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3 ^/
^arbarb College Itbrarp
FROM THE
J. HUNTINGTON WOLCOTT
FUND
GINTN BY ROGER WOLCOTT [CLASS
OF 1870] IN MEMORY OF IIIS FATHER
FOR THE "PURCHASE OF HOOKS OF
PERMANENT VALUE, THE PREFERENCE
TO BE C.IVEN TO WORKS OF HISTORY,
POLITICAL ECONOMY AND SOCIOLOGY"
Das Wesen und der Hauptinhalt
der
theoretischen Nationalökonomie.
Von
Dr. Joseph Schumpetcr.
Leipzig,
Verlag von Duncker & Humblot.
19118.
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^it-^cTQ^
JUL au 1909 1
f JUL au ;
'.l"! Crl C O'f't- -^u-».!^
Alle Becht« vorbehalten.
AlUBbnre
nannch* RofbuehilrackMw
Staphu (Hlbal 1 Co.
Frau Johanna von Keler
verw. Schumpeter
ist dieses Buch gewidmet.
Vorwort
Ein guter Sinn liegt in dem geflügelte^ Worte: Alles
verstehen heifit alles verzeihen. Treffender noch könnte
man sagen: Wer alles versteht, sieht, dafi es nichts zu ver-
seihen gibt. Und das gilt auch auf dem Gebiete des Wissens.
Der Laie sieht im Wissen seiner Zeit das Bild der
Vollkommenheit Lehrsätze alterer Systeme gelten ihm ein-
iach als ,,falsch*. Das «falsche*' ptolemäische System z. B.
mußte dem «richtigen" kopemikanischen weichen, das nun
endgültig feststeht. Wäre er sich darüber klar, daß auch
die modernste Theorie nur ein provisorisches Gerüst ist,
bestimmt, über kurz oder lang neueren oder korrekteren
Formen der Darstellung — anderes sind alle Wissenschaften
nicht — Platz zu machen, so würde er an der Wissenschaft
verzweifeln. Das Schlagwort „Bankerott der Wissenschaft"
erfaßt treffend den Eindruck, den eine solche Erkenntnis
auf weitere Kreise macht. Auf unserem Gebiete jedoch ist
das nicht bloß der Standpunkt des „Laien *". Physiker und
Mathematiker gleichen wohlgeübten Triariem, die ruhig in
ihrer Stellung bleiben, wenn auch das Gefecht eine bedenk-
liche Wendung zu nehmen droht, unsere Autoren dagegen
haben sich nicht so standhaft gezeigt. Es mag eine Folge
der verhältnismäßigen Jugend der Sozial Wissenschaften sein,
daß sich ihre Vertreter so leicht zu neuen Richtungen be-
kennen und dabei das von den Früheren Geleistete recht
wenig beachten, daß man geneigt ist, über den Differenzen
das Gemeinsame zu vergessen, daß man Reformen statt so
schonend als möglich, so grundstürzend als möglich durch-
VI Vorwort
führt, dafi man einen Neubau von Grund auf verständnis-
vollem Ausbauen des Bestehenden vorzieht. So kommt esr
dafi die Gegensätze innerhalb unserer Disziplin so unüber-
brüekbar scheinen, nicht nur die Gegensätze zwischen den
verschiedenen Richtungen, sondern auch innerhalb der reinen
Theorie, welche uns hier vor allem interessiert.
Das ist nicht mein Standpunkt. Wie vielen Fach-
genossen in der Gegenwart, so hat sich auch mir die Über-
zeugung aufgedrängt, daß fast jede „Richtung" und jeder
individuelle Autor mit seinen Behauptungen Recht hat:
So wie sie gemeint sind, und vom Standpunkte der
Zwecke, für die sie gemeint sind, sind die meisten Be-
hauptungen wahr, und es kommt nur verhältnismäßig selten
vor, dafi wir einem Satze gar keinen Sinn abzugewinnen
vermögen und genötigt sind, ihn als hoffnungslos verfehlt
zu bezeichnen. Wir mögen Grund haben, eine andere Auf-
fassungsweise vorzuziehen, aber das berechtigt uns im all-
gemeinen nicht, eine entgegengesetzte ohne Weiteres zu ver-
werfen. Sie hat ihren Zweck vielleicht ganz gut erfüllt
und die neue wäre vielleicht nicht möglich ohne sie. Einen
Gedanken durchzudenken ist auch dann ein Verdienst und
notwendig, wenn sich weiter nichts, als seine Unbrauchbar-
keit ergibt. Meist jedoch steht es >iel günstiger und wir
können wennigstens etwas aus fast jeder Theorie gewinnen.
Wir nun wollen uns redlich bemühen, eine jede zu
verstehen; das geschieht besonders dadurch, daß wir ihre
Voraussetzungen formulieren, was der Autor selbst nur
selten ausreichend tut. Und dann zeigt sich meist, daß die
Sache logisch einwandfrei ist und manche erbitterte Kontro-
verse von selbst wegfällt. Verstehen wollen wir und
nicht bekämpfen, lernen, nicht kritisieren, analysieren
und das Richtige an jedem Satze herausarbeiten , nicht ein-
fach billigen oder verwerfen.
Nichtnur gegenüberverschiedenen Meinungen innerhalbder
Theorie wollen wir stets so verfahren, auch über verschiedene
„Richtungen'' der Nationalökonomie denken wir nicht anders
und werden immer wieder betonen, dafi zwischen denselben über-
Vorwort. VII
haapt kein Oegensats in dem Sinne besteht, dafi die eine
wertlos sein mflfite, wenn die andere „richtig** ist. So
teilen wir die ExklusivitAt oder Parteitrene nicht, die die
meisten Nationalökonomen auszeichnet und sind völlig willens,
jedermann, soweit unser Verständnis reicht, Gerechtigkeit
widerfahren zu lassen. Und damit stehen wir heute nicht
allein. Freilieh gibt es einen Punkt, der auf unserem Ge-
biete eine Verständigung erschwert; da& ist der Umstand,
daß der Forscher hier fast immer auch Politiker ist und
seiner wissenschaftlichen Arbeit sehr oft nicht unvoreingenom-
men obliegt; doch wir glauben, daß sich Theorie und Politik
trennen lassen, ja im Grunde nichts miteinander gemein
haben. Aber wenn man uns auch darin nicht beistimmen
sollte, so wird man uns doch kaum widersprechen, wenn wir
sagen, daß der „Schulenstreit** zwischen reiner Theorie und
Geschichte zum größten Teile als überwunden anzusehen ist.
Und jedenfalls wollen wir uns nicht daran beteiligen, sondern
ruhig bei jedem einzelnen Probleme untersuchen, ob die
eine oder die andere Behandlungsweise sich mehr empfiehlt.
Dabei kommen wir nicht zu einer allgemeinen, sondern zu
einer in jedem Falle verschiedenen Antwort.
So hat dieses Buch keine Parteistellung. Der Leser
wird eine vollkommene Ruhe konstatieren. Weder für
wissenschaftliche noch für politische Dogmen irgendeiner
Art wird hier gestritten. Es hätte mich in allen Punkten
nicht die geringste Überwindung gekostet, das Gegenteil
von dem zu schreiben, was man hier lesen wird, wenn ich
es für richtig gehalten hätte. Warum auch? Praktischer
Politik stehe ich ferne und habe kein anderes Streben, als
Erkenntnis; und ebensowenig liegt für mich irgendein Grund
vor, mich für eine bestimmte Methode oder Richtung zu er-
wärmen oder eine andere zu attackieren. Würde ich zur
Überzeugung kommen, daß eine andere Methode oder anderes
Material, als das von mir verwendete, besser zum Ziele
führte, so läge für mich kein Grund vor, an meinem bis-
herigen Vorgange festzuhalten. Vielmehr wäre es mir nur
ein Vergnügen — und viel Anregung und Befriedigung würde
VIII Vorwort.
ich davon erwarten — , eben zu jener anderen Behandlungs-
weise überzugehen und fehlende Kenntnisse zu erwerben.
Auch ist es mir vUlig gleichgültig, woher ein Satz, den
ich vertrete, stammt, welches das Vaterland einer Theorie
oder Richtung ist. Sache des Dogmenhistorikers ist es, in
dieser Beziehung Grerechtigkeit zu üben, uns handelt es sich
um die Sache und nicht um Personen. Lediglich aus Zweck-
mäßigkeitsgründen spreche ich vom „Systeme Ricardos'' der
„Osterreichischen Schule'' usw., weil das übliche Ausdrücke
sind, bei denen jedermann schnell sieht, was gemeint ist,
ohne dafi lange Umschreibungen, die freilich korrekter sein
mögen, nötig wären.
Allerdings ist das dogmenhistorische Moment zum vollen
Verständnisse eines Theorems nötig und soweit das der Fall
ist, wollen wir ihm sein Recht werden lassen. Indessen
können und wollen wir in dieser Beziehung nicht vollständig
sein. Dafi der Leser darüber informiert ist und meine
kurzen Andeutungen versteht, wird vorausgesetzt, wie das
Buch überhaupt nicht für Anfänger oder Laien berechnet
ist. Nur bei recht genauer Kenntnis des Standes unserer
Wissenschaft kann seine Lektüre ihre eventuellen Früchte
tragen. Andernfalls — und es ist meine Pflicht, das zu
betonen, um so mehr als diese Bedingung gerade in unserem
Kreise oft nicht erfüllt ist, weil der Anfänger sich meist
frühzeitig spezialisiert und nur selten gründliche Kenntnis
aller Teile der Disziplin mitbringt, wo namentlich die reine
Theorie vielen Fachgenossen nur oberflächlich bekannt ist —
kann von einem ausreichenden Verständnisse keine Rede
sein. Ich mußte so verfahren, wollte ich den Umfang des
Buches nicht ungebührlich vergrößern. Spreche ich also
z. B. von der „Boehm-Bawerkschen Theorie", so folgt dem
kein genaues Referat derselben. Werden auch ihre Elemente
besprochen, so reicht das nicht dazu aus, der Diskussion zu
folgen, wenn man das betreffende Werk selbst nicht gelesen
hat. Allerdings suche ich speziell auf das deutsche Publikum
Rücksicht zu nehmen und l)ei Materien, die ihm fremder
Vorwort. IX
smd als andere, das Nötigste zur allgemeinen Information
n sagen«
. Im allgemeinen vermeide ich Zitate und Namensnennungen
ao fiel als möglich. Ich folge hier dem englischen Gebrauche,
der mir viele Vorteile zu haben scheint : Vollständigkeit in
literatarangaben ist, wie gesagt, hier unmöglich und es ist
ungerecht, einzelnen Schriftstellern zum Verdienste oder
zom Vorwurfe zu machen, was viele tun. Der Leser muß
wissen, welche Richtungen und Gedankengänge — Personen
spielen hier für uns keine Bolle — gemeint sind, wenn von
«einer verbreiteten Theorie'' die Rede ist oder die Wendung
gebraucht wird: „Man hat oft gesagt^. Und er wird auch
zu beurteilen haben, was das Buch an Neuem bringt und
iawieweit es nur referierend ist. Ich erhebe meinerseits
keinerlei Ansprache: Sollte ich jemals finden, daß ein
Resultat, das ich für mein Eigentum hielt, schon früher
erreicht worden ist, so würde mich das nur freuen.
Die Arbeit der Späteren entwickelt sich organisch aus
der der Früheren und gerne behalte ich die überkommenen
Ansichten bei, wo es mir möglich scheint. Je weniger in
den folgenden Seiten als neu und fremd berührt, um so
besser. Nur kurz sei bemerkt, daß L. Walras und v. Wieser
jene Autoren sind, denen der Verfasser am nächsten zu
stehen glaubt.
Findet man auch nicht viele Namen in diesem Buche,
so dürfte dasselbe doch die meisten Gedanken enthalten,
welche die reine Ökonomie der Gegenwart ausmachen, so-
daß es in diesem Sinne wohl einen Überblick über den
Stand dieser Disziplin gibt. Alle Ansätze zu weiterer Ent-
wicklung hoffe ich berücksichtigt zu haben. Und stets war
es mein Bestreben, weiterzubauen, ohne mehr als unbedingt
nötig niederzureißen. Jede exakte Wissenschaft muß sich
langsam. Schritt für Schritt, ihren meist so steinigen Pfad
brechen, unbekümmert darum, daß ihr Fortschritt weiteren
Kreisen oft unbedeutend scheint. Auf unserem Gebiete ge-
»«hieht das leider zu wenig, und noch immer ist das Streben
uicht ausgestorben, womöglich mit jedem Buche eine neue
X Vorwort.
Ökonomie zu begrttnden. Das wird besser werden, wenn
unsere Disziplin zu ihren Jahren kommt. Wir wollen uns
des Wertes der vorgeleisteten Arbeit bewußt bleiben und
ihre Hilfe nicht verschmähen, freilich auch keineswegs der
Ansicht huldigen, daß nichts Wesentliches mehr zu tun ist.
Die Zahl der grundlegenden Gedanken ist eine geringe;
manche, aber noch nicht alle, sind gefunden.
Doch auch hier wird man kaum vollständige Befriedi«
gung in den folgenden Erörterungen finden. Bei manchen
Punkten, die uns besonders wichtig oder zu wenig beachtet
erscheinen und bei denen wir etwas zu sagen zu haben
glauben, verweilen wir länger, andere streifen wir nur.
Was uns genügend klargestellt scheint — mag es auch sehr
wichtig sein — , wird nahezu abergangen. Der Leser be-
denke, daß er kein Lehrbuch vor sich habe, auch kein
systematisches Werk, dessen Aufgabe es wäre, mit gleicher
Sorgfalt alle Teile der Disziplin darzustellen.
Das Gebotene soll dem Vorhandenen etwas hinzufügen,
nicht das Getane wiederholen. Wir wollen im allgemeinen
vorwärts und nur soweit rückwärts blicken, als es nötig ist.
Und außerdem interessieren uns die einzelnen Theoreme
nicht so sehr an sich, als ihre Natur und ihre Stellung im
Systeme der Wissenschaft. Hochwichtige praktische Fragen
haben nur die Bedeutung von Beispielen für uns, an
denen wir die Art und die Resultate unserer Raisonnements
beobachten. So wird die Darstellung mehr als ein-
mal gerade dort abgebrochen, wo die Sache für
manchen Leser interessant zu werden beginnt, und an
diesen Punkten macht sich unsere Unvollständigkeit be-
sonders fühlbar. Aber es liegt im Wesen der Sache, daß
wir nur wenige Fragen erschöpfend behandeln können und
bei den meisten nur Beiträge zu diesem Ziele bieten. Ich
glaube trotzdem nicht, daß jemand, der sich der Mühe unter-
zieht, dieses Buch zu lesen, mir den Vorwurf der Ober-
flächlichkeit oder ungenügender Kenntnis machen wird.
Zum Gegenstande unserer Diskussion haben wir ein
ganz enges Gebiet aus dem Reiche der Sozialwissenschaften
Vorwort XI
gewählt, das sich dadurch auszeichnet, dafi es exakte Be-
ktndlung zuläfit
Es mag sein, da6 schon der blofie Name der exakten
Ökonomie manchen abschreckt. Wer für den Vorgang der
exakten Disziplinen keinen Geschmack hat, der lege das
Buch ungelesen beiseite. Es liegt mir feine, jemand daraus
einen Vorwurf machen zu wollen. Und wer der Ansicht
ist, dafi er für praktische Fragen daraus nichts lernen
könne, hat Recht: Anderes ist für den Praktiker, anderes
für den Theoretiker wichtig.
Das klassische System der Nationalökonomie liegt in
Trümmern. Dennoch wird es von vielen noch immer als
«die* Nationalökonomie betrachtet. Viele Autoren wandten
sich davon ab und anderen Arbeitsgebieten zu, welche
methodologisch und selbst inhaltlich kaum etwas gemein
damit haben. Außerdem jedoch entstand eine neue Theorie,
al^r auf teilweise anderen Grundlagen und mit teilweise
anderen Zielen. Das sieht verwirrend und keineswegs er-
freulich aus, fast chaotisch.
In welchem Verhältnisse steht die Theorie zu jenen
aoderen Richtungen und, innerhalb der ersteren, das alte
und das neue System? Und was kann man davon erwarten?
überhaupt: Was nun? Gibt es Wege, die weiterführen, und
wo sind sie zu suchen? Über alles das hat mau soviel
diskutiert, aber wirkliche Klarheit — obgleich sie durch-
zuleuchten beginnt — wurde nicht erreicht. Das kam da-
her, daß man mit prinzipiellen, allgemeinen, aprioristischen
und oft sogar außerwissenschaftlichen Argumenten arbeitete
und nie ins Einzelne einging. Mehr einer politischen Fehde
glich die Diskussion, Schlagworte, auf die die Anhänger
schworen, traten an die Stelle ruhiger Auseinandersetzung
und so wurden zahllose Mißverständnisse aufgehäuft, die
sehr schwer zu beseitigen sind. Man kann heute, un-
beschadet der Tatsache, daß die Fortgeschrittensten über
den Methodenstreit längst hinaus sind, ohne Übertreibung
sagen, daß viele Ökonomen über diese Fragen durchaus im
Unklaren sind und sozusagen nicht aus und nicht ein, vor
XII Vorwort.
allem aber nicht weiter wissen. Jeder kann seine prin-
zipielle Stellung angeben und mit allgemeinen Sätzen ver-
teidigen, aber wie sich die Sache im Grunde verhält, mit
Rücksicht auf jedes einzelne Problem, und was von der
Nationalökonomie zu halten, was ihre Natur, Bedeutung und
ihre Zukunft denn eigentlich ist, darüber herrscht — und
nicht blofi in den weitesten Kreisen — bedauerliche Un-
klarheit.
Darauf nun wollen wir Antwort zu geben versuchen.
Aber nicht wiederum mit allgemeinen Argumenten, die alle
wahr sind und doch zu nichts führen ; nicht mit „Dialektik'',
mit der man alles beweisen kann, sondern aus unserer
Arbeit heraus.
Stets wollen wir uns klarzumachen suchen, was eigent-
lich jeder unserer Sätze bedeutet, was sein Wert und seine
Natur ist. Daraus wird sich etwas wie eine Erkenntnis-
theorie der Ökonomie ergeben oder doch ein Beitrag
dazu. Es ist meine Überzeugung, daß nur so jene Fragen
endgültig gelöst werden können, nicht mit allgemeinen
Argumenten. Bisher hat jeder Nationalökonom seine Er-
örterungen mit gewissen aprioristischen Obersätzen über das
Wesen des Wirtschaftens oder des menschlichen Handelns
begonnen und daraus deduktiv Behauptungen für diese oder
jene Methode gewonnen. Das kann zu keinem Resultate
führen. Der Satz: „Alles Geschehen ist dem Kausalgesetze
unterworfen, daher müssen exakte Gesetze auch auf dem
ökonomischen Gebiete möglich sein*', beweist gar nichts.
Denn, abgesehen davon, daß der moderne ErkenntDistheo-
retiker denselben nicht ohne Weiteres unterschreiben wird,
bliebe noch immer die Frage offen, ob die Kausalzusammen-
hänge, mit denen wir es zu tun haben, einfach genug sind,
um die Aufstellung allgemeiner Sätze von hinlänglichem
Interesse zu ermöglichen. Und darauf kommt es an.
Auf der anderen Seite, ein Satz wie: „In den Geistes-
wissenschaften ist der naturwissenschaftliche Gesetzesbegriff
unanwendbar^ ist ebenso wertlos. Wiederum abgesehen von
der Frage, ob und in welchem Sinne er überhaupt richtig
Vorwort. XIII
ist, sehlieBt er das Bestehen von Regelmäßigkeiten, welche
exikt beschrieben werden können, nicht aus. Und ob solche
bestehen — was fQr die Möglichkeit exakter Behandlung
Töllig ausreichen wfirde — , kann nur die Untersuchung am
einzelnen Probleme lehren. Das ffihrt uns auf den zweiten
Punkt, in dem unseres Erachtens gefehlt wird. In all-
gemeinen methodologischen Werken ist von konkreten Pro-
blemen meist gar nicht die Rede ; vielmehr bewegt sich die
Diskussion in allgemeinen Behauptungen; oft fehlt — und
das mufi nicht nur Darstellungen wie denen Wundt's und
Sigwart's zum Vorwurfe gemacht werden, sondern sehr oft
sogar Nationalökonomen vom Fach — ausreicheode Sach-
kenntnis bezüglich der Details der Theorie. Sogar das
Gebiet der Ökonomie wird auf Grund allgemeiner Er-
wägungen abgesteckt. Und selbst methodologische Er-
örterungen in den Einleitungen von Werken, die es mit
konkreten Problemen zu tun haben, tragen diesen Charakter:
Sie stehen nicht im organischen Zusammenhange mit dem
Folgenden, sondern stellen meist nur eine Art Glaubens-
bekenntnis dar, das durch die Praxis des Handelns oft
desavouiert wird. Man erklärt z. B., daß man die Not-
wendigkeit der Verwendung historischen Materiales anerkenne,
oder daß man nicht nur Daten sauimeln, sondern „Gesetze"
finden wolle — tatsächlich tut man es nicht. Man sagt,
daß man keine praktischen Vorschläge machen dürfe, tat-
sächlich findet dann der Leser dennoch, daß ihm solche auf-
gedrängt werden. Man spricht davon, daß statistische Grund-
lagen nötig seien , tatsächlich führt man statistische Daten
nur beispielsweise an und kommt durch abstraktes Raisonne-
ment und nicht durch jene zu seinen Resultaten. So kann
es uns nicht wundernehmen, daß man oft den allgemeinen
Argumenten eines Autors völlig beistimmen kann, und die
Sache ganz in Ordnung zu sein scheint, doch aber in allen
praktischen Fällen die größte Unsicherheit über den ein-
zuschlagenden Weg herrscht.
Unserer Ansicht nach darf man sich nicht die metho-
dologischen Anschauungen a priori zurechtzimmern, sondern
XIV Vorwort.
mufi, unbeeinflußt von allen Erw&gungen, in jedem Falle
tun, was am weitesten führt. Man darf besonders das Ge-
biet der Ökonomie nicht apriori abgrenzen wollen. Wir
müssen vielmehr ruhig an die Fragen, die uns interessieren,
herantreten und über sie klar zu werden suchen. Die Me-
thode, die uns dabei nützlich war, braucht aber deshalb noch
nicht allgemeingültig zu sein. Wohl werden wir ver*
suchen, sie auch weiter anzuwenden, aber dieser Versuch
kann gut oder schlecht ausfallen, und in letzterem Falle ist
unsere Methode ebensowenig allgemein schlecht, wie in
ersterem allgemein gut Daraus nun, daß man Behaup-
tungen, die für manche Probleme und Zwecke richtig sind«
allgemein ausspricht, ergibt sich der eigentümliche Zustand,
daß dieselben sowohl mit allgemeinen Gründen verteidigt,
als auch mit Beispielen belegt werden können, ohne doch
jemand völlig zu befriedigen. Es ist ein Leichtes für den
Gegner, andere allgemeine Gründe und andere Beispiele an-
zuführen, welche genau das Gegenteil beweisen und da beide
nur auf jene Dinge blicken, die ihnen am Herzen liegen, so
ist eine Verständigung fast ausgeschlossen. Jeder ist von
seinem ausschließlichen Rechte, weil er es zum Teile
klar nachweisen kann, überzeugt, und der Anfänger weiß
nicht, woran er sich halten soll.
Die ganze Geschichte des Methodenstreites liegt in
diesen Worten. Nicht neue allgemeine Sätze zu finden ist
unser Bestreben: Der einzige ganz allgemeine Satz, der
wirklich a priori haltbar ist, ist meines Erachtens der, immer
vernünftig vorzugehen. Auch wollen wir uns nicht für die
eine oder die andere Partei entscheiden. Wir wollen jene
allgemeinen Sätze, deren Richtigkeit wir anerkennen, in
das richtige Verhältnis zueinander setzen, präzise ihre Grenzen
und relative Tragweite angeben, durch Studium der Einzel-
fälle sehen, wie sich denn die Sache wirklich verhält.
Man kann also das Studium der Methoden nicht von
dem der konkreten Probleme trennen. Nur mit Hinblick
auf die letzteren haben die ersteren Sinn. Auf das Detail
kommt es an, die großen Allgemeinheiten haben wenig In*
Vorwort. XV
tt. Nur aus unserer Arbeit heraus dürfen sieh Regeln
g^WD, welche aber der Vervollkommnung und Änderung
^ig« ja der Desayouierung in jedem neuen Falle ausgesetzt
id. Nicht das erste, sondern das letzte Kapitel eines
rgtemes mOfite die Methodenlehre sein. Was unter diesem
Itel in logischen Systemen steht, kann uns wenig nQtzen,
fesehen davon, daß die Ökonomen das Neueste — das in
esem Falle meines Eraehtens das Beste ist — noch immer
■orieren.
Ein Beispiel ist die Diskussion Qber Induktion und
Bduktiou. Zunächst wurde sie mit allgemeinen Redens-
ten geführt Das Resultat und das Beste, was darüber
sagt wurde, war, wie es nicht anders sein konnte, dafi
ide Prozesse gleich unentbehrlich seien. Aber das hilft
» nicht weiter, ist eigentlich nur selbstverständlich. Inter-
sant ist lediglich, zu untersuchen, welchen Charakter jeder
Qzelne unserer Sätze, jeder Schritt den wir tun, trägt.
as ist allerdings nötig, um die Bedeutung und den Wert
des derselben beurteilen zu können. Und da zeigt sich
'nn, dafi manche Sätze vorwiegend auf induktivem, andere
»rwiegend auf deduktivem Wege gewonnen wurden, sodafi
n allgemeines Urteil, das auf die eine oder die andere
Fentnalität ausschliefilich lautet, notwendig unbefrie-
gend sein mufi. Man erwies meines Eraehtens der reinen
koBomie einen schlimmen Dienst, als man sie schlechthin
s „deduktiv*' bezeichnete: Viele Angriffe zog man ihr da-
irch zu, denen Berechtigung nicht abzusprechen ist, die
mn aber ihrerseits viel, viel zuweit gingen.
Ähnlieh steht es mit Kontroversen innerhalb der reinen
beorie. Ein Beispiel ist die berühmte Wertkontroverse,
rstens operierte man zuviel mit ,,falsch" und „wahr*", statt
it „zweckmäßig^ und ,,unz weckmäßig *". Daß die Sonne
lufgehe", ist nicht „falsch" und widerspricht nicht dem
itze, daß jene Erscheinung durch die Bewegung der Erde
Tursaeht sei: Beide Sätze sind Beschreibungen desselben
organges und an sich gleich falsch oder richtig ; für manche
wecke aber ist der eine, für manche der andere praktischer
XVI Vorwort. *
— das ist alles. Dann werden wir nicht versuchen, eine all* i
y em ei ne Diskussion der Wert- und der Kostenhypothete «
nochmals durchzuführen. Vielmehr wollen wir in jedem ^
Falle, wenn wir sie nicht beide zulassen, angeben, warum i
wir der einen von beiden den Vorzug geben. Und durch t
- dieses, ich möchte sagen, „pragmatische'' Vorgehen, weicht i
noch nie eingeschlagen wurde, wird unser Urteil nicht nur
viel präziser werden, als es sein könnte, wenn wir es ganz
allgemein fassen wollten, sondern es wird auch die Kontro-
verse viel von ihrer Schärfe verlieren, sich ganz natarlich
lösen , und ganz klar werden wir Recht und Unrecht auf
beiden Seiten sehen. Absichtlich spreche ich an ver- 1
schiedenen Stellen Qber die Frage und versuche sie in ver-
schiedenen Beleuchtungen vorzufahren.
Diese Art, an unsere Probleme heranzutreten, mag be-
fremdend erscheinen. Sie entspricht jedoch einer Richtung
der modernen Erkenntnistheorie, welche aus der praktischen
Arbeit an Problemen der exakten Naturwissenschaften heraus*
gewachsen ist Wir wollen und können darauf nicht ein-
gehen, möchten vielmehr verhüten, dafi unsere Ausführungen
von der Anerkennung jener Richtung abhängig erscheinen:
Sie sollen natürlich und unbefangen aufgefaßt werden, wie
sie unbefangen von irgendwelchen Obersätzen geschrieben
wurden. Nur für den Fall, dafi manche Wendung oder Be-
merkung in dieser Beziehung auffallen sollte , möchte ich
bemerken, dafi ich mit meinen erkenntnistheoretischen An-
schauungen keineswegs allein stehe. Ich bin darauf gefaßt,
dafi meine Ausführungen über die Werthypothese und einige
verwandte Fragen auf Widerspruch stofien werden. Den-
noch glaubte ich die Darstellungsweise, welche allein meines
Erachtens das Wesen des Vorganges der ökonomischen
Theorie wirklich blofilegt, nicht den Vorteilen einer popu-
läreren opfern zu dürfern.
In diesem Zusammenhange möchte ich auch erwähnen,
dafi ich — im exakten Gedankengange — die Begriffe
„Ursache** und „Wirkung" tunlichst vermeide und durch
' den vollkommneren Funktionsbegriff ersetze. Wie wichtig
Vorwort XVII
dfts ist, wie sehr das zur Klarheit und Beinheit des Raisonne-
■lents beiträgt, kann hier nicht auseinandergesetzt werden.
Aber ich giaube, daß es gerade für die exakte Ökonomie
wesentlich ist, sich strenger Korrektheit zu befleißigen, mag
dadurch die Darstellung auch trocken und leblos werden,
Tiel wesentlicher, als für jene Disziplinen, die im großen
imd ganzen schon zu Klarheit in den Grundlagen und Sicher-
heit in der Lösung konkreter Probleme vorgedrungen sind.
Klarheit in den Grundlagen und Sicherheit in der Lösung
spezieller Probleme! Das ist es, was wir anstreben, das
ist es, worum wir die exakten Wissenschaften beneiden und
wozu wir etwas beitragen möchten. Eine Fülle von Hinder-
nissen finden wir auf unserem Wege, noch ehe wir an die
eigentlichen Probleme unserer Wissenschaft herantreten
können, und alle Diskussion darüber hat sie bisher nicht
völlig hinwegzuräumen vermocht. Unsere Aufgabe dem
gegenüber besteht nicht so sehr in neuen Lösungsversucheu,
als in dem Nachweise, daß es möglich ist, um dieselben herum-
zusteuern, ohne an ihnen zu stranden. Die Fragen von
Telos und Causa können im Rahmen einer exakten Disziplin
nicht gelöst, sie können nur sozusagen neutralisiert werden :
Man kann zeigen, daß sie unseren Weg nicht verbarri-
kadieren — und so steht es mit vielen ähnlichen Schwierig-
keiten.
Es wäre überflüssig, darüber zu streiten, ob die Ökonomie,
wie so oft gesagt wird, eine „Wissenschaft des Lebens" und
der Biologie mehr verwandt sei, als etwa der Mechanik,
wenn man zeigen kann, daß das irrelevant ist für unsere
Resultate. Und gerade Bemerkungen solcher Art haben
auf weite Kreise Eindruck gemacht und ihr Vertrauen zu
unserer Disziplin erschüttert. Derartige Schlagworte gibt
es viele und alle Beiträge zu einer „Erkenntnistheorie"
unserer Wissenschaft wimmeln davon. Was daran denn
eigentlich wahr ist und welche Tragweite ihnen zukommt,
darauf muß endlich präzise und leidenschaftslos geantwortet
werden. Und diese Antwort bezüglich einer Reihe von
Hehompeter, Nationalökonomie. II
XVIII Vorwort.
wichtigen Punkten soll sich gleichsam von selbst aus der
folgenden Darstellung ergeben.
Was also von der reinen Ökonomie von heute denn zu
halten, welches ihre Natur, ihre Methoden, Resultate sind
und wo und wie weiterzuarbeiten ist, das möchten wir
herausarbeiten. Ihre Grenzen und schwachen Punkte sollen
ins Licht gesetzt und dem Leser Vorschläge über die Besserung
der letzteren unterbreitet werden. Auch hier ist man zu
rigoros : Entweder man hält das Bestehende für vollkommen
und sieht keine wesentlichen Fortschritte mehr oder man
verwirft es von Grund aus. Beides ist ebenso oberflächlich
wie bequem. Aber die Einzelbetrachtung lehrt, daß keine
dieser beiden Ansichten ganz wahr ist, daß jedoch in beiden
Elemente von Wahrheit stecken. Das fühlt jeder, ohne aber
im Stande zu sein, präzise anzugeben, für welche konkreten
Sätze das eine und für welche das andere gilt: Das nun ist
es, was wir tun wollen.
Die allgemeinen Argumente findet man hier nicht ; weder
über politische, noch über methodologische und andere
prinzipielle Fragen. Was da zu leisten ist, scheint uns
geleistet und wird als bekannt vorausgesetzt. Nur in wenigen
Punkten fügen wir der Diskussion etwas hinzu, bei All-
gemeinheiten aber, die ebenso wahr wie billig sind, wollen
wir uns nicht aufhalten: Unsere Arbeit an konkreten Pro-
blemen selbst lehrt uns unsere Methode und gibt uns unsere
prinzipielle Stellung zu den Grundfragen und zu den ein-
zelnen Richtungen innerhalb unserer Wissenschaft. Wir
nehmen nicht a priori an, daß die wirtschaftlichen Tat-
sachen eine hinreichende Regelmäßigkeit aufweisen, daß die
Aufstellung exakter „Gesetze*' möglich ist, sondern es werden
sich uns solche ergeben, und gleichzeitig ihre Voraus-
setzungen, ihre Natur, ihre Grenzen und Mängel und ihr
Wert. W^ir werden sehen, daß wir uns gewisser Sätze mit
größter Sicherheit bedienen können und daß dieselben ein
in sich geschlossenes System bilden und präzise augeben,
welchen Wert dasselbe besitzt und in welchem Sinne und
inwieweit es allgemeingültig ist, ferner was davon auf
Vorwort. XIX
prinzipiell wiilkarlichen Voraussetzungen und Definitionen
und was auf Tatsachenbeobachtung beruht. Die Resultate
dieser Detailarbeit weichen nicht unerheblich von denen der
allgemeinen aprioristischen Diskussion ab. Doch genug
davon.
Fast möchte ich sagen, dafi die konkreten Resultate
f&r meinen Zweck von nur sekundärer Bedeutung sind.
Jedenfalls strebe ich, wie gesagt, nicht systematische VoU-
stindigkeit an. Nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von
grundlegenden Sätzen soll vorgefahrt werden. Im Zentrum
steht das Gleichgewichtsprobl.QqiLA dessen Bedeutung vom
Standpunkte praktischer Anwendungen der Theorie nur
gering, das aber fundamental für die Wissenschaft ist. In
t>eutschland ist ihm nicht hinlängliche Beachtung geschenkt
worden und es ist von Wichtigkeit hervorzuheben, daß es
die Basis unseres exakten Systemes ist. Die Tausch-, Preis-
und Geldtheorie und deren wichtigste Anwendung, die exakte
Verteilungstheorie, basieren darauf und ihnen ist der größte
Teil der folgenden Ausftlhrungen gewidmet. Diese Dinge
bilden jenen Teil der Nationalökonomie, der für exakte Be-
handlung reif und dem eine solche bisher zuteil geworden ist.
Meine Darstellung beruht auf der fundamentalen Scheidung
zwischen „Statik" und „Dynamik" der Volkswirtschaft, ein
Punkt, dessen Bedeutung nicht genug betont werden kann.
Die Methoden der reinen Ökonomie reichen vorläufig nur
für die erstere aus, und nur für die erstere gelten ihre
wichtigsten Resultate. Die „Dynamik" ist in jeder Beziehung
etwas von der „Statik" völlig verschiedenes, methodisch
ebenso wie inhaltlich. Gewiß ist jene Scheidung nicht neu.
Besonders wurde sie von den amerikanischen Theoretikern
betont. Aber in Deutschland ist sie bisher wenig beachtet
und auch im Auslande ihre volle Tragweite nicht erfaßt
worden. Wir werden namentlich sehen, daß in ihr der
Schlüssel zur Lösung vieler Kontroversen und vieler schein-
barer Widersprüche liegt, daß sie nicht mit einer Bemerkung
in der Einleitung abgetan werden kann, sondern sich fast
bei jedem konkreten Probleme aufdrängt. Nur mit der
II*
XX Vorwort
Statik wollen wir uns hier befassen; lediglich Ausbliche
auf und gelegentliche Bemerkungen Ober das Gebiet der
Dynamik sollen gegeben werden.
Im ZusammenhaDge damit sei ein Punkt berührt, der
mir sehr am Herzen liegt, es ist das, was man hier ttber
' das Kapital- und das Zinsproblem lesen wird. Verzeihe
der Leser, dafi diesbezüglich eigentlich nur negative Resul-
tate im Rahmen dieser Arbeit TorgefQhrt werden. Der
wichtigste Satz, den man in diesem Abschnitte linden wird,
ist der, daS der Zins kein „statischer" Eiakommeuszweig
und mehr mit dem Untemehmergewinne im engeren Sinne
des Wortes als mit Lohn und Grundrente verwandt sei.
Ich weis wohl, daS die Mehrheit der Theoretiker entgegen-
gesetzter Ansicht ist. Doch hat sich mir jene Überzeugung
unabweisbar aufgedrängt und mir scheint, daß jener Umstand
das eigentümlich Unbefriedigende an allen mir bekannten
Zinstbeorien erklärt. Aber bei diesem Ergebnisse muBle
ich stehen bleiben, wenn nicht eine verfrühte Darstellung
meine eigene Zinstheorie kompromittieren sollt«. Hoffentlich
ist es mir vergönnt, derselben eine vollkommenere Aus-
arbeitung zuteil werden zu lassen, als es hier möglich wäre.
Nicht gerne habe ich die Insuffizienz der bisherigen Theovien
konstatiert, sondern nur deshalb, weil ich nicht anders
konnte. Eine neue — ungefähr wohl die fOnfundz wanzigste
oder dreifligste — Zinstheorie vorzutragen ist eine Aufgabe,
die wenig beneidenswert ist. Ich habe sie nicht geHUcbt,
sondern sie hat sich mir aufgedrängt.
Noch manches hätte ich zur Einführung meines Buches
zu sagen, so über die Bedeutung des „Zurechnungsprohlemes"
- nnd dessen, was ich „Variationsmethode" nannte. Diese
trockenen Abschnitte kOnnen nar den Theoretiker von Fach
interessieren, der seinerseits wiederum tinden mag, daß sie
mehr bieten sollten. Doch liegt es in der Natur der Sache,
da6 es in unserer Wissenschaft besonders schwer ist, gleich-
zeitig Theoretikern und der Theorie femerstehendeu Nattonal-
Okonomen, welche sich gleichwohl für theoretische Probleme
interessieren, Befrie<)igendes zu bieten, gleichzeitig nicht zu
Vorwort. XXI
Abstrus und nicht zu inkorrekt zu sein, gleichzeitig die
i^issensehaftliche Strenge der exakten Wissenschaften an-
zustreben und die Eigenart unseres Gebietes nicht zu ver-
leugnen. Am ehesten wird der letzte Abschnitt auf all-
gemeineres Interesse rechnen können.
Einer meiner Zwecke ist, das deutsche Publikum mit
manchen Dingen — Begriffen, Lehrsätzen, Auffassungs-
weisen — vertraut zu machen, »welche ihm bisher fremd ge-
blieben sind, weil die Entwicklung der Theorie nicht hin-
länglich verfolgt wurde. Der deutsche Nationalökonom weifi
oft nur sehr ungefähr, womit sich eigentlich der „reine^
Theoretiker beschäftigt. Und' wenn auch Kenntnis der
Theorie vorausgesetzt wird, so kann doch manches zu dem
Ziele geschehen, die Theorie anderer Länder der deutschen
Wissenschaft näher zu bringen.
Einer der wichtigsten Punkte in diesem Zusammenhange
ist die Frage der „mathematischen Methode". Mancher
Leser wird von ihr kaum etwas und wohl nur wenige
werden mehr als allgemeine Gründe für und wider gehört
haben. Es würde nun zu nichts führen, wollten wir solche
allgemeine Gründe anführen, welche immer mehr, ent-
sprechend dem rapiden Fortschreiten dieser Richtung, einen
Bestandteil wenigstens der englischen Lehrbuchliteratur zu
bilden tendieren. Ebensowenig können wir längere mathe-
matische Deduktionen bringen, für deren Verständnis die
Vorbedingungen nicht vorhanden sind und welche nur ab-
schrecken würden. Allerdings glauben wir, daß, wenn man
Oberhaupt Theorie betreiben will, man das so exakt wie
möglich tun müsse, und daß die Denkformen der höheren
Mathematik sich geradezu unseren Gedankengängen auf-
drängen. Und doch sprechen wir nicht etwa den Satz aus,
daß die Mathematik notwendig sei, weil unsere Begriffe
quantitativer Natur seien oder daß wirkliche Exaktizität,
besonders bei komplizierteren Problemen, nur in mathe-
matischer Form erreichbar sei. Wir begnügen uns, das
Wesen des exakten Raisonnements auf unserem Gebiete
herauszuarbeiten und einige Punkte aufzuzeigen, wo der
XXII Vorwort.
Gedankengang selbst mathematische Formen annimmt, ob
wir wollen oder nicht, und sorgfältig auseinanderzusetzen,
was dabei geschieht, was der Vorgang bedeutet und was
dabei herauskommen kann. Der Leser selbst mag dann
urteilen, ob etwas Anstößiges darin liegt, ob es ihm der
MQhe wert scheint, sich näher damit zu befassen und was
von den Einwendungen dagegen zu halten ist. Wir gehen
nirgends soweit, daß wirklich mathematische Kenntnisse
zum Verständnisse nötig wären. Das würde dem Zwecke
des Buches zuwiderlaufen. Und wir hoffen, diesen neuen
Tendenzen vielleicht so einen größeren Dienst zu leisten und
eher jemand für dieselben 'zu gewinnen, als wenn wir im
allgemeinen darüber argumentieren und dem Leser mangelnde
Vorbildung vorwerfen würden.
Wie jede Polemik, so liegt mir auch jede Bitterkeit
ferne. Ich vertraue der Zukunft unserer Disziplin und be-
dauere nichts von der Vergangenheit. Gleichweit von
Autoritätsglauben und Festhalten an alten Dogmen wie von
rücksichtsloser Zerstörungssucht, von melancholischem oder
selbstzufriedenem Skeptizismus wie von überschwänglichen
Hoffnungen blicke ich mit Ruhe in den neuen wissenschaft-
lichen Tag, der, wenn ich nicht irre, zu grauen beginnt.
Kairo, 2. März 1908.
J. Schampeter.
Inhaltsverzeichnis.
Seilt:
Vorwort V
L TdL Qntndltgu^g 1
L Kapitel. Zur Einführung 3
§ 1. Ein Vergleich zwischen den auf unserem Arbeits-
gebiete herrschenden Zuständen mit den in anderen
Wissenschaften herrschenden 3
§ 2. Bemerkungen über den Entwicklungsgang unserer
Disziplin und Übersicht über ihre wichtigsten
„Richtungen'' 7
IL Kapitel. Der Ausgangspunkt unserer Theorie 22
§ 1. Über die Art, wie die großen Prinzipienfragen,
die uns an der Schwelle der Ökonomie begegnen,
zu behandeln sind, um Klarheit und Sicherheit
ihrer Grundlagen zu erreichen 22
§ 2. Eine exakte Grundlegung der Ökonomie 28
§ 3. Erläuterung dazu: Erster Punkt: Einige Definitionen
der Ökonomie; gehört das Wesen des wirtschaft-
lichen Handelns zu derselben? Rechtfertigung un-
serer Definition und andere Bemerkungen .... 29
§ 4. Zweiter Punkt der Erläuterung : Die Abhängigkeits-
verhältnisse zwischen den Gütermengen ; gegen Miß-
verständnisse der eindeutigen Bestimmtheit der-
selben; über die Ausdrücke „normal '^ und „natürlich** ;
das Gleichgewicht •:J8
§ 5. Dritter Punkt der Erläuterung: Was wir unter
einer wissenschaftlichen Erklärung verstehen; Er-
klärung und Beschreibung; zur Erkenntnistheorie
der Ökonomie; Theorie und Deskription «^7
§ 6. Vierter Punkt der Erläuterung: Die ökonomischen
Gesetze; statistische Gesetze; statements of ten-
dencies; unsere Hypothesen; weitere Bemerkungen
besonders über den Funktionsbegriff 43
iDhaltsrerzeichnis.
1[L Kapitel. Die TaiiBchretation 4»
§ 1. EinfQhruQg und DiskusBion der Bedeutung der
TauBchrelation (ar die Theorie; Rechtfertigung
dieses Ausgangspunktes; andere Auffassung des-
selben ; einige Einschränkungen unseres Gebietes . 49
IV. Kapitel; Erfirterung der Frage, wie die Tausch-
relation am besten zu erfassen ist und einige
andere Punkte .iö
§ 1. Über verschiedene Prinzipien xur Beschreibung der
Tauachrelation ; Wesen und Rolle derselben; An-
forderungen aji sie; drei Prinzipien, Kriterium für
., die Wahl zwischen ihnen; Diskussion des Kosten-
prinzipes; methodologische und erkenntnistheore-
tische Bemerkungen 55
- g 2. Wahl des Wertprinzipes ; gegen das Eingehen
vr in die Psyche fi;f
S 8. Wesen und korrekte Form des Wertprinzipes; Fraj^e,
ob es wirklich aus der Psychologie stammt; ea ist
kein Geeets, sondern eine formale, methodologische
Annahme; wesentlich willkttrlich (SU
V.Kapitel. Weitere Bemerkungen zu unserem
Vorgehen. (Weitere ErUnteningen zu Kap. II, § 2) . 76
§ 1. Begriff der Eiakiheit; die Ökonomie keine Philo-
sophie des wirtschaftlichen Handelns; keine Theorie
' der Motive; für die Ökonomie belanglose Probleme;
Bahnung unseres Weges an unlösbaren Kontroversen
vorbei ; gegen die Hereinziehung der Probleme des
Egoismus und Altruismus; und andere Punkte . . 7H
§ 2. Nochmals der Egoismus; homo oeconomicus, homme
mojen, ordinary business man; unser Weg durch
diese Schwierigkeiten; Verzicht auf überflüssige
Behauptungen 8a
VI. KapiteLDermethodoIogischelndividualismus 8«
§ 1. Die Kontroverse über den Atomismus einst und
jetzt; praktische Seite der Sache; Unterscheidung
zwischen politischem , materiellem nnd methodo-
logischem Individualismus. Ablehnung allgemeiner
Argumente: Wesen des metliodotogischen Indivi-
dualismus; die beiden Gruppen von .sosiBlen" Be-
griffen in der Theorie 8»
VII. Kapitel. Zum Wertbegriffe »9
g 1. Über die Unterscheidung zwischen Wert und
Nutzen W
g 2. Der Begritf des Gesamtwertei 101
luhaltsverzeichnis.' XXY
Seite
§ 3. Ein weiteres Wort zur Kostendiskassion und einige
verwandte Gegenstände 105
§ 4. Ober das Problem der Messung des Wertes . . . llX:
iL Das Problem des statisdien Qleichgewichtcs 115
Erster Abschnitt.
I. Kapitel. Einleitung für die folgende Dar-
stellung 117
§ 1. Rückblick; Zentrum des folgenden Argumentes;
Gang der weiteren Untersuchung 117
§ 2. Unser System und die Wirklichkeit; das formale
Moment, das wir herausgreifen; „Ursachen" jedes
konkreten Zustandes der Wirtschaft; Wechsel-
wirkung zwischen denselben; Sinn der reinen
Ökonomie 120
g 8. Ableitung des Gleichgewichtszustandes; Nachweis
seiner Konstanz: empirisch und exakt 125
§ 4. Grundgesetz der reinen Ökonomie; Ausgangspunkt;
was wir tan können und was wir dazu brauchen;
das fundamentale Gesetz vom Grenz nutz enniveau ;
seine Bedeutung; exakte und populäre Darlegung;
Schluß 128
§ 5. Betrachtung des Gleichgewichtszustandes der Ver-
kehrswirtschaft; Produktions- und Konsumkom-
bination; Weiteres über Wesen und Bedeutung
unserer Betrachtungsweise; wieder ein Wort zur
Kostendiskussipn u^d andere Punkte 188
§ 6. Resum^; ein Gleichnis; eine wichtige Konsequenz
unserer Betrachtungsweise 140
II. Kapitel. Kritik der üblichen Darstellung und
ihr Verhältnis zu der unseren 145
§ 1. Einleitendes über den Inhalt dieses Kapitels; übliche
Fragestellung; Basen des ökonomischen Lehr-
systemes; Daten desselben; methodologische Funk-
tion der Lehre von den Produktionsfaktoren; Ein-
wendungen gegen das übliche Vorgehen; ein Reform-
vorschlag 145
§ 2. Über die Lehre von den Produktions faktoren u. ä.
a) Menschennatur, b) Organisation, c) Land, d) Arbeit 153
§ 3. Fortsetzung : e) Über die Lehre vom Kapitale ... 161
IIL Kapitel. Statik und Dynamik 176
§ 1. Grund fär diese Scheidung und die zu ihr führende
Methode; fundamentale Wichtigkeit derselben;
praktische Bedeutung; Abgrenzung der Statik. . . 176
loh al ts veczeichnie.
I. K«pitBl. Vorfragen zur Preisthaorie 187
g 1. BemerkuDgen über PreiBbildung ; Arten von Freie-
bildung, die nicht nacb den Regeln der reinen
Theorie vor eich geben; „Stfirungsmomente" . . . 187
§ 2. Die freie Konkurrenz einst and jetzt : Forderung
und Hypothese; verschiedener Charakter der Hypo-
tbeae: Annahme über Tatsachen und methodo-
logisches Hilfsmittel; Nachweis, daB jede Kontro-
verse darüber überflüssig ist 198
§ 3. Das MBiimumtbeorem einst and jetzt; Stand der
Frage; Bemerkung über die Kontroverse; Prinsip
unserer Auffaaanng; weitere Erlftuterungcn dasu;
Analogien mit Haximnrotheoremen anderer Wissen-
Bcbaften; Aufklärung einiger Zweifel; Unschald
und materielle Bedeutungslosigkeit des Theoremea;
Endurteil; sein statischer Charakter 198
II. Kapitel. DasZurechnungsproblcm und die sich
daran anschließenden Fragen 313
g 1. Ableitung der Gleichung: Gieninutzen gleidi
Grenzkosten ; formaler Charakter der darin liegenden
Walirheit; methodologische Bemerkungen; über die
Interpretation der Gleichung; zur KoBtendiskuasion 213
g 2. Diskussion der Gleichung. Kernpunkt der Kosten-
diakuBsiou; wahrer Sinn derselben; Disutilitj-
Theorie; Wesen unserer Auffiucung; neue Recht-
fertigung der Greninntsentheorie; Resultat; Be-
merkungen Qber die Kontroverse 219
% 3. tnstruiernng des ZurechnungBproblemeB; ÄnnU)«niIig
unseres Gedankenganges an daaseibe auf Qnuid d««
Vorhergehenden; korrekte Fragestellung; popnltre
Darlegung derselben S3S
§ 4. LSeung des Zurech nun gsproblemee. Vorbereitende
Bemerkungen; Alter des Problemes; Erlftutemngen
zum Sinne desselben; die crui der Verteilnnga-
theoric ; Prinzip der Lösung ; Schwierigkeiten;
Lösung M8
UI. Kapitel. Elemente der Preistheorie 20)
g 1. Bedeutung der Preistheorie; ihr Hauptproblom ;
LOsung desselben 9N
g 2. Der Fall des Monopoles; sein Wesen; Sinn dea
theoretischen Monopolpreises 28S
g 3. Fall der beschrtnkten Konkurrenz; des „isolierttn
Inhaltsyerzeichnis. XXVII
S«ite
Tausches^; Präzisierung aller Voraussetzungen der
„freien Konkurrenz*'; Schlußbemerkung 269
§ 4. Der indirekte Tausch 273
lY. Kapitel. Grundlagen der Geldtheorie .... 276
§ 1. Allgemeine Bemerkungen über die Natur dieser
Theorie; Methodologisches und Erkenntnistheo-
retisches; Preistheorie und Geldtheorie 276
§ 2. Überblick über den heutigen Stand und Inhalt der
Geldtheorie ; fremde Bestandteile ; keine befriedigende
Theorie vorhanden 280
§ 3. Grundlagen einer Geldtheorie; zwei Grundsteine
derselben; Diskussion einiger spezieller Probleme 286
y. Kapitel. Die Theorie des Sparens 298
§ 1. Methodologische Erörterungen; die übliche Spar-
tbeorie; was wir für dieses Thema leisten können
und wie ; Resultate ; deren Wert ; eine Ausdehnung
des Gebietes der reinen Ökonomie; wichtige Ein-
schränkung der Bedeutung unserer Spartheorie . . 298
Note über Kapitalbildung 307
I. TcO. Die Yertdlongstheorie 318
I. Kapitel. Die Einkommen; Allgemeines .... 315
§ 1. Einleitung; Schwierigkeiten; Ablehnung von Wert-
urteilen über bestehende Verhältnisse; neue Theorie
and alte Fehler; zwei Klippen; andere Punkte . . 315
§ 2. Was wir leisten können; rein ökonomisches Wesen
der Einkommensbildung; was dieses Prinzip bietet;
nicht wirtschaftlich zu erklärende Einkommen, nicht
statisch zu erklärende; gegenwärtiger Stand der
Theorie; der moderne Eklektizismus 821
§ 3. Wesensgleichheit der statischen Einkommenszweige;
gegen mehrere Einwendungen; Wichtigkeit dieser
Erkenntnis ; Grundlage der Lohth^dind Rententheorie :
eine nötige Fiktion 325
n. Kapitel. Die Lohntheorie 330
§ 1. Grundlage; einfachste Form der Theorie; weitere
Probleme; Stellung der Ökonomie zu denselben;
Beschränkung unserer Aufgabe; über eine verfehlte
Verallgemeinerung der Theorie; methodologische
Bemerkungen 330
S 2. Verifikation der Theorie. Zuerst des einfachsten
Falles; Schwierigkeiten darüber hinaus; Problem
des einheitlichen Lohnsatzes; verschiedene Fragen ;
Beweglichkeitder Arbeit und anderes; Resum^; teil-
^VIII lubaltsverzeichDis.
s«
weise negatives Reaultat; einziges Auakunfs mitte)
dem gegenüber. Anmerkang über da« Fehlen völlig
freier Konkurrenz am Arbeitamarkte 310
g 3. Unteraucbung der Fi-age, ob ein Zusamnieuhang
nwiachen den „Produktioaskoaten der Arbeit" und
dem Lohne besteht 3
Note über: Das eherne Lohngeaetz; Reproduk-
tioDakoaten- und Exiatenzminimumtheorie : Standard
of life Theorie; Wesen und Wert dieser Theorien;
ihr verschiedener Charakter; werden die LShne nus
dem Eapitalu gezahlt? Die Lohnfondatheorie, waa
von ihr zu halten ist, ihre Stellung einst und jetzt 3tS
% 4. Wie weit reicht daa Gebiet der Lobneracheinnng? 366
HL Kapitel. Die Theorie der Grundrente 3 ~
§ 1. Prinzip und Hauptinhalt; gewisse Einwendungen
und Klarstellungen ; ein einheitlicher „Bentensatz" H
§ 2. Das Problem des Bodenwertes; Verifikation der
Bententheorie : Erki&rt aie Wert und Preis der
BodenleistuQgen? lat dieser Preis die Grundrentel 374
g 8. Unser Verhältnis zur klassischen Qrundrententbeorie
und ihren Weiterbildungen; Endurteii ühcr sie; Ober
das Durchdringen der neuen Grundren tentheorie io
der Literatur 879
tV. Kapitel. Ober den dritten statiachen Ein-
kommenszweig S
§ L Einleitende Bemerkungen; Über den taente Oblichen
Eklektizismus und daa Venneiden einer pifttiaen
Theorie; unsere Aufgabe; erster Schritt; funda-
mentale Schwierigkeit; kein Zins im statischen
SystemujEntgegnungaufprelimin&re Einwendungen;
ein Wort über das Weitere 3d4
§ 2. Das Reinertragsproblem und das Problem des
Kapitalersatzea; Kr«ata und Neuschaffung; Ersatz
kein statischer Prozeß S
g 3. Zum Zinsphänomene; ist der Preis der Produktions-'
mittel die Quelle des Zinses? andere Bemerkungen 9
% 4. Über einige statische Zinstheorien ; ProduktivitUa-
nnd Nntzungstheorie ; wahre Ursache aller Hift*
erfolge der Zinstheorien; Glaik; Jevons; Benlor;
prinzipielle Bemerkungen 4
§ 5. Zur Theorie v. Boebm - Bawerka ; aie ist nicht
statisch 4(8
Prolegomen« lu einer dynamischen Theori«
Inhaltsverzeichnis. XXIX
Seite
I. Einleitung und Zusammenfassung; wie Einkommen
aus Werkzeugbesitz entstehen kann; dasselbe nicht
Zins 414
11. Wo die Erklärung des Zinses zu suchen ist ... . 416
in. Die Hauptmomente dieser Erklärung; Entwicklung
und Kredit; zur Theorie der Neuschaffung und des
Wiederersatzes des Kapitales; scheinbare Tatsache
der Selbsterhaltung des Kapitales ; Diskussion prak-
tischer Beispiele fttr das Entstehen und Vergehen
der Kapitalien; Beweglichkeit des Kapitales. . . . 420
IV. Zur Zinserscheinung 424
V. Nochmals die Theorie von Boehm-Bawerks ; andere
Momente; Verwandtschaft von Zins und Unter-
nehmergewinn; teilweise zurück zur alten Einheit-
lichkeit des „Profites"; v. Philippovichs Theorie;-
Schluß 427
V. Kapitel. Ober die Theorie des Unternehmer-
gewinnes 431
§ 1. Rententheorie des Untemehmergewinnes 481
§ 2. Andere Theorien desselben; Unzulänglichkeit aller;
methodologische Erwägungen 434
Schlußbemerkung 439
V. TcO. Die Yariationsmethode 441
I. Kapitel. Allgemeiner Teil 443
§ 1. Das zweite große Problem der reinen Ökonomie;
Wesen und Bedeutung des Problemes der Variation
der ökonomischen Quantitäten; unsere Aufgabe;
Scheidung verschiedener Momente; Hauptunter-
schiede unserer Methode gegenüber der der Klas-
siker; methodische Einheit einer Fülle von Pro-
blemen; unsere Methode der einzige Beitrag der
Ökonomie zu ihrer Lösung 448
§ 2. Einfachste Form der Variationsmethode; Grundlage;
Erläuterungen über ihr Wesen; Beispiele; die
übliche Diskussion mittelst „Argumenten" ; Bei-
spiele; Richtigkeit widersprechender Argumente;
praktische Vorteile der mathematischen Behandlung. 451
§ 3. Ein weiterer Beitrag zum Verständnisse der „Statik*^ ;
Btatischer Charakter der Methode ; korrekteste Form
derselben; strenge Voraussetzungen; Analogie mit
der Denkweise der Infinitesimalmethode; Regel über
die Größe der Veränderungen, die wir erfassen
können; über Wert und Resultate der Methode;
XXX luhaltaveneichnis.
StUe
wichtige EioBcbHliikungeD ; Unvergleichb&rkeit sta-
tischer und dynAinischer Momente 456
§ 4. Ein Schritt üher die strengen Oreozen der Methode
hinaus; wieweit möglich; Vorana eetiuu gen und
Sinn dieses Vorgehens; Beispiele 463
§ 5. Weitere Modifikation en nnaerer Methode j wichtige
Vereinfachangen ; ihr ijinn und Wert; Raisonne-
munt des Alltages; SchluBbemerkung; Reaum^ . . 468
n. Kapitel. Beispiele 478
§ 1. Erstes Beispiel; Einiges Qber die exakte Theorie
der Wirkang von Stenem. Einleitung; ein ein-
fachster Fall ; ein anderer einfacher Fall; ein etwas
komplisierterer; Beispielsweise DnrchfBhrung eines
eiakten Raisonnementa mit Eriftutemng jedes
Schrittes für den Nichtmathematiker; Inteipretation ;
einige Resulfste verschiedener Art; Monopolfall;
Prilmien; t;inecbr4nknngcn unserer Resultate; da-
gegen Ausdehnung derselben auf: Steuern auf ein
„PIub"; (iqt Hausateuer); Ein kommen ateuer .... 478
§ 2. Zweites Beispiel; Bemerkungen über die exakte
Theorie der Wirkungen von Zöllen: Unterschei-
dungen; Grundlagen der Theorie; einige Resultate
und Hinweie auf andere; Beiapiele für deren prftk-
tiachen Wert; Beden tangslosigkeit der statischen
Resultate für die Schutzzollkontrorerse SOS
g 3. Drittes Beispiel: Zur exakten Theorie der £in-
kommensverschiebungen 509
§ 4. Weitere Beispiele und AnwendungsmQglichkeiten :
auf Transportwesen und andere Dinge; anf die
Wirkung der Einführung von Maachinen; SchlaB . 511
V. Tcfl. Zdummeiifuniig dessen, was lieh aa« dem VortaergdiM-
den znr Bcnrtdlnng des Wesens, Erkenntniswertes und der
EntwicUnngsniSglldikdten der theoretisdien Ökonomie cr-
elbt 521
I. Kapitel. Natur oder Wesen der eiakten Öko-
nomie E
§ 1. Ziele dieaea Teiles; Subjektivitftt dea darin Ent-
haltenen 6
§ 2. Wesen nnseres exakten Sjrstemes. Woher kommt
die Allgemeingültigkeit unserer Sfiitxe und ihr Passen
auf die Wirklichkeit? Nochmals über unsere Oe-
srtze: arbitrftrcr Charakter unseres Vorgehens be-
sonders gegenüber instantiae conlrariae; Sinn, in
iDhaltsverzeichnis. XXXI
S«ite
dem die Theorie „absolut richtig^ ist; täuschender
Schein dieses Satzes; Deduktion und Induktion;
Charakter unserer Hypothesen ; andere Bemerkungen ;
Analogie mit Mechanik; über die Einteilung der
Ökonomie in das Schema von Natur- und Geistes-"^
Wissenschaften 527
§ 3. Die biologische Analogie wenig glücklich ; Biologie -
und Ökonomie. Auch Ökonomie und Soziologie un-
abhängige Disziplinen 536
§ 4. Ökonomie und Psychologie; eine Bemerkung über
die Beziehungen zur Ethik 541
§ 5. Ökonomie und Ethnologie und einige andere Be-
merkungen 547
EL Kapitel. Wert der reinen Ökonomie 554
§ 1. Ihr Erkenntniswert. Einleitung; lohnt die Theorie
der Mühe ? E i n e Seite des Argumentes : Abstrahieren
wir nicht gerade vom Interessantesten? Über das
höchste Interesse der Theorie; Bedeutung ihrer An-
wendungen. Andere Seite des Argumentes: Die
Theorie deckt eine überaus große Masse von Tat-
sachen ; dagegen vorhandene Drawbacks ; was darauf
zu antworten; was von Einwendungen bestehen
bleibt 554
§ 2. Praktischer Wert unserer Erkenntnisse; pessi-
mistisches Resultat; sie versagen an den großen
Fragen; keine Hoffnung auf die Zukunft dies-
bezüglich; weicher praktische Wert unseren Sätzen
dennoch zukommt; derselbe ist gering; Theorie und
Praxis 574
IIL Kapitel. Nochmals die Grenzen und Mängel
der Ökonomie 581
§ 1. Einleitung; positive Abgrenzung ihres Gebietes;
negative Abgrenzung. Mängel : vermeidliche Mängel
des ökonomischen Lehrsystemes; inhärente Mängel
unserer Betrachtungsweise; verschiedene short-
comings 581
IV. Kapitel. Über Reformen und Reform-
bestrebungen 590
§1. Einleitung; die im üblichen Lehrsysteme
nötigen Reformen; über einige andere Ansichten
darüber; Reformfrage für das exakte System in
seiner korrekten Form 590
I 2. Über einige Desiderata in letzterer Hinsicht: Das
|[ 1 1 InbaltsTeraeichnis.
aatiala Homent; effort und Entwicklung; daa
Moment der Zeit S»
V. Kapitel. Die EntwickluagsmSglichkeiten der
theoretischen Ökonomie 59»
§ 1. Die EntwickUngBmSglichkeiten unseres
exakten, statischen Systeme s. Richtung
weiterer Arbeit; Ausbildung der Varintionsmethode
in vencbiedener Weise. Eine gro&e neue Ent-
wich lungBm Sgl ichkeit: Konkretes rechnendes Ver-
fahren; AnachluK an die Statistik und die Technik
in bestimmter Weise; Ans&tte dazu: ein letztes
Wort 9ber die Verwandtschart der Ökonomie rait
den exakten Naturwissenschaften $99
g 2. Ausblick KufdieDynamik. Einleitung; Grund-
lage derselben; Wesen; Gruppe von Problemen,
kein exaktes System; wie soll man diese Probleme
behaudeln? MCgIichkeit der Vervollkonimnnng der
statischen Erkenntnis durch die Dynainik; einige
weitere Probleme der letzteren; nur äußerliche Be-
ziehung zwischen denselben ; keine einheitliche
Methode und kein einheitliches Grundpriniip; über
das Problem der Entwicklung; über eine „ener-
getische" Theorie der Ökonomie 814
Ober die Zukunft der theoretiscbeu Ökonomie ftSi
Bemerknng an den Leser.
Der I., lEI. und V. Teil bieten wenig Schwierigkeiten. Wohl
aber dürfte jeder, der nicht Theoretiker von Fach ist, aolchen im IL
and IV. Teile begegnen. Dennoch kann ich weder ein Überschlagv
dieser Teile, iiocb eine andere Reihenfolge der Lektüre etnpfehlat>
Beides würde unter anderem auch die Außassnng des im V. Teuf
Gesagten beeintritchtigen. Aber einzelnes allzu „Spezielles" kann jk
überschlagen werden.
Erster Teil.
Grundlegung.
lehvmpalfT. NitionalSkoDuml*.
I. Kapitel
Zur Einffihrung.
§ 1. Wer unsere Disziplin auch nur oberflächlich kennt,
weiß von der Vielheit der Richtungen und der Heftigkeit
des Prinzipienstreites zwischen denselben. Allein so ver-
wirrend, ja abschreckend das den Anfänger oder den Laien
berühren mag, an sich ist es weder etwas Singuläres, noch
etwas so sehr Befremdendes. Freilich ist es ärgerlich, daß
man kaum e i n Werk zu nennen vermag, das sich allgemeiner
Anerkennung erfreuen und den Stand der Wissenschaft all-
seitig befriedigend darlegen würde, so daß man es mit Be-
ruhigung zur allgemeinen Information empfehlen könnte.
Aber das liegt keineswegs daran, daß jene Gegensätze un-
überbrückbar sind; vielmehr hofife ich, im folgenden das
Gegenteil zeigen zu können; auch kann man nicht sagen,
(lafi solche in anderen Wissenschaften fehlen, wie wir gleich
sehen werden. Der Grund für jenen sicher unerfreulichen
Tatbestand ist, man darf wohl sagen glücklicherweise, ein
viel oberflächlicherer: Der erbitterte Streit ist verhältnis-
iQäBig neu, noch ist nicht hinlänglich Ruhe eingetreten und
statt das, was gemeinsam ist, zu betonen, beeilt sich jeder
Sationalökonom, zu erklären, daß er mit allen Standpunkten,
die nicht der seine sind, nichts gemein haben wolle und
sucht den Anfänger für sich zu gewinnen und zu einem
Kämpfer heranzubilden. So wird der letztere zu früh in
Kontroversen hineingezogen, deren wahren Sinn er noch
^cht erfaßt, und er hat meist eine fertige Parteistellung,
«he er noch an selbständige Arbeit denkt. Politische und
4 OrnDdlegDDg.
andere außerwissenscbaftliche Tendeozen sind nicht ohne
Anteil an diesem Vorgehen.
Aber an sich befindet sieb , wie gesagt , die National-
ökonomie hier in keiner schlimmeren Lage als andere
Wissensgebiete. Den Schluß ziehen zu wollen, daß sie
brauchbarer Methoden, gesicherter Resultate oder gar eines
klarumgrenzten Gebietes entbehre, wftre unberechtigt, so
sehr es begreiflich ist, daß mancher, des Streites mtlde,
wirklich dieser Ansicht zuneigt. Da unsere Behauptung
vielleicht nach all dem Lärme des Methodenstreites etwas
paradox erscheint, wollen wir ganz kurz einige Belege fflr
sie aafohren. Ganz abgesehen von der Philosophie, Staats-
lehre und anderen Gebieten , die man kaum als exakte
Wissenschaften bezeichnen kann, gibt es genug Dieziplinen,
anf die wir hinweisen können. In der Psychologie z. B.
gibt es sehr verschiedene Richtungen und wir kOnnen ruhig
behaupten, daß es innerhalb unserer Disziplin keinen Gegen-
satz gibt, der größer wUre, als der zwischen introspektiver
und experimenteller Psychologie. Forseber ganz verschiedenen
Entwicklungsganges beschäftigen sich mit diesen Richtungen,
von denen die eine nach der Philosophie, die andere nach
der Physiologie hin gravitiert. Methoden und Besultate
beider haben kaum etwas miteinander zu tun, und wenig
stehen die Psychologen den National Ökonomen an Energie
in der Verteidigung ihrer prinzipiellen Standpunkte nach.
Auf dem Gebiete der Logik selbst steht es kaum andere:
Eine ganze Welt trennt die „kategoriale" von der „modernen'
und auch hier hat der Prinzipienstreit zu keiner Einigung
geführt. Diese Gegensälze sind mit Kontroversen Ober ein-
zelne Probleme nicht zu verwechseln: Nicht eine einzelne
Frage, sondern ganze Richtungen, ganze Systeme als solche
mit ihren Grundfesten, stehen auf dem Spiele.
Wichtiger nocli ist es, daß wir denselben Sachverhalt
auch bei den exakten Naturwissenschaften, welche dem
Laien als der Inbegriff der Sicherheit und Einigkeit er-
scheinen, konstatieren können. Das schlagendste Beispiel
ist die Chemie: Die exakte und die experimentelle sind in
Zur Einführung. 5
der Regel durch verschiedene Persönlichkeiten vertreten und
haben in Methoden und Zielen recht wenig gemein. Sie
verfolgen ihren Weg getrennt und treffen sich fast nur, um
»eh zu bekämpfen.
Und dasselbe gilt von der exaktesten von allen, der
Mechanik. Das ist besonders merkwürdig, weil die Arbeiter
auf diesem alten, wohlgepflttgten Felde eine bemerkenswerte
Gleichheit in Ausbildung, Entwicklungsgang und Auffassung
der Erscheinungen aufweisen und weil man sich über die
konkreten Resultate ziemlich einig ist. Dennoch vermag
das alles nicht, Einheit der Methoden und Grundprinzipien
zu sichern. Nicht nur ist die Differenz zwischen klassischer
und modemer Mechanik eine grofie — das wäre nur natur-
gemäße Folge des wissenschaftlichen Fortschrittes — sondern
es gibt mehrere deutlich unterschiedene Parteien innerhalb
der modernen, zwischen denen nicht mehr und nicht weniger
als alles, die gesamte Auffassung vom Wesen und Werte
dieser Disziplin streitig ist. Außerdem kann man auch —
ganz wie bei uns — beim Praktiker eine weitgehende Gleich-
giltigkeit gegen alle Fragen, denen nicht unmittelbar prak-
tisches Interesse zukommt, beobachten. Überblickt man das
Schlachtfeld, so sieht man, daß gegenwärtig alle Grundfesten
jenes stolzen Gebäudes erschüttert sind und ein allgemeines
Gefühl der Unbefriedigung herrscht. Zeigt das nicht hin-
länglich, daß Prinzipienkämpfe allen Wissenschaften eigen
und nicht etwa bloß ein Erbteil der Ökonomie sind, daß
alle Systeme bestimmt sind, immer neuen Platz zu machen
und daß es sehr unrecht ist , wegen des Sturzes des klassi-
schen Systemes der Ökonomie an derselben tlberhaupt zu
verzweifeln? Eher könnte man darin ein Symptom der
Entwicklungsfähigkeit sehen.
Man könnte uns entgegnen, daß der Methodenstreit
innerhalb der Ökonomie sich dadurch auszeichne, daß dem
Standpunkte des Gegners so wenig Ver:tändnis entgegen-
gebracht werde, daß die meisten Ökonomen ihnen fremde
Richtungen und deren Resultate überhaupt nicht ausreichend
•rennen. Indessen ist das überall so: der introspektive
Psychologe glaubt sich miBverstanden von dem experimen-
tiereDden und dieser ist geneigt, jenem jede Berechtigung
fOr sein Vorgehen abzusprechen. Der mathematische und
exakte Chemiker schätzt den experimeDtellen mitunter recht
gering ein und der letztere weiß, wie ich wiederholt sah,
mitunter gar nichts von der Existenz des ersteren and
dessen, womit derselbe sich besch&ftigt. Und ganz ahnliehe
Verhältnisse herrschen gegenwärtig auf dem Gebiete der
Mechanik, ja sogar die reine Mathematik hat darunter zu
leiden.
Es kann uns das kaum wundernehmen, wenn wir be-
denken, daß nicht nur der Wissensstoff so groB, sondern
auch das Gebiet der Methoden so abwechslungsreich ist,
daß ein Mann fast niemals selbst nur eine Disziplin in
allen Teilen gleich gut beherrschen kann. Er wfthlt, was
ihm am nächsten steht und seine Richtung ist ein - Teil
seiner Persönlichkeit, der er oft — und gerade die Besten
sind in diesem Falle — so wenig entsagen kann , wie etwa
seinem moralischen Charakter. Daraus folgt oft eine Un-
möglichkeit der Verständigung, die aber ein notwendiges
Ergebnis der wissenschaftlichen Entwicklung und die zu
bekämpfen so mU6ig ist, wie etwa ein Versuch der Einigung
der Religionen.
So nehmen wir auch die Zerrissenheit, die die Ökonomie
aufweist , nicht allzu tragisch. Wir werden in unserer
Hoffnung, daB dieser Zustand die Zukunft unserer Disziplin
nicht vernichten werde, durch die Beobachtung bestärkt,
daß eine bedeutsame Besserung in neuester Zeit unverken-
bar eingetreten ist und sich eine gesunde communis opinio
immer mehr Bahn bricht. Das ist immerhin ein Resultat
der Diskussion. P'reilich wollen und können wir nicht
leugnen, daß dasselbe keineswegs völlig befriedigend, uod
wir wollen gleich hier erwähnen, was unseres Erachtens
die Ursache davon ist.
Nehmen wir den Streit zwischen den Vertretern ab-
strakter Theorie und der historischen Schule: Mit ihren
allgemeinen Behauptungen haben meist beide Teile Recht
Zur Einfahning. 7
Aber man verkennt deren Grenzen und übersieht, dafi der
eine oft an andere Probleme denkt, als der andere. Jede
Methode hat ihr konkretes Anwendungsgebiet und es führt
ZQ nichts, wenn man für ihre Allgemeingültigkeit streitet.
Wir werden immer wieder hervorheben, dafi eine Diskussion
über Methodenfragen nur in Zusammenhang mit praktischer
winenschaftlicher Arbeit Sinn hat. Unser Standpunkt läßt
sieh kurz dahin charakterisieren, dafi historische und ab-
strakte Richtung in keinem Wiederspruche stehen, dafi der
einzige Unterschied im Interesse für verschiedene Probleme
liegt. Die reine Preistheorie z. B. läfit sich einfach nicht
historisch, das Problem der Organisation der Volkswirtschaft
nicht abstrakt behandeln. Und hätte man das immer be-
achtet und einiges andere, was wir später berühren werden,
so wäre der Streit nie so heftig geworden. Heute sieht
man das bereits mehr und mehr ein. Aber freilich, nicht
allen Richtungen kommt diese relative Berechtigung zu.
§ 2. Hier soll nun in aller Kürze eine Übersicht über
die für die Gegenwart wichtigsten Richtungen gegeben
werden. Wir folgen damit einer alten Übung. Fast jeder
Arbeit ökonomischen Inhaltes und besonders systematischen
Werken geht eine solche Übersicht voraus. Das hat den
Vorteil, den Leser über die prinzipielle Stellung des Autors
zu informieren und auch in die Literatur etwas einzuführen.
Anch wir müssen das tun, wenn auch das Verständnis un-
serer Bemerkungen schon Kenntnis der letzteren voraus-
setzt Aufierdem haben wir einen weiteren Anlaß dazu:
Wir betrachten es als unsere Aufgabe, zu einer Würdigung
der einzelnen Richtungen beizutragen, dieselben gegen-
einander abzugrenzen und womöglich in ein präzises Ver-
hältnis zueinander zu setzen. Zu diesem Zwecke sollen
einige der wichtigsten hier genannt werden, wenngleich wir
an dieser Stelle im allgemeinen nur sine ira et studio refe-
rieren und lediglich in wenigen Punkten kritisch sein wollen.
Kn Maßstab zu einer Kritik soll sich dem Leser erst aus
der Gesamtheit unserer Erörterungen ergeben; es liegt uns
g GroDdlegnng.
ferne, an der Schwelle unserer Ausfohrnngen allgemeine
Urteile abgeben zu wollen, wie es oft geschieht Bei dieser
allgemeinen Informatiun legen wir hauptsächlich auf einige
Punkte Gewicht, über die wir selbst etwas zu sagen haben.
Den- allgemeinen Entwicklungsgang unserer Wissenschaft,
Howie das, was in der Regel in diesem Zusammenhange ge-
sagt zu werden pflegt, setzen wir, wie gesagt, als bekannt vor^
aus. In dem Zwecke , den wir verfolgen , liegt die Ent-
scbuldigung far die Un Vollständigkeit dessen, was wir sagen
wollen, und wo wir Namen nennen, geschieht das nur bei-
spielsweise und in so geringem Maße als möglich, haupt-
sächlich nur dort, wo auch der mit der Literatur vertraute
Ijeser im Zweifel darOber sein könnte, welche Autoren wir
meinen.
Wir beginnen mit dem Systeme der Klassiker und
denken da in erster Linie an A. Smith, Ricardo und deren
unmittelbare Nachfolger, ohne zu untersuchen, in wieweit
die»ell)en von älteren Autoren abhängig sind. In zweifacher
HinEicbt mQssen wir desselben hier gedenken. Erstens ist
es der Ausgangspunkt der meisten Richtungen und seine
Betrachtung unentbehrlich zum Verständnisse derselben.
Zweitens aber ist es auch heute noch direkt eine lebendige
Macht , insofcmc manche Nationalökononien der Gegenwart
auf seinem Boden stehen. Zunächst zum ersten Punkte, der
uns einen Ausblick auf die Entwicklung unserer Wissenschaft
eröffnet.
Natura non facit saltum — diesen Satz hat Marshall
iils Motto seinem Werke vorangestellt, und in der Tat drückt
er treffend den Charakter dosseihen aus. Aber ich mOehte
ihm entgegenhalten , daß die Entwicklung der menBchlichen
Kultur wenigstens, und namentlich die des Wissens, gerade
sprungweise vor sich geht. Gewaltige Anläufe und Perioden
der StDguatioii , Uberschwängliche Hoffnungen und bittere
Enttäuschungen wechseln sich all und ma-n das Neue auf
dem Alten fußen, so ist der Fortschritt doch kein stetiger.'
Unsen> Wissenschaft weiß davon zu berichten.
Die Frische dt-s jungen Tages liegt über den Werken der
' Zur EinfuhruDg. 9
^iker. Welche Fülle von Tatsachen und Resultaten,
Tiele Ansätze, von denen noch heute nicht alle verwertet
i, bietet uns der „Wealth of Nations"! Man stürmte
*w&rt8, ohne den Weg auf Verläfilichkeit zu prüfen und
Bb rücksichtslosen Raubbau auf dem Neubruche. Mit
leht drangen die neuen Ideen — vielfach entstellt und
ets unzulässig verallgemeinert — in die weitesten Kreise.
e Ernüchterung blieb nicht aus und es trat ein Zustand
i, der völlig analog einer wirtschaftlichen Krise ist: Auf
•hes Schaffen folgte Ermatten, auf unbedingtes Vertrauen
mso übertriebenes Mißtrauen. Das Charakteristische an
»er Sachlage ist nicht das Verhalten weiterer Kreise zur
:onomie, sondern ihr innerer Zustand. Ganz plötzlich trat
I Stillstand in ihrer Entwicklung ein ; es sah so aus, wie
nn ihr Gebiet erschöpft sei, wie wenn nichts weiteres aus
n gewonnen werden könnte, und das trotz augenfälliger
iDgel des Bestehenden, die zur Weiterarbeit einluden : Es
iden sich keine Arbeiter dazu. Halb noch unvollendet
d halb sclion verfallen war das Gebäude der Ökonomie,
i ihm mächtige Gegner entstanden. Ich könnte diesen
^ntttmlichen Stillstand, diese hippokratischen Züge der
ODomischen Literatur etwa zwischen 1830 und 1870 nicht
küren. Aber die Tatsache scheint mir ganz zweifellos,
dwenn sie auch meines Wissens nie hervorgehoben wurde, so
rfte mir jeder Kenner der Literatur hierin zustimmen:
cht äußeren Feinden ist das klassische System erlegen —
wenig, wie man im allgemeinen den Untergang eines
iiaeinwesens durch äußere Feinde wirklich befriedigend
klären kann — sondern durch innere Erstarrung. Die
storische Schule erstürmte eine Festung, deren Besatzung
ß Invaliden bestand. Die Werke der „Epigonen" wären von
iriagem Werte, auch wenn es niemals eine historische Richtung
«eben hätte. Es soll nicht geleugnet werden, daß in jener
Ml immerhin etwas geleistet wurde: Fast jeder Autor
fctte seine Verdienste in diesem oder jenem Detail. Aber
ie Schöpferkraft war versiegt. Das gilt vor allem auch
oo J. St. Mill, so peinlich es mir ist, über einen Einzelnen
10 Grundlegung.
SO kurz zu urteilen. Auch finden sich Ansätze, die auf die
spätere Entwicklung hindeuten : Jedoch ist es eben charakte-
ristisch für die Lähmung, in der die Ökonomie sich befand,
da6 sie keine Beachtung erhielten.
Ich kann den Eindruck, den ich von der Literatur jener
Zeit habe, nicht besser charakterisieren, als mit dem Aus-
drucke „Nicht- weiter- wissen "". Vielleicht hätten Smith und
Ricardo selbst nicht weitergewußt. Jedenfalls waren die
„ Epigonen "^ in diesem Falle. Jene Art des Vorgehens war
am Ende ihrer Leistungsfähigkeit, und man wußte sie nicht
zu ersetzen. Ganz begreiflich, daß man, was nur von einer
Betrachtungsweise galt, auf die Nationalökonomie überhaupt
übertrug und glaubte, daß ihre Zukunft keine glänzende
sein könne. Manche hielten ihr System für vollendet und
abgeschlossen — was immer ein bedenkliches Symptom ist — ,
andere hatten ein allgemeines Gefühl des Unbehagens, aber
ohne Rat zu wissen.
Diese Sachlage trat charakteristisch zutage bei der
Feier des hundertsten Geburtstages des Wealth of Nations
im Political Economy Club in London. Eigentlich gehört
ja das Jahr 1876 schon der neuen Periode an. Aber noch
fanden die Arbeiten der Neuerer keine Beachtung und die
Ruhe des Todes schien über unserer Disziplin zu liegen.
Wie treffend drückte doch Mr. Lowe, der die Debatte eröffnete,
jene Stimmung aus, wenn er unter anderem sagte: „I am not
sanguine as to any very large or any very startling develop-
nient of political economy. I observe that the triumphs
which have been gained, have been rather in demolishing
that which has been found to l)e undoubtedly bad and
erroneous, than in establishing new truth; and imagine
that, before we can attain new results, we must be fumis-
hed from without with new truths. to which our principles
can he applied ... the great work has be done/
Was heißt das anderes, als daß die Nationalökonomie mit
ihren Krilften ^fertig" sei, daß sie aus sich selbst nichts
Beachtenswertes melir leisten könne und man über ihre
Grenzen hinausblicken müsse, wenn man Interessantes er*
Zur Einf&hnuig. 11
Uhren wolle. Die einzigen, die Selbstbewufitsein und
Schaffensfreude äufierten und mit Vertrauen in die Zukunft
blickten, waren die „Historiker**, voran Cliffe Leslie. Und
eine Zeitung drückte die Ansicht weiterer Kreise treffend
ans, wenn sie sagte, da6 jene Versammlung eher eine
Leichenfeier als ein Jubiläum der Ökonomie beging.
Mit der inneren Kraft verlor die' Ökonomie ihren
Infleren Einflufi umsomehr, als sie sich in der Zeit des Auf-
schwunges viel, viel zuweit auf das Gebiet der praktischen
Probleme vorgewagt und kurze und allgemeine Antworten
auf Fragen erteilt hatte, die zu kompliziert sind, um im
ersten Angriffe gelöst zu werden. Wie Stein um Stein aus
dem wissenschaftlichen Gebäude — Lohnfonds-, Bevölkerungs-
theorie usw. — abbröckelte, so wurde ein praktisches
Resultat nach dem anderen von den Tatsachen desavouiert.
Und soviel hatte man von Ökonomie gehört, so grofi waren
die Prätensionen und so evident der Mißbrauch der Wissen-
Schaft gewesen, dafi man voll Überdruß sich von ihr ab-
wandte.
So hatte die historische Richtung einen großen Erfolg :
Man ging daran, die Theorie, mit der mau alles und nichts
beweisen konnte, die in leeren Phrasen erstarrte, über Bord
zu werfen und sich der Sammlung von Tatsachen und
praktischen Problemen der Sozial- und Wirtschaftspolitik
zuzuwenden. Indessen war dieser Erfolg kein vollständiger.
Dafi in der Diskussion von Tagesfragen noch immer auf
die alten klassischen Argumente zurückgegriffen wurde, daß
Freihandelspartei und Manchestertum sich von diesen ihnen
80 gUnstigen Theorien nicht trennen wollten, das allerdings
hatte geringe Bedeutung für die Wissenschaft als solche
gehabt. Aber auch viele wissenschaftliche Ökonomen hielten
an der Theorie fest. Eine Zeitlang konnte man sich darüber
trfeten mit der Hoffnung, daß dieselbe vom Strome der
Zeit würden weggespült werden. Aber diese Hoffnung be-
gütigte sich nicht Vielmehr erwachte neue Tätigkeit in
j^er Ruine, und die Schar der Theoretiker begann sich zu
erneuern, zu vermehren und bald zum Angriffe überzugehen.
12 Gnindlegung.
Die Historiker wurden sich nicht sogleich gewahr, da6 ihnen
nun andere Gegner gegenüberstanden und vermischten die-
selben mit den übriggebliebenen Epigonen der Klassiker.
Und doch waren es nicht die letzteren, sondern neue
Kämpfer, die den so bekannten Methodenstreit aufnahmen.
Es war ein Mißgriff, dieselben mit den alten Argumenten,
die die Klassiker getroffen hatten, zu bekämpfen, aber es
mufi zugegeben werden, dafi sie selbst dazu Anlafi gaben,
indem sie Neigung zeigten, das Erbteil der Klassiker an-
zutreten.
Der Leser weifi, an welche Gruppe von Nationalökonomen
wir hier denken : an Menger, Jevons, Walras und ihre Nach-
folger. Ihre Stellung war anfangs eine schwierige. Der
Periode der Nichtbeachtung folgte eine solche der Bekämp-
fung und des Mißverständnisses. Man hatte die Theorie
ad acta gelegt und war nicht geneigt, sie wiederum an-
zuerkennen. Aber die neue Richtung behauptete sich und
machte immer größere Fortschritte, und heute kann man
sagen, daß wir wiederum in einem theoretischen Aufschwünge
begriffen sind. Das klassische System freilich gewann
wenig dadurch, vielmehr erfuhr es einen neuen Angriff, der
es vollends erschütterte.
Um diese Sachlage zu verstehen, muß man sich über
die Natur und den Inhalt dessen, was wir das klassische
System nannten, mehr im Klaren sein, als das im allgemeinen
der Fall ist. Das erste, was am Werke der Klassiker auffällt, ist
meines Erachtens die Tatsache, daß es aus sehr verschiedenen
Kiementen besteht. Es ist in der Tat erstaunlich, daß das
so wenig lieachtet wurde, und uns scheint ein wesentlicher
Grund für die teilweise Resultatlosigkeit des Methodenstreites
darin zu liegen, daß man dieselben nicht hinreichend schied
und Argumente, die auf eines passen mochten, auf alle
anzuwenden strebte. Das Erbteil der Klassiker besteht aus
einem wissenschaftlichen und einem politischen Teile. Es
ist nun nicht zu viel l^ehauptet, wenn wir sagen, daß der
große Erfolg wie die große Niederlage des klassischen ,
Svstemes viel mehr aus dem letzteren, als aus dem ersteren *
Zar Einfahrung. 13
rklären ist. Freihandel und laisser faire waren die
Qden Schlagworte der ersten Hälfte des neunzehnten
londerts und die Reaktion gegen dieselben und
1 die praktischen Spitzen anderer Theorien wie z. B.
des Lohnes richtete sich vor allem der Angriff der
tischen und der neueren sozialpolitischen Riebtungen. Für
igentliche ökonomische Theorie hatten diese Kreise gar
Interesse. Trotzdem aber nahm man stillschweigend
afi dieselbe mit jenen praktischen Behauptungen und
ilaten falle. Das ist nun entschieden unrichtig. Die-
a sind keineswegs die notwendige Konsequenz der rein-
nschaftlichen Ausführungen der Klassiker und lassen
^hr wohl davon trennen. Es wäre nicht schwer, das
suweisen: Man sieht z. B. leicht, daß der theoretische
t des Kapitels über den Lohn bei Ricardo keineswegs
lieh selbst zu dem führt, was der Autor im Anschlüsse
i über die „poor-laws" sagt. Verwirft man das letztere,
Lon noch immer der erstere haltbar bleiben. Und nur
las wissenschaftliche Erbteil der Klassiker handelt es
ans. Aber auch dieses ist nicht ganz homogen. Wohl
ie Ökonomie sein wichtigster und wertvollster Be-
teil. Aber daneben enthält es noch Philosophien über
?hema des Individualismus und Kollektivimus, über die
e, die das Handeln des Menschen bestimmen usw.
alles das nicht in die Ökonomie gehört, werden wir
r zeigen. Wir können — und müssen — zugeben,
luch hier die Angriffe berechtigt waren. Aber das ist
alles, die reine Ökonomie der Klassiker blieb, so
lox das klingt, von dem historischen Angriffe fast un-
urt. Man drang gar nicht bis zu ihr vor und begnügte
sie ganz allgemein, zusammen mit jenen anderen Dingen,
lenen vermischt sie auftrat, zu verdammen, eine Tat-
, die man auch gegenwärtig bei jeder Diskussion dieser
3n konstatieren kann.
Es waren die Vertreter der neuen Theorie, welche die
ische Ökonomie nachprüften. Haben sie sie vernichtet
etwas Neues an ihre Stelle gesetzt ? Das ist eine Frage,
14 Grundlegung.
die sehr verschieden beantwortet wird. Wir wollen sie hier
nicht lösen — die folgenden Anführungen in ihrer Gesamt-
heit geben die Antwort darauf — , doch möchten wir unsere
Ansicht nicht verhehlen : Ja, das System der modernen Theorie
ist wesentlich neu, und selbst jene Resultate, welche mit
denen des klassischen Systemes übereinstimmen, sind auf
anderem Wege gewonnen. Sicherlich verdanken wir den
Klassikern ein ganzes Arsenal von Begriffen und Gedanken,
sicherlich wäre die neue Theorie nicht möglich ohne die alte,
aber dennoch ist die letztere ganz naturgemäß ebenso ^^über-
wunden^, wie es die ältere Literatur jeder anderen Wissen-
schaft ist. Diese Auffassung scheint mir nicht mehr als
natürlich zu sein und ist gleichweit von allen den Extremen
entfernt, die man so oft hören kann.
Die vorhergehenden Ausführungen sollten die Grundlage
für eine kurze Schilderung der gegenwärtigen Partei gruppierung
auf dem Gebiete unserer Disziplin geben. Wir sahen zum
Teile soeben, zum Teile werden wir sofort sehen, da6 man
so gut wie alle Richtungen auf die Klassiker als ihren Aus-
gangspunkt zurück zu verfolgen vermag. Ob man ihre
Bahnen verfolgte und ihre Methoden weiter ausbaute oder
sie kritisierte und anderes an die Stelle des Verworfenen
zu setzen suchte, ob man bewunderte oder angriff — , stets
startete man von ihnen. Man wird meist geneigt sein, das
in Abrede zu stellen; jede neue Richtung sucht soviel als
möglich auf eigenen Füßen zu stehen und lehnt die Zu-
mutung eines Zusammenhanges mit älteren Arbeiten mehr
oder weniger energisch ab; und doch besteht ein solcher.
Die historische Schule ging aus von einer Kritik der klassischen
Resultate. Die Klassiker gaben ihr ihr ökonomisches Begriflb-
system und ihre Systematik und klassische Gedanken findet
man bewußt und unbewußt geäußert in Werken dieser'
Richtung. Daß dasselbe in noch höherem Maße von der
neueren Theorie gelten muß, ist klar.
So können wir also auch für unsere Disziplin einen
zwar nicht geraden, gleichmäßigen und ruhigen, aber doch
deutlich erkennbaren Entwicklungsgang konstatieren. Wie
Zar Einföhrang. 15
die Arme eines FluBdeltas kommen die einzelnen Richtungen
WOB einer gemeinsamen Quelle und hängen organisch mit
einander zusammen. Man kann oft die Behauptung hören,
dafi besonders die deutsche Ökonomie die Fühlung mit den
Klassikern yerloren habe: Das ist sicher nicht richtig, was
die Theorie anlangt; soweit in Deutschland überhaupt
Theorie getrieben wird, wird den Klassikern ihr Recht ge-
geben. Aber auch aufierhalb der reinen Theorie wirken sie
stin aber tief.
Der Nationalökonom, der in seiner „Einleitung^ die ver-
schiedenen Richtungen der Ökonomie abhandelt, unterscheidet
neist reine Theorie — die er je nach seinem Standpunkt
,eukt* oder „spekulativ** oder „deduktiv** nennt — dann
besonders Wirtschaftsgeschichte und Wirtschaftsbeschreibung
Qod sucht dieselben mit einigen allgemeinen Bemerkungen
ZQ charakterisieren. Das ist ganz unzulänglich. Denn
innerhalb der Theorie gibt es soviele Verschiedenheiten, daß
ein Gesamturteil über dieselben nur in den allgemeinsten
Sitzen ausgedrückt werden kann. Wir wollen daher sorg-
fältig die verschiedenen Gruppen auseinanderhalten.
Nach unserer Auffassung haben wir also im klassischen
Systeme, soweit wenigstens die rein wissenschaftliche Seite
der Sache inbetracht kommt, die gemeinsame Wiege aller
Riehtungen der Ökonomie zu sehen. Und damit glauben
vir ihm Gerechtigkeit erwiesen zu haben. Auch nicht
einer seiner Bestandteile ist heute voll aufrecht zu erhalten,
*ber jeder hat zu dem heutigen Stande der Wissenschaft
beigetragen. Indessen sind die Klassiker noch heute eine
lebendige Macht, in viel stärkerem Maße, ^Is das in irgend
«mer anderen Wissenschaft der Fall ist. Manch tüchtiger
Mathematiker hat Newton oder Laplace nicht gelesen. Das
ist nicht möglich auf unserem Gebiete : Viele Leute wenden
^ heute noch direkt an A. Smith oder Ricardo. Der
<inmd dafür ist, daß man auf unserem Gebiete nicht so
einig darüber ist, was uns unsere Klassiker heute noch
lehren und wie sie aufzufassen sind, während in anderen
Wissenschaften die wertvollen Bestandteile der älteren Werke
16 Grundlegung.
in den neueren in einer allgemein anerkannten Form weiter-
leben; aber es gibt noch einen anderen Grund: Weitere
Kreise, denen nicht jedes Verständnis für Theorie fehlt,
stehen gleichwohl dem modernen Systeme der Theorie, deren
wissenschaftliches Gebäude viel schwieriger zugänglich ist,
verständnislos gegenüber, während sie den Ausführungen der
Klassiker mit Nutzen folgen können, dort auch viel mehr
Befriedigung finden hinsichtlich kurzer Antworten auf
brennende praktische Fragen. Nicht nur der Laie also,
auch der Nationalökonom von Fach, wendet sich oft auch
heute noch mit Vorliebe an die Klassiker, statt an die
Modernen. Haben wir demnach zunächst die Bedeutung der
Klassiker für die Entwicklung unserer Wissenschaft und so
indirekt für die Gegenwart gewürdigt, so müssen wir sie
auch geradezu unter den modernen Richtungen anführen:
Sie leben heute noch.
Es ist eine eigentümliche Erscheinung, jene Gruppe von
Forschern, welche noch immer ganz auf dem Boden des
klassischen Systemes stehen. Wir wollen uns darüber hier
kein Urteil erlauben und auch keinen Versuch machen, diese
Erscheinung zu erklären. Sicherlich sind die Gründe, die
wir soeben als für weitere Kreise bestimmend behaupteten,
hier nicht oder nicht immer ausreichend, da sich Forscher
hier finden, deren Hauptinteresse der reinen Theorie
gilt. Aber wir müssen aileniings sagen, daß es in der Tat unseres
Wissens in keiner anderen Wissenschaft vorkommt , dafi ein
Teil der Fachgenossen der Entwicklung der letzten vierzig Jahre
fast fremd gegenübersteht. Die Nationalökonomen, an die
wir hier denken, sind z. B. Professor Sunmer in Amerika,
Proff. Nicholson und Cannan in England, Prof. Dietzel u. a.
in Deutschland. In mancher Hinsicht ist auch A. Wagner
hierherzuzählen und die weniger bedeutenden Anhänger dieser
Anschauung sind zahlreich. Nach derselben wären die Grund-
lagen der reinen Theorie, wie sie von den Klassikern gelegt
wurden, auch heute noch brauchbar und dem neuen Systeme
der Theorie, dessen Neuheit und Wert außerdem noch stark
bezweifelt wird, vorzuziehen.
Zur Einffthrang. 17
Dieser Gruppe yon Theoretikern können wir eine andere
gegenüberstellen, nämlich jene, welche wir als die „moderne"
bezeichnen können. Die Begründer dieser Richtung wurden
bereits genannt : Es sind St. Jevons, G. Menger und L. Walras^
Sie traten mit dem Ansprüche auf, die exakte Ökonomie
auf eine neue Grundlage zu stellen , die keine Fortbildung,
sondern eine Vernichtung des klassischen Systemes der
Theorie bedeute. In der Tat unterscheiden sich ihre Ar-
beiten geradezu in allem, in der Abgrenzung des Gebietes,
in den methodischen Hilfsmitteln, in den Resultaten, von
den Klassikern und stehen in bewußtem — und oft sehr
scharfem — Gegensatze zu diesen und ihren Vertretern in
der Gegenwart. Nur kurz wollen wir bemerken, daß es
auch innerhalb dieser Richtung wiederum Gegensätze gibt:
„Die Österreichische Schule", deren hervorragendste Ver-
treter bekanntlich Menger, v. Boehm-Bawerk und von Wieser
und zu der auch eine Reihe nicht österreichischer Gelehrter —
Wickseil, Pantaleoni, Smart, Pierson zum Beispiel — zu
Ahlen sind, hebt sich charakteristisch von der „Amerika-
nischen" — J. B. Clark und seinen Nachfolgern — ab. v. Pareto,
E. Barone u. a. wird man aus verschiedenen Gründen eben-
falls eine besondere Stellung anzuweisen geneigt sein.
Eine dritte Gruppe bilden jene Theoretiker, welche sich
um A. Marshall scharten. Eigentliche Schüler hat St. Jevons
in England nicht gehabt, so bedeutend sein Ansehen war.
Zwar finden sich seine Ideen in fast jedem Buche über
theoretische Ökonomie, aber selten wird ihnen rückhaltslose
Anerkennung gezollt. Die Theoretiker dieser Richtung halten
seine Kritik der Klassiker für viel zu weit^ijohend und seine
Auffassungsweise nur für eine Ergänzung derjenigen der
letzteren. Der Gegensatz zwischen beiden sei nicht so groß,
wenn man die Altmeister unserer Wissenschaft nur loyal
interpretiere und nicht aus jeder Breviloquenz ein Verbrechen
^ In dieser Übersicht, die es mit wissenschaftlichon Parteien
zu. tan bat, kommt es uns auf Einzelerscheinungen , so bedeutend sie
s«tn mögen, nicht an, daher keine Erwähnung von Goßen, v. Thünen
and Conmot.
8obump«t«r, Nationalökonomie. 2
13 GnmdlegtiDg.
mache. Die neuere Werttheorie eei einseitig und für sieb
allein unzureichend. So zeichnet sich diese Biehtuog durch
einen gewissen Eklektizismns auB, Ober den man verschieden
denken mag, der aber auf der gegenwärtigen Entwicklungs-
stufe unserer Disziplin großen Anklang gefunden hat Mar-
fihall ist deijenige Theoretiker, dem auch von der Theorie
femestehenden Kreisen die meiste Anerkennung gezollt
wird. Und wirklich gibt es kaum ein anderes Buch, auE
dem man soviel lernen könnte, wie aus seinem großen Werke.
Diesen „theoretischen" Richtungen können nun ver-
schiedene andere Forschungsrichtungen gegenObergestelH
werden, welche zu ihnen in größerem oder geringerem Gegen-
satze stehen. Wir erwähnten bereits die Gruppe der Wirt-
schaftsbifitoriker. Hier muß einer interessanten Erscheinung
gedacht werden, nämlich der Entwicklung von neuen Theorien
auf Grund historischen Materiales. Das bekannteste Bei-
spiel daftlr ist wohl die „Theorie des modernen Kapitalismus*
von W. Sombart. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß diese
Richtung sich in schnellem Aufschwünge beündet und bald
über eine erhebliche Literatur verfugen wird. Doch kann
sie nicht ohne weiteres neben das gestellt werden, was wir
die „exakte Theorie" nannten; vielmehr ist sie ihrem Wesen
und ihrem Ziele nach von derselben völlig verschieden:
Sie baut Dicht an einem exakten Systeme, sondern stellt
einzelne Hypothesen über konkrete Fragen auf, Hypothesen
von der Art, wie sie auch die politische Geschichte kennt
Dieselben streben keine Allgemeingiltigkeit an , beziehen
sich vielmehr stets auf bestimmte historische Tatsachen.
Zusammenhang zwischen denselben besteht meist nicht, längere
deduktive Gedankengänge kommen nicht vor. Sie haben
also eine Ähnlichkeit mit den Hypothesen der Biologie, die
noch dadurch verstärkt wird, daß auch sie es meist mit
Problemen der Entwicklung zu tun haben. So sind sie alles
andere als „statisch", worin allein eine entscheidende Differenz
mit unserer essentiell statischen Theorie liegt Aber viel-
leicht gehört ihnen das Gebiet der „Dynamik"! Das muß
sich erst zeigen.
Zur Einf&hnmg. 19
Eine andere Gruppe von Nationalökonomen widmet sich
den grofien Problemen der Gregenwart, den Entwicklungs-
tendenzen der Weltwirtschaft, den Fragen der Währungs-
politik, den modernen Monopolerscheinungen usw. Diese
Richtung unterscheidet sich von unserer Theorie einerseits
durch den vorwiegend praktischen Charakter ihrer Arbeiten
imd anderseits dadurch, dafi sie, direkt von bestimmten Er-
scheinungen der Wirklichkeit, von statistischer und ander-
weitiger Tatsachensammlung ihren Ausgangspunkt nimmt,
ohne abstrakte Hypothesen und ähnliche Instrumente exakten
Denkens zur Grundlage zu nehmen, von der historischen
Riehtang durch ihre Beziehung zur Gegenwart. Sicher-
lich muB unsere Theorie zu den Resultaten dieser Arbeiten
in Zusammenhang gebracht werden, für uns aber ist es von
Wichtigkeit, vor allem zu betonen, dafi diese verschiedenen
Dinge auseinandergehalten werden müssen.
Andere Nationalökonomen haben ihr Interesse der Sozial-
politik zugewandt, manche so sehr, daß sie nur dem Namen
nach „Ökonomen" sind. Bekanntlich ist das besonders in
Deutschland der Fall. Es ist hier nicht unsere Aufgabe,
diese Richtung zu werten. Es würde mir leid tun, wenn
man aus dem, was ich gelegentlich vom Standpunkte der
ökonomischen Theorie über diese Richtung zu sagen haben
werde, den Eindruck gewänne, als ob ich ihr nicht hinlänglich
Anerkennung zollte. Gerade das Gegenteil ist der Fall.
Aber es mufi hervorgehoben werden, daß die ökonomische
Theorie und die Sozialpolitik völlig getrennte Gebiete sind
and weder methodisch noch inhaltlich etwas mit einander
zu tun haben, dafi das Urteil des Sozialpolitikers über
theoretische und des Theoretikers über sozialpolitische Pro-
bleme notwendig ein arbiträres sein muß.
Dennoch finden wir solche Übergriffe oft. Als einen
anderen Typus für eine unglückliche Vermischung ver-
schiedener Dinge, kann man die Mehrheit der französischen
Kationalökonomen anführen, welche eine weitere selbständige
Gruppe bilden. Diese Richtung, namentlich die Ökonomen
der Akademie, kann man als Erben des praktisch-politischen
20 ^ Grandlegung.
Nachlasses der Klassiker bezeichnen. Die Theorie ist ihnen
nicht Selbstzweck sondern nur Dienerin politischer Tendenzen.
Wir müssen konkrete Leistungen derselben für die Theorie
würdigen, prinzipiell aber müssen wir betonen, dafi wir mit
ihnen nichts gemein haben. Hierher sind viele Ökonomen
zu rechnen, deren Interesse der Wirtschaftspolitik gilt und
die der Tiieorie nie wirkliches Verständnis entgegenbringen,
ohne doch auf dieselbe verzichten zu wollen.
Endlich ist hier der wissenschaftliche Sozialismus zu
nennen, der bekanntlich über eine eigene Theorie verfügt,
die, wenngleich sie nicht mit seinen praktischen Postulaten
steht oder fällt, vielmehr auch von manchen NichtSozialisten
vertreten wird, doch der übrigen Theorie charakteristisch
gegenübersteht. Doch müssen wir uns ausdrücklich gegen
die Bezeichnung der letzteren als „bürgerlicher" verwahren.
Die exakte Theorie, wie sie hier vertreten wird, hat keine
Parteistellung und führt zu keinen praktischen Postulaten.
Das wurde schon oft behauptet, ohne dafi es wirklich dar-
getan werden konnte: Im Gegenteile, immer wieder finden
sich in theoretischen Werken Ausfälle gegen den Sozialismus,
Versuche, die gegenwärtige Verteilung des Produktions-
ertrages zu rechtfertigen usw. Wie kann das auch anders
sein, wenn die Theorie nachweist, daß die freie Konkurrenz
zu einem „Nutzenmaximum'' führe? Diese Frage wollen
wir zu beantworten suchen. Hier sei nur bemerkt, dafi wir
nicht etwa aus Abneigung gegen Sozialismus irgend welcher
Art die sozialistische Theorie im wesentlichen von unserer
Darstellung ausschließen, sondern nur aus theoretischen
Gründen, denen jede praktische Bedeutung fehlt.
Das ist alles, was für unsere Zwecke zu sagen nötig
war. Die folgende Darstellung gehört der Gruppe der rein-
theoretischen Arbeiten an und sucht, so korrekt als möglich
die Grundlagen, Methoden und Hauptresultate der reinen
Ökonomie auf ihre Natur, ihren Wert und ihre Entwicklungs-
fähigkeit zu prüfen. Das mag zur ersten Einführung ge-
nügen; weitere Bemerkungen über die Beziehungen des
engen Gebietes, mit dem wir uns hier beschäftigen, wird
Zur Einführung.
21
man im Laufe der Darstellung, besonders im zweiten Teile
und dann gegen das Ende des Buches hin finden.
Nun wollen wir an unsere Aufgabe gehen und vorerst
gewisse Grundlagen der reinen Theorie darlegen, und zwar
80 trocken und schmucklos als möglich , um so einwandfrei
als möglich sein zu können.
IL Kapitel.
Der Au^angspunkt unserer Theorie.
§ 1. An der Schwelle unserer Disziplin begegnen wir
einer Reihe von Schwierigkeiten, welche scheinbar in ihrer
Kstur begründet sind. Eine Folie von unzweifelhaft hoch-
interessanten und hochwichtigen Problemen entrollt sich obi
in den ersten Sätzen fast jeder Darstellung nationalOko-
Domischer Themen. Die Motive menschlichen Handelns, die
bewegenden Kräfte sozialen Geschehens, die Zwecke dei
Wirtschaftens usw. — alles das und vieles andere glaubt
man abhandeln zu müssen, ehe man an die eigentliehra
Probleme unserer Wissenschaft herantreten kann. Welehsr
Art die Bedürfnisse der Menschen, wie sie zu erkUm
seien und wie ihre Befriedigung augestrebt wird, welche
relative Bedeutung den einzelnen BedUrfnisarten zukonune,
darüber wird uns eine fertige Ansicht aufgedrängt, and mit
ihr scheint das, was dann folgt, zu stehen und zu fallen.
Meist sind es groBe allgemeine Obersätze, die gleich eok«
lidischen Axiomen, in autoritativem Tone dargeboten werdm.
Ob sie ausdrücklich ausgesprochen oder, nur dem geQbtea
Auge erkennbar, zwischen den Zeilen der Darstellung ent*
halten sind, macht keinen Unterschied für uns. Auch der
Autor, der über sie hinweggeht, kann sich derselben nicht
erwehren, sobald er sich über das. was er sagt, tiefere (Je-
danken macht. Allein, dieselben sind nicht so unschuldig,
wie die Euklids. Eine fast unUberhIickbare Diskussion hat
Bich über dieselben erhoben, und manche Ökonomen habe«
Der Ausgangspunkt unserer Theorie. 23
ihr ihre ganze Kraft gewidmet. Man könnte sagen, daB
ihnen allein das Interesse vieler Fachgenossen gilt, und
dafi dieselben gar nie über sie hinaus zu ruhiger Arbeit
gelangen. Ist das Individuum oder die „Gesellschaft"' die
treibende Kraft der Volkswirtschaft? Wird der Mensch
vorwiegend von egoistischen oder von altruistischen Motiven
geleitet? Und, sei das eine oder das andere der Fall, sind
diese Motive ganz oder hauptsächlich wirtschaftlicher Natur
oder spielen andere, Ehrgeiz, Herrenwillen, Vaterlandsliebe
usw., eine größere, vielleicht die bestimmende Rolle? In
der Tat, was scheint natürlicher, als daB diese Dinge für
wirtschaftliehe Probleme von entscheidender Bedeutung sein
mttssen, daB man sie lösen müsse, ehe man weitergehen
kinn? Ja man mag der Ansicht sein, daB das noch nicht
genug ist Sind die Handlungen der Menschen hinlänglich
einfach und regelmäßig, um wissenschaftlich beschrieben
werden zu können oder entspringen sie einer souveränen
Willensfreiheit, die exakte Behandlung dieser Erscheinungen
tnsfichlieBt? Können die Motive, die sie bestimmen, auf
grofie Naturgesetze zurückgeführt, als meßbare „Kräfte''
tn^Safit werden, wie etwa [die „Kräfte'', mit denen die
exakten Naturwissenschaften arbeiten? So geraten wir gar
in das Problem der Willensfreiheit hinein. Wollen wir
ater diese Probleme wirklich in Angriff nehmen, so müssen
wir zugeben, daß es bedenklich um unsere Wissenschaft
steht. Wir sind verurteilt, alle diese Dinge in dieselbe auf-
xonehmen und haben ein für allemal auf Klarheit und
Selbständigkeit unserer Ausführungen zu verzichten. Auf
Klarheit: Denn man sieht, daß die angedeuteten Probleme
einen Charakter tragen, welcher klare und präzise Lösungen
amschließt. Zum Teile gehören sie ja in das Gebiet der
Metaphysik und dieser Umstand allein macht wahre Exakt-
iieit unmöglich. Wie dichte Nebel lagern dann die Unklar-
heiten der Metaphysik auf unserem Wege und behindern
den freien Ausblick. Auf Selbständigkeit: Denn manche
Jener Probleme gehören anderen Wissenszweigen an, der
P^chologie, Physiologie, Biologie. Auf diese Disziplinen»
24 GrandlegUDg.
in denen wir stets nur Dilettanten sein können, bleiben
wir angewiesen, und von wirklicher Autonomie unseres Ge-
bietes kann keine Rede sein.
Tatsächlich stellen jene Fragen ebensoviele Angrifb-
punkte für die Gregner unserer Wissenschaft dar. Ja, die
Existenz prinzipieller Gegner überhaupt ist vornehmlich in
dem angedeuteten Sachverhalte begründet. Ein resultatloser
Streit wird um diese Dinge geführt, der nur aufhört, wenn
die Parteien desselben überdrüssig sind, nicht, weil eine
Verständigung einträte. Und solange nicht weniger als
alles in Frage steht, kann nicht auf eine solche gerechnet
— kann überhaupt von niemand verlangt werden, da6 er
Vertrauen zu unserer Disziplin habe. Aber müssen wir
wirklich warten, bis sich die Menschheit über diese Fragen
klar geworden ist? In diesem Falle müßte man die Öko-
nomie überhaupt aufgeben, da manche derselben sicherlieh
erst mit dem letzten Atemzuge des letzten Menschen ver-
stummen werden. Da erhebt sich denn die Frage, ob wirj
denn wirklich alle jene P
Klippen wirklich in die L
müssen, und ob es nicht
selben herumzusteuern. Das letztere geschieht ja
auch in anderen Disziplinen. Wollte die Mechanik eine
befriedigende Antwort darauf geben, was „Kraft", Be-
wegung", „Masse" usw. wirklich »ist", so wäre nie das
stolze Gebäude entstanden, das wir heute bewundern. Ist
es nicht auch auf unserem Gebiete möglich, an seine Prob-
leme heranzutreten, ohne eine Vorarbeit zu leisten, an der
wir unsere Kraft erfolglos verschwenden?
Überblicken wir das Arsenal unserer exakten Resultate«
so machen wir eine Beobachtung, welche uns auf den richtigen
Weg weist: Die Erörterungen, welche uns das an unserer
Disziplin wirklich Wertvolle liefern, enthalten ganz erstaun-
lich wenig von jenen grofien Streitfragen. Wer sich z. B.
fragt, was der Kapftalzins ist und welches seine Bewegunga-
gesetze sind, kümmert sich wenig darum, ob ökonomische
oder künstlerische Interessen eine größere Macht über die
ch denn die Frage, ob wiri
robleme lösen, ob allel
uft gesprengt werdeni
möglich ist, um die-'
Der Ausgangspunkt unserer Theorie. 25
Wirtschaftssubjekte haben. Für die Geldtheorie gilt dasselbe
and so könnte man noch viele Beispiele anführen. Nur in
Einleitungen und allgemeinen, aprioristischen Diskussionen
spielen solche Fragen eine große Rolle. Aber in der kon-
kreten Arbeit, sozusagen in der Praxis der Wissenschaft,
eine recht geringe. Das legt den Gedanken nahe, daB die-
selben vielleicht weniger essentiell sind, als es scheinen
kdnnte, und sofort eröfifhet sich ein Weg aus diesen
Schwierigkeiten.
Ihn wollen wir denn auch betreten. Nicht neue Lösungs-
fersnehe wollen wir anstreben, nicht neue Gründe für die
Stehe einer der vielen sich bekämpfenden Parteien anführen.
Ein anderes Verfahren, das, wenn und soweit erfolgreich,
ii radikaler Weise unfruchtbaren Kontroversen wehrt, habe
ich eulgeschlagen, ein Verfahren, welches zwar zur Popu-
hriUt der Ökonomie nichts beitragen kann, aber jedermann
nur Würdigung empfohlen werden muß, dem es Ernst ist
Bit konkreter wissenschaftlicher Arbeit, und der Präzision
nid erkenntnistheoretische Korrektheit unklaren Phrasen
nnd seiüllernden Allgemeinheiten vorzieht.
Es ist das folgende: Wir betrachten die Gruppe von
konkreten Resultaten, welche man gemeiniglich als reine
Ökonomie bezeichnet und fragen uns, wie wir mit dem
geringsten Aufwände an Voraussetzungen und Obersätzen
ia den Besitz desselben gelangen können ; wir untersuchen,
ns von jenen Präliminarien wirklich nötig ist und weigern
ttM, zu irgendeinem jener Probleme Stellung zu nehmen,
ehe wir nicht seine Lösung als unentbehrlich für uns erkannt
hiben. Wir untersuchen mit anderen Worten, welche Dienste
jedes derselben unserer Theorie leistet, und ob diese Dienste
lidit auch in anderer, unverfänglicherer Art geleistet werden
ktanten oder, noch anders, was denn die Ökonomen
Bit jedem derselben wollen, was sie eigentlich
tan, wenn sie solche allgemeine Behauptungen
'ormulieren. Nicht was solche Behauptungen im all-
geiieinen bedeuten und ob sie allgemein wahr sind, ist für
un wichtig, sondern was sie für uns bedeuten und ob sie
26 Grundlegung.
8ich in jenen Fällen, in denen wir sie brauchen, bewähren.
Man sieht sofort, daß dadurch die Sache wesentlich ver-
einfacht, weil eingeschränkt wird. Außerdem bricht man
manchem mit Leidenschaft betonten Gegensatze die Spitze
ab, wenn man erklärt, die betreifenden Fragen nicht all-
gemein, sondern nur für gewisse festumschriebene Zwecke
lösen zu wollen.
Wir wollen unseren Ausgangspunkt nicht ausschmückmi,
sondern so trocken als möglich formulieren ; nicht möglichst
viel, sondern möglichst wenig über Dinge sagen, die nicht
völlig unserer Domäne angehören. So farblos und formal,
aber dafür so klar und korrekt als möglich, sollen unsere
grundlegenden Sätze sein. Sie müssen gereinigt werden
von jedem Worte, das nicht für das Folgende strikte not»
wendig ist. Je weniger der Leser hinnehmen muß, um dem
Weiteren beistimmend folgen zu können, desto besser.
Namentlich müssen wir uns davor hüten, in Fragen, die
nicht uns zugehören, zu tief sein, namentlich unsere Vor*
aussetzungen begründen zu wollen: Lassen wir uns in
die philosophischen , soziologischen , physiologischen and
andere Gründe gewisser Erscheinungen ein, so sieht es dann
aus, wie wenn unsere Ausführungen von deren Richtigkeit
abhängig wären und von Philosophen» Soziologen, Physio-
logen usw. widerlegt werden könnten. Nicht stark genug
kann ich betonen, daß das auf Täuschung beruht, und stets
werde ich darauf zurückkommen.
Eine Kritik der Grundlagen unserer Wissenschaft mit'<
dem Zwecke, herauszuarbeiten, was der exakte Inhalt
allerjener wortreichen Behauptungen ist, denen
wir an derSchwelle derökonomie begegnen, die
uns geboten werden, wenn man nach den Funda*
menten der theoretischen Ökonomie fragt, das
ist es, wozu wir beitragen wollen. Gerne wollen wir viel
von dem Interesse, das dieselbe stets erweckt hat, wissen-
schaftlicher Strenge opfern. Können wir eine trockene An-
nahme, die an sich gar nichts Interessantes sagt, über deren
Sinn aber kein Zweifel bestehen kann, an die Stelle der
Der Ausgangspankt unserer Theorie. 27
blendendsten Philosophien setzen, so werden wir das als
einen Fortschritt betrachten. Jeder mag sich dann dieselbe
ansschmficken oder begründen, wie es ihm beliebt — wenn
er sie nnr anerkennt, so fragen wir nicht darnach, was ihn
dazu veranlassen mag. Wir wollen uns auf ein kleines Ge-
biet beschränken, wenn wir nur dadurch erreichen, daß wir
wenigstens dieses wirklich halten können.
Was ist nun das Resultat dieses Vorgehens? Leistet
es«, was es leisten soll? Darüber mag der Leser selbst
urteilen, doch soll schon hier bemerkt werden, daß wir unseres
Eraehtens in ganz überraschender Weise erreichen, was wir
wollen: Eine Reihe von Streitfragen fällt einfach weg. Be-
handelt man sie nicht mit allgemeinen Argumenten, sondern
sieht man näher zu, wie sich die Sache wirklich verhält,
so entdeckt man, daß diese Hindernisse gar nicht auf un-
serem Wege liegen, daß sich derselbe vielmehr hindurch-
windet, ohne sie zu berühren. Und die übrigen — alle
übrigen; meines Eraehtens bleibt kein dunkler Punkt zurück —
lassen sich so formulieren, daß die gefährliche Stelle, über die
eine Verständigung nicht leicht möglich ist, nicht berührt,
sondern irgendwie umgangen, sozusagen neutralisiert wird.
Alle mir bekannten Bedenken und Einwendungen können
in befriedigender Weise berücksichtigt werden und wer die
große Bedeutung einer exakten Disziplin vom menschlichen
Handeln würdigt, mag sie auch nur einen ganz kleinen
Teil desselben decken, wird sich zu dem Opfer und der
Selbstverleugnung entschließen, die jener Reinigungsprozeß
naturgemäß involviert.
In dem Bestreben nun, aus den Vor- und Prinzipien-
fragen der exakten Ökonomie alles Unwesentliche und Ver-
fängliche abzuscheiden, gelangen wir zu den Aufstellungen,
die wir nun machen wollen und die einem kahlen Geri])pe
gleichen — um so schärfer aber die Linien unserer Disziplin
ber%'ortreten lassen. Dem Kationalökonomcn mögen sie be-
fremdend erscheinen, weshalb das Vorhergehende zu ihrer
Einführung gesagt wurde und schon nach wenigen Sätzen
die Darlegung zum Zwecke weiterer Kommentare unter-
28 GrundlegUDg.
brochen werden wird. Aber jeder, der sich für die exakten
Wissenschaften interessiert, wird in ihnen ihm wohlbekannte
Gedanken finden. Sie führen ohne Umschweife sofort an
die Probleme heran, mit denen wir es zu tun haben.
§ 2. Überblicken wir irgendeine Volkswirtschaft, so
finden wir jedes Wirtschaftssubjekt im Besitze bestimmter
Quantitäten bestimmter Güter. Am Boden unserer Dis-
ziplin liegt nun die Erkenntnis, daB alle diese
Quantitäten, welche wir kurz „ökonomische
Quantitäten^ nennen wollen, in gegenseitiger
Abhängigkeit voneinander stehen, in der Weise,
daß die Veränderung einer derselben, eine solche
aller nach sich zieht. Das ist eine einfache Erfahrungs-*
tatsache, die so sehr auf der Hand liegt, daß sie kaum einer
Erörterung bedarf. Wir wollen sie ausdrücken, in--
dem wir sagen, daß jene Quantitäten die Ele-
mente eines Systemes bilden. Seien sie also anda
alle zusammen willkürlich oder zufällig oder wie ma&
das sonst nennen, und welchen Sinn man damit verbindeB
mag, so können doch nicht die Einzelnen an sich
fällig und unabhängig sein.
Finden wir nun, daß sie in einer solchen VerH
bindung stehen, daß zu einer gegebenen Größe
einer oder einiger derselben eine gegebene Größe
der anderen und nurEine gehört, so nennen wir
das System eindeutig bestimmt. Mit „Gehören*
meinen wir hier, daß sich diese Größe der nicht gegebenei
Quantitäten von selbst herzustellen strebt und daß, wenn j
sie einmal eingetreten ist, jede Tendenz zu einer weiterei
Änderung im Systeme fehlt. Wir nennen diesen Zq-t
stand den Gleichgewichtszustand. Die einzelnen
Quantitäten in diesem Zustande nennen wir normal oder
natürlich.
Unsere Aufgabe ist es nun, wenn uns irgendein Zustand
einer Volkswirtschaft gegeben ist, jene Änderungen der
Quantitäten abzuleiten, welche im nächsten Augenblicke ifot
Der Aasgangsponkt unserer Theorie. 29
ben werden, wenn nichts Unvorhergesehenes eintritt.
Ableitung ist es, die wir „Erklärung"
n. Sie wird bewerkstelligt durch Beschreibung
bhängigkeitsverhältnisse, so daB wir unsere Aufgabe
isehreiben unseres Systemes und seiner
{ungstendenzen definieren können. Ist dieselbe in
iger Weise möglich, ohne im Laufe des Gedanken-
8 auf materielle Sätze anderer Disziplinen bezug
1 zu müssen, so gibt es eine in sich abge-
(sene Disziplin der Ökonomie. Die Sätze, aus
lie Beschreibung besteht, nennen wir dann „ökono-
e Gesetze", wenn sie von hinreichender Be-
tt g sind. Ihre Gesamtheit macht die Disziplin der
i" oder „theoretischen Ökonomie" aus.
)• Machen wir nun Halt, um die Bedeutung des
3n und die Vorteile dieser Art vorzugehen, etwas zu
3ren. Vor allem leistet uns dieselbe eine präzise,
er Unklarheit freie Definition unseres Themas. Frei-
,nn das erst am Ende unserer Darlegungen voll ge-
t werden. Es ist ja überhaupt eine Eigentümlichkeit
chaftlich strengen Vorgehens, daß der Leser oder
r erst im Laufe der Dinge sieht, wo der Autor
will, und warum er gerade diese Aufstellungen in
dieser Weise machte. Obgleich am Anfange stehend,
ie ersten Sätze stets Resultat späterer Überlegung
r, was an präliminaren Aufstellungen für das Folgende,
ihn bereits feststeht, notwendig und hinreichend ist.
ick auf einige der üblichen Definitionen lehrt, daß
tionalökonomen meist nicht so vorgingen, aber auch,
mgelhaft ihre Definitionen sind. Wir wollen nicht
en sprechen, welche die Ökonomie als die Lehre von den
Mitteln zu wirtschaftlichem Wohlergehen und ähnliches
inen und ihr so überhaupt den streng wissenschaftlichen
:ter nehmen; denn diese sehen wir als überwunden
tber auch die in dieser Beziehung korrekteren sind
eiflich unbefriedigend. Man hat z. B. die Ökonomie
30 Gmndlegun«.
als die Lehre von der Befriedigung der BedflrfniBse be-
zeichoet. Allein, die Befriedigung der Bedürfnisse ist eine
Frage der Physiologie oder, von einem anderen Standpunkte
betrachtet, eine Frage der Technik oder, noch anders an-
gesehen , eine solche der Kulturgeschichte. Eine derartige
Definition erweckt alle möglichen Erwartungen, die dann
enttäuscht werden mOssen, nur nicht jene, welche gerecht-
fertigt wären. Nichts von dem Inhalte der reinen Theorie
wird durch sie angedeutet, auf keines ihrer konkreten
Probleme weist sie hin. Noch weniger kann man sich Ober
die Grenzen derselben eine Vorstellung bilden. Und endlieb
bringt diese Definition durch Verwendung des Begriffes
„Bedürfnisbefriedigung" eine ganze Reihe von Schwierig-
keiten und Unklarheiten in die Grundlagen unserer Wiseen-
schaft.
Nicht besser steht es mit der Definition der National-
ökonomie als Lehre vom wirtschaftlichen Handeln. Denn
darnach würde eine volle Erklärung des „wirtsehaftliebN
Handelns" in unsere Disziplin gehören, das heiSt, eine An>-
kunft darQber, worin das Wesen des menscblichen HaDdefau
und speziell des wirtschaftlichen besteht, wie die wirtsebaft-
liehen Ideen und Gewohnheiten zu erklären sind usw. Dieae
tiefen Probleme gehören aber in die Biologie. Und dn
Eigenart der Probleme, welche die reine Ökonomie au-
machen, wird man auf diese Weise nicht gerechL Dieaelbei
erschöpfen das wirtschaftliche Handeln nicht , ja sie haben,
wie wir sehen werden, mit seinen Gründen nichts ii
tun: Gewiß sind z. B. die Preise Resultate „wirtschaft-
lichen Handelns". Aber der entscheidende Punkt ist, daS
wir dieselben auf Grund gewisser formaler An-
nahmen behandeln, gleichsam an sich und ohne
in das , worauf sie weiterhin basieren , einzugehen , daher
nicht genötigt sind, uns mit dem wirtschaftlichen Handeln
des Menschen des näheren zu beschäftigen. Und wenn vir
dazu nicht genötigt sind, so tun wir es nicht nach den
Grundsätze „wissenschaftlicher Ökonomie". Doch kann du
erst s))äter voll verstanden werden.
Der AuBgangsponkt unserer Theorie. 31
Zu weit ist auch eine Definition vermittelst „des wirt.
ifUichen Prinzipes*". Denn dieses Prinzip hat ein weit,
größeres Anwendungsgebiet, ist von der Allgemeinheit
r logischen Regel. Ist aber diese Definition einerseits
reit, so enthält sie doch anderseits nicht alles Nötige:
wirtschaftliche Prinzip für sich allein reicht nicht dazu
um unsere Probleme vorzuführen und zu lösen. Noch
m Grundsteine benötigen wir, um das Gebäude unserer
lenschaft aufrichten zu können. Immerhin ist diese
'assung der Ökonomie korrekter als jede andere mir
innte und jedenfalls als jene, nach welcher die Ökonomie
Mechanik des Individualegoismus ist. Auch diese De-
ion ist zu weit. Denn man kann auch außerhalb des
ietes des Wirtschaftens egoistisch handeln. Aber ab-
hen davon trifft sie besonders der Vorwurf, die Ökonomie
m Schwierigkeiten und Angriffen auszusetzen, die leicht
lieden werden können, weil das Moment auf das sie
Hauptgewicht legt, wie wir sehen werden, gar keine
e in unseren Problemen spielt.
Noch eine Definition sei erwähnt: Oft nennt man die
Domie die Lehre von der Produktion, Verteilung und
mmtion der Güter. Allein wir behandeln in der Theorie
t alles, was zur „Produktion" gehört. Nicht z. B. die
inik der Produktion, Von der Konsumtion behandeln
nur wenige Fälle, z. B. den Konsumtionsaufschub, der
sparen liegt; im allgemeinen aber steht dieselbe sozu-
Q hinter den Vorgängen, die uns interessieren. Und
das Verteilungsproblem behandeln wir nicht erschöpfend,
em nur eine Seite desselben. Welche Teile von diesen
Phänomenen Gegenstand unserer Erörterungen sind,
nicht gesagt — das charakteristische Moment fehlt.
Alle diese Definitionen — vielleicht überhaupt alle,
jemals formuliert wurden — fehlen durch ihren-
»ristischen Charakter. Statt auf ihre konkreten Pro
B zu sehen, haben die Theoretiker — Definitionen,
le mehr als die reine Theorie umfassen wollen, inter-
iren uns hier nicht — stets den Namen ihrer Disziplin
\
32 Crrandlegnng.
erklären wollen. Und dieser Natnen ist „Ökonomie* oder
ein ähnlicher. Was scheint natürlicher, als dafi der Inhalt
einer Wirtschaftswiesenschaft ErgrtlnduDg des WirtschaftenB
ist nnd daS dessen Wesen vor allem definiert werden maB?
Dennoch ist das durchaus nicht selbstverstfindlich wie man
aus dem Beispiele anderer Disziplinen sehen kiuin. Die
Psychologie z. B. behandelt keineswegs etwa die Frage nach
dem Wesen der Seele; sie gibt nicht einmal ein Urteil
Qber deren Existenz ab. So wllre es keineswegs so nn-
erhört, zu sagen, daB die reine Wirtschaftstheorie Didits
mit dem Wesen des Wirtschaftens zu tun hat, daS man du
Wirtschaften Oberhaupt nicht zu defiuieren braucht. Darin
läge kaum etwas Paradoxes. Wenn wir femer bedenken,
daß die wirtschaftliche Nomenklatur in jedem gegebenen
Momente eine Erbschaft vergangener Perioden ist und dafl
die Entwicklung der Wissenschaft zur Spezialisierung der
Disziplinen und oft zu teilweiser Verschiebung ihrer Probleme
führt, so kennen wir uns nicht wundern, wenn die Termino-
logie den Anforderungen der Gegenwart nicht immer ent-
spricht. Trotzdem ist es oft zweckmäßig und förderlich,
sie beizubehalten, mag auch manches Mißverständnis nnd
manche schiefe Vorstellung besonders in weiteren Kreisea
daraus entstehen.
Wir nun blickten auf die konkreten Probleme der
reinen Theorie und kamen durch schrittweise Abspaltnni
alles Unnötigen zu jener trockenen, aber strengen Definitioi,
die oben vorgefahrt wurde. Bei ihrer Beurteilung mufi mu
sich zwei Ding«' gegenwärtig halten: Erstens, dafi wir nicht
das gan7.e, weile Ft'ld, das heute den Namen „National-
ökonomie" oder ^Politische Ökonomie" fuhrt, definieren
wollten, soadern nur jenes viel kleinere, das wir als nreine
Ökonomie" bezeichneten. Es gibt noch andere Theoriti
0)>er ökonomische Probleme, welche nicht zu dieser Gmppe
^'chdren, so daß wir hier auii GrOnden tenninologiacfaer
Zweckmäßigkeit einen Untei-schied zwischen dem Gebiete
der „theoretischen Ökonomie" und dem der „CkonomiBchei
Theorie" nmchen. Das letztere ist weiter als das erstere.
Der Ausgangspunkt unserer Theorie. 33
Der Grund, warum wir eine Gruppe der ökonomischen
Theorien herausgreifen, statt deren Gesamtheit zu behandeln,
ist, dafi jene Gruppe ein in sich geschlossenes System^
bildet. Es liegt uns jede Tendenz ferne, das Gebiet der
Wirtschaftswissenschaft ungebührlich beschränken zu wollen.
Wir wollen lediglich einen Teil desselben, der sich von
selbst von dem Reste abhebt, rein von allen ihm fremden
Beimengungen und in seiner wahren Form darstellen.
Zweitens vergesse man nicht, daB wir eine „strenge''
Definition geben wollten, welche die für das Folgende
nötigen Elemente und nur diese enthält und welche wirklich
den An£angsakkord des weiteren Gedankenganges bildet,
nicht aber eine populäre. Für didaktische Zwecke, um
zu sagen, was an materiellen Theoremen der Leser zu er-
warten habe, mag eine andere zweckmäßiger sein. Wir
wollten nur den exakten Inhalt der üblichen Definitionen
heransarbeiten und verkennen nicht, daß der Anfänger mit
der unseren wenig anzufangen wüßte.
§ 4. Gehen wir nun weiter: Gewisse Abhängigkeits-
verhältnisse oder Funktionalbeziehungen also
sind nach unserer Auffassung der Gegenstand unserer
Untersuchungen.
Die Tatsache, daß die ökonomischen Quantitäten in solchen
Beziehungen zueinander stehen, ergibt die Berechtigung
einer gesonderten Behandlung derselben dann, wenn sie
eindeutig bestimmt sind. Die eindeutige Bestimmtheit eines
Systemes von Quantitäten ist eine wissenschaftliche Tatsache
von der größten Bedeutung. Sie bedeutet, daß wir, wenn
gewisse Daten gegeben sind, alle nötigen Kiemente bei-
saiLmen hal)en, um die Größen jener Quantitäten und ihre
Bewegungen zu „verstehen". In diesem Kalle ist eine
gesonderte, selbständige Disziplin über solche Erscheinungen
' Daß wir Jas Wort „System" in zwei vorschiedcnon liodoutungcn
gebrauchen — als „wissftnschaftliches System von Tlu^oremon'* !ind
al§ , System von zasammengeliörigon Quantitäten" — wird hoffentlich
xa keiner Verwirrung AnlaB ^eben.
Sebainp*t*r, Nationalökonomie. 8
34 Grandlegnng.
mligUch, und das ist es d&her, was wir vor allem andern
nachzuweisen haben. Wenn ein Gleichungssystem gar niebts
anderes bietet, als den Kachweis einer eindeutig beetimmten
Interdependenz, so ist das schon sehr viel : Es ist der Grund-
stein eines wissenschaftlichen Gebäudes. Haben wir dieselbe
nachgewiesen, so haben wir als das erste große Beaultat,
dae die ökonomischen Quantitäten nicht be-
liebige GrOfien sondern in gewissem Sinne not-
wendig bestimmt sind.
Dieser Satz ist sehr oft mißverstanden worden. Aber
in Kontroversen über diesen Punkt handelt es sich fast
immer um die sozialpolitischen Konsequenzen desselben. Vor
allem scheint nichts klarer, als daß die ökonomischen Quan-
titäten eben nicht eindeutig bestimmt sind, vielmehr ibi^
Größe sozialen Machtverhältnissen verdanken und willkQrlieli
abgeändert werden können. Deshalb wurde vom soiial-
politischen Standpunkt der Satz immer und immer wieder
verurteilt. In der Tat scheint er ein sehr hartes Urteil
über alle sozialpolitischen Bestrebungen auszusprechen. Be-
sondere die Vertreter der Arbeiterklasse vermuten stets —
und oft mit Recht — hinter Nolcheu Sätzen eine politische
Stellungnahme. Dem gegenüber soll gleich an dieser Stelle
nachdrncklicb betont werden, daß z. B. der Satz, daß die
relative Größe der Einkommen nicht rein zußillig, sondern
in gewissem Sinne „naturnotwendig" bestimmt ist, hier absolat
nichts anderes bedeutet, als das man sie aus gewissen Daten
ableiten kann. Über sozialpolitische Bestrebungen zur Änderung
der bestehenden Einkommensverhältnisse ist also in jenem
Satze kein Urteil ausgesprochen , da nichts darüber gesagt
ist, ob mau jene Daten abändern kann oder nicht. AbOT
unser Satz scheint auch der täglicheu Erfahrung zu wider-
sprechen: Es scheint, daß z. B. eine Lohnerhöhung vorsieh
gehen kann, ohne daß sich die Verhältnisse der betreffenden
Unternehmung geändert haben oder sonst eine Änderung in
den ökonomischen Verhältnissen eingetreten ist. Dieser Ein-
wand soll hier nur ervähnt und wird später behandelt werden.
Auch noch aus anderen Granden wehrt man sich vielfach
Der AoBgangspiuikt unBerer Theorie. 35
gegen Ausdrücke wie „natOrlich*', „gesetzmäBig'', „normal^
usw. in diesem Zusammenhange. Zum Teil ist diese Stellung-
nahme durch die klassischen Nationalökonomen verschuldet,
welche tatsächlich vielfach Mißbrauch mit derartigen Aus-
drücken trieben, zum Teile auch ist sie nicht wissenschaft-
licher Natur. Wir wollen auf die hier liegenden Fragen
nicht eingehen, da es sich zeigen wird, daß wir sie ver-
meiden können. Worauf es uns hier ankommt , ist nur,
unsere Ausdrücke „normal'' und „natürlich'' gegen den Ver-
dacht zu schützen, daß wir am Ende doch etwas anderes
meinen, als wir früher sagten, und philosophische oder
politische Obersätze irgendwelcher Art zur Geltung bringen
möchten. Diese Ausdrücke beziehen sich lediglich auf einen
gegebenen Zustand unseres Systemes von Güterquantitäten,
Ober welchen an sich wir kein Urteil abgeben. Ob es nor-
male oder abnormale, wünschenswerte und verwerfliche Zu-
stande gibt oder ob sie alle die gleiche relative Berechtigung
haben, ist für uns gleichgültig. Wir werden sehen , daß
unsere Darlegungen überhaupt von jedem konkreten Zustande
unabhängig sind. Es wird hier nun nicht behauptet, daß
der Güterbesitz der Wirtschaftssubjekte oder, wie man es
auch ausdrücken kann, die Verteilung der Güter im
Untersuchungsgebi'ete, nicht auch anders gestaltet sein
könnte, auch nicht, daß jene besondere Verteilung,
welche die Theorie ergibt, von irgend einem
Standpunkte aus die beste sei. Sicherlich könnte
ein gewaltsamer Eingriff sie abändern und man kann keines-
wegs behau])ten, daß die Volkswirtschaft als ganze genommen,
dabei notwendig schlechter fahren würde; was behauptet
wird, ist nur, daß man aus einer gegebenen Verteilung, wenn
noch gewisse andere Daten gegeben sind , eine andere ab-
leiten kann und daß diese letztere eintritt, wenn, wie wir
es ausdrückten, „nichts Unvorhergesehenes", d. h. z. B. ein
solcher gewaltsamer Eingriff, vorfällt. Jede ökonomische
Quantität im Systeme hat eine bestimmte (iröße, welche
wir aus der Theorie so ableiten können, daß es w(Mter
nichts zu fragen gibt. Zeigt es sich, daß in einem kon-
36 Grundlegung.
kreten F&Ue ein Wirtsehaftssubjekt eise andere Menge eines
bestimmten Gutes erlangt, als diese, so ist das vom Stand-
punkte unserer Theorie insoferne abnormal, alB,andere Er-
klftrungsgrOnde, als sie bietet, gefunden werden mOssen.
Das heifit aber keineswegs, daß wir einen ttolchea Fall
mifibiUigen, auch nicht, daß wir ihn als eine Aus-
nahme oder als vorabergehende Erscheinung be-
trachten. Vielleicht suggeriert der Ausdruck „normal" and
noch mehr der Ausdruck .natDrlich" beides; in diesem
Falle sind diese Termini irreführend und wir betonen, dafi
wir mit den Ökonomen , welche mit ihnen jenen Sinn ver-
binden, nichts gemein zu haben wünschen. Ans Zwetk-
mäßigkeitsgründen halten wir sie fest, wollen aber mit
ihnen keinen anderen als den angeführten Sinn verbinden;
damit nehmen wir ihnen den kontroversen Cha-
rakter, der ihnen anhaftet. Aber der Preis, den vir
dafür zahlen, eine Reihe von tiefgehenden Streitfragen za
vermeiden, ist ein hoher: Wir verzichten auf fast jede materielle
Behauptung und drucken diese Terminologie zu einem härm- !
losen aber nichtssagenden Hilfsmittel des wissenscbaftlieben
Gedankenganges herab. Doch nur als solches brauchen wir
sie auf unserem Gebiete — wenn man das auf Grund
des Folgenden gesehen haben wird, so wird man einseben, .
daß die angedeuteten Kontroversen, welche eine erhebliche
Bolle in der Literatur spielen, völlig aberflQssig änd. '
daß ihnen unsere strenge Definition jeden Boden ent-
zieht. Und auch das ist — vom Standpunkte unserer
Zwecke — eine „Lösung" derselben: Wirhabenunsereo
Weg von ihnen befreit.
Eine Bemerkung Ober den Ausdruck Gleichgewicht sei
hier noch gemacht. Gleichgewicht ist ein nicht sehr glück-
licher Ausdruck für einen Zustand, in dem, so lange keine
Störungsursache von außen hereinkommt, keine Tendeni n
Änderungen besteht. Wir nennen den Ausdruck unglock-
lich, weil er sehr an die Mechanik gemahnt und mechanische
Analogien vielfach unbeliebt sind und tatsächlich andi
manches gegen sich haben. Wir wollen wiederum betonen. ,
Der Ausgangspunkt unserer Theorie. 37
dafi es uns völlig ferne liegt, irgend welche Konse-
quenzen aus einer solchen Analogie zu ziehen,
und dafi ?rir nur den einmal üblich gewordenen Ausdruck
beibehalten , ohne mit ihm jemals einen anderen Sinn ver-
binden zu wollen als den definierten. Was zur ein-
deutigen Bestimmung des Gleichgewichts-
zustandes unseres Interdependenzsystemes
strikte notwendig ist, bildet den Grundstock
unserer Theorie, ist als ihr zentrales Problem
anzusehen. Doch wird das besser auf einer späteren
Stufe unserer Erörterungen näher dargelegt.
§ 5« Wir haben die Beschreibung der Abhängig-
keitsverhältnisse der Elemente unseres Systemes
zum Zwecke der Zurttckführung verschiedener
Zustände desselben aufeinander als die Aufgabe
unserer Disziplin bezeichnet und gesagt, daß wir unter
einer wissenschaftlichen Erklärung der Er-
scheinungen, mit denen sie sich beschäftigt, nichts anderes
verstehen, als eben diese Beschreibung. Danach sind die
Ausdrücke „Erklärung" und „Beschreibung" für
ons überhaupt synonym oder, mit anderen Worten,
wir wollen und können zur Erklärung, zum Ver-
st&ndni SS ederwirtschaftlichenXat Sachen nichts
anderes beitragen als ihre Beschreibung.
Das ist gewiß nicht die gewöhnliche Auffassung^ und
es mag paradox klingen, wenn ein Theoretiker sagt, daB
er lediglich Tatsachen beschreiben wolle. Man ptiegt im
Gegenteile Erklärung und Beschreibung in einen Gegensatz
zu stellen und von der Theorie die Auffindung der „Gründe
der Tatsachen" und der „Kräfte" und „Gesetze", die die-
selben „beherrschen", zu verlangen. Wenn man aber näher
zusieht, so überzeugt man sich leicht, daß der Kern jeder
Theorie, das, was sie wirklich sagt, immer nur eine
Aussage über funktionelle Beziehungen zwischen irgend
welchen Größen ist; alles andere ist Zutat, ist unwesentlich.
Das tritt am deutlichsten bei jenen Wissenschaften hervor.
38 OmndleguDg.
welche die weiten Gewänder der Spekulation am meisteb
abgestreift haben, bei den exakten NaturwiBsenschaften, und
hat seinen klarsten Ausdruck in der berühmten Definition '
der Mechanik, die KirchhofT gegeben hat, gefunden. Ende
und GrQnde zu finden, ist uns versagt, aber wir bedQrfen
ihrer auch nicht, um zu unseren konkreten Resultaten la
gelangen.
Wir behaupten nun, dafi sich das auch auf dem Gebiete
unserer Wissenschaft so verhält, dafi alles Wertvolle, was
Ober reine Ökonomie jemals geschrieben wurde, nur Be-
schreibung von Tatsachen ist und daß die Ökonomen aberall
irren, wo sie mehr zu leisten vorgeben. Sie irren mindestens
in der Ausdrucksweise. Sehr oft nämlich haben Sätze, die
sich als Spekulationen darstellen, in Wirklichkeit eine StQtze
in den Tatsachen , sind im Grunde nichts anderes als Tat-
Sachenbeschreibungen. Dann ist es möglich, sie zu halten
und eventuelle Angriffe abzuwehren lediglich durch
korrekte Formulierung und durch Preisgabe der
spekulativen HUlle. Aber oft auch irrt man in der
Sache — und dann müssen die Resultate aufgegeben
werden.
Ein Beispiel für die erstere Art von Fehlgriffen bietet
uns der Satz, daß jedermann „naturgemäß die gröStm>ichste
Befriedigung seiner Bedürfnisse anstrebe." So wie er ist,
erscheint er uns als einer jener allgemeinen Obersätze, gegen
die sich mit vollem Rechte die Kritik der Historiker richtet
Zur Ableitung unserer Sätze genügt aber die W a h r-
nehmung, daß auf dem Markte im allgemeinen jeder-
mann so billig als möglich zu kaufen und so teuer als mOglicb
zu verkaufen strebe, und tatsächlich soll jener große Ober-
n satz gar nichts anderes bedeuteu. Diese Wahrnehmung aber
kann sehr wobl als das Resultat der Beobachtung der Vor-
gänge auf irgend einem Marke betrachtet werden und be-
währt sich in weitem Maße. Ein Beispiel für die zweite
Art wäre etwa die Behauptung, daß die individuelle Freiheit
den Individuen wie den Gemeinwesen immer und Qbersll xum
größten Vorteil gereichen müsse. Dieser Satz und alle seine
Der Aasgangspunkt unserer Theorie. 39
Konsequenzen k ö n n e n nicht länger verteidigt werden,
wenigstens nicht in dieser Allgemeinheit.
Es wird sich nun zeigen, daß im groflen und
ganzen die Theoreme der Ökonomie korrekt
formuliert werden können und von Obersätzen
dieser Art nicht abhängig sind. Aber dennoch wird
man fragen: Wie können wir denn behaupten, daß die
Ökonomie lediglich „beschreibe**? Woher käme denn dann
die Sicherheit und AUgemeingiltigkeit ihrer Resultate? Be-
sehreibt denn der theoretische Ökonom einzelne Tauschakte,
'. gibt er eine Geschichte der Preise? Die Antwort, die wir
auf diese Frage geben wollen, enthält den Kern einer
Erkenntnistheorie der reinen Ökonomie.
Wollen wir in irgendein Problem Einsicht gewinnen,
80 müssen wir eigentlich alle individuellen Tatsachen be-
trachten, welche auf dasselbe Bezug haben. Sicherlich ist
das der einzige Weg, der zu vollkommenen Resultaten führt.
Es gibt keinen anderen — wenigstens ist jeder andere
trflgerische Spekulation. Und auch er führt nicht in das
fWesen der Dinge"", er zeigt uns nur Beziehungen zwischen
denselben. Aber ein Versuch, diesen Weg zu betreten,
^rde uns zweierlei lehren : Erstens, daß es unmöglich und
zweitens, daß es für gar keinen Zweck notwendig ist, alle
individuellen Tatsachen zu überblicken. Es ist unmöglich,
weil nahezu immer unser Material notwendig unvollständig
sein muß und sodann, weil, selbst wenn es vollständig wäre,
^ aller Regel niemand auch nur einen erheblichen Teil
sieh merken könnte. Es ist aber auch gar nicht nötig, um
die Tatsachen zu beherrschen.
Vor allem beobachten wir, unbeschadet der unendlichen
Mannigfaltigiceit eine sehr weitgehende Ähnlichkeit
onter den Erscheinungen einer Klasse. Jedes Blatt eines
Baumes, jeder Mensch einer Rasse ist verschieden von allen
uideren Blättern und Menschen, aber im großen und ganzen
wt die Zahl der ähnlichen Merkmale weit größer als die
(fer unähnlichen. Außerdem bemerken wir, daß uns nicht
^le Merkmale gleich interessieren ; nach dem Grunde dieses
40 CtruudleguDg.
Unterschiedes fragen wir nicht, aber sein Vorhandensein ist
eine Tatsache und eine weitere Tatsache ist, daS gerade
jene Merkmale, welche uns am meisten interessieren und
die wir daher als die wichtigsten bezeichnen, gerade jene
sind, in denen dieÄbnlichkeit am weitesten geht.
Sodann sehen wir, daß aus diesen GrOnden die Kenotnis
eines verhältnismäßig kleinen Bruchteiles von Tateaehea
ausreicht, um zu bewirken, daß man sich in dem ganzen
Gebiete recht gut zurechtfindet. Sehr bald wird ein
Punkt erreicht, an dem ein weiterer Zusatz von neuen Tat-
sachenkenntnissen immer weniger zu jenem „Zurecht>
finden' beiträgt. Es gilt hier sozusagen ein Gesetz des
abnehmenden Ertrages: Die ersten Tatsachen, die wir ans
einem neuen Erscheinungsgebiete kennen lernen, lehren una
am meisten, aber die Sätze, die aus ihnen allein induziert
sind, sind so vielen Fehlgriffen und IrrtOmem ausgesetzt,
daß es vorteilhaft ist, mit der Beobachtung fortzufahren.
Wir erfahren da nicht mehr so viel Neues. Der Gewinn /
sinkt. Aber immerhin sind die Korrekturen und die neuen
Dinge, die wir erfahren, höchst wertvoll und machen unser
Bild brauchbarer und genauer. Aber schließlich konunen
wir an die Stelle, wo das Bild brauchbar und genau genng
ist, und weitere Vervollkommnungen wertlos und schließlieh
störend werden. Das gilt auch für unser Gebiet. Wohl
bereiten sich die Menschen in ihrem Handeln immer Über-
raschungen, aber das kommt größtenteils daher, daß der
einzelne immer nur sehr wenige kennt und gerade der Um-
stand, daß man Überrascht ist, )>e\veist, daß man gewOhnt
ist, mit großer Sicherheit eine bestimmte Hand-
lungsweise zu erwarten. Außerdem erfolgen Über-
raschungen mehr in den Einzelheiten des praktischen Lebens.
Unsere Wissenschaft aber interessieren gewisse große Er-
scheinungen und auch diese nur in ihren ursprUnglichstni
Formen, so daß es hier wenig Raum zur Überraschung gibL
Woher kommt dasV Man könnte versucht sein zu ant-
worten, von der Existenz von großen Gesetzen, was sehr
bald auf das Problem des Determinismus führen vQrde.
Der AuBgangspankt unserer Theorie. 41
Uns liegt nichts ferner als das, wir konstatieren einfach
die Tatsache, daß sich Generalisationen in weitem
Umfange bewähren. Dabei sind wir uns bewußt, daß
wir jeden Augenblick desavouiert werden können, nur ist
es ein Faktum, das wir nicht begründen, sondern nur kon-
statieren, so auf dem Boden der Tatsachen bleibend, daß
wir im allgemeinen eben nicht desavouiert werden und
daß man im praktischen Leben sich der bloßen Generalisati'on
von Erfahrungstatsachen mit großem Erfolge bedient. Wenn
ein vernünftiges Wesen, das heißt eines mit unserem
logischen Apparate, zur Erde käme und einem Menschen
begegnete, ohne bisher einen gesehen zu haben, so würde
es sieber von demselben auf alle Menschen schließen. Nach
den Grundsätzen scholastischer Logik ist das einfach ein
Denkfehler, wir dagegen meinen, daß das die gesündeste
Methode ist, die denkbar ist. Freilich erfährt unser Wesen
durch seinen Schluß auch eine Menge Falsches, aber das ist
verschwindend wenig im Verhältnisse zur Fülle des Richtigen,
die es erfährt. Nach den Zwecken und nach der Anlage
des Beobachters ist die Menge der Tatsachen, die er braucht,
verschieden, aber für jeden Zweck und für jeden
Beobachter gibt es sozusagen ein Höchstrende-
ment von Kenntnis bei einer ganz bestimmten
Menge von Erscheinungen, so ähnlich wie es für die
Betrachtung eines Kunstwerkes eine günstigste Entfernung
gibt, welche freilich für jeden Beschauer und für jeden Zweck
jedes Beschauers verschieden ist.
Theorie sowohl wie „Deskrii)tion" gehen dementsi)rechend
vor. Auch der „deskriptive" Nationalökonom oder der Hi-
>toriker unternimmt nicht die unmögliche Aufgabe, jede
Tatsache, die streng genommen in sein Thema fällt, alles
was er in seinen Quellen findet, zu beschreiben, und er tröstet
sieb dieser unmöglichen Aufgabe gegenüber mit dem Be-
wußtsein vor allem, daß nicht alle Tatsachen gleich inte-
ressant sind und sodann damit, daß eben auch ^ungestützte"*
Induktionen sich in aller Kegel bewähren, so duß eine un-
voIlstAndige Darstellung mehr deckt, als die dargestellten
42 Ctmadlegung.
Fakten aHein. Würde er das nicht hoffen, k&nnte ihm seine
Arbeit höchstens kanstlerischeB Interesse bieten. In dieser
Beziehung also ist zwischea der Theorie nnd Geschichte
gar keine Differenz. Speziell ist Vorhersage von Er-
scheinungen sicherlich das Ziel beider, wenn sie Oberhaupt
das Ziel auch nur eines von beiden ist. Es ist unrichtig,
sie in eiuea prinzipiellen Gegensatz zu stellen, zu behaupten,
dafi beiden verschiedene Auffassungen vom Wesen einer Wissen-
schaft zugrunde liegen und fthnliches. Der Unterschied liegt
im folgenden : Die Deskription macht bei der Katalogisierung
von Fakten Halt, die Theorie nimmt eine Umformung mit
denselben vor, aber keineswegs zu einem besonders weit-
reichenden oder geheimnisvollen Zwecke, sondern lediglich
zu einer besseren Übersiebt über dieselben. Siekonstruiert
ein Schema für sie, das den Zweck hat, die an- '
Obersehbare Fülle von Tatsachen kurz zum Aus-
drucke zu bringen und jenes Zurechtfinden in
denselben, das wir als Verstündnis bezeichnen,
in so kurzer und so vollständiger Weise wie
möglich zu erreichen. Ihre Itesultate sind natürlich
nur wahrscheinlich und nie gewiß, ila sie nur auf einem Teile
des wirklich vorhandenen Tatsachen materiales beruhen, aber
auch die Resultate der Deskription sind nie gewifi, wenn
mau Oberhaupt Resultate aus ihr gewinnen will. Und das
will man auch, denn die Fakten an sich w&ren ja ohne viel
Interesse.
Aber auf unserem Gebiete besteht dennoch ein grofier
Unterschied zwischen Theorie und Deskription: Derselbe
liegt jedoch nicht im Wesen der Sache, sondern kommt daher,
daß sich Theoretiker und Historiker in allgemeinen und
auch naturgemäß mit verschiedenen Problemen befassen und
über die Wahl der Tatsachen verschiedeuer Meinung sind.
Es ist daher kein Wunder, daß Theoretiker und Historiker
wechselseitig die andere Richtung als wertlos bezeichneten.
Da Deskription und Theorie verschiedene Methoden erfordern,
und Louteu von sehr verschiedenen Anlajien und Geistes-
richtungon symi>athisch sind, so erklilrt sich der bestehende
Der Aiugangtpnnkt unserer Theorie, 43
Gegeosttz mebr als zur GenDge, besonders dann, wenn beide
Teile das Gebiet strenger Wiasenschaft Qberschreiten , um
dieselben praktischen Fragen in Angriff zu nehmen.
S 6. Die Erklärung, die unsere Theorie leistet, ist also
eine Beschreibung von funktionellen Beziehungen zvischen
den Elementen unseres Systemes, mittelst möglich kurzer
and möglichst allgemeingiltiger Formeln. Diese Formeln
nennen wir nun „ Gesetze". Der Gesetzesbegriff in der
Ökonomie ist von einem ganzen Walde von Mifi verstau dnissen
umgeben und bekanntlich der Gegenstand stets erneuerter
Kritik. Die Frage, ob es überhaupt Gesetze vom menschlichen
Hudeln geben könne und ob dabei eine bestimmte Stellung-
nahme im Probleme der Willensbestimmung nötig sei, wird
immer wieder erörtert. Metaphysische und politische Be-
denken gegen deuselben und ebensolche Gründe fUr ihn
machen diese Diskussiou besonders unerquicklich. Wir
glauben nun, daß unsere Definition desselben alle Schwierig-
keiten umgeht. Nach derselben sind die ökonomischen Ge-
setze vor allem keine Postulate von der Art moralischer
Vorschriften. Sie stellen kein Ideal der Wirksamkeit gegen-
Dber, sondern sollen einfach ein Bild wirklicher Vorgänge
sein. Es wird nicht behauptet, daß ihre Geltung wünschens-
wert sei, noch weniger, daß man auf sie hinarbeiten und
die Wirtschaftspolitik auf sie basieren mUsse. Das war tat-
sächlich die Auffassung vieler Kationalökonomen und ist es^
auch heate noch. Selbst wenn manche Autoren eine der
unseren ähnliche Ansicht prinzipiell zum Ausdrucke bringen,
so bandeln sie doch nicht darnach und suchen fttr das „freie
Walten" jener Gesetze einzutreten, was so aussieht, wie
wenn dieselben selbständige Faktoren des wirtschaftlichen
Geschehens darstellen würden. Wie wenn in denselben ewige
Kräfte enthalten wären, wird von ihrer „Wirksamkeit" ge-
sprochen. Mag das auch oft nur eine unvollkommene Aus-
dmcksweise für richtige Behauptungen sein, jedenfalls hat
es sehrdazubeigetragen, die Nationalökonomie zu diskreditieren.
Nach dem Gesagten braucht kaum noch hervorgehoben
44 Grundle^Dg.
zu werden, daß wir nichts dergleichen behaupten wollen.
Auch keine großen Kausalzusammenhänge sollen
aufgefunden , sondern nur einfach sichtbare Vorgänge be>
sehrieben werden. Spekulationen irgendwelcher Art können
vom Historiker nicht schärfer verurteilt werden, als von
uns. Wir philosophieren nicht Qber das, was sein mQsse
auf Grund irgendwelcher ,, Notwendigkeit", sondern wir be-
schreiben, was in vielen Fällen ist. Dabei erwarten wir
allerdings, daß dasselbe auch in anderen Fällen, die wir nicht
beobachteten, sei, eine Erwartung die wir durchaus nicht
hegrQoden wollen, aber tatsächlich in hinreichend ireiteig
Maße bestätigt finden. Wir könnten allerdings unserer De-
finition noch ein Wort hinzufügen, das dieses Moment mm
Ausdrucke bringt, wir könnten unsere Gesetze als verall-
- gemeinerte Beobachtungen bezeichnen. Doch wollen wir das
Dicht tun , da wir eine vollständige Verallgemeinemng in
dem Sinne, daß wir jede Möglichkeit einer instantia contraria
ausschließen, uicht anstreben. Gewiß erwarten wir, daS
unsere Sätze auch andere Tatsachen, als die beobachteten
decken, wie jeder Historiker, der z. B. einige tausend Ur-
kunden aber ein bestimmtes Rechtsgeschäft gelesen hat,
erwartet, daß au demselben Orte und zu derselben Zeit
auch andere Rechtsgeschäfte derselben Art in ähnlicher Weise
abgeschlossen wurden. Sonst wtkrden wir jeue Sätze ttber-
haupt nicht aufstellen. Und wir suchen sie so zu formulieren,
daß wir darüber vernfinftigerweise beruhigt sein
können. Al>er im Prinzipe behaupten wir nicht, daß es
50 sein mttsse.
Man hat oft „exakte" Gesetze in einen prinzipielle
Gegensatz zu „statistischen*^ gestellt. Wir sehen nunmehr,
daß soweit kein solcher prinzipieller Gegensatz zwiscb«!
beiden besteht. Beide beruhen auf Beobachtungen von Tat-
tmchen. Wenn den ersteren oft die Sammlung von Tatsachen,
die die letzteren stutzt, zu fehlen scheint, so liegt das
lediglich daran, daß sich dieselben meist auf so allgemein
bekannte Erscheinungen t>eziehen, welche jedermann aub
seiner Erfahrung genau kennt, daß ueue Btatistisebe Tabellen
Der Ausgangsponkt unserer Theorie. 45
darüber ersichtlich überflüssig wären, daß jedermann in
seiner Erfahrung jene Menge von Tatsachen vorfindet, die
nötig ist, um jenes ,,Höchstrendement** von Einsicht abzu-
werfen. Wo das nicht der Fall ist, wie z. B. bei manchen
Problemen der Geldtheorie, müssen auch wir weitere Tat-
sachen sammeln.
Uns scheint das alles ganz klar und einfach zu sein,
so da6 kein Grund vorliegt, mit A. Marshall unsere Gesetze
als .Statements of tendencies'' zu bezeichnen. Was damit
gesagt sein soll, ist nichts anderes, als daß Umstände ein-
treten können, welche andere Resultate hervorbringen, als
unsere Gesetze erwarten lassen. Aber das ist nicht mehr
als selbstverständlich und reicht nicht aus, unseren Formeln
ihren Charakter zu nehmen. Auch jedes naturwissen-
schaftliche Gesetz ist dieser Eventualität unterworfen. Ein
auf einem Tische liegender Stein kann nicht zu Boden
fallen. Will man aus diesem Grunde das Gravitationsgesetz
als eine „Präzisierung von Tendenzen" bezeichnen, so mag
man das tun: prinzipiell ist nichts dagegen einzuwenden.
Aber ein Merkmal, das speziell unseren Gesetzen eigen
wäre, liegt hierin nicht.
Indessen haben wir das Wesen unserer Gesetze noch
nicht völlig erschöpft. Sie werden, wie gesagt, nicht un-
mittelbar aus den Tatsachenmateriale , sondern auf dem
Umwege einer Schematisierung desselben gewonnen. An
ihrem Wesen ändert das nichts. Aber ein gegenteiliger
Anschein ist unleugbar vorhanden. Wir gehen von Tat-
sachen aus. Aber, um unsere Beschreibung kürzer und
übersichtlicher gestalten und jene Momente an denselben,
für welche wir uns nicht interessieren, abscheiden zu können,
stellen wir gewisse Hypothesen auf, mit deren Hilfe wir sie
konzise ausdrücken können. Diese Hypothesen nun sind
Gegenstand vieler Diskussionen gewesen. So wie sie meist
ausgedrückt werden, erscheinen sie als große, allgemeine
Sätze und lassen hinlängliche Begründung in den Tatsachen
vermissen. Sie trifft daher sehr oft der Vorwurf aprio-
ristischer Spekulation. Die „unbewiesene Hypothese" !
46 Grundlegung.
Welcher Theoretiker hat dieses Schlagwort nicht gehört
und irgendwie zu widerlegen versucht? Steht und fällt das
Gebäude der Ökonomie wirklich mit der Anerkennung un-
bewiesener und vielleicht unbeweisbarer Sätze?
Man hat versucht die nötigen Hypothesen zu begründen
oder man hat ihre Geltung dahingestellt sein lassen und
zugegeben, daß das Folgende von ihrer Wahrheit abhängig
sei. Zweifellos ist der letztere Weg vorzuziehen, da der
erstere in die Gebiete anderer Disziplinen führen mofi.
Das ist klar. Aber wenn man wirklich eine Anzahl von
Sätzen glauben muß, um den weiteren beistimmen zu können,
so ist das nicht unbedenklich: Man weiß, welcher Art
manche dieser Hypothesen, von wie kontroversem Charakter
sie sind. Wir wollen sie hier nicht diskutieren, sondern
nur unseren Standpunkt präzisieren: Die Hypothesen, die wir
machen, sind an sich ebenso willkürlich wie Definitionen. i
Wohl werden wir durch Tatsachen zu ihrer Aufstellung
veranlaßt. Aber prinzipiell schaffen wir sie aus eigener
Machtvollkommenheit. Nur diesem Umstände verdanken
sie, wiederum gleich Definitionen, ihre scheinbare Sicherheit
Aber wir tragen Sorge, in ihnen so wenig als möglich
zu behaupten und auch dieses wenige wird nur als ein«
Hilfsmittel der Darstellung verwendet, keineswegs
aber als eine Erkenntnis ausgegeben. Diese beiden
Punkte unterscheiden unsere Hypothesen von aprioristischen
Spekulationen und genügen meines Erachtens, um alle Be-
denken zu l)eruhigen. Wir werden unser Vorgehen sehr
bald an einem wichtigen Beis])iele nilher darlegen und auch
später wiederholt auf diese Fragen zurückkommen. Hier
möchten wir uns auf das Nötigste beschränken, um nicht
erkenntnisth(^oretische Erörterungen zu sehr von prak*
tischem Arbeiten an Problemen zu trennen. Daher seien
nur noch einige wenige Bemerkungen gemacht.
Auch das i'ben Gesagte bildet keinen wesentlichen
Unterschied zwischen exakten und statistischen Gesetzen.
Denn auch solche haben stets gewisse Voraussetzungen und
wenn dieselben meist nicht scharf hervortreten, so ist das
Der Ausgangspunkt unserer Theorie. 47
Dar ein Mangel der Ausdrucksweise. Und auch der Histo-
riker kann ohne Hypothesen nicht auskommen. Ja über-
haupt jeder Satz, welchen Inhaltes immer er sein mag, hat
nur unter gewissen Voraussetzungen Sinn. Wir können
nicht anstreben, dieselben zu unterdrücken, sondern nur, sie
so zu wählen und so zu formulieren, daß sie der Geltung
unserer Resultate so wenig Eintrag als möglich tun. Unsere
Beschreibung unterscheidet sich von der Statistik also
höchstens durch einen komplizierteren Apparat, aber keines-
wegs etwa durch aprioristische Obersätze. Sie basiert auf
Tatsachen, eben so sehr als die Geschichte. Mit Philosophien
wollen wir ebensowenig zu tun haben als diese.
Dieses Bestreben geht soweit, daß wir sogar die Be-
griffe Grund und Folge tunlichst vermeiden wollen. Wir
möchten nicht von „Ursachen" der Erscheinungen, sondern
nur von funktionellen Beziehungen zwischen denselben
sprechen und zwar der größeren Präzision wegen. Der
Funktionsbegriif, der von der Mathematik sorgfältig aus-
gearbeitet wurde, hat einen klaren zweifelsfreien Inhalt,
der ürsachenbegriff aber nicht. Und besonders für unser
Thema und ganz abgesehen von allgemeinen Gründen
empfiehlt sich das. Was die einzelnen Elemente unseres
Systemes „sind", und warum sie gerade so und nicht anders
sind, warum irgendein Wirtschaftssubjeki gerade diese und
keine andere Ment^e Brot besitzt, das können wir nicht bis
auf „letzte Gründe" verfolgen. Wir nehmen sie als gegeben
an und wir werden sehen, daß sich die konkreten Resultate
unserer Disziplin aus gewissen Wechselbeziehungen ergeben,
sodafi sich uns der Funktionsbegriif und nicht die Kausal-
relation aufdrängt. Die Klarheit, die durch seine Ver-
wendung möglich wird, hilft über manche Schwierigkeit
hinweg und es versteht sich von selbst, daß wir tiberall
dort, wo der Funktionsbegriff sich ungezwungen anwenden
läßt, ihn vorziehen werden, da wir mit ihm weniger be-
haupten, als wenn wir von Grund und Folge sprechen, und
so den Raum für Kontroversen beschränken ^
' Daa wir vollends jeder Teleologie fernstehen, bedarf nach dem
Gesagten kaum mehr besonderer Hervorhebung.
48 Grundlegung.
Lediglich Beschreibung und zwar Beschreibung gewisser
funktioneller Beziehungen bietet uns also die Theorie. Es
ist eine Täuschung zu glauben, daß sie mehr bieten kann.
Oft ist es eine harmlose Täuschung, die die konkreten
Resultate nicht beeinträchtigt. Aber auch dann verwirrt
sie uns, wenn wir über die Grundlagen unserer Disziplin
nachdenken, und auch dann kann sie zu Einwendungen
gegen die Nationalökonomie überhaupt führen. Vielleicht
hätte der Methodenstreit nie diesen Umfang gewonnen«
wenn die Theoretiker nicht gleichsam eine höhere Weihe
für die Theorie in Anspruch genommen hätten. Die Be-
hauptung, daß unsere Sätze eine größere Sicherheit hätten,
als die Erfahrung bieten könne, daß sie das Wesen der
wirtschaftlichen Erscheinungen und ihre Gesetze über jeden
Zweifel hinaus feststellen, sind für viele wohlbekannte An-
griffe verantwortlich, denen aber wiederum entgegengehalten
werden muß, das Schicksal unserer Disziplin ohne genügende
Prüfung mit jenem dieser Behauptungen verknüpft zu haben.
IIL Kapitel-
Tauschrelation.
§ 1. Wenn wir nun also an die Aufgabe herantreten,
jene Abhängigkeitsverhältnisse, von denen wir sprachen, zu
beschreiben, so fällt uns eine bereits fertige Relation zwischen
den ökonomischen Quantitäten in die Augen : der Preis,
oder besser die Tauschrelation. Nahezu alle Güter
stehen in dieser Beziehung zueinander. In einer voll-
kommenen Verkehrswirtschaft steht jedes Gut in jedem
gegebenen Zeitpunkte in einer festen Tauschrelation zu
allen anderen, kann, anders ausgedrückt, um einen bestimmten
Preis gekauft und verkauft werden. In diesem Falle ist
es dann klar, daß wir mit Hilfe dieser Tauschrelation alle
ökonomischen Quantitäten abwechselnd auseinander ableiten
können. Kennen wir z. B. die Tauschrelation, in der Arbeit
zu allen anderen Gütern steht, so können wir für jeden
gegebenen Arbeiter die Menge der Güter, die er sich ver-
schaffen wird, ableiten. Dabei ist vorausgesetzt, daß der
Mann eine bestimmte Arbeitskraft, bestimmte Arbeitslust,
bestimmte Geschmacksrichtung usw. hat und daß sich das
nicht plötzlich ändert. Auf letztere Voraussetzung kommen
wir noch zurück.
Aber die Tauschrelation ist nicht immer vorhanden,
nicht in der isolierten Wirtschaft und nicht in jenen Ele-
menten isolierter Wirtschaft, die sich tatsächlich auch in
der Verkehrswirtschaft wiederfinden. Um nun trotzdem
nicht' auf dieses schon bereitliegende Werkzeug oder auf
Sehuinp#t#r, Nationalökonomie. 4
50 Grundlegung.
AllgemeiDgiltigkeit unserer Resultate verzichten zu mOsseo.
wollen wir es auch dort ergänzen, wo es fehlt, indem wir
alles wirtschaftliche Handel n alsTausehen auf-
fassen und annehmen, daß auch dort, wo keine Taosch-
relatiOD vorhanden ist, die Wirtschaft ebenso ablftaft, wie
wenn eine solche vorhanden wäre. Das ist keinesw^s so
paradox wie es aussieht. Man beachte, dafi alles wirt-
schaftliche Handeln fUr uns nichts anderes ist, als eine
Veränderung der Okououüschen QuaDtitAten. Wer Arbeit
z. B. gegen Brot vertauscht, verändert die in seinem Besitze
befindlichen Mengen beider Güter, und dasselbe tut der
isolierte Wirt, der ein Stack Wild erlegt, indem er etwa
seinen Vorrat an Kugeln oder Arbeitskraft verringert und
den au Nahrungsmitteln vergrOfiert. In dieser Weise kann
man das Schema des Tausches auf jede wirtschaftliehe
Handlung unweuden und sogar darüber hinaus, wovon noch
'die Rede sein wird. Es ist das auch keineswegs neu. Die
Produktion z. B. als Austausch produktiver Dienste auf-
zufassen, ist ein alter Gedanke*. Wir finden unseren Voi^
gang gerechtfertigt, wenn wir beachten, daS wir ja bei der
Besrlireibuiig unserer Tauschreliition von keinen Annahmen
Gebrauch machen, welche sich nicht auf die isolierte Wirt-
schaft anwenden ließen; sodann läfit sich verstehen, dafi
hier und dort — wenigstens insoweit — dasselbe vor sieb
geht und endlich werden wir uns mit unserer Auffassung
zufrieden geben, wenn die Resultate, zu denen sie fllbrt,
klappen.
Der Tau»;li bildet also sozusagen die Klammern, welche
das ökonomische System tusammenhalten oder, mit einem
anderen Bilde, dessen Leitungsdrahte. In der Tauseh-
relation Hegt alles Reinökonomisclie, was nach dem OeBagten
■ Et ist derselbe Gni&nke, der Biachof Whately (Introdactotj
Lectnrcal versnl&Bte, unsere WisaenBchaft „Cttalactica" lu nmnoL
Et drückt ebo der unseren g&nc ihnlioha Au^'^uung aus, wenn er
' sagt, dall für (H<- Ökonomie der Mcnteh ein Wesen sei, das tKoacht,
nnd (laß dor^elbc fQr aie nur in di«iem Punkt« iatercsMtit a«L
Die Tauschrelation. 51
nicht mehr als selbstverständlich ist, und zwar gilt das, wie
gesagt, auch von der isolierten Einzelwirtschaft und vom
sozialen Staate. Wenn wir jede wirtschaftliche Handlung
als Tauseh auffassen oder noch richtiger, wenn wir alles,
was in unserem Systeme geschieht und was nichts anderes
sein kann, als eine Veränderung der ökonomischen Quanti-
täten, Tausch nennen, so behaupten wir nicht, daß jede
andere Behandlungsweise schlechter oder falsch sei, und
wir wollen auch keineswegs soziale Konsequenzen auf diese
Auffassung stützen. Man hat das öfters getan — ein Bei-
spiel geben uns die Harmonieökonomen — , und daher
kommt zu einem guten Teile die Animosität gegen diese
Aa£Eusungy die zweifellos vorhanden ist Man hat das
vielfach als einen Versuch aufgefaßt, soziale Gegensätze zu
verwischen oder als harmlos darzustellen. Sowohl die so-
genannten Harmonisten als auch die Klassiker machten an
diesem Punkte manche Seitensprünge in die Welt der sozi-
alen Kämpfe und von der anderen Seite wurde oft mit
Nachdruck hervorgehoben, daß die Ausdrucksweise der
Ökonomen den sozialen Gegensätzen nicht gerecht werde.
Wir aber wollen nichts derartiges behaupten. Wenn wir
dennoch, wie sich in der Verteiluugstheorie zeigen wird,
auf diese Gegensätze nicht eingehen, so geschieht das nicht,
um irgend welche sozialpolitische Resultate zu erzielen,
sondern nur um unserer Überzeugung Ausdruck zu geben,
daß die reine Theorie der Wirtschaft dieselben mit ihren
Mitteln nicht behandeln kann, daß sie anderen Gebieten
angehören, welche anderen Charakter haben und andere
Methoden erfordern. Auf diese Differenzen zwischen unserer
Auffassung und der der älteren Nationalökonomie werden
wir immer zurückzukommen haben. Die letztere gab sich
der Hoffnung hin, das Getriebe des sozialen Lebens vom
Standpunkte der Ökonomie erfassen zu können. Ihre letzte
Konsequenz in dieser Beziehung ist die sogenannte öko-
nomische Geschichtsauffassung und alles, was in dieser
Richtung liegt Wir aber verzichten auf alles das.
4*
52 GrUDdleping.
Die heutige NatiODalftkooomie geht meieit anders vor:
Sie behandelt diese Fragen, aber nicht auf Grund der
reinen Theorie in der Weise der Früheren, eondern korrekter
auf Grund neuen Tatsachenmateriales. Dieser Weg hat
gewiß seine Berechtigung. Doch betreten wir ihn nicht,
weil ich der Ansicht bin, daß Arbeitateilung fttr so yer-
sehiedene Gebiete vorzuziehen ist. Wen gerade jene Prob-
leme interessieren, der lege dieses Buch aus der Hand.
Aber es wäre ungerecht, meine AnffasBong als veraltet tu
bezeichnen. Sie entspricht den modernen Anschauungen
über die Behandlung der sozialen Probleme vollkommen and
wenn sie dieselbe aus der reinen Ökonomie ausschließt, so
liegt darin ganz dieselbe Kritik der einseitig Ökonomischen
Auffassung derselben , wie in dem üblichen Voi^ehen :
Ausscheidung dieser Probleme oder Behandlung auf
neuen Grundlagen — für die reine Theorie kommt beides
auf dasselbe hinaus; in jenem Falle muß die letztere darauf
verzichten, hier das entscheidende Wort zu sprechen und
gerade in ihrem Interesse liegt es, daß das auch von theo-
retischer Seite betont werde. Vergesse man bei Beurteilung
moderner Theorie nicht, daß sie sich selbst auf ein weit
kleineres Gebiet beschränkt, als die ältere. Und nur dieses
kleine Gebiet wollen wir behandeln.
Zu erklären was der Preis ist , und gewisse formale
Bewegungsgesetze abzuleiten, ist unser einziges Bestreben.
Gewiß verzichten wir damit Huf alles das, was den meisten
I^euten gerade als das Interessanteste erscheint, und die
Korrektheit unserer Sätze bezahlen wir mit einem groflen
Teile ihres Wertes. Worin derselbe besteht, werden wir
an verschiedenen Orten darzulegen suchen, doch liegt es
uns ferne zu leugnen, daß man darüber sehr verschiedener
Ansicht sein kann. Wohl aber behaupten wir, daS diese
Betrachtungsweise auf das genannte enge Problem am besten
paßt, l>esser als die anderen. Große soziale Resultate kAunea
dabei nicht herauskommen. Nirgends zeigt sich diese Differenz
der Auffassung mehr als beim Maximumprobleme, «o wir
die korrekte Formulierung und die Allgemeingut igkeit unserer
Die TauschrelatioD. 53
Sätze mit all dem aktuellen Interesse erkaufen, das das
Problem der freien Konkurrenz, des Freihandels, des laisser
faire, des Individualismus von jeher erweckt hat. Ein anderes
Beispiel ist das Wertprinzip : Wir knüpfen daran nicht etwa
KoDsequenzen, die jenen ähnlich wären, die Marx aus dem
Arbeitsprinzip zieht. Manche Theoretiker haben das aller-
dings getan, worauf wir noch zurückkommen werden. Aber
für uns ist der Wert lediglich ein Erklärungsprinzip, das
uns dazu hilft, die Eindeutigkeit unseres Systemes nach-
zuweisen und die Bedingungen des Gleichgewichtes voll-
kommener anzugeben als es die ältere Theorie tut. Wir
leugnen, wie gesagt, nicht, dafi man auch für die Erfassung
der rein wirtschaftlichen Vorgänge mit sozialen Kategorien
zuwerke gehen könnte, ja wir geben sogar zu, daß man
in mancher Hinsicht wertvollere Resultate erzielt, wenn man
das tut. Man kann etwa von den Vorstellungen ausgehen,
die der Ausdruck „Preiskampf** wachruft und auf das, was
wir reine Ökonomie nennen, überhaupt verzichten, ohne im
grofien und ganzen eine besondere Lücke zu fühlen. Das
tut denn auch die deutsche Wissenschaft seit nunmehr ge-
raumer Zeit. Was wir für unsere Auffassung anzuführen
haben, ist hauptsächlich nur, daß sie zu einem klaren exakten
Systeme führt , dem einzigen , das es auf dem Gebiete der
Wissenschaften vom Menschen bisher gibt. Unsere Auf-
fassung jeder wirtschaftlichen Tätigkeit als Tausch kann
also, weil lediglich formal, unmöglich anstößig
sein, und, so wie wir sie definiert haben, umfaßt sie nicht
nur eine sogenannte „Verkehrstheorie", sondern es ist alle
reine Wirtschaftstheorie nur eine Untersuchung des Tausch-
problemes. Man hat oft getadelt, daß die Theorie alles
Wirtschaften auf „Schachern" zurückführt, und mit einem
Seitenblicke auf soziale und ethische Bedenken den Ausdruck
.Börsenökonomie** geprägt. Dieser Einwurf beruht sicher
zu einem großen Teile auf einem Mißverständnisse methodischer
Hilfsmittel, wenn er auch in einzelnen Fällen begründet
sein mag, namentlich dort, wo die Theoretiker auf praktische
Fragen zu sprechen kommen. Nach unserer Auffassung,
54
Grundlegung.
die den Tausch auch dort einführt , wo es keinen Verkehr
gibt, ist dieser Ausdruck lediglich ein Synonymum für „wirt-
schaftliche Handlung** oder „wirtschaftliche Überlegung mit
Rücksicht auf eine mögliche Handlung** oder besser, das
Moment des Tausches bildet den exakten Kern, der in diesen
Worten liegt.
IV. Kapitel.
Erörterang der Frage, wie die Tausclirelation am
besten zu erfassen ist, und einige andere Punkte.
§ 1. Die Tauschrelation also charakterisiert unser Gebiet.
Sie scheidet aus dem Tatsachenmateriale ab, was nicht rein-
ökonomisch ist. Wir werden sehen, daß alles, was sie nicht
umfaßt, entweder anderen Disziplinen angehört oder exakter
Behandlung überhaupt nicht zugänglich ist. Nun suchen
wir vor allem nach einem Prinzipe, das uns die Tausch-
relation beschreibt. Jeder Ausdruck, der, wenn gewisse
Größen in ihn eingesetzt werden, uns die gesuchten Elemente
unseres Systemes ergibt, ist dazu geeignet, ohne daß wir
danach fragen müßten, ob er an sich genommen eine wert-
volle Erkenntnis darstellt oder nicht. Da wir ferner natur-
gemäß nie alle in der Wirklichkeit vorkommenden Tausch-
relationen beobachtet haben können, so hat dieses Prinzip
den Charakter einer willkürlichen Hypothese, die wir so
lange benutzen können, als sie uns nicht auf einen un-
erklärlichen Widerspruch mit den Tatsachen führt. Wir
werden naturgemäß, wenn wir können, von der Beobachtung
irgend einer Tatsache ausgehen, und insoweit ist das Prinzip
nicht ganz willkürlich. Wir werden aber in der ausgeführten
Weise dasselbe dann auch auf Fälle anwenden, die wir nicht
beobachten können z. B. auf solche, die in der Zukunft
liegen. Wir werden unsere Hypothese auch nicht jedesmal
oaehprüfen können oder wollen, sondern bis auf weiteres
wdiich darauf bauen. Darin liegt ja überhaupt das
56 Grundlegung.
Wesen eines wissenschaftlichen Erklärungs-
prinzip es. Haben wir ein solches Prinzip gefanden, aus
dem sich die Tausehrelation ergibt, und das uns gestattet,
die Größe und die BeweguDgsgesetze der ökonomischen
Quantitäten daraus zu gewinnen, so ist alles getan. Die
Diskussion der Bewegungsgesetze derselben gibt
dann die ganze reine Ökonomie.
Die ganze Natur unseres Systemes, der Anblick unseres
theoretischen Gebäudes hängt von dem Prinzipe ab, das wir
wählen und je nach der Verschiedenheit des Prinzipes können
die wissenschaftlichen Bilder einer und derselben Wirklich-
keit verschieden ausfallen. Eine solche Verschiedenheit be-
deutet an sich noch nicht, daß eine Meinungsverschiedenheit
über das Wesen der Wirtschaft oder über praktische Fragen,
daß überhaupt eine prinzipielle Verschiedenheit zwischen
den Autoren der Bilder besteht. Wenn jemand den Wert
und jemand anderer die Arbeit als Bindeglied annimmt, so be-
deutet das noch keineswegs eine Verschiedenheit in der
Auffassung des sozialen Geschehens. Wenn trotzdem die
Arbeitstheorie eine sozialistische Färbung hat, und die
meisten Vertreter der Werttheorie antisozialistisch gesinnt
sind, so kommt das nicht von der Rolle, die Arbeit und
Wert in deren respektiven Lehrsystemen spielen ^^ sondern
daher, weil beide Teile diesen beiden grundlegenden Mo-
menten eine über die Rolle eines Erklärungsprinzipes hinaus-
gehende Stellung anwiesen. Wir tun das nicht, aus dem
Grunde, weil unsere Resultate dadurch nichts gewinnen
könnten, und weil es eben unser Grundsatz ist, nur das zu
erörtern, was für die Resultate entscheidend ist Ein Er-
klärungsprinzip kann daher ganz gut irgendein Umstand
sein, der außerhalb unseres Gebietes und speziell für die
soziale Diskussion jedes Interesses entbehrt. Wenn wir also
unser System überblicken, um ein solches Prinzip zu finden.
' Dali jener theorctirtchc Ausgangspunkt nicht notwendig jene
praktische Stellungnahme zur Folge hat, zeigt das Heispiel nicht-
sozialistischer Marxisten.
Erörterung der Frage, usw. 57
SO machen wir uns keineswegs die Fragestellung Marx' zu
eigen, nämlich, was den Gütern gemeinsam sei, worin sie
vergleichbar seien. So tief gehen wir nicht. Nach einer
metaphysischen Gleichheit in irgendeiner Eigenschaft suchen
wir nicht, wir fragen uns nicht, wie es möglich ist, daß
man so verschiedene Dinge vergleichen kann, wir begnügen
uns mit der Tatsache, dafi solche Relationen bestehen.
Vielleicht vor allem bietet sich zur Beschreibung dieser
Relationen das „Kostenprinzip'' dar. Dasselbe gestattet ohne
weiteres, Quantitäten von Gütern auf solche anderer Güter
zorückzuführen und aufierdem, eine Anzahl Tauschrelationen
eben&Us auf andere zurückzuführen. Ähnlich sind Güter-
mengen durch das Moment der Arbeitsaufwendung verbunden,
was bekanntlich zu einer einigermaßen vom Kostenprinzipe
verschiedenen Auffassung führt. Endlich haben wir das
Wertprinzip. Die Wahl zwischen diesen Prinzipien wird
nim für uns nicht von einer aprioristischen Diskussion ihrer
Richtigkeit abhängen. Es ist im allgemeinen unser Grund-
satz, nicht a priori über Prinzipien zu streiten; außerdem
würde uns nicht ihre Richtigkeit, sondern nur ihre
Brauchbarkeit interessieren. Wir machen an dieser
Stelle wiederum auf unsere Art aufmerksam, die großen
Kofltroversen in unserer Wissenschaft zu behandeln. Solche
aprioristische Diskussionen suchen wir tunlichst zu vergessen
und ohne dem einen oder anderen Teile Recht oder Unrecht
ta geben, suchen wir uns Schritt für Schritt unseren Weg
n unseren Resultaten. Wir werden das Wertprinzip be-
nutzen, aber nicht deshalb, weil wir das für die allein
richtige Auffassung halten, sondern weil es für die Erzielung
unserer Resultate am praktischsten ist, weil wir damit am
weitesten kommen. Aber wir werden nicht behaupten, daß
jede andere Auffassung „falsch" sei und zu keinem brauch-
baren Resultate führen könne, wie es oft geschieht.
Gewiß zeigt es sich, daß die Preise der Güter im all-
gemeinen mit ihren Kosten in engem Zusammenhange stehen
und daß man die Tauschrelation sehr häutig als Verhältnisse
der Kosten definieren könnte. In diesen Fällen ist das
58 Grundlegung.
sicher Dicht falsch, und zu sagen, dafi der Preis eine Funktion
der Kosten sei, ist in der grofien Mehrzahl der Fälle ein»
fach unbestreitbar. Wenn man diesen Sachverhalt so aus-
drückt, daß man sagt, die Kosten seien die Ursache des
Preises, so werden wir uns allerdings dagegen wehren, weil
wir den Ursachenbegriff überhaupt eliminieren möchten, aber
wenn man damit nichts anderes sagen will, ahs dafi man
den Preis in vielen Fällen aus den Kosten ableiten könne,
so haben wir dagegen nichts einzuwenden.
Es sind die praktischen Mängel, die Mängel fQr die
Praxis der wissenschaftlichen Arbeit, welche uns veranlassen,
das Kostenprinzip abzulehnen. Es versagt vor allem, wie
bekannt, an nicht vermehrbaren Gütern, sodann bei der Er-
klärung der Monopolpreise, und es vermag uns aofierdem
nichts gerade über die interessantesten Probleme unserer
Disziplin zu sagen. Wenn wir nämlich die ZurQckfQhmogen
vornehmen, die das Kostenprinzip überhaupt vorzunehmen
gestattet, so kommen wir auf Arbeit und Boden als die
letzten Elemente zurück. Nun stehen aber diese ihrerseits
auch in Tauschrelationen zu anderen Gütern, als zu denen,
die bestimmte Quantitäten von ihnen erzeugt haben, das
heißt, sie haben einen Preis, ohne daß auf sie das Kost«n-
prinzip anwendbar wäre. Das ist nun sehr unangenehm,
weil Arbeit und Boden gerade jene Güter sind, deren Preis-
bestimmung zu den interessantesten Problemen der Ökonomie
gehört. Daß es sich aber so verhflit, sieht man nirgends
deutlicher als in dem Systeme Ricardos. Es ist nichts
klarer, als daß das Kostenprinzip es nicht vermag, eine
Theorie des Lohnes und der Grundrente zu geben. Ricardo
muß sich also nach anderen Momenten umsehen, um diese
Lücke auszufüllen. Bei der Rententheorie geschieht das
vermittelst der Heranziehung eines ganz neuen Momentes,
nämlich des Gesetzes vom abnehmenden Bodenertrage. Man
sieht da ganz klar, und es ist auch ganz konsequent, dafi
der Boden eigentlich keinen Preis haben könnte, und dafi
der Umstand, daß er ihn tatsächlich hat, geeignet ist, das
ganze System, wenn es logisch strenge auf dem Kosten-
ErOrtenmg der Frage, usw. 59
prinzipe beruhen sollte, umzustofien. Ricardo betritt auch
wirklich den einzigen möglichen Weg, den es von seinem
Standpunkte gesehen aus dieser Sackgasse gibt, wenn er
Tersacht, den Preis des Bodens zu eliminieren, indem er
ihn als ein „plus** erklärt. So wird die Rente abgeleitet,
ohne sie als Preis zu erklären. Die Tatsache, daß der
Grand und Boden tatsächlich einen Preis hat, wird weg-
erklärt, indem gesagt wird, dafi dieser Preis kein Preis sei.
Ganz ähnlich steht die Sache mit dem Lohne. Wenn
Ricardo sein Kapitel über den Lohn, wie bekannt, mit den
Worten einleitet, dafi Arbeit eine Ware sei, die einen
Marktpreis hat wie jede andere, so ist darauf zu entgegnen,
daß, wenn er Arbeit nicht zu den unreproduzierbaren Gütern
rechnen will, wie alte Gemälde, er entweder den Lohn ebenso
wie die Rente wegerklären oder die Arbeit als reproduzier-
bares Gut auffassen und den Lohn als gleich den Re-
produktionskosten annehmen muß. Vom Standpunkte des
klassischen Systemes ist diese letztere Theorie die einzig
mögliche. Außerhalb dieses Systemes hat sie dann eine
ganz andere Stellung und für die Theorie eine viel geringere
Bedeutung.
Das ist ein hübsches Beispiel für den Unterschied, der
besteht zwischen dem theoretischen und dem praktischen
Interesse an einer Theorie. Dem Praktiker ist es in der
Regel ganz gleichgültig, was den Theoretiker zur Aufstellung
seiner Theorien veranlaßt. Für den Theoretiker natürlich
ist es sehr entscheidend, ob eine Theorie für sein System
essentiell ist oder aber nur auf einem ad hoc herbeigezogeneu
Momente beruht, das man ohne Schaden für den Rest des
Svstemes wieder fallen lassen kann. Auch dafür ist unser
Satz ein lehrreiches Beispiel, eine wie ganz andere Stellung
ein und dieselbe Theorie auch innerhalb einer und derselben
Disziplin auf verschiedenen Entwicklungsstufen derselben
haben kann. Das Kostenprinzip angenommen und zur Grund-
lage des theoretischen Systemes gemacht, führt deduktiv zu
der Reproduktionskostentheorie des Lohnes. In einem Systeme
der Ökonomie, das auf dem Wertprinzipe beruht, ergibt sich
60 Grundlegung.
deduktiv keine solche Theorie. Wird sie dennoch aufgestellt,
so muß sie durch die Tatsachen uns aufgedr&ngt werden.
Im ersteren Falle dagegen ist bloß erforderlich, dafi sie von
den Tatsachen nicht desavouiert wird. Das gibt zu
den folgenden Bemerkungen Anlaß.
Erstens, eine solche Theorie kann zu einem wirklich be-
rechtigten Kriterium zwischen zwei Systemen einer und der-
selben Wissenschaft werden, einem berechtigteren, als es
aprioristische Obersätze und allgemeine Grundprinzipien sind.
Kommen wir auf Grund eines Systemes zu einem de-
duktiven Resultate, wie es diese Theorie ist, so haben wir
es wie alle anderen Resultate an der Wirklichkeit zu prüfen.
Das Ergebnis dieser Prüfung wird nun zu unserer Wahl
zwischen beiden Systemen sehr wesentlich beitragen. Erweist
sich das Resultat als richtig und wertvoll, und ergibt es
sich nicht ohne weiteres auch aus dem zweiten Systeme, so
wird das sehr für das erstere sprechen. Desavouiert die
Wirklichkeit das Resultat, dann wird es als ein Vorteil
eines Systemes erscheinen, wenn es über diesen Punkt über-
haupt nichts aussagt, aber wir sind noch keineswegs genötigt,
das erste Svstem aus diesem Grunde zu verlassen. Im all-
gemeinen werden wir das auch nicht tun, nur deshalb, weil
es in einem Punkte versagt. Gewiß macht uns das das
ganze System verdächtig, weil man darauf gefaßt sein mufl,
nun auch andere Diskrepanzen mit der Wirklichkeit zu
entdecken, aber wenn uns Gründe veranlassen, auf dem
Boden des Systemes zu bleiben, so werden wir uns mit
einer Hilfshypothese helfen. Vielleicht das bekannteste Bei-
spiel in der Geschichte der Wissenschaft für ein solches
Vorgehen ist die Geschichte 'des ptolemäischen Systemes:
Endlich und schließlich wächst die Zahl der Hilfshypothesen
so, daß wir uns von dem Flickwerke abwenden, sobald wir
es nur entbehren können, und eine neue Hypothese, all-
gemeiner, einfacher und jugendkräftig tritt an die Stelle der
alten, um schließlich demselben Schicksale anheimzufallen,
wenn ihr Tagwerk vollbracht ist. Nun wäre nichts ver-
fehlter, als das alte System zu verspotten oder als grund-
Erörterung der Frage, usw. 61
falsch zu erklären. Abgesehen davon, daß es uns immer
noeh manches za lehren vermag, darf man nie vergessen,
dmfi es etwas absolut Richtiges und Vollkommenes nicht
gibt, dafi es auf verschiedenen Entwicklungsstufen verschiedene
Dinge sind, die zu glauben heilsam ist, daß das neue System
nie entstanden wäre ohne das alte und daß der ruhige Gang
einer organischen Entwicklung gewahrt bleiben muß. Es
ist aber nicht nur fair, seinen Vorgängern diese Gerechtigkeit
zu erweisen, sondern es ist auch höchst schädlich für die
Wissenschaft, wenn man zuviel zu neuem sucht, das alte
zu früh verläßt und mit neuen Hilfsmitteln arbeitet, deren Zeit
noch nicht gekommen ist Wann der Übergang stattzufinden
hat, ist eine Frage, deren Entscheidung viel Takt erfordert.
Zweitens, mit großer Macht sind die Gedanken der
Klassiker in das praktische Leben gedrungen. Man kann
im Zweifel darüber sein , ob das von Vorteil für sie war.
Denn zahllosen Mißverständnissen wurden sie ausgesetzt und
ein ungeheuerer Mißbrauch wurde mit ihnen getrieben,
dessen natürliches Resultat eine vollständige Diskreditierung
war. Aber was besonders auch von wissenschaftlichen Öko-
nomen vernachlässigt wurde, das war der Zusammenhang
ihrer Lehrsätze untereinander. Gewiß war ihr System kein
so ganz einheitliches. In verschiedener Hinsicht nicht , vor
allem deshalb nicht, weil es überhaupt nicht reinökonomisch
war, was wir schon andeuteten. Aber dennoch kann man
nicht nach Belieben einzelne Teile festhalten und andere
verwerfen, wenigstens dann nicht, wenn man sich in rein-
ökonomischen Bahnen bewegt. Das ist aber nun vielfach
geschehen; Sätze, welche nur Sinn und Bedeutung im ganzen
Systeme der Klassiker haben, nur in dessen Zusammenhange
voll verstanden werden können, werden vielfach von Leuten
vertreten, welche auf ganz anderem prinzipiellen Boden
stehen. Das beste Beispiel dafür ist die Rententheorie,
welche nichts ist als die Reversseite des Kostenprinzipes
und jede Berechtigung verliert, wenn dieses gefallen ist.
Doch empfiehlt es sich auf die weitere Diskussion dieses
Froblemes in anderem Zusammenhange einzugehen.
Q2 Grandlegang.
Kommen wir dud zu dem zurück, wovon wir sprachen.
Ein Lückenbüßer für die mangelnde Bestimmung des Lohnes
ist auch die Lohnfondstheorie und auch für sie liegt der
Angelpunkt des Verständnisses durchaus in den Grundlagen
des Systemes der Klassiker. Man darf nicht etwa aus dem
Satze Ricardo's, den wir zitierten, schlieöen, dafi er den
Preis der Arbeit aus Angebot und Nachfrage ableiten wolle,
im Sinne der modernen Theorie. Das lag ihm vollständig
ferne und es gehört zu den wohlwollenden Mißdeutungen,
denen man Ricardo unterwirft um ihn zu retten und den
Modernen ihre Originalität zu bestreiten, wenn man der-
gleichen behauptet. Wenn aber Ricardo wirklich die Erklärung
des Lohnes im Werte der Arbeit gesucht hätte, so läge
darin eine Bestätigung unserer Behauptung, dafi das Kosten-
prinzip hier versagt^ und man sich nach einem anderen
Hilfsmittel umsehen muß. Aber, wie gesagt, darin liegt
nichts so Schreckliches, und wir wären bereit, ebenfalls diesen
Weg zu betreten. Wenn wir aber ein Prinzip finden, das
keine Hilfshypothese nötig macht und das ein tadellos reines
System ganz einheitlich abzuleiten gestattet, das viele wert^
volle Resultate liefert, ohne daß diesen Vorteilen irgendein
Kachteil gegenüberstünde, so wUre es doch einfach töricht,
dasselbe abzulehnen, zumal es uns durchaus freisteht, unsere
Ausdrucksweise so einzurichten, dafi sie in vielen Fällen
auf beide Auffassungsweisen paßt. Es kommt noch hinzu,
dafi uns wenig geholfen wäre, wenn wir Arbeit und Boden
auf andere Güterquanten zurückführen könnten. Denn wenn
wir Arl)eit und Boden in der angegebenen Weise auflösen
könnten, würden wir uns im Kreise drehen, da die betreffenden
Güterquanten wieder auf Arbeit und Boden zurückzuführen
wären. So kann es mit Hilfe des Kostenprinzipes nie zu
einer vollständigen Analyse kommen. Aber was uns am
meisten bestimmt, vom Kostenprinzipe abzugehen, sind nicht
seine Mängel für die Beschreibung unseres Systemes in ab-
* Dcnu Angebot und Nachfrap^c fubren auf den Wert, wie wir
sehen worden.
Erörterung der Frage, usw. 63
soluter Rahe, sondern vielmehr seine Unfähigkeit, uns jene
BeweguDgsgesetze zu geben, welche unsere interessantesten
Resultate bilden. Es ist nichts leichter zu sehen, als daß,
wenn wir eines der Elemente des Systemes variieren, man
Termittelst des Kostenprinzipes nie dazu kommen kann, alle
Variationen, welche infolge dessen eintreten, zu erfassen,
aas dem Grande, — wenn wir für einen Moment uns eines
von ons nicht gebührend eingeführten Ausdruckes bedienen
dürfen — weil für das, was geschieht, wenn in dem öko-
nomischen Systeme etwas verändert wird, doch nicht blofi
die Kosten, sondern zum allermindesten a u c h die Nachfrage
entscheidend ist. Wenn von irgend einem Gute, z. B. in
Folge einer guten Ernte, mehr vorhanden ist, so kann
uns unser Prinzip nichts darüber sagen, wie das auf den
Preis wirken wird. Wo immer die Klassiker und jene, die
auf demselben Boden stehen, von Bewegungsgesetzen sprechen,
ziehen sie immer das Moment der Nachfrage heran oder
setzen eine bestimmte Art der Wirksamkeit desselben als
gegeben voraus oder ziehen nichtökonomische Momente
heran z. B. das Gesetz vom abnehmenden Ertrage, bestimmte
Sfttze über Bevölkerungsvermehrung und dergleichen mehr.
Was wir vom Kostenprinzipe gesagt haben, läßt sich unschwer
auf das Arbeitsprinzip anwenden. Dasselbe stellt sich ja,
wenn es sich nicht vollständig mit dem Kostenprinzipe deckt,
im großen und ganzen als nichts anderes dar, als eine
schärfere Formulierung desselben, oder besser, als ein Schritt
weiter in derselben Richtung.
§ 2. Diese Mängel veranlassen uns also, das Wert-
prinzip zu verwenden. Man sieht, uns liegt nichts ferner,
als ein großer Prinzipienstreit. Nur deshalb verdient das
Wertprinzip den Vorzug, weil es sich in praxi l)esser be-
währt, als die eben diskutierten Erklärungsprinzipien. Das
war aber nicht der Standpunkt jener Forscher, welche es
zuerst vertraten. Sie legten weniger Gewicht auf die
Fruchtbarkeit als auf die Wahrheit des Wertprinzipes
und bemühten sich, nachzuweisen, daß es die „richtige'*
64 Gmndleg^og.
Auffassung der wirtschaftlichen Vorgänge enthalte. Darin
wollen wir ihnen nicht folgen und zwar aus zwei Gründen.
Erstens und vor allem kommt es uns auf die absolute Rich-
tigkeit unserer Hypothesen nicht an. Sie sind nicht Teil
unserer Resultate, für die wir einzustehen haben, sondern
lediglich methodische Hilfsmittel, deren Wert wir nur aus
ihren Früchten erkennen. Nur formal ist ihre Rolle, und
unsere Gesetze gewinnen nichts dadurch, daB man nachweist,
daß sie auch an sich Wahrheiten sind. Zweitens hat man
sich durch dieses Vorgehen in eine aprioristische Diskussion
verwickelt, die, mit allgemeinen Gründen und Gleichnissen
geführt, nur schwer zu einer Einigung führen konnte und
die sich auf dem von mir vorgeschlagenen Wege leicht um-
gehen läßt.
Außerdem al>er führt der Versuch, die WerthyiK)these
zu begründen, in Gebiete, die uns als NationalOkonomen
fremd sind, nämlich in die der Psychologie und Physiologie.
Man geht von den Bedürfnissen aus und definiert die wirt-
schaftlichen Güter als Dinge der Außenwelt, welche in
einem Kausalverhältuisse zur Bedürfnisbefriedigung stehen.
Aus der relativen Intensität der Bedürfnisregungen der
tauschenden Wirtschaftssubjekte leitet man die Tauseh-
relatiouen ab, und zu diesem Zwecke werden die Gesetze
der Wertung auf Grund psychologischer Beobachtungen
festgestellt. Man sagt z. B., daß mit Fortschreiten in der
Sättigung das Bedürfnis nach weiterer Nahrung abnehme,
und daher das gesättigte Individuum nur einen immer
geringeren Preis für jede weitere Menge zu zahlen bereit
sein werde. Zu dieser Art des Vorgehens ist zu bemerken :
Warum wird eine solche Erklärung gegeben? Die Tatsache,
die wir sehen, ist doch nur die, daß das Individuum
einen geringeren Preis anbietet; warum es das tut, ist
zunächst nicht interessant vom Standpunkte der Ökonomie,
und außerdem sehen wir ja nur daraus, daß das Individuum
so handelt, daß es tatsächlich gesättigt ist. Wir stehen
daher vor folgender Alternative: Entweder wir geben zu,
daß der einzige Umstand, der uns berechtigt, auf die Ge-
£rörteniiig der Frage, usw. 65
fohle des Individuums zu schließen, seine Handlungsweise
ist, oder wir sind auf die Resultate der Introspektion an-
gewiesen.
Betrachten wir beide Möglichkeiten etwas näher. Im
ersteren Falle ist die psychologische Ableitung lediglich
eine Tautologie. Wenn wir sagen, jemand bietet einen
höheren Preis für etwas, als jemand anderer, weil er die
Sache höher wertet, so ist damit gar keine Erklärung ge-
geben, da wir auf seine Wertgefühle ja eben nur daraus
schließen« daß er einen höheren Preis bietet. Ganz ab-
gesehen also davon, dafi wir eine Kausalbetrachtung über-
haupt zu vermeiden wünschen, dafi femer jene Definition
auch noch andere bedenkliche Punkte hat — nämlich den
sehr an Metaphysik erinnernden Ausdruck „Dinge der
Aufienwelt" — so ist vom Standpunkte des Beobachters,
der in die Psyche des beobachtenden Individuums nicht ein-
gehen kann, gar nichts gewonueu, wenn man der einfachen
Beobachtung der wirtschaftlichen Handlung noch einen
solchen psychologischen Satz hinzufügt. Daß der Anschein
ein anderer ist, daß man damit wirklich etwas gewonnen
XU haben glaubt, ist vor allem durch das ererbte Vertrauen
auf die Kausalrelation zu erklären. Wenn man zwei Dinge
durch ein „Weil" verbinden kann, so glaubt man bereit«^,
einen Einblick in ihre Beziehungen gewonnen zu haben.
Hier haben wir aber nur, abgesehen von allem anderen,
ein Glied der Kette, das andere wird nicht durch eine
unabhängige Beobachtung gegeben, sondern nur aus dem
ersten abgeleitet. Wenn wir sehen, daß Dinge gewertet
werden (und zwar sehen wir das eben aus dem Umstände,
daß das Individuum etwas tut, um in ihren Besitz zu
kommen oder sich in demselben zu erhalten) und sagen,
dafi das geschieht, weil das Ding in einer Kausal relation
zur Bedürfnisbefriedigung des Individuums steht, so geschieht
das nicht deshalb, weil wir den Wertungsvorgang ganz
Qberblicken können. Es ist daher keineswegs eine Aussage
über Tatsachen, wie etwa die, daß auf gewisse elektrische
Vorgfinge eine Lichterscheinung folgt, sondern es ist eine
Schampeter, Nationalökonomie. t>
66 Orandlegnng.
Hypothese Ober die psychischen Voi^finge des Individuums,
zu der wir lediglich durch sein sichtbares Handeln veranlagt
werden.
Aber selbst wecn wir die Wertungsvorg&nge sehen
oder sonst sinnlich wahrnehmen könnten, w&re uns wenig
geholfen. Wir hätten dann zwei Reihen von Wahruehmimgen,
die eine bestehend aus Wertungsvorg&ngen und die andere
aus wirtschaftlichen Handlungen, und könnten experimentell
das VorhandeoBein einer Wechselbeziehung zwischen beiden
feststellen. Aber Ober die Natur dieser letzteren wQSten
wir auch dann nichts. Wie sich die Wertungsvorgftnge in
wirtschaftliche Handlungeu umsetzen und besonders, ob sie
als deren „Ursachen" zu betrachten seien, w&re noch immer
ein Problem, Ober das man sehr verschiedener Ansicht sein
könnte. Nur hei Annahme eines Souveränen Willens, der
ohne irgendwelche bestimmende Einflösse das Handeln
regiert, wflre die Sache verhältnismAßig einfach. Aber
diese Annahme würde uns bestritten werden. Die moderne
Psychologie und Biologie st«ht zum Teile auf einem anderen
Standpunkte und ist kaum geneigt, dem Willen jene
Stellung einzuräumen. Wir können auf dieses Problem
nicht nilher eingehen, dürften uns jedoch, im Falle vir die
Nationalökonomie in das Problem derWertungen und Wollungen
verankern wollten, keineswegs über jene Dinge hinwegsetzen.
Wie unangenehm, uns sagen zu müssen, daB unsere Wissen-
schaft von einer bestimmten Stellungnahme in ihr fremden
Problemen alihängig sei, möglicherweise gewisse metaphysieehe
Voraussetzungen habe.
Daß man sich an das halten solle, was man sieht, ist
ein Grundsatz, für den man jemand, wenn von naturwissen-
schaftlichen Problemen die Kede ist, verhftItnism&Big leicht
gewinnen kann. In unserer Disziplin scheint die Sache
anders zu stehen. Wir sind hier unseren Problemen näher,
stecken sozusagen in den Dingen darin, und die wissen-
schaftliche Erklärung scheint einen Schritt weitergehen zu
können. Weil da von uns und unseren Handlungen die
Rede ist. plaulwn wir die Vorgange besser und Oberhaupt
Erörterung der Frage, usw. 07
in einem anderen Sinne zu „verstehen'', als jene der Natur.
Jedermann glaubt seine eigenen Handlungen zu verstehen,
glaubt, dafi er sie mit freiem Wollen beherrsche und urteilt
mit großer Sicherheit über die anderer. Selten gibt man
sieh Rechenschaft darüber, wie schmal die Basis dieses
sogenannten Verständnisses ist. Wie wir im gewöhnlichen
Leben uns wenig Gedanken über den Vorgang des Sehens
machen und dieser doch ein so kompliziertes Problem bildet,
so gleiten wir in praxi auch über jene Bedenken hinweg.
Aber in den Grundlagen einer Wissenschaft dürfen wir
derartige Unklarheiten nicht dulden.
Wir haben jedoch noch eine andere Alternative, wir
haben die innere Wahrnehmung. Bei der Introspektion
allerdings ist die Sache ganz klar. Hier könnte man, wenn
man wollte, ein Kausalverhältnis annehmen. Hier hat man
wirklich zwei Erscheinungen vor sich: Ich kann meine Be-
dOrfniserregung und mein Wertgeftihl unmittelbar beobachten.
Aber damit wäre mir nicht gedient, da es nicht bloß auf
meine Wertgefühle, sondern auch auf die aller anderen
Wirtschaftssubjekte ankommt und diesen gegenüber bin ich,
weil ich ihre psychischen Erscheinungen ja nicht beobachten
kann, in genau derselben Lage wie vorher, das heißt, als
ich auf Introspektion verzichtete. Denn wenn ich die Re-
sultate der Introspektion überhaupt verwerten will, so bin
ich genötigt die Hypothese zu machen, daß die Wertungs-
prozesse aller andern Leute in ähnlicher Weise vor sich
geben, wie die meinen. Würde ich diese Hypothese nicht
miichen, so stände ich ihnen ebenso verständnislos gegenüber
wie bisher. In diesem Falle müßte ich bereit sein, es als
möglich anzunehmen, daß jemand anderer z. B. Nahrungs-
mittel immer höher wertet, je mehr er hat. Bin ich nun
entschlossen, eine solche Möglichkeit nicht zuzulassen und
konstruiere ich meine Hypothese, so mache ich wiederum
nichts anderes als eine formale, willkürliche Fortsetzung.
Was immer für Worte ich sonst noch machen mag, um die
Hypothese gerechtfertigt erscheinen zu lassen oder gar
ihren hypothetischen Charakter zu bemänteln, so ist das
r»*
Qg Qrandiegnng.
alles für die reine ökoDOmie bedeatungslos und alle meta-
physische oder soDStwoher geholte BegrQDduDg meioer
Hypothese konnte sie nicht retten, wenn ihre Auwendungen
auf Result&te führen würden, die mit der Wirklichkeit
kollidierten. Ein Schema abzogeben, das ein passendes Bild
der ökonomischen Wirklichkeit gibt, das ist ihr einziger
Zweck, nur darin kann ihr Verdienst liegen, und dafür ist
es ganz gleichgiltig, woher sie stammt und wie sie geschmückt
ist. Es scheint uns wichtig auf diesen Punkt ao nach-
drücklich hinzuweisen, weil nichts so sehr geeignet ist, das
Wesen und die architektonischen Formen der Theorie on-
verhüllt und plastisch hervortreten zu lassen, and so Freund
und Feind in ihrer wahren Gestalt zu zeigen, als größte
Rigorosität in dieser Beziehung. Um unsere Hypothese
plausibel und verständlich zu machen, mag man ja immer
solche Erörterungen an sie knüpfen. Sicherlich wurde die
Annahme dieser Betrachtungsweise dadurch erleichtert. Nor
darf man sich nicht wie in der Regel bisher dadurch ober
ihr Wesen täuschen lasReo.
§ 8. Was ist also dieses Wesen ? Was bleibt uns übrig,
wenn wir alles Bedenkliche ausscheiden? Fällt nicht das
W^ertprinzip mit der Zulässigkeit seiner psychologischen
Begründung? Die letztere Frage ist zu verneinen, und das
ist es, was die Gegner der psychologischen Ökonomie Ober-
sehen hüben. Wenn wir aus allen den psychologischen
Ausführungen das fortlassen, was uns keine ganz gesicherte
Grundlage zu haben scheint, so bleibt noch immer etwas:
nämlich eine formale Annahme zu methodologischen Zwecken.
Das ist das Essentielle an der Sache, der exakte Kern jener
Ausführungen, das, was durch dieselben wirklich geleistet
wird. Wir verzichten auf die Wertbypothese als eine Aas-
sage über Realitäten, aber wir verzichten deshalb noch nicht
auf sie ü)>erhaupt Auch hier sehen wir, wie verfehlt es
ist, aus ungemeinen Gründen zu billigen und zu verwerfen:
Nur die Detailunlersuchung zeigt uns, was brauchbar und
was unhaltbar ist. Wir müssen und können itaraof ver-
Erörterung der Frage, usw. 69
ziehten, von einer Theorie der Bedürfaisse auszugehen,
wenn wir streng korrekt sein wollen. War dieselbe über-
haupt der Ausgangspunkt der Werttheorie ? Auch wenn das
der Fall w&re, würden wir unser Urteil nicht ändern ; denn
es kann sich etwas sehr wohl als heuristisches Hilfsmittel be-
währen, waszur strengen Ableitung der Resultate nicht nötig ist.
Zwischen dem Auffinden einer Theorie und ihrer strengen
Darstellung besteht ein Unterschied; nicht alles, was zu ihr
geführt hat, mufi notwendig haltbar sein. Dafür gibt es
viele Beispiele in der Geschichte der Wissenschaften, und
mancher Gedanke, der für die Entwicklung einer Theorie
von gröfiter Bedeutung war, mufi fallen gelassen werden,
wenn man darangeht, das Errungene kritisch zu betrachten.
Aber deshalb ist er noch nicht notwendig falsch und die
aus ihm abgeleiteten Resultate noch nicht unbrauchbar.
Es ist eine oft gemachte Erfahrung, daß der Weg, der tat-
sächlich zu wertvollen Resultaten geführt hat, sich auf die
Dauer nicht bewährt. Und besonders häufig kommt es vor,
dafi das, was man anfangs für fest auf Tatsachen begründet
liielt, sich als im Grunde willkürliche Annahme erweist.
Es seheint in der Natur der Sache zu liegen, daß die ersten
Eroberer eines neuen Gebietes sich nicht ängstlich um die
erkenntnistheoretischen Grundlagen bemühen, vielmehr diese
Arbeit späteren Entwicklungsstadien überlassen. Da zeigt
es sieh denn, dafi das Gebäude nicht so fest steht, als man
glaubte; man wird sich oft erst der Kühnheit des Vor-
gehens bewufit, wenn man auf seinen Weg zurückblickt und
oft stellt sich ein schwindelartiges Gefühl ein. Die exakten
Naturwissenschaften haben gegenwärtig diesen Prozeß durch-
zumachen, während dessen alles in Frage zu stehen scheint.
Aber es ist nicht so schlimm. Wohl muß man manche
Grundlage aufgeben, die man für felsenfest gehalten hat,
oiineher Hoffnung entsagen; namentlich bemerkt man, daß
der wirklich errungene Boden ein viel beschränkterer ist,
dafi das Geleistete weniger bedeutet, als man glaubte;
aber die exakten Resultate werden wenig be-
rührt von der Revolution in den Grundprin-
70 Grandlegang.
zipieD: Fast könnte mitn sagen, daß das alles nur auf
eine Eorrigierung der Ausdrueksweise hinauslauft. Und
so steht es auch auf unserem Gebiete. Ich glaube allerdings,
daß die Fundamente unserer Wissenschaft der Erkeuntnis-
theorie manches zu entschuldigen geben ; dafi man sie etwas
anders formulieren muß, wenn man korrekt sein will; auch
daß diese Formulierung das Hypothetische, Willkarlicbe,
an der Sache mehr hervortreten läßt, auch der Ökonomie
au Popularität und Interesse nehmen muß und zeigt, daß
ihre Grenzen recht enge und ihr Zusammenhang mit den
großen Fragen des menschlichen Wollens und Handeina nur
lose ist; aber ich glaube auch, daß keines ihrer wesent-
lichen Resultate ernstlich leidet, wenn man gewisse Aus-
gangspunkte aufgibt, nachdem sie geleistet haben, was sie
sollten.
Doch, war die Lehre von den Bedürfnissen wirklich der
Ausgangspunkt der Werttheorie? Solche Fragen sind fOr
ans außerordentlich interessant. Nichts ist instruktiver und
nichts fohrt tiefer in das Verständnis der Theorie als ihre
Beantwortung. Allerdings ist sie schwierig und niemals
kann sie ganz sicher sein; aber stets wollen wir versuchen,
zu sehen, aus welcher Quelle die leitenden Gedanken ent^
sprangen und vermögen wir ihren Urhebern gleichsam oaeh-
zufühten, so haben wir damit meist auch alle zur Beurteilung
nötigeu Elemente gewonnen. Ja wir haben sie dann erst
uns wirklich zu eigen gemacht, sodaß wir weiterbauen, sehen
können, was wir von ihnen zu erwarten haben. Frage man
nun die einzelnen Wirtschaftssubjekte, was sie fOr eine be-
stimmte Menge irgend eines Gutes zu geben bereit sei«!
lieber, als darauf zu verzichten, so werden sie so gut wie
immer eine bestimmte Antwort erteilen. Stets wird für
jedes Wirtschaftssubjekt und jede Menge eines Gutes eine
Menge irgend eines andereu Gutes augegehen werden k&nnen,
die es zu gehen l)er(>it ist, während bei einem nur um wenig
größeren „Preise" kein Tausch mehr zustande kommt. Man
ki>DUte diesen Preis gewiß mittelst des Kostenprinzipes zu be-
schreiben versuchen; man könnte z.B. manchmal sagen, daß es
ErOrterang der Frage, usw. 71
jener 6ei, der den Kosten entspricht, die die Erzeugung des
betreffenden Gutes dem „Käufer'' machen würde; allein das
würde die früher erwähnten Nachteile haben. Lassenwir
also einen solchen Erklärungsversuch lieber
weg und nehmen wir einfach den Preis zur
Kenntnis. Und fragen wir dieselben Leute in dem-
selben Zeitpunkte, was sie für eine a n d e r e bestimmte
Menge desselben Gutes zu geben bereit wären, lieber, als
auf sie zu verzichten, wobei wir darauf achten
mOssen, dafi diese andere Menge nicht etwa
andere Verwendungen ermögliche, als dieerste.
Notieren wir wiederum die Antwort. Wiederholen wir unsere
Frage so oft als möglich. Nehmen wir an, da@ die befragten
Wirtschaftssubjekte gegebenenfalls wirklich so und unter
denselben oder ungefähr denselben Verhältnissen immer so
handeln würden, eine Annahme, die sicherlich nicht stets,
wohl aber annähernd in genügend weitem Maße mit der
Wirklichkeit übereinstimmt.
Nun tragen wir für jedes Wirtschaftssubjekt die ver-
schiedenen Mengen auf der Abszissenachse eines recht-
winkeligen Koordinatensystemes und die Preise, die uns
dasselbe angegeben hat, als Ordinaten auf. Und endlich
verbinden wir die gewonnenen Flächenpunkte durch Inter-
polation zu einer kontinuirlichen Kurve und fingieren,
dafi das Wirtschaftssubjekt innerhalb eines gewissen luter-
valles für jede, durch irgend eine Abszisse versinnlichte
Menge den durch die zugehörige Ordinate gegebenen Preis
geben würde, wenn es sie nicht billiger erhalten kann. Das
letztere ist eine Fiktion, weil nicht jede Menge in praxi
m^ich ist, da viele Güter nicht beliebig teilbar und auch
die physisch beliebig teilbaren nur in gewissen Quantitäten
getauscht werden können. Die durch diese Kurve veran-
schaulichte Funktion nun ist Alles, was wir brauchen, zu-
gleich Alles was die Ökonomen wirklich erreichen, wenn sie
Wertpeychologie treiben. Durch jede weitere Begründung
wird ihre Natur nicht geändert, sie wird nur verschleiert.
Allein warum heißt diese Funktion die Wertfunktion?
70 GruDdlegung.
zipien: Fast kOnnte mao sagen, daß das alles nur auf
eine Korrigierung der AuBdrucksneibe hinanslftuft. Und
80 steht es auch auf unserem Gebiete. Ich glaube allerdings,
dafi die Fundamente unserer WisseDSchaft der Erkenntnis-
theorie manches zu entschuldigen geben ; daß man aie etwas
anders formulieren muß, wenn man korrekt sein will; auch
daß diese Formulierung das Hypothetisehe, WillkQrliche,
an der Sache mehr hervortreten l&St, auch der Ökonomie
an Popularitfit und Interesse nebmen maß und zeigt, daß
ihre Grenzen recht enge und ihr Zusammenhang mit den
großen Fragen des menschlichen WoUens und Handelns nur
lose ist; aber ich glanbe auch, dafi keines ihrer wesent-
lichen Resultate ernstlich leidet, wenn man gewisse Aus-
gangspunkte aufgibt, nachdem sie geleistet haben, was sie
sollten.
Doch, war die Lehre von den Bedfirfnissen wirklieb der
Ausgangspunkt der Werttheorie? Solche Fragen sind für
uns außerordentlich interessant. Nichts ist instruktiver und
nichts fahrt tiefer in das VerstAndnis der Theorie als ihre
Beantwortung. Allerdings ist sie schwierig und niemals
kann sie ganz sicher sein; aber stets wollen wir versuchen,
zu sehen , aus welcher Quelle die leitenden Gedanken ent-
sprangen und vermögen wir ihren Urhebern gleichsam nach-
zufühlen, 80 haben wir damit meist auch alle zur Beurteilung
nötigen Elemente gewonnen. Ja wir haben sie dann erst
uns wirklich zu eigen gemacht, sodaß wir weiterbaLen, sehen
können, was wir von ihnen zu erwarten haben. Frage man
nun die einzelnen Wirtschaftssubjekte, was sie für eine be-
stimmte Menge irgend eines Gutes zu geben bereit seien
lieber, als darauf zu verzichten, so werdeu sie so gut wie
immer eine bestimmte Antwort erteileu. Stets wird für
jedes Wirtschaftssubjekt und jede Menge eines Gutes eine
Menge irfiend eines anderen (iute» angegeben werden können,
die es zu geben )>ereit ist. w&hrend bei einem nur um wenig
gröfiereu „Preise" kein Tausrli mehr zustände kommt. Man
könnte diesen Preis gewiß mittelst des Kostenprinzipes zu be-
schreiben versuchen ; mau konnte z. B. manchmal sagen, dafies
ErOrterang der Frage, usw. 71
jener sei, der den' Kosten entspricht, die die Erzeugung des
betreffenden Gutes dem „Käufer'' machen würde; allein das
wQrde die früher erwähnten Nachteile haben. Lassenwir
also einen solchen Erklärungsversuch lieber
weg and nehmen wir einfach den Preis zur
Kenntnis. Und fragen wir dieselben Leute in dem-
selben Zeitpunkte, was sie für eine andere bestimmte
Menge desselben Gutes zu geben bereit wären, lieber, als
auf sie zu verzichten, wobei wir darauf achten
mOssen, dafi diese andere Menge nicht etwa
andere Verwendungen ermögliche, als dieerste.
Notieren wir wiederum die Antwort. Wiederholen wir unsere
Frage so oft als möglich. Nehmen wir an, da@ die befragten
Wirtschaftssubjekte gegebenenfalls wirklich so und unter
denselben oder ungefähr denselben Verhältnissen immer so
handeln würden, eine Annahme, die sicherlich nicht stets,
wohl aber annähernd in genügend weitem Maße mit der
Wirklichkeit übereinstimmt.
Nun tragen wir für jedes Wirtschaftssubjekt die ver-
schiedenen Mengen auf der Abszissenachse eines recht-
winkeligen Koordinatensystemes und die Preise, die uns
dasselbe angegeben hat, als Ordiuaten auf. Und endlich
verbinden wir die gewonnenen Flächenpunkte durch Inter-
polation zu einer kontinuirlichen Kurve und fingieren,
daß das Wirtschaftssubjekt innerhalb eines gewissen luter-
vtlles für jede, durch irgend eine Abszisse versinnlichte
Menge den durch die zugehörige Ordinate gegebenen Preis
geben würde, wenn es sie nicht billiger erhalten kann. Das
letztere ist eine Fiktion, weil nicht jede Menge in praxi
möglich ist, da viele Güter nicht beliebig teilbar und auch
die physisch beliebig teilbaren nur in gewissen Quantitäten
getauscht werden können. Die durch diese Kurve veran-
schaulichte Funktion nun ist Alles, was wir brauchen, zu-
gleich Alles was die Ökonomen wirklich erreichen, wenn sie
Wertpsychologie treiben. Durch jede weitere Begründung
wird ihre Natur nicht geändert, sie wird nur verschleiert.
Allein warum heißt diese Funktion die Wertfunktion?
1
72 OnindlegaDg.
Das ist nicht schwer zu erklären. Die befragten Wirtscbafts-
sabjekte werden sagen, dafi ihnen eine bestimmte Menge
eines Gutes im äußersten Falle soviel „wert' und nicht
mehr als soviel „wert"' sei. Fragte man sie weiter, warum
sie Oberhaupt einen Preis für ein bestimmtes Gut za Kahlen
bereit sind, so würden sie antworten, daß sie dasselbe
brauchen. In der Tat, man kannte den Grundgedanken
der Werttheorie nicht präziser und populärer aoadrQckeD,
als durch den Satz: Die Preise werden gezahlt, weil man
die Güter, far welche sie gezahlt weiden, braucht. Und
das nun ist der Ausgangspunkt der neueren Theorie: Ihr
Wesen besteht darin , ein bestimmtes Verhalten der nach-
fragenden Wirtschaftssubjekte, oder besser weil prftnaer,
eine bestimmte Skala von Nachfragepreisen nicht weiter
zu analysieren , sondern als letzte Tatsache hinzunehmen.
Was nun zu diesem Vorgehen veranlaßt, ist der Umstand,
dag eine Analyse der Guterquantitäten, wie wir sahen, wieder
auf andere Guterquantitäten zurückfahrt, daß also, wenn
wir eine solche Analyse versuchten, sich die Erklärung im
Kreise drehen würde: Aus diesem Grunde treten wir so-
zusagen einen Schritt zurück von unserem Systeme von
Guterquantitäten und konstruieren von außen einen Überbau
von solchen Funktionen über dieselben, welcher ans die
zwischen ihnen bestehenden Abhängigkeitsverhältnisse wieder^
spiegeln solle.
Das ist, wie angeführt, unsere Auffassung. Aber aueh
die psychologischen Ökonomen meinen tatsächlich nur das-
selbe. Doch gelangen sie auf einem etwas anderen Wege
zu unseren Funktionen. Auch sie lehnen es ab, jene Ana*
lyse vorzunehmiien, welche man mit Hilfe des Kostenprinxipes
versuchte. Audi sie gehen von bestimmten sichtbaren Tat-
sachen aus. Sie drücken jedoch diese Tatsachen aus durch
den Begriff des „Brauchens", des Wertes, und sie suchen
eine Analyse dieses BegrilTes vorzunehmen, indem sie den-
iiell)en auf die Bedürfnisse begründen und in deren psycho-
logische und |ihysiologisclie Hasen eingehen. Nun, das letztere
ist ersichtlich eine Zutat, die weder das heuristische Prinzip
Erörterung dar Frage, usw. 73
unserer Werthypothese noch auch für sie notwendig ist.
Aber aaeh der Begriff des Brauchens ist sozusagen zu weit
und bringt den Kern der Sache, der in einer tatsächlich zu
beobachtenden Preisgestaltung besteht, nicht scharf genug
zum Ausdrucke; schon dieser Begriff stellt einen Versuch
zu einer Begründung unserer Hypothese dar, welcher er-
kenntnistheoretisch nicht einwandfrei ist, mag er auch in
den Anfangsstadien höchst nützlich gewesen sein.
Die Korrektur, die wir vorschlagen, betrifft also im
Wesentlichen nur die Ausdrucksweise. Die Rolle des
Wertprinzipes in der Praxis der wissenschaftlichen Arbeit
wird dadurch nicht beeinträchtigt — und das ist es, was
viele seiner Gegner übersehen — , wenn man über seine Natur
anderer Ansicht ist Präzisieren wir denn nochmals, was das
Wertprinzip ist: Eine hypothetische Funktion, an sich un-
reell und prinzipiell willkürlich zu der wir aber durch
Tatsachenbeobachtung veranlaßt werden. Wir haben oben
gesagt, was an ihr hypothetisch und was Tatsachen-
beobachtung ist.
Die Ausdrucksweise des Alltages veranlaßt uns, unsere
Funktion die Wertfunktion zu nennen, ohne daß darin, wie
wv nun sehen, notwendig irgend etwas Psychologisches oder
Metaphysisches liegen würde — stets haben wir nur gewisse
wirtschaftliche Tatsachen im Auge, wenn wir von ihr
sprechen oder ihr bestimmte Formcharaktere zubilligen.
Das letztere ist nötig. Wir könnten mit unserer Funktion
nichts anfangen, wenn wir nicht einiges über ihre Gestalt
aussagen könnten. Einiges, nicht alles: Wir brauchen
keineswegs ihre exakte Gleichung angeben zu können, um
sie in unseren Gedankengängen zu verwerten. Man hat oft
gemeint, daß sie wertlos sei, wenn wir das nicht können
und hat daraus eine Ablehnung dieser ganzen Betrachtungs-
weise abgeleitet. Indessen weiß jeder mit der höheren Ana-
lysis Vertraute, daß gerade in derselben die Mittel liegen,
tun aus den gegebenen Formcharakteren einer Kurve, auch
wenn sie dieselbe nicht vollständig bestimmen, die größt-
niöglichste Ausbeute von Theoremen zu gewinnen. So
V. Kapitel.
Weitere Bemerkungen zu unserem Vorgehen.
(Weitere Eiläuterungen zu Kap. II, g 2.)
5 1. Ein Weg der Art . wie wir ihn einzuschlagen
euchen, und wie wir ihn zu anderen möglichen Arten, die
Sache einzuleiten, in Gegensatz stellten, ist, was wir unter
„exakt" verstehen. Wo ein solcher möglich ist, sprechen
wir von einer exakten Disziplin. Sein Wesen liegt darin,
dafi man nur jene Schritte tut, welche zur Erreichung des
Zieles nötig sind, und dieses Ziel ist, ober eine Gruppe
von Tatsachen nicht durch einfache individuelle Beschreibung,
sondern durcli Aufstellung eines Schemas, das nicht an sich
sondern nur in seinen Resultaten ' mit der Wirklichkat
übereinstimmen muß, einen Überblick zu geben, und der
Vorteil, um dessen willen er eingeschlagen wird, besteht in
verhältnismäßiger Kärze und Einfachheit und in der Ab-
scheidung des Wesentlichen vom Unwesentlichen ; kurz und
vulgär gesagt, exakt sein heißt, alle nötigen und nur die
nötigen Worte zu machen. Daß aprioristiscbe Spekulation
und ein einseitig deduktives Vorgehen uns so fem als
möglich liegt, ist nun wohl zur GenOge klar. Von WillkOr-
üchkeiten sind wir gewiß nicht frei, doch verfolgen dieselben
lediglich methodologische Zwecke. Auch in diesem Begriffe
' Wu wir unter ^nicht an sich EOndem nur in aeinen BesalteUn*
verstehen, und daß darin weder eine Unklarheit, noch eina Haa^
epalterei liegt, dürfte dem Leser wohl genügend klar sein, am im
der Notwendigkeit zu überheben, daa weiter auuufQhren.
Weitere Bemerkungen zu unserem Vorgehen. 77
des Exakten liegt also sicherlich nichts Anstößiges, und
wenn er bei manchen Nationalökonomen in üblem Rufe
steht, so kann doch unsere Fassung desselben kaum Be-
denken erregen. Wir definieren ihn nicht in dem Sinne,
in dem ihn die „exakte Philosophie'' versteht; wir fällen,
wenn wir unser Vorgehen als „exakt'' bezeichnen, kein ab-
Ülliges Urteil über andere Gedankenrichtungen ; wir nehmen
endlich keine ungebührliche Anlehnung an die Physik, ob-
gleich wir keinen Grund sehen, warum man für unsere
Wissenschaft einen anderen Begriff der Exaktizität kon-
struieren sollte, als für jene. Wie bereits anläßlich der
Diskussion des Gesetzbegriffes gesagt wurde, geht auch in
der Natur nicht alles „exakt" vor sich, und wenn man
trotzdem so spricht, wie wenn das der Fall wäre, so ist das
taeh dort nicht mehr als eine zweckmäßige Fiktion.
Der wichtigste, praktische Vorteil der exakten Formu-
lierung unserer Ausgangspunkte ist, wie angedeutet, der,
diB uns dadurch erspart wird, in die Psyche und in die
Grflnde und Gesetze des wirtschaftlichen Handelns als solchen
einzugehen. Es ist ein Satz von ganz fundamentaler Be-
deutung, der noch nie entsprechend hervorgehoben wurde:
I)ie exakte Ökonomie ist keine Philosophie des wirtschaft-
lichen Handelns des Menschen. Natürlich ist sie keine
Philosophie des menschlichen Handelns tiberliaupt. Auch
das hat man nämlich behauptet; man hat vielfach gesagt,
daß das menschliche Handeln sich aus wirtschaftlichen Mo-
tiwn restlos erklären lasse. Was wir nun hervorzuheben
wQnschen, ist nicht etwa ein Urteil darüber, ob das richtig
orler falsch ist, sondern, daß das für jene Tatsaohengruppo,
die wir als Gegenstand der reinen Okunoniie l)e/eichnen,
Oberhaupt belanglos ist, daß die reine Ökonomie davon
nicht abhängig ist und darüber nichts zn sagen vermag.
Sie ist keine Theorie der wirtschaftlichen Motive. Ob die-
«eU>en im Wollen und Handeln des Menschen eine große
oder kleine Rolle spielen, gehört nicht zu unseren Problemen.
Welche Motive den Menschen bestimmen, darnach fragen
wir nicht. Und das ist der alleinige Grund, warum wir
V. Kapitel.
Weitere Bemerkungen zu unserem Vorgehen.
(Weitere EilänteruiigeD zu Kap. II, § 2.)
§ 1. Ein Weg der Art. wie wir ihn einzuschlagen
euchen, und wie wir ihn zu anderen mdglichen Arten, die
Sache einzuleiten, in Gegensatz stellten, iet, was wir unter
„exakt" verstellen. Wo ein solcher möglich ist, aprechen
wir von einer exakten Disziplin. Sein Wesen li^ darin,
dafi man nur jene Schritte tut, welche zur Erreichung des
Zieles nötig sind, und dieses Ziel ist. Über eine Gruppe
von Tatsachen nicht durch einfache individuelle Beschreibung,
sondern durch Aufstellung eines Schemas, das nicht an sich
sondern nur in seinen Resultaten ' mit der Wirklichkeit
übereinstimmen muß , einen Überblick zu geben , und der
Vorteil, um dessen willen er eingeschlagen wird, besteht in
verhältnismäßiger Kürze und Einfachheit und in der Ab-
scheidung des Wesentlichen vom Unwesentlichen; kurz und
vulgär gesagt , exakt sein heißt , alle nötigen und nur die
nötigen Worte zu machen. Daß aprioristische Spekalatios
und ein einseitig deduktives Vorgehen uns so fem als
möglich liegt, ist nun wohl zur GenUge klar. Von WillkQr-
licbkeiteu sind wir gewiß nicht frei, doch verfolgen dieselben
lediglich methodologische Zwecke. Auch in diesem Begrife
■ Was wir unter .nicht an sich sondern nur in eein«n BcHiltaUa*
verarehen. und (lall darin weder eine Unklarheit, noch ein« flur-
epaltcrei liegt, dürfte dt-m Leser wohl genügend klar Min, nm na
der Notwendigkeit zu überheben, da» weiter auunführeB. v
Weitere Bemerknngen zu unserem Vorgehen. 77
des Exakten liegt also sicherlich nichts Anstößiges, und
wenn er bei manchen Nationalökonomen in üblem Rufe
steht, 80 kann doch unsere Fassung desselben kaum Be-
denken erregen. Wir definieren ihn nicht in dem Sinne,
in dem ihn die „exakte Philosophie'' versteht; wir fällen,
wenn wir unser Vorgehen als „exakt'' bezeichnen, kein ab-
filliges Urteil über andere Gedankenrichtungen ; wir nehmen
endlich keine ungebührliche Anlehnung an die Physik, ob-
gleich wir keinen Grund sehen, warum man für unsere
Wissenschaft einen anderen Begriff der Exaktizität kon-
struieren sollte, als für jene. Wie bereits anläßlich der
Diskussion des Gesetzbegriffes gesagt wurde, geht auch in
der Natur nicht alles „exakt" vor sich, und wenn man
trotzdem so spricht, wie wenn das der Fall wäre, so ist das
aaeh dort nicht mehr als eine zweckmäßige Fiktion.
Der wichtigste, praktische Vorteil der exakten Formu-
lierung unserer Ausgangspunkte ist, wie angedeutet, der,
daß uns dadurch erspart wird, in die Psyche und in die
GrQnde und Gesetze des wirtschaftlichen Handelns als solchen
einzugehen. Es ist ein Satz von ganz fundamentaler Be-
deutung, der noch nie entsprechend hervorgehoben wurde:
Die exakte Ökonomie ist keine Philosophie des wirtschaft-
lichen Handelns des Menschen. Natürlich ist sie keine
Hiilosophie des menschlichen Handelns überhaupt. Auch
das hat man nämlich behauptet; man hat vielfach gesagt,
daB das menschliche Handeln sich aus wirtschaftlichen Mo-
tiven restlos erklären lasse. Was wir nun hervorzuheben
wQnschen, ist nicht etwa ein Urteil darüber, ob das richtig
oder falsch ist, sondern, daß das für jene Tatsachengruppe,
die wir als Gegenstand der reinen Ökonomie bezeichnen,
überhaupt belanglos ist, daß die reine Ökonomie davon
nicht abhängig ist und darüber nichts zu sagen vermag.
Sie ist keine Theorie der wirtschaftlichen Motive. Ob die-
selben im Wollen und Handeln des Menschen eine große
oder kleine Rolle spielen, gehört nicht zu unseren Problemen.
Welche Motive den Menschen bestimmen, darnach fragen
wir nicht. Und das ist der alleinige Grund, warum wir
78 Onmdlegnng.
die ethischen Motive nicht berOcksichtigen können. So
stehen wir also in keinem prinzipiellen Gegenfiatze zur so-
genannten ethischen Schule. Wir lei^^en nicht die Be-
deutung ethischer Momente. Da „wirtschaftliches Handeln'
von den Moti^'en des Handelns unabhängig ist, so sind Ethik
und Wirtschaft überhaupt nicht Grftfien derselben Art, daher
auch keine Gegensätze. Man kann einerseits aas wirtschaft-
lichen Motiven und doch z. B. aus Ungeschick nicht b*>i^
EChaftlich" handeln , anderseits kann man ganz aus alt-
ruistischen Motiven handeln und doch „wirtschaftlich" ver-
fahren. Wenn man z. B. Jemand aus dem Wasser zieht, so
ist das im allgemeinen sicher altruistisch gehandelt. Und
doch lassen sich aaf den Vorgang gewisse wirtschaftliche
Grundsätze anwenden: Man schwimmt auf dem kürzesten
Wege auf den Betreffenden zu, erfaßt ihn in der zweck-
mäSigsten Weise und sucht ihn so schnell wie möglich und
mit dem geringsten Kraftaufwande als möglich wieder ans
Land zu bringen. Man hat das formale Prinzip, das wir
auf diese Vorgänge anwenden können, das wirtschaftliehe
Prinzip genannt und an Stelle der Hypothese vom Egoismus
gesetzt Das ist sicher ein Fortschritt, aber wir bedOrfen
auch eines solchen Prinzipes, wie sich zeigen wird, nicht weiter.
Die Lehre von den Motivationen, das Reich der Wer-
tungen geht uns nichts an. Man könnte ja versucht sein,
alle Wissenschaften, die sich mit dem Handeln der Menschen
beschäftigen, zusammenzufassen unter einer höheren Einheit,
unter dem Gesichtspunkte des Werturteiles. Dann wäre
die Ökonomie zu detinieren wie die Lehre von den wirt-
schaftlichen Wertungen und Ethik, Ästhetik usw. in ana-
loger Weise Aber wir können vom Standpunkte der Öko-
nomie eine solche Zusammenfassung nicht zulassen, weil sie
uns in Dinge verwickelt, die wir entbehren können. Da.<s
l^roblem der Persönlichkeit, des Bewußtseins, der Wollungen
usw. wurde von anderer Seite schon mit so viel Erfolg
attackiert, daß wir uns mit dem Resultate dieser Bestre-
bungen unmöglich leichten Herzens in Widerspruch setzen
können und das veranlaßt uns, mit dem Begriffe des Wertes
Weitere Bemerkungen zu unserem Vorgehen. gl
schied gegenüber der Lehre von den Motivationen. Die
MotiTe der Menschen mögen sich im Laufe der Geschichte
andern, ihre relative Bedeutung mag sich verschieben; so
abstrakte Gesetze aber wie die unsem unterliegen einer
solchen Änderung nicht oder nur in Zeiträumen, von denen
wir keine Vorstellung haben.
Die ältere Nationalökonomie ging vom Individualegoismus
ans. Im Sinn ihrer Vertreter war das teils eine Behauptung
Ober das tatsachliche Tun der Menschen, teils eine Forde-
rung. In Übereinstimmung mit der Naturrechtsphilosophie
jener Zeit suchte man im Individuum den Schlüssel für das
Verständnis des Soziallebens und erhob bewußt und un-
bewufit den Satz zum Axiome, daß die freie Tat des Indi-
vidauma Staat und Gesellschaft schaffe und auch für die
Wirtschaft entscheidend sei. Sodann suchte man nachzu-
weisen, daß das Individuum nur von egoistischen Motiven
geleitet sei und auch geleitet sein solle, weil durch die
freie Betätigung der Individualität auch das allgemeine
Beste am meisten gefördert werde. Der Egoismus und
seine Entwicklung zu voller Freiheit wurden als das wünschens-
werte Ziel hingestellt. Im Zusammenhange mit diesem
Individualismus gewann auch die freie Konkurrenz die Be-
deutung eines Postulates, das zu einer Reihe praktischer
Forderungen führte, wie Freihandel, Vertragsfreiheit usw.
Ein stolzer Bau, der halb Wissenschaft und halb praktisches
Programm war, wurde auf diesem Boden errichtet. Oft ist
hervorgehoben worden, wie die ZeitverluUtnisse diese An-
schauungen bedingten, welche Bedeutung ihnen in der Ge-
schichte der politischen Ideen zukommt und wie und aus
welchen Gründen eine Reaktion dagegen erfolgte. Eine
^ethische" Auffassung der wirtschaftlichen Erscheinungen
und ein ganzes Lehrgebäude der Negation des Egoismus
wurde einerseits und die historische Tatsachenforschung
andererseits dagegen aufgeführt, al)er die Wissenschaft
gewann wenig dabei, so wenig, wie die exakte Naturwissen-
schaft etwas dabei gewinnt, wenn an die Stelle des einen
philosophischen Systemes ein anderes tritt. Aber das ist
?4ehuinp«t*r, Natiünalökononii*. (\
80 Grandlegung.
Bewußtsein wirtschaftlicher Motive ist hier nicht nötig;
jeder befolgt den Grundsatz des kleinsten Kraftaufwandes
so gut er kann, und nur dort hört er zu gelten auf, wo
die Grenzen vernünftigen Handelns aufhören. Dagegen
erstreckt sich seine Geltung auch über das Handeln der
Menschen hinaus und läfit sich auch bei Tieren beobachten.
Das führt auf folgende wichtige Bemerkung: Unsere Ge-
setze evolvieren nicht, sie gelten im Prinzipe für den mo-
dernen Menschen ebenso, wie für den primitivsten, und das
erleichtert es uns sehr, eine exakte Disziplin aufzurichten,
legt uns allerdings auch die Vermutung nahe, daß wir die
Erklärung für die wirtschaftliche Entwicklung anderswo
werden suchen müssen, respektive daß die Entwicklung
überhaupt keine rein wirtschaftlich erklärbare Erscheinung
ist. Das sei hier nur im Vorübergehen bemerkt und wird
besser an einem späteren Orte erörtert werden, wenn wir
uns mit dem Inhalte unserer Sätze vertraut gemacht haben.
Sodann aber reicht die Anwendbarkeit unserer Raisonnements
auch noch in einer anderen Beziehung über unser Gebiet
hinaus, nämlich über die rein wirtschaftlichen Vorgänge:
alles menschliche Handehi läßt sich in analoger Weise wie
das wirtschaftliche als Tausch, nämlich als Vertausch eines
Zustandes mit einem andern auffassen und die Grenze, die
das wirtschaftliche von anderweitigem Handeln trennt, ist
daher keine scharfe. Betätigungen jeder Art, in Kunst,
Sport usw. lassen sich von diesem Gesichtspunkte aus be-
trachten. Ks ist sozusagen Geschmackssache, ob man einen
Spaziergang z. B. als wirtschaftliche Handlung auffassen
will oder nicht'. Möglich ist es jedenfalls, und so könnte
es auch exakte Theorien über diese Dinge geben; auch
diese wären allgemein giltig, und ihre Sätze wären kaum
einer Evolution unterworfen. Das ist ein wichtiger Unter-
^ Wir haben ii. a. deHhalb auch nicht auf wirtschaftliche
Handlungen, sondern auf Güterquantitäten Gewicht gelegt, als wir
uuRorc Disziplin definierten. Aber auch den Gutsbefi^riif kann man
innerhalb weiter Grenzen willkürlich und für vordchicdene Zwecke
ver8chie<len abgrenzen.
Weitere Bemerkungen zn unserem Vorgehen. gl
Khied gegenüber der Lehre von den Motivationen. Die
Motive der Menschen mögen sich im Laufe der Geschichte
ändern, ihre relative Bedeutung mag sich verschieben; so
abstrakte Gesetze aber wie die unsem unterliegen einer
lolehen Änderung nicht oder nur in Zeiträumen, von denen
wir keine Vorstellung haben.
Die ftitere Nationalökonomie ging vom Individualegoismus
aus. Im Sinn ihrer Vertreter war das teils eine Behauptung
Aber das tatsächliche Tun der Menschen, teils eine Forde-
rung. In Übereinstimmung mit der Naturrechtsphilosophie
jener Zeit suchte man im Individuum den Schlüssel für das
Verständnis des Soziallebens und erhob bewufit und un-
bewnflt den Satz zum Axiome, daß die freie Tat des Indi-
fidnnms Staat und Gesellschaft schaffe und auch für die
Wirtschaft entscheidend sei. Sodann suchte man nacbzu-
weisen, dafi das Individuum nur von egoistischen Motiven
geleitet sei und auch geleitet sein solle, weil durch die
freie Betätigung der Individualität auch das allgemeine
Beste am meisten gefördert werde. Der Egoismus und
seine Entwicklung zu voller Freiheit wurden als das wünschens-
werte Ziel hingestellt. Im Zusammenhange mit diesem
Individualismus gewann auch die freie Konkurrenz die Be-
deutung eines Postulates, das zu einer Reihe praktischer
Forderungen führte, wie Freihandel, Vertragsfreiheit usw.
Ein stolzer Bau, der halb Wissenschaft und halb praktisches
Programm war, wurde auf diesem Boden errichtet. Oft ist
kervorgehoben worden, wie die Zeitverhältnisse diese An-
schauungen bedingten, welche Bedeutung ihnen in der Ge-
schichte der politischen Ideen zukommt und wie und aus
welchen Gründen eine Reaktion dagegen erfolgte. Eine
iCthische*' Auffassung der wirtschaftlichen Erscheinungen
und ein ganzes Lehrgebäude der Negation des Egoismus
wurde einerseits und die historische Tatsachenforschung
Andererseits dagegen aufgeführt, aber die Wissenschaft
gewann wenig dabei, so wenig, wie die exakte Naturwissen-
schaft etwas dabei gewinnt, wenn an die Stelle des einen
philosophischen Systemes ein anderes tritt. Aber das ist
Sehampeter, Nationalökonomie. 6
g2 Gnindlegong.
nicht die Reaktion, die wir von unserem Standpunkte fOr
nötig halten, wenn sie auch sicher vollberechtigt war. Wir
geben den Angreifern gerne jene großen Probleme preis,
die uns fremd sind, und die sich zur exakten Behandlung
überhaupt nicht eignen, aber es ist uns mehr darum xa
tun, zu zeigen, dafi eine exakte Disziplin der reinen Öko*
nomie ohne Stellungnahme dazu möglich ist, ja ihrem Wesen
nach sogar keine solche Stellungnahme gestattet, und das
man das, was die Klassiker an reinökonomischen Wahr-
heiten erkannten, aufrecht erhalten und weiter entwickeln
kann, obgleich ihre Sozialphilosophie in Trümmern liegt.
Die Nationalökonomie hat jedoch aus dieser Zeit noch
manche Züge behalten, welche auf diese Dinge hindeuten.
Ich spreche hier nicht davon, daß jedes nationalökonomische
Lehrbuch Erörterungen über Kollektivismus und Indivi-
dualismus, über Egoismus und Altruismus u. dergl. bringt:
Das läßt sich ja vom rein ökonomischen Texte trennen, und
ist oft durch didaktische Rücksichten geboten. Aber schlimmer
ist, daß sich auch in der reinen Theorie und besonders in
deren Grundlagen Begriffe und Gedankengänge eingeschlichen
haben, welche geeignet sind, die alten Einwendungen, die
gegenüber den Klassikern berechtigt waren, wiederum
hervorzurufen, obgleich die ganze Entwicklung der neueren
Ökonomie dahin geht, davon loszukommen. Daher ist es
wichtig, ganz klar hervorzuheben, daß wir nicht behaupten,
erstens, daß das wirtschaftliche Handeln ganz oder vor-
nehmlich von Egoismus geleitet sei, zweitens, daß das zum
Besten aller Beteiligten führe, drittens, daß eine Tendenz
dazu bestehe, den Individualegoismus immer mehr zur
Geltung zu bringen. Was in der neueren Nationalökonomie
an diese Dinge anklingt, hat einen ganz anderen Sinn, als
in der älteren, ist nicht mehr Behauptung oder Forde-
rung, sondern lediglich methodisches Hilfsmittel. Diese
Auffassung verbreitet sofort Klarheit über unseren Weg und
verscheucht metaphysische Unklarheiten sehr gründlich.
Sie ermöglicht uns unsere Position zu halten, mit jedem
Worte einen klaren Sinn zu verbinden, über den kein Streit
Weitere Bemerkimgen zu unserem Vorgehen. 83
möglich ist allerdings um den Preis der Aufgabe vieler
interessanter und kühner Behauptungen. Selbst ein Gegner
der Klassiker hat gesagt, dafi sich die tiefsten Fragen der
Ökonomie nicht „durch mathematische Formeln, sondern
nor durch Anschluß an Geschiebte und Philosophie" lösen
lassen. Allerdings dachte er offenbar besonders an prak-
tische Fragen, namentlich die der Sozialpolitik u. a.
Darauf müssen wir jedoch entgegnen, daß diese Fragen
ebai nicht Fragen der exakten Ökonomie sind und daß sie,
soweit Philosophie irgendwelcher Art ins Spiel kommt,
wissenschaftlichen Charakters überhaupt entbehren. Ein
Beispiel dafür sind die Probleme der Steuerpolitik. Fragt
man, wie eine Steuer wirkt, so ist das eine ökonomische
Frage, und diese läßt sich ökonomisch lösen, wobei mathe-
matische Formeln sehr nützlich sind. Fragt man aber, ob
eine Steuer „gerecht'' sei, dann hat man zu sagen, was man
ODter „gerecht'' versteht, ehe man sie lösen kann. An
diesem Punkte hört wissenschaftliche Behandlung über-
haupt auf. Ist man jedoch über denselben einmal einig,
dann kann die wissenschaftliche Diskussion beginnen. Wir
wollen nun mit Philosophien, wie die über das Gerechtig-
kdtsidealy nichts zu tun haben und wenden uns mit der
größten Entschiedenheit von dem Wortschwalle ab, der
unter diesem Namen die ökonomischen Diskussionen über-
schwemmt. Gewiß ist auch eine solche Betrachtung der
wirtschaftlichen Tatsachen möglich: Wie das vielgestaltige
Handeln des Menschen die verschiedensten Urteile auszu-
losen vermag, so kann es auch wissenschaftlich und außer-
wissenschaftlich von den verschiedensten Seiten betrachtet
werden. Aber wir wollen beschreiben und sonst nichts.
Wir verurteilen gewiß nicht eine andere Auffassung, aber
wir halten uns davon ferne.
§ 2. Präzisieren wir nochmals, was wir über das Moment
des Egoismus als die Grundlage der reinen Ökonomie zu
^gen haben.
Dasselbe stellt sich als eine Hypothese dar, die allerdings,
6*
g4 Grundlegung.
wenn man unsere Bedenken gegen ein Ausgehen von deo
Motiven nicht teilt, im großen und ganzen als mehr gesichert
betrachtet werden kann, als ihre Gegner meinen. Wie nachgerade
hervorzuheben an der Zeit ist, könnte man sagen, daB die
egoistische Handlungsweise ein Gebot der Natur ist, auf
dessen Nichtbefolgung Todesstrafe steht, und daB deshalb
der Egoismus unter allen Motiven des ^[enschen immer eine
grofie Rolle spielen wird. Deshalb würde er sicher gestatten,
das menschliche Handeln zu einem Teile zu erklftren. Aber
dessen Größe verschiedene Ansichten möglich sind, der aber
jedenfalls erheblich ist. Abgesehen davon hat es auch
dann Interesse, jene Handlungsweise festzustellen, welche
Konsequenz egoistischer Motive wäre, wenn man sich gans
darüber klar ist, daß der Mensch tatsächlich nicht darnach
handelt; denn immer würde er seine egoistischen Motive
gegen seine nichtegoistischen abwägen und sich klar zu
machen suchen, was er aufgibt, wenn er nicht egoistisch
handelt. Auch die ethischen Motive haben ihr Gesetz und
sind weder unendlich noch beliebig, sondern stehen in festen
Verhältnissen zu den übrigen. Aus diesem Grunde wären
die Konsequenzen des Individualegoismus keineswegs so be-
langlos, wie manche Schriftsteller zu glauben scheinen.
Nimmt man allerdings eine Hypothese des Individualegoismus
zum Ausgangspunkte unserer Disziplin, so kann man der
Frage nicht ausweichen, inwieweit derselbe wirklich herrscht,
und von welchen Zielen er geleitet ist, obgleich das im
Sinne des Gesagten nicht für die Richtigkeit sondern nur
für die Bedeutung der Resultate wichtig wäre. Dabei
müßte man aber immer untersuchen, inwieweit man die
Hypothese wirklich braucht, um eine eventuelle Kontroverse
auf ein möglichst enges Gebiet einzuschränken. Es ist sicher,
daß die dem Individuum bewußten Motive seiner Handlungen
nicht lediglich egoistischer Natur sind und dann auch, daß
der Individualegoismus nicht lediglich auf wirtschaftlichen
sondern auch auf anderen Momenten beruht. Die erstere
Erkenntnis vernichtet die Theorie, daß der Mensch lediglich
Egoist sei, nur dann nicht, wenn man den Egoismus so weit
Weitere BemerkoDgeD zu unserem Vorgehen. 85
defiDiert, daß auch jede Betätiguog des Altruismus aus dem
Grande, weil sie ein Bedürfnis befriedigt, darunter fällt,
ein Auskunftsmittel , welches die Theorie zu einer Selbst-
TersüUidlichkeit herabdrückt. Die letztere Erkenntnis nimmt
dem Individual-Egoismus jene Einfachheit und Einheitlichkeit
welche ihn als Erklärungsprinzip so sehr empfiehlt. Wille
zur Macht, Freude an der Anstrengung und ähnliche Dinge
machen es notwendig, zwischen einem eudämonistischen
oder hedonistischen und einem energischen oder volunta-
ristisehen Egoismus zu unterscheiden, und man kann uns
daher kaum vorwerfen, daß wir auf ein so sehr einfaches
HiÜBmittel verzichten, wenn wir von Egoismus nichts wissen
wollen, gar nicht zu reden von den Einwendungen historischer
UBd sozialer Natur, denen solch ein Ausgangspunkt sicher-
lich — mit Recht oder Unrecht — begegnet. Wir können
Tielmehr froh sein, daß wir hedonistischer u. ä. Hypothesen
zar Erklftrung der Preiserscheinung nicht bedürfen, und
sollte an irgend einer Stelle derartiges doch notwendig
werden, so wird man gut tun, seine Annahmen auf das
Notwendigste und vor allem auf das konkrete Problem, für
das sie notwendig sind, zu beschränken.
Wir halten es auch nicht für nötig, einen homo oecono-
nicas, eine Art Personifizierung des hedonischen Egoismus
za konstruieren wie es öfter geschah. Nicht als ob wir das
für prinzipiell falsch hielten; wir verstehen vollkommen, daß
die Autoren dieser Hilfskonstruktion nichts Unrichtiges
meinen, aber wir finden, daß wir sie entbehren können und
vermeiden sie daher. Wir betrachten auch nicht von vorn-
herein einen homme moyen. Mitunter kann es zweckmäßig
^in, die Behauptung aufzustellen, daß die Wertfuuktionen
verschiedener Individuen einander ähnlich sind. Das können
wir freilich nie strikte beweisen, und ein so gewonnenes
Resultat bedarf sicherlich der Bestätigung an den Tatsachen,
wobei sich dann ebensogut zeigen kann, daß es sich über-
raschend bewährt, mehr als wir erwarteten, sozusagen wahrer
ist als seine Vorraussetzung, wie auch, daß ein auf breitester
Basis stehendes Resultat, das aus den gesichertsten Voraus-
86 GniDdlegnnf;.
BetzuDgeo deduziert oder aus der reichsteo Beobachtung
induziert ist, in Folge irgend welcher Umstftnde ganz klfigUch
versagt ; aber wir werden diese Annahme erst in dem Momente
machen, wo sie uns zweckmäßig erscheint und dann nur
auf den betreffenden Fall beschränken.
Endlich halten wir es auch nicht für nOtig, unsere
Resultate auf den ordinär; business man zu beühranken,
wie es A. Marshall tut. Sicherlich steht uns diese Kon-
struktion — denn eine solche ist auch dieser, scheinbar
unmittelbar auf die Beobachtung der Wirklichkeit basierte
Begriff — am n&chsten. Wir wollen nur Oberhaupt nicht
auf die handelnden Menschen sehen, sondern nur auf die
Gatermengeoinderen Besitze: Wir wollen deren Verftodernngen
oder richtiger, eine gewisse Art ihrer Ver&ndeningen be-
schreiben , wie wenn sie sich automatisch vollzögen , ohne
die Menschen, die dieselben tatsächlich bewirken, weiter zu
beachten. Ftlr viele der Zwecke der Nationalökonomie in
ihrem weiteren und Üblicheren Sinne, mag diese Betrachtungs-
weise nicht ausreichen und eine andere besser sein; vom
Staud]iunkte der reinen Ökonomie aber ist sie u. £. die
passende. Schärfer als irgendeine hebt sie das Wesen ihrer
Sätze hervor und sie ist nichts anderes, als der exakte Kern
dessen , was die Ökonomen uns über Motive usw. zu sageu
haben — mag sie sich auch auf den ersteu Blick wenig
empfehlend ausnehmen.
Das ist es deuu, was von diesem Teile des ftlteroi
Systemes der Ökonomie Übrig bleibt: Wenn man absieht
von politischen, ethischen u. a. Einwendungen verschiedener
Art und sieb auf das Gebiet der reiutheoretischen DiskussioD.
beschränkt, so kann man sageu, daß durch kritische Arbeit
in ununterlirochenem Entwicklungsgänge sich drei Typen
von Betrachtungsweisen herauskristallisiert haben, die ällo
Leistungen darstellen, die nicht ohne Wert sind und den
methodischen Hilfsmitteln auch besser entwickelter WisseiH
Schäften an die Seite gestellt werden kOnneu: Jene mit
Hilfe des homo oeconomifus — der hedonischen Rechen-
mascliine — jene des ordinary business man und die tos
Weitere BemerkuDgen zu nneerem Vorgehen. g7
mir vertretene. Alle drei sind „richtig", das heißt frei von
Unklarheiten und prinzipiellen Fehlern, und alle drei gehen
in ihren Wurzeln bis auf die Anfänge unserer Wissenschaft
zurück; aber doch sind sie sehr verschieden. Der homo
oeconomicus ist eine Konstruktion, deren hypothetischer
Charakter nunmehr erkannt ist, wodurch er sich vom wirt-
schaftenden Individuum der Frtlheren, dessen wirkliche
Existenz behauptet wurde, unterscheidet. Der ordinary
business man stellt eine Berücksichtigung der neueren An-
schauungen über die Motive des Menschen und den loyalsten
Versuch dar, die Lehre der Klassiker mit denselben in Ein-
klang zu bringen. Unsere Betrachtungsweise ist sicherlich
die strengste und klarste und u. E. dort vorzuziehen, wo
es sich um korrekte Hervorhebung des Wesens unserer
Disziplin handelt; aber nur dort, in anderen Fällen steht
es jedermann frei, zwischen den anderen Eventualitäten zu
wfthlen.
VI. Kapitel.
Der methodologische Individualisnitts.
§ 1. Wir haben die Unklarheiten, die um die Wert-
hypothese und um das Problem der Motive des menschlichen
Handelns herumliegen, aus unserem Wege entfernt Es
erübrigt nur noch zu rechtfertigen, daß auch wir vom Güter-
besitze des Individuums ausgehen. Wir müssen sicher
erwarten, daß das auf einigen Widerspruch stoßen wird, da
bekanntlich die individualistische Betrachtungsweise gegen-
gegenwärtig vielfach als verfehlt angesehen wird: Der
Atomismus ist ja einer der beliebtesten Angriffspunkte der
Gegner der Theorie. Die Betrachtung der Klassiker ging
vom Individuum aus und die neuere Ökonomie ist derselben
im großen und ganzen gefolgt und hat sich so denselben
Angriffen ausgesetzt, welche zuerst gegen die ersten gerichtet
wurden. Der Gegner der Theorie ist sich im allgemeinen
nicht bewußt, daß ein und was für ein Unterschied zwischen
dem alten und dem neuen System der Ökonomie in diesem
Punkte l)esteht und richtet seine Argumente meist unter-
schiedlos gegen l)eide. Die Theoretiker sind die Antwort
nicht schuldig geblieben , und wir haben eine jener Kontro-
versen vor uns, welche jene eigentümliche Resultatlosigkeit
aufweisen, die wir bei so vielen die Grundfragen unserer Dis-
ziplin betreffenden Diskussionen finden: Beide Teile halten
sich allgemeine Argumente vor und verteidigen dieselben
mit einer durch die angenommene politische und soziale
Tragweite derselben bedingten Erbitterung. Natürlich kann
Der methodologische Individualismas. 89
SO gar nie eine Verständigung erzielt werden, und oft sieht
es so aus, als ob eine solche gar nicht beabsichtigt wäre;
und wiederum ist kaum etwas anderes zur Aufklärung der
Sache nötig, als sich mit Ruhe zu fragen, far welche
Probleme und Zwecke, die sich gegenüberstehenden Ansichten
eigentlich gemeint sind. Wenn man das tut, bemerkt man,
dafi der Streit seinen odiosen Charakter verliert und sich
die Schwierigkeitei^ ganz von selbst auflösen. Das wollen
wir denn auch in aller Ruhe tun. Zunächst wollen wir die
Einwendungen der Gegner der Theorie gegen die indi-.
vidualistische Auffassung der Dinge betrachten und sodann
verschiedene Tendenzen innerhalb der Theorie selbst,
welche den gleichen Zweck verfolgen.
Was wollten die Kritiker des klassischen Systemes, als
sie die individualistische Grundlage desselben angriffen?
Wie fast alle Angriffe gegen das klassische System, so
richtet sich auch dieser vornehmlich gegen gewisse praktische
Spitzen. Der Individualismus ist dem Sozialismus und jeder
Art von Sozialpolitik in größerem oder geringerem Mafie
entgegengesetzt, den Schlagworten vom „freien Spiele der
wirtschaftlichen Kräfte *", der individuellen Initiative und
Verantwortlichkeit wurden andere Schlagworte gegenOber-
gestellt. Die politische Niederlage des individualistischen
Liberalismus schädigte auch das wissenschaftliche Ansehen
jener Werke , in denen im scheinbaren Zusammenhange mit
den Grundlagen der reinen Ökonomie individualistische
Poetulate aufgestellt wurden. Das sind alles sehr bekannte
liinge. Man weiß auch, wie die gewaltige Entwicklung der
sozialpolitischen Bestrebungen, an der die wissenschaftlichen
Kreise so hervorragenden Anteil nahmen, dazu führte, daß
Qttn sich mit Heftigkeit aus ethischen nicht weniger als
&^ politischen Gründen gegen den Individualismus wandte.
Ei^rgisch hielt man dem Individuum vor, daß es seine
^stenz und seine Entwicklung der Gesellschaft verdanke,
^ die Frucht seiner Arbeit nicht ihm allein gehöre. Doch
genug davon. Es ist nicht zu viel behauptet, wenn man
^t daß die Animosität gegen den Atomismus in der
92 Orundlegung.
Ud6 scheint die erwähnte Tendenz zu eiDem grofien
Teile aus der eben besprochenen hervoi^egangen zu seio.
Der Sozjalpolitiker und der Nationalökonom sind ja sehr
oft eine und dieselbe Person. Legt der erstere so sehr auf
soziale Momente Grewicht, so liegt es fflr den letzteren nahe,
dasselbe zu tun. Wir werden dem gegenüber aof das Ge-
sagte hinweisen, n&mlich, daß dieser Zusammenhang kein
notwendiger sei. Doch können wir Ober die wissenschaft-
liche Auffassung dieser Gruppe nicht ohne weiteres hinw^-
gehen, sondern müssen sie an sieh betrachten. Zu einem
anderen Teile kommt uns von der Biologie und der.SQzio-
loRie her eine Anregung in derselben Richtung. Manche
biologen sprechen von einem „erreur indiTidualiste", der
darin liege, dafi man das Individuum zu sehr an sieb be-
trachte, wahrend es doch nichts anderes sei als ein Glied
in der Kette einer langen EntwickluDg. In JÜinlieher Weise
meinen manche Ökonomen ausgehend von der Tatsache,
daß der Mensch allein nicht leben könne und nur aus seioem
sozialen Milieu heraus zu verstehen, femer tausenderlei
sozialen Einflüssen unterworfen sei, welche an dem Einzelnen
schlechterdings nicht studiert werden können, daß eine indi-
I vidualistische Ökonomie wenig Wert habe, und viele Sfi^ie-
Ijlgen haben uns Ähnliches gesagt. Auch noch direkter hat
die Biologie Einfluß genommen, nftmlich durch das Medium
der sogenannten organischen Staatsauffassung, welche uns
jedoch hier nicht weiter interessiert. Das dritte Element
der in Rede stehenden Tendenz endlich bilden maaehe
Theoretiker, welche mit dem Begriffe der Gesellschaft und
des gesellschaftlichen Wertes auch innerhalb der reinen
Theorie operieren.
Gehen wir nun etwas näher auf dieselbe ein. Es wfirde
uns wenig frommen in die allgemeine Diskussion einzutreten,
welche übrigens nur zu bekannt ist Wollten wir z. B. du
Wesen der Volkswirtschaft untersuchen, so mOfiten vir xn
den beiden Auffassungen Stellung nehmen, welche die ent-
gegengesetzten Standpunkte auf diesem Gebiete scharf cha-
rakterisieren. Es sind das die Auffassungen der Volks-
Der methodologische lodividoalismus. 91
ausgehe. Die Frage ist nun lediglich die, ob dieser Aus-
gangspankt zweckmäßig sei und ausreichend weit führe oder
ob man für manche Probleme oder die ganze National-
ökonomie besser die Gesellschaft zum Ausgangspunkte wähle.
Das aber ist lediglich eine methodologische Frage ohne jede
prinzipielle Bedeutung. Der Sozialist kann sie im* Sinne
des methodologischen Individualismus , der politische Indi-
vidualist im Sinne einer sozialen Betrachtungsweise lösen,
ohne mit sich selbst in einen Widerspruch zu geraten*
Damit haben wir etwas erreicht: Wir haben unsere Frage
der praktischen Tragweite und der Dornenkrone des aktu-
ellen Interesses entkleidet. Das ist in der neueren Ökonomie
anch sonst schon in ziemlichem Umfange geschehen und
darin liegt ein großer, — vielleicht der gröfite — Unter-
schied zwischen dem modernen und dem älteren System ^
derselben. Bei ersterem ist es oft schwer, reine Theorie
und praktische Stellungnahme zu sondern, obgleich es meist
möglich ist, das letztere hält sich mehr von Abschweifungen
frei und manche Theoretiker haben die Gemeinschaft mit
dem ^Manchestertum'' energisch abgelehnt. Freilich wird
immer wieder dagegen verstoßen und soweit haben die
Oegoer Recht, aber im Ganzen kann man die Wissenschaft
als von diesem Hemmschuh befreit ansehen.
Nun wenden wir uns dem zweiten Teile unserer Auf-
gabe zu. Dabei müssen wir bemerken, daß wir an dieser
Stelle nicht viel mehr tun können, als zu zeigen, daß wir
die erhobenen Einwendungen kennen, und wie wir über sie
denken; eine erschöpfende Antwort auf diese ganze Frage
gibt nur die Gesamtheit unserer Erörterungen.
Die individuelle Betrachtungsweise durch eine soziale
m ersetzen oder wenigstens das soziale Moment mehr zu
berücksichtigen, ist eines der wichtigsten Desiderata, eines,
das man sehr häufig hören kann. Würde man jemand
fragen, was er für die dringendste Reform auf. unserem
Gebiete halte, so würde er unter anderen unfehlbar diesen
Punkt nennen. Doch wie soll denn das geschehen und
welchen Vorteil hätten wir davon?
92 Grundlegung.
Uns scheint die erwähnte Tendenz zu einem großen
Teile aus der eben besprochenen hervorgegangen zu sein.
Der Sozialpolitiker und der Nationalökonom sind ja sehr
oft eine und dieselbe Person. Legt der erstere so sehr auf
soziale Momente Gewicht, so liegt es für den letzteren nahe,
dasselbe zu tun. Wir werden dem gegenüber auf das Ge-
sagte hinweisen, nämlich, dafi dieser Zusammenhang kein
notwendiger sei. Doch können wir über die wissenschaft-
liche Auffassung dieser Gruppe nicht ohne weiteres hinweg-
gehen, sondem müssen sie an sich betrachten. Zu einem
anderen Teile kommt uns von der Biologie und der Sozio-
loficie her eine Anregung in derselben Richtung. Manche
biologen sprechen von einem „erreur individualiste'', der
darin liege, dafi man das Individuum zu sehr an sich be-
trachte, während es doch nichts anderes sei als ein Glied
in der Kette einer langen Entwicklung. In ähnlicher Weise
meinen manche Ökonomen ausgehend von der Tatsache,
dafi der Mensch allein nicht leben könne und nur aus seinem
sozialen Milieu heraus zu verstehen, femer tausenderlei
sozialen Einflüssen unterworfen sei, welche an dem Einzelneu
schlechterdings nicht studiert werden können, dafi eine indi-
vidualistische Ökonomie wenig Wert habe, und viele Sozio-
logen haben uns Ähnliches gesagt. Auch noch direkter hat
die Biologie Einflufi genommen, nämlich durch das Medium
der sogenannten organischen Staatsauffassung, welche uns
jedoch hier nicht weiter interessiert. Das dritte Element
der in Rede stehenden Tendenz endlich bilden manche
Theoretiker, welche mit dem Begriffe der Gesellschaft und
des gesellschaftlichen Wertes auch innerhalb der reinen
Theorie operieren.
Gehen wir nun etwas näher auf dieselbe ein. Es würde
uns wenig frommen in die allgemeine Diskussion einzutreten,
welche übrigens nur zu bekannt ist. Wollten wir z. B. das
Wesen der Volkswirtschaft untersuchen, so müfiten wir zu
den beiden Auffassungen Stellung nehmen, welche die ent-
gegengesetzten Standpunkte auf diesem Gebiete scharf cha-
rakterisieren. Es sind das die Auffassungen der Volks-
Der methodologische Individualismus. 93
wirteehaft einerseits als „Organismus" und anderseits als
»Resultante des wirtschaftlichen Handelns und Seins der
Indiyidaalitäten''. Wir sehen hier wieder einmal, da6 gar
nichts leichter ist, als beide Auffassungen mit allgemeinen
Gründen zu verteidigen. Jede Massenerscheinung besteht
natürlich aus individuellen Erscheinungen, und so liegt der
Schlag nahe, da6 man die letzteren untersuchen müsse, um
die ersteren zu verstehen. Ebenso klar ist es, dafi die
Angehörigen einer Volkswirtschaft oder einer Klasse irgend-
welcher Art innerhalb derselben durch unzählige Bande
sehr viel enger untereinander verbunden sind als mit An-
gehörigen anderer Volkswirtschaften, dafi Wirkungen und
Wechselwirkungen wirtschaftlicher und anderer Art, Koope-
ration und Antagonismen eine große Rolle spielen , welche
sich nicht ohne weiteres am Individuum zeigen und das
hinwiederum führt zur Konsequenz, daß man irgendeine
soziale Gruppe zum Ausgangspunkte des Gedankenganges
und als Einheit für denselben nehmen müsse. Die eine
Partei kann der anderen ebenso gut beweisen, daß der Staat
kein animalischer Körper sei, und daß jede Maschine aus
nnterscheidbaren Bestandteilen bestehe, wie diese der ersteren,
dafi die Menschen nie allein leben und arbeiten und eine
Maschine mehr sei, als eine Summe von zusammenhangslosen
Eisenstücken. Daß Analogien und Allgemeinheiten zu nichts
führen, betonen wir immer : die Detailuntersuchung nur kann
beachtenswerte Resultate geben; aber hier handelt es sich
wn etwas anderes: Was die Volkswirtschaft nämlich ist,
nnd ob das Individuum die treibende Kraft sei oder eine
solche anderswo gesucht werden müsse, ist belanglos für
^8. Wir sind im allgemeinen gerne bereit, alles was Sozial-
politiker und Historiker uns über diesen Punkt zu sagen
kaben, zu akzeptieren und würden irgendeine abstrakte
Konstruktion etwa im Sinne des Naturrechtes nicht einmal
'ftr würdig halten, diskutiert zu werden. Daß soziale Ein-
flösse das Handeln des Einzelnen bestimmen, und daß der
Einzelne ein verschwindend kleiner Faktor sei, geben wir
durchaus zu, aber hier ist das alles gleichgültig. Nicht
94 Grundlegung.
darauf kommt es uns an, wie sich diese Dinge wirklich
verhalten, sondern wie wir sie schematisieren oder stylisieren
müssen, um unsere Zwecke möglichst zu fördern, das heifit
also, welche Auffassung die vom Standpunkte der Resultate
der reinen Ökonomie praktischeste sei.
Das ist ein ebenso parodoxer wie fundamentaler Satz:
Für den Nationalökonomen soll das Wesen der Volkswirt-
schaft gleichgültig sein? Wir zögern nicht die Frage zu
bejahen. Ja wir gingen noch weiter, wir sagten, dafi selbst
das Wesen des Wirtschaftens für uns gleichgültig sei. Wir
haben auf d a s zu blicken, was wir erreichen wollen — da«
ist in diesem Falle die Preiserscheinung — und nur das
anzuführen, was zur Erreichung unseres Zieles unbedingt
nötig ist Nur dann treten die Formen unseres Gedanken-
ganges und seine wirkliche Bedeutung scharf und plastisch
hervor. Und was nötig ist, läfit sich nicht a priori sagen.
Angewendet nun auf die Frage, mit der wir es hier zu
tun haben, läßt uns das Gesagte das Wesen dessen, wofür
wir den Niimen „methodologischer Individualismus *" vor-
schlagen, deutlich verstehen. Wir sahen schon früher, dafi
er keine praktische Forderung und keine moralischen und
sonstigen Wertungen verschiedener Organisationsformen der
Volkswirtschaft enthalte, mithin von Einwendungen dieser
Kategorie nicht getroffen werden könne; wir sehen nun
weiter, dafi er auch keine Aussage über Tatsachen enthalte
denn wir sagen nichts darüber aus, was für das Handeln
des Menschen bestimmend sei. Wir wollen gewisse wirt-
schaftliche Vorgänge beschreiben und auch das nur innerhalb
ganz enger Grenzen. Die tieferen Gründe derselben mögen
interessant sein, aber sie berühren unsere Resultate nicht
Sie gehören zu dem Gebiete der Soziologie und daher kann
unsere Auffassung auch nicht durcn den Nachweis unmöglich
gemacht werden, dafi man die Vorgänge in einer Volks-
wirtschaft tatsächlich nicht als rein individuelle erklären
könne. Wenn der Nationalökonom seine individualistische
Methode mit Tatsachen verbrämt und etwa behauptet, dafi
das Individuum der Angelpunkt aller Erklärung sei, so
Der methodologische Individualismus. 95
können wir das nicht billigen und geben soweit vollkommen
den Gegnern Recht. Aber man wird nicht vergessen dürfen,
daß man sehr oft und sogar in der Regel derartige Be-
hauptungen einfach weglassen kann, ohne daß das Rein-
ökonomische an der Sache alteriert wird. In diesem Falle
kum die Kritik leicht zu weit gehen und Recht und Unrecht
fast unentwirrbar vermischt werden.
Der methodologische Individualismus ist endlich keine
Spekulation philosophischer Natur, kein Zukunftsideal und
dergleichen mehr. All das wurde der Theorie imputiert,
halb mit Recht, halb mit Unrecht in der ausgeführten Weise.
Jeder unbefangene Urteiler wird zugeben müssen, daß unsere
Darstellung keinem dieser zu Schlagworten gewordenen und
bis zum Überdrusse wiederholten Angriffen ausgesetzt ist-
Wir meinen nichts anderes, als daß die individuelle Be-
trachtungsweise kurz und zweckmäßig zu iu erheblichem
Mafie brauchbaren Resultaten führt und allerdings auch,
daß innerhalb der reinen Theorie uns eine soziale Betrachtungs-
weise keine wesentlichen Vorteile gewährt und mithin über-
tlössig ist Sicherlich, sobald wir die Grenzen der reinen
Theorie überschreiten, gestaltet sich die Sache anders. In
der Organisationslehre z. B. und überhaupt in der Soziologie .
kirne man wohl mit dem Individualismus nicht weit, was
aber nicht besonders zu bedauern ist, wenn man über den
lediglich methodologischen Charakter desselben im Klaren ist.
So haben wir nun einen weitereu Schritt getan und
QUtDche Schwierigkeiten beseitigt , welche immerfort Steine
des Anstoßes bilden, allerdings auch unsere Frage jedes
auch nur wissenschaftlichen prinzipiellen Interesses entkleidet.
Vir haben weniger ein Problem gelöst als nachgewiesen, daß
^ dasselbe nicht zu lösen brauchen. Ganz von selbst
ergibt sich, daß jene theoretischen Erörterungen, welche
oiit dem berühmten oder berüchtigten Instrumente des
iHobinson* arbeiten, von der Einwendung nicht getroffen
werden können, daß ein solcher nur in Ausnahmefällen und
nie for lange existieren könne. Hier tritt das Mißverständnis,
das in vielen solchen Einwendungen steckt, besonders klar
^ötage.
96 Grundlegung,
Prinzipielle Einsendungen gegen den .Atomismns", so
wie wir ihn vertreten gibt es also nicht. Wrb an solchen
vorgebracht wurde, bezieht sich auf Dinge, die gewifl in
einem scheinbaren Zusammenhange mit ihm atehen, aber
von ihm getrennt werden können. Gewiß intereasiereD uns
die individuellen Vorgänge an sich nicht, wohl aber sollen
sie uns dazu dienen, die MaEsenerscheiDungen auf unaerem
Gebiete zu beschreiben. Das Tun eines iDdividnams an
sich ist uns so gleichgiltig, wie dem Ethnologen die Haar-
farbe eines solchen. Aber doch kann er die Haarfarbe
eines Volkes nicht an einem Volke an sich , sonderti nur
an Individuen beobachten, um dann aus den Einzelbeobaeh-
tungen irgendwie, etwa im Sinne der „typiachen" oder der
.repräsentativen" Methode der Statistik, ein Urteil Ober
die erstere konstruieren. Das Beispiel trifft nicht ganx zu.
Es zeigt uns aber, daß individuelle Methode und soziale
Resultate keineswegs inkompatibel sind.
Wir glauben nun, daß die alte individualistische Methode
tatsjlchltch auch heute unentbehrlich ist, freilich nur fbr
die Zwecke der reinen Theorie im engsten Sinne. Unsere
Methode passt nur darauf und hat nur auf diesem Gebiete
brauchbare Resultate geliefert. Einerseits ist es nnmOglieh,
andererseits abertlüssig — beides für den Kreis der Prob-
leme, die heute wirklich ausgearbeitet sind — , sie zu ver-
lassen. Vielleicht wird das spftter einmal geboten sein, so
wie es schon gegenwärtig außerhalb jenes ganz engen Ge-
bietes der Fall ist. Aber für jetzt und die nächste Zukunft
wäre eine Neuerung wahrem Fortschritte nur hinderlieh.
Freilich können wir das hier nicht mit allgemeinen GrUnden
beweisen ; nur die Betrachtung des Details der reinen Theorie
kann das lehren, an jedem ihrer einzelnen Sätze muß man
es untersuchen.
Alles, was wir tun konnten, war, einigen Etnwendnngeik
zu begegnen, Mißverständnisse zu zerstreuen und dem Lraer
zu zeigen, daß wir nichts wollen, was prinzipielle Bedenken
erregen könnte. Nur das ließ sich allgemein erörtern. Sc
werden wir denn im Folgenden im allgemeinen nicht voi>
Der methodologische Individualismus. 97
sozialen Kategorien sprechen und bo durch die Tat zeigen,
daß die individualistische Betrachtungsweise in unserem
Sinne, von jedem praktischen Interesse entblößt, sich auf
unserem Gebiete bewährt und für dasselbe ausreicht. Dieser
xweite Teil unseres Beweisthemas ergibt sich also nur aus
der Gesamtheit des Folgenden. Dabei steht es jedermann
fiei, fQr die Zwecke der Diskussion sozialer oder politischer
ProUeme ökonomische Begrifife sozialer Kategorie zu bilden,
wo es wünschenswert erscheint. Wir betonen immer wieder,
nar f&r das System der Theorie in seiner reinsten Form
gilt das Gesagte.
Hier seien noch die beiden wichtigsten Gruppen von
Begriflfen erwähnt, bei denen man das soziale Moment ein-
fthmü wollte und welche wir im ausgeführten Sinne für
jetzt ablehnen möchten. Die erste ist charakterisiert durch
die Worte „Volkseinkommen", „Volksvermögen", „Sozial-
kapital" und spielt besonders in der deutschen Literatur
eine Rolle (Held, Wagner). Besonders energisch wurde die
Notwendigkeit ihrer Einführung von Stolzmann vertreten.
Aber nichts spricht so sehr für uns als der Umstand, daß
der letztere in eigentlich theoretischen Fragen dennoch
wenig Gebrauch davon macht. Wo er es tut, ist das nur
eine Frage der Ausdrucksweise und ändert die individua-
listische Grundlage der Theorie nicht.
Wenn man das Gebäude unserer Theorie unbeeinflußt
^on Vorurteilen und von außen kommenden Forderungen
aufbaut, so begegnet man diesen Begriffen überhaupt nicht.
Wir werden uns daher mit ihnen nicht weiter beschäftigen ;
wollten wir das aber tun, so würde sich zeigen, welche
Fülle von Unklarheiten und Schwierigkeiten ihnen anhaftet,
wie sie in engem Zusammenhange mit vielen schiefen Auf-
fassungen stehen, ohne auch nur zu einem wirklich wert-
vollen Satze zu führen.
Die zweite Gruppe ankert im Begriffe des sozialen
Wertes. Schon in den frühesten Stadien der Theorie finden
^ch Anklänge daran, prinzipielle Bedeutung hat er erst in
der Gegenwart gewonnen und zwar im „sozialen Werte"
SehQ]np«t«r, Nationalökonomie. 7
100 Grundlegung.
Getrftnke u. dergl. Es mag zweckmABig sein, die Subjek-
tivität der Wertungen auch in der Terminologie zum Aua-
drucke zu bringen. Aber es gibt nichts absolut „NOtzliches*,
ebensowenig wie absolut „Wertvolles". , Nutzen' ist geradeso
wie „Wert" ein Ausdruck für individuelle Schätzungen, and
es liegt daher fOr uns kein Grund vor, zwischen beiden m
unterscheiden. Wollte man verhindern, daß Nebenbedeutongea
der von uns verwendeten Begrifbbezeichnungen zu Hiß-
verstfindnissen führen, so wäre es wohl am besten, ein
eigenes Wort zu konstruieren, wie etwa Pareto's „Opheli-
mitat". Aber wir wollen das nicht tun. Hier, wo wir die
Elemente als bekannt voraussetzen, sind Schwierigkeiten
solcher Art kaum zu ffirchten. Wir wollten diesen Punkt
nur streifen und halten uns nicht dabei auf.
Zum anderen sodann wurde nur jenen Dingen Wert
zugeschrieben, welche in verhältnismäfiig geringer Quantität
vorhanden sind. Man folgte da dem Sprachgebranehe,
welcher z. B. Wasser unter gewöhnlichen Verhältnissen als
„wertlos" bezeichnet, ol^leich es offenbar „nQtzlich* ist.
„Der Nutzen wird zum Werte, igsofem sein Nichtvorhanden-
sein in Betracht kommt", sagt einer jener Theoretiber,
damit treffend die Ansicht jener Gruppe zum Ausdrucke
bringend, v. Boehm-Bawerk sagt: „Damit Wert entstehe,
muß sich zur NQtzlichkeit auch Seltenheit gesellen' *. .Ein
Mann sitzt an einer reichlich sprudelnden Quelle guten
Trinkwassers. Er hat seinen Becher angeftlllt, und Wasser
genug, um hundert andere Becher zu fallen, quillt in jeder
Älinute an ihm vorQber. Und nun denken wir uns einen
anderen Mann, der in der Wüste reist. Eine lange Tag-
reise durch heißen Wüstensand trennt ihn noch von der
nächsten Oase, und er besitzt nur noch einen einzigen, den
letzten Becher Wassers . . . Nützlich, das ist mhig, ein
Bedürfnis zu befriedigen, ist der Becher Wassers im ersten
Falle geradeso wie im zweiten. Auch genau im gleicheik.
Grade" *. Aber nur im letzteren habe derselbe ,Wert'. E^
' Pos. Theorie p. H2.
■ Ebenda p. 140 f.
VIL Kapitel.
Zum Wertbegriffe.
S 1. Obgleich die volle Bedeutung dessen, was wir
Ober dieses lliema noch zu sagen haben, sich erst später
zeigen kann und es sonst unser Grundsatz ist, die Dinge
dort zu behandeln, wo wir sie brauchen, so sollen doch hier
einige notwendige Bemerkungen ' zusammengefaßt werden.
Erst wenn wir uns das Erklftrungsprinzip, das wir verwenden
wollen, ganz klar gemacht haben, wollen wir zur Betrachtung
der GDtermengen übergehen, deren methodologischer Überbau
die Wertfunktiouen sind, Wertfunktionen und Gütermengen,
das ist alles, was es auf unserem Untersuchuugsgebiete gibt,
alles, woraus sich unser Bild der Wirklichkeit zusammen-
wtzt. Nur die letzteren sehen wir, die ersteren kon-
struieren wir, wie gesagt, hinzu. Betrachten wir uns unsere
XoQgtruktion noch etwas näher. Bei den folgenden Be-
flKrkungen werden wir eine psychologische Ausdrucksweise
nicht immer ängstlich vermeiden, da dieselbe sicherlieh oft
bequem und kurz ist.
Zunächst sei darauf hingewie^eD, daß wir die Begriffe
-Wert" und „Nutzen" nicht unterscheiden, vielmehr beide
Termini ganz synonym verwenden. Die psychologischen Wert-
tbeoretiker haben meines Wissens ausnahmslos einen solchen
Unterschied gemacht und zwar in doppelter Weise. Einmal
»urde gesagt, daß oft Dinge „gewertet" würden, welche
dem Individuum nicht „nützlich" sind, z. B. alkoholische
' Uieulbea sind nur für den Theuretiker von Fach von Interesse-
100 OrundleguDg.
GeträDke a. dergl. Es mag zweckmäßig sein, die Subjek-
tivität der Wertungen auch in der Terminologie zum Aus-
drucke zu bringen. Aber es gibt nichts absolut ,NQtzliches',
ebensowenig wie absolut „WertYoUes". „Nutzen" ist geradeso
wie „Wert" ein Ausdruck fur individuelle Schätzungen, und
es liegt daher für uns kein Grund vor, zwischen beiden zu
unterscheiden. Wollte mnn verhindern, dnß Nebenbedeutungen
der von uns verwendeten BegrifTsbezeichnungen zu Mi&-
verstftndnissen führen, so wftre es wohl am besten, ein
eigenes Wort zu konstruieren, wie etwa Pareto's ,Opheli-
mität". Aber wir wollen das nicht tun. Hier, wo wir die
Elemente als bekannt voraussetzen, sind Schwierigkeiten
solcher Art kaum zu furchten. Wir wollten diesen Pnnkt
nur streifen und halten uns nicht dabei auf.
Zum anderen sodann wurde nur jenen Dingen Wert
zugeschrieben, welche in verhältnismäßig geringer Quantität
vorhanden sind. Man folgte da dem Sprachgebrauehe,
welcher z. B. Wasser unter gewöhnlichen Verhältnissen als
„wertlos" bezeichnet, obgleich es offenbar „natzlJch* ist.
„Der Nutzen wird zum Werte, igsofem sein Nichtvorhanden-
sein in Betracht kommt", sagt einer jener Theoretiber,
damit treffend die Ansicht jener Gruppe zum Ansdnieke
bringend, v. Boehm-Bawerk sagt: „Damit Wert entatehe,
muß sich zur Nützlichkeit auch Seltenheit gesellen* *. .Ein
Mann sitzt an eiuL'r reichlich sprudelnden Quelle guten
Trinkwassers. Er hat seinen Becher angefüllt, und Wasser
genug, um hundert andere Becher zu füllen, quillt in jeder
Minute an ihm vorüber. Und nun denken wir uns einen
anderen Mann, der in der WUste reist. Eine lange Tig-
reji^e durch heißen Wüstensand trennt ihn noch von der
nächsten Oase, und er besitzt nur noch einen einzigen, den
letzten Becher Wassers . . . Nützlich, das ist fähig, ein
Bedürfnis zu befriedigen, ist der Becher Wassers im ersten
Falle geradeso wie im zweiten. Auch genau im gleichen
Grade" '. Aber nur im letzteren habe derselbe „Wert". Es
' PoB. Theorie p. ua.
« Ebenda p. 140f.
Zum Wertbegriffe. 101
sei nun nicht zuviel behauptet, wenn mau diese Unter-
scheiduDg fflr eine der fruchtbarsten und fundamentalsten
unserer ganzen Wissenschaft erkläre. Gegen Güter, die
nur nfltzlich sind, benehme sich der praktische Wirt
achtlos und gleichgiltig. Solche Güter seien praktisch für
unsere Wohlfahrt Nullen und nur solche haben Wert, von
denen wir ein Stück Befriedigung, Wohlfahrt, Lebensgenufi
abhängig wissen, mit anderen W^orten, die in einer im Ver-
htitnis zum Bedarfe geringer Menge vorhanden sind.
Dazu haben wir einiges zu sagen. Vor allem scheint
uns jener Unterschied nicht so scharf zu sein. Güter, denen
Wer Wert abgesprochen wird, sind jene, deren „Grenz-
nutzen'' gleich Null ist. Nun, der Übergang von einem
sehr kleinen Grenznutzen zum Grenznutzen Null ist offenbar
ein allmählicher und kein plötzlicher, springender. So kann
auch die Grenze zwischen freien und wirtschaftlichen Gütern
nnr eine flieflende sein.
Aber wichtiger ist das folgende: Auch freie Güter haben
Wertfunktionen. Davon kann man sich eben dadurch
überzeugen, dafi man sie durch Yerringeruug der vor-
handenen Menge in wirtschaftliche überführt. Ja sogar um
festzustellen, daß ein bestimmtes Gut für ein bestimmtes
Individuum ein .freies" ist, brauchen wir die Wertfunktion,
da der Nullpunkt des Grenznutzens eben auch von ihrer
Gestalt oder, populärer gesprochen, vom Bedarfe abhängt.
Es besteht also kein wesentlicher Unterschied zwischen
freien und wirtschaftlichen Gütern, und aus diesem Grunde
sollen auch in dieser Bedeutung Wert und ^'utzen für uns
synonym sein.
§ t. Das führt uns auf einen wichtigen Punkt, auf
den Begriff des Gesamtwertes. Eine Wertfunktion ist auch
bei freien Gütern vorhanden, nur ist ihr Grenznutzen gleich
Null. Wie steht es mit dem Werte der ganzen Menge
des betreifenden Gutes für ein Individuum? Man hat mit-
unter gesagt, dafi dieser Gesamtwert ebenfalls gleich Null
sei, (v. Wieser, neuestens F. A. Fetter). Der Gedanken-
104 OniDdlegung.
auszudehnen, deren Wert fOr das Individuum Aber alles
groß ist, d. h. nicht von Null, sondern von einer bestimmten
Untergrenze aus, Über die hinaus das Lebensinteresse nicht
mehr ins Spiel kommt, zu integrieren. Wir m&sseD dem
Individuum sozusagen ein Existenzminimum überlassen und
können nur den Wert jener Gütermengen ausdrOeken, welche
über dasselbe hinausgehen.
Das ist eine wichtige Einschränkung, welche aber
niemand wundernehmen wird, der die Funktionensysteme
anderer Wissenschaften und überhaupt die Funktionentheorie
kennt. In der modernen Funktionentheorie werden sogar
zuerst die Grenzen, zwischen denen die Funktion besteht,
und dann erat diese selbst untersucht. Immer sind es nur
bestimmte Intervalle, in denen wir uns bewegen können.
Was außerhalb derselben geschieht, muß uns gleicbgiltig sein.
W'tr giengen bei dieser Betrachtung von den freien
Gutem aus. Aber es ist ersichtlich, daß ganz dasselbe
auch von den wirtschaftlichen gilt, daß auch ihr Gesamtwert
kein Produkt, sondern ein Integral ist.
Noch mochten wir auf einen Grund hinweisen, der jene
Theoretiker unter anderem zu der erwähnten Auffassung des
Gesamtwertes geführt liaben mag. Es ist der Wunsch, die
Voi^änge in der Verkehrs Wirtschaft unmittelbar aas der
Werterscheinung abzuleiten, nachzuweisen, daß die DonnaleD
Preise stets der Ausdruck des vollen Wertes eines Gutes
seien und daß der wirtschaftliche Verkehr nichts an der
Bedeutung der Güter Andere, welche dieselben in der iso-
lierten Wirtschaft hätten. Für den Preis ist der Grenz-
nutzen entscheidend. Wäre er das nun nicht auch für den Ge-
samtwert, so würde sich eine Diskrepanz zwischen Wert-
summe und Preissumme ergeben. Eine solche Diskrepanz
nun besteht tatsächlich: es ist eine Täuschung, zu glauben,
daß man namentlich das Einkommenproblem schon geltet
habe, wenn man die Werterscheinungen, die jenen Preisen,
aus denen sich direkt die Einkommen ergeben — denen
der „produktiven Leistungen" — zugrunde liegen, abgeleitet
hat So tun es z. B. Clark und seine Nachfolger. Wir
Zum Wertbegriffe. 103
wobei vorausgesetzt wird, dafi die anderen erhalten bleiben.
Diese Wertgröfien sind nun nicht weiter addierbar, was
keineswegs erstaunlich ist Dafi der Gesamtwert größer
ist als der Wert der Teile, ist nur solange ein Paradoxon,
als man alle zugleich nur mit dem Grenznutzen anschlägt.
Der Satz verliert alles Befremdende, wenn man sich den
Sinn der verschiedenen Operationen vergegenwärtigt Ist
der Wert der Ausdruck der „Bedeutung eines Gutes fttr
muere Wohlfahrt^, so ist es klar, dafi man, wenn man den
Wert des ganzen Vorrates eines Individuums fttr dasselbe
finden will, nicht blofi den Grenznutzen, sondern fort-
schreitend auch allen höheren Nutzen der von der Grenze
abliegenden Teilchen anschlagen mufi, d. h. man darf nicht
die Gesamtmenge mit dem Grenznutzen multiplizieren,
sondern man mufi jede Teilmenge mit der Mafizahl der
Intensität multiplizieren, die der Stelle entspricht, an der
es nach der allerdings beliebigen Anordnung steht und
dann die Summe dieser Produkte ziehen, d. h. man mufi
integrieren.
Dann verschwindet das Paradoxon, dafi viele gerade
der unentbehrlichsten Gttter „keinen Wert" haben, wie z. B.
das Wasser. Gewifi haben sie einen „Gesamtwert**, nur ihr
Grenznutzen ist gleich Null, woraus sich Agibt, dafi sie
keinen Preis erzielen.
Diese Betrachtungsweise ist erstens allgemeiner und
zweitens scheint sie uns weit besser auf die Tatsachen zu
passen als die ttbliche. Der Begriff des Gesamtwertes bietet
übrigens noch manche Schwierigkeiten, von denen wir, um
den Leser nicht mit Details der Theorie zu ermttden, nur
die wichtigste anführen wollen. Der Gesamtwert vieler
GQter ist ttberaus grofi, man kann ihm das Symbol «un-
endlich** zuordnen. Das ist bei allen jenen der FalK von
denen die Erhaltung des Lebens des Wirtschaftssubjektes
abhängt, z. B. Nahrungsmittel usw. Wollen wir einen
endlichen Ausdruck für den Gesamtwert haben, mit dem
allein wir etwas anfangen können, so bleibt nichts anderes
tibrig als unsere Integration nicht bis zu jenen Mengen
106
Omodlegang
erscbeinuDg ist, nftmlich das, was schon A. Smith mit „toil
und trouble" bezeichnete. Und so kann man in einem
Sinne — wir kommen darauf Docb zurück — gewifi sagen,
daß der „Werf ebenso von den „Koeteo* bestimmt wird
wie vom Nutzen. Die bekannten Gleichnisse Professor
Marshalls und Professor Edgeworth', mit denen dieser
Sachverhalt veranschaulicht werden sollte, sind in dieaem
Sinne durchaus zutreffend und man kann verstehen, daS
die Vertreter des Kostenprinzipes gar nicht begreifen kfinnoi,
wie man das leugnen kann. In der Tat hat sieh die Wert-
diskussion der neueren Zeit immer zu sehr um ^Wert' im
allgemeinen gedreht und wiederholt haben sieh die Argu-
mente der streitenden Parteien Oberhaupt verfehlt.
Uns scheint iu jener klaren Unterscheidung, die be-
sonders die mathematische Darstellung — und eigentliclk.
nur sie — ermöglicht, eine Lösung der Kontroverfle m.
liegen, welche zwar fttr uns nicht völlig endgültig ist. die
wir aber doch hier vorführen wollen.
Tragen wir auf der Abszissenachse eines rechtwinkelige«
Koordinatensystemes die Mengen eines Gutes im Bentff
eines Individuums auf und interpretieren wir die Ordinttw j
als die Intensitäten des Wertes — als die „GrenznntM* :
jeder Teilmenge, wenn das Individuum nicht mebrbes&Bse —
so ergibt sich eine Kurve — MN — der Intensittten, eben
die Wertfnnktion. Ihr Integral, d. i. die FUeks
ACDB — entsprechend dem früher Gesagten schlieflen wir
die Menge OA, deren Nutzen unendlich sei, weil von ihrem
Besitze das Leb^n des Individuums abh&nge, ans — ist
unser Gesamtwert. Beides sind völlig verBchiedeDB Dhige.
Auch über das Wesen des Grenznatzens klirt nu
Zum Wertbegriffe. 105
werden noch darauf zu sprechen kommen und sehen, daß
die Preisbildung tatsächlich dazu führt, daß demjenigen,
der ein Gut austauscht, im allgemeinen nicht der Gesamt-
irert vergütet wird.
§ 8. Wir sahen, wie wichtig es ist, zwischen Wert
und Wertfunktion zu unterscheiden. Hat in der älteren
Ökonomie die Unklarheit und Vieldeutigkeit des Wert-
begrifles große Schwierigkeiten gemacht, die ja auch dem
Anftoger so sehr bekannt und noch lange nicht ganz über-
wunden sind, ist die neuere in Gefahr, in einer anderen
Richtung in Mißverständnisse zu geraten, welche kaum
weniger ärgerlich und störend sind und bereits zu manchen
Unklarheiten geführt haben. Deshalb wollen wir dabei
etwas verweilen. Es handelt sich um das Folgende: Wenn
man vom Werte einer bestimmten Gütermenge für ein be-
stimmtes Wirtschaftssubjekt spricht, so muß man sich stets
darüber klar sein, ob man Wertfunktion, Gesamtwert oder
Grenznutzen meint. Der Satz: „Der Wert hängt von der
Nfltzlichkeit ab" — ist nur dann richtig, wenn man ihn von
der Wertfunktion versteht. Diese basiert sicherlich auf
den Bedürfnissen des Individuums, wie sich dieselben in
seinen geäußerten Wertschätzungen zeigen. Man nennt das
mit einem geläufigen Namen „Inteusitätsskala des Wertes".
Aber meint man den Gesamtwert, wenn man jenen Satz
ausspricht, so ist er ersichtlich unvollständig und kann so-
g»r falsch sein. Nur wenn die Menge des Gutes fest ge-
geben ist, so daß man sie — als eine Konstante — nicht
weiter zu beachten braucht, trifft er auch in diesem Sinne
2U. Variiert sie aber, so ist der Gesamtwert, ebenso wie
der Grenznutzen ganz wie von der Nützlichkeit, auch von
den Umständen abhängig, welche diese Variationen be-
stimmen. Diese Umstände bestehen allerdings zum Teile
^eder in Werterscheinungen. Wenn es sich darum handelt
ein Gut zu produzieren oder zu erwerben, so hat man den
Nutzen jener Güter, die man zu diesem Zwecke aufwenden
^ttß, zu erwägen. Aber es gibt einen, der keine Wert-
106
Orandle^ng
erscheinuLg ist, Dämlich das, was schon A. Smith mit „toil
und trouble" bezeichnete. Und so kann man in einem
Sinne — wir kommen darauf noch zurück — gewiä sagen,
daß der „Werf ebenso von den „Kosten' beBtimmt wird
wie vom Nutzen. Die bekannten Gleichnisse Professor
Marshalls und Professor Edgeworth' , mit denen dieser
Sachverhalt veranschaulicht werden sollte, sind in diesem
Sinne durchaus zutreffend und man kann verstehen, dafi
die Vertreter des Kostenpriozipes gar nicht begreifen können,
wie man das leugnen kann. In der Tat hat sich die Wert-
diskussion der neueren Zeit immer zu sehr am „Wert* im
allgemeinen gedreht und wiederholt haben sich die Argu-
mente der streitenden Parteien Oberhaupt verfehlt.
Uns scheint iu jener klaren Unterscheidung, die be-
sonders die mathematische Darstellung — und eigratlicfc
nur sie — ermöglicht, eine Lösnng der Kontroverse zu
liegen, welche zwar fUr uns nicht völlig endgültig ist, dr<
wir aber doch hier vorführen wollen.
'1
c
\
>-
-~~Af
> A
B
Tragen wir auf der Abszissenachse eines rechtwinkelige«
Koordinatensystemes die Mengen eines Gutes im Beätz<
eines Individuums auf und interpretieren wir die Ordinstei
als die IntensitAten des Wertes — als die „Greüznntxen*
jeder Teilmenge, wenn das Individuum nicht mehr besftsse -~
so ergibt sich eine Kurve — MN — der Intensititen, ebei
die Wertfunktion. Ihr Integral, d. i. die Flieh*
ACDS — entsprechend dem früher Gesagten schließen wii
die Menge OA, deren Nutzen unendlich sei, weil von ihreff
Besitze das Lelifn des Individuums abhänge, ans — is<
unser Gesamtwert. Beides sind völlig verschiedene Dinge.
Auch aber das Wesen des Grenznutzens klärt iW
Zum Wertbegriffe. 107
unsere Figar auf. Auch dieser Ausdruck kann zweierlei
bedeuten: Erstens die Wertintensität (^-) des letzten
Teilchens und zweitens den Wert desselben ( 3- •^^)- Ini
ersteren Falle ist er durch die Grade BD, im letzteren
durch ein sehr schmales Flächenstttck von der Höhe BD
dargestellt. Die übliche Definition des Grenznutzens als
«Wert des letzten Teilchens^ ist also nicht ganz
klar und eindeutig. Man pflegt den Begrifif zu verdeutlichen,
indem man auf den Verlust hinweist, den ein Individuum
an seiner Bedürfnisbefriedigung erlitte, wenn ihm jenes letzte
Teilehen entzogen würde. Hier meint man die letztere
Bedeutung. Für den mit den Schriften der „mathematischen*^
Ökonomen auch nur flüchtig Vertrauten sind das alte Dinge.
Es scheint mir jedoch nicht überflüssig, einem weiteren
Kreise gegenüber nochmals auf dieselben hinzuweisen.
Eine Einigung in der Wertkontroverse scheint durch
diese Unterscheidungen ganz von selbst gegeben. Wo die
Klassiker von „Wert" sprachen und Tauschwert meinten,
^ar ihre Analyse nicht ganz klar und nicht vollständig,
aber sie war nicht falsch: Der Tauschwert hängt von
dem Grenznutzen, dieser nicht nur von Wertfunktion, son-
dern auch von der Menge eines Gutes, die jemand hat, ab
und diese auch von anderen Momenten als dem der Wert-
erscheinung. Und wo die modernen Vertreter der Kosten-
theorie unter Wert „Gesamtwert" verstehen, gilt ganz das-
selbe. Aber die letzteren irren, wenn sie dadurch die
psychologische Theorie widerlegt zu haben glauben. Um-
gekehrt, die psychologischen Werttheoretiker haben Recht
niit ihren allgemeinen Gründen für die Suprematie des
Wertes; aber nur soweit die Wertfunktion gemeint ist,
^t das zweifellos. Wo sie den Gesamtwert meinen, sind
ibre Ausführungen nur zum Teile einwandfrei.
Man könnte nun die ganze Kostenkontroverse und alle
verwendeten Argumente danach prüfen und ihre wahre Be-
deutung feststellen, eine Aufgabe, die uns indes zu weit
108 GrandlegDDg.
fuhren wOrde. Nur die Rolle des Wertes wie sie sieb nach
unserer Ansicht darstellt, soll später Dochmals prftzisiert
werden, woraus sich dann die genaue Tragweite der Be-
hauptungen heider Parteien ersehen lassen wird.
Besonders auffallend ist, daß selbst jene Autoren, welche
durch Sorgfalt und Klarheit sich besonders auszeichnen and
welche jene Unterscheidung ausdrücklich macheo, sie
doch in der Kostenkontroverse wieder Temachlftssigen, so
A. Marshall.
Auch in einer anderen Beziehung ist es nicht länger
zulässig, von „Wert" im allgemeinen zu sprechen. Jeder
Wert bezieht sich auf ein wertendes Subjekt. Mach Ein-
führung der subjektiven Wertfunktionen, kann es keinea
„objektiven" Wert mehr geben, sondern nur einen Wert für
irgend jeniaad. und es ist mindestens irreleitend, den Preis
einen objektiven Wert zu nennen. Er scheint nur ein
solcher zu sein auf einem großen Markte und vom Stand-
punkte des Einzelnen betrachtet, der für praktische Zwecke
seinen eigenen Einfluß auf ihn vernachlässigt. Streng
richtig ist das auch da nicht und falsch wird es, wena
die Zahl der Tauschenden eine geringe oder der EinfloS
des einzelnen Individuums aus irgend einem Grande etD
merklicher ist. Es ist ein großes Verdienst der neueren
Theorie, ein auf die Fluktuationen der Preise viel besser
passendes Bild geschaffen zu haben, als es die Klassiker
bieten. Und es ist bloß eine ein£ache Konsequenz davon«
daß der Begriff des objektiven Wertes Oberflassig wird.
Wir werden ihn daher uiclit verwenden und wollen ans
dabei nicht aufhalten, da diese Materie von unseren Vor-
gängern schon erschöpfend erörtert wurde.
Aber Qber einen anderen BegrifT sind einige Worte
nötig, nämlich aber den des Tauschwertes. Daß die Unter-
scheidung zwischen Gebrauchs- und Tauschwert nicht so
fundamental ist, wie man früher annahm, oder besser, dafl
sie ihre im Systeme der Klassiker fundamentale Bedeutung
im modernen verloren hat, wurde schon oft gesagt. Aber
Zum Wertbegriffe. 109
doeh behielt mau den Begriff des Tauschwertes bei. Wenn
jemaDd eine Tauschmöglichkeit für sein Gut, das er bisher
nach seinem ^Gebrauchswerte" schätzte, sich eröffnen sieht,
so wird er es nun anders und zwar höher schätzen, denn
wenn er Oberhaupt an den Tausch denkt, so muß sein Gut
ihm in dieser Verwendung einen höheren Nutzen bringen,
als durch seine direkte Konsumtion oder produktive Aus-
ntttzmig. Aber dieser neue Wert des Gutes ist nichts
Originäres. Er ist nichts anderes, als der Wert der Güter,
die eingetauscht werden sollen. Gewiß nun hat diese neue
Wertfunktion unseres Gutes ihre Bedeutung. Wir werden
davon noch zu sprechen haben. Aber es ist das keine neue
Art von Wert, es handelt sich dabei nur um zwei Gebrauchs-
werte — den, welchen das Gut direkt darbietet und den
der dafür einzutauschenden Güter — , die gegeneinander
abgewogen werden.
Das hat man subjektiven Tauschwert genannt und es
ist nichts gegen diese Konstruktion einzuwenden. Aber
wdann sprach man auch von einem objektiven Tauschwerte,
womit einfach die „Kauf kraft "^ dieses Gutes gemeint ist.
Diese Ausdrucksweise ist sicherlich schief und wird im
Interesse der Reinheit unseres Systemes besser vermieden.
•Wert" wird hier in einem anderen Sinne gebraucht, in
«inem ähnlichen wie etwa in „Heizwert" u. dergl. Aber
wihrend z. B. der Heizwert einer Kohlensorte eine gegebene
&uf gewissen chemischen Eigenschaften fest begründete
GröBe ist, kommt dem Tauschwerte eine solche Klarheit
önd Bestimmtheit nicht zu. Außerdem ruft der Ausdruck
Vorstellungen aus einer vergangenen Phase unserer Wissen-
schaft wach, in der er tatsächlich eine viel festere Be-
deutung hatte, und endlich — das scheint mir entscheidend —
hat dieser Begriff seine frühere Basis ganz verloren. Be-
hauptet man z. B., daß der Tauschwert eines Gutes gleich
der in ihm enthaltenen Arbeitsmenge sei, dann ist er etwas
sehr Festes, quantitativ Bestimmtes. Sieht man in ihm
ferner etwas vom Gebrauchswerte Verschiedenes, dann hat
^r große Wichtigkeit. Hat man aber diese Auffassungen
] 10 Grandlegung.
verlassen, so wäre es eioe Qbel aDgebracfate Piet&t, diesen
Begriff, der gaoz ilir Kind ist, zu sciionen. '
Nimmt die Menge eines Gutes Ober jenen Pankt, au
dem der Grenznutzen zu Null wird, zu, so senkt sich die
Wertkurve unter die Abszissenachse — man findet einen
negativen Wert. Daß mau Dinge, die in geringerer Menge
geschätzt werden, wenn sie in allzugroSer vorhanden sind,
negativ werten könne, ist klar und hat nichts Befremdendea.
Wasser bei Überschwemmungen, Holz im Urwalde u. dergl.
bieten allbekannte Beispiele. Der psychologische National-
4)konom wird von einem UnlustgefOhle sprechen, daä jene
Güter im erwähnten Falle hervorrufen. Wir haben dazu
zwei Bemerkungen zu machen.
Erstens : Dadurch, daß man von etwas zu viel hat, wird
es noch nicht wertlos. Ebenso wie ein Gut vom Greni-
nutzen Null einen bedeutenden Gesamtwert haben kann, so
auch ein Gut mit negativem Grensnutzen. Es ist lediglich
der durch das unter der Abszissenachse liegende Flächen-
stock dargestellte Schaden vom positiveu Gesamtwerte ab-
zuziehen, woraus sich dann der tatsächliche Gesamtwert
ergibt. Ersichtlich wäre es falsch, die ganze Menge Aes
Gutes mit dem negativen Grenznatzen zu multiplizieren,
was darauf hinauskäme, daß das betrachtete Wirtsdiafts-
Subjekt das Gut gar nicht haben wolle, was in der groflen
Mehrzahl der Fälle handgreiflich unzutreffend wäre.
Zweitens: Nur das, diesen Schaden, dieses Unlust-
gefuhl, wenn man will, die infolge einer zu großen Menge
eines Gutes eintreten , verstehen w i r unter .ne^tivem
Werte" in wirtschaftlichem Sinne. Man hat noch anderes
darunter gefaßt. Mit „Unlust" im allgemeinen bescbAftigen
wir uns nicht. Uns handelt es sich nur darum, ob nach
einem Dinge verlangt wird oder nicht. Alles andere ist
uns gleichgiltig und die „hedonischeD" oder „utilitarischen*
Philosophien mancher Ökonomen sind ffir uns ohne Belang.
Kur über eine besondere Art von „Unlust" mflsaen wir
sprechen. Über jene nämlich, ^||^che die Arbeit und der
UenuBaufschub auslösen. Maff hat geradeza Arbeit als
Zum Wertbegriffe. 111
negativen Wert aufgefafit. Ob das zutriift und welche
Konsequenzen sich daraus ergeben, wird später erörtert.
Hier sei nur gesagt, dafi wir diese Auffassung ablehnen.
§ 4. Noch wollen wir das Problem der Messung des
Wertes streifen. Einige der wichtigsten Einwände gegen
die ,ipsychologische Richtung'^ und das neue System der
Ökonomie überhaupt liegen hier. Sofort nachdem dasselbe
größere Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, entspann
sich eine eifrige Diskussion darüber, ob eine Messung einer
psychologischen, einer „IntensitätsgrOfie**, überhaupt möglich
sei. Man war geneigt, das zu verneinen und behauptete,
daB niemand angeben könne, was ihm ein bestimmter Genuß
eigentlich wert sei. Femer verzweifelte man an der Mög-
lichkeit, eine Einheit, auf welche sich eine eventuelle Mafi-
zahl des Wertes beziehen sollte, zu finden. Endlich sagte
man, dafi ein präzises Wertsystem eine Errungenschaft der
Verkehrswirtschaft sei und in primitiven Zuständen fehle.
Der Wilde sei sich durchaus über den Wert seines Güter-
besitzes im Unklaren; von einem Abwägen der Tausch-
möglichkeiten sei bei ihm keine Rede.
Der erste Einwand ist müfiig angesichts der Tatsache
psychologischer Messungen und hätte bei hinlänglichem
Verständnisse der Wahrscheinlichkeitstheorie und aus-
reichender Kenntnis der modernen Psychologie nicht erhoben
werden können. Daß es nichts Schwierigeres sei, das
Fühlen, als das Erwarten zu messen, was die Wahr-
scheinlichkeitstheorie tut; dafi die moderne Psychophysik
uns verschiedene Methoden an die Hand gebe, welche uns
wenigstens die prinzipielle Möglichkeit der Messung zeigen;
dafi zwar niemand angeben könne, wieviel ihm etwas, wohl
aber, ob etwas ihm mehr oder weniger als etwas anderes
wert sei; ferner, dafi wir stets nur Grenzwerte betrachten
— alles das findet der Leser in den Arbeiten der Vertreter
jener Richtung ausgeführt. Dafi man nicht sinnlich eine
bestimmte Anzahl von Dimensionen am Werte wahrnehmen
X12 Grund le^ng.
kann, ist Debensächlicli, wie jeder weiß, der sieh mit dieseo
Dingen befaßte.
Der Mangel einer Einheit, ferner, w&re ebenfallB nicht
essentiell. Das Beispiel lier Wahrscheinlich keitalehre zeigt
uns auch, daß wir sehr wohl ohne eine solche auskommen
kOnnen, wo es sich nur um Verhältnisse handelt Oder
richtiger, wo wir eine Einheit brauchen, kOnnen wir sie
uns willkarlich konstruieren. Daher ist der besonders von
Cassel gegen die österreichische Schule erhobene Einwand,
daß MaBzahlen, die sich nicht auf eine bestimmte Einheit
beziehen, sinnlos seien, hinfällig : Wo es sich um Ver-
gleichungen von Werten bandelt, kann einer derselben als
Einheit angeuommen und alle anderen darin auagedrflckt
wenlen. Und da es sich nicht um eine bestimmte, Bondem
nur um das prinzipielle Vorhandensein irgendeiner Ein-
heit handelt, so kann man eine solche stets den Maßzahlen,
die jene Autoren anfuhren, hinzufügen nnd ihr Voi^ng
hat daher sehr woiil einen Sinn, auch wenn sie es unter-
lassen, diese Begründung hinzuzufügen. Ganz derselbe Vor-
gang findet sich in der Mechanik: Die Massen der Körper
sind nur Verhältniszahlen und können beliebig ausgedrQckt
wenlen; aber wenn eine derselben festgesetzt ist, so sind
damit auch alle anderen bestimmt.
Der Leser sei für die Ableitung einer solchen Einheit
für unser Gebiet auf die Arbeit Irving Fisber's; „Matbe-
matical Investigatioos into the theory of value and prices*
verwiesen.
Gewiß glaube ich nicht, dieses in erkenntnistheoretiscber
Beziehung so interessante Thema mit diesen wenigen Be-
merkungen erschöiift zu halten. Dennoch beschränke ich
mich auf dieselben; das einzige, was wir zum Streite um
den psychologischen Wertmaßstab zu sagen haben, ist ja.
daß er überflüssig ist und wir in Übereinstimmung mit
unserer )irinzipiellen Stellung zur Werthypothese Oberhaupt
mit dem Probleme der Messung psychologischer GrOßen
nichts zu tun haben : Es gehört zu jenen, die wir nicht za
lösen, sondern auszuscheiden haben, zu jenen, Ober die steh
Zum Wertbegriffe. 113
die Ökonomen ganz unnötigerweise ereiferten. Wir sehen
hier wie oft, daß sich vieles, was manchem als unüber-
steigliches Hindernis erscheint, das den Weg verbarrikadiert,
bei Eäherem Zusehen überhaupt nicht auf demselben findet.
Der Tourist würde nicht weit kommen, der sich jedesmal
abschrecken liefie, wenn es so aussieht, wie wenn sich sein
Pfad im Gesteine verlieren wollte; wenn er weiterklimmt,
wird er meist sehen, dafi die Sache viel leichter ist als sie
aoBBah, daB mancher Fels, den er übersteigen zu müssen
glaabte, gar nicht auf seinem Wege liegt. Aber erst an
Ort und Stelle sieht er das, von der Feme vermag er
nicht m überblicken, ob sein Pfad weiterführt. So müssen
aaeh wir verfahren und wenn wir es tun, bemerken wir,
▼ielleieht nicht ohne Erstaunen, daß wir zwischen den
philosophischen Klippen durchsteuern können, ohne an
ihnen zu stranden. Unser Weg nun ist ganz derselbe, wie
der der Mechanik mit Rücksicht auf die Massen der Körper.
Nur etwas möchte ich noch bemerken, hier nur
in Kürze : In der theoretischen Konstruktion unserer Einheit
liegt der eine Grundstein der Geldtheorie. Soweit nämlich
das Geld als Wertmesser funktioniert, läßt sich sein Wesen
auf Grund solcher Betrachtungen verstehen.
Der dritte Einwand, den wir erwähnten, beruht auf
einem Mißverständnisse: Jeder, der überhaupt handelt, ver-
fügt auch über einen Wertmaßstab, sonst könnte er nie
zwischen mehreren Eventualitäten wählen. Doch wollen
wir darüber an anderer Stelle etwas ausführlicher sprechen.
8ehi&mp«t«r, NaUooalOkonomie. 8
Zweiter Teil.
Das Problem des statischen Gleich-
gewichtes.
%'
Erster Abschnitt.
I. Kapitel
Einleitung ffir die folgende Darstellung.
\
§ 1. Wir haben im Vorhergehenden versucht, manche
Schwierigkeiten zu beseitigen oder zu umsegeln, welche den
Grundlagen unserer Disziplin anhaften. Es handelte sich
darum, zu zeigen, dafi eine exakte Disziplin von der mensch-
lichen Wirtschaft an sich nichts Widersinniges ist, dafi auch
die Einwendungen, welche weite Kreise veranlafiten^ sich
von derselben abzuwenden, bei näherem Zusehen weniger
enistzunehmen sind, als man auf den ersten Blick glauben
möchte.
Wir haben unseren Weg soweit frei gemacht, dafi wir
nun einen Schritt weiter gehen können. Wir wollen nun
daran gehen, unser exaktes System zu beschreiben, was
nach unserem Standpunkte nichts Geringeres bedeutet, als
die ganze reine Ökonomie darzulegen. Dabei können wir
allerdings nicht alle Einzelheiten der Theorie bringen und
besonders nicht in alle Diskussionen eingehen, welche jemals
geführt wurden, sondern müssen uns auf die großen Züge
des Gebäudes und auf verhältnismäßig wenige Fragen von
vitaler Bedeutung beschränken. Sowohl für die Erkenntnis-
theorie als auch für den materiellen Inhalt unserer Wissen-
1
i
l\Q D«g Problem äee statischen Oleichgevidit««.
Schaft, sowohl far die GniDdlagen wie far kookrete Probleme
glauben wir so Einiges leisten zu können, und es liegt im Inter-
esse der Darstellung, nicht zu viel in das Detail einzugehen.
Im Zentrum dieses Teiles steht das Gleichgewichtfi-
probleiu. Es wird sich empfehlen, hierüber sofort, zon&ehst
einleitend. Einiges zu sagen.
Von unserem Standpunkte ist die gegenseitige Ab-
hängigkeit der Elemente unseres Systemes von fundamentaler
Bedeutung. Ihr Gleiehgewichtszustantl ist sozusagen das
Problem der statischen Ökonomie: Methodolc^seh wie
materiell ist es die Grundlage fOr alle unsere Resultate.
Dem Leser jedoch werden die sich daraus ergebeodeu
und daran anschließenden Erörterungen wichtiger sein, und
diese werden wir nur kurz skizzieren. Wenn wir die Ele-
mente unseres Systemes Qberblicken, so e^bt sieh vor
allem die Frage, welche derselben als Ausgangspunkte
gewählt und als Daten des Problemes betrachtet werden
sollen. Wir beantworten diese Frage dahin, dafl alle
Elemente gleichzeitig gegeben sind und unr ihre
Variationen gefunden werden kOnnen und gehen
Aber die Tatsache des Gegebenseins nicht hinaus. Ge-
wöhnlich aber versucht man das: Jeder NationalOkonom
bringt gewisse Erörterungen, welche das Vorhandensein
aller Guter erklären sollen, also z. B. solche Ober geo-
graphische und klimatische Verhältnisse, Ober die Natur
des Menschens usw. Auch wir haben uns mit diesen Dingen
zu beschäftigen, allerdings zu einem anderen, lediglieh nega-
tiven Zwecke, nämlich um nachzuweisen, dafi diese Dinge
fremde Elemente im Systeme der Ökonomie darstellen. Das
ist der erste Programmpunkt. Es schließt sich daran eine
Einfuhrung des methodologisch so wichtigen Hilfsmittels
der Unterscheidung von Statik und Dynamik, dessen Be-
deutung sich freilich erst aus der Gesamtheit unserer Aus-
führungen ergeben wird, und eine weitere Bemerkung aber
das Kostenprinzip, welche sich in diesem Zusammenhange
von selbst ergibt.
Dann n&hem wir uns der Preistheorie, welche ja den
Einleitung für die folgende Darstellung. 119
Kern der reinen Ökonomie bildet, und welche erst den
strikten Beweis der eindeutigen Bestimmtheit des Gleich-
gewichtszustandes liefert und uns über die Natur der
Wechselbeziehungen zwischen den Elementen aufklärt Gleich-
wohl werden wir sie nur kurz behandeln und auch hier
mehr auf einige wichtig scheinende Punkte, als auf syste-
matische Vollständigkeit Wert legen. Vorher jedoch werden
wir einiges Qber das Znrechnungsproblem sagen und auch
die viel umstrittenen Fragen der freien Konkurrenz und
des Maximumtheoremes erörtern. In der Preistheorie
finden sich femer zwei Abschnitte von großem prak-
tischen Interesse. Der eine ist die Theorie des Geldes, der
andere die des Sparens, letztere mit einer kurzen Bemerkung
Qber Kapitalbildung. Diese Dinge lassen sich von der
Preistheorie nicht trennen, sondern ergeben sich unmittelbar
aus derselben, was, nebenbei gesagt, sehr fttr die Frucht-
barkeit des Wertprinzipes spricht.
Wir wollen hier noch kurz den Gang unserer weiteren
Untersuchungen andeuten. Der dritte Teil bringt eine
weitere Anwendung der reinen Preistheorie: die Theorie
der Verteilung. Auch da ist von Vollständigkeit und Aus-
f&hrlichkeit keine Rede. Wir sagen überall hauptsächlich
das, was wir selbst hinzuzufügen haben, und überlassen es
im allgemeinen dem Leser, das Fehlende aus den Darstellungen
der modernen Theoretiker zu ergänzen. Auch da ferner
findet sich Gelegenheit, methodologische Bemerkungen zu
machen. Diese und einige negative Resultate bezüglich der
Zinstheorie stellen das wesentliche Ergebnis dieses Teiles dar.
Der vierte Teil beschäftigt sich mit dem, was ich die
, Variationsmethode'' nenne, als deren praktische Anwendungen
dann die reine Steuer-, Schutzzolltheorie und anderes kurz
gestreift wird. Diese letzteren Dinge haben nur den Cha-
rakter von Beispielen, um die vorher allgemein dargelegten
Grundsätze lebendiger zur Anschauung zu bringen und ent-
halten nicht nur nichts Neues, von einigen Anregungen
abgesehen, sondern bleiben sogar weit hinter dem zurück,
was über diese Gegenstände heute gesagt werden könnte.
120 I^* Problem des sUlischeo GleichgairUtM.
Das Wichtige ist nur, die Methode, vennittelat welcher
die praktischen Resultate, welche die reine Ökonomie oaeh
dieser Richtung hin zu bieten vermag, gewonnen werden,
klar herauszuarbeiten und zu zeigen, daß sie die einzige
ist, die zu diesem Ziele führt.
Der fünfte Teil stellt in mancher Hinsicht eine Zusamnisn-
fassung des Gesagten dar, bringt keine weiteren materiellen
Resultate, sondern beschränkt sieh darauf, ein abschliefiendes
Urteil Ober Wesen und Wert der statischen Ökonomie in
geben und Einiges über die Richtung und die Aassichten
weiterer Arbeit anzudeuten.
§ 2. Betrachten wir die Wirtschaft irgendeines Indi-
viduums oder ii^endwelcher Individuen irgendwo and irgend-
wann. Was uns daran vom Standpunkte der engumschriebenen
Zwecke, die wir im Auge haben, interessiert, ist, wie gesagt,
die Tatsache, daß jedes Wirtschaftssubjekt sieh in jedem
gegebenen Augenblicke im Besitze bestimmter Arten und
Mengen von Gutem befindet. Diese Tatsache besteht for
jeden Zustand der Wirtschaft. Mag es bei der onendlichen
Folie der Formen des Wirtschaftens apriori zweifelhaft sein,
ob man etwas Allgemeingiltiges über dasselbe aussagen
kann und noch mehr, ob das, was sich allgemein sagen
läßt, genug Inhalt hat, um der Aufmerksamkeit wert lu
sein; mag jede komjiliziertere Wirtschaft Erscheinungen
darbieten, welche in einfacheren fehlen; stets läßt sich der
wirtschaftliche Zustand eines Individuums oder einer
Gruiipe durch deren Besitz ad Gütern charakterisieren. Er
ist das Kei^ultat aller Momente, die den Beobachter in
diesem Zusammenhange interessieren kdnnen, und dieselben
lassen sich aus ihm gleichsam ablesen. Er ist femer der
AusfiangspuDkl für die exakten Methoden der reinen Öko*
uomie, stellt ihre Handhabe dar, um die Probleme des Wirt-
schiiftens zu erfassen.
Welche Guter nsich Art undMenge haben die
einzelnen Wirtsch aftssubjekteV Wie ist gerade
dieser GUterl>esitz und dieses Verhalten der wirtschaftenden
Einleitong für die folgende Darstellung. 121
Individum dazu zu erklären V Zur Beantwortung dieser Fragen
sollen wir etwas beitragen, nach der Ansiebt Mancber
sogar alles.
Nicht zwei Wirtschaftssubjekte haben denselben Gttter-
besitz, nicht zwei wQrden sich, auch wenn dieser Fall ein-
träte, in gleicher Weise dazu verhalten. In ihrem wirt-
sehaftliehen Handeln spiegeln sich alle ihre Lebensverhält-
nisse, alle persönlichen und sozialen, ihre ganze Geschichte
und die ihrer Vorfahren, nicht weniger die Gebote der um-
gebenden Natur.
Vom Boden, den sie beherrschen, vom Klima, in dem
sie leben, kurz, vom geographischen Milieu, hängt, mehr
oder weniger, aber jedenfalls in sehr erheblichem Maße
jener geistige und physische Habitus ab, den man mit dem
Ausdrucke ^Bassencharakter'' bezeichnet. Ethnologie, „Etho-
logie'' und von anderer Seite her auch die Biologie lehren
uns, daß wie Flora und Fauna so auch zum mindesten
viele Dinge am Menschen und seinem Handeln und Leiden
aus jenen Einflössen zu begreifen sind, mithin ihnen, insoweit,
nicht als unabhängig gegenObergestellt werden können.
Weil aber einmal erworbene Charaktere sich auch unter
anderen Verhältnissen lange erhalten, so gewinnen sie doch
eine gewisse Selbständigkeit und können für viele Zwecke
als besondere Erklärungsniomeute neben die genannten
gestellt werden. Da ferner eine Einwirkung auf das geo-
graphische Milieu seitens der Menschen innerhalb gewisser
Grenzen möglich ist, so läßt sich von einer Wechselwirkung
zwischen demselben und der Natur des Menschen sprechen,
sodafl das Milieu seine Menschenrassen, aber auch die Rassen
ihr Milieu formen.
Man kann verschieden denken über die Frage, inwieweit
mao die soziale Organisation von dieser Seite her erklären
kann, und ob dieselbe Momente darbietet, welche anders
begriffen werden müssen. Sicherlich aber steht sie zum
Teile unter dem Einflüsse von „Natur und Rasse". Und
wiederum, sie vermag, einmal vorhanden, auch dann noch
^ine Zeitlang fortzubestehen, wenn die Kräfte, die sie
122 ^BB Problem des BUtiechen Gleicbgewicktes.
schufeD, ZU virken aufgeh&rt haben. Sie gewinot eine
aelbBtftndige Existenz, ein eigenes Leben and mofi als ein
neuer Faktor in Betracht gezogen werden, wo es konkrete
ZuBtfinde zu erklären gilt. Dabei kann sogar ein Einflufi
auf die Entwicklung und die Eigenschaften der Rasse und
selbst auf die ftuflere Natur konstatiert werden, sodaS von
einer Wechselwirkung auch hier gesprochen werden kann.
Weit mußten wir ausholen, wenn wir uns näher auf diese
Dinge einlassen wollten. Doch handelt es sich ans onr am
einen Punkt. Es soll hervorgehoben werden, wie schwer
es w&re, eine klare Kausalkette herausarbeiten zn wollm.
In der Tat mOfite man der Wirklichkeit Gewalt antun,
wenn man darauf bestünde. Eine allgemeine gegenseitige"
Abhängigkeit besteht in allen diesen Dingen und es wire
ebenso unrichtig oder unvollständig, von der Vemrsadiang
des einen durch das andere, wie des anderen durch das eine
zu sprechen, wenigstens vom Standpunkte der Wissenschaften
vom menschlichen Handeln.
Das Resultat aller dieser Verhältnisse ist daao —
wiederum, ganz oder zum Teile — die Persönlichkeit. Sie
mag mehr oder weniger an eigenen Merkmalen haben, welche
sich nicht ohne weiteres aus jenen ergeben. Sie kann besser
oder schlechter, nach dieser oder nach jener Seite veranlagt,
ein Egoist oder ein Menschenfreund, von starkem oder
schwachem Willen usw. sein. Ihre Stellung im sonaleB
Leben, ihre Schicksale, Erfahrungen und Beziehongen zn
andern mögen sich aus der einen oder der anderen Gra|^
von Momenten ergeben, in sehr verschiedener Weise auf-
gefaßt und beurteilt werden. Jedenfalls kann ein gewichtiger
Einfluß von jener Seite her von niemand geleugnet werden.
Und ebenso wirkt sie wieder auf jene Momente zurDck und
muß. sei es, weil sie ülier unerklärte ihr eigent&mliche
Eigenschaften verfOgt, sei es, weil auch sie ein ,D«ner-
tyiius" ist und. einmal geformt, zu einen bis zu einem
gewissen Grade selbständigen Faktor wird, an und für nch
berücksichtigt werden als ein unabhängiges Moment
So bietet uns also die Natur der Sache keine beqaemen
Einleitung für die folgende Darstellung. 12S
Handhaben dar, um alle diese Dinge zu beschreiben. Viel-
mehr haben wir ein unendlich kompliziertes Gewirre von
Wirkungen und Gegenwirkungen vor uns.
Der wirtschaftliche Zustand und das Verhalten des Indi-
TidnoniB dazu ergibt sich aus alledem. Aus der Gesamtheit
dieser Verhältnisse heraus mOssen beide begriiTen werden,
aber wie sie aus ihnen folgen, so wirken sie auch wieder
auf diese Dinge zurttck. Tatsächlich ist es nicht mehr, als
eine allbekannte banale Wahrheit, daß nicht nur das wirt-
schaftliehe Handeln verschiedener Leute je nach dem vor-
handenen Güterbesitze, auch abgesehen von der persön-
liehen Verschiedenheit der Wirtschaftssubjekte ein ver-
schiedenes sein muß, sondern auch, daß das wirtschaftliche
Handeln und der wirtschaftliche Zustand selbst Persönlichkeit
und endlich Rasseneig^ntOmlichkeiten beeinflußt. Es ist
klar, daß z. B. Art und Quantität der Nahrung die physischen
and selbst Charaktereigenschaften des Konsumenten beein-
flußt, daß ganze Rassen durch unzulängliche Versorgung
sich geistig und physisch verändern können. Ebenso bekannt
ist es, daß die Art der Tätigkeit, der täglichen Arbeit, dem
Menschen ihren Stempel aufdrückt und zum Erwerbe von
geistigen und physischen Merkmalen führt, die dann in der
weiteren Entwicklung des Individuums und der Nation eine
große Rolle spielen können. Und auch diese Dinge werden
zu selbständigen Mächten und die Spuren, die sie im Menschen
hinterlassen, verschwinden nicht plötzlich und nicht schnell.
Sicherlich mögen sich die Grundlagen des wirtschaftlichen
Handeln im großen und ganzen aus dem Milieu er-
kl&ren, und für viele Zwecke wird eine solche Betrachtung
ausreichend sein; in der Nationalökonomie und den ihr
nahestehenden Disziplinen aber haben wir es oft mit solchen
Einzelheiten und mit so kurzen Perioden zu tun, daß von
diesem Standpunkte aus alle diese Dinge als selbständige^
aufeinander wirkende Faktoren zu betrachten sind. Be-
trachtet man z. B. den Zusammenhang des physischen und
moralischen Habitus des Menschen mit der umgebenden
Natur, so kann man der Behauptung, daß der erstere aus
124 I^" Problem des statischen Gleichgewichtes.
der letzteren vollkomiDeo erklärbar sei, ruhig aaeb daDD
noch beistimmen, wenn diese Erklärungsweiae nicht Qberall
ganz paSt, vorausgesetzt nur, daß man die Diskrepanzen
durch Wanderungen ausreichend erklären kann. Von unserem
Standpunkte aber, also etwa bei der Erklärung einer kon-
kreten wirtschaftlichen Erscheinung, ist es ganz gleich-
galtig, ob man einen bestimmten Cbarakterzng fOr aas dem
Milieu, dem ein Individium früher angehörte, erkUrbar
anerkennen kann. Er ist einmal da und hat BelbstftndigeB
Leben gewonnen.
Wenn man also sagte, dafi der wirtschaftliehe Zustand
und das wirtschaftliche Handeln von der Gesamtheit aller
jener Verhältnisse abh&nge, so w&re das nur die eine Hälfte
der Sache. Die andere ist, dag jene beiden auf diese zurück-
wirken. Wie sich aus jenen ergibt, was jeder erarbeitet
und verzehrt, so beeinflußt das, was jeder erarbeitet und
verzehrt, wiederum alle umgebenden Verhältnisse. So kann
also das wirtschaftliche Handeln nicht erklärt werden ohne
das wirtschaftliche Handeln selbst, und der wirtschaftliche
Zustand nie ohne den wirtschaftlichen Zustand selbst oder.
etwas korrekter ausgedrOckt, unter den Momenten,
die man zur Erklärung des Güterbesitzes der
betrachteten Individuen heranziehen mafi, be-
findet sich auch der Guterbesitz von frtther.
Mag man also die Geschichte der menschlichen Wirtschaft
Stufe for Stufe zurück verfolgen, so wird man allerdings
aus jedem gegebenen Zustande den früheren ablesen kOnnen,
aber man wird niemals dahin gelangen, eines oder mehrere
der Erklärungsmomente auf andere zurOckzufOhren, sondern
wird immer dieselben vorfinden.
Die Wirkung und Wechselwirkung dieser Momente aof-
einauder ist der eigentliche Gegenstand wissenschaftlicher
Betrachtung auf sozialem Gebiete. Es ist höchst wichtig,
das anzuerkennen, da dadurch Licht in viele fruchtlose
Streitigkeiten gebracht und eine tiefere Einsicht tu das
soziale Geschehen erreicht werden kann. Aber wir wollen
Bicht weiter bei diesen Gedanken verweilen. W^ir wollten
Einleitung für die folgende Darstellung. 125
hauptsächlich nur ein Beispiel für ein grofies System von
interdependenten Momenten anfahren, ehe wir nun zeigen,
daß etwas Ähnliches bezüglich der reinen Ökonomie besteht.
Inmitten dieser grofien Bewegungen liegt das kleine
Gebiet, dem unsere Aufmerksamkeit gilt. Alle seine Er-
scheinungen hängen natQrlich von den grofien Dingen ab,
welche wir eben andeuteten, aber wir möchten sehen, ob
sieh die Bewegungen auf demselben nicht doch in allgemeinen
Sätzen beschreiben lassen, die kQrzer und einfacher sind,
als es möglich wäre, wenn man all das berücksichtigen wollte.
Ersichtlich ist es ein riesiges Gebiet, das man beherrschen
mfifite, um jeden konkreten Zustand einer Wirtschaft gründ-
lich zu verstehen; und das bringt es mit sich, dafi man
nur wenig allgemein darüber sagen könnte, femer, dafi
solche allgemeinen Sätze nur sehr wenig Inhalt haben
würden. Das Problem ist daher, zu sehen, ob man nicht,
ohne in alle diese Dinge einzugehen, die auf unserem
Gebiete zu beobachtenden Regelmäßigkeiten beschreiben
können, gleichsam an sich und ohne tiefere Begründung
zu suchen. Diesem Zwecke galt unsere exakte Grund-
legung, die wir im ersten Teile vorführten und deshalb
haben wir auch versucht, den Begriff des wirtschaftlichen
Handelns, der uns sofort in jene Dinge hineinzieht, zu
eliminieren. Wollten oder könnten wir das nicht, so stünde
es schlimm um unsere Disziplin. Die historische Schule
sagt uns nichts Neues, wenn sie darauf hinweist, dafi jede
wirtschaftliche Erscheinung ein Resultat vielgestaltiger Ein-
flüsse, komplizierter Prozesse ist; aber die Forderung, auf
all das einzugehen, bedeutet Verzicht auf eine Wirtschafts-
wissenschaft. In dem Versuche, diese Schwierigkeiten zu
umgehen, liegt keine Leugnung ihrer Existenz, sondern nur
eine methodologische Operation. Und das, nicht die all-
gemeinen Argumente der Theoretiker, kann man den Histo-
rikern entgegenhalten.
§ S. Wie dem aber auch sein mag, stets hat jedes
Wirtschaftssubjekt gewisse Gütermengen. Und die Ver-
J-Jj) l^a^ Pro))lpin do.s statisclu'n Gloichgewiohtos.
iiiHleruiigeii, die es an denselben vornimmt, was es hinzu-
erwirbt und wovon es sich entäußert, das haben wir zu
beschreiben. Wir betrachten hier nicht den Konsum.
Derselbe geht als Resultat des Wirtschaftsprozesses, gleich-
sam als dessen Eonsequenz vor sich — wenn er auch, anders
betrachtet, das Ziel und der Angelpunkt der Wirtschaft
sein mag. Wir betrachten eher, wie das Mahl vorbereitet,
nicht wie es verzehrt wird und halten uns an die Güter-
mengen vor dem Akte des Eonsumes, so wie wir es audi
nicht mit dem technischen Produktionsprozesse, soodeni mit
seinen reinökonomischen Voraussetzungen zu tun haben.
Die Wirtschaftsssubjekte können sich ihre Güter in
sehr verschiedener Weise verschaffen, sie eintauschen oder
selbst erzeugen. Wir wollen aber alles das, wie früher
ausgeführt, unter dem Gesichtspunkte des Tausches begreifen
und wollen auch für die Zwecke dieses Überblickes keinen
Unterschied diesbezüglich machen.
Daserste, wasuns auffallt, ist, dafidielndi-
viduen keineswegs alle jene Güter haben und
alle jene Veränderungen an ihnen vornehmen,
welche im Bereiche der Möglichkeit liegen.
Was das anlangt, könnten sie ebensogut auch andere GOter-
arten und -mengen besitzend GewiB besitzen und erlangen
sie femer auch Güter, deren Besitz wirklich den Charakter
der Zufälligkeit trägt: Sie mögen etwas unversehens ge-
schenkt bekommen, erbeuten, finden, im allgemeinen aber
sehen wir, daß die Veränderungen der einzelnen Güterarten
und -mengen keineswegs „planlos^ vor sich gehen, vielmehr
zunächst eine Güterart erworben, dann an einem bestimmten
Punkte zum Erwerbe einer anderen übergegangen wird und
so fort. Und in jedem Falle können wir sozusagen eine
Art Idealzustand festhalten, an den sich die Wirklichkeit
mehr oder weniger anschließt. Die betrachteten Wirtschafts-
subjekte bebauen eine bestimmte Bodenfläche, arbeiten eine
> So daS ihr Gulerbesitx vom Standpunkte der phyiischen M5gUch<
keiten gesehen, als ^xuAUig" erscheint.
Eialeitang für die folgende Darstellung. 127
gewisse Zeit mit einer gewissen Energie in einer gewissen
Richtung, verwenden ihre übrigen^ Güterarten in einer
bestimmten Weise. In diesen Dingen drücken sich alle jene
Verhältnisse aus, die wir früher angedeutet haben. Wir
mftfiten, um jeden einzelnen Fall zu erklären, jenes weite
Gebiet im Einzelnen darstellen. In jedem Eulturzustande,
an jedem Orte, bei jeder Rasse gestaltet sich all das ver-
schieden, besonders wichtig ist aber der Umstand, dafi wir
keineswegs das Individuum als solches den übrigen Dingen
gegenüberstellen können, also etwa Mensch und Natur als
Daten unseres Problemes betrachten können. Denn erstens
beide Dinge nicht unabhängig und zweitens sind ihre
Iren nicht zu trennen : Wenn wir uns die Güter-
mengen, die ein Individuum besitzt, betrachten, so ergibt
sich, dafi gar nichts davon bloß von der Natur
nnd gar nichts davon bloß vom menschlichen
Handel abhängig ist. Das gilt selbst vom Boden.
Aber wir wollen eben nicht jeden einzelnen Fall erschöpfend
erU&ren, sondern begnügen uns mit der Beobachtung, daß
jene Veränderungen in den vorhandenen Güterarten
and -mengen regelmäßig vor sich gehen.
Es ist für uns von fundamentaler Bedeutung, daß in
aufeinanderfolgenden Wirtschaftsperioden im ganzen und
Srofien erstens dieselben Güterarten produziert und
konsumiert werden. Wohl ändert sich das im Laufe der
Estwicklung; jedoch nur langsam und allmählich und wenn
lutnnur kurzePerioden betrachtet, so sieht man, daß
die überragend große Mehrheit der Güterarten immer wieder
' Wie man sieht, betrachten wir die Arbeit als ein wirtschaft-
Hchcs Gut Wir haben den Begriff des wirtschaftlichen Gutes nicht
^^^iert und keine Behauptungen über die Eigenschaften aufgestellt,
<lie nötig sind, van etwa« lu einem wirtechaftliehen Gute zu machen :
^u betraehten einfach alles das als wirtschaftliches Gut,
^Qf was unsere Betrachtungsweise als Element unseres
^xtkten Sjstemes ungezwungen anwendbar ist. Das aber kann
^uii keine Spekulation, sondern nur der Versuch lehren. Einen
••leben Verrach machen wir bezfiglich der Arbeit. Über ihr ^^Wesen*"
wird dadnrck nichts aasgesagt.
128 Du Problem des statiachen Gleichgetricbtes.
auftaucht und es verhältnismaSig nur selten vorkommt,
daß eine dereelben verschwindet oder eine neue biozutritt.
Die grofie Masse ist Behr konstant. Und zweitens ist es
fundamental fOr uns, daö auch die Mengen, welche die
einzelnen Wirtschaftssubjekte in aufeinanderfolgenden Peri-
oden von diesen Gtitem erwerben, ebenfalls unter der
gleichen Voraussetzung, in bemerkenswerter Weise
konstant sind und sieb Änderungen in denselben zum Teile
auszugleichen streben. Das sind zwei Tatsachen, welche
wir im fünften Teile dieser Arbeit noch diskutieren werden.
Um sie jedoch als Grundlage unseres Systemes ver-
wenden zu können, mttsseu wir sie durch die folgenden
beiden Annahmen sozusagen behauen , zureehtümmem.
Die erste ist die, daß sich Arten — und Qualitäten — sowie
die Verwendungsarten der GQter gar nicht indem und
die zweite, daß jene „häufigsten" Mengen derselben sich
tatsächlich immer und genau so herausstellen, daß keine
Tendenz zu Änderungen besteht. Das sind Annahmen
oder besser Fiktionen; sicherlich stimmen sie mit der
Wirklichkeit nicht genau aberein. Inwieweit sie das tun
und welches die Tragweite darauf gebauter Resultate ist,
werden wir, ebenfalls im fQnften Teile dieser Arbeit, sorg-
fältig zu untersuchen haben.
Das ist nun nichts anderes als eine neue Ableitung
dessen, was wir schon früher den Gleichgewichtszostind
nannten. Jene beiden Tatsachen für sich könnte man den
empirischen, sie beide mit den zwei angefahrten An-
nahmen verbunden den exakten Gleichgewichtsxuatand
nennen.
§ 4. Wir sagten bereits, daß wir weder das konkrete
Handeln noch den konkreten Wirtschaftszustand eines Indi-
viduums vollständig erschöpfend erklären kOnnen und difl
es unser einziges Bestreben sein muß, zu sehen, ob wir
nicht trotzdem irgendwelche Sätze, welche nattirlich nnr
formal und allgeiufiuen Inhaltes sein können, zu finden
vermögen, in ähnlicher Weise, wie die Mechanik Bewegunfsii
EinMtaiig für die folgende Darstellang. 129
beschreibt, ohne sie und die anderen Eigenschaften der
bewegten Körper näher zu ergründen. Warum ein be-
stimmtes Individuum eine bestimmte Menge eines bestimmten
Gutes hat, k&nnen wirnicht begründen; wir wissen nichts
Ober das Individuum oder ober das Gut. Ist z. B. das
letztere ein Nahrungsmittel, so kann uns der Physiologe
etwas tiber seine Bedeutung fQr das erstere und der Biologe
etwas Aber die Art sagen, wie das Handeln des Individuums
inbezng auf das Gut mit jener Bedeutung zusammenb&ngt.
Der Knltnrhistoriker mag sich dafQr interessieren, ob Kleidung
oder Schmuck dem Menschen wichtiger scheint. Fbr uns ist alles
das belanglos. Und ebenso bekfimmem wir uns nicht um den
technischen ProzeB der Produktion. Kurz, wir haben es nicht
mitGOtem an sich, sondern nur mitRelationen zwischen den-
selben und auch nicht mitBelationen zwischen bestimmten
QOtem, sondern nur mit solchen zwischen Gütern oder, noch
besser, zwischen Gütermengen, Oberhaupt zu tun.
Wir untersuchen also nicht, auf welche Art von Gütern
die erste, und auf welche dann die zweite Wahl fällt usw.
Aber wir notieren, daß, welches Gut immer zuerst er-
zeig werden mag, stets bei einer gewissen Menge desselben
Halt gemacht und zu dem Erwerbe eines anderen aber-
gegangen wird usw. Der Punkt, an dem der Erwerb
jedes Gutes für jedes Wirtschaftssubjekt auf-
hört, ist fOr uns also von fundamentaler Bedeutung: In
^ Lage aller dieser Punkte zueinander drückt sich die
Beziehung zwischen den Mengen der vom Wirtschaftssub-
jekle erworbenen GOter, ein bestimmtes Verhältnis
ivischen denselben aus, und auf Grund des Gesagten
'oird man verstehen, wenn wir weiter sagen, daß in diesem
Systeme von Grenzpunkten des Gütererwerbes
*faeD jenes formale Moment liegt, welches wir behandeln
kAnnen, ohne uns um konkrete GUterarten und konkrete
' lodividnen zu kümmern.
, Was wir brauchen, sind also nicht Theorien über die
i Onuide des wirtschaftlichen Handelns , sondern formale
I Annahmen, welche uns diese Grenzpunkte kurz, einfach und
I B(hBBp*t*r, HatiaulOkoDomi*. 9
130 I^^" Probtem des Btatischen Oleichgewichtee.
formal ergeben, Funktionen, welche die Bedingung
zum Ausdrucke bringen, daß weiterer Erwerb
eines Gutes aufhört, wenn seine Menge in einem
bestimmten Verhältnisse zu den Mengen der
anderen GQter steht, die im wirtschaftlichen Bereiche
des Wirtsehaftssubjektcs liegen. Diese Funktionen mögen
etwas wirklich Existierendes versinnlicheD oder nicht, dieses
gEtwas" mögen wir nennen, wie wir wollen, das ist altes
unwesentlich. Wesentlich ist nur, daS sie gewisse Eigen-
schaften haben, und was immer die Ökonomen darttber tu
sagen haben mögen, ist nebensachlich.
Und nun eine kurze mathematische Bemerkung, deren
Sinn sogleich klar werden wird: DaS die Zaw&ehse der
Gütermengen an jenen Grenzpunkten verschwinden, heiSt,
da6 die Differenzialquotienten unserer Funktion inbeiug auf
diese Mengen gleich Null sein müssen. Messen wir alle
Güter mit einer und derselben Maßeinheit, z. B. in Geld'
und seien q„, gi,, qr usw. die Mengen der GOter A, B, C osw^
so haben wir die Gleichung:
Diese Funktion (f ist nichts anderes als eine Art Oesant-
wertfunktion des Guterbesitzes unseres Wirtschtftssubjektes
und diese Gleichung drttckt einen Gleichgewichts- und
Maximumzustand aus. Mit ihrer Hilfe können wir auch iv
jener Beziehung zwischen den Mengen der GQter, die das
Individuum im Gleichgewicht besitzt, gelangen. Da nimlich
die , Preissumme " der „verkauften" und die Preiasumine
der „gekauften" GQter gleich sein muB, so haben wir, weoD
wir die Preise der Einheiten der einzelnen Gdterarten
respektive mit ;>,., p,., p. usw. bezeichnen die Gleicfaang:
I',. rfy., + pi. dq,. + prdq, + ... = ©■... 2.
woi-aus sich im Zusammenhalte mit Gleichung 1 ei^bt:
' Ohne daH ,c;i-ld- bereits eingeführt su haben, mKli«n wir Uc^
von einem Momente (iebrauch, dessen llrauchbftrkcit vaX der HuA
liegt uiiil das leicht kii verRtehen ist, ohne in die theontiKhen Schwiaip-
keiten der Sftrlie einzugehen.
Einleitaiig för die folgende Darstellung. 131
1 dq> 1 dq> 1 dq)
3.
Pa dqa Pb dqt Pe dqc
welche Gleichung das fundamentale Gesetz des Grenz-
nutzenniveaus zum Ausdruck bringt.
In der Ausdrucksweise der „psychologischen** Theorie
heiSt das, daß jedes Gut in solcher Menge erworben wird,
daß die letzterworbenen Teilmengen aller gleich
intensive Bedürfnisregungen befriedigen.
Dieses allbekannte Theorem ist es, das auch wir abgeleitet
haben. Es ist nichts anderes als Gleichung 3, nur mund-
gerecht gemacht und ausgeschmückt mit allerhand Zutaten.
Wer an denselben keinen Anstoß nimmt und jene Ableitung
11 trocken findet, kann immer an dieser Ausdrucksweise
festhalten. Ich wollte nur zeigen, daß der Kern der Sache
sieh streng exakt und einwandfrei fassen laßt und daß
wissenschaftliche Korrektheit im Sinne des Physikers auch
auf unserem Gebiete keine Unmöglichkeit ist. Bezüglich
der praktischen Resultate aber besteht keine Dififerenz
zwischen uns und den Psychologen. Mit all den psycho-
logischen Erörterungen wird nichts anderes beabsichtigt
und erreicht, als auch wir mit unserem strengeren Vor-
gehen beabsichtigen und erreichen. Noch sei bemerkt, daß
in dem Gesagten eine etwas andere Ableitung der Wert-
AiBktion liegt, als die im ersten Teile vorgeführte. Wir
gdien nicht nfther auf dieselbe ein, da das in theoretische
Details führen würde, welche außerhalb des Rahmens dieser
Arbeit liegen.
Das Gleichungssystem 3 also stellt alles dar, was wir
^ der lebensvollen Wirklichkeit herausheben, den Aus-
schnitt, der die reine Ökonomie enthält. Nicht die wirt-
schaftenden Individuen, auch nicht dieeinzelnen
konkreten Güter, sondern gewisse Vorgänge oder
Besieh un gen, schematisiert in diesem Ausdrucke, sind
^Substrat unserer Diskussionen. Es ist ein Gebilde unserer
Willktir, aber doch nicht aus der Luft gegrififen, eine
^chöpfang des Forschers, aber doch nicht ohne Beziehung
132 ')>■ Problem de* italischeD Gleichgewicbtea.
zur Wirklichkeit. Für dea , der das begriffeo hat , gibt es
keine Zweifel mehr Ober die Grundlagen der Ökonomie und
die Kontroversen darüber tosen sich auf, doch wollen wir
später noch auf diese Dinge zurückkommen und hier nicht
weiter dabei verweilen.
Ein GQrtel von Gleichungen begrenzt den
wirtschaftlichen Machtbereich des Individuums.
Man kann sich denselben als einen Kreis vorstellen, in dessen
Mitte das letztere steht und auf dessen Peripherie die
Grenzpunkte des GQtererwerbes liegen. Sie alle stehen
dem Individuum gewissermaßen gleich nahe. Psychologisch
gesprochen, alle Grenzmeogen sind, in demselben MaSe aos-
gedrockt, ihm gleichviel wert, so daß es keine derselben,
fUr einen gleichgroßen Zuwachs an einem anderen Gute
aufzugeben geneigt wAre, wie immer sich sein wirtschaft-
liches Handeln sonst gestalten mag. Und das — und nur
das — besagt die Redensart, daß das Individuum im Gleich-
gewichtszustande ein Maximum der BedQrfnisbeh-iedigUDg
erreiche.
In dem Gesagten liegt nun meiner Auffassung nach 'die
exakte Grundlage der Ökonomie und es muß verstanden
sein, wenn man das Wesen unserer Disziplin verstehen will.
Wohl weiß ich, daß meine gedrängte Darstellung diesem
Verständnisse im Wege steht; allein ich konnte nicht aus-
führlicher sein. Jeder Satz ist von Bedeutung. Der Leeer,
den diese Dinge interessieren, ist gebeten, ihnen einiges
Kachdenken zu widmen. Auch eine nochmalige LektQre
dieser r)arleguDg durfte empfehlenswert sein. Ich bedauere,
nicht ein l')>erschlagen dieses Kapitels empfehlen zu k&unen,
da es durchaus essentiell ist. Auf dem Wege Eur Ex&ktheit
und zu wirklicher Korrektheit muß sieh unsere Dissiplin
naturgemäß von Popularität entfernen. Das ist nicht meine
Schuld, wenn auch meine Darlegung sehr mangelhaft sein
mag. Auch die populärste Auseinandersetzung enthftlt die-
lielben Gedanken, nur täuscht sie Ober die Schwierigkeiten
hinweg. Will man wirkliche Befriedigung, so kommt nuD
um sie nicht herum.
Einleitung für die folgende Darstellung. 133
Noch etwas möchte ich erwähnen: Ganz fremd stehen
auch die filteren Ökonomen unserer Erkenntnis nicht gegen-
ober. Wir finden unser Gesetz vom Grenznutzenniveau
schon bei Ricardo in dem Gesetze der Gleichheit der Profit-
rate. Femer hat fast jeder Ökonom einen größeren oder
geringeren Teil der Sache erkannt. Das Neue liegt in dem
Herausarbeiten des Kernes derselben, der „Interdependenz*"
in ihrer Allgemeinheit und grundlegenden Bedeutung; Aus-
schnitte daraus findet man hftufig, und einzelne der Zu-
sammenhänge, auf die wir hindeuteten, wurden schon oft
isoliert behandelt. Einer derselben bildet ja auch den In-
halt des Kostenprinzipes, wovon man sich bei einigem Nach-
denken leicht Oberzeugt. Doch gehen wir weiter und er-
örtern wir noch Einiges, was zu näherer Erklärung des
Gesagten beitragen mag.
§ 5. Unser Gesetz vom Grenznutzenniveau und unser
Gleichgewichtszustand gilt für jedes Wirtschaftssubjekt, es
mag ein isoliertes sein oder in Beziehungen zu andern
stehen. Beide Fälle unterscheiden sich gewiß von einander,
namentlich bestehen in letzterem mehr und kompliziertere
Möglichkeiten für den Wirtschaftsverlauf, aber in beiden
ist der Vorgang doch wesentlich derselbe. Immer hängen
die Grenzpunkte des Gütererwerbes eines Individuums von-
einander ab; nur kommt im zweiten Falle noch hinzu, daß
sie auch von den analogen Grenzpunkten des Gütererwerbes
aller anderen Individuen abhängen. So kann man denn
ohne weiteres weiter gehen und auch für die Volkswirtschaft
ein eindeutig bestimmtes Grenznutzenniveau annehmen. Am
einfachsten macht man sich das Bestehen eines solchen klar,
wenn man die Volkswirtschaft als ein Wirtschaftssubjekt
betrachtet — „John Bull & Co." z. B. — und sich dieselbe
mittelst einer „repräsentativen Firma "^ versinnlicht nach dem
Vorgange A. Marshalls. Allein dieses Bild ist inadäquat
und verdeckt die wesentlichen Charakterzüge der Verkehrs-
wirtschaft; nur für die „geschlossene", verkehrslose Wirt-
schaft pafit es ganz. Für die erstere kann die Konstruktion
134 I^aa Problem de* aUtiichen Otcichgewicht««.
nur eio präliminares Bild gebCD, dazu bestimmt, eine erste
Vorstellung von der Sache zu fixieren; aber sonst spricht
man besser von einem Systeme von Grenznutzenniveaos in
der Volkswirtschaft. Immerhin ist es eine grofle Wahrheit,
dafi auch in der Volkswirtschaft als ganzer alle GQterartea
nnd Mengen und mithin auch die „volkswirtschaftlichen''
Grenzpunkte allen GQt«rerwerbes eindeutig bestimmt und
von einander abhängig sind; nur muß man das i'ichtig ver-
stehen; in der Verkehrswirtscbaft wird dieser Zustand
nicht etwa, wie jenes Bild von der repräsentativen Firma
suggerieren könnte, durch eine zentrale, soziale Aktion und
die Wirkung „sozialer" Bedarfnisse herbeigeführt, sondern
ist das Resultat der Wechselwirkui^n der individuellen
Orenznutzenniveans aufeinander.
Auf jeden Fall also, nochmals, leistet uns unser Gesetz
sowohl für die isolierte oder geschlossene wie für die Ver-
kehrswirtschaft in gleichem Maße zweierlei. £s grenat die
Beziehungen, die zu beschreiben die Aufgabe der Ökonomie
ist, von andern ab und zwar sowohl von anderen Beziehungen,
ethischen, sozialen zwischen den Wirtschaftssubjekten, wie
von anderen, technischen usw., zwischen den Gutem. Und
sodann liefert es uns das Grundgesetz dieser Beziehungen,
aus dem alles Weitere folgt, es beschreibt die Verhältnisse
der Gütermengen zueinander, die unter gewissen Vorans-
setzungen eintreten und sich erhalten werden, es gibt uos,
mit einem anderen Ausdrucke, die Proilnktions- und
Konsumkombination unserer Individaen, die aus deren
Veranlagung usw. und aus deren wirtschaftlichen MOglidi-
keiten folgt. Ks ist ein Problem ökonomischer.Effi-
z i e n z , das da gelöst , eine Logik der wirtsehaftlicben
Dinge, die da erreicht wird. Dieses Problem mufi von dem
der technischen Effizienz, mit dem besonders sein
erster Teil, die Prodiiktionskombination leicht verwechaelt
werden kann, geschieden werden, ist ihm aber methodo-
logisch analog. Die folgenden Betrachtungen mAgen nun
noch der Aufmerksamkeit des Lesers empfohlen sein.
Alle Erscheinungen oder Bewußtseinsinhalte, welche
Einleitnog f&r die folgende Darstellang. 135
die „Weif" ausmachen, stehen in Wechselbeziehungen zu-
einander und bedingen sich gegenseitig. Faßt man einen
Teil derselben als gegeben auf, um einen anderen Teil
daraus abzuleiten, so ist das immer nur ein methodologisches
Hilfsmittel, das für bestimmte Zwecke nützlich oder selbst
notwendig sein mag, aber nie die ganze Wahrheit enthalt.
Das wissenschaftliche Weltbild, das uns die exakten Wissen-
schaften bieten, ist nichts anderes, als ein großartiges System
von Größen, welche sich gegenseitig bestimmen und deren
Beziehungen anzugeben die Aiü[gabe der Wissenschaft ist.
In kleinerem Maßstabe stellt auch jede Einzeldisziplin ein
«olches System dar und beschreibt die Abhängigkeitsver-
hältnisse zwischen irgendwelchen Daten, in deren „W^sen""
sie aber nicht einzudringen vermag. Und so auch die reine
Ökonomie.
Alle Güterquantitäten im Untei-suchungsgebiete sind
uns gegeben und die Frage, mit der wir uns zu befassen
haben, ist immer nur: Wie ändern sich dieselben, wenn
eine von ihnen geändert wird? Oder: In welchem Verhält-
nisse müssen sie zueinander stehen, damit keine Änderung
eintritt? Das ist alles, was wir mit unserer Methode unter-
suchen können. Wiederum, das ist keine Theorie der Wirt-
schaft, aber es ist alles, was an den Werken der „Theore-
tiker" von wirklichem Werte ist.
Nicht alle Änderungen, welche an den Gütermengen vor
sich gehen, können wir beschreiben, sondern nur eine Gruppe
derselben, nämlich jene, welche durch die Tauschrelation
charakterisiert ist. Daß uns die chemischen usw. Wirkungen
unzugänglich sind, ist nicht weiter verwunderlich. Aber es
gibt auch andere, welche durch das wirtschaftliche Handeln
verursacht werden und die wir doch nicht erklären können.
Ein Eingriff der gesetzgebenden Gewalt unter anderen mag
große Veränderungen in unserem Systeme herbeiführen,
ohne daß wir viel darüber zu sagen hätten. Da müssen
wir uns damit trösten, gewisse ökonomische Wirkungen
desselben darzulegen, was ja immerhin etwas ist.
Irgendeine Gütermenge erfahre einen Zuwachs, wie
136 ^^ Problem des tUtiichen Oleichgewicbtet.
wirkt das auf alle anderen ? Alle anderen GQter und Preise
werden dadurch aftiziert Eb mag sein, das manche dieser
Wirkungen, namentlich wenn der Zuwachs nicht groß ist
oder in einem wenig wichtigen Gute eintritt, so gering sind.
daB man sie nicht zu bemerken vermag und vernachlässigen
kann und oft werden sie nur in Tendenzen bestehen. Dann
sieht es so aus, wie wenn die Wechselbeziehungen zwischen
den GQterquantitäten keine vollständigen wären und sich
nicht Ober das ganze Untersuchungsgebiet erstrecken wQrden.
Tatsächlich wird fast immer nur eine oder wenige der
Wechselwirkungen bedeutend und augenfiLllig sein. Und
das veranlaßt die Ökonomen auch in der Regel, nur auf
diese Gewicht zu legen und gewisse einfache Kausalketten
aufzustellen. Aber wenn das auch oft für viele Zwecke
ausreicht, so darf doch nie vergessen werden, dafi man
dabei andere Wirkungen vemachläBigt, welche nicht nur
„im Prinzipe*" vorhanden , sondern mitunter auch von prak-
tischer Bedeutung sind.
Um ein Beispiel anzufahren: Nimmt aus irgend einem
Grunde die vorhandene Getreidemenge zu, so ist es klar,
daß im allgemeinen das Geldeinkommen jener Wirtschafts-
subjekte, welche nun mehr Getreide zu verkaufen haben,
steigt. Aber nicht notwendig; es mag sein, daß der Preis
infolge des größeren Angebotes so sehr sinkt, daß der Erlös
sogar ein geringerer sein kann, als vorher. Angenommen
das erstere sei der Fall, so werden die Verkäufer des Ge-
treides eine größere Nachfrage nach anderen Gütern ent-
falten; das wird auf deren Preise wirken und im allgemeinen
auch auf ihre Produktion. Dann aber werden die Preise
ihrer Produktivgüter steigen, z. B. die Löhne, der in ihrer
Proiiuktiou ))eschäftigten Arbeiter, was einerseits die Folge
hat, daß von dieser Seite vermehrte Nächfrage nach ver-
schiedenen Gütern erfolgt und andererseits, daß sich andere
Arl>eiter jenen Industriezweigen zuwenden werden, was den
Lohn allgemein erhöhen wird usw. Sinkt aber der Preis
des (letreides erheblich, so werden dessen Konsumenten
begünstigt werden, sodaß dann von dieser Seite her Wir-
Einleitung für die folgende Darstellung. 137
kongen derselben Art, wie die angedeuteten ausgeben werden.
Ein wahrhaft unübersehbares Gewirr von Wirkungen und
Gegenwirkungen über die ganze Volkswirtschaft hin folgt
aus jener einen Veränderung und wenn manche derselben
kaum erkennbar sind, so kann man doch sagen, daß es
eher die Aufgabe der Theorie sei, die verborgeneren auf-
zufinden, als jene, welche jedermann so leicht sehen kann.
Diesen Verhältnissen wird nun unsere Auffassung weit mehr
gerecht, als die übliche, und das ist das praktische Moment,
das uns dieselbe empfiehlt, neben dem theoretischen, daß
sie auch wissenschaftlich korrekter ist. Bei Untersuchung
z. B. der Wirkungen eines Zolles oder einer Steuer auf ein
bestimmtes Gut kommt man leicht auf Abwege, wenn man
die allgemeine Interdependenz der ökonomischen Quantitäten
ftbersieht. Die populäre Behauptung, daß z. B. eine Steuer
auf den Konsumenten fallen müsse, wurzelt hier : Man findet,
dafi die Produktionskosten der Einheit einfach um den Steuer-
betrag erhöht werden und nimmt diese selbst und alles andere,
Angebot und Nachfrage, als fest au. Die Tatsache, daß
die angebotene und nachgefragte Menge des Gutes sich
infolge der Steuer ändern kann, was nichts anderes heißt,
dafi Kosten und Absatz voneinander abhängige Variable
sind, führt zu einer etwas tieferen Erkenntnis unseres
Systemes. Aber alle darüber hinausgehenden Wirkungen
der Steuer pflegen vernachläßigt zu werden und wenn sich
einmal eine solche weitere Wirkung darbietet, so erscheint
^ als eine besondere Entdeckung, auf sie hinzuweisen.
Besonderes theoretisches Interesse hat unsere Auffassung
fOr die Klarstellung der Wertdiskussion. Wir haben darauf
bereits im ersten Teile dieser Arbeit hingewiesen : Allerdings
wt vom Standpunkte des Psychologen der Wert das herrschende
Prinzip der Wirtschaft und auch für die Zwecke der (>ko-
Qomie wird sich zeigen, daß in den „Kosten" kein selb-
ständiges Prinzip liegt. Aber der Gesamtwert einer be-
stimmten Menge von Kostengütern und der Gesamtwert
einer bestimmten Menge von Genußgütern sind voneinander
abhängige Variable, stehen zueinander in umkehrbarer
138 Du Problem dei BtetiBchen aieiebg»wiAt«a.
funktiooeller Beziehung, was nicht im geringsten dem Si
vidersprieht. welcher als die Grundlage der psyehologisc
Werttheorie aufzufassen ist, namlieb, dafi beiden dasM
Prinzip, das des Wertes, zugrunde li^. Wir werden ni
mals darauf zurückkommen. Hier wollen wir nur darauf 1
weisen, dafi die Aufstellung einer Kausalkette zwisc
beiden nur den Sachverhalt verdunkelt. Der Satz: ,
Wert der GenuBgQter ist die Ursache des Wertes
Kostengfiter" ist, wenn er etwas anderes bedeuten soll
daß die Erzeugung von Genußgfltem das Ziel des W
schaftens ist, an sich nicht richtiger als der nmgekeh
„Der Wert der Kostengüter ist die Ursache des Wertes
GenufigOter". Beide Sätze mögen im einzelnen Falle
eignet sein, die Veränderung einer der beiden GrOflen
erklären. Wenn der Wert und Preis eines Kostengi
steigt, so wird im allgemeinen die Folge sein, daS der V
und Preis jener GenuSgQter steigt, zu deren Erzeug
dasselbe nötig ist. Und zur Beschreibung dieses Fallet
es zulässig, die erstere Gröfie als unabhängige and
letztere als abhängige Variable zu betrachten d. h. i
den letzteren Satz zu akzeptieren. Im entgegengeaeti
Falle gilt das Umgekehrte. Nie aber liegt die ganze Wi
heit darin, welche vielmehr nur durch die Anerkennung
allgemeinen Interdependenz gegeben ist. Jeder sok
Kausalkette läßt sich eine andere gegenüberstellen und
allgemeinen wird man ffir beide passende Beispiele finc
fOr ihre allgemeine Geltung zu streiten aber ist mfißig.
Dasselbe gilt bezüglich des Instrumentes der ,Gt
produktivit&t". Daß der Ertrag der letztaufgewaui
„Dose" eines Produktionsmittels dessen Gesamtwert
stimme", ist nicht falsch. Aber man kann mit demse
Rechte sagen, daß der Wert eines Produktionsmittels
stimme, wieviel von ihm aufgewandt werden und was d;
der Ertrag jenes letzten Teilchens, was die Grenzproi
tivjt&t sein wird. Als Feststellungen von funktionellen
Ziehungen zwischen den Elementen unseres Systemea
ESnleitäiig fl&r die folgende Darstellang. 139
186 Sätze richtig und sie alle sind in unserer Auf-
enthalten. Aber ihr absoluter Wert ist gering. Sie
brauchbar als Ausgangspunkte des wissenschaftlichen
enganges und stellten Entdeckungen eines Teiles des
M interdependenter ökonomischer Quantitäten dar,
gen femer zur Beschreibung spezieller Fälle aus*
Im allgemeinen aber, und wo es sich darum
, streng korrekt zu sein, sind sie nicht länger zu-
stellen sie eine ersichtlich unvollkommene, ja primi-
offässung dar. Durch die Erkenntnis der vollen
einheit der Wirkungen und Gegenwirkungen inner*
Dseres Systemes oder besser, durch die Erkenntnis
stenz eines solchen Systemes von einander bestimmenden
ten ist sie als überwunden anzusehen,
tn sieht, daB wir dieser Erkenntnis — welche im
nicht mehr als eine ganz banale Wahrheit enthält
e fundamentale Bedeutung beilegen. Wir stehen
m, zu sagen, dafi sie den größten Fortschritt der
1 Ökonomie und ihren wesentlichsten Unterschied
ber der älteren darstellt. Es ist für die Klassiker,
lieh für Ricardo, und ihre Nachfolger geradezu
teristibch, daß sie nur einzelne Teile davon aus dem
e herausheben und ohne organischen Zusammenhang
mder behandeln; und darin scheint uns der wich-
:heoretische Mangel derselben zu liegen. Unsere
itnis stellt die ganze Theorie auf eine neue Grund-
ibt ihr eine klarere, korrektere Form, zeigt uns ihr
und ihre Aufgabe in einem helleren Lichte. Wir
en eine einheitliche Methode und Geschlossenheit und
nenhang zwischen unseren Resultaten, endlich einen
Standpunkt zur Beurteilung nahezu aller reinöko-
ben Streitfragen und Spezialtbeorien. Was unsere
i leisten kann und wo ihre Grenzen liegen — alles
gt mehr oder weniger direkt daraus.
e Nationalökononien, welche zuerst und am voll-
sten diesen Sachverhalt erkannten, sind L. Walras,
ser und A. Marshall. Sie kamen dazu in origineller
140 I^i>3 Problem des Htatiacheii Oleichgeirichtes.
Weise und von verschiedenen Ausgangspunkten, Walras
durch seine bewundernswerten Gleichungssyateme, v. Wieser
durch das Zurechnungsproblem und A. Marshall durch
Weiterentwicklung der Grundlagen der Klassiker. Der
letztere Umstand erklärt es, daß Maraballs Darstellung noeh
viel von der älteren Auffassung anhaftet und dieselbe die
Reinheit und Einheitlichkeit des Werkes Walras' nicht
erreicht. Besonders iu der Kostenfrage veranlaBt ihn seine
GenerositAt gegenaber den Klassikern, nicht hinlängliches
Gewicht auf den Umstand zu legen, daß die Reform der
(>konomie durch die Werttheoretiker dadurch nicht an Be-
deutung verliert, daß man Jevon's Kausalketten eine absolate
Geltung abspricht : Das hindert ja keineswegs, wie wir an»*
führten, daß die Einführung der Wertfunktionen die ganie
Theorie auf eine neue Grundlage stellt Auch sonst behält
er mehr vom klassischen Systeme bei, als sich meines Er^
achtens rechtfertigen läßt, und es bedarf eines tieferen
Einblickes, um zu erkennen, daß auch sein System im
Wesen völlig modern ist. Seine zahlreichen Nachfolger
jedenfalls — und er ist der einzige aus jenen dreien, der
wirklich Schule gemacht hat — haben es meist OberMhen.
So steht heute noch die Qbergroße Mehrzahl der Ökonomen
auf einem Standpunkte, der als veraltet bezeichnet irarden
mufi.
§ 6. Resümieren wir einen Teil unseres Argamentae.
Der Güterbesitz eines Wirtschaftssubjektes und sein Vei^
hniten zu demselben ist das Produkt unendlich komplizierter
Verhältnisse, das Produkt eines unübersehbaren Gewinei
von Wirkungen und Gegenwirkungen verschiedenater Art i
und verschieden in jedem einzelnen Falle. Warum hat diem {
oder jenes Wirtschaftsaubjekt gerade diese Art«n aad 1
Mengen von Gütern und warum verhält es sich so vai [
nicht anders dazu? Nach unserer Auffassung und im Gegen- I
Satze zur üblichen, ist das keineswegs die Grundfrage der I
(>konomie. Nicht viel weniger als das gesamte Q^^et ta j
Wissens, das ganze Heer von Disziplinen, die der I
Eioleitang fQr die folgende Darstellang. 14 X
geist geschaffen bat, mttfite herangezogen werden, um sie
n beantworten; im Grunde ist das nicht mehr als selbst-
Terständlich, und wir glauben, es im Vorhergehenden ge-
nfigend betont zu haben. Und selbst dann wäre es fraglich,
ob die Antwort auf jene Frage, die so einfach klingt und
doch 80 aufierordentlich unbescheiden ist, befriedigend aus-
fallen könnte. Unser ganzes Bestreben ist vielmehr darauf
gerichtet, aus der Lebensfalle der Erscheinungen in das
klare und einfache Gebiet gewisser formaler Belationen
iwischen denselben „hinaberzu wechseln "^ ohne der ersteren
Gewalt anzutun, ohne sie zu analysieren und ohne irgend
etwas Materielles über sie auszusagen. Wir können in
ihre Erkl&rung nicht eingehen, weil das weit in uns fremde
Gebiete fQhrt, wir brauchen das nicht zu tun, weil, wie
rieh bei näherer Betrachtung zeigt, Erörterungen darüber
nichts zur Vervollkommnung jener kleineu Gruppe von Resul-
taten, welche wir gewinnen möchten, beitragen und wir
wollen es nicht, um nicht die Anerkennung unserer Dis-
ziplin von Sätzen abhängig zu machen, über welche nur
andere Disziplinen urteilen können, um sie nicht in ihr
fremde Kontroversen zu verwickeln und endlich, um ihr
ihren exakten Charakter und ihre methodologische und
inbaltliehe Einheit nicht zu nehmen. Und unser Problem
ist ein viel engeres und bescheideneres : nilmlich, wie früher
auseinandergesetzt, die Beschreibung gewisser Beziehungen
zwischen den Güterquantitäten im Untersuchungsgebiete.
Ich glaube, daß diese Begründung des Raisonnements der
Ökonomie jenen Einwendungen nicht ausgesetzt ist, welche
gegen die übliche erhoben zu werden ])iiegen. Nicht als
bedeutungslos erklären wir alles außerhalb unseres Gebietes
Gelegene; wir behaupten auch nicht, daß es von ökonomischen
Gesetzen beherrscht sei; wir grenzen unsere Disziplin ab,
ohne an irgendeine prinzipielle Ansicht über diese Dinge
anzustoßen.
Rasse, Kulturstufe, soziale Stellung, Erziehung, Per-
sönlichkeit der Wirtschaftssubjekte, alles das bestimmt ihr
wirtschaftliches Handeln und alle diese Momente wirken
142 I^A8 Problem des statischen Gleichgewielites.
aufeinander; die Möglichkeiten der umgebenden Natur und
sozialen Organisation und die eigene Tätigkeit der Wirtschafts-
subjekte bestimmen ihren Güterbesitz; beide Gruppen von Ein-
flttssen sind voneinander abhängig ; und auch wirtschaftliches
Handeln und Güterbesitz bestimmen sich gegenseitig. Aber
das alles bietet eine Fülle von Problemen und auch eine Fülle
von möglichen Betrachtungsweisen ein und desselben Phi-
nomenes dar, speziell dessen der Wirtschaft; wir versuchen, uns
eine zu eigen zu machen und glauben, dafi auch sie ihre
Berechtigung hat. Im Grunde hat sie kein aussehliefiliehes
Recht auf den Titel „ökonomisch". Auch viele andere Wege,
den ökonomischen Erftcheinungen beizukommen, sind mög-
uud wertvoll, für manche Zwecke vielleicht besser als der
unsere, der nirgends in das Wesen der Dinge führt, nie
die „treibenden Kräfte'^ aufzuzeigen versucht. Nur aus
Gründen terminologischer Zweckmäßigkeit behalten wir für
ihn die Bezeichnung „rein ökonomisch'' bei. Aber das
meinen wir allerdings, daß er sich am besten dazu eignet,
gerade jene formalen Sätze zu finden, denen hier unser
Interesse gilt.
Bildlich kann man sich unser Vorgehen etwa so ver-
sinnlichen : Wir nehmen sozusagen eine Momentphotographie
der Volkswirtschaft auf. Das Bild zeigt alle Vorgänge in
einem bestimmten Stadium und in scheinbarer Ruhe. Wir
sind uns aber bewußt, daß in Wirklichkeit lebensvollste
Bewegung herrscht und wünschen. Einiges davon zu be-
schreiben. Diese Beschreibung soll uns in den Stand 8et»n
— das ist ihr einziger Zweck — das Augenblicksbild, das
uns die Wirklichkeit im nächsten Momente bieten würde,
aus dem ersten abzuleiten, ohne eine neue Aufnahme zu
machen — nicht aber, irgend etwas an jenem Bilde bis auf
den Grund zu erklären und in das ^Wesen** der Vorgänge
einzudringen. Jedoch soll unsere Konstruktion des neuen
Augenblicksbildes sich nur auf die Änderungen in den Güter-
quantitäten, die sich im Besitze der einzelnen Wirtschafts-
subjekte befinden, beschränken. Kur das ist der Zweck der
Ökonomie und nur diesem Zwecke dienen die Annahmen
fiinleitaDg ffir die folgeode Darstellung. 143
nd HilfiBkonstruktioneD, mit denen sie an die Erscheinungen
kenntritt. Die erkenntnistheoretiscbe korrekteste Defi-
nition der reinen Ökonomie wäre also die: Dieselbe hat
die Gttterqvantit&ten, die sich im Besitze der einzelnen
Wirtsehmftssiibjekte in irgendeinem Zeitpunkte befinden, auf
jese zorQckzufQbreD, die dieselben einen „Augenblick^ vorher
benßen, und zwar auf dem kürzesten Wege, welcher der
der formalen Annahmen ist.
Das kann nicht befremden. Ähnliches ließe sich von
tUen exakten Disziplinen sagen. Der Zweck der Gesamt-
hät der exakten Wissenschaft ist, die Welt der Erschei-
imigen, wie sie sieh in einem gegebenen Zeitpunkte dar-
bietet, darcb Beschreibung der zwischen ihnen bestehenden
Oller als bestehend angenommenen Beziehungen, aus dem
betnehteten , unmittelbar vorhergehenden Zustande ab-
zuleiten. Und der Zweck jeder Spezialdisziplin ist, diese
Arbeit für gewisse Erscheinungen und gewisse Beziehungen
nrischen diesen zu leisten. Wir können dabei nicht länger
verweilen; mag das Vielen auch unbefriedigend erscheinen,
— der moderne Erkenntnistheoretiker wird zufrieden damit
sein.
Dabei ist ein Punkt von besonderer Bedeutung. Wir
leiten den Güterbesitz der Individuen ab aus einem anderen,
der ihm zeitlich unmittelbar vorhergeht. Dieser letztere
ist also ein Datum unserer Probleme. Alle Güterquanti-
t&ten hängen in jedem Momente von allen ab und bestimmen
sieh gegenseitig. Wäre auch nur ein Element unseres
Sjstemes anders, als es ist, so würden alle anders sein.
Und nur alle zusammen sind sie, nach unserer Auffassung,
eindeutig bestimmt. Das wurde bereits ausgeführt. Immer
fbhren ?rir einen Güterbesitz auf den anderen zurück, nie
erklären wir den Anfang der Dinge. Ja selbst dieselben
Kategorien finden wir im allgemeinen vor. Stets kann man
— mit praktisch belanglosen Ausnahmen — den (iüterbesitz
eines Wirtscbaftssubjektes einteilen in Land, Arbeit, Werk-
zeuge, Rohmaterialien und Genußgüter. Und im Güterbesitze,
den wir daraus mit Hilfe unserer Annahmen ableiten, finden
144 1^8 Problem des statischen Oleicbgevicbtes.
wir wiederum dieselben Kategorien von GOtern vor. Ja
wir linden sogar ähnliche, nur wenig verscfaiedeae Mengen
und jedenfalls dieselben Arten von Gutem Oberhaupt.
Nach unserer Auffassung können vir also nicht die
eine» Kategorien von Gütern aus den andern ableiten,
sondern nur alle aus allen. Wir können z. B. nicht die
Arten und Mengen der GenußgOter ans den Arten and
Mengen der ProduktivgUter allein gewinnen. Darauf kommen
wir später noch zurück. Es ist aber schon hier leicht
ersichtlich, daß der Wirtschaftsprozeß und seine Besultate
nicht nur vom Besitze von Produktivgütem abhängt, sondern
daß sich beide auch bei einem und demselben Vorrate an
solchen noch sehr verschieden gestalten können, je nach Art
und Menge der GenufigUter, die die Wirtscbaftesubjekte bei
seinem Beginne besitzen. Nur der gesamte GQterbesitz
eines Wirtschaftssubjektes charakterisiert seinen wirtsehaflr
liehen Machtbereich und gestattet die Ableitung eines
anderen. Alle Mengen und Arten von G&tem mQssen
zugleich gegeben sein, wenn unser Raisonnement Oberhaupt
möglich sein soll. Und deshalb haben wir bei unserer
Grundlegung kein Gewicht auf die Unterscheidung zwischen
Genuß- und Produktivgutem gelegt, sondern nur von GQter-
mengen im allgemeinen gesprochen.
II. Kapitel.
Kritik der üblichen Darstellung und ihr Verhältnis
zu der unseren.
{ 1. Unser Vorgang ist nicht der übliche. Namentlich
seine letztgenannten Konsequenzen scheinen wesentlich ver-
schieden von den gewöhnlichen und wohl auch weniger be-
friedigend zu sein als diese. Wir müssen daher Halt
machen und werden in diesem Kapitel erörtern, was die
Ökonomen bei der Einleitung ihres Raisonnements eigentlich
tan und was das Wesentliche daran ist. Wir wollen alles,
was Qblicberweise geschieht, in seiner methodologischen und
inhaltlichen Bedeutung untersuchen und tiefer verstehen
lernen. Dabei wird sich zweierlei zeigen: Erstens wird
man klar und pn'lzise sehen, welcher Wert den betreifenden
Erörterungen zukommt und zweitens, worin der Unterschied
gegenüber unserer Auffassung liegt. Wir kümmern uns
wenig um die allgemeinen Sätze an sich, die man auszu-
sprechen pflegt, um die Argumente für und wider; es soll
vielmehr angegeben werden, was der gewöhnliche Ausgangs-
punkt für uns eigentlich leistet. Schon hier mag bemerkt
werden, daß sich ergeben wird, daß unsere Darstellung
nichts anderes ist als eine Präzisierung eben dessen, was
alle Ökonomen tun, nur von allem Beiwerke gereinigt.
Immerbin folgt eine neue Auffassung mancher Teile des
ökonomischen Lehrgebäudes daraus, welche meines Er-
achtens geeignet ist, eine ganze Menge von Kontroversen
zu beseitigen und scheinbar widersprechende Theorien in das
richtige Verhältnis zu einander zu setzen. Dabei hoffe ich
Scbamp«t«r, Nfttionalokonomi«. 10
146 Uaa Problem des statiscben Oleichgewichtu.
ZU zeigeD, daß uod warum meine Auffassung die korrektere
ist, und unsere Disziplin „reinzubUrsten" tou vielen Dingen,
die nicht in sie gehören, sie abzugrenzen gegen manche
wesensverschiedene Materien , welche sich ja doch in ihrem
Rahmen nicht auszuleben vermögen, ferner zum Verstandnisse
und zur besseren Beurteilung eines Teiles unserer Wissen-
schaft beizutragen.
Man stellt sich in der Regel wirklich jenes groß-
artigere Problem, von dem wir sprachen, nämlich das wirt-
schaftliclie Handeln des Menschen und seine Gatervenoi^ung
zu erklären. Aber wie löst man das Versprechen ein, das
darin liegt?
Vor allem stößt man dabei auf die Probleme des
menschlichen Handelns Oberhaupt. Man wünscht gewisse
Sätze ilai-Ober zu gewinnen, von denen man ausgehen kann.
Dieselben können als so bekannt und unbestreitbar be-
trachtet werden, daß sie keiner weiteren Begründung be-
dürfen, oder man kann eine solche versuchen. Dem letzteren
Zwecke dient die Bedürfnislehre, Betrachtungen über eine
sich immer gleichbleibende wirtschaftliche Natur des Menschen
und dergleichen mehr. Aber mag man der einen oder der
anderen Auffassung sein, für die reine Theorie bleibt sich
das ganz gleich, für sie sind, wie früher gezeigt, diese
8iitze immer nur Annahmen, in welcher Form immer sie
erscheinen, auch dann, wenn sie sich als Resultate and Be-
hauptungen über Tatsachen ausgeben. Die Fragen der
menschlichen Natur und des menschlichen Handelns mit
seinen Beweggründen und seiner Entwicklung können rein
wirtschaftlich nie begriffen werden, mag man noch so viel
darüber zu sagen haben. Sie kOnncn nur ausgeschieden,
gleichsam in ein Bündel zusammengefaßt und beiseite gelegt
wenleu. Und diesem Zwecke dient die Konstruktion des
-homo oeconomicus und alle Philosophien der Ökonomen
darüber, daß der Mensch auf Jeder Kulturstufe und unter
allen Umständen nach wesentlich gleichen Grundsfttzeu
handle. Man sieht hier die methodologische Funktion dieser
Erörterungen und den Grund , warum sie von vielen
Kritik der üblichen Darstellung usw. J47
Ökonomen so energisch verfochten werden. Es soll das
menschliche Handeln erklärt oder das, was man nicht
erklären kann, als konstantes Datum unserer Probleme er-
wiesen werden, um unser eigentliches Gebiet vor Beun-
ruhigungen von dieser Seite her zu sichern. Eine wirkliche
Theorie des menschlichen Handelns wird aber auf diesem
Wege nie zu erreichen sein. Doch dartlber sprachen wir
bereits. Der Mensch oder, besser, eine bestimmte Hand-
lungsweise desselben wird und muß als gegeben angenommen
werden, was, wie gesagt, auf unser Verfahren der formalen An-
Dahmen hinausläuft, wenn man es korrekt ausdrücken will.
Aber selbst wenn das menschliche Handeln ganz klar
und verständlich wäre und keine Probleme darböte — was
ja tatsächlich der Standpunkt vieler Ökonomen ist, ohne
daß wir ihnen daraus einen Vorwurf machen wollen — ,
könnte die Ökonomie nicht alles erklären, was es am Wirt-
schaften zu erklären gibt. Denn ersichtlich hängt die Güter-
versorgung zum Teile von Verhältnissen ab, an denen der
Mensch nichts zu ändern vermag, kurz gesagt von der um-
gebenden Natur und ihren Möglichkeiten. Diese bilden also
ein zweites „Bündel", das aus unserer Erklärung aus-
geschaltet werden muß und dessen Inhalt sich als Datum
für die Erklärung eines bestimmten Wirtschaftszustaudes
darstellt. Wiederum ist es unwesentlich, ob man dasselbe
Sans phrase hinnimmt oder sich in Betrachtungen darüber
ergeht. Über die letzteren werden wir sehr bald noch
einige Bemerkungen machen.
Analysiert man demnach die Basen, auf denen das
Lehrgebäude der Ökonomie in dieser Beziehung ruht, so
findet man zwei Gruppen von Daten, welche sich mit den
Porten „Mensch und Natur" charakterisieren lassen. Sie
hilden seine Grenz- und Grundsteine und liegen außerhalb
der eigentlichen Theorie. Wir sahen, daß man beide ein-
ander nicht einfach gegenüberstellen kann, da zwischen
ihnen eine gegenseitige Abhängigkeit besteht, aber auch,
d«ß man für gewisse Zwecke der Theorie von derselben ab-
^hen und beide als unabhängig betrachten könnte. In
10*
148 ^^ Problem des statischen Gleichgewichtes.
diesem Falle würde sich also das Problem der Ökonomie
darauf restringieren, jene Erscheinungen des Wirtschafts-
lebens zu erklären, welche vom menschlichen Handeln hervor-
gerufen werden in einem gegebenen Milieu der ftuBeren
Natur und auf Grund gewisser Annahmen eben Ober das
menschliche Handeln. Und sicher würden die darin
enthaltenen Einschränkungen allgemein anerkannt werden
und weiter nicht auffallen.
Allein, diese Daten reichen keineswegs aus. Es ist
z. B. klar, daß auch ein gewisser Stand der Technik ge-
geben sein muß, um einen bestimmten Zustand der Wirt-
schaft zu erklären, und darüber läßt sich ähnliches sagen,
wie Ober die beiden anderen Datengruppen. Wenig könnte
uns die Nationalökonomie über die Entwicklung der Technik
sagen, da dieselbe ja zum Teile von Umständen abhängt,
welche sich strengwissenschaftlicher Behandlung entziehen,
weil sie keine beachtenswerten Regelmäßigkeiten aufweisen,
von Erfindungen usw. Schließlich beachtete man auch —
und es ist sicher auch ein Verdienst der historischen Schule,
das betont zu haben — , daß für die konkrete Gestaltung
der Wirtschaft die Organisation, die unter den Wirtschafts-
subjekten besteht, von entscheidender Bedeutung sei. Gegen-
wärtig ist es daher üblich, daß jedes systematische Werk
längere oder kürzere Erörterungen über dieses Thema
bringt. Darüber werden wir noch zu sprechen haben. Mit
dem aber, was wir reine Theorie nannten, hat dasselbe recht
wenig zu tun und von dem Standpunkte des ersteren muß
auch das als ein Datum betrachtet werden, das ausgeschaltet
werden muß und nicht durchgreifend erklärt werden kann.
So führt also die Analyse des Lehrsystemes der Ökonomie
dazu, ihr Problem ganz gewaltig einzuschränken und uns
zu zeigen, daß jene Fragestellung, welche wir als die übliche
bezeichneten, viel zu weit ist.
Doch ist das nicht die einzige Einwendung gegen die-
selbe. Wir deuteten bereits wiederholt an, daß gar nichts
an der Wirtschaft bloß von der „Natur" abhängig und gar-
nichts ganz von ihr unabhängig ist, mithin die erwähnte
Kritik der üblichen Darstellung uaw. 149
GegenaberstelluDg uicht zweckmäßig scheint. Unentdeckte
oder deo Mitteln der Technik einer bestimmten Kulturstufe
nicht zugängliche Erzlager z. B. sind wirtschaftlich nicht
vorhanden, und so läfit es sich leicht allgemein zeigen, daß
für die Wirtschaft nicht schlechtweg die äußere Natur maß-
gebend ist, sondern das, was der Mensch aus ihr macht.
Wieviel Boden kultiviert wird und in welcher Weise, hängt
sicherlich nicht allein von seiner physikalischen Beschaffen-
heit ab, wird jedenfalls nicht eindeutig durch dieselbe be-
stimmt. Und umgekehrt ist es ersichtlich, daß nie und
nirgends das wirtschaftliche Handeln von den Verhältnissen
der umgebenden Natur ganz unabhängig ist, was fast zu
banal ist, um ausgesprochen werden zu müssen.
Aber kann man nicht wenigstens den Besitz an Genuß-
gütern aus irgendwelchen Daten ableiten, so daß seine Er-
klärung zum Probleme der Ökonomie wird? In der Tat ist
das das Ziel, auf dessen Erreichung der übliche Apparat
unserer Disziplin eingerichtet ist. Und auch damit könnte
nian sich zufrieden geben. Schließlich ist doch der Erwerb
vou Genußgütern der Zweck der Wirtschaft und durch ihn
j^t in jedem Zeitpunkte der Yersorguugszustand der Volks-
wirtschaft charakterisiert. Es seien also für irgendeine
Volkswirtschaft die ebenangeführten Momente, welche man
passend „Entwicklungsbedingungen der Volkswirtschaft" ge-
nannt hat, gegeben und dieselbe außerdem mit l)e-
ßtimmten Produktivgütern ausgerüstet; dann wäre also das
Problem der Ökonomie, daraus alle Preise, Einkommen und
^i^ Mengen der Genußgüter, welche produziert werden,
^ linden — die Arten der letzteren sind durch
^ie Momente „Menschennatur" und „Kulturstufe" oder
»•Technik" bereits gegeben. Jene Produktivgüter werden
'^^^kanntlich in die Kategorien Land, Arbeit und Kapital
^'Dgeteilt und jeder derselben eine Diskussion gewidmet.
^'^It'he leicht die Tatsache verschleiern kann, daß sie von
^^r Theorie als weiter nicht zu analysierende Daten
'^ȟzunehmen sind.
Die Funktion der Lehre von den Produktionsfaktoren
150 ^^ Problem de« atatiBchen Gleichgawichtea.
Land, Kapital und Arbeit, zu denen mitunter auch eine
oder einige der „Entwicklungsbedingungen" gerechnet werden
— z. B. von Marshall die Organisation — im Organismus
ouEerer Wissenschaft ist eine doppelte. Zunftchst soll sie
uns eine gewisse Menge an Wissensstoff vermitteln —
darüber werden wir noch sprechen — and zweitens soll sie
den Ausgangspunkt der eigentlichen Theorie bilden, gleich-
sam den Ankergruud des Raisonnements. Um jene drei
Begriffe werden jeoe Momente gruppiert , welche die reine
Theorie aus sich heraus nicht erklären kann, auf denen
ihre Resultate jedoch fuBen. Man muß bestimmte Goter-
mengen haben, wenn bestimmte Preise abgeleitet werden
sollen und dieselben dfirfen sich nicht beliebig Andern, weil
dann diese Preise sofort nicht mehr gelten wttrden. Solange
wir keine Garantie gegen diese Eventualität haben, hängt
unser Gebäude in der Luft, gehorcht unser Gedankengang
keinem Steuer. Damit er das tue, mOsscn wir unser System
irgendwie stabilisieren, brauchen wir sozusagen einen Ballast
für dasselbe. Alle Güterquanti täten will man nicht als
gegeben annehnieu, denn sicherlich klingt es paradox, wenn
die Wirtschaftswissenschaft die Resultate des Wirtschaftens,
die Guter, zu ihren Daten rechnen müßte. Deshalb nimmt
man einige Gilterquanlitäten als gegeben an, nämlich —
aus leicht ersichtlichen Gründen — die Produktivgüter, mit
denen der WirtschaftsprozeB startet und schmeichelt sich,
dann doch diesen letzteren wenigstens erklären zu kOnnen.
Diese Erkenntnis und die aus ihr folgende Übung, die
Lehre von den I*roduktion^fi)ktorcn an die S|>itze des Lehr-
systemes zu stellen, ist sicherlich ein Fortschritt, wenn auch
ihre tiefere theoretische Redeutung meist nicht erkannt oder
hervorgehoben wird. In der Regel sieht es so aus, wie
wenn dieser Abschnitt und die später folgende reine Theorie
gar nicht viel miteinander zu tun hätten und der erstere
nur seinem materiellen Inhalte zu Liebe an seinem Platze
Staude: Seine Unentbehrlicbkeit für das übliche Lehr-
gebäude kommt den meii^ten Schriftstellern gar nicht zum
Bewußtsein.
Kritik der üblichen Darstellung usw. 151
So angesehen, erscheint die Lehre von den Produktions-
faktoren in einem neuen Lichte. Wir werden darauf noch
zurückkommen. Für jetzt wollen wir nur darauf hinweisen,
daß in dieser Hinnahme der Produktionsfaktoren als Daten
unserer Probleme ein wichtiges Eingeständnis liegt, welches
uns dazu hilft, diese Auffassungsweise in die unsere hinüber-
zoführen, zu zeigen, daö die erstere nur eine unvollkommenere
Fonn der letzteren ist, das Eingeständnis nämlich, daß sich
nicht alle Gütermengen mit Hilfe der Theorie finden lassen,
dafi wenigstens einige davon gegeben sein müssen.
Was idt nun von diesem modus procedendi zu halten?
Ist alles in Ordnung? Wirklich scheint es so auf den ersten
Blick. Die Genufigüter bestehen, wirtschaftlich gesprochen,
aus Produktivgütem. Wenn es gelingt, die Mengen der
ersteren, die sich im Besitze der betrachteten Wirtschafts-
subjekte befinden, zurückzuführen auf die Mengen der
Produktivgüter, die dieselben besaßen, dann fühlen wir uns
^iedigt, unsere Arbeit ist getan, unsere Neugierde gestillt,
Md wir haben, als Ökonomen, nichts mehr zu fragen. Unser
System scheint zurückgeführt auf jene Daten, von denen es
naturgemäß abhängt.
Allein bei näherem Zusehen verschwindet leider das
befriedigende Aussehen der Sache.
Wenn die vorhandenen Mengen von Land, Kapital und
Arbeit fest gegeben oder doch unabhängige Variable wären,
^ ließe sich viel dafür sagen, daß mau von ihnen ausgehen
Solle. Das ist aber nicht der Fall. Sie sind Änderungen
unterworfen und stehen in Abhängigkeit von einander und
'len Mengen und Werten der Genußgüter, wie wir bereits
sagten und wie man leicht sieht. Und diese Verhältnisse
werden durch die in Rede stehende Auffassung verdunkelt.
Dieselbe lähmt, zerreißt die allgemeine Interdependenz
zwischen den Elementen unseres Systemes. Über diesen
f^ökt glaube ich bereits genug gesagt zu haben. IW leitet
jedoch zu einem anderen über:
Ganz ebensogut — oder ebensowenig — wie man aus
"^Ji Produktivgütem die Mengen der Genußgüter finden
].j2 J^»H J'roblein deh aXMiii<k.*z,
kann, kann man auch unigekrhn -ix sTsa^sym xas «ien
letzteren ahh'iten: Ka niuß mögliri ^«ix ms» 'Lau ](>HifM
der Genuft^titer. tlU' jemand ennrr«. >Hie .ier PpninktiT-
«rüTer. dif rT p'ehalit haben mu£. z^ ^vizuuüi. ami es ist
niohr eiu/iir-ehen. \i'arum der eine \orz^z£ ueär Bensencinu
hiiheu sollte u\< der andere. Elie:i5«>£^: v:e «ixie Kenfs
tlei Produktivj/uter kann man jene der K}iLHiiiicivxtt&er ai$
it^A ii*'*if:^'f'U ;innehnien: eine Fiktion iü ja. ▼ti* wir SüheB.
das rill*' wi«.' fjas and«Te. Wohl Mehl e:^ 5i> 4a& «LlL wwb
wir die Oenuß;.Mjter als Un):iekaante Kcradiren. mkk
L'-su::t: d«-- I'rol»]<'ijje- causd nnita ist. wÜinHiii ans die
A; !•■::';:;■-' df-r Meiii:-ij der Pr^i^lukti v guter niü* 50 befrwdigt.
'K- -ie im? an die l*foile neuer rroMeme fehrt. E* erheM
>:■:':. «laiiii niiinli«;!] die Fra^'e. warum uiisen? Wirtsriufb-
>;;': vk'e jeradv di* ^e und keine anderen Menden ^«ä Lani
Ki\ii:a; uiA ArW-ir re^itzHU. Dieser Unter^hied ist jedöd
i.\:\ -cl:cinlv.i uij'i ;•-:.♦• liefrie^ligunc illusorisch. E^enii •ües<?
It.-'.- Mirir.t au'h iiu *-isttrij Falle öiTeu. sie dringt sich ud>
!.v.r wrijij.-! ].i\u*\'jTKiui*:h auJ. Was wir cewinn^u. ist in
■ ' : i« II Fiiiirii w»:*»-ijtlic!i tias?^]]*, nämlich «jütenuea^ea aus
..:.iL'!vi: «iii-'-Uieii;:» .'i. uiiil wie inimer wir die Sache üssen
i:."-''ii. -:.;'* l'lei'M eil: unerklärter iJesi zurück, wie es j*
. Ui-:. :;.i. ;. .i»-iji }ii;i.»-r *r»-?iiirten nicht anders sein kann.
Ki:T- '!• :i#:ii I iili-r i*i die dritte Einwendung, die wir
\ '!/u''!ii .-»11 :.d'».ii. l;v-tim:ii:t' Mengen von Land. Kapital
vr.A Ai'-ii !»■:.::.»•:; iia: hi«:).! aus. um die Menden der
II- iiiirii «iiit •! zi; r.i..i''!.. i-.ui'l im Vereine mit den übrigen
I'.itrn üioiit. ^•.'I; 'i»:'ii»:i wii >ii:.ii'i:rii. E> ist ja. wie eheu-
m!;> iiul.ir ;iu-::»iiiii!t . klar, ihiü für die Gestaltung des
N\ :!!v'l;a:t«*] r.iA'>st- uii l -eiiit-r R-.sultate nichi hloß der
N''v../. ..!i ri.»duki:vL:u:vni. sondern auch die bereits \or-
! a*.a?in-ii ^u'iiu: jii''-!iiiviii;eu t'Utscheiiifiid >ind. Und so
\\A\:\x' \\..\\\ liaiii. 'tiiT li lini rrüdukii.-nsfAkioren noch einen
N.i'a:'. :::■.. uium'ii. i..ni.;u:i div iewf;l> vviLuidenen GeuuB-
iiiiri 1:j dri Tat i^i d.is üichi Mh'.imnitT. als die Annahme
»■:»i^ l'i^niiiii.ii'u Mi'Uiie Kajdiai^. l^euii wie man auch
i>rn Uiiixrt ili'tinuMvn uia*: , >tei> umta-ii er produzierte
Kritik der üblichen Darstellung usw. 153
Güter irgendwelcher Art, und seine Einreihung unter die
uötigen Daten sehliefit also irgendwelche Wirtschaftsprozesse
aus der Erklärung aus. Daß und warum das so ist, wird
später noch näher auseinandergesetzt werden. Aber auf alle
Einwendungen, die man uns gegen unseren vierten Pro-
duktionsfaktor — den schon andere Autoren, z. B. Jevons
durch die Tat, wenn auch nicht ausdrücklich anerkannt
haben — machen mag, können wir entgegnen, daß er ebenso
nötig ist wie das „Kapitar , welches hinwiederum zu-
gestandenermaßen nicht entbehrt werden kann — wenigstens
gibt das die Mehrheit der Ökonomen zu.
Es gibt also keine Elemente unseres Systemes, von
denen wir sagen können, daß sie die anderen bestimmen,
oder vielmehr, alle gehören in diese Kategorie. Und damit
sind wir wiederum bei unserer eigenen Auffassung angelangt
und haben die Behauptung gerechtfertigt, daß die übliche
nichts anderes sei, als eine primitivere P'orm derselben.
Mau braucht nur von den gewöhnlicheu Grundlagen aus
folgerichtig weiter zu denken, um zu dem zu gelangen, was
früher auseinandergesetzt wurde. In der Einführung jenes
vierten Produktionsfaktora, im Verzichte darauf, gewisse
Kleiuente unseres Systemes als festgegeben anzunehmen,
ini Verzichte weiter auf eine durchgreifende Diskussion
<ier nicht in unser System gehörigen Dinge — darin liegen
^•ie Hauptunterschiede. Und ich glaube sagen zu können,
^aß diese kleine Reform, deren Erörterung uns auch wiederum
<*ie Bedeutung unseres Systemes interdependenter QuantitiUen
^or Augen geführt hat, für die Reinheit und Korrektheit
loserer Theorie nicht ohne Belang wäre.
§ 2. Nachdem wir die prinzipielle Stellung und methodo-
''Hrische Funktion jener Momente erörtert hal)en. für welche
^ir den Ausdruck „systenibestimmende Tatsachen" vor-
^ilagen möchten, erübrigt nun noch, einige Worte ül)er
. ! ^Jen Wissensstoff an sich zu sagen, den uns ijkoncnuische
Werke in der Lehre von den ^Kntwicklungsbedingungen*"
! Und ^Froduktionsfaktoren'' zu übermitteln ptiegen. Es sind
•r
- I
154 ^^^ Ptoblem des it^iscliaB OleichgewielitM.
die Kapitel Ober Laod, Arbeit und Kapital ond Bodaim die
heute allgemeio anerkannten Erginzungen bezOglieh Or-
ganisation und Menschennator, welche wir meinen.
Ein wenig erfreuliches Bild bietet sich dar. Diese
Abschnitte stellen sozusagen Zwitterdisziplinen dar, welche
keinen Fortschritt aufweisen und nicht leben und nicht
sterben können: Inadäquate und zusammenhanglose Er-
Orterungen über Dinge, welche gründlich nnr in anderen
Disziplinen entwickelt werden und so, wie sie sind, zum
Ansehen unserer Wissenschaft nichts beitragen können.
Nichts ist klarer, als daß der Ökonom hier immer Dilettant
und das, was er sagt, rückständig und unbefriedigend sein
mu0. Wir %erden sehen, dafi wir auf nichts besonders
Wertvolles verzichten, wenn wir diese Dinge ans unserer
DiszipHu abscheiden und dafi einer Kritik gegenüber «irk-
lich nur das übrig bleibt, was auch wir festhalten wollen —
die Annahme der Konstanz dieser Tatsachen. So wird
unsere Diskussion dazu beitragen, unsere Abgrenzung der
<'>konomie nach diesen Seiten zu rechtfertigen, ihr Wesen
abzuheben von diesen fremden Bestandteilen, ihr System
zu klären und zu vereinheitlichen und endlich, unsere
Forderung nach Arbeitsteilung in den Wissen-
schaften vom menschlichen Handeln zu stützen. Nur bei
der Erörterung des Kapitales werden sich auch andere
Kt'sultnte ergeben.
Über das Moment der , Menschennatur" haben wir
bereits so viel gesagt, daß wir hier mit einer kurzen Be-
merkung darüber hinweggehen wollen. Philosophien Ober
die Motivationen, Untersuchungen der und Schlosse aus
der Verschiedenheit der menschlichen Natur nach Ort und
Zeit und die Bedürfnislehre der psychologischen National-
ökonomen, das sind die drei Punkte, welche wir im Auge
hiilven. Wir sahen, daß wir diese Dinge nicht brauchen und
dilti die reinökonomischrn Resultate von ihnen unabhängig
sind. Nun möchten wir noch hinzufügen, daß nur der
Psvchologe, Ethnologe. Biologe und endlich der Kultur-
historiker Ober sie etwas Beachtenswertes sagen kann, und
Kritik der üblichen Darstellung usw. 155
wir uns für Alles, was über den Kreis von Banalitäten
hinausgehen soll, an diese letzteren wenden müssen, ohne
doch imstande zu sein, alle diese Disziplinen im Einzelnen
verfolgen zu können. Da also unsere Erörterungen darüber
einerseits für unsere Zwecke nicht nötig, andererseits aber
auch an sich nicht selbständig und wenig wertvoll sind, so
ergibt sich für uns der Schluß, daß wir sie besser aus
unserem Gebiete ausscheiden und ferner, daß dieser Verlust
nicht groß ist.
Nun zur „Organisationslehre''. Dahin gehört nicht
bloß die Lehre von den Staatsformen usw., sondern zweitens
auch die von den Bechtsformen und den übrigen sozialen
Beziehungen und Gebilden und drittens der wirtschaftlichen
Organisation im eigentlichen Sinne, einerseits Arbeitsteilung
usw., andererseits Kartellbildung, Arbeitervereinigungen usw.
Nun diese Dinge kann man von sehr verschiedenen Stand-
punkten und zu sehr verschiedenen Zwecken betrachten,
welche wir zur Übersicht mittelst zwei sich kreuzenden
Einteilungen erfassen wollen.
Die erste ist die folgende: Man kann alle diese Arten
von Organisation, besonders aber die beiden erstercn vom
religiös-rechtlichen Standpunkte betrachten. Er ist
der älteste und auch heute noch wichtig für die politische
Diskussion. Allein, wie immer man über ihn denken mag,
sicher ist, daß er nicht in das Gebiet strenger Wissenschaft
ftllt. Die letztere kann lediglich die darübiM- bestehenden
Ansichten beschreiben und ihre Entwicklung verfoljien, aber
öie Urteile anderer Art über ihn abgeben. Das ist sehr
klar und dürfte kaum auf Widerspruch stoßen. Weniger
allgemein anerkannt ist aber, daß für den t e I e o 1 o j^ i s c h e n
Standpunkt dasselbe gilt. Vielmehr bringen <li<» meisten
systematischen Werke der Nationalökonomie Erörterungen
über die „Zweckmäßigkeit'' des Erbrechtes, des Eigentums
oder gar der einzelnen Staatsformen. Und doch ist es
nicht schwer zu sehen, daß die Begriffe des Wünschens-
werten, Seinsollendt^n, wie immer sie detiniert sein mögen,
nach der Metaphysik gravitieren und der exakten Erfassumr
156 ^^^ Problem des Btatischen Gleichgewiclites.
unzugänglich sind, daß sich die letztere nur auf eine refe*
rierende Entwicklungsgeschichte der betreffenden Ideen be-
schränken kann, wenn sie Kontroversen vermeiden will, die
nur mit der Menschheit verstummen werden. Überhaupt,
Teleologie und Wissenschaft sind Gegensätze, werden es
immer sein. Und noch etwas: wie unendlich banal sind
diese Diskussionen meist! Welchen Sinn hat es denn, sorg*
fältig auszufahren, daß Arbeitsteilung größere technische
Fertigkeit ermöglicht, aber der persönlichen Entwicklung
nicht förderlich ist? Kann man es jemand verübeln, wenn
er eine Wissenschaft nicht sehr schätzt, die ihm derartiges
mitteilt und zwar als an sich wertvolles Resultat, nicht
etwa als Grundstein weitreichender Gedankengänge? Was
haben wir davon, die Vor- und Nachteile der republikanischen
Staatsform zu diskutieren ? Selbst wenn wir werten wollten,
so müßten wir eben sagen, daß jede Staatsform gut oder
schiecht sein kann ; das hängt nicht von allgemeinen Argumenten
sondern den konkreten Verhältnissen ab. Ist nicht einmal
diese Erkenntnis Gemeingut geworden?
Der dritte Standpunkt — und wir können nicht umhin,
ihn als den wissenschaftlichen zu bezeichnen — ist
der einfacher Beschreibung sowohl der Tatsachen der Or-
gauisationsformen wie jener rechtlichen und teleologischen
Ideen der Menschen über dieselben. Nur er kann in Frage
kommen, wo wir von Wissenschaft sprechen ; nur ihn könnten
wir eventuell in die Nationalökonomie einschließen , wenn sie
eine Wissenschaft sein soll. Wohlgemerkt, darin liegt kein
Urteil über die prinzipielle Stellung der Nationalökonomen
in diesen Fragen; ihre Bedeutung in der Geschichte der
politischen Ideen wird dadurch nicht geschmälert; sicher
ist dieselbe groß — besonders die der deutschen National-
ökouomen. Nur muß dieses Moment getrennt werden vom
wissenschaftlichen. Das fordert das Lebensinteresse un-
befangener Forschung.
Die andere Einteilung der Standpunkte, die hier für
uns wichtig ist, ist die in praktische und theoretische. Die
t rsteren gehören der Sozialpolitik zu. Wie immer man
Kritik der üblichen Darstellung. 157
Qber die Beziehungen zwischen Wissenschaft und Politik
denken und welche Auffassung der Sozialpolitik sich daraus
ergeben mag, unverkennbar ist der wesentliche Unterschied
zwischen praktischen Vorschlägen und theoretischem Interesse
entspringender Beschreibung. Sollen sich beide ausleben
können und Mißverständnisse vermieden werden, so muß
man sie scheiden. Mit der Sozialpolitik — wiederum:
deren Bedeutung wir sicher nicht verkleinem wollen —
haben wir es nicht zu tun, sondern nur mit der Beschreibung,
womit wir auf den eben angedeuteten „dritten Standpunkt *"
zurfickkommen.
Diese gehört nun zwei Disziplinen zu, der Geschichte
and der Soziologie. Aber ist das nicht bloß eine Frage
von Worten? Was hindert uns, sie in die Nationalökonomie
aufzunehmen ? Prinzipiell gar nichts ; im Anfange der Sozial-
wissenschaften war es durchaus einwandfrei und praktisch,
alle diese Dinge zusammen zu behandeln; jedes für sich
bitte zu wenig Inhalt geboten und seinen Mann nicht aus-
gefällt Femer wäre es ja gewiß kein logischer Fehler,
^ B. Chemie und Biologie zu vereinigen. Alles was wir
behaupten, ist, daß beides, reine Ökonomie und Organisations-
lehre, getrennt werden kann; daß sie voneinander unab-
tangig sind und gegenseitig zu ihren konkreten Resultaten
nichts beitragen; daß es ein Irrtum ist zu glauben, daß
tlles, was das Wirtschaften beeinflußt, auch schon notwendig?
«ur Ökonomie gehören mtlsse — ebensogut würde dann die
Geologie zu ihr gehören oder das gesamte Gebiet der
Technik — ; femer, daß es sich em])fiehlt, sie zu trennen,
^enn es am Tage liegt, daß ein Mann das (iebiet beider
Dicht mehr beherrschen könne, was uns eben der Fall zu
sein scheint; endlich, daß es der Klarheit und der Ent-
wicklung der l)eiden Disziplinen schadet, wenn sie nicht
scharf geschieden und gesondert betrachtet werden — das
verwirrt die Ansichten über ihr Wesen und entzieht ihnen
den Vorteil, einen spezialisierten, für ihre Zwecke ge-
schulten und zielbewußten Stab von Arbeitern zu ge-
winnen«
158 ^^^ Problem dea Btfttitchen Qleiehgeirichtea,
Das veranlaßt uns nun, da es einmal eine Soziologii
— und auch „Verwaltungslehre" — gibt, deren Haupt
aufgäbe eine Theorie der OrganiBationaformen ist, und di<
Ober eigene Methoden, eigene Arbeiter und ein eigene)
Publikum verfugt, ihr dieses Gebiet auch zu Qberlasseu
Das heiSt nicht, daß irgendein „MationalOkonom" dasselb«
aufgeben solle; nur die „Nationalökonomie" soll es tun, jenei
aber möge sich als Soziologe bezeichnen und in seinen
I'rteile Qber Fragen der theoretischen Ökonomie vorsicbtif
sein. Das beißt auch nicht, daß die Übung, beide Gebiet«
in Lehrbüchern und Kollegien zusammen zu behandeln,
sofort aufhören solle ; das wäre didaktisch wohl nicht leicht
m&glich ; aber man soll die Verschiedenheit der Gebiete
nicht verdecken, sondern betonen und sich mit anderen
Prätendenten für das Gebiet der Organisationslehre —
Staatsrechtslehrern usw. — verständigen, statt es in Stacke
zu zerreilien. -
Das ist alles; für uns ist nur von Wichtigkeit, fest-
zuhalten, daß unsere Theorie ein in sich geschlossenes, eigen-
artiges System bildet, dem die Organisationslehre methodisdi
wie inhaltlich fremd gegenübersteht. Gehen wir nun weiter!
Wo nehmen wir die Berechtigung her, über den Grund
und Boden und die uhrigen Verhältnisse des geographischen
Milieus etwas zu sagen V Sind wir Klimatologea oder Geo-
logen? Die Konsequenz unserer Anmaßung bleibt nicht aus:
Wollen wir nichts Falsches sagen und doch nicht eben Geo-
logen usw. werden, so müssen wir uns auf Gemeinpifitie
der allertraurlgsten Art beschränken, vor allem auf die
Tatsache, daß die Bodenverhältnisse usw. für die Wirt-
schaft von erheblicher Wichtigkeit sind. Wir können sagen,
daß die Temperatur des Nordj>ole8 dem Weinbaue wenig
förderlich, daß das Kleidungsbedürfuis am Äquator eii
geringeres ist als in Grönland. Und wer das liest — wi(
wird er über unsere Disziplin denken? Für uns folgt daraui
ein weiteres Argument — das erste und wichtigste war, dai
wir diese Dinge nicht zur Erreichung unserer Resnltah
brauchen — dafUr, diese Erörterungen auszuscheiden. Kn
Kritik der üblichen Darstellung usw. 159
wenn es sich darum handelt, konkrete Zustände der Wirt-
lehaft zu erklären, werden sie wichtig, für ihre „allgemeinen
Gesetze'' aber sind sie bedeutungslos und allgemein aus-
gesprochen verlieren sie außerdem alles Interesse.
Im Kapitel von dem Produktionsfaktor „Arbeitskraft"
iteht die Sache nicht ganz so. Wir finden nämlich da eine
Theorie, welche in der Nationalökonomie Bürgerrecht ge-
I Wonnen zu haben scheint und auf die man nicht leicht ver-
oehten wird. Es ist jene, die den Namen Malthus' trägt.
Aueh sie soll „ ausgeschieden "" werden? Nun, daß sie außer-
halb unseres reinen Systemes steht, ist klar. Die Wechsel -
virkung zwischen dem Nahrungsmittelspielraum und der
Bevölkerungszahl ist aber überhaupt keine ökonomische
oder doch nicht reinökonomische. Zum Teile gehört sie
IBcherlich in das Gebiet der Biologie. W-ir können uns
illerdings eine Frage stellen, welche in dieser Richtung
liegt und reinökonomisch ist, nämlich : Wie wirkt eine Ver-
nehrang des Arbeitsangebotes auf die übrigen Quantitäten
Buseres Systemes? Hier ist die Vermehrung der Bevölkerung
eine jener Störungsursachen, deren Wirkung wir mit den
Mitteln der Theorie bis zu einem gewissen (jrade untersuchen
hönnen, und soweit gehört uns dieses Thema. Aber ab-
gesehen davon, daß diese Frage keine irgendwie tief in das
»ziale Geschehen führende Antwort finden kann, sondern
flur zu einem sehr speziellen Resultate bezüglich der Tat-
sachen der Lohnbildung führt, ist sie nicht jene, welche hier
in erster Linie in Betracht kommt. Das ist vielmehr die
umgekehrte Frage, nämlich die, wie ein bestimmter Ver-
sorgungszustand auf die Bevölkerungsvermehrung wirkt.
Und darül>er können wir als Ökonomen gar nichts sagen,
iQch dann nicht, wenn wir der Annahme zustimmen wollen,
daB sich das Maß der letzteren aus ökonomischen Momenten
begreifen lasse. Nur dann könnten wir sie in unser Schema
bringen, wenn wir soweit gehen wollten, die Menschen nach
Analogie von Maschinen zu behandeln und für ihre Ver-
mehrung Angebot und Nachfrage entscheidend sein zu
lassen. Allein, wenn man der Ansicht ist, daß das nicht
\GQ Das Problem dca statischen Oleichgewichtea.
geht, SO wird man auf eine ökonomische Theorie der Be-
völkerungsvennebrung verzichten müssen. Wiederum muS
betont werden, daß lange nicht alles, was irgendwie mit
Skonomiscben Momenten zusammenhängt, der Erfassung
durch die exakte Ökonomie zugänglich ist. Wo das aber
nicht der Fall ist, werden die ökonomischen Momente za
bloßen BanalitHten, da wir dann der Möglichkeit beraubt
sind, längere Gedankengänge darauf aufzubauen. Diese
Gründe, unterstützt durch die Tatsache, daß auch die andere
Seite der Malthusianischen Theorie, nämlich die für sie
nötige Hypothese über die künftige Entwicklung des Nahrungs-
mittelspielraumes, nichts mit der ökonomischen Theorie xa
tun hat, veranlassen uns also, jenen theoretischen Bau «üb
der Ökonomie auszuschlieSen oder doch wenigstens zu be-
tonen, daß beide voneinander unabhängig sind und kein
organisches Ganze bilden.
Wenn unser Standpunkt richtig ist, so kann man sich
von der Bevölkerungstheorie keinen glänzenden Erfolg Ter-
sprecfaen. Es scheint uns nun sehr für uns zu sprechen,
daß sie tatsächlich sich in traurigem Znstande befindet.
Nicht der geringste Fortschritt ist bemerkbar. Vielmehr
beschränkt man sich darauf, den einen Malthu&ianischo
Gedanken immerfort mit immer denselben Argumenten fOr
und wider zu diskutieren. Von einem Weiterbauen, einer
Entwicklung igt nichts zu sehen: Eine nur halb wissen-
schaftliche Kontroverse wird über diese unwissenschaftliche
Theorie mit ebensolchen Mitteln geführt, und wenn sieh
etwas daraus ergeben hat, so ist es die Erkenntnis der
geringen Tragfähigkeit des Bauwerkes. Da wir aber nichts
an seine Stelle zu setzen haben — ist es nicht besser, diesen
Beetandteil der Nationalökonomie überhaupt fallen zu lassea,
der ihr weder methodologisch noch inhaltlich zur Zierde
gereicht? Dann aber bleibt von der ökonomischen Be-
völkerungstheorie nichts Übrig.
Ich hoffe, daß der Leser den Eindruck haben wird, dafl
die Natur der Sache und nicht etwa engherzige Fachsinpelei
mich zu meiner Stellungnahme in allen den Fragen, die kh is
der üblichen Darstellung usw. 161
Kapitel streifte^ veranlaßt Nochmals, wenn diese
Themen entsprechend behandelt würden, so würde ich
xwar noch immer im Interesse der Klarheit dafür eintreten,
' dafi man sie nicht mit der reinen Theorie der Ökonomie zu-
nmmenwerfe, aber im übrigen freudig jede Leistung aner-
kennen. Gewiß kann ein Nationalökonom auch z. B. Ethno-
kge sein. — Professor Ripley schrieb die „Races of Europe''.
Aber dann mnfi er es auch ordentlich sein und, wenn
er nicht schon selbst Schädel mißt , sich doch wenigstens
ndt 4er Literatur dieser Dinge vertraut machen. Unzulässig
aber ist es, darüber Behauptungen auszusprechen, welche
um Jahrhunderte hinter dem heutigen Stande jener Dis-
ziplinen zurückliegen — und namentlich Theorien darauf
aofnibauen, wie das öfters geschieht. Besser ist ein auf-
richtiger Verzicht, der ja durchaus möglich ist.
Auch leugne sich keineswegs , daß sich einmal aus der
Kombination ethnologischer usw. und ökonomischer Resultate
neue, fruchtbare Erkenntnisse gewinnen lassen werden.
Nor wird man auch hier fordern müssen , daß man dabei
mit Sachkenntnis vorgehe und diese Gebiete nicht vermische.
Heute scheint es mir das Nächste und Wichtigste zu sein,
rine Trennung durchzuführen und besonders unser Arbeits-
gebiet frei von fremden Elementen und ohne über seine
Grenzen hinauszuschweifen zu bearbeiten. Nur so kann man
rieh über dasselbe und das, was es leisten kann, klar werden.
Und auf was man dabei verzichtet, ist wenigstens heute
Boch nicht viel.
§ $• Gegenüber dem dritten Produktionsfaktor, dem
Kapitale, ist unsere Aufgabe eine etwas andere. Was
darüber gesagt zu werden pflegt, läßt sich charakterisieren
durch die Worte: Diskussion des Begriffes, Annahme des
Kapitales als eines selbständigen Produktionsfaktors und
endlich Erörterung der Kapitalbildung. Und zu diesen
Punkten haben auch wir einiges zu sagen. Aber den dritten
wollen wir an einer späteren Stelle behandeln, und über den
zweiten sprachen wir bereits, so daß nur der erste übrig
8ehQiBp«t«r, NationalOkonoini«. 11
Iti2 ^"B Problem des gtatischen Gleichgewicht«.
bleibt. Wir wQnschen uun keineswegs, die bekamite lange
Diskussion des Begriffes weiterzufafareo ; das wQrde wenig
Zweck haben; auch nicht, uns fQr den einen oder anderen
zu entscheiden; das kOnnte in einem Satze geBchehen; aber
vir möchten etwas zum besseren VerständnisBe mancher
Kapital begriffe beitragen, weil es uns scheint, daß sich fQr
die meisten Verschiedenes anfuhren l&Bt und daß bei näherem
Zusehen manche veraltete Auffassung sich besser ausnimmt,
als man glauben mOchte — dag sich die ftlteren Ökonomen
mehr dessen bewuBt waren, was sie taten und mehr in ihren
als Definitionen und Wortstreitigkeiten erscheinenden Aus-
fuhrungen steckt, als es erscheint. Sicherlich können wir
nicht die ganze lange Reihe von Kapitalbegriffen vorführen,
müssen dieselben vielmehr im Wesen als bekannt voraus-
setzen. Nur einige Punkte, die wir der Diskussion hinzu-
zufügen haben, sollen hier erwShnt werden. Der Leser sei
im übrigen namentlich auf die Untersuchungen v. Boehm-
Bawerks, J. B. Clarks und auf eine Reihe von Artikeln im
Economic Journal, endlich auf das Werk Jrving Fishers
„Capital and Incorae" verwiesen.
Es ist für die Beurteilung der Rolle und Bedeutung
eines Begriffes eutscheidend, den Zweck zu kennen, den der
Schöpfer desselben im Auge hatte. Da die n-issenschaftliche
Begriffsbildung naturgemäß willkürlich ist, so hat es keinen
Sinn, über „Richtigkeit" oder „Falschheit" eines Begriffes
zu streiten. Auch kann man nicht im vorhinein Begriffe,
die den gleichen Kamen fuhren, nebeneinander stellen und
sich ein für alle mal für einen der mit den letzteren ver-
bundenen' Yorstellungsinhalte entscheiden wollen; es ist
vielmehr durchaus möglich, für einen Zweck den einen, für
einen anderen den anderen zu wAhlen, und alles, was mau
von jedem Theoretiker diesbezüglich verlangen kann, ist
erstens, keine Konfusion anzurichten und zweitens, von
keinem dieser Vorstellungsinhalle etwas auszusagen, was ihm
nicht zukommt. Jene prinzipielle WillkUrlicbkeit erkl&rt
die große Zahl der vorhandenen Kapitalbegriffe, ohne daß
wir darin an sich — die Sache bat noch einen andern
Kritik der üblichen Darstellung usw. 133
Aspekt . — etwas so sehr Bedauernswertes sehen würden.
Sagen wir gleich, wie wir mit dem Kapitalsbegriffe ver-
fahren wollen. Sa viel als möglich werden wir ihn ver-
meiden und überall, wo es angeht, einfach sagen, was wir
meinen, z. B. Werkzeuge usw. Das hat den Vorteil der
Klarheit und dann noch einen anderen , auf den wir gleich
kommen werden. Aber auch wo wir das Wort gebrauchen,
halten wir keineswegs an einer Definition fest; wir tun es
jedoch nur dann, wenn über seinen Sinn kein Zweifel be-
stehen kann.
Was sind nun die Zwecke, denen der Kapitalbegriff in
der ökonomischen Literatur dient? Es ist das Verdienst
T. Boehm-Bawerks, zwei ganz unabhängige geschieden zu
haben. „In den Systemen der Volkswirtschaftslehre," sagt
er in der Einleitung zur „Positiven Theorie des Kapitales",
jcbegegnet man dem Namen und der Theorie des Kapitales
regelmäßig zweimal in zwei gesonderten Gebieten. Das erste
Mal in der Lehre von der Produktion , das zweite Mal in
der Lehre von der Verteilung der Güter. Das erste Mal
^rd uns das Kapital als ein Faktor oder Werkzeug der
Produktion, als ein Hebel dargestellt, dessen die Menschen
sich bedienen, um mit desto größerem Erfolge der Natur
Gütergestalten abzuringen. Das zweite Mal erscheint es als
Einkommensquelle oder Rentenfonds; hier wird uns gezeigt,
^e es bei der sozialen Auseinandersetzung über das gemein-
em geschaffene Produkt als ein Magnet wirkt, der einen
Teil des Nationalproduktes an sich zieht und seinem Eigen-
tümer als Rente überliefert: es erscheint mit einem Worte
&Is die Quelle des Kapitalzinses.''
Diese Scheidung zweier Rollen des Kapitales und zweier
daraus folgender Gruppen von Kapitalbegriffen scheint uns
in der Tat wesentlich, und auch wir wollen sie machen.
Doch möchten wir zwei Dinge dazu bemerken. Einmal
müssen wir uns dessen erinnern, was wir über die Rolle
der Produktionsfaktoren im Systeme der Nationalökonomie
sagten. Sie besteht darin, dasselbe gleichsam zu stabilisieren,
164 I^ Problem d«* lUtüchen GleichgewiditM.
Dinge auszuschliefien und als Daten des Gedankengange»
zu erklaren, velcfae wir mit unseren Mitteln nicht selbst
wieder erklären kOnneo; das Niveau der Wirtschaft xu
charakterisieren, von dem wir ausgehen müssen — nicht
aber etwa darin, ein gesondertes Kapitel Ober
die „Produktion" zu verTollstAndigen: Ein solches
gibt es nicht fOr uns. Nun, diese Rolle des Kapitalbegriffes
wird uns viele seiner Definitionen verstehen lehren. Sodann
aber tnufi auch noch auf ein weiteres — drittes — Moment,
eine dritte Rolle des Kapitalbegriffes hingewiesen wwden,
die man mit HCharakterisUkon der kapitalistischen Wirt-
schaft* bezeichnen könnte. In der Tat, die Ökonomen
wollen mit ihrem Kapitalbegrifife auch — und vielleieht vor
allem — einen Beitrag zur Analyse des BKapitalimnns*
liefern, zum Verständnisse des kapitalistischen Wirtschafts-
Prozesses und des sozialen Geschehens. Das gibt zu den
folgenden Bemerkungen Anlafi.
Erstens. Dieses Moment liegt keineswegs schon in den
beiden anderen. Welcher Gotervorrat angenommen werden
muß , um das Wirtschaftsniveau zu charakterisieren , von
welchem Gütervorrate , der gegeben sein mufi, wir aas-
geben sollen, ist eine rein theoretische Frage oder besser
eine methodologische Frage, welche nichts mit der zu tun
hat, was das Charakteristikon der als „KapitalJsmiu* be-
zeichneten Erscheinung ist. Wir können die erstere iQsen,
ohne auch nur zu wissen oder wissen zu wollen, worin das
Wesen des Kapitalismus bratehe. Aber ebenso onabbingig
ist davon die Frage, woher der Zins komme. Wir kOnnen
keineswegs a priori sagen, daß es sich nur in der kapita-
listischen Wirtschaft zeige; mag sein, daß dem so ist, aber
notwendig ist es nicht. Die Behauptung z. B., dafi der
Zins aus dem .Einschlagen von vorteilhaften Prodoktions-
umwegen' folge, und die, daß darin auch das wesentliche
Merkmal des Kapitalismus liege, sind durchaus unabhingig
von einander und stehen und fallen nicht notwendig logleieh.
Wir werden also eine dritte Gruppe von Kapitalbegriffen
oder von Typen derselben oder, noch besser, von Elemsntw
Kritik der üblichen DarstelloDg vlmw. Ig5
i n d e n Kapitalbegriffen zu unterscheiden haben ; dazu wird
2. B. der Begriff Marx' zu rechnen sein.
Zweitens. Man wird nicht fehlgehen, wenn man in der
eben erwähnten die Hauptrolle oder doch den Anlaß zur
Bildung des Kapitalbegriffes zu sehen glaubt Das Wort
.Kapital* ist ganz Qberflüssig, wenn wir nichts anderes
wollten als unser .Wirtschaftsniveau'' charakterisieren.
Seine Verwendung erspart uns die Aufzfthlung der Güter-
kategorien, die in diesem Sinne dazu gehören, keineswegs
und femer kann dieselbe so kurz geschehen , dafi uns jener
Terminus kaum einen Vorteil bietet. Nicht so leicht wird
man dasselbe für das Kapital als Einkommenstrftger zugeben.
Und doch verhält sich die Sache hier genau ebenso. Aller-
dings stehen Kapital und Zins im Sprachgebrauche in
bekanntem Zusammenhange; allein, wenn man für die Zwecke
der Wissenschaft untersucht, woher der Zins kommt und
findet, dafi er z. B. auf die produktiven Leistungen der
Werkzeuge zurückzuführen ist, so kann man zwar sagen,
dafi das Kapital in jenem populären Sinne in Werkzeugen
bestehe, aber nicht ohne weiteres, dafi das Wesen dessen,
was ein anderer populärer Sinn als „Kapitalismus" be-
zeichnet, in der Verwendung von Werkzeugen liegt; kann
man das aber nicht sagen, dann sind bei jener Lösung des
Zinsproblemes die Begriffe „Kapital '^ und „Werkzeuge"
lediglich synonym, und der erstere ist entbehrlich. Nur
dort ist der Kapitalbegriff in „seinem Elemente^, nur dort
ist er nicht entbehrlich, wo es sich um Analyse des Kapitalis-
mus handelt — und nur deshalb, weil die Theoretiker auch
dafür etwas leisten wollen, führen sie diesen Terminus ein.
Für uns aber kommt es nur auf die ersten beiden Punkte
an, und so brauchen wir eigentlich den Kapitalbegriff gar
nicht, was eben der zweite Grund ist, der uns veranlaßt,
ihn tunlichst zu vermeiden.
Drittens. Bei dieser letzten Rolle des Kapitales, als
Merkmal des Kapitalismus, nun zeigt es sich deutlich, dafi
wir es keineswegs mit einer bloßen Definition, sondern mit
einem Probleme zu tun haben, wenn wir nach dem .Wesen
IQQ Da« Problom doa Btatüchen Gleichgawiehtea.
des Kapitales" fragen und daß, wie auch sonst oft in unserer
Disziplin, Wortdishussionen und „BegriS^bearbeitungen"
keineswegs völlig zwecklos sind, vielmehr dabei nicht um
Worte, sondern am Theorien gestritten wird. Wenn wir
also sagten, d:'.6 die BegrifTsbildung willkürlich sei, so gilt
das nur fQr einen Aspekt der Sache; insofern in den
Begriffen schon Problemlösungen Hegen, trifft das nicht zu,
und die betreffenden Kontroversen gewinnen an Bedeutung
und Interesse — werden Überhaupt erst erkl&rlich — , so
unvollkommen auch die Methode des Streitens um Wort-
bedeutungen sein mag.
Das fahrt weiter. Auch fttr die anderen beiden Rollen
des Kapital begriffes gilt dasselbe und in ihrer Fiziening
kommen Theorien zum Ausdruck. Und da erkennen wir
denn, dafi diese so langweiligen Auseinandersetzungen
namentlich der älteren Ökonomen aber ihre Begriffbbildungen
viel mehr enthalten, als man glauben könnte. Stellen wir
uns nun ausdrücklich die drei Probleme, welche den drei
Rollen der Knpitalbegriffe entsprechen und sich hinter deren
Definitionen verstecken : Welche Güterarten müssen außer
Land und Arbeit als gegeben vorausgesetzt werden, um die
Entwicklung unserer Theorien zu ermöglichen? Aus welcher
Quelle fließt der Zins? Was ist das Merkmal der kapita-
listischen Wirtschaft? Alle drei Fragen können mit dem
Worte „Kapital" beantwortet werden; allein das würde an
sich nichts sagen, die eigentliche Antwort erscheint in der
Form der Definition des Kapitales. Wir billigen diese
Methode nicht, wollen auch den Kapitalbegriff aus den ersten
beiden Problemen ausscheiden, aber hier, wo es sich uns
nur darum handelt , zu dem Verständnisse des üblichen
Lehrsystemes der Ökonomie und der Kapitalkontroverse bei-
zutragen, können wir uns diese Betrachtungsweise zu eigen
machen.
Vor allem muß betont werden, dafi nur die ersten
beiden Fragen sicher zur Domflne der theoretischen Ökonomie
in unserem Sinne gehören. Die dritte gehört nicht zu
ihrem Systeme in seiner einfachsten Form, schon deshalb
Kritik der üblichen Darstellung usw. 137
nicht, weil dasselbe für alle Wirtschaftsformen gelten soll,
während man vom Phänomen des Kapitalismus, was immer
sonst sein Wesen sein mag, nicht ungezwungen in der
Wirtschaft eines Beduinen oder Austrainegers sprechen kann.
Dazu kommt aber noch, daB dasselbe vielleicht — wir
wollen kein Endurteil fällen — viel mehr durch ethische,
soziale und andere Momente als durch wirtschaftliche
charakterisiert ist, femer mehr durch konkrete Momente — z. B.
Vorhandensein einerseits ganz besitzloser Wirtschaftssubjekte
und andererseits sehr reicher — als durch allgemeine,
abstrakte. Das ist das eine: Abscheidung des Momentes
des Kapitalismus von den rein theoretischen Verwendungen
des Kapitalbegriffes und Anerkennung der Tatsache, daß
diese Erscheinung nicht in das Reich jener „wirtschaftlichen
Logik** gehört, als welche man unser System bezeichnen
könnte. Das andere, was uns diese Erkenntnis leistet, ist
das Verständnis mancher Argumente im Streite um den
Kapitalbegriff. Man hat sich dagegen gewehrt, die Arbeit
in das Kapital einzuschließen. Das geschah aus verschiedenen
Motiven, uns aber interessiert hier nur eines : Man sagt, daß
man dadurch den Arbeiter zum Kapitalisten mache. Was
tut das? Für die reine Theorie ist das sehr nebensächlich.
Der Unterschied zwischen Arbeiter- und Kapitalistenklasse,
den man nicht verwischt sehen will, ist sehr wichtig für die
soziale Betrachtung, ihr Gegensatz ein wesentliches Moment
zum Verständnisse des sozialen Geschehens; aber was soll
er uns in der Theorie? Hier haben wir ein Beispiel eines
modus procedendi vor uns, der in der Ökonomie schon viel
Sehaden angerichtet und zu mancher resultatlosen Diskussion
geführt hat, jener Neigung, Begriffe und Theoreme mit all-
gemeinen Gründen zu diskutieren ohne zu bedenken, daß
der Zweck die theoretischen Instrumente nicht nur heiligt,
sondern auch erst verständlich macht, daß für eine Klasse
von Problemen nützlich und richtig sein kann, was für eine
andere falsch und unzweckmäßig ist.
Nun zur zweiten „Rolle", ehe wir uns der ersten, hier
wichtigsten zuwenden. Warum definiert Jevons das Kapital
\QQ Du Problem dM atatiKhen Gleiehgeirielit«s.
als GenufigQterromt , warum nennen viele Theoretiker
dauerbare GQter mit Ausnahme von Land, wanun andere
Werkzeuge und noch andere Werkzeuge und Rohmaterialien
„Kapital"? Einfach deshalb, weil ae daraus den Zins ab-
leiten und dabei mit dem populftren Zusammenhange zwiaehen
Kapital und Zins in Übereinstimmung bleiben wollen.
Keineswegfi ist da das Kapital als Seele des KapitalismuB
zu verstehen ; wenn manche Theoretiker glauben, mit ihrem
Vorgehen sozusagen zwei Fliegen auf einen Sehlag getötet
zu haben, so ist das ein Irrtum, eine schOne Illnaion. Aber
der Kapitalsbegriff ist da auch keine blofie, ganz willkOrliehe
Definition; vielmehr wird zunfichst eine Zinstheorie auf-
gestellt und dann der .Zinsfond* Kapital genannt — und
das ist das Moment, das fQr die Beurteilung dieser Begriffe
entscheidend ist, Freilich hielten wir es fttr besser, einfaeh
von einem "Zinsfonde" zu sprechen; nur jene Illusion ist
dem hinderlich, sonst würde es keinen Grand dagegen
geben. Aber wenn man den Tenuious Kapital schon rer-
wcndet, dann darf man ihn nicht an sieh und im allgemeüien,
sondern nur auf Grund der Zinstheorie selbst, deren Diener
er ist, aburteilen. Sonst kann unmöglich etwas dabei heraus-
konimeo. Daß es endlich nahezu — nicht ganz * — aoviele
KapitalltegriiTe wie Zinstheorien geben maß, ist datnaeh
nicht niolir als selbstverständlich, und das BemOhen mancher
Theoretiker, auf eine Konvention Ober den Inhalt des
Knpita)l>egriffes hinzuarbeiten , ohne auf das Zinsproblem
ItiK-ksifht zu nehmen, muß notwendig resultatlos bleiben,
Milange und s<.>weit Kapital und Zins untrennbar verbnoden
sind.
Scblieälirh !^>hen wir auch auf Grund unserer froheren
Ausftlhningt>i), dnil !<elb.<t in jenen Kapitaldefinitiooea, welcbe
wi^loi' mit IliiiMii'k auf den Zins noch mit Hinblick auf
das Vlianomeu dos Kapitalismus geschaffen wurden, ein ge-
sundtT mclhudoKtcisihcr Kern und mehr als eine bloSe
^ boniki anf MB«m Kapiulbagrifle,
r\
Kritik der üblichen Darstellung usw. Ig9
Definition liegt. Die ,, Beziehung zum Erwerbe und zur
Produktion*, welche nach v. Boehm-Bawerks glücklichem
Ausdrucke so viele Kapitaldefinitionen charakterisiert —
fast alle — welchen Sinn hat sie? Der Theoretiker weifi,
dafi er- nicht alle produzierten Güterarten und -mengen mit
den Mitteln der Theorie ableiten kann aus den Daten der
,Natar?erh<nisse". Deshalb will er wenigstens die Konsum-
güter der Wirtschaftssubjekte, deren Erwerb ja auch das
Ziel des Wirtsehaftens bildet, ableiten und stellt den Pro-
dukttoDflgütervorrat als ein Datum, einen weiteren Pro-
duktionsfaktor, neben jene. Darin liegt eine viel gesündere
Einneht, als in der Selbstverständlichkeit, dafi dieser Vor-
rat eben nicht von der Natur gegeben ist, sondern selbst
prodnxiert werden mufi. Das hilft uns wenig, wenn wir
seine Produktion als außerhalb unseres Systemes liegend
anerkennen müssen. Ferner sahen manche Ökonomen, dafi
die Unterscheidung von Produktionsgütem , welche vor-
handen sein müssen und Genußgütem, welche damit erzeugt
werden sollen, nicht völlig passend und ausreichend ist. Es
werden auch in der Periode, die wir betrachten und deren
Vorgänge wir ableiten können, Produktionsgüter erzeugt
und Genußgüter aus der vorhergehenden übernommen, was
den Gang der Wirtschaft wesentlich beeinflußt. Außerdem
ist für das, was jedes Individuum konsumieren kann und
wird, nicht bloß sein Besitz an Produktions- und Konsumtions-
gütem entscheidend, sondern auch das, was er dafür ein-
tauschen kann. Auch Genußgüter kommen für manche
Wirtschaftssubjekte nur in dieser Beziehung in Betracht
und der Gütervorrat, mittelst dessen sie sich ihren Lebens-
unterhalt beschaffen, kann auch aus Genußgütern bestehen.
Das erklärt uns den Begriff des „Erwerbskapitales^ als „Pro-
duktionsfaktor*" und den Einschluß von Genußgütem in
den Kapitalsbegriff. In einem gewissen Sinne treten wir
selbst, wie der Leser sah, für die letztere Maßregel ein.
Und endlich läßt sich von diesem Standpunkte auch
etwas für jene „maßlos weit** erscheinenden Kapitalbegriffe
sagen, welche gegenwärtig als veraltet angesehen werden
170 ^^ Problem dea statiadieii OleiehgewiditeB.
kJ>nneD, für jene, welche z. fi. auch den Staat usw. ein-
schließen. Gegeben sein und unveraiidert festgehalten werden
mOssen die Organisationsverhaltnisse osw. gewiß. Ob man
sie nun als Entwicklungsbedingungen bezeichnet oder als
Produktionsfaktoren und ob man, im letzteren Falle wiederum,
sie als selbständige Froduktionsfaktoren auffaSt oder mit
anderen Daten zusammen begreift, also etwa mit dem Ka-
pitale, ist anwesentlich. Es mag das unpraktisch sein; aber
dieser Nachteil verschwindet neben dem erheblichen Ver-
dienste, der gesunden methodologischen Einsicht, die in der
Auffuhrung dieser Dinge unter den Daten des Okonomiscbeo
Gedankenganges liegt.
Begnügen wir uns mit diesen Andeutungen, die ndi
leicht gusfahren und an all den einzelnen KapitalbegrifEen
dieser Gruppe demonstrieren ließen — eine Aufgabe, die
hier zu weit fahren wOrde und die ich dem Leser Ober-
lassen möchte. Vielleicht ist das wenige, was wir sagten,
zusammen mit dem, was wir über die anderen Arten von
Kapital begriffen bemerkten, geeignet, die Kapitalsdiskassioa
in einem neuen Lichte erscheinen zu lassen und ein neues
Moment in sie einzufahren, das zu einem beaseren Ver-
ständnisse dieses Kapitels unserer Theorie beitragen bion.
Besumieren wir nochmals den letzten Teil unseres Argu-
mentes. Was die Nationalökonomen zur Aufstellung dieses
dritten Produktionsfaktors — vielleicht besser: Faktors
des Wirtschaft&prozesaes — veranlagte, war die Erkenntnis
oder das Gefühl, daß das System der reinen Theorie mit
den beiden anderen nicht auskommt, vielmehr zu unserH'
Beschreibung des Wirtschaftsprozesses noch eine weitere
Gruppe von Daten — bestehend in g^ebenen Vorr&ten an
produzierten Gütern — nötig sei. Und diese Erkenntnis
oder dieses Gefühl, war sehr richtig. Darin Hegt der ge-
meinsame Kern aller dieser Konstruktionen und dieser Eero
ist gesund. Freilich dachte man verschieden Ober die Art
dieser noch weiter nötigen Daten; bald glaubte man mit
der Annahme eines Vorrates von dauerbaren GOtem —
„stehendem Kapitale" — bald mit einem solchen toi
Kritik der Ablichen DarsteUnng usw. X7X
ProdnhtivgOterD anskommeD zu könDCD, bald ging man noch
weiter; nur selten dachte man den Gedanken bis zu Ende
mos und ging so veit, wie wir es tun. Aber im großen und
ganzen betrachtet, liegt hier immer dieselbe — und im
Wesen richtige — methodologische Maßregel vor K
Koch etwas ergibt sich aus diesen Erörterungen, näm-
lich ein Urteil, Ober die vielfach vorgenommene „Auflösung
des Kapitales in Arbeit und Boden' oder auch nur in Arbeit.
Man hat sich nftmlich — mitunter nicht ohne Seitenblick
auf sozialpolitische Momente — dagegen gewehrt, das Ka-
pital als Belbstfindigen Froduktionsfaktor neben Arbeit und
Boden zu stellen- Allein, wenn man das tut, gehorcht man
lediglich einer methodologischen Notwendigkeit , die , wie
wir Mhon sahen und noch sehen werden, es mit sich bringt,
dafi eine Theorie der Kapitalbildung außerhalb des reinen
SystemeB der Theorie steht und uns zwingt, von gegebenen
Gfiterquantit&ten auszugehen. Daher kann darin nichts
Anstößiges liegen, wie etwa der Versuch, den Anspruch
TOD Kapitalbesitzern auf Einkommen fester zu stützen und
and in ihrem Interesse, auf eine selbständige Rolle eines
selbständigen Faktors „Kapital" Gewicht zu legen. Der-
gleichen verurteilen wir gewiß, aber das Hegt nicht in jener
.methodologischen Maßregel" an sich. Wir leugnen nicht,
da6 das Kapital aus Arbeit oder aus Arbeits- und Boden-
leistnngen „bestehe", nur sind wir der Ansicht, daß wir den
Prozeß seines Entstehens aus diesen Elementen im Rahmen
des exakten Systemes nicht beschreiben können — daß
BD8 die reine Tauschtheorie nicht ohne weiteres eine Hand-
habe dazu bietet, vielmehr ihr Apparat dieses Problem aus-
schließt — und daß wir ihm fUr die kleine Gruppe von
Resultaten, welche wir später als den Inhalt der „statischen
Ökonomie" bezeichnen werden, auch gar nicht zu beschreiben
' Natfirlicb aber ist es, wie v. Bochm - Bawerk hervorhob, ein
•chwerer Fehler, wenn mao, „geblendet von der Symmetrie iwiachen
<len drei Prodaktionsfaktoreu und den drei Ein komm ensiweigen*,
<lum ohne weiteres glanbt, daS dieeea „Kapital" Zina tiagen müsse.
braaebes. WoU ktaaseK «tr MiimfcM fiev Aaflömf
voreduae«, nrilinebt ut liAi Mf>r Baacte Tartale. Xu*
nllfit«B wir daan as SteOe des taherig^ Dubbs .Cafital*
«io Auler«« auieliBea, idatieh cne gegetgt M<9ge tm
.TOTgülaMr'* Arbeit snd ^Toigekütete»* BadcalmtiBeei,
ein« Art .Arbeits-- vad ,B«lnIeHKnwiIlerte*. me
dieMr Vorrat aagehioft nrde. kteana «ir töAt «Mbt-
Baefaei): dabei wurden aoaeie ,5tstiKkcB* llettadea nr-
. lagen ; er mOfite gelben sein, vcbb awek aickt ih bertmataa
Ofttem aber als abstrakter Foad tom Prodaktir-
kraft. Wie er Tervendet wird, das MeageaieikUtais der
ao» ihm erzeugten ProdnktiTgoter zDeiBander. köanten wir
vielleicht erkUren, aber nicht sein Voriundoneia, d^ Uni-
«tand, daS diese Arbeits- and BodenleistaaBea der Zuknnft
and der Entwicklung und nicht der Gegenwart dienstbar
gemacht wurden , denn das erkllrt sich aas Momenten , die
sii:h im Gleichgewicbtsznstande nicht zeigen — and nur
anf diesen paßt unser System heute in befriedigender Weise.
D«rr Annahme eines solchen Fondes steht nichts im Wege.
Wir braueben dieselbe nicht, da wir einfach alle GQter-
arten und -mengen als gegebene betrachten and nur die
Verhältnisse der letzteren zueinander und die Varifttionen
derselben betrachten, welche zum Gleichgewichte fohren.
Aber prinzipiell haben wir gegen sie nichts einzuwenden —
wohl aber gegen jede anders geartete .Anflösnng' Toa
Kapital in Boden und Arbeit ftkr die Zwecke unseres Ge-
bietes.
Jeder Kenner der neueren Theorie weifi nun, dafi wir
soeben eine Konstruktion verteidigt und zu verstehen gelwnt
haben, welche in der Gegenwart zu lebhaften Diskaasionan
Anlafi gegeben hat, nämlich den Kapitalsbegriff Professor
J. B. Clarks. Bei diesen Diskussionen wurde jedoch auf
andere Punkte Gewicht gelegt, als jene, die uns interessieren,
uAiulich auf die Frage , ob jener Konstruktion citwas in der
Wirklichkeit entspreche oder nicht. Sei es mir daher er-
laubt, in Korze einiges zur Sache zu bemerken. Der Leser
8f>i fOr jene Kontroverse auf die Artikel Clarks und t. Boehm-
Kritik der üblichen Darstellung usw. 173
Bawerks selbst verwiesen; hier soll die Angelegenheit nicht
enchöpft, auch in die Argumente beider Autoren nicht
ciBgegBDgen werden. Es handelt sich uns um das Fol-
ll«iide:
Professor Clark unterscheidet zwischen Kapital und
Kapitalgfitem. Letzterer Begriff umfaßt Rohmaterialien
und Produktionswerkzeuge, also das, was der immer mehr
in Verwendung kommende Begriff v. Boehm-Bawerks um-
fkfit, und außerdem das Land, mithin alle sachlichen Pro-
doktiansfaktoren , eine Zusammenfassung, die deren wesent-
lich gleiche Stellung vom Standpunkte der reinen Theorie
got hervorhebt Das Kapital ist aber nach ihm etwas
anderes. Es ist ein beständiger, dauernder Fonds von Pro-
diktionsvermögen. In jedem gegebenen Augenblicke fällt
er mit dem Inbegriffe der vorhandenen konkreten Kapital-
guter zusammen, aber sonst unterscheidet er sich von dem-
selben dadurch, daB er normalerweise nicht durch die Pro-
duktion vernichtet wird, wie sie, sondern fortbesteht. Clark
weist auf die Tatsache hin — oder er betrachtet es als
eine völlig unbestrittene und einfache Tatsache — daß der
Kapitalist sein Kapital behalt durch alle Produktionsperioden
hindurch. Die Kapitalgüter gehen unter oder, wie man es
vom wirtschaftlichen Standpunkte in teil weisem Gegensatze
zum physikalischen ausdrücken kann, sie gehen in GenuB-
gftter über, andere treten — nach Clark ganz von selbst — an
ihre Stelle, das Kapital als solches aber bleibt. Mit zahl-
reichen Bildern, in immer neuen Variationen ringt er nach
dem Ausdrucke dieses Gedankens. Wie ein Fluß immer
derselbe Flufi bleibt, obgleich immer andere Wassertropfen
ihn zusammensetzen, wie ein Mensch immer derselbe Mensch
bleibt, obgleich alle Gewebe seines Organismus sich erneuern,
80 auch das Kapital trotz des steten Wechsels seiner kon-
kreten Bestandteile.
Nun unsere Bemerkungen hierzu: Dieser Kapitalfond
stellt eine Fiktion dar, aber eine brauchbare und vom
Standpunkte Clarks notwendige. Wie immer er seine Auf-
gabe als Quelle des Zinses erfüllen mag, die als Ausgangs-
174 O^ Problem des statücheD GldchgeirichtM.
punkt des ökonomiBchen Raiaonnements zu dienen, als Pro-
duktiODsfaktor usw., erfüllt er wirklich. Dario differieren
' wir von beiden Autoren. Von Clark dadurch, dafi wir nicht
wie er seine RealitSt behaupten und ihn auch als Fond
aufgestapelter Arbeits- und Bodenleistungen etwas anders
auffassen , von v. Boehm-Bawerk dadurch , dafi wir ihm
gesunden Sinn und Brauchbarkeit nicht absprechen. Sodann
verstehen wir , in welchem Sinne man mit Clark diesem
Fonds vollständige Beweglichkeit zusprechen, von ihm sagen
kann , daß er frei von einer Industrie zur andern wandern
könne. In Wirklichkeit sehen wir freilich nur geformte,
konkrete Guter, aus denen sich jene abstrakte Produktions-
kraft nicht ohne weiteres herausziehen läfit; will man aber
das Vorhandensein gerade dieser Güter in diesen Mengen
erklären, so kann man so verfahren, daß man jedes Wirt-
scbaftssubjekt mit einer gewissen Menge solcher Produktiv-
kraft a limine ausstattet und nun gleichsam beobachtet, wie
es dieselbe verwenden, woraus sich dann mit Hilfe von
unserem Gesetze vom Grenznutzenniveau analogen Betrach-
tungfin eben jene tatsachlich vorhandenen Güter und Grenz-
outzen ergeben müssen. Weiters — drittens — sagt Pro-
fessor Clark, daß sein KapitalbegrifT dem der geschäftlichen
Praxis entspreche. Ich glaube nicht, daß das richtig ist,
vielmehr daß hier eine Täuschung durch gewisse äußerliche
Ähnlichkeiten vorliegt. Doch interessiert uns das hier nicht,
und wir wollen uns begnügen, zu konstatieren, daß dieser
Punkt für die theoretische Brauchbarkeit der Clarkschen
Fiktion irrelevant ist. Endlich — viertens — nimmt Clark
an, daß dieser Kapittilfond stets erhalten bleibe und in der
Produktion nicht untergehe. Gewiss ist das die bedenklichste
Fiktion von allen. Aber welcher Ökonom ist ganz frei vor
der Idee, dnS der Ersatz des verbrauchten .Kapitales'
gleichsam selbstverständlich, mehr oder weniger automatisch
vor sich gehe? Fast keiner; und dann ist der Sehritt zur
Clarkschen Auffassung nicht mehr groß. Dieselbe wird sich
kaum vermeiden lassen, wenn man im Rahmen unseres
S^'stems bleiben will.
Kritik der übliclieD Dantellnng naw.
175
Noch viele andere Punkte gäbe es hier zu erörtern ; nur
einen kleinen Beitrag zur Lösung der hier liegenden Fragen
konnteD wir bieten. Wir mOssen zufrieden Bein, wenn unsere
ErOrterangen unseren früher entwickelten Standpunkt recht-
fertigen und Bufierdem dem Leser zeigen, wie viel es auf
diesem Gebiete noch zu tun gibt.
1
III. Kapitel
Statik und Dynamik.
§ 1. Wir kommen nun zu einem Thema, du von
grofier tnetbodologischer Bedeutung ist und dem die Hehr-
beit dvf deutschen NationalOkonomen nicht entspreehende
Beachtung gescheckt hat. Unsere berühmtesten raetfaodolo-
giBchen Werke übergehen es und in der Tat wird seine
Wichtigkeit uns erst aus konkreter Arbeit ood nicht aas
allgemeinen Erörterungen über prinzipielle Fragen klar.
Doch berührt es so gut wie jede ökonomische Arbeit ood
man kann sagen, daß Klarheit darüber zu wirkliebem Ver-
stAndnisse einer jeden nötig ist.
Unser Gedankengang geht, wie wir gesehen haben, too
einem bestimmten Güterbesitze der Wirtechaftssutgekte tu.
Dabei legten wir Gewicht darauf, daß diese GOterquantitUen
in einem bestimmten Zeitpunkte vorhanden seien und sagtoi,
daß unsere Resultate, wenn unsere Theorie überhaupt jewtls
so weit kommen wird , konkrete , numerische Resultate n
liefern, nur für diesen Zeitpunkt oder für einen benaehbarteit
gelten. Allerdings sind unsere Theoreme an sich allgemein-
gOltig, d. h. unabhängig von bestimmten Örtlichen and leit-
lichen Verhältnissen; aber sie sind auch nur formal und sagen
nichts über einen konkreten Zustand aus; und selbst dann,
wo wir also auf keinen solchen Bezug nehmen, hielten wir
es für nötig, festzusetzen, daß sich unsere — allerdings
irgendwie beschaffenen, beliebigen — Daten nicht so-
zusagen unter unseren Händen verändern. Warum haben
wir das getan?
Statik und Dynamik. X77
Ebenso haben wir, als wir die Wertfunktionen sozusagen
den Wirtsehaftssubjekten abfragten, oder besser, als wir sie
festsetzten oder annahmen, betont, daß alle ihre Teile auf
einen und denselben Zeitpunkt, und ein und dasselbe
geographische, soziale, kulturelle usw. Milieu sich beziehen
sollen. Als wir von der Tauschrelation sprachen, haben
wir die gleiche Verwahrung gemacht. Besonders bei der
Diskussion der Lehre von den Produktionsfaktoren hat die
Voraussetzung eine Rolle gespielt, daß unser System in
wesentlichen Punkten stabil sein und nur ganz bestimmte
Veränderungen seiner Elemente aufweisen solle. Und so
kaben wir auch an anderen Stellen derartige Einschränkungen
^rgenommen. Am besten wird das durch das Gleichnis
fcr ^Momentphotographie" veranschaulicht, deren' Zweck
eben ist, uns einen Zustand der Ruhe vor Augen zu stellen ;
wenn wir auch dann diesen Bann lösen und einen Teil des
Bildes beleben, so halten wir doch für einen anderen —
und den weitaus größeren — jenen Ruhestand fest.
Sofort sei bemerkt , daß unser Festhalten an einem
und demselben Zeitpunkt oder an ganz kurzen Zeitperioden
nnr diesen Zweck hat; wir zielen dabei nur darauf ab,
gewisse Teile unseres Bildes der Wirklichkeit unverändert
in erhalten. Würden wir längere Perioden betrachten , so
würde diese Festsetzung zu sehr mit den Tatsachen kolli-
dieren, da in denselben, wie man leicht sieht, unvermeidlich
Ereignisse auftreten würden, welche unser ganzes System
verftndem und gegenüber welchen die Vorgänge, mit denen
wir uns beschäftigen, ganz verschwinden würden. Darauf
kommen wir in einem späteren Teile dieses Buches zurück.
Sind nun alle diese Annahmen, welche jedem unserer
Sätze anhaften, nur Redensarten, die man ebensogut auch
weglassen könnte? Die Antwort lautet natürlich verneinend.
Wir gehen nicht aus Laune oder Willkür so vor, sondern
einfach, weil wir nicht anders können. Und nicht nur wir
können nicht anders verfahren und sehen uns genötigt, hier
eine wichtige Einschränkung unserer Methoden anzuerkennen,
sondern jeder Theoretiker im engeren Sinne ist in dieser
Sebo]np«t«r, Nationalökonomie. «n
178 I^ Problem dM statischen Oleiehgewicht«!.
Laf;e, mag er es aoerkenneD oder nicht Spricht Ricardo
VOD dem Einfiusse der EinfDbnmg von Maschinen, so geht
er von einem gegebenen Zustande der Volkswirtschaft, einem
bestimmten Kapitale, bestimmtem Beschftftignngsgrade der
Arbeiter aus. Malthus' bevOlkerungstheoretische Resultate
nehmen eine bestimmte Technik oder doch einen bestimmten
Entwicklungsgang derselben, eine bestimmte Organisation
der Volkswirtschaft und eine bestimmte BeT&lkerungsver-
mehrung als gegeben an — und wohl auch noch andere
Umstände. Und diese Annahmen sind essentiell zum Ver-
ständnisse seiner Theorie, und zur Beurteilung ihrer Resul-
tate. V. ThOnens Raisonnement hat bald g^ebene Mengen
von Arbeit, bald solche von Kapital usw. zur Voranssetznng,
Es ist, besonders nach dem frQher Gesagten, kaum nOtig,
mehr Beispiele anzufahren. Niemand, der ein rein theo-
retisches Thema behandelt, kann sich diesen Festaetzungeo
entziehen, welche freilich nur selten ausdrOcklJeh formnlieit
sind. Aber sie liegen ja schon dann vor, wenn jemand ohne
weiteres im Laufe seines Gedankenganges von dem .vor-
handenen Lande", „Kapitale" usw. spricht oder irgendwelche
Momente mittelst des „ceteris paribus" ausschaltet.
Dieses letztere Hilfsmittel — ich möchte es das Motto der
Isoliermethode nennen — ist allerdings unentbehrlich, nicbt
nur für uns, sondern far jede Disziplin, geradeso wie aacb
die Isoliermethode selbst. Es ist ja klar, daß man eise
Erscheinung gar nie in das rechte Licht setzen und vSllig
verstehen kann, wenn man sie nicht fttr sich beachreiM
und Momente, welche das Bild trOben wQrden, ausscheidet-
So machen wir denn oft von ihr Gebrauch, auch auf onserni
Gebiete: Will ich die Preisbewegungen einer Ware beschreiben.
80 wird es sich meist, fttr eine erste Ann&herung wenigstefls,
empfehlen, von den sie begleitenden Veränderungen in dem
Werte des Geldes abzusehen. Aber das meine ich hier
nicht. Im angeführten Falle steht es mir frei — und du
bildet sogar einen Teil meiner Aufgabe — spftter jene Vari-
ationen des Geldwertes in das Problem einzuführen oder sie
ihrerseits an sieh zu betrachten, sodafi in diesem Vorgehen
Statik und Dynamik. J79
nur eine temporäre Einschränkung unserer Resultate liegt
Hier handelt es sich aber um eine definitive — eine wenig-
stens für die reine Ökonomie definitive — und eine sehr
ernste außerdem.
Wir sahen bereits, daß es sehr viele Dinge gibt, die,
obgleich von entscheidender Bedeutung für das Wirt-
schaften, doch außerhalb des Gebietes der Ökonomie
liegen. Wir wollen sie nicht wiederum aufzählen. Daß
wir über dieselben an sich nichts sagen können , i^t' weder
verwunderlich noch zu bedauern. Aber wir müssen sie auch
als unveränderlich annehmen, und das ist ernster, da
eine solche Annahme, wie gesagt, die Brauchbarkeit unserer
Resultate nur für ganz kurze Perioden nicht vernichtet.
Daß dem aber so ist, daß sich jene Dinge wirklich nicht
ändern dürfen, sieht man leicht. Eine Veränderung in der
Menschennatur , in dem geographischen Milieu, in der
Technik, der sozialen Organisation ändert unser ganzes
System. Unser gegebener Gütervorrat, von dem wir aus-
gehen, verliert, auch wenn er dadurch nicht materiell affiziert
worden ist, seine bisherige Bedeutung : ändern sich die Wert-
Ainktionen z. B., so wird nun anderes produziert werden
»Is bisher, und so werden Veränderungen in den Güter-
Quantitäten — und Güter arten — eintreten, denen wir
inacbtlos gegenüberstehen, über die wir nichts aussagen
können. Sicherlich, unsere formalen Gesetze gelten auch
^nn; aber sie verlieren aller Interesse gegenüber jenen
Änderungen in den Grundlagen der Volkswirtschaft. Unser
Gleichge?richtssystem ist gestört; wohl wird sich ein neues
Gleichgewicht herstellen, aber wie es aussieht und durch
Welche Vorgänge es herbeigeführt wird, können wir nicht
Sagen. Nur wenige kleine Beiträge können wir eventuell
dazu leisten. Große Probleme entgehen uns darnach, so z. B.
das der Tendenzen der Einkommenverteilung und überhaupt
alle, bei denen jene Dinge die Hauptrolle spielen.
Aber das ist nicht alles. Die Ökonomen gehen ja auch
von gewissen gegebenen Gütermengen aus. Wir aller-
dings nehmen, wie ausgeführt, keine Gütermengen als un-
12*
ISO I^ Problem dea atatiMhen Gldebgevlchtw.
veranderlicli an, sondern lassen bei allen Variationen zu;
aber gegeben massen uns dafOr alle sein, wenn auch nur
fQr jenen Augenblick, der uns mm Ausgangspankte dient
Sieberlich ist aber ihr Vorhandensein ein Problem und man
wird nicht umhin können, dasselbe als ein OkonomiBches
zu betrachten. DeoDOch können wir es nicht lOsen. Seibat
wenn wir das Land als einfach von der Natur gegebea
auffassen wollteu , so könnten wir das nicht beztkglich der
geleisteten Arbeit und des vorhandenen Kapitales tun:
Wohl können wir für beide Spezialtheorien konstruieren,
also etwa Bevölkerungs- und Kapitalbildungstheorien, aber
vom Standpunkte der exakten Theorie im eigeotlicbeo Sinne
wird dadurch nichts gewonnen — es bleibt wahr, daß sie
aus sich selbst diese Dinge nicht erklären kann, soodem
als Daten hinnehmen mu6. Besonders ungOnstig sieht die
Sache aus, wenn man unsere Auffassung vollständig an-
nimmt, da nach derselben eben alle GOter unter den Daten
figurieren; doch zeigten wir, dafi die Obliche Auffassung
in die unsere von selbst Übergeht und an sich nicht halt-
bar ist.
Da das ein Punkt von fundamentaler Bedeutung ist,
so wollen wir uns noch einmal klar machen, warum denn
eigentlich eine solche Erklärung der Kapitalbildung und
Qberhnupt des Vorhandenseins aller produzierter Qfiter im
Rahmen unseres Systems nicht gefunden werden kann und
dieselben Daten und nicht Probleme fOr das letztere
sein niQssen. Dieser Standpunkt weicht so sehr vom Qblichen
ab und ist fQr wirkliches Verständnis unseres Gebietes so
wesentlich, daB ich ihn kaum genug betonen kann. Wir
können sicherlich — und es ist das unsere einzige Aufgabe —
einen Zustand unseres Systemes aus einem anderen ableiten
und so sieht es dann aus, wie wenn wir die Reihe der auf-
einanderfolgenden Zustände zurQckfQhren könnten bis zu den
primitivsten Anfängen der Wirtschaft. Aber das geht nicht.
Vor allem aus dem angeführten Grunde, nämlich weil wir
im Laufe unserer Ableitungen sehr bald auf Umstände
stoßen worden, welche die Kontinuität derselben zerstören
SUtik and DTsunik. igl
und unser System vod Grund aus erscbottern. Wenn das
aber auch niclit der Fall wäre, so konnten wir doch nie
weiter zurückgehen, als wir dieselben Arten von Gütern
TOrfinden. Wir könnten nie das moderne Haus auf den
Pfohlbau, die ArmstrongrevolTerkanone auf einen KnDttel
oBw. znrQckf Qhren , denn wenn der Mensch die Erwerbung
einer GQterart ganz aufgibt, um zu einer anderen Uber-
xogebeo, so versagen sofort unsere GleichuDgssysteme, um
ganz anderen Platz zu machen und wir vermögen nichts
darüber zu sagen, warum der Übergang erfolgt und welches
Beine — jedenfalls sehr komplizierten — Wirkungen sind.
Ja wir werden, wenn wir sp&ter auf diese Materie wieder
xarfickkommen , sehen, daß sogar nicht alle Veränderungen
in den Gfitermengen, sondern nur nicht zu große in
den Kreis unserer Betrachtungen fallen können. Und im
Grunde genommen ist das nur selbstverstAndlicb. Wo sich
das ganze Wertsystem eines Wirtschaftssubjektes, wo sich
an seiner Wirtschaft geradezu alles ändert oder wo auch
Qor dieselbe erheblich anders wird, da läßt sich ebensowenig
Exaktes sagen, als Ober die Wirkungen der Eruption eines
Volkanes.
Das gilt nun auch fQr das Kapital. Mag man auch
die GenußgDter in ihre Froduktionsfaktoren auflösen, so
werden unter denselben immer wieder Güter sein, welche
produziert sind und mag man die Auflösung noch solange
fortsetzen, so wird man doch immer auf andere Kapital-
elemente stoßen. Aber aus den angeführten Gründen kann
man diese Auflösung innerhalb desSy&temes nicht in infinitum
fortsetzen, und seibat wenn man es könnte und die von
einigen Autoren versuchte Konstruktion einer kapitallosen
Wirtschaft in unser System einzuführen vermöchte, es wäre
keine Brücke zur „kapitalistischen" Wirtschaft vorhanden,
da sich alle konkreten Größen , unbeschadet der Weseus-
gleichheit der Vorgänge, hier anders verhalten. Man kann
nicht etwa eine kapitallose Wirtschaft betrachten und dann
in dieselbe eine bestimmte Menge Kapitales einführen, um
zu sehen, was geschieht. Dadurch würde alles veHindert
182 I^w Problem des atatisclien GleicligewlehtM.
werden: Die Werte aller GOter — manche würden eine
neue Rolle bekommen, andere entwertet werden — , ihre
Mengen, alle Wertfunktionen, ja selbst der Mensch wQrde
sich lindem and die Natur, soweit sie wirtschaftlieh in
Betracht kommt. Alles was wir tun können, ist aaeh beim
Kapitale nur, die Variationen seiner Menge anter dem
Einflüsse der Daten mvd Elemente des Systemes and die
Wirkung von unabhängigen — nicht zu großen — Variatioaen
seiner eigenen Menge auf die der anderen Elemente in
beschreiben.
Nun, diese EioBchrBnlcnngen sind wichtig genug. Es
gibt also zweifellos ökonomische Probleme, welche die reinp,
in sich abgeschlossene und von anderen Disziplinen nnnh-
hBngige Theorie nicht zu lösen vermag. Und so zerftllt
denn das Gebiet der Wirtschaftslehre in zwei Teile, in unser
exaktes System und in jene Probleme, welche streng „wirt-
schaftlich" sind, ohne in dem ersteren bebandelt werden lu.
können. Das ist nicht etwa eine Spielerei eines einteilnngS'
süchtigen Logikers, sondern ergibt sich natQrlich aus dem
Wesen der Sache.
Wenn unsere Ausführungen vielleicht zum Teile b^
fremdend berühren, so liegt das nur daran, daB wir ans t*^
rauhen, scharf und klar zu präzisieren; die UnterscheidatiS
und überhaupt das Wesentliche am Gesagten ist ebensoweniS
neu, wie unsere Auffassung der Lehre von den Prodaktion^'
faktoren. Wir sagen nur, was mehr oder w^iger jedenn»»"
anerkennt, wenigstens durch die Tat. In neuerer Zeit i^'
man auf die Sache auch prinzipiell aufmerksam geword^>'
und hat jenen beiden Gruppen von Problemen, in die unsfi«
Wissenschaft zerfallt, die Namen „Statik" und „Dynamili''
gegeben, eine Terminologie, die wir aus Bequemlichkeit bei'
behalten wollen, obgleich sie meines Erachtens recht un-
glücklich ist.
Diese Unterscheidung ist fandamentat. Statik und
Dynamik sind völlig verschiedene Gebiete, haben es nicht
nur mit verschiedenen Problemen zu tun, sondern auch mit
verschiedenen Methoden and verschiedenem Materiale. Sie
Statik und Dynamik. Ig3
sind nicht etwa zwei Kapitel ein- und desselben theoretischen
GebAudes, sondern zwei völlig selbständige Bauwerke. Nur
die Statik ist bisher einigermafien befriedigend bearbeitet
worden und nur mit ihr beschäftigen wir uns im wesentlichen
in diesem Buche. Die Dynamik steht noch in den Anfängen,
ist ein .Land der Zukunft "".
Nicht nur wurden beide Gebiete nicht immer befriedigend
abgegrenzt und überhaupt ihre Verschiedenheit nicht immer
richtig aufgefaßt und in ihrer Bedeutung gewürdigt, man
hat sie auch oft übersehen. Und das hat sich besonders
bei Kontroversen oft sehr fühlbar gemacht, ja man kann
ttgen, dafi eben in dem Umstände, daß sich die streitenden
Hrteien unterschiedslos statische und dynamische Argumente
vorhielten oder besser, den statischen oder dynamischen
Charakter derselben nicht erkannten, die Hauptursache
fl^ manche resultatlose Kontroverse liegt. Beispiele dafür haben
wir bereits angeführt und werden später noch andere kennen
lernen, darunter das praktisch weitaus wichtigste, die Frei-
luuidelskontroverse. Unsere Unterscheidung ist also keines-
wegs blofi von* prinzipieller Wichtigkeit, sondern auch ganz
wesentlich für den Charakter und Wert konkreter Resultate.
Geradezu die erste Frage, die man sich stellen mu6, um
^e Theorie gründlich verstehen und analysieren zu können,
^, ob sie „statisch^ gemeint sei oder nicht. Und unser
Urteil über sie wird oft von der Beantwortung dieser Frage
abhängen. „Statisch'' sein heißt für eine Theorie, mit jenem
Apparate von Voraussetzungen und Daten gewonnen sein.
Welcher eben die Statik auszeichnet; eine solche Theorie
•
18t nur von den Grundlagen unseres Systemes aus zu ver-
üben und hat nur in demselben Sinn und Bedeutung. Sie
steht dann in unlösbarem Zusammenhange mit allen anderen
Theoremen desselben und kann nicht für sich allein akzep-
tiert oder verworfen werden. Und immer wieder vergißt
man das, zwängt anders geartete Behauptungen in unser
System oder beurteilt einen Satz desselben ohne jede Rück-
sicht auf die Zusammenhänge, in denen er begriffen werden
muß, vergißt femer u. a., daß nur derjenige einen Sat7
Ig4 Om Problem des statüchen Gletcbgewichtei,
uDseres SyBtemes beurteilen kann, der dieseE selbet gensn
kenDt, dafi, wenn diese Bedingung nicht zutrifft, sehr leicht
etwas als handgreiflich falsch oder gar Ucherlicb erscheinen
kann, was in jenem Milieu seinen guten Sinn hat
Noch in anderer Weise zeigt sich die sehr reelle Be-
deutung der Forderung, Statik und Dynamik auseioaeder
zu halten. Ihre Yernachl&ssigung erkl&rt nftmlich den an-
hefriedigenden Stand mancher Teile unserer Wiäsensehaft.
Ausgehend von dem Vorurteile, dafi die ökonomische Theorie
allen ökonomischen Problemen gewachsen sein müsse und
im Glauben, daß die Statik die ganze Ökonomie enthalte,
versucht man oft, deren Methoden auf Materien anzuwenden,
welche einer solchen Behandlung widerstreben. Dann begnOgt
Dian sich mit einigen dfirftigen Sätzen darOber und etwa
einigen „BegrifTsbearbeitungen", Ober die man nicht hioMis-
konimen kann und die seit den Klassikern immer wiederholt
werden, ohne irgendwelche Fortschritte zu machen. Ich
denke z. B. an die Theorie der Kapitals- oder Vermögens-
bildung, an die Spartheorie, das gewaltige Problem des
Ökonomischen Fortschrittes und dergleichen mehr. Als das
wichtigste Beispiel einer durch diese Einzwängnng in ooser
System verkrüppelten Theorie werden wir die des Zinses
kennen lernen. FQr alle diese Probleme ist es von vitaler
Bedeutung ausgeschieden, von jener Zwang^acke, zu der
far sie der Apparat der Statik wird, befreit zu werden.
Nur dann kann ihnen die adäquate Behandlung werden.
wozu, wie schon hier betont werden mag, meist vor allem
die ZufQhruDg von neuem Tatsacbenmateriale gehört. Hier
liegen die Punkte, wo die Kritik der „Historiker" oft nur
allzu berechtigt ist — viel mehr als gegenOber anaerem
Systeme im allgemeinen. Diese Abscheidung ist aber nur
möglich bei genauer Kenntnis des Wesens unseres exakten
Raisonnements und seiner Grundlagen.
Was nun ist die genaue Grenze der Statik gegenüber
der Dynamik ? Wir werden uns hQten , darauf allgemein
zD antworten und eine absolute, unbiegsame Regel von vom'
herein zu geben. Das witre ganz gegen unsere Prinzipien.
Statik und DTiiamik. Ig5
Wollen wir deDselben treubleiben, so können wir nur folgender-
mafien vorgehen: Wir werden unser exaktes System ent-
wickeln und in allen seinen Teilen betrachten und unsere
Methode ruhig so lange anwenden, als es ungezwungen geht
und wir glauben, daß die dabei sich ergebenden Resultate
der Mfihe lohnen und mindestens ebenso vollkommen werden,
als jene, die wir etwa anders gewinnen könnten. Dabei
wird sich eine Gruppe von Anwendungen ergeben, über die
wir vernünftigerweise beruhigt sein können, aber leider nur
zu bald werden wir auf Probleme stoßen , über welche wir
KU wenig sagen können; diese werden wir eben der „Dyna-
mik* überlassen. Dazwischen aber gibt es ein Gebiet, das
methodologisch und erkenntnistheoretisch höchst interessant
ist ; jenes Gebiet nämlich, auf dem es sich empfiehlt, unsere
Methoden anzuwenden , obgleich deren Voraussetzungen
strenggenommen nicht vorliegen, weil sie zu de facto brauch-
baren Resultaten führen und wo, auf der anderen Seite, es
vorkommt, daß wir eine andere Methode vorziehen, obgleich
wir die unsere anwenden könnten, weil bei Anwendung der
letzteren „zu wenig herauskommt''. Hier richtig vorzugehen,
erfordert Takt und Urteil, ich möchte fast sagen, „Instinkt'',
und hier treffen wir auf die vielleicht anziehendsten Fragen
der Erkenntnistheorie. Wir werden von diesem Gebiete an
einer anderen Stelle sprechen, hier wollen wir nur wenige
Worte über die beiden „zweifelsfreien" sagen.
Ganz allgemein gesprochen, müssen wir bei Abgrenzung
des Geltungsbereiches einer Methode zwei entgegengesetzten
Erwftgungen Rechnung tragen. Wir müssen uns seiner
Grenzen bewußt sein und überall dort, wo wir uns eine
Abweichung von strengster Korrektheit erlauben wollen, die
nötigen Reserven machen. Das darf uns aber nicht ver-
leiten, zu ängstlich zu sein und zu nervös zu prüfen, ob
wir wirklich auf ganz sicherem Boden stehen. Denn da-
durch würden wir wohl dahin kommen, uns auf sehr wenige
und überdies inhaltsleere Sätze zu beschränken. Da ist es
denn von Vorteil, die Voraussetzungen der Methode nicht
für alle unsere Zwecke ein- für allemal festzulegen, sondern
1S(; Das I^roblem (l('s statischen Gloichgewichte?.
sie jedem derselben anzupassen , und , wo Ausnahm ^^"
bestimmüngeu zweckmäßig scheinen, so liberal wie mögli^c:^^
zu sein. Die Bevölkerungstheorie Malthus' z. B. würd^^n
wir, wenn wir sie in unsere Betrachtung einsehliefien wollte ^n,
was wir allerdings nicht tun, sicherlich statisch nennen, o *B>*
gleich wir sonst in der Statik die Bevölkerungszahl w^l^
konstant annehmen. Aber diese Theorie hält so viele ^C
mente als konstant fest und verliert, wenn man die
schaftliche Entwicklung und ihre Möglichkeiten, sow^i^
mögliche Änderungen in den Gewohnheiten derMenschen, welcli^
auf andere Art zu erklären sind als durch den Nahrungsmittel-
Spielraum, in Betracht zieht, so sehr an Bedeutung, dafi sie
ersichtlich am ehesten auf statische Verhältnisse pa6t Uod
solche Eonzessionen zu machen, wären wir auch sonst
bereit, wenn sich hier auch weiter kein Anla6 dazu bieten
wird. Gesichert ist die Preistheorie und deren wichtigste
Anwendungen, nämlich die Geld-, Verteilungstheorie usw. Da-
für reichen die Methoden der Statik aus, und diese Probleme
bilden ihre eigentliche Domäne. Und nicht zugänglich ist
ihr alles das, was mit dem Phänomene der Entwicklung
zusammenhängt. Ja — die Entwicklung und alles, was zu
ihr gehört, entzieht sich unserer Betrachtung, das rein-
ökonomische System ist essentiell entwicklungslos. Wir
werden noch wiederholt von dieser Einschränkung zu sprechen
haben, welche die schmerzlichste von allen ist, sich aber
natürlich und unvermeidlich aus dem Wesen unseres Systemes
ergibt. FQr jenes große Problem sind ganz andere Momente
entscheidend, als jene, die unser System zur Darstellung bringt
und die Kompliziertheit der in Betracht kommenden Verhält-
nisse wird wohl noch fQr lange eine exakte Behandlung aus-
schließen. Und doch kann man nicht verkennen, daß die Ent-
wicklung das wichtigste aller der Phänomene ist, nach deren
Erklärung wir streben. Wir werden auch sonst selbst noch
darlegen, wie unbefriedigend das Bild der Wirklichkeit ist»
das die Statik gibt. Aber doch ist ihre wissenschaftliphe
Bedeutung eine große, und so verdient sie gar wohl sorg-
fältige Bearbeitung.
-vr
\.
Zweiter Abschnitt.
I. Kapitel.
Vorfragen zur Pretstheorie.
S 1. Wir wenden uns nun der Ableitung der Tausch-
relationen zu, in denen und deren Bewegungsgesetzen, wie
wir ausfQhrten, die ganze reine Ökonomie liegt. Auf die
Einwendungen, die gegen diese Auffassung der letzteren
erhoben werden können, glauben wir ausreichend entgegnet
zu haben; aber selbst wenn man sich derselben anschließt,
kann man an das Preisproblem noch in sehr verschiedener
Weise herantreten. Selbst wenn man alles das, was wir
Ober das Reinökonomische, über die Abscheidung der Organi-
sationslehre usw. gesagt haben, annimmt, wenn man uns
willig bis hierher gefolgt und nun bereit ist, die Tausch«
relationen an sich zu studieren, lediglich beschreibend wie
wir es vorschlagen, so kann man uns noch immer vor-
werfen, da6 wir uns auf eine Art, die Sache zu behandeln.
einseitig beschränken, abgesehen davon, daß diese Art viel-
leicht nicht die vollkommenste und zum Teile sogar falsch
ist Die Daten unseres Problemes sind Gütermengen im
Besitze der einzelnen Wirtschaftssubjekte und dazu gehörige
Wertfunktionen. Wir fragen nach den Preisen aller Güter
und gelangen zu ihrer Bestimmung durch ein formales Ver-
18g Du Problem de« ■tatüchen GlächgewiditM.
fahren, dem wir AllgemeingJltigkeit vindiziereo. Man könnte
nun Bagen, dsfi die Preisbildung im allgemeinen in sehr
verscliiedener Weise und außerdem sehr hKufig nicht so vor
sich geht, wie unser Bild es angibt. HAtte man selbst jene
Bedenken überwunden, welche manche Nationalfikonomen
darin hindern, die Art, wie der Wilde tauscht, neben die
Vorgange an einer modernen Bftrse zu stellen, und h&tte
inan die Wesensgleichheit beider auch eiogesehen oder zu-
gegeben, so bleibt noch iniiper genug, um an unserer Be-
handlungsweise irre zu werden. Sehr viele Preise sind
zunächst Oberhaupt nicht durch die beteiligten Parteien
bestimmt. Ein solcher Fall, der oft in der Geschichte eine
große Rolle spielte und eine gewisse Rolle noch spielt, ist
der der obrigkeitlichen Preistaxen. Kommt hier noch hinzu,
daß der Verkäufer eine bestimmte Menge des betreffenden
Gutes anbieten muß, so daß er sein Angebot nicht frei
regulieren kann wie z. B. der Fiaker, der eine gewisse Zeit
auf seinem Platze stehen und jede Fahrt annehmen muß,
oder daß der Kaufer eine bestimmte Quantität abnehmen
muß, wie das z. B. in dem Frankreich des ancien r^ne
beim Salze der Fall war, so sind die Regeln, die wir ab-
leiten wollen, geradezu vollständig oder nahezu vollständig
mattgesetzt. Die Einflüsse, die hier den Preis bestimmen,
sind andere als jene, welche wir betrachten. Mögen sie
nun wirtschaftlicher oder außerwirtschaftl icher Natur sein —
beides ist möglich, beides war der Fall, ohne daß dieeer
Unterschied far uns von Wichtigkeit wftre — , eine Be-
trachtung der Preiserscbeinung, welche etwa von den soxiftleD
Machtfaktoren ausgeht, vermag diesen Fall ganz gut zn
erfassen, wahrend die unsere bei demselben schlechterdings
zu versagen scbeint. Freilich können wir sagen, daß wir
solchen Preistixen gegenüber trotzdem zwei Dinge tun
können : Wir können sie erstens in unser System einaetien,
wobei sie dann Daten bilden, und wir können zweitens
die Wirkung einer solchen Preistaxe auf die Einkommenft-
bildung der Beteiligten untersuchen, und zwar bleibt ndir
oder weniger zu tun, je nachdem die obrigkeitlicbe Fest-
Vorffftgen inr Preistheorie. 189
Setzung dem Verkehre mehr oder veniger Spielraum last.
Femer wird die Preistaxe meist nicht allzuweit vom Preise
nnaerer Theorie abweichen und endlich der letztere stets
zam Vergleiche herangezogen werden; aber dennoch bleibt
es wahr, dafi unsere Theorie hier nur eine sekund&re Rolle
spielt. Ein sehr wichtiger Fall dieser Art tritt gerade in
der Gegenwart hervor, es ist das die Preispolitik großer
Unternehmungen. Das erste Beispiel boten EiEeobahnen,
auf deren Tarife sich die Regierungen Einfluß sicherten
und auch andere Interessengruppen Einfluß gewannen. Diese
EiaflOSBO wurden in sehr verschiedener Weise geltend ge-
macht, jedenfalls ist sicher, daß die Preisanstellungeo, die
nach unserer Theorie zu erwarten gewesen wären, dadurch
erheblich modifiziert wurden, ohne daß wir ein Mittel be-
säßen, diese Einflösse mit der Methode unseres Systeme:«
zu behandeln. In der Gegenwart bat nun die Kartell- und
Trustbildung das Gebiet dieser Erscheinungen immer mehr
ausgedehnt. Die Preispolitik derselben hat sehr bald das
Öffentliche Augenmerk auf sich gezogen, und es haben
Regierungen, Parteien, InteresBeogruppen, öffentliche Meinung
usw. dieselbe beeinflußt, wiederum in sehr verschiedener
Weise. Schon die weitreichenden Interessen solcher ge-
waltiger Organisationen und ihrer Machthaber bringen es
mit sieh, daß so einfache Funktionen, wie wir sie brauchen,
schwer konstruiert werden können, und die Preisbildung
Tiel mehr unter dem Einflüsse nationaler und anderweitiger
politischer Verhältnisse steht, daß ganz andere Dinge 1)6'
stimmend und für den Beobachter interessant werden. Die
Krkl&rung für diese Preisbildung müßten auch wir, wenigstens
nun Teile, in nicht rein^k onomischen Momenten suchen,
luid es scheint tatsftchlich, daß unsere exakte Betrachtungs-
weise nnanwendbar wird. Manche Nationalökonomen halten
daraus auch ganz interessante Konsequenzen gezogen. So
W G^^OtAtv zur Behandlung der Eisenbahntarife die
Analogie mit der Besteuerung herangezogen, weil unter
diesem Gesichtspunkte sich ihm dieselben leichter zu er-
UlRQ Bdiienen und Acworth hat dem neuestens zum Teile
190 ^<^3 Problem des stktiachen Gloiehgewicktei.
zugestimmt. Obgleich wir diese AuffaBsung nicht teilen
kOnneD, &o muß doch zugeben werden, daß in Bolehen F&Uen
die Freisbildung so zu sagen von außen her in unser Sjatem
hineingestellt wird und aus demselben so ohne weiteres nicht
erklärt werden kann. Wir werden später noch mehr Ober
diesen Punkt sagen. Zu allen diesen Schwierigkeiten kommt
noch hinzu, daß hier die Preisbildung monopoliBtisch wird,
was fOr sich allein schon, wie wir sehen werden, unser
Problem schwieriger macht. Außerdem wird bei aolchen
großen Erscheinungen unser Interesse so sehr von andern
Punkten, als den formalen Gesetzen der Preisbildung, in
Anspruch genommen, von sozialen, entwicklungstheoretistdien
usw., daß die ersteren selbst dann wenig Beachtung finden,
wenn ihre Resultate besser passen. Der Gesichtspunkt
der sozialen Machtfaktoren also scheint hier unsere Be>
traclitutig ganz zu verdrängen.
Aber abgesehen davon gibt es noch andere Momente,
welche unsere Betrachtungsweise erschweren. Die Preise
weisen eine gewisse Beharrung auf und zwar auch dann,
wenn nach unseren Gesetzen eine Änderung erfolgen mOSte.
Das lehrt uns vor allem , daß andere Momente als die be-
trachteten hier wirken z. B. Gewohnheit, Sitte usw. Sehr
oft ist es der Fall, daß an gewissen Preisen festgehalten
wird, obgleich sich alle Verhältnisse ändern. Im Detail-
handel sind die Preise viel weniger empfindlich als im Groß-
handel. Eine andere Störungsursache ist, daß bei manchea
Waren ein Teil des Preises in der Form eines Gescheakes
gezahlt wird, auf das der Verkäufer rechnet und ohne das
der Preis ein anderer wäre. Diese Bestandteile des Preises
haben nun große Konstanz. Weitere Beispiele fOr diflM
allgemeinbekanuten Tatsachen anzufahren, wäre QberflQssig.
Wir lernen weiter aus diesen Tatsachen, daS in in-
selben Zeit und unter denselben VerhBltnissen doch -nr-
schiedene Preise fflr ein- und dasselbe Gut m&glieb ä.ti
und sich dauernd erhalten. Nun ist es aber, wie nod
später erörtert wird und schon gesagt wurde, von fondi-
ntentaler Bedeutung fttr unsere Theorie, daS sie eion
VoT&vgen sur Pniitheorie. \Ql
eiDdeutig bestimmten PreiB abzuleiten vermag. Trotzdem
wird in der gewüholieben Praxis innerhalb oft erheblicher
Grenzen ein Preis sich ebensogut erhalten, wie ein anderer.
Du lehrt ans, dafi die Marge nicht so gering ist, wie die
Theorie sie darstellt Diese Dinge pflegt man unter dem
Kamen gFriktionewiderBtHnde' zusammenzufassen , und es
wird dann behauptet, da6 diesen Dingen keine prinzipielle
Bedeutung zukomme. Nun kann man aber ruhig sagen,
d&B es sieh gewiS nicht um GröSen höherer Ordnung
liandelt, die man so einfach vernachlässigen könnte. Ea
hudelt sich vielmehr hier um wichtige, dauernde Momente,
weiche den Gang der Wirtschaft wesentlich beeinflussen und
wichtige Folgen zeitigen.
Endlich aber beobachten wir, da6 auch, wenn alles das
in Ordnung wäre, die Preisbildung eben nicht so vor sich
geht, wie die Theorie es angibt. Davon überzeugt man
>ich ganz leicht, wenn man die Obliche Weise der theo-
I fetiBchen Ableitung betrachtet, Mao sagt z. B. eine Preis-
erhöhung geht in der Weise vor sich, daß die schwächsten
Verkäufer wegfallen, dadurch das Angebot verringert und
so die Konkurrenz unter den Käufern schärfer wird, worauf
I lieh ein schiießliches Steigen des Preises ergibt. In der
Wirklichkeit sehen wir fast immer, daS die Preise steigen.
Weil die Verkäufer sie einfach erhöhen, wenn ein Anlaß
dazu vorliegt und oft mehr, als dieser Anlaß rechtfertigt.
Das ist die Auffassung des Alltages, deren Schwäche zu
Uhr auf der Hand liegt, um besonderer Darlegung zu
bedOrfen ; aber wir wollen nicht leugnen, daß ein ganz
kleiner Kern von W a h r h e i t darin liegt. Es ist das
Moment des „Preiskampfes", auf das Gegner der Theorie hier
Gewicht legen; und es kann nicht in Abrede gestellt werden,
daß dasselbe Elemente enthält, welche den Instrumenten
BDserer Theorie entschlüpfen, und daß diese Elemente viele
Erscheinungen am Preise zutreffend zu erklären geeignet
sind, ja die Basis für eine wesentlich andere Preistheorie
ftt^ben k&nnten.
Wenn man uns fragt: Was nützt es, Regeln abzuleiten.
192 Dm Problem de« «tatiMhen Oleiehgawieht«».
die immer Ausnabmeo erleiden und zvar solche, die dauernd
und wichtig und an sich interessant sind, interessanter mit-
unter, als jene Regeln selbst? — so können wir nicht nmhin,
dieser Frage einige Berechtigung zuzuerkennen. Manche
Theoretiker haben darauf geantwortet, daS die Theorie
einen Idealzustand der Wirklichkeit gegenfiberstelle und
auch, daß die wirtschaftliche Entwicklung einem solchen
Zustande zustrebe. Wflre das so, dann w&re es ja gut.
Aber es durfte nicht so sein. W i r betrachten das Bild,
das die Theorie entwirft, nicht als ein Ideal — es wSre
wohl schwer Dachzuweisen, daß es ein solches ist — und
wagen auch nicht zu behaupten, daß es das Ziel der Ent-
wicklung darstelle, erklärten vielmehr schon, dafi solche
Fragen besser ganz ausgeschaltet werden.
Wozu also ersetzen wir die Betrachtung der Wirklich-
keit durch eine so unbefriedigende Theorie? Alles, was
wir darauf antworten kdnnen, ist nur, dafi wir trotz alledem
glauben, rlaS ihre Resultate hinreichend grofie Be-
deutung haben, dafi sie einen erhebliehen, selbst sehr
erheblichen Teil des zu beschreibenden Gebietes decken und
sich, innerhalb von Grenzen, die man nie aus dem Auge
verlieren darf, recht gut bewähren. Und das kann meines
Erachtens nicht leicht in Abrede gestellt werden.
§ 2. Alle die Einwendungen, die wir eben besprachen,
lassen sich dahin ausdrOcken, dafi die „freie KoDkurrenz",
die von den Theoretikern vorausgesetzt werde, fast immer
in der Wirklichkeit fehle. Wir berühren damit einen Punkt,
der in der Geschichte der N'atioualOkonoraie eine groSe
UoUe gespielt hat, und an dem der Unterschied zwischen
unserem exakten Systeme und dem der Klassiker scharf
hervortritt.
Gewifi setzen auch wir in der Regel freie Konkorreni
voraus. Den näheren Inhalt dieser Annahme werden wir
noch genauer festsetzen. Aber wir sagen damit ranäcbst
nur, dafi wir eben den Preis bloß dort bestimmen wollen
und können, wo er nicht durch andere Einflösse, als dia
Vorfragen sar Prdstheori«. 193
hier betrachteteD, fixiert wird. Inwieweit das der Fall ist,
dämm kOmmern wir uns zunächst oieht.
Bei den Elassikem hingegen erscheint die Sache in
gaoz anderer Beleuchtung. Es wird auf eine ganz andere
ErseheinuDg das Hauptgewicht gelegt , nämlich auf das
„freie Spiel der wirtschaftlichen Krftfte". Gegenseitiges
Unterbieten — „Konkurrenzkampr' — Abhandeusein anderer
als wirtschaftlicher Motive, Seltotrerantwortung usw. wird
als der normale Zustand hingestellt, dem die Entwicklung
zustrebe. Das bedeutet einen bestimmten Zustßnd der
Volkswirtschaft, einen gewissen geistigen Habitus der wirt-
schaftenden Menschen.
und nun geht man einen Schritt weiter und bezeichnet
das als wünschenswert. Der Gedankengang ist klar, der
von da aus zur Forderung des laisser faire, des Freihandels
usw. fahrt. So wird die freie Konkurrenz zu einem Fosta-
late, um das sich eine Partei schart, und so wird die Öko-
nomie in einen Gegensatz zu jeder Art von regelnden Ein-
griffen,' zum Sozialismus jeder Fftrbung gebracht. Es wird
behauptet, daS die Konkurrenz zu einer besten Befriedigung
aller BedQrfnisse, zu einem idealen Zustande fahre. Beim
Mazimumprobleme kommen wir auf einen Punkt zu sprechen,
den wir hier Qbergehen. Aber es mufi dem Leser hier klar
gesagt werden, daß wir in diese Bahnen nicht folgen. Die
.Naturgesetze der Wirtschaft" fordern keineswegs die freie
Konknrrenz, haben keine Tendenz, sie herbeizu-
fahren. Man mag die Vor- und Nachteile der wirtschaft-
lieben Freiheit mit anderen Argumenten diskutieren; z. B.
kann man sagen, daß sie dem Individuum Spielraum für
grOSere Anstrengungen gibt, daß sie dasselbe zwingt, sein
1 Beates zu leisten und man mag darauf mit anderen ebenso
bekannten Argumenten entgegnen. Aber die reine Ökonomie
litt keinen Anteil daran. Sie „fordert" nichts, sie gibt
t keilten Maßstab für die Beurteilung der Natzlichkeit irgend-
t^iaer Organisationsform. Nicht besser kann man unsere
Hypothese mit dieser Forderung kontrastieren, als
wenn man die Äußerung eines hervorragenden Vertreters
t Seliiiap*t*r, NMionalakonomia. \'A
. 194 ^'^ Problwa det ■tatischen QMehgewiehtaa.
jener Gruppe voo NationiilOkonoBken hersDiieht, «rtAe in
Wissenschaft wie Politik jenem alten StaBdpnnkte trea ge-
blieben sind, der ÖkODOmeo des .Institut': ,. ..lenonde
^conomique est gouvernö . . . par des lois inmuables qni y
inaintieanent l'ordre et en asanrest l'existence et le proerts
. . . les obetacles, il faut les lerer, dötniiro les monopoles
naturels, n'en pas cr6er d'artifioiels et laiBser faiie." lan
ganzes Progamm der Sozial- und Wirtsehaftqnlitik liegt
in diesen 'Worten. Wir haben nicht« damit tn tun. Wir
sind uns bewußt, da& man auf jene Argumente entgegnen
kann, daß femer die Eutwiekluag die entgf^engeeetzte
Richtung einzuschlagen scheint. Und wir wttnaehen oder
bedauern das nicht. Unsere Gesetze haben nicht die höhere
Weihe, die ihnen oft gegeben wurde. Wohl sind sie in
gewissem Sinne uttabftnderlich, aber eben in einem anderen;
die reinwirtscbaftlichen Vorgänge lassM sich wohl immer
in stets gleichen Formeln beschreiben und diese dannlegeD
ist der Gegenstand unseres Studiums — aber die konkreten
Resultate derselben, sind durch die UmstUule bestimmt, so
wie auch das Werturteil daröber.
Angesichts der Tatsache, daß auoh die meisten modenken
Theoretiker es sich nicht versagen können, dw HTpotbese
noch etwas hinzuzufügen, ist es vor allem wichtig, hervor-
zuheben, daß man sie in der Gestalt, wie sie fOr unsere
Resultate wirklich nötig ist, von allem übrigen, mit dem
sie vermengt wird, trenneu kann. In der Tat, die reiB
theoretischen Resultate werden nicht alteriert, wenn man
diese Dinge einfach fortläßt; sie verschwind«! ganz von
selbst, wenn wir uns, unserer Ge|)flogenheit gemAfi, fragen.
was das im Kerne ist, was die Theoretiker tun; behatten
wir Dur die essentiellen Tunkte, so sehen wir, dafi in
ihnen nichts liegt, was auf jene anderen Probleme fQbre«
würde-
£3 wäre vielleicht besser, den Ausdruck „freie Kon-
kurrenz'', der sofort politische und soziale, etbisebe und
historische Vorstellungen wachruft und manchen sogleich
mifitrauisch macht, überhaupt zu vermeiden. Er briogt
VavfnigeB ini Preiatheofie. ]95 .
uDOÖtigarweiBe eine Sckwierigheit in Huserea 1\'eg. Jeden-
fjitla mofi msD sidi bewußt Ueibeo, daS wir hier nur
jenen ganz aidnen, ewgeHc^räBhten ^q danit verbinden
woll«n.
Venicbteo wir wirklich auf viel, wenn wir uns eise
solche Entsagung auferlegen? Vor allem verzichten wir auf
eine UntenBChug der Entwicklung der Organisations-
formen md der „treibenden Krfifte" der Volkswirtschaft
Das ist ja aber ein Gebiet, das vaaereB Methoden ohnehin
veraeUoeim ist, wie wir bereits assgefohrt haben und nicht
iriederheten walkn. Sodsom auf die Diskttseion der Vor-
und Machteile der freien Konkurrent als ainialer Wirt-
aebaftrform. Nun, ist es wirkUcb so schwer, auf jene immer
gleichen Argumente ftr ntkd wider zu verzichten, die gar
keine exakte Bebandlang ztkseea, deren Wttrdigung „ Anaichts-
sacbe", Qlier die Verständigung so gut wie ansgesehlosaen
ist, «eil jeder sicherlich bei dem bleibt, was seiner Anlage,
seiner sozialen und wirtschaftlichen Position entspricht V
'Es sdieint ans das zu jenen Dingen zu gehfiren, die man
vregen ihrer Wert1osi{^eit ruhig fortlassen kann, mag auch
ihre praktische Bedieotung eine große sein.
ITvterdrttcIning des Schwächeren, Schftdignng sozialen
Interesses durch rQcksichtslose „Schautzkonknrrenz" usw.
einerseits, Vorteile freier Betätigung andererseits — das
liegt ja alles auf d&t Hand. Eine allgemeine Diskussion
darüber kann kaum mehr als Banalitäten bringen. Das,
vras fOr uns wichtig ist, was allein wir brauchen, das ist
lediglieh jene Annahme als methodisches Hilfs-
mittel. Kur das ist die Rolle der freien Kon-
kurrenz im reinökonomischen Systeme der Zu-
kunft. Wflrde diese Ansicht Boden gewinnen, so würden
sehr fiele Urteile aber unsere Wissenschaft anders lauten
und' viele Gegner Terstummen, welche gegenwärtig mit
ihrer Opposition noch durchaus im Rechte sind.
Noch eine Bemerkung möchten wir machen: Die Hypo-
these (ter freien Konkurrenz deckt keinenwegs nur Vor-
gänge in einer entwickelten Verkehrswirtschaft. Freilich
196 ^'* Problem de* (tatiseheo Gleieligewiehtea.
ist sie auch hier nie ganz verwirklicht; aber sie kano auch
bei Betrachtung von manchen Vorgängen in Wirtschaften
angewendet werden, deren Organisation das gerade Gegenteil
von freier Konkurrenz zu involvieren scheint. Wenn Bauern
auf einem Frohnhofe Äpfel gegen Nüsse tauschten — ich
weifi atcht, ob ihnen auch das verboten war — , so besteht
bis zu einem gewissen Grade freie Konkurrenz zwischen
ihnen. Und selbst in der Wirtschaft eines Robinson kann
man sagen, daß zwischen den möglichen Verwendungen eines
Gutes etwas Ähnltcfaes besteht, wie „freie Eonkurreuz'.
Das in ihr liegende Prinzip ist also auch in einer verkehrs-
losen, etwa kommunistischen Wirtschaft nicht vOllig matt-
gesetzt, was nicht waDdemebmen kann und alles Paradoxe
verliert, wenn man es auf seinen exakten Inhalt beschränkt
und aus dem Kreise von Assoziationen loslOst, in dem es
aufzutreten püef^t.
Exakt ausgedrückt bedeutet dasselbe nichts anderes,
als das Abhandensein von Momenten, welche unser
System lAhmen oder unsere Aufmerksamkeit so
sehr an sich ziehen, daß seine Resultate ihr Interesse
dem gegenüber verlieren. Seine Funktion im Organismus
der reinen Theorie ist also eine vornehmlich negative :
Es behauptet nichts und fordert nichts, es scheidet nur ab,
was nicht hineingehört. So ist es also soweit nur ein
Isolierapparat und das ist so ziemlich alles, was ihm von
seiner einstigen Bedeutung bleibt
§ 3. Nun wollen wir in ganz ähnlicher Weise, wie es
soeben bezüglich der Hypothese der „freien Konkurreni'
geschah, einen andern Stein des Anstoßes beseitigen, der
auf der Bahn der reinen Theorie liegt. Wir meinen das
berühmte undberttcbtigte Max imumtbeorem. Der Theore-
tiker wird schuldig befunden des Verbrechens, behauptet
zu haben, daß das „freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte'
zu größtem Nutzen und Frommen aller Glieder der Volk»-
Wirtschaft führe, während es doch für so viele unerfreuliche
Erscheinungen des modernen Konkun'enzkampfes verant-
Vorfragen anr Preiatheorie. ]^97
wörtlich sei ; ferner, daß jeder EingritF in daeeelbe scbädlicli
and alle Vereuche, dem sozialen Elend abzuhelfen, das er
ttberdies durch seine „harmoDistische" Auffassung über-
tttnebe, notwendig ohnmächtig seien, ja das Übel nur ver-
Bchlimmern. Ist diese Anschuldigung richtig, so ist das
Behr bedenklich. Denn ganz abgesehen davon, ob der Theore-
tiker mit den ihm imputierten Behauptungen Recht bat
oder nicht, wird unsere Wissenschaft jedenfalls in eine
uferlose Diskussion verwickelt, genötigt, in dem Streite der
sozialen Parteien Stellung zu nehmen und anwissenschaft-
liehem Mißbrauche einerseits und lebhaftem Hasse anderer-
Kits ausgesetzt. Und sicherlich ist sie zum Teile richtig.
Wer kdnnte das leugnen angesichts der klaren Aussprache
lablloser NationalOkonomen , welche keinen Zweifel ge-
BtattenV Die Rettung liegt aber nicht in dem Nachweise
<ler Richtigkeit derselben, vielmehr möchte ich vor allem
hetonen, daß ich von ihrer Falschheit durchaus überzeugt
QDd der Ansicht bin, daß in ihrer Bekämpfung durch Histo-
riker und Sozialpolitiker ein großes Verdienst und ein Ge-
«inn fQr Wissenschaft wie Politik liegt. Soll unsere Theorie
nicht zusammenstQrzen, so muß sie von diesem brandigen
Cliede befreit d. h. es muß entweder nachgewieeen werden,
diB das Maximumtheorem nicht essentiell ist und ohne
Schaden für den Rest weggelassen oder daß es so formu-
liert werden kann, daß es nichts von all dem, was wir an-
gedeutet haben, behauptet. Das erstere ist nicht möglich —
vir können das Maximumtheorem nicht entbehren, wie wir
gleich sehen werden — wohl aber das letztere. Unsere
fbeorie selbst geht unschuldig aus dem ihr gemachten
Prozesse hervor, mag auch viele — die meisten — ihrer
Vertreter jenes Verdikt treffen.
Dabei sehen wir wiederum — wie so oft, wenn auch
"ieht immer — , daß die Kritik der (Jegner der Theorie
in weit geht Fast stets richtet sie sich entsprechend deren
luteresseukreise vor allem gegen gewisse praktische Konse-
quenzen und dringt gar nicht in die eigentliche Theorie
Bin, meint vielmehr, dieselbe zi^leich mit den erstetea
198 1^ Problem des ttatüehMi OlcMgewiehtes.
wtderiegt zu haben, ohne zu imtMBDChea, ob die BrOeke
zwischen Theorie und Praxis wirklich so fest ist. Das
heifit aber, das Kind mit dem Bade ausechattea und führt
meist zu allgemeinen Abnrteilnngen, auf veldie die Theore-
tiker leicht entgegnen können. Ihrerseits aber Terkenoen
oder übergehen diese das richtige Element der Kritik und
unterlassen es, die Autonomie der Theorie gegenüber jenen
Konklusionen zu betonen. So ist es oft schwer, Recht nod
Unrecht, welche sich auf beiden Seiten finden, zu scheiden.
Wenn man das aber sorgfältig tat, so löst sich die Sache
mit Leichtigkeit Freilich zeigt sich meist und auch hier,
daß dabei viel preisgegeben werden mu6. Auch unser
Maximumtbeorem ist, aa sich und soweit die Theorie seiner
benötigt, ganz einwandfrei, wie jedermann nach der folgenden
Darlegung zugeben wird. Aber sein praktischer Inhalt.
seine soziale Färbung und grofie wissenschaftJiehe Be-
deutung verschwindet dabei — es ist für uns methodo>
logisch wichtig, aber was es aassagt, ist nicht mehr.
als eine banale Selbstverständlichkeit.
Den Gleichgewichtszustand der ökonomischen Quanti-
täten zu beschreiben — und gewisse Variationen desselben —
ist das Problem der Ökonomie. Alle Tausehakte tendieren
danach, ihn zu realisieren, d. h. einen Znstand zu realisieren,
in dem keine Veränderung der Quantitäten mehr erfolgt,
der sich daher zu erhalten strebt und deshalb besonders
interessant ist. Und in diesem Zustande, in dem die Tausch-
akte aufhören, müssen uns unsere Funktionen, welche elien
die Beschreibung der VerAnderungen zum alleinigen Zwecke
haben, für weitere Veränderungen die Größe Null ergeben.
Dadurch ist der Gleichgewichtszustand definiert und deshalb
heißt es so. Und die Differenzialrechnnng lehrt uns, daß
an dieser Stelle, an der gewisse Differenzialqnotienten,
welche eben das Maß der Veränderungen darstellen, gleich
der Null sind, verschwinden, gewisse Funktionen —
das sind in unserem Falle die Wertfunktionen — einen
Maximalwert annehmen. Das ist eine Tatsache, die vno
jeder Interpretation dieser Funktionen unabhängig ist: Das
iofhören weiterer Tauschakte d. h. VerJbideniDgeii in den
OkonomisclMii QoantiULten, und das Maximumwerden der
f^oktioaen istgleicbbedeatend, und der Oleichgevichts-
zastand kann ebenso durch das erstere, wie durch das
letztere Moment charakterisiert werden. Im ersterm Falle
können wir ihn als den Rubezastand, im letzteren als den
MaximumzuBtand bezeichnen: Beide Ausdrucke besagen
danelbe, sind synonym. Das ist nnser Prinzip; alles :
weitere dient nur seiner Erlfiutening.
Der exakte Inhalt des Maxiniumtheoremes, der Kern
allee dessen, was Ober dieses Tielumstrittene Problem jemals
gesagt wurde, ist also nichts anderes, als dieser Satz: Im
Gleichgewichtszustände liegt keine Tendenz zu
weiteren Verftnderungen vor. Und die Rotte, die
dieser Satz spielt in der Theorie, ist lediglich die, den
Gleichgewichtszustand, also das, was zu untersuchen unsere
Hauptaufgabe ist, zu definieren und sodann, uns zur
Feststellung jenes Preises zu helfen, welcher be-
stehen muS, wenn Gleichgewicht herrschen soll.
Für diesen letzteren Zweck ist unser Theorem aller-
dings unentbehrlich. Ohne dasselbe könnten wir den
Gleichgewichtspreis nicht bestimmen. Daß die gekauften
and verkauften Mengen eines Gutes einander gleich
seien, ist die eine Bedingung fOr sein Bestehen. Aber
sie trifft fQr jeden Preis zu. Um aus den unendlich
vielen möglichen den uns interessierenden Gleich-
gewichts preis herauszugreifen , niUssen wir eben zum
Ausdrucke bringen, daB er und die unter seiner Herrschaft
sieh ergebende GOterverteilung sich zu erhalten streben,
d. fa., dafi die weitere Veränderungen zum Ausdrucke
bringenden Symbole zu Null werden. Unter welchen Be-
dingungen das letztere geschieht und oh nur einer oder
mehrere solcher Gleich gewichtspreise in einem gegebenen
Zeitpunkte und für ein gegebenes Gut bestehen können,
sind dann weitere Fragen, die uns hier nicht bertlhren.
Damit haben wir die uns beschäftigende Frage l>eant-
'*ortet: Das Maximumtbeorem drtlckt das Abhandenaein
200 D» Problen dea itetüAea OkM^gcvicktM.
TOD TendenzeD zd Vertadenuigeii in Dnaerem Sptem ans
und ist im WeseDÜiehra eine BestimmaDgBgleichong
zur Flxiemiig des GleichgewiehtszoBtaDdes desnlben. Alles
übrige daran ist fOr die Theorie nnveseatlich
und das tiefe soziale Problem, das damit in Verbindung
gebracht «urde, berührt dieselbe nicht FOhrra wir das
Qocb weiter ans.
Vor allem wollen wir uns unser Resultat anschaulicher
machen, indem wir uns einer popul&ren Ausdmeksweise be<
dieuen. Wir sagen von einer Wirtschaft, dafi sie sieh im
Gleichgewichte befinde, wenn ihr Subjekt beine weiteren
Tauschakte — erinnern wir uns, daB wir darunter jede
wirtschaftliche Handlung verstehen und darunter wiederum
nur gewollte Veränderungen an den in seinem Besitze be-
findlichen Gütermengen, wobei wir Arbeitsleistungen als
Verminderungen des Besitzes an Arbeit auffassen — vor-
Dimmt, weil es seine Lage oder seine BedQrfnisbefriediguDg
durch solche nicht mehr erhöhen könnte. Und wir inter-
essieren uns für diesen Zustand deshalb, weil jedermann
ihm vemanftigerweise zustrebt — an strenge Korrektheit
sind wir ja in diesem Momente nicht gebunden — und des-
halb dieser Zustaud, wenn nichts AufiergewAhnliches ge-
schieht, im allgemeinen erreicht werden und sich zu ei^
Imlten streben wird, während alte anderen Zustande als
bloße DurchgaugBstndien auf dem Wege zu diesem einen
Iwtrachtet werden können und keine solche Tendenz zur
Beharrung aufweisen. Die Wirtschaftssubjekte tauschen
deshalb, weil sie die Gfiter, die sie eintauschen, mehr brauchen,
als jene, welche sie dafür herzugeben haben und sie daher
von dem Tausche einen Vorteil haben. Aber jedermann
weiö, daß früher oder später der Punkt erreicht wird, an
dem man neuen Erwerb nicht mehr verlangt, als weiteren
Verlust schmerzlich empfindet, an dem mithin der Tauseh
keinen Vorteil mehr und vielleicht sogar Nachteil bringt
und man daher zu tauschen aufhört, also jenes .Gleich-
gewicht" erreicht ist. Wenn wir die tauschenden Individueo
)>eobachten, so können wir ans zwei Fragen stellen. Ist der
Tor&ngen cor Preistheorie. 201
Preis, EU dem jemand tauscht, irgendvie fixiert, so werden
wir fragen, wieviel das Individuum eintauschen wird. Das-
selbe wird antworten: Ich werde eine solche Menge kaufen,
als mir .für mein Geld steht". Unsere weitere Aufgabe
besteht dann darin, festzustellen, welche Menge das ist, ab«r
das tun wir eben, indem wir fortschreitend immer weitere
Mengen herausgreifen und jedesmal dem Individuum vor-
halten: .Steht dir diese Menge noch für dein Geld?" Und
sobald wir ein Nein zur Antwort bekommen haben, ist
DDsere Neugierde befriedigt, und es erübrigt nur noch,
wenn wir können, eine allgemeine Regel aufzustellen, wann
die Individuen sich befriedigt zu erklären pflegen —
immer: bei diesem gegebenen Preise. Die Weigerung
der Individuen, einen weiteren Erwerb vorzunehmen, welche
eben die Erreichung des Gleichgewichtszustandes bedeutet,
hilft uns also zugleich, diesen Zustand und die Bedingungen
seines Eintretens festzustellen. Ist aber der Preis nicht fix
Eondem soll er sich erst auf dem Markte herstellen, so wird
unser Interesse naturgemäß zunächst der Frage gelten,
welcher Preis das sein wird: Haben wir sie beantwortet,
so ist dieser Fall auf den ersten zurückgeführt. Nun, wenn
dieser Preis des Interesses wert sein soll, so muß er einige
Behaming aufweisen und das kann er nur dann, wenn ihn,
unter den gegebenen VerhältnisseQ, niemand unter- oder
Qberbieten kann, ohne sich selbst zu schaden — wenigstens
oamittelbar; die weiteren Folgen mögen ja für ihn vorteil-
haft sein, berühren uns aber hier nicht — d. h. ohne ent-
weder fOr ein Gut mehr zu zahlen, als es ihm „wert" ist
oder weniger dafür zu erhalten, als es ihm wert ist. Es ist das
femer jener Preis, bei dem sich auch niemand lediglich
lum Nachteile eines anderen vom Tausche fern-
halten kann, ohne selbst — wiederum: unmittelbar —
einen Nachteil zu erleiden. Das ist der Gleichgewichtspreis.
\her welcher von allen den Preisen, bei denen tkberhaupt
getauscht wQrde, ist es? Wiederum können wir nicht anders
vorgehen, als zu sehen, bei welchem Preise das der Fall ist,
und welcher solche Mengen mit Vorteil auszutauschen ge-
202 Du Problem doi ttstnehaB OMAgewiehtoa.
Stattet, dafi niemanti geoeigt ist, ihn dmch weitere Kach-
frage biaaubutreibeo oder dnrch weiteras Aagebot herab-
zadrttcken. Man hat gesagt, daS das jener sei, bei dem
die Nachfrage gleich dem Angebote, prixner die TU-langte
nnd die angebotene Menge eines Guts einander gleich seien.
Aber das würde ia nur dann aasreichen, wenn wir schon
etwas Ober diese beiden Gr&Sea wOßt» , sonst ist daa ane
Gleichung zwischen zwei Unbekannten. Gegeben ist uds
nur die vorhandene Menge der Goter und wieviel da\-OD
angeboten und von Wirtschaflssatqektan, welche nicbta oder
nicht genug davon besitzen, verlangt werden wird, mufi ge-
funden werden. Die bloße Gleiehlräit beider Mengen reicht
dazu nicht aus. Und die fehlende Bestimmung gibt eben
das Maximumtheorem: erstens mflssen jene Mengen gleich
sein und zweitens darf, «enn sie zu jenem Preise aus-
getauscht sind, keine weitere Kachfrage und kein weiteres
Angebot hervortreten. Der Gleichgewichtspreis muß gerade
soviel Umsatz vorteilhaft erscheinen lassen, daß .Kftufer'
und „Verkäufer" bei ihm stehen bleiben: Eben dadurch
unterscheidet er sich von anderen Preisen und das ist der
Inhalt unseres Theoremes. Wir wollen, um Mißveistftndnissen
vorzubeugen, ausdrücklich sagen, daß wir keineswegs glauben,
damit eine wesentliche Korrektur an der Formel .Angebot
gleich Nachfrage" angebracht zu haben. Sicherlich hat
J. St. Mill, als er sie aufstellte, ganz dasselbe gemeint wie
wir und bloß die beiden Bedingungen, die zum Gleichgewicht
nOtig sind, nicht ausdrQcklich geschieden. Es schien ihm
das wohl QberllQssig zu sein, aber gemeint hat er mit
jener Formel beide. Auch reicht diese Ausdrucksweise im
allgemeinen durchaus hin, nur hat sie den Nachteil, den
Zusammenhang des Gleich gewiclilsprobleioes mit dem
Maximumtfaeoreuie nicht ins Licht zu setzen und so den
Weg zu verbarrikadieren, der zu klarem Verst&ndnisse
beider ftthrt.
Eine andere Erläuterung den Wesens und der Rolle des
.Maxim umtheoremes kann man gewinnen, wenn sein Wesro
und seine Rolle in anderen Disziplinen betrachtet wird. Da^
]~' ■ ""'1
VarficageB zur Preistheorie. 203
hat naUrlich nur fOr seine formale !Natar Bedeutung und
hat mit eiaer materiellea Anlehnung an dieselben nichts zu
tun. Auch heifit das nicht, dafi das Maximumtheorem ein
ans fremden Wissensgebieten herbeigesogenes Instrument sei,
das auf unser GeUet vielleicht nicht passen könnte ; lediglich
ein erliutemdes Beispiel wollen wir heranziehen. Wir
wAhlen dajEU das der Mechanik, aber nicht, weil dieselbe
der Ökonomie irgendwie verwandt sei, sondern weil sie am
sorgfältigsten ausgearbeitet ist. Sdbst wenn ein „biologisches
Gleichgewicht*' mehr mit unserer Wissenschaft zu tun hAtte —
eine Frage, die wir hier weder diskutieren noch präjudi-
zieren — könnten wir uns das erlauben, ebenso wie man
eine logische Kegel im allgemeinen auf einem beliebigen
Gebiete demonstrieren kann.
Nun, ein Körper befindet sich im Gleichgewichte, wenn
er sich nach keiner Richtung — oder in bezug auf keinen
anderen — bewegt. Dieser Satz ist, so wenig wertvoll und
so selbstverständlich er aussieht, von erheblicher Bedeutung
und sein mathematischer Ausdruck definiert nicht nur,
sondern bestimmt auch die Gleichgewichtslage. Dieser
Ausdruck sagt, aus der Sprache der Symbole Übersetzt, daB
die Summe aller Zuwächse an Bewegungen oder aller Be-
schleunigungen im Gleichgewichtszustande gleich Null sei.
Und dafi heifit wiederum, dafi alle diese Bewegungen be-
schreibenden Funktionen, populär „Kräfte'' genannt, in diesem
Punkte einen Maximalwert annehmen. Wenn das der Fall
ist, so geschieht nichts mit dem Körper oder in dem
Systeme von Mässenpunkten , den oder die man betrachtet:
Sie befinden sich in Ruhe. Solange ihnen nicht irgendwie
eine neue Beschleunigung erteilt wird, bleiben sie in
Ruhe, in ihnen selbst liegt keine Tendenz zu irgendeiner
Störung dieses Zustandes, zu einer Lageveränderuug. Jedes
System von Massenpunkten ,,strebt einem solchen Zustande
zu*' und deshalb ist seine Untersuchung und die Angabe
der Bedingungen seines Eintretens von besonderem Interesse.
Ja die ganze Welt der Erscheinungen hat ein solches
^Streben nach einem bestimmten Zustande'' und deshalb
204 ^*B Problem des Blatüchen Gleichgewichtes.
kann man alle Vorg&nge unter eine allesumfassende Formel
bringen , welche eben die Existenz eines solchen Kam Aus-
drucke bringt. Ich denke an Machs Ausdruck f(x, */,!!• ■)=(>.
Überall ist die Stellung und wesentliche Bedeutung des
Maximumtheoremes dieselbe und sein mathematischer Ans-
druck gleichlautend — immer ist es eine Bestimmongs-
gleichung, deren Inhalt eine SelbstverstAndHchkeit und an
sich ohne Interesse, wenn auch als Glied in der Kette des
wissenschaftlichen Gedankenganges unentbehrlich ist
Jedoch sind wir noch nicht zu Ende mit dem, was wir
zu sagen haben. Wir haben allerdings gesagt, daß wir mit
der Maximumtheorie im Sinne der Individualisten und
Marmonieten nichts zu tun haben wollen und gezeigt, worin
der exakte Inhalt und das, was daran fUr die Theorie
essentiell ist, besteht, auch, daß das sicher einwandfrei ist.
Aber besteht wirklich keine Brücke zwischen beiden V Ganz
gewiß scheint eine solche zu bestehen, und sie mag im
Laufe des Gesf^en dem Leser sehr wohl aufgefallen «ein:
Allerdings machen wir keinen ungebührlichen Gebrauch von
unserem Theoreme, geben kein Werturteil über den Gleich-
gewichtszustand ab, denken vor allem nicht daran, ihn als
n wünschenswert" zu bezeichnen oder seine Herbeifühmi^
zu fordern; auch vermeiden wir es, in die Psyche des
Menschen, seine Bedürfnisse und Motive einzugehen usw.;
der Leser kann wohl darüber beruhigt sein, dafi in dieser
Sichtung ein Verstoß unsererseits nicht zu befQicbten ist;
aber sprechen wir nicht doch von Maximum? Wenn wir
hervorgehoben haben, daß das Wesentliche daran das Ab-
handensein von Veränderungen — Charakterisierung des
Ruhezustandes — ist, so ändert das doch nichts daran, dafi,
wie wir selbst betonten, eben dieser Ruhezustand mit einem
Maximumwerte unserer Funktionen koinzidiere. Freilich
sagten wir, daß der Charakter der letzteren ein lediglich
formaler und es für ihr Wesen gleichgültig sei, wie wir sie
interpretieren, aber tatsächlich haben wir sie doch Wert-
fuuktionen genannt, sind sie mit den Wertskalen des psycho-
Jogiseben Ökonomen ihrer Gestalt nach identisch, und alle
Voift«geii «nr PreiBtheorie. 205
unsere erkenntnistbeoretisehen Barrikaden werden uns nicht
davor scb&tzen, daS man unser Maximumtheorem so aas-
drhcken wird: Im Gleichgewichtszustande erhält jeder'
Taoachende ein Maximum an Wert oder wohl gar an „Be-
friedigung''. Und das ist jene Formulierung, welche mau
als die Obliche bezeichnen kann. Ich verzichte nun um so
mehr darauf, hier auf meinem prinzipiellen Standpunkte zu
bnteben, als ich weiter zu zeigen wnuBche, daß auch die
psfchologiBche Formulierung des Theoremes, also jene Form
desselben, der man in der modernen theoretischen Literatur
1>^gnet — wohl zu unterscheiden von der der Harmonisteo-
gnippe — , in der hier besprochenen Beziehung an sich ein-
■udfrei ist, was allerdings nicht ausschliefit, daß manche
I daran geknßpfte Betrachtungen Ober das Gebiet reiner
Theorie hinausgehen mögen nod soweit unhaltbar sind.
Die Rolle des Theoremes der Theorie wird durch jene For-
mnlierung nicht geändert, so daß wir wiederum nichts taten,
ilt den exakten Kern dessen zu präzisieren, was alle mo-
dernen Ökonomen tun.
Wie steht also die Sache denn eigentlich , wenn wir
jene Formulierung unseres Theoremes akzeptieren V Be-
haupten wir damit nicht doch, daß jenes Gleichgewicht, das
bei freier Konkurrenz zustande komme , zu dem größt-
möglichen Mutzen fUr alle Glieder der Volkswirtschaft führe V
Vor allem ließe sich sagen, daß Wert und Bedürfnis-
befriedigung im Sinne der Psychologen ja nicht dasselbe
sei und sehr wohl die Maxima beider ansei oanderfallen
können. Maximum an Wert bedeutet nicht Maximum au
virtschaftlicbem Wohlergehen. Das haben die Führer der
psychologischen Richtung hinlänglich auseinandergesetzt und
teil wir dieser Betrachtungsweise nicht ganz zustimmen, so
halten wir uns bei diesem Argumente nicht weiter auf.
Aber eine andere Erwägung kann — ebenfalls nur
prima vista und vorbereitend — jener Frage entgegengehallen
werden. Kehmen wir an, daß irgendeine Macht den „Preis"
eines Gutes willkürlich fixiere und zwar so, daß er nicht
Biit dem Gleichgewichtspreise zusammenfalle. Auch dann
206 I>» Problem d«* •tadsAen OMabgeiriebtei.
wird, wenn ftberfaaapt au diesem Preis» gsUwcbt wird, nach
eiser gewissen Anaafal tod Tauschaktem ein Gtaichgewichts-
zustand cantreten. Und dieser «itsprtckt im Simte des
froher Gesagten eWttfalls einem Maxirnnm. Wir kAaaen
uns TorBtel>eD , daß dec Preis in einer fOr alle oder einen
Teil der Taaschendeo b&cbat nnTorteilhftfteD Weise iiiert
sei nad doch werden wir von einem „Maximam der Befriedi-
gung" sprechen. Hier ist es klar, daft wir diesen Zwtaad
nicht als ideal betrachten and in welchem Smne jenes
„Maximum" gmneint ist: Es wird jener Grad der Bedarfsis-
befriediginifr erreicht, der bei diesem Preise m&Klieli
ist, und das ist nicht mehr als seftstTerstAndltch, und
auch nicht mehr, als wir früher sagten, nftmlicfa die
Chankterisiemng des RubeniBtMide& Gewiss ist damit
unser Theorem noch nicht gerettet, da noch immer die Be-
hauptung m&glich wilre, daß der Gleidigewiditspreis ein
größeres, ein absolutes Maximum der Befriedignag ge-
statte. Aber wir sehen nui den Punkt, auf wetdien alles
ankommt, nämlich die Voraussetzungen, unter denen das
Zustandekommen jenes Maximnmzuslandes behanptet wird.
Und nun die Hauptsache.
Betrachten wir zua&chst ein isoliertes Wirtschaftsaubjekt.
Seine Wirtschaft wird einem GteicbgewicbtsiOBtande zn-
Etrebeo, in dem die Grenzmengen seiner Gflter ia festem
Verhältnisse zaeinander stehen werden, die wir in unserem
Sinne ^Preise" nennen können. Und da in diesem Zustande keilte
Tendenz zu einer Änderung besteht, so werden wir sagen,
das ein Wertmaximum vorliege. Der psychologische Natienal-
ökonom, der in die Seele unseres Subjektes sehen lu ktaaen
glaubt, wird konstatieren, daß dasselbe seine prodoktir«!
Mittel in der „ vorteil haftesten" Weise verteilt und die
größtmöglichst« Befriedigung erzielt habe. Wir wissen nichts
Näheres tkber dieses Maximum, das nach Rasse, Kulturstufe.
individueller Anlage verschieden ist und auf verschiedene
Weise erreicht wird. Die Tatsache aber, daß ein Maximum
%'ortiegt. ist sicher, wenn nicht etwa der Wirtsehaft^lan
miSlungen ist: Denn sonst wQrde unser Mann seine wirt-
Yorfirageii snr Pveistheorie. 207
schaflliehe Lage eben zu verändern suchen. Aber ist dieses
Maximum ein „absolutes"' ? Wird jene Befriedigung erreiekt^
welcher das IttdiTiduuiL überhaupt fkhig ist ? Sieherlieh nicht ;
die auf der Hand liegende Einschränkung ist in den Daten
unseres SystMKS gegeben : Sidberlich wird die gröfltMögliche
Befriedigung erreM^, aber eben nur jene, die unter den
gegebenen Verhältnissen möglich ist. Diese sind,
wie bekannt: Äufiare Natur, Technik, Güter Vorräte am
Beginne des Wirtsclnftsprozesses und dergleichen mehr.
Alles waa unser Theorem fordert, ist also, dafi jedermann
sich setnem Geschmacke aadi so gut einrichte, als es die
VerhältnisBe gestatten. Gewifi ein einwandfreier Satz, den
wir ahrigena von uuetem speziellen Standpunkte aus noch
korrekter und einwandfreier formulieren könnten;. Doch
genug davon: Auch die gewöhnliche Form des Maximum-
titeoremes enthält in diesem Punkte nachts Falsches^ und ich
glaube nicht, dafi über denselben eine Meinuagsverschieden-
heit besteht. Die Sache ist für den Ökon<Hnen, der von
unseren erkenntnistheoretischen Bedenken frei ist, auch bei
dieser Formulierung klar, ja selbstverständlich.
Die Zweifel beginnen erst in der Yerkehrswirtschaft.
Sicherlich trägt jeder Tauschakt, der ja stets durch freie
L^bereinkunft zustandekommt^ auch hier zur Erhöhung der
,.Befriediguag'' aller Teile bei, sonst käme er eben nicht
zustande. Und angehört wird — der Gleichgewichtszustand
tritt ein — , weil beide sich gegenüberstehende Parteien
glauben, dafi eine Fortsetzung des Tauschens ihnen bei
diesem Pveiae keinen Vorteil brächte und das heifit, dafi
sie allen erreichbaren Vorteil erzielt zu haben meinen, dafi
der letztere ein Maximum ist. Aber es ist nach dem Ge-
sagten nicht schwer, den wahren Sinn und die Grenzen
dieses Satzes anzugeben, worauf jene Zweifel von selbst
versehwinden.
Er gilt ja nur unter auf der Hand liegenden Voraus-
setzungen. Sicherlich können wir auch für die Verkehrs-
wirtschaft sagen — unter wohlbekannten Reserven — , dafi
jedermann sich, unter gegebenen Verhältnissen, in ver-
208 I^u Problem dea «tatiaehen OWekgewicbtM.
sefaiedeoer Weise eiDiiehtea kann, welche zu verschied«)
großen „BefriedigODgen" fahren, und unter velefaeD eben
jene, welche dem Gleichgewichtfznstande entspricht, zn der
größten fohrt; ebenso, daß im allgemeinen jedermann sich
unter gegebenen Verhältnissen so gnt als mt^lich einzu-
richten sucht und deshalb eine Tendenx besteht, jenen
Gleichgewichtszustand herbeizuführen. Aber welchen Hinder-
nissen begegnet dieses Streben V Vor allem natttriich den-
selben, wie in der isolierten Wirtschaft: der Begrenztheit
der nattirlicben Möglichkeiten — das wird niemand an-
zweifeln wollen. Sodann aber haben wir hier, was dort
nicht nötig war, eine gegebene soziale Organisation anzu-
nehmen, und dafi auch diese eine Voraussetzung bildet, in-
bezug auf welche unser Theorem verstanden werden muß,
wurde zwar oft nicht hervorgehoben, wird aber, wenigstens
heute, ebenfalls nicht bestritten werden. Doch gibt es noch
eine dritte Voraussetzung, nftmlich den Preis, den Gleich-
gewicbtspreia selbst: Ersichtlich kann jedermann nur jene
Befriedigung erreichen, welche bei diesem Preise — Tausch-
verhftltnisse — möglich ist.
Das nun ist weniger allgemein anerkannt. Der Grund
daffir, warum der Mehrzahl der Nationalökonomen dieses
Moment zu entgehen scheint, dttrfte in dem Umstände
liegen, daß ja dieser Preis, ein Produkt des allgemeinen
Strebens nach dem Maximum der Befriedigung, gewisser-
maßen die Garantie bietet, daß er dasselbe auch ver-
wirkliche.
Darauf laßt sieh jedoch vor alleoi entgegnen, daß jeder-
mann nur nach dem Maximum seiner Befriedigung strebt —
mitchen wir uns fUr den Augenblick diese Betrachtungsweise
zu eigen, welche, wie der Leser weiß, nicht völlig die unsere,
wohl aber die so gut wie aller anderen Natiooalökonomen
ist ~ und daher das Resultat dieser Einzelbestrebungen
keineswegs notwendig das für alle vorteilhafteste sei.
Man ist sich nicht darüber klar, daß das letztere erst eines
besonderen Beweises bedurfte. Aber darauf ließe sich
manches antworten. Gehen wir also etwas tiefer. Wovon
aK^^c«^
Vorfragen mr Preistheorie. 209
hängt jener Preis ab? Gewifi zum Teile von den „Bedürfhis-
skaien*; aber ebenso gewifi von den Gütermengen, die jeder-
mann vor dem Tausche besitzt und anzubieten hat: Die
Grenznutzen, aus denen die Preise sich ergeben, sind, wie
wir wissen, das Resultat sowohl der Wertfunktion wie der
besessenen Menge. Und da sind wir bei dem sprin-
genden Punkte: Das Maximum, das der Gleichgewichts-
zustand verwirklicht, hängt ab von der vorherigen Verteilung
aller Genufi- wie Produktionsgüter, die uns gegeben sein
mufi; nur jenes Maximum kann erreicht werden, das auf
Grund derselben durch freien Tausch erzielt werden kann.
Das bringt nun sofort Licht in gewisse zweifelhafte
Punkte, auf die niemals hinreichend eingegangen wurde,
so groB die Rolle war, die sie in der Diskussion spielten.
Ein .Hungerlohn'' soll eventuell das Maximum der Be-
friedigung sein, das ein Arbeiter erreichen kann? Wenn
ein solcher dem Gleichgewichtszustande entspricht, so soll der
Arbeiter nie auf etwas anderes hoffen dürfen ? Wie oft hat
man der Theorie das entgegengehalten! Aber die Antwort
ist einfach : Gewifi, durch freien Tausch und auf Grund der
gegebenen Güterverteilung wird unser Arbeiter nicht mehr
erlangen, als dem Gleichgewichtszustande entspricht und das,
was er erlangt, mag es ihn auch kaum vor dem Verhungern
schützen, gibt ihm jenes Maximum der Befriedigung, ist
das Beste, was er erreichen kann — auf diese Art und
unter jenen Bedingungen. Die Behauptung, welche
man so oft als Unsinn bezeichnete, verliert alles Paradoxe.
Freilich wurde oft viel mehr damit gemeint und jene Be-
dingtheit übersehen, oft gerade dann, wenn wichtige Schlüsse
für die Praxis daraus gezogen wurden: Nun, das ist un-
haltbar und jene Schlüsse sind falsch — da haben die
Gegner Recht.
Und jeder Eingriff in jenen Gleichgewichtszustand soll
schädlich sein und die Gesamtbefriedigung veriingem? Die
Antwort lautet bejahend — unter jenen Voraussetz-
ungen: Wird z. B., ohne dafi sich irgend etwas sonst
ändert, ohne besonders, dafi eine Entwicklung irgendwelcher
Sehumpeter, KationftlOkonomie. \^
210 I^ Problem des sUtiaclieu GIdebgnrichtes.
Art dadurch bervorgenifen wird, der Preis eines Gutes z. B.
durch eiue Taxe Ober den Gleicbgewichtspreis erhöht,
so ist die unmittelbare wirtschaftliche Folge sicher nur die,
daß eine Reihe von Tauschakten verhindert wird, welche
mit Vorteil abgeschloBsen werden köODten und es Iftßt sich
exakt zeigen, daß dieser Nachteil nnd der, welchen die
„Käufer", welche auch zatn hdberen Preise kaufen, erleiden,
gr&fier ist, als der Gewinn, den die . Verkäufer* an der doch
und mit hfiberem Gewinne verkauften Menge erzielen. In
diesem Sinne ist z. B. die Fixierung eines Maximalarbeits-
tages „schädlich". Aber derselbe mag eine Notwendigkeit
fQr die Entwicklung der Rasse sein, er mag zu technischen
Fortschritten fuhren, er mag bewirken, daß in der kürzeren
Zeit ebensoviel und mehr geleistet wird, al» in der längeren.
Alles das widerspricht dem Maximumtheoreme gar nicht,
wenn man es nur richtig auffaßt. Von den außerwirtschaft-
licben Momenten sieht es ab und die Entwicklungsmöglicb-
keiten betrachtet es nicht. Man kann sagen, daß das gerade
die entscheidenden Punkte sind und unser Theorem so jede
praktische Bedeutung verliert; aber das sagen wir ja
selbst, und worin seine theoretische besteht, haben wir
oben auseinandergesetzt. Wohl kann man es auch anders
begrttoden z. B. durch die Hypothese, daß die freie Be-
tätigung zur höchsten Leistung fahre usw. und dann ge-
winnt es höhere Bedeutung; aber dann fällt es ans dem
Gebiete der Theorie heraus, welche solche Behauptungen
weder zu begründen, noch für ihre eigenen Resultate weiter
zu verwerten vermag.
So ist auch fQr die „Verkehrswirtschaft" unser Theorem
.richtig", sogar im Grunde genommen selbstverstAndlieb;
man kann sagen, daß es soweit richtig ist, als
es selbstverständlich ist. Und das ist denn auch
das Resultat, das wir auszusprechen haben: Man vertraue
der Maximumtheorie, soweit sie handgreiflich
wahr ist und nichts besonders Interessantes
sagt — , aber man mißtraue ihr, wo sie mehr be-
hauptet, wo sie mehr sein will als eine Be-
Vorfragen znt Preiatlieorie. 211
stimmangfigleicbuiig! Wir gewinnen etwas mit dieser
Erkenntnis, so melacctiolisch sie auch klingt: Sielehrtuns,
das das Gebäude der Ökonomie frei ist von einem Mangel,
den viele fflr tOtlich hielten. Und wir verziehten mit ihr '
keineswegs auf viel; Was wQrde es notzen, mit einem ein-
gebildeten Beichtume weiter zu wirtschaften? All die Sozial-
philosophie, die auf das Masimumtheorem aufgebaut wurde,
ist ja doch wohl wenig wert.
Wir sind am Ende unserer Ausführungen; nur zwei
Bemerkungen wollen wir noch machen.
Zonftchst sind wir nunmehr imstande, den Unterschied
zwischen jenen beiden Auffassungen des Maximuiiitheoretneä
ganz scharf zu präzisieren. Abgesehen von anderen Vor-
aussetzungen basiert dasselbe auf der Annahme eines be-
stinunten ursprünglichen Verteilungszustandes aller GQter
— auch der Genu6gttter, da, wie man sich leicht überzeugt
und wie auch schon ausgeführt wurde, die Resultate des
WirtschaftBprozesses selbst bei gegebenen Mengen und ge-
gebenem Verteilungszustande der Produktivgüter noch sehr
verscbiedeiie sein können je nach Art, Menge und Verteilung
der an seinem Beginne und während seines Verlaufes vor-
handenen GenuSgüter. Ob aber diese Verteilung selbst,
welche ein Datum unseres Problemes bildet, wiederum ihrer-
seits unter der Herrschaft irgendeiner Maximumbedingung
zustande kam, ist eine ganz andere Frage, and eine weitere
Frage ist dann, welcher Natur dieselbe ist, wenn vorhanden.
Während man früher nun diese beiden verschiedenen Maxi-
-momprobleme zusammenwarf und gelOst zu haben glaubte,
wenn man das erstere gelöst batte, so scheiden wir sie
streng und sehen von einer Untersuchung des letzteren, das
in die Soziologie und Geschichte hineinführt, ab. Wir
glauben, daß diese Scheidung unsere Kontro-
verse löst und zu klarer Beurteilung der Argumente
beider Parteien ausreicht. Sie macht den zum Teile geradezu
lächerlichen MiBverständuissen, denen die Theorie begegnete,
und den zum Teile ebenso lächerlichen Prätensionen mancher
Theoretiker ein Ende und läfit die Demarkationslinie
212 Du Problem dea itaüaebea GMehgowichtM.
zwisehen Becht aod Unrecht auf beiden Seiten kl&r ber-
vortreten.
Endlieh mu8 auf einen letzten Ponkt hingewieBen verden :
■- es ist der streng statische Charakter anaerea Theoreraes.
Wir haben gesehen, vas es alles TOraossetzt, am richtig zu
sein, und speziell hervorgehoben, da6 es bei ErscheinuDgen
der Entwicklung versagt, als wir das Beispiel vom Maximal-
arbeitstage erw&hnten. Es bat seinen Sinn nur im statischen
Systeme und auf der Basis eines in allen wesentlichen
Punkten feststehenden , nnverSnderlichen wirtschaftlichen
Zostandes. Aber verstehe man mich recht. Ich behaupte
nicht, daß ein .dynamisches* Gleichgewicht onmftd^ich sei.
Vielmehr ist ein solches vielleicht ebenfalls durch die Tat-
sachen gegeben, was wir indessen hier nicht weiter ver-
folgen wollen. Nur werden seine Bedingungen andere sein.
Das Maximumtheorem, das bisher allein wirklich ausgear-
beitet wurde und das allein fOr die reine Theorie, soweit
sie gegenwärtig Anspruch auf allgemeine Anerkennung hat,
nOtig ist, ist essentiell statisch. Man mag sagen, daB,
wie ein „biologisches' Gleichgewicht, so auch eine die Ent-
wicklung berocksichtigende Fassung des Maximnmtheoremes
der Ökonomischen Wirklichkeit mehr entspreche; mag sein;
aber wissenschaftlich und ffir die uns hier beschäftigenden
Zwecke kOnnen wir g^enw&rtig mit einem solchen wenig
anfangen. Tatsächlich kommen auch die Ansätze, welche
sich diesbezQgltch bei manchen Ökonomen finden, nicht Ober
die Forderung selbst und einige Allgemeinheiten hinaus.
Da es unser Grundsatz ist, wissenschaftliche Instrumente
nicht eher zu schmieden, als bis wir ihrer bedürfen und
uns an das zu halten, was wir befriedigend ausarbeiten
k&nneu, ohne Phrasen zu machen, welche unvermeidliche
Mängel unserer Methoden verhallen kSnnten, ohne sie zu
bessern, so beschränken wir uns auf das Gesagte. An einer
späteren Stelle wollen wir selbst hervorheben, wie not-
wendig ein Mehr hier und an anderen Punkten wäre.
II. Kapitel.
Das Zarechnungsproblem und die sich daran an-
scIilieBenden Fragen.
{ 1. Ehe wir die Ableitang der Freisrelationen vor-
führeo, m&ssen wir einige prinzipielle Fragen erledigCD,
welche wir noch nicht genQgend klargelegt haben. Wir
sagten, daß „ein Gürtel von Gleichungen" den wirtschaft-
licheo Machtbereich eines jeden Wirtschaftssubjektes begrenze
uod der exakte Ausdruck desselben sei. Diese Gleichungen
sagen, dafi im Systeme Gleichgewicht herrscht, wenn die
TauschrelatioD jedes Gutes zu jedem andern gleich sei dem
reziproken Werte ihres Grenznutzenverhältnisses. Ist das
der Fall, so wird keine Tendenz bestehen, die Tauschrelationen
und jenen Zustand der Gütermengen, der sich unter ihrer
Herrschaft herausstellt, zu ändern. Jede dieser Gleichungen
sieht etwa so aus:
Grenznutzen des Gutfis A _
Grenznutzen des Gutes B ~
1
Tau8chre!ation oder Preis von B in A'
Sei also der Preis des Gutes A, ausgedruckt in Einheiten
des Gstes B z. B. gleich drei, sei also jemand geneigt, auf
einem Markte Einheiten des Gutes A um je drei Einheiten
des Gutes B zu kaufen, aber nicht um mehr, oder ein
isolierter Wirt geneigt, je drei Einheiten des Gutes B für
die Erlangung (also Produktion) von je einer Einheit des
Gutes ^ aufzuwenden aber nicht mehr, so ist das obige
214 I^ Problem dea aUtischen älöehgewichtw.
GrenzDutzenverMltois gleich drei. Popul&r ausgedrOekt,
besagen diese Gleichungen nur, daß jedermaim so-
lange produziere oder soviel von einem Gute eintausche,
als ihm vorteilhaft scheint. Und da darin sich eben alt
sein Wirtschaften ausdrOekt, so sagten wir, daß jene
Gleich ungssysteme dasselbe charakterisieren und sein exakt-
wissenschaftliches Spiegelbild darstellen. Sie sind Kern
und Grundstein der reinen Ökonomie, ihr alpha und omega,
enthalten die ganze reine Theorie in nuce.
Nehmen wir nun an unserer Gleichung eine einfache
Umformung vor: multiplizieren wir beide Seiten derselben
mit dem Nenner der linken. Wir haben dann:
Grenznutzen des Gutes Ä = Grenznutzeo des Gutes B X
1
Preis von S in A'
Nehmen wir für den Augenblick den Gleichgewichtspreis —
sei er wiederum drei Einheiten von B ffir eine Einheit
von A — als festgegeben an, was er natürlich sonst nicht
ist, so ergäbe sich, dafi der Grenznutzen des Gutes £ gleich
ist einem Drittel des Grenznutzens des Gutes A. Das
wirtschaftliche Handeln des Individuums oder, korrekter,
die Veränderungen, die wir in den Mengen der beiden
Güter wahrnehmen, sind also beschrieben durch eine Gleichung
zwischen den Grenznutzen derselben. Wiederum populär
gesprochen, unser Wirtschaftssubjekt wird sich so verhalten,
solche Tauschakte vorzunehmen, daß es ihm schließlich
gleichgiltig ist, ob es noch eine weitere Einheit von A mit
der Aufwendung von drei Einheiten von B erwirbt oder
diese letzteren behalt. Es kostet ihm moralisch gleichviel,
auf eine weitere Einheit von A wie auf weitere drei Ein-
heiten von B zu verzichten — und daher macht es Schluß
mit den Tauschakten. Wenn man „tauscht", gibt man eisen
Wert für den andern auf und zwar ebenso bei der Produktion
wie beim verkehrswirtschaftlichen Tausche. Will mau aus-
drucken, daß man das Gut A besitze und auf einen Teil
desselben verzichten müsse, um von dem Gute S etwas zu
Das ZarechnangBproblem usw. 215
erwerben and zu geniefien, so kann man das tun, indem
man sagt, dafi das erstere oder richtiger, sein Wert die
Kosten des letzteren bilden. Diese Ausdrucksweise
gibt an, welches von beiden Gütern das ist, auf das man
verziehtet. Aber sonst nichts, und streng genommen
kann man das Umgekehrte sagen. So kann man denn
unsere umgeformte Gleichung auch so ausdrücken:
Grenznutzen des Gutes A = Grenzkosten des Gutes A.
Das ist nun jene Form unserer Gleichung, in der sie zuerst
aufgestellt wurde. Bekanntlich hat man sie nicht in der
vorgeführten Weise abgeleitet, sondern direkt auf Grund
augenfälliger Beobachtungen aufgestellt und ganz anders
interpretiert. Ganz andere Auffassungsweisen und Ge-
dankenriehtungen knüpften sich an sie und als die neue
Werttheorie auftrat, sah es so aus, wie wenn dieselbe eine
andere Definition des Gleichgewichtspreises aufstellen wollte.
Das ist jedoch, wie wir eben sahen, nicht richtig : Nur in
der Interpretation kann der Unterschied liegen. Die
Gleichung zwischen Grenznutzen und Grenzkosten selbst,
mithin wechselseitige Abhängigkeit zwischen beiden Mo-
menten, muß sicherlich von beiden sich gegenüberstehenden
Parteien anerkannt werden, denn auch die neuere Preis-
ableitung führt auf sie.
Das ist es nun, was wir hier weiter ausführen wollen,
um dann noch über die verschiedenen möglichen Inter-
pretationen einige W^orte zu sagen. Auch wir also wollen für
jetzt auf unsere Ableitung vergessen und diese Gleichung an
sich betrachten, was wiederum in die Kostendiskussion hinein-
führt. Man sieht, dafi jene Ökonomen Unrecht haben,
welche diese Kontroverse heute perhorreszieren und der
Mühe nicht für wert halten. Gegen die Art, wie sie ge-
führt wurde, ist gewifi manches einzuwenden, fundamental
aber ist sie jedenfalls. Wir selbst suchen sie nicht und
wollen sie nirgends ex professo behandeln, aber immer
kommt sie in unseren Weg, wir stolpern sozusagen alle
Augenblicke darüber.
21(} Das Problem det lUtiMbrni Glticbgewichtet.
MuD, was sagt uosere Gleichung Orenikoaten = Grenz*
nutzen eigentlich, wenn vir sie n&her betrachten? WaB soll
me leisten? Die Antwort auf diese Fragen dürfen wir nicht
in klaren AussprOchen oder io allgemeinen Erörterungen
der Nationalökonomen suchen- Selten sagt man gaoi deut-
lich, was man und warum man es tut, )a. ich glaube, daS
man sich darOber auch meist gar nicht im klaren ist Wir
uiDssen vielmehr auf das sehen, was tats&chlicb erreicht
wird und uns fragen, was zur Erreichung der konkreten
Resultate nOtig ist. Das glaube ich bereits getan zu haben
und kann hier kurz sein. Sagen wir also, der Zweck der
reinen Theorie sei, die „reinwirtschaftlichen* Vorginge zn
beschreiben und daher vor allem jenen Zustand der Wirt-
schaft zu untersuchen, den dieselben von selbst herbeizu-
führen tendieren, den Gleichgewichtszustand. Dieser ist,
wie wir wissen, definiert und charakterisiert dadurch, dafl,
wenn er besteht, keine Tendenz zu einer weiteren Änderung
vorhanden ist. Nun, nehmen wir einen Produzenten in einer
Verkehrswirtschaft und halten wir uns an die Beobachtungen
und die Ausdrucksweise des Alltages. Wann wird fQr den
Mann „keine Tendenz" vorliegen, Veränderungen vorzu-
nehmen, das heißt weiter zu produzieren? Wenn der Erl&s,
den er vom Verkaufe weiterer Produkte erwarten kann,
keinen Überschuß über die Kosten mehr aufweist, welche
diese weitere Produktion verursachte, das heiSt, wenn der
Grenzerlös gleich den Grenzkosten ist. Und da haben wir
denn den Ursprung unserer Gleichung. Aber man kann
die Sache noch allgemeiner fassen. Auf jene Fassung könnt«
man ja entgegnen, daS aus verschiedenen wirtschaftlichen
und außer wirtschaftlichen Gründen sowohl mehr wie weniger
produziert werden kann. Außerdem paßt sie nur auf die
Verkehrswirtschaft. Sagen wir also einfach, der Gleich-
gewichtszustand ist jener, wo die auf weiteren Erwerb eines
Gutes — sei es nun „Geld" oder ein anderes — hinar-
beitenden Tendenzen jenen die Wage halten, welche in
entgegengesetzter Richtung wirken. Das nun drückt unsere
Gleichung aus, das ist ihr eigentlichster Inhalt. Da6 eine
Du ZorechiuingBproblem tuw. 217
solche Gleiefaimg avigeatellt werden kano, ist unzweifelhaft,
sagt sie ja doch nur eine SelbstTerstandlichkeit. Wir sehen
also, dafi onsera Gleichung an eich ganz unabhängig davon
ist, wie wir diese .EinfloSBe" oder „KrAfte", deren Gleieh-
gewidit sie aussagt, nennen. Ja auch einen Maximam-
tmtand derselben stellt sie immer dar, wie wir dasfrOher
imeinaoderBetzten. Das hat nichts AnfOüliges, wenn man
<icb gegenwSrtig hftlt, daß darin ja nur die Eonsequenz
eioer mathematiBchen Regel, als ein ganz formales Moment
liegt.
Zun&cbBt befinden wir uns daher nicht auf kontroversem
Grunde. Wir wollen die Existenz eines Gleichgewichts-
tnsUndes cum Ausdrucke bringen, die von allen Theoretikern
uerkannt wird. Das kann man ganz formal tun, ohne eich
I UlKr die Natur jener „Kräfte", die ihn herbeiführen, Ge-
danken zu machen. Wir haben ausgefahrt, daS die Be-
Khreibung des ökonomischen Gleichgewichtes und jener
Bewegungen in den ökonomischen Quantitäten, welche zu
ihm fahren, unser Ziel ist und daß wir dazu gewisse formale
Funktionen, seien sie nun Wertakalen oder sonst etwas,
aufitellen mQsseo. Das Entscheidende ist ihre Form; ist
■OBu über dieselbe einig, so wird mau zu den gleichen
ßesnltaten gelangen. Soweit das der Fall ist, liegt wenig
Aul&fi vor, sich Ober ihre Natur zu ereifern. Und das
ist bis zu einem gewissen Grade der Fall in unserer Theorie.
Man verlangt nur wenige Formcharaktere von unseren
f Funktionen und Ober dieselben kann kein Zweifel bestehen.
I Daher kommt es, dafi die konkreten Resultate des „Wert-
Iheoretikers" so wenig von denen des „Kostentheoretikers"
differieren und ihr exakter Ausdruck oft identisch ist. Hat
man die Wahrheit begriffen, dag das Wesen jeder exakten
Disziplin in Beschreibung von Vorgängen auf Grund formaler
Annahmen besteht und ist man sich bewußt, daß die
letzteren nur metbodieche Hilfsmittel sind, die ihr Dasein
unserer W^illkOr verdanken, so wird man in dem Gesagton
nichts Befremdendes sehen.
MiBt man beide Seiten unfierer Gleichung mit einem
218 ^^ Problem des statischeo Oleichgewiehtea.
gemeiDBamen Maße z. B. in Geld, was ja notwendig ist, so
ergibt sich ein Aasdruck, den unter gewissen Beserven
jedermann anerkennt, und für sein Bestehen ist es gleich-
gültig, „aus was" der Grenzerlös und die Grenzkostea
zusammengesetzt sind. Ebenso weiß man, daß je grOßer
die produzierte Menge wird, deeto mehr der Grenzerlfls
sinkt und die Grenzkosten steigen und das reicht aus, um
in der bekaunteu Weise beide Momente durch zwei sich
schneidende Kurven darzustellen und eioe ganze Reibe von
Preisbewegungen zu erfassen. Freilich ist das alles nicht
so einfach, wie es aussieht und bei näherem Zusehen bietet
sich uns eine ganze Menge von nicht wenig komplizierten
Fragen dar. Aber doch liegt eine wichtige Wahrheit darin,
welche nicht nur viele — unzählige — Erfahrungen des
täglichen Lebens zum Ausdrucke bringt, sondern auch for
viele theoretische Resultate ausreicht. Fragt mau z. B.
Dach der Wirkung einer auf die Einheit eines Gutes ge-
legten Steuer auf den Preis desselben, so hat man ihren
Betrag einfach seinen Einheitskosten zuzuschlagen und zu
beobachten, wie sich das Gleichgewicht infolgedessen ver-
schiebt Und das Resultat ist unabh&ngig davon, was jene
Einheitskosten „sind". Mit Recht geht der Nationalökonoai,
der sich mit einer solchen Frage beschäftigt, nicht auf das
Problem von Wert und Kosten ein.
Und doch müssen wir das mitunter tun. Vor allem
ist das geboten mit Rücksicht auf die Zukunft unserer
\\'i3senschaft : Wenn man später, um zu kompliziertereu und
konkreteren Resultaten zu kommen, mehr Formcbaraktere
unserer Kurven brauchen und besonders, wenn man zu
wirklich rechnendeD Verfahren auf Grund unserer Theorie
vorgehen wird, dann ist die Frage sehr entscheidead. ob
wir mit jenen auskommen, welche wir Wertfuaktionen
nannten, oder noch andere konstruieren mltssen. Sodann
aber ist die Kostenkoutroverse für die UntersuehoDg aller
Wechselbeziehungen zwischen den Mengen aller Güter
essentiell und namentlich für die Verteilungstheorie, derea
Dm ZnrecbniiDgaprobleiD naw. 219
ganzer Ban davon abbftngt, wie im ersten Teile dieser Arbeit
bereits auBgefOhrt wurde.
§ 2. Was siad also die Momente, welche die beiden
Kurven, die man bekanntlich die Angebot»- und die Naeh-
fragekurre nennt, bestimmen — was bedeuten die beiden
Glieder unserer Gleichung?
Über die Nachfragekurve und die auf der linken Seite
unserer Gleichung stehende Greldsumme besteht keine
MeinuDgsverBcbiedenbeit. Die Nachfragekurre ist einfach
die Wertfunktion ^ und der Grenzerlös miSt einen Grenz-
nutzen. Auch die Klassiker hätten das nicht bestritten,
haben es zwar nicht so deutlich ausgeBprocben, wie die
Modernen, aber jedenfalls gemeint. Und das heute so
häufige Dictum, daB sie es nur deshalb nicht ausspracheD,
weil es ihnen selbstverBtändlich schien, gibt uns — richtig
oder nicht — jedenfalls das Recht, die Sache als res judicata
zu betrachten und von weiterem Eingehen abzuseheo.
Aber was sind die Kosten ? Welches sind die Momente,
die die Angebotskurve versinDÜcht? Darüber sind ver-
schiedene Ansichten möglich. Die entscheidende Differenz
ist die folgende: Die Geldsumme, welche auf der rechten
Seite unserer Gleichung steht, ist sicherlich ein Äquivalent
fQr irgend etwas. Und zwar entweder fOr die Werte auf-
gewandter Güter oder für eine Aufwendung anderer Art.
Im ersten Falle haben wir nur ein Prinzip für die Er-
klärung des Preises vor uns, im letzteren zwei unabhängige.
' IndMBen kOnnte maa cwischeD beiden die folgende Unter-
•cheidang machen, die vielleicht nicht unpraktiacb w&re: Die Wert-
fouktion konnte ohne RQckeicbt auf die Variationen in der Schäteung
de« Gate«, deaaen Grenznntzeo die HaSeinfaeit abgibt, konstruiert
werden, an lediglich die Wert*kala des betrachteten Gutes rein
dan US teilen. Die Nachfragefunktion könnte diese Variationen mit
begreifen, bo daB sie auch zum Ausdrucke brächte, wie das größere
Opfer an dem Preisgnte, daB infolge von Kauf gröBerer Mengen des
erateren oder infolge von höheren Preisen deMelben nötig ist, die
Nachfrage beeinflufit.
220 I^ Problem dw •Utüeh«) CHdcfcgmri^tas.
Ersteres ist die Antwort der gGreDXDutzen-", letiteres die
der „Kostentheoretiker".
Was iBt nun dieses selbständige Prinzip der Kosten?
Bekanntlich antwortet man: ArbeitsmQhe und Gennfianfaebub.
Die Preise, aus denen die Kostensumme besteht, sollen
Äquivalente sein nicht fOr Gaterwerte , Boodem für die
MQhe, welche die Produktion dieBer Güter verursacht.
Fttr uns entsteht nun die Frage, welche von beiden
Betrachtungsweisen wir wählen sollen. Wir stehen hier
vor dem Kernpunkte der Wertkoutroverse. Unsere frObeien
Erörterungen darüber haben hofiimtlich einen Teil derselben
aufgehellt und gezeigt, was von einer Gruppe der vor-
gebrachten Argumente zu halten ist. Ihre hauptsächliche
Frucht ist, daB wir nun, nachdem wir zwischen Gesamtwert
und Wertfunktion unterscheiden können und Sinn , Aus-
gangspunkt und methodologische Bedeutung der Kontroverse
verstehen, von einer präziseren Fragestellui^ aoagefaen
können und die ganze Angelegenheit an dem nnseres Er-
achtens springenden Punkte konzentriert haben. Dabei haben
wir auch unsere Bereitwilligkeit gezeigt, der Bedeutung
der Kostentbeorie des Preises in der Entwicklung unserer
Wissenschaft und ihrer relativen Berechtigung Gerechtigkeit
widerfahren zu lassen und dem Standpunkte der Kosten-
theoretiker auch sonst manche Konzessionen zu machen.
Aber noch erObrigt die Hauptsache. Nicht immer im Ver-
laufe der Diskussion stand jedoch das, was wir fOr die
Hauptsache erklären, nämlich die Entscheidung Qber die
Theorie der ArbeitsmQhe und des GenuSaufschubes im
Zentrum des Interesses, vor allem nicht in den froheren
Stadien der Kontroverse. Wohl aber ist das heute der
Fall. Wir sind uns bewußt — und hier stimmen wir voll-
kommen mit v. Boehm-Bawerk Qberein — , daB früher die
Kostentheorie einen anderen Sinn hatte und die moderiK
Form derselben — nennen wir dieselbe die Theorie der
„Disutility" — nicht die der Klassiker war, wenn auch die
Vertreter der DisuUlitytheorie die Unterschiede la ver-
wischen und den Klassikern ihre neue Auffassung la inpa-
Das Zurechnung9j)roblein usw. 22'^
ileii wissenschaftlichen Gedankengang eingeführt werden soll.
VVorin also besteht diese „Mühe und Anstrengung"? In
Arbeit? Das liegt in der Tat am nächsten. Aber die Ein-
wendungen gegen diese Auffassung sind zu klar, als daß
man viel Lu9t auf dieselbe gehabt hätte. Vor allem würde
die Analyse der Kostengüter nie bloß auf Arbeit zurück-
fQbren — sondern wenigstens auch auf Boden, was ganz
fatal für diese Theorie wäre — und sodann entstünde die
Frage, ob wirklich die mit der Arbeit verbundene Unlust
das entscheidende Moment wäre oder nicht vielleicht deren
Wert, welch' letztere Eventualität die Notwendigkeit einer
Kapitulation vor der Grenznutzentheorie in gefährliche Nähe
locken würde. Ob man derselben entgeht, werden wir
Beben; jedenfalls versuchte man es. Zwar bietet das Bei-
spiel der sozialistischen Werttheorie noch einen Stützpunkt,
^hr dieselbe lag doch nicht im Sinne jener Theoretiker.
Sie antworteten vielmehr, das Moment des „toil and trouble''
bestehe in Arbeitsmühe und in Opfern, in effort and sacrifice.
Diese Formel nun ist recht unglücklich, denn was heißt
•Opfer''? Doch nichts anderes als Aufgabe von Gütern
«um Zwecke der Erwerbung anderer. Und die Größe des
Opfers kann nur im Wert jener in Produktion oder
Tausch aufzugebenden Gütern bestehen. Hätten sie nicht
irgendwelchen Wert, so wäre ihre Aufgabe kein „Opfer",
und nur insofern ist sie es, als sie einen solchen haben.
Alles was man durch jenen Ausdruck erreicht, ist also, daß
nuui aus dem Komplexe von Kostengütern eines, nämlich
die Arbeit, abspaltet und erklärt, daß für sie nicht ihr
Wert, sondern die mit ihrer Aufwendung verbundene Unlust
in Betracht komme. Darüber später. Hier noch einiges
fiber das Moment des „sacrifice". Will man jene Sackgasse
vermeiden, so muß auch für die aufzugebenden Güter ein
Ersatz für den Moment des Wertes gesucht werden. Sie in
Arbeit aufzulösen, geht, wie gesagt, nicht an. So kam
man denn auf den Genußaufschub, waiting oder abstinence,
and beeilte sich, dieses Moment dem der Arbeitsmühe hinzu-
zufügen. Obgleich es nicht neu ist — es stammt bekannt-
224 I^B Problem des atatiwben Gln«hg«wiehtM.
lieh von Senior — , so var es doch neu in diesem Zusammen-
hange, und seine EinfDhrung wird in der engltscben Theorie
oft als ein Fortschritt gegenttber der älteren Auffassung
bezeichnet, ah eine notwendige Korrektur der älteren Dis-
utilitytheorie, welche nur auf die Arbeitsmafae Gewicht legte.
Das ist es auch: die Erkenntnis, daß dieses Moment nicht
ausreicht, eine zu schmale Basis far die Kostenerscheinung
ist, ist sicherlich ein Gewinn. Aber was ist von diesem
Instrumente an sich zu halten? Man lOst die GenuBgtlter
in Arbeit, Boden und „Kapital" auf — unsere prinzipiellen
Einwendungen gegen diese Operation nbergehen wir hier —
und konstruiert das Angehot an GenuBgfitem aus diesen drei
Elementen. Der Begriff sacrilice oder waiting — beide
kommen auf dasselbe hinaus, wenn man nicht vermittelst
des ersteren in die Grenznutzentheorie hineingeraten will —
steht also an Stelle des Wertes von Boden und „Kapital"
oder nur von „Kapital", wenn man den Boden mittelst der
klassischen Bententbeorie ausschaltet. Und was damit ge-
sagt wird, ist, daß nicht der Wert der das „Kapital" bilden-
den ProduktivgOter fttr die Preisbildung der GenußgOter
entscheidend sei, sondern die Größe des ITnlustgefQhles,
welche es dem Kapitalbesitzer bereitet, sein „Kapital pro-
duktiv arbeiten" zu lassen, anstatt es sofort zu konsumieren
oder besser, daß der Wert der KapitalgOter eben auf diesem
UnlustgefQhle basiere. Aber worin besteht denn dieses
letztere? Doch nur in der „Unlust", welche die Aufgabe
einer Befriedigung verursacht, und die GrOfie derselben ist
geradezu detinitionsmfißig nichts anderes, als der Wert der
Gttter, deren Genuß „aufgeschoben" wird. Mithin sind wir
wiederum bei einer Werterscheinung angelangt, und dieser
Einwand scheint uns so schlagend, daß wir eine Reihe an-
derer übergehen, welche sich gegen diese Auffassung vei^
wenden lassen. Mit jener dualistischen Disutility ist et
also nicht». Kann mnn mit dem Momente der Ar-
heitsmOhe nicht auskommen, so wird man kein«
Rettung im Momente des Genußaufechubes finden; dasselb«
ist lediglich ein anderer Ausdruck für eine Werteracheinmit /
Und e/flges(andenermaßea Vtaua man es nicht I
Du ZürechnnagiprobleDi now. 225
Gehen wir nun zu unserer zweiten Frage Ober. Was
soll die Disutilitytheorie leisten? Die Antwort kann keine
udere sein, als die : sie soll die Gestalt der Angebotskurve
erklSren. Wir brauchen eine Angebotskurve, welche erstens
for tinsere Zwecke brauchbar sein muß und zweitens nie
mit den Tatsachen kollidieren darf. Das ist alles und das
beifit, wie man sich bei näherer Überlegung Qberzeugt,
noch nicht, dafi ihr selbst etwas in der Wirklichkeit ent-
sprechen, sondern bloS, daS sie gewisse Formcharaktere
haben muS. Dasselbe lägt sich, wie früher erörtert wurde,
von der Nachfragefunktion sagen: ihre psychologische Be-
grflndnng dient nur dazu, solche Formcharaktere festzustellen
nod gewisse wirtschaftliche Erscheinungen, mit denen wir uns
eben nicht in diesem Zusammen-
hange befassen wollen , auszu-
ficbeiden. Wurde z. B. far ein
Gut, wenn seine Menge eine
gewisse Größe erreicht hat, eine
neue Verwendung möglich, was
sieh darin äußert, daß sein Wert
nun plötzlich grOfier wird, statt ^
abzunehmen, so wOrde die Nach-
fragekurve nicht mehr sinken, sondern steigen. Dann aber
könnte es geschehen, daß sie sich mit der Angebotskurve
flberhanpt nicht sehneidet und sich kein Gleichgewichts-
rastand oder sogar mehrere ergeben. Soll das nicht ge-
schehen, so muß diese Möglichkeit ausgeschlossen werden
und dazu eignet sich eben jenes psychologische Gesetz. Ganz
Ibniich liegt die Sache bei der Angebotsfunktion. Sie muß
die entgegengesetzten Formcharaktere zeigen , nftmlich mit
dem Preise und der vorhandenen Menge eines Gutes steigen
tns dem doppelten Grunde, weil das nötig ist, um den
Schnitt mit der Nachfragekurve und so das Bild des Gleich-
gewichtszustandes sicherzustellen und sodann, am jene wirt-
Klitftlichen Tatsachen des Stetgens des Angebotes unter den
Enannten Bedingungen zum Ausdrucke zu bringen. Sehen
•ir nas die Sache an (siehe obige Figur):
226 ^^ Problem des statischen Gleichgewichtes.
Tragen wir alle möglichen Preise eines Gutes auf der
Ordinatenachse eines rechtwinkligen Coordinatensystemes auf
und die Mengen desselben, welche zu diesen Preisen angeboten
und verlangt werden, auf der Abszissenachse, so ergibt sich eine
„Nachfragekurve" von der Gestalt MN und eine „Angebots-
kurve" von der Gestalt PS. Der Schnittpunkt -B gibt den Gleich-
gewichtszustand, RQ versinnlicht den Gleichgewiehtspreis
und OQ die zu diesem Preise umgesetzte Menge. Keine
der beiden Kurven darf Umkehrpunkte haben, wenn unser
einfaches Bild nicht getrQbt werden soll, und aus diesem
Grunde machen wir eine Reihe von Voraussetzungen, die
hier nicht weiter dargelegt werden sollen. Überhaupt sind
wir weit entfernt, dieser Darstellung Vollständigkeit oder
strenge Korrektheit zu vindizieren. Wir sind uns bewußt»
daß wir über viele theoretische Detailfragen hinweggehen
und dem Theoretiker manches zu entschuldigen geben. Aber
wir dürfen unsere Arbeit nicht mit Details überlasten und
begnügen uns, das für unser Argument Nötige zu sagen.
Nun hat man nach einer Hypothese gesucht, um diese
Gestalt der Angebotskurve zu erklären. Wir müssen jedoch
vor allem bemerken, da6 eine Meinungsverschiedenheit über
eine solche nur dann Sinn hat, wenn dadurch irgend etwas
an den Resultaten geändert wird. Andernfalls ist jeder Streit
darüber müßig und ohne praktischen Wert.
Es fällt nun auf den ersten Blick auf, daß die Angebots-
kurve, formell betrachtet, nichts anderes ist als eine ver-
kehrte Wertkurve. Was könnte das für eine Wertkurve
seinV Nun. einfach die jener Güter, welche zur Erwerbung
des in Rede stehenden aufgegeben werden müssen, also ent-
weder die eines „Preisgutes" oder die der bei der Produktion
des ersteren aufzuwendenden Produktionsgüter. Nicht nur
umfaßt diese Betrachtungsweise zugleich die Fälle des
Tausches wie der Produktion, sondern sie hat auch eineo
anderen Vorteil. Wenn es nämlich gelingt, die als eine
Wertfunktion aufgefaßte Angebotskurve in Beziehung tu
den Wertfunktionen der Genußgüter zu setzen, so dafi DU
sie aus den letzteren ableiten kann, so eröffnet sieh die
D«B Znrechnnngsproblem luw. 227
Möglichkeit, die Zahl unserer Grundannabmen erbeblich zu
beschrflnkeu ; man braucht dann nui' die Wert-
fuDktioaen der Genußgnter den Individuen „abzu-
fragen" und gewinnt daraus alle übrigen. Das wttrde uns
in den Stand setzen, die Wechselwirkungen zwiecfaen den
Werten der Genufi- und ProduktioDSgQter rein theoretisch
und mit den Mitteln unseres Systemes zu beschreiben, ohne
auf weitere Tatsachenbeobacbtungen zu rekurrieren, wahrend
eine solche Beziehung gar nicht besteht, wenn die Augebots-
kurve auf einem selbst&ndigen Prinzipe basiert. Wie schon
angedeutet ist das besonders wichtig fOr die Verteilnngs-
tbeorie: Wenn das Geldmaß der ProduktivgQter, jenes
„Äquivalent", das auf der rechten Seite unserer Gleichung
steht, sich durch Wertfunktionen beschreiben 1&8t, so ist
damit das Verteilungs- auf das Tauscbproblem zurQckgefahrt
und man kann sagen, daß es damit im Prinzipe bereits ge-
löst ist Und das ist mCglich; die Angebotskurve l&ßt sich
tats&chlicb, wie wir sahen, als Wertkurve auffassen. Der
„Psycholog' mag das dann noch weiter begronden, wir
wollen es dabei genug sein lassen. Die Sache ist so sehr
in Ordnung, daß kaum etwas zu wQnscben übrig bleibt und
I der Grund, warum wir eine anderweitige Kostentheorie ab-
iebnen, ist einfach der, daß kein Grund dafür spricht, nach
einer solchen zu suchen.
Sicherlich kann man die Gestalt der Angebotskurve
> auch anders erklären. Das ist nicht weiter verwunderlich,
! da wir ja nur so wenig allgemeine Charaktere derselben
kennen — und brauchen. Aber es ist überflüssig, audere
Hypothesen heranzuziehen. Das ist unser eigenes Argu-
ment und nur darauf legen wir den Ton. Für all die an-
i deren, welche in diesem Zusammenhange angeführt wurden,
: ^erweisen wir auf andere Darstellungen und erwähnen nur
I gel^entlich einige davon. Der Tatbestand, den die Angebots-
Vurve versinnlicht , kann auf zwei verschiedene Arten aus-
gedruckt werden: Wenn der Angebotspreis eines Gutes zu-
I nimmt, so nimmt die angebotene Menge unter sonst gleichen
I l-'msUnden zu. Oder: Wenn die angebotene Menge steigt.
228 Du Problem de« Bl«tisoh«ii Gleidigeiriehtea.
SO nimmt der Angebotspreis zu. Beide S&tze s&geu das-
selbe, auch dann, wenn man in beiden statt des „wenn" ein
^weil" setzt. Wohl scheint ein .weil' mehr m sagen als
ein „wenn"; ist man sich jedoch darQber klar, daß aach
ein in der Sprache der Kansalrelation aasgedrOckter Satz
im Grunde genommen nur Tatsachen beschreibt, so weiß
man, daß das eine T&aschung ist und wird nie daran
denken, beweisen zu wollen, daß der eine jener beiden Sfttze
richtiger ist als der andere.
Beide lassen sich vermittelst unserer Aufbssung von
der Sache gleich leicht erklären und das gilt auch von der
Formulierung: Weil die angebotene Menge eines Gates
zunimmt, so steigt sein Angebotspreis. Dieselbe war jedoch
der Ausgangspunkt anderer Hypothesen. In ähnlicher Weise |
wie die Physiker früherer Zeiten dem Wasser einen „horror |
vacui" imputierten, um sein Steigen in einer luftleeren Rfibre
ZM erklären, so haben auch die National Ökonomen nach eintr |
besonderen Kraft gesucht, um dieses Steigen der Angebots- I
kurve zn begrOnden. Und es litge nicht in unserem SiDoe, r
das Vorgehen beider als „falsch" zu bezeichnen. Der „hortor l
vacui" ist sicherlich geeignet, jene Erscheinung zu !*• |
schreiben und der Fortschritt, der in der heutige*
Auffft5}>ung liegt, besteht lediglich darin, difl r
man dieselbe mit Mitteln beschreiben ktDi> f
welche auch zu anderen Zwecken verweDdet?
werden können, daß man nicht auf eine spezielle Ei^
klarung zu rekurrieren braucht, sondern die Erscheinung f
unter eine große Kategorie subsumieren und in einer wA
dersellwn Formel mit vielen anderen erfassen kann. So
find auch jene Hypothesen der Ökonomen nicht .falsch'.
Fs sind jene, welche mnn „Gesetz des abnehmenden E^
träges' und „Diputility" nennt. Sie lassen sich mit Tat-
sachen tielegen und leisten im großen and ganzen, was 9B
solli-n. A))er wenn mnn sie durch unsere Wertfunktionei
ersetzen kann, so werden wir das als einen Fortschritt be-
trachten und uns der großartigen Einheit and Reinheil
freuen, welche unser System dadurch gewinnt.
\
Dm ZwecknQogsprobkm usw. 229
Das ist unser Hauptargument , wie gesagt. Aber es
ften jenem Hilfsmitteln auch noch andere Mängel an. An
h sind sie ganz plausibel : Das nach Bedürfnisbefriedigung
"ebende Wollen des Menseben als die eine und die Be-
enztheit der physischen MdgUchkeiten der Natur — darauf
mnit das Gesetz vom abnehmenden Ertrage hinaus — oder
3 physischen Möglichkeiten der Arbeitsleistung — das ist
r Kern der Disutilitytheorie — als die andere der be-
inunenden Kräfte des Wirtschaftens aufzufassen, ist sicher-
;h logisch zulässig. Wollen des Menschen und Können
r Natur, BedQrinisbefriedigung und Last der Anstrengung,
id das nicht ebenso großzügige, wie berechtigte Ausgangs*
inkte? Allein bei näherer Betrachtung ergibt sich, dafi
m mit ihnen weniger weit kommt, als man glauben sollte.
Das Gesetz vom abnehmenden Produktionsertrage wurde
nächst für die landwirtschaftliche Produktion aufgestellt
id dann auf jede Art von Produktion erweitert. Sicherlich
St es sich, sorgfältig formuliert, für einen rein statischen
istand halten. Sicherlich kann man sagen, dafi jede wirt-
laftliche Produktion über eine gewisse Produktenmenge
*M hinausgehen kann, ohne dafi sich die Kosten der
odukteinheit erhöhen, wenn man an dem produktiven
)parate keine Vervollkommnungen anbringt, eine Klausel,
ilche das Gesetz vom zunehmenden Ertrage ausschliefien
II. In dieser Form spielt das Gesetz vom abnehmenden
rtrage eine sicher bedeutende Rolle in der englisch-ameri-
Jiisehen Literatur. Während man früher bekanntlich alle
odaktionen in drei Gruppen einteilte, in solche, welche
Dem Gesetze des abnehmenden, solche, welche einem Gö-
tze des zunehmenden und solche, welche einem Gesetze
8 gleichbleibenden Ertrage folgen, so ist es gegenwärtig
dich geworden, für die Statik lediglich das erstgenannte
zuerkennen, und wir wollen nicht leugnen, dafi darin ein
beblicher Fortschritt liegt. Dem Falle des gleichbleibenden
träges, der als ein Grenzfall jedes der beiden anderen
esetze*^ aufgefaßt werden kann, kommt kein grofies
teresse zu. Aber die Erkenntnis, dafi ein zunehmender
230 ^^^ Problem des statischen Gleichgewichtes.
Ertrag innerhalb der Voraussetzungen der Statik unmöglich
ist, ist gewiß nicht ohne Bedeutung. Erkennt man nun
die Allgemeingiltigkeit des Gesetzes vom abnehmenden Er-
trage in der Statik an, so ist dasselbe geeignet, das kon-
stante Steigen der Angebotskurve zn erkl&ren. Aber wir
brauchen es nicht oder besser, wir haben bereits ein solches
Gesetz des abnehmenden Ertrages: Je mehr von einem
Gute „eingetauscht'' wird, um so wichtigeren Bedürfnissen
muß es der Verkäufer entziehen oder um so wichtigeren
Verwendungen müssen die betreffenden ProduktivgOter ent-
zogen werden und so würde der „Nutzertrag** des Kaufes
oder der Produktion selbst dann sinken, wenn der von
weiterem Erwerbe zu erwartende Befriedigungszuwacbs
konstant bliebe, und nur bei erhöhtem „Preise'' möglieb
sein. Wenn nun auch der physische Produktionsertrag
sinkt, so wird jener Befriedigungszuwachs noch schneller
abnehmen, als wenn das nicht der Fall wftre, aber nur
unsere Angebotskurve zu gewinnen, bedürfen wir dieses
Momentes nicht. Aber noch etwas: Die bloße Tatsache der
Abnahme des physischen Produktionsertrages mit Zunahme |
der produzierten Menge würde für sich allein nie ausreichen,
um den Angebotsi)reis zu bestimmen. Eine bloß diese Tat- '
sache versinnlichende Angebotskurve wftre mit der ja jeden-
falls auf der Werthypothese beruhenden Nachfragekurve
inkommensurabel und wir könnten nie die beiden einander
gegenüberstellen. Es müßte trotzdem noch der Wert der
in der Angebotskurve versinnlichten Gütermengen bekannt j •
sein, wenn das möglich sein und ein eindeutig bestimmter
Schnittpunkt gefunden werden soll. Bei der Rententheorie
werden wir noch auf dieses Moment zu sprechen kommen.
Während also das wert theoretische Gesetz des ab-
nehmenden Ertiages das physische völlig zu ersetzen '
vermag — ein Leichtes wäre es, das letztere in der Gestalt \
der Wertkurve, welche unsere Angebotsfunktion bildet, in
berücksichtigen — , so ist das Umgekehrte nicht der Fall
und niemals könnte man mit dem physischen Abnahme-
geset/e allein auskommen. Da wir desselben auch fttr ;
Du Znrechn aagaproblem nair, 231
UDfiere Rententheorie nicht bedürfen, wie wir sehen werden,
so haben wir schlechterdings keine Verwendung dafDr —
seine Bolle ist im modernen Systeme der NationalCkODomie
ausgespielt. Es interessiert uns nicht mehr, als andere
prodaktionsteclmische Tatsachen, welche ja auch auf Art
und Menge der zu produzierenden GOter Einfiafi üben, ohne
deshalb Bestandteile der reinen Ökonomie zu sein. Auf
diese Scheidung des physischen und des werttheo-
retischen Gesetzes vom abnehmenden Ertrage legen wir
groSen Wert Nicht immer wird sie klar erkannt; doch ist
sie unter anderem sehr wichtig fQr die Beurteilung der
neueren amerikanischen Literatur.
Nicht ganz dasselbe Iftßt sich von der Disutilitytheorie
sagen. GewiB, die Arbeitsmfibe — nur mit ihr haben wir
es hier noch zu tun, nachdem wir das andere Element der
Disatüity bereits bebandelt haben — steigt mit dem Fort-
sehreiten der Arbeitszeit im allgemeinen aberproportional
lur letzteren und schließlich bis in» Unerträgliche, sodaß
auch dieses Moment die Gestalt der Angebotskurve erklären
fcSnnte. Und auch hier werden wir vor altem sagen, daß
wir seiner nicht bedürfen und nach dem Prinzipe der „Denk-
ftkonomie' daher davon abzusehen haben. Aber unseren
zweiten Einwand, den wir gegen die Erklärung der Gestalt
der Angebotskurve durch das Gesetz vom abnehmenden
Ertrage vorbrachten, daß das letztere nämlich das Wert-
gesetz nicht ersetze, können wir hier nicht verfferten;
wenigstens in nicht ganz demselben Sinne: etwas Ähnliches
allerdings wird sich auch hier ergeben.
Was sagt uns also eigentlich die Disutilitytheorie? Das
kommt in der Gleichung zum Ausdrucke:
Grenznutzen = Grenzleid,
welche heißt, daß dort Gleichgewicht eintrete, wo die durch
die Wertfunktion zu erklärende Nachfragekurve, die durch
eine Unlustfunktion zu erklärende Angebotskurve schneidet,
also einfach bei jener Gütermenge, bei der der Nutzen
weiteren Zuwachses dem „Schaden" weiterer Arbeitsmüheo
und GenufiaufschObe die Wage hält. Wir sahen jedoch.
232 ^8 Problem des statischen Gleichgewichtes.
dafl wir die Genufiaufschübe einfach als Au^be von Güter-
werten auffassen können, sodaß unsere Gleichung so aus-
gedrückt werden kann:
Grenznutzen = Grenzarheitsmühe + Grenznutzen der
aufzuwendenden Güter, oder, um das nunmehr lediglich in
Betracht kommende Moment der Arbeitsmühe herauszu-
heben:
Grenznutzen des Produktes — Grenznutzen der auf-
zuwendenden Güter = Grenzarheitsmühe. Nennen wir der
Kürze halber den auf der linken Seite dieser Gleichung
stehenden Ausdruck „Grenznutzen des Arbeitsproduktes*^.
Dann würde die DisuIitit}^heorie darauf hinauslaufen, die
Angebotskurve der Arbeit anders zu interpretieren, als die
aller andern Güter oder korrekter, die der andern Pro-
duktiv guter, und einfach ein Glied einer Gleichung des
Systemes, das den Gleichgewichtszustand der Wirtschaft
beschreibt, anders zu nennen als alle andern. Aber wozu?
Der exakte Ausdruck dieses einen Gliedes unterscheidet
sich durch nichts von jenen der andern, die dasselbe ver-
sinnlichende Kurve ist dieselbe oder eine Ähnliche, wie jene,
welche die andern versiunlichen. Warum also nicht auch
eine eiubeitliche Interpretation? Was gewinnen unsere Resul-
tate dadurch? Man könnte sagen, daß die Disutility eben
eine „bestimmende Kraft "^ der Wirtschaft sei; mag sein
oder nicht; es wäre nichts AuffftUiges, wenn sich ergäbe,
daß sie sich in unserem exakten Bilde der Wirtschaft
nicht zeigt.
Allein, möglich wäre es allerdings, die Angebotskurve
aus der Disutility heraus zu erklären und der Wertkurve
gegenüberzustellen. Man könnte sagen, daß, psychologisch
gesprochen, Lust und Unlust kommensurable Größen seien
und daher die Disutilityfunktion ohne Intervention der
Wertfunktion aufgestellt werden kann. Man kann beide
miteinander vergleichen. Während ich die Tatsachen des
Gesetzes vom abnehmenden Ertrage erst in die Sprache der
Wertrechnuug kleiden und zu diesem Zwecke die physischen
(lütereinheiteu mit der gewählten Werteinheit in
Das Zurechnungsproblem usw. 233
setzen muß, ist das hier nicht nötig; Wert und Disutility
können ohne weiteres mit irgendeinem gemeinsamen Maße
gemessen werden. Und doch kommt man auch da nicht
ohne Hilfe des Wertes aus. Das wurde schon von anderer
Seite betont und soll hier nur kurz und populär erwähnt
werden. Erzeugt ein isolierter Wert nur ein einziges Gut mit
seiner Arbeit, so gilt jene Interpretation, welche in der
Gleichung „Grenznutzen == Grenzleid*' zum Ausdrucke kommt
sicherlieh. Unnötig auszuführen, dafi er solange produzieren
wird, bis weiterer Nutzenzuwachs weitere Arbeitsanstrengung
nicht mehr aufwiegt Verwendet er aber seine Arbeit auch
nur auf die Erzeugung von zwei Gütern, so ist die Sache
etwas anders. Wohl wird er auch dann solange arbeiten
bis jene Gleichung verwirklicht ist. Wieviel aber von der
so bestimmten Arbeitszeit auf das eine und wieviel auf das
andere Gut verwendet wird, das sagt sie uns nicht. Dieses
Yerh<niSi das doch für die Mengen, die von jedem der
beiden Güter produziert werden, entscheidend ist, hängt
ersichtlich von deren Werte ab. Und was liegt nun näher,
als die Angebotskurve der Arbeit vom Standpunkte jedes
der Güter als die umgekehrte Wertfunktion des andern zu
betrachten ?
Ganz ähnlich steht es in der Yerkehrswirtschaft. Auch
die Arbeiter, denen nur eine Arbeitsgelegenheit offen
steht, werden sich so verhalten, wie der isolierte Wirt.
Stehen ihnen aber mehrere offen, so werden für die Art,
wie sie sich auf dieselben verteilen, mithin für das Angebot
an Arbeit in jeder derselben, die Löhne entscheidend sein,
und wenn dieselben eine Tendenz haben sich auszugleichen,
80 ist das eben die Folge jener Bewegungen, welche der
W^ert herbeiführt oder, besser, beschreibt.
Die Gleichung also : Grenzkosten = Grenzerlös gilt sicher
allgemein und wenig kommt es im Priozipe auf die Inter-
pretation beider Größen an, wenn man über ihre Bewegungs-
gesetze einig ist. Aber die Interpretation der „Kosten*' als
«Unlust*^ würde nur bei der Arbeit selbständige Bedeutung
haben, und auch bei dieser nur in gewissen speziellen Fällen
r iM n njBi ii
234 ^^ Problem des statischen Gleichgewichtes.
ZU denselben Bewegungsgesetzen führen, wie jene als „Werf",
in anderen aber versagen; Und so leimen wir sie denn ab.
Aber gibt sie uns nicht doch etwas, was uns der Wert
nicht geben kann, nämlich einen Bestimmungsgrund far die
gesamte Arbeitsmenge, die überhaupt geleistet wird, ein
selbständiges Moment für die vorhandene Menge des Gutes
„ Arbeit ""? Ja gewifi — es kann nie mehr Arbeit geleistet
werden, wenigstens nicht von freien Arbeitern, als durch
das Resultat derselben aufgewogen wird. Aber dieses Mo-
ment ist durchaus analog den technischen Eigenschaften
der andern Produktionsfaktoren. In jedem gegebenen Zu-
stande der Wirtschaft ist jene Arbeitsmenge eine gegebene
und mit ihr wird gewirtschaftet ebenso wie mit dem ge-
gebenen Boden, der ja auch sehr verschieden ausgenützt
werden kann, gewirtschaftet wird. Sie ist abhängig von
Bevölkerungszahl, Rasse, Klima, der gesamten sozialen
Ordnung usw. Gewifi könnte man versuchen, sie weiter zu
begründen. Die Abgrenzungen, die wir machen, liegen ja
nicht in den Dingen selbst, sind vielmehr willkürlich. Aber
in unser geschlossenes System könnten wir die Disutility
nur dann aufnehmen, wenn wir sie an Stelle des Wertes
der Arbeit setzten, wenn wir sagten, dafi Arbeit keinen
W^ert, sondern nur Disutility habe. Denn unser Gleich-
gewichtssysiem ist eindeutig bestimmt: Wir haben schon
soviel Gleichungen wie Unbekannte und können daher der
Arbeit nicht Wert und Disutility zubilligen, da dadurch
unser Problem überbestimmt würde. So müssen wir denn
wählen. Das weifi niemand besser als ein Mathematiker
wie Marshall, und so ersetzt er den W^ert der Arbeit durch
ihre Disutility. Das gebt aber nicht, wie wir sehen; wir
können auch bei der Arbeit den Wert nicht entbehren —
nun, so müssen wir eben auf die Disutility verzichten und
sie in jene Momente einreihen, welche sozusagen hinter
unserem exakten Systeme stehen. Die Notwendigkeit ist
nur eine methodologische, aber nichtsdestoweniger zwingend.
Man mag das als einen Mangel unserer Methode bezeichnen,
aber solcher hat sie viele. Glaubt man dennoch, daß sie
Das Zurechnungsproblem qsw. 235
von Nutzen fOr viele Zwecke sei, so mufi man sich damit
befreunden. Und darauf hinzuweisen, betrachten wir stets
als eine unserer Hauptaufgaben. Der Nichtmathematiker
sieht den Sachverhalt nicht so deutlich und fühlt höchstens
vage, dafi das Moment der Disutility Schwierigkeiten biete.
So operiert er denn entweder ruhig damit oder sucht ihre
Bedeutungslosigkeit nachzuweisen. Aber so kann man nie
zur Klarheit kommen. Im innersten Wesen unseres Systemes
liegt der Schlüssel zum Verst&ndnisse. Doch genug davon.
Unser Ergebnis ist, dafi wir dazu gezwungen sind, die
Angebotsskala als eine Wertkurve zu betrachten. Es sind
also zweiNachfrage kurven, die sich schneiden und nicht
eine Nachfragekurve und eine wesensverschiedene Angebots-
kurve. Wenigstens glauben wir, dafi sich im ganzen und,
wenn man alle Gründe für und wieder wägt, diese Auf-
fassung am besten bewährt, am ehesten empfiehlt Wenn
man meint, sie noch tiefer begründen zu können, umso
besser; für unsere Zwecke ist es wichtiger zu betonen, dafi
ein Moment der Willkür in diesem Arrangement liegt und
zu zeigen, dafi die beiden Kurven in erheblichem Mafie von
Meinungsverschiedenheiten über ihre Natur unabhängig sind.
Auf den Laien mögen Erkenntnisse dieser Art deprimierend
wirken, wirkliches Verständnis aber kann nur mit ihrer
Hilfe gewonnen werden.
Ganz fremd sind Anschauungen, welche sich den unseren
berühren, auch Theoretikern nicht, die aufierhalb des Kreises
der Grenznutzentheorie stehen. Schon Mill hat gesagt, dafi
in jeder Nachfrage ein Angebot und in jedem Angebote
eine Nachfrage liege, und Äufieruogen ähnlicher Art ließen
sich viele anführen, aus alter und neuer Zeit; das mag
jene freuen, deren Bestreben es ist, auch heute noch für
die Klassiker einzustehen und wirklich liegt ja auch etwas
Erfreuliches darin. Allein solche einzelne Äußerungen
haben nur geringe Bedeutung; das Wesentliche ist das,
was man aus ihnen macht. Eine Bemerkung, ein Apergu,
ist bald gemacht, aber erst, wenn es zur Grundlage eines
größeren Ganzen wird, ist die entscheidende Tat getan.
236 Dm Problem de* ■tatüclieti QleiehgtnrichtM.
D&9 gilt auch hier. Trotz allen DurchlencbteDS der Er-
kenntnis, dafi die Altere Betraehtuagsweise noTollkommen
sei, h< man auch heute noch an dem Daalisroas von
Nachfrage and Angebot fest und, trotz des Eingest&ndniBses,
dafi es nicht znl&Bsig sei, die Nachfrage auf den Weit und
das Angebot auf die Kosten allein zu Bttttzen, welches wir
bei Fortgeschritteneren finden, bleibt alles beim alten. Aach
das Dictum, daß eben Angebot and Nachfrage sich in aDen
Stocken gegenseitig beeinflussen und durcheinander bedingt
seien, ftndert nichts daran, eine so tiefe Wahrheit darin
auch liegt Was soll also das: „Schon gut, schon gut, das
wissen wir auch, das ist ja Belbstverst&ndlieh", mit dem
die Argumente der Werttheoretiker immer wieder begrttßt
werden? Tats&chlicb ist man sich eben nicht klar, wie
sieh die Sache im Einzelnen denn eigentlich verb<. Jene
Punkte nun, auf die es ankommt, darzulegen, haben wir
eben versucht.
§ 3. Doch noch ist nicht alles gesagt. Wir wollen
also die Angebotskurve als eine verkehrte Kacbfragekurve
auffassen, als eine Wertkurve der ProduktionsgOter. W'ie
gesagt, kOunten wir uns damit begnOgen, den Wirtschafts-
suhjekten in ähnlicher Weise die Grenzpreisskalen der
letzteren abzufragen, wie wir das bei der Wertkurve der
CienufigQter taten und dann konnten wir es dahingestellt
sein lassen, was die Wirtschaftssubjekte zu ihren Antworten
veranlaßt. Namentlich könnte man dieselbe sowohl im
Sinne der Grenznutzen- wie der Disutilitytheorie deoten.
Aber aus den angefahrten Granden wählen wir die erstaie
Alternative und nehmen an, dafi die Wertfunktionen der
rroduktionsgüter sich aus denen der Genufigüter ergeben,
zu deren Pro«luktion man sie verwenden kann. Wir fassen
also, wie man das vielleicht am anschaulicbsten ansdrocken
könnte, die Produktions- als potentielle GenuS-
gQter auf. Den Vorgang der Produktion eines Gutes
stilisieren oder schematisieren wir for unsere Zwecke als
einen Tausch von Produkt ion&gOtem gegen jenes Gut, wobei
Du ZDTOcImniigfprobleiB uiw. 2S7
die ersteren einfacli als poteotielle Genu^Dter erscheinen.
Oder noch deutlicher: Bei jeder Produktion tauscht man
GeDaSg&termengen, welche maa mit gewissen Produktions-
gfitermengea sonst noch produzieren kftnnte, gegen eine
Menge eines bestimmten GenuBgutes, n&mlich jenes, das
man tatsächticb produziert, aus. In jeder Produktion
liegt ein Verzicht auf anderweitige m&gliche Ver-
wendungen der zu derselben nötigen ProduktivgOter zugunsten
einer der möglichen Verwendungen. Diese Anpassung
hilft uns dazu, zur Ableitung der .Preise' der Produktiv*
gOter — welche die statischen Einkommenszweige ergeben —
das Moment des Tausches zu verwenden, also die Verteilungs-
theorie auf die Wertkurven zu basieren, aber außerdem
noch, alle Veränderungen in Preisen und Gtltennengen, die
innerhalb der statischen Voraussetzungen vorkommen können,
mit ihrer Hilfe zu beschreiben.
Deshalb ist diese Auffassung außerordentlich wichtig.
In ihrem Verständnisse und ihrer Beurteilung ist es aber
essentiell, sich darOber klar zu sein, daß sie eine Au-
nahme, eine im Prinzipe willkürlich eFestsetzung
ist. Wir können sie nicht beweisen, ebensowenig wie vir
beweisen können, daß die Wertfunktion eines Genußgutes
aaf dem psychologischen Gesetze der Bedarfnissättigung
beruht. Der psychologische Ökonom mag das versuche»;
plausibel ist es ja sicher, auch trflgt es sehr zur Populari-
sierung der Theorie bei. Aber wenn man dem im ersten
Teile dieser Arbeit darüber Gesagten zustimmt, so wird
man auch hier ohne weiteres das Vorhandensein einer
neuen Hypothese konstatieren. Dieselbe ist brauchbar und
wertvoll und kollidiert nirgends mit der Wirklichkeit, aber
an sich sind andere Hypothesen ebenso möglich und „be-
rechtigt". In den Resultaten nur liegt das Kriterium
zwischen den möglichen Hypothesen und da kann man denn
sagen, daß die unsere weitaus die fruchtbarste ist. Ihre
Einfahrung — bekanntlich durch v. Wieser — ist deshalb
eine wissenschaftliche Tat von großer Bedeutung, ja es
wftre nicht falsch, erst von ihr die Existenz eines einheit-
*-p«l^" L"aui'". T***»
238 ^M Problem des statischen Gleichgewichtes.
liehen, befriedigenden Systemes der reinen Ökonomie zu
datieren. Allein an ihrem Charakter ändert das nichts.
Nun aber erhebt sich die Frage, wie unsere Annahme
des näheren durchzuführen ist. Die Angebotskurve eines
Gutes gibt uns, ist, die Wertfunktion der ProduktionsgOter.
und diese ist die Wertfunktion jener Genufigüter, welche
mit den letzteren sonst noch erzeugt werden können. Aber
dieser Genufigüter gibt es meist eine grofie Anzahl. Wenn
wir uns mit den Funktionen von solchen genug sein lassen
und die der Produktivgüter daraus ableiten wollen, so
ergibt sich ein neues Problem: Nur wenn lediglich eine
andere Verwendung der Produktionsgüter des betrachteten
Genufigutes möglich wäre, würde die Sache ganz einfach
sein. In diesem Falle wäre die Angebotskurve die um-
gekehrte Wertkurve eben jener anderen Verwendungsart.
Im allgemeinen ist das aber nicht der Fall. Besonders
wenn man, wie es üblich und im Hinblicke auf gewisse
Zwecke notwendig ist, alle Produktionsgüter in die drei
Kategorien Arbeits-, Kapital- und Bodenleistungen einreiht,
muß man anerkennen, daß diese drei Produktionsgüter
eben in allen Produktionen verwendet werden, sodafi in der
Allgebotskurve eines jeden Gutes die Wertkurven aller
andern Güter irgendwie zum Ausdrucke kommen müssen.
Tatsächlich ist das nicht mehr wie selbstverständlich.
In einer „geschlossenen** etwa „kommunistischen** Wirtschaft
kann deren Leitung nur dann daran gehen, gewisse Mengen
jener drei Produktionsfaktoren einer bestimmten Produktion
zuzuwenden, wenn sie sich überzeugt hat, dafi es mit den
ersteren keine wichtigeren Bedürfnisse des Gemeinwesens
zu befriedigen gibt — wobei es natürlich für unseren Zweck
gleichgiltig ist, wie festzustellen ist, daß etwas „Bedürfnis
des Gemeinwesens** und ferner das wichtigste dieser Be-
dürfnisse ist — und diese Überzeugung wird nur durch
Betrachtung der gesamten übrigen Güterversorgung gewonnen
werden können. Bei jeder wirtschaftlichen Aufwendung
wird jene Leitung unter dem Drucke der Werte aller
anderen möglichen Aufwendungen stehen und eben dieser
Dna ZorechnnngBproblem anr. 239
^Drack' wird einen bestimmendeD EinfluB auf die Gr&Se
der ersteren haben — ist er doch nichts anderee als die
Folge der Beschränktheit der OQtervorr&t« und des Bestrebens,
das Beste aus ihnen zd machen. Unsere Theorie von der
Angehotslturve — und im Grunde alle unsere Theorie —
bringt nun die Tatsache zum Ausdrucke, daß diese beiden
Momente dazu ausreichen, um eine bestimmte Handlunga-
weise unter gegebenen VerhSltnisBen zu erzwiDgen und
speziell die Größe des Angebotes an jedem einzelnen Gute
sehr merklich der WillhUr zu entrQcken. Und sie bringt
uns auch zum Bewußtsein, daß nur alle jene Elemente, von
denen sie ihren Aasgangspunkt nimmt — Wertfunktionen
und Mengen aller GOter — zuBtunmea zur Bestimmung
jedes derselben ausreichen.
Prinzipiell ganz ebenso liegt die Sache in der Verkehrs-
wirtschaft: Das Angebot an einem Gute wird bei gegebenem
Preise von den Preisen der drei ProduktionsgQter abhAngen
und je mehr man von ihm erzeugt, umso höher werden
diese steigen, so an einem bestimmten Punkte der Pro-
duktion ein Ende setzend. Und aus demselben Grunde wie
froher, nAmlich, weil sie immer wichtigeren anderen Ver-
wendungen entzogen werden mfissen. So werden also auch
hier die Werte and Preise der ProduktionsgOter in allen
anderen Verwendungen das Angebot an jedem einzelnen
Genußgute mitbestimmen und so wird sich auch hier der
Ein6aB aller Genufigüterwerte und -preise bei jedem
einzelnen foblbar machen. Wollte man denselben ignorieren,
BO ließe sich stets eine bestimmte Größe in „Geld" oder
einem anderen Wertmaße angeben, welche den dadurch
angerichteten „Schaden" mißt. Und zwar ganz ebenso in
der verkehrslosen wie in der Verkehrswirtschaft. Wollte
man sich popul&r ausdrucken und darüber hinwegsehen,
daß diese Ausdrucksweise sowohl erkenntnistheoretische wie
andere M&ngel hat, so könnte mau sagen, daß es das Grund-
problem der Ökonomie sei, gewisse Notwendigkeiten, die
die Beschränktheit der GOtermengen dem wirtschaftlichen
Handeln auferlegt — immer und überall, mögen die kou-
tti i mM^^vnttmt^
240 I^as Problem des statiaehen Gleiehgawichtee.
kreten Formen und aDderen Verh<niBae der Wirtschaft
welche immer sein — , zu beschreiben und deren Konse-
quenzen abzuleiten. Unser Ausgehen von den Gütermengen
erscheint also hier in einer „tieferen'' Bedeutung, in etwas
anderem Lichte als früher.
Das hat nun eine wichtige Konsequenz für unsere
Angebotskurve. Es erklärt uns, warum die besten Theore-
tiker nie von einem Angebote eines Produktes, sondern
immer von dem Angebote an Produktivgütern sprechen.
An sich würde uns ja nichts hindern, der Nachfrage nach
einem Gute sein Angebot gegenüberzustellen. Allein, wenn
wir das täten, so würden wir nur einen Ausschnitt der
Wirklichkeit vor uns haben, der nur für manche, nicht fftr
alle Fälle zu brauchbaren Resultaten ausreichen würde.
Betrachte ich das Angebot an einem Gute an sich, wie
wenn es nur vom Werte und den sonstigen Verhältnissen
dieses einen Gutes abhängig wäre und ohne Rücksicht auf
die Werte der andern, so mag das ausreichen, um gewisse
Wahrheiten zu demonstrieren — korrekt ist es auch da
nicht — aber unvollständig ist das sicherlich, da dieses
Angebot ja unter dem Einflüsse der Mengen und Werte
aller andern Güter steht. Und diese letzteren wirken eben
durch die Werte der Produktivgüter hindurch. Will ich
also diese Einwirkung, die ja der hauptsächlichste Hebel
für die Adjustierung aller Werte und Mengen ist, nicht
vernachlässigen und das Angebot jedes Gutes in seiner
Wechselwirkung mit allen andern Angeboten erfassen, so
darf ich nicht für jedes Gut eine individuelle Angebots-
kurve konstruieren, sondern tue besser, von einem Angebote
an Produktionsmitteln, das natürlich bei jedem Gute ver-
schieden zusammengesetzt ist, zu sprechen. In der so inter-
pretierten Wertkurve kommen dann die Gesamtwerte aller
Güter und die gegenseitige Abhängigkeit derselben znm
Aus<lrucke. In jedem gegebenen Zustande der Wirtschaft
gibt es mit Hinblick auf alle in demselben vor sich gehenden
Produktionen eindeutig bestimmte Angebote an Produktions-
mitteln für jede derselben, welche alle entscheidenden Mo-
Das Zarechnongsproblem qsw. 239
„Druck' wird einen bestimmenden Einflufi auf die Gröfie
der ersteren haben — ist er doch nichts anderes als die
Folge der Beschränktheit der Gütervorrftte und des Bestrebens,
das Beste aus ihnen zu machen. Unsere Theorie von der
Angebotskurve — und im Grunde alle unsere Theorie —
bringt nun die Tatsache zum Ausdrucke, dafi diese beiden
Momente dazu ausreichen, um eine bestimmte Handlungs-
weise unter gegebenen Verhältnissen zu erzwingen und
speziell die Größe des Angebotes an jedem einzelnen Gute
sehr merklich der Willkür zu entrticken« Und sie bringt
uns auch zum Bewußtsein, dafi nur alle jene Elemente, von
denen sie ihren Ausgangspunkt nimmt — Wertfunktionen
und Mengen aller Güter — zusammen zur Bestimmung
jedes derselben ausreichen.
Prinzipiell ganz ebenso liegt die Sache in der Verkehrs-
wirtschaft: Das Angebot an einem Gute wird bei gegebenem
Preise von den Preisen der drei Produktionsgüter abhängen
und je mehr man von ihm erzeugt, umso höher werden
diese steigen, so an einem bestimmten Punkte der Pro-
duktion ein Ende setzend. Und aus demselben Grunde wie
früher, nämlich, weil sie immer wichtigeren anderen Ver-
wendungen entzogen werden müssen. So werden also auch
hier die Werte und Preise der Produktionsgüter in allen
anderen Verwendungen das Angebot an jedem einzelnen
Genußgute mitbestimmen und so wird sich auch hier der
Einfluß aller Genußgüterwerte und -preise bei jedem
einzelnen fühlbar machen. Wollte man denselben ignorieren,
80 ließe sich stets eine bestimmte Größe in „Geld'' oder
einem anderen Wertmaße angeben, welche den dadurch
angerichteten „Schaden'' mißt. Und zwar ganz ebenso in
der verkehrslosen wie in der Verkehrswirtschaft Wollte
man sich populär ausdrücken und darüber hinwegsehen,
daß diese Ausdrucksweise sowohl erkenntnistheoretische wie
andere Mängel hat, so könnte man sagen, daß es das Grund-
problem der Ökonomie sei, gewisse Notwendigkeiten, die
die Beschränktheit der Gütermengen dem wirtschaftlichen
Handeln auferlegt — immer und überall, mögen die kon-
»^^^mmum
242 ^&s Problem des statischen Gleichgewichtes.
und die Regeln dieser „Zurechnung* zu finden haben, so
sind wir endlich angelangt bei y. Wiesers Problem.
Populär kann man seinen Inhalt etwa so ausdrücken:
Es geht davon aus, dafi die Produktivgttter Wert haben,
weil man sie braucht, dafi Lohn, Rente und Zins gezahlt
werden und auch in der geschlossenen Wirtschaft Arbeit,
Boden und Kapital Gegenstände wirtschaftlicher Fürsorge
und wirtschaftlicher Erwägungen sind, weil sie zum Erwerbe
von Genußgütem führen. Und es wird als Mafi dieses
„Brauchens'' eben der Wert der letzteren angenommen, die
Gröfie der Bedürfnisbefriedigung, welche von den letzteren
abhängt. Befriedigung von Bedürfnissen geben direkt nur
Genufigüter, in ihnen „entsteht^ also der Wert. Und dieser
Wert strahlt sozusagen auf die Produktivgüter zurück, wie
das Licht eines Leuchtkörpers auf eine „dunkle" Wand.
Es erhebt sich nun die Frage, wie dieser Wert auf die
Produktivgüter zurückstrahlt und wieviel Wert sie dadurch
selbst bekommen.
Die methodologische Bedeutung und das Wesen dieser
Auffassung haben wir bereits dargelegt. Nur deshalb und
um sie in das richtige Verhältnis zu andern möglichen Auf-
fassungen zu setzen, haben wir jene trockenen Erörterungen
vorgeführt. Wir glauben, daß dieselben nicht ohne Wert
waren; denn wenn man schon Theorie betreibt, so mufi
man es so gründlich und korrekt wie möglich tun. Wen
alle die gestreiften Probleme nicht interessieren, der kann
sich mit dem eben Gesagten begnügen. Dann hätte man
aber kein Recht, ül>er unbefriedigende und unklare Punkte
in der Theorie zu klagen. Sicherlich lohnt vielleicht die
tiefere Analyse, die wir versuchten, nicht der Mühe; aber
dann gibt man besser die Theorie überhaupt auf. Will
man das nicht, so muß man eben tiefer gehen, als all-
gemeine Argumentationen für oder gegen Freihandel usw.
es gestatten. Und da ich den Eindruck habe, daß mancher
das heutzutage wünscht und, müde von Prinzipienstreiten,
einmal näher in die Sache eingehen will, so hoffe ich, dafi
mau meine Ausführungen, so abstrus sie aueh seheinen
Du Zntachiuiiigaproblem ntw. 24S
mögen, eDtBcbnldigen wird. Freilieb sind bie keine faszi-
nierende Lektttre, aber ich glaabe, daß man daf&r von
ihnen einen wirklichen Gewinn haben und das, womit sieh
die Theoretiker eigentlich plagen, nunmehr besser yer"
stehen wird.
§ 4. Eb erübrigt nur noch, das Zurechnangsproblem
za lösen, d. b. die Wertskalen der einzelnen Prodaktiv-
gOter wirklich abzuleiten. Wie wir, um nicht noch trockener
sein zn mOssen, als es ohnebin nötig ist, schon bisher nicht
immer strenge an jeaer AusdraeksweiBe festhielten, welche
wir als die korrekte ansehen, so wollen wir uns auch welter'
hin der gleichen Freiheit bedienen, wo es ohne Schaden
möglich scheint. Aber jeder, dem daran liegt, wird sich
unschwer davon Überzeugen können, daß psychologische
Ausdmeksweise asw. für uns nie wesentlich sind und leicht
korrigiert werden können.
Wirkliche Lösungen des Zurechnungsproblemes werden
nur von der „österreichischen Schule" geboten. Dieselben
lauten nicht ganz gleich. Es liegt jedoch im Wesen der
Sache, dafi solche Difierenzen keine weiterreichenden Kon-
sequenzen haben. Was wir wollen und können ist ja nur,
zn zeigen, daß Produktivgüter ebenso und ebensolche Wert-
funktionen haben, als GenufigQter und daß sich die der
ersteren aus denen der letzteren ableiten lassen. Der erste
Punkt dient nur zur Interpretation der Angebotskurve und
der zweite erspart es uns, di^elbe empirisch feststellen zu
mOssen und gibt uns jene Relation, auf der die Theorie
der Einkommensbildung, d. h. der Wert- und Preisbildung
der Produktionsgüter beruht. Allein, das ist alles, was
nötig ist Wenn man sich darüber und Ober die Lösbarkeit
des Probleraes einig ist, so werden alle Konklusionen aus
der Zureehnungstheorie identisch sein, mögen auch die
Lösungen des Problemes difTerieren. Da wir ja keine kon-
kreten Rechnungen durchfahren, sondern uns mit den er-
wlbnten allgemeinen Momenten begnOgen, so können solche
Differenzeo nicbt zu Differenzen z. B. in der Verteilungs-
244 ^M Problem des statischen Gleichgewichtes.
theorie führen oder sonst irgendwelche Folgen haben.
Namentlich wird auch eine fehlerhafte Lösung keineswegs
die weiteren Resultate beeinflussen , und selbst das Ab-
handensein einer konkreten Lösung überhaupt wird sich,
wenn die Lösbarkeit selbst nicht in Frage steht, nicht be-
sonders fühlbar machen. Diese Tatsache erklärt es, warum
dieses fundamentale Problem so spät und so wenig be-
handelt worden ist. Man kann sagen, dafi viele Autoren
es einfach als gelöst betrachteten und mit den Werten der
Produktivgüter ebenso sicher operierten, wie mit jenen der
Genufigüter. Alle jene haben das getan , welche sich
fragten, was der „Anteir der einzelnen Produktivgüter,
etwa der Arbeit oder des Bodens, an dem produktiven
Effekte sei. Thünens Theorie z. B. ist auf diese Weise
sicherlich ein Versuch einer Zurechnungstheorie und die
modernen Arbeiten über das Yerteilungsproblem wird man
zweifellos ebenfalls unter diesem Titel begreifen können.
Was sonst als eine Zurechnungstheorie ist das System
J. B. Clarks? Ja selbst viele Ausführungen der Klassiker
können so aufgefaßt werden. So ist denn unser Problem
seinem Wesen nach nicht neu, was freilich nicht ausschließt,
daß es erst neuestens bewußt formuliert und in seiner
fundamentalen Bedeutung erkannt wurde. Bis dahin klaffte
eine tiefe Lücke im Systeme unserer Wissenschaft; und
wenn sie auch meist übersehen wurde und das, wie gesagt,
auch ein Weitergehen nicht unmöglich machte, so war sie
doch nichtsdestoweniger vorhanden und jede tiefere Analyse
mußte auf sie führen.
Wir wollen uns nur kurz mit der Lösung des Problemes
l)efassen und andere Lösungen nicht diskutieren. Auch so
noch ist die Sache ziemlich kompliziert. Übrigens wollen
wir sie uns tunlichst vereinfachen. Da wir, wie gesagt, ja
nicht daran denken können, konkrete Fälle aus der Wirk-
lichkeit zu behandeln und uns begnügen müssen, zu zeigen,
wie sich die Sache im Prinzipe verhalt, so hindert uns
nichts, unsere Beispiele so einfach zu wählen, wie möglich.
Zur Vorbereitung zunächst einige anschauliche FUle:
Dm Zaiedmangsproblem ntw. 243
mögen, entschuldigen wird« Freilich sind bie keine faszi-
nierende Lektttre, aber ich glaube, dafi man dafür von
ihnen einen wirklichen Gewinn haben und das, womit sich
die Theoretiker eigentlich plagen, nunmehr besser ver-
stehen wird.
§ 4» Es erübrigt nur noch, das Zurechnungsproblem
zu lösen, d. h. die Wertskalen der einzelnen Produktiv-
guter wirklich abzuleiten. Wie wir, um nicht noch trockener
sein zu müssen, als es ohnehin nötig ist, schon bisher nicht
immer strenge an jener Ausdrucksweise festhielten, welche
wir als die korrekte ansehen, so wollen wir uns auch weiter-
hin der gleichen Freiheit bedienen, wo es ohne Schaden
möglich scheint« Aber jeder, dem daran liegt, wird sich
unschwer davon überzeugen können, dafi psychologische
Ausdrucks weise usw. für uns nie wesentlich sind und leicht
korrigiert werden können.
Wirkliche Lösungen des Zurechnungsproblemes werden
nur von der „österreichischen Schule" geboten. Dieselben
lauten nicht ganz gleich. Es liegt jedoch im Wesen der
Sache, dafi solche Differenzen keine weiterreichenden Eon-
sequenzen haben. Was wir wollen und können ist ja nur,
zu zeigen, daß Produktivgüter ebenso und ebensolche Wert-
funktionen haben, als Genufigüter und dafi sich die der
ersteren aus denen der letzteren ableiten lassen. Der erste
Punkt dient nur zur Inteq)retation der Angebotskurve und
der zweite erspart es uns, die6ell)e empirisch feststellen zu
müssen und gibt uns jene Relation, auf der die Theorie
der Einkommensbildung, d. h. der Wert- und Preisbildung
der Produktionsgüter beruht. Allein, das ist alles, was
nötig ist. Wenn man sich darüber und über die Lösbarkeit
des Problemes einig ist, so werden alle Konklusionen aus
der Zurechnungstheorie identisch sein, mögen auch die
Lösungen des Problemes differieren. Da wir ja keine kon-
kreten Rechnungen durchführen, sondern uns mit den er-
wähnten allgemeinen Momenten begnügen, so können solche
Differenzen nicht zu Differenzen z. B. in der Verteilungs-
16 •.
246 ^^ Problem des statischen Gleichgewichtes.
es praktisch einen Sinn haben soll: Man mQflte dabei im
Auge behalten, dafi ja die produktive Leistung eines
Produktionsfaktors noch nicht die Zuweisung seines
ganzen Ertrages an seinen Besitzer rechtfertigt, daß femer
vor allem anderen wirkliches Not leiden eines Teiles der
Wirtschaftssubjekte vermieden werden muß, ganz ohne
Rücksicht auf den Wert des Produktionsmittels, über das
sie verfügen und dafi das moralische Urteil viel mehr auf
dieses Moment reagiert, als auf irgend ein anderes.
Aber hier interessieren uns andere Fragen« Vor allem,
*^— ist unser Beispiel etwa sinnlos? Was hat es denn ffir
einen Zweck, zu sagen, dafi der Fiaker mir einen Dienst
leistet, der 500 Mark wert ist, wenn er weder soviel be-
kommt, noch soviel bekommen sollte, noch auch eine
Tendenz besteht, ihm soviel zuzuweisen? In der Tat wäre
kein Vergnügen billiger, als unsere Darstellung des Falles
lächerlich zu machen. Ganz dasselbe ließe sich ja von allen
anderen Kostenelementen meiner Geschäftsreise sagen. Er-
gäbe sich da nicht, dafi alle zusammen viel mehr wert sind,
als ihr Erfolg selbst? Und doch liegt nichts Sinnloses
darin. Wäre sich der Fiaker seiner Vorteile bewuSt, so
könnte er wirklich viel mehr erlangen als seine Taxe, und
zwar im äußersten Falle 500 Mark. Freilich kann man
dasselbe von allen anderen Leuten sagen, deren Mitwirkung
ich zu meinem Geschäfte bedarf und alle zusammen können
nicht mehr erhalten, als jene Summe. Aber von vornherein
hat jeder von ihnen die gleiche Anwartschaft darauf und
jedermanns Höchstgewinn und der Wert der Leistung jeder-
manns für mich ist durch die 500 Mark gemessen.
Dennoch ist unser Beispiel nicht glücklich. Solche ein-
fache Fälle sind immer eine zweischneidige Waffe, und iri^
möchten allen Theoretikern raten, der Versuchung zu wide^
stehen, derartige Fälle zu konstruieren. Sie sind gut ge-
meint und an sich durchaus einwandfrei, doch begegnen sie
oft Mifiverständnissen , machen mitunter auf den Kicht-
theoretiker, der ihre tiefere Bedeutung nicht erfaßt, einen
geradezu komischen Eindruck. Beispiele aus einem groß-
Das Zurechnungsproblem usw. 247
artigeren Rahmen wirken viel besser und sind dem Ansehen
der Theorie viel förderlicher, so anziehend es scheinen mag,
die großen Gesetze des Wirtschaftslebens an kleinen Bei-
spielen der alltäglichen Erfahrung zu demonstrieren und so
nachzuweisen, dafi dieselben Formeln auf alle Vorgänge
passen. Wählen wir also ein anderes: Verschiedene Inter-
essengruppen beteiligen sich an einem Unternehmen z. B. einem
Bahnbaue. Die Mitwirkung aller sei unentbehrlich, so dafi
der Erfolg, gemessen in Geld an dem „Reingewinne'', von
jeder derselben abhängt. Jede mufi so viel erhalten, dafi
ihr ihre „Kosten*' ersetzt werden, d. h. so viel als sie für
ihre Aufwendungen anderweitig erlangen könnte, sonst wird
sie im allgemeinen nicht mitwirken. Wohl mögen andere
Gründe sie dennoch dazu veranlassen, sie mag z. B. Wert
darauf legen, auf diese Unternehmung Einflufi zu gewinnen
und zu diesem Zwecke auch zu Opfern bereit sein; doch
Momente dieser Art werden, so wesentlich sie auch zum
Verständnisse eines konkreten Falles sein mögen, die
groflen Linien der Vorgänge nicht verwischen. Aber dann
bleibt ein Überschufi, dessen Erlangung eben der un-
mittelbare wirtschaftliche Grund der Unternehmung ist
und dieser Überschuß kann von jeder der mitwirkenden
Gruppen an sich gerissen werden« Je nach ihrer Energie,
Organisation, publizistischen und parlamentarischen Ver-
tretung werden sie größeren oder geringeren Erfolg haben,
von vornherein aber kann jede derselben auf den ganzen
hoffen; jedenfalls ist der ganze von ihrer Mitwirkung ab-
hängig, mithin ihr zuzurechnen. Handelt es sich
darum, auf ihre Mitwirkung zu verzichten, eröffnet sich ihr
z. B. eine andere Erwerbsgelegenheit, welche ihre Mitarbeit
an dem Bahnbaue ausschließt, so werden die anderen Be-
teiligten den Übergang zu derselben eventuell mit dem
Opfer nahezu des ganzen Überschusses hintanzuhalten
suchen. So liegt denn nichts Widersinniges darin, den
Wert der Mitwirkung aller einzelnen mit dem Gesamtwerte
anzuschlagen, den die Unternehmung verwirklicht Aber,
auf der anderen Seite, die Gruppen müssen sich schliefilich
am
248 ^^ Problem des statischen Gleichgewichtes.
doch in den Ertrag teilen, nicht alle können alles be-
kommen.
Das ist nun die grofie crux der Verteilungstheorie.
Arbeiter, Kapitalisten und Grundeigentümer, sie alle, oder
doch die Produktivgüter, die sie besitzen, sind unentbehrlich
zu jeder Produktion. Es ist leicht zu zeigen, da6 der pro-
duktive Erfolg von allen drei Kategorien in gleicher Weise
abhängt und dafi es kein Kriterium gibt, welches geeignet
wäre, den einen Produktionsfaktor vor dem anderen in
dieser Beziehung auszuzeichnen. Nur bei der Arbeit freilich
ist man mitunter soweit gegangen, ihr den ganzen Wert der
Produkte, die mit ihrer Hilfe erzeugt werden, zuzurechnen.
Aber ebenso leicht ließe sich vom rein wirtschaftlichen
Standpunkte dasselbe für die anderen Produktions-
faktoren nachweisen. Deshalb scheint also diese Betrachtungs-
weise nicht sehr weit zu führen. Einen Verteilungsmafistab
jenes Überschusses an Wert, den wir hier mit Geld messen und
als Reinertrag bezeichnen, jenes Überschusses über den Wert der
einzelnen Produktionsmittel in anderen Verwendungen, als
jene , welche man gerade betrachtet , gibt sie uns jedenfalls
nicht. Sie hat sicherlich eine Bedeutung für die Wirklich-
keit und ist kein Phantasiegebilde ohne Rückhalt in den Tat-
sachen; denn wirklich kann unter Umständen eines der drei
Produktionsmittel den ganzen Überschuß davontragen. Aber
dennoch reicht sie nicht aus. In verschiedener Weise hat man
sich aus diesen Schwierigkeiten zu ziehen gesucht. Wir wollen
den folgenden Weg einschlagen. Im Prinzipe sollen jedem
Produktionsgute die Werte aller jener Produkte zu-
gerechnet werden, an deren Produktion es teilnimmt
oder vielmehr, es sollen in den Wertfunktionen der
Produktionsgüter die Wertfunktionen aller jener
Produkte erscheinen. Das hat allerdings die Folge,
daß die Wertskalen der ersteren nicht addierbar sind.
Aber was macht dasV Zu welchem Zwecke wäre eine
solche Addition nötig? Bleibt man sich nur immer bewußt,
was unsere Wertkurven eigentlich bedeuten, so wird man
darin nichts Auffälliges finden. Und diese Wertkurven
Das Zarechnungsproblem asw. 247
artigeren Rahmen wirken viel besser und sind dem Ansehen
der Theorie viel förderlicher, so anziehend es scheinen mag,
die großen Gesetze des Wirtschaftslebens an kleinen Bei-
spielen der alltäglichen Erfahrung zu demonstrieren und so
nachzuweisen, dafi dieselben Formeln auf alle Vorgänge
passen. Wählen wir also ein anderes: Verschiedene Inter-
essengruppen beteiligen sich an einem Unternehmen z. B. einem
Bahnbaue. Die Mitwirkung aller sei unentbehrlich, so daß
der Erfolg, gemessen in Geld an dem „Reingewinne", von
jeder derselben abhängt. Jede muß so viel erhalten, daß
ihr ihre „Kosten" ersetzt werden, d. h. so viel als sie für
ihre Aufwendungen anderweitig erlangen könnte, sonst wird
sie im allgemeinen nicht mitwirken. Wohl mögen andere
Gründe sie dennoch dazu veranlassen, sie mag z. B. Wert
darauf legen, auf diese Unternehmung Einfluß zu gewinnen
und zu diesem Zwecke auch zu Opfern bereit sein; doch
Momente dieser Art werden, so wesentlich sie auch zum
Verständnisse eines konkreten Falles sein mögen, die
großen Linien der Vorgänge nicht verwischen. Aber dann
bleibt ein Überschuß, dessen Erlangung eben der un-
mittelbare wirtschaftliche Grund der Unternehmung ist
und dieser Überschuß kann von jeder der mitwirkenden
Gruppen an sich gerissen werden. Je nach ihrer Energie,
Organisation, publizistischen und parlamentarischen Ver-
tretung werden sie größeren oder geringeren Erfolg haben,
von vornherein aber kann jede derselben auf den ganzen
hoffen; jedenfalls ist der ganze von ihrer Mitwirkung ab-
hängig, mithin ihr zuzurechnen. Handelt es sich
darum, auf ihre Mitwirkung zu verzichten, eröffnet sich ihr
z. B. eine andere Erwerbsgelegenheit, welche ihre Mitarbeit
an dem Bahnbaue ausschließt, so werden die anderen Be-
teiligten den Übergang zu derselben eventuell mit dem
Opfer nahezu des ganzen Überschusses hintanzuhalten
suchen. So liegt denn nichts Widersinniges darin, den
Wert der Mitwirkung aller einzelnen mit dem Gesamtwerte
anzuschlagen, den die Unternehmung verwirklicht. Aber,
auf der anderen Seite, die Gruppen müssen sich schließlich
250 '^ Problam dei «Utiicheii OUicbgewichtes.
das zu einer solchen Kombination gehört, immer der gaoze
Nutseffekt in Betracht kommt. Und deshalb «fthleo vir
diese Auffassung; eine Addition der sich so ergebendeo
Gesamtwerte solcher GDter aber h&tte keinen Sioo, wflnle
eine Wertsumme ergeben, die größer wäre als der Wert
des gemeinsamen Nutzeffektes.
Nur solange als man diese Addition vornehmen will
und an der Vorstellung festbftlt, daS der Wert eines Pro-
duktes sich auf die ProduktivgOter desselben verteilen didB,
wie die W&rme eines KOrpeis auf eine von ihm bestrahlte
Wand, besteht die Schwierigkeit, von der wir spracbaL
Gibt man die erstere auf Jind erinnert man sich stete
daran, was unsere Kurven bedeuten und was wir mit ihueo
wollen, so verschwindet die letztere.
In den angeführten F&llen fehlte jedoch ein Momeoi,
das geeignet scheint, der Wertzurechnung die vermiSte Be-
stimmtheit zu geben. Es ist das der Konkurrenz. V^eoB.
um wieder auf unser Beispiel vom Bahnbaue zurDekn-
kommen, die Arbeiter, Kapitalisten und Grandeigentamer
nicht, wie wir sagten, drei Gruppen bilden, soDdem sich
untereinander unterbieten, so wird ihr Anteil beatimiut
werden; bei völlig freier Konkurrenz, aus der sich eigil*.
das sogleich auch andere Bahnen gebaut worden, wenD Av
erste einen solchen „Überschuß" Ober die „Kosten" giW-
mfißte außerdem dieser Überschuß, der aufgeteilt weniei
soll, eine Tendenz zum Verschwinden haben. Wie steht »
nun? Gewiß, die Anteile der Produktivgüter am Erlöse «n*
einer Produktion sind, wie wir noch in der Preistbeon*
sehen werden, nur im Falle „freier KonkurrenE* eindeutig
bestimmt. Wenn dieser nicht vorliegt, reicht auch niwef«
■ Hoffentlich ist sich der Leier über die Bedentang aoMi« i
Terminologie klar; z. ß. heißt hier der Aasdrock „Kosten": W«H >■ j
Geld, der io anderen Verwendungen realiBiert wird. Di« Klino mutm j
DiskoMion macht vClIige Korrektheit in der Anwlnicksweise umri^fi^ '
und ich lege Wert darauf, den Leser vor mfigUchen IT
Das Zurechnungsproblem usw. 2.')!
Auffassung zu einer eindeutigen Bestimmung dieses Anteiles
nicht aus. Ihr Vorteil besteht da lediglich darin, dafi sie
uns die Anwendung der Tauschgesetze ermöglicht. Aber
das Resultat ist nicht eindeutig.
Allein, unterscheiden wir näher. Das, was nur im
Falle der freien Konkurrenz — und sonst nicht — eindeutig
bestimmt ist, ist nichts anderes als der Preis der Produktiv-
guter und femer ihre schließlichen Grenznutzen. Ihre Wert-
funktionen stehen auch sonst nach unserer Auffassung
völlig fest Hier handelt es sich darum, ob nicht auch
diese durch das Moment der Konkurrenz eine Bestimmtheit
erlangen können, welche ihnen nach der Auffassung mancher
Theoretiker andernfalls fehlt. Und zwar kommt hier nicht
die Konkurrenz anderer Wirtschaftssubjekte, sondern eine
andere Art von Konkurrenz in betracht, nämlich die anderer
Verwendungsmöglichkeiten. Man kann auch so argumen-
tieren: Wenn Produktivgüter nur eine bestimmte Ver-
wendung haben, zur Erzeugung nur eines Produktes ge-
eignet sind, so ist die Wertfunktion jedes derselben nicht
weiter bestimmt. Hat aber z. B. eines von ihnen auch
noch eine andere Verwendung, soda6 es aus dieser herbei-
gezogen werden kann, so hängt von einer konkreten Menge
desselben nicht der ganze Wert, den die erstere Verwendung
realisiert, ab, sondern nur jener, auf welchen man verzichten
mnfi, wenn man es aus der letzteren herauszieht, welche
notwendig geringwertiger sein mufi, wenn der ganze Prozeß
überhaupt vor sich gehen soll. Nur mit diesem geringeren
Werte würde dieses Produktivgut anzuschlagen sein, und
wir wären in der Lage, es mit einem bestimmten, eben
diesem geringeren, Werte in unsere Rechnung einzustellen
and hätten den Überschuß nur auf die übrigen Produktions-
gflter zu verteilen. Da aber fast alle mehrere Verwendungen
gestatten, so würden sich auch für andere ebensolche be-
stimmte Werte ergeben und es liegt im Sinne dieser Auf-
üissung, auf diese Art dahin zu kommen, unseren Über-
fchufi nur einem der mitwirkenden Faktoren zurechnen zu
können, womit denn dasselbe erreicht scheint, wie durch
252 ^^ Problem des statischen Gleichgewichtes.
unsere Auffassung: nämlich die Bestimmtheit der Werte
aller Produktivgüter.
In unseren Beispielen also würde der Wert der Leistimg
des Fiakers nur soviel betragen, als der jener Fahrt, welche
er sonst machen könnte, der Wert der Leistung unserer
Arbeiter am Bahnbaue nur soviel, als der jener Arbeit, die
sie sonst erlangen könnten usw. Und sicherlich würde
diese Auffassung in vieler Hinsicht plausibler sein als die
unsere.
Allein die folgenden Bedenken scheinen sie mir uo-
möglich zu machen. Vor allem löst sie das Problem niehtt
sondern schiebt es nur um einen Schritt zurück. Woher
kommt denn der Wert in jener anderen Verwendung? Ent-
weder es gibt noch eine weitere oder nicht. In letzterem
Falle stehen wir vor ganz demselben Probleme und auch
der erstere muß früher oder später auf eine letzte, gering-
wertigste Verwendungsart zurückführen, deren Wert dann
der Erklärung ermangelt. So kommen wir dann doch wieder
auf jene Schwierigkeiten zurück, welche zu unserer Auf-
fassung führen. Sodann, wie steht es, wenn alle zu-
sammenwirkenden Güter einen solchen geringeren Wert
haben, welchem soll da der Überschuß zugerechnet werdenlf
Ein solcher Fall ist durchaus möglich und, wenn er eis*
tritt, hängt jener Wertüberschuß völlig in der Luft. V^i
das darf nicht geschehen; es muß der ganze Wert des
Produktes in den Wertfunktionen der Produktivgüter unter
gebracht werden, wenn wir unser Problem als gelöst be-
trachten sollen.
Diese beiden Einwendungen führen auf die dritte:
Diese Auffassung übersieht etwas, nämlich die Wertsteigenuft
welche die Folge einer neuen Verwendungsmöglichkeit fU
ein Produktivgut ist. Der Grund, warum sie das übersieht
liegt in der von uns schon wiederholt gerügten Vermengufig
von Wertfunktion und Gesamtwert. Wenn eine neue vor-
teilhafte Verwendung eines Gutes möglich wird, so steigt
sein Wert aus zwei Ursachen: Vor allem deshalb, weil nun
für die bisherigen Verwendungen eine geringere Menge
Dm Znrechnuiigsproblem usw. 251
Aoffassong zu einer eindeutigen Bestimmung dieses Anteiles
nicht aus. Ihr Vorteil besteht da lediglieh darin, dafi sie
uns die Anwendung der Tauschgesetze ermöglicht. Aber
das Resultat ist nicht eindeutig.
Allein, unterscheiden wir näher. Das, was nur im
Falle der freien Konkurrenz — und sonst nicht — eindeutig
bestimmt ist, ist nichts anderes als der Preis der Produktiv-
gfiter und femer ihre schließlichen Grenznutzen. Ihre Wert-
funktionen stehen auch sonst nach unserer Auffassung
völlig fest Hier handelt es sich darum, ob nicht auch
diese durch das Moment der Konkurrenz eine Bestimmtheit
erlangen können, welche ihnen nach der Auffassung mancher
Theoretiker andernfalls fehlt. Und zwar kommt hier nicht
die Konkurrenz anderer Wirtschaftssubjekte, sondern eine
andere Art von Konkurrenz in betracht, n&mlich die anderer
Verwendungsmöglichkeiten. Man kann auch so argumen-
tieren: Wenn Produktivgüter nur eine bestimmte Ver-
wendung haben, zur Erzeugung nur eines Produktes ge-
eignet sind, so ist die Wertfunktion jedes derselben nicht
weiter bestimmt. Hat aber z. B. eines von ihnen auch
noch eine andere Verwendung, soda6 es aus dieser herbei-
gezogen werden kann, so hängt von einer konkreten Menge
desselben nicht der ganze Wert, den die erstere Verwendung
realisiert, ab, sondern nur jener, auf welchen man verzichten
muß, wenn man es aus der letzteren herauszieht, welche
notwendig geringwertiger sein muß, wenn der ganze Prozeß
überhaupt vor sich gehen soll. Nur mit diesem geringeren
Werte würde dieses Produktivgut anzuschlagen sein, und
wir wären in der Lage, es mit einem bestimmten, eben
diesem geringeren, Werte in unsere Rechnung einzustellen
und hätten den Überschuß nur auf die übrigen Produktions-
güter zu verteilen. Da aber fast alle mehrere Verwendungen
gestatten, so würden sich auch für andere ebensolche be-
Btinunte Werte ergeben und es liegt im Sinne dieser Auf-
fassung, auf diese Art dahin zu kommen, unseren Über-
schuß nur einem der mitwirkenden Faktoren zurechnen zu
können, womit denn dasselbe erreicht scheint, wie durch
254 ^^ Problem des statischen Gleichgewichtes.
geringstwertigen , noch tatsAchlich vorgenommenen Ver-
wendung und die zu einer neuen Verwendung nOtige Menge
eines Produktivgutes sicherlich „von der Grenze'' genommen
wird, so sieht es so aus, wie wenn wirklich nur die geringit-
wertige Verwendung den Wert unseres ProdukÜTgutes
nach wie vor bestimmen müßte. Das ist aber nicht ganz
richtig oder besser, das gilt nur unter der Voransaetiong.
dafi sich die Wertfunktion nicht ändert Da tue es aber
tut, so ist diese Betrachtungsweise unanwendbar. Jedoch
nur soweit, als man den Gesamtwert und die Wertfonktion
im Auge hat. Der Grenznutzen unseres Produktivmittels
wird tatsächlich durch die Wertfunktion der geringst-
wertigen Verwendung bestimmt. Und wenn die zur neuen
Verwendung nötige Menge so klein ist, da6 ein und dieselbe
Verwendung vor« und nachher die gerin gstwertige ist, so
wird der Grenznutzen allerdings nur wenig, das heißt nur
soviel geändert, als durch die Verringerung der Menge in
derselben bedingt ist. Weil ferner der Grenznutzen für den
Preis entscheidend ist, so kann es geschehen, daß sich in
demselben die neue Verwendung fast gar nicht geltend
macht, z. B. unser Bahnbau die Löhne der Arbeiter nicht
mehr erhöht, als durch die Verringerung des Arbeitsangebotes
in der wenigst lohnenden Beschäftigung erklärt werden
kann. Aber das gilt nicht allgemein — wenn auch i>
praxi in der Regel — und nicht im Prinzipe. Und nie
gilt es für alle Teile der Wertskala des ÄroduktiTgates
und seinen Gesamtwert. Wir sehen wiederum, wie wichtig
es ist, zwischen Wertfunktion und Grenznutzen zu scheiden.
Die erstere ist das, was wir ableiten wollen^.
Das andere Element von Wahrheit in der in Bede
stehenden Auffassung ist das folgende: Wenn eine bisher
nicht mögliche neue Verwendungsart eines Gutes plfttdich
möglich wird, so kann man allerdings, wenn man ent-
scheiden will, ob und inwieweit sie vorgenommen werden
^ Dm ist der Hauptunterechied zwiichon anierer Ltauig md
der Prof. v. Wieser's.
Das Ziirechnun<j:sproblem usw. 255
soll , nur so verfahren , daß man den durch sie realisier-
baren Wert dem bisher in den anderen Verwendungen
realisierten gegenQberstellt. WQrde man den ersteren bei
dieser Betrachtung bereits in die Wertfunktion des Produktiv-
gutes einrechnen, so wäre das wirklich falsch und würde
XU dem Besultate fahren, dafi durch die Neuerung kein
Natzenzuwachs erzielt wird. Jede der möglichen Ver-
wendungsarten kann man von diesem Gesichtspunkte be-
trachten und in diesem Sinne sagen, daB jedes Gut soviele
Wertfunktionen als Verwendungsarten hat. Handelt es sich
darum, die wirtschaftliche Bedeutung einer Verwendungsart
festzustellen, also den durch sie erzeugten Nutzgewinn zu
berechnen, so kann tatsächlich nicht anders vorgegangen
werden. Sicherlich hat dieser Tatbestand hauptsächlich zu
dieser Auffassung geführt. Allein, wenn alle die betrach-
teten Verwendungen regelmäßig vorgenommen und ihre
Resultate vollkommen vorausgesehen werden, so werden die
Werte aller sich in den Wertfunktionen der betreffenden
Güter zeigen, müssen sie sich zeigen, wenn keine „Über-
schflsse'^ vorhanden sein sollen, mit denen wir nichts anzu-
fügen wüfiten. Und das ist unser Fall. Im statischen
Zustande müssen wir die Wertfunktionen als konstant
annehmen, denn sie sind notwendige Daten unserer Prob-
leme. Keine Überraschung, kein Fortschritt zu neuen
^oduktionen darf stattfinden, da das unser System von
Gnmd auf ändern würde. Alle Produktionen müssen genau
^ und mit genau dem Erfolge vor sich gehen, den man
vorhersah und alle Produktions- und Konsumtionskombi-
i^tionen müssen ein für allemal fixiert sein. Sie spiegeln
tich in den Wertfunktionen wieder, auf denen unsere Re-
Mtate beruhen, ebenso wie alle Tatsachen der Bedürfnisse,
Anlage, der umgebenden Natur usw.
Fügen wir noch hinzu, dafi auch alle Tauschakte vorher
gesehen und das System der Wertfunktionen nach ihnen
Adjustiert sein muS, so ist alles gesagt. Das für den
Titöoretiker von Fach. Wir wollen auf diese trockenen
Fragen nicht weiter eingehen, sondern nur in Kürze unsere
mm
256 ^^ Problem des statischen Gleichgewichtes.
Losung des Problemes, deren leitende Grundsätze wir ebeo
auseinandersetzten, vorführen. Auch das kann ohne Schsdeo
für das Verständnis des folgenden überschlagen werdei.
Ich behaupte nicht, alle Punkte, die der Aufklärung be
dürfen, gestreift zu haben, bin mir vielmehr der Unvoll-
ständigkeit meiner Ausführungen über dieses schwierige
Problem durchaus bewußt ^ Doch ist es im Rahmen dieser
Arbeit nicht möglich, mehr zu bieten.
Die Lösung, die wir vorschlagen, ist also im Wesen
die folgende.
Hat ein Gut nur eine Verwendung, kann also z. B.
aus einem Produktionsmittel nur ein Genußgut erzeugt
werden, und gibt es keinen Ersatz für dasselbe, so ist seine
Wertfunktion einfach die jener Verwendung, jenes Geottfi-
gutes. Seine Angebotsfunktion ist dann diese Wertkurve,
nur eben „verkehrt**. Das letztere wollen wir hier nicht
immer wiederholen, vielmehr uns begnügen, die Wertfunk-
tionen und zwar die Wertfunktionen der Produktions-
mittel abzuleiten, obgleich das auch für die Genufigflter
mit mehreren Verwendungen gilt.
Ein Genußgut habe mehrere ProdtthiitniflgUter, die ztt
nichts anderem verwendet und nicht ersetzt werden können.
Die Wertfunktionen dieser letzteren sind dann, jede fttf
sich, mit der Wertfunktion des ersteren identisch, wobei
nur noch zu berücksichtigen ist, daß für die Abszissen der
Wertkurven der Produktivgüter solche Einheiten gewählt
werden müssen, welche der Menge dieser Güter entsprecheOi
die zur Erzeugung der Einheit des Produktes nötig sind-
Auch das sei hier ein- für allemal erwähnt.
Ein Produkt habe ein Produktivgut, daß „unersetzlicb'i
aber anderweitig verwendbar sei. Die Wertfunktion d^
letzteren ist eine Art von Wertfunktion der Gruppe f^
Gütern , zu deren Erzeugung es nötig ist. Sie setzt sieb
> Etwas mohr über einige hierher gehörige Punkte in mon^
„Bemerkungen über das Zurechuungsproblem". Zeitachr. f. Volks^*'
"««dalp. u. Ver^'. Wien 1908.
Das Zarechnangsproblem asw. 255
soll, nur 80 verfahren, da6 man den durch sie realisier-
baren Wert dem bisher in den anderen Verwendungen
realisierten gegenüberstellt. WQrde man den ersteren bei
dieser Betrachtung bereits in die Wertfunktion des Produktiv-
gutes einrechnen, so wäre das wirklich falsch und würde
zu dem Besultate führen, dafi durch die Neuerung kein
Nutzenzuwachs erzielt wird. Jede der möglichen Ver-
wendungsarten kann man von diesem Gesichtspunkte be-
trachten und in diesem Sinne sagen, dafi jedes Gut soviele
Wertfunktionen als Verwendungsarten hat. Handelt es sich
darum, die wirtschaftliche Bedeutung einer Verwendungsart
festzustellen, also den durch sie erzeugten Nutzgewinn zu
berechnen, so kann tatsächlich nicht anders vorgegangen
werden. Sicherlich hat dieser Tatbestand hauptsächlich zu
dieser Auffassung geführt. Allein, wenn alle die betrach-
teten Verwendungen regelmäfiig vorgenommen und ihre
Besultate vollkommen vorausgesehen werden, so werden die
Werte aller sich in den Wertfunktionen der betreffenden
Güter zeigen, müssen sie sich zeigen, wenn keine „Über-
schüsse"' vorhanden sein sollen, mit denen wir nichts anzu-
fangen wüfiten. Und das ist unser Fall. Im statischen
Zustande müssen wir die Wertfunktionen als konstant
annehmen, denn sie sind notwendige Daten unserer Prob-
leme. Keine Überraschung, kein Fortschritt zu neuen
Produktionen darf stattfinden, da das unser System von
Grund auf ändern würde. Alle Produktionen müssen genau
80 und mit genau dem Erfolge vor sich gehen, den man
vorhersah und alle Produktions- und Konsumtionskombi-
nationen müssen ein für allemal fixiert sein. Sie spiegeln
«ich in den Wertfunktionen wieder, auf denen unsere Re-
sultate beruhen, ebenso wie alle Tatsachen der Bedürfnisse,
Anlage, der umgebenden Natur usw.
Fügen wir noch hinzu, dafl auch alle Tauschakte vorher
gesehen und das System der Wertfunktionen nach ihnen
adjustiert sein muS, so ist alles gesagt. Das für den
Theoretiker von Fach. Wir wollen auf diese trockenen
Fragen nicht weiter eingehen, sondern nur in Kürze unsere
258 ^^ Problem des statischen Gleichf^wichtes.
nach einem ähnlichen Prinzipe gebaute Wertfunktion, nur
daß für deren Stücke die Funktioüen seiner Ersatzmittel
in jenen Verwendungen in Betracht kommen, auf die ioi
Falle ihres Heranziehens verzichtet werden müfite. Darin
liegt das zweite grundlegende Prinzip unserer Problem-
lösung.
Habe femer ein Produkt zwei Produktivgüter, wovon
das eine anderweitig verwendbar sei, das andere aber nicht.
Beide seien unersetzlich. Nur für das anderweitig verwend-
bare gelten die bisherigen Regeln, beim anderen ist zu
berücksichtigen, daß man, wenn man seinen Wert realisieren
will, auf einen anderen — den der anderweitigen Ver-
wendungen des auch sonst verwendbaren Produktivmittels -
verzichten muß. Die Wertfunktion des letzteren kann also
nicht die des Produktes sein, sondern ihre Ordinaten müssen
verkürzt werden um einen diesem Umstände entsprechenden
Betrag. Nochmals sei aber betont, daß die Wertfunktion
des anderweitig verwendbaren Faktors nicht bloß aus jenen
dieser anderweitigen Verwendungen zusammengesetzt ist.
sondern auch die unseres Produktes enthält.
Wenn ein Produkt mehrere Produktivgüter bat.
welche unersetzlich aber anderweitig verwendbar sind, so
hat jedes derselben die Wertfunktion, die in der vorgeführten
Weise sich aus seinen Verwendungen ergibt, aber ibr^
Ordinaten sind entsprechend den Werten der andere»
Produktivgüter in deren anderen Verwendungen zu vcv
kürzen.
Sind diese Produktivgüter aber außerdem noch ersetzlid^*
so wird kein neues Prinzip nötig und ebenso kann man d^^
Fall, in dem solche Produktivgüter mit unersetzlichen uO^
anderweitig nicht verwendbaren zusammenwirken, erledig?^
Diese Probleme können nur den Si)ezialisten interessieren uO^
wir eilen, diese so trockenen Erörterungen zu schließen.
Alles, was festzuhalten ist, ist nur die prinzipiell^
Mi)glichkeit der Lösung des Zurechnungsproblemes. Diesell**
wird schon durch die Tatsache bewiesen, daß wir Produktioii^
läutern mit der gleichen Sicherheit bestimmte Werte z«^
Das ZorechniuigBproblem asw. 257
zasammen ans jenen Teilen der Wertfunktionen dieser Güter,
welche jeweilig die größten Ordinaten haben. Erklären wir
das in psychologischer Sprache: Zunächst wird jene Ver-
wendung eingeschlagen, welche den gröfiten Nutzen liefert
Solange man bei derselben bleibt und für jenes Stück der
Abszissenachse, welches die dieser Verwendung gewidmete
Menge des Gutes versinnlicht, gibt eben die Wertkurve jener
Verwendung. Hätte das betrachtete Wirtschaftssubjekt nur
diese Menge des betrachteten Gutes, so würden die anderen
Verwendungen nicht in Frage kommen, und nur die Wert-
funktion dieser Verwendung würde für unser Gut gelten.
Wenn das Wirtschaftssubjekt aber von demselben mehr hat
und dieses „mehr'' erst einer anderen, dann einer dritten
Verwendung zuführt und so immer weiter, so werden für
jene Mengen unseres Produktivmittels, die den einzelnen ge-
widmet werden, eben die Wertfunktionen dieser Verwendungen
gelten, wobei es in der Natur der Sache liegt, dafi die ein-
zelnen Stücke, aus denen die Wertfunktion des Produktiv-
mittels sich also zusammensetzt, aneinander anschliefien;
denn an der Stelle des Überganges von einer Verwendung
zur anderen muß die Wertfunktion der einen die der an-
deren berühren, da die erstere an dieser Stelle von oberhalb
kommend unter die letztere herabsinkt. Dabei kann es ge-
schehen, daß die Wertfunktion einer Verwendung, nachdem
sie unter die anderer einmal herabgesunken ist, später
einmal wieder bestimmend wird infolge des schnelleren
Sinkens der anderen, d. h., daß eine bereits zugunsten
anderer aufgegebene Verwendung später wieder aufgenommen
wird. Das ändert nichts an dem Prinzipe, das wir so aus-
sprechen können: Für die einzelnen Teile der Wertfunktion
eines für verschiedene Verwendungen geeigneten aber für
diese unentbehrlichen Gutes kommen stets diejenigen Wert-
funktionen in Betracht, welche den tatsächlichen Ver-
wendungen seiner einzelnen Teilmengen ent-
sprechen.
Ist nun weiter ein Produktivgut zu mehreren Ver-
wendungen geeignet und in allen ersetzbar, so hat es eine
Schump«ter. Natiunaloknnoinie. 1*
IIL Kapitel.
Elemente der
§ 1. Nun endlich kommen wir zur Preistheorie. Es
ist fast überflüssig, dem Leser zu sagen, dafi es eine
Täuschung ist, zu glauben, daß uns dieselbe nichts anderes
leisten soll als die Erklärung einer allerdings sehr wich-
tigen Ersclieinung der Verkehrswirtschaft. Dieser Eindruck
wird nur durch unvollkommene Darstellungen hervorgerafen.
Aber es ist nunmehr wohl klar, daß die Grundlagen der Preis-
theorie auch auf die reinökonomischen Vorgänge der isolierteD.
verkehrslosen Wirtschaft anwendbar sind ; sodann, daß sie and
ihre Anwendungen überhaupt die ganze statische Wirtschaft
umfassen, ein System der Logik der wirtschaftlicben
Dinge darstellen. Was aber weiter in nichtoiatbe-
matischen Darstellungen übersehen wird, ist nicht bloß umI
nicht vor allem eine ganze Menge erreichbarer Resultate,
sondern namentlich der Umstand, in dem das Hauptinteresse
der Preistheorie für die Wissenschaft ankert, der Umstand,
daß sie den exakten Nachweis liefert, daß im Wesentlichen
unsere Voraussetzungen, das heißt also, die Momente, auf
denen unser System beruht, dazu ausreichen, die Preise der
Güter und die ^fengen derselben, die die Indiriduen er-
werben und aufgeben werden, eindeutig zu bestimmen und
zwischen allen Preisen und Mengen eine eindeutig bestimmte
Wechselwirkung zu erkennen; daß also einerseits unser
System in sich geschlossen ist und alle Elemente enthält,
die dazu nötig sind, um die Vorgänge, zu deren Besdireibung
Elemente der Preistheorie. 261
es geaebaSen wurde, von einem Standpunkte wenigstens
aus vollBtHndig zu «verstehen- und dafi es anderseits in
einem bestimmten Sinne normale Gr&6en dieser Preise and
Mengen — eine Logik der wirtschaftlichen Dinge — gibt
Das Problem der Preistheorie ist also in seiner Allgemein-
heit das folgende:
Gegeben: m Individuen A, B, C . . . . und ihre
Wertfiinktionen far n GQter I, II . . . ., sodann ihr Besitz
an diesen Gfitem ^si, g^t . . ■ . 9&1, gti ■ . . .
Gesucht: Die Tauschrelationen j>„ p, zu denen
getauscht werden wird und die — positiven oder negativen —
Zuwachse dqai, dq^a ■ ■ ■ ■ dgn, d^t, . . . ., welche jene ge-
gebenen Goterbesitze dabei erfahren werden.
Das ist das Gmndproblem, das zahlreiche Variationen
und Bereicherungen gestattet und dessen Bedeutung eine
ganz grundlegende ist. Seine Ausarbeitung und die Dis-
kussion seiner Resultate macht, richtig verstanden, die ge-
samt« reine Ökonomie aus, d. h. eben jene in sich ge-
schlossene, sich selbst genügende und methodologisch
und inhaltlieh einheitliche Disziplin, von der wir hier
sprechen. Diese Ausarbeitung und Diskussion ist noch nicht
vollst&ndig durchgef&hrt, aber dennoch ist dieses Gebiet das
am besten bearbeitete der gesamten Sozialwissenschaft. Wir
können nicht daran denken, es hier weiterzubilden oder auch
nnr, so viel es bereits exploitiert ist, darzustellen. Das
wOrde uns weit Ober den Rahmen dieser Arbeit hinaus-
fahren. Alles, was wir wollen, ist, diese Theorie in ihrer
Bedeotung zu zeigen, einige wenige Punkte zu berühren,
irelche in Darstellungen, die die Denkformen der hflheren
Analyse verschmähen, nicht geuQgeud oder überhaupt nicht
hervortreten, und den Leser einzuladen, sich mit der Literatur
dieses Gegenstandes vertraut zu machen, ehe er Ober Wesen
und Wert der theoretischen Ökonomie urteilt, ihn vor allem
an den großen Meister der exakten Theorie zu weisen , an
LöOD Walras.
Vor allem haben wir die eindeutige Bestimmtheit der
Preise and Zuw&chse der Güter innerhalb jenes Grund-
202 1^ Problem d«« BUtüehen Gldcfafewiebt««.
problemes nachzuweisen. Das geschieht, indem wir zeigen,
daß wir imstande sind, ebensoviele Bestimmungsgleicbungea
aufzustellen, als wir Unbekannte haben. Nun, die Zahl
der letzteren ist ersichtlich gleich der Zahl der zu be-
stimmenden Gdterpreise — also n — i' — mehr der Zahl
jener Zuwächse der ökonomischen Quantitäten — die wiederum
gleich iat der Zahl der vorhandenen Wirtschaftssnbjekte
mal der Zahl der vorhandenen GOter, also ffl.ft — , demnach
gleich n (m + 1) — 1. Unsere Bestimmungsgleichungen zer-
fallen in zwei Gruppen. Erstens muß nach dem Abschlüsse
der Tauschakte fttr jedermann unser Gesetz vom Grenz-
nutzenniveau verwirklicht sein — das gibt Gleichungen von
der Zahl der Individuen — m~~ mal der Zahl der GOter
weniger eins, wie man leicht sieht: also m(n — Jj; daher
fehlen noch m + n — 1 Gleichungen. Diese liefert uns eine
andere Gruppe; drucken wir aus, dafi in unserem Markte
die ver- und gekauften Mengen jedes Gutes einander gleich
sein, sich aufheben, also ihre Summen gleich Null sein
müssen: das gibt n Gleichungen; und dracken wir ferner
noch aus, daä für jedes Individuum „ErlAs" und , Ausgabe*
sich balancieren müssen, so erhalten wir noch weitere
m Gleichungen. Also scheinbar um eine zuviel; allein die
Summe der zuletzt genannten folgt aus der Gleichheit der
ver- und gekauften Mengen aller Güter, sodaS sieb die Zahl
unserer Gleichungen um eine, das heifit auf die Zahl der
Unbekannten reduziert.
Mit KQcksicht auf das früher Gesagte, erfordert diese
Darlegung kaum mehr eine weitere Erklärung. Sie umfafit
sowohl Tausch in engerem Sinne, wie Produktion und Exn-
komiDeusbildung. Auf den dritten Punkt werden wir noch
ausführlich zu sprechen kommen, zum zweiten aber mochten
wir noch bemerken, dafi sich da die Möglichkeit eioer
wichtigen Bereicherung unseres Gleichungssystemes bietet.
Es hindert uns iiAmlich nichts, die ProduktionskoeftiiienteD
' n — l nod nicht », weil ein Gut sU WertmftB
Elemente der Preistbeorie. 26$
der einzelnen Produkte in dasselbe einzufahren, das heißt,
die Mengen der Prodaktivguter zu berOcksich-
tigen, welche zur Erzeugung der einz einen
Produkte technisch nötig sind. Doch wollen wir
darauf nicht näher eingehen.
Unsere Lösung des Problemes besteht also erstens in
dem Kachweise seiner eindeutigen Bestimmtheit und zweitens
dem der gegenseitigen Abhängigkeit aller Preise, Werte
und Mengen, woraus sich auch verschiedene Bewegungs
gesetze derselben ergeben, worauf wir zurilckkommen werden.
Mehr allerdings können wir nicht leisten. Wohl könnten
wir aber, wenn uns die Wertfunktionen und Gütermengen
konkret gegeben wären, daraus die Preise und die Ände-
rungen dieser Mengen, die sich ergeben werden, ableiten;
solange das aber nicht der Fall ist, ist der Kachweis der ein-
deutigen Bestimmtheit und der Existenz eines Gleichgewichts-
zustandes, femer die klare und korrekte Abbildung der
ökonomischen Wechselbeziehungen zwischen den Elementen
der Guter alles, was uns die Theorie bietet.
§ 2. Das nächste, was uns dieselbe bietet, ist eine Dar-
stellung der Preisbildung im Falle eines Monopoles. Darunter
verstehen wir die völlige Beherrschung entweder der Nach-
frage nach einem oder des Angebotes ao einem Gute durch
ein Individuum oder eine Kombination von solchen, wenn
die letztere eine gemeinsame Preispolitik zur Folge hat
und jede Konkurrenz zwischen ihren Mitgliedern ausschließt.
Dieser Fall unterscheidet sich von dem vorgeführten in
einem wesentlichen Punkte. Jene Gleichungen, welche wir
als unsere „zweite Gruppe" zusammenfaßten, gelten, wie
leicht ersichtlich, auch hier: Was an dem monopolisierten
Gute gekauft wird, muß dem gleich sein, was von ihm ver-
kauft wird und ebenso muß der „Erlös" jedermanns mit
Einschluß des Monopolisten gleich sein der „Ausgabe" in
irgendeinem gemeinsamen Maße ausgedrückt. Aber die
Gleichungen der ersten Gruppe gelten hier nicht ganz in
derselben Weise. Wohl muß schließlich sowohl für den
264 ^^ Problem des statischen Qleichgewichtet.
Monopolisten wie für seine konkurrierenden Gegenkontra-
henten das Gesetz vom Grenznutzenniveau verwirklicht
werden, allein zwischen dem des ersteren und jenen der
letzteren besteht nicht ganz dieselbe Beziehung, wie im
Falle der freien Konkurrenz. Warum sollte der Monopolist
einem Preise zustimmen, der nur seinem reziproken Grenz-
nutzenverhältnisse für Monopol- und Preisgut entspricht,
wenn er mehr erhalten kann? Wir sahen ja früher schon,
daß konkurrierende Individuen das nur deshalb ton, weil
sie sonst unterboten werden würden. Der Monopolist kann
aber nicht unterboten werden, und deshalb bildet jener der
freien Konkurrenz entsprechende Preis nur eine Untergrenze
für ihn, unter die er nicht heruntergehen wird, aber keines-
wegs zugleich auch die Obergrenze, die er nicht überschreiten
kann. Ist also der Monopolpreis etwa nicht ^eindeutig be-
stimmt? In der Tat, unser Gleichungssystem versagt, sowie
es ist; zwar könnte man leicht eine obere Grenze unseres
Monopolpreises angeben: Sie würde durch jenen Preis dar-
gestellt, bei dem niemand mehr kaufen will; aber zwischen
diesen beiden Grenzen sind unendlich viele Preise und an-
endlich viele Größen der abgesetzten Mengen möglich.
Glücklicherweise aber können wir ein Moment heran-
ziehen, daß uns eine eindeutige Bestimmung des Monopol-
preises ermöglicht; und mit seiner Hilfe hat sich denn
auch trotz dieses Sachverhaltes eine exakte Theorie der
monopolistischen Preisbildung entwickelt, ja sie hat
sich besonders fruchtbar gezeigt und gestattet die An-
wendung exakter Methoden und die Gewinnung exakter
Resultate sogar in größerem Maße, als die Theorie des
Konkurrenzpreises, wurde sogar viel früher korrekt dar-
gestellt als diese. Der Leser sei 1)esonders auf die Dar-
stellung A. Marshalls verwiesen. Fassen wir die Sache so:
Es ist ganz klar, daß wir, wenn uns der Monopolpreis, der
Preis, den der Monopolist tatsächlich verlangen will, ge-
geben wäre, die Mengen des Monopolgutes, die zu diesem
Preise abgesetzt werden würden, mit Hilfe unseres Gleichongs-
systemes ableiten, bzw. ihre eindeutige Bestimmtheit nadi-
Elemente der Preiatheorie. 265
weisen könnten. Haben wir ihn also, so ist alles in Ord-
nung; im schlimmsten Falle könnten wir daher auch dann
noch etwas Ober diese Vorg&nge sagen, wenn wir den
Monopolpreis als Datum betrachten mtlssten; auf dieses
„etwas" reduziert sich in diesem Falle die Leistung unseres
GleichuDgssjstemes, sber ganz versagt es nicht: Wieviel
jedes Individuum bei jenem Preise vom Monopolgute er-
werbeD und wie die Grenznutzenniveaus aller Individuen —
mit Einschluß dessen des Monopolisten — sich gestalten
worden, das ließe sich immer noch sagen und ich lege
Gewicht darauf, zu betonen, daß das keineswegs nichts ist.
Aber, wie gesagt, wir kOnnen mit Hilfe einer Hypothese
auch etDCD Monopolpreis selbst ableiten, der unter allen
den auf Grund unseres Gleichungssystemes streng genommen
möglichen Monopolpreisen sich dadurch auszeichnet, daß
er tatsächlich sehr hiluiig sein und noch häufiger angestrebt
werden wird und daß er, wenn auch der Monopolist aus
irgend einem Grunde sich fQr einen andern entscheidet,
immer derjenige sein wird, mit dem man jeden anderen
wirklich herrschenden vergleicht und den man als den
Monopolpreis xor' Izo^n'' betrachtet. Diese Hypothese ist,
daß der Monopolist seinen „Erlös" zu einem Maximum zu
machen strebe. Man beachte, daß wir keineswegs behaupten,
daß dieses Streben „naturgemäß" oder die Regel sei. Das
würde unseren Grundsätzen ganz widersprechen. Wir
billigen dieser Tendenz nur die beiden angeführten Merk-
. male zu und sagen weiter nur, daß sie diizu ausreicht, aus
sich heraus einen und nur einen Monopolpreis zu fixieren.
Das erstere dürfte wohl haltbar sein und das letztere werden
wir sofort nachweisen. Man sieht also, daß wir keineswegs
verkennen, daß ethische Momente, Eingriffe der Staats-
gewalt und Rücksichten auf die Zukunft den Monopolisten
veranlassen können, einen anderen Preis zu fordern, aber
zugleich auch, daß solche Einflüsse unserem Raisonnement
nicht jede Bedeutung nehmen. Inimerhiu muß, da das oft
tibersehen vrird, hervorgehoben werden, daß hier eine neue
Hypothese liegt: Unter den Konkurrenzpreis können die
266 ^^ Problem des statischen Gleichgewichtes.
Beteiligten nur dann gehen, wenn sie sich dazu yersteheo
wollen, einen Schaden zu erleiden — der Monopolist
könnte seinen „Monopolpreis'' herabsetzen, wenn er aoch
nur mit einem geringeren Gewinne vorlieb nehmet
will ; und daß er das nicht tut, ist eine weitergehende Hypo-
these, welche bewirkt, daß die Resultate von der Wirk-
lichkeit weiter abliegen und schwerer zu verifizieren sind,
als die unseres ersten Gleichungssystemes ; über den Kon-
kurrenzpreis kann nicht hinausgegangen werden, md
niemand einen höheren bezahlen würde — der Monopolist
kann über jenen „Monopolpreis'' hinausgehen, wenngleich
ihn das schädigt.
Macht man aber jene Hypothese, so kann nian einen
eindeutig bestimmten Preis ableiten. Das läßt sich leicht
zeigen, auch ohne höhere Mathematik, wenngleich zu weiteren
Schlüssen daraus dieselbe unentbehrlich wird. Wir wollen
auf diese aber nicht eingehen und uns mit dem Beweise in
seiner einfachsten Form begnügen. Dabei soll noch sur
weiteren Vereinfachung angenommen werden, daß das Monopol-
gut den Monopolisten nichts kostet, also etwa ein „Geschenk*
der Natur ist, wie eine Mineralquelle. Nebenbei bemerkt,
entwertet eine solche Vereinfachung keineswegs unsere
Resultate, sondern dient nur dazu, ein Prinzip klar and
einfach hervortreten zu lassen, weshalb es wenig Sinn hat,
über solche Konstruktionen der Theoretiker zu lächeln oder
sie für praktisch bedeutungslos zu halten. Der Robinson,
der Meteorstein, unsere Mineralquelle, das sind nur Ver-
körperungen methodologischer Maßregeln, welche das Ver-
ständnis erleichtern und lediglich ein Entgegenkommen
gegenüber jenen Laien darstellen, welche dann am meisten
geneigt sind, darüber zu spotten.
Nun, es gibt sicherlich immer einen Preis für unser
Monopolgut, der gerade so hoch ist, daß die Nachfrage nach
demselben aufhört. Könnte der Monopolist sein Gut oder
auch nur einen Teil desselben zu diesem Preise absetzen,
so würde er einen großen Gewinn machen; wie aber die
Dinge stehen, würde er eben nichts absetzen und sein Erlds
Elemente der Preistheorie. 265
weisen könnteD. Haben wir ihn also, so ist alles in Ord-
nung; im schlimmsten Falle könnten wir daher auch dann
noch etwas tlber diese Vorgänge sagen, wenn wir den
Monopolpreis als Datum betrachten mQssten; auf dieses
„etwas" reduziert sich in diesem Falle die Leistung unseres
Gleichungssystemes, aber ganz versagt es nicht: Wieviel
jedes Individuum bei jenem Preise vom Monopolgute er-
werben und wie die Grenznutzenniveaus aller Individuen —
mit Einschluß dessen des Monopolisten — sich gestalten
wttrden, das ließe sich immer noch sagen und ich lege
Gewicht darauf, zu betonen, daß das keineswegs nichts ist
Aber, wie gesagt, wir können mit Hilfe einer Hypothese
auch einen Monopolpreis selbst ableiten, der unter allen
den auf Grund unseres Gleichungssystemes streng genommen
möglichen Monopolpreisen sich dadurch auszeichnet, daß
er tatsächlich sehr häufig sein und noch häufiger angestrebt
werden wird und daß er, wenn auch der Monopolist aus
irgend einem Grunde sich für einen andern entscheidet,
immer derjenige sein wird, mit dem man jeden anderen
wirklich herrschenden vergleicht und den man als den
Monopolpreis xor' ^;oxr> betrachtet. Diese Hypothese ist,
daß der Monopolist seinen „Erlös^ zu einem Maximum zu
machen strebe. Man beachte, daß wir keineswegs behaupten,
daß dieses Streben „naturgemäß*" oder die Kegel sei. Das
würde unseren Grundsätzen ganz widersprechen. Wir
billigen dieser Tendenz nur die beiden angeführten Merk-
male zu und sagen weiter nur, daß sie dazu ausreicht, aus
sich heraus einen und nur einen Monopolpreis zu fixieren.
Das erstere dürfte wohl haltbar sein und das letztere werden
wir sofort nachweisen. Man sieht also, daß wir keineswegs
verkennen, daß ethische Momente, Eingriffe der Staats-
gewalt und Rücksichten auf die Zukunft den Monopolisten
veranlassen können, einen anderen Preis zu fordern, aber
zugleich auch, daß solche Einflüsse unserem Raisonnement
nicht jede Bedeutung nehmen. Immerhin muß, da das oft
übersehen wird, hervorgehoben werden, daß hier eine neue
Hypothese liegt: Unter den Konkurrenzpreis können die
14^
268 ^*^ Problem des statischen Gleichgewichtes.
z. B. nach dem Vorgänge Marshalls die, daß der Monopolist
seinen Gewinn mehr dem der „Käufer*' zu einem Maximum
machen wolle und anderes. Alle diese Hypothesen wQrden
zu verschiedenen und ebenfalls eindeutig bestimmten Preisen
führen, ohne daß eine derselben absolute Vorzüge für sich
in Anspruch nehmen könnte. Die Gewalt der Tatsachen
pulsiert viel stärker in unserer Ableitung des Konkurreni-
Preises, dem Monopolpreise haftet unleugbar etwas Arbitrftres
an. Allerdings spricht viel für die von uns adoptierte
Hypothese; mit demselben Bilde könnte man sagen, daS
man in ihr den Pulsschlag des wirtschaftlichen Lebens besser
fühlt als in den anderen; und wir glauben gewiB, dafi man
sich im großen und ganzen bei ihr beruhigen kann. Kur
weil es uns hier darauf ankommt, ganz sicher zu gehen
und unsem Pfad Schritt für Schritt kritisch zu beleuchten,
legten wir auf diese Seite der Sache soviel Gewicht Freilich
aber wird man das, was unsere Hypothese leisten kann,
nicht überschätzen dürfen. Es kommt ja noch hinzu, daS
wegen der sozialen Bedeutung, die vielen Monopolen zukommt,
Eingriffe der politischen Gewalt und auch andere „störende*
Momente hier eine größere Rolle spielen, als für die Wirt-
schaft eines von vielen konkurrierenden Individuen, die ein
Tropfen in einem Meere ist. Auch bringt es die Gröfie,
Kraft und gesicherte Lage, ferner auch die weiterblickende,
fähigere Leitung vieler Monopole — besonders jener der
modernen Trusts usw. — mit sich, daß in ihrer Preispolitik
die Zukunft und bewußtes Manöverieren viel mehr benro^
tritt, als bei einer großen Menge von Konkurrenten, die in
höherem Maße nur tun, was sie müssen, in höherem Mafle
dem Strome der Dinge folgen und deren Handeln mehr von
den Verhältnissen erzwungen wird — mehr geschoben wird
als schiebt — , was natürlich seine Beschreibung erleichtert
Alles das ist anders bei großen Monopolisten, wenn man
sich auch hüten muß, dieses Moment zu sehr zu fürchten.
Dann aber wird die reine, statische Theorie sehr oft dea
tatsächlichen Monopolpreis als ein Datum hinnehmen,
auf seine Erklärung verzichten müssen, und es ist gut für
Elemente der Preistheorie, 267
daher Null Bein. Wenn er überhaupt keinen Preis forderte,
das hei6t den Preis Null, so wttrde er vielleicht seines
ganzen Vorrates ledig werden, was an sich und wenn er
nur etwas dafür bekäme, ganz gut wäre, unter den ge-
gebenen Verhältnissen aber ebenfalls zum Erlöse Null führen
würde. Von dem ersten Preise zu dem zweiten führt nun
eine stetige Linie abnehmender Preise und eine andere
zunehmender Absätze. Die Abnahme des Gewinnes an der
Einheit Jind^e Zunahme der Zahl der abgesetzten Ein-
heiten sind zwei sich entgegenarbeitende Bestimmungsgründe
des Erlöses, der immer durch das Produkt Preis mal Absatz
gegeben ist. Das Herabsetzen des Preises von jenem Höchst-
stände wird dieses Produkt zunächst erhöhen; wenn man
damit aber fortfährt, wird es schließlich wieder sinken.
Und dazwischen liegt daher ein Höchstwert desselben, ein
Maximum des Erlöses. Sollte das nicht überzeugend
scheinen, so ließe es sich allerdings nur mit Hilfe des
Rolleschen Satzes exakt erweisen, aber wir wollen uns damit
begnügen.
Ganz analog gestaltet sich dieser Beweis für den Fall,
daß die Erzeugung des Monopolgutes eine fixe, nicht mit
der Menge des Produktes variierende Summe von Kosten
mit sich bringt und ahn lieh, wenn die Kosten eine
Funktion der erzeugten Menge desselben sind. Doch wollen
wir darauf nicht näher eingehen, auch jenen interessanten
Fall nicht untersuchen, der vorliegt, wenn es neben einem
großen Monopolisten (wie z. B. die Standard oil Co.) noch
^kleine" konkurrierende Verkäufer gibt, ein Fall, dem be-
sondere praktische Bedeutung zukommt. Endlich sei noch
bemerkt, daß alles Gesagte mutatis mutandis auch für das
Einkaufsmonopol gilt.
In diesem Sinne gibt es also auch einen eindeutig be-
stimmten Monopolpreis. Vergesse man aber nicht, daß
dieser Sinn ein anderer ist als der, in dem wir vor einem
eindeutig bestimmten Konkurrenzpreis sprechen. Man sieht
das besonders deutlich, wenn man l)edenkt, daß wir an
Stelle der unseren noch andere Hypothesen machen könnten.
268 I^ Problem des atotiscben Qleicfagewiebt«.
z. B. nach dem Vorgänge Marshalls die, daß der Monopolist
seinen Gewinn mehr dem der „Käufer" zu einem Maximum
machen wolle und anderes. Alle diese Hypothesen wQrden
zu vermiedenen und ebenfalls eindeutig bestimmten Preisen
fahren, ohne daß eine derselben absolute VonQge für sich
in Anspruch nehmen kjtnnte. Dil Gewalt der Tatsachen
pulsiert viel stArker in unserer Ableitung des Konkoireni-
preises, dem Monopolpreise haftet unleugbar etwas Arbiträres
an. Allenlings spricht viel für die von uns Adoptierte
Hypothese; mit demselben Bilde könnte man sagen, dafl
man in ihr den Pulsscblag des wirtscfaaftlicheu Lebens besser
fühlt als in den anderen; und wir glauben gewifi, daß man
sich im großen und ganzen bei ihr beruhigen kann. Nnr
weil es uns hier darauf ankommt, ganz sicher zu gehen
und unsem Pfad Schritt für Schritt kritisch zu beleuchten,
legten wir auf diese Seite der Sache soviel Gewicht. Freilick
aber wird man das, was unsere Hypothese leisten kann,
nicht überschätzen dürfen. Es kommt ja noch hinzu, daß
wegen der sozialen Bedeutung, die vielen Monopolen zukommt,
Eingriffe der politischen Gewalt und auch andere „st&rende*
Momente hier eine größere Rolle spielen, als für die Wirt-
schaft eines von vielen konkurrierenden Individuen, die ein
Tropfen in einem Meere ist. Auch bringt es die Grdße,
Kraft und gesicherte Lage, ferner auch die weiterblickende,
filbigere Leitung vieler Monopole — besonden jener dw
modernen Trusts usw. — mit sich, daß in ihrer Preiapolittk
die Zukunft und bewußtes Manöverieren viel mehr hervoP
tritt, als bei einer großen Menge von Konkurrenten, die in
höherem Maße nur tun, was sie müssen, in höherem Maße
dem Strome der Dinge folgen und deren Handeln mehr tob
den Verhftltnissen erzwungen wird — mehr geschoben wird
als schiebt — , was natOrlich seine Beschreibung erleichtert.
Alles das ist anders bei großen Monopolisten, wenn man
sich auch hüten muß, dieses Moment zu sehr zu fürchteD.
Dann aber wird die reine, statische Theorie sehr oft den
tatsächlichen Monopolpreis als ein Datum hinnehmen.
auf seine Erklärung verzichten müssen, und es ist gut für
Elemente der Preistheorie. 271
t'rage: Was ist deim eigentlich nötig, damit „freie Kou-
turrenz" bestehe? In einem Sinne haben wir an früherer
Stelle gesagt, daß sie schon vorliege, wenn nur wenige oder
selbst nur zwei Individuen unbeeinflußt tauschen. Aber das
war nur eine Seite der Sache — sie betraf das Abhanden-
seia von „Störungsursachen*". In diesem Sinne könnte
man auch in der Wirtschaft eines Individuums^ von freier
Konkurrenz sprechen. Ihre weiteren Voraussetzungen aber
sind, ganz exakt gefaßt, die folgenden:
Erstens: Die Zahl der Kontrahenten muß eine sehr
große sein, streng genommen muß unser „m** gleich un-
endlich sein. Denn nur dann wird das Intervall, in dem
der Preis liegen muß, so klein, daß es als ein Punkt be-
tiBchtet werden kann.
Zweitens: Alle Güter müssen unendlich teilbar sein,
und es dürfen keine marktüblichen Quantitäten bestehen,
unter denen nicht getauscht werden kann.
Drittens: Jedes Individuum muß mit jedem tauschen
können, sonst würden sich innerhalb des Marktes Teilmärkte
bilden, was unsere erste Voraussetzung illusorisch macheu
müßte; und kein Individuum darf so mächtig sein, daß es,
tuch wenn andere dasselbe Gut anzubieten oder zu verlangen
luiben, Monopolpolitik betreiben kann.
Daß keine Verabredung zwischen den Wirtschaftssub-
jekten bestehen darf, ist selbstverständlich, Abhandensein
Ton Rücksichten auf andere usw. und volles Bewußtsein
der wirtschaftlichen Interessen, sowie Willen, nur sie zu
fördern, dagegen nicht nötig: Inbezug auf den letzteren
Punkt meinen wir im Gegensatze zu den meisten Autoren,
daß sich diese Dinge teils in die Nachfragefunktion ein-
sehlieflen lassen, teils — wie Irrtum usw. — einfach außer-
aeht gelassen werden können, ohne die Brauchbarkeit unseres
Bildes wesentlich zu beeinflussen.
* Wamm im Falle des isolierten Individuums alle Gütermengen
und jyTauBchrelationen'^ bestimmt sind, dürfte klar sein. Siehe darüber
das beim Getetze vom Grenznutzenniveau Gesagte.
272 ^^^ Problem des statischen Gleichgewichtes.
Das Resultat, zu dem wir gelangen, ist einigenmflea
überraschend : Nicht nur existiert freie Konkurrenz nie ud
nirgends, sie kann, in dem Sinne der Theorie au^ebSt,
gar nicht existieren. Was wollen wir nun davon denken?
Allein, die Sache ist nicht so schlimm als sie aussieht Es
zeigt sich blo6 auch auf unserem Gebiete, was ebenso für
alle exakten Wissenschaften gilt, daß unser exaktes SysteiB,
korrekt dargestellt und bis auf den Grund ausgedadit,
eben ein wirklichkeitsfremdes Gebilde ist. Das bindert
nicht, daß es dennoch auf die Wirklichkeit recht gut p«6t
Unsere Erkenntnis mag weitere Kreise befremden und auch
viele Fachgenossen abstoßen. Wer aber exakte Wissenschaft
kennt und liebt, wird sich darüber wenig wundem, noch aacb
deshalb an der Ökonomie verzweifeln. Es ist meine Auf-
gabe, gerade die schwachen Punkte zu präzisieren und io
den Vordergrund zu stellen; aber das hindert mich nicht,
Vertrauen zu unserer Wissenschaft zu haben. Gewiß muß
man vor den dünnen Stellen des Eises warnen, auf dem
wir uns vergnügen, aber es wäre thöricht, ihrethalben das
Schlittschuhlaufen aufzugeben. Das Gesagte ist ein Memento
für manche Theoretiker, sich nicht zu sicher zu fühlen and
eine Mahnung, die Illusion aufzugeben, daß die Theorie
sozusagen bombensicher sei. Aber es rechtfertigt die
Haltung ihrer Gegner nicht. Ja wir können sagen, daS
unsere diesbezüglichen Ausführungen mehr erkenntnis-
theoretisch interessant als von praktischer Bedeutung sind;
sie ändern die Tatsache nicht, daß trotz allem unser System
auf einer breiten Basis von Tatsachen beruht und trotx
allem ein bewundernswerter Bau ist, der sich in praxi in
weitem Maße bewährt.
Das ist alles, was wir über die Grundlagen der reinen
Preistheorie sagen möchten. Es ist nur wenig. Aber wir
können nicht mehr bieten, und dieses „Mehr"" mQBte auch
größtenteils nur ein Referat sein. Ziemlich genaue Kenntnis
des Geleisteten ist zum Verständnisse dieses Paragraphen
nötig; nur der mit der modernen Preistheorie Vertraute
wird namentlich über die von uns hervorgehobenen Be-
Elemente der PreiBthcone. 27)^
(lenken hinwegkoiiiiiien. Nur einen Punkt wollen wir noch
erwähDen, ehe wir dieses Gebiet verlassen, das eines tieferen
Studiums 80 würdig wäre.
§ 4. Dieser Punkt ist der folgende: Wir haben gesagt,
daß für jedes Wirtschaftssuhjekt und jedes Gut der Preis
gleich dem reziproken Werte des Grenznutzenverhältnisses
der ausgetauschten Güter sein muß, wenigstens im allge-
meinen. Allein, damit sich unser Grenznutzenniveau heraus-
stelle, muß noch etwas hinzukommen. Es genügt nicht*
daß jene Formel für jedes einzelne Gut verwirklicht sei;
vielmehr müssen noch weiter die Preise aller einzelnen
Güter in einem bestimmten Verhältnisse zueinander stehen,
sieh nämlich ebenso verhalten, wie die Grenznutzen der
Güter, für die sie gelten. Das liegt an sich keineswegs
schon in jenem ersten Satze, wenn man ihn so ausspricht,
wie wir es soeben taten, sondern bildet eine weitere Be-
dingung des Gleichgewichtszustandes. Bisher freilich haben
wir stets beides gemeint, wenn wir von dem Grenznutzen-
niveau sprachen, aber nun wollen wir betonen, daß ganz
streng genommen beide Bedingungen zu scheiden sind. Man
sieht das leicht, wenn man die Mengenveränderungen eines
jeden Gutes für sich betrachtet: Tauscht ein Wirtschafts-
subjekt erst ein Gut A gegen ein Gut B und dann ein
Gut C gegen ein Gut D, so muß die Tauschrelation von*^
und B und die von C und D allerdings dem reziproken
Werte des Grenznutzenverhältnisses von A und B im ersten
Falle und von C und D im zweiten Falle gleich sein. Aber
eine Beziehung zwischen diesen beiden Tauschrelationen
scheint prima vista nicht zu bestehen. Eine solche tritt erst
dann hervor, wenn wir auf beide Fälle ein und dasselbe
Wertmaß anwenden. Tun wir das nun in der Weise, daß
wir annehmen, unser Individuum tausche nur ein Gut, z. B.
A, gegen B und D ein — dann lassen sich beide Fälle ver-
gleichen. „Kostet" ihm eine Einheit von B drei Ein-
heiten von A und eine Einheit von D vier Einheiten
von -4, ist also der Preis von B in A gleich drei, der von D
Schampeter. Nationalökonomie. IH
mMBMWH
274 Das Problem des statischen Gleichgewichtes.
in A gleich vier, so mu6 also, wenn das Gleichgewichtspreise
sein sollen , das Grenznutzenverhältnis von A und B gleich
ein Drittel, das von A und 2> gleich ein Viertel sein. Mao
sieht aber auch, daß sich die Preise von B und D in i,
drei und vier, so verhalten müssen wie die Grenznutzen von
B und D, also auch wie drei zu vier. Sonst wQrde ein
Ruhezustand nicht eintreten. In der Tat, nehmen wir an,
daß sich die Preise von B und D nicht so verhalten, son-
dern z. B. wie drei zu sechs, während das Grenznujbcen-
Verhältnis von B und D unverändert gleich drei Viertel
bleibe, und sehen wir, was geschehen wird. Wenn unser
Individuum nun eine Einheit von D verkauft, so wird es
sich zwei Einheiten von B für den „Erlös" in A verschaffen
können, mithin einen größeren Nutzgewinn machen, wie
wenn es jene Einheit von D behielte. Es wird das also
tun und sich nicht eher zufrieden geben, bis kein solcher
Gewinn mehr zu macheu, d. h. jenes Verhältnis zwischen
den Preisen der beiden Güter verwirklicht ist.
Nun erhebt sich die Frage: Kann ein solcher Fall
überhaupt eintreten, kann es geschehen, daß zur Erreichung
des unter den gegebenen Verhältnissen möglichen Nutzen-
niaximums ein solcher Umweg, ein solches Erwerben von
(i titern lediglich zum Zwecke weiteren Tausches
nötig wird? Ganz gewiß. Warum sollte es nicht vorkommen
können, daß auf dem Markte dir Preise der Güter B und D
sich mit „.9 ^** und „6* A*^ feststellen, während es Individuen
gibt, deren Grenznutzenverhältnis zwischen den Gütern B
und D gleich drei Viertel ist? Und alle diese Individuen,
alle ferner, die sich in analogen Fällen befinden, werden
dann außerstande sein, durch direkten Tausch der Güter,
die sie besitzen, gegen jene, die sie zu erwerben wünschen,
zu jenem Zustande vorzudringen, den unser Gesetz vom
(Wenznutzennive.au ab])ildet. Sie mijssen und werden viel-
nl^br Gütermengen erwerben, die sie nicht brauchen, lediglich,
irtfr^sie gegen jene, welche sie wirklich brauchen, wiederum
*fitik'ütauschen. Nur durch diesen Vorgang wird jenes Ver-
hVWtii's 'zwischen den Preisen, welches zum Bestehen unseres
Elemente der Preistheorie. 273
deoken hinwegkommen. Nur einen Punkt wollen wir noch
erwähnen, ehe wir dieses Gebiet verlassen, das eines tieferen
Studiums so würdig wäre.
§ 4. Dieser Punkt ist der folgende : Wir haben gesagt,
daß für jedes Wirtschaftssubjekt und jedes Gut der Preis
gleich dem reziproken Werte des Grenznutzenverhältnisses
der ausgetauschten Güter sein muß, wenigstens im allge-
meinen. Allein, damit sich unser Grenznutzenniveau heraus-
stelle, muß noch etwas hinzukommen. Es genügt nicht*
daß jene Formel für jedes einzelne Gut verwirklicht sei;
vielmehr müssen noch weiter die Preise aller einzelnen
Güter in einem bestimmten Verhältnisse zueinander stehen,
sich nämlich ebenso verhalten, wie die Grenznutzen der
Güter, für die sie gelten. Das liegt an sich keineswegs
schon in jenem ersten Satze, wenn man ihn so ausspricht,
wie wir es soeben taten, sondern bildet eine weitere Be-
dingung des Gleichgewichtszustandes. Bisher freilich haben
wir stets beides gemeint, wenn wir von dem Grenznutzen-
niveau sprachen, aber nun wollen wir betonen, daß ganz
streng genommen beide Bedingungen zu scheiden sind. Man
sieht das leicht, wenn mau die Mengenveränderungen eines
jeden Gutes für sich betrachtet: Tauscht ein Wirtschafts-
subjekt erst ein Gut A gegen ein Gut B und dann ein
Gut C gegen ein Gut 7>, so muß die Tauschrelation von -4
und B und die von C und D allerdings dem reziproken
Werte des Grenznutzenverhältnisses von A und B im ersten
Falle und von C und D im zweiten Falle gleich sein. Aber
eine Beziehung zwischen diesen beiden Tauschrelationen
scheint prima vista nicht zu bestehen. Eine solche tritt erst
dann hervor, wenn wir auf beide Fälle ein und dasselbe
Wertmaß anwenden. Tun wir das nun in der Weise, daß
wir annehmen, un er Individuum tausche nur ein (iut, z. B.
A, gegen B und I> nn — dann lassen sich l)eide Fälle ver-
gleichen. „Kostet"* ihm eine Einheit von B drei Ein-
heiten von A und eine Einheit von D vier Feinheiten
von A, ist also der Preis von B in A gleich drei, der von D
Schumpeter. Natinnalökcnoinie. IH
IV- Kapitel.
Grundlagen der Geldtheorie«
§ !• Fragen wir uns, was dem, was wir soeben atr-
leiteten, in der Wirklichkeit entspreche, so lautet die Ant-
wort: Das Phänomen des Gehles. Nun, das ist nicht wenig^-
Da haben uns die steilen Pfade der Theorie in der Tat z«-*
einem schönen Aussichtspunkte geführt.
Wrnn wir schwache Punkte der Theorie nie verbergen -
vielmehr die Aufmerksamkeit des Lesers stets auf ihr^^
Mängel lenken, so dürfen wir wohl auch mit unverhehlte^
Genugtuung auf ein bedeutungs- und wertvolles Resultat
derselben hinweisen. Und wirklich könnte die Sache hier
vom Standpunkte des Theoretikers kaum zufriedenstelleDder
sein. Unser Sy^item ergibt ganz von selbst, ohne jeden
Kunstgriff und ohne Herbeiziehung neuer Momente eioe
erschöpfende und l)efriedigende Erklärung einer wichtigen
wirtschaftlichen Erscheinung, welche so treffend und kla^
ist, das kaum etwas zu fragen übrig bleibt, einer Er-
scheinung, welche Gegenstand vieler S])ekulationen war, ja
vielleicht der älteste Bestandteil der Ökonomie ist, ohne d«6
man zu gesichiTten Resultaten gekommen wftre. Es giM
uns alle zum Verständnisse derselben nötigen Momente, ge-
stattet eine ganze Anzahl von Ableitungen daraus und ver-
breitet helles Licht über die Kontroversen, die es hier gibt.
Alles das ergibt sich deduktiv aus seinen Grundlagen, und
wenn auch IWbachtungen aus der Wirklichkeit sowohl wr
Veritizierung wie zur Lösung praktischer Probleme natQrlich
Elemente der Preistheorie. 275
^Nutzenmaximums erfordert wird, erreicht werden können.
Wir sehen ohne weiteres, daß dieser Fall ein außerordentlich
häufiger und daher der indirekte Tauseh ein notwendiges
Element des Mechanismus jedes Marktes sein muß, in dem
mehr als zwei Waren getauscht werden. Man könnte sagen,
daß es auf einem solchen Markte ohne indirekten Tausch
keine freie Konkurrenz geben könnte, daß er zu ihrem Be-
stehen notwendig gehört. Es wird und muß daher in
weitaus den meisten Fällen eine Nachfrage nach
Gütern — einem oder mehreren — geben, welche
sich nicht aus „Bedürfnissen" im engeren Sinne,
sondern nur aus den technischen Notwendig-
keiten des Mechanismus des Marktes erklärt.
Dieses Resultat ist überaus wichtig, nicht nur weil es
ein essentielles Moment der Tausch Vorgänge beleuchtet,
sondern auch, weil es eine sehr bedeutsame Anwendung
gestattet. Zu dieser letzteren kommen wir nun im
nächsten Kapitel. Der Umstand, daß vor uns das Ge-
sagte meines Wissens nur von einem Theoretiker, nämlich
L. Walras, in der Preistheorie ausgeführt wurde, welcher
letztere übrigens diese entscheidende Anwendung nicht
machte, erklärt so manchen schwachen Punkt im ökono-
mischen Lehrsystem der Gegenwart.
18
278 ^^ Problem des statischen Gleichgewichtes.
Wir könnten, lediglich auf Grund theoretischer Erwftgnngen,
lediglich durch Diskussion der Gleichungen der Tausch-
theorie zu dem Resultate kommen, dafi es etwas derartiges
geben müsse. Und auch die grundlegenden Gesetze der
Erscheinung könnten wir finden, ohne einen Blick in das
Getriebe der Geldwirtschaft zu tun.
Da wir de facto aber mit der Tatsache des Geldes sehr
gut vertraut sind, so könnte man meinen, daß unsere »Ent-
deckung" nicht eben großartig sei. Aber ein wenig Nach-
denken würde die Oberflächlichkeit einer solchen Auffassung
zeigen. Vor allem berührt dieser Umstand die prinzipielle
Seite der Sache nicht. Noch immer wäre es ein großer
Erfolg der Theorie, noch immer ein schöner Beweis für den
Wert und die Brauchbarkeit der Konzeption unseres Systemes,
wenn sich aus ihr auch nur etwas Allbekanntes ergäbe.
Die prinzipielle Bedeutung desselben würde dadurch nicht
tangiert und immer bliebe jener „Erfolg" ein bedeutsames
Moment für manche Gegner der Theorie und eine Wider-
legung mancher bekannter Argumente derselben. Ja gerade
die Banalität eines Resultates ist in den Wissenschaften
vom menschlichen Handeln, deren Aufgal)e die Beschreibung
und Erörterung vieler Dinge ist, welche dem Alltage ver-
traut sind und der „Praxis" keine Probleme zu bilden
scheinen, keineswegs eine Einwendung von durchschlagender
Bedeutung, vielmehr oft geradezu ein Vorteil, als ein Kri-
terium der Richtigkeit eines Resultates: Der Ton liegt ja
darauf, daß wir dasselbe eben nicht dem Alltage entnahmen,
sondern aus tieferen, verborgeneren Quellen ableiteten.
Stimmt es so sehr mit der Wirklichkeit, daß es banal
scheint, so ist das nur ein Beweis, daß Wahrheit aus jenen
Quellen fließt. Trotzdem würden wir auf Grund dieses
Resultates sagen können, daß" unsere Theorie wenn auch
nicht der Entwicklungsstufe, so doch dem Wesen nach
neben dem Systeme der mathematischen Physik stehe, dessen
Vertreter es ja auch als ihren stolzesten Erfolg betrachten,
wenn ihre Theorie eine Erscheinung der Wirklichkeit, die .
sie bei Legung der Fundamente nicht im Auge hatten,/
Grandlsgen der G«Idtheorie. 279
nnmittelbar ergibt. Darin liegt iramer die beste Leistung
einer Theorie, eine Bereicherung der Erkenntnis durch
ZurQekfQhrung von „Unbekanntera" auf , Bekanntes", mag
auch das „Uobekannte" in wissenschaftlichem Sinne dem
gewöhnlichen Leben sehr gut „bekannt" sein. Auf weitere
Kreise macht allerdings eine Leistung dieser Art besonders
dann — eigentlich nur dann — Eindruck, wenn eine
Theorie durch eine Erscheinung bestätigt wird, bei der das
letztere nicht der Fall ist, namentlich also, wenn eine
, Prophezeiung" in ErfQllung geht. Daher das Aufsehen, das
z. B. Leverriers Entdeckung machte. Nur dann hat der
Laie das Gefflhl, daä in den abstrusen Gleichungen der
exakten Wissenschaften wirklich „etwas steckt". Prinzipiell
aber und für die Wissenschaft ist dieses Moment irrelevant,
ebenso wie die Frage, ob ein wissenschaftliches Theorem
technische Anwendungen gestattet oder nicht. Mag nun
unser Resultat auch nur cid bescheidenes sein, so ist es
doch von gleicher Art wie die besten Erfolge der exakten
Naturwissenscliaften, und der Theoretiker hat sehr wohl
Grund, sich seiner zu freuen.
Sodann aber ist es keineswegs selbstverständlich, banal
oder belanglos, denn es gibt uns, populär gesprochen, das
„Wesen" und die Beweguugsgesetze des Wtrtes des Geldes
und ist der Grundstein einer wertvollen und entwicklungs-
fähigen Theorie, der ersten und einzigen brauchlmren Geld-
theorie — und deshalb auch ein wichtiges Argument zu-
gunsten unseres !Systemes der reinen Ökonomie überhaupt.
Nach unserer Auffassung also bildet die Geldtheorie
einen integrierenden Bestandteil des Systemes der reinen
Ökonomie Überhaupt, In dem Siuue, daß mau sie nicht von
den übrigen Teilen desselben trennen kann. Einerseits
nämlich ergibt sie sich aus der Preistheorie. Die letztere
ist zu ihrem Verständnisse unentbehrlich und wenn man
eine Geldtheorie schreiben will, so kann man es nicht ver-
meiden, vorher die gesamten Grundlagen unseres Svstemes
vorzuführen, nicht bloß etwa in dem gleichen Sinne, in dem
man sagen mag, daß man nie ein Theorem an sich und
278 ^^ Problem des statischen Gleichgewichtes.
Wir könnten, lediglich auf Grund theoretischer Erwftgnngen,
lediglich durch Diskussion der Gleichungen der Tausch-
theorie zu dem Resultate kommen, dafi es etwas derartiges
geben müsse. Und auch die grundlegenden Gesetze der
Erscheinung könnten wir finden, ohne einen Blick in das
Getriebe der Geldwirtschaft zu tun.
Da wir de facto aber mit der Tatsache des Geldes sehr
gut vertraut sind, so könnte man meinen, daß unsere .Ent-
deckung" nicht eben großartig sei. Aber ein wenig Nach-
denken würde die Oberflftchlichkeit einer solchen Auffassung
zeigen. Vor allem berührt dieser Umstand die prinzipielle
Seite der Sache nicht. Noch immer wäre es ein großer
Erfolg der Theorie, noch immer ein schöner Beweis für den
Wert und die Brauchbarkeit der Konzeption unseres Systemes,
wenn sich aus ihr auch nur etwas Allbekanntes ergäbe.
Die prinzipielle Bedeutung desselben würde dadurch nicht
tangiert und immer bliebe jener „Erfolg" ein bedeutsames
Moment für manche Gegner der Theorie und eine Wider-
legung mancher bekannter Argumente derselben. Ja gerade
die Banalität eines Resultates ist in den Wissenschaften
vom menschlichen Handeln, deren Aufgal)e die Beschreibung
und Erörterung vieler Dinge ist, welche dem Alltage ver-
traut sind und der „Praxis" keine Probleme zu bilden
scheinen, keineswegs eine Einwendung von durchschlagender
Bedeutung, vielmehr oft geradezu ein Vorteil, als ein Kri-
terium der Richtigkeit eines Resultates: Der Ton liegt ja
darauf, daß wir dasselbe eben nicht dem Alltage entnahmen,
sondern aus tieferen, verborgeneren (Juellen ableiteten.
Stimmt es so sehr mit der Wirklichkeit, daß es banal
scheint, so ist das nur ein Beweis, daß Wahrheit aus jenen
Quellen Hießt. Trotzdem würden wir auf Grund dieses
Resultates sagen können, daß* unsere Theorie wenn auch
nicht der Entwicklungsstufe, so doch dem Wesen nach
neben dem Systeme der mathematischen Physik stehe, dessen
Vertreter es ja auch als ihren stolzesten Erfolg betrachten,
wenn ihre Theorie eine Erscheinung der Wirklichkeit, die :
sie bei Legung der Fundamente nicht im Auge hatten J
Grondlsgeo der Geldtheorie. 279
Qnmittelbar ergibt. Darin liegt immer die beste Leistung
einer Theorie, eine Bereicherung der Erkenntnis durch
Zurttckführong von „Unbekanntem" auf „Bekanntes", mag
auch das „Unbekannte" in wissenschaftlichem Sinne dem
gewöhnlichen Leben sehr gut „bekannt" sein. Auf weitere
Kreise macht allerdings eine Leistung dieser Art besonders
dann — eigentlich nur dann — Eindruck, wenn eine
Theorie durch eine Erscheinung bestätigt wird, bei der das
letztere nicht der Fall ist, namentlich also, wenn eine
„Prophezeiung" in Erfüllung geht. Daher das Aufsehen, das
z. B. Leverriers Entdeckung machte. Nur dann bat der
Laie das GefQhl, daß in den abstrusen Gleichungen der
exakten Wissenschaften wirklich „etwas steckt". Prinzipiell
aber und fUr die Wissenschaft ist dieses Moment irrelevant,
ebenso wie die Frage, ob ein wissenschaftliches Theorem
technische Anwendungen gestattet oder nicht. Mag nun
unser Resultat auch nur eiu bescheidenes sein, so ist es
doch von gleicher Art wie die besten Erfolge der exakten
Naturwissenschaften, und der Theoretiker hat sehr wohl
Grund, sich seiner zu freuen.
Sodann aber ist es keineswegs selbstverständlich, banal
oder belanglos, denn es gibt uns, populär gesprochen, das
„Wesen" und die Bewegungsgesetze des Wertes des Geldes
und ist der Grundstein einer wertvollen und entwicklungs-
fähigen Theorie, der ersteu und einzigen brauchbaren Geld-
theorie — und deshalb auch ein wichtiges Argument zu-
gunsten unseres iSystemes der reinen Ökonomie überhaupt.
Nach unserer Auffassung also biMet die Geldtheorie
einen integrierenden Bestandteil des Systemes der reinen
Ökonomie Überhaupt, in dem Sinne, daß man sie nicht von
den übrigen Teilen desselben treuneu kann. Einerseits
nämlich ergibt sie sich aus der Preistheorie. Die letztere
ist zu ihrem VerstAndnisse unentliehrlich und wenn man
eine Geldtheorie schreiben will, so kann man es nicht ver-
meiden, vorher die gesamten Grundlagen unseres Svstemes
vorzuführen, nicht bloß etwa in dem gleichen Sinne, in dem
man sagen mag, daß man nie ein Theorem an sich und
280 ^^ Problem des statischen Gleichgewichtes.
ohne die Zusammenhänge, in denen es steht, verstehen kann,
sondern in einem viel direkteren : Es ist einfach unmöglich,
die Geldtheorie „an sich" zu behandeln. Andererseits aber
ist dieselbe auch unentbehrlich zum Verständnisse der
Vorgänge in einer Verkehrswirtschaft. Es liegt darin ein
sehr erheblicher Unterschied derselben gegenüber der iso-
lierten. Ohne die Erscheinung des indirekten Tausches
können wir sie unmöglich vollständig verstehen, da ohne
sie die Vorgänge sich wesentlich anders gestalten würden.
Wir haben also nicht etwa die Wahl, ob wir die Geldtheorie
hier behandeln wollten oder nicht, sondern müssen es tun.
Es kann das allerdings nur in aller Kürze geschehen, nur
einige wenige Grundprinzipien sollen dargelegt werden, da
uns eine vollständigere Darlegung weit über den Rahmen
dieser Arbeit hinausführen würde. Wir wollen nur einige
Prinzipienfragen erörtern und die Grundlagen und Umrisse
der Geldtheorie andeuten, mehr um zu zeigen, worin sich
unsere Geldtheorie von der üblichen unterscheidet und wie
sehr sie geeignet ist, uns das Wesen der Sache verstehen
zu lassen und uns in den Stand zu setzen, über andere
Theorien zu urteilen, als um alles zu sagen, was sie uns
zu sagen gestattet.
§ 2. Vorher wollen wir einen Blick auf den gegen-
wärtigen Stand der Geldtheorie werfen. Die Kapitel, die
in systematischen Darstellungen diesen Titel zu führen
pflegen und auch die monographischen Arbeiten über dieses
Thema, welche sich in der letzten Zeit in beinahe unüber-
sehbarer Menge anhäufen, bieten keineswegs einen erfreu-
lichen Anblick und jeder, der an diese Literatur denkt,
wird sicherlich einigermaßen erstaunt sein, wenn wir be-
haupten, daß die Geldtheorie einen so großen Erfolg der
theoretischen Ökonomie darstellt. Wir beeilen uns auch
zu erklären, daß das nicht für die übliche Behandlung
dieses Gebietes gilt, sondern nur für das, was die Theorie
sein könnte und gewiß bald sein wird, für das, was die
Ökonomie bietet und nicht für das, was ihre Vertreter
Gmndlagen der Geldtheorie. 281
schreiben. Dieses Urteil aber hindert uns nicht anzuer-
kennen, dafi in der gewaltigen Literatur über das Geld-
phänomen sehr viele wertvolle Leistungen liegen. Nur
beziehen sich dieselben mehr auf die Lösung konkreter
Fragen der Währungspolitik usw., wie wir gleich sehen
werden, und nicht auf die theoretischen Grundlagen der
Sache. Und mit den letzteren hat es unsere Kritik vor-
nehmlich zu tun, deren Kürze hoffentlich nicht als Ober-
flächlichkeit ausgelegt werden wird.
Vor allem bildet die Geldtheorie, so wie sie vorgetragen
zu werden pflegt, nichts weniger als einen integrierenden
Bestandteil der Preistheorie. Vielmehr ist es üblich ge-
worden, sie ganz für sich zu behandeln und in rein theo-
retischen Diskussionen den „Geldschleier", der die wirt-
schaftlichen Vorgänge umhülle, zu entfernen. Das letztere
wird sogar allgemein als ein Fortschritt der wissenschaft-
lichen Betrachtungsweise gegenüber der des praktischen
Wirtes angesehen. Tatsächlich hat dieses Vorgehen seine
Vorteile: Gewisse Grundprinzipien können in der Tat recht
gut und viel einfacher dargelegt werden, wenn man vom
Gelde absieht, und es ist auch wahr, daß der gegenteilige
modus procedendi zu mehreren Fehlgriffen geführt hat.
Aber das ändert nichts daran, daß ein vollständiges Er-
fassen aller Vorgänge auf diesem Wege nicht erreicht
werden kann und diese Betrachtungsweise nur dann strenge
korrekt ist, wenn man sich auf die „verkehrslose" Wirt-
schaft beschränkt. Daß man das übersah, kommt lediglich
daher, daß die Tatsache des indirekten Tausches nicht
klar erkannt oder doch nicht hinlänglich gewürdigt wurde,
was erst der „mathematischen Methode" vorbehalten war.
Infolgedessen fehlte der Anker, der die Gcldtheorie an die
Preislehre fesselt, und so war es natürlich, daß die erstere
ziemlich unabhängig schien. Noch ein anderer Nachteil
ergab sich und erklärt sich daraus. Man hat die „Ein-
führung" des Geldes stets aus Zweckmäßigkeitsgründen
erklärt und gesagt, daß das „Gehl" entstanden sei, um den
Tausch zu „erleichtern", um die Tauschenden der Un-
282 ^^ Problem des stadschen Gleichgewichtes.
bequemlichkeit zu überbeben, nach jemand zu suchen, der
gerade des Gutes bedürfe, das sie anzubieten haben und
gerade das besitze und austauschen wolle, das sie zu er-
werben wünschen. Darin liegt nicht der entscheidende
Punkt. Auch wenn jeder ohne jede Schwierigkeit auf einen
geeigneten Gegenkontrahenten stofien könnte, wäre Geld,
das heißt indirekter Tausch, dennoch nötig. Auf die Ud-
entbehrlichkeit, nicht die bloße Zweckmäßigkeit
eines Geldgutes für den Mechanismus des Marktes kommt
es an und eben darin liegt der Schlüssel des Verständnisses.
Diese Erkenntnis findet sich selbst bei L. Walras nicht aus-
drücklich. Wohl hat femer Jevons seine Geldtheorie mit
einer Tauschtheorie eingeleitet, aber auf den entscheidenden
Punkt hat er kein Gewicht gelegt. Und dasselbe gilt
von vielen Anklängen an unsere Theorie, die man hier und
dort finden kann. Gerade jener wichtige Punkt, der, wie
wir sahen, auch erkenntnistheoretisch so interessant ist und
die Geldtheorie in das alleinrichtige Verhältnis zur Preis-
theorie setzt, fehlt meines Wissens immer.
So erscheint denn die Geldtheorie nur als ein Annex
des übrigen Gebäudes unserer Wissenschaft, als eine Spezial-
theorie über eine Erscheinung, die eben erklärt werden
muß, weil sie ebenfalls eine wirtschaftliche ist, aber daza
besonderer Hilfsmittel bedarf. Was steht nun eigentlich
in diesen selbständigen Geldtheorien V Sie zerfallen in zwei
deutlich unterscheidbare Bestandteile, in eine Grundlegung
und in Diskussionen praktischer Fragen. Was enthält nun
die erstereV
Die Antwort kann nicht erfreulich sein. Wir haben
hier eines jener Kapitel vor uns, die der Nationalökonomie
nicht zur Ehre gereichen. Meines Erachtens könnte der
Beurteiler nicht verfehlen, den Eindruck zu haben, daß er
gar wenig Wertvolles daraus erfahre und ich glaube, nicht
zuviel zu behaupten, wenn ich sage, daß sein Urteil nur
lauten kann: eine Wissenschaft, die nicht mehr bietet»
lohne der Mühe nicht. Und wirksamer als alle prinzipiellen
Einweu(iun»;en der Historiker wird ihn das von der Theorie
OniiidlBgeii der fleldtbeorie. 283
üb- QDd zum „Tatsachenstudium" hioleDtteo — ohne daß
man ihm Unrecht gebeir könnte. Die Gemeinplfttzlichkeit,
lie völlige Interesselosigkeit, die das Geboteoe — von der
Diskussion einiger praktischer Fragen at^esehen — aus-
zeichnet, ist ein Charakteristikon geldtfaeoretischer Arbeiten,
ist eine unleugbare Tatsache, die dadurch nicht gutgemacht
wird , dafi ihre Autoren mitunter die Schwierigkeit und
Tiefe der Probleme betonen, mit denen sie sich beschäftigen.
Doch zur Sache! Die dtlrftigen Eleiiitente von Theorie,
welche sie bringen, zu umhüllen, ergehen sich die meisten
Darstellungen in technischen Details. Das weitaus nm-
fangreichste Kapitel in Jevon's „Money" ist der Aufzählung
und Diskussion alter jener Stoffe gewidmet, aus denen
jemals „Geld" erzeugt wurde. Abgesehen von einem ge-
wissen kulturhistorischen Interesse mu6 solchen Ausfohrungen
jede Bedeutung abges))rochen werden. Was soll dadurch
erreicht werden ? Könnte man nicht ebensogut auch die
verschiedeneu NahruDgsniittel und ihre Vor- und Nachteile
in der Theorie diskutieren? Dergleichen findet sich aber in
jeder Geldtheorie, in Walker's, Helfferich's, de Foville's,
Laughlin's usw., um nur einige modernere zu nennen. Und
nicht das allein. Das gleiche gilt ja von Mitteilungen Ober
die Technik der Prägung und anderen mehr. Welche
wissenschaftliche Erkenntnis soll sich daraus ergeben? Zum
mindesten die ökonomische Theorie — ich weiß nicht, ob
ein anderer Wissenszweig — kann dabei doch nicht das
Mindeste gewinnen. Und mit einer KegelniUßigkeit, die
man für manche fundamentale Theoreme schmerzlich ver-
mißt, pflegt ein Punkt wiederzukehren, über den ich
niemals höre oder lese, ohne ein lebhaftes Gefühl der Be-
Echilmung zu empfinden; es ist die Diskussion der Vorteile,
durch welche sich die Edelnielalle auszeichnen und durch
welche sie sieb als (leldmaterial besonders empfehlen. Ja
gewiß, sie sind sehr teilbar, kleine Mengen haben großen
Wert, sie verändern sich nicht — aber ist es wirklich
unsere Aufgabe, dergleichen Siltze auszusprechen, wohl-
gemerkt, nicht etwa als Anfangspunkte eines exakten Ge-
284 ^^ Problem des statischen Gleichgewichtes.
dankenganges, sondern als an sich interessante Wahrheiten?
Wäre das der Fall, so könnte man nur jene Konsequenz
daraus ziehen, die die Historiker bereits gezogen haben.
Jovons hat es gar für zweckmäßig gehalten, die wünschens-
werten Eigenschaften des Geldmateriales allgemein auf-
zustellen: Divisibility, Portability usw. Wir wollen ans
Achtung gegen diesen glänzenden Theoretiker nicht darüber
spotten. Aber man kann solche Elemente in unserer Theorie
nur bedauern — diese Art von Geldtheorie ist leider nicht
ohne Analogien in andern Teilen der Nationalökonomie —
und muß sich beeilen zu sagen, daß sie Freiodkörper sind,
die leicht daraus entfernt werden können, im Grunde gar
nicht hineingehören und ohne jeden Zusammenhang mit dem
Reste sind.
Sodann pflegt uns eine Entwicklungsgeschichte des
Geldes gegeben zu werden, wie um die fehlende Erklärung
zu ersetzen. Wie, wo und wann das Geld entstiinden sei,
ist sehr gleichgiltig für die Zwecke der Theorie von unserem
Standpunkte, nach dem siclf dieselbe deduktiv ergibt; hat
man eine solche Ableitung aber nicht, so muß man allerdings
jene Tatsachen untersuchen, um durch ihre Betrachtung zu
einer Beantwortung der Grundfragen zu kommen. Allein
das tat man im allgemeinen nicht, vielmehr ist, was sich
als eine Tatsachenaussage ausgibt, eine Hypothese,
welche gleichzeitig die Geldtheorie ergeben soll. Darüber
kann gar kein Zweifel bestehen. Hören wir, daß, als der
Tauschverkehr sich mehr zu entwickeln begann, ^man aof
das Auskunftsmittel verfiel" . . . usw. in der bekannten Weise,
so liegt darin sicherlich kein Resultat urgeschichtlicher
Studien. Vielmehr haben wir da eine jener Behauptungen
vor uns, deren Blütezeit vor dem Aufkommen solcher
Studien lag und welche — übrigens mehr in jenem Gebiete,
welches man Soziologie nennen kann, als in der eigentlichen
Nationalökonomie — eine große und nicht immer unbedenk-
liche Rolle spielten und fast an Rousseau erinnern. Wir
sind freilich der Ansicht, daß die Kritik solcher Theorien
viel zu weit ging, namentlich übersah, daß vieles, was it
GnindUigeii der Geldtheorie. 285
der Sprache von Tatsachenreferaten ausgedrückt war, nicht
als solche zu verstehen ist, aber gewifi ist auch viel Wahres
an ihren Einwendungen und die Forderung sorgfältigeren
Quellenstudiums nicht unberechtigt. Die Bedeutung einer
solchen hypothetischen Entwicklungsgeschichte reduziert sich
jedenfalls auf einen Versuch, das Wesen und die Rolle
des Geldes tunlichst allgemein und überzeugend zu defi-
nieren.
Diese Definitionen sind es denn, welche übrig bleiben,
wenn man alles Fremde und alles a limine Unhaltbare aus
der heutigen Geldtheorie entfernt. Sie und die sich an sie
anknüpfenden Diskussionen machen deren wahre Grundlage
aus. Im Anschlüsse an sie erörtert man die Fragen, was
als Geld zu betrachten und ob „wertloses"' Geld möglich
sei, was seine Rolle und seine Surrogate sind.* Dazu kommt
nur noch etwas, allerdings etwas sehr Wichtiges. Es ist
die Quantitätstheorie, welche den einzigen Bestandteil der
Geldtheorie bildet, der — ob wahr oder falsch — wirklich
etwas sagt. Man ist .über sie nicht herausgekommen. Gründe
für und wider dieselbe wurden immer mehr angehäuft, zu
einer Lösung der Fragen aber, die sie aufwirft, und nament-
lich zu einer neuen Tlieorie, welche sie ersetzen könnte, ist
man noch nicht gelangt. Die Angelegenheit liegt so, wie
viele andere auf unserem Gebiete: Niemand ist befriedigt
von dem Bestehenden, aber niemand weiß es zu bessern
und eine Diskussion, deren Mangelhaftigkeit eigentlich jeder
einsieht, schleppt sich ohne Ende fort^ Viele sind der
Meinung, daß die Quantitätstheorie überwunden sei, aber
schließlich konnte man ihr doch nicht entsagen und gerade
in neuester Zeit hat eine Reaktion zu ihren Gunsten ein-
gesetzt. Viel weniger glücklicli waren ihre Gegner („Kredit-
' Die Gegen^ründe bleiben immer dieselben, wahrend die posi-
tiven Darlegungen der QuantitatHtheorie, besonders in England, einigen
ForUcliritt in Fa^Bung und Verteidigung aufweisen. Auch ein Ver-
buch -- «wler vielmehr drei - sie an den Tatsachen zu j)rrifen» wurde
gemacht — natürlich mit negativem Reitultat; eine Verifizierung der
rersuchten Art mußte mißlingen.
286 I^M Problem des statischen Gieiehgewichtes.
theorie des Geldes" unter anderem) und manche Versuche
in neuester Zeit, auf die wir nicht eingehen wollen. Aber
wie immer dem sein mag, dafi die Quantitätstheorie eine
vollständige Erklärung des Geldphänomens enthalte, hat
noch niemand behauptet, und so kann man sagen, ohne viel
Widerspruch befürchten zu müssen, daß die Nationalöko-
nomie weder über eine Geldtheorie verfügt, noch jemals
verfügt hat.
§ 3. Wir wollen nun kurz die Richtung andeuten, in
der eine solche unseres Erachtens gesucht werden maß,
wobei wir auch hier und da noch auf einige der üblichen
Theorien zu sprechen kommen werden. Es sind nnr
wenige fundamentale Sätze, durch die, wie wir holSen, die
Geldtheorie auf neue und entwicklungsfähige Grundlagen
gestellt werden kann.
Wie gesagt ist der indirekte Tausch der Grundstein
der Erklärung. Sobald mehr als zwei Waren zwischen mehr
als zwei Individuen getauscht werden sollen, werden Tausch-
akte stattfinden, deren Zweck Gütererwerb zu weiterem
Tausche ganz oder zum Teile ist. Jedes Gut, das Gegen-
stand eines solchen Tauschaktes ist, ist insoweit Geld, d. h.
erfüllt eine lediglich technische Funktion im Dienste des
Mechanismus des Marktes, eben jene, die gegenwärtig und
seit geraumer Zeit vom ^Gelde" im populären Sinne erflült
wird.
Nun steht es uns natürlich frei, den wissenschaftlichen
Inhalt dieses Begriffes auf den U tzteren, d. h. also auf das
heute und überhaupt meist vom „Staate'' geprägte Geld n
beschränken und eine Diskussion darüber wäre ein blofief
Wortstreit. An dem wesentlichen Zusammenhange dieses
staatlichen (ieldos mit der Ei'scheinung , von der wir eben
sprachen, würde das sicherlich nichts ändern, nur empfiehlt
er uns eben unsere Terminologie. Bei der wissenschaftlichen
Erklärung jedoch nur auf dieses formale Moment Gewicht
zu legen, wäre so ersichtlich oberflächlich, dafi wir darflber
kein Wort verloren hätten, wenn es nicht tatsächlich g^
Grandlagen der Gkldtheorie. 287
D Wäre. Aber auch so ist zu einer besonderen
jrlegung^ kein Anlaß vorhanden. Vielmehr werden
$hen, daß sich von einem anderen Standpunkte etwas
ese Stellungnahme sagen läßt, was freilich nicht gut-
» daß dabei der wesentliche Punkt übersehen wird,
^'ir sprachen also den ersten fundamentalen Grundsatz
eldtheorie aus, in dem die Erklärung des Wesens des
tiänomens liegt. Auch die Gesetze des Wertes der
Id dienenden Güter folgen unmittelbar daraus. Schon
luschmöglichkeit überhaupt alteriert die Wertfunktion
jeden Gutes, wie früher ausgeführt wurde. Sie stellt
e besondere Verwendung desselben vom Standpunkte
Besitzers dar. Es ist auch leicht zu sehetf , w i e
ih die Wertfunktionen alteriert werden. Man muß
erte jener Güter, welche für die betreffenden Güter
anseht werden können und von diesen wieder jene,
5 tatsächlich eingetauscht werden, in die Wert-
onen der ersteren einführen in der Weise, wie wir
3zeigt haben.
ür ein Gut, das nicht nur zum Tausche bestimmt,
rn schon zu diesem Zwecke erworben worden ist, gilt
be in noch verstärktem Maße. Der indirekte Tausch
also eine weitere Alteration der Wert f unk tionen der
herbei, welche zu seiner Durchführung verwendet
n, in welcher Weise kann sich der Leser leicht selbst
iren. Allein noch in einer anderen Art beeinflußt der
kte Tausch die AVerte, diesmal nicht bloß die Wert-
tionen jener Güter. Es liegt nämlich in ihm die
nz, dieselben ihrer Verwendung, der sie unmittelbar
enen geeignet sind, zu entziehen. Wenn es freilich
solcher Güter gibt, wird das weniger hervortreten, be-
jedoch die Übung, nur ein oder nur wenige Güter zur
iführung der indirekten Tauschakte zu verwenden, so
n, wie das bei den Edelmetallen gegenwärtig der Fall
md sicher bei allen typisch als „Geld" dienenden Gütern
all w a r , relativ große Mengen dauernd der eigentlichen
mdung derselben entzogen sein. Das hat wie jede Be-
288 ^^ Problem des statUchen Gleichgewichtes.
schränkung der Menge eines Gutes die Folge, ihre Grenz-
nutzen zu erhöhen.
Beide Momente sind gleich wichtig, wenn auch nur das
letztere hervorgehoben zu werden pflegt. Beide zeigen sich
am klarsten, wenn nur ein einziges Gut als Geld ver-
wendet wird , obgleich sie im Prinzipe sonst ebenso wirken.
In diesem Falle spiegeln sich sozusagen die Wertfunktionen
aller Güter, mit Einschluß derjenigen seiner eigenen Gebrauchs-
verwendung, in der Wertfunktion desselben, und die als Geld
dienende Menge läßt sich, obgleich in steter Wechselwirkung
mit der dem direkten Gebrauche dienenden, in jedem ge-
gebenen Augenblicke deutlich von ihr unterscheiden. Die
ganze Geldtheorie liegt in nuce in diesen Sätzen und ein-
fache Diskussion und Entwicklung derselben ergibt uns eine
reiche Ernte an Erkenntnis des Phänomenes des Geldes.
Wir freilich können hier nur weniges sagen. Ehe wir
aber das tun, muß etwas anderes erörtert werden, etwas-
das wir in gewissem Sinne als den anderen Grundstein der
Geldtheorie bezeichnen können.
Wir bedürfen nämlich eines Wertmaßes, um Wertgrößen
miteinander vergleichen zu können. Im ersten Teile dieser
Arbeit wurde die prinzipielle Möglichkeit eines solchen er-
örtert. Dort wurde auch gesagt, wie wir unsere Wert-
funktionen exakt feststellen: nämlich so, daß wir sie den
einzelnen Individuen „abfragen". Die Antworten werden
uns gegeben ausgedrückt in „Mengen eines anderen Gute8\
so daß die Einheit dieses — beliebigen — Gutes uns als
Wertmaß diente. Ebensogut wie jedes andere ist nun das
als „Geld" dienende Gut zu dieser Rolle geeignet, ja e*
emptielilt sich aus ersichtlichen praktischen Gründen, das-
selbe dazu zu wählen. Allein es ist unendlich wichtig, ond
ich lege Gewicht darauf, diese Wahrheit dem Leser troti
der Kürze, in der ich sie erwähne, recht sehr ans Herx in
le^en, daß beides, die Funktion eines Gutes als Tauschmittel
und die Funktion als Wertmaßstab, streng zu scheiden j
ist: Beide Funktionen sind ihrem Wesen nach
Grundlagen der Geldtheorie. 289
völlig verschieden, haben miteinander im Prin-
zipe nichts zu tun und sind namentlich völlig
trennbar. Wir können „Geld" als Taascbmittel verwenden
und dennoch alle Guter, sagen wir in Äpfeln schätzen, ohne
dafl das irgend eine prinzipielle Schwierigkeit hätte. Tat-
sächlich wird beides mitunter getrenot: Wenn ein bestimmtes
Gut fQr jemand besondere Bedeutung hat, so wird er geneigt
sein, jedes andere in Einheiten des ersteren zu schlitzen,
obgleich das Getdgut ein anderes ist. Der arme Familien-
vater drückt mitunter seine Wertungen in Einheiten von
Brot aus, der Theaterliebhaber in Theaterhillets. So gering
die praktische Bedeutung dieser Fälle auch sein mag, das
zeigen sie doch, das eine solche Trennung möglieb ist.
Diese Erkenntnis scheint mir nun von fundamentaler
Bedeutung für das richtige Verständnis des Geldphänomenes
und ihr Fehlen die Ursache mancher irrtümer zu sein. Den
Terminus „Geld" gebraucht man mitunter für die eine, mit-
unter für die andere beider Funktionen und meist fUr beide.
Dabei kommt es vor, daß man Sätze, die für die eine richtig
sind, auf die andere anwendet; eine wirklich klare Auf-
fassung jedenfalls ist nicht möglich, solange man beide zu-
sammenwirft. Nur einige der Fftlle, bei denen diese Unter-
scheidung praktisch wichtig ist, wollen wir im Folgenden
kennen lernen.
Die Theorie des Geldes als Wertmaßstab und die
Theorie des Geldes als Tauschmittel sind völlig verschiedene
Dinge. Hier zunächst einige SiUze über die erster«: Daß
ein Gut zum Wertninßstabe gewählt wird, hat — im Gegen-
satze zu seiner Wahl zum Tauschniittel — nicht den ge-
ringsten Kinriuß auf seineu „Wert". Es wird dadurch weder
seine Wertfunktion noch seine Menge alteriert, uiitliiD auch
nicht sein Grenziiutzen. Wenn ich als Einheit meiner
Wertungen, psychologisch gesprochen, den Genuß annehme,
den mir der Konsum eines Apfels pro Tag unter sonst
gegel;e»en Umständen, nanieutlich also bei fest gegol>ener
Konsum- und Proiiuktionskombinatiou, bereitet, wenn ich
demnach alle Güter, die ich besitze oder erwerlwu kann.
290 ^M Problem des statischen Gleichgewidites.
in , Apfel werten ** anschlage, so ändert das nichts an der
Größe dieses Genusses.
Dabei ist das folgende zu beachten: Ich mag sagen,
daß mir eine Menge irgend eines Gutes z. B. tausend solchen
„A|)fel werten"* gleichkommt. Ich besitze vielleicht garnicht
tausend Äpfel. Und wenn ich sie besäße, so wQrde ich
jeden derselben weit geringer schätzen, als jenen einen,
so daß dadurch sich mein Wertmaß verändern wttrde. Auf
Grund des Grenznutzens, den ein Apfel dann fttr mich
hätte, müßte ich jene Gütermenge vielleicht mit 1 Million
Äpfel einschätzen usw. Aber doch hat meine frühere
Schätzung einen guten Sinn. Drückte man sie freilich so
aus: „Jene Gütermenge ist mir tausend Äpfel wert", so
könnte das zu Mißverständnissen, jedenfalls zu Unklarheiten
führen. Aber so darf ich mich eben, wenn ich nur das
sagen will, wovon hier die Rede ist, nicht ausdrücken.
Wenn ich aber sage: Der Genuß, den mir die Konsumtion
der Gütermenge verursacht, ist tausendmal so groß, als
jener, den mir die Verzehrung des einen Apfels pro Tag
bereitet" oder: ^ Für jene Gütermenge würde ich äußersten
Falles tausendmal jenen Apfel geben", so ist die Sache
in Ordnung und bedarf keiner weiteren Erörterung. Der
Leser ist nun imstande, noch eine Korrektur an unserer
Aufstellung der Wertfunktionen vorzunehmen, welche wir
an ihrer Stelle unterließen, um unsere Darlegung nicht mit
einem Momente zu belasten, welches dort noch nicht er-
örtert werden konnte.
(ieben wir nun weiter. In der englischen Literatur
besonders ist es üblich geworden, vier Funktionen des Geldes
zu unterscheidt^n. Dieselben sind charakterisiert durch die
Worte: Tau>chmittel. Wertmaßstab und zwei, die ich besser
imUber>etzt lasse, nämlich störe of value und Standard of
deferred payments. Wir sind nun in der Lage, dieselben
zu l)eurteihMi. Die l)eiden ersten Ix^sprachen wir soeben;
sie sind von grundle^^ender Bedeutung, aber von völlig ver-
schiedenem Wesen. Nur die erstere erfüllt das Geld not-
wendig, die letztere wohl in der Regel, al>er nicht immer.
I -,^i^m- ir—aMa^gBigJ
Grundlagen der Geldtheorie. 291
Wie steht es mit den beiden anderen? Sicherlich kann
man Vermögen auch in anderer Weise aufbewahren , als in
Geld. Jedes Gut, das nicht dem Verderben ausgesetzt ist,
eignet sich im Prinzipe dazu. Es bedarf also kaum einer
weiteren Ausführung, daß diese Funktion keine wesentliche
ist. Soweit das Geld allerdings sie tatsächlich ausfüllt,
liegt darin ein für den Geldwert wichtiges Moment. Denn
dadurch, daß man das Geldgut „aufbewahrt'', hoarded, wird
seine für die Zirkulation und sonstige Verwendung verfüg-
bare Menge verringert. Das ist gewiß nicht ohne Bedeutung,
von prinzipieller Wichtigkeit für die Grundlagen der Theorie
ist es nicht. Die vierte Funktion endlich enthalt ebenfalls
kein selbständiges Moment, sondern hebt nur einen der Fälle
hervor, bei denen ein Wertmaß nötig ist.
Nun wollen wir uns zwei wichtige Fragen vorlegen, an
denen wir die Fruchtbarkeit unserer Theorie zeigen können.
Es sind das erstens die Frage, ob „Geld*" aus einem Stoffe
bestehen kann, der keinen „Gebrauchswert" hat und zweitens
die, wie eine Vermehrung des Geldes auf seinen Wert wirkt.
Diese Fragen haben in der Geschichte der Geldtheorie eine
erhebliche Rolle gespielt und sind von einer ersichtlichen
praktischen Bedeutung, so daß man ihre Beantwortung
geradezu als Prüfstein einer Geldtheorie bezeichnen kann.
Ja man könnte sagen, daß ihre Lösung die Hauptaufgabe
der Theorie bildet. Die Probleme des Papiergeldes und der
Ursachen der Preisbewegungen sind bekanntlich die prak-
tischen Spitzen derselben, Probleme, über die es eine ganze
Literatur gibt, welche teils theoretischer und teils „de-
skriptiver** Natur ist. Kann unsere Theorie etwas All-
gemeines darüber sagen oder kann uns nur Tatsachenstudium
zu einer Erkenntnis führen? Wir wollen sehen. Doch ist
es schon von vornherein klar, daß wir zur Analyse kon-
kreter Fälle auch konkreter Daten bedürfen würden.
Das kann uns nicht wundernehmen und ist auf allen Ge-
bieten so. Es wird sich nur um einen Beitrag zu allge-
meinem Verständnisse solcher Probleme überhaupt und
höchstens noch um eine theoretische Grundlegung für die
292 ^^ Problem des statischen Gleichgewichtes.
Betrachtung konkreter Fälle handeln können. Alles Weitere
muß die Statistik und Geschichte leisten — und man kann
sehr wohl argumentieren, daß gerade dieses «Weitere* der
beste Teil der Sache ist.
Was zunächst die erste Frage betrifft , so genügt eine
klare Formulierung der Sache auf Grund des Gesagten
auch schon zur Lösung. Vor allem muß betont werden,
daß wir hier nicht von „Kreditgeld" sprechen. Eine Ur-
kunde, die ein Versprechen einer bestimmten Summe
„Geldes"" enthält, kann im allgemeinen und wenn ihre Ein-
lösung gesichert ist, ebenso zirkulieren, als „Geld"" selbst
Sie verstehen wir nicht unter „Geld aus wertlosem Stoffe"
sondern nur wirkliches Geld, d. h. Dinge, welche die Rolle
des Geldes ausfüllen gleichsam aus eigener Macht und ohne
ihren Wert auf andere Dinge zu stützen, auf die sie eine
Anweisung darstellen.
Unterscheiden wir wiederum klar zwischen Geld als
Tauschmittel und Geld als Wertmaßstab. Sicherlich kann
als Wertmaßstab nur etwas dienen , was selbst Wert hat.
Das ist fast zu klar, um einer Begründung zu bedürfen.
Um die Werte drr verschiedenen Güter miteinander ver-
gleichen zu können, muß man sie auf einen gemeinsamen
Nenner bringen; dazu ist eine Werteinheit nötig; und was
immer man als solche Werteinheit wählt, immer muß es
ein Wert sein. Um in der psychologischen Ausdrucksweise
zu verbleiben: Ks wäre mir möglieh, irgendein Wertgefühl
einer bestimmten Intensität zur Werteinheit meiner Güter
zu wählen . wenn ich dasselbe nur hinlänglich festzuhalten
vermag, um es stets pe^zenwärtig zu haben. Dassell>e
brauchte gar keinem wirtschaftlichen Gute zu entspreche«,
sondern könnte irgendwoher genommen sein. So kann ich
auch exakt die Ordinaten meiner Wert funk tionen irgend-
wie messen, ohne daß die Gestalt der letzteren dadurch
geändert wird, denn nur auf das Verhältnis der Ordinaten
zueinander kommt es an. Ja sogar, wie wir bereits sahen,
einfache Verhältniszahlen können mir diesen Dienst leisteu.
aber ihre Einheit wird stets einen bestimmten, wenn auch
^^ ^ -' *•-— *-*g^-- '«=i~r ■rf~..iS»Fm-i .^>M». — , - X.-..K-W.
Grundlagen der Geldtheorie. 293
beliebigen Wert darstellen. Nennt man also den Wertmaß-
stab „Geld", so kann dieses Geld einer Wertgrundlage
nicht entbehren.
Das Geld als Tauschmittel nun kann ebenfalls nicht
ohne eine solchen auskommen. Denn sonst könnte es nicht
in bestimmten Tauschrelationen zu andern Gütern stehen.
Aber das heißt nur, daß sich mit ihm die Vorstellung von
etwas „Werthabenden" verbinden, nicht aber, daß der Stoflf,
aus dem es besteht und der tatsächlich zirkuliert, selbst
Wert haben muß. Ein Stück Papier, mit dem die Vor-
stellung des Wertes eines Schafes verbunden ist, kann an
sich, die nötigen Bedingungen vorausgesetzt, ebensogut
zirkulieren, wie das „Schaf" selbst, wenn diese Papiere nur
in keiner größeren Anzahl vorhanden sind, wie die wirk-
lichen Schafe. Dann wird man in der Regel, wenn es sich
um die Verwendung der Schafe zu indirektem Tausche
handelt, jene Papiere statt wirklichen Schafen erwerben.
Und darin — in dieser Unterscheidung zwischen Stoff-
wert des Geldes und Beziehung auf Wert — liegt die
Antwort auf unsere Frage. Dabei ist klar, daß irgendeine
ordnende Macht darüber wachen muß, daß nicht beliebig
viele solcher Papiere erzeugt werden, und in diesem Sinne
kann man sagen, daß es Geld solcher Art nur im Staate
geben kann. Die populäre Frage, ob Papiergeld „Geld" sei,
ist also zu bejahen.
Und nun zu dem zweiten Probleme, das wir lösen
wollen: Wie wirkt die Vermehrung des Geldes auf seinen
Wert? Hier ist die Unterscheidung zwischen Wertmaßstab
und Tauschmittel noch wichtiger.
Wenn sich mein Besitz an jenem Gute vermehrt, dessen
Grenznutzen mir als Wertmaßstab dient, wie wirkt das auf
den letzteren? Sehr einfach: Dieser Grenznutzen wird
sinken, und so wird denn mein Wertmaßstab insoweit kleiner,
die Zahlenausdrücke meiner Schätzungen werden insoweit
größer werden, allerdings nicht in jenem Verhältnisse, das
nach der Quantitätstheorie zu erwarten wäre, nämlich pro-
portionell zum Zuwachse, den mein Besitz an jenem Gute
294 ^^ Problem des statischen Gleichgewichtes.
erfährt, aber wohl in einem anderen, das durch meine
Grenznutzenskala gegeben ist.
Aber wir können uns auch eine Fragestellung zu eigen
machen, welche uns zur Antwort der Quantitfltstheorie
führt. Ich kann meinen Güterbesitz mittelst einer beliebigen
Werteinheit messen. Verdopple ich nun z. B. die Zahl
derselben, was mir ja freisteht und an meinen Schätzungen^
deren Sinn und Zweck nur in Fixierung von Verhältnissen
besteht, nichts Wesentliches ändert, so wird natürlich meine
Werteinheit auf die Hälfte ihrer bisherigen Gröfie sinken
und der Zahlenausdruck meiner Schätzungen auf das Doppelte
steigen. Und das ist nun der richtige Kern der Quantitäts-
theorie; ohne weiteres ergibt sich ein Endurteil über sie
oder doch das Prinzip eines Endurteiles — , zu einer er-
schöpfenden Würdigung wären noch andere Momente nötig,
auf die wir hier nicht eingehen können — : In ihrem
innersten Wesen und so, wie sie z. B. J. S. Mill meinte,
ist sie richtig; aber auch selbstverständlich und weiter
nicht interessant; was sie darüber hinaus noch sagt, mag
nicht einfach falsch sein, aber es ist doch jedenfalls un-
vollkommen und muß mit großer Vorsicht behandelt werden.
Es kann ja sein, daß jener richtige Kern sich in praxi besser
bewährt, als man glauben möchte, und ferner daß er sich
noch besser zu bewähren scheint, als es wirklich der
Fall ist; und das letztere trifft meines Erachtens für die
Quantitätstheorie zu. Aber die Einwendungen, daß sie rein
äußerlich und oberflächlich ist und auf die Grundlagen der
Preistheorie nicht zurückgeht, ferner daß sie sich wenigstens
in ihrer rigorosen Form nur in einer — und wenig wichtigen —
Beziehung bewährt, dürften kaum zu widerlegen sein.
Wie wirkt die Vermehrung des Tauschmittels „Geld"
auf seinen WertV liier müssen wir wiederum unterscheiden
zwischen Vermehrung der Menge des Gutes, das die
Wertrundlage des Tauschmittels abgibt und derjenigen
eventueller .(ieldzeichen" ohne solche des Gutes, auf
das sie sich beziehen. Im ersteren Falle haben wir
zwei Arten von Wirkungen vor uns. Erstens wird Wert
GrundUgen der Geldtheotie. 295
und Preis jenes Gntes sinken, d. h., die in Einheiten des
letzteren ausgedrQcktea Preise steigen und zwar entsprechend
der für dieses Gut bestehenden Nachfrageakalen. Soweit
wird die Änderung des Preisniveaus lediglich nominell sein.
Zweitens aber wird noch eine andere Wirkung eintreten.
Wenn nfimlich die Vermehrung ungleichmäSig vor sich
geht, z. B. nur hei einem Teile unserer Wirtschaftssubjekte
eintritt, was bei weitem der häufigste Fall sein muß, so
wird wenigstens zun&chet eine Verschiebung in der Kauf>
kraft derselbeu stattfinden. Alle jene, die über eia festes
Einkommen verfugen, werden zunAchst benachteiligt sein,
und Produktion wie Konsumtion werden andere Bahnen
einzuschlagen streben. Allerdings wird sich bald eine
Reaktion gegen diesen Vorgang einstellen, aber bis das
geschieht, können schon so fundamentale Veränderungen
des früheren Zustanries der Volkswirtschaft vor sich ge-
gangen sein, daß eine Rückkehr zu demselben unmöglich ist.
Betrachten wir nun den anderen Fall. Es werden, um
bei unserem Beispiele zu bleibeo, neue Papierstücke emit-
tiert, welche den Wert vou einzelnen Schafen verkörpern
sollen, während bisher nur soviele vorhanden waren, als
wirkliche Schafe. Was werden die Wirkungen sein? Zu-
nächst die beiden angeführten, sodaS diese „Emission" soweit
wie eine Vermehrung der vorhandenen Schafe wirkt. Der
Preis der Schafe wird sinken. Schon der Preis, der sich
für dieselben festgestellt hatte, als nur soviel Papiergeld-
einheiten zirkulierten, als es Schafe gibt, war geringer, als
jener, der bestanden hätte, wenn es kein Papiergeld gegel)en
hätte, die Schafe .aber doch Tauschmittel gewesen wären.
Denn diese Funktion würde sie sonstigem Gebrauche zum
Teile entzogen haben. Nun aber, nachdem die Papiergeld-
menge noch weiter vergrößert wurde, wird es noch sellener
vorkommen, daß Schafe zur Verwendung als Tauschmittel
herangezogen werden, weshalb die für andere Zwecke ver-
fügbare Menge derselben steigen und so ihr Wert und Preis
sinken wird. Die Emission von Papiergeld also
verringert den Wert des Gutes, auf das dasselbe
296 ^^ Problem des statischen Gleichgewichtes.
lautet, und damit haben wir den einen Grund seiner
entwertenden Wirkung auf das „Geld** überhaupt — mit
Einschluß des Papiergeldes selbst — herausgearbeitet
Diese Wirkung kommt auch dem Kreditgelde jeder Art,
mit Einschluß von Buchkrediten, zu, insoweit es nicht „voll
gedeckt" ist.
Die zweite Ursache der Entwertung, die ebenfalls auch
fXiT „Kreditgeld"" gilt, so verschieden dessen Stellung in
anderen Beziehungen sein mag, liegt in folgendem Momente.
Der Zuwachs an Kaufkraft, den jene Wirtschaftssubjekte
erfahren, denen direkt oder indirekt jene Papiergeldemission
zugute kommt, wird naturgemäß — wenigstens müßte das
in einem sonst statischen Zustande so sein, wobei wir gerne
zugeben, daß wir solche Vorgänge innerhalb der Statik
nur zum kleinsten Teile erfassen können — der Befriedigung
von Bedürfnissen immer geringerer Intensität zugewendet,
woraus ein weiteres Sinken des Grenznutzens des Geldes
für dieselben folgt, das freilich von einem Steigen dieses
Grenznutzens für jene Wirtschaftssubjekte, die an diesem
Vorteile keinen Anteil haben, in leicht ersichtlicher Weise
l)egleitet ist. Dabei kann es geschehen, daß der Wert
einer Papiergeldeinheit auch ohne die Dazwischenkunft des
Momentes des Mißtrauens in das Papiergeld, von dem wir
absehen, so wichtig es in praxi ist, unter den Wert der
Einheit des Gutes, auf das es sich bezieht, herabsinkt : Das
letztere wird dann ganz aus der Zirkulation verschwinden
und lediglich seinen sonstigen Verwendungen zugeführt
werden, der Wert des Papiergeldes aber in diesem Falle
völlig unabhängig sein.
Ncbenl>ei l)emerkt, werden wir uns auch nicht wundem,
wenn ein Geldgut einen viel höheren Wert hat, als ihm
nach dem Werte des Stoffes, aus dem es l>esteht, zukommen
würde. In diesem Falle wird dann der gesamte Vorrat an
diesem Gute in den Dienst der Zirkulation gestellt und der
Wert nur danach bemessen werden, ein Fall, der in dieser
Form wohl nie vorkam, aber in einer anderen — wenn
nämlich eine Heranziehung weiterer Mengen eines Geld-
Grundlagen der Oeldtheorie. 297
gutes aus sonstigen Verwendungen nicht mflglich war, also
bei „Einstellung freier Prägung" — wiederholt beobachtet
werden konnte.
Damit wollen wir uns begnügen. Ich glaube nicht zu-
viel zu behaupten, wenn ich sage, daß in diesen AusfQhningea
alle nötigen Elemente zu einer ebenso natürlichen wia
klaren Lösung aller das Geldphänomen betreffenden Probt
leme liegen. Gewiß konnten nicht alle Schwierigkeiten in
den wenigen Bemerkungen, die mir die dieser Arbeit ge-
steckten Grenzen zu machen gestatten, beseitigt werden.
Aber die Richtung, in der man ihre Beseitigung suchen
muS, in der man auch auf eine Ldsung des Problemes des
Bimetallismus stoßen wird, dürfte dennoch klargestellt sein.
Und ist das der Fall, so kann das gewiß nicht ohne Einfluß
auf das Urteil über unser exaktes System bleiben. [Mehr
als irgendwo muß auf dem Gebiete des Geldwesens sowohl
der Historiker wie der Praktiker Theorie treiben. Die
kleinste Behauptung über die Wirkung dieser oder jener
monetären Maßregel involviert unvermeidlich mehr oder
weniger „Theorie'^. Es liegt in der Matur der Sache, dag
auch im trockensten Referate über Tatsachen der Geld-
geschichte, in der Bedeutung, die dieser oder jener Er-
scheinung zugesprochen nird, sich Hypothesen finden müssen,
welche man weder fortlassen kann, ohne den betreffenden
Abschnitt selbst fortzulassen, noch entsprechend prftzisiereD
und rechtfertigen kann, ohne, bewußt oder unbewußt, offen
oder verhüllt, Stellung in den Fragen der Geldtheorie zu
nehmen. Eine ernste Mahnung folgt daraus.
V. Kapitel.
Die Theorie des Sparens.
§ 1. Noch einen Schritt wollen wir weitergehen und
versucheo, eine Erscheinung in unser System einzufügen,
welche die Nationalökonomen viel beschäftigt, nämlich das
Sparen. Das allererste, worauf wir die Aufmerksamkeit des
Lesers lenken wollen, ist wiederum unsere Art vorzugehen.
Und dabei behaupten wir, ebenfalls wie gewöhnlich, daß in
derselben nicht etwas bloß uns Eigenes liegt, etwas, das
nur für dieses Buch Bedeutung hätte und bloB durch
unsere eigenen methodologischen Anschauungen bedingt
wäre, sondern vielmehr, daß unser modus procedendi im
Wesen der Sache liege und darin lediglich zum Ausdruck
komme, was alle tun. Wir präzisieren bloß die übliche
Methode und bemühen uns zu zeigen, welches ihre wahre
Natur ist, frei von Unklarheiten und Ausschmückungen.
Das soll uns dazu helfen, ein Urteil darüber zu gewinnen,
was von ihr zu halten ist, was sie leistet oder leisten kann.
und wo die (irenzen und Bedingungen ihrer Brauchbarkeit
liegen. Wir wollen sehen, was die statische Ökonomie für
dieses Problem und w i e sie es tun kann und welcher Wert
dem, was in theoretischen Werken darüber geschrieben lu
werden pflof^t, zukommt.
Ein nicht uninteressanter Beitrag zur Erkenntnistheorie
unserer Disziplin und zum Verständnisse ihres Wesens und
ihrer Resultate, ergiht sich meim»s Erachtens dabei, ja ein
Beitraj^ zur Erkenntnis des Wesens aller Theorie überhaupt.
Die Theorie des Sparen«. 299
Wir betonen ja immer, daß e& wenig Sinn bat, dasselbe im
allgemeinen diskutieren zu wollen, vielmehr nur die Arbeit
an konkreten Problemen zu einer Einsicht von wirklichem
Werte fahren kann. Nur diese kano uns dazu fuhren,
wirklich etwas von der Sache zu verstehen und nur rück-
blickend auf theoretische Erfahrung, wenn man
80 sagen darf, gewinnt man ein Urteil , das Sinn hat.
Dasselbe stellt sich dann von selbst ein als eine der Früchte
der Arbeit und bedarf keiner allgemeinen Begründungen
mehr; es ist nicht so kurz und einfach wie alle die land-
Iftufigen es zu sein pflegen und kann dem Laien nicht so
leicht plausibel gemacht werden ; aber es ist ihnen auch s o
überlegeD. daß dieselben daneben nur wie feuilletonistische
Apercus aussehen, an denen das Wahre und Falsche so
klar gesehen werden kann, wie Öl und Wasser in einem
Glase.
Der Punkt, der methodologisch an unserem gegen-
wärtigen Thema so interessant ist, ist der folgende. Wir
haben in der Geldtheorie ein Beispiel einer deduktiven —
und nichtsdestoweniger sehr wertvollen — Erkenntnis ge-
sehen und so durch die Tat und nicht durch aprioristische
Obersatze gefunden, daß unter Umstanden rein theoretische
Erwägungen zu neuen, das heißt nicht schon in ihren Vor-
aussetzungen enthaltenen, Wahrheiten führen können, welche
uns kein Tatsachenstudium besser zu zeigen vermag. Nun
werden wir ein Beispiel einer Theorie kennen lernen, die
zwar auch exakt aber doch ganz anderer Natur ist, die
auf Grund von neuen Tatsachen, sozusagen induktiv, von
außen in unser System eingefügt werden kann, wenigstens
bis zu einem gewissen Grade. Ist sie einmal in das System
eingeführt, sind diese Tutsachen einmal so stilisiert, daß
das möglich ist, so unterscheidet sich diese Art von Theorie
gar nicht von der andern und leicht kann der tlUchtige
Beobachter den Unterschied zwischen beiden übersehen.
Praktisch ist das auch kein großes Unglück, aber hier, wo
wir uns die Theorie gründlich ansehen wollen, ist derselbe
fundamental. Und es ist meines Krachtens ein ganz glück-
300 ^As Problem des statischen Gleichgewichtes.
lieber Zufall, daß zwei Instanzen fQr zwei ganz verschiedene
Leistungen unserer Theorie hier aufeinanderfolgen.
Was sagen uns die Nationalökonomen aber das Phä-
nomen des Sparens? Nur wenige* geben eine eigentliche
Theorie derselben; worin dieselbe besteht, wollen wir gleich
angel)en. Die meisten sagen uns zwei Dinge. Erstens, da6
es gut und schön sei, zu sparen und daß es sich fttr jeder-
mann sehr empfehle, nicht sein ganzes Einkommen aus-
zugeben. Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Sparens
sei groß, hänge von den moralischen Eigenschaften der
Bevölkerung ab und dergleichen mehr. Oft vervollständigen
statistische Daten diese Darlegungen, welche zu jenen gehören,
die wir im Interesse des Ansehens unserer Disziplin dringend
ausgeschieden wissen möchten. Zweitens sagt man uns —
wenigstens viele Nationalökonomen tun das — , daß das
Sparen die Bildung des Kapitales oder des Vermögens er-
kläre. Das ist allerdings sehr wichtig, und wir werden
diesen Satz noch zu prüfen haben. Im ganzen kann man
jedenfalls sagen, daß die Spartheorie einen der schwächsten
Punkte der Ökonomie bildet.
Zunächst aber wollen wir die reine Theorie des Sparens
entwickeln. Beachte mau, wie wir dabei zu Werke gehen.
Das Sparen ist sicherlich eine wirtschaftliche Erscheinung
von größerer oder geringerer Bedeutung. Deshalb werden
wir den Wunsch haben, sie in unserem Systeme zu berück-
sichtigen, falls dies geht. Es muß keineswegs gehen
und es kann in sehr verschiedenem Maße gelingen, wenn
es überhaupt gelingt. Denn es berechtigt uns nichts, von
vornherein anzunehmen, daß unsere formalen Voraussetzungen
auf jede wirtschaftliche Erscheinung passen müssen, daS
sich jede derselben in unser Schema bringen läßt. Tat-
sächlich ist (las auch bei einer Reihe wichtiger wirtschaft-
^ Vor allein diu Mathematiker: L. Walras, V. Pareto, Iiring
Fislier, W. Lauiihardt: von Niehtmathematikem eigeDtlich nv
V. Hoehm-Hawerk. Doch machen auch die Genannten manche An-
wendungen von der Theorie, welche wir ablehnen mflssen.
Die Theorie dea äparena. 301
licher Tatsachen nicht der Fall und wir waren bereits ge-
zwungen, einzusehen, daß die Statik keineswegs auch nur
die Theorie der Wirtschaft erschöpft. Es könnte sich
nun auch hier zeigen, dafi ucsere Betrachtungsweise unan-
wendbar ist. Wir wUrden dieselbe deshalb, eingedenk der
Dienste, die sie uns dennoch zu leisten vermag, noch nicht
verwerfen, sondern vorerst die Tatsache des Spareos in
die Dynamik verweisen und in der Statik von ihr absehen.
Aber selbst wenn es sich ergibt, daß unsere statischen Me-
thoden hier nicht versagen, wird daraus nicht folgen, daß
sie notwendig die ganze Erscheinung und alle ihre Konse-
quenzen decken. Sie können uns etwas -darüber zu sagen
gestatten und an anderen Funkten versagen. Ob wir in
diesem Falle das Sparen in der Statik behandeln werden
oder nicht, hftngt von der Größe dieses „etwas" ab. Dabei
müssen wir uns vor zwei entgegengesetzten Fehlern hOten.
Wir dfirfen einerseits nicht vor jeder Schwierigkeit zurück-
scheueo, die vielleicht mit einem kleinen KunstgritFe zu
beseitigen ist,, andererseits aber den Tatsachen nicht Gewalt
antun: Wir dürfen nicht leichten Herzens erklären, daß aus
diesem oder jenem Grunde das Sparen keine Erscheinung
der statischen Wirtschaft sei, wenn wir doch zu brauch-
baren Theoremen kommen können. Aber wir sollen auch
nicht darauf bestehen, eine Ersclieiuung in ein Schema zu
pressen, wenn sie dadurch, seihst wenn wir nichts logisch
Fehlerhaftes dabei tun, ihre wesentlichen Merkmale ver-
liert, sich sozusagen darin nicht ausleben kann. Nach beiden
Richtungen wird gesündigt. Mun behandelt oft Erscheinungen
mit Methoden, deren Voraussetzungen gerade das Wesent-
liche an der Sache verbarrikadieren — ein Beispiel wird
uns in der Zinstheorie begegnen — und mit denen mau
nur Banalitäten oder direkt fnlsche Resultate gewinnt. Und
wohl ebenso oft erklärt utnii einfach, daß diese oder jene
Erscheinung der Theorie un/ugjlnglie1i sei , wo doch ein
Versuch sie anzuwenden, reclit gut gelingen würde. Ali-
gemeine Regeln dafUr, wann das eine und wann das andere
am Platze ist, gibt es nicht; es ist das Sache des Taktes,
302 I^As Problem des statischen Gleichgewichtes.
der wissenschaftlichen Befähigung. Wie der Staatsmann
bald mit eiserner Hand, bald mit einem Samthandschuhe
vorzugehen hat und in der richtigen Wahl des einen oder
des anderen Vorgehens ein wesentliches Kriterium seines
Talentes liegt, so muß auch der Theoretiker bald sozusagen
seine Autorität gegenüber den Tatsachen wahren, sie bis
zu einem gewissen Grade meistern und sich nicht von ihnen
tiberwältigen lassen, was, gestehen wir es nur offen, nie
ohne jede Willktirlichkeit geht — ganz ohne WillkOr
ist keine Theorie — , bald vorsichtig und schonungsvoll
ihre Einzelheiten berücksichtigen. Und im Erfolge, nicht
in allgemeinen Regeln, liegt, ebenfalls in beiden Fällen, die
Rechtfertigung für den eingeschlagenen Weg.
Alles, was wir tun können, ist also, zu versuchen, ob
wir unsere Methoden auf das Phänomen des Sparens an-
wenden können und was dabei herauskommt. Das wollen
wir denn auch tun. „Unsere Methoden anwenden", heißt
nichts anderes, als das Schema des Tausches anwenden.
Können wir das? Was ist dazu nötig? Die Antwort ist
einfach: erstens ein „Gut" und zweitens eine Wertfunktion
von gleichen Eigenschaften wie alle andern. Was den ersten
Punkt betriflft, so müssen wir zu. diesem Zwecke eine neue
„ökonomische Quantität", eine neue Art von Elementen
unseres Systemes kreieren und annehmen, daß unsere Wirt-
schaftssubj(»kte neben der Produktion und der Konsumtion
dienenden Gütern auch „Sparfonde" besitzen, welche natO^
lieh auch gleich Null sein können — ebenso wie die Mengen
jedes ihrer übrigen Güter. Diese Sparfonde können in
irgendwelchen Gütern bestehen, wir werden sie passend ab
Geldsummen auffassen. Man sieht unmittelbar, dafi das
keine Schwierigkeiten hat, und wir diese neuen Elemente
soweit ohne Anstand neben die alten stellen können. Allein
der zweite Punkt, die Wertfunktionen dieser neuen Art von
(lütern, mag ein Problem bilden. Der p^ychologittbe
Nationalökonom, der die Wertfunktionen auf Bedürfiiis-
befriedigung basiert, wird genötigt sein, hier einen wesent-
lichen Unterschied zu konstatieren, da der Sparfond eben
Die Theorie des Sparens. 303
nicht dem Genüsse dienen soll, ihm vielmehr zunächst ent-
zogen ist. Man kann seinen Wert also nur aus der Be-
friedigung künftiger Bedürfnisregungen erklären, wenn man
nicht von einem besonderen Sparbedürfnisse sprechen will.
Beide Wege sind indessen durchaus möglich und haben
guten Sinn. Wir jedoch wollen hier ebenso vorgehen, wie
bei Aufstellung der andern Wertfunktionen, das heifit wir
wollen auch hier den Individuen ihre Schätzungen für ver-
schiedene große Sparfonde, von Null stetig fortschreitend,
abfragen und sehen, ob die so erhaltene Funktion ebenso
aussieht, wie alle andern. Es ist klar, daß das erstere
möglich und das letztere der Fall ist. Wir wollen uns
nicht dabei aufhalten, des Näheren zu zeigen, daß auch
für das Spargeld ein Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen
gilt, daß auch hier jeder weitere Zuwachs geringer geschätzt
wird als der unmittelbar vorhergehende von gleicher Größe
und an bestimmten Punkten unsere Individuen zu sparen
aufhören unter denselben Voraussetzungen, welche wir bei
andern Gütern zu machen haben.
Wir können also den Sparfond für unsere Zwecke
ganz ebenso auffassen, wie andere Güter und das Sparen
erscheint demnach als eine wirtschaftliche Verwendung der
vorhandenen Mittel ganz so, wie jeder andere Gütererwerb.
Es ergibt sich daraus, wie man leicht sieht, daß wir unser
Gesetz vom Grenznutzenniveau auch auf das Sparen aus-
dehnen und von einer festen Tauschrelation des Sparfonds
2U allen andern Gütern sprechen können, also geradezu
von einem Preise desselben. Hoffentlich wird das keinem
Mißverständnisse begegnen, auch wenn wir es uns versagen,
darauf näher einzugehen. Das wesentliche Resultat, das
sich daraus ergibt, ist die eindeutige Bestimmtheit des
Sparfondes jedes Wirtschaftssubjektes. In der Tat reichen
die angedeuteten Momente aus, exakt nachzuweisen, daß
das „Spargeld"* in der Volkswirtschaft unter gegebenen
Verhältnissen und in jedem Zeitpunkte in eindeutig be-
stimmter Menge vorhanden und unter die einzelnen Wirt-
schaftssubjekte in eindeutig bestimmter Weise verteilt ist.
304 ^^ Problem des statischen Gleichgewichtes.
auch mit den Mengen aller andern Güter in fester Wechsel-
wirkung steht, durch sie bedingt ist und seinerseits sie
mitbestimmt und ein gewisses — „normales'' oder .not-
wendiges" — Verhältnis zu ihnen einhält.
Das ist alles, darin liegt die ganze reine, statische
Theorie des Sparens. Ist sie etwas wert, ist sie namentlich
der Mühe wert? Gewiß ist sie nicht ohne Bedeutung, und
man könnte dieselbe durch eine vollere Darstellung viel
eindrucksvoller hervorheben, als uns das hier möglich ist.
Die Erkenntnis der eindeutigen Bestimmtheit des Spar-
fondes, seiner Bedingtheit durch die andern Elemente
unseres Systemes, ja die Möglichkeit selbst, ihn als ein
Gut wie alle andern aufzufassen — das alles ist nicht ohne
wissenschaftlichen Wert. Außerdem könnten wir auf Grund
unserer Theorie gewisse Bewegungsgesetze des Sparfondes
ableiten von derselben Art, wie die anderer Gütermengen ^
Aber liier wiederum muß zugegeben werden, daB wir nii-ht
mehr bieten und namentlich keine weitgehenden Anwendungen
von unserer Theorie machen können, worauf wir noch
kommen werden. Wir werden es wie gewöhnlich als „Ge-
schmacksache" bezeichnen müssen, ob man günstig oder
ungünstig über sie denken will. Vorliebe für oder Abneigung
gegen exakte Gedankengange wird dabei die Hauptrolle
spielen und wen Anlage oder Bildungsgang und InteresseD-
krcis die eine Kventualität wilhlen läßt, wird sich bewußt
bleiben müssen, daß sein Urteil wie alle Urteile eben nur
subjektive Geltung hat, wenn es auch insoweit sicherlieh
immer Anspruch auf Beachtung hat. Am Schluß dieses
Buches werden wir das nochmals zusammenfassend betonen.
Bemerken wir noch, daß mau ganz denselben Vorgang
auch auf andere Dinge anwenden und ebenso von einem
Wohltiltigkeitsftmde und der^^leichen sprechen könnte. Und
auch solchen Theorien würde dasselbe relative Interesse
' Uii«I i-n'llich kann man hoffm. durch weitere Dateu nm\
H\H'z\o\\orv, kfihniTO Annahmen n«H'h weitere Sätze zu gewinnen. Ich
toilo dii'so Ilortiiunj; un«l nnr Haumrucksichten halten mich ab. h*»
dict>em in m(»hr al.-* rinrr Hins'icht intiTessanten Punkte au verweil«.
Die Theorie des Sparens. 305
und derselbe bescheidene, aber nicht völlig illusorische Er-
kenntniswert zukommen, wie der des Sparens. Hier eröffnet
sich also eine Möglichkeit der Erweiterung des Gebietes
der exakten Ökonomie, eine Aussicht auf weitere Entwick-
lung. Doch denken wir sicherlich nicht sehr hoch darüber.
Es* sei aber erwähnt, daß die Spartheorie sich von diesen
letzteren Dingen durch ein Moment unterscheidet, welches
sie für das System der reinen Ökonomie notwendig
macht, wenigstens dann, wenn dasselbe allen Anforderungen
genügen soll: In gewissen komplizierteren Fällen zeigt sich
nämlich, daß der Sparfond zur eindeutigen Bestimmtheit
des Gleichgewichtszustandes nötig ist. Es gehört das zu
den Details der mathematischen Theorie, und wir wollen
darauf hier nicht eingehen. Ferner aber bedürfen wir des
Sparfondes mitunter dann, wenn wir die Wirkungen von
Preisbewegungen studieren, und davon werden wir im vierten
Teile dieser Arbeit sprechen.
Aber hat die Spartheorie nicht eine höchst wichtige
Anwendung, erklärt sie nicht die Kapitalbildung? Nun,
soweit unsere exakte Theorie des Sparens in Betracht kommt,
kann die Antwort nur rundweg verneinend lauten. Wir
können schon nicht erklären, wie die Sparfonde entstehen,
müssen vielmehr solche als gegeben annehmen und uns
darauf beschränken, ihre eindeutige Bestimmtheit im Gleich-
gewichtszustande und ihre Variationen zu untersuchen
bzw. zu beweisen. Und zwar aus demselben Grunde, wie
bei allen andern Gütern : Weil das unser statischer Apparat
nötig macht. Ein Übergang aus einem Zustande, in dem
nicht gespart würde, zu einem solchen, wo das geschieht
oder wo auch nur eine größere prinzipielle Disposition zum
Sparen vorhanden ist, setzt eine Änderung in der Natur
des Menschen, mithin in allen Wertfunktionen voraus und
ist für uns deshalb ebenso unerfaßbar, wie der Übergang
zur Produktion von Gütern, die bisher unbekannt waren,
oder zu neuen Wirtscbaftsmethoden. Alles das muß fest-
stehen, darf sich nicht ändern, wie wir das ausgeführt
haben. Vollends können wir die Verwendungen des Spar-
Sobnmpvter. NfttionalOkonomie. ^^
306 ^A8 Problem des statäscbeu Gleipbgewichtes.
fondes zur Schaffung von Produktioußmittoln usw. niebt
untersuchen. Das würde ja eine Entwickluug zur Folge
haben, auf einen neuen Kulturzustand hinarbeiten, in dem
alles anders ist. Ss fahrt zu neuen Bedürfnissen, neuen
^Erscheinungen jeder Art. Ihnen gegenüber versagen unsere
Methoden und selbst soweit sie das nicht tun, treten andere
Dinge dabei in den Vordergrund des Interesses, auf die
andere Betrachtungsweisen besser passen. Nur die Ersparuag
kleiner Summen, wenigstens verhältnismäöig kleiner, dereo
Investition nicht in Betracht kommt und welche den Gang
der Wirtschaft nicht wesentlich beeinflussen, sind im Prin-
zipe^ in der statischen Wirtschaft möglich, sonst hArt sie
auf, statisch zu sein. Namentlich das Entstehen neuer
„Kapitalien'' — und das gilt für i^Ue die Bedeutungen, die
dieses Wort haben kann — ist ein so essentiell „dynamisches*
Moment, kann so sehr nur im Zusammenhange mit dem
Trobleme der Entwicklung behandelt werden, dafi jeder
Versuch, es in den Uahmen der Statik zu pressen, nur kllglidi
mißglücken kann. Das wird schlagend durch die rein Uieo-
retischen Kapitalbildungstheorieu bewiesen, welche so un-
leugbar unbefriedigend sind und dem Historiker soviel zu
entschuldigen geben. Wir wagen es jedenfalls nicht, diesen
Schritt zu tun, wenn auch unsere Spartheorie dadurch
bedauerlich eingeschränkt wjrd. Lieber wollen wii zugeben,
daß sie nur das Spargeld „im Strumpfe** deckt, als beim
Angeln nach Problemen der Dynamik vom statischen Ufer
aus einen Fall ins Wasser zu riskieren. Wenigstens ist das
wenige, das uns bleibt, dann einwandfrei. Und etwas
bleibt uns ja. Der ständige Saldo, den wir im Kontokorrente
unserer Bank haben — nicht aber das, was wir, wenn auch
momentan nicht investiert, im Depositenkonto haben —
gehört hierher^ und ähnlicher Beispiele ließen sieb viele
* Was nicht liindert, größere in der Geldtheorie in berftck-
itichtigen.
^ Von unHcrom Standpunkte aus gesehen wanigstent und
dann, wenn wir keine Zinsen dafür empfiuigen, wie das bei enf-
liscben Hanken meist der Fall ist.
Die Theorie des Spuren*. 307
finden. Diese UnterEcheidung ist auch an sieli nicht ohne
Interesse, und wir mUssen unseren Methoden dankbar sein,
'dafi sie uns auf dieselbe fuhren. Aber veiter kOnnen
wir nieht gehen.
Note 6ber die Theorie der Kapitalbildniig.
Wür wollen hier einige Worte Ober ^ie Frage sagen, ob <lie
Encheinang des Sparen« die Kapitalbildung erkläre. SicherUclf ist
«ine Theorie der letcteren nicht im Rahinen der Statik mfiglicb npd
unsere Bemerkangen werden daher nic)it eigentlicb znm Gegeiuttnde
dieMs Baebea au rechnen eein. Aber aowobl um ups darüber so be-
Tuhigen, daB wir nicht etwa auf leicht erreichbare Erkenntnisse rei-
sicbten, wenn wir uns Jene Zurückhaltung auferlegen qnd ferner, am
dem L«ter tn seigen, daß sich die Statik und die Iljnainik in 4w
T»t scharf voneinander abheben und ihre Unterscheidung keiaasw^l
eine theoretische Laune ist, um also dem Gesagten noch einen Unter-
ton zu geben, der lu seinem vollen Verstindniue durcbaas nStjg iit —
aus diesen Gründen wollen wir uns eine kurze Abschweifung g».
statten nnd einiges über ein Thema sagen, mit denh man Bftnde flillen
kannte. Die uns gebotene Kurie gestattet nicht ängstliche {{orrekt-
beit der Ausdrucks weise nud kann leicht su einer Kritik Anlaj geben,
die eine rollere Darstellung nicht lu fürchten h&tte. Wir appellieren
hier an die Uenorositlt des hoffentlich „geneigten" Lesers.
Um den ärgerliclien Schwierigkeiten, die um den Kapitalbegriff
herumliegen, su entgehen, wollen wir unsere Frage in iwei andere
serlegen: Erklärt dos Sparen die Bildung der „VermSgen" im popu-
lären Sinne des Wortes? und: Erklärt das Sparen die Kapitalbildung,
unter Kapital „produzierte Froduktionsmittel" verstanden? Nur Tat-
sachen betraeh tun g kann uns das lehren. Vor allem zur ersten Frage.
Wie entstehen „VermCgen"? Oder: Wober kommen Jene Oeldsummen,
die man im gewöhnlichen Leben als „sein VermSgen" beseichnet?
Man kann ohne Widerspruch befürchten oder eine lange Erklärung
geben in müssen wenigstens dem Theoretiker von Fach gegenüber
vor allem antworten : Diese Summen stellen kapitalisierte Ertrag«
dauernder Einkommensquellen dar. Wie diese Kapitalisierung erfolgt
und woher die Einkommensquelle stammt — ob sie auf wirtschaftlichem
oder auBerwirtschaft liebem Wege, i. 1). durch Landschenknng er-
worben wurde — ist für unseren Zweck gleichgülti);. Was uns inter-
essiert ist die TatKache , doB ein solches Vermögen sicherlich nicht
„erspart" wurde. Uag auch die Einkommensquelle erarbeitet und selbst
in irgendeiner Weise auf Spartätigkeit zu rückiu führen sein, sicher ist
jene Snmme, die da« Vermögen darstellt, nicht durch Sparen anf-
308 ^&B Problem des statischen Gleichgewichtes.
gestapelt worden; sie hat ihren Ursprung eben in dem genannten
Prozesse der Kapitalisierung.
So ist sicherlich eine große, sehr große Anzahl von Vermögen
entstanden. Wer dagegen könnte jemals ein irgendwie erhebliches
Vermögen dadurch erwerben, daß er sich von seinen täglichen Auf-
gaben etwas ersparte? Wer spait denn überhaupt in dieser Weise?
Die letztere Frage ist die wichtigere, da es uns nichts nützen konnte,
eine allgemeine Regel darüber aufzustellen, wer sparen „kann'', wenn
die Betreftenden nicht tatsächlich 8])aren. Gute Lehren können wir
höchstens uns selbst erteilen. Nun, die^ie Frage muß auf Gmod von
Tatsachen beobachtungen beantwortet werden. Ich kann jene Ma-
terialien, die mich zu meiner Antwort veranlassen, hier nicht darlegen,
sondern muß mich darauf beschranken, diese selbst zu geben. Allein
ich meine, daß sie eher auf Zustimmung als auf Widerspruch stoften
wird. Ich glaube nämlich , daß nicht jene Leute .,sparen'', die die?
größten Einkommen haben, sondern viel eher die Arbeiter- und vor
allem die Mittelklassen. Wenn die Spartätigkeit eine einfache Ennktioa
der Größe des Einkommens wäre, so würde das wahrscheinlich anders
sein, obgleich auch hier bei sehr großem Einkommen ein Punkt eiil-
treten würde, wo mit Rücksicht auf die Gleichgültigkeit weiteren
Erwerbes das Siiatcn aufhören würde, obgleich, mit anderen W^orten.
auch dann die Spartätigkeit der Größe dos Einkommens sicherlich nicht
proportional wäre — wie auch bei anderen Gütern bekanntlich der
Erwerb nicht mit dem Steigen der Mittel des Erwerbers Schritt liält.
Allein die Spartätigkeit ist zweifellos k e i n e solche Funktion des Ein-
koniineiis. Die Momente der sozialen Stellung, der „ Verpflichtungen ~.
der Lehensaiisprüche, (Tewohnheiten usw., kurz, die Verschiedenheit
der Anlagen der Menschen und ihrer sozialen Milieus verhindern da«
und zwar in einem (irra<le, welcher eine Abstraktion davon zwar nicht
u n m (i g 1 i c h , wohl aber w e r 1 1 o s macht. Der Tatbestand scheint
mir nun der zu sein — und wir sind ja gegenwärtig sowohl nicht
ohne Statistik, wie nicht ohne Monographien darüber, wenn auch ein
Mehr hier dringend erwünscht wäre — , daß hohe Stellung und
luxuriöse ( Jewolmheiten — hoher Standard of life — die Grotte der
Einkommen meist mehr als balancieren und Leute mit großem Ein-
kommen, auch abgesehen von dem reintheoretischen Momente des .
sinkenden <ireiiznut/.ens des Sparfonds, weniger intensiv sparen, als
solche mit kleinem, ja meist oder in einem sehr erheblichen Teile
aller FiiUe. gar nicht. Tnd aus Beobachtungen und Erwägungen
dieser Art ergab sich mir, daß das Sparen eine bedeutend geringere
Wichtigkeit als soziale Erscheinung und als ErklArungsprinzip wirt-
schaftlicher Probleme habe — wenn auch immer noch eine grotte —
als die meisten Volkswirte anzunehmen pflegen. Ich kann das hier
ebensowenig begründen, wie ich die ziemlich weitreichenden Kon-
Die Theorie des Sparens. 309
Sequenzen dieser Ansicht vorzuführen vermag. Allein ich m&chte be-
merken, daS sich mir in diesem Zniammen hange nene Elemente für
eine Kapitalbildungstheorie und noch darüber hinaus fär eine Art
Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung ergeben haben. Und wenn
-dieser Standpunkt richtig ist, bewShren sieh nicht die Methoden der
Statik , welche uns Bescheidenheit lehren und vor Fehlgriffen be-
wahren, überraschend gut? Entdecken wir nicht unerwartete Über-
«inslimronng des theoretischen Bildes mit der Wirklichkeit?
Doch entstehen Vcrmilgen nicht auch anders als durch , Kapitali-
sierung"? Gewiß, eine andere wichtige Entstehuugsursache sind die
Geschäftsgewinne. Ich gebrauche diesen Ausdruck hier in popul&rcm
Sinne und verstehe darunter nicht bloß Zufalls- und Spekulations-
gewinne in engster Bedeutung, sondern jene „Unteruehmcrgewinne"
jeder Art, aus Gründungen usw., weiche bekanntlich viel bedeutender
sind, als die reine Theorie uns glauben machen möchte, — besonders
deshalb, weil die Konkurrenz so gut wie nie „frei" ist, — und welche
greifbarerweise die Quelle vieler Vermögen sind. Wie sie sich er-
klären, geht uns hier nichts an, davon werden wir noch an anderer
Stelle sprechen. Sie sind da. und das mag für jetzt genügen. Nun
erhebt sich aber die Frage, ob bei der Erklärung der VermOgens-
bildung aus diesen Elementen, nicht doch das Sparen eine aehr wesent-
liche Rollo spielt. In der Tat hat man das behauptet Während ein
Teil der Theoretiker die Vermägennbildung — eigentlich die Kapilal-
bildnng; aber das kommt, wie wir gleich sehen werden, für unseren
Zweck auf dasselbe hinaus — aus produktiver Tätigkeit — industiy —
erklärte, hat ein anderer hier auf das Sparen Gewicht gelegt und
noch andere haben beide Momente vereinigt. Nichts scheint einfacher,
als alle drei Theorien zu begründen. Wenn Vermögen auf diese
Art — d. h. nicht durch Kapitalisierung — entstehen soll, so muß es
irgendwie , produziert" werden: ebenso natürlich darf das ..Produkt"
nicht sofort konsumiert werden, wenn Vermögen entstehen soll; und
so ist es schließlich auch selbstverständlich, daß beides — Produzieren
und Nichtr erzehren — zusammenwirken muß.
Allein ist dieses -Nicht verzehren" gleiehbedentend mit „Sparen"?
Nennen kann man es freilich so. aber die Frage ist, ob es dieselbe
Erscheinung ist. welcher wir hier begegnen und welche wir im Texte
behandelten. Die Antwort hniiii nur verneinend lauten. Dort hatten
wir es mit einem Absparen vom gewohnten Einkommen . das die
Grundlage des Standard of lifo der Betreffenden bildet, au tun, hier
liegt ein Gewinn vor, der aiiHerhalb des gewöhnlichen Budgets steht
und nie als wirkliches Einkommenelement betrachtet wurde. Dort
handelte es sich um Schaffung eines kleinen Reservefonds, hier um
Schaffung der Grundlage zu neuen Produktionen und Konsumtionen,
4'iner neuen Lebenshaltung. Dieser Uutereehied ist wesentlich und
310 ^c^ Problem des statischen Gleichgewichtes.
ich blauere nur, ihn nicht eindringlicher ausführen zu können. Nennt
man beide Vorgänge „Sparen'', so muft man sagen, daA dasselbe swei
verschiedene Rollen habe. Aber nur in einem Falle sagt uns da»
Moment des ^^Sparens'' etwas Interessantes: Es zeigt uns eine be-
stimmte Art der Einkommenverwendung. Im a n d_fi.r£n . aber nor
eine BanaHtSt: Daß niemand oder so gut wie niemand seinen in-
dustriellen Gewinn sofort konsumiert. In diesem letzteren Falle liegt
alles Wichtige in dem Momente des Erwerbes: Ein solcher Erwerb
steht außerhalb des Einkommens, sozusagen außerhalb des Grenz-
nutzenniveaus des Erwerbenden und seine Konsumtion, die die ganze
Lebenshaltung verändern würde, kommt meist gar nicht in Frage.
Er ist in der Statik, in der alles vorhergesehen ist und freie Kon-
kurrenz alle Gewinne auf die Kosten herabdrückt, nicht möglich, ist
essentiell ein Phänomen der Entwicklung. Durch außerordentliche
Anstrengungen, durch eine Energie, welche vorwärts will und nicht
ängstlich ein hedonisches Gleichgewicht sucht — wir dr&cken uns
der Kürze wegen so inkorrekt aus — und welche oft anderen Motiven
gehorcht als eudämonistischem Egoismus, wird er erreicht. Daß er nicht
„konsumiert'* wird, ist meist selbstverständlich. Dazu würde er meist
gar nicht erworben. Beim statischen Einkommen ist es hingegen
gar nicht selbstverständlich, daß etwas gespart wird. Denn es ist
zunächst zu unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung da.
Sofort werden wir nun die erste der drei genannten Kapital*
bildungstheorien günstiger beurteilen. Sie legt wirklich auf das cnt-
scheidende Moment Gewicht und es liegt eine viel tiefere Erkenntni.«
in ihr, als man glauben sollte. Auch die zweite Theorie, die „SpÄr-
theorie*^ der Vermögensbildung. ist keineswegs banal. Doch ißt .«if
falsch, wie wir nun sehen. Aber die dritte Theorie stellt sich im
ungünstigsten dar. Wir sehen auch u. a., warum uns ein „s]>arender
Rothschild", dem wir in der Theorie mitunter begegnen, so humoristisch
bei-ührt. Es ist zwar möglich, daß ein Millionär auch eine Spartötiff-
keit in iins«*n'm Sinne entfaltet, nämlich von dem etwas zurückl«[t,
was er als sein dauernd gesichertes Einkommen betrachtet. Allein
seine Millionen kann man nie daraus erklären'.
Ich bedauere lebhaft, daß ich nicht mehr bei diesen Dingen ver-
weilen kann und sie in einer Form der Öffentlichkeit übergeben moB.
welche in so vieler Hinsicht nnvoUkommen ist. Vielleicht venn*f:
ich später einmal zu zeigen, wie wichtig jener noch nie gemachte
Unterschied zwischen jenen beiden Arten von Sparen ist, und ▼>'
sich das (besagte zu einer korrekten Einkommendefinition verwende»
läßt, wie es ein wichtiges Glied einer Kette ist, von der interessante
neue Erkenntnisse abhängen, welche dazu führen können, manche i<*hr
nnbefri (fügende Teile der Nationalökonomie zu regenerieren.
Kommen wir zum Schlüsse: Die Vermögensbildung ist keis
Die Theorie des SpveiM. 311
et«ti«cb«r ProceB und auBerdem nicht durch das Moment des Sparen«
2u erklftren. Oani dasselbe lUt sieb nun ancb von der Schaffung
von Kapital im Sinne von produzierten Produktionsmitteln wiederholen i
Ans „Sparen" entstehen dieeelben nicht, das ist sicher. Ancb sie sind
Errungenschaften von Anstrengungen, welche unseren Oleichgewichts-
lustandceretJtren und insoweit von der NationalSkonoraieniebefriedigend
bebandelt wurden, als dieselbe noch nicht Ober die Statik hinaus ge-
diehen ist. Und nicht nnr diese Anstrengungen, auch ihre Fiflchte
indem das ganie „System". Doch werden wir damit noch in tun
haben und so seblieBeo wir hier. Aber man sieht, wir haben sehr
wohl Grund, uns innerhalb der Statik in hatten nnd kennen Ober die
Beschränkungen, die nni dos auferlegt, kaum murren. Versucht man
es doch, darüber hi naueiu gehen , ehe die WafFen dazu geschmiedet
sind, so baut man, wo es keinen festen Boden gibt — nnd die historische
Kritik gewinnt nur allia große Berechtigung: Ja, hier liegt gewiB
ein Punkt, wo nur neue Tatsachen helfen.
Dritter Teil.
Die Verteilungstheorie.
I. Kapitel.
Die Einkommen; Allgemeines.
§ 1. Würde man gefragt, was die reioe Ökonomie an
pralttisch brauclilMtFen Resuitaten liefere, so könnte man vor
allem zwei Dinge anführen: Dafi sie nAmlich erklftrt, „was
die Preise sind" und daß sie gewisse Bewegungsgesetze der-
selben gibt. Den ersten Punkt haben wir im Wesen er-
ledigt , zum zweiten werden wir im vierten Teile dieser
Arbeit kommen. Hier nun haben wir es mit der wichtigsten
Anwendung der Preistheorie zu tun, mit der Theorie der
Einkommen, Die Wichtigkeit des Problems braucht nicht
hervorgehoben zu werden — das Wesen der wirtschaftlichen
Verteil ungsvorgänge zu ergründen, ist immer ein Hauptziel
der Ökonomie gewesen. Ja man kann sagen, daß das der
alleinige Zweck vieler Systeme der Ökonomie war und ist.
Wir begegnen hier Ähnlichen Schwierigkeiten wie beim
Preisprobleme im allgemeinen, nur in verstärktem Mafie.
Eine Fülle von Vorstellungen und Gefühlen ruft schon der
Titel „Verteilungstheorie" wach: Erbitterte Kämpfe, Leiden
und Genüsse, ein Tt'il der Geschichte der Menschheit scheint
darin zu liegen. HolTiiungen und Befürchtungen ruft jede
Diskussion dieses Themas wach, und auch die Wissenschnft
ist bis heute noch nicht zu einer lediglich beschreibenden Be-
handlung desselben vorgedrungen. Sein eminentes praktisches
Interesse, das auch den Gelehrten gefangen nimmt, macht das
so schwer. Es gibt sogar getug Leute, welche eine rein wissen-
scbaftliche Behandlung dieser Fragen, eine kohle Sachlichkeit
316 I^*c Verteilungstheorie.
Übelnehmen und als Mangel an sozialem Denken betrachteo.
So kann denn eine Tendenz zur Verteidigung oder Be-
kämpfung der bestehenden Verhältnisse fast in jedem Werke
nachgewiesen werden; fast nie konnte und kann man eich
enthalten, praktische Schlüsse zu ziehen, die naturgemäß
stets einer oder der anderen Partei unangenehm sein mußten
und deren überlegener Ton, deren Darstellung als unantast-
bare wissenschaftliche Resultate und als absolute Wahrheiten
l>esonders aufreizend wirkte. Sagt man dem Proletariate,
daß all sein Elend „naturgemäß"" sei, sogar einem Nutzen-
maximum entspreche, so kann man von der Seite seiner
Vertreter um so weniger auf Zustimmung rechnen als das
in eklatantem Widerspruche mit der Tatsache des Erfolges
von sozialpolitischen Bestrebungen verschiedenster Art
steht. Nervös erklärte man schließlich, daß es allgemeine
Wahrheiten hier nicht gebe und brandmarkte jenen Ver-
such, dergleichen auszusprechen, als unfaires politisches
Manöver, das lediglich den Zweck habe, verschiedene Be-
strebungen und Iloifnungen mattzusetzen. Daß diese An-
schauung von einem großen Teile der wissenschaftlichen Welt
geteilt wird und daß gegen einen anderen großen Teil der-
sell)en derartige Vorwürfe gerechtfertigt sind, ist ja bekannt.
Wir kommen darauf gleich zurück.
Wir haben ferner wiederholt gesagt, daß an den Tat-
sachen die soziale Seite, die Machtverhältnisse, die Ent-
wicklung und dergleichen geradezu das Interessanteste sind
und daß unser theoretisches Bild dazu nichts beizutragen
vermag, auch, daß es so wirklichkeitsfremd ist, daß nur der
geübte Blick überhaupt eine Ähnlichkeit mit der Wirklich-
keit darin entdeckt, daß eine Fülle von Tatsachen der Er-
fassung durch unsere Methode und von unserem Standpunkte
entschlüpft. Aber nicht das soll hier ausgeführt werden.
Es wurde das vielmehr schon l)esprochen , und wir haben
darauf verzichtet, für die praktische Diskussion und für die
konkn'te Entwickluiifr Erhebliches gewinnen zu wollen.
Hier haben wir es mit jenen Schwierigkeiten hauptsächlich
zu tun, welche dem Verteilungsprobleme eigentümlich sind.
Die Einkommen; Allgemeines. 317
Von verschiedenen Seiten kann man an dasselbe heran-
treten, zu den verschiedensten Zwecken dasselbe diskutieren,
und jeder Zweck und jede Betrachtungsweise hat ihre eigene
Methode, die nur mit Rücksicht auf jene ihre Berechtigung
hat. Es liegt uns ferne, über irgendwelche dieser Methoden
und Zwecke ein Urteil abgeben zu wollen. Keine erklären
wir für unberechtigt oder falsch, nur scheiden muß man
sie, scheiden vor allem Theorie und Praxis, wissenschaft-
liche Beschreibung und politische Diskussion. Besonders
wichtig ist es nun für uns, zu erklären, daß wir durchaus
nichts gemein haben wollen mit jenen Versuchen der Theo-
retiker, immer wieder ein Urteil über Wert oder Unwert
der bestehenden Zustände abgeben zu wollen, wodurch jener
eigentümliche Gegensatz zwischen sozialistischer und sozial-
politischer Richtung einerseits und der sogenannten „bürger-
lichen'' Ökonomie andererseits entsteht. Wir haben darauf
bereits hingewiesen, aber gerade bei der Einkommensverteilung
tritt dieses Moment ko schroff herAor, daß wir wiederum darauf
zurückkommen müssen. Die prinzipielle Notwendigkeit der
Scheidung wird ja anerkannt, aber dann lesen wir doch
immer wieder Sätze wie die folgenden: „Competition, per-
fect competition, affords the ideal for the distributiou of
wealth**. „Competition affords the only absolute security
possible for the equitable and beneficial distribution of the
products of industry**. „The question whether the lahourer
is exploited or robl)ed depends on the question wheter he
gets bis producf. Man spricht von der „Berechtigung" des
Zinses, von den „Ansprüchen'* der Arbeit, als Produzent des
ganzen Produktes zu gelten, die Frage des „gerechten**
Lohnes wird immer wieder mit der des „nat ürlichen*".
vermengt usw. Das ist ganz unhaltbar. Es könnte sich
ergeben, daß z. B. infolge von Ül^ervölkerung der Lohn so
gering ist, daß er nicht einmal vor dem Verhungern schützt;
trotzdem werden wir ihn als den „natürlichen** bezeichnen,
• jn sogar von einem durch diese Verteilung herbeigeführten
•' Nutzeumaximum sprechen müssen, wie wir das ausgeführt
haben. Es soll das nicht nochmals erörtert werden; die
318 ^1® Verteiluigpstheorie.
Lösung aller dieser Paradoxa liegt einfach in der Seheidong
von Beschreibung und Werturteil. Man sieht aueh, diB
man beide ganz leicht trennen und so jenen dem Wesoi
einer Wissenschaft ins Gesicht schlagenden politischen Ab-
hang ganz gut entbehren kann. Wir müssen so viel Ton
darauf legen, weil die in der Gegenwart so lebhaft gefQhrte
Diskussion des Verteil ungsproblems immer wieder auf soldie
Punkte führt.
Das Interesse an Theorie ist neu erwacht. Wir haben
uns davor zu hüten, wieder in den alten Fehler einzulenken
und so der neuen Theorie dieselben Angriffe, Mifideutungen
und Niederlagen zuzuziehen, denen die alte erlegen ist.
Jeder Ökonom, der seine Wissenschaft um ihrer selbst willen
liebt, sollte diese Warnung nicht überhören. Auf zw«
Dinge muß besonders hingewiesen werden, welche eine be-
sondere Rolle in der Gegenwart spielen und besonders ge-
eignet scheinen, der Wissenschaft geradezu verhängnisvoll zu
werden. Erstens hat die Fragestellung des Zurechnongs-
problemes, welche unter verschiedenen Namen fast alle
Theoretiker beschäftigt, dazu geführt, von dem „Prodakte
der einzelnen Produktionsfaktoren'' zu sprechen, nach deren
„Produkten'' zu fragen. Diese an sich schon unglückliche
Ausdrucksweise hat sich besonders die amerikanische Theorie
zu eigen gemacht, nachdem die frühere Phase dieser Auf-
fassung, wie sie sich in der älteren Literatur zeigt, glücklieh
überwunden schi(*n. Man stellt nun den Satz auf, daß gegen
die Verteilung vom Standpunkte der Moral nichts ein-
zuwenden sei, wenn jeder Produktionsfaktor das bekomme.
was er erzeuge. Selbst wenn das Beweisthema wirklich
ausgeführt würde, was schon deshalb ganz unmöglich ist
weil die Produkte der einzelnen Faktoren sich nicht trennen
lassiMi, weil der Ausdruck „Produkt eines einzelnen Faktors*
ja nur figürlich gemeint sein kann, wAre noch immer nicht
einzusehen , warum eine solche Verteilung gerecht sein
solle. Denn es wird ja nicht das Produktionsmittel „ent-
lohnt" gleichsam für sein Wohlverhalten, sondern der Be-
sitzer desselben erhillt das Produkt. Mag nun für die
Die EiT^lioTumpft; 4UgiBmeipe0. 319
Arbeit pine Verteilung n^cb diesem Prip^ipe recht plausibel
ersebeipep« w Uegt auf der Han4, daQ z. B. der Qrimd-
eigßptQiner, fßr die lieistungen semes PodeffS entlohnt, da-
4arch ebenaognt einen ^^gprechten'' wie ßinen „ungerephtep*'
Anteil erhalten Jc^nn- Zweitens bftben manc)ie Theoretiker
versucht, einßQ iiUgemeinen v^A notwendigen Zusap^menh^ng
zwischen Ein)coniinen und persönlicher Tüchtigkeit des-
jenigen* der es bezieht, zu konstruieren, pißse Verirrung
ist besonders gpfährlicb, weil sie sehr )eipbt zu der sonst
der Ökonomie gan? fremden Bßhanptung binQberleitet, daß
die besitzendßn Klaßsen höherwertige Elemente repräsen-
tißren, ein S^tz, der für sich allein schon ausreicht, für
viele I#eiitß unsere ganze Pisziplin ungenießbar zu machen.
In diesem ZusamnAenhang können, obgleich selbständig ent-
wiekeJti jene Theorien sehr leicht zu einer bedenklichen
Bedeutung gelangen, welche Zins und Grundrente aus Ent-
haltaiqikßlt be^w. Arbeit erklären* Pieser Theorie gegen*
Oberi welche lilso höheres Einkommen aus höherer persön-
licher l^eistupg erklärt, brauchen wir uns in eine Wider-
legung gar nicht einzulassen , da das deutsche Publikum
ohnehin von ihrer Falschheit genügend überzeugt ist, wir
brauchen nur hervorzuheben, daß in den rein ökonomischen
Gedankengängen nicht das geringste liegt, was auf der-
artiges hinweisen würde.
Wir haben wahrlich keinen Grund, zum zweiten Male
nur allzu berechtigten Angriffen von Seite des Historikers
und Sozialpolltikers die Flanke zu bieten* und es zwingt
uns nichts dazu. Wer die Theorie zu solchen Zwecken aus-
beuten will, der mißbraucht sie. Sie steht im wahrsten
Sinne des Wortes über den Parteien und kann von jeder-
mitnn akzeptiert werden, was immer seine politische
Stellung sein mag.
Wir glauben genug gesagt zu haben, um gegen jeden
Vorwurf dieser Ai^t gesichert zu sein. Was man uns vor-
werfen könnte, ist nunmehr, nachdem wir sowohl den Vor-
wurf des Obecsehens von Tatsachen, als den sozialpolitischer
Parteiujihme erörtert haben, soviel wir sehen können, nur
320 ^^® Verteilungstheorie.
noch Folgendes: Man mag sich gegen die eindeutige Be-
stimmung der Einkommen verwahren mit Hinweis auf die
Tatsache des Erfolges von Strikes usw. DarQber glaubea
wir im Früheren befriedigenden Aufschluß gegeben zu haben
und wollen auch noch einiges darüber in anderem Zusammen-
hange sagen. Auch über die Rolle des ethischen Momentes
sprachen wir bereits und sagten, daß wir die Wirksamkeit
anderer als wirtschaftlicher Momente, wie etwa Altruismus,
Herrenwillen und dergleichen, nicht übersehen. In diesem
Zusammenhange möchten wir noch auf die Abneigung hin-
weisen, die sich die Theorie dadurch zieht, dafi sie die mensch-
liche Arbeit in manchen Beziehungen wie eine gewöhnliche
Ware auffaßt. Wir tun das nur soweit, als mensehliehe
Arbeit eben gekauft und verkauft wird und knüpfen weiter
nichts daran. Endlich kann man sich gegen die Auffassung
der Einkommensbildung in unserer Weise aus dem Grunde
sträuben, weil die Einkommensbildung ein sozialer ProzeB
ist, weil dabei ein soziales Produkt durch soziale M&chte
zur Verteilung gelangt. Wir leugnen nicht die Berechtigung
dieser Betrachtungsweise, sie ist der unseren sogar in
mancher Beziehung überlegen, wie wir gleich sehen werden.
Nur ist eben für manche Zwecke das Ausgehen vom Indivi-
duum, wie früher ausgeführt, nötig und darin liegt kein
Widerspruch gegen jene soziale Auffassung.
Kurz: Verständnis für Theorie überhaupt und klarer
Blick dafür, was eine Theorie wirklich sagt, was der Kern
ihrer oft so unvollkommenen Formulierung ist, das sind die
unumgänglich nötigen Voraussetzungen zu einer Würdigung
auch der Verteilungstheorie. Nur derjenige, der diese mit-
bringt, kommt über ihre Schwierigkeiten und oft so paradox
klingenden Behauptungen hinweg. Für ihn ergibt sich das
folgende Resultat: Viele Behauptungen der Theoretiker
sind wirklich unhaltbar. Aber sie lassen sich vom Kerne
der Theorie trennen. Allerdings leidet die TermiDOlogie
dersell>en vielfach noch unter dem Einflüsse falscher Ideen
und trügerischer Hoffnungen und hier liegt der Punkt, wo
jener klare Blick ^o nötig ist. Und das sind nicht -^mT
Die Kokommen; AIIgenMines. 321
einzigen Mftngel; auch manche Konklusionen und selbst
einzelne Theoreme mQaseu aufgegeben werden. Aber den-
noch ist der wesentliche Inhalt der Theorie grSfitenteils
prinzipiell einwandfrei. Einwendungen gegen ihn beruhen
oft und vielleicht meist auf dem Fehlen jener Voraus*
Setzungen. Aber nicht immer, und es ist schwer, Recht und
Unrecht blar zu scheiden. Fast nie auch wird es ruhig und
aacblich versucht. Doch gehen wir weiter.
§ i. Wenn wir uns nun also fragen, was wir von
unserem Standpunkte aus zum Verständnisse der Verteilongs-
vorg&nge beizutragen vermögen , so wissen wir schon im
Toraus, daß es nicht alles und erwarten, daß es möglicher-
weise nicht einmal viel ist. Wir wissen vor allem nicht,
ob wir alle Einkommen erklären können. Aber selbst wenn
das der Fall wfire, könnten wir sie nicht ganz und in allen
ihren Beziehungen, durchblicken. Was wir tun können ist,
eben unser System zu betrachten und uns zu fragen, was
davon zur ErklUrung der EinkommensbilduDg brauchbar ist.
Man kann dann sagen, daß wir jene Einkommen
mehr oder weniger erklären können, welche
sich als Preissummen darstellen lassen. In unserem
Systeme werden Güter verschiedenster Art vertauscht, zu-
nftchst Genußgttter gegen GenußgOter und sodann Produktiv-
gOter gegen andere ProduktivgUter oder gegen Genußgttter.
Findet ein Tausch statt, dessen Zweck es ist, gegen ein
Genufigut, das zum Gebrauche bestimmt war, ein
anderes auszutauschen, um es zu gebrauchen, so interessiert
uns dieser Tausch hier nicht weiter. War das Genußgut
aber erzeugt oder erworben worden, um eben ausgetauscht
zu werden, dann fassen wir es einfach als eine Form von
produktiven Diensten auf, was wir ohne weiteres können.
Nach dieser Festsetzung sagen wir, daß wir die Ver-
teilongsvorgänge insoweit erklären können, als
sie in der Freisbildung produktiver Leistungen
bestehen. Das ist das reinökonomische „Wesen" der Ein-
SahiimpataT, NmtlanilekoDoml*. %\
322 ^® Verteiliuigstheorie.
kommenBbildung und es fragt sich nun, was uns dieses
Moment zu bieten vermag.
Auch hier ist wieder die Reserve zu machen, daß wir
auch an einem Tausche nicht schlechterdings alles erkliren
können. Aber abgesehen davon können wir die Bildung
jener Einkommen oder Teile von Einkommen, welche diesen
Charakter haben, wirklich verstehen. Der Einkommens-
zweige, die wir unterscheiden, wftren also ebenso viele, als
es in unserem Systeme Arten von Produktivgfitem gibt
Diese aber kann man in drei Gruppen zusammenfassen,
nämlich Arbeit, Grund und Boden und endlich produzierte
Güter. Andere Einkommensarten als jene, die sich aus
diesen drei Gruppen ergeben mögen, kann es in unserem
Systeme nicht geben. Ehe wir zur näheren Erörterung
derselben übergehen, haben wir die folgenden Bemerkungen
zu machen. Vor allem könnte man sich fragen, ob nicht
das „Untemehmereinkomnien" einen weiteren Einkommens-
zweig darstelle. Wir sprechen hier vom „Unternehmer*,
ohne ihn weiter zu definieren, da wir das nicht als unsere
Aufgabe l)etrachten, vielmehr andere Wissenschaften mehr
ül)er diese Erscheinung zu sagen haben. Femer scheiden
wir Kapitalzins im üblichen Sinne und auch das, was man
Unternehnierlohn nennt , von seinem Einkommen ab. Da
bleibt nun zweifelsohne noch etwas, eine mitunter sehr er-
hebliche Größe, wie die Erfahrung lehrt, und die Unte^
suchung dieses „etwas" ist sicherlich ein höchst wichtiges
Problem. Man hat versucht, dasselbe als die Entlohnung
irgendeines l)esondereu Dienstes, der vom Lohne allerdings
wesentlich verschieden sei, zu betrachten. Die Mehrzahl
der Theoretiker jedoch erklärt dieses Einkommen in anderer
Weise. Wir wollen auf diese Frage erst später weiter ein-
gehen. Aber unser System jedenfalls gibt keine Erklärung
desselben: Wir können keinen Preis angeben, der uns
dazu helfen könnte, und stehen an einer Grenze unseres
Systems.
Wir sehen zunächst an diesem Beispiele, dafi es Ein-
kommen gibt, welche unser statisches System nicht erklärt
Die S^nkoDunen; Allgemeines. 323
Es mag noch aodere geben. Die Aufgabe, die uns ds er-
wächst, ist nachzuweisen, dafi die reinökoDomiscfaen Theorieo,
welche eioe solche Erkläruog versuchten, UDbrauebbar sind,
oder daß wir ebensoweit kommen wie sie. WQrde uns dieser
Kachweis nicht geliugeo, so wäre unser System zum min-
desten einer Ergänzung bedürftig, und wenn das oft Tor-
bäme, so worden wir uns von demselben abwenden. Femer
aber muß stets gezeigt werden, ob die fragliche Erscheinung
«twa dynamischen Charakters ist, das heißt, wohl wirtschaft-
lich aber nicht mit den Mitteln des statischen Systemes
erklärbar ist, oder ob wir ein Recht haben, sie einer anderen
'Wissenschaft abzutreten. Bei dem Unternebmereinkommen
ist sicherlich das letztere nicht der Fall , und wir haben
eine wirtschaftliche Erklärung zu finden. Es ist jedoch
ziemlich allgemein anerkannt, dafl dasselbe nur im dyna-
mischen Zustande hervortritt.
Der Fall des Unternehmergewinnes ffihrt uns manche
Mangel unserer Betrachtungsweise klar vor Augen. Es
gibt also Einkommenszweige (und wir werden sehen, daß
es außer dem Untemehmergewinne noch einen andern
solchen gibt), welche sich unserer Erklärung hier entziehen.
Dann aber gibt es noch Einkommen, bei denen die rein
wirtschafliche Betrachtung vollkommen versagt z. B. die
Zivillisten regierender Häupter, ferner andere, bei denen
sie so wenig leistet, daß man sie besser ganz fallen läßt.
Das ist z. B. bei Einkommen aus politischer Tätigkeit, bei
manchen liberalen Berufen, beim Gehalte des Beamten,
mehr oder weniger der Fall. Sicherlich kann man diese
Dinge nicht ohne jede wirtschaftliche Betrachtung verstehen;
daß sie überhaupt vorhanden sind, ist in einigen dieser
"FiMe sicherlich nur wirtschaftlich zu erklären; aber dieser
Beitrag ist so gering, dafl man den Theoretikern nur eu-
stimmeu kann, die von diesen Einkommensarten in aller
Begel absehen. Die Beweguogsgesetze, wie die Regel von
Angebot und Nachfrage, treten nur wenig hervor und andere
Betrachtungsweisen, die der sozialen Machtverhältnisse z. B.,
passen ungleich besser, und sagen uns ungleich mehr. U nser
324 ^® Verteilungstheorie.
Beitrag zum Verständnisse der Verteilungs-
Vorgänge steht zum ganzen Probleme in einem
ähnlichen Verhältnisse wie die Theorie der
internationalen Werte zum ganzen Probleme der
Weltwirtschaft.
Was uns bleibt, gegenüber allen Einschränkungen, die
wir schon früher machten und den beiden, die wir jetzt
eben zu machen genötigt waren durch Anerkennung von
Einkommenszweigen, welche sich überhaupt nicht wirt-
schaftlich und solchen, welche sich nicht im Rahmen der
Statik erklären lassen, ist immer noch wichtig genug.
Außerdem wurde es sehr überschätzt, und so haben die
Theoretiker aller Zeiten ihr Augenmerk ganz vornehmlich
darauf gerichtet, und die Neubelebung des theoretiseheo
Interesses hat, nachdem die neuen Grundlagen gelegt und
in großem Umfange angenommen waren, einen förmlichen
Sturmlauf der Theoretiker auf das Verteilungsproblem zur
Folge gehabt. Überblicken wir die Schlachtlinie, um zu
sehen, wie die Sache steht, so könnte man etwa sagen, daß
viele Positionen genommen sind, und die Kapitulation der
Festung bevorsteht. Tatsächlich aber ist die Flagge noch
nicht gestrichen. Am festesten stehen noch die nicht statischen
Einkommen, aber auch auf dem Gebiete der Statik wird
noch heftig gekämpft.
Es ist schwer, den gegenwärtigen Stand dieser Fragen
kurz zu charakterisieren. Im Kreise der Theoretiker steht
die Sache ungefähr folgendermaßen: Bezüglich der Grund-
rente herrscht noch in weitem Maße die Theorie Ricardos
und alle Eiuwenilungen gegen dieselbe haben nicht ver-
mocht, die Mehrzahl der Theoretiker davon abzubringen,
8el))St dann nicfit, wenn sich deren übrige Theorien nicht mit
der8ell)en vertragen. Beim Arbeitslohne hat man sich immer
mehr mit den konkreten Verhältnissen, als mit einer all-
gemeinen Theorie ))efaßt, aber jedenfalls ist innerhalb der
letzteren die Zurechnungstheorie v. Wiesers wohl unwider-
sprochen geblieben. Man kann die Ausarbeitung der Lohn-
theorie durch die Amerikaner nur als eine Spielart der-
Die £iDkommen; Allgemeines. 325
selben bezeichnen. Der dritte Einkommenszweig pflegt
Zins genannt zu werden. Er war von jeher ein Tummel-
platz verschiedenster Spezialtheorien. Die Kritik v. Boehm-
Bawerks hat jedenfalls dieselben zurückgedrängt, und seine
«igne Theorie scheint immer mehr an Einfluß zu gewinnen,
wie ich glaube, viel mehr, als im allgemeinen geglaubt oder
eingestanden wird. Daneben haben sich nur die Produktivitäts-
und die Abstinenztheorie erhalten.
Bei der Beurteilung des einzelnen Gedankens darf man
üie aus dem Auge verlieren, daß er, wie wir immer wieder
i)etonen, nur in seinem Zusammenhange Sinn und Bedeutung
hat. Es beruht in der Regel auf Oberflächlichkeit und
bringt Fehler mit sich, wenn man einen einzelnen Gedanken
aus dem Systeme einer früheren Zeit einfach in das neuere
verpflanzt, wie das mit der Rententheorie geschehen ist.
Man darf auch, wenn man gerecht sein will, nicht einen
einzelnen Gedanken vom Standpunkt eines andern Systemes
beurteilen: Der Wert desselben ist verschieden in den ver-
schiedenen Systemen, er kann uns verschieden viel sagen auf
verschiedenen Stufen der wissenschaftlichen Entwicklung.
Hingegen scheint es uns nicht richtig, mit manchen Theore-
tikern der Gegenwart der Ansicht zu sein, daß sich die
einzelnen Gedanken immer ergänzen. Das ist nur in be-
schränktem Maße der Fall. Im allgemeinen steht die Sache
so, daß sich verschiedene theoretische Betrachtungsweisen
mit Rücksicht auf ihren formalen Charakter gegenseitig
recht wenig zu sagen haben, und die theoretischen Grund-
probleme eine Behandlung mit verhältnismäßig einfachen
Mitteln gestatten: Der eine Gedanke ergänzt den andern
nicht, sondern macht ihn entbehrlich. Es ist ein lobens-
wertes Bestreben , gegen unsere Vorgänger gerecht zu sein,
über man mag sehr verschieden denken über die Versuche
mancher moderner Theoretiker, zwischen den verschiedensten
Dingen nicht die geringste Verschiedenheit finden zu wollen.
§ 3. Das erste Resultat, das unsere Betrachtungsweise
ains auf diesem Gebiete liefert, ist die Erkenntnis, daß die
326 Die Verteilangstheorie.
in der Statik, wie wir sie abgrenzen, vorkommenden Ein-
kommenszweige wesensgleich sind, das beifit, daß sie
anf denselben Momenten beruhen und in derselben Weise
sich erklären lassen. Dieses Resultat ist sehr wichtig nnd
gibt unserm Systen^e eine Einheitlichkeit, die als großer
Fortschritt gegenüber den altern bezeichnet werden muß.
Diese Einkommen sind Preissummen und als solche ein-
deutig bestimmt. Wir brauchen nicht nach speziellen Gründen
zu suchen, welche uns dieselben aufklären sollen, wie das
die Klassiker taten. Das eben ist der größte Erfolg der
Zurechnungstheorie. Wohl haben auch die Klassiker die
, Tatsache, daß die Einkommen „Preise" sind, nicht völlig
verkannt. Das ist aber nicht entscheidend. Es ist ein
anderes, eine Tatsache gelegentlich zu sehen und ein anderes,
ihre wissenschaftliche Bedeutung zu erfassen. Wohl steht
auch in den altern Systemen fast stets eine Preistheorie
vor der Verteilungstheorie, aber doch tritt man an die Ein-
kommen heran, wie wenn sie selbständige Erscheinungen
wftren, die eine eigene Erklärung erfordern. Der einzige
Einkommenszweig, bei dem sie die Preisnatur klar erkannten,
ist der Arbeitslohn, aber auch bei ihm biegt die Darstellung
sofort ab, um andere Momente heranzuziehen. Dagegen
wurde die Rente und der Zins immer speziell begründet.
Das hängt mit der Preistheorie der Klassiker zusammen,
wie bereits angedeutet wurde.
Indem wir diese Wesensgleichheit der Einkommenszweige
betonen, verkennen wir keineswegs jene Verschiedenheiten,
zwischen denselben, die sich ja bei der flüchtigsten Be-
trachtung zeigen. Wir behaupten bloß, daß die rein öko-
nomische „Natur" der P^inkommenszweige die gleiche sei
und daß jene Verschiedenheiten in nicht rein ökonomischen
Momenten liegen, z. B. in der sozialen Position derjenigen,
die die Einkommen beziehen. Das letztere ist sicherlich
' ein wichtiges Moment, welches viel dazu beigetragen hat,
jene fundamentale P>kenntnis zu verschleiern. Die Arbeiter
und die Grundeigentümer heben sich so scharf von einander
ab, die Art wie sie zu ihren Einkommen gelangen, ist eine
Die Einkommen; Allgemeines. 827
80 verschiedene, alle Lebensverhältnisse femer und der ganze
soziale und politische Habitus, alles das ist verschieden.
Dazu kommt, daß die Interessen dieser Klassen so oft
kollidieren, dafi in der Tat alles für die Vermutung zu
sprechen scheint, dafi die ökonomischen Grundlagen ihres
Daseins ebenfalls verschieden seien, and besonders hier
können wir dem Vorwurfe begegnen, dafi unsere Darstellungs-
weise die sozialen Gegensätze übertünche. Aber dieser
Vorwurf ist unbegründet, wenn man uns recht versteht. Es
handelt sich uns nur um die Tatsache, dafi diese Einkommen
aus Preisen gebildet werden. Daraus ergibt sich eine
formale Gleichheit, welche auch zu einer Ähnlichkeit in den
Bewegungsgesetzen führt, aber die ja nichts darüber aussagt,
ob diese Einkommen grofi oder klein sind und welche
soziale Funktion sie erfüllen. Die Klassengegensätze werden
keineswegs dadurch hin weggeleugnet; im Gegenteile, zur
Beleuchtung der wirtschaftlichen Seite an denselben ist
unsere Betrachtungsweise ganz praktisch. Man hat auch
gesagt, dafi es wenig Sinn habe, erst die Produktionsfaktoren
gleich zu behandeln und sodann doch wieder jene Ver-
schiedenheit zu betonen. Eine prinzipielle Gleichheit nütze
nichts, wenn die graduelle Verschiedenheit eine gewisse
Gröfie überschreite. Auch dieser Vorwurf scheint nicht
ganz gerechtfertigt: Die prinzipielle Gleichheit und die
graduelle Verschiedenheit sind eben bei verschiedenen Klassen
von Problemen interessant. Wo es sich darum handelt, zu
sagen, was diese Einkommen sind, dort läfit sich derselbe
Gedankengang auf alle statischen anwenden, und das ist
wichtig genug, um von einer Wesensgleichheit zu sprechen;
fragt man dann nach weiteren Umständen, welche diese so
interessanten „Preise" bestimmen, so wird man auf Ver-
schiedenheiten kommen, was aber nichts daran ändert, dafi
die Grundlage überall die gleiche ist. WMe die einzelnen
Tropfen eines Wasserfalles verschiedene Wege durch das
Gestein finden, sich vereinigen und trennen und die ver-
schiedensten Schicksale haben, ohne darum aufzuhören, aus
derselben Quelle zu stammen, so nehmen die einzelnen Ein-
328 ^® Verteilangstheode.
kommen verschiedene Wege, werden von verschiedenen um-
ständen näher bestimmt, aber deshalb bleibt es doch interessant,
daß sie desselben Wesens sind.
Diese Erkenntnis bricht sich nur langsam Bahn; auf
wirklich festem Grunde steht sie nur, wenn sie auf der
Zurechnungstheorie beruht Auch gegenwärtig ist sie noch
nicht allgemein akzeptiert, obgleich sie an Boden gewinnt
Erst wenn sie ganz durchgedrungen ist, ist die erste
Phase unserer Wissenschaft abgeschlossen, das
klassische System endgültig überwunden, nicht infolge
dialektischer Diskussionen, sondern durch die
Macht des Erfolges. Hier erst hat die neuere Wert-
theorie gezeigt, was sie vermag und diese neue Klarheit und
Einfachheit ist für sich allein schon ein Grund, ihr den
Vorzug zu geben.
Während die klassische Theorie die Grundrente nicht
als einen Preis bezeichnet, sondern aus einem besondem
Umstände erklärt, so können wir sie neben den Lohn stellen,
umsomehr als es sich zunächst nur um die einfachsten
grundlegenden Dinge handelt Die Sache gestaltet sich
also ganz einfach : Boden- wie Arbeitsleistungen erzielen in
der besprochenen Weise einen Preis, und ihre „Besitzer*
sind in der Lage, denselben beliebig zu verwenden, da sie
in der nächsten Wirtschaftsperiode auf dieselben Boden-
oder Arbeitsleistungen rechnen können. Wenn man den
Produktionsprozeß vollendet hat, so hat man erstens das
Produkt und zweitens den Boden und die Arbeitskraft
Der Vergleich mit einer stetig fließenden Quelle ist nahe-
liegend und brauchbar und die Tatsache, daß Arbeiter und
Grundeigentümer über Einkommen verfügen, hat an sich
nichts Auffälliges. Alles weitere mag dann ganz kompliziert
sein, die Grundlagen sind klar genug. Es gibt gar nichts
Einfacheres und nichts, was weniger Widerstand zu fürchten
brauchte, als die Behauptung, daß man Boden- und Arbeits-
leistungen wertet und bezahlt, weil man sie braucht
An diesem Tatbestande vermag selbst der Umstand nichts
zu ändern, daß der Besitzer von Boden und Arbeitskraft
Die Einkommen; Allgemeines. 329
nicht ganz im Rechte ist, wenn er die Wiederkehr jener
Leistungen, die ihm sein Einkommen sichern, als gewifi
annimmt. Der Arbeiter wird Alter, der Boden abgenützt
werden. Bei dem letztern etwa als selbstverständlich an-
zunehmen, daß er durch Meliorationen usw. immer auf der-
selben Stufe der Ertragsfähigkeit erhalten werden wird,
geht nicht so ohne weiteres an. Selbst wenn das möglich
wäre, so bedürfte es einer besonderen Erklärung, warum
ein Teil des Geldertrages darauf verwendet wird, und diese
Erklärung gibt man nicht, wenn man einfach erklärt, bevor
jene Operation vorgenommen sei, sei Reinertrag überhaupt
nicht vorhanden. Gegeben ist nur der Rohertrag und
wenn derselbe eine andere Verwendung findet, als die der
Konsumtion, so bedarf das der Begründung. Wir werden
diesem Probleme bei dem dritten Einkommenszweige, der
angeführt zu werden pflegt, begegnen und wollen es hier
nicht aufrollen, vielmehr annehmen, fingieren, daß Arbeits-
kraft und Boden wirklich zwei unerschöpfliche Quellen
bilden, die immer und gleichmäßig fließen. Das ist sicher-
lich eine Fiktion, die aber für kurze Zeiträume der Wirk-
lichkeit nahe ist. Von Werkzeugen und vollends von Roh-
materialien könnte man dasselbe nicht sagen und das ver-
anlaßt uns, au den „Zins** nicht mit der gleichen Sicherheit
heranzutreten, wie an Lohn und Rente. Kur diese beiden
sind sicherlich „statische*" Einkommenszweige, deren Er-
klärung sich leicht und klar aus unserem Systeme ergibt.
Vom Zinse wollen wir daher noch nicht sprechen : ihn wollen
wir uns zuletzt ansehen.
IL Kapitel.
Die Lohntheorie.
§ 1. Die Lohntheorie ist geradezu ein ScholbeiBpie]
für gewisse zur Methodologie und Erkenntnistheorie unserer
Disziplin gehörigen Punkte und das, was wir anstreben,
kann vielleicht nirgends besser klar gemacht werden. Sei
es daher erlaubt, die Aufmerksamkeit des Lesers besonders
auf die Art unseres Vorgehens zu lenken. Für Klarheit
einerseits über das Geleistete und anderseits Ober die Wege,
auf denen weiterer Fortschritt zu erhoffen ist, dürfte das-
selbe nicht ohne Vorteil sein, mag dieses Kapitel auch nur
Altbekanntes bieten.
Ganz von selbst ergibt sich aus unserem Systeme ein
Preis der Arbeit. Ist dasselbe einmal gegeben, so kommt
ein solches Resultat daraus wie aus einem Automaten, gleich-
sam ganz von selbst, ohne daß eine Heranziehung irgend-
einer neuen Beobachtung oder Hypothese oder sonst eine
Maßregel nötig würde. Nötig war nur die Erkenntnis oder
richtiger die Annahme, daß Arbeitsmengen Elemente unseres
Pystenios seien oder daß ^ Arbeit ** eine Wertfunktion habe
oder endlich, ganz klar und populär, daß Arbeit ein wirt-
schaftliches Gut sei. Und das ist nach unserer Auffassung
vom Wesen der Werthypothese nicht etwa nur belegt
von, sondern gleichbedeutend mit der Beobachtung,
daß Arbeit gekauft und verkauft werde, wie es in der ersten
Zeile von Ricardos Kapitel .On Wages*' steht. Denn nur
daraus schließen wir, daß sie ,,gewertet" wird.
Die Lobntbeorie. 331
Unser Resultat besteht im WeHen darin , dag der Preis
der Arbeit sieb prinzipiell ebenso bildet wie alle anderen
Preise und dafl er eindeutig bestimmt ist. Wir haben die
Wertfunktionen der — direkten oder indirekten — Eftufer
fOr. Arbeit uud Geld , die gleichen Wertfunktionen fOr dea
Arbeiter und könueu das dann ebenso mathematisch nach-
weisen, wie bei allen anderen Gtltern.
Weiter ist nicht nur der Preis, sondern auch die ge-
leistete Arbeitemenge eindeutig bestimmt — ebenfalls wie
bei allen Gutem deren Mengen und Preise. Endlich be-
steht bei diesem Tausche ein ähnlich geartetes Nutzen-
maximum und es steht Preis und Menge der Arbeit in
vollständiger Interdependenz mit allen anderen Preisen und
Gotermengen in unserem Systeme. Und das ermöglicht
uns die Anwendung der später zu erörternden Variations-
methode, welche uns gewisse Bewegungsgesetze von Preis
und Menge der Arbeit gibt.
Unser Resultat ist sicher nicht wertlos. Aber doch
bleiben sehr viele, besonders interessante Fragen offen. Es
ist auch klar, daß die ältere Theorie allerhand weitere
Fragen und Behauptungen aufzustellen (vw>i,8te. Wie stehen
wir nun dazu und was können wir uns darüber fUr ein
Urteil bilden? Vorher aber wollen wir noch unser Resultat
diskutieren und das ist es, worauf wir besonderes Gewicht
legen.
Es läßt ferner au Einfachheit und Überzeugungskraft*
kaum etwas zu wünschen übrig. Leide:, verschwindet beides
aber bei näherem Eingehen. Sofort stößt man da auf
Schwierigkeiten , welche allgemein gefühlt , aber nicht ge-
nügend scharf erkannt werden. So hat auch dieser Zweig
unserer Disziplin jenen eigentümlichen Zug vou Unbe-
friedigung. Und fast jeder Autor hebt das hervor, um dann
doch wieder wesentlich dasselbe vorzutragen, wenn er nicht
vorzieht , die Theorie überhaupt^ zu übergehen und sich
sozialpolitischen Eröiterungen zuzuwenden. Dieses Gebiet
gehört zu jenen to^n Punkten der Sozialwissenschaften, in
denen aller Fortschritt zu stocken scheint. Wir wollen diese
332 ^^^ Verteilun^theorie.
Verhältnisse später kurz schildern. Vielleicht gelingt es
uns durch ruhige vorurteilsfreie Betrachtung der Sache den
Boden zu ebnen.
Unsere reine Theorie des Preises der Arbeit ist n-
nächst deduktiv. Immer, wo sich aus unserem Systeme ein
Resultat ergibt, das irgendeine Erscheinung, an die min
bei Konstruktion der Grundlagen nicht speziell dachten er-
klären soll, liegt eine Deduktion im eigentlichen Sinne vor.
So in unserem Falle. Die naheliegendsten Formen der Preis-
erscheinung, von denen die Preistheorie unmittelbar ausgieng,
sind die Preise der Genußgüter. Wenn wir dasselbe Rai-
sonnement auch darüber hinaus anwenden, so liegt uns,
mögen wir auch jeden Schritt unseres Gedankenganges ge-
])rüft und sorgfältig erwogen haben, doch viel mehr als sonst
die Pflicht ob, unser Resultat mit der Wirklichkeit zu ver-
gleichen.
So haben wir uns zwei Fragen vorzulegen: Erstens:
Erklärt unser Resultat die I^reise der Arbeit? Zweitens:
Wie weit reicht das Phänomen des Preises der Arbeit?
Sagen wir genauer, was wir mit denselben meinen. Die
erstere läuft auf die Forderung der Verifizierung unseres
ResulUites hinaus. Nennen wir den Preis der Arbeit Lohn.
so gibt es uns eine Lohntheorie. Dieser Schritt scheint
unendlich natürlich und einfach, so daß man oft Qbersielit»
daß hierin überhaupt ein Schritt weiter liegt und seine
Fundierung in der Wirklichkeit für so klar hält, dafi man
kein Wort weiter darüber zu verlieren braucht. Dem ist
nicht so, vielmehr ist es ein nicht ganz einfaches Problem.
ob unser Wert und Preis der Arbeit, wie wir sie aus
unserem Systeme abgeleitet haben, die Lohnerscheinnng er-
klärt. Das wollen wir zuerst erörtern. Sodann werden
wir zur zweiten Frage gehen, welche wir nun auch so aus-
drücken können : Lassen sich alle Einkommen , welche auf
Arl>eitsleistung zurückzuführen sind, oder besser, bei denen
Arbeitsleistungen irgendwie ins Spiel kommen, als Löhne
auffassen, und zwar als Löhne in unserem eben defininierten
Sinne, nicht etwa als „ Entlohnungen ** im moralischen Sinne,
Die Lohntheorie. 333
welcher f Qr uds nicht in Betracht kommt ? Sicherlich reicht
unsere Erklärung weiter, als jene Erscheinung, welche man
im gewöhnlichen Leben als Lohn im engsten Sinne bezeichnet,
aber wie weit? Vorher: Würde sich ergeben, dafi unsere
auf dem Werte basierende Preistheorie das Lohnproblem
ohne weiteres, wenigstens im Prinzipe durchaus befriedigend
löst, erstens, und dafi alle Einkommen, bei denen eine
persönliche Leistung vorliegt, unter das Schema „Lohn^ be-
griffen werden können, zweitens: so würde uns das eine
geradezu großartige Erkenntnis geben. Ja man könnte dann
sagen, dafi die Ökonomie imstande sei, eine Art Theorie
der Gesellschaft zu geben. Sie würde in einem anderen
Sinne, als gemäfi der ökonomischen Geschichtsauffassung
zur Grundlage der Soziologie. Würden alle „Löhne' in
diesem weiten Sinne nämlich einfach vom Werte der be-
treifenden Arbeitsleistungen abhängen, so würde es zwar
auch dann keinen, oder nur irgendeinen künstlichen Sinn
haben, zu sagen, dafi der Arbeiter sein „Produkt"" bekomme!;
aber ebenso, wie die verschiedenen Preise verschiedener
Qualitäten eines Genufigutes, würde der Wert die Skala
der Arbeitseinkommen geben, und würde femer die
höherwertige Arbeit auch von der höherwertigen Arbeits-
kraft geleistet, ähnlich, wie das bessere Werkzeug ^natur-
gemäß die bessere Nutzung gibt, dann wären alle jene Ein-
kommen und die soziale Position jener, die sie geniefien,
aus ihren Fähigkeiten und dem Werte ihrer Leistungen zu
erklären: das soziale Gebäude würde vom Wert-
prinzipe aus begreiflich und würde auf einer
durchsichtigen ökonomischen Grundlage 'ruhen.
Diese tiefe Einsicht von herrlicher Einfachheit und eine
Reihe von wissenschaftlichen — besonders bezüglich der
Entwicklungstendenzen — und praktischen — bezüglich der
Sozialpolitik und des Werturteiles über die sozialen Dinge —
Konsequenzen von kaum zu überschätzender Bedeutung würde
sich ergeben. Und noch vervollständigt würde das, wenn
man zwei Schritte weiter tut. Würde man annehmen, dafi
man bei der Arbeitskraft von Kosten in demselben Sinne^
334 ^^® Yerteilungstheorie.
wie etwa bei einer Maschine sprechen könne, die ebenlalls
von dem Wertprinzipe beherrscht würden, dann wftre der
Kreis der Erscheinungen geschlossen und wirklich w&re der
Wert die Grundlage der Sozialwissenschaft. Zur Erfassong»
aller Einkommenverwendungen hätte man dann ein exaktes
Instrument: Große Einkommen und Luxusausgaben mQfiten
dann als Mitte] der Reproduktion von hochwertiger Arbeits-
kraft aufgefaßt werden. Wäre das möglieb, so hätten wir
wissenschaftlich unendlich viel gewonnen. Der andere Schritt
besteht darin, daß man Einkommen aus „Kapitalbesits* '
auf Leistungen der Besitzer zurückführt, sei es im Sinne
der Abstinenztheorie, sei es, daß man eine Art Untemeh^le^
tätigkeit des Kapitalisten annimmt. Dann gäbe es nur mehr
eine Kategorie von Einkommen, nämlich das aus Grund-
besitz, welches eine Ausnahme bilden würde. Und selbst
hierfür gibt es zwei Auskunftsmittel. Vor allem die Carej*
sehe Grundrententheorie. Und sodann noch ein anderes,
Qämlich die Annahme, daß man die Leistungen jedes Pro-
duktionsmittels einfach als Leistung seines Besitzers auf-
fassen kann, daß man von „Leistungen meines Bodens** ganz
analog sprechen könne, wie von Leistungen meiner Arbeits-
kraft. Das geschieht in der Tat sehr oft und über den
Unterschied, von dem wir schon an anderer Stelle sprachen,
gleitet man ruhig hinweg. Dann aber wäre ein großartiges
Gebäude unter Dach.
Nicht leicht wird jemand diesen Gedankengang ganz
unverhüllt und in der Schärfe, wie wir ihn dargelegt
haben, halten wollen. Elemente desselben aber, welche zu
ganz denselben Konsequenzen tendieren, sind geradezu die
Regel in der Theorie. Wir müssen eben seine verschiedenen
Stufen beachten. Die unterste ist weit verbreitet. Skizzieren
wir nun in einigen Punkten die Stellung wichtiger theo-
retischer Richtungen dazu.
Ablehnend sind die Sozialisten und die deatachea
Sozialpolitiker, selbständig oder unter deren Einflösse. Am
^ Id pnpuUrcm Sinne.
Die Lohntheorie. 335
meisten zustimmend die französischen Akademiker, welche
tatsächlich eine solche Verteilung als naturgesetzlich he-
zeichnen und wenn sie sie auch zum Teile nur postulieren, doch
auch in weitem Maße verwirklicht und noch mehr der Ver-
wirklichung nahend glauben. Ganz konsequent sind sie ja
nicht. Aber sie helfen sich, indem sie die Schlimmsten-
Diskrepanzen als Abnormalitäten , Rudimente, die ver-
schwinden werden, auffassen und die schmerzliche Kluft zur
Wirklichkeit so klein als möglich erscheinen lassen. Natür-
liche und künstliche Monopole führen Abweichungen herbei,
aber doch streben alle Einkommen, sich dem Wertmaßstabe
zu adjustieren. Der Kapitalzins wird als Frucht von Arbeit
und Genufiaufechub erkl&rt, der Untemehmergewinn auf
eine besondere Unternehmertätigkeit und auf den Dienst der
Übernahme des Risikos zurückgeführt. Solche Anschau-
ungen, nur vielleicht nicht so sehr politischer Stellung-
nahme dienstbar gemacht, finden sich auch außerhalb dieses
Kreises. Die Abstinenztheorie des Zinses lebjt.noch immer.
Neuestens ist besonders von Cassel scharf das Moment des
Angebotes von und der Nachfrage nach „waiting*" aus-
gearbeitet worden, farver hat es mit einer Produktivitäts-
theorie verbunden. Darauf kommen wir später.
Bezüglich des Untemehmergewinnes ist dieser Stand-
punkt nahezu die Regel, z. B. nach der Theorie Walkers
und ähnlich nach der v. Mangoldts, welche wir an ihrer
Stelle kennen lernen werden, erscheint der Unternehmer
geradezu als der begabteste Arbeiter. Nur sein Talent
würde ihn in seine Stellung und zu seinem Einkommen führen.
In diesem Sinne sagt Cassel, daß hohe „business-capacity*"
ein seltenes, also wirtschaftliches Gut und daher „highly
paid for** sei. Und selbst in Darstellungen, bei denen auch
andere Momente zu Worte kommen, z. B. — es ist eigent-
lich ungerecht, einzelne zu nennen — in der F. A. Fetters
wird doch eine Reihe von Eigenschaften aufgezählt, die ein
Unternehmer haben müsse mit dem offenbaren Zwecke, seine
Tätigkeit als eine Arbeit und die Natur derselben zu charak-
terimren und so einen Preis derselben plausibel zu machen.
336 ^1^ Verteilnngstheorie.
Solche Gedanken, die Absicht, ein ökonomisches Prinzip
nicht bloß zur Grundlage der Theorie, sondern des Ver-
ständnisses des sozialen Gebäudes zu machen , lassen sich
auch bei Clark und v. Wieser nachweisen. Eine interessante
Spielart sehen wir bei Walras, wobei wir indes den Politiker
und Sozialphilosophen streng von dem Theoretiker trennen
müssen. Er scheint der Ansicht zu sein, dafi alle Ein-
kommen sich einfach aus der Werttheorie von persönlichen
Leistungen erklären lassen, mit Ausnahme der Grundrente,
und daher seine Forderung der Nationalisierung des Landes.
Sei das geschehen, so sei alles Ordnung, — ein interessantes
Beispiel dafür, wie aus theoretischen Überlegungen praktische
Forderungen herauswachsen können, welche der ökonomischen
Wissenschaft soviel von ihrem Ansehen gekostet haben. Hier-
her gehört auch die Paretosche Theorie der Einkommens-
kurve, wrlche zu einer kühnen Anwendung durch Laurent ge-
führt hat. Eine ganze Theorie also des Mechanismus oder
Organismus, sagen wir, um nach keiner Seite Anstoß zu er-
regen, des Seins und Werdens der Gesellschaft liegt hierin.
Es führt das zu der Konsequenz, daß die herrschenden
Klassen die l)efiUngtsten , besten sind, ein Resultat, zu dem
auf anderem We^^e auch die sog. ^^Rassentheorie" kommt
ein nicht uninteressantes Zusammentreffen.
Aber wir müssen es uns versagen , darauf einzugehen.
Denn <ias liegt alles schon außerhalb des Gebietes der
Ökonomie. Nur soviel wollen wir sagen, daß wir jene
Theorie für radikal verfehlt halten, daß wir glauben, daft
sie eklatant der Wirklichkeit widerspricht, daß jener stolze
Bmu nur ein Truggebilde ist. Dann freilich ist, was erklärt
schien , wieder in die Nacht eines Chaos zurQckgesnnken,
und unsere Ansicht ü1>er die Möglichkeiten, Lieht hinein-
zubringen, müssen wir verschweigen, wenn wir dieselbe durch
eine flüchtige Darstellung nicht kompromittieren und dem
begründeten Vorwurfe des Dilettantismus aussetzen wollen ^
^ I)i('r(«Mi V«irwiirf infiRRPii wir vielmehr selbst manchen Ökonomen
g(*^«'iiribor 4T)ir'b«Mi. Die Beliandlung dos modernen Probleme», ob
Ka Lohntheorie. 337
Machen wir also H< an der Grenze uneeres Gebietes und
begnügen wir uns damit, nachzuweiHo, dafi wir an einer
solchen stehen. Möge sie nie verletzt werden.
Kehren wir bescheidee zu den Problemen unserer
Wissenschaft. fQr die allein wir die Vorbedingungen haben,
zurück und fragen wir uns zun&ehst, wober denn >ene Grens-
abersehreitung komme, wo der Punkt liegt, au dem das
Raisonnement den festen Boden unter den Fofien rerliert.
Die Antwort ist nicht schwer zu geben: Man nahm das
Resultat der Theorie hin , ohne es zu veriliziereD und man
machte die weiteste Anwendung auf alles, was sich nach
seinem Schema modeln zu lassen schien, ohne seine Grenzen
lu anterBuchen. So gelangt man zu Theoremen von schein-
bar absoluter Allgemeingültigkeit, mit denen man an die
Wirklichkeit herantrat, ohne zu beachten, daß, selbst wenn
„riehtig", eine exakte Konstruktion nie dazu ausreiche,
jH-aktische Konsequenzen aufzustellen. Und doch ist gar
nichts absolut wahr und die Zahl und der Inhalt ganz all-
gemeiner Sätze ist gering. Das hätte man sich vor Augen
halten sollen und »ofort wäre man mifitrauisch geworden.
Noch etwas möchten wir gerne hervorheben. Jene in
der exakten Lohntheorie fufiende, eine zu weite Ver-
allgemeinung derselben darstellende Theorie ist keineswegs
etwa eine „Spekulation", wie sie der Nationalökonomie oft
zum Vorwurfe gemacht wird. Sie basiert auf keinen
metaphysischen oder durch irgendwelche Dialektik heraus-
geklogelten Obersiltzen. Vielmehr beruht sie auf einer
exakten Grundlage und durch deren Vermittlung
auf Xatsaehenbeobaclitungen , und trotzdem glauben wir
nachweisen zu können, das% sie wesentlich irrig ist. Hier
haben wir also einen Fall einer wirklich wissenschaftlichen
Theorie, die, wie man glauben sollte, richtig sein müßte,
wenn ihre Voraussetzungen zuträfen , und deren Voraus-
nicht die tfichtigsten Elemento der Nntioneii infolge der geringeo
Fruchtbarkeit der oberen Klassen dem Anssterben geweiht aind, rpcht-
fertigt ihn Kbon für sich allein und mnB Jeden ernsten Beurteiler
UBHie Diaiiplin im übeUten Lichte erscheinen lassen.
Sehainpatat, NatiaDalOkonomi*. Ht
338 ^*6 Vert^ilungstheorie,
Setzungen auf Tatsachen basieren und die trotz allem nicht
befriedigend ist. Müssen wir da nicht an der Ökonomischen
Theorie irre werden ? Was scheidet denn die in Rede •
stehende Theorie von der Theorie irgend eines anderes
Preises, von der wir auch zugeben, daß die Wirklichkeit sie
niemals ganz bestätigt? Soeben scheinen wir ja auch zu-
gegeben zu haben y daß kein wesentlicher Unterschied be-
steht. Nun, das ist ein ausgezeichnetes Beispiel, um, unserem
Grundsatze, daß wir Methoden- und erkenntnistheoretische
Fragen an den Dingen selbst und nicht mit allgemeinen
Gründen studieren wollen, getreu, unseren Standpunkt
wiederum darzulegen.
Ja, es besteht wirklich kein wesentlicher Unterschied
zwischen Theorien, die wir vertreten und dieser hier, welche
uns in Übereinstimmung mit anderen Theoretikern als eine
T^ngebeuerlichkeit erscheint. Der Widerspruch ist nur
scheinbar unlöslich und klArt sich ganz einfach auf. Der
Unterschied ist freilich nur graduell und der Grad der
Abweichung des theoretischen Bildes von der Wirklichkeit
mit Rücksicht auf jeden Fall und jeden Forschens-
zweck ist das entscheidende Moment. Die Grenzen sind
keine scbarfon, sondeni ändern sich mit den genannten Um-
ständen und der Entwicklung der Erkenntnis. Und des-
halb könnm wir nicht oft genug betonen, daß es ganz wert-
los ist und zu gar nichts führt , a priori mittelst großer
Prinzipien über „Wert der Theorie" und „Zulftssigkeit" der
Abstraktion zu entscheiden. Wie gesagt, wir lehnen das
vollständig ab und untersuchen Fall für Fall, wobei sich
keineswegs immer dasselbe Resultat ergibt. Dabei eben
zeigt sich uns die relative Berechtigung aller scheinbar doch
so entgeRen}:jesetzten Behauptungen für und wider die
Theorie, und das ist der Weg, auf dem uns Klarheit und
Einigung erreichbar scheint. Sagt ein Gegner der Theorie.
diesellH» >ei wirkliclikeitsfremd, so hat er — im allgemeinen,
^tets enthält eine solche Behau]itung auch eine Menge
falscher und ti rner fremder Elemente, z. B. sozial-
ptditisclier Erwä^unj^eii, praktischer politischer Tendenzen
Die Lohntheorie. 339
USW., die man abscheiden muß, worauf wir hier nicht wieder
eingehen — ganz Recht. Man widerlegt ihn durch die
Entgegnung, daß das im AVesen aller Theorie liegt nur dann,
wenn er für dieses Wesen wirklich kein Verständnis und
davon keine Kenntnis hatte. Sonst aber beweist man nichts
für die Theorie. Und so steht es mit allen Gründen für
und wider überall. Fast immer sind dieselben wahr, aber
in ihrer Allgemeinheit kraftlos, sodaß sie, wie man das auch
tatsächlich sehen kann, gar nie jemand überzeugen. Nicht
sie sind für die Zulässigkeit der Abstraktion und der Isolier-
methode und für das Schicksal der Theorie entscheidend,
sondern nur jene Detailuntersuchung, die noch nie ordentlich
durchgeführt wurde, bzw. ihr Gesamtresultat, ergibt das Urteil.
Wir kamen zum Schlüsse, daß die Preistheorie im all-
gemeinen nicht wertlos ist, trotzdem sie nur ein „stylisiertes"
Bild eines Ausschnittes aus der Wirklichkeit liefert, wir
kommen zum entgegengesetzten bezüglich der hier dis-
kutierten Theorie. Theoretisch „richtig** könnte man auch
sie nennen, da sie keinen logischen Fehler enthält, aber
brauchbar ist sie nicht, weil ihr Resultat zu sehr von
der Wirklichkeit abweicht. Und nur auf Brauchbarkeit
kommt es uns, wie früher ausgeführt, an. Wohl kann man
die Annahmen machen, die zu ihr führen, aber man kommt
entweder nicht weit oder auf Abwege damit. So sehen wir,
daß eine an sich „richtige** Theorie auf „falsche** Kon-
sequenzen führen kann, und so ein Element von Wahrheit
in der Stellung jener liegt, welche es ablehnen, die Isolier-
methode als lediglich formales Hilfsmittel, das nur unvoll-
ständige,abernichtfalsche Resultate liefern könne, zu
betrachten. Sie ist ein wertvoller, ja unentbehrlicher, aber
nicht ungefährlicher Bundesgenosse, der nur unter strenger
Kontrolle seine glänzenden Dienste leistet. Ganz das-
selbe Raisonnement leistet viel besseres u. a. für die
Grund rententheorie, warum, werden wir sogleich sehen.
Dicht nebeneinander, durch keine prinzipielle, leicht erkenn-
bare Wand geschieden, liegen Schuld und Verdienst der
exakten Methode.
340 I^i® Verteilungstheorie.
Wir geben uns der HoiTuung hin, dafi BetrachtnngeD
dieser Art, am eiuzelnen Falle, wo sie wirklich exakt durch-
geführt werden können und jene prinzipielle Spitze nicht
haben, die den allgemeinen Streit so erbittert macht, dazu
beitragen können, zu Klarheit und Einigung zu fQhren und
speziell das Verteilungsproldem einer befriedigenden Lösung
anzunähern, die wirkliche Einsicht in die Verteilungsvorgftnge
wenigstens erhoffen läßt. Sei noch bemerkt, dafi die Schwierig-
keiten, die wir nun genauer betrachten wollen, vielleicht
eine der Ursachi?n sind, warum viele Schriftsteller die Arlteit
nicht als „Ware" betrachtet wissen wollen — man scbmttekte
das dann mit ethischen u. a. Motiven aus.
Nachdem wir gesagt haben, daß wir jene Theorie der
Arbeitseinkommen entschieden ablehnen, können wir es uns
gestatten, zuzugeben, daß wir ihr nicht alle und jede Be-
deutung absprechen. Gewiß, wenn unsere allgemeinen
Voraussetzungen zuträfen, müßte die Wirklichkeit so au^-
sehen. Und ebenso gewiß gibt es manche Erscheinungen
weit außerhalb der »'Ujjten (Frenzen der Lohntheorie, auf
welclie diese Betrachtungsweise paßt. Wir lielten keine
extremen B«'hau|»tungen und wollen jedes Körnchen Wahr-
heit erhalten. Wieviel Wahrheit nun in derselben liegt, das
wird man verschieden beurteilen. Je nach dem Lande, d;is
man betrachtet und selbst je nach den Erfahrungen und
Beobachtungen, die man persönlich im Lel)en macht, wird
man mit verschiedenen Dispositionen an diese Frage heran-
treten. Wir wtdien sie hier nicht zu entscheiden versuchen,
vielmehr nur exakt untersuchen, wieweit und unter welchen
Voraussetzungen sich unser theoretisches Resultat nachweis-
bar bewährt.
§ 2. So wenden wir uns denn den beiden Fragen,
deren Beantwortung wir als notwendig erkannten, zu. Zu-
niLchst. wie gesagt, der ersteren.
Erinnern wir uns vor allem daran, was wir unter „Er-
klärung** verstehen. Nichts anderes, als die Angabe einer
eindeutig iK'stimmten (iröße fUr unsere Unbekannten mid
Die Lohntheorie. 341
^on Bewegungsgesetzen derselben. Jede theoretische Kon-
struktion, die das leistet, ist „richtig** für uns und jene,
<lie das am einfachsten und besten tut, nennen wir die
„brauchbarste".
Die „Variationsmethode", die wir spÄter kennen lernen
werden, wird uns die rein ökonomischen Bewegungsgesetze
der Güterpreise und -mengen immer unter denselben Voraus-
setzungen geben, welche uns die eindeutige Bestimmung der
Oröße einer ökonomischen Quantität gestatten, sodaß sich
unsere erste Frage auf die folgende reduzieren lÄßt: Ist
der eindeutig bestimmte Lohnsatz, den unser System ergibt,
auch tatsächlich der der Wirklichkeit? Ist das, was wir
abgeleitet haben, wirklich jenes Moment, das den ver-
schiedenen Lohnformen zugrunde liegt? Natürlich meinen
wir nicht eine numerische Größe, eine solche gibt uns unser
System ja nicht; auch nicht eine allgemeingültige Propo-
sition, wie sie z. B. von Thünen zu geben versuchte. Wir
sind uns bewußt, daß l)eides je nach den Verhältnissen
wechselt. Aber dennoch meinen wir mehr, als die bloße Tat-
sache der eindeutigen Bestimmtheit: W'ir wünschen zu wissen,
ob unser ganzes Schema auf die Lohnerscheinung paßt.
Nun, es scheint, als ob diese Verifizierung bei der Arbeit
keine größeren Schwierigkeiten haben könnte, als bei allen
anderen Gütern. Die Vorgänge auf einer Arbeitsbörse wie
auf einem Bauernhofe, auf dem ein Knecht aufgenommen
wird, sind ersichtlich im Wesen keine anderen als die auf
einer Warenbörse oder bei einem anderen Geschäfte des
Bauern. Mögen dort etwas mehr außerökonomische Momente
ins Spiel kommen, besonders im Falle des Bauern Sitte und
Gewohnheit, sowie vielleicht persönliche Rücksichten eine
größere Rolle spielen als hier, immer sind die Ökonomischen
Grundzüge deutlich erkennbar, und zu einer prinzipiellen
Unterscheidung reichen solche Momente besonders für uns,
die wir dieselben zum Teil wenigstens in die Wertfunktion
einschließen, nicht aus. Das Bild der Theorie mag etwas
weniger gut passen, im großen und ganzen aber paßt es.
Wo Arbeitsmangel herrscht, wird der Lohn hoch, wo Über-
342 ^^® VerteiluDgstheorie.
flufi herrscht, ceteris paribus niedriger stehen — es ist das
fast zu klar, um angeführt zu werden und Belege aus der
Wirklichkeit, etwa aus neuen Kolonien einerseits und «über-
völkerten*' Ländern, wie Indien oder China andererseits, sind
überreich vorhanden.
Sicherlich trifft man auch hier auf Schwierigkeiten:
Die Fabriksordnungen enthalten fast immer eine bestimmte
Stundenzahl. Auch der kräftigere Arbeiter mag keine Ge-
legenheit zur Ausnutzung seiner Überlegenheit über seine
Genossen haben. Soziale Machtverhältnisse, ökonomisch nicht
zu erklärende Eingriffe in seine Selbstbestimmung (Aus-
wanderungsverbote usw.) mögen die Bildung unseres theo-
retischen Lohnsatzes verhindern. Ein besonders wichtiger
Fall ist der der Kombination, welche nicht nur zu monopol-
artigen Erscheinungen führen und so das Lohnniveau stören,
sondern auch durch ihre soziale und politische Macht zu
Errungenschaften gelangen kann, zu deren Erfassung die
Mittel der Statik nicht ausreichen.
Aber das gibt es bei allen Gütern, und dieselben Gründe,
die uns bei diesen veiaulaßten, an unserer Theorie fest-
zuhalten, bewähren sich auch hier. Die Stundenzahl der
Fabriksordnung wird im allgemeinen jener Zeit, die sich aus
einem theoretisch freien Verkelire ergeben würde, angepaßt
sein — höchstens wird eine Abrundung auf ganze Stunden
vorgenommen, wobei die übrigen Arbeitsbedingungen (Pausen«
sanitäre Verhältnisse usw.) Anlaß bieten, den Rest auf andere
Weise auszugleichen. Jene störenden Einflüsse sieht man
oft auch bei anderen Waren, Ausfuhr- oder Einfuhrverbote
oder -erschwerungen jeder Art usw.: und doch behalten
unsere Gesetze ihren Platz trotz solchen Abweichungen, wie
angeführt. Das gleiche gilt von den Kombinationen und
und die Analogien für Strikes, wenngleich weniger hftuiig
und ausgeprägt als diese, liegen so auf der Hand, daß es ver-
wunderlich ist, daß darauf l)isher in der Theorie so wenig
Gewicht gelegt wurde. Die Frage also, die wir uns stellten,
lie uns so oft von Gegnern der Theorie gestellt und von
enselben verneint wird, ist sicherlich soweit zu bejahen.
Die Lohntheorie. 343
Freilich ist die Diskrepanz mit der Wirklichkeit groß, größer
als die meisten Theoretiker zuzugeben geneigt sind und was
unserem Resultate an Erkenntniswert bleibt, darüber sind
sicherlich verschiedene Ansichten möglich; aber wer in dem
Sinne, wie wir es tun, diesen Wert für immerhin erheblich
hält, der kann auch kaum anders, als unsere Lohntheorie
annehmen, sc. soweit.
Das ist ein erster Schritt. Die Lohntheorie ^würde
sich demnach als ein Spezialfall der exakten Preistheorie
auffassen lassen, durch deren Schema befriedigend] dar-
gestellt sein, sich auch in hinreichender Übereinstimmung
mit der Wirklichkeit befinden, wobei freilich sehr wichtige
Resultate, in deren Besitze sich schon die Klassiker glaubten,
in unerreichbare Ferne gerückt würden. Aber einmal ist
das nicht alles. Nur für die eine Seite der Sache, die
einfachste, die zuerst und die allerdings in den üblichen
Darstellungen der Preistheorie allein behandelt wird, baben
wir das nachgewiesen, nämlich für die Bildung des Preises
bei vorhandenen, festgegebenen Mengen. Bei den übrigen
Gütern, mit Ausnahme des Bodens und anderer „Gaben der
Natur" können wir ja weitergehen und die Wert- und Preis-
betrachtung auch auf deren Kostengüter ausdehnen und so
den wirtschaftlichen Kreislauf ganz erfassen. Können wir
das auch bei der Arbeit? Nur dann würde unsere Theorie
die Lohnerscheinung der Wirklichkeit uns, im Prinzipe
wenigstens, ganz erklären, andernfalls muß die Arbeits-
kraft als gegeben angenommen, das heißt eingestanden
werden, daß wir ihre Bildung und Größe nicht erklären
können. Der Leser weiß, daß das letztere unsere Ansicht
ist. Wir haben ja deshalb die Bevölkerung und ihre phy-
sischen und moralischen Eigenschaften — allerdings auch
deshalb, um konstante Nachfragefunktionen zu haben —
als Daten unserer Probleme, als „systembestimmend" aner-
kannt. Es muß das hier nicht weiter gerechtfertigt werden.
Zum anderen ist aber selbst an dem erreichten Ergeb-
nisse nicht alles klar, und wir begegnen einer Schwierigkeit,
welche uns nötigen kann, dasselbe zu modifizieren und
344 ^^^ VerteÜHngstheorie.
selbst von dem bescheidenen Erkenntniswerte , den wir der
Theorie vindizierten, noch etwas abzuscheiden. leb möcbte
da wiederum darauf hinweisen, wie notwendig sieh eiie
ganz detaillierte Untersuchung erweist. Wie leicht kOiinte
man sich bei unserem „ersten Schritte *" zufrieden geben;
scheinbar klappt alles und sicherlich ist alles logisch em*
wandfrei und dennoch wird sich zeigen, daß noch Zweifel
vorhanden sind. Und solche GrQndlichkoit ist meist nicht
in ökonomischen Werken zu finden. Es ist da noch ei«
hartes StQck Arl)eit zu leisten^ das unserem Systeme mehr
zu geben vermag, als manche kühne Neuerung.
Die Schwierigkeit, die wir hier meinen, wurde schon
angedeutet, sie liegt in dem „einheitlichen Lohnsatze", wie
ihn die Theorie gibt.
Ersichtlich gibt es keinen solchen in der Wirklichkeit.
Abgesehen davon, daß bekannte Umstände in derselben
Weise wie bei anderen Gütern eine örtliche Ausgleichung
verhindern, — Umstände, welche zunächst hier keine größere
Rolle spielen als bei diesen und daher übergangen, wenn
auch keineswegs tibersehen werden sollen — gibt es ver-
schiedene Lohnsätze für verschiedene Tätigkeiten. An sich
hat das nichts Auffälliges und widerspricht auch nicht der
theoretischen P",inheit des Lohnsatzes. Auch bei anderen
WarcMi wird die l)e8sere Qualität besser bezahlt, ohne da6
man, wenn anders man die Theorie richtig versteht, an der
Feinheit des Preises zweifeln würde. Güter derselben Art
aber verschiedener Qualität sind eben ökonomisch vec-
scliiedene Güter. Aber zwischen ihren Werten und Preisen
b< >toht, wie tiberhauj)t zwischen allen Gütern, eine eben
durch die Wert- und Preistheorie gegebene Relation. Die
einzelnen Qualitäten sind in genau den Mengen vorhanden.
wie die Nachfrage es verlangt und erzielen einen verhflltnis-
n)äßigcn Preis. Das beste Stück ist auch das bestbezahlte.
Hat ein Stück Fleisch bei sonst ganz gleichen Umst&nden,
den «loppelten Nährwert eines anderen, so wird es wie zwei
gleich große der letzteren Art gewertet werden. Freilich
werden die „Umstände'' nie gleich sein, in unserem Bei-
Die LfOhntheorie. 345
spiele Yielleieht ein Unterschied im Geschniacke usw. vor-
liegen. Solche anderweitigen Elemente werden besonders
gewertet, wie Clark hervorgehoben hatS und es wäre im
allgemeinen nicht zulässig, aus den physikalischen auf pro-
portionelle Preisunterschiede zu sebliefien. Immer wird
nicht nur der Wert besserer Qualitäten, sondern auch die
Kaufkraft und Zahl jener Käufer in Betracht kommen,
welche gerade um dieselben konkurrieren. Ein Teil der
Käufer der sich von allem Anfange an mit den minderen
zufrieden geben will oder muß, wird bei den besseren nicht
mitkonkurrieren, und so wird die Preisbildung dersell)en
eine weitgehende Unabhängigkeit haben. Wohnungspreise
sind ein instruktives Beispiel. Koch mehr tritt das in
jenen Fällen hervor, wo bessere Qualitäten anderen Be-
dürfnissen dienen, aber stets wird eine Relation
bestehen, die mit den Mitteln der Wert- und
Preisrechnung erfaßt werden kann.
Ebenso wird eine Maschine, die doppelt soviel „erzeugt",
als eine andere, zwar nicht ganz doppelt gewertet werden
können — wenigstens in strenger Theorie muß die Abnahme
des Grenznutzens des Produktes l)erticksichtigt werden —
aber ihr Wert und Preis wird in einem festen , klar ver-
ständlichen Zusammenhange mit Wert und Preis der minder
brauchbaren stehen. Nur wenn dieser Zusammenhang be-
steht, ist die Preisbildung eines Gutes vollständig von
unseren Gesetzen l)eschrieben.
Ist das nun bei der Arbeit soV Unterscheiden wir der
KOrze halber, ohne auf die feineren Unterschiede, die heute
gemacht zu werden pflegen, einzugehen, nur „gewöhnliche**
und „qualifizierte"" Arbeit und letztere wieder in jene, bei
der die Qualifikation wesentlich in Erlernung einer Fertig-
keit und jene, bei denen sie wesentlich in höherer natür-
licher Anlage l)esteht. Sicherlich ist nicht jeder zur Er-
lernung jeder Fertigkeit befähigt und die Verwertung
höheren Talentes bedarf in der Regel irgend einer Aus-
1 Distribution of Woalth 1899.
346 ^^^ VerteiLungstheorie.
bilduDg. Dennoch wird man unschwer zugeben, dafi wir
hier zwei unterscheidbare Momente vor uns haben. So er-
geben sich aus der eben gestellten Frage die folgenden:
Stehen die Entlohnungen jeder Art von Arbeit in jenem
mittels unserer Theorie beschreibbaren Verh&Itnisse V Sodum:
Erklären sich die verschiedenen Werte der Arbeitsleistungen
aus einer Verschiedenheit der Qualifikationen? Endlich:
Steht die Qualifikation durch Erlernung in jenem Zusammen-
hange zu der Qualifikation durch Veranlagung, in dem die
Eigenschaften z. B. eines Rohstoffes zu dessen weiterer
Verarbeitung stehen? — der beste Rohstoff wird am feinsten
verarbeitet — ist das auch bei der Arbeit so? Das sind
quaestiones facti. Von ihrer Beantwortung hängt ab,
ob das Wertprinzip die Lohnsätze erklärt.
Wir stehen hier vor einem Probleme, dessen Vorhanden-
sein oft augedeutet oder doch gefühlt worden ist. Es ist
das ein Grund dafür, daß viele Ökonomen die Lohntheorie
nur auf ,,gemeine" Arbeit, common labour, angewendet
wissen wollten ^ In dieser Stellungnahme liegt schon eine
Erkenntnis der Schwierigkeiten, die in der Preisbildung
qualifizierter Arbeit liegen und zeigt, wiederum, dafi die
Erkenntnis der älteren Theoretiker viel tiefer ging, als oft
angenommen wird^. Aber eine Lösung derselben bat nur
Marx und seine Richtung unternommen. Sie haben diese
Fragen bejaht, allerdings vom Standpunkte des Arbeits-
])rinzii)es und das Auskunftsmittel vorgeschlagen, qualifizierte
Arl)eit auf unqualifizierte dadurch zurückzuführen,, dafi man
die erstere als ein Vielfaches der letzteren auffaßt Und
einer Bejahung neigen auch die Vertreter des Wertprinzipes
zu. Wie bei Marx auf eine Arl)eitseinheit, so wird bei
ihnen ausdrücklich oder stillschweigend alle Arbeit auf
eine Werteinheit, auf eine und dieselbe Wertskala zurück-
geführt, wie angedeutet. Und für die „Leistungs-
« Der nmloTQ ist dio Rücksicht auf die Subsistenitheorie.
* Al)t»r darauf ist zu entgegnen, daß das sehr traurig ftr die
Theorie wäns weil nur ein Tril auch der Handarbeit gans .common*
ij^t und bei jeder änderten sofort das Problem auftaucht.
Die Lohntheorie. 347
einheit" besteht dar uacheineinheitlicher Lohn-
satz.
Nun, betrachtet man die Arbeiterschaft einer Unter-
nehmung oder selbst einer Branche *^ oder endlich eines
Landes, so könnte auf den ersten Blick eine solche Bejahung
wirklich naheliegen. Die bessere Leistung tendiert
wenigstens nach besserer Entlohnung, ihre Überlegenheit
erklärt sich aus einer besonderen erlernten Fertigkeit oder
größerer Kraft oder Geschicklichkeit und, wenn das auch
nicht so sicher ist, es wird der „bessere Mann'' auch am
ehesten die erstere erwerben. Der höhere Lohn wird der
Ansporn dazu sein und Angebot und Nachfrage werden
beide vom Wertprinzipe beherrscht sein. Eine Wertskala
wird diese Arten von Arbeit umfassen. Dieselbe Betrachtungs-
weise pafit ebenso auf die zur Erzeugung eines bestimmten
Produktes aufgewandten Arbeitsmengen. Alle Arbeiter, die
z. B. zur Erzeugung eines Rockes mithelfen, vom Schäfer
bis zum Arbeiter, der das „tailor pressing" vornimmt,
werden nach dem Werte ihrer Arbeit entlohnt. Das
scheint klar.
Und doch gibt es auch hier Erscheinungen, die uns
bedenklich machen können. Mag auch der Chinese in
S. Francisco ganz dasselbe leisten, wie der Amerikaner, er
wird doch nicht denselben Lohn erhalten. Und wir brauchen
nicht nach solchen Fällen — die übrigens nicht selten sind,
vgl. z. B. die Löhne der italienischen Arbeiter in Österreich
oder Südfrankreich — zu suchen. Ganz nahe liegt das
Beispiel der Entlohnung der Frauenarbeit. Dieselbe ist
selbst dort erheblich niedriger, wo eine Frau die Arbeit
ganz ebensogut leisten kann und leistet, wie ein Mann.
Man könnte einwenden, daß sich Analoges auch bei andern
Gütern findet. Eine altberühmte Firma kann höhere Preise
erzielen auch für ganz dieselben Erzeugnisse, wie ihre
jüngeren Konkurrenten. Und wenn wir diesem Falle keine
prinzipielle Bedeutung zumessen, so dürfen wir das auch
hier nicht tun. Mag sein. Wir könnten zwar erwidern,
daß der Unterschied allerdings nur graduell sei, daß aber
348 ^^^ Verteilnngstheorie.
IQ einem Falle die Abweichung von der Wirklichkeit nicht
allzu groß, im anderen nicht zu vernachlAssigen sei. Aber
wir wollen darauf nicht bestehen, da wir an dieser Stelle
noch nicht unser entscheidendes Bedenken ins TreffeH fthreo
können.
Doch hat jede Unternehmung, wenigstens jede groBe,
eine Kategorie von Arbeitern, welche als „Beamte" be-
zeichnet zu werden pflegen. In welchem Verhältnisse steht
deren „Gehalt" zum „Lohne** der Arlieiter? Der zweifelhafte
Punkt ist, daß ein solcher Beamter, der einer andere!
sozialen Klasse angehört, gar nie „Arbeiter* werden wOrde,
auch wenn sich das besser lohnen würde. Diese Tatsache
ist unbestreitbar und ebenso sicher ist, daß er auch beim
Beginne seiner Ausbildung meist nicht die Wahl zwischen
beiden Berufen hatte, sondern den des „Beamten'' hätte
anstreben müssen, selbst dann, wenn die „Aussichten" dieser
Lauf])ahn von vorneherein ungünstiger gewesen waren. Es
ist nicht nur seine Ausbildung ein „sunk capital", das nuo
nicht mehr zurückzuziehen ist — dafür bieten alle Pro-
duktionen Beispiele — sondern schon von allem Anfange
an war er sozial gezwungen, zum mindesten in der Regel
oder doch sehr oft, jenen Weg zu betreten.
Und das leitet uns sofort weiter zu den Löhnen in
allen „höhen»n" Berufszweigen. Wer könnte die Tatsache
übersehen, daß in aller Regel jedermann danach strebt, in
seiner sozialen Klasse zu bleiben, daß dieselbe ihm eherne
Fesseln anlegt? Alle die jungen Leute, die jahraus, jahreis
in unserer Heimat dem Staatsdienste zustreben , le^en sich
Ober die Möglichkeiten außerhalb desselben kaum eine Rechen-
schaft ab. Im Gegenteil wird es ihnen meist bewußt sein,
daß ihre Aussichten in wirtschaftlicher Hinsicht im all-
gemeinen keine günstigen sind. Trotzdem bieten sie ihre
Arbeitskraft hier an, an der Stelle, wo nicht die größte,
sondem vielleicht die geringste Entlohnung winkt und wo
die Nachfrage ersichtlich ülK»rschritten ist. Sie haben tat-
sächlich keine Wahl, als Kinder ihres Landes und ihrer
Klasse. Kin Militär kann im allgemeinen seinen Beruf
Die Lohntheorie. ^9
nicht wechseln, ohne eine sehr fühlbare soziale »capitis
deminutio''. In diesen Berufen treten auch nationale und
politische Grenzen viel schärfer ins Spiel, als sie es ver-
mittelst von Auswanderungsverboten tun kannten. Den
letzteren kann man entgehen, aufierhalb ihrer gesellschaft-
lichen Beziehungen aber sind jene Leute hilflos und vermögen
es nicht, sich auf ihrem bisherigen sozialen Niveau zu be-
haupten. Genüge das Gesagte, das befriedigend auszuführen
Gegenstand einer interessanten sozialen Studie sein könnte.
Vervollständigen wir es nur noch durch ein Moment: Der
Künstler, der Gelehrte produziert seine Werke nicht immer,
aber häufig ohne Rücksicht auf Nachfrage, obgleich er den-
noch mit seiner Arbeit — wiederum mindestens häufig —
auch wirtschaftliche Resultate anstrebt. Von Arbeiten, die
ohne diese Absicht geleistet werden, etwa den Zeitschrift-
artikeln eines Politikers, gar nicht zu reden.
Der Unternehmer, der Beamte, der Künstler, der
Arbeiter, sie alle werden das durch zwingende Umstände,
nicht durch freie Wahl. Das ist die Regel, welche durch
das Aufsehen, das eine Ausnahme erregt, nur bestätigt wird.
Das heißt nun ökonomisch nichts anderes, als daß das
Angebot von Arbeit nicht vom Wertprinzipe
beherrscht wird, wie das von Grund und Boden und
jedem anderen Gute gilt. Unser System ist hier durch-
brochen, sein Lebensmark, die „Interdependenz'', gelähmt.
Nur innerhalb eines nationalen und sozialen Kreises herrscht
freie Beweglichkeit der Arbeit, und nur wenn man diese
Klausel anbringt und im Übrigen die Verteilung der
Arbeit als systembestimmende Tatsache erklärt, nur dann
gilt die Wertrechnung. Und das Gesagte bewährt sich
im weitesten Maße bei jeder Art von qualifizierter Arbeit.
Andere als ökonomische Momente also bestimmen die
Verteilung der Arbeitsmenge der Volkswirtschaft und der
ganzen Erde. Das ist vielleicht die größte Konzession, die
wir der ethischen Richtung machen. Sie hat Recht in
diesem Punkte. „Arbeif" im allgemeinen ist nicht so frei
beweglich, wie es ökonomisch selbst das Land ist Und wenn
350 I^i^ Vert«iltU)gatheorie.
man uns hier entgegnen wOrde, daß auch bei andern
Gütern eine freie Beweglichkeit nicht Torbandea sei, w
können wir befriedigend darauf entgegnen. Soweit, unter
Berücksichtigung von Fracht und Zoll die Warenpreise bä
freier Konkurrenz nicht Qberall gleich sind, beruht das anf
weiter nicht interessanten „FrihtionswiderstaDden*, als u-
genogender Kenntnis, fehlendem Untemehmungsgetste ntv.
Anders bei der Arbeit. GroBe, wichtige Momente, die mu
unmaglich übersehen kann, stehen der Beweglichkeit der
Arbeit im Wege. Nation algefahl oder besser, das Moment
des Antagonismus der Rassen, soziale Beziehungen jeder
Art, kurz die ganze Struktur der Gesellschaft, alles was sie
zusammenhftlt, erschwert jede derartige Annahme. Während
ferner die Produktion sonst stets dem Wertprinzipe folgt, sind
in erster Linie andere Momente fflr die Verteilung der Arbeit
entscheidend. Diese Momente wirken auch innerhalb der
Volkswirtschaft. Aber auch die geographischen Fesseln, von
denen wir sprachen, haben hier eine ganz andere Bedeutung
als bei anderen Gutem. Jene, die auch bei diesen herrschen,
sind auch hier vorhanden, aber außerdem noch andere,
mftchttgere. So wird qualifizierte Arbeit nicht immer so
entlohnt, wie man es nach unserer Theorie erwarten sollte,
und wenn man von „Arbeit" ganz allgemein spricht, so ist
die letztere unanwendbar. Wie die Wertskala, so vereagt
Ubrigens auch die Arbeitsskala Marx', wie man leicht
sehen kann.
Was die zweite Frage anlangt, so taacht ein neues Be-
denken auf. Bei allen anderen Gütern steht das beste Stück
dort, wo die höchste Leistung nötig ist und von dieser, von
seiner Fähigkeit sie zu leisten, erhAlt es seinen Wert und
Preis, seinen Platz auf der Wertskala. Mun scheint es mir,
als ob das bei „Arbeit im allgemeinen" absolut nicht der
Fall wäre. In der Regel wird die Unteroehmerstellung oder
doch die Möglichkeit sie zu erlangen, ererbt und ihre
Funktion in weitem Maße ohne Rücksicht auf besondere
Eignung ausgefällt. Trotzdem ist die Leistung eine wert-
volle und der Unternehmer ist im Rechte, wenn er sich
Die Lolmtlieorie. * 351
nnen hohen Lohn dafür berechnet. Es IftBt sich aber
lurchaus nicht behaupten, da6 er der dazu geeignete
Arbeiter sei. Jene jedoch, die ebenso oder besser dazu ge-
dgnet wären, können meist mit ihm nicht darum konkur-
ieren. Auch ganz abgesehen von Kapitalmangel haben sie
[einen Weg, dazu zu gelangen. Der gewöhnliche Arbeiter
n aller Regel sicher nicht, aber auch nicht der Beamte.
iuT die ganz überragende Kraft und auch diese nur bei
sonstigen Zufällen setzt sich durch. Konkurrieren kann
nit ihm nur jemand in gleicher sozialer Position, nur da
3t die Sonne gleich verteilt. Das gilt allgemein. Auch im
Staatsleben und in allen liberalen Berufen ist es nicht not-
rendig die beste Kraft, die die höchstwertigen Leistungen
lervorzubringen hat. Außer Tüchtigkeit sind eine Reihe
on Bedingungen zu erfüllen, welche danach tendieren,
renigstens oft sehr tüchtige Konkurrenten auszuscheiden.
!^s ist nicht so, daß die höherwertige Leistung immer höhere
Qualifikationen erfordert. Auf allen, auch den höchsten
>tufen kann das Durchschnittsmaß vom Durchschnitts-
nenschen geleistet werden und im allgemeinen kann man
vohl sagen, daß die Spitze der sozialen Pyramide nicht von
len tüchtigsten, ihre Grundfläche nicht von den untüchtigsten
«dementen gebildet wird. Wir könnten zeigen, daß zum
;ewöhn1ichen Unternehmer durchaus kein Komplex jener
lohen Eigenschaften gehört, welche ihm manche Dar-
tellungen zuschreiben, daß er sie in aller Regel auch nicht
»esitzt. Nicht er, ganz andere Dinge sind die treibenden
{rftfte seiner Unternehmung. Und auch sonst zeigt, meine
ch, vorurteilsfreie Beobachtung, daß keineswegs die best-
[ualifizierte Arbeitskraft dazu gelangt, die höchstwertige
^eistung hervorbringen zu können. Aber machen wir Halt
Cs ist ein peinliches Gefühl für mich, Probleme, die tief in
lie „Soziologie'' hineinreichen, so kurz andeuten zu müssen.
Jnd doch war das nötig, um unsere Stellungnahme zu
echtfertigen.
Wir treten nicht in die Diskussion der Frage ein,
reiche Momente es sind, die die Verteilung der Arbeits-
350 ^^® Verteilungstheorie.
man uns hier entgegnen würde, da6 auch bei anderen
Gütern eine freie Beweglichkeit nicht vorhanden sei, m
können wir befriedigend darauf entgegnen. Soweit, unter
Berücksichtigung von Fracht und Zoll die Warenpreise bei
freier Konkurrenz nicht überall gleich sind, beruht das auf
weiter nicht interessanten „Friktionswlderständen", als un-
genügender Kenntnis, fehlendem Untemehmungsgeiste usw.
Anders bei der Arbeit. Große, wichtige Momente, die mao
unmöglich übersehen kann, stehen der Beweglichkeit der
Arbeit im Wege. Nationalgefühl oder besser, das Moment
des Antagonismus der Rassen, soziale Beziehungen jeder
Art, kurz die ganze Struktur der Gesellschaft, alles was sie
zusammenhält, erschwert jede derartige Annahme. Während
ferner die Produktion sonst stets dem Wertprinzipe folgt, sind
in erster Linie andere Momente für die Verteilung der Arbeit
entscheidend. Diese Momente wirken auch innerhalb der
Volkswirtschaft. Aber auch die geographischen Fesseln, von
denen w i r sprachen, haben hier eine ganz andere Bedeutung
als l)ei anderen Gütern. Jene, die auch bei diesen herrschen,
sind auch hier vorhanden, aber außerdem noch andere,
mächtigere. So wird qualifizierte Arbeit nicht immer so
entlohnt, wie man es nach unserer Theorie erwarten sollte.
und wenn man von „Arbeif ganz allgemein spricht, so ist
die letztere unanwendbar. Wie die Wertskala, so versagt
übrigens auch die Arl)eitsskala Marx', wie man leicht
sehen kann.
Was die zweite Frage anlangt, so taucht ein neues Be-
denken auf. Bei allen anderen Gütern steht das beste Stück
dort, wo die höchste Leistung nötig ist und von dieser, von
seiner Fähigkeit sie zu leisten, erhält es seinen Wert und
Preis, seinen Platz auf der Wertskala. Nun scheint es mir,
als ob das bei ,, Arbeit im allgemeinen" absolut nicht der
Fall wäre. In der Re^el wird die Unternehmerstellung oder
doch die Mögliclikcit sie zu erlangen, ererbt und ihre
Funktion in weitem Maße ohne Rücksicht auf besondere
Eignung ausgefüllt. Trotzdem ist die Leistung eine wert-
volle und der Unternehmer ist im Rechte, wenn er sich
Die Lolmtheorie. * 351
einen hohen Lohn dafür berechnet. Es IftBt sich aber
durchaus nicht behaupten, da6 er der dazu geeignete
Arbeiter sei. Jene jedoch, die ebenso oder besser dazu ge-
eignet wären, können meist mit ihm nicht darum konkur-
rieren. Auch ganz abgesehen von Kapitalmangel haben sie
keinen Weg, dazu zu gelangen. Der gewöhnliche Arbeiter
in aller Regel sicher nicht, aber auch nicht der Beamte.
Nur die ganz überragende Kraft und auch diese nur bei
günstigen Zufällen setzt sich durch. Konkurrieren kann
mit ihm nur jemand in gleicher sozialer Position, nur da
ist die Sonne gleich verteilt. Das gilt allgemein. Auch im
Staatsleben und in allen liberalen Berufen ist es nicht not-
wendig die beste Kraft, die die höchstwertigen Leistungen
hervorzubringen hat. Außer Tüchtigkeit sind eine Reihe
von Bedingungen zu erfüllen, welche danach tendieren,
wenigstens oft sehr tüchtige Konkurrenten auszuscheiden.
Es ist nicht so, daß die höherwertige Leistung immer höhere
Qualifikationen erfordert. Auf allen, auch den höchsten
Stufen kann das Durchschnittsmaß vom Durchschnitts-
menschen geleistet werden und im allgemeinen kann man
wohl sagen, daß die Spitze der sozialen Pyramide nicht von
den tüchtigsten, ihre Grundllftche nicht von den untüchtigsten
Elementen gebildet wird. Wir könnten zeigen, daß zum
gewöhnlichen Unternehmer durchaus kein Komplex jener
hohen Eigenschaften gehört, welche ihm manche Dar-
stellungen zuschreiben, daß er sie in aller Regel auch nicht
besitzt. Nicht er, ganz andere Dinge sind die treibenden
Kräfte seiner Unternehmung. Und auch sonst zeigt, meine
ich, vorurteilsfreie Beobachtung, daß keineswegs die best-
qualifizierte Arbeitskraft dazu gelangt, die höchstwertige
Leistung hervorbringen zu können. Aber machen wir Halt
Es ist ein peinliches Gefühl für mich, Probleme, die tief in
die „Soziologie'' hineinreichen, so kurz andeuten zu müssen.
Und doch war das nötig, um unsere Stellungnahme zu
rechtfertigen.
Wir treten nicht in die Diskussion der Frage ein,
welche Momente es sind, die die Verteilung der Arbeits-
352 * 1^16 Verteilungatheorie.
kraft bestimmeD, sondern begnügen uns, zu konstatieren,
daß diesen Verhältnissen gegenüber unsere ökonomischeD
Mittel versagen und wollen die Konsequenz des eben be-
sprochenen UmStandes für die ökonomische Theorie femo»
lieren. Damit die Wertrechnung umfassend und befriedigeiul
sei, ist es durchaus nötig, da6 die Arbeitskräfte nur Tom
Standpunkt des Wertes der Leistungen verteilt seien und
die Nachfrage nach Leistungen dem Schema der Wert-
funktion entspreche. Nur dann werden die Werte der ein-
zelnen Leistungen normale im Sinne unseres Systemes sein.
Das ist nun nicht der Fall bei der Arbeit. Wir sahen
schon, daß das Angebot selbst der vorhandenen Arbeit nicht
vom Wertprinzipe beherrscht sei, nun sehen wir noch, daS
es auch die Nachfrage nicht ist. Oder richtiger, sie ist es
nur unter derselben Einschränkung, wie das Angebot, mit
der Klausel: „in demselben sozialen und nationalen Kreise'.
Das geht soweit, daß mau sich fragen kann, ob die An-
wendung der Kategorien Angebot und Nachfrage hier über-
haupt nocli Sinn und Wert hat.
Leicht ist es, zu sehen, wie wir die dritte Frage be-
antworten wollen. Sie verneinen wir am allerentschiedensten.
Nicht derjenige erwirbt Qualifikationen — welcher Art
immer — oder wendet sich „höheren" Berufen zu, der dazu
l)eson(lers geeignet ist , sondern wer die Gelegenheit dazu
besitzt, welche wiederum hauptsächlich durch das Klassen-
moment charakterisiert wird. Und wiederum : Innerhalb
drrseiben ökonomisclieu und sozialen Klasse, mag allerdings
ein Zusammenhang zwischen Qualifikation und natürlicher
Anhige, wie er für die Wertrechnung nötig ist, bestehen.
Ül)er seine Bedeutung im Verhältnisse zu anderen Momenten,
die auch innerhalb des angedeuteten Kreises wirksam sind,
kann man verschieden denken. Gewiß besteht er in er-
heblichem Maße. So wird also auch „Veredlung* am
Rohmateriale des Gutes „ArlH'it'' nicht nach den wirtschaft-
lichen Gesetzen vorgenommen, wenigstens kann dae mcbt
allgemein und nicht in jenem Sinne behauptet werden, wie
bei allen anderen Gütern.
Di« LdiBtheorie. 353
Resamierett wir: leh hAtte prinzipiell Btehte dagegen,
die Arbeit ganz so wie alle anderen Güter, als „Ware**, wie
nan es amsdrüekt, zu behandeln, wenn dieses Schema zu
brauebterett Resultaten führen wtrde. Sieh aus Rücksieht
auf „Menseben wtrde* oder durch Gründe wie der, dafi der
Mensch Subjekt der Wirtschaft sei und daher nicht ihr Ob-
jekt feil könne, dagegen zu striluben, scheint uns auf einem
MflBrersUUidiisse unserer Theorie zu beruhen« Aber unsere
Untersudiung über die Verifikation unseres Resultates fahrt
UBSdazUy dasselbe als unzulänglich zu erkennen. Wir stdien
VW Erscheinungen, ixl denen von unserem Systeme aus
keine Brüdce führt. Gleich Inseln sind die ein-
zelnen Gruppen von Arbeitern im weitesten
SinnO; die es in der Volkswirtschaft gibt, von
einander getrennt und kaum gibt es einen „Ver-
kehr'' zwischen denselben. Wohl sind jene sozialen
Bande nicht ewig und die Jahrhunderte n&hem die „Inseln^.
Für unsere Zwecke, für unser nur für kurze Perioden kon-
struiertes System, existiert diese Wechselbeziehung kaum.
Auf jeder Insel allerdings herrscht das Wertprinzip. Und
darin liegt unser Auskunftsmittel, das wir an die Stelle
deijenigen von Marx und der Werttheorie setzen möchten.
Wir nehmen an, daß jede Art von Arbeit und Arbeitern ein
für allemal vorhanden, festgegeben sei: In unserem Unter-
suchungsgebiete gibt es eine feste Zahl von Beamten,
Künstlern, gelernten und ungelernten Handarbeitern usw.,
zwischen welchen Gruppen jede Beziehung, jedes Übergehen
von einer zur anderen, fehlt. Das scheint uns besser auf
die Wirklichkeit zu passen und, so korrigiert, gilt unsere
Lobntheorie. Für jede dieser Gruppen gibt es einen ein-
deutig bestimmten Lohnsatz, der zu den anderen Lohnsätzen
nicht in einer einfachen Relation steht, wie man gerne
glauben möchte. Allerdings besteht doch eine Relation, nur
ißt sie «eimö andere. Wir wollen sie dann gleich erörtern.
Freilich dürfen wir uns dann nicht verhehlen, daß unsere
Theorie vom Standpunkte praktischer Resultate nahezu
zu einer Selbstverständlichkeit herabgedrückt wird, jedenfalls
8ehiimp«t«r, Nationalökonomie. ^
354 ^® Verteilungstheorie.
jene große Bedeutung, die ihr sonst zukommen würde,
verliert.
Wir wollen noch die Bedeutung präzisieren, die der
üblichen Konstruktion zukommt. Könnte man nicht in
einem ganz abstrakten Untersuchungsgebiete dieselbe doch
durchführen? Sicherlich und dann würde sich jene Organi-
sation der Gesellschaft ergeben, welche wir skizzierten.
Aber man darf nicht vergessen, daB dazu mehrere neue
Voraussetzungen nötig sind, viel weitergehende, als wir sie
sonst für unser System brauchen. Es würde nämlich
nicht hinreichen, einfach eine isolierte Nation anzunehmen.
Denn auch eine Nation, die uns sehr homogen erscheint, ent-
hillt sehr viele ethnische Elemente, zwischen denen nie freie
Konkurrenz bestehen kann. Wir müßten eine konstruieren,
wie sie, gegenwärtig wenigstens, nirgends existiert. Pis
wjlre die ei-ste Voraussetzung. Zweitens. Aber auch inner-
halb einer solchen würden wir möglicherweise — nach
manchen Theorien würde es allerdings nicht der Fall sein —
dem Phäuomen der Klasseubildung begegnen und jedenfalls
den zahllosen individuellen Wechselbeziehungen, welche das
soziale Milieu, die soziale Hasis jedes Individuums aus-
machen. Auch davon müßte abgesehen werden. Die ein-
zelneu (iruppen, die sich um gewisse Interessen und Stell-
ungen herum bilden, werden sicherlich jedem Outsider
Widerstand entgegensetzen und selbst in einem kommuni-
stischen (lenuMn Wesen würden ganz sicher persönliche Be-
ziehun^'en eine Kolle spielen, welche der Auswahl nach der
Tüchtifikeit und sonstigen Qualifikation, wie sie l>ei je<lem
anderen (lute besteht, eine andere Art von Auslese an die
Seite >etz« n würden. Unser Schema müßte darül)er hinweg-
sehen. Drittens winde auch hier Güterbesitz und Erwerb
von Qualitikationen in einem Zusammenhange stehen, der
wichti^i»r sein dürfte, als der zwischen natürlicher Anlage
und .sonst i«;er Qualitikation. »Soll die AVertrechnung durch-
greift nd anwendbar sein, so müßte auch davon abstrahiert
werden. Hier würde dann für die Leistungseinheit ein ein-
heitlicher Preis bestehen. Für die Arbeitseinheit auch
Die Lohntheorie. 355
dann nicht, denn die natürliche Fähigkeit würde ein störendes
Moment bilden.
Wozu kann eine solche Konstruktion aber dienen, welcher
Wert käme ihr zu? Sie stellt vor allem eine weitere
Stufe der Abstraktion dar, als sonst unser System.
Das muß vor allem festgehalten werden. Auf solche Unter-
scheidungen der verschiedenen Stufen der Ab-
straktion legen wir stets ein besonderes Gewicht, da sie
zum richtigen Verständnisse der einzelnen Theorien an sich
und in ihrem Verhältnisse zueinander ganz wesentlich sind.
Man könnte sagen, daß unsere Erörterungen, die wir eben
durchführten, eigentlich keinen anderen Zweck hatten, als
eben den Nachweis zu führen, daß jene große Theorie
der Gesellschaft und sogar die gewöhnliche
Lohntheorie eine solche weitere Stufe darstellt,
daß sie einen anderen Charakter trägt und weiter von der
Wirklichkeit entfernt ist, als andere Teile der theoretischen
Ökonomie, als der größte Teil derselben. Und es ist lehr-
reich, zu bemerken, daß sich im Laufe unserer Gedanken-
gänge ganz von selbst oft Hyi)0thesen einschleichen können,
ohne daß wir es gewahr werden, ohne daß wir uns bewußt
sind, den sicheren Boden zu verlassen und mit neuen
Momenten zu arbeiten.
Die Wirtschaftssubjekte, mit denen es die Konstruktion,
til>er deren Wert wir jetzt ein Urteil fällen wollen, zu tun hat,
sind keine Menschen, sondern Nützlichkeitsmaschinen, welche
aller der Merkmale entbehren, welche den im Sozialverbande
leidenden Mensclien auszeichnen, welche den Sozialverband
ausmachen. Hier sind wirklich jene Annahmen l)ezüg-
lich der „hedouischen" Motive und dem Abhandensein alles
Nichtwirtschaftlichen nötig, welche die Ökonomen, mit Un-
recht und die (ieltung unserer Sätze überflüssig beschränkend,
allgemein für das ganze System aufstellen. Auch das
i.st ein wichtiges Resultat, welches geeignet erscheint, die
einzelnen Teile unserer Theorie in schärferem Lichte zu
zeigen, und auch naclizuweisen , daß unser System an sich
gar nicht soweit von der Wirklichkeit steht, als oft geglaubt
23*
2BSß Die VerteihnigBth«orie.
wird, 4a6 dieser Anscbein trat von einig^B der ahw-
mischen Theorien hervorgerufen wird. Hier haben wir eiae
derefelben vor «ns. Schon unser Sjrstem a1»er uejeht gerade
genng von den Tatsachen ab ; diese Theorie dtrfte das Msft
des Braudhbaren nherschreiten tfDd da sie zu radikal falschen
I>ednkthMien sozialer Natur den Anktft gelben kann «Bd ge-
geben hat, so wollen wir ans von ihr abwenden. Doch
wollen wir 4105001 Urterle eine Milderung hinzufigen. Wir
haben schon gesagt, 4at ihr nicht jeder Wert fehlt. Und
das wellen wir mtn noch nach einer anderen Richtung his
ergänzM. Die Theorie ist nicht noitwendig zur ErkÜraBg
des Wesens des Lohnes. Dieses Resultat können wir auch
auf korrekterem Wege erreichen , indem wir den Leim anf
jeder unserer theoretischen Inseln utftefBUeben. Sie gibt
uns nicht „den** Lohnsatz der Wirklichkeit, denn ein
solcher einheitlicher Satz besteht überhaupt nicht. Insofern
sie uns zu dieser Ansicht vei'führt, ist ihnre Rolle eine ver-
derbliche. Aber wenn wir uns ihres Wesens und ihrer
Vorausseftzungen bewu^ bleiben, dann ist diese Theorie
nicht „falsch**, wie gesagt. Und dann lehrt sie uns auch
etwas. Sie lehrt uns nftmlich durch die eklatante Diskre-
panz ihrer Resultate mit der Wirklichkeit, dafi das Wert-
prinzip das Gebiet der Arbeit, als Ganzes betrachtet, nicht
beherrscht. Das kann man eben mit ihr am besten be-
weisen. Darin nun liegt meines Erachtens ihr wichtigster
praktischer Krkenntniswert. Ein negatives Resultat gibt
sie uns nur, aber auch das ist nicht zu verachten, und
seine Ableitung und Diskussion gibt uns einen wichtigen
Fingerzeig nach der Richtung, wo die entscheidenden Momente
zu suchen sind.
Das Fehlen eincfl einheitlicben Lohnsaties kann man kan mit
dorn Fehlen völlig freier Konkurrenz begründen. Diese Anadnick»-
weise ist aber einerseits unvollständig, lifit die eimelnen wiehtigsn
Punkte im Dunkeln, und anderseits mißverständlich. So haben wir
sie uns nicht zu (>ig(>n gemacht. Aber an dieser Stelle, wo wir auf
■ie hinweisen, wollen wir doch noch bemerken, dafi der Mechmniiwai
der freien Kornknrrenz auch sonst noch bei der Arbeit weniger glatt
fanktioBiert, als bei den anderen Gütern. An einen besonderen Qrand
Die Lotuiiheorie. 957
ffäj; die gering i^BewegUclikeit'' gerade der Arbeit, den wir iÄbrigeof
l>ereit8 berührten, sei da besonders erinnert, auf jenen von Professor
Bdgeworth hervorgehobenen: Nur wenn jeder „Käufer^ mit jedem
^Verkänfer^ tauschen kann, wird vollkommenes Gleichgewicht erreicht
^werden. Der Arbeiter jedoch muB im allgemeinen seine ganze Arbeit
an einen einaigen Unternehmer verkaufen. Und das allein wüide, wie
sidi xeigen l&Bt, einen erheblichen Unterschied x wischen der Pr^a-
bildung der Arbeit und der anderer Güter begründen.
§ S. Wir haben das Gesagte noch durch die Unier-
«ttchuDg zu vervollständigen, ob ein uud welcher ZusamHieu-
haug zwischen den Werten und Preisea der vom „Arbeiter*'
Jeder Art von seiner Geburt an konsumierten Gütern und
Minem Lohne besteht Wir sagen absichtlich nicht «uad
-den von ihm produzierten Gütern", um die Schwierigkeiten zu
vermeiden, die um den Begriff „Produkt der Arbeit"* herum-
liegen und die uns auch durch die moderne Zurechnungs-
theorie nur zum Teile — wenn auch zum größten Teile ---
behoben scheinen.
Ein solcher Zusammenhang besteht bei allen Gütern,
4ie von der Natur nicht „freiwillig'' dargeboten, die also
produziert werden, und nur wenn er besteht, ist die
Wertrechuung, wenigstens nach dieser Richtung hin, durch-
greifend anwendbar. Wiederum: Wir haben keine vor-
gefaßte Meinung darüber, wie das sich bei der Arbeit ver-
hält. Es wäre sehr zwecklos, darüber zu philosophieren,
'Ob die Arbeit als produziertes Gut oder als „Gabe der
Natur** aufgefaßt werden solle. Aprioristische Gründe für
Asls eine oder das andere können uns gar nicht helfen. Noch
weniger natürlich sind soziale, politische, oder moralische
Momente für unsere Stellung bestimmend. Für uns gehört
die Arbeit nicht schon apriori zu einer oder der anderen
Jener Güterkategorien. Es steht bei uns, welcher wir sie
zuzählen wollen. Das eine oder das andere ist lediglich
methodologisches Hilfsmittel, eine technische Maßregel so-
zusagen und nicht die geringste Tatsachenaussage oder
soziale Behauptung oder Forderung liegt darin. So haben
wir ganz freie Wahl. Wir werden uns für jene Eventuali-
tät eütscheiden, welche besser zu unserem Systeme paßt und
358 ^^ Verteiluogstheorie.
bessere Ableitungen gestattet einerseits und welche zu mehr
auf die Wirklichkeit passenden Eonsequenzen führt ander- • <
seits. Die prinzipielle Willkürlichkeit unserer Wahl aber
müssen wir uns stets vor Augen halten.
Ein Grund, der uns bei derselben bestimmen könnte,
wftre sicherlich der, daß wir, wenn wir die Arbeit als produ-
ziertes Gut betrachten würden, unsere Analyse nach Analogie
mit anderen produzierten und reproduzierbaren Gütern einige
Schritte weiter fortsetzen und mehr Resultate gewinnen
könnten, als bei nicht produzierbaren Gütern. Und wenn
diese Resultate brauchbar sind, so wäre das nicht zu ver-
achten. Doch müssen wir daran erinnern, daß für uns nicht
jene zwingenden Gründe vorliegen, die wir für die
Klassiker a. a. O.^ nachwiesen. Wir müssen das nicht tun
wie sie, um unser System zu halten. Daß wir es nicht
müssen, ist ein Vorzug unserer Betrachtungsweise, ein
großer Vorzug des modernen Systeines. Insoweit jene
klassische Theorie nur auf diese theoretische Notwendigkeit
zurückzuführen wilre, würden wir sie einfach fallen lassen,
wie manche andere Dinge. Aber die ,, Reproduktionskosten-
theorie" des Lohnes hat noch eine zweite Bedeutung, welche
im Interesse ihrer Würdigung von der eben erwähnten zu
unterscheiden ist — sie ist an sich eine interessante Theorie.
Abgesehen von ihrer Rolle in der Literatur: Unser Gebiet
bearl>eitend, den Wert unseres Systemes und das Feld seiner
Anwendbarkeit überblickend finden wir, daß sich hier ein
Schacht öffnet, der mögiicherweise zu einer Mine führt.
Wir sehen eine Möglichkeit unseren Besitz an Theorien zu
tereichern. Sie darf nicht vernachlässigt werden, und wir
wollen sie uns l)etrachten, ohne ä tont prix auf ihr zu Um-
stehen. Entdecken wir etwas, was uns anspricht, so werden
wir die Arl)eit nach Analogie der reproduzierbaren, im
anderen Kalle gleichmütig nach Analogie der nicht reprodu-
zierbaren (rüter behandeln und darnach dann die Grund-
lagen unseres Systemes einrichten. Unsere Untersuchung
* Im «THton Teile diesen Buches.
Dio Lolintln^oric. ',\'^()
hat ganz deiiselhen Charakter wie die vorh('rg''hen(le. Wie
wir dort zu sehen hatten, ob es in der Wirklichkeit etwas
gebe, was dem einheitlichen Lohnsatze der Theorie ent-
sprechen würde, so haben wir hier zu prüfen, ob die Resul-
tate, die sich aus der Behandlung der Arbeit als reproduzier-
baren Gutes ergeben würden, auf die Wirklichkeit passen.
Auch hier handelt es sich um einen Verifikationsversuch.
Nun das erste Resultat, das sich bewähren müßte, wäre
die Gleichung zwischen „Produktionskosten" und Lohn.
Alle anderen, die zu erhoffen wären, hängen von diesem
Satze ab, sind nur über diese Brücke zu erreichen. Im
Falle wir ihn verifizieren könnten, müßten wir dieselbe
Operation dann bei jedem Schritte wiederholen. Können
wir es nicht, brauchen wir nach dem Weiteren nicht zu
fragen. Der Leser vermag bereits zu sehen, was unser
Urteil sein wird. Darauf hindeutende Momente haben wir
schon erwähnt. Da in Deutschland die Reproduktionskosten-
theorie der Arbeit ohnehin nie ganz festen Fuß faßte und
wenig Anhänger zählt, so wollen wir kurz sein. Am klarsten
ist es bei allen „höheren'' Berufen, daß jene Gleichung nicht
besteht. Nehmen wir wieder das Beispiel eines Staats-
beamten. Als Kosten hätte er sich Auslagen für Studien
usw. und außerdem seine Arbeit dabei, endlich seinen Unter-
halt bis zu seiner Anstellung zu berechnen. Diese Summe
wäre dem auf den Zeitpunkt der Berechnung diskontierten
Wert seiner künftigen Bezüge gleichzusetzen. Auf Detail-
fragen bezüglich dieser Berechnung gehen wir nicht ein, weil
uns dieselbe nicht anwendbar zu sein, den Vorgängen der
Wirklichkeit nicht hinlänglich nahezukommen scheint. Aus
folgenden Gründen:
Erstens: Ein Teil der Erziehungskosten kann nicht
als Kosten für einen bestimmten Beruf aufgefaßt werden,
sondern würde jedenfalls, auch wenn ein ganz privates
Leben beabsichtigt wäre, aufgewandt. Das ist so klar, daß
Beispiele fiberflüssig sind. Für die Erziehung entscheiden
hauptsächlich die Anschauungen und Gewohnheiten der
sozialen Klasse, der der Betreffende angehört und nicht
360 I^ie VerteüungBtheorie.
ökonomische Momente. Schon das allein müfite
unserer Gleichung irre machen. Beachten wir, daB 4ii
nicht nur fQr „höhere'' Berufe, sondern mehr oder weniger
für jede Art von Arbeit gilt. Auch der gewöhnliehe Arbeiter
lernt z. B. in der Volksschule viele Dinge, die nicht oder
nicht ungezwungen als Vorbereitung fQr seinen Beruf gelten
können und fQr deren Erlernung ersichtlich andere Gründe
maßgebend sind. Man könnte nun die Gleichung auf j^ie
speziellen Vorbereitungen, beim ganz unqualifizierten Arbeiter
also auf die „Auf Ziehungskosten'' beschränken wollen. Dts
würde aber an der Tatsache, dafi auf den Mensehen andere
als bloß ökonomisch gerechtfertigte Kosten aufgewandt
werden, nichts andern, im Gegenteil sie nur hervorhebeiL
Sodann wäre diese Unterscheidung nicht immer leicht durch-
zuführen: Manches z. B. Gymnasialbildung ist für den
Staatsbeamten einerseits Vorbedingung für seinen Berat
anderseits würde es für die Angehörigen jener Klasse meist
unter allen Umständen aufgewandt, auch ohne Rücksicht auf
den Beruf. Diese Schwierigkeiten wären allerdings nicht un-
überwindlich. Doch wollen wir das nicht weiter verfolgen, da
uns noch weitere (t runde von dieser Betrachtungsweise ablenken.
Zweitens wird jene Berechnung, die bei keinem anderen
Gute unterlassen wird, hier tatsächlich in der Regel
nicht aufgestellt. Wer fragt sich denn, ob die Gleichung
für ihn bestehen wird? Oft wird man sich bewußt sein,
daß der PMolg ökonomisch geringer sein wird, als die Kosten
und noch öfter wird man das Gegenteil hoffen. Sozialer
Zwang, Ehrgeiz usw. drängen die ökonomischen Momente
zurück. Und auch das Kind des Arbeiters wird aufgezogen,
ohne daß solche Erwägungen auch nur entfernt vorhanden
sind. Bei dem Erwerbe einer speziellen Qualifikation aller-
dings wird unsere Gleichung oft zutreffen, aber gewiß auch
hier nicht ausnahmslos und nicht einmal in der Regel.
Sicherlich gibt es Fälle, die sich in das Schema der „produk-
tiven Konsumtion'' einfügen lassen. Diese ganze Theorie,
von der wir hier sprechen, hängt ja sicher nicht in der Luft.
Aber diese Fälle, bei denen sie zutrifft, sind selten und un-
Die Lohatheorie. 361
liedevtMMl im Verbältnisse la der M^nge deijenigen^ wo
aatere MoHiente herrschen.
IhitteiiB: Speiiell das in der eigenen Arbeit an der
AvsbUdnng liegende Kostenelement widerstrebt jenem Schema.
£s ist fast nur bei ^höheren'' Berufsarten wirksam. Und
hier ist einerseits Neigung , „Wille lur Macht* usw. viel
wichtiger und andererseits — vielleicht noch mehr — der
Umstand, daB der Angehörige gewisser Klassen mit seiner
Arbeitskraft nichts anderes anfangen kann, mithin sozial
g^Ewongen ist, sie in einer der wenigen ihm offenstehenden
Arten zu verwerten, auch wenn das den ökonomischen Regeln
durchaus nicht entspricht
Viertens fallen Kosten und Erfolg meist oder doch sehr
oft nicht denselben Personen zu. Die ersteren tragen z. B.
oft die Eltern und in mancher Hinsicht die Gemeinwesen,
ohne auf einen ökonomischen Erfolg zu hoffen und daher
auch ohne eine Gleichheit der Kosten mit demselben an-
streben zu können.
Fünftens endlich vergeht' zwischen Aufwendung und Er-
folg meist eine lange Zeit. Alle Verhältnisse können sich
w&hrend derselben ändern und ändern sich tatsächlich fast
immer. Ein genaues Stimmen unserer GleichungOD ist daher
nicht zu erwarten und femer wird, wenn eine Berechnung
vorgenommen würde, gewiß auf dynamische Veränderungen
gerechnet. Dabei muß auch beachtet werden, daß bei der
Ausbildung auch direkt dynamische Momente ins Spiel
kommen, Anstrengungen jeder Art, welche in unser statisches
Oleichgewicht nicht passen. Für unser System, das ja so-
zusagen nur eine Augenblicksexistenz führt, sind solche Vor-
gänge unfaßbar. Einmal aufgewendete Kosten werden daher,
da sie nicht mehr rückgängig gemacht werden können, sich
ähnlich verhalten wie der Boden, d. h. es muß genommen
werden, was zu erreichen ist,* ohne daß man durch Vari-
ierung des Angebotes auf den Preis wirken könnte. Und
diesen Charakter haben auch alle aus „Neigung** erworbenen
Fertigkeiten.
So weist uns dieses Moment direkt darauf hin, bei der
362 ^® VerteiloDgstheorie.
Arbeit eine Gleichung der erwähnten Art nicht aufzustellen*
In der Tat ist das das Ergebnis, zu dem wir gelaDgen:
Aus diesen Gründen werden wir bei der Arbeit
in die Produktion nicht eingehen. Und nun erst
haben wir die volle Begründung dieser an früherer Stelle
entwickelten Stellungnahme ^
wir sind am Ende dieses Gedankenganges. Manebem
wird es scheinen, das wir zu lange dabei verweilten. Und
doch schien uns das nötig, da wir hierin die Schwierigkeiten
erblicken, die einer klaren Erfassung des Lohnproblemes im
Wege stehen und die Quelle vieler Mißverständnisse UD(i
Kontroversen bilden. Unser Resultat ist nicht erfreulieb
für den Theoretiker, denn es ergibt sich, daB der ökonon-
ischen Theorie in diesen wichtigen Fragen nur eine be-
scheidene Rolle zukommt.
Bezüglich des letzten der besprochenen Punkte möchten wir
noch betonen, daß wir keineswegs die Möglichkeit leugnen, daB eine
statistische Untersuchung trotzdem einen Zusammenhang zwischen
Kosten und l^reis der Arbeit nachweisen könnte. Wir behaupten
nur, daß vom Standpunkte der Theorie und mit ihren Mitteln ein
solcher nicht zu konstruieren und daß es zweckmäßiger und vor-
sichtiger ist, diesen Weg nicht zu betreten. Wir lösten unsere
Frage lediglich nur im Interesse unseres Systemes. Auf Anklänge in!
Sinne eines solchen Zusammenhanges haben wir ja selbst hingewiesen.
Vor allem aber ist es die große Tatsache t daß die Mehrzahl der Ar-
beiter nur ungefähr das erwirbt, was zur Erhaltung von Leben und
Arbeitskraft nötig ist, auf welche die Vertreter jener Theorie sieb
stützen können. Zwar weiß der moderne Sozialstatistiker genug
Daten anzuführen, welche zeigen, daß darin weder etwas Allgemeine»
noch etwas Notwendiges liegt, aber wir wollen nicht in Abrede
stellen, daß es sich im großen und ganzen doch so verhält. Nur
meinen wir, daß man darauf nicht zu sehr vertrauen darf. Keine
logische Notwendigkeit, kein großes Gesetz drückt sich darin ans,
' Der Leser wird uns verstehen, wenn wir sagen, daß darin kein
vollständiger Verzicht auf die Gleichung Kosten «= Nutzen liegt Tat-
sächlich wird dieselbe noch immer fundamental für uns sein. Aber
unter „Kosten* darf man nichts anderes verstehen ab ^Wert in an-
deren Verwendungen**, und stets muß man ferner der Einschränkungen
eingedenk bleiben, unter denen sie gilt — unseres IMldes von den
.Inseln**.
l)i<' Loliiiflicorii». ',\{u\
80ii(l(»ri) nur di«' Tat.-^aclic , dal) die (iiitrrvrsorguuL: <l<'r Mt'iisclilicit
ebeu im ganzen eine sehr dürftige ist.
Die Reproduktionskostentheorie des Lohnes ist, in Anwendung
ftuf unqualifizierte Arbeit, eine Existenzminimumtheorie, läuft also auf
das „eherne Lohngesetz** hinaus. Das letztere würde sich also aller-
dings aus der Theorie ergeben, wenn die Arbeit allseitig als eine
„Ware** wie alle anderen aufgefaßt werden könnte. Ihr Zusammen-
hang mit einer entsprechenden Bevölkerungstheorie ist klar, ja viel-
leicht wird man sagen können, daß Beobachtungen aus dem Gebiete
der Lohntatsachen und die Bedürfnisse der Lohntheorie zu jener
klassischen Bevölkerungstheorie beigetragen haben. Tatsächlich glaube
ich das. Die letztere ist nicht aus einem, etwa biologischen, Studium
der Bevölkerungsvermehrung hervorgegangen; denn das hätte zu
anderen Resultaten geführt; auch nicht aus unparteiischen, unvor-
eingenommenen Beobachtungen ihrer Tatsachen an sich; denn dabei
hätten sich meines Erachtens andere Momente aufdrängen müssen,
als jene, aus denen die Theoreme dieser Theorie fließen, mindestens
auch andere. Nein, sie wurde lediglich mit Hinblick auf die Er-
klärung gewisser wirtschaftlicher Erscheinungen konstruiert und
diese stellten ihren Ausgangspunkt dar. Ich bedauere, bei diesen
sehr interessanten Betrachtungen nicht länger verweilen zu können.
Der wesentliche Punkt ist, daß unsere Betrachtungsweise uns ein
klares Urteil über die Reproduktionskostentheorie des Lohnes und
über das eherne Lohngesetz, das also lediglich einen Spezialfall der-
selben darstellt — schon ein wichtiges Resultat — , gestattet. Fassen wir
es nochmals zusammen. Beide Theorien stellen sich unter zwei Aspekten
dar, die sorgfältig geschieden werden müssen: 1. als notwendige
Elemente des klassischen Lehrsystemes, welches ihrer bedarf; 2. als
auch an sich interessante Theorien. Ihre erste Rolle ist ausgespielt
im modernen Systeme: Wir bedürfen ihrer nicht. Der zweite
Aspekt derselben gibt uns ein interessantes Beispiel für Theorien,
welche sicher auf Tatsachen beruhen, die zu ihrer Aufstellung ver-
locken, und sich trotzdem nicht bewähren. „Falsch*^ sind sie nicht,
vielmehr unter gewissen Voraussetzungen zu halten. Aber die letzteren
sind derart, das man das auf sie Basierte besser fallen läßt. Die erste
Rolle kann man die deduktive, die zweite die induktive nennen.
Beide waren von Bedeutung in der Vergangenheit, die Gregenwart
aber bedarf beider nicht mehr. Wir kommen also zu dem Schlüsse,
daß sowohl die Reproduktionskostentheorie des Lohnes , wie das
eherne Lohngesetz nicht mehr Bestandteile der theoretischen Ökonomie
bilden. Wir lassen sie fallen — ihr Interesse ist nur mehr ein
historisches.
Ein Wort noch über die „Standard of life'^ -Theorie. Als sich
bezüglich des ehernen Lohngesetzes die Angriffe und Zweifel häuften.
364 ^0 Verteilungstheorie.
gUabte man die Position der Theorie durch sie retten nnd sngkidi
die letztere der Wirklichkeit annähern zn können. Sie iet aleo Mi
der Existenzminimumtheorie entstanden und als deren Korrektir ge-
meint. Nun, ihr l&fit sich wenig Gutes nachrühmen. Vor allem be-
ruht sie auf einer Verkennung des Umstandee, daB, wenn jeaer Za-
sammenhang zwischen „Kosten der Arbeit^ im Sinne von Elrziehongt-
oder Aufziehungskosten und dem Lohne nicht besteht, dieser ganie
Gedankengang fallen gelassen werden muß. Sodann zerstört diese
^jKorrektur** die Grundfesten der Theorie, bricht ihr den Kern ans,
indem sie gerade auf das Wesentliche versichtet. Endlich sagt sie
nur eine Banalit&t, nämlich, daß jeder Arbeiter im Preiskampfe ver-
suchen wird, einen Lohn zu erzielen, der es ihm ermöglicht , seine
bisherige Lebenshaltung mindestens fortzuführen. Dabei wird er dnrck
Sitte und andere Beharrungsmomentc unterstützt, so daß der bisherige
Standard of life tatsächlich meist aufrechterhalten und der Unter-
nehmer im allgemeinen nicht fehlgehen wird, wenn er den Lohn, den er
zu zahlen haben wird, mit der dem Standard entsprechenden Größe ia
seine Kalkulationen einstellt. Allein von der Tiefe und der Bedeutung
des ehernen Lohngesetzes und auch von dem praktischen Interesse
desselben hat die Theorie des Standard of life nichts. Ja ihre Grund-
lage ist — in der Tat ihr ganzer Charakter — eine völlig andere.
Sie ist nur ein oberflächlicher Notbau, der den Stil des ganzen Ge-
bäudes verdirbt, eine Korrektur gewisser zu evident unzutreffender
Konsequenzen, ohne Reform der Fundamente und ohne Rücksicht
darauf und Verständnis dafür, daß der Unterbau eine solche Alteration
nicht verträgt.
Leider müssen wir es uns versagen, auszuführen, wie auch an-
dere — meines Erachtens alle anderen — Spezialfragen von unserem
Standpunkte aus einer klaren und gründlichen Lösung zugeführt
werden können , die den endlosen Kontroversen radikal und be-
friedigend ein Ende macht. Die wichtigste Frage in diesem Zo-
sammeubange wäre, wie es mit den Bewegungsgesetzen des Lohnet
in bezug auf die anderen Einkommennzweige steht, jenen Gesetzen«
welche die Klassiker mit so großer Sicherheit ableiteten und welche
eine so große Rolle in der Diskussion ökonomischer Probleme spielten
und noch spielen, ohne daß jemand sie wirklich zu halten oder gründ-
lich zu widerlegen vermöchte. Anführungen von Tatsachen für und
wider — beides ist leicht — fuhren ebeuBOwenig zu wirklicher Ein-
sicht, wie allgemeine Argumente. Nebenbei gesagt, zeigt diese Dis-
kussion, daß auch der Historiker und der Praktiker sich doch an dt«
Theorie wenden oder wenigstens theoretisieren müssen, wenn sie n
einem Gesamturteile kommen wollen. Hierher gehört z. B. die Fiags
der Wirkungen eines Streikes, dann der Wirkungen einer Lohn*
erhöhung auf andere Einkommenszweige und namentlich jene, welche
Die Lohndteorie. 955
EmkxßumeomBwmgt sieh gl-eiclizeitig «nd welche sidi iui'Gegeii*
imtsesa«iBaBd«r^^0rgrö0eniit]idTenniiitaii. Einiges wird dtrfiber
AB «ftaer aptteieii Stefie gesagt werden, aber nur so viel, um m zeigen,
daft unsere Theorie da wirklieh etwas Brauchbares zu leisten vermag.
Eine volle Darstellung der Resultate ist im Rahmen dieser Arbeit
nnmiSgüdi.
Nur cwei Spezialfragen woHen wir hier berübven^ erstens die
Frage, ob die Löhne, wie man zu sagen pflegt, „aus dem Kapitale
gezidilt werden^ oder nicht. Die Antwort ist einfach: Nennt man
alle jene Oflter eines Individuums „Kapital**, welche es nicht zu seiner
Konsumtion verwendcft, so ist die Frage selbstverstftndlich zu bejahen.
Fragt man al>er, ob die GtennfigQter der Arbeiter einfach als „Pro-
InktionsmitM** zu betrachten sind, wie etwa das <^1 einer Maschine,
K) ist das ebenso selbstverständlich zu verneinen.
Mag das ;genfigen, wir können es nicht weiter ausfahren. Ebenso
kun wollen wir die zweite Frage beantworten: Was ist von dem
„Lohnfonde* zu halten? Nun, sicherlich ist die Gesamtsumme der
Löhne in jedem gegebenen Augenblicke ganz ebenso durch unser
&leichgewichtsÜieorem «eindeutig bestimmt, wie der einzelne Lohnssttz
und ebenso, wie etwa die Gesamtsumme der Grundrenten. Es gibt
dso einen Lohnfond ebenso wie einen „Rentenfond**, und soweit ist
der Ausdruck zutreffend und brauchbar. Wenn persiflierend —
übrigens sehr geistreich — gesagt wurde, daß man dann auch von
einem „Kartoffelfond** sprechen könnte, so ist darauf zu entgegnen,
daß es in der Tat mitunter zweckmäßig sein könne, die Gesamtsumme
der Produkte: verkaufte Mengen mal Preis — den „Absatz** — fär
ein Gut zu betrachten und daß daher der „Kartoffelfond** und umso«
viel mehr die gleiche Größe für ein so wichtiges Gut wie die Arbeit
sehr wohl eine Aufgabe erfülle und einem wissepschaftlichen Be-
dfirfnisse genfige. Ja auch die Auffassang, daß eine größere Zahl
ron Arbeitern sich in dieselbe Summe werde teilen müssen, wie eine
l^ringere, ist von der Wirklichkeit nicht so entfernt, als man glauben
könnte: Sicherlich wächst diese Summe im statischen Zustande
nicht proportional zur Menge der angebotenen Arbeit Aber das ist
auch, alles. Die übrige Bedeutung des Lohnfonds im klassischen
S^rsteme fällt im modernen weg, und die Lohnfondstheorie der Alteren,
obgleich gewiß nicht an sich durchaus falsch und obgleich namentlich
unter den Voraussetzungen der Statik — ein Moment, das bei ihrer
Beurteilung viel zu wenig beachtet wurde, dessen Fruchtbarkeit sich
iber an dieser Stelle wieder einmal zeigt — in erheblichem Maße
lialtbar, gehört ihrem Wesen nach zu dem Rüstzeuge, das wir ab-
biegt haben. Sie kann nicht mehr als integrierender Bestandteil
unseres Systemes betrachtet, mithin auch nicht als Waffe gegen dae-
lelbe verwendet werden. Mögen wir uns ihrer auch gelegentlich
d
366 ^® Verteilungstheorie.
noch bedienen und namentlich den Ausdruck „Lohnfond'' mitunter
verwenden, so ist es doch wichtig, klar zu begreifen, daB sie nicht
zu unseren Grundlagen gehört und sich eben eventnell am einzelnen
Falle bewähren muß.
§ 4. Es erübrigt nur noch, unsere zweite Frage zu be-
antworten, die Frage : Wie weit reicht das Gebiet der Lohn-
erscheinung? Das kann ganz kurz geschehen. Nicht jede
Tätigkeit ist „Arbeit", nicht jede Arbeit eintet ökonomische
Entlohnung, nicht jede ökonomische Entlohnung ist „Lohn'',
d. h. jener Preis, den die Theorie ableitet. Gewiß sind
manche theoretische Sätze auf nahezu jede Tätigkeit an-
wendbar. Jeder Spaziergang läßt sich in der Sprache der
Ökonomie beschreiben: Man geht soweit, bis die Gleichung
Grenznutzen-Grenzkosten erfüllt ist, d. h. bis Ermüdung oder
der Wert einer anderen Verwendung von Kraft und Zeit
dem Vergnügen weiteren Gehens die Wage hält. Und das
läßt sicli von Betätigungen des Gemeinsinnes oder der Wohl-
tätigkeit usw, ebenfalls sagen. Nicht immer paßt diese Be-
trachtungsweise: Der Sportsmann arbeitet sein Pferd oft
länger, als es das unmittelbare Vergnügen rechtfertigt, der
Politiker strengt sich mehr an, als man vom Standpunkte
unmittelbarer Befriedigung erwarten sollte. Al^er soweit
eine statische Betrachtun jzsweise überhaupt
auf die Dinge paßt, soweit trifft auch jene Beschreibung
zu. In gewisser Beziehung nun kann man dergleichen in
die Lohntheorie einbeziehen , aber wo es sich um die eine
große Erscheinung des Arbeitslohnes handelt, wird man
Tätigkeit , die Selbstzweck ist oder außerwirtschaftliche
Zwecke verfolgt, besser ausscheiden. Nur eine solche wird
man betrachten, die Einkommen im gewöhnlichen Sinne
erntet. Auch hier nun reicht die Lohnerscheinung der
Theorie über das, was im gewöhnlichen Leben Lohn genannt
wird, hinaus, so im Falle des selhstarbeitenden Unternehmers,
also vor allem des Bauern, Handwerkers usw. Aber wie
weit? Man könnte versucht sein, zu antworten: soweit
ArkMtsleistungen in Betracht kommen. Allein, bei jedem
Erwerbe kommt irgendeine Arl)eit in Betracht. Der „Kapi-
Die Lohntheorie. 367
talist" hat nicht etwa nur Kupons abzuschneiden, sondern auch
seine Anlagen zu wählen, der Grundherr im ökonomischen
Sinne seine Pächter zu überwachen usw., ohne daß diese
„Arbeit" besonders entlohnt würde. Aber viel wichtiger ist
die Tätigkeit des Unternehmers und zwar jene, welche nicht
dem „Unternehmer! ohne" entspricht, sondern dem Unter-
nehmergewinne im engeren Sinne. Diese wird gewiß
„entlohnt", sogar oft sehr hoch, aber nicht durch einen
„Lohn", der dem des Arbeiters analog wäre. Hier also
wird eine Tätigkeit wohl ökonomisch vergolten, jedoch paßt
das Lohnschema nicht auf dieses Entgelt; vielmehr würde
seine Anwendung das Bild der Wirklichkeit verfälschen : Es
findet, wie wir später noch ausführen werden, kein Angebot
und keine Nachfrage solcher Leistungen auf dem Markte
statt, wie bei anderer Arbeit — sie werden nicht separat
ge- und verkauft. Endlich gibt es Einkommen, wie z. B.
Zivillisten, denen gewiß eine Tätigkeit entspricht, ohne daß
der ökonomische Begriff des Lohnes adäquat wäre. Andere
Betrachtungsweisen, z. B. mittels des Momentes der Steuer,
passen besser.
Danach ergibt sich die Antwort auf unsere Frage ganz
von selbst: Die Lohnerscheinung reicht soweit, als man
mit dem Schema Angebot und Nachfrage, Kauf und Verkauf,
einen guten, ungekünstelten Sinn verbinden kann. Damit
ist das Gebiet der Lohntheorie abgesteckt; Versuche, darüber
hinauszugehen, empfehlen sich nicht
[IL Kapitel
Die TlK6fic 4er Gnmdrciitc«
f L Ebenso eiBfaidi wie beim Lohne «rget)eii eioh Se
GmndUgem der ßenftentheorie «ns unserem Systeme. KaMi
ist es ndtig, dieselben des Näheren darsnlegen. In misereii
Systeme hat jedes Grundstück seinen eindeutig bestinmtett
Wert «nd Preis, der sich in ganz derselben Weise erklärt
und ganz denselben formalen Gesetzen unterliegt wie Wert
und Preis jedes anderen Gutes.
Er steht in demselben Verhältnisse von Wirkung rad
Wechselwirkung zu allen anderen Preisen in der Volks-
wirtschaft und Oberhaupt zu allen Bedingungen derselbeB,
¥rie Zahl, Arbeitskraft und Bedürfnisrichtung der Bevölkemng,
Organisation des sozialen Verbandes, Stand der Technft,
Gröfie und Art des vorhandenen Gütervorrates usw.: AUei
das drückt sich im Werte und Preise jedes Grundstftekai
aus. In allen diesen Punkten unterscheidet sich Grund und
Boden nicht im geringsten von anderen Elementen unser»
Systenies und für die Grundlagen der exakten Ökonomie
brauchen wir uns um seine besonderen Eigenschaften ob
Prinzipe ebensowenig zu kümmern wie um die technisdieB
Besonderheiten etwa einer Maschine. Ebenso wie wir fii
Preisbildung des Zuckers in der Theorie nicht von der dei
Weizens, werden wir auch die Preisbildung des Grundes uid
Bodens nicht von der der Arbeit unterscheiden. Wir sprechet
ja überhaupt in der Theorie nur von Gütern im allgemeinei
und wo wir besondere Güterarten nennen, geschieht das
Die Theorie der Grandrente. 369
nur zum Zwecke der Belebung der Darstellung und hat mit
dem Wesen unseres Vorgehens nichts zu tun. Unser Schema
ist abstrakt und allgemeingtiltig auch in diesem Sinne, und
nur zum Zwecke der Behandlung spezieller »Fragen ftihren
wir mitunter Umstände ein, welche nur der einen oder
der anderen Ware eigentümlich sind. Diese Regel gilt
auch hier.
Unvoreingenommener Beurteilung muß, glaube ich, diese
Auffassung ungezwungen, ja selbstverständlich erscheinen.
Was ist natürlicher als zu sagen, daß für Grund und Boden
ein Preis gezahlt wird, weil er nützlich ist, weil man ihn
braucht? Und doch hat man die Rentenerscheinung fast
stets anders erklärt, und auch heute noch muß man die
Rententheorie Ricardos als herrschend bezeichnen. In der
Tat, es klingt geradezu paradox, zu sagen, daß Grundrente
im Wesen dasselbe sei wie Arbeitslohn. Viel eher könnte
man offenbar von einem Gegensatze sprechen. Der Grund-
herr und der Arbeiter, das sind, wie gesagt, so verschiedene
soziale Typen, daß man unwillkürlich nach Verschieden-
heiten in der wirtschaftlichen Grundlage ihrer Existenz
sucht. Ihre Interessen sind öfter entgegengesetzte als über-
einstimmende, mag dieser Gegensatz auch oft und vielleicht
meist übertrieben worden sein. Man könnte uns beschuldigen,
das Bild der Wirklichkeit zu trüben, wenn wir all das un-
berücksichtigt lassen wollen. Allein bei näherem Zusehen
verschwindet das Paradoxe an der Sache. Vergegenwärtige
man sich das, was wir über die Natur unseres exakten
Systemes bereits gesagt haben. Es liegt uns natürlich ferne,
jene Gegensätze leugnen zu wollen. Der Umstand, daß wir
eine und dieselbe Erklärung für das Einkommen des Grund-
herren wie für das des Arbeiters heranziehen, bedeutet nicht,
daß beide vom sozialpolitischen oder von irgendeinem anderen
■ ff
Standpunkte, als dem der theoretischen Ökonomie, gleich
zu beurteilen seien, sondern nur, daß eine kleine Gruppe
von formalen Gesetzen sowohl für das eine als für das
andere gilt.
Der Arbeiter wird ja auch nicht zum Kapitalisten^
Sohninpeter, Nationalökonomie. ^"L^
870 ^'^ Verteiluugatheorie.
wenn jemand die Arbeit als Kapitalgut bezeichoet, und nor
bei mangelDdem Verstflndnisse oder Übelwollen kann man
in einer solchen methodologiBchen Maßregel etwas Anstößiges
erblicken. Doch glaube ich über die nach dieser Ricbtting
hin liegenden Bedenken bereits genug gesagt zu haben and
mOchte daher nicht näher auf diese Dinge eingehen. Es sei
genug, zu wiederholen, daß sozialpolitische und soziologische
Erwägungen keine Rolle spielen können, wo es sich um die
Zwecke der reinen Preistheorie handelt. Sie wären nur
hinderlich, und eine Rücksichtnahme darauf ist unvereiobar
mit gesunder Arbeitsteilung.
Doch auch rein theoretisch betrachtet, begegnet unsere
Auffassung einigen Schwierigkeiten. Ee ist ja bekanntlich
fiblicb, eine ganze Reihe von Merkmalen anzufahren, die
Grund und Boden vor anderen GOtem auszeichnen. Be-
sonders in der englischen Literatur nimmt diese Diskussioo
einen ziemlich breiten Raum ein. Wir hatten schon Ge-
legenheit, auszufuhren, daß wir diesem Thema kein be-
sonderes Interesse abzugewinnen vermögen. Wir sagten,
daß aprioristische Erörterungen Über solche Dinge zu nichts
fuhren, daß vielmehr der jeweilige Zweck, den man im
Auge hat, allein entscheidet. Ein Beispiel ist die Unvermehr-
barkeit des Bodens: Es wurde von uns einerseits ausgefOhrt,
daß kein Gut absolut veniiehrbiir, vielmehr in jedem ge-
gebenen Augenblicke jedes eigentlich unvermehrbar ist Und
andererseits ist die Quantität des Bodens nicht ganz äi
gegeben. Abgesehen davon, daß der wirtschaftlich ver-
wertete Boden durch Xeukulturen immer noch vermehrt und
durch Aufgabe der Kultivierung vermindert werden kanD.
so verändert sich die einer bestimmten Verwendung ge-
widmete Bodenmenge dadurch, daß man bisher andern
Zwecken dienenden Boden ihr zufuhren oder umgekehrt, die
ihr zur Verfügung stehende Menge solchen andern Zwecken
zuweisen kann. Und so steht es auch mit den andern
unterschieden, welche Üblicherweise betont zu werden pflegn-
Das widerspricht nicht der Behauptung, daß für gewisse
Zwecke solche Umstände mit Nutzen in Betracht
Die Theorie der Grundrente. 371
werden können. So kann man bei der Erörterung der
Frage, wie eine Änderung im Preise eines Produktes auf
die Preise der beteiligten Produktionsfaktoren wirke, sicher-
lich auf den Umstand Rücksicht nehmen, daß im allgemeinen
das Angebot von Grund und Boden weniger elastisch ist,
als das von Kapital und Arbeit Aber das spielt keine
Rolle bei den Grundfragen und es empfiehlt sich, dieselben
zunächst so einfach und einheitlich als möglich darzulegen.
Dadurch erreicht man, daß sich die einzelnen Theoreme und
ihre verschiedenen Voraussetzungen plastisch von einander
abheben.
Im Zusammenhange mit dem eben erwähnten Momente
steht die Auffassung von der Monopolähnlichkeit des Ein-
kommens aus Grund und Boden. Die behauptete Unvermehr-
barkeit schließt aber Konkurrenz unter den Grundeigen-
tfimem keineswegs aus, und es wurde mit Recht hervor-
gehoben, daß von einem Monopole nur dort die Rede sein
könne, wo ein Wirtschaftssubjekt das Angebot eines Gutes
vollständig beherrscht. Das ist aber hier offenbar nicht der
Fall. Man könnte mit demselben Rechte auch von einem
Kapitalmonopol der Kapitalisten und einem Arbeitsmonopol
der Arbeiter sprechen. Für manche Zwecke mag eine solche
Betrachtungsweise ihre Vorteile haben und gewisse Theoreme
lassen sich vermittels derselben demonstrieren. Aber eine
allgemeine Wahrheit liegt darin nicht, vielmehr kann man
sie eher als eine Fiktion, die sich mitunter bewährt, be-
zeichnen. Im allgemeinen ist es besser, den Bodenpreis mit
Hilfe der Hypothese der freien Konkurrenz abzuleiten.
Es könnte scheinen, daß wir auch in diesem Falle nicht
von einem einheitlichen Preise des Bodens sprechen können.
Denn jedes Grundstück hat seine besonderen Eigenschaften
und unterscheidet sich gewiß von jedem anderen, es ist so-
zusagen immer einzig in seiner Art. Lage und Boden-
beschaffenheit sind im Großen und Ganzen fest gegeben,
und so könnte man wenigstens häufig in einem anderen als
dem eben erwähnten Sinne sagen, daß jeder Grundeigentümer
in Bezug auf sein Grundstück eine Art Monopolisten-
A
372 ^10 Verteilungstheorie.
Stellung habe. Während also die meisten Theoretiker keinen
Anstand nehmen, von einem einheitlichen Lohnsatze and
einer einheitlichen Zinsrate zu sprechen, so ist es durchaus
nicht üblich und klingt es ganz fremdartig, eine einheit-
liche Rate der Rente, einen einheitlichen Grundrentensatz
anzunehmen. Man ist vielmehr gewohnt, in der Grundrente
ein sogenanntes „Differenzialeinkommen*" zu sehen, also
gerade einen Gegensatz zu den durch die freie Konkurrenz
bestimmten einheitlichen Raten von Lohn und Zins. Und
dennoch deutet unsere Ableitung der Grundrente als eines
Preises auf etwas derartiges hin. Können wir daher die
letztere Betrachtungsweise anwenden, so ist damit viel für
die Einheitlichkeit unseres Systemes gewonnen und es mOssen
sich von diesem Standpunkte interessante Ergebnisse ft^r die
Bewegungsgesetze der Grundrente ergeben.
Glücklicherweise ist das ohne weiteres möglich mit
Hilfe eines einfachen Kunstgriffes. Statt von Grund und
Boden an sich, müssen wir einfach von Bodenleistungen
sprechen. Darin liegt durchaus nichts Gezwungenes oder
Anstößiges. Auch bei der Arbeit betrachten wir nicht die
Arbeitskraft, sondern die Arbeitsleistung, nicht den
Wert der ersteren als solcher, sondern den Wert irgend
einer Einlieit der letzteren. Auch der Ausdruck „Kapital-
nutzungen'' ist durchaus üblich. Und die Einheitlichkeit
des Lohnsatzes und des Kapitalzinses wird nicht von der
gesamten Arbeitskraft und von Kapitalgütern als solchen,
sondern nur von Einheiten von Arbeitsleistungen und Kapitals-
nutzungen gleicher Art behauptet. Die Sache verhält sich
also bei Grund und Boden nicht im Geringsten anders als
bei andern Produktionsfaktoren: weder bei Boden noch bei
Arbeit und Kapital gibt es ^inen Einheitspreis, wenn man
die Güter als solche im Auge hat, wohl aber gibt es einen
solchen, und zwar nicht weniger für den ersteren wie für
die letzteren, wenn man sich an die Einheit der Leistung hält
Jedes Grundstück also enthält eine bestimmte Art und
Anzahl von möglichen Leistungen ganz ebenso, wie ein
Arbeiter entsprechend seiner Anlage und Ausbildung eine
Die Theorie der Grandrente. 378
gewisse Art und Anzahl von Arbeitsleistungen auf den Markt
zu bringen vermag. Für diese Bodenleistungen besteht dann
ein einheitlicher Preis, ganz so wie für jedes andere Gut,
und die Preistheorie, namentlich auch die Hypothese der
freien Konkurrenz, paßt darauf ganz so und mit denselben
Einschrllnkungen wie auf jeden anderen Preis. Das der
eine Grundeigentümer ein größeres Einkommen hat als ein
anderer, bildet von diesem Stundpunkte überhaupt kein
Problem mehr. Es ist nicht mehr verwunderlich, als daß
der Besitzer einer wirksameren Maschine oder höherer
Arbeitskraft ein größeres Einkommen erzielt als der einer
weniger brauchbaren Maschine oder geringeren Arbeitskraft:
Er besitzt eben mehr oder wertvollere Bodenleistungen, ein
wertvolleres Gut, als der andere und ist in genau derselben
Lage wie ein Grundbesitzer, der zwar ein größeres, aber
weniger fruchtbares Grundstück besitzt. Daß jemand, der
ein fruchtbareres Feld hat, mehr Rente bezieht, als der Be-
sitzer eines weniger fruchtbaren, ist nicht befremdender, als
daß der Besitzer eines größeren bei gleicher Fruchtbarkeit
mehr Rente erhält als der eines kleineren. Eines besonderen
Prinzipes zur Erklärung dieser Dinge bedürfen wir nicht,
vielmehr ist die Sache ganz klar, so daß nichts zu fragen
übrig bleibt. Unser System gibt uns also ganz von selbst
eine vollkommen befriedigende Rententheorie.
Es stünde uns dabei ganz frei, ob wir uns darauf be-
schränken wollen, nur eine bestimmte Art von Boden-
leistungen anzunehmen, so daß sich ein einheitlicher Renten-
satz ergäbe, oder verschiedene Arten derselben und für jede
je<le von ihnen einen besonderen Rentensatz zu konstruieren.
Das letztere mag besser auf die Wirklichkeit passen , aber
im Prinzipe hindert uns nichts, als einzigen Unterschied
zwischen Grundstücken die verschiedene Zahl der in ihnen
enthaltenen Leistungseinheiten zu betrachten. Auch beim
Vergleiche von Böden, welche nicht zu denselben Produk-
tionen dienen können, gienge das ganz gut. Denn wenn es
auch scheint, daß man die Einheiten verschiedener Arten
von Leistungen nicht miteinander vergleichen könne — wenn
374 ^^ Verteilnngstheorie.
es auch scheint, daß man in unserem Schema zwar z. B. yer-
schieden ergiebige Arten von Weizenboden, aber nicht Weizen-
boden und Weidegrund vergleichen könne — so sieht man
doch leicht, daß wir die Leistungseinheit so einrichten
können, daß sie auf jede Art von Boden pafit Unter
anderem wäre auch eine Werteinheit dazu geeignet. W&hrend
bei den verschiedenen Arten von Arbeit die Wertrechnung
mit Rücksicht auf die erwähnten Umstände nicht ganz be-
friedigende Dienste tut, wfirde sich beim Boden das Gegen-
teil ergeben: Seine Verwendung wird, wenn nicht aus-
schließlich, so doch im Prinzipe von wirtschaftlichen Rück-
sichten bestimmt. Von der Werteinheit des Bodens für
jedes Wirtschaftssubjekt kann man also sagen, dafi sie einen
einheitlichen Preis erzielt. Diese Rechnung nach Wert-
einheiten läßt sich auch auf Böden verschiedener Lage an-
wenden und ferner sowohl auf landwirtschaftlich wie auf
zu Gebäuden verwendete. Wollte man allerdings, z. B.
auf Grund der chemischen Bestandteile eine Leistungseinheit
des Bodens konstruieren, so müßte für städtischen Boden
eine andere angenommen und auch die Lage als selbständiges
Moment berücksichtigt werden. Es würde zu weit führen,
das näher dazulegen, aber ich glaube, daß jeder Kenner der
Theorie sieht, daß hier keine prinzipielle Schwierigkeit liegt.
§ 2. Wir haben vor allem den Wert von Bodenleistungen
abgeleitet, und das ist in der Tat dasjenige, was für die
statische Theorie vor allem — und eigentlich allein — in
Betracht kommt. Große Besitzveränderungen können ja in
dem statischen Zustande der Volkswirtschaft nicht vorkommen
und alles, was an ihnen wirklieh interessant ist, gravitiert
nach dem großen Probleme der Entwicklung. Da außerdem
für das Verteilungsproblem der Preis der Bodenleistungen
und nicht der des Bodens selbst wichtig ist, so könnten wir
vom Werte und Preise des letzteren ganz gut absehen. Wir
würden dann nicht anders verfahren, als es die Wirklichkeit
oft tut: Für die größte Epoche der deutschen Wirtschafts-
geschichte z. B. kam der Preis des Bodens nicht in Be-
Die Theorie der Grundrente. 375
tracht, und es gab kaum einen Anlaß, sich seines Wertes
bewußt zu werden. Die wirtschaftliche Entwicklung und
außerökonomische Momente beeinflussen den Wert des Bodens
an sich viel mehr, als den der einzelnen Bodenleistung
und bewirken, daß der erstere eine weitgehende Unabhängig-
keit gegenüber dem letzteren zeigt.
Nicht mit großer Sicherheit und namentlich nicht mit
viel Selbstbewußtsein gebe ich also die Antwort der Theorie
auf die Frage nach dem Boden werte. Sie selbst ist freilich
einfach genug: Der Wert eines Grundstückes fOr jemand
ist gleich der Summe der Werte jener Bodenleistungen für
ihn, welche er seiner Anlage und seinen Verhältnissen ent-
sprechend in den Kreis seiner Betrachtungen zieht. Dabei
ist außerdem zu berücksichtigen, daß die Werte der letzteren
um so geringer sind, je weiter in der Zukunft unter sonst
gleichen Umständen ihre Realisieruugsmöglichkeit liegt.
Ohne Bedeutung ist diese Antwort sicherlich nicht; vielmehr
glauben wir, in ihr einen wesentlichen Fortschritt der
neueren Ökonomie sehen zu müssen. Allein so einfach, wie
manche Theoretiker sie darstellen, ist die Sache nicht;
namentlich involviert unsere Formel eine kühnere Abstrak-
tion — steht sie weiter von der Wirklichkeit — , als man
meinen sollte. Die Länge der Zeitperiode, auf die sie sich
bezieht, bringt es mit sich, daß sie lange nicht so gut auf
die Tatsachen paßt, wie die Theorie des Preises der Boden-
leistungen. Auch die Geringschätzung künftiger Nutzungen,
welche eine Beziehung zum Zinsprobleme hat, ist ein
Problem, dessen Schwierigkeit wie dessen dynamischen
Charakter wir sehen werden, wenn wir zum Zinse kommen.
Übrigens ist sie nicht einfach durch die Zinsrate zu messen,
wenn auch zwischen ihr und der letzteren eine interessante
Wechselwirkung besteht. Im ganzen kann man sagen, daß
man hier noch viel mehr — und anderes — Tatsachen-
material wird heranziehen müssen, ehe die Sache befriedigend
erfaßt ist, und der Leser sieht an dieser Stelle, wie mit-
unter und selbst oft, wenn auch freilich nicht immer ^
eine korrekte Handhabung der Theorie uns ganz erstaunlich
376 ^^® VerteiluDgstbeorie.
Dahe an die GedaDkenk reise der Historiker heranbriogt
Und das wfirde sich noch deutlicher zeigen, wenn wir etwas
ausführlicher sein könnten.
Aus diesen beiden Resultaten bezüglich der Werte und
Preise erstens von Bodenleistungen und zweitens von Grand
und Boden selbst besteht denn unsere Renten theorie. Nun
haben wir dieselben zu verifizieren. Diese Aufgabe bezüglich
des zweiten ist keineswegs leicht, man sieht sogar ohne
weiteres, daß das Ergebnis kompliziert und nur zum Teile
befriedigend sein würde. Allein wir wollen uns damit nicbt
weiter beschäftigen, da das Thema ja eigentlich nicht in die
Statik gehört. Um so leichter ist die Verifikation unserer
Theorie des Wertes und Preises der Bodenleistungen.
Erklärt sie diesen Wert und Preis? Ja, ausreichend,
im großen und ganzen. Zwar gibt es Schwierigkeiten genug.
Es ist klar, daß die Verwendung des Bodens nicht aus-
schließlich nach reinwirtschaftlichen und noch weniger nach
statischen Regeln erfolgt, daß also die Wert Skala keineswegs
die Preisskala derselben erschöpfend wiedergibt. Niclit
jeder gibt sein Zinshaus zu einem Restaurant oder zu
sonstigen geschäftlichen Zwecken her, auch wenn das vor-
teilhaft wäre ; nicht jeder verwendet sein Gut zu wirtschaft-
lichen Zwecken im engeren Sinne. Viele Leute bewohnen
ihr Faniilienhaus auch in einem Zentrum der geschäftlichen
Tätigkeit, obgleich der Grund, auf dem es steht, vorteilhafter
für ein vielstöckiges Zinshaus verwendet würde. Andere
legen einen Wildpark dort an, wo der Grundwert mit Rück-
sicht auf intensive Gartenwirtschaft fixiert ist. Und solcher
Fälle gibt es viele. Wirklich trüben sie das Bild, das unsere
Theorie entwirft, lähmen sie unser Gesetz vom einheitlichen
^Rentensätze". Aber doch nur zum Teile; die große Masse
der Bodenloistungen fügt sich unserem Schema ein. Man darf
auch jene Ausnahmen nicht überschätzen: Stets wird man
das Verschwinden von Faniilienhäusern in zentralen Stadt-
teilen in weitem Maße beobachten — wenn auch dafür neben
den wirtschaftlichen noch andere Momente wirksam sind —
( und Wildparke finden wir meist doch nur dort, wo eine
\
Die Theorie der Grundrente. 377
andere Verwendungsart des Bodens sich nicht oder nur
unerheblich rentiert. Fälle anderer Art sind eben Aus-
nahmen. Immerhin mu6 zugegeben werden, daß sie eine
größere Rolle spielen als bei anderen Gütern; daß sie unsere
Theorie aber wertlos machen, wird kaum jemand behaupten.
Auch wirtschaftliche Momente gibt es, welche das
Schema unserer Theorie nicht erfaßt Oft kommt es vor,
daß aus volkswirtschaftspolitischen Gründen verschiedener
Art an gewissen Kulturen festgehalten wird, obgleich an-
dere sich zunächst und reinwirtschaftlich mehr
empfehlen würden und durchaus innerhalb des Gesichts-
kreises der betreffenden Wirte liegen. Man mag einer
nationalen Industrie zu Liebe oder aus anderen nationalen
Gründen den Anbau irgendeiner Frucht fördern, welche
nicht jenen Ertrag in Geld gibt, der sonst erreichbar wäre
usw. Alle diese Dinge stören unsere Wert- und Preis-
rechnung und sind von ihr aus unerfaßbar. Auch sind sie
häufig und von besonderem Interesse. Aber doch wird
man zugeben, daß unsere Theorie die meisten Tatsachen
deckt, ferner auch eine ganze Menge starker Tendenzen
erklärt und sozusagen einen Standard gibt, mit dem jeder
tatsächliche Zustand verglichen wird, dessen Geltung man
als das Normale ansieht und dessen Versagen eine Er-
scheinung bildet, die unser Staunen erregt und sofort nach
spezieller Erklärung verlangt.
Aber ist dieser Preis der Bodenleistungen die Grund-
rente, stellt er das Einkommen des Grundeigentümers in
seiner Eigenschaft als solchen dar? Auch diese Frage ist
ähnlich zu beantworten. Auch hier gibt es Schwierigkeiten,
welche unser Bild desavouieren, ihm einen Teil seines Wertes
nehmen, aber im großen und ganzen auch eben nicht mehr
tun, es nicht völlig bedeutungslos machen. Vor allem ist
es schwierig, dieses Einkommen zu isolieren. Nicht nur,
weil es sehr selten allein auftritt, sondern auch weil es von
jenen Elementen, mit denen verbunden es sich zeigt, be-
einflußt wird. Man kann z. B. den Pachtzins nicht einfach
als Grundrente auffassen; noch andere Elemente sind in
378 ^® Verteilangstheorie.
ihm enthalten, Mietzins für fundus instructus usw. Dann
aber wird das Einkommen , ' das ein Grundstock liefert,
wesentlich davon abhängen, was man damit tatsllchlich
anfängt, und so wird eine spezielle Wechselwirkung z. B.
zwischen Grundrente und Kapitalzins bestehen, die von der
allgemeinen Wechselwirkung, die unser System wiederspi^lt,
zu unterscheiden ist. In solchen Fällen kann es Yorkommeo,
daß die Grundrente nur mittelst eines mehr oder weniger
gekünstelten Vorganges aus dem Gesamteinkommen, das
jemand aus einer wirtschaftlichen Unternehmung bezieht,
losgelöst werden kann. Dabei kann es geschehen, daß Ober-
haupt nichts übrig bleibt, was als Grundrente bezeichnet
werden könnte — in der Wirtschaft des Bauern kommt das
oft vor — , während ein Verkauf der Leistungen des be-
treffenden Grundstückes dennoch zu einem Einkommen
führen würde. In solchen Fällen führt unsere Grundrente
ein lediglich ideelles Dasein. Endlich muß man sorgfältig
darauf bedacht sein, keinen Teil derselben zu übersehen:
Sie kann oft mehreren verschiedenen Personen zufallen,
nicht bloß dem Landeigentümer allein. Ein solcher Fall
ist der der Erbpacht, namentlich wenn nur ein Rekognitions-
zins gezahlt wird; da fällt ein Teil der Grundrente, viel-
leicht der größte Teil, nicht dem Grundherren, sondern dem
Pächter, dem „Arbeiter" oder „Kapitalisten**, zu, und es
wäre ersichtlich verfehlt, hier im Pachtzinse die Grundrente
suchen zu wollen ^
So ernst alle die Bedenken sind, die sich aus diesen
und anderen ähnlichen Momenten gegen unsere Betrachtungs-
weise ergeben, so klar wird doch jedem, der für Theorie
überhaupt Geschmack und Verständnis hat, gerade bei der
Aufzählung derselben, daß unser abstraktes Bild den Unter-
ton für alle diese Erscheinungen abgibt, daß dieselben ge-
rade deshalb als Probleme erscheinen, weil sie von der
' Wichtijr ist bei Beurteilung solcher Fälle zwischen wirtschntlt-
licher Be)icrrschung und juristischem Eigentume zu scheiden: Die««
Unterscheidung räumt manche Schwierigkeit hinweg.
Die Theorie der Grondreiite. 379
durch dieses Bild skizzierten Regel abweichen, und daß
das Prinzip und die Mehrzahl der Erscheinungen des Ein-
kommens aus Grund und Boden durch dasselbe zutreffend
erfaßt werden.
§ 3. Aus unserem Systeme ergibt sich also eine ein-
fache, klare und — trotz allem — im Wesen zutreffende
Theorie der Grundrente, geeignet die der älteren National-
ökonomie zu ersetzen und einen großen Vorzug des ersteren
bildend. Aus zwei Gründen stellt diese Theorie einen großen
Fortschritt gegenüber der der Klassiker dar, erstens deshalb,
weil sie keines neuen Prinzipes bedarf, mithin die Erklärung,
dieZurückführungvon „Unbekanntem" auf „Be-
kanntes'', die sie bietet, vollständiger ist als die der
letzteren und zweitens weil das Bild, daß sie konstruiert,
auch an sich befriedigender ist als das klassische: Sie ist
also ein Fortschritt an sich und ermöglicht eine Kor-
rektur der klassischen Betrachtungsweise.
In der Tat, wir bedürfen des Gesetzes vom abnehmen-
den Ertrage — das ist bekanntlich jenes „neue Prinzip" —
nicht mehr. Nicht länger bildet es einen Bestandteil unseres
wissenschaftlichen Arsenales. Für uns ist es, wie gesagt,
überall wo es vorkommt — auch außerhalb der Grundrenten-
theorie — , lediglich eine technische Tatsache, die
natürlich in praxi sehr wichtig, für die reine Theorie der
Ökonomie aber nicht weiter interessant ist. Die Klassiker
dagegen brauchten dieses Gesetz. Wie schon ausgeführt,
bedurften sie eines speziellen Momentes, um die Grundrente
zu erklären; die Eigentümlichkeiten ihrer Preistheorie er-
forderten es. Unsere Preistheorie, vollkommener als jene,
braucht diese Krücke nicht. Und darin liegt der springende
Punkt zur Beurteilung der Grundrententheorie Ricardos und
unserer Stellung zu derselben. Nur aus den Bedürfnissen
des klassischen Systemes ist sie zu verstehen; daraus aber
folgt auch, daß wir sie nicht beliebig festhalten können,
wie das viele Nationalökonomen tun, obgleich sie sonst auf
dem Boden der Grenznutzentheorie stehen. Es ist meines
380 ^® Verteilungstheorie.
Erachtens der wichtigste Einwand gegen die „amerikanische
Schule'', daß sie das Gesetz vom abnehmenden Ertrage
neben das vom abnehmenden Grenznutzen stellte , ohne za
erkennen, daß beide außer dem formalen Momente der
stetigen Abnahme nicht das geringste miteinander zu tun
haben und das erstere durch das letztere überflQssig ge-
macht wird. Aber auch über andere in dieser Richtung
liegende Bestrebungen werden wir ebenso urteilen mQssen.
Besonders in England hat man auf den Grundlagen der
Klassiker weitergebaut und ausgiebigen Gebrauch von dem
Prinzipe des abnehmenden Ertrages gemacht. Man hat das-
selbe verallßemeinert in verschiedener Weise, namentlich
auch auf Arbeit und Werkzeugvorrat angewendet, und ist
zu analogen Residual- oder Differenzialtheorien des Lohnes
und Kapitalzinses, sowie des Unternehmergewinnes — über
letzteren Punkt noch später — gekommen. An einem
ganzen Systeme der Ökonomie , das auf jenem Prinzipe be-
ruht, gleiten wir hier vorbei; vielleicht ist es treffender zu
sagen, daß dieses System zum Teile wenigstens auf einer
Konfondierung dieses Prinzipes und das des Grenz-
nutzens beruht. Neue Begriffe wurden gebildet, so der der
„producer's rent", welcher die Verallgemeinerung der Grund-
rententheorie auf jede Produktion verkörpert, und jener der
„consumer's rent", welcher eine psychologische Kon-
struktion per analogiam des physischen Überschusses des
Produktionsertrages ü!)er die Gesamtkosten darstellt. Wir
können darauf hier nicht eingehen \ aber wir werden allen
diesen Bestrebungen nur wenig Zukunft prophezeien können:
sie sind zu formal, haften zu sehr an oberflächlichen Mo-
menten und führen zu nichts. Gerade der Umstand, daß
eine so uferlose Verallgemeinerung des Rentenbegriffes in
diesem Sinne ohne weiteres möglich ist, sollte bedenklich
niacben: Gerade das zeigt ja, wie wenig Inhalt er hat.
Der wichtigste materielle Einwand gegen die klas-
I Nftheros findet der Leser in meinen Aufsätzen: „Das Renten-
prinzi|) in der Verteilungslehre.'^ Schmollers Jahrbach 1907.
Die Theorie der Grundrente. 381
sische Grundrententheorie — und alle ihre „Ableger" — ist
der, daß sie einen gegebenen Preis des Bodenproduktes vor-
aussetzt. Das mag einigermaßen überraschend klingen, ist
aber tatsächlich nicht anders. Sie erklärt das Einkommen
des Grundeigentümers als ein Plus über die Gesamtkosten
der Produktion eben jenes Produktes, das das betreffende
Grundstück tatsächlich erzeugt. Aber warum wird gerade
soviel von ihm erzeugt und nicht weniger oder mehr?
Warum wird gerade an dieser „Grenze" halt gemacht
und an keiner anderen? Nun, darüber entscheidet der Preis
des Produktes — er muß also gegeben sein. Aber weiter.
Dieser Preis kann nur dann als der alleinige Faktor für die
Festsetzung jener Grenze betrachtet werden, wenn die Preise
der Produktionsmittel fest gegeben sind; im Sinne der
Klassiker sind das die Preise des Kapitales — der Werk-
zeuge — und der Arbeit. Allein das ist noch nicht genug.
Warum wird denn überhaupt gerade dieses landwirtschaft-
liche Produkt auf unserem Grundstücke erzeugt und nicht
ein anderes? Darüber sagen die Klassiker nichts. Sie
müssen also auch die Kulturart als gegeben annehmen.
Will man das aber nicht, so kann man nur auf das Moment
der Nachfrage, des Wertes rekurrieren. Dieses Moment ent-
scheidet über die Wahl zwischen den verschiedenen Produk-
tionsmöglichkeiten, dadurch indirekt über den Geldertrag —
und damit über den Wert der Bodenleistungen. Ist die
Kulturart fest gegeben, so muß es also auch der Wert und
Preis der Bodenleistungen sein. Dann aber kommen wir zu
dem etwas paradoxen Resultate, daß die klassische Grund-
rententheorie den Wert und Preis der Bodenleistungen, also
das, was sie erklären soll, bereits voraussetzt. Und wirk-
lich verhält es sich so. Die Grundrententheorie der Klas-
siker ist also nicht nur überwunden, sie ist überhaupt keine
Theorie der Grundrente. Es gelingt ihr nur scheinbar,
den Preis der Bodenleistungen, dessen Dasein die klassische
Preistheorie desavouiert, wegzuerklären , wie wir das aus-
führten, tatsächlich muß sie ihn als gegeben annehmen.
Was übrig bleibt, ist eine Selbstverständlichkeit. Gewiß i^*^
382 1^0 Verteilongstheorie.
diese Theorie unter allen ihren Voraussetzungen „richtig^;
aber diese letzteren nehmen ihr jeden Erkenntnis wert
Aus diesen beiden Gruppen von Gründen also wenden
wir uns von ihr ab. Nach einer anderen Richtung hin
bleibt ihr eine gewisse Bedeutung für die Erklärung mancher
Störungsmomente, auf die wir schon hinwiesen. Gewi6
funktioniert der „Markt der Bodenleistungen"* nicht so glatt
wie der anderer Waren; und die Betrachtungsweise, daß
der Landeigentümer in gewissem Sinne nehmen mufi, was
er eben erhält, weil er sein Angebot nur schwer alterieren
kann, ist nicht ohne Berechtigung. Aber diese Bedeutung
ist gering. Femer findet sich das im Prinzipe auch bei
anderen Gütern, wofQr der zweckmäßige Ausdruck „quasi-
rent'' geprägt wurde. Allein das Wesen der Sache liegt
nicht in diesen Momenten, und wir können mit Beruhigung
sagen — und dabei das Bewußtsein haben, nur gesunder
wissenschaftlicher Entwicklung zu dienen, und von jeder
Zerstörungssucht oder Pietätlosigkeit frei zu sein — , daß
die Rolle der klassischen Grundrententheorie ausgespielt ist
und ihr die Zukunft nicht gehört.
Das sieht man deutlich in der Literatur. Man kann
behaupten, daß die Entwicklung der Grundrententheorie
eine wirklich sehr „gesunde'' ist. Ganz von selbst gewinnt
der von uns vertretene Gedanke in systematischen Dar-
stellungen an Boden, auch wenn ihre Verfasser durchaus
nicht die bewußte Absicht haben, die Klassiker in diesem
Punkte zu bekämpfen. Ein Theoretiker nach dem anderen
erklärt, daß die Existenz „rentenlosen" Landes, ja selbst
das Gesetz vom abnehmenden Ertrage für das Bestehen einer
Grundrente nicht wesentlich sei, daß der Preis des Bodens
ebenso oder ebensowenig „in den Preis seiner Produkte ein-
trete", als der von Arbeit und Werkzeugen usw. Stück für
Stück der klassischen Theorie wird aufgegeben, langsam und
ohne Lärm verändern sich die Grundlage und das ganze
Aussehen der Theorie durch die unentrinnbare Macht der
fortschreitenden Erkenntnis. Freilich gilt das nur für bessere
Darstellungen; solcher, die diesen Fortschritt nicht mit-
Die Theorie der Grundrente. 3g3
machen, gibt es immer noch genug. Das schönste Baispiel
eines Durchringens zu der neuen Theorie der Grundrente
bei loyalstem Bestreben, die Klassiker zu schonen, zeigt uns
das WerJ{ Prof. Marshalls. Zunächst formuliert er die klas-
sische Theorie und betont er ihre Richtigkeit. Aber diese
Formulierung drückt sie zu einer Selbstverständlichkeit
herab, namentlich zeigt sie klar, dafi nur das Plus über die
Grenzkosten der betreffenden Kulturart — immer
unter den Voraussetzungen der Klassiker — nicht in den
Preis des Produktes eintritt, wohl aber das Plus gegenüber
anderen Kulturarten. Was heißt das aber anderes, als
daß jener Wert und Preis des betrachteten Grundstückes,
der ihm in anderen Verwendungen zukäme, sehr wohl ein
Kostenelement und einen Bestandteil des Grenzpreises auch
der tatsächlich eingeschlagenen Verwendung bildet? Daß
dieser Wert und Preis gegeben sein muß, wenn das
Baisonnement der Klassiker anwendbar sein soll? Und führt
das nicht zu unserer Auffassung, ist das nicht einfach
unsere Theorie? So verändert sich Marshalls Auffassung
sozusagen unter seinen Händen, ohne daß den Klassikern
prinzipiell Unrecht gegeben wird, — nur widerstrebend, aber
um so bedeutsamer. Und wir können nicht umhin, das zu
bewundern : So — mit dieser Klarheit und Tiefe einerseits
und mit dieser Schonung des Bestehenden andererseits —
sollte jede Neuerung vor sich gehen. Aber das Resultat ist
in diesem Falle dasselbe: Alles Festhalten klassischen
Büstzeuges, alles Ausbauen und Verteidigen klassischer
Gedanken kann nur dem oberflächlichen Beobachter die
Neuheit der leitenden Gedanken bei Marshall verdecken.
Man kann demnach als eines der sichersten Ergebnisse
der Zurechnungstheorie die Konstruktion einer neuen Grund-
rententheorie bezeichnen. Es wäre wirklich verfehlt, die
klassische heute noch festhalten zu wollen — und bald wird
es niemand mehr tun.
IV. Kapitel.
Über den dritten statischen Einkommenszweig.
§ 1. Mau kanu es als allgemeine Ansicht bezeichnen,
dafi es drei statische Einkommenzweige gibt. Eine Meinungs-
verschiedenheit besteht höchstens noch bezüglich eines
vierten, des Unternehniergewinnes, der, manchen Theorien
zufolge, neben jenen dreien stehen müßte. Nun, der dritte
Einkommenszweig wird „Zins'' genannt. Aber er kann
nicht so einfach definiert werden wie die andern zwei:
Wollte man ihn als einen Preis betrachten, so würde mau
möglicherweise in Verlegenheit sein, zu sagen als Preis
wofür er gelten solle; denn darauf sind verschiedene Ant-
worten möglich, in viel höherem Maße verschiedene als \>e\
den andern beiden Einkommenszweigen. BeimZinse herrscht
sicherlich die wenigste Übereinstimmung, und man ist all-
gemein überzeugt, hier das schwierigste Problem der Ver-
teilungstheorie vor sich zu haben. Jene, welche diese Über-
zeugung nicht hatten, haben klägliche Mißerfolge erlitten.
Wir haben nicht die Absicht, eine Dogmengeschichte und
-kritik zu liefern, wollen aber allerdings aus dem Geleisteten
gelegentlich so viel wie möglich zu lernen suchen und in
dieser Absicht einiges über andere Zinstheorien sagen, was
auch zu deren besserem Verständnisse beitragen soll. Jetzt al>er
liegen uns die Tatsachen und das Problem selbst am Herzen.
Natürlich wäre der Kapitalzins wie alles andere, das
sich in unserem Systeme zeigt (wenn anders er das tut,
was wir noch keineswegs sicher sagen können, da wir uns
über den dritten statischen Einkommenszweig. 385
das Urteil, ob er ein statischer Einkommenszweig ist, vor-
behalten), von allen andern Elementen desselben bestimmt,
so wie er auf alle zurückwirkt. Das, was man im all-
gemeinen unter Zins versteht und wovon wir in diesem
Momente sprechen, ohne noch festzusetzen, was wir darunter
verstehen und ob wir diesen Ausdruck überhaupt verwenden
wollen, wäre natürlich von anderer Größe, als es ist und
spielte eine andere Rolle, nicht nur im Wirtschafts-, sondern
auch im ganzen sozialen Leben, wenn die übrigen Elemente
andere wären. Klar, dafi, wenn die Bevölkerung mehr oder
weniger Energie hätte, als sie tatsächlich hat, wenn die
Technik auf einer andern Stufe stünde, wenn die Verhältnisse
der äußeren Natur andere wären, der Zins anders stünde. Mit
allen diesen Dingen und vielen andern noch steht er in Be-
ziehungen, welche eben durch unser System uns vor Augen ge-
stellt werden sollen. Die Art dieser Beziehungen zu untersuchen,
ist sicherlich interessant und notwendig und zweifelos kann,
von verschiedenen Seiten betrachtet, die Zinserscheinung
einen verschiedenen Anblick gewähren. Es kann dann für
besondere Zwecke eine Betrachtungs- und Ausdrucksweise
bequem und brauchbar sein, welche sich in mancher Be-
ziehung als unvollständig oder auch als falsch erweist.
Aber das darf uns nicht abhalten, wenn wir nach dem
Wesen der Erscheinung fragen, uns lediglich an ihre
Grundlage in ihrer einfachsten Form zu halten und nach
einer präzisen und kurzen Formel zu suchen , wodurch ja
der Erkenntnis der Kompliziertheit und Lebensfülle der
Erscheinungen kein Abbruch geschieht. Ganz im Gegen-
teile, sie kann dadurch nur gefördert werden. Wollten wir
uns hier nicht darauf einlassen, so müßten wir uns die
gleiche Entsagung auch bei Lohn und Rente auferlegen,
wo man dasselbe ganz wörtlich wiederholen könnte. Auch
dort verkennen wir die zahllosen Beziehungen nicht, die
man aufhellen muß, wenn man die Sache wirklich „ver-
stehen" will, und doch halten wir es für erlaubt und nütz-
lich, zunächst das „Wesen'' der Dinge so kurz und einfach
wie möglich darzulegen. Wer zu sehr auf alles Interessante
Sohumpeter, Nationalökonomie. ^^
386 ^^® Veiteüungstheorie.
achtet , das es auf seinem Wege gibt , kommt nie an das
Ziel. Und das gilt nur zu sehr von manchen modeneB
Zinstheoretikern, welche schließlich dahin gelangen, auf eine
klare Zinstheorie überhaupt zu verzichtend
Unsere Aufgabe ist die folgende: Wir haben zu sebei.
welche Elemente unseres Systemes von jenen, welche wir
zur Erklärung von Einkommensbildungen verwerten ktanen,
wir noch nicht „vergeben'' haben. Sodann, ob sich ans doi-
selben in ähnlicher Weise wie bei Lohn und Rente etwas
ergibt, was als Grundlage der Zinserscheinnng gelten kann.
Vermögen wir ein Bild zu konstruieren, das anf die Wirk-
lichkeit paßt, so ist alles in Ordnung, und wir haben eine
feste Grundlage gewonnen, um in jene komplizierten Rela-
tionen einzugehen. Wenn nicht, so haben wir wenigstens das
negative Resultat, daß der Zins kein statisches Einkommen
sei. So gestaltet sich denn die Sache wiederum verhältnis-
mäßig einfach, und es wird ungleich leichter sein, unsere
Ansicht über das Problem darzulegen, als dieselbe zu
verteidigen gegen alle die Bedenken und Einwürfe,
denen sie begegnen mag. Das erstere ist mit wenigen
Worten getan: Jene Elemente unseres Systemes, die hier
in Betracht kommen können, sind vor allem — und nur
davon wollen wir zunächst sprechen — Werkzeuge und
Rohstoffe. Ihre Werte und Preise haben wir bereits all-
gemein erörtert, und so hat es denn gar keine Schwierigkeit
zu begreifen, wie die Besitzer derselben in den Besitz einer
Geldsumme oder von Genußgütem gelangen, und wie wir
bei Arbeit und Boden von einem Preise der Boden* und
Arbeitsleistung sprachen und Lohn wie Rente als solche
Preise bezeichneten, so werden wir unbedenklich auch hier
von einem Preise der Leistungen von Werkzeugen und Roh-
stoifen sprechen.
Aber die Schwierigkeit, die in dieser Darlegung fehlt.
1 Eine der Klarheit durchaus hinderliche Häufung von ErU&niiig»-
versuchen muß geradezu aU Charakteristikon des gegenwärtigen Sta-
diums der Zinstheorie bezeichnet werden.
über den dritten statischen Einkommenszweig. 387
kommt sofort heran, wenn man einen Schritt weiter geht.
Es ist jene allbekannte, an der schon viele Zinstheorien
scheiterten: Nach der Ernte hat man sowohl das Getreide
wie den Boden, nach dem Arbeitstage sowohl seine Arbeits-
kraft wie den Lohn, aber bei Werkzeugen und Rohstoffen
ist es anders. Da hat man nach einem Produktionsprozesse
oder jedenfalls nach einer Anzahl von solchen, welche gering
ist im Verhaltnisse zu denen, die Boden und Arbeitskraft
überdauern, wohl die Produkte, aber nicht mehr die Roh-
stoffe und Werkzeuge selbst, und es ist klar, daß das für
die Wert- und Preisbildung die Folge hat, daß der Erlös
jenes Teiles der Produkte, um welchen man mit Hilfe der
Werkzeuge mehr erzielt als ohne dieselben, gerade so groß
ist wie Wert und Preis der letzteren selbst, daß sich also
-ein Plus, welches ein ständiges Einkommen darstellen würde,
auf dessen Wiederkehr man rechnen könnte, nicht ergibt.
Von diesem Sachverhalte überzeugt man sich leicht, wenn
man den Gedankengang irgendeines Vertreters der Produk-
tivitätstheorie überblickt, und es wurde das von v. Boehm-
Bawerk so eindringlich und überzeugend hervorgehoben, daß
Weiteres über diesen Punkt überflüssig scheinen könnte.
Immerhin wollen wir ganz kurz den Gedankengang jener
Theoretiker schildern, wobei wir uns der Bequemlichkeit
halber der psychologischen Ausdrucksweise bedienen wollen.
In einer Anzahl von Produktionsprozessen werde ein
Werkzeug bis zur Wertlosigkeit vernützt. Ohne dasselbe
hätte man ebenfalls eine gewisse Menge von Produkten
erzielt, mit demselben aber wurde mehr gewonnen. Nun
kann man nicht sagen, daß das Werkzeug dieses Plus, das
ihm ganz begreiflicherweise „zugerechnet" wird, hervor-
:gebracht habe, wie der Kirschbaum die Kirschen. Der
Unterschied gegenüber diesem Falle ist eben, daß der
Kirschbaum noch vorhanden ist und wieder Früchte tragen
wird. Ebensowenig aber kann man die Produkte dem Werk-
zeuge physisch vergleichen. Es sind ja Dinge verschiedener
Art, die ganz inkommensurabel sind. Ein solcher Vergleich
wäre nur möglich, wenn die Dinge gleichartig wären, wenn
388 ^^ Verteilnngstheorie.
z. B. eine Maschine wieder zur Erzeugung von
gleicher Art verwendet würde. Das einzige, was vergleidh
bar, zugleich das einzige, was für die Ökonomie interessant
ist, ist der Wert. Nun aber ist es klar, daß der Wert de»
Werkzeuges (unter gewissen Reserven , die uns hier nicht
interessieren) . gleich ist der Summe der Werte seiner ein*
zelnen Leistungen und daß, da der Wert jeder solchen
Leistung gleich ist dem Werte der ihr zuzurechnenden
Produkte sich auf diesem Wege gar nie ein «Ubersehufi'
ergeben kann, der konsumiert werden könnte, ohne den
Vermögensbestand des Werkzeugbesitzers zu alterieren.
Wir stehen nicht an, diese Konsequenz zu
ziehen: entweder man nennt das, was wir abgeleitet
haben, nämlich den Preis der Leistungen des Werkzeuges
nicht „Zins'', das heißt man erkennt nicht an, daß darin
die reinwirtschaftlicbe Grundlage dessen liege, was eben im
allgemeinen als Zins bezeichnet wird. Dann ergibt sich,
daß das statische System den Zins nicht erklärt, daß der-
selbe kein statischer Einkommenszweig sei, daßeineganz
stationäre Volkswirtschaft keine anderen Ein*
kommen als Lohn und Rente kennen würde, ein
Resultat, das von großer Tragweite wäre. Oder man nennt
jeden Preis den „Zins", dann kann der Besitzer des Werk-
zeuges entweder nichts von demselben konsumieren oder
aber wird er sein Vermögen aufbrauchen. Man kann das
letztere auch so ausdrücken, daß in diesem Falle der Zins
kein Reineinkommen darstelle. Die terminologische Frage,
was man Zins nennen wolle, wäre natürlich gleichgültig;
man bemerke aber, daß es sich nicht darum handelt, sondern
vielmehr um die sehr wesentliche Frage, ob man es hier
mit der reinökonomischen Grundlage dieses wichtigen Ein*
kommenszweiges zu tun hat oder nicht. Wir glauben, uns
für die zweite Alternative entscheiden zu sollen, nicht bloß
deshalb, weil die erste der Schwierigkeit des Reinertrags-
problemes begegnet, um das man ganz unmöglich herum-
kommen kann, sondern weil wir auch durch das direkte
Studium der Zinsei-scheinung dazu veranlaßt werden, wie
über den dritten statischen £inkommen8zweig. 3g9
urir später andeuten wollen. Erstens also haben wir hier
^ein bleibendes Einkommen, und das Bild der immerfliefien-
•den Quelle pafit hier nicht. Wollte man es trotzdem an-
wenden, so müßte man sich darüber klar sein, daß es sich
um eine Fiktion handelt, die ihre Existenzberechtigung erst
beweisen muß, sehr leicht auf Abwege führen kann und vor
Allem gerade das interessanteste und schwierigste Problem
2U überspringen, zu umgehen, gleichsam zu verdecken scheint.
Über diese Fiktion, ihre Berechtigung und ihre Mängel
werden wir noch sprechen, hier aber haben wir es mit den
Tatsachen zu tun und können nur an dem Gesagten fest-
halten. Zweitens ist jener Preis nicht der „Zins^.
Die beiden Punkte fallen nicht zusammen. Wir haben
kein bleibendes Einkommen, aber immerhin findet ein
Oüterzufluß zu den Besitzern der Werkzeuge in unserem
Systeme statt, und das könnten wir im Einklänge mit
manchen Einkommensdefinitionen immerhin ein Einkommen
nennen; aber dieses Einkommen ist nicht der „Zins", nicht
bloß deshalb y weil der Zins konstant zu fließen scheint^
sondern auch aus anderen Gründen.
Diese Auffassung scheint aus verschiedenen Gründen
«icherlich befremdend und bedarf sehr der näheren Dar-
legung. Wenn es uns auch gelänge, den Leser zu ihrer
Annahme zu bewegen, so wäre das Problem des Zinses damit
nicht gelöst, sondern unser System würde uns nur sozusagen
an den Fuß des Berges bringen. Aber es ist so schwer,
Auf etwas zu verzichten, in dessen Besitz man bereits zu
sein glaubte, daß uns die Aufgabe obliegt, zweifellos zu
zeigen, daß die Sache wirklich so steht.
Vor allem: Beschränken wir unser System nicht auf
«in zu enges Gebiet, wenn wir auf die Erklärung des Zinses
verzichten, ist das nicht ein Beweis, daß unsere Abgrenzung
«ben unzweckmäßig ist? Darauf sei sofort entgegnet: Wir
beschränken es nicht willkürlich, nicht aus Laune oder
Pedanterie und um irgendeinem aprioristischen Einteilungs-
grunde treu zu bleiben; wir schließen den Zins nicht aus,
sondern e r fügt sich nicht ein. Wir tun ja nur das folgende *
390 ^0 Verteünngstheorie.
Wir betrachten die Methode und die Resultate unserer Disaplbi
und suehen sie korrekt zu formulieren, ihr Wesen heraus-
zuarbeiten. Wenn wir das tun, so sehen wir eben, dafijeM
Gedankenkreise, welche heute den Inhalt der reinen Ökononi»
bilden, im Wesen statischen Charakters sind und daS die-
selben, in ihrer reinen Form dargestellt, die Zinserscheinuni^
nicht erklären. Wir werden zu zeigen haben, dafi nur
bei Heranziehung gewisser Hilfsmittel eine solche Eiidftnmg
oder der Schein einer solchen möglich ist und werden diese
Hilfsmittel untersuchen müssen. Es ist sehr wichtig, die-
selben plastisch von unserem Systeme abzuheben. Ist weiter
unsere Auffassung richtig, dann kann sich die Zinstheorie
im Rahmen der Statik nicht ausleben. Und in der Tat liegt
unserer Ansicht nach hier die Ursache aller Zweifel
bezüglich des Zinsproblemes und der Tatsache,
dafi alle Zinstheorien so unleugbar unbefriedigend
sind. Wird das zugegeben, dann haben wir der Zinstheorie
den größten Dienst erwiesen, der überhaupt möglich ist, zur
Erkenntnis ihres wahren Gebietes und ihrer wahren Natur
beigetragen und haben dann Hoffnung, endlich doch dieses
Phänomen verstehen zu können. Daß unser System dann in
noch ungünstigerem Lichte erscheint als bisher, darf uns
davon nicht abhalten: Es ist ja unser Zweck, dasselbe von
allen Seiten zu beleuchten; dabei ergibt sich dann von
selbst, wie und wo wir weiterzuarbeiten haben.
Kehren wir zu unserem Argumente zurück: Wie sehr
wir recht haben, sehen wir aus allen Prodnktivitätstheorien.
Man kann sie nochmals dahin charakterisieren, dafi sie zu-
erst korrekt und vielfach mit einem Aufwände von Argu-
menten, der gar nicht notwendig wäre, die Tatsache ab-
leiten, daß Werkzeuge Wert und Preis haben. Wenn sie
dabei gegen die sozialistischen Angriffe auf den Zins
reagieren, so renneu sie offene Türen ein: Eine Diskussion
der Behauptung, dafi das Kapital ein nützliches Hilfsmittel
der Produktion sei, ist sicherncli überflüssig. Aber damit
hat man ja, wie wir ausführten, für den Zins nichts be-
wiesen, wenigstens an sich nicht; man könnte eher sagen«
über den dritten statischen Einkommenszweig. 391
man habe sein Nichtvorhandensein bewiesen. Was zu
erklären ist, ist jenes „Plus'', ist ein dauernder Reinertrag.
An diese Aufgabe, die also über den blofien Nachweis der
sogenannten Produktivität hinausgeht, tritt man mit ver-
schiedenen Hilfsmitteln heran. Das einfachste derselben ist,
den Tatbestand Oberhaupt zu verwischen und zu erklären,
daß nunmehr schon alles getan sei. Davon wollen wir
nicht weiter sprechen, die anderen Hilfsmittel aber müssen
untersucht werden, wenigstens in aller Kürze und zwar zu
dem doppelten Zwecke, um zu sehen, ob sie statisch sind,
das heißt, in unser System eingeführt, sich mit seiner
sonstigen Gestalt vertragen und sodann um zu sehen, ob
sie zutreffend sind, d. h. die Zinserscheinung wirklich er-
klären.
Vorher jedoch müssen wenigstens einige der vielen
Schwierigkeiten unseres Themas dem Leser weiter vor-
geführt werden. Zunächst wollen wir etwas über das
unseres Erachtens fundamentale Problem des „Kapitalersatzes'
und sodann auch einiges über das Zinsphänomen selbst
sagen. Dann sollen jene Bemerkungen über mehrere der
wichtigsten Zinstheorien und endlich solche über die Rich-
tung folgen, in der wir die Lösung des Zinsproblemes suchen
zu müssen glauben. Vollständig kann das Gebotene in keiner
Richtung sein; seine Mängel können niemand mehr bewußt
sein, als mir. Nur schwer habe ich mich entschlossen, die
wenigen Gesichtspunkte darzubieten, die man im Folgenden
finden wird. Aber ich konnte nicht anders verfahren. Sie
Beien der Nachsicht des Lesers empfohlen. Ich kann nur
sagen, daß meine Auffassung mir selbst eine ganz über-
raschende Aufklärung geboten hat und ich fest überzeugt
bin, einer neuen befriedigenden Theorie die Wege zu bahnen.
§ 2. Li den Darstellungen der Zinstheorie pflegt man
dem folgenden Gedankengange zu begegnen: Der Besitzer
von produzierten Produktionsmitteln vermietet dieselben an
den Produzenten, mag derselbe nun Arbeiter oder Unter-
nehmer sein. Von dem Erlöse legt er einen Teil zurück
392 ^^^ Verteilongstheorie.
der ihm dazu dienen soll, sich andere Produktionsmittel
dieser Art zu verschaffen, wenn die alten abgenützt und
und wertlos geworden sind ; auch eine Risikopr&mie wird in
der Regel noch beiseite gelegt. Der Rest stellt dann sein ab
,,Einkommen*' dar. Nur ein kleiner Teil der Theoretiker
nimmt das Vorhandensein eines solchen Restes als selbst-
verständlich an, die meisten suchen diese Tatsache zu er-
klären, aber wie immer das sein mag, immer ist man der
Ansicht, dafi man einen ganz natürlichen Vorgang be-
schreibe, über dessen Tatsächlichkeit gar kein Zweifel sein
könne. Wenn man sagt, daß die Besitzer von produzierten
Produktionsmitteln dauernd, ohne jede zeitliche Grenze, von
ihrem Einkommen leben und ihren Vermögensstand unter
unseren Voraussetzungen zwar nicht vermehren, aber nn*
versehrt erhalten können, so glaubt man, damit eine banale
aber unbestreitbare Tatsache ausgedrückt zu haben. Zwischen
den Theoretikern bestehen die größten Meinungsverschieden-
heiten bezüglich der Erklärung dieses Einkommens, aber
darüber sind sie alle einig, daß man den Zins ganz neben
Lohn und Rente stellen kann. Jene, welche für jeden
Einkommenszweig eine spezielle Erklärung haben, haben
eine solche natürlich auch für den Zins, sodaß darin keine
Besonderheit liegt und jene, welche alle Einkommen in
prinzipiell derselben Weise erklären, dehnen ihre Erklärung
auch auf den Zins aus, behandeln ihn ganz so wie Lohn
und Rente. Als Beispiele für die letztere Gruppe sei auf
die Darstellungen von Walras und v. Wieser verwiesen, bei
denen sich das ganz verfolgen läßt. J. B. Clark gehört
ebenfalls in diese Gruppe, aber mit einer interessanten Be-
sonderheit, die uns veranlaßt, auf ihn speziell zu sprechen
zu kommen, v. Boehm-Bawerk stützt die Erklärung des
Zinses allerdings auf besondere Momente, betrachtet ihn
aber doch als ein Einkommen wie alle anderen. In der
Tat scheint das ganz auf die Tatsachen zu passen. Der
Zins ist ein so ständiges, dauerndes Einkommen, in mancher
Beziehung viel mehr gesichert als z. B. der Lohn, und eine
scharfumgrenzte wirtschaftliche Klasse scheint dauernd von
über den dritten statischen Einkommenszweiir. 39'^
ihm zu leben. So scheint unsere Auffassung also in ekla-
tantem Konflikte mit der Wirklichkeit zu stehen und
«s geradezu unabweisbare Pflicht des Ökonomen zu sein,
nach einer statischen Erklärung des Zinses zu suchen.
Unsere volle Antwort können wir nicht geben ^ aber wir
werden den Hauptinhalt derselben anzudeuten suchen. Zu-
nächst jedoch erscheint uns das folgende wichtig: Vorab
bemerken wir, daß wir mit Rücksicht auf die Untersuchungen
V. Boehm-Bawerks das Reinertragsproblem nicht in seiner
Gänze aufrollen wollen, da uns das durch dieselben über-
flüssig geworden zu sein scheint; wir wollen vielmehr haupt-
sächlich nur jene Punkte behandeln, die wir denselben hinzu-
zufügen haben und setzen seine grundlegende Arbeit als
genau bekannt voraus. Dem Leser, bei dem diese Voraus-
setzung nicht erfüllt ist, kann unsere Darstellung nicht das
sagen, was sie soll, muß sie außerdem als unvollständig er-
scheinen.
Nun, V. Boehm-Bawerk hat das Reinertragsproblem
vollkommen herausgearbeitet und nachgewiesen, daß sich
die Zinserscheinung nicht als selbstverständlich aus der
Produktivität ergebe. Aber den Kapitalersatz, in den wir
der Kürze halber die Risikoprämie einbeziehen wollen, da
von ihr soweit dasselbe gilt, nimmt auch er als selbst-
verständlich an. Das erste, was wir zu sagen haben, ist
nun, daß das nicht selbstverständlich ist; vor allem wollen
wir das ganz populär klar machen: Würde man den Ökonomen,
der so vorgeht, fragen, warum er das tut, so würde er
sicher und nicht ohne Erstaunen über die Frage antworten,
daß ja sonst der Kapitalist sein Kapital aufbrauchen würde.
Darauf ist nun zu entgegnen, daß es ganz vernünftig sein
mag, das nicht zu tun und daß der Ökonom gut rate, wenn
er davon abredet, aber daß das kein Grund sei, der hier
eine Rolle spielen kann, da es sich nicht um Ratschläge,
sondern um Tatsachenbeschreibungen handelt. Und da ist
es durchaus nicht so klar, daß immer so gehandelt wird
oder auch nur, daß es in allen Fällen geboten sei. In einer
vorübergehenden Notlage wird es ganz vernünftig sein, mit-
394 1^1® Verteilangstheorie.
unter mehr zu verbrauchen , auch hat ein Individuum voa
seinem Standpunkte durchaus Recht (populär gesproelwi)^
wenn es etwa mit Rücksicht auf einen unabwendbare!
baldigen Tod mehr aufbraucht In anderen Lagen s. B.
mit Rücksicht auf sinkenden Zinsfuß oder ein Alter mit
in manchen Beziehungen größeren Bedürfiiissen und ge-
ringerer Erwerbsfähigkeit, wird man wiederum den Rat er-
teilen müssen, nicht das ganze Einkommen aufzubraucbea.
Darauf läßt sich allerdings entgegnen, daß man an nor-
male Zustände denke und jene Veränderungen der indivi-
duellen oder sozialen Situation außer Betracht lasse. Dts
wollen wir zugeben. Es sei also möglich, die Art und
Schnelligkeit der Abnutzung der Werkzeuge ganz genau
vorher- und von allem Unvorhergesehenen abzusehen;
aber selbst dann denken die Menschen nicht an eine un-
begrenzt entfernte Zukunft, und wenn sie auch mit Rück-
sicht auf die Unbestimmtheit der Länge der Periode, für
die sie versorgen wollen, sich veranlaßt sehen können, ihre
Werkzeuge immer wieder auszubessern und zu ersetzen, so
ist das doch nichts Notwendiges, Unabänderliches und vor
allem nichts Selbstverständliches.
Wenn man das behauptet, denkt man immer an den
Rentner, dem sozusagen von selbst eine ganz bestimmte
Summe als Einkommen zufließt, aber mit ihm haben wir es
ja nicht allein zu tun. Wir werden si>äter seinen Fall be-
rühren. Bei den Produktivmitteln ist die Sache nicht so
klar. Ein neues Werkzeug muß das alte ersetzen und dieses
neue Werkzeug entsteht nicht von selbst. Gesetzt, der Be-
sitzer des alten hatte sich aus iicg^ndeinem Grunde ent-
schlossen, ein etwas besseres zu erzeugen oder zu erwerben
an Stelle des alten. Ist nun dieser Vorgang ein so wesent-
lich anderer als der frühererwähnte? Man wird sagen, daß
der Mann hier etwas von seinem Einkommen hinzu-
setze; aber was geschieht in den beiden Fällen? Er hat
eine Geldsumme oder Produkte. Diese will er so ausgeben,
daß ein Nutzenmaximum entsteht, so wie es seiner Ansicht
nach am vorteilhaftesten ist, wobei wir in diesem Ans-
über den dritten statiBchen Einkommenszweig. • 395
drucke, was aber hier nicht wesentlich ist, auch unegoistische
Momente einschliefien. Er überblickt also seine gegen*
w&rtigen und künftigen Wünsche und wird sein Geld nach
Verhältnis ihrer Intensität auf ihre Befriedigung verwenden.
Die Geldsumme, die er hat, ist ja eine homogene Menge,
seinen Entschließungen ist nicht eine unübersteigliche
Barriere gesetzt auf der Grenze des Einkommens. Wieviel
er zur Reparatur oder zum Ersätze oder zu einer Neu-
schaffung verwenden will, das steht bei ihm. Eine Geld-
einheit seinen gegenwärtigen Bedürfnissen zu entziehen,
involviert ein gleichgroßes Opfer für ihn, mag er dieselbe
nun auf eine Reparatur oder eine Verbesserung verwenden.
Ganz dieselben Momente bestimmen ihn in beiden Fällen:
Er wird wahrscheinlich das tun, was er immer tut, weil
das seiner Anlage und seinen Verhältnissen entspricht. Will
er seine Verhältnisse gleich erhalten, so wird er eben nur
jene Geldeinheiten opfern, die zum Ersätze nötig sind, aber
die Willensanstrengung, die das voraussetzt, ist dieselbe, ob
er dasselbe Geld zum Ersätze oder zur Verbesserung ver-
wendet. Nach Durchführung der Verbesserung wird er
mehr, wenn er eine Verschlechterung eintreten läßt,
weniger und wenn er gerade den Ersatz vornimmt, gleich
viel Bedürfnisse befriedigen können. Diese Fälle sind nur
graduell verschieden, in jedem geschieht dasselbe. Nun
aber ist man sich darüber einig, daß solche Verbesserungen
und Neuschaffungen im Rahmen der Statik nicht oder nur in
so verschwindendem Umfange behandelt werden können,
daß man sie besser wegläßt, und da der Ersatz der Werk-
zeuge damit wesensgleich ist, so ist auch er kein statischer
Prozeß und das war es, auf was wir hinauswollten.
Um zu demselben Resultate nunmehr vom Standpunkte
der exakten Wissenschaft zu kommen: Wenn man einen
dritten Einkommenszweig dieser Art, mag man ihn nennen,
wie man will, neben Lohn und Rente stellen will, so muß
man ihn aus einer ebensolchen bleibenden Quelle ableiten
wie diese. Entweder muß man also darauf verzichten oder
man muß einen dritten Produktionsfaktor kreieren, der sich
396 ^^® Yerteilangstheorie. I
genau so verhält wie Arbeit und Boden. Sofern das nkUi 1
anderes ist als ein methodologisches Hilfsmittel, ist dagega
nichts einzuwenden, aber man darf nicht vergessen, dal
darin dann keine Aussage über Tatsachen liegen dti{» I
sondern sich bewußt bleiben, eine Konstruktion geschaflbn n
haben, deren Resultate sich erst an den Tatsachen bewihrei
müssen. Gewiß kann es Gründe geben, die eine sokke
Fiktion rechtfertigen und wir werden davon noch spreeheir
aber man muß sich hüten, diesen Produktionsfaktor als ein
Realität zu betrachten, wie Arbeit und Boden und fener
darf man nicht vergessen, daß man das getan hat, weil mu
unseren dritten Einkommenszweig neben die anderen beidoi
stellen wollte. Das könnte nun an sich ebenfalls euie
erlaubte wissenschaftliche Hilfskonstruktion sein, die sick
als fruchtbar erweisen könnte. Durch den Anschein aber,
durch eine flüchtige Beobachtung der Tatsachen ist eine
solche Nebeneinanderstellung noch nicht gerechtfertigt und
insofern geradezu alle Theoretiker ausnahmslos die Er-
fahrungstatsache einer ständigen Einkommensquelle
Zins zu beobachten glaubten, so liegt darin ein Vorurteil
ein Fehler. Tatsache ist nur, daß die Werkzeuge ver-
braucht werden und nun die Produkte vorhanden sind;
werden sie ersetzt, so ist zu erklären, warum das geschieht.
Selbstverständlich wäre das Vorhandensein eines bleibenden
Werkzeug Vorrates nur in zwei Fällen: erstens dann, wenn
die Werkzeuge ebenso dauernd wären wie Boden und Arbeits-
kraft und zweitens dann, wenn sie sich wirklich von selbst
wiederorzeugten , nicht in jenem figürlichen Sinne, in dem
das manche Ökonomen behaupten, sondern tatsächlich
physisch, wie etwa organische Wesen. Der Kapital-
ersatz ist also nicht eine letzte Tatsache, son-
dern ein Problem und das nicht erkannt zu haben, ist
ein Fehler von, wie wir sehen werden , großer Tragweite,
ein ebenso großer, wie die Verkennung des Reinertrag-
problemes überhaupt.
Die Fragestellung des letzteren verliert natürlich nicht
ihre Bedeutung. Immer ist der Wert der Produkte gleich
über den dritten statischen Einkonnnonszweig. 30 7
dein der Produktionsmittel und daß dem Besitzer des
letzteren mehr zufällt, ist noch immer der Kernpunkt des
Zinsproblemes ; aber es erscheint nunmehr in etwas anderem
liichte. Jedenfalls haben wir vom Rohertrage auszugehen,
er ist das einzige, was gegeben ist, und in unserem Systeme
ist er gleich dem Werte des Werkzeuges, dem er zuzurechnen
ißt. Der Werkzeugvorrat ist aber ein gegebener, und wir
kOnnen den Ersatz nicht mit den Mitteln unseres Systemes be-
handeln. Man bemerke also, daß unsere statische Wirtschaft
keine „ stationäre *" ist. Die letztere müßte einen solchen
Ersatz vornehmen, die statische Wirtschaft tut das nicht.
Sie gilt also nur für einen Augenblick. Wir sehen hier,
wie sehr wirklichkeitsfremd sie ist und es ist ja auch nicht
anders möglich: Die Wirklichkeit ist ja voll Leben und
Bewegung.
Wir sagten, daß es eine Fiktion involviere, vom Selbst-
ersatze der Werkzeuge zu sprechen : Es ist das eine Fiktion
ganz gleichen Wesens wie jene, die darin liegt, daß die
Werkzeuge einen Zins tragen, wie der Kirschbaum Kirschen.
Diese Fiktion ist in derselben Weise wirklichkeitsfremd, aber
vielleicht für manche Zwecke ebensowenig unbrauchbar, wie
die erstere. Es wäre zu weit gegangen, beide einfach ver-
werfen zu wollen: Nur als Tatsachenaussagen sind sie
„falsch *". Die Werkzeuge werden verbraucht, man erzeugt
andere, die allerdings in kurzen Zeiträumen im großen und
ganzen den verbrauchten ähnlich sind und in den Besitz
derselben Personen kommen. Aber notwendig ist das nicht,
und nur für einen Moment ist es annähernd richtig, der
so kurz ist, daß man ruhig für denselben an der Identität
der Werkzeuge festhalten kann.
Der Kern des kritischen Werkes v. Boehm-Bawerks
war also die Herausarbeitung des Reinertragsproblemes.
Wir haben diesem Werke, durch das das Thema unendlich
viel gewonnen hat und das auch die Grundlage unserer
Auffassung bildet , nun noch ein anderes Moment hinzu-
zufügen, das Problem des Kapitalersatzes, das auch
von V. Boehm-Bawerk noch nicht genügend herausgearbeitet
398 ^^ Verteilungstheorie.
wurde. Es ist jedoch ebenso essentiell zur Beurteilong der
Sache wie das des Reinertrages. Nur durch das YerBtiadui
dieser beiden Punkte hindurch führt der Weg zur ErkeuBtsii
der Zinserscheinung.
§ 3. Unser System sagt uns also nur, dafi die prodtt-
zierten Produktionsmittel Wert und Preis haben, und di8
ihre Besitzer sich dafür andere Güter verschaffen köBBen*
Welche Güter sie sich verschaffen, was sie mit diesem ihm
„Einkommen^ anfangen, das hängt von ihrer Anlage usw.
ab. Nun haben wir etwas näher die Frage zu erOrten,
welche wir bereits verneinten, nämlich ob wir in diesm
Preise den Zins zu sehen haben? Es wäre immerbin mög-
lich, dafi wir vor dem stehen, was der Zinserscheinung zu-
grunde liegt, daß jene Preise der Werkzeuge jenes Element
in der Zinserscheinung darstellen, welches wir von unserem
Standpunkte aus zur Erklärung derselben beitragen können.
Wie wir uns bei Lohn und Rente zu fragen hatten, ob das.
was wir aus unserem exaktem Systeme ableiten, wirklich
dasjenige ist, was reinwirtschaftlich genommen jenen Ein-
kommenszweigen zugrunde liegt, so haben wir uns auch
hier eine ähnliche Frage zu stellen.
Mehr als irgendwo ist hier eine solche Untersuchung
nötig; sie unterlassen zu haben, ist der größte Fehler der
meisten Zinstheorieu. Jede theoretische Ableitung mufi ja
stets an den Tatsachen verifiziert werden, da es in ihrer
Natur liegt, daß sie möglicherweise, obgleich an sich „richtig*,
nicht das Gewünschte leistet. Wenn auch im gewisses
Sinne ein den Regeln der Logik entsprechender Vorgang
„unfehlbar'' ist, so kann sich ein Fehler doch sehr leicht
gerade an dem Punkte einschleichen, wo behauptet wird,
daß ein bestimmtes exaktes Resultat einer besUnunten Er-
scheinung der Wirklichkeit entspricht. Die Zinstheorie gibt
uns viele Beispiele für die Wichtigkeit dieses Grundsatzes:
Die Tatsache der Produktivität, die Tatsache des
„waiting**, des Verschiedenschätzen von Gegenwarts- und
Zukunftsgütern usw. — das alles ist nicht nur zweifellos
Db«r d«n dritten aUtischen Einkommenuweig. 399
richtig, sondern auch sehr pl&usibel, aber ob der Zins daraus
.fließt, ist eine audere Frage und diese ist mit dem Naeb-
ureise solcher Tatsachen an sieb noch nicht gelost.
Wir haben nun nach dem Wesen der Zinsersobeinung
zu fragen. Allerdings sagten wir bereits, daS wir keine
vollständige Zinstheorie geben können; einiges aber mossen
wir in dieser Hinsicht tun, um jeden Zweifel darüber zu ver-
scheuchen, oh das Wesen der Zinserseheinung Oberhaupt in
der Richtung zu suchen sei, die mit den Worten „Preis-
bildung der Werkzeuge" charakterisiert ist.
An der Schwelle dieser Erörterungen wollen wir uns
noch eines anderen Grundsatzes erinnern, nämlich. daS es
unsere Aufgabe ist, die Tatsachen zu analysieren, ohne
uns vom Sprachgebrauche und äußerlichen Ähnlichkeiten
zwischen verschiedenen Dingen irreffibren zu lassen, nicht
aber, „Begriffe zu bearbeiten". Die unheilvolle Methode,
wirtschaftliche Erscheinungen mittelst Analysierung des
Sprachgebrauches erfassen zu wollen, hat zu einer ganzen
Reihe von Verirrnngen geführt. Über die Kläglichkeit dieser
Methode ist außerdem gar kein Wort zu verlieren. Ein
gutes Beispiel nun für die Abwege, auf die sie führt, ist
die Zinstheorie. Es ist nämlich nichts klarer, als daß ganz
verschiedene Erscheinungen mit dem Namen „Zins' be-
zeichnet werden. Vor allem haben Mietzins und Darlehens-
zins unmittelbar nicht das geringste miteinander gemein.
Die Miete ist ein partieller Kauf, der Austausch gewisser
Leistungen eines dauerbaren Gutes gegen andere Güter. Es
ist auf den ersten Blick gar nicht einzusehen, warum so
verschiedene Dinge überhaupt denselben Namen haben. Wer
nnbeeinäufit an diese Erscheinungen herantritt, dem würde
gar nicht einfallen, sie gleich zu bezeichnen. Wollte man
das tun , so müßte man jeden Kaufpreis Zios nennen.
Eine Erklärung bietet vielleicht die juristische Auffassung
der Sache. Die Juristen haben den Darlehenszins per
analogiam des Mietzinses konstruiert, teils, weil das für
ihre Zwecke ganz praktisch war , teils auch , weil die
juristische Analyse immer an Verdrehung der Tatbestände
400 I^e Verteilungstheorie.
das Möglichste leistete. Man mufi sich allgemein gesprochea
vor Annahme juristischer Auffassungen boten, da dieadbei
außerhalb der Zwecke des Rechtes meist völlig wertloi
sind. Wären Beispiele nötig, so könnte man sehr gut auf
den Eigentumsbegriff hinweisen.
Wenn wir vom Zinsphftnomen sprechen , haben wir ibo
von nun an nur den „Darlehenszins* im Auge, wobei wir
allerdings sagen müssen, dafi uns viel mehr als logisdie
Gründe die Betrachtungen der Tatsachen zu der Vernrntsag
veranlassen, daß hier das Wesen des ZinsphftDomens a
suchen ist. Aber auch der Darlehenszins ist wirtschaftlich
keineswegs eine einheitliche Erscheinung. Aach das ist
nahezu eine Selbstverständlichkeit, und der Rechtsform Bnd
dem Sprachgebrauche zuliebe sich verpflichtet zu ftUei,
eine einzige auf alle diese Erscheinungen passende Formel
zu linden, ist geradezu thöricht. Welche Ähnlichkeit besteht
denn zwischen dem Vorgange, den wir beobachten, wenn
eine neue Industrie ins Leben gerufen werden soll, and dem
Falle des Wucherers, der irgendeinem verschuldeten IndiW-
duum hohe „Zinsen" abpreßt — also, der üblichen Termino-
logie zufolge, obgleich sie nicht ganz passend scheint,
zwischen Produktiv- und Konsumtivdarlehen? Lediglich der,
das in beiden Fällen dieselbe oder eine ähnliche Rechts-
form und ähnliche Redewendungen gebraucht werden, b
beiden Fällen sagt man, daß „Kredit gegeben* wird, aber
ganz abgesehen von einem sehr wesentlichen, von dem
wesentlichen Unterschiede, auf den wir noch za sprechen
kommen, begründet schon die Tatsache der völlig ve^
schiedenen Verwendung des Darlehens eine völlig ver
schiedene Natur des Geschäftes. Vom Leihen an ver-
schuldete Lebemänner oder in Notlage befindliche arme
Leute jeder Art könnte wahrlich die Kapitalistenklasse
nicht leben; auch von den Staatsanleihen nicht und wenn
wir die Ciröße und Wichtigkeit der Zinserscheinang, ihre
zentrale Stellunj: im Geschäftsverkehre, im Wesen der In-
dustrie betrachten, so werden wir gewiß am besten tun.
uns mit derartigen Kleinigkeiten nicht zu befassen. So
Ober den dritten itatisehen Einkommenuwdg. 401
baben wir denn berausgeschält, was unseres Erachtens den
Kern der ZinserscheinuDg bildet: Es ist das, was wir den
„induBtrieDen Zins" oeanen kdnnteD. Wie gesagt können
wir dieses hochinteressante Pfaftnomen hier nicht erschöpfend
erklären, aber ehe wir daran gehen, einige Bemerkungen
darüber zu machen, wollen wir einiges andere erörtern, das
auch nach derselben Richtung hinliegt. Was wir festhalten
wollen ist vor allem, daß jedenfalls der Preis der Leistungen
der Werkzeuge nicht der Zins ist.
Und noch etwas sei hier im Vorbeigeheu bemerkt, daS
nftmlieh von unBerm Standpunkte das kanonistische Zins-
verbot in ganz anderm Lichte erscheint. Nicht die Zins-
erscheinnng, welche zum Leben der industriellen Entwieklong
gehört, hat die Kirche verbaten. Diese hatte damals nur
geringe Bedeutung. Sie verbot nur etwas, was damit gar
nicht zusammenhängt, die Bewucherung des Notleidenden, der
eines Konsumtioosdarlehns bedarf.
$ 4. Unsere Ansicht ist also, dafi es von vornherein
verfehlt ist, eine Zinstheorie im Bahmen der Statik aufbauen
zu wollen. Man kann so gar nie zu einer vollen und ge-
Bonden Erkenntnis des Phänomens kommen und was die ein-
zelnen Zinstheorien, die jenen Versuch unternehmen, Gutes
enthalten, kann immer nur ein Teil der Wahrheit, ein Aus-
blick auf einen ihnen unerreichbaren Gipfel sein. Um diese
richtigen Elemente handelt es sich uns hauptsächlich hier,
und wir glauben von unserm Standpunkte einiges zum bessern
Verständnisse mancher Theorien beitragen zu können. Außer-
dem wollen wir hier jene KunstgrifFe untersuchen, mit denen
man trotzdem einen Zins dort herasserklärte, wo keiner zu
finden ist. Gewiß jedoch können wir den einzelnen Autoren
nicht gerecht werden , da eine Dogmengeschichte hier zu
weit führen würde.
Am allernächsten liegt natürlich eine Produktivitäts-
und eine Nutzungstheorie. Man wünscht eine Erklärung für
die offenbar dauernde Einkommensart „Zins". Nach Analogie
von Arbeit und Boden muB auch für diese eine da.«.)»^»
Sehnrnpatar, HttloDalOkonomit. ISi
402 I^i« Verteilungatbeorie.
Quelle vorhanden sein. Außer deo Geuufigütern gibt es
aber auf unserem Uutersucbungggebiete neben Arbeit und
Boden — diese beiden aber sind schon vergeben — nur noch
die ^produzierten Produktionsmittel", die schon aus andeni
Gründen als ein für allemal gegeben angenomuien wurden.
Diese Iflßt man nun Nutzungen tragen oder Produkte herror-
bringt^n — es ist das eigentlich im Wesen ganz dasselbe,
da die Nutzungen ja nur im Hervorbringen von Prodakteo
bestehen — und glaubt damit seine Aufgabe gelöst zu haben.
Wir haben aber nunmehr den von v. Boehm-Bawerk dagegen
angefahrten Gründen, welche wir ebenfalls für richtig halten,
neue hinzuzufügen, nämlich erstens den, daß jene Theorien
von der Annahme starten, daS der Zins ein statischer Ein-
komnienszweig sei, eine Annahme, welche wir als ein Vor-
urteil ei'weisen zu können glauben; weiters den, dafi sie
voraussetzen, ditB im Mietzinse und Oberhaupt in den Werk-
zeugen das Wesen der Zinserscheinung zu suchen sei ; und aurii
die letztere Voraussetzung halten wir for den Tatsachen nicht
entsprechend. Besonderes Gewicht legen wir auf die erster«:
In ihr scheint uns nftmlicb die Erklärung dafar zu liegen.
daß man sich mit so unvollkommenen ErklArungsversuehen
zufrieden gab. Dieselben haben etwas Verzweifeltes an sieh:
Würde man ihre Autoren zur Rede stellen, durfte man die
Autwort erhalten: ^Aber es muß ja so sein, wo soll der
Zins denu sonst herkommen V Einmal in der Sackgasw
des statischen Vorurteils, gab es keinen befriedigenden Aus-
weg mehr, und daher kommt es, daß tüchtige Theoretiker
die offenbarsten logischen Verstöße, wie sie v. Boehm-Bawerk
nachgewiesen hat, begiengcn ; stände die Sache nichtso, sowlre
es ganz unverstiLudlicb, warum gerade die Ziustheorie so zahl-
lose Mißerfolge aufweist; die Wurzel des Übels liegt an der
Schwelle des Gedankenganges, über die jeder ahouagalos ein-
tritt, um dann itiis dem Irrwege nicht mehr hinauszufindeu.
Die neueste Produktivitatstheorie ist die Professor
Clark's. Anfäuglicli nahm ich an, daß infolge der v. Boebm-
Bawerk'schen Einwendungen und meiner eigenen Bedenken
dieselbe ebenso abzulehnen sei, wie alle andern. Wieder-
über den dritten statüchea EinkommeDisweig. 403
holtes Studium des Problemea hat mich aber veranlaßt,
meine Ansicht darüber etwas zu modifizieren : Wir haben
bereits aber den Clarkschen Kapitalsbegriff gesprochen und
anerkannt, daß diese Fiktion eine gewisse Berechtigung
habe, ihr auch ein gewisser Nutzen nicht abgesprochen
Verden kfinne. Wollte man nun annehmen, daß dieser „Fond
Ton Produktivkraft" eine stete Quelle von Ertr&gen dar-
fltflUe, ebenso wie Arbeit und Boden, ohne sich dabei
aufzuzehren, nun, dann könnte man sicherlich von einem
Zinse in der statischen Wirtschaft sprechen. Dabei w&re
nur zweierlei zu beachten, erstens, daS das alles eine Fiktion
ist und man darin keine Erklärung des Zinses suchen darf,
and zweitens, daß dieser Fond nichts, gar nichts mit „Werk-
seugen* zu tun hat — sonst wftre die Sache falsch. Das
klingt ganz abenteuerlich, und wir muten der theoretischen
Opferfreudigkeit des Lesers viel zu, wenn wir verlangen,
■daß er uns hier folge. Allein, lassen wir uns nicht leichthin
abschrecken, sondern fragea wir lieber, ob eine derartige
Fiktion nicht einen Sinn haben könnte. Und sie bat Sinn.
In ihr liegt nämlich das einzige Mittel, um von einem Zinse
in der Statik sprechen zu können. Wenn das erwünscht —
und das ist es sicher — , wenn aber zugleich unser Stand-
punkt richtig ist, so kann man nur in folgender Weise ver^
fahren: Man scheidet das Zinsproblem aus der Statik aus
und löst es außerhalb derselben irgendwie. Dann aber
nimmt man gestützt auf die Tatsache der weitgehenden
Regelmäßigkeit und Stetigkeit des Zinseinkommens eine
solche dauernde Quelle derselben in der Statik an und stellt
den Zins einfach neben die Rente und den Lohn, was fOr
manche Zwecke praktisch sein kann und wobei man nur
darauf achten muß, nichts zu sagen, was mit jener Lösung
kollidieren könnte und vor allem, den fiktiven Charakter der
Sache nicht zu vergessen. Vom Standpunkte der Statik
heißt das, daß man Wirtschaftssuhjekte , die nach den Ge-
setzen derselben kein Einkommen haben, doch mit einem
solchen ausstattet, ihnen gleichsam regelmäßig eine bestimmte
<]ie]d8umme schenkt. Und wenn wir diesen Weg auch nicht
404 ^'® Verteilangstheorie.
betreten wollen , so können wir doch nicht leugnen , dafi &"
keineswegs sinnlos ist. Freilich hat das Prof. Clark nicht
gemeint. Von seiner Theorie, so wie sie ist, können wir
aber nur sagen, daß sie einen Einkommenszweig konstruiert^
der nicht existiert, aber allerdings auch, dafi diese Kon-
struktion, etwas anders aufgefaßt, nicht einfach abzotehBeii
ist. Doch können wir uns darauf nicht näher einlassen.
Aber die Erörterungen Professor Clark's haben ' noeh
andere Verdienste, auf die wir bald kommen werden. Wir
gehen nun zu einer anderen Theorie Ober, nämlich zu der
Jevons\ Von ihm wurde der Zins auf den Besitz von GenoA-
gütern begründet, wie bekannt. Zu diesem Zwecke definiert
er geradezu das Kapital als Genufigfitervorrat and gerade
dieser Schritt führt uns zu einem tiefem Verständnisse seiner
Theorie. Wie kommt er dazu, das Kapital so su definieren?
Er tut das nur zu dem Zwecke seiner Zinstheorie. Ancb
er geht offenbar von einem statischen Systeme aus und man
kann sich vorstellen , daß sein Gedankengang vielleicht ein
ganz ähnlicher war, als der jener Theoretiker, welche wir
bereits betrachteten. Auch er tritt durch jene verhängnisvolle
Pforte an das Problem heran und meint, im Systeme einen
Platz für den Zins unbedingt finden zu müssen. Arbeit
und Boden können ihn nicht tragen und so bleiben nur
noch die Werkzeuge und dann die Genufigüter im Systeme
übrig. Jevons' Verdienst ist es nun, erkannt zu haben, daft
der Mietzins kein Zins sei. Er sah, dafi sicherlich die
produzierten Produktionsmittel als solche keinen Zins tragen«
daß eben, wie wir sagten, Überlassung ihrer Nutzungen ein
partieller Kauf sei, der sich vom Genußgüterkaufe durch
nichts Wesentliches unterscheide. Nun aber suchte er nach
einer anderen Quelle des Zinses. Sein Blick fiel auf die
einzige noch vorhandene Art von Elementen, auf die Genufi-
güter, und da lag denn gar nichts näher, als der Gedanke,
daß in ihnen die Lösung des Rätsels liegen müsse, daß
ferner im Momente der Zeit des nähern die Erklärung zu
finden sei^ weil sie sich ja nur dadurch von Produktivmitteln
unterscheiden.
über den dritten statischen Einkommenszweig. 405
Mit welchem Rechte erlauben wir uns, Jevons hier diesen
<jedankengang zu imputieren, der möglicherweise nicht der
seine war? Wir müssen es tun. Wir glauben, daß man
«ine Theorie nicht eher versteht, bis man das Gefühl hat,
die Gedanken [ihres Schöpfers förmlich zu sehen. Dieses
ijefühl gewahrt eine lebhafte Befriedigung, aber aufierdem
hat dieses Bemühen auch eine sehr praktische Bedeutung:
Es gibt uns nämlich ein Mittel zur Beurteilung der be-
treifenden Theorie an die Hand. Wenn wir Jevons richtig
nachgefühlt haben, so ist eines sicher, nämlich daß seine
Theorie nicht unmittelbar der Beobachtung von Tatsachen
•entsprang. Wohl beruhte sie mittelbar darauf, da unser
ganzes System darauf beruht, aber er ist nicht s o zu seiner
Zinstheorie gekommen, daß er das Wirtschaftsleben be-
trachtend sich etwa gedacht hätte, infolge seines Besitzes
an fertigen Genußgütern erlange der Kapitalist seinen Zins.
Ich glaube auch nicht, daß er die psychologische Tatsache
der Unterschätzung der Zukunft zuerst betrachtet und bei
ihrer Betrachtung dann auf einen Zusammenhang mit der
Zinserscheinung gekommen sei; sondern vielmehr, daß er
zuerst sozusagen mittelst einer Art von »Eliminationsmethode''
2U jener Gruppe von Elementen kam, die eben übrig blieb,
nachdem er bezüglich aller anderen die Frage, ob der Zins
aus ihnen fließe, verneint hatte. Und dann eben suchte er
nach Gründen, welche jene logischen Notwendigkeiten materiell
rechtfertigen sollten. Gegen eine solche Theorie aber werden
alle Vermutungen sprechen. Wir z. B. werden von vorn-
herein geneigt sein, ihren Obersatz, nämlich die Notwendig-
keit einer statischen Erklärung, in Abrede zu stellen, und
in diesem Falle schon von allem Anfange an diese Theorie
in Zweifel ziehen. Nicht aber die Gründe, mit denen
Jevons sie gestützt hat : Diese sind vielmehr ganz evidenter-
maßen richtig. Wir vermissen nur den Nachweis, daß die
Zinserscheinung auf diesen Tatsachen beruhe.
Es scheint uns das auch gar nicht der Fall zu sein.
Selbst jedoch, wenn es der Fall wäre, so wäre diese Theorie
keine statische. Und hier kommen wir auf eins der früher
406 I^c Verteilangstheorie.
erwähnten Verdienste Clark's, nämlich nachgewiesen zu
haben, daB im statischen Zustande weder „waiting* noch
die Unterschfttzung künftiger BedQrfhisbefiiedigaDg eine
Rolle spielen könne und zwar aus dem folgenden Omiide:
Ist eine bestimmte Menge von „Kapitar gegeben und wird
kein neues gebildet, — was allerdings nach unserer AuffassoBg
auch involviert, daß das alte nicht ersetzt wird, — da kann
nichts anderes geschehen, als in der besten der bekannten
Weisen eben den Produktionsprozeß durchzufahren; und das
wird auch geschehen, mag man immerhin gegenwärtige Be-
dürfnisbefriedigung höher schätzen als die zukünftige —
und das tut man ja sicher, das bestreiten wir nicht. Eine
Bedeutung kann das nicht haben, da man unter allen Um-
ständen die Güter bereits hat oder auf die Be-
endigung des Produktionsprozesses warten mufi.
Ganz ähnliche Bemerkungen ergeben sich bezüglich der
Abstinenztheorie. Auch sie ist eines jener Hilfsmittel, welche
es uns ermöglichen sollen, trotz allem aus unserm Systeme
noch eine Zinstheorie zu gewinnen. Sie wurzelt oifenbar
in der Theorie der „produktiven Dienste**, hat also einen
etwas andern Ausgangspunkt als die bisher besprochenen.
Der hervorragendste unter ihren Vertretern, Senior, läßt
uns das ganz deutlich erkennen. Um für die drei Ein-
kommenszweige drei ebenso dauernde Quellen zu finden,
stellt er neben Arbeit und Boden als dritten Produktions-
faktor die Abstinenz. Daß heißt nun gar nichts andereSr
als „Werkzeuge" ohne eine bestimmte Form — auch das
ist nur „aufgehäufte Produktivkraft" mit dem einzigen Unter-
schiede gegenüber der Produktivitätstheorie, daß diese Pro-
duktivkraft nicht in Arbeits- und Bodenleistungen , sondern
in einem Faktor sui generis besteht. Für die Beurteilung
dieses Hilfsmittels ist nun wiederum keineswegs entscheidend,
ob es etwas wie Abstinenz wirklich gibt oder nicht. Das
ist ganz sicher der Fall, und die Bemühungen der Vertreter
dieser Theorie, die Existenz dieses Momentes zu beweisen,
sind ganz überflüssig: Niemand wird sie bestreiten. Die
Frage ist nur, ob sie mit dem Zinse etwas zu tun hat Das
Ober den dritten statischen Einkommenszweig. 407
ist, wie wir uns herauszuarbeiten bemühen, immer der ent-
scheidende Punkt bei allen diesen Theorien* Sie beruhen
tatsächlich nicht unmittelbar auf Tatsachenbeobachtung,
sondern verdanken ihre Entstehung unseren wissenschaft-
lichen Bedürfnissen. Auch Senior hat gewifi keinen Zu-
sammenhang zwischen Abstinenz und Zins bei der Betrachtung
des Getriebes des vrirtschaftlichen Lebens entdeckt Das
gienge schon deshalb nicht, weil ein so verborgener Zusammen-
hang sich nicht aus der Beobachtung unmittelbar ergibt.
Wir fordern das auch keineswegs, sondern erkennen an, dafi,
nachdem wir einmal von der Wirklichkeit ausgehend unser
abstraktes System gebaut haben, uns dasselbe sehr wohl
nun weiter auch selbständig, das heißt ohne dafi eine neue
Beobachtung herangezogen werden müfite, manche inter-
essanten Resultate geben kann. Nur darf man dabei zweierlei
nicht vergessen: Vor allem, daß der hier diskutierte Ge-
dankengang eine ganz neue Tatsache von außen her herein-
zieht und ganz offenbar lediglich zum Zwecke der Er-
klärung des Zinses in unser System einführt. Das
geht nicht so ohne weiteres, sondern macht eine Reihe von
Reserven und Vorsichtsmaßregeln nötig, wenn die Historiker
nicht Recht haben sollen mit ihrem Vorwurfe haltloser
Spekulation. Eine solche Tatsache muß an sich sehr sicher
gestellt sein und auch in ihrem Zusammenhange mit den
übrigen Elementen unseres Systems sehr genau untersucht
werden. Das tut nun die Abstinenztheorie nicht. Trotzdem
verurteilen wir ein solches Vorgehen nicht a limine. Es
kann ja doch zu gesunden Resultaten führen, in der richtigen
Hand wenigstens, und jede Methode, die das tut, hat ihre
Berechtigung; aber von vornherein liegt für uns nicht der
geringste Grund vor, anzunehmen, daß die herangezogene
Tatsache das gewünschte Resultat liefert. In allen Fällen aber
ist dann stets noch — und selbst dann, wenn wir aus unsern
sichersten und direkt auf den Tatsachen beruhenden Grund-
lagen unseres Systemes Schlüsse ziehen — eine Verifizierung
der Resultate nötig, eben jener Nachweis, von dem wir oben
sprachen. Und diese Verifizierung vermissen wir. Das ist
408 ^® Verteilungstheorie.
nun unser Haupteinwarf gegen die Abstinenztheorie. Nur
eine Theorie, die jenen Anforderungen genügt, welche wir
hier kurz zu skizzieren uns bemühen, ist wirklich korrd[t
wirklich wissenschaftlich und wird von jenen Einwendiugra
der Gegner der Theorie nicht getroffen.
Senior und seine Nachfolger gingen also von der An-
nahme aus, daß dem regelmäfiig fließenden Zinse eine
dauernde Quelle entsprechen müsse. Und diese zunächst
ganz gestaltlose Ursache, die einem Kleiderstocke gleicht,
wurde dann mit dem Momente der Abstinenz umhüllt. Was
sonst noch dazu gesagt werden mag, ist „Spekulation''. Das
also zusammen mit den Einwendungen v. Boehm-Bawerk's
und dem Nachweise Clark's, daß es in der Statik kein
„waiting"" geben oder doch, daß dasselbe keinen EinfiuS
haben könne — das sind die „Entscheidungsgründe" für das
Todesurteil der Abstinenztheorie.
§ 5. Es obliegt uns noch, zu der weitaus bedeutendsten
Schöpfung auf dem Gebiete der Zinstheorie Stellung zu
nehmen, zu der Theorie v. Boehm-Bawerk's. Denn wenn
wir auch alle andern Zinstheorien abgelehnt haben, so er-
gibt sich immer noch die Frage, wie wir zu dieser stehen.
Auch bei ihr ist für uns eine vollständige Würdigung un-
möglich, ebenso wie eine auf den Grund gehende Analyse.
Wir fragen lediglich darnach, worin ihr Wesen besteht, was
ihre Voraussetzungen sind und was wir auf unserm Wege
aus ihr gewinnen können. Auch können wir hier kein ab-
schließendes Urteil über sie gewinnen, aus welchem Grunde
wird sie gleich zeigen. Es ergeben sich nur auf einigen
Punkten unseres W^eges manche Ausblicke auf verschiedene
Seiten dieses theoretischen Baues, die wir kurz skizzieren
wollen, aber wir kommen nicht ganz zu ihm hin und dringen
nicht in sein Inneres ein.
V. Boehm-Bawerk erkennt die Tatsache, daß das auf
dem Zurechnungsprol)leme fußende System die Zinserscheinung
nicht erklärt, vollkommen an, allerdings nur in der Form,
daß er sagt, die Produktivitätstheorie ergebe keinen
Ober den dritten Btatischen Einkommenuweig. 409
Zins. Sein Problem ist es, die Zinserscheinung trotzdem
2U erklären; wir können jedoch nicht genau sagen, ob er
seine Erklärung selbst als „ statisch ** bezeichnen würde oder
nicht. Das hängt damit zusammen, daß er auf den Unter-
schied zwischen Statik und Dynamik keinen großen Wert legt.
Soweit sich auch bei ihm nicht alle Elemente auf einmal
^on Grund aus ändern können, betrachtet er eine Art statio-
nären Zustandes, der sich zwar immer wiederholt, aber nicht
Töllig die Merkmale unseres statischen Zustandes wiedergibt.
Er geht also von der Zinserscheinung aus und definiert
-den Zios als das Agio der Gegenwarts- gegenüber den Zu-
kunftsgütem, und sein Problem ist nun, die Ursachen dieses
Agios zu untersuchen. Deren gibt es drei: Verschiedenheit
4er Deckung des Bedarfes eines Wirtschaftssubjektes in
-Gegenwart und Zukunft, die psychologische Tatsache der
hohem Schätzung von Gegen wartsgütem, von gegenwärtigen
"Genüssen, gegeoüber zukünftigen und eine Tatsache pro-
duktionstechnischer Natur, nämlich die überproportionell
höhere Produktivität längerer Produktionsperioden gegenüber
kürzeren. Das ist alles, worauf sich unsere Bemerkungen
beziehen werden, so wünschenswert es auch ist, daß diesem
theoretischen Gebäude endlich einmal wirklich eine Kritik
von der Gründlichkeit und Tiefe wird, die es verdient.
Der Ausgangspunkt der Theorie ist jedenfalls die Tat-
sache des Zinseinkommens und von dort her ist auch Boehm's
Kapitalstheorie zu verstehen. Bei allen Zinstheorien be-
obachten wir das. Während man sich bei Rente und Lohn
fragt, wie Boden und Arbeit zu ihrer Entlohnung kommen,
also hier von der Seite des Produktionsfaktors zu dem Ein-
kommen, das es abwirft, vorschreitet, so geschieht beim
Ziuse immer das Gegenteil. Man sieht den Zins und fragt
sich, woher er kommt. Das ist an sich nur naturgemäß
und zeigt ganz deutlich, daß das Problem des Zinses ein
schon methodologisch ganz anderes ist, als das von Lohn
und Rente und diesen nur durch Kunstgriffe und Hilfsmittel
analog gestaltet werden kann. Das zeigt uns auch, wie sehr
wir gegenüber allen Kapitalstheorien auf unserer Hut sein
410 1^6 Verteiltmgstheorie.
mttssen, wie sehr wir hier auf dem Boden der theoretischen
Eonstiiiktion und nicht auf dem der Tatsachen stehen«
Aber v. Boehm-Bawerk scheint einen Schritt weiter aof
dem Gebiete der Tatsachen zu tun, als die übrigen Theoretiker
und einen Moment später als sie das theoretische GertMe
zu betreten. Seine Aufstellung nämlich, daB der Zins jenes
Agio sei, scheint Tatsachenbeobachtung darzustellen, wie
seine Bemerkung anzudeuten scheint, daB seine Theorie,
ganz einfach ausgedrückt, an Selbstverständlichkeit grenze.
Und doch ist jener Satz nur in einem bestimmten Sinoe
selbstverständlich, in einem andern enthält er schon eine
Theorie. Ganz sicher richtig ist er nämlich nur dann, wenn
wir vom Gel de sprechen. Nur das Eonsumtivdarlehen kun
in Güter irgendwelcher Art gegeben werden — und dieses
interessiert uns nicht aus dem früher angeführten Grunde — ,
bei jedem andern Darlehen, das heißt also, bei dem Darlehen
für eine industrielle Tätigkeit, besteht es weder in GenuS-
gütem zur Konsumtion des Entlehners noch in ProduktiT-
mittein, die bereits vorhanden wären. Es besteht vielmehr
aller Regel nach in Geld und jedenfalls nur in Dingen, ffir
die man andere kaufen will. Man pflegt nun so ganz ohoe
weiteres anzunehmen, daß man das Moment des Geldes, das
man bezeichnenderweise eine „Hülle**, einen „Mantel** der
Erscheinungen nennt, einfach weglassen könne. Es ist
ganz klar, daß das sehr oft möglich ist, aber jedesmal muS
das nachgewiesen werden, wenn man nicht Gefahr laufen
will, auf einmal zu bemerken, daß das Geld unter Umständeo
noch eine andere Rolle in der Theorie zu spielen vermag,
als die eines Wertmessers und bequemen Ausdruckes und
daß man diese Rolle übersehen habe. Populär gesprochen
also ist der Zins gewiß ein Agio von gegenwärtigem Geld
über künftiges Geld. So stellt er sich auf dem Geldmarkte
unmittelbar dar. Sagt man aber, er sei ein Agio von gegen-
wärtigen Genußgütern, dann liegt darin erst noch ein
Beweisthenia, eine bestimmte Theorie. Nicht daB Gegen-
wartsgüter sozusagen ein psychologisches Agio haben, steht
dabei in Frage, wohl aber, daß dasselbe jenes des Geldes erklärt.
über den dritten etatiBchen Einkommenszweig. 411
Nach diesen einleitenden Bemerkungen fragen wir nach
dem weitem Vorgehen von Boehm-Bawerk's. Das erste, wu
bei der Betrachtung seiner drei Gründe aufftllt, ist ihre
völlige Verschiedenheit, und wenn wir uns dessen ertDDem,
was wir ober die Verschiedenheit der anter dem Namen
„Zins" zuBammengefaSt«n Erscheinungen sagten, so wird
ans das anch weiter nicht wandernehmen. Der erste Grand
hat bei 6oehm>Bawerk keine prinzipielle Bedeutung, da er
nur die Eonsunitivdarlehen des Notleidenden betriift. In
einem etwas anderen Sinne kann dieser Grund denuoch sehr
wichtig werden, aber hier interessiert er uns nicht weiter.
Die andern beiden Gründe bedeuten die Einfahrungen zweier
nenen Tatsachen in unser System, zweier neuer Hypothesen.
Was fOr uns an denselben vor allem wichtig ist, ist nun,
dafi sie nicht statisch sind. Die erste, die Unterschätzung
zukünftiger Genüsse kann im statischen Zustande nicht in
der gewQnscbten Weise wirksam werden, wie wir bei der
Diskussion der Theorie Jevons' sahen. Hat sie überhaupt
eine Bedeutung, was wir durchaus nicht entscheiden wollen,
da das ganz außerhalb des Rahmens der Aufgabe liegt, die
jetzt unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, so kann
diese Bedeutung nur auf dem Gebiete der Dynamik liegen.
Aber ebenso verhalt es sich mit dem dritten Grunde.
Derselbe wurde von verschiedenen Seiten angegriffen , auch
vielfach mit dem „Werkzeuge" der Produktivitätstheorie
verwechselt. Uns scheinen die erhobenen Einwendungen im
allgemeinen nicht stichhaltig, wenn wir auch über den
folgenden Punkt nicht ganz im Klaren sind : Wenn auch die
tlberproportionelle Produktivität etwas ganz anderes
ist als die gew&hnliche, auf ganz andere Momente Gewicht
legt, wird einem Werkzeuge nicht trotzdem das Ganze des
Wertes seiner Produkte zugerechnet werden, so d»6 es einen
Überschuß nicht ergeben kann, mit andern Worten, trifft
derselbe Einwand, der gegenüber der gewöliulichen Produk-
tivitAtstheorie so schlagend ist, nicht auch diesen dritten
Grund? Und femer ist es wirklich ganz sicher, daß das
Wesen des Kapitalphänomens nur hierin zu suchen ist? Aber
r
I
412 ^0 Verteilangstheorie.
das wollen wir nicht untersuchen, doch etwas anderes muß
hervorgehoben werden. Werden „zeitraubende Produktion»-
umwege** eingeschlagen, so kann man im Zweifel sein, ob
das innerhalb des statischen Systemes möglich ist Dasselbe
bietet dazu jedenfalls nur das Moment des Sparens dir;
daß uns dasselbe aber nicht geeignet erscheint, die ihm n-
gewiesene Rolle zu erfüllen, haben wir bereits gesagt. Aber
femer, wenn die neue Produktionsmethode durchgefQhrt ist,
so hat sich im Systeme alles verändert, selbst die NaUir
und die Menschen sind in ihren Beziehungen zueinander
nicht dieselben geblieben, die ganze Anlage, das ganze Leben
der Menschen wird durch die nunmehr andern Verhftltnitte
geändert, die Rolle von Boden und Arbeit verschiebt sieb,
die Organisation der Volkswirtschaft wird eine andere, neue
Tendenzen werden zutage treten und vor allem, infolge
dieser Umstände wird nun ein weiterer Fortschritt sich voll-
ziehen usw., in immersteigender Skala. Vielleicht nun ist
die diskutierte Theorie ein ganz vorzügliches Kittel, gewisse
Vorgänge der Dynamik exakt zu erfassen, statisch ist sie
jedenfalls nicht, das zeigt schon der Umstand, daß sie aaf
den Zeitablauf, auf lange Perioden, Gewicht legt.
Wenn wir aber sagten, daß wir in dem Momente der
produzierten Produktionsmittel nicht den Schlüssel für die
Zinserscheinung sehen können, so müssen wir doch betonen,
daß das, wie wir es meinten, an sich noch nicht gegen die
Theorie von Boehm-Bawerk's spricht, da diese, wie der Leser
sieht, die Sache wesentlich anders behandelt, als jene anderen
Theorien. Wir kommen noch kurz darauf zurück.
Nun, was hat es für Konsequenzen, daß diese Theorie
„nicht sUitisch^ ist? Man könnte sagen, daß das ja irrelevant
sei, wenn sie nur das Gewünschte leiste. Und doch ist
dieses Moment sehr wichtig: Wir können den Zins nicht
innerhalb unseres Systems in seiner einfachsten Form erklären.
Gehen wir aber darüber hinaus, dann stehen wir mitten in
Entwicklung und Bewegung, wie angeführt Wenn wir
trotzdem an mehr oder weniger stationären Verhältnissen
festhalten wollen, so liegt darin eine neue Stufe der Ab-
Ober den dritten Btatischen Einkommenuweig. 413
Btraktion, ein Schritt weiter weg von der Wirklichkeit.
Doch aber müssen wir das. Denn andernfalls wOrde sich
eine ganze Reihe neuer Probleme, die gegen das große
Thema der Entwicklung zu liegen, in unseren Weg drangen,
wie wir sahen. Und das würde es unmöglich machen, iigend-
welche klaren Bewegungagesetze abzuleiten. Bei Lohn und
Rente ist die Sache vODig anders. Da kOnnen wir unsere
Betrachtung ganz gut durchführen. So ist es denn un-
möglich, den Zins neben Lohn und Rente zu stellen und
seine Bewegungsgesetze jenen der letzteren unmittelbar
zu koordinieren. Vielleicht erklart sich daraus das Un-
befriedigende an allen Versuchen, das zu tun, und die vielen
Einwürfe, die gegen Ricardo's diesbezügliche Formeln er-
hoben wurden. Dieser Sachverhalt kann uns von unserem
Standpunkte aus nicht befremden und wir glauben, ihn als
eine Bestätigung der Richtigkeit desselben betrachten zu
können. Nich{ infolge unserer WillkOr, ganz von selbst
vielmehr fällt die Zinserscheinung aus unserem Systeme
heraus, welches gleichwohl der Ausdruck jener Methode ist,
die wir einschlagen müssen. Da haben wir keine Wahl.
Eine solche steht uns b&chstens in der Beziehung offen, daß
wir mit Hilfe von Fiktionen und weiteren Annahmen den
Zias doch in unser System pressen könnten. Wir sind aber
der Ansieht, daß diese Methode uns die Einsicht in sein
Wesen und den Ausblick auf sehr wichtige Probleme ver-
barrikadiert und daß sie höchstens ein provisorisches Palliativ-
mittel darstellt, das einer vollkommeneren Betrachtung zu
weichen bestimmt ist, die im Rahmen der Statik nicht möglich
scheint. Den Zins aus derselben auszuschließen, ist dann
die andere Möglichkeit und in dem Momente, wo wir sehen,
daß wir auf diesem Wege zu einer wirklich befriedigenden
Theorie kommen können, haben jene Kunstgriffe ihre Existenz-
berechtigung verloren.
Wir wollen nun die Umrisse dieser neuen umfassenden
Theorie andeuten, wobei wir nochmals auf v. Boehm-Bawerk's
Lehre zurückkommen werden.
414 ^^® Verteilungstheorie.
Prolegomena zu einer dynamischen Theorie des Ziates.
I. Zu unbefriedigend ist unser Resultat. Wir können xau der
Pflicht nicht entziehen, den Weg wenigstens anzudeuten, der Querer
Ansicht nach zum Wesen der Zinserscheinung fuhrt, denn eine Um-
theorie, die auf Leugnnng des Zinses überhaupt hinansULaft, wird«
in fatalem Sinne neu sein. Wir hoben aber bereits hervor, daS vir
eine vollständige Zinstheorie nicht geben können und glauben gang
gesagt zu haben, um zu begründen, warum nicht. Nur den Nachweia.
daS die Zinserscheinung sich im reinen statischen Systeme nicht sei^
wünschen wir als ein endgültiges Resultat betrachtet zu sehen, fv
das wir einstehen und das diskutiert werden mag. Was wir noi
sagen wollen hingegen, dient nur dazu, um zu zeigen, daS wir weiter
wissen und uns über das wirkliche Wesen der Zinserscheinong ideht
im Unklaren sind. Einerseits können wir im Rahmen dieser Unter-
suchung keine Zinstheorie geben , die sich da ja doch nicht aualebci
könnte und viel mehr Raum in Anspruch nehmen würde, als die Pro-
portionen dieser Arbeit ihr zuweisen , und andererseits wollen wir es
auch gar nicht, da wir es hier mit dem Wesen des statischen Sjrstens
zu tun haben und unsere Aufgabe im Momente aufhört, wo der Nacit*
weis erbracht ist, daß es sich hier nicht um eine statische ErscheiDODg
handle. Wenn wir uns trotzdem nicht allein berechtigt, sondern snch
verpflichtet glauben, über neue Grundlagen für die Behandlung ebef
großen Problemcd einige kurze Bemerkungen zu machen, so bitten
wir den Leser, bedenken zu wollen, daß dieselben naturgemift inhaltlich
und formell mangelhaft sein müssen, daß sich eine Menge Einwendangeni
Fragen und Zweifel ergeben, die ich hier notwendig unerörtert IsMen
muß. Eine Kritik meiner Bemerkungen müßte das berücksichtigen-
Namentlich kann ich mir nicht verhehlen, daß manche derselben ober
flftchlich und andere sogar als offenbar falsch erscheinen können.
Daher mein Wunsch, dieselben, wenn möglich, von einer eventnellen
Kontroverse aunzunehmen, die ja später einmal über eine vollständigere
Exposition meiner Theorie eröffnet werden kann.
Die negative Seite der Sache habe ich bereits erörtert. Sie steht
hier im Vordergründe. Wenn man zugibt, daß sich aus unserem
Systeme in seiner einfachsten und allein korrekten Form ohne weiteres
ein Zins nicht ergibt und femer, daß ich die Ursache des so unleugbar
unbefriedigenden Charakters aller statischen Zinstheorien sutreffend
herausgearbeitet habe, wenn man einsieht, daß und warum das Problem
des Zinses in der Statik so eigentümlich verkrüppelte Formen z^ist
und daß seine Lösung in der „Dynamik** gesucht werden mnfi, weil
der statische Apparat den Ansbliek gerade auf das Wesen der Sache
verbarrikadiert — dann ist alles erreicht, was ich hier erreichen m'ill.
Das Folgende soll nur diesen Eindruck noch verstärken und zugleich
über den dritten statischen Einkommenszweig. 41 5
zeigen, wie ich über das Weitere denke. Es genügt mir, wenn es
dazu ausreicht, dem Leser eine vorlftufige Vorsteilang zu geben von
den Elementen einer befriedigenden Lidsiing des Problem es und ihn
sn fibeneagen, dafi wenigstens etwas Wahres an denselben ist
Unsere negativen Resultate waren die folgenden zwei: Erstens
«rkannten wir, daft sich trotz des gegenteiligen Anscheines das Kapital,
wie immer es definiert werden mag, weder dauernd erhält noch auto-
matisch ersetzt. Dieser Anschein beruht aaf den scheinbaren Tat-
sachen, daft der „Kapitalist** sein „Kapital^ behält, wenn er dessen
„Zins** verausgabt, und daft der Besitzer von Produktionsmitteln sich
häufig oder selbst meist nach dem Verbrauche desselben ohne weiteres
wieder in den Besitz von ähnlichen setzt und ehe das nicht geschehen
ist, nicht von „Ertrag** spricht. Aber wir erkannten darin keinen
selbstverständlichen Vorgang, sondern ein Problem, unseres E^rachtens
aas zwei Gründen: Erstens weil sich das Kapital, woraus immer es
bestehen mag, eben nicht von selbst ersetzt - was eine sehr banale
Wahrheit ist — und sieh auch nur im Falle des „Rentners** von selbst
SU erhaltsn s e h e i n t , ein Fall, auf den wir noch kommen, der aber,
obgleich er den Anstoß zu jener vermeintlichen Beobachtung gab,
doch nur einen kleinen Teil der Erscheinung des Zinses verkörpert,
und zweitens aus dem Grunde, weil Ersatz von Kapital ein mit der
Kenschaffung von solchem wesensgleicher Vorgang ist. Das letztere
Moment lehrte uns auch, daft der Kapitalersatz kein statischer Vor-
gang sein kann, da es die Neuschaffung sicher nicht ist. Daraus ergab
sich, daS man von einem Kapitale als einer dauernden Ein-
kommensquelle trotz aliem^widersprechenden Anscheine wenigstens
immer dann, wenn man konkrete Güter darunter versteht, nur in einem
fiktiven Sinne sprechen kann und darum wiederum, daß es ein ver-
bäng^isvoller Fehler ist, dem Gcldkapitale der alltäglichen Erfahrung
einfach einen Werkzeug^orrat zu substituieren und von dem letzteren
auszusagen, was für das erstere zu gelten scheint. Daß beide zu
scheiden seien, hat nur Clark erkannt, aber auch er nicht in ent-
sprechender Weise.
Unser zweites negatives Resultat war, daß weder im Momente
des Produktionsmittelvorrates noch in anderen Momenten, welche seine
Stelle vertreten und unseres Erachtens nur infolge der Erkenntnis
seiner Unzulänglichkeit für diese Rolle herangezogen wurden, die
Erklärung des Zinses zu suchen sei, daß hierin weder das Wesen des
Kapital Phänomens noch die Quelle f&r diesen Einkommenszweig liege.
Daraus folg^ für uns aber, daß der Zins kein statischer Einkommens-
sweig sei und der Versuch, ihn mit statischen Mitteln ableiten zu
wollen, nur zu radikal falschen Resultaten fQhren könne.
Fügen wir jetzt noch hinzu, wie unseres Erachtens produzierte
Güter — ob Produktiv- oder Genußgüter, macht keinen Unterschied —
416 ^0 Verteilungstheorie.
ein Reineinkommen abwerfen können, dessen Ezistenx vieUackt
manches beigetragen haben mag, um die Ökonomen irrezuleiten. Wer
Werkzeuge oder Genußguter verleiht, besonders jener, der darmos di
Geschäft macht , kann sehr wohl „Einkommen^ daraas erzidlea, ab«
nur in folgender Weise: Vor allem wird ein solches Individaom eiaei
Zwischenhandelsgewinn, den Gewinn des Detailisten, erzielen kOuMs.
Derselbe würde eine Art von „Friktionseinkommen" daretelleiiv du
theoretisch ohne große Bedeutung ist. Sodann wird die Arbeit, die
er dabei leistet, ihm ein Einkommen abwerfen und dabei kaaa siek
leicht der Anschein ergeben, daß es von den vermieteteii Gftten
stamme. Endlich kann der Vermiether auch Monopolist sein und wu
diesem Umstände entsprechenden Gewinn ziehen. Nun ist es rOUif
klar, daß alle diese Einkommen nichts mit dem Zinse zu tan babea,
schon deshalb nicht, weil sie auch bei jedem Verkaufe möglich snid.
Immerhin aber mögen sie das Vorurteil, daß der Zins aas solebea
Quellen stamme, gestützt haben und es schien uns wichtig, diesen Poakt
klarzustellen.
Nun zu unseren Prolegomena für eine dynamische Theorie des
Zinses.
II. Wir fragten uns also vor allem, als wir an die Zinserscheinimf
herantraten, ob unser System eine Erklärung derselben liefere. Wir
kamen zu unserer verneinenden Antwort und haben nun zwei Wege.
Wir können uns das Zinsphänomen näher besehen und aus den Tat-
sachen eine Theorie desselben bauen, da unser System, auf andern
Tatsachen beruhend, dieselbe nicht gibt, oder wir können durch ESb-
führung neuer Hypothesen künstlich bewirken, daß die Zinserscheinong
sich trotzdem ans den Tatsachen unseres Systemes ergebe. Trotz der
prinzipiellen Möglichkeit des letztem Weges werden wir den erstem
vorziehen, da nur er uns wirkliche Erkenntnis zu geben vennag.
Dann aber müssen wir uns klar werden, wo wir das Phänomen so
suchen haben. Wir haben bereits gesagt, daß die Ökonomen gaas
wesensverschiedene Dinge unter diesem Titel behandelten und habea
den Mietzins und den Zins für das Konsumtivdarlehen bereits ab-
geschieden. Nun haben wir noch einen Schritt in dieser Rtchtnag
zu tun. Es besteht noch weiter ein charakteristischer Unterschied
zwischen jenen Darlehen, welche zum Zwecke der Produktion auf-
genommen werden : und hier nähern wir uns einem ganz entscheidenden
Punkte. Zunächst freilich haben wir etwas zu sagen, was gar keinen
Hedenkon ausgesetzt ist, nämlich, daß auch Produktivdaiiehen auf-
genommen werden können« um den bestehenden Wirtschaftsbetrieh,
der z. ß. durch einen plötzlichen Unglücksfall bedroht ist, aufreckt
zu eriialten. Zwischen diesen Darlehen und jenen, welche neaen
Unternehmungen und neuen Verbesserungen dienen, besteht eine
nicht unerhebliche Differenz. Jene erstem könnten eigentlich and in
Ober den dritten Btatiaaben Binkommeiuzw«g, 417
gPwiHBein Sinne zn jenen Konsumtivd&iiehen gerechnet werden, nnd
ao groBe Bozimle und wirtschaftliche Bedeutung sie auch im Lebon
hab«n mCgen, hier, wo wir es nur mit der Grundlage und dem Wesen
der groBen Erscheinungen zu tun haben, müssen wir una beeilen, üe
abzuscheiden, dm alles Beiwerk, alles nicht ganz Weseutlicbe nur dam
dient, die groBen Formen zn trüben. Dal die von dieser Seite auS'
gehende Nachjage nach Darlehen auf den ZinsfuB nicht ohne EinflnS
ist, gerade so wie auch die Nachfrage nach Konsamt! vdariehen, ist
ganz selbstverständlich. Wir wollen uns mit solchen Dingen nicht
aufhalten, so sehr wir uns bewußt sind, wie gef&brlich solche neben-
sächliche Einwendungen einer Theorie oft werden kSnnen. Das
Essentielle ist der Zins für Darlehen, die lur Schaffung
Techniken, neuer aennBgflter verwendet werden, und
damit ist die eine HBIfte des entscheidenden Punktes ansgeeptoehen.
Zur andern kommen wir jetzt. Es besteht auch ein wesentlicher
Unterschied — nnd das ist nnn weniger leicht einzusehen nnd vielen
Mi B Verständnissen und Einwürfen offen — zwischen den Darlehen je nach
dem Umstände, wo sie herkommen, wo der Darlehensgeber sie
hernimmt. Leiht ein Bauer seinem Nachbar einen Sack Samengnte«,
eo ist das kaum etwas anderes, ich meine, die wirtschaftliche Natur
dee Vorganges und seine wirtschaftlichen Wirkungen sind kaum andere,
als wenn er ihm eine Quantil&t GenuBgüter leiht. Der Vorgang hat
keinbesonderesinteresseund wenn derBaner auch, was aber keineswegs
sicher und in Fällen gleich nusenn Beispiele wohl auch gar nicht die
fiegel ist, mehr zurückbekommt, als er gab, so werden wir das zwar
Zins nennen dem gewllhotichen Sprachgebrauche zufolge, aber unschwer
einsehen, welch großer Unterschied besteht swischen diesem Falle
nnd der Erscheinung, mit der wir uns hier beschäftigen. Selbst dann,
wenn der Darlehensnehmer das erhaltene Saatgut auf einem Neubruche
verwendet, so daß dadurch etwas Neues geschaffen wird, müBte noch
kaum notwendig ein Zins entstehen. Leiht im allgemeinen
jemand aus seinem Güteivorrate irgendetwas aus, so
hat das in der Regel noch keine besonders interessanten
Konsequensea. Ein Element unseres Sjstemes vergrößert, ein
anderes verringert sich, gewiß, aber kein Neues entsteht Etwas
anders ist es schon, wenn wie gesagt, etwas Neues geschaffen wird.
Damit tritt die Sache schon aus dem statischen Systeme heraus, nnd
gans neue Bildungen entstehen. Aber der Darlehensgeber braocht
nicht immer aus seinem Gütervorrate auszuleihen, es kann auch ein
anderer Weg eingeschlagen werden. Zunächst leiht er wohl in Geld.
Das würde nun nichts Wesentliches ändere, aber wesentlich
anders wird die Sache, wenn er dieses Geld selbst schafft
X. B. Banknoten emittiert oder einen offenen Kredit er-
418 ^« Yerteiltuigstbeorie.
Offnet. Beide Geschftftsformen haben natfirlieh nicht immer diaiei
Charakter. Die Banknote kann metallisch und anders gedeckt, der
Bachkredit kann einfach auf das aktive YermOg^n des Darlehenageben
gestützt sein, aber das muß nicht der Fall sein, und gerade jeie
F&lle, wo es nicht zutrifft, interessieren uns voriftglicL
Nun aus allen den Einwendungen, welche man gegen den Ge-
dankengang, in den einzulenken wir im Begriffe stehen, vorbriiigeD
könnte, müssen wir zwei unbedingt hervorheben, wenn auch in aller
Kürze. Zunächst kann man über die Bedeutung jener Art des Kredite!,
von der wir hier sprechen, sehr im Zweifel sein. In „normalen*, das
heiBt, ruhigen Zeiten existiert sie vielleicht mitunter kaum und inwie-
weit sie in Zeiten von ^Aufschwung", Spekulation usw. vorwi^
darüber kann man sehr verschiedener Ansicht sein. Auf diese &
scheinung, die nach Ansicht unserer Vorgänger nur einen vidlekht
verschwindend kleinen Teil der Zinserscheinung deckt, wollen wir
eine umfassende Theorie bauen, noch dazu auf eine Erscheinung, die
vielen als abnormal erscheint? Hier kann nur kurz entgegnet w^en:
Nachdem wir die Einsicht gewonnen hatten, daß wir von unserem
Systeme aus in die Zinserscheinung nicht eindringen kannten« be-
schlossen wir, durch unmittelbare Tatsachenbeobachtung die Gmnd-
lagen zu einer Zinstheorie zu gewinnen. Und Schritt für Schritt fährte
uns die Analyse der Tatsachen nolens volens zum Geldmarkte.
Wenn man die Fakten untersucht, so kommt man schließlich, allei
Unwesentliche abscheidend, dazu, zu erkennen, daß im Geldmarkte das
Herz der Sache pulsiert. Wohl weiß ich, daß man, wenn man diesen
Satz hört, sofort an eine Menge Flachheiten und Mißgriffe des prak-
tischen Lebens erinnert wird und daß manche vortrefflichen Theoretiker
allein durch diesen Satz schon veranlaßt werden können, nicht weiter zu
lesen. Und nicht möglich ist es mir, hier vollständig befriedigend zo
zeigen, daß das, was ich meine, etwas Neues ist, das sehr wohl eine
Prüfung verdient. Doch weiter! Angenommen nun, es sei richtig.
daß wir otwa in Lombard Street das Herz oder „eins der Henea*
des Zinsphanomens gefunden haben, so werden wir dann zu generali-
sieren suchen und andere benachbarte Erscheinungen heran- und 50
immer weitere Kreise ziehen. Aber es ist verfehlt, schon a priori
und noch dazu auR gar keinem anderen Grunde als wegen der Rechts-
und Redoform ein bestimmtes Gebiet von Tatsachen als das derZins-
erHcheiiiuDg abzugrenzen, auf das nun eine und dieselbe Formel wohl
oder übel passen muß. Das ist eins jener Vorgehen der Theoretiker.
auf das alle hiHtorischon Einwürfe so schlagend passen, daß manche
Leute es einfach unbegreiflich finden, wie man sich noch weiter mit
Theorie befassen kann. Nicht in primitiven Verhältnissen, von denen
man ja doch eigentlich nichts weiß und die uns, wenn wir von der
Annahme starten, unsere Erscheinungen dort finden zu mfitsen, gast
über den dritten «tatischeti KinkDnunenMweig. 419
radikal ine fShren kijonen, gondem tu muem Erbhrungen, in wirklleh
verlUlicher Beobachtung mOwen wir die Baiuteine für naaere Er-
kenntnis finden, nnd hier wiedemm haben wir die tj^iachBten, formen-
rmcheten, lebensToilaten ErBcheiamgen heraoB in greifen, nm sn be^
obachtennnd erat aas dieser Beobachtung dann, wenn wir das
Wesentliche daran erkannt zii haben glauben, kSnnen wir
isolieren und dann tritt Uobioson in seine Reehte. Aber treffen wir
anf eine Erscheinung, die nnser exaktes System nicht von selbst dar-
bietet, so dürfen wir nicht darnach bei Bobioaon suchen wollen; und
mag also auch die Erscheinung, die wir als besonders interessant
hervorheben, zunächst auch nur einen kleinen Umfaog haben, so
glaoben wir ans doch berechtigt, daran aniukuQpfen. Wir glauben
ferner, dafl gerade diese Erscheinung sich als das treibende Rad herans-
•teilt, auf das alle Ähnlichen Erscheinungen surücksafBhren sind.
Der andere Einwarf, den wir zu gewärtigen haben, ist der, daB
wir mit etwas ganz Unwirklichem, mit einem Kredite, dem nichts in
der Oflterwelt entspricht, arbeiten und in Qefahr sind, demselben
materielle Eiistenz zu vindizieren. Das sieht so aus. TatsAchlich
tnn wir es nicht. Wir sprechen von etwas wirklich Existierend em,
aber von einem Vorgange, nicht emem materiellen Dinge. Wir
macheu uns nicht Mac Leods Begriff sn eigen, wenn wir auch darauf
hinweisen mochten, daB Gedankengfinge, wie die unserer Theorie, nns,
wie wir glauben, verstehen lassen, was Hac Leod sur Aofstellnng
seines Begriffes veranlaBle, und daß wir glauben, daB in seiner Theorie
ein sehr gesunder Kern liege, daft er vielleicht zu unserer Theorie
de« Zinses eine llhnliche Stellung hat wie zur 0 renin ntzentheorie, die
er ja auch vorausgeahnt hat.
Nur den Kredit der Art, von der wir hier sprechen, betrachten
wir ala das Wesen der Krnditerscheinong und alle anderen Arten
derselben scheiden wir ab. Manche der letzteren kennten auch im
statischen Bj'steme vorkommen; a konnte zur Organisation etwa ge-
rechnet werden, daß ein bestimmter Schnldenbestand eines Teiles der
Wirtschaftesnbjekte und ein gcwisasr Forderungsbestsnd eines andern
Teiles ein- für allemal vorhanden ist. Darüber ließen sich aber nur
Oeneinpl&tze sagen. Es kann auch Banken geben im statischen
Sjsteme, welche eine ein- für allemal bestimmte Menge Sanknoten
zirkulieren lassen, und Kreditinstitute, welche das Bindeglied zwischen
Schuldner und Ulftubiger bilden kennten. Aber auch das bietet wenig
Interessantes. Das beweist unter anderm die entsetzliche BanalitSt
dessen, was unter dem Titel Kredittheorie im Systeme unserer Wisseo-
•ehaft figuriert. Wir verlieren gar nichts, wenn wir auf all das ver-
sichten, und von diesem Standpunkte ist es wirklich gleichgültig, ob
unser System eine hochentwickelte, wenn nnr statische, oder eine
primitive Wirtschaft repräsentiert. Beides kann es gleich gut, aber
420 ^1® Verteiltmgstheorie.
das Interessanteste, das einzig Interessante am Kredite liegt in der
Dynamik, liegt in jenem Teile der Erscheinung, von dem wir hiir
sprechen, und der in der Tat ja eigentlich etwas anderes ist als jeae
anderen Kreditformen and wirtschaftlich so andere Konsequensea hat,
daB das formale Moment des Leihens daneben gans yerschwindet Die
Neuschaffung von Kredit ist das Essentielle. Wenn s. B. (fie
Noten emittierende Bank, statt eine Industrie zu „patroniaieTeB', fie
gleich selbst schaffen wurde , so wäre das wesentliche Mome&t gaax
dasselbe, obgleich vom Leihen keine Rede sein könnte.
III. In der Entwicklung und im Kredite also liegt die
Quelle des Zinsph&nomens, dort ist seine Erklärung au suchen.
Ein enger Zusammenhang besteht zwischen beiden Momentfn.
Im statischen Gleichgewichte ist die Produktion und ihre ganze
Organisation einem bestimmten Zustande der Nachfrage nnd der
Kaufkraft angepaßt Führt irgendein Umstand dazu, dai ein neues
Unternehmen oder eine neue Organisation, z. B. ein Trnst^ geeehafoi
werden soll, so ist dazu — popul&r gesprochen — .G^ld** nMg. Der
Kredit nun bietet es dar, wie, das zu untersuchen, würde uns suweit
führen. Umgekehrt: Wird neue Kaufkraft geschaffen — man yerseihe
den oberflächlich scheinenden Ausdruck — so kann, wenn die Wirt-
schaft im Gleichgewichte war nnd sonst kein außerordentlicher Anlai,
etwa Kriegsbedarf usw. vorliegt, dieselbe — den Fall aosgenommea,
daß sie unter alle Wirschaftssubjekte in solchen Proportionen Terteilt
sind, daß alle Preise gleichmäßig steigen — nur zu Neuschöpfui^n
verwandt werden und bildet den größten Ansporn dazu, aus dem
Gleichgewichtszustande herauszutreten und ungewöhnliche Ab-
strengungen zu machen. Hier liegt ein weiterer entscheidend«
Punkt, das Moment des „effort^.
Die Produktionsmittel entstehen und vergehen. Auf diesen Satz
haben wir soviel Gewicht gelegt. Nun geben wir ihm einen weitem
und teilweise anderen Sinn. Es treten neue an die Stelle der alten.
Aber nicht gleichartige. Sondern bessere, den alten Zwecken
besser dienende, sodann zalilreichere, endlich solche, die neuen Zwecken
dienen.
Und so wird der produktive Vorrat ein anderer. Wir sahen
bisher jedoch nur einen Grund dieses Prozesses, nämlich den produk-
tiven Verbrauch dos bisherigen Vorrates. Es gibt aber noch einen
anderen; dadurch, daß Produktionsmittel geschaffen werden, welche
den bisherigen Zwecken besser dienen und dadurch, daß andere Zwecke
hervortreten, wird der bestehende Vorrat entwertet, noch ehe er
physisch untergeht. Das gilt z. B. besonders von alten Maacbinea,
welche an sich noch ganz gebrauchsfähig sein mögen. Es gilt aber
auch von alten Fabriken, von alten Organisationsformen und Geschäfts-
inethodcn, von Patenten und Monopolstellungen anderer Ali. Neue
Ober den dritten etatiKhen Einkommenuweig. 421
Oifindangen, geschaffen mit Mitteln, die früher geradeso nicht vor-
handen waren, tauchen vom Standpunkte des etatiscben SyatemeAi
das die vorhandenen Hilglichkeiten nicht berOckaichtigt , gleichsam
ans dem Nichte auf und dr&ngen das Alt« ins Nichts ■arOclc.
Uan sagt — und der Praktiker tnt das, wie der Theoretiker — ,
daE sich das „Kapital" erhUt. Man behauptet du in verschiedenem
Sinne, teils denkt man an eine Oeldfordemng, welche sich immer
gleich KU bldben scheint durch allen Wandel der wirtsehaftlichsn
Verhiltnisse , teils denkt man ui Werkzenge usw., die steta ana-
gebesaert respektive ersetct werden sollen.
Aber ist daa wahr? Unsere Antwort wird verneinend lanten.
Jene Behauptung beruht auf einer Tiuschnng. WobI ist immer
„K^iital" vorhanden, aber es ist nicht immer dasselbe. Wir haben
nichts dagegen, dafi man die Sache für manche Zwecke so betrachten
mag. Aber uns interessiert hier gerade die Ver&ndemng: Es ist immer
neues „Kapital" vorhanden. Zn jener TAnschung trftgt besonders
der Umstand bei, dnfl man zu sehen glaubt, daß die neuen Werkzeuge
an die Stelle der alten und besonders in den Besitz desselben Wirt-
achaftssubjektes treten , das nach wie vor von „seinem Kapitale"
echlechthin spricht, sogar davon, daß es dasselbe aus einer Anlage
heransgeiogen und irgendwo anders „investiert* habe.
Aber ist denn das so ganz richtig? Ist denn die Klasse der
.Kapitaliaten" ein Kreis individuell bestimmter Personen und deren
Erben? Sehen wir näher zu und scheiden wir su diesem Zwecke die
verschiedenen Fftlle. Jemand besitzt Werkzeuge, die er produktiv
benDtzt und die dabei cugruude gehen. In alter Begel sehen wir
allerdings, daS dieselben so gtatt eraetit werden, daB man oft geradezu
sagt, sie ersetzen sich. Wir sahen aber bereits, daß das nicht
richtig iat. Er muB Anstrengungen machen, um sie zu ersetzen,
und oft wird er das nicht tun. Oft auch wird er sie durch andere
Es besitzt jemand ein Unternehmen, t. B. eine Omnibnsonter-
nehmung. Nehmen wir an, daB infolge der Erbauung einer elektrischen
Tramwa}* niemand mehr die Omnibusse bcnütse. Was geschieht dann?
Kann er sein „Kapital herausziehen", wie ein Feldherr seine Truppen
ans der Scblacbtlinie ? Offenbar nicht; wohl hat er noch den Fahr-
paik und die Pferde, aber beide sind, wenn es nicht eine neue Ver.
weudnngsgelegenhett gibt, die sich übrigens gerade in diesem Momente
neu erSffiien müBte, da im statischen Sj'steme kein Baum dafür ist,
entwertet Gewii kann er sie verkaufen, aber er wird nicht jene
Summe ISsen, mit der er früher seine Unternehmung anschlug. Was
iat geacboben? Sein Kapital oder ein Teil desselben geht unter, die
Pferde werden ■. B. dem Fleischer verkauft und die Wagen irgendwie
remBtat, ohne ausgebessert oder ersetzt zu werden, und waa^er gelOat
422 ^i® Verteilnngstheorie.
hat, repräsentiert nnr diesen letzteren Wert Hier ist Kapital ver-
schwanden, spurlos verschwunden. Und ein solcher Fall irt
nicht etwa eine Ausnahme, ein vereinseltes Unglück, er iat fit
Tjpus des regelmäßigen Vorganges. Voraussicht kaaa dai
ewiß abschwächen. Unser Mann wird eben, wenn er von Tnunwij-
planen hört, sich darnach richten. Aber was kann er tun? Nurssiae
„Prodaktionsmittel** sich abnützen lassen, ohne sie zu ersetsen — av
jenen Prozeß aus einem akuten zu einem langsamen machen. Die
Volkswirtschaft ist nicht ärmer geworden. Aber was hätte es fir
einen Sinn zu sagen, daß das „Kapital*^ .dasselbe geblieben" sei?
Nur der Umstand, daß vorher Kapital vorhanden war and ann
Kapital vorhanden ist, kann einen solchen Anschein erweekei.
Variieren wir ein wenig unser Beispiel. Unser llann gründe selbst
die Tramway. Nichts Wesentliches hat sich geändert. Wir mfissea
den Vorgang Wort tur Wort gleich beschreiben. Und dodi wird
er sagen, er habe „sein Kapital" nun „anders investiert^. Trotadem
ist nichts klarer, als das sein altes zugrunde gegangen ist, und er
sich ein neues geschaffen hat. Hat er für das Geld, das er ans dem
Verkaufe der Omnibusse und Pferde löste, die Tramway gebaut, dann
ist nun „sein Kapital" geringer, als es früher war, ehe die not-
wendige Entwertung jener Dinge eintrat. Aber insoweit er
etwas erlöBt hat, könnte man von einem „Übergange des Kapitales*'
dos Mannes sprechen, doch nur in dem Sinne als man, wenn jemand
Äpfel gegen Nüsse tauscht, von einem „Übergange seines Besitzes*
zu Nüssen reden kann. Prosperiert dann die Tramira/, ao kann unser
Unternehmer wieder auf dieselbe Geldsumme kommen, die er früh*
hatte. Und hat er diese Prosperität vorausgesehen, so wird er sofort
die Tramway ebenso hoch anschlagen. Dann rücken beide Prozesse
so nahe aneinander, daß sie schwer zu scheiden sind. Dennoch müssen
wir sie scharf trennen, erkennen, daß sie entgegengesetzte Vorgänge
darstellen. Der wirkliche Vorgang wird übrigens in aller Regel anden
sein: Der Mann wird Kredit nehmen und aus diesem heraus die
Tramway schaffen, sein früheres „Kapital aber zugrunde gehen lassen.
Dann haben seine beiden Vermögen, das alte und das neu-
geschaffene, so wenig miteinander zu tun, wie wenn sie verschiedenen
Personen gehörten. Und beide Prozesse — das Zugrandegehen nnd
Ncu<'nt8tehen — sind unmöglich im statischen Systeme, sind dynamisch.
I^rof. Clark behandelt folgenden Fall: Das .Kapital", das früher im
Walfischfange investiert war, habe sich der Baumwollindostrie zu-
gewandt. Nun, wir müßten sagen, daß es zugrunde gegangen seL
Mir ist der Fall nicht näher bekannt. Wenn aber die Kapitalisten,
die ihr Kapital im Walfischfange investiert hatten, wirklieh nichts
verloren haben und wir dieselben Leute im Besitze von »eottoa
mills^ desselben Wertes, wie die Schiffe hatten, finden, so
über den dritten atatlicb«n Bnkommenizweig. 423
nur >o geschehen aein, da£ sie, aU sie sahen, daB ein Verbleibeu bei
ihrer , Anlage" den Ruin zur Folge haben mQBte, stimnliert durch die
Besorgnia davor, einen neuen produktiven effort mochten, nämlich
mit Hilfe von Kredit eich neue Unternehmungen schufen. Eis liegen
zwei Proaease vor, ein S^grundegeben und eine wirtschaftliche Wieder-
ersteboug. Betrug ihr VenuSgen in Geld vor — wie nachher wirklich
dieselbe Summe — was ftuBerat uuwahrscheinlich iat — , ao ist das
reiner ZnfalL Nur wenn die Industrie dea Wal6achrBngeB fort-
bestanden hfttte, h&tten aie ihre Anteile daran gegen Anteile an
anderen Induatrien vertauschen kOunen. Das aber w&re ein Vorgang
ohne jedes Intereaae.
Im allgemeinen aber gelingt es dem Besitzer einer Unternehmung
nicht, aich wirtachaftlich unversehrt nach einem anderen Induatrie-
zweige hinüberzuretten, wenn es mit derselben aua dem hier be-
sprochenen Grunde abwftrta geht Wir beobachten tftglich, daB die
Stellung, Bedeutnng von Unternehmungen und mithin das „Kapital*,
daa In Geld kalkulierte Vermögen ihrer Eigentümer, alteriert wird
durch daa Entstehen neuer. Alte Firmen, die einst den Markt be-
berrschten, sinken zur Bedeutangsloaigkeit herab, imd ihre Besitzer
hOren schliefiUch auf, zn der obersten wirtschaftlichen Klaase zu ge-
hören. Es ist ein altes Wort, daß groBe Vermögen nur bia sur „dritten
Hand" gehen. Sicherlich hat das viele Ursachen und vielleicht vor*
nehmlich andere. Auch ist das ja zwar oft gesagt, aber nie exakt
nstersncht worden,.. Hfiglich aber, daB eine davon immerhin hier zu
suchen iat — Ptobleme, welche tief in daa Wirtachaßsieben {Obren
4M die wfa'uns versagen müaaen, n&her zu prOfen.
'^o^fiin anderer Fall — und vielleicht der, der xura Glauben an die
Dauerharkeit dea Kapitalea beaonders AnlaB gegeben hat — ist der
des Beutzea von Forderaugen. Ein Kcntentitel — iat er nicht immer
derselbe? Gans unzweifelhaft nickt. Wohl ist das Papier das gleiche
und die Rechteform , wirtachaftlich wird eine und dieselbe
Forderung in kurzer Zeit zu etwas anderem. IKe Bedeutnag einer
und derselben Summe Bndert sich schnell für Schuldner wie fiir
Gläubiger. Nicht nur kann man nicht dasselbe, nicht ebensoviel in
zwei verschiedenen Zeitpunkten für sie erhalten. Das ist hier neben*
s&ehltch. Seibat wenn daa der Fall wäre, bliebe noch die Tatsache,
daB nun die gesamte Güterversorgung eine andere — bessere oder
schlechtere — ist alg früher, daß die Menschen andere geworden aind,
daB deraelbe Standard of life nun anders gewertet wird, wie früher;
kurs, die Sache ist wirtachaftlich zu einer anderen gewordon, und da
wir es nicht mit der Bechtsform, sondern mit dem wirtschaftlichen
Wesen derselben zu tun haben, ao kommen wir der Wirklichkeit
näher, wenn wir mehr auf die Veränderung, als wenn wir auf die
Konstanz Gewicht legen.
424 ^^® Yerteilungstheorie.
Auch diese Art von ^Kapital" ist nicht unbedingt beweglieh.
Das ist so ersichtlich, daß man tatsächlich darüber staanen mfifte,
daß es so sehr übersehen wird, wenn es nicht eine Erkllnuig daftr
gäbe ; dieselbe ist methodisch außerordentlich interessant. Im Qiei^
gewichte müssen alle möglichen Anlagen ceteris paribns deasdbei
Ertrag liefern, weil sonst eben eine Tendenz bestünde, diesen ZuCiad
herbeizuführen. Wollen also zwei Individuen ihre Anlagen aas
irgendeinem Grunde tauschen, so kann das gleichsam al pari gesdiehci,
d. h. beide können, wenn man es so ausdrücken will, ihr Kapital
unversehrt aus einer Anlage in die andere hinüberführen. In den
dynamischen Zustande ist das nicht so ohne weiteres mi^glidi. Uta
überträgt nun das, was für die eine Gruppe von Problemen richtig
ist, auf eine andere, ohne sich viel Gedanken zu machen. Und dock
liegt es auf der Hand, daß man, wenn Unterschiede in dem Ertrüge
eintreten, far die bessere Anlage durch Kapitaleinbuße beiablen mil
Ein Teil des Geldkapitales — der Nominalbetrag ist g^ns gleichgfilt^^
verschwindet da einfach. Auch auf dem entwickeltsten Geldmarkte
der Welt ist nichts gewöhulicher, als daß auch „gute** Wertpapiere
unverkäuflich sind — und das bedeutet nichts anderes, als daß dt
von absoluter Beweglichkeii keine Rede sein kann.
Völlig beweglich sind nur zwei Dinge. Die statische Kapitale
fiktion, bei der die Bcwe^i^lichkeit das methodische Mittel ist, die Ver-
teilung dieser Produktivkraft auf die Erzeugung gerade dieser und
keiner anderen Werkzeuge zu erklären, und sodann jener Kredit im
engsten Sinne, jene Kaufkraft, die willkürlich geschaffen werdea
kann — sie kann jeder Art von Produktion dienen, solange sie dv
potentiell vorhanden ist. Und darauf ist der Satz von der BewegUcIb
koit des „Kapitales** zu beschränken.
IV. Nun, in diesen Dingen, wie gesagt, in der Schaffung neuen
Kredites für neue Industrien, tritt der Zins zutage. Wie das dei
näheren geschiebt, wollen wir nicht erörtern. Dazu sind die Vor-
bedingungen hier nicht gegeben. Mit dem Gesagten ist noch keine
vollständige Zinstheorie gegeben. Es sollte nur dazu dienen, die
Wurzeln dc^ Problomes klarzulegen, die Behandlung, welche endlich
völlig befriedigende Resultate zeitigen soll, mit der bisherigen zo
kontrastieren , die Mängel der letzteren und die Ursachen ihrer Ifi^
erfolge an den Tag zu bringen. Eine Reihe von Problemen, von
deren Natur der Leser nun eine Vorstellung haben dürfte, hat die
Theorie binher gleichsam verkleistert. Und nicht ganz ohne Recht, dt
ihre Methoden auf die Zinserscheinung nicht anwendbar waren. Wirf
man sich bewußt gewesen, daß man mit Hilfe künstlicher Annahmen
von anderer, weitergehender Art, als die sonst für unsere Theorie
nötigen, sich um jene Probleme herumdrücke, die man nicht lOsea
könne, so wäre nichts zu erinnern. Der Fehler liegt darin, daß maa
Ober d«n drittm atetiseheii Einkomm«iuiweig. 425
ihre Schetnerklärungen , ihre KilfihjpotheseD für bare HQnze nahm
und Schlüue du«uB log, die radikal verfehlt w&ren. Wean wu
vir sagten, richtig igt, ho hat die theoretiscfae BetaandlaDg
die ZiDserBcheinung bis zur Unkenntlichkeit entstellt
nnd BchlieBlich auf Momente basiert, die mit ihr nichts
sa tun haben. Beim NiederreiBen dieses QerOsteg teigen sich andere
Eischmnongen, nene Probleme. Ein TOllst&ndiger Nenban ist nOtig.
Aber hier kann nicht daran gegangen werden. Nnr wenige Bemerkungen
mttgen noch der Sache gewidmet sein, die ich in nicht eu femer Zeit
befriedigender darstellen zu kOnnen hoffe.
Ffir die Erkl&rung des Zinses sind also jene Neuschöpfongen
entscheidend. Und zwar in doppelter Hinsicht Erstens nftmlich da-
dnreh, da£ sie nene Werterscheinungen hervorbringen, einen
^Glewinn' abwerfen, den es im statischen Znstande nicht geben kSnnte.
Dieaer „Gewinn" ist nicht ganz Zins. Aber aus ihm entwickelt sich
deiMlbe irgendwie. Zweitens bewirken jene NeuschCpfungen nnd die
Anadehnnng des Kredites jene Entwertung vorhandener Werksenge
nnd vorhandener Geldfordemngen. Und anch diese Tatsache ist sehr
Dabei aber lassen wir es bewende^, nm nur noch einige hier
naheliegende Punkte zu berühren.
Wir haben anfein Moment unter anderen Gewicht gelegt, welches
sich der Prodnktiyit&tstheorie zu nfthem scheint. Aber wir verwerten
dieses Moment ganz anders: Um neue Produktionsguter, geschaffen
mit neuen Mitteln, handelt es sich uns. Und nicht von ihnen
unmittelbar, sondern aus dem Kredite kommt der Zins.
Anch sind wir dem besprochenen Einwurfe gegen die Produkt! vi tftts-
theorie deshalb nicht ausgesetzt, weil jene Gleichheit der Werte der
Produkte nnd der Produktionsmittel von uns ruhig zugegeben werden
kann. In der Schaffung der letzteren selbst liegt die Quelle des
Aber haben die anderen ab Zins bezeichneten Erscheinungen
gar keine Beziehung eu jener, in der wir den „ eigentlichen " Zins
sehen? Manche derselben in der Tat nicht, wie wir ausführten. Aber
dennoch gehen wir nicht beznglich aller soweit. Die Nachfrage nach
anderen Prodnktivdarlchen als solchen lür Neu schöpf un gen , dann
nach Konaumtivdarlebeu übt natürlich einen EinfluB. Das wurde auch
bereits gestreift. Umgekehrt werden solche DaHehcn von den hier
besprochenen berührt und die Zinsrate beider wird sicher in einem
Zusammenhange stehen. Das Ändert aber nichts an unserer prinzipiellen
Darlegung und ist eine sozusagen sekundäre Erscheinung. Man konnte
dieae zwei anderen Zinsfonnen abgeleitete nennen, wenn das nicht
leicht miBverstanden werden konnte. Sicherlich ist die Rentabilität
von NenscbOpfiingen das flir „den ZinsfuB" entscheidende Mome-'
426 ^^® Yerteilungstheorie.
Aber derselbe ist keine so einheitliche Erscheinung, wie man aanimmt
Man geht da yiel zu unvorsichtig vor. Wenn die Rate des Wneberoi.
der jungen Leuten leiht, höher ist als etwa eine Bankrate, so sehieU
man das einfach auf Momente der Friktion, Notlage, aaBerOkooMiifcke
Momente, wie Notwendigkeit der Geheimhaltung usw. Aber bsb
fragt sich nie, ob überhaupt eine Tendenz zur Gleichheit bestsha
Wir werden das verueincn und höchstens einen entfernten ZnsauMS-
hang zwischen diesen verschiedenen Erscheinungen finden. Hier bsbea
wir ein Beispiel wirklich haltlosen Theoretisierens vor uns. Namentli^
begreift man üblicherweise viel zu viel unter dem Momente der
„Friktion''. Man sollte nie a priori etwas als solche beseiefanea,
sondern immer nachweisen, daß man das kann. Darauf kommei
wir noch bei der Besprechung der Theorie des UntemehmergewimieiL
An dieser Stelle wollten wir nur den Leser darüber beruhigen, dit
wir jene Zusammenhänge keineswegs übersehen oder leugnen.
Der Zins hat eine deutliche Beziehung zum Fort-
schritte— verzeihe man den Gebrauch dieses vagen Terminos. Dsi
ist sogar eine höchst wichtige und interessante Seite der Sache, auSerdem
einer der von der Theorie vernachlässigten Punkte, einer jener Punkte,
die nur in der Dynamik voll berücksichtigt werden können. Aber
haben wir nicht die Entgegnung zu furchten, daß gerade in sinkendes
Wirtschaften der Zins am höchsten stehe? Zum Teile ist das richtig,
ohne aber etwas gegen uns zu beweisen. Auch in sinkenden Witt-
Schäften wird Kapital neu geschaffen, sei es auch nur zum Ersatie
von altem. Und diese Schöpfungen gehen unter den ungünstiges
Verhältnissen besonders schwer vor sich. Deshalb ist es ganz ver
ständlich, daß da der Zins bedeutend ist. Zum anderen Teile aber
könnten wir eben, wenn wir Raum und Muße genug hätten, nach-
weisen, daß jene Erscheinung überhaupt nicht .Zins'' in unserem Sinne
ist, sondern einerseits Risikoprämie und andererseits „WuchersiDa^
für Überlassung vorhandener Güter. Auch diesen Punkt mußten
wir erwähnen, um zu zeigen, daß unsere Auffassung nicht leichtsiDnig
auf den Sand gebaut und den einfachsten Einwendungen ausgesetrt
ist. Aber weiter wollen wir nicht auf ihn eingehen.
Ebenso deutlich ist die Beziehung des Zinsphänomens zu des
Geldverhältnissen. Und für uns ist dieselbe sogar von grundlegeader
Bedeutung. Betrachtet man die Vorgänge des Wirtschaftslebens, m
liegt sie auch nahe genug. Trotzdem sahen unsere Vorgänger M
stets davon ab, betrachteten es sogar, wie schon gesagt, als eine der
ersten Forderungen für eine gedeihliche Untersuchung der Sache, du
Phänomen seines „Geldschlcier^s^ zu entkleiden. Nach unserer As*
sieht würde sich jedoch ergeben, daß ein Teil seines Wesens in jener
weggeworfenen Hülle zurttckblieb. Uns scheint ein wesentUeber
Grund für dieses Vorgehen in dem Mangel einer befriedigenden Geld-
Ober den dritten «tauschen EinkommenBiwög. 427
theorie so liegen, welcher den Wunsch wachrief, den Weg der Theorie
von den da liegenden Schwierigkeiten and Unklarheiten frei zq er-
hatten. Dag dürfte nicht oiSglich «ein and einen Teil des Pbanotnene
der Erkllmng entziehen. Ea ist vielmehr durchaus angemeMen, von
einem .Geld kapitale" anssogeheu, und zwar keineswegs tou einem
einfach in Werteinheiten ausgedrückten Vorräte von Produktionsmitteln,
sondern von einem Besitze an Kaufkraft, der durch Schaffung
neuer Geldzeichen oder durch sndere Kreditfornien vermehrt werden
kann. Dieses Kapital hat keine materielle Existenz, auBer in dem
Falle, daB es in Metallgeld vollen Wertes besteht. Aber doch eine
sehr reelle Solle im Wirtschaftaleben. Es ist das, was wir am
ehasten mit dem Namen „Kapital" bezeichnen mSchten'.
Nun, diese Auffassung kann sehr bedenklich erscheinen. Ist ea nicht
eine Oberflächlichkeit, daran den Zins knüpfen eu wollen? Allein,
das tun wir ja nieht so ohne weiteres. Wir verzichten nicht auf eine
tiefere Analyse und glauben die Versicherung geben zu kOnuen —
hier allerdin;rs nicht mehr als die Versicherung — , daB wir den Tat-
sachen bessiv Rechnung tragen als jene Theorien, die dieses Kapital
als Ausgangspunkt verschmBben. Die Beobachtungen, die uns dazu
veranlassen, kSnneu wir hier nicht vorführen, so daß das Argument
nicht nur durch seine skizzenhafte Kürze leidet, sondem auch seiner
Stflisen entbehrt. Das Verständnis der Zinserscheinung erfordert
umfassende Studien der Marktvorgünge verschiedenster Art und kann
nicht ohne weiteres abstrakt behandelt werden. Die Abstraktion er*
gibt sich dann erst aus der Tataachenuntersucbung. Wir entliehen
uns derselben nicht, unsere Theorie ist das Resultat einer solchen,
aber hier kQnnen wir sie nicht führen.
Kn anderer Einwand könnte vielleicht der sein, daß wir darnach
streben, den Kredit zu einem Gute zu machen, wie etwa Mac Leod,
ein Luftgeb&ude zu errichten, dessen Tragbalken populäre Mift-
veratindnisse und unklare Gedanken sind. Das alles erwähnen wir
hier nur, um zu aeigen, ds& uns diese Ucdenken wohl vor Augen
standen, und den Leser zu veranlassen, nicht leichthin anzunehmen,
daB wir elementare, sofort in die Augen fallende Fehler begehen.
V. Wir sagten, daß wir uns ciucs Urteiles über die llieorie
V. Boehm'Bawcrk's enthalten, da dasselbe von der Statik aus nicht
gewonnen werden kann, und daß diese Theorie sich in der Dynamik
vielleicht bewähre. Auch hier wollen wir keine Würdigung derselben
' So n&hem wir uns sehr dem einen der beiden Kspitalbegriffe
Uenger's. Aber es besteht ein großer Unterschied zwischen den Wegen,
muf denen wir dazu gelangten: Er durch Bearbeitung des Sprach-
gebranches, ohne weiter etwas daran zu knüpfen, wir durch Anaijse
der Encheiiiungeu nnd mit Hinblick auf bestimmte theoretische Ziele.
428 ^® VerteUangstheorie.
geben , sondern nur auf einen wesentlichen Berfthmiigspankt uieRr
Theorie mit jener hinweisen. Wir legen soviel Gewicht anf du
Moment der Entwicklung. Nun, vielleicht besteht dieselbe gans oder
zu einem Teile in dem Einschlagen von gewinnbringenden PiodoktiaBf-
nmwegen. Wir verweilen mehr als v. Boehm-Bawerk bei den Ub-
st&nden, die zum Fortschritte veranlassen, bei der Art, wie er an-
geleitet wird. Femer sprachen wir nicht bloß, ja aneh nicht T0^
nehmlich von der Erzeugung von G^nuBgütem zu Zwecken glei^
denen des frü h eren Zustandes der Wirtschaft, sondern von ProdnktioB
mit neuen Mitteln zu neuen Zwecken in einem neuen Zostaade,
wobei die Neuschaffung, Neugestaltung von Industrien und gesckift-
lichen Kombinationen („Gründungen*) besonders betont wnide. üad
in diesem neuen Zustande, den der Unternehmer vorananeht lad
herbeiführt, scheint uns der Zins begründet. Ein Boehm's Theorie gani
fremdes Moment ist dann das des Kredites in unserem Sinne. Aber
vielleicht sind das alles nur Ergänzungen, die mit derselben niclit
unvertrSglich sind. Nur eine volle Darstellung kann das zeigen, hin
wollten wir nur auf jenen bestimmten Punkt hinweisen.
Auch das Gesetz des zunehmenden Ertrages spielt in unser«
Betrachtung hinein, in einer leicht ersichtlichen Weise, ähnlich wie
V. Boehm - Bawerk's ^dritter Grund". Hoffentlich wird man nicht
glauben, daß wir beide Dinge verwechseln. Aber ein Moment der
Entwicklung liegt sicherlich auch darin, daß jenes Gesetz wirksam
wird. Sein Platz ist lediglich in der Dynamik.
Eine letzte Beziehung, die wir berühren müssen, ist die zwisehen
Zins und Untemehmcrgewinn. Es wurde schon gesagt, daß beide aot
d<Tselben Quelle kommen und wenn nicht gleichen, so doch ähnlichea
Ursprung haben. Wie sich das verhält, kann nicht auseinandergesetzt
werden. Aber beachte der Leser das interessante Ergebnis, daß wir
uns der früher in der englischen Literatur so h&ufigen einheitlichen
Auffassung beider nähern, daß wir wieder an einem Punkte sind, wo
C8 möglich ist, Altmeister Ricardo besser verstehen zu lernen. Denn
sicher liegt darin ein sehr gesunder Kern und ein Resultat richtiger
Beobachtung. Man betrachtet es zwar allgemein als einen Fortsehritt,
die heute übliche Scheidung durchgeführt zu haben, und wird uns
vielleicht vorwerfen, für einen Rückschritt zu plaidieren. Nun, an einem
Teile tun wir das. Liegt in jener Scheidung wirklieh eine so wert-
volle Erkenntnis? In mancher Beziehung gewiß. Beide Ding^ fallen
nicht zusammen und ihre Bewegungsgesetze sind nicht die gleichen.
Aber man gieng viel zu weit, als nmn sie vollständig auseinanderriß
und den Zins neben Lohn und Rente stellte. Damit begieng man jenen
Fehler, der auf unserem Gebiete so häufig ist: Jedem Schimmer einer
neuen Erkenntnis wird mit einer an Vandalismus grenzenden Energie
Geltung verschafft, ohne die geringste Rücksicht darauf, daß im Leben
über den dritten statischen Einkommensiw^. 429
wie in der Wissenschaft fast ebenso so selten etwAS ganz Falsches, wie
etwas ganz Richtiges gesagt wird, daft nakezn jeder Auffassung
irgendeine Beobachtung entspricht, irgendeine Berechtigung zukommt.
Nun, das Wahre an jener einheitlichen Auffassung des Profites ist
jetzt nicht schwer zu sehen. Nach unserer Erörterung ist es klar,
daft der Zins dem Untemehmergewinne ungleich n&her steht als dem
Lohn und der Rente, dafi zwischen ihnen Relationen bestehen, die
gegenfiber den letzteren fehlen und die helles Licht auf beide Er-
scheinungen werfen. Und wenn es auch nicht möglich ist, auf diese
Probleme, die zum Teile ganz neue sind, einzugehen, so war es doch
wichtig, auf diese Beziehung hinzuweisen, da auch das dazu beiträgt,
unsere Auffassung von der Zinserscheinung zu beleuchten und die
Richtung, in der sich unser Versuch, das Problem zu lösen, bewegen
soll, anzudeuten.
ZurQckzu kehren zu einer alten Auffassung bedeutet nicht immer
einen Rfickschritt; sehr oft hat dieselbe eine Ursprünglich keit und
Lebenswahrheit, die bei der weiteren Analyse sozusagen auf dem
Wege verloren geht. Aber abgesehen davon ist die alte Auffassung,
wenn wieder aufgenommen nach einer langen Zeit, nicht mehr dieselbe.
Die Arbeit jener weiteren Analyse ist nicht verloren. Wir sagen
ja auch in unserem Falle, daB sie ihre Verdienste hat; und kehrt
man bereichert durch das, was sie bot, nun wiederum zur alten zurück,
so sagt uns diese nun viel mehr, bedeutet sie auch etwas anderes
als früher. Es ist ziemlich schwer, den richtigen Mittelweg zu finden
zwischen der Anerkennung der Verdienste früherer Gedankenarbeit
und der Kontinnit&t der Wissenschaft einerseits und der vollen
Würdigung des besseren Neuen andererseits. Fehlt man bei uns viel-
fizch in der ersten Hinsicht, so hat, wie wir bereits zu bemerken
Gelegenheit hatten, eine Reaktion dagegen wiederum zu viel nach
der andern Richtung getan, teilweise nicht aus tieferer Erkenntnis,
sondern lediglich infolge geringen Verständnisses für die modernen
Errungenschaften unserer Disziplin. Wir suchen uns von beidera
fem zu halten, wobei es uns ja auf Gerechtigkeit gegen Personen
im Sinne des Dogmenhistorikers nicht ankommt — wir lieben es nicht,
Worte zu klauben und „Stellen" unter die Lupe zu nehmen, und so
konnten wir nicht genau sagen, wieweit eich unsere Auffassung
etwa der Ricardo*s nähert. Das interessiert uns auch nicht weiter,
und wir begnügen uns mit jenem Hinweise: Gewiß hat Ricardo ja
seinen Profit neben Lohn und Rente gestellt; «ehr weit also geht
die Analogie nicht
Aber auf eine moderne Theorie des Zinses, welche sich mit
der unsem in bemerkenswerter Wei^e berühren dürfte, wollen wir
noch zu sprechen kommen: Es ist die v. Philippovich's. Dieselbe
zerfällt in zwei Teile. Der erste, der allerdings fast den ganzen Raum
480 ^^^ Verteilungstheorie.
enmhnint, der dem 2te.t)sproblem6 gewidmet ist, ist eine ProdoktiTitit»-
theorie und kommt In «diesem ZusammenhAiige nicht mehr in BetrMkt
Dann aber folgt die Bemerkung, „die Produktiyitftt allein sei bkU
entscheidend.*' Es scheine dem Autor wesentlich, die Entstehung dcf
Zinses nicht von der des Untern ehmereinkommens sn trennen. Ei
ist schwer, die Tragweite dieser kurzen Bemerkung zu verstehen, nnd
sicherlich liest man leicht darüber hinweg. Sie gestattet femer ja-
schiedene Auffassungen, z. B. eine solche im Binne der Aasbeutimg»-
theorie. Aber ich meine, daß hier an etwas Ähnliches gedacht wird
wie in unserer Darlegung. In der Tat, zu Ende gedacht heiBt jene Be-
merkung nicht mehr und nicht weniger, als daß der Zins kein „statisches*
Einkommen sei, und die Erw&hnung des Unternehmers deatet ungeftlir
in unserer Richtung. Und dann gewinnt auch die vorhergehende
Produkt! vitätstheorie eine andere Bedeutung, die sich vielleicht ia
unserem Sinne auslegen ließe und jedenfalls die Theorie v. Philippovi^*!
von den übrigen Produktivit&tstheorien wesentlich unterscheidet
Solche Anklftnge, in denen das, was wir für die richtige Erkenntaif
halten, durchschimmert, könnten wir mehrere anführen, doch würde
das zu weit fuhren.
Zuviel haben wir schon über ein Problem gesprochen, das wir
hier ja doch nicht lösen können. Wir wollten es aber nicht bei
jenem einfach negativen Resultate, das unser statisches System ergibt
bewenden lassen, um so mehr, als auch dieses Resultat seinen volles
Sinn erst durch das Weitere erhält, und haben lieber lose Bausteine
als gar nichts geboten.
Die einfache Folge unserer Auffassung des Zinsph&nomens ist
daß unsere Methode, Bewegungsgesetze zu gewinnen, welche wir in
Folgenden kennen lernen werden, auf diesen Einkommenszweig niekt
anwendbar ist. Ganz andere Bewegungsgesetze herrschen hier tk
bei Lohn und Rente, und vielleicht ist es diese Erkenntnis, welche
bewirkt, daß man sich bei den vorhandenen Lösungsversuehen so
durchaus nicht beruhigen kann. Hier wird die neue Theorie neae
Aufschlösse zu geben haben und ihren Wert zeigen müssen. Gd«
der zu erwartenden Resultate können wir jetzt schon andeutes,
nftmlich die Widerlegung des Satzes, daß der Zins ohne bestimmte
Grenze abzunehmen und sich der Null zu nfthem strebe. Beim Unter*
nehmergewinne kommen wir auf denselben Punkt zu sprechen, und
da in dieser Beziehung für den letzteren genau das Gleiche gilt, eo
sei für diesen Punkt auf das Folgende verwiesen.
V. Kapitel.
Ober die Theorie des Unteniehmer;gewinne8.
§ 1. Wie scbon bemerkt, beenden wir uns im allge-
meinen nicht auf kontroversem Boden, wenn wir den Unter-
nehmei^ewinu ' aus dem statischen Systeme ausscheiden.
"Wir können daher hier viel kürzer sein. Auch da wollen
wir das Problem nicht Idsen, sondern nur auf einige Mängel
der bisherigen Theorien hinweisen und einige Bemerkungen
machen, die teils fUr unser System von Bedeutung sind, teils
mit dem Ober den Zins Gesagten im Zusammenhang stehen.
Was zunächst den ersten Punkt betrifft, so ist die Ein-
stimmigkeit darüber, daS das Unternehmereinkommen sich
nicht im statischen Zustande der Wirtschaft zeige, keine
völlige. In der Tat, der Unternehmergewinn zeigt sich so
regelmäßig, daß das Bestreben, ihn unter die Einkommens-
zweige der Statik einzureihen, in ähnlicher Weise begreiflich
ist, wie derselbe Wunsch beim Zinse. Hierher gehört nun
jene Theorie, welche am vollständigsten von Mataja dar-
gestellt worden ist und welche als Rententheorie des Unter-
nehmergewinns bezeichnet werden kann. Derselbe wird
nämlich als eine DifTerentialrente der einzelnen Unter-
nehmungen gegenober der am ungünstigsten arbeitenden auf-
gefaßt. In anderer Weise haben z. B. Walker und von Mangoldt
die Sache gefaßt, indem sie den Unternehmergewinn auf
< Ich setze TorauB, daS der Unterschied iwiacbeD „Untemehmer-
«iDkorotnen" und „Untemehmergewinii'' als Einkommen des Unter-
nehmers als solchen bekannt ist.
432 Ober di« Theori« des UnteraehmergeiriDiiea.
höhere pereOnlicbe Tüchtigkeit des Unteroebinere zurOck-
fDfarten, sei es gegenaber anderen Unternehmern — die hier
dann als ohne Gewinn arbeitend angenommen werden — sei
es gegenober den Arbeitern. Diese letztere Theorie, welche
darauf hiDaualftnft eu sagen , daü der Arbeiter nur deshalb
nicht Unternehmer sei, weil ihm die Tüchtigkeit daza fehle,
gehört zu jenen, welche man nur schleunigst aufgeben mu6,
wenn man auch nur versuchen will, die Position der
Theorie gegenüber den zahlreichen Angriffen verschiedensteF
Art zu halten. Denn hier sind sie a 1 1 e berechtigt : Historische,
politische und vor allem auch eine Menge theoretischer.
Die Auffassung des Untemehmergewinnes als eine Rente
der Person gegenüber andern Unternehmern ist natürlich
etwas ganz anderes, und wir können sie, als einen Spezial-
fall wenigstens, mit der Matajas vereinigen. Die Theorie
dieser Form ist sehr h&ufig. Uns veranlassen zwei Um-
stände, sie abzulehnen. Erstens der, dafi sie nichts erklärt
NntOrlich ist das Einkommen des Unternehmers das, was in
seinen Händen zurückbleibt, und dieses „etwas* kann ebenso
natürlich als ein Überschuß Ober den Ertrag einer Unter-
nehmung dargestellt werden, welche keinen Gewinn macht
Aber was hat man davon? Höchstens die Erkenntnis, daS
der Untemehmergewinn kein Preis ist, wie Lohn oder Grund-
rente. Das ist ja etwas, aber wenig. Unsere zweite Ein-
wendung ist, daß dieser Unternehmergewinn entweder mit
Lohn oder mit Grundrente oder mit dem Preise der produ-
zierten Produktionsmittel kollidiert. Denn worin soll
jener differentielle Vorteil bestehen, der die gRente" zur
Folge hat? Es gibt viele solche Umstflnde; aber immer
wird deren wirlschaftlichea Resultat von einer jener andern
Kategorien absorbiert: Wenn der Unternehmer selbst be-
sonders tüchtig ist, etwa als Techniker, so ist sein Ein-
kommen daraus eben als Unternehmerlohn zu bezeichnen.
Das ist kein ÜberschuB. der einer besonderen Erklärung be-
dürfte, sondern ebenso einfach zu verstehen ist, wie der
Umstand , ilaB ein Ghaulfeur einen höheren Lohn bekommt
als ein Dockarbeiter, und das wiederum bedarf ebenso wenig
Übfr die Theorie dea Unteraehmergewinnea. 433
eines neuen Prinzipes, um erkl&rt zu werden, wie der rer-
Bchiedene Preis zweier verschiedener GenuBgfiter. Und eine
Unteniebmertätigkeit im eigentlichen Sinne des Wortes
kaan sieb im statisclien Zustande, in dem die Unternehmung
vorhanden ist und alle Konjunkturen feststehen, nicht ftuSern.
Dieses Moment weist vielmehr über die Grenzen der Statik
hinaus. Liegt ferner die Unternehmung ganstiger, so ist
der „Überflchufl" Grundrente, verfugt sie Ober besondere
Rohstoffe oder Maschinen, so äuSert sich das in deren Wert
and Preis, liegt ein Monopol vor, so findet das seine ander-
weitige Erklärung. Was bleibt da ftlr den Untemehmergewinn V
Etwas mehr Inhalt scheint jene Theorie zu haben, welche
dasselbe Moment in etwas anderer Weise verwertet, welche
Dämlich ausgeht von einem Gesetze des abnehmenden
Produktionsertrages — innerhalb der einzelnen Unter-
nebmung. Der Produzent produziert solange, oder besser
gesagt soviel, bis ein weiterer Zuwachs keinen „Gewinn" mehr
bringen würde, und was erzeugt wird, ehe diese Grenze
erreicht wird, liefert einen „ÜberschuS". Das ist richtig
unter gewissen Voraussetzungen, die wir mit Rocksicht
auf die geringe Bedeutung des Argumentes fQr uns fiber-
gehen. Aber dieser Überschuß hängt ja nicht in der Luft.
Wir haben zwei Möglichkeiten: Entweder man nimmt als
Grenze jenen Punkt an, an dem der Preis, der für die
Einheit des Produktes erlöst werden kann, gleich ist dem
Preise, der ftlr die dazu nötigen Rohstoffe, exklusive
Boden und Arbeitsleistungen, gegeben wurde. Dann ist
ein Überschuß gewiß vorhanden, aber derselbe ist Rohertrag,
der nichts tiber ein schlieSliches Einkommen sagt. Oder
man rechnet hoba und Grundrente in die Grenzkosten ein
und wohl noch gar den Zins (Kapitalersatz ist ja fQr die
Theoretiker ganz allgemein etwas Selbstverständliches), dann
ist die Existenz des Überschusses mehr als zweifelhaft. Mit
demselben Rechte könnte man auch noch den Untemehmer-
gewinn in die Grenzkosten einrechnen und mittelst des-
selben formalen Raisonnements auch dann noch einen Über-
schufl heraosfinden.
Sehnrnpatar, NkUoulakonomie. <tf&
494
§ 2. Eine «Ddere Theorie bezeichnet den UntMuehBier-
gewiDD als den Erfolg der eigratlichen UntetnehmerUtig-
keit, als welche meist das ZosasimeBbringen der ProdBktioii&
taktoren zueinander bezeichnet wiid. Darin liegt ein richtiges
Element, aber dasselbe kann sieh, wie gesagt, in der Statik
nicht zur Geltung bringen. In die letztere pflegt man nao
dasselbe dadurch einzufahren, da6 nun hier von ein«n .Lohn''
spricht, der mit dem, was wir „Untemehmerlolm* nennen V
nicht 2u verwechseln ist. Nun, diese Anffassnog ist ganz
schief. Diese .Untemefamerleistungen' werden nicht unter
dem Eiafiusse von Angebot und Nachfrage entlohnt, in dem
Sinne wie andere Arten von Arbeit. Was der Unternehmer
bekommt, steht keineswegs eindeutig fest und mag griißer
oder kleiner sein, als der „Wert* seiner Leistungen fflr
irgend jemand. Au6erdem kann das deshalb kein Preis
sein, weil keine Wertfunktionen fOr diese .Ware* Yorhanden
sind — höchstens für den Untemebroer selbst, aber wer
steht ihm als der andere Kontrahent gegenOber ? Jede
andere Antwort als „niemand" beruht auf einer Fiktion.
Moralisch konnte man — so unannehmbar uns das persön-
lich scheint — von einer „Belohnung* sprechen, die dieser
Gewinn darstellt, aber nicht wirtschaftlich von einem „Lohne".
Davon sprachen wir schon bei der Lobntheorie. In diesem
Sinne wäre aber diese Theorie eine „soziale Rechtfertigung",
also Oberhaupt keine wissenschaftliche Theorie.
Das Moment des Risikos wunie ebenfalls, teils allein,
teils in Verbindung mit anderen Momenten herangezogen;
aber nur , wenn man die Übernahme des Risikos als einen
„Dienst" auffaßt, der entlohnt werden mDßte, was aus dem-
selben Grunde nicht angeht wie von einem „Lohne" der
Unternehmertätigkeit zu sprechen, könnt« es da ein ständiges
Einkommen geben. Andernfalls würden ja den „guten Risken*
„schlechte" gegenüberstehen und Gewinn und Verlust sich
ungef&hr balancieren.
■ und worunter wir Lohn für techniBche oder kommeraielle
' eitiinj; vcrBtcheii, welche jeder angestellte Direktor leisten kSanto.
Ober die Theorie des ünteraehraeTgewiDnes. 485
Diese Theorien sind inethodologiBcti ftehr lehrreich und
zwar aus folgendem Grunde : Die Momente , auf denen sie
basieren , sind nicht geradezu fialscb , aber sie erklllrea die
Eraeheinung nicht, die sie erklsren sollen. Es sind rage
Behauptungen, die richtig oder falsch sein können, und deren
Richtigkeit oder Falschheit für die Erscheinung, Ober die
wir etwas zu erfahren wQnschen , belanglos ist. Der Um-
stand, der ans das in diesem Falle so recht vor Augen fuhrt,
ist , dafi diese kleinen Ursachen ja doch nicht geeignet sein
können, eine so großartige Erscheinung zu erklAren. Nehmen
wir aber an, die Diskrepanz zwischen „Tragbalken" und
„BelastUDg" wAre weniger grofi. Vielleicht könnten wir
dann verführt sein , diese Theorie ebenso hinzunehmen wie
das ihre Autoren taten. Zu welcher Fülle falscher SehlflHse
könnte das führen, die sich gleichwohl immer durch ii^nd-
welche Tatsaefaeii belegen lieflen! Wahrlich, solange die
Nationalöbonomen glauben, ein wissenschaftliches Problem
gelö&t zu haben , wenn sie auf eine Frage nur Oberhaupt
etwas zu antworten wissen, mag dasselbe auch gar keinen
Bezug auf das zu Erklärende haben, und nie die Verpflichtai^
fühlen , Ausgangspunkte und Resultate zu ?erifizieren , so-
lange kann man ihren Gegnern nicht völlig Unrecht geben.
Kehren wir zu unseren Theorien zurück und w&blen
wir als Folie für das, was wir zu sagen wünschen, eine
weitere, die vielleicht hnufigste die nFriktionstheorie". Die-
selbe besagt bekanntlich, daß es keinen Untemehmergewinn
gftbe, wenn alle Wirtschaftsprozesse glatt ablaufen würden.
Da das aber nicht der Fall ist nnd die Konkurrenz nie
durchgreifend wirken kann, so ergeben sich da und dort
Überschüsse, welche in den Händen des Unternehmers zu-
rückbleiben. Diese Theorie sagt gamichta Falsches, und
doch ist sie nicht zu brauchea und zwar wesentlich deshalb,
weil man durch sie meist in wenigen Worten eine Er-
scheinung abtut, an deren Größe und Bedeutung man ver-
nünftigerweise doch nicht zweifeln kann. Nicht ohne Er-
staunen wird der Laie finden, daS in den Lehrbüchern der
Ökonomie so außeronlentlich wenig über diesen Einkommens-
430
nreig za finden ist. Wohl k&nnen sieh die meisten Aatoren
gtr nicht genag ton in breiter Darlegung aller gaten Eigen-
tehaften, die ein Unternehmer haben mofi, od«* in einer
Daistellong der Mzialpolitisehen Seite der Sache. Aber
auf die Frage: Wie gebt denn des M&heien diese Kn-
kommensbildnng Tor sich, wie entstehen Untemehranngen
einerseits ond die Patftste der oberen Zehntausend ander-
seits? — anf diese Frage findet man eigentlich keine Antwort,
als etwa diese „Friktion". Und doch braneht man diese
Antwort ja nur za analysieren, um ihre UnznlangUchkeit
zu erkennen. Danas, dafi sich jemand irrt, oder daß er
ans Nacblftssigkeit oder sonst aas einem Grunde nicht ent-
sprechend wirtschaftlich handelt, daraus sollen gerade die
grMten Einkommeo entstehen? Freilich ist man ja auf
solche ganz kleine Momente nicht beschr&nkt. Erfindungen
und dergleichen sind ja etwas wichtiger. Femer haben wir
da den Spekulationsgewinn. Aber derselbe erscheint im
Systeme der Ökonomie entweder als eine Gabe des GlQckes,
die ganz vereinzelt vorkomme, oder als ein verhaltnismkßig
beschrftnkter Verdienst aus Arbitragen u. dergl. Wie arm-
selig sind diese Elemente! Sie werden nicht besser durch
das Anhängen einiger sozialpolitischer und moralischer Be-
trachtungen Ober das BOrsenspiel, und positiv falsch wird
die Sache, sobald man dazu kommt, aus der freien Kon-
kurrenz die Tendenz zur Eliminierung des Unternehmer-
gewinnes abzuleiten.
Aber ehe wir diesen Punkt diskutieren, wollen wir noch
etwas anderes erörtern. Nämlich die instruktive Frage: Wie
mQ6te der Tatbestand beschaffen sein, wenn wir ein Recht
haben sollen, über diesen Einkommeuszweig einfach mit der
Erklärung hinweg zu gehen, dafi es sich um Friktions-
einkommen handle? Das liegt in derselben Richtung wie
die allgemeine methodologische Frage: Wann darf man etwas
vernachlilssigenV Denn das Wesen der Friktionstheorie ist
gar nichts anderes, als die Behauptung, dafi man das mit
dem L'nt ernehmergi'ninnc tun dDrfe. Nicht notwendig
dazu ist eine Tendenz zur Eliminierung und dieselbe wftre
über die Theorie den Unteroehme^ewinnea. 437
auch gar nicht ausreichend. Das EsBentielle iBt vielmehr,
daB es sich um GrCflen handelt, von denen man
nachweisen kann, daBsie, jede fOr sich genommen,
so klein sind im Verhaltnisse zu den andern, mit
denen man es zu tun hat, daß man sie ver-
nOnftigerweise unbeachtet lassen kann, nnd dafi
sie femer, vom Standpunkte der Untersuchung wiederum,
mit der man es zu tun hat, den Charakter der Znfillligkeit
haben, so daS es wahrscheinlich ist, daB sie sich
balancieren. Der Ton liegt vor allem darauf, daß das un-
beachtet Gelassene das Resultat nicht merklich beeinflussen
darf. Dafi uns in jedem einzelnen Falle die Pflicht obliegt,
nachzuweieen, daB das nicht der Fall ist, bedarf gar keiner
Begründung. Die Sachen stehen nun in unserem Falle
sicherlich anders, die Marge des Unternehmers ist viel
größer, sie ist konstant gr(ißer, ohne eine allgemeine
Tendenz zum Sinken zu zeigen , nnd daraus folgt , daß die
Friktionstheorie nicht ausreichen kann. Wir haben hier
wiederum einen Beitrag zum Verständnisse der „Statik".
'Wir sehen nftmlicb, was das Resultat ist, wenn man sich be-
müht, dynamische Probleme in der Statik zu behandeln.
Denn das ist hier geschehen. Diese Theorien gewinnen ein
so hippokratisches Aussehen, man fuhlt sich gedrängt, die
Bedeutung der Dinge zu verringern, fUr die man keine
ausreichende Erklärung hat, und eine Besserung ist nicht
anders mOgUch als dadurch, daß mau die Sache auf ganz
neue Grundlagen stellt — vom Apparate der Statik, der
hier zur »Zwangsjacke" wird, befreit.
Nun zur angeblichen Tatsache, daB der Untemehmei>
gewinn eine Tendenz zum Verschwinden habe. Ich glaube,
keinen Widerspruch befürchten zu mOssen, wenn ich wieder-
hole, daß im allgemeinen das durchaus nicht der Fall ist,
daB es Perioden gibt, wo es so aussieht, aber andere, wo
das gerade Gegenteil richtig ist. Und auch theoretisch
ist es klar, daß ein solches Verschwinden nur unter den
beiden Voraussetzungen anzunehmen wäre, die wir nun an-
fahren wollen. Dieselben gelten auch fOr den Zina., iraä^
438 ^^® yerteilii]ig8llieon&
wir haben dort auf das Gegenwärtige verwieseo. Da6 das
Dicht dazu ausreicht, uns einer Vermengung beider Eia-
kommeoszweige zu beschuldigen, bedarf kaum der Hervor-
hebung. Wann also könnten der Untemehmergewinn und der
Zins in Wirklichkeit verschwinden ? Erstens, weon die Ent-
wicklung plötzlich stehen bliebe; denn weitere Entwicklung
wOrde Unternehmern und Kapitalisten neuen Zins uid
Oewinn zuführen. Aber das ist noch nicht ausreichend.
Es müßten gleichwohl Unternehmungen derselben Art und
Branche weiter gegründet werden, wie sie gegenwärtig be-
stehen, damit durch ihre Konkurrenz jenes Plus versehwinde.
Das Gekünstelte und Widerspruchsvolle an diesen Voraus-
setzungen ist klar. Es ist das keineswegs die Annahme
eines statischen Zustandes, es ist ein teilweises Stehen-
bleiben verbunden mit einer teilweisen Fortentwicklung von
einer bestimmten Art, wie sie sicherlich nie besteht.
Warum der Theoretiker aber keinen Untemehmergewinn
dauernd anerkennen will, hat ersichtlich nur den Grund,
daß er ihn im statischen Systeme nicht erklären kann. Die
statischen Voraussetzungen schließen ihn aus. Wünscht man
nun, um das Bild mehr zu beleben, die Person des Unter-
nehmers demselben zu erhalten, so kommt ein „entrepreneur
faisant ni benefice ni perte" heraus wie bei Walras. Die
meisten Theoretiker drücken nun nicht deutlich aus, daß
dieser Unternehmer nur eine Fiktion aus methodologischen
Gründen ist, oder vielmehr sie erkennen es nicht klar. Es
scheint mir aber ganz unzweifelhaft zu sein. Hier hat man
wieder einmal eine für bestimmte Zwecke praktische Kon-
struktion, unterstützt natürlich noch durch mangelhafte
Beobachtungen, einfach in die Wirklichkeit versetzt, wo sie
sich dann übel bewährt. Nur das dürfte die Quelle der
Friktionstheorie und der tiefere Grund für die Behauptung
sein, daß der Untemehmergewinn eine Tendenz zum Ver-
sehwinden habe.
Eine der Theorien des Untemehmergewinnes nun gibt
ebenfalls das Resultat, daß derselbe eine bleibende Er-
eheinung und Reine Rate naturg^niS eine ungleiche ist.
Ober die llkeorie dei Uittem«hinergewinDea. 439
weder nach Null noch nach einer Ausgleichung strebt. Ks iBt
das die erwähnte , Rententheorie " desselben, und Mat^a hat
das zutreffend hervorgehoben. Soweit hat dieselbe einen
großen Vorzug vor den anderen. Aber schon der nUchstO
Schluß, den man aus ihr ziehen könnte, wäre falsch; nftm-
lieh der, daß eine Steuer auf den Unteniebmergewinn auf dM
Unternehmer fallen müßte, ohne daß eine Überwftlzungs-
mOglichkeit bestände. Man behauptet das oft von Diffetenzial-
renten. Und es ist fQr dieselben annähernd wahr. Nicht
aber fQr den Unternehmergewinn, wie man sich überzeugt,
wenn man bedenkt, daß die Erschwerung der Untemehmer-
fonktion, die darin liegt, zu einer Verringerung der Produktion
und Bo zu einem Steigen der Preise, mithin doch zu einer
teilweisen Überwälzung in größerem oder geringerem Maße'
fahrt. Gar nie ist jener Satz ganz wahr. Aber für den
Unternehmergewinn selbst nicht in jener Annäherung.
Sodann drOckt diese Theorie die Dauerbarkeit des Unter-
nehmergewinnes nicht ganz entsprechend aus. Wohl bleibt
er, wohl zeigt er sich immer, aber nicht immerwährend an
den individuellen Unternehmungen, denen er vielmehr im
Laufe der Entwicklang entgleitet. Die Entwicklung ist für
ihn das entscheidende Moment, nur von ihr aus ist er zu
veratehen. Und sie fehlt ganz in diesem Gedankengange.
Die Entwicklung nur und die Bewegung zeigt diese so
wichtige Erscheinung voll und ganz, aus der sich meines
Erachtena zum großen Teile die Vermögensbildung erklärt.
Und auch hier tauchen nun Probleme auf, für die das
Geleistete nichts bietet und auf die wir hier hinweisen
wollten.
Sicherlich haben Zins und Unternehmergewinn mit-,
einander mehr zu tun als mit Lohn und Rente. Dieses
Resultat wenigstens können wir auch auf Grund unserer
so unvollständigen Darlegungen mit Beruhigung aussprechen.
Die Einkommenszweige zerfallen also in zwei vorläufig deut-
lich unterschiedene Gruppen, die in ganz verschiedener
440
Ke
Wrtae m erkllren sind. Freilich wire es sehftn, wenn das
nicht der Fall wire. Wieviel worde die Statik and die
KstionalökoDomie aberbaopt gewinneD, wenn man auch fOr
Zins und Gewinn danernde Qoellen wie Arbeit und Boden,
also z. B. AbBtinenz nnd eineo besonderen „Vntemehmer-
dtenBt" attnebmen kfinnte! Wie klar nnd einfach wSre
dann die Ökonomische Theorie der Verteiinng! Man kano
die Ökonomen nicht tadeln, die es versnehen; aber es geht
eben nicht. Prinnpiell viren ja solche Eonstniktionen mög-
lich, aber wirkliche Eineicht boten sie nicht. Sie würden
Probleme nicht lOsea, sondern nur verdecken. Und so muS
denn ein anderer Weg eingeschlagen werden. Vielleicht
führt er einmal zu jener Klarheit nnd Einheit. Vorher
aber ist ein hartes StQck Arbeit zu leisten.
Vierter Teil.
Die Variationsmeihode.
I. Kapiter.
Allgemeiner Teil.
§ 1. Wir haben die Aufgabe, unser System zu be-
schreiben, soweit gelJ^st, als es innerhalb des Rahmens dieser
Arbeit nötig und möglich ist, und ferner auch einige not-
wendige Ergänzungen gestreift Aber bevor wir daran gehen,
uns ein abschließendes Urteil über seinen Erkenntaiawert zu
bildeu, vollen wir noch einen wichtigen Schritt weiter tun,
wollen wir es sozusagen arbeiten sehen.
Die Betrachtung des Systemes im Gleichgewichte lehrt
uns — popul&r gesprochen — , was seine einzelnen Elemente,
was namentlich die statischen Einkommen ,8 i n d" und
sodann ihre eindeutige Bestimmtheit. Über ihre konkrete
Größe erfahren wir freilich nichts, aber wir erhalten eine
Aufklärung Ober ihre Natur. Das Allernächste, was wir
nun weiter zu erfahren wünschen, sind die Bewegungs-
gesetze jener Größen. Es ist das das zweite große Problem,
die zweite Gruppe von Resultaten der exakten Ökonomie.
Nicht nur ist das die praktisch interessaateste Frage,
wenigstens sogleich nach jener, ob die Preise und Ein-
kommen etwas „Willktlrliches" oder .Notwendiges" seien.
' Namentlich die g§ 3, 4 uDd 5 diesei Kapitels, welche ein loBerat
trockene* Thenw der Tecboik der Theorie behandeln und die er-
kenntaistheoretischen Gnindlagcn eines großen Teile« auch de« &ko-
nomischen Raisounements des „Praktikers'' in wichtigen Fragen klai>
legen sollen, sind zwar sehr wichtig, aber auch ermOdend. Sie kCnnen
erentncU überschlagen werden.
444 ^'c Vuifttionametliode.
sondern unsere bisherigen Resultate mossen sich auch be-
w&hren, verifizieren, dadurch, daß die Bewegungsgesetze, die
sie liefern, mit der Wirklichkeit ttbereiDStimmeD. Wir
erkannten, daß dieselben zum Teile nichts anderes seien,
als die Folge von Annahmen, die vir selbst konetmierten,
daß sie also insoweit die Schöpfungen unserer Willkflr seien.
Schemen, welche wir uns zurecfatzimnaem, weil wir erwarten,
daß sie die Vorgänge der Wirklichkeit praktisch wieder-
geben werden. In diesem Falle liegt ihre ganze Be-
deutung, all der Sinn, den sie haben, lediglich in den
Regeln, die sie für die relativen Änderungen unserer Elemente
ergeben; dieserwegen allein wurden sie konstruiert. Endlieh
ist ein vollst&ndiges Verstehen unseres Systems nicht mög-
lieh, wenn man nicht beobachtet, wie der Gleichgewichts-
zustand sich herstellt , wie die Tendenzen , die ihn berbei-
fohren, wirken. Dabei tritt uns dann die Eigenart und der
Wert unseres Systemes ganz klar vor Augen und alle seine
Voraussetzungen und Grenzen kommen uns viel lebhafter
zum Bewußtsein, wie wenn wir sie bei Betrachtung des
Gleichgewichtszustandes lediglich anführen. Dort können
sie vielfach Qberflassig scheinen, hier stoßen wir gleichsam
an sie an, wenn wir uns freier zu bewegen suchen, als sie
es gestatten, und ihre Notwendigkeit und Bedeutung wini
viel lebendiger begriffen.
Alles das veranlaßt uns nun, uns dem Probleme der
Variationen unserer Elemente zuzuwenden. Wiederum werden
wir auf die methodologische Seite der Sache besonderes
Gewicht legen, uns bemühen, das Wesen dessen, was wir
tun, und was wir damit erreichen, scharf herauszuarbeiten,
den reinökonomischen Beitrag zu diesen Fragen gesondert
von allen Beimengungen , mit denen vermischt er in der
Literatur zu erscheinen pflegt, darzulegen. Viel wichtiger
ist es uns. zu zeigen, was die reine Theorie da tut und tun
kann, als in die einzelnen Sfttze in allem Detail einzageheB,
diesen Zweig unserer Disziplin abzugrenzen und zu charakteri-
sieren, als ihn zu erschöpfen und weiterzubilden, das , Unter-
bo}z*, das seine Formen verhallt, wegzuräumen, als diew aa>-
Allgemein« Teil. 445
zubauen. Den meisten Lesern wird die ganze Materie in
dieser Art neu sein, und speziell das deutsche Publikum
muß mit ihr erst hekannt werden. Aber sowohl die Altere,
wie die moderne Ökonomie hat sich mit diesen Fragen
schon ziemlich eingebend befaßt, soviel auch noch zu tun
bleibt. Unserem Zwecke nun dienen wir besser, wenn wir
bei den Grundlagen nnd Prinzipienfragen langer verweilen,
als wenn wir die einzelnen Resultate ableiten. Das Wichtigste
ist, die eindeutige Bestimmtheit der Variationen zu zeigen
und einen Betrag zum Verständnisse unseres Systemes zu
liefern, was unter anderem auch wieder auf das methodische
Hilfemittel der „Statik" fuhren wird. Darin liegt unsere
Hauptaufgabe. Die konkreten Resultate, die wir vorfahren,
haben dem gegenüber nur den Charakter von Beispielen,
die wir mehr oder weniger ausarbeiten, ohne ganz adäquate
Behandlung anzustreben, woran uns auch der Umstand
hindert , daß dazu , wie wir sehen werden , die Hilfe der
höheren Mathematik unentbehrlich ist und wir dieselbe aus
diesem Buche tunliehst ausschließen wollen. Ich hoffe, bald
Gelegenheit zu haben, das in dieser Beziehung hier Fehlende
nachzutragen. Nur die Notwendigkeit dieser Art der Be-
handlung selbst werden wir zu zeigen versuchen, und hoffen,
daß dem nicht mathematisch geschulten Leser das Ver-
BtAndnis dessen, womit sich die mathematische Ökonomie
beschäftigt, dadurch erleichtert und so eine Verständigung
verschiedener Forschungsricfatungen gefördert wird.
Zwei ganz verschiedenen Fragen begegnen wir, wenn
wir einen Schritt aber die Erklärung des Bestehenden
hinaus tun oder besser, eine Frage, die zwei ganz ver-
schiedene Bedeutungen hat. Sie lautet: Wie ändern sich
Preise und Einkommen absolut und relativ zu einander?
Nan, darauf antwortet eine ganze Literatur, nnd wir stehen
vor sehr aktuellen Problemen. Aber wir haben zwei ver-
scbiedene Dinge auseinanderzuhalten. Erstens kann gefragt
sein nach der tatsächlichen Entwicklung. Werden die Waren
teuerer oder billiger, steigt oder fällt Lohn, Zins oder Rente
aod wie gestaltet sich ihr tatsächliches Verhältnis zu eio.-
44Ö ^^ VtriatioBiBuaodfl.
ander, verglichen mit der Vergangenheit? Und zweiteBB:
Gegeben irgeudein Zustand der Volkswirtschaft im Gleieb-
gewichte nnd eine bestimmte StörungBorsaehe; wie werden
sich die Preise und EinkODimeo andern?
Die tiefe Kluft zwiBchen beiden Problemen ist ersidit-
lich. Und in erster Annäherung kann man sofort sagen,
daß nur das letztere unseren Methoden j^ug&nglieh sein kann.
Es läBt sich das ganz ebenso zeigen, wie die analoge Be-
hanptung, daß wir nie einen konkreten Zustand der
Wirtschaft erklären kOnnen, und ist etwas Ahnliches wie die
Unterscheidung zwischen den Ökonomischer Erklärung un-
zugänglichen „systembestimmenden" Tatsachen and den rein
ökonomischen Quantitäten — wir wollen der Kurse halber
den letzteren Sats nicht wieder korrigieren, wie es eigent-
lich n&tig wäre. Die konkreten Bewegungen sind TOn
konkreten Daten abhängig, unser formales Raisonne-
ment kann far sich allein sie nicht verständlich machen.
Es kann nur, wenn konkrete Daten gegeben sind, bestimmte
Folgen derselben vorher sagen. Sagt man. der Lohn steige
ceteris paribus, wenn die Nachfrage steigt, so kann uns die
Theorie nichts darfiber sagen, ob die Nachfrage z. B. in
Zukunft steigen und was die konkrete Ursache dieser Er-
scheinung sein wird. Das liegt auf der Hand. Und sofort
sehen wir auch, dafi bei Betrachtung der individuellen E^
scheinungen das Moment der Entwicklung besonderes Interesse
gewinnt und dafi fttr dasselbe immer andere Dinge, als rein
Ökonomische bestimmend sind. Man sieht wiederum, wie
sehr unser System entwicklungslos ist. Wir mQssen uns aln
auf das zweite der unterschiedenen Probleme beschränkea.
Aber es wäre doch nicht ganz richtig, den Gegenntt i
zwischen den beiden dahin auszudrucken, daß beim ersteien i
nach individuellen Tatsachen und beim letzteren nach dei
Gesetzen, welche dieselben beherrschen, gefragt wird. Avcb
beim ersteren wQuscbt man General isationen zu gewinnen. |
große Tendenzen zu entdecken. Der Satz, daß die Be- '
völkerung sich über den Nahrungsmittelspielraum hinaos n I
vermehren strebe, ein Satz, der in diesem Zusammenhaaft j
Allg«n«ner T«l. 447
s^r wichtig ist, gibt ein Beispiel. Wir sahen, dofi derselbe-
nicht za den Sätzen unserer Theorie gehört, von ihnen
weswitlieb verschieden ist — ein „Gesetz" ist er aber dennoch.
Üo ei^bt sieh , da8 wir keinesw^;» auch nur das abstrakte
Vaniationaprobiem vOllig bdierrschen nnd schliefllich ist das
nicht mehr als selbstverBtandlieh.
Keineswegs fehlt jede Beziehong zwischen beiden Prob-
lemen. Man kann gewiß versuchen, einen bestimmten Zu-
stand der Volkswirtschaft ans einem anderen, gegebenen
reinftkonomisdi zu erkUren oder aus einem gegebenen auf
einen künftigen zu scblieäen. Das muß sogar unser End-
ziel sein. Wir m&ssen so weit konmien, dafi wir, wenn uns
genQgend Daten zur Verfügot^ stehen, jene Operationen
aosftlhren können. Ja man kann sagen, daß immer, w«an
eine Behauptung über Bewegungstendenzen der Verteilung
usw. ausgesprochen wird, eben das geschieht. Wenn man den
fikonomiechen Teil des Gedankenganges dabei fortlftßt, so tut
man es nur, weil man ihn als selbstverständlich betrachtet. Hier
mnd wir an einem wichtigen Punkte. Jene ganze Literatur,
von der wir sprachen beschäftigt sich mit dem ersten
Probleme: Man untersucht entweder die Fakten historisch
oder statistisch oder befaflt sich auch mit den Gesetzen, die
sidi aus der Betrachtung der systembestimmenden Tataaehen
ergebm mfigen. Nur so glaubt man Resultate bezOglich
konkreter Tatsachen gewinnen zu können, und was die reine
Theorie zu sagen vermag, hält man lediglich fctr Gemein-
plätse. Dieser Umstand und dann jene Beziehung zwischen
beiden Problemen, auf die wir hinwiMen, erklärt es, dafi
man sie nicht scharf trennte. Ffir die meisten Zwecke wäre
das auch weder praktisch noch mOglich. Aber das ist es,
was vrir hier tun wollen.
Diese Vennengnng charakterisiert auch die ältere und
den weitaus größten Teil der modernen Theorie. Manche
DarstellungeD begnOgen sich Oberhaupt mit der Erörterung
des- Wesens der reinökonomischen Quantitäten und Vorgänge
und geben auf eine genaue Untersuchung der Variationen,
welche eine Störungsursache hervorruft, nicht ein. Wo dA&
448 ^^ TBriBtioiiainQthoda,
aber geschieht, sieht man leicht, daä der Autor das Gefühl
hat, daä die reioOkonomische Theorie darQber nicht genOgend
Interessantes zu sagen vermag , und eich deshalb beeilt,
neue Momente heranzuziehen. Das ist durchaus begreiflich.
DaB ein Preis sieh ändert, wenn Angebot und Nathfrage
sich ändern, scheint wirklich zu klar, um besonders betont
zu werden. Aber das darf uns nicht aber die Tatsache
täuschen, daß derartiges das einzige ist, was unser System
Riu sieh selbst uns geben kann. Und das hat die wichtige
Eonseqoenz , dsB wir , als Theoretiker , bezüglich jener
anderen Momente nicht kompetent sind. Dieselben gehSren
der Domäne der Soziologen, Biologen usw. zu, wie wir an einer
froheren Stelle zeigten. Wir können btkchstens die rein-
ökonomischen Eonsequenzen dieser Momente ableiten, also
das, was so uninteressant scheint. For uns sind alle solche
neuen Tatsachen gleich — sie kommen nur in ihrer Eigen-
schaft als „Storno gsursache" in Betracht und jene Dinge,
Ober die wir uns zu fluSem als Ökonomen das Recht haben,
gestalten sich gleich, was immer jene Störungsursache
sein mag. DarQber hinaus sind wir Dilettanten oder Ver-
treter anderer Disziplinen als der unseren, und das macht
sich meines Erachtens in den Resultaten auch sehr fohlbar.
Alle typischen Systeme unserer Wissenschaft — das
klassische, das sozialistische usw. — haben zu dem Probleme
der .Variationen" Stellung genommen, namentlich zu seiner
praktisch bedeutungsvollsten Spielart, zu der Frage der
Tendenzen der Einkommensverteilung. Nun, was sie darQb«r
sagen, ist nicht reinökonomisch , sondern beruht durehatu
auf außerökonomischen Momenten. Da das auch for jene
Resultate gilt, welche zu den meisten Kontroversen AnUS
gegeben haben, so scheint es mir wesentlich, das zu betonea
Vor allem würde die Diskussion dieser Dinge sehr gefördert,
wenn man endlich einsähe, um welche Fragen es uch
eigentlich handelt. Das trllge sehr zur .Lokalisierung" ite
Krieges bei und würde exakte Lösungen aobahnen. SodanD
gewänne die ökonomische Theorie viel, wenn man sie von ■
Kontroversen befreite, die sie im Grunde gar nicht berOhm
Allgemeiner Teil. 449
uDd zeigte, da8 sie tatsftchlich einen neutralen Faktor dar-
stellt, der weiter für noch gegen eine der streitenden Tages-
parteien spricht — wenigsteoB an sich nicht Freilich, wenn
die Theorie dadurch an allgemeiner Anerkennung gewinnen
kann, so verliert sie wiederum sehr viel an aktuellem In-
teresse. Nicht nur der Politiker wird sich von eiuer Waffe
abwendeu, deren Unbrauch barkeit er erkannt hat, auch der
Forscher wird sich fragen, ob denn das, was abrig bleibt,
aberhaupt noch einen Erkenutniswert hat. Hier verhält es
sich ebenso, wie an manchen anderen Punkten, welche wir
bereits erwAhnten. Sicherheit und Korrektheit kosten uns
viel , und doch müssen wir sie anstreben, sollten wir auch
an einem Todesurteil fQr unsere Disziplin schreiben: Un-
umgänglich ist das um der gesunden Entwicklung der
SozialwiBsenschaften willen.
Müssen wir aber einerseits unsere Theorie in ganz
reiner Gestalt betrachten und rücksichtslos auf ihren Wert
prüfen, so ist es anderseits auch unsere Aufgabe, sorgfältig
darzustellen, was sie leisten kann. Es kaun sich zeigen,
dafi jene Gemeinplätze, näher betrachtet und weiter ent-
wickelt, vielleicht doch etwas mehr bedeuten, als die Mehr-
zahl der National Ökonomen glaubt. Inwieweit können wir
also zum mindesten unser zweites Problem lösen und ist
diese Lösung von Interesse, wert, dafi man sich damit be-
fasse? Erst in der neuesten Zeit hat man dasselbe rein-
ökonomisch zu behandeln begonnen und streng isoliert.
Darin liegt ein großer Fortschritt. Bei den Klassikern und
ihren Nachfolgern, sowie in der sogenannten „deskriptiven"
Literatur und in der Diskussion von praktischen Tagesfragen
finden sich wohl Ansätze dazu, die aber nicht nur, wie ge-
sagt, sofort von fremden Elementen Überwuchert werden,
sondern auch an si^h wenig wertvoll sind. Teilweise kommt
das von den Mängeln der älteren Theorie und teilweise
daher, weil man, wie man einerseits jene beiden Probleme,
die zu scheiden sind, zusammenwarf, so auderseits einen
wichtigen Zusammenhang vernachlässigte: Man hat — es
tritt das besonders bei Erörterung der Beweguufcsgesetze
450 ^B VmriaUoiiaiiiethode.
der EinkoDiinen zutage — die Sache nicht tod den Gmnd-
lageD der Theorie aus, sondern viel oberfl&chljcher behandelt,
wie wenn das ganz Belbständige Probleme w&reo. Aus der
Preistheorie heraus mOssen sich unsere KesnlUte ergeben
und nicht blofi aus flQchtigen Behauptungen , welche jedei
Zusammenhang mit ihr verloren haben.
In drei Punltten also unterscheiden wir uns hier von
der Mehrzahl der Ökonomen : In der Abscheidung des rein-
CkoDomischea Problemes tod anderen , in einer beBseren
theoretischen Grundlage und endlich darin, daS unsere Be-
trachtung wirklich unmittelbar auf derselben berahL Würdigt
man das entsprechend, so sieht man meines Erachtene, dafl
sich alle ja so bekannten Einwendungen gegen die Ökonomie,
die früher gewiß teilweise berechtigt waren, TerflOehttgen.
Unsere Stelluag bezaglich sozialpolitischer und anderer Ur-
teile ist dieselbe wie im .Vorhergehenden , und wir wollen
das bezüglich dieser und auch anderer hier in Betracht
kommender Dinge Gesagte nicht wiederholen. Scheint es
endlich — und das ist nur natürlich — dafi die frohere
Betrachtungsweise weitergeführt und besonders mehr Resul-
tate geliefert habe, so wird zu unterscheiden sein, ob die
letzteren reindkonomiscber Natur waren oder nicht Und
nur wenn das erstere der Fall ist, müssen wir deren Un-
richtigkeit beweisen oder die Überlegenheit der älteren Be-
handlung anerkennen.
Verzichtet man also auf eine materiell mehr bietende
Erkltlrung durch Heranziehung neuer Tatsachen und be-
schränkt man sich auf eine sozusagen mehr formale, so gibt
es Qur einen Weg, den man einschlagen kann. Was man
dabei zu tun hat, welche AlaSregeln notwendig sind, Ufit
sich allgemein und klar angeben und mu6 von jedennana
beobachtet werden, wenn er nicht leicht Dachweisl»re Fehler
begehen will. Wir haben da einen erfreulich exakten Boden
unter den Füßen. Dieser Weg ist das, was wir
Variationsmethode genannt haben, und mit dieser
wollen wir uns näher bekannt machen. Ihre wissenschaft-
liche Bedeutung ist, ganz abgesehen vom eventuellea Werte
AlIgMndn«! TelL 451
ihrer Resultate, eine grofie. Mit ROeksicht darauf, da6 de
eine der ersten exakten Leistungen auf dem Gebiete des
menBchlichen Handelns darstellt — and jedenfalls den ersten
längeren exakten Gedankengang — kommt ihr im Gebiete
der „Geistes wissenBcbaften" eine Ähnliche Bedeutung zu,
wie der Semmeringbabn auf dem der Technik. So verdiest
sie wohl, daß man sie kennen lerne, zeigt sie uns doch den
ersten Schimmer eines neuen wissenschaftlichen Tages.
§ 2. Die Variationsmetbode besteht in folgendem Vor-
gange : Unser System befinde sieh im Gleichgewichte, wobei,
wie wir sahen, alle seine Elemente eindeutig bestimmt sind.
Man vergröflert oder verkleinert nun eines derselben nm
eine kleine GrOSe. Dann beobachtet man, was geschiebt.
Alle anderen Elemente werden sich ebenfalls Andern, nicht
in gleichem Maße, manche, die meisten sogar, nnr nn-
merklich, aber dennoch alle. DaS eines oder das andere
gleich bliebe, ist zwar nicht völlig nnmöglich, wQrde aber,
wenn keine Aufiere Macht das verursacht, wovon wir ebenso
absehen wie von neuen Eingriffen oder nicht wirtschaft-
lichen Gegeneinflassen gegen unsere betrachtete Störung,
nnr einen ebenso unwahrschein liehen , wie prinzipiell be-
deutungslosen Zufall darBtellen. Denn wenn, wie wir sahen,
alle Elemente durcheinander bestimmt sind, so kann, nach-
dem eines sich geändert hat, nicht mehr derselbe Zustand
unser Nutzenmaiimum liefern und somit nicht mehr der
Gleichgewichtszustand sein. Es ist ja leicht ersichtlich,
daß dann nicht mehr alle Bedürfnisse gleich befriedigt, daB
die Grenznutzen Verhältnisse infolge der Änderung einer der
Mengen, die sie bestimmen, nicht mehr gleich sind und dafi
daher im Sinne unserer Annahmen eine Tendenz zur Änderung
besteht. Und die Beobachtung dieser Änderungen nun gibt
uns eben die Bewegungsgesetze, die wir suchen, sie gibt
uns alles, was die reine Ökonomie für diese Probleme zu
leisten vermag. Die Variationen erfolgen als Reaktion gegen
die Störung des Gleichgewichtes und füliren einen neuen
Gleichgewichtszustand, der ebenso eindeutig bestimmt i&t..
452 ^^0 Variationsmethode.
wie der frühere, herbei, und man kann unser Vorgehen
auch dahin ausdrücken, dafi wir den neuen Gleichgewichts-
zustand zu finden und mit dem früheren zu vergleichen
haben, woraus sich dann unsere Resultate ergeben.
Das ist die Grundlage, die Methode in ihrer einfachsten
Gestalt. Ehe wir weitergehen, verweilen wir etwas dabei, um
einige notwendige Bemerkungen hinzuzufügen. Die Methode
ist nichts anderes, als eine Ausarbeitung der bekannten
Preisbildungsgesetze oder, wie man populär, aber wenig
korrekt sagen kann, der Gesetze von Angebbt und Nachfrage.
Aus diesem einfachen, ja dürftigen Ausgangspunkte holt sie
alles heraus, was da herauszuholen ist. \Yie sich die
Preise gestalten, wenn sich etwas im Systeme
ändert, das legt sie erschöpfend dar, soweit das allgemein
möglich ist. Die ältere Betrachtung hat da nichts Besonderes
ergeben, wie wir sahen, und es fragt sich, ob das vervollkomm-
nete Instrument mehr aus dem System herauszupressen vermag.
Was immer vorfällt, wird erfaßt unter dem Gesichtspunkte
der Änderung eines Elementes unseres Systemes. Nie kann
eine reinökonomische Wirkung anders auftreten als durch
das Medium der Preise, und die Grundlage ihrer Bewegungs-
gesetze ist eben durch die Angebots- und Nachfragefunktion
experimentell gegeben. Allerdings kennen wir deren genaue
Gestalt nicht, aber wir kennen gewisse Eigenschaften der-
selben, und unsere Methode zieht systematisch
alle jene Schlüsse aus ihnen, die möglich sind.
Da wir nun das Gebiet des Reinökonomischeu definitions-
mäßig auf das beschränkt haben, was in der Tauschrelation
enthalten ist, so ergibt sich nicht nur als notwendige, sondern
als selbstverständliche Folge, daß unsere Methode das einzige
ist, was die Theorie hier bietet.
Wir haben auf drei Punkte hingewiesen, welche unsere
Art, die Sache zu behandeln, von der früheren oder besser
von der allgemein üblichen unterscheiden, und die unseres
Erachtens einen Fortschritt darstellen. Nun haben wir
noch einen weiteren zu erwähnen. Erwägt man die rein-
ökonomischen Folgen einer Veränderung irgendeiner Menge
Allgemeiner Teil. 453
eines Gutes im Systeme, so sind immer eine ganze Reihe
von Wirkungen zu beachten, welche sich teilweise entgegen-
arbeiten. Hat man z. B. festgestellt, daS Her Lohn steigen
müsse, wenn die Ärbeitsmenge verringert wird, so ist das
ein ziemlich dOrftiges Resultat. Aber das ist ja nidit alles.
Es werden auch gewisse andere Preise steigen, nämlich die
jener Güter, welche die Arbeiter nun erwerben. Das wirkt
auch auf die anderen Einkommen. Und von diesen ans
wiederum auf noch andere Preise. Die Tatsache der Lohn-
steigerung an sich ferner wirkt«nf die anderen Einkommen
ganz direkt, wie ja leicht ersichtlich. Diese Dinge nun
sind nicht so einfach, obgleich reinOkonomisch, und ein Urteil
darQber ist kein Gemeinplatz. Es handelt sich da nicht
blofi um die T a 1 8 a c h e n dieser Variationen an sich, sondern
um deren Vergleich untereinander. Nur so kann man zu
einem Urteil kommen, das einigen Wert hat und für diesen
Zweck kommt alles auf das , wieviel" an. Was nützt es
dem Arbeiter, wenn sein Lohn steigt, aber gleichzeitig auch
die Preise seiner Lebensmittel in die Höhe gehen? Oder:
gewinnt er ebensoviel oder mehr oder weniger, als die anderen
Wirtscbaftssubjekte verlieren? Das ist das punctum saliens,
kOnnen wir darQber nichts sagen, so haben wir überhaupt
nichts gesagt.
Gewöhnlich nun arbeitet man bei der Diskussion solcher
Fragen, wenn man sich sie überhaupt stellt, mit »Argu-
menten*. Nirgends tritt das mehr hervor, als in dem Streite
am die Schutzzölle. Der Schutzzöllner glaubt, alles getan
zu haben, wenn er sagt, daß der Preis einer Ware steigen
müsse, um irgendeine Industrie am Leben zu erhalten. Der
Freihändler glaubt seinerseits, ihn widerlegt zu haben, wenn
er auf die Nachteile hinweist, die dem Konsumenten daraas
erwachsen. Wir werden später sehen, dafi man diese Argu-
mente überhaupt nie nebeneinanderstellen darf, da sie ganz
verschiedene Dinge im Auge haben. Hier haben wir es nur
mit dem Reinökonomischen und Statischen an der Sache zu
tun. Dabei aber ist die relative Größe beider Momente von
entscheidender Wichtigkeit. Die „Argumente" sind fast
4M
immpr an sieb richtig, nur stellen sie einen vi kleinen Aus-
^rhnitt «US den Tatsachen dar and Qbersehen alles andere.
Wonn man sie noch so zweiüelsfrei beweist, so hat man für
tiii> ^ a n 7 e ProMem nichts gewonnen. Die Beispiele fQr der-
.-iMif»- franz fruchtlose Streitigkeiten sind zahllos. Jedes
okoiioiniscbe Lehrbuch weist solche auf. Darin scheint ujtr
riitr vtrsoniliche Ursache des geringen Vertrauens auf öko-
iiiiiiijsdip Argument« zu liegen, das wir gegenw&rtig so
Klliii-nirin hpohachten. Sich ganz widersprechende Beweis-
inbrutigi^n können plausibel gemacht werden — zeigt An
iiirtii kltir. wie wertlos die Momente sind, auf denen sie
lH-Mi)ii>n . Von vflllstADdig gleichen Grundlagen und mit
iiil]>r:iiiilif- (:1rirhem Rechte kann man zu diametral eutgegen-
ui'M'tytfii .. Jim k tischen Standpunkten" kommen — ergibt sich
il.-iiiiiis niciiT , ilall man es mit weilloseo Spekulationen zu
lull li:it ' XMcfi'a Srhlafi zieht man tatsächlich vielfacb.
Miiii Kiniiito nWr noch etwas anderes tun. das nämlich, aof
>!■!> wii liii'i- hinweisen wollen, die Argumente naher zu
l'iiiicii iiikI \or .illem quantitativ zu formulieren.
Mit ti)iii!:!> kann das dann noch nicht zu praktischen
Üi-Mitiiiicii oiiiio wi'iteres ausreichen, da für die Praxis, wif
nii iiirtii niiiili' werden zu betonen, aucli noch ganz andere
hiiif:i' iiml \i(lloicbt vornehmlich andere — als die
ii'iii>>Kiii]iiiiiim1ici) (ii-sctze \ü Betracht kommen. Alier imnior-
liiii Kitiiiii'ii .In« U'l/tercH mehr ergeben, als jene vngen Ifi'-
li<tii|<itiii).'i'ii, ilii' nit'ist mehr der Platform als der Erkenntnis
ili.iH'ii liir die i|uuHtitativc Betracht itnps weise plahüeren
»11 liK-i Mit' i|it> fx.iktestc. die einzig wirklit;h exakte Foiiu
<l<'^ *ii'il.iiil>i'iit:iiii^'i-s. fnr die Mathematik. Vor allem siud
''!'■ hmti.-. iiic zu ih-nchten sind, so kompliziert, daß nao
"'»' Hill \\ nt tcu mir sehr schwer und gar nie ganz korn-kt
■tiiMliii.l,.-ii kiiiiii. Außerdem aber sind die Orundiagen w
.iiiili'i<>iilf(iilii<h klar, und die Schwierigkeit besteht el»en in
'■""■' *""^Mii"liKt'ii und korrekten Ableitung aus verhiiltni!!'
iiiJtniji N.-iii iiiiJH.Jn'M Daten. Das ist nun gerade eine Au(-
Mi'Ih \m ii).]- Art. fiir die die mathematiH-he .Analyse pe-
wttiiHnii int , Htt hio ihre Erfolge errang. Hier wird si<^
Allgeineinet T«iL 455
unentbehrlich, sobald maa elDigermafieD tiefer geht und hier
fahrt sie auch zu tnancheu Resultaten, welche nur durch
sie geboteu werden kOnneu. Unser System an sich kann
ohne ihre Hilfe expliziert werden, aber nur der Mathematiker
kann alles das mit vollständiger Sicherheit und Korrektheit
gewinnen, was sich weiter ergibt. Wir wollen einiges davon
kennen lernen unserem Grundsatze zufolge, nicht durch
aprio ristische Gründe, sondern aus unserer Arbeit heraus
die Methodenfragen zu lösen. Auch auf einen anderen Vor-
teil der mathematischen Behandlung müssen wir hinweisen.
Nur sie hebt alle Voraussetzungen und Bedingtheiten des
Gedankenganges ganz klar hervor, so daß es fast unmöglich
ist, sie zu ttbersehen. Das letztere ist außerordentlich
h&nftg in den gewöhnlichen Diskussionen. Sagt jemand,
dafi der Preis infolge eines Schutzzolles in einem bestimmten
Falle steigen und jemand anderer, daß er infolge der der
Industrie gegebenen Anregungen fallen mUsse, so übersieht
man meist, dafi sich beide Behauptungen überhaupt nicht
widersprechen, da sie ganz andere Dinge im Auge, ganz
andere Voraussetzungen haben. Aber auch in FAllen, wo
das nicht so in die Augen springt, ist es wichtig, auf dieses
Moment hinzuweisen. Fast jede Behauptung ist unter ge-
wissen Voraussetzungen richtig , wie wir das auch sonst
sahen. Diese klarzustellen, ist zu ihrem Verständnisse und
ihrer Würdigung ganz essentiell. Nur bei der mathematischen
Behandlung geschieht das nun systematisch : Was unser
Gleichungssystem voraussetzt, steht klar vor unseren Augen.
Wenn wir weitere Annahmen machen, z. B. Konstantbleiben
gewisser Elemente, so kann das nicht unserer Aufmerksam-
keit entgehen. Und das ist gerade für die Materie, von
der wir hier sprechen, von der größten Wichtigkeit. Wo
alles darauf ankommt, aus wenigen Daten das größte Er-
kenntJiisrendement zu ziehen, hat die Methode des Vorgehens
eine überragende Bedeutung, eine weit größere als bei
anderen Problemen, wo es mehr auf Tatsachensammlung
ankommt. Das fahrt uns nun dazu, gewisse Voraussetzungen
unserer Methode sorgfältig zu erörtern, welche ihr Wesen
456 ^^^ Yariationsmethode.
und ihre Grenzen beleuchten und uns wiederum einen Bei-
trag zum Verständnisse unseres statischen Systemes geben
werden.
§ 3. Wir betrachten Preisvariationen. Wie sich die-
selben gestalten, hängt von der Gestalt der Angebots- und
der Nachfragekurve ab oder, korrekter, der beiden Nach-
fragekurven, aus denen wir den Preis erklärten. An dieser
Gestalt müssen wir also festhalten. Denn täten wir das
nicht, so könnten wir über die Variationen gar nichts aus-
sagen. Werden die Wertfunktionen andere, so sind wir
eines unentbehrlichen Datums beraubt. Und zwar könnten
wir dann, wie gesagt, gar nichts behaupten, nicht etwa
bloß nichts Exaktes. Ich meine damit das Folgende: Man
könnte glauben, daß, wenn sich die Nachfragefunktion ändert —
sagen wir z. B., wenn die Menschen plötzlich den Gebrauch
eines bestimmten Gutes aufgeben, weil sich die Mode ändert — ,
wir dann zwar nicht unsere Methode anwenden, aber doch
im allgemeinen sagen könnten, was geschieht. Das ist nicht
immer möglich. Denn in einem solchen Falle ändert sich
das ganze W^ertsystem der Volkswirtschaft, neue Erscheinungen
tauchen auf, von denen wir nichts wußten, und der neue
Zustand ist im wahrsten Sinne des Wortes „unberechenbar **.
Will man trotzdem etwas behaupten, so liegt darin ein
weiterer — und sehr bedenklicher — Schritt auf der Bahn
der Abstraktion und von der Wirklichkeit weg.
Das Gleichbleiben der Wertfunktionen, d. h. also der
menschlichen Natur, der Geschmacksrichtungen usw. ist dem-
nach wesentlich. Hier erst verstehen wir vollkommen, warum
wir darauf ein solches Gewicht legten : Die Demonstriening
der Grundprinzipien des Systemes wäre an sich wohl auch
ohne diese Voraussetzung möglich. Aber das führt einen
Schritt weiter. Damit die Wertfunktionen gleich bleiben
können, dürfen sich die Mengen nicht um viel ändern.
Wir sahen ja bereits, welche Schwierigkeiten in der An-
nahme einer kontinuirlichen Wertfunktion für jedes Gut
und jedes Individuum liegen. Dieselbe gilt nicht ohne
Allgemeiner TeiL 457
weiteres von o-oo , wenn wir auch für gewisse Zwecke diese
Annahme machen. Ganz korrekterweise gilt sie nur immer
ftir kleine Intervalle. Hätte man viel mehr oder viel
weniger von einem Gute als man tatsächlich hat, wQrde die
ganze Wirtschaft* anders ablaufen. Neue Verwendungen
würden auftreten oder manche wegfallen, so dafi die Wert-
funktion nicht dieselbe bliebe. Und das würde auch auf
alle anderen Wertfuuktionen wirken, zunächst auf die der
komplementären, weiters auf die der rivalisierenden und
endlich auch auf die aller Güter. Genau genommen gilt
ja das Wertsystem und überhaupt alles, was es auf unserem
Untersuchungsgebiete gibt, nur für eine ganz bestimmte
Menge von Gütern jeder Art. Ferner nur für eine bestimmte
Art zu wirtschaften, wozu auch ganz bestimmte Tauschakte
gehören, deren Resultat schon, in der Weise, die wir dar-
legten, in der Wertfunktion der Preisgüter erscheint
Eigentlich darf sich gar nichts von allem dem ändern, und
würde durch eine „ Störungsursache "" z. B. bewirkt, daß
eine Gütermenge, die A bisher gegen eine andere des B
einzutauschen pflegte, nun zu etwas anderen verwendet wird,
so sind die Folgen nicht zu überblicken. Denken wir nur
daran, daß die Störungsursache ein Prohibitivzoll sei, der
A und B, die dies- und jenseits einer Grenze wohnen, am
Tausche hindere. Die beiden können nun versuchen, eine
andere Tauschgelegenheit zu finden — etwa im Inlande: —
dieselbe wird aber sicher nicht ebenso vorteilhaft sein,
wenn wir glatte Wirksamkeit unserer Gesetze annehmen,
was wir hier tun müssen. Sie können die bisher aus-
getauschten Güter selbst konsumieren. Es könnte aber auch
sein, daß dieselben für sie wertlos würden. Die Tauschenden
können ferner durch die Störung gleichsam „aufgepullt''
werden und etwas ganz Neues, woran bisher niemand dachte,
mit den Gütern anfangen. In allen diesen Fällen, welche
alle gleich möglich sind, wird — obgleich das in dem zu-
letzt angeführt besonders klar ist — unser ganzes System
verändert, und wir sind außerstande, etwas wirklich Be-
achtenswertes auszusagen.
458 ^i® Variationsmethode.
Wir mufiten diesen Tatbestand so scharf heraosheben,
um den Hintergrund für das Folgende zu gewinoeo, um
das Wesen unserer Methode sich gut abheben zu lassen.
Obgleich das nämlich so ist — und es ist gut, sich das
immer gegenwärtig zu halten — , so gibt es doch zwei Trost-
gründe. Zwei Umstände ermöglichen es uns, dennoch weiter
vorzudringen. Erstens das Moment, auf dem die Infinitesimal-
methode beruht : Kleine Änderungen können wir doch be-
rücksichtigen und hierin eben liegt das Wesen, der Wert,
aber auch die Grenze unserer Methode. Sie ist essentiell
eine Form der Infinitesimalmethode. Betrachten wir das
etwas näher. Dem Laien scheint es immer bedenklich, daß
gewisse Urteile für „unendlich kleine"" Größen wahr sein
sollen, die für erhebliche Größen unzweifelhaft falsch oder
unmöglich sind. Er benützt sogar sehr häufig eine ent-
gegengesetzte Methode; was nicht ganz klar für das Kleine
scheint, wird vergrößert, um die Sache mehr in das Licht
zu rücken. Und den ersten Eindruck der Infinitesimal-
methode auf ihn kann man nicht besser als durch den Aus-
druck „Schwinder charakterisieren. Manche Professoren
der Mathematik nehmen dieses bekannte Gefühl zum Aus-
gangspunkte ihrer Darlegungen und sagen an der Stelle, wo
der Übergang vom „Endlichen'' zum „Unendlichkleineu"
stattfindet: „Jetzt wollen wir uns einen kleinen Schwindel
erlauben.'' Das ist didaktisch äußerst zweckmäßig und dient
dazu, das Willkürliche, nicht ganz streng Logische des Vor-
ganges, seine Hilfsmittelnatur, hervorzuheben. Nun.
unsere Aufgabe kann es nicht sein, die Infinitesimalmethode
näher zu besprechen und wir haben uns auch der Kürze
halber erlaubt, mit Rücksicht auf sie eine nicht ganz korrekte
Ausdrucksweise zu verwenden. Das für uns Wichtige ist,
daß unsere Variationsmethode hierher gehört. Wir können
keine irgendwie erheblichen Änderungen in der Größe der
ökonomischen Quantitäten behandeln, wohl aber solche, die
im Verhältnisse zu den Daten des Problemes klein sind.
Wie groß können die Änderungen sein, wenn unsere
Methode anwendbar sein soll? Das machen wir uns am
Allgemeiner Teil. 459
besten klar, wenn wir uns vergegenwärtigen, warum die
Änderungen klein sein rnttssen. Wir antworteten auf diese
letztere Frage: damit sich das Wertsystem nicht ändere.
Wann ist das nun der Fall? Ersichtlicherweise dann, wenn die
iMengenänderung so klein ist, dafi das betroffene Individuum
dadurch nicht veranlaßt wird, seine Produktions- und Konsum-
kombination wesentlich zu ändern. Alle Güter verwendet
es dann wie bisher und zu denselben Zwecken wie bisher.
Nur jene Änderungen nimmt es vor, die innerhalb der Grund-
linien seines Wirtschaftens möglich sind. Unterläßt jemand
z. B. seine gewohnte tägliche LeibesQbung aus irgendeinem
Grunde ganz, so wird er zu anderen Dingen mehr Zeit und
Kraft haben. Er wird sich auch anders — schlechter, aber
vielleicht auch besser — fohlen. Das kann nun zum An-
stoße werden, seine ganze Lebenseinteilung zu ändern, Dinge
zu tun oder zu unterlassen, die er sonst immer tat oder an
die er nie dachte. Schränkt er aber seine Übung etwas
ein, so werden zwar auch Wirkungen eintreten aber ganz
andere: seine Gesundheit wird ungefähr dieselbe bleiben;
der Kraftüberschuß und die — sagen wir — fünf Minuten,
die er gewinnt, werden andei's verwendet, aber wahrscheinlich
nur einer jener Beschäftigungen zugewandt, denen er schon
bisher oblag. Er wird einige Zeilen mehr an seinem Buche
schreiben, aber er wird kein neues beginnen. Und jene Be-
schäftigung, die diesen Zuwachs erfährt, wird wohl etwas
gefördert, aber nicht so, daß sie zu wesentlich anderen
Resultaten führen könnte. Wird ein gewisser Zoll auf einen
Tauschakt gelegt, so werden die Parteien weitertauschen,
wenn er nicht prohibitiv ist, aber vielleicht etwas geringere
Mengen. Dann erübrigen sie z. B. von den Gütern, die sie
bisher austauschten, etwas, das aber nicht ausreicht, große
neue Erscheinungen hervorzurufen, sondern eben benach-
barten Verwendungen zugeführt wird. Wir beantworten
also die Frage, wie groß unsere Änderung sein darf, nicht
absolut, sondern nur durch eine Regel: sie darf nicht so
groß sein, daß die Wertfunktionen versagen würden. Die
konkrete Größe ist von Fall zu Fall verschieden. Bei
460 ^>® Variationsmethode.
manchen Gatern wird eine Einheit schon zu grofi sein. So
z. B. bei Maschinen: hier massen wir uns des Mittels der
Unterscheidung von „Güterelementen' bedienen, das wir
Professor Clark verdanken. Auch je nach der Frage, die
man gerade behandelt, gestaltet sich das verschieden: be-
trachtet man das Individuum, so ist natarlich eine andere
Gröfie „sehr klein '', wie wenn man die ganze Volkswirtschaft
untersuchte „Sehr klein "^ ist ja ein ganz relativer Begriff.
Das beleuchtet nun wiederum das Wesen der „Statik*.
Wir begreifen nun lebendiger, warum diese KonstruktioD
so nötig ist. Unser Resultat, dafi wir nur kleine Ver-
änderungen behandeln können, heißt nichts anderes, als daß
wir uns innerhalb der Grenzen der Statik halten mttsseD,
weil unsere Methode außerhalb derselben versagt und jene
Annahmen, die uns unsere Sätze geben, dann wegfallen
müssen. Nur innerhalb derselben stehen wir auf festem
Boden, gewinnen wir gesicherte Resultate. Und Theorien.
welche mit unserer Konstruktion unvereinbar sind, wie z. B.
die Zinstheorie v. Boehm-Bawerks, mQssen ganz anders be-
trachtet, ganz anders beurteilt werden, haben auch ganz
andere Voraussetzungen, so daß man sie nicht ohne weiteres
neben die statischen stellen kann.
Unsere Methode ist also essentiell statisch,
was nicht immer erkannt wurde. Wir sehen nun, warum
wir auch das zweite jeuer beiden Probleme, die wir bezüglich
der Bewegungen, die in den Elementen unseres Systemes
vor sich gehen, unterscheiden, nicht vollständig lösen können,
wenigstens nicht mit statischen Mitteln. Das ist eine sehr
ernste Einschränkung des Gebietes der reinen Ökonomie.
Auf die großen Veränderungen ist unser Interesse gerichtet
namentlich auf einige große Entwicklungstendenzen, und
hier, wo es uns so ganz klar wird, daß wir dazu nichts zu
sagen, daß wir damit nichts zu tun haben können, dringt
sich wiederum die Frage auf, was unsere reine Theorie denn
wert sei. Ihre Resultate werden der Wirklichkeit ertriglich
nahe kommen, wenn man kurze Zeitperioden betrachtet
Darin liegt zu einem Teil ein Trost. In der Tat, die
Allgemeiner TeiL 461
„systembestimmenden Tatsachen*' ändern sich im allgemeinen,
nicht schnell. Sie können für kurze Perioden als konstant
au/gefafit werden, ohne daß man fürchten müßte, zu weit
von der Wirklichkeit abzukommen. Auch das Leben und
die Gewohnheiten der Menschen beharren verhältnismäßig
zähe und nur, wenn man die Betrachtung derselben auf
einen längeren Zeitraum ausdehnt, erkennt man, daß sie im
Fluße einer steten Veränderung sind. So kann man denn
von einem bestimmten Zustande der Wirtschaft aus bei Ein-
tritt einer nicht zu großen oder vehementen Störungs-
ursache im allgemeinen mit Beruhigung deren wirtschaft-
schaftliche Folgen voraussagen und erwarten, daß dieselben
in der nächsten Zukunft sich auch wirklich erkennen
lassen werden.
Aber nur in der nächsten Zukunft Denn sehr bald
überflutet sie der Strom der Entwicklung. Aber zum
anderen Teile macht uns das auf ein wichtiges Charakteri-
stikon des statischen Zustandes aufmerksam, auf das wir
erst jetzt ausdrücklich zu sprechen kommen. Wir haben
bereits das Gleichnis von der Momentphotographie gebraucht.
Nun haben wir weiterzugehen. Nicht nur ist unser theo-
retisches Bild der Wirklichkeit von dem Zustande der-
selben in einem Momente abstrahiert, es ist auch nur
brauchbar für einen Moment. Wohl würde uns, um bei
unserem gegenwärtigen Thema zu bleiben, streng genommen
nichts hindern, einen beliebig langen Zeitraum zu betrachten.
Aber unser Bild würde dann zu wirklichkeitsfremd werden.
Was nützt es uns zu sagen, daß infolge einer Störungs-
ursache die Preise fortschreitend z. B. steigen werden, wenn
andere Störungen diese Wirkung nicht nur verdecken sondern
völlig aufheben?
Nicht deshalb, weil wir es methodisch nicht könnten,
müssen wir auf die Betrachtung großer Zeiträume ver-
zichten, sondern deshalb, weil in solchen, wenn man eine
Wirtschaftsepoche sozusagen sub specie aetemitatis ansieht
— und bei den Problemen, die dann in den Vordergrund
treten — , ganz andere Dinge interessant werden, als unsere
462 ^i® Variationsmethode.
rein ökonomischen Resultate. Beispiele sollen später tu-
geführt werden. Nicht bloß deshalb ist unser System ent-
wicklungslos, weil in dasselbe keine Tendenz zur Ent-
wicklung aufgenommen ist und weil überdies eine Ent-
wicklung die Daten, die wir nicht entbehren können, zer-
trttmmem würde, sondern auch, weil die Wirkungen, die
reinökonomisch und zwar statisch sich erklären lassen,
neben viel grofiartigeren jedes Interesse verlieren. Wohl
könnten wir ja auch hier sagen, dafi wir von diesen anderen
Dingen absehen — logisch wäre das nicht bedenklicher als
das gleiche Vorgehen, wenn für einen „Augenblick' gemeint
— aber hier täten wir das mit weniger Recht und könnten
den bekannten Einwendungen eine Berechtigung nicht ab-
erkennen.
Das hat die Folge, daß wir einem Argumente gegen-
über, das an die Entwicklung appelliert, vollständig machtlos
sind. Wir können höchstens sagen, dafi, wie ihm die Zu-
kunft, so uns die Gegenwart gehöre und dafi, wenn wir
nichts gegen dasselbe, so dasselbe nichts gegen uns beweisen
könne, dafi ein Streit überflüssig ist. Schon das klar ein-
zusehen, ist nicht wertlos. Die Argumente für den Schatx-
zoll z. B. sind fast alle „dynamischen'' Charakters, weisen
auf Entwicklungsmöglichkeiten hin. Diejenigen für Frei-
handel sind zum Teile statisch, betonen den unmittelbaren
„Schaden'' eines Eingriffes in den Gleichgewichtszustand.
Nun, soweit zwischen den Argumenten für beide dieser
Unterschied besteht, kann man sie unmöglich gegeneinander
exakt abwägen und die Diskussion wird resultatlos sein,
spezielle Fälle ausgenommen: ich denke nur an die Dis-
kussion der Prinzipien frage.
Hier mag noch bemerkt werden, dafi es uns mit Rl^ek-
sicht auf die Tatsache, dafi unser System strenggenommen
ohnehin nur für kurze Perioden gilt, nicht nötig erscheint,
die so gekünstelte Annahme einer sich völlig stationär er-
neuernden Bevölkerung und ähnliches zu machen, wovon
früher gesprochen wurde. Und ferner können wir tatsächlich
die individuell gleichen Werkzeuge festhalten und sie als
Allgemeiner Teil. 433
unzerstörbar fingieren. Das kommt der Wirklichkeit viel
nfther, als die anderen Fiktionen, die im entgegengesetzten
Falle notwendig werden, und hat kaum einen Nachteil.
§ 4. Die gezeigten Grenzen sind sehr enge. Können wir
wirklich nicht darüber hinauskommen? Das fahrt uns auf
den zweiten Punkt. Zu groB dtkrfen die Änderungen tat-
Bftchlich nicht sein, wenn unsere Methode irgendeinen Wert
haben soll. Ändern sich die Gaterquantitäten , die wir im
Besitze eines Individuums sehen, so, dafi dasselbe z. B. dem
Hungertode preisgegeben wird, so können wir nicht sagen,
was geschieht. Wollten wir unsere Methode da dennoch
formal anwenden, so wäre das lediglich Spielerei. Auskunft,
Erkenntnis erhielten wir keine. Die Grenze des „Existenz-
minimums" deutet, ziemlich roh allerdings, einen solchen
Punkt an, aber den wir unter keinen Umst&nden hinaus-
gehen können; Veränderungen, die ein Individuum in eine
andere Klasse bringen , seinen Standard of life ändern, ge-
hören ebenfalls hierher. Da reißen unsere Ankerketten.
Aber im Übrigen sind wir nicht ganz strenge an unsere
Forderungen gebunden. Wir haben also zuerst gezeigt, wie
unser System strenggenommen jede Veränderung ausschliefit.
Wir haben sodann trotzdem unsere Methode in einer Form
entwickelt, die jedermann als theoretisch einwandfrei an-
erkennen mufi, wenn er nicht die Infinitesimalmethode ab-
lehnen will. Nun wollen wir noch einen dritten Schritt tun,
nämlich die Frage erörtern, ob wir nicht noch weiter gehen
können.
Sicherlich können wir, wenn wir das tun, es nicht
ebenso begründen, nicht ebenso verteidigen, wie das Bis-
herige; und deshalb wollen wir es auch streng davon
scheiden, mehr als das sonst geschieht, damit ein Einwurf,
der uns nun treffen mag, nicht auch gegen das Frühere er-
hoben werde. Aber an sich ist es nur natürlich zu versuchen,
etwas weiter zu kommen. Schon bei einer früheren Gelegen-
heit haben wir darauf hingewiesen, dafi die Geltung unserer
Resultate oft weiter reicht, als die ihrer Voraussetzungen.
464 ^^® Variationsmethode.
Richtiger ist es zu sagen, daß die letzteren selbst doch
wahrer, der Wirklichkeit näher sind, als ihre Kritiker oft
annehmen und als es bei ihrer ganz korrekten Formuliemag
scheint. Die Dinge ändern sich, aber doch nicht so sekr
und vor allem nicht so schnell, sind in mancher BexiehuDg
konstanter als man glaubt. Und haben wir bisher sorgftltig
alle Grenzen und Bedingtheiten herausgearbeitet, welche
für unsere Methode gelten, so ist es hier wiederum gut,
kQhn vorzugehen, nicht ängstlich um sich zu spähen, sondern
etwas zu wagen. Bewährt sich ein Resultat nicht ganz, eo
bewährt es sich vielleicht zum Teile, bewährt es sich aber
selbst gar nicht, so mQssen wir es zwar fallen lassen, werdei
aber unseren Versuch selbst nicht verdammen und ihn ruhig
nach anderer Richtung wiederholen. Wie weit man dt
gehen darf, dafür gibt es keine Regel, wissenschaftliche
Befähigung, eine Art Takt, vermag allein das Richtige zu
'erkennen. Wir selbst wollen keineswegs hier in diese Bahnen
einlenken. Für uns ist es wichtiger das Vorhandene zu
siebten, die einzelnen Stufen der Abstraktion voneinander
zu scheiden, als viele konkrete Detailresultate zu gewinnen
Wir wollen die Gegner beruhigen, nicht aber sie gleich
wieder nervös machen. Freilich ist es keckes Vorgehen
und nicht Diskussion der Voraussetzungen und korrekte
Formulierung der Grundlagen, die vornehmlich neue Resul-
tate liefert. Doch genüge es uns hier auf die Möglichkeit
hinzuweisen.
Was zunächst den ersten Punkt, die Gröfie der Varia-
tionen betrifft, so sind wir — und das gilt sowohl für
unsere Methode in ihrer einfachen Gestalt, wie für die
weiteren Hilfsmittel, zu denen wir gleich kommen werden —
ungeachtet der eben erwähnten Grenzen sicherlich nicht auf
unendlich kleine Größen im Sinne der Mathematik beschränkt
Korrekt ist unser Vorgehen allerdings nur dann vollständig,
wenn man das Wertsystem als unverändert durch die Varit-
tionen einer Menge annehmen kann. Aber man kann das-
selbe Wertsystem theoretisch auch dann festhalten, wenn
es sich ein wenig, aber unmerklich ändert.
AUgemeioer Teil 405
Und schließlich auch dann, wenn es sich nicht zuviel, |
veon auch merklich Ändert. Handelt es Bicfa z. B. um
einen wenig bedeutenden Artikel, so kann man mit unserer
Methode, besonders wenn man die Volkswirtschaft als Ganzes
im Auge hat und von der Wirkung auf besonders dabei
beteiligte Individuen absieht, auch die Wirkung seines
volligen Fortfallens, also etwa die einer Modeftnderung oder
eines Prohibitivzolles — für einea nicht im Inlande er-
zeugten Artikel — untersuchen. Die Resultate werden
nicht notwendig unbrauchbar sein. Freilich aber darf man
nicht vergessen, daß man sich mehr erlaubt, als streng-
genommen zulässig ist, und daß es quaestio facti jedes
einzelneo Falles ist, welchen Wert das Resultat hat. Man
muß dich klar sein , daß dasselbe anderen Stammes ist als
eines, das mit unserer Methode in ihrer korrekten Form
gewonnen wurde. Und eine Verifikation ist hier noch viel
mehr und auch in einem noch anderea Sinne nötig, als sonst.
Ähnlich steht es mit dem Momente der Zeitperiode.
Tatsächlich haben die Autoren, die sich mit unserer Methode
befaßten, zwischen langen und kurzen Perioden unterschieden
und kein Bedenken getragen, auch Schlüsse bezüglich der
ersteren zu ziehen. Es liegt uns ferne , das zu verwerfen.
Wir wollen nur die Verschiedenheit der Natur der Resultate
in beiden Fällen hervorheben. Die kurze Periode ist statisch.
Die Natur der Resultate ist uns bekannt. Bei Betrachtung
einer langen Periode kommt noch eine Voraussetzung hinzu,
nämlich die, daß sich „alle anderen Umstände" nicht so
ändern, daß die Resultate alle Bedeutung verlieren. Diese
Voraussetzung ist oft erfüllt, mitunter mehr als man glaubt
Es wird oft möglich sein, eine bestimmte Erscheinung auf
rein ökonomischem Wege zu erklären, welche eine ziemlich
lange Zeit, mehrere Jahre etwa, oder selbst Jahrzehnte, von
der Basis, von der die Erklärung ausgeht, abliegt. Aber
man muß sich immer fragen, ob sie nicht durch neue
„dynamische" Ursachen herbeigeführt ist, ob wenigstens die-
selben Gniudlagen der Wirtschaft noch fortbestehen. Ist
das letztere der Fall , dann tut es nichts zur Sache , wenn
Sehumpatar. NklioDklokonomie. '^
466 ^^ VariationsnieChode.
unsere Resultate in der von anderen Momenten getrübten
Wirklichkeit nicht rein zutage treten. Hier fehlt der
, Praktiker'' oft: wenn nicht das eintritt, was die Theorie
vorhersagte, so lehnt er sie einfach als falsch ab. Das ist
ungerechtfertigt Unsere Gesetze wirken dann dennoch and
das konkrete Resultat wftre ein anderes, wenn sie es
nicht tun würden. Wenn wir die Diskrepanz befriedigt er-
klaren können, so haben wir unsere Theorie gerechtfertigt.
Nehmen wir ein Beispiel : Man hat konstatiert, daB die Er-
höhung des österreichischen Kaifeezolles den Preis des Kaifees
nicht gehoben habe und daraus seine Bedeutungslosigkeit
gefolgert. Natürlich mit Unrecht. Denn es ist nichts
klarer, als daß derselbe eben sehr gesunken wftre — oder
besser viel mehr gesunken wäre — wenn dieser Zoll nicht
vorhanden gewesen wäre, mit Rücksicht auf die große Zu-
nahme der Katfeeproduktion. Hier kann man das Resultat
der Theorie ganz rechtfertigen und die Differenz des Preises
im Inlande gegenüber dem des Weltmarktes gibt ein er-
trägliches Maß für die Wirkung des Zolles.
Bei manchen amerikanischen Zöllen ist die Sache
anders: Auch da ist das Resultat der Theorie nicht „falsch*.
Aber dieselben haben einen Anstoß zu Entwicklungen ge-
gel>en, welche die Sachlage so veränderten, daß man oft
geradezu sagen kann — ein Beispiel wäre z. B. Schafwolle —>
daß durch den Zoll die Produzenten gewonnen haben und
die Konsumenten auch. Das ist aber etwas anderes, die
Wirkung des Zolles verschwindet in der Entwicklung, aber
eben nur diese macht es möglich, daß er sich nicht fühlbar
macht. Wären alle Produktionsverhältnisse beim alten ge-
bliel)en — und überall außerhalb Amerikas wäre das mehr
oder weniger der Fall gewesen, — so hätte man seine
Wirkung sehr wohl nachweisen können. Aber ist die Theorie
auch nicht „falsch", so kann man mit einigem Rechtesagen,
daß sie in solchen FiUlen bedeutungslos wird. So liegen
Wahrheit und Falschheit hier dicht nebeneinander um! die
Richtigkeit der einzelnen Parteiargumente läßt sich nicht
allgemein, sondern nur von Fall zu Fall untersuchen.
Allgemeintr Teil. 467
Immer ist es sehr wichtig, die „Statik'' von der «Dynamik^
zu scheiden, und es würde das viel zu einer Kl&rung der
Diskussion beitragen. Wie gesagt, dieser Unterschied f&Ut
mit dem zwischen der Betrachtung kurzer und langer Perioden
ungef&hr zusammen, und dieser wieder mit der Konstanz
und der Änderung der Wertfunktionen. Wir sprechen
hier von „langer Periode" in einem Sinne, der nicht mit
A. Smith' und seiner Nachfolger Ausdruck «in the long
run" zu verwechseln ist. Der letztere Ausdruck dient nur
als eine Klausel, um „ReibungswiderstAnde'' auszuschließen.
So haben wir also die Grundlagen unserer Methode er-
örtert. Aber in dieser Gestalt könnten wir mit ihr außer
ganz einfachen Fällen — z. B. dem des Tausches zwischen
zwei Wirtschaftssubjekten ~ nur noch die Eindeutigkeit
der eintretenden Veränderungen behandeln. Dieselbe ist
nicht schwer nachzuweisen. Setzt man an Stelle irgend-
eines Elementes des Systemes ein anderes ein, das von ihm
etwas, aber nicht allzuviel verschieden ist, so wird das
Gleichgewicht, wie wir sahen, gestört. Aber wir haben nun
wiederum ebensoviele Gleichungen wie Unbekannte und so
ist auch die neue Größe aller Elemente eindeutig bestimmt,
steht auch hier ein bestimmter Gleichgewichtszustand fest.
Das läßt sich mathematisch leicht zeigen, ist aber auch ohne
solchen Apparat ohne Weiteres einzusehen. In demselben
Sinne wie früher werden wir hier „normale**, .natürliche**,
„notwendige** Werte unserer Elemente finden, woraus sich
auch die eindeutige Bestimmtheit der Variationen selbst
ergibt.
. Aber das ist auch so ziemlich alles. Zu weiteren Aus*
sagen gelangen wir nicht. Das ist auch nicht befremdend.
Alle die Wirkungen und Rückwirkungen, die sich zeigen,
sind zahllos und mangels näherer Daten über die Gestalt
unserer Funktionen läßt sich ihre relative Bedeutung nicht
feststellen. Nehmen wir an, es werde eine Steuer auf einen
Artikel gelegt. Sein Preis steige um ihren vollen Betrag.
Nun wird die Nachfrage sinken, mithin auch jene nach den
Produktionsmitteln des betreffenden Gutes. Daher auch das
468 ^® Vftriatioiismethode.
Einkommen der Besitzer der letzteren und die von ihneo
im allgemeinen ausgehende Nachfrage usf. Die Produzenteo
verlieren an den zum neuen Preise verkauften Stocken
nichts. Ja es käme sogar ein Gewinn in Betracht, der vom
Steigen des Geldwertes kommt, welcher infolge der Ver-
ringerung des Einkommens vieler Leute zu erwarten ist
Aber sie verkaufen weniger. Nun ist femer zu berQcl[-
sichtigen, daß möglicherweise der Staat oder jene, an die
die Steuersumme kommt, eine Nachfrage entfalten; ferner
daß jene Konsumenten, welche jetzt auf den Artikel ver-
zichten, Geld übrig haben ; daß anderseits jene, welche den
Artikel trotz der Preiserhöhung weiterkaufen, die dazu
nötigen Mittel anderen Bedürfnissen entziehen müssen. Und
jede dieser Wirkungen wirkt wieder in leicht ersichtlicher
Weise weiter.
Bedenkt man das, so wird man sich so recht bewußt,
daß die betrachteten Veränderungen nur klein sein dürfen.
Denn jede größere wird unfehlbar neue dynamische Er-
scheinungen hervorrufen. Es sind das ja alles eigentlich
dynamische Veränderungen der Produktions- und Lebens-
weise <ler ganzen Volkswirtschaft, und deren Struktur bleibt
nur dann im Wesentlichen erhalten, wenn sie verhältnis-
mäßig klein sind.
§ 5. Aber weiters eröffnet sich unmittelbar ein Weg, dem
Probleme beizukommen. Eine ganze Reihe von Ver-
einfachungen ist ganz ohne weiteres und andere sind mit
einigen Reserven möglich. Wohl gehen wir dabei weittf
auf der Bahn der Abstraktion, aber man wird sehen, da6
das Ganze unbedenklich geschehen kann.
Vor allem wird man das Problem nicht unnötig kom-
plizieren durch Betrachtung zu vieler Güter. Die Behand-
lung gestaltet sich wesentlich einfacher, wenn man nur «wei
oder drei einbezieht, ohne daß man in Gefahr wäre, etwis
Wesentliches zu übersehen. Namentlich ist es vorteilhaft |
nicht zu viele Produktionsgüter bei einem und demselben |
Genußgute zu betrachten. Tatsächlich ist ja deren meA
Allgemeber Teil. 469
eine ganze Anzahl. Behandelt man aber nur das allgemeine
und nicht ein spezielles Problem, so hindert uns nichts, die-
selben auf drei, Arbeit, Boden und Kapital — im Sinne
V. Boebm-Bawerks — zu reduzieren, und wenn man nicht
gerade die Wechselwirkungen und die Verschiebungen, die
unter diesen dreien vor sich gehen, untersucht, so kann man
es sich wohl auch erlauben nur eines und sogar noch
weiters anzunehmen, da6 dieses eine zu nichts anderem
verwendet werde, als zur Produktion eben des betrachteten
Gutes. Das ist sehr bequem und , wo es zulässig ist , im
Interesse der Einfachheit der Resultate sehr wünschenswert.
Eine solche Vereinfachung braucht nichts Bedenkliches
zu haben, und man wQrde Unrecht tun, wollte man sie als
Karikatur der Wirklichkeit a limine ablehnen. Gewisse all-
gemeine Sätze lassen sich gerade so sehr gut demonstrieren,
und wer fUr abstrakte Wissenschaft Oberhaupt Verständnis
hat, wird einsehen, daß gerade solche, sozusagen techniaeha
Vereinlachungen der Anwendung der Theorie auf die
Wirklichkeit gar nicht im Wege stehen.
Sodann fällt von selbst auf, daS nicht alle Wirkungen
und Gegenwirkungen von gleicher Bedeutung, daß sozusagen
nur jjene in der Nachbarschaft des Punktes, wo die Störung
eintritt, wichtig sind. Nachdem man also auf die Allgemein-
heit derselben einmal hingewiesen hat, kann man sich auf
einen Teil derselben beschränken, wobei man sich ja vor-
behalten kann, je nach der Natur des Zweckes, den man
verfolgt, seine Grenzen weiter oder enger zu ziehen. Wie
nahe das liegt, siebt man nicht so sehr an dem allgemeinen,
sondern besser an einem speziellen Probleme. Untersucht man
z. B. die Wirkungen einer Preisbewegung von Stecknadeln,
so kann man fuglich von jenen absehen, die sie für den
Preis etwa des Weines hat. Aus irgendeinem Grunde kann
gerade diese Relation besonders interessant sein, liegt aber
ein solcher nicht vor, so kann man den Weinpreis ruhig als
konstant annehmen. Und nicht bloß den Preis des Weines,
sondern auch den der großen Mehrzahl aller anderen Waren.
Dieses Absehen von weiter abliegenden Wirkungen, dieses
470 ^^0 Variationsmetliode.
Konstantannehmen von Größen, die sich streng genommen
verändern, stellt ein weiteres methodisches Hilfsmittel dar.
Der Rechtstitel, aus dem das geschieht, ist die Ansicht, dafi
man dabei nur Größen vernachlässige, welche selbst gegen-
über den kleinen, mit denen wir es hier zu tun haben,
„unendlich klein ** sind. Es muß daher gefordert werden,
daß man stets nachweise, daß das der Fall ist. Das ge-
schieht nun nicht immer; vielmehr ist es eine sehr gebränch-
liehe Methode y bei Untersuchung der Wirkungen einer
Störungsursache einfach alle Preise mit Ausnahme des-
jenigen des betrachteten Gutes als konstant anzunehmen,
ausdrücklich oder, viel häufiger noch, stillschweigend. Das
ist nichts anderes, als die hier diskutierte Vereinfachung in
größter Dosis.
Sicher ist das nicht notwendig unzulässig. Unbedeutendere
Artikel, wie Champagner z. B., lassen sich so ganz gut be-
handeln. Ist der betrachtete Artikel aber z. B. Getreide
oder Arbeit, dann muß die Wirkung auf die anderen Preise
berücksichtigt werden, sonst wird das Resultat nicht bloß
unvollständig, sondern falsch werden. Unvollständig
würde es, weil die entfernteren Wirkungen bei solchen
Waren keineswegs „Größen höherer Ordnung" sondern, viel-
leicht ebensowichtig sind, wie die unmittelbaren. Diese
Unvollständigkeit hindert znm mindesten unmittelbare An-
wendung der Resultate auf die Wirklichkeit. Falsch aber
würde dasselbe, weil eine Veränderung in dem Preise so
wichtiger Güter die ganze Volkswirtschaft alteriert und ihre
Wirkung durch starke Gegenwirkungen teilweise aufgehoben
wird. Um ein Beispiel anzuführen: Eine Veränderung im
Preise des Brotes wirkt auf alle kleinen Einkommen er-
heblich. Infolge eines Steigens desselben müßte die Nach-
Irage nach anderen Gütern sinken und zwar so stark, daß
man das nicht übersehen kann. Tut man es doch, so sieht
man nur einen Teil des Problemes. Aber das ließe sich jt
verteidigen, wäre eben eine abstrakte Betrachtung gewisser
Erscheinungen. Jedoch treten Gegenwirkungen auf, welche
die Preiserhöhung direkt aufzuheben tendieren. Ein^
Allgemeiner Teil. 471
solche, die oft beobachtet wurde, ist eine Lohnsteigerung.
Durch dieselbe wird die Preissteigerung des Brotes zum
Teile illusorisch, und insoweit ist unser Resultat dann falsch.
Ein Gut aus der Menge jener, deren Wert als konstant
angenommen zu werden pflegt, bedarf einer besonderen Be-
trachtung, weil es sich überall eindrängt — das Geld. Der
Grenznutzen des Geldes kann im allgemeinen nicht als
konstant betrachtet werden. Jede vorkommende Störung
unseres Systemes alteriert ihn. Das ist ja leicht ersichtlich :
Steigt der Preis eines Gutes bei gleichbleibendem Geld-
einkommen, so muß offenbar der Grenznutzen des Geldes
steigen, wenn die Konsumtion fortgesetzt, fallen, wenn sie
aufgegeben wird, und umgekehrt, wenn der Preis eines
Gutes fällt. Er ist ein Produkt des jeweiligen wirtschaft-
lichen Milieus und muß bei jeder Veränderung desselben in
Mitleidenschaft gezogen werden. Wir brauchen das kaum
näher auseinanderzusetzen. Zugleich sieht man, daß die
Bewegung des Geldwertes eine sehr wichtige Erscheinung ist.
Sie spiegelt die Veränderung wieder, welche die Störungs-
ursache in der Lage jedes Wirtschaftssubjektes hervorgerufen
hat und auch im gewissen Sinne das Verhalten des letzteren.
Was das Wirtschaftssubjekt bezüglich jenes Gutes tut, dessen
Preis sich geändert hat, ob es also seine Nachfrage ein-
schränkt und um wieviel und wie das wiederum auf die
Produktion des Gutes wirkt — das ist nur ein Teil des
Problemes. Und zum andern Teile kommt man eben durch
das Medium des veränderten Geldwertes. Aber auch zum
Verständnisse des Verhaltens des Wirtschaftssubjektes zu
dem Gute, in dem die Veränderung eintritt, ist Rücksicht
auf den Geldwert nötig. Denn die Nachfragefunktion be-
zieht sich ja auf Geld, und zu jedem ihrer Punkte gehört
wie ein verschiedener Grenznutzen des betreffenden Gutes,
so ein verschiedener des Geldes. Strenggenommen ist in
ihr schon die Variation des letzteren enthalten, und sie wäre
eine andere als sie ist^ wenn er konstant wäre. So darf
* Wie früher schon angedeutet wurde.
472 ^^® VariatioDsmethode.
man also auch nicht bei Betrachtung der Wirkungen von
Umständen der hier besprochenen Art dieses Moment über-
sehen. Besonders bei jenen Gütern wird das deutlich, deren
Preise unmittelbar die Einkommen bilden. Steigt z. B. der
Lohn, so fällt unvermeidlich der Grenznutzen des Geldes
für den Arbeiter, und eben das bedeutet die Ausdehnung
seiner Nachfrage auf weniger wichtige Genußgüter. Die
Diskussion der Lohnsteigerung kann unmöglich darüber
hinweggehen. Es handelt sich um einen essentiellen Teil
des Problemes.
Anderseits aber ist es klar, daß Konstanz des Geld-
wertes für viele unserer Diskussionen äußerst nötig ist.
Bleiben wir zunächst bei dem eben erwähnten Beispiele:
Bekommt der Arbeiter mehr Lohn, so kann man, wenn man
unser Moment nicht berücksichtigt, sehr klar sagen, was
geschieht. Er wird mehr arbeiten. Das kann man nicht
mehr so einfach behaupten, wenn man anerkennt, daß er
nun das Geld weniger schätzt. Die Wirkung der Lohn-
erhöhung ist ganz unbestimmt, und es mag sein, daß der
Arbeiter sich nun weniger anstrengen, eine kürzere Zeit
der Arbeit und mehr Zeit der Ruhe widmen wird. Mittels
des Geldwertes reduzieren wir alle Größen, mit denen wir
es zu tun haben, auf gleichen Nenner und ermöglichen so
einen Vergleich derselben. Ist der Nenner konstant, so ist
alles unendlich einfacher, als wenn er sich ändert. Namentlich
wird der Vergleich der beiden Gleichgewichtszustände, um
den es sich bei unserer Methode handelt, erheblich erschwert,
wenn wir so korrekt sind, anzunehmen, daß bei Übergang
von einem zum anderen, wie alles andere, so auch der Geld-
wert sich änderte. So wird denn sowohl in der wissen-
schaftlichen wie in der außerwissenschaftlichen Diskussion
fast immer ausdrücklich oder stillschweigend Konstanz des
Geldwertes angenommen. Müssen wir auf die so erzielten
Resultate verzichten? Nicht ganz, obgleich es sicher ist,
daß durch dieses Vorgehen oft interessante Erscheinungen —
und gerade verborgenere, die herauszuarbeiten einer der
größten Dienste wäre , die die Wissenschaft der Praxis xu
Allgemeiner Teil. 473
leisten vermag — verdeckt werden. Auch hier nämlich
werden wir zugeben, daß bei kleinen Änderungen und kurzen
Zeitperioden der begangene Fehler so klein ist, daß man
ihn eben begehen darf. Muß man für ein Genußgut e t w a s
mehr zahlen, so wird die Wertschätzung einer Geldeinheit da-
durch nicht merklich alteriert. Ich schätze eine Geldeinheit
nicht wesentlich mehr als bisher, weil jetzt eine Zigarre
etwas mehr kostet als früher und die Klarheit und Einfach-
heit des Resultates ist wichtiger, als der Vorteil, der aus
der Berücksichtigung dieses „mehr** erwachsen würde. Aller-
dings liegt die Sache anders bei den meisten Massenartikeln
und für das Budget des Arbeiters. Aber immerhin gibt es
eine große Zahl von Fällen, wo die vereinfachte Betrachtungs-
weise ausreicht.
Auch die Kürze der betrachteten Periode kann sie zu-
lässig erscheinen lassen und zwar mitunter selbst dann,
wenn die zu untersuchende Veränderung nicht „klein" ist.
Der Grenznutzen des Geldes für jedes Wirtschaftssubjekt
ist das Resultat langer Erfahrung und geht ihm nach und
nach „in Fleisch und Blut** über. Ganz unbewußt und
gewohnheitsmäßig wendet es ihn an. Er ist das Barometer
und der Regulator seiner Wirtschaft. Und so ändert er
sich nicht leicht und nicht schnell. Werden auch seine Ver-
hältnisse andere, so wird es doch versuchen, mit demselben
weiter zu wirtschaften, wozu auch soziale und andere nicht
wirtschaftliche Rücksichten mitwirken. Freilich kann das
nicht lange so fortgehen. Aber wenn die Änderung nicht
zu groß ist, so wird eine erhebliche Zeit vergehen, ehe
unser Wirtschaftssubjekt sein ganzes Denken und Fühlen
ändert — was ja mit Variierung des Geldwertes gleich-
bedeutend ist. Dinge, die ihm zur zweiten Natur geworden
sind, müßte es aufgeben, festgewurzelten Gewohnheiten ent-
sagen. Oft wird es vorziehen, zugrunde zu gehen, als
:,rechnen zu lernen". Dieser Ausdruck „rechnen lernen",
dem man so oft besonders bei der Erörterung der wirt-
schaftlichen Lage von Klassen begegnet, die einen sehr
schwer — und nur mit Schmerzen — zu ändernden Standard
474 ^B VariationniMthode.
of life haben, wie etwa der grundbesitzende Adel in Lftitdera
geringerer Kultur, drückt vortrefflich auB, wie unEicber
tastend und widerwillig man sich einen neueo GrenznutieB
seines Geldes konstruiert Solange nun weder Untergang
noch Assimilierung an das neue Milieu erfolgt ist — mi
in der Praxis ist der Spielraum für diesen unhaltbaren Zn-
stand ziemlich groß — , solange läßt sich unsere AnnabH
verteidigen.
Auch andere Vereinfachungen noch werden vorgenommen.
müssen vorgenommen werden. So wird, wenn z. B. der
Preis eines Gutes steigt und infolgedessen die Nachfraf»
nach demselben sinkt, die Produktion desselben eingescfarflnbi
und manche Produktionsmittel überflüssig werden. Viis
geschieht damit? Wohl können sie zur Erzeugung jener
Dinge verwendet werden, denen sich die Nachfrage jener
Leute zuwendet, welche nun nicht mehr das erw&hnte Gut
kaufen wollen. Aber erstens braucht es solche Leute nichi
zu geben: Wenn auch die Nachfrage nach demselben ein-
geschränkt wird, so ist sein Preis doch hoher und es brauftit
daher nicht notwendig „Kaufkraft frei zu werden", wie man
das ausdrücken könnte. Und zweitens berechtigt uns nichij
anzunehmen, daS die eventuell freigewordene Nachfrage gerade
soviel Produktionsmittel, nicht mehr und nicht weniger,
in Anspruch nimmt, als bescliftftigungslos werden. In ähn-
licher Weise ist die Gleichung zwischen Einnahme und Au>-
gäbe für jedes Wirtschaftssubjekt gestört. Die eine Sumiu"?
übersteigt die andere. Nur infolge eines Zufalles könnte
sie weiter bestehen. Im allgemeinen werden dieselben nun
mehr ersparen können oder ihrem Sparfonde eine Sumiue
entnehmen müssen. Endlich muß die Gleichheit zwiscbei
Nachfrage- und Angebotpreis neu etabliert werden. Allen
diesen Schwierigkeiten gegenüber hat man die Wahl, sie
entweder anzuerkennen oder den gordischen Knoten iiiT<l
die Annahme zu zerhauen, daß jene Gleichheiten bestebeu.
Und nur bei kleinen Änderungen geht das an.
Nicht nur die populäre, sondern auch die wissenschaft-
liche Diskussion übersieht diese Dinge meist. Und sie stixi
Allgememer Teil. 475
ZU spezieller Natur, als dafi beim Leser Interesse für ein
näheres Eingehen vorausgesetzt werden könnte. Sei es also
genug, darauf hingewiesen zu haben.
Das wäre im Wesentlichen, was an allgemeinen Sätzen
über unsere Methode zu sagen ist. Durch speziellere An-
nahmen nun, über die Natur der Störungsursache, deren
Wirkungen betrachtet werden sollen, läßt sie sich sehr er-
giebig ausgestalten, wobei sich auch noch nach Art des
einzelnen Falles besondere Hilfsmittel ergeben. Die all-
gemeine Erörterung derselben wäre zu trocken und un-
verständlich und wir wollen daher lieber das Wichtigste
davon an den konkreten Beispielen zeigen, zu denen wir
nun kommen.
Zu lange habe ich vielleicht bei den Grundlagen unserer
Methode verweilt. Ich tat es, weil ich der Überzeugung
bin, daß es sich hier um die theoretischen — vielleicht sagt
mancher lieber erkenntnistheoretischen — Grundlagen
der wichtigsten, meist diskutierten Resultate der National-
ökonomie handelt. Wer mit Verständnis dem eben Vor-
geführten gefolgt ist, wird bemerken, daß sich ihm daraus
die Umrisse der üblichen Behandlungsweise abheben. In
der Tat, was ich die Variationsmethode nannte,
ist nichts anderes, als der exakte Ausdruck
dessen, was überall dort geschieht, wo etwa zwei
Politiker über Schutzzoll und Freihandel streiten, soweit
sie sich ökonomischer Argumente bedienen. Ich wollte hier
dasselbe tun, was zu tun auch sonst mein Streben ist,
nämlich zeigen, was das Wesen und was die Voraus-
setzungen des ökonomischen Raisonnements
eigentlich sind. Alle jene Vereinfachungen, über deren
Bedeutung wir uns klar zu werden suchten, werden in der
populärsten Diskussion vorgenommen, allerdings unbewußt
und oft ohne Rücksicht auf die Grenzen, die den Resultaten
dann gezogen sind. Auch die wissenschaftlichen Argumen-
tationen erscheinen , meine ich , nun in einem schärferen
Lichte. Trägt das Gesagte dazu bei. Verschiedenartiges
476 I^B Varimtioiuimethode.
besser zu sondern und die Relativit&t und begrenzte Geltaag
fast jeder der gewöhnlich so allgemein gefaßten Behauptungeo
mehr zu beachten, als es mir zu geschehen scheint, so ist
mein Zweck erreicht und die Zeit des Lesers nicht verloren.
Und wie ich zur Kritik der Üblichen Theorie beigetragen
zu haben glaube, so ist wohl auch ein besseres Verständnis
dessen angebahnt, womit sich die abstrakten UotersuchungeB
mathematischer Art beschäftigen, gezeigt, daß ihre klaren
Formen auch praktische Vorteile haben und luis mancbet
vor Augen stellen, was sonst leicht der Aufmerksamkeit
entschlüpft. Wir glauben nicht, zu viel gesagt zu haben.
Begründeter wUre der entgegengesetzte Vorwurf. Aber es
handelt sich darum, den Mittelweg zu finden zwischen er-
müdendem Detail und der üblichen Sorglosigkeit.
Überblicken wir das Gesagte, so können wir es etwa so
resümieren: Will man Über die Variationen, die auf unserem
Gebiete eintreten können , mit den Mitteln der Ökonomie
auch nur etwas sagen, so darf man sich bei dem geg«i-
wllrtigen Stande der Wissenschaft nicht von den statischen
Annahmen entfernen. Sonst erhält man keioe exakten
Resultate. Dann aber sind eine Reihe von Voraussetzungen
zu machen, die nur in gewissen Fällen mit der Wirklichkeit
übereinstimmen. Sie sorgfältig zu diskutieren, ist kein Jen
^'esprit, sondern zwingende Notwendigkeit. Niemand, auch
der Historiker nicht, verzichtet darauf, etwas Ökonomisches
für oder wider den Freihandel zu sagen. Stets aber, wenn
er das tut, treibt er Ökonomische Theorie und kann deren
Grundsätze nicht ungestraft ignorieren. Und es zeigt sieb,
daß man sich da auf gefährlichem Boden bewegt und keinen
Schritt ohne vorsichtige Zurückhaltung machen kann.
So sehr viel ist es nicht, was unsere Methode bietet.
Und doch ist es alles, was an allgemeinen Wahrheiten
gewonnen werden kann. Die Versuche mehr zu gewinn«
sind zahlreich, von den Klassikern bis auf die G^en-
wart. Aber ihr Wert ist ein zweifelhnfter oder doch sehr
bedingter. Dennoch — wenn unsere Methode nicht all-
zuviel bietet, so bietet sie doch viel mehr als nichts.
Allgemeiner Teil. 477
Nun wollen wir die Sache an Beispielen nochmals dis-
kutieren. Der methodische Vorgang ist immer derselbe und
es handelt sich nur darum, „die konkrete Störungsursache''
so zu adjustieren, daß sie sich in unser Schema — Ver-
änderung der Größe eines oder mehrerer Elemente unseres
Systemes — bringen läßt. Bei manchen geht das ohne
Weiteres. So bei den praktisch wichtigsten und meist be-
handelten, als da sind: Auflage einer Steuer, Einführung
eines Zolles, Alterierung des normalen Preises eines Gutes
durch Festsetzung einer Taxe, Vernichtung einer Güter-
menge durch einen Unglücksfall oder absichtlich u. dgl. Auch
einzelne Kostenelemente, z. B. Transportkosten, Brokeragen,
Kommissionen usw. lassen sich so behandeln. Nicht als ob
das Wesen aller dieser Dinge dadurch erschöpfend erfaßt
wäre. Vielmehr liegt in unserem Vorgehen eine Formali-
sierung, bei der wichtige Momente verloren gehen, so
namentlich alle sozialen, historischen, politischen und andere
Gesichtspunkte. Aber wohl wird das Reinwirtschaftliche an
der Sache dadurch scharf ausgedrückt und in eine handliche
Form gebracht. Bei anderen Störungsursachen geht das
jedoch nicht so leicht. Ein Beispiel ist die Theorie des
Einflusses der Einführung von Maschinen. An sich ist das
eine dynamische Erscheinung, aber gewisse Wirkungen der-
selben lassen sich dennoch im Rahmen der Statik erörtern.
Nur erhebt sich die Frage, welche Elemente man denn als
dadurch unmittelbar alteriert betrachten soll. Eigentlich
ist das bei keinen der Fall und es ist Frage der Zweck-
mäßigkeit, wie man das zu entscheiden hat. Hier liegt
dann ein methodischer Kunstgriff vor, eine Fiktion, die sich
an ihren Früchten zu bewähren hat. Eine eigentlich andere
Erscheinung wird künstlich als eine Variation eines Elementes
aufgefaßt. Bisher geschah das noch nicht, doch scheint uns
darin eine wertvolle Erweiterung des Anwendungsgebietes
unserer Methode zu liegen.
IL Kapitel
Beispiele.
§ 1. Wie eine auf eine bestimmte Ware gelegte Steuer
— welche nach dem Gesagten als klein angenommen werden
muß — sich auf die einzelnen beteiligten Wirtschaftssubjekte
verteilt und welches alle ihre Wirkungen sind, ist ein viel
diskutiertes Problem. Zur vollständigen Würdigung der
Steuer reicht das, was die Theorie bieten kann, sicherlich
nicht aus. In der Praxis spielt die budgetäre Notwendigkeit,
spielen soziale und politische Momente eine so große Rolle,
daß unsere Resultate daneben vielleicht unbedeutend er-
scheinen. Auch ist die Art und Richtung des Einflusses
einer Steuer in den konkreten Fällen meist ziemlich klar
und kleine Fehler, die eine theoretisch unvollkommene
Untersuchung zur Folge haben kann, werden oft, wenn es
zur praktischen Anwendung kommt, ganz von selbst korri-
giert. So machen die Korrekturen des Theoretikers oft
einen geradezu kleinlichen Eindruck. Aber wenn man über-
haupt Theorie treiben will, so muß man es auch so korrekt
wie m()glich tun. Und dazu ist unsere Methode mit ihrer
Strenge unentbehrlich.
Der einfachste Fall ist der eines isolierten Wirtschafts-
subjektes, das nur ein bestimmtes Gut mit Produktions-
mitteln, die zu nichts anderem verwendet werden können,
für seinen Bedarf erzeugt. Hier sind keine weiteren Ver-
einfachungen nötig. „Die Angebotskurve" werde lediglich
Beispiele. 479
durch die FunktioD der ArbeitsmQhe gebildet K Unser Mann
produziert soviel, daß der Grenznutzen des Gutes gleich
dem „Grenzleide** der Arbeit ist. Nun werde ihm von
irgendeiner äußeren Macht aufgelegt, kQnftig eine bestimmte
Menge seines Produktes in jeder Produktionsperiode ab-
zuliefern. Was geschieht? Er wird nun so viel produzieren,
daß der Grenznutzen der Menge des Gutes, die ihm bleibt,
gleich ist dem Grenzleide dieser Menge plus der abzuliefern-
den. Das ist die exakte Antwort Ist Angebot- und Nach-
fragefunktion gegeben, so ist die alte wie die neue Produkt-
menge eindeutig bestimmt und wir haben auch einen exakten
Ausdruck fQr den „Schaden**, den unser Subjekt erleidet.
Wir können , wenn wir jene Daten besitzen, sehen, daß er
im allgemeinen — Grenzfälle ausgenommen — etwas mehr
produzieren wird als bisher, aber nicht notwendig um den
ganzen Betrag der Steuer mehr, so daß er denselben teils
seinem Konsume entzieht, teils aber produziert. Letzteres
Moment gibt uns den exakten Ausdruck der Theorie von
der Steuerproduktion, in der also ein richtiger Kern liegt,
was manche Kritiker verkannten. Würden die Produktions-
mittel jenes Gutes auch noch zur Produktion eines anderen
verwendet, so wäre das Resultat nicht so einfach. Man
mOßte die Wirkung der Produktion einer größeren Menge
des besteuerten Gutes auf die des unbesteuerten berück-
sichtigen. Eine weitere Komplikation würde es darstellen,
wenn die beiden Güter nicht nur der Produktion nach
sondern auch bezüglich der Konsumtion in einem Zusammen-
hange stünden, sich ergänzten oder ersetzten. In unserem
einfachen Falle hätte das keine Schwierigkeit, aber wir
können das, besonders da sich nichts Wesentliches daraus
ergibt, übergehen oder dem Leser überlassen. Wir sehen,
daß gewisse Resultate sich ganz allgemeingiltig an einem
sehr vereinfachten Schema demonstrieren lassen, dabei so-
' Hier haben wir einen Fall, wo wir den Gedankengang der
Koetentheorie — wenigstens cur H&lfte — sehr gut gebrauchen
können.
4g0 I^ie Variationsmethode.
gar eine Klarheit gewinnen, die sonst unerreichbar wire.
Und das rechtfertigt dasselbe wohl.
Auch die allgemeine Antwort auf die Frage, wotod die
Wirkungen einer Steuer abhängen, können wir geben: Sie
hängen von der Gestalt oder wie man sagen kann, der
Elastizität der Nachfrage- und Angebotsfunktionen ab. Die«
Resultate sind exakter und korrekter, als die Qblicke
„ dialektische "" Behandlung sie hervorbringt. Aber besondere
Entdeckungen enthalten sie nicht. Ihre Bedeutung liegt ii
etwas anderem. Ihre offenbare Richtigkeit nämlich verbärgt
uns die Richtigkeit oder besser Brauchbarkeit unserer Grand-
lagen, verifiziert dieselben. Die Resultate sind ja, meines
Erachtens, überhaupt das einzige wirklich verläßliche
Kriterium für den Wert der letzteren. Nun, gerade die
Selbstverständlichkeit der Resultate ist geeignet, uns Ober
die Grundlagen zu beruhigen. An den Tatsachen, welche
die Fallgesetze beschreiben sollen, zweifelt ja auch niemand.
Aber deren Übereinstimmung mit der Erfahrung ist von
größter erkenntnistheoretischer Bedeutung.
So ist es auch in unserem Falle. Und weiters, erst
die Diskussion der Variationen lehrt uns unser System voll-
ständig verstehen, rückt sein Wesen und seine Grenzen in«
Licht. Manche Behauptungen über dasselbe wären un-
möglich gewesen, wenn man immer auf diese Grenzen ge-
achtet hätte. Doch läßt sich noch sehr erheblich mehr ge-
winnen. Das wollen wir nun an einem komplizierteren Falle
zeigen und so zugleich auch einen Schritt weiter in unserer
Darlegung gehen.
Nehmen wir an, es würden in einer Volkswirtschaft
zwei Arten von Genußgütern produziert. Nur zwei, der
Einfachheit halber. Beide haben einen Gleichgewichtspreis
und sind in eindeutig bestimmter Menge vorhanden. Wir be-
trachten die Preise — die irgendwelche Geldpreise sein sollen —
als Funktionen der produzierten Mengen. Diese Funktionen
sind nicht gewöhnliche Nachfragefunktionen, welche sich anf
einzelne Individuen beziehen, sondern Gesamtfunktionen,
welche allerdings in analoger Weise gewonnen sind:
Beispiele. 481
Wir fragen uds, welches die Gleichgewiehtspreise wären,
wenn wir die Menge variieren lassen. Das können wir
allerdings nicht zwischen beliebig weiten Grenzen, wie frQher
ausgeführt, sondern nur in Terhältnismäfiig engen. Und
Ähnlich konstruieren wir für verschiedene Mengen einer
Kostenpreisfunktion. .Kosten' soll hier nichts anderes be-
deuten, als die Auslage in Geld, welche für die Produktion
der einzelnen Teilmengen zu machen ist Der Marktpreis
ist dann gegeben durch die Gleichheit des Nachfrage- und
des Kostenpreises für beide Güter. Als Geld diene ein
drittes Gut, dessen Grenznutzen konstant sei und das, einmal
vorhanden, keine Produktionskosten verursache. Das hei£t
nichts anderes, als daß dieses „Geld" lediglich ein Wert-
maß sein solle. Seine Rolle als Tauschmittel, welche
zu Wert&nderungen führt, werde durch unsere — nur
kleinen — Veränderungen nicht tangiert.
Nun werde auf eines der beiden Güter eine Steuer ge-
legt. Dieselbe kann verschiedener Art sein. Als Beispiel
nehmen wir eine solche auf die Einheit des Gutes an.
Faßt man nun beide Güter als völlig unabhängig von-
einander — sowohl nach der Konsumtions- , wie nach der
Produktionsseite — auf, so läßt sich bezüglich des be-
steuerten dasselbe nachweisen, was wir früher erörterten.
Im allgemeinen werden Käufer, wie Verkäufer geschädigt,
in welchem Maße hängt von der Elastizität der beiden
Funktionen ab. Doch gibt es zwei Grenzfälle — völlige
Inelastizität des Angebots oder der Nachfrage — , in denen
die Steuer nur die Käufer oder nur die Verkäufer trifft.
Diese Theorie kommt der Wirklichkeit nur dann aus-
reichend nahe, wenn jene Unabhängigkeit eine vollständige
ist. Ganz kann das nie der Fall sein, aber angenähert trifft
es wenigstens dann zu, wenn das besteuerte Gut gegenüber
der Menge des anderen nur unbedeutend ist. Sonst
würden seine Preis- und Mengenänderungen immer auch
auf das andere wirken, auch wenn an sich der Konsum
beider keinen Zusammenhang hätte und die Produktions-
mittel verschiedene wären.
8ehuinp«t«r, XationalOkonomi«. 31
474 ^^ Variationsmethode.
of life haben, wie etwa der grundbesitzende Adel in Ländern
geringerer Kultur, drOckt vortrefflich aus, wie unsicher
tastend und widerwillig man sich einen neuen Grenznatzec
seines Geldes konstruiert. Solange nun weder Untergang
noch Assimilierung an das neue Milieu erfolgt ist — und
in der Praxis ist der Spielraum fOr diesen unhaltbaren Zu-
stand ziemlich groß — , solange läßt sich unsere Annahme
verteidigen.
Auch andere Vereinfachungen noch werden vorgenommen,
müssen vorgenommen werden. So wird, wenn z. B. der
Preis eines Gutes steigt und infolgedessen die Nachfrage
nach demselben sinkt, die Produktion desselben eingeschränkt
und manche Produktionsmittel überflüssig werden, \^'as
geschieht damit? Wohl können sie zur Erzeugung jener
Dinge verwendet werden, denen sich die Nachfrage jener
Leute zuwendet, welche nun nicht mehr das erwähnte Gut
kaufen wollen. Aber erstens braucht es solche Leute nicht
zu geben: Wenn auch die Nachfrage nach demselben ein-
geschränkt wird, so ist sein Preis doch höher und es braucht
daher nicht notwendig „Kaufkraft frei zu werden**, wie man
das ausdrücken könnte. Und zweitens berechtigt uns nichts
anzunehmen, daß die eventuell freigewordene Nachfrage gerade
soviel Produktionsmittel, nicht mehr und nicht weniger,
in Anspruch nimmt, als beschäftigungslos werden. In ähn-
licher Weise ist die Gleichung zwischen Einnahme und Auf-
gabe für jedes Wirtschaftssubjekt gestört. Die eine Sumu«
übersteigt die andere. Nur infolge eines Zufalles könnte
sie weiter bestehen. Im allgemeinen werden dieselben uuji
mehr ersparen können oder ihrem Sparfonde eine Summe
entnehmen müssen. Endlich muß die Gleichheit zwiscbefl
Nachfrage- und Angebotpreis neu etabliert werden. Alki
diesen Schwierigkeiten gegenüber hat man die Wahl, «e
entweder anzuerkennen oder den gordischen Knoten durch
die Annahme zu zerhauen , daß jene Gleichheiten bestebetL
Und nur bei kleinen Änderungen geht das an.
Nicht nur die populäre, sondern auch die wissenschaft-
liche Diskussion übersieht diese Dinge meist. Und sie sisJ
Allgemeiner Teil. 475
ZU spezieller Natur, als dafi beim Leser Interesse für ein
näheres Eingehen vorausgesetzt werden könnte. Sei es also
genug, darauf hingewiesen zu haben.
Das wäre im Wesentlichen, was an allgemeinen Sätzen
über unsere Methode zu sagen ist. Durch speziellere An-
nahmen nun, über die Natur der Störungsursache, deren
Wirkungen betrachtet werden sollen, läßt sie sich sehr er-
giebig ausgestalten, wobei sich auch noch nach Art des
einzelnen Falles besondere Hilfsmittel ergeben. Die all-
gemeine Erörterung derselben wäre zu trocken und un-
verständlich und wir wollen daher lieber das Wichtigste
davon an den konkreten Beispielen zeigen, zu denen wir
nun kommen.
Zu lauge habe ich vielleicht bei den Grundlagen unserer
Methode verweilt. Ich tat es, weil ich der Überzeugung
bin, daß es sich hier um die theoretischen — vielleicht sagt
mancher lieber erkenntnistheoretischen — Grundlagen
der wichtigsten, meist diskutierten Resultate der National-
ökonomie handelt. Wer mit Verständnis dem eben Vor-
geführten gefolgt ist, wird bemerken, daß sich ihm daraus
die Umrisse der üblichen Behandlungsweise abheben. In
der Tat, was ich die Variationsmethode nannte,
ist nichts anderes, als der exakte Ausdruck
dessen, was überall dort geschieht, wo etwa zwei
Politiker über Schutzzoll und Freihandel streiten, soweit
sie sich ökonomischer Argumente bedienen. Ich wollte hier
dasselbe tun, was zu tun auch sonst mein Streben ist,
nämlich zeigen, was das Wesen und was die Voraus-
setzungen des ökonomischen Raisonnements
eigentlich sind. Alle jene Vereinfachungen, über deren
Bedeutung wir uns klar zu werden suchten, werden in der
populärsten Diskussion vorgenommen, allerdings unbewußt
und oft ohne Rücksicht auf die Grenzen, die den Resultaten
dann gezogen sind. Auch die wissenschaftlichen Argumen-
tationen erscheinen , meine ich , nun in einem schärferen
Lichte. Trägt das Gesagte dazu bei. Verschiedenartiges
476 ^^ YariatioiiBmethode.
besser zu sondern und die Relativität und begrenzte Geltung
fast jeder der gewöhnlich so allgemein gefaßten Behauptungen
mehr zu beachten, als es mir zu geschehen scheint, so ist
mein Zweck erreicht und die Zeit des Lesers nicht verloren.
Und wie ich zur Kritik der üblichen Theorie beigetragen
zu haben glaube, so ist wohl auch ein besseres Verständnis
dessen angebahnt, womit sich die abstrakten Untersuchungen
mathematischer Art beschäftigen, gezeigt, dafi ihre klaren
Formen auch praktische Vorteile haben und uns manches
vor Augen stellen, was sonst leicht der Aufmerksamkeit
entschlüpft. Wir glauben nicht, zu viel gesagt zu haben.
Begründeter wäre der entgegengesetzte Vorwurf. Aber es
handelt sich darum, den Mittelweg zu finden zwischen er-
müdendem Detail und der üblichen Sorglosigkeit.
Überblicken wir das Gesagte, so können wir es etwa so
resümieren : Will man über die Variationen, die auf unserem
Gebiete eintreten können, mit den Mitteln der Ökonomie
auch nur etwas sagen, so darf man sich bei dem gegen-
wärtigen Stande der Wissenschaft nicht von den statischen
Annahmen entfernen. Sonst erhält man keine exakten
Resultate. Dann aber sind eine Reihe von Voraussetzungen
zu machen, die nur in gewissen Fällen mit der Wirklichkeit
übereinstimmen. Sie sorgfältig zu diskutieren, ist kein jeu
d'esprit, sondern zwingende Notwendigkeit. Niemand, auch
der Historiker nicht, verzichtet darauf, etwas Ökonomisches
für oder wider den Freihandel zu sagen. Stets aber, wenn
er das tut, treibt er ökonomische Theorie und kann deren
Grundsätze nicht ungestraft ignorieren. Und es zeigt sicli.
daß man sich da auf gefährlichem Boden bewegt und keinen
Schritt ohne vorsichtige Zurückhaltung machen kann.
So sehr viel ist es nichts was unsere Methode bietet.
Und doch ist es alles, was an allgemeinen Wahrheiten
gewonnen werden kann. Die Versuche mehr zu gewinnen
sind zahlreich, von den Klassikern bis auf die Gegen-
wart. Aber ihr Wert ist ein zweifelhafter oder doch sehr
bedingter. Dennoch — wenn unsere Methode nicht all-
zuviel bietet, so bietet sie doch viel mehr als nichts.
Allgemeiner Teil. 477
Nun wollen wir die Sache an Beispielen nochmals dis-
kutieren. Der methodische Vorgang ist immer derselbe und
es handelt sich nur darum, „die konkrete Störungsursache '^
so zu adjustieren, daß sie sich in unser Schema — Ver-
änderung der Größe eines oder mehrerer Elemente unseres
Systemes — bringen läßt. Bei manchen geht das ohne
Weiteres. So bei den praktisch wichtigsten und meist be-
handelten, als da sind: Auflage einer Steuer, Einführung
eines Zolles, Alterierung des normalen Preises eines Gutes
durch Festsetzung einer Taxe, Vernichtung einer Güter-
menge durch einen Unglücksfall oder absichtlich u. dgl. Auch
einzelne Kostenelemente, z. B. Transportkosten, Brokeragen,
Kommissionen usw. lassen sich so behandeln. Nicht als ob
das Wesen aller dieser Dinge dadurch erschöpfend erfaßt
wäre. Vielmehr liegt in unserem Vorgehen eine Formali-
sierung, bei der wichtige Momente verloren gehen, so
namentlich alle sozialen, historischen, politischen und andere
Gesichtspunkte. Aber wohl wird das Reinwirtschaftliche an
der Sache dadurch scharf ausgedrückt und in eine handliche
Form gebracht. Bei anderen Störungsursachen geht das
jedoch nicht so leicht. Ein Beispiel ist die Theorie des
Einflusses der Einführung von Maschinen. An sich ist das
eine dynamische Erscheinung, aber gewisse Wirkungen der-
selben lassen sich dennoch im Rahmen der Statik erörtern.
Nur erhebt sich die Frage, welche Elemente man denn als
dadurch unmittelbar alteriert betrachten soll. Eigentlich
ist das bei keinen der Fall und es ist Frage der Zweck-
mäßigkeit, wie man das zu entscheiden hat. Hier liegt
dann ein methodischer Kunstgriff vor, eine Fiktion, die sich
an ihren Früchten zu bewähren hat. Eine eigentlich andere
Erscheinung wird künstlich als eine Variation eines Elementes
aufgefaßt. Bisher geschah das noch nicht, doch scheint uns
darin eine wertvolle Erweiterung des Anwendungsgebietes
unserer Methode zu liegen.
IL Kapitel-
Beispiel e.
§ 1. Wie eine auf eine bestimmte Ware gelegte Steuer
— welche nacti dem Gesagten als klein angenommen werden
muß — sich auf die einzelnen beteiligten Wirtschaftssubjekte
verteilt und welches alle ihre Wirkungen sind, ist ein viel
diskutiertes Problem. Zur vollständigen Würdigung der
Steuer reicht das, was die Theorie bieten kann, sicherlich
nicht aus. In der Praxis spielt die budgetäre Notwendigkeit,
spielen soziale und politische Momente eine so große RoUe,
daß unsere Resultate daneben vielleicht unbedeutend er-
scheinen. Auch ist die Art und Richtung des Einflusses
einer Steuer in den konkreten Fällen meist ziemlich klar
und kleine Fehler, die eine theoretisch unvollkommeoe
Untersuchung zur Folge haben kann, werden oft, wenn es
zur praktischen Anwendung kommt, ganz von selbst korri-
giert. So machen die Korrekturen des Theoretikers oft
einen geradezu kleinlichen Eindruck. Aber wenn mao über-
haupt Theorie treiben will, so muß man es auch so korrekt
wie möglich tun. Und dazu ist unsere Methode mit ihrer
Strenge unentbehrlich.
Der einfachste Fall ist der eines isolierten Wirtschafte
Subjektes, das nur ein bestimmtes Gut mit I^oduktions-
mittelu, die zu nichts anderem verwendet werden können,
für seinen Bedarf erzeugt. Hier sind keine weiteren Ver-
einfachungen nötig. „Die Angebotskurve'' werde lediglich
Beispiele. 479
durch die Funktion der Arbeitsmühe gebildet K Unser Mann
produziert soviel, daß der Grenznutzen des Gutes gleich
dem „Grenzleide** der Arbeit ist. Nun werde ihm von
irgendeiner äußeren Macht aufgelegt, kQnftig eine bestimmte
Menge seines Produktes in jeder Produktionsperiode ab-
zuliefern. Was geschieht? Er wird nun so viel produzieren,
daß der Grenznutzen der Menge des Gutes, die ihm bleibt,
gleich ist dem Grenzleide dieser Menge plus der abzuliefern-
den. Das ist die exakte Antwort Ist Angebot- und Nach-
fragefunktion gegeben, so ist die alte wie die neue Produkt-
menge eindeutig bestimmt und wir haben auch einen exakten
Ausdruck fttr den „Schaden**, den unser Subjekt erleidet.
Wir können , wenn wir jene Daten besitzen, sehen, daß er
im allgemeinen — Grenzfälle ausgenommen — etwas mehr
produzieren wird als bisher, aber nicht notwendig um den
ganzen Betrag der Steuer mehr, so daß er denselben teils
seinem Konsume entzieht, teils aber produziert. Letzteres
Moment gibt uns den exakten Ausdruck der Theorie von
der Steuerproduktion, in der also ein richtiger Kern liegt,
was manche Kritiker verkannten. Würden die Produktions-
mittel jenes Gutes auch noch zur Produktion eines anderen
verwendet, so wäre das Resultat nicht so einfach. Man
müßte die Wirkung der Produktion einer größeren Menge
des besteuerten Gutes auf die des unbesteuerten berück-
sichtigen. Eine weitere Komplikation würde es darstellen,
wenn die beiden Güter nicht nur der Produktion nach
sondern auch bezüglich der Konsumtion in einem Zusammen-
hange stünden^ sich ergänzten oder ersetzten. In unserem
einfachen Falle hätte das keine Schwierigkeit, aber wir
können das, besonders da sich nichts Wesentliches daraus
ergibt, übergehen oder dem Leser überlassen. Wir sehen,
daß gewisse Besultate sich ganz allgemeiogiltig an einem
sehr vereinfachten Schema demonstrieren lassen, dabei so-
1 Hier haben wir einen Fall, wo wir den Gedankengang der
Kostentheorie — wenigstens zur Hälfte — sehr gut gebrauchen
können.
480 ^>^ Vuiationnnethode.
gar eine Klarheit gewinnen , die sonst unerreichbar wäre.
Und das rechtfertigt dasselbe wohl.
Aueb die allgemeine Antwort auf die Frage, wovon die
Wirkungen einer Steuer abhängen, können wir geben: Sie
hängen von der Gestalt oder wie man sagen kann, der
Elastizität der Nachfrage- und Angebotsfunktionen ab. Diese
Resultate sind exakter und korrekter, als die fiblicbe
.dialektische" Behandlung sie hervorbringt. Aber besondere
Entdeckungen enthalten sie nicht. Ihre Bedeutung liegt in
etwas anderem, Ihre offenbare Richtigkeit nämlich verborgt
uns die Richtigkeit oder besser Brauchbarkeit unserer Grund-
lagen, verifiziert dieselben. Die Resultate sind ja, meines
Erachtens, Oberhaupt das einzige wirklich verläßliche
Kriterium für den Wert der letzteren. Nun, gerade die
Selbstverständlichkeit der Resultate ist geeignet, uns Ober
die Grundlagen zu beruhigen. An den Tatsachen, welche
die Fallgesetze beschreiben sollen, zweifelt ja auch niemand.
Aber deren Übereinstimmung mit der Erfahrung ist von
größter erkenntnistheoretischer Bedeutung.
So ist es auch in unserem Falle- Und weiters, erst
die Diskussion der Variationen lehrt uns unser System voll-
ständig verstehen, rückt sein Wesen und seine Grenzen ins
Licht. Manche Behauptungen über dasselbe wären un-
möglich gewesen , wenn man immer auf diese Grenzen ge-
achtet hatte. Doch laßt sich noch sehr erheblich mehr ge-
winnen. Das wollen wir nun an einem komplizierteren Falle
zeigen und so zugleich auch einen Schritt weiter in unserer
Darlegung gehen.
Nehmen wir an, es würden in einer Volks wirtsehift
zwei Arten von Genußgateru produziert. Nur zwei, der
Einfachheit halber. Beide haben einen Gleich ge wich tspreis
und sind in eindeutig bestimmter Men^e vorhanden. Wir be-
trachten die Preise —die irgendwelche Geldpreise sein sollen —
als Funktionen der pruduzierteu Mengen. Diese Funktiones
sind nicht gewöhnliche Naclifragefunktionen, welche sich aof
einzelne Individuen beziehen, sondern Gesamtfunktion«,
welche allerdings in analoger Weise gewonnen nad:
Beispiele. 481
0
Wir fragen uns, welches die Gleichgewiehtspreise wären,
wenn wir die Menge variieren lassen. Das können wir
allerdings nicht zwischen beliebig weiten Grenzen, wie frQher
ausgeführt, sondern nur in verhältnismäBig engen. Und
ähnlich konstruieren wir fQr verschiedene Mengen einer
Eostenpreisfunktion. „Kosten*' soll hier nichts anderes be-
deuten, als die Auslage in Geld, welche fQr die Produktion
der einzelnen Teilmengen zu machen ist. Der Marktpreis
ist dann gegeben durch die Gleichheit des Nachfrage- und
des Eostenpreises fbr beide Güter. Als Geld diene ein
drittes Gut, dessen Grenznutzen konstant sei und das, einmal
vorhanden, keine Produktionskosten verursache. Das hei£t
nichts anderes, als daß dieses „Geld* lediglich ein Wert-
maß sein solle. Seine Rolle als Tauschmittel, welche
zu Wertänderungen führt, werde durch unsere — nur
kleinen — Veräoderungen nicht tangiert.
Nun werde auf eines der beiden Güter eine Steuer ge-
legt. Dieselbe kann verschiedener Art sein. Als Beispiel
nehmen wir eine solche auf die Einheit des Gutes an.
Faßt man nun beide Güter als völlig unabhängig von-
einander — sowohl nach der Eonsumtions- , wie nach der
Produktionsseite — auf, so läßt sich bezüglich des be-
steuerten dasselbe nachweisen, was wir früher erörterten.
Im allgemeinen werden Eäufer, wie Verkäufer geschädigt,
in welchem Maße hängt von der Elastizität der beiden
Funktionen ab. Doch gibt es zwei Grenzftlle — völlige
Inelastizität des Angebots oder der Nachfrage — , in denen
die Steuer nur die Eäufer oder nur die Verkäufer trifft.
Diese Theorie kommt der Wirklichkeit nur dann aus-
reichend nahe, wenn jene Unabhängigkeit eine vollständige
ist. Ganz kann das nie der Fall sein, aber angenähert trifft
es wenigstens dann zu, wenn das besteuerte Gut gegenüber
der Menge des anderen nur unbedeutend ist. Sonst
würden seine Preis- und Mengenänderungen immer auch
auf das andere wirken, auch wenn an sich der Eonsum
beider keinen Zusammenhang hätte und die Produktions-
mittel verschiedene wären.
Sohuxnpeter, Nationalökonomie. "^V
482 ^^® Variationsmethode.
Ein naheliegender Gedankengang führt zu einer voll-
kommeneren Betrachtungsweise. Die Nachfrage, die jemand
nach einem Gute entfaltet, ist niemals von demselben allein,
sondern von seinem gesamten GenußgQtervorrate abhängig.
In der Sprache der psychologischen Richtung kann man das
sehr überzeugend dartun, durch den Hinweis darauf, dafi
die Befriedigung, die jemand durch die Konsumtion eines
Gutes erlangt, nie allein von diesem abhängt: Wie man ein
Nahrungsmittel schätzt, gestaltet sich verschieden, je nach-
dem man noch andere besitzt oder nicht. Am klarsten ist
das natürlich im Falle komplementärer Genufigüter : niemand
schätzt Salz, wenn er nichts besitzt, was er salzen könnte
und es ist wahrscheinlich, dafi er umgekehrt, wenn er kein
Salz besitzt, andere Nahrungsmittel weniger schätzen wird,
wie wenn er welches besäfie, da sie ihm nun weniger Genuß
gewähren. Aber das trifft ganz allgemein zu, auch über
diesen engeren Kreis hinaus: Wer eine schlechte WohnuDg
hat, gegen Kälte weniger geschützt ist, wird mehr Nahrung
brauchen , als jemand — ceteris paribus — , der sein Woh-
nungsbedürfnis besser befriedigen kann. Einzelne Luxus-
artikel werden für den Armen wenig Wert haben und nur
in dem zu ihnen stimmenden Milieu erwächst ein Bedürfnis
danach. Ganz von selbst ergibt sich also, daß der Preis
eines Gutes nicht Funktion der Menge desselben allein,
sondern aller Güter ist und diese Auffassung, welche
gegenwärtig immer üblicher wird, gestattet, alle Wechsel-
wirkungen der Nachfragen der einzelnen Güter zu begreifes.
Freilich würde das bei einer grofien Anzahl von Güten
kompliziert sein — , in unserem Falle jedoch geht es sehr
gut. Noch mehr umfaßt diese Betrachtungsweise, nämlich
auch die Beziehung der Rivalität zwischen Gütern oud
endlich jene, welche unabhängig von air dem zwischen alles
Gütern besteht, insoferne alle Käufe aus einem bestinuntei
Einkommen bezahlt werden müssen.
Ähnliches gilt auf Seite der Kosten. Komplementaritit
und Rivalität zwischen den einzelnen Kostengütern gibt es
in analoger Weise auch hier. Jene allgemeinere Beziefauif
Beispiele. 48S
die darin liegt, daß die Nachfrage nach jedem Gute mit der
nach allen anderen zusammenhängt, wirkt allerdinga fflr
die Kostengttter nur durch das Medium der Genufigüter;
dafür gibt es hier noch einige besondere Beziehungen. Ein-
mal sind die Produktionskoeffizienten nicht konstant, viel-
mehr innerhalb gewisser Grenzen variabel und ein Moment
für ihre Gröfie wird sicher der Bedarf an Produktionsmitteln
für andere Produktionen sein. Sodann aber muß bemerkt
werden, dafi, wenn wir alle Produktionsmittel reduzieren
auf Arbeit, Boden und Werkzeuge und Rohstoffe, diese drei
für alle Produkte nötig sind und ihre Bewegung nach den
einzelnen Verwendungen hin sozusagen durch ein einheitliches
Niveaugesetz beherrscht wird, daher, in dieser Weise be-
trachtet, alle Güter miteinander produktionsverwandt sind,
und keines unabhängig ist. Es ist ja klar, dafi nicht jedem
Gute seine Quantität an Arbeit, Boden und „ Kapital ** von
selbst und ohne Rücksicht auf andere Produkte zufliefit,
sondern die Gesamtheit der Produktionsmittel der Gesamt-
heit der Produkte. Wie in einem Reservoire, aus dem
mehrere Röhren führen, die Verteilung der Wassermenge
auf die Röhren nicht nur von der Dicke jeder einzelnen,
sondern auch von der der anderen abhängt und ein einheit-
liches Niveau dieselbe beherrscht, so auch in unserem Falle.
Dieses Niveaugesetz ist das des einheitlichen Grenznutzens
der Produkte für jedes Individuum — nicht so ohne weiteres
für die „Gesellschaft" — oder des normalen, für jedes Pro-
dukt einheitlichen Preises auf dem Markte. Diese Analyse,
die, ausgearbeitet, ziemlich tief führt, ist nur eine Ent-
wicklung von früher gesagten Dingen unter einem etwas
anderen Gesichtspunkte.
Sie ist nicht frei von Schwierigkeiten, so besonders mit
Rücksicht auf das Moment der freien Beweglichkeit. Haben
wir aber früher auf dieselben aufmerksam gemacht, so
können wir hier dennoch auf sie bauen. Darin liegt kein
Widerspruch. Im Gegenteile, wir wollen den Leser sogar
darauf aufmerksam machen, daß unsere Stellung bei ver-
schiedenen Problemen eine verschiedene ist und daß wir
482 1^0 VariatioDsnietbode.
Ein naheliegender Gedankengang führt zu einer \oü'
kommenereu Betrachtungsweise. Die Nachfrage, die jenund
nach einem Gute entfaltet, ist niemals von demselben slleiii,
sondern von seinem gesamten Genu6gfltervorrate abhuagig.
In der Sprache der psychologischen Richtung kann man das
sehr Qberzeugend dartun, durch den Hinweis darauf, dafl
die Befriedigung, die jemand durch die KonsumtiOD einee
Gutes erlangt, nie allein von diesem abhängt : Wie man ein
Nahrungsmittel schätzt, gestaltet sich TerschiedeD, je oaeh-
dem man noch andere besitzt oder nicht. Am klarsten ist
das natürlich im Falle komplementärer GenußgOter: niemand
schätzt Salz, wenn er nichts besitzt, was er salzen könnte
und es ist wahrscheinlich, daß er umgekehrt, wenn er kein
Salz besitzt, andere Nahrungsmittel weniger schätzen wird,
wie wenn er welches besäße, da sie ihm nun weniger Genufi
gewähren. Aber das triiTt ganz allgemein zu, auch über
diesen engeren Kreis hinaus: Wer eine schlechte WohouDg
hat, gegen Kälte weniger geschützt ist, wird mehr Nahrung
brauchen , als jemand — ceteris paribus — , der sein Woh-
nungdbedürfnis besser befriedigen kann. Einzelne Luxus-
artikel werden für deu Armen wenig Wert haben und nur
in dem zu ihnen stimmenden Milieu erwächst ein Bedürfnis
danach. Ganz von selbst ergibt sich also, daß der Preis
eines Gutes nicht Funktion der Menge desselben allein,
sondern aller Güter ist und diese Auffassung , welche
gegenwärtig immer üblicher wird, gestattet, alle Wechsel-
wirkungen der Nachfragen der einzelneu Güter zu begreifen.
Freilich würde das bei einer großen Anzahl von Gfltero
kompliziert sein — , in unserem Falle jedoch geht es sebr
gut. Noch mehr umfaßt diese Betrachtungsweise, nämlich
auch die Beziehung der Rivalität zwischen Gütern uud
endlich jene, welche unabhängig von all' dem zwischen allen
Gutern bestelil, iusofeme alle Käufe aus einem bestimmten
Einkommen bezahlt werden müssen.
Ähnliches gilt auf Seite der Kosten. Koniplementariiiit
und Rivalität zwischen den einzelueD Kostengüteru gibt fe
in analoger Weise auch hier. Jene allgemeinere Beziehung
485
als unabhftngig voneinander gedaefat and daher kOnnen die
Werte, welche der Nachfragepreia dieses Ootes annimmt,
wenn man x und y immer andere and andere Werte beilegt,
auf folgende Weise graphisch veranschaulicht werden. In
der gewöhnlichen Koordinatenebene benat<t man in be-
kannter Weise das gewfthlte x und jf zur Festlegnng eines
Punktes C, errichtet in demselben ein Perpendikel zur
Koordinatenebene nnd triLgt auf demselben den Wert der
Maßsahl des Nachfragepreises auf, weither den betreffenden
Mengen z und y entspricht. So erbAlt man einen Punkt im
Baume D. Bei mehrwertigen Funktionen worde man mehr
als einen Punkt D finden, bei ans ergibt sich infolge der^
angenommenen Eindeutigkeit unserer Funktion nur einer
Der Inbegriff aller Lagen, die T
der Punkt D infolge aller mög-
liehen Veränderungen von x
und y annehmen kann — sein
geometrischer Ort ~ ist eine
Oberfläche. i
Eine Änderung des Funk- .
tionswertesft^.y) kann auf drei-
erlei Weise veranlaßt werden :
1. dadurch, daß bei festem y nur x Qbergebt in x,;
2. dadurch, daß bei festem x nur y Qbergebt in yj ;
3. dadurch, daß x und y gleichzeitig in Xi und yi Ober*
Xi nnd y, sinil dem frOher Gesagten gemftfi als nar
wenig verschieden von x und y anzunehmen und kOnnen
ausgedruckt werden dureb die Gleichungen Xi=x + Jx und
Si = y + ^ y, wobei J x und J y respektive kleine Zuwachse
bedeuten, welche natürlich auch negativ sein können.
Demgemäß musseu auch drei verschiedene Arten von
Differenzen unterschieden werden:
f («I. y)-f (»■ y), f {X, y.) - f {x, y) und f {x„ y,) - f (X, y).
In den beiden ersten Fällen bandelt es sich um partielle
bifferenziationen, im letzten um eine vollstfindige.
4g6 Die VuiatioiuiDethode.
Unsere Betrachtungsweise des Preises als Funktion
beider Meugeo gestattet uns, die Wirkung jeder St&rusgs-
ursache, auch wenn sie unmittelbar nur eins der Güter be-
trifft, auf Mengen und Preise beider zu erfassen. Da sith
ferner die Mengen beider in unserem Falle ändern werden,
so haben wir es mit einer vollstfindigen Differenziation n
tun. Dasselbe gilt naturlich auch far unsere anderen Funk-
tionen, nämlich die andere Nachfragepreis- (F [z, yj) und
die beiden entsprechenden Kostenpreisfunktiouen , die wir
mit q) (x, y) und xp (x, y) bezeichnen wollen.
Im Gleichgewichte nun gelten die Gleichungen:
f (x, y) = q> {x, y) und
F (x, y)^if (x, y).
Nun werde dasselbe durch die Auflage einer Steuer
auf die Einheit eines Gutes gestört. Das bewirkt nicbis
anderes, als daß die Kosten dieser Einheit um diesen Betrag
— sei er a — erhöht werden. Das ist die Form, io
der die exakte Ökonomie also eine solche Steuer
zu erfassen gestattet. Es ist das nnr eine der
Anwendungen immer ein- und desselben Gedankengange:
auf verschiedene Probleme oder besser immer nur eine n«ch
Lage des Falles verschiedene Interpretation der GrOBeo.
mit denen er es zu tun bat.
Stets nur kann die reine Ökonomie solche Resultate für
Lösung einer konkreten Frage beitragen, welche mit der
Theorie von Angebot und Nachfrage zusammenhängen, noii
stets sagt sie im Prinsipe dasselbe, mag es sich nun ob
Steuern, Transportkosten, Änderungen in der GrÖBe aaderer i
Kostenelemente, Zölle oder sonst etwas handeln. Im Gnuiiie |
gibt es keine getrennten reinökonomischen Theorien diej^r
Dinge, sondern nur eine Theorie der Variationen, die tiiri .
das umfassen kann und nur in Nebenpunkten je nach den j
konkreten Daten des Prohlemes verschieden gestaltet wird 1
Haben wir diese eine Methode entwickelt, so erfibrifi f
nur noch zu zeigen, wie man die verschiedenen Probleot I
die uns die Wirklichkeit stellt, auffassen und ,stili8ieRi' i
Beispiele. 437
muß, damit sie in UDser Schema ptiasen. Manche tun das
besser, andere schlechter, bei manchen können wir ziemlich
viel aussagen, bei anderen nur einen kleinen Beitrag leisten.
Aber was bewirkt, daS jene Probleme so verschieden aus-
sehen , was macht , daß Steuerlehre und Transporttheorie
oder internationaler Handel oft ganz verschiedene Disziplioen
bilden, das sind, wie noch kurz gezeigt werden wird, außer-
halb der reinen Theorie liegende Momente.
Sicherlich sind die Wirkungen z. B. einer Steuer und
eines Zolles ganz verschiedene und zu verschiedenen Zwecken
werden beide aufgelegt. Das rein ökonomische Wesen
dieser Wirkungen ist dasselbe. Das heifit nun natürlich
nicht, daß wir die Unterschiede zwischen diesen Gebieten
verwischen, ihre getrennte Behandlung verurteilen und etwa
ihre Vermengung befürworten wollen. Die letztere wäre
sehr unpraktisch. Nur um das Wesen , den ökonomischen
Kern der Sache handelt es sich hier, nur darum, daß die
methodologischen Unterschiede soweit keine wesentlichen
sind. Haben wir das, was die Ökonomie denn eigentlich
leisten kann, in das rechte Lieht gerockt, dann steht es
uns frei, fQr andere Zwecke diese Wesensgleichheit ganz
zurncktreten zu lassen. Hier wie überall ist eine Unter-
scheidung verschiedener Klassen von Problemen und ver-
schiedener Forschungszwecke dringend geboten und zum Ver-
fitilndnisse unerlftßlich.
Nun weiter. Durch die Steuer wird das Gleichgewicht
gestört Es muß sich aber, wie wir früher sahen, ein neuer
Gleichgewichtszustand herstellen; in demselben werden
wieder Gleichungen gelten, die denen, die wir früher hatten,
analog sind, wiederum muB, wie wir auch an unserem ein-
fachsten Falle sahen. Grenzerlös und Grenzkosten gleich sein.
Wir legen Wert darauf, uns Schritt für Schritt des
Gedankenganges klarzulegen und einzuprägen, aber es muß
wieder betont werden, daß wir nichts anderes tun, als was
ieder tut — mehr oder weniger vollkommen, aber prinzipiell
jeder — der sich, sei es als Forscher oder als den Inhalt
seiner Zeitung diskutierender Hausvater, ober wirtschaftliche
488 Die VariatioiMmethode.
Verhältnisse dieser Art ein Urteil zu bilden sucht Sagt
jemand, daß ein Getreidezoll das Brot verteure, so liegt in
diesem Urteile in nuce unser ganzes exaktes Baisonnement
Die Korrekturen, die wir anbringen können, sind nicht un-
wesentlich, aber doch sind nicht sie es, was wir in erster
Linie suchen, sondern die wissenschaftliche Natur des Ge-
dankenganges selbst. Der neue Gleichgewichtszustand, der
durch solche Gleichungen charakterisiert ist, wird andere
Mengen und Preise aufweisen. Und diese wollen wir zu-
nächst finden. Die neuen Gleichungen sind einfach:
fi^iy Vi) = q> ip^u Vi) + ö und
oder in anderer Form entsprechend unseren Definitionen
von Xi und y,:
f(x + Jx,y + Jy) = q>{x + Jx,y + Jy) + a und
F(x + Jx,y + Jy) = \lf(x + Jx,y + Jy).
was ohne weiteres verständlich ist. Uns interessieren nun
besonders die J x und J y, in denen sich die YeränderuDg
den Mengen ausdrückt, und zwar nicht so sehr ihre GrOfiea
— da beide jedenfalls klein sind — als ihre Vorzeichen und
dann der Preis. So wie die Gleichungen sind, würden sie
uns nicht viel mehr geben, als die gewöhnliche Diskussioo
erzielen kann. Hier gibt uns aber die höhere Mathematik
in der Entwicklung durch die Taylorsche Reihe ein Mittel
zu einer wichtigen Umformung an die Hand. Diese Ent-
wicklung stellt einen angenäherten Wert dar und es
muß stets nachgewiesen werden, daß die Diflferenz gegenOber
dem genauen — das „Restglied" — ohne zu großen Fehler
vernachlässigt werden kann. Wir brauchen aber eine solche
Untersuchung hier nicht zu führen. Denn schon J x und
J y sind klein im Verhältnisse zu x und y, noch kleiner
also ihre höheren Potenzen und deshalb wollen wir dieselben
vernachlässigen, wobei die Untersuchung des Restgliedes tob
selbst entfällt. So vereinfacht lautet die eine Entwicklung
uod ganz analog die andere. Wir kfinnen nun weitere Ver-
einfachungen Tornehmea. Vor allem wissen wir aus der
Gleichung, die den alten Qleiebgewichtszustand charak-
terisierte
f («, y) = 9 (=^. y).
daß wir diese beiden Glieder wegstreichen können. Tut
man das and stellt man außerdem die Glieder zweckm&ßig,
so hat man:
""l dx 3x \~ iy 9y ■*"**'
Ein ganz ebensolcher Ausdruck — nur natOrlich ohne das
Glied » -I- a" — ergibt sich fOr die zweite Gleichung.
So haben wir zwei Gleichungen zwiechen Jx und Jjf
und es bandelt sich nun darum, zu sehen, was die Qbrigen
Glieder derselben -~ aufler „+ a' — bedeuten. Sehr ele-
mentar ist, was wir da sagen. Aber es handelt sich nur
darum, dem Nichtmathematiker einen einfachen Fall so klar
als möglich zu machen. Es ist das bisher nie geschehen.
Und doch kann nur so ein weiterer Kreis für diese Methode
gewonnen werden, wie es uns im Interesse des wissenschaft-
lichen Fortschrittes wünschenswert erscheint. Freilich kann
demjenigen, dem die höhere Mathematik ganz ferne steht,
auch das Gesagte noch nicht vOlHg klar sein. Aber doch
erhftlt er ein tmgefähres Bild von dem, was der mathe<
matische Ökonom tut und ein Nachschlagen in einem Kod-
versationslexikon würde voUstAndiges Verstehen dieses ein-
fachen Falles ermöglichen. Wir glauben sogar, dafi eine
solche Darlegung bei dem gegenwärtigen Stande der Dinge
manchem ernsten Freunde der Theorie willkommen sein
wird und halten uns so für ihren elementaren Charakter
entschuldigt
490 ^^® Variationsmethode.
Fahren wir also fort: Die beiden AusdrQcke in der
Klammer, was bedeuten sie? \^ gibt ein Yerhäitnis
und zwar das Verhältnis der Veränderung des Preises zu
der Veränderung der Menge des einen der Güter, deren
Folge die erstere ist. Wenn die Menge des Gutes um 9 x
zunimmt, so ändert sich der Preis um ^f(x,y). Aber wie,
nimmt auch er zu oder nimmt er ab? Das lehrt uns die
Gestalt der Kurve f (x^ y) : Nimmt die Menge zu, so nimmt
der Preis ab. Es liegt „Ungleichändrigkeit'' vor, und der
Quotient '^ ' ^^ ist daher negativ: Ergibt uns die Rate
der Abnahme des Preises bei zunehmender Menge oder die
Elastizität jener Funktion, populär ausgedrückt, die
Empfindlichkeit des Preises gegenüber einer Zunahme des
Angebotes.
Dasselbe gilt, wie man leicht sieht, mutatis mutandis
für den Ausdruck ^} '^ , den wir als die Elastizität
dy ?
der Kostenpreiskurve interpretieren. Hier aber ergibt sich
eine wichtige Bemerkung: Die Elastizität dieser Kurve
heißt nichts anderes als die Rate der Zunahme des Kosten-
Preises und dieses wiederum heifit nichts anderes, als das
Gesetz vom abnehmenden Ertrage, dessen exakten Ausdruck
wir also hier gefunden haben.
Dabei ist es wiederum interessant zu sehen, daß es for
denselben und das Operieren damit — an dieser Stelle
und soweit — ganz gleichgültig ist, ob wir dabei an das
physische Gesetz der Klassiker oder an die Kosten als
Werterscheinung denken und wir verstehen so, daß
auch das erstere sich als ein bis zu einem gewissen Um-
stände brauchbares Instrument erweisen konnte. Wir
haben uns bekanntlich für die letztere Eventualität ent-
schieden.
Und noch etwas: Integrieren «rir unsere Funktion
(f (Xy y) , so erhalten wir eine andere , sei sie 0 (t, y) , die
eine Kurve gibt, deren Ordinaten uns die Gesamtkosten der
Beispiele. 491
durch die Abszissen gegebenen Mengen veranschaulichen, und
diese Kurve ist gar nichts anderes als das Bild des Gesetzes
vom abnehmenden Ertrage in der Form, in der es üblicher-
weise erscheint: Siezeigtuns, daß der Gesamtaufwand —
wiederum: einerlei, soweit, aus welcher Ursache — übcr-
proportional steigt, wie uns das seit Ricardo, oder schon
länger, immer wieder mit vielen Worten und Zahlenbeispielen,
besonders in Tabellenform, umständlich klar gemacht wird.
Unser ' ^ ' ^ erscheint jetzt in der Form — ^a— -
und hier haben wir den Ausdruck fttr den Inhalt jener Dar-
stellungen. Das nur nebenbei.
Ähnlich können wir auch f (x^ y) integrieren. Diese
Integralkurve, sei sie J^ (rr, i/), würde analog den „Gesamt-
nutzen'' der durch die Abszissen versinnlichten Mengen
geben und deren zweiter Differenzialquotient g, ' ^
würde dann das Maß der Abnahme des Grenznutzens geben,
so daß das Gossensche Gesetz und das Gesetz von den
steigenden Kosten völlig koordiniert wären, freilich nur
formal. Im Wesen sind sie eins, wenn man auch das
letztere als Wertgesetz auffaßt — dann liegt keine Koordi-
nation sondern eben nur ein Gesetz vor. Sonst allerdings
sind beide Gesetze koordiniert. Cf. Auspitz' und
Liebens Betrachtungsweise ^ Aber um diese Begriffe
„ Gesamtnutzen '^ und „Gesamtkosten'' liegen viele Schwierig-
keiten, auf die wir hier nicht eingehen können.
Was aber bedeuten -9^^^ und ^-^^'-^h Wie leicht
5y ^y
ersichtlich bringen sie zum Ausdrucke, wie Kosten- und
Nachfragepreis des ersten Gutes sich ändern, wenn die
Menge des zweiten sich ändert, also die Bäte der Zu- und
Abnahme von Kosten- und Nachfragepreis, seine Elastizität,
in bezug auf die Menge des anderen Gutes. In diesen
beiden Gliedern liegt also das Moment der Beziehungen
^ UntersuchuDgen über die Theorie des Preises.
swisebes ArngtHtoi md Nadifirmge der b^en Güter em-
getehkwsen, also KoBplemeiitantilt, BiTmüttt und aicii
jeae aHgenene Bezielmiig, welebe 8o gut wie immer besteht
Maebea wir uns wieder die Betracbtiuigsweiae ler-
3* 0 ix «)
mittelst Ton Integralkimreii zu eigen, so ergibt sieb — ■= — ^-^-^
UDd — -^ — \ ' Wie man sieht, sind diese Ansdrftcke
dxdy
zweidimeosionaL Sie stellen die Rate der Variation der
Integralfnnktionen in bezng auf die der Mengen beider Güter
dar. Wieder kann nor im Vorbeigehen bemerkt werdoi,
da6 derartige Ausdrücke v. Boehm-Bawerk's .dritten Grund'
und das VariatioDSgesetz der Amerikaner kurz und klar
zum Ausdrucke bringen, ohne Tabellen, Zahlenbeispiele und
lange Erörterungen.
Liegt nun eine solche Rate nicht vor, d. h., ist Kach-
frage- oder Kostenpreis — oder beide — des einen Gutes
unempfindlich gegen Veränderungen der Menge des anderen,
so werden unsere Ausdrücke — als DifFerenzialquotienten
von Konstanten — za Null und wir haben dann unsere
Gleichung in der Form:
{_ ^x dx \
Damit nun sind wir bei der Diskussion unserer Gleichungen
angelangt, welche die Art darstellt, wie wir aus
denselben konkrete Resultate gewinnen. Und damit
haben wir dann die Darstellung unserer Methode vollendet :
Sind unsere Gleichungen sowohl für den alten wie für den
neuen Gleichgewichtszustand aufgestellt und ihre Glieder
gedeutet, dann erübrigt nur noch, uns dessen, was wir über
sie wissen und was sich aus unseren Grundannahmen ergibt,
zu erinnern, und dieses Deuten der einzelnen Größen und
dieses Untersuchen der relativen Bedeutung, ihrer Vor-
zeichen usw. gibt uns in exakter und einwand-
* eier Form alles Reinökonomische an der Sache.
Betrachten wir einige einfache Fälle: Sind in unserer
Beispielew 493
letzten Gleichung auch die Kosten unelastisch, d. h. kon-
stant, so wird \ ' ^^ zu Null und wir haben das Resultat :
d X
c X
was nichts anderes heißt, als daß in diesem Falle die Steuer
ganz auf den «Käufer'' fällt: Es steigt der Preis um den
ganzen Steuerbetrag. Damit ist allerdings die Wirkung
der Steuer nicht erschöpft. Zu diesem höheren Preise wird
weniger abgesetzt, so daß der „Verkäufer'' ebenfalls zu
Schaden kommt. Aber an den dennoch abgesetzten Mengen
verliert er nichts. Die exakte Methode hilft uns hier zwei
verschiedene Arten von Wirkungen auseinanderzuhalten,
nämlich Überwälzung und Konsumeinschränkung.
Dieselben werden in der gewöhnlichen Diskussion nur allzuoft
— wenn auch nicht immer — konfundiert, und so wird ein
klarer Einblick in die Vorgänge der Wirklichkeit durch
unsere Methode wesentlich erleichtert. Solche Konfün-
dierungen finden wir in der Literatur eine ganze Reihe.
Namentlich werden unmittelbare and fernere, statische und
dynamische Wirkungen nicht hinlänglich auseinandergehalten.
Dasselbe gilt natürlich bei Inelastizität der Nachfrage.
Seien nun Nachfrage und Angebot inelastisch. Da versagt,
wie ersichtlich, unsere Gleichung. Das heißt nichts anderes,
als daß es eine eindeutige Lösung nicht gibt. Es ist nicht
schwer sich klarzumachen, warum das so ist Inelastizität
der Nachfrage bedeutet, daß ohne Rücksicht auf den Preis
eine bestimmte Menge eines Gutes verlangt wird, ein Fall
der innerhalb hinlänglich weiter Grenzen z. B. bei gewissen
Luxusartikeln vorkommt. Wäre nun auch die Angebots-
funktion eines solchen Gutes konstant, so ließe sich vom
Standpunkte der Theorie über die Wirkung einer Steuer
nichts sagen. Dieselbe hinge von dem Resultate eines
„Preiskampfes** ab, der nicht an ihre Gesetze gebunden
wäre. In der „Praxis", wo so oft — oder meist — nicht
strenge bis zur ökonomischen Grenze produziert wird und
494 ^® Variationsmethode.
unsere FunktioneD nicht so glatt verwirklicht sind, kommt
dieser Fall öfter vor, als man bei Betrachtung seiner
theoretischen Voraussetzungen glauben sollte, und es mag
hierin einer der Gründe dafür liegen, daß das theoretische
Bild bei Steuerproblemen oft so sehr von den Tatsachen
absticht. Ja, man mag im Zweifel darüber sein, ob man
jemals — und namentlich beim Detailhandel — die Vor-
gänge mit theoretischen Mitteln ausreichend erfassen kann
und ob der „Praktiker*" nicht ganz im Rechte ist, sich wenig
um dieselben zu bemühen. Wie eine Steuer z. B. auf Luxus-
pferde oder -hunde oder gewisse Sorten von manchen Genoß-
mittein, z. B. Zigarren, wirkt, ist durchaus zweifelhaft
Vielleicht wird sie in aller Regel vom „Konsumenten* ge-
tragen, auch wenn man das nach der Theorie nicht erwarten
sollte. Dabei ist es dann wichtig, daß sie von demselben
mit Rücksicht auf seine meist bedeutende Kaufkraft gar
nicht sehr gefühlt wird. In diesen Umständen liegt eine
Besonderheit der sog. Luxussteuern, die denselben, ganz
abgesehen von sozialen und politischen Momenten, eine be-
sondere Stellung anweist. Allerdings kommen da auch andere
Umstände in Betracht, so das Fehlen völlig freier Kon-
kurrenz bei manchen Luxusartikeln — man denke daran,
daß hier oft der Ruf einer Firma eine noch größere Rolle
spielt als sonst: ein Schmuckgegenstand, der aus dem Laden
eines kleinen Goldschmiedes stammt, kann auch bei sonst
gleicher Beschaffenheit zu Geschenkzwecken wesentlich
weniger geeignet sein, als ein solcher, dessen Etui den
Namen einer der großen und fashionablen Firmen trägt —
aber es ist wichtig, darauf hinzuweisen, daß, abgesehen
davon schon manche Erscheinungen der theoretischen Er-
fassung entschlüpfen können. Doch wollen wir diesen Ge-
dankengang nicht weiter verfolgen, da wir ja keine voll-
ständige Steuertheorie zu geben beabsichtigen. Sei es genujz.
darauf hingewiesen zu haben, daß unsere Methode selbst
dort, wo sie versagt, uns wertvolle Dienste leistet, da sie
den betreffenden Punkt scharf heraushebt und uns so die
"Stelle zeigt, wo eine andere Betrachtung als die ökonomische
Beispiele. 495
einzusetzen hat, während man ohne sie über solche Lücken
leicht hinweggleitet.
Das Gesagte läßt sich auch geometrisch darstellen, wobei
es zweckmäßig ist, um eine Darstellung in der Ebene zu
ermöglichen, den Preis und die Kosten wieder nur als Funk-
tionen der Menge eines Gutes zu l>etrachten.
Etwas aber, worin unsere vollkommenere Betrachtungs-
weise zu einem wichtigen neuen Resultate führt, ist das
folgende. Im allgemeinen, und spezielle Fälle ausgenommen,
kann man sagen , daß der Preis einer Ware nicht um den
vollen Betrag einer auf dasselbe gelegten Steuer steigen
kann. Wie wichtig der Nachweis für dieses Resultat ist,
dessen wird man sich so recht bewußt, wenn man die
populäre, aber auch einen Teil der wissenschaftlichen,
namentlich aber jene Diskussion überblickt, welche in der
Mitte zwischen beiden steht : Ich denke da an das Material
und die Argumentationen von Enqueten, Kommissions-
berichten, Parlamentsreports usw.
Jenes Resultat ergibt sich ohne weiteres aus unserer
vereinfachten Gleichung, wenn wir sie in die Form bringen
J X ^- — =^a-\- Jx — V- — »
ä X o X
in der auch die Momente, von denen die Verteilung der
Steuerlast abhängt, so prägnant und konzise zum Ausdrucke
kommen, daß auch vom Gegner der Theorie, der ja doch
mit wesentlich denselben Gedanken arbeiten
muß, eine gewisse Anerkennung erwartet werden darf.
Aber eine wichtige Ausnahme von dieser Regel lehrt
uns die vollständigere Form der Gleichung in der Form:
d X d X d y d y
Die linke Seite bedeutet den Preiszuwachs und ist positiv,
da sowohl J x als auch —2—- essentiell negative Größen
9 ab-
sind. Derselbe ist gleich dem Steuerbetrage a modifiziert
496 ^® YaiuitioiiflBietliode.
durch drei Glieder. J x- ^^ ^ ^^ ist nM;ati7, weil der
a X
zweite Faktor dieses Ansdrockes essentiell positiv ist, iiBd
drückt eben die oben vorgeführte Wahrheit ans, dafi die
Steuer nicht um ihren ganzen Betrag den Preis erhöhe,
sowie das Moment, welches bestimmt, wieviel v<m der Steuer
nicht im Preise erscheinen werde. Das n&chste Glied ist
essentiell negativ, hat aber auch ein negatives Voneichen,
sodaß das durch dasselbe ausgedrückte Moment darauf hin-
wirkt, den Preis zu erhöhen und dem durch das zweite aus-
gedrückten entgegenarbeitet. Und dasselbe gilt von d«n
letzten Gliede, das essentiell positiv und mit positiven Vor-
zeichen versehen ist Das schliefiliche Resultat hftngt also
von der relativen Gröfie einerseits des zweiten und anderer-
seits der Summe des dritten und vierten Gliedes der rechten
Seite unserer Gleichung ab. Darüber können wir nichts
allgemeines sagen, und so ist die Möglichkeit dargetan —
und der Grund für ihr Bestehen nachgewiesen — , daß eine
Steuer auf eine mit einer anderen in jenen Beziehungen
stehende Ware den Preis derselben um mehr als den Steuer-
betrag erhöhen kann. Und zwar hängt das — rufen wir
uns die Bedeutung unserer Ausdrücke ins Gedächtnis zurück —
ab von der Rate der Zunahme der Kosten mit steigender
Produktionsmenge und von dem Maße der Beziehungen
zwischen beiden Waren.
Dieses Resultat ist nun sehr wichtig. Nicht als ob die
Tatsache, daß eine Steuer aufsein Produkt einem Produzenten
einen positiven Vorteil gewähren kann, neu wäre. Jeder
Hausfrau ist das bekannt. Aber man wird das stets ent-
weder auf eine monopolartige Stellung des Produzenten oder
auf sonst einen Defekt im Mechanismus der freien Kon-
kurrenz oder auf das „Gesetz vom zunehmenden Ertrage*
zurückzuführen geneigt sein. Tatsächlich kann jedes dieser
Momente wirksam sein, auch geben wir zu, daß dieselben
weit häufiger und praktisch wichtiger sind, als das in Rede
stehende, und es ist stets quaestio facti, was jedesmal diese
Erscheinung hervorruft. Aber das für uns Wichtige an der
Beispiele. 497
Sache ist, daß auch vom Standpunkte der reinen Theorie
sich eine solche Möglichkeit ergibt
Das ist ein Resultat, dem kaum Selbstverständlichkeit
vorgeworfen werden kann. Ich glaube nicht, daß man es
ohne unsere Methode zu finden und zu begründen vermag.
So haben wir hier einen Fall, in welchem uns die Mathematik
etwas lehrt, was wir anders nicht erfahren können. Speziell
die Bedeutung der Komplementarität und Rivalität in diesem
Zusammenhange wurde durch sie erst entdeckt und ließe
sich schwer ohne sie dartun.
Wir müssen es uns versagen, näher auf diese Dinge
einzugehen, was uns weit über den Rahmen unserer Aufgabe
hinausführen würde. Vielleicht reicht schon das Gesagte
aus, dem Leser zu zeigen, daß hier ein fruchtbares Gebiet
liegt, dessen Bearbeitung erst in den Anfängen steht, und
daß es den Fortschritt der Wissenschaft nicht fördert, ganz
achtlos oder mit kurzer Ablehnung daran vorüberzugehen.
Ich glaube gezeigt zu haben, daß die Variationsmethode in
der Tat der einzige Weg, das einzige Mittel ist, den rein-
ökonomischen Momenten alles das abzugewinnen, was sie
bieten können und eine ernste Mahnung folgt daraus, sich
mit der höheren Mathematik vertraut zu machen. Sonst
könnte es geschehen, daß der Fortschritt der ökonomischen
Theorie völlig stockt und dieses Gebiet unfruchtbar erscheint
lediglich durch Verschulden seiner Vertreter.
Der Fall des Monopoles, der schon von Gournot in
im Ganzen klassischer Weise behandelt wurde, bietet sich
besonders einer mathematischen Behandlung dar, welche
durch Proff. Edgeworth und Marshall einen hohen Grad der
Vollendung erhalten hat. Die Besteuerung von Monopol-
gewinnen hat gerade heute aus bekannten Gründen ein be-
sonderes Interesse. Und doch, so eifrig die Frage diskutiert
wird, kann man sagen, daß man sich im allgemeinen auch
über die Elemente der Sache nicht im Klaren ist. So be-
hauptet eine populäre Theorie, daß jede Steuer auf ein
Monopolgut nur den Monopolisten treffen könne. In der
Tat, was scheint klarer, als daß der Monopolist, der den
Schnmpeter, Nationalökonomie. 32
498 ^'® Yariationsmethode.
Preis 80 atigestellt hat, daß sein Gewinn ein Maximum ist,
auch nach Auflage der Steuer keinen Vorteil durch Änderung
desselben erreichen kann, mithin die Steuer zu tragen haben
wird. Dennoch ist das nicht allgemein wahr; und wenn
ich an den mathematischen Beweis der entgegengesetzten
Möglichkeit denke, so kann ich mir nicht vorstellen, wie
man die letztere ohne Hilfe der höheren Analyse klarmachen
sollte. Wie aktuell ist aber dieses Problem z. B. mit Rück-
eicht auf die über manche amerikanischen Trusts verhängten
Strafen, welche ja hierher gehören! Übrigens auch der
Nachweis, daß und warum in der Regel eine solche Steuer
auf den Monopolisten fällt, ist nicht so einfach und seine
exakte Form nicht ohne Interesse. Ebenso wichtig ist der
Fall der beschränkten Konkurrenz, vielleicht sogar noch
wichtiger. Wir müssen es uns jedoch versagen, darauf ein-
zugehen. Ich hielt es für besser, mich bei der Vorführung
eines exakten Gedankenganges und bei den allgemeinen
Grundsätzen unserer Methode länger aufzuhalten und habe
nun für Weiteres im Rahmen dieser Arbeit keinen Raum
mehr.
Was für eine Steuer gilt, bewährt sich in ganz analoger
Weise auch für eine Prämie; eine einfache Änderung von
Vorzeichen gestattet uns, wie man leicht sieht, unseren
Gedankengang auch auf diesen Fall auszudehnen.
Aber wir dürfen nicht vergessen, welchen Einschrän-
kungen unser Resultat unterworfen ist, vor allem, daß es
nur für kleine Steuern und kurze Perioden gilt. Be-
züglich der ersteren Einschränkung hat Coumot empfohlen,
eine große Steuer in kleine Teile zu zerlegen und so suk-
zessive auch für sie nachzuweisen, was zunächst nur für
jeden einzelnen der letzteren gilt. Dieses Hilfsmittel räumt
diese Schwierigkeit nicht hinweg und umgeht sie auch nicht.
Denn es ermöglicht uns nicht, die Wirkung einer größeren
Steuer, die ja immer auf einmal aufgelegt wird, zu erfassen.
Es setzt voraus, daß eine kleine Steuer aufgelegt und so-
zusagen absorbiert wird und erst, wenn das Gleichgewicht
wieder hergestellt ist, die Auflage einer ähnlichen, ebenso-
Beispiele. 499
kleinen erfolgt. Da es klar ist, daß die Wirkung eines
solchen Vorganges eine ganz andere sein müßte, als die
Auflage der Steuer auf einmal, da femer, wie früher aus-
geführt, ein tieferer Eingriff in den Gleichgewichtszustand
denselben fundamental ändern und Erscheinungen hervor-
rufen würde, die mit den Mitteln der Statik und vielleicht
der Ökonomie überhaupt nicht dargestellt werden können,
so müssen wir auf diese Ausdehnung unserer Methode ver-
zichten. Dafi wir dadurch ja nicht strikte auf das „Un-
endlichkleine" beschränkt werden, wurde ebenfalls bereits
hervorgehoben, aber es wird immer Frage des einzelnen
Falles sein, ob unsere Methode etwas und wieviel sie für
ihn leisten kann.
Dasselbe gilt von der Länge der betrachteten Zeit-
periode. Prinzipiell können wir nur kurze Perioden be-
trachten. Freilich würde manche Voraussetzung, wie z. B.
freie Beweglichkeit der Produktionsfaktoren im Unter-
suchungsgebiete besser auf längere passen. Aber trotzdem
ist es uns im allgemeinen nicht möglich, über solche ohne
Weiteres zu urteilen. Das wäre nun sehr schlimm. Manche
Steuern, z. B. eine Häusersteuer, können nur einen Teil
ihrer Wirkungen sofort äußern. Weitere Wirkungen, die
etwa vom Übergange des Kapitales in andere Produktions-
zweige und von der Einschränkung oder Ausdehnung des
Angebotes an Häusern abhängen, würden sich unserer Be-
trachtung entziehen. Und in der Tat sehen wir, daß in
Diskussionen über die Häusersteuer regelmäßig ein dyna-
misches Moment, nämlich Zunahme der Nachfrage infolge
Vermehrung der Bevölkerung hineingezogen wird. Nicht
ohne Berechtigung sicherlich. Man kann dasselbe bei Be-
urteilung dieser Frage unmöglich außer Acht lassen. Aber
das führt zu einer Unklarheit bezüglich der theoretischen
Grundlagen, welche in allen Erörterungen darüber deutlich
nachweisbar ist. Außerdem würde unsere Methode un-
anwendbar.
Aber es steht nicht ganz so. Perioden, welche lang
genug sind, um uns alle reinwirtschaftlichen Wirkungen
498 ^^® Yariationamethode.
Preis 80 angestellt hat, dafi sein Gewinn ein Maximum ist
auch nach Auflage der Steuer keinen Vorteil durch Änderung
desselben erreichen kann, mithin die Steuer zu tragen haben
wird. Dennoch ist das nicht allgemein wahr; und wenn
ich an den mathematischen Beweis der entgegengesetzten
Möglichkeit denke, so kann ich mir nicht vorstellen, wie
man die letztere ohne Hilfe der höheren Analyse klannaehen
sollte. Wie aktuell ist aber dieses Problem z. B. mit Rück-
gicht auf die über manche amerikanischen Trusts verhängten
Strafen, welche ja hierher gehören! Übrigens auch der
Nachweis, dafi und warum in der Regel eine solche Steuer
auf den Monopolisten fällt, ist nicht so einfach und seine
exakte Form nicht ohne Interesse. Ebenso wichtig ist der
Fall der beschrankten Konkurrenz, vielleicht sogar noch
wichtiger. Wir müssen es uns jedoch versagen, darauf ein-
zugehen. Ich hielt es für besser, mich bei der Vorführung
eines exakten Gedankeu ganges und bei den allgemeinen
Grundsätzen unserer Methode länger aufzuhalten und habe
nun für Weiteres im Rahmen dieser Arbeit keinen Raum
mehr.
Was für eine Steuer gilt, bewährt sich in ganz analoger
Weise auch für eine Prämie; eine einfache Änderung von
Vorzeichen gestattet uns, wie man leicht sieht, unseren
Gedankengang auch auf diesen Fall auszudehnen.
Aber wir dürfen nicht vergessen, welchen Einschrän-
kungen unser Resultat unterworfen ist, vor allem, dafi es
nur für kleine Steuern und kurze Perioden gilt. Be-
züglich der ersteren Einschränkung hat Coumot empfohlen,
eine grofie Steuer in kleine Teile zu zerlegen und so suk-
zessive auch für sie nachzuweisen, was zunächst nur für
jeden einzelnen der letzteren gilt. Dieses Hilfsmittel räumt
diese Schwierigkeit nicht hinweg und umgeht sie auch nicht.
Denn es ermöglicht uns nicht, die Wirkung einer größeren
Steuer, die ja immer auf einmal aufgelegt wird, zu erfassen.
Es setzt voraus, dafi eine kleine Steuer aufgelegt und so-
zusagen absorbiert wird und erst, wenn das Gleichgewicht
wieder hergestellt ist, die Auflage einer ähnlichen, ebenso-
Beispiele. 499
kleinen erfolgt. Da es klar ist, daß die Wirkung eines
solchen Vorganges eine ganz andere sein mOBte, als die
Auflage der Steuer auf einmal, da femer, wie früher aus-
geführt, ein tieferer Eingriff in den Gleichgewichtszustand
denselben fundamental ändern und Erscheinungen hervor-
rufen würde, die mit den Mitteln der Statik und vielleicht
der Ökonomie überhaupt nicht dargestellt werden können,
so müssen wir auf diese Ausdehnung unserer Methode ver-
zichten. Dafi wir dadurch ja nicht strikte auf das „Un-
endlichkleine" beschränkt werden, wurde ebenfalls bereits
hervorgehoben, aber es wird immer Frage des einzelnen
Falles sein, ob unsere Methode etwas und wieviel sie für
ihn leisten kann.
Dasselbe gilt von der Länge der betrachteten Zeit-
periode. Prinzipiell können wir nur kurze Perioden be-
trachten. Freilich würde manche Voraussetzung, wie z. B.
freie Beweglichkeit der Produktionsfaktoren im Unter-
suchungsgebiete besser auf längere passen. Aber trotzdem
ist es uns im allgemeinen nicht möglich, über solche ohne
Weiteres zu urteilen. Das wäre nun sehr schlimm. Manche
Steuern, z. B. eine Häusersteuer, können nur einen Teil
ihrer Wirkungen sofort äußern. Weitere Wirkungen, die
etwa vom Übergange des Kapitales in andere Produktions-
zweige und von der Einschränkung oder Ausdehnung des
Angebotes an Häusern abhängen, würden sich unserer Be-
trachtung entziehen. Und in der Tat sehen wir, dafi in
Diskussionen über die Häusersteuer regelmäßig ein dyna-
misches Moment, nämlich Zunahme der Nachfrage infolge
Vermehrung der Bevölkerung hineingezogen wird. Nicht
ohne Berechtigung sicherlich. Man kann dasselbe bei Be-
urteilung dieser Frage unmöglich außer Acht lassen. Aber
das führt zu einer Unklarheit bezüglich der theoretischen
Grundlagen, welche in allen Erörterungen darül)er deutlich
nachweisbar ist. Außerdem würde unsere Methode un
anwendbar.
Aber es steht nicht ganz so. Perioden, welche lang
genug sind, um uns alle reinwirtschaftlichen Wirkungen
:V2 ♦
500 ^1^ Variationsmethode.
voll ZU zeigen , sind oft nicht lang genug , um den dynt-
mischen Momenten allzuviel Entwicklungsmöglichkeit zu
gewähren. So werden wir in vielen Fällen von unserer
Betrachtungsweise Gebrauch machen können, in denen ihre
statischen Voraussetzungen nicht ganz zutreffen. Nur mQssen
wir uns dann stets bewußt bleiben, daß wir keinen ganz
sicheren Grund unter den Füßen haben und dürfen uns
nicht wundern, wenn unser Raisonnement mitunter nicht
mit den Fakten übereinstimmt
Dagegen können wir unseren Fall unschwer auch auf
andere Steuern, als solche von der eben besprochenen Art
ausdehnen, indem wir Realsteuem jeder Form auf jene
zurückführen und endlich sogar auf Personalsteuern. Es
gibt uns das eine wichtige Auffassungsweise derselben an
die Hand, deren Anwendbarkeit allerdings von Fall zu Fall
eine verschiedene ist: Die Generalkosten einer Produktion
werden durch eine Steuer auf eine Unternehmung vermehrt
und können auf die Wareneinheit reduziert werden ^.
Keinesfalls ist es nötig, Steuern auf „Renten'' und
„Surplus"* als einen Fall sui generis aufzufassen, wie es die
Klassiker taten. Wie unsere Methode eine Fortbildung der
Erkenntnis, eine Vermehrung unserer Einsicht enuöglicht
und uns in den Stand setzt, manche Korrektur an der land-
läufigen Art, diese Fragen zu behandeln, anzubringen, so
gibt sie uns auch einen festen Standpunkt gegenüber der
Betrachtungsweise und den Resultaten der alteren Ökonomie.
Eine der unseren ähnliche Methode oder besser, dieselbe
Methode nur in unvollkommener Form hat die letztere nur
auf die Besteuerung der Produkteinheit, etwa durch einen
Zoll angewendet. Im übrigen operierte man mit allgemeinen
Prinzipien und behandelte jeden Fall für sich. Unsere
Methode stellt die ganze Steuertheorie, soweit sie rein
^ Es ist interessant hervorzuheben, daß die exakte Steuertheorie,
auf dem Momente von Angebot und Nachfrage basierend, vou einer
„spezifischen*' Steuer auf die Wareneinheit ausgeht , weiche darnach
von diesem Standpunkte aus als der Gmndfall der Steaertheorie
erscheint.
Beispiele. 501
ökonomisch ist, auf eine einheitliche Grundlage. Wir könnten
ihre Vorzüge nicht besser zeigen, als durch eine kurze Dis-
kussion der klassischen Steuertheorie.
Auch darauf können wir aber hier nicht eingehen.
Nehmen wir nur ein Beispiel, die Häusersteuer. Eine
solche müßte nach den Klassikern immer auf den Grund-
herrn fallen, da entsprechend dem Gesetze der Profitrate
und der Lohntheorie derselben, weder auf dem „building
trade** noch auf dem Lohne etwas davon haften bleiben
kann. Daseist jedenfalls das grofie Prinzip; bei bereits
fertigen Häusern müfite man ja wohl Ausnahmen anerkennen.
Erkennt man nun die formalen Prinzipien, auf denen dieser
Gedankengang beruht, als richtig an, so ist auch der letztere
selbst ziemlich einwandfrei; nicht ganz freilich, denn die
Gleichheit der Profitrate reicht nur dann zu dem Schlüsse,
der hier aus ihr gezogen wird, aus, wenn man den „building
trade* als unbedeutend gegenüber der Masse anderer Ver-
wendungsmöglichkeiten des i^Kapitales** betrachten kann —
anderenfalls würde eine Steuer auf denselben eben das
Gesamtniveau der Profitrate beeinflussen und so sehr wohl
ein Teil der Steuer auf ihn fallen. Aber wie oberflächlich
und unbefriedigend ist diese Theorie, wie wenig paßt sie
auf die Wirklichkeit! Unsere ermöglicht dagegen nicht
nur eine vollkommenere und korrektere Darlegung der
grundlegenden Prinzipien, sondern auch eine Berücksichtigung
einer Unzahl feinerer Momente, so des Einflusses der Aus-
gestaltung der Verkehrsmittel auf die Wirkung einer Häuser-
steuer, eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Be-
dürfnissen, denen Wohnhäuser genügen, der „Rivalität**
zwischen verschiedenen Stadtteilen usw. Eine ganze Menge
von sehr hübschen und theoretisch wie praktisch gleich
interessanten Resultaten ergibt sich dabei. Am besten
wurde das von Professor Edgeworth ausgearbeitet (Econ.
Journal 1897). Die übliche Diskussion hingegen, die be-
kanntlich gegenwärtig sehr lebhaft geführt wird, sieht über
diese Dinge so gut wie ganz hinweg. Eine ganze Anzahl
von Korrekturen und Bereicherungen kann sie durch An-
500 I^c VariatioiisaieUiode.
voll ZU zeigen y sind oft nicht lang genug, um den dynt-
mischen Momenten allzuviel EntwicklungsmiVgliehkeit zu
gewAhren. So werden wir in vielen F&Uen von unserer
Betrachtungsweise Grebrauch machen können, in denen ihre
statischen Voraussetzungen nicht ganz zutreffen. Nur mQssen
wir uns dann stets bewuBt bleiben, daß wir keinen ganz
sicheren Grund unter den Füßen haben und dürfen uns
nicht wundem, wenn unser Raisonnement mitunter nicht
mit den Fakten Qbereinstimmt
Dagegen können wir unseren Fall unschwer auch auf
andere Steuern, als solche von der eben besprochenen Art
ausdehnen, indem wir Realsteuem jeder Form auf jene
zurückführen und endlich sogar auf Personalsteuern. Es
gibt uns das eine wichtige Auffassungsweise derselben an
die Hand, deren Anwendbarkeit allerdings von Fall zu Fall
eine verschiedene ist: Die Generalkosten einer Produktion
werden durch eine Steuer auf eine Unternehmung vermehrt
und können auf die Wareneinheit reduziert werden ^
Keinesfalls ist es nötig, Steuern auf „Renten" und
„Suqdus'* als einen Fall sui generis aufzufassen, wie es die
Klassiker taten. Wie unsere Methode eine Fortbildung der
Erkenntnis, eine Vermehrung unserer Einsicht ermöglicht
und uns in den Stand setzt, manche Korrektur an der land-
läufigen Art, diese Fragen zu behandeln, anzubringen, so
gibt sie uns auch einen festen Standpunkt gegenüber der
Betrachtungsweise und den Resultaten der alteren Ökonomie.
Eine der unseren ähnliche Methode oder besser, dieselbe
Methode nur in unvollkommener Form hat die letztere nur
auf die Besteuerung der Produkteinheit, etwa durch einen
Zoll angewendet. Im übrigen operierte man mit allgemeinen
Prinzipien und behandelte jeden Fall für sich. Unsere
Methode stellt die ganze Steuertheorie, soweit sie rein
1 Es ist interessant hervorzuheben, daß die exakte Steaertheorie.
auf dem Momente von Angebot und Nachfrage basierend, von einer
„spezifischen*' Steuer auf die Wareneinheit ausgeht, welche darnach
von diesem Standpunkte aus als der Gmndfall der Steaertheorie
erscheint.
Beispiel«. 501
fikonomisch ist. auf eine einheitliche Grundlage. Wir könnten
ihre Vorzöge nicht besser zeigen, als durch eine kurze Dis-
kussion der klassischen Steuertheorie.
Auch darauf können wir aber hier nicht eingehen.
Nehmen wir nur ein Beispiel, die H&usersteuer. Eine
solche inQßte nach den Klassikern immer anf den Gnuid-
berm fallen, da entsprechend dem Gesetze der Proßtrate
und der Lohntheorie derselben , weder auf dem „building
trade* noch auf dem Lohne etwas davon haften bleiben
kann. Das*ist jedenfalls das gro8e Prinzip; bei bereits
fertigen HAusem mO&te man ja wohl Ausnahmen anerkennen.
Erkennt man nun die formalen Prinzipien, auf denen dieser
Gedankengang beruht, als richtig an, so ist auch der letztere
selbst ziemlich einwandfrei; nicht ganz freilich, denn die
Gleichheit der Profitrate reicht nur dann zu dem Schlüsse,
der hier aus ihr gezogen wird, aus, wenn man den „building
trade* als unbedeutend gegenQber der Masse anderer Ver-
wendungsmßglichkeiteD des .Kapitales" betrachten kann —
anderenfalls wQrde eine Steuer auf denselben eben das
Gesamtniveau der Profitrate beeinflussen und so sehr wohl
ein Teil der Steuer auf ihn fallen. Aber wie oberflächlich
und unbefriedigend ist diese Theorie, wie wenig paßt sie
auf die Wirklichkeit! Unsere ermöglicht dagegen nicht
nur eine vollkommenere und korrektere Darlegung der
grundlegenden Prinzipien, sondern auch eine Berltcksichtigung
einer Unzahl feineier Momente, so des Einflusses der Aus-
gestaltung der Verkehrsmittel auf die Wirkung einer Häuser-
steuer, eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Be-
dürfnissen, denen WohnhÄuser genügen, der „Rivalität"
zwischen verschiedenen Stadtteilen usw. Eine ganze Menge
von sehr hobschen uml theoretisch wie praktisch gleich
interessanten Resultaten ergibt sich dabei. Am besten
wurde das von Professor Etlgeworth ausgearbeitet (Econ.
Journal 1697). Die übliche Diskussion hingegen, die be-
kanntlich gegenwartig sehr lebhaft gefDbrt wird, sieht über
diese Dinge so gut wie ganz hinweg. Eine ganze Anzahl
von Korrekturen und Bereicherungen kann sie durch. tA.-
502 ^® y&ruUioiiflmethode.
Wendung unserer Methode erfahren. Diese Frage ist ein
vortreffliehes Beispiel, welch grofien Unterschied das Moment
der Methode für die Resultate haben kann. Die Daten
sind ja dieselben für den Theoretiker wie für den Praktiker;
und doch kann ein so verschiedenes Rendement aus ihnen
erzielt werden. Bei jedem Schritte zeigt sich, wie wichtig
eine sorgfältige Ausarbeitung und korrekte Handhabung
der formalen Instrumente des Gedankenganges ist — wie
wenig überflüssig also Betrachtungen der Art sind, wie sie
der allgemeine Teil dieses Abschnittes brachtet Ich glaube
nicht, dafi jemand, der unsere Methode bei diesem Probleme
an der Arbeit gesehen hat, ein verächtliches Urteil über
sie fällen wird.
Noch sei eine weitere Anwendung unserer Methode auf
diesem Gebiete angedeutet, nämlich die Theorie der Ein-
kommensteuer. Gewiß bietet sich diese der Erfassung von
unserem Standpunkte weniger leicht dar und unsere Beitrage
sind hier weniger bedeutend als bei den eben erwähnten
Problemen. Aber immerhin kann hier zweierlei getan
werden. Einmal kann auf Grund der Bernoullischen Hypo-
these eine Theorie der progressiven Einkommensteuer, der
Steuerprogression überhaupt, entwickelt werden. Sodann
kann man aber das Geldeinkommen unserer Individuen
gleichsam als ein Gut auffassen, das eine bestimmte Wert-
und eine ebenso bestimmte Kostenfunktion habe. Dann ist
es möglich, auf die Einkommensteuer ein ähnliches Rai-
sonnement anzuwenden und ähnliche Resultate bezüglich
ihrer Wirkungen zu gewinnen, wie wir das bei unserem
einfachsten Falle — in dem nur ein Gut produziert und
konsumiert wurde — sahen; ja, darin dürfte die wichtigste
praktische Anwendung dieses so wirklichkeitsfremd aus-
sehenden Falles liegen. Es ist das bisher meines Wissens
noch nicht geschehen; aber ich glaube wohl, dafi es der
Mühe lohnt und daß gewisse Vorgänge, die nicht jedermann
so völlig klar sind, dadurch korrekt beschrieben werden
können. Endlich kann man eine Einkommensteuer auch
als Steuer auf die einzelnen Einkommenszweige auffassen.
Beispiele. 503
Hier würden wir der Schwierigkeit begegnen, daß nur zwei
derselben „statisch^ und mithin leicht zu behandeln sind.
Immerhin ist auch das ein Weg zu verschiedenen, nicht
uninteressanten Resultaten.
§ 2. Gehen wir nun zu einem zweiten Beispiele über,
zur Theorie der Zölle. Auch hier wollen wir ganz kurz
sein und nur zu erkenntnistheoretischen Zwecken einiges
sagen; im übrigen aber wollen wir hier anders vorgehen,
als beim ersten Beispiele. Haben wir dort vornehmlich
darauf Wert gelegt, den konkreten Vorgang, mittelst dessen
unsere Methode ihre Resultate gewinnt, zu exemplifizieren,
so wollen wir hier, mit Rücksicht auf die Tatsache, auf
die wir so viel Gewicht legen, die Tatsache nämlich, dafi
dieser Vorgang immer und überall , auf allen noch so ver-
schiedenen Gebieten, im Wesen derselbe ist, nur einige
Punkte erwähnen, welche geeignet sind, das, was die
Theorie leisten kann, von dem, was sie nicht leisten kann,
abzuheben und zu besserem Verständnisse des Wesens und
Wertes ihrer Resultate beizutragen, auch die Theorie von
manchen Mißverständnissen und Angriffen zu befreien, welchen
sie ausgesetzt war und ist.
Vor allem: Alles kommt bei der Diskussion des
Schutzzollproblemes darauf an, die folgenden beiden Unter-
scheidungen durchzuführen. Erstens muß man das theo-
retische Problem vom praktischen scheiden. Was immer
das Resultat der Theorie sein mag, nie kann es dazu aus-
reichen, für sich allein einen bestimmten Kurs der Handels-
politik zu empfehlen oder zu verdammen. Es liegt auf der
Hand, dafi die Momente^ die die Theorie umfafit, nur immer
einen Teil der Sache bilden und durch andere Erwägungen
in den Hintergrund gedrängt werden können. Das bestreitet
doch ersichtlich die Theorie nicht. Und daher mag man
eventuell den Politiker attackieren, der lediglich auf
wirtschaftliche Momente Gewicht legt, aber es ist gewiß
unbegründet, die Theorie aus diesem Grunde zu schmähen.
Gegen sie können sich die Tiraden des Parteikampfes also
504 ^^0 Variatiommethode.
nicht richten, und soweit der Theoretiker Theoretiker bleibt,
kann er nie Politiker sein.
Unterscheiden muß man zweitens zwischen dem statischen
und dem dynamischen Probleme, zwischen dem, was man,
wenn auch nicht ganz korrekt, „unmittelbare*' und „weitere*
Wirkungen nennt Zum Teile fällt diese Unterscheidung
mit der zwischen kurzen und langen Perioden zusammen,
insofern als dynamische Momente meist einer gewissen Zeit
bedürfen, um wirksam zu werden : Entwicklungen brauchen
Zeit. Nun hat es gar keinen Sinn, beide Gruppen von
Wirkungen gegeneinander gleichsam auszuspielen. Sie sind
völlig verschieden voneinander und meist ganz inkommen-
surabel. Würde man das erkennen, so würde manche
kontroverse verstummen. Im Bewußtsein der Politiker
spielen meist dynamische Momente die Hauptrolle, was
aber streng von der Frage zu scheiden ist, ob auch die
Parteien, auf die sie sich stützen, von solchen Überlegungen
oder von der Rücksicht auf unmittelbare Vor- und Nach-
teile geleitet sind. Nun kann man gewiß behaupten, daß
die Aspekte, die die Dynamik bietet, ungleich großartigere
sind, als jene der Statik; die Zukunft der Nation, der
Kampf der Rassen usw. sind gewiß Dinge, neben denen
statische Argumente oft kleinlich und krämerhaft aussehen.
Allein das ändert nichts daran, daß statische und dynamische
Erwägungen voneinander unabhängig sind und, jede für sich,
einen gesunden Sinn haben; ferner auch nichts daran, daß
nur die statischen zurzeit exaktem Beweise zugänglich und
das einzige sind, was strenge Wissenschaft heute zu bieten
vermag. Man kann über sie lächeln — das kann nur zum
Teile verübelt werden — , aber man kann diesen Sachverhalt
nicht leugnen.
Sodann: Die Theorie tritt an das Problem der Wir-
kungen von Zöllen mit folgenden beiden Waffen heran.
Erstens betrachtet sie jeden Zoll als eine auf Waren ge-
legte Steuer. Daraus folgt, daß das Problem methodologisch
ganz dasselbe ist, wie das der Steuertheorie und Resultate
^on derselben Natur und Form gewonnen werden können.
Beiepl«le. 505
Daraus folgt ferner, daß jeder andere Aspekt des Probleroes
der Theorie uDZUgftnglicIi ist Das zweite Instrument der
Theorie ist die Annahme, daß zwischen verschiedenen Volks-
wirtschaften die Produktionsmittel nicht frei beweglich sind.
Darin liegt das Merkmal, daß dieses Problem von dem der
Steuer scheidet. Soweit freie Beweglichkeit dennoch besteht,
unterscheiden sich diese Vorg&nge nicht von denen inner-
halb der Volkswirtschaft Und soweit es auch hier keine
völlig freie Beweglichkeit gibt, ist der Unterschied zwischeo
beiden ein noch geringerer — wir werden bald sehen, dafi
Obrigens das letztere Moment eine wichtige Anwendung
gestattet. — Infolge der nicht allzu groflen Etedeatung
jenes Unterschiedes f&llt also das Thema der „internationalen
Werte' materiell mit dem der innerhalb der Volkswirtschaft
bestehenden nahezu zusammen. Nur historisch ist es von
der allgemeinen Preistheorie geschieden, weil zuerst for
seine Zwecke eine Betrachtungsweise aasgearbeitet wurde,
die von der damaligen Preistheorie verschieden war and
der modernen nSher steht. In der Tat kann die Theorie
der internationalen Werte als ein Vorläufer der neueren
Werttheorie betrachtet werden. Aber heute, wo diese
Betrachtungsweise auch auf das allgemeine Problem an-
gewendet wird, gibt es eigentlich keinen Grund zur Scheidung
mehr — wenigstens vom Standpunkte der Wissenschaft.
Weiter: In der Weise, die wir an der Steuertheorie
demonstrierten, kann nun auch eine ZolHheorie — besser
w&re es vielleicht , von Theorien der Wirkungen von
Steuern und Zöllen za sprechen — gewonnen werden, die
sich durch Einführung verschiedener Daten, der Rivalität
und Komplementarität von Gütern, verschiedener Formen
und Größen des Zolles und anderer Umstände, sehr voll-
standig und interessant und, soweit der Standpunkt
der Theorie reicht, ebenso befriedigend wie korrekt
gestalten läßt Eine Reihe von Korrekturen an populären
und auch wissenschaftlichen Behauptungen und eine ganze
Anzahl von Resultaten, welche anders nicht gewonnen
werden können , ergeben sich dabei , die von unleugbarem
506 l>ie Vwiatiwt— etfaode,
Werte sind. Nor darf man bei ihrer Beurteilung nie ihren
statischen Charakter und alles, was das im Einzelnen io-
volyiert, vergessen: Nicht oft genug kann das wiederholt
werden.
Wir können nun nicht daran denken, auch nur einen
Teil dieser Resultate hier vorzuführen. Immerhin wollen
wir eins sagen. Es ergibt sich, dafi im allgemeinen ein Zoll
den Nutzgewinn beider. Teile verringert Aber das heifit
ja nichts anderes, als dafi jenes formale Nutzenmaximum.
auf dessen Charakter und Voraussetzungen wir so viel Ge-
wicht legten, verringert, keineswegs auch schon, dafi die
Wohlfahrt beider Teile verringert wird. Es heifit das im
Grunde nur etwas Selbstverständliches, nämlich, dafi nun
nicht mehr dieselben Tauschakte zu demselben Preise durch-
geführt werden, wie bisher; das ist selbstverständlich,
weil es unmittelbar aus der eindeutigen Bestimmtheit beider
Zustände — desjenigen vor und desjenigen nach Auflegung
des Zolles — folgt. Soweit ist der Satz durchaus unan-
fechtbar, aber auch ohne besonderes Interesse. Seine Be-
deutung liegt darin, dafi man über ihn hinüber zur I^
Stimmung dessen gelangt, „was nun geschieht,*' zur Be-
stimmung der neuen Preise und Absätze. Sodann gibt uns
unsere Theorie eine Reihe von Ausnahmefällen für jene Regel.
Manche von ihnen hat schon J. St. Mill erkannt, vollständig
aber können sie nur mit Hilfe der höheren Mathematik ge-
wonnen werden. Es ist möglich, dafi der Zoll mitunter nur
von einem Teile getragen wird, ja sogar, dafi ein Teil einei
Vorteil davon hat. Schon unsere allgemeine Regel ist nicht
ohne Wert. Dafi der Zoll im allgemeinen von beiden Teilet
getragen wird , ist nicht selbstverständlich , wenn es auch
klar genug zu sein scheint. Jene Ausnahmefälle ferner
sind dem Praktiker ebenfalls wohlbekannt. Aber oft werden
sie überschätzt, oft auch bestritten. Sie wirklich befriedigecü
zu beweisen, zugleich aber auf ihre wirkliche Bedeutung n
beschränken, ist nur mit Hilfe unserer Theorie möglich.
Als ein Beispiel für ihren Wert sei das Schlagwort von der
^^Besteuerung des Ausländers"" angeführt, das in EnglaDdl
Beispiele. 507
eine so große Rolle spielt. Unsere Theorie grenzt klar ab,
was Wahres daran sein kann: Einmal trägt der Ausländer
im allgemeinen einen Teil des Zolles. Und ferner ist es in
einzelnen Fällen, deren Ausnahmecharakter aber im exakten
Raisonnement klar hervortritt, möglich, dafi er die ganze
Steuer trage und eventuell sogar mehr. Oder ein anderes
Beispiel: Die Behauptung, dafi Schutzzoll politische Mafi-
regeln der Zerstörung von Maschinen usw. gleichkommen,
bat ebenfalls viel Staub aufgewirbelt. Auf Grund der
Theorie läfit sich die Sache ohne jedes unnötige Echauflfe-
ment klarstellen: Insofern beide Mafiregeln zu einer Ein-
schränkung des Angebots führen, sind sie ähnlich ; und inso-
fern eine Einschränkung des Angebotes einem der Kontra-
henten Vorteile bringen kann, die in der Regel, aber nicht
notwendig kleiner sind, als der dadurch dem anderen er-
wachsende Schaden, sind sie beide in einem gewissen Sinne
„ vorteilhaft ** — aber das ist auch alles.
Berücksichtigt man noch den Gewinn der Staatskasse
infolge von Zolleinnahmen — auch für das Wesen und die
Wirkungen des Finanzzolles gilt natürlich unsere Theorie —
und weiter die möglichen Rückwirkungen des Zolles auf
den Inlandspreis der von einem fremden Staate belasteten
Ware, sowie seine Wirkungen auf die Preise anderer
Güter, so ergibt sich ein sehr kompliziertes Problem, das
eine einfache Lösung nicht gestattet und einer korrekten
Methode sehr bedarf. Im Ganzen können wir sagen, dafi
weder das Freihandelsargument auf unsere Regel noch das
Schutzzollargument auf unsere Ausnahmen, welche durch
die eben angedeuteten Komplikationen im allgemeinen an
Kraft gewinnen, basiert werden kann: Die Antworten, die
die Theorie erteilt, eind nach Lage des Falles sehr ver-
schieden. Gewiß ist es möglich, sowohl für einzelne
Interessentengruppen, wie auch für die gesamte Volks-
wirtschaft, durch entsprechende zollpolitische Maßnahmen
Gewinne zu machen. Aber ob dieselben bedeutend genug
sind» um die Wirkung von Retorsion smaßregeln zu über-
wiegen, läßt sich nicht exakt sagen, da das von der Wichtig-
508 IM«
keit abhängt, die man gerade den in Frage stehenden
Interessen nnd jenen, welche dabei leiden, zubilligt. Tat-
sächlich dQrfte das Gesagte den Standpunkt der fnl-
geschrittensten Theoretiker wiedergeben, welche sieh too
kurzen nnd sehneilfertigen Regeln über unsere Frage mehr
und mehr abwenden.
Endlieh: Wir können also den Satz aussprechen, dafi
die statische Theorie das Freihandelsargument nicht sttttzt
oder doch nicht in entscheidender Weise. Unsere »all-
gemeine Begel'' scheint das zu tun, aber wenn mau erstens
ihre Voraussetzungen betrachtet, zweitens ihre Ausnahmen
und drittens kompliziertere Fälle überhaupt, so kommt msB
zu der Erkenntnis, dafi ihre praktische Bedeutung eine sehr
geringe ist. So gibt uns unsere statische Theorie zwar viele
wichtige Resultate, aber — und das ist angesichts der Kom-
pliziertheit des Problemes geradezu ein Beleg ihrer Richtig-
keit und Lebenswahrheit — keine einfache allgemeine Ant-
wort. Dazu kommt nun noch, dafi die wichtigsten Argumente
für und gegen Schutzzölle nicht statisch sind, sieh somit
heute noch der exakten Erfassung entziehen. Am deutlichsten
sieht man das bei der Theorie des Erziehungszolles, aber
auch für die meisten anderen gilt das. So namentlich auch
für das Freihandelsargument; denn dieses beruht keineswegs
auf jenen kleinen Bausteinen, die die statische Theorie daza
liefern kann , sondern in weit höherem Mafie auf der An-
sicht, daß freier Verkehr der wirtschaftlichen Entwicklung
am meisten fromme. Alle diese Dinge bedürfen aber
„langer Perioden". Doch schliefien wir. Wir müssen «
uns versagen, auf die Diskussion einzelner Argumente ein-
zugehen, so anziehend die Aufgabe ist, die Körnchen von
Wahrheit zu sammeln, die in ihnen enthalten sind — man
denke nur an das Schlagwort vom „Schutz der nationalen
Arbeit!" — und methodische und inhaltliche Irrtümer n
bekämpfen. Allein es mufi uns genügen, jene Dinge gesagt
zu haben , welche wir im Interesse der statischen Theorie
sagen zu müssen glaubten und vor allem, betont zu haben,
dafi sie völlig ungeeignet ist zur Rolle einer politischen
Beispiele. 509
Waffe im Streite großer Frinzipiea. Kleinere , klar um-
schriebene Probleme mag sie ja lösen können.
$ 3. In Ähnlicher Weise ei^ibt sich die Möglichkeit,
eine reinökonomische , statische Theorie der Einkommens-
verscbiebungen auszuarbeiten, welche desselben Wesens,
desselben Wertes und deoselbeD Einschränkungen unter-
worfen ist, wie die beiden eben skizzierten Theorien. Vor
allem darf man sie nicht mit einer Theorie Ober die kon-
kreten Tendenzen der EinkommeDSverteilung verwechseln,
wie schon im allgemeinen Teile dieses Abschnittes ausgeführt
wurde und zwar aus zwei Gründen: erstens können unsere
Gesetze nur formale sein and Über die konkreten Verh<^
nisse z. B. der Gegenwart nichts aussagen und zweitens
kann, man auch dann, wenn etwa die nötigen Daten gegeben
w&ren, das Resultat nicht ohne weiteres in der Wirklichkeit
vorfinden wollen, weil hier noch andere, dynamische, Momente
wirksam sind, welche in unserem statischen Bilde fehlen.
Trotzdem aber bleibt uns genug, um diesem Zweige unserer
Theorie Jnteresse abgewinnen zu können.
Bewegungsgesetze der Einkommen in bezug aufeinander
haben schon die Klassiker aufgestellt und man wird sagen
müssen, dai das von ihnen Geleistete nahezu das Einzige
ist, was wir auf diesem Gebiete besitzen. Trotz vieler Au-
sätze ist nämlich die moderne Theorie noch nicht zu einer
systematischen Beantwortung dieser Frage vorgedrungen, und
es gibt da noch sehr viel zu tun. Von unserem Standpunkte
begegnen wir der Schwierigkeit, daß es nur zwei statische
Einkommenszweige gibt, allein in den wenigen Bemerkungen,
die hier folgen sollen, wird das nicht weiter störend hervor-
treten. Doch wollen wir deshalb nur von den Preisen der
Produktionsmittel sprecheD, wenn auch unseres Erachtens
eine Gruppe derselben kein Reineinkommen darstellt.
Das erste, was wir sagen können, eine erste allgemeine
Regel, ist, daß jede willkürliche Erhöhung des Preises eines
der Produktionsmittel die Besitzer aller „schädigt", einmal
als Konsumenten und aodunn im großen und ganzen auch
510 ^'^ VariAtionnnetbode.
alB ProduzeDten. Dieser Satz mag sehr anat&eig klingen,
ist aber ebenso wahr und ebenso nnschnldig, vie ansen
„allgemeine Regel" im Torhergehenden Paragraphen. Gaiiz
ähnlich wie dort, kommt das Hauptinteresse der Klarlegnog
aller Wirkongen und den Ansnahmefftllen zu , nnd so wie
dort läfit sich eine sehr vollständige Theorie dabei ge-
winnen. Eher wird man zugeben, daß eine Ein&chrftnkang
der Menge eines der Produktioosfaktoren alle Glieder der
Volkswirtschaft sch&digt. Auch diese Regel hat Aasnahmeo.
Es kann vorkommen — das hftugt von der Gestalt der An-
gebots- und Machfragekurveu ab — , daS die EiDSchrftnkm;
des Angebotes z. B. an Arbeit fOr alle Arbeiter in der-
selben Weise vorteilhaft ist, wie die Vernichtung eines Teil«
des Vorrates an einem anderen Gute f&r deren Verkäufer-
So läßt sich nachweisen, was so oft bestritten wird, daS
ein Generalstrike nicht nur die Löhne nominell erhöhen
kann, sondern auch den Anteil der Arbeiter — aller Ar-
beiter — an der Summe der vorhandenen GenufigQt«r.
Solcher Resultate — darunter viele sehr komplizierte —
gibt es eine ganze Menge, und viel kann durch ihre Aus-
arbeitung für die Klarstellung mancher Diskussion geschehen.
Allein eine allgemeine Antwort auf die Frage, welche Ein-
kommen gemeinsam falleu und steigen und welche sich ia
Gegensätze zueinander bewegen, von der Bestimmtheit, w\t
sie die Klassiker gaben, liefert unsere Theorie nicht. Doci
ist das nur ein Vorteil. Solche starre, feste Regeln gibt «
nicht oder besser, man kann sie nur um den Preis der Bii-
nahmo von Voraussetz;ingen aufstellen, welche denn dod
zu wenig mit der Wirklichkeit zu tun haben. Gerade itt
Umstand, daß unsere Theorie eine Menge spezieller Ant-
worten gibt und sich bei verschiedenen Daten verschiedeK
Resultate herausstellen, zeugt für ihre Lehenswahrheit, fU
den gro6en Forlschritt, den sie gegenüber dem klassiscbn
Systcmit Hufweist. Steigt z. B. der Preis eines Produkte^
infolge des Stcigeus der Nachfrage nach demselben, so wir«
diese Steigerung im allgemeinen allen seinen Produktiotf-i
mittein zugute kommen. Dabei können wir das Verhältnis ihnr
Beispiele. 513
dieselben in nähere Beziehung zu einzelnen Problemen zu
bringen. So können wir den Einfluß yon Differenzialtarifen,
von .Diskrimination'', yon Tarifkriegen usw. exakt unter-
suchen, soweit diese Dinge rein wirtschaftlich und soweit sie
statisch zu erklären sind. Sicherlich reicht das nicht aus,
um etwa die Tarifpolitik eines Staates oder selbst auch nur
einer Unternehmung ganz zu verstehen. Soweit sie ferne
liegende Zwecke im Auge hat, besonders eine Entwicklung
fördern oder hindern soll , soweit sozialpolitische und andere
aufierwirtschaftliche Momente hineinwirken, wird man immer
eine Diskrepanz zwischen Theorie und Tatsachen finden«
Aber man wird sie meist befriedigend erklären und stets
einen erheblichen Teil der Erscheinungen mit unseren
Mitteln verstehen können — vielleicht einen größeren, als
mancher deutsche Nationalökonom anzunehmen geneigt ist.
Besonders wichtige Dienste leistet uns die Theorie des
Monopoles, da den meisten großen Transportunternehmungen
eine monopolistische oder doch monopolähnliche Stellung zu-
kommt. Man kann sagen, daß alle Fragen, welche in das
Schema gebracht werden können: Preisbildung der Trans-
portleistungen und Rückwirkung ihres Preises auf den der
anderen Güter und deren Absatz sehr befriedigend be-
antwortet werden können. Nicht nur auf die wirklich zum
Transport gelangenden Waren, auch auf alle anderen wirken
die Frachttarife im Sinne unseres „Interdependenzsystemes**.
Es muß einen Einfluß auf den Preis einer Ware haben,
wenn sie, z. B. wegen zu hoher Tarife, am Erzeugungsorte
verbraucht werden muß. Die Wirkung eines Tarifes ist nicht
mit seinem Einflüsse auf eine konkrete Ware erschöpft,
vielmehr wirkt das auf alle Preise und Einkommen der
Volkswirtschaft einerseits durch Erhöhung mancher Ein-
kommen, anderseits durch Verringerung anderer. Alle diese
Dinge werden durch unsere Methode klargemacht. Endlich
können wir die Tarifeinnahmen zu den Erzeugungs- oder
wenigstens den Betriebskosten der Transportunternehmungen
ins Verhältnis setzen und diese Beziehungen untersuchen.
Was aber bietet die übliche Transporttheorie?
S«haiDp«i«r, MtltonftlOkonomi«. 33
512 r*'o VariatiooBtDclho'Jt
gewisse Grundfrageo betreffeD, nie Wesen der Einkommen itsw.
Und die Hanptschwierigkeit li^ da, wie gesagt, meist
mehr in der „Stilisierung" der Tataachen, sodaS sie ii
jenes Schema passen; die Auflindnng der eiozeln^i Theo-
reme ist dann, wenn das gelungen ist, meist ganz einfach
— in der Tat sind ja diese Theoreme fOr alle die fer-
Bchiedenen Probleme im Wesen dieselben, was gegealtber
der Verschiedenheit der Fonnen nicht genug betont wndeB
kann. Es handelt sich darum , einen Standpnnkt za ge-
winnen, von dem aus sich die Dinge so aoffasseo lassen,
wie wir es brauchen. Je nach Lage des Falles vermag tnu
so einen größeren oder einen geringeren Teil der Sache n
aberblicken, werden die Resultate mehr oder weniger Weit
haben. Immer aber ergibt sich auf diesem Wege alles, mi
„retnökonomittch" und „statisch" daran ist. Und es liegt
da ein weites, fruchtbai-es Feld der Forschung, dessen Au5-
lieutung erst in den Anfängen steht. Man kann sagen, dtB
gegenwärtig selbst die elementarsten Grundsätze der Methode
den meisten Ökonomen fremd sinil, durchaus zum Naebteik
dieses Kreises von Problemen; um so mehr liegt sie ihori
bei Fragen ferne, die nicht schon seit den Anfängen der
Ökonomie behandelt wurden. Aber gerade solchen neun
Aufgaben muß die moderne Theorie sich gewachsen Migen
Wir wollen uns auf die folgenden Bemerkungen bescbrftnkee.
Ein wichtiger Teil der Wirtschaftstehre, der sich gleichs»
ganz von selbst der Anwendung unserer Methode darbietd-
ist das Transportwesen. Wie man leicht sieht, lassen tki
die Wirkungen der Transportkosten auf Preis und AbBlt^
fAhigkcit der Waren ohne große Schwierigkeit ganz so auf-
fassen wie die von Zöllen, so daß man dieses Problem t^
dits erste der von uns angeführten reduzieren kann — vii
darin liegt die ganze ökonomische Theorie des Transportf^
In (lersell)en Weise, wie im Falle von Steuern und ZöllA
fuhren wir die Tarifsätze in unser Gleichungssystem 'B
und bi'oliachten, wie sich der Gleichgewichtszustand vsV
ihrem Kintlusse ftndeit. Daten aus der Praxis helfen V
dazu, unseren Sfttzen einen konkreten Inhalt zu geben v'
Beüpiele. 513
(iieselben in nähere Beziehung zu einzelnen Problemen zu
bringen. So kOnnen vir den Einfluß too Differenzialtarifen,
von .Diskrimination", von Tarifkriegen usw. exakt unter-
suchen, soweit diese Dinge rein wirtschaftlich und soweit sie
statisch zu erklären sind. Sicherlich reicht das nicht aus,
um etwa die Tarifpolitik eines Staates oder selbst auch nur
einer Unternehmung ganz zu verstehen. Soweit sie ferne
liegende Zwecke im Auge hat, besonders eine Entwicklung
fördern oder hindern soll, soweit sozialpolitische und andere
aufierwirtechaftliche Momente hineinwirken, wird man immer
eine Diskrepanz zwischen Theorie und Tatsachen linden.
Aber man wird sie meist befriedigend erklären und stets
einen erheblichen Teil der Erscheinungen mit unseren
Mitteln verstehen können — vielleicht einen größeren, als
mancher deutsche Nationalökonom anzunehmen geneigt ist.
Besonders wichtige Dienste leistet uns die Theorie des
Monopoles, da den meisten grofien Transportunternehmungen
eine monopolistische oder doch monopolähnliche Stellung zu-
kommt. Man kann sagen, daß alle Fragen, welche in das
Schema gebracht werden können: Preisbildung der Trans-
portleiBtungen und Rückwirkung ihres Preises auf den der
anderen GOter und deren Absatz sehr befriedigend be-
antwortet werden können. Nicht nur auf die wirklich zum
Transport gelangenden Waren, auch auf alle anderen wirken
die Frachttarife im Sinne unseres „InterdepeDdenzsystemes".
Es muB einen Einfluß auf den Preis einer Ware haben,
wenn sie, z. B. wegen zu hoher Tarife, am Erzeugungsorte
verbraucht werden muß. Die Wirkung eines Tarifes ist nicht
mit seinem Einflüsse auf eine konkrete Ware erschöpft,
vielmehr wirkt das auf alle Preise und Einkommen der
Volkswirtschaft einerseits durch Erhöhung mancher Ein-
kommen, anderseits durch Verringerung anderer. Alle diese
Dinge werden durch unsere Methode klargemacht. Endlich
können wir die Tarifeinnahmen zu den Erzeugungs- odc^r
wenigstens den Betriebskosten der Transport Unternehmungen
ins Verhältnis setzen und diese Beziehungen untersuchen.
Was aber bietet die übliche Transporttheorie?
8*haup*t*r, NatioDftlakanoinl«. ^
514 We
Vor allem Gemeinplätze aber die Wicbügkeit des Trans-
portwesens, Ober den Einfluß seiner Fortschritte auf die
EntwicklDDg der Völker. Wir hOren , da6 ohne dasselbe
eine habere Kulturstufe unml^lich sei, daß es das Moment
der ertlichen Entfernung tiberwinde und die M&rbte näher
aneinander rücke, daß es ein wesentlicher Faktor in der
Ausbildung einer Weltwirtschaft sei u. dgl. m. Man legt
dar, daß der briefliche, telegraphische und telephonische
Verkehr ein integrierendes Moment der Technik der modemeo
Wirtschaft und fOr dieselbe unentbehrlich sei. Die Eisen-
bahnen und Dampfschiffe haben neue Produktionskombina-
tionen möglich gemacht und neue Konjunkturen geschaffen.
Und für all das werden uns meist Daten gegeben, auch
meiBt Überblicke Ober die historische Entwicklung. Welchen
wissenschaftlichen Wert hat das? Jedermann weiß air das
ohnehin ganz gut und ich glaube, daB man dergleichen Au^
fflhrungen nicht ohne Enttäuschung zu lesen vermag. De-
skriptive Untersuchungen dieses Gebietes haben sicherlich
ihren Wert; ja sie sind unentbehrlich. Aber die allgemeinen
Erörterungen der theoretischen Ökonomen bieten außer-
ordentlich wenig Interessantes.
Sodann aber pflegt man Fragen der Verkehrspolitik zn
erörtern. Eine Eisenbahnunternehmung ist ein für die ;
ganze Volkswirtschaft sehr wichtiger Faktor, sie ist femer an
sich eine große Macht. Die Frage, wie sie von ihrem Ein- I
flusse Gebrauch macht und ob man sie den Händen Privater ,
anvertrauen solle oder nicht, dann die Diskussion der Vor-
und Nachteile des Staatsbetriehes beschilftigt die Ükonomeo
viel mehr, als theoretische Probleme. Die mit der Er-
scheinung der „Diskrimination" zusammenhängenden volks-
wirtschaftspolitischen und rechtlichen Fragen u. ä., das ist es.
was man hauptsächlich unter Transporttheorie versteht.
tiewiß sind dieseH)cn sehr wichtig; gL'wiß ferner vermic 1
die Theorie wenig dafür zu leisten; alter es sind eben weit-
melir praktische als wissenschaftliche 1-Ya^en und es Ein^ I
die Argumente von Parteien und Interessentengruppen. I
denvii man auch in der wissenschaftlichen Literatur begegnei-l
Beispiele. 515
In ahnlicher Weise kann man jedes Kostenelement eines
Gutes und endlich Oberhaupt jedes Gut herau^reifen , um
stetfi in derselben Weise solche allgemeine Sfitze, wie wir
sie vorfahrten, über die Wirkungen kleiner Änderungen
seiner Menge oder seines Preises zu gewinnen. Nichts
anderes war das, was wir bei der Theorie der Einbommens-
verschiebungen taten, nichts anderes auch die Theorie des
Transportes. Ähnliche Anwendungen gibt es viele, wenn sie
auch von geringerer Bedeutung sind: Das tägliche Leben
liefert sie uns in Fülle, und angesichts der relativen Kom-
pliziertheit dieser Fragen und ihrer unleugbaren Wichtigkeit
ist eine sorgfältige Ausarbeitung der Methode sicherlich
nicht ohne Wert. Freilich kommt es fOr praktische Zwecke
meist nur auf die konkreten Tatsnchen an. Die Bedingungen,
unter denen sich der Preis z. B. der Baumwolle ändert und
welche Wirkungen das auf Absatz der Fabrikate und auf
die beteiligten Industrien, endlich auf die ganze Volkswirt-
schaft hat, alles das kann nur auf Grund statistischen
Materials jeder Art untersucht werden und der Praktiker
wird sich in Geschäft und Politik an seine Kifahrung and
nicht an die Theorie wenden; aber die Theorie selbst ver-
mag aus geschäftlicher Erfahrung und Statistik neue An-
regungen und Probleme, Daten für ihre abstrakten Schemen,
ZQ gewinnen und wird sicherlich früher oder später imstande
sein, ihr Gleich gew ich tssystem und dessen Theoreme den
Tätlichen anzunähern. Die Praxis des wirtschaftlichen
Lebens, besonders die der Börsen hat zur Ausbildung einer
ganzen fieihe von populären Theorien Ober Preisbewegungen
usw. gefuhrt, die, mdgen sie auch noch so unvollkommen
sein, doch den Niederschlag langer Erfahrung darstellen in
ahnlicher Weise wie die Wetterregeln des Landmannes.
Ohne sich viel Gedanken über die tieferen Zusammenhänge
zu machen, weiß der erfahrene Börsenmann die Änderungen
der Bankrate vorherzusa<;cn und sich die Wechselwirkungen
zwischen den Kursen der Börsenwerte zunutze zu machen.
Der Geldmarktavtikel jeder Zeitung enthält mehr Theorie
— und mehr für die Theorie — als man glnul>en soUta.
516 ^'^ Vuistioiuinethode.
Freilich erscheiaen diese theoretischen Elemente nar nidi-
ment&r und zasammenhaoglos , aber unser System gibt uns
die Mittel an die Hand, sie zu prQfen und zu ordnen. Auch
hier dürfen vir manches von der Zukunft erwarten, mag
es auch weit zurückbleiben hinter den kühnen HofinuogeD.
denen man sich in früherer Zeit hingab.
Die Steuer- und Zolltheorie oder besser, die Sätze,
welche die Nationalökonomen zunflchst im Anschlüsse an und im
Hinblick auf diese Fragen entwickelten, stellen also nur
Spezialfälle eines Gedankenganges dar, der sehr
weiter Anwendung fähig ist, insoferne einen allgemeinen
Fall, als dabei nicht von einem bestimmten Gute die Rede
und eine Änderung an den Produktionsverhältnissen am
einfachsten durch eine Steuer oder einen Zoll zu ver-
anschaulichen ist. Und dieser ganze weite Kreis von Pro-
blemen vermag von unserem Gleichgewichtssysteme aus eine
wesentlich vervollkommnete Behandlung zu erfahren. Diese
Basierung der exakten Steuertheorie auf eine korrekte
wissenschaftliche Grundlage einerseits und ihre Verall-
gemeinerung andererseits, das sind Fortschritte, welche irh
wohl der Aufmerksamkeit des Lesers empfehlen darf. Es
ist ein tiefer t^inbltck in das Getriebe des Wirtschaftslebens,
den uns unser System hier eröffnet.
Noch ein Beispiel einer etwas gewagteren Anwendunf:
unserer Methode wollen wir anführen , allerdings nur gsni
kurz, nämlich die Untersuchung der Wirkungen eines tech-
nischen Fortschrittes, also bauptsilchlich. um das Schlagwort
zu nennen, unter dem die betreffende Diskussion bekanni
ist, der Wirkung der Einführung von Maschinen.
Im gewöhnlichen Leben finden wir bereits die beidrn
Ansichten vertreten, zwischen denen auch die Wissenschnft
schwankt: Der Typus der einen ist Ati» Zeitungsfeuilleton.
das die Errungenschaften der Technik enthusiastisch feiert
und alle denkbaren wohltätigen Konsequenzen von densell<eii
prophezeit; der Typus der anderen ist die Auffassung Afi
Arbeiters, der die Maschinen verwünscht und gelegenilirt
.zerstört. Von vornherein können wir gewiß sein, daS beklr
Beiapiele. 517
Ansichten nicht unbegründet sind. Denn nur selten greift
die Praxis des täglichen Lebens vollständig fehl: Was als
Verirrung aussieht, ist oft ganz folgerichtig vom Standpunkte
des Handelnden und der Urteilende vergißt nur zu leicht,
daß auch sein Standpunkt ein subjektiver ist. Die Tatsache,
daß eine „arbeitersparende" Erfindung dem Konsumenten
im großen und ganzen und zunächst vorteilhaft ist,
ist ebenso unbestreitbar, als die andere, daß der Arbeiter
in seiner Arbeitsgelegenheit und in seinem Lohne, eben-
falls im großen und ganzen und unmittelbar,
Schaden leidet
Die wissenschaftliche Diskussion des Themas zeigt die
uns vohl bekannten Zage. Ohne die Frage in organischen
Zusammenhang mit den Grundlagen der Theorie zu bringen,
versuchte man mit allgemeinen Argumenten für die eine
oder die andere Auffassung zu streiten und zu einer ebenso
allgemeinen Antwort zu kommen , bis man sah , daß man
nicht weiter komme und stets denselben Argumenten be-
gegne, die ja doch niemand aberzeugen, mögen sie auch
nicht unbegründet sein. Dann wandte mau sich ermüdet
von der Theorie ab und verfiel in das andere Extrem —
nämlich an ihr zu verzweifeln und sich mit dem Bewußtsein
zu begnügen, ihre Wertlosigkeit erkannt zu haben. Immer
dasselbe Schauspiel: Prätensionen und Fehler, berechtigte
Angriffe — die aber wieder zuweit gehen und „das Kind
mit dem Bade ausschatten" — und dann jener Zustand,
den man als Desorganisation der Diskussion bezeichnen
kflnnte. Aber gibt es denn kein anderes Mittel, als radikale
Verwerfung der Theorie V Gewiß, nämlich eine bessere
Theorie. Wie können wir dazu gelangen?
Dazu zwei Bemerkungen : Einmal können — und müssen
wir eigentlich — die Frage in die Dynamik verweisen.
Ein Hauptgrund der Resultatlosigkeit der Kontroverse liegt
gewiß im NichtauseiDanderhalten von „unmittelbaren" und
, weiteren" Wirkungen, von kurzen und langen Perioden.
Marx und seine Schüler haben vor allem auf erstei-e, die
Kompensationstheorie hat besonders auf letztere Gewicht ge-
518 Die Tftriktiotiamethode.
legt. Aber dann fcönDen wir auch vereucheo, unsere Denen
Maschineo in das statisctae System eiozuftthreo. Prinzipiell
ist das, vie hier nicht mehr ausgeführt zu irerdeu braucht,
unzulässig; aber wenn ihr Einßu6 kein xa grofier ist, so
können wir es dennoch wagen. Auch geht es ohne Weiteres
nicht-, aber wir kOnnen uns mit verschiedenen Kunstgriffen
helfen. Wir wollen die letzteren nur andeuten: Es wtre
nicht ausreichend , einfach eine Zunahme des vorhandeoeii
Werkzeugvorrates anzunehmen. Aber vielleicht ist es mög-
lich, die Tatsache, daß durch diesen Zuwachs Arbeit „aber-
flOssig" wird, irgendwie zum Ausdrucke zu bringen. Besser
aber wftre vielleicht die Annahme, daö die Erwerber neuer
Maschinen nun auf einmal in den Besitz einer be-
stimmten Menge von Arbeit gelangt seien. Hat man
so — oder irgendwie — einmal die neuen Maschinen unserem
Systeme eingepaßt, so wird uns die Variationsmetfaode in
einer exakten und klaren Weise alle Wirkungen ihrer Ein-
fohrung, soweit sie statische sind, automatisch er-
geben — und dann wird sich eine Fülle interessanter und
wirklich haltbarer Resultate einstellen. Und diese werden
sich wohl auch unter Verhältnissen bewähren , die streng-
genommen nicht „statisch" genannt werden können.
So vermögen wir mit unserer Methode schließlich auch
gegen die Probleme der Dynamik vorzudringen. Wie weit? D*s
ist stets quaestio facti. N i e können wir in den Kern derselben
eindringen; die großen Entwicklungstendenzen gehen sicherlich
an unserem Systeme vorüber, spielen auf anderen Bohnen.
Nur wie ein Grollen fernen Donners vernehmen wir hier
ihre Stimme. Aber, wie immer dem sein mag, eine große
Menge praktischer Resultate und, was wichtiger ist als da.
eine Reihe wertvoller Erkenntnisse vermag uns unsere
Methode immerhin zu geben. Wohl müssen wir lemeo.
auf die Ansprache der filteren Nationalokonomen zu ver-
zichten, doch bleibt noch genug Wertvolles zurück. Für
uns handelte es sich nur darum darzulegen, daß das so ist.
und wir können in das Detail der Sache nicht eingehen.
Sicher ist unsere Methode ein machtvolles Instrument zur 1
Baiapi ele.
519
Meisterung der Tatsachen, das uns davor schützt, von
diesen gemeistert zu werden, uns in ihnen zu verUereD.
Wenn man einmal ihren Wert erkannt und ihre Lehren he-
berzigt haben wird, so wird die wissenschaftliche Diskussion
auf ein höheres Niveau gehoben sein. Nur durch das Ver-
ständnis der Variationsmethode fuhrt der Weg zu Sicherheit
in der Losung konkreter ökonomischer Probleme, zu jener
Sicherheit, um die wir heute die Naturwissenschaften be-
neiden, — und auch der Weg zu Resultaten , die der all-
gemeinen Anerkennung würdig sind und sie finden werden.
Fünfter Teil.
Zusammenfassung dessen, was sich aus dem
Vorhergehenden zur Beurteilung des Wesens,
Erkenntniswertes und der Entwiclclungsniög-
lichlieiten der theoretischen Ölionomie ei^bt.
I. Kapitel.
Natur oder Wesen der exakten Ökonomie.
§ 1. leh habe mich bestrebt, den wesentlichen Inhalt
jenes Gebietes d&rzulegen, das man im allgemeinen unter
theoretischer Nationalökonomie versteht. Wohl hat besonders
in Deutschland dieser Terminus eine etwas weitere. Über-
haupt andere, Bedeutung gewonnen und man mag eagen,
daß das Gebotene nur einen Teil derselben deckt, etwa
das, was man als reine Verkehrstheorie bezeichnen könnte.
Allein unsere Theoreme und jedenfalls die Grundlagen unseres
Systemes gelten, wie wir uns herauszuarbeiten bemohten,
im gro6en und ganzen und wenigstens im Wesen für jeden
Znstand der Wirtschaft, besonders auch für die „verkehrs-
lose", „geschlossene" oder „isolierte". Außerdem sahen wir,
daß alle anderen Bestandteile der Nationalökonomie ent-
weder wertlos sind oder wesentlich anderen Gebieten an-
gehören und andere Methoden erfordern. Deshalb halten
wir Uta fttr berechtigt, das Gesagte als den Kern der
Ökonomie zu bemchoen. Aber wir wollen darauf nicht
bestehen; nenne man unsere Disziplin wie man wolle, ent-
scheidend ist nur, daß sie eben eine in sich geschlossene,
autonome Provinz des Reiches des Wissens ist. Lediglich
aus Zweckmäfiigkeitsgründen halten wir an dem alten
Namen fest. Nicht was der moderne deutsche Soziologe,
Sozialphilosoph oder selbst Nationalökonom als sein Gebiet
abgrenzt, behandeln wir hier — wir geben auch kein Urteil
Ober ihn und sein Forschen ab — , sondern eben jene alte
524 ZnaamniBiifusiiiig deaaen, onr.
KaUooalOkonomJe , welche er oft ad acta legen zu sollen
meint, jene Nationalökonomie, welche man verachtet oder
verteidigt, ohne eigentlich genau zu wiesen , was von ihr
zu halten ist.
Das letztere zu sagen oder, besser, unsere Resultate
bezüglich dieser Frage nochmalB zuBammenznfassen, ist der
Zweck dieses letzten Teiles unserer Arbeit. Er soll im
Prinzipe nichts Neues mehr bringen, sondeni nur das ent-
halten, was sich meines Erachtens aus dem Vorhergehenden
ergibt — ein Endurteil über den Erkenntniswert unserer
Disziplin. Dasselbe liegt in und ergibt sich aus dem Ge-
sagten ; und wenn wir hier etwas allgemeiner sprecbea
werden, so wolle man doch nicht vergessen, daß wir daniin
nicht weniger als bei unseren früheren Betrachtungen auf
der praktischen wissenschaftlichen Arbeit, auf der Erfahrung,
die sich aus ihr ergibt, und auf konkreten wissenschaftlichen
Zielen fußen, nicht auf allgemeinen Obersfttzen oder auf
metaphysischen Spekulationen. Der Leser wird bald sehen,
daß er in dieser Beziehung nichts zu befürchten hat: Unsere
Absicht ist hauptsachlich nur, trocken und klar zu resn-
niieren, und die Einfachheit und Ntlchternheit unserer An$-
fohrungen wird jeden Verdacht in dieser Richtung ver-
scheuchen und, wie ich hoffe, den Eindruck völliger Bob«
und VerlSSlichkeit niacheu. Gerne verzichte ich um diesei
Preis auf schillernde Phrasen.
Eigentlich müßte ich ja das, was ich hier sagen will-
dem Urteile des Lesers überlassen. Im Grunde habe ifl>
kein Recht, demselben vorzugreifen. Tatsächlich würde aacb
in keiner anderen exakten Disziplin ein solcher Anhang u
die eigentliche Darstellung nötig sein, auch in Arbeit«
nicht, welche mehr Gewicht auf erkennt nistheoretiKlx
Fragen legen, als es üblicherweise geschieht. Ziele od'
Methoden, Wert der Resultate — das ist dort alles, selb^
heute, wo die Kritik auch vur den 8tolze.sten wissenschaft-
Hchen GeMuden nicht Halt macht, viel zu klar, um einta
weiteren Publikum gegenül>er besonders auseinandergeselH 1
werden zu müssen: Dort sind es die Wenigen, wekki
Nfttnr oder Wesen der exakten Ökonomie. 525
zweifeln, die Vielen vertrauen. Allein bei uns Terhftlt es
sieb umgekehrt. Und wenn ich nicht selbst nun einiges
sagen würde, um das, was ich fQr die Wahrheit halte, dem
Oöwirre vod Parteimeinungen entgegenzuhalten, so wflre ich
nichts weniger als beruhigt darüber, welches Endurteil Ober
Wesen und Wert der theoretischen Ökonomie aus dem Ge-
sagten geschöpft würde. Zu groß ist die Macht der Partei-
phrasen über die Geister, zu wenig sind die letzteren daran
gewöhnt, sich die Sache selbst und nicht ihren politischen
oder philosophischen Theaterniantel anzusehen. Nochmals
also: Wie steht es um die kleine exakte Insel von Wissen,
die wir hier der Aufmerksamkeit empfehlen? Was ist ihre
Natur, ist sie eine Sandbank oder ein Felsen? Gibt es
or|;aniscfaeB Leben auf ihr oder nicht, ist sie fruchtbar oder
unfruchtbar, als Kohtenstation oder sonstwie zu gebrauchen,
was ist sie wert? Und wie verhalt sie sich zum großen
Festlande des übrigen exakten Wissens der Menschheit einer-
seits und zum Meere von Tatsachen um sie herum ander-
seits? Diese Fragen wollen wir denn kurz zu beantworten
suchen. Allein dabei werden wir nicht vergessen dürfen,
daß beim Leser die Entscheidung darüber liegt, was er
davon halten will. Nur ganz kurz und fast nur andeutungs-
weise mögen also eine Anzahl mir wichtig scheinender
Gesichtspunkte hervorgehoben werden, und im übrigen wollen
wir uns von jedem Absolutismus fernhatten und nicht nur
jedermann die Freiheit seiner Meinung notgedrungen zu-
gestehen , sondern selbst hervorheben , daß man Ober viele
Punkte verschiedener Meinung sein kann, ja sogar sein
muß, ohne daß eine davon das Privilegium alleiniger Richtig-
keit für sich in Anspruch nehmen könnte.
Aber außerdem werden wir noch etwas anderes hier zu
erörtern oder doch zu streifen haben. Nicht nur, was man
aber das, was die Ökonomie heute bietet, denken solle, ist
so unklar, sondern auch und vielleicht noch mehr, was man
für sie von der Zukunft zu hoffen hRlM>. Nach welcher
Richtung und wie ist weiterzuarbeiten? Gibt es Oberhaupt
noch Neues zu entdecken oder ist das Wesentliche schon
526 Zusammenfusuiig deaseD, nav.
geleistet? Und wo liegt dieses „Neue", welche Wege fohreo
dazu? Ist die heutige- Grundlage unserer Disziplin
entwicklungsfähig oder bereiten sich grundstorzende Ände-
rungen vor, wie manche „Reformatoren" meinen? MQssen
andere Methoden gefunden werden, um weiter vorzudringen
oder kann man mit den alten uoch Erhebliches gewinnen?
Auch diese Fragen sind schon im Vorhergehenden beant-
wortet und es erübrigt nur noch — ist allerdings auch
noch nötig, — diese Antwort, die uns unsere bisberigeo
Ausführungen von selbst geben, zu formulieren. So werden
sich also einige Ausblicke ergeben auf die große Frag«
„Was nun?" und auf die nächste Zukunft unserer Wissen-
schaft. Nur kurz und unvollkommen kann das sein, was
wir hier geben können. Und auch hier wird der Leser für
sich zu entscheiden haben: Was es noch gibt auf unseren
Felde, Über das Geleistete hinaus, das läßt sich nur in be-
schränktem Maße präzise sagen. Und damit wollen «ir
uns begnügen. Das Weitere kann nur jeder fühlen,
ahnen und seine Hoffnungen werden verschieden sein je
nach seiner Kraft und seinen Neigungen. Die Ansicht. Hafl
alles schon getan sei, ist ebenso bequem und oberflächlich,
wie die, dafi alles noch zu tun sei. Beides ist nicht ernst
oder doch nicht wörtlich zu nehmen. Die Wahrheit liegt
zwischen beiden Extremen, aber keineswegs fUr jedennano
an derselben Stelle: Dem einen scheint das Geleistete voll-
kommener, dem anderen reformbedürftiger, je nach seiner
Persönlichkeit und dem Standpunkte, den ihm seine kon-
krete Arbeit anweist Wer auf den Neubrüchen arbeitet
hat weniger Blick fUr die kleineren Mängel des Details der
Theorie, wer gerade da.s letztere ausarbeitet, oft wmf
Verständnis für die Tätigkeit des anderen. Beide «erdea
verschieden denken über die Richtung und die Mittel des
weiteren Fortschrittes. Und jede dieser subjektiven An-
schauungen hat ihre Berechtigung, und ein exakter Nacbvei)
dos Rechtes oder Unrechtes des einen oder des anderen iA
unmöglich. Das hat jeder schließlich nur mit sich seltet
auszumachen.
Natur oder Wesen der exakten Ökonomie. 527
§ 2. Die Frage nach dem Wesen unseres exakten
Systemes läßt sich nunmehr, auf Grund dessen, was wir
bereits darüber sagten, sehr kurz und klar beantworten.
Die reine statische Ökonomie ist nichts anderes als ein
abstraktes Bild gewisser wirtschaftlicher Tatsachen, ein
Schema, das zur Beschreibung derselben dienen
soll. Es beruht auf gewissen Annahmen und ist i n s o w e i t
ein Geschöpf unserer Willkür, ganz ebenso wie das'
jede andere exakte Wissenschaft ist. Sagt also der Historiker,
dafi unsere Theorie ein Gebilde unserer Phantasie sei, so
bat er in einem Sinne Recht. Sicherlich, in der Welt der
Erscheinungen selbst liegen an sich weder unsere „An-
nahmen'' noch unsere „Gesetze**. Aber daraus folgt noch
keine Einwendung gegen dieselben. Denn das hindert nicht,
dafi sie auf die Tatsachen passen. Woher kommt das nun?
Lediglich daher, dafi wir bei Konstruktion unseres Schemas
zwar willkürlich aber vernünftig vorgegangen sind, dasselbe
eben mit Hinblick auf die Tatsachen entworfen haben.
Um die Wendung eines tiefen Denkers zu gebrauchen : Der
Schneider erzeugt allerdings den Rock und derselbe ist in-
sofern ein Produkt seiner Willkür, als er ihn ja auch anders
hätte zuschneiden können. Trotzdem werden wir erwarten,
dafi er pafit und uns, wenn das der Fall ist, durchaus nicht
darüber wundem. Denn er wird ihn eben nach Mafi macheu.
So werden auch wir unsere Souveränität nicht mifibrauchen,
sondern solche Annahmen machen, welche uns von den Tat-
sachen aufgedrängt werden und von welchen wir vernünftiger-
weise annehmen können, dafi sie von denselben nicht des-
avouiert werden werden. Trotzdem kann das stets geschehen
und alles, was wir dem gegenüber tun können, ist, unsere
grundlegenden Annahmen so zu wählen, dafi wir dieser
Eventualität mit Beruhigung entgegensehen kOnnen. Wir
arbeiten, um bei unserem Bilde zu bleiben, nicht stets „nach
Mafi*", sondern wünschen, dafi unser Schema auch auf Tat-
sachen pafit, welche wir nicht beobachtet haben. Aber wie
der Schneider, der ein Lager fertiger Röcke hält, erwarten
wir, dafi unsere Ware einer hinreichenden Anzahl von Kunden
526 ZnMunmenfMEang deaMn, tuw.
pafit. Und QDBere Erwartung beetlltigt sich im groSen and
g&nzea. Der Schneider sagt dann, seine Röcke hätten ,g«<
paBt", vir sagen, unsere Sfitze sind „allgemeingflitig*.
Das letztere nun hei6t nicht — und kaum braueheo
wir das noch hervorzuheben — , daß sie irgendwelche, dem
Universum vorgeschriebene „Gesetze" seien oder gar, daß
sie die Welt der Erscheinungen wie außerhalb derselbeo
stehende, metaphysische Wesen regieren, sondern gar nichts
anderes, als daß sie sich in erheblichem Mafie, in so
erheblichem Maße bew&hren, daß sich ihre Aufstellung lobot.
Doch tun sie das nicht durchaus. Oft stoßen wir aof wider-
sprechende Instanzen. Nun , solchen gegeuober iat groBer
Takt nOtig. Bald wird man sie vemachlftssigen , bald mit
Hilfshypothesen bändigen , bald andern Gebieten zuweises
und in unserer Theorie von ihnen abstrahieren ; mitunter
wird es sich aber empfehlen, ihnen gegenüber unsere sonstige
Betrachtungsweise fallen zu lassen. Wie gesagt, hier richtig
zu verfahren, ist schwierig und ein wesentliches Kriterium
wissenschaftlicher Befähigung. Wir müssen die Tatsachen
treu wiedergeben — das ist ja der ganze Zweck unserem
Vorgehens — , aber wir dui-fen uns doch von ihnen nicht
meistern liissen. Wie ein Klknstler sein Objekt sorgnitif
beobachten muß, aber dennoch sich nicht im Detaile in-
Heren darf, so müssen auch wir den beiden entgegengesetxtri
Forderungen genQgen — und gleichzeitig dem Überwuchert
der Einzel tatsachen, das die großen Linien verwischt, wehret
und die Naturwahrheit nicht verleugnen , die Tatsaebn
sozusagen disziplinieren und doch sich ausleben lassen. Kasi
jemand steuert ganz unbeschadet zwischen dieser SeylU
dieser Charybdis hindurch, und jedenfalls gibt es keine >b-
Eoluten Regeln dafor. Es ist nun außerordentlich wiehtif
für das richtige Verständnis unserer und schließlich je<l<f
Theorie, sich dieses arbiträren Charakters derselben bewufitn
bleiben und in ihr nicht den Ausdruck irgendweicher „absoluter*
Wahrheiten zu suchen. Eine Beschreihungsmethode, nicku
anderes ist sie und als solche muß sie beurteilt und schleckt
und recht eingerichtet werden. Wenn man sagt, daß ■■■
Nfttnc oder Weaen der eiftkten ökoDomie. 529
das .WeseDtlicbe" oder gar, daß man das „Notwendige" in
den theoretischen Gesetzen zum Ausdrucke bringe und das
„Zufällige" vernachlässige, so heifit das nicht, daß zwischen
den Bo bezeichneten Kategorien von Tatsachen ein wesent-
licher Unterschied bestehe, dafi die einen die Konsequenz
großer Gesetze und die andern ,nnr" Störungsursachen
seien ; es heiSt das nicht einmal , dafi die ersteren absolut
„wichtiger" seien als die letzteren oder daß diese eine Ten-
denz zum Verschwinden hätten; es liegt darin bloß
eine Maßregel, die Darstellung zu vereinfachen und zu
verhindern, dafi sie hoffnungslos kompliziert werde. Hat
man das einmal begriffen, weiß man insbesondere, daß nur
der Zweck die Theorie heiligt, nur der Erfolg sie recht-
fertigt, so fallen viele Einwendungen, freilich auch viele
Prätensionen weg, die unsern Pfad sonst verbarrikadieren.
Allerdings gibt es einen Sinn, in dem man sagen kann,
daß die Theorie absolut gültig, ja unfehlbar und selbst von
Tatsacheubeobachtung unabhängig sei- Das ist baltbar von'
ihrer „logischen Richtigkeit". Wie man gesagt hat, daß
die Theorie des Lichtes „unabhängig" sei von der Existenz
irgendeiner ihr entsprechenden Erscheinung, ebenso könnte
man das auch von der reinen Preistheorie behaupten. Aber
es wäre eine große Täuschung zu glauben, daß man dadurch
etwas für die Theorie gewonnen, ihr gleichsam eine höhere
Weihe gegeben habe. Denn was heißt der Satz, wenn er
richtig sein soll? Ersichtlich nichts anderes, als dafi ein
System irgendwie definierter Begriffe mittelst der Regeln
der L(^k eine Ablt;itung von gewissen Urteilen gestattet,
gegen die vom Standpunkte eben dieser Regeln , wenn nur
gegen sie nicht verstoßen wurde, nichts eingewendet werden
kann. Das ist freilich wahr, sogar eine Selbstverständlich-
keit, ein Truismus und gilt wie von jedem Begriffssysteme,
BO auch von dem der Ökonomie. Aber was nützt uns das?
Nichts, gar nichts. Deshalb könnte ein solches System noch
immer jeder Brauchbarkeit, ja jeden Sinnes entbehren. Sein
Erkenntnis wert kann ihm nur von dem Tatsachenvorrate
kommen, .der zu seiner Aufstellung Anlaß gegeben hat, nur
8sbamp*l*t. NktianiilflkDiiDinie. %K
gSQ Btu4mHiMfhaBiing deMvh, naw.
durch dieBen Est es charakterisiert und nur voo ihm aus
tu ventehsb.
Das ist alles i was vir bier ober die Frage nach der
Natur der theoretiaclieD Ökonomie BEgen wollen. Ober die
Frage, was etgeDtlicb die Ökonomen tun, wenn sie
Theorie tteiben. Man hat sich dieselbe meist in der Fora
gestellt, dafi man fragte, ob die Theorie deduktiv oder ioduktiv
sei. Die Antwort lautete auf das erstere und ein ganz er-
bittertet Streit ober die Vor- und Nachteile der DeduktioD
*ar die Folge. Wir können den beteiligten Parteien our
unser Bedauern darüber aussprechen. Abgesehen daroa.
daS es nicht Aufgabe einer SpezialdisEiplin sein kann, ober
eine logische Methode abeuurteilen — ebensogut hatte man
Ober den „Modus Barbara" streiten kfinnen — , ist die gan»
Fragestellung verfehlt. Was heifit „einseitig deduktives
Vorgehen" ? Was soll uns eine Glorifizierung der Deduktion r
Aber vor allem ist mir unverständlich, wie die Vertreter
der Theorie denn zugeben konnten, daß die letztere lediglich
deduktiv sei. Wollten sie damit sagen, daß die Theorie eine
Deduktion nus gewissen ewigen, unnhilnderlichen Gesetzen
darstelle, so trftfe sie allerdings der Vorwurf haltlosester
Spekulation, — wie der letztere in einem gewissen Zusaniinen-
hfliige mit dem deduktiven Vorgehen Qberhiiupt steht, so
wenig notwendig ein solcher Zusammenhang an sich aurh
ist. Doch lassen wir das und beantworten wir lieber kun
die Frage: In welchem Sinne ist unsere Theorie deduktiv/
Nun. in demselben Sinne wie jede exakte Wissenschaft,
sagen wir etwa wie die Astronomie. Dennoch kann «
nieinnnd heifalleii. der letzteren ihren empirischen Charakter
oder ihre Begründung in den Tatsachen alizusprechen. Wie
verhalt sich also die Sache? Unsere Ausgangspunkte sind
sicherlich induziert. Darauf folgen sowohl weitere lit-
duktionen wie auch Deduktiouen. ohne daß ein unbefangener
Beobachter darin etwas Anstößiges oder nherhaupt Auf-
fallendes sehen kOnnle. r>as ist so einfnch wie nur möglich.
Was von unseren grundlegenden Annahmen zu halten ist,
haben wir ebenfalls schon gesagt. Daß sie keine Forderangei
"I
Nitnr oder Wettn der esftkteo Ökonomie. 5gl
sind, braucht nicht mehr betont eu werden. Aber auch ab-
gesehen davon können HTpothesen noch verschiedene Rollen
spielen, namentlich die folgenden Ewei : Eine Hypothese kann
eine Aussage Ober Tatsachen sein, eine Vermutung Ober '
ein tatsAchliches Geschehen ausdrQckeu oder Sie kann eine
formale Annahme sein, der an sich nichts in der Wirklich-
keit zu entsprechen braucht, die aber tu gesunden Resultaten
fuhren muß. Von der ersteren Art sind z. B. die Hypothesen
der Geschichte, wie etwa die Qber das Entstehen der SUIdte;
von der letztem die der exakten Wissenschaften , wie z. fi.
die Molekularhypothese. Beide Spielarten sind sowohl dem
Wesen wie der wissenschaftlichen Rolle nach verschieden.
Dem Wesen nach: Die einen sind Versuche, einen der Be-
obachtung nicht zug&nglichen Tatbestand zu rekonstruieren
und bedürfen der Verifizierung, die andern sind willkDrliche
Festsetzungen und bmuchen an sich nicht „wahr" zu sein,
wenn sie nur das Gewünschte leisten. Der Rolle nach: Die
ersteren stellen selbst schon Resultate dar und wollen uns
einwiesen vermitteln, das der Zweck ihrer Aufstellung ist;
die letztern sind methodologische Hilfskonstruktionen, welche .
uns an sich nichts sagen, sondern nur zu andern Resultaten
helfen sollen. Beide beruhen auf Tatsachen, sowohl die
^faiatorischen", wie die „exakten" Hypothesen, aber in ganz
verschiedener Weise : Die einen beruhen auf einem Tatsachen-
materiale — sonst stunde es schlimm um sie —, nur auf
einem unvollständigen, das sie ergänzen sollen; auch zur
Aufstellung der andern veranlassen uns Tatsachen —
sonst wQrde „unser Rock nicht passen" — , aber im Prinzipe
ist die Festsetzung dieser Hypothesen willkürlich und nicht
notwendig vom AbhandeiiBeio von Gegen Instanzen abhftugig.
Die erstere Art von Hypothesen endlich kann Gegenstond
ernster Meinungsverschiedenheiten sein, die letalere aber ist
an sich indifferent, und nur ihre ZweckmilSigkeit kann
diskutiert werden, nicht ihre „Richtigkeit". Nun, nur von
dieser Art sind unsere Hypothesen. Sie sind an sich
darchans unschuldig und involvieren nichts, woran man von
irgendeinem Standpunkte prinzipiell Anstoß nehmen könnte.
Uad hittem das Tkevretiker «sd G<*gMr der Theorie immer
erkmoBl. so «irea «Bsrrer Diszqdm riel onfnichtbare Dis-
kusnoBen ersptrt gebUebe«.
Was der Htstoiiker wirklich Bei Dt, wenn er der Theorie
ihr ,dediiktiTes Vorgehe«* Tonrirft und Tatsachenstudium
Terlangt. ist — Mifirerstiadiiisse seinerseits und Übergriffe
der Theoretiker ausgenommeii — nicht, da6 die Theorie
keine Tatsachen beachte, sondern vielmehr etwas anderes.
Er meint, und vielleicht teilweise mit gntem Rechte, daß
andere Tatsachen, als die von der Theorie beschriebenen,
interessanter seien. Wenigstens ist das der wichtigste Inhalt
der historischen Einwendungen, wenn aach nicht ihr einziger.
Doch davon wollen wir hier nicht sprechen. Vielmehr soll
an dieser Stelle nar das Verhältnis der Theorie zu ihrem
eigenen Tatsachenmateriale angedeutet werden. Das kann
mit wenig Worten geschehen : Daß jedes Theorem und jedes
Resultat an den Tatsachen verifiziert werden muß, ist klar
und wird, wenn auch in praxi oft, sehr oft vernachlässigt,
im Prinzipe von jedermann anerkannt. Ebenso klar ist,
sollte man meinen, daß auch die Ausgangspunkte jedes
theoretischen Gedankenganges nur Tatsachen sein können
und daß nur aus Tatsachenbeobachtungen , wenn auch oft
indirekt, alle ihre Resultate Hießen. Woher kommt es, dad
das nicht immer erkannt und noch seltener entsprechend
betont wird? Das wäre schwer zu erklären. Aber sicher
ist, daß dadurch den Gegnern der Theorie ihre Aufgal>e
ungebührlich erleichtert wurde. Jedoch ist das noch nicht
alles. Auch in den theoretischen Gedankengang selbt^t
spielen Tatsachenbeobachtungen richtunggebend, korrigierend,
anregend und warnend hinein — und das wird am wenigsten
begriffen. Hoffentlich ist es gelungen, im Früheren Beispiele
dafür überzeugend anzuführen. Dieses Moment deckt eine
viel engere Beziehung zwischen Theorie und „Dei>kription*
auf, als selbst unser Nachweis, daß beide im Grunde wesens-
gleich seien: Sie müssen auch in praxi stets Hand in
Hand gehen. So wie man über die allereinfaohsten Elemente
lausgeht, werden neue Ausblicke in die Wirklichkeit ndtig.
Natur oder WeMn der exakten Ökonomie. 533
neue Daten unentbehrlich. UdiI vie die Theorie den Blick
für die Tatsachen — unter aller Reserve sei es gesagt —
zu sch&rfen vermag, so wirken diese bei jedem Schritte be-
fruchtend auf die Theorie zurück: Die kleinste Beobachtung
kann zu einer aberraschenden Wendung fahren. Endlieh
noch haben nir Punkte kennen gelernt, an denen die reine
Theorie völlig versagt und vro sie das Feld ganz neuem
Tatsacbenstudium räumen mufi. Um diesen Teil unseres
Argumentes zu resümieren: An sich sieht das Greb&nde der
Theorie sehr unabhängig aus; aber dennoch beruht es ganz
und gar auf Tatsacheubeobachtung; ja die Notwendigkeit
und der Eintlufi (ierselben reicht viel weiter, als im all-
gemeinen erkannt uud zugegeben wird. Der entscheidende
Punkt, auf den alles ankommt, liegt in der Scheidung zweier
verschiedener Aspekte der Sache : Einerseits haben wir die ,
prinzipielle Willkürlichkeit unserer Theorie, auf der ihr
System, ihre Strenge und Exaktheit beruht und andererseits
ihr Passen auf und Bedingtsein durch die Erscheinungen,-
welche allein ihr Inhalt und Wert geben. Hält man diese
Mouiente auseinander und setzt man sie ia das richtige
Verhältnis zueinander, so ergibt sieb eine klare Auffassung,
welche die Schwierigkeiten und Zweifel, wie sie uns in der
üblichen Diskussion dieser Fragen begegnen , erfolgreich
überwindet.
Man könnte alles das von jeder exakten Disziplin sagen.
In dir Tat ist, wie wir schon früher sagten und wie sich
nunmehr wohl zur Evidenz ergibt, die theoretische Ökonomie
ihrem Weceo nach eine e:takte Wissenschaft, wie etwa die
reine Mechanik, mit der sie so oft verglichen wurde. Wir
sehen nun, daß in diesem Vergleiche ein richtiges Moment
liegt. Man könnte selbst sagen, dafi alle exakten Disziplinen,
die unsere eingeschlossen, nicht nur wesensgleich, sondern
eigentlich nur ein- und dasselbe sind: ein- und dasselbe
Gleichnng-systeni nftmlicb, immer dasselbe Gleichgewichts-
Problem bildet den Kern aller — der einzige Unterschied
liegt in der Interpretation der einzelnen Glieder der
Gleichungen. Dabei sind wir uns wohl bewu6t, dafi auch.
IB des EmvcBivBgiB. Ae ia df« KreiseB der Ökonoieeii
geftm Mlche Yer^ekhe erhoben wurden, ein gesunder Simi
liegt oder dock liefen kmnn. Teilweise beruhen diese Ein-
wendungen allerdings auf Vorurteilen, aber zum Teile siiid
sie gewiß berechtigt, und eine mechanistische Auffassiuig
s. B. de« Wesens der Volkswirtsehaft mufi gewiß bedenklich,
ja Torfehlt und jedenfalls als veraltet erscheinen. Aber wir
kalten uns von den hier liegenden möglichen Fehlgriffen frei.
Wir giengen von keinem derartigen Obersatze aus, sondern
traten unbefangen au unsere Aufgaben heran, wobei sieb
lediglich nachher ergibt, daß auch das GerOste der reinen
Ökonomie ein Gleichungssystem von jener Art ist, wie wir
es in andern exakten Disziplinen finden. Dann aber ziehen
wir keinerlei materielle Schlosse aus diesem Bach verhalte,
weder solche sozialer oder politischer Natur noch überhaupt
irgendwelche, erkennen vielmehr ausdrücklich an, daß der*
gleichen nicht möglich ist. Kur formal und methodologisch
gilt jene Analogie und auch da nur für gewisse grundlegende
Theoreme. Das kann nicht mehr bedenklich erscheinen als
etwa die Behauptung, daß Ähnliche logische Regeln sowohl
für die Ökonomie wie für die Mechanik sieh bewähren.
Soweit meinen wir allerdings, daß unser Vergleich zur Be-
leuchtung des Wesens unserer Disziplin sehr gute Dienste
leistet, und weiter gehen wir nicht.
Ich glaube, daß diese Auffassung wenig Raum für eioe
Kontroverse übrig l&ßt. Sehen wir uns diese letztere, so
wie sie tatsächlich geführt wurde, ruhig an, so finden wir
wiederum, wie gesa[?t, daß auf beiden Seiten Recht und Un-
recht liegt. Einwürfe gegen die reine Theorie sucht man
oft mit Hinweis auf die exakten Wissenschaften zu wider-
legen. Aber wir beobachten, daß solche Argumente wenig
Kindruck auf die (tegner machen. Teilweise nicht mit Recht.
('l>er ,.()konouüe im luftleeren Räume" zu spotten, ist gewiß
ohertlächlich, so billig und wirksam es auch sein mag. Teil-
weise aber ist dieses Widerstrebten l>erechtigt. Dean man
hat sicherlich ein Recht zu fordern, daß die Methodenfrageo
aerer Wissenschaft an ihren IVoblenien und im Anschlüsse
Nfttor «der Weien der exaktes Ökonomie- 1^35
ftD ihre Ziele und nicht durch vage Analogien gelöst werden.
Deshalb und auch aus dem Grunde, weil die mecbaniBclie
Analogie entschieden mißbraucht werden kann und mi8<
braucht wurde, haben wir im allgemeinen auf derftrtige
Argumente durchaus verzichtet und drOcken uns auch hier,
wo wir zum Zwecke der Klarstellung der Natur unseres
Systemes doch von derselben Gebrauch machen, mit aller
Reserve aus.
Eine weitere Bemerkung bietet sich hier dar. Es ist
eine der Lieblingsbeschäftigungen der moderneu Philosophen,
den Wissensstoff der einzelnen Disziplinen, um ihren Aus-
druck zu gebrauchen , zu einem architektoniEchen Ganzen -
zu vereinigen. Über den Wert oder Unwert derartiger Be-
strebungen, welche jedenfalls an jeden, der ihnen obliegt,
ungeheure Anforderungen stellen, erlauben wir uns hier
kein Urteil. Aber sicherlich können wir verlangen , daS
unserer Disziplin dabei keine Genalt geschehe. Jenem
Zwecke gelten nun gewisse allbekannte Einteilungen der
einzelnen Wissenschaften in verschiedene Gruppen, nament-
lich die so moderne in „Natur- und GeisteBwissenschaften"
und mehrere andere ähnliche. An sich sieht das ganz un-
schuldig aus, tatsächlich aber ist es nichts weniger als harm-
los. Es verbirgt sich darin immer auch ein Urteil Dbet
das Wesen der einzelnen Disziplinen, das zur Aufstellung
von aprioristischen Forderungen über deren Ziele und
Methoden fahren kann und wirklich geführt hat. Um
scheint nun hier ein Herd von Vorurteilen, Mißverständ-
nissen und unwissenscbaftlicheo Tendenzen zu liegen, was
umsomehr bedauert werden muß, als diese- Kreise einen er-
beblichen EintluB nicht nur auf die ölTentliche Meinung,
sondern bei uns — im Gegensätze zu anderen, selbst-
bewußteren Wissenschaften — auch auf die Fachgenossen
haben. Unter dem Schutze von .\utoritäten philosophischer
Färbung und metaphysischen Schlagwörtern, wächst da in
Deutschland ein ernstes Hindernis für deu Fortschritt wahrer '
Erkenntnis auf dem Gebiete der Sozialwissenscbaften heran.
Aber abgesehen davon und angenommen, daß mau jenen Be-
UrebvBfn gaai «ahrfufCB «Hiefe. kasa der Natmil-
dkoMMi TOB Fach dabei aar eia agiifoeft Geffthl habet,
jeaeai thalith. das saa eapiadeC weaa aua sieh ia eian
AatoBobil be&adet. deasca Stesenug eiaem Nenliage ta-
Tertraat ist. Haa kaaa aar eatschi«dea davor waraci.
jeaea schilleradea Phnsea za Teitraaea aad kaan gar akht
aachdrtcklich geaag eiae Art Moaroedoktrin der Ökoaomie
predigea. Fonaolierea wir aar karz aad trocken die Aoi-
fasKang. die sich aas koakreter Arbeit ergibt : Ihrem metho-
dologischea and erkenataistfaeoretischen Wesen nach wire
die reine Ökonomie eiae .Natarwi&^en^schaft* and ihre
Theoreme .Natargesetze"^ ia dem im ersten Teile dieser
Arbeit definierteo Sinne. Diese Behaaptoug gilt ganz an-
abhängig ron aprioristi^^chen Erwägungen irgendwelcher Art.
Noch immer könnte man zugeben, daß die Ökonomie in
einem andern Sinne — inhaltlich — eine .Geisteswissien-
ßchaft'' und soweit andern Charakters sei, als ihre metho-
dologischen Schwestern. Nur kommt dieser Umstand für
die Behandlung ihrer Probleme nicht in Betracht. Wir, die
wir nicht philosophieren oder politisieren wollen , hatten
nirgends Anlaß — obgleich wir durchaus bereit gewe^n
wären, einem solchen sein Recht werden zu lassen — . der
exakten Ökonomie deshalb eine Sonderstellung zuzuweisen.
Nur ihre gering» Entwicklung und die Organisation des
Wissenschaftsbetriebes bringt es mit sich, daß sie aus-
geschlossen scheint aus dem Reiche der exakten Disziplinen.
§ 3. Soviele Bedenken ein Vergleich zweier Wissen-
schaften miteinander immer gegen sich hat — so sehr er
immer „hinkend'' sein muß — , so Iftßt sich doch nicht
leugnen, daß er manches zum Verständnisse ihres Wesens
l)eitragen kann. Und gerade in dem Stadium unserer Er-
örterungen, in iem wir uns jetzt befinden, können wir uns
diesi^s Hilfsmittels mit größerer Freiheit bedienen, als bei
der rntersuchung konkreter Probleme und brauchen weniger
als dort zu befürchten, daß es uns irnleiten kann. Auch
»onst — abgesehen vom Zwecke der Analogie — trftgt die
Natur oder WewD der exakten Ökonomie. 537
Betrachtung der Beziehungen unserer Wissenschaft mit
andern dazu bei, uns Ober ihr Wesen aufzuklären und uns
namentlich ihre Unabhängigkeit nochmalB vor Augen zu
fohren. So wolleo wir itenn noch etwas bei diesen DingeD
verweilen , soviel darüber bereits gesagt wurde und so
trocken die Materie ist.
Abgeschreckt von den so vielen Angriffen ausgesetzten
mechanischen Analogien, verfiel man auf die biologischen.
Niemand geringerer als A. Marshall hat sie uns empfohlen
und man findet sie heute in jedem Lehrhuche. Sofort muß
betont werden, dafi das nichts mit der ominOsen organischeo
Staatsaufi'assung und dgl. zu tun hat, wenn auch solche An-
schauungen sehr zur Popularität dieser Analogie heigetragen
haben mögen. Es bandelt sich hier nur um einen Vergleich,
nicht um das HereinzieheD materieller Wahrheiten. Nun,
wenn wir uns über die Bedeutung desselben klar werden
wollen, müssen wir fragen, was sein Motiv war und was er
leisten soll. Bei Marshall tritt das deutlich hervor. Der
alleinige Grund, der ihn veranlaßt, der biologischen Analogie
den Vorzug vor der mecbaniscfaen zu geben, war das Be-
streben, das Moment der Entwicklung in unsere Disziplin'
hineinzubringen. Das mechanische Oleichgewichtssystem
gibt einen Ruhezustand und bietet keine Analogien für die
Erscheinungeu des Fortschrittes usw. Das ist richtig.
Leider aber sagt Marshall nicht das, sondern gibt nur das
Motiv an, dag die Ökonomie eine „Wissenschaft des Lebens* ,
sei, ein Motiv, das viel zu allgemein ist, um wirklich brauch-
bar zu sein und in die Kategorie jener allgemeinen Schlag-
worte gebort, welche einer klaren Auffassung nur hinderlich
sind. Wenn man freilich wie Marshall versucht , unser
System so fortzubilden, daß es auch die Erscheinungen der
Entwicklung erfassen soll , so bietet sich wirklich jene
Analogie dar. Aber dieser Versuch hat meines Eracbtens
nicht die gewünschten Resultate gebracht, eher gezeigt, daß
dieser Weg nicht sehr weit führt. Bei dieser Sachlage
seheint es mir besser, einen wesentlichen Unterschied
zwischen Statik und Dynamik anzuerkennen und zuzugeben^
538 ZusammenlBusiiiig daMen, ncw.
dafi das System der reinen Ökonomie, soweit es heile
wirklich ausgearbeitet ist, essentiell entwicklungslos sei -
worauf wir noch zurQokkommen werden. Gterade der ü»
stand, der Marshall veranlafit, der biologischen Analegii
den Vorzug zu geben ist für uns ein Orund, die meebaniichi
vorzuziehen. Demnach scheint uns die erstere — woU-'
gemerkt, fbr die Statik — wenig glücklich zu sein und fkat
die Gefahr von Verwirrungen mit sich au bringen. Wir
möchten lieber die alte mechanische, in der sieh trotz alka
•
eine gesunde Erkenntnis manifestiert, dem Leser zur Auf-
merksamkeit empfehlen; u. a. auch deshalb, weil sie im
den Gebrauch von exakten Methoden und die Vermeidaig
von Phrasen näherlegt Wir fürchten — allerdings auek
im Gegensatze zu Prof. Marshall — weniger den Miflbranch
strenger Denk formen, als ein Abirren von ihren Grundsätzen:
Wenigstens in Deutschland dürfte gegenwärtig die letztere
Gefiihr die größere sein. Gegen die erstere haben schon
andere genug gepredigt ~ wie mir scheint, mit nur allzu-
viel Erfolg.
Gewiß sind die Beziehungen der Biologie zu unserem
Gebiete zahlreich. Das Wesen des wirtschaftlichen Handelns
if B. und das der menschlichen Motivationen zu ergründen,
was, wie gesagt, wir nicht tun können, — das leistet sie.
Und so werden ihre Resultate im wissenschaftlichen Welt-
bilde vielleicht nicht weit von den unseren stehen. Aber
deshalb — und das ist nicht nur dem Laien sondern auch
dem Fachgenossen oft nicht genügend klar — kann unsere
Disziplin erkenntnistheoretisch noch immer der Biologie sehr
fernestehen und weder von ihr Anregungen empfangen noch
ihr solche geben können. Und so steht die Sache wirklich.
Selbst die Erkenntnis, daß alles Handeln sich schliefilich
biologisch erklären lassen muß und so die Ökonomie in ge-
wissem Sinne bestimmt ist, in der Biologie inhaltlich auf-
zugehen, ändert nichts an der Tatsache, daß, solange eine
Behandlung der wirtschaftlichen Erscheinungen an sich und
ohne in ihr innerstes Wesen einzugehen, uns mehr zu bieten
vermag als ein solches Eingehen, solange also überhaupt
Natur oder Wesen der exakten Ökonomie. 539
t «Ine selbständige Disziplin der Ökonomie besteht, sie auch
f unabhAngig ist und sich selbst genügt. Dann aber vermögen
I biologische Argumente uns fQr unsere Probleme recht wenig
BU sagen und dann haben die beiden Gebiete nicht viel mit-
ainander zu tun — wenigstens fOr jetzt und die nächste
Zukunft. Freilich war den Gegnern unserer Auffassung ein
- solcher Stützpunkt willkommen, und man kann oft be-
. obachteu, wie gerne sich die Feinde exakter Methoden auf
. die Biologie zurückziehen. Auf seine wirklichen Verdienste
geprüft aber erweist sich dieser Gedankengang als leer und
das Resultat jedes ernsten Eingehens kann heute meines
: Erachtens nur eine Enttäuschung sein.
Ein leicht ersichtlicher Zusammenhang besteht zwischen
der Ökonomie und der Soziologie. Niemand kann von der
Notwendigkeit dieser jungen Wissenschaft mehr überzeugt
gein als der Ökonom, der nach Arbeitsteilung auf dem Ge^
biete der Sozialwissenschaften seufzt. Nicht ein Sammel-
begriff für die letztern , sondern eine eigene Disziplin mit
' eigenen Zielen und Methoden ist sie und muß sie sein.
Noch heute kann man oft Zweifel an ihrer Existenzberech-
tigung und wenig klare Ansichten über ihre Aufgabe hören.
Aber wenn ihr Inhalt auch in nichts anderm bestünde, als
dem, was wir ihr aus unserem Gebiete zuzuweisen haben,
so würde das schon ausreichen. Wir haben gesehen, daß
unter dem Titel „Nationalökonomie'' wichtige Themen be-
handelt werden, welche, wie gesagt, sich in derselben nicht
ausleben können und andere Betrachtungsweisen erfordern,
namentlich die Organisationslehre. Wiederum haben wir
über die Beziehungen der Ökonomie zur Soziologie Ähnliches
EU sagen wie über die zur Biologie. Der Umstand, daß auf
diesem Nachbargebiete andere Methoden zur Anwendung
' kommen, bringt es mit sich, daß die Resultate wie das
Begriffsarsenal desselben keine direkte Anwendung auf das
unsere gestatten. Die Soziologie kann vieles leisten, was
wir nicht bieten können und was uns doch interessiert. So
kann sie z. B. das Wesen der Volkswirtschaft ergründen,
während wir nur von einem „Untersuchungsgebiete** sprechen.
540 Zosammenfassniig dessen, usw.
das nur weuige Züge der ersteren trägt und bei Gefthr
ernster Mißverständnisse nicht als deren naturgetreues Ab-
bild betrachtet werden darf. Aber für unsere eigenen Re-
sultate kann sie uns nichts bieten, so wenig wie wir fQr die
ihren. Die Berührungspunkte zwischen beiden Disziplioen
lassen sich leicht angeben: es sind gewisse Daten unseres
Systemes besonders die gegebene Organisation der Wirt-
schaftssubjekte unseres Feldes. Aber dieses „Gegeben-
sein*' heifit ja eben nichts anderes, als daß wir
das betreffende Moment nicht näher erörtern
wollen, sondern andern Disziplinen überlassen
In demselben Sinne sind die reinwirtschaftlichen Vorgänge,
mit denen wir uns beschäftigen, etwas für die Soziologie
Gegebenes, und es ist ein Irrtum zu glauben, daß sie uns
Lehren über deren Behandlung erteilen könne, wie wir bei
der Frage des Individualismus zu betonen Gelegenheit hatten.
Man kann meines Erachtens nicht einmal sagen, daß die
Soziologie neben unserer Wissenschaft stehe. Eher würde
es dem Sachverhalte entsprechen, sie hinter dieselbe zu
stellen. Drücken wir uns deutlicher aus: Die Sache liegt
nicht so, daß man etwa sagen könnte, die Ökonomie be-
schäftige sich mit dem wirtschaftlichen und die Soziologie
mit dem übrigen Handeln des Menschen. Vielmehr ist die
erstere ein Gebiet sui generis, dessen Inhalt und Methoden
nicht ohne weiteres neben die der letzteren gesetzt werden
können, sondern anderen Wissenschaften näher stehen, deren
materieller Inhalt nichts mit dem Wirtschaften gemein hat.
Aber trotzdem liegt es im eigensten Interesse der
Ökonomie, die Soziologie willkommen zu heißen und f&r
ihre Anerkennung, namentlich aber dafür einzutreten, dafi
sich alle jene „Ökonomen'', die tatsächlich Soziologen sind
— und besonders in Deutschland sind das viele — auch
wirklich als solche bezeichnen. Die Entwicklung der Sozio-
logie und ihre allgemeine Einführung in die Organisation
der Forschungs- und Lehrtätigkeit wird der Ökonomie die
größten Dienste leisten und viel zur Klärung der Lage bei-
tragen, freilich nur wenn man sie in den ruhigen Besitx
Nfttur oder Weaen der exakten Ökonomie. §41
eines wofalumschriebeneD Arbeitsfeldes gelaogeD l&fit und
nicht von der Ökouomie verlangt, zu einer Soziologie zu
werden. Methodologisch und erkenntnistheoretisch jedenfalls '
haben beide Gebiete nichts miteinauder gemein.
§ 4* Weiters haben wir zusammenzufassen, was wir
frttber Ober die Psychologie sagten und einiges aodere bin-
zuzufügen. lu den weitesten Kreisen uml bei den ver-
schiedensten Richtungen begegnen wir der Ansicht, dafi die
Ökonomie geradezu auf der Psychologie beruhe. Das kann
K^weierlei bedeuten. Zunächst kann es in dem Sinne gemeint
sein, in welchem man sagen kann, daß alle Wissenschaften ,
auf der Psychologie beruhen, insoferne sie Produkt« der
Psyche des Beobachters und Denkers sind. Nach dieser
Auffassung wächst das Gebiet der Psychologie ins Un-
gemessene, sie wird nicht nur zur wichtigsten, sondern
eigentlich zur einzigen Wissenschaft. la diesem Sinne ge-
hört natOrlich auch die Ökonomie dazu. Indessen wollen
wir darauf nicht näher eingehen, so viele Anhänger diese
AuffassuDg auch gegenwärtig unter den Psychologen haben
mag. Denn nicht das ist es, was die Ökonomen meinen,
ihneo handelt es sich um eine viel unmittelbarere Beziehung
— n&mlich um die psychologische Erklärung der wirtschafte
liehen Handlungen.
Am schärfsten hat diesem Standpunkte wohl Gabriel
Tarde Ausdruck gegeben*, indem er die Ökonomie geradezu
zu einem Zweige der Psychologie machte. Aber ganz all-
gemein wird — und wurde noch vielmehr, denn gegeD-
wärtig macht sich eine Reaktion gellend — die Forderung
nach „psychologischer Vertiefung" unserer Disziplin erhoben.
] Man maS nun klar feststellen, was denn diese allgemeine
I Phrase bedeutet.
Wir begegnen dem Hinweise auf die Psychologie in
zwei Terschiedenen Zusammenhängen. Einmal im Anschlüsse
' Wobei ihm zustatten kam , daß unser formales Schema sich
gaDi nngreiwuDgen auch Über die Grenzen der Ökonomie anwenden
lUt, B. B. aaf etbischefl Handeln usw.
542 ZuiMimineiifiMsung dessen, asw.
an die neuere Werttheorie. DarQber wurde bereits ge-
sprochen« Wir bedürfen einer solchen Grundlegung nicht
Es beruht auf einer Täuschung, wenn man glaubt, unsere
Resultate dadurch fester begründen zu können« Der Aas-
gangspunkt unserer Gedankengänge sind gewisse Annahmen
über die Wertfunktionen, welche von i)8ychologischer Be-
gründung, sowohl von Seiten der Willenstheorie, wie von
selten der Lehre von den Gefühlen ganz unabhängig rind.
Namentlich sind dieselben nicht mit dem Weberschen Ge-
setze identisch, nicht von demselben abhängig und können
von den Einwendungen gegen dasselbe nicht getroffen werden.
Die wirtschaftlichen Tatsachen, nicht die psychologiscbea
veranlassen uns zu ihrer Aufstellung. Ein Zusammenhang
kann nichtsdestoweniger bestehen, aber derselbe ist nur von
philosophischem Interesse. Für die ökonomischen Resul-
tate an sich ist derselbe belanglos und es kann nie die
Aufgabe des Ökonomen sein, auf diese Dinge einzugehen.
Und es ist gut, dafi dem so ist^ sonst wäre es schlimm um
unsere Disziplin bestellt.
Auch die Theorie der Motive des menschlichen Handelns,
die Fragen von der Bedeutung .von Egoismus und Altruismus
spielen für uns keine Rolle. Die ganze Entwicklung unserer
Disziplin tendiert, diese Erörterungen zu eliminieren.
Es steht also hier ganz ähnlich wie mit der Soziologie.
Wir stellen unsere Annahmen ganz selbständig auf. In die
Wissenschaft, der dieselben materiell angehören, eiu-
zugehen, ist überflüssig, würde der Mühe nicht lohnen.
Wir haben uns an unsere Tatsachen an sich zu halten
und können dieselben nicht in unbegrenzte Fernen ver*
folgen. Sicherlich mag einmal, auf einer anderen Stnfe
der Entwicklung, das ganze Wissensgebiet einheitlich kon^
struiert werden können. Aber gegenwärtig arbeitet jede
Disziplin mit eigenen Methoden zu eigenen Zwecken und
soweit tut das auch die Ökonomie. Möglich, daß wenn die
Grenzen der SpezialWissenschaften vom Strom der Ent*
Wicklung durchbrochen sind, daß wir dann genötigt sind,
unsere Auffassungsweise zugunsten einer „psychologischen
N&tnr oder Wsmd dar okkten Ökonomie. 548
Vertiefung" zu indfern. Das darf ubs sber nicht abhalten,
aniere Tatsachen zun&chet an sich zu betraehtän, wag diem
Art dee Vorgehens ailcb nur eine provisorische sein. Bub
speeie aetemitatis betrachtet sind ja alle wissenschaftlichen
Systeme nur provisorische GerOste, die bestimmt sind, na^
wenigen Dezennien anderen, vollkommeneren, bald allgemei-
neren bald speziellereh zu weichen. Doch das kann uns nicht
beirren in unserem Wege, der Schritt fOr Schritt weiter fohrt
and nur selten so weite Ausblicke eröffnet. Wie fOr das
Handeln des Einzelnen seine Ansichten ober die Entwicklung
der Menschheit im konkreten Falle keine Rolle spielen, so
sind auch fOr die Fragen der Crcgenwart einer Wissenschaft
80 weite Prospekte belanglos. Und wenn die Stunde auch
sicher kommt, wo dieselben bestimmend hervortreten, so ist
es doch nur schädlich, die praktische Forschungsarbeit
dadurch beeinflussen zu lassen. Es ist das nur Zeitverlust
und nur derjenige verweilt dabei, den der steinige Weg er*
mOdet hat oder der auf demselben nicht weiter weis.
Freilich wirken noch in einem anderen Sinne die ein-
zelnen Disziplinen aufeinanrler: Ihre Methoden und materi-
ellen Resultate gestatten n&mlich sehr häufig auSerordentlich
fruchtbare Anwendungen auf andere Wissensgebiete. Bei-
spiele bietet die Geschichte der Wissenschaft viele. Und
besonders junge Wissenschaften k&nnen von ihren Alteren
Schwestern viel lernen. Wir glauben aber nicht, dafi die
Psychologie eine soldie Rolle for uns spielte. Welche Me-
tfaode oder Resultate hdtten wir von derselben übernommen?
Unterscheiden wir für unsere Zwecke nur zwischen experi-
menteller und introspektiver Psychologie, so seheu wir, daß
die Methoden und Resultate der ersteren. die hauptsächlich
der „Empfindungsanalyse" gewidmet sind und gegen die
Psycho-Physik und Physiologie zu lieg>'n , unserem Gebiete
M ferne sind, wie nur möglich. Und daß uns die Intro-
spektion nichts bietet, sahen wir zur Genüge. Selbst wenn
wir von derselben Gebrauch machen wollten, was mitunter
sich ja bewähren kann — unbeschadet der prinzipiellen
Inkorrektheit dieses Vorgehens — , geschieht das ganz selb-
544 ZueamiDeiitesting deasen, osw.
stAndig, lediglich aof Grund von Alltagsbeobachtungeo,
velche den Psycliologen vom Fach bisher nicht im miodegteg
interessierten. Das fohrt uns auf die andere Gruppe m
AuBsagen, in denen wir dem Worte' „psychologisch' in
ökonomischen Werken begegnen.
Unser bisheriges Argument kOnnen wir dahin msammni-
fassen, daB zwischen Ökonomie und Psychologie kein Zd-
Bammenhsng, weder ein methodologischer noch ein materieller,
von der Art besteht, daB wir, um zu unseren Resoltaleu
zu gelangen, Anleheu bei der letzteren machen müßten.
Ein Beispiel für jene psychologisch aussehenden Be-
hauptungen ist etwa der Ausdruck „Psychologie der Krise«'.
Der Ausdruck ist wohl allgemein bekannt und fast jeder
Ökonomist verwendet ihn. Was aber ist eigentlich gemeintV
Ich glaube, daß man dabei vornehmlich an zwei Erscheinungen
denkt, an die lieberhafte Tätigkeit in Perioden lebhafter
Spekulation und an den plötzlichen Umschlag der SituatioD
im Momente eiuer Panik, etwa so, wie das in der klassisch
gewordenen — wenn auch meines Erachtens ziemlich oichl^
sagenden — Beschreibung Engels hervortritt. Gegenwärtig
erwähnt man ferner unter diesem Titel die Tatsache, daB
das Verhalten der Beteiligten in Paniken nunmehr ein etwas
anderes zu sein pHegt als früher, und daß die ganze Er-
scheinung ein anderes Gepräge anzunehmen tendiert.
Ein anderes Beispiel gibt uns der Ausdruck , Psychologie
des Unternehmertumes". Darunter versteht man das ge-
samte Verhalten dieser Klasse, nameDtlicIi den Arbeitern
gegenüber. Besonders denkt mau dabei an Erscheinungen
wie „Herrengeführ, „MachtbevuBtsein" usw., Erscheinungen-
weiche andfren als jenen Motiven entsprechen, welche nun
als die rein wirtschaftlichen zu bezeichnen ptlegt, namentlich
einer Form des gesteigerten Egoismus, die aus der „Hfdonik*
oder aus dem Eudämonismus heraus nicht erklärt werden
kann.
Endlich sei die Wendung „Psychologie des Natur-
menschen" erwähnt, welche die Tutsache hervorzuheben
pflegt, daß das wirtschaftliehe Handeln des BNaturmenscheo'
Natur oder.WMeu dw «xakten ÖkoDomie. 545^
erheblich von dem des kultivierten Indo-Europfters aoserer
Tilge differiert, dafi der erst«re eioen eigentamlicbeD Mangel
ao Voraussicht and Enei^ie, sowie klarem WertUDgsvermOgen
aufweist
Diese Beispiele lieSen Bieh leicht vermehren. Doch
vollen wir uns mit diesen beguflgen, da sie uns hinlAnglieh
vor Augen führen , was wir meinen. Auf solche Dinge be-
zieht sich unsere Behauptung, dafi dieselben den wissen-
schaftlichen Psychologen nicht sehr interessieren. Sie ge-
hören nicht seinem Systeme, sondern jener populären Psycho-
logie des Alltages an, welche mit der Wissenschaft nichts
gemein hat. Es handelt sich um Erfahrungstatsachen, die
jeder kennt und oft beobachtet. Und sie sollen nicht weiter
anal];3iert werden, als es der Praktiker tut.
Es hat dann eben gar keinen Sinn, ihnen ein wissen-
scliaftlicheres Gepräge zu geben dadurch , daS man sie als
.psychologische" erklärt. Sehr häufig geschieht das auch
nur, um ihre Trivialität zu bemänteln und mancher zweifel-
haftea Behauptung eine höhere Weihe zu verleihen. Wir
haben alle Ursache, den Phrasen, die unter dem Titel von
psycholt^ischen Sätzen die halbwissenschaftliche Literatur
filllen, Mifitrauen entgegenzubringen. Manche unexakte,
unlogische Behauptung wird so durchzusetzen gesucht.
Unsere Beispiele zeigen uns das sehr gut: Der Hinweis
auf die gpsychologie der Krisen" beißt fast nichts anderes,
als daß man eine wirkliche Erklärung jener eigentümlichen
Auf- und Abwärtsbewegung der Wirtschaft nicht zu geben
vermag. Die Psychologie des Unternehmers dient sehr
häufig nur zur Ausschmückung politischer Forderungen. Wir
werden bald einiges aber das Moment des .effort" siigen
und dabei zeigen , daß wir den geraden Kern , der darin
liegt, nicht verkennen. Dem widerspricht aber nicht, daß
es oft durchaus bedenkliche und meist wenig wissenschaft-
liche Behauptungen sind, die unter dieser Flagge segeln.
Die Psychologie des Naturmenschen endlich bat eine nicht _
sehr verdienstvolle Rolle in der Literatur gespielt. Die
Ethnologie lehrt uns, daß der Eintluß des Environments usw.
S«hanp*t*r. Nitlontlokonoml«. "^
546 ZuMunmenfftMang defsen, usw.
allerdiogs eioe wesentlich andere Denkungs- und Handlungs-
weise bei den primitiven Völkern zeitigt, als bei den Kultur-
Völkern, aber gleichzeitig, daß der Naturmensch kein Narr
ist, sondern innerhalb seines engen Gesichtskreises logisch
handelt. Man hat aber unter jenem Titel Beobachtungen
zusammengefaßt, welche die Unanwendbarkeit der ökono-
mischen Sätze auf ihn zeigen sollen. Bei richtigem Ver-
ständnisse der letzteren trifft das nicht zu, vielmehr ergibt
sich, daß diese ganze „Psychologie*' für uns ziemlich belang-
los ist
Aber abgesehen von diesen Bedenken muß betont wer-
den — und das ist das entscheidende Moment — y daß für
unsere Zwecke nur das sichtbare Verhalten des Men-
schen, nicht seine psychischen Vorgänge von Interesse
sind. Tatsächlich sind jene psychologischen Aussagen ledig-
lich Aussagen über Tatsachen — über den Verlauf von
Krisen, über das Verhalten des Unternehmers oder des
„Naturmenschen" usw. — Die psychologische Ausdrucks-
weise ist nur Beiwerk, berührt das Wesen der Sache nicht,
und man sieht leicht, daß man sie durch eine andere er-
setzen kann, ohne den Wert der Beobachtungen für unser
Gebiet im geringsten zu beeinträchtigen. Sie entspringt
lediglich dem Bestreben, die Beobachtungen zu erklären.
Indessen ist das ein eitles Bemühen und wenn man dem
einfachen Referate einer sozialen Erscheinung nichts anderes
hinzuzufügen weiß, als den bloßen Hinweis auf die Psyche —
und mehr ist das nicht — , so hat man nur eine Tautol(^e
vorgebracht, in dem Sinne, wie wir das an einer früheren
Stelle auseinandersetzten.
So kommen wir also zu dem Resultate, daß unsere
Disziplin von der Psychologie gegenwärtig vollständig unab-
hängig ist, und wenn immer es sich darum handelt, dieselbe
rein darzustellen, so können und müssen wir von jeder
Hereinziehung der letzteren absehen und sollten auch jede
psychologische Ausiirucksweise vermeiden. Mit dieser Re-
serve können wir dann trotzdem von dieser Gebrauch
machen, wo das bequem ist und wo es auf strenge Korrekt-
Natur oder Wmoi d«T euüiton Öktmomi«. ■>47
Iieit niebt aDkomtnt, aber das Ändert nichts an dem
Prinzlpe.
Eine kunw Bemerkung mag hier Doebmale über die
Ethik gemacht werden. Ganz unbeschadet der Roll«
ethischer Motive far das wirtschaftliehe Handeln des
Memchen mafi uns schon der Umstand , daß die Ethik
gegenwärtig noeh immer vor- und nicht beschreibt, hindern,
dieselbe in eine exakte Disziplin blneiBzuziehen. Aufierdem
aber betrachtet dieselbe, seibat wenn beschreibend, da>
Handeln des Mensehen von einem anderen Standpunkte
und zu anderen Zwecken als die Ökonomie. Es ist nicht
abzaaehen, wie unsere Resultate durch die der Ethik beein- -
Jlafit werden könnten und umgekehrt, eine Behauptung,
die denjenigen nicht befremden kann , der sich früher
Gesagtes gegenw&rtig bftit. Bef^timmte ethische Dispositionen
gehören zu den Daten unserer Probleme und können von
den letzteren aus nicht diskutiert werden. „Ethisch" heiSt
bei manchen NfttionalökoDomen einfach „auBer wirtschaftlich".
Was Wundei-s, wenn das in einer Theorie des Wirtsebafteos
keine groöe Rolle spitilen kann?
\ 6. Was lehrt uns nun die Ethnologie, zu der fOr
uneere Zwecke auch ein Teil des als .Völkerpsychologie*
bezeichneten Gebietes zu rechnen ist?
In den ökonomischen LehrbQehem, in denen man so
regelm&fiig Bemerkungen Über Psychologie und Biologie
findet, wird diese Frage meist nicht ex professo bebandelt,
wenn auch die Meisten ethnologische Tatsachen verwetten.
In der Tat ist erst ueuestens mit dem Anschwellen der
ethnologischen Literatur die Aufmerksamkeit der Ökonomen
auf dieses Gebiet gelenkt worden. Man folgte da dem
EinAusse der Soziologie, die auf diesem Wege vorangieng.
Doch haben die theoretischen Ökonomen auch selbst einen
Anlafl dazu «gegeben durch ihre Vorliebe , die Annahme
eines einfachen Wirtschaftszustandes, welche didaktisch von
grofiem Werte, wenn auch prinzipiell nur in wenigen Fftllen
nötig ist, durch Darstellung einer primitiven Wirtschaft
548 ' Znnminenfuiinig d«M«ii, ruw.
lebensvoller * zu gestalten. Statt zuzugeben , daS man tod
virklicbkeitsfremden Annahmen ausgehe, was so viele Leute
abschreckt, glaubte man dieselben plausibler machen la
Bollen, indem man sie mit wirklichen oder vermeintlicb«
Beispielen aus der Wirklichkeit ausscbmflckte. M&glich, daß
das praktisch war, sehr wissenschaftlich war es nicht. Ab-
gesehen davon, daß es einen Schönheitsfehler in einem
strengen Systeme darstellt, wurde dadurch die VorstelluDg
wachgerufen, als ob unsere Deduktionen von der wirklichen
Existenz solcher Wirtschaften abhängig seien und nichts
lag näher, als zu untersuchen, ob der WirtachaftsprozeS bei
den primitiven Völkern wirklich so ablaufe ', wie die Theo-
retiker es annehmen. Da ergab sich denn, daß jene Bei-
spiele, die ja meist nur konstruiert waren, tatsächlich nicht
völlig verwirklicht waren.
So muß man , wenn in einem ökonomischen Werke von
der Wirtschaft |irimitiver Menschen die Rede ist, streng
unterscheiden zwischen Redensarten, mit denen der Theo-
retiker seine abstrakten Konstruktionen ausschmttckt, denen
weiter keine Bedeutung zukommt und die keineswegs etwa
als kultur- oder wirtschaftshistorische Behauptungen aufzu-
fassen sind, und wirklichen ethnologischen Tatsachen-
sammlungen. Letztere , wie gesagt , werden immer mehr
Oblich. Ethnologen und Soziologen geben uns den Rat. das
ethnologische Material für unsere Theorie zu verwerten und
viele Nationalökonomen der Gegenwart, besonders deutsche,
erwarten geradezu das Heil derselben in einer Neugestaltung
auf dieser Grundlage. Man könnte von einer ethnologischen
Sichtung sprechen, welche stetig Boden zu gewinnen scheint.
Die Ethnologie kommt uns neuesteus sehr entgegen
und wendet lien wirtschaftliciien Verliflltuis.*en mehr Auf-
merksamkeit zu. als froher. Der 0. Band der Ann. Rep.
Bur. Ethn. der Smithsonian Institution z. R. enthält solches
ich jene, die das tun, an eiueii kleinen Freund von
mir, der dorn Wtinaclie .\\isdnn-k g«b, das Straßen pflaster &ufEiigrmbei].
niD 2U ■•hen, ob rieh die Erde darunter wirklich drehe.
Nfttnr od«r. Wesen der waktea Ökonomie. 549
Material, wie es die Ökonomen jener Richtung w&nschen.
Was ist nun davon zu halten? Der Leser vermag vorauä-
zusehen, welche Antwort wir auf diese Frage gebeo .wollen.
Die Forderung einer Nachprofung unserer grundlegenden
AnnahmeD an den Tatsachen der Ethnologie beruht auf
einem Mißver8t&ndni^se der Natur dereelben und wir wagen
zu behaupten, dafi sie von einem Kreise ausgeht, der nicht
nur der reinen Ökonomie., sondern dem exakten Vorgehen
Oberhaupt fremd gegenfibereteht. Das MißverstAndnis ist
ein doppeltes. Einmal haben wir immer wieder betont —
und wir glauben in dieser Richtung genug getan zu haben — ;,
daß jene Annafamen ja nicht Tataachenaussagen darstellen
und TOD Beobachtungen aus dem Reiche primitiven Wirt-
schaftens weder best&tigt noch widerlegt werden können,
Bondem abstrakte Hilfsmittel, deren einziger Sinn und deren
eventueller DienA nur darin liegt, daß sich daraus ein
Schema fQr die Preistatsachen ergibt. Sie brauchen nicht
auf aktuelle primitive Verhältnisse zu passen, aus denselben
kOnnen wir nichts ftlr ihre Vervollkommnung gewinnen.
Auch wenn ftkonomische Erscheinungen in genetischer
Sprache eingefQhrt werden, so daß es aussieht, wie wenn
der Theoretiker eine Geschichte derselben geben wollte, so
heißt das nicht, daß die Vorgänge wirklich so verliefen.
Wie diese Dinge entstanden, ist wohl von kulturhistorischem
und auch von soziologischem Interesse, ferner fUr dynamische
Probleme wichtig, aber ganz belanglos fQr unser exaktes
System. Ein Beispiel liefert uns die Geldtheorie, ein anderes
die Theorie des Tausches. Manche Theoretiker ftlhren diese
Dinge in lebhafter Sprache vor, lassen Individuen oder
Horden , die bisher sich selbst genügten , zusammentreSien
und ohne weiteres Handelsgeschäfte beginnen. Das hat nur
den Zweck, an einem gedachten Falle den Vorgang des
Tausches in der Form zu entwickeln, wie es fQr die Theorie
oOtig ist. Die Entgegnung, daß Naturvölker die Vorstellung
vom Tausche nicht haben, vielmehr Raub oder Schenkung
vorhergehe, ist ganz belanglos, wenn damit mehr beabsichtigt
wird, als einfach die Weglassung jener naiven Darstellung»-
5go ZaMaztmtatmumg itmUat, mw.
weite. Und weiter. Durch die urgeBchichtlich korrekte
DaretelluDK wttrde der Tausch, die Preisbildung und du
Qeldph&Domen nicht erkl&rt. Wir konnten daraos keine
BewegnngBgesetze des Wertes ableiten. Das zeigt bester
alt ii^ndetwas, wie verBchieden die Ziele beider Wiseea-
aekaften aiod. Nehmen wir an, der Tausch sei ans der
Schenkung entstanden. Was sagt uns das aber den Punkt,
der uns allein interessiert. Ober die Tanschrelation? Inter-
essant wftre es fOr ans höchstens, etwas darQber zu wissen,
in welohem Verhältnisse die Schenkungen beider Teile
zueinander standen. Und darQber können wir bfiehsleu
durch ökonomische Erörtemogen theoretischer Matur nni
eine Vorstellung bilden. Dazu aber brauchen wir die Ethno-
logie nicht — ebenso wie wir der Erdgeschichte oieht ftr
die reine Mechanik bedürfen.
Aber noch eines zweiten Mißgriffes 'machen sich die
Ökonomen jener Richtung schuldig. Selbst wenn unsere
Sfttze der Probe an dem ethnologischen Material bedfirften,
dürfte man dabei nicht so engherzig verfnhren, wie es ge-
schieht Beherrscht von der in die Augen springenden
Tatsache, daS der „Wilde" so ganz .inders denkt und handelt
wie der „Kulturmensch," erklArte man, dafi die von der
Wirtschaft- des letzteren at>strabierten Sfltze unmöglich aiT
die des ersteren passen konnten. Hier erwähnt man z. B.
die Erscheinung des „stummen Handels". Man sagt, ds6
diese und andere Erscheinungen keine Analogie in der
entwickelten Volkswirtschaft haben und besonders, daß dra
„Wilden" die Fähigkeit fehle, eine exakte Wertrechnns;
durchzuführen. Für den europäischen Bauer gilt flhnlicbef'
und das ganze Argument läuft darauf hinaus, die Geltnag
der reinen Ökonomie auf moderne Verhältnisse zu be-
schränken. Das geht mit jenen Einwendungen parallel
welche von Historikern usw. dagegen erhoben wurdei.
Begriffe des modernen wirtschaftlichen Lebens aaf
frühere Perioden zu übertragen. Dieselben sind teilweise
berechtigt. In der Finanz Wissenschaft z. B. muß man sid
davor boten , mit dem modernen Begriff der Steuer bei Be-
Nstni oder WeMn der Uftktcn ökononiie. 551
trftchtong froherer Zeiten zu operieren. Es ist leicht er-
BicfaUieh, daß derselbe nar Roweit aDveudbar ist, als der
Begriff des modernen Staates, und da6 Sfttzen, in denen
er eine Rolle spielt, keine AllgemeingOltigkeit zukommt.
Aber das gilt nicht ffir die Grundlagen der reinen Ökonomie.
'Wie bei so vielen Kontroversen müssen wir auch hier achten,
den richtigen Kern allgemeiner Behauptangeu von dem,
was falsch an ihnen ist, zu scheiden. Wenn wir das ttui,
entfalleu sofort jene Schwierigkeiten, welche eine Einigung
M sehr erschweren. Stets kommt es auf den einzelnen
Fall an. Daß nun der Wirtschaftsprozeß auf verwhiedeoen
Kulturstufen verschieden aussieht, in verschiedenen Formen
vor sich gebt, ändert nichts an seinem Wesen. Man hat
kein Recht, Ober den , spekulativen Nationalökonomen" zu
lächeln, der in der Vielheit der Erscheinungsform die Gleich-
heit des Wesens derselben erkennt. Jede Handlung litfit
sich unter das Wertschema bringen und wenn wir ans, der
Bequemlichkeit halber, der psych ologischen Ausdrucksweise
bedienen wollen, köiiDen wir sagen, daß jede Handlang, und
so auch jede wirtschaftliche, Wertungsvorgftnge voraussetzt,
die in ihrer Art so präzise sind wie die des Stockbrokers.
Beschenkt ein Gastfreund den anderen, so muß das entweder
eine ganz bedeutungslose Gabe sein, welche fQr die Wirt^
Schaft keine Rolle spielt, oder es muß eine Wertvergleichung
zwischen Gabe und Gegengabe möglich sein. Wenn Cook
erzählt, daß ein Wilder, den er irgendwo traf, so sehr mit
dem Vorgange des Tauschens unbekannt war, daß er durch-
aus nicht begreifen wollte, daß er auf das „Preisgut" ver-
zichten mQsse, 80 ist dazu zu bemerken, daß dieser Wilde
sicherlich den „inneren Tausch" gekannt haben muß: Er
muß Rieh darüber im Klaren sein, ob er die Mühe, die die
Erlegung eines Stuckes Wild erfordert, auf sich nehmen
will oder nicht — und das setzt Wertungsvorgänge voraus.
Übrigens lag in jenem Falle offenbar nur Mißverständnis
der causa donationis vor, das auf jeder Kulturstufe vor-
kommen kann, besonders wenn Schwierigkeiten in sprach-
licher Hinsicht vorliegen. Aber entscheidend sind die
552 ' ZoBammenfiAssang dessen, usw.
iolgenden beiden Momente: Will man unsere Theorie ai
solchen Tatsachen durchaus verifizieren, so darf man erstens
nicht so unglaublich engherzig sein, wie es viele Leute
sind; sonst käme man dazu, ebenso auch das Gravitatioos-
gesetz zu leugnen, weil nicht jeder Körper immer und ohne
.Weiteres zur Erde fällt. Würde ein „Wilder" oder sonst
jemand dauernd anders handeln, als nach unseren Regeln
zu erwarten wäre, z. B. immer sich seiner Güter entäufleni,
ohne etwas dafür zu bekommen, so mflflte er schnell zo-
grunde gehen und so diese Ausnahme verschwinden. Die
Grundprinzipien unserer Theorie setzen so wenig voraus,
daß man die geringe Bedeutung der Ausnahmen ruhig be-
haupten kann. Freilich darf man darauf nicht zu sehr
vertrauen und jede längere Entwicklung muß verifiziert
werden, was gar oft auf negative Ergebnisse führt; das
haben wir selbst oft betont, nun aber können wir auch
sagen, daß manche solcher Veritikationsversuche geradezu
Karikaturen gesunder Gedanken sind. Zweitens aber muß
man unterscheiden zwischen — um bei unserem Beispiele
zu bleiben — der kulturhistorischen Tatsache des
Tausches, die die verschiedensten Formen annelmieD.
die größten Wandlungen durchmachen und oft auch fehlen
kann, und unserem abstrakten Tauschschema, da:s nur
ein wissenschaftliches Instrument und sehx allgemein an-
wendbar ist. Wie kann man die Verschiedenheit beider
Dinge verkennen?
So vermag uns also die Ethnologie recht wenig zu
bieten — aber freilich nur für die Grundlagen unseres
statischen Systemes. Darüber hinaus mag sie eine ähnliche
Stellung haben, wie die Wirtschaftsgeschichte und die
Literatur über die großen Probleme der Gegenwart Was
steht in einem solchen „deskriptiven" Buche? Nun, Tat-
sachenreferate und Theorien til)er tatsächliches Geschehen.
Und beides ist sicherlich von fundamentaler Bedeutung für
den theoretischen Ökonomen, sobald er die engen Grenzen
seines exakten Systemes verläßt. Ist diese Stellung nicht
beinahe selbstverständlich? Aber hier liegen die Grund-
Nfttar oder Weeen der exakten Ökonomie. 553
lagen fflr neue theoretiBche Arbeit, keineswegs fOr einen
Neubau der Statik. Ihre Bedeutung fOr diese haben wir
bereits ukizziert, hier sollte nur noch das hinzugeffigt werden.
Man sieht aber: Nirgends gibt es kurze, allgemeine Ant-
worten fttr solche Fragen; auf den einzelnen Fall kommt
alles an; dieselben Grundsätze können in verschiedenen
H&nden zu Hticbtigen" und zu „falschen" Resultaten fahren,
fruchtbar oder unfruchtbar sein. Man kann z. B. von
ethnoIf^Bchem Materiale sehr viel erwarten und doch jene
Stellung gegenfiber manchen Versuchen einnehmen , die wir
soeben entwickelten ; darin liegt kein Widerspruch — und
auch das ist sehüefilicb nur selbstverständlich. Aber soviel
können wir sagen: Alle jene Beziehungen der reinen
Ökonomie zn anderen Disziplinen, die sich in Vorworten und
gelegentlicben Äußerungen so breit macben, haben uns nur
wenig zu geben — oder nichts. Im Interesse der Klarheit
ist es geboten, ihre Nichtigkeit zu betonen und diesen Ballast
Ober Bord zu werfen.
IL Kapitel
Wert der reinen Ökonomie.
§ 1. Was wir soeben darlegten, ist alles, was wir hier
Ober die Natur unserer Disziplin und Ober das WcMi
unserer reinökonomischen Erkenntnis sagen wollen. Nu
erhebt sich die große Frage nach ihrem Werte. Wir |
wissen nun, was eigentlich der Theoretiker tut, was der j
Kern jener Abstraktionen ist, mit denen er sich abplagt
und wollen jetzt nochmals fragen, ob das, was er damit er-
reicht — und was das ist, glauben wir in der Hauptsache
vorgeführt zu haben und auf dieser Stufe unserer Er-
örterungen überblicken und als bekannt voraussetzen n
können — , der Mühe lohnt und verdient, gepflegt, gekannt
ausgearbeitet und unsern Nachfolgern überantwortet zu werden.
Ist unser exaktes statisches System — trotz allem — ein Werk
aere perennius, das uns mit Selbstbewußtsein erfüllen kau
und im Sturme der Zeiten erhalten bleiben wird oder soll
es still — mit oder ohne Bedauern — ad acta gelegt werden V
Gleicht es einem aufblühenden Marktplatze oder einer Toten-
Stadt V Wie immer dem sein mag, die Sache verdient sehr
wohl, und sei es auch nur um der ihr gewidmeten Ge-
dankenarbeit willen, Ernst und LoyalitÄt und ein schwerer
Vorwurf kann niemand erspart bleiben, der ihr dieses Redit
nicht gibt.
Jedermann, jeder wenigstens, zu dem wir sprecho
können, begegnet der Frage nach dem Werte der Wissen-
schaft überhaupt auf seinem Lebenswege und jeder wird sie
Wert der reinen Ökonomie. 5g5
verschieden beantworten, Ganz natQrlich, nicht nur weil
jeder nach Anlage und Bildungsgang ganz verschiedene Dis-
positionen tarn Urteilsspruche mitbringt, sondern auch, weil
jeder einen besondem Zweek als WertmaSstab itn Auge hat.
Manchen interessieren die grofien ZQge an den Dingen,
manchen gerade das Detail. Der erstere mag z. B. be-
haupten, ilnS alle Mensehen gleich, der letztere daS alle ver-
schieden seien; eine Einigung ist da schwer, eigentlich un-
möglich und nur in der Anerkennung der Verschiedenheit
der Standpunkte liegt ein Surrogat fQr sie. Den einen zieht
eine Banalität, wenn sie in eleganter exakter Form auB-
gedrackt werden kann, mehr an als die feurigste politische.
Rede, den andern interessieren die Resultate einer Arbeits-
enqu^te mehr, als die tiefste funktionentheoretische Ent-
wicklung. Vjele verlangen praktische Resultate, Regeln für
konkretes Handeln oder wenigstens Oberhaupt einen prak-
tischen Nutzen, Andere Erkenntnis um ihrer selbst-wUlen.
Wie jeder seine eigene Welt, so hat auch jeder seine eigene
Wissenschaft : Jedem sagt sie Verschiedenes und jeder schAtzt,
' was sie ihm sagt, verschieden ^ und zwar tod individuellen
Stendpunkten und mit individuellen MaBen — ein. Das
ist sein gutes Recht; wenn es irgendein „Naturrecht" gftbe,
so wäre es sicher das, mit seinen Augen zu sehen. Nur
dnrf niemand vergessen , dafi jede andere Netzhaut als die
seine, andere Bilder gibt. Wer das vergißt, wahrlich, der
abertyrannt den Tyrannen. Wir haben es nicht mit dieser
Frage zu tun; aber solche Momente spielen sicherlieh auch
in unser Problem hinein. Und deshalb betonen wir immer
wieder, dafi dns Endurteil bei jedermann selbst liegt —
allerdings auch nur ftlr ihn gilt — und wir uns ebenso-
wenig anmaßen können, ein absolutes Resultat jedem Leser
aufzudrängen, als etwa die religiösen Meinungen zu ver-
einigen. Nicht Einigung inbezug auf das Urteil Ober den
Wert unserer Disziplin streben wir an, sondern höchstens
besseres gegenseitiges Verständnis, das allerdings in vielen,
aber nicht in allen Fällen zur Einigung führt. Dabei wollen
wir kurz sein und uns hauptsächlich auf solche Punkte be-
556 ZuBammeufiissung dessen, usw.
dchrftnken, welche eiDen mehr objektiven Charakter hibet
und präziser Behandlung fähig sind, von diesen wieder ivf
solche, welche uns nicht oder nicht genügend gewfirdigt scheinei
Manches ließe sich ja auch mit allgemeinen Argumentei
leisten. So könnten wir gewiß den Standpunkt jener be-
kämpfen, die bei jeder Theorie vor allem oder gar lu^
schließlich nach ihren praktischen Anwendungen fragei.
Wir könnten ausführen, daß für uns die Wissenschaft Selbst-
zweck sei, ferner, daß Theorien der Menschheit durch Ver-
mittlung von Erkenntnis größere Dienste leisten kdnneii,
als durch technische Erfolge. Ist es nicht klar, daß maa |
z. B. die Astronomie nicht mit dem Werte einschätxei
darf, den sie für die Nautik hat, daß lediglich die letxterp
nie zu dem großartigen Gebäude geführt hätte, welches
wir heute bewundern und von dem man behaupten kinn.
daß es durch Erweiterung unseres Gesichtskreises auf das
ganze Sein und Denken der Menschheit Einfluß genouun^D
hatV Muß denn immer wieder hervorgehoben werden, daß dot
desinteressierte Denkarbeit zu wirklich großen LeistUDgeo
führt, die später oft auch praktische Früchte tragen, tf
die die ersten Pioniere nicht dachten, nicht denken konnten':
Von einer jungen Wissenschaft praktische Leistungen n
fordern ist ebenso verfehlt, als ein Kind schwer arbeiten lo
lassen — das wird dem Kinde schaden und doch nur n
dürftigen Resultaten führen. Sicherlich könnten wir diesei
Standpunkt mit Begristerung verteidigen; und wir würdet
die Antwort der Gegner nicht fürchten. Doch wollen wir
das nicht tun, vielmehr allgemeine Argumente nur soweit
streifen, als es unvermeidlich ist. Auch der „Bettlerfragt*
— „wozu ist das gut?" — wollen wir uns nicht entziehet.
sondern auch diese Seite der Sache zu beleuchten suchii
und dem Urteile des Lesers unterbreiten. Noch unabweis^
barer natürlich ist es, zu einem Besultate darüber lu |!^
langen, ob das theoretische Interesse unserer Disziplin cii
ausreichendes ist: Die zwei Fragen also, zu deren B^
antwortung durch den Leser wir einiges Material darbieUi
wollen, sind erstens die, ob es sich auf unserem Gebicii
.Wert det'teinen Ökonomie. 557
der Mttbe lohnt, ein exaktes System Oberhaupt uod speziell
das unsere aufzurichten — ob dasselbe hinlänglich inter-
essant ist — und zweitens die nach seiner praktischen Be-
deutung. Eine zusammenfassende Skizziening seiner Grenzen
und Mangel wird sich ungezwungen anfügen und zu dem
dann Folgenden Überleiten, in dem wir Über die wünschens-
werten Reformen und die Wege und Aussichten weiterer
Arbeit sprechen wollen.
Zunächst zur ersten Frage. Es gibt kaum irgendeinen
Gegenstfmd auf der Welt, über den nicht irgendetwas all-
gemein ausgesagt werden könnte. So wäre z. B. eine Wissen-
schaft Ober jene Momente möglich, welche allen ethischen
Urteilen trotz der Tatsache, daß ihr konkreter Inhalt nach
Ort. Zeit, Kulturzustand, Rasse usw. verschieden ist, ge-
meinsam sind. Solche Momente gibt es gewiß und daraus
folgt, daß es eine exakte Ethik geben könnte, welche im
Gegensätze zu der Üblichen , welche Forderungen aufstellt
und aus diesem Grunde aus dem Rahmen wahrer Wissen-
schaft hinausfällt, strenge beschreibend wÄre. Aber es könnt»
sich eichen, daß der Inhalt ihrer Theoreme ein so „all-
gemeiner", d. h. hier so geringer wäre, daß man die Kon-
struktion eines solchen Baues besser unterlflßt — er wäre
ein Sehacht, der zu nichts fuhrt. Vielleicht ändert sich das
in Zukunft und vielleicht steht diese Zukunft unmittelbar
bevor; ich glaube das sogar mit Rücksicht auf gewisse neue
Leistungen der Soziologie; allein gegenwärtig eribt es noch
keine solche exakte Ethik — sie würde der Mühe
Dicht lohnen. Ich bin nicht sicher, ob die exakte Psycho-
logie introspektiver Richtung nicht ebenfalls in dieser Lage
ist und, so wie sie beute ist, auch dem Freunde exakter
Gedankengänge nicht viel Interesse abzugewinnen vermag.
Auch etwa eine exakte Theorie der menschlichen Wande-
rungen ließe sich denken und auch dazu sind AnsiUzc vor-
handen. Jede Bevölkerungsbewegung geht sicherlich so vor
rieb, daß sie sich in der Sprache des Maximumtheorems be-
schreiben lAßti Sie erfolgt in eiuer Richtung des geringsten
Widerstandes und gewiß ist es möglich, von einem etbno-
558 ZuMmmeniasaiiiig deflseo, ntw.
logischen Gleichgewichte zu sprechen, eioem Zustande, ii
dem sich irgendwelche „Kräfte^ balanzieren und der siekf
so lange keine Störungsursache „von außen* einwirkt, m
erhalten strebt. Aber so lange man nicht mehr sagen ktn,
als das, so lange wird sich nicht leicht jemand finden, der
„exakte Ethnologie"" zu treiben wtlnscht — und auek der
feurigste Theoretiker wird niemand daraus einen Vorwarf
machen können.
Wir haben diese Beispiele aus zwei Gründen angeführt
Vor allem wollten wir nochmals betonen, dafi „auareiehea-
des Interesse"" für die Existenzberechtigung einer Wissen-
schaft ebensonötig ist, wie, nach einigen Staatsrechtslehreni
«ausreichende Macht"" zum Entstehen von Souveränität Die
Frage nach seinem Vorhandensein ist keineswegs mit der
oben erwähnten „Bettlerfrage*" zu verwechseln — wm
Gegner wie Vertreter unserer Disziplin des öftem ül«r-
sahen. Sodann aber sollen unsere Beispiele uns zur Folie
dienen bei der Beurteilung des Wertes der letzteren. Steht
es so schlimm um ihn wie um den jener gedachten exaktei
Theorien der Ethik oder der Ethnologie? Nun, die all-
gemeine Antwort auf diese Frage wird, wie unschwer n*
gegeben werden wird , verneinend lauten. Wir werden säe
noch weiter belegen und von verschiedenen Seiten beleuchtet,
aber im großen und ganzen läßt sich der Kern unserei
Argumentes, den wir, wie wir glauben, mit der denklar
größten Beruhigung dem Leser darbieten können, folgender-
maßen präzisieren : Nein, die theoretische Ökonomie ist nicht
so wertlos wie die angedeuteten Typen. So wie diese
würde ein wirklich wertloser oder doch verfrühter tbeol^
tischer Bau aussehen, und der Vergleich zwischen beidit
sagt in dieser Beziehung so sehr alles Nötige, daß ^
weiteres Wort darüber überflüssig wäre. Allein, ebensovfit
wie von diesen steht die Ökonomie von den „anerkanntet'
exakten Wissenschaften, von jenen, die dem Laien in*
ponieren. Manche ihrer Teile nähern sich bedenklich dd
erstem, andere den letztem und wenn man von einen
Durch^chnittsniveau unserer Disziplin sprechen darf, so ktf
4
W«rt d«r reiDfln ökonomia. 559
man sagen, dafi es in der Mitte liegt. Da nun, wie wir
hervorhoben, das Urteil darüber, ob eine Disziplin etwas
wert sei oder nicht, notwendig subjektiv und auch die Grenze
zwischen Wertlosem und Wertvollem hier wie Qberall keine
laste sondern — auch tor den Einzelnen — eine fliefiende
ist, so reicht das eben Gesagte noch keineswegs zn einem
absoluten Richtsprüche aus. Allein man wird EUgebeu, daß
wir damit einem solchen auf einem natürliehen und inoffen-
siven Wege nunmehr etwas naher geruckt sind. Doch gehen
wir weiter.
Wir nehmen es niemand übel, wenn er unsere Theorie
ablehnt Sagt jemand, sie interessiere ihn nicht, so ist kein
Wort zu verlieren. Wir behalten uns vor, von demselben
Rechte andern Richtungen gegenober Gehrauch zu machen.
Solche Urteile flieäen nicht immer aus Starrsinn, sondern
aas subjektiven Unmöglichkeiten. Nur kann es mitunter
InteresBant sein, die Begründung dergelben zu hören erstens,
weil erst durch sie diese MbiDungaäußeruDgen Farbe und
ihren vollen Sinn erhalten und zweitens, weil die B^pilndung
tatstchliche Behauptungen enthalten kann, über die eine
«xakte Diskussion möglich ist. Zu einer solchen möebteu
~ wir, wie gesagt, beitrageu. Niemand kann vor allem für die
' reioe Theorie VerstAndnis haben , der der exakten Wisseo-
* Schaft uQd_Jhren Methoden überhaupt femestebt. Das ist
liun sicher der Fall bei vielen Fachgenossen. Mancher Wirt-
acbaflspolitiker oder Historiker, der über die Theorie so
Ikart arteilt, würde ganz ebenso über die exakte Mechanik
denken, wenn ihn nicht ihr festbegrUndetes Ansehen und
ihr Zusammenhang mit den Leistungen der modernen Technik
'd*ran hinderte: Ihr reines System und ihre erkenntnis-
tibeoretischen Grundfragen würden ihn wenig interessieren.
Jihnlieh bezeugt mancher, der die moilerne schöne Literatur
>erdaDunt, den , Klassikern" seine Ehrfurcht, nicht weil er
ftie wirklich versteht, sondern veil der Angriff auf ihre
'Wohl gesicherte Position viel schwieriger ist. Manches ver-
^juumende Urteil über den Erkenntniswert unserer Disziplin,
^MB iofierlich durch die Vorwurfe der „Spekulation*,
560 Zusaramenfassang dessen, xmw.
„Aprioristik" usw. begründet ist, fließt aus dieser Quellt
Solche Einflüsse werden stets hindernd in unsere Bahn zv
Klarheit hereinwirken. Wir können darauf und auf fw»
wandte Punkte nicht immer wieder eingehen und wolki
uns andern Dingen zuwenden, bei deren Diskussion wir Ge-
legenheit haben werden, zu zeigen, dafi wir das Richtige
in den Argumenten der Gegner der Theorie und ihre Ver-
dienste bereitwillig anerkennen und tatsächlich viel danvs
gelernt haben.
Es liegt in der Natur der Sache, da6 wir das, was fftr
die Theorie ins Feld geführt werden kann und was eben ii
ihren konkreten Leistungen liegt , bereits im Früheren ge-
sagt haben und hier nur wenig hinzufügen oder selbst zt-
samroenfassen können. Die Kehrseite ist es, die hier baopt-
sachlich zum Worte kommt, und der Leser wird das Vor-
hergehende sich stets vor Augen halten müssen, wenn er
uns Gerechtigkeit erweisen und ein erträglich vollständiges
Bild in ungefähr richtiger Beleuchtung erhalten will. Wenn
wir unsere Arbeit tiberblicken, so drängt sich uns sicherlich
— das können wir nicht leugnen; da haben die Gegner
Recht — vor allem das Bedenken auf, ob wir nicht gerade
das Interessanteste an den Dingen , mit denen wir uns be-
schäftigen, aus unserer Betrachtung ausgeschlossen, geraiie
vom W^ichtigsten abstrahiert haben. Bleibt nicht nach aller
Arbeit ein ziemlich kahles Gerippe in unsern Händen zu-
rück? Korrekt, logisch einwandfrei und auch, soweit es
reicht, zutreffend mag es ja sein; auch das ist nicht Ober
jeden Zweifel sicher, könnte man außerdem einwenden —
darauf kommen wir noch — , jedenfalls sahen wir, dtÄ
unsere Kegeln viele Ausnahmen erleiden; aber im ganzen
glaube ich die wesentlichsten Bedenken in dieser Beziehuog
beseitigt zu haben. Doch geschah gerade das, wie min
sich erinnern wird, mittelst eines weitgehenden Aufgebeos
von inhaltlich hochbedeutenden Resultaten. Ist das, was
uns bleibt nicht ebenso wert- wie leblos? Fast könnte es
so scheinen — zum Teile ist es ganz unbestreitbar so. Das
wirklich Relevante, das, was in der Kette von Ursachen,
Wert der reinen ökonomEe. 5(31
«eiche den Lauf und den Zustand der Wirtschaft bestimmea,
durch seine Bedeutung aufföllt, das, worum gekämpft and
das, was diskutiert wird, liegt ganz vornehmlich in den
Daten unserer Probleme, also außerhalb unseres Macht-
kreises. Die Verteilung des Bodens und der übrigen Pro-
duktionsmittel, die sozialen Machtverhältnisse und Orgnni-
sationsformen — das sind die Faktoren welche die Gestaltung
der Wirtschaft beherrschen und das sind zugleich eben jene
Momente, die wir als gegeben annehmen. Aus ihnen folgt
alles Weitere so naturlich und fast selbstverständlich, daS
es geradezu verzeihlich ist, wenn manche Uberselieo. daß
es neben jenen auch noch andere Probleme gibt. In diesem
Sinne ist es nicht nur wahr, sondern überhaupt unbestreit-
bar, daß das Wirtschaften „historisch bedingt" sei. Außer-
dem ist natürlich klar, daß wir nie etwas Konkretes, sondern
immer nur allgemeine Erkenntnisse darzubieten vermögen,
welche zu allem auch noch oft von der Wirklichkeit des-
avouiert werden.
Unsere Entgegnung darauf ist einfach. Der Leser
kennt sie bereits. Obgleich das alles wahr ist, so gibt uns
die Theorie eine Gruppe haltbarer und eben nicht selbst-
verständlicher Sätze. In dieser Beziehung muß das Vorher-
gehende für sich sprechen. Wir glauben nicht, daß daraus
die Bedeutungslosigkeit des eben Gesagten folge, wohl aber,
daß es auf seinen wahren Gehalt beschränkt wird. Richtig
aufgefaßt, widerspricht es nicht dem berühmten Satze, daß,
wer die Wertlehre begrilTen hat«, damit auch alles Wirt-
schaften verstanden habe. Es genügt, einzusehen, daß die
Autoren beider so entgegengesetzt aussehender Dicta —
dieses und jenes über die historische Bedingtheit des Wirt-
schaftens — an verschiedene Probleme dachten, um sie leicht
vereinigen zu können. Immer noch bleibt ein kleines (iebiet,
das in sich geschlossen ist und durch ein einziges großes
Erklärungsprinzip beschvielien werden kann, ein Gebiet, das
erheblich mehr Früchte trägt, als etwa eine exakte Ethno-
logie. Der Unterschied liegt hauptsächlich darin, daß es
auf dem erstem eine Erscheinung von großer Wichtigkeit
562 ZuBammenfassuDg dessen, usw.
gibt, welche sich exakt und allgemein beschreiben liflt,
nämlich die Preisrelation. Ihre Bedeutung wird noch dt-
durch erhöht, daß sich ihr Schema, in dem die Theorie sie
erfaßt, leicht und natürlich auch auf die Erscheinungei
der verkehrslosen Wirtschaft ausdehnen Iftßt und so eine
hohe Allgemeinheit gewinnt, die trotz der nötigen Ein-
schränkung, welche wir schon oft betonten und bald noch-
mals berühren werden, eine Tatsache von großer, sehr großer
Bedeutung ist.
Dazu kommen noch zwei andere Momente : Erstens und
vor allem läßt sich zeigen — und haben wir gezeigt — ,
daß die Preisrelation in sich alle Faktoren enthält, die data
nötig sind, sie selbst und unter den gleichen Voraussetzungea
auch die Gütermengen, die sich im Besitze der betrachteteo
"Wirtschaftssubjekte befinden müssen, eindeutig zu bestimmen
und einen einzigen Gleichgewichtszustand abzuleiten, auch
das unter Einschränkungen, welche die Bedeutung dieses
Momentes verringern, aber nicht vernichten. Und das folgt
nicht schon von selbst aus den „historisch bedingten" Tat-
sachen der Organisation, des Milieu's usw. — wenn es
manchem so scheint, so liegt darin ein nachweisbarer
Irrtum — , sondern ist ein Ergebnis unserer Theorie, das
sie aus eigner Kraft und zu eignem Rechte besitzt: Nur
mit ihren Mitteln kann es nicht bloß plausibel gemacht
sondern bewiesen worden. Das hat eine doppelte Be-
deutung, einen doppelten Erkenntniswert — auf die Frage,
ob es auch eine praktische und welche es habe, kommen
wir später — : Einmal ist es eine interessante Wahrheit an sieb.
Wir sehen hier mit einer Klarheit, für deren Schönheit
man allerdings mehr oder weniger Verständnis haben nwg.
daß es auf unserm Gebiete eine Logik der Tatsachen gibt,
deren Druck jedermann fühlen muß und erhalten aus dieser
Quelle sicherlich einen Beitrag für das Verständnis d«
wirtschaftlichen Geschehens. Sodann aber liegt eben darii
der „Beweis durch die Tat" dafür, daß diese Dinge ein ri
sich geschlossenes Ganzes bilden, auf das trotz ihrer scbeia-
baren „Unberechenbarkeit** exakte Denkformen anwendhtr
>
. Wert der reinen Ökonomi«. 563
sind. Und das ist eine wissenschaftliche Tatsache von, wie
schon hervorgehoben wurde, kaum zu Qbersch&tzender Wichtig-
keit. Wir wollen das nicht zu sehr betonen; denn sehr ver-
schieden kann man trotzdem darüber denken, und wir möchten
es um jeden Preis vermeiden, unsere Darstellung durch un-
exakte Momente zu kompromittieren. Mag also der Leser
selbst sehen, was er aus dieser Anregung machen will, nur
übersehe er sie — trotz ihrer Kurze — nicht. Eine Lacke
klafft im wissenschaftlichen Weltbilde dort, wo der Mensch
steht. Die bloße Tatsache der Anwendbarkeit exakter
Metboden ist daher hier sehr wichtig, auch wenn die
Resultate derselben nur unbedeutend wftren. Sie eröffnet
trotzdem bedeutende Aussichten und Möglichkeiten. Und
darin scheint uns das höchste Interesse der
reinen Ökonomie zu liegen, daß sie eine Er-
weiterung des Gebietes exakten Denkens dar-
stellt. Sicherlich ist dieses Urteil zum Teile subjektiv,
und soweit wollen wir es niemand aufdrängeo \ andere
mögen — z. B. mit A. Marshall — den Wert der Theorie
anderswo suchen. Allein unter allen Umständen ist auch
das in Rede stehende ein nicht zu vemachlässigeDdea Moment.
Und es scheint mir, da6 man aus ihm heraus den Anspruch
der reinen Ökonomie auf Anerkennung besser verteidigen
kann, als aus manchem anderen, besser namentlich als aus
dem „praktischen".
Zu der weitreichenden Allgemeinheit und zur eindeutigen
Bestimmtheit unseres Gleichgewichtssystems Itommt nun
noch ein Punkt. Es gestattet verschiedene Anwendungen
und liefert in denselben Resultate, denen nicht jeder Er-
kenntniswert abzusprechen ist. Die Geld-, die Verteilungs-
tbeorie, gewisse Bewegunsgesetze der Preise, das sind die
nichtigsten Beispiele. Man wird die Behauptung halten
können, daß für die Diskussion dieser Themen die Beitrage
der Theorie nur schwer entbehrlich sind und ihre Unkenntnis
in vielen Punkten — die allerdings oft nicht hervorzutreten
brauchen — einen erheblichen Nachteil für klares Ver-
ständnis involviert. Man mag ihnen größere oder geringere
5(54 Zaaammenfassung dessen, usw.
Bedeutung zumessen und sicher wird dieselbe von Fall zu Fall
verschieden sein, aber daß man ganz ohne sie auszukommeD
vermag, wird man zwar mitunter behaupten, aber übertll
dort, wo Erkenntnis und nicht so sehr die Lösung praktischer
Fragen auf dem Spiele steht, meist oder doch recht oft
nicht nachweisen können.
Das ist die eine Seite dieses Argumentes. Die andere
besteht in dem Folgenden: Unser System, das theoretisch
so allgemeingültig ist, dessen Elemente eindeutig bestimmt
sind und dessen Anwendungen immerhin einen gesunden
Inhalt haben, der über das^Gebiet von Selbstverständlich-
keiten erheblich hinausreicht — dieses System deckt eine
überaus große Menge von Fakten und steht mit der Wirklich-
keit in einem engern Zusammenhange, als es dem Gegner
der Theorie, der an ihrem Apparate Anstoß nimmt, viel-
leicht scheint. Wir mußten im Gegensatze zu andern Theo-
retikern und in weitgehender Übereinstimmung mit den
Gegnern der Theorie wiederholt das Gegenteil betonen. Vor
allem waren wir genötigt, viele Behauptungen der altem
und selbst manche der modernen Ökonomen als der Wirklich-
keit nicht entsprechend aus der Theorie auszuscheiden, wie
die Hypothese des Individualegoi^^mus, oder so zu restringieren,
daß sie ihren interessantesten Inhalt verloren, wie das
Maximumtheorem und die die freie Konkurrenz betreffenden
Thesen. Das ist getan und davon sprechen wir hier nicht.
Sodann sahen wir, daß unser statisches System bei weitem
nicht alle wirtschaftlichen Erscheinungen erklärt, nicht z.B.
Zins und Unternehmergewinn, auch nicht alle möglichen
Arten von Preisbildung und alles, was an der letztern auch
in ihrer einfachsten Form wichtig ist; hierher gehöric*
Momente werden sofort und dann noch an anderer Stellt
zur Sprache kommen. Endlich kam es wiederholt vor, dafi
auch an sich korrekte Resultate der Theorie sich an der
Wirklichkeit der Tatsachen nicht ganz l)efriedigend be-
währten, so z. B. in der Lohutheorie — ja bis zu einen»
gewissen Maße geradezu überall. Allein bei Betrachtung^
dieser Art übersieht besonders der Gegner der Theorie, dessen
Wert dei reinen Ökonomie. 565
großes Verdienst es war, deDselben zu ihrem Rechte zu
verhelfen, nur zu leicht, daß die Meoge von Tatsachen, die
sich dem Schema der Theorie ungezwungen einfügt, trotz
allem eine ganz außerordentlich große ist. Es ist das die
große Masse der Erscheinungen des Alltages , dessen , was
man Uglich und überall sehen kann und von dem man
weiß, daß es t&glich und überall geschah und mit großer
Sicherheit sich ebenso alltäglich wiederholen wird. Eben
diese „Alltäglichkeit" im wahrsten Sinne des Wortes bewirkt,
daß uns diese Dinge weniger auffallen, als andere, die seltener
und soweit weniger wichtig sind, daß man aber sie hinweg-
sieht und wenig geneigt ist, sich Ober sie Rechenschaft zu
gehen, ebenso, wie man sich im gewöhnlichen Leben über
die doch so merkwürdigen Erscheinungen der Verdauung
oder des Schlafes keine Gedanken macht. Das bringt es
auch mit sich, daß viele Leute der Erörterung jener wirt-
schaftlichen Erscheinungen, „die jeder Köchin wohl vertraut
sind," kein besonderes Interesi^e abzugewinnen vermögen und
die Lektfire eines Buches aber reine Ökonomie oft so lang-
weilig finden: Weil die Dinge, über die es handelt, so banal
sind, so meint man, daß auch jede Darstellung derselben
nur banal sein könne. Aber das ist in diesem Zusammen-
hange ein Argument für uns und zeigt schlagender als
alles andere, wie breit die Basen unseres Systemes sind.
Sie sind viel breiter, als es nötig wftre, breiter und ver-
läßlicher, als wir strikte nachweisen können, und bewähren
sich besser, als unsere Voraussetzungen selbst vermuten
lassen, an denen wir strikter Korrektheit halber eine so
große Anzahl von Reserven anbringen.
Wenn man also sagt, daß unser Gleichgewichtssystem
gerade dasjenige schildere, was banal oder gar selbst-
verständlich sei und von allem wirklich Interessanten ab-
strahiere, so ist das nur zur Hälfte ein Einwurf. Das In-
teressante ist das Ungewöhnliche, und es läuft dann jener
Satz zum Teile darauf hinaus, anzuerkennen, daß wir
tatsächlich das Gewöhnliche. Regelmäßige, kurz, die große
Masse jener Erscheinungen erfassen, die wir ttherha-u-v^ ^^~
566 Zusammenfiissang dessen, usw.
fassen wollen. Die wissenschaftliche Bedeutung unserer
Erörterungen gewinnt also sogar etwas dadurch — es wird
zugegeben, dafi ein verhältnismäßig nur kleiner, wenn auch
gerade deshalb auffallender Rückstand von „Preistatsacheo*,
in unserem Sinne, unerklärt zurückbleibt. Aber nur zum
Teile, wie gesagt, rettet das den Wert unserer Disziplin
und wir sind weit entfernt zu leugnen, dafi dieses Argument
zweischneidig ist. Noch immer bleibt die Tatsache bestehen,
daß eben jene Dinge, auf die unser System zugeschnitten
ist, gegenüber andern wirtschaftlichen und sozialen Er-
scheinungen an Interesse sehr zurücktreten. Wie dürftig
nimmt sich unser Bild der Wirklichkeit neben der bunten
Fülle des Lebens aus, die sich darbietet, wenn wir um uns
blicken ! . Die großen Lebensfragen der Zeit , die Probleme
von Vergangenheit und Zukunft, die sich uns da aufdrängen,
können nicht verfehlen, uns zu faszinieren. Und dann lehren
uns gerade die neuesten Fortschritte der reinen Theorie
der Statik, daß wir von ihr aus nichts, gar nichts oder so
gut wie nichts von denselben verstehen können. Die Ver-
suche der altern Ökonomen haben kläglich versagt und wir
können nicht mehr tun — als ökonomische Theoretiker — .
als eben das exakt zu beweisen. Besonders instruktiv sind
jene großen Analysen der Volkswirtschaft, die mitunter vom
reinwirtschaftlichen Standpunkte versucht wurden, z. B. die
Marx' und viele andere. Wir können hier nicht in eine
Würdigung derselben eingehen , namentlich auch nicht ihre
Verdienste, die wir nicht völlig leugnen, berühren. Aber |
das Gesamtresultat ist doch, meine ich, stets ein negatire*
gewesen und nur wenige werden bestreiten, daß sich dabei
die Insuffizienz der Grundlage ergab. Heute ist man davon
abgekommen, und wenn auch fast jedes Lehrbuch eine solche
Analyse versucht, so zieht es dazu doch auch und sopr
vornehmlich andere Mittel heran, als jene, die die ökonomische
Theorie in unserem Sinne bietet. Wir können gar nicht
daran denken, die Probleme der Rassen und Klassen u»<i
die großen Fragen der Politik, die Größe und den Rückgang
der Völker, ihr Hoflfeu und Streben und die Gefahren, ü^
Wert der reinen Ökonomie. 567
ihnen drohen, ihre Vergangenheit und Zukunft von unserem
Standpunkte zu begreifen. Und doch haben alle diese Dinge
ihren wirtschaftlichen Aspekt, wie man sich leicht überzeugt.
Wir werden das mit mehr Gewinn diskutieren, wenn wir
vom „praktischen" Werte unseres Systeme» sprechen, aber
schon hier mußten sie erwähnt werden. Gerne geben wir
zu, daß in ihnen die interessantesten Probleme der Sozial-
wissenschaften liegen , daß sie den forschenden Blick mit
magischer Gewalt anziehen und daß wir den nicht tadeln
können, der Ober ihrer Größe unsere Theorie vergißt.
Das ist aber noch nicht einmal alles. Auch der gewöhn-
liche Verlauf der Wirtschaft ist voll Leben uud Bewegung
und in steter Entwicklung begriffen. Wir nun stehen dem
EntwicklungsphftROmen und dem „hohen Probleme" des
ökonomischen Fortschrittes ratlos gegenüber. Nicht allein
nun macht uns das die Erfassung hochwichtiger wirtschaft-
licher Erscheinungen unmöglich, die sich täglich zeigen und
nie fehlen, wie wir sahen und nochmals berühren werden;
sondern auch unser Bild des Alltages , soweit wir ihn
schildern, ist in Gefahr, als geradezu falsch verurteilt zu
werden, da es uns einen Ruhezustand vortäuscht, der nie
und nirgends existiert. Welche Jammergestalt ist doch
unser das Gleichgewicht ängstlich suchendes Wirtschafts-
subjekt, ohne Ehi^eiz, ohne Unternehmungsgeist, kurz ohne
Kraft und Leben! Und wo sind alle die Wollungen und
Handlungen, welche auch den Alltag aus dem Staube er-
he'ben?-
Darauf läßt sich mehr entgegnen, wenn auch gewiß
etwas Wahres daran ist. Wir wollen das eine und das
andere scharf gegeneinander kontrastieren. Nebenbei be-
merkt, der Leser vermag hitr zu sehen, in wie komplizierter
Weise sich die Fäden gegnerischer Argumente ver-
schlingen uud wie leicht es Ist , nach einer Seite bin zu
weit zu gehen, wieviel Geduld und Liebe zur Sache dazu
gehört, zur Wahrheit vorzudringen. Entgegnen und fUr
den Erkenntniswert unseres Systenies anführen läßt sich
das Folgende: FOr_die weitaus größte Periode des gewöliu-
5(j8 Zasammenfassniig dessen, usw.
liehen Lebens ist so gut wie jedermann ein solcher Iid^
weiliger „Gleichgewichtsmensch''. Zu energischem Wplln,
zu neuen Bahnen rafft sich jedermann nur in FftlieD.aoL
welche gegenüber den zahllosen Vorkommnissen des Alltages
Ausnahmecharakter tragen. Das mag zweifelhaft erscheino.
ist aber wohlbegründet. Gerade das Aufsehen, dafi ein Ab-
weichen von dem erregt, was jemancf „gewöhnlich* tut joi
was man mit großer Sicherheit von ihm erwartet, beweist
es. Bei einigem Nachdenken wird man sich — viellek^
nicht ohne Überraschung, aber gewiß — darüber klar, di8
wir eigentlich nur in verhältnismäßig seltenen Augenblickei
wirklich leben, sonst aber „mechanisch'* den gewöhntet
Werktag abhaspeln. Freilich tut das niemand vollständig
Besonders von unserem Standpunkte können wir das tob
niemand annehmen, da wir bereits die Anfertigung eine?
neuen Werkzeuges und ähnliches als außergewöhnliches Er-
eignis auffassen. Deshalb haben wir stets darauf Gewicht
gelegt, zu betonen, daß unser System nur auf ganz kum
Zeitperioden anwendbar ist. Von diesen können wir be-
haupten, daß nichts derartiges geschehe, ohne sehr weit
fehlzugehen. In einer irgend längeren, in der die Energie
des Einzelnen, wie der Massen Zeit hat, sich sozusagen zun i
Sprunge zusammenzuballen, geht das im allgemeinen nicht
Da werden neue Bahnen eingeschlagen werden, die die
Grundlagen unseres Systemes verändern. Aber innerhilb
aller unserer Voraussetzungen decken dieselben tatsächlicii
die große Masse der Erscheinungen. Außerdem haben wi:
in einer Beziehung noch eine Reserve: Wir haben eine
Methode vorgeschlagen, nach der es möglich ist, die Voraus-
setzungen einer rein hedonistisch -egoistischen Handlung^
weise zu umgehen. In unsere Wertfunktionen lassen sid
die Wirkungen außerwirtschaftlicher Motive usw. bis n
einem gewissen Grade einschließen. Wie der Leser
weiß — völlige Rechenmaschinen sind unsere Wirtschafte
Subjekte nicht. Wohl aber ist es eine bureauk ratische.
quietistische, philiströse Welt, die wir zeichnen, oder besser
es ist gerade der quietistische, philiströse Aspekt de$
Wert der reinen Ökonomie. 569
menschlichen Handelns, der sich in unserem Bilde spiegelt.
Aber dieser Aspekt ist eben wichtig. Ist er nicht alles, so
ist er doch Viel, wenn nicht das schillerndste, so doch das
breiteste Problem, jenes, das zuerst gelöst und verstanden
sein muß, ehe man weitergehen kann, das, bewußt oder un-
bewußt, nie aus dem Auge verloren wird und verloren
werden kann. Er ist das große Hauptquartier, von dem
aus alle „interessanten" Bewegungen starten, und im Ver-
gleiche zu ihm sind sie eben interessant und ungewöhnlich.
Dieser Aspekt ist es, der dem unbefangenen Beobachter —
eiiftm Wesen, das noch nichts vom menschlichen Handeln
wüßte — vor allem sich in jedem gegebenen Momente dar-
bieten würde und dessen Gesetze am leichtesten zu verifi-
zieren sind.
In der Tat, im Eifer, die Gegeninstanzen zu betonen,
übersieht man, wie schlagend sich unser Gleichgewichts-
Bystem verifizieren läßt. Der Arbeiter geht zu seiner täg-
lichen Arbeit im allgemeinen ziemlich „mechanisch", in
derselben Weise und mit denselben Dispositionen wie gestern.
Der Beamte ebenfalls so in sein Bureau, der Händler zu
meinem Marktstande, mag derselbe nun im „Kaffir-Circus*
etuf der Stock- exchange in London, oder im Obstmarkte
Biner Kleinstadt liegen. Und was sie alle da täglich er-
leben, ist im großen und ganzen dasselbe wie gestern und
jede Neuerung fällt auf und begegnet einem erheblichen
Widerstände. Freilich spricht jeder von den sich voll-
ziehenden Veränderungen und wenn man ihm glaubte, so
müßte man meinen, daß sich alle wirtschaftlichen Ver-
hältnisse täglich von Grund aus ändern. Nicht nur der
Mann in der Praxis des Wirtschaftslebens — und jede
Hausfrau — glaubt das, sondern auch der Agitator und
der Politiker. Dem ist aber nicht so: Nur langsam ändern
sich die Dinge, noch langsamer ihre wesentlichen Züge. Zu
einem guten Teile beruht es auf Täuschung, wenn man von
grundstürzenden Entwicklungen binnen weniger Jahre spricht.
Es erinnert das an die populäre Ansicht, die man so oft
hören kann, daß sich das Klima seit kurzem erheb-
570 ZuBammenfassung dessen, usw.
lieh geändert habe. Tatsächlich dtli*fte es sich nach geges-
wärtiger Ansicht der Fachkreise in historischen Zeiten aber
tlberhaupt nicht geändert haben. Die Änderungen, die akh
vollziehen, liegen gewiß nicht vollständig, aber erheUick
mehr als man glaubt, in Worten, in den populären — bd
uns leider auch den wissenschaftlichen — Phrasen. Und
selbst diese bleiben sich in überraschender Weise gldeL
Immer sind es dieselben Argumente und Befürchtungen, die
wir hören und die sich de facto fast nie verwirkliche!.
Namentlich wo entgegengesetzte Klasseninteressen auf-
einanderstoßen, ist es ein uralter Trick der Parteien, äeh
gegenseitig verändertes Verhalten, neue Ansprüche iw-
zuwerfen. Darin glaubt man immer eine besonders wirkswe
Entgegnung zu besitzen. Ein klassisches Beispiel ist dis
Verhältnis zwischen Dienstboten und deren Dienstgebero.
Die letzteren behaupten, daß sich die ersteren nun anders
verhalten, als noch vor kurzer Zeit. Ein wenig Überlegung
aber lehrt, daß mit Rücksicht darauf, daß sich der Charakter
dieser Beschäftigung langsam ändert, daß Kombinationea
innerhalb derselben schwer sind und endlich, daß viele
Dienstboten ihren Beruf nur als Durchgangsstadium be-
trachtend weniger energisch als andere Arbeiter auf Ver-
besserungen ihrer Lage bestehen können, dieser Stand
höchstens von den Fortschritten anderer Arbeiterklasst'o
mitgezogen wird, keineswegs aber an der Spitze der Auf-
wärtsbewegung stehen kann. Tatsächlich läßt sich aocfa
zeigen, daß alle wesentlichen Charakteristika, z. B. die
lange Arbeitsdauer pro Tag, im großen und ganzen sick
auch gegenüber dem Mittelalter und selbst dem Altertoae
nur wenig geändert haben können. Und ferner sieht mu
auch, wie die kleinste tatsächliche Änderung das gröfite
Aufsehen erregt, zur lebhaftesten Diskussion führt joi
dadurch oft ganz unverdiente Bedeutung erhält — besonden
wenn geAngstigte Besitzinteressen in Betracht kommei*
Sicher könnte man in diesem Gedankengange leicht zu weit
gehen ; besonders wir, die wir das nicht genügend ausführet
können, sind einem solchen Verdachte und vielleicht gtf
Wert der reinen Ökonomie. 571
Mißverständnissen verschiedener Art ausgesetzt; aber wenn
man findet, daß wir zu weit giengen, so wolle man bedenken,
daß wir einer vernachlässigten Seite der Sache zu ihrem
Rechte verhelfen wollten, während uns die andere hin-
länglich gewürdigt zu sein scheint. Wir haben immer be-
tont, welchen Einschränkungen der Geltungsbereich unseres
Raisonnements unterworfen ist und werden das gleich wieder
tun; hier aber war es nachgerade an der Zeit, hervor-
zuheben, daß sich unser System denn doch auch, wenn nicht
so gut bewährt, als die Theoretiker meist glauben, besser
halten läßt, als seine Gegner meinen. Wie man über unser
Argument denken mag, hängt wiederum von persönlichen
Anschauungen ab. Wir sind zufrieden, wenn man zugibt,
daß etwas Wahres daran ist.
Nur einen Punkt wollen wir noch erwähnen. Unsere
Theorie beruht, wie wir sahen, auf jenen Zusammenhängen
zwischen den Gütermengen, die die Individuen besitzen,
welche wir als das Gesetz vom Grenznutzenniveau bezeich-
neten. Wir sagten, daß die ganze reine Ökonomie in nuce
in demselben liege. Nun dieses grundlegende Theorem läßt
sich leicht verifizieren. Eine große Tatsache entspricht ihm.
Es ist das die Tatsache der Konstanz der Budgets weitaus
der meisten Leute, die Tatsache, daß so gut wie jedermann
innerhalb genügend langer Perioden ~ Perioden, die lang
genug Mnd, um interessant zu sein — dieselben Güter in
immer gleichen Mengen zu konsumieren tendiert, ebenso
wie er an Art und Methode seiner produktiven Tätigkeit
im großen und ganzen außerordentlich zähe festhält. Man
kann von Arbeiterbudgets sprechen und für jeden Ort und
jede Zeit leicht Typen aufstellen, die, was immer man sagen
mag, der Wirklichkeit hinlänglich entsprechen. Und so auch
für andere Klassen, als die der Arbeiter. Freilich gibt es
da Unterschiede und nicht überall wird die Aufstellung von
Typen leicht sein; aber für jeden Einzelnen gibt es — man
frage sich nur selbst — ein ziemlich festes Budget oder,
wie man auch sagen kann, ein und nur eine ziemlich feste
Produktious- und Konsurationskombination, einen sehr kon-
572 Zusammen^ftssung desseD, usw.
stanteu Standard of life. Wollen wir auch diese Tatsiiie
nicht übertreiben; der Einschränkungen, die zu micba
wären , gibt es viele und bedeutende ; namentlich gibt tf
keineswegs für jedermann schlechthin einen solchen fan
Standard; aber alles das vernichtet die grofie wissenschtft-
liche Bedeutung dieser Tatsache nicht, und keine grofizügip
Kritik wird uns, glaube ich, bestreiten, dafi in ihr eine l»>
friedigende Verifikation des Hauptinhaltes der Theorie liegt
Akzeptiert man das — und wir haben die beste Hoflhoog
diesbezüglich — , so wird man uns auch zustimmen, wen
wir sagen, dafi diese grofie Erscheinung allein hinreicht ^
wissenschaftliches Gebäude zu tragen und dieses letztere tm
Wert ist, wenn es auch gar nichts anderes beschriebe« ib
dieses eine Moment. Keinesfalls aber kann man uns iw-
werfen, dafi der Grund, in dem die Theorie ankert, ein be
deutungs- und wertloser ist.
Das also kann man für unser System anführen, ooi
etwas ist unzweifelhaft damit gewonnen. Hätte man das
Gesagte jemals gebührend bedacht, so, glaube ich, hätte nui
in der Ablehnung der Theorie nie so weit gehen könneit
Allein, nun obliegt es uns, auch unsererseits anzuerkenoen.
daß etwas Wahres, viel Wahres sogar, in den ArgumeDtro
der Gegner liegt. Wir haben das in einzelnen Fällen schon
so oft selbst betont, dafi wir hier nur zwei Momente der
Aufmerksamkeit des Lesers empfehlen wollen. Das eine l<
kaum mehr als eine Banalität: All das Gesagte nämlicii
hilft uns nicht völlig, sondern eben nur zum Teile über dif
unleugbare Tatsache hinweg, dafi unser Bild selbst, soweit
es überhaupt reicht , unvollständig ist und eine Reihe toi
wichtigen Erscheinungen nicht enthält Ihr Ausnabse
Charakter ist nur ein halber Trost angesichts des unleo^
baren Interesses dieser Ausnahmen. Wir können nidrt
etwa dieselben als quantit^ negligeable betrachten — oder
doch nur vom Standpunkte unserer Resultate — , sonden
müssen zugeben, dafi ihr Studium nötig und interessant iSL
namentlich deshalb, weil sie keineswegs danach tendieret,
sich zu balanzieren oder zu verschwinden, sondern die
Wert der reinen Ökonomie. 573
Gmndlaf^e dauernder Eotwicklungen sind. Und wir köDoen
Bicht umhin, den Standpunkt jener zu begreifen, welche
aber unsere Theorie lächeln , wenn wir ihn auch aus den
angeführten Gründen nicht teilen. Dabei haben wir bereits
das zweite Moment berührt , das hier wichtig ist : Die
wirtschaftliche Entwicklung und alle die bedeutenderen
St6rungsursachen des Gleichgewichtszustandes — also alle
mit Ausnahme von Irrtum usw. — fahren von dem letztem
ab, ohne dafi eine Tendenz besteht, zu ihm zurückzukehren.
■ Er ist also nicht ein zwar abstraktes aber doch stets vor-
handenes Gravitationszentrum der „wirtschaftlichen Kräfte".
■ Allerdings beschreiben wir ja keinen konkreten Zustand der
' Wirtschaft, sondern einen formalen, den nir immer, auch
' in jedem Momente der lebensvollsten Entwicklung beobachten
' können, Dinge, die sich wirklich gleichbleiben, wie auch die
konkreten Daten wechseln. Allein man kann dennoch nicht
sagen, dafi unser Gleichgewichtszustand dem Niveau eines
' Meeres gleicht, das stets gestört ist, aber sich stets herzu-
' stellen strebt, ja, aus genügender Entfernung geseben, stets
' ein Bild der Ruhe bietet: Die Wellen des Meeres kehren
' zum Niveau desselben zurück, nicht aber die Wellen des
■ Wirtschaftslebens. Und die wirtschaftliche Entwicklung geht
B auch trotz dem, was wir oben sagten, schneller vor sich als
etwa geologische Veranderungeo oder gar systematische Ver-
' Änderungen der astronomischen Körper. Daher hat sie für
- den Menschen eine viel größere Bedeutung als diese und es
' ist nicht zu vermeiden, da6 der forschende Blick auf sie
fflltt. Die dynamischen Erscheinungen spielen also im Ver-
hältnis zu den statischen auf unserem Gebiete eine größere
Kolle, als auf dem anderer exakter Disziplinen — das bleibt
trotz unseres früheren Argumentes bestehen. Daraus nun
ergibt sich sicherlich eine große Einschränkung des Er-
Iteontniswertes unseres Systeme« und auch ein , wenn viel-
leicht nur gradueller, so doch nichtsdestoweniger bedeutender
"Unterschied gegenüber seinen exakten Verwandten. Der
Vergleich mit der reinen Mechanik ist trostreicher: Auch
574 ^usammenfaasung dessen, osw.
diese ist nur ein dürftiges Bild der farbenprächtigen lebei5-
voUen Natur — und doch, wer wird ihr das vorwerfen?
Aus allem dem, im Zusammenhalte allerdings ndt
unsern Erörterungen konkreter Probleme, mag sich nun der
Leser ein Urteil ttber den Erkenntniswert unserer Disziplia
bilden. Ich glaube, daß man mich für die Unbestimmtheit
des Resultates und die vielen „wenn"*, „aber'', „allerdings*.
„hinwiederum^ nicht tadeln wird; das war beabsichtigt ooj
kann meines Erachtens mehr Nutzen bringen, als fertige,
kurze, allgemeine Behauptungen, auf die ja doch so leicbt
zu entgegnen ist. Solche findet der Leser genug in unserer
Literatur. Hier wollten wir es einmal anders versudieo.
Was wir gezeigt zu haben glauben, ist nur, daB ein Strahl
von Erkenntnis von unserer Theorie ausgeht. Man mag ver-
schieden Ober ihn denken, und daffir haben wir nor
Material dargeboten, nicht eine absolute Meinung; aber siin
Vorhandensein dürfte der Leser fühlen.
§ 2. Vervollständigen wir das Gesagte noch durch
einige Worte über die Frage, welche Bedeutung unserem
System für die Lösung praktischer Fragen zukommt. Dal«!
wollen wir ein Moment — ein wichtiges, zu wenig ge-
würdigtes — abscheiden und späterer Diskussion vorbehalten.
Hier verstehen wir unter jenen praktischen Fragen die Pro-
bleme der praktischen Politik usw. Nun, im Priuzipe denken
wir nicht hoch über das, was sich dafür aus reinökonomiscben
Erwägungen gegenwärtig ergeben kann. Eingedenk der
strengen Lehren, die uns die Geschichte unserer Disziplin
in dieser Beziehung erteilt hat, wollen wir lieber zu vor-
sichtig als zu sanguinisch sein, umsomehr, als wir nicht ohne
Besorgnis zu beobachten glauben, daß die Theoretiker
wiederum auf dem Punkte stehen, dieselben zu vergessen
oder richtiger, daß sie dieselben nie genügend beherzigt
haben. Nur langsam ringt man sich zu der doch unvermeid-
lichen Entsagung durch, und noch ist die Zahl der in dieser
Beziehung ganz einwandfreien Arbeiten bedauerlich gering.
Wert der reinen Ökonomie. 575
Sagen wir also gleich, dafi wir hier in weitem Mafie
mit den Gegnern der Theorie Obereinstimmen. Zum Teile
beruhen die praktischen Anwendungen derselben direkt auf
Mißverständnissen ihrer Methoden und auf Yerkennung ihrer
Aufgabe. Was wir dabei den Gegnern vorzuwerfen haben,
ist, dafi sie daraus auf die Wertlosigkeit oder gar Falschheit
der Theorie schlössen. Doch wollen wir das nicht wieder-
holen, sondern nur kurz unsere diesbezfiglichen Ergebnisse
zusammenfassen. Sie sollen dem Leser ohne weitere Recht-
fertigung dargeboten werden, da wir, der endlosen Fehl-
griffe und der darauf folgenden verfehlten Angriffe müde,
ohnehin daran verzweifeln, irgendjemand zu unserer Ansicht
zn bekehren. Mit dem Historiker können wir uns ver-
ständigen, mit dem politisierenden Theoretiker nicht. Wer
durchaus von der reinen Theorie aus die höchsten Fragen
der Politik lösen will — er gleicht Jkarus in bedenklicher
Weise — oder wer gar nur Theorie treibt, um sie für die
politische Diskussion zu verwerten, ist ihr schlimmster Feind.
Auf einer Yerkennung des Wesens und der Aufgaben der
Theorie beruht es, wenn man auf Grund derselben etwas
fordern oder etwas rechtfertigen oder angreifen will. Wie
sehr die Theoretiker in dieser Beziehung gesündigt haben
und noch sündigen, weifi der Leser zur Genüge. Daß das
dem Wesen einer strengen Wissenschaft widerspricht und
wir damit nichts zu tun haben wollen, namentlich aber, dafi
sich solche Abirrungen von der Theorie trennen lassen und
diese nicht mit ihnen steht und fällt, alles das brauchen
wir nicht nochmals zu entwickeln, so lebhaft wir wünschen,
dafi der Leser sich diese Punkte einpräge. Ein Miß-
verständnis ebenfalls des Wesens und außerdem der
Methoden der reinen Ökonomie ist es. wenn man ihre Be-
griffe und Theoreme außerhalb ihres engsten Gebietes und
besonders ohne Weiteres auf die Wirklichkeit des sozialen
Lebens anwendet. Immerhin ist das verzeihlicher. Auf
allen Gebieten läßt sich dasselbe beobachten: Der erste
Schimmer einer neuen Erkenntnis gibt zu überschwänglichen
Hoffnungen Anlafi und man überschätzt die Bedeutung des
576 Zusammenfassung dessen, usw.
Errungenen. Und das hat auch seine Vorteile ; aber die Er-
nüchterung ist unvermeidlich und es wird nötig, sich zi
schmerzlichen Verzichten zu entschließen. Das ist auch bd
uns der Fall. Wir müssen uns darüber klar sein, dafi wir
die großen Probleme der Zeit nicht von unserem Stind-
punkte lösen können. Irgendein Stratege, Napoleon oder
ein anderer, hat gesagt, daß im Kriege alles darauf an-
komme, im rechten Momente die Übermacht zu haben« Eil
gutes Wort, das auch wir uns gesagt sein lassen wolkii:
Es hat keinen Sinn, mit unzureichenden Mitteln große Fh>-
bleme in Angritf zu nehmen und das Geheimnis tncb
wissenschaftlichen Erfolges liegt darin, solchen erst dann n
begegnen, wenn man ihnen gewachsen ist. Die reine Öko-
nomie ist es nicht, denn ihre Waffen sind ja garnicht dazi
geschmiedet. Zu glauben, daß unser atomistischer Begrif
der Volkswirtschaft uns etwas über deren wirkliches Lebet
und Weben sage oder daß unser Maximumtheorem zu Prus-
nosen für die Sozialpolitik ausreiche, heißt beide miß-
verstehen.
Aber auch wo kein solches Mißverständnis begangea
wird, muß der Versuch, viel für die „Praxis" aus der Theorie
zu gewinnen, gegenwärtig scheitern. Was wollen wir z. R
zum Probleme des britischen Imperialismus sagen? >'cr
Cienieinplätze oder unexakte Philosophien würden uns «
(iebote stehen. Aber können wir nicht zu gewissen Speiial-
fragen jenes großen Problenies beitragen, z. B. zum Fistil
Probleme? Allerdings, und darauf werden wir gleich koiDBK>B.
Allein man darf nicht vergessen, was wir schon im Ab-
schnitte über die Variationsmethode hervorhoben, nimlirt j
den statischen Charakter dieser Beitrftge. Derselbe bringt 1
es mit sich, daß wir iumier nur die unmittelbaren WirkuoffW
der Dinge erfassen können , und setzt uns dem Einwaage |
aus, daß wir den entscheidenden Punkt verfehlen. ^^\
sind dann in der wenig beneidenswerten Lage, uns saps
lassen zu müssen, daß wir die Dinge aus einer Frost**
Perspektive und in der denkbar kurzsichtigsten Wei« !*•
trachten. Was macht es, wenn ein Zoll irgendjemand U*
Wert der reinen Ökonomie. 577
mittelbar „Bchadet", wo die Zukunft der Matiou auf dem
Spiele steht? Was oützt udb der exakte Nachweis, daß eia
sozialpolitischer Eingriff dag NutzeDmaxtmum der Beteiligten
verringert — selbst in einem Falle, wo er wirklich ge-
lingt — , wenn wir ein „ceteris paribus" hinzusetzen müssen?
„Cetera" bleiben eben nicht gleich, sollen nicht gleichbleiben.
"Wir untersuchen die Wirkung einer Steuer. Diese Unter-
suchungen haben die Folge, daS Politiker, die beim National-
ökonomen gebührend gelernt haben , sehr for konservative
Sudgets sind. Zum Teile mit Recht; gewiß ist es wahr,
daß uferlose Ausgaben schliefilich die Grenze des Möglichen
erreichen und immer steigende Steuern bedenklich werden
müssen. Aber soweit darin Wahres liegt, ist das ja selbst-
verständlich, dazu brauchen wir die Ökonomie ebensowenig,
"Wie der Privatmann sie braucht, um kein Verschwender zu
Bein. Und zum andern Teile wird der Sozialpolitiker dar-
über lächeln: Er will ja die Dinge nicht erhalten, wie sie
sind, er will vorwärts, höher hinauf — und wiederum wird
unsere taktische Position keine günstige sein.
Bei geradezu allen Fragen der Industrie und ihrer Ent-
wicklung aber steht es so: Die ins Spiel kommenden Inter-
essen sind, u. a. infolge der Kombinationen der Einzelnen
KU Gruppen, so groß, daß Volk und Staat sich wohl oder
Qbel darum annehmen müssen. Auf Trusts usw. muß ein-
gewirkt, zwischen Arbeitern und Unternehmern vermittelt,
neue Absatzgebiete müssen, eventuell mit Gewalt, eröffnet
und der Industrie durch den Staat und seine Diplomatie
Arbeitsgelegenheiten verschafft werden. Die errungenen Be-
stellungen müssen mehr oder weniger arbiträr — und viel-
&ch nach nichtwirtschaftlichen Gesichtspunkten — verteilt
werden usw. Das alles geht einfach nicht anders und
dem gegenüber ist es völlig müßig, darüber zu streiten, ob
das gut oder schlecht ist. Die Tatsachen sind mächtiger
als die Prinzipien und der energischeste Doktrinär könnte,
an die entsprechende Stelle gesetzt, nicht umhin, sich mit
allen jenen Aufgaben auf vertraulichen Fuß zu stellen und
industrielle Expansionspolitik usw. zu treiben. Das alles
Sahnmpstkr, NkUoulOkoiiomie. ^
578 ZasammenfaseuDg dessen usw.
aber heißt, wenn wir den Mut der Wahrheit haben wollen,
nicht viel weniger, als daß unsere Theorie, soweit sie fest
begründet ist, den wichtigsten Erscheinungen des modeneB
Wirtschaftslebens gegenüber versagt. In dem großartigei
Kampfe um den Weltmarkt, der mit so verschiedenen Mitteli
geführt wird, hat die Zukunft das Wort — und aiu«r
System verstummt. Wenn es etwas leistet, so ist das oor,
daß es uns, besonders in seiner exakten Form, lehrt, mit
Klarheit die einzelnen Momente, auf die es ankommt, ans*
einanderzuhalten und nicht, wie es üblicherweise fast immer
geschieht, zu konfondieren ; das kann es bis zu einem ge-
wissen Grade: Schon die Unterscheidung zwischen Statik
und Dynamik und die Präzisierung der nötigen Daten unseres
Systemes leistet da viel. Aber das ist auch alles.
Wir sind auch leider nicht in der Lage, den Leser viel
von der künftigen Entwicklung unserer Wissenschaft in
dieser Richtung hoffen zu lassen. Sicherlich sind jene Pro-
bleme nicht hoffnungslos schwierig; aber wir meinen, daß
unsere Disziplin, die reine Ökonomie, für sie niemals
wesentlich Besseres leisten wird. Zurückweichen, nicht Vor-
dringen ist unseres Erachtens hier geboten, aufrichtiger
Verzicht sans phrase. Wir werden eine andere Richtung
kennen lernen, in der sich uns eine Entwicklungsmöglich-
keit zu eröffnen scheint — jene Probleme aber sind uns
wohl für immer entrückt. Auf die Frage, was die reine
Ökonomie für Fragen der Praxis zu leisten hat, können wir.
meine ich, nur eines entgegnen: Es gibt eine Reihe sehr
spezieller Probleme der Praxis, welche die Theorie in vielei
Fallen lösen kann. Es sind das jene komplizierteren Fragen
der Preisbildung , bei denen ein genauerer Ausbau der all-
gemeinen Regeln der Logik — eine Art spezieller ^Lopik
der Preise" — nicht wertlos ist. Beispiele haben wir keunei
gelernt. Freilich sind immer Daten aus der Wirklichkeit
dazu nötig und wenn dieselben gegeben sind, so ergibt i
sich auch oft da> Resultat ganz von selbst; aber doch nicht i
immer, und man wird hier Verdienste der Theorie nicht '
ganz in Abrede stellen können — ist es doch mOglich, anf
(
Wert der reinen Ökonomie. 579
4ie8e Weise eine Reihe von Korrekturen an der populären
Diskussion dieser Dinge anzubringen. Der Leser weiß, daß
irir hier die komplizierteren Anwendungen der Variations-
methode meinen. Aber ist denn das wirklich alles? Was
irir Qber das Wesen der Einkommenszweige sagen können,
hat denn das keine praktische Bedeutung? Abgesehen da-
von, daß uns diese Erkenntnis eben die Anwendung jener
Methode ermöglicht, kaum. Gewiß ist das Ergebnis inter-
essant, ebenso wie die eindeutige Bestimmtheit von Lohn
und Rente. Allein was soll das dem Praktiker nützen?
Der Umstand, daß sie ökonomisch erklärbar sind, gibt den
Einkommen keine höhere Weihe, wie manche Theoretiker
glauben. Dem ersteren wird es sehr gleichgültig sein, ob
«r die Einkommensverteilung direkt oder nur dadurch be-
einflussen kann, daß er die ,, Daten des Systemes'' ändert,
wenn eine Einflußnahme nur überhaupt möglich ist. Wir
haben gesehen, daß aus der ökonomischen Ableitung der
Einkommen noch keineswegs eine „Rechtfertigung" oder
selbst deren absolute „Naturnotwendigkeit" folgt. Und wenn
sich die Besitzer von Einkommensquellen nicht selbst wehren
würden, so würden sie unsere Erörterungen sehr wenig vor
sozialpolitischen Eingriffen schützen. Und so steht es mit
allen unsern Theoremen; sie sind interessante wissenschaft-
liche Ergebnisse und vielversprechende Anfänge weiterer
Entwicklung. Aber begnügen wir uns damit und setzen
wir sie der Belastungsprobe praktischer Anwendungen nicht
aus — sie vertragen sie nicht: Aussichtstürme sind es,
nicht Festungen; ein Bombardement vertragen sie nicht.
Ein geistreicher Mann hat einmal seiner Verwunderung
darüber Ausdruck gegeben, daß der Praktiker meist nichts
von Theorie, der Theoretiker nichts von der Praxis verstehe.
Das ist außerordentlich treffend. In ganz erstaunlicher
Weise sind sich oft die heiTorragendsten Staatsmänner und
Geschäftsleute über die elementarsten Dinge nicht nur an
der reinen Theorie, sondern auch an Erscheinungen im Un-
klaren, die sie unmittelbar angehen. Die besten Männer
der Tat haben die schlechtesten Abhandlungen über wirt-
87^
580 ZnsammeiiftMsiuig dessen, usw.
Bchaftliche Fragen geschrieben und Reden gehalten, die einer
kahlen Prüfung nicht standhalten. Aber uns kann das
nicht wundernehmen und wir werden sie nicht darntck
werten; es ist das vielmehr gerade, was wir erwarten
würden. Man kann ja auch sehr gut verdauen , ohne za
wissen, dafi man überhaupt einen Magen hat, und wir wissen,
dafi zu richtigem Handeln richtiges Denken bei weitem
nicht so nötig ist, wie man glaubt: Die Motive und die
Grundsätze , die dem Handelnden bewußt sind , sind oft
andere, als jene, welche ihn tatsächlich leiten. Schlimm
wäre es, wenn wir den Wirtschaftssubjekten ihr Handels
erst lehren müfiten. Wir wollen von ihnen lernen, d. h. ihr
Tun zu unserer intellektuellen Befriedigung beschreiben.
Unsere Sätze müssen für sie teils selbst- und teils un-
verständlich sein. Es wird für die SozialwissenscbafteD da
Anbruch einer neuen Epoche bedeuten, wenn das einmal
allseitig anerkannt sein wird.
III. Kapitel.
Nochmals die Grenzen und Mängel der Ökonomie,
§ 1. Nochmals wollen wir die Grenzen und Mängel der
theoretischen Ökonomie nach ihrem heutigen Stande präzi-
sieren, ehe wir zu dem übergehen, was wir über die nötigen
Reformen, die Frage nach der Richtung weiterer Arbeit
und einige Entwicklungsmöglichkeiten zu sagen wQnschen.
Dabei werden wir in einer Hinsicht etwas anders vorgehen,
als bei der Diskussion des Erkenntniswertes unserer Disziplin.
Während wir dort das Endurteil dem Einzelnen anheim-
stellten und uns nur bemühten, sozusagen sein materielles
Substrat voll und wahr darzulegen, so glauben wir, dafi
hier nicht nur der Laie, sondern auch der Fachgenosse
anderer Richtung die Zügel demjenigen überlassen muß,
der seine ganze Kraft der Theorie widmet und ihr Gebäude
genau kennt. Dort also sollte für und wider in entsprechendem
Verhältnisse dargestellt, hier sollen dem Leser kurz und
präzise Antworten auf Fragen erteilt werden, die er an uns
zu stellen berechtigt ist. In diesen Fragen wollen wir ihm
einen fertigen Standpunkt empfehlen, etwas, woran er sich
unseres Erachtens halten kann. Hier wie dort aber bauen wir
unsere Anschauungen vor den Augen des Lesers auf und
bemühen uns vorsichtig, dafür aber auch verläßlich zu sein.
Aber wir wollen hier nicht soviel Worte machen wie dort,
sondern so kurz und trocken wie möglich sein.
Nach all dem Gesagten können wir die Grenzen der
reinökonomischen Erkenntnis, die uns unser statisches System
532 ZasammenfassuDg dessen, usw.
ermöglicht, ohne weitere Begründung etwa in der folgendeB
Weise präzisieren. Positiv reicht unser Gebiet, wie irir
nochmals wiederholen wollen, soweit als die Anwendbarkeit
unseres Tauschschemas. Also in einer Beziehung weiter
als die Erscheinung der Preise im gewöhnlichen Sinne dieses
Wortes, vor allem auch in das Feld der verkehrslosen Wirt-
schaft hinein und selbst tlber das der wirtschaftlichen Vor-
gänge hinaus. Letzterer Punkt ist aber von verhältnismASig
geringer Bedeutung; die dabei erreichbaren Resultate ver-
dienen ein tieferes Eingehen kaum oder doch nicht in dem
Maße, wie die wirtschaftlichen. In einer andern Beziehung
aber reicht unser Gebiet nicht so weit, wie der Tausch.
Denn wir können keineswegs alles am Tausche überhaupt
und auch nicht alle Tauschrelationen und alle Arten der
Preisbildung erklären. Nur soweit der wirtschaftliche , All-
tag", besonders das große Faktum der Konstanz der
Budgets, geht, kommt man mit unserem Bilde der Wirk
lichkeit aus. Präziser kann man das dahin ausdrücken, daß
dieses Bild soweit brauchbar ist, als die Annahme kon-
tinuierlicher und stetig abnehmender Grenz-
nutzenfunktionen nicht mit der Wirklichkeit kollidiert.
Nicht oft genug kann betont werden, daß sich keine^weg^
alle konkreten Preise auf dieser Basis beschreiben lassen.
Schon unsere Zurückführung der ganzen reinen Ökonomie
auf die Tauschrelation wird auf Widerspruch stoßen; noch
mehr aber wird die eben aufgestellte Behauptung auffallen;
und doch scheint uns beides wesentlich zum richtigen Yer-
Ständnisse der Ökonomie zu sein.
Schon darin liegt eine Abgrenzung unseres Gebietes. Wir
wollen dasselbe noch negativ durch Angabe jener Momente
vervollständigen, an denen wir sein Versagen l>eobachten,
also sozusagen seiner Grenzsteine. Auch das ist nur eine
Wiederholung. Wir haben vier solcher Grenzen konstatiert.
Es sind die folgenden: Erstens und vor allem stellen die
Daten eines Problemes immer auch seine Grenzen und jene
der Methode dar, mit der dasselbe gelöst wird. Unsere
Daten aber waren die Wertfunktionen — in denen sich die
Nochmals die Grenzen und Mängel der Ökonomie. 5g3
ganze Natur unserer Wirtschaftssubjekte spiegelt, ihre Rasse,
Geschichte usw. wie ausgeführt — , ein gegebenes geo-
graphisches Milieu — Klima, Bodenbeschaffenheit usw. — ,
eine bestimmte Organisation unserer Individuen — Staat,
Becht, Wirtschaftsorganisationen jeder Art usw. — und
endlich eine gegebene Verteilung aller Güter — sowohl
aller Produktiv-, wie Konsumtivgüter. Die letztgenannte
Einschränkung ist insofern für uns die wichtigste, als sie
oft übersehen wird, und in dieser Schärfe erst von uns aus-
gearbeitet, eine sehr ernste und vielleicht befremdende Be-
grenzung unseres Gebietes darstellt. Sie ist für die Beurteilung
unseres Systemes und für das Verständnis mancher Punkte
des Methodenstreites so wichtig, daß sie nochmals der Auf-
merksamkeit des Lesers empfohlen sei. Zweitens liegt
eine der Übung vieler, der meisten Nationalökonomen gegen-
über sehr zu betonende Grenze unseres Systemes in seinem
beschreibenden, d. h. streng wissenschaftlichen Charakter,
der Werturteile und Forderungen ausschließt. Drittens
in seiner formalen und viertens seiner statischen Natur-
Diese Grenzen bringen es mit sich, daß in unseren Theoremen
an sich nie etwas über konkrete Zustände der Wirtschaft
enthalten sein kann und daß sie der Erscheinung der Ent-
wicklung gegenüber im allgemeinen versagen. Wir wollen
diese Dinge nicht weiter ausführen, das Gesagte stellt nur
ein Resum^ von früher gewonnenen Erkenntnissen dar, und
dasselbe gilt auch von dem Folgenden.
Wenn wir nach den Mängeln der ökonomischen Theorie
fragen, so müssen wir zwei verschiedene Arten derselben
sorgfältig scheiden, zwischen jenen nämlich, welche dem
herrschenden Lehrgebäude derselben und jenen, welche der
Theorie selbst anhaften, ihr gleichsam angeboren und nicht
oder nur schwer zu beseitigen sind. Wir wollen sie ge-
sondert resümieren und bedauern sehr, daß das nicht immer
geschah.
Die Zahl der ersteren ist erheblich. Sie sollen in
folgender Weise gruppiert werden. Wir sahen , daß jenes
Lehrgebäude vor allem eine ganze Anzahl von wertlosen
584 ZusammenftMauiig dessen, nsw.
BestaDdteilen enthftlt. Als Beispiele seien gewisse Teile
der Geldtheorie, gewisse Erörterungen über Sparen, Ober
Transport- und Versicherungswesen, femer Dinge, die mu
etwa als „Handelskunde'' bezeichnen könnte, angefahrt
Sodann enthält es nicht hineingehörige Elemente.
Dieselben lassen sich in zwei Gruppen zusammenfassen. Als
Typus der einen können die üblichen^Rechtfertigungsversuche
der Einkommen, als Typus der anderen Betrachtungen über
Klima, Rassenfrage usw. bezeichnet werden. Bei der ersteren
sind wir überhaupt nicht Theoretiker, bei der letzteren wohl
Theoretiker, aber Dilettanten. Die Bevölkerungstheorie
gehört zum Teile hierher. Drittens konstatieren wir, wenn
wir nun zur eigentlichen ökonomischen Theorie übergehen,
eine ganze Heihe von Sätzen, welche man etwa als „schwache
Punkte" bezeichnen könnte. Erinnere man sich z. B. der
Zins-, der Kapitalbildungs-, der Unternehmergewinntheorie,
übrigens auch anderer — die übliche Geldtheorie gehört
sicher hierher, nur ist sie im Begriffe, diesem Stadium lu
entwachsen. Die Qumtitätstheorie aber kann man noch
heute und die Grundrententheorie konnte man noch vor
kurzem in eine vierte Kategorie einreihen, in die der „toten
Punkte", worunter wir Themen verstehen, über die eine
endlose Diskussion geführt wird, deren Argumt nte sich stets
wiederholen , ohne daß irgendein Fortschritt bemerkbar ist
Zum Teile wird man die Bevölkerungstheorie — und jeden-
falls das „eherne Lohngesetz" — hierzu rechnen. Eine
fünfte Gruppe von Mängeln ist von anderer Art: Es kommt
wiederholt vor, daß ein und dieselbe Darstellung Gedanken
enthält, welche sich nicht vertragen, so z. B. eine klassische
Grundrententheorie und daneben noch eine auf dem Momente
der Differenzialrente beruhende Theorie des Unteruehmer-
gewinnes. Auch schon die Akzeptierung der modernen
Werttheorie und das Festhalten an der klassischen Gnind-
rententheorie verträgt sich nicht. Die Zinstheorie femer
wimmilt, gerade in neuester Zeit, von solchen Fehlgriffen,
und das Bestreben, die Zinserscheinuug von allen Seiten zu
beleuchten oder besser, das Fehlen einer befriedigenden Er-
Nochmais die Grenzen und M&ngel der Ökonomie. 585
klärung durch HAufung von Erkläirungsv er suchen zu ver-
decken , hat in dieser Richtung auf Irrwege geführt. Das
sind nur einige Symptome für die bedauerliche Tatsache,
daß nicht jeder Nationalökonom sein System gebührend
.durchdenkt und sich Qber die Natur und das gegenseitige
Verhältnis seiner Theorien genügend im klaren ist. In-
strumente verschiedenen Ursprunges und verschiedenen
Alters werden nebeneinander verwendet. In Werken von
Autoren, deren Hauptinteresse nicht reintheoretischen Fragen
gilt, werden verschiedene Systeme unserer Disziplin, die in
ihrem Entwicklungsgange nicht nebeneinander stehen, sondern
sich abzulösen bestimmt sind, durcheinandergeworfen. Darin
liegt meist keine bewußte und wohltätige Vereinigung ver-
schiedener Standpunkte, wie auch wir sie anstreben, sondern,
wie wir wiederholt zeigten, eine Verkennung ihrer Unter-
schiede, ein Fehler, der der Diskussion außerordentlich
schadet und auch der Klarheit und Einheit unseres Systemes
im Wege steht. Während manche rOcksichts- und verständnis-
los neuern, schleppen andere altes Rüstzeug in iniinitum mit.
Schon beim oberflächlichsten Überblicke bieten sich
uns auch in der äußeren Erscheinung unserer Wissenschaft
Beispiele dafür dar. Um nur ein wichtiges zu nennen:
Noch heute hält man an der alten Einteilung unserer Theorie
in die Abschnitte von Produktion, Konsumtion, dem Tausche
und der Verteilung fest. Allein Produktion und Verteilung
beruhen, soweit sie für uns in Betracht kommen, auf dem
Tausche, sind geradezu nur Tauschakte, und die Konsum-
tion bietet uns keinerlei interessante Sätze, wenn man nicht
kulturhistorische und psychophysische Erörterungen unter
einer „Konsumtionstheorie* verstehen will. Diese Einteilung
ist also ganz unanwendbar und zeigt mit bedenklicher
Klarheit, daß manche Ökonomen, die die Theorie ein- und
beurteilen, nicht recht wissen, um was es sich eigentlich
handelt Trotzdem lebt sie fort \
1 Ich verzichte darauf, an Stelle der kritisierten eine andere
Einteilung ex profeaao Yonuschlagen; dieselbe ergibt sich Ja leicht,
nahesu von selbst. Ein beachtenswerter Versuch, eine andere Ein*
586 ZasammenfassuDg dessen, usw.
Das zuletzt Gesagte leitet zum sechsten Punkte unserer
Kritik über: Mangelhaft endlich sind auch die ablicheD
Methoden. Wir wollen nur zwei Instanzen herausheben md
auf andere Punkte verzichten. Vor allem jene Methode der
Wortdiskussiou, der BegrifiGsbearbeitung, jene Methode, die
sich durch die Einleitung verrät: ,,In welchen Bedeutoofei
gebraucht man dieses oder jenes Wort ?** Sieherlich lengnei
wir nicht, daß viele der besten Gedanken unserer Wissen-
schaft — tatsächlich die meisten — in dieser Form erscheinei
und daß diese Methode für manche gute Leistung nidts I
mehr ist, als eine Redensart, für die sie daher nur die Be |
deutung eines Schönheitsfehlers hat und ihr Wesen nidit
berührt. Im Prinzipe aber kann man sie nur als kligliek
bezeichnen und wird in ihr auch einen der Gründe sehefi
müssen , warum ökonomische Erörterungen dem Laien- wie
dem gelehrten Publikum so wenig imponieren. Sodana
möchten wir, wenn auch mit aller Reserve, darauf hinweiset. \
daß bei komplizierten Problemen, dort, wo die Sprache niete
ausreicht, sich die Nationalökonomen eines höchst primitiTti
Hilfsmittels bedienen, nämlich der Aufstellung von Tabelin
aus konkreten Zahlen. Schon Ricardo tut das und heate
ist das sehr üblich geworden. Auch das ist zunächst nur
ein Schönheitsfehler; aber weiter erschweren diese Tabelki
sehr eine erschöpfende Darstellung der Probleme und fOhret
leicht zu Inkorrektheiten, welche die Sprache der höherei
Analvse vermeiden würde. Betreibt man schon Theorie,
so sollte man es auch so korrekt und vollkommen tun lU
möglich und nicht hinter dem Erreichbaren zurückbleibeL
Nun zu jenen Mängeln, die unserem Systeme inhaerett
sind, die auch dann noch bestehen, wenn es vollkonuiia
korrekt dargestellt ist. Auch ihrer sind viele und niete
alle können hier nochmals zur Sprache kommen. Nur dit
folgenden mögen hier zusammengefaßt werden. Vor alle«
sind da manche „Grenzen" des Systemes zu nennen uni
teilung festzulegen, die besser auf den heutigen Stand der WuMt-
Bchaft paßt, ist von Prof. F. A. Fetter unternommen worden.
NochniAls die Ureiuen and H&ngel der Ökonomie. 5g7
vieles, was fQr das ubliclie Lehrgebäude ein „schwacher
Punkt" ist uad von uns aus der Statik ausgeschieden wird,
kann eben deshalb, wenn auch aus eioeiu anderen Titel, als
Mangel auch unseres Systeines betrachtet werden —
L denn mit „Ausscheiden" können wir uns nur zum Teile
entschuldigeii, wenn ein „Lösen" von uns verlangt wird.
An sich hat es ja wohl wenig Zweck , Ober das zu klagen,
was man nicht erreichen kann; aber das hindert nicht, daB
jedem throretiscben System seine Fehlpunkte mehr oder
I weniger zum Vorwurfe gemacht werden und besonders dann
sehr gegen dasselbe zeugen, wenn seine Annahme oder Ab-
lehnung auf dem Spiele steht. Nur sind diese Mftngel eben
unabänderlich.
In diesem Sinne wird man es uns sicherlich zum Vor-
wurfe machen, daß wir ein System konstruieren, das mehrer©
sehr wichtige und zweifellos rein wirtschaftliche Erscheinungen
i nicht erklärt, vor allem den Kapitalzins und den Unter-
uehmergewinn. Und wir haben zu antworten, daß wir eben
Dicht anders können, und auf die „Dynamik" zu vertrösten.
I Allerdings liegt ein weiterer Trost darin, daß wir, wie wir
glauben, diesen Problemen dann eine weit angemessenere
Behandlung augedeihen lass*en können, aber fUr die Statik —
und diese allein ist heute bereits halbwegs befriedigend
ausgearbeitet, so daß wir sie fast mit .theoretischer Ökonomie"
Oberhaupt identifizieren milssen — sind das schmerzliche
Defizite.
Weiter versagt sie j e d e r Erscheinung gegenüber, welche
sich, wie unseres Eractatens die angeführten, nur vom Stand-
jiUDkte der Entwicklung verstehen läßt'. Dahin gehören
die Probleme der Kiipitalbiidurg und andere, so besonders
das des ökonomischen Fortschrittes und der Krisen. Be-
sonders das letztere muß betont werden, da wir fs bisher
Eicht erwähnten: Das statische System und seine Methoden
' Der Leeer weiB, daft dieser „Maogeh besonders deshalb sehr
«rast iat, weil UDsere Abgrenzung der SUtik eine sehr strenge ist
■nnd echou die Itleinste „syatamatische" Ver&ndemug „Eotwicklung*
5§g Zasammenfassung deasen, usw.
/ geben uns an sich kein Mittel an die Hand, diese Erscheionog
zu erklären. Wie keinen Zins, so würde es unter deo
Voraussetzungen der Statik auch keine Krisen geben, weoih
gleich manche Wirkungen derselben sich an ihm recht
gut demonstrieren lassen: In einer statischen Wirtschtft
ist kein Baum für jene Momente, welche eine Krise herbei-
führen, und alle Krisentheorien, was immer ihre Natur osd
ihr Wert sein mag, sind essentiell „ dynamisch **.
Im Zusammenhange damit steht ferner, daß wir nicht
einmal den Wiederersatz des Kapitales adaequat behandeln
können, daß unsere Menschen strenggenommen nicht altem
oder sich sonst verändern dürfen, daß große BesitzwechseP
von Land und Kapital, welche eine Änderung der Produktions-
richtung zur Folge haben würden, nicht stattfinden können,
daß die Spartätigkeit sich in engen Grenzen halten muß,
daß wir dem Gesetze vom zunehmenden Produktionsertrajje,
insofern als es als ein Element des Fortschrittes wirken und
die Größe der „Realeinkommen" beeinflussen kann , nicht
gerecht werden können usw. Nun, das alles ist nicht so
verzweifelt, als es aussieht. Wenn man bedenkt, daß unser
System ja nur für jeden gegebenen Augenblick gilt und
wenn man ferner weiß, daß alles das unser System zwar im
Prinzipe und seinem Wesen nach beschränkt — und veil
es sich uns um die Erkenntnis seines Wesens vor allem
handelte, haben wir das so scharf hervorgehoben — uns
aber in praxi nicht hindert, etwas darüber hinauszugehen,
wenn man sich nur bewußt bleibt, daß man dabei weitere,
kühnere Abstraktionen vornimmt — dann wird man sich
darüber beruhigen. Aber allerdings zeigt sich dabei die
^ Nicht einmal der Wert des Landes kann vom statischen StAnJ-
punkte aus völlig verstanden werden. Der Leser Bah, wie zögernd wir
davon sprachen. Eigentlich muß man auBer dem Markte der Genuftgvt*^
und dem der produktiven Dienste noch einen dritten unterscheidt^n.
einen Markt des Landes (und Kapitales) selbst, der nur in ii'*T
„Dynamik" in seiner Funktion voll dargestellt werden kann. D'^
Beziehungen dieses Marktes zu den anderen beiden sind sehr inter-
essant: hier liegt ein Saatkorn für eine neue Theorie.
Nochmals die Grenzen und M&ngel der Ökonomie. 539
Hilfsmittelnatur, das Künstliche nicht ganz Adaequate unseres
Systemes in hellem Lichte und auch die Notwendigkeit
einer Dynamik.
Nur einen Mangel unseres Systemes wollen wir hier
noch anführen. Wir sahen, dafi die Tauschtheorie nicht in
allen Fällen eine eindeutige Tauschrelation ergibt, nämlich
dann nicht, wenn sich zwei oder mehrere Monopolisten
gegenüberstehen. Das ist sehr bedauerlich, denn dieser Fall
ist praktisch sehr wichtig und legt doch unser System ein-
deutig bestimmter Wirkungen und Gegenwirkungen lahm.
Dieser Mangel ist um so ernster, als auch die Tauschrelation
zwischen Monopolisten gewiß eindeutig bestimmt ist: Könnten
wir ihre wirtschaftliche Macht und Energie usw. ebenso
exakt erfassen, als andere Momente, so müßte sich auch
hier ein eindeutig bestimmtes Resultat ergeben, das er-
kenntnistheoretisch ebenso viel Existenzberechtigung hätte,
wie unser Konkurrenzpreis. Wir können es nicht; alle
Versuche, es zu tun, obgleich nicht völlig erfolglos, helfen
uns nicht weit. Und doch ist das ein Punkt, über den
man mit Recht Aufschluß von uns verlangen kann. Wenn
wir unsere Unfähigkeit, ihn zu geben, gestehen, so können
wir nicht leugnen, daß darin ein großer Mangel unserer
Betrachtungsweise liegt.
IV. Kapitel
Über Reformen und Reformbestrebnngen.
§ 1. Von selbst ergeben sich aus dem Vorhergehenden
unsere Ansichten übet die in der Nationalökonomie nötiget
Reformen. Sie sind, wie ich glaube, klar und natürlich und
können mit wenigen Worten dargelegt werden. Femer
glaube ich, daß sie einer gesunden communis opinio ent-
sprechen, die sich langsam aber sicher Bahn zu brechen
scheint, und sich von andern durch ihre Durchführbarkeit
und auch dadurch unterscheiden, daß sie gleichweit vom
Radikalismus wie vom Quietismus entfernt sind. Durdi
Ruhe und Maß möchten wir gerne erreichen, daß sie so
ziemlich jedermann annehmbar scheinen. Wir wollen wieder-
um scheiden zwischen den Reformen, die an dem üblichen
Lehrgebäude durchzuführen und dem, was au unserem
Systeme in korrekter Form zu tun ist. Das letztere wirf
uns dann weiters zur Erörterung der weiteren Wege der
Forschung und einigen Entwicklungsmöglichkeiten und Aus-
blicken führen. Die beiden unterschiedenen Punkte zer-
fallen ihrerseits in die Darlegungen unserer Ansichten und
ein Urteil über die anderer Nationalökonomen.
Unsere Reformvorschläge in erster er Beziehung
sind die folgenden — sie kommen einfach auf die Forderung
der Beseitigung der „Mängel" hinaus — : Man scheide
Theorie und Praxis; wer auf Werturteile und auf Polittt
auch innerhalb seiner wissenschaftlichen Tätigkeit durchaus
nicht verzichten kann, der sage doch wenigstens jedesmal.
über Reformen und Reformbestrebungeu. 591
urenn er diese Gebiete berührt, dafi er das tue und den
Boden strenger Wissenschaft für den Augenblick verlasse,
um so eine getrennte Kritik seiner Theoreme und seiner
politischen Stellung zu erleichtern, aber er verstecke sich
nicht hinter der Theorie. Man scheide femer Theorie und
metaphysische Spekulation ; um der Wahrheit und Klarheit,
um der ernsten Pflicht willen gegenüber der Wissenschaft,
«die man behandelt, vergesse man das nie. Sodann fordern
•wir Arbeitsteilung auf dem Gebiete der Wissenschaften vom
menschlichen Handeln; das allererste, was dem unbefangenen
Beobachter in unserer Disziplin auffallen muß, ist der
methodisch und inhaltlich so verschiedene Charakter ihrer
Teile; in den Anfängen derselben war es möglich und selbst
geboten, sie zusammenzufassen, heute geht das nicht mehr.
Keine exakte Wissenschaft darf, wenn sie sich voll ent-
wickeln soll, aus einem Konglomerate verschiedener Dinge
bestehen, wie etwa die Medizin oder die Finanzwissenschaft.
Solche Vereinigungen sind nötig für viele praktische Zwecke ;
4kber innerhalb derselben kann keine der beitragenden Wissen-
schaften sich ausleben, vielmehr müssen die letzteren daneben
noch ihre gesonderte Pflege finden — und in dieser allein
l>e'werkstelligt sich ihr Fortschritt. Nötig ist weiter die
Scheidung von Statik und Dynamik, d. h. die allgemeine
Anerkennung der Tatsache, daß unser statisches System,
obgleich es für Probleme, die anders nicht ent-
sprechend behandelt werden können, genug leistet,
^m seine Existenz zu rechtfertigen, doch nicht alle rein-
^^irtschaftlichen Probleme zu lösen vermag, und daß dieser
Hockstand besser gesondert bearbeitet wird — mittelst
«nderer Voraussetzungen , anderen Materiales und anderer
^Methoden. Darin liegt die Forderung des Verzichts auf den
Versuch, Dinge in unser System zu pferchen, die sich nicht
^on selbst seinem Schema einfügen, und ferner die der Auf-
:£iidung einer adäquateren Betrachtungsweise, welche mit
jden „schwachen" und „toten" Punkten aufräumt. Diese
IPunkte sind es vor allem, auf die jenen Fachgenossen gegen-
über hinzuweisen ist, welche entweder die Ökonomie für
592 ZuBammenfasflung dessen, usw.
vollendet halten oder an deren Entwicklungsfilhigkeit
zweifeln. Hier liegt ein großes, fruchtbares Arbeitsfeld, auf
dem es viel zu tun gibt, das erst urbar zu machen ist, eiie
Kolonie für alle Ökonomen, die über Mangel an theoretisder
Arbeit klagen. Und endlich ist auch das gesicherte Gebi^
unserer Disziplin noch lange nicht ausgebaut: Ein Durch-
denken, Ausarbeiten ist da noch nötig, ein wirklich be-
friedigender Abschluß all der schwebenden Kontroverseo.
Auch eine Verbesserung unsejej Methoden ist ein dringendes
Bedürfnis.
In diesen kurzen Sätzen, die sich hier als Konsequenz
unserer Arbeit ergeben urd die wir sorgfältig vorzubereitai
und zu sichern bemüht waren, liegt unsere Ansicht über die
Reform der Ökonomie von heute. Nochmals, wir suchten
klar und auch bescheiden zu sein und haben uns auf Haupt-
punkte beschränkt, über die es eine Meinungsverschiedenheit
eigentlich nicht geben dürfte. Gerade das wird, wie wir
hotfen, zu ihrer Annahme beitragen. Nun aber noch ein
Wort über andere Ansichten über diesen Gegenstand. Die
Notwendigkeit einer Reform überhaupt geben die meisten
Nationalökonomen zu, und die meisten haben auch eine mehr
oder weniger bestimmte Ansicht darüber. Allein dieselbe
ist oft von einer Allgemeinheit, die die praktische Durck-
führung der Vorschläge sehr erschwert. Oft wird eine
solche auch gar nicht versucht, oft handelt es sich bloß um
die Prägung von Schlagwörtern und um eine Art tob
„Window dressing"". Dazu trägt der Umstand bei, daß die^e
Reformvorschläge nicht aus konkreter Arbeit erwachsen un^
mitunter von Leuten stammen, denen ausreichende Sach-
kenntnis abgesprochen werden muß. Vom Philosophen kduoeft
wir uns unsere Wege nicht weisen lassen , vielmehr hat er
sich an uns zu wenden, wenn er etwas darüber erfahm
will. Leider aber vermag die Ökonomie ebensowenig ss>
der Mehrzahl der Methodenlehren und ErkenntnistheoriA
zu gewinnen, welche Nationalökonomen zu Verfassern habet:
denn dieselben blicken nur selten auf eigene theoretisch
Arbeit zurück , sind sogar oft mit der Theorie nicht hi^
über Bcfonnen und Reformbestrebuogen. 503
länglich vertraut und obliegen ihrer Aufgabe viel mehr im
Anschlüsse an die und in der Weise der Philosophen als es
gut ist — und weder sie noch die praktischer Arbeit zu-
getanen Ökonomen wissen wirklich weiter.
Das Schlagwort aber und die allgemeine Phrase herrscht
auch hier, und alle Mißverständnisse, die es über das Thema
des Wesens und des W^ertes der Ökonomie nur gibt, geben
sich hier ein Stelldichein. Wo Wahres darin enthalten ist,
muß es aus einer Hülle von Falschem erst herausgelöst,
richtig formuliert und begrenzt werden. Der Ruf nach
Tatsachen in seiner Allgemeinheit gehört hierher, so auch
die Forderung, aprioristische Sätze zu vermeiden und die,
außerwirtschaftliche Momente zu berücksichtigen. Wir haben
alles das bereits erörtert; so zeigten wir, daß man bezüglich
der erstgenannten Forderung unterscheiden müsse zwischen
jenen Tatsachen, welche die Grundlage unseres Systemes
bilden und auf die sich seine Resultate beziehen, und jenen
anderen, welche auf außerhalb desselben liegende Probleme
führen und sodann, daß und an welchen Punkten die letz-
teren in das erstere hineinwirken. Doch wollen wir an dieser
Stelle nicht weiter auf diese Dinge eingehen.
Nur eine Art von Reformatoren sei noch erwähnt,
nämlich jene, welche mit dem Ansprüche auftreten, die
Nationalökonomie von Grund aus neu bauen zu wollen. Das
Selbstbewußtsein, das darin zum Ausdrucke kommt, ist be-
Deidenswert. Newton und Laplace haben im Anschluß
an das Bestehende gearbeitet, jene aber halten das nicht
für nötig. Die Geistesarbeit eines Jahrhunderts — und
längerer Zeit noch — scheint ihnen bedeutungslos gegen-
über ihrer eigenien Leistungsfähigkeit. Ein Bemühen wie
das unsere könnte ihnen sicher nur Geringschätzung ein-
flößen. Aber ist es nicht philiströs, die Möglichkeit einer
solchen Neuschöpfung zu leugnen? Wir tun das nicht;
allein wir wissen von keiner solchen. Steht sie vor uns,
so werden wir ihr unsere aufrichtige Bewunderung nicht
versagen. Aber die Forderung eines völligen Neubaues
an sich scheint uns müßig, und diesbezügliche Versprechungen
Schurapeter. Nationalökonomie. 8S
594 ZusammenfassuDg deaeen, usw.
scheinen uns nicht erfüllt. Ich weifi nicht, wer der gUmende
Spötter war, der zur Zeit des Regimes Polignac-Labourdcmiiaje
unter Charles X. im „Globe*' schrieb: „Wohl ist M. de Poligme
sehr entschlossen, nur weiß er nicht wozu'*. Denselben Eib-
druck habe auch ich in unserem Falle, was mich nicht
hindert , jeder wirklichen Leistung und selbst jedem gntee
AperQu, die sich in einem solchen Werke finden mögen,
volle Anerkennung entgegenzubringen.
Unsere Ansicht darüber nun, was es am Kern der
statischen Theorie d. h. also an unserem Systeme, weoB
korrekt dargestellt, richtig abgegrenzt und methodisch ein-
wandfrei, zu tun gibt, ist einfach diese: Eine eigentliche
Reform scheint uns nicht nötig zu sein. Das soll beileibe
nicht heißen , daß es absolut vollkommen sei und daß es
daran nichts mehr zu ändern und zu bessern gftbe. Al^r
so wie es ist, scheint es uns, wenn auch nur für die Gfgeo-
wart und die nächste Zukunft, im Wesen so gut zu sein,
als es überhaupt sein kann. Seine Mängel verkennen wir
darum noch nicht; nur meinen wir, daß sie zum Teile un-
vermeidlich sind und daß es sich zum andern Teile mehr
emptiehlt, sich mit ihnen abzufinden, als jene fundamentalen
Änderungen vorzunehmen, die zu ihrer Behebung nötig
wären. Die Reform, die Zeit und wissenschaftliche Ent-
wicklung forderte, scheint uns eben durchgeführt, wobei wir
freilich zu betonen haben, daß wir darunter nicht bloß die
neuere Werttheorie, sondern auch einige andere Punkte
verstehen, namentlich die korrektere Formulierung der
Grundlagen und einzelner anderer Dinge, die Anerkennung
unserer Variationsmethode und die Scheidung von Statik
und Dynamik, welche auch die von uns berührte Folge für
die Theorie des Kapitalzinses hat. Aber wenn das alles
anerkannt und verarbeitet ist, so möchten wir aus der
Reihe der Reformer ausscheiden, weil wir es für zweck-
mäßig halten, die gewonnenen Grundlagen eine Zeitlang
unverändert festzuhalten, um sie sich konsolidieren — „sieh
setzen" — und wirken zu lassen. Wir glauben, dtd
wesentliche weitere Reformen augenblicklich zwar sicher
über Reformen und Reformbestrebungen. 595
möglich wären, aber der Klarheit und Einfachheit unseres
Systemes mehr schaden würden, als das wahrscheinliche
Resultat, soweit wir es abersehen können, es rechtfertigt.
Natürlich kann jeder Moment uns desavouieren; und dann
^ftre es natürlich die größte Engherzigkeit, an diesem
Standpunkt festzuhalten. Fragt man uns aber um unsere
Ansicht darüber, ob weitere große Reformen unseres
_ #
Systemes in nächster Zukunft zu erwarten sind, und nament-
lich, ob wir solche für dringend nötig halten, so können
wir in dem Sinne, den wir eben auseinandersetzten und der
boffentlich nicht mißverstanden werden wird, nur verneinend
antworten.
Vervollkommnungen an Methoden und Inhalt im Detaile,
sorgfältige Ausarbeitung vieler einzelner Punkte, das ist sicher
nötig; die großen Züge aber dessen, was diese Arbeit dar-
stellen sollte, dürften sich so schnell nicht ändern. Vorher
ist ein Kampf um ihre Anerkennung zum Teile zu beenden
und zum Teile zu beginnen. Und dann sollen sie erst noch
weitere Früchte tragen, ehe sie zum alten Eisen geworfen
if^erden und Neues, das aber, wie betont werden muß, noch
nicht, auch in Ansätzen nicht, vorhanden ist und von dem
wir uns noch keine deutliche Vorstellung machen können,
An ihre Stelle tritt. Ehe wir etwas weniges über diese
weiteren Früchte und andere Wege weiterer Arbeit sagen,
wollen wir hier noch kurz einige Bemerkungen über mehrere
Reformvorschläge machen, welche von verschiedener Seite
für unser System geäußert werden.
§ 2. Es sind das Desiderata, welche speziellerer Natur
-sind, als die eben erwähnten Schlagworte und deshalb, ferner
auch aus dem Grunde, weil sie überhaupt von Einsicht und
Fachkenntnis zeugen, mehr Beachtung verdienen. Und wenn
-wir glauben, daß sie gegenwärtig besser unerfüllt bleiben,
80 sind wir uns doch bewußt, daß eine andere Ansicht
darüber wohl möglich ist und bei tieferem Einblicke in
unsere Wissenschaft, als ich besitze, auch richtiger er-
scheinen mag. Wir meinen die folgenden Punkte, die wir
59<j Zusammenfassung dessen, usw.
alle bereits erörterten: Vor allem hat man auch in theo-
retischen Kreisen eine soziale Betrachtungsweise gefordert
Diese Forderung, die von der der Berücksichtigung sozial-
politischer Momente strenge zu scheiden ist und auf die
Einführung sozialer Kategorien an Stelle der individuellea
in die reintheoretischen Gedankengänge selbst abzielt, wird
heute im Prinzipe fast allgemein anerkannt, besonders in
Deutschland und Amerika, und unser Standpunkt ihr gegen-
über setzt uns — abgesehen von allen Mißverständnissen,
denen er so leicht begegnet — dem Vorwurfe der Rück-
ständigkeit aus. Allein wir sprachen bereits über dieses
Thema und können hier nur wiederholen, daß wir den
„methodologischen Individualismus'' heute noch
für unentbehrlich halten, und daß uns eine soziale Be-
trachtungsweise — freilich nur auf unserem engen Gebiete -
weder wesentlich neue Ergebnisse noch sonst irgendwelche
wesentlichen Vorteile zu bieten scheint, was durch den
Umstand bestätigt wird, daß ja doch niemand mit ihr Ernst
macht. Wohl aber würde sie unser Bild komplizieren und
ihm an Klarheit nehmen. In der Rücksichtnahme auf
Forderungen und Angriffe von außen — und hierin, nicht
in Bedürfnissen unseres Systemes ist der Ursprung dieser
Tendenz zu suchen — und im Bestreben, falschen Verdacht
in politischer und soziologischer Richtung abzuwehren, liek't
kein ausreichender Grund zu einer Neuerung, um so mehr,
als sie meist nur in der Äußerung eines Prinzipes l>esteht.
Nicht ganz so steht es mit dem Desideratum der Be-
rücksichtigung des Momentes des „effort", mit dem Bestreben,
eine „energetische" Theorie der Ökonomie zu schaffen.
Dieses Moment ist gewiß nötig zum Verständnisse wichtiger
Erscheinungen und muß irgendwie erfaßt werden. Allein
eben, wie ich glaube, nicht durch Fortbildung des statischen
Systemes, sondern separat: Und zwar aus einem ähnlichen
Grunde, wie der, welcher uns veranlaßt, das soziale Moment
auszuscheiden, nämlich, weil dadurch die wesentlichen Züge
r Statik kompliziert und getrübt würden, ohne daß sich
ras Besonderes daraus ergäbe. Und ganz dasselbe gilt
über Refonnen nnd RefonnbeBtrebnngen. 597
von dem Phänomene der Entwicklung — der „Bewegung"*
überhaupt. Versuche, sie innerhalb unseres Systemes zu
berücksichtigen, haben bisher wenigstens zu wenig wert-
vollen Resultaten geführt. Wir glauben in anderer Weise
weiterzukommen und möchten unser statisches System,
dessen schönster Schmuck seine Klarheit und Einheit ist,
deshalb von allen diesen Dingen freihalten.
Nur noch eines dieser Desiderata, vielleicht das wich-
tigste; es bezieht sich auf das Moment des Zeitablaufes.
Abgesehen von einigen weniger bedeutenden und jedenfalls
einflußlosen Versuchen, dieses Moment zu berücksichtigen,
gibt es hauptsächlich drei sehr beachtenswerte Theorien,
welche dasselbe verwerten. Das ist zunächst die Abstinenz-
theorie. Sodann Prof. Marshalls Theorie der „long period
curves^ , die sich von unsern Nachfragefunktionen dadurch
unterscheiden, daß sie nicht wie diese nur für den Augen-
blick gelten, sondern eine längere Zeitperiode decken sollen.
Aber besonders wurde das Moment der Zeit von v. Boehm-
Bawerk studiert und von seinem Werke drang es machtvoll
in die Literatur ein, so daß heute fast jede systematische
Darstellung mehr oder weniger darüber sagt. Wie stehen
wir zu alledem mit unserem Systeme, das nur für einen
Zeitpunkt gilt? Nun, was wir darüber zu sagen haben, ist
lediglich das Folgende: Der bloße Zeitablauf ist es nicht,
den diese Theorien im Auge haben. Vielmehr beziehen sie
sich — es ist das kaum mehr als selbstverständlich — auf
das, was in dieser Zeit geschieht, und das kann nichts
anderes sein, als „Entwicklung** in unserem
Sinne. Davon tiberzeugt man sich leicht. Die Abstinenz-
theorie betrachtet die Bedeutung produktiver Anstrengungen
zum Zwecke von Änderungen, Erhebungen des Niveaus der
Wirtschaft und spielt, wie wir in Übereinstimmung mit Prof.
Clark sahen, keine Rolle in der Statik. Ohne weiteres sieht
man ferner, daß Prof. Marshall's long period curves eben
den Zweck haben, Erscheinungen zu erfassen, welche unsern
Nachfragefunktionen entgehen. Das können aber nur Ent-
wicklungserscheinungen sein, welche die Änderung jener
598 Zusammenfassung dessen, nsw.
Daten nach sich ziehen, die wir als fest anzunehmen ge-
nötigt sind. Freilich kann man sie auch interpretieren al5
Bilder „weiterer" Wirkungen von Störungsursachen, welche
wir auch in der Statik behandeln. Aber nur dann könDeo
sie eine von der unserer statischen Kurven verschiedene Ge-
stalt haben, wenn diese Wirkungen eben aus der Statik
herausfallen; sonst hat der Zeitablauf, der bis zu ihrem
Eintritte statthaben muß, keine Bedeutung und nichts hindert
uns, von ihm abzusehen. Daß endlich v. Boehm-Bawerk's
Theorie nicht statisch ist, haben wir bereits nachgewiesen.
Sein „dritter Grund'', auf dem das Hauptgewicht liegt, hat
eine deutliche Beziehung zum wirtschaftlichen Fortschritte.
Da also die wichtigsten Gedankengänge, in denen uns
das Moment des Zeitablaufes begegnet, sich dem Rahmen
der statischen Voraussetzungen nicht einfügen, so ergibt
sich für uns daraus der Schluß, daß wir auf nichts Wesent-
liches verzichten, wenn wir von diesem Momente absehen
und daran festhalteo, daß unser System nur für gegebene
Zeitpunkte gilt, was, wie wir hier allerdings nicht nochm.il5i
zeigen können, allein seinem Wesen entspricht und uns ül^er
soviele seiner Eigentümlichkeiten aufklärt — in der Tat
eines . der wichtigsten unserer methodologischen Resultate
ist, ohne das manches Theorem nicht richtig verstanden
werden kann. Hier liegt übrigens noch manches Problem,
und wenn wir darauf nicht eingehen — wie auf viele inter-
essante Detailfragen — , so fügen wir uns nur ungeme
äußeren Notwendigkeiten.
Die Frage, ob in diesen und verwandten Reformver-
sucheu die Ansätze zu einer künftigen Entwicklung liegen,
verneinen wir also, soweit dabei die Ausbildung der Statik
in Betracht kommt. Allein wir wollen nochmals betonen,
daß wir darin mit vielen gerade der fortgeschrittensten
Nationalökonomen differieren. Wir bauten unser Urteil vor
den Augen des Lesers auf und glauben, es gerechtfertigt
zu haben, soweit das in solchen Dingen möglich ist. Ein
strikter Beweis seiner Richtigkeit ist jedenfalls nicht möglich
— ob wir irren oder nicht, kann nur die Zukunft lehren.
V. Kapitel.
Die Entwicklungsmöglichkeiten der theoretischen
Ökonomie.
§ 1. Nach all dem Gesagten erhebt sich endlich die
Frage „was nun?" Was an dem Lehrgebäude unserer Wissen-
schaft zu bessern ist und die Frage, ob unserem exakten
Systeme in nächster Zeit grundstürzende Reformen bevor-
stehen— dem exakten Systeme, wie wir es darstellten,
und abgrenzten — wurde erörtert. Nun gilt es, einiges
darüber zu sagen, was an diesem Systeme weiter zu tun
sei und welche Wege die weitere Arbeit auf dem Gebiete
der reinen Ökonomie vermutlich einschlagen werde. Jeder,
der sich in seiner Wissenschaft wirklich „zuhause" fühlt,
muß diese Fragen beantworten können und so lange sie
nicht beantwortet sind — wenn auch nur in Kürze und mit
der gebotenen Reserve — , so lange ist die Darstellung
unserer Disziplin nicht vollständig, so lange hat der Leser
kein klares Bild von ihr. Es liegt in der Natur der Sache,
daß ein gutes Maß von Subjektivität auch in solchen Er-
örterungen liegen muß und sicher gibt es nicht bloß einen
Weg weiter; aber doch ist, wie gesagt, die Sache weniger
subjektiven Charakters, als etwa ein Urteil über den Wert
der Disziplin, und mehr als dabei kann — und muß auch
— der Leser dem „Spezialisten" vertrauen. Zunächst also
wollen wir die Richtung weiterer Arbeit an unserem Systeme
und einige seiner Entwicklungsmöglichkeiten wenigstens in
Umrissen andeuten und sodann etwas über die außerhalb
^00 ZusammenfAssuDg dessen, asw.
desselben liegenden ökonomischen Probleme sagen , was im
wesentlichen auf einen Ausblick auf das Gebiet der Dynamik
hinausläuft.
Nun, vor allem muß unser System noch ausgearbeitet
werden. Die Yariationsmethode hat noch lange nicht alle
die Resultate geliefert, die sie liefern kann und besonders
die mathematische Analyse kann noch viel, mehr als min
glaubt, aus diesen Dingen herausholen. Wie reich dieses
Feld ist, konnten wir ja nur andeuten. Mögen die Resolute
auch nicht sehr „großartig"' sein, wertlos sind sie nidt
vielmehr sicherlich von erheblichem theoretischen und nicht
ohne praktisches Interesse. Doch das wurde bereits gesigt
und sollte hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt
werden. Der Ausbau unseres Systemes obliegt uns also vor
allem und man kann sagen, daß er täglich erfreuliche Fort-
schritte macht.
Aber sodann sind jene Zusammenhänge, welche wir
gegenwärtig klar definieren können und welche uns heute
unsere gesicherten Resultate geben, noch keineswegs all«,
was sich auf unserer Grundlage gewinnen läßt. Dieselbe
läßt sich vielmehr noch wesentlich bereichern, ihre Frucht-
barkeit erhöhen und zwar in verschiedener Weise. Man
kann diese Möglichkeiten durch die drei Schlagworte charak-
terisieren: Spezialisierung unserer Annahmen, Aufstellung
neuer Annahmen und neue Kombinationen unserer Elemente.
Unter dem ersten Schlagworte verstehen wir eine metho-
dologische Maßregel, die darin besteht, daß wir unsern Xvt-
nahmen einen spezielleren Inhalt geben. Eine solche
wäre es z. B. , unseren Wertfunktionen eine bestimmterr
Form zu verleihen, welche zwar denselben Bedingungen ge-
nügen muß, wie die heutige, aber daneben noch andere ent-
hält. Bernouilli's Kurve ist ein derartiger Versuch, viel-
leicht am weitesten ist hier W. Launhardt gegangen. M*i
hat das streng kritisiert, aber unseres Erachtens zu streng
denn allerdings ist es wahr, daß solche weitere Annahmef
nicht beliebig gemacht, vielmehr sorgfältig verifiziert \ai
auf die Zwecke, bei denen sie sich bewähren, beschränkt
Die EntwickluDgsmöglichkeiten der theoretiBchen Ökonomie. 601
werden müssen; sodann, daß die gewonnenen Resultate ein
geringeres Geltungsgebiet haben werden, einen Schritt weiter
von der Wirklichkeit entfernt sind, kurz, einen kühnen
Versuch darstellen, den nur der Erfolg rechtfertigen kann;
endlich, dafi die beiden genannten und auch andere Autoren
zu unvorsichtig verfuhren und entweder selbst oder in ihren
Nachfolgern manches Fehlers schuldig wurden; allein das
ändert nichts daran, daß ihr Vorgehen nicht ein prinzipiell
verfehltes war, vielmehr sehr richtigen Einsichten in das
Wesen unserer Disziplin entsprach und daß hier Ansätze
zu einer zukunftsreichen Entwicklung liegen. Das erkannt
zu haben, ist ein viel größeres Verdienst, als man vielleicht
glaubt, es ist auch viel größer, als die dabei begangenen
Fehler. Wir können uns nicht näher auf diesen Punkt ein-
lassen, möchten aber unserer Überzeugung Ausdruck geben,
daß hier ein Weg vorwärts, aufwärts, führt zu einer lohnen-
den Aussicht in das Getriebe der Wirtschaft, ein Weg, den
nur der in exakten Methoden Geschulte voll würdigen kann,
der aber früher oder später betreten werden muß, betreten
werden wird.
Das ist die erste der Möglichkeiten neuer Entwicklung,
die wir im Gegensatze zu fast allen Fachgenossen für wirk-
lich frachtbar halten — im Gegensatze auch zu den ge-
wöhnlich vorgeschlageneu Neuerungen. Ich weiß wohl, daß
das zu weit von ihren Zielen, Wünschen und ihrem Ent-
wicklungsgange liegt, als daß auf Zustimmung zu rechnen
wäre. Begnügen wir uns also mit dem Gesagten und gehen wir
zum zweiten Punkte, der Aufstellung neuer Annahmen,
über. Von ihm gilt ganz dasselbe, die gleichen Hoffnungen
und Bedenken. Neue Annahmen bedeuten die Einführung
neuer Tatsachen — denn, wie im ersten Teile gesagt, die-
selben treten immer im Gewände von Annahmen in unser
System ein. Beispiele wären etwa die Hypothese, daß sich
die Gesamtnachfrage aller Wirtschaftssubjekte unseres Unter-
suchungsgebietes nach einem Gute ähnlich verhält, wie die
Einzelnachfrage jedes derselben, daß sich also eine Gesamt-
wertfunktion von ähnlicher Gestalt, wie die Einzelfunktion auf-
602 Zusammenfasflung dessen, usw.
stellen läßt; oder die Hypothese, daß sich die Wertfunktiooeo
der Individuen für dieselben Güter nur durch Konstante
unterscheiden. Solche Annahmen können dann ebenfalls ixt
neuen Resultaten führen, welche natürlich aber mit aller
Vorsicht zu verwerten sind.
Eine dritte Möglichkeit endlich stellen neue Kombina-
tionen der Elemente unseres Systemes dar. Im all-
gemeinen sprechen wir von dem Güterbesitze der einzelnen
Wirtschaftssubjekte, von ihm gehen wir aus. Aber man
kann für manche Zwecke z. B. alle im Untersuchungsgebiete
vorhandenen Arbeitsmengen kombinieren und den ebenso zu-
sammengefaßten Mengen der andern Produktions- und endlich
auch der Genußgüter gegenüberstellen, wie das in unserem
Bilde von den „ Inseln "" geschah. Das führt zu manchen
Resultaten, welche wohl der Mühe wert sind. Wir sprechen
ferner in der Regel nur von Genußgütern im allgemeinen.
Teilt man sie in verschiedene Gruppen ein, Nahrungsmittti
Wohnungen, Kleider usw., so kann man jeder derselben
weitere Merkm.ile hinzufügen, die auf sie zusammen nicht
passen und daraus vielleicht speziellei-e Resultate gewinnen,
die mehr oder weniger Wert haben mögen, aber sicherlich
besehen werden müssen, ehe man an ihnen vorübergeht.
Ausarbeitung der gegenwärtigen Grundlagen unseres
Systemes und ihre Bereicherung in der eben angedeuteten
Weise sind also unsere Aufgaben. Dazu kommt nun noch
ein weiterer Punkt, die Einsetzung konkreter Daten in
unsere formalen Theoreme. Teilweise ist dieses Moment
schon in den beiden anderen enthalten, und soweit bat es
nichts Auffälliges an sich. Wollen wir die Wirkung einer
Steuer untersuchen, so muß uns etwas über ihre Art gesagt
sein , wenn mehr als ganz allgemeine Sätze sich ergebt'n
sollen, also z. B. ob sie auf die Gewinne der Unter-
nehmer oder auf die Einheit der Ware gelegt wird usw.
Bei der Erörterung des Einflusses jeder Störungsursache auf
irgendeinen Preis hängt das Resultat von der Elastizität
von Angebot und Nach£ ip Ton neuen Tatsachen,
von weiteren Daten, i Mi^llier interessiert, ist
Die Entwicklongsmöglichkeiten der theoretischen Ökonomie. (303
der Umstand, daß man mittelst dieser Einsetzung von
Daten sehr weit kommen, daß sich dabei eine ganz neue
Perspektive für die Ökonomie eröffnen kann, eine Ent-
wicklungsmöglichkeit, welche im wahrsten Sinne des Wortes
„ungeahnt "^ und vielleicht berufen ist, eine völlige Um-
wälzung in der Auffassung und Wertung der Ökonomie zu
veranlassen, eine neue Zeit für sie heraufzuführen. Das
sieht man jenen bescheidenen Sätzen, die wir eben aus-
sprachen, nicht ohne Weiteres an, und wir müssen daher
etwas ausführlicher sein.
Wenn wir in unser Raisonnement das Datum einführen,
daß eine Steuer auf die Einheit eines Gutes gelegt wird,
80 bleibt unser Resultat noch immer sehr allgemein; es wird
auf alle solche Steuern passen und uns über jede einzelne
derselben noch lange nicht alles sagen, was wir auch nur
in bezug auf die reinwirtschaftliche Seite der Sache wissen
möchten. Oder wenn wir sonst eine Preisvariation mit Hilfe
eines spezielleren Datums in bezug auf die Nachfragefunktion
— ein solches ist ja der „Grad der Elastizität — unter-
suchen, so wird auch dieses Resultat auf viele Fälle passen,
auf die Variationen der Preise aller Güter, deren Nach-
fragefunktion eine ähnliche Gestalt hat, aber da die uns
gegebeneu Fonncharaktere immer nur wenige sind, so werden
wir ein konkretes — sprechen wir das entscheidende Wort
aus: zahlenmäßiges — Resultat nicht erreichen. Aber
kann man denn nicht auf diesem Wege weiter gehen, der
sich schon dabei bewährt, mehr noch, als unentbehrlich und
allgemein benützt erwiesen hat? Kann man nicht die Nach-
fragefunktion genauer feststellen, so genau, daß wir nicht
bloß ein „eindeutiges", sondern ein konkretes Resultat ge-
winnen? Ich glaube die Antwort zu hören: Welch' ein
, phantastisches Unterfangen — Unberechenbarkeit der wirt-
tschaftlichen Vorgänge — steter Wechsel — usw.! Aber auf
solche Allgemeinheiten können auch wir allgemein ent-
gegnen: Wo liegt denn die Utopie eines solchens Vorgehens?
Schwer und langsam nur kann man dazu vordringen ; durch
mühsame Tatsachensammlung, durch vielleicht erfolglose
604 ZasammeDfassung dessen, usw.
Versuche, durch Fehlgriffe und Enttäuschungen führt der
Weg: aber das ist ja nur natürlich, wäre die Sache einfach
und alles schon getan, so wäre jedes Wort ttberflOssig.
Zweifel und Mißerfolgen begegnet jeder Fortschritt und man
braucht nur a priori die Flinte ins Korn zu werfen, um tat-
sächlich zu bewirken, daß nichts erreicht wird. Wir bahnen
ja nur einen Weg weiter, dessen Anfang schon klar qikI
gesichert vor uns liegt. Warum sollten wir denn mit dem
„Abfragen**, mit der experimentellen Feststellung unserer
Wertfunktionen nicht Ernst machen können? Ohne weiteres
kann ich meine Wertfunktion für Zigaretten aufstellen,
besonders da mir ein Umstand zuhilfe kommt. Und damit
betreten wir das Reich exakter Argumente.
Dieser Umstand ist der folgende : Es würde mir schwer
fallen zu sagen, was mich das Aufgeben des Rauchens Ober-
haupt „kosten" und was ich für eine Zigarette täglich
zahlen würde. Allein das brauche ich im allgemeinen nifht
zu sagen, vielmehr gentigt es für viele Fälle — und auf
diese kommt es uns an — wenn ich ein verhältnismäßig
kleines Intervall meiner Wertfunktiou angeben kann, z. B.
jenes Stück dereelben, daß der lOten bis 20sten Zigarette eut-
, spricht. Und jedermann kann das und in jedermanns Budget
äußert sich die Wirkung von Preisvariationen. Ungefähr
ist sich jeder ihres Einflusses bewußt — d. h. also, wohl-
gemerkt, der Gestalt seiner Wertfunktion in dem sozusagen
aktuellen Intervalle — , sollte man nicht zu einer größeren
Präzision eines zweifellos vorhandenen Momentes vordringen
können? Die Schwierigkeiten sind groß und praktische Be-
deutung der Resultate können wir vorläufig nicht erhoffen,
theoretisch aber wären schon Annäherungen von großer Be-
deutung. Ein anderes Moment kommt uns weiter zu Hilfe:
Es ist die Gesamtnach frage. Jeder Händler weiß — oder
wenn er sich darüber keine Gedanken macht, so fühlt er
es und bandelt darnach — wie der Preis einer Ware die
Nachfrage seiner Kunden nach derselben und ferner sein
Angebot derselben beeinflußt und zwar keineswegs nur un-
gefähr, sondern recht genau, d. h. er weiß über die Gesamt-
Die Entwicklungsmöglichkeiten der theoretischen Ökonomie. (}05
nachfragekurve der betreffenden Ware an seinem Orte und
in seiner Strafie mehr, als wir in unseren Kurven ein-
schließen. Viel mehr noch gilt das für einen glücklicher-
weise besonders wichtigen Fall, nämlich für den der grofien
Welthandelsartikel. Und besonders heute — und mehr noch
wird das in Zukunft zutreffen — , wo Organisationen jeder
Art die Preisbildung vereinheitlichen und der Nachrichten-
dienst eine Fülle von Daten allgemein und schnell zu-
gänglich macht, können Nachfragekurven von erfreulicher
Annäherung verhältnismäßig leicht konstruiert werden.
Kann man nicht ganz gut verfolgen, wie ein Zoll auf Ge-
treide die Nahrungsversorgung eines Volkes beeinflußt?
Haben wir nicht eine ganze Anzahl von Methoden, um das
recht befriedigend festzustellen? Kann nicht die Preispolitik
eines Trustes hier mit bestem Erfolge analysiert werden?
Die Beispiele wären so zahlreich, daß eine Ausführung von
einzelnen derselben ganz überflüssig ist.
Aber freilich, eine große Preisänderung kann zu solchen
Veränderungen führen, z. B. zur Aufgabe des Konsumes
oder zur Einführung von Surrogaten, daß unsere Betrachtungs-
weise versagt. Sodann läßt sich nicht leugnen, daß die Er-
scheinungen der Entwicklung hier hineinspielen und unsere
Resultate nicht nur schnell veralten lassen, sondern auch
die Aufstellung unserer Wertfunktionen erschweren. Es
ist ja klar, daß die Preispolitik eines Trustes sehr wesentlich
von Rücksichten auf die Zukunft bestimmt wird, daß Nieder-
ringen von Konkurrenten, Kampf um Absatzgebiete, Ver-
suche, eine Ware einzuführen oder ihren Gebrauch auf
weitere Käuferschichten auszudehnen und andere Momente
große Schwierigkeiten bilden. Aber doch auch nicht mehr
als das; wir verweisen auf frühere Ausführungen zur Be-
gründung der Behauptung, daß uns ein erheblicher Stock
von Tatsachen bleibt, wenn wir auf jene verzichten. Das
müssen wir allerdings tun ; aber wenn wir Schritt für Schritt
unseru Weg zu einem hohen Ziele bahnen, so haben wir
doch wohl das Recht zu verlangen, daß man nicht sofort
alles von uns fordere; am wenigsten haben jene dazu Ver-
ßOG Zusammenfassung dessen, usw.
anlassung, die schon die Möglichkeit des ersten Schrittes io
Abrede stellten. Wir müssen uns vorläufig mit diesem einen
begnügen, aber ihn können und werden wir tun. Es ist
das nur die eine Hälfte der Sache, aber das ist es auch
wirklich. Und wenn es möglich ist, von der Statik ^os
zu solchen konkreten Problemlösungen zu kommen, so können
die gewonnenen Resultate dann wiederum zu einem Maße
für die „Entwicklung** dienen: Wenn unsere Methode sich
hinlänglich bewährt und man Vertrauen zu ihr gewonnen
hat , so wird sie in Fällen , in denen ihre Resultate nicht
mit der Wirklichkeit übereinstimmen, der letzteren gegenüber-
gestellt, uns zeigen, wie groß jene Differenz, jener unerkiftrte
Rückstand ist , der auf andere Momente als jene , die die
Statik bietet, zurückzuführen ist.
Gerade in diesem Punkte bewährt sich unsere scharfe
Abgrenzung und unsere detaillierte Diskussion des Wesens
der statischen Methoden. Kurze Perioden, kleine Änderungen,
alles das, was wir als zu diesem Wesen gehörig erkannt
haben, leistet uns hier praktische Dienste: es leitet uns
nämlich an, jene Tatsachen, welche sich der wissenschaft-
lichen Erfassung vor allem darbieten, von andern zu trennen,
und macht uns auf das Vorhandensein einer wesentlichen
Verschiedenheit zwischen beiden Gruppen aufmerksam. Nicht
Laune also oder irgendwelche spekulativen Obersätze waren
es, die uns zu all den Formulierungen und Erörterungen
veranlaßten, sondern Momente, deren reale Bedeutung sich
an ebenso realen Problemen zeigt. Die Methoden und
Theoreme der Ökonomie, die unseres Erachtens zum Teile
nach Richtungen drängen, die zu nichts führen, wollten wir
für exakte, theoretisch und praktisch wohl umschriebene
Probleme sozusagen einrichten — und unterdrücken, was
diesem Ziele schädlich schien. Man mißverstehe mich nicht;
sicherlich ist das eben Gesagte nicht das „um und auf" der
Ökonomie: Die theoretische Bedeutung ihrer Resultate an
sich tasten wir natürlich nicht an; wohl aber zeigt es uns
einen unserer künftigen Wege, einen, der für den Wert und
das Ansehen unserer Disziplin sehr wichtig ist. Von diesem
Die EntwicklungsmGglichkeiteD der theoretischen Ökonomie. G07
Standpunkte aus zeigt sich uns unser exaktes System von
einer neuen Seite : es ist unter anderem auch eine Werkstatt,
in der Waffen geschmiedet werden, die, wenn nicht allein,
80 doch auch weiteren Zwecken der Wissenschaft und Praxis
dienen können.
^Rechnendem Verfahren" also reden wir hier das Wort.
Der Zusammenhang unserer Disziplin mit den Methoden
and dem Tatsachenmateriale der Statistik wird uns hier —
wiederum: aus unserer Arbeit heraus und nicht infolge
irgendwelcher allgemeiner Phrasen — ohne Weiteres klar.
Die beliebte Frage, was die Statistik fOr die Ökonomie
leisten könne, beantwortet sich nunmehr, wenn man unter
Ökonomie unser System verstehen will, ganz von selbst:
Wir bedürfen ihrer zur Feststellung der für uns so grund-
legenden Wertfunktionen. Wir erwarten viel davon; schon
das kleinste Resultat, so sehr es, wie das sicher geschehen
wird, belächelt und kritisiert werden mag — und nichts ist
leichter, als eine solche Kritik erster Versuche — wiid
einen gewaltigen Schritt weiter auf der Bahn der Entwicklung
unserer Disziplin bedeuten. Hier freilich mOssen wir uns
auf diese Andeutung einer gro6en „ Entwicklungsmöglichkeit *"
beschränken. Aber das Gesagte ist nur eine Seite der
Sache, der andern, vielleicht noch wichtigeren, wollen wir
uns nun zuwenden.
Sagen wir gleich, worum es sich handelt: Um den An-
schluß der theoretischen Ökonomie an die technischen Wissen-
schaften im weitesten Sinne des Wortes — „Kunstlehren",
wenn man will, obgleich wir diesen Ausdruck lieber ver-
meiden möchten. Den Nationalökonomen kann diese Wendung
unserer Erörterung eigentlich nicht überraschen und zwar
aus zwei Gründen. Einmal hat man ja in früherer Zeit die
Ökonomie selbst als eine Art „Kunstlehre'' aufgefaßt, als
Kunstlehre des praktischen Wirtschaftens oder gar der
Politik. Das ist freilich überwunden, und es dürfte kaum
nötig sein, besonders zu betonen, daß wir nicht derartiges
meinen. Sodann aber hat man immer — und das geschieht
noch heute — in der Ökonomie etwas über «Technik* im
(JOS ZusammenfasBung deMeo, usw.
üblichen Sinne gesagt: Über die Bedeutung derselben ffir
den wirtschaftlichen Fortschritt vor allem. Dafi das wenig
Wert hat, haben wir allerdings bereits erwähnt. Weiter
hat man auch immer technische Themen gestreift, d. k.
Themen, mit denen sich sonst der „Techniker*" beschäftigt,
wie z. B. das Transportwesen. Freilich beschränkte ma
sich auf Allgemeinheiten, und überhaupt bewegte sich alles
das in einer anderen Richtung als das, was wir hier sagen
wollen. In der „Ökonomie des Ackerbaues^ z. B. werdet
meist agrarpolitische Themen erörtert, und etwaige Über-
sichten über die technischen Methoden der Agrikultur, denen
wir auch sehr häufig begegnen, haben keine selbständige
Bedeutung, dienen als Einleitungen oder gar als müßige
Zieraten. Aber trotzdem darf man vielleicht behaupten,
daß in der ständigen Wiederkehr solcher Dinge das Gefühl
zum Ausdrucke kommt, daß die Beziehungen zwischen
Ökonomie und Technik engere und zum Teile von anderer
Art sind, als man prinzipiell glaubt.
Übrigens ist es ja auch klar, daß die Tatsachen der
Technik auf den Verlauf der Wirtschaft und die Gesetze
des letzteren auf den Fortschritt und die praktische An-
wendung technischer Methoden einwirken. Namentlich der
letztere Punkt ist wichtig für uns: Für die Frage, welche
technischen Methoden angewendet z. B., welches Betrielis-
System in einem gegebenen Augenblicke für ein Grundstück
gewählt werden soll, was für und wieviele Maschinen für
eine bestimmte Fabrik sich empfehlen usw., ist selbst-
verständlich nicht bloß der Stand technischen Wissens ent-
scheidend. Wenn es sich darum handelt, einen bestimmte
gegebenen modus procedendi des Landwirtes oder Fabrikantei
zu erklären, so kommen verschiedene Momente in Betracb- i
welche wir für unsere Zwecke in drei Gruppen zusammen J
fassen können: Der Stand der Technik, ökonomische E-'^f
wägungen und endlich noch andere Momente, wie ludoleiif
Mittellosigkeit, Unkenntnis usw. Es ist nun wesentlich
zwischen der zweiten und der dritten Gruppe zu scheido
Die dritte umfaßt „Störungsursacheu", von denen wir
I
Die EntwicklnngemOglichkeiten der theoretischeD Ökonomie. (>09
demselbeD Sinne, wie von Irrtum usw. in der Ökonomie,
sagen kOnnen , daß sie ohne prinzipielle Bedeutung sind.
Das ist natürlich nicht so bei der zweiten Gruppe. Aach
die technisch vollkommenste Maschine wird solange nicht
verwendet werden, als sie sich nicht „rentiert", und Ober
die Verschiedenheit der landwirtschaftlichen Betriebssysteme,
die sich unter verschiedenen Verhältnissen empfehlen, auch
wenn „bessere" bekannt sind, wurde ja schon oft gesprochen.
Wenn wir also verschiedene technische Methoden neben-
einander in Verwendung finden, so braucht das noch keinerlei
„ Rückstand igkeit" zu involvieren , sondern es kann das
„richtig" sein und auf viel interessanteren Momenten be-
ruhen.
Während sich also die reine Ökonomie einerseits und
die „Technik" als selbständiges Wissensgebiet andererseits
an sich unabhängig gegenüberstehen, so gibt es doch ein
Feld, auf dem sich das Moment der technischen Effizienz
und das Momentder ökonomischen Effizienz treffen. Dabei
ist besonders wichtig, daß diese beiden Momente nicht neben-
einander stehen, ohne sich zu vermischen, etwa in ähnlicher
Weise wie in der Finanzwissenschnft ökonomische und sozial-
politische Kapitel vorkommen, welche voneinander ganz
unabhängig sind oder deren Berührungspunkte doch auBer*
halb strenger Wissenschaft und nur in der Psyche des
Politikers liegen; sondern daS sich dieselben exakt verbinden
lassen und zusammen ein neues, drittes Gebiet hervorbringen.
Dieses Gebiet ist das, welches man mit den Worten „praktische
Betriebslehreu" im weitesten Sinne bezeichnen könnte. Die
landwirtschaftliche Betriebslehre, die Theorie der Forstwirt-
schaft, die des Transportwesens — „Railway Economics";
kommerzielle Trassierung, Tariftbeorie usw. — sind Teile
derselben, welche wir beispielsweise anfuhren wollen; aber
das gesamte Feld der praktiscli angewandten Technik gehört
hierher. Dieses Gebiet liegt in der Mitte zwischen jenen
beiden anderen und nur mit Hilfe beider kann es behandelt
werden.
Allerdings lag es bisher so gut wie ausschließlich in
glO ZusammeDfasBung dessen, usw.
den Händen der Techniker. Welche Entdeckung nun fOr
den Ökonomen zu konstatieren, daß dieselben bereits öko-
nomische Theorie treiben und daß man in Arbeiten dieser
Art die Formen und Theoreme der Ökonomie wiedererkenne
kann. Unvollkommen zwar und nicht ausreichend, was tat-
sächlich — sehr befriedigend für uns ! — die Folge hat, dafi
in jenen Arbeiten nicht ganz das erreicht wird, was zu er-
reichen wäre und daß sie noch gegenwärtig eine recht unter-
geordnete Bolle spielen. Die Tatsache selbst aber ist außer
Zweifel, ein Blick in ein beliebiges Buch über solche Tbemeo
oder in eine denselben gewidmete Zeitschrift — die Annales
des Fonts et Chaussöes z. B. — überzeugt uns davon. In
diesem Zusammenhange gewinnt die Tatsache eine besondere
Bedeutung, daß ein Techniker zu den ersten Entdeckern
des „Gesetzes" gehörte, das den Namen Gossen's führt, w«s
ja nichts anderes heißt, als daß er sich für die Form der
Nachfragefunktion interessierte. Bereits gibt es Arbeiten
von Ökonomen auf diesem Gebiete; um nur die beste zu
nennen , die mir bekannt ist , sei die von Luigi Perozzo '
über die italienischen Eisenbahnen erwähnt. Ferner muß
auch noch eines von den erwähnten etwas abliegenden
Themas gedacht werden, der Versicherungstheorie. Der
Umstand, daß man eine ökonomische Hypothese als ihre
Grundlage^ bezeichnen kann, lehrt uns zweierlei: Erstens,
wie wenig „luftig** und „spekulativ*" wenigstens diese
ökonomische Annahme ist und zweitens, daß wir uns wenigstens
in einem Punkte mit der Versicherungstheorie berühren.
Auf weitere Beziehungen zu ihr kann ich hier nicht ein-
gehen '.
Was zu tun ist, können wir hier nur andeuten, vielleicht
am besten in der folgenden Weise: Man nehme Arbeiten
über kommerzielle Trassierung und andere, in denen die
* Giornali degli Economisti 1906.
^ Nämlich die Bernouilli's.
' Da es sich hier nur um einige Hauptpunkte handelt, so öb^^
gefien wir weniger Wichtiges, so z. ß. die Theorie der Spekulation,
das, was man exakte Bauktheorie nennen könnte und anderes.
Die EDtwickluDgsinöglichkeiten der theoretischen Ökonomie. 611
Fragen der Technik nicht allein, sondern mit ökonomischen
bezüglich der Kosten und des Ertrages zusammen auftreten,
und versuche das über die letzteren Gesagte mit Hilfe
unserer Theorie ebenso exakt auszudrücken, wie die technische
Seite der Sache bereits ausgedrückt ist. Und unser System
gestattet uns eben, das sehr hübsch zu tun — das Ökonomische
erscheint dann in ebenso wissenschaftlicher und überraschend
ilhnlicher Form wie das Technische daran — und man wird
finden, daß das nicht nur die Klarheit und Korrektheit des
Ganzen wesentlich erhöht, sondern auch eine völlige Einheit
und viele neue Resultate zu gewinnen ermöglicht Das ist
das Prinzip; Beispiele gaben wir bereits. Wenn auch die
Schwierigkeiten groß sind, und das, was sich unmittelbar
erzielen läßt, nicht mehr ist als ein Anfang, so wird doch
kein Einsichtiger sich davon abschrecken lassen. Die Sache
funktioniert eben, wie die erste Lokomotive funktionierte — ,
und vielleicht ist die Hoffnung nicht unberechtigt, daß eine
fernere Zukunft auf Zweifel, Einwendungen und Spott,
<lenen diese neue Bahn sicher begegnen wird, ebenso zurück-
blicken wird, wie wir auf das, was über jene seinerzeit
gesagt worden ist.
Wir betonen aber, die Eroberung eines neuen An-
wendungsgebietes, die Einführung technischer Daten
in unser Raisonnement, ist nicht etwa eine vage
Hoffnung, sondern sie hat bereits begonnen, ihr Tag ist be-
reits angebrochen. Obgleich es ja nicht ganz richtig ist,
wird es vielleicht zur Beleuchtung unseres Gedankens bei-
tragen, wenn wir sagen, daß, wie die Statistik die „Nach-
frageseite", so die Technik — untei-stützt allerdings eben-
falls von der Statistik — uns die Angebotsseite unseres
Gleich ge wich tsproblemes konkretisieren und mit Leben und
Tatsachen füllen wird. Hier nun bewähren und rechtfertigen
sich unsere exakten Methoden, namentlich auch die An-
wendung der Mathematik, hier auch bewährt und recht-
fertigt sich die Analogie mit der Mechanik. Alles das er-
scheint nun in neuer und sehr bedeutungsvoller Beleuchtung.
Mit der „literarischen" Ökonomie und noch mehr mit den
022 Zusammenfassung dessen, usw.
üblichen Allgemeinheiten kann man an diese Dinge nicht
heran und mit Rücksicht auf dieselben wird auch der Gegner
„theoretischer Spielereien" kaum mehr über unsere Be-
mühungen lächeln. Doch wollen wir uns mit diesen An-
deutungen begnügen; kommen wir nun zum Schlüsse.
Wir glauben, daß hier und nicht im Versuche, große
politische und soziale Fragen zu lösen, die Aussichten ffir
die Weiterentwicklung der Ökonomie liegen. Das ist das
Moment, das wir bei Erörterung des praktischen Wertes
unserer Disziplin übergiengen. Wir glauben, daß die Ein-
führung der Methoden und Theoreme der Ökonomie in Abs
Gebiet der Technik zu praktisch wie theoretisch wertvollen
Resultaten führen wird und im Prinzipe ohne Weiteres mög-
lich ist. Für unsere Disziplin ist das nun von sehr großer
Bedeutung. Daß einzelne ihrer Gebiete, die wie die Ver-
sicherungs- und Transporttheorie bisher nur die traurigsten
Selbstverständlichkeiten darboten, dadurch mit sehr inter-
essantem, aut den Grundlagen unseres Systemes beruhendem
Inhalte gefüllt werden können, ist der geringste Gewinn.
Von großartiger prinzipieller Bedeutung ist die Veritikation
unseres Systems, die in dem Moment erreicht ist, in dem
sich die praktische Brauchbarkeit desselben in exakter Weise
zeigt, in dem darüber kein Zweifel mehr möglich ist, daß
unsere Wertfunktionen und das auf sie Gebaute sich in
ähnlicher Weise — auf dem gedachten Gebiete tats&chlii^h
ganz so — bewährt, wie die an sich nicht weniger abstrakten
Grundlagen und Theoreme der Mechanik. An die wissen-
schaftliche Bedeutung dieser Tatsache denken wir hier —
die praktische ist ja klar, wenn auch keineswegs so groß — :
Erst dann können wir, wie wir hier endlich zugeben wollen,
ganz sicher sein, daß wir richtig gedacht und unsem Ge-
dankeubau fest und zweckmäßig eingerichtet haben, -wenn
praktische Anwendungen solcher Art sich bewähren. Darin
liegt ja auch, wie ein großer Physiker gesagt ^ hat, die Be-
deutung der Technik für die exakten Wissenschaften : Würden
L. Boltzmanu.
Die EntwickluDKemSglichkeitM) der theoretiscben Ökonomie. ^13
die letzteren Dicht zu ricfatigem, d. b. vorteilhaftem Handeln
fahren, so „wQßten wir nicht, wie wir schließen sollten".
NuD diese letzte und Uberzeagendste Art der Verifikation
Hegt fQr die Ökonomie nicht auf dem Gehiete der Wirtr
Schaftspolitik. Fast könnte man sagen, daß sie sich da eben
nicht bewährt. Eiu Glück also, daß wir die nötige Veri-
fikation anderswo linden.
Hier trilgt auch die Auffassung der Ökonomie als einer
wirtschaftlichen Logik ihre Frfichte. Hier ferner erscheint unsere
Behauptung in einem neuen Lichte, daß die Ökonomie mehr
den exakten Naturwissenschaften als anderen Wissensgebieten
verwandt sei: Nicht nur methodologisch, auch ihren prak-
tischen Resultaten nach gehört sie zu ihnen, berührt sie sich
unmittelbar mit ihnen. Das macht zum Teile eine ganz
neue Auffassung unserer Disziplin nötig und vielleicht sogar
einen Übergang derselben in andere Hftnde. Jeden-
falls bringt das Gesagte Wind in die Segel jener, welche die
Ökonomie von den anderen Sozi&lwissenechaften abtrennen
möchten; wirklich erweist sich ihr Charakter und ihre
Richtung als ganz verschieden von denen jener, und wie
gesagt, die Forderung nach Exaktizitftt und nach Anwendung
exakter Methoden erbalt eine Bedeutung, die auch diejenigen
ernst nehmen dürften, die unsere anderen Gründe ablehnen —
es zeigt sich, daß in allen dem mehr liegt, als man ver«
mutete.
Das mag auf Widerstand stoßen. TatsAchlich sind
schon die äußeren Schwierigkeiten einer Entwicklung in
dieser Richtung groß. Welche Fehler werden begangen,
welche Einwendungen erhoben werden! Schon die Änderung
in der ganzen Auffassung unserer Wissenschaft, die darin
liegt, wird nur langsam durchdringen. Die allerschonendste
Entgegnung, die wir zu erwarten haben, wird seitens aller
Beteiligten ein überlegenes Lftcbeln sein. Und in der Kürze
unserer Darlegung sowie im Abhandensein praktischer Bei-
spiele liegt ja eine teilweise Rechtfertigung dieses Stand-
punktes. Allein trotz allem glauben wir, daß der Enir
Wicklungsmöglichkeit, welche wir hier andeuteten, eine Zu-
^14 Zusammenfassung dessen, usw.
kunft bevorsteht. Trotz allem ist der Ausblick grofi, der
sich eröffnet. Trotz allem endlich kündigt sich eine neue
Zeit für unsere Disziplin an, eine Zeit, in der der Historiker
und der Sozialpolitiker ihr seine Anerkennung nicht ver-
sagen und der Student der Technik das ökonomische Kolleg
auch besuchen wird. Damit ist nicht gesagt, daß sieb
nun die ersteren für die Theorie werden interessieren müssen,
im Gegenteile, sie werden die Verschiedenheit zwischen
ihren Aufgaben und denen der Theorie nur deutlicher er-
kennen. Aber der zweck- und fruchtlose Kampf der Rich-
tungen wird abgeschwächt werden oder verschwinden, and
wenn man die reine Theorie beiseite legt, so wird das doch
nicht ohne Kompliment geschehen.
§ 2. Noch wollen wir die „außerhalb unseres Systemes
liegenden ökonomischen Probleme" berühren, wobei wir noch
kürzer sein wollen. Daß es ein Gebiet gibt — welches man,
wie wir schon sagten, wenig passend „Dynamik" genannt
hfit — , welches zur Ökonomie gehört, aber außerhalb unseres
Systemes liegt, weiß jeder moderne Nationalökonom. Aher
wenn wir anerkennen, daß in der Unterscheidung von Statik
und Dynamik einer der wichtigsten Fortschritte der neueren
Ökonomie liegt und auch einer der gesichertsten, so darf
doch nicht verschwiegen werden, daß über Wesen, Aufgaben
und Inhalt der Dynamik die weitgehendsten Differenzen
herrschen, daß auf ihrem Gebiete noch sehr wenig geleistet
ist — obgleich immerhin manches — und daß der Ausdruck
und sein Inhalt geradezu in Gefahr ist, zur Phrase zu er-
starren und die Menge der unklaren und unexakten Redens-
arten, die es auf unserem Gebiete schon gibt, um eine zu
vermehren. Auch die Mißbräuche , die nun einmal zum
Schicksale eines jeden ökonomischen Gedankens zu gehören
scheinen, können wir hier bereits konstatieren. Sie be-
drohen die Dynamik wie Bazillen ein noch ungeborenes
Kind und werden wohl erst uacli langem Kampfe, endlosen
Diskussionen verschwinden. Mancher setzt bereits dieses
modern klingende Wort dort ein, wo er nichts zu sagen
Die EntwickluDgsmöglichkeiten der theoretischen Ökonomie. (515
weiß, mancher andere deckt praktische Forderungen und
Hoffnungen damit, weil sie das statische System der Wissen-
schaft absolut nicht zu stützen vermag. Da zu unserem
Bedauern unsere Ansichten Ober die Sache so ziemlich von
allen anderen uns bekannten wesentlich differieren — ob-
gleich auch fOr uns sehr erfreuliche Übereinstimmungen im
Prinzipe und in vielen einzelnen Punkten vorhanden sind —
so ist es zur Vervollständigung des Bildes, das wir zu
zeichnen versuchten, nötig, auch aber die Dynamik einiges
zu sagen, obgleich das eigentlich nicht in diese Arbeit ge-
hört Aber nur soweit es zur allgemeinen Information un-
umgänglich nötig ist, wollen wir, ohne andere Ansichten zu
diskutieren oder auch nur die „Differenzpunkte'' heraus-
zuheben, auf die folgenden Punkte hinweisen.
Vor allem verschone man uns mit der Wohltat, uns
a priori unsere „Wege zu weisen'' oder Wesen und Methoden
der Dynamik vorzuschreiben. Was unsere Wege sind und
wohin sie führen, werden wir oder unsere Nachfolger sehen,
wenn sie zurückgelegt sind, nicht eher. Die Tatsache, von
der wir ausgehen und die wir hier nicht mehr zu beweisen
brauchen, ist die der Existenz solcher außerhalb unseres
Systemes liegender und doch ökonomischer Probleme. Die
Kapitalbildung, der Kapitalzins, der Unternehmergewinn und
die Krisen — das sind Erscheinungen, denen gegenüber die
reine Ökonomie^ gegenwärtig versagt. Dennoch wird man
sie wohl oder übel als „ökonomisch" oder selbst — in
anderem Sinne, etwa in jenem, der vielleicht in Zukunft
sich empfehlen wird — als „reinökonomisch" anerkennen
müssen; das Gegenteil würde niemand akzeptieren. Man
muß sie daher irgendwie an sich in Angriff nehmen , und
insofern sie, wie sich unseres Erachtens tatsächlich zeigt,
aus jeder anderen Disziplin herausfallen, so kann man sie
1 Die Terminologie ist gleichgültig; sage man statt „reiner
Ökonomie" an dieser Stelle „statische Ökonomie''. Das macht keinen
großen Unterachied, solange die Ökonomie nicht über die Statik
herausgekommen ist.
()1() ZusammenfaBSung dessen, usw.
pass^enderweise zusammenfassen — vielleicht noch mit einiges
anderen Problemen — und diese Gruppe von Fragen mh
einem Namen, sagen wir also „Dynamik'', bezeichnen.
Aber das heifit nun beileibe nicht — und der Leser wird
sich diesbezüglich an früher Gesagtes erinnern — , dafi diese
'Dynamik ein System darstellt, wie die Statik und ebenso
wie diese über eine einheitliche Methode und einander be-
dingende Resultate verfüge. Jene mögen das glauben,
welche schon die Variationsmethode in die Dynamik ein-
schließen ; aber das tun wir nicht aus dem einfachen
Grunde, weil wir in ihr gerade den wertvollsten Bestand-
teil der Statik erkannt haben. Vielmehr meinen wir mit
unserer Dynamik gamichts anderes als eine — keineswegs
logisch geschlossene uod unvermehrbare — Gruppe von
Problemen , welche den beiden angegebenen Bedingungen
genügen. Es kristallisierte sich uns ausderalten
Nationalökonomie ein exaktes, in sich ge-
schlossenes System heraus, das ihren schönsten und
wertvollsten — freilich ist „schön" und „wertvoll" immer
nur subjektiv so — Bestandteil bildet. Aber, wenn wir
betrachten, was übrig bleibt, wenn wir dieses Kristall ge-
borgen haben, so zeigt sich, daß der Rückstand nicht blo6
aus außerwissenschaftlichen und aus anderen Wissenschaften
zugehörigen Elementen besteht, sondern auch aus solchen,
bei denen keine von diesen Eventualitäten zutrifft Wir
können nur versuchen, die letzteren dennoch in unser System
einzufügen oder aber sie an sich und gesondert zu behandeln.
Aus bereits dargelegten Gründen haben wir uns für die
zweite Möglichkeit entschlossen — und diesem Entschlus:^
verdankt unsere Dynamik ihre Entstehung, womit, wie ich
glaube, K^nug gesagt ist, um eine erste — und klare —
Voi-stellung von diesem Gebiete und unserer Auffassung da-
von zu geben.
Wie soll man nun diese Probleme behandeln V Nichts
ist leichter als das im Priuzipe darzulegen: Wir werden
die Tatsachen betrachten, soviele, als wir beschaffen können,
zunächst — historische, deskriptive in engerem Sinne.
Die EntwickluDgBmöglichkeiten der theoretischen Ökonomie. 617
statistische und auch die, welche wir unmittelbar um uns
sehen — , und wenn wir das eine Zeit lang getan haben,
uns die Frage vorlegen: Ist es nötig, damit fortzufahren
oder zeigt es sich^ daß eine weitere Anhäufung materiellen
Details uns nicht mehr so viel Neues lehrt, daß sie der
Mühe lohnt? Ähnlichen Wesens ist eine andere Frage:
Müssen wir uns mit unserer Tatsachensammlung begnügen
oder können wir die Tatsachen irgendwie kürzer beschreiben,
als das durch ihre bloße Katalogisierung möglich ist?
Können wir diese Fragen bejahen, so beginnt unsere eigent-
liche theoretische Tätigkeit, und wir werden mit Annahmen,
Isolierungen , Abstraktionen vorzugehen beginnen. Oder
besser: vorzugehen versuchen, denn es kann sich zeigen,
daß unser Unternehmen verfrüht war und wir besser getan
hätten, jene Fragen zu verneinen. Natürlich wird uns das
nicht für immer abschrecken, wir werden vielmehr unsere
Arbeit fortsetzen und durch neue Fehlgriffe und Mißerfolge
hindurch unseren Weg zu exakten Bildern der Erscheinungen
bahnen. Andere mögen anders vorgehen, und wir werden
um so weniger für unser Vorgehen ein Privilegium ver-
langen können , als wir uns bewußt sind , daß jeder natur-
gemäß seinen besonderen Weg sieht, daß es viele gute Wege
gibt und endlich, daß selbst ein logisch bedenklicher oft
in ganz wunderbarer Weise zu wenigstens zum Teile wert-
vollen Resultaten führt. Gewiß ist das alles leichter gesagt
als getan, aber wir dürfen um so eher diese Bemerkungen
vorbringen, als sie uns so natürlich und klar wie möglich
zu sein scheinen. Sei noch bemerkt, daß wir der Ansicht
sind, daß in diesem Augenblicke — wenn auch vielleicht
schon bald nicht mehr — der Wirtschaftsgeschichte und
-beschreibung in der Dynamik noch so gut wie ausschließlich
das Wort gebührt, und nicht in theoretischen Arbeiten,
sondern in den Werken jenes Charakters — und nicht zu-
letzt in den deutschen — die wertvollsten Leistungen
auf diesem Gebiet zu suchen sind. Daß die Autoren der
letzteren vielleicht gar nichts von solchen Erwägungen und
der Bedeutung wissen, die ihre Arbeiten gerade für die
gl 8 Zusammenfiassung dessen, usw.
Theorie haben, und daß sie mit denselben ganz andere
Ziele verfolgen, tut nichts zur Sache; und dafi sie nock
keine abstrakten Methoden ausgebildet haben von der Art
wie wir sie schließlich anstreben, ist im gegenwärtige!
Stadium der Angelegenheit nur zu billigen und ihnen sogv
als Verdienst anzurechnen, besonders gegenüber vorscbndki
Versuchen mancher Theoretiker.
Ein weiterer Punkt ist der folgende. Es bietet fid
uns die Möglichkeit, Momente zum Worte gelangen n
lassen, welche wir in der Statik nicht berüeksichtiga
konnten. Ja wir können leichteren Herzens manches ai»
der Statik ausscheiden und ihr so ihre Reinheit und Elarlieii
wahren, wenn wir wissen, dafi wir hier darauf znrOck-
kommen können, als wenn das nicht der Fall wäre. Wir
werden von dieser Gelegenheit Gebrauch machen und kommei
hier zu einer anderen Seite der Dynamik: Auch abgesehen
davon, daß die Probleme, welche wir ihr zuwiesen, Berück-
sichtigung solcher neuer Momente erfordern, werden wir auch
sonst versuchen, interessante Dinge, die sich der Statik
nicht einfügen, hier zu behandeln. Derartige neue Momente,
deren Bedeutung zunächst in der Lösung jener Probleme
liegt, aber sich nicht notwendig darin erschöpft, sind z. B.
die „Abstinenz" und — noch wichtiger — der neffort*. Wir
werden unser Gleichgewichtssystem von diesen Dingen frei
halten und uns hier jenen glänzenderen , bedeutungsvollen
Erscheinungen zuwenden, welche man populär mit des
Worten „Wille zur Macht" „Herren willen** usw. bezeichnen
kann und mit ihrer Hilfe zu allgemeineren Theorien zu
gelangen suchen. Große Veränderungen in der Wirtschaft
und längere Epochen werden sich vielleicht erfassen lassen.
Der große Kampf um den Weltmarkt und die ökonomische
Seite des Seins und Werdens der sozialen Klassen wird
Gegenstand unserer Bemühungen werden. Manche andere
Arten von Preisbildung, als die Statik erklärt, und vielleicht
auch sonstige soziale, ethische, nationale Einflüsse, werden
uns dabei begegnen. Aber immer sollte es unser Grundstti
bleiben, über Dinge zu schweigen — oder uns inbezug luf
Die EntwicklaDgnnOgliehkeitea der theoretischen Ökonomie. Q]9
Dinge auf Tatsachenreferate zu beschränken — , über die
wir nicht etwas Exaktes und hinlänglich InteressanteB
zu sagen haben.
Der Kreis unserer Themen wächst unter unseren Händen.
Ein besonders wichtiges Moment stellt das Phänomen des
Kredites dar. Au sich zwar hindert uns nichts, schon in
der Statik ilavon zu sprechen. Aber ich meine, dafi dabei
lediglich Definitionen und sonst nur Gemeinplätze heraus-
kommen. Seine Bedeutung liegt in der Dynamik , in der
Bewegung, der Entwicklung. Nur hier läßt sich sein Wirken
beobachten, sein Wesen verstehen. In einem statischen Zu-
stande zeigt er sich nur im Zusammenhange mit einer
momentanen Notlage, wenn Oberhaupt, und seine Behandlung
in der Statik fahrt zu einem verkrüppelten Bilde. Nur
außerhalb derselben kann daher eine neue, volle, lebenswahre
Theorie des Kredites gegeben werden und sie wird ein
wichtiges Kapitel der Dynamik bilden.
Ein anderes Thema, welches hierher gehört, ist die
Frage der Tendenzen der Einkommensverteilung. Als wir
die Variationsmethode vorfahrten , haben wir gesagt , daß
die Statik über die konkreten Bewegungen der Einkommen
zueinander nichts aussagen könne, wenigstens nichts Ober
die großen Tendenzen der Entwicklung. Nun, vielleicht läßt
sich außerhalb des Systemes der Statik, mit anderen Methoden "
und auf Grund anderer Tatsachen mehr erreichen. Dieses
Beispiel lehrt uns aber, verglichen mit den anderen genannten
Themen, wie disparat die Gegenstände der Dynamik sind,
wie wenig sie miteinander zu tun haben und wie wenig
Aussicht zunächst — das mag sich ja ändern — besteht,
sie zu einem geschlossenen Ganzen zu vereinigen, das auf
einem oder wenigen Prinzipien beruhen könnte : Manche der
dynamischen Probleme bieten sich leicht einer theoretischen
LOsung dar, andere vorläufig gar nicht, manche werden sich
snf Grund der täglichen Erfahrung behandeln lassen, wie
die der Statik, andere nur mit Hilfe statistischer Unter-
suchungen, manche sind von überragender Größe, andere
verhältnismäßig klein.
(520 Zusammenfassung dessen, usw.
Man könnte es uns zum Vorwurfe machen, so m-
schiedene Dinge zusammenzufassen. Wir hingegen mftssa
gerade darin etwas sehr Angemessenes erblicken. Denn e*
schiene uns verfehlt, zu früh zu systemisieren und zu ordoo.
womöglich die Probleme in künstliche Schemen zu presset
Frei und unabhängig sollen die einzelnen behandelt werdei
aus ihren eigenen Bedürfnissen heraus, ohne Bande, die
bald wieder zerrissen werden müßten. Das Gegenteil seheiat
uns eine ernste Gefahr zu bergen. Und noch auf eine andere
mufi hingewiesen werden. Es ist die, den Kreis der Dynamik
ungebührlich zu erweitem und so dahin zu kommen, wieder
Einfälle in Nachbargebiete zu machen, wie die fliteivi
Ökonomen. Versuche, eine ökonomische Bevölkerungstheorie
wieder aufzugreifen, mittelst der Dynamik zu einer wisseo-
schaftlichen Wirtschaftspolitik zu gelangen oder ihr gar zu-
zumuten, die Wirtschaftsgeschichte — am Ende die Geschichte
überhaupt — zu erklären, alles das wäre ruhiger Arbeit
und wahrem Fortschritte nur hinderlich und die Tendenzen,
die dazu bestehen, flößen uns nur Besorgnis ein. Das muß
genug sein. Da wir an dieser Stelle selbst nur so wenig
zu bieten vermögen, dürfen wir uns nicht erlauben, anderen
gute Lehren zu erteilen.
Es erübrigt nur noch ein Punkt, um diesen panorama-
artigen Ausblick soweit zu vervollständigen, als das hier
überhaupt geschehen kann. Er betrifft das Problem der
ökonomischen Entwicklung in seiner Allgemeinheit, wenu
man will das des Fortschrittes — obgleich der letztere
Ausdruck wenig in strenge Wissenschaft pafit und die
Dvnamik in ihm vielleicht einmal so etwas wie eine Fuft-
angel erkennen wird, deren Beseitigung möglicherweise mit
Schwierigkeiten und Kämpfen verbunden sein könnte. Gibt
es vor allem eine ö k o n o m i s c h e Entwicklung ? Die Frage
ist nicht so absurd, wie es scheinen könnte. Sie heißt nicht
daß wir darüber im Zweifel wären, ob sich die wirtschaft-
lichen Dinge ändern oder nicht. Aber sehr wohl kann mm
zweifeln darüber, ob die Ursachen dieser Änderungen in
wirtschaftlichen Momenten liegen. In der Tat, die öki>-
Die EDtwickluDgsmöglichkeiten der theoretiscbeo Ökonomie. tJ21
nomischen Prinzipien in unserem Sinne evolvieren nicht; <
die Ökonomie, die wir heute allein wirklich besitzen, gibt
uns ein System, wie die Mechanik, erzählt nicht vod ,
Entwicklung, wie die Biologie. Mao hat unsere Theorie '
eine wirtschaftliche Logik genannt — deutet das nicht auf
Eutwicklungslosigkeit bin? Nun, nicht notwendig, die
ökonomische Entwicklung könnte eben außerhalb unseres '
statischen Systemes liegen. Aber es gibt noch einen anderen
Umstand, der in dieselbe Richtung weist. Wir können
nämlich das, was wir Entwicklung nennen, sehr oft und
möglicherweise immer auf Ursachen zurückfahren, welche
nicht ökonomisch — weder statisch- noch dynamisch öko-
Domisch — sind z, B. Bevölkerungsvermehrung, Änderungen
der Menscbennatur in Bedürfnissen und Motiven, Fortschritt
der Technik , Änderungen der sozialen Organisation und
andere. Deutet das nicht darauf hio, daß die Entwicklung
nie „ökonomisch" sein, d. h. nie durch wirtschaftliche Momente
zu erklären sein kann? Wiederum: nicht notwendig. Es
könnte ja sein, daß es auch wirtschaftliche Momente gibt,
welche aus sich heraus zu einer Entwicklung treiben; etwa
das Sparen könnte ein solches t^ein. Noch mehr ließe sich
»öderes, wie z. B. das Moment des „effort" vielleicht zu
einer „energetischen" Theo rieder Ökonomie verwerten,
die etwas ltl)er eine ökonomische Entwicklung sogen könnte.
Ferner haben die Änderungen der Menschennatur, der sozialen
Organisation usw. selbst wieder oft ökonomische tJraachen.
Endlich gibt es immer ökonomische Kon seq ueiizen auch
einer nicht ökonomisch zu erklärenden Entwicklung, so daß
wir etwas zu ihrem Verständnisse wohl beitragen können.
Al>er alles das ist gewiß nicht sicher. Im Zusammenhange
damit erhebt sich auch die Frage, wie eine eventuelle öko-
nomische Entwicklung zur sozialen Oberhaupt steht. Ist es
möglich, eine Theorie der erstereu zu konstruieren unter
der Voraussetzung der Konstanz der sozialen Verhältnisse?
Wenn das gienge und Resultate gäbe, so wäre unendlich viel
gewonnen. Schließlich fragt es sich noch , ob es so etwas
gibt oder ob so etwas angenommen werden kann, wie ein
Q22 ZuMunmenfasBung desseu, usw.
dynamisches Gleichgewicht — oder ob es nur eii
statisches gibt.
Keine dieser Fragen können wir hier lösen. Wir wölkt
nur betonen, wie wichtig es ist, vorurteilsfrei an sie heras-
zutreten und nicht gewisse Dinge vorfinden zu wollen
Aus diesem Grunde ist es auch sehr wichtig, nicht mit den
Apparate der Statik vor unseren Augen an diese Probleme
zu gehen. Wir leugnen nämlich trotz allem Gesagten nickt
jeden Zusammenhang zwischen Statik und Djnamik; es
wurde schon bei der Erörterung der Variationsmethode an-
gedeutet, daß ihre Macht eine gewisse Strecke in das Gebiet
der Dynamik hineinreicht ; hier wollen wir noch hinznfQgen,
daß wir auch andere Hilfsmittel der Statik einer Umbildung
fähig halten , die vielleicht einmal eine Anwendung auf die
Dynamik gestatten wird. Aber heute hat man allen Grund
sich vor solchen Versuchen zu hüten, man wQrde dabei
nahezu sicher irregehen. Im ganzen kann man heute noch
sagen, daß nur der Historiker und der Statistiker sich sagen
können, daß sie auf dem richtigen Wege und daß ihre
Arbeiten von Wert sind. Darüber hinaus müssen wir uns
unsere Ziele recht nahe stecken und dürfen keinen
großartigen Erfolg mit kleinem Aufwände zu erreichen
hoffen.
Und nun hätten wir noch ein Wort Ober die Zukunft
der reinen Ökonomie zu sagen. Auch hier, beim letzten
Schritte unseres Weges, wollen wir uns jene Mäßigung auf-
erlegen, der wir uns stets befleißigt zu haben glauben« E$
würde dem Geiste dieser Arbeit widersprechen, wollten wir
es versuchen, hier gleichsam inaudita zu sagen und uns in
kühnen Hoffnungen oder Träumen zu ergehen. Einige
nüchterne Worte werden bessere Dienste tun, als große
Prophezeiungen. Wir leben ja in einer Zeit kühler Kritik
des Erreichten und des Erreichbaren, in einer Periode der
Die Entwicklungsmöglichkeiten der theoretischen Ökonomie. 623
Begrenzungen und der korrekten Formulierungen, und selbst
der moderne Physiker teilt nicht mehr die hoflhungsfreudigen
Prätensionen seiner Vorgänger. Aber noch viel mehr als er
haben wir Grund zur Bescheidenheit, denn unsere Disziplin
beginnt sich erst von einer schweren Krise zu erholen,
-einer Krise, die zum großen Teile durch solche Prätensionen
hervorgerufen wurde. Wir müssen froh sein, wenn nur ihre
Existenzberechtigung zugegeben wird, wenn man ihr nur
überhaupt einen, wenn auch bescheidenen Platz im Reiche
des Wissens gönnt.
So fragen wir uns denn, nach all dem Gesagten, be-
scheiden: Wird die ökonomische Theorie verschwinden, wie
•das oft behauptet wurde? Und zwar in der näheren Zukunft,
die wir zu übersehen vermögen, nicht etwa in der Ent-
wicklung der Jahrhundeile, welche unberechenbare Ver-
änderungen in unserer Erkenntnis und deren Technik herbei-
führen können und sogar sicher herbeiführen werden? Nein.
Sie wird weiterleben — das ist das große endliche Resultat,
zu dem wir gelangen und das, wie ich glaube, jeder vor-
urteilsfreie Richter unterschreiben wird. Es gab eine Zeit,
wo es so aussah, wie wenn die theoretische Ökonomie, auf
iinfundierten Spekulationen, leichtsinnigen Generalisationen
vorübergehender Erscheinungen und halbwahrer Forderungen
basierend, als ein Irrtum erkannt und von dem Strome der
wissenschaftlichen Entwicklung hinweggeschwemmt werden
würde, wo ein erheblicher Saldo von Wahrheit zugunsten
ihrer Gegner bestand und wo die besten und fortgeschritten-
sten Geister der Zeit sich von ihr abwandten. Diese Zeit
ist vorüber. Heute kann man klar angeben, wo im einzelnen
Recht und Unrecht in diesem Streite lag, und dabei ergibt
sich, daß, so viele Punkte als unhaltbar und so viele als
reformbedürftig erkannt werden müssen, eine Disziplin von
erheblichem Werte unter dem Titel der theoretischen Öko-
nomie bestehen bleibt. Sie mag im Laufe der Zeiten —
und sicher wird sie das — neue Reformen erfahren, auf
neue Prinzipien basiert werden, eine Gestalt gewinnen, die
von der heutigen so ferne ist, wie diese von der klassischen;
(524 Zusammenfassung dessen, usw.
sie mag bald Gegenstand allgemeinen Interesses and vom
Strome der wissenschaftlichen Entwicklung getragen seia.
bald nur von wenigen gepflegt werden und gleichsam auf
einer Sandbank aufgerannt zu sein scheinen; sie mag
endlich auch in Zukunft bald überschätzt und bald un-
gerecht kritisiert werden; daß sie aber ein solches zu-
künftiges Leben überhaupt haben wird, kann heute nicht
mehr zweifelhaft sein.
Ich sage noch mehr. Es ist nicht bloß nicht richtig zu
glauben, daß die reine Ökonomie war, sondern ich ziehe
sogar vor, zu glauben, daß sie erst sein werde: Heute
steht sie meines Erachtens in ihren Kinderschuhen. Ist di>
befremdend? Beachte man, wie zahllose Detailfragen der
Theorie nicht nur noch nicht gelöst, sondern noch nicht
einmal allgemein gefühlt sind, wie viele große Probleme nur
Scheinlösungen gefunden haben. Beispiele findet man auf
jeder Seite dieses Buches — aber eine vollständige Angal»e
aller dieser Punkte habe ich nicht einmal versucht, so sehr
es mein Bestreben war, gerade die Entwicklungsfähigkeit
der Ökonomie zu zeigen.
Und das lehrt auch, wie sehr energische Arbeit an
ihren Problemen nötig und der Mühe wert ist trotz allen
den Einschränkungen, denen die Resultate unterworfen sind.
Obertläehliche Betrachter glauben oft, daß die reine i)Vc^
nomie st^igniere, daß sich kein rechter Fortschritt zeige.
Wird dov Leser jetzt noch diese Ansicht teilen? Selbst
wenn das wahr wäre — und manche lederne, rückständige
Diirstellung ruft diesen Anschein hervor — , so ist das nicht
Schuld der Ökonomie sondern der Ökonomen. Noch lanjie
ist die Arbeit nicht getan, und nur die Grundsteine sind
gelegt. Wir sagten bereits, nach welcher Richtung weiter-
zuschürfen und was davon zu erwarten ist. Hier haben wir
uns nur noch zu fragen, ob Großes, Epochemachendes zu
hotten ist oder nicht , ob wir am Vorabende einer Ent-
wicklung stehen, welche der der exakten Naturwissenschaften
au die Seite gestellt werden kann.
Die Entwicklungsmöglichkeiten der theoretischen Ökonomie. 625
Nun, es scheint mir von vornherein gewiß, daß Resultate
unserer Wissenschaft niemals auf weitere Kreise einen solchen
Eindruck machen werden, wie die der Physik. Woraus die
Sterne bestehen, ist ein Problem, das dem Laien imponiert;
die Fragen seines eigenen Handelns interessieren ihn viel
weniger, würden ihn auch dann weniger interessieren, wenn
ganz dieselbe Geistesarbeit auf sie verwandt und ebenso
glänzende Methoden dafür entwickelt würden. Außerdem
ist ja unsere Wissenschaft um Jahrhunderte gegen ihre
exakten Schwestern zurück und nur nach und nach können
in langer Arbeit die Vorbedingungen zu ähnlichen Ent-
wicklungen beschafft werden. Aber es wäre eitle An-
maßung, angeben zu wollen, wohin sie führen werden. Die '
Geschichte der Wissenschaften gibt uns genug Beispiele da-
für, daß solche Prophezeiungen kläglich desavouiert wurden.
Das Entscheidende ist nur das Vorhandensein von Ent-^
Wicklungsmöglichkeiten. Man verfolge sie und man wird
sehen — oder unsere Nachfolger werden sehen. Daß es
Wege gibt, auf denen man weiter vordringen kann, daß das
Feld, auf dem wir arbeiten, noch nicht erschöpft ist, daß es
auch für uns ein morgen gibt — und nicht bloß ein gestern
— eine Zukunft und nicht bloß eine Vergangenheit, das ist
alles, was wir mit Beruhigung behaupten können, zugleich
aber auch alles, was wir brauchen. „Arbeiten und nicht
verzweifeln "^ also kann man auch den Nationalökonomen zu-
rufen. Die Ökonomie ist noch kein Leichnam — und so-
lange das nicht der Fall ist, gibt es auch für sie, wie für
jeden Lebenden, in gewissem Sinne unbegrenzte Möglich-
keiten. Wer sie apriori aburteilen zu können glaubt, zeigt
eben dadurch, daß er keinen wirklichen Einblick in sie hat.
Und wer sie erschöpft glaubt, zeigt, daß seine Kraft er-
schöpft ist.
Wenn der Leser den Eindruck gewonnen hat, daß sich
auf unserem Felde lebensfähige Kräfte regen, daß diese Dis-
ziplin, der sicherlich die Ehre gebührt, zuerst das Handeln
und Leiden des Menschen in echt wissenschaftlichem Geiste
betrachtet zu haben, auch noch in Zukunft Neues zu sagen
Sohnmpeter, Nationalökonomie. 40
626
}iaben wird, ao ist alles eireidit, was ieh su eireichen
wünschte, mag: auch zuzugeben sein, ^dafi die Zahl inter-
essanter Theoreme beute nur eine beseheideDe ist. Und aucfa
diese kleine Gruppe ,von gesieherten Wahtheiten ist immer-
hin eine Leuchte inmitten eines Meeiss y^n Finsternis.
»■Ol 4
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The borrower must return Üiis item on or before
Ihe last date stamped below. If another user
places a recall for ihis item, the borrower will
be noüfied of the need for an earüer retum.
Non-receipl ofoverdue notices does not exempt
(he borrower front overäuefines.
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617-495-2413
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