstückes  fOr  jemand 
ist  gleich  der  Summe  der  Werte  jener  Bodenleistungen  für 
ihn,  welche  er  seiner  Anlage  und  seinen  Verhältnissen  ent- 
sprechend in  den  Kreis  seiner  Betrachtungen  zieht.  Dabei 
ist  außerdem  zu  berücksichtigen,  daß  die  Werte  der  letzteren 
um  so  geringer  sind,  je  weiter  in  der  Zukunft  unter  sonst 
gleichen  Umständen  ihre  Realisieruugsmöglichkeit  liegt. 
Ohne  Bedeutung  ist  diese  Antwort  sicherlich  nicht;  vielmehr 
glauben  wir,  in  ihr  einen  wesentlichen  Fortschritt  der 
neueren  Ökonomie  sehen  zu  müssen.  Allein  so  einfach,  wie 
manche  Theoretiker  sie  darstellen,  ist  die  Sache  nicht; 
namentlich  involviert  unsere  Formel  eine  kühnere  Abstrak- 
tion —  steht  sie  weiter  von  der  Wirklichkeit  — ,  als  man 
meinen  sollte.  Die  Länge  der  Zeitperiode,  auf  die  sie  sich 
bezieht,  bringt  es  mit  sich,  daß  sie  lange  nicht  so  gut  auf 
die  Tatsachen  paßt,  wie  die  Theorie  des  Preises  der  Boden- 
leistungen. Auch  die  Geringschätzung  künftiger  Nutzungen, 
welche  eine  Beziehung  zum  Zinsprobleme  hat,  ist  ein 
Problem,  dessen  Schwierigkeit  wie  dessen  dynamischen 
Charakter  wir  sehen  werden,  wenn  wir  zum  Zinse  kommen. 
Übrigens  ist  sie  nicht  einfach  durch  die  Zinsrate  zu  messen, 
wenn  auch  zwischen  ihr  und  der  letzteren  eine  interessante 
Wechselwirkung  besteht.  Im  ganzen  kann  man  sagen,  daß 
man  hier  noch  viel  mehr  —  und  anderes  —  Tatsachen- 
material wird  heranziehen  müssen,  ehe  die  Sache  befriedigend 
erfaßt  ist,  und  der  Leser  sieht  an  dieser  Stelle,  wie  mit- 
unter und  selbst  oft,  wenn  auch  freilich  nicht  immer ^ 
eine  korrekte  Handhabung  der  Theorie  uns  ganz  erstaunlich 


376  ^^®  VerteiluDgstbeorie. 

Dahe  an  die  GedaDkenk reise  der  Historiker  heranbriogt 
Und  das  wfirde  sich  noch  deutlicher  zeigen,  wenn  wir  etwas 
ausführlicher  sein  könnten. 

Aus  diesen  beiden  Resultaten  bezüglich  der  Werte  und 
Preise  erstens  von  Bodenleistungen  und  zweitens  von  Grand 
und  Boden  selbst  besteht  denn  unsere  Renten theorie.  Nun 
haben  wir  dieselben  zu  verifizieren.  Diese  Aufgabe  bezüglich 
des  zweiten  ist  keineswegs  leicht,  man  sieht  sogar  ohne 
weiteres,  daß  das  Ergebnis  kompliziert  und  nur  zum  Teile 
befriedigend  sein  würde.  Allein  wir  wollen  uns  damit  nicbt 
weiter  beschäftigen,  da  das  Thema  ja  eigentlich  nicht  in  die 
Statik  gehört.  Um  so  leichter  ist  die  Verifikation  unserer 
Theorie  des  Wertes  und  Preises  der  Bodenleistungen. 

Erklärt  sie  diesen  Wert  und  Preis?  Ja,  ausreichend, 
im  großen  und  ganzen.  Zwar  gibt  es  Schwierigkeiten  genug. 
Es  ist  klar,  daß  die  Verwendung  des  Bodens  nicht  aus- 
schließlich nach  reinwirtschaftlichen  und  noch  weniger  nach 
statischen  Regeln  erfolgt,  daß  also  die  Wert  Skala  keineswegs 
die  Preisskala  derselben  erschöpfend  wiedergibt.  Niclit 
jeder  gibt  sein  Zinshaus  zu  einem  Restaurant  oder  zu 
sonstigen  geschäftlichen  Zwecken  her,  auch  wenn  das  vor- 
teilhaft wäre ;  nicht  jeder  verwendet  sein  Gut  zu  wirtschaft- 
lichen Zwecken  im  engeren  Sinne.  Viele  Leute  bewohnen 
ihr  Faniilienhaus  auch  in  einem  Zentrum  der  geschäftlichen 
Tätigkeit,  obgleich  der  Grund,  auf  dem  es  steht,  vorteilhafter 
für  ein  vielstöckiges  Zinshaus  verwendet  würde.  Andere 
legen  einen  Wildpark  dort  an,  wo  der  Grundwert  mit  Rück- 
sicht auf  intensive  Gartenwirtschaft  fixiert  ist.  Und  solcher 
Fälle  gibt  es  viele.  Wirklich  trüben  sie  das  Bild,  das  unsere 
Theorie  entwirft,  lähmen  sie  unser  Gesetz  vom  einheitlichen 
^Rentensätze".  Aber  doch  nur  zum  Teile;  die  große  Masse 
der  Bodenloistungen  fügt  sich  unserem  Schema  ein.  Man  darf 
auch  jene  Ausnahmen  nicht  überschätzen:  Stets  wird  man 
das  Verschwinden  von  Faniilienhäusern  in  zentralen  Stadt- 
teilen in  weitem  Maße  beobachten  —  wenn  auch  dafür  neben 
den  wirtschaftlichen  noch  andere  Momente  wirksam  sind  — 
(     und  Wildparke  finden  wir  meist  doch  nur  dort,  wo  eine 


\ 


Die  Theorie  der  Grundrente.  377 

andere  Verwendungsart  des  Bodens  sich  nicht  oder  nur 
unerheblich  rentiert.  Fälle  anderer  Art  sind  eben  Aus- 
nahmen. Immerhin  mu6  zugegeben  werden,  daß  sie  eine 
größere  Rolle  spielen  als  bei  anderen  Gütern;  daß  sie  unsere 
Theorie  aber  wertlos  machen,  wird  kaum  jemand  behaupten. 

Auch  wirtschaftliche  Momente  gibt  es,  welche  das 
Schema  unserer  Theorie  nicht  erfaßt  Oft  kommt  es  vor, 
daß  aus  volkswirtschaftspolitischen  Gründen  verschiedener 
Art  an  gewissen  Kulturen  festgehalten  wird,  obgleich  an- 
dere sich  zunächst  und  reinwirtschaftlich  mehr 
empfehlen  würden  und  durchaus  innerhalb  des  Gesichts- 
kreises der  betreffenden  Wirte  liegen.  Man  mag  einer 
nationalen  Industrie  zu  Liebe  oder  aus  anderen  nationalen 
Gründen  den  Anbau  irgendeiner  Frucht  fördern,  welche 
nicht  jenen  Ertrag  in  Geld  gibt,  der  sonst  erreichbar  wäre 
usw.  Alle  diese  Dinge  stören  unsere  Wert-  und  Preis- 
rechnung und  sind  von  ihr  aus  unerfaßbar.  Auch  sind  sie 
häufig  und  von  besonderem  Interesse.  Aber  doch  wird 
man  zugeben,  daß  unsere  Theorie  die  meisten  Tatsachen 
deckt,  ferner  auch  eine  ganze  Menge  starker  Tendenzen 
erklärt  und  sozusagen  einen  Standard  gibt,  mit  dem  jeder 
tatsächliche  Zustand  verglichen  wird,  dessen  Geltung  man 
als  das  Normale  ansieht  und  dessen  Versagen  eine  Er- 
scheinung bildet,  die  unser  Staunen  erregt  und  sofort  nach 
spezieller  Erklärung  verlangt. 

Aber  ist  dieser  Preis  der  Bodenleistungen  die  Grund- 
rente, stellt  er  das  Einkommen  des  Grundeigentümers  in 
seiner  Eigenschaft  als  solchen  dar?  Auch  diese  Frage  ist 
ähnlich  zu  beantworten.  Auch  hier  gibt  es  Schwierigkeiten, 
welche  unser  Bild  desavouieren,  ihm  einen  Teil  seines  Wertes 
nehmen,  aber  im  großen  und  ganzen  auch  eben  nicht  mehr 
tun,  es  nicht  völlig  bedeutungslos  machen.  Vor  allem  ist 
es  schwierig,  dieses  Einkommen  zu  isolieren.  Nicht  nur, 
weil  es  sehr  selten  allein  auftritt,  sondern  auch  weil  es  von 
jenen  Elementen,  mit  denen  verbunden  es  sich  zeigt,  be- 
einflußt wird.  Man  kann  z.  B.  den  Pachtzins  nicht  einfach 
als  Grundrente  auffassen;   noch   andere  Elemente   sind   in 


378  ^®  Verteilangstheorie. 

ihm  enthalten,  Mietzins  für  fundus  instructus  usw.    Dann 
aber   wird    das   Einkommen ,  '  das   ein   Grundstock   liefert, 
wesentlich  davon  abhängen,  was  man  damit  tatsllchlich 
anfängt,  und  so  wird  eine  spezielle  Wechselwirkung  z.  B. 
zwischen  Grundrente  und  Kapitalzins  bestehen,  die  von  der 
allgemeinen  Wechselwirkung,  die  unser  System  wiederspi^lt, 
zu  unterscheiden  ist.   In  solchen  Fällen  kann  es  Yorkommeo, 
daß  die  Grundrente  nur  mittelst  eines  mehr  oder  weniger 
gekünstelten  Vorganges   aus   dem  Gesamteinkommen,  das 
jemand   aus   einer  wirtschaftlichen  Unternehmung  bezieht, 
losgelöst  werden  kann.   Dabei  kann  es  geschehen,  daß  Ober- 
haupt nichts  übrig  bleibt,  was  als  Grundrente  bezeichnet 
werden  könnte  —  in  der  Wirtschaft  des  Bauern  kommt  das 
oft  vor  — ,  während  ein  Verkauf  der  Leistungen  des  be- 
treffenden   Grundstückes    dennoch    zu    einem    Einkommen 
führen   würde.    In  solchen  Fällen  führt  unsere  Grundrente 
ein  lediglich  ideelles  Dasein.    Endlich  muß  man  sorgfältig 
darauf  bedacht  sein,  keinen  Teil  derselben  zu  übersehen: 
Sie    kann    oft    mehreren    verschiedenen   Personen    zufallen, 
nicht   bloß  dem  Landeigentümer  allein.     Ein  solcher  Fall 
ist  der  der  Erbpacht,  namentlich  wenn  nur  ein  Rekognitions- 
zins  gezahlt  wird;  da  fällt  ein  Teil  der  Grundrente,  viel- 
leicht der  größte  Teil,  nicht  dem  Grundherren,  sondern  dem 
Pächter,  dem   „Arbeiter"   oder  „Kapitalisten**,  zu,  und  es 
wäre  ersichtlich  verfehlt,  hier  im  Pachtzinse  die  Grundrente 
suchen  zu  wollen  ^ 

So  ernst  alle  die  Bedenken  sind,  die  sich  aus  diesen 
und  anderen  ähnlichen  Momenten  gegen  unsere  Betrachtungs- 
weise ergeben,  so  klar  wird  doch  jedem,  der  für  Theorie 
überhaupt  Geschmack  und  Verständnis  hat,  gerade  bei  der 
Aufzählung  derselben,  daß  unser  abstraktes  Bild  den  Unter- 
ton für  alle  diese  Erscheinungen  abgibt,  daß  dieselben  ge- 
rade   deshalb   als  Probleme   erscheinen,  weil    sie    von   der 


'  Wichtijr  ist  bei  Beurteilung  solcher  Fälle  zwischen  wirtschntlt- 
licher  Be)icrrschung  und  juristischem  Eigentume  zu  scheiden:  Die«« 
Unterscheidung  räumt  manche  Schwierigkeit  hinweg. 


Die  Theorie  der  Grondreiite.  379 

durch  dieses  Bild  skizzierten  Regel  abweichen,  und  daß 
das  Prinzip  und  die  Mehrzahl  der  Erscheinungen  des  Ein- 
kommens aus  Grund  und  Boden  durch  dasselbe  zutreffend 
erfaßt  werden. 

§  3.  Aus  unserem  Systeme  ergibt  sich  also  eine  ein- 
fache, klare  und  —  trotz  allem  —  im  Wesen  zutreffende 
Theorie  der  Grundrente,  geeignet  die  der  älteren  National- 
ökonomie zu  ersetzen  und  einen  großen  Vorzug  des  ersteren 
bildend.  Aus  zwei  Gründen  stellt  diese  Theorie  einen  großen 
Fortschritt  gegenüber  der  der  Klassiker  dar,  erstens  deshalb, 
weil  sie  keines  neuen  Prinzipes  bedarf,  mithin  die  Erklärung, 
dieZurückführungvon  „Unbekanntem"  auf  „Be- 
kanntes'', die  sie  bietet,  vollständiger  ist  als  die  der 
letzteren  und  zweitens  weil  das  Bild,  daß  sie  konstruiert, 
auch  an  sich  befriedigender  ist  als  das  klassische:  Sie  ist 
also  ein  Fortschritt  an  sich  und  ermöglicht  eine  Kor- 
rektur der  klassischen  Betrachtungsweise. 

In  der  Tat,  wir  bedürfen  des  Gesetzes  vom  abnehmen- 
den Ertrage  —  das  ist  bekanntlich  jenes  „neue  Prinzip"  — 
nicht  mehr.  Nicht  länger  bildet  es  einen  Bestandteil  unseres 
wissenschaftlichen  Arsenales.  Für  uns  ist  es,  wie  gesagt, 
überall  wo  es  vorkommt  —  auch  außerhalb  der  Grundrenten- 
theorie — ,  lediglich  eine  technische  Tatsache,  die 
natürlich  in  praxi  sehr  wichtig,  für  die  reine  Theorie  der 
Ökonomie  aber  nicht  weiter  interessant  ist.  Die  Klassiker 
dagegen  brauchten  dieses  Gesetz.  Wie  schon  ausgeführt, 
bedurften  sie  eines  speziellen  Momentes,  um  die  Grundrente 
zu  erklären;  die  Eigentümlichkeiten  ihrer  Preistheorie  er- 
forderten es.  Unsere  Preistheorie,  vollkommener  als  jene, 
braucht  diese  Krücke  nicht.  Und  darin  liegt  der  springende 
Punkt  zur  Beurteilung  der  Grundrententheorie  Ricardos  und 
unserer  Stellung  zu  derselben.  Nur  aus  den  Bedürfnissen 
des  klassischen  Systemes  ist  sie  zu  verstehen;  daraus  aber 
folgt  auch,  daß  wir  sie  nicht  beliebig  festhalten  können, 
wie  das  viele  Nationalökonomen  tun,  obgleich  sie  sonst  auf 
dem  Boden   der  Grenznutzentheorie  stehen.    Es  ist  meines 


380  ^®  Verteilungstheorie. 

Erachtens  der  wichtigste  Einwand  gegen  die  „amerikanische 
Schule'',  daß  sie  das  Gesetz  vom  abnehmenden  Ertrage 
neben  das  vom  abnehmenden  Grenznutzen  stellte ,  ohne  za 
erkennen,  daß  beide  außer  dem  formalen  Momente  der 
stetigen  Abnahme  nicht  das  geringste  miteinander  zu  tun 
haben  und  das  erstere  durch  das  letztere  überflQssig  ge- 
macht wird.  Aber  auch  über  andere  in  dieser  Richtung 
liegende  Bestrebungen  werden  wir  ebenso  urteilen  mQssen. 
Besonders  in  England  hat  man  auf  den  Grundlagen  der 
Klassiker  weitergebaut  und  ausgiebigen  Gebrauch  von  dem 
Prinzipe  des  abnehmenden  Ertrages  gemacht.  Man  hat  das- 
selbe verallßemeinert  in  verschiedener  Weise,  namentlich 
auch  auf  Arbeit  und  Werkzeugvorrat  angewendet,  und  ist 
zu  analogen  Residual-  oder  Differenzialtheorien  des  Lohnes 
und  Kapitalzinses,  sowie  des  Unternehmergewinnes  —  über 
letzteren  Punkt  noch  später  —  gekommen.  An  einem 
ganzen  Systeme  der  Ökonomie ,  das  auf  jenem  Prinzipe  be- 
ruht, gleiten  wir  hier  vorbei;  vielleicht  ist  es  treffender  zu 
sagen,  daß  dieses  System  zum  Teile  wenigstens  auf  einer 
Konfondierung  dieses  Prinzipes  und  das  des  Grenz- 
nutzens beruht.  Neue  Begriffe  wurden  gebildet,  so  der  der 
„producer's  rent",  welcher  die  Verallgemeinerung  der  Grund- 
rententheorie auf  jede  Produktion  verkörpert,  und  jener  der 
„consumer's  rent",  welcher  eine  psychologische  Kon- 
struktion per  analogiam  des  physischen  Überschusses  des 
Produktionsertrages  ü!)er  die  Gesamtkosten  darstellt.  Wir 
können  darauf  hier  nicht  eingehen  \  aber  wir  werden  allen 
diesen  Bestrebungen  nur  wenig  Zukunft  prophezeien  können: 
sie  sind  zu  formal,  haften  zu  sehr  an  oberflächlichen  Mo- 
menten und  führen  zu  nichts.  Gerade  der  Umstand,  daß 
eine  so  uferlose  Verallgemeinerung  des  Rentenbegriffes  in 
diesem  Sinne  ohne  weiteres  möglich  ist,  sollte  bedenklich 
niacben:  Gerade  das  zeigt  ja,  wie  wenig  Inhalt  er  hat. 
Der  wichtigste  materielle  Einwand  gegen  die  klas- 

I  Nftheros  findet  der  Leser  in  meinen  Aufsätzen:  „Das  Renten- 
prinzi|)  in  der  Verteilungslehre.'^    Schmollers  Jahrbach  1907. 


Die  Theorie  der  Grundrente.  381 

sische  Grundrententheorie  —  und  alle  ihre  „Ableger"  —  ist 
der,  daß  sie  einen  gegebenen  Preis  des  Bodenproduktes  vor- 
aussetzt. Das  mag  einigermaßen  überraschend  klingen,  ist 
aber  tatsächlich  nicht  anders.  Sie  erklärt  das  Einkommen 
des  Grundeigentümers  als  ein  Plus  über  die  Gesamtkosten 
der  Produktion  eben  jenes  Produktes,  das  das  betreffende 
Grundstück  tatsächlich  erzeugt.  Aber  warum  wird  gerade 
soviel  von  ihm  erzeugt  und  nicht  weniger  oder  mehr? 
Warum  wird  gerade  an  dieser  „Grenze"  halt  gemacht 
und  an  keiner  anderen?  Nun,  darüber  entscheidet  der  Preis 
des  Produktes  —  er  muß  also  gegeben  sein.  Aber  weiter. 
Dieser  Preis  kann  nur  dann  als  der  alleinige  Faktor  für  die 
Festsetzung  jener  Grenze  betrachtet  werden,  wenn  die  Preise 
der  Produktionsmittel  fest  gegeben  sind;  im  Sinne  der 
Klassiker  sind  das  die  Preise  des  Kapitales  —  der  Werk- 
zeuge —  und  der  Arbeit.  Allein  das  ist  noch  nicht  genug. 
Warum  wird  denn  überhaupt  gerade  dieses  landwirtschaft- 
liche Produkt  auf  unserem  Grundstücke  erzeugt  und  nicht 
ein  anderes?  Darüber  sagen  die  Klassiker  nichts.  Sie 
müssen  also  auch  die  Kulturart  als  gegeben  annehmen. 
Will  man  das  aber  nicht,  so  kann  man  nur  auf  das  Moment 
der  Nachfrage,  des  Wertes  rekurrieren.  Dieses  Moment  ent- 
scheidet über  die  Wahl  zwischen  den  verschiedenen  Produk- 
tionsmöglichkeiten, dadurch  indirekt  über  den  Geldertrag  — 
und  damit  über  den  Wert  der  Bodenleistungen.  Ist  die 
Kulturart  fest  gegeben,  so  muß  es  also  auch  der  Wert  und 
Preis  der  Bodenleistungen  sein.  Dann  aber  kommen  wir  zu 
dem  etwas  paradoxen  Resultate,  daß  die  klassische  Grund- 
rententheorie den  Wert  und  Preis  der  Bodenleistungen,  also 
das,  was  sie  erklären  soll,  bereits  voraussetzt.  Und  wirk- 
lich verhält  es  sich  so.  Die  Grundrententheorie  der  Klas- 
siker ist  also  nicht  nur  überwunden,  sie  ist  überhaupt  keine 
Theorie  der  Grundrente.  Es  gelingt  ihr  nur  scheinbar, 
den  Preis  der  Bodenleistungen,  dessen  Dasein  die  klassische 
Preistheorie  desavouiert,  wegzuerklären ,  wie  wir  das  aus- 
führten, tatsächlich  muß  sie  ihn  als  gegeben  annehmen. 
Was  übrig  bleibt,  ist  eine  Selbstverständlichkeit.  Gewiß  i^*^ 


382  1^0  Verteilongstheorie. 

diese  Theorie  unter  allen  ihren  Voraussetzungen  „richtig^; 
aber  diese  letzteren  nehmen  ihr  jeden  Erkenntnis  wert 

Aus  diesen  beiden  Gruppen  von  Gründen  also  wenden 
wir  uns  von  ihr  ab.  Nach  einer  anderen  Richtung  hin 
bleibt  ihr  eine  gewisse  Bedeutung  für  die  Erklärung  mancher 
Störungsmomente,  auf  die  wir  schon  hinwiesen.  Gewi6 
funktioniert  der  „Markt  der  Bodenleistungen"*  nicht  so  glatt 
wie  der  anderer  Waren;  und  die  Betrachtungsweise,  daß 
der  Landeigentümer  in  gewissem  Sinne  nehmen  mufi,  was 
er  eben  erhält,  weil  er  sein  Angebot  nur  schwer  alterieren 
kann,  ist  nicht  ohne  Berechtigung.  Aber  diese  Bedeutung 
ist  gering.  Femer  findet  sich  das  im  Prinzipe  auch  bei 
anderen  Gütern,  wofQr  der  zweckmäßige  Ausdruck  „quasi- 
rent''  geprägt  wurde.  Allein  das  Wesen  der  Sache  liegt 
nicht  in  diesen  Momenten,  und  wir  können  mit  Beruhigung 
sagen  —  und  dabei  das  Bewußtsein  haben,  nur  gesunder 
wissenschaftlicher  Entwicklung  zu  dienen,  und  von  jeder 
Zerstörungssucht  oder  Pietätlosigkeit  frei  zu  sein  — ,  daß 
die  Rolle  der  klassischen  Grundrententheorie  ausgespielt  ist 
und  ihr  die  Zukunft  nicht  gehört. 

Das  sieht  man  deutlich  in  der  Literatur.  Man  kann 
behaupten,  daß  die  Entwicklung  der  Grundrententheorie 
eine  wirklich  sehr  „gesunde''  ist.  Ganz  von  selbst  gewinnt 
der  von  uns  vertretene  Gedanke  in  systematischen  Dar- 
stellungen an  Boden,  auch  wenn  ihre  Verfasser  durchaus 
nicht  die  bewußte  Absicht  haben,  die  Klassiker  in  diesem 
Punkte  zu  bekämpfen.  Ein  Theoretiker  nach  dem  anderen 
erklärt,  daß  die  Existenz  „rentenlosen"  Landes,  ja  selbst 
das  Gesetz  vom  abnehmenden  Ertrage  für  das  Bestehen  einer 
Grundrente  nicht  wesentlich  sei,  daß  der  Preis  des  Bodens 
ebenso  oder  ebensowenig  „in  den  Preis  seiner  Produkte  ein- 
trete", als  der  von  Arbeit  und  Werkzeugen  usw.  Stück  für 
Stück  der  klassischen  Theorie  wird  aufgegeben,  langsam  und 
ohne  Lärm  verändern  sich  die  Grundlage  und  das  ganze 
Aussehen  der  Theorie  durch  die  unentrinnbare  Macht  der 
fortschreitenden  Erkenntnis.  Freilich  gilt  das  nur  für  bessere 
Darstellungen;   solcher,   die  diesen   Fortschritt  nicht   mit- 


Die  Theorie  der  Grundrente.  3g3 

machen,  gibt  es  immer  noch  genug.  Das  schönste  Baispiel 
eines  Durchringens  zu  der  neuen  Theorie  der  Grundrente 
bei  loyalstem  Bestreben,  die  Klassiker  zu  schonen,  zeigt  uns 
das  WerJ{  Prof.  Marshalls.  Zunächst  formuliert  er  die  klas- 
sische Theorie  und  betont  er  ihre  Richtigkeit.  Aber  diese 
Formulierung  drückt  sie  zu  einer  Selbstverständlichkeit 
herab,  namentlich  zeigt  sie  klar,  dafi  nur  das  Plus  über  die 
Grenzkosten  der  betreffenden  Kulturart  —  immer 
unter  den  Voraussetzungen  der  Klassiker  —  nicht  in  den 
Preis  des  Produktes  eintritt,  wohl  aber  das  Plus  gegenüber 
anderen  Kulturarten.  Was  heißt  das  aber  anderes,  als 
daß  jener  Wert  und  Preis  des  betrachteten  Grundstückes, 
der  ihm  in  anderen  Verwendungen  zukäme,  sehr  wohl  ein 
Kostenelement  und  einen  Bestandteil  des  Grenzpreises  auch 
der  tatsächlich  eingeschlagenen  Verwendung  bildet?  Daß 
dieser  Wert  und  Preis  gegeben  sein  muß,  wenn  das 
Baisonnement  der  Klassiker  anwendbar  sein  soll?  Und  führt 
das  nicht  zu  unserer  Auffassung,  ist  das  nicht  einfach 
unsere  Theorie?  So  verändert  sich  Marshalls  Auffassung 
sozusagen  unter  seinen  Händen,  ohne  daß  den  Klassikern 
prinzipiell  Unrecht  gegeben  wird,  —  nur  widerstrebend,  aber 
um  so  bedeutsamer.  Und  wir  können  nicht  umhin,  das  zu 
bewundern :  So  —  mit  dieser  Klarheit  und  Tiefe  einerseits 
und  mit  dieser  Schonung  des  Bestehenden  andererseits  — 
sollte  jede  Neuerung  vor  sich  gehen.  Aber  das  Resultat  ist 
in  diesem  Falle  dasselbe:  Alles  Festhalten  klassischen 
Büstzeuges,  alles  Ausbauen  und  Verteidigen  klassischer 
Gedanken  kann  nur  dem  oberflächlichen  Beobachter  die 
Neuheit  der  leitenden  Gedanken  bei  Marshall  verdecken. 

Man  kann  demnach  als  eines  der  sichersten  Ergebnisse 
der  Zurechnungstheorie  die  Konstruktion  einer  neuen  Grund- 
rententheorie bezeichnen.  Es  wäre  wirklich  verfehlt,  die 
klassische  heute  noch  festhalten  zu  wollen  —  und  bald  wird 
es  niemand  mehr  tun. 


IV.  Kapitel. 
Über  den  dritten  statischen  Einkommenszweig. 


§  1.  Mau  kanu  es  als  allgemeine  Ansicht  bezeichnen, 
dafi  es  drei  statische  Einkommenzweige  gibt.  Eine  Meinungs- 
verschiedenheit besteht  höchstens  noch  bezüglich  eines 
vierten,  des  Unternehniergewinnes,  der,  manchen  Theorien 
zufolge,  neben  jenen  dreien  stehen  müßte.  Nun,  der  dritte 
Einkommenszweig  wird  „Zins''  genannt.  Aber  er  kann 
nicht  so  einfach  definiert  werden  wie  die  andern  zwei: 
Wollte  man  ihn  als  einen  Preis  betrachten,  so  würde  mau 
möglicherweise  in  Verlegenheit  sein,  zu  sagen  als  Preis 
wofür  er  gelten  solle;  denn  darauf  sind  verschiedene  Ant- 
worten möglich,  in  viel  höherem  Maße  verschiedene  als  \>e\ 
den  andern  beiden  Einkommenszweigen.  BeimZinse  herrscht 
sicherlich  die  wenigste  Übereinstimmung,  und  man  ist  all- 
gemein überzeugt,  hier  das  schwierigste  Problem  der  Ver- 
teilungstheorie vor  sich  zu  haben.  Jene,  welche  diese  Über- 
zeugung nicht  hatten,  haben  klägliche  Mißerfolge  erlitten. 
Wir  haben  nicht  die  Absicht,  eine  Dogmengeschichte  und 
-kritik  zu  liefern,  wollen  aber  allerdings  aus  dem  Geleisteten 
gelegentlich  so  viel  wie  möglich  zu  lernen  suchen  und  in 
dieser  Absicht  einiges  über  andere  Zinstheorien  sagen,  was 
auch  zu  deren  besserem  Verständnisse  beitragen  soll.  Jetzt  al>er 
liegen  uns  die  Tatsachen  und  das  Problem  selbst  am  Herzen. 

Natürlich  wäre  der  Kapitalzins  wie  alles  andere,  das 
sich  in  unserem  Systeme  zeigt  (wenn  anders  er  das  tut, 
was  wir  noch  keineswegs  sicher  sagen  können,  da  wir  uns 


über  den  dritten  statischen  Einkommenszweig.  385 

das  Urteil,  ob  er  ein  statischer  Einkommenszweig  ist,  vor- 
behalten), von  allen  andern  Elementen  desselben  bestimmt, 
so  wie  er  auf  alle  zurückwirkt.  Das,  was  man  im  all- 
gemeinen unter  Zins  versteht  und  wovon  wir  in  diesem 
Momente  sprechen,  ohne  noch  festzusetzen,  was  wir  darunter 
verstehen  und  ob  wir  diesen  Ausdruck  überhaupt  verwenden 
wollen,  wäre  natürlich  von  anderer  Größe,  als  es  ist  und 
spielte  eine  andere  Rolle,  nicht  nur  im  Wirtschafts-,  sondern 
auch  im  ganzen  sozialen  Leben,  wenn  die  übrigen  Elemente 
andere  wären.  Klar,  dafi,  wenn  die  Bevölkerung  mehr  oder 
weniger  Energie  hätte,  als  sie  tatsächlich  hat,  wenn  die 
Technik  auf  einer  andern  Stufe  stünde,  wenn  die  Verhältnisse 
der  äußeren  Natur  andere  wären,  der  Zins  anders  stünde.  Mit 
allen  diesen  Dingen  und  vielen  andern  noch  steht  er  in  Be- 
ziehungen, welche  eben  durch  unser  System  uns  vor  Augen  ge- 
stellt werden  sollen.  Die  Art  dieser  Beziehungen  zu  untersuchen, 
ist  sicherlich  interessant  und  notwendig  und  zweifelos  kann, 
von  verschiedenen  Seiten  betrachtet,  die  Zinserscheinung 
einen  verschiedenen  Anblick  gewähren.  Es  kann  dann  für 
besondere  Zwecke  eine  Betrachtungs-  und  Ausdrucksweise 
bequem  und  brauchbar  sein,  welche  sich  in  mancher  Be- 
ziehung als  unvollständig  oder  auch  als  falsch  erweist. 

Aber  das  darf  uns  nicht  abhalten,  wenn  wir  nach  dem 
Wesen  der  Erscheinung  fragen,  uns  lediglich  an  ihre 
Grundlage  in  ihrer  einfachsten  Form  zu  halten  und  nach 
einer  präzisen  und  kurzen  Formel  zu  suchen ,  wodurch  ja 
der  Erkenntnis  der  Kompliziertheit  und  Lebensfülle  der 
Erscheinungen  kein  Abbruch  geschieht.  Ganz  im  Gegen- 
teile, sie  kann  dadurch  nur  gefördert  werden.  Wollten  wir 
uns  hier  nicht  darauf  einlassen,  so  müßten  wir  uns  die 
gleiche  Entsagung  auch  bei  Lohn  und  Rente  auferlegen, 
wo  man  dasselbe  ganz  wörtlich  wiederholen  könnte.  Auch 
dort  verkennen  wir  die  zahllosen  Beziehungen  nicht,  die 
man  aufhellen  muß,  wenn  man  die  Sache  wirklich  „ver- 
stehen" will,  und  doch  halten  wir  es  für  erlaubt  und  nütz- 
lich, zunächst  das  „Wesen''  der  Dinge  so  kurz  und  einfach 
wie  möglich  darzulegen.    Wer  zu  sehr  auf  alles  Interessante 

Sohumpeter,  Nationalökonomie.  ^^ 


386  ^^®  Veiteüungstheorie. 

achtet ,  das  es  auf  seinem  Wege  gibt ,  kommt  nie  an  das 
Ziel.  Und  das  gilt  nur  zu  sehr  von  manchen  modeneB 
Zinstheoretikern,  welche  schließlich  dahin  gelangen,  auf  eine 
klare  Zinstheorie  überhaupt  zu  verzichtend 

Unsere  Aufgabe  ist  die  folgende:  Wir  haben  zu  sebei. 
welche  Elemente  unseres  Systemes  von  jenen,  welche  wir 
zur  Erklärung  von  Einkommensbildungen  verwerten  ktanen, 
wir  noch  nicht  „vergeben''  haben.    Sodann,  ob  sich  ans  doi- 
selben  in  ähnlicher  Weise  wie  bei  Lohn  und  Rente  etwas 
ergibt,  was  als  Grundlage  der  Zinserscheinnng  gelten  kann. 
Vermögen  wir  ein  Bild  zu  konstruieren,  das  anf  die  Wirk- 
lichkeit paßt,  so  ist  alles  in  Ordnung,  und  wir  haben  eine 
feste  Grundlage  gewonnen,  um  in  jene  komplizierten  Rela- 
tionen einzugehen.    Wenn  nicht,  so  haben  wir  wenigstens  das 
negative  Resultat,  daß  der  Zins  kein  statisches  Einkommen 
sei.    So  gestaltet  sich  denn  die  Sache  wiederum  verhältnis- 
mäßig einfach,  und  es  wird  ungleich  leichter  sein,  unsere 
Ansicht  über  das  Problem  darzulegen,  als  dieselbe  zu 
verteidigen    gegen    alle    die    Bedenken    und    Einwürfe, 
denen    sie   begegnen    mag.     Das   erstere   ist   mit   wenigen 
Worten  getan:    Jene  Elemente  unseres  Systemes,  die  hier 
in  Betracht  kommen  können,  sind  vor  allem  —  und  nur 
davon  wollen  wir  zunächst  sprechen  —  Werkzeuge  und 
Rohstoffe.    Ihre  Werte  und  Preise  haben  wir  bereits  all- 
gemein erörtert,  und  so  hat  es  denn  gar  keine  Schwierigkeit 
zu  begreifen,  wie  die  Besitzer  derselben  in  den  Besitz  einer 
Geldsumme  oder  von  Genußgütem  gelangen,  und   wie  wir 
bei   Arbeit  und   Boden  von  einem  Preise  der  Boden*  und 
Arbeitsleistung   sprachen   und   Lohn   wie  Rente  als  solche 
Preise  bezeichneten,  so  werden  wir  unbedenklich  auch  hier 
von  einem  Preise  der  Leistungen  von  Werkzeugen  und  Roh- 
stoifen  sprechen. 

Aber  die  Schwierigkeit,  die  in  dieser  Darlegung  fehlt. 


1  Eine  der  Klarheit  durchaus  hinderliche  Häufung  von  ErU&niiig»- 
versuchen  muß  geradezu  aU  Charakteristikon  des  gegenwärtigen  Sta- 
diums der  Zinstheorie  bezeichnet  werden. 


über  den  dritten  statischen  Einkommenszweig.  387 

kommt  sofort  heran,  wenn  man  einen  Schritt  weiter  geht. 
Es  ist  jene  allbekannte,  an  der  schon  viele  Zinstheorien 
scheiterten:  Nach  der  Ernte  hat  man  sowohl  das  Getreide 
wie  den  Boden,  nach  dem  Arbeitstage  sowohl  seine  Arbeits- 
kraft wie  den  Lohn,  aber  bei  Werkzeugen  und  Rohstoffen 
ist  es  anders.  Da  hat  man  nach  einem  Produktionsprozesse 
oder  jedenfalls  nach  einer  Anzahl  von  solchen,  welche  gering 
ist  im  Verhaltnisse  zu  denen,  die  Boden  und  Arbeitskraft 
überdauern,  wohl  die  Produkte,  aber  nicht  mehr  die  Roh- 
stoffe und  Werkzeuge  selbst,  und  es  ist  klar,  daß  das  für 
die  Wert-  und  Preisbildung  die  Folge  hat,  daß  der  Erlös 
jenes  Teiles  der  Produkte,  um  welchen  man  mit  Hilfe  der 
Werkzeuge  mehr  erzielt  als  ohne  dieselben,  gerade  so  groß 
ist  wie  Wert  und  Preis  der  letzteren  selbst,  daß  sich  also 
-ein  Plus,  welches  ein  ständiges  Einkommen  darstellen  würde, 
auf  dessen  Wiederkehr  man  rechnen  könnte,  nicht  ergibt. 
Von  diesem  Sachverhalte  überzeugt  man  sich  leicht,  wenn 
man  den  Gedankengang  irgendeines  Vertreters  der  Produk- 
tivitätstheorie überblickt,  und  es  wurde  das  von  v.  Boehm- 
Bawerk  so  eindringlich  und  überzeugend  hervorgehoben,  daß 
Weiteres  über  diesen  Punkt  überflüssig  scheinen  könnte. 
Immerhin  wollen  wir  ganz  kurz  den  Gedankengang  jener 
Theoretiker  schildern,  wobei  wir  uns  der  Bequemlichkeit 
halber  der  psychologischen  Ausdrucksweise  bedienen  wollen. 
In  einer  Anzahl  von  Produktionsprozessen  werde  ein 
Werkzeug  bis  zur  Wertlosigkeit  vernützt.  Ohne  dasselbe 
hätte  man  ebenfalls  eine  gewisse  Menge  von  Produkten 
erzielt,  mit  demselben  aber  wurde  mehr  gewonnen.  Nun 
kann  man  nicht  sagen,  daß  das  Werkzeug  dieses  Plus,  das 
ihm  ganz  begreiflicherweise  „zugerechnet"  wird,  hervor- 
:gebracht  habe,  wie  der  Kirschbaum  die  Kirschen.  Der 
Unterschied  gegenüber  diesem  Falle  ist  eben,  daß  der 
Kirschbaum  noch  vorhanden  ist  und  wieder  Früchte  tragen 
wird.  Ebensowenig  aber  kann  man  die  Produkte  dem  Werk- 
zeuge physisch  vergleichen.  Es  sind  ja  Dinge  verschiedener 
Art,  die  ganz  inkommensurabel  sind.  Ein  solcher  Vergleich 
wäre  nur  möglich,  wenn  die  Dinge  gleichartig  wären,  wenn 


388  ^^  Verteilnngstheorie. 

z.  B.  eine  Maschine  wieder  zur  Erzeugung  von 
gleicher  Art  verwendet  würde.  Das  einzige,  was  vergleidh 
bar,  zugleich  das  einzige,  was  für  die  Ökonomie  interessant 
ist,  ist  der  Wert.  Nun  aber  ist  es  klar,  daß  der  Wert  de» 
Werkzeuges  (unter  gewissen  Reserven ,  die  uns  hier  nicht 
interessieren) .  gleich  ist  der  Summe  der  Werte  seiner  ein* 
zelnen  Leistungen  und  daß,  da  der  Wert  jeder  solchen 
Leistung  gleich  ist  dem  Werte  der  ihr  zuzurechnenden 
Produkte  sich  auf  diesem  Wege  gar  nie  ein  «Ubersehufi' 
ergeben  kann,  der  konsumiert  werden  könnte,  ohne  den 
Vermögensbestand  des  Werkzeugbesitzers  zu  alterieren. 

Wir  stehen  nicht  an,  diese  Konsequenz  zu 
ziehen:  entweder  man  nennt  das,  was  wir  abgeleitet 
haben,  nämlich  den  Preis  der  Leistungen  des  Werkzeuges 
nicht  „Zins'',  das  heißt  man  erkennt  nicht  an,  daß  darin 
die  reinwirtschaftlicbe  Grundlage  dessen  liege,  was  eben  im 
allgemeinen  als  Zins  bezeichnet  wird.  Dann  ergibt  sich, 
daß  das  statische  System  den  Zins  nicht  erklärt,  daß  der- 
selbe kein  statischer  Einkommenszweig  sei,  daßeineganz 
stationäre  Volkswirtschaft  keine  anderen  Ein* 
kommen  als  Lohn  und  Rente  kennen  würde,  ein 
Resultat,  das  von  großer  Tragweite  wäre.  Oder  man  nennt 
jeden  Preis  den  „Zins",  dann  kann  der  Besitzer  des  Werk- 
zeuges entweder  nichts  von  demselben  konsumieren  oder 
aber  wird  er  sein  Vermögen  aufbrauchen.  Man  kann  das 
letztere  auch  so  ausdrücken,  daß  in  diesem  Falle  der  Zins 
kein  Reineinkommen  darstelle.  Die  terminologische  Frage, 
was  man  Zins  nennen  wolle,  wäre  natürlich  gleichgültig; 
man  bemerke  aber,  daß  es  sich  nicht  darum  handelt,  sondern 
vielmehr  um  die  sehr  wesentliche  Frage,  ob  man  es  hier 
mit  der  reinökonomischen  Grundlage  dieses  wichtigen  Ein* 
kommenszweiges  zu  tun  hat  oder  nicht.  Wir  glauben,  uns 
für  die  zweite  Alternative  entscheiden  zu  sollen,  nicht  bloß 
deshalb,  weil  die  erste  der  Schwierigkeit  des  Reinertrags- 
problemes  begegnet,  um  das  man  ganz  unmöglich  herum- 
kommen kann,  sondern  weil  wir  auch  durch  das  direkte 
Studium  der  Zinsei-scheinung  dazu  veranlaßt  werden,  wie 


über  den  dritten  statischen  £inkommen8zweig.  3g9 

urir  später  andeuten  wollen.  Erstens  also  haben  wir  hier 
^ein  bleibendes  Einkommen,  und  das  Bild  der  immerfliefien- 
•den  Quelle  pafit  hier  nicht.  Wollte  man  es  trotzdem  an- 
wenden, so  müßte  man  sich  darüber  klar  sein,  daß  es  sich 
um  eine  Fiktion  handelt,  die  ihre  Existenzberechtigung  erst 
beweisen  muß,  sehr  leicht  auf  Abwege  führen  kann  und  vor 
Allem  gerade  das  interessanteste  und  schwierigste  Problem 
2U  überspringen,  zu  umgehen,  gleichsam  zu  verdecken  scheint. 
Über  diese  Fiktion,  ihre  Berechtigung  und  ihre  Mängel 
werden  wir  noch  sprechen,  hier  aber  haben  wir  es  mit  den 
Tatsachen  zu  tun  und  können  nur  an  dem  Gesagten  fest- 
halten.   Zweitens  ist  jener  Preis  nicht  der  „Zins^. 

Die  beiden  Punkte  fallen  nicht  zusammen.  Wir  haben 
kein  bleibendes  Einkommen,  aber  immerhin  findet  ein 
Oüterzufluß  zu  den  Besitzern  der  Werkzeuge  in  unserem 
Systeme  statt,  und  das  könnten  wir  im  Einklänge  mit 
manchen  Einkommensdefinitionen  immerhin  ein  Einkommen 
nennen;  aber  dieses  Einkommen  ist  nicht  der  „Zins",  nicht 
bloß  deshalb  y  weil  der  Zins  konstant  zu  fließen  scheint^ 
sondern  auch  aus  anderen  Gründen. 

Diese  Auffassung  scheint  aus  verschiedenen  Gründen 
«icherlich  befremdend  und  bedarf  sehr  der  näheren  Dar- 
legung. Wenn  es  uns  auch  gelänge,  den  Leser  zu  ihrer 
Annahme  zu  bewegen,  so  wäre  das  Problem  des  Zinses  damit 
nicht  gelöst,  sondern  unser  System  würde  uns  nur  sozusagen 
an  den  Fuß  des  Berges  bringen.  Aber  es  ist  so  schwer, 
Auf  etwas  zu  verzichten,  in  dessen  Besitz  man  bereits  zu 
sein  glaubte,  daß  uns  die  Aufgabe  obliegt,  zweifellos  zu 
zeigen,  daß  die  Sache  wirklich  so  steht. 

Vor  allem:  Beschränken  wir  unser  System  nicht  auf 
«in  zu  enges  Gebiet,  wenn  wir  auf  die  Erklärung  des  Zinses 
verzichten,  ist  das  nicht  ein  Beweis,  daß  unsere  Abgrenzung 
«ben  unzweckmäßig  ist?  Darauf  sei  sofort  entgegnet:  Wir 
beschränken  es  nicht  willkürlich,  nicht  aus  Laune  oder 
Pedanterie  und  um  irgendeinem  aprioristischen  Einteilungs- 
grunde treu  zu  bleiben;  wir  schließen  den  Zins  nicht  aus, 
sondern  e  r  fügt  sich  nicht  ein.  Wir  tun  ja  nur  das  folgende  * 


390  ^0  Verteünngstheorie. 

Wir  betrachten  die  Methode  und  die  Resultate  unserer  Disaplbi 
und  suehen  sie  korrekt  zu  formulieren,  ihr  Wesen  heraus- 
zuarbeiten.  Wenn  wir  das  tun,  so  sehen  wir  eben,  dafijeM 
Gedankenkreise,  welche  heute  den  Inhalt  der  reinen  Ökononi» 
bilden,  im  Wesen  statischen  Charakters  sind  und  daS  die- 
selben, in  ihrer  reinen  Form  dargestellt,  die  Zinserscheinuni^ 
nicht  erklären.    Wir  werden  zu  zeigen  haben,  dafi  nur 
bei  Heranziehung  gewisser  Hilfsmittel  eine  solche  Eiidftnmg 
oder  der  Schein  einer  solchen  möglich  ist  und  werden  diese 
Hilfsmittel  untersuchen  müssen.    Es  ist  sehr  wichtig,  die- 
selben plastisch  von  unserem  Systeme  abzuheben.    Ist  weiter 
unsere  Auffassung  richtig,  dann  kann  sich  die  Zinstheorie 
im  Rahmen  der  Statik  nicht  ausleben.    Und  in  der  Tat  liegt 
unserer  Ansicht  nach  hier  die  Ursache  aller  Zweifel 
bezüglich  des  Zinsproblemes  und  der  Tatsache, 
dafi  alle  Zinstheorien  so  unleugbar  unbefriedigend 
sind.    Wird  das  zugegeben,  dann  haben  wir  der  Zinstheorie 
den  größten  Dienst  erwiesen,  der  überhaupt  möglich  ist,  zur 
Erkenntnis  ihres  wahren  Gebietes  und  ihrer  wahren  Natur 
beigetragen  und  haben  dann  Hoffnung,  endlich  doch  dieses 
Phänomen  verstehen  zu  können.    Daß  unser  System  dann  in 
noch  ungünstigerem  Lichte  erscheint  als  bisher,  darf  uns 
davon  nicht  abhalten:  Es  ist  ja  unser  Zweck,  dasselbe  von 
allen   Seiten   zu   beleuchten;    dabei   ergibt   sich   dann   von 
selbst,  wie  und  wo  wir  weiterzuarbeiten  haben. 

Kehren  wir  zu  unserem  Argumente  zurück:  Wie  sehr 
wir  recht  haben,  sehen  wir  aus  allen  Prodnktivitätstheorien. 
Man  kann  sie  nochmals  dahin  charakterisieren,  dafi  sie  zu- 
erst korrekt  und  vielfach  mit  einem  Aufwände  von  Argu- 
menten, der  gar  nicht  notwendig  wäre,  die  Tatsache  ab- 
leiten, daß  Werkzeuge  Wert  und  Preis  haben.  Wenn  sie 
dabei  gegen  die  sozialistischen  Angriffe  auf  den  Zins 
reagieren,  so  renneu  sie  offene  Türen  ein:  Eine  Diskussion 
der  Behauptung,  dafi  das  Kapital  ein  nützliches  Hilfsmittel 
der  Produktion  sei,  ist  sicherncli  überflüssig.  Aber  damit 
hat  man  ja,  wie  wir  ausführten,  für  den  Zins  nichts  be- 
wiesen, wenigstens  an  sich  nicht;  man  könnte  eher  sagen« 


über  den  dritten  statischen  Einkommenszweig.  391 

man  habe  sein  Nichtvorhandensein  bewiesen.  Was  zu 
erklären  ist,  ist  jenes  „Plus'',  ist  ein  dauernder  Reinertrag. 
An  diese  Aufgabe,  die  also  über  den  blofien  Nachweis  der 
sogenannten  Produktivität  hinausgeht,  tritt  man  mit  ver- 
schiedenen  Hilfsmitteln  heran.  Das  einfachste  derselben  ist, 
den  Tatbestand  Oberhaupt  zu  verwischen  und  zu  erklären, 
daß  nunmehr  schon  alles  getan  sei.  Davon  wollen  wir 
nicht  weiter  sprechen,  die  anderen  Hilfsmittel  aber  müssen 
untersucht  werden,  wenigstens  in  aller  Kürze  und  zwar  zu 
dem  doppelten  Zwecke,  um  zu  sehen,  ob  sie  statisch  sind, 
das  heißt,  in  unser  System  eingeführt,  sich  mit  seiner 
sonstigen  Gestalt  vertragen  und  sodann  um  zu  sehen,  ob 
sie  zutreffend  sind,  d.  h.  die  Zinserscheinung  wirklich  er- 
klären. 

Vorher  jedoch  müssen  wenigstens  einige  der  vielen 
Schwierigkeiten  unseres  Themas  dem  Leser  weiter  vor- 
geführt werden.  Zunächst  wollen  wir  etwas  über  das 
unseres  Erachtens  fundamentale  Problem  des  „Kapitalersatzes' 
und  sodann  auch  einiges  über  das  Zinsphänomen  selbst 
sagen.  Dann  sollen  jene  Bemerkungen  über  mehrere  der 
wichtigsten  Zinstheorien  und  endlich  solche  über  die  Rich- 
tung folgen,  in  der  wir  die  Lösung  des  Zinsproblemes  suchen 
zu  müssen  glauben.  Vollständig  kann  das  Gebotene  in  keiner 
Richtung  sein;  seine  Mängel  können  niemand  mehr  bewußt 
sein,  als  mir.  Nur  schwer  habe  ich  mich  entschlossen,  die 
wenigen  Gesichtspunkte  darzubieten,  die  man  im  Folgenden 
finden  wird.  Aber  ich  konnte  nicht  anders  verfahren.  Sie 
Beien  der  Nachsicht  des  Lesers  empfohlen.  Ich  kann  nur 
sagen,  daß  meine  Auffassung  mir  selbst  eine  ganz  über- 
raschende Aufklärung  geboten  hat  und  ich  fest  überzeugt 
bin,  einer  neuen  befriedigenden  Theorie  die  Wege  zu  bahnen. 

§  2.  Li  den  Darstellungen  der  Zinstheorie  pflegt  man 
dem  folgenden  Gedankengange  zu  begegnen:  Der  Besitzer 
von  produzierten  Produktionsmitteln  vermietet  dieselben  an 
den  Produzenten,  mag  derselbe  nun  Arbeiter  oder  Unter- 
nehmer sein.    Von  dem  Erlöse  legt  er  einen  Teil  zurück 


392  ^^^  Verteilongstheorie. 

der  ihm  dazu  dienen  soll,  sich  andere  Produktionsmittel 
dieser  Art  zu  verschaffen,  wenn  die  alten  abgenützt  und 
und  wertlos  geworden  sind ;  auch  eine  Risikopr&mie  wird  in 
der  Regel  noch  beiseite  gelegt.  Der  Rest  stellt  dann  sein  ab 
,,Einkommen*'  dar.  Nur  ein  kleiner  Teil  der  Theoretiker 
nimmt  das  Vorhandensein  eines  solchen  Restes  als  selbst- 
verständlich  an,  die  meisten  suchen  diese  Tatsache  zu  er- 
klären,  aber  wie  immer  das  sein  mag,  immer  ist  man  der 
Ansicht,  dafi  man  einen  ganz  natürlichen  Vorgang  be- 
schreibe,  über  dessen  Tatsächlichkeit  gar  kein  Zweifel  sein 
könne.  Wenn  man  sagt,  daß  die  Besitzer  von  produzierten 
Produktionsmitteln  dauernd,  ohne  jede  zeitliche  Grenze,  von 
ihrem  Einkommen  leben  und  ihren  Vermögensstand  unter 
unseren  Voraussetzungen  zwar  nicht  vermehren,  aber  nn* 
versehrt  erhalten  können,  so  glaubt  man,  damit  eine  banale 
aber  unbestreitbare  Tatsache  ausgedrückt  zu  haben.  Zwischen 
den  Theoretikern  bestehen  die  größten  Meinungsverschieden- 
heiten bezüglich  der  Erklärung  dieses  Einkommens,  aber 
darüber  sind  sie  alle  einig,  daß  man  den  Zins  ganz  neben 
Lohn  und  Rente  stellen  kann.  Jene,  welche  für  jeden 
Einkommenszweig  eine  spezielle  Erklärung  haben,  haben 
eine  solche  natürlich  auch  für  den  Zins,  sodaß  darin  keine 
Besonderheit  liegt  und  jene,  welche  alle  Einkommen  in 
prinzipiell  derselben  Weise  erklären,  dehnen  ihre  Erklärung 
auch  auf  den  Zins  aus,  behandeln  ihn  ganz  so  wie  Lohn 
und  Rente.  Als  Beispiele  für  die  letztere  Gruppe  sei  auf 
die  Darstellungen  von  Walras  und  v.  Wieser  verwiesen,  bei 
denen  sich  das  ganz  verfolgen  läßt.  J.  B.  Clark  gehört 
ebenfalls  in  diese  Gruppe,  aber  mit  einer  interessanten  Be- 
sonderheit, die  uns  veranlaßt,  auf  ihn  speziell  zu  sprechen 
zu  kommen,  v.  Boehm-Bawerk  stützt  die  Erklärung  des 
Zinses  allerdings  auf  besondere  Momente,  betrachtet  ihn 
aber  doch  als  ein  Einkommen  wie  alle  anderen.  In  der 
Tat  scheint  das  ganz  auf  die  Tatsachen  zu  passen.  Der 
Zins  ist  ein  so  ständiges,  dauerndes  Einkommen,  in  mancher 
Beziehung  viel  mehr  gesichert  als  z.  B.  der  Lohn,  und  eine 
scharfumgrenzte  wirtschaftliche  Klasse  scheint  dauernd  von 


über  den  dritten  statischen  Einkommenszweiir.  39'^ 

ihm  zu  leben.  So  scheint  unsere  Auffassung  also  in  ekla- 
tantem Konflikte  mit  der  Wirklichkeit  zu  stehen  und 
«s  geradezu  unabweisbare  Pflicht  des  Ökonomen  zu  sein, 
nach  einer  statischen  Erklärung  des  Zinses  zu  suchen. 
Unsere  volle  Antwort  können  wir  nicht  geben  ^  aber  wir 
werden  den  Hauptinhalt  derselben  anzudeuten  suchen.  Zu- 
nächst jedoch  erscheint  uns  das  folgende  wichtig:  Vorab 
bemerken  wir,  daß  wir  mit  Rücksicht  auf  die  Untersuchungen 
V.  Boehm-Bawerks  das  Reinertragsproblem  nicht  in  seiner 
Gänze  aufrollen  wollen,  da  uns  das  durch  dieselben  über- 
flüssig geworden  zu  sein  scheint;  wir  wollen  vielmehr  haupt- 
sächlich nur  jene  Punkte  behandeln,  die  wir  denselben  hinzu- 
zufügen haben  und  setzen  seine  grundlegende  Arbeit  als 
genau  bekannt  voraus.  Dem  Leser,  bei  dem  diese  Voraus- 
setzung nicht  erfüllt  ist,  kann  unsere  Darstellung  nicht  das 
sagen,  was  sie  soll,  muß  sie  außerdem  als  unvollständig  er- 
scheinen. 

Nun,  V.  Boehm-Bawerk  hat  das  Reinertragsproblem 
vollkommen  herausgearbeitet  und  nachgewiesen,  daß  sich 
die  Zinserscheinung  nicht  als  selbstverständlich  aus  der 
Produktivität  ergebe.  Aber  den  Kapitalersatz,  in  den  wir 
der  Kürze  halber  die  Risikoprämie  einbeziehen  wollen,  da 
von  ihr  soweit  dasselbe  gilt,  nimmt  auch  er  als  selbst- 
verständlich an.  Das  erste,  was  wir  zu  sagen  haben,  ist 
nun,  daß  das  nicht  selbstverständlich  ist;  vor  allem  wollen 
wir  das  ganz  populär  klar  machen:  Würde  man  den  Ökonomen, 
der  so  vorgeht,  fragen,  warum  er  das  tut,  so  würde  er 
sicher  und  nicht  ohne  Erstaunen  über  die  Frage  antworten, 
daß  ja  sonst  der  Kapitalist  sein  Kapital  aufbrauchen  würde. 
Darauf  ist  nun  zu  entgegnen,  daß  es  ganz  vernünftig  sein 
mag,  das  nicht  zu  tun  und  daß  der  Ökonom  gut  rate,  wenn 
er  davon  abredet,  aber  daß  das  kein  Grund  sei,  der  hier 
eine  Rolle  spielen  kann,  da  es  sich  nicht  um  Ratschläge, 
sondern  um  Tatsachenbeschreibungen  handelt.  Und  da  ist 
es  durchaus  nicht  so  klar,  daß  immer  so  gehandelt  wird 
oder  auch  nur,  daß  es  in  allen  Fällen  geboten  sei.  In  einer 
vorübergehenden  Notlage  wird  es  ganz  vernünftig  sein,  mit- 


394  1^1®  Verteilangstheorie. 

unter  mehr  zu  verbrauchen ,  auch  hat  ein  Individuum  voa 
seinem  Standpunkte  durchaus  Recht  (populär  gesproelwi)^ 
wenn  es  etwa  mit  Rücksicht  auf  einen  unabwendbare! 
baldigen  Tod  mehr  aufbraucht  In  anderen  Lagen  s.  B. 
mit  Rücksicht  auf  sinkenden  Zinsfuß  oder  ein  Alter  mit 
in  manchen  Beziehungen  größeren  Bedürfiiissen  und  ge- 
ringerer Erwerbsfähigkeit,  wird  man  wiederum  den  Rat  er- 
teilen müssen,  nicht  das  ganze  Einkommen  aufzubraucbea. 
Darauf  läßt  sich  allerdings  entgegnen,  daß  man  an  nor- 
male Zustände  denke  und  jene  Veränderungen  der  indivi- 
duellen oder  sozialen  Situation  außer  Betracht  lasse.  Dts 
wollen  wir  zugeben.  Es  sei  also  möglich,  die  Art  und 
Schnelligkeit  der  Abnutzung  der  Werkzeuge  ganz  genau 
vorher-  und  von  allem  Unvorhergesehenen  abzusehen; 
aber  selbst  dann  denken  die  Menschen  nicht  an  eine  un- 
begrenzt entfernte  Zukunft,  und  wenn  sie  auch  mit  Rück- 
sicht auf  die  Unbestimmtheit  der  Länge  der  Periode,  für 
die  sie  versorgen  wollen,  sich  veranlaßt  sehen  können,  ihre 
Werkzeuge  immer  wieder  auszubessern  und  zu  ersetzen,  so 
ist  das  doch  nichts  Notwendiges,  Unabänderliches  und  vor 
allem  nichts  Selbstverständliches. 

Wenn  man  das  behauptet,  denkt  man  immer  an  den 
Rentner,  dem  sozusagen  von  selbst  eine  ganz  bestimmte 
Summe  als  Einkommen  zufließt,  aber  mit  ihm  haben  wir  es 
ja  nicht  allein  zu  tun.  Wir  werden  si>äter  seinen  Fall  be- 
rühren. Bei  den  Produktivmitteln  ist  die  Sache  nicht  so 
klar.  Ein  neues  Werkzeug  muß  das  alte  ersetzen  und  dieses 
neue  Werkzeug  entsteht  nicht  von  selbst.  Gesetzt,  der  Be- 
sitzer des  alten  hatte  sich  aus  iicg^ndeinem  Grunde  ent- 
schlossen, ein  etwas  besseres  zu  erzeugen  oder  zu  erwerben 
an  Stelle  des  alten.  Ist  nun  dieser  Vorgang  ein  so  wesent- 
lich anderer  als  der  frühererwähnte?  Man  wird  sagen,  daß 
der  Mann  hier  etwas  von  seinem  Einkommen  hinzu- 
setze; aber  was  geschieht  in  den  beiden  Fällen?  Er  hat 
eine  Geldsumme  oder  Produkte.  Diese  will  er  so  ausgeben, 
daß  ein  Nutzenmaximum  entsteht,  so  wie  es  seiner  Ansicht 
nach    am    vorteilhaftesten    ist,   wobei  wir  in  diesem   Ans- 


über  den  dritten  statiBchen  Einkommenszweig.  •  395 

drucke,  was  aber  hier  nicht  wesentlich  ist,  auch  unegoistische 
Momente  einschliefien.  Er  überblickt  also  seine  gegen* 
w&rtigen  und  künftigen  Wünsche  und  wird  sein  Geld  nach 
Verhältnis  ihrer  Intensität  auf  ihre  Befriedigung  verwenden. 
Die  Geldsumme,  die  er  hat,  ist  ja  eine  homogene  Menge, 
seinen  Entschließungen  ist  nicht  eine  unübersteigliche 
Barriere  gesetzt  auf  der  Grenze  des  Einkommens.  Wieviel 
er  zur  Reparatur  oder  zum  Ersätze  oder  zu  einer  Neu- 
schaffung verwenden  will,  das  steht  bei  ihm.  Eine  Geld- 
einheit seinen  gegenwärtigen  Bedürfnissen  zu  entziehen, 
involviert  ein  gleichgroßes  Opfer  für  ihn,  mag  er  dieselbe 
nun  auf  eine  Reparatur  oder  eine  Verbesserung  verwenden. 
Ganz  dieselben  Momente  bestimmen  ihn  in  beiden  Fällen: 
Er  wird  wahrscheinlich  das  tun,  was  er  immer  tut,  weil 
das  seiner  Anlage  und  seinen  Verhältnissen  entspricht.  Will 
er  seine  Verhältnisse  gleich  erhalten,  so  wird  er  eben  nur 
jene  Geldeinheiten  opfern,  die  zum  Ersätze  nötig  sind,  aber 
die  Willensanstrengung,  die  das  voraussetzt,  ist  dieselbe,  ob 
er  dasselbe  Geld  zum  Ersätze  oder  zur  Verbesserung  ver- 
wendet. Nach  Durchführung  der  Verbesserung  wird  er 
mehr,  wenn  er  eine  Verschlechterung  eintreten  läßt, 
weniger  und  wenn  er  gerade  den  Ersatz  vornimmt,  gleich 
viel  Bedürfnisse  befriedigen  können.  Diese  Fälle  sind  nur 
graduell  verschieden,  in  jedem  geschieht  dasselbe.  Nun 
aber  ist  man  sich  darüber  einig,  daß  solche  Verbesserungen 
und  Neuschaffungen  im  Rahmen  der  Statik  nicht  oder  nur  in 
so  verschwindendem  Umfange  behandelt  werden  können, 
daß  man  sie  besser  wegläßt,  und  da  der  Ersatz  der  Werk- 
zeuge damit  wesensgleich  ist,  so  ist  auch  er  kein  statischer 
Prozeß  und  das  war  es,  auf  was  wir  hinauswollten. 

Um  zu  demselben  Resultate  nunmehr  vom  Standpunkte 
der  exakten  Wissenschaft  zu  kommen:  Wenn  man  einen 
dritten  Einkommenszweig  dieser  Art,  mag  man  ihn  nennen, 
wie  man  will,  neben  Lohn  und  Rente  stellen  will,  so  muß 
man  ihn  aus  einer  ebensolchen  bleibenden  Quelle  ableiten 
wie  diese.  Entweder  muß  man  also  darauf  verzichten  oder 
man  muß  einen  dritten  Produktionsfaktor  kreieren,  der  sich 


396  ^^®  Yerteilangstheorie.  I 

genau  so  verhält  wie  Arbeit  und  Boden.    Sofern  das  nkUi  1 
anderes  ist  als  ein  methodologisches  Hilfsmittel,  ist  dagega 
nichts  einzuwenden,   aber  man  darf  nicht  vergessen,  dal 
darin    dann    keine    Aussage   über   Tatsachen    liegen  dti{»  I 
sondern  sich  bewußt  bleiben,  eine  Konstruktion  geschaflbn  n 
haben,  deren  Resultate  sich  erst  an  den  Tatsachen  bewihrei 
müssen.    Gewiß   kann   es  Gründe   geben,   die   eine  sokke 
Fiktion  rechtfertigen  und  wir  werden  davon  noch  spreeheir 
aber  man  muß  sich  hüten,  diesen  Produktionsfaktor  als  ein 
Realität  zu  betrachten,  wie  Arbeit  und  Boden   und  fener 
darf  man  nicht  vergessen,  daß  man  das  getan  hat,  weil  mu 
unseren  dritten  Einkommenszweig  neben  die  anderen  beidoi 
stellen   wollte.    Das  könnte  nun  an   sich  ebenfalls  euie 
erlaubte   wissenschaftliche  Hilfskonstruktion  sein,  die  sick 
als  fruchtbar  erweisen  könnte.    Durch  den  Anschein  aber, 
durch   eine   flüchtige  Beobachtung  der  Tatsachen   ist  eine 
solche  Nebeneinanderstellung  noch  nicht  gerechtfertigt  und 
insofern    geradezu   alle   Theoretiker   ausnahmslos   die   Er- 
fahrungstatsache   einer    ständigen    Einkommensquelle 
Zins  zu  beobachten  glaubten,  so  liegt  darin  ein  Vorurteil 
ein  Fehler.    Tatsache  ist  nur,  daß  die  Werkzeuge  ver- 
braucht  werden    und    nun    die   Produkte   vorhanden   sind; 
werden  sie  ersetzt,  so  ist  zu  erklären,  warum  das  geschieht. 
Selbstverständlich  wäre  das  Vorhandensein  eines  bleibenden 
Werkzeug  Vorrates  nur  in  zwei  Fällen:  erstens  dann,  wenn 
die  Werkzeuge  ebenso  dauernd  wären  wie  Boden  und  Arbeits- 
kraft und  zweitens  dann,  wenn  sie  sich  wirklich  von  selbst 
wiederorzeugten ,  nicht  in  jenem  figürlichen  Sinne,  in  dem 
das    manche     Ökonomen    behaupten,    sondern    tatsächlich 
physisch,   wie   etwa   organische   Wesen.     Der   Kapital- 
ersatz ist  also  nicht  eine  letzte  Tatsache, son- 
dern ein  Problem   und  das  nicht  erkannt  zu  haben,  ist 
ein  Fehler  von,   wie  wir  sehen  werden ,  großer  Tragweite, 
ein   ebenso    großer,   wie   die  Verkennung  des   Reinertrag- 
problemes  überhaupt. 

Die  Fragestellung  des  letzteren  verliert  natürlich  nicht 
ihre  Bedeutung.    Immer  ist   der  Wert  der  Produkte  gleich 


über  den  dritten  statischen  Einkonnnonszweig.  30  7 

dein  der  Produktionsmittel  und  daß  dem  Besitzer  des 
letzteren  mehr  zufällt,  ist  noch  immer  der  Kernpunkt  des 
Zinsproblemes ;  aber  es  erscheint  nunmehr  in  etwas  anderem 
liichte.  Jedenfalls  haben  wir  vom  Rohertrage  auszugehen, 
er  ist  das  einzige,  was  gegeben  ist,  und  in  unserem  Systeme 
ist  er  gleich  dem  Werte  des  Werkzeuges,  dem  er  zuzurechnen 
ißt.  Der  Werkzeugvorrat  ist  aber  ein  gegebener,  und  wir 
kOnnen  den  Ersatz  nicht  mit  den  Mitteln  unseres  Systemes  be- 
handeln. Man  bemerke  also,  daß  unsere  statische  Wirtschaft 
keine  „ stationäre *"  ist.  Die  letztere  müßte  einen  solchen 
Ersatz  vornehmen,  die  statische  Wirtschaft  tut  das  nicht. 
Sie  gilt  also  nur  für  einen  Augenblick.  Wir  sehen  hier, 
wie  sehr  wirklichkeitsfremd  sie  ist  und  es  ist  ja  auch  nicht 
anders  möglich:  Die  Wirklichkeit  ist  ja  voll  Leben  und 
Bewegung. 

Wir  sagten,  daß  es  eine  Fiktion  involviere,  vom  Selbst- 
ersatze  der  Werkzeuge  zu  sprechen :  Es  ist  das  eine  Fiktion 
ganz  gleichen  Wesens  wie  jene,  die  darin  liegt,  daß  die 
Werkzeuge  einen  Zins  tragen,  wie  der  Kirschbaum  Kirschen. 
Diese  Fiktion  ist  in  derselben  Weise  wirklichkeitsfremd,  aber 
vielleicht  für  manche  Zwecke  ebensowenig  unbrauchbar,  wie 
die  erstere.  Es  wäre  zu  weit  gegangen,  beide  einfach  ver- 
werfen zu  wollen:  Nur  als  Tatsachenaussagen  sind  sie 
„falsch *".  Die  Werkzeuge  werden  verbraucht,  man  erzeugt 
andere,  die  allerdings  in  kurzen  Zeiträumen  im  großen  und 
ganzen  den  verbrauchten  ähnlich  sind  und  in  den  Besitz 
derselben  Personen  kommen.  Aber  notwendig  ist  das  nicht, 
und  nur  für  einen  Moment  ist  es  annähernd  richtig,  der 
so  kurz  ist,  daß  man  ruhig  für  denselben  an  der  Identität 
der  Werkzeuge  festhalten  kann. 

Der  Kern  des  kritischen  Werkes  v.  Boehm-Bawerks 
war  also  die  Herausarbeitung  des  Reinertragsproblemes. 
Wir  haben  diesem  Werke,  durch  das  das  Thema  unendlich 
viel  gewonnen  hat  und  das  auch  die  Grundlage  unserer 
Auffassung  bildet ,  nun  noch  ein  anderes  Moment  hinzu- 
zufügen, das  Problem  des  Kapitalersatzes,  das  auch 
von  V.  Boehm-Bawerk  noch  nicht  genügend  herausgearbeitet 


398  ^^  Verteilungstheorie. 

wurde.  Es  ist  jedoch  ebenso  essentiell  zur  Beurteilong  der 
Sache  wie  das  des  Reinertrages.  Nur  durch  das  YerBtiadui 
dieser  beiden  Punkte  hindurch  führt  der  Weg  zur  ErkeuBtsii 
der  Zinserscheinung. 

§  3.  Unser  System  sagt  uns  also  nur,  dafi  die  prodtt- 
zierten  Produktionsmittel  Wert  und  Preis  haben,  und  di8 
ihre  Besitzer  sich  dafür  andere  Güter  verschaffen  köBBen* 
Welche  Güter  sie  sich  verschaffen,  was  sie  mit  diesem  ihm 
„Einkommen^  anfangen,  das  hängt  von  ihrer  Anlage  usw. 
ab.  Nun  haben  wir  etwas  näher  die  Frage  zu  erOrten, 
welche  wir  bereits  verneinten,  nämlich  ob  wir  in  diesm 
Preise  den  Zins  zu  sehen  haben?  Es  wäre  immerbin  mög- 
lich, dafi  wir  vor  dem  stehen,  was  der  Zinserscheinung  zu- 
grunde liegt,  daß  jene  Preise  der  Werkzeuge  jenes  Element 
in  der  Zinserscheinung  darstellen,  welches  wir  von  unserem 
Standpunkte  aus  zur  Erklärung  derselben  beitragen  können. 
Wie  wir  uns  bei  Lohn  und  Rente  zu  fragen  hatten,  ob  das. 
was  wir  aus  unserem  exaktem  Systeme  ableiten,  wirklich 
dasjenige  ist,  was  reinwirtschaftlich  genommen  jenen  Ein- 
kommenszweigen zugrunde  liegt,  so  haben  wir  uns  auch 
hier  eine  ähnliche  Frage  zu  stellen. 

Mehr  als  irgendwo  ist  hier  eine  solche  Untersuchung 
nötig;  sie  unterlassen  zu  haben,  ist  der  größte  Fehler  der 
meisten  Zinstheorieu.  Jede  theoretische  Ableitung  mufi  ja 
stets  an  den  Tatsachen  verifiziert  werden,  da  es  in  ihrer 
Natur  liegt,  daß  sie  möglicherweise,  obgleich  an  sich  „richtig*, 
nicht  das  Gewünschte  leistet.  Wenn  auch  im  gewisses 
Sinne  ein  den  Regeln  der  Logik  entsprechender  Vorgang 
„unfehlbar''  ist,  so  kann  sich  ein  Fehler  doch  sehr  leicht 
gerade  an  dem  Punkte  einschleichen,  wo  behauptet  wird, 
daß  ein  bestimmtes  exaktes  Resultat  einer  besUnunten  Er- 
scheinung der  Wirklichkeit  entspricht.  Die  Zinstheorie  gibt 
uns  viele  Beispiele  für  die  Wichtigkeit  dieses  Grundsatzes: 
Die  Tatsache  der  Produktivität,  die  Tatsache  des 
„waiting**,  des  Verschiedenschätzen  von  Gegenwarts-  und 
Zukunftsgütern   usw.  —  das  alles  ist  nicht  nur  zweifellos 


Db«r  d«n  dritten  aUtischen  Einkommenuweig.  399 

richtig,  sondern  auch  sehr  pl&usibel,  aber  ob  der  Zins  daraus 
.fließt,  ist  eine  audere  Frage  und  diese  ist  mit  dem  Naeb- 
ureise  solcher  Tatsachen  an  sieb  noch  nicht  gelost. 

Wir  haben  nun  nach  dem  Wesen  der  Zinsersobeinung 
zu  fragen.  Allerdings  sagten  wir  bereits,  daS  wir  keine 
vollständige  Zinstheorie  geben  können;  einiges  aber  mossen 
wir  in  dieser  Hinsicht  tun,  um  jeden  Zweifel  darüber  zu  ver- 
scheuchen,  oh  das  Wesen  der  Zinserseheinung  Oberhaupt  in 
der  Richtung  zu  suchen  sei,  die  mit  den  Worten  „Preis- 
bildung der  Werkzeuge"  charakterisiert  ist. 

An  der  Schwelle  dieser  Erörterungen  wollen  wir  uns 
noch  eines  anderen  Grundsatzes  erinnern,  nämlich.  daS  es 
unsere  Aufgabe  ist,  die  Tatsachen  zu  analysieren,  ohne 
uns  vom  Sprachgebrauche  und  äußerlichen  Ähnlichkeiten 
zwischen  verschiedenen  Dingen  irreffibren  zu  lassen,  nicht 
aber,  „Begriffe  zu  bearbeiten".  Die  unheilvolle  Methode, 
wirtschaftliche  Erscheinungen  mittelst  Analysierung  des 
Sprachgebrauches  erfassen  zu  wollen,  hat  zu  einer  ganzen 
Reihe  von  Verirrnngen  geführt.  Über  die  Kläglichkeit  dieser 
Methode  ist  außerdem  gar  kein  Wort  zu  verlieren.  Ein 
gutes  Beispiel  nun  für  die  Abwege,  auf  die  sie  führt,  ist 
die  Zinstheorie.  Es  ist  nämlich  nichts  klarer,  als  daß  ganz 
verschiedene  Erscheinungen  mit  dem  Namen  „Zins'  be- 
zeichnet werden.  Vor  allem  haben  Mietzins  und  Darlehens- 
zins unmittelbar  nicht  das  geringste  miteinander  gemein. 
Die  Miete  ist  ein  partieller  Kauf,  der  Austausch  gewisser 
Leistungen  eines  dauerbaren  Gutes  gegen  andere  Güter.  Es 
ist  auf  den  ersten  Blick  gar  nicht  einzusehen,  warum  so 
verschiedene  Dinge  überhaupt  denselben  Namen  haben.  Wer 
nnbeeinäufit  an  diese  Erscheinungen  herantritt,  dem  würde 
gar  nicht  einfallen,  sie  gleich  zu  bezeichnen.  Wollte  man 
das  tun ,  so  müßte  man  jeden  Kaufpreis  Zios  nennen. 
Eine  Erklärung  bietet  vielleicht  die  juristische  Auffassung 
der  Sache.  Die  Juristen  haben  den  Darlehenszins  per 
analogiam  des  Mietzinses  konstruiert,  teils,  weil  das  für 
ihre  Zwecke  ganz  praktisch  war ,  teils  auch ,  weil  die 
juristische  Analyse  immer  an  Verdrehung  der  Tatbestände 


400  I^e  Verteilungstheorie. 

das  Möglichste  leistete.  Man  mufi  sich  allgemein  gesprochea 
vor  Annahme  juristischer  Auffassungen  boten,  da  dieadbei 
außerhalb  der  Zwecke  des  Rechtes  meist  völlig  wertloi 
sind.  Wären  Beispiele  nötig,  so  könnte  man  sehr  gut  auf 
den  Eigentumsbegriff  hinweisen. 

Wenn  wir  vom  Zinsphftnomen  sprechen ,  haben  wir  ibo 
von  nun  an  nur  den  „Darlehenszins*  im  Auge,  wobei  wir 
allerdings  sagen  müssen,  dafi  uns  viel  mehr  als  logisdie 
Gründe  die  Betrachtungen  der  Tatsachen  zu  der  Vernrntsag 
veranlassen,  daß  hier  das  Wesen  des  ZinsphftDomens  a 
suchen  ist.  Aber  auch  der  Darlehenszins  ist  wirtschaftlich 
keineswegs  eine  einheitliche  Erscheinung.  Aach  das  ist 
nahezu  eine  Selbstverständlichkeit,  und  der  Rechtsform  Bnd 
dem  Sprachgebrauche  zuliebe  sich  verpflichtet  zu  ftUei, 
eine  einzige  auf  alle  diese  Erscheinungen  passende  Formel 
zu  linden,  ist  geradezu  thöricht.  Welche  Ähnlichkeit  besteht 
denn  zwischen  dem  Vorgange,  den  wir  beobachten,  wenn 
eine  neue  Industrie  ins  Leben  gerufen  werden  soll,  and  dem 
Falle  des  Wucherers,  der  irgendeinem  verschuldeten  IndiW- 
duum  hohe  „Zinsen"  abpreßt  —  also,  der  üblichen  Termino- 
logie zufolge,  obgleich  sie  nicht  ganz  passend  scheint, 
zwischen  Produktiv-  und  Konsumtivdarlehen?  Lediglich  der, 
das  in  beiden  Fällen  dieselbe  oder  eine  ähnliche  Rechts- 
form und  ähnliche  Redewendungen  gebraucht  werden,  b 
beiden  Fällen  sagt  man,  daß  „Kredit  gegeben*  wird,  aber 
ganz  abgesehen  von  einem  sehr  wesentlichen,  von  dem 
wesentlichen  Unterschiede,  auf  den  wir  noch  za  sprechen 
kommen,  begründet  schon  die  Tatsache  der  völlig  ve^ 
schiedenen  Verwendung  des  Darlehens  eine  völlig  ver 
schiedene  Natur  des  Geschäftes.  Vom  Leihen  an  ver- 
schuldete Lebemänner  oder  in  Notlage  befindliche  arme 
Leute  jeder  Art  könnte  wahrlich  die  Kapitalistenklasse 
nicht  leben;  auch  von  den  Staatsanleihen  nicht  und  wenn 
wir  die  Ciröße  und  Wichtigkeit  der  Zinserscheinang,  ihre 
zentrale  Stellunj:  im  Geschäftsverkehre,  im  Wesen  der  In- 
dustrie betrachten,  so  werden  wir  gewiß  am  besten  tun. 
uns    mit    derartigen    Kleinigkeiten   nicht   zu   befassen.    So 


Ober  den  dritten  itatisehen  Einkommenuwdg.  401 

baben  wir  denn  berausgeschält,  was  unseres  Erachtens  den 
Kern  der  ZinserscheinuDg  bildet:  Es  ist  das,  was  wir  den 
„induBtrieDen  Zins"  oeanen  kdnnteD.  Wie  gesagt  können 
wir  dieses  hochinteressante  Pfaftnomen  hier  nicht  erschöpfend 
erklären,  aber  ehe  wir  daran  gehen,  einige  Bemerkungen 
darüber  zu  machen,  wollen  wir  einiges  andere  erörtern,  das 
auch  nach  derselben  Richtung  hinliegt.  Was  wir  festhalten 
wollen  ist  vor  allem,  daß  jedenfalls  der  Preis  der  Leistungen 
der  Werkzeuge  nicht  der  Zins  ist. 

Und  noch  etwas  sei  hier  im  Vorbeigeheu  bemerkt,  daS 
nftmlieh  von  unBerm  Standpunkte  das  kanonistische  Zins- 
verbot  in  ganz  anderm  Lichte  erscheint.  Nicht  die  Zins- 
erscheinnng,  welche  zum  Leben  der  industriellen  Entwieklong 
gehört,  hat  die  Kirche  verbaten.  Diese  hatte  damals  nur 
geringe  Bedeutung.  Sie  verbot  nur  etwas,  was  damit  gar 
nicht  zusammenhängt,  die  Bewucherung  des  Notleidenden,  der 
eines  Konsumtioosdarlehns  bedarf. 

$  4.  Unsere  Ansicht  ist  also,  dafi  es  von  vornherein 
verfehlt  ist,  eine  Zinstheorie  im  Bahmen  der  Statik  aufbauen 
zu  wollen.  Man  kann  so  gar  nie  zu  einer  vollen  und  ge- 
Bonden  Erkenntnis  des  Phänomens  kommen  und  was  die  ein- 
zelnen Zinstheorien,  die  jenen  Versuch  unternehmen,  Gutes 
enthalten,  kann  immer  nur  ein  Teil  der  Wahrheit,  ein  Aus- 
blick auf  einen  ihnen  unerreichbaren  Gipfel  sein.  Um  diese 
richtigen  Elemente  handelt  es  sich  uns  hauptsächlich  hier, 
und  wir  glauben  von  unserm  Standpunkte  einiges  zum  bessern 
Verständnisse  mancher  Theorien  beitragen  zu  können.  Außer- 
dem wollen  wir  hier  jene  KunstgrifFe  untersuchen,  mit  denen 
man  trotzdem  einen  Zins  dort  herasserklärte,  wo  keiner  zu 
finden  ist.  Gewiß  jedoch  können  wir  den  einzelnen  Autoren 
nicht  gerecht  werden ,  da  eine  Dogmengeschichte  hier  zu 
weit  führen  würde. 

Am  allernächsten  liegt  natürlich  eine  Produktivitäts- 
und eine  Nutzungstheorie.  Man  wünscht  eine  Erklärung  für 
die  offenbar  dauernde  Einkommensart  „Zins".  Nach  Analogie 
von  Arbeit  und  Boden   muB   auch  für  diese  eine  da.«.)»^» 

Sehnrnpatar,  HttloDalOkonomit.  ISi 


402  I^i«  Verteilungatbeorie. 

Quelle  vorhanden  sein.  Außer  deo  Geuufigütern  gibt  es 
aber  auf  unserem  Uutersucbungggebiete  neben  Arbeit  und 
Boden  —  diese  beiden  aber  sind  schon  vergeben  —  nur  noch 
die  ^produzierten  Produktionsmittel",  die  schon  aus  andeni 
Gründen  als  ein  für  allemal  gegeben  angenomuien  wurden. 
Diese  Iflßt  man  nun  Nutzungen  tragen  oder  Produkte  herror- 
bringt^n  —  es  ist  das  eigentlich  im  Wesen  ganz  dasselbe, 
da  die  Nutzungen  ja  nur  im  Hervorbringen  von  Prodakteo 
bestehen  —  und  glaubt  damit  seine  Aufgabe  gelöst  zu  haben. 
Wir  haben  aber  nunmehr  den  von  v.  Boehm-Bawerk  dagegen 
angefahrten  Gründen,  welche  wir  ebenfalls  für  richtig  halten, 
neue  hinzuzufügen,  nämlich  erstens  den,  daß  jene  Theorien 
von  der  Annahme  starten,  daS  der  Zins  ein  statischer  Ein- 
komnienszweig  sei,  eine  Annahme,  welche  wir  als  ein  Vor- 
urteil ei'weisen  zu  können  glauben;  weiters  den,  dafi  sie 
voraussetzen,  ditB  im  Mietzinse  und  Oberhaupt  in  den  Werk- 
zeugen das  Wesen  der  Zinserscheinung  zu  suchen  sei ;  und  aurii 
die  letztere  Voraussetzung  halten  wir  for  den  Tatsachen  nicht 
entsprechend.  Besonderes  Gewicht  legen  wir  auf  die  erster«: 
In  ihr  scheint  uns  nftmlicb  die  Erklärung  dafar  zu  liegen. 
daß  man  sich  mit  so  unvollkommenen  ErklArungsversuehen 
zufrieden  gab.  Dieselben  haben  etwas  Verzweifeltes  an  sieh: 
Würde  man  ihre  Autoren  zur  Rede  stellen,  durfte  man  die 
Autwort  erhalten:  ^Aber  es  muß  ja  so  sein,  wo  soll  der 
Zins  denu  sonst  herkommen V  Einmal  in  der  Sackgasw 
des  statischen  Vorurteils,  gab  es  keinen  befriedigenden  Aus- 
weg mehr,  und  daher  kommt  es,  daß  tüchtige  Theoretiker 
die  offenbarsten  logischen  Verstöße,  wie  sie  v.  Boehm-Bawerk 
nachgewiesen  hat,  begiengcn ;  stände  die  Sache  nichtso,  sowlre 
es  ganz  unverstiLudlicb,  warum  gerade  die  Ziustheorie  so  zahl- 
lose Mißerfolge  aufweist;  die  Wurzel  des  Übels  liegt  an  der 
Schwelle  des  Gedankenganges,  über  die  jeder  ahouagalos  ein- 
tritt, um  dann  itiis  dem  Irrwege  nicht  mehr  hinauszufindeu. 
Die  neueste  Produktivitatstheorie  ist  die  Professor 
Clark's.  Anfäuglicli  nahm  ich  an,  daß  infolge  der  v.  Boebm- 
Bawerk'schen  Einwendungen  und  meiner  eigenen  Bedenken 
dieselbe  ebenso  abzulehnen  sei,   wie  alle  andern.     Wieder- 


über  den  dritten  statüchea  EinkommeDisweig.  403 

holtes  Studium  des  Problemea  hat  mich  aber  veranlaßt, 
meine  Ansicht  darüber  etwas  zu  modifizieren :  Wir  haben 
bereits  aber  den  Clarkschen  Kapitalsbegriff  gesprochen  und 
anerkannt,  daß  diese  Fiktion  eine  gewisse  Berechtigung 
habe,  ihr  auch  ein  gewisser  Nutzen  nicht  abgesprochen 
Verden  kfinne.  Wollte  man  nun  annehmen,  daß  dieser  „Fond 
Ton  Produktivkraft"  eine  stete  Quelle  von  Ertr&gen  dar- 
fltflUe,  ebenso  wie  Arbeit  und  Boden,  ohne  sich  dabei 
aufzuzehren,  nun,  dann  könnte  man  sicherlich  von  einem 
Zinse  in  der  statischen  Wirtschaft  sprechen.  Dabei  w&re 
nur  zweierlei  zu  beachten,  erstens,  daS  das  alles  eine  Fiktion 
ist  und  man  darin  keine  Erklärung  des  Zinses  suchen  darf, 
and  zweitens,  daß  dieser  Fond  nichts,  gar  nichts  mit  „Werk- 
seugen*  zu  tun  hat  —  sonst  wftre  die  Sache  falsch.  Das 
klingt  ganz  abenteuerlich,  und  wir  muten  der  theoretischen 
Opferfreudigkeit  des  Lesers  viel  zu,  wenn  wir  verlangen, 
■daß  er  uns  hier  folge.  Allein,  lassen  wir  uns  nicht  leichthin 
abschrecken,  sondern  fragea  wir  lieber,  ob  eine  derartige 
Fiktion  nicht  einen  Sinn  haben  könnte.  Und  sie  bat  Sinn. 
In  ihr  liegt  nämlich  das  einzige  Mittel,  um  von  einem  Zinse 
in  der  Statik  sprechen  zu  können.  Wenn  das  erwünscht  — 
und  das  ist  es  sicher  — ,  wenn  aber  zugleich  unser  Stand- 
punkt richtig  ist,  so  kann  man  nur  in  folgender  Weise  ver^ 
fahren:  Man  scheidet  das  Zinsproblem  aus  der  Statik  aus 
und  löst  es  außerhalb  derselben  irgendwie.  Dann  aber 
nimmt  man  gestützt  auf  die  Tatsache  der  weitgehenden 
Regelmäßigkeit  und  Stetigkeit  des  Zinseinkommens  eine 
solche  dauernde  Quelle  derselben  in  der  Statik  an  und  stellt 
den  Zins  einfach  neben  die  Rente  und  den  Lohn,  was  fOr 
manche  Zwecke  praktisch  sein  kann  und  wobei  man  nur 
darauf  achten  muß,  nichts  zu  sagen,  was  mit  jener  Lösung 
kollidieren  könnte  und  vor  allem,  den  fiktiven  Charakter  der 
Sache  nicht  zu  vergessen.  Vom  Standpunkte  der  Statik 
heißt  das,  daß  man  Wirtschaftssuhjekte ,  die  nach  den  Ge- 
setzen derselben  kein  Einkommen  haben,  doch  mit  einem 
solchen  ausstattet,  ihnen  gleichsam  regelmäßig  eine  bestimmte 
<]ie]d8umme  schenkt.    Und  wenn  wir  diesen  Weg  auch  nicht 


404  ^'®  Verteilangstheorie. 

betreten  wollen ,  so  können  wir  doch  nicht  leugnen ,  dafi  &" 
keineswegs  sinnlos  ist.  Freilich  hat  das  Prof.  Clark  nicht 
gemeint.  Von  seiner  Theorie,  so  wie  sie  ist,  können  wir 
aber  nur  sagen,  daß  sie  einen  Einkommenszweig  konstruiert^ 
der  nicht  existiert,  aber  allerdings  auch,  dafi  diese  Kon- 
struktion, etwas  anders  aufgefaßt,  nicht  einfach  abzotehBeii 
ist.    Doch  können  wir  uns  darauf  nicht  näher  einlassen. 

Aber  die  Erörterungen  Professor  Clark's  haben '  noeh 
andere  Verdienste,  auf  die  wir  bald  kommen  werden.  Wir 
gehen  nun  zu  einer  anderen  Theorie  Ober,  nämlich  zu  der 
Jevons\  Von  ihm  wurde  der  Zins  auf  den  Besitz  von  GenoA- 
gütern  begründet,  wie  bekannt.  Zu  diesem  Zwecke  definiert 
er  geradezu  das  Kapital  als  Genufigfitervorrat  and  gerade 
dieser  Schritt  führt  uns  zu  einem  tiefem  Verständnisse  seiner 
Theorie.  Wie  kommt  er  dazu,  das  Kapital  so  su  definieren? 
Er  tut  das  nur  zu  dem  Zwecke  seiner  Zinstheorie.  Ancb 
er  geht  offenbar  von  einem  statischen  Systeme  aus  und  man 
kann  sich  vorstellen ,  daß  sein  Gedankengang  vielleicht  ein 
ganz  ähnlicher  war,  als  der  jener  Theoretiker,  welche  wir 
bereits  betrachteten.  Auch  er  tritt  durch  jene  verhängnisvolle 
Pforte  an  das  Problem  heran  und  meint,  im  Systeme  einen 
Platz  für  den  Zins  unbedingt  finden  zu  müssen.  Arbeit 
und  Boden  können  ihn  nicht  tragen  und  so  bleiben  nur 
noch  die  Werkzeuge  und  dann  die  Genufigüter  im  Systeme 
übrig.  Jevons'  Verdienst  ist  es  nun,  erkannt  zu  haben,  daft 
der  Mietzins  kein  Zins  sei.  Er  sah,  dafi  sicherlich  die 
produzierten  Produktionsmittel  als  solche  keinen  Zins  tragen« 
daß  eben,  wie  wir  sagten,  Überlassung  ihrer  Nutzungen  ein 
partieller  Kauf  sei,  der  sich  vom  Genußgüterkaufe  durch 
nichts  Wesentliches  unterscheide.  Nun  aber  suchte  er  nach 
einer  anderen  Quelle  des  Zinses.  Sein  Blick  fiel  auf  die 
einzige  noch  vorhandene  Art  von  Elementen,  auf  die  Genufi- 
güter, und  da  lag  denn  gar  nichts  näher,  als  der  Gedanke, 
daß  in  ihnen  die  Lösung  des  Rätsels  liegen  müsse,  daß 
ferner  im  Momente  der  Zeit  des  nähern  die  Erklärung  zu 
finden  sei^  weil  sie  sich  ja  nur  dadurch  von  Produktivmitteln 
unterscheiden. 


über  den  dritten  statischen  Einkommenszweig.  405 

Mit  welchem  Rechte  erlauben  wir  uns,  Jevons  hier  diesen 
<jedankengang  zu  imputieren,  der  möglicherweise  nicht  der 
seine  war?  Wir  müssen  es  tun.  Wir  glauben,  daß  man 
«ine  Theorie  nicht  eher  versteht,  bis  man  das  Gefühl  hat, 
die  Gedanken  [ihres  Schöpfers  förmlich  zu  sehen.  Dieses 
ijefühl  gewahrt  eine  lebhafte  Befriedigung,  aber  aufierdem 
hat  dieses  Bemühen  auch  eine  sehr  praktische  Bedeutung: 
Es  gibt  uns  nämlich  ein  Mittel  zur  Beurteilung  der  be- 
treifenden Theorie  an  die  Hand.  Wenn  wir  Jevons  richtig 
nachgefühlt  haben,  so  ist  eines  sicher,  nämlich  daß  seine 
Theorie  nicht  unmittelbar  der  Beobachtung  von  Tatsachen 
•entsprang.  Wohl  beruhte  sie  mittelbar  darauf,  da  unser 
ganzes  System  darauf  beruht,  aber  er  ist  nicht  s  o  zu  seiner 
Zinstheorie  gekommen,  daß  er  das  Wirtschaftsleben  be- 
trachtend sich  etwa  gedacht  hätte,  infolge  seines  Besitzes 
an  fertigen  Genußgütern  erlange  der  Kapitalist  seinen  Zins. 
Ich  glaube  auch  nicht,  daß  er  die  psychologische  Tatsache 
der  Unterschätzung  der  Zukunft  zuerst  betrachtet  und  bei 
ihrer  Betrachtung  dann  auf  einen  Zusammenhang  mit  der 
Zinserscheinung  gekommen  sei;  sondern  vielmehr,  daß  er 
zuerst  sozusagen  mittelst  einer  Art  von  »Eliminationsmethode'' 
2U  jener  Gruppe  von  Elementen  kam,  die  eben  übrig  blieb, 
nachdem  er  bezüglich  aller  anderen  die  Frage,  ob  der  Zins 
aus  ihnen  fließe,  verneint  hatte.  Und  dann  eben  suchte  er 
nach  Gründen,  welche  jene  logischen  Notwendigkeiten  materiell 
rechtfertigen  sollten.  Gegen  eine  solche  Theorie  aber  werden 
alle  Vermutungen  sprechen.  Wir  z.  B.  werden  von  vorn- 
herein geneigt  sein,  ihren  Obersatz,  nämlich  die  Notwendig- 
keit einer  statischen  Erklärung,  in  Abrede  zu  stellen,  und 
in  diesem  Falle  schon  von  allem  Anfange  an  diese  Theorie 
in  Zweifel  ziehen.  Nicht  aber  die  Gründe,  mit  denen 
Jevons  sie  gestützt  hat :  Diese  sind  vielmehr  ganz  evidenter- 
maßen richtig.  Wir  vermissen  nur  den  Nachweis,  daß  die 
Zinserscheinung  auf  diesen  Tatsachen  beruhe. 

Es  scheint  uns  das  auch  gar  nicht  der  Fall  zu  sein. 
Selbst  jedoch,  wenn  es  der  Fall  wäre,  so  wäre  diese  Theorie 
keine  statische.    Und  hier  kommen  wir  auf  eins  der  früher 


406  I^c  Verteilangstheorie. 

erwähnten  Verdienste  Clark's,  nämlich  nachgewiesen  zu 
haben,  daB  im  statischen  Zustande  weder  „waiting*  noch 
die  Unterschfttzung  künftiger  BedQrfhisbefiiedigaDg  eine 
Rolle  spielen  könne  und  zwar  aus  dem  folgenden  Omiide: 
Ist  eine  bestimmte  Menge  von  „Kapitar  gegeben  und  wird 
kein  neues  gebildet,  —  was  allerdings  nach  unserer  AuffassoBg 
auch  involviert,  daß  das  alte  nicht  ersetzt  wird,  —  da  kann 
nichts  anderes  geschehen,  als  in  der  besten  der  bekannten 
Weisen  eben  den  Produktionsprozeß  durchzufahren;  und  das 
wird  auch  geschehen,  mag  man  immerhin  gegenwärtige  Be- 
dürfnisbefriedigung höher  schätzen  als  die  zukünftige  — 
und  das  tut  man  ja  sicher,  das  bestreiten  wir  nicht.  Eine 
Bedeutung  kann  das  nicht  haben,  da  man  unter  allen  Um- 
ständen die  Güter  bereits  hat  oder  auf  die  Be- 
endigung des  Produktionsprozesses  warten  mufi. 
Ganz  ähnliche  Bemerkungen  ergeben  sich  bezüglich  der 
Abstinenztheorie.  Auch  sie  ist  eines  jener  Hilfsmittel,  welche 
es  uns  ermöglichen  sollen,  trotz  allem  aus  unserm  Systeme 
noch  eine  Zinstheorie  zu  gewinnen.  Sie  wurzelt  oifenbar 
in  der  Theorie  der  „produktiven  Dienste**,  hat  also  einen 
etwas  andern  Ausgangspunkt  als  die  bisher  besprochenen. 
Der  hervorragendste  unter  ihren  Vertretern,  Senior,  läßt 
uns  das  ganz  deutlich  erkennen.  Um  für  die  drei  Ein- 
kommenszweige drei  ebenso  dauernde  Quellen  zu  finden, 
stellt  er  neben  Arbeit  und  Boden  als  dritten  Produktions- 
faktor die  Abstinenz.  Daß  heißt  nun  gar  nichts  andereSr 
als  „Werkzeuge"  ohne  eine  bestimmte  Form  —  auch  das 
ist  nur  „aufgehäufte  Produktivkraft"  mit  dem  einzigen  Unter- 
schiede gegenüber  der  Produktivitätstheorie,  daß  diese  Pro- 
duktivkraft nicht  in  Arbeits-  und  Bodenleistungen ,  sondern 
in  einem  Faktor  sui  generis  besteht.  Für  die  Beurteilung 
dieses  Hilfsmittels  ist  nun  wiederum  keineswegs  entscheidend, 
ob  es  etwas  wie  Abstinenz  wirklich  gibt  oder  nicht.  Das 
ist  ganz  sicher  der  Fall,  und  die  Bemühungen  der  Vertreter 
dieser  Theorie,  die  Existenz  dieses  Momentes  zu  beweisen, 
sind  ganz  überflüssig:  Niemand  wird  sie  bestreiten.  Die 
Frage  ist  nur,  ob  sie  mit  dem  Zinse  etwas  zu  tun  hat    Das 


Ober  den  dritten  statischen  Einkommenszweig.  407 

ist,  wie  wir  uns  herauszuarbeiten  bemühen,  immer  der  ent- 
scheidende Punkt  bei  allen  diesen  Theorien*  Sie  beruhen 
tatsächlich  nicht  unmittelbar  auf  Tatsachenbeobachtung, 
sondern  verdanken  ihre  Entstehung  unseren  wissenschaft- 
lichen Bedürfnissen.  Auch  Senior  hat  gewifi  keinen  Zu- 
sammenhang zwischen  Abstinenz  und  Zins  bei  der  Betrachtung 
des  Getriebes  des  vrirtschaftlichen  Lebens  entdeckt  Das 
gienge  schon  deshalb  nicht,  weil  ein  so  verborgener  Zusammen- 
hang sich  nicht  aus  der  Beobachtung  unmittelbar  ergibt. 
Wir  fordern  das  auch  keineswegs,  sondern  erkennen  an,  dafi, 
nachdem  wir  einmal  von  der  Wirklichkeit  ausgehend  unser 
abstraktes  System  gebaut  haben,  uns  dasselbe  sehr  wohl 
nun  weiter  auch  selbständig,  das  heißt  ohne  dafi  eine  neue 
Beobachtung  herangezogen  werden  müfite,  manche  inter- 
essanten Resultate  geben  kann.  Nur  darf  man  dabei  zweierlei 
nicht  vergessen:  Vor  allem,  daß  der  hier  diskutierte  Ge- 
dankengang eine  ganz  neue  Tatsache  von  außen  her  herein- 
zieht und  ganz  offenbar  lediglich  zum  Zwecke  der  Er- 
klärung des  Zinses  in  unser  System  einführt.  Das 
geht  nicht  so  ohne  weiteres,  sondern  macht  eine  Reihe  von 
Reserven  und  Vorsichtsmaßregeln  nötig,  wenn  die  Historiker 
nicht  Recht  haben  sollen  mit  ihrem  Vorwurfe  haltloser 
Spekulation.  Eine  solche  Tatsache  muß  an  sich  sehr  sicher 
gestellt  sein  und  auch  in  ihrem  Zusammenhange  mit  den 
übrigen  Elementen  unseres  Systems  sehr  genau  untersucht 
werden.  Das  tut  nun  die  Abstinenztheorie  nicht.  Trotzdem 
verurteilen  wir  ein  solches  Vorgehen  nicht  a  limine.  Es 
kann  ja  doch  zu  gesunden  Resultaten  führen,  in  der  richtigen 
Hand  wenigstens,  und  jede  Methode,  die  das  tut,  hat  ihre 
Berechtigung;  aber  von  vornherein  liegt  für  uns  nicht  der 
geringste  Grund  vor,  anzunehmen,  daß  die  herangezogene 
Tatsache  das  gewünschte  Resultat  liefert.  In  allen  Fällen  aber 
ist  dann  stets  noch  —  und  selbst  dann,  wenn  wir  aus  unsern 
sichersten  und  direkt  auf  den  Tatsachen  beruhenden  Grund- 
lagen unseres  Systemes  Schlüsse  ziehen —  eine  Verifizierung 
der  Resultate  nötig,  eben  jener  Nachweis,  von  dem  wir  oben 
sprachen.    Und   diese  Verifizierung  vermissen  wir.    Das  ist 


408  ^®  Verteilungstheorie. 

nun  unser  Haupteinwarf  gegen  die  Abstinenztheorie.  Nur 
eine  Theorie,  die  jenen  Anforderungen  genügt,  welche  wir 
hier  kurz  zu  skizzieren  uns  bemühen,  ist  wirklich  korrd[t 
wirklich  wissenschaftlich  und  wird  von  jenen  Einwendiugra 
der  Gegner  der  Theorie  nicht  getroffen. 

Senior  und  seine  Nachfolger  gingen  also  von  der  An- 
nahme aus,  daß  dem  regelmäfiig  fließenden  Zinse  eine 
dauernde  Quelle  entsprechen  müsse.  Und  diese  zunächst 
ganz  gestaltlose  Ursache,  die  einem  Kleiderstocke  gleicht, 
wurde  dann  mit  dem  Momente  der  Abstinenz  umhüllt.  Was 
sonst  noch  dazu  gesagt  werden  mag,  ist  „Spekulation''.  Das 
also  zusammen  mit  den  Einwendungen  v.  Boehm-Bawerk's 
und  dem  Nachweise  Clark's,  daß  es  in  der  Statik  kein 
„waiting""  geben  oder  doch,  daß  dasselbe  keinen  EinfiuS 
haben  könne  —  das  sind  die  „Entscheidungsgründe"  für  das 
Todesurteil  der  Abstinenztheorie. 

§  5.  Es  obliegt  uns  noch,  zu  der  weitaus  bedeutendsten 
Schöpfung  auf  dem  Gebiete  der  Zinstheorie  Stellung  zu 
nehmen,  zu  der  Theorie  v.  Boehm-Bawerk's.  Denn  wenn 
wir  auch  alle  andern  Zinstheorien  abgelehnt  haben,  so  er- 
gibt sich  immer  noch  die  Frage,  wie  wir  zu  dieser  stehen. 
Auch  bei  ihr  ist  für  uns  eine  vollständige  Würdigung  un- 
möglich, ebenso  wie  eine  auf  den  Grund  gehende  Analyse. 
Wir  fragen  lediglich  darnach,  worin  ihr  Wesen  besteht,  was 
ihre  Voraussetzungen  sind  und  was  wir  auf  unserm  Wege 
aus  ihr  gewinnen  können.  Auch  können  wir  hier  kein  ab- 
schließendes Urteil  über  sie  gewinnen,  aus  welchem  Grunde 
wird  sie  gleich  zeigen.  Es  ergeben  sich  nur  auf  einigen 
Punkten  unseres  W^eges  manche  Ausblicke  auf  verschiedene 
Seiten  dieses  theoretischen  Baues,  die  wir  kurz  skizzieren 
wollen,  aber  wir  kommen  nicht  ganz  zu  ihm  hin  und  dringen 
nicht  in  sein  Inneres  ein. 

V.  Boehm-Bawerk  erkennt  die  Tatsache,  daß  das  auf 
dem  Zurechnungsprol)leme  fußende  System  die  Zinserscheinung 
nicht  erklärt,  vollkommen  an,  allerdings  nur  in  der  Form, 
daß  er  sagt,  die  Produktivitätstheorie  ergebe  keinen 


Ober  den  dritten  Btatischen  Einkommenuweig.  409 

Zins.  Sein  Problem  ist  es,  die  Zinserscheinung  trotzdem 
2U  erklären;  wir  können  jedoch  nicht  genau  sagen,  ob  er 
seine  Erklärung  selbst  als  „ statisch  **  bezeichnen  würde  oder 
nicht.  Das  hängt  damit  zusammen,  daß  er  auf  den  Unter- 
schied zwischen  Statik  und  Dynamik  keinen  großen  Wert  legt. 
Soweit  sich  auch  bei  ihm  nicht  alle  Elemente  auf  einmal 
^on  Grund  aus  ändern  können,  betrachtet  er  eine  Art  statio- 
nären Zustandes,  der  sich  zwar  immer  wiederholt,  aber  nicht 
Töllig  die  Merkmale  unseres  statischen  Zustandes  wiedergibt. 

Er  geht  also  von  der  Zinserscheinung  aus  und  definiert 
-den  Zios  als  das  Agio  der  Gegenwarts-  gegenüber  den  Zu- 
kunftsgütem,  und  sein  Problem  ist  nun,  die  Ursachen  dieses 
Agios  zu  untersuchen.  Deren  gibt  es  drei:  Verschiedenheit 
4er  Deckung  des  Bedarfes  eines  Wirtschaftssubjektes  in 
-Gegenwart  und  Zukunft,  die  psychologische  Tatsache  der 
hohem  Schätzung  von  Gegen wartsgütem,  von  gegenwärtigen 
"Genüssen,  gegeoüber  zukünftigen  und  eine  Tatsache  pro- 
duktionstechnischer Natur,  nämlich  die  überproportionell 
höhere  Produktivität  längerer  Produktionsperioden  gegenüber 
kürzeren.  Das  ist  alles,  worauf  sich  unsere  Bemerkungen 
beziehen  werden,  so  wünschenswert  es  auch  ist,  daß  diesem 
theoretischen  Gebäude  endlich  einmal  wirklich  eine  Kritik 
von  der  Gründlichkeit  und  Tiefe  wird,  die  es  verdient. 

Der  Ausgangspunkt  der  Theorie  ist  jedenfalls  die  Tat- 
sache des  Zinseinkommens  und  von  dort  her  ist  auch  Boehm's 
Kapitalstheorie  zu  verstehen.  Bei  allen  Zinstheorien  be- 
obachten wir  das.  Während  man  sich  bei  Rente  und  Lohn 
fragt,  wie  Boden  und  Arbeit  zu  ihrer  Entlohnung  kommen, 
also  hier  von  der  Seite  des  Produktionsfaktors  zu  dem  Ein- 
kommen, das  es  abwirft,  vorschreitet,  so  geschieht  beim 
Ziuse  immer  das  Gegenteil.  Man  sieht  den  Zins  und  fragt 
sich,  woher  er  kommt.  Das  ist  an  sich  nur  naturgemäß 
und  zeigt  ganz  deutlich,  daß  das  Problem  des  Zinses  ein 
schon  methodologisch  ganz  anderes  ist,  als  das  von  Lohn 
und  Rente  und  diesen  nur  durch  Kunstgriffe  und  Hilfsmittel 
analog  gestaltet  werden  kann.  Das  zeigt  uns  auch,  wie  sehr 
wir  gegenüber  allen  Kapitalstheorien  auf  unserer  Hut  sein 


410  1^6  Verteiltmgstheorie. 

mttssen,  wie  sehr  wir  hier  auf  dem  Boden  der  theoretischen 
Eonstiiiktion  und  nicht  auf  dem  der  Tatsachen  stehen« 

Aber  v.  Boehm-Bawerk  scheint  einen  Schritt  weiter  aof 
dem  Gebiete  der  Tatsachen  zu  tun,  als  die  übrigen  Theoretiker 
und  einen  Moment  später  als  sie  das  theoretische  GertMe 
zu  betreten.    Seine  Aufstellung  nämlich,  daB  der  Zins  jenes 
Agio  sei,   scheint  Tatsachenbeobachtung  darzustellen,  wie 
seine  Bemerkung   anzudeuten  scheint,  daB  seine  Theorie, 
ganz  einfach  ausgedrückt,  an  Selbstverständlichkeit  grenze. 
Und  doch  ist  jener  Satz  nur  in  einem  bestimmten  Sinoe 
selbstverständlich,  in  einem  andern  enthält  er  schon  eine 
Theorie.    Ganz  sicher  richtig  ist  er  nämlich  nur  dann,  wenn 
wir  vom  Gel  de  sprechen.    Nur  das  Eonsumtivdarlehen  kun 
in  Güter  irgendwelcher  Art  gegeben  werden  —  und  dieses 
interessiert  uns  nicht  aus  dem  früher  angeführten  Grunde  — , 
bei  jedem  andern  Darlehen,  das  heißt  also,  bei  dem  Darlehen 
für  eine  industrielle  Tätigkeit,  besteht  es  weder  in  GenuS- 
gütem  zur  Konsumtion  des  Entlehners  noch  in  ProduktiT- 
mittein,  die  bereits  vorhanden  wären.    Es  besteht  vielmehr 
aller  Regel  nach  in  Geld  und  jedenfalls  nur  in  Dingen,  ffir 
die  man  andere  kaufen  will.    Man  pflegt  nun  so  ganz  ohoe 
weiteres  anzunehmen,  daß  man  das  Moment  des  Geldes,  das 
man   bezeichnenderweise  eine  „Hülle**,   einen  „Mantel**  der 
Erscheinungen    nennt,    einfach    weglassen   könne.     Es  ist 
ganz  klar,  daß  das  sehr  oft  möglich  ist,  aber  jedesmal  muS 
das  nachgewiesen   werden,   wenn   man  nicht  Gefahr  laufen 
will,  auf  einmal  zu  bemerken,  daß  das  Geld  unter  Umständeo 
noch  eine  andere  Rolle  in  der  Theorie  zu  spielen  vermag, 
als  die  eines  Wertmessers  und  bequemen  Ausdruckes  und 
daß  man  diese  Rolle  übersehen  habe.    Populär  gesprochen 
also  ist  der  Zins  gewiß  ein  Agio  von  gegenwärtigem  Geld 
über  künftiges  Geld.    So  stellt  er  sich  auf  dem  Geldmarkte 
unmittelbar  dar.    Sagt  man  aber,  er  sei  ein  Agio  von  gegen- 
wärtigen Genußgütern,  dann  liegt  darin  erst  noch  ein 
Beweisthenia,  eine  bestimmte  Theorie.    Nicht  daB  Gegen- 
wartsgüter  sozusagen  ein  psychologisches  Agio  haben,  steht 
dabei  in  Frage,  wohl  aber,  daß  dasselbe  jenes  des  Geldes  erklärt. 


über  den  dritten  etatiBchen  Einkommenszweig.  411 

Nach  diesen  einleitenden  Bemerkungen  fragen  wir  nach 
dem  weitem  Vorgehen  von  Boehm-Bawerk's.  Das  erste,  wu 
bei  der  Betrachtung  seiner  drei  Gründe  aufftllt,  ist  ihre 
völlige  Verschiedenheit,  und  wenn  wir  uns  dessen  ertDDem, 
was  wir  ober  die  Verschiedenheit  der  anter  dem  Namen 
„Zins"  zuBammengefaSt«n  Erscheinungen  sagten,  so  wird 
ans  das  anch  weiter  nicht  wandernehmen.  Der  erste  Grand 
hat  bei  6oehm>Bawerk  keine  prinzipielle  Bedeutung,  da  er 
nur  die  Eonsunitivdarlehen  des  Notleidenden  betriift.  In 
einem  etwas  anderen  Sinne  kann  dieser  Grund  denuoch  sehr 
wichtig  werden,  aber  hier  interessiert  er  uns  nicht  weiter. 
Die  andern  beiden  Gründe  bedeuten  die  Einfahrungen  zweier 
nenen  Tatsachen  in  unser  System,  zweier  neuer  Hypothesen. 
Was  fOr  uns  an  denselben  vor  allem  wichtig  ist,  ist  nun, 
dafi  sie  nicht  statisch  sind.  Die  erste,  die  Unterschätzung 
zukünftiger  Genüsse  kann  im  statischen  Zustande  nicht  in 
der  gewQnscbten  Weise  wirksam  werden,  wie  wir  bei  der 
Diskussion  der  Theorie  Jevons'  sahen.  Hat  sie  überhaupt 
eine  Bedeutung,  was  wir  durchaus  nicht  entscheiden  wollen, 
da  das  ganz  außerhalb  des  Rahmens  der  Aufgabe  liegt,  die 
jetzt  unsere  Aufmerksamkeit  in  Anspruch  nimmt,  so  kann 
diese  Bedeutung  nur  auf  dem  Gebiete  der  Dynamik  liegen. 

Aber  ebenso  verhalt  es  sich  mit  dem  dritten  Grunde. 
Derselbe  wurde  von  verschiedenen  Seiten  angegriffen ,  auch 
vielfach  mit  dem  „Werkzeuge"  der  Produktivitätstheorie 
verwechselt.  Uns  scheinen  die  erhobenen  Einwendungen  im 
allgemeinen  nicht  stichhaltig,  wenn  wir  auch  über  den 
folgenden  Punkt  nicht  ganz  im  Klaren  sind :  Wenn  auch  die 
tlberproportionelle  Produktivität  etwas  ganz  anderes 
ist  als  die  gew&hnliche,  auf  ganz  andere  Momente  Gewicht 
legt,  wird  einem  Werkzeuge  nicht  trotzdem  das  Ganze  des 
Wertes  seiner  Produkte  zugerechnet  werden,  so  d»6  es  einen 
Überschuß  nicht  ergeben  kann,  mit  andern  Worten,  trifft 
derselbe  Einwand,  der  gegenüber  der  gewöliulichen  Produk- 
tivitAtstheorie  so  schlagend  ist,  nicht  auch  diesen  dritten 
Grund?  Und  femer  ist  es  wirklich  ganz  sicher,  daß  das 
Wesen  des  Kapitalphänomens  nur  hierin  zu  suchen  ist?    Aber 


r 

I 


412  ^0  Verteilangstheorie. 

das  wollen  wir  nicht  untersuchen,  doch  etwas  anderes  muß 
hervorgehoben  werden.  Werden  „zeitraubende  Produktion»- 
umwege**  eingeschlagen,  so  kann  man  im  Zweifel  sein,  ob 
das  innerhalb  des  statischen  Systemes  möglich  ist  Dasselbe 
bietet  dazu  jedenfalls  nur  das  Moment  des  Sparens  dir; 
daß  uns  dasselbe  aber  nicht  geeignet  erscheint,  die  ihm  n- 
gewiesene  Rolle  zu  erfüllen,  haben  wir  bereits  gesagt.  Aber 
femer,  wenn  die  neue  Produktionsmethode  durchgefQhrt  ist, 
so  hat  sich  im  Systeme  alles  verändert,  selbst  die  NaUir 
und  die  Menschen  sind  in  ihren  Beziehungen  zueinander 
nicht  dieselben  geblieben,  die  ganze  Anlage,  das  ganze  Leben 
der  Menschen  wird  durch  die  nunmehr  andern  Verhftltnitte 
geändert,  die  Rolle  von  Boden  und  Arbeit  verschiebt  sieb, 
die  Organisation  der  Volkswirtschaft  wird  eine  andere,  neue 
Tendenzen  werden  zutage  treten  und  vor  allem,  infolge 
dieser  Umstände  wird  nun  ein  weiterer  Fortschritt  sich  voll- 
ziehen usw.,  in  immersteigender  Skala.  Vielleicht  nun  ist 
die  diskutierte  Theorie  ein  ganz  vorzügliches  Kittel,  gewisse 
Vorgänge  der  Dynamik  exakt  zu  erfassen,  statisch  ist  sie 
jedenfalls  nicht,  das  zeigt  schon  der  Umstand,  daß  sie  aaf 
den  Zeitablauf,  auf  lange  Perioden,  Gewicht  legt. 

Wenn  wir  aber  sagten,  daß  wir  in  dem  Momente  der 
produzierten  Produktionsmittel  nicht  den  Schlüssel  für  die 
Zinserscheinung  sehen  können,  so  müssen  wir  doch  betonen, 
daß  das,  wie  wir  es  meinten,  an  sich  noch  nicht  gegen  die 
Theorie  von  Boehm-Bawerk's  spricht,  da  diese,  wie  der  Leser 
sieht,  die  Sache  wesentlich  anders  behandelt,  als  jene  anderen 
Theorien.     Wir  kommen  noch  kurz  darauf  zurück. 

Nun,  was  hat  es  für  Konsequenzen,  daß  diese  Theorie 
„nicht  sUitisch^  ist?  Man  könnte  sagen,  daß  das  ja  irrelevant 
sei,  wenn  sie  nur  das  Gewünschte  leiste.  Und  doch  ist 
dieses  Moment  sehr  wichtig:  Wir  können  den  Zins  nicht 
innerhalb  unseres  Systems  in  seiner  einfachsten  Form  erklären. 
Gehen  wir  aber  darüber  hinaus,  dann  stehen  wir  mitten  in 
Entwicklung  und  Bewegung,  wie  angeführt  Wenn  wir 
trotzdem  an  mehr  oder  weniger  stationären  Verhältnissen 
festhalten  wollen,  so  liegt  darin  eine  neue  Stufe  der  Ab- 


Ober  den  dritten  Btatischen  Einkommenuweig.  413 

Btraktion,  ein  Schritt  weiter  weg  von  der  Wirklichkeit. 
Doch  aber  müssen  wir  das.  Denn  andernfalls  wOrde  sich 
eine  ganze  Reihe  neuer  Probleme,  die  gegen  das  große 
Thema  der  Entwicklung  zu  liegen,  in  unseren  Weg  drangen, 
wie  wir  sahen.  Und  das  würde  es  unmöglich  machen,  iigend- 
welche  klaren  Bewegungagesetze  abzuleiten.  Bei  Lohn  und 
Rente  ist  die  Sache  vODig  anders.  Da  kOnnen  wir  unsere 
Betrachtung  ganz  gut  durchführen.  So  ist  es  denn  un- 
möglich, den  Zins  neben  Lohn  und  Rente  zu  stellen  und 
seine  Bewegungsgesetze  jenen  der  letzteren  unmittelbar 
zu  koordinieren.  Vielleicht  erklart  sich  daraus  das  Un- 
befriedigende an  allen  Versuchen,  das  zu  tun,  und  die  vielen 
Einwürfe,  die  gegen  Ricardo's  diesbezügliche  Formeln  er- 
hoben wurden.  Dieser  Sachverhalt  kann  uns  von  unserem 
Standpunkte  aus  nicht  befremden  und  wir  glauben,  ihn  als 
eine  Bestätigung  der  Richtigkeit  desselben  betrachten  zu 
können.  Nich{  infolge  unserer  WillkOr,  ganz  von  selbst 
vielmehr  fällt  die  Zinserscheinung  aus  unserem  Systeme 
heraus,  welches  gleichwohl  der  Ausdruck  jener  Methode  ist, 
die  wir  einschlagen  müssen.  Da  haben  wir  keine  Wahl. 
Eine  solche  steht  uns  b&chstens  in  der  Beziehung  offen,  daß 
wir  mit  Hilfe  von  Fiktionen  und  weiteren  Annahmen  den 
Zias  doch  in  unser  System  pressen  könnten.  Wir  sind  aber 
der  Ansieht,  daß  diese  Methode  uns  die  Einsicht  in  sein 
Wesen  und  den  Ausblick  auf  sehr  wichtige  Probleme  ver- 
barrikadiert und  daß  sie  höchstens  ein  provisorisches  Palliativ- 
mittel darstellt,  das  einer  vollkommeneren  Betrachtung  zu 
weichen  bestimmt  ist,  die  im  Rahmen  der  Statik  nicht  möglich 
scheint.  Den  Zins  aus  derselben  auszuschließen,  ist  dann 
die  andere  Möglichkeit  und  in  dem  Momente,  wo  wir  sehen, 
daß  wir  auf  diesem  Wege  zu  einer  wirklich  befriedigenden 
Theorie  kommen  können,  haben  jene  Kunstgriffe  ihre  Existenz- 
berechtigung verloren. 

Wir  wollen  nun  die  Umrisse  dieser  neuen  umfassenden 
Theorie  andeuten,  wobei  wir  nochmals  auf  v.  Boehm-Bawerk's 
Lehre  zurückkommen  werden. 


414  ^^®  Verteilungstheorie. 

Prolegomena  zu  einer  dynamischen  Theorie  des  Ziates. 

I.  Zu  unbefriedigend  ist  unser  Resultat.  Wir  können  xau  der 
Pflicht  nicht  entziehen,  den  Weg  wenigstens  anzudeuten,  der  Querer 
Ansicht  nach  zum  Wesen  der  Zinserscheinung  fuhrt,  denn  eine  Um- 
theorie,  die  auf  Leugnnng  des  Zinses  überhaupt  hinansULaft,  wird« 
in  fatalem  Sinne  neu  sein.  Wir  hoben  aber  bereits  hervor,  daS  vir 
eine  vollständige  Zinstheorie  nicht  geben  können  und  glauben  gang 
gesagt  zu  haben,  um  zu  begründen,  warum  nicht.  Nur  den  Nachweia. 
daS  die  Zinserscheinung  sich  im  reinen  statischen  Systeme  nicht  sei^ 
wünschen  wir  als  ein  endgültiges  Resultat  betrachtet  zu  sehen,  fv 
das  wir  einstehen  und  das  diskutiert  werden  mag.  Was  wir  noi 
sagen  wollen  hingegen,  dient  nur  dazu,  um  zu  zeigen,  daS  wir  weiter 
wissen  und  uns  über  das  wirkliche  Wesen  der  Zinserscheinong  ideht 
im  Unklaren  sind.  Einerseits  können  wir  im  Rahmen  dieser  Unter- 
suchung keine  Zinstheorie  geben ,  die  sich  da  ja  doch  nicht  aualebci 
könnte  und  viel  mehr  Raum  in  Anspruch  nehmen  würde,  als  die  Pro- 
portionen dieser  Arbeit  ihr  zuweisen ,  und  andererseits  wollen  wir  es 
auch  gar  nicht,  da  wir  es  hier  mit  dem  Wesen  des  statischen  Sjrstens 
zu  tun  haben  und  unsere  Aufgabe  im  Momente  aufhört,  wo  der  Nacit* 
weis  erbracht  ist,  daß  es  sich  hier  nicht  um  eine  statische  ErscheiDODg 
handle.  Wenn  wir  uns  trotzdem  nicht  allein  berechtigt,  sondern  snch 
verpflichtet  glauben,  über  neue  Grundlagen  für  die  Behandlung  ebef 
großen  Problemcd  einige  kurze  Bemerkungen  zu  machen,  so  bitten 
wir  den  Leser,  bedenken  zu  wollen,  daß  dieselben  naturgemift  inhaltlich 
und  formell  mangelhaft  sein  müssen,  daß  sich  eine  Menge  Einwendangeni 
Fragen  und  Zweifel  ergeben,  die  ich  hier  notwendig  unerörtert  IsMen 
muß.  Eine  Kritik  meiner  Bemerkungen  müßte  das  berücksichtigen- 
Namentlich  kann  ich  mir  nicht  verhehlen,  daß  manche  derselben  ober 
flftchlich  und  andere  sogar  als  offenbar  falsch  erscheinen  können. 
Daher  mein  Wunsch,  dieselben,  wenn  möglich,  von  einer  eventnellen 
Kontroverse  aunzunehmen,  die  ja  später  einmal  über  eine  vollständigere 
Exposition  meiner  Theorie  eröffnet  werden  kann. 

Die  negative  Seite  der  Sache  habe  ich  bereits  erörtert.    Sie  steht 
hier   im  Vordergründe.     Wenn   man   zugibt,   daß   sich   aus  unserem 
Systeme  in  seiner  einfachsten  und  allein  korrekten  Form  ohne  weiteres 
ein  Zins  nicht  ergibt  und  femer,  daß  ich  die  Ursache  des  so  unleugbar 
unbefriedigenden  Charakters   aller  statischen  Zinstheorien  sutreffend 
herausgearbeitet  habe,  wenn  man  einsieht,  daß  und  warum  das  Problem 
des  Zinses  in   der  Statik  so  eigentümlich  verkrüppelte  Formen  z^ist 
und  daß  seine  Lösung  in  der  „Dynamik**  gesucht  werden  mnfi,  weil 
der  statische  Apparat  den  Ansbliek  gerade  auf  das  Wesen  der  Sache 
verbarrikadiert  —  dann  ist  alles  erreicht,  was  ich  hier  erreichen  m'ill. 
Das  Folgende  soll  nur  diesen  Eindruck  noch  verstärken  und  zugleich 


über  den  dritten  statischen  Einkommenszweig.  41 5 

zeigen,  wie  ich  über  das  Weitere  denke.  Es  genügt  mir,  wenn  es 
dazu  ausreicht,  dem  Leser  eine  vorlftufige  Vorsteilang  zu  geben  von 
den  Elementen  einer  befriedigenden  Lidsiing  des  Problem  es  und  ihn 
sn  fibeneagen,  dafi  wenigstens  etwas  Wahres  an  denselben  ist 

Unsere  negativen  Resultate  waren  die  folgenden  zwei:  Erstens 
«rkannten  wir,  daft  sich  trotz  des  gegenteiligen  Anscheines  das  Kapital, 
wie  immer  es  definiert  werden  mag,  weder  dauernd  erhält  noch  auto- 
matisch ersetzt.  Dieser  Anschein  beruht  aaf  den  scheinbaren  Tat- 
sachen, daft  der  „Kapitalist**  sein  „Kapital^  behält,  wenn  er  dessen 
„Zins**  verausgabt,  und  daft  der  Besitzer  von  Produktionsmitteln  sich 
häufig  oder  selbst  meist  nach  dem  Verbrauche  desselben  ohne  weiteres 
wieder  in  den  Besitz  von  ähnlichen  setzt  und  ehe  das  nicht  geschehen 
ist,  nicht  von  „Ertrag**  spricht.  Aber  wir  erkannten  darin  keinen 
selbstverständlichen  Vorgang,  sondern  ein  Problem,  unseres  E^rachtens 
aas  zwei  Gründen:  Erstens  weil  sich  das  Kapital,  woraus  immer  es 
bestehen  mag,  eben  nicht  von  selbst  ersetzt  -  was  eine  sehr  banale 
Wahrheit  ist  —  und  sieh  auch  nur  im  Falle  des  „Rentners**  von  selbst 
SU  erhaltsn  s  e  h  e  i  n  t ,  ein  Fall,  auf  den  wir  noch  kommen,  der  aber, 
obgleich  er  den  Anstoß  zu  jener  vermeintlichen  Beobachtung  gab, 
doch  nur  einen  kleinen  Teil  der  Erscheinung  des  Zinses  verkörpert, 
und  zweitens  aus  dem  Grunde,  weil  Ersatz  von  Kapital  ein  mit  der 
Kenschaffung  von  solchem  wesensgleicher  Vorgang  ist.  Das  letztere 
Moment  lehrte  uns  auch,  daft  der  Kapitalersatz  kein  statischer  Vor- 
gang sein  kann,  da  es  die  Neuschaffung  sicher  nicht  ist.  Daraus  ergab 
sich,  daS  man  von  einem  Kapitale  als  einer  dauernden  Ein- 
kommensquelle trotz  aliem^widersprechenden  Anscheine  wenigstens 
immer  dann,  wenn  man  konkrete  Güter  darunter  versteht,  nur  in  einem 
fiktiven  Sinne  sprechen  kann  und  darum  wiederum,  daß  es  ein  ver- 
bäng^isvoller  Fehler  ist,  dem  Gcldkapitale  der  alltäglichen  Erfahrung 
einfach  einen  Werkzeug^orrat  zu  substituieren  und  von  dem  letzteren 
auszusagen,  was  für  das  erstere  zu  gelten  scheint.  Daß  beide  zu 
scheiden  seien,  hat  nur  Clark  erkannt,  aber  auch  er  nicht  in  ent- 
sprechender Weise. 

Unser  zweites  negatives  Resultat  war,  daß  weder  im  Momente 
des  Produktionsmittelvorrates  noch  in  anderen  Momenten,  welche  seine 
Stelle  vertreten  und  unseres  Erachtens  nur  infolge  der  Erkenntnis 
seiner  Unzulänglichkeit  für  diese  Rolle  herangezogen  wurden,  die 
Erklärung  des  Zinses  zu  suchen  sei,  daß  hierin  weder  das  Wesen  des 
Kapital  Phänomens  noch  die  Quelle  f&r  diesen  Einkommenszweig  liege. 
Daraus  folg^  für  uns  aber,  daß  der  Zins  kein  statischer  Einkommens- 
sweig  sei  und  der  Versuch,  ihn  mit  statischen  Mitteln  ableiten  zu 
wollen,  nur  zu  radikal  falschen  Resultaten  fQhren  könne. 

Fügen  wir  jetzt  noch   hinzu,  wie  unseres  Erachtens  produzierte 
Güter  —  ob  Produktiv-  oder  Genußgüter,  macht  keinen  Unterschied  — 


416  ^0  Verteilungstheorie. 

ein  Reineinkommen  abwerfen  können,  dessen  Ezistenx  vieUackt 
manches  beigetragen  haben  mag,  um  die  Ökonomen  irrezuleiten.  Wer 
Werkzeuge  oder  Genußguter  verleiht,  besonders  jener,  der  darmos  di 
Geschäft  macht ,  kann  sehr  wohl  „Einkommen^  daraas  erzidlea,  ab« 
nur  in  folgender  Weise:  Vor  allem  wird  ein  solches  Individaom  eiaei 
Zwischenhandelsgewinn,  den  Gewinn  des  Detailisten,  erzielen  kOuMs. 
Derselbe  würde  eine  Art  von  „Friktionseinkommen"  daretelleiiv  du 
theoretisch  ohne  große  Bedeutung  ist.  Sodann  wird  die  Arbeit,  die 
er  dabei  leistet,  ihm  ein  Einkommen  abwerfen  und  dabei  kaaa  siek 
leicht  der  Anschein  ergeben,  daß  es  von  den  vermieteteii  Gftten 
stamme.  Endlich  kann  der  Vermiether  auch  Monopolist  sein  und  wu 
diesem  Umstände  entsprechenden  Gewinn  ziehen.  Nun  ist  es  rOUif 
klar,  daß  alle  diese  Einkommen  nichts  mit  dem  Zinse  zu  tan  babea, 
schon  deshalb  nicht,  weil  sie  auch  bei  jedem  Verkaufe  möglich  snid. 
Immerhin  aber  mögen  sie  das  Vorurteil,  daß  der  Zins  aas  solebea 
Quellen  stamme,  gestützt  haben  und  es  schien  uns  wichtig,  diesen  Poakt 
klarzustellen. 

Nun  zu  unseren  Prolegomena  für  eine  dynamische  Theorie  des 
Zinses. 

II.   Wir  fragten  uns  also  vor  allem,  als  wir  an  die  Zinserscheinimf 
herantraten,  ob  unser  System  eine  Erklärung  derselben  liefere.    Wir 
kamen  zu  unserer  verneinenden  Antwort  und  haben  nun  zwei  Wege. 
Wir  können  uns  das  Zinsphänomen  näher  besehen  und  aus  den  Tat- 
sachen eine  Theorie  desselben  bauen,  da  unser  System,  auf  andern 
Tatsachen  beruhend,  dieselbe  nicht  gibt,  oder  wir  können  durch  ESb- 
führung  neuer  Hypothesen  künstlich  bewirken,  daß  die  Zinserscheinong 
sich  trotzdem  ans  den  Tatsachen  unseres  Systemes  ergebe.   Trotz  der 
prinzipiellen  Möglichkeit  des  letztem  Weges  werden  wir  den  erstem 
vorziehen,   da  nur   er   uns   wirkliche  Erkenntnis  zu  geben  vennag. 
Dann   aber  müssen  wir  uns  klar  werden,  wo  wir  das  Phänomen  so 
suchen  haben.    Wir  haben  bereits  gesagt,  daß  die  Ökonomen  gaas 
wesensverschiedene  Dinge  unter  diesem  Titel  behandelten  und  habea 
den   Mietzins  und  den  Zins  für  das  Konsumtivdarlehen  bereits   ab- 
geschieden.   Nun  haben  wir  noch  einen  Schritt  in  dieser  Rtchtnag 
zu  tun.     Es  besteht  noch  weiter  ein  charakteristischer  Unterschied 
zwischen  jenen  Darlehen,  welche  zum  Zwecke  der  Produktion  auf- 
genommen werden :  und  hier  nähern  wir  uns  einem  ganz  entscheidenden 
Punkte.    Zunächst  freilich  haben  wir  etwas  zu  sagen,  was  gar  keinen 
Hedenkon  ausgesetzt  ist,  nämlich,  daß  auch  Produktivdaiiehen  auf- 
genommen werden  können«  um  den  bestehenden  Wirtschaftsbetrieh, 
der  z.  ß.  durch  einen  plötzlichen  Unglücksfall  bedroht  ist,  aufreckt 
zu  eriialten.    Zwischen  diesen    Darlehen   und  jenen,  welche  neaen 
Unternehmungen   und   neuen  Verbesserungen    dienen,   besteht  eine 
nicht  unerhebliche  Differenz.    Jene  erstem  könnten  eigentlich  and  in 


Ober  den  dritten  Btatiaaben  Binkommeiuzw«g,  417 

gPwiHBein  Sinne  zn  jenen  Konsumtivd&iiehen  gerechnet  werden,  nnd 
ao  groBe  Bozimle  und  wirtschaftliche  Bedeutung  sie  auch  im  Lebon 
hab«n  mCgen,  hier,  wo  wir  es  nur  mit  der  Grundlage  und  dem  Wesen 
der  groBen  Erscheinungen  zu  tun  haben,  müssen  wir  una  beeilen,  üe 
abzuscheiden,  dm  alles  Beiwerk,  alles  nicht  ganz  Weseutlicbe  nur  dam 
dient,  die  groBen  Formen  zn  trüben.  Dal  die  von  dieser  Seite  auS' 
gehende  Nachjage  nach  Darlehen  auf  den  ZinsfuB  nicht  ohne  EinflnS 
ist,  gerade  so  wie  auch  die  Nachfrage  nach  Konsamt! vdariehen,  ist 
ganz  selbstverständlich.  Wir  wollen  uns  mit  solchen  Dingen  nicht 
aufhalten,  so  sehr  wir  uns  bewußt  sind,  wie  gef&brlich  solche  neben- 
sächliche Einwendungen  einer  Theorie  oft  werden  kSnnen.  Das 
Essentielle  ist  der  Zins  für  Darlehen,  die  lur  Schaffung 

Techniken,  neuer  aennBgflter  verwendet  werden,  und 
damit  ist  die  eine  HBIfte  des  entscheidenden  Punktes  ansgeeptoehen. 
Zur  andern  kommen  wir  jetzt.  Es  besteht  auch  ein  wesentlicher 
Unterschied  —  nnd  das  ist  nnn  weniger  leicht  einzusehen  nnd  vielen 
Mi  B  Verständnissen  und  Einwürfen  offen  — zwischen  den  Darlehen  je  nach 
dem  Umstände,  wo  sie  herkommen,  wo  der  Darlehensgeber  sie 
hernimmt.  Leiht  ein  Bauer  seinem  Nachbar  einen  Sack  Samengnte«, 
eo  ist  das  kaum  etwas  anderes,  ich  meine,  die  wirtschaftliche  Natur 
dee  Vorganges  und  seine  wirtschaftlichen  Wirkungen  sind  kaum  andere, 
als  wenn  er  ihm  eine  Quantil&t  GenuBgüter  leiht.  Der  Vorgang  hat 
keinbesonderesinteresseund  wenn  derBaner  auch,  was  aber  keineswegs 
sicher  und  in  Fällen  gleich  nusenn  Beispiele  wohl  auch  gar  nicht  die 
fiegel  ist,  mehr  zurückbekommt,  als  er  gab,  so  werden  wir  das  zwar 
Zins  nennen  dem  gewllhotichen  Sprachgebrauche  zufolge,  aber  unschwer 
einsehen,  welch  großer  Unterschied  besteht  swischen  diesem  Falle 
nnd  der  Erscheinung,  mit  der  wir  uns  hier  beschäftigen.  Selbst  dann, 
wenn  der  Darlehensnehmer  das  erhaltene  Saatgut  auf  einem  Neubruche 
verwendet,  so  daß  dadurch  etwas  Neues  geschaffen  wird,  müBte  noch 
kaum  notwendig  ein  Zins  entstehen.  Leiht  im  allgemeinen 
jemand  aus  seinem  Güteivorrate  irgendetwas  aus,  so 
hat  das  in  der  Regel  noch  keine  besonders  interessanten 
Konsequensea.  Ein  Element  unseres  Sjstemes  vergrößert,  ein 
anderes  verringert  sich,  gewiß,  aber  kein  Neues  entsteht  Etwas 
anders  ist  es  schon,  wenn  wie  gesagt,  etwas  Neues  geschaffen  wird. 
Damit  tritt  die  Sache  schon  aus  dem  statischen  Systeme  heraus,  nnd 
gans  neue  Bildungen  entstehen.  Aber  der  Darlehensgeber  braocht 
nicht  immer  aus  seinem  Gütervorrate  auszuleihen,  es  kann  auch  ein 
anderer  Weg  eingeschlagen  werden.  Zunächst  leiht  er  wohl  in  Geld. 
Das  würde  nun  nichts  Wesentliches  ändere,  aber  wesentlich 
anders  wird  die  Sache,  wenn  er  dieses  Geld  selbst  schafft 
X.  B.  Banknoten  emittiert  oder  einen  offenen  Kredit  er- 


418  ^«  Yerteiltuigstbeorie. 

Offnet.  Beide  Geschftftsformen  haben  natfirlieh  nicht  immer  diaiei 
Charakter.  Die  Banknote  kann  metallisch  und  anders  gedeckt,  der 
Bachkredit  kann  einfach  auf  das  aktive  YermOg^n  des  Darlehenageben 
gestützt  sein,  aber  das  muß  nicht  der  Fall  sein,  und  gerade  jeie 
F&lle,  wo  es  nicht  zutrifft,  interessieren  uns  voriftglicL 

Nun  aus  allen  den  Einwendungen,  welche  man  gegen  den  Ge- 
dankengang, in  den  einzulenken  wir  im  Begriffe  stehen,  vorbriiigeD 
könnte,  müssen  wir  zwei  unbedingt  hervorheben,  wenn  auch  in  aller 
Kürze.    Zunächst  kann  man  über  die  Bedeutung  jener  Art  des  Kredite!, 
von  der  wir  hier  sprechen,  sehr  im  Zweifel  sein.    In  „normalen*,  das 
heiBt,  ruhigen  Zeiten  existiert  sie  vielleicht  mitunter  kaum  und  inwie- 
weit sie   in  Zeiten   von  ^Aufschwung",   Spekulation   usw.  vorwi^ 
darüber  kann  man  sehr  verschiedener  Ansicht  sein.    Auf  diese  & 
scheinung,  die  nach  Ansicht  unserer  Vorgänger   nur  einen  vidlekht 
verschwindend   kleinen  Teil  der  Zinserscheinung  deckt,  wollen  wir 
eine  umfassende  Theorie  bauen,  noch  dazu  auf  eine  Erscheinung,  die 
vielen  als  abnormal  erscheint?    Hier  kann  nur  kurz  entgegnet  w^en: 
Nachdem  wir  die  Einsicht  gewonnen  hatten,  daß  wir  von  unserem 
Systeme   aus   in  die  Zinserscheinung  nicht  eindringen   kannten«  be- 
schlossen wir,  durch  unmittelbare  Tatsachenbeobachtung  die  Gmnd- 
lagen  zu  einer  Zinstheorie  zu  gewinnen.    Und  Schritt  für  Schritt  fährte 
uns   die   Analyse   der  Tatsachen   nolens  volens  zum  Geldmarkte. 
Wenn   man  die  Fakten  untersucht,  so  kommt  man  schließlich,  allei 
Unwesentliche  abscheidend,  dazu,  zu  erkennen,  daß  im  Geldmarkte  das 
Herz  der  Sache  pulsiert.    Wohl  weiß  ich,  daß  man,  wenn  man  diesen 
Satz  hört,  sofort  an  eine  Menge  Flachheiten  und  Mißgriffe  des  prak- 
tischen Lebens  erinnert  wird  und  daß  manche  vortrefflichen  Theoretiker 
allein  durch  diesen  Satz  schon  veranlaßt  werden  können,  nicht  weiter  zu 
lesen.    Und  nicht  möglich  ist  es  mir,  hier  vollständig  befriedigend  zo 
zeigen,   daß  das,   was  ich  meine,  etwas  Neues  ist,  das  sehr  wohl  eine 
Prüfung  verdient.    Doch  weiter!    Angenommen  nun,  es  sei  richtig. 
daß   wir  otwa  in   Lombard  Street  das  Herz  oder  „eins  der  Henea* 
des  Zinsphanomens  gefunden  haben,  so  werden  wir  dann  zu  generali- 
sieren  suchen  und  andere  benachbarte  Erscheinungen  heran-  und  50 
immer   weitere  Kreise  ziehen.    Aber  es  ist  verfehlt,   schon  a  priori 
und  noch  dazu  auR  gar  keinem  anderen  Grunde  als  wegen  der  Rechts- 
und Redoform  ein  bestimmtes  Gebiet  von  Tatsachen  als  das  derZins- 
erHcheiiiuDg  abzugrenzen,  auf  das  nun  eine  und  dieselbe  Formel  wohl 
oder  übel  passen  muß.    Das  ist  eins  jener  Vorgehen  der  Theoretiker. 
auf  das  alle  hiHtorischon  Einwürfe  so  schlagend  passen,  daß  manche 
Leute  es  einfach  unbegreiflich  finden,  wie  man  sich  noch  weiter  mit 
Theorie  befassen  kann.    Nicht  in  primitiven  Verhältnissen,  von  denen 
man  ja  doch   eigentlich  nichts  weiß  und  die  uns,  wenn  wir  von  der 
Annahme  starten,  unsere  Erscheinungen  dort  finden  zu  mfitsen,  gast 


über  den  dritten  «tatischeti  KinkDnunenMweig.  419 

radikal  ine  fShren  kijonen,  gondem  tu  muem  Erbhrungen,  in  wirklleh 
verlUlicher  Beobachtung  mOwen  wir  die  Baiuteine  für  naaere  Er- 
kenntnis finden,  nnd  hier  wiedemm  haben  wir  die  tj^iachBten,  formen- 
rmcheten,  lebensToilaten  ErBcheiamgen  heraoB  in  greifen,  nm  sn  be^ 
obachtennnd  erat  aas  dieser  Beobachtung  dann,  wenn  wir  das 
Wesentliche  daran  erkannt  zii  haben  glauben,  kSnnen  wir 
isolieren  und  dann  tritt  Uobioson  in  seine  Reehte.  Aber  treffen  wir 
anf  eine  Erscheinung,  die  nnser  exaktes  System  nicht  von  selbst  dar- 
bietet, so  dürfen  wir  nicht  darnach  bei  Bobioaon  suchen  wollen;  und 
mag  also  auch  die  Erscheinung,  die  wir  als  besonders  interessant 
hervorheben,  zunächst  auch  nur  einen  kleinen  Umfaog  haben,  so 
glaoben  wir  ans  doch  berechtigt,  daran  aniukuQpfen.  Wir  glauben 
ferner,  dafl  gerade  diese  Erscheinung  sich  als  das  treibende  Rad  herans- 
•teilt,  auf  das  alle  Ähnlichen  Erscheinungen  surücksafBhren  sind. 

Der  andere  Einwarf,  den  wir  zu  gewärtigen  haben,  ist  der,  daB 
wir  mit  etwas  ganz  Unwirklichem,  mit  einem  Kredite,  dem  nichts  in 
der  Oflterwelt  entspricht,  arbeiten  und  in  Qefahr  sind,  demselben 
materielle  Eiistenz  zu  vindizieren.  Das  sieht  so  aus.  TatsAchlich 
tnn  wir  es  nicht.  Wir  sprechen  von  etwas  wirklich  Existierend em, 
aber  von  einem  Vorgange,  nicht  emem  materiellen  Dinge.  Wir 
macheu  uns  nicht  Mac  Leods  Begriff  sn  eigen,  wenn  wir  auch  darauf 
hinweisen  mochten,  daB  Gedankengfinge,  wie  die  unserer  Theorie,  nns, 
wie  wir  glauben,  verstehen  lassen,  was  Hac  Leod  sur  Aofstellnng 
seines  Begriffes  veranlaBle,  und  daß  wir  glauben,  daB  in  seiner  Theorie 
ein  sehr  gesunder  Kern  liege,  daft  er  vielleicht  zu  unserer  Theorie 
de«  Zinses  eine  llhnliche  Stellung  hat  wie  zur  0 renin ntzentheorie,  die 
er  ja  auch  vorausgeahnt  hat. 

Nur  den  Kredit  der  Art,  von  der  wir  hier  sprechen,  betrachten 
wir  ala  das  Wesen  der  Krnditerscheinong  und  alle  anderen  Arten 
derselben  scheiden  wir  ab.  Manche  der  letzteren  kennten  auch  im 
statischen  Bj'steme  vorkommen;  a  konnte  zur  Organisation  etwa  ge- 
rechnet werden,  daß  ein  bestimmter  Schnldenbestand  eines  Teiles  der 
Wirtschaftesnbjekte  und  ein  gcwisasr  Forderungsbestsnd  eines  andern 
Teiles  ein-  für  allemal  vorhanden  ist.  Darüber  ließen  sich  aber  nur 
Oeneinpl&tze  sagen.  Es  kann  auch  Banken  geben  im  statischen 
Sjsteme,  welche  eine  ein-  für  allemal  bestimmte  Menge  Sanknoten 
zirkulieren  lassen,  und  Kreditinstitute,  welche  das  Bindeglied  zwischen 
Schuldner  und  Ulftubiger  bilden  kennten.  Aber  auch  das  bietet  wenig 
Interessantes.  Das  beweist  unter  anderm  die  entsetzliche  BanalitSt 
dessen,  was  unter  dem  Titel  Kredittheorie  im  Systeme  unserer  Wisseo- 
•ehaft  figuriert.  Wir  verlieren  gar  nichts,  wenn  wir  auf  all  das  ver- 
sichten, und  von  diesem  Standpunkte  ist  es  wirklich  gleichgültig,  ob 
unser  System  eine  hochentwickelte,  wenn  nnr  statische,  oder  eine 
primitive  Wirtschaft  repräsentiert.     Beides  kann  es  gleich  gut,  aber 


420  ^1®  Verteiltmgstheorie. 

das  Interessanteste,  das  einzig  Interessante  am  Kredite  liegt  in  der 
Dynamik,  liegt  in  jenem  Teile  der  Erscheinung,  von  dem  wir  hiir 
sprechen,  und  der  in  der  Tat  ja  eigentlich  etwas  anderes  ist  als  jeae 
anderen  Kreditformen  and  wirtschaftlich  so  andere  Konsequensea  hat, 
daB  das  formale  Moment  des  Leihens  daneben  gans  yerschwindet  Die 
Neuschaffung  von  Kredit  ist  das  Essentielle.  Wenn  s.  B.  (fie 
Noten  emittierende  Bank,  statt  eine  Industrie  zu  „patroniaieTeB',  fie 
gleich  selbst  schaffen  wurde ,  so  wäre  das  wesentliche  Mome&t  gaax 
dasselbe,  obgleich  vom  Leihen  keine  Rede  sein  könnte. 

III.  In  der  Entwicklung  und  im  Kredite  also  liegt  die 
Quelle  des  Zinsph&nomens,  dort  ist  seine  Erklärung  au  suchen. 

Ein  enger  Zusammenhang  besteht  zwischen  beiden  Momentfn. 
Im  statischen  Gleichgewichte  ist  die  Produktion  und  ihre  ganze 
Organisation  einem  bestimmten  Zustande  der  Nachfrage  nnd  der 
Kaufkraft  angepaßt  Führt  irgendein  Umstand  dazu,  dai  ein  neues 
Unternehmen  oder  eine  neue  Organisation,  z.  B.  ein  Trnst^  geeehafoi 
werden  soll,  so  ist  dazu  —  popul&r  gesprochen  —  .G^ld**  nMg.  Der 
Kredit  nun  bietet  es  dar,  wie,  das  zu  untersuchen,  würde  uns  suweit 
führen.  Umgekehrt:  Wird  neue  Kaufkraft  geschaffen  —  man  yerseihe 
den  oberflächlich  scheinenden  Ausdruck  —  so  kann,  wenn  die  Wirt- 
schaft im  Gleichgewichte  war  nnd  sonst  kein  außerordentlicher  Anlai, 
etwa  Kriegsbedarf  usw.  vorliegt,  dieselbe  —  den  Fall  aosgenommea, 
daß  sie  unter  alle  Wirschaftssubjekte  in  solchen  Proportionen  Terteilt 
sind,  daß  alle  Preise  gleichmäßig  steigen  —  nur  zu  Neuschöpfui^n 
verwandt  werden  und  bildet  den  größten  Ansporn  dazu,  aus  dem 
Gleichgewichtszustande  herauszutreten  und  ungewöhnliche  Ab- 
strengungen  zu  machen.  Hier  liegt  ein  weiterer  entscheidend« 
Punkt,  das  Moment  des  „effort^. 

Die  Produktionsmittel  entstehen  und  vergehen.  Auf  diesen  Satz 
haben  wir  soviel  Gewicht  gelegt.  Nun  geben  wir  ihm  einen  weitem 
und  teilweise  anderen  Sinn.  Es  treten  neue  an  die  Stelle  der  alten. 
Aber  nicht  gleichartige.  Sondern  bessere,  den  alten  Zwecken 
besser  dienende,  sodann  zalilreichere,  endlich  solche,  die  neuen  Zwecken 
dienen. 

Und  so  wird  der  produktive  Vorrat  ein  anderer.  Wir  sahen 
bisher  jedoch  nur  einen  Grund  dieses  Prozesses,  nämlich  den  produk- 
tiven  Verbrauch  dos  bisherigen  Vorrates.  Es  gibt  aber  noch  einen 
anderen;  dadurch,  daß  Produktionsmittel  geschaffen  werden,  welche 
den  bisherigen  Zwecken  besser  dienen  und  dadurch,  daß  andere  Zwecke 
hervortreten,  wird  der  bestehende  Vorrat  entwertet,  noch  ehe  er 
physisch  untergeht.  Das  gilt  z.  B.  besonders  von  alten  Maacbinea, 
welche  an  sich  noch  ganz  gebrauchsfähig  sein  mögen.  Es  gilt  aber 
auch  von  alten  Fabriken,  von  alten  Organisationsformen  und  Geschäfts- 
inethodcn,  von  Patenten  und  Monopolstellungen  anderer  Ali.    Neue 


Ober  den  dritten  etatiKhen  Einkommenuweig.  421 

Oifindangen,  geschaffen  mit  Mitteln,  die  früher  geradeso  nicht  vor- 
handen waren,  tauchen  vom  Standpunkte  des  etatiscben  SyatemeAi 
das  die  vorhandenen  Hilglichkeiten  nicht  berOckaichtigt ,  gleichsam 
ans  dem  Nichte  auf  und  dr&ngen  das  Alt«  ins  Nichts  ■arOclc. 

Uan  sagt  —  und  der  Praktiker  tnt  das,  wie  der  Theoretiker  — , 
daE  sich  das  „Kapital"  erhUt.  Man  behauptet  du  in  verschiedenem 
Sinne,  teils  denkt  man  an  eine  Oeldfordemng,  welche  sich  immer 
gleich  KU  bldben  scheint  durch  allen  Wandel  der  wirtsehaftlichsn 
Verhiltnisse ,  teils  denkt  man  ui  Werkzenge  usw.,  die  steta  ana- 
gebesaert  respektive  ersetct  werden  sollen. 

Aber  ist  daa  wahr?  Unsere  Antwort  wird  verneinend  lanten. 
Jene  Behauptung  beruht  auf  einer  Tiuschnng.  WobI  ist  immer 
„K^iital"  vorhanden,  aber  es  ist  nicht  immer  dasselbe.  Wir  haben 
nichts  dagegen,  dafi  man  die  Sache  für  manche  Zwecke  so  betrachten 
mag.  Aber  uns  interessiert  hier  gerade  die  Ver&ndemng:  Es  ist  immer 
neues  „Kapital"  vorhanden.  Zn  jener  TAnschung  trftgt  besonders 
der  Umstand  bei,  dnfl  man  zu  sehen  glaubt,  daß  die  neuen  Werkzeuge 
an  die  Stelle  der  alten  und  besonders  in  den  Besitz  desselben  Wirt- 
achaftssubjektes  treten ,  das  nach  wie  vor  von  „seinem  Kapitale" 
echlechthin  spricht,  sogar  davon,  daß  es  dasselbe  aus  einer  Anlage 
heransgeiogen  und  irgendwo  anders  „investiert*  habe. 

Aber  ist  denn  das  so  ganz  richtig?  Ist  denn  die  Klasse  der 
.Kapitaliaten"  ein  Kreis  individuell  bestimmter  Personen  und  deren 
Erben?  Sehen  wir  näher  zu  und  scheiden  wir  su  diesem  Zwecke  die 
verschiedenen  Fftlle.  Jemand  besitzt  Werkzeuge,  die  er  produktiv 
benDtzt  und  die  dabei  cugruude  gehen.  In  alter  Begel  sehen  wir 
allerdings,  daS  dieselben  so  gtatt  eraetit  werden,  daB  man  oft  geradezu 
sagt,  sie  ersetzen  sich.  Wir  sahen  aber  bereits,  daß  das  nicht 
richtig  iat.  Er  muB  Anstrengungen  machen,  um  sie  zu  ersetzen, 
und  oft  wird   er   das   nicht   tun.     Oft  auch  wird  er  sie  durch  andere 


Es  besitzt  jemand  ein  Unternehmen,  t.  B.  eine  Omnibnsonter- 
nehmung.  Nehmen  wir  an,  daB  infolge  der  Erbauung  einer  elektrischen 
Tramwa}*  niemand  mehr  die  Omnibusse  bcnütse.  Was  geschieht  dann? 
Kann  er  sein  „Kapital  herausziehen",  wie  ein  Feldherr  seine  Truppen 
ans  der  Scblacbtlinie ?  Offenbar  nicht;  wohl  hat  er  noch  den  Fahr- 
paik  und  die  Pferde,  aber  beide  sind,  wenn  es  nicht  eine  neue  Ver. 
weudnngsgelegenhett  gibt,  die  sich  übrigens  gerade  in  diesem  Momente 
neu  erSffiien  müBte,  da  im  statischen  Sj'steme  kein  Baum  dafür  ist, 
entwertet  Gewii  kann  er  sie  verkaufen,  aber  er  wird  nicht  jene 
Summe  ISsen,  mit  der  er  früher  seine  Unternehmung  anschlug.  Was 
iat  geacboben?  Sein  Kapital  oder  ein  Teil  desselben  geht  unter,  die 
Pferde  werden  ■.  B.  dem  Fleischer  verkauft  und  die  Wagen  irgendwie 
remBtat,  ohne  ausgebessert  oder  ersetzt  zu  werden,  und  waa^er  gelOat 


422  ^i®  Verteilnngstheorie. 

hat,  repräsentiert  nnr  diesen  letzteren  Wert  Hier  ist  Kapital  ver- 
schwanden,  spurlos  verschwunden.  Und  ein  solcher  Fall  irt 
nicht  etwa  eine  Ausnahme,  ein  vereinseltes  Unglück,  er  iat  fit 
Tjpus  des  regelmäßigen  Vorganges.  Voraussicht  kaaa  dai 
ewiß  abschwächen.  Unser  Mann  wird  eben,  wenn  er  von  Tnunwij- 
planen  hört,  sich  darnach  richten.  Aber  was  kann  er  tun?  Nurssiae 
„Prodaktionsmittel**  sich  abnützen  lassen,  ohne  sie  zu  ersetsen  —  av 
jenen  Prozeß  aus  einem  akuten  zu  einem  langsamen  machen.  Die 
Volkswirtschaft  ist  nicht  ärmer  geworden.  Aber  was  hätte  es  fir 
einen  Sinn  zu  sagen,  daß  das  „Kapital*^  .dasselbe  geblieben"  sei? 
Nur  der  Umstand,  daß  vorher  Kapital  vorhanden  war  and  ann 
Kapital  vorhanden  ist,  kann  einen  solchen  Anschein  erweekei. 
Variieren  wir  ein  wenig  unser  Beispiel.  Unser  llann  gründe  selbst 
die  Tramway.  Nichts  Wesentliches  hat  sich  geändert.  Wir  mfissea 
den  Vorgang  Wort  tur  Wort  gleich  beschreiben.  Und  dodi  wird 
er  sagen,  er  habe  „sein  Kapital"  nun  „anders  investiert^.  Trotadem 
ist  nichts  klarer,  als  das  sein  altes  zugrunde  gegangen  ist,  und  er 
sich  ein  neues  geschaffen  hat.  Hat  er  für  das  Geld,  das  er  ans  dem 
Verkaufe  der  Omnibusse  und  Pferde  löste,  die  Tramway  gebaut,  dann 
ist  nun  „sein  Kapital"  geringer,  als  es  früher  war,  ehe  die  not- 
wendige Entwertung  jener  Dinge  eintrat.  Aber  insoweit  er 
etwas  erlöBt  hat,  könnte  man  von  einem  „Übergange  des  Kapitales*' 
dos  Mannes  sprechen,  doch  nur  in  dem  Sinne  als  man,  wenn  jemand 
Äpfel  gegen  Nüsse  tauscht,  von  einem  „Übergange  seines  Besitzes* 
zu  Nüssen  reden  kann.  Prosperiert  dann  die  Tramira/,  ao  kann  unser 
Unternehmer  wieder  auf  dieselbe  Geldsumme  kommen,  die  er  früh* 
hatte.  Und  hat  er  diese  Prosperität  vorausgesehen,  so  wird  er  sofort 
die  Tramway  ebenso  hoch  anschlagen.  Dann  rücken  beide  Prozesse 
so  nahe  aneinander,  daß  sie  schwer  zu  scheiden  sind.  Dennoch  müssen 
wir  sie  scharf  trennen,  erkennen,  daß  sie  entgegengesetzte  Vorgänge 
darstellen.  Der  wirkliche  Vorgang  wird  übrigens  in  aller  Regel  anden 
sein:  Der  Mann  wird  Kredit  nehmen  und  aus  diesem  heraus  die 
Tramway  schaffen,  sein  früheres  „Kapital  aber  zugrunde  gehen  lassen. 
Dann  haben  seine  beiden  Vermögen,  das  alte  und  das  neu- 
geschaffene, so  wenig  miteinander  zu  tun,  wie  wenn  sie  verschiedenen 
Personen  gehörten.  Und  beide  Prozesse  —  das  Zugrandegehen  nnd 
Ncu<'nt8tehen  —  sind  unmöglich  im  statischen  Systeme,  sind  dynamisch. 
I^rof.  Clark  behandelt  folgenden  Fall:  Das  .Kapital",  das  früher  im 
Walfischfange  investiert  war,  habe  sich  der  Baumwollindostrie  zu- 
gewandt. Nun,  wir  müßten  sagen,  daß  es  zugrunde  gegangen  seL 
Mir  ist  der  Fall  nicht  näher  bekannt.  Wenn  aber  die  Kapitalisten, 
die  ihr  Kapital  im  Walfischfange  investiert  hatten,  wirklieh  nichts 
verloren  haben  und  wir  dieselben  Leute  im  Besitze  von  »eottoa 
mills^  desselben  Wertes,  wie  die  Schiffe  hatten,  finden,  so 


über  den  dritten  atatlicb«n  Bnkommenizweig.  423 

nur  >o  geschehen  aein,  da£  sie,  aU  sie  sahen,  daB  ein  Verbleibeu  bei 
ihrer  , Anlage"  den  Ruin  zur  Folge  haben  mQBte,  stimnliert  durch  die 
Besorgnia  davor,  einen  neuen  produktiven  effort  mochten,  nämlich 
mit  Hilfe  von  Kredit  eich  neue  Unternehmungen  schufen.  Eis  liegen 
zwei  Proaease  vor,  ein  S^grundegeben  und  eine  wirtschaftliche  Wieder- 
ersteboug.  Betrug  ihr  VenuSgen  in  Geld  vor  —  wie  nachher  wirklich 
dieselbe  Summe  —  was  ftuBerat  uuwahrscheinlich  iat  — ,  ao  ist  das 
reiner  ZnfalL  Nur  wenn  die  Industrie  dea  Wal6achrBngeB  fort- 
bestanden hfttte,  h&tten  aie  ihre  Anteile  daran  gegen  Anteile  an 
anderen  Induatrien  vertauschen  kOunen.  Das  aber  w&re  ein  Vorgang 
ohne  jedes  Intereaae. 

Im  allgemeinen  aber  gelingt  es  dem  Besitzer  einer  Unternehmung 
nicht,  aich  wirtachaftlich  unversehrt  nach  einem  anderen  Induatrie- 
zweige  hinüberzuretten,  wenn  es  mit  derselben  aua  dem  hier  be- 
sprochenen Grunde  abwftrta  geht  Wir  beobachten  tftglich,  daB  die 
Stellung,  Bedeutnng  von  Unternehmungen  und  mithin  das  „Kapital*, 
daa  In  Geld  kalkulierte  Vermögen  ihrer  Eigentümer,  alteriert  wird 
durch  daa  Entstehen  neuer.  Alte  Firmen,  die  einst  den  Markt  be- 
berrschten,  sinken  zur  Bedeutangsloaigkeit  herab,  imd  ihre  Besitzer 
hOren  schliefiUch  auf,  zn  der  obersten  wirtschaftlichen  Klaase  zu  ge- 
hören. Es  ist  ein  altes  Wort,  daß  groBe  Vermögen  nur  bia  sur  „dritten 
Hand"  gehen.  Sicherlich  hat  das  viele  Ursachen  und  vielleicht  vor* 
nehmlich  andere.  Auch  ist  das  ja  zwar  oft  gesagt,  aber  nie  exakt 
nstersncht  worden,..  Hfiglich  aber,  daB  eine  davon  immerhin  hier  zu 
suchen  iat  —  Ptobleme,  welche  tief  in  daa  Wirtachaßsieben  {Obren 
4M  die  wfa'uns  versagen  müaaen,  n&her  zu  prOfen. 
'^o^fiin  anderer  Fall  —  und  vielleicht  der,  der  xura  Glauben  an  die 
Dauerharkeit  dea  Kapitalea  beaonders  AnlaB  gegeben  hat  —  ist  der 
des  Beutzea  von  Forderaugen.  Ein  Kcntentitel  —  iat  er  nicht  immer 
derselbe?  Gans  unzweifelhaft  nickt.  Wohl  ist  das  Papier  das  gleiche 
und  die  Rechteform ,  wirtachaftlich  wird  eine  und  dieselbe 
Forderung  in  kurzer  Zeit  zu  etwas  anderem.  IKe  Bedeutnag  einer 
und  derselben  Summe  Bndert  sich  schnell  für  Schuldner  wie  fiir 
Gläubiger.  Nicht  nur  kann  man  nicht  dasselbe,  nicht  ebensoviel  in 
zwei  verschiedenen  Zeitpunkten  für  sie  erhalten.  Das  ist  hier  neben* 
s&ehltch.  Seibat  wenn  daa  der  Fall  wäre,  bliebe  noch  die  Tatsache, 
daB  nun  die  gesamte  Güterversorgung  eine  andere  —  bessere  oder 
schlechtere  —  ist  alg  früher,  daß  die  Menschen  andere  geworden  aind, 
daB  deraelbe  Standard  of  life  nun  anders  gewertet  wird,  wie  früher; 
kurs,  die  Sache  ist  wirtachaftlich  zu  einer  anderen  gewordon,  und  da 
wir  es  nicht  mit  der  Bechtsform,  sondern  mit  dem  wirtschaftlichen 
Wesen  derselben  zu  tun  haben,  ao  kommen  wir  der  Wirklichkeit 
näher,  wenn  wir  mehr  auf  die  Veränderung,  als  wenn  wir  auf  die 
Konstanz  Gewicht  legen. 


424  ^^®  Yerteilungstheorie. 

Auch  diese  Art  von  ^Kapital"  ist  nicht  unbedingt  beweglieh. 
Das  ist  so  ersichtlich,  daß  man  tatsächlich  darüber  staanen  mfifte, 
daß  es  so  sehr  übersehen  wird,  wenn  es  nicht  eine  Erkllnuig  daftr 
gäbe ;  dieselbe  ist  methodisch  außerordentlich  interessant.  Im  Qiei^ 
gewichte  müssen  alle  möglichen  Anlagen  ceteris  paribns  deasdbei 
Ertrag  liefern,  weil  sonst  eben  eine  Tendenz  bestünde,  diesen  ZuCiad 
herbeizuführen.  Wollen  also  zwei  Individuen  ihre  Anlagen  aas 
irgendeinem  Grunde  tauschen,  so  kann  das  gleichsam  al  pari  gesdiehci, 
d.  h.  beide  können,  wenn  man  es  so  ausdrücken  will,  ihr  Kapital 
unversehrt  aus  einer  Anlage  in  die  andere  hinüberführen.  In  den 
dynamischen  Zustande  ist  das  nicht  so  ohne  weiteres  mi^glidi.  Uta 
überträgt  nun  das,  was  für  die  eine  Gruppe  von  Problemen  richtig 
ist,  auf  eine  andere,  ohne  sich  viel  Gedanken  zu  machen.  Und  dock 
liegt  es  auf  der  Hand,  daß  man,  wenn  Unterschiede  in  dem  Ertrüge 
eintreten,  far  die  bessere  Anlage  durch  Kapitaleinbuße  beiablen  mil 
Ein  Teil  des  Geldkapitales  —  der  Nominalbetrag  ist  g^ns  gleichgfilt^^ 
verschwindet  da  einfach.  Auch  auf  dem  entwickeltsten  Geldmarkte 
der  Welt  ist  nichts  gewöhulicher,  als  daß  auch  „gute**  Wertpapiere 
unverkäuflich  sind  —  und  das  bedeutet  nichts  anderes,  als  daß  dt 
von  absoluter  Beweglichkeii  keine  Rede  sein  kann. 

Völlig  beweglich  sind  nur  zwei  Dinge.  Die  statische  Kapitale 
fiktion,  bei  der  die  Bcwe^i^lichkeit  das  methodische  Mittel  ist,  die  Ver- 
teilung dieser  Produktivkraft  auf  die  Erzeugung  gerade  dieser  und 
keiner  anderen  Werkzeuge  zu  erklären,  und  sodann  jener  Kredit  im 
engsten  Sinne,  jene  Kaufkraft,  die  willkürlich  geschaffen  werdea 
kann  —  sie  kann  jeder  Art  von  Produktion  dienen,  solange  sie  dv 
potentiell  vorhanden  ist.  Und  darauf  ist  der  Satz  von  der  BewegUcIb 
koit  des  „Kapitales**  zu  beschränken. 

IV.   Nun,  in  diesen  Dingen,  wie  gesagt,  in  der  Schaffung  neuen 
Kredites  für  neue   Industrien,  tritt  der  Zins  zutage.     Wie  das  dei 
näheren   geschiebt,   wollen    wir  nicht  erörtern.    Dazu  sind  die  Vor- 
bedingungen  hier  nicht  gegeben.    Mit  dem  Gesagten  ist  noch  keine 
vollständige  Zinstheorie   gegeben.     Es   sollte   nur   dazu   dienen,  die 
Wurzeln  dc^  Problomes  klarzulegen,  die  Behandlung,  welche  endlich 
völlig   befriedigende  Resultate   zeitigen  soll,   mit  der  bisherigen  zo 
kontrastieren ,  die  Mängel  der  letzteren  und  die  Ursachen  ihrer  Ifi^ 
erfolge  an  den  Tag  zu  bringen.    Eine  Reihe  von  Problemen,  von 
deren  Natur  der  Leser  nun   eine  Vorstellung  haben  dürfte,  hat  die 
Theorie  binher  gleichsam  verkleistert.    Und  nicht  ganz  ohne  Recht,  dt 
ihre  Methoden  auf  die  Zinserscheinung  nicht  anwendbar  waren.  Wirf 
man  sich  bewußt  gewesen,  daß  man  mit  Hilfe  künstlicher  Annahmen 
von  anderer,  weitergehender  Art,  als  die  sonst  für  unsere  Theorie 
nötigen,   sich  um  jene  Probleme  herumdrücke,   die  man  nicht  lOsea 
könne,  so  wäre  nichts  zu  erinnern.    Der  Fehler  liegt  darin,  daß  maa 


Ober  d«n  drittm  atetiseheii  Einkomm«iuiweig.  425 

ihre  Schetnerklärungen ,  ihre  KilfihjpotheseD  für  bare  HQnze  nahm 
und  Schlüue  du«uB  log,  die  radikal  verfehlt  w&ren.  Wean  wu 
vir  sagten,  richtig  igt,  ho  hat  die  theoretiscfae  BetaandlaDg 
die  ZiDserBcheinung  bis  zur  Unkenntlichkeit  entstellt 
nnd  BchlieBlich  auf  Momente  basiert,  die  mit  ihr  nichts 
sa  tun  haben.  Beim  NiederreiBen  dieses  QerOsteg  teigen  sich  andere 
Eischmnongen,  nene  Probleme.  Ein  TOllst&ndiger  Nenban  ist  nOtig. 
Aber  hier  kann  nicht  daran  gegangen  werden.  Nnr  wenige  Bemerkungen 
mttgen  noch  der  Sache  gewidmet  sein,  die  ich  in  nicht  eu  femer  Zeit 
befriedigender  darstellen  zu  kOnnen  hoffe. 

Ffir  die  Erkl&rung  des  Zinses  sind  also  jene  Neuschöpfongen 
entscheidend.  Und  zwar  in  doppelter  Hinsicht  Erstens  nftmlich  da- 
dnreh,  da£  sie  nene  Werterscheinungen  hervorbringen,  einen 
^Glewinn'  abwerfen,  den  es  im  statischen  Znstande  nicht  geben  kSnnte. 
Dieaer  „Gewinn"  ist  nicht  ganz  Zins.  Aber  aus  ihm  entwickelt  sich 
deiMlbe  irgendwie.  Zweitens  bewirken  jene  NeuschCpfungen  nnd  die 
Anadehnnng  des  Kredites  jene  Entwertung  vorhandener  Werksenge 
nnd  vorhandener  Geldfordemngen.    Und  anch  diese  Tatsache  ist  sehr 

Dabei  aber  lassen  wir  es  bewende^,  nm  nur  noch  einige  hier 
naheliegende  Punkte  zu  berühren. 

Wir  haben  anfein  Moment  unter  anderen  Gewicht  gelegt,  welches 
sich  der  Prodnktiyit&tstheorie  zu  nfthem  scheint.  Aber  wir  verwerten 
dieses  Moment  ganz  anders:  Um  neue  Produktionsguter,  geschaffen 
mit  neuen  Mitteln,  handelt  es  sich  uns.  Und  nicht  von  ihnen 
unmittelbar,  sondern  aus  dem  Kredite  kommt  der  Zins. 
Anch  sind  wir  dem  besprochenen  Einwurfe  gegen  die  Produkt! vi tftts- 
theorie  deshalb  nicht  ausgesetzt,  weil  jene  Gleichheit  der  Werte  der 
Produkte  nnd  der  Produktionsmittel  von  uns  ruhig  zugegeben  werden 
kann.    In  der  Schaffung  der  letzteren  selbst  liegt  die  Quelle  des 

Aber  haben  die  anderen  ab  Zins  bezeichneten  Erscheinungen 
gar  keine  Beziehung  eu  jener,  in  der  wir  den  „ eigentlichen "  Zins 
sehen?  Manche  derselben  in  der  Tat  nicht,  wie  wir  ausführten.  Aber 
dennoch  gehen  wir  nicht  beznglich  aller  soweit.  Die  Nachfrage  nach 
anderen  Prodnktivdarlchen  als  solchen  lür  Neu  schöpf un  gen ,  dann 
nach  Konaumtivdarlebeu  übt  natürlich  einen  EinfluB.  Das  wurde  auch 
bereits  gestreift.  Umgekehrt  werden  solche  DaHehcn  von  den  hier 
besprochenen  berührt  und  die  Zinsrate  beider  wird  sicher  in  einem 
Zusammenhange  stehen.  Das  Ändert  aber  nichts  an  unserer  prinzipiellen 
Darlegung  und  ist  eine  sozusagen  sekundäre  Erscheinung.  Man  konnte 
dieae  zwei  anderen  Zinsfonnen  abgeleitete  nennen,  wenn  das  nicht 
leicht  miBverstanden  werden  konnte.  Sicherlich  ist  die  Rentabilität 
von  NenscbOpfiingen  das  flir  „den  ZinsfuB"  entscheidende  Mome-' 


426  ^^®  Yerteilungstheorie. 

Aber  derselbe  ist  keine  so  einheitliche  Erscheinung,  wie  man  aanimmt 
Man  geht  da  yiel  zu  unvorsichtig  vor.  Wenn  die  Rate  des  Wneberoi. 
der  jungen  Leuten  leiht,  höher  ist  als  etwa  eine  Bankrate,  so  sehieU 
man  das  einfach  auf  Momente  der  Friktion,  Notlage,  aaBerOkooMiifcke 
Momente,  wie  Notwendigkeit  der  Geheimhaltung  usw.  Aber  bsb 
fragt  sich  nie,  ob  überhaupt  eine  Tendenz  zur  Gleichheit  bestsha 
Wir  werden  das  verueincn  und  höchstens  einen  entfernten  ZnsauMS- 
hang  zwischen  diesen  verschiedenen  Erscheinungen  finden.  Hier  bsbea 
wir  ein  Beispiel  wirklich  haltlosen  Theoretisierens  vor  uns.  Namentli^ 
begreift  man  üblicherweise  viel  zu  viel  unter  dem  Momente  der 
„Friktion''.  Man  sollte  nie  a  priori  etwas  als  solche  beseiefanea, 
sondern  immer  nachweisen,  daß  man  das  kann.  Darauf  kommei 
wir  noch  bei  der  Besprechung  der  Theorie  des  UntemehmergewimieiL 
An  dieser  Stelle  wollten  wir  nur  den  Leser  darüber  beruhigen,  dit 
wir  jene  Zusammenhänge  keineswegs  übersehen  oder  leugnen. 

Der  Zins  hat  eine  deutliche  Beziehung  zum  Fort- 
schritte—  verzeihe  man  den  Gebrauch  dieses  vagen  Terminos.  Dsi 
ist  sogar  eine  höchst  wichtige  und  interessante  Seite  der  Sache,  auSerdem 
einer  der  von  der  Theorie  vernachlässigten  Punkte,  einer  jener  Punkte, 
die  nur  in  der  Dynamik  voll  berücksichtigt  werden  können.  Aber 
haben  wir  nicht  die  Entgegnung  zu  furchten,  daß  gerade  in  sinkendes 
Wirtschaften  der  Zins  am  höchsten  stehe?  Zum  Teile  ist  das  richtig, 
ohne  aber  etwas  gegen  uns  zu  beweisen.  Auch  in  sinkenden  Witt- 
Schäften  wird  Kapital  neu  geschaffen,  sei  es  auch  nur  zum  Ersatie 
von  altem.  Und  diese  Schöpfungen  gehen  unter  den  ungünstiges 
Verhältnissen  besonders  schwer  vor  sich.  Deshalb  ist  es  ganz  ver 
ständlich,  daß  da  der  Zins  bedeutend  ist.  Zum  anderen  Teile  aber 
könnten  wir  eben,  wenn  wir  Raum  und  Muße  genug  hätten,  nach- 
weisen, daß  jene  Erscheinung  überhaupt  nicht  .Zins''  in  unserem  Sinne 
ist,  sondern  einerseits  Risikoprämie  und  andererseits  „WuchersiDa^ 
für  Überlassung  vorhandener  Güter.  Auch  diesen  Punkt  mußten 
wir  erwähnen,  um  zu  zeigen,  daß  unsere  Auffassung  nicht  leichtsiDnig 
auf  den  Sand  gebaut  und  den  einfachsten  Einwendungen  ausgesetrt 
ist.    Aber  weiter  wollen  wir  nicht  auf  ihn  eingehen. 

Ebenso  deutlich  ist  die  Beziehung  des  Zinsphänomens  zu  des 
Geldverhältnissen.  Und  für  uns  ist  dieselbe  sogar  von  grundlegeader 
Bedeutung.  Betrachtet  man  die  Vorgänge  des  Wirtschaftslebens,  m 
liegt  sie  auch  nahe  genug.  Trotzdem  sahen  unsere  Vorgänger  M 
stets  davon  ab,  betrachteten  es  sogar,  wie  schon  gesagt,  als  eine  der 
ersten  Forderungen  für  eine  gedeihliche  Untersuchung  der  Sache,  du 
Phänomen  seines  „Geldschlcier^s^  zu  entkleiden.  Nach  unserer  As* 
sieht  würde  sich  jedoch  ergeben,  daß  ein  Teil  seines  Wesens  in  jener 
weggeworfenen  Hülle  zurttckblieb.  Uns  scheint  ein  wesentUeber 
Grund  für  dieses  Vorgehen  in  dem  Mangel  einer  befriedigenden  Geld- 


Ober  den  dritten  «tauschen  EinkommenBiwög.  427 

theorie  so  liegen,  welcher  den  Wunsch  wachrief,  den  Weg  der  Theorie 
von  den  da  liegenden  Schwierigkeiten  and  Unklarheiten  frei  zq  er- 
hatten.  Dag  dürfte  nicht  oiSglich  «ein  and  einen  Teil  des  Pbanotnene 
der  Erkllmng  entziehen.  Ea  ist  vielmehr  durchaus  angemeMen,  von 
einem  .Geld kapitale"  anssogeheu,  und  zwar  keineswegs  tou  einem 
einfach  in  Werteinheiten  ausgedrückten  Vorräte  von  Produktionsmitteln, 
sondern  von  einem  Besitze  an  Kaufkraft,  der  durch  Schaffung 
neuer  Geldzeichen  oder  durch  sndere  Kreditfornien  vermehrt  werden 
kann.  Dieses  Kapital  hat  keine  materielle  Existenz,  auBer  in  dem 
Falle,  daB  es  in  Metallgeld  vollen  Wertes  besteht.  Aber  doch  eine 
sehr  reelle  Solle  im  Wirtschaftaleben.  Es  ist  das,  was  wir  am 
ehasten  mit  dem  Namen  „Kapital"  bezeichnen  mSchten'. 
Nun,  diese  Auffassung  kann  sehr  bedenklich  erscheinen.  Ist  ea  nicht 
eine  Oberflächlichkeit,  daran  den  Zins  knüpfen  eu  wollen?  Allein, 
das  tun  wir  ja  nieht  so  ohne  weiteres.  Wir  verzichten  nicht  auf  eine 
tiefere  Analyse  und  glauben  die  Versicherung  geben  zu  kOnuen  — 
hier  allerdin;rs  nicht  mehr  als  die  Versicherung  — ,  daB  wir  den  Tat- 
sachen bessiv  Rechnung  tragen  als  jene  Theorien,  die  dieses  Kapital 
als  Ausgangspunkt  verschmBben.  Die  Beobachtungen,  die  uns  dazu 
veranlassen,  kSnneu  wir  hier  nicht  vorführen,  so  daß  das  Argument 
nicht  nur  durch  seine  skizzenhafte  Kürze  leidet,  sondem  auch  seiner 
Stflisen  entbehrt.  Das  Verständnis  der  Zinserscheinung  erfordert 
umfassende  Studien  der  Marktvorgünge  verschiedenster  Art  und  kann 
nicht  ohne  weiteres  abstrakt  behandelt  werden.  Die  Abstraktion  er* 
gibt  sich  dann  erst  aus  der  Tataachenuntersucbung.  Wir  entliehen 
uns  derselben  nicht,  unsere  Theorie  ist  das  Resultat  einer  solchen, 
aber  hier  kQnnen  wir  sie  nicht  führen. 

Kn  anderer  Einwand  könnte  vielleicht  der  sein,  daß  wir  darnach 
streben,  den  Kredit  zu  einem  Gute  zu  machen,  wie  etwa  Mac  Leod, 
ein  Luftgeb&ude  zu  errichten,  dessen  Tragbalken  populäre  Mift- 
veratindnisse  und  unklare  Gedanken  sind.  Das  alles  erwähnen  wir 
hier  nur,  um  zu  aeigen,  ds&  uns  diese  Ucdenken  wohl  vor  Augen 
standen,  und  den  Leser  zu  veranlassen,  nicht  leichthin  anzunehmen, 
daB  wir  elementare,  sofort  in  die  Augen  fallende  Fehler  begehen. 

V.  Wir  sagten,  daß  wir  uns  ciucs  Urteiles  über  die  llieorie 
V.  Boehm'Bawcrk's  enthalten,  da  dasselbe  von  der  Statik  aus  nicht 
gewonnen  werden  kann,  und  daß  diese  Theorie  sich  in  der  Dynamik 
vielleicht  bewähre.    Auch  hier  wollen  wir  keine  Würdigung  derselben 


'  So  n&hem  wir  uns  sehr  dem  einen  der  beiden  Kspitalbegriffe 
Uenger's.  Aber  es  besteht  ein  großer  Unterschied  zwischen  den  Wegen, 
muf  denen  wir  dazu  gelangten:  Er  durch  Bearbeitung  des  Sprach- 
gebranches,  ohne  weiter  etwas  daran  zu  knüpfen,  wir  durch  Anaijse 
der  Encheiiiungeu  nnd  mit  Hinblick  auf  bestimmte  theoretische  Ziele. 


428  ^®  VerteUangstheorie. 

geben ,  sondern  nur  auf  einen  wesentlichen  Berfthmiigspankt  uieRr 
Theorie  mit  jener  hinweisen.  Wir  legen  soviel  Gewicht  anf  du 
Moment  der  Entwicklung.  Nun,  vielleicht  besteht  dieselbe  gans  oder 
zu  einem  Teile  in  dem  Einschlagen  von  gewinnbringenden  PiodoktiaBf- 
nmwegen.  Wir  verweilen  mehr  als  v.  Boehm-Bawerk  bei  den  Ub- 
st&nden,  die  zum  Fortschritte  veranlassen,  bei  der  Art,  wie  er  an- 
geleitet wird.  Femer  sprachen  wir  nicht  bloß,  ja  aneh  nicht  T0^ 
nehmlich  von  der  Erzeugung  von  G^nuBgütem  zu  Zwecken  glei^ 
denen  des  frü  h  eren  Zustandes  der  Wirtschaft,  sondern  von  ProdnktioB 
mit  neuen  Mitteln  zu  neuen  Zwecken  in  einem  neuen  Zostaade, 
wobei  die  Neuschaffung,  Neugestaltung  von  Industrien  und  gesckift- 
lichen  Kombinationen  („Gründungen*)  besonders  betont  wnide.  üad 
in  diesem  neuen  Zustande,  den  der  Unternehmer  vorananeht  lad 
herbeiführt,  scheint  uns  der  Zins  begründet.  Ein  Boehm's  Theorie  gani 
fremdes  Moment  ist  dann  das  des  Kredites  in  unserem  Sinne.  Aber 
vielleicht  sind  das  alles  nur  Ergänzungen,  die  mit  derselben  niclit 
unvertrSglich  sind.  Nur  eine  volle  Darstellung  kann  das  zeigen,  hin 
wollten  wir  nur  auf  jenen  bestimmten  Punkt  hinweisen. 

Auch  das  Gesetz  des  zunehmenden  Ertrages  spielt  in  unser« 
Betrachtung  hinein,  in  einer  leicht  ersichtlichen  Weise,  ähnlich  wie 
V.  Boehm  -  Bawerk's  ^dritter  Grund".  Hoffentlich  wird  man  nicht 
glauben,  daß  wir  beide  Dinge  verwechseln.  Aber  ein  Moment  der 
Entwicklung  liegt  sicherlich  auch  darin,  daß  jenes  Gesetz  wirksam 
wird.    Sein  Platz  ist  lediglich  in  der  Dynamik. 

Eine  letzte  Beziehung,  die  wir  berühren  müssen,  ist  die  zwisehen 
Zins  und  Untemehmcrgewinn.    Es  wurde  schon  gesagt,  daß  beide  aot 
d<Tselben  Quelle  kommen  und  wenn  nicht  gleichen,  so  doch  ähnlichea 
Ursprung  haben.    Wie  sich  das  verhält,  kann  nicht  auseinandergesetzt 
werden.    Aber  beachte  der  Leser  das  interessante  Ergebnis,  daß  wir 
uns  der  früher  in  der  englischen  Literatur  so  h&ufigen  einheitlichen 
Auffassung  beider  nähern,  daß  wir  wieder  an  einem  Punkte  sind,  wo 
C8  möglich  ist,  Altmeister  Ricardo  besser  verstehen  zu  lernen.    Denn 
sicher  liegt  darin   ein  sehr  gesunder  Kern  und  ein  Resultat  richtiger 
Beobachtung.    Man  betrachtet  es  zwar  allgemein  als  einen  Fortsehritt, 
die  heute  übliche  Scheidung  durchgeführt  zu  haben,  und  wird  uns 
vielleicht  vorwerfen,  für  einen  Rückschritt  zu  plaidieren.   Nun,  an  einem 
Teile  tun   wir  das.    Liegt  in  jener  Scheidung  wirklieh  eine  so  wert- 
volle Erkenntnis?    In  mancher  Beziehung  gewiß.    Beide  Ding^  fallen 
nicht  zusammen  und  ihre  Bewegungsgesetze  sind  nicht  die  gleichen. 
Aber  man  gieng  viel  zu  weit,  als  nmn  sie  vollständig  auseinanderriß 
und  den  Zins  neben  Lohn  und  Rente  stellte.    Damit  begieng  man  jenen 
Fehler,  der  auf  unserem  Gebiete  so  häufig  ist:  Jedem  Schimmer  einer 
neuen  Erkenntnis  wird  mit  einer  an  Vandalismus  grenzenden  Energie 
Geltung  verschafft,  ohne  die  geringste  Rücksicht  darauf,  daß  im  Leben 


über  den  dritten  statischen  Einkommensiw^.  429 

wie  in  der  Wissenschaft  fast  ebenso  so  selten  etwAS  ganz  Falsches,  wie 
etwas  ganz  Richtiges  gesagt  wird,  daft  nakezn  jeder  Auffassung 
irgendeine  Beobachtung  entspricht,  irgendeine  Berechtigung  zukommt. 
Nun,  das  Wahre  an  jener  einheitlichen  Auffassung  des  Profites  ist 
jetzt  nicht  schwer  zu  sehen.  Nach  unserer  Erörterung  ist  es  klar, 
daft  der  Zins  dem  Untemehmergewinne  ungleich  n&her  steht  als  dem 
Lohn  und  der  Rente,  dafi  zwischen  ihnen  Relationen  bestehen,  die 
gegenfiber  den  letzteren  fehlen  und  die  helles  Licht  auf  beide  Er- 
scheinungen werfen.  Und  wenn  es  auch  nicht  möglich  ist,  auf  diese 
Probleme,  die  zum  Teile  ganz  neue  sind,  einzugehen,  so  war  es  doch 
wichtig,  auf  diese  Beziehung  hinzuweisen,  da  auch  das  dazu  beiträgt, 
unsere  Auffassung  von  der  Zinserscheinung  zu  beleuchten  und  die 
Richtung,  in  der  sich  unser  Versuch,  das  Problem  zu  lösen,  bewegen 
soll,  anzudeuten. 

ZurQckzu kehren  zu  einer  alten  Auffassung  bedeutet  nicht  immer 
einen  Rfickschritt;  sehr  oft  hat  dieselbe  eine  Ursprünglich keit  und 
Lebenswahrheit,  die  bei  der  weiteren  Analyse  sozusagen  auf  dem 
Wege  verloren  geht.  Aber  abgesehen  davon  ist  die  alte  Auffassung, 
wenn  wieder  aufgenommen  nach  einer  langen  Zeit,  nicht  mehr  dieselbe. 
Die  Arbeit  jener  weiteren  Analyse  ist  nicht  verloren.  Wir  sagen 
ja  auch  in  unserem  Falle,  daB  sie  ihre  Verdienste  hat;  und  kehrt 
man  bereichert  durch  das,  was  sie  bot,  nun  wiederum  zur  alten  zurück, 
so  sagt  uns  diese  nun  viel  mehr,  bedeutet  sie  auch  etwas  anderes 
als  früher.  Es  ist  ziemlich  schwer,  den  richtigen  Mittelweg  zu  finden 
zwischen  der  Anerkennung  der  Verdienste  früherer  Gedankenarbeit 
und  der  Kontinnit&t  der  Wissenschaft  einerseits  und  der  vollen 
Würdigung  des  besseren  Neuen  andererseits.  Fehlt  man  bei  uns  viel- 
fizch  in  der  ersten  Hinsicht,  so  hat,  wie  wir  bereits  zu  bemerken 
Gelegenheit  hatten,  eine  Reaktion  dagegen  wiederum  zu  viel  nach 
der  andern  Richtung  getan,  teilweise  nicht  aus  tieferer  Erkenntnis, 
sondern  lediglich  infolge  geringen  Verständnisses  für  die  modernen 
Errungenschaften  unserer  Disziplin.  Wir  suchen  uns  von  beidera 
fem  zu  halten,  wobei  es  uns  ja  auf  Gerechtigkeit  gegen  Personen 
im  Sinne  des  Dogmenhistorikers  nicht  ankommt  —  wir  lieben  es  nicht, 
Worte  zu  klauben  und  „Stellen"  unter  die  Lupe  zu  nehmen,  und  so 
konnten  wir  nicht  genau  sagen,  wieweit  eich  unsere  Auffassung 
etwa  der  Ricardo*s  nähert.  Das  interessiert  uns  auch  nicht  weiter, 
und  wir  begnügen  uns  mit  jenem  Hinweise:  Gewiß  hat  Ricardo  ja 
seinen  Profit  neben  Lohn  und  Rente  gestellt;  «ehr  weit  also  geht 
die  Analogie  nicht 

Aber  auf  eine  moderne  Theorie  des  Zinses,  welche  sich  mit 
der  unsem  in  bemerkenswerter  Wei^e  berühren  dürfte,  wollen  wir 
noch  zu  sprechen  kommen:  Es  ist  die  v.  Philippovich's.  Dieselbe 
zerfällt  in  zwei  Teile.    Der  erste,  der  allerdings  fast  den  ganzen  Raum 


480  ^^^  Verteilungstheorie. 

enmhnint,  der  dem  2te.t)sproblem6  gewidmet  ist,  ist  eine  ProdoktiTitit»- 
theorie  und  kommt  In  «diesem  ZusammenhAiige  nicht  mehr  in  BetrMkt 
Dann  aber  folgt  die  Bemerkung,  „die  Produktiyitftt  allein  sei  bkU 
entscheidend.*'  Es  scheine  dem  Autor  wesentlich,  die  Entstehung  dcf 
Zinses  nicht  von  der  des  Untern ehmereinkommens  sn  trennen.  Ei 
ist  schwer,  die  Tragweite  dieser  kurzen  Bemerkung  zu  verstehen,  nnd 
sicherlich  liest  man  leicht  darüber  hinweg.  Sie  gestattet  femer  ja- 
schiedene  Auffassungen,  z.  B.  eine  solche  im  Binne  der  Aasbeutimg»- 
theorie.  Aber  ich  meine,  daß  hier  an  etwas  Ähnliches  gedacht  wird 
wie  in  unserer  Darlegung.  In  der  Tat,  zu  Ende  gedacht  heiBt  jene  Be- 
merkung nicht  mehr  und  nicht  weniger,  als  daß  der  Zins  kein  „statisches* 
Einkommen  sei,  und  die  Erw&hnung  des  Unternehmers  deatet  ungeftlir 
in  unserer  Richtung.  Und  dann  gewinnt  auch  die  vorhergehende 
Produkt! vitätstheorie  eine  andere  Bedeutung,  die  sich  vielleicht  ia 
unserem  Sinne  auslegen  ließe  und  jedenfalls  die  Theorie  v.  Philippovi^*! 
von  den  übrigen  Produktivit&tstheorien  wesentlich  unterscheidet 
Solche  Anklftnge,  in  denen  das,  was  wir  für  die  richtige  Erkenntaif 
halten,  durchschimmert,  könnten  wir  mehrere  anführen,  doch  würde 
das  zu  weit  fuhren. 

Zuviel  haben  wir  schon  über  ein  Problem  gesprochen,  das  wir 
hier  ja  doch  nicht  lösen  können.  Wir  wollten  es  aber  nicht  bei 
jenem  einfach  negativen  Resultate,  das  unser  statisches  System  ergibt 
bewenden  lassen,  um  so  mehr,  als  auch  dieses  Resultat  seinen  volles 
Sinn  erst  durch  das  Weitere  erhält,  und  haben  lieber  lose  Bausteine 
als  gar  nichts  geboten. 

Die   einfache  Folge  unserer  Auffassung  des  Zinsph&nomens  ist 
daß  unsere  Methode,  Bewegungsgesetze  zu  gewinnen,  welche  wir  in 
Folgenden  kennen  lernen  werden,  auf  diesen  Einkommenszweig  niekt 
anwendbar  ist.     Ganz   andere  Bewegungsgesetze  herrschen  hier  tk 
bei  Lohn  und  Rente,  und  vielleicht  ist  es  diese  Erkenntnis,  welche 
bewirkt,   daß   man   sich  bei  den  vorhandenen   Lösungsversuehen  so 
durchaus  nicht  beruhigen   kann.    Hier  wird  die  neue  Theorie  neae 
Aufschlösse  zu  geben   haben  und  ihren  Wert  zeigen  müssen.    Gd« 
der    zu    erwartenden   Resultate    können    wir   jetzt    schon   andeutes, 
nftmlich  die  Widerlegung   des  Satzes,  daß  der  Zins  ohne  bestimmte 
Grenze  abzunehmen  und  sich  der  Null  zu  nfthem  strebe.    Beim  Unter* 
nehmergewinne  kommen  wir  auf  denselben  Punkt  zu  sprechen,  und 
da  in  dieser  Beziehung  für  den  letzteren  genau  das  Gleiche  gilt,  eo 
sei  für  diesen  Punkt  auf  das  Folgende  verwiesen. 


V.  Kapitel. 
Ober  die  Theorie  des  Unteniehmer;gewinne8. 


§  1.  Wie  scbon  bemerkt,  beenden  wir  uns  im  allge- 
meinen nicht  auf  kontroversem  Boden,  wenn  wir  den  Unter- 
nehmei^ewinu '  aus  dem  statischen  Systeme  ausscheiden. 
"Wir  können  daher  hier  viel  kürzer  sein.  Auch  da  wollen 
wir  das  Problem  nicht  Idsen,  sondern  nur  auf  einige  Mängel 
der  bisherigen  Theorien  hinweisen  und  einige  Bemerkungen 
machen,  die  teils  fUr  unser  System  von  Bedeutung  sind,  teils 
mit  dem  Ober  den  Zins  Gesagten  im  Zusammenhang  stehen. 

Was  zunächst  den  ersten  Punkt  betrifft,  so  ist  die  Ein- 
stimmigkeit darüber,  daS  das  Unternehmereinkommen  sich 
nicht  im  statischen  Zustande  der  Wirtschaft  zeige,  keine 
völlige.  In  der  Tat,  der  Unternehmergewinn  zeigt  sich  so 
regelmäßig,  daß  das  Bestreben,  ihn  unter  die  Einkommens- 
zweige  der  Statik  einzureihen,  in  ähnlicher  Weise  begreiflich 
ist,  wie  derselbe  Wunsch  beim  Zinse.  Hierher  gehört  nun 
jene  Theorie,  welche  am  vollständigsten  von  Mataja  dar- 
gestellt worden  ist  und  welche  als  Rententheorie  des  Unter- 
nehmergewinns bezeichnet  werden  kann.  Derselbe  wird 
nämlich  als  eine  DifTerentialrente  der  einzelnen  Unter- 
nehmungen gegenober  der  am  ungünstigsten  arbeitenden  auf- 
gefaßt. In  anderer  Weise  haben  z.  B.  Walker  und  von  Mangoldt 
die  Sache  gefaßt,  indem  sie  den  Unternehmergewinn  auf 

<  Ich  setze  TorauB,  daS  der  Unterschied  iwiacbeD  „Untemehmer- 
«iDkorotnen"  und  „Untemehmergewinii''  als  Einkommen  des  Unter- 
nehmers als  solchen  bekannt  ist. 


432  Ober  di«  Theori«  des  UnteraehmergeiriDiiea. 

höhere  pereOnlicbe  Tüchtigkeit  des  Unteroebinere  zurOck- 
fDfarten,  sei  es  gegenaber  anderen  Unternehmern  —  die  hier 
dann  als  ohne  Gewinn  arbeitend  angenommen  werden  —  sei 
es  gegenober  den  Arbeitern.  Diese  letztere  Theorie,  welche 
darauf  hiDaualftnft  eu  sagen ,  daü  der  Arbeiter  nur  deshalb 
nicht  Unternehmer  sei,  weil  ihm  die  Tüchtigkeit  daza  fehle, 
gehört  zu  jenen,  welche  man  nur  schleunigst  aufgeben  mu6, 
wenn  man  auch  nur  versuchen  will,  die  Position  der 
Theorie  gegenüber  den  zahlreichen  Angriffen  verschiedensteF 
Art  zu  halten.  Denn  hier  sind  sie  a  1 1  e  berechtigt :  Historische, 
politische  und  vor  allem  auch  eine  Menge  theoretischer. 

Die  Auffassung  des  Untemehmergewinnes  als  eine  Rente 
der  Person  gegenüber  andern  Unternehmern  ist  natürlich 
etwas  ganz  anderes,  und  wir  können  sie,  als  einen  Spezial- 
fall wenigstens,  mit  der  Matajas  vereinigen.  Die  Theorie 
dieser  Form  ist  sehr  h&ufig.  Uns  veranlassen  zwei  Um- 
stände, sie  abzulehnen.  Erstens  der,  dafi  sie  nichts  erklärt 
NntOrlich  ist  das  Einkommen  des  Unternehmers  das,  was  in 
seinen  Händen  zurückbleibt,  und  dieses  „etwas*  kann  ebenso 
natürlich  als  ein  Überschuß  Ober  den  Ertrag  einer  Unter- 
nehmung dargestellt  werden,  welche  keinen  Gewinn  macht 
Aber  was  hat  man  davon?  Höchstens  die  Erkenntnis,  daS 
der  Untemehmergewinn  kein  Preis  ist,  wie  Lohn  oder  Grund- 
rente. Das  ist  ja  etwas,  aber  wenig.  Unsere  zweite  Ein- 
wendung ist,  daß  dieser  Unternehmergewinn  entweder  mit 
Lohn  oder  mit  Grundrente  oder  mit  dem  Preise  der  produ- 
zierten Produktionsmittel  kollidiert.  Denn  worin  soll 
jener  differentielle  Vorteil  bestehen,  der  die  gRente"  zur 
Folge  hat?  Es  gibt  viele  solche  Umstflnde;  aber  immer 
wird  deren  wirlschaftlichea  Resultat  von  einer  jener  andern 
Kategorien  absorbiert:  Wenn  der  Unternehmer  selbst  be- 
sonders tüchtig  ist,  etwa  als  Techniker,  so  ist  sein  Ein- 
kommen daraus  eben  als  Unternehmerlohn  zu  bezeichnen. 
Das  ist  kein  ÜberschuB.  der  einer  besonderen  Erklärung  be- 
dürfte, sondern  ebenso  einfach  zu  verstehen  ist,  wie  der 
Umstand ,  ilaB  ein  Ghaulfeur  einen  höheren  Lohn  bekommt 
als  ein  Dockarbeiter,  und  das  wiederum  bedarf  ebenso  wenig 


Übfr  die  Theorie  dea  Unteraehmergewinnea.  433 

eines  neuen  Prinzipes,  um  erkl&rt  zu  werden,  wie  der  rer- 
Bchiedene  Preis  zweier  verschiedener  GenuBgfiter.  Und  eine 
Unteniebmertätigkeit  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes 
kaan  sieb  im  statisclien  Zustande,  in  dem  die  Unternehmung 
vorhanden  ist  und  alle  Konjunkturen  feststehen,  nicht  ftuSern. 
Dieses  Moment  weist  vielmehr  über  die  Grenzen  der  Statik 
hinaus.  Liegt  ferner  die  Unternehmung  ganstiger,  so  ist 
der  „Überflchufl"  Grundrente,  verfugt  sie  Ober  besondere 
Rohstoffe  oder  Maschinen,  so  äuSert  sich  das  in  deren  Wert 
and  Preis,  liegt  ein  Monopol  vor,  so  findet  das  seine  ander- 
weitige Erklärung.  Was  bleibt  da  ftlr  den  Untemehmergewinn  V 
Etwas  mehr  Inhalt  scheint  jene  Theorie  zu  haben,  welche 
dasselbe  Moment  in  etwas  anderer  Weise  verwertet,  welche 
Dämlich  ausgeht  von  einem  Gesetze  des  abnehmenden 
Produktionsertrages  —  innerhalb  der  einzelnen  Unter- 
nebmung.  Der  Produzent  produziert  solange,  oder  besser 
gesagt  soviel,  bis  ein  weiterer  Zuwachs  keinen  „Gewinn"  mehr 
bringen  würde,  und  was  erzeugt  wird,  ehe  diese  Grenze 
erreicht  wird,  liefert  einen  „ÜberschuS".  Das  ist  richtig 
unter  gewissen  Voraussetzungen,  die  wir  mit  Rocksicht 
auf  die  geringe  Bedeutung  des  Argumentes  fQr  uns  fiber- 
gehen. Aber  dieser  Überschuß  hängt  ja  nicht  in  der  Luft. 
Wir  haben  zwei  Möglichkeiten:  Entweder  man  nimmt  als 
Grenze  jenen  Punkt  an,  an  dem  der  Preis,  der  für  die 
Einheit  des  Produktes  erlöst  werden  kann,  gleich  ist  dem 
Preise,  der  ftlr  die  dazu  nötigen  Rohstoffe,  exklusive 
Boden  und  Arbeitsleistungen,  gegeben  wurde.  Dann  ist 
ein  Überschuß  gewiß  vorhanden,  aber  derselbe  ist  Rohertrag, 
der  nichts  tiber  ein  schlieSliches  Einkommen  sagt.  Oder 
man  rechnet  hoba  und  Grundrente  in  die  Grenzkosten  ein 
und  wohl  noch  gar  den  Zins  (Kapitalersatz  ist  ja  fQr  die 
Theoretiker  ganz  allgemein  etwas  Selbstverständliches),  dann 
ist  die  Existenz  des  Überschusses  mehr  als  zweifelhaft.  Mit 
demselben  Rechte  könnte  man  auch  noch  den  Untemehmer- 
gewinn in  die  Grenzkosten  einrechnen  und  mittelst  des- 
selben formalen  Raisonnements  auch  dann  noch  einen  Über- 
schufl  heraosfinden. 

Sehnrnpatar,  NkUoulakonomie.  <tf& 


494 

§  2.  Eine  «Ddere  Theorie  bezeichnet  den  UntMuehBier- 
gewiDD  als  den  Erfolg  der  eigratlichen  UntetnehmerUtig- 
keit,  als  welche  meist  das  ZosasimeBbringen  der  ProdBktioii& 
taktoren  zueinander  bezeichnet  wiid.  Darin  liegt  ein  richtiges 
Element,  aber  dasselbe  kann  sieh,  wie  gesagt,  in  der  Statik 
nicht  zur  Geltung  bringen.  In  die  letztere  pflegt  man  nao 
dasselbe  dadurch  einzufahren,  da6  nun  hier  von  ein«n  .Lohn'' 
spricht,  der  mit  dem,  was  wir  „Untemehmerlolm*  nennen  V 
nicht  2u  verwechseln  ist.  Nun,  diese  Anffassnog  ist  ganz 
schief.  Diese  .Untemefamerleistungen'  werden  nicht  unter 
dem  Eiafiusse  von  Angebot  und  Nachfrage  entlohnt,  in  dem 
Sinne  wie  andere  Arten  von  Arbeit.  Was  der  Unternehmer 
bekommt,  steht  keineswegs  eindeutig  fest  und  mag  griißer 
oder  kleiner  sein,  als  der  „Wert*  seiner  Leistungen  fflr 
irgend  jemand.  Au6erdem  kann  das  deshalb  kein  Preis 
sein,  weil  keine  Wertfunktionen  fOr  diese  .Ware*  Yorhanden 
sind  —  höchstens  für  den  Untemebroer  selbst,  aber  wer 
steht  ihm  als  der  andere  Kontrahent  gegenOber  ?  Jede 
andere  Antwort  als  „niemand"  beruht  auf  einer  Fiktion. 
Moralisch  konnte  man — so  unannehmbar  uns  das  persön- 
lich scheint  —  von  einer  „Belohnung*  sprechen,  die  dieser 
Gewinn  darstellt,  aber  nicht  wirtschaftlich  von  einem  „Lohne". 
Davon  sprachen  wir  schon  bei  der  Lobntheorie.  In  diesem 
Sinne  wäre  aber  diese  Theorie  eine  „soziale  Rechtfertigung", 
also  Oberhaupt  keine  wissenschaftliche  Theorie. 

Das  Moment  des  Risikos  wunie  ebenfalls,  teils  allein, 
teils  in  Verbindung  mit  anderen  Momenten  herangezogen; 
aber  nur ,  wenn  man  die  Übernahme  des  Risikos  als  einen 
„Dienst"  auffaßt,  der  entlohnt  werden  mDßte,  was  aus  dem- 
selben Grunde  nicht  angeht  wie  von  einem  „Lohne"  der 
Unternehmertätigkeit  zu  sprechen,  könnt«  es  da  ein  ständiges 
Einkommen  geben.  Andernfalls  würden  ja  den  „guten  Risken* 
„schlechte"  gegenüberstehen  und  Gewinn  und  Verlust  sich 
ungef&hr  balancieren. 

■  und  worunter  wir  Lohn  für  techniBche  oder  kommeraielle 
'  eitiinj;  vcrBtcheii,  welche  jeder  angestellte  Direktor  leisten  kSanto. 


Ober  die  Theorie  des  ünteraehraeTgewiDnes.  485 

Diese  Theorien  sind  inethodologiBcti  ftehr  lehrreich  und 
zwar  aus  folgendem  Grunde :  Die  Momente ,  auf  denen  sie 
basieren ,  sind  nicht  geradezu  fialscb ,  aber  sie  erklllrea  die 
Eraeheinung  nicht,  die  sie  erklsren  sollen.  Es  sind  rage 
Behauptungen,  die  richtig  oder  falsch  sein  können,  und  deren 
Richtigkeit  oder  Falschheit  für  die  Erscheinung,  Ober  die 
wir  etwas  zu  erfahren  wQnschen ,  belanglos  ist.  Der  Um- 
stand, der  ans  das  in  diesem  Falle  so  recht  vor  Augen  fuhrt, 
ist ,  dafi  diese  kleinen  Ursachen  ja  doch  nicht  geeignet  sein 
können,  eine  so  großartige  Erscheinung  zu  erklAren.  Nehmen 
wir  aber  an,  die  Diskrepanz  zwischen  „Tragbalken"  und 
„BelastUDg"  wAre  weniger  grofi.  Vielleicht  könnten  wir 
dann  verführt  sein ,  diese  Theorie  ebenso  hinzunehmen  wie 
das  ihre  Autoren  taten.  Zu  welcher  Fülle  falscher  SehlflHse 
könnte  das  führen,  die  sich  gleichwohl  immer  durch  ii^nd- 
welche  Tatsaefaeii  belegen  lieflen!  Wahrlich,  solange  die 
Nationalöbonomen  glauben,  ein  wissenschaftliches  Problem 
gelö&t  zu  haben ,  wenn  sie  auf  eine  Frage  nur  Oberhaupt 
etwas  zu  antworten  wissen,  mag  dasselbe  auch  gar  keinen 
Bezug  auf  das  zu  Erklärende  haben,  und  nie  die  Verpflichtai^ 
fühlen ,  Ausgangspunkte  und  Resultate  zu  ?erifizieren ,  so- 
lange kann  man  ihren  Gegnern  nicht  völlig  Unrecht  geben. 

Kehren  wir  zu  unseren  Theorien  zurück  und  w&blen 
wir  als  Folie  für  das,  was  wir  zu  sagen  wünschen,  eine 
weitere,  die  vielleicht  hnufigste  die  nFriktionstheorie".  Die- 
selbe besagt  bekanntlich,  daß  es  keinen  Untemehmergewinn 
gftbe,  wenn  alle  Wirtschaftsprozesse  glatt  ablaufen  würden. 
Da  das  aber  nicht  der  Fall  ist  nnd  die  Konkurrenz  nie 
durchgreifend  wirken  kann,  so  ergeben  sich  da  und  dort 
Überschüsse,  welche  in  den  Händen  des  Unternehmers  zu- 
rückbleiben. Diese  Theorie  sagt  gamichta  Falsches,  und 
doch  ist  sie  nicht  zu  brauchea  und  zwar  wesentlich  deshalb, 
weil  man  durch  sie  meist  in  wenigen  Worten  eine  Er- 
scheinung abtut,  an  deren  Größe  und  Bedeutung  man  ver- 
nünftigerweise doch  nicht  zweifeln  kann.  Nicht  ohne  Er- 
staunen wird  der  Laie  finden,  daS  in  den  Lehrbüchern  der 
Ökonomie  so  außeronlentlich  wenig  über  diesen  Einkommens- 


430 

nreig  za  finden  ist.  Wohl  k&nnen  sieh  die  meisten  Aatoren 
gtr  nicht  genag  ton  in  breiter  Darlegung  aller  gaten  Eigen- 
tehaften,  die  ein  Unternehmer  haben  mofi,  od«*  in  einer 
Daistellong  der  Mzialpolitisehen  Seite  der  Sache.  Aber 
auf  die  Frage:  Wie  gebt  denn  des  M&heien  diese  Kn- 
kommensbildnng  Tor  sich,  wie  entstehen  Untemehranngen 
einerseits  ond  die  Patftste  der  oberen  Zehntausend  ander- 
seits? —  anf  diese  Frage  findet  man  eigentlich  keine  Antwort, 
als  etwa  diese  „Friktion".  Und  doch  braneht  man  diese 
Antwort  ja  nur  za  analysieren,  um  ihre  UnznlangUchkeit 
zu  erkennen.  Danas,  dafi  sich  jemand  irrt,  oder  daß  er 
ans  Nacblftssigkeit  oder  sonst  aas  einem  Grunde  nicht  ent- 
sprechend wirtschaftlich  handelt,  daraus  sollen  gerade  die 
grMten  Einkommeo  entstehen?  Freilich  ist  man  ja  auf 
solche  ganz  kleine  Momente  nicht  beschr&nkt.  Erfindungen 
und  dergleichen  sind  ja  etwas  wichtiger.  Femer  haben  wir 
da  den  Spekulationsgewinn.  Aber  derselbe  erscheint  im 
Systeme  der  Ökonomie  entweder  als  eine  Gabe  des  GlQckes, 
die  ganz  vereinzelt  vorkomme,  oder  als  ein  verhaltnismkßig 
beschrftnkter  Verdienst  aus  Arbitragen  u.  dergl.  Wie  arm- 
selig  sind  diese  Elemente!  Sie  werden  nicht  besser  durch 
das  Anhängen  einiger  sozialpolitischer  und  moralischer  Be- 
trachtungen Ober  das  BOrsenspiel,  und  positiv  falsch  wird 
die  Sache,  sobald  man  dazu  kommt,  aus  der  freien  Kon- 
kurrenz die  Tendenz  zur  Eliminierung  des  Unternehmer- 
gewinnes abzuleiten. 

Aber  ehe  wir  diesen  Punkt  diskutieren,  wollen  wir  noch 
etwas  anderes  erörtern.  Nämlich  die  instruktive  Frage:  Wie 
mQ6te  der  Tatbestand  beschaffen  sein,  wenn  wir  ein  Recht 
haben  sollen,  über  diesen  Einkommeuszweig  einfach  mit  der 
Erklärung  hinweg  zu  gehen,  dafi  es  sich  um  Friktions- 
einkommen  handle?  Das  liegt  in  derselben  Richtung  wie 
die  allgemeine  methodologische  Frage:  Wann  darf  man  etwas 
vernachlilssigenV  Denn  das  Wesen  der  Friktionstheorie  ist 
gar  nichts  anderes,  als  die  Behauptung,  dafi  man  das  mit 
dem  L'nt ernehmergi'ninnc  tun  dDrfe.  Nicht  notwendig 
dazu  ist  eine  Tendenz  zur  Eliminierung  und  dieselbe  wftre 


über  die  Theorie  den  Unteroehme^ewinnea.  437 

auch  gar  nicht  ausreichend.  Das  EsBentielle  iBt  vielmehr, 
daB  es  sich  um  GrCflen  handelt,  von  denen  man 
nachweisen  kann,  daBsie,  jede  fOr  sich  genommen, 
so  klein  sind  im  Verhaltnisse  zu  den  andern,  mit 
denen  man  es  zu  tun  hat,  daß  man  sie  ver- 
nOnftigerweise  unbeachtet  lassen  kann,  nnd  dafi 
sie  femer,  vom  Standpunkte  der  Untersuchung  wiederum, 
mit  der  man  es  zu  tun  hat,  den  Charakter  der  Znfillligkeit 
haben,  so  daS  es  wahrscheinlich  ist,  daB  sie  sich 
balancieren.  Der  Ton  liegt  vor  allem  darauf,  daß  das  un- 
beachtet Gelassene  das  Resultat  nicht  merklich  beeinflussen 
darf.  Dafi  uns  in  jedem  einzelnen  Falle  die  Pflicht  obliegt, 
nachzuweieen,  daB  das  nicht  der  Fall  ist,  bedarf  gar  keiner 
Begründung.  Die  Sachen  stehen  nun  in  unserem  Falle 
sicherlich  anders,  die  Marge  des  Unternehmers  ist  viel 
größer,  sie  ist  konstant  gr(ißer,  ohne  eine  allgemeine 
Tendenz  zum  Sinken  zu  zeigen ,  nnd  daraus  folgt ,  daß  die 
Friktionstheorie  nicht  ausreichen  kann.  Wir  haben  hier 
wiederum  einen  Beitrag  zum  Verständnisse  der  „Statik". 
'Wir  sehen  nftmlicb,  was  das  Resultat  ist,  wenn  man  sich  be- 
müht, dynamische  Probleme  in  der  Statik  zu  behandeln. 
Denn  das  ist  hier  geschehen.  Diese  Theorien  gewinnen  ein 
so  hippokratisches  Aussehen,  man  fuhlt  sich  gedrängt,  die 
Bedeutung  der  Dinge  zu  verringern,  fUr  die  man  keine 
ausreichende  Erklärung  hat,  und  eine  Besserung  ist  nicht 
anders  mOgUch  als  dadurch,  daß  mau  die  Sache  auf  ganz 
neue  Grundlagen  stellt  —  vom  Apparate  der  Statik,  der 
hier  zur  »Zwangsjacke"  wird,  befreit. 

Nun  zur  angeblichen  Tatsache,  daB  der  Untemehmei> 
gewinn  eine  Tendenz  zum  Verschwinden  habe.  Ich  glaube, 
keinen  Widerspruch  befürchten  zu  mOssen,  wenn  ich  wieder- 
hole, daß  im  allgemeinen  das  durchaus  nicht  der  Fall  ist, 
daB  es  Perioden  gibt,  wo  es  so  aussieht,  aber  andere,  wo 
das  gerade  Gegenteil  richtig  ist.  Und  auch  theoretisch 
ist  es  klar,  daß  ein  solches  Verschwinden  nur  unter  den 
beiden  Voraussetzungen  anzunehmen  wäre,  die  wir  nun  an- 
fahren wollen.    Dieselben  gelten  auch  fOr  den  Zina.,  iraä^ 


438  ^^®  yerteilii]ig8llieon& 

wir  haben  dort  auf  das  Gegenwärtige  verwieseo.  Da6  das 
Dicht  dazu  ausreicht,  uns  einer  Vermengung  beider  Eia- 
kommeoszweige  zu  beschuldigen,  bedarf  kaum  der  Hervor- 
hebung. Wann  also  könnten  der  Untemehmergewinn  und  der 
Zins  in  Wirklichkeit  verschwinden  ?  Erstens,  weon  die  Ent- 
wicklung plötzlich  stehen  bliebe;  denn  weitere  Entwicklung 
wOrde  Unternehmern  und  Kapitalisten  neuen  Zins  uid 
Oewinn  zuführen.  Aber  das  ist  noch  nicht  ausreichend. 
Es  müßten  gleichwohl  Unternehmungen  derselben  Art  und 
Branche  weiter  gegründet  werden,  wie  sie  gegenwärtig  be- 
stehen, damit  durch  ihre  Konkurrenz  jenes  Plus  versehwinde. 
Das  Gekünstelte  und  Widerspruchsvolle  an  diesen  Voraus- 
setzungen ist  klar.  Es  ist  das  keineswegs  die  Annahme 
eines  statischen  Zustandes,  es  ist  ein  teilweises  Stehen- 
bleiben verbunden  mit  einer  teilweisen  Fortentwicklung  von 
einer  bestimmten  Art,  wie  sie  sicherlich  nie  besteht. 

Warum  der  Theoretiker  aber  keinen  Untemehmergewinn 
dauernd  anerkennen  will,  hat  ersichtlich  nur  den  Grund, 
daß  er  ihn  im  statischen  Systeme  nicht  erklären  kann.  Die 
statischen  Voraussetzungen  schließen  ihn  aus.  Wünscht  man 
nun,  um  das  Bild  mehr  zu  beleben,  die  Person  des  Unter- 
nehmers demselben  zu  erhalten,  so  kommt  ein  „entrepreneur 
faisant  ni  benefice  ni  perte"  heraus  wie  bei  Walras.  Die 
meisten  Theoretiker  drücken  nun  nicht  deutlich  aus,  daß 
dieser  Unternehmer  nur  eine  Fiktion  aus  methodologischen 
Gründen  ist,  oder  vielmehr  sie  erkennen  es  nicht  klar.  Es 
scheint  mir  aber  ganz  unzweifelhaft  zu  sein.  Hier  hat  man 
wieder  einmal  eine  für  bestimmte  Zwecke  praktische  Kon- 
struktion, unterstützt  natürlich  noch  durch  mangelhafte 
Beobachtungen,  einfach  in  die  Wirklichkeit  versetzt,  wo  sie 
sich  dann  übel  bewährt.  Nur  das  dürfte  die  Quelle  der 
Friktionstheorie  und  der  tiefere  Grund  für  die  Behauptung 
sein,  daß  der  Untemehmergewinn  eine  Tendenz  zum  Ver- 
sehwinden habe. 

Eine  der  Theorien  des  Untemehmergewinnes  nun  gibt 

ebenfalls    das   Resultat,    daß  derselbe   eine   bleibende   Er- 

eheinung  und  Reine  Rate  naturg^niS  eine  ungleiche  ist. 


Ober  die  llkeorie  dei  Uittem«hinergewinDea.  439 

weder  nach  Null  noch  nach  einer  Ausgleichung  strebt.  Ks  iBt 
das  die  erwähnte  ,  Rententheorie "  desselben,  und  Mat^a  hat 
das  zutreffend  hervorgehoben.  Soweit  hat  dieselbe  einen 
großen  Vorzug  vor  den  anderen.  Aber  schon  der  nUchstO 
Schluß,  den  man  aus  ihr  ziehen  könnte,  wäre  falsch;  nftm- 
lieh  der,  daß  eine  Steuer  auf  den  Unteniebmergewinn  auf  dM 
Unternehmer  fallen  müßte,  ohne  daß  eine  Überwftlzungs- 
mOglichkeit  bestände.  Man  behauptet  das  oft  von  Diffetenzial- 
renten.  Und  es  ist  fQr  dieselben  annähernd  wahr.  Nicht 
aber  fQr  den  Unternehmergewinn,  wie  man  sich  überzeugt, 
wenn  man  bedenkt,  daß  die  Erschwerung  der  Untemehmer- 
fonktion,  die  darin  liegt,  zu  einer  Verringerung  der  Produktion 
und  Bo  zu  einem  Steigen  der  Preise,  mithin  doch  zu  einer 
teilweisen  Überwälzung  in  größerem  oder  geringerem  Maße' 
fahrt.  Gar  nie  ist  jener  Satz  ganz  wahr.  Aber  für  den 
Unternehmergewinn  selbst  nicht  in  jener  Annäherung. 

Sodann  drOckt  diese  Theorie  die  Dauerbarkeit  des  Unter- 
nehmergewinnes  nicht  ganz  entsprechend  aus.  Wohl  bleibt 
er,  wohl  zeigt  er  sich  immer,  aber  nicht  immerwährend  an 
den  individuellen  Unternehmungen,  denen  er  vielmehr  im 
Laufe  der  Entwicklang  entgleitet.  Die  Entwicklung  ist  für 
ihn  das  entscheidende  Moment,  nur  von  ihr  aus  ist  er  zu 
veratehen.    Und  sie  fehlt  ganz  in  diesem  Gedankengange. 

Die  Entwicklung  nur  und  die  Bewegung  zeigt  diese  so 
wichtige  Erscheinung  voll  und  ganz,  aus  der  sich  meines 
Erachtena  zum  großen  Teile  die  Vermögensbildung  erklärt. 
Und  auch  hier  tauchen  nun  Probleme  auf,  für  die  das 
Geleistete  nichts  bietet  und  auf  die  wir  hier  hinweisen 
wollten. 


Sicherlich  haben  Zins  und  Unternehmergewinn  mit-, 
einander  mehr  zu  tun  als  mit  Lohn  und  Rente.  Dieses 
Resultat  wenigstens  können  wir  auch  auf  Grund  unserer 
so  unvollständigen  Darlegungen  mit  Beruhigung  aussprechen. 
Die  Einkommenszweige  zerfallen  also  in  zwei  vorläufig  deut- 
lich   unterschiedene   Gruppen,    die    in   ganz   verschiedener 


440 


Ke 


Wrtae  m  erkllren  sind.  Freilich  wire  es  sehftn,  wenn  das 
nicht  der  Fall  wire.  Wieviel  worde  die  Statik  and  die 
KstionalökoDomie  aberbaopt  gewinneD,  wenn  man  auch  fOr 
Zins  und  Gewinn  danernde  Qoellen  wie  Arbeit  und  Boden, 
also  z.  B.  AbBtinenz  nnd  eineo  besonderen  „Vntemehmer- 
dtenBt"  attnebmen  kfinnte!  Wie  klar  nnd  einfach  wSre 
dann  die  Ökonomische  Theorie  der  Verteiinng!  Man  kano 
die  Ökonomen  nicht  tadeln,  die  es  versnehen;  aber  es  geht 
eben  nicht.  Prinnpiell  viren  ja  solche  Eonstniktionen  mög- 
lich, aber  wirkliche  Eineicht  boten  sie  nicht.  Sie  würden 
Probleme  nicht  lOsea,  sondern  nur  verdecken.  Und  so  muS 
denn  ein  anderer  Weg  eingeschlagen  werden.  Vielleicht 
führt  er  einmal  zu  jener  Klarheit  nnd  Einheit.  Vorher 
aber  ist  ein  hartes  StQck  Arbeit  zu  leisten. 


Vierter  Teil. 
Die  Variationsmeihode. 


I.  Kapiter. 
Allgemeiner  Teil. 


§  1.  Wir  haben  die  Aufgabe,  unser  System  zu  be- 
schreiben, soweit  gelJ^st,  als  es  innerhalb  des  Rahmens  dieser 
Arbeit  nötig  und  möglich  ist,  und  ferner  auch  einige  not- 
wendige Ergänzungen  gestreift  Aber  bevor  wir  daran  gehen, 
uns  ein  abschließendes  Urteil  über  seinen  Erkenntaiawert  zu 
bildeu,  vollen  wir  noch  einen  wichtigen  Schritt  weiter  tun, 
wollen  wir  es  sozusagen  arbeiten  sehen. 

Die  Betrachtung  des  Systemes  im  Gleichgewichte  lehrt 
uns  —  popul&r  gesprochen  — ,  was  seine  einzelnen  Elemente, 
was  namentlich  die  statischen  Einkommen  ,8  i  n  d"  und 
sodann  ihre  eindeutige  Bestimmtheit.  Über  ihre  konkrete 
Größe  erfahren  wir  freilich  nichts,  aber  wir  erhalten  eine 
Aufklärung  Ober  ihre  Natur.  Das  Allernächste,  was  wir 
nun  weiter  zu  erfahren  wünschen,  sind  die  Bewegungs- 
gesetze jener  Größen.  Es  ist  das  das  zweite  große  Problem, 
die  zweite  Gruppe  von  Resultaten  der  exakten  Ökonomie. 
Nicht  nur  ist  das  die  praktisch  interessaateste  Frage, 
wenigstens  sogleich  nach  jener,  ob  die  Preise  und  Ein- 
kommen etwas  „Willktlrliches"   oder  .Notwendiges"  seien. 


'  Namentlich  die  g§  3,  4  uDd  5  diesei  Kapitels,  welche  ein  loBerat 
trockene*  Thenw  der  Tecboik  der  Theorie  behandeln  und  die  er- 
kenntaistheoretischen  Gnindlagcn  eines  großen  Teile«  auch  de«  &ko- 
nomischen  Raisounements  des  „Praktikers''  in  wichtigen  Fragen  klai> 
legen  sollen,  sind  zwar  sehr  wichtig,  aber  auch  ermOdend.  Sie  kCnnen 
erentncU  überschlagen  werden. 


444  ^'c  Vuifttionametliode. 

sondern  unsere  bisherigen  Resultate  mossen  sich  auch  be- 
w&hren,  verifizieren,  dadurch,  daß  die  Bewegungsgesetze,  die 
sie  liefern,  mit  der  Wirklichkeit  ttbereiDStimmeD.  Wir 
erkannten,  daß  dieselben  zum  Teile  nichts  anderes  seien, 
als  die  Folge  von  Annahmen,  die  vir  selbst  konetmierten, 
daß  sie  also  insoweit  die  Schöpfungen  unserer  Willkflr  seien. 
Schemen,  welche  wir  uns  zurecfatzimnaem,  weil  wir  erwarten, 
daß  sie  die  Vorgänge  der  Wirklichkeit  praktisch  wieder- 
geben werden.  In  diesem  Falle  liegt  ihre  ganze  Be- 
deutung, all  der  Sinn,  den  sie  haben,  lediglich  in  den 
Regeln,  die  sie  für  die  relativen  Änderungen  unserer  Elemente 
ergeben;  dieserwegen  allein  wurden  sie  konstruiert.  Endlieh 
ist  ein  vollst&ndiges  Verstehen  unseres  Systems  nicht  mög- 
lieh, wenn  man  nicht  beobachtet,  wie  der  Gleichgewichts- 
zustand sich  herstellt ,  wie  die  Tendenzen ,  die  ihn  berbei- 
fohren,  wirken.  Dabei  tritt  uns  dann  die  Eigenart  und  der 
Wert  unseres  Systemes  ganz  klar  vor  Augen  und  alle  seine 
Voraussetzungen  und  Grenzen  kommen  uns  viel  lebhafter 
zum  Bewußtsein,  wie  wenn  wir  sie  bei  Betrachtung  des 
Gleichgewichtszustandes  lediglich  anführen.  Dort  können 
sie  vielfach  Qberflassig  scheinen,  hier  stoßen  wir  gleichsam 
an  sie  an,  wenn  wir  uns  freier  zu  bewegen  suchen,  als  sie 
es  gestatten,  und  ihre  Notwendigkeit  und  Bedeutung  wini 
viel  lebendiger  begriffen. 

Alles  das  veranlaßt  uns  nun,  uns  dem  Probleme  der 
Variationen  unserer  Elemente  zuzuwenden.  Wiederum  werden 
wir  auf  die  methodologische  Seite  der  Sache  besonderes 
Gewicht  legen,  uns  bemühen,  das  Wesen  dessen,  was  wir 
tun,  und  was  wir  damit  erreichen,  scharf  herauszuarbeiten, 
den  reinökonomischen  Beitrag  zu  diesen  Fragen  gesondert 
von  allen  Beimengungen ,  mit  denen  vermischt  er  in  der 
Literatur  zu  erscheinen  pflegt,  darzulegen.  Viel  wichtiger 
ist  es  uns.  zu  zeigen,  was  die  reine  Theorie  da  tut  und  tun 
kann,  als  in  die  einzelnen  Sfttze  in  allem  Detail  einzageheB, 
diesen  Zweig  unserer  Disziplin  abzugrenzen  und  zu  charakteri- 
sieren, als  ihn  zu  erschöpfen  und  weiterzubilden,  das  , Unter- 
bo}z*,  das  seine  Formen  verhallt,  wegzuräumen,  als  diew  aa>- 


Allgemein«  Teil.  445 

zubauen.  Den  meisten  Lesern  wird  die  ganze  Materie  in 
dieser  Art  neu  sein,  und  speziell  das  deutsche  Publikum 
muß  mit  ihr  erst  hekannt  werden.  Aber  sowohl  die  Altere, 
wie  die  moderne  Ökonomie  hat  sich  mit  diesen  Fragen 
schon  ziemlich  eingebend  befaßt,  soviel  auch  noch  zu  tun 
bleibt.  Unserem  Zwecke  nun  dienen  wir  besser,  wenn  wir 
bei  den  Grundlagen  nnd  Prinzipienfragen  langer  verweilen, 
als  wenn  wir  die  einzelnen  Resultate  ableiten.  Das  Wichtigste 
ist,  die  eindeutige  Bestimmtheit  der  Variationen  zu  zeigen 
und  einen  Betrag  zum  Verständnisse  unseres  Systemes  zu 
liefern,  was  unter  anderem  auch  wieder  auf  das  methodische 
Hilfemittel  der  „Statik"  fuhren  wird.  Darin  liegt  unsere 
Hauptaufgabe.  Die  konkreten  Resultate,  die  wir  vorfahren, 
haben  dem  gegenüber  nur  den  Charakter  von  Beispielen, 
die  wir  mehr  oder  weniger  ausarbeiten,  ohne  ganz  adäquate 
Behandlung  anzustreben,  woran  uns  auch  der  Umstand 
hindert ,  daß  dazu ,  wie  wir  sehen  werden ,  die  Hilfe  der 
höheren  Mathematik  unentbehrlich  ist  und  wir  dieselbe  aus 
diesem  Buche  tunliehst  ausschließen  wollen.  Ich  hoffe,  bald 
Gelegenheit  zu  haben,  das  in  dieser  Beziehung  hier  Fehlende 
nachzutragen.  Nur  die  Notwendigkeit  dieser  Art  der  Be- 
handlung selbst  werden  wir  zu  zeigen  versuchen,  und  hoffen, 
daß  dem  nicht  mathematisch  geschulten  Leser  das  Ver- 
BtAndnis  dessen,  womit  sich  die  mathematische  Ökonomie 
beschäftigt,  dadurch  erleichtert  und  so  eine  Verständigung 
verschiedener  Forschungsricfatungen  gefördert  wird. 

Zwei  ganz  verschiedenen  Fragen  begegnen  wir,  wenn 
wir  einen  Schritt  aber  die  Erklärung  des  Bestehenden 
hinaus  tun  oder  besser,  eine  Frage,  die  zwei  ganz  ver- 
schiedene Bedeutungen  hat.  Sie  lautet:  Wie  ändern  sich 
Preise  und  Einkommen  absolut  und  relativ  zu  einander? 
Nan,  darauf  antwortet  eine  ganze  Literatur,  nnd  wir  stehen 
vor  sehr  aktuellen  Problemen.  Aber  wir  haben  zwei  ver- 
scbiedene  Dinge  auseinanderzuhalten.  Erstens  kann  gefragt 
sein  nach  der  tatsächlichen  Entwicklung.  Werden  die  Waren 
teuerer  oder  billiger,  steigt  oder  fällt  Lohn,  Zins  oder  Rente 
aod   wie  gestaltet  sich  ihr  tatsächliches  Verhältnis  zu  eio.- 


44Ö  ^^  VtriatioBiBuaodfl. 

ander,  verglichen  mit  der  Vergangenheit?  Und  zweiteBB: 
Gegeben  irgeudein  Zustand  der  Volkswirtschaft  im  Gleieb- 
gewichte  nnd  eine  bestimmte  StörungBorsaehe;  wie  werden 
sich  die  Preise  und  EinkODimeo  andern? 

Die  tiefe  Kluft  zwiBchen  beiden  Problemen  ist  ersidit- 
lich.  Und  in  erster  Annäherung  kann  man  sofort  sagen, 
daß  nur  das  letztere  unseren  Methoden  j^ug&nglieh  sein  kann. 
Es  läBt  sich  das  ganz  ebenso  zeigen,  wie  die  analoge  Be- 
hanptung,  daß  wir  nie  einen  konkreten  Zustand  der 
Wirtschaft  erklären  kOnnen,  und  ist  etwas  Ahnliches  wie  die 
Unterscheidung  zwischen  den  Ökonomischer  Erklärung  un- 
zugänglichen „systembestimmenden"  Tatsachen  and  den  rein 
ökonomischen  Quantitäten  —  wir  wollen  der  Kurse  halber 
den  letzteren  Sats  nicht  wieder  korrigieren,  wie  es  eigent- 
lich n&tig  wäre.  Die  konkreten  Bewegungen  sind  TOn 
konkreten  Daten  abhängig,  unser  formales  Raisonne- 
ment  kann  far  sich  allein  sie  nicht  verständlich  machen. 
Es  kann  nur,  wenn  konkrete  Daten  gegeben  sind,  bestimmte 
Folgen  derselben  vorher  sagen.  Sagt  man.  der  Lohn  steige 
ceteris  paribus,  wenn  die  Nachfrage  steigt,  so  kann  uns  die 
Theorie  nichts  darfiber  sagen,  ob  die  Nachfrage  z.  B.  in 
Zukunft  steigen  und  was  die  konkrete  Ursache  dieser  Er- 
scheinung sein  wird.  Das  liegt  auf  der  Hand.  Und  sofort 
sehen  wir  auch,  dafi  bei  Betrachtung  der  individuellen  E^ 
scheinungen  das  Moment  der  Entwicklung  besonderes  Interesse 
gewinnt  und  dafi  fttr  dasselbe  immer  andere  Dinge,  als  rein 
Ökonomische  bestimmend  sind.  Man  sieht  wiederum,  wie 
sehr  unser  System  entwicklungslos  ist.  Wir  mQssen  uns  aln 
auf  das   zweite  der  unterschiedenen  Probleme  beschränkea. 

Aber  es  wäre  doch  nicht  ganz  richtig,  den  Gegenntt  i 
zwischen  den  beiden  dahin  auszudrucken,  daß  beim  ersteien  i 
nach  individuellen  Tatsachen  und  beim  letzteren  nach  dei 
Gesetzen,  welche  dieselben  beherrschen,  gefragt  wird.  Avcb 
beim  ersteren  wQuscbt  man  General isationen  zu  gewinnen.  | 
große  Tendenzen  zu  entdecken.  Der  Satz,  daß  die  Be-  ' 
völkerung  sich  über  den  Nahrungsmittelspielraum  hinaos  n  I 
vermehren  strebe,  ein  Satz,  der  in  diesem  Zusammenhaaft   j 


Allg«n«ner  T«l.  447 

s^r  wichtig  ist,  gibt  ein  Beispiel.  Wir  sahen,  dofi  derselbe- 
nicht  za  den  Sätzen  unserer  Theorie  gehört,  von  ihnen 
weswitlieb  verschieden  ist  —  ein  „Gesetz"  ist  er  aber  dennoch. 
Üo  ei^bt  sieh ,  da8  wir  keinesw^;»  auch  nur  das  abstrakte 
Vaniationaprobiem  vOllig  bdierrschen  nnd  schliefllich  ist  das 
nicht  mehr  als  selbstverBtandlieh. 

Keineswegs  fehlt  jede  Beziehong  zwischen  beiden  Prob- 
lemen. Man  kann  gewiß  versuchen,  einen  bestimmten  Zu- 
stand der  Volkswirtschaft  ans  einem  anderen,  gegebenen 
reinftkonomisdi  zu  erkUren  oder  aus  einem  gegebenen  auf 
einen  künftigen  zu  scblieäen.  Das  muß  sogar  unser  End- 
ziel sein.  Wir  m&ssen  so  weit  konmien,  dafi  wir,  wenn  uns 
genQgend  Daten  zur  Verfügot^  stehen,  jene  Operationen 
aosftlhren  können.  Ja  man  kann  sagen,  daß  immer,  w«an 
eine  Behauptung  über  Bewegungstendenzen  der  Verteilung 
usw.  ausgesprochen  wird,  eben  das  geschieht.  Wenn  man  den 
fikonomiechen  Teil  des  Gedankenganges  dabei  fortlftßt,  so  tut 
man  es  nur,  weil  man  ihn  als  selbstverständlich  betrachtet.  Hier 
mnd  wir  an  einem  wichtigen  Punkte.  Jene  ganze  Literatur, 
von  der  wir  sprachen  beschäftigt  sich  mit  dem  ersten 
Probleme:  Man  untersucht  entweder  die  Fakten  historisch 
oder  statistisch  oder  befaflt  sich  auch  mit  den  Gesetzen,  die 
sidi  aus  der  Betrachtung  der  systembestimmenden  Tataaehen 
ergebm  mfigen.  Nur  so  glaubt  man  Resultate  bezOglich 
konkreter  Tatsachen  gewinnen  zu  können,  und  was  die  reine 
Theorie  zu  sagen  vermag,  hält  man  lediglich  fctr  Gemein- 
plätse.  Dieser  Umstand  und  dann  jene  Beziehung  zwischen 
beiden  Problemen,  auf  die  wir  hinwiMen,  erklärt  es,  dafi 
man  sie  nicht  scharf  trennte.  Ffir  die  meisten  Zwecke  wäre 
das  auch  weder  praktisch  noch  mOglich.  Aber  das  ist  es, 
was  vrir  hier  tun  wollen. 

Diese  Vennengnng  charakterisiert  auch  die  ältere  und 
den  weitaus  größten  Teil  der  modernen  Theorie.  Manche 
DarstellungeD  begnOgen  sich  Oberhaupt  mit  der  Erörterung 
des- Wesens  der  reinökonomischen  Quantitäten  und  Vorgänge 
und  geben  auf  eine  genaue  Untersuchung  der  Variationen, 
welche  eine  Störungsursache  hervorruft,  nicht  ein.    Wo  dA& 


448  ^^  TBriBtioiiainQthoda, 

aber  geschieht,  sieht  man  leicht,  daä  der  Autor  das  Gefühl 
hat,  daä  die  reioOkonomische  Theorie  darQber  nicht  genOgend 
Interessantes  zu  sagen  vermag ,  und  eich  deshalb  beeilt, 
neue  Momente  heranzuziehen.  Das  ist  durchaus  begreiflich. 
DaB  ein  Preis  sieh  ändert,  wenn  Angebot  und  Nathfrage 
sich  ändern,  scheint  wirklich  zu  klar,  um  besonders  betont 
zu  werden.  Aber  das  darf  uns  nicht  aber  die  Tatsache 
täuschen,  daß  derartiges  das  einzige  ist,  was  unser  System 
Riu  sieh  selbst  uns  geben  kann.  Und  das  hat  die  wichtige 
Eonseqoenz ,  dsB  wir ,  als  Theoretiker ,  bezüglich  jener 
anderen  Momente  nicht  kompetent  sind.  Dieselben  gehSren 
der  Domäne  der  Soziologen,  Biologen  usw.  zu,  wie  wir  an  einer 
froheren  Stelle  zeigten.  Wir  können  btkchstens  die  rein- 
ökonomischen  Eonsequenzen  dieser  Momente  ableiten,  also 
das,  was  so  uninteressant  scheint.  For  uns  sind  alle  solche 
neuen  Tatsachen  gleich  —  sie  kommen  nur  in  ihrer  Eigen- 
schaft als  „Storno  gsursache"  in  Betracht  und  jene  Dinge, 
Ober  die  wir  uns  zu  fluSem  als  Ökonomen  das  Recht  haben, 
gestalten  sich  gleich,  was  immer  jene  Störungsursache 
sein  mag.  DarQber  hinaus  sind  wir  Dilettanten  oder  Ver- 
treter anderer  Disziplinen  als  der  unseren,  und  das  macht 
sich  meines  Erachtens  in  den  Resultaten  auch  sehr  fohlbar. 
Alle  typischen  Systeme  unserer  Wissenschaft  —  das 
klassische,  das  sozialistische  usw.  —  haben  zu  dem  Probleme 
der  .Variationen"  Stellung  genommen,  namentlich  zu  seiner 
praktisch  bedeutungsvollsten  Spielart,  zu  der  Frage  der 
Tendenzen  der  Einkommensverteilung.  Nun,  was  sie  darQb«r 
sagen,  ist  nicht  reinökonomisch ,  sondern  beruht  durehatu 
auf  außerökonomischen  Momenten.  Da  das  auch  for  jene 
Resultate  gilt,  welche  zu  den  meisten  Kontroversen  AnUS 
gegeben  haben,  so  scheint  es  mir  wesentlich,  das  zu  betonea 
Vor  allem  würde  die  Diskussion  dieser  Dinge  sehr  gefördert, 
wenn  man  endlich  einsähe,  um  welche  Fragen  es  uch 
eigentlich  handelt.  Das  trllge  sehr  zur  .Lokalisierung"  ite 
Krieges  bei  und  würde  exakte  Lösungen  aobahnen.  SodanD 
gewänne  die  ökonomische  Theorie  viel,  wenn  man  sie  von  ■ 
Kontroversen  befreite,  die  sie  im  Grunde  gar  nicht  berOhm 


Allgemeiner  Teil.  449 

uDd  zeigte,  da8  sie  tatsftchlich  einen  neutralen  Faktor  dar- 
stellt, der  weiter  für  noch  gegen  eine  der  streitenden  Tages- 
parteien  spricht  —  wenigsteoB  an  sich  nicht  Freilich,  wenn 
die  Theorie  dadurch  an  allgemeiner  Anerkennung  gewinnen 
kann,  so  verliert  sie  wiederum  sehr  viel  an  aktuellem  In- 
teresse. Nicht  nur  der  Politiker  wird  sich  von  eiuer  Waffe 
abwendeu,  deren  Unbrauch barkeit  er  erkannt  hat,  auch  der 
Forscher  wird  sich  fragen,  ob  denn  das,  was  abrig  bleibt, 
aberhaupt  noch  einen  Erkenutniswert  hat.  Hier  verhält  es 
sich  ebenso,  wie  an  manchen  anderen  Punkten,  welche  wir 
bereits  erwAhnten.  Sicherheit  und  Korrektheit  kosten  uns 
viel ,  und  doch  müssen  wir  sie  anstreben,  sollten  wir  auch 
an  einem  Todesurteil  fQr  unsere  Disziplin  schreiben:  Un- 
umgänglich ist  das  um  der  gesunden  Entwicklung  der 
SozialwiBsenschaften  willen. 

Müssen  wir  aber  einerseits  unsere  Theorie  in  ganz 
reiner  Gestalt  betrachten  und  rücksichtslos  auf  ihren  Wert 
prüfen,  so  ist  es  anderseits  auch  unsere  Aufgabe,  sorgfältig 
darzustellen,  was  sie  leisten  kann.  Es  kaun  sich  zeigen, 
dafi  jene  Gemeinplätze,  näher  betrachtet  und  weiter  ent- 
wickelt, vielleicht  doch  etwas  mehr  bedeuten,  als  die  Mehr- 
zahl der  National  Ökonomen  glaubt.  Inwieweit  können  wir 
also  zum  mindesten  unser  zweites  Problem  lösen  und  ist 
diese  Lösung  von  Interesse,  wert,  dafi  man  sich  damit  be- 
fasse? Erst  in  der  neuesten  Zeit  hat  man  dasselbe  rein- 
ökonomisch  zu  behandeln  begonnen  und  streng  isoliert. 
Darin  liegt  ein  großer  Fortschritt.  Bei  den  Klassikern  und 
ihren  Nachfolgern,  sowie  in  der  sogenannten  „deskriptiven" 
Literatur  und  in  der  Diskussion  von  praktischen  Tagesfragen 
finden  sich  wohl  Ansätze  dazu,  die  aber  nicht  nur,  wie  ge- 
sagt, sofort  von  fremden  Elementen  Überwuchert  werden, 
sondern  auch  an  si^h  wenig  wertvoll  sind.  Teilweise  kommt 
das  von  den  Mängeln  der  älteren  Theorie  und  teilweise 
daher,  weil  man,  wie  man  einerseits  jene  beiden  Probleme, 
die  zu  scheiden  sind,  zusammenwarf,  so  auderseits  einen 
wichtigen  Zusammenhang  vernachlässigte:  Man  hat  —  es 
tritt  das  besonders  bei   Erörterung  der  Beweguufcsgesetze 


450  ^B  VmriaUoiiaiiiethode. 

der  EinkoDiinen  zutage  —  die  Sache  nicht  tod  den  Gmnd- 
lageD  der  Theorie  aus,  sondern  viel  oberfl&chljcher  behandelt, 
wie  wenn  das  ganz  Belbständige  Probleme  w&reo.  Aus  der 
Preistheorie  heraus  mOssen  sich  unsere  KesnlUte  ergeben 
und  nicht  blofi  aus  flQchtigen  Behauptungen ,  welche  jedei 
Zusammenhang  mit  ihr  verloren  haben. 

In  drei  Punltten  also  unterscheiden  wir  uns  hier  von 
der  Mehrzahl  der  Ökonomen :  In  der  Abscheidung  des  rein- 
CkoDomischea  Problemes  tod  anderen ,  in  einer  beBseren 
theoretischen  Grundlage  und  endlich  darin,  daS  unsere  Be- 
trachtung wirklich  unmittelbar  auf  derselben  berahL  Würdigt 
man  das  entsprechend,  so  sieht  man  meines  Erachtene,  dafl 
sich  alle  ja  so  bekannten  Einwendungen  gegen  die  Ökonomie, 
die  früher  gewiß  teilweise  berechtigt  waren,  TerflOehttgen. 
Unsere  Stelluag  bezaglich  sozialpolitischer  und  anderer  Ur- 
teile ist  dieselbe  wie  im  .Vorhergehenden ,  und  wir  wollen 
das  bezüglich  dieser  und  auch  anderer  hier  in  Betracht 
kommender  Dinge  Gesagte  nicht  wiederholen.  Scheint  es 
endlich  —  und  das  ist  nur  natürlich  —  dafi  die  frohere 
Betrachtungsweise  weitergeführt  und  besonders  mehr  Resul- 
tate geliefert  habe,  so  wird  zu  unterscheiden  sein,  ob  die 
letzteren  reindkonomiscber  Natur  waren  oder  nicht  Und 
nur  wenn  das  erstere  der  Fall  ist,  müssen  wir  deren  Un- 
richtigkeit beweisen  oder  die  Überlegenheit  der  älteren  Be- 
handlung anerkennen. 

Verzichtet  man  also  auf  eine  materiell  mehr  bietende 
Erkltlrung  durch  Heranziehung  neuer  Tatsachen  und  be- 
schränkt man  sich  auf  eine  sozusagen  mehr  formale,  so  gibt 
es  Qur  einen  Weg,  den  man  einschlagen  kann.  Was  man 
dabei  zu  tun  hat,  welche  AlaSregeln  notwendig  sind,  Ufit 
sich  allgemein  und  klar  angeben  und  mu6  von  jedennana 
beobachtet  werden,  wenn  er  nicht  leicht  Dachweisl»re  Fehler 
begehen  will.  Wir  haben  da  einen  erfreulich  exakten  Boden 
unter  den  Füßen.  Dieser  Weg  ist  das,  was  wir 
Variationsmethode  genannt  haben,  und  mit  dieser 
wollen  wir  uns  näher  bekannt  machen.  Ihre  wissenschaft- 
liche Bedeutung  ist,  ganz  abgesehen  vom  eventuellea  Werte 


AlIgMndn«!  TelL  451 

ihrer  Resultate,  eine  grofie.  Mit  ROeksicht  darauf,  da6  de 
eine  der  ersten  exakten  Leistungen  auf  dem  Gebiete  des 
menBchlichen  Handelns  darstellt  —  and  jedenfalls  den  ersten 
längeren  exakten  Gedankengang  —  kommt  ihr  im  Gebiete 
der  „Geistes wissenBcbaften"  eine  Ähnliche  Bedeutung  zu, 
wie  der  Semmeringbabn  auf  dem  der  Technik.  So  verdiest 
sie  wohl,  daß  man  sie  kennen  lerne,  zeigt  sie  uns  doch  den 
ersten  Schimmer  eines  neuen  wissenschaftlichen  Tages. 

§  2.  Die  Variationsmetbode  besteht  in  folgendem  Vor- 
gange :  Unser  System  befinde  sieh  im  Gleichgewichte,  wobei, 
wie  wir  sahen,  alle  seine  Elemente  eindeutig  bestimmt  sind. 
Man  vergröflert  oder  verkleinert  nun  eines  derselben  nm 
eine  kleine  GrOSe.  Dann  beobachtet  man,  was  geschiebt. 
Alle  anderen  Elemente  werden  sich  ebenfalls  Andern,  nicht 
in  gleichem  Maße,  manche,  die  meisten  sogar,  nnr  nn- 
merklich,  aber  dennoch  alle.  DaS  eines  oder  das  andere 
gleich  bliebe,  ist  zwar  nicht  völlig  nnmöglich,  wQrde  aber, 
wenn  keine  Aufiere  Macht  das  verursacht,  wovon  wir  ebenso 
absehen  wie  von  neuen  Eingriffen  oder  nicht  wirtschaft- 
lichen Gegeneinflassen  gegen  unsere  betrachtete  Störung, 
nnr  einen  ebenso  unwahrschein  liehen ,  wie  prinzipiell  be- 
deutungslosen Zufall  darBtellen.  Denn  wenn,  wie  wir  sahen, 
alle  Elemente  durcheinander  bestimmt  sind,  so  kann,  nach- 
dem eines  sich  geändert  hat,  nicht  mehr  derselbe  Zustand 
unser  Nutzenmaiimum  liefern  und  somit  nicht  mehr  der 
Gleichgewichtszustand  sein.  Es  ist  ja  leicht  ersichtlich, 
daß  dann  nicht  mehr  alle  Bedürfnisse  gleich  befriedigt,  daB 
die  Grenznutzen Verhältnisse  infolge  der  Änderung  einer  der 
Mengen,  die  sie  bestimmen,  nicht  mehr  gleich  sind  und  dafi 
daher  im  Sinne  unserer  Annahmen  eine  Tendenz  zur  Änderung 
besteht.  Und  die  Beobachtung  dieser  Änderungen  nun  gibt 
uns  eben  die  Bewegungsgesetze,  die  wir  suchen,  sie  gibt 
uns  alles,  was  die  reine  Ökonomie  für  diese  Probleme  zu 
leisten  vermag.  Die  Variationen  erfolgen  als  Reaktion  gegen 
die  Störung  des  Gleichgewichtes  und  füliren  einen  neuen 
Gleichgewichtszustand,  der  ebenso  eindeutig  bestimmt  i&t.. 


452  ^^0  Variationsmethode. 

wie  der  frühere,  herbei,  und  man  kann  unser  Vorgehen 
auch  dahin  ausdrücken,  dafi  wir  den  neuen  Gleichgewichts- 
zustand zu  finden  und  mit  dem  früheren  zu  vergleichen 
haben,  woraus  sich  dann  unsere  Resultate  ergeben. 

Das  ist  die  Grundlage,  die  Methode  in  ihrer  einfachsten 
Gestalt.  Ehe  wir  weitergehen,  verweilen  wir  etwas  dabei,  um 
einige  notwendige  Bemerkungen  hinzuzufügen.  Die  Methode 
ist  nichts  anderes,  als  eine  Ausarbeitung  der  bekannten 
Preisbildungsgesetze  oder,  wie  man  populär,  aber  wenig 
korrekt  sagen  kann,  der  Gesetze  von  Angebbt  und  Nachfrage. 
Aus  diesem  einfachen,  ja  dürftigen  Ausgangspunkte  holt  sie 
alles  heraus,  was  da  herauszuholen  ist.  \Yie  sich  die 
Preise  gestalten,  wenn  sich  etwas  im  Systeme 
ändert,  das  legt  sie  erschöpfend  dar,  soweit  das  allgemein 
möglich  ist.  Die  ältere  Betrachtung  hat  da  nichts  Besonderes 
ergeben,  wie  wir  sahen,  und  es  fragt  sich,  ob  das  vervollkomm- 
nete Instrument  mehr  aus  dem  System  herauszupressen  vermag. 
Was  immer  vorfällt,  wird  erfaßt  unter  dem  Gesichtspunkte 
der  Änderung  eines  Elementes  unseres  Systemes.  Nie  kann 
eine  reinökonomische  Wirkung  anders  auftreten  als  durch 
das  Medium  der  Preise,  und  die  Grundlage  ihrer  Bewegungs- 
gesetze ist  eben  durch  die  Angebots-  und  Nachfragefunktion 
experimentell  gegeben.  Allerdings  kennen  wir  deren  genaue 
Gestalt  nicht,  aber  wir  kennen  gewisse  Eigenschaften  der- 
selben, und  unsere  Methode  zieht  systematisch 
alle  jene  Schlüsse  aus  ihnen,  die  möglich  sind. 
Da  wir  nun  das  Gebiet  des  Reinökonomischeu  definitions- 
mäßig auf  das  beschränkt  haben,  was  in  der  Tauschrelation 
enthalten  ist,  so  ergibt  sich  nicht  nur  als  notwendige,  sondern 
als  selbstverständliche  Folge,  daß  unsere  Methode  das  einzige 
ist,  was  die  Theorie  hier  bietet. 

Wir  haben  auf  drei  Punkte  hingewiesen,  welche  unsere 
Art,  die  Sache  zu  behandeln,  von  der  früheren  oder  besser 
von  der  allgemein  üblichen  unterscheiden,  und  die  unseres 
Erachtens  einen  Fortschritt  darstellen.  Nun  haben  wir 
noch  einen  weiteren  zu  erwähnen.  Erwägt  man  die  rein- 
ökonomischen Folgen  einer  Veränderung  irgendeiner  Menge 


Allgemeiner  Teil.  453 

eines  Gutes  im  Systeme,  so  sind  immer  eine  ganze  Reihe 
von  Wirkungen  zu  beachten,  welche  sich  teilweise  entgegen- 
arbeiten. Hat  man  z.  B.  festgestellt,  daS  Her  Lohn  steigen 
müsse,  wenn  die  Ärbeitsmenge  verringert  wird,  so  ist  das 
ein  ziemlich  dOrftiges  Resultat.  Aber  das  ist  ja  nidit  alles. 
Es  werden  auch  gewisse  andere  Preise  steigen,  nämlich  die 
jener  Güter,  welche  die  Arbeiter  nun  erwerben.  Das  wirkt 
auch  auf  die  anderen  Einkommen.  Und  von  diesen  ans 
wiederum  auf  noch  andere  Preise.  Die  Tatsache  der  Lohn- 
steigerung an  sich  ferner  wirkt«nf  die  anderen  Einkommen 
ganz  direkt,  wie  ja  leicht  ersichtlich.  Diese  Dinge  nun 
sind  nicht  so  einfach,  obgleich  reinOkonomisch,  und  ein  Urteil 
darQber  ist  kein  Gemeinplatz.  Es  handelt  sich  da  nicht 
blofi  um  die  T  a  1 8  a  c  h  e  n  dieser  Variationen  an  sich,  sondern 
um  deren  Vergleich  untereinander.  Nur  so  kann  man  zu 
einem  Urteil  kommen,  das  einigen  Wert  hat  und  für  diesen 
Zweck  kommt  alles  auf  das  , wieviel"  an.  Was  nützt  es 
dem  Arbeiter,  wenn  sein  Lohn  steigt,  aber  gleichzeitig  auch 
die  Preise  seiner  Lebensmittel  in  die  Höhe  gehen?  Oder: 
gewinnt  er  ebensoviel  oder  mehr  oder  weniger,  als  die  anderen 
Wirtscbaftssubjekte  verlieren?  Das  ist  das  punctum  saliens, 
kOnnen  wir  darQber  nichts  sagen,  so  haben  wir  überhaupt 
nichts  gesagt. 

Gewöhnlich  nun  arbeitet  man  bei  der  Diskussion  solcher 
Fragen,  wenn  man  sich  sie  überhaupt  stellt,  mit  »Argu- 
menten*. Nirgends  tritt  das  mehr  hervor,  als  in  dem  Streite 
am  die  Schutzzölle.  Der  Schutzzöllner  glaubt,  alles  getan 
zu  haben,  wenn  er  sagt,  daß  der  Preis  einer  Ware  steigen 
müsse,  um  irgendeine  Industrie  am  Leben  zu  erhalten.  Der 
Freihändler  glaubt  seinerseits,  ihn  widerlegt  zu  haben,  wenn 
er  auf  die  Nachteile  hinweist,  die  dem  Konsumenten  daraas 
erwachsen.  Wir  werden  später  sehen,  dafi  man  diese  Argu- 
mente überhaupt  nie  nebeneinanderstellen  darf,  da  sie  ganz 
verschiedene  Dinge  im  Auge  haben.  Hier  haben  wir  es  nur 
mit  dem  Reinökonomischen  und  Statischen  an  der  Sache  zu 
tun.  Dabei  aber  ist  die  relative  Größe  beider  Momente  von 
entscheidender   Wichtigkeit.     Die    „Argumente"    sind    fast 


4M 

immpr  an  sieb  richtig,  nur  stellen  sie  einen  vi  kleinen  Aus- 
^rhnitt  «US  den  Tatsachen  dar  and  Qbersehen  alles  andere. 
Wonn  man  sie  noch  so  zweiüelsfrei  beweist,  so  hat  man  für 
tiii>  ^  a  n  7  e  ProMem  nichts  gewonnen.  Die  Beispiele  fQr  der- 
.-iMif»-  franz  fruchtlose  Streitigkeiten  sind  zahllos.  Jedes 
okoiioiniscbe  Lehrbuch  weist  solche  auf.  Darin  scheint  ujtr 
riitr  vtrsoniliche  Ursache  des  geringen  Vertrauens  auf  öko- 
iiiiiiijsdip  Argument«  zu  liegen,  das  wir  gegenw&rtig  so 
Klliii-nirin  hpohachten.  Sich  ganz  widersprechende  Beweis- 
inbrutigi^n  können  plausibel  gemacht  werden  —  zeigt  An 
iiirtii  kltir.  wie  wertlos  die  Momente  sind,  auf  denen  sie 
lH-Mi)ii>n .  Von  vflllstADdig  gleichen  Grundlagen  und  mit 
iiil]>r:iiiilif-  (:1rirhem  Rechte  kann  man  zu  diametral  eutgegen- 
ui'M'tytfii  .. Jim k tischen  Standpunkten"  kommen  —  ergibt  sich 
il.-iiiiiis  niciiT ,  ilall  man  es  mit  weilloseo  Spekulationen  zu 
lull  li:it  '  XMcfi'a  Srhlafi  zieht  man  tatsächlich  vielfacb. 
Miiii  Kiniiito  nWr  noch  etwas  anderes  tun.  das  nämlich,  aof 
>!■!>  wii  liii'i-  hinweisen  wollen,  die  Argumente  naher  zu 
l'iiiicii  iiikI  \or  .illem  quantitativ  zu  formulieren. 

Mit  ti)iii!:!>  kann  das  dann  noch  nicht  zu  praktischen 
Üi-Mitiiiicii  oiiiio  wi'iteres  ausreichen,  da  für  die  Praxis,  wif 
nii  iiirtii  niiiili'  werden  zu  betonen,  aucli  noch  ganz  andere 
hiiif:i'  iiml  \i(lloicbt  vornehmlich  andere  —  als  die 
ii'iii>>Kiii]iiiiiim1ici)  (ii-sctze  \ü  Betracht  kommen.  Alier  imnior- 
liiii  Kitiiiii'ii  .In«  U'l/tercH  mehr  ergeben,  als  jene  vngen  Ifi'- 
li<tii|<itiii).'i'ii,  ilii'  nit'ist  mehr  der  Platform  als  der  Erkenntnis 
ili.iH'ii  liir  die  i|uuHtitativc  Betracht itnps weise  plahüeren 
»11  liK-i  Mit'  i|it>  fx.iktestc.  die  einzig  wirklit;h  exakte  Foiiu 
<l<'^  *ii'il.iiil>i'iit:iiii^'i-s.  fnr  die  Mathematik.  Vor  allem  siud 
''!'■  hmti.-.  iiic  zu  ih-nchten  sind,  so  kompliziert,  daß  nao 
"'»'  Hill  \\  nt  tcu  mir  sehr  schwer  und  gar  nie  ganz  korn-kt 
■tiiMliii.l,.-ii  kiiiiii.  Außerdem  aber  sind  die  Orundiagen  w 
.iiiili'i<>iilf(iilii<h  klar,  und  die  Schwierigkeit  besteht  el»en  in 
'■""■'  *""^Mii"liKt'ii  und  korrekten  Ableitung  aus  verhiiltni!!' 
iiiJtniji  N.-iii  iiiiJH.Jn'M  Daten.  Das  ist  nun  gerade  eine  Au(- 
Mi'Ih  \m  ii).]-  Art.  fiir  die  die  mathematiH-he  .Analyse  pe- 
wttiiHnii  int ,    Htt  hio  ihre  Erfolge  errang.     Hier  wird  si<^ 


Allgeineinet  T«iL  455 

unentbehrlich,  sobald  maa  elDigermafieD  tiefer  geht  und  hier 
fahrt  sie  auch  zu  tnancheu  Resultaten,  welche  nur  durch 
sie  geboteu  werden  kOnneu.  Unser  System  an  sich  kann 
ohne  ihre  Hilfe  expliziert  werden,  aber  nur  der  Mathematiker 
kann  alles  das  mit  vollständiger  Sicherheit  und  Korrektheit 
gewinnen,  was  sich  weiter  ergibt.  Wir  wollen  einiges  davon 
kennen  lernen  unserem  Grundsatze  zufolge,  nicht  durch 
aprio ristische  Gründe,  sondern  aus  unserer  Arbeit  heraus 
die  Methodenfragen  zu  lösen.  Auch  auf  einen  anderen  Vor- 
teil der  mathematischen  Behandlung  müssen  wir  hinweisen. 
Nur  sie  hebt  alle  Voraussetzungen  und  Bedingtheiten  des 
Gedankenganges  ganz  klar  hervor,  so  daß  es  fast  unmöglich 
ist,  sie  zu  ttbersehen.  Das  letztere  ist  außerordentlich 
h&nftg  in  den  gewöhnlichen  Diskussionen.  Sagt  jemand, 
dafi  der  Preis  infolge  eines  Schutzzolles  in  einem  bestimmten 
Falle  steigen  und  jemand  anderer,  daß  er  infolge  der  der 
Industrie  gegebenen  Anregungen  fallen  mUsse,  so  übersieht 
man  meist,  dafi  sich  beide  Behauptungen  überhaupt  nicht 
widersprechen,  da  sie  ganz  andere  Dinge  im  Auge,  ganz 
andere  Voraussetzungen  haben.  Aber  auch  in  FAllen,  wo 
das  nicht  so  in  die  Augen  springt,  ist  es  wichtig,  auf  dieses 
Moment  hinzuweisen.  Fast  jede  Behauptung  ist  unter  ge- 
wissen Voraussetzungen  richtig ,  wie  wir  das  auch  sonst 
sahen.  Diese  klarzustellen,  ist  zu  ihrem  Verständnisse  und 
ihrer  Würdigung  ganz  essentiell.  Nur  bei  der  mathematischen 
Behandlung  geschieht  das  nun  systematisch :  Was  unser 
Gleichungssystem  voraussetzt,  steht  klar  vor  unseren  Augen. 
Wenn  wir  weitere  Annahmen  machen,  z.  B.  Konstantbleiben 
gewisser  Elemente,  so  kann  das  nicht  unserer  Aufmerksam- 
keit entgehen.  Und  das  ist  gerade  für  die  Materie,  von 
der  wir  hier  sprechen,  von  der  größten  Wichtigkeit.  Wo 
alles  darauf  ankommt,  aus  wenigen  Daten  das  größte  Er- 
kenntJiisrendement  zu  ziehen,  hat  die  Methode  des  Vorgehens 
eine  überragende  Bedeutung,  eine  weit  größere  als  bei 
anderen  Problemen,  wo  es  mehr  auf  Tatsachensammlung 
ankommt.  Das  fahrt  uns  nun  dazu,  gewisse  Voraussetzungen 
unserer  Methode  sorgfältig  zu  erörtern,   welche  ihr  Wesen 


456  ^^^  Yariationsmethode. 

und  ihre  Grenzen  beleuchten  und  uns  wiederum  einen  Bei- 
trag zum  Verständnisse  unseres  statischen  Systemes  geben 
werden. 

§  3.  Wir  betrachten  Preisvariationen.  Wie  sich  die- 
selben gestalten,  hängt  von  der  Gestalt  der  Angebots-  und 
der  Nachfragekurve  ab  oder,  korrekter,  der  beiden  Nach- 
fragekurven, aus  denen  wir  den  Preis  erklärten.  An  dieser 
Gestalt  müssen  wir  also  festhalten.  Denn  täten  wir  das 
nicht,  so  könnten  wir  über  die  Variationen  gar  nichts  aus- 
sagen. Werden  die  Wertfunktionen  andere,  so  sind  wir 
eines  unentbehrlichen  Datums  beraubt.  Und  zwar  könnten 
wir  dann,  wie  gesagt,  gar  nichts  behaupten,  nicht  etwa 
bloß  nichts  Exaktes.  Ich  meine  damit  das  Folgende:  Man 
könnte  glauben,  daß,  wenn  sich  die  Nachfragefunktion  ändert  — 
sagen  wir  z.  B.,  wenn  die  Menschen  plötzlich  den  Gebrauch 
eines  bestimmten  Gutes  aufgeben,  weil  sich  die  Mode  ändert  — , 
wir  dann  zwar  nicht  unsere  Methode  anwenden,  aber  doch 
im  allgemeinen  sagen  könnten,  was  geschieht.  Das  ist  nicht 
immer  möglich.  Denn  in  einem  solchen  Falle  ändert  sich 
das  ganze  W^ertsystem  der  Volkswirtschaft,  neue  Erscheinungen 
tauchen  auf,  von  denen  wir  nichts  wußten,  und  der  neue 
Zustand  ist  im  wahrsten  Sinne  des  Wortes  „unberechenbar **. 
Will  man  trotzdem  etwas  behaupten,  so  liegt  darin  ein 
weiterer  —  und  sehr  bedenklicher  —  Schritt  auf  der  Bahn 
der  Abstraktion  und  von  der  Wirklichkeit  weg. 

Das  Gleichbleiben  der  Wertfunktionen,  d.  h.  also  der 
menschlichen  Natur,  der  Geschmacksrichtungen  usw.  ist  dem- 
nach wesentlich.  Hier  erst  verstehen  wir  vollkommen,  warum 
wir  darauf  ein  solches  Gewicht  legten :  Die  Demonstriening 
der  Grundprinzipien  des  Systemes  wäre  an  sich  wohl  auch 
ohne  diese  Voraussetzung  möglich.  Aber  das  führt  einen 
Schritt  weiter.  Damit  die  Wertfunktionen  gleich  bleiben 
können,  dürfen  sich  die  Mengen  nicht  um  viel  ändern. 
Wir  sahen  ja  bereits,  welche  Schwierigkeiten  in  der  An- 
nahme einer  kontinuirlichen  Wertfunktion  für  jedes  Gut 
und  jedes   Individuum   liegen.     Dieselbe    gilt   nicht    ohne 


Allgemeiner  TeiL  457 

weiteres  von  o-oo ,  wenn  wir  auch  für  gewisse  Zwecke  diese 
Annahme  machen.  Ganz  korrekterweise  gilt  sie  nur  immer 
ftir  kleine  Intervalle.  Hätte  man  viel  mehr  oder  viel 
weniger  von  einem  Gute  als  man  tatsächlich  hat,  wQrde  die 
ganze  Wirtschaft*  anders  ablaufen.  Neue  Verwendungen 
würden  auftreten  oder  manche  wegfallen,  so  dafi  die  Wert- 
funktion nicht  dieselbe  bliebe.  Und  das  würde  auch  auf 
alle  anderen  Wertfuuktionen  wirken,  zunächst  auf  die  der 
komplementären,  weiters  auf  die  der  rivalisierenden  und 
endlich  auch  auf  die  aller  Güter.  Genau  genommen  gilt 
ja  das  Wertsystem  und  überhaupt  alles,  was  es  auf  unserem 
Untersuchungsgebiete  gibt,  nur  für  eine  ganz  bestimmte 
Menge  von  Gütern  jeder  Art.  Ferner  nur  für  eine  bestimmte 
Art  zu  wirtschaften,  wozu  auch  ganz  bestimmte  Tauschakte 
gehören,  deren  Resultat  schon,  in  der  Weise,  die  wir  dar- 
legten, in  der  Wertfunktion  der  Preisgüter  erscheint 
Eigentlich  darf  sich  gar  nichts  von  allem  dem  ändern,  und 
würde  durch  eine  „ Störungsursache ""  z.  B.  bewirkt,  daß 
eine  Gütermenge,  die  A  bisher  gegen  eine  andere  des  B 
einzutauschen  pflegte,  nun  zu  etwas  anderen  verwendet  wird, 
so  sind  die  Folgen  nicht  zu  überblicken.  Denken  wir  nur 
daran,  daß  die  Störungsursache  ein  Prohibitivzoll  sei,  der 
A  und  B,  die  dies-  und  jenseits  einer  Grenze  wohnen,  am 
Tausche  hindere.  Die  beiden  können  nun  versuchen,  eine 
andere  Tauschgelegenheit  zu  finden  —  etwa  im  Inlande:  — 
dieselbe  wird  aber  sicher  nicht  ebenso  vorteilhaft  sein, 
wenn  wir  glatte  Wirksamkeit  unserer  Gesetze  annehmen, 
was  wir  hier  tun  müssen.  Sie  können  die  bisher  aus- 
getauschten Güter  selbst  konsumieren.  Es  könnte  aber  auch 
sein,  daß  dieselben  für  sie  wertlos  würden.  Die  Tauschenden 
können  ferner  durch  die  Störung  gleichsam  „aufgepullt'' 
werden  und  etwas  ganz  Neues,  woran  bisher  niemand  dachte, 
mit  den  Gütern  anfangen.  In  allen  diesen  Fällen,  welche 
alle  gleich  möglich  sind,  wird  —  obgleich  das  in  dem  zu- 
letzt angeführt  besonders  klar  ist  —  unser  ganzes  System 
verändert,  und  wir  sind  außerstande,  etwas  wirklich  Be- 
achtenswertes auszusagen. 


458  ^i®  Variationsmethode. 

Wir  mufiten  diesen  Tatbestand  so  scharf  heraosheben, 
um  den  Hintergrund  für  das  Folgende  zu  gewinoeo,  um 
das  Wesen  unserer  Methode  sich  gut  abheben  zu  lassen. 
Obgleich  das  nämlich  so  ist  —  und  es  ist  gut,  sich  das 
immer  gegenwärtig  zu  halten  — ,  so  gibt  es  doch  zwei  Trost- 
gründe. Zwei  Umstände  ermöglichen  es  uns,  dennoch  weiter 
vorzudringen.  Erstens  das  Moment,  auf  dem  die  Infinitesimal- 
methode  beruht :  Kleine  Änderungen  können  wir  doch  be- 
rücksichtigen und  hierin  eben  liegt  das  Wesen,  der  Wert, 
aber  auch  die  Grenze  unserer  Methode.  Sie  ist  essentiell 
eine  Form  der  Infinitesimalmethode.  Betrachten  wir  das 
etwas  näher.  Dem  Laien  scheint  es  immer  bedenklich,  daß 
gewisse  Urteile  für  „unendlich  kleine""  Größen  wahr  sein 
sollen,  die  für  erhebliche  Größen  unzweifelhaft  falsch  oder 
unmöglich  sind.  Er  benützt  sogar  sehr  häufig  eine  ent- 
gegengesetzte Methode;  was  nicht  ganz  klar  für  das  Kleine 
scheint,  wird  vergrößert,  um  die  Sache  mehr  in  das  Licht 
zu  rücken.  Und  den  ersten  Eindruck  der  Infinitesimal- 
methode auf  ihn  kann  man  nicht  besser  als  durch  den  Aus- 
druck „Schwinder  charakterisieren.  Manche  Professoren 
der  Mathematik  nehmen  dieses  bekannte  Gefühl  zum  Aus- 
gangspunkte ihrer  Darlegungen  und  sagen  an  der  Stelle,  wo 
der  Übergang  vom  „Endlichen''  zum  „Unendlichkleineu" 
stattfindet:  „Jetzt  wollen  wir  uns  einen  kleinen  Schwindel 
erlauben.''  Das  ist  didaktisch  äußerst  zweckmäßig  und  dient 
dazu,  das  Willkürliche,  nicht  ganz  streng  Logische  des  Vor- 
ganges, seine  Hilfsmittelnatur,  hervorzuheben.  Nun. 
unsere  Aufgabe  kann  es  nicht  sein,  die  Infinitesimalmethode 
näher  zu  besprechen  und  wir  haben  uns  auch  der  Kürze 
halber  erlaubt,  mit  Rücksicht  auf  sie  eine  nicht  ganz  korrekte 
Ausdrucksweise  zu  verwenden.  Das  für  uns  Wichtige  ist, 
daß  unsere  Variationsmethode  hierher  gehört.  Wir  können 
keine  irgendwie  erheblichen  Änderungen  in  der  Größe  der 
ökonomischen  Quantitäten  behandeln,  wohl  aber  solche,  die 
im  Verhältnisse  zu  den  Daten  des  Problemes  klein  sind. 

Wie  groß  können  die  Änderungen  sein,  wenn   unsere 
Methode  anwendbar  sein  soll?     Das  machen   wir  uns  am 


Allgemeiner  Teil.  459 

besten  klar,  wenn  wir  uns  vergegenwärtigen,  warum  die 
Änderungen  klein  sein  rnttssen.  Wir  antworteten  auf  diese 
letztere  Frage:  damit  sich  das  Wertsystem  nicht  ändere. 
Wann  ist  das  nun  der  Fall?  Ersichtlicherweise  dann,  wenn  die 
iMengenänderung  so  klein  ist,  dafi  das  betroffene  Individuum 
dadurch  nicht  veranlaßt  wird,  seine  Produktions-  und  Konsum- 
kombination wesentlich  zu  ändern.  Alle  Güter  verwendet 
es  dann  wie  bisher  und  zu  denselben  Zwecken  wie  bisher. 
Nur  jene  Änderungen  nimmt  es  vor,  die  innerhalb  der  Grund- 
linien seines  Wirtschaftens  möglich  sind.  Unterläßt  jemand 
z.  B.  seine  gewohnte  tägliche  LeibesQbung  aus  irgendeinem 
Grunde  ganz,  so  wird  er  zu  anderen  Dingen  mehr  Zeit  und 
Kraft  haben.  Er  wird  sich  auch  anders  —  schlechter,  aber 
vielleicht  auch  besser  —  fohlen.  Das  kann  nun  zum  An- 
stoße werden,  seine  ganze  Lebenseinteilung  zu  ändern,  Dinge 
zu  tun  oder  zu  unterlassen,  die  er  sonst  immer  tat  oder  an 
die  er  nie  dachte.  Schränkt  er  aber  seine  Übung  etwas 
ein,  so  werden  zwar  auch  Wirkungen  eintreten  aber  ganz 
andere:  seine  Gesundheit  wird  ungefähr  dieselbe  bleiben; 
der  Kraftüberschuß  und  die  —  sagen  wir  —  fünf  Minuten, 
die  er  gewinnt,  werden  andei's  verwendet,  aber  wahrscheinlich 
nur  einer  jener  Beschäftigungen  zugewandt,  denen  er  schon 
bisher  oblag.  Er  wird  einige  Zeilen  mehr  an  seinem  Buche 
schreiben,  aber  er  wird  kein  neues  beginnen.  Und  jene  Be- 
schäftigung, die  diesen  Zuwachs  erfährt,  wird  wohl  etwas 
gefördert,  aber  nicht  so,  daß  sie  zu  wesentlich  anderen 
Resultaten  führen  könnte.  Wird  ein  gewisser  Zoll  auf  einen 
Tauschakt  gelegt,  so  werden  die  Parteien  weitertauschen, 
wenn  er  nicht  prohibitiv  ist,  aber  vielleicht  etwas  geringere 
Mengen.  Dann  erübrigen  sie  z.  B.  von  den  Gütern,  die  sie 
bisher  austauschten,  etwas,  das  aber  nicht  ausreicht,  große 
neue  Erscheinungen  hervorzurufen,  sondern  eben  benach- 
barten Verwendungen  zugeführt  wird.  Wir  beantworten 
also  die  Frage,  wie  groß  unsere  Änderung  sein  darf,  nicht 
absolut,  sondern  nur  durch  eine  Regel:  sie  darf  nicht  so 
groß  sein,  daß  die  Wertfunktionen  versagen  würden.  Die 
konkrete  Größe    ist  von    Fall   zu  Fall   verschieden.     Bei 


460  ^>®  Variationsmethode. 

manchen  Gatern  wird  eine  Einheit  schon  zu  grofi  sein.  So 
z.  B.  bei  Maschinen:  hier  massen  wir  uns  des  Mittels  der 
Unterscheidung  von  „Güterelementen'  bedienen,  das  wir 
Professor  Clark  verdanken.  Auch  je  nach  der  Frage,  die 
man  gerade  behandelt,  gestaltet  sich  das  verschieden:  be- 
trachtet man  das  Individuum,  so  ist  natarlich  eine  andere 
Gröfie  „sehr  klein '',  wie  wenn  man  die  ganze  Volkswirtschaft 
untersuchte    „Sehr  klein "^   ist  ja  ein  ganz  relativer  Begriff. 

Das  beleuchtet  nun  wiederum  das  Wesen  der  „Statik*. 
Wir  begreifen  nun  lebendiger,  warum  diese  KonstruktioD 
so  nötig  ist.  Unser  Resultat,  dafi  wir  nur  kleine  Ver- 
änderungen behandeln  können,  heißt  nichts  anderes,  als  daß 
wir  uns  innerhalb  der  Grenzen  der  Statik  halten  mttsseD, 
weil  unsere  Methode  außerhalb  derselben  versagt  und  jene 
Annahmen,  die  uns  unsere  Sätze  geben,  dann  wegfallen 
müssen.  Nur  innerhalb  derselben  stehen  wir  auf  festem 
Boden,  gewinnen  wir  gesicherte  Resultate.  Und  Theorien. 
welche  mit  unserer  Konstruktion  unvereinbar  sind,  wie  z.  B. 
die  Zinstheorie  v.  Boehm-Bawerks,  mQssen  ganz  anders  be- 
trachtet, ganz  anders  beurteilt  werden,  haben  auch  ganz 
andere  Voraussetzungen,  so  daß  man  sie  nicht  ohne  weiteres 
neben  die  statischen  stellen  kann. 

Unsere  Methode  ist  also  essentiell  statisch, 
was  nicht  immer  erkannt  wurde.  Wir  sehen  nun,  warum 
wir  auch  das  zweite  jeuer  beiden  Probleme,  die  wir  bezüglich 
der  Bewegungen,  die  in  den  Elementen  unseres  Systemes 
vor  sich  gehen,  unterscheiden,  nicht  vollständig  lösen  können, 
wenigstens  nicht  mit  statischen  Mitteln.  Das  ist  eine  sehr 
ernste  Einschränkung  des  Gebietes  der  reinen  Ökonomie. 
Auf  die  großen  Veränderungen  ist  unser  Interesse  gerichtet 
namentlich  auf  einige  große  Entwicklungstendenzen,  und 
hier,  wo  es  uns  so  ganz  klar  wird,  daß  wir  dazu  nichts  zu 
sagen,  daß  wir  damit  nichts  zu  tun  haben  können,  dringt 
sich  wiederum  die  Frage  auf,  was  unsere  reine  Theorie  denn 
wert  sei.  Ihre  Resultate  werden  der  Wirklichkeit  ertriglich 
nahe  kommen,  wenn  man  kurze  Zeitperioden  betrachtet 
Darin   liegt  zu   einem   Teil  ein   Trost.     In  der  Tat,  die 


Allgemeiner  TeiL  461 

„systembestimmenden  Tatsachen*'  ändern  sich  im  allgemeinen, 
nicht  schnell.  Sie  können  für  kurze  Perioden  als  konstant 
au/gefafit  werden,  ohne  daß  man  fürchten  müßte,  zu  weit 
von  der  Wirklichkeit  abzukommen.  Auch  das  Leben  und 
die  Gewohnheiten  der  Menschen  beharren  verhältnismäßig 
zähe  und  nur,  wenn  man  die  Betrachtung  derselben  auf 
einen  längeren  Zeitraum  ausdehnt,  erkennt  man,  daß  sie  im 
Fluße  einer  steten  Veränderung  sind.  So  kann  man  denn 
von  einem  bestimmten  Zustande  der  Wirtschaft  aus  bei  Ein- 
tritt einer  nicht  zu  großen  oder  vehementen  Störungs- 
ursache im  allgemeinen  mit  Beruhigung  deren  wirtschaft- 
schaftliche  Folgen  voraussagen  und  erwarten,  daß  dieselben 
in  der  nächsten  Zukunft  sich  auch  wirklich  erkennen 
lassen  werden. 

Aber  nur  in  der  nächsten  Zukunft  Denn  sehr  bald 
überflutet  sie  der  Strom  der  Entwicklung.  Aber  zum 
anderen  Teile  macht  uns  das  auf  ein  wichtiges  Charakteri- 
stikon  des  statischen  Zustandes  aufmerksam,  auf  das  wir 
erst  jetzt  ausdrücklich  zu  sprechen  kommen.  Wir  haben 
bereits  das  Gleichnis  von  der  Momentphotographie  gebraucht. 
Nun  haben  wir  weiterzugehen.  Nicht  nur  ist  unser  theo- 
retisches Bild  der  Wirklichkeit  von  dem  Zustande  der- 
selben in  einem  Momente  abstrahiert,  es  ist  auch  nur 
brauchbar  für  einen  Moment.  Wohl  würde  uns,  um  bei 
unserem  gegenwärtigen  Thema  zu  bleiben,  streng  genommen 
nichts  hindern,  einen  beliebig  langen  Zeitraum  zu  betrachten. 
Aber  unser  Bild  würde  dann  zu  wirklichkeitsfremd  werden. 
Was  nützt  es  uns  zu  sagen,  daß  infolge  einer  Störungs- 
ursache die  Preise  fortschreitend  z.  B.  steigen  werden,  wenn 
andere  Störungen  diese  Wirkung  nicht  nur  verdecken  sondern 
völlig  aufheben? 

Nicht  deshalb,  weil  wir  es  methodisch  nicht  könnten, 
müssen  wir  auf  die  Betrachtung  großer  Zeiträume  ver- 
zichten, sondern  deshalb,  weil  in  solchen,  wenn  man  eine 
Wirtschaftsepoche  sozusagen  sub  specie  aetemitatis  ansieht 
—  und  bei  den  Problemen,  die  dann  in  den  Vordergrund 
treten  — ,  ganz  andere  Dinge  interessant  werden,  als  unsere 


462  ^i®  Variationsmethode. 

rein  ökonomischen  Resultate.  Beispiele  sollen  später  tu- 
geführt  werden.  Nicht  bloß  deshalb  ist  unser  System  ent- 
wicklungslos, weil  in  dasselbe  keine  Tendenz  zur  Ent- 
wicklung aufgenommen  ist  und  weil  überdies  eine  Ent- 
wicklung die  Daten,  die  wir  nicht  entbehren  können,  zer- 
trttmmem  würde,  sondern  auch,  weil  die  Wirkungen,  die 
reinökonomisch  und  zwar  statisch  sich  erklären  lassen, 
neben  viel  grofiartigeren  jedes  Interesse  verlieren.  Wohl 
könnten  wir  ja  auch  hier  sagen,  dafi  wir  von  diesen  anderen 
Dingen  absehen  —  logisch  wäre  das  nicht  bedenklicher  als 
das  gleiche  Vorgehen,  wenn  für  einen  „Augenblick'  gemeint 
—  aber  hier  täten  wir  das  mit  weniger  Recht  und  könnten 
den  bekannten  Einwendungen  eine  Berechtigung  nicht  ab- 
erkennen. 

Das  hat  die  Folge,  daß  wir  einem  Argumente  gegen- 
über, das  an  die  Entwicklung  appelliert,  vollständig  machtlos 
sind.  Wir  können  höchstens  sagen,  dafi,  wie  ihm  die  Zu- 
kunft, so  uns  die  Gegenwart  gehöre  und  dafi,  wenn  wir 
nichts  gegen  dasselbe,  so  dasselbe  nichts  gegen  uns  beweisen 
könne,  dafi  ein  Streit  überflüssig  ist.  Schon  das  klar  ein- 
zusehen, ist  nicht  wertlos.  Die  Argumente  für  den  Schatx- 
zoll  z.  B.  sind  fast  alle  „dynamischen''  Charakters,  weisen 
auf  Entwicklungsmöglichkeiten  hin.  Diejenigen  für  Frei- 
handel sind  zum  Teile  statisch,  betonen  den  unmittelbaren 
„Schaden''  eines  Eingriffes  in  den  Gleichgewichtszustand. 
Nun,  soweit  zwischen  den  Argumenten  für  beide  dieser 
Unterschied  besteht,  kann  man  sie  unmöglich  gegeneinander 
exakt  abwägen  und  die  Diskussion  wird  resultatlos  sein, 
spezielle  Fälle  ausgenommen:  ich  denke  nur  an  die  Dis- 
kussion der  Prinzipien  frage. 

Hier  mag  noch  bemerkt  werden,  dafi  es  uns  mit  Rl^ek- 
sicht  auf  die  Tatsache,  dafi  unser  System  strenggenommen 
ohnehin  nur  für  kurze  Perioden  gilt,  nicht  nötig  erscheint, 
die  so  gekünstelte  Annahme  einer  sich  völlig  stationär  er- 
neuernden Bevölkerung  und  ähnliches  zu  machen,  wovon 
früher  gesprochen  wurde.  Und  ferner  können  wir  tatsächlich 
die   individuell   gleichen  Werkzeuge  festhalten   und  sie  als 


Allgemeiner  Teil.  433 

unzerstörbar  fingieren.  Das  kommt  der  Wirklichkeit  viel 
nfther,  als  die  anderen  Fiktionen,  die  im  entgegengesetzten 
Falle  notwendig  werden,  und  hat  kaum  einen  Nachteil. 

§  4.  Die  gezeigten  Grenzen  sind  sehr  enge.  Können  wir 
wirklich  nicht  darüber  hinauskommen?  Das  fahrt  uns  auf 
den  zweiten  Punkt.  Zu  groB  dtkrfen  die  Änderungen  tat- 
Bftchlich  nicht  sein,  wenn  unsere  Methode  irgendeinen  Wert 
haben  soll.  Ändern  sich  die  Gaterquantitäten ,  die  wir  im 
Besitze  eines  Individuums  sehen,  so,  dafi  dasselbe  z.  B.  dem 
Hungertode  preisgegeben  wird,  so  können  wir  nicht  sagen, 
was  geschieht.  Wollten  wir  unsere  Methode  da  dennoch 
formal  anwenden,  so  wäre  das  lediglich  Spielerei.  Auskunft, 
Erkenntnis  erhielten  wir  keine.  Die  Grenze  des  „Existenz- 
minimums" deutet,  ziemlich  roh  allerdings,  einen  solchen 
Punkt  an,  aber  den  wir  unter  keinen  Umst&nden  hinaus- 
gehen können;  Veränderungen,  die  ein  Individuum  in  eine 
andere  Klasse  bringen ,  seinen  Standard  of  life  ändern,  ge- 
hören ebenfalls  hierher.  Da  reißen  unsere  Ankerketten. 
Aber  im  Übrigen  sind  wir  nicht  ganz  strenge  an  unsere 
Forderungen  gebunden.  Wir  haben  also  zuerst  gezeigt,  wie 
unser  System  strenggenommen  jede  Veränderung  ausschliefit. 
Wir  haben  sodann  trotzdem  unsere  Methode  in  einer  Form 
entwickelt,  die  jedermann  als  theoretisch  einwandfrei  an- 
erkennen mufi,  wenn  er  nicht  die  Infinitesimalmethode  ab- 
lehnen will.  Nun  wollen  wir  noch  einen  dritten  Schritt  tun, 
nämlich  die  Frage  erörtern,  ob  wir  nicht  noch  weiter  gehen 
können. 

Sicherlich  können  wir,  wenn  wir  das  tun,  es  nicht 
ebenso  begründen,  nicht  ebenso  verteidigen,  wie  das  Bis- 
herige; und  deshalb  wollen  wir  es  auch  streng  davon 
scheiden,  mehr  als  das  sonst  geschieht,  damit  ein  Einwurf, 
der  uns  nun  treffen  mag,  nicht  auch  gegen  das  Frühere  er- 
hoben werde.  Aber  an  sich  ist  es  nur  natürlich  zu  versuchen, 
etwas  weiter  zu  kommen.  Schon  bei  einer  früheren  Gelegen- 
heit haben  wir  darauf  hingewiesen,  dafi  die  Geltung  unserer 
Resultate  oft  weiter  reicht,  als  die  ihrer  Voraussetzungen. 


464  ^^®  Variationsmethode. 

Richtiger  ist  es  zu  sagen,  daß  die  letzteren  selbst  doch 
wahrer,  der  Wirklichkeit  näher  sind,  als  ihre  Kritiker  oft 
annehmen  und  als  es  bei  ihrer  ganz  korrekten  Formuliemag 
scheint.  Die  Dinge  ändern  sich,  aber  doch  nicht  so  sekr 
und  vor  allem  nicht  so  schnell,  sind  in  mancher  BexiehuDg 
konstanter  als  man  glaubt.  Und  haben  wir  bisher  sorgftltig 
alle  Grenzen  und  Bedingtheiten  herausgearbeitet,  welche 
für  unsere  Methode  gelten,  so  ist  es  hier  wiederum  gut, 
kQhn  vorzugehen,  nicht  ängstlich  um  sich  zu  spähen,  sondern 
etwas  zu  wagen.  Bewährt  sich  ein  Resultat  nicht  ganz,  eo 
bewährt  es  sich  vielleicht  zum  Teile,  bewährt  es  sich  aber 
selbst  gar  nicht,  so  mQssen  wir  es  zwar  fallen  lassen,  werdei 
aber  unseren  Versuch  selbst  nicht  verdammen  und  ihn  ruhig 
nach  anderer  Richtung  wiederholen.  Wie  weit  man  dt 
gehen  darf,  dafür  gibt  es  keine  Regel,  wissenschaftliche 
Befähigung,  eine  Art  Takt,  vermag  allein  das  Richtige  zu 
'erkennen.  Wir  selbst  wollen  keineswegs  hier  in  diese  Bahnen 
einlenken.  Für  uns  ist  es  wichtiger  das  Vorhandene  zu 
siebten,  die  einzelnen  Stufen  der  Abstraktion  voneinander 
zu  scheiden,  als  viele  konkrete  Detailresultate  zu  gewinnen 
Wir  wollen  die  Gegner  beruhigen,  nicht  aber  sie  gleich 
wieder  nervös  machen.  Freilich  ist  es  keckes  Vorgehen 
und  nicht  Diskussion  der  Voraussetzungen  und  korrekte 
Formulierung  der  Grundlagen,  die  vornehmlich  neue  Resul- 
tate liefert.  Doch  genüge  es  uns  hier  auf  die  Möglichkeit 
hinzuweisen. 

Was  zunächst  den  ersten  Punkt,  die  Gröfie  der  Varia- 
tionen betrifft,  so  sind  wir  —  und  das  gilt  sowohl  für 
unsere  Methode  in  ihrer  einfachen  Gestalt,  wie  für  die 
weiteren  Hilfsmittel,  zu  denen  wir  gleich  kommen  werden  — 
ungeachtet  der  eben  erwähnten  Grenzen  sicherlich  nicht  auf 
unendlich  kleine  Größen  im  Sinne  der  Mathematik  beschränkt 
Korrekt  ist  unser  Vorgehen  allerdings  nur  dann  vollständig, 
wenn  man  das  Wertsystem  als  unverändert  durch  die  Varit- 
tionen  einer  Menge  annehmen  kann.  Aber  man  kann  das- 
selbe Wertsystem  theoretisch  auch  dann  festhalten,  wenn 
es  sich  ein  wenig,  aber  unmerklich  ändert. 


AUgemeioer  Teil  405 

Und  schließlich  auch  dann,  wenn  es  sich  nicht  zuviel,  | 
veon  auch  merklich  Ändert.  Handelt  es  Bicfa  z.  B.  um 
einen  wenig  bedeutenden  Artikel,  so  kann  man  mit  unserer 
Methode,  besonders  wenn  man  die  Volkswirtschaft  als  Ganzes 
im  Auge  hat  und  von  der  Wirkung  auf  besonders  dabei 
beteiligte  Individuen  absieht,  auch  die  Wirkung  seines 
volligen  Fortfallens,  also  etwa  die  einer  Modeftnderung  oder 
eines  Prohibitivzolles  —  für  einea  nicht  im  Inlande  er- 
zeugten Artikel  —  untersuchen.  Die  Resultate  werden 
nicht  notwendig  unbrauchbar  sein.  Freilich  aber  darf  man 
nicht  vergessen,  daß  man  sich  mehr  erlaubt,  als  streng- 
genommen zulässig  ist,  und  daß  es  quaestio  facti  jedes 
einzelneo  Falles  ist,  welchen  Wert  das  Resultat  hat.  Man 
muß  dich  klar  sein ,  daß  dasselbe  anderen  Stammes  ist  als 
eines,  das  mit  unserer  Methode  in  ihrer  korrekten  Form 
gewonnen  wurde.  Und  eine  Verifikation  ist  hier  noch  viel 
mehr  und  auch  in  einem  noch  anderea  Sinne  nötig,  als  sonst. 

Ähnlich  steht  es  mit  dem  Momente  der  Zeitperiode. 
Tatsächlich  haben  die  Autoren,  die  sich  mit  unserer  Methode 
befaßten,  zwischen  langen  und  kurzen  Perioden  unterschieden 
und  kein  Bedenken  getragen,  auch  Schlüsse  bezüglich  der 
ersteren  zu  ziehen.  Es  liegt  uns  ferne ,  das  zu  verwerfen. 
Wir  wollen  nur  die  Verschiedenheit  der  Natur  der  Resultate 
in  beiden  Fällen  hervorheben.  Die  kurze  Periode  ist  statisch. 
Die  Natur  der  Resultate  ist  uns  bekannt.  Bei  Betrachtung 
einer  langen  Periode  kommt  noch  eine  Voraussetzung  hinzu, 
nämlich  die,  daß  sich  „alle  anderen  Umstände"  nicht  so 
ändern,  daß  die  Resultate  alle  Bedeutung  verlieren.  Diese 
Voraussetzung  ist  oft  erfüllt,  mitunter  mehr  als  man  glaubt 
Es  wird  oft  möglich  sein,  eine  bestimmte  Erscheinung  auf 
rein  ökonomischem  Wege  zu  erklären,  welche  eine  ziemlich 
lange  Zeit,  mehrere  Jahre  etwa,  oder  selbst  Jahrzehnte,  von 
der  Basis,  von  der  die  Erklärung  ausgeht,  abliegt.  Aber 
man  muß  sich  immer  fragen,  ob  sie  nicht  durch  neue 
„dynamische"  Ursachen  herbeigeführt  ist,  ob  wenigstens  die- 
selben Gniudlagen  der  Wirtschaft  noch  fortbestehen.  Ist 
das  letztere  der  Fall ,  dann  tut  es  nichts  zur  Sache ,  wenn 

Sehumpatar.  NklioDklokonomie.  '^ 


466  ^^  VariationsnieChode. 

unsere  Resultate  in  der  von  anderen  Momenten  getrübten 
Wirklichkeit  nicht  rein  zutage  treten.  Hier  fehlt  der 
, Praktiker''  oft:  wenn  nicht  das  eintritt,  was  die  Theorie 
vorhersagte,  so  lehnt  er  sie  einfach  als  falsch  ab.  Das  ist 
ungerechtfertigt  Unsere  Gesetze  wirken  dann  dennoch  and 
das  konkrete  Resultat  wftre  ein  anderes,  wenn  sie  es 
nicht  tun  würden.  Wenn  wir  die  Diskrepanz  befriedigt  er- 
klaren können,  so  haben  wir  unsere  Theorie  gerechtfertigt. 
Nehmen  wir  ein  Beispiel :  Man  hat  konstatiert,  daB  die  Er- 
höhung des  österreichischen  Kaifeezolles  den  Preis  des  Kaifees 
nicht  gehoben  habe  und  daraus  seine  Bedeutungslosigkeit 
gefolgert.  Natürlich  mit  Unrecht.  Denn  es  ist  nichts 
klarer,  als  daß  derselbe  eben  sehr  gesunken  wftre  —  oder 
besser  viel  mehr  gesunken  wäre  —  wenn  dieser  Zoll  nicht 
vorhanden  gewesen  wäre,  mit  Rücksicht  auf  die  große  Zu- 
nahme der  Katfeeproduktion.  Hier  kann  man  das  Resultat 
der  Theorie  ganz  rechtfertigen  und  die  Differenz  des  Preises 
im  Inlande  gegenüber  dem  des  Weltmarktes  gibt  ein  er- 
trägliches Maß  für  die  Wirkung  des  Zolles. 

Bei    manchen    amerikanischen    Zöllen    ist    die     Sache 
anders:  Auch  da  ist  das  Resultat  der  Theorie  nicht  „falsch*. 
Aber  dieselben   haben  einen  Anstoß  zu  Entwicklungen  ge- 
gel>en,    welche  die  Sachlage  so  veränderten,    daß  man  oft 
geradezu  sagen  kann  —  ein  Beispiel  wäre  z.  B.  Schafwolle  —> 
daß   durch   den  Zoll  die  Produzenten   gewonnen  haben  und 
die  Konsumenten  auch.     Das  ist  aber  etwas  anderes,  die 
Wirkung  des  Zolles  verschwindet  in  der  Entwicklung,  aber 
eben  nur  diese  macht  es  möglich,  daß  er  sich  nicht  fühlbar 
macht.    Wären  alle  Produktionsverhältnisse  beim  alten  ge- 
bliel)en  —  und  überall  außerhalb  Amerikas  wäre  das  mehr 
oder  weniger  der  Fall    gewesen,    —   so    hätte    man  seine 
Wirkung  sehr  wohl  nachweisen  können.    Aber  ist  die  Theorie 
auch  nicht  „falsch",  so  kann  man  mit  einigem  Rechtesagen, 
daß  sie  in  solchen   FiUlen   bedeutungslos  wird.    So  liegen 
Wahrheit  und  Falschheit  hier  dicht  nebeneinander  um!  die 
Richtigkeit   der  einzelnen  Parteiargumente  läßt  sich  nicht 
allgemein,    sondern    nur    von    Fall    zu    Fall    untersuchen. 


Allgemeintr  Teil.  467 

Immer  ist  es  sehr  wichtig,  die  „Statik''  von  der  «Dynamik^ 
zu  scheiden,  und  es  würde  das  viel  zu  einer  Kl&rung  der 
Diskussion  beitragen.  Wie  gesagt,  dieser  Unterschied  f&Ut 
mit  dem  zwischen  der  Betrachtung  kurzer  und  langer  Perioden 
ungef&hr  zusammen,  und  dieser  wieder  mit  der  Konstanz 
und  der  Änderung  der  Wertfunktionen.  Wir  sprechen 
hier  von  „langer  Periode"  in  einem  Sinne,  der  nicht  mit 
A.  Smith'  und  seiner  Nachfolger  Ausdruck  «in  the  long 
run"  zu  verwechseln  ist.  Der  letztere  Ausdruck  dient  nur 
als  eine  Klausel,  um  „ReibungswiderstAnde''  auszuschließen. 
So  haben  wir  also  die  Grundlagen  unserer  Methode  er- 
örtert. Aber  in  dieser  Gestalt  könnten  wir  mit  ihr  außer 
ganz  einfachen  Fällen  —  z.  B.  dem  des  Tausches  zwischen 
zwei  Wirtschaftssubjekten  ~  nur  noch  die  Eindeutigkeit 
der  eintretenden  Veränderungen  behandeln.  Dieselbe  ist 
nicht  schwer  nachzuweisen.  Setzt  man  an  Stelle  irgend- 
eines Elementes  des  Systemes  ein  anderes  ein,  das  von  ihm 
etwas,  aber  nicht  allzuviel  verschieden  ist,  so  wird  das 
Gleichgewicht,  wie  wir  sahen,  gestört.  Aber  wir  haben  nun 
wiederum  ebensoviele  Gleichungen  wie  Unbekannte  und  so 
ist  auch  die  neue  Größe  aller  Elemente  eindeutig  bestimmt, 
steht  auch  hier  ein  bestimmter  Gleichgewichtszustand  fest. 
Das  läßt  sich  mathematisch  leicht  zeigen,  ist  aber  auch  ohne 
solchen  Apparat  ohne  Weiteres  einzusehen.  In  demselben 
Sinne  wie  früher  werden  wir  hier  „normale**,  .natürliche**, 
„notwendige**  Werte  unserer  Elemente  finden,  woraus  sich 
auch  die  eindeutige  Bestimmtheit  der  Variationen  selbst 
ergibt. 

.  Aber  das  ist  auch  so  ziemlich  alles.  Zu  weiteren  Aus* 
sagen  gelangen  wir  nicht.  Das  ist  auch  nicht  befremdend. 
Alle  die  Wirkungen  und  Rückwirkungen,  die  sich  zeigen, 
sind  zahllos  und  mangels  näherer  Daten  über  die  Gestalt 
unserer  Funktionen  läßt  sich  ihre  relative  Bedeutung  nicht 
feststellen.  Nehmen  wir  an,  es  werde  eine  Steuer  auf  einen 
Artikel  gelegt.  Sein  Preis  steige  um  ihren  vollen  Betrag. 
Nun  wird  die  Nachfrage  sinken,  mithin  auch  jene  nach  den 
Produktionsmitteln  des  betreffenden  Gutes.    Daher  auch  das 


468  ^®  Vftriatioiismethode. 

Einkommen  der  Besitzer  der  letzteren  und  die  von  ihneo 
im  allgemeinen  ausgehende  Nachfrage  usf.  Die  Produzenteo 
verlieren  an  den  zum  neuen  Preise  verkauften  Stocken 
nichts.  Ja  es  käme  sogar  ein  Gewinn  in  Betracht,  der  vom 
Steigen  des  Geldwertes  kommt,  welcher  infolge  der  Ver- 
ringerung des  Einkommens  vieler  Leute  zu  erwarten  ist 
Aber  sie  verkaufen  weniger.  Nun  ist  femer  zu  berQcl[- 
sichtigen,  daß  möglicherweise  der  Staat  oder  jene,  an  die 
die  Steuersumme  kommt,  eine  Nachfrage  entfalten;  ferner 
daß  jene  Konsumenten,  welche  jetzt  auf  den  Artikel  ver- 
zichten, Geld  übrig  haben ;  daß  anderseits  jene,  welche  den 
Artikel  trotz  der  Preiserhöhung  weiterkaufen,  die  dazu 
nötigen  Mittel  anderen  Bedürfnissen  entziehen  müssen.  Und 
jede  dieser  Wirkungen  wirkt  wieder  in  leicht  ersichtlicher 
Weise  weiter. 

Bedenkt  man  das,  so  wird  man  sich  so  recht  bewußt, 
daß  die  betrachteten  Veränderungen  nur  klein  sein  dürfen. 
Denn  jede  größere  wird  unfehlbar  neue  dynamische  Er- 
scheinungen hervorrufen.  Es  sind  das  ja  alles  eigentlich 
dynamische  Veränderungen  der  Produktions-  und  Lebens- 
weise <ler  ganzen  Volkswirtschaft,  und  deren  Struktur  bleibt 
nur  dann  im  Wesentlichen  erhalten,  wenn  sie  verhältnis- 
mäßig klein  sind. 

§  5.  Aber  weiters  eröffnet  sich  unmittelbar  ein  Weg,  dem 
Probleme  beizukommen.  Eine  ganze  Reihe  von  Ver- 
einfachungen ist  ganz  ohne  weiteres  und  andere  sind  mit 
einigen  Reserven  möglich.  Wohl  gehen  wir  dabei  weittf 
auf  der  Bahn  der  Abstraktion,  aber  man  wird  sehen,  da6 
das  Ganze  unbedenklich  geschehen  kann. 

Vor  allem  wird  man  das  Problem  nicht  unnötig  kom- 
plizieren durch  Betrachtung  zu  vieler  Güter.  Die  Behand- 
lung gestaltet  sich  wesentlich  einfacher,  wenn  man  nur  «wei 
oder  drei  einbezieht,  ohne  daß  man  in  Gefahr  wäre,  etwis 
Wesentliches  zu  übersehen.  Namentlich  ist  es  vorteilhaft  | 
nicht  zu  viele  Produktionsgüter  bei  einem  und  demselben  | 
Genußgute   zu  betrachten.    Tatsächlich  ist  ja  deren  meA 


Allgemeber  Teil.  469 

eine  ganze  Anzahl.  Behandelt  man  aber  nur  das  allgemeine 
und  nicht  ein  spezielles  Problem,  so  hindert  uns  nichts,  die- 
selben auf  drei,  Arbeit,  Boden  und  Kapital  —  im  Sinne 
V.  Boebm-Bawerks  —  zu  reduzieren,  und  wenn  man  nicht 
gerade  die  Wechselwirkungen  und  die  Verschiebungen,  die 
unter  diesen  dreien  vor  sich  gehen,  untersucht,  so  kann  man 
es  sich  wohl  auch  erlauben  nur  eines  und  sogar  noch 
weiters  anzunehmen,  da6  dieses  eine  zu  nichts  anderem 
verwendet  werde,  als  zur  Produktion  eben  des  betrachteten 
Gutes.  Das  ist  sehr  bequem  und ,  wo  es  zulässig  ist ,  im 
Interesse  der  Einfachheit  der  Resultate  sehr  wünschenswert. 

Eine  solche  Vereinfachung  braucht  nichts  Bedenkliches 
zu  haben,  und  man  wQrde  Unrecht  tun,  wollte  man  sie  als 
Karikatur  der  Wirklichkeit  a  limine  ablehnen.  Gewisse  all- 
gemeine Sätze  lassen  sich  gerade  so  sehr  gut  demonstrieren, 
und  wer  fUr  abstrakte  Wissenschaft  Oberhaupt  Verständnis 
hat,  wird  einsehen,  daß  gerade  solche,  sozusagen  techniaeha 
Vereinlachungen  der  Anwendung  der  Theorie  auf  die 
Wirklichkeit  gar  nicht  im  Wege  stehen. 

Sodann  fällt  von  selbst  auf,  daS  nicht  alle  Wirkungen 
und  Gegenwirkungen  von  gleicher  Bedeutung,  daß  sozusagen 
nur  jjene  in  der  Nachbarschaft  des  Punktes,  wo  die  Störung 
eintritt,  wichtig  sind.  Nachdem  man  also  auf  die  Allgemein- 
heit derselben  einmal  hingewiesen  hat,  kann  man  sich  auf 
einen  Teil  derselben  beschränken,  wobei  man  sich  ja  vor- 
behalten kann,  je  nach  der  Natur  des  Zweckes,  den  man 
verfolgt,  seine  Grenzen  weiter  oder  enger  zu  ziehen.  Wie 
nahe  das  liegt,  siebt  man  nicht  so  sehr  an  dem  allgemeinen, 
sondern  besser  an  einem  speziellen  Probleme.  Untersucht  man 
z.  B.  die  Wirkungen  einer  Preisbewegung  von  Stecknadeln, 
so  kann  man  fuglich  von  jenen  absehen,  die  sie  für  den 
Preis  etwa  des  Weines  hat.  Aus  irgendeinem  Grunde  kann 
gerade  diese  Relation  besonders  interessant  sein,  liegt  aber 
ein  solcher  nicht  vor,  so  kann  man  den  Weinpreis  ruhig  als 
konstant  annehmen.  Und  nicht  bloß  den  Preis  des  Weines, 
sondern  auch  den  der  großen  Mehrzahl  aller  anderen  Waren. 
Dieses  Absehen  von  weiter  abliegenden  Wirkungen,  dieses 


470  ^^0  Variationsmetliode. 

Konstantannehmen  von  Größen,  die  sich  streng  genommen 
verändern,  stellt  ein  weiteres  methodisches  Hilfsmittel  dar. 
Der  Rechtstitel,  aus  dem  das  geschieht,  ist  die  Ansicht,  dafi 
man  dabei  nur  Größen  vernachlässige,  welche  selbst  gegen- 
über den  kleinen,  mit  denen  wir  es  hier  zu  tun  haben, 
„unendlich  klein **  sind.  Es  muß  daher  gefordert  werden, 
daß  man  stets  nachweise,  daß  das  der  Fall  ist.  Das  ge- 
schieht nun  nicht  immer;  vielmehr  ist  es  eine  sehr  gebränch- 
liehe  Methode  y  bei  Untersuchung  der  Wirkungen  einer 
Störungsursache  einfach  alle  Preise  mit  Ausnahme  des- 
jenigen des  betrachteten  Gutes  als  konstant  anzunehmen, 
ausdrücklich  oder,  viel  häufiger  noch,  stillschweigend.  Das 
ist  nichts  anderes,  als  die  hier  diskutierte  Vereinfachung  in 
größter  Dosis. 

Sicher  ist  das  nicht  notwendig  unzulässig.  Unbedeutendere 
Artikel,  wie  Champagner  z.  B.,  lassen  sich  so  ganz  gut  be- 
handeln.   Ist   der  betrachtete  Artikel  aber  z.  B.  Getreide 
oder  Arbeit,  dann  muß  die  Wirkung  auf  die  anderen  Preise 
berücksichtigt  werden,   sonst  wird  das  Resultat  nicht  bloß 
unvollständig,    sondern    falsch    werden.     Unvollständig 
würde   es,   weil    die    entfernteren    Wirkungen   bei    solchen 
Waren  keineswegs  „Größen  höherer  Ordnung"  sondern,  viel- 
leicht  ebensowichtig  sind,    wie   die   unmittelbaren.     Diese 
Unvollständigkeit   hindert  znm  mindesten  unmittelbare  An- 
wendung der  Resultate  auf  die  Wirklichkeit.    Falsch  aber 
würde  dasselbe,  weil   eine  Veränderung  in   dem  Preise  so 
wichtiger  Güter  die  ganze  Volkswirtschaft  alteriert  und  ihre 
Wirkung  durch  starke  Gegenwirkungen  teilweise  aufgehoben 
wird.     Um  ein  Beispiel  anzuführen:   Eine  Veränderung  im 
Preise   des  Brotes  wirkt  auf  alle  kleinen  Einkommen  er- 
heblich.   Infolge  eines  Steigens  desselben  müßte  die  Nach- 
Irage  nach  anderen  Gütern  sinken   und  zwar  so  stark,  daß 
man  das  nicht  übersehen  kann.    Tut  man  es  doch,  so  sieht 
man  nur  einen  Teil  des  Problemes.     Aber  das  ließe  sich  jt 
verteidigen,  wäre  eben  eine  abstrakte  Betrachtung  gewisser 
Erscheinungen.    Jedoch  treten  Gegenwirkungen  auf,  welche 
die    Preiserhöhung    direkt    aufzuheben    tendieren.     Ein^ 


Allgemeiner  Teil.  471 

solche,  die  oft  beobachtet  wurde,  ist  eine  Lohnsteigerung. 
Durch  dieselbe  wird  die  Preissteigerung  des  Brotes  zum 
Teile  illusorisch,  und  insoweit  ist  unser  Resultat  dann  falsch. 
Ein  Gut  aus  der  Menge  jener,  deren  Wert  als  konstant 
angenommen  zu  werden  pflegt,  bedarf  einer  besonderen  Be- 
trachtung, weil  es  sich  überall  eindrängt  —  das  Geld.  Der 
Grenznutzen  des  Geldes  kann  im  allgemeinen  nicht  als 
konstant  betrachtet  werden.  Jede  vorkommende  Störung 
unseres  Systemes  alteriert  ihn.  Das  ist  ja  leicht  ersichtlich : 
Steigt  der  Preis  eines  Gutes  bei  gleichbleibendem  Geld- 
einkommen, so  muß  offenbar  der  Grenznutzen  des  Geldes 
steigen,  wenn  die  Konsumtion  fortgesetzt,  fallen,  wenn  sie 
aufgegeben  wird,  und  umgekehrt,  wenn  der  Preis  eines 
Gutes  fällt.  Er  ist  ein  Produkt  des  jeweiligen  wirtschaft- 
lichen Milieus  und  muß  bei  jeder  Veränderung  desselben  in 
Mitleidenschaft  gezogen  werden.  Wir  brauchen  das  kaum 
näher  auseinanderzusetzen.  Zugleich  sieht  man,  daß  die 
Bewegung  des  Geldwertes  eine  sehr  wichtige  Erscheinung  ist. 
Sie  spiegelt  die  Veränderung  wieder,  welche  die  Störungs- 
ursache in  der  Lage  jedes  Wirtschaftssubjektes  hervorgerufen 
hat  und  auch  im  gewissen  Sinne  das  Verhalten  des  letzteren. 
Was  das  Wirtschaftssubjekt  bezüglich  jenes  Gutes  tut,  dessen 
Preis  sich  geändert  hat,  ob  es  also  seine  Nachfrage  ein- 
schränkt und  um  wieviel  und  wie  das  wiederum  auf  die 
Produktion  des  Gutes  wirkt  —  das  ist  nur  ein  Teil  des 
Problemes.  Und  zum  andern  Teile  kommt  man  eben  durch 
das  Medium  des  veränderten  Geldwertes.  Aber  auch  zum 
Verständnisse  des  Verhaltens  des  Wirtschaftssubjektes  zu 
dem  Gute,  in  dem  die  Veränderung  eintritt,  ist  Rücksicht 
auf  den  Geldwert  nötig.  Denn  die  Nachfragefunktion  be- 
zieht sich  ja  auf  Geld,  und  zu  jedem  ihrer  Punkte  gehört 
wie  ein  verschiedener  Grenznutzen  des  betreffenden  Gutes, 
so  ein  verschiedener  des  Geldes.  Strenggenommen  ist  in 
ihr  schon  die  Variation  des  letzteren  enthalten,  und  sie  wäre 
eine  andere  als  sie  ist^  wenn  er  konstant  wäre.    So  darf 


*  Wie  früher  schon  angedeutet  wurde. 


472  ^^®  VariatioDsmethode. 

man  also  auch  nicht  bei  Betrachtung  der  Wirkungen  von 
Umständen  der  hier  besprochenen  Art  dieses  Moment  über- 
sehen. Besonders  bei  jenen  Gütern  wird  das  deutlich,  deren 
Preise  unmittelbar  die  Einkommen  bilden.  Steigt  z.  B.  der 
Lohn,  so  fällt  unvermeidlich  der  Grenznutzen  des  Geldes 
für  den  Arbeiter,  und  eben  das  bedeutet  die  Ausdehnung 
seiner  Nachfrage  auf  weniger  wichtige  Genußgüter.  Die 
Diskussion  der  Lohnsteigerung  kann  unmöglich  darüber 
hinweggehen.  Es  handelt  sich  um  einen  essentiellen  Teil 
des  Problemes. 

Anderseits  aber  ist  es  klar,  daß  Konstanz  des  Geld- 
wertes für  viele  unserer  Diskussionen  äußerst  nötig  ist. 
Bleiben  wir  zunächst  bei  dem  eben  erwähnten  Beispiele: 
Bekommt  der  Arbeiter  mehr  Lohn,  so  kann  man,  wenn  man 
unser  Moment  nicht  berücksichtigt,  sehr  klar  sagen,  was 
geschieht.  Er  wird  mehr  arbeiten.  Das  kann  man  nicht 
mehr  so  einfach  behaupten,  wenn  man  anerkennt,  daß  er 
nun  das  Geld  weniger  schätzt.  Die  Wirkung  der  Lohn- 
erhöhung ist  ganz  unbestimmt,  und  es  mag  sein,  daß  der 
Arbeiter  sich  nun  weniger  anstrengen,  eine  kürzere  Zeit 
der  Arbeit  und  mehr  Zeit  der  Ruhe  widmen  wird.  Mittels 
des  Geldwertes  reduzieren  wir  alle  Größen,  mit  denen  wir 
es  zu  tun  haben,  auf  gleichen  Nenner  und  ermöglichen  so 
einen  Vergleich  derselben.  Ist  der  Nenner  konstant,  so  ist 
alles  unendlich  einfacher,  als  wenn  er  sich  ändert.  Namentlich 
wird  der  Vergleich  der  beiden  Gleichgewichtszustände,  um 
den  es  sich  bei  unserer  Methode  handelt,  erheblich  erschwert, 
wenn  wir  so  korrekt  sind,  anzunehmen,  daß  bei  Übergang 
von  einem  zum  anderen,  wie  alles  andere,  so  auch  der  Geld- 
wert sich  änderte.  So  wird  denn  sowohl  in  der  wissen- 
schaftlichen wie  in  der  außerwissenschaftlichen  Diskussion 
fast  immer  ausdrücklich  oder  stillschweigend  Konstanz  des 
Geldwertes  angenommen.  Müssen  wir  auf  die  so  erzielten 
Resultate  verzichten?  Nicht  ganz,  obgleich  es  sicher  ist, 
daß  durch  dieses  Vorgehen  oft  interessante  Erscheinungen  — 
und  gerade  verborgenere,  die  herauszuarbeiten  einer  der 
größten  Dienste  wäre ,  die  die  Wissenschaft  der  Praxis  xu 


Allgemeiner  Teil.  473 

leisten  vermag  —  verdeckt  werden.  Auch  hier  nämlich 
werden  wir  zugeben,  daß  bei  kleinen  Änderungen  und  kurzen 
Zeitperioden  der  begangene  Fehler  so  klein  ist,  daß  man 
ihn  eben  begehen  darf.  Muß  man  für  ein  Genußgut  e  t  w  a  s 
mehr  zahlen,  so  wird  die  Wertschätzung  einer  Geldeinheit  da- 
durch nicht  merklich  alteriert.  Ich  schätze  eine  Geldeinheit 
nicht  wesentlich  mehr  als  bisher,  weil  jetzt  eine  Zigarre 
etwas  mehr  kostet  als  früher  und  die  Klarheit  und  Einfach- 
heit des  Resultates  ist  wichtiger,  als  der  Vorteil,  der  aus 
der  Berücksichtigung  dieses  „mehr**  erwachsen  würde.  Aller- 
dings liegt  die  Sache  anders  bei  den  meisten  Massenartikeln 
und  für  das  Budget  des  Arbeiters.  Aber  immerhin  gibt  es 
eine  große  Zahl  von  Fällen,  wo  die  vereinfachte  Betrachtungs- 
weise ausreicht. 

Auch  die  Kürze  der  betrachteten  Periode  kann  sie  zu- 
lässig erscheinen  lassen  und  zwar  mitunter  selbst  dann, 
wenn  die  zu  untersuchende  Veränderung  nicht  „klein"  ist. 
Der  Grenznutzen  des  Geldes  für  jedes  Wirtschaftssubjekt 
ist  das  Resultat  langer  Erfahrung  und  geht  ihm  nach  und 
nach  „in  Fleisch  und  Blut**  über.  Ganz  unbewußt  und 
gewohnheitsmäßig  wendet  es  ihn  an.  Er  ist  das  Barometer 
und  der  Regulator  seiner  Wirtschaft.  Und  so  ändert  er 
sich  nicht  leicht  und  nicht  schnell.  Werden  auch  seine  Ver- 
hältnisse andere,  so  wird  es  doch  versuchen,  mit  demselben 
weiter  zu  wirtschaften,  wozu  auch  soziale  und  andere  nicht 
wirtschaftliche  Rücksichten  mitwirken.  Freilich  kann  das 
nicht  lange  so  fortgehen.  Aber  wenn  die  Änderung  nicht 
zu  groß  ist,  so  wird  eine  erhebliche  Zeit  vergehen,  ehe 
unser  Wirtschaftssubjekt  sein  ganzes  Denken  und  Fühlen 
ändert  —  was  ja  mit  Variierung  des  Geldwertes  gleich- 
bedeutend ist.  Dinge,  die  ihm  zur  zweiten  Natur  geworden 
sind,  müßte  es  aufgeben,  festgewurzelten  Gewohnheiten  ent- 
sagen. Oft  wird  es  vorziehen,  zugrunde  zu  gehen,  als 
:,rechnen  zu  lernen".  Dieser  Ausdruck  „rechnen  lernen", 
dem  man  so  oft  besonders  bei  der  Erörterung  der  wirt- 
schaftlichen Lage  von  Klassen  begegnet,  die  einen  sehr 
schwer  —  und  nur  mit  Schmerzen  —  zu  ändernden  Standard 


474  ^B  VariationniMthode. 

of  life  haben,  wie  etwa  der  grundbesitzende  Adel  in  Lftitdera 
geringerer  Kultur,  drückt  vortrefflich  auB,  wie  unEicber 
tastend  und  widerwillig  man  sich  einen  neueo  GrenznutieB 
seines  Geldes  konstruiert  Solange  nun  weder  Untergang 
noch  Assimilierung  an  das  neue  Milieu  erfolgt  ist  —  mi 
in  der  Praxis  ist  der  Spielraum  für  diesen  unhaltbaren  Zn- 
stand ziemlich  groß  — ,  solange  läßt  sich  unsere  AnnabH 
verteidigen. 

Auch  andere  Vereinfachungen  noch  werden  vorgenommen. 
müssen  vorgenommen  werden.  So  wird,  wenn  z.  B.  der 
Preis  eines  Gutes  steigt  und  infolgedessen  die  Nachfraf» 
nach  demselben  sinkt,  die  Produktion  desselben  eingescfarflnbi 
und  manche  Produktionsmittel  überflüssig  werden.  Viis 
geschieht  damit?  Wohl  können  sie  zur  Erzeugung  jener 
Dinge  verwendet  werden,  denen  sich  die  Nachfrage  jener 
Leute  zuwendet,  welche  nun  nicht  mehr  das  erw&hnte  Gut 
kaufen  wollen.  Aber  erstens  braucht  es  solche  Leute  nichi 
zu  geben:  Wenn  auch  die  Nachfrage  nach  demselben  ein- 
geschränkt wird,  so  ist  sein  Preis  doch  hoher  und  es  brauftit 
daher  nicht  notwendig  „Kaufkraft  frei  zu  werden",  wie  man 
das  ausdrücken  könnte.  Und  zweitens  berechtigt  uns  nichij 
anzunehmen,  daS  die  eventuell  freigewordene  Nachfrage  gerade 
soviel  Produktionsmittel,  nicht  mehr  und  nicht  weniger, 
in  Anspruch  nimmt,  als  bescliftftigungslos  werden.  In  ähn- 
licher Weise  ist  die  Gleichung  zwischen  Einnahme  und  Au>- 
gäbe  für  jedes  Wirtschaftssubjekt  gestört.  Die  eine  Sumiu"? 
übersteigt  die  andere.  Nur  infolge  eines  Zufalles  könnte 
sie  weiter  bestehen.  Im  allgemeinen  werden  dieselben  nun 
mehr  ersparen  können  oder  ihrem  Sparfonde  eine  Sumiue 
entnehmen  müssen.  Endlich  muß  die  Gleichheit  zwiscbei 
Nachfrage-  und  Angebotpreis  neu  etabliert  werden.  Allen 
diesen  Schwierigkeiten  gegenüber  hat  man  die  Wahl,  sie 
entweder  anzuerkennen  oder  den  gordischen  Knoten  iiiT<l 
die  Annahme  zu  zerhauen,  daß  jene  Gleichheiten  bestebeu. 
Und  nur  bei  kleinen  Änderungen  geht  das  an. 

Nicht  nur  die  populäre,  sondern  auch  die  wissenschaft- 
liche Diskussion  übersieht  diese  Dinge  meist.    Und  sie  stixi 


Allgememer  Teil.  475 

ZU  spezieller  Natur,  als  dafi  beim  Leser  Interesse  für  ein 
näheres  Eingehen  vorausgesetzt  werden  könnte.  Sei  es  also 
genug,  darauf  hingewiesen  zu  haben. 

Das  wäre  im  Wesentlichen,  was  an  allgemeinen  Sätzen 
über  unsere  Methode  zu  sagen  ist.  Durch  speziellere  An- 
nahmen nun,  über  die  Natur  der  Störungsursache,  deren 
Wirkungen  betrachtet  werden  sollen,  läßt  sie  sich  sehr  er- 
giebig ausgestalten,  wobei  sich  auch  noch  nach  Art  des 
einzelnen  Falles  besondere  Hilfsmittel  ergeben.  Die  all- 
gemeine Erörterung  derselben  wäre  zu  trocken  und  un- 
verständlich und  wir  wollen  daher  lieber  das  Wichtigste 
davon  an  den  konkreten  Beispielen  zeigen,  zu  denen  wir 
nun  kommen. 

Zu  lange  habe  ich  vielleicht  bei  den  Grundlagen  unserer 
Methode  verweilt.  Ich  tat  es,  weil  ich  der  Überzeugung 
bin,  daß  es  sich  hier  um  die  theoretischen  —  vielleicht  sagt 
mancher  lieber  erkenntnistheoretischen  —  Grundlagen 
der  wichtigsten,  meist  diskutierten  Resultate  der  National- 
ökonomie handelt.  Wer  mit  Verständnis  dem  eben  Vor- 
geführten gefolgt  ist,  wird  bemerken,  daß  sich  ihm  daraus 
die  Umrisse  der  üblichen  Behandlungsweise  abheben.  In 
der  Tat,  was  ich  die  Variationsmethode  nannte, 
ist  nichts  anderes,  als  der  exakte  Ausdruck 
dessen,  was  überall  dort  geschieht,  wo  etwa  zwei 
Politiker  über  Schutzzoll  und  Freihandel  streiten,  soweit 
sie  sich  ökonomischer  Argumente  bedienen.  Ich  wollte  hier 
dasselbe  tun,  was  zu  tun  auch  sonst  mein  Streben  ist, 
nämlich  zeigen,  was  das  Wesen  und  was  die  Voraus- 
setzungen des  ökonomischen  Raisonnements 
eigentlich  sind.  Alle  jene  Vereinfachungen,  über  deren 
Bedeutung  wir  uns  klar  zu  werden  suchten,  werden  in  der 
populärsten  Diskussion  vorgenommen,  allerdings  unbewußt 
und  oft  ohne  Rücksicht  auf  die  Grenzen,  die  den  Resultaten 
dann  gezogen  sind.  Auch  die  wissenschaftlichen  Argumen- 
tationen erscheinen ,  meine  ich ,  nun  in  einem  schärferen 
Lichte.     Trägt  das  Gesagte   dazu  bei.   Verschiedenartiges 


476  I^B  Varimtioiuimethode. 

besser  zu  sondern  und  die  Relativit&t  und  begrenzte  Geltaag 
fast  jeder  der  gewöhnlich  so  allgemein  gefaßten  Behauptungeo 
mehr  zu  beachten,  als  es  mir  zu  geschehen  scheint,  so  ist 
mein  Zweck  erreicht  und  die  Zeit  des  Lesers  nicht  verloren. 

Und  wie  ich  zur  Kritik  der  Üblichen  Theorie  beigetragen 
zu  haben  glaube,  so  ist  wohl  auch  ein  besseres  Verständnis 
dessen  angebahnt,  womit  sich  die  abstrakten  UotersuchungeB 
mathematischer  Art  beschäftigen,  gezeigt,  daß  ihre  klaren 
Formen  auch  praktische  Vorteile  haben  und  luis  mancbet 
vor  Augen  stellen,  was  sonst  leicht  der  Aufmerksamkeit 
entschlüpft.  Wir  glauben  nicht,  zu  viel  gesagt  zu  haben. 
Begründeter  wUre  der  entgegengesetzte  Vorwurf.  Aber  es 
handelt  sich  darum,  den  Mittelweg  zu  finden  zwischen  er- 
müdendem Detail  und  der  üblichen  Sorglosigkeit. 

Überblicken  wir  das  Gesagte,  so  können  wir  es  etwa  so 
resümieren:  Will  man  Über  die  Variationen,  die  auf  unserem 
Gebiete  eintreten  können ,  mit  den  Mitteln  der  Ökonomie 
auch  nur  etwas  sagen,  so  darf  man  sich  bei  dem  geg«i- 
wllrtigen  Stande  der  Wissenschaft  nicht  von  den  statischen 
Annahmen  entfernen.  Sonst  erhält  man  keioe  exakten 
Resultate.  Dann  aber  sind  eine  Reihe  von  Voraussetzungen 
zu  machen,  die  nur  in  gewissen  Fällen  mit  der  Wirklichkeit 
übereinstimmen.  Sie  sorgfältig  zu  diskutieren,  ist  kein  Jen 
^'esprit,  sondern  zwingende  Notwendigkeit.  Niemand,  auch 
der  Historiker  nicht,  verzichtet  darauf,  etwas  Ökonomisches 
für  oder  wider  den  Freihandel  zu  sagen.  Stets  aber,  wenn 
er  das  tut,  treibt  er  Ökonomische  Theorie  und  kann  deren 
Grundsätze  nicht  ungestraft  ignorieren.  Und  es  zeigt  sieb, 
daß  man  sich  da  auf  gefährlichem  Boden  bewegt  und  keinen 
Schritt  ohne  vorsichtige  Zurückhaltung  machen  kann. 

So  sehr  viel  ist  es  nicht,  was  unsere  Methode  bietet. 
Und  doch  ist  es  alles,  was  an  allgemeinen  Wahrheiten 
gewonnen  werden  kann.  Die  Versuche  mehr  zu  gewinn« 
sind  zahlreich,  von  den  Klassikern  bis  auf  die  G^en- 
wart.  Aber  ihr  Wert  ist  ein  zweifelhnfter  oder  doch  sehr 
bedingter.  Dennoch  —  wenn  unsere  Methode  nicht  all- 
zuviel bietet,  so  bietet  sie  doch  viel  mehr  als  nichts. 


Allgemeiner  Teil.  477 

Nun  wollen  wir  die  Sache  an  Beispielen  nochmals  dis- 
kutieren. Der  methodische  Vorgang  ist  immer  derselbe  und 
es  handelt  sich  nur  darum,  „die  konkrete  Störungsursache'' 
so  zu  adjustieren,  daß  sie  sich  in  unser  Schema  —  Ver- 
änderung der  Größe  eines  oder  mehrerer  Elemente  unseres 
Systemes  —  bringen  läßt.  Bei  manchen  geht  das  ohne 
Weiteres.  So  bei  den  praktisch  wichtigsten  und  meist  be- 
handelten, als  da  sind:  Auflage  einer  Steuer,  Einführung 
eines  Zolles,  Alterierung  des  normalen  Preises  eines  Gutes 
durch  Festsetzung  einer  Taxe,  Vernichtung  einer  Güter- 
menge durch  einen  Unglücksfall  oder  absichtlich  u.  dgl.  Auch 
einzelne  Kostenelemente,  z.  B.  Transportkosten,  Brokeragen, 
Kommissionen  usw.  lassen  sich  so  behandeln.  Nicht  als  ob 
das  Wesen  aller  dieser  Dinge  dadurch  erschöpfend  erfaßt 
wäre.  Vielmehr  liegt  in  unserem  Vorgehen  eine  Formali- 
sierung,  bei  der  wichtige  Momente  verloren  gehen,  so 
namentlich  alle  sozialen,  historischen,  politischen  und  andere 
Gesichtspunkte.  Aber  wohl  wird  das  Reinwirtschaftliche  an 
der  Sache  dadurch  scharf  ausgedrückt  und  in  eine  handliche 
Form  gebracht.  Bei  anderen  Störungsursachen  geht  das 
jedoch  nicht  so  leicht.  Ein  Beispiel  ist  die  Theorie  des 
Einflusses  der  Einführung  von  Maschinen.  An  sich  ist  das 
eine  dynamische  Erscheinung,  aber  gewisse  Wirkungen  der- 
selben lassen  sich  dennoch  im  Rahmen  der  Statik  erörtern. 
Nur  erhebt  sich  die  Frage,  welche  Elemente  man  denn  als 
dadurch  unmittelbar  alteriert  betrachten  soll.  Eigentlich 
ist  das  bei  keinen  der  Fall  und  es  ist  Frage  der  Zweck- 
mäßigkeit, wie  man  das  zu  entscheiden  hat.  Hier  liegt 
dann  ein  methodischer  Kunstgriff  vor,  eine  Fiktion,  die  sich 
an  ihren  Früchten  zu  bewähren  hat.  Eine  eigentlich  andere 
Erscheinung  wird  künstlich  als  eine  Variation  eines  Elementes 
aufgefaßt.  Bisher  geschah  das  noch  nicht,  doch  scheint  uns 
darin  eine  wertvolle  Erweiterung  des  Anwendungsgebietes 
unserer  Methode  zu  liegen. 


IL  Kapitel 
Beispiele. 


§  1.  Wie  eine  auf  eine  bestimmte  Ware  gelegte  Steuer 
—  welche  nach  dem  Gesagten  als  klein  angenommen  werden 
muß  —  sich  auf  die  einzelnen  beteiligten  Wirtschaftssubjekte 
verteilt  und  welches  alle  ihre  Wirkungen  sind,  ist  ein  viel 
diskutiertes  Problem.  Zur  vollständigen  Würdigung  der 
Steuer  reicht  das,  was  die  Theorie  bieten  kann,  sicherlich 
nicht  aus.  In  der  Praxis  spielt  die  budgetäre  Notwendigkeit, 
spielen  soziale  und  politische  Momente  eine  so  große  Rolle, 
daß  unsere  Resultate  daneben  vielleicht  unbedeutend  er- 
scheinen. Auch  ist  die  Art  und  Richtung  des  Einflusses 
einer  Steuer  in  den  konkreten  Fällen  meist  ziemlich  klar 
und  kleine  Fehler,  die  eine  theoretisch  unvollkommene 
Untersuchung  zur  Folge  haben  kann,  werden  oft,  wenn  es 
zur  praktischen  Anwendung  kommt,  ganz  von  selbst  korri- 
giert. So  machen  die  Korrekturen  des  Theoretikers  oft 
einen  geradezu  kleinlichen  Eindruck.  Aber  wenn  man  über- 
haupt Theorie  treiben  will,  so  muß  man  es  auch  so  korrekt 
wie  m()glich  tun.  Und  dazu  ist  unsere  Methode  mit  ihrer 
Strenge  unentbehrlich. 

Der  einfachste  Fall  ist  der  eines  isolierten  Wirtschafts- 
subjektes, das  nur  ein  bestimmtes  Gut  mit  Produktions- 
mitteln, die  zu  nichts  anderem  verwendet  werden  können, 
für  seinen  Bedarf  erzeugt.  Hier  sind  keine  weiteren  Ver- 
einfachungen  nötig.     „Die  Angebotskurve"   werde  lediglich 


Beispiele.  479 

durch  die  FunktioD  der  ArbeitsmQhe  gebildet  K  Unser  Mann 
produziert  soviel,  daß  der  Grenznutzen  des  Gutes  gleich 
dem  „Grenzleide**  der  Arbeit  ist.  Nun  werde  ihm  von 
irgendeiner  äußeren  Macht  aufgelegt,  kQnftig  eine  bestimmte 
Menge  seines  Produktes  in  jeder  Produktionsperiode  ab- 
zuliefern. Was  geschieht?  Er  wird  nun  so  viel  produzieren, 
daß  der  Grenznutzen  der  Menge  des  Gutes,  die  ihm  bleibt, 
gleich  ist  dem  Grenzleide  dieser  Menge  plus  der  abzuliefern- 
den. Das  ist  die  exakte  Antwort  Ist  Angebot-  und  Nach- 
fragefunktion gegeben,  so  ist  die  alte  wie  die  neue  Produkt- 
menge eindeutig  bestimmt  und  wir  haben  auch  einen  exakten 
Ausdruck  fQr  den  „Schaden**,  den  unser  Subjekt  erleidet. 
Wir  können ,  wenn  wir  jene  Daten  besitzen,  sehen,  daß  er 
im  allgemeinen  —  Grenzfälle  ausgenommen  —  etwas  mehr 
produzieren  wird  als  bisher,  aber  nicht  notwendig  um  den 
ganzen  Betrag  der  Steuer  mehr,  so  daß  er  denselben  teils 
seinem  Konsume  entzieht,  teils  aber  produziert.  Letzteres 
Moment  gibt  uns  den  exakten  Ausdruck  der  Theorie  von 
der  Steuerproduktion,  in  der  also  ein  richtiger  Kern  liegt, 
was  manche  Kritiker  verkannten.  Würden  die  Produktions- 
mittel jenes  Gutes  auch  noch  zur  Produktion  eines  anderen 
verwendet,  so  wäre  das  Resultat  nicht  so  einfach.  Man 
mOßte  die  Wirkung  der  Produktion  einer  größeren  Menge 
des  besteuerten  Gutes  auf  die  des  unbesteuerten  berück- 
sichtigen. Eine  weitere  Komplikation  würde  es  darstellen, 
wenn  die  beiden  Güter  nicht  nur  der  Produktion  nach 
sondern  auch  bezüglich  der  Konsumtion  in  einem  Zusammen- 
hange stünden,  sich  ergänzten  oder  ersetzten.  In  unserem 
einfachen  Falle  hätte  das  keine  Schwierigkeit,  aber  wir 
können  das,  besonders  da  sich  nichts  Wesentliches  daraus 
ergibt,  übergehen  oder  dem  Leser  überlassen.  Wir  sehen, 
daß  gewisse  Resultate  sich  ganz  allgemeingiltig  an  einem 
sehr  vereinfachten  Schema  demonstrieren  lassen,  dabei  so- 


'  Hier  haben  wir  einen  Fall,  wo  wir  den  Gedankengang  der 
Koetentheorie  —  wenigstens  cur  H&lfte  —  sehr  gut  gebrauchen 
können. 


4g0  I^ie  Variationsmethode. 

gar  eine  Klarheit  gewinnen,  die  sonst  unerreichbar  wire. 
Und  das  rechtfertigt  dasselbe  wohl. 

Auch  die  allgemeine  Antwort  auf  die  Frage,  wotod  die 
Wirkungen  einer  Steuer  abhängen,  können  wir  geben:  Sie 
hängen  von  der  Gestalt  oder  wie  man  sagen  kann,  der 
Elastizität  der  Nachfrage-  und  Angebotsfunktionen  ab.  Die« 
Resultate  sind  exakter  und  korrekter,  als  die  Qblicke 
„ dialektische ""  Behandlung  sie  hervorbringt.  Aber  besondere 
Entdeckungen  enthalten  sie  nicht.  Ihre  Bedeutung  liegt  ii 
etwas  anderem.  Ihre  offenbare  Richtigkeit  nämlich  verbärgt 
uns  die  Richtigkeit  oder  besser  Brauchbarkeit  unserer  Grand- 
lagen,  verifiziert  dieselben.  Die  Resultate  sind  ja,  meines 
Erachtens,  überhaupt  das  einzige  wirklich  verläßliche 
Kriterium  für  den  Wert  der  letzteren.  Nun,  gerade  die 
Selbstverständlichkeit  der  Resultate  ist  geeignet,  uns  Ober 
die  Grundlagen  zu  beruhigen.  An  den  Tatsachen,  welche 
die  Fallgesetze  beschreiben  sollen,  zweifelt  ja  auch  niemand. 
Aber  deren  Übereinstimmung  mit  der  Erfahrung  ist  von 
größter  erkenntnistheoretischer  Bedeutung. 

So  ist  es  auch  in  unserem  Falle.  Und  weiters,  erst 
die  Diskussion  der  Variationen  lehrt  uns  unser  System  voll- 
ständig verstehen,  rückt  sein  Wesen  und  seine  Grenzen  in« 
Licht.  Manche  Behauptungen  über  dasselbe  wären  un- 
möglich gewesen,  wenn  man  immer  auf  diese  Grenzen  ge- 
achtet hätte.  Doch  läßt  sich  noch  sehr  erheblich  mehr  ge- 
winnen. Das  wollen  wir  nun  an  einem  komplizierteren  Falle 
zeigen  und  so  zugleich  auch  einen  Schritt  weiter  in  unserer 
Darlegung  gehen. 

Nehmen  wir  an,  es  würden  in  einer  Volkswirtschaft 
zwei  Arten  von  Genußgütern  produziert.  Nur  zwei,  der 
Einfachheit  halber.  Beide  haben  einen  Gleichgewichtspreis 
und  sind  in  eindeutig  bestimmter  Menge  vorhanden.  Wir  be- 
trachten die  Preise  — die  irgendwelche  Geldpreise  sein  sollen  — 
als  Funktionen  der  produzierten  Mengen.  Diese  Funktionen 
sind  nicht  gewöhnliche  Nachfragefunktionen,  welche  sich  anf 
einzelne  Individuen  beziehen,  sondern  Gesamtfunktionen, 
welche    allerdings     in     analoger    Weise     gewonnen    sind: 


Beispiele.  481 

Wir  fragen  uds,  welches  die  Gleichgewiehtspreise  wären, 
wenn  wir  die  Menge  variieren  lassen.  Das  können  wir 
allerdings  nicht  zwischen  beliebig  weiten  Grenzen,  wie  frQher 
ausgeführt,  sondern  nur  in  Terhältnismäfiig  engen.  Und 
Ähnlich  konstruieren  wir  für  verschiedene  Mengen  einer 
Kostenpreisfunktion.  .Kosten'  soll  hier  nichts  anderes  be- 
deuten, als  die  Auslage  in  Geld,  welche  für  die  Produktion 
der  einzelnen  Teilmengen  zu  machen  ist  Der  Marktpreis 
ist  dann  gegeben  durch  die  Gleichheit  des  Nachfrage-  und 
des  Kostenpreises  für  beide  Güter.  Als  Geld  diene  ein 
drittes  Gut,  dessen  Grenznutzen  konstant  sei  und  das,  einmal 
vorhanden,  keine  Produktionskosten  verursache.  Das  hei£t 
nichts  anderes,  als  daß  dieses  „Geld"  lediglich  ein  Wert- 
maß sein  solle.  Seine  Rolle  als  Tauschmittel,  welche 
zu  Wert&nderungen  führt,  werde  durch  unsere  —  nur 
kleinen  —  Veränderungen  nicht  tangiert. 

Nun  werde  auf  eines  der  beiden  Güter  eine  Steuer  ge- 
legt. Dieselbe  kann  verschiedener  Art  sein.  Als  Beispiel 
nehmen  wir  eine  solche  auf  die  Einheit  des  Gutes  an. 

Faßt  man  nun  beide  Güter  als  völlig  unabhängig  von- 
einander —  sowohl  nach  der  Konsumtions- ,  wie  nach  der 
Produktionsseite  —  auf,  so  läßt  sich  bezüglich  des  be- 
steuerten dasselbe  nachweisen,  was  wir  früher  erörterten. 
Im  allgemeinen  werden  Käufer,  wie  Verkäufer  geschädigt, 
in  welchem  Maße  hängt  von  der  Elastizität  der  beiden 
Funktionen  ab.  Doch  gibt  es  zwei  Grenzfälle  —  völlige 
Inelastizität  des  Angebots  oder  der  Nachfrage  — ,  in  denen 
die  Steuer  nur  die  Käufer  oder  nur  die  Verkäufer  trifft. 

Diese  Theorie  kommt  der  Wirklichkeit  nur  dann  aus- 
reichend nahe,  wenn  jene  Unabhängigkeit  eine  vollständige 
ist.  Ganz  kann  das  nie  der  Fall  sein,  aber  angenähert  trifft 
es  wenigstens  dann  zu,  wenn  das  besteuerte  Gut  gegenüber 
der  Menge  des  anderen  nur  unbedeutend  ist.  Sonst 
würden  seine  Preis-  und  Mengenänderungen  immer  auch 
auf  das  andere  wirken,  auch  wenn  an  sich  der  Konsum 
beider  keinen  Zusammenhang  hätte  und  die  Produktions- 
mittel verschiedene  wären. 

8ehuinp«t«r,  XationalOkonomi«.  31 


474  ^^  Variationsmethode. 

of  life  haben,  wie  etwa  der  grundbesitzende  Adel  in  Ländern 
geringerer  Kultur,  drOckt  vortrefflich  aus,  wie  unsicher 
tastend  und  widerwillig  man  sich  einen  neuen  Grenznatzec 
seines  Geldes  konstruiert.  Solange  nun  weder  Untergang 
noch  Assimilierung  an  das  neue  Milieu  erfolgt  ist  —  und 
in  der  Praxis  ist  der  Spielraum  fOr  diesen  unhaltbaren  Zu- 
stand ziemlich  groß  — ,  solange  läßt  sich  unsere  Annahme 
verteidigen. 

Auch  andere  Vereinfachungen  noch  werden  vorgenommen, 
müssen  vorgenommen  werden.  So  wird,  wenn  z.  B.  der 
Preis  eines  Gutes  steigt  und  infolgedessen  die  Nachfrage 
nach  demselben  sinkt,  die  Produktion  desselben  eingeschränkt 
und  manche  Produktionsmittel  überflüssig  werden,  \^'as 
geschieht  damit?  Wohl  können  sie  zur  Erzeugung  jener 
Dinge  verwendet  werden,  denen  sich  die  Nachfrage  jener 
Leute  zuwendet,  welche  nun  nicht  mehr  das  erwähnte  Gut 
kaufen  wollen.  Aber  erstens  braucht  es  solche  Leute  nicht 
zu  geben:  Wenn  auch  die  Nachfrage  nach  demselben  ein- 
geschränkt wird,  so  ist  sein  Preis  doch  höher  und  es  braucht 
daher  nicht  notwendig  „Kaufkraft  frei  zu  werden**,  wie  man 
das  ausdrücken  könnte.  Und  zweitens  berechtigt  uns  nichts 
anzunehmen,  daß  die  eventuell  freigewordene  Nachfrage  gerade 
soviel  Produktionsmittel,  nicht  mehr  und  nicht  weniger, 
in  Anspruch  nimmt,  als  beschäftigungslos  werden.  In  ähn- 
licher Weise  ist  die  Gleichung  zwischen  Einnahme  und  Auf- 
gabe für  jedes  Wirtschaftssubjekt  gestört.  Die  eine  Sumu« 
übersteigt  die  andere.  Nur  infolge  eines  Zufalles  könnte 
sie  weiter  bestehen.  Im  allgemeinen  werden  dieselben  uuji 
mehr  ersparen  können  oder  ihrem  Sparfonde  eine  Summe 
entnehmen  müssen.  Endlich  muß  die  Gleichheit  zwiscbefl 
Nachfrage-  und  Angebotpreis  neu  etabliert  werden.  Alki 
diesen  Schwierigkeiten  gegenüber  hat  man  die  Wahl,  «e 
entweder  anzuerkennen  oder  den  gordischen  Knoten  durch 
die  Annahme  zu  zerhauen ,  daß  jene  Gleichheiten  bestebetL 
Und  nur  bei  kleinen  Änderungen  geht  das  an. 

Nicht  nur  die  populäre,  sondern  auch  die  wissenschaft- 
liche Diskussion  übersieht  diese  Dinge  meist.    Und  sie  sisJ 


Allgemeiner  Teil.  475 

ZU  spezieller  Natur,  als  dafi  beim  Leser  Interesse  für  ein 
näheres  Eingehen  vorausgesetzt  werden  könnte.  Sei  es  also 
genug,  darauf  hingewiesen  zu  haben. 

Das  wäre  im  Wesentlichen,  was  an  allgemeinen  Sätzen 
über  unsere  Methode  zu  sagen  ist.  Durch  speziellere  An- 
nahmen nun,  über  die  Natur  der  Störungsursache,  deren 
Wirkungen  betrachtet  werden  sollen,  läßt  sie  sich  sehr  er- 
giebig ausgestalten,  wobei  sich  auch  noch  nach  Art  des 
einzelnen  Falles  besondere  Hilfsmittel  ergeben.  Die  all- 
gemeine Erörterung  derselben  wäre  zu  trocken  und  un- 
verständlich und  wir  wollen  daher  lieber  das  Wichtigste 
davon  an  den  konkreten  Beispielen  zeigen,  zu  denen  wir 
nun  kommen. 

Zu  lauge  habe  ich  vielleicht  bei  den  Grundlagen  unserer 
Methode  verweilt.  Ich  tat  es,  weil  ich  der  Überzeugung 
bin,  daß  es  sich  hier  um  die  theoretischen  —  vielleicht  sagt 
mancher  lieber  erkenntnistheoretischen  —  Grundlagen 
der  wichtigsten,  meist  diskutierten  Resultate  der  National- 
ökonomie handelt.  Wer  mit  Verständnis  dem  eben  Vor- 
geführten gefolgt  ist,  wird  bemerken,  daß  sich  ihm  daraus 
die  Umrisse  der  üblichen  Behandlungsweise  abheben.  In 
der  Tat,  was  ich  die  Variationsmethode  nannte, 
ist  nichts  anderes,  als  der  exakte  Ausdruck 
dessen,  was  überall  dort  geschieht,  wo  etwa  zwei 
Politiker  über  Schutzzoll  und  Freihandel  streiten,  soweit 
sie  sich  ökonomischer  Argumente  bedienen.  Ich  wollte  hier 
dasselbe  tun,  was  zu  tun  auch  sonst  mein  Streben  ist, 
nämlich  zeigen,  was  das  Wesen  und  was  die  Voraus- 
setzungen des  ökonomischen  Raisonnements 
eigentlich  sind.  Alle  jene  Vereinfachungen,  über  deren 
Bedeutung  wir  uns  klar  zu  werden  suchten,  werden  in  der 
populärsten  Diskussion  vorgenommen,  allerdings  unbewußt 
und  oft  ohne  Rücksicht  auf  die  Grenzen,  die  den  Resultaten 
dann  gezogen  sind.  Auch  die  wissenschaftlichen  Argumen- 
tationen erscheinen ,  meine  ich ,  nun  in  einem  schärferen 
Lichte.     Trägt  das  Gesagte   dazu   bei.    Verschiedenartiges 


476  ^^  YariatioiiBmethode. 

besser  zu  sondern  und  die  Relativität  und  begrenzte  Geltung 
fast  jeder  der  gewöhnlich  so  allgemein  gefaßten  Behauptungen 
mehr  zu  beachten,  als  es  mir  zu  geschehen  scheint,  so  ist 
mein  Zweck  erreicht  und  die  Zeit  des  Lesers  nicht  verloren. 

Und  wie  ich  zur  Kritik  der  üblichen  Theorie  beigetragen 
zu  haben  glaube,  so  ist  wohl  auch  ein  besseres  Verständnis 
dessen  angebahnt,  womit  sich  die  abstrakten  Untersuchungen 
mathematischer  Art  beschäftigen,  gezeigt,  dafi  ihre  klaren 
Formen  auch  praktische  Vorteile  haben  und  uns  manches 
vor  Augen  stellen,  was  sonst  leicht  der  Aufmerksamkeit 
entschlüpft.  Wir  glauben  nicht,  zu  viel  gesagt  zu  haben. 
Begründeter  wäre  der  entgegengesetzte  Vorwurf.  Aber  es 
handelt  sich  darum,  den  Mittelweg  zu  finden  zwischen  er- 
müdendem Detail  und  der  üblichen  Sorglosigkeit. 

Überblicken  wir  das  Gesagte,  so  können  wir  es  etwa  so 
resümieren :  Will  man  über  die  Variationen,  die  auf  unserem 
Gebiete  eintreten  können,  mit  den  Mitteln  der  Ökonomie 
auch  nur  etwas  sagen,  so  darf  man  sich  bei  dem  gegen- 
wärtigen Stande  der  Wissenschaft  nicht  von  den  statischen 
Annahmen  entfernen.  Sonst  erhält  man  keine  exakten 
Resultate.  Dann  aber  sind  eine  Reihe  von  Voraussetzungen 
zu  machen,  die  nur  in  gewissen  Fällen  mit  der  Wirklichkeit 
übereinstimmen.  Sie  sorgfältig  zu  diskutieren,  ist  kein  jeu 
d'esprit,  sondern  zwingende  Notwendigkeit.  Niemand,  auch 
der  Historiker  nicht,  verzichtet  darauf,  etwas  Ökonomisches 
für  oder  wider  den  Freihandel  zu  sagen.  Stets  aber,  wenn 
er  das  tut,  treibt  er  ökonomische  Theorie  und  kann  deren 
Grundsätze  nicht  ungestraft  ignorieren.  Und  es  zeigt  sicli. 
daß  man  sich  da  auf  gefährlichem  Boden  bewegt  und  keinen 
Schritt  ohne  vorsichtige  Zurückhaltung  machen  kann. 

So  sehr  viel  ist  es  nichts  was  unsere  Methode  bietet. 
Und  doch  ist  es  alles,  was  an  allgemeinen  Wahrheiten 
gewonnen  werden  kann.  Die  Versuche  mehr  zu  gewinnen 
sind  zahlreich,  von  den  Klassikern  bis  auf  die  Gegen- 
wart. Aber  ihr  Wert  ist  ein  zweifelhafter  oder  doch  sehr 
bedingter.  Dennoch  —  wenn  unsere  Methode  nicht  all- 
zuviel bietet,  so  bietet  sie  doch  viel  mehr  als  nichts. 


Allgemeiner  Teil.  477 

Nun  wollen  wir  die  Sache  an  Beispielen  nochmals  dis- 
kutieren. Der  methodische  Vorgang  ist  immer  derselbe  und 
es  handelt  sich  nur  darum,  „die  konkrete  Störungsursache '^ 
so  zu  adjustieren,  daß  sie  sich  in  unser  Schema  —  Ver- 
änderung der  Größe  eines  oder  mehrerer  Elemente  unseres 
Systemes  —  bringen  läßt.  Bei  manchen  geht  das  ohne 
Weiteres.  So  bei  den  praktisch  wichtigsten  und  meist  be- 
handelten, als  da  sind:  Auflage  einer  Steuer,  Einführung 
eines  Zolles,  Alterierung  des  normalen  Preises  eines  Gutes 
durch  Festsetzung  einer  Taxe,  Vernichtung  einer  Güter- 
menge durch  einen  Unglücksfall  oder  absichtlich  u.  dgl.  Auch 
einzelne  Kostenelemente,  z.  B.  Transportkosten,  Brokeragen, 
Kommissionen  usw.  lassen  sich  so  behandeln.  Nicht  als  ob 
das  Wesen  aller  dieser  Dinge  dadurch  erschöpfend  erfaßt 
wäre.  Vielmehr  liegt  in  unserem  Vorgehen  eine  Formali- 
sierung,  bei  der  wichtige  Momente  verloren  gehen,  so 
namentlich  alle  sozialen,  historischen,  politischen  und  andere 
Gesichtspunkte.  Aber  wohl  wird  das  Reinwirtschaftliche  an 
der  Sache  dadurch  scharf  ausgedrückt  und  in  eine  handliche 
Form  gebracht.  Bei  anderen  Störungsursachen  geht  das 
jedoch  nicht  so  leicht.  Ein  Beispiel  ist  die  Theorie  des 
Einflusses  der  Einführung  von  Maschinen.  An  sich  ist  das 
eine  dynamische  Erscheinung,  aber  gewisse  Wirkungen  der- 
selben lassen  sich  dennoch  im  Rahmen  der  Statik  erörtern. 
Nur  erhebt  sich  die  Frage,  welche  Elemente  man  denn  als 
dadurch  unmittelbar  alteriert  betrachten  soll.  Eigentlich 
ist  das  bei  keinen  der  Fall  und  es  ist  Frage  der  Zweck- 
mäßigkeit, wie  man  das  zu  entscheiden  hat.  Hier  liegt 
dann  ein  methodischer  Kunstgriff  vor,  eine  Fiktion,  die  sich 
an  ihren  Früchten  zu  bewähren  hat.  Eine  eigentlich  andere 
Erscheinung  wird  künstlich  als  eine  Variation  eines  Elementes 
aufgefaßt.  Bisher  geschah  das  noch  nicht,  doch  scheint  uns 
darin  eine  wertvolle  Erweiterung  des  Anwendungsgebietes 
unserer  Methode  zu  liegen. 


IL  Kapitel- 
Beispiel  e. 


§  1.  Wie  eine  auf  eine  bestimmte  Ware  gelegte  Steuer 
—  welche  nacti  dem  Gesagten  als  klein  angenommen  werden 
muß  —  sich  auf  die  einzelnen  beteiligten  Wirtschaftssubjekte 
verteilt  und  welches  alle  ihre  Wirkungen  sind,  ist  ein  viel 
diskutiertes  Problem.  Zur  vollständigen  Würdigung  der 
Steuer  reicht  das,  was  die  Theorie  bieten  kann,  sicherlich 
nicht  aus.  In  der  Praxis  spielt  die  budgetäre  Notwendigkeit, 
spielen  soziale  und  politische  Momente  eine  so  große  RoUe, 
daß  unsere  Resultate  daneben  vielleicht  unbedeutend  er- 
scheinen. Auch  ist  die  Art  und  Richtung  des  Einflusses 
einer  Steuer  in  den  konkreten  Fällen  meist  ziemlich  klar 
und  kleine  Fehler,  die  eine  theoretisch  unvollkommeoe 
Untersuchung  zur  Folge  haben  kann,  werden  oft,  wenn  es 
zur  praktischen  Anwendung  kommt,  ganz  von  selbst  korri- 
giert. So  machen  die  Korrekturen  des  Theoretikers  oft 
einen  geradezu  kleinlichen  Eindruck.  Aber  wenn  mao  über- 
haupt Theorie  treiben  will,  so  muß  man  es  auch  so  korrekt 
wie  möglich  tun.  Und  dazu  ist  unsere  Methode  mit  ihrer 
Strenge  unentbehrlich. 

Der  einfachste  Fall  ist  der  eines  isolierten  Wirtschafte 
Subjektes,  das  nur  ein  bestimmtes  Gut  mit  I^oduktions- 
mittelu,  die  zu  nichts  anderem  verwendet  werden  können, 
für  seinen  Bedarf  erzeugt.  Hier  sind  keine  weiteren  Ver- 
einfachungen nötig.     „Die  Angebotskurve''   werde  lediglich 


Beispiele.  479 

durch  die  Funktion  der  Arbeitsmühe  gebildet  K  Unser  Mann 
produziert  soviel,  daß  der  Grenznutzen  des  Gutes  gleich 
dem  „Grenzleide**  der  Arbeit  ist.  Nun  werde  ihm  von 
irgendeiner  äußeren  Macht  aufgelegt,  kQnftig  eine  bestimmte 
Menge  seines  Produktes  in  jeder  Produktionsperiode  ab- 
zuliefern. Was  geschieht?  Er  wird  nun  so  viel  produzieren, 
daß  der  Grenznutzen  der  Menge  des  Gutes,  die  ihm  bleibt, 
gleich  ist  dem  Grenzleide  dieser  Menge  plus  der  abzuliefern- 
den. Das  ist  die  exakte  Antwort  Ist  Angebot-  und  Nach- 
fragefunktion gegeben,  so  ist  die  alte  wie  die  neue  Produkt- 
menge eindeutig  bestimmt  und  wir  haben  auch  einen  exakten 
Ausdruck  fttr  den  „Schaden**,  den  unser  Subjekt  erleidet. 
Wir  können ,  wenn  wir  jene  Daten  besitzen,  sehen,  daß  er 
im  allgemeinen  —  Grenzfälle  ausgenommen  —  etwas  mehr 
produzieren  wird  als  bisher,  aber  nicht  notwendig  um  den 
ganzen  Betrag  der  Steuer  mehr,  so  daß  er  denselben  teils 
seinem  Konsume  entzieht,  teils  aber  produziert.  Letzteres 
Moment  gibt  uns  den  exakten  Ausdruck  der  Theorie  von 
der  Steuerproduktion,  in  der  also  ein  richtiger  Kern  liegt, 
was  manche  Kritiker  verkannten.  Würden  die  Produktions- 
mittel jenes  Gutes  auch  noch  zur  Produktion  eines  anderen 
verwendet,  so  wäre  das  Resultat  nicht  so  einfach.  Man 
müßte  die  Wirkung  der  Produktion  einer  größeren  Menge 
des  besteuerten  Gutes  auf  die  des  unbesteuerten  berück- 
sichtigen. Eine  weitere  Komplikation  würde  es  darstellen, 
wenn  die  beiden  Güter  nicht  nur  der  Produktion  nach 
sondern  auch  bezüglich  der  Konsumtion  in  einem  Zusammen- 
hange stünden^  sich  ergänzten  oder  ersetzten.  In  unserem 
einfachen  Falle  hätte  das  keine  Schwierigkeit,  aber  wir 
können  das,  besonders  da  sich  nichts  Wesentliches  daraus 
ergibt,  übergehen  oder  dem  Leser  überlassen.  Wir  sehen, 
daß  gewisse  Besultate  sich  ganz  allgemeiogiltig  an  einem 
sehr  vereinfachten  Schema  demonstrieren  lassen,  dabei  so- 


1  Hier  haben  wir  einen  Fall,  wo  wir  den  Gedankengang  der 
Kostentheorie  —  wenigstens  zur  Hälfte  —  sehr  gut  gebrauchen 
können. 


480  ^>^  Vuiationnnethode. 

gar  eine  Klarheit  gewinnen ,  die  sonst  unerreichbar  wäre. 
Und  das  rechtfertigt  dasselbe  wohl. 

Aueb  die  allgemeine  Antwort  auf  die  Frage,  wovon  die 
Wirkungen  einer  Steuer  abhängen,  können  wir  geben:  Sie 
hängen  von  der  Gestalt  oder  wie  man  sagen  kann,  der 
Elastizität  der  Nachfrage-  und  Angebotsfunktionen  ab.  Diese 
Resultate  sind  exakter  und  korrekter,  als  die  fiblicbe 
.dialektische"  Behandlung  sie  hervorbringt.  Aber  besondere 
Entdeckungen  enthalten  sie  nicht.  Ihre  Bedeutung  liegt  in 
etwas  anderem,  Ihre  offenbare  Richtigkeit  nämlich  verborgt 
uns  die  Richtigkeit  oder  besser  Brauchbarkeit  unserer  Grund- 
lagen, verifiziert  dieselben.  Die  Resultate  sind  ja,  meines 
Erachtens,  Oberhaupt  das  einzige  wirklich  verläßliche 
Kriterium  für  den  Wert  der  letzteren.  Nun,  gerade  die 
Selbstverständlichkeit  der  Resultate  ist  geeignet,  uns  Ober 
die  Grundlagen  zu  beruhigen.  An  den  Tatsachen,  welche 
die  Fallgesetze  beschreiben  sollen,  zweifelt  ja  auch  niemand. 
Aber  deren  Übereinstimmung  mit  der  Erfahrung  ist  von 
größter  erkenntnistheoretischer  Bedeutung. 

So  ist  es  auch  in  unserem  Falle-  Und  weiters,  erst 
die  Diskussion  der  Variationen  lehrt  uns  unser  System  voll- 
ständig verstehen,  rückt  sein  Wesen  und  seine  Grenzen  ins 
Licht.  Manche  Behauptungen  über  dasselbe  wären  un- 
möglich gewesen ,  wenn  man  immer  auf  diese  Grenzen  ge- 
achtet hatte.  Doch  laßt  sich  noch  sehr  erheblich  mehr  ge- 
winnen. Das  wollen  wir  nun  an  einem  komplizierteren  Falle 
zeigen  und  so  zugleich  auch  einen  Schritt  weiter  in  unserer 
Darlegung  gehen. 

Nehmen  wir  an,  es  würden  in  einer  Volks wirtsehift 
zwei  Arten  von  Genußgateru  produziert.  Nur  zwei,  der 
Einfachheit  halber.  Beide  haben  einen  Gleich ge wich tspreis 
und  sind  in  eindeutig  bestimmter  Men^e  vorhanden.  Wir  be- 
trachten die  Preise —die  irgendwelche  Geldpreise  sein  sollen — 
als  Funktionen  der  pruduzierteu  Mengen.  Diese  Funktiones 
sind  nicht  gewöhnliche  Naclifragefunktionen,  welche  sich  aof 
einzelne  Individuen  beziehen,  sondern  Gesamtfunktion«, 
welche     allerdings     in     analoger    Weise     gewonnen     nad: 


Beispiele.  481 

0 

Wir  fragen  uns,  welches  die  Gleichgewiehtspreise  wären, 
wenn  wir  die  Menge  variieren  lassen.  Das  können  wir 
allerdings  nicht  zwischen  beliebig  weiten  Grenzen,  wie  frQher 
ausgeführt,  sondern  nur  in  verhältnismäBig  engen.  Und 
ähnlich  konstruieren  wir  fQr  verschiedene  Mengen  einer 
Eostenpreisfunktion.  „Kosten*'  soll  hier  nichts  anderes  be- 
deuten, als  die  Auslage  in  Geld,  welche  fQr  die  Produktion 
der  einzelnen  Teilmengen  zu  machen  ist.  Der  Marktpreis 
ist  dann  gegeben  durch  die  Gleichheit  des  Nachfrage-  und 
des  Eostenpreises  fbr  beide  Güter.  Als  Geld  diene  ein 
drittes  Gut,  dessen  Grenznutzen  konstant  sei  und  das,  einmal 
vorhanden,  keine  Produktionskosten  verursache.  Das  hei£t 
nichts  anderes,  als  daß  dieses  „Geld*  lediglich  ein  Wert- 
maß sein  solle.  Seine  Rolle  als  Tauschmittel,  welche 
zu  Wertänderungen  führt,  werde  durch  unsere  —  nur 
kleinen  —  Veräoderungen  nicht  tangiert. 

Nun  werde  auf  eines  der  beiden  Güter  eine  Steuer  ge- 
legt. Dieselbe  kann  verschiedener  Art  sein.  Als  Beispiel 
nehmen  wir  eine  solche  auf  die  Einheit  des  Gutes  an. 

Faßt  man  nun  beide  Güter  als  völlig  unabhängig  von- 
einander —  sowohl  nach  der  Eonsumtions- ,  wie  nach  der 
Produktionsseite  —  auf,  so  läßt  sich  bezüglich  des  be- 
steuerten dasselbe  nachweisen,  was  wir  früher  erörterten. 
Im  allgemeinen  werden  Eäufer,  wie  Verkäufer  geschädigt, 
in  welchem  Maße  hängt  von  der  Elastizität  der  beiden 
Funktionen  ab.  Doch  gibt  es  zwei  Grenzftlle  —  völlige 
Inelastizität  des  Angebots  oder  der  Nachfrage  — ,  in  denen 
die  Steuer  nur  die  Eäufer  oder  nur  die  Verkäufer  trifft. 

Diese  Theorie  kommt  der  Wirklichkeit  nur  dann  aus- 
reichend nahe,  wenn  jene  Unabhängigkeit  eine  vollständige 
ist.  Ganz  kann  das  nie  der  Fall  sein,  aber  angenähert  trifft 
es  wenigstens  dann  zu,  wenn  das  besteuerte  Gut  gegenüber 
der  Menge  des  anderen  nur  unbedeutend  ist.  Sonst 
würden  seine  Preis-  und  Mengenänderungen  immer  auch 
auf  das  andere  wirken,  auch  wenn  an  sich  der  Eonsum 
beider  keinen  Zusammenhang  hätte  und  die  Produktions- 
mittel verschiedene  wären. 

Sohuxnpeter,  Nationalökonomie.  "^V 


482  ^^®  Variationsmethode. 

Ein  naheliegender  Gedankengang  führt  zu  einer  voll- 
kommeneren Betrachtungsweise.  Die  Nachfrage,  die  jemand 
nach  einem  Gute  entfaltet,  ist  niemals  von  demselben  allein, 
sondern  von  seinem  gesamten  GenußgQtervorrate  abhängig. 
In  der  Sprache  der  psychologischen  Richtung  kann  man  das 
sehr  überzeugend  dartun,  durch  den  Hinweis  darauf,  dafi 
die  Befriedigung,  die  jemand  durch  die  Konsumtion  eines 
Gutes  erlangt,  nie  allein  von  diesem  abhängt:  Wie  man  ein 
Nahrungsmittel  schätzt,  gestaltet  sich  verschieden,  je  nach- 
dem man  noch  andere  besitzt  oder  nicht.  Am  klarsten  ist 
das  natürlich  im  Falle  komplementärer  Genufigüter :  niemand 
schätzt  Salz,  wenn  er  nichts  besitzt,  was  er  salzen  könnte 
und  es  ist  wahrscheinlich,  dafi  er  umgekehrt,  wenn  er  kein 
Salz  besitzt,  andere  Nahrungsmittel  weniger  schätzen  wird, 
wie  wenn  er  welches  besäfie,  da  sie  ihm  nun  weniger  Genuß 
gewähren.  Aber  das  trifft  ganz  allgemein  zu,  auch  über 
diesen  engeren  Kreis  hinaus:  Wer  eine  schlechte  WohnuDg 
hat,  gegen  Kälte  weniger  geschützt  ist,  wird  mehr  Nahrung 
brauchen ,  als  jemand  —  ceteris  paribus  — ,  der  sein  Woh- 
nungsbedürfnis besser  befriedigen  kann.  Einzelne  Luxus- 
artikel werden  für  den  Armen  wenig  Wert  haben  und  nur 
in  dem  zu  ihnen  stimmenden  Milieu  erwächst  ein  Bedürfnis 
danach.  Ganz  von  selbst  ergibt  sich  also,  daß  der  Preis 
eines  Gutes  nicht  Funktion  der  Menge  desselben  allein, 
sondern  aller  Güter  ist  und  diese  Auffassung,  welche 
gegenwärtig  immer  üblicher  wird,  gestattet,  alle  Wechsel- 
wirkungen der  Nachfragen  der  einzelnen  Güter  zu  begreifes. 
Freilich  würde  das  bei  einer  grofien  Anzahl  von  Güten 
kompliziert  sein  — ,  in  unserem  Falle  jedoch  geht  es  sehr 
gut.  Noch  mehr  umfaßt  diese  Betrachtungsweise,  nämlich 
auch  die  Beziehung  der  Rivalität  zwischen  Gütern  oud 
endlich  jene,  welche  unabhängig  von  air  dem  zwischen  alles 
Gütern  besteht,  insoferne  alle  Käufe  aus  einem  bestinuntei 
Einkommen  bezahlt  werden  müssen. 

Ähnliches  gilt  auf  Seite  der  Kosten.  Komplementaritit 
und  Rivalität  zwischen  den  einzelnen  Kostengütern  gibt  es 
in  analoger  Weise  auch  hier.    Jene  allgemeinere  Beziefauif 


Beispiele.  48S 

die  darin  liegt,  daß  die  Nachfrage  nach  jedem  Gute  mit  der 
nach  allen  anderen  zusammenhängt,  wirkt  allerdinga  fflr 
die  Kostengttter  nur  durch  das  Medium  der  Genufigüter; 
dafür  gibt  es  hier  noch  einige  besondere  Beziehungen.  Ein- 
mal sind  die  Produktionskoeffizienten  nicht  konstant,  viel- 
mehr innerhalb  gewisser  Grenzen  variabel  und  ein  Moment 
für  ihre  Gröfie  wird  sicher  der  Bedarf  an  Produktionsmitteln 
für  andere  Produktionen  sein.  Sodann  aber  muß  bemerkt 
werden,  dafi,  wenn  wir  alle  Produktionsmittel  reduzieren 
auf  Arbeit,  Boden  und  Werkzeuge  und  Rohstoffe,  diese  drei 
für  alle  Produkte  nötig  sind  und  ihre  Bewegung  nach  den 
einzelnen  Verwendungen  hin  sozusagen  durch  ein  einheitliches 
Niveaugesetz  beherrscht  wird,  daher,  in  dieser  Weise  be- 
trachtet, alle  Güter  miteinander  produktionsverwandt  sind, 
und  keines  unabhängig  ist.  Es  ist  ja  klar,  dafi  nicht  jedem 
Gute  seine  Quantität  an  Arbeit,  Boden  und  „ Kapital **  von 
selbst  und  ohne  Rücksicht  auf  andere  Produkte  zufliefit, 
sondern  die  Gesamtheit  der  Produktionsmittel  der  Gesamt- 
heit der  Produkte.  Wie  in  einem  Reservoire,  aus  dem 
mehrere  Röhren  führen,  die  Verteilung  der  Wassermenge 
auf  die  Röhren  nicht  nur  von  der  Dicke  jeder  einzelnen, 
sondern  auch  von  der  der  anderen  abhängt  und  ein  einheit- 
liches Niveau  dieselbe  beherrscht,  so  auch  in  unserem  Falle. 
Dieses  Niveaugesetz  ist  das  des  einheitlichen  Grenznutzens 
der  Produkte  für  jedes  Individuum  —  nicht  so  ohne  weiteres 
für  die  „Gesellschaft"  —  oder  des  normalen,  für  jedes  Pro- 
dukt einheitlichen  Preises  auf  dem  Markte.  Diese  Analyse, 
die,  ausgearbeitet,  ziemlich  tief  führt,  ist  nur  eine  Ent- 
wicklung von  früher  gesagten  Dingen  unter  einem  etwas 
anderen  Gesichtspunkte. 

Sie  ist  nicht  frei  von  Schwierigkeiten,  so  besonders  mit 
Rücksicht  auf  das  Moment  der  freien  Beweglichkeit.  Haben 
wir  aber  früher  auf  dieselben  aufmerksam  gemacht,  so 
können  wir  hier  dennoch  auf  sie  bauen.  Darin  liegt  kein 
Widerspruch.  Im  Gegenteile,  wir  wollen  den  Leser  sogar 
darauf  aufmerksam  machen,  daß  unsere  Stellung  bei  ver- 
schiedenen  Problemen  eine  verschiedene   ist   und   daß   wir 


482  1^0  VariatioDsnietbode. 

Ein  naheliegender  Gedankengang  führt  zu  einer  \oü' 
kommenereu  Betrachtungsweise.  Die  Nachfrage,  die  jenund 
nach  einem  Gute  entfaltet,  ist  niemals  von  demselben  slleiii, 
sondern  von  seinem  gesamten  Genu6gfltervorrate  abhuagig. 
In  der  Sprache  der  psychologischen  Richtung  kann  man  das 
sehr  Qberzeugend  dartun,  durch  den  Hinweis  darauf,  dafl 
die  Befriedigung,  die  jemand  durch  die  KonsumtiOD  einee 
Gutes  erlangt,  nie  allein  von  diesem  abhängt :  Wie  man  ein 
Nahrungsmittel  schätzt,  gestaltet  sich  TerschiedeD,  je  oaeh- 
dem  man  noch  andere  besitzt  oder  nicht.  Am  klarsten  ist 
das  natürlich  im  Falle  komplementärer  GenußgOter:  niemand 
schätzt  Salz,  wenn  er  nichts  besitzt,  was  er  salzen  könnte 
und  es  ist  wahrscheinlich,  daß  er  umgekehrt,  wenn  er  kein 
Salz  besitzt,  andere  Nahrungsmittel  weniger  schätzen  wird, 
wie  wenn  er  welches  besäße,  da  sie  ihm  nun  weniger  Genufi 
gewähren.  Aber  das  triiTt  ganz  allgemein  zu,  auch  über 
diesen  engeren  Kreis  hinaus:  Wer  eine  schlechte  WohouDg 
hat,  gegen  Kälte  weniger  geschützt  ist,  wird  mehr  Nahrung 
brauchen ,  als  jemand  —  ceteris  paribus  — ,  der  sein  Woh- 
nungdbedürfnis  besser  befriedigen  kann.  Einzelne  Luxus- 
artikel werden  für  deu  Armen  wenig  Wert  haben  und  nur 
in  dem  zu  ihnen  stimmenden  Milieu  erwächst  ein  Bedürfnis 
danach.  Ganz  von  selbst  ergibt  sich  also,  daß  der  Preis 
eines  Gutes  nicht  Funktion  der  Menge  desselben  allein, 
sondern  aller  Güter  ist  und  diese  Auffassung ,  welche 
gegenwärtig  immer  üblicher  wird,  gestattet,  alle  Wechsel- 
wirkungen der  Nachfragen  der  einzelneu  Güter  zu  begreifen. 
Freilich  würde  das  bei  einer  großen  Anzahl  von  Gfltero 
kompliziert  sein  — ,  in  unserem  Falle  jedoch  geht  es  sebr 
gut.  Noch  mehr  umfaßt  diese  Betrachtungsweise,  nämlich 
auch  die  Beziehung  der  Rivalität  zwischen  Gütern  uud 
endlich  jene,  welche  unabhängig  von  all'  dem  zwischen  allen 
Gutern  bestelil,  iusofeme  alle  Käufe  aus  einem  bestimmten 
Einkommen  bezahlt  werden  müssen. 

Ähnliches  gilt  auf  Seite  der  Kosten.  Koniplementariiiit 
und  Rivalität  zwischen  den  einzelueD  Kostengüteru  gibt  fe 
in  analoger  Weise  auch  hier.    Jene  allgemeinere  Beziehung 


485 

als  unabhftngig  voneinander  gedaefat  and  daher  kOnnen  die 
Werte,  welche  der  Nachfragepreia  dieses  Ootes  annimmt, 
wenn  man  x  und  y  immer  andere  and  andere  Werte  beilegt, 
auf  folgende  Weise  graphisch  veranschaulicht  werden.  In 
der  gewöhnlichen  Koordinatenebene  benat<t  man  in  be- 
kannter Weise  das  gewfthlte  x  und  jf  zur  Festlegnng  eines 
Punktes  C,  errichtet  in  demselben  ein  Perpendikel  zur 
Koordinatenebene  nnd  triLgt  auf  demselben  den  Wert  der 
Maßsahl  des  Nachfragepreises  auf,  weither  den  betreffenden 
Mengen  z  und  y  entspricht.  So  erbAlt  man  einen  Punkt  im 
Baume  D.  Bei  mehrwertigen  Funktionen  worde  man  mehr 
als  einen  Punkt  D  finden,  bei  ans  ergibt  sich  infolge  der^ 
angenommenen  Eindeutigkeit  unserer  Funktion  nur  einer 
Der  Inbegriff  aller  Lagen,  die  T 
der  Punkt  D  infolge  aller  mög- 
liehen Veränderungen  von  x 
und  y  annehmen  kann  —  sein 
geometrischer  Ort  ~  ist  eine 
Oberfläche.  i 

Eine  Änderung  des  Funk-  . 
tionswertesft^.y)  kann  auf  drei- 
erlei Weise  veranlaßt  werden : 

1.  dadurch,  daß  bei  festem  y  nur  x  Qbergebt  in  x,; 

2.  dadurch,  daß  bei  festem  x  nur  y  Qbergebt  in  yj ; 

3.  dadurch,  daß  x  und  y  gleichzeitig  in  Xi  und  yi  Ober* 


Xi  nnd  y,  sinil  dem  frOher  Gesagten  gemftfi  als  nar 
wenig  verschieden  von  x  und  y  anzunehmen  und  kOnnen 
ausgedruckt  werden  dureb  die  Gleichungen  Xi=x  +  Jx  und 
Si  =  y  +  ^  y,  wobei  J  x  und  J  y  respektive  kleine  Zuwachse 
bedeuten,  welche  natürlich  auch  negativ  sein  können. 

Demgemäß  musseu  auch  drei  verschiedene  Arten  von 
Differenzen  unterschieden  werden: 

f  («I.  y)-f  (»■  y),  f  {X,  y.)  -  f  {x,  y)  und  f  {x„  y,)  -  f  (X,  y). 
In  den  beiden  ersten  Fällen  bandelt  es  sich  um  partielle 
bifferenziationen,  im  letzten  um  eine  vollstfindige. 


4g6  Die  VuiatioiuiDethode. 

Unsere  Betrachtungsweise  des  Preises  als  Funktion 
beider  Meugeo  gestattet  uns,  die  Wirkung  jeder  St&rusgs- 
ursache,  auch  wenn  sie  unmittelbar  nur  eins  der  Güter  be- 
trifft, auf  Mengen  und  Preise  beider  zu  erfassen.  Da  sith 
ferner  die  Mengen  beider  in  unserem  Falle  ändern  werden, 
so  haben  wir  es  mit  einer  vollstfindigen  Differenziation  n 
tun.  Dasselbe  gilt  naturlich  auch  far  unsere  anderen  Funk- 
tionen, nämlich  die  andere  Nachfragepreis-  (F  [z,  yj)  und 
die  beiden  entsprechenden  Kostenpreisfunktiouen ,  die  wir 
mit  q)  (x,  y)  und  xp  (x,  y)  bezeichnen  wollen. 

Im  Gleichgewichte  nun  gelten  die  Gleichungen: 

f  (x,  y)  =  q>  {x,  y)  und 

F  (x,  y)^if  (x,  y). 

Nun  werde  dasselbe  durch  die  Auflage  einer  Steuer 
auf  die  Einheit  eines  Gutes  gestört.  Das  bewirkt  nicbis 
anderes,  als  daß  die  Kosten  dieser  Einheit  um  diesen  Betrag 
—  sei  er  a  —  erhöht  werden.  Das  ist  die  Form,  io 
der  die  exakte  Ökonomie  also  eine  solche  Steuer 
zu  erfassen  gestattet.  Es  ist  das  nnr  eine  der 
Anwendungen  immer  ein-  und  desselben  Gedankengange: 
auf  verschiedene  Probleme  oder  besser  immer  nur  eine  n«ch 
Lage  des  Falles  verschiedene  Interpretation  der  GrOBeo. 
mit  denen  er  es  zu  tun  bat. 

Stets  nur  kann  die  reine  Ökonomie  solche  Resultate  für 
Lösung  einer  konkreten  Frage  beitragen,    welche  mit  der 
Theorie  von  Angebot  und  Nachfrage  zusammenhängen,  noii 
stets  sagt  sie  im  Prinsipe  dasselbe,  mag  es  sich  nun  ob 
Steuern,  Transportkosten,  Änderungen  in  der  GrÖBe  aaderer    i 
Kostenelemente,  Zölle  oder  sonst  etwas  handeln.    Im  Gnuiiie    | 
gibt  es  keine  getrennten  reinökonomischen  Theorien  diej^r 
Dinge,  sondern  nur  eine  Theorie  der  Variationen,  die  tiiri    . 
das  umfassen  kann  und  nur  in  Nebenpunkten  je  nach  den    j 
konkreten  Daten  des  Prohlemes  verschieden  gestaltet  wird     1 

Haben  wir  diese  eine  Methode  entwickelt,  so  erfibrifi  f 
nur  noch  zu  zeigen,  wie  man  die  verschiedenen  Probleot  I 
die  uns  die  Wirklichkeit  stellt,  auffassen  und  ,stili8ieRi'    i 


Beispiele.  437 

muß,  damit  sie  in  UDser  Schema  ptiasen.  Manche  tun  das 
besser,  andere  schlechter,  bei  manchen  können  wir  ziemlich 
viel  aussagen,  bei  anderen  nur  einen  kleinen  Beitrag  leisten. 
Aber  was  bewirkt,  daS  jene  Probleme  so  verschieden  aus- 
sehen ,  was  macht ,  daß  Steuerlehre  und  Transporttheorie 
oder  internationaler  Handel  oft  ganz  verschiedene  Disziplioen 
bilden,  das  sind,  wie  noch  kurz  gezeigt  werden  wird,  außer- 
halb der  reinen  Theorie  liegende  Momente. 

Sicherlich  sind  die  Wirkungen  z.  B.  einer  Steuer  und 
eines  Zolles  ganz  verschiedene  und  zu  verschiedenen  Zwecken 
werden  beide  aufgelegt.  Das  rein  ökonomische  Wesen 
dieser  Wirkungen  ist  dasselbe.  Das  heifit  nun  natürlich 
nicht,  daß  wir  die  Unterschiede  zwischen  diesen  Gebieten 
verwischen,  ihre  getrennte  Behandlung  verurteilen  und  etwa 
ihre  Vermengung  befürworten  wollen.  Die  letztere  wäre 
sehr  unpraktisch.  Nur  um  das  Wesen ,  den  ökonomischen 
Kern  der  Sache  handelt  es  sich  hier,  nur  darum,  daß  die 
methodologischen  Unterschiede  soweit  keine  wesentlichen 
sind.  Haben  wir  das,  was  die  Ökonomie  denn  eigentlich 
leisten  kann,  in  das  rechte  Lieht  gerockt,  dann  steht  es 
uns  frei,  fQr  andere  Zwecke  diese  Wesensgleichheit  ganz 
zurncktreten  zu  lassen.  Hier  wie  überall  ist  eine  Unter- 
scheidung verschiedener  Klassen  von  Problemen  und  ver- 
schiedener Forschungszwecke  dringend  geboten  und  zum  Ver- 
fitilndnisse  unerlftßlich. 

Nun  weiter.  Durch  die  Steuer  wird  das  Gleichgewicht 
gestört  Es  muß  sich  aber,  wie  wir  früher  sahen,  ein  neuer 
Gleichgewichtszustand  herstellen;  in  demselben  werden 
wieder  Gleichungen  gelten,  die  denen,  die  wir  früher  hatten, 
analog  sind,  wiederum  muB,  wie  wir  auch  an  unserem  ein- 
fachsten Falle  sahen.  Grenzerlös  und  Grenzkosten  gleich  sein. 

Wir  legen  Wert  darauf,  uns  Schritt  für  Schritt  des 
Gedankenganges  klarzulegen  und  einzuprägen,  aber  es  muß 
wieder  betont  werden,  daß  wir  nichts  anderes  tun,  als  was 
ieder  tut  —  mehr  oder  weniger  vollkommen,  aber  prinzipiell 
jeder  —  der  sich,  sei  es  als  Forscher  oder  als  den  Inhalt 
seiner  Zeitung  diskutierender  Hausvater,  ober  wirtschaftliche 


488  Die  VariatioiMmethode. 

Verhältnisse  dieser  Art  ein  Urteil  zu  bilden  sucht  Sagt 
jemand,  daß  ein  Getreidezoll  das  Brot  verteure,  so  liegt  in 
diesem  Urteile  in  nuce  unser  ganzes  exaktes  Baisonnement 
Die  Korrekturen,  die  wir  anbringen  können,  sind  nicht  un- 
wesentlich, aber  doch  sind  nicht  sie  es,  was  wir  in  erster 
Linie  suchen,  sondern  die  wissenschaftliche  Natur  des  Ge- 
dankenganges selbst.  Der  neue  Gleichgewichtszustand,  der 
durch  solche  Gleichungen  charakterisiert  ist,  wird  andere 
Mengen  und  Preise  aufweisen.  Und  diese  wollen  wir  zu- 
nächst finden.    Die  neuen  Gleichungen  sind  einfach: 

fi^iy  Vi)  =  q>  ip^u  Vi)  +  ö  und 

oder  in  anderer  Form  entsprechend  unseren  Definitionen 
von  Xi  und  y,: 

f(x  +  Jx,y  +  Jy)  =  q>{x  +  Jx,y  +  Jy)  +  a  und 
F(x  +  Jx,y  +  Jy)  =  \lf(x  +  Jx,y  +  Jy). 

was  ohne  weiteres  verständlich  ist.  Uns  interessieren  nun 
besonders  die  J  x  und  J  y,  in  denen  sich  die  YeränderuDg 
den  Mengen  ausdrückt,  und  zwar  nicht  so  sehr  ihre  GrOfiea 
—  da  beide  jedenfalls  klein  sind  —  als  ihre  Vorzeichen  und 
dann  der  Preis.  So  wie  die  Gleichungen  sind,  würden  sie 
uns  nicht  viel  mehr  geben,  als  die  gewöhnliche  Diskussioo 
erzielen  kann.  Hier  gibt  uns  aber  die  höhere  Mathematik 
in  der  Entwicklung  durch  die  Taylorsche  Reihe  ein  Mittel 
zu  einer  wichtigen  Umformung  an  die  Hand.  Diese  Ent- 
wicklung stellt  einen  angenäherten  Wert  dar  und  es 
muß  stets  nachgewiesen  werden,  daß  die  Diflferenz  gegenOber 
dem  genauen  —  das  „Restglied"  —  ohne  zu  großen  Fehler 
vernachlässigt  werden  kann.  Wir  brauchen  aber  eine  solche 
Untersuchung  hier  nicht  zu  führen.  Denn  schon  J  x  und 
J  y  sind  klein  im  Verhältnisse  zu  x  und  y,  noch  kleiner 
also  ihre  höheren  Potenzen  und  deshalb  wollen  wir  dieselben 
vernachlässigen,  wobei  die  Untersuchung  des  Restgliedes  tob 
selbst  entfällt.    So  vereinfacht  lautet  die  eine  Entwicklung 


uod  ganz  analog  die  andere.  Wir  kfinnen  nun  weitere  Ver- 
einfachungen Tornehmea.  Vor  allem  wissen  wir  aus  der 
Gleichung,  die  den  alten  Qleiebgewichtszustand  charak- 
terisierte 

f  («,  y)  =  9  (=^.  y). 

daß  wir  diese  beiden  Glieder  wegstreichen  können.  Tut 
man  das  and  stellt  man  außerdem  die  Glieder  zweckm&ßig, 
so  hat  man: 

""l     dx  3x      \~       iy  9y       ■*"**' 

Ein  ganz  ebensolcher  Ausdruck  —  nur  natOrlich  ohne  das 
Glied  » -I-  a"  —  ergibt  sich  fOr  die  zweite  Gleichung. 

So  haben  wir  zwei  Gleichungen  zwiechen  Jx  und  Jjf 
und  es  bandelt  sich  nun  darum,  zu  sehen,  was  die  Qbrigen 
Glieder  derselben  -~  aufler  „+  a'  —  bedeuten.  Sehr  ele- 
mentar ist,  was  wir  da  sagen.  Aber  es  handelt  sich  nur 
darum,  dem  Nichtmathematiker  einen  einfachen  Fall  so  klar 
als  möglich  zu  machen.  Es  ist  das  bisher  nie  geschehen. 
Und  doch  kann  nur  so  ein  weiterer  Kreis  für  diese  Methode 
gewonnen  werden,  wie  es  uns  im  Interesse  des  wissenschaft- 
lichen Fortschrittes  wünschenswert  erscheint.  Freilich  kann 
demjenigen,  dem  die  höhere  Mathematik  ganz  ferne  steht, 
auch  das  Gesagte  noch  nicht  vOlHg  klar  sein.  Aber  doch 
erhftlt  er  ein  tmgefähres  Bild  von  dem,  was  der  mathe< 
matische  Ökonom  tut  und  ein  Nachschlagen  in  einem  Kod- 
versationslexikon  würde  voUstAndiges  Verstehen  dieses  ein- 
fachen Falles  ermöglichen.  Wir  glauben  sogar,  dafi  eine 
solche  Darlegung  bei  dem  gegenwärtigen  Stande  der  Dinge 
manchem  ernsten  Freunde  der  Theorie  willkommen  sein 
wird  und  halten  uns  so  für  ihren  elementaren  Charakter 
entschuldigt 


490  ^^®  Variationsmethode. 

Fahren  wir  also  fort:   Die  beiden   AusdrQcke   in  der 

Klammer,  was  bedeuten  sie?      \^  gibt  ein  Yerhäitnis 

und  zwar  das  Verhältnis  der  Veränderung  des  Preises  zu 
der  Veränderung  der  Menge  des  einen  der  Güter,  deren 
Folge  die  erstere  ist.  Wenn  die  Menge  des  Gutes  um  9  x 
zunimmt,  so  ändert  sich  der  Preis  um  ^f(x,y).  Aber  wie, 
nimmt  auch  er  zu  oder  nimmt  er  ab?  Das  lehrt  uns  die 
Gestalt  der  Kurve  f  (x^  y) :  Nimmt  die  Menge  zu,  so  nimmt 
der  Preis  ab.    Es  liegt  „Ungleichändrigkeit''  vor,  und  der 

Quotient     '^  '  ^^  ist  daher  negativ:  Ergibt  uns  die  Rate 

der  Abnahme  des  Preises  bei  zunehmender  Menge  oder  die 
Elastizität  jener  Funktion,  populär  ausgedrückt,  die 
Empfindlichkeit  des  Preises  gegenüber  einer  Zunahme  des 
Angebotes. 

Dasselbe  gilt,  wie  man  leicht  sieht,  mutatis  mutandis 

für  den  Ausdruck     ^}  '^  ,    den   wir    als   die   Elastizität 

dy     ? 

der  Kostenpreiskurve  interpretieren.  Hier  aber  ergibt  sich 
eine  wichtige  Bemerkung:  Die  Elastizität  dieser  Kurve 
heißt  nichts  anderes  als  die  Rate  der  Zunahme  des  Kosten- 
Preises  und  dieses  wiederum  heifit  nichts  anderes,  als  das 
Gesetz  vom  abnehmenden  Ertrage,  dessen  exakten  Ausdruck 
wir  also  hier  gefunden  haben. 

Dabei  ist  es  wiederum  interessant  zu  sehen,  daß  es  for 
denselben  und  das  Operieren  damit  —  an  dieser  Stelle 
und  soweit  —  ganz  gleichgültig  ist,  ob  wir  dabei  an  das 
physische  Gesetz  der  Klassiker  oder  an  die  Kosten  als 
Werterscheinung  denken  und  wir  verstehen  so,  daß 
auch  das  erstere  sich  als  ein  bis  zu  einem  gewissen  Um- 
stände brauchbares  Instrument  erweisen  konnte.  Wir 
haben  uns  bekanntlich  für  die  letztere  Eventualität  ent- 
schieden. 

Und  noch  etwas:  Integrieren  «rir  unsere  Funktion 
(f  (Xy  y) ,  so  erhalten  wir  eine  andere ,  sei  sie  0  (t,  y) ,  die 
eine  Kurve  gibt,  deren  Ordinaten  uns  die  Gesamtkosten  der 


Beispiele.  491 

durch  die  Abszissen  gegebenen  Mengen  veranschaulichen,  und 
diese  Kurve  ist  gar  nichts  anderes  als  das  Bild  des  Gesetzes 
vom  abnehmenden  Ertrage  in  der  Form,  in  der  es  üblicher- 
weise erscheint:  Siezeigtuns,  daß  der  Gesamtaufwand  — 
wiederum:  einerlei,  soweit,  aus  welcher  Ursache  —  übcr- 
proportional  steigt,  wie  uns  das  seit  Ricardo,  oder  schon 
länger,  immer  wieder  mit  vielen  Worten  und  Zahlenbeispielen, 
besonders  in  Tabellenform,  umständlich   klar  gemacht  wird. 

Unser      '  ^  '  ^     erscheint  jetzt  in  der  Form    — ^a—  - 

und  hier  haben  wir  den  Ausdruck  fttr  den  Inhalt  jener  Dar- 
stellungen.   Das  nur  nebenbei. 

Ähnlich  können  wir  auch  f  (x^  y)  integrieren.  Diese 
Integralkurve,  sei  sie  J^  (rr,  i/),  würde  analog  den  „Gesamt- 
nutzen''   der    durch    die    Abszissen   versinnlichten    Mengen 

geben    und    deren    zweiter    Differenzialquotient    g,    '  ^ 

würde  dann  das  Maß  der  Abnahme  des  Grenznutzens  geben, 
so  daß  das  Gossensche  Gesetz  und  das  Gesetz  von  den 
steigenden  Kosten  völlig  koordiniert  wären,  freilich  nur 
formal.  Im  Wesen  sind  sie  eins,  wenn  man  auch  das 
letztere  als  Wertgesetz  auffaßt  —  dann  liegt  keine  Koordi- 
nation sondern  eben  nur  ein  Gesetz  vor.  Sonst  allerdings 
sind  beide  Gesetze  koordiniert.  Cf.  Auspitz'  und 
Liebens  Betrachtungsweise ^  Aber  um  diese  Begriffe 
„ Gesamtnutzen '^  und  „Gesamtkosten''  liegen  viele  Schwierig- 
keiten, auf  die  wir  hier  nicht  eingehen  können. 

Was  aber  bedeuten  -9^^^  und  ^-^^'-^h  Wie  leicht 

5y  ^y 

ersichtlich  bringen  sie  zum  Ausdrucke,  wie  Kosten-  und 
Nachfragepreis  des  ersten  Gutes  sich  ändern,  wenn  die 
Menge  des  zweiten  sich  ändert,  also  die  Bäte  der  Zu-  und 
Abnahme  von  Kosten-  und  Nachfragepreis,  seine  Elastizität, 
in  bezug  auf  die  Menge  des  anderen  Gutes.  In  diesen 
beiden  Gliedern  liegt  also   das   Moment   der   Beziehungen 


^  UntersuchuDgen  über  die  Theorie  des  Preises. 


swisebes   ArngtHtoi  md  Nadifirmge   der  b^en  Güter  em- 

getehkwsen,   also   KoBplemeiitantilt,    BiTmüttt    und    aicii 

jeae  aHgenene  Bezielmiig,  welebe  8o  gut  wie  immer  besteht 

Maebea    wir   uns  wieder  die  Betracbtiuigsweiae    ler- 

3*  0  ix  «) 
mittelst  Ton  Integralkimreii  zu  eigen,  so  ergibt  sieb  — ■= — ^-^-^ 

UDd   — -^ — \       '    Wie   man   sieht,   sind  diese   Ansdrftcke 
dxdy 

zweidimeosionaL  Sie  stellen  die  Rate  der  Variation  der 
Integralfnnktionen  in  bezng  auf  die  der  Mengen  beider  Güter 
dar.  Wieder  kann  nor  im  Vorbeigehen  bemerkt  werdoi, 
da6  derartige  Ausdrücke  v.  Boehm-Bawerk's  .dritten  Grund' 
und  das  VariatioDSgesetz  der  Amerikaner  kurz  und  klar 
zum  Ausdrucke  bringen,  ohne  Tabellen,  Zahlenbeispiele  und 
lange  Erörterungen. 

Liegt  nun  eine  solche  Rate  nicht  vor,  d.  h.,  ist  Kach- 
frage- oder  Kostenpreis  —  oder  beide  —  des  einen  Gutes 
unempfindlich  gegen  Veränderungen  der  Menge  des  anderen, 
so  werden  unsere  Ausdrücke  —  als  DifFerenzialquotienten 
von  Konstanten  —  za  Null  und  wir  haben  dann  unsere 
Gleichung  in  der  Form: 


{_    ^x  dx     \ 


Damit  nun  sind  wir  bei  der  Diskussion  unserer  Gleichungen 
angelangt,  welche  die  Art  darstellt,  wie  wir  aus 
denselben  konkrete  Resultate  gewinnen.  Und  damit 
haben  wir  dann  die  Darstellung  unserer  Methode  vollendet : 
Sind  unsere  Gleichungen  sowohl  für  den  alten  wie  für  den 
neuen  Gleichgewichtszustand  aufgestellt  und  ihre  Glieder 
gedeutet,  dann  erübrigt  nur  noch,  uns  dessen,  was  wir  über 
sie  wissen  und  was  sich  aus  unseren  Grundannahmen  ergibt, 
zu  erinnern,  und  dieses  Deuten  der  einzelnen  Größen  und 
dieses  Untersuchen  der  relativen  Bedeutung,  ihrer  Vor- 
zeichen usw.  gibt  uns  in  exakter  und  einwand- 
*  eier  Form  alles  Reinökonomische  an  der  Sache. 
Betrachten  wir  einige  einfache  Fälle:  Sind  in   unserer 


Beispielew  493 

letzten  Gleichung  auch  die  Kosten  unelastisch,  d.  h.  kon- 
stant, so  wird      \    '  ^^  zu  Null  und  wir  haben  das  Resultat : 

d  X 

c  X 

was  nichts  anderes  heißt,  als  daß  in  diesem  Falle  die  Steuer 
ganz  auf  den  «Käufer''  fällt:  Es  steigt  der  Preis  um  den 
ganzen  Steuerbetrag.  Damit  ist  allerdings  die  Wirkung 
der  Steuer  nicht  erschöpft.  Zu  diesem  höheren  Preise  wird 
weniger  abgesetzt,  so  daß  der  „Verkäufer''  ebenfalls  zu 
Schaden  kommt.  Aber  an  den  dennoch  abgesetzten  Mengen 
verliert  er  nichts.  Die  exakte  Methode  hilft  uns  hier  zwei 
verschiedene  Arten  von  Wirkungen  auseinanderzuhalten, 
nämlich  Überwälzung  und  Konsumeinschränkung. 
Dieselben  werden  in  der  gewöhnlichen  Diskussion  nur  allzuoft 
—  wenn  auch  nicht  immer  —  konfundiert,  und  so  wird  ein 
klarer  Einblick  in  die  Vorgänge  der  Wirklichkeit  durch 
unsere  Methode  wesentlich  erleichtert.  Solche  Konfün- 
dierungen  finden  wir  in  der  Literatur  eine  ganze  Reihe. 
Namentlich  werden  unmittelbare  and  fernere,  statische  und 
dynamische  Wirkungen  nicht  hinlänglich  auseinandergehalten. 
Dasselbe  gilt  natürlich  bei  Inelastizität  der  Nachfrage. 
Seien  nun  Nachfrage  und  Angebot  inelastisch.  Da  versagt, 
wie  ersichtlich,  unsere  Gleichung.  Das  heißt  nichts  anderes, 
als  daß  es  eine  eindeutige  Lösung  nicht  gibt.  Es  ist  nicht 
schwer  sich  klarzumachen,  warum  das  so  ist  Inelastizität 
der  Nachfrage  bedeutet,  daß  ohne  Rücksicht  auf  den  Preis 
eine  bestimmte  Menge  eines  Gutes  verlangt  wird,  ein  Fall 
der  innerhalb  hinlänglich  weiter  Grenzen  z.  B.  bei  gewissen 
Luxusartikeln  vorkommt.  Wäre  nun  auch  die  Angebots- 
funktion eines  solchen  Gutes  konstant,  so  ließe  sich  vom 
Standpunkte  der  Theorie  über  die  Wirkung  einer  Steuer 
nichts  sagen.  Dieselbe  hinge  von  dem  Resultate  eines 
„Preiskampfes**  ab,  der  nicht  an  ihre  Gesetze  gebunden 
wäre.  In  der  „Praxis",  wo  so  oft  —  oder  meist  —  nicht 
strenge  bis  zur  ökonomischen  Grenze  produziert  wird  und 


494  ^®  Variationsmethode. 

unsere  FunktioneD  nicht  so  glatt  verwirklicht  sind,  kommt 
dieser  Fall   öfter   vor,    als    man    bei   Betrachtung    seiner 
theoretischen  Voraussetzungen  glauben  sollte,  und  es  mag 
hierin  einer  der  Gründe  dafür  liegen,   daß  das  theoretische 
Bild  bei   Steuerproblemen  oft  so  sehr  von  den   Tatsachen 
absticht.    Ja,  man  mag  im  Zweifel  darüber  sein,  ob  man 
jemals  —  und  namentlich  beim  Detailhandel  —  die  Vor- 
gänge mit  theoretischen  Mitteln  ausreichend  erfassen  kann 
und  ob  der  „Praktiker*"  nicht  ganz  im  Rechte  ist,  sich  wenig 
um  dieselben  zu  bemühen.    Wie  eine  Steuer  z.  B.  auf  Luxus- 
pferde  oder  -hunde  oder  gewisse  Sorten  von  manchen  Genoß- 
mittein,  z.  B.  Zigarren,  wirkt,  ist  durchaus  zweifelhaft 
Vielleicht  wird  sie  in  aller  Regel  vom  „Konsumenten*  ge- 
tragen, auch  wenn  man  das  nach  der  Theorie  nicht  erwarten 
sollte.    Dabei  ist  es  dann  wichtig,  daß  sie  von  demselben 
mit  Rücksicht   auf  seine  meist  bedeutende  Kaufkraft  gar 
nicht  sehr  gefühlt  wird.    In  diesen  Umständen   liegt  eine 
Besonderheit  der  sog.  Luxussteuern,  die  denselben,    ganz 
abgesehen  von  sozialen  und  politischen  Momenten,  eine  be- 
sondere Stellung  anweist.   Allerdings  kommen  da  auch  andere 
Umstände  in   Betracht,   so  das  Fehlen  völlig  freier   Kon- 
kurrenz bei   manchen  Luxusartikeln  —  man  denke   daran, 
daß   hier  oft  der  Ruf  einer  Firma  eine  noch  größere  Rolle 
spielt  als  sonst:  ein  Schmuckgegenstand,  der  aus  dem  Laden 
eines  kleinen  Goldschmiedes  stammt,  kann  auch  bei  sonst 
gleicher    Beschaffenheit    zu    Geschenkzwecken    wesentlich 
weniger  geeignet  sein,   als  ein  solcher,  dessen    Etui  den 
Namen  einer  der  großen  und  fashionablen  Firmen  trägt  — 
aber  es  ist  wichtig,   darauf  hinzuweisen,  daß,  abgesehen 
davon   schon  manche  Erscheinungen  der  theoretischen  Er- 
fassung  entschlüpfen  können.    Doch  wollen  wir  diesen  Ge- 
dankengang nicht  weiter  verfolgen,  da  wir  ja  keine  voll- 
ständige Steuertheorie  zu  geben  beabsichtigen.    Sei  es  genujz. 
darauf  hingewiesen  zu   haben,  daß  unsere  Methode  selbst 
dort,   wo  sie  versagt,  uns  wertvolle  Dienste  leistet,  da  sie 
den   betreffenden  Punkt  scharf  heraushebt   und   uns  so  die 
"Stelle  zeigt,  wo  eine  andere  Betrachtung  als  die  ökonomische 


Beispiele.  495 

einzusetzen  hat,  während  man  ohne  sie  über  solche  Lücken 
leicht  hinweggleitet. 

Das  Gesagte  läßt  sich  auch  geometrisch  darstellen,  wobei 
es  zweckmäßig  ist,  um  eine  Darstellung  in  der  Ebene  zu 
ermöglichen,  den  Preis  und  die  Kosten  wieder  nur  als  Funk- 
tionen der  Menge  eines  Gutes  zu  l>etrachten. 

Etwas  aber,  worin  unsere  vollkommenere  Betrachtungs- 
weise zu  einem  wichtigen  neuen  Resultate  führt,  ist  das 
folgende.  Im  allgemeinen,  und  spezielle  Fälle  ausgenommen, 
kann  man  sagen ,  daß  der  Preis  einer  Ware  nicht  um  den 
vollen  Betrag  einer  auf  dasselbe  gelegten  Steuer  steigen 
kann.  Wie  wichtig  der  Nachweis  für  dieses  Resultat  ist, 
dessen  wird  man  sich  so  recht  bewußt,  wenn  man  die 
populäre,  aber  auch  einen  Teil  der  wissenschaftlichen, 
namentlich  aber  jene  Diskussion  überblickt,  welche  in  der 
Mitte  zwischen  beiden  steht :  Ich  denke  da  an  das  Material 
und  die  Argumentationen  von  Enqueten,  Kommissions- 
berichten, Parlamentsreports  usw. 

Jenes  Resultat  ergibt  sich  ohne  weiteres  aus  unserer 
vereinfachten  Gleichung,  wenn  wir  sie  in  die  Form  bringen 

J  X ^- —  =^a-\-  Jx  — V- — » 

ä  X  o  X 

in  der  auch  die  Momente,  von  denen  die  Verteilung  der 
Steuerlast  abhängt,  so  prägnant  und  konzise  zum  Ausdrucke 
kommen,  daß  auch  vom  Gegner  der  Theorie,  der  ja  doch 
mit  wesentlich  denselben  Gedanken  arbeiten 
muß,  eine  gewisse  Anerkennung  erwartet  werden  darf. 

Aber  eine  wichtige  Ausnahme  von  dieser  Regel  lehrt 
uns  die  vollständigere  Form  der  Gleichung  in  der  Form: 

d  X  d  X  d  y  d  y 

Die  linke  Seite  bedeutet  den  Preiszuwachs  und  ist  positiv, 

da   sowohl  J  x  als  auch  —2—-  essentiell  negative  Größen 

9  ab- 
sind.   Derselbe  ist  gleich   dem  Steuerbetrage  a  modifiziert 


496  ^®  YaiuitioiiflBietliode. 

durch  drei  Glieder.    J x-     ^^  ^  ^^  ist   nM;ati7,   weil  der 

a  X 

zweite  Faktor  dieses  Ansdrockes  essentiell  positiv  ist,  iiBd 
drückt  eben  die  oben  vorgeführte  Wahrheit  ans,  dafi  die 
Steuer  nicht  um  ihren  ganzen  Betrag  den  Preis  erhöhe, 
sowie  das  Moment,  welches  bestimmt,  wieviel  v<m  der  Steuer 
nicht  im  Preise  erscheinen  werde.  Das  n&chste  Glied  ist 
essentiell  negativ,  hat  aber  auch  ein  negatives  Voneichen, 
sodaß  das  durch  dasselbe  ausgedrückte  Moment  darauf  hin- 
wirkt, den  Preis  zu  erhöhen  und  dem  durch  das  zweite  aus- 
gedrückten entgegenarbeitet.  Und  dasselbe  gilt  von  d«n 
letzten  Gliede,  das  essentiell  positiv  und  mit  positiven  Vor- 
zeichen versehen  ist  Das  schliefiliche  Resultat  hftngt  also 
von  der  relativen  Gröfie  einerseits  des  zweiten  und  anderer- 
seits der  Summe  des  dritten  und  vierten  Gliedes  der  rechten 
Seite  unserer  Gleichung  ab.  Darüber  können  wir  nichts 
allgemeines  sagen,  und  so  ist  die  Möglichkeit  dargetan  — 
und  der  Grund  für  ihr  Bestehen  nachgewiesen  — ,  daß  eine 
Steuer  auf  eine  mit  einer  anderen  in  jenen  Beziehungen 
stehende  Ware  den  Preis  derselben  um  mehr  als  den  Steuer- 
betrag erhöhen  kann.  Und  zwar  hängt  das  —  rufen  wir 
uns  die  Bedeutung  unserer  Ausdrücke  ins  Gedächtnis  zurück  — 
ab  von  der  Rate  der  Zunahme  der  Kosten  mit  steigender 
Produktionsmenge  und  von  dem  Maße  der  Beziehungen 
zwischen  beiden  Waren. 

Dieses  Resultat  ist  nun  sehr  wichtig.  Nicht  als  ob  die 
Tatsache,  daß  eine  Steuer  aufsein  Produkt  einem  Produzenten 
einen  positiven  Vorteil  gewähren  kann,  neu  wäre.  Jeder 
Hausfrau  ist  das  bekannt.  Aber  man  wird  das  stets  ent- 
weder auf  eine  monopolartige  Stellung  des  Produzenten  oder 
auf  sonst  einen  Defekt  im  Mechanismus  der  freien  Kon- 
kurrenz oder  auf  das  „Gesetz  vom  zunehmenden  Ertrage* 
zurückzuführen  geneigt  sein.  Tatsächlich  kann  jedes  dieser 
Momente  wirksam  sein,  auch  geben  wir  zu,  daß  dieselben 
weit  häufiger  und  praktisch  wichtiger  sind,  als  das  in  Rede 
stehende,  und  es  ist  stets  quaestio  facti,  was  jedesmal  diese 
Erscheinung  hervorruft.    Aber  das  für  uns  Wichtige  an  der 


Beispiele.  497 

Sache  ist,  daß  auch  vom  Standpunkte  der  reinen  Theorie 
sich  eine  solche  Möglichkeit  ergibt 

Das  ist  ein  Resultat,  dem  kaum  Selbstverständlichkeit 
vorgeworfen  werden  kann.  Ich  glaube  nicht,  daß  man  es 
ohne  unsere  Methode  zu  finden  und  zu  begründen  vermag. 
So  haben  wir  hier  einen  Fall,  in  welchem  uns  die  Mathematik 
etwas  lehrt,  was  wir  anders  nicht  erfahren  können.  Speziell 
die  Bedeutung  der  Komplementarität  und  Rivalität  in  diesem 
Zusammenhange  wurde  durch  sie  erst  entdeckt  und  ließe 
sich  schwer  ohne  sie  dartun. 

Wir  müssen  es  uns  versagen,  näher  auf  diese  Dinge 
einzugehen,  was  uns  weit  über  den  Rahmen  unserer  Aufgabe 
hinausführen  würde.  Vielleicht  reicht  schon  das  Gesagte 
aus,  dem  Leser  zu  zeigen,  daß  hier  ein  fruchtbares  Gebiet 
liegt,  dessen  Bearbeitung  erst  in  den  Anfängen  steht,  und 
daß  es  den  Fortschritt  der  Wissenschaft  nicht  fördert,  ganz 
achtlos  oder  mit  kurzer  Ablehnung  daran  vorüberzugehen. 
Ich  glaube  gezeigt  zu  haben,  daß  die  Variationsmethode  in 
der  Tat  der  einzige  Weg,  das  einzige  Mittel  ist,  den  rein- 
ökonomischen Momenten  alles  das  abzugewinnen,  was  sie 
bieten  können  und  eine  ernste  Mahnung  folgt  daraus,  sich 
mit  der  höheren  Mathematik  vertraut  zu  machen.  Sonst 
könnte  es  geschehen,  daß  der  Fortschritt  der  ökonomischen 
Theorie  völlig  stockt  und  dieses  Gebiet  unfruchtbar  erscheint 
lediglich  durch  Verschulden  seiner  Vertreter. 

Der  Fall  des  Monopoles,  der  schon  von  Gournot  in 
im  Ganzen  klassischer  Weise  behandelt  wurde,  bietet  sich 
besonders  einer  mathematischen  Behandlung  dar,  welche 
durch  Proff.  Edgeworth  und  Marshall  einen  hohen  Grad  der 
Vollendung  erhalten  hat.  Die  Besteuerung  von  Monopol- 
gewinnen hat  gerade  heute  aus  bekannten  Gründen  ein  be- 
sonderes Interesse.  Und  doch,  so  eifrig  die  Frage  diskutiert 
wird,  kann  man  sagen,  daß  man  sich  im  allgemeinen  auch 
über  die  Elemente  der  Sache  nicht  im  Klaren  ist.  So  be- 
hauptet eine  populäre  Theorie,  daß  jede  Steuer  auf  ein 
Monopolgut  nur  den  Monopolisten  treffen  könne.  In  der 
Tat,  was  scheint  klarer,  als  daß  der  Monopolist,  der  den 

Schnmpeter,  Nationalökonomie.  32 


498  ^'®  Yariationsmethode. 

Preis  80  atigestellt  hat,  daß  sein  Gewinn  ein  Maximum  ist, 
auch  nach  Auflage  der  Steuer  keinen  Vorteil  durch  Änderung 
desselben  erreichen  kann,  mithin  die  Steuer  zu  tragen  haben 
wird.  Dennoch  ist  das  nicht  allgemein  wahr;  und  wenn 
ich  an  den  mathematischen  Beweis  der  entgegengesetzten 
Möglichkeit  denke,  so  kann  ich  mir  nicht  vorstellen,  wie 
man  die  letztere  ohne  Hilfe  der  höheren  Analyse  klarmachen 
sollte.  Wie  aktuell  ist  aber  dieses  Problem  z.  B.  mit  Rück- 
eicht auf  die  über  manche  amerikanischen  Trusts  verhängten 
Strafen,  welche  ja  hierher  gehören!  Übrigens  auch  der 
Nachweis,  daß  und  warum  in  der  Regel  eine  solche  Steuer 
auf  den  Monopolisten  fällt,  ist  nicht  so  einfach  und  seine 
exakte  Form  nicht  ohne  Interesse.  Ebenso  wichtig  ist  der 
Fall  der  beschränkten  Konkurrenz,  vielleicht  sogar  noch 
wichtiger.  Wir  müssen  es  uns  jedoch  versagen,  darauf  ein- 
zugehen. Ich  hielt  es  für  besser,  mich  bei  der  Vorführung 
eines  exakten  Gedankenganges  und  bei  den  allgemeinen 
Grundsätzen  unserer  Methode  länger  aufzuhalten  und  habe 
nun  für  Weiteres  im  Rahmen  dieser  Arbeit  keinen  Raum 
mehr. 

Was  für  eine  Steuer  gilt,  bewährt  sich  in  ganz  analoger 
Weise  auch  für  eine  Prämie;  eine  einfache  Änderung  von 
Vorzeichen  gestattet  uns,  wie  man  leicht  sieht,  unseren 
Gedankengang  auch  auf  diesen  Fall  auszudehnen. 

Aber  wir  dürfen  nicht  vergessen,  welchen  Einschrän- 
kungen unser  Resultat  unterworfen  ist,  vor  allem,  daß  es 
nur  für  kleine  Steuern  und  kurze  Perioden  gilt.  Be- 
züglich der  ersteren  Einschränkung  hat  Coumot  empfohlen, 
eine  große  Steuer  in  kleine  Teile  zu  zerlegen  und  so  suk- 
zessive auch  für  sie  nachzuweisen,  was  zunächst  nur  für 
jeden  einzelnen  der  letzteren  gilt.  Dieses  Hilfsmittel  räumt 
diese  Schwierigkeit  nicht  hinweg  und  umgeht  sie  auch  nicht. 
Denn  es  ermöglicht  uns  nicht,  die  Wirkung  einer  größeren 
Steuer,  die  ja  immer  auf  einmal  aufgelegt  wird,  zu  erfassen. 
Es  setzt  voraus,  daß  eine  kleine  Steuer  aufgelegt  und  so- 
zusagen absorbiert  wird  und  erst,  wenn  das  Gleichgewicht 
wieder  hergestellt  ist,  die  Auflage  einer  ähnlichen,  ebenso- 


Beispiele.  499 

kleinen  erfolgt.  Da  es  klar  ist,  daß  die  Wirkung  eines 
solchen  Vorganges  eine  ganz  andere  sein  müßte,  als  die 
Auflage  der  Steuer  auf  einmal,  da  femer,  wie  früher  aus- 
geführt, ein  tieferer  Eingriff  in  den  Gleichgewichtszustand 
denselben  fundamental  ändern  und  Erscheinungen  hervor- 
rufen würde,  die  mit  den  Mitteln  der  Statik  und  vielleicht 
der  Ökonomie  überhaupt  nicht  dargestellt  werden  können, 
so  müssen  wir  auf  diese  Ausdehnung  unserer  Methode  ver- 
zichten. Dafi  wir  dadurch  ja  nicht  strikte  auf  das  „Un- 
endlichkleine"  beschränkt  werden,  wurde  ebenfalls  bereits 
hervorgehoben,  aber  es  wird  immer  Frage  des  einzelnen 
Falles  sein,  ob  unsere  Methode  etwas  und  wieviel  sie  für 
ihn  leisten  kann. 

Dasselbe  gilt  von  der  Länge  der  betrachteten  Zeit- 
periode. Prinzipiell  können  wir  nur  kurze  Perioden  be- 
trachten. Freilich  würde  manche  Voraussetzung,  wie  z.  B. 
freie  Beweglichkeit  der  Produktionsfaktoren  im  Unter- 
suchungsgebiete besser  auf  längere  passen.  Aber  trotzdem 
ist  es  uns  im  allgemeinen  nicht  möglich,  über  solche  ohne 
Weiteres  zu  urteilen.  Das  wäre  nun  sehr  schlimm.  Manche 
Steuern,  z.  B.  eine  Häusersteuer,  können  nur  einen  Teil 
ihrer  Wirkungen  sofort  äußern.  Weitere  Wirkungen,  die 
etwa  vom  Übergange  des  Kapitales  in  andere  Produktions- 
zweige und  von  der  Einschränkung  oder  Ausdehnung  des 
Angebotes  an  Häusern  abhängen,  würden  sich  unserer  Be- 
trachtung entziehen.  Und  in  der  Tat  sehen  wir,  daß  in 
Diskussionen  über  die  Häusersteuer  regelmäßig  ein  dyna- 
misches Moment,  nämlich  Zunahme  der  Nachfrage  infolge 
Vermehrung  der  Bevölkerung  hineingezogen  wird.  Nicht 
ohne  Berechtigung  sicherlich.  Man  kann  dasselbe  bei  Be- 
urteilung dieser  Frage  unmöglich  außer  Acht  lassen.  Aber 
das  führt  zu  einer  Unklarheit  bezüglich  der  theoretischen 
Grundlagen,  welche  in  allen  Erörterungen  darüber  deutlich 
nachweisbar  ist.  Außerdem  würde  unsere  Methode  un- 
anwendbar. 

Aber  es  steht  nicht  ganz  so.  Perioden,  welche  lang 
genug   sind,   um   uns   alle  reinwirtschaftlichen   Wirkungen 


498  ^^®  Yariationamethode. 

Preis  80  angestellt  hat,  dafi  sein  Gewinn  ein  Maximum  ist 
auch  nach  Auflage  der  Steuer  keinen  Vorteil  durch  Änderung 
desselben  erreichen  kann,  mithin  die  Steuer  zu  tragen  haben 
wird.  Dennoch  ist  das  nicht  allgemein  wahr;  und  wenn 
ich  an  den  mathematischen  Beweis  der  entgegengesetzten 
Möglichkeit  denke,  so  kann  ich  mir  nicht  vorstellen,  wie 
man  die  letztere  ohne  Hilfe  der  höheren  Analyse  klannaehen 
sollte.  Wie  aktuell  ist  aber  dieses  Problem  z.  B.  mit  Rück- 
gicht auf  die  über  manche  amerikanischen  Trusts  verhängten 
Strafen,  welche  ja  hierher  gehören!  Übrigens  auch  der 
Nachweis,  dafi  und  warum  in  der  Regel  eine  solche  Steuer 
auf  den  Monopolisten  fällt,  ist  nicht  so  einfach  und  seine 
exakte  Form  nicht  ohne  Interesse.  Ebenso  wichtig  ist  der 
Fall  der  beschrankten  Konkurrenz,  vielleicht  sogar  noch 
wichtiger.  Wir  müssen  es  uns  jedoch  versagen,  darauf  ein- 
zugehen. Ich  hielt  es  für  besser,  mich  bei  der  Vorführung 
eines  exakten  Gedankeu ganges  und  bei  den  allgemeinen 
Grundsätzen  unserer  Methode  länger  aufzuhalten  und  habe 
nun  für  Weiteres  im  Rahmen  dieser  Arbeit  keinen  Raum 
mehr. 

Was  für  eine  Steuer  gilt,  bewährt  sich  in  ganz  analoger 
Weise  auch  für  eine  Prämie;  eine  einfache  Änderung  von 
Vorzeichen  gestattet  uns,  wie  man  leicht  sieht,  unseren 
Gedankengang  auch  auf  diesen  Fall  auszudehnen. 

Aber  wir  dürfen  nicht  vergessen,  welchen  Einschrän- 
kungen unser  Resultat  unterworfen  ist,  vor  allem,  dafi  es 
nur  für  kleine  Steuern  und  kurze  Perioden  gilt.  Be- 
züglich der  ersteren  Einschränkung  hat  Coumot  empfohlen, 
eine  grofie  Steuer  in  kleine  Teile  zu  zerlegen  und  so  suk- 
zessive auch  für  sie  nachzuweisen,  was  zunächst  nur  für 
jeden  einzelnen  der  letzteren  gilt.  Dieses  Hilfsmittel  räumt 
diese  Schwierigkeit  nicht  hinweg  und  umgeht  sie  auch  nicht. 
Denn  es  ermöglicht  uns  nicht,  die  Wirkung  einer  größeren 
Steuer,  die  ja  immer  auf  einmal  aufgelegt  wird,  zu  erfassen. 
Es  setzt  voraus,  dafi  eine  kleine  Steuer  aufgelegt  und  so- 
zusagen absorbiert  wird  und  erst,  wenn  das  Gleichgewicht 
wieder  hergestellt  ist,  die  Auflage  einer  ähnlichen,  ebenso- 


Beispiele.  499 

kleinen  erfolgt.  Da  es  klar  ist,  daß  die  Wirkung  eines 
solchen  Vorganges  eine  ganz  andere  sein  mOBte,  als  die 
Auflage  der  Steuer  auf  einmal,  da  femer,  wie  früher  aus- 
geführt,  ein  tieferer  Eingriff  in  den  Gleichgewichtszustand 
denselben  fundamental  ändern  und  Erscheinungen  hervor- 
rufen würde,  die  mit  den  Mitteln  der  Statik  und  vielleicht 
der  Ökonomie  überhaupt  nicht  dargestellt  werden  können, 
so  müssen  wir  auf  diese  Ausdehnung  unserer  Methode  ver- 
zichten. Dafi  wir  dadurch  ja  nicht  strikte  auf  das  „Un- 
endlichkleine"  beschränkt  werden,  wurde  ebenfalls  bereits 
hervorgehoben,  aber  es  wird  immer  Frage  des  einzelnen 
Falles  sein,  ob  unsere  Methode  etwas  und  wieviel  sie  für 
ihn  leisten  kann. 

Dasselbe  gilt  von  der  Länge  der  betrachteten  Zeit- 
periode. Prinzipiell  können  wir  nur  kurze  Perioden  be- 
trachten. Freilich  würde  manche  Voraussetzung,  wie  z.  B. 
freie  Beweglichkeit  der  Produktionsfaktoren  im  Unter- 
suchungsgebiete besser  auf  längere  passen.  Aber  trotzdem 
ist  es  uns  im  allgemeinen  nicht  möglich,  über  solche  ohne 
Weiteres  zu  urteilen.  Das  wäre  nun  sehr  schlimm.  Manche 
Steuern,  z.  B.  eine  Häusersteuer,  können  nur  einen  Teil 
ihrer  Wirkungen  sofort  äußern.  Weitere  Wirkungen,  die 
etwa  vom  Übergange  des  Kapitales  in  andere  Produktions- 
zweige und  von  der  Einschränkung  oder  Ausdehnung  des 
Angebotes  an  Häusern  abhängen,  würden  sich  unserer  Be- 
trachtung entziehen.  Und  in  der  Tat  sehen  wir,  dafi  in 
Diskussionen  über  die  Häusersteuer  regelmäßig  ein  dyna- 
misches Moment,  nämlich  Zunahme  der  Nachfrage  infolge 
Vermehrung  der  Bevölkerung  hineingezogen  wird.  Nicht 
ohne  Berechtigung  sicherlich.  Man  kann  dasselbe  bei  Be- 
urteilung dieser  Frage  unmöglich  außer  Acht  lassen.  Aber 
das  führt  zu  einer  Unklarheit  bezüglich  der  theoretischen 
Grundlagen,  welche  in  allen  Erörterungen  darül)er  deutlich 
nachweisbar  ist.  Außerdem  würde  unsere  Methode  un 
anwendbar. 

Aber  es  steht  nicht  ganz  so.     Perioden,  welche   lang 

genug   sind,    um   uns   alle  reinwirtschaftlichen   Wirkungen 

:V2  ♦ 


500  ^1^  Variationsmethode. 

voll  ZU  zeigen ,  sind  oft  nicht  lang  genug ,  um  den  dynt- 
mischen  Momenten  allzuviel  Entwicklungsmöglichkeit  zu 
gewähren.  So  werden  wir  in  vielen  Fällen  von  unserer 
Betrachtungsweise  Gebrauch  machen  können,  in  denen  ihre 
statischen  Voraussetzungen  nicht  ganz  zutreffen.  Nur  mQssen 
wir  uns  dann  stets  bewußt  bleiben,  daß  wir  keinen  ganz 
sicheren  Grund  unter  den  Füßen  haben  und  dürfen  uns 
nicht  wundern,  wenn  unser  Raisonnement  mitunter  nicht 
mit  den  Fakten  übereinstimmt 

Dagegen  können  wir  unseren  Fall  unschwer  auch  auf 
andere  Steuern,  als  solche  von  der  eben  besprochenen  Art 
ausdehnen,  indem  wir  Realsteuem  jeder  Form  auf  jene 
zurückführen  und  endlich  sogar  auf  Personalsteuern.  Es 
gibt  uns  das  eine  wichtige  Auffassungsweise  derselben  an 
die  Hand,  deren  Anwendbarkeit  allerdings  von  Fall  zu  Fall 
eine  verschiedene  ist:  Die  Generalkosten  einer  Produktion 
werden  durch  eine  Steuer  auf  eine  Unternehmung  vermehrt 
und  können  auf  die  Wareneinheit  reduziert  werden  ^. 

Keinesfalls  ist  es  nötig,  Steuern  auf  „Renten''  und 
„Surplus"*  als  einen  Fall  sui  generis  aufzufassen,  wie  es  die 
Klassiker  taten.  Wie  unsere  Methode  eine  Fortbildung  der 
Erkenntnis,  eine  Vermehrung  unserer  Einsicht  enuöglicht 
und  uns  in  den  Stand  setzt,  manche  Korrektur  an  der  land- 
läufigen Art,  diese  Fragen  zu  behandeln,  anzubringen,  so 
gibt  sie  uns  auch  einen  festen  Standpunkt  gegenüber  der 
Betrachtungsweise  und  den  Resultaten  der  alteren  Ökonomie. 
Eine  der  unseren  ähnliche  Methode  oder  besser,  dieselbe 
Methode  nur  in  unvollkommener  Form  hat  die  letztere  nur 
auf  die  Besteuerung  der  Produkteinheit,  etwa  durch  einen 
Zoll  angewendet.  Im  übrigen  operierte  man  mit  allgemeinen 
Prinzipien  und  behandelte  jeden  Fall  für  sich.  Unsere 
Methode    stellt   die    ganze   Steuertheorie,    soweit   sie   rein 

^  Es  ist  interessant  hervorzuheben,  daß  die  exakte  Steuertheorie, 
auf  dem  Momente  von  Angebot  und  Nachfrage  basierend,  vou  einer 
„spezifischen*'  Steuer  auf  die  Wareneinheit  ausgeht ,  weiche  darnach 
von  diesem  Standpunkte  aus  als  der  Gmndfall  der  Steaertheorie 
erscheint. 


Beispiele.  501 

ökonomisch  ist,  auf  eine  einheitliche  Grundlage.  Wir  könnten 
ihre  Vorzüge  nicht  besser  zeigen,  als  durch  eine  kurze  Dis- 
kussion der  klassischen  Steuertheorie. 

Auch  darauf  können  wir  aber  hier  nicht  eingehen. 
Nehmen  wir  nur  ein  Beispiel,  die  Häusersteuer.  Eine 
solche  müßte  nach  den  Klassikern  immer  auf  den  Grund- 
herrn fallen,  da  entsprechend  dem  Gesetze  der  Profitrate 
und  der  Lohntheorie  derselben,  weder  auf  dem  „building 
trade**  noch  auf  dem  Lohne  etwas  davon  haften  bleiben 
kann.  Daseist  jedenfalls  das  grofie  Prinzip;  bei  bereits 
fertigen  Häusern  müfite  man  ja  wohl  Ausnahmen  anerkennen. 
Erkennt  man  nun  die  formalen  Prinzipien,  auf  denen  dieser 
Gedankengang  beruht,  als  richtig  an,  so  ist  auch  der  letztere 
selbst  ziemlich  einwandfrei;  nicht  ganz  freilich,  denn  die 
Gleichheit  der  Profitrate  reicht  nur  dann  zu  dem  Schlüsse, 
der  hier  aus  ihr  gezogen  wird,  aus,  wenn  man  den  „building 
trade*  als  unbedeutend  gegenüber  der  Masse  anderer  Ver- 
wendungsmöglichkeiten des  i^Kapitales**  betrachten  kann  — 
anderenfalls  würde  eine  Steuer  auf  denselben  eben  das 
Gesamtniveau  der  Profitrate  beeinflussen  und  so  sehr  wohl 
ein  Teil  der  Steuer  auf  ihn  fallen.  Aber  wie  oberflächlich 
und  unbefriedigend  ist  diese  Theorie,  wie  wenig  paßt  sie 
auf  die  Wirklichkeit!  Unsere  ermöglicht  dagegen  nicht 
nur  eine  vollkommenere  und  korrektere  Darlegung  der 
grundlegenden  Prinzipien,  sondern  auch  eine  Berücksichtigung 
einer  Unzahl  feinerer  Momente,  so  des  Einflusses  der  Aus- 
gestaltung der  Verkehrsmittel  auf  die  Wirkung  einer  Häuser- 
steuer, eine  Unterscheidung  zwischen  den  verschiedenen  Be- 
dürfnissen, denen  Wohnhäuser  genügen,  der  „Rivalität** 
zwischen  verschiedenen  Stadtteilen  usw.  Eine  ganze  Menge 
von  sehr  hübschen  und  theoretisch  wie  praktisch  gleich 
interessanten  Resultaten  ergibt  sich  dabei.  Am  besten 
wurde  das  von  Professor  Edgeworth  ausgearbeitet  (Econ. 
Journal  1897).  Die  übliche  Diskussion  hingegen,  die  be- 
kanntlich gegenwärtig  sehr  lebhaft  geführt  wird,  sieht  über 
diese  Dinge  so  gut  wie  ganz  hinweg.  Eine  ganze  Anzahl 
von  Korrekturen  und  Bereicherungen  kann  sie  durch  An- 


500  I^c  VariatioiisaieUiode. 

voll  ZU  zeigen y  sind  oft  nicht  lang  genug,  um  den  dynt- 
mischen  Momenten  allzuviel  EntwicklungsmiVgliehkeit  zu 
gewAhren.  So  werden  wir  in  vielen  F&Uen  von  unserer 
Betrachtungsweise  Grebrauch  machen  können,  in  denen  ihre 
statischen  Voraussetzungen  nicht  ganz  zutreffen.  Nur  mQssen 
wir  uns  dann  stets  bewuBt  bleiben,  daß  wir  keinen  ganz 
sicheren  Grund  unter  den  Füßen  haben  und  dürfen  uns 
nicht  wundem,  wenn  unser  Raisonnement  mitunter  nicht 
mit  den  Fakten  Qbereinstimmt 

Dagegen  können  wir  unseren  Fall  unschwer  auch  auf 
andere  Steuern,  als  solche  von  der  eben  besprochenen  Art 
ausdehnen,  indem  wir  Realsteuem  jeder  Form  auf  jene 
zurückführen  und  endlich  sogar  auf  Personalsteuern.  Es 
gibt  uns  das  eine  wichtige  Auffassungsweise  derselben  an 
die  Hand,  deren  Anwendbarkeit  allerdings  von  Fall  zu  Fall 
eine  verschiedene  ist:  Die  Generalkosten  einer  Produktion 
werden  durch  eine  Steuer  auf  eine  Unternehmung  vermehrt 
und  können  auf  die  Wareneinheit  reduziert  werden  ^ 

Keinesfalls  ist  es  nötig,  Steuern  auf  „Renten"  und 
„Suqdus'*  als  einen  Fall  sui  generis  aufzufassen,  wie  es  die 
Klassiker  taten.  Wie  unsere  Methode  eine  Fortbildung  der 
Erkenntnis,  eine  Vermehrung  unserer  Einsicht  ermöglicht 
und  uns  in  den  Stand  setzt,  manche  Korrektur  an  der  land- 
läufigen Art,  diese  Fragen  zu  behandeln,  anzubringen,  so 
gibt  sie  uns  auch  einen  festen  Standpunkt  gegenüber  der 
Betrachtungsweise  und  den  Resultaten  der  alteren  Ökonomie. 
Eine  der  unseren  ähnliche  Methode  oder  besser,  dieselbe 
Methode  nur  in  unvollkommener  Form  hat  die  letztere  nur 
auf  die  Besteuerung  der  Produkteinheit,  etwa  durch  einen 
Zoll  angewendet.  Im  übrigen  operierte  man  mit  allgemeinen 
Prinzipien  und  behandelte  jeden  Fall  für  sich.  Unsere 
Methode    stellt   die    ganze   Steuertheorie,   soweit   sie   rein 

1  Es  ist  interessant  hervorzuheben,  daß  die  exakte  Steaertheorie. 
auf  dem  Momente  von  Angebot  und  Nachfrage  basierend,  von  einer 
„spezifischen*'  Steuer  auf  die  Wareneinheit  ausgeht,  welche  darnach 
von  diesem  Standpunkte  aus  als  der  Gmndfall  der  Steaertheorie 
erscheint. 


Beispiel«.  501 

fikonomisch  ist.  auf  eine  einheitliche  Grundlage.  Wir  könnten 
ihre  Vorzöge  nicht  besser  zeigen,  als  durch  eine  kurze  Dis- 
kussion der  klassischen  Steuertheorie. 

Auch  darauf  können  wir  aber  hier  nicht  eingehen. 
Nehmen  wir  nur  ein  Beispiel,  die  H&usersteuer.  Eine 
solche  inQßte  nach  den  Klassikern  immer  anf  den  Gnuid- 
berm  fallen,  da  entsprechend  dem  Gesetze  der  Proßtrate 
und  der  Lohntheorie  derselben ,  weder  auf  dem  „building 
trade*  noch  auf  dem  Lohne  etwas  davon  haften  bleiben 
kann.  Das*ist  jedenfalls  das  gro8e  Prinzip;  bei  bereits 
fertigen  HAusem  mO&te  man  ja  wohl  Ausnahmen  anerkennen. 
Erkennt  man  nun  die  formalen  Prinzipien,  auf  denen  dieser 
Gedankengang  beruht,  als  richtig  an,  so  ist  auch  der  letztere 
selbst  ziemlich  einwandfrei;  nicht  ganz  freilich,  denn  die 
Gleichheit  der  Profitrate  reicht  nur  dann  zu  dem  Schlüsse, 
der  hier  aus  ihr  gezogen  wird,  aus,  wenn  man  den  „building 
trade*  als  unbedeutend  gegenQber  der  Masse  anderer  Ver- 
wendungsmßglichkeiteD  des  .Kapitales"  betrachten  kann  — 
anderenfalls  wQrde  eine  Steuer  auf  denselben  eben  das 
Gesamtniveau  der  Profitrate  beeinflussen  und  so  sehr  wohl 
ein  Teil  der  Steuer  auf  ihn  fallen.  Aber  wie  oberflächlich 
und  unbefriedigend  ist  diese  Theorie,  wie  wenig  paßt  sie 
auf  die  Wirklichkeit!  Unsere  ermöglicht  dagegen  nicht 
nur  eine  vollkommenere  und  korrektere  Darlegung  der 
grundlegenden  Prinzipien,  sondern  auch  eine  Berltcksichtigung 
einer  Unzahl  feineier  Momente,  so  des  Einflusses  der  Aus- 
gestaltung der  Verkehrsmittel  auf  die  Wirkung  einer  Häuser- 
steuer, eine  Unterscheidung  zwischen  den  verschiedenen  Be- 
dürfnissen, denen  WohnhÄuser  genügen,  der  „Rivalität" 
zwischen  verschiedenen  Stadtteilen  usw.  Eine  ganze  Menge 
von  sehr  hobschen  uml  theoretisch  wie  praktisch  gleich 
interessanten  Resultaten  ergibt  sich  dabei.  Am  besten 
wurde  das  von  Professor  Etlgeworth  ausgearbeitet  (Econ. 
Journal  1697).  Die  übliche  Diskussion  hingegen,  die  be- 
kanntlich gegenwartig  sehr  lebhaft  gefDbrt  wird,  sieht  über 
diese  Dinge  so  gut  wie  ganz  hinweg.  Eine  ganze  Anzahl 
von  Korrekturen  und  Bereicherungen  kann  sie  durch.  tA.- 


502  ^®  y&ruUioiiflmethode. 

Wendung  unserer  Methode  erfahren.  Diese  Frage  ist  ein 
vortreffliehes  Beispiel,  welch  grofien  Unterschied  das  Moment 
der  Methode  für  die  Resultate  haben  kann.  Die  Daten 
sind  ja  dieselben  für  den  Theoretiker  wie  für  den  Praktiker; 
und  doch  kann  ein  so  verschiedenes  Rendement  aus  ihnen 
erzielt  werden.  Bei  jedem  Schritte  zeigt  sich,  wie  wichtig 
eine  sorgfältige  Ausarbeitung  und  korrekte  Handhabung 
der  formalen  Instrumente  des  Gedankenganges  ist  —  wie 
wenig  überflüssig  also  Betrachtungen  der  Art  sind,  wie  sie 
der  allgemeine  Teil  dieses  Abschnittes  brachtet  Ich  glaube 
nicht,  dafi  jemand,  der  unsere  Methode  bei  diesem  Probleme 
an  der  Arbeit  gesehen  hat,  ein  verächtliches  Urteil  über 
sie  fällen  wird. 

Noch  sei  eine  weitere  Anwendung  unserer  Methode  auf 
diesem  Gebiete  angedeutet,  nämlich  die  Theorie  der  Ein- 
kommensteuer. Gewiß  bietet  sich  diese  der  Erfassung  von 
unserem  Standpunkte  weniger  leicht  dar  und  unsere  Beitrage 
sind  hier  weniger  bedeutend  als  bei  den  eben  erwähnten 
Problemen.  Aber  immerhin  kann  hier  zweierlei  getan 
werden.  Einmal  kann  auf  Grund  der  Bernoullischen  Hypo- 
these eine  Theorie  der  progressiven  Einkommensteuer,  der 
Steuerprogression  überhaupt,  entwickelt  werden.  Sodann 
kann  man  aber  das  Geldeinkommen  unserer  Individuen 
gleichsam  als  ein  Gut  auffassen,  das  eine  bestimmte  Wert- 
und  eine  ebenso  bestimmte  Kostenfunktion  habe.  Dann  ist 
es  möglich,  auf  die  Einkommensteuer  ein  ähnliches  Rai- 
sonnement  anzuwenden  und  ähnliche  Resultate  bezüglich 
ihrer  Wirkungen  zu  gewinnen,  wie  wir  das  bei  unserem 
einfachsten  Falle  —  in  dem  nur  ein  Gut  produziert  und 
konsumiert  wurde  —  sahen;  ja,  darin  dürfte  die  wichtigste 
praktische  Anwendung  dieses  so  wirklichkeitsfremd  aus- 
sehenden Falles  liegen.  Es  ist  das  bisher  meines  Wissens 
noch  nicht  geschehen;  aber  ich  glaube  wohl,  dafi  es  der 
Mühe  lohnt  und  daß  gewisse  Vorgänge,  die  nicht  jedermann 
so  völlig  klar  sind,  dadurch  korrekt  beschrieben  werden 
können.  Endlich  kann  man  eine  Einkommensteuer  auch 
als  Steuer  auf  die  einzelnen  Einkommenszweige  auffassen. 


Beispiele.  503 

Hier  würden  wir  der  Schwierigkeit  begegnen,  daß  nur  zwei 
derselben  „statisch^  und  mithin  leicht  zu  behandeln  sind. 
Immerhin  ist  auch  das  ein  Weg  zu  verschiedenen,  nicht 
uninteressanten  Resultaten. 

§  2.  Gehen  wir  nun  zu  einem  zweiten  Beispiele  über, 
zur  Theorie  der  Zölle.  Auch  hier  wollen  wir  ganz  kurz 
sein  und  nur  zu  erkenntnistheoretischen  Zwecken  einiges 
sagen;  im  übrigen  aber  wollen  wir  hier  anders  vorgehen, 
als  beim  ersten  Beispiele.  Haben  wir  dort  vornehmlich 
darauf  Wert  gelegt,  den  konkreten  Vorgang,  mittelst  dessen 
unsere  Methode  ihre  Resultate  gewinnt,  zu  exemplifizieren, 
so  wollen  wir  hier,  mit  Rücksicht  auf  die  Tatsache,  auf 
die  wir  so  viel  Gewicht  legen,  die  Tatsache  nämlich,  dafi 
dieser  Vorgang  immer  und  überall ,  auf  allen  noch  so  ver- 
schiedenen Gebieten,  im  Wesen  derselbe  ist,  nur  einige 
Punkte  erwähnen,  welche  geeignet  sind,  das,  was  die 
Theorie  leisten  kann,  von  dem,  was  sie  nicht  leisten  kann, 
abzuheben  und  zu  besserem  Verständnisse  des  Wesens  und 
Wertes  ihrer  Resultate  beizutragen,  auch  die  Theorie  von 
manchen  Mißverständnissen  und  Angriffen  zu  befreien,  welchen 
sie  ausgesetzt  war  und  ist. 

Vor  allem:  Alles  kommt  bei  der  Diskussion  des 
Schutzzollproblemes  darauf  an,  die  folgenden  beiden  Unter- 
scheidungen durchzuführen.  Erstens  muß  man  das  theo- 
retische Problem  vom  praktischen  scheiden.  Was  immer 
das  Resultat  der  Theorie  sein  mag,  nie  kann  es  dazu  aus- 
reichen, für  sich  allein  einen  bestimmten  Kurs  der  Handels- 
politik zu  empfehlen  oder  zu  verdammen.  Es  liegt  auf  der 
Hand,  dafi  die  Momente^  die  die  Theorie  umfafit,  nur  immer 
einen  Teil  der  Sache  bilden  und  durch  andere  Erwägungen 
in  den  Hintergrund  gedrängt  werden  können.  Das  bestreitet 
doch  ersichtlich  die  Theorie  nicht.  Und  daher  mag  man 
eventuell  den  Politiker  attackieren,  der  lediglich  auf 
wirtschaftliche  Momente  Gewicht  legt,  aber  es  ist  gewiß 
unbegründet,  die  Theorie  aus  diesem  Grunde  zu  schmähen. 
Gegen  sie  können  sich  die  Tiraden  des  Parteikampfes  also 


504  ^^0  Variatiommethode. 

nicht  richten,  und  soweit  der  Theoretiker  Theoretiker  bleibt, 
kann  er  nie  Politiker  sein. 

Unterscheiden  muß  man  zweitens  zwischen  dem  statischen 
und  dem  dynamischen  Probleme,  zwischen  dem,  was  man, 
wenn  auch  nicht  ganz  korrekt,  „unmittelbare*'  und  „weitere* 
Wirkungen  nennt  Zum  Teile  fällt  diese  Unterscheidung 
mit  der  zwischen  kurzen  und  langen  Perioden  zusammen, 
insofern  als  dynamische  Momente  meist  einer  gewissen  Zeit 
bedürfen,  um  wirksam  zu  werden :  Entwicklungen  brauchen 
Zeit.  Nun  hat  es  gar  keinen  Sinn,  beide  Gruppen  von 
Wirkungen  gegeneinander  gleichsam  auszuspielen.  Sie  sind 
völlig  verschieden  voneinander  und  meist  ganz  inkommen- 
surabel. Würde  man  das  erkennen,  so  würde  manche 
kontroverse  verstummen.  Im  Bewußtsein  der  Politiker 
spielen  meist  dynamische  Momente  die  Hauptrolle,  was 
aber  streng  von  der  Frage  zu  scheiden  ist,  ob  auch  die 
Parteien,  auf  die  sie  sich  stützen,  von  solchen  Überlegungen 
oder  von  der  Rücksicht  auf  unmittelbare  Vor-  und  Nach- 
teile geleitet  sind.  Nun  kann  man  gewiß  behaupten,  daß 
die  Aspekte,  die  die  Dynamik  bietet,  ungleich  großartigere 
sind,  als  jene  der  Statik;  die  Zukunft  der  Nation,  der 
Kampf  der  Rassen  usw.  sind  gewiß  Dinge,  neben  denen 
statische  Argumente  oft  kleinlich  und  krämerhaft  aussehen. 
Allein  das  ändert  nichts  daran,  daß  statische  und  dynamische 
Erwägungen  voneinander  unabhängig  sind  und,  jede  für  sich, 
einen  gesunden  Sinn  haben;  ferner  auch  nichts  daran,  daß 
nur  die  statischen  zurzeit  exaktem  Beweise  zugänglich  und 
das  einzige  sind,  was  strenge  Wissenschaft  heute  zu  bieten 
vermag.  Man  kann  über  sie  lächeln  —  das  kann  nur  zum 
Teile  verübelt  werden  — ,  aber  man  kann  diesen  Sachverhalt 
nicht  leugnen. 

Sodann:  Die  Theorie  tritt  an  das  Problem  der  Wir- 
kungen von  Zöllen  mit  folgenden  beiden  Waffen  heran. 
Erstens  betrachtet  sie  jeden  Zoll  als  eine  auf  Waren  ge- 
legte Steuer.  Daraus  folgt,  daß  das  Problem  methodologisch 
ganz  dasselbe  ist,  wie  das  der  Steuertheorie  und  Resultate 
^on   derselben  Natur  und  Form  gewonnen  werden  können. 


Beiepl«le.  505 

Daraus  folgt  ferner,  daß  jeder  andere  Aspekt  des  Probleroes 
der  Theorie  uDZUgftnglicIi  ist  Das  zweite  Instrument  der 
Theorie  ist  die  Annahme,  daß  zwischen  verschiedenen  Volks- 
wirtschaften die  Produktionsmittel  nicht  frei  beweglich  sind. 
Darin  liegt  das  Merkmal,  daß  dieses  Problem  von  dem  der 
Steuer  scheidet.  Soweit  freie  Beweglichkeit  dennoch  besteht, 
unterscheiden  sich  diese  Vorg&nge  nicht  von  denen  inner- 
halb der  Volkswirtschaft  Und  soweit  es  auch  hier  keine 
völlig  freie  Beweglichkeit  gibt,  ist  der  Unterschied  zwischeo 
beiden  ein  noch  geringerer  —  wir  werden  bald  sehen,  dafi 
Obrigens  das  letztere  Moment  eine  wichtige  Anwendung 
gestattet.  —  Infolge  der  nicht  allzu  groflen  Etedeatung 
jenes  Unterschiedes  f&llt  also  das  Thema  der  „internationalen 
Werte'  materiell  mit  dem  der  innerhalb  der  Volkswirtschaft 
bestehenden  nahezu  zusammen.  Nur  historisch  ist  es  von 
der  allgemeinen  Preistheorie  geschieden,  weil  zuerst  for 
seine  Zwecke  eine  Betrachtungsweise  aasgearbeitet  wurde, 
die  von  der  damaligen  Preistheorie  verschieden  war  and 
der  modernen  nSher  steht.  In  der  Tat  kann  die  Theorie 
der  internationalen  Werte  als  ein  Vorläufer  der  neueren 
Werttheorie  betrachtet  werden.  Aber  heute,  wo  diese 
Betrachtungsweise  auch  auf  das  allgemeine  Problem  an- 
gewendet wird,  gibt  es  eigentlich  keinen  Grund  zur  Scheidung 
mehr  —  wenigstens  vom  Standpunkte  der  Wissenschaft. 

Weiter:  In  der  Weise,  die  wir  an  der  Steuertheorie 
demonstrierten,  kann  nun  auch  eine  ZolHheorie  —  besser 
w&re  es  vielleicht ,  von  Theorien  der  Wirkungen  von 
Steuern  und  Zöllen  za  sprechen  —  gewonnen  werden,  die 
sich  durch  Einführung  verschiedener  Daten,  der  Rivalität 
und  Komplementarität  von  Gütern,  verschiedener  Formen 
und  Größen  des  Zolles  und  anderer  Umstände,  sehr  voll- 
standig  und  interessant  und,  soweit  der  Standpunkt 
der  Theorie  reicht,  ebenso  befriedigend  wie  korrekt 
gestalten  läßt  Eine  Reihe  von  Korrekturen  an  populären 
und  auch  wissenschaftlichen  Behauptungen  und  eine  ganze 
Anzahl  von  Resultaten,  welche  anders  nicht  gewonnen 
werden   können ,  ergeben  sich  dabei ,  die  von  unleugbarem 


506  l>ie  Vwiatiwt— etfaode, 

Werte  sind.  Nor  darf  man  bei  ihrer  Beurteilung  nie  ihren 
statischen  Charakter  und  alles,  was  das  im  Einzelnen  io- 
volyiert,  vergessen:  Nicht  oft  genug  kann  das  wiederholt 
werden. 

Wir  können  nun  nicht  daran  denken,  auch  nur  einen 
Teil  dieser  Resultate  hier  vorzuführen.  Immerhin  wollen 
wir  eins  sagen.  Es  ergibt  sich,  dafi  im  allgemeinen  ein  Zoll 
den  Nutzgewinn  beider.  Teile  verringert  Aber  das  heifit 
ja  nichts  anderes,  als  dafi  jenes  formale  Nutzenmaximum. 
auf  dessen  Charakter  und  Voraussetzungen  wir  so  viel  Ge- 
wicht legten,  verringert,  keineswegs  auch  schon,  dafi  die 
Wohlfahrt  beider  Teile  verringert  wird.  Es  heifit  das  im 
Grunde  nur  etwas  Selbstverständliches,  nämlich,  dafi  nun 
nicht  mehr  dieselben  Tauschakte  zu  demselben  Preise  durch- 
geführt werden,  wie  bisher;  das  ist  selbstverständlich, 
weil  es  unmittelbar  aus  der  eindeutigen  Bestimmtheit  beider 
Zustände  —  desjenigen  vor  und  desjenigen  nach  Auflegung 
des  Zolles  —  folgt.  Soweit  ist  der  Satz  durchaus  unan- 
fechtbar, aber  auch  ohne  besonderes  Interesse.  Seine  Be- 
deutung liegt  darin,  dafi  man  über  ihn  hinüber  zur  I^ 
Stimmung  dessen  gelangt,  „was  nun  geschieht,*'  zur  Be- 
stimmung der  neuen  Preise  und  Absätze.  Sodann  gibt  uns 
unsere  Theorie  eine  Reihe  von  Ausnahmefällen  für  jene  Regel. 
Manche  von  ihnen  hat  schon  J.  St.  Mill  erkannt,  vollständig 
aber  können  sie  nur  mit  Hilfe  der  höheren  Mathematik  ge- 
wonnen werden.  Es  ist  möglich,  dafi  der  Zoll  mitunter  nur 
von  einem  Teile  getragen  wird,  ja  sogar,  dafi  ein  Teil  einei 
Vorteil  davon  hat.  Schon  unsere  allgemeine  Regel  ist  nicht 
ohne  Wert.  Dafi  der  Zoll  im  allgemeinen  von  beiden  Teilet 
getragen  wird ,  ist  nicht  selbstverständlich ,  wenn  es  auch 
klar  genug  zu  sein  scheint.  Jene  Ausnahmefälle  ferner 
sind  dem  Praktiker  ebenfalls  wohlbekannt.  Aber  oft  werden 
sie  überschätzt,  oft  auch  bestritten.  Sie  wirklich  befriedigecü 
zu  beweisen,  zugleich  aber  auf  ihre  wirkliche  Bedeutung  n 
beschränken,  ist  nur  mit  Hilfe  unserer  Theorie  möglich. 
Als  ein  Beispiel  für  ihren  Wert  sei  das  Schlagwort  von  der 
^^Besteuerung  des  Ausländers""  angeführt,  das   in    EnglaDdl 


Beispiele.  507 

eine  so  große  Rolle  spielt.  Unsere  Theorie  grenzt  klar  ab, 
was  Wahres  daran  sein  kann:  Einmal  trägt  der  Ausländer 
im  allgemeinen  einen  Teil  des  Zolles.  Und  ferner  ist  es  in 
einzelnen  Fällen,  deren  Ausnahmecharakter  aber  im  exakten 
Raisonnement  klar  hervortritt,  möglich,  dafi  er  die  ganze 
Steuer  trage  und  eventuell  sogar  mehr.  Oder  ein  anderes 
Beispiel:  Die  Behauptung,  dafi  Schutzzoll  politische  Mafi- 
regeln der  Zerstörung  von  Maschinen  usw.  gleichkommen, 
bat  ebenfalls  viel  Staub  aufgewirbelt.  Auf  Grund  der 
Theorie  läfit  sich  die  Sache  ohne  jedes  unnötige  Echauflfe- 
ment  klarstellen:  Insofern  beide  Mafiregeln  zu  einer  Ein- 
schränkung des  Angebots  führen,  sind  sie  ähnlich ;  und  inso- 
fern eine  Einschränkung  des  Angebotes  einem  der  Kontra- 
henten Vorteile  bringen  kann,  die  in  der  Regel,  aber  nicht 
notwendig  kleiner  sind,  als  der  dadurch  dem  anderen  er- 
wachsende Schaden,  sind  sie  beide  in  einem  gewissen  Sinne 
„ vorteilhaft **  —  aber  das  ist  auch  alles. 

Berücksichtigt  man  noch  den  Gewinn  der  Staatskasse 
infolge  von  Zolleinnahmen  —  auch  für  das  Wesen  und  die 
Wirkungen  des  Finanzzolles  gilt  natürlich  unsere  Theorie  — 
und  weiter  die  möglichen  Rückwirkungen  des  Zolles  auf 
den  Inlandspreis  der  von  einem  fremden  Staate  belasteten 
Ware,  sowie  seine  Wirkungen  auf  die  Preise  anderer 
Güter,  so  ergibt  sich  ein  sehr  kompliziertes  Problem,  das 
eine  einfache  Lösung  nicht  gestattet  und  einer  korrekten 
Methode  sehr  bedarf.  Im  Ganzen  können  wir  sagen,  dafi 
weder  das  Freihandelsargument  auf  unsere  Regel  noch  das 
Schutzzollargument  auf  unsere  Ausnahmen,  welche  durch 
die  eben  angedeuteten  Komplikationen  im  allgemeinen  an 
Kraft  gewinnen,  basiert  werden  kann:  Die  Antworten,  die 
die  Theorie  erteilt,  eind  nach  Lage  des  Falles  sehr  ver- 
schieden. Gewiß  ist  es  möglich,  sowohl  für  einzelne 
Interessentengruppen,  wie  auch  für  die  gesamte  Volks- 
wirtschaft, durch  entsprechende  zollpolitische  Maßnahmen 
Gewinne  zu  machen.  Aber  ob  dieselben  bedeutend  genug 
sind»  um  die  Wirkung  von  Retorsion smaßregeln  zu  über- 
wiegen, läßt  sich  nicht  exakt  sagen,  da  das  von  der  Wichtig- 


508  IM« 

keit  abhängt,  die  man  gerade  den  in  Frage  stehenden 
Interessen  nnd  jenen,  welche  dabei  leiden,  zubilligt.  Tat- 
sächlich dQrfte  das  Gesagte  den  Standpunkt  der  fnl- 
geschrittensten  Theoretiker  wiedergeben,  welche  sieh  too 
kurzen  nnd  sehneilfertigen  Regeln  über  unsere  Frage  mehr 
und  mehr  abwenden. 

Endlieh:  Wir  können  also  den  Satz  aussprechen,  dafi 
die  statische  Theorie  das  Freihandelsargument  nicht  sttttzt 
oder  doch  nicht  in  entscheidender  Weise.  Unsere  »all- 
gemeine Begel''  scheint  das  zu  tun,  aber  wenn  mau  erstens 
ihre  Voraussetzungen  betrachtet,  zweitens  ihre  Ausnahmen 
und  drittens  kompliziertere  Fälle  überhaupt,  so  kommt  msB 
zu  der  Erkenntnis,  dafi  ihre  praktische  Bedeutung  eine  sehr 
geringe  ist.  So  gibt  uns  unsere  statische  Theorie  zwar  viele 
wichtige  Resultate,  aber  —  und  das  ist  angesichts  der  Kom- 
pliziertheit des  Problemes  geradezu  ein  Beleg  ihrer  Richtig- 
keit und  Lebenswahrheit  —  keine  einfache  allgemeine  Ant- 
wort. Dazu  kommt  nun  noch,  dafi  die  wichtigsten  Argumente 
für  und  gegen  Schutzzölle  nicht  statisch  sind,  sieh  somit 
heute  noch  der  exakten  Erfassung  entziehen.  Am  deutlichsten 
sieht  man  das  bei  der  Theorie  des  Erziehungszolles,  aber 
auch  für  die  meisten  anderen  gilt  das.  So  namentlich  auch 
für  das  Freihandelsargument;  denn  dieses  beruht  keineswegs 
auf  jenen  kleinen  Bausteinen,  die  die  statische  Theorie  daza 
liefern  kann ,  sondern  in  weit  höherem  Mafie  auf  der  An- 
sicht, daß  freier  Verkehr  der  wirtschaftlichen  Entwicklung 
am  meisten  fromme.  Alle  diese  Dinge  bedürfen  aber 
„langer  Perioden".  Doch  schliefien  wir.  Wir  müssen  « 
uns  versagen,  auf  die  Diskussion  einzelner  Argumente  ein- 
zugehen, so  anziehend  die  Aufgabe  ist,  die  Körnchen  von 
Wahrheit  zu  sammeln,  die  in  ihnen  enthalten  sind  —  man 
denke  nur  an  das  Schlagwort  vom  „Schutz  der  nationalen 
Arbeit!"  —  und  methodische  und  inhaltliche  Irrtümer  n 
bekämpfen.  Allein  es  mufi  uns  genügen,  jene  Dinge  gesagt 
zu  haben ,  welche  wir  im  Interesse  der  statischen  Theorie 
sagen  zu  müssen  glaubten  und  vor  allem,  betont  zu  haben, 
dafi   sie  völlig  ungeeignet   ist   zur  Rolle   einer  politischen 


Beispiele.  509 

Waffe  im  Streite   großer  Frinzipiea.     Kleinere ,  klar  um- 
schriebene Probleme  mag  sie  ja  lösen  können. 

$  3.  In  Ähnlicher  Weise  ei^ibt  sich  die  Möglichkeit, 
eine  reinökonomische ,  statische  Theorie  der  Einkommens- 
verscbiebungen  auszuarbeiten,  welche  desselben  Wesens, 
desselben  Wertes  und  deoselbeD  Einschränkungen  unter- 
worfen ist,  wie  die  beiden  eben  skizzierten  Theorien.  Vor 
allem  darf  man  sie  nicht  mit  einer  Theorie  Ober  die  kon- 
kreten Tendenzen  der  EinkommeDSverteilung  verwechseln, 
wie  schon  im  allgemeinen  Teile  dieses  Abschnittes  ausgeführt 
wurde  und  zwar  aus  zwei  Gründen:  erstens  können  unsere 
Gesetze  nur  formale  sein  and  Über  die  konkreten  Verh&lt^ 
nisse  z.  B.  der  Gegenwart  nichts  aussagen  und  zweitens 
kann,  man  auch  dann,  wenn  etwa  die  nötigen  Daten  gegeben 
w&ren,  das  Resultat  nicht  ohne  weiteres  in  der  Wirklichkeit 
vorfinden  wollen,  weil  hier  noch  andere,  dynamische,  Momente 
wirksam  sind,  welche  in  unserem  statischen  Bilde  fehlen. 
Trotzdem  aber  bleibt  uns  genug,  um  diesem  Zweige  unserer 
Theorie  Jnteresse  abgewinnen  zu  können. 

Bewegungsgesetze  der  Einkommen  in  bezug  aufeinander 
haben  schon  die  Klassiker  aufgestellt  und  man  wird  sagen 
müssen,  dai  das  von  ihnen  Geleistete  nahezu  das  Einzige 
ist,  was  wir  auf  diesem  Gebiete  besitzen.  Trotz  vieler  Au- 
sätze ist  nämlich  die  moderne  Theorie  noch  nicht  zu  einer 
systematischen  Beantwortung  dieser  Frage  vorgedrungen,  und 
es  gibt  da  noch  sehr  viel  zu  tun.  Von  unserem  Standpunkte 
begegnen  wir  der  Schwierigkeit,  daß  es  nur  zwei  statische 
Einkommenszweige  gibt,  allein  in  den  wenigen  Bemerkungen, 
die  hier  folgen  sollen,  wird  das  nicht  weiter  störend  hervor- 
treten. Doch  wollen  wir  deshalb  nur  von  den  Preisen  der 
Produktionsmittel  sprecheD,  wenn  auch  unseres  Erachtens 
eine  Gruppe  derselben  kein  Reineinkommen  darstellt. 

Das  erste,  was  wir  sagen  können,  eine  erste  allgemeine 
Regel,  ist,  daß  jede  willkürliche  Erhöhung  des  Preises  eines 
der  Produktionsmittel  die  Besitzer  aller  „schädigt",  einmal 
als  Konsumenten   und  aodunn  im  großen  und  ganzen  auch 


510  ^'^  VariAtionnnetbode. 

alB  ProduzeDten.  Dieser  Satz  mag  sehr  anat&eig  klingen, 
ist  aber  ebenso  wahr  und  ebenso  nnschnldig,  vie  ansen 
„allgemeine  Regel"  im  Torhergehenden  Paragraphen.  Gaiiz 
ähnlich  wie  dort,  kommt  das  Hauptinteresse  der  Klarlegnog 
aller  Wirkongen  und  den  Ansnahmefftllen  zu ,  nnd  so  wie 
dort  läfit  sich  eine  sehr  vollständige  Theorie  dabei  ge- 
winnen. Eher  wird  man  zugeben,  daß  eine  Ein&chrftnkang 
der  Menge  eines  der  Produktioosfaktoren  alle  Glieder  der 
Volkswirtschaft  sch&digt.  Auch  diese  Regel  hat  Aasnahmeo. 
Es  kann  vorkommen  —  das  hftugt  von  der  Gestalt  der  An- 
gebots- und  Machfragekurveu  ab  — ,  daS  die  EiDSchrftnkm; 
des  Angebotes  z.  B.  an  Arbeit  fOr  alle  Arbeiter  in  der- 
selben Weise  vorteilhaft  ist,  wie  die  Vernichtung  eines  Teil« 
des  Vorrates  an  einem  anderen  Gute  f&r  deren  Verkäufer- 
So  läßt  sich  nachweisen,  was  so  oft  bestritten  wird,  daS 
ein  Generalstrike  nicht  nur  die  Löhne  nominell  erhöhen 
kann,  sondern  auch  den  Anteil  der  Arbeiter  —  aller  Ar- 
beiter —  an  der  Summe  der  vorhandenen  GenufigQt«r. 

Solcher  Resultate  —  darunter  viele  sehr  komplizierte  — 
gibt  es  eine  ganze  Menge,  und  viel  kann  durch  ihre  Aus- 
arbeitung für  die  Klarstellung  mancher  Diskussion  geschehen. 
Allein  eine  allgemeine  Antwort  auf  die  Frage,  welche  Ein- 
kommen gemeinsam  falleu  und  steigen  und  welche  sich  ia 
Gegensätze  zueinander  bewegen,  von  der  Bestimmtheit,  w\t 
sie  die  Klassiker  gaben,  liefert  unsere  Theorie  nicht.  Doci 
ist  das  nur  ein  Vorteil.  Solche  starre,  feste  Regeln  gibt  « 
nicht  oder  besser,  man  kann  sie  nur  um  den  Preis  der  Bii- 
nahmo  von  Voraussetz;ingen  aufstellen,  welche  denn  dod 
zu  wenig  mit  der  Wirklichkeit  zu  tun  haben.  Gerade  itt 
Umstand,  daß  unsere  Theorie  eine  Menge  spezieller  Ant- 
worten gibt  und  sich  bei  verschiedenen  Daten  verschiedeK 
Resultate  herausstellen,  zeugt  für  ihre  Lehenswahrheit,  fU 
den  gro6en  Forlschritt,  den  sie  gegenüber  dem  klassiscbn 
Systcmit  Hufweist.  Steigt  z.  B.  der  Preis  eines  Produkte^ 
infolge  des  Stcigeus  der  Nachfrage  nach  demselben,  so  wir« 
diese  Steigerung  im  allgemeinen  allen  seinen  Produktiotf-i 
mittein  zugute  kommen.  Dabei  können  wir  das  Verhältnis  ihnr 


Beispiele.  513 

dieselben  in  nähere  Beziehung  zu  einzelnen  Problemen  zu 
bringen.  So  können  wir  den  Einfluß  yon  Differenzialtarifen, 
von  .Diskrimination'',  yon  Tarifkriegen  usw.  exakt  unter- 
suchen, soweit  diese  Dinge  rein  wirtschaftlich  und  soweit  sie 
statisch  zu  erklären  sind.  Sicherlich  reicht  das  nicht  aus, 
um  etwa  die  Tarifpolitik  eines  Staates  oder  selbst  auch  nur 
einer  Unternehmung  ganz  zu  verstehen.  Soweit  sie  ferne 
liegende  Zwecke  im  Auge  hat,  besonders  eine  Entwicklung 
fördern  oder  hindern  soll ,  soweit  sozialpolitische  und  andere 
aufierwirtschaftliche  Momente  hineinwirken,  wird  man  immer 
eine  Diskrepanz  zwischen  Theorie  und  Tatsachen  finden« 
Aber  man  wird  sie  meist  befriedigend  erklären  und  stets 
einen  erheblichen  Teil  der  Erscheinungen  mit  unseren 
Mitteln  verstehen  können  —  vielleicht  einen  größeren,  als 
mancher  deutsche  Nationalökonom  anzunehmen  geneigt  ist. 
Besonders  wichtige  Dienste  leistet  uns  die  Theorie  des 
Monopoles,  da  den  meisten  großen  Transportunternehmungen 
eine  monopolistische  oder  doch  monopolähnliche  Stellung  zu- 
kommt. Man  kann  sagen,  daß  alle  Fragen,  welche  in  das 
Schema  gebracht  werden  können:  Preisbildung  der  Trans- 
portleistungen und  Rückwirkung  ihres  Preises  auf  den  der 
anderen  Güter  und  deren  Absatz  sehr  befriedigend  be- 
antwortet werden  können.  Nicht  nur  auf  die  wirklich  zum 
Transport  gelangenden  Waren,  auch  auf  alle  anderen  wirken 
die  Frachttarife  im  Sinne  unseres  „Interdependenzsystemes**. 
Es  muß  einen  Einfluß  auf  den  Preis  einer  Ware  haben, 
wenn  sie,  z.  B.  wegen  zu  hoher  Tarife,  am  Erzeugungsorte 
verbraucht  werden  muß.  Die  Wirkung  eines  Tarifes  ist  nicht 
mit  seinem  Einflüsse  auf  eine  konkrete  Ware  erschöpft, 
vielmehr  wirkt  das  auf  alle  Preise  und  Einkommen  der 
Volkswirtschaft  einerseits  durch  Erhöhung  mancher  Ein- 
kommen, anderseits  durch  Verringerung  anderer.  Alle  diese 
Dinge  werden  durch  unsere  Methode  klargemacht.  Endlich 
können  wir  die  Tarifeinnahmen  zu  den  Erzeugungs-  oder 
wenigstens  den  Betriebskosten  der  Transportunternehmungen 
ins  Verhältnis  setzen  und  diese  Beziehungen  untersuchen. 
Was  aber  bietet  die  übliche  Transporttheorie? 

S«haiDp«i«r,  MtltonftlOkonomi«.  33 


512  r*'o  VariatiooBtDclho'Jt 


gewisse  Grundfrageo  betreffeD,  nie  Wesen  der  Einkommen  itsw. 
Und  die  Hanptschwierigkeit  li^  da,  wie  gesagt,  meist 
mehr  in  der  „Stilisierung"  der  Tataachen,  sodaS  sie  ii 
jenes  Schema  passen;  die  Auflindnng  der  eiozeln^i  Theo- 
reme  ist  dann,  wenn  das  gelungen  ist,  meist  ganz  einfach 
—  in  der  Tat  sind  ja  diese  Theoreme  fOr  alle  die  fer- 
Bchiedenen  Probleme  im  Wesen  dieselben,  was  gegealtber 
der  Verschiedenheit  der  Fonnen  nicht  genug  betont  wndeB 
kann.  Es  handelt  sich  darum ,  einen  Standpnnkt  za  ge- 
winnen, von  dem  aus  sich  die  Dinge  so  aoffasseo  lassen, 
wie  wir  es  brauchen.  Je  nach  Lage  des  Falles  vermag  tnu 
so  einen  größeren  oder  einen  geringeren  Teil  der  Sache  n 
aberblicken,  werden  die  Resultate  mehr  oder  weniger  Weit 
haben.  Immer  aber  ergibt  sich  auf  diesem  Wege  alles,  mi 
„retnökonomittch"  und  „statisch"  daran  ist.  Und  es  liegt 
da  ein  weites,  fruchtbai-es  Feld  der  Forschung,  dessen  Au5- 
lieutung  erst  in  den  Anfängen  steht.  Man  kann  sagen,  dtB 
gegenwärtig  selbst  die  elementarsten  Grundsätze  der  Methode 
den  meisten  Ökonomen  fremd  sinil,  durchaus  zum  Naebteik 
dieses  Kreises  von  Problemen;  um  so  mehr  liegt  sie  ihori 
bei  Fragen  ferne,  die  nicht  schon  seit  den  Anfängen  der 
Ökonomie  behandelt  wurden.  Aber  gerade  solchen  neun 
Aufgaben  muß  die  moderne  Theorie  sich  gewachsen  Migen 
Wir  wollen  uns  auf  die  folgenden  Bemerkungen  bescbrftnkee. 
Ein  wichtiger  Teil  der  Wirtschaftstehre,  der  sich  gleichs» 
ganz  von  selbst  der  Anwendung  unserer  Methode  darbietd- 
ist  das  Transportwesen.  Wie  man  leicht  sieht,  lassen  tki 
die  Wirkungen  der  Transportkosten  auf  Preis  und  AbBlt^ 
fAhigkcit  der  Waren  ohne  große  Schwierigkeit  ganz  so  auf- 
fassen wie  die  von  Zöllen,  so  daß  man  dieses  Problem  t^ 
dits  erste  der  von  uns  angeführten  reduzieren  kann  —  vii 
darin  liegt  die  ganze  ökonomische  Theorie  des  Transportf^ 
In  (lersell)en  Weise,  wie  im  Falle  von  Steuern  und  ZöllA 
fuhren  wir  die  Tarifsätze  in  unser  Gleichungssystem  'B 
und  bi'oliachten,  wie  sich  der  Gleichgewichtszustand  vsV 
ihrem  Kintlusse  ftndeit.  Daten  aus  der  Praxis  helfen  V 
dazu,  unseren  Sfttzen  einen  konkreten  Inhalt  zu  geben  v' 


Beüpiele.  513 

(iieselben  in  nähere  Beziehung  zu  einzelnen  Problemen  zu 
bringen.  So  kOnnen  vir  den  Einfluß  too  Differenzialtarifen, 
von  .Diskrimination",  von  Tarifkriegen  usw.  exakt  unter- 
suchen, soweit  diese  Dinge  rein  wirtschaftlich  und  soweit  sie 
statisch  zu  erklären  sind.  Sicherlich  reicht  das  nicht  aus, 
um  etwa  die  Tarifpolitik  eines  Staates  oder  selbst  auch  nur 
einer  Unternehmung  ganz  zu  verstehen.  Soweit  sie  ferne 
liegende  Zwecke  im  Auge  hat,  besonders  eine  Entwicklung 
fördern  oder  hindern  soll,  soweit  sozialpolitische  und  andere 
aufierwirtechaftliche  Momente  hineinwirken,  wird  man  immer 
eine  Diskrepanz  zwischen  Theorie  und  Tatsachen  linden. 
Aber  man  wird  sie  meist  befriedigend  erklären  und  stets 
einen  erheblichen  Teil  der  Erscheinungen  mit  unseren 
Mitteln  verstehen  können  —  vielleicht  einen  größeren,  als 
mancher  deutsche  Nationalökonom  anzunehmen  geneigt  ist. 
Besonders  wichtige  Dienste  leistet  uns  die  Theorie  des 
Monopoles,  da  den  meisten  grofien  Transportunternehmungen 
eine  monopolistische  oder  doch  monopolähnliche  Stellung  zu- 
kommt. Man  kann  sagen,  daß  alle  Fragen,  welche  in  das 
Schema  gebracht  werden  können:  Preisbildung  der  Trans- 
portleiBtungen  und  Rückwirkung  ihres  Preises  auf  den  der 
anderen  GOter  und  deren  Absatz  sehr  befriedigend  be- 
antwortet werden  können.  Nicht  nur  auf  die  wirklich  zum 
Transport  gelangenden  Waren,  auch  auf  alle  anderen  wirken 
die  Frachttarife  im  Sinne  unseres  „InterdepeDdenzsystemes". 
Es  muB  einen  Einfluß  auf  den  Preis  einer  Ware  haben, 
wenn  sie,  z.  B.  wegen  zu  hoher  Tarife,  am  Erzeugungsorte 
verbraucht  werden  muß.  Die  Wirkung  eines  Tarifes  ist  nicht 
mit  seinem  Einflüsse  auf  eine  konkrete  Ware  erschöpft, 
vielmehr  wirkt  das  auf  alle  Preise  und  Einkommen  der 
Volkswirtschaft  einerseits  durch  Erhöhung  mancher  Ein- 
kommen, anderseits  durch  Verringerung  anderer.  Alle  diese 
Dinge  werden  durch  unsere  Methode  klargemacht.  Endlich 
können  wir  die  Tarifeinnahmen  zu  den  Erzeugungs-  odc^r 
wenigstens  den  Betriebskosten  der  Transport  Unternehmungen 
ins  Verhältnis  setzen  und  diese  Beziehungen  untersuchen. 
Was  aber  bietet  die  übliche  Transporttheorie? 

8*haup*t*r,  NatioDftlakanoinl«.  ^ 


514  We 

Vor  allem  Gemeinplätze  aber  die  Wicbügkeit  des  Trans- 
portwesens, Ober  den  Einfluß  seiner  Fortschritte  auf  die 
EntwicklDDg  der  Völker.  Wir  hOren ,  da6  ohne  dasselbe 
eine  habere  Kulturstufe  unml^lich  sei,  daß  es  das  Moment 
der  ertlichen  Entfernung  tiberwinde  und  die  M&rbte  näher 
aneinander  rücke,  daß  es  ein  wesentlicher  Faktor  in  der 
Ausbildung  einer  Weltwirtschaft  sei  u.  dgl.  m.  Man  legt 
dar,  daß  der  briefliche,  telegraphische  und  telephonische 
Verkehr  ein  integrierendes  Moment  der  Technik  der  modemeo 
Wirtschaft  und  fOr  dieselbe  unentbehrlich  sei.  Die  Eisen- 
bahnen und  Dampfschiffe  haben  neue  Produktionskombina- 
tionen  möglich  gemacht  und  neue  Konjunkturen  geschaffen. 
Und  für  all  das  werden  uns  meist  Daten  gegeben,  auch 
meiBt  Überblicke  Ober  die  historische  Entwicklung.  Welchen 
wissenschaftlichen  Wert  hat  das?  Jedermann  weiß  air  das 
ohnehin  ganz  gut  und  ich  glaube,  daB  man  dergleichen  Au^ 
fflhrungen  nicht  ohne  Enttäuschung  zu  lesen  vermag.  De- 
skriptive Untersuchungen  dieses  Gebietes  haben  sicherlich 
ihren  Wert;  ja  sie  sind  unentbehrlich.  Aber  die  allgemeinen 
Erörterungen  der  theoretischen  Ökonomen  bieten  außer- 
ordentlich wenig  Interessantes. 

Sodann  aber  pflegt  man  Fragen  der  Verkehrspolitik  zn 
erörtern.      Eine    Eisenbahnunternehmung    ist    ein    für    die    ; 
ganze  Volkswirtschaft  sehr  wichtiger  Faktor,  sie  ist  femer  an 
sich  eine  große  Macht.     Die  Frage,  wie  sie  von  ihrem  Ein-   I 
flusse  Gebrauch  macht  und  ob  man  sie  den  Händen  Privater    , 
anvertrauen  solle  oder  nicht,  dann  die  Diskussion  der  Vor- 
und  Nachteile  des  Staatsbetriehes  beschilftigt  die  Ükonomeo 
viel    mehr,    als  theoretische  Probleme.    Die    mit    der   Er- 
scheinung der  „Diskrimination"   zusammenhängenden  volks- 
wirtschaftspolitischen  und  rechtlichen  Fragen  u.  ä.,  das  ist  es. 
was  man  hauptsächlich  unter  Transporttheorie  versteht. 

tiewiß  sind  dieseH)cn  sehr  wichtig;  gL'wiß  ferner  vermic  1 
die  Theorie  wenig  dafür  zu  leisten;  alter  es  sind  eben  weit- 
melir  praktische  als  wissenschaftliche  1-Ya^en   und   es  Ein^  I 
die    Argumente    von    Parteien     und    Interessentengruppen.  I 
denvii  man  auch  in  der  wissenschaftlichen  Literatur  begegnei-l 


Beispiele.  515 

In  ahnlicher  Weise  kann  man  jedes  Kostenelement  eines 
Gutes  und  endlich  Oberhaupt  jedes  Gut  herau^reifen ,  um 
stetfi  in  derselben  Weise  solche  allgemeine  Sfitze,  wie  wir 
sie  vorfahrten,  über  die  Wirkungen  kleiner  Änderungen 
seiner  Menge  oder  seines  Preises  zu  gewinnen.  Nichts 
anderes  war  das,  was  wir  bei  der  Theorie  der  Einbommens- 
verschiebungen  taten,  nichts  anderes  auch  die  Theorie  des 
Transportes.  Ähnliche  Anwendungen  gibt  es  viele,  wenn  sie 
auch  von  geringerer  Bedeutung  sind:  Das  tägliche  Leben 
liefert  sie  uns  in  Fülle,  und  angesichts  der  relativen  Kom- 
pliziertheit dieser  Fragen  und  ihrer  unleugbaren  Wichtigkeit 
ist  eine  sorgfältige  Ausarbeitung  der  Methode  sicherlich 
nicht  ohne  Wert.  Freilich  kommt  es  fOr  praktische  Zwecke 
meist  nur  auf  die  konkreten  Tatsnchen  an.  Die  Bedingungen, 
unter  denen  sich  der  Preis  z.  B.  der  Baumwolle  ändert  und 
welche  Wirkungen  das  auf  Absatz  der  Fabrikate  und  auf 
die  beteiligten  Industrien,  endlich  auf  die  ganze  Volkswirt- 
schaft hat,  alles  das  kann  nur  auf  Grund  statistischen 
Materials  jeder  Art  untersucht  werden  und  der  Praktiker 
wird  sich  in  Geschäft  und  Politik  an  seine  Kifahrung  and 
nicht  an  die  Theorie  wenden;  aber  die  Theorie  selbst  ver- 
mag aus  geschäftlicher  Erfahrung  und  Statistik  neue  An- 
regungen und  Probleme,  Daten  für  ihre  abstrakten  Schemen, 
ZQ  gewinnen  und  wird  sicherlich  früher  oder  später  imstande 
sein,  ihr  Gleich gew ich tssystem  und  dessen  Theoreme  den 
Tätlichen  anzunähern.  Die  Praxis  des  wirtschaftlichen 
Lebens,  besonders  die  der  Börsen  hat  zur  Ausbildung  einer 
ganzen  fieihe  von  populären  Theorien  Ober  Preisbewegungen 
usw.  gefuhrt,  die,  mdgen  sie  auch  noch  so  unvollkommen 
sein,  doch  den  Niederschlag  langer  Erfahrung  darstellen  in 
ahnlicher  Weise  wie  die  Wetterregeln  des  Landmannes. 
Ohne  sich  viel  Gedanken  über  die  tieferen  Zusammenhänge 
zu  machen,  weiß  der  erfahrene  Börsenmann  die  Änderungen 
der  Bankrate  vorherzusa<;cn  und  sich  die  Wechselwirkungen 
zwischen  den  Kursen  der  Börsenwerte  zunutze  zu  machen. 
Der  Geldmarktavtikel  jeder  Zeitung  enthält  mehr  Theorie 
—  und  mehr  für  die  Theorie  —  als  man    glnul>en  soUta. 


516  ^'^  Vuistioiuinethode. 

Freilich  erscheiaen  diese  theoretischen  Elemente  nar  nidi- 
ment&r  und  zasammenhaoglos ,  aber  unser  System  gibt  uns 
die  Mittel  an  die  Hand,  sie  zu  prQfen  und  zu  ordnen.  Auch 
hier  dürfen  vir  manches  von  der  Zukunft  erwarten,  mag 
es  auch  weit  zurückbleiben  hinter  den  kühnen  HofinuogeD. 
denen  man  sich  in  früherer  Zeit  hingab. 

Die  Steuer-  und  Zolltheorie  oder  besser,  die  Sätze, 
welche  die  Nationalökonomen  zunflchst  im  Anschlüsse  an  und  im 
Hinblick  auf  diese  Fragen  entwickelten,  stellen  also  nur 
Spezialfälle  eines  Gedankenganges  dar,  der  sehr 
weiter  Anwendung  fähig  ist,  insoferne  einen  allgemeinen 
Fall,  als  dabei  nicht  von  einem  bestimmten  Gute  die  Rede 
und  eine  Änderung  an  den  Produktionsverhältnissen  am 
einfachsten  durch  eine  Steuer  oder  einen  Zoll  zu  ver- 
anschaulichen ist.  Und  dieser  ganze  weite  Kreis  von  Pro- 
blemen vermag  von  unserem  Gleichgewichtssysteme  aus  eine 
wesentlich  vervollkommnete  Behandlung  zu  erfahren.  Diese 
Basierung  der  exakten  Steuertheorie  auf  eine  korrekte 
wissenschaftliche  Grundlage  einerseits  und  ihre  Verall- 
gemeinerung andererseits,  das  sind  Fortschritte,  welche  irh 
wohl  der  Aufmerksamkeit  des  Lesers  empfehlen  darf.  Es 
ist  ein  tiefer  t^inbltck  in  das  Getriebe  des  Wirtschaftslebens, 
den  uns  unser  System  hier  eröffnet. 

Noch  ein  Beispiel  einer  etwas  gewagteren  Anwendunf: 
unserer  Methode  wollen  wir  anführen ,  allerdings  nur  gsni 
kurz,  nämlich  die  Untersuchung  der  Wirkungen  eines  tech- 
nischen Fortschrittes,  also  bauptsilchlich.  um  das  Schlagwort 
zu  nennen,  unter  dem  die  betreffende  Diskussion  bekanni 
ist,  der  Wirkung  der  Einführung  von  Maschinen. 

Im  gewöhnlichen  Leben  finden  wir  bereits  die  beidrn 
Ansichten  vertreten,  zwischen  denen  auch  die  Wissenschnft 
schwankt:  Der  Typus  der  einen  ist  Ati»  Zeitungsfeuilleton. 
das  die  Errungenschaften  der  Technik  enthusiastisch  feiert 
und  alle  denkbaren  wohltätigen  Konsequenzen  von  densell<eii 
prophezeit;  der  Typus  der  anderen  ist  die  Auffassung  Afi 
Arbeiters,  der  die  Maschinen  verwünscht  und  gelegenilirt 
.zerstört.    Von  vornherein  können  wir  gewiß  sein,  daS  beklr 


Beiapiele.  517 

Ansichten  nicht  unbegründet  sind.  Denn  nur  selten  greift 
die  Praxis  des  täglichen  Lebens  vollständig  fehl:  Was  als 
Verirrung  aussieht,  ist  oft  ganz  folgerichtig  vom  Standpunkte 
des  Handelnden  und  der  Urteilende  vergißt  nur  zu  leicht, 
daß  auch  sein  Standpunkt  ein  subjektiver  ist.  Die  Tatsache, 
daß  eine  „arbeitersparende"  Erfindung  dem  Konsumenten 
im  großen  und  ganzen  und  zunächst  vorteilhaft  ist, 
ist  ebenso  unbestreitbar,  als  die  andere,  daß  der  Arbeiter 
in  seiner  Arbeitsgelegenheit  und  in  seinem  Lohne,  eben- 
falls im  großen  und  ganzen  und  unmittelbar, 
Schaden  leidet 

Die  wissenschaftliche  Diskussion  des  Themas  zeigt  die 
uns  vohl  bekannten  Zage.  Ohne  die  Frage  in  organischen 
Zusammenhang  mit  den  Grundlagen  der  Theorie  zu  bringen, 
versuchte  man  mit  allgemeinen  Argumenten  für  die  eine 
oder  die  andere  Auffassung  zu  streiten  und  zu  einer  ebenso 
allgemeinen  Antwort  zu  kommen ,  bis  man  sah ,  daß  man 
nicht  weiter  komme  und  stets  denselben  Argumenten  be- 
gegne,  die  ja  doch  niemand  aberzeugen,  mögen  sie  auch 
nicht  unbegründet  sein.  Dann  wandte  mau  sich  ermüdet 
von  der  Theorie  ab  und  verfiel  in  das  andere  Extrem  — 
nämlich  an  ihr  zu  verzweifeln  und  sich  mit  dem  Bewußtsein 
zu  begnügen,  ihre  Wertlosigkeit  erkannt  zu  haben.  Immer 
dasselbe  Schauspiel:  Prätensionen  und  Fehler,  berechtigte 
Angriffe  —  die  aber  wieder  zuweit  gehen  und  „das  Kind 
mit  dem  Bade  ausschatten"  —  und  dann  jener  Zustand, 
den  man  als  Desorganisation  der  Diskussion  bezeichnen 
kflnnte.  Aber  gibt  es  denn  kein  anderes  Mittel,  als  radikale 
Verwerfung  der  Theorie V  Gewiß,  nämlich  eine  bessere 
Theorie.    Wie  können  wir  dazu  gelangen? 

Dazu  zwei  Bemerkungen :  Einmal  können  —  und  müssen 
wir  eigentlich  —  die  Frage  in  die  Dynamik  verweisen. 
Ein  Hauptgrund  der  Resultatlosigkeit  der  Kontroverse  liegt 
gewiß  im  NichtauseiDanderhalten  von  „unmittelbaren"  und 
, weiteren"  Wirkungen,  von  kurzen  und  langen  Perioden. 
Marx  und  seine  Schüler  haben  vor  allem  auf  erstei-e,  die 
Kompensationstheorie  hat  besonders  auf  letztere  Gewicht  ge- 


518  Die  Tftriktiotiamethode. 

legt.  Aber  dann  fcönDen  wir  auch  vereucheo,  unsere  Denen 
Maschineo  in  das  statisctae  System  eiozuftthreo.  Prinzipiell 
ist  das,  vie  hier  nicht  mehr  ausgeführt  zu  irerdeu  braucht, 
unzulässig;  aber  wenn  ihr  Einßu6  kein  xa  grofier  ist,  so 
können  wir  es  dennoch  wagen.  Auch  geht  es  ohne  Weiteres 
nicht-,  aber  wir  kOnnen  uns  mit  verschiedenen  Kunstgriffen 
helfen.  Wir  wollen  die  letzteren  nur  andeuten:  Es  wtre 
nicht  ausreichend ,  einfach  eine  Zunahme  des  vorhandeoeii 
Werkzeugvorrates  anzunehmen.  Aber  vielleicht  ist  es  mög- 
lich, die  Tatsache,  daß  durch  diesen  Zuwachs  Arbeit  „aber- 
flOssig"  wird,  irgendwie  zum  Ausdrucke  zu  bringen.  Besser 
aber  wftre  vielleicht  die  Annahme,  daö  die  Erwerber  neuer 
Maschinen  nun  auf  einmal  in  den  Besitz  einer  be- 
stimmten Menge  von  Arbeit  gelangt  seien.  Hat  man 
so  —  oder  irgendwie  —  einmal  die  neuen  Maschinen  unserem 
Systeme  eingepaßt,  so  wird  uns  die  Variationsmetfaode  in 
einer  exakten  und  klaren  Weise  alle  Wirkungen  ihrer  Ein- 
fohrung,  soweit  sie  statische  sind,  automatisch  er- 
geben —  und  dann  wird  sich  eine  Fülle  interessanter  und 
wirklich  haltbarer  Resultate  einstellen.  Und  diese  werden 
sich  wohl  auch  unter  Verhältnissen  bewähren ,  die  streng- 
genommen nicht  „statisch"  genannt  werden  können. 

So  vermögen  wir  mit  unserer  Methode  schließlich  auch 
gegen  die  Probleme  der  Dynamik  vorzudringen.  Wie  weit?  D*s 
ist  stets  quaestio  facti.  N  i  e  können  wir  in  den  Kern  derselben 
eindringen;  die  großen  Entwicklungstendenzen  gehen  sicherlich 
an  unserem  Systeme  vorüber,  spielen  auf  anderen  Bohnen. 
Nur  wie  ein  Grollen  fernen  Donners  vernehmen  wir  hier 
ihre  Stimme.  Aber,  wie  immer  dem  sein  mag,  eine  große 
Menge  praktischer  Resultate  und,  was  wichtiger  ist  als  da. 
eine  Reihe  wertvoller  Erkenntnisse  vermag  uns  unsere 
Methode  immerhin  zu  geben.  Wohl  müssen  wir  lemeo. 
auf  die  Ansprache  der  filteren  Nationalokonomen  zu  ver- 
zichten, doch  bleibt  noch  genug  Wertvolles  zurück.  Für 
uns  handelte  es  sich  nur  darum  darzulegen,  daß  das  so  ist. 
und  wir  können  in  das  Detail  der  Sache  nicht  eingehen. 
Sicher  ist  unsere  Methode  ein  machtvolles  Instrument  zur  1 


Baiapi  ele. 


519 


Meisterung  der  Tatsachen,  das  uns  davor  schützt,  von 
diesen  gemeistert  zu  werden,  uns  in  ihnen  zu  verUereD. 
Wenn  man  einmal  ihren  Wert  erkannt  und  ihre  Lehren  he- 
berzigt  haben  wird,  so  wird  die  wissenschaftliche  Diskussion 
auf  ein  höheres  Niveau  gehoben  sein.  Nur  durch  das  Ver- 
ständnis der  Variationsmethode  fuhrt  der  Weg  zu  Sicherheit 
in  der  Losung  konkreter  ökonomischer  Probleme,  zu  jener 
Sicherheit,  um  die  wir  heute  die  Naturwissenschaften  be- 
neiden, —  und  auch  der  Weg  zu  Resultaten ,  die  der  all- 
gemeinen Anerkennung  würdig  sind  und  sie  finden  werden. 


Fünfter  Teil. 

Zusammenfassung  dessen,  was  sich  aus  dem 
Vorhergehenden  zur  Beurteilung  des  Wesens, 
Erkenntniswertes  und  der  Entwiclclungsniög- 
lichlieiten  der  theoretischen  Ölionomie  ei^bt. 


I.  Kapitel. 
Natur  oder  Wesen  der  exakten  Ökonomie. 


§  1.  leh  habe  mich  bestrebt,  den  wesentlichen  Inhalt 
jenes  Gebietes  d&rzulegen,  das  man  im  allgemeinen  unter 
theoretischer  Nationalökonomie  versteht.  Wohl  hat  besonders 
in  Deutschland  dieser  Terminus  eine  etwas  weitere.  Über- 
haupt andere,  Bedeutung  gewonnen  und  man  mag  eagen, 
daß  das  Gebotene  nur  einen  Teil  derselben  deckt,  etwa 
das,  was  man  als  reine  Verkehrstheorie  bezeichnen  könnte. 
Allein  unsere  Theoreme  und  jedenfalls  die  Grundlagen  unseres 
Systemes  gelten,  wie  wir  uns  herauszuarbeiten  bemohten, 
im  gro6en  und  ganzen  und  wenigstens  im  Wesen  für  jeden 
Znstand  der  Wirtschaft,  besonders  auch  für  die  „verkehrs- 
lose",  „geschlossene"  oder  „isolierte".  Außerdem  sahen  wir, 
daß  alle  anderen  Bestandteile  der  Nationalökonomie  ent- 
weder wertlos  sind  oder  wesentlich  anderen  Gebieten  an- 
gehören und  andere  Methoden  erfordern.  Deshalb  halten 
wir  Uta  fttr  berechtigt,  das  Gesagte  als  den  Kern  der 
Ökonomie  zu  bemchoen.  Aber  wir  wollen  darauf  nicht 
bestehen;  nenne  man  unsere  Disziplin  wie  man  wolle,  ent- 
scheidend ist  nur,  daß  sie  eben  eine  in  sich  geschlossene, 
autonome  Provinz  des  Reiches  des  Wissens  ist.  Lediglich 
aus  Zweckmäfiigkeitsgründen  halten  wir  an  dem  alten 
Namen  fest.  Nicht  was  der  moderne  deutsche  Soziologe, 
Sozialphilosoph  oder  selbst  Nationalökonom  als  sein  Gebiet 
abgrenzt,  behandeln  wir  hier  —  wir  geben  auch  kein  Urteil 
Ober  ihn  und  sein  Forschen  ab  — ,  sondern  eben  jene  alte 


524  ZnaamniBiifusiiiig  deaaen,  onr. 

KaUooalOkonomJe ,  welche  er  oft  ad  acta  legen  zu  sollen 
meint,  jene  Nationalökonomie,  welche  man  verachtet  oder 
verteidigt,  ohne  eigentlich  genau  zu  wiesen ,  was  von  ihr 
zu  halten  ist. 

Das  letztere  zu  sagen  oder,  besser,  unsere  Resultate 
bezüglich  dieser  Frage  nochmalB  zuBammenznfassen,  ist  der 
Zweck  dieses  letzten  Teiles  unserer  Arbeit.  Er  soll  im 
Prinzipe  nichts  Neues  mehr  bringen,  sondeni  nur  das  ent- 
halten, was  sich  meines  Erachtens  aus  dem  Vorhergehenden 
ergibt  —  ein  Endurteil  über  den  Erkenntniswert  unserer 
Disziplin.  Dasselbe  liegt  in  und  ergibt  sich  aus  dem  Ge- 
sagten ;  und  wenn  wir  hier  etwas  allgemeiner  sprecbea 
werden,  so  wolle  man  doch  nicht  vergessen,  daß  wir  daniin 
nicht  weniger  als  bei  unseren  früheren  Betrachtungen  auf 
der  praktischen  wissenschaftlichen  Arbeit,  auf  der  Erfahrung, 
die  sich  aus  ihr  ergibt,  und  auf  konkreten  wissenschaftlichen 
Zielen  fußen,  nicht  auf  allgemeinen  Obersfttzen  oder  auf 
metaphysischen  Spekulationen.  Der  Leser  wird  bald  sehen, 
daß  er  in  dieser  Beziehung  nichts  zu  befürchten  hat:  Unsere 
Absicht  ist  hauptsachlich  nur,  trocken  und  klar  zu  resn- 
niieren,  und  die  Einfachheit  und  Ntlchternheit  unserer  An$- 
fohrungen  wird  jeden  Verdacht  in  dieser  Richtung  ver- 
scheuchen und,  wie  ich  hoffe,  den  Eindruck  völliger  Bob« 
und  VerlSSlichkeit  niacheu.  Gerne  verzichte  ich  um  diesei 
Preis  auf  schillernde  Phrasen. 

Eigentlich  müßte  ich  ja  das,  was  ich  hier  sagen  will- 
dem  Urteile  des  Lesers  überlassen.  Im  Grunde  habe  ifl> 
kein  Recht,  demselben  vorzugreifen.  Tatsächlich  würde  aacb 
in  keiner  anderen  exakten  Disziplin  ein  solcher  Anhang  u 
die  eigentliche  Darstellung  nötig  sein,  auch  in  Arbeit« 
nicht,  welche  mehr  Gewicht  auf  erkennt nistheoretiKlx 
Fragen  legen,  als  es  üblicherweise  geschieht.  Ziele  od' 
Methoden,  Wert  der  Resultate  —  das  ist  dort  alles,  selb^ 
heute,  wo  die  Kritik  auch  vur  den  8tolze.sten  wissenschaft- 
Hchen  GeMuden  nicht  Halt  macht,  viel  zu  klar,  um  einta 
weiteren  Publikum  gegenül>er  besonders  auseinandergeselH  1 
werden  zu  müssen:    Dort  sind  es  die  Wenigen,  wekki 


Nfttnr  oder  Wesen  der  exakten  Ökonomie.  525 

zweifeln,  die  Vielen  vertrauen.  Allein  bei  uns  Terhftlt  es 
sieb  umgekehrt.  Und  wenn  ich  nicht  selbst  nun  einiges 
sagen  würde,  um  das,  was  ich  fQr  die  Wahrheit  halte,  dem 
Oöwirre  vod  Parteimeinungen  entgegenzuhalten,  so  wflre  ich 
nichts  weniger  als  beruhigt  darüber,  welches  Endurteil  Ober 
Wesen  und  Wert  der  theoretischen  Ökonomie  aus  dem  Ge- 
sagten  geschöpft  würde.  Zu  groß  ist  die  Macht  der  Partei- 
phrasen über  die  Geister,  zu  wenig  sind  die  letzteren  daran 
gewöhnt,  sich  die  Sache  selbst  und  nicht  ihren  politischen 
oder  philosophischen  Theaterniantel  anzusehen.  Nochmals 
also:  Wie  steht  es  um  die  kleine  exakte  Insel  von  Wissen, 
die  wir  hier  der  Aufmerksamkeit  empfehlen?  Was  ist  ihre 
Natur,  ist  sie  eine  Sandbank  oder  ein  Felsen?  Gibt  es 
or|;aniscfaeB  Leben  auf  ihr  oder  nicht,  ist  sie  fruchtbar  oder 
unfruchtbar,  als  Kohtenstation  oder  sonstwie  zu  gebrauchen, 
was  ist  sie  wert?  Und  wie  verhalt  sie  sich  zum  großen 
Festlande  des  übrigen  exakten  Wissens  der  Menschheit  einer- 
seits und  zum  Meere  von  Tatsachen  um  sie  herum  ander- 
seits? Diese  Fragen  wollen  wir  denn  kurz  zu  beantworten 
suchen.  Allein  dabei  werden  wir  nicht  vergessen  dürfen, 
daß  beim  Leser  die  Entscheidung  darüber  liegt,  was  er 
davon  halten  will.  Nur  ganz  kurz  und  fast  nur  andeutungs- 
weise mögen  also  eine  Anzahl  mir  wichtig  scheinender 
Gesichtspunkte  hervorgehoben  werden,  und  im  übrigen  wollen 
wir  uns  von  jedem  Absolutismus  fernhatten  und  nicht  nur 
jedermann  die  Freiheit  seiner  Meinung  notgedrungen  zu- 
gestehen ,  sondern  selbst  hervorheben ,  daß  man  Ober  viele 
Punkte  verschiedener  Meinung  sein  kann,  ja  sogar  sein 
muß, ohne  daß  eine  davon  das  Privilegium  alleiniger  Richtig- 
keit für  sich  in  Anspruch  nehmen  könnte. 

Aber  außerdem  werden  wir  noch  etwas  anderes  hier  zu 
erörtern  oder  doch  zu  streifen  haben.  Nicht  nur,  was  man 
aber  das,  was  die  Ökonomie  heute  bietet,  denken  solle,  ist 
so  unklar,  sondern  auch  und  vielleicht  noch  mehr,  was  man 
für  sie  von  der  Zukunft  zu  hoffen  hRlM>.  Nach  welcher 
Richtung  und  wie  ist  weiterzuarbeiten?  Gibt  es  Oberhaupt 
noch  Neues  zu  entdecken  oder  ist  das  Wesentliche  schon 


526  Zusammenfusuiig  deaseD,  nav. 

geleistet?  Und  wo  liegt  dieses  „Neue",  welche  Wege  fohreo 
dazu?  Ist  die  heutige-  Grundlage  unserer  Disziplin 
entwicklungsfähig  oder  bereiten  sich  grundstorzende  Ände- 
rungen vor,  wie  manche  „Reformatoren"  meinen?  MQssen 
andere  Methoden  gefunden  werden,  um  weiter  vorzudringen 
oder  kann  man  mit  den  alten  uoch  Erhebliches  gewinnen? 
Auch  diese  Fragen  sind  schon  im  Vorhergehenden  beant- 
wortet und  es  erübrigt  nur  noch  —  ist  allerdings  auch 
noch  nötig,  —  diese  Antwort,  die  uns  unsere  bisberigeo 
Ausführungen  von  selbst  geben,  zu  formulieren.  So  werden 
sich  also  einige  Ausblicke  ergeben  auf  die  große  Frag« 
„Was  nun?"  und  auf  die  nächste  Zukunft  unserer  Wissen- 
schaft. Nur  kurz  und  unvollkommen  kann  das  sein,  was 
wir  hier  geben  können.  Und  auch  hier  wird  der  Leser  für 
sich  zu  entscheiden  haben:  Was  es  noch  gibt  auf  unseren 
Felde,  Über  das  Geleistete  hinaus,  das  läßt  sich  nur  in  be- 
schränktem Maße  präzise  sagen.  Und  damit  wollen  «ir 
uns  begnügen.  Das  Weitere  kann  nur  jeder  fühlen, 
ahnen  und  seine  Hoffnungen  werden  verschieden  sein  je 
nach  seiner  Kraft  und  seinen  Neigungen.  Die  Ansicht.  Hafl 
alles  schon  getan  sei,  ist  ebenso  bequem  und  oberflächlich, 
wie  die,  dafi  alles  noch  zu  tun  sei.  Beides  ist  nicht  ernst 
oder  doch  nicht  wörtlich  zu  nehmen.  Die  Wahrheit  liegt 
zwischen  beiden  Extremen,  aber  keineswegs  fUr  jedennano 
an  derselben  Stelle:  Dem  einen  scheint  das  Geleistete  voll- 
kommener, dem  anderen  reformbedürftiger,  je  nach  seiner 
Persönlichkeit  und  dem  Standpunkte,  den  ihm  seine  kon- 
krete Arbeit  anweist  Wer  auf  den  Neubrüchen  arbeitet 
hat  weniger  Blick  fUr  die  kleineren  Mängel  des  Details  der 
Theorie,  wer  gerade  da.s  letztere  ausarbeitet,  oft  wmf 
Verständnis  für  die  Tätigkeit  des  anderen.  Beide  «erdea 
verschieden  denken  über  die  Richtung  und  die  Mittel  des 
weiteren  Fortschrittes.  Und  jede  dieser  subjektiven  An- 
schauungen hat  ihre  Berechtigung,  und  ein  exakter  Nacbvei) 
dos  Rechtes  oder  Unrechtes  des  einen  oder  des  anderen  iA 
unmöglich.  Das  hat  jeder  schließlich  nur  mit  sich  seltet 
auszumachen. 


Natur  oder  Wesen  der  exakten  Ökonomie.  527 

§  2.  Die  Frage  nach  dem  Wesen  unseres  exakten 
Systemes  läßt  sich  nunmehr,  auf  Grund  dessen,  was  wir 
bereits  darüber  sagten,  sehr  kurz  und  klar  beantworten. 
Die  reine  statische  Ökonomie  ist  nichts  anderes  als  ein 
abstraktes  Bild  gewisser  wirtschaftlicher  Tatsachen,  ein 
Schema,  das  zur  Beschreibung  derselben  dienen 
soll.  Es  beruht  auf  gewissen  Annahmen  und  ist  i  n  s  o  w  e  i  t 
ein  Geschöpf  unserer  Willkür,  ganz  ebenso  wie  das' 
jede  andere  exakte  Wissenschaft  ist.  Sagt  also  der  Historiker, 
dafi  unsere  Theorie  ein  Gebilde  unserer  Phantasie  sei,  so 
bat  er  in  einem  Sinne  Recht.  Sicherlich,  in  der  Welt  der 
Erscheinungen  selbst  liegen  an  sich  weder  unsere  „An- 
nahmen'' noch  unsere  „Gesetze**.  Aber  daraus  folgt  noch 
keine  Einwendung  gegen  dieselben.  Denn  das  hindert  nicht, 
dafi  sie  auf  die  Tatsachen  passen.  Woher  kommt  das  nun? 
Lediglich  daher,  dafi  wir  bei  Konstruktion  unseres  Schemas 
zwar  willkürlich  aber  vernünftig  vorgegangen  sind,  dasselbe 
eben  mit  Hinblick  auf  die  Tatsachen  entworfen  haben. 
Um  die  Wendung  eines  tiefen  Denkers  zu  gebrauchen :  Der 
Schneider  erzeugt  allerdings  den  Rock  und  derselbe  ist  in- 
sofern ein  Produkt  seiner  Willkür,  als  er  ihn  ja  auch  anders 
hätte  zuschneiden  können.  Trotzdem  werden  wir  erwarten, 
dafi  er  pafit  und  uns,  wenn  das  der  Fall  ist,  durchaus  nicht 
darüber  wundem.  Denn  er  wird  ihn  eben  nach  Mafi  macheu. 
So  werden  auch  wir  unsere  Souveränität  nicht  mifibrauchen, 
sondern  solche  Annahmen  machen,  welche  uns  von  den  Tat- 
sachen aufgedrängt  werden  und  von  welchen  wir  vernünftiger- 
weise annehmen  können,  dafi  sie  von  denselben  nicht  des- 
avouiert werden  werden.  Trotzdem  kann  das  stets  geschehen 
und  alles,  was  wir  dem  gegenüber  tun  können,  ist,  unsere 
grundlegenden  Annahmen  so  zu  wählen,  dafi  wir  dieser 
Eventualität  mit  Beruhigung  entgegensehen  kOnnen.  Wir 
arbeiten,  um  bei  unserem  Bilde  zu  bleiben,  nicht  stets  „nach 
Mafi*",  sondern  wünschen,  dafi  unser  Schema  auch  auf  Tat- 
sachen pafit,  welche  wir  nicht  beobachtet  haben.  Aber  wie 
der  Schneider,  der  ein  Lager  fertiger  Röcke  hält,  erwarten 
wir,  dafi  unsere  Ware  einer  hinreichenden  Anzahl  von  Kunden 


526  ZnMunmenfMEang  deaMn,  tuw. 

pafit.  Und  QDBere  Erwartung  beetlltigt  sich  im  groSen  and 
g&nzea.  Der  Schneider  sagt  dann,  seine  Röcke  hätten  ,g«< 
paBt",  vir  sagen,  unsere  Sfitze  sind  „allgemeingflitig*. 

Das  letztere  nun  hei6t  nicht  —  und  kaum  braueheo 
wir  das  noch  hervorzuheben  — ,  daß  sie  irgendwelche,  dem 
Universum  vorgeschriebene  „Gesetze"  seien  oder  gar,  daß 
sie  die  Welt  der  Erscheinungen  wie  außerhalb  derselbeo 
stehende,  metaphysische  Wesen  regieren,  sondern  gar  nichts 
anderes,  als  daß  sie  sich  in  erheblichem  Mafie,  in  so 
erheblichem  Maße  bew&hren,  daß  sich  ihre  Aufstellung  lobot. 
Doch  tun  sie  das  nicht  durchaus.  Oft  stoßen  wir  aof  wider- 
sprechende Instanzen.  Nun  ,  solchen  gegeuober  iat  groBer 
Takt  nOtig.  Bald  wird  man  sie  vemachlftssigen ,  bald  mit 
Hilfshypothesen  bändigen ,  bald  andern  Gebieten  zuweises 
und  in  unserer  Theorie  von  ihnen  abstrahieren ;  mitunter 
wird  es  sich  aber  empfehlen,  ihnen  gegenüber  unsere  sonstige 
Betrachtungsweise  fallen  zu  lassen.  Wie  gesagt,  hier  richtig 
zu  verfahren,  ist  schwierig  und  ein  wesentliches  Kriterium 
wissenschaftlicher  Befähigung.  Wir  müssen  die  Tatsachen 
treu  wiedergeben  —  das  ist  ja  der  ganze  Zweck  unserem 
Vorgehens  — ,  aber  wir  dui-fen  uns  doch  von  ihnen  nicht 
meistern  liissen.  Wie  ein  Klknstler  sein  Objekt  sorgnitif 
beobachten  muß,  aber  dennoch  sich  nicht  im  Detaile  in- 
Heren  darf,  so  müssen  auch  wir  den  beiden  entgegengesetxtri 
Forderungen  genQgen  —  und  gleichzeitig  dem  Überwuchert 
der  Einzel tatsachen,  das  die  großen  Linien  verwischt,  wehret 
und  die  Naturwahrheit  nicht  verleugnen ,  die  Tatsaebn 
sozusagen  disziplinieren  und  doch  sich  ausleben  lassen.  Kasi 
jemand  steuert  ganz  unbeschadet  zwischen  dieser  SeylU 
dieser  Charybdis  hindurch,  und  jedenfalls  gibt  es  keine  >b- 
Eoluten  Regeln  dafor.  Es  ist  nun  außerordentlich  wiehtif 
für  das  richtige  Verständnis  unserer  und  schließlich  je<l<f 
Theorie,  sich  dieses  arbiträren  Charakters  derselben  bewufitn 
bleiben  und  in  ihr  nicht  den  Ausdruck  irgendweicher  „absoluter* 
Wahrheiten  zu  suchen.  Eine  Beschreihungsmethode,  nicku 
anderes  ist  sie  und  als  solche  muß  sie  beurteilt  und  schleckt 
und  recht  eingerichtet  werden.    Wenn  man  sagt,  daß  ■■■ 


Nfttnc  oder  Weaen  der  eiftkten  ökoDomie.  529 

das  .WeseDtlicbe"  oder  gar,  daß  man  das  „Notwendige"  in 
den  theoretischen  Gesetzen  zum  Ausdrucke  bringe  und  das 
„Zufällige"  vernachlässige,  so  heifit  das  nicht,  daß  zwischen 
den  Bo  bezeichneten  Kategorien  von  Tatsachen  ein  wesent- 
licher Unterschied  bestehe,  dafi  die  einen  die  Konsequenz 
großer  Gesetze  und  die  andern  ,nnr"  Störungsursachen 
seien ;  es  heiSt  das  nicht  einmal ,  dafi  die  ersteren  absolut 
„wichtiger"  seien  als  die  letzteren  oder  daß  diese  eine  Ten- 
denz zum  Verschwinden  hätten;  es  liegt  darin  bloß 
eine  Maßregel,  die  Darstellung  zu  vereinfachen  und  zu 
verhindern,  dafi  sie  hoffnungslos  kompliziert  werde.  Hat 
man  das  einmal  begriffen,  weiß  man  insbesondere,  daß  nur 
der  Zweck  die  Theorie  heiligt,  nur  der  Erfolg  sie  recht- 
fertigt, so  fallen  viele  Einwendungen,  freilich  auch  viele 
Prätensionen  weg,  die  unsern  Pfad  sonst  verbarrikadieren. 
Allerdings  gibt  es  einen  Sinn,  in  dem  man  sagen  kann, 
daß  die  Theorie  absolut  gültig,  ja  unfehlbar  und  selbst  von 
Tatsacheubeobachtung  unabhängig  sei-  Das  ist  baltbar  von' 
ihrer  „logischen  Richtigkeit".  Wie  man  gesagt  hat,  daß 
die  Theorie  des  Lichtes  „unabhängig"  sei  von  der  Existenz 
irgendeiner  ihr  entsprechenden  Erscheinung,  ebenso  könnte 
man  das  auch  von  der  reinen  Preistheorie  behaupten.  Aber 
es  wäre  eine  große  Täuschung  zu  glauben,  daß  man  dadurch 
etwas  für  die  Theorie  gewonnen,  ihr  gleichsam  eine  höhere 
Weihe  gegeben  habe.  Denn  was  heißt  der  Satz,  wenn  er 
richtig  sein  soll?  Ersichtlich  nichts  anderes,  als  dafi  ein 
System  irgendwie  definierter  Begriffe  mittelst  der  Regeln 
der  L(^k  eine  Ablt;itung  von  gewissen  Urteilen  gestattet, 
gegen  die  vom  Standpunkte  eben  dieser  Regeln ,  wenn  nur 
gegen  sie  nicht  verstoßen  wurde,  nichts  eingewendet  werden 
kann.  Das  ist  freilich  wahr,  sogar  eine  Selbstverständlich- 
keit, ein  Truismus  und  gilt  wie  von  jedem  Begriffssysteme, 
BO  auch  von  dem  der  Ökonomie.  Aber  was  nützt  uns  das? 
Nichts,  gar  nichts.  Deshalb  könnte  ein  solches  System  noch 
immer  jeder  Brauchbarkeit,  ja  jeden  Sinnes  entbehren.  Sein 
Erkenntnis  wert  kann  ihm  nur  von  dem  Tatsachenvorrate 
kommen,  .der  zu  seiner  Aufstellung  Anlaß  gegeben  hat,  nur 

8sbamp*l*t.  NktianiilflkDiiDinie.  %K 


gSQ  Btu4mHiMfhaBiing  deMvh,  naw. 

durch  dieBen  Est  es  charakterisiert  und  nur  voo  ihm  aus 
tu  ventehsb. 

Das  ist  alles  i  was  vir  bier  ober  die  Frage  nach  der 
Natur  der  theoretiaclieD  Ökonomie  BEgen  wollen.  Ober  die 
Frage,  was  etgeDtlicb  die  Ökonomen  tun,  wenn  sie 
Theorie  tteiben.  Man  hat  sich  dieselbe  meist  in  der  Fora 
gestellt,  dafi  man  fragte,  ob  die  Theorie  deduktiv  oder  ioduktiv 
sei.  Die  Antwort  lautete  auf  das  erstere  und  ein  ganz  er- 
bittertet Streit  ober  die  Vor-  und  Nachteile  der  DeduktioD 
*ar  die  Folge.  Wir  können  den  beteiligten  Parteien  our 
unser  Bedauern  darüber  aussprechen.  Abgesehen  daroa. 
daS  es  nicht  Aufgabe  einer  SpezialdisEiplin  sein  kann,  ober 
eine  logische  Methode  abeuurteilen  —  ebensogut  hatte  man 
Ober  den  „Modus  Barbara"  streiten  kfinnen  — ,  ist  die  gan» 
Fragestellung  verfehlt.  Was  heifit  „einseitig  deduktives 
Vorgehen"  ?  Was  soll  uns  eine  Glorifizierung  der  Deduktion  r 
Aber  vor  allem  ist  mir  unverständlich,  wie  die  Vertreter 
der  Theorie  denn  zugeben  konnten,  daß  die  letztere  lediglich 
deduktiv  sei.  Wollten  sie  damit  sagen,  daß  die  Theorie  eine 
Deduktion  nus  gewissen  ewigen,  unnhilnderlichen  Gesetzen 
darstelle,  so  trftfe  sie  allerdings  der  Vorwurf  haltlosester 
Spekulation,  —  wie  der  letztere  in  einem  gewissen  Zusaniinen- 
hfliige  mit  dem  deduktiven  Vorgehen  Qberhiiupt  steht,  so 
wenig  notwendig  ein  solcher  Zusammenhang  an  sich  aurh 
ist.  Doch  lassen  wir  das  und  beantworten  wir  lieber  kun 
die  Frage:  In  welchem  Sinne  ist  unsere  Theorie  deduktiv/ 
Nun.  in  demselben  Sinne  wie  jede  exakte  Wissenschaft, 
sagen  wir  etwa  wie  die  Astronomie.  Dennoch  kann  « 
nieinnnd  heifalleii.  der  letzteren  ihren  empirischen  Charakter 
oder  ihre  Begründung  in  den  Tatsachen  alizusprechen.  Wie 
verhalt  sich  also  die  Sache?  Unsere  Ausgangspunkte  sind 
sicherlich  induziert.  Darauf  folgen  sowohl  weitere  lit- 
duktionen  wie  auch  Deduktiouen.  ohne  daß  ein  unbefangener 
Beobachter  darin  etwas  Anstößiges  oder  nherhaupt  Auf- 
fallendes sehen  kOnnle.  r>as  ist  so  einfnch  wie  nur  möglich. 
Was  von  unseren  grundlegenden  Annahmen  zu  halten  ist, 
haben  wir  ebenfalls  schon  gesagt.    Daß  sie  keine  Forderangei 


"I 


Nitnr  oder  Wettn  der  esftkteo  Ökonomie.  5gl 

sind,  braucht  nicht  mehr  betont  eu  werden.  Aber  auch  ab- 
gesehen davon  können  HTpothesen  noch  verschiedene  Rollen 
spielen,  namentlich  die  folgenden  Ewei :  Eine  Hypothese  kann 
eine  Aussage  Ober  Tatsachen  sein,  eine  Vermutung  Ober  ' 
ein  tatsAchliches  Geschehen  ausdrQckeu  oder  Sie  kann  eine 
formale  Annahme  sein,  der  an  sich  nichts  in  der  Wirklich- 
keit zu  entsprechen  braucht,  die  aber  tu  gesunden  Resultaten 
fuhren  muß.  Von  der  ersteren  Art  sind  z.  B.  die  Hypothesen 
der  Geschichte,  wie  etwa  die  Qber  das  Entstehen  der  SUIdte; 
von  der  letztem  die  der  exakten  Wissenschaften ,  wie  z.  fi. 
die  Molekularhypothese.  Beide  Spielarten  sind  sowohl  dem 
Wesen  wie  der  wissenschaftlichen  Rolle  nach  verschieden. 
Dem  Wesen  nach:  Die  einen  sind  Versuche,  einen  der  Be- 
obachtung nicht  zug&nglichen  Tatbestand  zu  rekonstruieren 
und  bedürfen  der  Verifizierung,  die  andern  sind  willkDrliche 
Festsetzungen  und  bmuchen  an  sich  nicht  „wahr"  zu  sein, 
wenn  sie  nur  das  Gewünschte  leisten.  Der  Rolle  nach:  Die 
ersteren  stellen  selbst  schon  Resultate  dar  und  wollen  uns 
einwiesen  vermitteln,  das  der  Zweck  ihrer  Aufstellung  ist; 
die  letztern  sind  methodologische  Hilfskonstruktionen,  welche  . 
uns  an  sich  nichts  sagen,  sondern  nur  zu  andern  Resultaten 
helfen  sollen.  Beide  beruhen  auf  Tatsachen,  sowohl  die 
^faiatorischen",  wie  die  „exakten"  Hypothesen,  aber  in  ganz 
verschiedener  Weise :  Die  einen  beruhen  auf  einem  Tatsachen- 
materiale  —  sonst  stunde  es  schlimm  um  sie  —,  nur  auf 
einem  unvollständigen,  das  sie  ergänzen  sollen;  auch  zur 
Aufstellung  der  andern  veranlassen  uns  Tatsachen  — 
sonst  wQrde  „unser  Rock  nicht  passen"  — ,  aber  im  Prinzipe 
ist  die  Festsetzung  dieser  Hypothesen  willkürlich  und  nicht 
notwendig  vom  AbhandeiiBeio  von  Gegen  Instanzen  abhftugig. 
Die  erstere  Art  von  Hypothesen  endlich  kann  Gegenstond 
ernster  Meinungsverschiedenheiten  sein,  die  letalere  aber  ist 
an  sich  indifferent,  und  nur  ihre  ZweckmilSigkeit  kann 
diskutiert  werden,  nicht  ihre  „Richtigkeit".  Nun,  nur  von 
dieser  Art  sind  unsere  Hypothesen.  Sie  sind  an  sich 
darchans  unschuldig  und  involvieren  nichts,  woran  man  von 
irgendeinem  Standpunkte  prinzipiell  Anstoß  nehmen  könnte. 


Uad  hittem  das  Tkevretiker  «sd  G<*gMr  der  Theorie  immer 
erkmoBl.  so  «irea  «Bsrrer  Diszqdm  riel  onfnichtbare  Dis- 
kusnoBen  ersptrt  gebUebe«. 

Was  der  Htstoiiker  wirklich  Bei  Dt,  wenn  er  der  Theorie 
ihr  ,dediiktiTes  Vorgehe«*  Tonrirft  und  Tatsachenstudium 
Terlangt.  ist  —  Mifirerstiadiiisse  seinerseits  und  Übergriffe 
der  Theoretiker  ausgenommeii  —  nicht,  da6  die  Theorie 
keine  Tatsachen  beachte,  sondern  vielmehr  etwas  anderes. 
Er  meint,  und  vielleicht  teilweise  mit  gntem  Rechte,  daß 
andere  Tatsachen,  als  die  von  der  Theorie  beschriebenen, 
interessanter  seien.  Wenigstens  ist  das  der  wichtigste  Inhalt 
der  historischen  Einwendungen,  wenn  aach  nicht  ihr  einziger. 
Doch  davon  wollen  wir  hier  nicht  sprechen.  Vielmehr  soll 
an  dieser  Stelle  nar  das  Verhältnis  der  Theorie  zu  ihrem 
eigenen  Tatsachenmateriale  angedeutet  werden.  Das  kann 
mit  wenig  Worten  geschehen :  Daß  jedes  Theorem  und  jedes 
Resultat  an  den  Tatsachen  verifiziert  werden  muß,  ist  klar 
und  wird,  wenn  auch  in  praxi  oft,  sehr  oft  vernachlässigt, 
im  Prinzipe  von  jedermann  anerkannt.  Ebenso  klar  ist, 
sollte  man  meinen,  daß  auch  die  Ausgangspunkte  jedes 
theoretischen  Gedankenganges  nur  Tatsachen  sein  können 
und  daß  nur  aus  Tatsachenbeobachtungen ,  wenn  auch  oft 
indirekt,  alle  ihre  Resultate  Hießen.  Woher  kommt  es,  dad 
das  nicht  immer  erkannt  und  noch  seltener  entsprechend 
betont  wird?  Das  wäre  schwer  zu  erklären.  Aber  sicher 
ist,  daß  dadurch  den  Gegnern  der  Theorie  ihre  Aufgal>e 
ungebührlich  erleichtert  wurde.  Jedoch  ist  das  noch  nicht 
alles.  Auch  in  den  theoretischen  Gedankengang  selbt^t 
spielen  Tatsachenbeobachtungen  richtunggebend,  korrigierend, 
anregend  und  warnend  hinein  —  und  das  wird  am  wenigsten 
begriffen.  Hoffentlich  ist  es  gelungen,  im  Früheren  Beispiele 
dafür  überzeugend  anzuführen.  Dieses  Moment  deckt  eine 
viel  engere  Beziehung  zwischen  Theorie  und  „Dei>kription* 
auf,  als  selbst  unser  Nachweis,  daß  beide  im  Grunde  wesens- 
gleich seien:  Sie  müssen  auch  in  praxi  stets  Hand  in 
Hand  gehen.  So  wie  man  über  die  allereinfaohsten  Elemente 
lausgeht,  werden  neue  Ausblicke  in  die  Wirklichkeit  ndtig. 


Natur  oder  WeMn  der  exakten  Ökonomie.  533 

neue  Daten  unentbehrlich.  UdiI  vie  die  Theorie  den  Blick 
für  die  Tatsachen  —  unter  aller  Reserve  sei  es  gesagt  — 
zu  sch&rfen  vermag,  so  wirken  diese  bei  jedem  Schritte  be- 
fruchtend auf  die  Theorie  zurück:  Die  kleinste  Beobachtung 
kann  zu  einer  aberraschenden  Wendung  fahren.  Endlieh 
noch  haben  nir  Punkte  kennen  gelernt,  an  denen  die  reine 
Theorie  völlig  versagt  und  vro  sie  das  Feld  ganz  neuem 
Tatsacbenstudium  räumen  mufi.  Um  diesen  Teil  unseres 
Argumentes  zu  resümieren:  An  sich  sieht  das  Greb&nde  der 
Theorie  sehr  unabhängig  aus;  aber  dennoch  beruht  es  ganz 
und  gar  auf  Tatsacheubeobachtung;  ja  die  Notwendigkeit 
und  der  Eintlufi  (ierselben  reicht  viel  weiter,  als  im  all- 
gemeinen erkannt  uud  zugegeben  wird.  Der  entscheidende 
Punkt,  auf  den  alles  ankommt,  liegt  in  der  Scheidung  zweier 
verschiedener  Aspekte  der  Sache :  Einerseits  haben  wir  die , 
prinzipielle  Willkürlichkeit  unserer  Theorie,  auf  der  ihr 
System,  ihre  Strenge  und  Exaktheit  beruht  und  andererseits 
ihr  Passen  auf  und  Bedingtsein  durch  die  Erscheinungen,- 
welche  allein  ihr  Inhalt  und  Wert  geben.  Hält  man  diese 
Mouiente  auseinander  und  setzt  man  sie  ia  das  richtige 
Verhältnis  zueinander,  so  ergibt  sieb  eine  klare  Auffassung, 
welche  die  Schwierigkeiten  und  Zweifel,  wie  sie  uns  in  der 
üblichen  Diskussion  dieser  Fragen  begegnen ,  erfolgreich 
überwindet. 

Man  könnte  alles  das  von  jeder  exakten  Disziplin  sagen. 
In  dir  Tat  ist,  wie  wir  schon  früher  sagten  und  wie  sich 
nunmehr  wohl  zur  Evidenz  ergibt,  die  theoretische  Ökonomie 
ihrem  Weceo  nach  eine  e:takte  Wissenschaft,  wie  etwa  die 
reine  Mechanik,  mit  der  sie  so  oft  verglichen  wurde.  Wir 
sehen  nun,  daß  in  diesem  Vergleiche  ein  richtiges  Moment 
liegt.  Man  könnte  selbst  sagen,  dafi  alle  exakten  Disziplinen, 
die  unsere  eingeschlossen,  nicht  nur  wesensgleich,  sondern 
eigentlich  nur  ein-  und  dasselbe  sind:  ein-  und  dasselbe 
Gleichnng-systeni  nftmlicb,  immer  dasselbe  Gleichgewichts- 
Problem  bildet  den  Kern  aller  —  der  einzige  Unterschied 
liegt  in  der  Interpretation  der  einzelnen  Glieder  der 
Gleichungen.     Dabei   sind  wir  uns  wohl  bewu6t,  dafi  auch. 


IB  des  EmvcBivBgiB.  Ae  ia  df«  KreiseB  der  Ökonoieeii 
geftm  Mlche  Yer^ekhe  erhoben  wurden,  ein  gesunder  Simi 
liegt  oder  dock  liefen  kmnn.  Teilweise  beruhen  diese  Ein- 
wendungen allerdings  auf  Vorurteilen,  aber  zum  Teile  siiid 
sie  gewiß  berechtigt,  und  eine  mechanistische  Auffassiuig 
s.  B.  de«  Wesens  der  Volkswirtsehaft  mufi  gewiß  bedenklich, 
ja  Torfehlt  und  jedenfalls  als  veraltet  erscheinen.  Aber  wir 
kalten  uns  von  den  hier  liegenden  möglichen  Fehlgriffen  frei. 
Wir  giengen  von  keinem  derartigen  Obersatze  aus,  sondern 
traten  unbefangen  au  unsere  Aufgaben  heran,  wobei  sieb 
lediglich  nachher  ergibt,  daß  auch  das  GerOste  der  reinen 
Ökonomie  ein  Gleichungssystem  von  jener  Art  ist,  wie  wir 
es  in  andern  exakten  Disziplinen  finden.  Dann  aber  ziehen 
wir  keinerlei  materielle  Schlosse  aus  diesem  Bach  verhalte, 
weder  solche  sozialer  oder  politischer  Natur  noch  überhaupt 
irgendwelche,  erkennen  vielmehr  ausdrücklich  an,  daß  der* 
gleichen  nicht  möglich  ist.  Kur  formal  und  methodologisch 
gilt  jene  Analogie  und  auch  da  nur  für  gewisse  grundlegende 
Theoreme.  Das  kann  nicht  mehr  bedenklich  erscheinen  als 
etwa  die  Behauptung,  daß  Ähnliche  logische  Regeln  sowohl 
für  die  Ökonomie  wie  für  die  Mechanik  sieh  bewähren. 
Soweit  meinen  wir  allerdings,  daß  unser  Vergleich  zur  Be- 
leuchtung des  Wesens  unserer  Disziplin  sehr  gute  Dienste 
leistet,  und  weiter  gehen  wir  nicht. 

Ich  glaube,  daß  diese  Auffassung  wenig  Raum  für  eioe 
Kontroverse  übrig  l&ßt.  Sehen  wir  uns  diese  letztere,  so 
wie  sie  tatsächlich  geführt  wurde,  ruhig  an,  so  finden  wir 
wiederum,  wie  gesa[?t,  daß  auf  beiden  Seiten  Recht  und  Un- 
recht liegt.  Einwürfe  gegen  die  reine  Theorie  sucht  man 
oft  mit  Hinweis  auf  die  exakten  Wissenschaften  zu  wider- 
legen. Aber  wir  beobachten,  daß  solche  Argumente  wenig 
Kindruck  auf  die  (tegner  machen.  Teilweise  nicht  mit  Recht. 
('l>er  ,.()konouüe  im  luftleeren  Räume"  zu  spotten,  ist  gewiß 
ohertlächlich,  so  billig  und  wirksam  es  auch  sein  mag.  Teil- 
weise aber  ist  dieses  Widerstrebten  l>erechtigt.  Dean  man 
hat  sicherlich  ein  Recht  zu  fordern,  daß  die  Methodenfrageo 
aerer  Wissenschaft  an  ihren  IVoblenien  und  im  Anschlüsse 


Nfttor  «der  Weien  der  exaktes  Ökonomie-  1^35 

ftD  ihre  Ziele  und  nicht  durch  vage  Analogien  gelöst  werden. 
Deshalb  und  auch  aus  dem  Grunde,  weil  die  mecbaniBclie 
Analogie  entschieden  mißbraucht  werden  kann  und  mi8< 
braucht  wurde,  haben  wir  im  allgemeinen  auf  derftrtige 
Argumente  durchaus  verzichtet  und  drOcken  uns  auch  hier, 
wo  wir  zum  Zwecke  der  Klarstellung  der  Natur  unseres 
Systemes  doch  von  derselben  Gebrauch  machen,  mit  aller 
Reserve  aus. 

Eine  weitere  Bemerkung  bietet  sich  hier  dar.  Es  ist 
eine  der  Lieblingsbeschäftigungen  der  moderneu  Philosophen, 
den  Wissensstoff  der  einzelnen  Disziplinen,  um  ihren  Aus- 
druck zu  gebrauchen ,  zu  einem  architektoniEchen  Ganzen  - 
zu  vereinigen.  Über  den  Wert  oder  Unwert  derartiger  Be- 
strebungen, welche  jedenfalls  an  jeden,  der  ihnen  obliegt, 
ungeheure  Anforderungen  stellen,  erlauben  wir  uns  hier 
kein  Urteil.  Aber  sicherlich  können  wir  verlangen ,  daS 
unserer  Disziplin  dabei  keine  Genalt  geschehe.  Jenem 
Zwecke  gelten  nun  gewisse  allbekannte  Einteilungen  der 
einzelnen  Wissenschaften  in  verschiedene  Gruppen,  nament- 
lich die  so  moderne  in  „Natur-  und  GeisteBwissenschaften" 
und  mehrere  andere  ähnliche.  An  sich  sieht  das  ganz  un- 
schuldig aus,  tatsächlich  aber  ist  es  nichts  weniger  als  harm- 
los. Es  verbirgt  sich  darin  immer  auch  ein  Urteil  Dbet 
das  Wesen  der  einzelnen  Disziplinen,  das  zur  Aufstellung 
von  aprioristischen  Forderungen  über  deren  Ziele  und 
Methoden  fahren  kann  und  wirklich  geführt  hat.  Um 
scheint  nun  hier  ein  Herd  von  Vorurteilen,  Mißverständ- 
nissen und  unwissenscbaftlicheo  Tendenzen  zu  liegen,  was 
umsomehr  bedauert  werden  muß,  als  diese-  Kreise  einen  er- 
beblichen EintluB  nicht  nur  auf  die  ölTentliche  Meinung, 
sondern  bei  uns  —  im  Gegensätze  zu  anderen,  selbst- 
bewußteren Wissenschaften  —  auch  auf  die  Fachgenossen 
haben.  Unter  dem  Schutze  von  .\utoritäten  philosophischer 
Färbung  und  metaphysischen  Schlagwörtern,  wächst  da  in 
Deutschland  ein  ernstes  Hindernis  für  deu  Fortschritt  wahrer  ' 
Erkenntnis  auf  dem  Gebiete  der  Sozialwissenscbaften  heran. 
Aber  abgesehen  davon  und  angenommen,  daß  mau  jenen  Be- 


UrebvBfn  gaai  «ahrfufCB  «Hiefe.  kasa  der  Natmil- 
dkoMMi  TOB  Fach  dabei  aar  eia  agiifoeft  Geffthl  habet, 
jeaeai  thalith.  das  saa  eapiadeC  weaa  aua  sieh  ia  eian 
AatoBobil  be&adet.  deasca  Stesenug  eiaem  Nenliage  ta- 
Tertraat  ist.  Haa  kaaa  aar  eatschi«dea  davor  waraci. 
jeaea  schilleradea  Phnsea  za  Teitraaea  aad  kaan  gar  akht 
aachdrtcklich  geaag  eiae  Art  Moaroedoktrin  der  Ökoaomie 
predigea.  Fonaolierea  wir  aar  karz  aad  trocken  die  Aoi- 
fasKang.  die  sich  aas  koakreter  Arbeit  ergibt :  Ihrem  metho- 
dologischea  and  erkenataistfaeoretischen  Wesen  nach  wire 
die  reine  Ökonomie  eiae  .Natarwi&^en^schaft*  and  ihre 
Theoreme  .Natargesetze"^  ia  dem  im  ersten  Teile  dieser 
Arbeit  definierteo  Sinne.  Diese  Behaaptoug  gilt  ganz  an- 
abhängig  ron  aprioristi^^chen  Erwägungen  irgendwelcher  Art. 
Noch  immer  könnte  man  zugeben,  daß  die  Ökonomie  in 
einem  andern  Sinne  —  inhaltlich  —  eine  .Geisteswissien- 
ßchaft''  und  soweit  andern  Charakters  sei,  als  ihre  metho- 
dologischen Schwestern.  Nur  kommt  dieser  Umstand  für 
die  Behandlung  ihrer  Probleme  nicht  in  Betracht.  Wir,  die 
wir  nicht  philosophieren  oder  politisieren  wollen ,  hatten 
nirgends  Anlaß  —  obgleich  wir  durchaus  bereit  gewe^n 
wären,  einem  solchen  sein  Recht  werden  zu  lassen  — .  der 
exakten  Ökonomie  deshalb  eine  Sonderstellung  zuzuweisen. 
Nur  ihre  gering»  Entwicklung  und  die  Organisation  des 
Wissenschaftsbetriebes  bringt  es  mit  sich,  daß  sie  aus- 
geschlossen scheint  aus  dem  Reiche  der  exakten  Disziplinen. 

§  3.  Soviele  Bedenken  ein  Vergleich  zweier  Wissen- 
schaften miteinander  immer  gegen  sich  hat  —  so  sehr  er 
immer  „hinkend''  sein  muß  — ,  so  Iftßt  sich  doch  nicht 
leugnen,  daß  er  manches  zum  Verständnisse  ihres  Wesens 
l)eitragen  kann.  Und  gerade  in  dem  Stadium  unserer  Er- 
örterungen, in  iem  wir  uns  jetzt  befinden,  können  wir  uns 
diesi^s  Hilfsmittels  mit  größerer  Freiheit  bedienen,  als  bei 
der  rntersuchung  konkreter  Probleme  und  brauchen  weniger 
als  dort  zu  befürchten,  daß  es  uns  irnleiten  kann.  Auch 
»onst  —  abgesehen  vom  Zwecke  der  Analogie  —  trftgt  die 


Natur  oder  WewD  der  exakten  Ökonomie.  537 

Betrachtung  der  Beziehungen  unserer  Wissenschaft  mit 
andern  dazu  bei,  uns  Ober  ihr  Wesen  aufzuklären  und  uns 
namentlich  ihre  Unabhängigkeit  nochmalB  vor  Augen  zu 
fohren.  So  wolleo  wir  itenn  noch  etwas  bei  diesen  DingeD 
verweilen ,  soviel  darüber  bereits  gesagt  wurde  und  so 
trocken  die  Materie  ist. 

Abgeschreckt  von  den  so  vielen  Angriffen  ausgesetzten 
mechanischen  Analogien,  verfiel  man  auf  die  biologischen. 
Niemand  geringerer  als  A.  Marshall  hat  sie  uns  empfohlen 
und  man  findet  sie  heute  in  jedem  Lehrhuche.  Sofort  muß 
betont  werden,  dafi  das  nichts  mit  der  ominOsen  organischeo 
Staatsaufi'assung  und  dgl.  zu  tun  hat,  wenn  auch  solche  An- 
schauungen sehr  zur  Popularität  dieser  Analogie  heigetragen 
haben  mögen.  Es  bandelt  sich  hier  nur  um  einen  Vergleich, 
nicht  um  das  HereinzieheD  materieller  Wahrheiten.  Nun, 
wenn  wir  uns  über  die  Bedeutung  desselben  klar  werden 
wollen,  müssen  wir  fragen,  was  sein  Motiv  war  und  was  er 
leisten  soll.  Bei  Marshall  tritt  das  deutlich  hervor.  Der 
alleinige  Grund,  der  ihn  veranlaßt,  der  biologischen  Analogie 
den  Vorzug  vor  der  mecbaniscfaen  zu  geben,  war  das  Be- 
streben, das  Moment  der  Entwicklung  in  unsere  Disziplin' 
hineinzubringen.  Das  mechanische  Oleichgewichtssystem 
gibt  einen  Ruhezustand  und  bietet  keine  Analogien  für  die 
Erscheinungeu  des  Fortschrittes  usw.  Das  ist  richtig. 
Leider  aber  sagt  Marshall  nicht  das,  sondern  gibt  nur  das 
Motiv  an,  dag  die  Ökonomie  eine  „Wissenschaft  des  Lebens*  , 
sei,  ein  Motiv,  das  viel  zu  allgemein  ist,  um  wirklich  brauch- 
bar zu  sein  und  in  die  Kategorie  jener  allgemeinen  Schlag- 
worte gebort,  welche  einer  klaren  Auffassung  nur  hinderlich 
sind.  Wenn  man  freilich  wie  Marshall  versucht ,  unser 
System  so  fortzubilden,  daß  es  auch  die  Erscheinungen  der 
Entwicklung  erfassen  soll ,  so  bietet  sich  wirklich  jene 
Analogie  dar.  Aber  dieser  Versuch  hat  meines  Eracbtens 
nicht  die  gewünschten  Resultate  gebracht,  eher  gezeigt,  daß 
dieser  Weg  nicht  sehr  weit  führt.  Bei  dieser  Sachlage 
seheint  es  mir  besser,  einen  wesentlichen  Unterschied 
zwischen  Statik  und  Dynamik  anzuerkennen  und  zuzugeben^ 


538  ZusammenlBusiiiig  daMen,  ncw. 

dafi  das  System  der  reinen  Ökonomie,  soweit  es  heile 
wirklich  ausgearbeitet  ist,  essentiell  entwicklungslos  sei  - 
worauf  wir  noch  zurQokkommen  werden.  Gterade  der  ü» 
stand,  der  Marshall  veranlafit,  der  biologischen  Analegii 
den  Vorzug  zu  geben  ist  für  uns  ein  Orund,  die  meebaniichi 
vorzuziehen.  Demnach  scheint  uns  die  erstere  —  woU-' 
gemerkt,  fbr  die  Statik  —  wenig  glücklich  zu  sein  und  fkat 
die  Gefahr  von  Verwirrungen  mit  sich  au  bringen.  Wir 
möchten  lieber  die  alte  mechanische,  in  der  sieh  trotz  alka 

• 

eine  gesunde  Erkenntnis  manifestiert,  dem  Leser  zur  Auf- 
merksamkeit empfehlen;  u.  a.  auch  deshalb,  weil  sie  im 
den  Gebrauch  von  exakten  Methoden  und  die  Vermeidaig 
von  Phrasen  näherlegt  Wir  fürchten  —  allerdings  auek 
im  Gegensatze  zu  Prof.  Marshall  —  weniger  den  Miflbranch 
strenger  Denk  formen,  als  ein  Abirren  von  ihren  Grundsätzen: 
Wenigstens  in  Deutschland  dürfte  gegenwärtig  die  letztere 
Gefiihr  die  größere  sein.  Gegen  die  erstere  haben  schon 
andere  genug  gepredigt  ~  wie  mir  scheint,  mit  nur  allzu- 
viel Erfolg. 

Gewiß  sind  die  Beziehungen  der  Biologie  zu  unserem 
Gebiete  zahlreich.  Das  Wesen  des  wirtschaftlichen  Handelns 
if  B.  und  das  der  menschlichen  Motivationen  zu  ergründen, 
was,  wie  gesagt,  wir  nicht  tun  können,  —  das  leistet  sie. 
Und  so  werden  ihre  Resultate  im  wissenschaftlichen  Welt- 
bilde vielleicht  nicht  weit  von  den  unseren  stehen.  Aber 
deshalb  —  und  das  ist  nicht  nur  dem  Laien  sondern  auch 
dem  Fachgenossen  oft  nicht  genügend  klar  —  kann  unsere 
Disziplin  erkenntnistheoretisch  noch  immer  der  Biologie  sehr 
fernestehen  und  weder  von  ihr  Anregungen  empfangen  noch 
ihr  solche  geben  können.  Und  so  steht  die  Sache  wirklich. 
Selbst  die  Erkenntnis,  daß  alles  Handeln  sich  schliefilich 
biologisch  erklären  lassen  muß  und  so  die  Ökonomie  in  ge- 
wissem Sinne  bestimmt  ist,  in  der  Biologie  inhaltlich  auf- 
zugehen, ändert  nichts  an  der  Tatsache,  daß,  solange  eine 
Behandlung  der  wirtschaftlichen  Erscheinungen  an  sich  und 
ohne  in  ihr  innerstes  Wesen  einzugehen,  uns  mehr  zu  bieten 
vermag  als  ein  solches  Eingehen,  solange  also   überhaupt 


Natur  oder  Wesen  der  exakten  Ökonomie.  539 

t  «Ine  selbständige  Disziplin  der  Ökonomie  besteht,  sie  auch 

f   unabhAngig  ist  und  sich  selbst  genügt.   Dann  aber  vermögen 

I   biologische  Argumente  uns  fQr  unsere  Probleme  recht  wenig 

BU  sagen  und  dann  haben  die  beiden  Gebiete  nicht  viel  mit- 

ainander  zu   tun  —  wenigstens  fOr  jetzt  und  die  nächste 

Zukunft.    Freilich  war  den  Gegnern  unserer  Auffassung  ein 

-  solcher   Stützpunkt   willkommen,    und   man   kann    oft   be- 

.  obachteu,  wie  gerne  sich  die  Feinde  exakter  Methoden  auf 

.  die  Biologie  zurückziehen.    Auf  seine  wirklichen  Verdienste 

geprüft  aber  erweist  sich  dieser  Gedankengang  als  leer  und 

das  Resultat  jedes  ernsten  Eingehens  kann   heute  meines 

:   Erachtens  nur  eine  Enttäuschung  sein. 

Ein  leicht  ersichtlicher  Zusammenhang  besteht  zwischen 
der  Ökonomie  und  der  Soziologie.  Niemand  kann  von  der 
Notwendigkeit  dieser  jungen  Wissenschaft  mehr  überzeugt 
gein  als  der  Ökonom,  der  nach  Arbeitsteilung  auf  dem  Ge^ 
biete  der  Sozialwissenschaften  seufzt.  Nicht  ein  Sammel- 
begriff für  die  letztern ,  sondern  eine  eigene  Disziplin  mit 
'  eigenen  Zielen  und  Methoden  ist  sie  und  muß  sie  sein. 
Noch  heute  kann  man  oft  Zweifel  an  ihrer  Existenzberech- 
tigung und  wenig  klare  Ansichten  über  ihre  Aufgabe  hören. 
Aber  wenn  ihr  Inhalt  auch  in  nichts  anderm  bestünde,  als 
dem,  was  wir  ihr  aus  unserem  Gebiete  zuzuweisen  haben, 
so  würde  das  schon  ausreichen.  Wir  haben  gesehen,  daß 
unter  dem  Titel  „Nationalökonomie''  wichtige  Themen  be- 
handelt werden,  welche,  wie  gesagt,  sich  in  derselben  nicht 
ausleben  können  und  andere  Betrachtungsweisen  erfordern, 
namentlich  die  Organisationslehre.  Wiederum  haben  wir 
über  die  Beziehungen  der  Ökonomie  zur  Soziologie  Ähnliches 
EU  sagen  wie  über  die  zur  Biologie.  Der  Umstand,  daß  auf 
diesem  Nachbargebiete  andere  Methoden  zur  Anwendung 
'  kommen,  bringt  es  mit  sich,  daß  die  Resultate  wie  das 
Begriffsarsenal  desselben  keine  direkte  Anwendung  auf  das 
unsere  gestatten.  Die  Soziologie  kann  vieles  leisten,  was 
wir  nicht  bieten  können  und  was  uns  doch  interessiert.  So 
kann  sie  z.  B.  das  Wesen  der  Volkswirtschaft  ergründen, 
während  wir  nur  von  einem  „Untersuchungsgebiete**  sprechen. 


540  Zosammenfassniig  dessen,  usw. 

das  nur  weuige  Züge  der  ersteren  trägt  und  bei  Gefthr 
ernster  Mißverständnisse  nicht  als  deren  naturgetreues  Ab- 
bild betrachtet  werden  darf.  Aber  für  unsere  eigenen  Re- 
sultate kann  sie  uns  nichts  bieten,  so  wenig  wie  wir  fQr  die 
ihren.  Die  Berührungspunkte  zwischen  beiden  Disziplioen 
lassen  sich  leicht  angeben:  es  sind  gewisse  Daten  unseres 
Systemes  besonders  die  gegebene  Organisation  der  Wirt- 
schaftssubjekte unseres  Feldes.  Aber  dieses  „Gegeben- 
sein*' heifit  ja  eben  nichts  anderes,  als  daß  wir 
das  betreffende  Moment  nicht  näher  erörtern 
wollen,  sondern  andern  Disziplinen  überlassen 
In  demselben  Sinne  sind  die  reinwirtschaftlichen  Vorgänge, 
mit  denen  wir  uns  beschäftigen,  etwas  für  die  Soziologie 
Gegebenes,  und  es  ist  ein  Irrtum  zu  glauben,  daß  sie  uns 
Lehren  über  deren  Behandlung  erteilen  könne,  wie  wir  bei 
der  Frage  des  Individualismus  zu  betonen  Gelegenheit  hatten. 
Man  kann  meines  Erachtens  nicht  einmal  sagen,  daß  die 
Soziologie  neben  unserer  Wissenschaft  stehe.  Eher  würde 
es  dem  Sachverhalte  entsprechen,  sie  hinter  dieselbe  zu 
stellen.  Drücken  wir  uns  deutlicher  aus:  Die  Sache  liegt 
nicht  so,  daß  man  etwa  sagen  könnte,  die  Ökonomie  be- 
schäftige sich  mit  dem  wirtschaftlichen  und  die  Soziologie 
mit  dem  übrigen  Handeln  des  Menschen.  Vielmehr  ist  die 
erstere  ein  Gebiet  sui  generis,  dessen  Inhalt  und  Methoden 
nicht  ohne  weiteres  neben  die  der  letzteren  gesetzt  werden 
können,  sondern  anderen  Wissenschaften  näher  stehen,  deren 
materieller  Inhalt  nichts  mit  dem  Wirtschaften  gemein  hat. 
Aber  trotzdem  liegt  es  im  eigensten  Interesse  der 
Ökonomie,  die  Soziologie  willkommen  zu  heißen  und  f&r 
ihre  Anerkennung,  namentlich  aber  dafür  einzutreten,  dafi 
sich  alle  jene  „Ökonomen'',  die  tatsächlich  Soziologen  sind 
—  und  besonders  in  Deutschland  sind  das  viele  —  auch 
wirklich  als  solche  bezeichnen.  Die  Entwicklung  der  Sozio- 
logie und  ihre  allgemeine  Einführung  in  die  Organisation 
der  Forschungs-  und  Lehrtätigkeit  wird  der  Ökonomie  die 
größten  Dienste  leisten  und  viel  zur  Klärung  der  Lage  bei- 
tragen,  freilich  nur  wenn  man  sie  in  den  ruhigen  Besitx 


Nfttur  oder  Weaen  der  exakten  Ökonomie.  §41 

eines   wofalumschriebeneD    Arbeitsfeldes   gelaogeD    l&fit   und 
nicht  von  der  Ökouomie  verlangt,  zu  einer  Soziologie  zu 
werden.   Methodologisch  und  erkenntnistheoretisch  jedenfalls  ' 
haben  beide  Gebiete  nichts  miteinauder  gemein. 

§  4*  Weiters  haben  wir  zusammenzufassen,  was  wir 
frttber  Ober  die  Psychologie  sagten  und  einiges  aodere  bin- 
zuzufügen.  lu  den  weitesten  Kreisen  uml  bei  den  ver- 
schiedensten Richtungen  begegnen  wir  der  Ansicht,  dafi  die 
Ökonomie  geradezu  auf  der  Psychologie  beruhe.     Das  kann 

K^weierlei  bedeuten.  Zunächst  kann  es  in  dem  Sinne  gemeint 
sein,  in  welchem  man  sagen  kann,  daß  alle  Wissenschaften  , 
auf  der  Psychologie  beruhen,  insoferne  sie  Produkt«  der 
Psyche  des  Beobachters  und  Denkers  sind.  Nach  dieser 
Auffassung  wächst  das  Gebiet  der  Psychologie  ins  Un- 
gemessene,  sie  wird  nicht  nur  zur  wichtigsten,  sondern 
eigentlich  zur  einzigen  Wissenschaft.  la  diesem  Sinne  ge- 
hört natOrlich  auch  die  Ökonomie  dazu.  Indessen  wollen 
wir  darauf  nicht  näher  eingehen,  so  viele  Anhänger  diese 
AuffassuDg  auch  gegenwärtig  unter  den  Psychologen  haben 
mag.  Denn  nicht  das  ist  es,  was  die  Ökonomen  meinen, 
ihneo  handelt  es  sich  um  eine  viel  unmittelbarere  Beziehung 
—  n&mlich  um  die  psychologische  Erklärung  der  wirtschafte 
liehen  Handlungen. 

Am  schärfsten  hat  diesem  Standpunkte  wohl  Gabriel 
Tarde  Ausdruck  gegeben*,  indem  er  die  Ökonomie  geradezu 
zu  einem  Zweige  der  Psychologie  machte.  Aber  ganz  all- 
gemein wird  —  und  wurde  noch  vielmehr,  denn  gegeD- 
wärtig  macht  sich  eine  Reaktion  gellend  —  die  Forderung 
nach  „psychologischer  Vertiefung"  unserer  Disziplin  erhoben. 

]  Man  maS  nun  klar  feststellen,    was  denn  diese  allgemeine 

I  Phrase  bedeutet. 

Wir  begegnen  dem  Hinweise  auf  die  Psychologie  in 
zwei  Terschiedenen  Zusammenhängen.    Einmal  im  Anschlüsse 


'  Wobei  ihm  zustatten  kam ,  daß  unser  formales  Schema  sich 
gaDi  nngreiwuDgen  auch  Über  die  Grenzen  der  Ökonomie  anwenden 
lUt,  B.  B.  aaf  etbischefl  Handeln  usw. 


542  ZuiMimineiifiMsung  dessen,  asw. 

an  die  neuere  Werttheorie.  DarQber  wurde  bereits  ge- 
sprochen« Wir  bedürfen  einer  solchen  Grundlegung  nicht 
Es  beruht  auf  einer  Täuschung,  wenn  man  glaubt,  unsere 
Resultate  dadurch  fester  begründen  zu  können«  Der  Aas- 
gangspunkt unserer  Gedankengänge  sind  gewisse  Annahmen 
über  die  Wertfunktionen,  welche  von  i)8ychologischer  Be- 
gründung, sowohl  von  Seiten  der  Willenstheorie,  wie  von 
selten  der  Lehre  von  den  Gefühlen  ganz  unabhängig  rind. 
Namentlich  sind  dieselben  nicht  mit  dem  Weberschen  Ge- 
setze identisch,  nicht  von  demselben  abhängig  und  können 
von  den  Einwendungen  gegen  dasselbe  nicht  getroffen  werden. 
Die  wirtschaftlichen  Tatsachen,  nicht  die  psychologiscbea 
veranlassen  uns  zu  ihrer  Aufstellung.  Ein  Zusammenhang 
kann  nichtsdestoweniger  bestehen,  aber  derselbe  ist  nur  von 
philosophischem  Interesse.  Für  die  ökonomischen  Resul- 
tate an  sich  ist  derselbe  belanglos  und  es  kann  nie  die 
Aufgabe  des  Ökonomen  sein,  auf  diese  Dinge  einzugehen. 
Und  es  ist  gut,  dafi  dem  so  ist^  sonst  wäre  es  schlimm  um 
unsere  Disziplin  bestellt. 

Auch  die  Theorie  der  Motive  des  menschlichen  Handelns, 
die  Fragen  von  der  Bedeutung  .von  Egoismus  und  Altruismus 
spielen  für  uns  keine  Rolle.  Die  ganze  Entwicklung  unserer 
Disziplin  tendiert,  diese  Erörterungen  zu  eliminieren. 

Es  steht  also  hier  ganz  ähnlich  wie  mit  der  Soziologie. 
Wir  stellen  unsere  Annahmen  ganz  selbständig  auf.  In  die 
Wissenschaft,  der  dieselben  materiell  angehören,  eiu- 
zugehen,  ist  überflüssig,  würde  der  Mühe  nicht  lohnen. 
Wir  haben  uns  an  unsere  Tatsachen  an  sich  zu  halten 
und  können  dieselben  nicht  in  unbegrenzte  Fernen  ver* 
folgen.  Sicherlich  mag  einmal,  auf  einer  anderen  Stnfe 
der  Entwicklung,  das  ganze  Wissensgebiet  einheitlich  kon^ 
struiert  werden  können.  Aber  gegenwärtig  arbeitet  jede 
Disziplin  mit  eigenen  Methoden  zu  eigenen  Zwecken  und 
soweit  tut  das  auch  die  Ökonomie.  Möglich,  daß  wenn  die 
Grenzen  der  SpezialWissenschaften  vom  Strom  der  Ent* 
Wicklung  durchbrochen  sind,  daß  wir  dann  genötigt  sind, 
unsere  Auffassungsweise  zugunsten  einer   „psychologischen 


N&tnr  oder  Wsmd  dar  okkten  Ökonomie.  548 

Vertiefung"  zu  indfern.  Das  darf  ubs  sber  nicht  abhalten, 
aniere  Tatsachen  zun&chet  an  sich  zu  betraehtän,  wag  diem 
Art  dee  Vorgehens  ailcb  nur  eine  provisorische  sein.  Bub 
speeie  aetemitatis  betrachtet  sind  ja  alle  wissenschaftlichen 
Systeme  nur  provisorische  GerOste,  die  bestimmt  sind,  na^ 
wenigen  Dezennien  anderen,  vollkommeneren,  bald  allgemei- 
neren bald  speziellereh  zu  weichen.  Doch  das  kann  uns  nicht 
beirren  in  unserem  Wege,  der  Schritt  fOr  Schritt  weiter  fohrt 
and  nur  selten  so  weite  Ausblicke  eröffnet.  Wie  fOr  das 
Handeln  des  Einzelnen  seine  Ansichten  ober  die  Entwicklung 
der  Menschheit  im  konkreten  Falle  keine  Rolle  spielen,  so 
sind  auch  fOr  die  Fragen  der  Crcgenwart  einer  Wissenschaft 
80  weite  Prospekte  belanglos.  Und  wenn  die  Stunde  auch 
sicher  kommt,  wo  dieselben  bestimmend  hervortreten,  so  ist 
es  doch  nur  schädlich,  die  praktische  Forschungsarbeit 
dadurch  beeinflussen  zu  lassen.  Es  ist  das  nur  Zeitverlust 
und  nur  derjenige  verweilt  dabei,  den  der  steinige  Weg  er* 
mOdet  hat  oder  der  auf  demselben  nicht  weiter  weis. 

Freilich  wirken  noch  in  einem  anderen  Sinne  die  ein- 
zelnen Disziplinen  aufeinanrler:  Ihre  Methoden  und  materi- 
ellen Resultate  gestatten  n&mlich  sehr  häufig  auSerordentlich 
fruchtbare  Anwendungen  auf  andere  Wissensgebiete.  Bei- 
spiele bietet  die  Geschichte  der  Wissenschaft  viele.  Und 
besonders  junge  Wissenschaften  k&nnen  von  ihren  Alteren 
Schwestern  viel  lernen.  Wir  glauben  aber  nicht,  dafi  die 
Psychologie  eine  soldie  Rolle  for  uns  spielte.  Welche  Me- 
tfaode  oder  Resultate  hdtten  wir  von  derselben  übernommen? 
Unterscheiden  wir  für  unsere  Zwecke  nur  zwischen  experi- 
menteller und  introspektiver  Psychologie,  so  seheu  wir,  daß 
die  Methoden  und  Resultate  der  ersteren.  die  hauptsächlich 
der  „Empfindungsanalyse"  gewidmet  sind  und  gegen  die 
Psycho-Physik  und  Physiologie  zu  lieg>'n ,  unserem  Gebiete 
M  ferne  sind,  wie  nur  möglich.  Und  daß  uns  die  Intro- 
spektion nichts  bietet,  sahen  wir  zur  Genüge.  Selbst  wenn 
wir  von  derselben  Gebrauch  machen  wollten,  was  mitunter 
sich  ja  bewähren  kann  —  unbeschadet  der  prinzipiellen 
Inkorrektheit  dieses  Vorgehens  — ,  geschieht  das  ganz  selb- 


544  ZueamiDeiitesting  deasen,  osw. 


stAndig,  lediglich  aof  Grund  von  Alltagsbeobachtungeo, 
velche  den  Psycliologen  vom  Fach  bisher  nicht  im  miodegteg 
interessierten.  Das  fohrt  uns  auf  die  andere  Gruppe  m 
AuBsagen,  in  denen  wir  dem  Worte'  „psychologisch'  in 
ökonomischen  Werken  begegnen. 

Unser  bisheriges  Argument  kOnnen  wir  dahin  msammni- 
fassen,  daB  zwischen  Ökonomie  und  Psychologie  kein  Zd- 
Bammenhsng,  weder  ein  methodologischer  noch  ein  materieller, 
von  der  Art  besteht,  daB  wir,  um  zu  unseren  Resoltaleu 
zu  gelangen,  Anleheu  bei  der  letzteren  machen  müßten. 

Ein  Beispiel  für  jene  psychologisch  aussehenden  Be- 
hauptungen ist  etwa  der  Ausdruck  „Psychologie  der  Krise«'. 
Der  Ausdruck  ist  wohl  allgemein  bekannt  und  fast  jeder 
Ökonomist  verwendet  ihn.  Was  aber  ist  eigentlich  gemeintV 
Ich  glaube,  daß  man  dabei  vornehmlich  an  zwei  Erscheinungen 
denkt,  an  die  lieberhafte  Tätigkeit  in  Perioden  lebhafter 
Spekulation  und  an  den  plötzlichen  Umschlag  der  SituatioD 
im  Momente  eiuer  Panik,  etwa  so,  wie  das  in  der  klassisch 
gewordenen  —  wenn  auch  meines  Erachtens  ziemlich  oichl^ 
sagenden  —  Beschreibung  Engels  hervortritt.  Gegenwärtig 
erwähnt  man  ferner  unter  diesem  Titel  die  Tatsache,  daB 
das  Verhalten  der  Beteiligten  in  Paniken  nunmehr  ein  etwas 
anderes  zu  sein  pHegt  als  früher,  und  daß  die  ganze  Er- 
scheinung ein  anderes  Gepräge  anzunehmen  tendiert. 

Ein  anderes  Beispiel  gibt  uns  der  Ausdruck  , Psychologie 
des  Unternehmertumes".  Darunter  versteht  man  das  ge- 
samte Verhalten  dieser  Klasse,  nameDtlicIi  den  Arbeitern 
gegenüber.  Besonders  denkt  mau  dabei  an  Erscheinungen 
wie  „Herrengeführ,  „MachtbevuBtsein"  usw.,  Erscheinungen- 
weiche  andfren  als  jenen  Motiven  entsprechen,  welche  nun 
als  die  rein  wirtschaftlichen  zu  bezeichnen  ptlegt,  namentlich 
einer  Form  des  gesteigerten  Egoismus,  die  aus  der  „Hfdonik* 
oder  aus  dem  Eudämonismus  heraus  nicht  erklärt  werden 
kann. 

Endlich  sei  die  Wendung  „Psychologie  des  Natur- 
menschen" erwähnt,  welche  die  Tutsache  hervorzuheben 
pflegt,  daß  das  wirtschaftliehe  Handeln  des  BNaturmenscheo' 


Natur  oder.WMeu  dw  «xakten  ÖkoDomie.  545^ 

erheblich  von  dem  des  kultivierten  Indo-Europfters  aoserer 
Tilge  differiert,  dafi  der  erst«re  eioen  eigentamlicbeD  Mangel 
ao  Voraussicht  and  Enei^ie,  sowie  klarem  WertUDgsvermOgen 
aufweist 

Diese  Beispiele  lieSen  Bieh  leicht  vermehren.  Doch 
vollen  wir  uns  mit  diesen  beguflgen,  da  sie  uns  hinlAnglieh 
vor  Augen  führen ,  was  wir  meinen.  Auf  solche  Dinge  be- 
zieht sich  unsere  Behauptung,  dafi  dieselben  den  wissen- 
schaftlichen Psychologen  nicht  sehr  interessieren.  Sie  ge- 
hören nicht  seinem  Systeme,  sondern  jener  populären  Psycho- 
logie des  Alltages  an,  welche  mit  der  Wissenschaft  nichts 
gemein  hat.  Es  handelt  sich  um  Erfahrungstatsachen,  die 
jeder  kennt  und  oft  beobachtet.  Und  sie  sollen  nicht  weiter 
anal];3iert  werden,  als  es  der  Praktiker  tut. 

Es  hat  dann  eben  gar  keinen  Sinn,  ihnen  ein  wissen- 
scliaftlicheres  Gepräge  zu  geben  dadurch ,  daS  man  sie  als 
.psychologische"  erklärt.  Sehr  häufig  geschieht  das  auch 
nur,  um  ihre  Trivialität  zu  bemänteln  und  mancher  zweifel- 
haftea  Behauptung  eine  höhere  Weihe  zu  verleihen.  Wir 
haben  alle  Ursache,  den  Phrasen,  die  unter  dem  Titel  von 
psycholt^ischen  Sätzen  die  halbwissenschaftliche  Literatur 
filllen,  Mifitrauen  entgegenzubringen.  Manche  unexakte, 
unlogische  Behauptung  wird  so  durchzusetzen  gesucht. 

Unsere  Beispiele  zeigen  uns  das  sehr  gut:  Der  Hinweis 
auf  die  gpsychologie  der  Krisen"  beißt  fast  nichts  anderes, 
als  daß  man  eine  wirkliche  Erklärung  jener  eigentümlichen 
Auf-  und  Abwärtsbewegung  der  Wirtschaft  nicht  zu  geben 
vermag.  Die  Psychologie  des  Unternehmers  dient  sehr 
häufig  nur  zur  Ausschmückung  politischer  Forderungen.  Wir 
werden  bald  einiges  aber  das  Moment  des  .effort"  siigen 
und  dabei  zeigen ,  daß  wir  den  geraden  Kern ,  der  darin 
liegt,  nicht  verkennen.  Dem  widerspricht  aber  nicht,  daß 
es  oft  durchaus  bedenkliche  und  meist  wenig  wissenschaft- 
liche Behauptungen  sind,  die  unter  dieser  Flagge  segeln. 
Die  Psychologie  des  Naturmenschen  endlich  bat  eine  nicht  _ 
sehr  verdienstvolle  Rolle  in  der  Literatur  gespielt.  Die 
Ethnologie  lehrt  uns,  daß  der  Eintluß  des  Environments  usw. 

S«hanp*t*r.  Nitlontlokonoml«.  "^ 


546  ZuMunmenfftMang  defsen,  usw. 

allerdiogs  eioe  wesentlich  andere  Denkungs-  und  Handlungs- 
weise bei  den  primitiven  Völkern  zeitigt,  als  bei  den  Kultur- 
Völkern,  aber  gleichzeitig,  daß  der  Naturmensch  kein  Narr 
ist,  sondern  innerhalb  seines  engen  Gesichtskreises  logisch 
handelt.  Man  hat  aber  unter  jenem  Titel  Beobachtungen 
zusammengefaßt,  welche  die  Unanwendbarkeit  der  ökono- 
mischen Sätze  auf  ihn  zeigen  sollen.  Bei  richtigem  Ver- 
ständnisse der  letzteren  trifft  das  nicht  zu,  vielmehr  ergibt 
sich,  daß  diese  ganze  „Psychologie*'  für  uns  ziemlich  belang- 
los ist 

Aber  abgesehen  von  diesen  Bedenken  muß  betont  wer- 
den —  und  das  ist  das  entscheidende  Moment  — y  daß  für 
unsere  Zwecke  nur  das  sichtbare  Verhalten  des  Men- 
schen, nicht  seine  psychischen  Vorgänge  von  Interesse 
sind.  Tatsächlich  sind  jene  psychologischen  Aussagen  ledig- 
lich Aussagen  über  Tatsachen  —  über  den  Verlauf  von 
Krisen,  über  das  Verhalten  des  Unternehmers  oder  des 
„Naturmenschen"  usw.  —  Die  psychologische  Ausdrucks- 
weise ist  nur  Beiwerk,  berührt  das  Wesen  der  Sache  nicht, 
und  man  sieht  leicht,  daß  man  sie  durch  eine  andere  er- 
setzen kann,  ohne  den  Wert  der  Beobachtungen  für  unser 
Gebiet  im  geringsten  zu  beeinträchtigen.  Sie  entspringt 
lediglich  dem  Bestreben,  die  Beobachtungen  zu  erklären. 
Indessen  ist  das  ein  eitles  Bemühen  und  wenn  man  dem 
einfachen  Referate  einer  sozialen  Erscheinung  nichts  anderes 
hinzuzufügen  weiß,  als  den  bloßen  Hinweis  auf  die  Psyche  — 
und  mehr  ist  das  nicht  — ,  so  hat  man  nur  eine  Tautol(^e 
vorgebracht,  in  dem  Sinne,  wie  wir  das  an  einer  früheren 
Stelle  auseinandersetzten. 

So  kommen  wir  also  zu  dem  Resultate,  daß  unsere 
Disziplin  von  der  Psychologie  gegenwärtig  vollständig  unab- 
hängig ist,  und  wenn  immer  es  sich  darum  handelt,  dieselbe 
rein  darzustellen,  so  können  und  müssen  wir  von  jeder 
Hereinziehung  der  letzteren  absehen  und  sollten  auch  jede 
psychologische  Ausiirucksweise  vermeiden.  Mit  dieser  Re- 
serve können  wir  dann  trotzdem  von  dieser  Gebrauch 
machen,  wo  das  bequem  ist  und  wo  es  auf  strenge  Korrekt- 


Natur  oder  Wmoi  d«T  euüiton  Öktmomi«.  ■>47 

Iieit    niebt    aDkomtnt,    aber    das   Ändert   nichts   an   dem 
Prinzlpe. 

Eine  kunw  Bemerkung  mag  hier  Doebmale  über  die 
Ethik  gemacht  werden.  Ganz  unbeschadet  der  Roll« 
ethischer  Motive  far  das  wirtschaftliehe  Handeln  des 
Memchen  mafi  uns  schon  der  Umstand ,  daß  die  Ethik 
gegenwärtig  noeh  immer  vor-  und  nicht  beschreibt,  hindern, 
dieselbe  in  eine  exakte  Disziplin  blneiBzuziehen.  Aufierdem 
aber  betrachtet  dieselbe,  seibat  wenn  beschreibend,  da> 
Handeln  des  Mensehen  von  einem  anderen  Standpunkte 
und  zu  anderen  Zwecken  als  die  Ökonomie.  Es  ist  nicht 
abzaaehen,  wie  unsere  Resultate  durch  die  der  Ethik  beein-  - 
Jlafit  werden  könnten  und  umgekehrt,  eine  Behauptung, 
die  denjenigen  nicht  befremden  kann ,  der  sich  früher 
Gesagtes  gegenw&rtig  bftit.  Bef^timmte  ethische  Dispositionen 
gehören  zu  den  Daten  unserer  Probleme  und  können  von 
den  letzteren  aus  nicht  diskutiert  werden.  „Ethisch"  heiSt 
bei  manchen  NfttionalökoDomen  einfach  „auBer wirtschaftlich". 
Was  Wundei-s,  wenn  das  in  einer  Theorie  des  Wirtsebafteos 
keine  groöe  Rolle  spitilen  kann? 

\  6.  Was  lehrt  uns  nun  die  Ethnologie,  zu  der  fOr 
uneere  Zwecke  auch  ein  Teil  des  als  .Völkerpsychologie* 
bezeichneten  Gebietes  zu  rechnen  ist? 

In  den  ökonomischen  LehrbQehem,  in  denen  man  so 
regelm&fiig  Bemerkungen  Über  Psychologie  und  Biologie 
findet,  wird  diese  Frage  meist  nicht  ex  professo  bebandelt, 
wenn  auch  die  Meisten  ethnologische  Tatsachen  verwetten. 
In  der  Tat  ist  erst  ueuestens  mit  dem  Anschwellen  der 
ethnologischen  Literatur  die  Aufmerksamkeit  der  Ökonomen 
auf  dieses  Gebiet  gelenkt  worden.  Man  folgte  da  dem 
EinAusse  der  Soziologie,  die  auf  diesem  Wege  vorangieng. 
Doch  haben  die  theoretischen  Ökonomen  auch  selbst  einen 
Anlafl  dazu  «gegeben  durch  ihre  Vorliebe ,  die  Annahme 
eines  einfachen  Wirtschaftszustandes,  welche  didaktisch  von 
grofiem  Werte,  wenn  auch  prinzipiell  nur  in  wenigen  Fftllen 
nötig   ist,   durch  Darstellung   einer    primitiven   Wirtschaft 


548  '  Znnminenfuiinig  d«M«ii,  ruw. 

lebensvoller  *  zu  gestalten.  Statt  zuzugeben ,  daS  man  tod 
virklicbkeitsfremden  Annahmen  ausgehe,  was  so  viele  Leute 
abschreckt,  glaubte  man  dieselben  plausibler  machen  la 
Bollen,  indem  man  sie  mit  wirklichen  oder  vermeintlicb« 
Beispielen  aus  der  Wirklichkeit  ausscbmflckte.  M&glich,  daß 
das  praktisch  war,  sehr  wissenschaftlich  war  es  nicht.  Ab- 
gesehen davon,  daß  es  einen  Schönheitsfehler  in  einem 
strengen  Systeme  darstellt,  wurde  dadurch  die  VorstelluDg 
wachgerufen,  als  ob  unsere  Deduktionen  von  der  wirklichen 
Existenz  solcher  Wirtschaften  abhängig  seien  und  nichts 
lag  näher,  als  zu  untersuchen,  ob  der  WirtachaftsprozeS  bei 
den  primitiven  Völkern  wirklich  so  ablaufe ',  wie  die  Theo- 
retiker es  annehmen.  Da  ergab  sich  denn,  daß  jene  Bei- 
spiele, die  ja  meist  nur  konstruiert  waren,  tatsächlich  nicht 
völlig  verwirklicht  waren. 

So  muß  man ,  wenn  in  einem  ökonomischen  Werke  von 
der  Wirtschaft  |irimitiver  Menschen  die  Rede  ist,  streng 
unterscheiden  zwischen  Redensarten,  mit  denen  der  Theo- 
retiker seine  abstrakten  Konstruktionen  ausschmttckt,  denen 
weiter  keine  Bedeutung  zukommt  und  die  keineswegs  etwa 
als  kultur-  oder  wirtschaftshistorische  Behauptungen  aufzu- 
fassen sind,  und  wirklichen  ethnologischen  Tatsachen- 
sammlungen. Letztere ,  wie  gesagt ,  werden  immer  mehr 
Oblich.  Ethnologen  und  Soziologen  geben  uns  den  Rat.  das 
ethnologische  Material  für  unsere  Theorie  zu  verwerten  und 
viele  Nationalökonomen  der  Gegenwart,  besonders  deutsche, 
erwarten  geradezu  das  Heil  derselben  in  einer  Neugestaltung 
auf  dieser  Grundlage.  Man  könnte  von  einer  ethnologischen 
Sichtung  sprechen,  welche  stetig  Boden  zu  gewinnen  scheint. 

Die  Ethnologie  kommt  uns  neuesteus  sehr  entgegen 
und  wendet  lien  wirtschaftliciien  Verliflltuis.*en  mehr  Auf- 
merksamkeit zu.  als  froher.  Der  0.  Band  der  Ann.  Rep. 
Bur.  Ethn.  der  Smithsonian  Institution  z.  R.  enthält  solches 


ich  jene,  die  das  tun,  an  eiueii  kleinen  Freund  von 
mir,  der  dorn  Wtinaclie  .\\isdnn-k  g«b,  das  Straßen pflaster  &ufEiigrmbei]. 
niD  2U  ■•hen,  ob  rieh  die  Erde  darunter  wirklich  drehe. 


Nfttnr  od«r. Wesen  der  waktea  Ökonomie.  549 

Material,  wie  es  die  Ökonomen  jener  Richtung  w&nschen. 
Was  ist  nun  davon  zu  halten?  Der  Leser  vermag  vorauä- 
zusehen,  welche  Antwort  wir  auf  diese  Frage  gebeo  .wollen. 
Die  Forderung  einer  Nachprofung  unserer  grundlegenden 
AnnahmeD  an  den  Tatsachen  der  Ethnologie  beruht  auf 
einem  Mißver8t&ndni^se  der  Natur  dereelben  und  wir  wagen 
zu  behaupten,  dafi  sie  von  einem  Kreise  ausgeht,  der  nicht 
nur  der  reinen  Ökonomie.,  sondern  dem  exakten  Vorgehen 
Oberhaupt  fremd  gegenfibereteht.  Das  MißverstAndnis  ist 
ein  doppeltes.  Einmal  haben  wir  immer  wieder  betont  — 
und  wir  glauben  in  dieser  Richtung  genug  getan  zu  haben  — ;, 
daß  jene  Annafamen  ja  nicht  Tataachenaussagen  darstellen 
und  TOD  Beobachtungen  aus  dem  Reiche  primitiven  Wirt- 
schaftens  weder  best&tigt  noch  widerlegt  werden  können, 
Bondem  abstrakte  Hilfsmittel,  deren  einziger  Sinn  und  deren 
eventueller  DienA  nur  darin  liegt,  daß  sich  daraus  ein 
Schema  fQr  die  Preistatsachen  ergibt.  Sie  brauchen  nicht 
auf  aktuelle  primitive  Verhältnisse  zu  passen,  aus  denselben 
kOnnen  wir  nichts  ftlr  ihre  Vervollkommnung  gewinnen. 
Auch  wenn  ftkonomische  Erscheinungen  in  genetischer 
Sprache  eingefQhrt  werden,  so  daß  es  aussieht,  wie  wenn 
der  Theoretiker  eine  Geschichte  derselben  geben  wollte,  so 
heißt  das  nicht,  daß  die  Vorgänge  wirklich  so  verliefen. 
Wie  diese  Dinge  entstanden,  ist  wohl  von  kulturhistorischem 
und  auch  von  soziologischem  Interesse,  ferner  fUr  dynamische 
Probleme  wichtig,  aber  ganz  belanglos  fQr  unser  exaktes 
System.  Ein  Beispiel  liefert  uns  die  Geldtheorie,  ein  anderes 
die  Theorie  des  Tausches.  Manche  Theoretiker  ftlhren  diese 
Dinge  in  lebhafter  Sprache  vor,  lassen  Individuen  oder 
Horden ,  die  bisher  sich  selbst  genügten ,  zusammentreSien 
und  ohne  weiteres  Handelsgeschäfte  beginnen.  Das  hat  nur 
den  Zweck,  an  einem  gedachten  Falle  den  Vorgang  des 
Tausches  in  der  Form  zu  entwickeln,  wie  es  fQr  die  Theorie 
oOtig  ist.  Die  Entgegnung,  daß  Naturvölker  die  Vorstellung 
vom  Tausche  nicht  haben,  vielmehr  Raub  oder  Schenkung 
vorhergehe,  ist  ganz  belanglos,  wenn  damit  mehr  beabsichtigt 
wird,  als  einfach  die  Weglassung  jener  naiven  Darstellung»- 


5go  ZaMaztmtatmumg  itmUat,  mw. 

weite.  Und  weiter.  Durch  die  urgeBchichtlich  korrekte 
DaretelluDK  wttrde  der  Tausch,  die  Preisbildung  und  du 
Qeldph&Domen  nicht  erkl&rt.  Wir  konnten  daraos  keine 
BewegnngBgesetze  des  Wertes  ableiten.  Das  zeigt  bester 
alt  ii^ndetwas,  wie  verBchieden  die  Ziele  beider  Wiseea- 
aekaften  aiod.  Nehmen  wir  an,  der  Tausch  sei  ans  der 
Schenkung  entstanden.  Was  sagt  uns  das  aber  den  Punkt, 
der  uns  allein  interessiert.  Ober  die  Tanschrelation?  Inter- 
essant wftre  es  fOr  ans  höchstens,  etwas  darQber  zu  wissen, 
in  welohem  Verhältnisse  die  Schenkungen  beider  Teile 
zueinander  standen.  Und  darQber  können  wir  bfiehsleu 
durch  ökonomische  Erörtemogen  theoretischer  Matur  nni 
eine  Vorstellung  bilden.  Dazu  aber  brauchen  wir  die  Ethno- 
logie nicht  —  ebenso  wie  wir  der  Erdgeschichte  oieht  ftr 
die  reine  Mechanik  bedürfen. 

Aber  noch  eines  zweiten  Mißgriffes 'machen  sich  die 
Ökonomen  jener  Richtung  schuldig.  Selbst  wenn  unsere 
Sfttze  der  Probe  an  dem  ethnologischen  Material  bedfirften, 
dürfte  man  dabei  nicht  so  engherzig  verfnhren,  wie  es  ge- 
schieht Beherrscht  von  der  in  die  Augen  springenden 
Tatsache,  daS  der  „Wilde"  so  ganz  .inders  denkt  und  handelt 
wie  der  „Kulturmensch,"  erklArte  man,  dafi  die  von  der 
Wirtschaft-  des  letzteren  at>strabierten  Sfltze  unmöglich  aiT 
die  des  ersteren  passen  konnten.  Hier  erwähnt  man  z.  B. 
die  Erscheinung  des  „stummen  Handels".  Man  sagt,  ds6 
diese  und  andere  Erscheinungen  keine  Analogie  in  der 
entwickelten  Volkswirtschaft  haben  und  besonders,  daß  dra 
„Wilden"  die  Fähigkeit  fehle,  eine  exakte  Wertrechnns; 
durchzuführen.  Für  den  europäischen  Bauer  gilt  flhnlicbef' 
und  das  ganze  Argument  läuft  darauf  hinaus,  die  Geltnag 
der  reinen  Ökonomie  auf  moderne  Verhältnisse  zu  be- 
schränken. Das  geht  mit  jenen  Einwendungen  parallel 
welche  von  Historikern  usw.  dagegen  erhoben  wurdei. 
Begriffe  des  modernen  wirtschaftlichen  Lebens  aaf 
frühere  Perioden  zu  übertragen.  Dieselben  sind  teilweise 
berechtigt.  In  der  Finanz  Wissenschaft  z.  B.  muß  man  sid 
davor  boten ,  mit  dem  modernen  Begriff  der  Steuer  bei  Be- 


Nstni  oder  WeMn  der  Uftktcn  ökononiie.  551 

trftchtong  froherer  Zeiten  zu  operieren.  Es  ist  leicht  er- 
BicfaUieh,  daß  derselbe  nar  Roweit  aDveudbar  ist,  als  der 
Begriff  des  modernen  Staates,  und  da6  Sfttzen,  in  denen 
er  eine  Rolle  spielt,  keine  AllgemeingOltigkeit  zukommt. 
Aber  das  gilt  nicht  ffir  die  Grundlagen  der  reinen  Ökonomie. 
'Wie  bei  so  vielen  Kontroversen  müssen  wir  auch  hier  achten, 
den  richtigen  Kern  allgemeiner  Behauptangeu  von  dem, 
was  falsch  an  ihnen  ist,  zu  scheiden.  Wenn  wir  das  ttui, 
entfalleu  sofort  jene  Schwierigkeiten,  welche  eine  Einigung 
M  sehr  erschweren.  Stets  kommt  es  auf  den  einzelnen 
Fall  an.  Daß  nun  der  Wirtschaftsprozeß  auf  verwhiedeoen 
Kulturstufen  verschieden  aussieht,  in  verschiedenen  Formen 
vor  sich  gebt,  ändert  nichts  an  seinem  Wesen.  Man  hat 
kein  Recht,  Ober  den  , spekulativen  Nationalökonomen"  zu 
lächeln,  der  in  der  Vielheit  der  Erscheinungsform  die  Gleich- 
heit des  Wesens  derselben  erkennt.  Jede  Handlung  litfit 
sich  unter  das  Wertschema  bringen  und  wenn  wir  ans,  der 
Bequemlichkeit  halber,  der  psych ologischen  Ausdrucksweise 
bedienen  wollen,  köiiDen  wir  sagen,  daß  jede  Handlang,  und 
so  auch  jede  wirtschaftliche,  Wertungsvorgftnge  voraussetzt, 
die  in  ihrer  Art  so  präzise  sind  wie  die  des  Stockbrokers. 
Beschenkt  ein  Gastfreund  den  anderen,  so  muß  das  entweder 
eine  ganz  bedeutungslose  Gabe  sein,  welche  fQr  die  Wirt^ 
Schaft  keine  Rolle  spielt,  oder  es  muß  eine  Wertvergleichung 
zwischen  Gabe  und  Gegengabe  möglich  sein.  Wenn  Cook 
erzählt,  daß  ein  Wilder,  den  er  irgendwo  traf,  so  sehr  mit 
dem  Vorgange  des  Tauschens  unbekannt  war,  daß  er  durch- 
aus nicht  begreifen  wollte,  daß  er  auf  das  „Preisgut"  ver- 
zichten mQsse,  80  ist  dazu  zu  bemerken,  daß  dieser  Wilde 
sicherlich  den  „inneren  Tausch"  gekannt  haben  muß:  Er 
muß  Rieh  darüber  im  Klaren  sein,  ob  er  die  Mühe,  die  die 
Erlegung  eines  Stuckes  Wild  erfordert,  auf  sich  nehmen 
will  oder  nicht  —  und  das  setzt  Wertungsvorgänge  voraus. 
Übrigens  lag  in  jenem  Falle  offenbar  nur  Mißverständnis 
der  causa  donationis  vor,  das  auf  jeder  Kulturstufe  vor- 
kommen kann,  besonders  wenn  Schwierigkeiten  in  sprach- 
licher   Hinsicht    vorliegen.      Aber    entscheidend    sind    die 


552  '    ZoBammenfiAssang  dessen,  usw. 

iolgenden  beiden  Momente:  Will  man  unsere  Theorie  ai 
solchen  Tatsachen  durchaus  verifizieren,  so  darf  man  erstens 
nicht  so  unglaublich  engherzig  sein,  wie  es  viele  Leute 
sind;  sonst  käme  man  dazu,  ebenso  auch  das  Gravitatioos- 
gesetz  zu  leugnen,  weil  nicht  jeder  Körper  immer  und  ohne 
.Weiteres  zur  Erde  fällt.  Würde  ein  „Wilder"  oder  sonst 
jemand  dauernd  anders  handeln,  als  nach  unseren  Regeln 
zu  erwarten  wäre,  z.  B.  immer  sich  seiner  Güter  entäufleni, 
ohne  etwas  dafür  zu  bekommen,  so  mflflte  er  schnell  zo- 
grunde gehen  und  so  diese  Ausnahme  verschwinden.  Die 
Grundprinzipien  unserer  Theorie  setzen  so  wenig  voraus, 
daß  man  die  geringe  Bedeutung  der  Ausnahmen  ruhig  be- 
haupten kann.  Freilich  darf  man  darauf  nicht  zu  sehr 
vertrauen  und  jede  längere  Entwicklung  muß  verifiziert 
werden,  was  gar  oft  auf  negative  Ergebnisse  führt;  das 
haben  wir  selbst  oft  betont,  nun  aber  können  wir  auch 
sagen,  daß  manche  solcher  Veritikationsversuche  geradezu 
Karikaturen  gesunder  Gedanken  sind.  Zweitens  aber  muß 
man  unterscheiden  zwischen  —  um  bei  unserem  Beispiele 
zu  bleiben  —  der  kulturhistorischen  Tatsache  des 
Tausches,  die  die  verschiedensten  Formen  annelmieD. 
die  größten  Wandlungen  durchmachen  und  oft  auch  fehlen 
kann,  und  unserem  abstrakten  Tauschschema,  da:s  nur 
ein  wissenschaftliches  Instrument  und  sehx  allgemein  an- 
wendbar ist.  Wie  kann  man  die  Verschiedenheit  beider 
Dinge  verkennen? 

So  vermag  uns  also  die  Ethnologie  recht  wenig  zu 
bieten  —  aber  freilich  nur  für  die  Grundlagen  unseres 
statischen  Systemes.  Darüber  hinaus  mag  sie  eine  ähnliche 
Stellung  haben,  wie  die  Wirtschaftsgeschichte  und  die 
Literatur  über  die  großen  Probleme  der  Gegenwart  Was 
steht  in  einem  solchen  „deskriptiven"  Buche?  Nun,  Tat- 
sachenreferate und  Theorien  til)er  tatsächliches  Geschehen. 
Und  beides  ist  sicherlich  von  fundamentaler  Bedeutung  für 
den  theoretischen  Ökonomen,  sobald  er  die  engen  Grenzen 
seines  exakten  Systemes  verläßt.  Ist  diese  Stellung  nicht 
beinahe   selbstverständlich?    Aber   hier   liegen  die  Grund- 


Nfttar  oder  Weeen  der  exakten  Ökonomie.  553 

lagen  fflr  neue  theoretiBche  Arbeit,  keineswegs  fOr  einen 
Neubau  der  Statik.  Ihre  Bedeutung  fOr  diese  haben  wir 
bereits  ukizziert,  hier  sollte  nur  noch  das  hinzugeffigt  werden. 
Man  sieht  aber:  Nirgends  gibt  es  kurze,  allgemeine  Ant- 
worten fttr  solche  Fragen;  auf  den  einzelnen  Fall  kommt 
alles  an;  dieselben  Grundsätze  können  in  verschiedenen 
H&nden  zu  Hticbtigen"  und  zu  „falschen"  Resultaten  fahren, 
fruchtbar  oder  unfruchtbar  sein.  Man  kann  z.  B.  von 
ethnoIf^Bchem  Materiale  sehr  viel  erwarten  und  doch  jene 
Stellung  gegenfiber  manchen  Versuchen  einnehmen ,  die  wir 
soeben  entwickelten ;  darin  liegt  kein  Widerspruch  —  und 
auch  das  ist  sehüefilicb  nur  selbstverständlich.  Aber  soviel 
können  wir  sagen:  Alle  jene  Beziehungen  der  reinen 
Ökonomie  zn  anderen  Disziplinen,  die  sich  in  Vorworten  und 
gelegentlicben  Äußerungen  so  breit  macben,  haben  uns  nur 
wenig  zu  geben  —  oder  nichts.  Im  Interesse  der  Klarheit 
ist  es  geboten,  ihre  Nichtigkeit  zu  betonen  und  diesen  Ballast 
Ober  Bord  zu  werfen. 


IL  Kapitel 
Wert  der  reinen  Ökonomie. 


§  1.  Was  wir  soeben  darlegten,  ist  alles,  was  wir  hier 
Ober  die  Natur  unserer  Disziplin  und  Ober  das  WcMi 
unserer  reinökonomischen  Erkenntnis  sagen  wollen.  Nu 
erhebt  sich  die  große  Frage  nach  ihrem  Werte.  Wir  | 
wissen  nun,  was  eigentlich  der  Theoretiker  tut,  was  der  j 
Kern  jener  Abstraktionen  ist,  mit  denen  er  sich  abplagt 
und  wollen  jetzt  nochmals  fragen,  ob  das,  was  er  damit  er- 
reicht —  und  was  das  ist,  glauben  wir  in  der  Hauptsache 
vorgeführt  zu  haben  und  auf  dieser  Stufe  unserer  Er- 
örterungen überblicken  und  als  bekannt  voraussetzen  n 
können  — ,  der  Mühe  lohnt  und  verdient,  gepflegt,  gekannt 
ausgearbeitet  und  unsern  Nachfolgern  überantwortet  zu  werden. 
Ist  unser  exaktes  statisches  System  —  trotz  allem  —  ein  Werk 
aere  perennius,  das  uns  mit  Selbstbewußtsein  erfüllen  kau 
und  im  Sturme  der  Zeiten  erhalten  bleiben  wird  oder  soll 
es  still  —  mit  oder  ohne  Bedauern  —  ad  acta  gelegt  werden  V 
Gleicht  es  einem  aufblühenden  Marktplatze  oder  einer  Toten- 
Stadt  V  Wie  immer  dem  sein  mag,  die  Sache  verdient  sehr 
wohl,  und  sei  es  auch  nur  um  der  ihr  gewidmeten  Ge- 
dankenarbeit willen,  Ernst  und  LoyalitÄt  und  ein  schwerer 
Vorwurf  kann  niemand  erspart  bleiben,  der  ihr  dieses  Redit 
nicht  gibt. 

Jedermann,  jeder  wenigstens,  zu  dem  wir  sprecho 
können,  begegnet  der  Frage  nach  dem  Werte  der  Wissen- 
schaft überhaupt  auf  seinem  Lebenswege  und  jeder  wird  sie 


Wert  der  reinen  Ökonomie.  5g5 

verschieden  beantworten,  Ganz  natQrlich,  nicht  nur  weil 
jeder  nach  Anlage  und  Bildungsgang  ganz  verschiedene  Dis- 
positionen tarn  Urteilsspruche  mitbringt,  sondern  auch,  weil 
jeder  einen  besondem  Zweek  als  WertmaSstab  itn  Auge  hat. 
Manchen  interessieren  die  grofien  ZQge  an  den  Dingen, 
manchen  gerade  das  Detail.  Der  erstere  mag  z.  B.  be- 
haupten, ilnS  alle  Mensehen  gleich,  der  letztere  daS  alle  ver- 
schieden seien;  eine  Einigung  ist  da  schwer,  eigentlich  un- 
möglich und  nur  in  der  Anerkennung  der  Verschiedenheit 
der  Standpunkte  liegt  ein  Surrogat  fQr  sie.  Den  einen  zieht 
eine  Banalität,  wenn  sie  in  eleganter  exakter  Form  auB- 
gedrackt  werden  kann,  mehr  an  als  die  feurigste  politische. 
Rede,  den  andern  interessieren  die  Resultate  einer  Arbeits- 
enqu^te  mehr,  als  die  tiefste  funktionentheoretische  Ent- 
wicklung. Vjele  verlangen  praktische  Resultate,  Regeln  für 
konkretes  Handeln  oder  wenigstens  Oberhaupt  einen  prak- 
tischen Nutzen,  Andere  Erkenntnis  um  ihrer  selbst-wUlen. 
Wie  jeder  seine  eigene  Welt,  so  hat  auch  jeder  seine  eigene 
Wissenschaft :  Jedem  sagt  sie  Verschiedenes  und  jeder  schAtzt, 
'  was  sie  ihm  sagt,  verschieden  ^  und  zwar  tod  individuellen 
Stendpunkten  und  mit  individuellen  MaBen  —  ein.  Das 
ist  sein  gutes  Recht;  wenn  es  irgendein  „Naturrecht"  gftbe, 
so  wäre  es  sicher  das,  mit  seinen  Augen  zu  sehen.  Nur 
dnrf  niemand  vergessen ,  dafi  jede  andere  Netzhaut  als  die 
seine,  andere  Bilder  gibt.  Wer  das  vergißt,  wahrlich,  der 
abertyrannt  den  Tyrannen.  Wir  haben  es  nicht  mit  dieser 
Frage  zu  tun;  aber  solche  Momente  spielen  sicherlieh  auch 
in  unser  Problem  hinein.  Und  deshalb  betonen  wir  immer 
wieder,  dafi  dns  Endurteil  bei  jedermann  selbst  liegt  — 
allerdings  auch  nur  ftlr  ihn  gilt  —  und  wir  uns  ebenso- 
wenig anmaßen  können,  ein  absolutes  Resultat  jedem  Leser 
aufzudrängen,  als  etwa  die  religiösen  Meinungen  zu  ver- 
einigen. Nicht  Einigung  inbezug  auf  das  Urteil  Ober  den 
Wert  unserer  Disziplin  streben  wir  an,  sondern  höchstens 
besseres  gegenseitiges  Verständnis,  das  allerdings  in  vielen, 
aber  nicht  in  allen  Fällen  zur  Einigung  führt.  Dabei  wollen 
wir  kurz  sein  und  uns  hauptsächlich  auf  solche  Punkte  be- 


556  ZuBammeufiissung  dessen,  usw. 

dchrftnken,  welche  eiDen  mehr  objektiven  Charakter  hibet 
und  präziser  Behandlung  fähig  sind,  von  diesen  wieder  ivf 
solche,  welche  uns  nicht  oder  nicht  genügend  gewfirdigt  scheinei 
Manches  ließe  sich  ja  auch  mit  allgemeinen  Argumentei 
leisten.  So  könnten  wir  gewiß  den  Standpunkt  jener  be- 
kämpfen, die  bei  jeder  Theorie  vor  allem  oder  gar  lu^ 
schließlich  nach  ihren  praktischen  Anwendungen  fragei. 
Wir  könnten  ausführen,  daß  für  uns  die  Wissenschaft  Selbst- 
zweck sei,  ferner,  daß  Theorien  der  Menschheit  durch  Ver- 
mittlung von  Erkenntnis  größere  Dienste  leisten  kdnneii, 
als  durch  technische  Erfolge.  Ist  es  nicht  klar,  daß  maa  | 
z.  B.  die  Astronomie  nicht  mit  dem  Werte  einschätxei 
darf,  den  sie  für  die  Nautik  hat,  daß  lediglich  die  letxterp 
nie  zu  dem  großartigen  Gebäude  geführt  hätte,  welches 
wir  heute  bewundern  und  von  dem  man  behaupten  kinn. 
daß  es  durch  Erweiterung  unseres  Gesichtskreises  auf  das 
ganze  Sein  und  Denken  der  Menschheit  Einfluß  genouun^D 
hatV  Muß  denn  immer  wieder  hervorgehoben  werden,  daß  dot 
desinteressierte  Denkarbeit  zu  wirklich  großen  LeistUDgeo 
führt,  die  später  oft  auch  praktische  Früchte  tragen,  tf 
die  die  ersten  Pioniere  nicht  dachten,  nicht  denken  konnten': 
Von  einer  jungen  Wissenschaft  praktische  Leistungen  n 
fordern  ist  ebenso  verfehlt,  als  ein  Kind  schwer  arbeiten  lo 
lassen  —  das  wird  dem  Kinde  schaden  und  doch  nur  n 
dürftigen  Resultaten  führen.  Sicherlich  könnten  wir  diesei 
Standpunkt  mit  Begristerung  verteidigen;  und  wir  würdet 
die  Antwort  der  Gegner  nicht  fürchten.  Doch  wollen  wir 
das  nicht  tun,  vielmehr  allgemeine  Argumente  nur  soweit 
streifen,  als  es  unvermeidlich  ist.  Auch  der  „Bettlerfragt* 
—  „wozu  ist  das  gut?"  —  wollen  wir  uns  nicht  entziehet. 
sondern  auch  diese  Seite  der  Sache  zu  beleuchten  suchii 
und  dem  Urteile  des  Lesers  unterbreiten.  Noch  unabweis^ 
barer  natürlich  ist  es,  zu  einem  Besultate  darüber  lu  |!^ 
langen,  ob  das  theoretische  Interesse  unserer  Disziplin  cii 
ausreichendes  ist:  Die  zwei  Fragen  also,  zu  deren  B^ 
antwortung  durch  den  Leser  wir  einiges  Material  darbieUi 
wollen,  sind  erstens  die,  ob  es   sich  auf  unserem  Gebicii 


.Wert  det'teinen  Ökonomie.  557 

der  Mttbe  lohnt,  ein  exaktes  System  Oberhaupt  uod  speziell 
das  unsere  aufzurichten  —  ob  dasselbe  hinlänglich  inter- 
essant ist  —  und  zweitens  die  nach  seiner  praktischen  Be- 
deutung. Eine  zusammenfassende  Skizziening  seiner  Grenzen 
und  Mangel  wird  sich  ungezwungen  anfügen  und  zu  dem 
dann  Folgenden  Überleiten,  in  dem  wir  Über  die  wünschens- 
werten Reformen  und  die  Wege  und  Aussichten  weiterer 
Arbeit  sprechen  wollen. 

Zunächst  zur  ersten  Frage.  Es  gibt  kaum  irgendeinen 
Gegenstfmd  auf  der  Welt,  über  den  nicht  irgendetwas  all- 
gemein ausgesagt  werden  könnte.  So  wäre  z.  B.  eine  Wissen- 
schaft Ober  jene  Momente  möglich,  welche  allen  ethischen 
Urteilen  trotz  der  Tatsache,  daß  ihr  konkreter  Inhalt  nach 
Ort.  Zeit,  Kulturzustand,  Rasse  usw.  verschieden  ist,  ge- 
meinsam sind.  Solche  Momente  gibt  es  gewiß  und  daraus 
folgt,  daß  es  eine  exakte  Ethik  geben  könnte,  welche  im 
Gegensätze  zu  der  Üblichen ,  welche  Forderungen  aufstellt 
und  aus  diesem  Grunde  aus  dem  Rahmen  wahrer  Wissen- 
schaft hinausfällt,  strenge  beschreibend  wÄre.  Aber  es  könnt» 
sich  eichen,  daß  der  Inhalt  ihrer  Theoreme  ein  so  „all- 
gemeiner", d.  h.  hier  so  geringer  wäre,  daß  man  die  Kon- 
struktion eines  solchen  Baues  besser  unterlflßt  —  er  wäre 
ein  Sehacht,  der  zu  nichts  fuhrt.  Vielleicht  ändert  sich  das 
in  Zukunft  und  vielleicht  steht  diese  Zukunft  unmittelbar 
bevor;  ich  glaube  das  sogar  mit  Rücksicht  auf  gewisse  neue 
Leistungen  der  Soziologie;  allein  gegenwärtig  eribt  es  noch 
keine  solche  exakte  Ethik  —  sie  würde  der  Mühe 
Dicht  lohnen.  Ich  bin  nicht  sicher,  ob  die  exakte  Psycho- 
logie introspektiver  Richtung  nicht  ebenfalls  in  dieser  Lage 
ist  und,  so  wie  sie  beute  ist,  auch  dem  Freunde  exakter 
Gedankengänge  nicht  viel  Interesse  abzugewinnen  vermag. 
Auch  etwa  eine  exakte  Theorie  der  menschlichen  Wande- 
rungen ließe  sich  denken  und  auch  dazu  sind  AnsiUzc  vor- 
handen. Jede  Bevölkerungsbewegung  geht  sicherlich  so  vor 
rieb,  daß  sie  sich  in  der  Sprache  des  Maximumtheorems  be- 
schreiben lAßti  Sie  erfolgt  in  eiuer  Richtung  des  geringsten 
Widerstandes  und  gewiß  ist  es  möglich,  von  einem  etbno- 


558  ZuMmmeniasaiiiig  deflseo,  ntw. 

logischen  Gleichgewichte  zu  sprechen,  eioem  Zustande,  ii 
dem  sich  irgendwelche  „Kräfte^  balanzieren  und  der  siekf 
so  lange  keine  Störungsursache  „von  außen*  einwirkt,  m 
erhalten  strebt.  Aber  so  lange  man  nicht  mehr  sagen  ktn, 
als  das,  so  lange  wird  sich  nicht  leicht  jemand  finden,  der 
„exakte  Ethnologie""  zu  treiben  wtlnscht  —  und  auek  der 
feurigste  Theoretiker  wird  niemand  daraus  einen  Vorwarf 
machen  können. 

Wir  haben  diese  Beispiele  aus  zwei  Gründen  angeführt 
Vor  allem  wollten  wir  nochmals  betonen,  dafi  „auareiehea- 
des  Interesse""   für  die  Existenzberechtigung  einer  Wissen- 
schaft ebensonötig  ist,  wie,  nach  einigen  Staatsrechtslehreni 
«ausreichende  Macht""  zum  Entstehen  von  Souveränität  Die 
Frage  nach   seinem  Vorhandensein  ist  keineswegs   mit  der 
oben    erwähnten    „Bettlerfrage*"    zu    verwechseln     —    wm 
Gegner   wie   Vertreter   unserer  Disziplin   des  öftem  ül«r- 
sahen.    Sodann  aber  sollen  unsere  Beispiele   uns   zur  Folie 
dienen  bei  der  Beurteilung  des  Wertes  der  letzteren.    Steht 
es  so  schlimm  um  ihn  wie  um  den  jener  gedachten  exaktei 
Theorien    der   Ethik   oder  der  Ethnologie?    Nun,   die  all- 
gemeine Antwort  auf  diese  Frage  wird,  wie  unschwer  n* 
gegeben   werden  wird ,  verneinend  lauten.    Wir  werden  säe 
noch  weiter  belegen  und  von  verschiedenen  Seiten  beleuchtet, 
aber   im   großen    und    ganzen  läßt  sich   der   Kern  unserei 
Argumentes,   den  wir,   wie  wir  glauben,  mit   der  denklar 
größten  Beruhigung  dem  Leser  darbieten  können,  folgender- 
maßen präzisieren  :  Nein,  die  theoretische  Ökonomie  ist  nicht 
so  wertlos  wie   die  angedeuteten   Typen.     So   wie   diese 
würde  ein  wirklich  wertloser  oder  doch  verfrühter  tbeol^ 
tischer   Bau   aussehen,    und  der  Vergleich  zwischen  beidit 
sagt   in   dieser   Beziehung   so   sehr  alles  Nötige,   daß  ^ 
weiteres  Wort  darüber  überflüssig  wäre.    Allein,  ebensovfit 
wie  von   diesen  steht  die  Ökonomie  von  den  „anerkanntet' 
exakten    Wissenschaften,   von   jenen,    die   dem    Laien  in* 
ponieren.     Manche  ihrer  Teile  nähern  sich   bedenklich  dd 
erstem,    andere   den    letztem    und    wenn    man    von   einen 
Durch^chnittsniveau  unserer  Disziplin  sprechen  darf,  so  ktf 


4 


W«rt  d«r  reiDfln  ökonomia.  559 

man  sagen,  dafi  es  in  der  Mitte  liegt.  Da  nun,  wie  wir 
hervorhoben,  das  Urteil  darüber,  ob  eine  Disziplin  etwas 
wert  sei  oder  nicht,  notwendig  subjektiv  und  auch  die  Grenze 
zwischen  Wertlosem  und  Wertvollem  hier  wie  Qberall  keine 
laste  sondern  —  auch  tor  den  Einzelnen  —  eine  fliefiende 
ist,  so  reicht  das  eben  Gesagte  noch  keineswegs  zn  einem 
absoluten  Richtsprüche  aus.  Allein  man  wird  EUgebeu,  daß 
wir  damit  einem  solchen  auf  einem  natürliehen  und  inoffen- 
siven  Wege  nunmehr  etwas  naher  geruckt  sind.  Doch  gehen 
wir  weiter. 

Wir  nehmen  es  niemand  übel,  wenn  er  unsere  Theorie 

ablehnt    Sagt  jemand,  sie  interessiere  ihn  nicht,  so  ist  kein 

Wort  zu  verlieren.     Wir  behalten  uns  vor,   von  demselben 

Rechte  andern  Richtungen  gegenober  Gehrauch  zu  machen. 

Solche  Urteile  flieäen    nicht  immer  aus  Starrsinn,  sondern 

aas  subjektiven   Unmöglichkeiten.     Nur   kann  es  mitunter 

InteresBant  sein,  die  Begründung  dergelben  zu  hören  erstens, 

weil   erst  durch   sie  diese  MbiDungaäußeruDgen  Farbe  und 

ihren  vollen  Sinn  erhalten  und  zweitens,  weil  die  B^pilndung 

tatstchliche  Behauptungen  enthalten   kann,    über   die  eine 

«xakte  Diskussion   möglich  ist.    Zu  einer  solchen   möebteu 

~   wir,  wie  gesagt,  beitrageu.  Niemand  kann  vor  allem  für  die 

'   reioe  Theorie  VerstAndnis  haben ,   der  der  exakten  Wisseo- 

*  Schaft  uQd_Jhren  Methoden   überhaupt  femestebt.    Das  ist 

liun  sicher  der  Fall  bei  vielen  Fachgenossen.   Mancher  Wirt- 

acbaflspolitiker   oder  Historiker,    der  über  die  Theorie  so 

Ikart  arteilt,   würde  ganz  ebenso  über  die  exakte  Mechanik 

denken,  wenn  ihn   nicht   ihr  festbegrUndetes  Ansehen  und 

ihr  Zusammenhang  mit  den  Leistungen  der  modernen  Technik 

'd*ran   hinderte:    Ihr   reines   System   und    ihre   erkenntnis- 

tibeoretischen  Grundfragen  würden   ihn  wenig  interessieren. 

Jihnlieh  bezeugt  mancher,  der  die  moilerne  schöne  Literatur 

>erdaDunt,  den  ,  Klassikern"  seine  Ehrfurcht,  nicht  weil  er 

ftie    wirklich  versteht,    sondern   veil   der   Angriff   auf  ihre 

'Wohl gesicherte  Position  viel  schwieriger  ist.    Manches  ver- 

^juumende  Urteil  über  den  Erkenntniswert  unserer  Disziplin, 

^MB     iofierlich    durch    die    Vorwurfe    der    „Spekulation*, 


560  Zusaramenfassang  dessen,  xmw. 

„Aprioristik"  usw.  begründet  ist,  fließt  aus  dieser  Quellt 
Solche  Einflüsse  werden  stets  hindernd  in  unsere  Bahn  zv 
Klarheit  hereinwirken.  Wir  können  darauf  und  auf  fw» 
wandte  Punkte  nicht  immer  wieder  eingehen  und  wolki 
uns  andern  Dingen  zuwenden,  bei  deren  Diskussion  wir  Ge- 
legenheit haben  werden,  zu  zeigen,  dafi  wir  das  Richtige 
in  den  Argumenten  der  Gegner  der  Theorie  und  ihre  Ver- 
dienste bereitwillig  anerkennen  und  tatsächlich  viel  danvs 
gelernt  haben. 

Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  da6  wir  das,  was  fftr 
die  Theorie  ins  Feld  geführt  werden  kann  und  was  eben  ii 
ihren  konkreten  Leistungen  liegt ,  bereits  im  Früheren  ge- 
sagt haben  und  hier  nur  wenig  hinzufügen  oder  selbst  zt- 
samroenfassen  können.  Die  Kehrseite  ist  es,  die  hier  baopt- 
sachlich  zum  Worte  kommt,  und  der  Leser  wird  das  Vor- 
hergehende sich  stets  vor  Augen  halten  müssen,  wenn  er 
uns  Gerechtigkeit  erweisen  und  ein  erträglich  vollständiges 
Bild  in  ungefähr  richtiger  Beleuchtung  erhalten  will.  Wenn 
wir  unsere  Arbeit  tiberblicken,  so  drängt  sich  uns  sicherlich 
—  das  können  wir  nicht  leugnen;  da  haben  die  Gegner 
Recht  —  vor  allem  das  Bedenken  auf,  ob  wir  nicht  gerade 
das  Interessanteste  an  den  Dingen ,  mit  denen  wir  uns  be- 
schäftigen, aus  unserer  Betrachtung  ausgeschlossen,  geraiie 
vom  W^ichtigsten  abstrahiert  haben.  Bleibt  nicht  nach  aller 
Arbeit  ein  ziemlich  kahles  Gerippe  in  unsern  Händen  zu- 
rück? Korrekt,  logisch  einwandfrei  und  auch,  soweit  es 
reicht,  zutreffend  mag  es  ja  sein;  auch  das  ist  nicht  Ober 
jeden  Zweifel  sicher,  könnte  man  außerdem  einwenden  — 
darauf  kommen  wir  noch  — ,  jedenfalls  sahen  wir,  dtÄ 
unsere  Kegeln  viele  Ausnahmen  erleiden;  aber  im  ganzen 
glaube  ich  die  wesentlichsten  Bedenken  in  dieser  Beziehuog 
beseitigt  zu  haben.  Doch  geschah  gerade  das,  wie  min 
sich  erinnern  wird,  mittelst  eines  weitgehenden  Aufgebeos 
von  inhaltlich  hochbedeutenden  Resultaten.  Ist  das,  was 
uns  bleibt  nicht  ebenso  wert-  wie  leblos?  Fast  könnte  es 
so  scheinen  —  zum  Teile  ist  es  ganz  unbestreitbar  so.  Das 
wirklich  Relevante,  das,  was   in  der  Kette  von  Ursachen, 


Wert  der  reinen  ökonomEe.  5(31 

«eiche  den  Lauf  und  den  Zustand  der  Wirtschaft  bestimmea, 
durch  seine  Bedeutung  aufföllt,  das,  worum  gekämpft  and 
das,  was  diskutiert  wird,  liegt  ganz  vornehmlich  in  den 
Daten  unserer  Probleme,  also  außerhalb  unseres  Macht- 
kreises. Die  Verteilung  des  Bodens  und  der  übrigen  Pro- 
duktionsmittel, die  sozialen  Machtverhältnisse  und  Orgnni- 
sationsformen  —  das  sind  die  Faktoren  welche  die  Gestaltung 
der  Wirtschaft  beherrschen  und  das  sind  zugleich  eben  jene 
Momente,  die  wir  als  gegeben  annehmen.  Aus  ihnen  folgt 
alles  Weitere  so  naturlich  und  fast  selbstverständlich,  daS 
es  geradezu  verzeihlich  ist,  wenn  manche  Uberselieo.  daß 
es  neben  jenen  auch  noch  andere  Probleme  gibt.  In  diesem 
Sinne  ist  es  nicht  nur  wahr,  sondern  überhaupt  unbestreit- 
bar, daß  das  Wirtschaften  „historisch  bedingt"  sei.  Außer- 
dem ist  natürlich  klar,  daß  wir  nie  etwas  Konkretes,  sondern 
immer  nur  allgemeine  Erkenntnisse  darzubieten  vermögen, 
welche  zu  allem  auch  noch  oft  von  der  Wirklichkeit  des- 
avouiert werden. 

Unsere  Entgegnung  darauf  ist  einfach.  Der  Leser 
kennt  sie  bereits.  Obgleich  das  alles  wahr  ist,  so  gibt  uns 
die  Theorie  eine  Gruppe  haltbarer  und  eben  nicht  selbst- 
verständlicher Sätze.  In  dieser  Beziehung  muß  das  Vorher- 
gehende für  sich  sprechen.  Wir  glauben  nicht,  daß  daraus 
die  Bedeutungslosigkeit  des  eben  Gesagten  folge,  wohl  aber, 
daß  es  auf  seinen  wahren  Gehalt  beschränkt  wird.  Richtig 
aufgefaßt,  widerspricht  es  nicht  dem  berühmten  Satze,  daß, 
wer  die  Wertlehre  begrilTen  hat«,  damit  auch  alles  Wirt- 
schaften verstanden  habe.  Es  genügt,  einzusehen,  daß  die 
Autoren  beider  so  entgegengesetzt  aussehender  Dicta  — 
dieses  und  jenes  über  die  historische  Bedingtheit  des  Wirt- 
schaftens  —  an  verschiedene  Probleme  dachten,  um  sie  leicht 
vereinigen  zu  können.  Immer  noch  bleibt  ein  kleines  (iebiet, 
das  in  sich  geschlossen  ist  und  durch  ein  einziges  großes 
Erklärungsprinzip  beschvielien  werden  kann,  ein  Gebiet,  das 
erheblich  mehr  Früchte  trägt,  als  etwa  eine  exakte  Ethno- 
logie. Der  Unterschied  liegt  hauptsächlich  darin,  daß  es 
auf  dem  erstem  eine  Erscheinung  von  großer  Wichtigkeit 


562  ZuBammenfassuDg  dessen,  usw. 

gibt,  welche  sich  exakt  und  allgemein  beschreiben  liflt, 
nämlich  die  Preisrelation.  Ihre  Bedeutung  wird  noch  dt- 
durch  erhöht,  daß  sich  ihr  Schema,  in  dem  die  Theorie  sie 
erfaßt,  leicht  und  natürlich  auch  auf  die  Erscheinungei 
der  verkehrslosen  Wirtschaft  ausdehnen  Iftßt  und  so  eine 
hohe  Allgemeinheit  gewinnt,  die  trotz  der  nötigen  Ein- 
schränkung, welche  wir  schon  oft  betonten  und  bald  noch- 
mals berühren  werden,  eine  Tatsache  von  großer,  sehr  großer 
Bedeutung  ist. 

Dazu  kommen  noch  zwei  andere  Momente :  Erstens  und 
vor  allem   läßt  sich   zeigen  —  und  haben   wir  gezeigt  — , 
daß  die  Preisrelation  in  sich  alle  Faktoren  enthält,  die  data 
nötig  sind,  sie  selbst  und  unter  den  gleichen  Voraussetzungea 
auch  die  Gütermengen,  die  sich  im  Besitze  der  betrachteteo 
"Wirtschaftssubjekte  befinden  müssen,  eindeutig  zu  bestimmen 
und   einen  einzigen  Gleichgewichtszustand  abzuleiten,  auch 
das  unter   Einschränkungen,  welche  die  Bedeutung  dieses 
Momentes  verringern,  aber  nicht  vernichten.    Und  das  folgt 
nicht  schon   von  selbst  aus  den  „historisch  bedingten"  Tat- 
sachen   der   Organisation,   des   Milieu's   usw.   —    wenn  es 
manchem   so  scheint,   so  liegt  darin  ein  nachweisbarer 
Irrtum  — ,  sondern  ist  ein  Ergebnis  unserer  Theorie,  das 
sie  aus  eigner  Kraft  und   zu  eignem  Rechte  besitzt:  Nur 
mit   ihren  Mitteln   kann  es   nicht  bloß  plausibel  gemacht 
sondern    bewiesen    worden.     Das   hat  eine   doppelte  Be- 
deutung, einen  doppelten  Erkenntniswert  —  auf  die  Frage, 
ob   es   auch   eine  praktische   und  welche  es  habe,   kommen 
wir  später  — :  Einmal  ist  es  eine  interessante  Wahrheit  an  sieb. 
Wir  sehen    hier   mit    einer  Klarheit,   für   deren    Schönheit 
man   allerdings  mehr  oder  weniger  Verständnis  haben  nwg. 
daß   es  auf  unserm  Gebiete  eine  Logik  der  Tatsachen  gibt, 
deren  Druck  jedermann  fühlen  muß  und  erhalten  aus  dieser 
Quelle   sicherlich    einen    Beitrag   für   das    Verständnis  d« 
wirtschaftlichen  Geschehens.     Sodann  aber  liegt  eben  darii 
der  „Beweis  durch  die  Tat"  dafür,   daß  diese  Dinge  ein  ri 
sich  geschlossenes  Ganzes  bilden,  auf  das  trotz  ihrer  scbeia- 
baren  „Unberechenbarkeit**   exakte  Denkformen  anwendhtr 


> 


.  Wert  der  reinen  Ökonomi«.  563 

sind.  Und  das  ist  eine  wissenschaftliche  Tatsache  von,  wie 
schon  hervorgehoben  wurde,  kaum  zu  Qbersch&tzender  Wichtig- 
keit. Wir  wollen  das  nicht  zu  sehr  betonen;  denn  sehr  ver- 
schieden kann  man  trotzdem  darüber  denken,  und  wir  möchten 
es  um  jeden  Preis  vermeiden,  unsere  Darstellung  durch  un- 
exakte Momente  zu  kompromittieren.  Mag  also  der  Leser 
selbst  sehen,  was  er  aus  dieser  Anregung  machen  will,  nur 
übersehe  er  sie  —  trotz  ihrer  Kurze  —  nicht.  Eine  Lacke 
klafft  im  wissenschaftlichen  Weltbilde  dort,  wo  der  Mensch 
steht.  Die  bloße  Tatsache  der  Anwendbarkeit  exakter 
Metboden  ist  daher  hier  sehr  wichtig,  auch  wenn  die 
Resultate  derselben  nur  unbedeutend  wftren.  Sie  eröffnet 
trotzdem  bedeutende  Aussichten  und  Möglichkeiten.  Und 
darin  scheint  uns  das  höchste  Interesse  der 
reinen  Ökonomie  zu  liegen,  daß  sie  eine  Er- 
weiterung des  Gebietes  exakten  Denkens  dar- 
stellt. Sicherlich  ist  dieses  Urteil  zum  Teile  subjektiv, 
und  soweit  wollen  wir  es  niemand  aufdrängeo  \  andere 
mögen  —  z.  B.  mit  A.  Marshall  —  den  Wert  der  Theorie 
anderswo  suchen.  Allein  unter  allen  Umständen  ist  auch 
das  in  Rede  stehende  ein  nicht  zu  vemachlässigeDdea  Moment. 
Und  es  scheint  mir,  da6  man  aus  ihm  heraus  den  Anspruch 
der  reinen  Ökonomie  auf  Anerkennung  besser  verteidigen 
kann,  als  aus  manchem  anderen,  besser  namentlich  als  aus 
dem  „praktischen". 

Zu  der  weitreichenden  Allgemeinheit  und  zur  eindeutigen 
Bestimmtheit  unseres  Gleichgewichtssystems  Itommt  nun 
noch  ein  Punkt.  Es  gestattet  verschiedene  Anwendungen 
und  liefert  in  denselben  Resultate,  denen  nicht  jeder  Er- 
kenntniswert abzusprechen  ist.  Die  Geld-,  die  Verteilungs- 
tbeorie,  gewisse  Bewegunsgesetze  der  Preise,  das  sind  die 
nichtigsten  Beispiele.  Man  wird  die  Behauptung  halten 
können,  daß  für  die  Diskussion  dieser  Themen  die  Beitrage 
der  Theorie  nur  schwer  entbehrlich  sind  und  ihre  Unkenntnis 
in  vielen  Punkten  —  die  allerdings  oft  nicht  hervorzutreten 
brauchen  —  einen  erheblichen  Nachteil  für  klares  Ver- 
ständnis involviert.    Man  mag  ihnen  größere  oder  geringere 


5(54  Zaaammenfassung  dessen,  usw. 

Bedeutung  zumessen  und  sicher  wird  dieselbe  von  Fall  zu  Fall 
verschieden  sein,  aber  daß  man  ganz  ohne  sie  auszukommeD 
vermag,  wird  man  zwar  mitunter  behaupten,  aber  übertll 
dort,  wo  Erkenntnis  und  nicht  so  sehr  die  Lösung  praktischer 
Fragen  auf  dem  Spiele  steht,  meist  oder  doch  recht  oft 
nicht  nachweisen  können. 

Das  ist  die  eine  Seite  dieses  Argumentes.  Die  andere 
besteht  in  dem  Folgenden:  Unser  System,  das  theoretisch 
so  allgemeingültig  ist,  dessen  Elemente  eindeutig  bestimmt 
sind  und  dessen  Anwendungen  immerhin  einen  gesunden 
Inhalt  haben,  der  über  das^Gebiet  von  Selbstverständlich- 
keiten erheblich  hinausreicht  —  dieses  System  deckt  eine 
überaus  große  Menge  von  Fakten  und  steht  mit  der  Wirklich- 
keit in  einem  engern  Zusammenhange,  als  es  dem  Gegner 
der  Theorie,  der  an  ihrem  Apparate  Anstoß  nimmt,  viel- 
leicht scheint.  Wir  mußten  im  Gegensatze  zu  andern  Theo- 
retikern und  in  weitgehender  Übereinstimmung  mit  den 
Gegnern  der  Theorie  wiederholt  das  Gegenteil  betonen.  Vor 
allem  waren  wir  genötigt,  viele  Behauptungen  der  altem 
und  selbst  manche  der  modernen  Ökonomen  als  der  Wirklich- 
keit nicht  entsprechend  aus  der  Theorie  auszuscheiden,  wie 
die  Hypothese  des  Individualegoi^^mus,  oder  so  zu  restringieren, 
daß  sie  ihren  interessantesten  Inhalt  verloren,  wie  das 
Maximumtheorem  und  die  die  freie  Konkurrenz  betreffenden 
Thesen.  Das  ist  getan  und  davon  sprechen  wir  hier  nicht. 
Sodann  sahen  wir,  daß  unser  statisches  System  bei  weitem 
nicht  alle  wirtschaftlichen  Erscheinungen  erklärt,  nicht  z.B. 
Zins  und  Unternehmergewinn,  auch  nicht  alle  möglichen 
Arten  von  Preisbildung  und  alles,  was  an  der  letztern  auch 
in  ihrer  einfachsten  Form  wichtig  ist;  hierher  gehöric* 
Momente  werden  sofort  und  dann  noch  an  anderer  Stellt 
zur  Sprache  kommen.  Endlich  kam  es  wiederholt  vor,  dafi 
auch  an  sich  korrekte  Resultate  der  Theorie  sich  an  der 
Wirklichkeit  der  Tatsachen  nicht  ganz  l)efriedigend  be- 
währten, so  z.  B.  in  der  Lohutheorie  —  ja  bis  zu  einen» 
gewissen  Maße  geradezu  überall.  Allein  bei  Betrachtung^ 
dieser  Art  übersieht  besonders  der  Gegner  der  Theorie,  dessen 


Wert  dei  reinen  Ökonomie.  565 

großes  Verdienst  es  war,  deDselben  zu  ihrem  Rechte  zu 
verhelfen,  nur  zu  leicht,  daß  die  Meoge  von  Tatsachen,  die 
sich  dem  Schema  der  Theorie  ungezwungen  einfügt,  trotz 
allem  eine  ganz  außerordentlich  große  ist.  Es  ist  das  die 
große  Masse  der  Erscheinungen  des  Alltages ,  dessen ,  was 
man  Uglich  und  überall  sehen  kann  und  von  dem  man 
weiß,  daß  es  t&glich  und  überall  geschah  und  mit  großer 
Sicherheit  sich  ebenso  alltäglich  wiederholen  wird.  Eben 
diese  „Alltäglichkeit"  im  wahrsten  Sinne  des  Wortes  bewirkt, 
daß  uns  diese  Dinge  weniger  auffallen,  als  andere,  die  seltener 
und  soweit  weniger  wichtig  sind,  daß  man  aber  sie  hinweg- 
sieht und  wenig  geneigt  ist,  sich  Ober  sie  Rechenschaft  zu 
gehen,  ebenso,  wie  man  sich  im  gewöhnlichen  Leben  über 
die  doch  so  merkwürdigen  Erscheinungen  der  Verdauung 
oder  des  Schlafes  keine  Gedanken  macht.  Das  bringt  es 
auch  mit  sich,  daß  viele  Leute  der  Erörterung  jener  wirt- 
schaftlichen Erscheinungen,  „die  jeder  Köchin  wohl  vertraut 
sind,"  kein  besonderes  Interesi^e  abzugewinnen  vermögen  und 
die  Lektfire  eines  Buches  aber  reine  Ökonomie  oft  so  lang- 
weilig finden:  Weil  die  Dinge,  über  die  es  handelt,  so  banal 
sind,  so  meint  man,  daß  auch  jede  Darstellung  derselben 
nur  banal  sein  könne.  Aber  das  ist  in  diesem  Zusammen- 
hange ein  Argument  für  uns  und  zeigt  schlagender  als 
alles  andere,  wie  breit  die  Basen  unseres  Systemes  sind. 
Sie  sind  viel  breiter,  als  es  nötig  wftre,  breiter  und  ver- 
läßlicher, als  wir  strikte  nachweisen  können,  und  bewähren 
sich  besser,  als  unsere  Voraussetzungen  selbst  vermuten 
lassen,  an  denen  wir  strikter  Korrektheit  halber  eine  so 
große  Anzahl  von  Reserven  anbringen. 

Wenn  man  also  sagt,  daß  unser  Gleichgewichtssystem 
gerade  dasjenige  schildere,  was  banal  oder  gar  selbst- 
verständlich sei  und  von  allem  wirklich  Interessanten  ab- 
strahiere, so  ist  das  nur  zur  Hälfte  ein  Einwurf.  Das  In- 
teressante ist  das  Ungewöhnliche,  und  es  läuft  dann  jener 
Satz  zum  Teile  darauf  hinaus,  anzuerkennen,  daß  wir 
tatsächlich  das  Gewöhnliche.  Regelmäßige,  kurz,  die  große 
Masse  jener  Erscheinungen  erfassen,  die  wir  ttherha-u-v^  ^^~ 


566  Zusammenfiissang  dessen,  usw. 

fassen    wollen.     Die    wissenschaftliche   Bedeutung    unserer 
Erörterungen  gewinnt  also  sogar  etwas  dadurch  —  es  wird 
zugegeben,  dafi  ein  verhältnismäßig  nur  kleiner,  wenn  auch 
gerade  deshalb  auffallender  Rückstand  von  „Preistatsacheo*, 
in  unserem  Sinne,   unerklärt  zurückbleibt.    Aber  nur  zum 
Teile,   wie  gesagt,  rettet  das  den  Wert  unserer  Disziplin 
und  wir  sind  weit  entfernt  zu  leugnen,  dafi  dieses  Argument 
zweischneidig  ist.    Noch  immer  bleibt  die  Tatsache  bestehen, 
daß  eben  jene  Dinge,  auf  die  unser  System  zugeschnitten 
ist,   gegenüber   andern   wirtschaftlichen   und   sozialen  Er- 
scheinungen an  Interesse  sehr  zurücktreten.     Wie  dürftig 
nimmt  sich  unser  Bild  der  Wirklichkeit  neben  der  bunten 
Fülle  des  Lebens  aus,  die  sich  darbietet,  wenn  wir  um  uns 
blicken !  .  Die   großen  Lebensfragen  der  Zeit ,   die  Probleme 
von  Vergangenheit  und  Zukunft,  die  sich  uns  da  aufdrängen, 
können  nicht  verfehlen,  uns  zu  faszinieren.    Und  dann  lehren 
uns   gerade  die  neuesten   Fortschritte   der  reinen   Theorie 
der  Statik,  daß  wir  von  ihr  aus  nichts,  gar  nichts  oder  so 
gut  wie   nichts  von  denselben  verstehen  können.     Die  Ver- 
suche  der  altern  Ökonomen  haben  kläglich  versagt  und  wir 
können  nicht  mehr  tun  —  als  ökonomische  Theoretiker  — . 
als  eben  das  exakt  zu  beweisen.    Besonders  instruktiv  sind 
jene  großen  Analysen  der  Volkswirtschaft,  die  mitunter  vom 
reinwirtschaftlichen  Standpunkte  versucht  wurden,  z.  B.  die 
Marx'    und   viele  andere.     Wir  können   hier   nicht   in  eine 
Würdigung  derselben  eingehen ,   namentlich  auch  nicht  ihre 
Verdienste,   die   wir  nicht  völlig  leugnen,   berühren.    Aber  | 
das  Gesamtresultat  ist  doch,   meine  ich,  stets  ein  negatire* 
gewesen  und  nur  wenige  werden  bestreiten,   daß  sich  dabei 
die  Insuffizienz  der  Grundlage  ergab.    Heute  ist  man  davon 
abgekommen,  und  wenn  auch  fast  jedes  Lehrbuch  eine  solche 
Analyse   versucht,   so  zieht  es  dazu   doch  auch   und  sopr 
vornehmlich  andere  Mittel  heran,  als  jene,  die  die  ökonomische 
Theorie   in   unserem   Sinne   bietet.     Wir  können    gar  nicht 
daran   denken,   die  Probleme   der  Rassen   und  Klassen  u»<i 
die  großen  Fragen  der  Politik,  die  Größe  und  den  Rückgang 
der  Völker,  ihr  Hoflfeu  und  Streben  und  die  Gefahren,  ü^ 


Wert  der  reinen  Ökonomie.  567 

ihnen  drohen,  ihre  Vergangenheit  und  Zukunft  von  unserem 
Standpunkte  zu  begreifen.  Und  doch  haben  alle  diese  Dinge 
ihren  wirtschaftlichen  Aspekt,  wie  man  sich  leicht  überzeugt. 
Wir  werden  das  mit  mehr  Gewinn  diskutieren,  wenn  wir 
vom  „praktischen"  Werte  unseres  Systeme»  sprechen,  aber 
schon  hier  mußten  sie  erwähnt  werden.  Gerne  geben  wir 
zu,  daß  in  ihnen  die  interessantesten  Probleme  der  Sozial- 
wissenschaften liegen ,  daß  sie  den  forschenden  Blick  mit 
magischer  Gewalt  anziehen  und  daß  wir  den  nicht  tadeln 
können,  der  Ober  ihrer  Größe  unsere  Theorie  vergißt. 

Das  ist  aber  noch  nicht  einmal  alles.  Auch  der  gewöhn- 
liche Verlauf  der  Wirtschaft  ist  voll  Leben  uud  Bewegung 
und  in  steter  Entwicklung  begriffen.  Wir  nun  stehen  dem 
EntwicklungsphftROmen  und  dem  „hohen  Probleme"  des 
ökonomischen  Fortschrittes  ratlos  gegenüber.  Nicht  allein 
nun  macht  uns  das  die  Erfassung  hochwichtiger  wirtschaft- 
licher Erscheinungen  unmöglich,  die  sich  täglich  zeigen  und 
nie  fehlen,  wie  wir  sahen  und  nochmals  berühren  werden; 
sondern  auch  unser  Bild  des  Alltages ,  soweit  wir  ihn 
schildern,  ist  in  Gefahr,  als  geradezu  falsch  verurteilt  zu 
werden,  da  es  uns  einen  Ruhezustand  vortäuscht,  der  nie 
und  nirgends  existiert.  Welche  Jammergestalt  ist  doch 
unser  das  Gleichgewicht  ängstlich  suchendes  Wirtschafts- 
subjekt, ohne  Ehi^eiz,  ohne  Unternehmungsgeist,  kurz  ohne 
Kraft  und  Leben!  Und  wo  sind  alle  die  Wollungen  und 
Handlungen,  welche  auch  den  Alltag  aus  dem  Staube  er- 
he'ben?- 

Darauf  läßt  sich  mehr  entgegnen,  wenn  auch  gewiß 
etwas  Wahres  daran  ist.  Wir  wollen  das  eine  und  das 
andere  scharf  gegeneinander  kontrastieren.  Nebenbei  be- 
merkt, der  Leser  vermag  hitr  zu  sehen,  in  wie  komplizierter 
Weise  sich  die  Fäden  gegnerischer  Argumente  ver- 
schlingen uud  wie  leicht  es  Ist ,  nach  einer  Seite  bin  zu 
weit  zu  gehen,  wieviel  Geduld  und  Liebe  zur  Sache  dazu 
gehört,  zur  Wahrheit  vorzudringen.  Entgegnen  und  fUr 
den  Erkenntniswert  unseres  Systenies  anführen  läßt  sich 
das  Folgende:  FOr_die  weitaus  größte  Periode  des  gewöliu- 


5(j8  Zasammenfassniig  dessen,  usw. 

liehen  Lebens  ist  so  gut  wie  jedermann  ein   solcher  Iid^ 
weiliger   „Gleichgewichtsmensch''.    Zu  energischem  Wplln, 
zu  neuen  Bahnen  rafft  sich  jedermann  nur  in  FftlieD.aoL 
welche  gegenüber  den  zahllosen  Vorkommnissen  des  Alltages 
Ausnahmecharakter  tragen.    Das  mag  zweifelhaft  erscheino. 
ist  aber  wohlbegründet.    Gerade  das  Aufsehen,  dafi  ein  Ab- 
weichen von  dem  erregt,  was  jemancf  „gewöhnlich*  tut  joi 
was  man  mit  großer  Sicherheit  von  ihm  erwartet,  beweist 
es.     Bei  einigem  Nachdenken  wird  man   sich  —  viellek^ 
nicht  ohne  Überraschung,  aber  gewiß  —  darüber  klar,  di8 
wir  eigentlich  nur  in  verhältnismäßig  seltenen  Augenblickei 
wirklich  leben,  sonst  aber   „mechanisch'*   den    gewöhntet 
Werktag  abhaspeln.    Freilich  tut  das  niemand  vollständig 
Besonders  von   unserem  Standpunkte  können   wir  das  tob 
niemand  annehmen,  da  wir  bereits  die  Anfertigung  eine? 
neuen  Werkzeuges  und  ähnliches  als  außergewöhnliches  Er- 
eignis  auffassen.     Deshalb   haben  wir  stets  darauf  Gewicht 
gelegt,  zu  betonen,  daß  unser  System  nur  auf  ganz  kum 
Zeitperioden    anwendbar   ist.     Von   diesen   können   wir  be- 
haupten,  daß  nichts  derartiges  geschehe,   ohne   sehr  weit 
fehlzugehen.    In  einer  irgend  längeren,  in  der  die  Energie 
des  Einzelnen,  wie  der  Massen  Zeit  hat,  sich  sozusagen  zun  i 
Sprunge  zusammenzuballen,  geht  das  im  allgemeinen  nicht 
Da    werden    neue   Bahnen   eingeschlagen   werden,    die  die 
Grundlagen   unseres   Systemes  verändern.      Aber   innerhilb 
aller  unserer  Voraussetzungen   decken  dieselben  tatsächlicii 
die  große  Masse  der  Erscheinungen.     Außerdem  haben  wi: 
in  einer  Beziehung  noch   eine  Reserve:   Wir    haben  eine 
Methode  vorgeschlagen,  nach  der  es  möglich  ist,  die  Voraus- 
setzungen   einer   rein    hedonistisch -egoistischen    Handlung^ 
weise  zu  umgehen.     In   unsere  Wertfunktionen    lassen  sid 
die    Wirkungen    außerwirtschaftlicher   Motive    usw.    bis  n 
einem     gewissen    Grade     einschließen.       Wie     der     Leser 
weiß  —  völlige  Rechenmaschinen  sind  unsere    Wirtschafte 
Subjekte    nicht.     Wohl    aber   ist    es   eine   bureauk ratische. 
quietistische,  philiströse  Welt,  die  wir  zeichnen,  oder  besser 
es   ist    gerade  der   quietistische,    philiströse    Aspekt   de$ 


Wert  der  reinen  Ökonomie.  569 

menschlichen  Handelns,  der  sich  in  unserem  Bilde  spiegelt. 
Aber  dieser  Aspekt  ist  eben  wichtig.  Ist  er  nicht  alles,  so 
ist  er  doch  Viel,  wenn  nicht  das  schillerndste,  so  doch  das 
breiteste  Problem,  jenes,  das  zuerst  gelöst  und  verstanden 
sein  muß,  ehe  man  weitergehen  kann,  das,  bewußt  oder  un- 
bewußt, nie  aus  dem  Auge  verloren  wird  und  verloren 
werden  kann.  Er  ist  das  große  Hauptquartier,  von  dem 
aus  alle  „interessanten"  Bewegungen  starten,  und  im  Ver- 
gleiche zu  ihm  sind  sie  eben  interessant  und  ungewöhnlich. 
Dieser  Aspekt  ist  es,  der  dem  unbefangenen  Beobachter  — 
eiiftm  Wesen,  das  noch  nichts  vom  menschlichen  Handeln 
wüßte  —  vor  allem  sich  in  jedem  gegebenen  Momente  dar- 
bieten würde  und  dessen  Gesetze  am  leichtesten  zu  verifi- 
zieren sind. 

In  der  Tat,  im  Eifer,  die  Gegeninstanzen  zu  betonen, 
übersieht  man,  wie  schlagend  sich  unser  Gleichgewichts- 
Bystem  verifizieren  läßt.  Der  Arbeiter  geht  zu  seiner  täg- 
lichen Arbeit  im  allgemeinen  ziemlich  „mechanisch",  in 
derselben  Weise  und  mit  denselben  Dispositionen  wie  gestern. 
Der  Beamte  ebenfalls  so  in  sein  Bureau,  der  Händler  zu 
meinem  Marktstande,  mag  derselbe  nun  im  „Kaffir-Circus* 
etuf  der  Stock- exchange  in  London,  oder  im  Obstmarkte 
Biner  Kleinstadt  liegen.  Und  was  sie  alle  da  täglich  er- 
leben, ist  im  großen  und  ganzen  dasselbe  wie  gestern  und 
jede  Neuerung  fällt  auf  und  begegnet  einem  erheblichen 
Widerstände.  Freilich  spricht  jeder  von  den  sich  voll- 
ziehenden Veränderungen  und  wenn  man  ihm  glaubte,  so 
müßte  man  meinen,  daß  sich  alle  wirtschaftlichen  Ver- 
hältnisse täglich  von  Grund  aus  ändern.  Nicht  nur  der 
Mann  in  der  Praxis  des  Wirtschaftslebens  —  und  jede 
Hausfrau  —  glaubt  das,  sondern  auch  der  Agitator  und 
der  Politiker.  Dem  ist  aber  nicht  so:  Nur  langsam  ändern 
sich  die  Dinge,  noch  langsamer  ihre  wesentlichen  Züge.  Zu 
einem  guten  Teile  beruht  es  auf  Täuschung,  wenn  man  von 
grundstürzenden  Entwicklungen  binnen  weniger  Jahre  spricht. 
Es  erinnert  das  an  die  populäre  Ansicht,  die  man  so  oft 
hören     kann,    daß    sich    das    Klima    seit    kurzem    erheb- 


570  ZuBammenfassung  dessen,  usw. 

lieh  geändert  habe.  Tatsächlich  dtli*fte  es  sich  nach  geges- 
wärtiger  Ansicht  der  Fachkreise  in  historischen  Zeiten  aber 
tlberhaupt  nicht  geändert  haben.  Die  Änderungen,  die  akh 
vollziehen,  liegen  gewiß  nicht  vollständig,  aber  erheUick 
mehr  als  man  glaubt,  in  Worten,  in  den  populären  —  bd 
uns  leider  auch  den  wissenschaftlichen  —  Phrasen.  Und 
selbst  diese  bleiben  sich  in  überraschender  Weise  gldeL 
Immer  sind  es  dieselben  Argumente  und  Befürchtungen,  die 
wir  hören  und  die  sich  de  facto  fast  nie  verwirkliche!. 
Namentlich  wo  entgegengesetzte  Klasseninteressen  auf- 
einanderstoßen, ist  es  ein  uralter  Trick  der  Parteien,  äeh 
gegenseitig  verändertes  Verhalten,  neue  Ansprüche  iw- 
zuwerfen.  Darin  glaubt  man  immer  eine  besonders  wirkswe 
Entgegnung  zu  besitzen.  Ein  klassisches  Beispiel  ist  dis 
Verhältnis  zwischen  Dienstboten  und  deren  Dienstgebero. 
Die  letzteren  behaupten,  daß  sich  die  ersteren  nun  anders 
verhalten,  als  noch  vor  kurzer  Zeit.  Ein  wenig  Überlegung 
aber  lehrt,  daß  mit  Rücksicht  darauf,  daß  sich  der  Charakter 
dieser  Beschäftigung  langsam  ändert,  daß  Kombinationea 
innerhalb  derselben  schwer  sind  und  endlich,  daß  viele 
Dienstboten  ihren  Beruf  nur  als  Durchgangsstadium  be- 
trachtend weniger  energisch  als  andere  Arbeiter  auf  Ver- 
besserungen ihrer  Lage  bestehen  können,  dieser  Stand 
höchstens  von  den  Fortschritten  anderer  Arbeiterklasst'o 
mitgezogen  wird,  keineswegs  aber  an  der  Spitze  der  Auf- 
wärtsbewegung  stehen  kann.  Tatsächlich  läßt  sich  aocfa 
zeigen,  daß  alle  wesentlichen  Charakteristika,  z.  B.  die 
lange  Arbeitsdauer  pro  Tag,  im  großen  und  ganzen  sick 
auch  gegenüber  dem  Mittelalter  und  selbst  dem  Altertoae 
nur  wenig  geändert  haben  können.  Und  ferner  sieht  mu 
auch,  wie  die  kleinste  tatsächliche  Änderung  das  gröfite 
Aufsehen  erregt,  zur  lebhaftesten  Diskussion  führt  joi 
dadurch  oft  ganz  unverdiente  Bedeutung  erhält  —  besonden 
wenn  geAngstigte  Besitzinteressen  in  Betracht  kommei* 
Sicher  könnte  man  in  diesem  Gedankengange  leicht  zu  weit 
gehen ;  besonders  wir,  die  wir  das  nicht  genügend  ausführet 
können,    sind  einem  solchen  Verdachte  und  vielleicht  gtf 


Wert  der  reinen  Ökonomie.  571 

Mißverständnissen  verschiedener  Art  ausgesetzt;  aber  wenn 
man  findet,  daß  wir  zu  weit  giengen,  so  wolle  man  bedenken, 
daß  wir  einer  vernachlässigten  Seite  der  Sache  zu  ihrem 
Rechte  verhelfen  wollten,  während  uns  die  andere  hin- 
länglich gewürdigt  zu  sein  scheint.  Wir  haben  immer  be- 
tont, welchen  Einschränkungen  der  Geltungsbereich  unseres 
Raisonnements  unterworfen  ist  und  werden  das  gleich  wieder 
tun;  hier  aber  war  es  nachgerade  an  der  Zeit,  hervor- 
zuheben, daß  sich  unser  System  denn  doch  auch,  wenn  nicht 
so  gut  bewährt,  als  die  Theoretiker  meist  glauben,  besser 
halten  läßt,  als  seine  Gegner  meinen.  Wie  man  über  unser 
Argument  denken  mag,  hängt  wiederum  von  persönlichen 
Anschauungen  ab.  Wir  sind  zufrieden,  wenn  man  zugibt, 
daß  etwas  Wahres  daran  ist. 

Nur  einen  Punkt  wollen  wir  noch  erwähnen.  Unsere 
Theorie  beruht,  wie  wir  sahen,  auf  jenen  Zusammenhängen 
zwischen  den  Gütermengen,  die  die  Individuen  besitzen, 
welche  wir  als  das  Gesetz  vom  Grenznutzenniveau  bezeich- 
neten. Wir  sagten,  daß  die  ganze  reine  Ökonomie  in  nuce 
in  demselben  liege.  Nun  dieses  grundlegende  Theorem  läßt 
sich  leicht  verifizieren.  Eine  große  Tatsache  entspricht  ihm. 
Es  ist  das  die  Tatsache  der  Konstanz  der  Budgets  weitaus 
der  meisten  Leute,  die  Tatsache,  daß  so  gut  wie  jedermann 
innerhalb  genügend  langer  Perioden  ~  Perioden,  die  lang 
genug  Mnd,  um  interessant  zu  sein  —  dieselben  Güter  in 
immer  gleichen  Mengen  zu  konsumieren  tendiert,  ebenso 
wie  er  an  Art  und  Methode  seiner  produktiven  Tätigkeit 
im  großen  und  ganzen  außerordentlich  zähe  festhält.  Man 
kann  von  Arbeiterbudgets  sprechen  und  für  jeden  Ort  und 
jede  Zeit  leicht  Typen  aufstellen,  die,  was  immer  man  sagen 
mag,  der  Wirklichkeit  hinlänglich  entsprechen.  Und  so  auch 
für  andere  Klassen,  als  die  der  Arbeiter.  Freilich  gibt  es 
da  Unterschiede  und  nicht  überall  wird  die  Aufstellung  von 
Typen  leicht  sein;  aber  für  jeden  Einzelnen  gibt  es  —  man 
frage  sich  nur  selbst  —  ein  ziemlich  festes  Budget  oder, 
wie  man  auch  sagen  kann,  ein  und  nur  eine  ziemlich  feste 
Produktious-  und  Konsurationskombination,  einen  sehr  kon- 


572  Zusammen^ftssung  desseD,  usw. 

stanteu  Standard  of  life.  Wollen  wir  auch  diese  Tatsiiie 
nicht  übertreiben;  der  Einschränkungen,  die  zu  micba 
wären ,  gibt  es  viele  und  bedeutende ;  namentlich  gibt  tf 
keineswegs  für  jedermann  schlechthin  einen  solchen  fan 
Standard;  aber  alles  das  vernichtet  die  grofie  wissenschtft- 
liche  Bedeutung  dieser  Tatsache  nicht,  und  keine  grofizügip 
Kritik  wird  uns,  glaube  ich,  bestreiten,  dafi  in  ihr  eine  l»> 
friedigende  Verifikation  des  Hauptinhaltes  der  Theorie  liegt 
Akzeptiert  man  das  —  und  wir  haben  die  beste  Hoflhoog 
diesbezüglich  — ,  so  wird  man  uns  auch  zustimmen,  wen 
wir  sagen,  dafi  diese  grofie  Erscheinung  allein  hinreicht  ^ 
wissenschaftliches  Gebäude  zu  tragen  und  dieses  letztere  tm 
Wert  ist,  wenn  es  auch  gar  nichts  anderes  beschriebe«  ib 
dieses  eine  Moment.  Keinesfalls  aber  kann  man  uns  iw- 
werfen,  dafi  der  Grund,  in  dem  die  Theorie  ankert,  ein  be 
deutungs-  und  wertloser  ist. 

Das  also  kann  man  für  unser  System  anführen,  ooi 
etwas  ist  unzweifelhaft  damit  gewonnen.  Hätte  man  das 
Gesagte  jemals  gebührend  bedacht,  so,  glaube  ich,  hätte  nui 
in  der  Ablehnung  der  Theorie  nie  so  weit  gehen  könneit 
Allein,  nun  obliegt  es  uns,  auch  unsererseits  anzuerkenoen. 
daß  etwas  Wahres,  viel  Wahres  sogar,  in  den  ArgumeDtro 
der  Gegner  liegt.  Wir  haben  das  in  einzelnen  Fällen  schon 
so  oft  selbst  betont,  dafi  wir  hier  nur  zwei  Momente  der 
Aufmerksamkeit  des  Lesers  empfehlen  wollen.  Das  eine  l< 
kaum  mehr  als  eine  Banalität:  All  das  Gesagte  nämlicii 
hilft  uns  nicht  völlig,  sondern  eben  nur  zum  Teile  über  dif 
unleugbare  Tatsache  hinweg,  dafi  unser  Bild  selbst,  soweit 
es  überhaupt  reicht ,  unvollständig  ist  und  eine  Reihe  toi 
wichtigen  Erscheinungen  nicht  enthält  Ihr  Ausnabse 
Charakter  ist  nur  ein  halber  Trost  angesichts  des  unleo^ 
baren  Interesses  dieser  Ausnahmen.  Wir  können  nidrt 
etwa  dieselben  als  quantit^  negligeable  betrachten  —  oder 
doch  nur  vom  Standpunkte  unserer  Resultate  — ,  sonden 
müssen  zugeben,  dafi  ihr  Studium  nötig  und  interessant  iSL 
namentlich  deshalb,  weil  sie  keineswegs  danach  tendieret, 
sich   zu   balanzieren    oder    zu   verschwinden,    sondern  die 


Wert  der  reinen  Ökonomie.  573 

Gmndlaf^e  dauernder  Eotwicklungen  sind.  Und  wir  köDoen 
Bicht  umhin,  den  Standpunkt  jener  zu  begreifen,  welche 
aber  unsere  Theorie  lächeln ,  wenn  wir  ihn  auch  aus  den 
angeführten  Gründen  nicht  teilen.  Dabei  haben  wir  bereits 
das  zweite  Moment  berührt ,  das  hier  wichtig  ist :  Die 
wirtschaftliche  Entwicklung  und  alle  die  bedeutenderen 
St6rungsursachen  des  Gleichgewichtszustandes  —  also  alle 
mit  Ausnahme  von  Irrtum  usw.  —  fahren  von  dem  letztem 
ab,  ohne  dafi  eine  Tendenz  besteht,  zu  ihm  zurückzukehren. 

■  Er  ist  also  nicht  ein  zwar  abstraktes  aber  doch  stets  vor- 
handenes Gravitationszentrum  der  „wirtschaftlichen  Kräfte". 

■  Allerdings  beschreiben  wir  ja  keinen  konkreten  Zustand  der 
'  Wirtschaft,  sondern  einen  formalen,  den  nir  immer,  auch 
'  in  jedem  Momente  der  lebensvollsten  Entwicklung  beobachten 
'  können,  Dinge,  die  sich  wirklich  gleichbleiben,  wie  auch  die 

konkreten  Daten  wechseln.  Allein  man  kann  dennoch  nicht 
sagen,  dafi  unser  Gleichgewichtszustand  dem  Niveau  eines 
'  Meeres  gleicht,  das  stets  gestört  ist,  aber  sich  stets  herzu- 
'  stellen  strebt,  ja,  aus  genügender  Entfernung  geseben,  stets 
'  ein  Bild  der  Ruhe  bietet:  Die  Wellen  des  Meeres  kehren 
'   zum  Niveau  desselben  zurück,   nicht  aber  die  Wellen   des 

■  Wirtschaftslebens.  Und  die  wirtschaftliche  Entwicklung  geht 
B  auch  trotz  dem,  was  wir  oben  sagten,  schneller  vor  sich  als 

etwa  geologische  Veranderungeo  oder  gar  systematische  Ver- 
'    Änderungen  der  astronomischen  Körper.    Daher  hat  sie  für 
-    den  Menschen  eine  viel  größere  Bedeutung  als  diese  und  es 
'    ist  nicht  zu  vermeiden,   da6  der  forschende  Blick  auf  sie 
fflltt.    Die  dynamischen  Erscheinungen  spielen  also  im  Ver- 
hältnis zu  den  statischen  auf  unserem  Gebiete  eine  größere 
Kolle,  als  auf  dem  anderer  exakter  Disziplinen  —  das  bleibt 
trotz   unseres  früheren  Argumentes  bestehen.     Daraus  nun 
ergibt  sich  sicherlich    eine   große  Einschränkung   des  Er- 
Iteontniswertes  unseres  Systeme«  und  auch  ein ,  wenn  viel- 
leicht nur  gradueller,  so  doch  nichtsdestoweniger  bedeutender 
"Unterschied    gegenüber    seinen    exakten  Verwandten.     Der 
Vergleich  mit  der  reinen  Mechanik  ist  trostreicher:    Auch 


574  ^usammenfaasung  dessen,  osw. 

diese  ist  nur  ein  dürftiges  Bild  der  farbenprächtigen  lebei5- 
voUen  Natur  —  und  doch,  wer  wird  ihr  das  vorwerfen? 

Aus  allem  dem,  im  Zusammenhalte  allerdings  ndt 
unsern  Erörterungen  konkreter  Probleme,  mag  sich  nun  der 
Leser  ein  Urteil  ttber  den  Erkenntniswert  unserer  Disziplia 
bilden.  Ich  glaube,  daß  man  mich  für  die  Unbestimmtheit 
des  Resultates  und  die  vielen  „wenn"*,  „aber'',  „allerdings*. 
„hinwiederum^  nicht  tadeln  wird;  das  war  beabsichtigt  ooj 
kann  meines  Erachtens  mehr  Nutzen  bringen,  als  fertige, 
kurze,  allgemeine  Behauptungen,  auf  die  ja  doch  so  leicbt 
zu  entgegnen  ist.  Solche  findet  der  Leser  genug  in  unserer 
Literatur.  Hier  wollten  wir  es  einmal  anders  versudieo. 
Was  wir  gezeigt  zu  haben  glauben,  ist  nur,  daB  ein  Strahl 
von  Erkenntnis  von  unserer  Theorie  ausgeht.  Man  mag  ver- 
schieden Ober  ihn  denken,  und  daffir  haben  wir  nor 
Material  dargeboten,  nicht  eine  absolute  Meinung;  aber  siin 
Vorhandensein  dürfte  der  Leser  fühlen. 

§  2.  Vervollständigen  wir  das  Gesagte  noch  durch 
einige  Worte  über  die  Frage,  welche  Bedeutung  unserem 
System  für  die  Lösung  praktischer  Fragen  zukommt.  Dal«! 
wollen  wir  ein  Moment  —  ein  wichtiges,  zu  wenig  ge- 
würdigtes —  abscheiden  und  späterer  Diskussion  vorbehalten. 
Hier  verstehen  wir  unter  jenen  praktischen  Fragen  die  Pro- 
bleme der  praktischen  Politik  usw.  Nun,  im  Priuzipe  denken 
wir  nicht  hoch  über  das,  was  sich  dafür  aus  reinökonomiscben 
Erwägungen  gegenwärtig  ergeben  kann.  Eingedenk  der 
strengen  Lehren,  die  uns  die  Geschichte  unserer  Disziplin 
in  dieser  Beziehung  erteilt  hat,  wollen  wir  lieber  zu  vor- 
sichtig als  zu  sanguinisch  sein,  umsomehr,  als  wir  nicht  ohne 
Besorgnis  zu  beobachten  glauben,  daß  die  Theoretiker 
wiederum  auf  dem  Punkte  stehen,  dieselben  zu  vergessen 
oder  richtiger,  daß  sie  dieselben  nie  genügend  beherzigt 
haben.  Nur  langsam  ringt  man  sich  zu  der  doch  unvermeid- 
lichen Entsagung  durch,  und  noch  ist  die  Zahl  der  in  dieser 
Beziehung  ganz  einwandfreien  Arbeiten  bedauerlich  gering. 


Wert  der  reinen  Ökonomie.  575 

Sagen  wir  also  gleich,  dafi  wir  hier  in  weitem  Mafie 
mit  den  Gegnern  der  Theorie  Obereinstimmen.  Zum  Teile 
beruhen  die  praktischen  Anwendungen  derselben  direkt  auf 
Mißverständnissen  ihrer  Methoden  und  auf  Yerkennung  ihrer 
Aufgabe.  Was  wir  dabei  den  Gegnern  vorzuwerfen  haben, 
ist,  dafi  sie  daraus  auf  die  Wertlosigkeit  oder  gar  Falschheit 
der  Theorie  schlössen.  Doch  wollen  wir  das  nicht  wieder- 
holen, sondern  nur  kurz  unsere  diesbezfiglichen  Ergebnisse 
zusammenfassen.  Sie  sollen  dem  Leser  ohne  weitere  Recht- 
fertigung dargeboten  werden,  da  wir,  der  endlosen  Fehl- 
griffe und  der  darauf  folgenden  verfehlten  Angriffe  müde, 
ohnehin  daran  verzweifeln,  irgendjemand  zu  unserer  Ansicht 
zn  bekehren.  Mit  dem  Historiker  können  wir  uns  ver- 
ständigen, mit  dem  politisierenden  Theoretiker  nicht.  Wer 
durchaus  von  der  reinen  Theorie  aus  die  höchsten  Fragen 
der  Politik  lösen  will  —  er  gleicht  Jkarus  in  bedenklicher 
Weise  —  oder  wer  gar  nur  Theorie  treibt,  um  sie  für  die 
politische  Diskussion  zu  verwerten,  ist  ihr  schlimmster  Feind. 
Auf  einer  Yerkennung  des  Wesens  und  der  Aufgaben  der 
Theorie  beruht  es,  wenn  man  auf  Grund  derselben  etwas 
fordern  oder  etwas  rechtfertigen  oder  angreifen  will.  Wie 
sehr  die  Theoretiker  in  dieser  Beziehung  gesündigt  haben 
und  noch  sündigen,  weifi  der  Leser  zur  Genüge.  Daß  das 
dem  Wesen  einer  strengen  Wissenschaft  widerspricht  und 
wir  damit  nichts  zu  tun  haben  wollen,  namentlich  aber,  dafi 
sich  solche  Abirrungen  von  der  Theorie  trennen  lassen  und 
diese  nicht  mit  ihnen  steht  und  fällt,  alles  das  brauchen 
wir  nicht  nochmals  zu  entwickeln,  so  lebhaft  wir  wünschen, 
dafi  der  Leser  sich  diese  Punkte  einpräge.  Ein  Miß- 
verständnis ebenfalls  des  Wesens  und  außerdem  der 
Methoden  der  reinen  Ökonomie  ist  es.  wenn  man  ihre  Be- 
griffe und  Theoreme  außerhalb  ihres  engsten  Gebietes  und 
besonders  ohne  Weiteres  auf  die  Wirklichkeit  des  sozialen 
Lebens  anwendet.  Immerhin  ist  das  verzeihlicher.  Auf 
allen  Gebieten  läßt  sich  dasselbe  beobachten:  Der  erste 
Schimmer  einer  neuen  Erkenntnis  gibt  zu  überschwänglichen 
Hoffnungen  Anlafi  und  man  überschätzt  die  Bedeutung  des 


576  Zusammenfassung  dessen,  usw. 

Errungenen.    Und  das  hat  auch  seine  Vorteile ;  aber  die  Er- 
nüchterung ist  unvermeidlich  und  es  wird   nötig,   sich  zi 
schmerzlichen  Verzichten  zu  entschließen.    Das  ist  auch  bd 
uns  der  Fall.    Wir  müssen  uns  darüber  klar  sein,  dafi  wir 
die  großen  Probleme   der  Zeit  nicht  von   unserem  Stind- 
punkte  lösen  können.    Irgendein  Stratege,   Napoleon  oder 
ein   anderer,   hat  gesagt,   daß  im  Kriege   alles   darauf  an- 
komme,  im  rechten  Momente  die  Übermacht  zu  haben«  Eil 
gutes  Wort,  das  auch  wir  uns  gesagt  sein   lassen  wolkii: 
Es  hat  keinen  Sinn,  mit  unzureichenden  Mitteln  große  Fh>- 
bleme    in    Angritf  zu    nehmen    und    das    Geheimnis  tncb 
wissenschaftlichen  Erfolges  liegt  darin,  solchen  erst  dann  n 
begegnen,  wenn  man  ihnen  gewachsen  ist.     Die  reine  Öko- 
nomie ist  es  nicht,  denn  ihre  Waffen  sind  ja  garnicht  dazi 
geschmiedet.    Zu  glauben,  daß  unser  atomistischer  Begrif 
der  Volkswirtschaft  uns  etwas  über  deren  wirkliches  Lebet 
und  Weben  sage  oder  daß  unser  Maximumtheorem  zu  Prus- 
nosen    für    die    Sozialpolitik    ausreiche,    heißt    beide  miß- 
verstehen. 

Aber   auch   wo    kein   solches  Mißverständnis    begangea 
wird,  muß  der  Versuch,  viel  für  die  „Praxis"  aus  der  Theorie 
zu  gewinnen,  gegenwärtig  scheitern.    Was  wollen  wir  z.  R 
zum  Probleme    des    britischen    Imperialismus    sagen?    >'cr 
Cienieinplätze   oder    unexakte   Philosophien    würden   uns  « 
(iebote  stehen.    Aber  können  wir  nicht  zu  gewissen  Speiial- 
fragen  jenes  großen  Problenies  beitragen,  z.  B.  zum  Fistil 
Probleme?  Allerdings,  und  darauf  werden  wir  gleich  koiDBK>B. 
Allein   man   darf  nicht   vergessen,    was   wir   schon  im  Ab- 
schnitte  über   die  Variationsmethode  hervorhoben,  nimlirt  j 
den  statischen  Charakter  dieser  Beitrftge.     Derselbe  bringt  1 
es  mit  sich,  daß  wir  iumier  nur  die  unmittelbaren  WirkuoffW 
der  Dinge  erfassen   können ,    und   setzt   uns   dem  Einwaage  | 
aus,    daß   wir    den   entscheidenden   Punkt   verfehlen.    ^^\ 
sind   dann  in  der  wenig   beneidenswerten  Lage,   uns  saps 
lassen   zu    müssen,   daß  wir  die   Dinge  aus  einer  Frost** 
Perspektive   und   in  der  denkbar   kurzsichtigsten  Wei«  !*• 
trachten.     Was  macht  es,  wenn   ein  Zoll  irgendjemand  U* 


Wert  der  reinen  Ökonomie.  577 

mittelbar  „Bchadet",  wo  die  Zukunft  der  Matiou  auf  dem 
Spiele  steht?  Was  oützt  udb  der  exakte  Nachweis,  daß  eia 
sozialpolitischer  Eingriff  dag  NutzeDmaxtmum  der  Beteiligten 
verringert  —  selbst  in  einem  Falle,  wo  er  wirklich  ge- 
lingt — ,  wenn  wir  ein  „ceteris  paribus"  hinzusetzen  müssen? 
„Cetera"  bleiben  eben  nicht  gleich,  sollen  nicht  gleichbleiben. 
"Wir  untersuchen  die  Wirkung  einer  Steuer.  Diese  Unter- 
suchungen haben  die  Folge,  daS  Politiker,  die  beim  National- 
ökonomen gebührend  gelernt  haben ,  sehr  for  konservative 
Sudgets  sind.  Zum  Teile  mit  Recht;  gewiß  ist  es  wahr, 
daß  uferlose  Ausgaben  schliefilich  die  Grenze  des  Möglichen 
erreichen  und  immer  steigende  Steuern  bedenklich  werden 
müssen.  Aber  soweit  darin  Wahres  liegt,  ist  das  ja  selbst- 
verständlich, dazu  brauchen  wir  die  Ökonomie  ebensowenig, 
"Wie  der  Privatmann  sie  braucht,  um  kein  Verschwender  zu 
Bein.  Und  zum  andern  Teile  wird  der  Sozialpolitiker  dar- 
über lächeln:  Er  will  ja  die  Dinge  nicht  erhalten,  wie  sie 
sind,  er  will  vorwärts,  höher  hinauf  —  und  wiederum  wird 
unsere  taktische  Position  keine  günstige  sein. 

Bei  geradezu  allen  Fragen  der  Industrie  und  ihrer  Ent- 
wicklung aber  steht  es  so:  Die  ins  Spiel  kommenden  Inter- 
essen sind,  u.  a.  infolge  der  Kombinationen  der  Einzelnen 
KU  Gruppen,  so  groß,  daß  Volk  und  Staat  sich  wohl  oder 
Qbel  darum  annehmen  müssen.  Auf  Trusts  usw.  muß  ein- 
gewirkt, zwischen  Arbeitern  und  Unternehmern  vermittelt, 
neue  Absatzgebiete  müssen,  eventuell  mit  Gewalt,  eröffnet 
und  der  Industrie  durch  den  Staat  und  seine  Diplomatie 
Arbeitsgelegenheiten  verschafft  werden.  Die  errungenen  Be- 
stellungen müssen  mehr  oder  weniger  arbiträr  —  und  viel- 
&ch  nach  nichtwirtschaftlichen  Gesichtspunkten  —  verteilt 
werden  usw.  Das  alles  geht  einfach  nicht  anders  und 
dem  gegenüber  ist  es  völlig  müßig,  darüber  zu  streiten,  ob 
das  gut  oder  schlecht  ist.  Die  Tatsachen  sind  mächtiger 
als  die  Prinzipien  und  der  energischeste  Doktrinär  könnte, 
an  die  entsprechende  Stelle  gesetzt,  nicht  umhin,  sich  mit 
allen  jenen  Aufgaben  auf  vertraulichen  Fuß  zu  stellen  und 
industrielle  Expansionspolitik  usw.    zu  treiben.     Das  alles 

Sahnmpstkr,  NkUoulOkoiiomie.  ^ 


578  ZasammenfaseuDg  dessen  usw. 

aber  heißt,  wenn  wir  den  Mut  der  Wahrheit  haben  wollen, 
nicht  viel  weniger,  als  daß  unsere  Theorie,  soweit  sie  fest 
begründet  ist,  den  wichtigsten  Erscheinungen  des  modeneB 
Wirtschaftslebens  gegenüber  versagt.  In  dem  großartigei 
Kampfe  um  den  Weltmarkt,  der  mit  so  verschiedenen  Mitteli 
geführt  wird,  hat  die  Zukunft  das  Wort  —  und  aiu«r 
System  verstummt.  Wenn  es  etwas  leistet,  so  ist  das  oor, 
daß  es  uns,  besonders  in  seiner  exakten  Form,  lehrt,  mit 
Klarheit  die  einzelnen  Momente,  auf  die  es  ankommt,  ans* 
einanderzuhalten  und  nicht,  wie  es  üblicherweise  fast  immer 
geschieht,  zu  konfondieren ;  das  kann  es  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grade:  Schon  die  Unterscheidung  zwischen  Statik 
und  Dynamik  und  die  Präzisierung  der  nötigen  Daten  unseres 
Systemes  leistet  da  viel.     Aber  das  ist  auch  alles. 

Wir  sind  auch  leider  nicht  in  der  Lage,  den  Leser  viel 
von  der  künftigen  Entwicklung  unserer  Wissenschaft  in 
dieser  Richtung  hoffen  zu  lassen.  Sicherlich  sind  jene  Pro- 
bleme nicht  hoffnungslos  schwierig;  aber  wir  meinen,  daß 
unsere  Disziplin,  die  reine  Ökonomie,  für  sie  niemals 
wesentlich  Besseres  leisten  wird.  Zurückweichen,  nicht  Vor- 
dringen ist  unseres  Erachtens  hier  geboten,  aufrichtiger 
Verzicht  sans  phrase.  Wir  werden  eine  andere  Richtung 
kennen  lernen,  in  der  sich  uns  eine  Entwicklungsmöglich- 
keit zu  eröffnen  scheint  —  jene  Probleme  aber  sind  uns 
wohl  für  immer  entrückt.  Auf  die  Frage,  was  die  reine 
Ökonomie  für  Fragen  der  Praxis  zu  leisten  hat,  können  wir. 
meine  ich,  nur  eines  entgegnen:  Es  gibt  eine  Reihe  sehr 
spezieller  Probleme  der  Praxis,  welche  die  Theorie  in  vielei 
Fallen  lösen  kann.  Es  sind  das  jene  komplizierteren  Fragen 
der  Preisbildung ,  bei  denen  ein  genauerer  Ausbau  der  all- 
gemeinen  Regeln  der  Logik  —  eine  Art  spezieller  ^Lopik 
der  Preise"  —  nicht  wertlos  ist.  Beispiele  haben  wir  keunei 
gelernt.  Freilich  sind  immer  Daten  aus  der  Wirklichkeit 
dazu  nötig  und  wenn  dieselben  gegeben  sind,  so  ergibt  i 
sich  auch  oft  da>  Resultat  ganz  von  selbst;  aber  doch  nicht  i 
immer,  und  man  wird  hier  Verdienste  der  Theorie  nicht  ' 
ganz  in  Abrede  stellen  können  —  ist  es  doch  mOglich,  anf 


( 


Wert  der  reinen  Ökonomie.  579 

4ie8e  Weise  eine  Reihe  von  Korrekturen  an  der  populären 
Diskussion  dieser  Dinge  anzubringen.  Der  Leser  weiß,  daß 
irir  hier  die  komplizierteren  Anwendungen  der  Variations- 
methode meinen.  Aber  ist  denn  das  wirklich  alles?  Was 
irir  Qber  das  Wesen  der  Einkommenszweige  sagen  können, 
hat  denn  das  keine  praktische  Bedeutung?  Abgesehen  da- 
von,  daß  uns  diese  Erkenntnis  eben  die  Anwendung  jener 
Methode  ermöglicht,  kaum.  Gewiß  ist  das  Ergebnis  inter- 
essant, ebenso  wie  die  eindeutige  Bestimmtheit  von  Lohn 
und  Rente.  Allein  was  soll  das  dem  Praktiker  nützen? 
Der  Umstand,  daß  sie  ökonomisch  erklärbar  sind,  gibt  den 
Einkommen  keine  höhere  Weihe,  wie  manche  Theoretiker 
glauben.  Dem  ersteren  wird  es  sehr  gleichgültig  sein,  ob 
«r  die  Einkommensverteilung  direkt  oder  nur  dadurch  be- 
einflussen kann,  daß  er  die  ,, Daten  des  Systemes''  ändert, 
wenn  eine  Einflußnahme  nur  überhaupt  möglich  ist.  Wir 
haben  gesehen,  daß  aus  der  ökonomischen  Ableitung  der 
Einkommen  noch  keineswegs  eine  „Rechtfertigung"  oder 
selbst  deren  absolute  „Naturnotwendigkeit"  folgt.  Und  wenn 
sich  die  Besitzer  von  Einkommensquellen  nicht  selbst  wehren 
würden,  so  würden  sie  unsere  Erörterungen  sehr  wenig  vor 
sozialpolitischen  Eingriffen  schützen.  Und  so  steht  es  mit 
allen  unsern  Theoremen;  sie  sind  interessante  wissenschaft- 
liche Ergebnisse  und  vielversprechende  Anfänge  weiterer 
Entwicklung.  Aber  begnügen  wir  uns  damit  und  setzen 
wir  sie  der  Belastungsprobe  praktischer  Anwendungen  nicht 
aus  —  sie  vertragen  sie  nicht:  Aussichtstürme  sind  es, 
nicht  Festungen;  ein  Bombardement  vertragen  sie  nicht. 

Ein  geistreicher  Mann  hat  einmal  seiner  Verwunderung 
darüber  Ausdruck  gegeben,  daß  der  Praktiker  meist  nichts 
von  Theorie,  der  Theoretiker  nichts  von  der  Praxis  verstehe. 
Das  ist  außerordentlich  treffend.  In  ganz  erstaunlicher 
Weise  sind  sich  oft  die  heiTorragendsten  Staatsmänner  und 
Geschäftsleute  über  die  elementarsten  Dinge  nicht  nur  an 
der  reinen  Theorie,  sondern  auch  an  Erscheinungen  im  Un- 
klaren, die  sie  unmittelbar  angehen.    Die  besten  Männer 

der  Tat  haben   die  schlechtesten  Abhandlungen  über  wirt- 

87^ 


580  ZnsammeiiftMsiuig  dessen,  usw. 

Bchaftliche  Fragen  geschrieben  und  Reden  gehalten,  die  einer 
kahlen  Prüfung  nicht  standhalten.  Aber  uns  kann  das 
nicht  wundernehmen  und  wir  werden  sie  nicht  darntck 
werten;  es  ist  das  vielmehr  gerade,  was  wir  erwarten 
würden.  Man  kann  ja  auch  sehr  gut  verdauen ,  ohne  za 
wissen,  dafi  man  überhaupt  einen  Magen  hat,  und  wir  wissen, 
dafi  zu  richtigem  Handeln  richtiges  Denken  bei  weitem 
nicht  so  nötig  ist,  wie  man  glaubt:  Die  Motive  und  die 
Grundsätze ,  die  dem  Handelnden  bewußt  sind ,  sind  oft 
andere,  als  jene,  welche  ihn  tatsächlich  leiten.  Schlimm 
wäre  es,  wenn  wir  den  Wirtschaftssubjekten  ihr  Handels 
erst  lehren  müfiten.  Wir  wollen  von  ihnen  lernen,  d.  h.  ihr 
Tun  zu  unserer  intellektuellen  Befriedigung  beschreiben. 
Unsere  Sätze  müssen  für  sie  teils  selbst-  und  teils  un- 
verständlich sein.  Es  wird  für  die  SozialwissenscbafteD  da 
Anbruch  einer  neuen  Epoche  bedeuten,  wenn  das  einmal 
allseitig  anerkannt  sein  wird. 


III.  Kapitel. 
Nochmals  die  Grenzen  und  Mängel  der  Ökonomie, 


§  1.  Nochmals  wollen  wir  die  Grenzen  und  Mängel  der 
theoretischen  Ökonomie  nach  ihrem  heutigen  Stande  präzi- 
sieren, ehe  wir  zu  dem  übergehen,  was  wir  über  die  nötigen 
Reformen,  die  Frage  nach  der  Richtung  weiterer  Arbeit 
und  einige  Entwicklungsmöglichkeiten  zu  sagen  wQnschen. 
Dabei  werden  wir  in  einer  Hinsicht  etwas  anders  vorgehen, 
als  bei  der  Diskussion  des  Erkenntniswertes  unserer  Disziplin. 
Während  wir  dort  das  Endurteil  dem  Einzelnen  anheim- 
stellten und  uns  nur  bemühten,  sozusagen  sein  materielles 
Substrat  voll  und  wahr  darzulegen,  so  glauben  wir,  dafi 
hier  nicht  nur  der  Laie,  sondern  auch  der  Fachgenosse 
anderer  Richtung  die  Zügel  demjenigen  überlassen  muß, 
der  seine  ganze  Kraft  der  Theorie  widmet  und  ihr  Gebäude 
genau  kennt.  Dort  also  sollte  für  und  wider  in  entsprechendem 
Verhältnisse  dargestellt,  hier  sollen  dem  Leser  kurz  und 
präzise  Antworten  auf  Fragen  erteilt  werden,  die  er  an  uns 
zu  stellen  berechtigt  ist.  In  diesen  Fragen  wollen  wir  ihm 
einen  fertigen  Standpunkt  empfehlen,  etwas,  woran  er  sich 
unseres  Erachtens  halten  kann.  Hier  wie  dort  aber  bauen  wir 
unsere  Anschauungen  vor  den  Augen  des  Lesers  auf  und 
bemühen  uns  vorsichtig,  dafür  aber  auch  verläßlich  zu  sein. 
Aber  wir  wollen  hier  nicht  soviel  Worte  machen  wie  dort, 
sondern  so  kurz  und  trocken  wie  möglich  sein. 

Nach  all  dem  Gesagten  können  wir  die  Grenzen  der 
reinökonomischen  Erkenntnis,  die  uns  unser  statisches  System 


532  ZasammenfassuDg  dessen,  usw. 

ermöglicht,  ohne  weitere  Begründung  etwa  in  der  folgendeB 
Weise  präzisieren.  Positiv  reicht  unser  Gebiet,  wie  irir 
nochmals  wiederholen  wollen,  soweit  als  die  Anwendbarkeit 
unseres  Tauschschemas.  Also  in  einer  Beziehung  weiter 
als  die  Erscheinung  der  Preise  im  gewöhnlichen  Sinne  dieses 
Wortes,  vor  allem  auch  in  das  Feld  der  verkehrslosen  Wirt- 
schaft hinein  und  selbst  tlber  das  der  wirtschaftlichen  Vor- 
gänge hinaus.  Letzterer  Punkt  ist  aber  von  verhältnismASig 
geringer  Bedeutung;  die  dabei  erreichbaren  Resultate  ver- 
dienen ein  tieferes  Eingehen  kaum  oder  doch  nicht  in  dem 
Maße,  wie  die  wirtschaftlichen.  In  einer  andern  Beziehung 
aber  reicht  unser  Gebiet  nicht  so  weit,  wie  der  Tausch. 
Denn  wir  können  keineswegs  alles  am  Tausche  überhaupt 
und  auch  nicht  alle  Tauschrelationen  und  alle  Arten  der 
Preisbildung  erklären.  Nur  soweit  der  wirtschaftliche  , All- 
tag", besonders  das  große  Faktum  der  Konstanz  der 
Budgets,  geht,  kommt  man  mit  unserem  Bilde  der  Wirk 
lichkeit  aus.  Präziser  kann  man  das  dahin  ausdrücken,  daß 
dieses  Bild  soweit  brauchbar  ist,  als  die  Annahme  kon- 
tinuierlicher und  stetig  abnehmender  Grenz- 
nutzenfunktionen nicht  mit  der  Wirklichkeit  kollidiert. 
Nicht  oft  genug  kann  betont  werden,  daß  sich  keine^weg^ 
alle  konkreten  Preise  auf  dieser  Basis  beschreiben  lassen. 
Schon  unsere  Zurückführung  der  ganzen  reinen  Ökonomie 
auf  die  Tauschrelation  wird  auf  Widerspruch  stoßen;  noch 
mehr  aber  wird  die  eben  aufgestellte  Behauptung  auffallen; 
und  doch  scheint  uns  beides  wesentlich  zum  richtigen  Yer- 
Ständnisse  der  Ökonomie  zu  sein. 

Schon  darin  liegt  eine  Abgrenzung  unseres  Gebietes.  Wir 
wollen  dasselbe  noch  negativ  durch  Angabe  jener  Momente 
vervollständigen,  an  denen  wir  sein  Versagen  l>eobachten, 
also  sozusagen  seiner  Grenzsteine.  Auch  das  ist  nur  eine 
Wiederholung.  Wir  haben  vier  solcher  Grenzen  konstatiert. 
Es  sind  die  folgenden:  Erstens  und  vor  allem  stellen  die 
Daten  eines  Problemes  immer  auch  seine  Grenzen  und  jene 
der  Methode  dar,  mit  der  dasselbe  gelöst  wird.  Unsere 
Daten  aber  waren  die  Wertfunktionen  —  in  denen  sich  die 


Nochmals  die  Grenzen  und  Mängel  der  Ökonomie.  5g3 

ganze  Natur  unserer  Wirtschaftssubjekte  spiegelt,  ihre  Rasse, 
Geschichte  usw.  wie  ausgeführt  — ,  ein  gegebenes  geo- 
graphisches Milieu  —  Klima,  Bodenbeschaffenheit  usw.  — , 
eine  bestimmte  Organisation  unserer  Individuen  —  Staat, 
Becht,  Wirtschaftsorganisationen  jeder  Art  usw.  —  und 
endlich  eine  gegebene  Verteilung  aller  Güter  —  sowohl 
aller  Produktiv-,  wie  Konsumtivgüter.  Die  letztgenannte 
Einschränkung  ist  insofern  für  uns  die  wichtigste,  als  sie 
oft  übersehen  wird,  und  in  dieser  Schärfe  erst  von  uns  aus- 
gearbeitet, eine  sehr  ernste  und  vielleicht  befremdende  Be- 
grenzung unseres  Gebietes  darstellt.  Sie  ist  für  die  Beurteilung 
unseres  Systemes  und  für  das  Verständnis  mancher  Punkte 
des  Methodenstreites  so  wichtig,  daß  sie  nochmals  der  Auf- 
merksamkeit des  Lesers  empfohlen  sei.  Zweitens  liegt 
eine  der  Übung  vieler,  der  meisten  Nationalökonomen  gegen- 
über sehr  zu  betonende  Grenze  unseres  Systemes  in  seinem 
beschreibenden,  d.  h.  streng  wissenschaftlichen  Charakter, 
der  Werturteile  und  Forderungen  ausschließt.  Drittens 
in  seiner  formalen  und  viertens  seiner  statischen  Natur- 
Diese  Grenzen  bringen  es  mit  sich,  daß  in  unseren  Theoremen 
an  sich  nie  etwas  über  konkrete  Zustände  der  Wirtschaft 
enthalten  sein  kann  und  daß  sie  der  Erscheinung  der  Ent- 
wicklung gegenüber  im  allgemeinen  versagen.  Wir  wollen 
diese  Dinge  nicht  weiter  ausführen,  das  Gesagte  stellt  nur 
ein  Resum^  von  früher  gewonnenen  Erkenntnissen  dar,  und 
dasselbe  gilt  auch  von  dem  Folgenden. 

Wenn  wir  nach  den  Mängeln  der  ökonomischen  Theorie 
fragen,  so  müssen  wir  zwei  verschiedene  Arten  derselben 
sorgfältig  scheiden,  zwischen  jenen  nämlich,  welche  dem 
herrschenden  Lehrgebäude  derselben  und  jenen,  welche  der 
Theorie  selbst  anhaften,  ihr  gleichsam  angeboren  und  nicht 
oder  nur  schwer  zu  beseitigen  sind.  Wir  wollen  sie  ge- 
sondert resümieren  und  bedauern  sehr,  daß  das  nicht  immer 
geschah. 

Die  Zahl  der  ersteren  ist  erheblich.  Sie  sollen  in 
folgender  Weise  gruppiert  werden.  Wir  sahen ,  daß  jenes 
Lehrgebäude  vor  allem  eine  ganze  Anzahl  von  wertlosen 


584  ZusammenftMauiig  dessen,  nsw. 

BestaDdteilen  enthftlt.  Als  Beispiele  seien  gewisse  Teile 
der  Geldtheorie,  gewisse  Erörterungen  über  Sparen,  Ober 
Transport-  und  Versicherungswesen,  femer  Dinge,  die  mu 
etwa  als  „Handelskunde''  bezeichnen  könnte,  angefahrt 
Sodann  enthält  es  nicht  hineingehörige  Elemente. 
Dieselben  lassen  sich  in  zwei  Gruppen  zusammenfassen.  Als 
Typus  der  einen  können  die  üblichen^Rechtfertigungsversuche 
der  Einkommen,  als  Typus  der  anderen  Betrachtungen  über 
Klima,  Rassenfrage  usw.  bezeichnet  werden.  Bei  der  ersteren 
sind  wir  überhaupt  nicht  Theoretiker,  bei  der  letzteren  wohl 
Theoretiker,  aber  Dilettanten.  Die  Bevölkerungstheorie 
gehört  zum  Teile  hierher.  Drittens  konstatieren  wir,  wenn 
wir  nun  zur  eigentlichen  ökonomischen  Theorie  übergehen, 
eine  ganze  Heihe  von  Sätzen,  welche  man  etwa  als  „schwache 
Punkte"  bezeichnen  könnte.  Erinnere  man  sich  z.  B.  der 
Zins-,  der  Kapitalbildungs-,  der  Unternehmergewinntheorie, 
übrigens  auch  anderer  —  die  übliche  Geldtheorie  gehört 
sicher  hierher,  nur  ist  sie  im  Begriffe,  diesem  Stadium  lu 
entwachsen.  Die  Qumtitätstheorie  aber  kann  man  noch 
heute  und  die  Grundrententheorie  konnte  man  noch  vor 
kurzem  in  eine  vierte  Kategorie  einreihen,  in  die  der  „toten 
Punkte",  worunter  wir  Themen  verstehen,  über  die  eine 
endlose  Diskussion  geführt  wird,  deren  Argumt  nte  sich  stets 
wiederholen ,  ohne  daß  irgendein  Fortschritt  bemerkbar  ist 
Zum  Teile  wird  man  die  Bevölkerungstheorie  —  und  jeden- 
falls das  „eherne  Lohngesetz"  —  hierzu  rechnen.  Eine 
fünfte  Gruppe  von  Mängeln  ist  von  anderer  Art:  Es  kommt 
wiederholt  vor,  daß  ein  und  dieselbe  Darstellung  Gedanken 
enthält,  welche  sich  nicht  vertragen,  so  z.  B.  eine  klassische 
Grundrententheorie  und  daneben  noch  eine  auf  dem  Momente 
der  Differenzialrente  beruhende  Theorie  des  Unteruehmer- 
gewinnes.  Auch  schon  die  Akzeptierung  der  modernen 
Werttheorie  und  das  Festhalten  an  der  klassischen  Gnind- 
rententheorie  verträgt  sich  nicht.  Die  Zinstheorie  femer 
wimmilt,  gerade  in  neuester  Zeit,  von  solchen  Fehlgriffen, 
und  das  Bestreben,  die  Zinserscheinuug  von  allen  Seiten  zu 
beleuchten  oder  besser,  das  Fehlen  einer  befriedigenden  Er- 


Nochmais  die  Grenzen  und  M&ngel  der  Ökonomie.  585 

klärung  durch  HAufung  von  Erkläirungsv  er  suchen  zu  ver- 
decken ,  hat  in  dieser  Richtung  auf  Irrwege  geführt.  Das 
sind  nur  einige  Symptome  für  die  bedauerliche  Tatsache, 
daß  nicht  jeder  Nationalökonom  sein  System  gebührend 
.durchdenkt  und  sich  Qber  die  Natur  und  das  gegenseitige 
Verhältnis  seiner  Theorien  genügend  im  klaren  ist.  In- 
strumente verschiedenen  Ursprunges  und  verschiedenen 
Alters  werden  nebeneinander  verwendet.  In  Werken  von 
Autoren,  deren  Hauptinteresse  nicht  reintheoretischen  Fragen 
gilt,  werden  verschiedene  Systeme  unserer  Disziplin,  die  in 
ihrem  Entwicklungsgange  nicht  nebeneinander  stehen,  sondern 
sich  abzulösen  bestimmt  sind,  durcheinandergeworfen.  Darin 
liegt  meist  keine  bewußte  und  wohltätige  Vereinigung  ver- 
schiedener Standpunkte,  wie  auch  wir  sie  anstreben,  sondern, 
wie  wir  wiederholt  zeigten,  eine  Verkennung  ihrer  Unter- 
schiede, ein  Fehler,  der  der  Diskussion  außerordentlich 
schadet  und  auch  der  Klarheit  und  Einheit  unseres  Systemes 
im  Wege  steht.  Während  manche  rOcksichts-  und  verständnis- 
los neuern,  schleppen  andere  altes  Rüstzeug  in  iniinitum  mit. 
Schon  beim  oberflächlichsten  Überblicke  bieten  sich 
uns  auch  in  der  äußeren  Erscheinung  unserer  Wissenschaft 
Beispiele  dafür  dar.  Um  nur  ein  wichtiges  zu  nennen: 
Noch  heute  hält  man  an  der  alten  Einteilung  unserer  Theorie 
in  die  Abschnitte  von  Produktion,  Konsumtion,  dem  Tausche 
und  der  Verteilung  fest.  Allein  Produktion  und  Verteilung 
beruhen,  soweit  sie  für  uns  in  Betracht  kommen,  auf  dem 
Tausche,  sind  geradezu  nur  Tauschakte,  und  die  Konsum- 
tion bietet  uns  keinerlei  interessante  Sätze,  wenn  man  nicht 
kulturhistorische  und  psychophysische  Erörterungen  unter 
einer  „Konsumtionstheorie*  verstehen  will.  Diese  Einteilung 
ist  also  ganz  unanwendbar  und  zeigt  mit  bedenklicher 
Klarheit,  daß  manche  Ökonomen,  die  die  Theorie  ein-  und 
beurteilen,  nicht  recht  wissen,  um  was  es  sich  eigentlich 
handelt    Trotzdem  lebt  sie  fort  \ 


1  Ich  verzichte  darauf,  an  Stelle  der  kritisierten  eine  andere 
Einteilung  ex  profeaao  Yonuschlagen;  dieselbe  ergibt  sich  Ja  leicht, 
nahesu  von  selbst.    Ein  beachtenswerter  Versuch,  eine  andere  Ein* 


586  ZasammenfassuDg  dessen,  usw. 

Das  zuletzt  Gesagte  leitet  zum  sechsten  Punkte  unserer 
Kritik  über:  Mangelhaft  endlich  sind  auch  die  ablicheD 
Methoden.    Wir  wollen  nur  zwei  Instanzen  herausheben  md 
auf  andere  Punkte  verzichten.    Vor  allem  jene  Methode  der 
Wortdiskussiou,  der  BegrifiGsbearbeitung,  jene  Methode,  die 
sich  durch  die  Einleitung  verrät:  ,,In  welchen  Bedeutoofei 
gebraucht  man  dieses  oder  jenes  Wort  ?**    Sieherlich  lengnei 
wir  nicht,  daß  viele  der  besten  Gedanken  unserer  Wissen- 
schaft —  tatsächlich  die  meisten  —  in  dieser  Form  erscheinei 
und  daß  diese  Methode  für  manche   gute  Leistung  nidts  I 
mehr  ist,  als  eine  Redensart,  für  die  sie  daher  nur  die  Be  | 
deutung  eines  Schönheitsfehlers  hat  und  ihr  Wesen  nidit 
berührt.    Im  Prinzipe  aber  kann   man  sie  nur  als  kligliek 
bezeichnen  und   wird  in  ihr  auch  einen  der  Gründe  sehefi 
müssen ,  warum  ökonomische  Erörterungen  dem  Laien-  wie 
dem    gelehrten    Publikum    so    wenig   imponieren.     Sodana 
möchten  wir,  wenn  auch  mit  aller  Reserve,  darauf  hinweiset.   \ 
daß  bei  komplizierten  Problemen,  dort,  wo  die  Sprache  niete 
ausreicht,  sich  die  Nationalökonomen  eines  höchst  primitiTti 
Hilfsmittels  bedienen,  nämlich  der  Aufstellung  von  Tabelin 
aus  konkreten  Zahlen.    Schon  Ricardo  tut  das   und  heate 
ist  das  sehr  üblich  geworden.     Auch  das  ist  zunächst  nur 
ein  Schönheitsfehler;  aber  weiter  erschweren  diese  Tabelki 
sehr  eine  erschöpfende  Darstellung  der  Probleme  und  fOhret 
leicht  zu  Inkorrektheiten,   welche  die  Sprache  der  höherei 
Analvse    vermeiden    würde.     Betreibt   man    schon  Theorie, 
so   sollte  man  es  auch  so  korrekt  und  vollkommen  tun  lU 
möglich   und   nicht  hinter  dem  Erreichbaren  zurückbleibeL 

Nun  zu  jenen  Mängeln,  die  unserem  Systeme  inhaerett 
sind,  die  auch  dann  noch  bestehen,  wenn  es  vollkonuiia 
korrekt  dargestellt  ist.  Auch  ihrer  sind  viele  und  niete 
alle  können  hier  nochmals  zur  Sprache  kommen.  Nur  dit 
folgenden  mögen  hier  zusammengefaßt  werden.  Vor  alle« 
sind   da  manche   „Grenzen"   des  Systemes  zu  nennen  uni 


teilung  festzulegen,  die  besser  auf  den  heutigen  Stand  der  WuMt- 
Bchaft  paßt,  ist  von  Prof.  F.  A.  Fetter  unternommen  worden. 


NochniAls  die  Ureiuen  and  H&ngel  der  Ökonomie.  5g7 

vieles,  was  fQr  das  ubliclie  Lehrgebäude  ein  „schwacher 
Punkt"  ist  uad  von  uns  aus  der  Statik  ausgeschieden  wird, 
kann  eben  deshalb,  wenn  auch  aus  eioeiu  anderen  Titel,  als 
Mangel    auch     unseres   Systeines    betrachtet   werden   — 

L  denn  mit  „Ausscheiden"  können  wir  uns  nur  zum  Teile 
entschuldigeii,  wenn  ein  „Lösen"  von  uns  verlangt  wird. 
An  sich  hat  es  ja  wohl  wenig  Zweck ,  Ober  das  zu  klagen, 
was  man  nicht  erreichen  kann;  aber  das  hindert  nicht,  daB 
jedem    throretiscben    System    seine  Fehlpunkte   mehr  oder 

I  weniger  zum  Vorwurfe  gemacht  werden  und  besonders  dann 
sehr  gegen  dasselbe  zeugen,  wenn  seine  Annahme  oder  Ab- 
lehnung auf  dem  Spiele  steht.  Nur  sind  diese  Mftngel  eben 
unabänderlich. 

In  diesem  Sinne  wird  man  es  uns  sicherlich  zum  Vor- 
wurfe machen,  daß  wir  ein  System  konstruieren,  das  mehrer© 
sehr  wichtige  und  zweifellos  rein  wirtschaftliche  Erscheinungen 

i  nicht  erklärt,  vor  allem  den  Kapitalzins  und  den  Unter- 
uehmergewinn.  Und  wir  haben  zu  antworten,  daß  wir  eben 
Dicht  anders  können,  und  auf  die  „Dynamik"  zu  vertrösten. 

I  Allerdings  liegt  ein  weiterer  Trost  darin,  daß  wir,  wie  wir 
glauben,  diesen  Problemen  dann  eine  weit  angemessenere 
Behandlung  augedeihen  lass*en  können,  aber  fUr  die  Statik  — 
und  diese  allein  ist  heute  bereits  halbwegs  befriedigend 
ausgearbeitet,  so  daß  wir  sie  fast  mit  .theoretischer  Ökonomie" 
Oberhaupt  identifizieren  milssen  —  sind  das  schmerzliche 
Defizite. 

Weiter  versagt  sie  j  e  d  e  r  Erscheinung  gegenüber,  welche 
sich,  wie  unseres  Eractatens  die  angeführten,  nur  vom  Stand- 
jiUDkte  der  Entwicklung  verstehen  läßt'.  Dahin  gehören 
die  Probleme  der  Kiipitalbiidurg  und  andere,  so  besonders 
das  des  ökonomischen  Fortschrittes  und  der  Krisen.  Be- 
sonders das  letztere  muß  betont  werden,  da  wir  fs  bisher 
Eicht  erwähnten:  Das  statische  System  und  seine  Methoden 


'  Der  Leeer  weiB,  daft  dieser  „Maogeh  besonders  deshalb  sehr 
«rast  iat,  weil  UDsere  Abgrenzung  der  SUtik  eine  sehr  strenge  ist 
■nnd  echou  die  Itleinste  „syatamatische"  Ver&ndemug  „Eotwicklung* 


5§g  Zasammenfassung  deasen,  usw. 

/  geben  uns  an  sich  kein  Mittel  an  die  Hand,  diese  Erscheionog 
zu  erklären.  Wie  keinen  Zins,  so  würde  es  unter  deo 
Voraussetzungen  der  Statik  auch  keine  Krisen  geben,  weoih 
gleich  manche  Wirkungen  derselben  sich  an  ihm  recht 
gut  demonstrieren  lassen:  In  einer  statischen  Wirtschtft 
ist  kein  Baum  für  jene  Momente,  welche  eine  Krise  herbei- 
führen, und  alle  Krisentheorien,  was  immer  ihre  Natur  osd 
ihr  Wert  sein  mag,  sind  essentiell  „  dynamisch  **. 

Im  Zusammenhange  damit  steht  ferner,  daß  wir  nicht 
einmal  den  Wiederersatz  des  Kapitales  adaequat  behandeln 
können,  daß  unsere  Menschen  strenggenommen  nicht  altem 
oder  sich  sonst  verändern  dürfen,  daß  große  BesitzwechseP 
von  Land  und  Kapital,  welche  eine  Änderung  der  Produktions- 
richtung zur  Folge  haben  würden,  nicht  stattfinden  können, 
daß  die  Spartätigkeit  sich  in  engen  Grenzen  halten  muß, 
daß  wir  dem  Gesetze  vom  zunehmenden  Produktionsertrajje, 
insofern  als  es  als  ein  Element  des  Fortschrittes  wirken  und 
die  Größe  der  „Realeinkommen"  beeinflussen  kann ,  nicht 
gerecht  werden  können  usw.  Nun,  das  alles  ist  nicht  so 
verzweifelt,  als  es  aussieht.  Wenn  man  bedenkt,  daß  unser 
System  ja  nur  für  jeden  gegebenen  Augenblick  gilt  und 
wenn  man  ferner  weiß,  daß  alles  das  unser  System  zwar  im 
Prinzipe  und  seinem  Wesen  nach  beschränkt  —  und  veil 
es  sich  uns  um  die  Erkenntnis  seines  Wesens  vor  allem 
handelte,  haben  wir  das  so  scharf  hervorgehoben  —  uns 
aber  in  praxi  nicht  hindert,  etwas  darüber  hinauszugehen, 
wenn  man  sich  nur  bewußt  bleibt,  daß  man  dabei  weitere, 
kühnere  Abstraktionen  vornimmt  —  dann  wird  man  sich 
darüber   beruhigen.     Aber   allerdings  zeigt   sich    dabei   die 


^  Nicht  einmal  der  Wert  des  Landes  kann  vom  statischen  StAnJ- 
punkte  aus  völlig  verstanden  werden.  Der  Leser  Bah,  wie  zögernd  wir 
davon  sprachen.  Eigentlich  muß  man  auBer  dem  Markte  der  Genuftgvt*^ 
und  dem  der  produktiven  Dienste  noch  einen  dritten  unterscheidt^n. 
einen  Markt  des  Landes  (und  Kapitales)  selbst,  der  nur  in  ii'*T 
„Dynamik"  in  seiner  Funktion  voll  dargestellt  werden  kann.  D'^ 
Beziehungen  dieses  Marktes  zu  den  anderen  beiden  sind  sehr  inter- 
essant: hier  liegt  ein  Saatkorn  für  eine  neue  Theorie. 


Nochmals  die  Grenzen  und  M&ngel  der  Ökonomie.  539 

Hilfsmittelnatur,  das  Künstliche  nicht  ganz  Adaequate  unseres 
Systemes  in  hellem  Lichte  und  auch  die  Notwendigkeit 
einer  Dynamik. 

Nur  einen  Mangel  unseres  Systemes  wollen  wir  hier 
noch  anführen.  Wir  sahen,  dafi  die  Tauschtheorie  nicht  in 
allen  Fällen  eine  eindeutige  Tauschrelation  ergibt,  nämlich 
dann  nicht,  wenn  sich  zwei  oder  mehrere  Monopolisten 
gegenüberstehen.  Das  ist  sehr  bedauerlich,  denn  dieser  Fall 
ist  praktisch  sehr  wichtig  und  legt  doch  unser  System  ein- 
deutig bestimmter  Wirkungen  und  Gegenwirkungen  lahm. 
Dieser  Mangel  ist  um  so  ernster,  als  auch  die  Tauschrelation 
zwischen  Monopolisten  gewiß  eindeutig  bestimmt  ist:  Könnten 
wir  ihre  wirtschaftliche  Macht  und  Energie  usw.  ebenso 
exakt  erfassen,  als  andere  Momente,  so  müßte  sich  auch 
hier  ein  eindeutig  bestimmtes  Resultat  ergeben,  das  er- 
kenntnistheoretisch ebenso  viel  Existenzberechtigung  hätte, 
wie  unser  Konkurrenzpreis.  Wir  können  es  nicht;  alle 
Versuche,  es  zu  tun,  obgleich  nicht  völlig  erfolglos,  helfen 
uns  nicht  weit.  Und  doch  ist  das  ein  Punkt,  über  den 
man  mit  Recht  Aufschluß  von  uns  verlangen  kann.  Wenn 
wir  unsere  Unfähigkeit,  ihn  zu  geben,  gestehen,  so  können 
wir  nicht  leugnen,  daß  darin  ein  großer  Mangel  unserer 
Betrachtungsweise  liegt. 


IV.  Kapitel 
Über  Reformen  und  Reformbestrebnngen. 


§  1.  Von  selbst  ergeben  sich  aus  dem  Vorhergehenden 
unsere  Ansichten  übet  die  in  der  Nationalökonomie  nötiget 
Reformen.  Sie  sind,  wie  ich  glaube,  klar  und  natürlich  und 
können  mit  wenigen  Worten  dargelegt  werden.  Femer 
glaube  ich,  daß  sie  einer  gesunden  communis  opinio  ent- 
sprechen, die  sich  langsam  aber  sicher  Bahn  zu  brechen 
scheint,  und  sich  von  andern  durch  ihre  Durchführbarkeit 
und  auch  dadurch  unterscheiden,  daß  sie  gleichweit  vom 
Radikalismus  wie  vom  Quietismus  entfernt  sind.  Durdi 
Ruhe  und  Maß  möchten  wir  gerne  erreichen,  daß  sie  so 
ziemlich  jedermann  annehmbar  scheinen.  Wir  wollen  wieder- 
um scheiden  zwischen  den  Reformen,  die  an  dem  üblichen 
Lehrgebäude  durchzuführen  und  dem,  was  au  unserem 
Systeme  in  korrekter  Form  zu  tun  ist.  Das  letztere  wirf 
uns  dann  weiters  zur  Erörterung  der  weiteren  Wege  der 
Forschung  und  einigen  Entwicklungsmöglichkeiten  und  Aus- 
blicken führen.  Die  beiden  unterschiedenen  Punkte  zer- 
fallen ihrerseits  in  die  Darlegungen  unserer  Ansichten  und 
ein  Urteil  über  die  anderer  Nationalökonomen. 

Unsere  Reformvorschläge  in  erster  er  Beziehung 
sind  die  folgenden  —  sie  kommen  einfach  auf  die  Forderung 
der  Beseitigung  der  „Mängel"  hinaus  — :  Man  scheide 
Theorie  und  Praxis;  wer  auf  Werturteile  und  auf  Polittt 
auch  innerhalb  seiner  wissenschaftlichen  Tätigkeit  durchaus 
nicht  verzichten  kann,  der  sage  doch  wenigstens  jedesmal. 


über  Reformen  und  Reformbestrebungeu.  591 

urenn  er  diese  Gebiete   berührt,  dafi  er  das  tue  und  den 
Boden  strenger  Wissenschaft  für  den  Augenblick   verlasse, 
um   so  eine   getrennte  Kritik  seiner  Theoreme  und  seiner 
politischen  Stellung  zu  erleichtern,  aber  er  verstecke  sich 
nicht  hinter  der  Theorie.    Man  scheide  femer  Theorie  und 
metaphysische  Spekulation ;  um  der  Wahrheit  und  Klarheit, 
um  der  ernsten  Pflicht  willen  gegenüber  der  Wissenschaft, 
«die  man  behandelt,   vergesse  man  das  nie.    Sodann  fordern 
•wir  Arbeitsteilung  auf  dem  Gebiete  der  Wissenschaften  vom 
menschlichen  Handeln;  das  allererste,  was  dem  unbefangenen 
Beobachter    in    unserer   Disziplin    auffallen    muß,    ist   der 
methodisch  und  inhaltlich  so  verschiedene  Charakter  ihrer 
Teile;  in  den  Anfängen  derselben  war  es  möglich  und  selbst 
geboten,   sie  zusammenzufassen,  heute  geht  das  nicht  mehr. 
Keine   exakte  Wissenschaft   darf,    wenn  sie  sich  voll   ent- 
wickeln soll,  aus  einem  Konglomerate  verschiedener  Dinge 
bestehen,  wie  etwa  die  Medizin  oder  die  Finanzwissenschaft. 
Solche  Vereinigungen  sind  nötig  für  viele  praktische  Zwecke ; 
4kber  innerhalb  derselben  kann  keine  der  beitragenden  Wissen- 
schaften sich  ausleben,  vielmehr  müssen  die  letzteren  daneben 
noch  ihre   gesonderte  Pflege  finden  —  und  in  dieser  allein 
l>e'werkstelligt   sich   ihr  Fortschritt.     Nötig   ist   weiter   die 
Scheidung  von  Statik  und  Dynamik,  d.  h.   die  allgemeine 
Anerkennung  der  Tatsache,   daß  unser  statisches  System, 
obgleich    es    für    Probleme,    die    anders    nicht    ent- 
sprechend behandelt  werden  können,  genug  leistet, 
^m  seine  Existenz  zu  rechtfertigen,  doch  nicht  alle  rein- 
^^irtschaftlichen  Probleme  zu  lösen  vermag,  und  daß  dieser 
Hockstand    besser    gesondert    bearbeitet    wird    —    mittelst 
«nderer  Voraussetzungen ,  anderen  Materiales  und  anderer 
^Methoden.    Darin  liegt  die  Forderung  des  Verzichts  auf  den 
Versuch,  Dinge  in  unser  System  zu  pferchen,  die  sich  nicht 
^on  selbst  seinem  Schema  einfügen,  und  ferner  die  der  Auf- 
:£iidung  einer  adäquateren   Betrachtungsweise,   welche  mit 
jden    „schwachen"    und    „toten"    Punkten   aufräumt.     Diese 
IPunkte  sind  es  vor  allem,  auf  die  jenen  Fachgenossen  gegen- 
über  hinzuweisen  ist,   welche  entweder  die  Ökonomie  für 


592  ZuBammenfasflung  dessen,  usw. 

vollendet  halten  oder  an  deren  Entwicklungsfilhigkeit 
zweifeln.  Hier  liegt  ein  großes,  fruchtbares  Arbeitsfeld,  auf 
dem  es  viel  zu  tun  gibt,  das  erst  urbar  zu  machen  ist,  eiie 
Kolonie  für  alle  Ökonomen,  die  über  Mangel  an  theoretisder 
Arbeit  klagen.  Und  endlich  ist  auch  das  gesicherte  Gebi^ 
unserer  Disziplin  noch  lange  nicht  ausgebaut:  Ein  Durch- 
denken, Ausarbeiten  ist  da  noch  nötig,  ein  wirklich  be- 
friedigender Abschluß  all  der  schwebenden  Kontroverseo. 
Auch  eine  Verbesserung  unsejej  Methoden  ist  ein  dringendes 
Bedürfnis. 

In  diesen  kurzen  Sätzen,  die  sich  hier  als  Konsequenz 
unserer  Arbeit  ergeben  urd  die  wir  sorgfältig  vorzubereitai 
und  zu  sichern  bemüht  waren,  liegt  unsere  Ansicht  über  die 
Reform  der  Ökonomie  von  heute.    Nochmals,    wir  suchten 
klar  und  auch  bescheiden  zu  sein  und  haben  uns  auf  Haupt- 
punkte beschränkt,  über  die  es  eine  Meinungsverschiedenheit 
eigentlich  nicht  geben  dürfte.    Gerade  das  wird,   wie  wir 
hotfen,  zu   ihrer  Annahme  beitragen.    Nun  aber   noch  ein 
Wort  über  andere  Ansichten  über  diesen  Gegenstand.    Die 
Notwendigkeit  einer  Reform  überhaupt  geben    die  meisten 
Nationalökonomen  zu,  und  die  meisten  haben  auch  eine  mehr 
oder  weniger   bestimmte  Ansicht  darüber.     Allein   dieselbe 
ist  oft  von  einer  Allgemeinheit,  die  die  praktische  Durck- 
führung    der    Vorschläge    sehr    erschwert.     Oft    wird   eine 
solche  auch  gar  nicht  versucht,  oft  handelt  es  sich  bloß  um 
die    Prägung    von    Schlagwörtern    und    um    eine    Art   tob 
„Window  dressing"".    Dazu  trägt  der  Umstand  bei,  daß  die^e 
Reformvorschläge  nicht  aus  konkreter  Arbeit  erwachsen  un^ 
mitunter  von   Leuten   stammen,  denen  ausreichende  Sach- 
kenntnis abgesprochen  werden  muß.  Vom  Philosophen  kduoeft 
wir  uns  unsere  Wege  nicht  weisen  lassen ,   vielmehr  hat  er 
sich  an  uns  zu   wenden,  wenn  er  etwas  darüber  erfahm 
will.    Leider  aber  vermag   die  Ökonomie  ebensowenig  ss> 
der  Mehrzahl   der  Methodenlehren   und  ErkenntnistheoriA 
zu  gewinnen,  welche  Nationalökonomen  zu  Verfassern  habet: 
denn   dieselben  blicken  nur  selten  auf  eigene  theoretisch 
Arbeit  zurück ,  sind  sogar  oft  mit  der  Theorie  nicht  hi^ 


über  Bcfonnen  und  Reformbestrebuogen.  503 

länglich  vertraut  und  obliegen  ihrer  Aufgabe  viel  mehr  im 
Anschlüsse  an  die  und  in  der  Weise  der  Philosophen  als  es 
gut  ist  —  und  weder  sie  noch  die  praktischer  Arbeit  zu- 
getanen Ökonomen  wissen  wirklich  weiter. 

Das  Schlagwort  aber  und  die  allgemeine  Phrase  herrscht 
auch  hier,  und  alle  Mißverständnisse,  die  es  über  das  Thema 
des  Wesens  und  des  W^ertes  der  Ökonomie  nur  gibt,  geben 
sich  hier  ein  Stelldichein.  Wo  Wahres  darin  enthalten  ist, 
muß  es  aus  einer  Hülle  von  Falschem  erst  herausgelöst, 
richtig  formuliert  und  begrenzt  werden.  Der  Ruf  nach 
Tatsachen  in  seiner  Allgemeinheit  gehört  hierher,  so  auch 
die  Forderung,  aprioristische  Sätze  zu  vermeiden  und  die, 
außerwirtschaftliche  Momente  zu  berücksichtigen.  Wir  haben 
alles  das  bereits  erörtert;  so  zeigten  wir,  daß  man  bezüglich 
der  erstgenannten  Forderung  unterscheiden  müsse  zwischen 
jenen  Tatsachen,  welche  die  Grundlage  unseres  Systemes 
bilden  und  auf  die  sich  seine  Resultate  beziehen,  und  jenen 
anderen,  welche  auf  außerhalb  desselben  liegende  Probleme 
führen  und  sodann,  daß  und  an  welchen  Punkten  die  letz- 
teren in  das  erstere  hineinwirken.  Doch  wollen  wir  an  dieser 
Stelle  nicht  weiter  auf  diese  Dinge  eingehen. 

Nur  eine  Art  von  Reformatoren  sei  noch  erwähnt, 
nämlich  jene,  welche  mit  dem  Ansprüche  auftreten,  die 
Nationalökonomie  von  Grund  aus  neu  bauen  zu  wollen.  Das 
Selbstbewußtsein,  das  darin  zum  Ausdrucke  kommt,  ist  be- 
Deidenswert.  Newton  und  Laplace  haben  im  Anschluß 
an  das  Bestehende  gearbeitet,  jene  aber  halten  das  nicht 
für  nötig.  Die  Geistesarbeit  eines  Jahrhunderts  —  und 
längerer  Zeit  noch  —  scheint  ihnen  bedeutungslos  gegen- 
über ihrer  eigenien  Leistungsfähigkeit.  Ein  Bemühen  wie 
das  unsere  könnte  ihnen  sicher  nur  Geringschätzung  ein- 
flößen. Aber  ist  es  nicht  philiströs,  die  Möglichkeit  einer 
solchen  Neuschöpfung  zu  leugnen?  Wir  tun  das  nicht; 
allein  wir  wissen  von  keiner  solchen.  Steht  sie  vor  uns, 
so  werden  wir  ihr  unsere  aufrichtige  Bewunderung  nicht 
versagen.  Aber  die  Forderung  eines  völligen  Neubaues 
an  sich  scheint  uns  müßig,  und  diesbezügliche  Versprechungen 

Schurapeter.  Nationalökonomie.  8S 


594  ZusammenfassuDg  deaeen,  usw. 

scheinen  uns  nicht  erfüllt.  Ich  weifi  nicht,  wer  der  gUmende 
Spötter  war,  der  zur  Zeit  des  Regimes  Polignac-Labourdcmiiaje 
unter  Charles  X.  im  „Globe*'  schrieb:  „Wohl  ist  M.  de  Poligme 
sehr  entschlossen,  nur  weiß  er  nicht  wozu'*.  Denselben  Eib- 
druck  habe  auch  ich  in  unserem  Falle,  was  mich  nicht 
hindert ,  jeder  wirklichen  Leistung  und  selbst  jedem  gntee 
AperQu,  die  sich  in  einem  solchen  Werke  finden  mögen, 
volle  Anerkennung  entgegenzubringen. 

Unsere   Ansicht  darüber   nun,   was   es    am    Kern  der 
statischen  Theorie  d.  h.   also   an  unserem   Systeme,   weoB 
korrekt  dargestellt,  richtig  abgegrenzt  und  methodisch  ein- 
wandfrei, zu  tun  gibt,  ist  einfach  diese:     Eine  eigentliche 
Reform  scheint  uns  nicht  nötig  zu  sein.     Das  soll  beileibe 
nicht  heißen ,  daß   es  absolut  vollkommen   sei    und  daß  es 
daran  nichts  mehr  zu  ändern  und  zu  bessern  gftbe.    Al^r 
so  wie  es  ist,  scheint  es  uns,  wenn  auch  nur  für  die  Gfgeo- 
wart  und   die  nächste  Zukunft,   im  Wesen  so  gut  zu  sein, 
als  es  überhaupt  sein  kann.     Seine  Mängel  verkennen  wir 
darum  noch  nicht;  nur  meinen  wir,  daß  sie  zum  Teile  un- 
vermeidlich sind  und  daß  es  sich  zum  andern  Teile  mehr 
emptiehlt,  sich  mit  ihnen  abzufinden,  als  jene  fundamentalen 
Änderungen    vorzunehmen,    die    zu    ihrer    Behebung    nötig 
wären.     Die  Reform,   die  Zeit  und  wissenschaftliche  Ent- 
wicklung forderte,  scheint  uns  eben  durchgeführt,  wobei  wir 
freilich  zu  betonen  haben,  daß  wir  darunter  nicht  bloß  die 
neuere  Werttheorie,   sondern   auch   einige   andere    Punkte 
verstehen,    namentlich    die    korrektere    Formulierung   der 
Grundlagen  und  einzelner  anderer  Dinge,  die  Anerkennung 
unserer    Variationsmethode   und   die   Scheidung   von    Statik 
und  Dynamik,   welche  auch  die  von  uns  berührte  Folge  für 
die   Theorie  des   Kapitalzinses  hat.     Aber  wenn    das  alles 
anerkannt   und   verarbeitet  ist,   so   möchten   wir   aus  der 
Reihe   der  Reformer  ausscheiden,  weil   wir  es  für  zweck- 
mäßig  halten,   die   gewonnenen   Grundlagen   eine    Zeitlang 
unverändert  festzuhalten,  um  sie  sich  konsolidieren  —  „sieh 
setzen"    —    und    wirken    zu    lassen.     Wir    glauben,    dtd 
wesentliche  weitere  Reformen  augenblicklich  zwar  sicher 


über  Reformen  und  Reformbestrebungen.  595 

möglich  wären,  aber  der  Klarheit  und  Einfachheit  unseres 
Systemes  mehr  schaden  würden,  als  das  wahrscheinliche 
Resultat,  soweit  wir  es  abersehen  können,  es  rechtfertigt. 
Natürlich  kann  jeder  Moment  uns  desavouieren;  und  dann 
^ftre  es  natürlich  die  größte  Engherzigkeit,  an  diesem 
Standpunkt  festzuhalten.  Fragt  man  uns  aber  um  unsere 
Ansicht    darüber,    ob    weitere    große   Reformen    unseres 

_  # 

Systemes  in  nächster  Zukunft  zu  erwarten  sind,  und  nament- 
lich, ob  wir  solche  für  dringend  nötig  halten,  so  können 
wir  in  dem  Sinne,  den  wir  eben  auseinandersetzten  und  der 
boffentlich  nicht  mißverstanden  werden  wird,  nur  verneinend 
antworten. 

Vervollkommnungen  an  Methoden  und  Inhalt  im  Detaile, 
sorgfältige  Ausarbeitung  vieler  einzelner  Punkte,  das  ist  sicher 
nötig;  die  großen  Züge  aber  dessen,  was  diese  Arbeit  dar- 
stellen sollte,  dürften  sich  so  schnell  nicht  ändern.  Vorher 
ist  ein  Kampf  um  ihre  Anerkennung  zum  Teile  zu  beenden 
und  zum  Teile  zu  beginnen.  Und  dann  sollen  sie  erst  noch 
weitere  Früchte  tragen,  ehe  sie  zum  alten  Eisen  geworfen 
if^erden  und  Neues,  das  aber,  wie  betont  werden  muß,  noch 
nicht,  auch  in  Ansätzen  nicht,  vorhanden  ist  und  von  dem 
wir  uns  noch  keine  deutliche  Vorstellung  machen  können, 
An  ihre  Stelle  tritt.  Ehe  wir  etwas  weniges  über  diese 
weiteren  Früchte  und  andere  Wege  weiterer  Arbeit  sagen, 
wollen  wir  hier  noch  kurz  einige  Bemerkungen  über  mehrere 
Reformvorschläge  machen,  welche  von  verschiedener  Seite 
für  unser  System  geäußert  werden. 

§  2.  Es  sind  das  Desiderata,  welche  speziellerer  Natur 
-sind,  als  die  eben  erwähnten  Schlagworte  und  deshalb,  ferner 
auch  aus  dem  Grunde,  weil  sie  überhaupt  von  Einsicht  und 
Fachkenntnis  zeugen,  mehr  Beachtung  verdienen.  Und  wenn 
-wir  glauben,  daß  sie  gegenwärtig  besser  unerfüllt  bleiben, 
80  sind  wir  uns  doch  bewußt,  daß  eine  andere  Ansicht 
darüber  wohl  möglich  ist  und  bei  tieferem  Einblicke  in 
unsere  Wissenschaft,  als  ich  besitze,  auch  richtiger  er- 
scheinen mag.    Wir  meinen  die  folgenden  Punkte,  die  wir 


59<j  Zusammenfassung  dessen,  usw. 

alle  bereits  erörterten:  Vor  allem  hat  man  auch  in  theo- 
retischen Kreisen  eine  soziale  Betrachtungsweise  gefordert 
Diese  Forderung,  die  von  der  der  Berücksichtigung  sozial- 
politischer Momente  strenge  zu  scheiden  ist  und  auf  die 
Einführung  sozialer  Kategorien  an  Stelle  der  individuellea 
in  die  reintheoretischen  Gedankengänge  selbst  abzielt,  wird 
heute  im  Prinzipe  fast  allgemein  anerkannt,  besonders  in 
Deutschland  und  Amerika,  und  unser  Standpunkt  ihr  gegen- 
über  setzt  uns  —  abgesehen  von  allen  Mißverständnissen, 
denen  er  so  leicht  begegnet  —  dem  Vorwurfe  der  Rück- 
ständigkeit aus.  Allein  wir  sprachen  bereits  über  dieses 
Thema  und  können  hier  nur  wiederholen,  daß  wir  den 
„methodologischen  Individualismus''  heute  noch 
für  unentbehrlich  halten,  und  daß  uns  eine  soziale  Be- 
trachtungsweise —  freilich  nur  auf  unserem  engen  Gebiete  - 
weder  wesentlich  neue  Ergebnisse  noch  sonst  irgendwelche 
wesentlichen  Vorteile  zu  bieten  scheint,  was  durch  den 
Umstand  bestätigt  wird,  daß  ja  doch  niemand  mit  ihr  Ernst 
macht.  Wohl  aber  würde  sie  unser  Bild  komplizieren  und 
ihm  an  Klarheit  nehmen.  In  der  Rücksichtnahme  auf 
Forderungen  und  Angriffe  von  außen  —  und  hierin,  nicht 
in  Bedürfnissen  unseres  Systemes  ist  der  Ursprung  dieser 
Tendenz  zu  suchen  —  und  im  Bestreben,  falschen  Verdacht 
in  politischer  und  soziologischer  Richtung  abzuwehren,  liek't 
kein  ausreichender  Grund  zu  einer  Neuerung,  um  so  mehr, 
als  sie  meist  nur  in  der  Äußerung  eines  Prinzipes  l>esteht. 
Nicht  ganz  so  steht  es  mit  dem  Desideratum  der  Be- 
rücksichtigung des  Momentes  des  „effort",  mit  dem  Bestreben, 
eine  „energetische"  Theorie  der  Ökonomie  zu  schaffen. 
Dieses  Moment  ist  gewiß  nötig  zum  Verständnisse  wichtiger 
Erscheinungen  und  muß  irgendwie  erfaßt  werden.  Allein 
eben,  wie  ich  glaube,  nicht  durch  Fortbildung  des  statischen 
Systemes,  sondern  separat:  Und  zwar  aus  einem  ähnlichen 
Grunde,  wie  der,  welcher  uns  veranlaßt,  das  soziale  Moment 
auszuscheiden,  nämlich,  weil  dadurch  die  wesentlichen  Züge 
r  Statik  kompliziert  und  getrübt  würden,  ohne  daß  sich 
ras  Besonderes  daraus  ergäbe.    Und  ganz  dasselbe  gilt 


über  Refonnen  nnd  RefonnbeBtrebnngen.  597 

von  dem  Phänomene  der  Entwicklung  —  der  „Bewegung"* 
überhaupt.  Versuche,  sie  innerhalb  unseres  Systemes  zu 
berücksichtigen,  haben  bisher  wenigstens  zu  wenig  wert- 
vollen Resultaten  geführt.  Wir  glauben  in  anderer  Weise 
weiterzukommen  und  möchten  unser  statisches  System, 
dessen  schönster  Schmuck  seine  Klarheit  und  Einheit  ist, 
deshalb  von  allen  diesen  Dingen  freihalten. 

Nur  noch  eines  dieser  Desiderata,  vielleicht  das  wich- 
tigste; es  bezieht  sich  auf  das  Moment  des  Zeitablaufes. 
Abgesehen  von  einigen  weniger  bedeutenden  und  jedenfalls 
einflußlosen  Versuchen,  dieses  Moment  zu  berücksichtigen, 
gibt  es  hauptsächlich  drei  sehr  beachtenswerte  Theorien, 
welche  dasselbe  verwerten.  Das  ist  zunächst  die  Abstinenz- 
theorie. Sodann  Prof.  Marshalls  Theorie  der  „long  period 
curves^ ,  die  sich  von  unsern  Nachfragefunktionen  dadurch 
unterscheiden,  daß  sie  nicht  wie  diese  nur  für  den  Augen- 
blick gelten,  sondern  eine  längere  Zeitperiode  decken  sollen. 
Aber  besonders  wurde  das  Moment  der  Zeit  von  v.  Boehm- 
Bawerk  studiert  und  von  seinem  Werke  drang  es  machtvoll 
in  die  Literatur  ein,  so  daß  heute  fast  jede  systematische 
Darstellung  mehr  oder  weniger  darüber  sagt.  Wie  stehen 
wir  zu  alledem  mit  unserem  Systeme,  das  nur  für  einen 
Zeitpunkt  gilt?  Nun,  was  wir  darüber  zu  sagen  haben,  ist 
lediglich  das  Folgende:  Der  bloße  Zeitablauf  ist  es  nicht, 
den  diese  Theorien  im  Auge  haben.  Vielmehr  beziehen  sie 
sich  —  es  ist  das  kaum  mehr  als  selbstverständlich  —  auf 
das,  was  in  dieser  Zeit  geschieht,  und  das  kann  nichts 
anderes  sein,  als  „Entwicklung**  in  unserem 
Sinne.  Davon  tiberzeugt  man  sich  leicht.  Die  Abstinenz- 
theorie betrachtet  die  Bedeutung  produktiver  Anstrengungen 
zum  Zwecke  von  Änderungen,  Erhebungen  des  Niveaus  der 
Wirtschaft  und  spielt,  wie  wir  in  Übereinstimmung  mit  Prof. 
Clark  sahen,  keine  Rolle  in  der  Statik.  Ohne  weiteres  sieht 
man  ferner,  daß  Prof.  Marshall's  long  period  curves  eben 
den  Zweck  haben,  Erscheinungen  zu  erfassen,  welche  unsern 
Nachfragefunktionen  entgehen.  Das  können  aber  nur  Ent- 
wicklungserscheinungen sein,   welche   die    Änderung  jener 


598  Zusammenfassung  dessen,  nsw. 

Daten  nach  sich  ziehen,  die  wir  als  fest  anzunehmen  ge- 
nötigt sind.  Freilich  kann  man  sie  auch  interpretieren  al5 
Bilder  „weiterer"  Wirkungen  von  Störungsursachen,  welche 
wir  auch  in  der  Statik  behandeln.  Aber  nur  dann  könDeo 
sie  eine  von  der  unserer  statischen  Kurven  verschiedene  Ge- 
stalt haben,  wenn  diese  Wirkungen  eben  aus  der  Statik 
herausfallen;  sonst  hat  der  Zeitablauf,  der  bis  zu  ihrem 
Eintritte  statthaben  muß,  keine  Bedeutung  und  nichts  hindert 
uns,  von  ihm  abzusehen.  Daß  endlich  v.  Boehm-Bawerk's 
Theorie  nicht  statisch  ist,  haben  wir  bereits  nachgewiesen. 
Sein  „dritter  Grund'',  auf  dem  das  Hauptgewicht  liegt,  hat 
eine  deutliche  Beziehung  zum  wirtschaftlichen  Fortschritte. 

Da  also  die  wichtigsten  Gedankengänge,  in  denen  uns 
das  Moment  des  Zeitablaufes  begegnet,  sich  dem  Rahmen 
der  statischen  Voraussetzungen  nicht  einfügen,  so  ergibt 
sich  für  uns  daraus  der  Schluß,  daß  wir  auf  nichts  Wesent- 
liches verzichten,  wenn  wir  von  diesem  Momente  absehen 
und  daran  festhalteo,  daß  unser  System  nur  für  gegebene 
Zeitpunkte  gilt,  was,  wie  wir  hier  allerdings  nicht  nochm.il5i 
zeigen  können,  allein  seinem  Wesen  entspricht  und  uns  ül^er 
soviele  seiner  Eigentümlichkeiten  aufklärt  —  in  der  Tat 
eines  .  der  wichtigsten  unserer  methodologischen  Resultate 
ist,  ohne  das  manches  Theorem  nicht  richtig  verstanden 
werden  kann.  Hier  liegt  übrigens  noch  manches  Problem, 
und  wenn  wir  darauf  nicht  eingehen  —  wie  auf  viele  inter- 
essante Detailfragen  — ,  so  fügen  wir  uns  nur  ungeme 
äußeren  Notwendigkeiten. 

Die  Frage,  ob  in  diesen  und  verwandten  Reformver- 
sucheu  die  Ansätze  zu  einer  künftigen  Entwicklung  liegen, 
verneinen  wir  also,  soweit  dabei  die  Ausbildung  der  Statik 
in  Betracht  kommt.  Allein  wir  wollen  nochmals  betonen, 
daß  wir  darin  mit  vielen  gerade  der  fortgeschrittensten 
Nationalökonomen  differieren.  Wir  bauten  unser  Urteil  vor 
den  Augen  des  Lesers  auf  und  glauben,  es  gerechtfertigt 
zu  haben,  soweit  das  in  solchen  Dingen  möglich  ist.  Ein 
strikter  Beweis  seiner  Richtigkeit  ist  jedenfalls  nicht  möglich 
—  ob  wir  irren  oder  nicht,  kann  nur  die  Zukunft  lehren. 


V.  Kapitel. 

Die  Entwicklungsmöglichkeiten  der  theoretischen 

Ökonomie. 


§  1.  Nach  all  dem  Gesagten  erhebt  sich  endlich  die 
Frage  „was  nun?"  Was  an  dem  Lehrgebäude  unserer  Wissen- 
schaft zu  bessern  ist  und  die  Frage,  ob  unserem  exakten 
Systeme  in  nächster  Zeit  grundstürzende  Reformen  bevor- 
stehen—  dem  exakten  Systeme,  wie  wir  es  darstellten, 
und  abgrenzten  —  wurde  erörtert.  Nun  gilt  es,  einiges 
darüber  zu  sagen,  was  an  diesem  Systeme  weiter  zu  tun 
sei  und  welche  Wege  die  weitere  Arbeit  auf  dem  Gebiete 
der  reinen  Ökonomie  vermutlich  einschlagen  werde.  Jeder, 
der  sich  in  seiner  Wissenschaft  wirklich  „zuhause"  fühlt, 
muß  diese  Fragen  beantworten  können  und  so  lange  sie 
nicht  beantwortet  sind  —  wenn  auch  nur  in  Kürze  und  mit 
der  gebotenen  Reserve  — ,  so  lange  ist  die  Darstellung 
unserer  Disziplin  nicht  vollständig,  so  lange  hat  der  Leser 
kein  klares  Bild  von  ihr.  Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache, 
daß  ein  gutes  Maß  von  Subjektivität  auch  in  solchen  Er- 
örterungen liegen  muß  und  sicher  gibt  es  nicht  bloß  einen 
Weg  weiter;  aber  doch  ist,  wie  gesagt,  die  Sache  weniger 
subjektiven  Charakters,  als  etwa  ein  Urteil  über  den  Wert 
der  Disziplin,  und  mehr  als  dabei  kann  —  und  muß  auch 
—  der  Leser  dem  „Spezialisten"  vertrauen.  Zunächst  also 
wollen  wir  die  Richtung  weiterer  Arbeit  an  unserem  Systeme 
und  einige  seiner  Entwicklungsmöglichkeiten  wenigstens  in 
Umrissen   andeuten  und  sodann  etwas  über  die  außerhalb 


^00  ZusammenfAssuDg  dessen,  asw. 

desselben  liegenden  ökonomischen  Probleme  sagen ,  was  im 
wesentlichen  auf  einen  Ausblick  auf  das  Gebiet  der  Dynamik 
hinausläuft. 

Nun,  vor  allem  muß  unser  System  noch  ausgearbeitet 
werden.  Die  Yariationsmethode  hat  noch  lange  nicht  alle 
die  Resultate  geliefert,  die  sie  liefern  kann  und  besonders 
die  mathematische  Analyse  kann  noch  viel,  mehr  als  min 
glaubt,  aus  diesen  Dingen  herausholen.  Wie  reich  dieses 
Feld  ist,  konnten  wir  ja  nur  andeuten.  Mögen  die  Resolute 
auch  nicht  sehr  „großartig"'  sein,  wertlos  sind  sie  nidt 
vielmehr  sicherlich  von  erheblichem  theoretischen  und  nicht 
ohne  praktisches  Interesse.  Doch  das  wurde  bereits  gesigt 
und  sollte  hier  nur  der  Vollständigkeit  halber  erwähnt 
werden.  Der  Ausbau  unseres  Systemes  obliegt  uns  also  vor 
allem  und  man  kann  sagen,  daß  er  täglich  erfreuliche  Fort- 
schritte macht. 

Aber  sodann  sind  jene  Zusammenhänge,  welche  wir 
gegenwärtig  klar  definieren  können  und  welche  uns  heute 
unsere  gesicherten  Resultate  geben,  noch  keineswegs  all«, 
was  sich  auf  unserer  Grundlage  gewinnen  läßt.  Dieselbe 
läßt  sich  vielmehr  noch  wesentlich  bereichern,  ihre  Frucht- 
barkeit erhöhen  und  zwar  in  verschiedener  Weise.  Man 
kann  diese  Möglichkeiten  durch  die  drei  Schlagworte  charak- 
terisieren: Spezialisierung  unserer  Annahmen,  Aufstellung 
neuer  Annahmen  und  neue  Kombinationen  unserer  Elemente. 
Unter  dem  ersten  Schlagworte  verstehen  wir  eine  metho- 
dologische Maßregel,  die  darin  besteht,  daß  wir  unsern  Xvt- 
nahmen  einen  spezielleren  Inhalt  geben.  Eine  solche 
wäre  es  z.  B. ,  unseren  Wertfunktionen  eine  bestimmterr 
Form  zu  verleihen,  welche  zwar  denselben  Bedingungen  ge- 
nügen muß,  wie  die  heutige,  aber  daneben  noch  andere  ent- 
hält. Bernouilli's  Kurve  ist  ein  derartiger  Versuch,  viel- 
leicht am  weitesten  ist  hier  W.  Launhardt  gegangen.  M*i 
hat  das  streng  kritisiert,  aber  unseres  Erachtens  zu  streng 
denn  allerdings  ist  es  wahr,  daß  solche  weitere  Annahmef 
nicht  beliebig  gemacht,  vielmehr  sorgfältig  verifiziert  \ai 
auf  die  Zwecke,  bei   denen   sie  sich  bewähren,    beschränkt 


Die  EntwickluDgsmöglichkeiten  der  theoretiBchen  Ökonomie.  601 

werden  müssen;  sodann,  daß  die  gewonnenen  Resultate  ein 
geringeres  Geltungsgebiet  haben  werden,  einen  Schritt  weiter 
von  der  Wirklichkeit  entfernt  sind,  kurz,  einen  kühnen 
Versuch  darstellen,  den  nur  der  Erfolg  rechtfertigen  kann; 
endlich,  dafi  die  beiden  genannten  und  auch  andere  Autoren 
zu  unvorsichtig  verfuhren  und  entweder  selbst  oder  in  ihren 
Nachfolgern  manches  Fehlers  schuldig  wurden;  allein  das 
ändert  nichts  daran,  daß  ihr  Vorgehen  nicht  ein  prinzipiell 
verfehltes  war,  vielmehr  sehr  richtigen  Einsichten  in  das 
Wesen  unserer  Disziplin  entsprach  und  daß  hier  Ansätze 
zu  einer  zukunftsreichen  Entwicklung  liegen.  Das  erkannt 
zu  haben,  ist  ein  viel  größeres  Verdienst,  als  man  vielleicht 
glaubt,  es  ist  auch  viel  größer,  als  die  dabei  begangenen 
Fehler.  Wir  können  uns  nicht  näher  auf  diesen  Punkt  ein- 
lassen, möchten  aber  unserer  Überzeugung  Ausdruck  geben, 
daß  hier  ein  Weg  vorwärts,  aufwärts,  führt  zu  einer  lohnen- 
den Aussicht  in  das  Getriebe  der  Wirtschaft,  ein  Weg,  den 
nur  der  in  exakten  Methoden  Geschulte  voll  würdigen  kann, 
der  aber  früher  oder  später  betreten  werden  muß,  betreten 
werden  wird. 

Das  ist  die  erste  der  Möglichkeiten  neuer  Entwicklung, 
die  wir  im  Gegensatze  zu  fast  allen  Fachgenossen  für  wirk- 
lich frachtbar  halten  —  im  Gegensatze  auch  zu  den  ge- 
wöhnlich vorgeschlageneu  Neuerungen.  Ich  weiß  wohl,  daß 
das  zu  weit  von  ihren  Zielen,  Wünschen  und  ihrem  Ent- 
wicklungsgange liegt,  als  daß  auf  Zustimmung  zu  rechnen 
wäre.  Begnügen  wir  uns  also  mit  dem  Gesagten  und  gehen  wir 
zum  zweiten  Punkte,  der  Aufstellung  neuer  Annahmen, 
über.  Von  ihm  gilt  ganz  dasselbe,  die  gleichen  Hoffnungen 
und  Bedenken.  Neue  Annahmen  bedeuten  die  Einführung 
neuer  Tatsachen  —  denn,  wie  im  ersten  Teile  gesagt,  die- 
selben treten  immer  im  Gewände  von  Annahmen  in  unser 
System  ein.  Beispiele  wären  etwa  die  Hypothese,  daß  sich 
die  Gesamtnachfrage  aller  Wirtschaftssubjekte  unseres  Unter- 
suchungsgebietes  nach  einem  Gute  ähnlich  verhält,  wie  die 
Einzelnachfrage  jedes  derselben,  daß  sich  also  eine  Gesamt- 
wertfunktion von  ähnlicher  Gestalt,  wie  die  Einzelfunktion  auf- 


602  Zusammenfasflung  dessen,  usw. 

stellen  läßt;  oder  die  Hypothese,  daß  sich  die  Wertfunktiooeo 
der  Individuen  für  dieselben  Güter  nur  durch  Konstante 
unterscheiden.  Solche  Annahmen  können  dann  ebenfalls  ixt 
neuen  Resultaten  führen,  welche  natürlich  aber  mit  aller 
Vorsicht  zu  verwerten  sind. 

Eine  dritte  Möglichkeit  endlich  stellen  neue  Kombina- 
tionen der  Elemente  unseres  Systemes  dar.  Im  all- 
gemeinen sprechen  wir  von  dem  Güterbesitze  der  einzelnen 
Wirtschaftssubjekte,  von  ihm  gehen  wir  aus.  Aber  man 
kann  für  manche  Zwecke  z.  B.  alle  im  Untersuchungsgebiete 
vorhandenen  Arbeitsmengen  kombinieren  und  den  ebenso  zu- 
sammengefaßten Mengen  der  andern  Produktions-  und  endlich 
auch  der  Genußgüter  gegenüberstellen,  wie  das  in  unserem 
Bilde  von  den  „  Inseln ""  geschah.  Das  führt  zu  manchen 
Resultaten,  welche  wohl  der  Mühe  wert  sind.  Wir  sprechen 
ferner  in  der  Regel  nur  von  Genußgütern  im  allgemeinen. 
Teilt  man  sie  in  verschiedene  Gruppen  ein,  Nahrungsmittti 
Wohnungen,  Kleider  usw.,  so  kann  man  jeder  derselben 
weitere  Merkm.ile  hinzufügen,  die  auf  sie  zusammen  nicht 
passen  und  daraus  vielleicht  speziellei-e  Resultate  gewinnen, 
die  mehr  oder  weniger  Wert  haben  mögen,  aber  sicherlich 
besehen  werden  müssen,  ehe  man  an  ihnen  vorübergeht. 

Ausarbeitung  der  gegenwärtigen  Grundlagen  unseres 
Systemes  und  ihre  Bereicherung  in  der  eben  angedeuteten 
Weise  sind  also  unsere  Aufgaben.  Dazu  kommt  nun  noch 
ein  weiterer  Punkt,  die  Einsetzung  konkreter  Daten  in 
unsere  formalen  Theoreme.  Teilweise  ist  dieses  Moment 
schon  in  den  beiden  anderen  enthalten,  und  soweit  bat  es 
nichts  Auffälliges  an  sich.  Wollen  wir  die  Wirkung  einer 
Steuer  untersuchen,  so  muß  uns  etwas  über  ihre  Art  gesagt 
sein ,  wenn  mehr  als  ganz  allgemeine  Sätze  sich  ergebt'n 
sollen,  also  z.  B.  ob  sie  auf  die  Gewinne  der  Unter- 
nehmer oder  auf  die  Einheit  der  Ware  gelegt  wird  usw. 
Bei  der  Erörterung  des  Einflusses  jeder  Störungsursache  auf 
irgendeinen  Preis  hängt  das  Resultat  von  der  Elastizität 
von  Angebot  und  Nach£  ip  Ton  neuen  Tatsachen, 

von  weiteren  Daten,    i  Mi^llier  interessiert,  ist 


Die  Entwicklongsmöglichkeiten  der  theoretischen  Ökonomie.   (303 

der  Umstand,  daß  man  mittelst  dieser  Einsetzung  von 
Daten  sehr  weit  kommen,  daß  sich  dabei  eine  ganz  neue 
Perspektive  für  die  Ökonomie  eröffnen  kann,  eine  Ent- 
wicklungsmöglichkeit, welche  im  wahrsten  Sinne  des  Wortes 
„ungeahnt "^  und  vielleicht  berufen  ist,  eine  völlige  Um- 
wälzung in  der  Auffassung  und  Wertung  der  Ökonomie  zu 
veranlassen,  eine  neue  Zeit  für  sie  heraufzuführen.  Das 
sieht  man  jenen  bescheidenen  Sätzen,  die  wir  eben  aus- 
sprachen, nicht  ohne  Weiteres  an,  und  wir  müssen  daher 
etwas  ausführlicher  sein. 

Wenn  wir  in  unser  Raisonnement  das  Datum  einführen, 
daß  eine  Steuer  auf  die  Einheit  eines  Gutes  gelegt  wird, 
80  bleibt  unser  Resultat  noch  immer  sehr  allgemein;  es  wird 
auf  alle  solche  Steuern  passen  und  uns  über  jede  einzelne 
derselben  noch  lange  nicht  alles  sagen,  was  wir  auch  nur 
in  bezug  auf  die  reinwirtschaftliche  Seite  der  Sache  wissen 
möchten.  Oder  wenn  wir  sonst  eine  Preisvariation  mit  Hilfe 
eines  spezielleren  Datums  in  bezug  auf  die  Nachfragefunktion 
—  ein  solches  ist  ja  der  „Grad  der  Elastizität  —  unter- 
suchen, so  wird  auch  dieses  Resultat  auf  viele  Fälle  passen, 
auf  die  Variationen  der  Preise  aller  Güter,  deren  Nach- 
fragefunktion eine  ähnliche  Gestalt  hat,  aber  da  die  uns 
gegebeneu  Fonncharaktere  immer  nur  wenige  sind,  so  werden 
wir  ein  konkretes  —  sprechen  wir  das  entscheidende  Wort 
aus:  zahlenmäßiges  —  Resultat  nicht  erreichen.  Aber 
kann  man  denn  nicht  auf  diesem  Wege  weiter  gehen,  der 
sich  schon  dabei  bewährt,  mehr  noch,  als  unentbehrlich  und 
allgemein  benützt  erwiesen  hat?  Kann  man  nicht  die  Nach- 
fragefunktion genauer  feststellen,  so  genau,  daß  wir  nicht 
bloß  ein  „eindeutiges",  sondern  ein  konkretes  Resultat  ge- 
winnen? Ich  glaube  die  Antwort  zu  hören:  Welch'  ein 
,  phantastisches  Unterfangen  —  Unberechenbarkeit  der  wirt- 
tschaftlichen  Vorgänge  —  steter  Wechsel  —  usw.!  Aber  auf 
solche  Allgemeinheiten  können  auch  wir  allgemein  ent- 
gegnen: Wo  liegt  denn  die  Utopie  eines  solchens  Vorgehens? 
Schwer  und  langsam  nur  kann  man  dazu  vordringen ;  durch 
mühsame   Tatsachensammlung,    durch    vielleicht    erfolglose 


604  ZasammeDfassung  dessen,  usw. 

Versuche,  durch  Fehlgriffe  und  Enttäuschungen  führt  der 
Weg:  aber  das  ist  ja  nur  natürlich,  wäre  die  Sache  einfach 
und  alles  schon  getan,  so  wäre  jedes  Wort  ttberflOssig. 
Zweifel  und  Mißerfolgen  begegnet  jeder  Fortschritt  und  man 
braucht  nur  a  priori  die  Flinte  ins  Korn  zu  werfen,  um  tat- 
sächlich zu  bewirken,  daß  nichts  erreicht  wird.  Wir  bahnen 
ja  nur  einen  Weg  weiter,  dessen  Anfang  schon  klar  qikI 
gesichert  vor  uns  liegt.  Warum  sollten  wir  denn  mit  dem 
„Abfragen**,  mit  der  experimentellen  Feststellung  unserer 
Wertfunktionen  nicht  Ernst  machen  können?  Ohne  weiteres 
kann  ich  meine  Wertfunktion  für  Zigaretten  aufstellen, 
besonders  da  mir  ein  Umstand  zuhilfe  kommt.  Und  damit 
betreten  wir  das  Reich  exakter  Argumente. 

Dieser  Umstand  ist  der  folgende :  Es  würde  mir  schwer 
fallen  zu  sagen,  was  mich  das  Aufgeben  des  Rauchens  Ober- 
haupt  „kosten"   und   was  ich   für   eine  Zigarette   täglich 
zahlen  würde.    Allein  das  brauche  ich  im  allgemeinen  nifht 
zu  sagen,  vielmehr  gentigt  es  für  viele  Fälle  —  und  auf 
diese  kommt  es  uns  an  —  wenn   ich   ein  verhältnismäßig 
kleines  Intervall  meiner  Wertfunktiou  angeben  kann,  z.  B. 
jenes  Stück  dereelben,  daß  der  lOten  bis  20sten  Zigarette  eut- 
, spricht.    Und  jedermann  kann  das  und  in  jedermanns  Budget 
äußert   sich   die  Wirkung  von  Preisvariationen.    Ungefähr 
ist  sich  jeder  ihres  Einflusses  bewußt  —  d.  h.  also,  wohl- 
gemerkt, der  Gestalt  seiner  Wertfunktion  in  dem  sozusagen 
aktuellen  Intervalle  — ,  sollte  man  nicht  zu  einer  größeren 
Präzision  eines  zweifellos  vorhandenen  Momentes  vordringen 
können?    Die  Schwierigkeiten  sind  groß  und  praktische  Be- 
deutung der  Resultate  können  wir  vorläufig  nicht  erhoffen, 
theoretisch  aber  wären  schon  Annäherungen  von  großer  Be- 
deutung.   Ein  anderes  Moment  kommt  uns  weiter  zu  Hilfe: 
Es   ist  die  Gesamtnach frage.    Jeder  Händler  weiß  —  oder 
wenn   er  sich  darüber  keine  Gedanken  macht,   so  fühlt  er 
es  und   bandelt   darnach  —  wie  der  Preis  einer  Ware  die 
Nachfrage  seiner  Kunden  nach  derselben   und  ferner  sein 
Angebot  derselben  beeinflußt   und   zwar  keineswegs  nur  un- 
gefähr, sondern  recht  genau,  d.  h.  er  weiß  über  die  Gesamt- 


Die  Entwicklungsmöglichkeiten  der  theoretischen  Ökonomie.  (}05 

nachfragekurve  der  betreffenden  Ware  an  seinem  Orte  und 
in  seiner  Strafie  mehr,  als  wir  in  unseren  Kurven  ein- 
schließen. Viel  mehr  noch  gilt  das  für  einen  glücklicher- 
weise besonders  wichtigen  Fall,  nämlich  für  den  der  grofien 
Welthandelsartikel.  Und  besonders  heute  —  und  mehr  noch 
wird  das  in  Zukunft  zutreffen  — ,  wo  Organisationen  jeder 
Art  die  Preisbildung  vereinheitlichen  und  der  Nachrichten- 
dienst eine  Fülle  von  Daten  allgemein  und  schnell  zu- 
gänglich macht,  können  Nachfragekurven  von  erfreulicher 
Annäherung  verhältnismäßig  leicht  konstruiert  werden. 
Kann  man  nicht  ganz  gut  verfolgen,  wie  ein  Zoll  auf  Ge- 
treide die  Nahrungsversorgung  eines  Volkes  beeinflußt? 
Haben  wir  nicht  eine  ganze  Anzahl  von  Methoden,  um  das 
recht  befriedigend  festzustellen?  Kann  nicht  die  Preispolitik 
eines  Trustes  hier  mit  bestem  Erfolge  analysiert  werden? 
Die  Beispiele  wären  so  zahlreich,  daß  eine  Ausführung  von 
einzelnen  derselben  ganz  überflüssig  ist. 

Aber  freilich,  eine  große  Preisänderung  kann  zu  solchen 
Veränderungen  führen,  z.  B.  zur  Aufgabe  des  Konsumes 
oder  zur  Einführung  von  Surrogaten,  daß  unsere  Betrachtungs- 
weise versagt.  Sodann  läßt  sich  nicht  leugnen,  daß  die  Er- 
scheinungen der  Entwicklung  hier  hineinspielen  und  unsere 
Resultate  nicht  nur  schnell  veralten  lassen,  sondern  auch 
die  Aufstellung  unserer  Wertfunktionen  erschweren.  Es 
ist  ja  klar,  daß  die  Preispolitik  eines  Trustes  sehr  wesentlich 
von  Rücksichten  auf  die  Zukunft  bestimmt  wird,  daß  Nieder- 
ringen von  Konkurrenten,  Kampf  um  Absatzgebiete,  Ver- 
suche, eine  Ware  einzuführen  oder  ihren  Gebrauch  auf 
weitere  Käuferschichten  auszudehnen  und  andere  Momente 
große  Schwierigkeiten  bilden.  Aber  doch  auch  nicht  mehr 
als  das;  wir  verweisen  auf  frühere  Ausführungen  zur  Be- 
gründung der  Behauptung,  daß  uns  ein  erheblicher  Stock 
von  Tatsachen  bleibt,  wenn  wir  auf  jene  verzichten.  Das 
müssen  wir  allerdings  tun ;  aber  wenn  wir  Schritt  für  Schritt 
unseru  Weg  zu  einem  hohen  Ziele  bahnen,  so  haben  wir 
doch  wohl  das  Recht  zu  verlangen,  daß  man  nicht  sofort 
alles  von  uns  fordere;  am  wenigsten  haben  jene  dazu  Ver- 


ßOG  Zusammenfassung  dessen,  usw. 

anlassung,  die  schon  die  Möglichkeit  des  ersten  Schrittes  io 
Abrede  stellten.  Wir  müssen  uns  vorläufig  mit  diesem  einen 
begnügen,  aber  ihn  können  und  werden  wir  tun.  Es  ist 
das  nur  die  eine  Hälfte  der  Sache,  aber  das  ist  es  auch 
wirklich.  Und  wenn  es  möglich  ist,  von  der  Statik  ^os 
zu  solchen  konkreten  Problemlösungen  zu  kommen,  so  können 
die  gewonnenen  Resultate  dann  wiederum  zu  einem  Maße 
für  die  „Entwicklung**  dienen:  Wenn  unsere  Methode  sich 
hinlänglich  bewährt  und  man  Vertrauen  zu  ihr  gewonnen 
hat ,  so  wird  sie  in  Fällen ,  in  denen  ihre  Resultate  nicht 
mit  der  Wirklichkeit  übereinstimmen,  der  letzteren  gegenüber- 
gestellt, uns  zeigen,  wie  groß  jene  Differenz,  jener  unerkiftrte 
Rückstand  ist ,  der  auf  andere  Momente  als  jene ,  die  die 
Statik  bietet,  zurückzuführen  ist. 

Gerade  in  diesem  Punkte  bewährt  sich  unsere  scharfe 
Abgrenzung  und  unsere  detaillierte  Diskussion  des  Wesens 
der  statischen  Methoden.  Kurze  Perioden,  kleine  Änderungen, 
alles  das,  was  wir  als  zu  diesem  Wesen  gehörig  erkannt 
haben,  leistet  uns  hier  praktische  Dienste:  es  leitet  uns 
nämlich  an,  jene  Tatsachen,  welche  sich  der  wissenschaft- 
lichen Erfassung  vor  allem  darbieten,  von  andern  zu  trennen, 
und  macht  uns  auf  das  Vorhandensein  einer  wesentlichen 
Verschiedenheit  zwischen  beiden  Gruppen  aufmerksam.  Nicht 
Laune  also  oder  irgendwelche  spekulativen  Obersätze  waren 
es,  die  uns  zu  all  den  Formulierungen  und  Erörterungen 
veranlaßten,  sondern  Momente,  deren  reale  Bedeutung  sich 
an  ebenso  realen  Problemen  zeigt.  Die  Methoden  und 
Theoreme  der  Ökonomie,  die  unseres  Erachtens  zum  Teile 
nach  Richtungen  drängen,  die  zu  nichts  führen,  wollten  wir 
für  exakte,  theoretisch  und  praktisch  wohl  umschriebene 
Probleme  sozusagen  einrichten  —  und  unterdrücken,  was 
diesem  Ziele  schädlich  schien.  Man  mißverstehe  mich  nicht; 
sicherlich  ist  das  eben  Gesagte  nicht  das  „um  und  auf"  der 
Ökonomie:  Die  theoretische  Bedeutung  ihrer  Resultate  an 
sich  tasten  wir  natürlich  nicht  an;  wohl  aber  zeigt  es  uns 
einen  unserer  künftigen  Wege,  einen,  der  für  den  Wert  und 
das  Ansehen  unserer  Disziplin  sehr  wichtig  ist.    Von  diesem 


Die  EntwicklungsmGglichkeiteD  der  theoretischen  Ökonomie.  G07 

Standpunkte  aus  zeigt  sich  uns  unser  exaktes  System  von 
einer  neuen  Seite :  es  ist  unter  anderem  auch  eine  Werkstatt, 
in  der  Waffen  geschmiedet  werden,  die,  wenn  nicht  allein, 
80  doch  auch  weiteren  Zwecken  der  Wissenschaft  und  Praxis 
dienen  können. 

^Rechnendem  Verfahren"  also  reden  wir  hier  das  Wort. 
Der  Zusammenhang  unserer  Disziplin  mit  den  Methoden 
and  dem  Tatsachenmateriale  der  Statistik  wird  uns  hier  — 
wiederum:  aus  unserer  Arbeit  heraus  und  nicht  infolge 
irgendwelcher  allgemeiner  Phrasen  —  ohne  Weiteres  klar. 
Die  beliebte  Frage,  was  die  Statistik  fOr  die  Ökonomie 
leisten  könne,  beantwortet  sich  nunmehr,  wenn  man  unter 
Ökonomie  unser  System  verstehen  will,  ganz  von  selbst: 
Wir  bedürfen  ihrer  zur  Feststellung  der  für  uns  so  grund- 
legenden Wertfunktionen.  Wir  erwarten  viel  davon;  schon 
das  kleinste  Resultat,  so  sehr  es,  wie  das  sicher  geschehen 
wird,  belächelt  und  kritisiert  werden  mag  —  und  nichts  ist 
leichter,  als  eine  solche  Kritik  erster  Versuche  —  wiid 
einen  gewaltigen  Schritt  weiter  auf  der  Bahn  der  Entwicklung 
unserer  Disziplin  bedeuten.  Hier  freilich  mOssen  wir  uns 
auf  diese  Andeutung  einer  gro6en  „  Entwicklungsmöglichkeit *" 
beschränken.  Aber  das  Gesagte  ist  nur  eine  Seite  der 
Sache,  der  andern,  vielleicht  noch  wichtigeren,  wollen  wir 
uns  nun  zuwenden. 

Sagen  wir  gleich,  worum  es  sich  handelt:  Um  den  An- 
schluß der  theoretischen  Ökonomie  an  die  technischen  Wissen- 
schaften im  weitesten  Sinne  des  Wortes  —  „Kunstlehren", 
wenn  man  will,  obgleich  wir  diesen  Ausdruck  lieber  ver- 
meiden möchten.  Den  Nationalökonomen  kann  diese  Wendung 
unserer  Erörterung  eigentlich  nicht  überraschen  und  zwar 
aus  zwei  Gründen.  Einmal  hat  man  ja  in  früherer  Zeit  die 
Ökonomie  selbst  als  eine  Art  „Kunstlehre''  aufgefaßt,  als 
Kunstlehre  des  praktischen  Wirtschaftens  oder  gar  der 
Politik.  Das  ist  freilich  überwunden,  und  es  dürfte  kaum 
nötig  sein,  besonders  zu  betonen,  daß  wir  nicht  derartiges 
meinen.  Sodann  aber  hat  man  immer  —  und  das  geschieht 
noch  heute  —  in  der  Ökonomie  etwas  über  «Technik*  im 


(JOS  ZusammenfasBung  deMeo,  usw. 

üblichen  Sinne  gesagt:  Über  die  Bedeutung  derselben  ffir 
den  wirtschaftlichen  Fortschritt  vor  allem.  Dafi  das  wenig 
Wert  hat,  haben  wir  allerdings  bereits  erwähnt.  Weiter 
hat  man  auch  immer  technische  Themen  gestreift,  d.  k. 
Themen,  mit  denen  sich  sonst  der  „Techniker*"  beschäftigt, 
wie  z.  B.  das  Transportwesen.  Freilich  beschränkte  ma 
sich  auf  Allgemeinheiten,  und  überhaupt  bewegte  sich  alles 
das  in  einer  anderen  Richtung  als  das,  was  wir  hier  sagen 
wollen.  In  der  „Ökonomie  des  Ackerbaues^  z.  B.  werdet 
meist  agrarpolitische  Themen  erörtert,  und  etwaige  Über- 
sichten über  die  technischen  Methoden  der  Agrikultur,  denen 
wir  auch  sehr  häufig  begegnen,  haben  keine  selbständige 
Bedeutung,  dienen  als  Einleitungen  oder  gar  als  müßige 
Zieraten.  Aber  trotzdem  darf  man  vielleicht  behaupten, 
daß  in  der  ständigen  Wiederkehr  solcher  Dinge  das  Gefühl 
zum  Ausdrucke  kommt,  daß  die  Beziehungen  zwischen 
Ökonomie  und  Technik  engere  und  zum  Teile  von  anderer 
Art  sind,  als  man  prinzipiell  glaubt. 

Übrigens  ist  es  ja  auch  klar,  daß  die  Tatsachen  der 
Technik  auf  den  Verlauf  der  Wirtschaft  und  die  Gesetze 
des  letzteren  auf  den  Fortschritt  und  die  praktische  An- 
wendung technischer  Methoden  einwirken.  Namentlich  der 
letztere  Punkt  ist  wichtig  für  uns:  Für  die  Frage,  welche 
technischen  Methoden  angewendet  z.  B.,  welches  Betrielis- 
System  in  einem  gegebenen  Augenblicke  für  ein  Grundstück 
gewählt  werden  soll,  was  für  und  wieviele  Maschinen  für 
eine  bestimmte  Fabrik  sich  empfehlen  usw.,  ist  selbst- 
verständlich nicht  bloß  der  Stand  technischen  Wissens  ent- 
scheidend. Wenn  es  sich  darum  handelt,  einen  bestimmte 
gegebenen  modus  procedendi  des  Landwirtes  oder  Fabrikantei 
zu  erklären,  so  kommen  verschiedene  Momente  in  Betracb-  i 
welche  wir  für  unsere  Zwecke  in  drei  Gruppen  zusammen  J 
fassen  können:  Der  Stand  der  Technik,  ökonomische  E-'^f 
wägungen  und  endlich  noch  andere  Momente,  wie  ludoleiif 
Mittellosigkeit,  Unkenntnis  usw.  Es  ist  nun  wesentlich 
zwischen  der  zweiten  und  der  dritten  Gruppe  zu  scheido 
Die  dritte  umfaßt   „Störungsursacheu",  von   denen    wir 


I 


Die  EntwicklnngemOglichkeiten  der  theoretischeD  Ökonomie.  (>09 

demselbeD  Sinne,  wie  von  Irrtum  usw.  in  der  Ökonomie, 
sagen  kOnnen ,  daß  sie  ohne  prinzipielle  Bedeutung  sind. 
Das  ist  natürlich  nicht  so  bei  der  zweiten  Gruppe.  Aach 
die  technisch  vollkommenste  Maschine  wird  solange  nicht 
verwendet  werden,  als  sie  sich  nicht  „rentiert",  und  Ober 
die  Verschiedenheit  der  landwirtschaftlichen  Betriebssysteme, 
die  sich  unter  verschiedenen  Verhältnissen  empfehlen,  auch 
wenn  „bessere"  bekannt  sind,  wurde  ja  schon  oft  gesprochen. 
Wenn  wir  also  verschiedene  technische  Methoden  neben- 
einander in  Verwendung  finden,  so  braucht  das  noch  keinerlei 
„  Rückstand  igkeit"  zu  involvieren ,  sondern  es  kann  das 
„richtig"  sein  und  auf  viel  interessanteren  Momenten  be- 
ruhen. 

Während  sich  also  die  reine  Ökonomie  einerseits  und 
die  „Technik"  als  selbständiges  Wissensgebiet  andererseits 
an  sich  unabhängig  gegenüberstehen,  so  gibt  es  doch  ein 
Feld,  auf  dem  sich  das  Moment  der  technischen  Effizienz 
und  das  Momentder  ökonomischen  Effizienz  treffen.  Dabei 
ist  besonders  wichtig,  daß  diese  beiden  Momente  nicht  neben- 
einander stehen,  ohne  sich  zu  vermischen,  etwa  in  ähnlicher 
Weise  wie  in  der  Finanzwissenschnft  ökonomische  und  sozial- 
politische Kapitel  vorkommen,  welche  voneinander  ganz 
unabhängig  sind  oder  deren  Berührungspunkte  doch  auBer* 
halb  strenger  Wissenschaft  und  nur  in  der  Psyche  des 
Politikers  liegen;  sondern  daS  sich  dieselben  exakt  verbinden 
lassen  und  zusammen  ein  neues,  drittes  Gebiet  hervorbringen. 
Dieses  Gebiet  ist  das,  welches  man  mit  den  Worten  „praktische 
Betriebslehreu"  im  weitesten  Sinne  bezeichnen  könnte.  Die 
landwirtschaftliche  Betriebslehre,  die  Theorie  der  Forstwirt- 
schaft,  die  des  Transportwesens  —  „Railway  Economics"; 
kommerzielle  Trassierung,  Tariftbeorie  usw.  —  sind  Teile 
derselben,  welche  wir  beispielsweise  anfuhren  wollen;  aber 
das  gesamte  Feld  der  praktiscli  angewandten  Technik  gehört 
hierher.  Dieses  Gebiet  liegt  in  der  Mitte  zwischen  jenen 
beiden  anderen  und  nur  mit  Hilfe  beider  kann  es  behandelt 
werden. 

Allerdings  lag   es  bisher  so  gut  wie  ausschließlich  in 


glO  ZusammeDfasBung  dessen,  usw. 

den  Händen  der  Techniker.  Welche  Entdeckung  nun  fOr 
den  Ökonomen  zu  konstatieren,  daß  dieselben  bereits  öko- 
nomische Theorie  treiben  und  daß  man  in  Arbeiten  dieser 
Art  die  Formen  und  Theoreme  der  Ökonomie  wiedererkenne 
kann.  Unvollkommen  zwar  und  nicht  ausreichend,  was  tat- 
sächlich —  sehr  befriedigend  für  uns !  —  die  Folge  hat,  dafi 
in  jenen  Arbeiten  nicht  ganz  das  erreicht  wird,  was  zu  er- 
reichen wäre  und  daß  sie  noch  gegenwärtig  eine  recht  unter- 
geordnete Bolle  spielen.  Die  Tatsache  selbst  aber  ist  außer 
Zweifel,  ein  Blick  in  ein  beliebiges  Buch  über  solche  Tbemeo 
oder  in  eine  denselben  gewidmete  Zeitschrift  —  die  Annales 
des  Fonts  et  Chaussöes  z.  B.  —  überzeugt  uns  davon.  In 
diesem  Zusammenhange  gewinnt  die  Tatsache  eine  besondere 
Bedeutung,  daß  ein  Techniker  zu  den  ersten  Entdeckern 
des  „Gesetzes"  gehörte,  das  den  Namen  Gossen's  führt,  w«s 
ja  nichts  anderes  heißt,  als  daß  er  sich  für  die  Form  der 
Nachfragefunktion  interessierte.  Bereits  gibt  es  Arbeiten 
von  Ökonomen  auf  diesem  Gebiete;  um  nur  die  beste  zu 
nennen ,  die  mir  bekannt  ist ,  sei  die  von  Luigi  Perozzo ' 
über  die  italienischen  Eisenbahnen  erwähnt.  Ferner  muß 
auch  noch  eines  von  den  erwähnten  etwas  abliegenden 
Themas  gedacht  werden,  der  Versicherungstheorie.  Der 
Umstand,  daß  man  eine  ökonomische  Hypothese  als  ihre 
Grundlage^  bezeichnen  kann,  lehrt  uns  zweierlei:  Erstens, 
wie  wenig  „luftig**  und  „spekulativ*"  wenigstens  diese 
ökonomische  Annahme  ist  und  zweitens,  daß  wir  uns  wenigstens 
in  einem  Punkte  mit  der  Versicherungstheorie  berühren. 
Auf  weitere  Beziehungen  zu  ihr  kann  ich  hier  nicht  ein- 
gehen '. 

Was  zu  tun  ist,  können  wir  hier  nur  andeuten,  vielleicht 
am  besten  in  der  folgenden  Weise:  Man  nehme  Arbeiten 
über  kommerzielle  Trassierung  und   andere,  in  denen  die 

*  Giornali  degli  Economisti  1906. 

^  Nämlich  die  Bernouilli's. 

'  Da  es  sich  hier  nur  um  einige  Hauptpunkte  handelt,  so  öb^^ 
gefien  wir  weniger  Wichtiges,  so  z.  ß.  die  Theorie  der  Spekulation, 
das,  was  man  exakte  Bauktheorie  nennen  könnte  und  anderes. 


Die  EDtwickluDgsinöglichkeiten  der  theoretischen  Ökonomie.   611 

Fragen  der  Technik  nicht  allein,  sondern  mit  ökonomischen 
bezüglich  der  Kosten  und  des  Ertrages  zusammen  auftreten, 
und  versuche  das  über  die  letzteren  Gesagte  mit  Hilfe 
unserer  Theorie  ebenso  exakt  auszudrücken,  wie  die  technische 
Seite  der  Sache  bereits  ausgedrückt  ist.  Und  unser  System 
gestattet  uns  eben,  das  sehr  hübsch  zu  tun  —  das  Ökonomische 
erscheint  dann  in  ebenso  wissenschaftlicher  und  überraschend 
ilhnlicher  Form  wie  das  Technische  daran  —  und  man  wird 
finden,  daß  das  nicht  nur  die  Klarheit  und  Korrektheit  des 
Ganzen  wesentlich  erhöht,  sondern  auch  eine  völlige  Einheit 
und  viele  neue  Resultate  zu  gewinnen  ermöglicht  Das  ist 
das  Prinzip;  Beispiele  gaben  wir  bereits.  Wenn  auch  die 
Schwierigkeiten  groß  sind,  und  das,  was  sich  unmittelbar 
erzielen  läßt,  nicht  mehr  ist  als  ein  Anfang,  so  wird  doch 
kein  Einsichtiger  sich  davon  abschrecken  lassen.  Die  Sache 
funktioniert  eben,  wie  die  erste  Lokomotive  funktionierte  — , 
und  vielleicht  ist  die  Hoffnung  nicht  unberechtigt,  daß  eine 
fernere  Zukunft  auf  Zweifel,  Einwendungen  und  Spott, 
<lenen  diese  neue  Bahn  sicher  begegnen  wird,  ebenso  zurück- 
blicken wird,  wie  wir  auf  das,  was  über  jene  seinerzeit 
gesagt  worden  ist. 

Wir  betonen  aber,  die  Eroberung  eines  neuen  An- 
wendungsgebietes, die  Einführung  technischer  Daten 
in  unser  Raisonnement,  ist  nicht  etwa  eine  vage 
Hoffnung,  sondern  sie  hat  bereits  begonnen,  ihr  Tag  ist  be- 
reits angebrochen.  Obgleich  es  ja  nicht  ganz  richtig  ist, 
wird  es  vielleicht  zur  Beleuchtung  unseres  Gedankens  bei- 
tragen, wenn  wir  sagen,  daß,  wie  die  Statistik  die  „Nach- 
frageseite", so  die  Technik  —  untei-stützt  allerdings  eben- 
falls von  der  Statistik  —  uns  die  Angebotsseite  unseres 
Gleich ge wich tsproblemes  konkretisieren  und  mit  Leben  und 
Tatsachen  füllen  wird.  Hier  nun  bewähren  und  rechtfertigen 
sich  unsere  exakten  Methoden,  namentlich  auch  die  An- 
wendung der  Mathematik,  hier  auch  bewährt  und  recht- 
fertigt sich  die  Analogie  mit  der  Mechanik.  Alles  das  er- 
scheint nun  in  neuer  und  sehr  bedeutungsvoller  Beleuchtung. 
Mit  der  „literarischen"  Ökonomie  und  noch  mehr  mit  den 


022  Zusammenfassung  dessen,  usw. 

üblichen  Allgemeinheiten  kann  man  an  diese  Dinge  nicht 
heran  und  mit  Rücksicht  auf  dieselben  wird  auch  der  Gegner 
„theoretischer  Spielereien"  kaum  mehr  über  unsere  Be- 
mühungen lächeln.  Doch  wollen  wir  uns  mit  diesen  An- 
deutungen begnügen;  kommen  wir  nun  zum  Schlüsse. 

Wir  glauben,  daß  hier  und  nicht  im  Versuche,  große 
politische  und  soziale  Fragen  zu  lösen,  die  Aussichten  ffir 
die  Weiterentwicklung  der  Ökonomie  liegen.  Das  ist  das 
Moment,  das  wir  bei  Erörterung  des  praktischen  Wertes 
unserer  Disziplin  übergiengen.  Wir  glauben,  daß  die  Ein- 
führung der  Methoden  und  Theoreme  der  Ökonomie  in  Abs 
Gebiet  der  Technik  zu  praktisch  wie  theoretisch  wertvollen 
Resultaten  führen  wird  und  im  Prinzipe  ohne  Weiteres  mög- 
lich ist.  Für  unsere  Disziplin  ist  das  nun  von  sehr  großer 
Bedeutung.  Daß  einzelne  ihrer  Gebiete,  die  wie  die  Ver- 
sicherungs-  und  Transporttheorie  bisher  nur  die  traurigsten 
Selbstverständlichkeiten  darboten,  dadurch  mit  sehr  inter- 
essantem, aut  den  Grundlagen  unseres  Systemes  beruhendem 
Inhalte  gefüllt  werden  können,  ist  der  geringste  Gewinn. 
Von  großartiger  prinzipieller  Bedeutung  ist  die  Veritikation 
unseres  Systems,  die  in  dem  Moment  erreicht  ist,  in  dem 
sich  die  praktische  Brauchbarkeit  desselben  in  exakter  Weise 
zeigt,  in  dem  darüber  kein  Zweifel  mehr  möglich  ist,  daß 
unsere  Wertfunktionen  und  das  auf  sie  Gebaute  sich  in 
ähnlicher  Weise  —  auf  dem  gedachten  Gebiete  tats&chlii^h 
ganz  so  —  bewährt,  wie  die  an  sich  nicht  weniger  abstrakten 
Grundlagen  und  Theoreme  der  Mechanik.  An  die  wissen- 
schaftliche Bedeutung  dieser  Tatsache  denken  wir  hier  — 
die  praktische  ist  ja  klar,  wenn  auch  keineswegs  so  groß  — : 
Erst  dann  können  wir,  wie  wir  hier  endlich  zugeben  wollen, 
ganz  sicher  sein,  daß  wir  richtig  gedacht  und  unsem  Ge- 
dankeubau  fest  und  zweckmäßig  eingerichtet  haben, -wenn 
praktische  Anwendungen  solcher  Art  sich  bewähren.  Darin 
liegt  ja  auch,  wie  ein  großer  Physiker  gesagt  ^  hat,  die  Be- 
deutung der  Technik  für  die  exakten  Wissenschaften :  Würden 


L.  Boltzmanu. 


Die  EntwickluDKemSglichkeitM)  der  theoretiscben  Ökonomie.  ^13 

die  letzteren  Dicht  zu  ricfatigem,  d.  b.  vorteilhaftem  Handeln 
fahren,  so  „wQßten  wir  nicht,  wie  wir  schließen  sollten". 
NuD  diese  letzte  und  Uberzeagendste  Art  der  Verifikation 
Hegt  fQr  die  Ökonomie  nicht  auf  dem  Gehiete  der  Wirtr 
Schaftspolitik.  Fast  könnte  man  sagen,  daß  sie  sich  da  eben 
nicht  bewährt.  Eiu  Glück  also,  daß  wir  die  nötige  Veri- 
fikation anderswo  linden. 

Hier  trilgt  auch  die  Auffassung  der  Ökonomie  als  einer 
wirtschaftlichen  Logik  ihre  Frfichte.  Hier  ferner  erscheint  unsere 
Behauptung  in  einem  neuen  Lichte,  daß  die  Ökonomie  mehr 
den  exakten  Naturwissenschaften  als  anderen  Wissensgebieten 
verwandt  sei:  Nicht  nur  methodologisch,  auch  ihren  prak- 
tischen Resultaten  nach  gehört  sie  zu  ihnen,  berührt  sie  sich 
unmittelbar  mit  ihnen.  Das  macht  zum  Teile  eine  ganz 
neue  Auffassung  unserer  Disziplin  nötig  und  vielleicht  sogar 
einen  Übergang  derselben  in  andere  Hftnde.  Jeden- 
falls bringt  das  Gesagte  Wind  in  die  Segel  jener,  welche  die 
Ökonomie  von  den  anderen  Sozi&lwissenechaften  abtrennen 
möchten;  wirklich  erweist  sich  ihr  Charakter  und  ihre 
Richtung  als  ganz  verschieden  von  denen  jener,  und  wie 
gesagt,  die  Forderung  nach  Exaktizitftt  und  nach  Anwendung 
exakter  Methoden  erbalt  eine  Bedeutung,  die  auch  diejenigen 
ernst  nehmen  dürften,  die  unsere  anderen  Gründe  ablehnen  — 
es  zeigt  sich,  daß  in  allen  dem  mehr  liegt,  als  man  ver« 
mutete. 

Das  mag  auf  Widerstand  stoßen.  TatsAchlich  sind 
schon  die  äußeren  Schwierigkeiten  einer  Entwicklung  in 
dieser  Richtung  groß.  Welche  Fehler  werden  begangen, 
welche  Einwendungen  erhoben  werden!  Schon  die  Änderung 
in  der  ganzen  Auffassung  unserer  Wissenschaft,  die  darin 
liegt,  wird  nur  langsam  durchdringen.  Die  allerschonendste 
Entgegnung,  die  wir  zu  erwarten  haben,  wird  seitens  aller 
Beteiligten  ein  überlegenes  Lftcbeln  sein.  Und  in  der  Kürze 
unserer  Darlegung  sowie  im  Abhandensein  praktischer  Bei- 
spiele liegt  ja  eine  teilweise  Rechtfertigung  dieses  Stand- 
punktes. Allein  trotz  allem  glauben  wir,  daß  der  Enir 
Wicklungsmöglichkeit,  welche  wir  hier  andeuteten,  eine  Zu- 


^14  Zusammenfassung  dessen,  usw. 

kunft  bevorsteht.  Trotz  allem  ist  der  Ausblick  grofi,  der 
sich  eröffnet.  Trotz  allem  endlich  kündigt  sich  eine  neue 
Zeit  für  unsere  Disziplin  an,  eine  Zeit,  in  der  der  Historiker 
und  der  Sozialpolitiker  ihr  seine  Anerkennung  nicht  ver- 
sagen und  der  Student  der  Technik  das  ökonomische  Kolleg 
auch  besuchen  wird.  Damit  ist  nicht  gesagt,  daß  sieb 
nun  die  ersteren  für  die  Theorie  werden  interessieren  müssen, 
im  Gegenteile,  sie  werden  die  Verschiedenheit  zwischen 
ihren  Aufgaben  und  denen  der  Theorie  nur  deutlicher  er- 
kennen. Aber  der  zweck-  und  fruchtlose  Kampf  der  Rich- 
tungen wird  abgeschwächt  werden  oder  verschwinden,  and 
wenn  man  die  reine  Theorie  beiseite  legt,  so  wird  das  doch 
nicht  ohne  Kompliment  geschehen. 

§  2.  Noch  wollen  wir  die  „außerhalb  unseres  Systemes 
liegenden  ökonomischen  Probleme"  berühren,  wobei  wir  noch 
kürzer  sein  wollen.  Daß  es  ein  Gebiet  gibt  —  welches  man, 
wie  wir  schon  sagten,  wenig  passend  „Dynamik"  genannt 
hfit  — ,  welches  zur  Ökonomie  gehört,  aber  außerhalb  unseres 
Systemes  liegt,  weiß  jeder  moderne  Nationalökonom.  Aher 
wenn  wir  anerkennen,  daß  in  der  Unterscheidung  von  Statik 
und  Dynamik  einer  der  wichtigsten  Fortschritte  der  neueren 
Ökonomie  liegt  und  auch  einer  der  gesichertsten,  so  darf 
doch  nicht  verschwiegen  werden,  daß  über  Wesen,  Aufgaben 
und  Inhalt  der  Dynamik  die  weitgehendsten  Differenzen 
herrschen,  daß  auf  ihrem  Gebiete  noch  sehr  wenig  geleistet 
ist  —  obgleich  immerhin  manches  —  und  daß  der  Ausdruck 
und  sein  Inhalt  geradezu  in  Gefahr  ist,  zur  Phrase  zu  er- 
starren und  die  Menge  der  unklaren  und  unexakten  Redens- 
arten, die  es  auf  unserem  Gebiete  schon  gibt,  um  eine  zu 
vermehren.  Auch  die  Mißbräuche ,  die  nun  einmal  zum 
Schicksale  eines  jeden  ökonomischen  Gedankens  zu  gehören 
scheinen,  können  wir  hier  bereits  konstatieren.  Sie  be- 
drohen die  Dynamik  wie  Bazillen  ein  noch  ungeborenes 
Kind  und  werden  wohl  erst  uacli  langem  Kampfe,  endlosen 
Diskussionen  verschwinden.  Mancher  setzt  bereits  dieses 
modern  klingende  Wort  dort   ein,   wo  er  nichts  zu   sagen 


Die  EntwickluDgsmöglichkeiten  der  theoretischen  Ökonomie.  (515 

weiß,  mancher  andere  deckt  praktische  Forderungen  und 
Hoffnungen  damit,  weil  sie  das  statische  System  der  Wissen- 
schaft absolut  nicht  zu  stützen  vermag.  Da  zu  unserem 
Bedauern  unsere  Ansichten  Ober  die  Sache  so  ziemlich  von 
allen  anderen  uns  bekannten  wesentlich  differieren  —  ob- 
gleich auch  fOr  uns  sehr  erfreuliche  Übereinstimmungen  im 
Prinzipe  und  in  vielen  einzelnen  Punkten  vorhanden  sind  — 
so  ist  es  zur  Vervollständigung  des  Bildes,  das  wir  zu 
zeichnen  versuchten,  nötig,  auch  aber  die  Dynamik  einiges 
zu  sagen,  obgleich  das  eigentlich  nicht  in  diese  Arbeit  ge- 
hört Aber  nur  soweit  es  zur  allgemeinen  Information  un- 
umgänglich nötig  ist,  wollen  wir,  ohne  andere  Ansichten  zu 
diskutieren  oder  auch  nur  die  „Differenzpunkte''  heraus- 
zuheben, auf  die  folgenden  Punkte  hinweisen. 

Vor  allem  verschone  man  uns  mit  der  Wohltat,  uns 
a  priori  unsere  „Wege  zu  weisen''  oder  Wesen  und  Methoden 
der  Dynamik  vorzuschreiben.  Was  unsere  Wege  sind  und 
wohin  sie  führen,  werden  wir  oder  unsere  Nachfolger  sehen, 
wenn  sie  zurückgelegt  sind,  nicht  eher.  Die  Tatsache,  von 
der  wir  ausgehen  und  die  wir  hier  nicht  mehr  zu  beweisen 
brauchen,  ist  die  der  Existenz  solcher  außerhalb  unseres 
Systemes  liegender  und  doch  ökonomischer  Probleme.  Die 
Kapitalbildung,  der  Kapitalzins,  der  Unternehmergewinn  und 
die  Krisen  —  das  sind  Erscheinungen,  denen  gegenüber  die 
reine  Ökonomie^  gegenwärtig  versagt.  Dennoch  wird  man 
sie  wohl  oder  übel  als  „ökonomisch"  oder  selbst  —  in 
anderem  Sinne,  etwa  in  jenem,  der  vielleicht  in  Zukunft 
sich  empfehlen  wird  —  als  „reinökonomisch"  anerkennen 
müssen;  das  Gegenteil  würde  niemand  akzeptieren.  Man 
muß  sie  daher  irgendwie  an  sich  in  Angriff  nehmen ,  und 
insofern  sie,  wie  sich  unseres  Erachtens  tatsächlich  zeigt, 
aus  jeder  anderen  Disziplin  herausfallen,  so  kann  man  sie 


1  Die  Terminologie  ist  gleichgültig;  sage  man  statt  „reiner 
Ökonomie"  an  dieser  Stelle  „statische  Ökonomie''.  Das  macht  keinen 
großen  Unterachied,  solange  die  Ökonomie  nicht  über  die  Statik 
herausgekommen  ist. 


()1()  ZusammenfaBSung  dessen,  usw. 

pass^enderweise  zusammenfassen  —  vielleicht  noch  mit  einiges 
anderen  Problemen  —  und  diese  Gruppe  von  Fragen  mh 
einem  Namen,  sagen  wir  also  „Dynamik'',  bezeichnen. 
Aber  das  heifit  nun  beileibe  nicht  —  und  der  Leser  wird 
sich  diesbezüglich  an  früher  Gesagtes  erinnern  — ,  dafi  diese 
'Dynamik  ein  System  darstellt,  wie  die  Statik  und  ebenso 
wie  diese  über  eine  einheitliche  Methode  und  einander  be- 
dingende Resultate  verfüge.  Jene  mögen  das  glauben, 
welche  schon  die  Variationsmethode  in  die  Dynamik  ein- 
schließen ;  aber  das  tun  wir  nicht  aus  dem  einfachen 
Grunde,  weil  wir  in  ihr  gerade  den  wertvollsten  Bestand- 
teil der  Statik  erkannt  haben.  Vielmehr  meinen  wir  mit 
unserer  Dynamik  gamichts  anderes  als  eine  —  keineswegs 
logisch  geschlossene  uod  unvermehrbare  —  Gruppe  von 
Problemen ,  welche  den  beiden  angegebenen  Bedingungen 
genügen.  Es  kristallisierte  sich  uns  ausderalten 
Nationalökonomie  ein  exaktes,  in  sich  ge- 
schlossenes System  heraus,  das  ihren  schönsten  und 
wertvollsten  —  freilich  ist  „schön"  und  „wertvoll"  immer 
nur  subjektiv  so  —  Bestandteil  bildet.  Aber,  wenn  wir 
betrachten,  was  übrig  bleibt,  wenn  wir  dieses  Kristall  ge- 
borgen haben,  so  zeigt  sich,  daß  der  Rückstand  nicht  blo6 
aus  außerwissenschaftlichen  und  aus  anderen  Wissenschaften 
zugehörigen  Elementen  besteht,  sondern  auch  aus  solchen, 
bei  denen  keine  von  diesen  Eventualitäten  zutrifft  Wir 
können  nur  versuchen,  die  letzteren  dennoch  in  unser  System 
einzufügen  oder  aber  sie  an  sich  und  gesondert  zu  behandeln. 
Aus  bereits  dargelegten  Gründen  haben  wir  uns  für  die 
zweite  Möglichkeit  entschlossen  —  und  diesem  Entschlus:^ 
verdankt  unsere  Dynamik  ihre  Entstehung,  womit,  wie  ich 
glaube,  K^nug  gesagt  ist,  um  eine  erste  —  und  klare  — 
Voi-stellung  von  diesem  Gebiete  und  unserer  Auffassung  da- 
von zu  geben. 

Wie  soll  man  nun  diese  Probleme  behandeln  V  Nichts 
ist  leichter  als  das  im  Priuzipe  darzulegen:  Wir  werden 
die  Tatsachen  betrachten,  soviele,  als  wir  beschaffen  können, 
zunächst    —    historische,    deskriptive    in    engerem    Sinne. 


Die  EntwickluDgBmöglichkeiten  der  theoretischen  Ökonomie.   617 

statistische  und  auch  die,  welche  wir  unmittelbar  um  uns 
sehen  — ,  und  wenn  wir  das  eine  Zeit  lang  getan  haben, 
uns  die  Frage  vorlegen:  Ist  es  nötig,  damit  fortzufahren 
oder  zeigt  es  sich^  daß  eine  weitere  Anhäufung  materiellen 
Details  uns  nicht  mehr  so  viel  Neues  lehrt,  daß  sie  der 
Mühe  lohnt?  Ähnlichen  Wesens  ist  eine  andere  Frage: 
Müssen  wir  uns  mit  unserer  Tatsachensammlung  begnügen 
oder  können  wir  die  Tatsachen  irgendwie  kürzer  beschreiben, 
als  das  durch  ihre  bloße  Katalogisierung  möglich  ist? 
Können  wir  diese  Fragen  bejahen,  so  beginnt  unsere  eigent- 
liche theoretische  Tätigkeit,  und  wir  werden  mit  Annahmen, 
Isolierungen ,  Abstraktionen  vorzugehen  beginnen.  Oder 
besser:  vorzugehen  versuchen,  denn  es  kann  sich  zeigen, 
daß  unser  Unternehmen  verfrüht  war  und  wir  besser  getan 
hätten,  jene  Fragen  zu  verneinen.  Natürlich  wird  uns  das 
nicht  für  immer  abschrecken,  wir  werden  vielmehr  unsere 
Arbeit  fortsetzen  und  durch  neue  Fehlgriffe  und  Mißerfolge 
hindurch  unseren  Weg  zu  exakten  Bildern  der  Erscheinungen 
bahnen.  Andere  mögen  anders  vorgehen,  und  wir  werden 
um  so  weniger  für  unser  Vorgehen  ein  Privilegium  ver- 
langen können ,  als  wir  uns  bewußt  sind ,  daß  jeder  natur- 
gemäß seinen  besonderen  Weg  sieht,  daß  es  viele  gute  Wege 
gibt  und  endlich,  daß  selbst  ein  logisch  bedenklicher  oft 
in  ganz  wunderbarer  Weise  zu  wenigstens  zum  Teile  wert- 
vollen Resultaten  führt.  Gewiß  ist  das  alles  leichter  gesagt 
als  getan,  aber  wir  dürfen  um  so  eher  diese  Bemerkungen 
vorbringen,  als  sie  uns  so  natürlich  und  klar  wie  möglich 
zu  sein  scheinen.  Sei  noch  bemerkt,  daß  wir  der  Ansicht 
sind,  daß  in  diesem  Augenblicke  —  wenn  auch  vielleicht 
schon  bald  nicht  mehr  —  der  Wirtschaftsgeschichte  und 
-beschreibung  in  der  Dynamik  noch  so  gut  wie  ausschließlich 
das  Wort  gebührt,  und  nicht  in  theoretischen  Arbeiten, 
sondern  in  den  Werken  jenes  Charakters  —  und  nicht  zu- 
letzt in  den  deutschen  —  die  wertvollsten  Leistungen 
auf  diesem  Gebiet  zu  suchen  sind.  Daß  die  Autoren  der 
letzteren  vielleicht  gar  nichts  von  solchen  Erwägungen  und 
der  Bedeutung   wissen,  die   ihre   Arbeiten  gerade  für  die 


gl  8  Zusammenfiassung  dessen,  usw. 

Theorie  haben,  und  daß  sie  mit  denselben  ganz  andere 
Ziele  verfolgen,  tut  nichts  zur  Sache;  und  dafi  sie  nock 
keine  abstrakten  Methoden  ausgebildet  haben  von  der  Art 
wie  wir  sie  schließlich  anstreben,  ist  im  gegenwärtige! 
Stadium  der  Angelegenheit  nur  zu  billigen  und  ihnen  sogv 
als  Verdienst  anzurechnen,  besonders  gegenüber  vorscbndki 
Versuchen  mancher  Theoretiker. 

Ein  weiterer  Punkt  ist  der  folgende.  Es  bietet  fid 
uns  die  Möglichkeit,  Momente  zum  Worte  gelangen  n 
lassen,  welche  wir  in  der  Statik  nicht  berüeksichtiga 
konnten.  Ja  wir  können  leichteren  Herzens  manches  ai» 
der  Statik  ausscheiden  und  ihr  so  ihre  Reinheit  und  Elarlieii 
wahren,  wenn  wir  wissen,  dafi  wir  hier  darauf  znrOck- 
kommen  können,  als  wenn  das  nicht  der  Fall  wäre.  Wir 
werden  von  dieser  Gelegenheit  Gebrauch  machen  und  kommei 
hier  zu  einer  anderen  Seite  der  Dynamik:  Auch  abgesehen 
davon,  daß  die  Probleme,  welche  wir  ihr  zuwiesen,  Berück- 
sichtigung solcher  neuer  Momente  erfordern,  werden  wir  auch 
sonst  versuchen,  interessante  Dinge,  die  sich  der  Statik 
nicht  einfügen,  hier  zu  behandeln.  Derartige  neue  Momente, 
deren  Bedeutung  zunächst  in  der  Lösung  jener  Probleme 
liegt,  aber  sich  nicht  notwendig  darin  erschöpft,  sind  z.  B. 
die  „Abstinenz"  und  —  noch  wichtiger  —  der  neffort*.  Wir 
werden  unser  Gleichgewichtssystem  von  diesen  Dingen  frei 
halten  und  uns  hier  jenen  glänzenderen ,  bedeutungsvollen 
Erscheinungen  zuwenden,  welche  man  populär  mit  des 
Worten  „Wille  zur  Macht"  „Herren willen**  usw.  bezeichnen 
kann  und  mit  ihrer  Hilfe  zu  allgemeineren  Theorien  zu 
gelangen  suchen.  Große  Veränderungen  in  der  Wirtschaft 
und  längere  Epochen  werden  sich  vielleicht  erfassen  lassen. 
Der  große  Kampf  um  den  Weltmarkt  und  die  ökonomische 
Seite  des  Seins  und  Werdens  der  sozialen  Klassen  wird 
Gegenstand  unserer  Bemühungen  werden.  Manche  andere 
Arten  von  Preisbildung,  als  die  Statik  erklärt,  und  vielleicht 
auch  sonstige  soziale,  ethische,  nationale  Einflüsse,  werden 
uns  dabei  begegnen.  Aber  immer  sollte  es  unser  Grundstti 
bleiben,  über  Dinge  zu  schweigen  —  oder  uns  inbezug  luf 


Die  EntwicklaDgnnOgliehkeitea  der  theoretischen  Ökonomie.  Q]9 

Dinge  auf  Tatsachenreferate  zu  beschränken  — ,  über  die 
wir  nicht  etwas  Exaktes  und  hinlänglich  InteressanteB 
zu  sagen  haben. 

Der  Kreis  unserer  Themen  wächst  unter  unseren  Händen. 
Ein  besonders  wichtiges  Moment  stellt  das  Phänomen  des 
Kredites  dar.  Au  sich  zwar  hindert  uns  nichts,  schon  in 
der  Statik  ilavon  zu  sprechen.  Aber  ich  meine,  dafi  dabei 
lediglich  Definitionen  und  sonst  nur  Gemeinplätze  heraus- 
kommen.  Seine  Bedeutung  liegt  in  der  Dynamik ,  in  der 
Bewegung,  der  Entwicklung.  Nur  hier  läßt  sich  sein  Wirken 
beobachten,  sein  Wesen  verstehen.  In  einem  statischen  Zu- 
stande zeigt  er  sich  nur  im  Zusammenhange  mit  einer 
momentanen  Notlage,  wenn  Oberhaupt,  und  seine  Behandlung 
in  der  Statik  fahrt  zu  einem  verkrüppelten  Bilde.  Nur 
außerhalb  derselben  kann  daher  eine  neue,  volle,  lebenswahre 
Theorie  des  Kredites  gegeben  werden  und  sie  wird  ein 
wichtiges  Kapitel  der  Dynamik  bilden. 

Ein  anderes  Thema,  welches  hierher  gehört,  ist  die 
Frage  der  Tendenzen  der  Einkommensverteilung.  Als  wir 
die  Variationsmethode  vorfahrten ,  haben  wir  gesagt ,  daß 
die  Statik  über  die  konkreten  Bewegungen  der  Einkommen 
zueinander  nichts  aussagen  könne,  wenigstens  nichts  Ober 
die  großen  Tendenzen  der  Entwicklung.  Nun,  vielleicht  läßt 
sich  außerhalb  des  Systemes  der  Statik,  mit  anderen  Methoden  " 
und  auf  Grund  anderer  Tatsachen  mehr  erreichen.  Dieses 
Beispiel  lehrt  uns  aber,  verglichen  mit  den  anderen  genannten 
Themen,  wie  disparat  die  Gegenstände  der  Dynamik  sind, 
wie  wenig  sie  miteinander  zu  tun  haben  und  wie  wenig 
Aussicht  zunächst —  das  mag  sich  ja  ändern  —  besteht, 
sie  zu  einem  geschlossenen  Ganzen  zu  vereinigen,  das  auf 
einem  oder  wenigen  Prinzipien  beruhen  könnte :  Manche  der 
dynamischen  Probleme  bieten  sich  leicht  einer  theoretischen 
LOsung  dar,  andere  vorläufig  gar  nicht,  manche  werden  sich 
snf  Grund  der  täglichen  Erfahrung  behandeln  lassen,  wie 
die  der  Statik,  andere  nur  mit  Hilfe  statistischer  Unter- 
suchungen, manche  sind  von  überragender  Größe,  andere 
verhältnismäßig  klein. 


(520  Zusammenfassung  dessen,  usw. 

Man  könnte  es  uns  zum  Vorwurfe  machen,  so  m- 
schiedene  Dinge  zusammenzufassen.  Wir  hingegen  mftssa 
gerade  darin  etwas  sehr  Angemessenes  erblicken.  Denn  e* 
schiene  uns  verfehlt,  zu  früh  zu  systemisieren  und  zu  ordoo. 
womöglich  die  Probleme  in  künstliche  Schemen  zu  presset 
Frei  und  unabhängig  sollen  die  einzelnen  behandelt  werdei 
aus  ihren  eigenen  Bedürfnissen  heraus,  ohne  Bande,  die 
bald  wieder  zerrissen  werden  müßten.  Das  Gegenteil  seheiat 
uns  eine  ernste  Gefahr  zu  bergen.  Und  noch  auf  eine  andere 
mufi  hingewiesen  werden.  Es  ist  die,  den  Kreis  der  Dynamik 
ungebührlich  zu  erweitem  und  so  dahin  zu  kommen,  wieder 
Einfälle  in  Nachbargebiete  zu  machen,  wie  die  fliteivi 
Ökonomen.  Versuche,  eine  ökonomische  Bevölkerungstheorie 
wieder  aufzugreifen,  mittelst  der  Dynamik  zu  einer  wisseo- 
schaftlichen  Wirtschaftspolitik  zu  gelangen  oder  ihr  gar  zu- 
zumuten, die  Wirtschaftsgeschichte  —  am  Ende  die  Geschichte 
überhaupt  —  zu  erklären,  alles  das  wäre  ruhiger  Arbeit 
und  wahrem  Fortschritte  nur  hinderlich  und  die  Tendenzen, 
die  dazu  bestehen,  flößen  uns  nur  Besorgnis  ein.  Das  muß 
genug  sein.  Da  wir  an  dieser  Stelle  selbst  nur  so  wenig 
zu  bieten  vermögen,  dürfen  wir  uns  nicht  erlauben,  anderen 
gute  Lehren  zu  erteilen. 

Es  erübrigt  nur  noch  ein  Punkt,  um  diesen  panorama- 
artigen Ausblick  soweit  zu  vervollständigen,  als  das  hier 
überhaupt  geschehen  kann.  Er  betrifft  das  Problem  der 
ökonomischen  Entwicklung  in  seiner  Allgemeinheit,  wenu 
man  will  das  des  Fortschrittes  —  obgleich  der  letztere 
Ausdruck  wenig  in  strenge  Wissenschaft  pafit  und  die 
Dvnamik  in  ihm  vielleicht  einmal  so  etwas  wie  eine  Fuft- 
angel  erkennen  wird,  deren  Beseitigung  möglicherweise  mit 
Schwierigkeiten  und  Kämpfen  verbunden  sein  könnte.  Gibt 
es  vor  allem  eine  ö  k  o  n  o  m  i  s  c  h  e  Entwicklung  ?  Die  Frage 
ist  nicht  so  absurd,  wie  es  scheinen  könnte.  Sie  heißt  nicht 
daß  wir  darüber  im  Zweifel  wären,  ob  sich  die  wirtschaft- 
lichen Dinge  ändern  oder  nicht.  Aber  sehr  wohl  kann  mm 
zweifeln  darüber,  ob  die  Ursachen  dieser  Änderungen  in 
wirtschaftlichen    Momenten   liegen.     In  der  Tat,   die  öki>- 


Die  EDtwickluDgsmöglichkeiten  der  theoretiscbeo  Ökonomie.  tJ21 

nomischen  Prinzipien  in  unserem  Sinne  evolvieren  nicht;  < 
die  Ökonomie,  die  wir  heute  allein  wirklich  besitzen,  gibt 
uns  ein  System,  wie  die  Mechanik,  erzählt  nicht  vod  , 
Entwicklung,  wie  die  Biologie.  Mao  hat  unsere  Theorie  ' 
eine  wirtschaftliche  Logik  genannt  —  deutet  das  nicht  auf 
Eutwicklungslosigkeit  bin?  Nun,  nicht  notwendig,  die 
ökonomische  Entwicklung  könnte  eben  außerhalb  unseres ' 
statischen  Systemes  liegen.  Aber  es  gibt  noch  einen  anderen 
Umstand,  der  in  dieselbe  Richtung  weist.  Wir  können 
nämlich  das,  was  wir  Entwicklung  nennen,  sehr  oft  und 
möglicherweise  immer  auf  Ursachen  zurückfahren,  welche 
nicht  ökonomisch  —  weder  statisch-  noch  dynamisch  öko- 
Domisch  —  sind  z,  B.  Bevölkerungsvermehrung,  Änderungen 
der  Menscbennatur  in  Bedürfnissen  und  Motiven,  Fortschritt 
der  Technik ,  Änderungen  der  sozialen  Organisation  und 
andere.  Deutet  das  nicht  darauf  hio,  daß  die  Entwicklung 
nie  „ökonomisch"  sein,  d.  h.  nie  durch  wirtschaftliche  Momente 
zu  erklären  sein  kann?  Wiederum:  nicht  notwendig.  Es 
könnte  ja  sein,  daß  es  auch  wirtschaftliche  Momente  gibt, 
welche  aus  sich  heraus  zu  einer  Entwicklung  treiben;  etwa 
das  Sparen  könnte  ein  solches  t^ein.  Noch  mehr  ließe  sich 
»öderes,  wie  z.  B.  das  Moment  des  „effort"  vielleicht  zu 
einer  „energetischen"  Theo  rieder  Ökonomie  verwerten, 
die  etwas  ltl)er  eine  ökonomische  Entwicklung  sogen  könnte. 
Ferner  haben  die  Änderungen  der  Menschennatur,  der  sozialen 
Organisation  usw.  selbst  wieder  oft  ökonomische  tJraachen. 
Endlich  gibt  es  immer  ökonomische  Kon seq  ueiizen  auch 
einer  nicht  ökonomisch  zu  erklärenden  Entwicklung,  so  daß 
wir  etwas  zu  ihrem  Verständnisse  wohl  beitragen  können. 
Al>er  alles  das  ist  gewiß  nicht  sicher.  Im  Zusammenhange 
damit  erhebt  sich  auch  die  Frage,  wie  eine  eventuelle  öko- 
nomische Entwicklung  zur  sozialen  Oberhaupt  steht.  Ist  es 
möglich,  eine  Theorie  der  erstereu  zu  konstruieren  unter 
der  Voraussetzung  der  Konstanz  der  sozialen  Verhältnisse? 
Wenn  das  gienge  und  Resultate  gäbe,  so  wäre  unendlich  viel 
gewonnen.  Schließlich  fragt  es  sich  noch ,  ob  es  so  etwas 
gibt  oder  ob  so  etwas  angenommen  werden  kann,  wie  ein 


Q22  ZuMunmenfasBung  desseu,  usw. 

dynamisches  Gleichgewicht  —  oder  ob  es  nur  eii 
statisches  gibt. 

Keine  dieser  Fragen  können  wir  hier  lösen.  Wir  wölkt 
nur  betonen,  wie  wichtig  es  ist,  vorurteilsfrei  an  sie  heras- 
zutreten  und  nicht  gewisse  Dinge  vorfinden  zu  wollen 
Aus  diesem  Grunde  ist  es  auch  sehr  wichtig,  nicht  mit  den 
Apparate  der  Statik  vor  unseren  Augen  an  diese  Probleme 
zu  gehen.  Wir  leugnen  nämlich  trotz  allem  Gesagten  nickt 
jeden  Zusammenhang  zwischen  Statik  und  Djnamik;  es 
wurde  schon  bei  der  Erörterung  der  Variationsmethode  an- 
gedeutet, daß  ihre  Macht  eine  gewisse  Strecke  in  das  Gebiet 
der  Dynamik  hineinreicht ;  hier  wollen  wir  noch  hinznfQgen, 
daß  wir  auch  andere  Hilfsmittel  der  Statik  einer  Umbildung 
fähig  halten ,  die  vielleicht  einmal  eine  Anwendung  auf  die 
Dynamik  gestatten  wird.  Aber  heute  hat  man  allen  Grund 
sich  vor  solchen  Versuchen  zu  hüten,  man  wQrde  dabei 
nahezu  sicher  irregehen.  Im  ganzen  kann  man  heute  noch 
sagen,  daß  nur  der  Historiker  und  der  Statistiker  sich  sagen 
können,  daß  sie  auf  dem  richtigen  Wege  und  daß  ihre 
Arbeiten  von  Wert  sind.  Darüber  hinaus  müssen  wir  uns 
unsere  Ziele  recht  nahe  stecken  und  dürfen  keinen 
großartigen  Erfolg  mit  kleinem  Aufwände  zu  erreichen 
hoffen. 


Und  nun  hätten  wir  noch  ein  Wort  Ober  die  Zukunft 
der  reinen  Ökonomie  zu  sagen.  Auch  hier,  beim  letzten 
Schritte  unseres  Weges,  wollen  wir  uns  jene  Mäßigung  auf- 
erlegen, der  wir  uns  stets  befleißigt  zu  haben  glauben«  E$ 
würde  dem  Geiste  dieser  Arbeit  widersprechen,  wollten  wir 
es  versuchen,  hier  gleichsam  inaudita  zu  sagen  und  uns  in 
kühnen  Hoffnungen  oder  Träumen  zu  ergehen.  Einige 
nüchterne  Worte  werden  bessere  Dienste  tun,  als  große 
Prophezeiungen.  Wir  leben  ja  in  einer  Zeit  kühler  Kritik 
des  Erreichten  und  des  Erreichbaren,  in  einer  Periode  der 


Die  Entwicklungsmöglichkeiten  der  theoretischen  Ökonomie.  623 

Begrenzungen  und  der  korrekten  Formulierungen,  und  selbst 
der  moderne  Physiker  teilt  nicht  mehr  die  hoflhungsfreudigen 
Prätensionen  seiner  Vorgänger.  Aber  noch  viel  mehr  als  er 
haben  wir  Grund  zur  Bescheidenheit,  denn  unsere  Disziplin 
beginnt  sich  erst  von  einer  schweren  Krise  zu  erholen, 
-einer  Krise,  die  zum  großen  Teile  durch  solche  Prätensionen 
hervorgerufen  wurde.  Wir  müssen  froh  sein,  wenn  nur  ihre 
Existenzberechtigung  zugegeben  wird,  wenn  man  ihr  nur 
überhaupt  einen,  wenn  auch  bescheidenen  Platz  im  Reiche 
des  Wissens  gönnt. 

So  fragen  wir  uns  denn,  nach  all  dem  Gesagten,  be- 
scheiden: Wird  die  ökonomische  Theorie  verschwinden,  wie 
•das  oft  behauptet  wurde?  Und  zwar  in  der  näheren  Zukunft, 
die  wir  zu  übersehen  vermögen,  nicht  etwa  in  der  Ent- 
wicklung der  Jahrhundeile,  welche  unberechenbare  Ver- 
änderungen in  unserer  Erkenntnis  und  deren  Technik  herbei- 
führen können  und  sogar  sicher  herbeiführen  werden?  Nein. 
Sie  wird  weiterleben  —  das  ist  das  große  endliche  Resultat, 
zu  dem  wir  gelangen  und  das,  wie  ich  glaube,  jeder  vor- 
urteilsfreie Richter  unterschreiben  wird.  Es  gab  eine  Zeit, 
wo  es  so  aussah,  wie  wenn  die  theoretische  Ökonomie,  auf 
iinfundierten  Spekulationen,  leichtsinnigen  Generalisationen 
vorübergehender  Erscheinungen  und  halbwahrer  Forderungen 
basierend,  als  ein  Irrtum  erkannt  und  von  dem  Strome  der 
wissenschaftlichen  Entwicklung  hinweggeschwemmt  werden 
würde,  wo  ein  erheblicher  Saldo  von  Wahrheit  zugunsten 
ihrer  Gegner  bestand  und  wo  die  besten  und  fortgeschritten- 
sten Geister  der  Zeit  sich  von  ihr  abwandten.  Diese  Zeit 
ist  vorüber.  Heute  kann  man  klar  angeben,  wo  im  einzelnen 
Recht  und  Unrecht  in  diesem  Streite  lag,  und  dabei  ergibt 
sich,  daß,  so  viele  Punkte  als  unhaltbar  und  so  viele  als 
reformbedürftig  erkannt  werden  müssen,  eine  Disziplin  von 
erheblichem  Werte  unter  dem  Titel  der  theoretischen  Öko- 
nomie bestehen  bleibt.  Sie  mag  im  Laufe  der  Zeiten  — 
und  sicher  wird  sie  das  —  neue  Reformen  erfahren,  auf 
neue  Prinzipien  basiert  werden,  eine  Gestalt  gewinnen,  die 
von  der  heutigen  so  ferne  ist,  wie  diese  von  der  klassischen; 


(524  Zusammenfassung  dessen,  usw. 

sie  mag  bald  Gegenstand  allgemeinen  Interesses  and  vom 
Strome  der  wissenschaftlichen  Entwicklung  getragen  seia. 
bald  nur  von  wenigen  gepflegt  werden  und  gleichsam  auf 
einer  Sandbank  aufgerannt  zu  sein  scheinen;  sie  mag 
endlich  auch  in  Zukunft  bald  überschätzt  und  bald  un- 
gerecht kritisiert  werden;  daß  sie  aber  ein  solches  zu- 
künftiges Leben  überhaupt  haben  wird,  kann  heute  nicht 
mehr  zweifelhaft  sein. 

Ich  sage  noch  mehr.  Es  ist  nicht  bloß  nicht  richtig  zu 
glauben,  daß  die  reine  Ökonomie  war,  sondern  ich  ziehe 
sogar  vor,  zu  glauben,  daß  sie  erst  sein  werde:  Heute 
steht  sie  meines  Erachtens  in  ihren  Kinderschuhen.  Ist  di> 
befremdend?  Beachte  man,  wie  zahllose  Detailfragen  der 
Theorie  nicht  nur  noch  nicht  gelöst,  sondern  noch  nicht 
einmal  allgemein  gefühlt  sind,  wie  viele  große  Probleme  nur 
Scheinlösungen  gefunden  haben.  Beispiele  findet  man  auf 
jeder  Seite  dieses  Buches  —  aber  eine  vollständige  Angal»e 
aller  dieser  Punkte  habe  ich  nicht  einmal  versucht,  so  sehr 
es  mein  Bestreben  war,  gerade  die  Entwicklungsfähigkeit 
der  Ökonomie  zu  zeigen. 

Und  das  lehrt  auch,  wie  sehr  energische  Arbeit  an 
ihren  Problemen  nötig  und  der  Mühe  wert  ist  trotz  allen 
den  Einschränkungen,  denen  die  Resultate  unterworfen  sind. 
Obertläehliche  Betrachter  glauben  oft,  daß  die  reine  i)Vc^ 
nomie  st^igniere,  daß  sich  kein  rechter  Fortschritt  zeige. 
Wird  dov  Leser  jetzt  noch  diese  Ansicht  teilen?  Selbst 
wenn  das  wahr  wäre  —  und  manche  lederne,  rückständige 
Diirstellung  ruft  diesen  Anschein  hervor  — ,  so  ist  das  nicht 
Schuld  der  Ökonomie  sondern  der  Ökonomen.  Noch  lanjie 
ist  die  Arbeit  nicht  getan,  und  nur  die  Grundsteine  sind 
gelegt.  Wir  sagten  bereits,  nach  welcher  Richtung  weiter- 
zuschürfen  und  was  davon  zu  erwarten  ist.  Hier  haben  wir 
uns  nur  noch  zu  fragen,  ob  Großes,  Epochemachendes  zu 
hotten  ist  oder  nicht ,  ob  wir  am  Vorabende  einer  Ent- 
wicklung stehen,  welche  der  der  exakten  Naturwissenschaften 
au  die  Seite  gestellt  werden  kann. 


Die  Entwicklungsmöglichkeiten  der  theoretischen  Ökonomie.  625 

Nun,  es  scheint  mir  von  vornherein  gewiß,  daß  Resultate 
unserer  Wissenschaft  niemals  auf  weitere  Kreise  einen  solchen 
Eindruck  machen  werden,  wie  die  der  Physik.  Woraus  die 
Sterne  bestehen,  ist  ein  Problem,  das  dem  Laien  imponiert; 
die  Fragen  seines  eigenen  Handelns  interessieren  ihn  viel 
weniger,  würden  ihn  auch  dann  weniger  interessieren,  wenn 
ganz  dieselbe  Geistesarbeit  auf  sie  verwandt  und  ebenso 
glänzende  Methoden  dafür  entwickelt  würden.  Außerdem 
ist  ja  unsere  Wissenschaft  um  Jahrhunderte  gegen  ihre 
exakten  Schwestern  zurück  und  nur  nach  und  nach  können 
in  langer  Arbeit  die  Vorbedingungen  zu  ähnlichen  Ent- 
wicklungen beschafft  werden.  Aber  es  wäre  eitle  An- 
maßung, angeben  zu  wollen,  wohin  sie  führen  werden.  Die ' 
Geschichte  der  Wissenschaften  gibt  uns  genug  Beispiele  da- 
für, daß  solche  Prophezeiungen  kläglich  desavouiert  wurden. 
Das  Entscheidende  ist  nur  das  Vorhandensein  von  Ent-^ 
Wicklungsmöglichkeiten.  Man  verfolge  sie  und  man  wird 
sehen  —  oder  unsere  Nachfolger  werden  sehen.  Daß  es 
Wege  gibt,  auf  denen  man  weiter  vordringen  kann,  daß  das 
Feld,  auf  dem  wir  arbeiten,  noch  nicht  erschöpft  ist,  daß  es 
auch  für  uns  ein  morgen  gibt  —  und  nicht  bloß  ein  gestern 
—  eine  Zukunft  und  nicht  bloß  eine  Vergangenheit,  das  ist 
alles,  was  wir  mit  Beruhigung  behaupten  können,  zugleich 
aber  auch  alles,  was  wir  brauchen.  „Arbeiten  und  nicht 
verzweifeln  "^  also  kann  man  auch  den  Nationalökonomen  zu- 
rufen. Die  Ökonomie  ist  noch  kein  Leichnam  —  und  so- 
lange das  nicht  der  Fall  ist,  gibt  es  auch  für  sie,  wie  für 
jeden  Lebenden,  in  gewissem  Sinne  unbegrenzte  Möglich- 
keiten. Wer  sie  apriori  aburteilen  zu  können  glaubt,  zeigt 
eben  dadurch,  daß  er  keinen  wirklichen  Einblick  in  sie  hat. 
Und  wer  sie  erschöpft  glaubt,  zeigt,  daß  seine  Kraft  er- 
schöpft ist. 

Wenn  der  Leser  den  Eindruck  gewonnen  hat,  daß  sich 
auf  unserem  Felde  lebensfähige  Kräfte  regen,  daß  diese  Dis- 
ziplin, der  sicherlich  die  Ehre  gebührt,  zuerst  das  Handeln 
und  Leiden  des  Menschen  in  echt  wissenschaftlichem  Geiste 
betrachtet  zu  haben,  auch  noch  in  Zukunft  Neues  zu  sagen 

Sohnmpeter,  Nationalökonomie.  40 


626 


}iaben  wird,  ao  ist  alles  eireidit,  was  ieh  su  eireichen 
wünschte,  mag: auch  zuzugeben  sein,  ^dafi  die  Zahl  inter- 
essanter Theoreme  beute  nur  eine  beseheideDe  ist.  Und  aucfa 
diese  kleine  Gruppe  ,von  gesieherten  Wahtheiten  ist  immer- 
hin eine  Leuchte  inmitten  eines  Meeiss  y^n  Finsternis. 


»■Ol  4 


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The  borrower  must  return  Üiis  item  on  or  before 
Ihe  last  date  stamped  below.  If  another  user 
places  a  recall  for  ihis  item,  the  borrower  will 
be  noüfied  of  the  need  for  an  earüer  retum. 

Non-receipl  ofoverdue  notices  does  not  exempt 
(he  borrower  front  overäuefines. 


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