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Full text of "David Friedrich Strauss"

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cO>, £ fiU 




•David Friedrich Strauß 



▼on 



Theobald Ziegler. 



Motto: Gesprochen h»b' Ich nmchd Wort, 
Geschrieben menohee BleU, 

Auch Inder mischen Schrill gemacht, 

Den nu ffcaoholtM hat. 

Die ihr nieh echmlht, so höret dooh 

Von mir «in WörÜeta u: 

Wohl jedem, des kein Hut« plifftl 

Ich hüte, erie loh tum. 

(D- Pr. Btrufi, Duldung.) 



Zweiter Teü: 
1839—1874. 



Mit einem Bild von Strauß aas seinem 58. Lebensjahr. 



StraßKnrg. 

Verlag von Karl J. Trübner. 

1908. 



iL v> > „..' j(\ *» 



Inhalt des zweiten Teils. 



Uta 

Fünftes Kapitel: Die christliche Glaubenslehre 326—360 

Sechstes Kapitel; Die Ehe und ihre Lösung 361—408 

Siebentes Kapitel: Strauß als Politiker 409—487 

Achtes Kapitel: \.Strauß als Biograph 488—646 

Neuntes Kapitel: Die Rückkehr zur Theologie 647—670 

Zehntes Kapitel: Das Leben Jesu für das deutsche Volk . . 671—639 

Elftes Kapitel: 1866 und 1870. Voltaire und Renan 640—666 

Zwölftes Kapitel: Der alte und der neue Glaube 667—730 

Dreizehntes Kapitel: Das Ende 731—746 

Schluß 746-764 

Nachwort 766—768 

Namen-Register 769—777 






Fünftes Kapitel 
Die christliche Glaubenslehre. 

Du Jahr 1839 bildet im Leben von Strauß den eigent- 
lichen Wendepunkt. Zwar ümCiiIicIi blnli ull.-s heim alten. 
In Stuttgart lebte er unvertrieben weiter wie bisher. Daher 
halte er auch nicht nötig, auf die Einladung des Fürsten 
von Pöckler-Munkau, der ihm sein altes Stammschloß in Schle- 
sien als Zufluchtsstätte anbot, einzugehen. Diese Einladung 
war gut gemeint, es war etwas RUterliches, etwas „Sickingen- 
aohea** in der Art, wie ihm der liberale Aristokrat die Hand 
rum Schutze bot. Daneben hatte es freilich auch der Eitel- 
keit Senulassos geschmeichelt, wenn er neben Leopold 
Schefer und Heuirieh Laube auch diesen seltenen Vogel 
#*iner Menagerie hfttte einverleiben dürfen. In einen Käfig 
wollte sich aber Strauß nicht sperren lassen, auch wenn er 
vergoldet war, er blieb lieber ein freier Mann 1 ). 

Aber innerlich wurde es mit ihm nach den Erfahrungen 
der letzten Jahre allerdings anders. Bis dahin war er Theologe 
pBffraMD uml jrvliürti' in ilu- 'I 'IiimiIii}.'!" uimJ iu dm hnmwilfii 
Ganj? ihrer Entwicklung mitten hinein. Er hßtte auf Grund 
M'inrr Leitungen Doktor und Professor der Theologie sein 
können und hätte beides werden müssen, wenn die theo- 
logischen Fakultäten nicht zu engherzig und die Regierungen 



•) In der Neuen Freien Preise vom 16. Man 1873 hat Slrautt 
Mibr-r die*e ihm wohltuende Episode „tum Andenken an den Fürsten 
POcVlor Muikju" erzählt und die Briefe des FQrcltu und Leopold 
Mieten an ihn ans den Jahren 1839 und l8to mitgeteilt. 

Th. ClȣtM, Di fr. Sirwl IT. 22 



•..32a 'MriAtMuiLA V 

. . - • . . , . . * • . *. • . . . - - 
"... .... 

— in Deutschland unter theologischem Einfluß, in der 
Schweiz unter dem Ansturm eines fanalisierten Volkes — 
nicht zu feige dazu gewesen wären. Jetzt schreibt er die 
christliche Glaubenslehre, und mit ihr schreibt er sich aus 
der Theologie hinaus. Nur verstehe man das nicht so, als 
ob das Buch eine Streit- und Brandschrift oder eine ganz 
persönliche Absage an die Theologen gewesen wäre, Es 
war auch jetzt wieder, wie das Leben Jesu, ein streng ge- 
lehrtes, durchaus im Rahmen wissenschaftlicher Thuologie 
sich haltendes Werk. Als Theologe hat er sich durch ein 
theologisches Buch aus der Theologie hinausgeschrieben: 
das ist die Paradoxie dieser Wendung. Oder sollte es 
etwa die Paradoxie der Theologie selbst sein? Erfüllte 
sich am Ende hier an Strauß nur jenes Wort von Schleier- 
macher in der „Weihnachtsfeier": „Wenn es mildem Märchen- 
und Wunderglauben eines Knaben recht arg geworden, so 
lasse man ihn nur Theologie studieren, das heilt ihn gewiß"? 
Auch Strauß war, durch sie, von ihr „geheilt", und der 
Heilungsprozeß vollzog sich eben in der christlichen Glaubens- 
lehre, die er jetzt mit aller Energie in Angriff nahm. 

Als Student schon hatte er den Plan zu einer auf Hegel- 
scher Grundlage sich aufbauenden Dogmatik gefaßt. Das 
Loben Jesu und die Kämpfe um dasselbe hatten sich da- 
zwischen geschoben, dieses Buch war sozusagen nur eine Vor- 
arbeit zu seiner Dogmulik gewesen: eine Vorarbeit im großen 
Stile freilich, wenn wir an das denken, was er historisch- 
kritisch und exegetisch darin geleistet hat; aber immerhin 
nur eine Vorarbeit. Für Strauß lag — wenn nicht der Wert, 
so doch der Zweck des Lebens Jesu wirklich in der „philo- 
sophierenden" Schlußabhandlung, dieses gipfelte nicht nur 
äußerlich im Dogmatischen. Eine Dogmatik zu schmUm. 
das war sein frtihgefaßter und bis jetzt festgehaltener Lebens- 
plan: warum hätte er ihn nicht ausfuhren sollen? 

Dazu kam in letzter Zeit auch von außen her ein 
Anlaß, der ihn trieb, sich aufs Dogmatische zu werfen. Er 



Die chnMlirhf Glaubenslehre. 



387 



sollt« ja in Zürich Dogmatik lesen, also mußt«* er sich darauf 
vorbereiten, mußte eine solche entwerfen. Und so sehen 
wir ihn »eil Ende 1838 eifrig bei dieser Arbeit, die ihn euch 
nicht ln*!irß, als sich der Plan mit Zürich und dumit Mfafl 
Aussicht auf eine theologische Professur zerschlug. Der 
Gedanke an Zürich hatte nur den Anstoß gegeben, minder 
Arbeit zu brennen. j er p| an selbst ist viel früher und un- 
abhängig davon gefaßt worden — als Lebensplan; deshalb 
konnte ihn der Züricher Zwischenfall auch nicht davon 
abbringen. 

Noch einmal eine Vorarbeit dazu bildet die zunächst 
für die Hallischen Jahrbücher geschriebene. Ober 200 Seiten 
große Abhandlung „Schleiermacher und Daub in ihrer Be- 
deutung für die Theologie unserer Zeil", mit der er im 
August 1839 eine Sammlung zerstreuter Aufsätze aus den 
Gebieten der Theologie, Anthropologie und Ästhetik unter 
dem Titel „Carakteristiken und Kritiken" eröffnet hat. 
Sie gehört zum Feinsten und Tiefsten, was Strauß geschrieben 
haU „Dankbare Verehrung" für beide Theologen bildet wirklich 
den Grundton der Arbeit, auch die Kritik ist daher durchaus 
maßvoll und bei aller Bestimmtheit im Ton stets ganzsachlich, 
gemessen und angemessen, aber der Aufsatz darum doch 
frisch und lebhaft geschrieben. Zuerst wird jeder der beiden 
Theologen für sich in seiner wissenschaftlichen Entwicklung 
und nach der Reihe seiner vornehmsten theologischen 
Schriften betrachtet, wobei uns natürlich der Versuch, die Ent- 
wicklung Schleiermachere aus der Romantik heraus und von 
den IUden über die Religion an bis hinauf zu der Hohe der 
Glaubenslehre zu zeichnen, ganz besonders interessiert. Man 
gebt noch heute nicht fohl, wenn man. um sich in Kürze 
über Schleierm achers Werdegang zu orientieren, auf den 
ersten Abschnitt dieser Strouüschen Abhandlung zurück- 
greift. Auch bei Daub handelt es »ich um eine Entwicklung 
— von Kant über Schelling zu Hegel. Einzig mit dessen 
Phänomenologie zu vergleichen undauch ausdrücklich dem An- 



838 



Fünft« Kapitel. 



denken Hegels gewidmet, ist Daubs letzte Sohrift ,, Die dogma- 
tische Theologie jetziger Zeit oder die Selbstsucht in di 
Wissenschaft des Glauben» und seiner Artikel", über sie sagt 
Strauß: „Es ist eine Dantesche Höll*\ mit den Dogmatiken, 
Kommen Utren und theologischen Zeitschriften der letzten 
seohxig Jahre geheizt, wo GhibeUinen neben Guelf-n. 
Supranaturalisten neben Rationalisten braten, durch deren 
verschlungene Gruppen der Geist des verewigten Philosophen 
den Theologen, wie dort der des Dichters den IhrM.-r »K 
Cicerone hindurchgeleitel; zur göttlichen Komödie aber 
wird das Ganze durch die in der Darstellung waltende Ironie, 
weleheindcrerhabeinui Ruhe ihreriminanenteii.ftiegeHgewisseii 
Haltung vielmehr Humor zu heißen verdient. Es ist ein 
Gericht, mit einer durch Mark und Bein dringenden Donner- 
stimme ausgesprochen; aber leider in einer Spruche, welche» 
weil weder den Gerichteten noch den Gerichtsdienern ver- 
ständlich, bis jetzt so viel wie wirkungslos gehlieben ist. 
Dan Hui'.h wäre, in ganz anderer Art als du« Sentenzen den 

Lombarden» wert, daß die Theologen künftig Kommentare 
il.irui.n-r schriebeu; aber warum hat es noch niemand in eine 
traktablere Sprache umgesetzt? Ich glaube fast, irh wäre 
hiezu befähigt; aber ich möchte es doch nicht tun, weil 
ich vorausweiß, daß mir in der meinigen das Buch weuiger 
gefallen würde als in der genügen. Zu eiiu-m so l.iefge- 
grabenen Inhalt gehört auch diese granitene Form. Dennoch 
bleibt es auf der andern Seite wahr: so muß derjenige schrei- 
ben, welcher nicht verstanden, nicht gelesen, auch ohne 
Wirkung bleiben will." Wir werden bald genug verstell' B, 
warum diese Daubsche Kritik aller Dogmatik Strauß so 
mächtig imponiert hui: sie war, nur nicht in ihrer unver- 
ständlichen Sprache, das nächste Vorbild für seine eigene 
Glaubenslehre. Im dritten Abschnitt folgt dann die Parallele 
zwischen Scldeiermaeher und Daub ids DogmaÜkcrn. Sie 
hebt damit an, daß er jenen den Kant der protestantischen 
TheulijLjie nennt. Dauli dagegen mit Schelling und Hegel 



Die christliche GUubeatkhre. 



«ad sie schließt mit dorn Wort Öklarios 
Wilwtoin: 

Et *t ili* Starke. Fnruml. uih! S. hnolligkaU. 
So beweial schon liier Strauß »eine Kunst zu charukte- 
tn f die ihm später in hetnen Hiugniphifn -■ tr-rlllich 
zustatten gekommen ist; darum ist die Abhandlung nicht 
nur lehrreich für jeden, der sich über Schleiermachera Ent- 
wicklungsgang orientieren und von dem heute völlig ver- 
gessenen Daub sich ein Bild machen will, sondern sie ist Auch 
ästhetisch genußni- I; hui s< hriftstelleriscbes Meisterwerk. 

Förden Standpunkt von Strauß alier ist in Ihr noch 
besonders bedeutsam das volle Verständnis rar das Gefühls- 
m&ßige in Schleiermachers Religiosität und speziell in seinen 
Predigten» in denen ,,er sich nach der erkaltenden Verstandes- 
arbeit der Woehe Sonntags durch die Belebung des gemüt- 
lichen Zusammenhangs mit der Gemeinde wieder zu er- 
wftrmen pflegte". Selbst für sein erbauliche* Knde, wi< 
er „ehe der Tod ihm die Augen zudrückte, noch den Moment 
erhaschte, wo er. mit seiner Familie wenigstens, das Mahl 
oVr christlichen Gemeinschaft begehen konnte*', findet 
Strauß ein verstehende», gutes Wort. Indem er aber sub- 
jektive und objektive Heligion unterscheidet. läßt er doch 
nur das Wurzeln der enteren im Gefühl gellen, summt 
dagegen Daub im, der die Religion im objektiven Sinn 
.•als ein Glauben und Erkennen, mithin als ein Denken 
faßt"; auch in der Religion muß Vernunft sein. 

Von diesem Gegensatz gegen ScMeiermacher aus for- 
muliert Strauß schon hier die Aufgabe der Dogmatik. Er 
findet es ,.i i dafl SrMpirrmacher, statt geradeaus 

zw geh™. Winkelrtge macht, daß er, wie man wohl Soldaten. 
die auf der Bühne zu figurieivii haben, erst in andere Uni- 
iien stockt. SO den philosophischen Truppen, die in 
»einer Glaubenslehre auftreten, zuvor die Kutte des frommen 
Gefühls überwirft, dir aber, M sorgfältig sie auch gearbeitet 
ist, docli m.M vrrhülon knnn, daß nicht hin und wieder 



180 



Fünfte« Kapital. 



bei einer röscheren Bewegung der eigentliche Anzug 
ihr hervorblickt". Aber, wenn hier Schleiermacher wegen 
der Umgestaltung philosophisch, t Blln ifl Gefühlsaussagen 
getadelt wird, — haben denn, wird man fragen, philoso- 
phische Salze als solche in der Glaubenslehre überhaupt eine 
Stolle ? Als solche können aie in derselben schon deswegen 
nicht vorkommen, weil sie hier aus ihrem genetischen Zu- 
sammenhang mit dem gesamten System der Philosophie 
herausgenommen sind; aber vorkommen dürfen, ja müssen 
sie, wenn anders die Dogmatik ihrer Aufgabe, das Wissen vom 
Glauben zu sein, genügen will. Das philosophische Denken 
wird ein theologisch dogmatisches, indem es auf jedem Schritt, 
zugleich Reflexion auf den kirchlichen Glauben und den 
biblischen Inhalt ist; wobei ein doppelter Gang genommen 
worden kann: entweder vom Begriff zum Dogma honb 
zusteigen, das spekulativ Erkannte sofort auch als Lehm 
der Bibel und Bewußtsein der Kirche nachzuweisen: 
oder von gegebenen Positionen, dem einzelnen Glaubens- 
artikel, zum philosophischen Begriff aufzusteigen, ihn durch 
die Dialektik des dogmatischen Stoffs aus diesem hervor- 
zutreiben. Und wenn or dann hinzufügt: ,,lch halte die 
letztere Methode für die richtige'*, so sehen wir, wie er 
selbst in dieser Arbeit so etwas wie das Sprungbrett hinüber 
zu seiner eigenen Glaubenslehre gesehen und in ihr das Pro- 
gramm für jene aufgestellt hat. 

Freilich, ehe er an die Ausarbeitung ging, hatte er 
noch allerlei zu tun. Zunächst wurde 1839 eine neue, die 
vierte Auflage des Lebens Jesu nötig, und da galt es, den 
Schritt vom Wege, den er in der dritten Auflage getan, 
aber noch wahrend der Arbeit daran als einen übereilten und 
falschen erkannt hatte, wieder zurückzunehmen, die Zweifel 
an der Echtheit des Johannes-Evangeliums, an denen er dort 
irre geworden war, wieder in ihr altes gutes Hecht einzu- 
setzen und daraus dann im einzelnen die Konsequenzen zu 
ziehen. Wie er sich in der Vorrede zu der dritten Auflage 



Di« f.lirihtlic'm: «.Ibiubi-ii^Mu-.'. 



m 



seine Stellung zum Johannes-Evangelium geäußert hat, 
in wir 1 ). In der etwa gleichzeitig entstandenen Ab- 
handlung über Schleic-rmacher und Daub heißt es gegenüber 
dem erateren, der die Echtheit des vierten Evangelium* 
ohne weiteres voraussetzte, vorsichtig: „es kommen aber 
jetxt konservative und kritische Theologen darin überein, 
daß nur durch einen äußerst verwickelten kritischen Prozeß 
in Ursprung ausgemittelt und seino Autorität im Ver- 
hältnis zu den Übrigen limitiert werden kann.' 1 Jetzt da- 
gegen in der vierten Auflage vermißt er, wieder zuversicht- 
lich geworden, über Johannes ein ahnliches Zeugnis wn- 
da* de* Papias über Matthäus und laßt sich zugeben, daß 
wir in keinem unserer Evangelien den unmittelbaren Bericht 
eines Augenzeugen haben. In der Vorrede aber erklärt 
er: „Die vorige Auflage hatte des Ironischen zu viel. 
Die sich durchkreuzenden Stimmen der Gegner, Beurteiler 
id Mitarbeiter, nach denen aufmerksam hinzuhören ich 
mir zur Pflicht machte, hatten die Idee dos Werkes in mir 
übertäubt; über dem emsigen Vergleichen abweichender 
iahten hatte ich die Sache selbst aus dem Gesicht ver- 
loren. Daher fanden sich, wie ich in gesammelterer Stim- 
iung diese letzte Überarbeitung wieder durchsah. Ände- 
rn, Ober die ich mich wundern mußte, und durch die 
ich offenbar mir selbst Unrecht getan hatte." Daher stellte 
allen solchen Stellen die früheren Lesarten wieder her, 
seine Arbeit bei der neuen Auflage bestand nur darin, die 
Scharten, die in sein gutes Schwert nicht sowohl der Feind 
gehauen als er selbst hineingeschÜffcn hatte, wieder aua- 
iwetten. In den literarischen Denkwürdigkeiten fügt er 
izu: „Doch immer noch nicht genug." Das ist richtig, 
der erste Wurf war doch d«r beste gewesen. Und deswegen 
it or auch recht mit dorn Stoßseufzer; ,,lch wollte, ich 
litte nie w** daran grundert." 



*) & Bd. 1. &. 266. 



332 



Fünft*« Kapitel 



Die Hauptarbeit aber galt nun wie getagt der christ- 
lichen Glaubenslehre. Einstweilen exzerpiert er und verdirbt 
sich dabei die Augen, so daß er in dieser Zeit zum erstenmal 
Ober sie zu klagen hat, Mit der Ausarbeitung begann er erat 
nach Neujahr 1340; denn das gelehrte Slomuiinmeln und 
das künstlerische Schaffen hat er zeitlich immer auseinander- 
gehalten. „Der Schriftsteller meiner Art", schreibt er darüber 
nn Hupp, ..muß von Anfang des Schreibens schlechter- 
dings wie ein vollgesogcner Blutegel sein und von seineu 
Büchern, wie ein solcher von der Wunde, wegfallen." Di« 
Vorrodo zum BfPtOO Band ist vom 2. September tH'iO diitiert, 
der zweite Band erschien im Juni 1841; doch war schon 
im Februar „der letzte esc hat elegische Nagel in den Sarg 

des [>'iL'i;i,i- ^schlugen". 

Was uns an diesem Buch zunächst auffflllt, das ist 
der veränderte Ton. Strauß ist, namentlich wenn man 
an die zwei Jahre zuvor geschriebenen ..friedlichen Blatter" 
zurückdenkt, viel negutiver und polemischer, viel leiden 
schaftlicher und aggressiver geworden. Natürlich, in diese 
Kampfstellung hatten ihn die Theologen hineingestoßen, 
nun mußten sie es eben hinnehmen: sie Katton ihn als 
Feind behandelt, also behandelte er auch sie und ihre 
Wissenschaft hinfort als den Feind. Kr schreibt jetzt, wie 
er selber sagt, ira et studio. Wenn aber Treitschke 1 ) 
von einem „blöden Haß" spricht» zu dem ..der geist- 
reiche Mann in fünf Jahren harter Kfiinpfe herab- 
gesunken sei und der dem Fanatismus Eschenmayers nichts 
nachgegeben habe", so sucht man dafür in dem Buch vei 
gebens auch nur die leiseste Spur, Es war der Bruch mit 
i\^r Theologie, nicht mit ihren einzelnen Vertretern, und der 
Kampf wurde mit ehrlichen Waffen — nicht blöd und 
fanntiNch, sondern in glänzendster, geradezu elegantester 
Porm geführt. Treitschke hat das Buch wohl nie in 



') Treitschke *. n. O., Bd. IV. 8.493. 



Die christliche Glaubenslehre, 



333 



der Hand gehabt, sonst hätte er so nicht darüber reden 
können. 

Für den Umschwung zur Negation der Kirche und Alf 
Theologie gegenüber ist ein Brief an Mürklin bezeichnend. 
defi Strauß dem FlWUld aus Anlaß von dessen Buch 
über den Pietismus am 3. November 1839 geschrieben 
hat Da heißl e»: „Um indessen meine Ansicht über 
Drin« jetzig» Stauung offen n sagan, welche Ansicht 
Dir aber freilich, wie ich klnr einsehe, nicht dienen kann, 
ehe sie sich Dir ebenso aus dem Zusammenwirken auOercr 
Umstand* und innerer Prozesse entwickelt haben wird, 
wie mir, — meine Anwirbt also i J t offen gesagt die. daß Du 

Dich über Deine Stellung zur Kirche in einer Selbsttäuschung 
befindest. Doch dirs habe ich Dir langst gesagt und Du 
fuhrst in Deinem letzten Schreiben gegen dieses mein Urteil 
eigene frühere Äußerungen von mir an Erstlich die Vor- 
rede meines Lebens Jesu, und dn gestehe ich denn gleich 
offen, daß ich auf jenem Hegelschcn Standpunkt jetzt nicht 
stehe, und von der jungfräulichen Erzeugung Clin-ti. 
■i Auferstehung usw. als ewigen Wahrheiten nicht mehr 
sprechen mochte. Was aber die Vorredt» tu den zwei fried- 
lichen Maltern betrifft, so ist jene Ansicht allerdings noch 
in DM die meine, und wenn man du*, was ich dort beschrieben, 
noch Christentum nennen will, so habe ich nichts dagegen. 
sofern auf Worte nichts nnlt mimt. Aber man wird es nicht: 
und das will mir um so lieher sein. Orientiere Dich doch 
nur immer an einem von mir schon früher berührten Punkte, 
an der Exegese, und Du wirst erkennen, daß der Pietismus 
und der Kircheuglniihc hier auf demselben Boden stehen. 
Und *o ist denn auch das Urteil tlber Deine Schrift ganz 
allgemein, soweit ich vernehmen konnte, dieses, daß Du 
— und nun meinen die einen, aus List, dir andern, aus 
Selbsttäuschung — auT den Snek (den Pietismus) geschlagen, 
den Esel aber (die Kirchenlebre) gemeint habe»»!. F.* ist 
merkwürdig und von uns wohl zu beherzigen, was es mit 



984 



K uii Kr« Kapitel. 



dtOI UM nachwachsenden Geschlecht, nachdem wir den 
Damm durchstochen, für eiue Wendung genommen: die 
besseren Köpfe alle, soweit sie für mehr als da« Hi*tori»ch.-> 
Sinn haben, sind Ober dio Illusionen, heißen sie nun Schleier- 
Jicrsche oder Hegelsche oder wie Bio wollen, Ober diese 
Illusionen einer Übergangsperiode, die uns noch immer 
äffen wollen, sind diose Leute hinaus, und wir müssen auf 
ihren Standpunkt jwgmRig ••ingidieii, um den nnsern "Ih 
zu prüfen, N'urmchtzuzeitig stehen geblieben und dem Flusse 
des Fortschritts der Konsequenzen Einhalt getan! Sonst 
kommen wir in die 'saubere Stellung, nicht nur von den Alt- 
gläubigen wie natürlich angefeindet, sondern zugleich von 
den Fortschreitenden ausgelacht zu werden. Du mißver- 
stehst mich nicht, als wollte ich vom äußeren Erfolg das 
Innere abhangig machen, d.h. ermahnen, wir sollen uns 
darnach in unseren wissenschaftlichen Bestrebungen richten. 
was aie für Anklang finden, — sondern ich zeige die Außen- 
seite nur als Kehrseite der inneren Natur der Sache. Und 
in dieser Hinsicht bleibe ich dabei und berufe mich auf das 
Srgabob einer aufrichtigen SelbstprUfung bei Dir, doB das 
Mitmachen und philosophische Aufstutzen der christlichen 
Dogmen von unserer Seite eitel Atlektation ist, daß keine 
einzige religiöse Empfindung, die wir haben, sich natür- 
licherweise in eine christliche Form mehr kleidet, ja daß 
uns die religiösen Gefühle lieber ganz davonÜiegeu. ehe 
sie sich in das alte stinkende Käfig der wenn auch noch so 
?ii -rhe-h uhrrpoppten Kirchenlehre zwingen lassen. Christus 
für sich mag gewesen sein, wer und was er will, das kann 
unserer Religion gleichgiltig sein, weil wir keinen Versöhner 
:iuH«-r iiu.1 kein Orakel mehr brauchen. Wendest Du ein: 
aber das Volltl so finde ich ja eben das verkehrt, daß die 
Wissenschaft sich noch diesen harten Köpfen richten soll; 
unsere /.oit kann nur dadurch weiter gebracht werden, daß 
die Wissenden — aber von denen willst Du ja nichts wissen. 
mit Scharlenrnnyer rufend: o geehrtes Publikum, bring usw. 



Die cbrätiichc Glaubenslehre. 



355 



Ganz wohl und «nvcrstanden; aber glaube nur, daß diese 
ecclc&xa inviaibilis. eben weil sio letztens» ixt, noch viele jetzt 
ganz unbekannte Glieder hat, und daU gerade unter den 
jetzt schon reifen Fruchten derselben manche sind, die es 
nur durch inneren Wurmstich wurden, und bald abfallen 
werden, um den wahrhaft von innen heraus gezeitigten Platz 
zu machen. Dies, lieber Freund, ist mein Weg; ihn haben 
aber nicht bloß meine Gedanken, sondern ebensosehr Äußere 
„Führungen'*, für welche ich der „sogenannten Providenz" 
nicht genug dankbar sein kann, mich geleitel; darum gehe 
Du nur getrost den Deinen und tue. was Dir gemäß ist; da 
Dich so gewiß wie nur irgendeinen die liebe der Wahr- 
heit leitet, und ich mir ein ähnliches Zeugnis geben darf 
(von unreinen Beimischungen ist wohl keiner von beiden 
frei), so werden wir wohl nicht zu weit auseinander kommen." 

Dreierlei ist an diesem Briefe bemerkenswert. Hier 
schon dm Krage; Sind wir noch Christen? und als Antwort 

mf auch hier schon ein deutlich erkennbares Nein. Zum 
[iten der Hinweis auf Jüngere, Fortgeschrittenere: dabei 
denkt Strauß wohl eher als an Bruno Bauer an Feuerbach, 
von dem zwar noch nicht „das Wesen des Christentums", 
wohl aber sein „Pierre Bayle" und der Aufsatz ober ,,Phil<>- 
iphic und Christentum iu Beziehung auf den der Hegel- 
i-ih ii l'hiloh<j](hi> KMiiKir.Mi'O. Vonrarl der I rielmstliehknil" 
erschienen war. Endlich ist wichtig die Absage an die 
Schleicrmaehurechen und an diu liegelscheu „Illusionen". 

Ganz so weit wie in diesem Brief vom Novomber 183^, 
in dem die Erregung ober die „äußeren Führungen" zu An- 
fang des Jahres noch deutlich nachzittert. ist er in der 
Glaubenslehre selbst doch nicht gegangen: an der Arbeit 
hat er sich beruhigt und seine Anschauungen noch einmal ge- 
klärt. Aber den Gegensatz zwischen dem Standpunkt de« 

-t liehen Glaubens und dem der modernen Wissenschaft, 

r wie er ihn in dem ersten „apologetischen" Teil noch 

kürzer ausdruckt, den Gegensatz zwischen Glauben und 



Funfl« Kapitel. 



Wissen hat er auch hier mit unerbittlicher Schiffe formuliert. 
Bis dahin halte er mit Hegel die Identität des Inhalts in 
beiden, in Religion und Philosophie, anerkannt und nur einen 
l ul.erscbied in der Form gelten lassen wollen: die Iteliginn 
hübe in der Form der Vorstellung dieselbe Wahrheit wie 
die Philosophie in der freilich höheren Form de» Begriffs. 
Jetzt fragt er: „Ist es denn wahr, ist es nnch den eigenen 
Prinzipien derjenigen Philosophie, von welcher diese Be- 
stimmung de» Verhältnisses ausgegangen ist, wahr, daß der 
Inhalt gegen die Form so gleiehgtllig ist? Verhalten sich 
wirklich beide so äußerlich zueinander, daß bei der Ver- 
änderung der einen Seile die andere unverändert beharren 
kann? Wenn Hegel die Form der Vorstellung, in welcher 
ihm zufolge die Religion den absoluten Inliult hnl. ungi- 
scheut als eine untergeordnete, inadäquate bezei^lmi: so 
fragt sich, ob in einer endlichen Form der Inhalt ab abso- 
luter vorhanden sein kann und nicht vielmehr mit dieser 
Form selbst ein endlicher, der Idee unangemessener wird ?** 
Und er beruft sich dafür ausdrücklich auf „die durch Hegel 
angeregle jüngere Philosophengeneration", auf Frauonstfidt, 
Daumer und Feuerbach, die diese Identität des Inhalts 
entschieden in Abrede stellen. An den Begriffen Oflen- 
barung, Weissagung, Wunder, Inspiration und Heiliger 
Schrift, indem er sie kritisch auflöst, weist er es selber nach. 
daß die kirchlichen Glaubensartikel sich auch inhaltlich 
nicht decken mit den Vernunftwahrheiten und wissen- 
schaftlichen Einsichten unserer Zeit, So ist zwischen Glauben 
und Wissen wieder einmal das Ünnd zerschnitten, das die 
Hogelsche Philosophie knöpfen zu können geglaubt hatte, 
die Versöhnung der beiden Standpunkte gehört zu ihren 
großen „Illusionen 4 *. ..Wer zum Vcrmmflghiuheu noch nicht 
reif ist, der bleibt beim OfTenbarungsglaubon. Hier ist ein 
Kluft zwischen zwei Klassen der menschlichen Gesellschaft, 
den Wissenden und dem Volke, d. h. den .Nichtphiloso- 
phierendni du- höheren wie der niederen Stünde, befestigt, 



Die christliche Ota«hsaaUhf. 



:,; 



* sich vielleicht niemals aiaUnSc. wird." Also, rafl er 
pathetisch au», „also las»* der Glaubende den Wissenden, 
wie dieser jenen, ruhig Mine Straß* aeben; wir lassen ihnen 
Dkm Glauben, so lassen «e uns aiww Philosophie; und 
wenn es den Überfrommen gelingen sollte, an» aus ihrer 
Kirche auszuschließen, so werden wir dies für Gewinn achten : 
falsche' Vermittlungsversuche sind jetzt genug gemacht; nur 
Scheidung: der Gegensätze kann weiter führen". 

Dieses Aufgeben des Glaubet» an die inhaltliche Identität 
von Religion und Philosophie ist nicht nur für die nächste 
Aufgabe, die e* in dem vorliegenden Buch zu löaen galt, sie 
ist auch für Strauß selbst und seine ganze innere Entwick- 
lung bis in sein letztes Buch hinein wichtig, Durch die Ohdsfc- 
li du Glaubenslehre hat er sich nicht bloß aus der Theologie, 
«r hat sich damit auch an einem Hauptpunkt aus der 
Mi gelsi hrn Philn-oplne tÜDAflagenlulalKlB : Bnd weil er 

nun für längere Zeit mit der Theologie auch der Philo- 
sophie untreu wird, so fehlt ihm von nun an, wie er 
1860 au Professor Biedermann in richtiger Selbsterkennt- 
nis schreibt, „der feste Rückhall eines philosophisch D 
Systems". Und es ging ihm, als er mit und nach der 
rh-utlugia ftnoh wieder zur Philosophie zurückkehrte, ebenso 
wie e* Feuerbach gegangen ist: er war dann ohne einen 
solchen Ruckhalt „gegeo die Sirenenstimmen des Materialis- 
U nicht gesichert". Allein ein konsequenter Materialist 
konnte er doch auch nicht werden, dazu waren die Jugcnd- 
eiadrucke ui mächtig, und diese wiesen ihn immer wieder 
zu Hegel und zum Hegelschcn Idealismus zurück. So hut 
der Standpunkt des alten und des neuen Glaubens und der 
dort gemachte Versuch, Materialismus und Idealismus als 
gleichberechtigt, tu ein-, zu *«tzeii. hier in der Apolfigetül dflf 

christlichen Glaubenslehre seine Wurzel. Oder anders aus- 
gedruckt: Strauß bruch mit der Theologie und hörlo doch 
i. auf. Theologe zu sein; darum konnte er in den 
sechziger Jehren wieder zu ihr zurückkehren. Und ebenso 



m 



FäalU* KapileL 



ging es ihm mit der PhßofOpUoi er brach mit einrr Grund- 
anschauung Hegels und hörte doch nicht auf, Hegelianer 
su sein; darum konnto i*r in »einem letzten Buch Materialist 
und Hegelianer zugleich srin und somit auch hier wieder 
zu seiner ersten Liebe zurückkehren. 

I imcIi lininil greifen wii vm. Hut wird virlrii.hr riur 
andere Frage brennend, die wir bisher immer zurückgeschoben 
haben und die nun endlich zur Beantwortung reif ist. die Frage, 
ob jenur scharfo Trennungsstrich, den Strauß in der Glaubens- 
lehre zwischen Glauben und Wissen macht, nicht auf einer 
falschen, weil allzu intellektuauHischen Auffassung des Glau- 
bens und der Religion beruht? Vom Standpunkt dos Lebens 
Jesu und der Streitschriften aus ließ sie sich noch nicht mit 
Bestimmtheit beantworten, wenn es auch oft so klang, als ob 
Strauß im Gegensatz zu Schien i m ; linr mit Hegel diu Religion 
allzu einseitig ab Denken, als Sache („Form") der Vor- 
stellung gefaßt bane. Aber schon bei Hegel liegt die Sache 
nicht so intellektualistisch einfach. Die Religion, sagt dieser 
in der Einleitung zur Rcligionsphilosophii' 1 ). ist „die Region, 
worin alle Rätsel der Welt gelöst, alle Widersprüche dt» 
tiefersinnonden Gedankens enthüllt sind, alle Seh morsen 
des Gefühls verstummen, die Region der ewigen Wahrheit, 
der ewigen Ruhe. In der Beschäftigung mit ihr entladet 
-ii h der Geist oller Endlichkeit, diese Beschäftigung gibt die 
Befriedigung und Befreiung; sie ist absolut freies Bewußt- 
sein, das Bewußtsein der absoluten Wahrheit und so selbst 
wahrhaftes Bewußtsoin; als Empfindung bestimmt ist sie der 
Genuß, den wir Seligkeit nennen, als Tätigkeit tut sie nichts 
anderes als die Ehre Gottes zu manifestieren, die Herrlichkeit 
ibrsM'llM'ii£iiij|Fi?iib.'ircu. Uio Völker habendies religio 16 B0WU04 
sein als ihre wahrhafte Wurde, als den Sonntag des Lebens an- 
gesehen; aller Kummer.alle Sorge, diese Sandbank der ZeiÜich- 



') Hegfll'n VorlmuDffrn Ober dir Philosophie der Religion, 
Bd. I. fi. rtf. (..Ifter Bund der Wnrke). 



t>ie <limllt<:h« Olaubenslebrr. 



330 



ktii, vorschwebt in diesem Äther, es sei im gegenwärtigen Ge- 
fühl der Andacht oder in der Hoffnung. In dieser Hegion des 
Geist«» strömen die Leihefluten, aus denen Psyche trinkt» 
worin sie allen Schmerz versenkt, alle Harten, Dunkel- 
hiitcn der Zeit zu einem Traumbild gestaltet und cum Licht- 
lans des Ewigen verklärt." Ich weiß nicht, ob man daa 
Gefühlsmäßige in der Religion besser und schöner anerkennen 
kann, ab e* hier geschehen ist. Und darin weiß sich Strauß 
mit Hegel eins. So schon in seiner Definition des Glaubens: 
„Die Art und Weise", sagt er, „wie der Mensch den Inhalt 
der Offenbarung weh aneignet, die innere Beistimmung, 
die er, nicht infolge kritischer oder philosophischer Unter- 
suchungen, ja oft im Widerspruche mit solchen, sondern 
überwältigt durch ein Gefühl, das die evangelische Kirche 
das Zeugnis den heiligen Geis tos genannt hat, das aber in 
der Tnt nur die Kmpfindung der Identität des im Individuum 
geweckten religiösen Lebens mit dem in der Schrift dar- 
ilellten und in der Kirche waltenden ist, — die Bes- 
timmung, welche infolge dieses Gefühls der Mensch dem 
Schriftiubalt und der Kircheidehre zollt, heißt in der lurch- 
len Sprache der Glaube.'* Ganz besonders bezeichnend 
aber ist, wie. er die Hegeische Bestimmung von der Form 
der Vorstellung ergäuxt und korrigiert: er macht daraus 
Form und unmittelbare Weise de* Gefühls und der 
Vorstellung". Man wird nicht fehlgehen, wenn man hierin 
den Einfluß Schleiermachers sieht, dessen , .musikalische 
tMigion" er so gut nachzuempfinden und so trefflich zu 
charakterisieren verstand. Endlich spricht er es auch geradezu 
aus, daß ..das Gemüt der Boden Bei, dem die Religion unmittel- 
bar enUprieaV 'mm* will er mil Hugel iiucrk-imit wissen 
daß „auch die Vernunft, die objektive Tätigkeit der Intelligenz, 
Samen in diesen Boden streue, daß mithin die aus dem- 
in aufkeimende Religion an beiden Seiten Anteil habe 1 '. 
Aber wie steht es dann mit dem Wissenden und seinem 
Gemüt, wenn seine Wege sich von denen des Glaubenden 



340 



Fünft» KapilH. 



Irwinen? Wird diese» dadurch nicht verarmen? Nein; 
denn „dem wahrhaft Philosophierenden gewährt das System 
■einer philosophischen Überzeugungen von dem Wesen de« 
Absoluten und «einem Verhältnis zum Endlichen, tob der 
Natur und Bestimmung des Mensehen usw. gar.x dieselbe 
innerste und diu Einheit seine* Wesens, mit sich abschließende 
Befriedigung, w«lrhfl dm Gläubigen der Inbegriff christ- 
licher Glaubenswahrheiten gewahrt. Religion und Philo- 
sophie tun demselben höchsten Bedürfnis des Geistes genug: 
mit sich selbst ins reine zu kommen, des Einklänge seiner 
endlichen Erscheinung mit seinem absoluten Wesen inne 
zu werden; nur dnß die Religion sich zu diesem Behuf« 
mit Gefühle« und Vorstellungen begnügt, zu deren Erregung 
und Ausdruck sie eine* besonderen Kreises von Darstellungen 
und Übungen bedarf; wogegen die Philosophie diesen Utlbatl 
BoMfllaf MrTBisH und zur Anschauung der Sache 'ill.-.i 
zum Begriffe vordringt." Man wird hier an Spinoza denken 
müssen. Aber immerhin, miL dieser let/leii Wendung 
kommt Strauß dneh wieder auf den früheren iritellektuali-.it- 

schen Gegensatz von Vorstellung und Begriff zurück; und 
so wird man sagen köuuen: Strauß habe die Gefühls- .!■ 
in der Religion nicht verkannt, er habe in der Zusammen- 
stellung „Gefühl und Vorstellung" Schleiermacher und 
Hegel zu vereinigen gesucht; über der Intellektualismus 
und Panlogismus schlagt allerdings wie bei dem Meist 
bei Hegel selber, so auch bei ihm immer wieder vor, und 
macht seinem RnligiousbegrilT einseitiger und enger, den 
Gegensatz zwischen Religion und Philosophie gespannt ■ . 
und gefährlicher, als er freilich immer ist. 

Für das Buch aber kommt das doch kaum in Betracht. 
GIhuIm.d l hro, Dogmatik ist Wissenschaft und will es sein; 
die Theologie i*l nicht Religion, sondern ist Wissenschaft oder 
sollte es doch suin. Als solche muß sie sich aber durchaus 
vor iIiih Klimm der \ ••rmiiift und des Denkens ateUan und 
daraufhin prüfen lassen, ob »ich ihre Glaubenssätze mit 



Die christliche Glaubenslehre. 



341 



tikcn der Vernunft, mit der Philosophie, und 
philosophisch gebildeten Bewußtsein unserer Zeit 
zusammen denken lassen. In diesem Sinn präzisiert 
Strauß diu Aufgabe seiner Glaubenslehre und ihn» Stel- 
lung zur bisherigen Dogmaük so: „Sie soll der dogmatischen 
Wissenschaft dasjenige leisten, was einem Handlungshause 
die Bilanz, leistet. Wird es durch diese gleich nicht reicher, 
80 erfahrt es doch genau, wie es mit seinen Mitteln daran 
i^t: und das ist oft ebensoviel wert als eine positive Ver- 
mehrung derselben. Eine solche übersieht über den dogma- 
tischen Besitzstand ist in unseren Tagen um so dringenderes 
Bedürfnis, nU sich die Mehrzahl der Theologen hierüber 
die größten Illusionen macht. Man schlägt den Abzug, 
den die Kritik und Polemik der zwei letzten Jahrhunderte 
vom alten theologischen Grundstöcke gemacht hat, viel 
xu gering an, und dagegen die zweideutigen Hilfsquellen, 
dlfl du in der Getühlhtheologio und mystischen Philosophie 
des gegenwärtigen gefunden zu haben glaubt, viel xu hoch. 
Man meint die Prozesse, welche über jene Ausfülle noch 
h weben, zum größten Teile schon gewonnen zu haben 
und aus den neueröffneten Schachten der reichsten Ausbeute 
gewiß xu sein. Es könnte aber der Fall eintreten, daß jene 
Prozesse sönttlich an einem Tage verloren gingen: und wenn 
dann zudem noch diese neuen Gruben die Hoffnung tauschten, 
so wäre das Falliment unvermeidlich. Grundes genug, 
weh in Zeiten vorzusehen und genau zu untersuchen, was 
an den froheren Verlusten wirklich unwiederbringlich und 
was etwa noch beizulreiben ist, ebenso was bei den neueren 
Untornehmuriivn als sicherer Gewinn in Aussicht steht und 
wir »ich, dies alles wohl berechnet, die Aktiva zu den Passiva 
verhallen.'* 

Um eine kritische Überschau handelt es sich also hier, 

wie fünf Jahre zuvor beim Leben Jesu. Allein „diesubjektive 

Kritik des einzelnen ist ein Brunnenrohr, das jeder Knabe 

in VViile «Inhalten kann. Die Kritik, wie sie im Laufe der 



342 



■ Kapital. 



Jahrhunderte sich objoktiv vollzieht, stürzt als ein braust ■ ndcr 
Strom heran, gepen den all« Schleusen und Damme ni- 
vermögen"; oder noch kürzer und epigrammatischer: „Die 
wahre Kritik des Dogma ist seine Geschichte." Es ist nämlich 
dieser kritische Prozeß nicht erst von dem heutigen Theologen 
zu veranstalten, sondern er liegt in der ganzen Entwicklungs- 
geschichte des Christentum:? bereits vor, und der jetzt lebende 
Theologe hat ihm bloß zuzusehen und ihn begreifend zusammen- 
zufassen. So wird diese Art der Dogmati k vielmehr zur 
Dogmengeschichto, der Doguiatiker zum Historiker. „Alle 
die Tiegel und Retorten, in welchen das Dogma geschmolzen 
und destilliert, alle Iteagentien, durch die es in sich zersetzt 
werden, alle Goffißo, in denen es garen und abschäumen 
muß, sind nicht erst von uns zu machen und in Tätigkeit zu 
setzen, sondern wir dürfen sie nur nehmen, wie sie als kirch- 
liche Parteien und Streitigkeiten, als Ketzereien und Synoden, 
als Rationalismus. Philosophie u. s. f. bereits gegeben sind " 
Es ist interessant und instruktiv zugleich, die Straußische 
Glaubenslehre mit einer anderen, 700 Jahre vor ihr geschrie- 
benen Dogmatik zu vergleichen, ich meine das für die Theologie 
nicht weniger böse Buch von Peter Ab&lard „Sic et non". 
Und merkwürdig, die beiden Bucher, die e* auf eine „Unter- 
wühlung der Theologie 1 * abgesehen haben, stehen durchaus auf 
dem Boden ihrer Zeit und Zeitanschauung, Abalard aufdem 
scholastischen, Strauß auf dem Hegelscheu, und doch kommen 
sie beide zu demselben Ziel. Abalards Buch halt sich durch- 
aus an das Traditions- und Autoritatsprinzip der kirchlichen 
Scholastik, aber er entdeckt ein für dieses Prinzip Ver- 
hnugiiisvolles: daß die Tradition der Vater zwiespältig int 
und die Autoritäten sich widersprechen. Und nun stellt er 
unerbittlich diese WidersprOcho, das Ja und das Nein der 
Autoritäten nebeneinander und laßt dadurch, daß er sich 
weder für das eine noch fftr das andere entscheidet, den Leser 
und damit das christliche Subjekt überhaupt ratlos stehen 
vor diesem Ja und Nein zugleich. Im neunzehnten Jahr- 



Die christliche Glaubenslehre. 



:m 



hundert war an iii" Stulln der alten eine neue Sduda! lifc 
treten, die Hegelsehe 1 Phflosophfa und Ihre dialektische 
Methode. Aber die Philosophie Hegels war erfüllt vom Geist 
der Geschieht*», der Begriff, mit dem .ic «»pi-rii-rtn uml ihr 
Welt in ihr Botfrifr*netz einzufange« suchte, war dfif dfff 
Entwicklung. Strauß «teilt sich wie im Leben Jesu so jetzt 
in der (rlaubwi.Nielire auf diesen Hegolschon Bod«n und be- 
handelt von ihm au» das Dogma entwicklungsgeschichttieh, 
er wirft es rettungslos hinein in den Strom der Zeit, in den 
W.imlol der (Veichichte, in die mit Ja und Nein aufeinander 
fulg<-mlen und einander ablösenden Perioden. So verwandeln 
beide die Dogmatik in Dogmengeschichte und zerstören da- 
durch den Glauben an ewige Wahrheiten und an die ewige 
Wahrheit fies OirntU-nlum* und seiner Onanien hie |)o?- 

malik wird wirklich zur Danteschen HöDe und ihre Ge- 
schichte zu einer göttlichen Komödie wie bei Daub. 

Zu dieser Art geschichtlicher Behandlung brauchte Strauß 
aber vor allem eines: Wissen, Gelehrsamkeit, Belesenheit. 
Und so ist denn auch in der Tat wieder wie beim Leben Jesu 
der erste Kind ruck der, daß wir hier das Werk eines gründlich 
gelehrten Theologen vor uns haben. Er selbst sagt darüber: 
„Daß ich zum Beliufe genetischer Darstellung des orthodoxen 
Systems die dogmatisch wichtigeren Werke aus aller wie aus 
neuer Zeit selbst studiert habe, werden Kenner bemerken; 
daß ich in Fallen von untergeordnetem Belange auch be- 
wahrte Monographien und Sammlungen benutzte, werden die- 
jenigen in der Ordnung finden» welche die Masse der Quellen 
kaxmnn und den Zweck meiner Schrift erwögen ; In der Literatur 
der negativen Seile wird man mir selbständige Belesenheit 
ohnehin zutrauen." So ist es: Strauß hatte oberall in den 
Quellen gelesen und aus ihnen geschöpft, aber er hat na- 
türlich nicht alles gele-.cn . nie.ht alles lesen kOtinen. Sein Werk 
Ut aus den Quellen herausgearbeitet, aber es war nicht in allen 
Partien gleichmaßig aus dem Vollen geschöpft. War ihm die 
negative Seite, wie er seibat andeutet, am besten bekannt, so 

■::;* 



MI 



Fünftes Kapitel. 



wird man ihm umgekehrt kein Unrecht tun» wenn man sagt, 
duB »rinn Kenntnis der Scholastik vielfach lückenhaft gewesen 
ist. Da er die wichtigsten Quellenslellrn im Text oder in den 
rahlrcichen Noten selber beibringt, so kann man ihn darin 
ja durchaus kontrollieren. Im ganzen aber war die Belescnhoit 
für dun noch immer erst 32 jährigen, der ein „Leben 

Jesu" hinter sich hatte, eine bewundernswert große und 
umfangreiche. 

Das Werk gliedert sich in zwei ungleiche Hälften: die 
kleinere Apologetik, die die formalen Grundbegriffe der 
christlichen Glaubenslehre behandelt und in der uns schon 
bekann len Auseinandersetzung über das Verhältnis von Glauben 
und Wissen gipfelt, und die größere Dogmatik — der materiale 
Inbegriff der christlichen Glaubenslehre. In der eigentlichen 
Dogmatik kommt die Anlage des Ganzen deutlicher zum 
Ausdruck- Wir erinnern uns an den alten dreiteiligen Plan 
zum Leben Jesu, solange dieses noch im Zusammenhang und 
uls Vorarbeit zur Dogmatik gedacht war: es sollte in einen 
traditionellen, einen kritischen und einen dogmatischen Teil 
zerfallen. Dem entspricht jetzt der längst schon entworfene 
und im wesentlichen festgehaltene Grundriß der Dogmatik. 
Nach dem Schema der allprotestantischen Dogmatik werden 
die einzelnen „Loci** durchgenommen: vom Dasein, vom 
ilivieinigeii Wesen und von den Eigenschuften Gottes; von 
der Schöpfung und den vornehmsten Geschöpfen und deren 
Urzustand; vom Sündenfull und der Erlösung, wobei zuerst 
ober die Person, dann über das Geschäft Christi geredet wird; 
von Vorsehung und Übeln; von Sundo und Gnade; von den 
Gnudcnmiltcln und der Kirche, von den letzten Dingen und 
der Unsterblichkeit. Dabei wird jedesmal 1. die traditionelle 
Lehre dargestellt a) als biblische, b) als kirchliche, und diese 
wicderumajalspatristisch-scholastischo, fl)als orthodox prote- 
stantische. Darauf folgt 2. die Kritik, die Auflösung der kirch- 
lichen Lehre durch den Rationalismus, den Strauß mitden Soxi- 
nianern (und Arminianern) einsetzen laßt, weshalb er sie einmal 



Dte Chriftbd» Gb«beostehr«. 



841 



„die Wus**fsrh£'iiio" zwischen der alten Orthodoxie und dem 
neueren, bereits rationalistisch angekränkelten Supranatora- 
Uunus genannt hat. Ihre Angriffe auf da« orthodoxe System 
werden darum besonder* eingehend behandelt, aber dann 
<k>ch ror allem die KeulensenUg« Spinoza« im Tractati» 
Iboologico-poliÜcus und die Kritik der englischen und deut- 
schen Aufklärung in den Vordergrund gerückt. Den Schluß 
dieser Ausführungen und den Übergang tum dritten Ab- 
schnitt bildet gewöhnlich die Umbildung der Dogmen in der 
Schleiermacberschen Glaubenslehre. Bndlich kommt 3. das 
begrifflich-spekulative Denken an die Reihe, da« mit Kant 
anbebt und mit Hegel und seiner Schule eudigt. In dem 
ursprünglichen Plan hatte sich da» Strauß freilich anders 
gedacht — als die Versöhnung zwischen Glauben und Wissen, 
als die Wiederherstellung des Dogmas auf höherer Potenz, 
ab Nachweis der inhaltlichen Identität der kirchlichen Lehre 
D U den Gedanken und Begriffen der Hegeischen Spekulation. 
Der Glaube an diese Identität war aber nun aufgegeben, und 
daher wurde jetzt auch diese spekulative Behandlung und 
Umdeutung wesentlich nach ihrer zersetzenden, auflosenden 
Seite, im Gegensntz und als Gegensatz zum Dogma gefaßt. 
Man sieht dies schon äußerlich daran, daß sie nicht immer 
in einem besonderen letzten Abschnitt für »ich dargestellt, 
sondern vielfach mit dem zweiten auflösenden Teil in eins 
zusammen genommen wird. 

Daß aber das Resolut darum doch nicht bloß negativ, 
das Fazit nicht =0 war, versteht sich von selbst. An die Stelle, 
nicht der Religion, aber der Theologie tritt als Positives 
die Philosophie, an die Stelle des christlichen Glaubens die 
modern** WtftUflSshatlusff, di. . philosophische Vi-rstfluranfl 
des Geistes mit sich aelbsl", die dem Philosophen auch für 
Gemüt und Herz dieselbe höchste Befriedigung gewahren 
soll, wie dem Gläubigen die religiöse. Machen wir uns 
dieses Positive an ein paar Beispielen klar, die zugleich die 
Quintessenz der damaligen Anschauungen von Strauß in 



SM 



Fünft« Kapitel. 



sich schließen. Zunächst am Gottesbegriff. In der Speku- 
lation unserer Tage hat Gutt aufgehört, dnn Person neben 
oder über anderen Personen xu sein. Dafür ist er ihr 
„die ewige Bewegung des sich stets zum Subjekt machen- 
den Allgemeinen, das erst im Subjekte zur Objektivität und 
wahrhaften Wirklichkeit kommt". Nicht als Einzelperson- 
liclikeil, wohl ober als Allpersönlichkeit muü Gott gedacht 
werden; atall unsererseits das Absolute zu personifizieren. 
müssen wir es als das ins Unendliche sich selbst personifizie- 
rende begreifen lernen: unser Gottesbegriff ist nicht theistiscb, 
sondern panlh eis tisch. 

Vom Leben Jesu her interessiert uns weiter die Christo- 
logic der Glaubenslehre. Wir sind begierig zu erfahren, ob 
Strauß wieder zu der ursprünglichen Auffassung in der 
Schlußabhandlung des Lebens Jesu zurückgekehrt oder ob 
er bei dem genialen Individuum der Friedlichen Blatter ge- 
blieben ist ? Natürlich das erstere : denn in der Glaubenslehre 
handelt es sich nicht um den Jesus der Geschichte, sondern 
urn den Christus des Glaubens. Nachdem — diesmal in einem 
besonderen Paragraphen — Sr.hleic.rmnchers Christologie dar- 
gestellt und gezeigt worden ist, daß ihre Grundlage» die postu- 
lierte Notwendigkeit eines unsündlichen und schlechthin 
vollkommenen Christus, hinfällig, diese ganze Christologie da- 
mit auf Sand gebaut sei und darum gegen die taglich steigen- 
dcnWasser und Winde der Kritik unmöglich standhalten könne, 
kehrt er in dem Abschnitt über die spekulative Christologie 
einfach zu sich und seinen Aufstellungen in der „Schluß- 
abhandlung" des Lebens Jesu zurück. Um die Idee des Gott' 
i rächen, der Menschwerdung Gottes handelt es sich, aber 
nicht als um einen einmaligen historischen Vorgang und eine 
einzige geschichtliche Persönlichkeit, sondern um die 
Menschheit, der allein alle jene Prädikate zukommen, die die 
Kirche Christo beigelegt hat. Denn, wiederholt er, es ist nicht 
die Art, wie die Idee sich zu verwirklichen pflegt, in Ein 
Exemplar ihre ganze Fülle auszugießen und gegen alle andn-ni 



Die christliche Glaubenslehre. $47 

tu gwzen. in jenem Kineo vollständig, in nllen übrigen hin- 
gegen immrr nur unvollständig sich nbzud rücken. Durin 
sieht er nicht etwa nur seine persönliche Meinung» sondern 
die echto Konsequent der Hegeischen und Überhaupt der 
modernen Philosophie in ihrer Entwicklung von Spinoza an. 
Und nachdem er die inzwischen erfolgten Verteidigungs- 
versuchn, für die historische Persönlichkeit Jesu doch wieder 
eine absolute Bedeutung zu gewinnen, sei es nun vom Stand- 
punkt der Hegeischen Philosophie oder von dem der Schlei er- 
mneherschen Theologin aus, zurückgewiesen hnt, schließt 
OT mit dem stolzbescheidenen Wort: „Nach allein diesem mag 
ea vielleicht Unverstand sein, aber Eigendünkel ist es gewiß 
nicht, wenn ich hier die Überzeugung ausspreche, dnß, um dio 
Christologie über den Standpunkt meiner Schlußuhhaudlung 
zum Leben Je«u hinauszuführen, noch das erste verständige 
Wort vorzubringen ist." 

Andererseits hat er aber doch auch einiges zurückzu- 
nehmen: die Konzessionen im dritten Heft der Streitschriften 
und indem Aufsatz, .Vergängliches und Bleibendes im Christen- 
tum" Kswnrenihrerzwei : einmal daß wir in Jesus wirklich ein 
Höchstes in seiner Art haben, über das keine Zukunft hinaus- 
kBIBBWn könne, und (ms andere, dnQ er derjenige sei. ,.uluie 
dessen Gegenwart im Gemüte keine vollkommene Frömmigkeit 
möglich ist 4 *. Dem ersten gegenüber fragt Strauß den Ratio- 
nalisten, woher er denn wisse, daß Jesus dio erhabenste und 
leomrnenste Gestalt in der ganzen Geschichte gewesen sei ? 
„Hat er ihn an allen anderen wirklich gemessen 7 und konnte 
er ea auch nur mit Sicherheit bei der vergrößernden und ver- 
herrlichenden Zeichnung, die. wie er seihst gesteht, die neu- 
teslam entlichen Schriftsteller von Jesu entwerfen ?" Dem 
Schleiennachernuier Schweizer aber, seinem Gegner in der 
Züricher Berufunsjsfrage, der erklärt hülle, überall sonst 
m der Stifter einer Schule, der Urheber einer Richtung 
großer, als dio Schür »einer Nachfolger, erwidert er, damit 
zugleich dich hellet korrigierend, ^hlagfertlgi „GftWiBj ftbet 



:us 



Kann« Kapitel 



darum kein Größtes*'; vielmehr treten nach solchen Bahn- 
brechern über kurz oder lang andere auf, die da« von jenen 
Begonnen« weiterführen und in denen die in jenen noeh muh 
»am ringende und schwankende Idee zu reinerer und vollerer 
Darstellung gelangt. Wenn über — wie er das in den Fried- 
lichen Blättern selber eingeräumt halte — da* religiöse <-< Inet 
sieh von allen anderen dadurch unterscheiden solle, daß hier 
ein Erster zugleich ein absolut Größter, ein schlechthin V" . .11- 
I >!tirnener sei, über den nicht hinausgegangen werden könne, 
so wfire ja damit die Analogie, in die Jesus mit andern 
genialen Persönlichkeiten gesetzt wird, wieder aufgehoben: 
während sie auf der einen Seite nur denkbar macht, was 
nicht geleugnet wird, den relativen Vorzug Jesu vor dem 
nächsten Kreise der durch ihn Angeregten, lüßt »io auf der 
anderen Seile gerade das, was bewiesen werden soll, die 
absolute Größe Christi, als die einzige ungeheure Ausnahme 
von aller Analogie erscheinen. 

Was aber das andere anlangt, die Bedeutung des histo- 
rischen Jeans für uns und unsere Frömmigkeit, so stellt sich 
Strauß im Abschnitt „vou dem Geschäfte Christi*" auf den 
Hoden iii'1 :.(>< U 1 1 1 : 1 1 1 \ i ■ 1 1 \ Bmtiliuuiigslehre, dir ilen t,'c*chichl- 
liohrn Prozeß des Leidens und Sterbens Christi als einen all- 
gemeinen und geistigen faßt. Auch dabei könnte das 
historische Faktum noch immer als für uns bedeutsam fest- 
gehalten werden. Allein wenn Hegel recht hat — und er 
hat recht — mit der Behaupluug, daß das Wissen um die 
Aufhebung des Gegensatzes von Substanz und Subjekt, von 
selbstloser Allgemeinheit und vom einzelnen endlichen Selbst 
die Versöhnung des Geistes mit sich selber sei, so bleibt für 
die wirkliehe <i'\-elinmli\ im der diese im I.imfe der religiösen 
Entwicklung der Menschheit allmählich herangereifte Idee 
etwa Veranlassung nahm, ins Bewußtsein hervorzutreten. 
Lenin Art von wesentlicher Wichtigkeit im modernen Be- 
wußtsein übrig; das geschichtliche Faktum ist als ein für den 
Geist gleichgültiges fallenzulassen, das Nähere seines Hergangs 



Die christliche Glaubenslehre. 



84« 



zu mÜtab i*t lodigüch Suche der historischen Kritik dar 
große Einzelne, der Jesus der Geschieht«? gehört nicht in die 
Dogiiiatik. Gegenüber den erhitzten christozentrischen. auf 
Schleiermacher und honte auf Ritachl zurückgehenden Wert- 
urteilen ist da* freilich ein sehr kuhler Abschluß derChristo- 
lügie: man *ieht. der fiebrige Pulssclilag, wie wir ihn in den 
Friedlichen Blattern verspürt haben, hat sich inzwischen völlig 
beruhigt. Da* historische Interesse am Stifter unserer Religion 
war durch du ..Leben Jesu" vollauf befriedigt und hatte sich 
darin vorlaufig durchaus erschöpft. 

Neben der Christologie lag ihm — das geht au» ver- 
schiedenen UnefsU-Uen deutlich hervor — der letzte Abschnitt 
der Dogmatil, das Kapitel von den letzten Dingen besonders am 
Herzen. Denn hier scheidet sich der Glauben mit seinen 
Jenseitigkeiten am deutlichsten von der Philosophie diu aller 
transzendenten Befriedigung entsagen und sich durchaus 
mit dem Diesseits begnügen muß. In den Friedlichen Blattern, 
als er einen Augenblick das Vertrauen auf Kritik und Philo- 
sophie verloren hatte, hatte er auch hierüber einen Augen- 
blick geschwankt und zugegeben, daß sich die Unsterblich- 
keit wenigstens nicht widerlegen lasse. Jetzt ist er wie einst 
in seinem Brief an Binder 1 ) seiner Sache wieder gewiß. Das 
Kapital zerfallt in zwei Hauptslücke: die kirchliche Lehre 
von den letzten Dingen und die» Unsterblichkeitslehre der 
IIMllWliOll ReflonoiL Don ganzen reichen Hausrat der kirch- 
lichen Esnhatologie, aus der er ja zwei Hauptpunkte, die 
Frage nach der Auferstehung und nach der Wiederbriugung 
aller hinge, früher schon herausgegriffen und jene in einer 
Preisarbeit, diese in seiner Doktordissertation bearbeitet hatte, 
überlaßt nun das moderne Ich ohne sonderliche Gemütsbe- 
wegung dem kritischen Brande und ist zufrieden, daraus 
wenigstens seine nackte Fortdauer nach dem Tode zu retten. 
Wie steht es aber damit ? Auch die Unsterbhchkeitsbeweiae 



■) *. Bd. 1. S. iiort 



:;/,<> 



Fünft« Kapitel. 



sind wie die Beweise ffn d Gottes all* hinfällig, sowohl 

der Beweis aus der Notwendigkeit einer tittttofefB Vergel- 
tung als der teleologische, der die Notwendigkeit einer 

iniirrlji-hi'ii Fortdauer des Individuum* mit ihr F.e liimnuiig 
Sutclbi n, seine gesamte An! <<.•<■ |y vmvir!;li. h- ri und feh 
auszuleben, begründen möchte. Auch hiergegen gilt: nur 
die Anlage der Gattung ist (relativ) unendlich und uner- 
schöpflich, die de*Euita h tf Mt la1 kann nur eine endliche 9t'in; so- 
mit i»t uu'.li hier auf seilendes Glaubens dieselbe Verwechslung 
«wischen Gattung und Individuum wie. in der Olmstologie. 
Der metaphysische Beweis endlich beruht auf der Voraus- 
setzung eines Dualismus zwischen Leib und Seele und auf der 
Voraussetzung der Monadologie. Dieser letzteren gegenüber 
erklärt Strauß ganz hegelisch: ..Die Spekula ttvr\Yrlt ansieht der 
neueren Zeit weiß nichts mehr von vielen, sondern nur von 
einer Substanz, sie versetzt das Substantielle nicht in die 
Einzelwesen, sondern jenseits ihrer in den absoluten Geist, 
zu welchem sich die Individuen als wechselnde, mithin wie 
ruiM.iiidene ao auch vergänglich« Akzidenlien, als vorüber- 
gehende Aktionen seiner immanenten Negutivitat verhalten". 
Wim [uiii in dieser Spinozislisch-Hegelschen Weltansicht. die 
hier durchaus die seinige ist, „die Unsterblichkeit noch eine; 
Statte finden sollte, ist nicht einzusehen". Kreilieh hat c& 
nicht an Versuchen gefehlt, die Unsterblichkeit vom Stand- 
punkt der modernen Spekulation aus zu hallen und zu be- 
gründen. Gflsehel gegennberverteidigt erhiermit Recht Hegel, 
der in diesem Punkte niemals Konzessionen gemacht habe, 
gegen die Mißverständnisse und falschen Deutungen diese* 
Apologeten, und vollends der Versuch des „Halbphilosophen* 
Weiße ist so elend ausgefallen, daß der Spolt und Hohn, den 
Strauß darüber ausgießt, vollauf gerechtfertigt ist. Was bloibt 
aber dann als das Positive allen diesen Negationen gegenüber 
übrig ? Nach Hegel das, daß die Unsterblichkeit nicht als etwa* 
erst Zukünftiges, lODdaca als gegenwärtige Qualität desGeist 
als »eine innere Allgemeinheit, seine Kraft, sich über alle* 



Die christliche Glaubenslehre. 



»I 



Endlich« hinweg xurldee zu erheben, aulgefaßt 
Oder noch einfacher nach Schleiemacher in den Reden Ober 
die Religion: , .mitten in der Endlichkeit ein» xu werden mit 
dem Unendlichen und ewig xu »ein in jedem Augenblick, ist 
alles, was die moderne Wissenschaft Ober Unsterblich keil xu 
sagen weiß". Di« Gemüter aber, denen „unsere Eschatologie 
wie unser Gott als ein Moloch erscheinen möchte", verweist 
er zur Beruhigung auf die Verse von Angelus Silesius: 

Mensch, wo du deinen Geist schwingst Ober Ort und Z«it, 
80 kannst du jedrn Blirk *ein in der Ewigkeit, 

Ich selbst bin KwigksW, wenn ich die Zeit verlasse 
IM Sich in Oott und Gott in uueb susjaunirntasssi 

oder auf Rückerts schönes Gedicht ,,Die sterbende Blume", 
wo, , unsere Eschalologiesamtdemgan?«:. \ l.mfederGemQt*- 
dialektik, mittelst deren eine solche Resignation zustande 
kommt, in anmutigen Formen dargestellt ist". 

Mit dieser Auflösung des künftigen Jenseits in ein ewige» 
Diesseits bt da» Geschäft der Dogmatik beendet. ..Denn das 
Jenseits ist xwax in allen der eine, in seiner Gestalt als Zu- 
künftigem aber der let/ d, welchen die spekulative 
Kritik in bekämpfen und womöglich xu überwinden hat." 
Oder wie er später einmal gesagt hat: ..Das Aufgeben des 
Unsterblichkeitsglaubens ist der Weisheit Anfang; denn 
er ist die lange Bank, die allgemeine Eselsbrücke, die 
schlechterdings keine Vernunft aufkommen läßt". Eine 
Wellanschauung der D iflcd tlgfarft also ist an die Stelle 
der auf das Jenseilige gerichteten kirchlich-christlichen 
Glaubenslehre getreten, Wissen an die Stelle von Glauben, 
Philnsupliii' nn ilie Stelle von Theologie. Die Religion 
aber ist als Stufe und Vorstufe des fühlenden und vor- 
stellenden Geistes für den denkenden und begreifenden Geist 
begriffen und anerkannt, wie gerade die letzten Ausfuhrungen 
über die Unsterblichkeit noch einmal die Notwendigkeit einer 
Befriedigung des Gemüts und seiner Bedürfnisse gezeigt 
1.-11 Drin Bi'dijiTrn\ mit stob Bolbel iie-. reine 7.11 



m 



Fünft« Kapital 



kommen und des Einklang* seiner endlichen Erscheinung 
mit »einem absoluten Wesen inne zu wrrden. muß diese 
..Spinotiach-Hegelscbe Weltansicht" Genüg© lun, wenn sie be- 
stehen soll; und sie tut ihmGenuge, denn in ihr steckt, obwohl 
sie Philosophie ist, doch selbst etwa» wie RftHgfftfl und Glaube. 
Spinoza und Hegel und mit ihnen Strauß sind Pantheislen. Der 
Paiitln i.Mius ober ist jederzeit fromm und Gölte* voll, dio 
pnnthcistisiche Philosophie getragen und erfüllt vom frommen 
GefuhlschlechlhinigerAbhängigkeit. Daher hatte Straußsp&ter 
ganz recht zusagen» daß er sich niemals „dazu habe verstehen 
können, die Religion als solche nur wie eine notwendige 
Schwachheit der menschlichen Natur zu betrachten". So 
war das RosulUtt seiner „christlichen Glaubenslehre" zwar 
nicht mehr christlich, aber es war noch religiös, war wirklich 
noch Glaubenslehre. Nur hat er, immer noch nicht ganz 
losgelöst von der Hegclschon Ansicht über das Verhältnis 
von Religion und Philosophie, damals dem alten Glauben das 
moderne Wissen entgegengestellt; dreißig Jahre später ist er 
vorsichtiger und bescheidener geworden und redet dorn oltofl 
Glauben gegenüber nur von einem neuen Glauben. Die Krage : 
Haben wir noch Religion? beantwortet er aber als 
Pantheisl, dor er immer geblieben ist, auch dann noch wie 
jetzt mit Ja. 

Über eines kann noch Zweifel sein: ob das alles nur für 
den Philosophen gilt, oder ob die Ergebnisse dieses modernen 
Wissens, dieser philosophischen Versöhnung des Geistes mit 
sich selbst auch in denjenigen lebendig werden können, in 
denen sie nicht philosophisch vermittelt sind, d. h. ob der In- 
halt der philosophischen Weltanschauung Gemeingut aller 
Teile der menschlichen Gesellschaft werden könne, oder ob 
dio nicht wissenschaftlich gebildeten Glieder derselben für 
immer an die positive kirchliche Lehre gewiesen bleiben ? 
Diese Frage — ..eine endlose Untersuchung 44 ! — bleibt liier 
unbeantwortet. Eine Bearbeitung der Dogmatik, wie er sie 
gibt, ist nicht minder dringendes Bedürfnis, meint er. ob sie 



Die christliche Otaafceoslehrc 



353 



nun für eine künftige Kirtbe der VcrnunftgUubigrn oder 
nur für die gegenwärtige und künftige Gemeinde dar 
Wissenden geschrieben wird. A« dem Brief an Marktin 
wimn wir aber doch, wie er im Grunde seines Hertens über 
„diese harten Köpfe" gedacht hat. Auf eine, »eine eccleaia 

-■ibilis hofft er im stiDen schon jetzt; aber erst im allen 
and neuen Glaubten hat er diese Frage wieder aufgegriffen 
und sie zugunsten der zwar nicht notwendig wissenschaftlich 
geschulten, aber doch der gebildete* „Wir** beantwortet. 
De* Volk, die Massen hatten ihm 1839 gezeigt, was sie vos» 
ihm und seinesgleichen dachten und wie sie mit ihnen fertig 
werden wollten. Diese Erfahrung bat ihn, soweit er es 
nicht schon vorher war, xorn Konservativen und zum 
Aristokraten gemacht. Mit dem Volk bat er es vorlaufig 
wenigstens nicht zu tun. 

Der negative Eindruck der Glaubenslehre wird nun aber 
noch verstärkt durch den schroffen Ton, in dem Strauß 

hr zuweilen spricht. Es handelt steh um ein kritisches 
Geriebt, das freilich nicht er, sondern das die Geschichte und 
die Sclbstcnt wicklung des Dogmas an diesem vollzieht. Aber 
»<.> ihm Theologen und Halbphilosophen mit ihren Tollheiten. 
ihren leichtfertigen Hypothesen und ihren kläglichen Halb- 
hinten und Ausflüchten begegnen, durch die sie die alten Dogmen 
mit dem modernen Bewußtsein und der neuen Bildung 
künstlich und gewaltsam zu vermitteln suchen, da schlagt 
er jetzt allerdings rücksichtslos zu: man spürt, er ist in 

ideeland und es sind Gegner, mit denen er zu tun bat. 
Und auch jetzt wieder trifft er die Halben am schärfsten, 
ihre Dogmatikcn vergleicht er unter ausdrücklicher Betonung, 
datt das Bild nicht unedler sei als die Sache, mit „einer Wurst- 
masse, in der etwa die orthodoxe Kirchenlehre das Fleisch, 
IVlhlsifllii H her*: he ThiM>lojrii- den Speck und BsjgBJhOssl 
Philosophie das Gewürz vorstellen: das sind jene Mischungen, 
in de nendas Abgestandene durch allerlei Zutat wieder schmack- 
haft gemacht werden soll, welche schon Lessing so ekel, so 



3Ö4 



Fünft« Kapitel. 



widemtohond. *a aufstoßend fand**. Aber schließlich int doch 
auch diesmal diese Sprache in ihrer Scharfe nur wieder ein 
Ausfluß jener unerbittlichen Wahrhaftigkeit» milderer derTheo- 
Ingto gegenObcrtritt und sie zwingen will, Farbe xubokemuui. 
Sic duhei zu schonen hat er keinen Grund mehr, und daher 

treibt er sein Geschäft mit aller Hart« und Strenge und scheut 
auch vor muten zornigen und höhnischen Wort nicht zurück. 
Aber noch einmal, es ist keine Streitschrift, sondern ein tief- 
gelehrtes Werk, und daneben — das ist das Nferkwürdige — 
trotz aller Gelehrsamkeit und Gründlichkeit ein höchst unter- 
haltendes und anziehendes Buch. Denn der so ausfuhrlich 
und geduldig beschriebene historische Auflösungsprozeß 
vollzieht sich vor unseren Augen unter Aufbietung alle:; 
Scharfsinns und der ganzen Fülle eines klaren, funkelnden 
Geistes. Und geschrieben ist das Buch mit einer erstaunlichen 
Beweglichkeit und Biegsamkeit der Sprache in wahrhaft 
glänzender Form. Darum wtrd auch der Leser von Dogma zu 
Dogma in Spannung gehalten, wie bei einem großen Kunst- 
werk. Dreimal, am Schluß der ,, Apologetik", am Schluß dfit 
„Chrislologie" und am Ende des Ganzen erreicht es einen 
wahrhaft dramatischen Höhepunkt. Darum hat sich der Ver- 
fasser auch gefreut, daß sein Freund Kupp Sinn hatte für die 
Sprjir.hi' des Rurhs,, , die für las j?i wüln liehe Iheologisohfi P'iek 

rein verschwendet ist. Und sie ist doch der unmittelbarste 
Spiegel der Seele eines solchen Buches; wer sie nicht 901 
(»findet, versteht das Ruch gewiß nicht. Sit* war im Leben 
Jesu noch unfreier» aber auch strenger und keuscher, gleich- 
sam noch im üginetischon Stil; jetzt ist sie ganz frei, aber 
auch zuweilen tippig und nicht mehr so gleich". 

Die christliche Glaubenslehre ist ein schönes, sie ist auch 
ein sehr lehrreiches Buch, aus dem mim, wie Strauß es ihn« 
selbst bezeugt, auch heute noch viel, namentlich viel Dogmen- 
geschichtliches lernen kann. Und sie ist ein befreiendes Buch. 
Dieses Zeugnis kann ich ihm ausstellen: mich hat die 
Slraußsche Glaubenslehre zu einem freien Menschen ge- 



Di© christliche Qlaubeuslehre. 



.:■-, 



macht; wie Schuppen fii>l e« mir bei dvr Lektüre dieses 
Werke* von den Augen, wie von Kelten nfid Pmoln btfavt 
konnte ich mich hinfort rühren und regen. Und daß es am h 
anderen «o degenRen i*t, dnfur d.-irf irh das Zeugnis eine« 
filteren Freunde* anfuhren, der nur noch vor wenigen Mon. 
dnrüber geschrieben hui: ..Mir und noch vifiSD In menier Zeit 
war diese« Buch der wahre Wegweiser; ihm allein und keinem 
M.'-'n *onst weder von den Lehrern noch von don Buchern 
meiner Studentenjuhre vsjfdflnlEn ich geistige Befreiung und 
Aufklärung in diesen Dingen fürs ganze Leben.* 1 So haben 
in den sechziger Jiihren junge Theologen im Tübinger Stift 
das Buch etn pfuriden und auf sieh wirken lassen. Und heute ?! 
Aber trotz dieser Vorcüge hat es weit weniger Glück und 
Krfolg gehabt als das Leben Jesu. Woher das kam? Es war 

i hcnlogi&chea Werk, das sich in seiner gelehrt-theologischen 
Waffenrüstung vorzugsweise an Theologen wandte; und doch 
erklürte H ihnen und ihrer Wissenschaft den Krieg und be- 
handelte sie beide oft schlecht genug. Da hatten sie keinen 
Grund oder jedenfalls keine Lust, auf ihn zu hören, und 
glaubten «ich daher der Mühe überhoben, von ihm zulernen '). 
&um twmi(.;ti über hatte sich durch das Lehen Jesu und den 
daran sich anschließenden Streitschriftenkampf das Auf- 
sehen und du Intern**« für diese Art der Kritik gewisser- 
maßen erschöpft. Wtt konnte er. so mochten die meisten 
denken, noch viel mehr sagen, nachdem er in jenem ersten 
Wurf sein letztes Wortschon so gut wie gesprochen hatte ? Vor 
allem aber, die schärfere Tonart, die wohl manchen halte reizen 

! locken können, war im Jahre 1840 und 41 nichts so un- 
erhört Neuss mehr. Andere Geister wareu inzwischen auf 
den Plan gotfelen, die weiter gingen als Strauß und tumul- 



'» Herrn. Fit cfa«r in uVr Deutschen Rundschau, Januar 1908 
■Mint: „Dun Thi<olo$«n wird * WtOlg Nuu-i gi«agt haben." Du lieber 
Gottl Warum war er ni«:ht wenigstens Hob hier wie beim Laben 
Jesu so klug, tu ftßgnn: „Ich bin keia Theologo und weiß nicht, wieviel 
Bleibende», wieviel Verglngllche* an Straußen* Buch ist?" 



356 



Fonit« Kapitel. 



tuariacher und revolutionärer ab er das kritische Geschäft 
betrieben. In den immer radikaler werdenden Hallig -hm 
Jahrbüchern Rüge* und Echtermeyer*, deren treuer Mit- 
arbeiter SlrauÜ und auf »ein Eintreiben auch mehrere seiner 
schwäbischen Freunde in den ersten Jahren ihres Bestehens 
gewesen waren, galt er seit Anfang der vierziger Jahre bereits 
als ein zurückgebliebener und Überholter „Halber", als ein 
Kritiker mit apologetischer Tendenz, /.war fand die Glaubens 
lehre selbst durch seinen Landsmann und Freund Schnitzer 
eine sympathische Besprechung. Ober die vierte Auflage 
des Lebens Jesu aber hieß es in dem gleichen Jahrgang: 
„in keinem Punkt habe Strauß die Sache entschieden; an den 
mi itten Punkten haben ihn seine Voraussetzungen gehindert, 
auch nur zu ahnen, was die Aufgabe und das Ziel der Kritik- 
sei!'* Das verkündigte Bruno Bauer, der noch 1835 und 1836 
als ein Anhanger der Hegeischen Rechten im Organ der Schule, 
den Jahrbüchern för wissenschaftliche Kritik, die mythische 
Ansicht zurückgewiesen und das Wunder gerechtfertigt 
und sich dafür im dritten Heft der Streitschriften von Strauß 
lebhaft hatte zausen lassen müssen. Erwar Mit 1830 in plötz- 
lichem Umschlag von der Hegerseben Rechten zur völligen 
Negation übergegangen. Zwar verwarf er auch jetzt die 
Straußschi.' Mythentheorie: die christliche Gemeinde, diese 
mysteriöse Substanzialitat, hat kein Evangelium hervor- 
bringen können; denn sie hat keine Hände, zu schreiben. 
keinen Geschmack, zu komponieren, keine l-rlnlskraft, das 
Zusammengehörende zu vereinen. Aber positiv lautet es nun 
anders. Di« Quelle der evangehschen Geschichte sei vielmehr 
iliis .li-suliil. Si'ltistbtWOfitBGfB des I irevnngrhslfn Markus, 

durch den das Phantasieprodukt der Gestalt Jc*u zustande 
gekommen sei, vor dem die Menschheit Grauen empfinden 
müßte, wenn sie geschichtlich wfire. Und gleichzeitig mll 
dem zweiten Band der Straußschen Glaubenslehre erschien 
ein Aufsatz von ihm „Theologische Schamlosigkeiten", 
in dem rr den ehriMliefeen GlubflOB ftlfl LflgC 0ACJ Attfiflufi 



Die christliche Glaubenslehre*. 



357 



dienlenartiger Heuchelei bezeichnete undTöne einet fanatischen 
Radikalismus anschlug. Gegen solch»- wildi-n Reden konnte 
die vornehme Gclehrtenhnltung dos StrauB'schen Werke* 
freilich mchl auf kommen. Übrigens hat Strauß unberechtigten 
Unmut über die fortgesetzten Angriffe Bauers, die ihm schließ- 
lich auch die Mitarbeit nn den Hallischen oder seit 1842 
Deutschen Jahrbüchern verleideten — im Oktober 1841 er- 
8 en sein letzter Aufsatz, eine „Warnung" gegen einen 
Plagiator seiner Glaubenslehre — , Bauer und seine Bedeutung 
für die Evangeheiiknlik und Leben- Jesu- Forschung bat er 
oline Frago zu gering eingeschätzt. 

Das war nicht der Fall mit Feuerbach, dessen wir in 
diesem Zusammenhang ebenfalls gedenken müssen. Er wird 
in '1 I. usl'-niv nftur zitiert, vor allern sein Buch Ober 

Pierre Raylo, den französischen Skeptiker, von dem der Prozeß 

:hen Wissen und Glauben zwar nicht entschieden, aber 
it eigentlich Kfifftratart worden war. Und auch mit seiner 
Ansicht vom Wesen der Religion, soweit diese in ihren Grund- 
zügen in dem Aufsatz- „Philosophie und Christentum" 
bereit« vorlag, hat sich Strauß in der Einleitung auseinander- 
gesetzt, dabei anerkannt, daß der Boden der Religion auch 
mit den sinnlichen, endlichen, rein subjektiven Wünschen und 
Bedürfnissen der Manschen geschwängert sei ; aber neben dem 
Alogischen und Irrationalen hat er doch mit Recht das 
Rationale und Vernünftige, neben dem „ Gemüt" und eigen- 
willigen Herzen die objektive Tätigkeit der Intelligenz in 
dieser Fcuerbachsehen Bestimmung der Religion entschieden 
vermißt. Noch war er mchl so weit, zu sagen, Feuerbach habe 
doch erst daH Tüpfelchen auf das i seiner, der Straußischen, 
ihauungen gesetzt. Nun aber erschien gleichzeitig mit 
im zweiten Band der Glaubenslehre Feuerbachs Haupt- 
werk ,,Dws Wesen des Christentums". Ganz richtig hat dieser 
selbst in dem Vorwort rar zweiten Auflage sein Verhältnis zu 
iu ß dahin bestimmt : Dieser habe zum Gegenstand die christ- 
liche Glaubenslehre und das Leben Jesu, das man aber auch 

TW Ba«W, EL ff. SirwS. IL 24 



B68 



Fünft« Kapitel. 



tinter den Titrl dtf BbflftÜIohen Glaubenslehre subsumieren 
könne '), also das dogmatische Christentum oder die dog- 
matischu Theologie; er, Feuorbach, dagegen da« Christentum 
überhaupt, d. h. ifie christliche Religion. Wobei wir den Ton 
auf das Wort, .Religion" legen müssen, wie ja Auch bald danach 
,,das Wesen der Religion" (1845 und 1851) den Gegenstand 
von Feuerbaehs Büchern und Vorlesungen bildete. I VrGrund- 
gedanke beider Religionsphilosophen war derselbo: die Pradi- 
kate, die die Religion ihren Stiftern oder ihren Göttern bei- 
legt, sind vielmehr Prädikate, die der Menschheit gehören, da* 
Kollekt&neonbiich sozusagen alles Besten, w*s die Völker sich 
selber, dem Menschen und der Menschheit entnommen haben 
QBd zuweisen. Das Unternehmen Feuerbaehs und sein An- 
griff aber war umfassender als der von Strauß und die 
Behandlungsart eine ganz andere: er ist Philosoph und 
Psychologe, wo Strauß Exeget und Historiker ist. Und dazu 
kam, daß »ich Feuerbach, ganz anders als Strauß und viel- 
leicht nicht durchweg zu seinem Vorteil, völlig losgelöst hatte 
von aller Hegeischen Spekulation und Dialektik; es war, 
wie er selbst gesagt hat: „Gott war mein erster Gedanke, mein 
zweiter die Vernunft, mein dritter und letzter der Mensch", 
d.h. der Mensch mitsamt dem Irrationalen an uml In ihm. Ein 
Produkt dieses Irrationalen ist ihm die Religion, ,,die Grund- 
lagen des Christentums sind erfüllte Herzenswünsche, sein 
Wesen ist das Wesen des Gemüts". Daher ist nicht von der 
Einheit, sondern vom Widerspruch zwischen Glauben und 
Wissen auszugehen, wie ihn Pierre Bayle aufgezeigt und 
Leftiniz vorgeblich au verschleiern versucht hatte. In diesen 
Zusammenhang sind Feuerbachs Bücher über Rayin und über 



') So hat er Strnuß und Mlfl Leben Jesu gunt richtig verstanden. 
wahnmri nuin honte in unserer unphilosophischen Znil dun eigontlichen 
Werl de* I«ehena Jesu nicht in iIhp philosophierend»» KinW-ilung und 
Schlußabhandlung, sondern nur in dorn mittleren Hatipttml, ak 
einem synoptischen Kommentar tu den vier Evangi-lirn linden will 
ÖtruulJ selber hat es nicht so gemeint und gewollt; *. Bd. I, 8. 135 f. 



Die christliche lau banale luv. 



ne 



Leibnix einzureihen. Weil er sich aber so von Hegel losgelost 
hatUi, rnlittc er nudi nacht, nn-ht dir Selmlspracho und den oft 
schwerverständlichen Jargon dieser OftOOrOO Philosophie, .höh- 
■ I.tii iu-:n-rhlScl dvili un<! popuhn •..•■! udheli, und <lahw U 
da» Gros dir Gebildeten und Halbgebildeten von dem vor- 
nehmeren und gelehrter«!! Strauß ab und diesem kühneren und 
zugftngUcheren Revolutionär zu Da ihn aber die Theologen 
nobl mehr hören wollton, so wäre Strauß auf diese Kreise 
UgfeWfOtt) /''wi-.rn. Ihnen »her bebaute die gelehrt« Kflfll 

«einer Glaubenslehre nicht, Feuerbacb war ihnen lieber, 
weil «r verständlicher und weil er radikaler war. 

Endlich — die Zeit hatte sich seit 1K40 gewandelt. 
Die dreißiger Jahre waren erfüllt von literarischen und 
»pazifisch theologischen Interessen und Rümpfen. In den 
vierziger Jahren wurde die Welt politisch, die Revolution von 
bereitete sieb seit der Thronbesteigung Friedrich 
CV. und der Enttäuschung, die er den liberalen und 
nationalen Hoffnungen von Tag zu Tag mehr bereitete, lang- 
sam vor. Auch die Literatur trat in den Dienst der Politik, 
ich brauche nur an die Lyrik Herweghs oder Krciligraths 
zu erinnern; die theologischen Fragen hörten auf, die 
deutsche Welt zu interessieren, außer soweit sie sich mit 
Politik vorknüpfen ließen oder durch den turbulenten Ton, 
in dem sie behandelt wurden, in den allgemeinen Strom 
revolutionärer Leidenschaft einmündeten. Bewegungen wi* 
dio des DeuUchkalhnlizismus oder der Lichtfreunde in Sachsen 
trugen diesen Gharakter, daher kam ihnen die ZeiLstromung 
freundlich entgegen. 

Alles das hat zusammengn wirkt, um dio Strau fische 
Glaubenslehre um den äußeren Erfolg zu bnugen. Er hat 
selbst darober berichtet: ,,so machte meine Dogmalik wenig 
Glück, und dio Auflage von '1000 Exemplaren hat sich nur 
langsam vergriffen". Noch einmal, das war schade und für 
die Theologen ein großer Verlust; denn gerade sie konnten 
viel aus dem Buche lernen und könnten es noch. Daher 



HO 



Fünft* Kapitel. 



ist es auch bedauerlich, daß die Glaubenslehre nicht in die 
Sammlung seiner Werke mit aufgenommen worden ist. Sie 
verdient es, auch „einem größeren, über die bloße Gelehrten- 
weit hinausgehenden Leserkreis 1 * M bekannt zu werden. 
lJ.-m „Loben Jesu" ist sie durchaus ebenbürtig, ja fOr mein 
persönliches Empfinden steht sie inhaltlich, und als Kunst- 
werk ohnedies, noch über diesem, mir Jedenfalls hat sie 
von allen Werken von Strauß nm meisten gegeben. Es ist 
ein ganz gewaltiges Buch: wer es geschrieben hat, der ist 
ein Befreier der Menschheit, er ist aber zugleich auch eän 
ganz großer Gelehrter und ein ganz großer Theologe. Und 
dennooh hat sich Strauß mit seiner Glaubenslehre aus der 
Theologie hinausgeschriebeu. Was er ihr von Anfang an 
hatte sagen wollen, dos hatte er ihr nun gesagt. Die 
Glaubenslehre war faktisch seine Absage an sie, er hatte ihr 
den Bankrott angekündigt, weil ihm der schöne Wahn einer 
Einheit und Versöhnung von Glauben und Wissen, von 
christlicher und moderner Weltanschauung entzwei gebrochen 
und er mit ihr persönlich auf allen Punkten fertig, d. h. 
zu negativem Resultat ihr gegenüber gekommen war. Und 
— es war zwar zu ihrem eigenen Schaden, aber ea war 
natürlich — nun wollte sie ihn in diesem seinem letzten 
Wort nicht hören, sie wollte nichts mehr von ihm wissen: 
gut, so wollte er hinfort auch nichts mehr von ihr, der 
Bruch war ein gegenseitiger und ein vollständiger. 

Aber was dann und was nun ? Das war für ihn die große 
Schicksals- und Lebensfrage der nächsten Jahre. Doch da 
kam ein ganz Persönliches dazwischen, was diese Frage losen 
zu können und lösen zu sollen schien, — seine Ehe. Ob sie 
sie wirklich gelöst hat, das haben wir nun zu sehen. 



l ) So hat nach der Einleitung von 11 Zeller im »reUn Band il«»r 
„Gesammelten Schriften" Strauß selbst in einer lotxlwilligun Ver- 
fügung Umfang und Zweck dieser Sammlung bestimmt. 



Sechstes Kapitel. 
Die Ehe und ihre Lösung. 

Am 29. Mari 1839. mitten in den Stürmen seiner theo- 
Kiinpfo und de» Scheiterns seiner Züricher Aus- 
sichten war die Mutter gestorben. Dos war für Strauß ein 
liefer Schmer* und auf lange hin ein schweres Vermissen. 
So hatte nicht aufgehört, an ihn zu glauben und au ihm zu 
halten, obwohl sie nicht in ollem mit ihm einverstanden 
war, ihn weder gani verstehen konnte noch in der Negation 
*o weit gehen wollte wie er. Aber hier hatte er, wenn die 
Welt hart und grausam mit ihm umging, ein liebendes Hers, 
hier war er wohl geborgen. Daher geht ihm auch in den 
Tagen ihres Sterbens, in den Briefen an die Freunde immer 
wieder das Her» weilauf und der Mund über, er freut sich, 
ron ihr sprechen zu können, und er spricht nur Gutes und 
Liebes von ihr, plant auch schon damals uin Lebensbild, 
da« dann freilich erat 19 Jahre spater, auf den Kon- 
firmaUonsUg seiner Tochter geschrieben worden ist. 

Zwei Jahre nach ihr. am 10. April 1841, starb auch der 
Vater. Wir wissen, daß Vater und Sohn sich nie recht ver- 
standen haben, seit dem Leben Jesu war das Verhältnis 
fast gar an fi-indliches geworden. Oder tun wir dem alten 
Strauß damit null! doch unrecht? Urteilt nicht derSohn viel- 
!• i< ht tu hart über ihn? Fast scheint es so, wenn wir dnn 
Alten selber hören. Am 4. März 1839 zur Zeit der Züricher 
V, irren schreibt er seinem Sohn Wilhelm nach Köln: „Seit 
rirr Wochen suche ich jedesmal, wenn die Zeilung kommt, 



868 



Sechbt« Kapital. 



gleich den Artikel Zürich auf, und muß froh sein« wenn er 
nioht heute ftrger als gestern gegeißelt wird. In Wfiden- 
•tchwyl haben sie ihn sogar in cfligie verbrannt. Es ist schreck- 
lich, ein Kind so mißhandelt zu sehen. Und wer ist Schuld ? 
Die verfluch ton PfafTon, die ihn nicht einmal kennen." In 
Minor Krankheit hnt ihn Strauß gepflegt — „aus Pflicht, 
ohne Neigung; denn wußte mein Vater in gesunden Tagen 
schon BIli&B Neigung nicht zu erwerben, so weiß er es durch 
die unmännliche Art, wie er sein Leiden trägt, noch weniger " ! 
Als aber der Tod kam, da hat Strauß doch lebhaft erfahren 
und es /im Sterbet^ selbst ausgesprochen, ,.dnß jeder Tod 
ein Versöhnungstod ist. Mein Vater hat sich unendlich 
mehr Leiden gegeben als anderen. Seine Wärterin erzählte 
mir, im halben Delirium habe er öfters gesagt, er sei von 
Gott verflucht, Gott wisse gar nichts mehr von ihm, und 
das wegen meinem Buch. Auf die Einwendung der Wärterin. 
daß er dafür nichts könne, es auch nie gebilligt habe, er- 
widerte er. er habe sich doch im stillen darüber gefreut"! 
So klingt das Hin und Her der beiden harten Kopfe zum 
Schluß noch harmonisch aus. soweit il.is bei der iiuharmoni 
sehen Natur des Vaters möglich war. Äußerlich machte aber 
dieser Tod Strauß sorgenfreier und seihständiger. Dank 
dor Energie der Mutter war das elterliche Geschalt vor dem 
Untergang bewahrt geblieben und die Vermögenslage hatte 
sich schließlich günstiger gestaltet als man gedacht. Der 
Wert dos Hausos wurde auf 10 000 fl. geschätzt; dazu kan 
Fahrnis und Aktivposten im Betrage von 9801 fl. 13 kr. 
Da von dem Erbbetreff des älteren der beiden Brüder zu- 
gunsten seines Bruders Wilhelm als Entschädigung für dio 
im elterlichen Hause, d.h. wohl während seines Wohnen» 
dort in dem Jahr 1835/36, genossenen Vorteile 640 fl. ab- 
gezogen wurden, so fielen auf Strauß 9160 fl. 36 kr. 3 h. 
Als der naher Wohnende behielt er das Haus, das er zunächst 
vermietete, und zahlte das Plus an den Bruder, der das Bar- 
vermögen erhielt, heraus. Dazu kam das Erschriobeni?. 



Di« Ehe und ihr* Lösung. 



363 



Aus der mir zur Verfügung gestellten Korrespondenz mit 
der Oeundrischen Buchhandlung gehl hervor, daß Slrauft 
für die vier Auflagon de* Lebens Jesu, dio drei Hefto Streit- 
schriften und die zwei Bande christlicher Glaubenslehre 
zusammen etwa 36 000 fl. eingenommen hat. Dazu kam 
noch ein wenige» für dio Sammlung der „Charakteristiken 
und Kritiken", die er bei Otto Wignnd in Leipzig hatte 
erscheinen lassen. Da aber diese Summen im Laufe der 
Jahre nur allmählich eingingen, so hatte er anfangs, ehe 
die Zinsen rrheblirher wurden, natürlich vom Kapital leben 
müssen. 1842 betrug sein Vermögen nach seiner Angabe 
4S800 fl., wozu 1846 als Erbe von der im September dieses 
Jahres verstorbenen Tante Rike noch 10 166 fl gi-flossen 
sind. Dazu kam dann noch seit 1839 die Züricher Pension 
im Betrag» von 470 fl. pro Jahr. Mit alle dem war Strauß 
kein reieher Mann '), wie seine Feinde im Kanton Zürich 
und in der heben Heimat es so gerne behauptet baten; aber 
er war doch mi situiert, daß er als einzelner hinfort sorglos 
leben und auf diese seine Einkünfte hin sogar eine Familie 
gründen konnte; zumal da er ja die Kraft seiner Feder und 
ihre Fähigkeit, ihm weiterhin Summen zu schaffen, in- 
zwittchen kennen gelernt hatte. 

Dachte er an diese Möglichkeit ? Strauß ist in seinem 
Lfl't.-n wiederholt von Frauenlicbe berührt worden. Daß 
er als Repetent in Tübingen in ein dortiges Bürger- und 
\Yirtam4dchen verliebt war und daß ihn derGedanke an dieses 
...Mineln" und sogar an eine Ehe mit ihr noch über die Tübinger 
Zeit hinaus begleitet hat, ist schon erwähnt worden 1 ). Ob- 
wohl er ihr nie die Ehe versprochen, sie selber auch, , .einzelne 
verübergehende Augenblicke ausgenommen, nie an eine Ver- 
bindung mit ihm gedacht" und sich später mit einem anrin n 



'I Vielleicht darf ich hi*r ftchon beO fffc s C tluO Sita Vormögnn 
b«a tamett T<k1# 112 7?* n. SB kr. hHrAgen hat. 
') Bd. I. S. 109. 



364 



Chiles Kapitel 



verheiratet hat. also nicht an gebrochenem Herten gestor- 
ben ist, hat es Strauß doch ol* Schuld empfunden, daß er 
sie verlassen hat. E* ist eine , «rechte LumpenrohV 1 , achwibt 
er in Anwandlung eines moralischen Katzenjammers darüber 
an seinen „Beichtvater" Rapp. 

Dagegen nahm er ganz ohne alle Skrupel im n artiges 
Liebesabenteuer hin, das ihm der Ruhm seine* Lebens Jesu 
gleich zu Anfang seines Stuttgarter Aufenthalt» einbrachte. 
Wir lassen e» ihn seinem Freund Rapp selber erzählen 
..Denk dir einmal' 1 , schreibt er diesem am 10. April 1837, 
,,1'in blutjunges, hübsches Mädchen, nicht von hier, verliebt 
sich auf meine Schrift und das Gerede davon in mich; kommt. 
wie sie auf Besuch bei Verwandten hier ist, geradezu mehrmals 
zu mir und sagt mir das alles so naiv und ist auf die un- 
schuldigste Weise zufrieden, als ich ihre artige Liebeserklärung 
zur Versicherung der Freundschaft abkühle. Nun sage noch 
j. ■iiiiiml. daß wir in einem PWftttflhftfl /Vii-ihn h-lu-n." 
Und natürlich ,,kam man wieder, bedauerte nicht zu Hause 
gewesen zu sein; auch ich mußte wieder hinkommen usf, 
Die Verwandten blieben aus dem Spiel, ich wurde einmal 
mitten durch sie, doch ohne vorgestellt zu sein, auf ihr Zimmer 
geführt» wobei ich dann ganz die Empfindung eines horazi- 
seben Liebhabers hotte, der jeden Augenblick befürchten 
muß, von dem hereinstürmenden Ehemann usf. zerrissen 
zu werden. Was mir nun aber die Sache wirklich lieb und 
teuer macht, ist, daß sich gezeigt hat, wie. die ganze Geschichte 
auf rein naivem Grunde ruht; ein Madchen, das, auf dem 
Lande (in einer kleinen Stadt) aufgewachsen, wie sonst etwa 
innen Rumouheldou, so hier einen jungen, vielangefochtencn 
Schriftsteller sich als Ideal vorstellt und nun ohne alle Welt 
und Rücksicht auf Konvenienz geradezu ihm entgegengeht. 
So wurde dann zuletzt ein ordentlicher Liebesantrag gemacht, 
alii-r '-<> unschuldig daß sie, als n'h dir Saohfl EUT bloftflfl 

Freundschaft mit sehr deutlichen Worten herabstimmte. 
herzlich vergnügt war, als ob sie eigentlich nichts weiter 



D* Ehe »od Are T iiBii H| 

IL hätte B«i dieaer Nairitat ist ea mir j«Ut fast leid, 
roehrerna Besuch« auf meinem Zimmer nickt verhindert 
iu haben, da da» leicht ihr Nachrede xuriehen könnte. — 
«a wir« mir 4u&er»l schmerzlich, «mn die»* ao lieb- 
Gt«chächUt im Mundo der l^ute profaniert wurde." 
Die Krvuncbchaft war aber doch keine allzu kühle, 
wie das xwifchen einem jungen Mann und einem hübachen 
MAdeben immer der Fall zu »in pflegt; auch ihre Kusse 
beB sich Strauß grrnc jrcfallrn. Eine rufallige Begeg- 
nung in der Nebelhöhle, wo sich am Pfingstmontag allerlei 
junges Volk xu einer Art Fruhlingsfeier einzufinden pflegt, 
ihn zu untenstehenden Versen l ) auf sie. Und 
sie im Dezember wieder kam, schmolz das Eis noch einmal. 
Doch hören wir ihn darüber wiederum srlber: ..Nach dem 
streng trogischen Inhalte meines letzten Briefe»", schreibt 



') Iu die Einsemkwit der Znllr. 
Wo ich Minen lirban WinUr 
Ualer BQchom, sinnend, schreibend, 
stnntcrn Kopf«, kühlen Henen* 
So nach meiner Art verlebt: 
Tritt am ersten Knihlm^morgen. 
Mit dem ersten Veilchenduft. 
Mit dem ernten WachtelBchlage, 
PrOhgecogn« Blumen tragend 
Ein ImNihciiSinr' M.ldrhmi tun. 
StillKOtrhafltR krftiul mit BOBf 
Sie der Zeil.i kuhln Wand«, 
KDllt dw «las auf meinem Tischa 
Mit Noriusen. Hyazinthen. 
Und ein VellchenstrzuDchen heftet 
Sie mir urrlich an die Brust. 
h:mn viinnkericrr Wie doch, fragrtsie, 
Eure FenaUr noch geschlossen, 
Da der Winter doch vorüber? 
I lad ai« öfftttt (aaJAI F-nater 
Dar galindan Fruhlingsluft. 
Eh' ich trafen, eh' ich denken 



968 



Sechste* Kapitel 



er am 18. Detemher oVaeolben Jahres» „laß dir auch einmal 
wieder einen romantischen schreiben. Da» Romantische, 
finde ich. — hat man ihm nur einmal den Finger gegeben, 
sei laßt es einen nio mehr ganz lo*, und bcIM die Dezember- 
stürme wehen es einem als eine Koste unter dem Schne*- 



Konnte. wir sie, hold »ich neigend. 

Kinrii Kuß mir nocii hrniher- 

VV.rftnd, ilurrh (Im Tum fori 

Win ich nun auch mit dorn Tag* 

Mich des bunten Reichtum* freu«. 

Den sie mir ins Haus gebracht: 

Merk ich doch lugleich mit Schraken. 

Dali die lo;e Kleine listig 

Etwas mir entwendet hat 

Wie ich suche, wie ich krame. 

Auf d^m Sei »reib tisch, in dem Schranke, 

In Papieren, unter tfüchern: 

Nirgends find ich dw.h seitdem 

Zwei höchst werte Stucke wieder: 

Vorig« Arbeitslust den» Kopfe. 

Für das Herz die Winterruhe. 

Ist's ein Wunderauch, dd täglich. 

Statt ru welken, starker nur 

Und belaubender die Blumen 

Duften, die sie mir gebracht. 

Und zum seither offnen Fenster 

FfühUngalüfte, Frühlingsvngel, 

Kleine Liebesgötter auch 

liiniirr muntrer, immer toller 

Aus- und eingefloRen kommen, 

Sich auf Kopf und Schulter mir. 

Auf Papier und Feder setzen, 

So daU, wenn den festen Vorsatz 

Ich mir stelle, diesmal etwas 

Hecht Gelehrte* aufzuschreiben. 

Unvermerkt ein Urbmliitdohen 

Auf dem Blatte steht und mich, 

Seineu uborrafiehlcm Vati-r, 

Neckisch halb und halb in Mitleid 

Aus den Kinderauijon anblickt? 



Lue Ehe und ihr« Lfeung. 



m 



grstober rum Fenster herein. So, als ich letzten Dienstag 
nachmittags von der Bibliothek heimkam, wo ich im Poly- 
hius und Diodor etwas nachgeschlagen, und es nun, nachdem 
ich eben befohlen, eingefallener Kälte wegen wacker einzu- 
heizen, an monier Türe zuerst so leise klopfte, daß ich nicht» 
deutlich hörte, dann noch einmal etwas deutlicher: was hatte 
ich da weniger erwarten können, als daO es meine Unbe- 
kannte vom vorigen Frühjahr sein wurde? Und dennoch 
war sie'», hierher gesandt, um Christtagsbcdürfnisse einzu- 
kaufen. Anfangs, da mir die Sache ziemlich in den Hinter- 
grund getreten war, ging's etwas steif, und ich setzte mich 
nicht neben sie, sondern ihr gegenüber auf den Stuhl. Bald 
aber schmolz das Eis, und ich konnte nicht umhin, wieder 
einige von den Küssen zu versuchen, die mir im Frühjahr 
so gut gemundet hatten. Am folgenden Tage kam sie wieder, 
da «e eben im Haus etwas einzukaufen hatte, und erzahlte 
mir, daÜ tili junger Beamter sich um ihre Hand bewerbe, 
wobei ich ihr nun, da sie erwähnte, daß er sehr gute Zeug- 
nis** habe, von seinem persönlichen Eindruck auf sie aber 
nuliU gestehen wollte, — während sie mir im Arm lag, 
unter Liebkosungen zusprach, ihm ihr Jawort zu geben, — 
«ine Situation, die mir abwechselnd lustig und traurig, 
frivol und unschuldig vorkommt." L)en Antrag hat sie 
dann ausgeschlagen, und nun war einen Augenblick doch 
Feuer im Dach. Allein ihre Briefe, die ihm nicht 
sonderlich gefielen, kühlten das Verhältnis rasch ab; diese 
dritte Begegnung ist otTenbar die letzte gewesen. 

So ist ee eine Episode geblieben. Ernsthafter, höher 
und tiefer zugleich war das Verhältnis zu der Schwester 
Des Freundes, Etnilic Sigel, derselben, die durch ihre 
Begegnung mit dem katholischen Theologen Möhler im 
Bad Doli bekannt geworden ist ')• Dieses edle, geist- und 
gern ülr eiche Mfltleh'ii, eEttft von den Naturen, deren reges 



] ) Ich kommr wtitcr unten darauf zurück. 



368 



SecM« KjpiUL 



geistigem Leben einen mit Gewalt aufschließt und mitteilsam 
macht '), hat ihn ihr Leben lang xart und innig und trau 
geliebt; und er war auch nicht unempfänglich dafür. Aber 
es war auf seiner Seite doch immer mehr nur Freundschuft, 
als Liebe, etwas Mütterliche« in ihrem Wesen kam hinzu, 
das sie später seine Kinder *o wohltuend hat fühlen lassen, 
und so ging es ihm mit ihr, wie es uns Männern so manchmal 
geht: verblendet wie wir sind, sehen wir das Beste, da« 
vor uns liegt und dns wir hohen könnten, nicht und haschen 
dafür nach irgendeiner Flamme, die uns statt zu leuchten 
und eu wärmen, blendet und versengt. So wurde auch hier 
das wärmende, lebenspendende Licht, das Über seinem Leben 
aufleuchtete und ihn beglückt, seinen Lebensweg sicher 
hell und leicht und stetig gemacht hätte, verdrängt durch 
eine freilich viel glänzendere, aber eben doch nur meteor- 
arlig aufleuchtende und sehlii'Ulieh sein Herz und sein Lehen 
versengende Sonne, durch ein Irrlicht, das sein Lehensgllick 
in bodenlose Tiefe versinken ließ. Emilie Sägel gab er daran, 
weil er in Agnes Schobest „sterblich verliebt" war. 

Diese, eine berühmte und gefeierte Opernsfingerin 
jener Tage, war im Frühjahr 1837 auf einer ihrer Gastspiel- 
reisen nuch Stuttgart gekommen und hatte dort wie überall 
durch che seltene Verbindung von Gesang- und Schauspiel- 
kunst das Publikum zu Stürmen der Bewunderung und 
Begeisterung hingerissen. Unter ihren Verehrern war auch 
der 29 jährige Strauß, der in Stuttgart seiner Liehe m 
Musik im Konzertsaal und im Theater Nahrung zu geben 
Gelegenheit fand und zusammen mit seinem Freund Kein 
hold Köstlin diese Gelegenheit eifrig benutzte; auch ver- 
kehrte er persönlich mit Schauspielern und Dramaturgen. 
Die Streitschrift gegen Menzel, worin dieser Kritikus nament- 



'i Ich wfthlu lauter Prädikate, die ich aus den Briefen von Strauß 
seinen eiyoncn XtiDeriiiiRtMi über sie entnommen habe; ich find* sie 
aber durchaus bestätigt durch das, was &lo SUauB später geworden int. 



Die Ehe und ihr* XXmunj. 



lieh auch von der Iftthttisohttl Seil« her angegriffen vrunJU, 
war Ursache oder bereits Wirkung dieser Veränderung. 

Die Brief* aus der Stuttgarter Zeitgeben von diesem neu- 
erwachten loteroMiu Straußen» am Theater vielfach Kunde. 
Auch die bildenden Konnte sind damals Ober die BohWfiQf 
sein«* Bewußtseins getreten; zum Zeichen dafür und für 
Richtung, in der er sich luer bewegte, mag ein gemeinschaft- 
liches HochzeiUigefcchenk der Freunde für Rapji dienen: «• 
waren auf seinen Vorschlag die Werke Winckelmann«. Unter 
-1> in BSodruak des Gastspiels der Schebesl wird dann Strauß 
— im Deutschen Courier — zum gelegentlichen Theaterkritik»!; 
auch mit Sonetten zu ihrem Preis wagte er sich an die Öflcnt- 
Uchkcit.wio ubuuso Reinhold Köstlin tat, der eine Zeitlang sein 
Rivale in der Bewerbung um die Gunst der schönen Sängerin 
gewesen wt 1 ). Bald bringt er ihr seine Huldigungen auch 
persönlich dar. Und da die Schebest auf ihr erstes Gast- 
*l>ii'l in Stuttgart schon im nächsten Jahr (1838) ein zweites 
folgen ließ, fto wandelte sich die künstlerische Begeisterung 
immer mehr in ein regelrechtes menschliches Verliebtsein um. 
Der Pfeil saß lief. Aber mit aller Macht seilte sich Struuß 
dagegen zur Wehre, und so sehen wir ihn nun jahrelang 
in der zwiespältigsten, wunderlichsten Stimmung. Folgen 
wir ihren s< liw.iukungen, wie sie sich in seinen Briefen wider- 
spiegeln. Am 7. Mai 1837 schreibt er an Rapp: bald nach 
jenem obenerz&hlten Abenteuer „kam die Sängerin Schebent 
hteher; ihre Erscheinung auf dorn Theater zog mich sehr 
an ; halb geschoben, halb selbst nachschiebend half ich letzten 
Sountag ihr ein Diner in Cannstatt — in Gesellschaft mehrerer 
Schauspieler und Kunstfreunde — veranstalten, fuhr mit 
ihr in einem Wagen, und da habe ich mich dann 30 ziemlich 
angebrannt. Habe ich nicht gestern ein Sonett auf sie ge- 



') Keinhold Kösthn, gest. als Professor der Rechte in Tübingrn 
1856, «rar zugleich NovolluU »ine Frau war die Liedorkomponwtin 
Josephine Lang; sein Sohn Heinrich Adolf Ko*tlin Theologe und 
Mu*ikii;hrifUt-IIrr; »eine Enkelin Therese Ktetlin ist Lyrikerin. 



370 



Sechstes Kapitel. 



dichtet, welches ich Dir als Dokument der wunderlichen 
GemuUzu&tfinde Deine» I-Yminde» nicht vorenthalten will? *) 
Ich wollt* ihres heute, da sie morgen nach Strnßhurg reial. 
um erat nach 14 Tagen wiederzukommen, selbst überreichen. 
konnte aber nicht ankommen und schickte es ihr zu. Ich 
war etwas Ärgerlich, daß sie sieh krank sagen ließ, weil ich'» 
nicht recht glaubte, und bin eigentlich noch in großem Ver- 
druß. Ich wünschte, sie käme nicht mehr, oder ehrlicher, 
sie bliebe jetxt und ginge bttlder, damit ich dieses Stachels 
der Unruhe loe würde. Ich möchte so gerne zu Dir und 
weiß doch, so lang sie noch hier ist, nicht loszukommen, 
und auch in der Zwischenzeit ihrer Reise nach Straßburg 
will ich nicht, weil ich in Deinem Umgang aller dieser Un- 
riiiinn Iob werden und sie also nicht nachher wieder liier 
troffen möchte Freilich werde ich wohl, wenn sie mir auf 
die heuligt* Krankenmeldung nicht bald etwas Begütigendes 

s-ip-n liilU, Hin Kinlr iir-rHirli :ml -jr v.n.lni, niul ilic. (»ufl 

vielleicht den Samen der törichten Neigung wieder aus." 
Aber sie kam wieder. 

Kinon Augenblick erklärt er, er fühle für sie so, wie 
man in eine Antike verliebt sein könne, und halt es für eine 



Nicht Klange nur aus sanggeubter Kehle. 
Nicht Tongoflechte blou. mit Kunst verschlungen. 
fiteU strömtest Du, wenn Du vor uns gesungen. 
Im Liciie aus die volle schöne Seele. 

Wenn Du nun von uns gehst und juno 8ale, 
Wo Deiner Tone Geister kühn gerungen. 
Erschollen jetzt von seelenlosen Zungen, 
Wie werden wir empfinden, was uns fehle? 

Nicht Dich allein wird unser Leid vermissen, 
NVin, du auf der Gos finge weichem PlOgQl 
Dein Herz dem unsern kosend tugeflogen; 

Hat es das unsere zu sich hingeiogen. 

Das flieht mit Dir nun Oh* Tal und Hügel, 

Uns selbst hast Du un», Zauberin, entrissen. 



Du Eh« uo-i ihr« Lfcung. 



$71 



vorübergehende Anwandlung. An Kern schreibt er man habe 
ihr Auftreten nn Ereignis genannt, diu sei sie für diejenigen, 
die sich in sie verlieht haben, was bri ihm ..nun gerade nicht 
der Fall »ei M . Da tritt sie als Romeo auf» und nun fhngt das 
Schwärmen aufs neue an. nicht bloß für ihm Kunst, auch 
für ihre IVr&on; ihre Rede Hndet nr durchaus edel und geist- 
reich. So ist er „ziemlich wieder im Zuge seiner Neigung", 
solang* sie da ist. Und als sie dann für längere Zeit aus 
icm Gesichtskreis entschwindet, da bleibt ihr Bild in 
Herzen, nur daß er aus der Ferne die Sache für noch 
tonchtor und aussichtsloser hall als im Bann und Zauber 

Gegenwart; jedenfalls war es „eine Erweiterung seines 
eng begrenxten Wesei 

Da» war in den Jahren 1837 und 1836. Ks ist klar, 
daß diese Liebe die Hauptschuld tragt an dem Bruch mit 
dem Tftbinger Minchen, an dem raschen Verklingen der 
Liebelei mit joner unbekannten Schönen, die er jetzt für 
einen „bloßen Sehen" erklärt, und leider auch an dem bloß 
brftderbchen Gefühl für Emilie Sigel Vielleicht kann man 
aber noch weiter gehen und sagen, daß aus dieser unklar 
weichen und sehnsüchtigen Stimmung heraus — die dritte 
Auflage de» Lebens Jesu und der Aufsatz über das Vergäng- 
lich? und Bleibende im Christentum erst vollends ganz zu 
ist. Er majj nicht mehr pulemiHieren. dem Ver- 
hebten ist ea gleichgültig, wie es gewesen ist. „Meinetwegen 

die Welt jetzt alles glauben; auch ich selbst wollte, 
wenn'» sein müßte, vieles glauben, was unglaublich ist." 
Auch das Wort, daß sein Wesen an vielen Stellen wund ge- 
worden, verstehen wir erst jetzt ganz. Ks war nicht bloß 
das Ketzergefühl und das Vermissen eines „konkreten" 
Berufs, nicht bloß das Verwundetsein durch die Lanzen der 
Gegner, nicht bloß die — freilich rasch vorübergehende — 
wissenschaftliche Unsicherheit, sondern es war Amors Ge- 
iß, das mit seinem Widerhaken ihn peinigte: cum 
Liebe, die er für töricht und aussichtslos halten mußte 



372 



tahria Km&A 



und die ihn daher ober «ich »eiber unsicher und unklar 
machte« deren er aber doch nicht Herr werden konnte 
Aus dieser Zeit stammt auch da» an die Spitze des ernten 
Bandes gestellte Bild, das für die ..Europa' 4 gezeichnet 
wurde : es hat einen sentimental schwärmerischen Zug. 
der ihm selbst nicht ganz zusagte. 

Aus solchen Stimmungen heraus schreibt er in den 
ersten Januartagen 1838 in einer Art Neujahrsbetrachtung 
an Rnpp : „Das Jahr 1837 hat mir viel gegeben und genommen. 
Ich habe von manchen Dingen einen Begriff bekommen, der 
mir früher fohlte. Namentlich in bezug auf Theater, Oper, 
Musik überhaupt. Dann habe ich auch in bezug auf den 
Umgang mit Menschen manche Erfahrung gemacht. Aber 
die Schlu ßerfahrung ist doch, daß ich für diesen Umgang 
nicht tauge. Ich habe mich in letzter Zeit von aller Gesell- 
schaft zurückgezogen, weil mich die Art des Zusammen- 
seins, wie sie in Kneipen möglich ist, nicht mehr befriedigt. 
Ich kam jedesmal — natürlich ohne irgend einen Zusammen- 
stoß gehabt zu haben — so bedenklich verstimmt und fast 
desperat aus solchen Gesellschaften nach Haus, daß ich"» 
zuletzt habe aufgeben müssen. So spreche ich jetzt den 
Tag durch in der Regel niemand als bei Tisch. Die Abende 
ist es mir dann sehr genußreich mit erholendem Lesen hin- 
zubringen, nur sehmerzen mich bei Lichte bald die Augen, 
ich darf daher nicht lange aufbleiben... Ich lese jetzt Jean 
Pauls Titan, das erste, wus ich eigentlich, d. h. ganz und 
zusammenhangend von ihm lese. Diesen Titan aber sollte 
man durchaus als Achtzehnjähriger lesen. Als Dreißigjähriger 
iat's zu spat, und das bin ich nun nächstens, wie Du weißt, 
furchte mich aber entsetzlich vor dem Tuge. Mit Drei ßi gen 
sollte man ein Mann sein, und das i*t eine Rolle, die ich durch- 
aus nicht spielen kann bis jetzt/* 

Aber vielleicht gab es ein Kadtkulmiltel, um aus 
solcher Unklarheit herauszukommen — heiraten, »olid 
bürgerlich heiraten! Und damit versucht er es» nun. zu- 



Die Ehe und ihre Lösung. 



373 



erst praktisch, dann theoretisch. Praktisch: er mach tu 
wirklich Anstalt zu einem Heiratsantrag, kam aber damit 
xu sprtl. ein Freund warihm zuvorgekommen. Daraul schreibt 
rn 2. März 1838 an Kapp: „Der wissenschaftlichen Not geht 
in Leben angehörige zur Seite. Ich fohle aufs 4 be- 
»timintento, daß die Junggeeetlcnzeil für mich vorüber ist. 
Ich habe keine Freude* mehr an der Art von Geselligkeit, 
welche durch Kneipeo u. dgl. vermittelt ist. Nan bleibe 
ich ab*o zu Hause und bring« meine Abende und sonst fivie 
/.iii rnil Leuen oder Auf- und Abgehen zu. Dan ist aber 
unnatürlich und fuhrt zum Versauern. Ich sollte also eine 
hausliche GvaclUgkuit haben, für welche, wie Du mir früher 
'•mmol mit Recht Bchriehsl. n eine Natur ganz geeignet ed.. 

Der Gründung eines solchen Verhältnisses steht nun nicht 
• du meine Äußere Lage im Wege; denn wenn eine Frau 
nur ebiMi'ivi,l v.rmögen hatte, als ich habe, so könnten 
wir, meine weiteren Arbeiten ungerechnet, schon von den 
Interessen loben. Sondern das Hindernis ist dieses. Ich bin 
von jeher und auch jetzt noch denjenigen Zirkeln, Familien- 
zirkeln und Öffentlichen, wo Madchen gebildeter Stande 
kennen zu lernen sind, so fern gestanden, daß ich mich in 
\\ mIsIi'm liier und Schauspielerinnen verlieben mußte' 1 . Aber 
vielleicht konnten die Freunde selber ihm dieses Hindernis über- 
winden hülfen, and so wendet ersieh auch damit zunächst an 
Rapp: ,,Für jetzt treibe ich den Heiratsplan in Ermangelung 
r wissenschaftlichen Aufgabe als praktisches Problem. 
Wirklich als Problem, indem nicht Neigung oder persönliches 
Verhältnis, sondern Einsicht in die Notwendigkeit im all- 
gemeinen der Ausgangspunkt ist; ein Obersatz, zu welchem 
der Untersatz, nämlich das Individuum, erst gesucht wird 
nicht Hauptsache ist, weil ich aus meinem bißchen Er- 
fahrung so viel entnommen habe, daß, einen Kreis wesent- 
licher Bedingungen abgerechnet, die freilich nicht fehlen 
dOrf-n, ili' Befriedigung in dieser Hinsicht nicht darauf 
beruht, daß die leere Stelle unsere* Wesens und Lebens 

TW l4f«tor, t>. IV Mm». iL 



374 



3*ciules Kapital. 



gerade durch dieses Individuum und kein anderes ausgefüllt 
wird, als vielmehr darauf, daß erstlich die Leere lebhaft eiup- 
f uiiden und zweitens irgendwie ausgefüllt werdr. Wm gesagt, 
eine Grenzt« gibt es, außerhalb welcher das Individuum nicht 
liegen darf, aber innerhalb dieser Grenz« können viele - 
von denon jedes gleich gut taugt. Bildung ist freilich difl 
erst«« jener Bedingungen, und die vergesse ich gewiß nicht; 
zugleich aber muß ich nach meiner Natur durchaus zugleich 
tili- In; ökonomische Vorhältnisse fordern, erstlich aus 
IJiiabhltngigkcitslust und zweitens aus Stolz, loh brauche 
nicht viel, aber ich muß das Bewußtseio haben, wenn ich 
oimnol will, aufwenden zu können, namentlich nicht ums 
Brot schreiben oder eine Anstellung suchen zu müssen; 
ferner so anspruchslos ich jetzt als einzelner Mann existier«, 
oder vielmehr nicht existiere, so Anständig müßte doch 
meine Fnmilienexislenz sein, wenn ich einrnul eine anfange. 
Davon gehe ich gewiß nicht ab, weil ich dann gewiß wüßte, 
uus dem Hegen in die Traufe mich zu begehen, l'nd soviel 
gute Wirkung haben diese Gedanken wenigstens bereits 

gehabt, daß ich dadurch a)le zweck- und ziellosen Liebes- 
nuigungen ausgetrieben habe und ihnen gewiß nicht nn -In 
unterliegen werde 11 . 

An Märklin aber schreibt er nicht viel später und noch 
ernsthafter Beichte ablegend so: „Seit weuigstnns einem 
halben Jahre ') linde ich mich in meiner Entwicklung an 
eine Stelle gelangt, wo ich mit der bloßen Wissenschaft 
nicht weiterkomme; jn es hat sich das Verhältnis beider 
St'ih'ii dahin umgekehrt, daß in mdtnen] [noeTO d&B Wissen 
schaftliche im Augenblick bloße Nebensache ist neben der 
ernsten und dringenden Aufgabe, mich mit dem Lebon aus- 
einanderzusetzen und moinem Gemüt hier eine feste Statte 
zu bereiten. Ich bin dieses Lebens, wie ich es jetzt führe, 
und wie mir seine Mangel in meiner jetzigen Stellung ohne 



l ) D. h. auit ur in die Selnrln-st. „sterblich vnrliebl" ist. 



Die Ehe und ihre Losung. 



•Mb 



Amt, in keinem Korps bcgrinVn iib*., erst rocht ffllilhur 
geworden sind, seit geraumer Zeit so satt, daß dlfl Phruse: 
£9 möchte kein Hund so langer leben, eigentlich mein Morgen- 
urnl Abendgebet geworden ist, und diese Stimmung steigert 
sich mehr und mehr so, daß sie mich auoh zur Arbeit un- 
tüchtig macht und ohnehin von aller Gesellschaft abschließt. 
Als das einzige Mittel, mich von diesem vollkommenen 
Lebensbankrott zu retten, sehe ich — gewiß mit Recht — 
die Gründung einer häuslichen Existenz an, und hübe dies 
lange eingesehen, ehe ich mich Oberwinden konnte, nuftott 
Kmpfinriung Worte zu leihen. Endlich tat ich'», mit be- 
stimmter Beziehung auf einen Gegenstand: aber es war zu 
spflt, und daß es zu spflt war, erfuhr ich Inder zu spflt. Ks 
würde mich so etwas zu keiner andern Zeit so schwer bc- 
t rotten haben, als eben jetzt, wo ich in der Tat meine ganze 
flfltrtlpp KxiHt.cn/. ilir Hi'ttmig uns dein unvermeidlichen 
Untergang in Hypochondrie und Lebensüberdruß, an einen 
solchen Ausweg gebunden habe. Zum Glück nicht an ein 
, bestimmte* \ rrhftltnis, sondern daran, daß über- 
haupt ein Verhältnis der Art eingegangen werde. Ich hfille 
mir niemals träumen lassen, daß es mir in diesem Punkte 
so ergehen wurde, nicht vom Untersatze: NN ist heiratens- 
wert, sondern vom Obersatze: Es muß geheiratet werden, 
ausgehen und dazu den Untersatz erst suchen zu müssen. 
Und dieses Suchen wird mir bei meinem Mangel an Be- 
kanntschaft und meinem von Tag zu Tag immer einsiedle- 
rischeren Lebon so schwer, daß ich genötigt bin, die Hilfe 
von Freunden in Anspruch zu nehmen... Dabei kommt aber 
noch ein weiterer Punkt in Betracht. Du wirst auch sogleich 
daran gedarbt haben, daß ich kein Amt habe und in den 
Höchsten Jahren auch schwerlich eins bekomme. Nun besitze 
ich zwar einiges erschriebene Vermögen (das ich. um Dich 
genau zu uririitieren, ouf 17 (MH) II. nngeben will 1 )); aber 

') Das ut vor dem Erechvinen der ..CMaubenslehrt'" uml dem 
>.-. hnnri) te nr-rlnn AufUfc d« Lehens Josu gcschriiiben. 

26* 



.;?.. 



Sechstes Kapitel. 



ich möchte mich, so gewiß ich auch jährlich noch eine ziem- 
iohe weitere Summe verdienen kann, doch auf keine 
Weise in die Notwendigkeit MIMT I «II. nuch ohne inneren 
Trieb de* bloßen Fortkommens wegen schreiben zu müssen. 
Hatte ich ein Amt oder nahe Aussicht auf ein «Jehafl, 90 
würde irh diesen Punkt gar nicht herousheben; *o «her 
muß icha. um mich nicht in Abhängigkeit und Sklaverei 
zu versetzen und so da» übel arger zu machen. Nun frqge 
ich Dich also in traurigem Ernst, leider heute ohne nllen 
Humor, ohne den ich sonst so etwas gewiß nicht hatte sagen 
können, ob Dir in C(alw) keine Gelegenheit bekannt ist, 
die mir au» dieser Verödung und Vereinsamung heraushelfen 
könnte, und ob Du die Sache, etwa bei einem Besuch, den 
ich Dir dann machen würde, einzuleiten wüßtest. Wäre 
Dir bewußt, in welcher miserahcln Stimmung, wie ganz 
huruntergitkommen an Lebensmut und LebenshofTuung ich 
dies schreibe, so würdest Du mich wenigstens nicht aus- 
lachen. Wüßtest Du aber zugleich, wie lange schon H 
nämliche Stimmung und die daraus hervorgehende Ansicht 
in mir liegen, so würdest du nicht etwa durch die Meinung, 
es mit einem bloßen Anflug trüber Laune zu tun zu hohen, 
die Sache von Dir weisen. Nein, nimm sie nur recht 7.11 
Herzen, freue Dich, daß ich Dir das so ehrlich anvertraut 
habe und sei überzeugt, daß Du an einer armen Seelo eil 
gutes Werk tust, wenn du meinen Wunsch zu erfüll, n 
trachtest." 

Diese Briefe kann man gründlich mißverstehen und hat 
sie natürlich auch gründlich und mit böswilligem Behagen 
mißverstunden Kin nüchterner Hinunter! ein berechneter 
und berechnender Heiratsknndidnt! ein .Spekulant auf eine 
gute Parliel Mit Verlaub, ihr Herren, das war Strauß nicht, 
sondern ein durch schwere Verliebtheit schwer Bedrängter, 
der gegen den Stachel loken, durch eine Heirat den Strich 
unter scineTorheit machen zu korinen meint und es natürlich 
'loch meht kann und nicht tu! l'ini <IiiIht Mr.hreihl er schon 



Die Kft* und An Ltang. 



*;: 



da» nietet« Mal an Martha, jener Brief sei dumm, sei desperat 
grw*rn, von einer solchen „Dcsperaüon*kur" sei er abf*- 
kornmen. Dali skh dann in djes«?r Stimmung all« HeiraU- 
plane «erschlagen, unter anderen auch der mit einer schönen 
Cousine, in die er einen Augenblick *ngar verliebt war, 
ist kern Wunder. Alle diese Versuche waren ja nur eine List 
des Kopfea gegen das ander» wollende und anderen wünschende 
Barr 

Nun hilft über noch einmal allerlei zusammen, um die 
Beziehungen zu „der Sängerin'*, die nur kurze Zeit brieflich 
fortg<*oUt wurden, allmählich doch in den Hintergrund treten 
zu hissen. Ks kam tüi; j£rit der Züricher Wirren, und e* kamen 
nnue wissenschaftliche Aufgaben, die Wiederherstellung des 
I^ben* Je*u aus d*r Yenm-talt nag der dritten Auflagt* und 
die Ausarbeitung der chn»Llicheu fflilllniwtflHl. und wir 
wissen, wie es in solchen Zeiten in ihm stampft« und gl hie. 
[j. h ilf ihm in den nächsten Jahren über die inner« Herzens- 
not hinweg. Aber die Not war doch da, und gelegentlich 
bricht darum auch ein Notschrei aus dem gepreßten Herzen 
hanrnr. „Ich wollt*, ich wßr der Thomas von Aquino oder 
sonst ein Mönch oder Kromit des Mittelalters." „Du* Leben 
ist mir immer schwer und wird es bleiben/* Er möchte 
tft Zeit um ihre bleierne Schwere betrugen," und (l bei leben- 
digem Leib dem Leben absterben"*; Vischer sei zum Leben 
bestimmt, er dagegen zum sterb-m. Und 40 will er nament- 
lirh vom Heiraten nichts mehr wissen, f m Juni 1839 schreibt 
t-r darüber. ..Kbei:*u ueuii: 1-! mit dorn Heiraten bei mir 

anzukommen [oh glaub« nicht mehr, einer solchen Stütze 
zu bedürfen, und das ist ein gutes Zeichen. Auch habe ich 
in etwa» (Vuostische* in meiner Natur, daü ich zur l'ort- 
111« der M-'n-M-lirngattung, die ich in ihren Individuen 
for eine »ehr unglu. kÜohe halte, nicht behilflich sein moehle 
Od«*r genauer, wenn ich auch des Lebens nicht eben überdrüssig 
tun, was wenigsten* jeU! mihi .Irr Kuli ist. so ist doch das, 
wa» man ftaychttöh und geistig Lust am Loben nennt, ob 




LiT-i 



Sechstes KapiloL 



mal* in mir gewesen. Ich kann cm Mißtrauen, ja ein Grauen 
fflf dein Leben und seiner Verwirklichung durch Verhält- 
nisse wie Ehe u. dgl. nicht überwinden; und wean mich auch, 
wie vorm Jnhr die Flucht au» meinen Verhältnissen negativ 
oder, wie sonst schon, irgendein weiblicher Reiz positiv 
zur Eingehung solcher Bande einmal noch locken sollte, 
so, glaube ich, wäre es nicht zu meinem Glück." Im Mai 
1841 nimmt er an der Hochzeit seines Bruders in Schwalhach 
teil und freut sich, daß er „seinen Hals nicht drinnen hatte; 
wann das ihm gälte, so liefe er davon 1** Und noch ebenso 
klingt es am 5. Mürz 1842, wo er an Kapp schreibt: , .Frühling! 
Man freut sich den ganzen Winter darauf, und wenn er kommt, 
macht er einen eher traurig als vergnügt. Man empfindet 
in gewissen Jahren, daß man mit der sich verjüngenden 
Natur nicht mehr gleichen Schritt halten kann. Übrigens 
werde ich durch die Fürsorge meines Bruders in den nächsten 
Wochen zum Onkel werden, was mich sehr glücklich macht. 
Ich tauge doch im Grund besser zum Onkel als zum Vater. 
Es ist ein vermittelter, gleichsam gonußloser Genuß und hat 
Resignation zur Grundlage. Das ist doch allein für mich. 
Du wirst mich auf Heiratsgedanken nie mehr betreffen." 

Daß das ullcs nur Vordergrund ist und im Hintergrund 
die alte Wunde weiterbrennt, zeigen diese forcierten Äuße- 
rungen alle. Auch das fortdauernde Interesse für Musik 
und Thoater deutet darauf bis, so wenn er für seinen Freund 
KaufTmann nach der Tieckschen Novelle ..Das Zauberschloß" 
einen Operntext dichtet, der dann freilich nicht komponiert 
wurde, oder im Stuttgarter „Beobachter*' Epigramme Ober 
dir 7,auherflote drucken laßt. Darum wundern wir uns nicht, 
daß, wie ihm die Schobest ihre Ankunft in Stuttgart auf 
den 10. April 1842 ankündigt und an diesem Tage auch wirk- 
lich dort eintrifft, alles wieder kommen ist wie früher, oder 
vielmehr, nachdem es so lange heimlich in seiner Brust ver- 
schlossen sich hatte halten müssen, jetzt noch viel stürmischer 
und leidenschaftlicher als vor fünf Jahren hervorbricht. 






Die Ehe und ihre Lösung. 



370 



Er findet sie schöner und liebenswürdiger als zuvor und ist 
von ihr so bezaubert wie je. Gleich beim Wiedersehen f*IIt 
er ihr um den Hals und küßt sie nach Herzenslust, wozu er 
früher den Mut nicht gehabt hatte. Und sie laßt es rfofa 
gefallen. Aber so hoch die Leidenschaft ihre Wellen schlagt, 
er „weiß, daß es zu nichts führt und fuhren darf." Doch 
der Vorstand ist machtlos, schon „weiß er nicht» wo ilun 
der Kopf steht." Nun werden auch die Freunde ängstlich 
und besorgt, sie suchen die hochgehenden Wogen der 
Leidenschaft zu Künftigen, mahnen und raten ab und — 
gießen damit natürlich nur Öl ins Feuer. Ihre Einreden 
machen Ihn nicht irre, er verbittet sich's, daß man „Un- 
artiges" über die Sängerin schreibe, und denkt, daß eben 
auch die Freunde der ,,Philisterei" ihren Tribut bezahlen. 
Laut triumphiert er ihnen gegenüber über das gelungene 
StOck Arbeit, daß er einem solchen Mädchen Liebe, leiden- 
schaftliche, einzuflößen imstande sei: ,,sie ist eine reiche, 
feurige Seele und ebenbürtig den unsern. 1 ' 

Die Freunde waren mit ihren Bodenkon zurückgewiesen. 
Aber nun galt es noch den Bruder zu gewinnen. Jubelnd hatte 
diesem Strauß am 14. Mai über ..seine Freundin Schebest" 
geschrieben: ,,Es ist jetzt etwas über einen Monat, daß sie 
nach vier Jahren wieder in Stuttgart erschien und mir nach 
langem Winterschlaf endlich einmal auch wieder einen Früh- 
ling brachte.... Du fragst in Deinem letzten Briefe teil- 
nehmend nach meiner Stimmung: wenn sie heiter ist, wenn 
das Leben wieder einen Beiz für mich bat und wenn Dich 
dies, wie ich gewiß weiß, erfreut, so haben wir dies nur diesem 
seltenen Geschöpfe zu verdanken, von dem ich auch für die 
Zukunft ein Glück holte, auf das ich langst Verzicht geleistet 
hatte." Der Bruder aber, statt in den Jubel einzustimmen, 
erhob seine warnende Stimme unter Berufung auf allerlei 
über die Sängerin umlaufende Gerüchte. Dieser Brief 
bereitete Strauß schmerzliche Stunden. Da er aber über ihre 
Vergangenheit von ihr selbst unterrichtet worden und vieles 



380 



Sechste* Kapital. 



von dorn, wm der Bruder gehört halte, wirklich unbegründet 
war, so wies er auch diesen Warner freundlich, aber ent- 
schieden ab. Er hofft, daß sich der Bruder überzeugen 
werde, daß er „hier ein Her» gefunden hahe, das ihn im Inner- 
sten nnd Kigentümliohsten verstehe und liebe und das um 
dieser Liebe willen alle Kränze der Kunst, für die sie so be- 
gabt und hwgulelml ist und dam ihr noch viele blühten, 
hinzuwerfen bereit sei". Nun versucht es der Bruder per- 
sönlich. M eilt in wachsender Sorge nach Stuttgart und sucht 
ihn dem Zauberbann der schönen Freundin dadurch zu ent- 
reißen, daß rr ihn mit sich nach Coln entführt, um dort noch 
einmal fern von Madrid mit ihm zu bereden.,, was Verstund und 
Kuck&ichten gegen eine solche Heirat haben können". Aber 
wie sie Struuß auf ihrem Weg von Aachen, wo sie zu gastieren 
hatte, in Coblenz wiedersieht, da schweigen Verstand und 
Rücksichten, die Sache ist entschieden, er führt sie dem 
Bruder und der Schwägerin als Braut ins Haus. 

Wer war nun diese seine Braut ? Es fallt mir nicht ganz 
leicht, über Agnes Schebest zu sprechen, weil sie nur — 
ich muß m gestehen — sehr wenig sympathisch ist und ich 
daher das Gefühl habe, ich könnte gegen sie vorein- 
genommen sein und ihr mit meinem Urteil unrecht tun. 
Aber sie hat ja ihre Lebensgeschichte selber erzählt 1 ); 
darnach können mich die Leser kontrollieren und selber 
sehen, ob sie meinen ungünstigen Eindruck von ihrbestfitigt 
finden oder nicht. Agnes Schobest war als Tochter eines 
tschechischen Artillerie-Unteroffizier» am 15. Februar 1813 
kB Wien geboren. Der Vater 6tnrb infolge eines Unglücks- 
falles schon im November 1815; nun bekam die Mutter 
neben einer kleinen Pension in der Festung Theresiensladl 
freie Wohnung. Hier wuchs Agnese mit oiner zwei Jahre 



*) Aus di-m Labonainur Kuustlorfn von Agaos« Schobost. Mit 
dem Bildnis der v>rf«jwrnn. Stuttgart 1857. „Meinen geliebten Kindern 
Georgine und Mtl Slrauß herzlichst gewidmet". 




Du» KM.« um) ihre Lösung. 



381 



jüngeren Sriiwi-.irr in recht kleinen, iinnlirlien Verhältnissen 
ohne irgendwelche höhere Schulung und Bildung heran. 
Durch den Fürsten Ypi*ilnnti, der damals nicht auf Munkacz' 
hohem Turm gefunden -iiiU, sondern in def faÖhmlMhafl Festung 
Theresienstadt interniert weh ziemlich frei bewegen durfte, 
wurde die Stimme iler kleiimn Scheitel, entdeckt, und diese 
dnnn mit seiner Hilfe in Dresden von dem Chordirektor 
Mikach ausgebildet. Hier trat Agnese denn auch zuerst in 
„Joseph und sninn Brüder" als B*mjmuinouf und wurde darnuf- 
hm am Hoftheater engagiert. Bis 1832 hltab sie in Dresden. 
Drei Jahr« war sie dann in Pesth in fester Stellung. Seit 
Frühjahr 1836 «bor zog Bio es vor, statt sich irgendwo fest 
zu binden, „in die Welt hinauszuziehen", und so folgt nun 
die Zeit ihrer Gastspielreisen, die nur durch eine Periode 
längerer Krankheit in Paris und Italien unterbrochen waren 
und sie durch ganz Europa führten. Ihr Repertoire war 
in sehr reichhaltiges. Hauptrollen waren Medea, Norraa, 
Alice in Moyerbeers Robert der Teufel, Sextus im 
Titita, Fidelio und vor alJem Romeo in ßellinis 
„I Capuleti ed i Montecchi." ') Überall trat sie mit dem 

') Auf ihr letztes Gnstspiol in Stuttgart im Jährt) 1842 und ihr» 
(liifiiulwii UmIIimi li.nl Strjiiü d.U SOOfttl ."'In M.-l : 

Wh' ich zuorst Dich als Romeo «uu. 

Via Töne hörte, Jubel, KUgon, bitten. 

Wo Ueb und Leid, Lust und Verzweiflung s tri t ton, 

Nein! HAh"re.s gibt es nimmer! schwur ich dn. 

Doch schnell ward jus dem Nein entzücktes Ja, 
Als Du mit Tonern, die das Her/, durchschnitten, 
Dir- Treu« SAngest, die %o viel gelitten, 
Das Ut ihr Höchstes! rief ich. Tranen nah. 

Nun sfth ich nfc Alien Dich tulotit. 

Und *o hab lob dt iiihiiibJ* noch gttfunden, 

So Oraxic guuz und SüBo! m Itwur ich JeUt. 

Doch o dos Wechselt, — nie so moB empfunden 
Schon morgnn wird — n.li k-mu •■• \\xi>\*\v*r.*\\\ — 
Rnmro mir dua Köchtt*' wicilnr Min, 



382 



BkMM K.iriM 



glanzem) :< n Krfolg nuf; die MAnner. aber auch Frauen, 
Ugea ihr ku Fußen. Wie »ehr. da» zeigt z. ß. ihr Auftreten 
hier in Strasburg, wo die damalige theologische Fakultät sich 
an die Spitze der ihr Huldigenden stellte. Sie verdankte 
diese Triumphe cIhmimc ihren natürlichen Mitteln, einer 

\'\. ■ ■ i r Minen MtBBMOfnsitkmiDi und wner wifcriiiifl Und* 

schon Figur, wie der treulichen Schulung dieser Stimme 
und einer für eine Sängerin geradezu phänomenalen schau- 
spielerischen Kunst, mit der sie auch nach dieser Seite hin 
ihro Hollen großartig zu gestalten wußte. „Eine (lammen- 
wirbelnde Leidenschaft" rühmten Rezensenten ihrem Spiele 
nach. Ganz besonders begeistert war man gleich bei ihrem 
ersten Aufenthalt in Stuttgart und dann bei jeder Wieder- 
holung desselben in den Jahren 1836 bis 1842. Zu den be- 
geistertsten Verehrern gehorte, wie schon gesagt, neben 
Reinhold Köstlin auch Strauß; und er trug mit seiner Werbung 
di'ii Preis davon, ihm zulieb gabatelnTBfl BonfftOf, in Km-N- 
ruhe hat sie im Juli des Jahres 1842 „ihre künstlerische Tätig- 
keit geendigt". Von dort kehrte sie zu den Vorbereitungen 
auf die Hochzeit nach Schwaben zurück. 

Es war viel, was gegen die Verbindung der beiden hoch- 
stehenden Menschen sprach, und wus die Freunde und der 
llruder dagegen einzuwenden hatten, und es waren nicht bloß 
spießbürgerliche Rücksichten und philiströse Vorurteile, die in 
■olchen Bedenken zu Worte kamen. Sie war nicht gebildet und 
sie war katholisch. In der \ •> iii. htheit hat Strauß freilich sich 
.•iiiM.rnli-t, daß ..mich ihre R«de tatihtOttdel uu*l geistreich 
sei"; aber ihre Briefe, die ungefüge Handschrift und manches 
\ ulgrirein ihrer Ausdrucksweise sprechen entschieden dagegen. 
Ihre Bildung war in den Grundlagen durchaus mangelhaft 
und war, wie bei Muckern so oft, auch späterhin nur ganz 
• ■r if i;- Mri'.-'m/l und iiilwickeU WOfdflZL I ml diese BÜdDDg 

w*r eine katholische. Das, könnte man denken, konnte 
dem unkirchlichen Strauß gleichgültig sein; und doch, wenn 
•r etwus wer, war er Protestant von dem Wirbel bis zur Zehe, 



Die Ehe und ihr« Lösung. 



:jh:i 



sein Denken. seineWeltanschauung.scine Bildung, xcineSohrift- 
stallerei — alles wurzelte bei ihm im ProtesluntiBniuH. Schon 
dämm war es eine Selbsttäuschung, wenn Strauß achrieb: 
..wie schnell hat sie mich gefaßt und ganz verstand™ !" 1>hs 
konnte sie gur nicht, dafür fehlten ihr alle Voraussetzungen, 
fehlte ihrer katholischen, aber recht äußerlich katholischen 
Frömmigkeit jedes vermittelnde Band der Verständigung. 
Aber daß es Strauß trotzdem glauben und sich so ganz darüber 
tauschen konnte, war noch viel schlimmer. Denn eines 
allerdings könnt« sie, sich den Schein des Verstand rüssos 
geben, weil sie eben durch und durch Schauapielerin war: 
so spielte sie ihm vor, was sie innerlich nicht hatte. Dieses 
Schauspielerische, das ja für ihren Beruf bis duhin durchaus 
Iti'ivrhLigt und nur von Gewinn gttVQMW v.:ir, triM mir in 

ihrer Selbstbiographie, wo es sich nicht bloß um ihre Kunst, 
sondern auch um ihre Persönlichkeit und um ihr Leben handelt, 
am unangenehmsten entgegen. Es war zugleich eine innere 
Unwahrbaftigkeit, die Strauß den Wahrhaftigen, wenn er 
einmal dahinter kommen sollte, aufs entschiedenste abstoßen, 
aufs tiefste beleidigen und empören mußte. Dazu gehört 
aber noch eine«. Sie hatte die Welt gesehen, Paris, Venedig, 
Pesth, Wien, Berlin, Warschau, und überall halte sie das 
bunte, große Leben kennen gelernt, ein bewegtos und außerln h 
glänzendes Leben selber gefuhrt, in dessen Irrungen und 
Wirrungeu sie tief eingetaucht war. Und wenn sie es in 
ihrer Biographie ernst zu nehmen scheint mit dem Leben, — 
wirldich ernst nahm sie es doch nur mit ihrem Beruf und ihrer 
Kunst, im übrigen verbarg sich hinler diesem scheinbaren 
Ernst eine große Oberflächlichkeit, sie war eine leichtlebige 
Österreicherin, die nirgends in die Tiefe drang und sich mit ein 
paar frommen Redensarton auch über Schweres und Schwerstes 
wegzuhelfen suchte. Wenn man aber fragt, wie eine solche 
Frau der Werbung von Strauß habe folgen können, so könnte 
ich nur auf die wunderbaren Fügungen der Liebe verweisen 
und möchte fragen: warum sollte ein so dämonisch leiden- 



384 



Sechstes Kapitel 



schaftlichcr Mensch, wie StrnuÜ tt wur, clor auch sonst 
Manner ujmI Frauen bezaubert hat, diese Liebe nicht haben 
im Sturme gewinnen können? Und dann: es war für diese 
Frau von Welt etwas ganz Neues, ein so weltverlorener 
Magister, für ihren aufs Außergewöhnliche gestellten Sinn 
etwa« Lockende«, ein so berühmter Mann, wie sie das, in 
den Tagen des Putsche» zufällig in Zürich anwesend, dort 
mit eigenen Augen und Ohren erlebt hatte Uud endln h, 
sie kam eben von einem schweren Erlebnis her, du mochte 
ihr dir Khe in dem Frieden eines stillen Gelehrtenhauses 
wukltch als ein großes Gluck erscheinen. 

Und nun auf der andern Seite Strauß 1 Der einsame, 
stille Mensch, dem von seiner Seminar- und Stiftserzichung 
her ein Wellfremdes anhaftete, der ganz innerliche, der alles 
tief philosophisch nahm, der ganz wahrhafte, der den Kampf 
gegen Unwahrhnftigkcit und Luge sich zur Lebensaufgabe 
gemacht hatte, ein ausgesprochener Melancholiker, wie ihn 
jenes Bild für die ,,£iiropa" uns zeigt, und daneben doch 
dämonisch, leidenschaftlich, mit Hinneigung zu gelegentlichen 
cholerischen Zornausbrüchen, ein Temperaments- und Slim- 
mungsrnensch durch uud durch. Dazu von Jugend auf an 
bürgerlich solide Verhaltnisse gewöhnt, sparsam und ein 
guter Haushalter, der rechnen gelernt hatte und, wenn auch 
nicht ängstlich, rechnen mußte. 

Und endlich beide über die erste Jugend hinaus, er ein 
31 jähriger, sie im 29aten Lebensjahr stehend, fertige Menschen 

beide, die viel guten Willen, viel gegenseitige verstehende 

und duldende Liebe brauchten wenn sie sich ineinander 
schicken und aneinander assimilieren sollten: mit den Ge- 
wohnheilen einer Weltdame sie. er der Sohn omes kleinen 
'.eliw.iiti i'hen Kaufmiiiinshmisesund lltllOkgMHiOiillOBUnUDMt 
nicht heraus aus den derben Stift»- und Kneipeninanieren 
bei aller Feinheit dos tieferen Empfindens und illar Höhe 
Beines gelehrten \\ issens. So wnr die Ehe zwischen den beiden 
von vornherein und unter allen Umstanden ein großes Wagnis. 



Die Ehe and ihr« U*ung. 



AHh 



Und doch wurde sn ;e^eMuH,Hcn Arn 'M.t. August 1842 
wurden Strauß und die Schobest in der Dorrkirche xu Hork- 
hcim bei Heilbronn getraut, nachdem erst im letzten Augen- 
blick dir fehlenden l'apiere licrl»cigeKe.hnlTt und damit das 

letzte Hindernis beseitigt war. Freund Kauffmann empfing 
das Paar mit Stacken aus der Zauberflöte, die er auf der Oi gel 
meisterhaft spielte, und Freund Rnpp leitete die kirchliche 
Trauung — eine bürgerliche gab es ja damals noch nicht — 
mit einer Hede ein, von der Strauß selbst meint, daß sie 
gewiß die erste in dieser Weise gewesen sei, und von dftf 
wir meinen, daß sie, die Rede eine* blinden Sehers, als 
Einleitung zur Tragödie dieses Ehebunds hier nicht fehlen 
dürfe. Auch ist sie für den Redner selbst charakteristisch 
genug. Sie lautet: 

„Geliebte Freunde! Ein recht freudiges Ereignis hat 
heute unfern Freundeskreis zusammengerufen, die Ver- 
bindung unsere* Freundes mit der Freundin, der er sein 
Herz geschenkt hat und die durch ihn auch unsere Freundin 
geworden ist. Und da er mich beauftragt hat, diese Ver- 
bindung öffentlich teil» zu erklaren, teils vollziehen zu helfen, 
so lasset mich dieses Geschäft vollbringen, indem ich sowohl 
fic Gesinnungen und Absichten des gehebten Paares, dem 
der Tag gehört, ausspreche, als die Wünsche und Emp- 
findungen, mit denen wir ihnen heute zur Seite stehen. 

Nicht nur die christliche Kirche, meine Freunde, sondern 
alle Religionen, da die Religionen zumeist die höhere Emp- 
fiudungsweise der Menschen ausdrücken, oder alle Völker 
der Erde nahen die Gewohnheit gehabt, den Bund der Ehe 
unter feierlichen Gebrauchen zu vollziehen und sie dadurch 
zu ehren und zu befestigen, — ein beweis, daß der mensch- 
lichen Natur ursprünglich das Bedürfnis und der Trieb 
innewohnt, das Verhältnis zwischen Mann und Weib al» 
ein geweihtes aufzufassen und zu halten. Sei es auch, daß 
i!i>- Religionen, die eine mehr, die andere weniger, das ehe- 
liche Böndnis unler den Gesichtspunkten, die nur ihr.* 



BN 



ScchiUa KapttcL 



Eigentümlichkeit ausmachen, aufgefaßtund gefeiert haben: so 
kanu doch dtr, dem das Wesen der Menschheit heilig und 
der in allen Dingen den Kern und Grund der Dinge zu he- 
Achten gewohnt ist, nicht gewillt sein, mit den äußerlichen 
Beziehungen, die einer heiligen Sache in den Augen mancher 
ihre Weihe erst geben sollen, die Sache selbst auch, ihre 
Bedeutung und die ihr eben für sieh selbst angehörige Heilig- 
keit zu verwerfen. Wundert euch also nicht, meine Freunde, 
daß, wenn ich die Heiligkeit der Ehe dartun oder aussprechen 
will, ich sie diesmal von nllem anderen losschale, was nicht 
zu ihrem Wesen und dem sich in ihr offenbarenden Wesen 
der menschlichen Natur gehört. Die menschliche Natur 
ist es, nichts Höheres und nichts Niedereres, die diesen 
heiligen Bund anordnet und ursprünglich gestiftet hat, die 
ihn angelegt hat in allen Schöpfungen und Erscheinungen 
des niederen Tierlcbens und diesem und sich selbst in der 
ehelichen Verbindung der Menschen den Stempel der Heilig- 
keit auf die Stirne drückt- Es bedarf hier keines scharf- 
sinnigen noch gelehrten, keines herkömmlichen noch neu erst 
zu schaffenden Deweises, daß die Ehe durch das Wesen der 
menschlichen Natur, aus der sie hervorgeht, ihre Heiligkeit 
empfangt, sondern indem die menschliche Natur ursprüng- 
lich Mann und Weib füreinander geschaffen hat und sie 
zu Liebo und Treue, die aus dem Herzen stammen, imm>*r 
wfodfr aufs neue zusammenführt, feiert und erklart sie seihst 
fort und fort die Heiligkeit dieses Bündnisses. Eben das. 
dnß die Ehe in keiner staatlichen Verbindung und im Schöße 
und Schutze keiner Religion es zu der Sicherheit und Heilig- 
haltung hat bringen können, die ihr diese zu geben bemüht 
waren, ist ein Beweis, daß sie in der Heiligkeit, Schönheit 
und inneren Bedeutung, die sie für sich seihst hat, noch nicht 
erkannt und begriffen ist. 

Glaube nur nicht, mein teurer Freund, der du uns 
schon in so vielem belehrt hast, den Schein von dem Wesen 
xu trennen, daß ich nicht überzeugt sei, du werdest uns 




Die Ehe und ihm Lösung. 



981 



iiuch in deiner ehelichen Verbindung das Wesen einer scheuen, 
menschlichen, liebenden, freien und treuen Voreinigung 
zwischen Mann und Frau offenbaren. Du hast — auch 
darüber ist kein Zweifel in uns — die Geliebte erkannt und 
gefunden, die geschaffen ist, deinem Leben für diesen letzten 
und innigsten Zweck, den das Leben des einzelnen h.it. 
seine freudige Vollendung zu geben. Freundlich gegrüßt 
sei der Tag, da du einkehrst in deinem eigenen Hauswesen, 
der letzte von uns, von einer langen Reise zurückkehrend, 
auf der wir dir bewundernd zusahen. Du hast dich draußen 
um ht verloren, eine großartige Laufbahn hat dich nirgends 
Ober die Grenzen des Schönen und Guten geworfen, und 
nun trägst du auch die Schatze der Wissenschaft und Kunst 
in die prunklose Stille da höflichen Lebens hinüber, wo 
dir die gleichgestimmte Braut in der vollendeten Schule 
der Kunst das Herz darreicht, das sie der Natur und Wahr- 
heit bewahrt hat. 

Und jetzt lasset uns nicht länger zögern, den Rund tu 
schließen, der euch vereinen soll. Und ich gebe meine Hand 
auch dazu, zum Zeichen für alle, daß ihr einander angehöret. 
Aus den Hunden der Menschheit nehmet euch jetzt tum 
Geschenke: ehret das Geschenk und in dem Geschenke die 
Geberin. 

Es war ja stets ein guter Gebrauch, meine Freunde, daß 
tou verlobte das Gelübde der Treue und Liebe öffentlich 
tni'iuander ablegten. Er soll bleiben, dieser Gebrauch, 
Schwächeren zum mahnenden Denkzeichen an die 
Forderungen des sittlichen Gesetzes in dein natürlichen 
Bündnis der Ehe, den Stärkeren, die im Guten den andern 
vorangehen, zur freien Erklärung ihres guten Willens für 
unerschütterliche Treue und Liebespflicht in der Ehe. Wie 
aber die Schwächeren zu befestigen sind durch den foston 
Willen der Guten im Guten, so müssen auch die Stärkeren 
bedenken, daß sie als Menschen an der schwächeren Natur 
der gebrechlichen Brüder teilhaben. Es war daher auch 



M 



Sechstes Kapitel. 



das Angemessene bei der Schließung der christlichen Ehe. 
daß die Neuvermählten teils dnrun erinnert wurden, daß 
in der Ehe die Schwachheiten des natürlichen Menschen 
gegenseitig zu ertragen und durch *ie zu überwinden und 
zu läutern seien, teils daß sie überhaupt ermahnt wurden, 
der Gebrechlichkeit der Irdischen U 1 1 ige und des Lehens 
selbst zu gedenken, dessen Leiden allerdings in dem um- 
fassenden Bunde der Familie viel häufiger einzukehren 
[illegiMi als im Leben des eiim'lneii. W;is -oll ich hier nun 

sagen, mein Fround ? Ist freilich diejenige Natur, welche 
durch besondere Starke dos Willens über die meisten andern 
hervorragt, eben dadurch auch den sittlich« n Schwächen, 
denen die meisten anheimgegeben sind, enthoben: so wird 
sie, je uinfossender sie als Natur oder als die naturli« du 
Kraft nnd Unterlage dos ganzen geistigen und gemütlichen 
Menschen ist, um so häufigeren und gewaltsameren allge- 
meinen Schwingungen ausgesetzt sein. .Nur ist hier sogleich 
zu erinnern, daß eine solche Natur, indem hie eich in den 
Dienst der Liebe, d.h. derjenigen Kraft des Geistes, die 
alles natürliche Leben am ersten bändigt, freiwillig begibt, 
eben damit ihren entschiedenen Gang zu fortwährender Be- 
ruhigung, bleibender Harmonie und vollendeter Stimmung 
in sich auch selber gewählt hat. Ist aber der im Guten nie 
wankende Wille die erste und letzte Tugend des Mannes, 
so kann die Aufgabe der Frau nur sein, verschönernd zu 
wirken in Haus und Leben, öiTontlieh und im geheimen; 
und wo diese Aufgabe in ihren letztet» Beziehungen einmal 
glücklich erfaßt ist, wie sollte da zu zweifeln sein, daß die 
Hand und der Sinn der Hausfrau nicht auch das Geringste, 
das im häuslichen Leben vorfallt, mit der Huld des Schönen, 
das der Preis und der Reiz unsere» Lebens ist, zu umgeben 
\< rmogen ? 

Was nun aber •! ejemgen leiden des Lebens anbelangt, 
die außer dem Bereiche unseres Willens liegen, so ist nicht 
zu vergessen, daß, wo mehr Freude und Genuß ist wie im 




Natar und ds* ■■iiigi Herrarakeit dt» 
ihr u^ s w i nen d en G csnea snd seiaer in ihr saea ei 
aitükbea Med** unriiiii Tragen vir aber i 
Mut gegen afte Slawe 4» Gwrhirt». wo and wie ä 
*'»rh treffe» m ng rn . in wohlverwahrten Hmtagjande u 
Brau, so ist aaeh kein Grand vortmadssx deJ wir 



seine Brote» pflocken und mm Fracht« gewieften soBtew. 
Und wen» da dich, gewebter Freaod. bis dahin kaum von 
den SchnMRe aber dan Tod einer gwaaVtea Mutter, in die 
dein Sinn und deine Erziehung verwachsen war, entwöhne» 
konntest, so Ireoe dich heute auch der Braut, die dir nun 
Matter and 01*04* ist. Auch Sie. meine teure Freundin, 
kennen den Wankelmut des Geschicke» von Kindeabeinea 
an. Nehmen Sic hier den Vater wieder, der Ihnen frühe 
gerauht ist, und kehren in den Freuden de« haisshehen 
Lebens ein, denen Ihr Inneres a n g eh ör t , and die ein flohen 
Geschick von Ihnen forderte auf weiter Laufbahn erst wieder 
tu finden. 

Uns alle aber, m. Fr v lasset treu iut Seite unserer Ver* 
bundenen stehen. Es ist uns nicht* geraubt dadurch, datl 
wir nie and mit ihnen einen Teil der Freundschaft, dar suvor 
der ansrige war, an sie und ihre Verbindung abtreten. Auch 
wir haben durch ihre Verbindung gewonnen und sollen 
empfangen, was wir gegeben haben. Sei es auch, daß an 
edler Strom zu besonderer Heimlichkeit und Lust der Liebe 
eine Insel in seiner Mitte absetze und sie mit ausschließender 
Vorliebe umarme, so kehren doch bald seine vereinten Arme 
zu gemeinsamer Kraft und Bedeutung zurück. Sei es. dsß 
wir das neue Haaswesen unserer Freunde heute fester be- 



r. a >- Mma a 



tt 



390 



Sechstes Kapitel. 



gründen und begrüßen wollten, wir abreiten doch in go- 
nuinsUZW Tätigkeit und befreundeter Verbindung fort, 
und unsere Liebe ist nicht mehr eu trennen." 

Nach der Trauung gingen Verwandte und Freunde flber 
den Neckar hinüber in dil Dl ausgründete StrauQsche Hau» 
in Sonlheim und weihten e* donfa 'ine MaliUoit ein, die der 
dortige Wirt sehr schmackhaft zubereitet hatte Nach Tisch 
kam Jusiinu- Kerner mit Frau und brachte ein Gedicht '), 
SUeJh Schnitzer, damals Profewor im nnln-u ll'übronn. trujr 
eines vor. Zellcr von Tübingen 14 hi<kle eine», und Rnpp hiell 
als Koch verkleidet eine humoristische Rede. K&uffmann 
war am Klavier wie am Ginne ttttig, und alle verlebten einen 
harmonisch nohonen Tug, bei »lern Strnuß nur den Bruder 
v,nnißte. Und harmonisch und glücklich liefen zunächst auch 
difl Tage in dor jungen Ehe hin. Und doch, wenn Strnuß 
acht Tage nach der Hochzeit in einem Brief an den Bruder dich 
unterzeichnet als „Dein dermalen wenigstens glucklich zu 
m-ruu-mler Bruder". *o lag darin schon so etwas wie eine 



') Strauß' Glaube kommt dem Ehntnnd ganz zu gut; 
Denn ist es, wie er wuhnel, nichts mit drüben, 
Wenn nach dorn Tode all** Lieben ruht, 
So muß man biet iQr Ewigkeiten lieben. 

lim undn-r «pnclH: ich -pari' vieles .ml. 
Bis wir in omem bessern Sli-ru im- .-Imi; 
l£r 3 her spricht: ich liebe hier vollauf, 
Denn ich weiß fest, daß Ich und Du vorgohon. 

Du andrer, raub* ihm diesen Glauben nicht. 
Kr dient tum Heil der herrlichen Agncsc, 
Und tritt er einst aus Schein im Tod an- Licht, 
Und We «toht vor ihm, wird er drob nicht böse. 

Dann wird er spreehen: Kerner halle recht. 
Dem machte ächurfoinn wenig graut' Ilaare. 
Agnw, whb der Kopf denkt, i*t oft schlecht. 
Nur «TM INfB Hen gefühlt» — H«rx! war du* Wahn?. 

JuHtinui* Kvrner. 




D« Ehe und Ihre Lftauny. 



m 



Ahnung von d*r WandelbArkoit aller menwhlichlB Dinge; 
und bald genug brach diese» kurz« Glück in Sehwbg fl 
krachend zusammen 

War schon die Ehe der beiden an »ich ein Wagnis, da» 
ebenso auch mißlingen konnte, »o war die Wahl de» Ortn* 
für den Aulenlhalt den jungen Paares ein schwerer Pafakl 
Dreiviertel Stunden von H.dhronn liegt am Neckar da» 
hübsche Örtchen Sonlheim, heute durch eine Trambahn von 
der Stadt her rasch zu erreichen, damals bei schleehlen Wegen 
ohne solche Verbindung doch recht abgelegen. Ein Schlöß- 
chen, ursprünglich Sommerxitz des Heilbrunner DmiUch- 
orih'DH-K.imltirs, war gemn-tet und hol. wie für die Batik* 
MittfM* nm ersten Tag, so auch für die neugegründele 
Familie reichlich Raum. Die Einrichtung war hübsch, die 
UMtoht von jedem Fenster und vollends vom Balkon an 
schonen Ifarbsttagen entzückend; „vor uns der Neckar mit 
Schliff n und Flößen, links Horkheim mit unserem Kirohlein *), 
rechte Heilbronn mit dem Wartberg, dann die Beleuchtung 
morgen*, mittags, abends immer neu und immer schöner". 
Es war ein Idyll, aber ein dörfliche*. Und nun denke man 
sieh d : e gefeierte Sflngerin. die an den Aufenthalt in Groß- 
städten, an den Vorkehr mit interessanten und vornehmen 
Menschen aller Art gewöhnt, vom Publikum vergöttert, 
von Königen und Fürsten mit ihrer Gnade beehrt war, 
plötzlich in ein württembergisches Bauerndorf versetzt. 
Das mußte Tür eine so äußerliche Frau ein Herabsteigen be- 
deuten und auf die Dauer entsetzlich langweilig werden. 
Und auch die kleinstädtischen Kreise des damaligen Heilbronn, 
in UisdieStrauß'schen schon ein Jahr später vernünftigerweise 
übersiedelten und wo man sich beeilte, das berühmte Paar 
Ulich in den Heusern der Gebildelen aufzunehmen, konnten 



') Sonlheim, in dar lUupUach* katholisch, halte damah noch 
keine ovaAgvlirtdu! Kfrcha; die Protast.,;,lrii wm-en im nahen Korkhelm 
cmgepfarrt. Deshalb hnttc dort die Trauung stattgefunden, 



392 



Sechst* Kipilftl. 



ihr keinen Ersatz fflr die verlorene Herrlichkeit gewähren. 
Auch dns Singen und Spielen auf einem Liebhahertheater 
im Goppel Ischen Hause, zu dessen Einweihung Strauß den 
Prolog gedichtet hat, konnte sie fOr die verlorene Kunst sdoht 
entschädigen. Und ebensowenig die Freunde von Strauß, 
darunter der inzwischen aus dem Pfarramt ausgeschiedene 
und zur Philologie übergegangene Marklin, und Schnitzer, 
ein etwas älterer Studiengenossc von Tübingen her. Ihr 
Verständnis lag nicht auf seilen der Kunst, es waren 
Stiftler mit theologiwrh-pliiloflophischeo Interessen und mit 
teilweise noch etwas derben studentischen Manieren, wie 
man sie in Tübingen auch am Repelententisch noch nicht 
ablegt. Am derbsten war Kauffmann, der sich sonst 
musikalisch wohl mit der Schebest verstanden hatte. 
Kerners drüben in Weinsberg waren feiner und welt- 
männischer, aber doch mehr als Huri int zu genießen, zum 
ständigen Umgang nicht zu gebrauchen. In diesen Kreisen 
konnte es der verwöhnten Dame aus der großen Welt un- 
möglich wohl und heimisch werden. 

So war sie ganz auf ihren Mann angewiesen; und da 
konnte es bei den beiden temperamentvollen und leiden- 
schaftlichen, auch durchs Leben schon hart geschmiedeten 
Menschen an Gegensätzen und Reibungen, an Ausbrüchen 
voll Heftigkeit, an wilden Szenen oft über Kleinigkeiten 
nicht fehlen. Und dabei mußte Strauß die innerlich unge- 
bildete und unwahre Natur seiner Frau mit Schrecken wahr- 
nehmen: was er ernst nahm, war ihr — öuhnenspiel, wo ihm 
das Her?, blutete, da spielte sie ihm eine Sxene voll Leidenschaft 
und Glut vor. Das machte ihn bitter und hart und wandelte 
die Liebe langsam um in Abneigung und Haß; ja, er fing an. 
seine Frau zu hassen, wie er Unwahrheit und Lüge sein Leben 
lang gehaßt hat. Dazu kamen noch spezielle Anlasse. In 
dfa Aufgabe der Hausfrau hat sich die ehemalige Sangurin 
überraschend schnell eingearbeitet; bald kochte und buk 
sie mit Hilfe der „Lolflcrin" (Kochbuch) wie eine erfahrene 




Die Ehe und ihre Losung. 



schwäbische Hausfrau; und wenn auch anfangs einiges miß- 
lang, mit der Zeit ging es immer besser Allein auch hier 
war doch manches außen hui und innen — weniger pünktlich, 
als es Strauß von seiner Mutter her gewöhnt war. Und 
er hatte Zeit — einen Müßiggänger nennt er sich zu ji-ner 
Zeit öftere, und so sah er. wenn es haperte, selber nach dem 
Rechten, er mischte sich in die Haushaltung — auch dann 
noch, als seine Frau allein fertig werden konnte, und das 
kränkte sie in ihrem berechtigten Stolz und in ihrer unbe- 
rechtigten Hausfraueneitelkeit mit Fug. Eines aber fehlte Ehf 
als Hausfrau am meisten, die Sparsamkeit. An die hohen 
Preise der Hotets und der europaischen Großstädte gewöhnt, 
fand sie in Sontheim und Heilbronn alles billig und zahlte 
dann leicht zu viel, einen Gulden, wo ein paar Kreuzer 
genügt hätten. So reich war aber Strauß nicht, die Frau 
eines beruflosen Mannes war auf's Sparen hingewiesen. 
Daß das nicht etwa nur eine Meinung von Strauß gewesen 
ist. seine Frau könne nicht sparen, geht daraus hervor, daß 
sie trotz jahrelanger großer Hinkünfte beim Antritt ihrer 
Ehe — nichts besaß; die Aussteuer mußte größtenteils 
Strauß selbst beschaffen und sich überdies verpflichten. 
ihrer Mutler und Schwester in Nürnberg jährlich eine für 
seine Verhaltnisse nicht alUukleine Summe auszubezahlen. 
Daß dieser bohemeartige Zug ihres Wesens den Kaufiuauns- 
sohn verdroß, der so eifrig darauf hielt, daß im Hause nicht 
mehr ausgegeben als eingenommen wurde, versteht sich von 
selbst. Daß er dagegen unduldsam und heftig zu Felde zog, 
hat ihm v IflUafoht am meisten die üble Nachrede des „Geizes* 1 
zugezogen. Wenn man eine Reihe einzelner Vorfalle kennt, 
wird man dagegen sagen müssen, er war nicht geizig, aber er 
griff das Sparen und das Erziehen zur Sparsamkeit ganz ent- 
sittlich unpraktisch an. 

Das Allerschlim instn aber war : Agnese Schobest war wahr- 
haft besessen von jener Leidenschaft, die mit Eifer sucht, 
was Leiden schafft, Mit einer unheimlichen und wahrhaft 



394 



Sechstes Kapitel. 



grauenhaften, einer un fixe Ideen und Wahnvorstellungen 
grenzenden Eifersucht hat sie ihren Mann gepeinigt bis aufs 
Blut. Daß sie keinen Grund dazu hatte, braucht kaum ge- 
sagt tu werden. Schon vor der Hochzeit fing es an, auf einer 
Kahnfahrt nach Wimpfen packte et» sie zum erstenmal, selbst 
der Hochzeitstag war nicht frei davon. Und so ging o* dann 
fort. Oh e* die Gattin seines Bruders oder die Frauen und 
Verwandten seiner Freunde waren, mit denen er sich gern 
unterhielt, oder ganz wildfremde, mehr oder weniger hübsche 
M.uii iien, mit denen ite ihn BttAfflg niBaaxmtn ufe od im 
denen er vielleicht harmlos ein rein ästhetisches Wohl- 
gefallen Äußerte, oder ob es nur die unbestimmte Angst war, 
er konnte bei einem Ausgang, auf dem er langer ausgeblieben 
war als sonst, ihr untreu geworden sein: auf Schritt und Tritt 
umgab ihn dieser unwürdige Argwohn, durch den er sich 
förmlich beschmutzt fühlte. F.r verleidete ihm jeden Umgang 
und Verkehr mit Frauen, und da die Eifersüchtige auch vor 
anderen ihre Mißstimmung merken und oft bis zu heftigen 
Szenen anwachsen ließ, so fühlte er sich dadurch aufs pein- 
lichste kompromittiert und mußte sich vor Bekannten und 
vor Fremden für sie und um ihretwillen schämen. Nur in einer 
Beziehung hatte sie wirklich einigen Grund, eifersüchtig zu 
sein — auf seine Freunde, mit denen Strauß aufs engste zu- 
sammengewachsen war und nach wie vor verbunden blieb, 
denen er sich, brieflich vor allem, rückhaltlos erschloß und 
bei denen er auf mehr Verständnis für seine geistigen Inter- 
essen und Bedürfnisse rechnen konnte als bei der von Haus 
aus ungebildeten und dafür nicht organisierten Frau. 
Wenn er ihnen jetzt seine eheliche Not klagte — er tat es 
lange nicht — , so fand er bei ihnen einen starken Resonanz- 
boden, — sie hatten es ihm ja vorausgesagt und sahen nun 
ihre Befürchtungen und Warnungen bestätigt; und so 
mußte es ihr so vorkommen, als hetzten ihn die Freunde 
gegen sie auf. So war sie eifersüchtig auf den Verkehr mit 
den Heilbrunner Freunden in der sogenannten „Grußles- 



Dio Ehe und ihre Lösung. 



395 






gesellschaft", wo Strauß zu verkehreu pflegte, und eifer- 
süchtig vor allem auf den Briefwechsel mit Kapp. 

Das alles entwickelte »ich schon im ersten Jahr nach der 
Hochzeit, und auch die Geburl eines Kindes, der Tochter 
Georgine, im Jahre 1843 konnte den Zerfall der Ehe nicht 
aufhalten; ebensowenig das Erscheinen des Sohnes Fritx 
zwei Jahre darnach. Zu welchen leidenschaftlichen Szenen. 
su welchen bösen und häßlichen Worten, zu welchen ver- 
geblichen Versöhnungsversuchen, eigenen und durch Andere 
vermittelten, und zu welchen unwürdigen und innerlich un- 
wahren Kompromissen» zu welchen Trennungen und Wieder- 
vereinigungen es im Laufe dieser Jahre gekommen ist, bis 
endlich der definitive Bruch erfolgte, das geht die Öffentlich- 
keit nichts an. Schlimm aber war, daß, auch nachdem dio 
Unhaltberkeit der Ehe erkannt war, eine definitive Lösung 
dennoch nicht erfolgte. Strauß hatte sie gewünscht, Agnes 
Schobest weigerte wich, urll« uht. doch am meisten deswegen, 
weil sie katholisch war und die Ehe für unauflöslich hielt. So 
kam es zu einer privaten Trennung, über deren Bedingungen 
dann freilich doch die Gerichte angerufen werden mußten 
und Advokaten in ihren indiskreten Schriftsätzen das Wort 
fQhrteu. Diese Verhandlungen sind sehr peinlich, es wurde 
dicht bloß um den Besitz der Kinder, es wurde auch um die 
. .jährlich* Kontribution" gemarktet, die Strauß seiner Frau zu 
tahlen halte, und um ihren Aufenthaltsort. Bis in das Jahr 
1848 zog sich der Streit, daa Gezönke und Gozerro unleidlich 
hin. Strnuß wurde mürbe und konzedierte endlich Georgine 
der Mutter für immer. Fritz sollte ihr bis zürn 7. Jahre ver- 
bleiben. Daß os dann doch anders gekommen ist, werden wir 
später sehen. Auch in der Frage des Wohnorts — er hfitte für 
• i- h -.in Slultgarl gewdhlfl — y.ili er n,.< li. Agne* .Schcliesl /."'- 
i! i ihn Kindern dorthin. Im Geldpunkt einigte mnnsichnuf 
1050 fl. jährlich, wovon 760 für die Frau, je 150 fl. für ffoafl 
• l<r Kinder berechnet waren. So hatte er nun also eine Familie 
IQ 1 1 niihren, ohne eine Familie zu tabu: er mußte materiell 



m 



StthsUt Kapitel. 



für Frau und Kinder sorgen, ohne die Freuden und Leiden 
eines Otiten und Vater* und dos Glück «It ■ t Freuden und 
Leiden, den Segen der besten und schönsten menschlichen 
Gemeinschaft zu genießen. Wie ohne Amt und Beruf, so war 
er jetzt ohne Frau und Kind, wirklich «in armer, armer Mann. 
Und wenn ihn die Beruflosigkeit schwer getroffen hat, diese 
Fatniheolosigkeit traf ihn noch viel harter. Auch »ein Stob, 
der hei ihm stark entwickelt war, war durch dieses Öffentliche 
Zerwürfnis, durch das Gerichtskundige desselben und durch 
das im engen Schwanen doppelt starke Gerede und Ge- 
klatscho darüber aufs empfindlichste verletzt. 

Dazu knm aber noch ein weit Schlimmeres. Wie immer 
Schuld oder Unschuld bei solchen Ehedissidieu verteilt Bein 
mag, so leiden unter ihnen stets beide Teile auch moralisch. 
Man wird erst in dem hauslichen Unfrieden, dann in den von 
Advokaten geführten Verhandlungen nolweudig kleinlich 
und schlecht .. Audi Siran LS ist. diesem Meu.selienlns in jenen 
trauHgHtfii Jahren seines Lebens nicht entgangen. Dali 
er leidenschaftlich war, wissen wir. Durch seine Leidenschaft 
hat er sich in den häuslichen Szenen zu manchem hinreißen 
lassen, waser naohhcrselbstnm meisten bereute. Dauer bitter 
und hart, unnachsichtig und unduldsam wurde, ist nicht zu 
verwundern; es entsprach seinem Charakter und es liegt in 
der Natur solcher Verhältnisse und lag in dem Anlaß dieses 
Zerwürfnisses. Aber es ist noch nicht alles. Seine Liebe ver- 
wandelte sich, wie schon gesagt, und je heiüYr sin gewesen 
war, nur um so mehr allmählich in Haß gegen die Frau, 
Über die er sich so gründlich getäuscht hatte und die ihn nun 
um Glück und Lehen bringen sollte. Dieser Haß fintiert sich in 
vertrauten Briefen oft genug in zornigen Ausbrüchen und pein- 
lich starken Ausdrücken. Und er machte ihn auch ungerecht. 

Kr sieht nicht* Gutes mehr an ihr und lüßt es nicht gellen 
wo er solches hfltte finden müssen. Selbst ihre Stimme klingt 
ihm widerwärtig grell; ihr rasches Sicheinleben in den Haus- 
frnuonberuf führt er auf Kitolkeit zurück; auf Schauspielerei 




Dio Ehe und ihre Lösung. 



m 



und die Absicht, ihn zu quälen, wenn sie spater die Sorge um ein 
krankes Kind an den Orl seines Aufenthalts treibt ; auf Bosheit, 
daß sie in Stuttgart wohnen bleibt, wo sie dooh durch Ge- 
sangs- und Deklamationsunterricht leichter als anderswo Geld 
verdienen konnte. Klein und kleinlich abur zeigte er sich 
in den Auseinandersetzungen Ober die Höhe der Subvention, 
die er ihr zu zahlen hatte. Über solche Dinge zu verhandeln 
ist für vornehme Naturen immer erniedrigend. Hier hatte 
er noch besonders gegen Oberspannte Ansprüche zu kämpfen, 
dagegen setzte »ich sein Gerechtigkeitsgefühl xur Wehre, 
und auch dem Vorurteil, daß er reich sei, mußte er 
entgegentreten. Und ein guter Rechner war er ja, Kauf- 
mannshlut floß in seinen Adern. So ist Strauß immer 
mehr in den zuerst von seinen Züricher Gegnern auf- 
gebrachten Ruf des Geizes gekommen, der in Wirklich- 
keit ganz unberechtigt war. Er hatte Grund, aufs Geld 
zu sehen, zumal in solchen unklaren Verhältnissen, er 
war auch in Geldsachen unpraktisch, ganz besonders un- 
praktisch dem Leben und den Bedürfnissen einer allein- 
stehenden Frau gegenüber, die er nach dem Maßstab seiner 
Junggesellenwirtschaft bemessen und befriedigen zu können 
meinte. Abergeizig — wir wiederholen es nocheinraal — geizig 
ist er nicht gewesen, das zeigt sein Verhallen gegen den Bruder, 
gegen Freunde, gegen die alte treue Karoline, von der wir noch 
hören werden. Natürlich hat er unter diesem üblen Ruf schwer 
zu leiden gehabt. Zumal da er seinen Gegnern höchst will- 
kommen kam, die überhaupt dieses ganzo Kholeben und Ehe- 
zerwürfnis weidlich gegen ihn ausbeuteten: so mußte es ja bei 
vmem solchen Menschen kommen I Auch von Bekannten 
nahmen in dem Konflikt einzelne Partei für die Frau, na- 
mentlich in Hf-ilhronn, wo sie durch ihre Stimme und ihre 
schauspielerische Liebenswürdigkeit viele für sich gewann. 
Daß auch Justinus Kerner, dieser schlechte Menschenkenner, 
auf ihre Seit* trat, hat ihm Strauß lange Zeit verdacht, 
von ihm hat M ihm ganz besonders wehe getan. 



m 



Sechstes Kapitel. 



Die einzig wirkliche Schuld aber besteht Joch nur durin, 
daßerAgnesSchebestgeheiraletund sie damit aus ihrer Sphäre 
und aus ihrem Itaruf herausgerissen und seinem Leben einge- 
pflanzt hat , für das -.h' schlechterdings kein '1 alrnt besaß, und 
daß er auf alle die tarnenden Stimmen, die ihm sein Dainioruon 
in der eigenen Brust zuflüstert«, und die Freunde und Ver- 
wandte so eindringend erhoben hatten, nicht hören wollte 
Aber ist das Schuld oder nicht viel mehr Nichtandorskonnen ? 
Gewiß war es zum Teil Selbsttäuschung. ..Kunstbegcistcrung 
und Liebe" waren nicht bloß „eins'*, er verwechselte auch 
jene mit dieser; und außerdem spielten Trotz und Eitelkeit 
mit. Je mehr man ihn warnte, desto mehr versteifte er 
sich darauf: er, der Aii^nnhmemenHch, durfte auch in der 
Wahl seiner Gattin nach einem Ausnabmewescn greifen, er 
jubilierte, daß es ihm gelungen sei, die Liebe eines so viel- 
hegehl'leli Weibes tu niiii;;ui, \ln-r \s.i- will ij<,<h da- 
alles gegen die Macht des Eros, von dem Sophokles in der 
Auligoue gesagt hat: 

Bros, uube/wuiigen im Rumpf, 

Eroe. cltir auf dir BcuU: sich stQnt,... 

Niemand kann Dir entrinnen, 

Ki-iii C'naterblii'tii.T. keiner 

Aus der Mensehen TagesgeschleeM. 

Wen Du faUt, der rasot; 

Reißest auch des gerechten Manns 

Sinn zu krankender Unbill fort. 

Dieses Schicksal hat sich auch an Strauß vollzogen. 
Nachdem ihm der Menschen II. iß die eine Halft» seine« 
Lebens verkümmert hat, hut ihm der Liebe Verblendung dio 
andere Hallte und damit das ganze Glück seines Lebens 
grausam zerstört und vernichtet. 

In dieser ganzen Zeit ist Strauß nach außen hin völlig 
verstummt, nur die geschäftige Fama trug seinen Namen 
in die Welt hinaus und gab du- zerpflückten BhUtchon 
seinen Hufes unbarmherzig den Winden preis. Von 1842 
bis 1847 ist so gut wie nichts von ihm gedruckt worden. 




Di* Ehe und ihre Lteong. 



BN 



Daran war zuerst das „Schlaraffenleben" der oralen besseren 
Zeil seiner Ehe, dann das mehr und mehr zur Hülle werden 
dieses Zusammenlebens, war. wie rr sagt, da» unselige 
Weibschuld. Denn um tu schreiben, mußte er, wir wissen« 
in Stimmung sein, und seine Stimmung war nicht frei und 
frisch genug, um sich au eine größere Arbeit zu machen, jetzt 
erst war er ganz wund, war lebensüberdrüssig und todesmall. 
Und doch hat er in diesen Jahren geschrieben, — die Briefe 
un MfaM Freunde. .Nur in der allerd unk eisten Zeit stockte unter 
eifersüchtigen Augen der Krau auch diese Schriftsteller' i 
seinst mit Rapp hat er um ihretwillen eine Zeitlong die Korre- 
spondenz aufgegeben- In seiner schweren llerzensnot gab 
>Iiim sonst, von dieser kurzen Unterbrechung abgesehen, 
ein Gott — nichi bloß in gelegentlichen Versen, die doch 
erst seit S848 reichlicher fließen, sondern vor allem in der 
Form des Briefe« zu sagen, wie er leide. Damals ist Strauß 
der Briefschreiber Allerersten Ranges geworden, wie ihn 
au* den von Zeller herausgegebenen ,, ausgewählten Briefen" 
seit 1895 auch die Fernstehenden kennen und wie er reiche! 
noch und virtuoser in der Masse der unveröffentlichten Brief«: 
mir täglich neu entgegentritt. Denn das Intimste und das 
Individuellste ist natürlich nicht für dieöffentlichkeit geeignet, 
und doch zeigt sich gerade darin seine Kunst auf ihrer höchsten 
Höhe. Das „pectus facit diserlum" gilt auch hier: da ist er in 
Stimmung, Zorn und Haß, Qual und Pein machen ihn wahr- 
haft beredt und beflügeln — außer etwa in Stunden uller- 
tiefsler Niedergeschlagenheit — seine Feder. Vor allem 
ersehen wir uns den Briefen, wie wunderbar er su individu- 

[alisieren versteht. Mflrklin hat er einen Charakter. Hnpp eine 
Natur 1 ) genannt; und so gibt er sich auch brieflich jenem 
gegenüber -- natürlich ganz unwillkürln li - gehaltener und 
(Drul 
bursc) 



*"i Es ist ein fest groteskes MiOvorsiandnls, wenn K. Hermann 
(Deutsche Revue, September 1908) Rftpp einen „echten Natur- 
burschen" nennt 



400 



Scchsu* Kapitel. 



maßvoller, diesem offenbart er sich in der ganten Zügellosig- 
kitit und Leidenschaftlichkeit seiner Natur. 

Daß aber Strauß in dieser intimen Weise Freund sein 
und Freunde sich gewinnen und sie ein Leben lang festhalten 
konnte, dos war in jenen dunklen Stunden, in denen ihm so 
oft der Wunsch über die Lippen gabt, bald sterben zu dürfen, 
der letzte Rest von Glück. Wenn ein sittlich so hochstehender 
M;mn wie Christian Märklin ihm treu bleibt auch über diese 
böseste Zeit hinweg, so ist das das beste Zeugnis dafür, daß 
sich Strauß auch damals nicht verloren hat und daß sich auch 
für ihn. wie für seinen Freund Vischer, das Sittliche doch immer 
wieder von selbst verstand. In dem Lebens- und Charakter- 
bild, das er wenige Jahre spater von Märklin entworfen hat. 
hat er diesem, ohne Worte darüber zu machen, auch dafür 
gedankt. Den nnderen Getreuen, Rapp, damals Pfarrer in 
Enslingen, später in Mönkheim bei Schwfibiseh-Hall, haben 
wir oben aus seiner Hochzeitsrede kennengelernt und lernen 
ihn aus den Briefen von Strauß in allen Falten seines 
Wesens kennen. Die Summe seines äußeren Lebens hat 
Strauß in dem schonen Brief zu seinem fünfzigsten Ge- 
burtstag, am 10. Januar 1856 1 ), selbst gezogen; der 
Schluß wenigstens soll hier eine Stelle finden: „Du feire 
dein Fünfzigjahresfesl, wie es ein Glücklicher feiern soll. 
Die Natur, der du treu warst, hat dich gesegnet, und die Sitte, 
der du mit freiem Sinn huldigtest, den Gaben der Natur ihre 
Weihe verliehen. Du hast Freuden genossen und Leiden zur 
Erweiterung und Befestigung deines Wesens verwendet, 
Du hast Frau und Kinder, liebe Sorgen, schöne Hoffnungen, 
hast Freunde, die dich heben und achten. Unter anderen den- 
jenigen, der nur mit dem Leben aufhören wird zu sein Dein 
D. Fr. Strauß." Dieses Wort hat sich bewahrheitet. 
^ J Neben diesen beiden Getrouosten standen aus der 
Studentenzeit Vischer und Knferle, wahrend andere. 



') Abgedruckt ab Nr. 326 der „Ausgewählten Brie!«'*. 




Die Ehe und ihre Lösung. 



401 



wie Binder, ohne besonderen sichtbaren Grund allmählich 
gegen die Peripherie hin zurücktraten, ohne doch auf- 
zuhören, Freund» zu sein. In Heilbronn erneuerte M 
die Beziehungen zu Kauffmann, einem LudwigaLurger 
Jugendfreund, doch tritt er in gemessenem Abstand 
hinter den beiden Intimsten 7urü>k. tlber ihn lasse ich 
Strauß selber das Wort 1 ): „Seine ästhetische Bildung und 
geselliger Humor zogen mich zu ihm hin. In den dreißiger 
Jahren fing ich hierin eine unangenehme Vcrßndening zu 
verspüren an; statt von Goethe oder Tieck sprach Kauffmann 
von Politik; der sonst so wohlgemute und wohlwollende 
Mann fing über Forsten und Heamte, Ober Gott und Well zu 
schimpfen an. Ich mied seine Gesollschaft, die mir zu behagen 
uufgchOrt hatte. Bald brach der Schaden auf. Die Koserilz- 
sche Verschwörung 2 ) kam an den Tag, und es zeigte sich, 
daß Kauffmann. für sich als reine Künstlernatur ohne poli- 
tische Ador, aber sehr bestimmbar von außen, von seiner Um- 
[ gebung, sich wenigstens zurMitwisserschaft an jenen hirnlosen 
Anschlägen hatte nußbrauchen lassen. Er wurde suspendiert 
und prozessiert, doch einstweilen gegen mäßige Kaution frei- 
gelassen. Die hier ihm gewordene Anschauung des boden- 
losen Treibens und der dummen oder schlechten Gesellen, 
mit denen er sich allzu vertrauensvoll eingelassen, wirkten 
jetzt als wohltätigste Krisis auf Kauffmann. Er wurde selbst 
184S und 49 nicht mehr rezidiv. Während meines Verban- 
nungsjahres in Ludwigsburg vom Herbst 1835 an waren wir 
tagliche Gesellschafter. Eines Mittags wollte ich ihn abholen, 
fand aber die Türe gesperrt. Endlich öffnete man mir. 
Kauffrnunn war früh morgens auf den Asperg geführt worden. 
Nach mehreren Wochen wurde er gegen bedeutend höhere 
>) Brief an FUpp vom V). Februar 1857, kurz nach Kauft*- 
tnunii" Tod« gnschriubrii. 

') Ein* Abxweigung flY-s Frankfurter Putsche* vom 3. April 
1833 und ebenso sinnlos wie dieser; ihr Führer sollte dor Leutnant 
v. Koseriti in Ludwigsburg sein. 




402 



Sachet« Kapital 



Knution wieder auf freien Fuß geaeLzl; seine Haft. die auf 
i'/j Jahre festgesetzt war, wurde ihm nach *U Jahren im 

Gnadenweg» erlassen Ihe NaehmRtege, »In- i li l»'i ihm auf 
dorn Asperg eubrai hu-, gehören W meinen heitersten Kr- 
lnuerungcn. Er halle mein Klavier bei stdi, und mehrere 
seiner sr.hiWi ii'u l.i.'ii.i' wurden auf dem A>pefg komponiert. 
Nnch seiner Entlassung wurde er huld in Heilbronn (ab Renl- 
lehrer) angestellt. Daß ereine durchauskunstlerhicheundzwar 
mmnknIUolm Natur war, liegt vor Augon. Man kann rieh ihn 
trefflich alt Kapellmeister denken, K* war nber doch merk- 
würdig, wie in seiner Natur da» Mathematische dem Musi- 
kalischen da* Gleichgewicht hielt. Die bürgerliche Grund- 
lage, die ihm das erstere gewährte, war ihm um so w -illkom- 
ni."n«'r. da sie ihm zur Musik ein ganz freies Verhältnis Übrig 
ließ I ue Musik war ihm um ho lieber, da er niehl i?en<Migt WJ r 
jurab sie Geld tu verdienen. Und dann war eine hitrgerlichc 
Solidität und Ehrbarkeit in Kau [f mann. <Jie doch eher im 
Lehrer der Malheiiuilik als im Musikus vmi l'mfessmn ihre 
Darstellung fand. Auch die it&rmisohe Leidensehal'ilichk *il 
eines solchen fehlte ihm; er war eine durchaus helle. In-: 
\nlur. Und wie liebenswürdig war Kn -iffm.inn als Gast. 
Wie anspruchslos fand er sieh in jede fremde Lebensart und 
Hausordnung. Wie liebenswürdig auch in der Ausübung 
aninea musikalischen Talents, wie entfernt von Kitelkeil und 
Ziererei; niemandem drang er es auf, nbrr auch nie liefi er 
sich vergeblich bitten, wenn man etwas von ihm hoien wollle. 
Was erden Mrtdchen und Frauen war, werden diese am besten 
wissen, und es ist eine zarte Aufmerksamkeit des Schicksals 
für ihn gewesen, daß es ihm in den letzten Stunden nuch eine 
begeisterte Vertreterin «einer Anhängerschaft unter diesem 
Geeühleoht zuführte." Natürlich hatte Kauffmann aurh an 
Agnes Schebest seine Freude, -ie sang seine Lieder, er bc- 
gleiteteiie orn Klavier und führt« wohl auch eine iuu-ikalMr|ir 
Schnurre mit ihr auf '). Die Oper zu komponieren, zu der ihm 

») Awwewnhltr Bflell Nfc IM. 



Die Ehe und ihn* 1*<Mung> 



403 



Strauß das Libretto gedichtet, hatte er freilich nicht die Kraft. 
Im Konflikt zwischen den beiden streitenden Mi y Mjw 
aber haben er und »eine Frau Strauß die Treue gehalten 
und sich fraglos aul seine Soite gmtcllt. 

Neben den anderen Heilbrunner Krcunden, dem schon ge- 
najintenGymnasialprolessor Schnitzer, dem Mediziner Sicherer 
und dein Kaufmann Künzcl, von dunen gelegentlich noch 
zu roden sein wird nenne ich hier nur noch Eduard Zellcr, 
damals in Tübingen, in dem Strauß nicht bloß den Gelehrten 
bewunderte und dos Gesinnungsgenossen sich freute, sondern 
der ihm gerade in dieser Zeit auch menschlich immer naher 
getreten ist und ihm bei seinen Besuchen durch die völlige 
I iiliitfnrigenlieil seinen ehelichen Mißhelligkeiten gegenüber 
innerlich wohl getan hat. An Vischer schreibt er unmittelbar 
nach der Auflösung seiner Ehe über ihn (im August IS'16): 
„Ich bin ihm unendlichen Dank schuldig in Bezug auf mein 
bisheriges eheliches Verhältnis. Er ist der einzige, dessen 
angehscher Natur es gegeben war, auf diesen Kohlen ohne 
Schmerz zu gehen; er allein ging bei uns ein und aus, wie 
wenn er nicht anders wüßte, als daß alles zwischen uns gut 
stehe. Dies, daß es doch einem Menschen in unserem Hause 
v. >ld war, hat auch mir unendlich wohlgetan; es stand auch 
wohl, solange er da war; weil er es zu glauben schien, glaubten 
auch wir es, und so rechne ich die Tage, die er bei uns zu ver- 
: «lnodenen Zeiten zubrachte, zu den wenigen Oasen dieser 
Wüste. Sag ihm, wieinnig lieb er mir dadurch gewordensei, 
und wie ich dies nicht ohne die tiefste Rührung schreibe. 
In ihm, in der Erinnerung an die Art. wie er sich bei 
uns gab, lebte für mich diese Ehe idealisch, wie sie hatte 
sein sollen, bisher fori; mit dem ersten Wort, daß ich 
iln i die Wirklichkeit gestehe, zerfließt für mich (denn er 
mußte das Wahre längst wissen) dieser Zauber. Ja, als 
«ine Natura angulica hat er sich in dieser Sacht» bewahrt, 
und wenn wir zuweilen geneigt hind, da* Mangelhafte, wa . 

ie solche Natur hat, hervorzukehren, so habe ich zu- 



404 



Sechste« Kapifc!. 



gleich das volle Gefühl des Höheren bekommen, welches 
darin legt, und das uns fehlt." 

So hielten ihn in dieser bösen Zeit die Freunde. Und 
den anderen Halt fand er in der Arbeit. Denn damit stand es 
bei weitem nicht so schlimm, wie er es selber in seinen Briefen 
dargestellt hat, wenn er sich einen Müßiggänger und Tagedieb 
schilt, vor dein seine Frau schon deshalb keinen Respekt 
bekommen könne, weil er auf der Bärenhaut liege und 
ein Schlaraffenleben führe. Er hat m jener Zeit von 
1842 bis 1847, außer ganz wenigen Kleinigkeiten, nicht* 
drucken lassen, das ist richtig. Nicht richtig aber, oder doch 
nicht vollständig ist, wus er in den , .Literarischen Denk- 
würdigkeiten* 4 ala einzigen Grund für dieses Verstummen 
anführt: „Meine Heirat", heißt es da, „brachte meine Schrift- 
stellern zum vollkommenen Stillstand. Während der vier- 
jährigen Dauer meiner Rh« habe ich nichts, kein Buch, luillfl 
Abhandlung, keinen Aufsatz geschrieben- Von den furcht- 
barsten Fragen der eigenen Existenz bedrängt» wie ich jene 
ganze Zeit über war, lagen mir die wissenschaftlichen Fragen 
fem; so fern, wie dem Schiffbrüchigen, dem das Wasser bis 
ans Kinn geht, die Sorge für die Bewirtschaftung seiner 
Güter am Lande." Aber allein und an allem war in diesem 
Fall doch nicht die Frau schuld. Mit dem Leben Jesu und 
der christlichen Glaubenslehre hatte Strauß das Beste 
gegeben, was er damals zu geben hatte, er hatte aber auch 
alles gegeben, was er in jenem Augenblick besaß. Mit der 
Theologie war er vorläufig fertig, und überdies die Theologen 
wollten nichts von ihm haben, das zeigte ihm die Aufnahme 
oder Nichtaufnahme seiner Glaubenslehre. Sie hatten ihn 
ausgestoßen aus ihren Reihen, so glaubte er auch mit ihnen 
fertig zu sein. In jenen Jahren des Hasses fing er an sie 
wirklich zu hassen, wie er sein Weib haßte oder zu hassen 
glaubte. Diese beiden hatten ihm sein Leben verpfuscht und 
vergiftet, halten ihn wissenschaftlich und menschlich heimat- 
los, beruflos, glücklos gemacht. Nun hatte er aber doch nur 




Du Eht und ihre Lteuog. 



4ÖÖ 



Theologie grundlich studiert, da allein hatte er stetig weiter 
produktiv sein können. Darum hatte er zunächst überhaupt 
keinen Beruf, keine Aufgabe, keinen Stoff mehr, auch nicht als 
Schriftsteller. Beruf und Aufgabe mußte er sich erst schaffen, 
das hieß: er mußte auls nuue studieren, mußte etwas lernen 
und Stoff sammeln, ehe er weiter schreiben konnte. Einst- 
weilen war er wirklich in ollem anderen als in der Theologie 
ein bloßer Dilettant, und ein solcher hat „kein Recht zum 
Schreiben!" Darin ließ er sich auch durtdi das Zureden der 
Freund«, I, B. Vischers nicht irre machen, so recht diese von 
ihrem Standpunkt aus hatten, ihn immer wieder zur Arbeit 
zu treiben. Denn daß er es Ernst nahm mit dem Schrei!" B 
und nur aus der Fülle des Wissens heraus das Wort ergriff 
als Herr über die Sache, über die er schreiben wollte, das hatten 
seine beiden großen Werke, dächte ich, doch deutlich gezeigt. 
Ein solches Nacharbeiten und Storfsammeln wnre somit 
auch notwendig gewesen, und eine Pause wäre in seiner Schrift- 
stellerei nach 1841 fraglos auch dann eingetreten, wenn er 
tu jener Zeit in glücklicher äußerer und innerer Verfassung 
gewesen wäre. Nur wäre er dann wohl rascher damit 
vorangekommen, und Lernen und Schreiben wären vielleicht 
mehr Hand in Hand miteinander gegangen. 

So finden wir ihn denn in den vierziger Jahren nicht 
müßig „auf der Bärenhaut liegend", wie er klagt und sich 
anklagt, sondern rezeptiv tatig, mit vielfacher Lektüre eifrig 
beschäftigt. Das ästhetisch-literarische Interesse, das — man 
denke noch einmal an die Streitschrift gegen Menzel — immer 
schon dem theologischen zur Seite gegangen war, und das 
musikalische, das durch musikalische Freunde, durch Vatke 
und Knuffmann and dann vor allem durch die Kunst seiner 
Frau geweckt und genährt worden war, traten immer be- 
stimmter hervor. Dazu gesellte sich die Geschichte, die ihn 
als solche und in ihrem Zusammenbang mit der literarischen 
Entwicklung unseres Volkes lebhaft ansprach und anzog. 
Und so las er und las er in jenen Jahren, vielleicht nicht 
t\ z*jw, d rk. su«a ii. 27 



406 



ö*chi t es Kapitel. 



strrng systematisch, de an er war ja keine. Gelehrlennalur, 
sondern von Büchern, wie es eben kam und wessen er, fern 
von einer größeren Bibliothek, gerade habhaft werden 
konnte, über mit deutlicher Absicht auf literarhistorische 
oder auch rein historische Arbeiten hin. Ich nenne 
unter dorn vielen nur Niebuhrs römische Geschichte: 
..Der Mann ist ein Koloß von Gelehrsamkeit, aber 
dabei mit einer Schwerfälligkeit geschlagen, die den ge- 
duldigsten Leser umbringt"; Schlossers Geschichte des 
18. Jahrhunderts: „ein treffliche* Buch, es ist ein Stück 
Tacjtua in dem Mann, nicht die höchste Art der Geschicht- 
M-.iiiviiiiin,', nbüi Bio boahftofeUMm Moms&I in ihr"; Dabft- 
mnnns Geschichte der englischen und der französischen 
Revolution: ,, gewandt, aber flüchtig und nicht immer 
treffend entworfene Skizzen"; von Freund Zeller die 
Philosophie der Griechen und von Freund Vischer die An- 
fange seiner Ästhetik; dagegen fand er in Schleiermachers 
Ästhetik „viel Geglucks und wenig Eier". Gervinus' Ge- 
schichte der deutschen Dichtung liest er von hinten herein 
und ,,hal nun doch Respekt davor: er kann nicht gerade 
ein besonders feines ästhetisches Sensoriuni bei dein Mann 
finden und gegen Philosophie ist er eingenommen; aber der 
Vorteil der historischen Betrachtung, wo jede Figur an 
ihrem Ort und in ihren genetischen Verhältnissen steht, 
ergänzt den Mangel". In der Kunstlekture, mit der er es 
auch versucht, findet er dagegen „eine mißliche Antinomie: 
hat man die Gemälde, die einer beschreibt, noch nicht ge- 
sehen, so versteht man die Beschreibung nicht; sieht man 
das Gemälde vor der Beschreibung, so versteht man das 
Gemälde nicht" Auch Naturwissenschaftliche« fehlt nicht; 
so finden wir Alexanderv. Humboldts Kosmos, Schuberts all- 
gemeine Geschichte des Lebens und Ritters Erdkunde gelegent- 
lich erwähnt. Aber am liebsten greift er doch nach den 
Dichtern, neben den Alten, denen er immer die Treue be- 
wahrt, nach den neuesten Gutzkow und Laube, Heine und 



Die Ehe und ihre Lösung 



407 



Herwegh, wobei er Heine gegen Vischer in Schul/ nimmt 
und ihm selbst seine Eitelkeit eher verzeiht ab einem Path*- 
tiker wie Herwegh. Dann kommen die Romantiker an die 
Reihe, fön die er in aller Abneigung von früher her 
«ne Art von Faible, in seinem wohlbegrtlndeten Unß doch 
ein Stück Liebe gehabt hat, das ihn diese wunderlich schil- 
lernde Gesellschaft so gründlich und fast kongenial hat 
verstehen lassen. Auch das Schicksal der Günderode und 
Bettinas ..Dies Buch gehört dem König" hat ihn interessiert, 
das letalere freilichschien ihm „ein verunglücktes Produkt; das 
Dozieren und Philosophieren steht der Verfasserin schlecht". 
Und endlich geht es natürlich weiter rückwärts zu Goethe, 
der ihm unter den Neuen doch immer der Allererst«) und 
Allerhöchste gewesen ist; zu Hamann und Rousseau, der 
ihm mit Recht, aber einstweilen noch ohne nähorc* Kennt- 
nis des anderen, als „ein ungleich tieferer Geist als 
Voltaire" erscheint; und von ihm dann wieder nach vorn 
zum Sturm und Drang, wozu auch Schubart gehört. Von 
diesem hat er seit 1843 auch schon Briefe. Das könnte 
uns ja mit einem raschen Schritt weiter fuhren. Aber wir 
sind noch nicht so weit. Einstweilen ruft er noch klagend aus: 
Mir fehlt jetzt nichts als ein tüchtiges Geschäft, aber wo 
das hernehmen?" Nur das wollen wir uns merken, daß 
<ir schon im Dezember 1842 Vischer fragt: „Weißt Du mir 
keinen Helden für eine Biographie? So was würde mir 
nicht übel passen jetzt zu schreiben.' 

Einstweilen handelte es sich nur um den Nachweis, daß 
Strauß in all der Zeit nicht müßig gewesen ist, sondern eifrig 
beim Studieren und beim Einsammeln war. Aus der Fülle 
des Gelesenen und gleich auch kritisch Verarbeitelen habe 
ich ganz willkürlich einiges Wenige herausgehoben» um zu 
zeigen, wie weit er in seinen Studien ausgrifT und nach 
welchen Seiten hin er Umschau hielt. Sein ..Gelüsten 
nach einem weiteren Lileraturgebiet" als dem theologi- 
schen hat er damals, vorläufig einmal rezeptiv, befriedigt. 




408 B©cb*tea Kapitel. 

So stand er, wenn auch nicht müßig, am Markte und 
schaute sich nach Arbeit um. Aber ehe er noch recht dazu 
kam, auf Gebieten, die ihm lagen, frei und innerer Neigung 
folgend sich zu betätigen, kam ein Anstoß von außen, der 
sein auf der Sandbank der Ehe gestrandetes Lebensschi fflein 
mählich wieder flott machte, diesem aber zugleich eine neue, 
Strauß vielleicht fremde und persönlich kaum ganz zusagende 
Richtung gab : — es war die Politik, die ihn in ihre Strudel riß. 



Siebentes Kapitel. 

Strauß als Politiker. 

Es ist nicht ganz richtig, wenn wir oben mit Strauß 
selber gesagt haben, er sei von 1841 bis 1847 gftnz ver- 
stummt. Eiuigo Male ergriff er in der Öffentlichkeit doch 
das Wort. Es war zunächst aus Anlaß des Vischer-Handels 
in Tobingen. Als dieser zum ordentlichen Professor ernannt 
am 21. November 1844 jene temperamentvolle Antrittsrede 
lielt, die äußerlich schon ein keckes sich Hinwegsetzen be- 
deutete über akademischen Brauch und akademische Würde 
und inhaltlich eine schroffe Kriegserklärung war gegen seine 
Feinde, insbesondere gegen die Piotisten seiner schwäbi- 
schen Heimat, denen er „einen Kampf ohne Rückhalt, volle 
ungeteilte Feindschaft, offenen, ehrlichen Haß" versprach, 
da nahm Strauß an dem Schicksal des Freundes tiefinner- 
lichen Anteil. Ob es den Gegnern gelingen werde, ihm daraus 
den Strick zu drehen, und ob die würltembergische Regierung 
auch hier wieder schwach und nachgiebig sich zeigen werde, 
wie einst bei ihm, diese Frage geht in den Briefen jener 
Wochen hin und her. Jetzt konnte er den Freundschafts- 
dienst vom Leben Jesu her vergelten und seinerseits 
Ober Vischer den Schild halten. Anfangs zwar schreibt er: 
..Gitiil- möchte auch ich Dir in der Sache dienen, wüßte 
ich nur, in meiner Entfernung vom Schauplatz, wodurch". 
Aber bald laßt *s ihm keine Ruhe; oder vielmehr die Frau 
ließ ihm keine Ruhe; sie sagte, es sei nicht genug, daß 
einer recht habe, man müsse ili-n Publikum auch sagen, 



410 



Siebente» Kapitel. 



daß er es habe" Und so schickte er der Kölnischen Zeitung 
einen Artikel, ,,der gar nicht verfänglich war"; sie nahm 
ihn über nicht auf. Anders der Stuttgarter Beobachter, 
an den sich Strauß — als an „das einzige Blatt, auf da» 
mau sich verlassen kann". — daraufhin wandte. In ihm 
erschienen zwei, freilich von der /.eiisuc I eil weise arg \< i 
sltimmelte Artikel von Strauß zugunsten Vischere, der zweite 
mit dem Motto: ,.Der Pietismus hält es mit dem Ärgernis 
wie der Mattheus mit dem Eis: hat er keina, so macht er 
eins*' 1 ). FurVischer fand er hier das gute Wort: „ Jeder Zoll 
ein Ästhetiker, aber auch jeder Zoll ein Mann!" Natürlich 
konnten die beiden Artikel so wenig ala die vielen Auf- 
•-.,<i/c itadtehet Art in äderen Statten) u iw Buteoheldazif 

der Regierung etwas andern: Vischer wurde auf zwei lahm 
suspendiert, d.h. er bezog BOfaUO (Midi fort, durfte aber 
nicht lesen. Und nun mahnte Strauß den Freund — nicht 
etwa agitatorisch zur Fortsetzung des Kampfes, sondern 
zu ernster wissenschaftlicher Arbeit, in jenem Brief vom 
4 März 1845, der so charakteristisch ist für seine besonnene 
Art, wie wir sie ja uueh bei seinen eigenen Händeln in dem 
Ifthren 1835 — 30 kennen gelernt hüben und die bei dem leiden- 
schaftlichen Mann besonders bewundernswert erscheint 
„Wie ich Dich persönlich im Getümmel sah", heißt es da. 
,,da konnte mich'swohl fortreißen, daß ich mein alles Sohlach l- 
roß spornte, um Dich heraushauen «u helfen ; jetzt>da Du so weit 
heraus bist, daß Du mit Kühe selbst wieder Deine Maßregeln 
nehmen kannst, habe ich wieder abgezäumt. Im Ernst, 
ich glaube, es w&re nicht klug, jetzt bei veränderten Um- 
ständen den Kampf noch auf die gleiche Weise fortfuhren 
zu wollen. Fürs erste sollte jetzt, meine ich, eine Pause ein- 
treten, damit das Publikum uns nicht aus Übersättigung 
üb weint, ohne nur die Suche weiter zu uutersuchon. 



') Sprichwort auf den MatthDuitag (25. Februar): 
bricht's Bis; hat er keins, so macht er eins 



ftUttbou» 



fctatfß ab PoftUrtr. 



Alt 



E* Ut jrtrt sehr abwechalungBBÜchtig und bleibt nicht gern 
lange bei einer Materie. Für» andere sehen wir, daß der 
K unpf in Journalen und Umnchüren uns wenig gttfaoIf€II bat. 
Allein in der Kilo, mit der damals die Umstände drängten, 
blieb uns kein andere». Um so geeigneter sind jetzt die Um- 
fttfinde, diesen andern Weg einzuschlagen. Deine Ankläger 
haben zuletzt, und nicht ohne Eindruck bei der Behörde, 
die Wendung genommen, Dich so hinzustellen, wie wenn 
Du dem Niodersteigon in die Tiefen der Wissenschuft dns 
geistreiche Spiel auf ihrer Oberfläche vorzögest, ihren 
Ernst durch Witz, ihre Ruhe durch Leidenschaft trübtest. 
Du und wir haben gesagt: dem ist nicht so, die Gegner 
haben erwidert: o ja, und haben einzelne Stellen aus Deinen 
Schriften zum scheinbaren Beweise beigebracht. Jetzt 
kann nur noch das wirken, wenn Du ein zusammenhängendes 
Wrrlc ernster Wissenschaft der Welt hinstellst, vor welchem 
Deine Gegner verstummen müssen, und auf das Deine 
Freunde unter don Mnchthaborn sieh berufen kfaHSB. 
Ein MlefcoB wird Deine Ästhetik sein. Die wird wirksamer 
für Dich sprechen als alle Zeitungsartikel und Broschüren 
i'tiuor Freunde. Zugleich ist sie auch eine Rechenschaft, 
in welchem Sinne Du Dein Lehramt bisher gefuhrt hast. 
Und was sonst noch zu sagen ist, wirst Du in der Vorrede 
dazu — bis dahin selbst abgekühlter und mehr über der 
Sache stehend, Mkgttfl können. Damit will ich nicht sagen, 
daß bis dahin alles schweigen soll, oder auch nur ich schweigen 
wolle. Vielleicht gibt die Kammer, in der Römer 1 ) die 
Sache zur Sprache bringen will, Anlaß, noch ein Wort darüber 
zu sagen. Es wird eine saubere Verhandlung geben*). Hie- 



] ) Kriodrich Römer, 1794—1864. liberaler schwab? ulier Politik«-. 
1848 Mftrzmimtter in Stuttgart 

•) Wirklich hat Körner in der Kammer am SO. April 1845 diu 
Vischersche Angelegenheit zur ßprnche gebracht Daß dabei auch 
Gufttav Binder ab Abgeordneter von Ulm Gelegenheit halte, für den 
Kr, timi . iiixulri'H. ld hi r Uftdrtb kln i. boflMkl BbUMh dlt 



*1*. 



• . • . - • • ■ 



mit. lieber, bester Freund, habe ich Dir meine oft beachloasene 
Meinung nicht verhalten. Ks wnre mir leid, wenn Du darin 
nur den verstimmten Widerwillen gegen das Schreiben, 
der freilich in mir groß ist und einen starken Anstoß braucht, 
um für den einzelnen Fall überwunden xu werden, nehm 
wolltest. Es ist doch wohl auch etwas Vernunft darin.* 4 
Vischor hut den Rat befolgt, als „erste llauplfruoht seiner 
unfreiwilligen Muße" gab er 1847 den ersten Band seiner 
„Ästhetik* 4 heraus. 

Noch früher als seine Artikel im Beobachter erschien 
in Georg Herwegh3 „Einundzwanzig Bogen aus der Schweiz" 
(1643) ebenfalls ein gedruckter Beitrag von Strauß. Es 
waren politische Xenien. Politisch — ? Wie kam Strauß 
zur Politik? In Landern wie dem deutschen, wo Kirche und 
Staat so eng ineinander verschlungen sind und es damals 
noch mehr waren, als dies leider auch heute noch der Fall 
ist, muß, wer sich für theologische und kirchliche Krügen lebhaft 
interessiert, namentlich im freiheitlichen Sinn interessiert, 
notwendig politisch werden. Auch Eduard Zoller hat damals 
, • mige Worte Über die Bedeutung einer freien Theologie 
für das öffentliche Leben" drucken lassen. Wer aber so 
am eigenen Leib erfahren hat, daß der Staat sieh immer noch 
und immer wieder zum gefügigen Exekutor kirchlicher Bann- 
spräche hergibt, wie Strauß 1835, der vollends muß notwendig 
politisch liberal worden. Das setzte man bei Strauß zunächst 
einfach voraus und übersah darüber die andere Erfahrung, 
die er im Kanton Zürich mit einer radikalen Regierung 
und einem demokratischen Volk gemacht hatte, und die 
ihn schwerlich zu einem Freund des Radikalismus und der 
Demokratie machen konnte. So haben im Herbst 1&44 
die Stuttgarter Liberalen beabsichtigt, ihn „irgendwo in 



Prillat v. Mchring, von dorn wir noch hören werden, gegen die 
Zusammenstellung von Schleiermacher und VUcher mit den Worten 
protestierte: ,,mnn solle das Reine nicht mit dem Unreinen ver- 
mischen t" 



StrnuB *h Politiker 



413 



einem Oberami in die nächste Kammer wählen zu lassen;*' 
aber, fügt er in dem Brief an den Bruder, dem er das erzählt, 
beruhigt hinzu, „zum Gluck existiert ein Oheramt nicht, wo 
dies möglich wäre, und so kann ich ganz ruhig bleiben." 
Denn „was geht uns der Welllauf an ?•' fragt er den Bruder 
auch einmal und tut »ich damit selber schwer unrecht. 
Ihn kümmerte viel, was in der Welt vorging. Um des Bruders 
willen, der seil 1841 an einer Zuckerrafftnorie in Köln be- 
teiligt war, und den er dort in den vierziger Jahren öfters 
besucht hat. in dessen Geschäft er auch zeitweise einen Teil 
< iut«s Vermögens stecken hatte, interessierte er sich sogar 
für den Handelsvertrag mit Belgien Dieses politische 
Interesse verraten nun auch jene Vers« in Herweghs Bogen 
aus der Schweiz. Bei den Besuchen in Krtln hatte er die 
Arbeiten em dortigen Dom gesehen, den auszubauen eine 
d«r ersten Sorgen Friedrich Wilhelms IV. gewesen ist. Gegen 

.lirM-s (Juli Tic hrrt.n liclil.'t IT (Ulli |H^, \V (.■ 1 St ü HOi'.h 

einmal, seine Pfeile in den Xenien: 



Wie? ein &o frommes Werk befeindest Du? „Lasset die Toten 
Ruhen." Dieses allein nenn' ich ein frommes Gehet. 

Lolchen herausjuseharreu. die doch zu beleben die Kraft fehlt. 
Bei es ein griechischer Chor, nei ch ein christlicher Dom, 

IIhiO ich Hyäne ngesch&fL Wer, nach dem Gestern verlangend. 
Gegen das Heule sich kehrt, wird auch das Gestern entweih'n. 

In Württemberg ist es die* Verfassungssfiule auf dem 
Schloßplatz und sind es die Festivitäten hei ihrer Ein- 
weihung, die seine Satire herausfordern. In Bayern spottet 
er, wohl in absichtlich holperigen Versen, über den König, 
der den großen Mftnnern Deutschlands ein Walhall errichtet 
und Luther davon ausschließt: 

Halt) Du bi»t nicht gemeint 1 — ..Ich nicht ins Pantheon deutscher 
Zunge? Luther, der euch Deutschen die Zunge gelost!" 

Sieh" loh bin ein katholischer Füret — Du entschuldig»! mich »eltwt 

wohl — 
Und was dio Sprache betrifft, hab' ich von Dir nicht» g«l«rnt- 



414 



Siebentes Kapital. 



Aber am schärfsten wendet er sich schon jetzt gegei 
Priodrich Wilhelm IV. selber. Ihm gilt gleich da* oral 
Stachelepigramm : 

Manches Seltsame sah ich am christlich*» Hofe n Potsdam: 
über eines jedoch bin ich noch immer erstaunt 

Itunkt nur; nun ullmi I.fimlrrn vnrnc.hrii-b man nii)d»rrgitbriiniite 
Kenen um höheren Proi», als m»n für gsn«« beiahlt. 

Solchu nur sollen beleuchten den Hof — Ihr lächelt und glaubt'» 

nicht? 
Fragt nur Scbelling und Tieck, wie man dl« Stumpen dort 

•ohatit 

Also g8nz verstummt war er auch vor der Öffentlichkeit 
in jenen Jahren des Lernens und Sammeins und in jener 
scldimmen Zeit seiuer in die Brüche gehenden Khe nicht. 
Aber ee waren allerdings nur Kleinigkeiten, gelegentliche 
Äußerungen zu Tagesereignissen, wirklich nur Abfalle und 
Abschnipfel seines Geistes. Und solche Abfälle waren auch 
die kleinen Beiträge, die er zu den ,, Jahrbüchern der Gegen- 
wart" beisteuerte. Sie hatte Albert Suhwogler, dämm« 
eines der bedeutendsten Milgbeder der Daurschen Schule 
in Tübingen, der es aber nach gut württembergischer Sitte 
und Art als freigesinnter Gelehrter in der vormftrzhchcn 
Zeit nicht über den Privatdozenten hinaus, ja nicht einmal 
zum StifUrepotenten hatte bringen können, 1843 ins Leben 
gerufen und dafür natürlich auch auf die Mitarbeit von Strauß 
gerechnet. Nun endlich im Jahr 1846 stellte sich dieser mit 
einem ganz kurzen Beitrag ein, der freilich nlshald höchst 
charakteristisch ist und Sp&lerem ahnungsvoll prftludiert. 
Daß ..das Hauptwerk von Hermann Samuel fteimarus 
noch immer ungedruckt" sei, dem gilt seine Klage. Man 
sieht, dieser sein Vorgänger in der Leben- Jesu-Forschung, 
Theologisches also, interessiert ihn noch immer. Aber erst 
im nächsten Jahr, in dem er von seinem hauslichen Elend 
wieder etwas aufatmen konnte, nachdem das Tafeltuch 
zwischen ihm und der Frau zerschnitten war, soweit es 
sich eben zerschneiden ließ, fließt die schriftstellerische Ader 



Strauli als Politiker. 



415 



iilichor. Und jetzt sind es nicht theologische, sondern 
iaüieliflche und biographische Aufsätze, die er für die 
Jahrbücher bestimmt. Irn Aprilhoft erscheinen zuerst die 
„Ästhetischen Grillen* 1 . Es ist eine Klage darüber, daß 
unsere Maler nichts lieber als malende Maler, unsere 
Dichter am liebsten wieder Dichter malen und Bclnhiorn. 
Denn ,,wo ist unter uns Handlung, Tat im Großen? Ist 
es da ein Wunder, wenn dem Dichter bei seinen Schöpfungen 
statt Helden immer wieder Literaten und statt Schwerter 
Schreibfedern in den Weg kommen?' 1 Es ist dos gegen die 
Schriftsteller des jungen Deutschland gerichtet, werden wir 
denken, und wirklich — da» Urbild des Tartuffe und Laubes 
Karlsschuler dienen als Beispiele. Aber in Wahrheit gilt es 
vielmehr der Romantik; bei Tiecks „Dichterleben" und seinem 
„Tod des Dichtere", bricht e« los, „weil in diesen Arbeiten 
doch die Eitelkeit allzu widrig ist, mit welcher der Poet im 
Spiegelbild r sich selbst berüuehert, weil in ihnen jeder wahre 
Sohn der Gegenwart echte Produkte der Romantik erkennt, 
dieser Poesie der Poesie, die, zeugungsunfähig, mit sich selber 
buhlt, die, eigenen prophetischen Geistes bar, der gewesenen 
Propheten marklose Schatten durch tauschende KOnste für 
einen Augenblick heraufbeschwört.*' Nur darum und soweit 
tadelt er die Gutzkow und Laube, die er sonst als „Gleich- 
strebende" schätzt, weil und soweit auch sie noch das Prinzip 
der „inhaltsleeren, sich selbst bespiegelnden Subjektivität dor 
Romantik" nicht überwunden haben. Denn die Rumantik 
ist der Feind, ihr gilt dnr Kninpf; uml er k'-unt. .nv svn- \s. ■in;-. 
sie gekannt haben, und versteht sie, wie unsere Heutigen 
sie überhaupt nicht mehr verstehen 1 ). 

Politischer als diese ästhetischen Grillen war der im 
Augustheft erschienene Aufsatz „Zwei deutsche Märtyrer". 
Dereine von ihnen ist Ernst Moritz Arndt, dessen „notgedrun- 



») Es grhört «um Lustigsten, was mir lange vorgekommen, daü 
mich Ludwig Stein in seinen „ Philosophischen Strömungen der 
Gegenwart" 1 1 908) xu den Neuromantikern rechnet! 



416 



Sieben!« Kapitel 



gener Bericht aus seinem Leben", ebon damals erschienen, von 
zwanzigjähriger Verfolgung und Unterdrurkung zu erzählen 
hatte. Es ist ein Bild von dem Schicksal des deutschen 
Vaterlands selbst, das , .gleichfalls diese 20 Jahre verträumt, 
verspielt und vernebelt hat". Tragischer ist das Leben und 
Ende seines Landsmanns Friedrich List: auch dieses in seiner 
ersten Hälfte ein Bild von der Art, wie das Württemberg 
jener Tage mit seinen großen Mannern umzuspringen pflegte; 
hier spürt man dem Verfasser ordentlich an. wie ihn der 
GroO Über ähnliche Erfahrungen in der Heimat beredt macht 1 ). 
Aber auch die anderen deutschen Landsleute sind nicht eben 
freundlicher mit List umgegangen: als er ihnen aus Amerika 
..das Geschenk der Eiscnbahnon mitbrachte, hatte er Muh", 
sie zur Annahme desselben zu bewegen; das andere, das er 
ihnen noch zugedacht hatte. Schutz der einheimischen Indu- 
strie durch ein zweckmäßiges Zollsystem, weigerten sie sich 
beharrlich anzunehmen". Daß spater seine Vaterstadt Reut- 
lingen List ein Denkmal errichten und das inzwischen ge- 
gründete Deutsche Reich seine Gedanken über den Schutz 
der heimischen Industrie vor allem England gegenüber 
verwirklichen werde, konnte Strauß damals noch nicht 
ahnen. 

Sehen wir ihn in diesem Aufsatz auf politischen Buhnen, 
so ist der dritte der in diesem Jahr — im Juniheft der Jahr- 
bücher — erschienenen Aufsätze ein Nekrolog auf den ihm 
befreundeten schwabischen Dichter Ludwig Bauer, geboren 
1803, gestorben 1846. Es ist, wenn wir von dem den Fried- 
lichen Blattern beigegebenen Aufsatz über Justinus Kerner 
absehen, der erste oder also der zweite jener biographischen 
Skizzen! denen noch so manche folgen und aus denen dann 



*V) Dtttu c ' iri Wort von StatuB nus spaterer Zuit,*dnA iun.ir.h*t 
Eduard Zellftf galt: „Württemberg ist bekanntermaßen groOmutig; 
es überlaßt seine besten KOpfo gern anderen und nimmt für sich 
mit bescheidenen Größen des eigenen Gewächse«, Im Notfall mit 
Abtrag von auswärts vorllub." 



SUauß ah Politiker. 



417 



die biographischen Meisterwerk** herauswachsen sollten Von 
ihueu allen reden wir deswegen besser in einem beson- 
deren Kapitel. 

Also im Hintergrund noch immer die Theologie — der 
Artikel über Reimarus — , im Vordergrund Ästhetik und 
Politik; das zeigt uns, wohin die Fahrt gehen wird, und es 
ist nur die Frage, welches von den drei Gebieten ihn zuerst 
habensoll? Es war die Politik. Denn Ende Augustdiesesselben 
Jiilirt's, IS',, ■!■ ■■ :, n>u: Srhrift Jtnr iU<riiantiker auf 
dem Throne der Cäsaren oder Julian der Abtrünnige". Die 
Arbeit war wiederum für die Schweglerschen Jahrbücher 
der Gegenwart bestimmt; als er sie aber den Freunden in 
Heilbronn vortrug, redete ihm Marklin zu. sie als besondere 
kleine Schrift zu veröftentlicheii und ihr die Form des Vor- 
trags zu geben oder zu belassen, den sie bei dieser Vorlesung 
angenommen hatte. So folgt in der Reihe der Schriften 
chronologisch auf die christliche Glaubenslehre der Julian. 
Das Erscheinen halte sich etwas verzögert, weil die wflrttem- 
bergische Zensur erst alle auf die Gegenwart bezüglichen 
Stellen gestrichen hatte, so daß der Druck nach Heidelberg 
verlegt werden mußte, wo die badische Zensur keinon An- 
stand erhob. Auch das aufs neue ein Beitrag, wie engherzig 
und schikanös sein Heimatland auf jedem Punkte mit 
Strauß VfiTiilnvii ist. 

Aber warum hatte der Zensor Bedenken ? Konnten sioh 
denn in einer Schrift über einen römischen Kaiser des vierten 
Jahrhunderts Stellen finden, die sich auf dieGegenwart bezogen 
und in dieser Anstoß erregten ? Schon der Titel kann uns 
die Antwort geben. Die Romantik war auch hier wieder der 
Feind, die Romantik, wie sie damals am übelsten verkörpert 
war in der Person des preußischen Königs Friedrich Wil- 
helm IV. Hei ihm hatte die von Novalis aufgebrachte Fabel 
von der gottgewollten Zusammengehörigkeit von Thron und 
Altar ein gläubiges Ohr gefunden, er regierte den Staat 
und nicht zum wenigsten auch die preußische Kirche nach 



418 



Siebentes Kapitel 



dieser Formel. Wenn es gelingen sollte, da* kompliziert* 
Wesen dieses geistreichen Dilettanten auf i-iucii Begriff zu 
bringen, so konnto ea wirklich kein anderer sein als der des 
Romantikers. Nun war in Strauß, dem Landsmann von Paul 
Pfixer, schon damals die richtige Witterung, daß Preußen dar 
Staat Her Zukunft sei und ihm die politische Fuhrerrolle in 
Deutschland zukomme, daß also von ihm das Glück oder 
Unglück unseres Volkes abhänge. Jene romantischen Ten- 
<lenzen des preußischen Königs sah Strauß somit für ein 
ellgemeines deutsches Unglück an. Deswegen haßte er ihn, 
soweit mau etwas Kraftloses hassen kann, und deswegen 
griff er, kaum daß er aus seinem häuslichen Elend einiger- 
maßen aufgetaucht war, zur Feder, um gegen ihn und seine 
Art zu regiereu Protest zu erheben. Er tat dies in einer 
eigenartigen Form: er schrieb eine Schrift Aber den 
römischen Kaiser Julianus Apostnta. Das war der Roman- 
tiker auf dem Throne der Cäsaren; von ihm handelte die 
.Schrift, gemeint aber warder Romantiker auf dem Throne 
Preußens, König Friedrich Wilhelm IV. 

Es ist zunächst eine durchaus gelehrte Schrift, im 
kleinen ebenso gelehrt wie im großen das Leben Jesu oder 
die christliche Glaubenslehre; und so ist sie denn auch 
rein wissenschaftlich das Beste gewesen, was bis dahin über 
diesen merkwürdigen Mann geschrieben worden war. 
Sie war aus den Quellen herausgearbeitet und darum 
auch reieidich mit gelehrten Verweisungon, griechischen und 
lateinischen Zitaten versehen. Sehr fein ist namentlich die 
Beurteilung der bisherigen Beurteiler Julians. Daß ein 
anderer gemeint sei als der, um den es sich nach dem Titel 
handelt, oder um mit Strauß in einem Brief an Märklin zu 
reden, daß der Sack geschlagen wird, um den Esel zu treffen, 
das wird natürlich nirgends ausgesprochen, wohl aber für 
die damaligen Leser — wir sind daran seit Mommsen ohne 
alle Hintergedanken gewöhnt — zunächst dadurch ange- 
deutet, daß moderne Ausdrücke auf jene vergangenen Zeiten 



Strauß als Politiker. 



tlfi 



und Verhältnisse Angewendet werden. Mit dem BegrifT 
, .romantisch** wird durchweg operiert, vom romantischen 
Kronprinzen und Kaiser gesprochen, Maximus sein Hof- 
philosoph genannt und die Arbeiten zur Wiederherstellung 
des Tempels zu Jerusalem als „romantischer Dombau" be- 
zeichnet. Dann aber werden, noch deutlicher, da und dort 
auch ausdrücklich Parallelen gezogen zwischen einst und 
jetzt. So wenn e* an einer Stelle heißt: „Dem Julian er- 
schienen die Christen, weil sie die Götter Griechenlands 
und Roms, Ägyptens und Syriens nicht anerkannton, gerade 
ebenso als Gottlose und Atheisten (Josßetc und dfteoi sind 
ihre stehenden Prädikate in seinen Schriften), wie den jetzigen 
Romantikorn diejenigen, welche dem Glauben an den christ- 
lichen Gott und Gottmenschen entsagt haben. Ebenso ver- 

..rhüi'.h ipneh h foo dem toten Jodoo, defl die ßafiUtf 

vorehren, als jetzt von jener Seite über den Vorsuch ge- 
sprochen wird, fortan allen geistigen und sittlichen Bedarf 
des Menschen lediglich aus der Erkenntnis seines eigenen 
Wesens zu schöpfen. Daß die Christen sich weigerten, den 
Göttern oder auch nur ihrem Gott Opfer zu bringen, war 
ihm nicht minder befremdlich und anstößig, als es jetzt 
gefunden wird, daß wir von Abendmahl und Kirchonbesuch 
nicht*, mehr wissen wollen. Daß aus dieser neuen Gott- 
losigkeit etwas für Leben und Sitte Ersprießliches hervor- 
gehen könne, war ihm ebenso undenkbar, als es den An- 
hängern des Alten unter uns geläufig ist, von den slaats- 
und Bittenverderblichen Lehren der neuen Philosophenschule 
zu roden. Mit nicht geringerem Selbstgefühl endlich wurde 
der Neuheit des von gestern sich datierenden Christentums 
das ehrwürdige Alter der väterlichen Religion entgegen- 
gehalten, als heutzutage von dem 1800jahrigen Bestände 
dos entern im GegensaU zu der Weisheit des Tages ge- 
sprochen wird.*' Ganz besonders charakteristisch aber ist 
der Schluß, wo Strauß den widerspruchsvollen Eindruck 
konstatiert, wonach wir „uns von dem denkwürdigen Manne 



420 



Siebentes Kapitel 



wechselswei»e angezogen und wieder abgestoßen finden". 
Über den Grund davon heißt es: „Uns Söhnen der Gfgen- 
wart» die wir vorwärts Bireben und den neuen Tag, deewen 
Morgengrauen wir «puren, heraufführen helfen machten, ist 
Julian als Komautikor, dc»en Ideale ruck war U liegen, der 
daß Rad der ('.i'Mrluchti' /unitk/ii.lr.'lnri unternimmt, ru- 
wider, und in dieser Hinsicht, formell gleichsam, finden wir 
uns zu seinen clihstlicheu Gegnern hingezogen, welche da- 
mals das neue Prinzip des Fortschritts und der Zukunft 
vertraten. Aber materiell ist dasjenige, was Julian aus der 
Vergangenheit festzuhalten suchte, mit demjenigen verwandt, 
was uns die Zukunft bringen soll: die freie* hurmonische 
Menschlichkeit des Griechentums, die auf sich selbst ruhende 
Mannhaftigkeit des Romertums ist es, zu welcher wir aus 
der langen christlichen Mittelzeit und mit der geistigen und 
sittlichen Errungenschaft von dieser bereichert uns wieder 
herauszuarbeiten im Begriff sind. In dieser Hinsicht auf 
den Inhalt seiner Ideale und Bestrebungen fohlen wir um*«. 
trotz aller Verzerrung, in der sie bei ihm erscheinen, tu Julian 
hingezogen, von seinen Gegnern aber abgestoßen, aus welchen 
das Prinzip des unfreien Glaubens, des gebrochenen Lebens 
zu uns spricht, das in seinen letzten Nachwirkungen zu über- 
winden unsere Aufgabe und unser Pathos ist. 4 " Und der 
Sage von seinem letzten Wort, dus ihm seine christlichen 
Gegnerin den Mund gelegt haben: Du hast gesiegt, Galilfter, 
entnimmt Strauß die trostliche Wahrheit, daß,,unfehlburjcder 
Julian, d. h. jeder auch noch so begabte und möchtige Men 
der eine ausgelebte Geistes- und Lebensgestalt wiederher- 
zustellen oder gewaltsam festzuhalten unternimmt, gegen 
den Galilüer oder den Genius der Zukunft unterliegen muß". 
So lag die Parallele mit der Gegenwart und dem modernen 
Romantiker freilich auf der Hand und wurde auch, ohne 
daß sie aufdringlich betont und in den Vordergrund gerückt 
wurde, in jener Zeit der Reaktion allgemein verstanden und 
von ollen Nicht-Romantikern und Nicht-ReaktionAren mit 



Strauft ab Politik«. 



ttl 



Jubd begrufit. Trefflich Außen irich darüber Anton Springer, 
der nachmalige berühmt« Kunsthistoriker, in don Jahr- 
Lochern der Gegenwart so: „Keine historische Abhandlung 
mit bloß gelegentlichen Seitenhieben auf moderne Roman- 
tiker, wie manche meinen, sondern eine durch und durch 
politische Schrift hat Strauß geliefert. Die reaktionäre Partei 
in Deutschland zu bekämpfen, das Halt- und Bodenlose 
ihrer Plane, das Ilad d^r <.r- hichte zuruckzuilr»'!»!». <ln- 
Schimäre der Romantik in ihrem wahren Wesen als ohn- 
machtiges Sperren gegen die unaufhaltsame Entwicklung 
des Geistes aufzudecken, dies ist nicht bloß sein nebenbei 
beabsichtigter, es ist sein voller, ganzer Zweck Inno« >i\ i i 
seine Tendenz die allen liberalen Politikern gemeinsame. 
Aber Strauß bleibt nicht bei dem Unmittelbaren, dem zu- 
nächst Gegenwärtigen stehen, er wendet sich nicht an die 
einzelnen Wortiührer, Vorfechter der Feindesschar, um sie 
niederzustrecken, nein, er zieht sich vorläufig vor dem per- 
sönlichen Gegner in die Festung der Geschichte zurück, er 
flieht scheinbar — , weil er weiß, daß der unmittelbare Sieg 
über einzelne Gespensterseher die Existenz de» Gespenstes 
selbst nur teilweise aufhobt, der Fall einzelner Nebelkappen, 
die im betäubenden Rausche den Weg verfehlen und z-unvk 
ins Mittelalter wanken, die Romantik selbst nur verwundet, 
Strauß genügt aber die einfache Verwundung nicht, er will 
sie vernichten... Es ist nicht mehr ein Dieses oder Jenes, 
eine einzelne Seite der Romantik, die er bekämpft, nein es 
■ iiese selbst in ihrem Herzen, im Lebenspunkte getroffen." 
Und die Walte, die er in diesem Kampfe braucht, ist, wie 
Springer ebenfalls richtig gesehen, die Ironie, aber nicht die 
romantische, .Ironie der subjektiven Willkür, welche durch ihre 
Vornehmtuerei allea Gewicht verloren, sondern eine objektive, 
die Ironie der Tatsachen. Wir bleiben stets auf der Höhe 
der Geschichte und stehen doch mitten im Kreise der neuesten 
Ereignisse, die historische Erscheinung und die gegenwärtigen 
Tatsachen scheinen, weil substanzlos, durcheinander hindurch, 

TV Ziffer, D Fr- Suwifi. n. ÜS 



422 



Piebenlei Kapitel. 



und namentlich letztere erhalten eine Klarheit, welch* in 
keiner anderen Weise errok lU werden könnte". In einer 
englischen Zeitung aber hieß es besonder» fein, das Schrift- 
chen sei zwar weder iah noch willig, aber das Schla- 
fende der historischen PlfliBdfl wirke wie Geist und Witt. 
So empfand die Weltdaruals, inden vierziger Jahren, kur» 
vor dem Ausbruch der Revolution. In neuerer Zeit dagegen 
hat sich — vielleicht unter dem Eindruck der Überflüssigen 
Caligula-Salire Quiddes und der bösartigen Ansptelungskunsle 
Hardens — das Urteil Ober den „Julian" zu Ungunsten 
von Strauß verschoben. Wieder ist es nllnn voran Trcitschke, 
der in seinem Haß gegen Strauß dieses Versteckspielen und 
politische Anspielen aufs schar feto verurteilt. Neben dar 
berechtigten Tendenz, aus den Erfahrungen der Vergangen- 
heit ernste Lehren für die Gegenwart zu gewinnen, meint 
er 1 ), (»wagte sich auch die unberechtigte des boshaften An 
spielens und des versteckten Anwinkens hervor, ein schlechtes 
Handwerk, das sich mit der Würde der Geschichte nie ver- 
tragt". Und als Beispiel dafür Führt er die Flugschrift vnn 
Strauß an, deren ..frostige Witze über den romantischen 
Dombau des Tempels von Jerusalem oder über Juliana alt- 
gläubige Kabinottsordres den abgeschmackten Einfall nur 
noch widerlicher erscheinen ließen**. Es ist wahr, wir heute 
empfinden in solchem indirekt Sagen und Anspielen leicht 
etwa* Hinterlistiges und Perfides. Allein was 190$ mißfällt, 
war 1847 eine erlaubte und berechtigte, eine geradezu un- 
entbehrliche Waffe im Kampf um die Freiheit und gegen 
dio Reaktion. Die Zensur war eine Macht, das zeigt ja 
das Schicksal der Struußschen Broschüre in seiner Heimat. 
Damals durfte und konnte man eben nicht direkt Kritik 
üben au gekrönten Häuptern und mußte »ich dahei durch 
allerlei List und durch Mankcntragun ftßhütztfi gegOD die 
brutale Macht und gegen die Unterdrückung der frei« 



>) TreiUchke. a. a. 0. fünfter Teil. 8. 411. 



Strauß als Politiker. 



IM 



Meinung durch sie. Darauf wies schon der erste Kritiker 
de* Büchleins, Springer, hin, der die Schrift mit den eng- 
lischen Juriiuabriefen kontrastiert und mit Kecht fragt: 
„ein deutscher Junius ist unter den gegenwärtigen Ver- 
hältnissen ganz unmöglich, jeder Federzug stempelte Bh 
heutzutage zürn zehnfachen Majestatsverbrecher: wurde 
irgendeine deutsche Behörde Beschreibungen, wie sie Junius 
entwirft, gelassen aufuehmen"? Heute ist ein solches An- 
spielen und Paralleleziehen unnötig und daher keine Helden- 
tat, es kann darin nur ein Mißbrauch der Geschichte gesehen 
werden. Vor sechzig Jahren war es ein AJct der Notwehr, 
eine neu erfundene und geschickt gehandhabte und vor 
allem eine durchaus erlaubte Waffe im Kampfe der Geister. 
Die Hauptfrage aber ist eine andere. Der „Julian" 
M fin Kunstwerk: ist er als solches gelungen? Oder ander* 
Ausgedrückt: war die Parallele ungesucht und schlagend, 
oder wurde durch sie der Geschichte Gewalt angetan ? Per- 
sönlich war Strauß als dogmengeschiohtlich versierter Theo 
löge ganz naturgemäß und ungesucht zu diesem der Reli- 
gionsgeschichte entnommenen Vergleich gekommen; und 
objektiv hat Strauß den römischen Kaiser um seiner Ten- 
denz willen nicht verzeichnet, sondern diesen Neuplatoniker 
in seinem WindmUhlenkampf gegen das siegreiche Neue 
für eine ausgelebte Geistes- und Lebcuagestoll durchaus 
richtig aufgefaßt und dargestellt. Und doch liegt hier eine 
Schwäche und liegt eine gewisse Ungerechtigkeit — nicht 
geg-Ti il<n nuui'ii Romantik«-!*, ili-in 'In- Satire galt, sondern 
gegen den wirklichen, echten Romantiker auf dorn Throne 
in Cäsaren, y.^vu ih-n hisku-iM . u<-n Juli.m. IVoflead hat 
diese von Strauß an dem römischen Kaiser begangene Un- 
gerechtigkeit Theodor Nöldeke so formuliert 1 ): „Wenn Strauß 
Julian mit einem Fürsten der Neuzeit parullelutiert, so ist 



') Ttt. N AliUk«, Über don syrischem Romun von Kaiser Julian. 
Z«lt»chr. d I». mnr^ nltiKlisobon Gesellschaft Ud. XXVIII. 8. 289. 

28* 



424 



Siebentel K«pit*l. 



die Ahntirliloit nach einer Seit« hin zwar überraschend, 
aber auf der andern Seite muß man nicht verge»on, daß 
der Besieger der Alamannen ein sehr tatkräftiger und um- 
Mtlttiger Regent war, und da hört die Ähnlichkeit aufl" 
Allein ganz so schlimm steht es damit doch nicht. Was tu 
kurz gekommen ist, ist nicht ganz übersehen. Ausdrücklich 
macht auch Strauß auf solche Züge aufmerksam, durch 
die sich Julian „von christlichen Romantikern, mit denen 
er uns bisher gemeinsame Merkmale bot, unterscheidet, ja 
zu ihnen in einen Gegensatz tritt, der schwerlich zu seinem 
Nachteil ausschlagen dürfte*'. Solche Zöge sind die kriege- 
rische Tüchtigkeit, die er vom Römertum in sich bewahrt, 
und zwar gleichsehr als Talent des Keldherrn, :ils Gabe, 
sich ein tüchtiges Heer heranzuziehen und Feldzugs- und 
Schlachteupläue zu entwerfen, wie als persönliche Tapfer- 
keit des Kriegers; weiter sodann seine damit zusammen- 
hangende körperliche Abhärtung, seine Bedürfnislosigkeit 
und Mäßigkeit; und endlich ein gewisser politischer Libe- 
ralismus, der , .freilich affektiert und wirkungslos, aber doch 
immerhin erfreulicher war, als wenn andererseits die un- 
umschränkte Machtvollkommenheit und der orientalische 
oder feudalistische Prunk des Königtums romantisch wieder 
hervorgesucht werden". Vor allem aber, ,,was Julian roman- 
tisch erneuern wollte, war das schöne Griechen-, das ge- 
waltige Römertum": daß das Strauß nicht übersehen hat. 
zeigt ja der Schluß der Schrift. Dies das Eine; und das 
andere, duß Strauß nicht eine vollständige Biographie Julians 
und eine Geschichte seiner Taten schreiben, sondern ihn 
ausdrücklich nur ,,von diesem Gesichtspunkte aus", d. h. 
als neuplatonischen Romantiker auf dem Thron»?, betrachten 
wollte. Das muß ebenso erlaubt sein, wie wenn heute Mau 1 ) 
die Religionsphilosophie Julians zum Gegenstand einer be- 
sonderen Schrift macht. 



l ) 0. Hau. Dte^Religionsphilosophie Kaiser Julians, 1906. 



Slraoö »H Politik». 



ta 



Bndlich aber, was man ihm vorwirft, das hat Strauß 
selbst zugestanden und als berechtigten Tadel anerkannt, 
in einem aus naheliegenden Gründen nicht veröffentlichen 
Epigramm auf diese seine Schrift: 

Ich hab ihm wohl tu viel getan — 
Er lieht die Stirn' in Falten — » 
Daß ich ihn solchem Hampelmann 
Ali Spiegel vorgehalten. 

Mit dienern Zugeständnis könnten sich, denke ich, 
diejenigen zufrieden geben, denen es um Julian schade 
und Itud tut. Die aber, die die Schrift als solche ver- 
glich finden, mögen auch das noch bedenken, daß im 
lahre ihrer Abfassung die Revolution bereits im Anzug war, 
man sich also sozusagen schon halb im Kriegszustand 
befand, wo immer die Waffen die besten sind, die cum 
Siege führen. 

Strauß als Politiker! Aber darum hörte er doch nicht 
auf, der zu sein, der er, trotz der in der Glaubenslehre er- 
folgten Absage an einem bestimmten Punkt, noch immer war, 
ein Schüler Hegels. Auch darauf hat Springer aufmerksam ge- 
macht, wenn er sagt: diese prinzipielle Form der Polemik 
weise deutlich „auf die Quelle hin, der sie entsprungen, auf 
die neuere deutsche Philosophie: aus den Individuen schafft 
Strauß verkörperte Begriffe, gleichsam Kunstgestal teu; das 
breite Detail romantischer Verkehrtheiten nur leise berührend, 
it er gleich auf das Prinzip los und überzeugt uns auf 
einmal und für immer von der Leerheit des luftigen, hohlen 
Gespenstes 4 '. Allein nun die Frage, ob ein solcher „prin- 
zipieller" Politiker zum Eingreifen in dio praktische Politik 
taugt, eine Frage, die auch durch einen zu Anfang der Be- 
wegung von 1S48 erschienenen Aufsatz „Der politische und 
der theologische Liberalismus" nicht gelöst wird. Und 
riß gerade jetzt die Bewegung dieses Jahres Strauli 
ihre Strudel unwiderstehlich mit hinein. 



4M 



Sieben lea Kapitel. 



Der Anstoß dazu kum von außen. Beim Ausbruch 
Her Revolution war Strauß innerlich noch tu »ehr mit »Minor 
Ehe und ihrer Auflösung beschäftigt, als daß er »ein Schiff- 
lein gleich mit vollen Segeln diesen Stürmen hatte preis- 
geben wollen. Immerhin ist er früher schon im Schwä- 
bischen Merkur in einer Reihe von Leitartikeln mit seiner 
Meinung hervor- und den Tagesströmungen und Schlag- 
worten jener stürmisch unklaren Zeit tapfer entgegenge- 
treten. Und nun wünschten ihn seine Ludwigsburger Lands- 
leute a]s ihren Vertreter und Abgeordneten in das Krank- 
furier Parlament zu schicken, zu dem die Wahlen im April 
1848 stattfinden sollten. Ungern nur und zögernd entschloß 
er sich uw Annahme der Kandidatur, und mit ganzem 
Herzen ist er nie dabeigewesen. ,,BoJd amüsiert, bald ärgert 
mich das Ding 4 *, schreibt er dem Bruder mitten im Wahl- 
kampf; „der Erfolg ist zweifelhaft, doch jedenfalls der Vc 
such interessant." So sah er es an, wie Bisrnarck das Ein- 
gehen des Battenbergers auf das bulgarische Abenteuer. 
Dazu kam, daß sich voraussehen ließ, daß seine alten Gegner, 
,,die PfafTen und Pietisten" gegen ihn mobil machen wurden; 
und wenn er auch der Stadtbevölkerung seiner Ludwigs- 
burger sicher war, den Ausschlag gab das Land, und hier 
mußte der Pietismus gegen ihn zum voraus gewonnenes 
Spiel haben, Auch war sein Gegenkandidat ein ausge- 
sprochener Pietist, Hoflmann, Vorsteher der Rettungs- 
anstalt auf dem Salon bei Ludwigsburg, den er früher schon 
als Hauptgegner Vischers in einem seiner Beobachter- 
Artikel „den Gamin des Pietismus" genannt hatte. 

Wie er sich seiner Gegner zu erwehren halte und sich 
gegen sie gewehrt hat, das zeigen die Reden, die er im 
Wahlkampf gehalten und gleich nach der Entscheidung 
unter dem bezeichnenden Titel: „Sechs theologisch-politische 
Volkareden" im Druck veröffentlicht hat. Als leibhaftigen 
AnLichrist stellten ihn seine Feinde dem Volke dar und 
suchten so die Grenzlinie zwischen Politik und Religion 



.Strauß ab Politiker 



427 



verwischen und den Politiker Strauß durch religiöse Km 
Wendungen unmöglich zu machen. Tont comme chez nous! 
möchte man sagen; nur waren es Strauß gegenüber vor 
■Hein die Protestanten, die Pietisten und der ihnen affi- 
liierie Teil der wurH'Mtibergischeti Geistlichkeit, wflhrend er 
den katholischen Pfarrern da» Zeugnis ausstellt, daß sie ..in 
besch.'miL'iidmiL Gegensatz zu jenen sich bemühten, ihre Ge- 
meinden durch Beleuchtung dieses Unterschiedes zu beruhigen 
und tu einer Wahl rein aus politischen Rücksichten zu 
ermuntern". Deshalb muß er seineu politischen Reden 
immer auch einen theologischen Teil anfügen, muß vor den 
Bauern jedesmal zuerst sein religiöses Graubensbekennt- 
nix aufsogen, um die Bedenken und Hetzereien zurück- 
zuweisen, die unter diesem Gesichtspunkt zur Ungebühr 
gegen ihn ins Feld gefuhrt wurden. Doch entsprach dieses 
Zusammen auch seinem eigenen Bildungsgang; daher hat er 
auch ohne solchen Anlaß in dem oben genannten Aufsatz 
den politischen und den theologischen Liberalismus zusammen 
behandelt und gemeint, dieser arbeite jenem in die Hände, 
wi'nn der Politiker die konfessionelle Spaltung auf seinem 
Wege vergeblich auszugleichen suche 1 ). 

Wenn dabei sein Auftreteu durchaus maßvoll war und 
jede Provokation vermied, ohne daß er doch seinen Stand- 
punkt irgendwie verleugnete oder ihm etwas vergab, so 
war das nicht bloß ein Akt der Klugheit und Wahl- 
laktik, sondern es entfloß seinen eigenen uns nach dieser 
Seite hin schon bekannten Anschauungen. Hören wir 
b. B.. wie er sich vor den Bürgern und Bauern in Steinheiui 
an der Murr dazu äußert: ,,lch habe vor 13 Jahren ein 
Buch geschrieben, von dem sich alle diese Vorurteile gegen 



J ) Diß er übrigens auch hierin kein Utopist war, eeigt der diesem 
snlbim Au tat* entnommene Sntr: „Detitochlundn konfessionellen Bruch 
hnli der Zollverein nicht, und selbst in einem deutschen ReichsparU- 
iut iit, wenn wir eins hallen, wird er noch hemmend fortwirken, fiill» 
*r nicht anderweit gehoben wäre." 



«88 



Siebentes Kapital. 



in . U herdatioreu. Von euch werden es die wonigsten gelesen 
haben, und da» war ganz wohl getan, denn — ihr dürft es 
mir nicht übdl nehmen, für die Mehrzahl unter euch war es 
auch nicht gochrinben. Wenn rin Landwirt tinter euch 
eine Schrift über Ackerbuu verfulit, lasse ich mir's ja auch 
gefallen, wenn er mir sagt, für mich sei sie nicht geschrieben. 
Ich hotte für Gelehrte, für Theologen geschrieben. Der 
Ltb) und selbst viele von den hoher gebildeten Laien, wissen 
zu ihrem Glück gar nichts von so manchen Zweifeln, welche 
den armen Theologen plagen; was soll ihnen also ein Buch, 
in welchem lediglich von diesen gelehrten Zweifeln gehandelt 
wird? Mancher von meinen Bekannten unter den Nichl- 
theologen meinte, Ab Bekannter von mir müsse er auch 
mein Buch lesen, und Äußerte das gegen mich; ich gab ihm 
zur Autwort: laß es bleiben; du kannst etwas Gescheiteres 
tun, als ein Buch losen, das dir vielleicht Skrupel in den 
Kopf »elzt, die du jetzt noch nicht hast; während es um- 
gekehrt bestimmt ist, dem Theologen die Skrupel lösen zu 
helfen, die er hat. llir seht, wie fern mir von jeher der Ge- 
danke lug, jemandem seinen Glauben nehmen zu wollen. 
Im Gegenteil, ich lasse jeden seines Glaubens leben und 
verlange nur, daß man auch mich in meiner Überzeugung 
ungekrankl lasse, überhaupt, der Religion zu nahe treten 
zu wollen, war nie meine Meinung. Die Religion i&t auch 
mir ein ehrwürdiger Gegenstund, wie mir alles ehrwürdig 
und heilig ist, was zu den Kräften, den Anlagen der mensch- 
lichen Natur gehört. Zu diesen Grundkräften der mensch- 
lichen Natur gehört aber vor allem die Religion. Allein ich 
glaube, und die Erfahrung, die Geschichte lehrt es mich, 
daß alle Anlagen der menschlichen Natur in ihrer Äußerung, 
ihrer Entfaltung der Entartung unterworfen sind. Wie 
Blumen, wteandero Gewächse mit der Zeil auszuarten pflegen. 
«o auch die Anlagen der menschlichen Natur, und zwar nicht 
bloß die niederen, die sogenannten sinnlichen Triebe, sondern 
auch die höheren und edleren. Nicht nur die Liebe wird 



Sir auf) als Politiker. 



429 



zur Wollust, der Erwerbstrieb zur Habsucht; niclit nur 
Versiebt nur Feigheit, Ehrliche zum vorzehrenden Ehrgeiz» 
sondern nuch der edle Wissensdrang entartet in Grübelei, 
die Religion in Aberglauben und Fanatismus. Wie dos 
Wasser Kalk absetzt, der Wein Hefen und Weinstein, so 
hat jede Religion zu jeder Zeit Erzählungen, Legenden 
abgesetzt, die erbaulich sind, aber nicht wahr, die tuä 
Gernöte wohltun, aber vor dem Verstände nicht be-.f.i >i.-n 
Diese abzusondern, den edcln Wein der Religion durch ein« 
Art von Ablassen von seinen Helen zu befreien, ihn dadurch 
heller, genießbarer, haltbarer zu machen, das und das ollein 
war meine Absicht mit dem so verschrienen Buche. Nun 
Mgen meine GegOOfi u* n t . fcbtif da hftft KB vi> 1 Abging gs> 
macht, du hast manches weggegossen, was uns und Tausenden 
mit uti3 noch ein erquickender Trank gewesen wfire. Da 
beginnt dann der Streit über dasjenige, was in der Religion 
wesentlich und unentbehrlich sei und was nicht; was alle 
glauben sollen und was einer wohl auch in Abrede ziehen 
dürfe. Ich sage nun: wesentlich, unerläßlich in der Religion 
sind die Sprüche: Selig sind, die reines Herzens sind; solig 
sind die Barmherzigen, die Friedfertigen; richtet nicht, auf 
daß ihr nicht gerichtet werdet; liebe deinen Nächsten als 
dich solbftt; liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchon — 
glaubet ihr, ich sei so unsinnig, daß ich diese und ähnliche 
Sprüche als Hefe weggegossen hätte? Daß einer solche 
Sprüche in einem feinen Herzen bewahre und im Handeln 
ausübe, darauf kommt meiner Meinung nach alles an; 
wer sich an sie hält, der wird ein rechtschaffener Bürger, 
ein trouor Catto und Vater, ein dienstfertiger Nachbar, 
Oberhaupt ein guter Mensch sein, wenn er auch gegen sämt- 
liche YVundererzähluuguii der Bibel noch so viele gelehrte 
Zweifel hfttto. Da habt ihr mein aufrichtiges religiöses 
Glaubensbekenntnis, und ich muß es nun euch überlassen. 
ob ihr nach diesem mich noch weiter anhören und auch mein 
politischen Glaubensbekenntnis vornehmen wollt." 



430 



Siebenli« KupiUL 



Angehört haben sie ihn wohl, ihm auch für diese freibch 
mehr auf «Ion Verstand berechneten als an die Leidenschaft 
appellierenden Reden zugejubelt, aber geholfen bat ihm 
diese» Wegräumen „des Steine« de* religiösen Anstoßet", 
wie wir gleich sehen werden, nicht. Worin bestand nun 
aber da» politische Kredo de» Kandidaten Strauß bei Heiner 
Bewerbung um einen Sitz in der Paulskirche ? Freiheit und 
Kiiiheii! des waren die beiden Ideale, die das deutsche 
Volk im Jahre 1848 durch eigene Kraft verwirklichen wollte, 
die beiden Pole, um die die Bewegung jenes großen, tollen 
Jahres kreiste. Aber beide traten oft in recht un- 
klarer und unvernünftiger Weise und Form in die Erschei- 
nung. Beim ersleren handelte es sich vor allem um die Frage : 
Monarchie oder Republik ? Dor Radikalismus, der sich in 
Revolutionszeiten natürlich am lautesten gebärdet und 
vorandräiigt, entschied sich für die letztere. Strauß dagegen 
ist Monarchist; er will die Fürsten behalten, will als Wart 
temborger sein Fürstenhaus, ..mit dem wir und unsere 
Vorfahren seit Jahrhunderten Freud und Leid, gute und 
böse Tage geteilt haben", nicht vertreiben. Aber die Mon- 
archie, die er will, ist die konstitutionelle, in der das Volk 
durch seine Vertreter sich selbst regieren darf, nicht bloß 
von oben sich regieren lassen muß. Süll aber diese größere 
Freiheit nicht auf Sand gebaut sein, so müssen feste Grund- 
lagen geschaffen werden, und diese bestehen vor allem in 
der Hebung der geistigen und sittlichen Bildung des Volkes, 
der Schulunterricht muß verbessert, praktischer, mensch- 
licher eingerichtet, vom toten Gedächtniskram immer mehr 
auf den Zweck der Geistes- und Herzensbildung hingelenkt, 
der Volkslehrerstand gehoben und für seine saure Arbeit 
besser belohnt werden. Die Kirche muß vom Staat frei- 
gegeben werden, die bürgerlichen Röchle dürfen an kein 
Gluubeimbi.<keniitins gebunden sein. Ob einer seine Kinder 
taufen oder beschneiden läßt oder nicht, ob er die katholische 
Messe besucht oder die protestnntischc Predigt, oder ob er 



Slraut als Politiker 



431 



«• vorzieht, »ich zu Hause auf seine Weise zu erbnuon: 
worin er nur die Gebote hält und sich gesagt sein laßt: Du 
•ollst nicht töten, nicht ehebrechen, nicht stehlen usw. — . 
so «oll er unser Bruder und Mitbürger sein, soll wfihlen und 
gewählt werden, aoll Ämter bekleiden dürfen, jeder wie der 
andere. Doch was hilft dem Volke die Freiheit, wenn et 
hungert? wenn es friert? wenn es von jeder Art von Not 
zu ßoden gedrückt wird ? Also Erleichterung der Gedrückten 
durch gerechte Verteilung der Lasten, Anleitung der Ar- 
b'ilrr, durch Assoziation ihr Los sich selbst zu erleichtern. 
Dieses Prinzip der Assoziation, der verbrüderten Arbeit 
und gegenseitigen Versorgung, erscheint ihm besonders 
•ohftn und fruchtbar Wenn es gereinigt wird von manchen 
teils schwärmerischen, teils unlauteren Bestandteilen, so 
beruht auf ihm ein großer Teil unserer Hoffnungen auf eine 
gedeihliche Entwicklung unserer gesellschaftlichen Zustünde. 
Und wahrhaft prophetisch und in gesundem Sinn sozial- 
politisch erklärt er schon damals, mittelst dieses Prinzips 
können Arbeiter und Tagltthncr sich wohlfeilere Kost in 
gesunden, Wartung und Ptlege in kranken Tagen verschaffen; 
durch Beitrage der Arbeitgeber auf der einen und kleine 
Lohnabzüge auf der anderen Seite werden sich unter Hand- 
reichung des Staates Hilfskassen für kranke und alte Ar- 
beiter gründen lassen. Genau 41 Jahre nachher ist durch 
das Gesetz, über dio Invaliditflts- und Altersversicherung 
erreicht worden, was Strauß klar und nüchtern wie kaum 
«in anderer damals schon verlangt hat. 

Wichtiger aber als die Freiheit erscheint ihm in diesem 
drängenden Augenblick die Einheit und Einigung des deut- 
schen Volkes. ..Trachtet am ersten nach der Einheit", so 
ruft er den Deutschen zu, „so wird euch das übrige alle? zu- 
fallen", die Macht nach außen, Freiheit und Wohlstand im 
Innern. Denn die Wurzel aller Übel, an denen wir bisher 
krankten, war die Geteiltheit und Zerrissenheit unseres Vater- 
landes. All- in eine deutsche Einheit soll es sein, d. h. eino 



432 



Sietantts Kapitel 



solche, die nicht wie in Frankreich alles /.MritniliMort und uni- 
formiert, den Fortbestand der deutschen Sonderstauten und 
ihrer Eigentümlichkeiten nicht aufhebt. Wir wollen nicht auf 
die Art Deutsche wurden, daß wir aufholten, Württember^er 
zu sein. Also über den kleineren Häuptern ein Oberhaupt, 
über Württemberg, Preußen. Bayern usw. ein einige« Deut- 
sches Hei cii, eine Bundesmonarchio! Das klingt uns heuto 
selbstverständlich und war doch damals tiefste politische 
Weisheit, die erst gepredigt werden mußte und im Süden 
wie im Norden nur von wonigen geglaubt wurde. 

Dazu schieden sich hier noch einmal die Wege. 
Die Großdeutschen mit dem Ruf: das ganze Deutschland 
soll os sninl wollten östurreicli in diesen Bundesstaat mit 
einschließen und aus ihm das Oberhaupt desselben nehmen. 
Die Kleindeutschen dagegen hielten es vor allem für nötig, 
den Dualismus der zwei Großmächte Österreich und Preußen, 
der die Einheit bisher am stärksten gefährdet oder vielmehr 
direkt verhindert hatte, zu beseitigen, Österreich mehr oder 
weniger auszuschließen und Preußen die Führerrolle zuzu- 
weisen. Diese Lösung derdeutschen Frage hatte schon 17 Jahre 
vorher ein anderer Schwabe, Paul Pßzer, in seinem „Brief- 
wechsel zweier Deutschen", für die einzig rationelle und mög- 
liche erklärt. Strauß bekennt sich ausdrücklich zu diesem 
seinem Landsmann, „unserem hochverehrten Paul Pfizer** 
und fordert ganz in seinem Sinn ein einiges Deutsches Heich 
unter Preußens Führung. Auch das ist heute für uns ein 
Selbstverständliches geworden, damals aher war das ein ganz 
besonders Umstrittenes und gerade im Süden ein fast all- 
gemein Porhorresziertos. Man kannte und man liebte Preußen 
zu wenig, um sich ihm unterordnen zu wollen: darin waren 
die suddeutschen Demokraten und die süddeutschen Fürsten, 
allen voran der würtlembergische König Wilhelm I., unter 
sich ganz einig, Aber auch für Strauß kam dabei ein Aber, 
und das hieß Friedrich Wilhelm IV., der Romantiker auf 
dem Throne Preußens, der als solcher auch ein Gegner des 



Strauß üls Politiker. 



m 



konstitutionellen Prinzips war. Dieser Fürst war ihm in 
der Seele zuwider. Und dennoch! Strauß war kein Gefühls- 
Politiker, er trieb keine Politik persönlicher Antipathien 
oder Sympathien, und so erklärte er in verständiger Selbst- 
überwindung: , ( Wenn wir ein Haupt für Deutschland wühlen, 
so wählen wir hoffentlich nicht bloß für heute und morgen, 
sondern für eine lange Zukunft, also müssen wir über diesen 
Friedrich Wilhelm IV. , der eben jetzt an der Spitze den 
preußischen Staates steht, weg auf die Reihe seiner Nach- 
folger hinausblicken. Das können wir in der Tat ohne Ge- 
fahr. Je mehr das konstitutionelle Wesen in Deutschland 
zur Wahrfacdt wird, desto unschädlicher, desto gleichgültiger 
werden die fürstlichen Persönlichkeiten." In diesem letzten 
Punkte hat er sich freilich getauscht; aber unser Konstitu- 
tionalismus ist eben auch teilweise noch Scheinkonstitu- 
tionalismus, unsere Minister und Beamten haben unseren 
Fürsten gegenüber nicht den Mut, „konstitutionell" zu sein, 
wir alle sind zu byzantinisch, um frei sein zu können. Damals 
war man .tapferer und optimistischer. „Von einem Hanse- 
mann, einem Kamphausen", fahrt Strauß fort, ,,als ver- 
antwortlichen Ministem in die Mitte genommen, wird Friedrich 
Wilhelm, selbst wenn er wollte, uns nicht mehr schaden 
können. Aber ich glaube auch, er wird es nicht wollen. 
Wer meine literarischen Bestrebungen kennt, der weiß, 
daß ich kein Verehrer des romantischen Königs bin; aber 
ich halte ihn — man darf jajetzt auch von den großen Herren 
menschlich sprechen — ich halte ihn für keinen schlimmen 
Charnkter. Es ist wahr, er ist in eine böse Schule gegangen, 
hat verkehrte Begrifle über Wurde und Gewalt der Fürsten 
ringi'Hogeii, hat, geistreich wie <t ist, diese KegrilTr »irh 
poetisch und philosophisch aufgeputzt, mit einer eiteln 
Hartnäckigkeit an denselben festgehalten und ihnen am 
Ende — es läßt sich nicht verdecken — ein schreckliches, 
blutiges Opfer gebracht. Aber er ist ein Mensch des Gefühls 
und der Einbildungskraft; solche Menschen sind rascher 



IM 



ftebent« Kapitrt 



Umschwünge fähig, und so glaubt« ich, int er jetzt wirklich 
umgestimmt und gefällt sich heute ebenso in der Rollo de* 
konstitutionellen Herrscher», wie er sich bis gestern in der 
des mittelalterlichen Feudalkflnig* gefiel". Auch hier hat 
er Friedrich Wilhelm IV. überschätzt, im Herxon blieb 
dieser auch als konstitutioneller Monarch der mittelalterliche 
Fcudalk'tnig, der er gewesen war. Aber item: „daß ihn die« 
nicht abermals gereue, daß er nicht aufs neue aus der Kolle 
falle, dafür wird das konstitutionelle System zu sorgen haben. 
das Fürstentauncn Schranken setzt. Also, wenn »eh eine 
Stimme in Bezug auf unser künftiges Bundcshuupt abzu- 
geben hätte, so würde ich sie, in voller Übereinstimmung 
mit unserem hochverehrten Paul Pfizer, Preußen und selbst 
dem jetzigen König von Preußen geben' 1 . 

Leider ist Strauß nicht in den Fall gekommen, mit den 
sogenannten Erbkaiserlichen in der Paulskirche in diesem 
Sinn seine Stimme abzugeben. Kr unterlag seinem pietistisrh 
konservativen Gegner mit 3365 gegen nahezu 6000 Stimmen. 
Das Landvolk hatte die aufgeklärtere Stadtbevölkerung 
durch seine Massen erdrückt. 

Die Erregung über die Niederlage war in Ludwigsburg 
groß, um so größer, je höher während der Wahltage die 
Wogen der Begeisterung für Strauß gestiegen waren. Das 
hatte sich namentlich in der Ostermonlagsversammlung 
vom 24. April gezeigt, wo es zwischen Strauß und dem 
';•-:.'. nkamli lal.ru und dess n Lheidogisrhen ClOunern ZU 

einer dramatisch bewegten Szene gekommen ist, die uns von 
einem Augenzeugen anschaulich geschildert wird: „HnfTinann 
rrdi'l.e zurr I. ilunn trat Strauß auf, von lauHi-ruNtimmigein 

Jubel empfangen. Er konnte vor lange andauernden schallen- 
den Hochs fast kaum zum Reden kommen. Als es endlich 
stille wurde, hielt er seine schöne, ruhige Rede, deren politi- 
sche Gedanken bereits mitgeteilt sind. Bei jedem -(Mögenden 
Wort wurde sie von stürmischem Beifall begleitet. Nach 
thfll botrat die Kanzel (aic!) Dekan ( lin-ilab von Ludwigs- 



Strauß >ls Politiker. 



m 



bürg. Es war mir gleich nicht recht wohl bei der Sache; 
ich erkannte di« schiefe Stellung nur alUugut, in welche 
der soriM. bfli. Iilr Mann sich brachte. Kr begann damit, 
die Klarheit der Straußschen Rede und die darin ausge- 
sprochenen politischen Glaubensartikel zu loben (Bravo!), 
er rühmte den eminenten Geist des Redners (Bravo!); 
aber — (was aberl) er besitzt nicht das Vertrauen des Volki 
(er besiUt'sI). Sie sind nicht das ganze Volk (Wir sind'st 
Herab!). Strauß hat ein Buch geschrieben, in welchem 
(Herab! Pietist! Heuchler! Pharisäer!) — und nun begann 
ein Sturm, von dem Sie sich keine Vorstellung machen 
kennen. Vergebens klang die Glocke des Präsidenten, 
vergebens blieb Christlieb in ruhiger Haltung stehen; da» 
Pfeifen und Geheule nahm auf eine schreckenerregeude 
Weifte zu; Sensenmänner umstellten die Tribüne, und der 
Dekan — mußte herab. Nun kam Helfer Hackh Man ließ 
ihn ruhig sprechou, solange er sich im allgemeinen hielt; 
•nv.w i-r hingegen an «i »s v. r/.v.viiVlif „fihef" ImH, bfigUU 

drr Sturm aufs neue, und auch er mußte — herab. Nun 
rief alles: Strauß! Strauß! Der Gerufene bestieg die Bühne 
iinl.fr jubelndem Geschrei und begann die ergreifenden 
Worte: ,, Meine Freunde! Die Pharisäer traten einmal ran 
Herrn und fragten ihn: ist's recht, daß man dem Kaiser 
Zins gebe? Er sprach: weiset mir die Zinsmünze. Und sb 
reichten ihm einen Groschen dar. Und er sprach zu ihnen: 
ffftfl ist das Bild und die Überschrift? Sie sprachen zu ihm: 
des Kaisers. Da sprach er zu ihnen: So gebet dem Kaiser, 
was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist. So fragen 
iieh unter euch einige: isl's recht, daß man den und den 
zum Reichstag in Frankfurt sende? loh frage entgegen: 
wm ist da* Bild und die Überschrift dieses Reichstags? 
Ihr werdet mir antworten müssen: des Kaisers, d.h. die 
Beeli mm mit: des Hfir-hslags int dne politische. Darum 
■»•„:•■ ifh eneh: Wähl.-i. n.ioh religiösen Rücksichten, wo es 
»ich um dio Religion handelt, aber nach politischen, wo es 



436 



Siebml« Kapitel. 



»ich um Politik bandelt". Als er mit mächtig erhöbe: i U 
Stimme geendigt, brach ein Sonnenstrahl aus den schwanen 
Wolken hervor, und unten rief eine Stimme: die Sonne der 
Wahrheit! Allmächtiger Jubel." 

Um 80 größer war nach der Wald die Enttäuschung und 
die Erbitterung der Ludwigsburger, man befürchtete sogar 
einen Ausbruch der Volksleidenschafl. Wie am Ostermontag 
N> uwemnänner den Dekan hatten in die Mitte nehmen müssen. 
so mußt« jetzt in der Nacht nach der Wahl das Dekanathaus 
am Marktplatz bewacht und ebenso auch der Salon, auf dem 
der Sieger HofTrnann wohnte, geschützt werden. Strauß 
»olborhat inmitten dieserAufregung, am 28. April, dem Abend 
des entscheidenden Wald tags, noch einmal auf dem Hat- 
hausplatz in Ludwigsburg das Wort ergriffen und seine 
, .geliebten Mitbürger" beschworen, sich nicht über die 
Grenzen des Hechten hinaus fortreißen zu lärmen. Auch 
ihm zulieb sollen sie ruhig bleiben: „daß jener Zttnhtt 
Aufstand sich an meinen Namen knüpft, da* schändet 
diesen nicht, weil meine Gegner es waren, die sich an ihrer 
selbstgowfihlten Obrigkeit vergriffen: aber wenn es jetzt 
hier zu augenblicklichen Tätlichkeiten oder bleibender 
Zerwurrnis.se ii käme, so würde alle Welt mit Fingern auf 
mich deuten, weil meine Gönner und Anhänger und damit 
ich selbst als die Urheber davon gelten wurden. Das werdet 
ihr mir nicht zuleide tun, den Flecken meinem .Namen 
nicht anhangen wollen; denn ihr habt mir bewiesen, daß 
ich euch wert bin, daß ihr meine Ehre als die eurige be- 
trachtet, wie ich es mir zur Ehre schätze, ein Ludwigsburger 
Hürgerkind zu sein" 1 ). Von dieser Zeil an ist Strauß ein 
Gegner drs direkten Wahlrechts gewesen. Nachdem er den 
Hergang einer darauf ruhenden Wahl mit angesehen, würde 



') Diese Worte und diese ganze Beruh igungsrede von Strauß ist 
zugleich die beste Antwort auf Hausraths Bemerkung in der „Deut- 
schen Rundachnu" (Marx 190V), daß man nirgends, abo auch im Konton 
Zürich nicht, Revolutionen mit Ro»enw«*er und Konfetti mache. 



Start ifli Pd&tlfeer. 



;*7 



«r dagegen sprechen, meint er, auch wenn er mittelst des- 
selben durchgedrungen wftre: „je weniger beschränkt das 
Wahlrecht, je größer mithin die Masse der W&hler. desto 
notwendiger der indirokto Wahlmodus". Wer so denkt, 
heißt heut* reaktionär; damals war der Liberalismus noch 
beweglicher, noch nickt so auf Schlagworte eingeschworen 
wie heute. Strauß war trotz dieser Ansicht von dem 
Modus der Wahl liberal, nicht reaktionär, die Wahlreden 
haben uns gezeigt, daß er ein gemüßigter Liberuler 
etwa »m Sinne des filteren guten, freilich nicht in dem des 
heutigen NationaJliberalismus gewesen ist. 

Der Versuch, auf dem großen Schauplatz allgemeiner 
deutscher Politik eine tätige Rolle tu spielen, war geecheitri-i . 
Bl ist müßig zu fragen, welche Figur Strauß in der Pauls- 
kirche gemacht hätte. Auch hat er seinen Durchfall persön- 
lich nicht allzuschwer genommen und die Koinpromotionalon 
Vischer und Zimmermann ohne Neid nach Frankfurt ziehen 
loaa«n. Daher war er auch gegen den Versuch, ihm nachträg- 
lich doch noch irgendwo im Badischen einen Platz im Parla- 
ment zu verschaffen ; auch meinte er: „Zum Maß eines 
budischen Liberalen fehlen ihm unterschiedliche Zoll". Aber 
sein Biograph hat bei dieser Gelegenheit doch au konsta- 
lierm. daß ihm wiederum seine alten Gegner, „die Pfaffen 
und die Pietisten" auch diese weltliche Betätigungsweise 
mißgönnt und ihm die Ausübung eines politischen Berufs 
im großen Stil unmöglich gemacht haben. Und nun machen 
sie ihm zum Vorwurf, daß er keinen Beruf ergriffen habe. 
Hiir wollte er ja einen ergreifen, sie aber ließen es wie einst 
auf theologischem, so jetzt auf weltlichem Gebiet nicht zu. 
Denn mcht weil er ihnen politisch zu liberal, sondern ledig- 



0*wiß nicM; «twr ins In ml w Irf'ut* verhindern, au.-li in eiiiAf Repu- 
blik und wahrend «nur Revolution nach Möglichkeit (l.meinhftlten 
OtwalttAtigMU-u. Habfin das diu Blunlschli und dio Alex. 
Iitr, die msn mir immer wieder entgegenhält, getan ? Mir ist 
davon nichU bekannt. Hüuuü hat ea getan. Das ist der Unterschied. 
tk tm t \^. il f, Bknt. El '-• 



438 



Sieb«ni<n KipiUl. 



lieh infl K der Verfasser de» Leben« Jesu war, haben «*■ 
seine Kandidatur uuf Tod und Leben bckAmpft und seinr 
Wahl hintertrieben. 

Die Ludwigsburger aber nahmen die Sache schwerer. 
Da» zeigten die „Tniurrfcierlichkeiteii** wr^n de» Miß- 
lingen» der Wahl; die Brunnen der Sladt wurden mit Trauer- 
weiden und Floren geschmückt, und vom Turm herab er- 
scholl eine , .ruhrende Traue rmusik". Und ihre Anhänglich- 
keit, die „vom General Roder bis zum Schneider Jung, 
vom Bierbrauer Körner bis zum Metzger Löbelenz ging 
und Strauß von Herzen wohltat' 1 , sollte doch noch xu ihrem 
Rechte kommen. Als „gute Stadt 1 * hatte Ludwigsburg 
in dio württombergische Kammer einen Abgeordnüten für 
sich, nicht beschwert durch das pietistisch bearbeitete 
Landvolk des OberamU, und nicht in direkter Form 
zu wählen. Diese Wahl fand kurz darauf am 20. Mai 
1848 statt, und hier in der indirekten Wahl ging Strauß 
fast unbestritten — mit 103 gegen 3 Stimmen, bei einer 
Gesamtzahl von 126 Wablern — als Sieger aus der Urne 
hervor. Strauß selbst, der von Bich sagt, er sei in diesem 
Augenblick „die Lieblingspuppe" seiner Ludwigsburger, 
mußte dazu selber wieder auf den Platz. Der Anbruch 
des Tages wurde durch Musik vom Stadlkirchenlurm herab 
verkündigt, von diesem und vom Rathaus wehten die 
württembergischen und die schwarz-rot-goldennn Fahn<-n. 
die Stadt war angemessen verziert, die Wähler und alle, 
die sich für seine Wahl interessierten, versammelten sich 
in festlicher Kleidung morgens um 7J£ Uhr und zogen 
in geschlossenen Reihen vor das Rathaus, wo die Ab- 
stimmung unter den Klangen der Musik erfolgte. Sobald 
den Wählern das günstige Resultat der Abstimmung bekannt 
wurde, erdröhnten die Freudenschüsse der Kanonen, und der 
Umzug durch die Stadt begann aufs neue. Strauß wurde 
an der Post abgeholt und mit Musik ins Haus seines Onkels 
Ruofl begleitet. Das Mittagessen, an dem 200 Personen 



Strauß als Pulitik.-r. 



IN 



teilnahmen und wobei nicht einmal alle Platz fanden, halle 
im Waldhornsaal statt. Um 3 Uhr zog man von dort 
wieder in Prozession und mit Musik in einen Garten, 
wo man unter Reden und Toasten und allgemeinem Jubel 
den Abend verbrachte. So schildert das gedruckte Pro- 
gramm und ein Brief von Strauß an seinen Bruder den 
ereignisreichen Tag. Er mochte sich vorkommen wie Faust 
um zweiten Ostertag unter dem ihn feiernden Volke draußen 
vor der Stadt. 

Aber auf den Rausch der Freude folgte zunächst bei 
Strauß selber alsbald der Katzenjammer. Durch oino 
„Überrumpelung des Gefühls, wie sie ihm leider immer be- 
gegnen", hatte er sich bestimmen lassen, von ITeilbronn 
nach Ludwigsburg überzusiedeln. Sofort aber erkannte- er. 
daß ihm dieses Stillesitzen in Ludwigsburg unerträglich 
sein würde; er nahm den ,, dummen Streich" zurück und 
gab nicht nur die Wohnung in Heilbronn, sondern auch 
das bereits gemietete Logis in Ludwigsburg wieder auf. 
Seiner inneren Unruhe enUprach in diesem Augenblick 
nur ein ganz unfixierter Aufenthalt bald da, bald dort. Dabei 
dachte er zunächst an München, um durch das Studium 
der dortigen Kunstschätze und durch passenden Umgang 
sich die nötige Beschäftigung und Zerstreuung zu ver- 
schaffen. Diesen Plan führte er Ende Juli aus, im August 
machte er eine kleine Reise an den Starnberger- und Kochel- 
se«. Aber schon Mitte September mußte er zurück — als 
LandtagBabgeordneter nuch Stuttgart, wo die Kammer 
an 20. September eröffnet wurde. 

Nicht bloß seine Ludwigsburgor, im ganzen Lando 
setzte man große Hoffnungen auf Strauß und seine Tätig- 
keit im Landtag. Allein dort lagen gerade für ihn die 
Partei Verhältnisse sehr ungünstig. Die Radikalen waren 
1848 wie überall im Süden, so auch liier in Württem- 
berg oben auf und hatten die große Mehrheit. Zu 
ihnen gehflrto Strauß nicht. In Sachen der Freiheit war er 



440 



Siebentes Kapitel. 



viel gemäßigter ah sie. und in der deutschen Einheilaffage im 
Gegensatz tu den großdoutsehen Demokraten SQddoulsch- 
lands kleindeutsch und erbkaiserlich, und — für einen 
Schwaben jener Tage horribilv dictu — ein Anhänger Preußens. 
Die radikale Mehrheit aber stieß ihn auch persönlich durch 
die geräuschvolle Roheit ihres Auftretens ab, dir Rein- 
heit ihrer Absichten war ihm zweifelhaft, er sah bei ihr nur 
Zerstttrungslust, wenig ßauveratand. So stand er als 
„ein Mann des bürgerlichen Zentrums" in der Mitte und 
kämpfte bald als Liberaler gegen die aristokratische Rechte, 
bald als Gemüßigter gegen ».die anarchistische Linke". 
Dadurch geriet er in eine seltsame Gesellschaft. Neben 
Reyscher '), dem er wohl politisch am nächsten stand, 
gehörte zu dem kleinen Klub dieser Gemäßigten auch sein 
alter Gegner Wolfgang Menzel und in weiterem Abstand 
auch der schneidige Professor der katholischen Theologie 
in Tübingen, Dr. Kuhn, dessen Charakterstärke Strauß 
mit Hochachtung erfüllte. An Menzel schätzte er den politi- 
schen Verstand und die auf früheren Landtagen erworbeue 
parlamentarische Routine. Allein wenn er auch wohl im- 
stande war, , .einen Menschen, wenn er ihn mit Augen sah. 
als einen ganz anderen zu nehmen, als den, den er früher 
aus Büchern gelesen", so empfand er es doch als eine Ironie» 
erst befangen, dann artig und schließlich sogar freundlich 
mit Menzel verkehren zu müssen; und eine wirkliche Ironie 
dos Schicksals war es jedenfalls, daß auf Vorschlag von 
Strauß , .Freund Menzel" zum Vorsitzenden der Fraktion 
und zum Exerziermoistor des kleinen Korps der Gemäßigten 
in aller parlamentarischen Taktik bestellt wurde. 

Daß er nun zusammen mit solchen Männern, die teil- 
weise viel weiter rechts standen als er, für das Ministerium 



») Autf LudwiR Keyscher 1802—1880. damals Professor 
Tübingen, uiner der besonnenst.? n Politiker Württembergs; 1851 v 
lor «r, rin Opfer der Reaktion, seine Professur. 



MnuiO *U Politik«. 



441 



Römer ein- und gegen die Radikalen auftreten mußte, war 
naturlich für ihn selber unbequem, zumal da auf der Linken 
persönliche Freunde von ihm wie Schnitzer außen. Für 
die anderen aber, für Freund du wühl als Feind, war es eine 
große Enttäuschung. 

Nur selten, so in der Sitzung vom 15. November, ver- 
diente er sich den Beifall der Linken. Es handelt sich um 
den Entwurf eines Gesetzes über diu Ablösung der Zehuten. 
Dazu ergriff Strauß das Wort und erklärte: „es sei ihm 
von Geistlichen der Diözese Neuenbürg der Auftrag erteilt 
worden, zu erklären, daß sie zwar durch das ZohntablOsungs- 
gtrselz hurt betroffen werden, daß sie sich aber nicht Über- 
treffen lassen wollen, wenn es gelte, Opfer auf dem Altar 
des Volks niederzulegen. Auf einen Stand, bei dem solche 
Gesinnungen zu suchen sind, müsse man Rücksicht nehmen. 
Der geistliche Stand sei von der neuen Wendung der Dinge 
nicht begünstigt; er, der Redner, sei nicht berufen, als Ritter 
für ihn einzustehen, uliein wenn man billig sein wolle, müsse 
man den unvermeidlichen Widerspruch anerkennen, in 
den die wissenschaftliche Forschung mit dem religiösen Be- 
dürfnis der Gemeinden hierin geraten sei. Statt aber die 
Geistlichen dabei zu erleichtern, habe man ihnen die Köpfe 
herumgedreht und die Kehlen heuchlerisch zugeschnürt. 
Zu der Kommission, die eine Kirchenverfassung entwerfen 
solle, könne man nur dann Vertrauen haben, wenn 
zuvor in das Personal des Konsistorium? eine tüchtige 
Bresche geschossen worden sei. Er wünschte, daß die Zeit 
schon da wäre, in der, wie Professor Vischer in der National- 
versammlung gesagt habe, die Schulmeister die Erben der 
Pfarrer geworden sein werden. Er begrüße das vorliegende 
Ge«et i; es werden aber Falle vorkommen, wo man auf einen 
Stand gi'Uührrude Rücksieht zu nehmen habe, der statt 
gehoben zu werden, systematisch demoralisiert worden 
Mi." Die Prälaten protestierten gegen diesen AngrifT 
auf die KirchomVhörde, Strauß aber blieb dabei: „über 



442 



Siebentes KapiUO. 



die Weitherzigkeil des Konsistoriums habe das Land 
gerichtet". 

Ebenso kreuzte er die Klinge einmal mit der Ritterbank, 
als es sieb am den Antrag handelte, daß jeder Grundbesitzer 
auf seinem Eigentum dnn Jugdrecht solle ausüben dürfen. 
Er wundere sich, daß in diesem Fall gerade d<?r Adel so enci 
gisch für die Freiheit eintrete; leicht mochte etwas hinter 
dieser Verteidigung stocken, wie hinter dem Eintreten für ihr 
Freiheit des Unterrichts so oft der UHramontanisrnus stecke. 
Ihm scheine es, man wolle den kleinen Grundbesitzern die 
Hasen, don großen aber die Hirsche in die Köche j 
Als die Ritter daraufhin beleidigt meinten, daß den J 
berechtigten seit dem Ausbruch der Revolution die Jagd- 
lust vergangen sei, antwortete Strauß spitzig und unter ver- 
ständnisvoller Heiterkeit des Huuses: das glaube er nicht, 
es mußte denn nur ein Wunder geschehen sein, an die er 
bekanntlich nicht glaubo. 

Schlug er in diesen Fällen nach rechts, so kh 
es bei weitem schärfer, wenn er der Linken gegenüber 
die Regierung belobte, daß sie gegen den Preßunfug ein- 
geschritten sei. Sei es doch, ala ob aller Haß und Neil 
alle Raub- und Zerstörungslust, alles böse Gift, welches 
bisher durch den Preßzwang niedergehalten war, jetzt 
in vollem Maß ausgespien werden sollte. Unsere Lokal- 
blätter insbesondere, je schaler und ungesalzener sie froher 
gewesen, desto giftiger seien sie geworden. Beispielsweise 
nannte er aus seiner nächsten Nähe ein Heilbrunner Blatt 
mit seinem frechen Hohn, mit seinem heillosen Wesen, 
mit seinem neidischen Zühnefletachen, mit seinem tiefen 
Haß gegen jeden Gebildeton, der über die Masse sich empor- 
gehoben, von dem zynisch ekelhaften Tone solcher Blatter 
gar nicht zu sprechen. Landeskundig sei, daß die besten 
Männer, wenn sie gegen solchen Unfug sich erheben, als 
Aristokraten in den Kot gezogen und mit schmutzigem 
Wasser überschüttet werden. Den besser denkenden Bürgern 



Strauß als Politik**. 



MI 



mache man den Vorwurf der Passivität; aber gerade dieser 
Zustand der Presse trage zum großen Teil Schuld an dieser 
Zurückhaltung, viele fürchten einen Kotwurf mehr als eine 
Wunde." Er aei nicht Partei, TOgte er unlor großer Be- 
wegung im Snale hinzu, ihm komme es auf einen Kolwurf 
mehr oder weniger eicht an, er sei hartschlägig geworden in 
der Schule, die or durchgemacht habe, in der theologisch D 
So war er in der Tat ,,ein zweischneidiges Schwert", 
wie ihn ein Hedner der Linken nannte. Aber bald sollte es 
noch w>'ii schlimmer kommen. Am 9. November 1848 
war Robert Blum in der Brigittenau zu Wien standrecht- 
lich erschossen worden. — obgleich er sich auf seine Unver- 
leUlichkeit nls Mitglied und Abgesandter dos Frankfurter 
Parlaments berufen oder eben weil er als solcher an dem Kampf 
auf den Barrikaden teilgenommen halte: darüber war Streit. 
Ein Sturm der Entrüstung über diese blutige Tat ging durch 
die Reihen der Radikalen, überall wurden Resolutionen 
beschlossen, Protestadressen erlassen und Trauergotles- 
dienstfi abgehalten *). Auch in der wurttembergischen 
Kammer gingen die Wogen hoch. Seeger beantragte am 
16. November eine Adresse an die Nationalversammlung, 
um Genugtuung zu fordern für das verletzte nationale Ge- 
fühl. Gegen diesen ihm unberechtigt dünkenden Enthusias- 
mus erhob sich Strauß. Er führte aus: Über den Wert des 
Hingerichteten könne man sehr verschiedener Ansicht sein 
und doch seine Hinrichtung einstimmig beklagen. Ebenso 
auch über die Berechtigung der österreichischen Militär- 
behörde dazu. Die Hinrichtung eines solchen Parteihauptes 



') Auch mein Vater, damals Geistlicher in Göppingen, sollte zu 
*olchen gezwungen werden. Kr war konservativ und erklärte 
': Ja. ich will ouch einen Trauurgottesdlcnit für Blum halten, 
ober ihr wurdet von mir hören müssen, daß er mit Recht erschossen 
wordoa Ut Daraufhin verlichtete man natürlich auf seine Mitwir- 
kung und warf ihm Abends die Fensterscheiben ein. Ihr Klirren ist 
memo frü holte Jugendorinnerung. 



444 



Siebenies Kap ; lel. 



:iiehr als ein Unrecht, sie sei ein Fehler, indem man da- 
durch i'iwm Märtyrer der Republik gemocht habe. Insofern 
mtissen Blums Hinrichtung alle die bedauern, wiche in d«T 
Republik ein verführerisches Irrlicht sehen. Müsse man ca 
doch nun erleben, daß ein Kultus eingeführt, Totenfeiern fflr 
ihn verlangt und das alles als Hebel zur Agitation benutzt 
werde. Aber nun ist di« Hinrichtung geschehen, was soll 
da unser Protest noch helfen? Soll er etwa die Würde der 
Nationalversammlung wahren? Aber war denn Hlum als 
ihr Abgesandter in Wien und nicht vielmehr auf eigene Kaust? 
Amtlich wenigstens war er nicht in Wien. Aber, sagt man, 
als Vertreter der deutschen Nation ist er wie zu Hause so 
auch auf Reisen durch das Reichsgesetz geschützt. Das 
weiß ich wohl, aber wie denn, wenn or sich auf solchen H eisen 
mit dem befaßt, was mit seiner Eigenschaft als solcher nicht 
vereinbar ist ? wenn er den Abgeordnetenrock ausgezogen 
und die Bluse de» HiirrikiidonniHnnos aufzogen hat? Hin 
solcher Mann hat aufgehört, Mitglied der Nationalversamm- 
lung zu sein, und wenn er als Freischärler, als Rebellenhaupt- 
ling nrgrilTon wird, so haben die, welche ihn ergreifen, das 
Recht, ihn zu vernichten. Mit Freischärlern macht man 
kurzen Prozeß. Während in dieser Kammer über die greuel- 
vollo Ermordung Auorswalds und Lichnowskys ') keine 
Beratung vorgenommen worden, sollen wir ein Urteil fallen 
über die Hinrichtung Blums, weil diese von den Bevoll- 
mächtigten eines souveränen Fürston, die Ermordung in 
Frankfurt aber von solchen, die zum souveränen Volke 
gehören, begangen worden ist! Wenn der Schuß gegen Blum 
ein Schuß des Despotismus in dos Herz der deutschen Freiheit 
war, ist dann diese nämliche Freiheit in der Person von 
Lichnowsky und Auerswald nicht in Stücke zerrissen 
worden? Haijen wir damals geschwiegen, so dürfen wir 
auch jetzt nicht reden; daher bin ich gegen die Adresse." 



») Am 18. September 1848 in Frankfurt a. M. 



Straufl als Politiker. 



445 



Diese Rede rief in der Kammer und weiterhin in der 
Presse und durch das ganze Land hin in den Kreisen der 
Linken einen wahren Sturm der Entrüstung gegen Strauß 
hervor. Man warf ihm eiserne Stirne und Herzlosigkeit vor. 
worauf er in einer öffentlichen Erklärung kaltblütig meinte, 
Herzlosigkeit sei in der Politik immer noch hesser als Kopf- 
losigkeit. Nicht so ganz gleichmütig nahm er es auf. als 
nun auch seine Ludwigshurger Mitbürger, dio inzwischen 
vom Strudel fortgerissen radikaler geworden waren, wahrend 
er derselbe geblieben war, unzufrieden wurden. In einer 
Adresse mit 90 Unterschriften (bei einer war hinzugefügt: 
..mit Bedauern'*!) gab ihm der vaterländische Verein in 
Ludwigsburg über die Art. wie er sich in der Ständekammer 
früher gegen Preßmißbräuche und neuerlich gegen Robert 
Blum geäußert habe, sein entschiedenes Mißfallen zu er- 
kennen; bei seiner Wahl sei man „von der Ansicht ausge- 
gangen, daß der Mann, der auf einem Gebiete des Geistes 
als ein so entschiedener, rücksichtsloser Kämpfer für die 
Forderungen der Vernunft aufgetreten ist. dies wenn auch 
mit der wahrer Bildung eigenen Mäßigung, so doch nicht 
minder entschieden und rücksichtslos auf einem anderen 
Gebiete des Geistes, nämlich dem des Staates, tun werde". 
Rückgabe dos Mandats wurde nicht vorlangt, sondern nur 
das Befremden ausgesprochen, den in kirchlicher Be- 
ziehung so destruktiven Mann politisch so über alle Erwar- 
tung konservativ zu finden. Strauß wollte daraufhin sein 
Mandat sofort niederlegen. Allein seine Freunde, vor allem 
der Tübinger Kuhn, stellten ihm vor, daß der Rücktritt 
eines Abgeordneten auf eine Mißfallensäußerung der Wähler 
hin ein übler Vorgang wäre, der, wenn er Nachahmung Tande, 
zu völliger Abhängigkeit der Abgeordneten von ihren Wäh- 
lern führen müßte. Dun leuchtete Straußein, und so begnügte 
ersieh, im Schwäbischen Merkur eine Krklfiruug abzugeben, 
die so charakteristisch ist für den Mann und seine stolze Art, 
daß sie hier nicht fehlen darf. Sie lautet: 



446 



Siebrates Kapitel. 



„An den Vaterländischen Verein inl.udwigshurg. Hndlt-h 
ist mir dessen l/lng*t in öffentlichen Blflltern angekündigt«! Er- 
klärung, mit 90 Unterschriften versehen, zugekommen, worin 
er mir Ober die Art, wie ich mich in der SlBüdoknuiitf HVroU 
früher gegen Preßmißbrauche als neuerlich (fegen H. Blum 
geäußert habe, sein entschiedenes Mißfallen zu erkei: 
gibt. Was dor genannte Verein mit einer solchen Erklärung 
eigentlich bezweckt, ist mir nicht ganz klar. Meint er, vrtil 
er die von mir in den bezeichneten Fragen genommene Stel- 
lung mißbilligt, werde nun nucli ich sie mißbilligen und be- 
reuen, so irrt er sich. Im Gegenteil, ich habe mein poli- 
tisches Urteil für mich, das ich so frei bin, selbst gegen die 
90 Autoritäten des Vaterländischen Vereins in Ludwigsburg 
festzuhalten, und ich bin stolz darauf, meine Überzeugung 
ausgesprochen zu haben ohne Furcht vor der Ungunst des 
tonangebenden Publikums, die ich mir, wie ich leicht sehen 
konnte, dadurch zuziehen mußte. Oder hofft der Verein, 
auf seine Erklärung lün werde ich in mich gehen und meine 
Stellung in der Kammer lindern, um mich für die Zukunft 
seines Beifalls würdig zu machen? Da irrt er ebenfalls 
und könnte wissen, daß er sich irrt. Ich bin von jeher meinen 
eigenen Weg gegangen, mochte es gefallen oder mißfallen, 
wem es wollte, und so gedenke ich es auch fernerhin zu halten. 
So unverbesserlich, wie ich demnach bin, konnte die Er- 
klüruug des Vaterländischen Vereins nur dann einen prak- 
tischen Zweck erreichen, wenn e* ihm gelange, mich durch 
dieselbe zur Niederlegung meiner Stellt* zu bewegen, worauf 
auch in der Versammlung am 20. d. ein Antrag gestellt worden 
ist. Allein so leid es mir tut, so muß ich doch sagen, daß 
auch hiezu die mir zugefertigte Erklärung nicht hinreicht. 
An meinem guten Willen sollte es in diesem Stöcke gewiß 
nicht fehlen; ich habe mich um die Abgeordnetenstclle nicht 
beworben, sondern sie nur auf den dringenden Wunsch 
meiner Mitbürger übernommen, und ich wurde sie, wollt« 
ich meiner Neigung folgen, lieber heute als morgen nieder- 



StrauO uli Politiker. 



447 



Nun ist mir aber der Posten einmal anvertraut, 
so darf ich ihn, ohne meine Pflicht zu verletzen, nicht 
verlassen, solange mich nicht dieselbe Mehrheit, die mir ihn 
anvertraut hat, desselben wieder entbindet. Ware daher da* 
mir zugekommene Aktenstück von der Mehrheit der Wähler 
oder, was ich gleichfalls anerkennen wurde, von der Mehr- 
heit der dortigen Bürger unterzeichnet, so würde ich keinen 
Augenblick anstehen, meine Entlassung zu nehmen. Allein 
▼od den 126 Ludwigsburger Wählern haben dasselbe nur 
25 unterzeichnet und von der Gesamtheit der Bürger nur 90; 
da hatte also der Verein erst noch ziemlich viel weitere Unter- 
schriften beizubringen, um mir den Rücktritt möglich xu 
machen. Nun, vielleicht gibt sich bald ein neuer Aulall 
dazu, wenn ich, wie ich im Sinne habe, gerade ao fortmache 
wie bisher. Freilich wenn die Wahler unter den Unterzeich- 
nern an meinem Auftreten in der Kammer solchen Anstoß 
iiuhmeri, so wundert es mich nur und wird auch andere Leute 
wundern, daß sie mich gewählt haben. Denn in den Reden, 
welche zwar meine Wahl nach Frankfurt bezweckten, aber 
die in den hiesigen Landtag zur Folge hatten, und die zum 
Glück gedruckt vorliegen, habe ich mich wiederholt so 
entschieden dahin erklärt, die Freiheit nur mit der Ordnung 
zu wollen, daß niemand mit Grund erwarten konnte, ich 
werde über eine wühlerische Presse oder das aufwieglerische 
Treiben eines deutschen Reichstagsabgeordueten in Wien 
mich anders aussprechen als ich getan habe. Überhaupt, 
wer einen bloßen Jaherrn der Tagesmeinung haben wollte, 
der hatte mich nicht wählen sollen; denn davon bin ich mein 
Leben lang das Gegenteil gewesen. Wenn sich daher unter 
der mehrerwähnten Erklärung einer als , .getauschter Wahler" 
unterschrieben hat, so war der Mann freilich, wie seine Unter- 
schrift zeigt, in einer argen Täuschung befangen; nur kommt 
sie auf seine Rechnung und nicht auf die meinige. Ich bin 
mir durchaus treu gebheben und werde ea auch ferner bleiben. 
Gefallt diee dem Vaterländischen Verein nicht, so möge er 



448 



Siebentes Kapitel. 



zweckdienlicher» Maßregeln ergreifen, ab «eine MiBhilli- 
gungäerklörung war, die ich hiermit gleichgültig bei- 
seite lege. 

Stuttgart, den 26. November 1848. 

Der Abgeordnete Strauß.** 

Kine Erwiderung de» Ludwigsburger Vereins, der durch 
Hirse Antwort voll „Sarkasmus und höhnischem Achsel* 
zucken" lief gekränkt war, machte „auf den Mann, der 
mit eiserner Stinte sich dem Strome dor Xoit entgegen- 
stemmt«", in der Tat keinen Eindruck. Aber der ganze 
Handel bestärkte ihn in dem Entschluß, bei passenderer Ge- 
legenheit sein Mandat doch niederzulegen. Und diese Ge- 
legenheit kam bald. Am 20. Dezember verhandelte man 
über einen Antrag Seeger auf Berufung einer konstituierenden 
Versammlung. Strauß stimmte dagegen und gab dazu die 
Erklärung ab: „Ware er nicht vorher schon entschlossen 
gewesen, gegen den Antrag zu stimmen, so hätte die mehr 
als zweideutige Art, wie Seeger zuletzt noch den Begriff 
einer konstituierenden Versammlung bestimmt habe, ihn 
in diesem Entschlüsse bestärken müssen. Er habe um die 
Sache in Sätzen und Phrasen herumgeredet, mit welchen er 
(Strauß) zum Teil kaum einen bestimmten Sinn zu verbinden 
gewußt habe. Die konstituierende Versammlung solle in 
der Sache unserer künftigen Verfassung zwar nicht allein 
zu reden haben, aber das Hauptwort müsse ihr gestattet 
sein; da der Berichterstatter die Regierung nicht außerhalb 
des Volkes, das Volk nicht außerhalb der Regierung sehe, 
so fürchte er nicht, daß eine Kollision zwischen beiden ein- 
treten werde; sollte aber je eine solche zum Ausbruch kommen, 
so würdo sie jedenfalls nicht daher rühren, daß jene Vorsamm* 
lung sich souverän erklart hatte, sondern daher, duß ein 
unvolkstümliche* Ministerium an die Spitze getreten wäre. 
usw. Diu ganze Zweideutigkeit sei zuletzt in dem Ausdruck 
zusammengefaßt worden, die konstituierende Versammlung 



Slnnjlä .»1. PoUUkttr 



■tr.« 



wohl im Einklang milder Regierung, nicht ub«»r in 
■reinbarung mit derselben zu handeln haben. Das er- 
innere an tlii* Krklarung ein»* anderen Abgeordneten, dvr vt-r 
sichert«, die staatsrechtliche Kommission habe den Ausdruck, 
die konstituierende Versammlung werde im Zusammenwirken 
mit der Regierung die neue Verfassung zu macheu hüben, 
eben deswegen gewählt, um die Frage unentschieden zu 
li ob jene Versammlung für sich allein das Recht habe, 
sine Verfassung festzustellen, oder ob dies nur in Verein- 
barung mit der Regierung zu geschoben habe. Nun bitte 
ich Sie, in. IL. man wählt also den Ausdruck: Zusammen- 
wirken, um damit zu sogen, doli die fragliche Versammlung 
möglicherweise auch für sich allein wirken könne. Ein 
solcher Ausdruck ist eine Falle, in diese Falle gehe ich nicht, 
und darum Nein." Auf den Hinweis Seegers, daß er in der 
Kommission den Ausdruck , .Vereinbarung 1 ' vorgeschlagen 
habe, erwiderte Strauß aufs neue: „er habe im Laufe »einer 
theologischen Studien die Erfahrung gemacht, so oft ihm vor 
Worten und Phrasen das Verständnis ausgegangen sei, 
da sei es allemal nicht richtig gewesen; da wollte man entweder 
etwas vorstecken, was da war, oder etwas vorspiegeln, was 
abhanden gekommen war. Wie nun in der Rede Seegers 
Satze kamen, mit denen er keinen bestimmten Sinn zu 
(■'binden wußte, so habe er auch hier gleich gesellen, daß 
Stall um etwas handeln müsse, das er nicht leugnen könne 
und doch auch nicht eingestehen wolle. Übrigens lasse er 
der Kunstfertigkeit alle Ehre widerfahren, mit der es doxa 
Abgeordneten Seeger gelungen sei, in den BegrifT einer kon- 
stituierenden Versammlung, welchem der Abgeordnete Mack 
einen unverfänglichen Sinn unterlegt hatte, einen anderen 
hineinrueskamotieren. Habe uuoh er (Strauß) das Kunst- 
stück bemerkt, so beweise das nichts gegen seine (Seegers) 
Kunst, und halte er gleich kein Ja auf seinen Teller gelegt, 
so sei dies doch von so vielen anderen geschehen, daß Seeger 
immerhin lufrieden sein könne." Zur Ordnung! scholl e* 



4&0 



Sieben!« Kapital 



nun von den Blöken der Linken: wir *ind keine Taschen- 

s|inilrc' um! lirr Präsident crkl.'irtr: vYrgnn des Ausdrucks 
,, Folie" habe er Strauß nicht zur Ordnung gerufen, weil 
dieser damit nur »eine subjektive Auffassung aus- 
gesprochen habe; wb» aber den Ausdruck „eakamotieren" 
betreffe, so frnge er den Redner, ob er ihn nicht zurück- 
nehmen wolle ? Darauf Strauß: ..Ich nehme ihn nicht zurück, 
sondern beharre darauf. Wenn in Binar Adresse gesagt wird, 
die konstituierende Versammlung habe im Kinklang mit d<r 
Regierung zu handeln, und hinterher erklart nicht der 
Berichterstatter und Verfortiger der Adresse, sondern ein 
anderer, man habe jenen Ausdruck gewählt, um auch der 
Ansicht Raum zu lassen, dieselbe Versammlung könne wohl 
auch für sich allein handeln, so ist ein solcher Ausdruck 
entweder hinterlistig oder sehr ungeschickt gewählt. Im 
Einklang mit der Regierung heißt dann soviel als: die Ver- 
sammlung beschließt; sogt die Regierung zu ihren Be- 
schlüssen ja, so ist os gut; sagt sie nein, so ist es auch gut; 
man läßt die Regierung stehen und die Beschlüsse gelten 
dooh." Nach dieser ErklArung rief der Präsident den Ab- 
geordneten Strauß wegen der beiden gebrauchton Ausdrücke 
zur Ordnung. Daraufhin erklärte Strauß noch am selben 
Tago schriftlich seinen Austritt aus der Kammer, unter Ver- 
lieht auf sämtliche ihm für die Zeit seiner Kammertatigkoit 
zustehenden Diäten (,,Geiz" ?!). Was ihn zu diesem Schritt 
bestimmt hat, hat er in einer Erklärung an seine Mitbürger 
in Ludwigsburg Öffentlich dargelegt. Auch sie müssen wir 
hören. Datiert vom 23. Dezember 1848 lautet sie so: 

„Wozu ich mich vor vier Wochen für den Fall erboten 
hatte, daß die Mehrheit von Ihnen sich der Mißfallens- 
Äußerung anschließen würde, welche von einer Minderheit 
gegen den Standpunkt meines ständischen Wirkens go- 
richtet worden war, das habe ich nun freiwillig getan: ich 
bin aus der Kammer der Abgeordneten ausgetreten. Nach 
jenen Vorgängen werden Sio von selbst nicht geglaubt 






SlMuß als Pole 



451 



Kuben ilriB i.i--in> \in;t.m tfl ■:: W.inin^ nur in ftl Im ■ll.-r Mit--.- 
über den Ordnungsruf d«3 Präsidenten in der letzten Sitzung 
gegeben worden Bei; im Gegenteil: hätte nicht» wio meine 
Freunde wissen, mein Entschluß zum Rücktritt ftobon vor- 
her bei mir (estgestanden, so würde ich o* in jener Sitzung 
ni< ht bis zum Bruche haben kommen lassen. Ebensowenig 
dürfen Sie jedoch glauben, nachwirkender Verdruß über 
jene MißfaUensadresse aus Ihrer Mitte habe mir mein ständi- 
sches Wirken entleidet. Entleidet war es mir allerdings; 
aber nicht, weil es vielseitig mißfiel, sondern weil ich täg- 
lich mehr einsah, in dieser Kammer kein Feld für ersprieß- 
liche Wirksamkeit zu linden. Als ich im Frühjahr Ihre 
Wahl annahm, welche mich durch die Feierlichkeit, die Ihr 
Wohlwollen für mich derselben gab, jetzt in der Erinne- 
rung doppell beschämt, da hatte, wie Sie von meiner Fähig- 
keit, so ich von dem Kreise meiner künftigen Wirksamkeit 
sanguinische HotTnungen, welche sich wie gewöhnlich nicht 
erfüllen sollten. Ich freute mich, in eine Kammer einzu- 
treten* welche, wie ich mir vorstellte, auf der Grundlage 
dessen, was der deutschen Nation von seilen der National- 
versammlung gogeben werden würde, und im Anschluß an 
ein aus dem Vertrauen des Volks hervorgegangenes Mini- 
sterium, unser« Verhältnisse neu gestalten» die Früchte der 
französisch-deutschen Revolution im friedlichen Wege der 
Reform auch unserem engern Valerlande zuführen werde. 
Allein, wie in ganz Deutschland, so gibt es auch in Württem- 
berg und zeigten sieh bald auch in der Kammer nicht wenige, 
denen die Revolution des Miirz nur als ein halber Schritt 
erscheint, die jedes Versuchs friedlicher Umbildung als eines 
eitein Flickwerks spotten und einen zweiten gründlichem 
Umsturz als das einzige Heilmittel in Aussicht stellen, dem- 
nach auch unser jetziges Ministerium zwar gern aufkomm* " 
sahen, weil es doch wenigstens A sagte, noch lieber jedoch 
es wieder fort hatten, weil es in ihrem Sinne nicht auch B 
sagen will. Daher wurden die Arbeilen dor Kammer voa 



462 



Siebente* Kapitel. 



Anfang an bei jeder Gelegenheit durch Interpellationen 
unterbrochen; das Ministerium sollt« sich wegen jedes un- 
geduldigen Briefs, der von einem politischen Gefangenen 
iniilief, wegen jedes Wirlshausgeredes Ober Truppensen- 
düngen und Einberufungen verantworten; in der Regel 
gelang dies zwar so gut. daß am Ende die Interpellanten 
sei bat sich genötigt sahen, dem Ministerium ihr Kompliment 
zu machen; doch das schreckte sie nicht ab. hei nächster 
Gelegenheit wiederzukommen. Auch mit der National- 
versammlung in Frankfurt war man von Seite immer 
weniger zufrieden, je mehr in ihr die gemüßigte Partei die 
Oberhand bekam. Daher wurde in unserem Standesaalo 
auch die große Politik cur Hand genommen; die Verhält- 
nisse an der Spree und an der Donau zu bestimmen, wozu 
man am Main sich zu schwach fühlte, wurden am Nesen- 
bach wiederholte Versuche gemacht. Nach der unbedingter, 
Unterwerf ungserklarung in der Antwortsadressc erst Bitten, 
dann Monitorien, zuletzt eine Verwahrung, die ein wahres 
Mißtrauensvotum war, und der nur noch die Form zur wirk- 
lichen Lossagung von den Beschlüssen der Nationalver- 
sammlung fehlte. Dazwischen hinein wurden die Geselzes- 
vnilagen, welche größtenteils schon im Entwürfe der Regie- 
rung das Äußerste bezeichneten, was gewahrt werden konnte, 
ohne bestehende Rechte allzu empfindlich zu verletzen 
oder der Staatskasse allzu große Ausfälle zu bereiten, — 
diese Ceselzesentwürfe wurden teils schon von den |h) 
seitig zusammengesetzten Kommissionen in einem Sinne 
begutachtet, teils von der Kammermehrheil mit Zusätzen 
und Abänderungen angenommen, welche die bedenklichsten 
Folgen für das öffentliche und Privatwohl in Aussicht stellen. 
So war es nicht genug, durch das ZehntabIö»uug»ge*etK 
zugunsten einer einzelnen, allerdings der Erleichterung be- 
dürftigen Klasse von Staatsbürgern anderen einzelnen 
mehl nur, sondern auch frommen Stiftungen und der Staats- 
kasse, mithin der Gesamtheit der Steuerpflichtigen Millionen 



SlrftuB Uli. Politiker. 



«61 



an Knpital zu entziehen: man mußte durch willkürliche 
Erniedrigung des ZinsfuOes den Ausfall noch um Hundert- 
tausend«) vermehren. Es war nicht genug, die Befreiung 
der Privat- und Staatsdomänen von den Gemeindeabgaben 
vom nächsten Etatsjahr an aufhören zu lassen: man mußte, 
um ja nicht im ordentlichen Wege der Gesetzgebung zu 
bleiben, dem Gesetz rückwirkende Kraft bis zum 1. Juli 
des nun bald abgelaufenen Jahres geben. Um solches und 
ähnliches Übermaß H verhindern, sah ich und meine Ge- 
sinnungsgenossen DM oft, obwohl meist vorgeblich, genötigt, 
uns an die Ritter- und Pralateubank anzuschließen: man 
hat mir dies zum Vorwurf gemacht, unerachtet es auf der 
Hand liegt, daß ich mit den Vorrechten und Sonderinter- 
iii dieser Stände keinerlei Sympathien haben kann, 
lern nur notgedrungen hie und da ihr Bündnis suchte, 
weil der moderierenden Elemente unter den bürgerlichen 
Abgeordneten zu wenige waren und diese täglich mehr zu- 
sammenschmelzen. Jede neue Kommiasinuswah], fast jede 
folgende Abstimmung zeigt die steigende Majorität einer 
Richtung, welche ohne Hemmschuh den Abhang hiuunter- 
jagen möchte, in der ausgespuid nen Absicht, den ul!< n 
Staatswagen umzuwerfen und zu zertrümmern, möge es 
den Passagieren dabei gehen wie es wolle; einer Richtung, 
die mit knabenhaftem Mutwillen über jedes Loch jubelte, 
dns ihr in drn bisherigen Rechtshoden zu stoßen gelungen 
war. ohne zu bedenken, auf welchem Boden denn als dem 
des Rechts und der Achtung vor dem Recht ein künftiger 
Staat begründet werden solle- Auf solche Weise meistens 
fruchtlos mit der Minorität zu stimmen und gleichsam nur 
meine Verwahrung gegen die zustande kommenden Be- 
schlüsse tu Protokoll zu geben, da» war eine Stellung, aus 
der ich ausscheiden zu dürfen glaubte. Ich erkenne wohl, 
was sich Tür die Verpflichtung sugeu laßt, auch in solchem 
Falle ohne äußern Erfolg sein Prinrip. und wäre P9 als der 
letzte Mann, zu verteidigen. Allein es wird doch alles darauf 

TU «WIM D Vi St.--Q IL 30 



454 



Siebente* Kapitel. 



ankommen, ob einer in der Politik seine Lebensaufgabe 
erkenn*, oder ob ihm auch noch für ein andere» Tätigkeits- 
gebiet Pflichten obliegen, deren er nur so long und unter 
der Bedingung entlassen war, daß er im Augenblick auf 
dem politischen Felde mehr und ersprießlicher wirken könne. 
Letzteres ist nun mein Fall: ich betrachte mich in erster 
Linie als Dienstmann der Literatur, welche mir nur in obiger 
Voraussetzung auf eine Zeitlang Urlaub gegeben und mich 
der Politik abgetreten hat, mich aber nun wieder einberuft, 
da jene Voraussetzung nicht mehr zutrifft. Mag auch im 
jetzigen Augenblicke der Zeitpunkt für literarische Produk- 
tionen noch nicht wiedergekehrt sein, so wird »ich doch im 
stillen manches vorbereiten lassen, was zu seiner Zeit will- 
kommen ans Licht treten mag. 

Diese Erklärung über den von mir getanen Schritt 

hielt ich für notwendig, um nicht von Ihnen mißkannt zu 

werden, deren Urteil mir niemals gleichgültig sein wird, 

und deren Wohlwollen ich immer nur schmerzlich entbehren 

würde. e . n 

Strauß." 



Kurz vor seinem Ausscheiden aus der Kammer hatte er 
übrigens noch eine andere politische Stellung abgelehnt, die 
sich ihm bot. Das Märzmimslerium Römer wollte ein Regie* 
rungsorgan gründen, in dem die Sache des gemäßigten 
Liberalismus gegen die radikalen Schreier in Kammer, 
Volksversammlungen und Presse vertreten werden sollte. 
Die Redaktion dieser Zeitung wurde Strauß angeboten, 
und zwar auf ausdrücklichen Wunsch des Königs Wilhelm I-, 
der zwar kein Freund seiner theologischen Richtung war, 
aber sich über den guten Einfluß auf die Ludwigaburger 
anlaßlich seiner Wahl und über sein mannhaftes Auftreten 
gegen die radikalen Tendenzen in der Kammer herzlich freute. 
Zu seinem Hofarzt Hurdogg sagte er; ,,l>aß er Courage 
hat, hab' ich immer geglaubt, sonst halt' er nicht mit den 



Strauß aJa Politiker. 



466 



Fallen angebunden'* l ). Natürlich lohnte Strauß ohtut alles 
Besinnen ab, indem er erklärte, daß ihn der König ebensogut 
zum Husarenoberaten als tum Redakteur einer politischen 
Zeitung machen könnte. Es war auch eine starke Vcrkonnung 
seiner politischen Anschauungen und mehr noch seines 
ganzen Charakters: nicht im Dienst und Auftrag einer 
Regierung, sondern als unabhängiger Mann ging er — natür- 
lich nicht durch dick und dünn, sondern nur da und nur 
so weit mit dem Ministerium Römer, als ihn seine persön- 
liche Überzeugung auf diese Seite führte. Der Gedanke 
hat geradezu etwas Groteskes : Strauß als Königlich württem- 
bergischer Staatsanzeiger-Redakteur, zwölf Jahre, nachdem 
man ihn wie Uhland „sehr gerne' 4 aus dein württembergi- 
soben Staatsdienst hatte ziehen lassen. 

Was war es aber, was ihm seine politische Tätigkeit so 
rasch verleidet hat? In jeuer oben mitgeteilten Erklärung 
an seine Ludwigsburger Mitbürger hat er als Grund die Frucht- 
losigkeit seines Ankämpfen* gegen den Radikalismus in 
der Kammer und den Ekel Ober das Treiben desselben 
angegeben: er hat sie einmal brieflieh eine „Rauberhöhle" 
genannt. Und gewiß war das ein Grund. Einen zweiten 
führt er in den literarischen Denkwürdigkeiten au: das Un- 
behagen über seine mangelhafte Ausrüstung zum Kampf 
gegen diese radikale Kammermehrheit. Darüber sagt er: 
..Was ich llngst wußte, bekam ich hier peinlich zu erfahren: 
daß ich koiu Redner sei. Von Natur sind wir Schwaben 
dies durchschnittlich überhaupt nicht; ob ich durch Übung 
es hätte werden können, steht dahin; aber diese Übung hatte 
mir gefehlt. Meine kurzgefaßten Predigten als Vikar und 
Repetent hatte ich aufgeschrieben und dann auswendig 
gelernt; die Vorlesungen, die ich in Tubingen hielt, wio 
damals an der württembergischen Universität alle Welt 



•) 80 hat Hardegg das Diklum meinem Vater, mit dem er vi«r 
Jahr« im Seminar xu Schönthul «usammenKtTweaim vvur, orxahlu 

SO* 



m 



Stotxntes Kapitel 



■v^-!i-.''ii. 'irr k:i1i i -Iii-1is.-1.i- I Mtrirn-iil, iliMl ii h DftOh- 

•inander in Religionslehre, alten Sprachen, Philosophie und 
Theologie zu erteilen hatte, war doch noch lange kein zu- 
sammenhängender freier Vortrag gewesen. Ware ich auf 
dem Katheder gehlieben, hatte nuf demselben die Zeiten 
erlebt, da auch in SüddeuUchland die Forderung eine» 
freien Vortrage immrr unabweisbarer an den akademischen 
Lehrer herantrat, gewiß wurde auch ich gesucht haben, 
derselben gerecht zu werden, ob mit Glück, weiß ich freilich 
nicht. Aber im Herbst 1848 waren es ja bereits 15 Jahre, 
daß ich vom Katheder entfernt war, und ich hatte das vier- 
zigste Lebensjahr hinter nur. Da hatte jedenfalls eine längere 
parlamentarische Übung daau gehört, um aus mir so spat 
noch einen Redner zu machen. Für jetzt hielt ich r* in 
der Kammer wie einst auf der Kanzel: wollt' ich über einen 
Gegenstand sprechen, so schrieb und memorierte ich die 
Rede, die ich dann in der Sitzung hielt. Daß man damit 
in parlamentarischen Verhandlungen nicht weit kommt, 
liegt auf der Hand. Die Fähigkeit, auf das, was in der De- 
batte vorkommt, unmittelbar und aus dem Stegreife zu 
antworten, und zwar nicht bloß in einzelnen epigi animali- 
schen Bemerkungen — denn diese fehlten mir nicht — , 
sondern in zusammenhängender Ausführung, ist unerläßlich. 
Daß sie mir fehlte, setzte mich gegen die seichtesten Ge- 
sellen, denen aber diese Gabe zu Gebot stand, in Nachteil 
und machte meine Situation in die Lange unerträglich." 
Also Struuß war nicht schlagfertig, war kein Debatter, 
er schnitt, wiu Schweitzer 1 ) sagt, als solcher schlecht ab 1 ). 
Wer so redet und daraus gar rückwärts auf den Mang«! 



•) Schweitzer, Von Reimnms zu Wredu, S. 73, 96 und oben 
Bd. I, 8. t5i (T. 

■) Wie schlagfertig er in Wirkliehkuil war, dm> zeigt dio obon 
(S. 435» mitgeteilt* Ahlwort an Dekan Christheb bei derLudwigsburger 
W u liU LTMiinnilunt*. 



StrauO ak Politiker. 



467 



an Sohlagfertigkeit auch in seinen Streitschriften achließt, 
der kennt die landständische Tätigkeit von Strauß doch 
wohl nicht durch eigene Binsiohtnohme in die Kammer- 
berichte, sondern lediglich aus dieser seiner Sclhstheurtei- 
lung, die Hausralh 1 ). darin richtiger sehend, eine ..allzu be- 
scheidene" nennt. Zunächst weiß ich nicht, ob es oin Fehler 
und ein Mangel ist, wenn ein Parlamentarier sich auch auf 
seine Reden genau vorbereitet und auf eine gute Form 
rtYrsulhiMi Werl \< yl Ich meiiir, vwrksitriM' Parliuimntarier 
tun das auch heute noch. Jedenfalls aber erwiesen sich 
gerade dadurch, wie einst die Walüreden, so jetzt die Par- 
laincnUreden von StrauO durchaus wirksam; und auch 
wo er einmal sofort KD antworten und aus dem Stegreif OB 
sprechen hatte, zeigte er sich als des Wortes durchaus mäch- 
tig. Daß die Redegewandten solhor und besonders die 
lieferen Naturen nachtraglich glauben, nicht Genügendes 
gesagt und vieles übersehen und vergessen zu haben, ist 
natürlich: sie sind oben nicht so leicht mit sich zufrieden 
und machen sich auch nachher noch Gedanken über das, 
was sie innerlich bewegt hat und was sie noch alles über 
den Gegenstand hätten sagen können und sollen. Auch 
der Erfolg seiner Reden spricht gegen jenes Selbsturteil 
von Strauß: sie fanden Beifall, riefen heftige Erwiderungen 
der Getroffenen und Angegriffenen hervor und halten stets 
das Ohr des Hauses. Und als der Präsident in der Sitzung 
vorn 4. Januar 1849 der Kammer seinen Austritt mitteilte, 
da wurde dem Bedauern darüber laut Ausdruck gegeben, 
und viele, auch von der Linken, erhohen sich zum Zeichen 
des von ihren Sitzen. Wenn ein kühler Kopf und ein 
tapferes Herz zum guten Redner gehören, so war Strauß 
einer; denn beides besnB er in hohem Maß. Und waß ihm 
etwa technisch fehlte, das hätte er sicher rasch gelernt und 
durch die Notwendigkeit des Redens unschwer sich unge- 



fc ) Haimrath, D. Fr. fllrauß. H, S. 178. 



45* 



9itl*tit«t Kapital. 



eignet: dafür spricht das, was er in drei Monaten ala Mit- 
glied der Kammer geleistet hat, 

So wiU auch der zweite Grund nicht verfangen. Wo- 
her also jenes tiefgehende Unbehagen Ober seine landstandi- 
sche Tätigkeit und jene weitgehende Unzufriedenheit mit 
«eh seibor? Nicht der Radikalismus seiner Umgebung, 
nicht der Mangel an Schlagfertigkeit ist daran schuld, 
sondern — die Frau. Sie lebte mit den Kindern in Stutt- 
gart: ihr zu begegnen schwebto er in beständiger Angst 
und Aufregung, und umgekehrt durfte er seine Kinder, 
obwohl am selben Orte mit ihnen lebend, nicht bei sich 
haben, sie nur ab und zu bei befreundeten Familien sehen. 
In welcher Stimmung er in jenen Monaten war, daß zeigen 
die wahrhaft grauenvollen Verse: 

Ich wollte reisen, nun verreis' ich nicht, 
Doch ob ich bleiben werde, weiß ich nicht 
Daß hier ich In der Fremde bin, ist »icher: 
Wo mein« Heimat sei, da» weiß ich nicht. 
Ich mein', ich h»tt* oinmnl zwri lieb« Kinder i~ 
Ob du* nicht bloß cm Traum sei, weiß ich nicht. 
Ein Weib verstieß ich: ob zu Haß die Liebe, 
Ob Haß xu Liehe wurde, weiß ich nicht. 
Sic sagen, Bücher halt* ich einst geschrhiban : 
Ob's Wahrheit oder Spott ist, weiß ich nicht. 
Ungläubig, hör' ich, nennen mich die Leuto: 
Ob ich nicht eher fromm sei, weiß ich nicht. 
Nie hob ich vor dem Tode mich gefürchtet: 
Ob ich nicht langst gestorben, weiß ich nicht. 

Das Schlimmste aber von dem, was er nicht wußte, 
war: ob zu Haß die Liebe oder ob Haß zu Liebe geworden. 
Er hatte biB dahin das erate für das einzig Mögliche gehalten. 
Jetzt, wenn er sie sah — und das ließ sich in dem damals 
noch so kleinen Stuttgart nicht vermeiden, sie führte es 
auch wohl absichtlich herbei — . so wollte altes Glücks- 
gefühl wieder aufwachen, sein Herz wappnete eiob ver- 
gebens mit Haß, die Liebe war noch immer da. Ich glaube, 
diese Zwiespältigkeit des Gefühls erst erklärt den ganzen 






Strauß als Politik». 



4M 



Strauß jener Tago: weil or sie noch immer liebte, deshalb 
rüttelte und schüttelte er seine Ketten und verfluchte sich 
und sie, die ihn nicht losließ. Das bezeugen eine ganze 
Reihe von Gedichten aus der Zeit, am ergreifendsten die 
Verse, die nach einer Begegnung im Konzertsaal entstanden 
sind: 

Da sitz' ich Auf der Gallerie, 

Wie os dem Grumt- ziemt, im Dunkeln; 

Im Saale drunten aitzel sie, 

Wo vielo hundert Komm funkeln. 



Die Töne flattern durch den Saal, 
Wie Vögele hon in Lust und Scherzen i 
Ich denk an Dich. Du meine Qual, 
Du denkst an mich, ich spoVs im Herzen. 

Wir lauschon gleicher Harmonie 
Mit gleichgestimmtun, reinen Sinnen: 
Ach, konnten duun die Herum nie 
Den gleichen Hchlag und Ton gewinnen? 

Doch tief und tiefer sinket schon 
Der Geist in träumendes Erinnern, 
Vernimmt statt Hörn- und Flötenion 
Nur noch das Schmenenslied im Innern, 

Di« Töne scbweigeu, und xu Zwhi'u 
Verlassen OlQcklich« die Schwelle: 
Ich geh' allein, sie geht allein, 
Ein jede» nach der Öden Zelle. 

Und noch ein andereä spricht dafür. Nie ist sein Herz 
entflammbarer gewesen als in jenen Tagen. Auf der Ge- 
birgsreise im Sommer tut es ihm eine „Seejungfrau" an, und 
in München schwärmt er für eine „Mohrenfurstin", einen 
fremden Wundervogel, den ein Sturm in dies Land der 
trüben Tage hergetragen und von dem nicht bloß in dem 
bekannten Gedicht 1 ), sondern mich in Briefen gelegentlich 




•) Poetisches Gcdeuk))Ui:h in den Ges. Schriften, Bd. 13, S. 55. 



400 



Siebentes Kapitel. 



die Rede ist. Er siebt eben Helenen, d. h. in »einem Kill 
Agncsen in jedem Weibe. 

So verworren, so elend war ihm zumute. Und die 
Quelle alles dieses Elends war in Stuttgart. Wie h.'illc er 
es also dort aushalten können? Hier brachen, wir er an 
Vischer schrieb, die alten Wunden immer neu auf, darum 
mußte or fort, er floh einfach vor MUNT Krau, die er — 
haßte und liebte zugleich. Deshalb ergrifT BT die erste beste 
Gelegenheit, sich frei zu machen und Stuttgart den Rocken 
zu kehren. Und „mit jeder Station atmeto or freier", ul* 
er dünn endlich am Dreikönigstag 18(0 München zufuhr. 

So hat ihm nicht der Radikalismus und nicht der 
Mangel an Schlagfcrtigkeit die Politik verleidet, sondern 
sein häuslicher Jammer, oder, wie er natürlich sagt: das 
unselige Weib hat ihn gezwungen, alles im Stich zu lassen. 
Darum ist es so bedauerlich, daß er nicht in Frankfurt, 
sondern in Stuttgart hat Politiker werden müssen: dar.-m 
waren wie gesagt seine alten Freunde, die Theologen, schuld. 
Daß er in Stuttgart nicht bei der Fahne bleiben konntet, 
daran war seine Ehe schuld: die Theologen und das Weib 
— es ist das alte Lied, das wir immer wiederholen müssen. 
Die letzte Quelle der Schuld aber lag doch wiodor in ihm 
selber. Er war mimosenhaft empfindlich, habe ich schon 
einmal gesagt: hier wurde diese Empfindlichkeit zur un- 
erträglichen Qual und machte ihn aufs neue beruflos. Daß 
das zu bedauern ist, vor allem um seiner selbst willen zu 
bedauern, liegt auf der Hand. Zu bedauern aber auch um 
der Sache willen. Politiker, die so klar dachten und so 
gescheit sprachen, die so mutig auch gegen den Strom zu 
schwimmen wagten und eich weder durch Gunst von oben 
noch durch Enlrüstungsslurme von unten auch nur um 
eines Fingers Breite von ihrer ßahn abbringen ließen, gab 
es im Jahre 1848 Dicht allzuviele, und in Schwaben war ihre 
Zahl noch ganz besonders klein. So begreifen wir, daß ihn 
doch recht viele mit Bedauern aus der Kammer I den 



Strauß ab Politiker. 



4SI 



nahen. Allein MÜ der uudern Seite hatte er nurh wieder 
recht. In jenen erregten Zeiten war für so viel kühle Be- 
sonnenheit in der wurttembergischeri Kammer kein Platz, 
auch Strauß halte gegen den Radikalismus nicht« auszu- 
richten vermocht, und als dann gleich darauf die Reaktion 
kam, wAro er nur mit umgekehrter Front doch wieder in 
Opposition gestanden, ohne etwas erreichen zu können. 
Vor allem aber — er hatte wirklich anderes, Besseres zu 
tun: er war ,,der Schriftsteller, der Poet, den zum Pail.i- 
mentsrnann umzubilden ea doch wohl zu spat" — oder 
sagen wir lieber: zu schade war. 

Den Epilog zu dieser politischen Episode gab er iti 
rfoen Brief vom 24. Februar 1849 an den großdeutsch und 
demokratisch gesinnten Vischer. Offenbar wollte dieser das 
persönliche Hauptmotiv für Straußeus Fahnenflucht nicht 
gellen lassen, und darum rechtfertigt sie Strauß, seine 
und des Freundes Verhältnis zur Politik in eins zusammen- 
fassend, nachträglich noch gewissermaßen aus seiner und 
aus des Freundes Natur heraus so: „Dacht ich 's doch, daß 
ich bei Dir nicht so leichten Kaufes davonkommen wurde. 
Ich wollte um unsere politische Differenz horumschleichen 
wie eine Katze, da kommst Du wie ein „Biodermann" und 
ziehst mich mitten hinein... Daß ich diese Sachen um- 
gehen will und kann, Du aber nicht, das scheint mir oin- 
fach daher zu rühren, daß ich mich davon losgemacht habe. 
Du aber noch darin steckst; daher, daß ich einfach sage: 
Politik ist uns boidon ein ganz gleich fremdes Feld, Du 
hust so wenig etwas in Frankfurt zu schaffen als ich in Stutt- 
gart hatte, also gleich von gleich geht auf, — daß ich dieses 
eiurAiimn, sag* ich, Du aber es von Dir nicht einräumst. 
Du sagst. Du wärest, entfernt vom Schauplatz, zerborsten; 
da» glaube ich, aber es beweist nichts für Deinen Beruf, 
sondern nur für einen Trieb, deren unvollständige N.dmvn 
wie wir manche in sich trugen, die zu keinem fruchtbaren 
Ziel fuhren, sondern uns nur Affen. Du habest manches 



462 



Siebentes Kapitel 



durchsetzen helfen, wie x. B. Hin Aufhebung der Spielbanken ■ 
nun, deswegen brauchtest Du nicht nach Frankfurt zugehen, 
dir wurden sich gewiß nicht ISnger gehalten haben. Aber 
das Wehrgesetz — das ist Dein Steckenpferd, worüber 
ich mir kein Urteil erlaube, weil ich mich hiexu bloß ironisch 
verhalten kann Du wirst Bogen* wie der Kuchs tur hoch- 
hängenden Traube, was ich mir gefallen lassen muß Du 
gestehst, daß es Dir in Km nk fürt nicht wohl ist. und damit 
habe ich vollkommen genug; denn ich bleibe auf dem Axiom: 
wofür einer Beruf hat. in dessen Ausübung ist ihm auch 
wohl. Daß Du diese Gleichheit wischen uns nicht einräumst, 
hnt auch darin noch seinen Grund, daß Dil mit Neigung, 
ich gegen dieselbe in die Politik hineingezogen worden bin. 
Du wolltest mitralen, tratest aus eigenem innerem Antrieb 
auf; mich schoben andere hinterrücks in die Lanne, die 
Ludwigsburger packten mich an der schwächsten Seile, 
an der gemütlichen, und aus dieser Rücksicht gab ich mich 
xu einer Rolle her, die mir an sich immer fatal erschien. 
Zur ganx gerechten Strafe für ein solches Handeln aus bloßer 
Rücksicht schlug dann die gemütliche Stimmung der Luil 
wigsburger in der Weise um, die mich zur Fortführung der 
Stelle unfähig machte. Du hingegen kommst mir vor wie 
ein Mann, der als Maler groß wäre und die erste Stellung 
einnehmen konnte. — er hat aber eine Marotte für Musik 
und spielt lieber bei einem Orchester die 6. Violine oder den 
Triangel, als dort die erste Rolle zu spielen. Ganz gleich- 
artig sind unsere beiden Naturen darin, daß sie künstlenseh- 
wissenschaftliche sind. Den Unterschied in dieser Einheit 
möchte ich so ausdrücken, daß Du ein wissenschaftlicher 
Künstler, ieh ein künstlerischer Wissenschafter bin, d.h. 
Dir ist die Kunst Stoff, den Du wissenschaftlich behandelst, 
mir ist die Wissenschaft Stoff, den ich künstlerisch xu ge- 
stalten strebe. Daraus kann ich (Ar mich gleich ableiten, 
warum für mich Politik kein Feld ist. Goethe schreibt einmal, 
ich meine an die Stein, nachdem ihm als Staatsmann manches 



Strauß ab Politiker. 



M : 



mißlungen, — nun wolle ersieh aber mit nicht« mehr befassen, 
was er nicht so ganz in der Gewalt habe wie ein Gedicht. 
Das ist's. Wer wird denn auf eine Fläche malen wollen, 
auf der im nächsten Augenblick andere mit Barenfußen 
herumtreten? Dann kommt dafl noch allzu AfGcihle meiner 
Natur hinzu, kraft dessen mich ein tagliches personliche» 
Gegenüberstehen mit Menschen, deren Treiben ich hossn 
und vun denen ich weiß, daß sie mich hassen, aufreibt. 
Machte mich dies überhaupt für politisch-parlamentarisches 
Wirken zu jeder Zeit untauglich, so kommt flu* die Politik 
der Gegenwart noch mein absoluter Widerwillen gegen alles 
Revolutionare, die Massen Entfesselnde hinzu. Dieser Wider- 
wille ist sehr natürlich, er ist der Schauder jedes Geschöpfs 
vor einem Element, in dem es nicht leben kann. Unter 
russischem Despotismus konnte ich, zwar mit beschnittenen 
Hügeln, doch noch existieren, aber Massenlterrsohaft würde, 
mich vernichten. Daher hasse ich, was dahin führt, so sein. 
wie ich nie etwas gehaßt habe, weil mir nie etwas mich so 
absolut Negierendes 1'nt.gi'genget.relen war. So sehr nun 
aber der vernünftige Politiker der Gegenwart auf Bezähmung 
dieses Elements aus sein muß, so darf er dies doch nur so, 
wie Mephistophelcs: Sei ruhig, freundlich* Element! — er 
muß nötigenfalls selbst ein wenig drin leben können, darf 
es nicht, wie ich, schlechterdings perhorreszieren. Hieran 
nun würde es bei Dir nicht fehlen; es käme Dir dos Kriege- 
rische in Deiner Natur zuhilfe; aber im Ergebnis würdest. 
Du gewiß immer zu kurz kommen, weil, wie Du selbst sagst, 
nur blinde (und unreine) Kräfte den Ausschlag geben. 
Noch einmal und mit einem Wort: in so unvollständigen 
und ungleichmäßigen Naturen wie die unsern gibt es Reite, 
die keinen Beruf anzeigen, keine Frucht versprechen, denen 
mau mithin nicht oder nur sehr mit Muß nachhangen dnrl 

Daß Vischer diese Auseinandersetzung gut aufnahm, hat 
Strauß sehr gefreut. „Ich traue der jetzigen Zeit gar uichU 
Gutes zu in betreff alter Freundschaften", schreibt er ihm 



46-1 



Swbwites Kapitel. 



am 22. Mai, aux Erfahrungen wie «lor mit Schnitzer heraus, 
mit dem ihn die Politik bleibend entzwei! hat; ..ich fand mm 
aber zu meinem Tröste, daß sie der unsrigen nicht« anhaben 
U.inn." Was er in dein Hriof an Viachor >.ur KrklJtrung 
seiner Abneigung gegen die* Politik und seines Austritts iiua 
der Kammer sagt, ist durchaus wahr. Die treuliche Analyse 
seiner künstlerisch-wissenschaftlichen Natur wird sich uns als- 
bald nur immer mehr bestätigen. Aber die Erklärung Et! keine 
vollständig«, weil das Hauptmotiv fehlt: gerade vor dem 
„kriegerischen" Freunde mochte er sich schämen, auf „das 
Weib" als die wahre Ursache hinzudeuten und ihm seine 
ganze Wehleidigkeit zu enthüllen; und auch vor sich selbst 
beschönigte er mit einer gewissen Sophistik durch den Hin- 
weis auf seine Natur, was zuletzt doch nur eine Flucht vor 
seiner Frau gewesen war. 

Und dasselbe tat er in gewissem Sinn auch öffentlich in 
der Biographie von Christian Mfirklin: auch sie ist eine Recht- 
fertigung seiner Fahnenflucht und damit zugleich eine Art 
Nachspiel nicht nur zu seinen theologischen» sondern auch zu 
seinen politischen Kämpfen. Im Herbst 1849 erwartete 
er den Desuch dieses seines besten Freundes mit Kaufmann 
in München und freute sich darauf. Da kam statt des Er- 
warteten die Nachricht von seinem in der Frühe de* 18. Ok- 
tober erfolgten Tode. Seinen besten Freund habe ich Marklin 
genannt, ich hatte ihn auch seinen guten Genius nennen 
können. Denn das war ihm dieser Charaktervolle wie in den 
Stürmen um das Leben Jesu so in den vierziger Jahren bei 
seinen ehelichen Kämpfen und Leiden gewesen. Vier Wochen 
vor seinem Tode hat er ihm, als es ein kleines Mißverständnis 
zu beseitigen galt, geschrieben: ..Daß Du Dich genötigt 
glaubst, mir gegenüber Deine Gesinnung zu reohtfWÜgUi 
das tut mir innig leid; sie war und ist mir immer ein Hei- 
ligtum, an das ich mit Ehrfurcht fest glaube, und da» ich 
selbst dann nicht wagen würde, durch Verdacht zu vn-h-Unn, 
wenn mir die guten Gründe einer Rede oder Handlung von 






Strauß als Politiker. 



465 



Dir nicht klar wfiren." Darum traf ihn auch dieser Verlust, 
vollends in diesem Augenblick so schwer. Durch ihn war 
er „mit dem Idealen verknüpft", jetzt ist er „ganz golts- 
verlasson". Eben habe ich, schreibt er, noch betäubt von 
dem frischen Schlag, an die Witwe, „eben habe ich am Rande 
des Bettes, das den Teuren empfangen sollte, den nun der 
kühle Schoß der Erde umfängt, ihm ein tränenreiches Lebe- 
wohl gesagt, ihm für alle die Treue und Liebe gedankt, die 
er mir seit unserer Jugend erwiesen, und mir selbst eine 
baldige Nachfolge gewünscht. Sie freilich, verehrtest* 
Freundin, mit Ihren lieben Kindern, haben am meisten ver- 
loren; aber kaum minder trifft der Schlug den erlesenen 
Freundeskreis, der in dem Unvergeßlichen seinen Mittelpunkt, 
scinpn festen sittlichen Kern hatte, von dem uns immer nur 
Gutes, Heines und Edles kam. Ich insbesondere, seit moinem 
Heilbrunner Aufenthalt ihm noch viel inniger als früher ver- 
bunden und jetzt in meiner Verbannung gewohnt, «einer 
brieflichen Zuspräche mich zu erfreuen, — ich insbesondere 
fühle, du!} mit ihm ein Teil von mir selbst, und zwar der 
beste, edelste, gestorben ist. Wenn etwas Sie trösten kann, 
sei es die Gewißheit, daß in uns allen, die den Vollendeten 
wahrhaft erkannt hatten, sein Andenken lebenslänglich mit 
den Vorstellungen des Guten und Edeln, der RechtschatTen- 
heit und Seelenschönheit unzertrennlich verknüpft sein wird." 
lind nlsb.ild - es war am dritten Tag nach -<iiii-i;i Tode. 

erklart er es in diesem Briefe für „seine teure Pflicht, für 
eine tröstende Aufgabe, dem unvergeßlichen Freunde nach 
Kräften ein biographisches Denkmal zu setzen, ihm seihst 
xur Befriedigung, den Freunden zur Erinnerung und allen, 
die es losen, ein Hinweis auf dasjenige, was unvergänglich 
und erhaben über dem Treiben des Taga und dem Gewüldc 
der Interessen und Leidenschaften liegt." 

Nicht ohne nußern Hemmungen, wie sie wohl keinem 
Biographen erspart bleiben und die hier im engen Kreis 

der schwäbischen Heimat erst recht natürlich waren — die 



4M 



3Ub*nU* KapiWl. 



Hinterbliebenen fürchteten, die nun doppolt, theologisch und 
politisch, verfohmte Persönlichkeit de« Biographen kannte 
dem Andenken des Toten schaden und Lebendige kompro- 
mittieren. — hat er. wieder einmal aus innerern Drang heraus, 
den „Christian Marklin** als „ein Lebons- und Charakterbild 
aus der Gegenwart" geschrieben. Im Lauf de» Winter» kam 
die Arbeit um so leichter zustande, je mehr hier das Herz 
mitarbeitete; aber da es Muhe kostete, dafür einen Verleg*** 
zu finden, so erschien das Büchlein erst am Ende des Jahres 
1850. 

Auf den Inhalt dieser Schrift einzugehen, ist nicht 
uötig; denn sie war ein Stück Selbstbiographie, ihr Inhalt 
ist daher von mir zu allem Vorangebenden bisher schon als 
hoste Quelle mitbenutzt worden. Was Strauß in Kapitel zwvi 
bis acht von Klosterleben und Universitätsjaliren. vom 
Viknnat und den wissenschaftlichen Reisen, von der Repe- 
tentenzeit und von Mörklins Schrift über den Pietismus 
und endlich von ihrem mehrjährigen Zusammenleben in 
Heilbronn berichtet, das war wirklich so, als ob Streu U 
Stuck aus seiner eigenen Lebensgeschichte zu erzählen gehabt 
hätte. Dagegen war er eben im Begriff, Heilbronn zu vor- 
lassen, als MarkUns Beteiligung an der politischen Be- 
wegung der Jahre 1848 und 1849 dort anhob: was er 
im söhnten Kapitel darüber und über seinen Tod be- 
richtet, war also nicht miterlebt. Und war es doch 
auch. Wie er in den sieben ersten Kapiteln noch rinmnl 
die theologischen und religiösen Kämpfe ihrer gemein- 
samen Jugendzeit an sich vorüberziehen ließ, so war 
es hier gegen Ende des Buches der Rückblick auf die 
Politik und die Abrechnung mit der württenibergischen 
Demokratie. Jenes Blatt, das Strauß bei seiner Kann 
rede über die Zügellosigkeit der Presse als Beispiel angeführt 
hatte, war das in Heilbronn erscheinende ..Neckardampf- 
schifT', das bis dahin von kleinlichem Lokalhader gelebt 
halte, seit dem 1. April 1848 aber in großer und ganz radi- 



Strauß als Politik». 



467 



kaler Politik macht«. Es pflanzt« dio Fahne der Republik Auf 
und lud die Heilbrunner ein, die Uerweghscb» Arbeiter- 
nchar, die man damals erwartete, „sittliche Menschen, die 
in gut. geleiteten Vereinen in Frankreich dio Prinxipicn der 
Gesittung erhalten hatten 4 *, und deren Absicht die Durch- 
führung der Republik in Deutschland sei, brüderlich auf- 
zunehmen. Dagegen verhöhnte es die konstitutionelle 
Monarcliie als alte Lotturlalle und als einen Selbstwider- 
spruch, so ungereimt wie eine gußeiserne Pelzkappe. Die 
Scheu, die alleinseligmachende Staatsform der Republik 
mit Gewalt durchzufuhren, wurde als spießbürgerliche Be- 
denklichkeil lächerlich gemacht, die Verfügungen des Marz- 
ministeriums gegen Ruhestörungen im Lande als reaktionäre 
Maßregeln bitter getadelt und vollends die Unterdrückung 
des badischen Aufstands mit Hilfe würtlembergischer Truppen 
als Eingriff in die Sondersouveränetat eines deutschen Volks- 
stammes strenge verurteilt. Was durch Besitz und Bildung 
hervorragte, hieß Reaktionär oder Krebsritler in der witzigen 
Sprache dos Blattes; jeder Versuch eines solchen, sich 
pobtisch zu betätigen, wurde als nicht länger zu duldende 
Bevormundung des Volkes dargestellt und als echter 
Volksmann nur der gelten gelassen, welcher Schürze und 
Kittel des Arbeiters trug. 

Gegen diese Anschauungen trat Mürklin auf. Die Repu- 
blik, erklärte er offen, wäre in diesem Augenblick ein Unglück, 
dagegen forderte er Kräftigung und Fortbildung der konsti- 
tutionellen StaaUfonn. Das Kühnste aber, was in Heilbronn 
gesagt werden konnte, war daß auch er den preußischen 
Staat für berufen erklärte zur Leitung der Angelegenheiten 
Deutschlands. 

Das war Marklins politisches Glaubensbekenntnis: es 
entsprach ganz genau dorn von Strauß. Und auch das poli- 
tische Schicksal der beiden war ähnlich genug. Wie die Lud- 
wigsburger in Strauß, so fanden in Heübronn viele in Märklin 
den geeignetsten Kandidaten für das Frankfurter Parlament. 



168 



Siebeol« KupiUL 



Nur war sein Gegner kein Pietist wie der von Strauß, »endern 
der radikal»? Bierbrauer Htmtge*, „ein Hobort Blum im 
kleinen, freilich nur in denselben Maßstabe, wie Heil- 
bronn ein Leipzig im kleinen heißen mag". Aber Mir kl in 
brachte es nicht oinmal wie Strnuli /.um Durchfallen. Durch 
das Dazwischentreten eines dritten Bewerbers, des „Marx- 
Stadtschultheißen" Kielt, einer Sache überdrüssig, die ihn 
in den ungleichen Kampf mit dnm Unverstand auf der IHM, 
mit der Intrigue auf der andern Seite verwickelt halte, 
zog er noch vor der Entscheidung seine Kandidatur zurück. 
Natürlich siegte Hentge», der «ich ttbrigens :.|iM<-t vcrnuiif- 
tiger zeigte, als seine Wähler von ihm vorausgesetzt hutten. 
die ihm deshalb ihr Mißfallen in Form einer Katzenmusik 
ausdruckten. Nach solchen Verführungen in „der verdorbene a 
politischen Atmosphäre" Heilbronns verstand Marklin 
wie keiner den Entschluß von Strauß» »ein Mandat ala 
Landtugsabgeordnetcr niederzulegen. Zu ihm hatte sich 
daher auch Strauß zuerst, unmittelbar danach zwischen 
Weihnachten und Neujahr 1848, geflüchtet: ..bei dieser 
Gelegenheit sahen sich beide Freunde zum letzten Mnl " 
So war das Buch eine Abrechnung — wie in seinem 
erstenTeil mit seinen allen Gegnern, den Theologen, so hier am 
Schluß mit den neuen Feinden im demokratischen Lager. 
Wie seine Reden im Jahr 1848, so war auch diese Schrift 
eine „theologisch-politische". Es ist aber auch das Intimste 
und Wärmste, was Strauß geschrieben hat. Es wnr ja mokl 
die Geschichte eines Fremden, die da erzählt wurde, sondern 
die eines guten Kameraden, eines «dein Freunde», mit dem 
derVcrfassor eino gute Lebensstrecke weit gewandert war und 
mit dem ihm ein Stock von sich selber verloren ging. Und 
was er erzählte, war ja zum guten Teil Selbstcrlebtcs; tua res 
agitur! hieß es, wenn irgend einmal, so hier. Er selbst meinte 
mit Hecht, rann sollte dieser Arbeit „ein wenig Herz und 'in 
wenig Kunst Uttpflno." Glück freilich hat er mit dorn 
kleinen feinen Büchlein nicht gehabt. Es war bestimmt, 



Htr »iifl Ab Politiker. 



M9 



ihm durch alle Stadien, das Niederschreiben ausgenommen, Ver- 
druß 7.11 m.ichon. Schon jene Angst der Familie — „«in 
Bandwurm weiblicher Rücksichten und Vorurteile" — vrr- 
larb ibra, wenn mcht die Stimmung wahrend des Schreibens, 
so doch dio volle Freude am fortig Geschriebenen. Mfl 
Schwierigkeit, einen Verleger dafOr EU linden — Bnssermnnn 
io Mannheim übernahm es endheh — . ließ ihn den iolmn 
Mißerfolg voraussehen; und nachher konnte er mit Goethe 
in: 

Mein Lied ertönt der unbekannten Menge. 

nahm ea kalt und gleichgültig auf. Noch zitierte die 
itischc Krregung in den Gemütern nach, hier nber handelte 
es sich in der ersten größeren Hälfte nicht um Politisches, 
sondern mn etwas ganz Scitabliegendcs, um Weltansohau- 
ungsprobleme und um dir sogenannte ..Pfarrersfrage". 
Wer interessierte sich 1849 und 1850 dafür ? Die Welt schickte 
«ich an, materiell und materialistisch zugleich zu werden, 
und hier bekam mnn ein Stürk weltverlorenen Idealismus; 
aber war seit dem Beginn der Beaktion direkt verpönt, 
nicht zu sagen: geradezu verdachtig. Und ein Buch 
von Strauß, diesem theologischen Revolutionär! Daß er 
politisch konservativ, d. h. nicht republikanisch oder demo- 
kratisch, sondern gemäßigt liberal war, das war vergessen; 
in der Zeit der Kirchentage und der inneren Mission kannte 
man ihn nur wieder als den Verfasser des Lebens Jesu, und 
war ein revolutionäres Buch gewesen: von Revolutio- 
närem aber wollte das verängstigte deutsche Volk in dieser 
schlimmen Reaktionszeit überhaupt nichts mehr hören oder 
lesen; und so ließ es auch den „Christian Marklin" ungo- 
Dic Kritiker aber wußten ohnedies nichts mit dem 
Buche anzufangen. Die politisch Radikalen ärgerten sich 
Ober das „schonungslose Gemälde, das er darin von dem 
Treiben einer hirnlosen Demokratie nm Wohnort des Ver- 
storbenen entwürfen." Rieh! wußte in der Allgemeinen 
Zeitung nur daraus zu entnehmen, „was bei der wftrMonv 

TV Suricr. n. fr 9»mS, IL U 



471' 



.Siebenl» Kapital. 



bergischen Klostererziehung herauskomme"; und L. Steob, 
ein Mönchner Literat, mit dem Strauß persönlich verkehrt 
und dem er das Büchlein selbst geschenkt hatte, «chxieb 
ähnlich so eine Rezension des Inhalts : ..Die Beschreibung, 
die hier oin württombergischer Magister von dem Leben 
eines anderen württembergischen Magisters gebe, habe für 
solche, die nicht württenibergLSche Magister seien, viel 
Ergötzliche*." 

Das konnte freilich nur in München — „beim Bier- 
glas* 1 — passieren, meint Strauß; und so verleidete ihm 
diese« törichte Gerede aus seinem Umgang&kmis heraus 
diesen und damit den Aufenthalt in München Oberhaupt, 
an dem er im ersten Augenblick wirkliches Gefallen und 
Behagen gefunden hatte. Hier fand sein wunde» Gemüt 
Trost bei der Kunst, zunächst in Theater und Konzert. Wir 
kennen ja seit seiner Freundschaft mit Vatke sein Verhältnis 
zu Mozart und Beethoven, seine Liebe zur Musik hatte sogar 
die Brücke geschlagen zu seinem Sich Vorlieben in „die 
schone Sängerin'*; aber sie erwies sich stark genug, 
um das Persönliche daran zu überdauern. Die musikali- 
schen Sonette im poetischen Gedenkbuch stammen aus der 
Münchner Zeit, sie sollten während des Karnevals, „wo 
in den Sfilen die Konzerte schweigen", eine Art Ersatz 
schaffen, durch sie „wollte er die Muse zu sich herbeschworen, 
daß sie mit ihm im stillen musiziere". Und neben die Musik 
treten in München ganz von selbst auch die bildenden Künste, 
neben die musikalischen Sonette die Epigramme aus der 
Glyptothek. Der Sinn dafür war ihm spät, zuerst wohl durch 
seinen Freund Vischer und dossen Reisebriefe aus Italien, dann 
durch die Sammlungen in Stuttgart erschlossen worden. 
Jetzt kam er auch zu diesen Künsten in ein näheres 
Verhältnis. Dabei ist für den neuhumanislisch Gebildeten, 
der „mit seinem Schönheitssinn im altgriechischen Stil 
wurzelte", bezeichnend, daß ihn die Antikensammlung 
der Glyptothek vor allem anzog und entzückte; und — 



Strauß als Politiker 



471 



„wer sich am Alten gelabt, trinkt nicht vom Neuen so- 
gleich*'. Noch kehrte er von Rubens rasch wieder zu den 
farblos unsinnlichon Marmorbildern zurück. Was ihm diese 
Kunstwerke bedeuteten, das sagt er uns in dem ,,Ktnlnß" 
heischenden Epigramm am besten selber: 

Götter und Göttinnen ihr, ehrwürdige, Helden und Kaiser. 

Laßt In den heiligen Kaum, den ihr bewohnet, mich ein. 
Fremd und gedruckt empfind' ich mtch unter den lebenden Menschern 

Marmorne Schatten, bei euch fohl' ich mich wohl und daheim. 

Aber auch Menschen fand er in München, nicht bloß 
solche» mit denen er die Abende am Stammtisch beim köst- 
lichen Münchner Bier — wenn es einmal schlecht ist, klagt 
er beweglich darüber — verkneipen und verplaudern konnte, 
sondern auch solche, denen er sich naher anschließen 
mochte. So vor allem den Orientalisten und Historiker 
Neurnann, damals Professor in München'), mit dem er viel 
spazieren ging und in dessen Familie er auch gerne den 
Abend verbrachte. Dessen politischer Radikalismus, soin 
,,furor demoeraticus", reizte ihn freilich zuweilen so, daß er 
sich ein paar Tage von ihm fernhielt; über den „M&rklin** 
wäre es auch mit ihm beinahe zum Bruch gekommen. Aber 
der scharfe jüdische Verstand des Mannes war ihm zum 
Disputieren und Debattieren unentbehrlich; daß sein Geist 
nicht einrostete* verdanke er, meint er, dem Umgang mit 
ihm. Und auch mit der gebildeten Hausfrau verkehrte 
er gerne, abends lasen sich die drei wohl zusammen 
vor; auch zum Weihnachtsabend war er dort; und dabei 
bot ihm das kleine Tochterchen Neumanns einen wehmütigen 
Ersatz für die eigenen Kinder, die noch immer fern von 
ihm in Stuttgart bei der Mutter waren. Von ihnen bekam 
er Nachrichten und Grüße durch die getreue Emilie Sigel, 



l J Karl Friedrich Neumann wurde wie Reyscher in Tübingen 
ein Opfer der Reaktion und 1852 als tu liberal seiner Professur 
enthoben; seit 1863 lehte «r in Berlin, wo ihn StrauU wieder traf. 

31« 



472 



Siebentes K»piteL 



mit dor er eben deshalb wieder in Korrespondenz gekommen 
war. Und eine große Freude war es, als dann die Kinder 
nBwt auf vier Wochen tu ihm naeh München kamen. Fritz 
beknm dir Mn.tern und mußte gepflegt werden, mit Georgine 
lernte er eifrig, da er fand, daß sie im Stuttgarter Katha- 
rinrnstift, dieser „AtTenansUlt", nicht sonderlich gefGrdi n 
war. Beim Gehen der beiden ist dann neine Stimmung 
freilich zwischen Weinen und Knirschen. Es war doch nur 
, -i r* Haben gewesen, als hatte man nicht*'. Lind wenn 
gar noch plötzlich die Mutter in München auftauchte 
und unter dein Schein von Wiederannäherungsversuchen 
den Frieden seines Hauses stfirto, so floh er an den SUirn- 
berger See. hinaus in den Frieden der Natur, von der er 
aus seinem Faust wußte: 

Oh er heilig, ob er höse. 

Jammert sio der UnglUcksmaiin. 

Aber alles das half nichts. Er war, wenn er sich auch 
gelegentlich aufraffte und zusammennahm, unheilbar wi 
stimmt, „wie ein Sophn, an dem die Federn lahm sind"; 
für sein eigenes Leben „konnte er keinen Boden, keine Luft, 
keine Sonne mehr finden"; „mir ist alles genommen- . 
„Wenn wir noch Klöster hatten", seufzte der, den die 
Welt für einen Antichristen und einen kühlen Verstandes- 
menschen erklärt hatte; und mehr als einmal entringt 
sich ihm der Jnmmcxlaut: „Ich wollt', ich lag 1 untw 
der Erde." In solcher Stimmung, die freilich „unter 
Null" war, halfen dann mich Reisen nicht*. In Kissingen, 
wo er 1849 und 1850 mit dem kranken Bruder zusammen- 
traf, „hat er niemand zum Schwärmen"; mit einer Jüdin, 
die ihm gefüllt, „tlndcl er nicht den Rank anzubandeln"; 
von Landaleulen, die er dort trifft, schreibt er: „so skloviaeli 
und borniert würltembergische Naturen sind mir im Ausland 
zuwider." Resser heha^le ihm Weimar. — darüber werden 
wir bald mehr hören. Auch an Rom dachte er; sein Volter 
Uuofl sollte ihn dorthin begleiten. Aber da dieser nicht 






Siran Ö »U Pohlik-r. 



473 



daxu xu bewegen war. begnügte er sich mit Venedig Diese 
Reise zu Anfang des Jahres 1861 war doch nicht so firgebmft- 
los, wir *s gelegentlich aus Briefliußerungen hcrausklingt. 
Da hören wir froihch, Venedig mache ihm wenig Vergnügen: 
Jkaia Wein, kein Wasser, keine Gesellschaft"; auch vermint 
er menschlich lebendige Schönheit. Nur die Berührung mit 
italienischer Kunst will er als Gewinn gölten lassen: eifrig 
staffiert er sio, legt sich historische Tabellen an und resümiert 
sich endlich dahin: „Tizian bewundere ich, Veroncso achte 
ich hoch. Oellini liebe ich innig." Aus Wien, wo er Laube 
aufsuchte, vertreiben ihn die Wanzen; in Dresden hat er 
durch die Galerie glückliche Stunden; aber von Gutzkow, 
vor dessen „Rittern vom Geist" er Respekt hat. und von 
Berthold Auerbach, einem seiner einstigen Zuhörer in Tü- 
bingen, findet er: „Der Literat in allen diesen Menschen ist 
eitel, neidisch, klatschsüchtig.* 1 

Für Ernilio Sigel hat er ein förmliches Tagebuch über 
diese Reise geschrieben, und dieses lautet nun aus den 
Eindrücken des Augenblick? heraus doch anders, als solche 
verstimmten Äußerungen. Ich füge es hior im Wortlaut ein. 



Verona, den 8. April lool. 

Mein Versprochen, Ihnen womöglich schon von der 
Reise aus tu schreiben, war im stillen so gemeint, daß ich 
dies tun würde, wenn es mir gut gehe. Und da dies bis jetzt 
mehr, als ich hoffen konnte, der Fall war. so will ich dem 
freundlichen Schicksal, das es so fügte, meinen Dank dadurch 
abstatten, daß ich Ihnen enöhle, wie artig es gegen mich 
gewesen ist. Ich schreibe dies, nachdem ich von einem 
Gang* nach Hause gekommen, auf dem ich das obon abge- 
iildete Denkmal KAmi.nrhcr Grflßo ') mit Andacht in Augen- 
lein genommen, in einer Abendstimmung, so still glücklich 
wie ich lange keine mehr gehabt habe. Und diese» Glück 



') Das Amphithealor tu Veroon 



474 



SetoftU» K.piut 



rührt eben daher, daß das Schicksal, oder wie wir das Höhere, 
Aber uns Waltende nennen wollen, mir bis jetzt so freundbnh 
gezeigt hat, daß ihm doch noch etwa* an mir liegt. 

Gleich anfangs hat es auch ganz wie »ein Kind behandelt, 
mir einen Gefallen getan, von dem es selbst am besten wußte., 
dsß er nn sich nichts wert war, aber doch auf mich viel Ein* 
druck machen wurde. 

Hin Hauptzweifel nämlich, der mich Ober die Route, 
£■ ich nehmen wollte, amtrieb, war der, ob ich auf dem Weg 
nach Verona ron der Straße abgeben und den Gardaaee 
besuchen sollte, wohin mich die gerühmte Schönheit seiner 
Ufer lockte, aber der Mangel einer Postrerfcindung usw. 
abschreckte. 

Wie ich nun in den Eilwagen steige, trelT* ( < i, ,la «inen 
Sekretär des Königs ron Bayern, der zu diesem — an den 
Gardasee reist. 

Ein gutherziger Reisegefährte, wie diese Bayern, selbst 
die Hofleute sind, war gefunden, und so war mein Entschluß, 
diesen See zu besuchen, gefaßt. 

Reise — Schnee und wieder Schnee, schon zwischen 
München und dem Starnberger See; 

Schamill, die Grenze zwischen Österreich und Bayern, 
tief verschneit, ein Bube von drei Jahren (os ist eine einsame 
Zollstation) strampft mit Wonne im frischgefallenen Seh; 
und sein Hund, gleichfalls extravergnügt, steigt ihm mit 
den VordnrfüUon von hinten auf die Achseln. Inzwischen 
und während unsere Passe visiert werden, stellt sich der 
Postillon kältehalber an einer Mauer wie ein Spalierbaum 
in dje Sonne. Immer mehr Schnee und Frost, wobei der 
Sekretär, auch für mich, für Heu und Teppiche sorgt. Selbst 
nachdem der Brenner, der höchste Gebirgspaß, passiert ist, 
will die Kalte kaum abnehmen. Ich fiußere gegen den 
SekretAr die Vermutung, dnü am Ende alles, was muri von 
der milden Luft Italiens erzählt, Märchen sein möchten, 
und mache mit ihm aus, wer den andern zuerst mit Grund 



3lr»UÖ als Politiker. 



476 



auf milde italienisch? Luft aufmerksam mache, dem müsse 
der andere eine Flasche vom besten Welschtiroler Wein 
auftischen. In Trient trafen wir mit einem Passagier zu- 
sammen, der meine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, und 
so gewann mirdergefl. (?verfl?) Sekretär die Wette ab, denn 
nunhattesioh wirklich eine recht liebliche Frühlingsluft einge- 
schlichen. Jener Passagier wor ein alter Karthäuser Mönch, 
der, aus der Schweiz durch den Umschwung des Freischaron- 
kriegs vertrieben, sich nun in die Karthause bei Pavia zurück- 
zuziehen gedachte. Die kindliche Einfalt des allen Manues 
rührte mich, und ich wäre imstande gewesen, hätte ich nicht 
das Sonderbare gefürchtet, ihn um seinen Segen zu bitten. 
Im Wagen betete erlange, lange aus seinem Brevier, nachdem 
er zuvor gefragt hatte, der wievielte heute sei; er war der 
Meinung, es sei der 23. (März), da doch der 7. April war. 
Nachdem er aus dem Brevier gebetet, betete er aus dem 
Herzen, aber darüber schlief er bald ein, und sein Hut, der 
zum Wagen hinausstürzen wollte, wurde nur durch mich 
aufgefangen. 

Gardasee — hundekalt, grauer Himmel, die Wolken in 
halber Höhe der umgebenden Berge. Demokratisches Wetter, 
denn der Kerne von Bayern ist auf dem Schill, der es gewiß 
besser gewünscht hätte. Seinon Kammerdiener lerne ich 
bewundern. Ein alter, grauer Mann, aber jeder Schritt 
wie vom Tanzmeister, keinen Zahn mehr im Mund, aber 
dooh eine gewisse Grazie im Gesicht. Ganz Aufmerksamkeit.! 
ganz Dienstbedissenheit, aber auch in der Erniedrigung eine 
gewisse Würde — Ideal eines Kammerdieners. Daß er 
abfcfiB Tubus um den andern für seinen Herrn aus der Tasche 
zog, hfltte KaufTmann gefreut, weil er da der aufgelegte graue 
Mann aus dem Peter Schlemihl war. Die Ufer des Sees 
sind zwar noch ohne frisches GrUn, außer ein wenig Gros 
und Weiden, die jetzt auch bei uns grtln sind (auch blühen 
die Pfirsiche wie bei uns), aber Wälder von Oliven mit ihrem 
überwiuti'niden grauen und Lorbeer mit ihrem hellen GrfiD 



m 



fiietwnt« K»pit*L 



sind zu sehen, und datwischen die PBan 
und Zitronen, jetzt noch mit Brettern verdeckt wir unser« 
Frühbeete. Doch das Liebste, was ich auf dem Gardaseo 
Bah» war mir der Kommandant unseres Dampfschiffes, 
ein österreichischer Leutnant von — 18 Jahren, «ne so 
liebe Kiiabenjüngliugigestalt, wie sie mich innig rühren 
können. Nachdem sein Dienst beim König vorlm v.;ir- «prach 
ich ihn italienisch an und er antwortete lieb und naturlich; 
bald fand sich, daß er ein Deutscher sei. obwohl in Venedig 
geboren; um so faenfidlsV unterhielt ich mich mit dem 
frischen unschuldigen Menschen und hatte die Genugtuung, 
daß er nur beim Abschied von selbst die Hand reichte und 
den Wunsch aussprach, mich auf dem Rückweg wieder zu 
sehen. Ich werde dieses liebenswürdige Menschenbild nie 
vergessen. 

Verona. Zufällige Empfehlung bringt mich in das 
Gasthaus, wo ich dies schreibe, und der Zufall unserer An- 
kunftszeit an eine kleine Tafel älterer italienischer Herren, 
die ich natürlich so wenig kenne, als sie mich. Meine Er- 
wähnung des Amphitheaters, das ich im Hereinfahren ge- 
sehen, bringt einen Diskurs auf die Bahu, in welchem diese 
Herren so viel Sachkenntnis, und besonders einer so viel 
Geistestiefe verraten, daß ich im Innersten erwärmt, meinem 
bischen Italienisch alle Schleusen Öffne und das Glück habe, 
daß die Herren aufmerksam auf mich hören und nachher 
sogar mein Italienisch loben. Jenem einen gebe ich nach 
Tisch meine Karte und bitte, ihn morgen besuchen zu 
dürfen; es ergibt sich, er ist Professor der Geschichte an 
der Universität Padua. auch die anderen lauter Professoren, 
die Auslese von da, hierher berufen, um die Universität 
neu ordnen zu helfen. Die Herzlichkeit, mit welcher der 
Mann don Zufall begrüßt, der ihm meine Bekanntschaft 
verschafft, die Wärme unserer Unterhaltung, du er auch 
in politischen Dingen durchaus mit meiner Mittelstellung 
zusammenstimmt, würde auch Sie erfreut haben, wie mich, 



Strauß als Politiker. 



477 



«Irr ich nie denken konnte, in Italien Männer xu finden, 
unier denen ich wie zu Hause wäre. 

Am 9., morgen*. 

Guten Morien, liebe Emilie; der Frohling kommt — 
mit einem Landregen. Nicht gut für meinen Kirchgang 
heule, weil es nämlich ein Kirchengang ist. So muß n-h ihn 
oben mit dem Schirm machen und damit auch diesen Brief 
auf dio Post tragen. Heute abend oder morgen früh geht's 
nach Vicenza, wo ich auch ca. 1 Tag bleiben werde, dann, 
OfcM Aufenthall in Padua, nach Venedig, um von da aus 
einen Abstecher nach Padua zu machen, wenn meine Freunde, 
die Professoren, wieder dort sein werden, welches in der 
f.harwoche der Fall sein wird. 

Padua. den 22. April 1851. 

Aus Venedig einen Brief von mir tu erhalten, konnten 
Sil' so bestimmt erwarten, eis ich im Sinne hatte, Ihnen 
von du zu schreiben; und doch, nach einem 10 tagigen 
Aufenthalt in Venedig, fange ich diesen Brief an Sie nicht 
dort un, sondern im „goldenen Kreuz" in Padua, wohin ich 
gestern einen Ausflug unternahm, um diesen Abend noch 
einmal in die Lagunenstadt zurückzukehren. Denn man 
wird nicht fertig mit diesem Meerwunder, immer ist noch 
etwas zu sehen übrig, und je fester man sich vornimmt, 
niemals mehr in dieses Labyrinth zurückzukommen, desto 
weniger will man ntwas ungesehen zurücklussen. Es ist eine 
unendlich merkwürdige, aber auch unendlich unbehagliche 
Stadt. Und darin haben Sie auch den Grund zu suchen, 
warum ich dort zu keinem Brief an Sie (sonst ohnehin an 
Niemand) kam, — daß ich nämlich nicht eine einzige be- 
hagliche Stunde hatte Den ganzen Tag rennt und lauft 
man nach den Sehenswürdigkeiten, die, selbst wenn man 
die Huuptwege in einer Gondel macht, noch genug Laufens 
erfordern; dann Abends, statt sich zu einem Glas Wein zu 



478 



9«*««alc* K*piui 



setzen. muß man, um nicht allein zu sein, abermals flfau 
Stunde oder mehr auf dem Marcusplatz auf- und ablaufen, 
so daß, kommt man endlich gegen 10 Uhr nachts nach 
Hause, man froh ist, zu Hott gehen zu können Soll ich in 
2 Worten ausdrücken, was einem Ludwigsburger Venedig 
so unbehaglich macht, ho ist es 1. der Mangel un allem Grün, 
und 2. die engen Gassen, wo jedes Wegfinden. ohne zu fragen, 
unmöglich ißt. Bekanntlich sind die Straßen in Venedig 
im Durchschnitt so schmal, daß man die Hfiuser zu beiden 
Seiton mit ausgestreckten Armen erreichen kann (das Militär 
marschiert beim Auf-die-YVache-zieben in Gansreihen auf), 
und diln 100 Schritt wenden sie sich, man sieht auf keinen 
Platz, keine Kirche, nach der man sich richten könnt«, 
daher war ich 8 Tage in Venedig, ohne meine vom Marcus- 
platz gar nicht weit entfernte Wohnung auch nur einmal 
ungefragt finden zu können. 

So weit in Päd ua. — Diesen Guten Morgen schreibe ich 
in Venedig, in einem Kaffee, bei einem Glas Cyporwoin, 
winnit ich mich nach 4 Kirchenbesuchen zu 4 weiteren 
starke. Mein Ziel bei diesem Gange ist hauptsächlich Giovau ol 
Bellini, aber ein anderer, als der Opembelhni, ein Maler 
des 15. Jahrhunderts, dessen Madonnen und Christkinder 
einen wie die Wahrheit und Treue selbst ansehen 1 ). Guten 
Morgen, 1. Emilie, Mittwoch nach Ostern, \ , auf 12 Uhr. 

Abends in meinem Zimmerchen im Gasthof zur Luna 
(vor meiner Reise nach Padua wohnte ich in der Aquila d'oro, 
wo mir die Aussicht zu wenig war); Aussicht in den kleinen 
Garten des kaiserlichen Palais, weiterhin auf die Lagunen 
und ein Stock von Venedig. Morgen gedenke ich mein 
Tagwerk in Venedig zu endigen, und in der Nacht um 12 Uhr 
nach Triest in See zu gehen, um den Rückweg über Wien 
zu machen. Heute sah ich unter anderem in einer Kirche 



') In einem Briet an ViÄcher vom 13. Mai 1851 spricht er aus- 
führlicher von seiner Reise „als Kunxtrcise" (ausgew. Brief« Nr. 164). 



Su-aufl ab Politiker. 



479 



Madonna von einem uralten Maler, der sie ul« Schutz- 
herrin der Gemeinde dadurch darstellt, daß er sie eine Menge 
Menschen unter ihren Mantel nehmen hißt. Do dies im 
Verhältnis zur Madonnu lauter kleine Pigurchun sind, so 
scheinen die Kinder diese Madonna als die ihrige zu be- 
trachten, wenigstens war die Kapelle, worin das Bild sich 
befindet, fast mit lauter knienden Kindern besetzt, welches 
einen rührenden Eindruck machte. Von einer Freundin 
habe ich heute auch noch Abschied genommen, die ich mir 
schnell in Venedig erworben, ihr noch einmal die goldenen 
Haare gestreichelt und die letzten Liebkosungen mit ihr 
getauscht. Hoffentlich erraten Sie» daß von einer Katze 
die Rede ist, die mein Herz erobert hat und gewiß auch 
das Ihrige erobert haben würde, wenn Sie sie gesehen hätten. 
Denken Sie sich einen alten Palast, der in ein Magazin von 
verkäuflichen Raritäten, alten Gemälden, Rokokomöbeln 
aus den alten Zeiten Venedigs verwandelt ist. Gegen die 
Straße hat er eine Glastüre mit großen Fenstern, hinter 
diesen Fenstern sitzt auf einem alten Pult bestandig ein 
großer, roter Kater, der sich, wie ich hineintrat, gleich 
erhob, sich von mir streicheln ließ und mich durch das ganze 
Etablissement begleitete. Man erzahlte mir, der Eigentümer 
der Sammlung behaupte, ihm könne nichts gestohlen werden, 
ohne daß ers erfahre; ich bin geneigt, diese Katze für eine 
Art von Hausgeist zu halten. Heute nun machte ich bloß 
der Katze einen Besuch, und die Leute, die mich schon 
kennen, ließen mich ganz unbeschrien kommen und wieder 
gehen. Da ich einmal an Schonheiton bin, so sei hier bei- 
läufig bemerkt, daß mich in dieser Hinsicht Venedig ganz 
getauscht hat; ich habe hier lediglich nichts gesehen, das 
mir ans Herz gegangen wäre, dagegen in Padua auf dem 
Theater das Ideal eines Blumenmädchens (das war ihre 
Rolle im Stück); sie heißt Anna de Martini (so stand's auf 
dem Zettel) und schien mir höchstens 16 Jahre alt zu sein; 
das Profil, das ich liebe, dadurch gemildert, daß die Nase, ob- 



480 



Siebentes Kapitel. 



wohl nach deutschem Maßstab nicht klein, doch nach italieni- 
schem eine Neigung zum Stumpfnäschen verriet; allerliebst. 
Nun muß ich noch einmal auf den Marku-iplntx kommen, 
diesen GescUschaflssaal unt*r freiem Himmel, von der Gröl 
BtMB badtOtandflO Marktplatzes, durchaus mit Marmor- 
quadern gepflastert, von 3 Seiten mit Palästen und Hallen, 
auf der 4. durch die Markuskirche geschlossen, die Anfai 
iliiM's Km I- iih^r|)ildel ih! {U\\ mirli d.-i wundi-rhonH 

Bau Venedig», wie ein an* dem Meer aufgestiegener Nixen- 
pnlast). Da goht nun also alles von 7 — 10, 11 Uhr auf und 
üb, von den Gaslampen, die rings um den Platz her brennen, 
beleuchtet, teils unter den Hallen, wo vor den Kaffees be- 
setzte Tische und Stühle stellen, teils auf dem freien Platze 
selbst; hier treffen sich Bekannte, wie ich z, B. heute den 
hiesigen deutschen Arzt, dessen Bekanntschaft ich gemacht 
(gottlob nicht als Patient, obwohl ich gleich anfangs durch 
Erkältung einen Katarrh bekam), noch einmal zu sprechen 
hoffe 

Fortsetzung 8 Vi Uhr im Speisehaus Gallo bei Vi Flasche 
Ofener Wein. Der Freund in Padua hielt sich treffln-h, 
führte mich überall herum und nahm zärtlichen Abschied. 
Er hatte mich bis zuletzt nicht für den Dr. St. gehalten; 
als ee sich im Gespräch ergab, gestand er, den hatte er sich 
anders vorgestellt, und nicht tanto gentile e umano, wie 
er mich finde. Am meisten gelacht habe ich hier am schreck- 
lichsten Ort, in den alten Kerkern Venedigs, in welche der 
alte Aufseher sich amtshalber so verliebt hatte, daß er sie 
als die angenehmsten Logis von der Welt darzustellen 
suchte. Kinen besondern Zahn hatte er auf die Schrift- 
steller, die so schreckliche Märchen (Logen, so groß wie der 
St. Markusplatz, sagte er) über diese Gefängnisse ausge- 
breitet haben. Die Herren Schriftsteller, sprach er mit 
Nachdruck, sollen erst kommen und sehen und dann 
schreiben. Übrigens hat er so unrecht nicht; diese Korker 
sind besser als ihr Huf 



Strauß als Politiker. 



481 



Gutwi Morgen, I. Kmiliet d.h. guten Abend, denn w 
ist bald 5 Uhr (am 24.)- 

Mein Tagewerk in Venedig ist nun getan, das Hiili i 
auf das Dampfschiff gelost, mit dem ich diese Nacht nach 
Triest reisen werde. Diesen Morgen war ich noch in der 
Gondel in einigen Kuchen am äußersten Saunin Venedigs, 
die ich bis dahin noch nicht besucht hatte, aber nicht un- 
besucht lassen wollte, weil sie Bilder meines teuren Belli m 
enthalten. Bei der Gelegenheit kam ich durch mehrere der 
abgelegenen Quartiere der Stadt, wo man deren traurigen 
Verfall recht sehen kann. Die Hauser, mm Teil ehemalige 
Palaste, sind mehr als nur halbe Kuinen, ganzen Stock- 
werken fehlen oft die Fenster; einen Balkon sah ich. dessen 
Kinfassung herabgefallen und durch einen herumgespannten 
Strick ersetzt war. Vor den 2 Säulen, die Sie hier oben sehen, 
steht das Dampfschiff, mit dem ich abfahren werde. 

Zum Wappentier sollte sich Venedig eigentlich den 
Taschenkrebs gewählt haben, wie einensolcheneinegriechis- In; 
Stadt Siciliens wirklich auf ihren Münzen führte, während 
Venedig vornehmer sich den geflügelten Löwen des heiligen 
Markus erkoren bat. Das eigentliche, lebendige Sladtt.u-r 
aber ist hier, wie gesagt, der Taschrnkrehs. Fahrt man durch 
die Kanäle der Stadt, deren Häuser bekanntlich ins Wasser 
selbst hiueingebaut sind, so sitzt unten an den Mauern, 
wo das Wasser sie bespült, alles so voll von Taachenkrebsen, 
wie bei uns zu gewissen Zeiten die Fenster mit Fliegen. 
Auch die Jugend, wie sie bei uns einen Maikäfer um Faden 
fliegen läÜt, so sah ich gleich in den erstell Tagen ein (»mir 
Jungen, die einen armen Taschenkrebs am Faden durch die 
Straßen zogen. 

Der Morgen war hier sehr heiß und hell, jetzt iat'w Ü 
wenig weiß überlaufen und windig, doch das ist der taplirh«- 
Wechsel schon seit mehr als 8 Tagen, und immer sieht man 
um 10 Uhr wieder die Sterne, und in der Frühe geht die 
Sonne wieder heiter auf. Und so, hoffe ich, soll mieh d;i* 



482 



Siebente» Kiii'ttrl. 



Schill ohne Seekrankheit m die deutsche Heimat zurück- 
tragen, die zwar in Tricat noch nicht recht anfängt, doch 
werde ich, nur nach wenigen Stunden Aufenthalt, von da 
weiter nach Wien gehen, wohin man den größten Teil des 

W.-"r . rttnii KiMi'fihntiiirii lütt lll Wi'Ti /i''lniM. i- ; i !il.'i':iill 

elwn eine Woche zu bleiben, um nach 4 wöchentlicher 
Abwesenheit in meine Stiefheiraat München zurückzukehren. 
Denn die wahre werde ich wohl mein Leben lang nicht mohi 
erreichen, und gebe mich schon darein, ich, der reise- 
uidustigste aller Menschen, zum beständigen Flüchtling 
und Pilgrim bestimmt zu sein. 

Von Wien aus erhalten Sie noch einen Brief von mir; 
jetzt will ich diesen zu befördern suchen; ich sorge mim i . 
trotz der Osterreichischen Frankokorten, wovon mir der 
PofttnekrctAr in Verona sagte, damit sei der Brief frei bis 
ans Ende der Welt, — müssen Sie doch noch etwas dafür 
zahlen. 

Dresden, den 4. Mai 1851- 
( Heller Sonnlagraorgen.) 

Sie werden sich wundern, teuerste Kmilie, daß meine 
Reisebriefe Wien überschlagen, wo Sie sich, wie ich selbst, 
gleichfalls einen längeren Aufenthalt gedacht haben werden, 
und daß Sie nun gar einen von Dresden aus erhalten, wohin 
ich eigentlich gar nicht im Sinne hatte, meine Reise aus* 
zudehnen. Allein das Schicksal verfahrt mit Ihrem Freunde 
nach einer unerbittlich strengen Regel: alles Geistige, alles, 
was mit seiner literarischen Stellung zusammenhangt, 
gewahrt es ihm vollauf; sein bloßer Name genügt, daß an 
jedem Orte die gebildetsten, besten Menschen sich boeidni 
ihm Dienste zu leisten; eine Fülle von neuen Kunstnnsohnu- 
ungen und Ideen strömt ihm zu. ein Schatz, an dem er den 
ganzen Rest seines Lebens hindurch zu zehren haben wird: — 
aber alles behagliche Glück anderer Menschenkinder, woran 
auch er seinen Teil haben möchte, das versagt ihm sein 
Schicksal mit eiserner, ja höhnischer Folgerichtigkeit. So 



Strauß als Politiker. 



483 



mußten ihn aus Wien, wo er nach den Mühseligkeiten de» 
fremdartigen Venedigs ein« Woche voll Behagens sich ver- 
sprochen hatte, — sobald das Nötigste gesehen und ein 
paar literarische Bekanntschaften gemacht waren, nach 
4 Tagen diö Wanzen wörtlich hinausbeißen (es war nämlich 
durch einen merkwürdigen Unstern Wien gerade so voll 
von Fremden, daß in einem wanzenfreien, d.h. neuen Gast- 
hof an kein Unterkommen zu denken war), und nur, um 
nicht mit diesem Verdruß nach Hause zu kommen, auch 
weil ich nach so vielem Rciseungemach zweifeln mußte, 
ob ich so bald wieder zu einer Reise kommen würde, ent- 
schloß ich mich, den Besuch Dresdens, den ich eigentlich 
für den Herbst bestimmt hatte, gleich an die jetzige Reise 
anzuhängen. 

Es ist dies auch ganz gut so, wie ich nun sehe, da der 
Kreis malerischer Anschauungen, in dem ich mich auf der 
ganzen Reise bewege, in der hiesigen Galehe seinen würdigsten 
Abschluß findet. Dieser Galerie wohne ich gegenüber, im 
Hotel de Saxo, an dem Neumarkt, und bin nun hier zum 
erstenmal auch mit der Wohnung zufrieden. Die Galerie 
und ihre Gemälde kann ich Ihnen nicht schildern wollen, 
ebensowenig die Aussicht von der Elbebrücke oder der 
Brühlscheu Terrasse (und so wenig ich der nur einmal auf 
der Welt vorhandenen Aussicht vom Markusturm in Venedig 
in meinem früheren Briefe gedacht habe); nur so viel, daß 
mich das Studium jener Kunstwerke beglückt, so sehr, 
daß ich bis jetzt nicht einmal eine literarisohe Bekannt- 
schaft zu machen gesucht habe, welches ich jedoch 
heute tun und dem Dichter Gutzkow einen Besuch 
machen werde. 

Auf dieser ganzen letzten Strecke meiner Reise bin ich 
durch die Heimat meiner Frau gezogen: sie ist in Wien 
geboren, in Theresienstadt in Böhmen aufgewachsen und 
hier in Dresden musikalisch gebildet worden; besonders 
der Anblick von Theresienstadt stimmte mich weich, und 



UM 



SStbcot« Kapitel. 



ich gab ihm meinen Segen für alle« Gut? und Böse, du leb 
dato empfsogen. 

Untcr dem Guten verstehe ich besonders die Kinder; 
sie sind doch gesund geblieben, und ich darf bei mi > 
Rückkehr nicht vor tibcln Nachrichten hange «ein? 

Mittags hall) zwei. — Soeben komme ich vom Besuch 
bei GuUkow zurück, der mich nach Tisch <hier speist man 
um 2 Uhr) mit »einer Familie ru einer Landpartie in den 
Plauenachen Grund abholen wird. Der treffliche Mann 
dachte schon an eine Gesellschaft aller mOgUobtn I 
lebenden Schriftsteller und Künstler, die er meinetwegen 
zusammenrufen wolle, bis ich ihm bedeutete, daß mir der 
i-ir/-l>' Kni. di-r lirhMe, iümI <<* mir mir um wenig»-, I 
mlche Bekanntschaften zu tun sei. die geeignet sind 
Herzen fortzuleben. Aul den Abend ist Don Juan, und an 
scheinen dio bisherigen musikalischen Leiden 1 ) dieser molner 
Heise einmal einer musikalischen Freude Platz machen zu 
wollen. Die Sachsen sind ein freundliches, zutrauli« 
Volkchen. In einem Gartonkonzert auf der RrflhUchen 
Terrasse fragte mich gestern eine alte Dame nach der Uhr, 
und ich gab ihr mit Vergnügen Auskunft. Aber die Gute 
glaubte mir auch den Grund schuldig zu sein, warum rfe 
fragte; wir erwarten, setzte sie hinzu, zwei junge Manschen, 
Lehrlinge in der Salomonsupolheke. die um 7 Uhr zu kommen 
versprochen haben. Da es ^8 Uhr vorbei war, so wollte 
die Dame schon die Hoffnung aufgeben; doch beruhigte 
ich sie durch die Bemerkung, daß sie vielleicht durch Ge- 
schäfte über die Zeit aufgehalten worden seien, und snh. 
dn. indem wir noch redeten, kamen die 2 Lehrlinge in der 
Salomonsapotheke zur Türe des Gartensaal* herein. 

Am 5., geschwind noch vorTisch: Für einen Vater, der QU) 
Töchlerehen hat, gibt es nichts Rührendere* als ein Bild, das 
ir, den t<»ri ihm l.rxm-htmi Oalenen häufig wiederkehrt : Man.. 

») Über seine musikalitehen Leid»n und Freuden tnl der I: 
•, den Brief un Kau Umarm. AiMg. Kr. Nr. 263. 



Strauß ab Politiker. 



485 




als kleines M&dchen. wie sie sich dem Tempeldienntc widmet. 
Vor dem Tempel eine hohe Treppe, oben der Hohepriester 
wartend, die Treppen steigt das blondo Mädchen mit einem 
Lichtlein in der Hand hinauf, ringsum Volk, da» auf da* 
Kind hinsieht. GutenTag.l. Emiliejch werde zuTischgerufeu. 
Nach Tisch. — Gestern nachmittag machte ich also 
die Lundpurtiu mit Gutzkow, Auerbach und deren Frauen; 
die Gegend ist wirklich recht hübsch; kaum V t Stunde von 
der Stadt hat man die romantischsten Berg- und Folspartien. 
(Jod alles uuf Weg und Siegen voll Menschen, d. h. spazieren- 
gehenden Dresdenern. Was anderer Leute Frauen bethlTt, 
so habe ich mir zwar seil meinen eigenen Unfällen zum 
11. Gebot gemacht: „Du sollst nicht richten über deines 
Nächsten Weib, noch sein Kind, — Knecht. — Magd, — 
Ochsen, — Esel etc.", doch weil Loben nicht zum Kichten 
gehört, su darf ich von Gutzkows junger Frau (er ist seit 
einem Jahr zum zweitenmal verheiratet) sagen, daß sie eines 
der lieblichsten Geschöpfe ist, die mir jemals vorgekommen. 
Sie ist eine Frankfurterin, durchaus frisch und naiv und 
doch von den gewandtesten Formen. 

Den 6., Morgens 9 Uhr, in Erwartung eines Malers, dfif 
mich in die Galerie abholen soll. Nun, liebste Emilie, fängt 
mir sogar das Behagen zu kommen an, aber nun muß auch 
geschieden sein, — morgen, längstens übermorgen reise ich, 
und zwar ohne Unterbrechung, nach Huuse. Eben die Be- 
kanntschaften, die man an einem solchen Orte macht und 
die uns don Aufenthalt verschönern, sind es auch, die 
einen wieder forttreiben: sie opfern einem ihre Zeit, und 
so würde man ihnen in die Länge lästig. Nun erwarte ich 
sobald als möglich einen Brief von Ihnen zu erhalten; wenn 
Sie bruv waren, so haben Sie unterdessen bisweilen eine Zeile 
für mich aufgeschrieben, die Sie nun gleich abschicken können, 
— und doch bin ich wahrsc heinlich immer noch vor Ihrem 
Briefe zu Haus, der übrigens, wenn er vorher kommt, mir 
wohl aufgehoben wird. 

n» z.*(i- r. n fr, himho. IL 3t 



486 



Siebentes Kapitel. 



Guten Morgen für heilte; »patnr noch eine Zeüe, wenn 
ich don Brief abgehen Ihm*.». 

y z 2 Uhr. Von einem Gang durch die Gemäldegalerie 
in Begleitung eines Malers und durch die Antiken galeric 
in Begleitung des Direktors zurückgekehrt, mache ich diesen 
Brief zum Abgang fertig." 

Wie er aber dann nach Hause kam, da war trotz solch- r 
großen und beglückenden Eindrücke die Verstimmung, der 
er durch die Reise hatte entrinnen wollen, wieder da: wie er 
sie mit hinnusgenommen, so hat er sie auch wieder narh 
Hause zurückgebracht. Die Wunden waren eben noch zu neu. 

Ein kleines Nachspiel dieser Reise war mehr lustig ala 
ärgerlich. Aus Wien hntten ihn, wie er schreibt, schon nach 
vier Tagen die Wanzen vertrieben. In die Presse aber kam 
die Nachricht, seine rasche Abreise sei keine freiwillige ge- 
wesen, er sei von der k. k. Osterreichischen Polizei aus Wien 
ausgewiesen worden. Daß das die demokratische Presse seiner 
Heimat hämisch glossierte, hat ihn nur in seinem Urteil 
Ober sie bestärkt. 

Da kommt plötzlich ein Neues in sein Leben. Im Herbst 
1851 mußte die Mutter den nunmehr sechsjährigen Sohn 
dem Vater herausgeben: das war Gerichtsbeschluß. Aber 
sie fügte freiwillig auch gleich die Tochter hinzu. Was sie 
dazu bewogen hat, weiß ich nicht. Ich kann mich des Ver- 
dachtes nicht erwehren, daß sie es satt hatte, Mutter zu 
spielen. Bis dahin hatte sie wohl noch gehofft, durch die 
Kinder zur Wiedervereinigung mit dem Vater zu gelangen. 
Diese Hoffnung gibt sie jetzt auf, und damit verloren die 
Kinder für sie an Interesse und Wert. Aber wie gesagt, das ist 
mein ganz persönlicher Eindruck, mit dem ich ihr vielleicht 
unrecht tue. Kür Strauß aber war damit das Leben ,,| la 
Bohemienne", das so gar nicht iu ihm gepaßt hatte, zu Ende. 
Er mußt« wieder einen Haushalt führen, und als Ort dafür 
wfihlte er Weimar, wo es ihm zwei Jahre vorher bei kürzerem 
Aufenthalt wohl gefallen hatte. 



Strauß als Politik** 



ftffl 



Aber ehe wir ihn dahin begleiten, zuvor noch die Frage: 
was tat er denn in all der Zeit? Was arbeitete er? Und 
warum sucht», warum fand er nicht in d«r Arbeit das All- 
heilmittel, das ihm alles andere, Kunst, Nnturund Menschen. 
versagte? Von einer seiner Arbeiten haben wir ja eben 
gesprochen, von seinem „Christian Mfirklin". Und wirk- 
lich: Strauß war inzwischen wieder etwas geworden — 
Biograph. Doch das ist ein weitschichtiges Kapitel, das 
uns zuerst noch einmal in die vierziger odor gar in di» 
dreißiger Jahre zurück und dann mit einem Ruck weit 
hinaus bis gegen die sechziger Jahre hin führen wird, 
Davon muß im Zusammenhang die Rede sein. 



32* 



>chtes Kapitel. 

Strauß als Biograph. 

Wie Strauß zum Biographen wurde ? Ich denke, das 
ist leicht tu verstehen. Das Leben Jesu war freilich kein« 
Biographie, aber doch die Vorarbeit zu einer solchen, wobei 

ni'-iilH (tiir.iul iinki'Niii.t, uli iliiJi Hi-Miltat läii-si'i '. n .■u-h.-n 
ein positives oder ein negatives war. Biographien schreiben, 
entsprach aber auch der Natur von Strauß, wie er sie uns 
selbst öftere, z. B. in dem oben mitgeteilten Brief an Viecher, 
analysiert hat. Einen ,, künstlerischen Wissenschafter* 1 
hat er sich da genannt, die Biographie aber ist das Werk 
eines solchen, zu ihr braucht ee der Arbeit de* Wissenschafters 
und der Gestaltungskraft des Künstlers. Wenn sich also 
Strauß richtig charakterisiert hat, so war das sein Fall und 
sein Feld, biographische Werke mußten ihm besondere liegen 
und gelingen. Das hat er schon frühe selbst gefohlt 
und ja deshalb 1842 an Vischer geschrieben: „Weißt 
Du mir keinen Helden für eine Biographie? So was wflrde 
mir nicht übel passen jetzt zu schreiben." 

Auf die wissenschaftliche Vorarbeit im Leben Jesu war 

fntiii'ii ;iis ileMB L't'iiiniM uuii roo Anfang an geplante Fort« 

Setzung wieder ein wissenschaftliches Hauptwerk „Die chrisl- 
hchuGlaubunslehre" gefolgt. Es konnte aber auch eine künst- 
lerische Biographie Jesu folgen, wie er es im zweiten Leben 
Jesu mit einer solchen wenigstens versucht hat. Allein noch 
früher, schon in den dreißiger Jahren, halte er, neben 
dl kritischen Aufsätzen „Zur Wissenschaft der Nachtseite 




Strauß als Biograph. 



489 



der Natur" in den Charakteristiken und Kritiken, in den 
Haitischen Jahrbüchern von 1838 die biographische Skizze 
von Justinus Knrnor erscheinen lassen, worin dm Goisl | 
seher, der Dichter und der Mensch gleich sehr zu seinem 
Rechte kommt, und der nicht nur als Beitrag zur geistigen 
Entwicklung von Strauß interessiert, sondern mich deswegen 
so anmutig und erfreulich zu lesen ist, weil sie uns Kämet 
und seine Freundschaft mit Strauß gewissermaßen „noch 
in frischer Morgenbelouchtung zeigt" l ). Daß sie neben 
dem Aufsatz „Über Vergängliches und Bleibendes im Christen- 
tum" den Friedlichen Blättern einverleibt wurde, gab ihr 
überdies eine Art von symbolischer Bedeutung. Wenn 
Strauß mit diesem Mystiker Freund sein und über alles 
Trennende hinweg sein Freund bleiben könnt«, so deutet 
er damit auf die romantische Ecke in seinem eigenen Gemüt 
hin und spricht aus, daß es wohl auch andere fromme Mystiker 
und Wunderglaubige mit ihm wagen konnten. Daß sie ee 
dennoch nicht mit ihm gewagt haben, war nicht seine 
Schuld. 

Den Freund der Welt zu zeigen, wie er war, und »ich 
zugleich mit dem ho ganz anders Gearteten und Geriehteten 
innerlich auseinanderzusetzen, war der Zweck dieses Auf- 
satzes. Um einen Freund und einen von ihm nicht weniger ver- 
schiedenen Menschen handelte es sich auch neun Jahre spater 
in dem Nekrolog auf Ludwig Bauer. Dieser ist einer der 
weniger bekannten schwäbischen Dichter, der hinter Waib- 
linger und vollends hinter Mörike, in deren Kreis er hinein- 
gehort, weit zurücktritt. Als er 1847 starb, benützte Strauß, 
der in Tübingen und spater in Stuttgart gern und viel mit 
ihm verkehrt hatte, das Erscheinen einer von Freunden 
herausgegebenen Auswahl Bauerecher Schriften als Gelegen- 
heit, um ihm in einem feinen kleinen Essay ein lieben*- 

Om 



l ) Ausdruck von Ed. Zell or im Vorwort zum orsten Band der 
(ftvurnmHten Schriften von Strauß, S. VI 



4«0 



Acht« Kapitel. 



würdiges biographisch»** Denkmal zu setzen, wie es der 
liebenswflrdtgeti Gestalt des Freundes entsprach. Weil 
er aber Dauer bei weitem nicht so nahe stand ww Marklin. 
war es kein so unmittelbarer HerzenserguB wie das Bild, das er 
von diesem entwarf, sondern wirklich ein kleines Kunst- 
werk, dem aber das Persönliche doch die nötige Warme 
gab; nur war os nicht dii> Warme dos Schmerzes über den 
Verlust, sondern die Freude, einem so guten Gesellen im 
Leben begegnet und eine Strecke weit mit ihm gewandert 
zu sein. Denn das war Bauer, eine Nolur im Sinn jener 
Klassifizierung der Menschen in Köpfe. Charaktere und 
Naturen, deren Art durch das Aufgehen im unmittelbaren 
Sein und Sichgobon charakterisiert ist. Ihrer Empfänglich- 
keit und Erregbarkeit fehlt die Widerstandskraft gegen 
den dußeren Eindruck; aber dieser Mangel wurde bei Bauer 
ersetzt durch tue maßvolle Schönheit, die er seiner Griechen 
Begeisterung und neuhumanistischen Bildung verdankt«. 
Wer ihm im geselligen Kreis gegenübersaß, der mußt« ge- 
stehen, daß es einen liebenswürdigeren Gesellschafter nicht 
geben könne; und um so mehr war er das, je anspruchs- 
loser und absichtsloser er war. Er ließ sich einfach gehen, er 
brauchte nicht zu pumpen, da es ihm von selber lloß und 
dieser natürliche Fluß des Humors seiner Anspruchslosigkeit 
genügte. ,.Es war ihm wohl, und so wurde es auch denen 
wohl, die ihn sprechen hörten und trinken sahen". So war 
es auch Strauß bei ihm wohl geworden. Was ihm aber vor 
allem an dieser „Natur* 1 gefiel und imponierte, das war, 
daß liier auch einmal der Mensch nicht, lunter drin Schrift- 
uti-lliT und dii^er hinter seinem Buch verschwand: an Hirnen 
Normalzustand uns zu erinnern, wo der Mann und sein 
lebendiges Tun und Heden noch alles war, dazu int ein Mensch 
wio Ludwig Bauer in unser papiernes, tintenkleoksenrie* 
Sakulum hercingestellt; daher der erquickende, herzerhebende 
Eindruck, den er überall macht«, wie die Luft, die aus dem 
Walde auf das sonnverbrannte Blachfeld herüberweht. In 



Strauß als Biograph. 



491 




alledem ähnolt Bauer Schubart, nur daß dieser eine vulka- 
nische, Bauer mehr eine neptunische Natur war und sein 
am Griechentum gebildeter Schönheitssinn ihn vor Ver- 
irrungen schutzin, gegen die Sohubfirt eine ahnliche Schutz- 
wehr nicht besaß. 

So stellt*? Strauß den Freund — in Ähnlichkeit und 
Gegensatz — immer wieder mit Schubart zusammen. Natür- 
lich; denn als erden Aufsatz Über ihn achrieb, war eine andere, 
seine ersto große Biographie eben ihrer Vollendung nahe. 
Es war , .Christian Friedrich Daniel Schubarü» Leben in 
seinen Briefen" 

Äußerlich gab ihm den Anstoß zur Sammlung, Bear- 
beitung und Herausgabe dieser Briefe sein Freund Vischer, 
der 110 Stücken Schuhartiana auf die Spur gekommen war, 
die aus der Familie des Dichters Fr. Haug 1 ) stammten. Er 
dachte daran, sie herauszugeben; aber die Arbeit an der Ästhe- 
tik hinderte Um an der Ausführung des Planes, und überdies 
— er wollte Strauß um jeden Preis wieder an die Arbeit 
heranbringen, als sich in den unglückseligen vierziger Jahren 
s«) flor nichts gestalten wollte. Und so tat er wirklich ein 
gar gutes Werk an ihm, als er ihm den Ankauf jener Briefe 
überheß; denn er hatte bemerkt, daß Strauß sich dafür 
interessierte und sein biographischer Trieb daran erwachte 
und erstarkte. Durch Schuberts Schwestersohn, einen 
pensionierten Oberamtmann Hoyer in Ludwigsburg, kamen 
dann noch 87 weitere Stücke hinzu, und Freund Künzel 
in Heilbronn, ein eifriger Autographensammler, trieb auch 
noch etliches auf. Nun konnte Strauß an die Arbeit gehen, 
die der Hauptsache nach in das Jahr 1S47 fallt und ihm wirk- 
lich über die schlimme Zeit der Auseinandersetzung mit der 
Frau einigermaßen hinweggeholfen hat. ,,Mil der Arbeit 



>) Geb. 1761, gest. 1829; 1807—1817 Redakteur des Morgen- 
blatU; bekannt vor allem durch seine Epigramme. 



492 



Achtes KapileL 



an diesem Sehubartahöchlein habe *ch mir das Schmer««! 
Jahr 1847 vertrieben". Erscheinen konnten die zwei Bande 
dieser Biographie freilich rrst im übernächsten Jahr. Nur 
mit Muhe hatte Strauß durch Varnhagens Vermittlung einen 
Verleger dafür gefunden, Duncker in Berlin, der sie ttc 
500 Tlr. übernahm, aber in der Kevolulioxutzt-U den Druck 
so schläfrig und mutlos betrieb, daß das Buch erst im 
1849 zur Ausgabe gelangte. 

Strauß ist hier in erster Linie Herausgeber einer großen 
zweibändigen Sammlung von Schubartbriefen und Schuburt- 
dokumenten: er hatte ihrer nach und nach 317 zusammen- 
gebracht. Aus diesen vergilbten Blattern ließ er ein 
interessantes Stück Menschenleben vor den Augen seiner 
Leser aufsteigen und sich abspielen. Aber er war nicht 
bloß Sammler und Herausgeber, er war auch Biograph. 
Von Abschnitt zu Abschnitt, achtmal, hat er das tj| 
formige Nacheinander der chronologisch geordneten Briefe 
unterbrochen und selber das Wort ergriffen; es sind „prag- 
matische Übersichten, in denen er Personen und Ereig- 
nisse zu gruppieren und in das rechte Licht zu stellen 
sich bemüht und zugleich den in der Briefsammlung 
einigeraal unterbrochenen geschichtlichen Faden aus den 
sonst vorhandenen Mitteln weiterspinnt"; dazu kommt 
dann noch eine Schlußbetrachtung mit zusammenfassendem 
Urteil über den Helden des Werkes. Nehmen wir endlich 
schon hier den Nachtrag von 1857 hinzu : Leben und Schicksal 
emer gewissen Barbara Struicherin aus Aalen, jener Magd, 
um dorenwillen Schubart seiner Frau untreu geworden war 
und in Ludwigsburg Schiffbruch litt, wovon uns Strauß in 
zwölf ganz kurzen Kapiteln im scheinbar größten Ernst 
und in echt historischer Manier berichtet, wie wenn es sich 
um eines der interessantesten „Lebensbilder aus der Sturm- 
und Drangperiode unserer Literatur" handelte: so erhalten 
wir ein volles Bild des Menschen und des Schriftstellers. 
Nur der Musiker Schubart kommt nicht zu seinem Recht, 



Strauß aU Biograph. 



US 



mit ihm sind wir erst neuerdings durch Holxer ') bekannt 
gemacht worden. 

Um ein deutsches Dichteriebcn handoll es sich in dieser 
Biographie in Briefen, um da* Leben eines schwäbischen 
Dichters aus dem 18. Jahrhundort. Keiner von den Größten 
und Großen, aber doch .ein genialer Mensch, ein echter 
Stürmer und Dranger, eine vulkanische, titanenhaft wollende 
Natur; ein Temperaments- und Stimmuugamensch, ein 
warmherziger Patnot, ein liebenswürdiger Gesellschafter, ein 
wackerer Zecher und dabei laut und lArmcnd, oft selbst 
wild und wüst und roh. Daß ein solcher Mensch es auch 
als Dichter zu nichts Rechtem brachte, ein verunglücktes 
und verbummeltes Genie, ein bloßer Improvisator blieb, 
nimmt nicht wunder. Etwas Größeres zu gestalten hatte 
er nicht die Energie und nicht die Geduld; wenn er es mit 
einem Epos oder einem Roman versuchte, versiegte die 
Stimmung rasch, und über Anfänge kam er dann nicht 
hinaus. Dagegen stellte er als Lyriker vor allem da seinen 
Mann, wo ihn Zorn oder Schmerz die rechten Worte finden 
ließen; und ebenso gelang ihm Religiöses und Humoristisches 
gelegentlich trefflich. Das Beste leistete er auf dem Felde 
des Volksliedes; denn das Volk verstand er, in dessen 
Stimmungen wußte er sich hineinzuversetzen, weil er mit 
ihm lebte und für die beste Gesellschaft nicht die zu halten 
pflegte, die sich selber die gute nennt. Heiligem Zorn ent- 
sprungen ist sein bekanntestes Gedicht „Die Fürsleugrufr*: 

Da liegen sie, die Atollen FürstentrQmmer, 
Ehmols die GftUen ihm Welt. 

Wie das und wie überhaupt der Mann und sein Schicksal 

l ) Schubart als Musiker. Von E. Holier (Darstellungen aus 
der wUrUernborglAChen Geschichte, 2. Bd.), 1905. Die unfreundliche 
Art, wie H. von ßtrauüeus Schubartwerk spricht, hangt teilweise 
mit der Ansteht tusammen. dal) „ihm. im Grunde genommen, der 
•o Ranz andere ku rieh tote ächubnrt unsympathisch" gewesen sei. 
Darüber rede ich nachher 




494 



Acht« Kapitrt 



auf Schiller gewirkt hat, ist bekannt. Dem «ehnwichUvofltn 
Schmerz des auf dem Asperg Gefangenen leiht das herrlich« 
Gedicht „Die Aussicht" Worte. Voll köstlichen Humors 
ist der „Zinkenistentrost": 

Win gHUüHel ist der Zinkenist, 

I).t ilorr iiml Min 0ft**lU! 

Er kommt, wenn »r gailorban Ul. 

("■rwiU Dicht in die Hölle: 

Denn Gott halt oft ein Freudenfest 

Mit suserwahlten Chrhten, 

Und wvil man da Posaunen blast, 

80 braucht man Zinkeninten. 

Das ruligiöac Gedicht „Urquell aller Seligkeiten" nül 
dem schönen Vers: 

Geber aller Ruten Gaben I 
Featen Glauben mocht' ich hahon! 
Wie rm MiNTfrb unbewegt. 
Wann au ihn die Wngo schlagt, 

ist sogar in die Gesangbücher aufgenommen worden. Den 
Volksliederton aber traf er doch am besten iu seinem ..Kap- 
Bad": 

Auf. auf, ihr Bruder und seid -stark 
Der Abschied* tag »st du. 

oder in dem ,, schwäbischen Bnuurnlied": 

So herzig wie mein Liescl 
Gibt's halt nichts auf der Welt. 

Aber er war nicht bloß Lyriker, er war auch Journalist, 
und hier erst zeigt er ganz, was er kann und was er ist. 
Zum Zeitungsschreiber war er geboren, und so steht er auf der 
Höhe seiner selbst doch nur als solcher. In seiner Deutschen 
Chronik kämpft er mannhaft gegen den Despotismus im 
Staat und gegen Ultramontanismus und Jesuitismus in der 
Kirche, da schlug er in SuddeuUchlaud ungewohnte deutach- 
nulionaloTone an und fohlte wie Goethe fritzisch, weshalb er, 
der erste Schwabe, energisch für Preußen eintrat. Seinem 



SLrauÜ alt Biograph. 



106 






deutschen Vaterland aber wünschte er einen Hut voll 

eughxcher Freiheit: nur gfl h:tM üflffi Bf für B£oh mit i'iin*m 

Fingerhut voll zufrieden gewesen. 

Die großartigsten und äußerlich glänzendsten lafan 
seines Lebens hat Schubart als Organist und Musikdirektor 
in Ludwigsburg verbracht, die traurigsten in der Nahe von 
Ludwigsburg als Gefangener des Herzogs Karl von Württem- 
berg auf der Festung Hohenasperg. So lag der Mann und 
sein Schicksal den beiden Ludwigsburger Frounden, Viseber 
und Strauß, besonders nahe. In Ludwigsburg war ex der 
'ilnirrlte Speziul Zilling, der neidisch war auf seinen Orga- 
nisten, weil man diesen Heber hörte als die langweiligen Pre- 
digten des Herrn Dekan: und da Schubart ein loses Maul 
hatte und gelegentlich auch der Mode der Freigeisterei 
huldigte, ohne mit dem Herzen Freigeist zu sein, und überdies 
sein Lebenswandel, insbesondere das anstößige Verhältnis 
zu der Barbara Streicherin, Öffentliches Ärgernis gab, so 
gelang es Zilling, seine Absetzimg und Landesverweisung 
durchzusetzen. Also ein Opfer theologischer Engherzigkeit 
auch dieser von viel anderer Engherzigkeit bedrängte Mann: 
das mußte Strauß reizen. Und dann drängte sich der Herzog 
Karl von Württemberg unberufen in sein Schicksal ein und 
ließ ihn widerrechtlich auf dem Asperg gefangen sulzm 
und durch seinen Oberst Rieger, einen fanatischen Pietisten, 
Bekchrungs- und Erziehungsexperimente mit dem Ärmsten au- 
fteilen. Würltembergische Regierungswülkür undpictistischer 
Fnnatismus sah man also hier zusammen an der Arbeit, dn 
konnte Strauß als ein male expertus mitreden. Und was 
bei solcher ktirweisen Anwendung de* Christentums auf eine 
Natur wie die Schubartschc herauskam, das konnte sogar 
den Verfasser der christlichen Glaubenslehre und den späteren 
Verfasser des alten und neuen Glaubens interessieren. Er 
hat es so formuliert: ,, Den Zwiespalt, dasAnseinanderstreben 
vou Geist und Sinnlichkeit konnte und kann das Christentum 
nicht heilen, weil es ihn nicht bei der Wurzel angreift. Eigent- 




406 



Achtes Kapitel. 



lob möchte es die Sinnlichkeit ausrotten: da es dies nielr 
kann, so drückt es ein Auge zu und laßt sie unter der Hund 
gewähren, sofern sie nur in gewissen Schranken bleibt Aber 
das ist auch alles: von Anerkennen und positiv bildend, m 
Hingehen auf dieselbe ist nicht die Rede. Der Christ ist 
im besten Falle nur ein auf einem gezähmten Tier reitender 
Engel, kein Mensch aus einem Guß. Eben deswegen bleibt 
aber immer die Gefuhr, daß die gebändigte Bestie sich ge- 
legentlich wieder emanzipiere; wie wir dies bei Schubart 
nach seiner Befreiung, ja gleich nach der ersten Lüftung 
seiner Fesseln alsbald erleben. Die natürliche Grundlage 
des menschlichen Wesens nicht zu unterdrücken, sondern 
aus sich selbst heraus zu humanisieren, das haben nur die 
Griechen verstanden. Mit der Wiedererweckung ihrer 
Schriften und ihres Geistes ist den christlichen Völkern erst 
wieder der Begriff dieses wahrhaft menschlichen Daseins 
aufgegangen. An ihnen großgenöhrt haben unsere beiden 
klassischen Dichter diese Durchdringung de* Natürlichen 
mit dem Geist, der Sinnlichkeit mit der Sitte, im Leben 
wie in der Poesie, in den beiden Hauptformen de* ruhigen 
Werdens wie des mächtig erkämpften Sieges dargestellt. 
In Goethe und Schiller als Dichtern und als Menschen war 
eben damals erfüllt, was Schubart fehlte, als er, ohne auch 
nur den Weg dazu gefunden zu haben, seine schicksalsvolle 
Irrfahrt endigte." 

Endlich, es gab in diesem Menschenleben auch Mythi- 
sches, und so konnte man auch hier Kritik Üben und Mythen 
zerstören. An das Begräbnis Schubarts (12. Oktober 1791) 
knüpfte sieh eine Sage, die noch Strauß in seinen Knaben- 
jahren hatte erzählen hören: daß der unglückliche Dichter 
lebendig begraben worden sei; aber als man, durch Scharren 
und Kratzen aufmerksam gemacht, das Grab geöffnet habe, 
ld es zu spat gewesen. Die einfache Deutung dieser Sage 
fiel MlMOD Biographen, dem feinsinnigen Anatomen alle* 
Mythischen, natürlich nicht schwer. ..Tief hatte sich dem 






Strauß iils Biograph. 



m 



schwäbischen Volko der Kontrast eingeprägt, welchen mit 
dem schranken- und rastlosen Geiste des Dichters dessen 
langwierige enge Kerkerhaft bildete; es schaute in Schubart 
ein Leben an, das freiheitsliebend in dumpfer Luft erstickt; 
er war der Lebendigbegrahene schon auf dem Asperg ge- 
wesen und halte sich auch selber mündlich und schriftlich 
. mderholt so genannt: jetzt nach seinem Tode wurde die 
bildliche Anschauung zur sagenhaften Wirklichkeit." 

Aber es waren doch nicht bloß solche im äußeren Er- 
leben Schuhurta liegende Momente, die Strauß reizten und 
trieben, sich jahrelang mit ihm zu beschäftigen. Was es war, 
das ihn an diesem Poeten dritten oder gar vierten Ranges 
interessierte, wie er, gerade er dazu kam, sein Biograph 
zu werden, das hegt tiefer; beantworten können wir es 
aber besser erst, wenn wir gleich auch die beiden nächsten 
großen Biographien von Strauß dazu nehmen, die von 
Frischlin und von Hütten. Dagegen sei hier noch bemerkt, 
was sich eigentlich von selber versteht, daß die Schubart- 
briefe huehhandlerisch keinen Erfolg hatten. Sie waren 
wirklich „zur ungünstigsten Stunde*' erschienen. Wer hutte 
1849 Zeit und Lust, die Briefe eines Poeten aus dem 18. Jahr- 
hundert zu lesen? Und da der Verleger Überdies den un- 
klugen Einfall hatte, für die zwei Bande den Preis auf mehr 
alt 5 Taler festzusetzen, so blieb ihm der größte Teil der 
Auflage liegen und konnte auch durch dio spötero Herab- 
setzung des Preises nicht mehr flott gemacht werden, lind 
wie nun — wir haben esbereits vorausgenommen — im folgenden 
Jahr auch ilerChristianMärklin nicht sonderlich aufgenommen 
wurde, so wollte sich vor dieser rauhen Temperatur, von der 
er seine ersten Schößlinge empfangen sah, der neu erwachte 
»chriftstollerische Krflhlingstrieb alsbald empfindlich wieder 

k zurückziehen. Allein die tatenlose, die schreckliche Zeit 
•J-.-i vierziger Jahre lag nun einmal hinter ihm, und mit dem 
„man wollte mich nicht mehr lesen, gut, so wollte ich auch 
nicht mehr schreiben" war es ihm so Ernst doch nicht mehr; 



49» 



Acht« KtpiUl. 



der Trieb war nun einmal du, or mußt» ihm folgen, er mulHo 
schrcibnn, ob man ihn lesen wollte oder nicht. 

Aber was «ollte er schreiben ? Von Schubart aus fahrten 
zwei Woge weiter. Der oino wiudcr rückwärts xur Theologie, 
rlrr andere vorwärts zur welllichen Biographie. Daß ihm 
jener eratere nicht gar so fern lag, zeigt der oben litiert* 
Schluß des Schubart. Vom Christentum war da die Rede 
und von seinem Verhältnis zum Natürlichen und Sinnlichen: 
«o konnte auf die Kritik der christlichen Glaubenslehre 
nun eine Kritik der christlichen Sittenlehre folgen. Und 
wirklich, das war der Plan, als er von Stuttgart nach München 
flüchtete und »ich dort nach Arbeit umschaute. Am 

11. Februar 1849 schreibt er darüber dem Druder: „Ich 
habe wieder eine wissenschaftliche Arbeit vorgenniium-i 
die gerade so weitaussehend ist, daß, bis sie zustande kommt, 
vielleicht auch unsere öffentlichen Zustande in Ordnung 
gebracht und für ein nichtpolitisches Buch wieder Leser 
vorhanden sein können. Ich mochte nämlich, wenn's gelinge. 
die christliche Moral ebenso wie die Dogmatik kritisch und 
historisch bearbeiten, und lese und exzerpiere hierzu jetzt 
Folianten und Oktavbände; der StofT ist aber noch viel 
weitschichtiger als für die Dogmatik." Doch schon am 

12. April berichtet er, daß ihm die endlose Vorstudien or- 
fordernde Arbeit an der Moral zu wenig Lust und Befriedigung 
für den Augenblick gewähre, daher wolle er versuchen. 
ob ihm — der „Voltaire" kommt in Sicht I — nicht die 
französischen Enzyklopädisten, und zwar zuerst Diderot. 
StofT zu Monographien, gleichsam biogruphisch-literar- 
geschichtlichen Porträts, darbieten konnten. Allein ander.» 
Arbeiten, kleinere Aufsatze über A.W. Schlegel, über Immer- 
mann, eine Rezension von Vischers Ästhetik drängten such 
voran; dann kam Mftrklins Tod und die Pflicht, diesem em 
biographisches Denkmal zu setzen; und zuletzt noch ein 
Abschwenken in das Gebiet der Kunst, dio „Schnurr»*' 
über Beethovens neunte Symphonie, und Aufsätze Über 



Strauß ab Biograph. 



499 



Gemäldesammlungen und über Maler. Von dem nllom wird 
noch die Rede sein. 

Uns treibt es hier in raschem Sprung vorwärts tu dem 
nächsten großen Werk, xu der Biographie des Dichters und 
Philologen Nikodemus Frischlin, die im August 1855 fertig 
geworden und 1856 erschienen ist. Wie Strauß auf diesen 
Mann gekommen ist? Durch Schubart. Dieser hat selbst 
auf Frischlin und seine Ähnlichkeit mit ihm in Wesen und 
Ergehen hingewiesen. 

Wo liegt Frischlin. der Bruder meines Geistes? 
fragt er zu der Zeit, wo er auf dem Asperg auch der Bruder 
seines Schicksals geworden war. Allein auch in der Gegen- 
wart war Frischlin in Schwaben nicht gana vergessen. 
Neben Kepler und Schubnrt hat Justinus Kerncr auch ihm 
in seinen Gedichten ein „Denkmal" gesellt 1 ); und Gustav 
Schwab wußte in seinem wanderfrischen Buch Ober die 



') Die iwei in Jualinus Kern#rs „Gedichten" in findenden 
.Donkmole" lauten: 

Frischlin. 
Ihn schlössen sie in starre Felsen ein, 
Ihn, dem zu i-ng der Erde wuito tando. 
Doch er. voll Kraft, zerbrach den FeUeiutein 
Und ließ sich abwarte am uns ichern Bande. 
Da fanden sie im bleichen Mondenschein 
Zerschmettert ihn. zerrissen die Gewände. 
Wehl Muttererde, daß mit linden Armen 
Du ihn nicht uuffingst, schüttend, voll Erbarmen. 



Scbubart. 
Ihn stielten sio aus frischen Lobonsgnrton 
In dunkle, modernde Gewölbe nieder. 
Mit Kellen Beine Hände sie beschwerten: 

i i ■; ■■■■ •; ll'il';v In hind Mi ihm nii'di r 

Und wurden fortan Freund' ihm und (Wahrten: 

-iik' betf'.-isterl er <li< friiiiiimiii Lieder, 
Und als den Kerker sie ihm aufgeichloMfln, 
Sohlen Ihm die Wolt von Grau'n und Nacht umfloMim. 



500 



Acht« Kapitel 



schwäbische Alb 1 ) „die Kunde von dem tragischen Aus- 
gang des Dichtere an die Trümmer und Felsen Hohonurachs 
in einer Weise anzuknüpfen, welche zur Wiedererweckung 
seines Andenkens nicht wenig beigetragen hat". An einen 
mehr sachlichen Anknüpfungspunkt mag uns der schon 
zitierte Schluß des Schuhart mahnen, Dem Zwiespältigen itn 
Christentum stellte Strauß — seit dem „Julian" — als 
Neuhunianist immer häutiger das Humane des Griechen tum» 
--■-.'••uiiliiT und freut o *i< n. .hiü rnt dre WinlrriTweekung 

seiner Schriften und seines Geistes durch den alteren 
Humanismus auch den christlichen Völkern der Begriff 
einen wahrhaft menschlichen Daseins uufgrgungen sei. Das 
Kritische in seiner Geistesart hat ihn an eine Monographie 
über einen französischen Enzyklopädisten denken lassen, das 
Humane und rein Menschliche seines Wesens treibt ihn jetzt 
tatsächlich zu den Menschen des 16. Jahrhunderts, zu den 
Humanisten zurück. ,,Ein Beitrag zur deutschen Kulturge- 
schichte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts 1 ' lau!«'' 
darum der Untertitel seines Buches über Nikodemu* 
Frischliu. 

Auch dieser war keiner von den Großen, er war sogar 
noch unbedeutender als Schubart, ein Epigone des deutschen 
Humanismus im 16. Jahrhundert, einer aus der Zunft der 
„Poeten", deren Können vor allem in einer virtuosen Hand- 
habung der lateinischen Sprache und in der federgewandten 
Anfertigung von formal korrekten, aber inhaltlich oft recht 
leeren Gedichten und Komödien bestand. Als solcher war 
er Johannes Sturm, dem Gründer des Straßburger Gym- 
nasiums, das unter dessen Händen m einer Bhctorenschulc 
werden sollte, näher verwandt als der musica natura Agri- 
colas oder dem feinen und geistreichen Erasmus von Rottor- 



») Dieees Buch rsgt auch in mein« Jugend herein und hat in 
mir frühe whon den Sinn für die Natunchönbeit meiner schwäbischen 
Heimat wecken helfen 



StrauU ob Biograph. 



601 



Er war philologischer Lektor in Tübingen; aber da 
er eine unstete und wenig seßhafte Natur wnr, so nahm er 
es — wie ea übrigens nach Molils Schilderung 1 ) bei den 
Tübinger Dozenten noch bis in da» 19. Jahrhundert hon-m 
Sitte war — mit seinen Pflichten nicht nllzu genau und 
Builisierte und kneipte gelegentlich lieber mit den Studenten, 
als daß er ihnen regelmäßig Kolleg las. Vor allein aber 
rar er ein streitbarer, fehdelustiger Mann. Daher lebte er 
mit einzelnen seiner Kollegen, vor allem mit seinem Höchsten 
Facbgenosaen, dem Philologen Martin Crnsius, aber auch 
mit dem okndemischen Lehrkörper im ganzen, mit Rektor 
und Senat in ewigem Streit und wußte dabei durch witzige 
und bösartige Satiren zwar nicht den Erfolg, wohl aber 
die Lacher stets auf seine Seite zu bringen. So kam er in 
den Huf eines Übeln Händelsuchers und war infolgedessen 
natürlich bei den Kollegen und den Wördetragern der 
Universität recht wenig beliebt: ,,sein Geist war ihnen zu 
überlegen, sein Selbstgefühl zu laut, seine Zunge zu scharf, 
wohl auch sein Wandel zu wenig geordnet", sagt Strauß. 
Schlimmer für ihn war sein Zerwürfnis mit dem württem- 
bergischen Adel. Im Haus und bei den Gelagen der Edeln 
und Herren war er ein gern gesehener Gast, freilich in den 
Augen violer kaum mehr als ihr Lusligmacher und Hofnarr. 
Kam er daher einem von ihnen mit seinen Witzen und 
spitzigen Reden zu krumm, so mußte er auch einmal filna 
Ohrfeige hinnehmen. DaswarenzunachHnureinzelnc. Wienun 
aber seine Oratio de vita rustica auskam, in der er das Leben 
«Irr Kdi'lloule im ganzen sehr zu ihren Ungunsten mit dem der 
Bauern verglich, da erhob sich unter dem ganzen Adel im 
Lande — und selbst über die Grenzen Schwabens hinaus — 
gewaltige Aufregung, es kam zu Klagen und Prozessen, 
zu Attentaten und persönlichen Verunglimpfungen. So ver- 
mehrte sich die Zahl seiner einflußreichen Gegner recht 



») R.v.Mo hl. Ltfbenserimierimgen, S. 214. 
Tl.. t «jln, it. i>. m..ui. II. 



WA 



ö<.'2 



Acht» Kapitrl 



orhoblicb. Dafür bland er trotz alledem als Hofpoet und 
„Pfalsgraf" bei dem Herzog Ludwig von WCrttomberg, 
der, auch ein lustiger Zechbruder, bei »oinrn Gelogen den 
witzigen Kumpan und bei MÜTWH lloffeslen den gewandten 
Poelen nicht entbehren mochte, lange Zeit in großer Gun-st. 
Was ihn natürlich in Tübingen nur um so frecher und unleid- 
licher sich gebärden ließ. Aber seine Aufnahme in die philo- 
ho|iln>.-ln- Knkiilü«t kniiiti- auch der Herwig nicht erzwingen; 
und solange er ihn auch gegen die Anfeindungen des Adels 
schützte, schließlich inachte es ihm der ungebärdige Mann 
selber unmöglich, ihm langer die Stange zu halten und 
Schutz zu gewahren. Er verlor allmählich die Gunst des 
Herzogs und mußte schließlich sogar die Heimat fliehend 
verlassen. Nun führte or — auch darin ein echter Nachfahre 
der humanistischen Poeten — einige Jahre ein schweifendes 
Abenteurerleben, das ihn nach Laibach und Prag, naoh 
Wittenberg und Braunschweig, nach Straüburg und 
Frankfurt gebracht hat. Dabei erwarb er sich gelegentlich 
den Ruf und das Lob eines tüchtigen Pädagogen 1 ) und 
Schulreformors, verdarb sich aber jode Stellung durch seine 
unselige Handelsucht, die ihn namentlich auch in die inner- 
konfeaaionellen Streitigkeiten der Protestanten sich anzu- 
mengen trieb. Die Not ließ ihn endlich wioder an den 
württembergiachen Herzog sich wenden; aber als er eine 
wenig entgegenkommende Antwort erhielt, reizte er durch 
oiuen unverschämten Brief („Famosschrift") an die württem- 
bergische Hofkanzlei die herzoglichen Rate und schließlich 
auch den Herzog selber, der ,,so lange ab eine heitere, er- 
wärmende Sonno in Frischüns Leben hereingeschienen hatte", 
so sehr, daß ihn dieser durch einen besonderen Abgesandten 
aufsuchen, in Mainz verhaften und als Gefangenen auf die 
Festung Hohenurach verbringen ließ. Ein halbes Jahr blieb 



') Dieses Zeugnis hat ihm der berufeosto jener Zeit, Job. Sturm, 
ausgestellt 



8 trau B ab Biograph. 



503 



er hier eingekerkert. Allein der an oin freies Umherschweifen 
gewöhnte Mann hielt das Eingeschlossensein weder leiblich 
noch geistig aus. Er daühte auf Flucht. An der itflÜftSD 
Stolle der Burg suchte er sich herabzulassen und M d»*r 
Gefangenschaft zu entrinnen. Doch die zusammengeknüpften 
Leinwandstreifen reichten nicht bis zur Erde oder rinnen, 
Frischlin stürzte über die Felsen hinab und fund so am 
29. November 1590 ein seinem abenteuernden Leben ent- 
sprechendes abenteuerliche« Endo. 

Was war es nun, das Strauß für seine biographische 
Arbeit gerade nach diesen beiden Helden, Sohubart und 
Frischlin, greifen ließ? so fragen wir wioder. Denn sie ge- 
hören zusammen. Die Ideenassoziation ist klar. „An zwei 
alte Bergfesten des Württemberger Landes 11 , so begann 
die Vorrede zum Frischlin, ..knüpfen sich die Namen unglück- 
licher Dichter: Schubarta an Hohenasperg, an Hohenurach 
Nikodemua Frischlins. Landsmännische Neigung hatte 
mich getrieben, für das Andenken des oraleren etwas zu 
tun: es lag nahe, auch für das dos andern, seines Geistes- 
und Schicksalsverwandten, ähnliches zu versuchen." Schick- 
salsgenossen also, widerrechtlich von württembergischen 
Fürsten gefangen gesetzt beide, gewaltsam aus ihrer Bahn 
gerissen, nicht ohne eigene Schuld um des allzufreien Ge- 
brauchs willen, den sie von ihrer spitzen Zunge und ihrer 
scharfen Kritik gemacht hatten: das mußte Strauß als ein 
auch seinem eigenen Schicksal Verwandtes locken zu einer 
Ehrenrettung, wie Lossing solche „Rottungen" vorgenommen 
hatte. Und wie bei Schubart der zelotische Dekan von Lud- 
wigsburg, so mochten ihn bei Frischlin die Gegner aus der 
philosophischen Fakultät in Tübingen besonders reizen. Also 
schon im Jahr 1570 hatten sich diese ebenso kleinlich und 
neidisch und hämisch benommen, wie sie sich 1833 dem 
Repetenten Strauß gegenüber gezeigt hatte. Wonn er von 
,,d«m gemeinen Brodneid und der zunftmftßigen Geiste»- 
tragheil 4 " der Tübinger Professoren erzahlt oder von „der 

88* 



&Ö4 



Acht« Kapitel. 



Angst eines Crusius 1 ), im grammatischen und rhi»tori»chen. 
i-iiH'H Ijjcliler, im physis«"-ln"*r». v\no* Hfiilaüd in VorleMingi 

und Lehrbüchermonopol beeinträchtigt iu werden", so 
mochte er mit ironischem Vergnügen 011 dw Sijjwnrt 
Kwchenmayer undTnfel zurückdenken und wie *ich di6M 'inst 
gegen ihn benommen Daß er dabei mit keinem Wort die 
Parallele zieht, zeigt, wie vornehm und wie wenig muh- 
HÖchtig er im Grunde doch gewesen ist. 

Aber nicht bloß Schicksals-, auch Geistesverwandte 
waren «nue Helden. Sie glichen sich in der gewaltigen 
Sinnlichkeit und wilden Leidenschaftlichkeit, Temperamenta- 
menschen waren beide und Sanguiniker durch und durch. 
Menschen von der Art seines Freundes Bauer, die Stiaufl 
mit Goethe „Naturen" nannte. Allein ist es dann nicht erst 
recht seltsam, daß der fast Obergeistige Strauß gerade solche 
...Naturen" sich zu Helden seiner biographischen Kunst ge- 
wählt hat? Darauf antwortet Strauß selber: „Was ich vor 
allem an einem Menschen verlangte, wenn er mir das rechte 
biographische Interesse einflößen sollte, war Fleisch und 
Blut. Ich wollte warme, lebensvolle IVrsönlichkeiten haben, 
die mir die menschliche Natur als solche, unveratUmmelt 
und unverkunstelt, zur Anschauung brachten. In dieser 
Hinsicht waren Schubart und Frischlin unstreitig zwei 



') Hermann Fischer meint a. a. O.: „Crusiu* sei von 
in »einer Bedeutung für die Geschichte der Philologie nicht vül 
gewürdigt worden". Ich kenne Crusius aus der Oeschichtc der 
Pädagogik, die ja damals mit der der Philologie fast lumnunenfaUt; 
daher wuiß ich, wie sehr ihm Frischlin auf diesem Gebiet Oberlefrn 
war. Und auch d*r Philologe B. A- Mystakid*« (in der Renj» 
dos £tudoe gmeques 1808) weiß ihn doch nur als „Philh«llfttn<ii und 
Hollenulcn" uud ab einen Vielwisser tu rühmen. Pm alle* hat ihm 
auch SlrauU gelassen; aber wonn er (8. 56) sagt: „er habu eine 
Gelehrsamkeit bescMen. die nicht nur für den Charakter, Hindern 
*clb»t für den Oeist beinahe unfruchtbar geblieben sei; so weit der 
Umfang seiner Kenntnisse, so eng ist bei dem Manne Kopf und 
Herz", ho wird du gewiß richtig »ein. 



Straufl ab Biograph. 



606 



Prachtexemplare/' Doch lag ihm Schubart mehr, nicht 
nur weil der Genius der Sturm- und Drangpenode, zeitlich 
näher als der de* ausgehenden 16. Jahrhunderle, ihn mehr 
ansprach, sondern auch deswegen, weil Schubart bei allor 
Wildheit doch weit Liebenswürdiger, weicher und innerlicher 
und wohl auch, weil er genialer und geluill voller und 
mehr Künstler war als das vorwiegend Auf die Form be- 
schrankt« Talent FrischÜus. 

Nun kann man freilich noch einmal fragen, wie sich 
gerade Strauß, bei dem alles so geordnet und geregelt, alles 
so geistig aublimiert war, zu diesen vulkanisch rohen und 
wualen, eu diesen sinnlich robusten und naiven Kraft- und 
Genußmenschen hingezogen fühlen konnte? Nicht weil er 
ihnen verwandt war, wird man zunächst zu sagen haben. 
Das haben zwar seine Gegner triumphierend verkündigt : 
„Das sind seine Ideale. An ihren Früchten sollt ihr sie er- 
kennen. Sage nur. mit wem du umgehst, und ich will dir 
sagen, wer du bist!" 1 ), und seine eigene Frau Agnes 
Schabest hat daraus sogar Waffen gegen ihn geschmiedet 
und hohnisch auf seine Vorliebe für einen „Lumpen" wie 
Schubart hingewiesen. Aber so etwas konnten doch nur 
solche behaupten, die ihn nicht kannten oder nicht kennen 
wollten. Nein, gerade deswegeu hat er sich so liebevoll 
in das Wesen dieser beiden versenkt, weil sie den Gegen- 
satz tu ihm und damit so etwas wie eine Ergänzung 
seines Wesens bildeten. Genußsüchtig und genußfreudig 
haben sie gelebt, sich in den Strom des Lebens hineinge- 
stürzt und in vollen Zügen das Leben genossen. Dazu war 
Strauß nicht robust genug. Er war ein Mann der Ordnung 
und der haushälterischen Sparsamkeit, wo jene skrupellos 
darauf bewirtschafteten und chaotisch und vulkanisch sich 
auslebten, ein reinlicher und schüchterner Anbeter aus der 



') So formuliert Kuno Fischer. D. Fr. Strauß ah liioRrnpli 
m D. Kr. 8trauQ, Gesammelte AufvAU«, Hvidvltxvg 1909, S 32). 

gegnerischen Stimmen. 



506 



Achtes Kapitel. 



Ferne» wo jene Zugriffen und mitnahmen» was gerade kam. 
So blieb er raghaft am Ufer des Lebens stehen und wagte 
•ich nicht als kecker Schwimmer mitten in seinen flutenden 
Strom. Ihm fehlten die kräftigen Organe, mit denen man 
«ich dca Lehens bemächtigen, dnn Becher seiner Freuden 
ergreifen und bis zur Neige leeren kann. Da» lag teilweise an 
seiner Erziehung im Seminar und Stift, wo man, wie schon 
gesagt, viel lernt, aber eines nicht lernen kann — loben, und 
wo man leicht vor der Zeit müde und alt wird. Darum sah 
Strauß mit einem gewissen leisen Neid auf jene frischen, kecken 
Gesellen; indem er von ihnen erzählte, konnte er ihr wildes, 
kraftguiualisches Wesen wenigstens in der Phantasie init- 
und nacherleben, dadurch wurden sie ihm interessant und 
linb. Aber ich habe allerdings die Meinung, als ob damit 
nicht uUob gesagt sei, und habe daher Lust, nicht bloß Kuno 
Fischer, sondern auch Strauß selber zu widersprechen und 
mich nun doch noch auf die Seile seiner Gegner zu schlagen. 
Strauß hat die Schubart und Frischlin und Hütten aller- 
dings auch deswegen zu Gegenständen seiner biographischen 
Arbeit gewählt, weil sie ihm wesens verwandt waren. Ja, 
wenn er der kühle Verstandesmensch gewesen wäre, als 
der er der Welt gewöhnlich gilt, dann müßte man die Wahl 
dieser robusten Temperaments- und Sinnenmenschen als 
Helden seiner Darstellung lediglich aus dem Kontrast gegen 
diese seine eigene Natur erklären. Aber Strauß war kein 
bloßer Verstandsmensch, war keine vertrocknete Gelehrte! 
natur, er war nicht kühl und gefühlsarm, sondern selber durch 
und d urch Temperaments- und Stimmungsmensch, ein Poet wie 
seine drei Helden, und auch an gesunder Sinnlichkeit hat es ihm 
nicht gefehlt; sie hat ihm gerade damals, als er so plötzlich 
wieder auf ein zOlibatares Junggesellenlebon zurückgeworfen 
war. ganz natürlich zu schaffen gemacht. Auch den Becher 
wußte er unter Freunden wohl zu schwingen, und da ließ 
er dann seiner spitzen, scharfen Zunge gelegentlich 
freien Lauf, ein Witzwort, das ihm auf der Zunge lag, hat 



Strauß aU Biograph. 



W7 



er »ich nicht leicht verkniffen 1 ). Und auch an jene Zeit 
dürfen wir uns hier erinnern, wo die Menschen seine Hand, 
die er ihnen so sehnsüchtig iura Frioden entgegenstreckte, 
brutal beiseite schlugen: das hat nicht nur sein leidon- 
ychaftliehes Gemüt zornig erregt, sondern auch seinem 
lit hebedürftigen, empfindlichen Herren weh getan bis hinab 
in seine tiefste Tiefe. Deswegen konnte erseinen vom Schicksal 
und von Menschen schwer mißhondelten Helden nachfühlen, 
weil erjaaelber ähnliches erlebt hatte- Und nun zu alledem jener 
leise Neid, weil er war wie die Schubart und Frischlin, und 
doch nicht zu sein, zu leben wagte, wie aie gelebt, geliebt 
und genossen haben in vollen Zügen. Zum Leben hat sich 
Strauß, im Gegensatz zu ihnen und im Unterschied von 
ihnen, „immer nur sentimen talisch und elegisch verhalten* 1 ; 
aber daran hat er deswegen so schwer getragen, weil er „das 
natürliche Verlangen nach den Freuden des Lebens" gehabt 
hat wie sie. Unter diesem Widerspruch seines Wesens hat 
er gelitten; befreit von diesem Leiden aber hat er sich durch 
die Schilderung von Menschen, die waren wie er und die 
doch ihr Leben so ganz anders gelebt haben, als er das seinige 
gelebt hat. Darum sind die Bilder, die er von ihnen zeichnete, 
so meisterhaft ausgefallen, Verwandtschaft und Gegensatz 
zugleich haben daran mitgearbeitet: daher dieses volle 
Verstehen und dieses künstlerische sich in sie Einfühlen. 
Aber ganz war es mit diesem persönlichen Interesse 
an seinen Helden doch nicht getan, sie mußten daneben 
noch andere Qualitäten haben, die sie ihm anziehend 
machten; oder wie er selbst sagt: „sie mußten geistige 
Interessen zeigen, geistige Taten aufzuweisen haben, und 
zwar in einer Richtung, die der meinigen verwandt war; 
eae mußten dem Lichte, der Freiheit zugekehrt, Feinde der 



■J Aus Heilbronn, Heidelberg, Bonn werden uns solche scharfen 
>rt« von ihm eriahlt. In Oodmberg soll ihm und seinen Be- 
■rn einmal ein solche« recht verübelt worden sein wnd eine IUI 
angenehme Siene herbeigeführt haben. 



BOG 



Acht» Kapital. 



Despoten und der Pfaffen seui" Bei Schubart denken wir 
dabei nicht bloß an sein© Kampfe mit dem protestantischen 
Zilling und den Jesuiten in Bayern oder au seinen freilich 
schließlich gebrochenen Widerstund gogen die Bekehrungs- 
versuche de« Herzog* Karl und «eines frommen Komman- 
danten Hieger, »wildern auch au die nationaldcutache Ge- 
sinnung und Haltung seiner Deutschen Chronik und un cem 
mannhaftes Eintreten für den Staat Friedrichs des Großen. 
Und bei Frischlin wat es neben seinen Händeln mit einer 
engherzigen Professorenzunft und einem dummstolzen, bru- 
talen Adel sein Verhältnis zum klassischen Altertum, das 
ihn anzog: wie dieser Humanist, so besaß auch Strauß eine 
staunenswerte Beledenheit in den römischen Dichtern und 
eine virtuose Meisterschaft der Nachahmung — nur nicht 
wie jener in lateinischen Versen, sondern in deutschen Über- 
setzungen, wovon uns ja eben der „Frischlin* 1 zahlreiche 
Proben gibt. Ein Formtalenl wie Frischlin war auch Strauß, 
und ein Humanist war er ohnedies. Dazu nehme mau noch 
einmal die Verwandtschaft des Geschicks von Schubart 
und Frischlin mit dem von Strauß: — wie sie. war auch er 
gescheitert in seinem Kampf mit den „Pfaffen", und ge- 
fangen wie sie saß auch er, nicht äußerlich, aber in der 
Schwermutshöhle, auf dem Tranenberg schmachtete auch 
or und konnte und durfte nicht, was und wie er wollte und 
was seine Natur forderte und zu fordern berechtigt wnr; 
in Fesseln geschlagen und in unwürdige Bande, denen er 
sich nicht entwinden konnte, beruflos, heimatlos, unstet 
wandernd von Ort zu Ort — so fühlte er sich ganz in die 
beiden hinein und gauz mit ihnen iu eins zusammen. 

Aber wir können Strauß als Biographen nicht gerecht 
werden, wenn wir nicht sofort auch von seiner dritten großen 
Biographie, dem „Ulrich von Hütten" reden, an den er sich 
gleich nach der VoDendung des „Frischlin" machte und der 
dann 1858 in zwei stattlichen Bänden erschienen ist. Denn 
was von Schuharl und von Friscldin gilt, das gilt ebenso, nur 



Strauß als Biograph. 



509 



sozusagen auf höherer Stufe und Potenz, auch von Hütten. 
Von Frischlin zu Hütten — das war ein gerader Wog; von dem 
Epigonen des deutschen Humanismus zu einem ihrer Prota- 
gonisten, von seineu frostigen Komödien zu der welthisto- 
n Salirr der Epistohm nbwuimruin virorum und ihren 
Verfassern, das war zugleich ein gewaltiger Aufstieg. In 
diesem frankischen Ritter hatte Strauß wirklich einen Helden 
•_vl lüden, der eine* biographischen Meistere wflrdig war. 
Und auch hier trat ihm wieder dasselbe entgegen, was ihn 
dort angezogen: das Temperamentvolle und Feurige, das 
robust und keck Zugreifende, Sinnenlust und Sinnesfreude, 
Kampflust und Kampfesmut, und dazu in allem, wnserschri.»h, 
der Stempel des Inspirierten und Unmittelbaren, de» Ur- 
sprünglichen und Genialen. Hin Humanist war Hutton, wie die 
andern, aber er war zugleich auch ein Ritter, und das hieß 
ein Kämpfer sein, ein Mann erfüllt von ©cht germanischem 
Krr-iheitsgeföhl, daher auch er kühn sich auflehnend gegen 
..Despoten und Pfaffen". Sein Kampf gegen den Herzog 
Ulrich von Württemberg als den Mörder seines Vetters 
Hans gnh für Strauß auch hier wieder den spezifisch lands- 
mannschaftichen Hintergrund, der den Schwaben doch 
immer zuerst anzog. Seine Flucht aus der Enge des 
Klosters hinaus in die Weite der Welt, sein Eingreifen 
in den lustigen Epistelstreit mit den Viri obscuri, den 
Scholastikern und den Mönchen, seiu laut und hell in die 
deutsche Welt hineinschmetternder Schlachtruf: Loa von 
Rom und römischer Fremdherrschaft! — das alles fand 
in dem freien GeiBt und in der nationalen Gesinnung 

tStrnußnna Keinen vollen Widerhall. Und die Verbindung 
diese» größten deutschen Humanisten mit Luther und 
Beinern damals noch nicht in Dogmen erstarrten Protest- 
antismus, sein Versuch, aus der Reformation eine Revolution 
werden zu iMMD und so in kühnem Ansturm das ganze 
Deutschland dafür zu gewinnen, brachten auch ihm die 
Bilder froher Jugendtage, erste Lieb* und Freundschaft, 



510 



Achtes Kapitel. 



erste Kämpfe und Feindschaften mit herauf — seine 
Liebe, die Theologie, seine eigene revolutionäre Tat, da* 
Leben Jesu, und die ritterlichen Kampfe der Streitschriften 
mit den vielen Feinden ringsum. So fehlte es auch liier weder 
an Gegensatz und Verwandtschaft noch an geistigen Interessen 
aller Art. Und endlich, es war ein mächtiger Stoff, eine Fülle 
von Gestalten: Humanisten und Gelehrte, Kaufleute und 
Geistliche, Ritter und Fürsten, und darunter Menschen wie 
Erasmus der feine, Franz von Sickingen der kühne und Luther 
«irr sie alle überragende große; und eine Fülle und ein Rfitflh- 
tum von Schicksalen, ein Epos und ein Drama zugleich, 
tragisch der Kampf des Lebensfrohen mit der tückischen 
Krankheit und tragisch das einsame Sterben auf der Ufnau 
nach dem Scheitern aller seiner Hoffnungen und Entwürfe. 
So war es eine große Aufgabe, die dem Biographen 
gestellt war. Es ist darum hier zu fragen, ob Strauß 
einer solchen Aufgabe auch wirklich gewachsen war? und 
das fühlt auf die andere Frage zurück : wie er überhaupt dazu 
kam, Biographien zu schreiben und Biograph zu worden? 
Zweierlei Aussagen darüber haben wir von Strauß selber, 
einmal als er von der biographischen wieder zur theologischen 
Schriftstellern! zurückkehrte, die Anwendung eines ursprüng- 
lich an Goethe gerichteten Wortes von Merck auf diese 
Arbeiten: „solchen Quark mußt Du nicht mehr machen, das 
können die andern auch"; nur das Theologische sei sein 
eigentümlicher Beruf und entspreche seinem Genius ganz. 
Daneben aber, vorher, als er sich dem Biographischen 
zuwandte, das andere: diese „Abschweifung auf das bio- 
graphische Gebiet war für mich ein Bedürfnis meiner Natur". 
Halten wir uns zunächst an dieses letztere. Auch Strauß war 
ein Poet; darum sind es drei Poeten, deren Biograph er wird. 
Daß er etwas von einem Dichter an sich hatte, das haben 
wir — ganz abgesehen von den Versen, die wir gelegentlich 
von ihm zitiert haben und noch zitieren werden — längst 
schon bemerken müssen, überall da, wo wir von der Stimmung 



Strauß als Biograph. 



611 



sprachen, ohne die er nicht schreiben konnte. Solche» Schrei- 
ben und Schaffen aus der Stimmung heraus igt nicht Sache 
und Art eine» Gelehrten, so schafft der Dichter. Aber freilich, 
trotz der Gedichte, die er in großer Zahl gemacht hat, ein 
voller und ganzer Dichter war er doch wioder nicht. Das 
wußte er selber am besten. Deshalb hat er sich einen 
..künstlerischen Wissenschafter" genannt und seinen geistigen 
Qtgätii*ii)iih srlu-r/weiKi; mir ilrni Vnj/cl viTf/lirlxn. I« n 
Namen er trug. „Wenn man sagen wird", heißt es in den 
Literarischen Denkwürdigkeilen, „die von mir eingestandene 
Art ku arbeiten, der Einfluß der Stimmung, das Schaffen 
aus einer Intuition heraus, dann die Freude am Formen 
und künstlerischen Ausgestalten des Stoffs, alles das sei 
■ n titdie Art, wie ein Gelehrter, ein Mann der strengen Wissen- 
schaft zu Werke geht, sondern so mache es ein Poet: so bin 
ich's lücht, der etwas dagegen einwendet. Und wenn man 
hinzusetzt, ein Poet sei ich nun aber doch auch nicht, und 
mich fragt, was ich denn nun also eigentlich und schließlich 
sei? so werde ich antworten: das ist es eben. Soviel ist 
gewiß, wie ich 18 Jahre alt war, wenn ich damals das Zeug 
in mir gefunden hätte zu einem Dichter, so hallen Philo- 
sophie und Theologie vor mir gute Ruhe gehabt. Aber so 
klug war ich doch bald, durch die große Lust mich über die 
sehwache Kraft nicht täuschen zu lassen, und so machte ich 
mich ernstlich an das wissenschaftliche Studium. Indessen 
ich konnte es doch immer nur betreiben und so auch später 
darin produktiv werden nach Maßgabe meiner besonderen 
Geistesart. Das Stück von einem Poeten, das in mir war, 
ließ sich nicht hinauswerfen, um so weniger, als es in der 
Tat die Grundlage bildete, worauf mein ganzer geistiger 
Organismus aufgebaut war. Es ist spaßhaft, aber ich kann 
diesen nicht anschaulicher machen, als wenn ich von meinem 
Namen ausgehe, der hier in der Tat ein Omen ist. Das mir 
gleichnamige Tier ist ein Vogel, aber kann nicht fliegen; 
statt der Flügel hol es nur Stummeln, u.ber diese beflügeln 




m 



Acht«* Kapitvl. 



»einen Lauf. So kann ich nicht dichten; aber ich habe nichU, 
weder Großes noch Kleines, geschrieben, wobei mir der Poet 
in nur nicht zustatten gekommen wäre, Gewiß war er 
mir ebenso auch hinderlich; ohne ihn wtlro ich sicher ein 
größerer Gelehrter geworden; über «'in geringerer Schrift- 
steller geblieben, und so wollen wir uns eben nehmen wie 
wir sind. Die» ist freilich leichter gesagt als getan. Oft 
schon habe ich scherzweise gedacht, ich sei wohl im Grunde 
darum ein so treuer Anhanger von Preußen, weil, wollte 
man meine Geistesanlage zeichnen, eine Figur herauskommen 
würde, wie die Preußens auf der Karte (vor den Annexionen 
von 1866). Ein Stück hier und ein Stück da, und in der Mitte 
kein rechter Zusammenhang. Das ist so wenig für den ein- 
zelnen eine behagliche Begabung, als es für einen Staat eine 
behagliche Gestaltung ist. Weder dem einen noch dem andern 
wird es dabei in seiner Haut recht wohl. Darum begreif»* 
ich den Annexionstrieb Preußens so gut: er würde mir auch 
nicht fehlen, wenn man Talente annektieren könnte." 

Strauß fehlte es zum Dichter nicht an Gefühl, das die 
Eindrücke, äußere wie innere, in sich aufnimmt und ver- 
arbeitet, wie der Brennspiegel die Sonnenstrahlen konzen- 
triert und potenziert, und damit den Drang erzeugt, das 
volle Herz durch Mitteilung nach außen zu erleichtern, 
nicht an der dichterischen Stimmung, die er vielmehr in 
so vollem Maße besaß, daß er unter ihr wie jeder echte 
I 'iditcr gelegentlich auch schwer gelitten hat. Was ihm 
dagegen fehlte, das war die Phantasie als Werkstätte poet- 
ischer Empiinduug, in der der verdichtete Gcfühlsinhalt 
aufquillt und zu idealen Formen sich gestaltet und dem 
Dichter seine Personen, ihre Charaktere, Situationen und 
Konflikte, dem Maler seine Gestalten und Gruppen, dem 
Musiker seine Melodien und Akkorde entstehen. So VntH 
er nie imstande gewesen, die kleinste wirkliche Novelle, 
das einfachste Drama zu erfinden. Die Phantasie wirkt* 
hei ihm höchstens als Gabe der Metapher, des Bildes, 



Strauß als Biograph. 



U : 



mithin mir akzidentiell oder dekorativ. In dieser Art 
freilich hat tue ihm die bedeutendsten Dienste geleistet. 
Das war der Schwingonschlag de» Strauße», der, ohne ihn vom 
Boden zu heben, doch seinen Gong beflügelte. Und ein 
schmales Endchen wirklicher substantieller Erfindungsgabe 
»■igte sich dabei schließlich doch, die Neigung, bei lebhafter 
Erörterung, namentlich in Streitschriften, in die dialogische 
Form zu falten, Meinung und Gegenmeinung in verschie- 
denen Personen zu verkörpern; womit man noch einmal 
Schweitzers ') wunderliche Behauptung vergleichen mag, 
Strauß sei in seinen Streitschriften ein ungeschickter 
Deballer gewesen. 

DieserPoet nun, der er war, war in den gelehrten Werken, 
im Leben Jesu und in der Glaubenslehre, natürlich nicht 
ganz zu seinem Recht gekommen, wenn auch die Gabe der 
Metapher und — ein letztes Stuck dichterischer Begabung — - 
die Fertigkeit der Fingerspitzen, die Gabe, für jede Art von 
Inhalt ungesucht und ohne viel Besinnen die passende Form, 
den geeigneten Ton zu finden, selbst diesen wissenschaftlichen 
Schriften den Stempel des Künstlerischen aufdrückten. 
Dem gegenüber hat er wohl zuweilen daran gedacht, Humane 
zu schreiben. Aber er konnte es nicht, es fehlte ihm ja die 
Freiheit der Erfindung. Du entdeckte er in der Biographic 
die Form dos Romans, wie er ihn sehreihen konnte. Hur 
war gegeben, was der Romanschriftsteller von sich aus frei er- 
finden muß und was Strauß nicht erfinden konnte, — die Fabel, 
die Personen mit ihren Charakteren und Schicksalen, ihren 
Situationen und Konflikten. Was ihm dagegen zu Gebote 
stand, „die Gabe lebendiger Mitempfindung", lebhafter 
Vergegenwfirtigung, warmen Mitgefühls, plastischer, Gemüt 
Phantasie des Lesers anregender Darstellung, das 
»nnte hier natürlich ganz anders als bei jenen theologischen 
Arbeiten zur Anwendung und zur Geltung kommen. Das 



t S. hweitter *. «. O. 8. Ofi. 



614 



Acht«« KapÜfL 



Wort: „Ich kann Ober niemand »rhrcihen, den ich nicht 
linbe 4 ', hnt hier seine Stelle. Weil in Meinen Biographien 
IctJna Situation geschildert» kein Ereignis erzahlt ist, worein 
er »ich nicht lebendig versetzt, die er nicht mit den Personen 
seiner Erzählung wurm und innig durchotnpfunden hatte, 
sind sie so glaubhaft und so anschaulich, so anziehend und 
so liebenswürdig geworden. Und was er im Leben Jesu und 
in der Glaubenslehre so virtuos geübt hatte, die Fertigkeit 
der kritischen Sichtung, der geschickten dialektischen Ent- 
wicklung und Abwicklung, der durchsichtigen Klarheit 
und der logischen Gliederung, auch davon war in den Bio- 
k'riiphien wohl Gebrauch zu machen. So kam in ihnen oral 
seine „wunderlich zusammengesetzte Natur" ganz zur Gel- 
lung, und darum ist er dieser unvergleichliche Meisler bio- 
graphischer Kunst, dieser schriftstellerische Künstler aller- 
ersten Ranges geworden. 

In dorn Wort: „Ich kann über niemand schreiben, den 
ich nicht bebe", liegt aber freilich auch eine Gefahr, dieGefahr, 
parteiisch und einseitig zu werden; und ihr erliegt der Biograph 
leichter als jeder andere. Strauß war davor geschützt durch 
seinen kritischen Geist und seine unbestechliche Wahrhaftig- 
keit. Woher wissen wir denn bei Schubart und Frischlin 
und Hütten alle die Fehler und Flecken, alle die Aus- 
schweifungen und Verirrungen ihres überschäumenden Tem- 
peraments und ihrer ungezügelten Sinnlichkeit? Von ihrem 
Biographen Strauß, der nichts vorborgen und vertuscht, 
nicht« abgeschwächt und verschönert hat. Schubarts an- 
stößiges Zusammenleben mit seiner Magd, der Barbara 
Streichehn von Aalen, Frischlins Ehebruch, der Verlauf 
der venerischen Krankheit, an der Hütten 15 Jahre lang 
gelitten hat und schließlich zugrunde gegangen ist, — wer 
hat darüber offener und unumwundener gesprochen als 
Strauß ? Mit Recht sagt daher Kuno Fischer *) mit Beziehung 



*) Kuno Fischer a.a.O. 8.35. 



Strauß ab Biograph. 



616 



auf die Hutton-Biographie: „Es ist nicht wahr, daß die Li^b« 1 
blind ist. d. h. die blinde Liebe ist blind, die wahre sieht 
mit durchdringenden Augen." 

Zum Biographen im großen Stil gehört dann weiter. 
daß er nicht nur Künstler und Poet, sondern daß er auch 
Historiker ist. Als solcher hatte sich Strauß im Leben Jesu» 
etwa so wie Schwegler in seiner römischen Geschichte, d. h. 
wesentlich kritisch zersetzend, in der Glaubenslehre dagegen 
ganz modern entwicklungsgeschichtlioh betätigt. Zugleich 
zeigt sich darin, daß er der Glaubenslehre ein Leben Jesu 
vorangehen ließ, vom ersten Spatenstich seiner Arbeit an 
seine Vorliebe für das Individuelle und Lebendige in der 
Geschichte. Daß daraus dort, bei Jesus, kein positives 
Lebensbild geworden ist, daran war nicht er. sondern waren 
die Quellen schuld. Aber dann kam in den „Friedlichen 
Blattern" schon ein solches Positives nach, da» fein 
und mit Liebe gezeichnete Bild von Justinus Kerner und 
seinem Haus; es kam jener Autsatz über Daub und 
Schleiermacher, der es nicht nur mit ihren Systemen dogmen- 
geschichtlich, sondern mit einer scharf umrissenen Zeichnung 
und Parallele ihrer Persönlichkeilen zu tun hatte. Gerade da 
sieht man, wie für Strauß hinter dem Unpersönlichen der 
Lehre und der Weltanschauung stets das Persönliche und 
das Menschliche das Interessanteste gewesen ist, und wie 
er von Anfang an verstanden hat, dasselbe portratahnlich 
herauszuarbeiten. Auch im Julian ist es ein Mensch oder 
sind es zwei Menschen, der romantische Cäsar und der 
romantische Preußenkönig, deren Bild er, diesmal freilich 
nicht ohne Tendenz, aber darum doch historisch richtig 
entwirft. Und dann endlich die eigentlichen Biographien: 
noch unsicher und skizzenhaft, weil bloß als Umrahmung der 
Briefe, der „Schubart'*; voll Liebe das Genrebild „Marklin"; 
und zuletzt, nach diesen Vorübungen, die großen Meisterwerke 
„Frischlin" und „Hütten", wozu wir hier schon als dritte« 
und letztes den „Voltaire" stellen müssen. In ihnen steht 



;.!., 



AcliUs KapiWL 



Slrauß auch historisch auf voller Höhe. Freilich ein geschulter 
Historiker war or nicht. Daher machten ihm die gelehrten 
Vorarbeiten, recht mühsame und zeitrauhende Vorarbeiten, hei 
Frischlin mit seiner entsetzlichen Handschrift und ebenso bei 
Hiilton, dflBNO Werke damals noch nicht in einer Gesamt 
ausgäbe leicht zuganglich und dessen Briefe wenigste ns t e ilweiso 
noch au» dem Manuskript zu entziffern waren, — dieses StolT- 
sanunclii und Exc.orpieron machte ihm darum viel Mühe» 
er nennt sich selber dafür nicht ., findig 1 * genug. Und jeden- 
falls war ihm dieses gelehrte Tun weit weniger genußreich, 
als die künstlerische Ausarbeitung und Gestaltung des ge- 
sammelten Stoffe», woran er deshalb immer erst ging, wenn er 
mk jenem ganz fertig war. Aber trotzdem hat er »ich auch 
jener gelehrten Arbeit gewissenhaft unterzogen und sich 
darin allmählich immer besser zurechtgefunden; auch ist 
ihm ein Mangel oder eine Unterlassung nach dieser Seite hin 
niemals vorgeworfen oder nachgewiesen worden. Wissen- 
schaftlich, gelehrt-historisch beherrschte er »einen Gegen- 
stand vollständig, nur subjektiv, in der fehlenden Freude 
au solcher Gelehrtenarbeit und in dem Genuß, mit •im 
nach ihrer Erledigung an das Formen und Gestalten ging. 
sieht man, daß er zuerst Künstler und nur um des Zweckes 
willen auch Historiker war. Und doch httngt ein — Mangel 
dürfen wir nicht sagen, aber ein bestimmter Zug sei 
biographischen Schaffens recht charakteristisch mit dieser 
seiner Goislesarl und Arbrilswrisn zusammen. Der Hütten- 
biographic fehlt, was wir zunächst erwarten, fast fordern 
mochten, der breit und satt ausgemalte Hintergrund des ganzen 
Renaissance- und Reformalionszeilalters, von dem sich die 
Gestalt des Helden abhebt und in den sie sich auch wieder einzu- 
fügen, gelegentlich unterzutauchen hat. Und beim „Frischlin" 
kann man, soweit es sichumsei neTätigkeitals Rektorin Laibach 
oder in Braunschweig und um seine grammatischen Kämpfe 
und Reformpläne handelt, ein Bild von dem uns heule aus der 
( ',< M'hirltteder Pädagogik bekannten Schulbetrieb jener Zeit im 



Strauß all Biograph. 



511 



allgemeinen uud großen wirklich vermissen. FnscbÜus Können 

und (lu< Hcilriif nicf •■ein. : fclJÄItt'M winden ilmlureh e: .1 ilir 

TOUtt und ihr richtiges Gewicht bekommen hnhen. Die llutten- 
biographie ist, ebenso wie der ..Frischlin" und später der 
ii.iuv", durchaus individualistisch, alles dreht sich tun 
den einen und konzentriert sich in dem einen, eine Milieu- 
schilderung ist es nicht. Das hängt, wie gesagt, damit zu- 
sammen, daß Strauß von Haus aus kein Historiker, sondan 
seiner Begabung und Neigung noch eher etwas wie ein Roman- 
schriflstcller war; ein Romanschriftsteller nicht iu der Art 
Zolns, sondern in der Art Goethes im Wilhelm Meister. 
Strauß interessierte das Psychologisch-Menschliche mehr 
als das Milieu, es interessierte ihn eigentlich ausschließlich. 
Und das führt uns noch auf ein «weites. Strauß gehört 
mit seiner ganzen Denk- und Seinsweise dem individualisti- 
schen Zeitalter au, in das er hineingeboren und hinein- 
gewachsen war, wirklich noch dem Zeitalter Goethes, wifl 
.lieser uns in Wilhelm Meisters Lehrjahren die Entwicklungs- 
nd Erzieh ungsgeechichle eines Individuums erzählt hat, 
und dorn Zeitalter des Neuhumanismus, der durchaus indi- 
vidualistisch und aristokratisch war. In die neuhumanistisclt* 
Welt- und Lebensanschauung ist Strauß schon durch 
meinen Lehrer Korn in Blaubeuron eingeführt worden, an 
Goethe hat er sich gebildet und diesen daher auch fraher 
schon gegen die törichten Angriffe eines Bildungsphilisters 
wht Menzel verteidigt, und Wilhelm Meisters Lehrjahre 
sind für ihn als Biographen immer vorbildlich gewesen. 
Nicht die Wanderjahre: diese sind sozialistisch. Aber damit 
war Goethe »einer Zeit vorangeeilt; das soziale Zeitalter 
war in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts erst 
i jn-- i ;m im .Aii/ii;' und Werden, und der einsame und 
ganz nur auf sich gestellte Strauß war darum keine 
soziale, sondern eine ganz individualistische Nutur, üb- 

twohl wir auch davon spater einen Abzug werden machen 
TW tl^Wf, D. t: tfUuft. IL 84 



618 



AWr weaa bei Fnscahn ialotgt 
Art der Darsfllaag daa Bild etan 
faüca tat. obgleich du Tübinger Milieu «ad das gelehrt« 
Zanflweeen an dem ScaäcfcanJ den am doch recht kUr 
herauskommt: bei Hatte» tedenfaaH wie analer bei Voltaire 
wer dieses Einzelleben reich genug «od mebte dam euch 
Toflailiaa'lf, am zu einer SeaaUenaag Ar awh, |a e» war reich 
gaaog, un ron diesem einen Punkt iu zuginch noch das 
nötige Licht auf da» Genie za werfen, auf die Zeit and Weh. 
in der Hütten mitten inne »Und. Nicht aar die Freunde 
Ootoa Rubianus, Eoban Hesse, Mutianus Rufas und spater- 
bin Franz von Sickxngcn. selbst wieder Individuen von 
beno ■ derer Art, lernen wir tum Greifen deutlich kennen: 
auch die großen Bewegungen der Zeit, der Humanismus 
und seine Kampfe mit einer schal und barbarisch gewordenen 
Scholastik, die nationalen gravanuaa der Deutschen gegen 
Rom, die beginnende Reformation und Luthers alle über- 
ragende Größe, sie alle treten uns an der Gestalt Hütten«, 
an seinen Kämpfen, seinen Schriften, »einen Schicksalen 
klar vor Augen. Hütten ist eben groß und bedeutend genug, 
so daß in ihm seine ganze Zeit sich malt und abspiegelt; in 
ihm laufen die Fäden und die geistigen Strömungen jener 
gewaltigen Sturm- und Drangperiode unseres Volke* wie in 
einem Brennpunkt alle zusammen, wir brauchen sie nicht 
noch besonders uns ausspinnen und ausziehen su lassen, 
in ihm sind sie alle wie konzentriert und werden darum 
auch allen sichtbar und verständlich. So ergänzt sich sozu- 
sagen von innen heraus, was von außen ange-sriirn etwa. li*hlt 

Darum ist ahrr auch die Huttenbiographie ein so gutes 
und, entsprechend der Größe ihres Gegenstandes und seiner 
/.eit, ein so machtvolles Buch geworden. Daß die AlMt 
gut wnr, bewies diesmal auch die Aufnahme. Frischlin 
hatte nur ein spärliches Echo gefunden; aber das über- 
raschte Strauß nicht und verdroß ihn nicht. Das War 
Kaviar fürs Volk, ein Stück Gelehrten- und Universität*- 



Slriuß als Biograph. 



619 



iohte, also trotz des glänzenden Stils und der künitli-n- 
sehen Gestaltung deft Stoffes kein Buch, das auf/ weite Leser- 
kreise berechnet war und sich Hoffnung machen konnte. 
Gans anders der Hütten. 1857 war in Deutschland tint 
hose Zeil, die politische Reaktion uoeh in voller Blflte, Kinlnil 
und Freiheil scheinbar ferner als je. „Es waren die Jahre, 
da Germania noch einer erschöpfenden Fehlgeburl in tiefer 
Sehwache lag, da die großen und kleinen Oranger ihrer 
von neuem Meister geworden waren, da übermütige Nach- 
barn sie verhöhnten, da selbst jene schwarzen Vögel, als 
wäre sie schon eine Leiche, herangeflogen kamen und sie 
krachiend umschwärmten Es war die Zeit der Konkordate, 
jener Knechtungsvertrage mit Rom, von denen, nachdem 
Österreich vorangegangen, auch die Übrigen Staaten de* 
südlichen Deutschlands sich bedroht sahen." In diesem 
Augenblick kam zur guten Stunde der Rul: ist denn kein 
Hütten da? und weil unter den Lebenden keiner war, unter- 
nahm es Strauß, das Bild des Verstorbenen tu erneuern und 
ihn dem deutschen Volke vorbildlich 1 ) vor Augen zu stellen. 
Und sein Unternehmen war nicht umsonst, es kam sogar in 
diesem Augenblick eben recht. 1859 war es mit der Reaktion 
zu Ende, es folgte in Preußen die Ära Wilhelms 1. und in 
Deutschland 1866 und 1870 die Ära Bismarcks, es kamen, 



») Ich habe absichtlich das Wort „vorbildlich" in diese dem 
Vorworl zur zweiten Auflag* de» 8truußschen Hütten entnommene 
Stelle eingefügt, um dabei an ein» recht merkwürdige Bemerkung 
IV. I'aulsens in seiner „Geschichte des belehr Len Unterrichts", 2. Aufl. 
1. 1606, su erinnern. In je nur fast gar mit Janssen und Demfle weit 
tffarnden Schilderung de« humanistischen Zeitalters heittt « 8. 86: 
„Befremdlich bleibt, wie ätruuU den fränkischen Ritter, der. an elender 
Krankheit dahinsiechend, «lleieit ohne Oold im Beutel, ober voll 
großartiger Ansprüche umherzog und mit lateinischen Versen die 
libumlitnt. von geistlichen und weltlichen Herren stimulierte, ols 
'ftfk.iinpfrr d.'iiUrii.r li.'iln'it und Ihldiiug dum deutschen Volke 
hliwUlIon konnte. — Abur «r hat Rum angegriffen. — Ich dlltiN di>eh, 
.Uli es heiserer W Affen und besserer Manner im Kampf für deutsche 



HO 



Acht» K*piUL 



kamndaÄzWin Jahre am waren, Kaieer und Reich. So verstand 
dieamai öm deutach» Volk Strauß and ww er mit seinem 
Helden jrewoBl hatte. Kr fand in dem Zorneiler de» frtnki- 
•eben Kittees gegen das hehl- und freih-'iUeindlictifl Rom 
und in desaen Mahnung an Min« Deutschen, einif und vJfot- 
bewuBt xatamrncnzu*teb«n gegen den Übermut der Fremden. 
cid Wort zu rechter Zeil. Zwar eine »weite Auflage erlebte 
das Boch erat ri#rz*hn Jahre spater: die Aaüaga war au 
Htarfc K>oocnmfD worden und die Form de» Baches durch 
die vielen lateinischen Quelleiustellen noch immer eine «u 
gelehrte; deahalb lieft Strauß 1871 den Ritter durch solches 
Gepäck woniger beschwert seinen zweiten Ausritt antreten. 
Aber gleich bei meinem ersten Erscheinen kam ihm doch 
von vielen Seiten ein freundlicher Widerhall «ntgr^n: 
..das Buch ist, als es im Sommer 1857 herauskam, mit all- 
k'ornririMni Beifall uufgenommei worden", *utf1 ei selber. 
JeUt hatte Strauß das Ohr seines Volkes, man freut« sich 
an der schönen Form und an dem freien Geist, der sie be- 
lobte, man freute sich des Ritters und lobte Hemm Biographen. 
Das war für Strauß ein ungewohntes Erlebnis. Er, der 
Ausgesloßene und Vcrfehmte, der fast schon Vergessene. 
war rehabilitiert und mehr als das, er war ein beliebter 
Schriftsteller, >in gerne gehörter Rufer im Streit, einer der 
Führer und Vorkampfer seines deutschen Volkes geworden. 
Das mußte ihm nach langer böser Zeit tief innerlich wohltun 
„e* wäre AlTektation, wenn ich das leugnen wollte", hat er 
in »einer allerletzten Schrift lejcb bekannt. 7.u dein Glück- 



iTi'ihi-ii und Bildung bedurfte und DOÖl] iUl lagt bedarf l'-nil-^n 
taatt ilnmnU norh nicht, daß er hold darauf selber genötigt »ein wnrde, 
i.U phi!i>M>phu> iniliiuii „Korn anzugreifen" und sich gegen ftafaM 
Aiupruchn fur ilniUrhii Fnihml und Bildung »u wehren. Ich finde 
überhaupt in <I**u kurzen flchWißbemerkungen von Strauß in seinem 
Hatten H. 530 ff (Gi*. Schriften Bd. 7) mehr gescuichtlicho6 Ver- 
sUndnis für da* VerhAlt ni* de» Humanismus tur Reformation all 
in allem, wua Puulson darüber geschrieben hat. 



& trau 8 ab Biograph. 



m 



losen kam das Glück, oder vielmehr, es war schon vorher, 
schon während und durch die Arbeit Am Hutton bei ihm ein- 
gekehrt. Denn wir wissen schon, wenn hei Strauß ein Wirk 
abgeschlossen war, dann folgte allemal erst eine Periode der 
Verstimmung oder, wie er einmal sogt, „der Lebcns- 
stockung". 

Doch ehe wir zu solchem Persönlichen weiter- oder 
vielmehr zurückgehen, müssen wir in diesem Zusammen- 
hang neben den drei oder vier gm Um Biographien, di<- 
Strauß etwa ein Jahrzehnt hindurch beschäftigt habeu, 
nooh einer Reihe kleinerer hingraphischi-i Skiy.y.eu gedenken 
wie sie, da und dort erschienen. 1862 in efaMf ersten. 1S66 
in einer zweiten Sammlung „Kleiner Schriften' 4 vereinigt 
worden sind. Von dem 1839 erschienenen Essai Über Justinus 
Kerner war schon mehrfach die Rede, und ebenso ist des 
Nekrologs auf Ludwig Dauer als eines Vorspiels zum Christian 
Marklin bereits gedacht. 1849 folgen die beiden Aufsätze 
Über August Wilhelm Schlegel und Karl [mmermann, für 
Brockhaus' „Gegenwart" bestimmt. Schlegel hatte Strauß 
auf seiner H hei n reise im Jahr 1H3K persönlich kennen ge- 
lernt. Köstlich schildert er den Besuch bei dem citeln Mann. 
„Es war im Herbst des Jahres 1838, ah der Verfasser, ein- 
geführt durch seinen Landsmann Rehfues 1 ), zu Ronn in 
A. W. Schlegelß Besuchzimmer trat, erfüllt von oll der 
Hochachtung, welche des Mannes Verdienste um die deutsche 
Literatur jedem einflößen müssen, der sie in ihrem Im 
fange kennt und nach ihrem Gewicht zu schätzen versteht 
Vom Annoir blickte des Bewohners Marinorb tote nieder 
und hinter ihr noch ein in Ol g#Mnnltes IMdius denselben 
hervor, wahrend er seihst in brauner, jugendlich lockiger 
Perücke, in blauem Frack und grauen faltigen Pantalons. 
mit munterer, fast frivoler Beweglichkeit uns entgegentrat 



') Philipp Jortopu Rehfun* wur Kurator d*r Univnrdtal Bonn 
von 1819— «842. 



■YJ'J 



Acht« KafäteL 



und <!i n Fremdling freundlich willkommen hieß. Da wir 
unterbrochen wurden, so lud er diesen ein, ihn übend» noch 
einmal zu besuchen. Am französischen Kamin, in welchem 
ein lieblich duftendes Feuer i alert *aß je tri ein alte» Mann- 
chen, im Schlafrock ohne Perücke, da» kahle Haupt mit 
• lncm schwarzseidonen Mützchen bedeckt. Um so mehr 
sollte nun aber seine geistige Toilette Überraschen. Aua dem 
speziellen Fache des Verfasser» brachte er eine Masse von 
Notizen und Problemen hervor, mm Teil als Fragen an 
diesen, worauf aber keine Antwort abgewartet, sondern 
alsbald zu andern und wieder andern Gegenstanden über- 
gesprungen wurde. An einen zusammenhängenden Ge- 
dankengang von seiner Seite oder an eine wechselseitig*- 
Unterhaltung, in welcher beide Teile sich menschlich naher 
hatten kommen können, war nicht zu denken, und der so 
seltsam umgewirbelte Gast hatte sich von einem wahren 
Schwindel zu erholen, als er sich, aus dem Hause getreten, 
wieder auf der nächtlichen Straße befand. Solange er frisch 
ist, verstimmt ein solcher Eindruck immer und trübt da« 
Bild, das man sich von einem merkwürdigen Manne 
entwürfen hatte, den man bisher nur gleichsam von seiner 
unsterblichen Seite kannte und nun auch von der sterb- 
lichen kennen gelernt hat: doch gleicht sich dies bei dem- 
jenigen, der von den Verdiensten eines solchen Manne* 
i'iii' 1 klare Erkenntnis hat. bald wieder aus." Und darum 
folgt nun auf diese anschauliche Schilderung des eiteln 
Alten eine feinsinnige Charakteristik des Schriftstellern und 
eine gerecht abwägende Würdigung dessen, was er für 
Sprache, Literatur und Bildung des deutschen Volkes ge- 
leistet hat. Es gehört vor Hoyms großem Werk zum Besten, 
was bis dahin über die romantische Schule gesagt worden 
war, und war zugleich so etwas wie eine Abrechnung 
Simulien« mit seiner eigenen romantischen ErsUingsperiode. 
Immerm um i hat Strauß niehl persönlich gekannt; aherdie 
baulich« Schilderung seiner Persönlichkeit fand er im 






Slrsuft *b Biograph. 



RM 






„Münchhausen' 1 , und das Biographische über seine Jugend 
kcmnte er seinen leider unvollendet gebhebcMien^MeiiioniUilien" 
entnehmen. So geht auch hier dem Literarhistorischen und 
Kritischen ein Bild des Menschen voran» der ihm diesmal besser 
gttficl als der Schriftsteller und Dichter. Was er über die 
beiden Hauptwerke — die Epigonen und den Münchhnusen 

— sagt, ist trefflich. Der verfehlte Schluß des ersteren ist 
ihm nur wieder ein Zeichen der „romantischen Krankheit, 
glrichnam einer Selbstzerstörungslust, entspringend aus dem 
geheimen Zweifel des Poeten an der Realität seiner Schöp- 
fungen 4 *. Der Münchhuuson ist — und das hat sich ja 
inzwischen durchaus bewahrheitet — „seinem einen Bestand- 
teil nach ebenso gewiß lotgeboren, als nach dem andern 

— der Schilderung des Oberhofs und der knorrigen Eiche, 
seines westfälischen Hofschnlzen — unsterblich". Wenn 
er aber etwa mit dem Dichter Iuunermann allzu scharf ins 
Gericht gegangen sein sollte, den Menschen, den Charakter, 
»eine tüchtige und kräftige Persönlichkeit hat er gewiß 
nicht verkannt. 

Zu Ludwig Timotheus Spitllcr führten ihn der Hauch 
Lessingischen Geistes, den er in ihm fand, und die lands- 
mannschaftliche Vorliebe. Spittler war ja „ein württembergi- 
scher Theologo, natürlich also aus dem in solchem Falle 
unvermeidlichen Tübinger Stift". Zugleich interessierte 
ihn, gleich nach der Vollendung des Hütten im Jahr 1857, 
dieser bedeutendste schwäbische Historiker als solcher und 
als freigesinnler Politiker; seine schiefe Stellung unter dem 
absolutistischen König Friedrich von Württemberg füllte 
überdies eine Lücke aus zwischen dem Herzog Karl, der 
ihm durch Schubart nahegetreten war. und dem König 
Wilhelm I., unter dem er selbst zu leiden gehabt und von 
dem er nach seinem Tode im Jahre 1804 ein nicht eben ge- 
schmeicheltes, aber durchaus gerechtes Rild entworfen hat, 

Und Landsleute waren auch dtfl Haltt, von denen uns 
Strauß in einer Reihe von Aufsätzen rrzählt. Di« In*- 



524 



Achtes Kapital. 



malde»ammlung de« Freiherrn von üxküll in Karlsruhe, die er 
J863 k*nno* gelernt hatte, führt« ihn auf die deutsch« Malerei 
um die Wende de» 18. rum 19. Jahrhundert Au» dem 
Nachlaß Uxküll» gab er Joseph Kochs Gedanken Ober 
altere und neuen? Malerei heraus, soweit si* nich fnr den 
Druck eigneten, und kam dann weiter zu üxkull.i Freund, 
dem 1852 verstorbenen Historienmaler Eberhard Wachler, 
der freilich in Ho in nach schlechter romantischer Sitte 
Konvertit geworden war, dessen Hauptwerk'' Im nun 
Hiob und sein Sokrates, nicht romantisch, sondern durch- 
aus klassisch gedacht und empfunden sind; der letztere ll l 
mir in meinem Arbeitszimmer noch honte ein lieber Freund. 
Der Aufsatz über ihn war zugleich ein Nekrolog auf den 
eben (1852) gestorbenen. Neben ihm (und Carstens) steht 
dann weiter, als , .einer der Erneuerer der deutschen 
Malerei", Gottlieb Schick, der uns heute von Wilhelm 
v. Humboldts römischem Aufenthalt hör bekannter ist, als 
er es damals war '). Die schwäbische Heimat auf den von 
ihr schlecht Debandelten und allzu schnell Vergessenen hin- 
zuweisen, sollte der Aufsatz ,,Zur Lebonsgeschichte dos 
Malers Göttlich Schick" dienen. Nehmen wir dazu noch 
die Miszellen, „der Bildhauer Isopi und die Wappentiere 
vor dem Stuttgarter Schloß" und „den musikalischen Brief 
eines beschrankten Kopfes über Beethovens neunte Sym- 
phonie und ihre Bewunderer", von dem noch tu reden 
sein wird, so sehen wir, wie es nicht bloß die Literatur und 
ihre Geschichte, sondern die Kunst überhaupt ist, die Strauß 
interessiert, sehen aber auch, wie es — abgesehen von dem 
musikalischen Brief — auoh hier fast durchweg das Bio- 
graphische war, das seine Feder dolor in Bewegung 
setzte. Überall sucht er hinter dem Kunstwerk den Menschen, 



'> Bein Bild von Adelheid und Onbriolft von Humboldt «Uf 
dem Jahre 1809 steht an der SpHio der Biogrtiphlt Gabriel« v 
riülows. 



Straufl ab Biograph. 



6tt 






und wenn er ihn gefunden hat. redet er mehr von ihm als 
von seinen Worknn. Und wieder ist 08 das Humanistische 
oder Klunsizistische und das Schwäbische, was ihm die 
Themata stellt und ihn zum Schreiben reut. 

Krinnorn wir hierauch noch einmal an den Aufsat?. M mn 
Andenken nn meine gute Mutter" (1858) und nehmen Hit» 
zwei Leichenreden (auf Dr. Sicherer 1861 und seinen Gruder 
Wilhelm 18ß3) hinzu, .iie in den Kiemen Schriften mit Auf- 
nahm« fanden, so gilt von der zweiten Sammlung noch mehr 
alb von der eisten, was Strauß im Vorwort zu dieser über das 
bunte Allerlei, das hier versammelt war, Achreibt : „Nun 
weiß ich wohl, daß man die Herausgabe einer derartigen 
Sammlung bei Leibesleben einem Autor eigentlich verübelt. 
Kr «oll warten, ob man nach seinem Todo der Mühe Wort 
finden wird, eine solche zu veranstalten. Dagegen will ich 
im allgemeinen lüer nicht disputieren, sondern nur angeben, 
was mich veranlaßt, solange nicht zu warten. Dem Schrift- 
steller mag es noch so sehr um die Sachen zu tun sein, über 
welche er schreibt; hat er einmal ein Vierteljahrhundert 
lang'geschrieben, so wünscht er billig, vom Publikum auch 
sich selbst nicht mehr schief und einseitig beurteilt zu sehen. 
Welche Veranlassung hiezu in seinen frühesten Werken lag 
(obwohl immer nur für solche, deren Blick nicht unter «Iie 
Oberflache von Büchern und Geistern drang), verkennt der 
Verfasser des Lebens Jesu nicht. Aber sogar noch neues tens 
uus Anlaß seiner Hutten-Biographie sind ihm Öffentliche 
Urteile über seine Geistesart zu Gesichte gekommen, die 
[hm durch ihr Fehlschießen Spaß gemacht, zugleich aber 
auch den Seufzer ausgepreßt haben: Ich wollt*, ich wäre 
der reine Verstand, wofür ich euch gelte, so wäre mir man- 
ches Ungemach im Leben erspart geblieben! Ein zwang- 
loses Allerlei Wffllißehter Schriften zeigt «Im Verdinger nun 

doch wohl von mehreren Seiten als ein in einer bestimmten 
Richtung verfaßtes Werk, und kann d.izu beitragen, «las 
abstrakte Gespenst einer rfnufttiglB Vorstellung von ihm, 



GM 



Acht« Kapitel. 



das ihm nachgerade unbequem geworden, zu verscheuchen ." 
Und von der neuen Folge sagt er 1866 ähnlich: „Eine bunte 
Gesellschaft! wird beim Überblick dieses Inhalt« mancher 
kopfschüttelnd ausrufen. Allein ich wollte einmal mein 
ganze-, Or che* tax vorführen, d.h. von den verschiedenen 
Instrumenten, die ich zum TroM. oder mir Kurxv.nl i 

und nach erlernt, auf jedem ein Stackchen »um besten 
geben. Vom I'iccolo darf man kein Adagio \ erlangen; aber 
der Tag hat mein- als zwftlf Stunden, da» Leben linilhUflfl 
Lagen und Stimmungen: und da i*t c% manchmal gar nicht 
übel, wenn muii nicht bloß ein Instrument und eine Leier 
zu spielen weiß." Aber geholfen hat ihm die Wlaeitig- 
keit und Buntheit, die Liebenswürdigkeit und Grazie, die 
er in seinen Kleinen Schriften zeigte, nicht allzuviel. wi»hl 
galt er der Welt hinfort uls ein großer Schriftsteller, aber 
der Verfasser des Lebens Jesu blieb er ihr dennoch, und erst, 
als longo nach seinem Tode die ausgewählten Briefe er- 
schienen, hat das große Publikum gemerkt, daß Strauß doch 
nicht ,,der kalte herzlose Rechenmeister sei, der unbarm- 
herzig mit den Heiligtümern verfuhr, die dem Froramt D 
am Herzen liegen" l ), sondern ein feiner, liebenswürdiger 
Mensch mit einem warmen Empfinden für allerlei Schönes 
und Gutes und Großes in Kunst und Menschenwelt. 

So hat sich denn auch der Mythus, der sich an sein 
Wanderleben in der Zeit seiner biographischen Arbeiten 
geknüpft hat, nur allzulang erhalten, noch Samuel Eck *) 
halt daran fest: ein zweiter Ahasver habe Strauß in dieser 
Zeit ein — „fast" setzt Eck sich vorsichtig salvierend hinzu: 
da sind „die Ganzen" doch tapferer! — „ein Fast unstetes. 
Wanderleben geführt, nirgends konnte er — ,, recht" sagt 
Eck! — festwurzeln", nirgends fand er Ruhe. Und wahrend 
Hnusrath unbefangen anerkennt, daß wir aus den Briefen — 

») Ad. Hausrath in dflr BMprechmiK dtf ;ui*K**fihUrii Bnritr. 

Protest. Kin-h'MU.-ituhi:. Julu \r li. 

■) HamuH Eck. David Friedrich gtraufl, 1809, S. 1S4. 



Strauß al= Biograph. 



627 



schr im Gegensatz zu solchen Vorstellungen — ..einen ge- 
wissenhaften Familienvater kennen lernen, der nach Heidel- 
berg zieht, weil da für seine Tochter ein passendes Institut 
aufgefunden ist, der aber den Aufenthalt in Heidelherg, wo 
er die innigsten Freundschaften geschlossen hat. mit Heil- 
bronn vertauscht, weil er für seinen Sohn die schwabische 
Schule der hadischen vorzieht", rechnet Eck drei Jnhro 
nachher diese „Sorge um die Erziehung seiner beiden Kinder'" 
noch „fast** gar mit zu den — ich weiß nicht, ob Sünden 
oder Strafen des unsteten Mannes. 

Ein Wanderleben war es allerdings, das Strauß in 
den fünfziger Jahren geführt hat, wir wissen aber auch 
bereits die Gründe, die ihn aus der schwäbischen Heimat 
fortgetrieben haben, wo es ihm allein ganz wohl war, 
und wo er mit allen seinen Interessen und menschlichen 
Beziehungen allein „recht" festwurzelte. In München haben 
wir ihn verlassen. Dorthin sollten im .November 1851 die 
Kinder kommen. Um ihretwillen mußte ein eigenes Hauswesen 
eingerichtet und mußte eine Dame ins Haus genommen 
werden, die ihm die Kinder erziehen half. Als seine Ehe 
ins Wanken gekommen war und die Trennung erst halb, 
dann ganz ins Werk gesetzt wurde, da hatte fürs erste die 
treue Karoline genügt. Von ihr muß in einer Biographie 
von Strauß auch gesprochen worden. Karoline Gerber, 
geboren am 28. Oktober 1798 als Tochter eines Sattlers 
in Brackenheim, war schon bei der Großmutter von Strauß, 
der Witwe des Kaufmanns RuofT in Ludwigsburg, im Dienst 
gewesen und hatte diese verpflegt, seit 1824 war sie dann 
Magd bei der Tante von Strauß. Friederike Strauß. Im 
gleichen Hause waren die beiden Brüder Strauß heran- 
gewachsen, und so hatte sich schon zwischen den Knaben 
und der vertrauten Dienerin der Familie eine gegenseitig»* 
Anhänglichkeit herausgebildet, die sich im Lauf der Jahre 
immer mehr vertiefte. Auch bei der Pflege der Eltern von 
Strauß, als diese auf dem Totenbett lagen, hat sie sich um- 



Achtes KaattaL 

sichtig und ftefiig b+utipt. N**h dstn Tod dar Muttsr 
h**ocjrte sie, Doch immer im Dienst der Tante slea»end, 
Strauß die Wasch« bts iu »einer Verheiratung. Auch die 
Tanl* hat sie Im tu deren Tod im Jahre 1846 (popfl^t. Hin- 
fort mehr selbständig wollt* sie sich jedesmal den Gliedern 
der Familie Strand widmen, die sie brauchten. So sollte 
sie e<ben zu dem erkrankten Wilhelm nach Köln gnhen, 
aL» sie Strauß hei der Trennung von seiner Frao zur Pflege 
der mutterlosen Kinder zu Mch rief. Damit begTüni 
Strauß auch dorn Gericht gegenober «ein Verlangan, die 
Kinder behnlten zu dOrfon. Damals hat ihr auch der Oheim 
KuofT bezeugt, daß zärtliche Anhanglichkeil an die Kinder 
und treueste Versorgung von ihr zu erwarten sei ■). 
nun, wo es sich nicht bloß um Pflrgen und Aufziehen, sondern 
um wirkliche Erziehung handelte, genügte natürlich die 

V iii> Magd HOtÜ BHstl Str.'iuLi mußt« MM galnMati I'VjM 
ins Haus nehmen, und da traf er es mit Fräulein Eb für 
längere Zeit sehr gut; er rühmt — bezeichnenderweise — 
vor .-illi'iti ihre Friedfertigkeit! Es ist für ihn ein rechter 
Kummer gewesen, als sie schon 1852, um sich zu ver- 
heiraten, ihn wieder verlassen hat. 

Abnr wo sollte er sich mit diesem Haushalt ansiedeln? 
München schien ihm dazu nicht geeignet, und so versuchte 
er es zuerst mit Weimar. Dort hatte er kurz zuvor unter 
oVr Führung seines Freundes Adolf SchöD, den er von 
Tobingen her kannte und der jetzt Direktor der Kunst- 
anstalten in Weimar war, unvergeßliche Tage verlebt. So 
zogen ihn die N&he dieses befreundeten Hauses und noch 
mehr die klassischen Statten Weimars mit der Fülle ihrer 
Erinnerungen auch jetzt wieder dorthin. Allein es war ein 
Mißgriff. Das litt mir erst dieser Tage, als ich wimW einmal 

') Das Voraiw lohende Kt Rr&QtenteiU wörtlich einem Xeognis 
I iiin.inini. n, -Li- K.iufmann Ituoff in Ludwigsburg am 6. Mir» 1S47 
<I<t KarSÜM n.'fluT najaftllt hat (aufbewuhrt un Ä< hilW Muwim 
ku Marbach). 



Strauß als Biograph. 



629 



xu diesem unserem deutschen Mekka gewallfahrtct bin, so 
recht klar geworden. Strauß war Schwabe durdi und durch. 
Kurs vor Weimar beginnen die Windmühlen, in WcitOtf 
bekommt man, wenn mnn vom Süden her kommt, zum 
erstenmal gesalzene Butter, — d. h. Weimar ist .Norddeutsch- 
land. Und Weimar mutet einen noch heute so philisterhaft 
und kleinstädtisch, so unbehaglich und hofrntlich an: wie 
muß es erst damals dort gewesen sein! So fühlte »ich der 
von Mönchen herkommende Süddeutsche dort recht in 
der Fremde, namentlich in den ersten Wochen, ehr die 
runder mit der Haushälterin nachkamen. Kein Wem, kein 
Bior, die Freunde Toctrinkerl so klagt er dem Bruder 
die Wohnung malpropre und unbequem. Doch bald ..ent- 
deckt er ein bayrisches Bier, freilich dreimal so teuer als in 
seiner Heimat und nicht halb so gut; allein man gewühii! 
Und der Bruder schickt Rheinwein. Zum Versuchen des- 
selben lud Strauß fünf Hofräte ein: er fand allgemeinen Beifall, 
aber „einem der teuren Männer soll er die Nacht und dm 
ganzen folgenden Tag viel zu schaffen gemacht haben! 
Überhaupt die vielen llofrate in Weimar! Einen Hofral 
kann man daran erkennen, daß er in den Schloßzimmern 
den Hut abnimmt, in den Kirchen aber ihn aufbehalt''! Und 
zu haben sind sie in Gesellschaft nie ohne die Weiber, ..welche 
mir im allgemeinen oino fatale Zugabo sind". Freilich so 
ganz schlimm war es auch damit nicht. Er hatte ja den 
„herzensguten 1 * Scholl, der sich ihm als wahren Freund 
erwies und ihm mit seiner Familie alles erdenkliche Gute 
antat. Sauppe, der damals Gymnasialdirektor in Weimar 
war, stellte ihm seine schöne philologische Bibliothek zu 
Gebot, und so las er einmal wieder eifrig Klassiker, darunter 
auch solche, die man sonst weniger liest, wieVellejus. Auch musi- 
kalisch waren seine Gefülde gemischt. „Gestern habe ich", 
erzahlt er der Schwägerin, „bei Liszt, der hier Kapellmeister 
ist, einem Violinquartett beigewohnt und mich dabei von 
der russischen Fürstin Wittgenstein, die er nächstes Früh- 



580 



Acht» Kupilfl. 



jnhr heiraten wird, anrauchen lassen — was will man mehr? 
Da» Quartett i»l gut, nur sind die Leute etwa» rapplig durch 
einen allerneueston Komponisten namens Wagner, der sich 
hier aufgehalten hat, so duU ihnen Beethoven selbst noch 
nicht toll genug ist, wenigstens spielen sie seine spätesten» 
krausesten Sachen am liebsten. Meino bescheidene Anfrage 
an Violino l-°, einen gescheiten, ganz jungen Virtuosen, ob 
denn auch der alte Haydn noch bei ihnen ankommen dürfe, 
führte il um doch ein Gespräch herbei, dessen Ende war, 
daß er mir ungebeten versprach, nächsten Sonnlag solle ich 
ein Haydnsches Quartett von ihnen hören." Zu den öffent- 
lichen Quartettvorstellungen „schickten ihm die Herren als 
grollcm Musikgönner ein Freibillelt, was ihm eine Verlegen- 
heit ist". Und so blieb in Weimar das Beste doch immer 
der Umgang mit seinen Kindern. Er hat „viel zu tun, 
ihnen im Unterricht nachzuhelfen; da dauert ihn keine 
Zeil, die er hierauf verwendet; da weiß man doch, an wen 
man sie wendet, was man boiin Büchorschreiben nicht weiß". 
Und ao ist er mit ihnen ..fortwährend wohlauf und guter 
Dinge, wie seit Jahren nicht". Das einzig Unangenehme sind 
die Briefe, die sie mit der Mutter zu wechseln haben und 
die ein Anwachsen bei ihm immer wieder verhindern. 

So schwankt das Zünglein der Wage für Weimar hin 
und her; schließlich geben aber doch die Kinder dun Aus- 
schlag gegen das Bleiben. „Es ist erstaunlich, was die 
Kleinstaaterei hier fühlbar ist. lauter verrotteter Schlen- 
drian, so bei Handwerksleuten wie in LehranslulUn." 
Bis «um zehnten Jahre müßte Fritz in einem kleinen 
Privatinstitut unterrichtet werden, das ihm nicht genügt. 
und so 'lenkt er einen AugimUüek an eine. Ohersimihing 
nach Jena, wo ein sehr gerühmtes Institut (da.« Stoysrhei 
ist. Aber schließlich lockt ihn — für seine Kinder und 

um ihretwillen Köln. liier finden sie i in Huuse des Onkels 
Wilhelm Vorwandte und eine zweite Heimat, die ihnen das 
Vaterhaus doch nur halb bieten konnte, und finden gleich- 



SLruiiB aU Itiograph. 



631 



altrigt» Spielgenossen und Schulkameraden Davon ver- 
spricht er «ich für sie und sich viel Freude. Zwei Jahre, 
vom Sommer 1852 bis Herbst 1854, hat er dort gelobt. Dn 
für diese Zeil die Briefe an den Bruder pausieren, so fehlt 
mm der Hinblick in die Intimitäten seines häuslichen Lebens 
in Köln. Wohl hat er sich aber dort nicht gefühlt. Dv 
Bruder war viel krank, und die katholische Handelsstadt 
bot Strauß außer in musikalischer Beziehung wenig An- 
regung; er fund weder die Natur noch die Menschen, die 
er brauchte, und auch die für seine Arbeit nötigen Bücher 
konnte er sich nur von außen verschaffen *). Auch suchte 
er gerndc damals für neue Arbeit tastend erst nach Stoffen. 
Einen Augenblick dachte er an ein Lebensbild des alten 
Kntionalislen Paulus, der 1851 gestorben war und dessm 
Biographie aus der Feder seines Schwiegersohns, des Philo- 
sophieprofessors Freihemi von Reichlin-Meldegg Strauß 
— ich setze dafür einen parlamentarischen Ausdruck — 
wenig befriedigte. Erst im Jahre 1854 fand sein tastender 
Fuß festen Grund, der Furor biographicus packte ihn. 
die Arbrii um ..Frischlin" begann. Eine ganze Kiste mit 
Frischlinschen Briefen und sonstigen auf ihn sich beziehen- 
den Akten kam vom Stuttgarter Archiv, und bald , .steckt 

l ) In den Literarischen Denkwürdigkeiten heißt en über den 
Kölner Aufenthalt: Hier „hatte ich meinen guten Bruder, hall* »eine 
Familie seine Freunde; nhrr mein Verkehr mit ihm wiir tnila durch 
sein Geschäft, teils durch seine Kränklichkeit sehr gehemmt; «in lite- 
rarischer Umgang fehlt» mir, und weder diu Art der Stadt und Gngimd 
noch dos Leben und Treiben der Bevölkerung konnte mir behauen. 
Dtuu kam Not mit der Haushaltung. Die erst« Haushälterin, mit 
floY ich und noch mehr die Kinder wohl versorgt gewesen, fand nach 
Jjhrvxtnst Gelegenheit au heiraten; die zweite aber, obwohl mir von 
Im- irr II. ,n.| iBnlllfl BlgsQ <■nir.fi-.hh -o. -/..-i^n- -i.h BRl ■■>!' DOttUllf 
lirh, iti der l-'olg« als wirklich schlecht. Das waren keine YerhallniMe. 
den liM-ktmili-n literarischen Prudiiktiunstriph in netten Khiß xu bringen. 
Ich blieb in meiner Verbittern m:; e* entstand mchls, hwin-tn »ich 
nichts vor. Die uinilgo 3«iU\ von der ich mich in Kein anguregt r.md, 
war die Musik". 



GGft 



Adit« kmUh. 



er bis Ober die Obren darin". Dt ihm aber auch die Schulen 
in kulfi t<"ht zusagten, so denkt er darauf die Kinder 
anderswo unteren bringen. Auf einer Heise nach Wurttenv 
berg kommt er nach Öhringen, wu sein Freund Fischer ab 
SUdtpfarrer lebt. Hier verhandelt er mit Prfixeptor Prenm 
de^enHou*ihmjcner;iehrempfohlcn hatte, abnrdie Aufnahme 
»eines Fritz. Und nun beschließt er auch che Tochter in ein 
Institut zugeben. Kr geht nach Manuln -im, wo »ein Freund 
H»tsch und »ein Verleger Bassermann ihn beraten. AbcrDiltcn- 
berger. ein Schwiegersohu Daubs. damals Hofprediger in 
Weimar» froher Stadtpfarrer in Heidelberg, gab für diese» den 
Ausschlag. Er empfahl ihm ein dortiges Institut, an dem er zehn 
Jahre lang seihst und nach ihm Pfarrer Zilie) (d.a.) Unterricht 
gegeben hatte und das an solider Bildung keinem nachstehe. Vor- 
steherin war ein Fräulein Hridrl. Da Strauß seinem Kiinl 
„die schOne Natur von Heidelberg doch lieber gönnen mochle 
als das Ode Mannheim mit seinem Kalkwasser und Beinen 
Wanten", so brßchte er Georgine dorthin. Aber wohin dann 
mit sich selber? Erst dachte er an Ludwigsburg, wo Karo- 
line, auch wenn sie nicht zu ihm zog, die Oberaufsicht Ober 
seinen Haushalt übernehmen konnte. Allein die Aussicht, dann 
beide Kinder iu der Ferne zu haben, war ihm nicht mehr 
ertraglich; und so zog auch er nach Heidelberg, wo er sich 
tAglich am Wachsen und Gedeihen der Tochter freuen und 
sie allsonn taglich ganz bei sich haben konnte. So halte 
er ohne die Beschwernis aSgAMT Menage und ohne direkte 
Erziehungssorgen wenigstens das eine der Kinder um sich. 
Das zweite, was ihn zu dieser Wahl bestimmte, war die 
Natur: darüber bedarf es für Heidelberg keines Wortes. 
Seine Briefe zeigen, wie er die Spaziergelegenheit benuzt, 
sich am Wald im Winter, am Erwachen der Natur im Früh- 
jahr gefreut und ihr Leben in vollen Zügen mitgelebt und 
milgenossen hat. Zum dritten war es die Bibliothek und 
war es überhaupt die gelehrte Luft der i'niveraitalsstadt, 
die dem wiedor produktiv gewordenen Schriftsteller den 



Strauß ab Biograph. 



638 



nötigen Stoff und die gewünschte Anregung zuführten. Gans 
andere als in Köln konnte hier der „Frischlin" gefördert 
und zu Ende gebracht und der Plan zum ..Hütten 1 ' gefaßt 
und durchgeführt werden. 

Diese drei Dinge zusammen, das Sorgen und Sorgen- 
Hürfen für andere, das Ausruhen von der Unrast de» Lebens 
am Busen der alleinen ewigen Natur, und die täglich fort- 
sr.|irritiMnlf Arbeit, haben StfftflB in Heidelberg mehr und 
mehr gesunden und die Wunde, die die vierziger Jahre 
ihm geschlugen hatten, langsam verheilen lassen. Dazu kam 
aber noch eines, nicht das Letzte: der Umgang mit bedeuten- 
den Menschen, die ihn verstanden, ihn durch ihre Hoch- 
schatzung aufrichteten, in lebhaftem Gedankenaustausch aus 
dem -scheinbar erkalteten Stein neue Funken herauszulocken 
wußten und durch ihre warme menschlicho Teilnahme und 
Freundschaft auch seinem Herzen wohltaten. Von Wnimnr 
aus, vor der Übersiedelung nach Köln, hatte er dem Bruder 
geschrieben: ,,Um die Menschen ist mir's weniger, die brauche 
ich leider gar nicht mehr oder weiß sie nicht mehr zu brauchen 
Ich bin hier außer mit Schölls rnil niemand öfter zusammen- 
gekommen. Ich kann jetzt jedermann entbehren, in dieser 
Beziehung bringt das Behagen mit meinen Kindern den 
ie im n Widerspruch in meine Existenz, daß es mich von der 
Welt vollends ablöst, mit der ich doch, den Kindern zulieb, 
eher wieder etwas mehr in Verkehr kommen sollte." Das 
wird nun in Heidelberg mit einem Schlag anders. Hier 
findet Strauß Menschen, hier wird er wieder gesellig. Auch 
die schwäbische Schwerfälligkeil hat er hier vollends abge- 
legt und ist der Mann mit den feinen Umgangsformen ge- 
worden, als der er mir in der Erinnerung lebt. 

Mitte Oktober 1854 war Strauß in Heidelberg eingetroffen, 

»am 6. November schon berichtet er dem Bruder: „Bekannt- 
schaften hohe ich Ober dem fatalen Wohnungsuchon noch 
wenig geraucht, hauptsächlich mit dem Dr. Fischer, einem 
Dozenten der Philosophie, dem die Pfaffen kürzlich das 

Tk Zlfflrr, 1'. fr Sirml. IL L\ 



534 



Acht« Kapitel 



Leaen gelegt haben. Er gefallt mir recht wohl und ift 
1 Vi Tage mit mir wegen Wohnungen herumgelauf* 
Es ist Kuno Fischer, der ExprivAtdozent, dem allerding» 
kürzlich erst in Heidelberg auf der „Pfaffen" Betreiben hin 
dir Vi-iiin legendi entzogen worden war. Was ihn dieter 
und der Umgang mit ihm gewesen ist, darüber lassen wir 
ihn am besten selbst reden. In den „Literarischen Denk- 
würdigkeiten* 1 heißt es: ,, Einer der ersten llr-mhr, In 
machte, war bei Dr. Kuno Fischer, der damals ala Privat- 
dozent, dem aber das Lesen untersagt worden war, am Ort« 
lebte. Ich hatte vor einigen Jahren einen Aufsatz von ihm 
über L. F«*uerbach gelesen, der mir ala das Beste erscheinen 
wollte, was bis dahin zu dessen Beurteilung gesagt war; 
und jetzt war er ja fWlflOgfa) dos Interdikts, das infoli 
logischer Denunziation auf ihm ruhte, gewissermaßen ein 
Kollege voa mir. Ich fand einen noch sehr jungen Mann 
mit hellblondem Haar und Schnurrbart, schnell und schärf 
in seiner Rede, und norddeutsch-stramm in seinem Auf- 
treten. So grell der Gegensatz war, den dies zu meiner Natur 
und Art bildete, so kam er mir doch gleich von Anfang an 
mit so viel Hoehschfitzung und Zuneigung entgegen, daß 
ich mich vertraulich zu ihm hingezogen fühlte. Es mir in 
seinem Kreise behaglich zu machen, trug nach näherem 
Bekanntwerden auch seine Frau bei, von französischer 
Herkunft, aber in Deutschland erzogen und so zart und 
gemütvoll, daß sie dorn Deutschen durchaus als Lands- 
männin erschien. Auch meine Tochter, und wenn er in 
Ferien kam, mein Sohn fanden in der Familie Fischer, zu dar 
noch ein munteres Tochtnrchnn von etwa zwei Jahren gehörte, 
die fremi'UichHi« Aufnahme, und so bildete sich ein Ver- 
hältnis, das, wenn auch längst durch Ortsenlfemung g< 
hemmt, doch mich und, wie ich holte, mein« Kinder durchs 
Lehen begleiten wird/' Aber auch bei der Arbeit, der I-Vrii • 
Stellung des „Frischlin" zeigte Kuno Fischer „ein« ebenso 
unerwartete als unschätzbare Freundesgabe. Von dem schroff 






Strauß als Biograph. 



MG 



eigenartig erscheinenden Manne» der vollauf mit eigenen 
Werken und Entwürfen beschäftigt war, die noch dazu ein*m 
ganz andern Gebiet als meine damalige Arbeit angehm Leu. 
konnte n-h bei senior Gesinnung gi*i»i ( n mich wi>lil froiimlÜokfl 
Teilnahme an dem, was mich eben beachftftigte, aber nicht 
dieses liebevolle Eingehen auch in das Einzelste erwarten, 
wie ich es bei ihm fand. Mich mit Fis«her ober «inen Punkt, 
den ich gerade unter Händen hatte, zu besprechen, gab mir 
die entschiedenste Förderung. Mit bewundernswerter Leich- 
tigkeit wußte er sich in die Sache, wie ich sie ihm vortrug, 
zu verselten; eine Aufgabe, an der ich mich zerarbeitete. 
ward alsbald auch die seinige, und BT machte im Cn>:.pnieh 
gemeinsam mit mir Versuche, sio zu losen. Dazu kam noch 
eines, was seinen Umgang so belebend für mich machte. 
Mein Selbstvertrauen, wie mein Lebensgefühl Oberhaupt, 
war 1 11 m besonders stark gewesen; damals war es, infolge 

des langen Mißwachses auf seilen meiner literarischen 
Tätigkeit zu tiefer Schwache herabgesunken. Seit meinem 
Rücktritt uus dem theologischen Felde hatte ich nichts 
Durchschlagendes, nichts, woran ich mir holte bewußt 
werden können, daß meine Kraft noch ungeschlacht sei, 
gesehneben. Fischer brachte mir eine Hoehsehatzung — 
nicht bloß meiner früheren schriftstellerischen Leistungen, 
sondern meiner lebendigen geistigen Potenz entgegen, din 
mich, weil sie von einem selbst so geistvollen Menschen aus- 
ging, im Innersien aufrichtete und nicht wenig dazu beitrug, 
meiner Schriflslellerei einen frischen Aufschwung zu geben.. . 
Zwischen Fischer und mir bildet« l>«i allen Gegensätzen 
der Natur und der Geistesrichlung die gemeinsame philo- 
sophische Bildung, insbesondere dor Durchgang durch das 
Hegelscho System, einen Boden, auf d«m wir uns immer 
wieder fanden, eine Voraussetzung, aus welcher heraus 
wir uns zum voraus schon vorstanden." So wurde dio Freund- 
schaft immer enger, die Freunde Straußen» wurden audh 
Freunde von Fischer, namentlich an Rapp und seinem 

35- 



536 



Acht« Kapitel 



Pfarrhaus, in das ihn Straub* einführte, hatte di<*rr seine 
helle Fremde. Darum war es für Strauß ..nicht bloD ein 
Verlust, sondern ein Unglück", als Fischer im Frühjahr 
1857 HddcUwnx vr.rbrß und dem Ruf nach Jena folgte, 
der ihn wieder in den akademischen Sattel gehohen hat, 
auf dem er dann so meisterhaft tu reiten verstand. Wie 
ajo Krsatz für seine persönliche Gegenwart, dia Strauß nun 
entbehren mußte, war es, daß Fischer vom Hütten bia mm 
Voltaire die Hauptwerke von Strauß öffentlich besprochen *) 
und drin deutschen Volk klar gemacht hat, was es an Strauß 
vor allem als Biographen besaß. Daß er dabei in und nrhen 
dem Schriftsteller auch den Menschen, den er ja freilich 
intim persönlich kannte, der Wott vor Augen stellte, omp- 
fand Strauß als ein seltenes Glück: er fühlte, daß ihm 
Fischer damit eine Entschädigung hat geben wollen für so 
manche Vorkennung, die ihm im Leben widerfahren war 1 ). 
Nicht so vertraut wie mit Fischer, aber doch in „ver- 
traulichem Umgang" nahe genug stand Strauß Gervinus. 
Mit seinen Schriften war er lange- schon bekannt. Von 
seinerGeschichte der deutschen Dichtung, seinem Shakespeare 
und seiner Schrift über die Deutschkatholiken ist in den 



') Diese AufcaUe von Kuno Fi schar über Slrnufl sind nun von 
Hugo Falkenheim gesammelt erschienen in der schon mehrmals er- 
wähnten Schrift „Über David Friedrich Strauß. Gesammelte Ant- 
räte« von Kuno Fischer". Heidelberg 1908. 

•J In dem schonen Gedicht „An Kuno Fischer*' bei dessen Be- 
rufung nach Jena heißt es Ober ihr Heidelberger Zusammensein: 

Mein Sohifflein schwamm die gleiche Bahn, 
Es kam dem Deinigen zur Seite, 
Erwünscht war beide» diiA Coloitot 
So log man nachbarlich voran. 



Ea waren Tage voll Genuß, 
Man grüßte »ich am fruhon Morgen. 
Vergaß im Redetausch die Borgen, 
lu ZukunfUpljnen den Verdruß. 



als Biograph. 



:,;-.7 



Briefen an Vischer und Happ seit 1842 Öfters und stet* 
mit viel Zustimmung die Rede. Nun lernt er ihn auch per- 
sönlich kennen, und alsbald wird ihm neben Fischer die 

l[rl,;rtiril-r!ult Hill liiTvillUä die I LiexliW in illK'St i ' Mini liebste. 

je naher er ihm kommt, desto achtungs- und liebens- 
werter erscheint er ihm. Zuerst entdecken sie ihre musika- 
lische, dann auch ihre theologische Übereinstimmung, nur 
daß Gervinus eine pohlischere Natur ist als er. l.'nd das 
kam sofort auch dem Hütten zugut, bei dem sich ja die von 
Gervinus verlangte Wendung vom Literaten zum Politiker 
tatsächlich vollzogen hat. Auch das rege Interesse Straußen» 
an der Geschichte und ihren Vertretern in Deutschland, das 
wir in den Briefen jener Zeit bemerken, wird auf ihn zurück- 
zuführen sein. Doch lassen wir auch Über dieses Verhält- 
nis Strauß selber reden: „Ich war", heißt es in den Utera- 
rischen Denkwürdigkeiten, „seinem epochemachenden Werk 
über die deutsche Nationalliteratur soviel Belehrung schuldig 
geworden, hatte mich später an seiner Schrift über den 
vereinigten Landtag in Preußen, wie an der vorzugsweise 
von ihm geleiteten Deutschen Zeitung so erbaut, meine 
Hochachtung vor ihm war so groß, daß mich verlangte, 
seine persönliche Bekanntschaft zu machen. Allein es ge- 
schah nicht ohne eine gewisse Scheu. Bei aller Geistes- 
höhe war er mir immer zugleich als eine herbe Natur er- 
schienen; und wie weit in religiösen Dingen sein Freisinn 
ging, war mir infolge einiger Bemerkungen über die neuere 
theologische Kritik in seiner Literaturgeschichte zweifel- 
haft. Wie überraschte mich daher die freundliche, gemüt- 
liche Aufnahme, die ich bei ihm fand, und die mein Inneres 
so aufschloß, daß ich nach einer halben Stunde mit der Über- 
zeugung von ihm ging, auch hier ein Verhältnis auf die 
Dauer angeknüpft zu haben. Auch mit Frau Gervinus, 
die, bei mancher Seltsamkeit in ihrem Wesen, doch durch 
den redlichen Krnsl ihres geistigen Strebens und das auf- 
richtige Wohlwollen ihres Herzens mir bald lieb wurde, 



588 



Acht« KapUL 



«rgab sich ein angenehmer Verkehr; wahrem! »eine Kinder, 
bei der KindcrlnMgkfit des Paare*, hier weniger Ansprache, 
obwohl stets freundliche Aufnahme fanden. 44 Freilieb ein 
AberwarauchlOrihn dabei. „So hoch ich ihn um seine* Seelen- 
aricU willen verehrte, »viel ich auch, besonder» in Beur- 
teilung politischer Verhältnisse, von ihm gelernt hatte und 
noch ferner lernte, so sehr auch in vielen wichtigen Punkten 
unsere Ansichten zusammenstimmten: im ganzen war doch 
»ein Standpunkt ein anderer, seine Art, die Dinge anzu- 
fassen und zu schatten, eine andere. Kr war, wenn ich es 
mit einem kurzen Worte ausdrücken soll, durchaus ein 
sozial-politischer, ich durchaus ein ästhetisch-künstlerischer 
Mensch. Kr schwfirrnte för Shakespeare und Handel, wie 
ich Goethe und Mozart verehrte ; aber was er in jenen schätzte, 
war doch weniger das Musikalische oder Poetische selbst, 
als die sittlichen Ideen, die er in ihren Werken mittelst 
jener Formen wirksam fand, das Dorische sozusagen in dem 
Genius beider Männer, wogegen ihm das Ionische und Atti- 
sche in Mozart und Goethe bereits als Erschlaffung md 
Entartung erschien. Am meisten trafen wir noch in unserer 
Verehrung für Lessing zusammen; aber auch hier, wenn 
ich, wenigstens für den jugendlichen Leasing, von einer 
gewissen Feehterbravour, einer Liebhaberei fflr dialektische 
Virtuosenstücke sprach, begegnete ich uuf seiner Seite einer 
Unbedingtheit der Bewunderung, die sich in betreff Shake- 
speares zu starrer Orthodoxie steigerte. Es wurde über 
diese Punkte besonders im Anfang unserer Bekanntschaft 
viel zwischen uns gestritten, wobei ich oft lebhafter wurde 
als schicklich war, wahrend Gervinus immer gleich freund- 
lich und langmütig, freilich auch unerschüttert bei seiner 
Meinung blieb." Auch ihn führte er seinen alten Freund. m 
stu. An Pfingsten 1855 kam er mit Gervinus, Fischer und 
Mohl nach Auerbach an der Bergstraße, wo sich von Mar- 
burg her Zellers und von Tübingen Baur mit seinem Sohn 
einfanden: „gleichsam ein Kongreß der phUosophisch-kriti- 






Strauß ab Blogripb. 



um und historischen Richtung"; auch dor Plön fÜMf 
enschaftlichen Zeitschrift wurde hier erwogen, an dor 
die Versammelten alle teilnehmen wollten; schade, daß 
er nicht verwirklicht worden ist. 

Der dritte endlich, tu dem sich in Heidelberg ein ge- 
naueres Verhältnis bildete, war Dr. Locher, dessen Bekannt- 
schaft Strauß durch Fischer machte. „Noch in München", er- 
zählt er, „hatte ich einmal in der Beilage zur Allgemeinen 
Zeitung einen Artikel über dortige Theater- und Musik- 
zustände gelesen, der mir so wohl gefiel, daß ich mich nach 
dem Verfasser erkundigte. Ka wurde mir ein Dr. Locher 
genannt, der vor kurzem noch in München gelebt habe. 
Ich fand ihn jetzt in Heidelberg und gewann ihn bald sehr 
lieb. Kind reicher Eltern, war er, nach deren frühem Tode 
sein eigener Herr, auf Universitäten gegangen, hatte sich 
aber hier mehr von Kunst und schöner Literatur als von 
einer Fakultätswissenschaft angezogen gefühlt. Besondere 
dem Theater hatte er seine Neigung zugewandt, und wohl- 
gebaut und von angenehmen Manieren wie er war, bald 
auf Liehabertheatern Gluck gemacht. In Heidelberg wur 
er durch Kuno Fischers hinreißenden Vortrag für philo- 
sophische Studien gewonnen worden und bereitet" sich da- 
mals vor, sich als Privaldozenl der Ästhetik daselbst zu 
habilitieren. Eine schöne und geistvolle Frau stand ihm 
zur Seite, und drei anmutige Kinder belebten das Hauswesen. 
Eine mehrlagige Pftngatreise, die ich mit ihm, Fischer und 
Gervinus in die Pfalz machte, gehört zu den angenehmsten 
Erinnerungen meines Heidelberger Lebens. Insbesondere 
zwischen Kuno Fischer und mir bildete Locher eine wohl- 
tätige Vermittlung. Fischer, von Haus aus scharf, damals 
noch durch die erfahrene Unbill frisch gereizt, gab sich bis- 
weilen in einer Art, die meinem weicheren und gleichfalls 
reizbaren Naturell empfindlich war; da war denn eine milde, 
lerne, freundliche .Natur wie Locher unschAtzbar, um die 
Gegensätze auszugleichen, Verstimmungen nicht «ufkomninn 



540 



Acates Eafatst 







n Um». Ab er im Herbst 1855. too mi» Vi 

steh xu habilitieren auf einmal abspringend. Heidesberg 
Heß, empfand ick dies ab schweren Verlust, dar mir auch 
nicht ersetzt wurden ist." Rspp gegenüber nennt er ihn 
einen „hoehgohsMeteu «Ad guten Menschen'*. 

Mit den beiden jüngeren Freunden Fächer und Locher 
kam er auch beim Bier zusammen, er rühmte »ich sie tum 
Kneipen verführt oder vielmehr „erzogen" zu haben, 
den zwei gewöhnlichem Kneipabenden — ■— . aal 
noch teil ein Landschaftsmaler Fries, der mit Viseher in 
Rom gewesen war, ein Kaulmann Bielefeld aus Hamburg, dar 
sieb nach weiten Reisen in Heidelberg xur Ruhe gu ss tit 
halte und deutsch* Literatur bei Fischer studierte, endlich 
ein aizilianbcher Principe Radali. der aber ein guter bloi 
Deutscher war, dessen Vater ein aiüianiscbes 
geerbt hatt*. Endlich ist unter den näheren Bekannten noch 
Julius Meyer, der spatere Galeriedirektor in Berlin, zu nennen, 
mit dem ihn Ästhetische Interessen tusammenfOhrten und 
dem er Ober die Heidelberger Zeit hinaus freundschaftlich ver- 
bunden blieb. Sehr warm schreibt er ober ihn: „Es ist 
ein Mensch von ebenso schöner allgemeiner als gründlicher 
Fachbildung, einem ebenso weltmännisch nobeln als innig 
gemütlichen Wesen, mir mit der Ergebenheit halb eil 
Sohnes, halb eines jüngeren Bruders tugetan und mir vor 
allen meinen jüngeren Freunden wert". 

Auch mit Hausser, dem kneipfronen Pfalzer. verkehrte 
er; zu Schlosser wurde er »um Essen geladen, aber noch 
lieber wur es ihm, wenn er sich mit dem ehrwürdigen Patri- 
archen auf seinem Studierzimmer unterhalten konnte; Robert 
Mohl, den Landsmann von Tübingen her, lernte er erst hier 
kennen; selbst zum Chemiker Runsen ergaben sich Be- 
rirrningnn. Zittel habe ich unter seinen Bekannten schon 
genannt. Mit diesem weiteren Kreis, „den besten Mannern 
von Heidelberg", kam er — auf sein Betreiben — jetlr \\ »ehr' 
Montags bei einem Backer zusammen, der guten Wein und 



StrauO als Biograph. 



MI 



ein eigenes Zimmer für solche Gflsollsrhuit« m hatte. Daß 
es hier an Geist und Witz, an fröhlichen und scharren Worten 
nicht gefehlt hat. läßt eich denken; daher haben es nicht 
bkiB „die Frommen" dem Stadtpfarrer Zittol schwer ver- 
dacht, daß er allwöchentlich mit dem Lcben-Jusu-Strauß 
zusammtnsaß und seine ..gotteslästerlichen 11 Reden mit 
anhörte. Dagegen wird die Bekanntschaft mit dem Ritter 
Jusias von Bimsen, der ja damals auch in Heidelberg lebte, 
keine zu nahe gewesen sein, zumal dessen „ganz« ge- 
schwätzige Anmaülichkeit" Strauß widerwärtig war. 

Auch nach auswärts streckten sich seine Fühlfäden. 
Im nahen Mannheim war Heisch Musikdirektor, mit dem 
Strauß einst im Stift zusammengoweson war. Mau erneuerte 
die alte Freundschaft, verstund sich in gleichgestimmten 
musikalischen Knieressen und Sympathien und besuchte sich 
fleißig herüber und hinüber, allein oder mit Freund (tapp, 
wenn dieser nach Heidelberg kam. 

Die Arbeit am Hütten aber führte ihn von den Heidel- 
bergern zu den Bonnern. Während Strauß sich dem franki- 
schen Ritler zuwandte, war langst schon Professor Eduard 
Böcking in Bonn damit beschäftigt, die Werke Hütten» zu 
sammeln und ihre Herausgabe vorzubereiten. Durch Gor- 
rinus wurden die beiden Huttenfreunde zunächst brieflieb 
zusammengeführt Liebenswürdig stellte Böcking Strauß 
seinen reichen literarischen Apparat für die Huttenausgabe 
zur Verfügung; eiTrig gingen Briefe mit Fragen und Ant- 
worten hin und her, und schließlich lud ihn Böcking im 
Sommer 1856 zu sich nach Bonn. Es war zunächst eine 
literarische Bekanntschaft, wobei Strauß mehr der Kmp- 
fangende war. Er rühmt, wie ungemein er durch das Durch- 
sprechen des Gegenstands mit Böcking gefördert worden 
sei und daß er eigentlich erst durch ihn einen BegrilT \u< 
kommen habe, was an gründlicher Urkundenforschung und 
diplomatischer Genauigkeit zu einer solchen Arbeit grh>i . 
Aus drr literarischen wurde aber auch hier bald eine perSÖn- 



Strauß *U Biograph. 



M8 



reizt, daß Strauß allmählich aus der Rolle de» Empfangenden 
und Lernenden in die des Gebenden und Lehrenden hinein- 
gewachsen war und daß die leichtere Arbeit dos Biographen 
von der Welt höher gewertet wurde, als seine mühsame 
Sammlung der Huttenschen Werke. Dieser Unmut kam 
dann an falscher Stelle zum Ausbruch. Einen Augenblick 
verlor auch Strauß bei diesem unvermuteten tiberfall die 
Kühe. Aber er ist es dann doch gewesen, der bei einem 
Trnuerfnl! in Röckings Familie die unterbrochene Korre- 
spondenz wieder aufuahm und zunächst äußerlich den 
Frieden wieder herstellte, Bei Besuchen im Hause seiner 
Tochter in Bonn hat sich das Verhältnis später auch 
innerlich wiederhergestellt. Die Nachricht von seinem Tode 
am 3- Mai 1870 war ihm schmerzlich. „Er wird mir, so 
oft ich nach Bonn komme, sehr fehlen'*, schrieb er der 
Tochter. 

Es war eine Nemesis eigener Art, daß fast zur selben 
Zeit Strauß seinerseits durch eine Besprechung seines 
, .Hütten" schwer gekrankt wurde. Rudolf Haym hatte 
1858 für die von ihm neugegründeten „Preußischen Jahr- 
bücher" Strauß in Heidelberg persönlich als Mitarbeiter 
geworben, und dieser hatte ihm auch sofort für das zweit» 1 
Heft den prächtigen Essai über Spittler geliefert. Nun 
sollte Vischerin den Jahrbüchern den Straußischen „Hütten" 
anzeigen. Doch das lehnte Haym ab, da er diesen 
selber besprechen wollte. Schon das verstimmte Strauß. 
Als aber dann der Aufsatz Hey ms, noch im ersten Jahr- 
gang der Jahrbücher, erschien, verstimmte ihn auch dor Inholt, 



ihn", meint Strauß — . mußte er zurückweisen. Der Ton «bor war 
wie in der ersten *o uueh hier durchaus freundlich. Die Anwiic? d« 
ersten Bond« erschien in den „Grenzboten", Bd. I, 2. 8. 240 ff. I85tti 

.in -v...!.. i..ml.ni im |l. ', s i ', ; \\ — Die Line!« vOB BtMflfl ■<" 
Bneking liegrn nnf der Straßburger Bibliothek; sie hnbrii für nimm 
Hutt*nfor*<.-her u<,< d minier ihren \Vnrt. 



M4 



Achte» KapiU-L 



daß der Rezensent, wie Haym meint 1 ), „an »eine theologi 
Vergangenheit erinnert und srinn biographische Methode 
nicht in allen Stücken gebilligt habe"; er hatte sie „allzu 

fllikrOHkfi|ii: rli Mini ]ili.liilu<.:i :i ' i'rn.i u u J. Il.i- |u' ihri 

Strauß nicht vorziehen, und so wur Mio erster Beitrag au< 
sein letzter. 

1854 bin 1861 hat Strauß in Heidelberg gelobt, 
sechs Jahre sind — er wußte es auch selber — die 
liebsten in der zweiten Haltte seine« Lebens gewesen. Sie 
haben ihn Ober den toten Punkt der Lebensstockung hin wegge- 
hoben und ihm neues Leben gebracht. Äußerlieh sah ersieh der 
Plackerei mit einer schlecht versehenen eigenen Haushaltung 
enthoben. DicTochter, die er Sonntags bei Tisch hatte und die 
auch sonst Spaziergänge und kleine Landpartien mit ihm 
machen durfte, sah er vier Jahre lang in trefflicher Obhut an 
seiner Seite heranwachsen, den Sohn wußte er in Öhringen 
erst bei Preuners, dann bei Bogers (die Frau war Friede 
Raup, die Tochter seines Freundes) wohl versorgt. Zu den 
alten Freunden kamen in Heidelberg neue hinzu *), die il 



') Aus meinem Leben. Erinnerungen von Rudolf Haym, 1901« 
8 264 ff. Wenn Haym hier von der ..partikulamtiscaen Gruppe** 
derer um Strauß redet, so kann das nur landsmaniw.hnftlich. nicht 
politisch gemeint sein; sonst wäre •» falsch. Strauß war kein 
ParUkn larisL 

■) Oegenuber einer Bemerkung Hausraths m der Deutschen 
Rundschau. März 1908, daß „nur ganz hervorragende NJchUchwaben 
wie Kuno Fischer und Gervinus zu ahnlich engem Verkehr nie die 
alten Studienfrounde zugelassen worden seien", weise ich darauf tun. 
daß Strauß neben den alten Genossen aus der Blnnheurer und Tübinger 
Z»:it, die natürlich Schwaben waren, sich außerhalb WurtUmbtrg* 
duch nicht bloß jimn ^wni, sondnrn noch eine, gnnze /Vnwihl von nähere« 
und nächsten Freunden gewonnen hat; ich nenne Wilhalm Vatk« 
Berlin. Neumann in München, Adolf Scholl in Wulmar. Locher und 
Meyer in Heidelberg, BAcking in Bonn. Damit fallt dar Vorwurf einer 
gewissen Ausschlioßhchkeit dahin, falls es ein Vorwurf som soll. Denn 
wer von uns hol mehr „Freunde"? Daß ihrer in Heidelberg nicht 
noch mehrere geworden sind, daran waren übrigen* auch die damaligen 



ätr&uQ als Biograph. 



:.n 



menschlich und wissenschaftlich wohltaten, bedeutende 
Menschen aller Art. Ihnen zuliehe £nh er seine weltschcue 
Einsamkeit auf und verkehrte nun wieder wie tu der 
„Kneipe" so in den Familien seiner Freunde viel und gen 
und entwickelte und offenbarte seine geselligen Talento des 
Witzes und Humors und der fröhlichen Laune, die ihm einst 
in Blaubeuren und Tübingen die Herzen seiner Altersgenoasen 
gewonnen hatten. Daß sein Witz schärfer, sein Humor 
schwerblütiger und bitterer war als in jener hunnloseu Jugend- 
7.rit, das freilich ließ sich nach alledem, was dazwischen 
lag, nicht lindern. Ganz besonders aber weckte der Heidel- 
berger Aufenthalt in ihm die Arbeitslust und die lange 
stockende Produktivität, Hier war er in wissenschaftln-lx r 
Luft, alles um ihn her arbeitete und schrieb, das stockte 
au. Und dazu kam die Ermutigung der Freunde, die ihm 
Selbstvertrauen gab, und die vielfache geistige Anregung, 
wie sie in einer Universitätsstadt ganz von selbst sich ein- 
stellt. Bei Fischer fand er liebevolles Eingehen und ent- 
schiedene Förderung, bei Gervinus volles Verständnis und 
tatkräftige Unterstützung für die Gegenstande seines 
Schattens. So konnte er genesen und so ist er in Ileidel- 



un erquicklichen Porleiverhrillnksse an der Universität schuld, die 
Strauß von Anfang jn störend in den Weg traten. „Zu moin-ni 
Beduuurn", schreibt er gleich im November 185'» im Ztllur, „fand 
ich, daß die Männer freierer Richtung hier in »wei Lager gespalten" 
sind: Moloschott mit flogen und dorn tollen Kupp sind Ultrafcuor- 
bnchianer und politisch Radikale, die an Gervinu.« usw. kein gute* 
Haar lassen: dagegen bildet dieser mit Hausser. Fischer u.a. eine ge- 
mäßigte Partei." Verkehren konnte er daher nur mit einem dieser 
Kreise, und da schloß er sich dem Huusserschen an, — Au» dem im 
Text Mitgeteilten geht übrigem auch hervor, was is mit d«tr uihIiihiii 
Behauptung flausralhs auf sich hat, Strauß habe in Heidelberg „»tili 
und zurückgezogen" geloht. So still und lurUckgvtogun, wie mit wenigen 
Ausnahmen alle deutschen Gelehrten in kleinen Univer*it.U«tAdten 
su leben pflegen, nicht weniger, aber auch kaum mehr. Ich wurde 
eher sagen, er habe in Heidelberg aufgehört, so still und turuckfe- 
zogen zu leben wie bis dahin. 



646 Acht« Kapitel 

berg genesen, ist wieder in die Welt hineingewachsen, der 
er entfremdet war, und hat sich wieder zu den speziellen 
Aufgaben zurückgefunden, die ihm seine Begabung, sein 
Studiengang und seine persönliche Neigung nahelegten. In 
Heidelberg ist er der große Biograph geworden, als den wir 
ihn in diesem Kapitel kennen gelernt haben, der „Frischlin" 
und der „Hütten" sind während seines dortigen Aufenthalts 
erschienen. Hier hat sich aber daneben auch, langsam und 
einstweilen noch unvermerkt fast, seine Rückkehr zur 
Theologie angebahnt. 



Neuntes Kapitel. 

Die Rückkehr zur Theologie. 

Der Hütten war fertig: was nun? Da taucht ein Plan 
auf, der allerdings zunächst mehr von außen an Strauß 
herangetreten zu sein scheint, der Gedanke einer — Lutln-r- 
biographie. Ks lag ja sachlich nahe genug, von Hütten auf 
Luther tu kommen, über den Strauß in der Biographie seines 
Ritters so verständnisvoll und begeistert gesprochen hatte. 
Man denke nur nn jene von ihm geschildert« Szene zwischen 
Hütten und Sickingen — eine der schönsten in der Ge- 
schichte unseres Volkes: „Am gastlichen Tische der Eborn- 
burg sitzen in den Winterabenden zwei deutsche Ritter 
in Gesprächen ober die deutscheste Angelegenheit; der 
«ine Flüchtling, der andere sein machtiger Beschützer; 
aber der Flüchtling, der Jüngere ist der Lehrer, der Ältere 
schämt sich des Lernens nicht, wie der ritterliche Lehrer 
selbst neidlos dem größeren Meister, dem Mönch zu Witten- 
berg, sich unterordnet". Vor allem aber war es doch Ger- 
vinuB, der ihm aus seiner Verehrung Luthers heraus und 
in der Überzeugung, daß eben jetzt durch ein aus dorn rechten 
Gesichtspunkte geschriebenes Werk über den grüßen deutschen 
Reformator viel gewirkt werden könnte, diesen Gedanken nahe 
legte, ftuno Fischer war schon weg, er würde ihm, meint 
Strauß, ho wie er ihn kannte, schwerlich zu dem l'nter- 
nehmen zugeredet haben. So machte er sich denn an* Werk. 
fing aber mit Zwingli und seinen Briefen an, die den 
schweizerischen Reformator noch ganz auf humanistischem 



548 



Nennt« Kapiltf. 



Boden zeigten, um so am den Kern der Sache herum- 
zugehen, „wie dio Katze um den heißen Hrn"; denn . 
Theologischen wollte er vorerst noch nicht« witten. An Luthrr 
reizte ihn also zunächst nur die große historische Person' 
keit und daneben das rvin Mcnnchlicliu. Luther war, dann 
mit Schubart verglriehbar. <m Temperamente- und Kraft- 
mann, und so war es wieder Gegensatz und Ähnlichkeit 
zugleich, die derbe Bauernnatur dieses heroischen Willcns- 
menschen mit seiner von Haus aus starken und BRf kün-t- 
lieh und mühsam gebändigten Sinnlichkeit, seiner ober alle 
melancholischen Anwandlungen immer wieder sieghaften 
Frohnatur und seiner im gegebenen Augenblick robust zu- 
greifenden Tatkraft und Energie. Und Als Befreier seiner 
Deutschen, um seines im Fonfarenton in sein Volk hinein- 
gerufenen „Los von Rom" willen war er natürlich I 
Strauß von Herzen teuer und ein Gegenstand freudiger Be- 
wunderung. Darum Hebte er ihn, so hatte er wohl Über ihn 
-x'hreiben können. Aber Ober eines kam er nicht weg, an 
dieses Eine mochte er damals noch nicht wieder heran, 
es war das Theologische; oder genauer gesagt: das Irra- 
tionale in Luthers Sündenbewußtsein und RechtfertigungN- 
glauben, sein Glaube, daß er und alle Menschen für sich 
grundverdorben, der ewigen Verdammnis verfallen wftl 
und nur durch das Blut Christi und den Glauben au dessen 
Kraft davor bewahrt und erlöst werden können. Ein Nfann, 
dessen Kern dieses Bewußtsein bildet, war ihm seit seinem 
Bruch mit der Theologie so fremd, so unverständlich ge- 
worden, daß er ihn nicht zum Helden einer biographischen 
Darstellung macheu mochte; es fehlte ihm für diese Seite 
in Luther die Sympathie, es fehlte ihm in diesem Augen- 
blick sogar die Toleranz dafür; er fand sie einfach unsinnig» 
widrig, abscheulich. So war er eine Zeitlang von /.weifefa- 
ipialiTi hm und hergeris n, wie • t - ■ - - im dontUohftlM ftm 
einem ganz an die ..w&gelnde" Art Viachers erinnernden 
Brief an Rapp vorn 19. November 1857 hervorgeht, ,4dl 



Die Rückkehr zur Theologie. 



549 




habe für Luther zu lesen angefangen. . . Um nun aber Luther 
xn begreifen, muß man »eine Rechtfertigungslehre und dio 
inneren Kampfe, die ihn dnzu führten, »ich deutlich machen, 
»ich in dieselben hineinleben. Letztere» ist nicht leicht. 
wrnig&tons mir nicht. Zunächst Bind um EÜMB Gemüts- 
zustände widrig, und da* Resultat derselben, die Recht- 
fertigungslehre, erscheint als l'nsinn. Nun sag' ich nur 
aber: diese Geschichten habon dio Welt umgestaltet; unrli 
du mit allem. WM dir von Überzeugungen teuer ist, Btthtf 
darauf; kann also kuiu bloßer Unsimi sein; dringt' unter 
dio Oberfläche und grabe dorn Sinn nach. Gut, ich tu 1 * und 
übersetze mir jene Anfechtungen und deren Losung in 
mm ine Sprache; aber verfalsche ich sie damit nicht? Bind 
das noch Luthers Zustände? Luthors Auskunft? Und doch 
muß es eine Vermittlung geben, durch welche, mittel i 
einer Reihe von = und wieder =, Luther» Gesetz und Evan- 
gelium in Kanu kategorischen Imperativ und Schillers 
ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts nusmündrt. 
Du siehst, an welchem Knoten ich mich zerarbeit*. Darum 
dankt ich also: lnß du Luther Luther sein und schreibe 
..Deutsche Dichterleben von Klopstoek bis Schiller"; da 
wirst du mehrPlasier davon haben; istauch leichter. Leichtert 
eben das wirft mich dann wieder der andern Aufgabe zu, 
dio mich durch ihre Schwierigkeit reizt. O Rflpp, was hast 
Du für oi neu närrischen Freund l Zum Glück ist er einmal 
nfoht geboren, das ist schon hieraus klar. Wozu denn? 
Ja, wenn wir das wüßten!'* 

Schließlich gab er aber den Plan doch auf. Vielleicht 
haben wir Grund, das zu bedauern, trotz des theologischen 
ÜefckU. der in einer damals geschriebenen Luthnrbiographie 
von Strauß jedenfalls sich spürbar gemacht halle. Der Mensch 
Luther wöre sicher gut herausgekommen und ein Kunstwerk 
wftre es auch geworden. Aber — „ich kann über niemand 
schreiben, deu ich nicht liebe", und Luther heble er in diesem 
Augenblick nicht, wenigstens nicht den ganzen, or war ihm zu 
n. ztofi«. t>. Ifc sirus. a 36 



660 



Nfeinlet Kapital 



theologisch. Aber gearbeitet mußte werden. So entstand 
zwischenhi nein der Aufsatz Ober Spittler, der ihm viel Genuß 
gewährte — ,,ich habe lange nicht» mit solcher Liebe gear- 
beitet." Doch dos war eine Kleinigkeit; ein Größere» sollte 
werden, and so wandte er «ich nun dem andern Plann zu, von 
dem er Rapp geschrieben, dorn Plan, eine Reihe deutscher 
Dichterloben von Klopstock bis Schiller zu schreiben. Gerade 
das hatte Gervinus mit seinem Zureden zu Luther verh :ni. rn 
wollen, da er der Ansicht war, mit der schönwissenschaftlich«© 
Ära sei es für Deutschland iu Ende, daiür sei eine Zeit der Tal 
und des politischen Handelns gekommen, worin er ja am 
Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre so un- 
recht nicht hatte. Allein Strauß ließ sich durch solche 
Bedenken, die ihm als einem „ästhetisch-künstlerischen" 
Menschen durchaus fern lagen, nun, nachdem der Gedanke 
an Luther aufgegeben war. nicht abhalten. So etwas lag 
ihm, dazu hatte er Jüngst schon Neigung und Lust, auch war 
er durch seine Lektüre und seine Studien dazu wohl 
vorbereitet. 

Sein Absehen ging auf drei Paare: Klopstock-Wieland; 
Lessing-Herder; Goethe-Schiller, und war ein reinliterarischea 
und ästhetisches. Er wollte „anschaulich machen, wie teils 
innerhalb der Paare jedesmal der zweite Mann die Ergänzung 
des ersten war, teils die Paare unter sich in der Art eine 
Stufenleiter bildeten, daß, nachdem das erste Paar durch da* 
zweite beseitigt und der Grund tiefer gelegt ist, in dem 
dritten sich das erste in höherer und reicherer Weise wieder- 
holt. Von der französischen Konventionspoesie losgerissen, 
eröffnet sieh die deutsche Dichtung der Neuzeit, wie billig, 
mit dem höchsten Idealismus in Klopstock, dessen Fleisch- 
losigkeit aber einen Gegensatz wie die Wielandsche Sinn- 
lichkeit, die auch alsbald wieder nach den französischen 
Mustern zurückgreift, notwendig fordert. Während vor 
Lessing hierauf weder Klopstooks hohle Idealitat noch 
Wielands niedriger Realismus bestehen, sofern er auf Shake- 






Die Rückkehr iur Theologie. 



551 



speare als das Muster und auf den recht verstandenen Aristo- 
teles als den Gesetzgeber einer höheren, volleren Kunst 
verweist, und fflr das Drama nach diesen Grundsätzen 
gearbeitete Musterstücke selbst liefert: wird seine Verstandes- 
schärfe Kritik durch Herders Gefühligkeit und nachschüttende 
Einbildungskraft ergänzt, der seinerseits die Schätze der 
Volks- und Volkerpoesie für uns erschließt. Und indem 
nun alle Hoffnungen und Verheißungen für die deutsche 
Dichtung in Goethe sich überschwanglich erfüllen, läßt 
er doch *n seiner Seite noch für einen Schiller Raum, der, 
in gewissem Sinn ein größerer Klopstock, ihm — mau 
darf freilich nicht sagen: als einem höheren YVielund, 
aber doch wieder als der Idealist dem Realisten gegenüber- 
tritt. Näher zugeschen übrigens sind es doch nur zwei, 
nicht drei Rangstufen, worein diese zugführenden Genien 
sich ordnen. Gerade die Hälfte von ihnen, mit dem dritten 
Paare nämlich auch eiuen Mann des zweiten, hat das deutsche 
Volk als Klassiker im engsten Sinne in den Olymp des mo- 
dernen Geistes erhoben. Und merkwürdig, wie in diesem 
neuen Olymp noch immer jene Typen gelten, welche die 
plastische Phantasie des Griechenvolkes in dem alten als die 
Urbilder der verschiedenartigen menschlichen Trefflichkeit 
aufgestellt hat. Oder denken wir uns nicht unwillkürlich 
in unserem deutschen Dichterhirn mel Goethe als den ruhig- 
thronenden, alles überschauenden Vater Zeus; Schiller 
als den kühn vorschreitenden Apollon, auf dessen Schulter 
der KOcher klingt; Lessing aber {wie ihn der formende 
Kunstler auch unbewußt dargestellt hat) als 

des Atlas beredten Enkel, 
I>rr die rohen Sitten der neuen Menschheit 
Klug durch Sprache bildete, samt der edlen 

t Schule des Ringkampfe?" 

Das war der großangelegte Plan, wie ihn Strauß in dem Vorwort 
zu dem zweiten Band der Kleinen Schriften selber entwickelt 



m 



NwnUft Kapital. 



hat; und hierktinnen wir ohne alles „vielleicht" *agen: Sri 
daß er nicht niir.(p*f1)hrl worden ist. 

Von den sechsen waren ihm nur drei, Leasing, Goel 
und Schill' ir wirklich fiympathiftr.li, beginnen mußte er mit 
einem, den er jedenfalls nicht durchaus li.-lile Zwnr hatte 
t-r Klopslocks Messias in früher Jugend mit Begeisterung 
gelesen, und der Hehl <. ■-. umi ijic neue Mythnloi 

in die derselbe hier noch einmal einsponnen war, Ingen dorn 
Verfasser des Lebens Jesu nicht allzufern. Überdies halten 
iliin einzelne der Klnpstockischen Oden spttler noch Be- 
wunderung eingeflößt, und der selbstbewußte, vornehme Zug 
im Wesen des Dichter« imponierte ihm auch m«nschh< h. 
Aber wenn dann liier schon Hindernis*" und HcmiMmge» 
eintraten, war gerade für Klopstnrk die .Sympathie doch 
nicht groß und nicht nachhaltig genug, um si- m nlnn -winden. 
Und eine milche Hemmung kam: der Hamburg! '• ■ 
Lappcnherg verweigerte Strauß die Mitteilung der unge- 

druckten Briefe KJopstocks an Fanny, und ohne sie glaubt« 
Strauß, ob mit Hecht oder Unrecht, nicht weiter machen 
zu können. So blieb das Laben Klopstock* und damit das 
ganze Unternehmen unvollendet. Immerhin haben wir 
zwei Abschnitte davon, den großen Anfang „Klopatocka 
Jugendgesohichle"' bis EU seinem Aufenthalt in Zürich und 
das kleine Kabinetlsluckcheu „ Klopft tock und der Markgraf 
Friedrich von Baden". Nehmen wir dazu noch den 1861 
in Heilbronn zugunsten der deutschen Flotte gehaltenen 
Vortrag über ,. Leasings Nathan den Weisen" und die Ab- 
schnitte (iber Lessing, Goethe und Schiller im „alten und 
neuen Glauben 4 ', so dürfen wir wie gesagt mit Grund be- 
dauern, daß dieser umfassende Plan nicht ausgeführt worden 
ist. Wie ihm selbst bei Öffnung des bestaubten Pakets mit 
der Überschrift „Klopstock, opus imperfectum", so weht 
auch uns beim Lesen dieser Klopslockischen Jugendgeschichti* 
„die reine tauige Morgenluft der ersten Werdezeit unserer 
neudeutschen Dichtung entgegen", und wir begreifen, daß 



Die Rückkehr wir Thuologir. 



;..:■■ 



4-r (lirstMi r.niiiii durch Viifmtlinio derAftnU in die „KMnefi 
Schriften" auch andern gönnen wollte. Die Verehrung für 
den idealen Sinn, den edlen Stolz, das feurige Vater- 
hiiidxgrfühl Klnpsl.ntks gibt ilir den nötigen Schwung und ffl 
erfreulieh« 1 Wftrme; und dns sinnenfreudige Lebensgefuhl, 
da» Klops lock m Zürich menschlich und dichterisch 
betätigt hatte, lag schließlich doch auf denselben Linie 
wie bei Schubart, Frischlin und Hütten. In jenem 
Vortrag über den Nathan aber .-»puren wir da» Kongeniale. 
das Strauß mit Leasing verband, den Gleichklang der Seelen 
in der Darlegung der Grundgednnk.Mi nVsc< hohen Liedes 
der Duldung und geistigen Freiheit, dieser humanen Predigt 
vom Kommen eines wahren GoUesroichea auf Erden. Aber 
auch die ästhetische Analyse des Dramas ist ein Meister- 
stück. In ihr haben wir eine reife Frucht seiner langjährigen 
Bisrhüftigung mit deutscher Literatur, von der wir in der 
Streitschrift gegen Menzel die erste Probe kennen gelernt 
haben. Strauß ist kein Fanatiker der Methode geweseu. 
wir so viele unserer heutigen Literarhistoriker; ihm war der 
Dichter kein Bündel oder Produkt von überall her zusammen- 
gesuchten Parallelstellen, sondern eine Individualität und 
Persönlichkeit, «ho er nach- und einfühlend zu verstehen 
suchte. Und in d*r Kritik operierte er mit ganz bestimmten 
ästhetischen Maßstaben. die er an den Alten und vor 
allem un Goethe sich erarbeitet hatte. Hier war dalier 
auch ein Punkt, wo er mit Vischer nicht durchaus Hand 
in Hand gehen konnte. Zwar daß dieser den zweiten Teil 
des Faust tief unter den ersten stellte, das war seit seinem 
Kampf mit Menzel *) auch seine Meinung. Aber der nörgelnde. 

k scharfe Ton, mit dem Vischer Goethe zuweüen meisterte. 
schien ihm pietätlos; auch fürchtete er für die Ästhetik 
des Freundes, wenn dieser an Goethe irre werden sollte 
Übrigens hat Strauß auch den neuen und neuesten unter 



', s. oben I, 8. 2411. 



664 



Neunte» KaptUL 



den Dichtem seine Aufmerksamkeil geschenkt und Ut auch 
ihnen mit selbständigem und oft recht scharfem Urteil ent- 
gegengetreten. Selbst Freunden wie Kerner oder Mörike, den 
er aU Lyriker gleich hinter Goethe stellte, -i. •*. n .Hutzel- 
männlein" ihm aber wegen des allzu romantischen Schlüsse« 
recht wenig bchagte. So ist es ein wirklicher Verlust, daß 
wir von diesem Teil seiner Lebensarbeit nur Bruchstück* 
haben 1 ). Was ihm diese Ästhetische Arbeit innerlich be- 
deutete, das werden wir aus seinem letzten Buch er- 
fahren. 

Und nun erhob sich, als die Arbeit an doo Dicht 
leben ins Stocken geraten war, aufs neue für den in 
Heidelberg dem Schaffen und Produzieren Zurückgewonnenen 
die Krage : was nun ? Die Antwort hieß ; zurück zur Theologie ! 

Noch 1858 hatte Kuno Fischer 1 ) geschrieben: „Man 
weiß, in welchen Aufruhr Strauß durch sein Leben Jesu 
und seine Dogmatik unsere theologische Welt versetzt hat, 
und daß er selbst freiwillig eben diese theologische Welt 
verließ, nachdem er den Feuerregen seiner Kritik über sie 
ausgeschüttet. Er ist ausgewandert wie Lot, ohne sich 
umzusehen. Einige haben gehofft, die meisten gefürchtet, 
daß er auf den verlassenen Schauplatz noch einmal zurück- 
kehren werde, aber beide haben sich getauscht, und es 
scheint, daß sich die aufgeschreckten Wächter wieder ruhig 
niederlegen können. Strauß wird sie nicht mehr wecken." 
Dafür konnte er sich auf Strauß selber berufen; noch nm 
30. Mai 1858 schrieb dieser an Rapp, er lasse sich von 
Ludwigsburg den Rest seiner theologischen Bibliothek 
schicken, um sie — zu verkaufen: „ich lese sie gewiß nicht 



') Das Beste, feine Analysen von Pichtungen, oft bis ins Ein- 
zelnste gehend, findet sn:h vielfach in Briefen, namentlich an IUpp; 
die in der Deutschen Rovuo 1894 veröffentlichen Stucke aus meinem 
NachlaU sind Kleinigkeiten; doch sind die für den Rappischen Fami- 
lienkreis bestimmten Qedanken über Schillers Wallenstein rocht foin. 

•) a.a.O. 6. IG f. 



Die Rückkehr tur Theologie. 



665 



p M . So wenig dachte er also noch damals an eine Rück- 
kehr in die theologische Welt. Und dennoch war jene 
Prophezeiung Fischers, daß Strauß die Theologen nicht 
mehr wecken werde, falsch, die Rückkehr in ihr Land 
stand unmittelbar bevor. 

Aber wenn man naher und scharfer zusieht, war denn 
Strauß nicht alle die Zeit her bei der Theologio geblieben ? 
Nach der Glaubenslehre war zuerst der „Julian" gekommen, 
in dem es sich doch klarhch um eine Auseinandersetzung 
mit Religion und Kirche wie im 4» so im 19. Jahrhundert 
gehandelt hatte: Julian gehört auch heute noch in die Rc- 
ligionsgeschichte und Religionsphilosophie. Darauf folgte 
das politische Jahr; da zeigt ja schon die Abhandlung 
Ober den politischen und den theologischen Liberalismus 
und der Titel seiner Volksreden — „theologisch-politisch«" — . 
daß er bei seiner Hinwendung zur Politik Theologo geblieben 
ist. Und auch den Biographen interessieren doch immer 
auch, um nicht zu sagen: immer zuerst die theologisch- 
religiösen Dinge und die Stellungnahme seiner Helden zu 
ihnen. Den Christian Mörklin, diese Schilderung seiner 
eigenen theologischen Vergangenheit mit ihren äußeren 
und inneren Kämpfen, darf man ja nur nennen: auch er 
ist „theologisch-politisch". Aber auch im „Schuhart" 
geht es bei dem Helden ohne äußere und innere Kämpfe 
mit den alten Feinden nicht ab: man denke an seine Mili- 
handlung durch den Zeloten Zilling in Ludwigsburg oder 
an die Bekehrungsversuche, durch die der pietistische Oberst 
Rieger auf dem Asperg seinem Genius Gewalt antat, und 
denke an Schubart? Kampf gegen die Jesuiten in Bayern. 
Frischlin mischte sich — freilich auf der falschen Seite — 
als Schildträger Andreas und Osianders in die theologischen 

kStreitigkeilen zwischen Pappus und dem liberal denkenden 
Johannes Sturm in Straßburg; sonst ist er ein Träger jenes 
protestantischen Humanismus, dessen Ideal die Ineinander- 
arbeitung der antiken und der christlichen Kultur war. 



S56 



Nennt« Kapitel 



Endlich der fränkische Riller mit seinem Sohlach tral 
gegen Dunkelmänner und Pfaden, mit »einem Los von Rom 
Und MJnfflf Bundnagenossonxchuft mit Luther. Von ihm 
wäre Strauß mit einer Biographie Luther», uurh wenn er ihn 
„Wtnigtt theologi^h ;»1- historisch im größten Sinne*' gefaßt 
hAtUf . auf dem kürzosWn Wege zur Theologie ntfOokg* 
kommen. Allein »ir blieb ungeschrieben, weil ihm Luther da- 
mals zu theologisch war. Dafür ging er an die deutschen 
I >:< hter tmri arbeitet* sich — nun gerade in den theologischsten 
von ihnen, in den Sänger des Meesias hinein und grill von 
Leasing gerade das Stock heraus, das seinen theologischen 
I- -liliug gegen den Huiiptpaslor in Hamburg zum Abschluß 
bracht- und von seiner allen Kanzel, dem Theater, herab 
ne humane Religion schönen sittlichen Menschentums ver- 
kündigte. So bricht die theologische UnterstrOmung überall 
durch, und wenn auch nicht mitten drin, so bewegtsieh Strauß 
doch in allen seinen größeren Schriften auf theologischer 
Peripherie, und Rwar nicht jenseits, sondern diesseits der 
Grenze. 

Aber immerhin, es waren lauter weltliche, profane 
Schriften, nur der Einschlag war theologisch. Kr»t mit dorn 
Jahre 1860 kehrt er zur Theologie als Wissenschaft* und xwar 
tu seinem ersten Arbeitsfeld, zu dem Leben Jesu Wfiot 
Den Anlaß dazu gab ein äußerer Anstoß, wenn auch die 
innere Neigung daneben nicht fehlt. Heden wir zunächst 
von jenem 

Im Herbst 1857 und 1858 hatte Strauß mit seinen 
beiden Kindern schöne Sommer- und Ferienwochen in 
Unter-Münlcheim verlebt, einem frankischen Dorfe bei 
Hall, wo sein Freund Rapp seit 1853 Pfarrer war. Die Strauß- 
»ehen wohnten niehl im Pfarrhaus, sondern im Wirtshaus, 
aber täglich war man mit der Pfarrfamilie zusammen und 
ging bei ihr ein und aus. Auch besuchte Strauß alUonn- 
Ulghch mit seinm Kinderndie Kirche und horte sich die Predigt 
des Freundes an, der ihm einst die Traurede gehalten hatte. 



Die Rückkehr zur Tlieulogic. 



669 



So war ku Anstoß und Ärgernis fedn Anlaß und kein Grund. 
Trotzdem wurde solches, vielleicht von außen her, in die Ge- 
meinde hmniugetrageii und Kupp bei dv Behörde wegtn 
-in.-. \ i i U . Ii r- - mit Slr.-inli denunziert. Der vorgesetzte 
Prälat, Mrhring in Hall, ließ sich auf die Sache ein. Freilich 
kein Wunder, wenn man den Mnnn und Hifll Art kennt. 
Strauß hat ihn — wie ich aus eigen»! Beobachtung herauH 
bestetigen kann. ganz richtigso charakterisiert „Dieser Prälat 
Mehring ist eine der eigentümlich widerwärtigen Gestalten. 
wie sie in unserer Zeit mehr ul* in jeder früheren, vermöge 
der so verschiedenen Kräfte und Richtungen, die in ihr 
durcheinander garen, möglich sind. Kinn dürre, asketische 
Natur, querköpfig und eigensinnig. Und et. nachdem B&a sich 
*ehon in eine gläubige Theologie einstudiert und an geist- 
lichcm Wirken, wohl auoh Herrschen. Geschmack gefunden 
hat, an philosophischen Studien Gefallen, ja traut aich gar 
besonderen Beruf für die Spekulation zu, aber nur in der 
Richtung, sie der Kirche dienstbar zu machen. Indem *o 
in hergebrachtr-r Art, nur eigentümlich verselimlieii nach 
der Natur des Mannes, Theologie und Philosophie wechsel- 
seitig gefälscht, bald die Vernunft, bald die Schrift verdreht 
und vergewaltigt werden, bildet »ich ein bitterer Haß gegen 
eine mittlerweile aufgekommene Richtung aus, deren Eigen- 
tümlichkeit es eben ist, die Sinnlosigkeit und Unlauterkeit 
solcher Vermittlungsversuche schonungslos ins Licht zu 
stellen, und dieser Haß richtet sich ganz besonders gegen 
jeden Versuch, innerhalb derjenigen Kirche, unter deren 
Lenker der philosophierende Prälat gehört» einer solchen 
Einsicht Zugang zu verschaffen. Zufrieden jedoch, wenn 
nur dieses geistliche Palladium, der Glaube, wie er sich den- 
selben zurecht gemacht hat und zur Aufrechterhaltung 
eines Kirchenverbandes für hinreichend ansieht, gewahrt 
ist, hat der Mann namentlich in politischer Hinsicht, schun 
aus Widerspruchsgeist, mancherlei liberale, ja selbst radikale 
Ideen, ist für Abschaffung der Todesstrafe, scheut »ich über- 



658 



Neustes Kapitel 



haupt ni**ht . wie die» von jeher die Art der rechten Hierarchaa 
war, gelegentlich auch der Regierung tu widersprechen und 
dadurch von der uhrigon Prälatenhank in der Kammer eine, 
wenn man will, rühmliche Ausnahme zu machen." Natür- 
lich war einem aolchen Mann Strauß ganz besondere verhaßt 
und widerwärtig, und so zog er als Vorgesetzter Itapp auf Jena 
Denunziation hin amtlich zur RfffflrtlWth nft und rarwies ihm 
seinen intimen Verkehr mit Strauß. Dieser empfand das wtfl 
• inen Schlag ins Gesicht, wie ein über ihn verhängtes geist- 
liches Interdikt und fand es mit Hecht empörend und un- 
geheuerlich, daß man von geistlicher Seite mit täppischer 
Hand störend und hemmend in seine persönlichsten Bezie- 
hungen hineingreifen wollte. ..L'r hatte nicht geglaubt, daß 
ihn die Pfaden noch einmal in Harnisch bringen können"; 
nun war es doch geschehen. Am nächsten wäre es für 
Strauß gelegen, diesen plumpen Eingriff vor der Öffent- 
lichkeit — in einem Sendsehreiben an den Prälaten Mehring, 
das bereits geschrieben war und im ..Beobachter" erscheinen 
sollte — gebührend zu charakterisieren und zurückzuweisen. 
Allein die Rücksicht auf Kapp, der nun einmal Pfarrer im 
Sprengel Mehrings war, ließ das als untunlich erscheinen. 
Strauß wandte sich daher mit einer Beschwerde an den Jusliz- 
minister von Wäehter-Spiltler, mit dein er durch seinen Auf- 
satz über Ludwig Timotheus Spittler in Beziehung ge- 
kommen war. Dieser aber überwies die Sache an den zu- 
ständigen Kultusminister, und der gab sie zur KrmiUlung 
des Tatbestands weiter an den damaligen Präsidenten des 
Konsistoriums, den klugen und vorsichtigen Herrn von 
Köstlin. Dieser ersuchte am 24. November 1858 Mehring 
um Auskunft. „Von dem Herrn Justizminister v. Wächter, 
welcher dermalen mit Dr. Strauß zu Heidelberg wegen einer 
literarischen Angelegenheit in Korrespondenz steht, ist 
unserem Herrn Departementschef und durch diesen mir 
ein Schreiben des Strauß an jenen mitgeteilt worden, worin 
derselbe sich beklagt, daß ihm der Umgang mit seinen wflrt- 



Pin Riirkknhr nir Theologie. 



On'J 



lombergisehen Jugendfreunden, die er seinem Bildungsgang 
zufolge vorzugsweise unter der Geistlichkeit zähle, erschwert 
werde, und als Beleg auf Qhrt: der Pfarrer Rapp ku Münkhn i. 
in dessen Familie er seine aus der Pension getretene Tochter 
zu ihrer häuslichen Ausbildung auf einige Jahre unterge- 
bracht und deshalb sowohl im vorigen als im laufenden Jahr 
einige Wochen zu MQnkheirn im Gasthaus wohnend sich 
aufgehalten habe, sei von E. Hochwurdeu darüber zur Rede 
gestellt, namentlich über etwaige propagandistische Zwecke, 
die Strauß dort verfolge, befragt und warnend darauf auf- 
merksam gemacht worden, daß die Behörde gegen Bewe- 
gungen, die dadurch veranlaßt werden möchten, einzu- 
schreiten wissen werde. Auch habe der Dekan Wullen 1 ) 
den Pfarrer ermahnt, seinen Kredit bei der Behörde und 
seine Beförderungsaussichten nicht der Freundschaft mit 
Strauß zum Opfer zu bringen, und ihm zugleich mitgeteilt, 
daß er, der Dekan, den Herrn Prälaten zu dem von diesem 
getanen Schritt veranlaßt habe, wozu die Äußerung eines 
Mttnkheimer Bürgers gegen einen Herrn von Hall, daß 
Strauß und Rapp miteinander der TVufelsklinge *) tu 
spazieren, den Anlaß gegeben habe. Außerdem behuuptet 
Strauß, daß an seinen Freund, Sladtpfarrer Fischer zu 
Öhringen, wo er wegen seines dort die Schule besuchen- 
den Sohnes manchmal sich aufhalte, von E. Hochwürden 
die Frage gelangt sei, ob er es nicht angemessen finde, 
dem Umgang mit Strauß zu entsagen. Der Herr De- 
purtementschef und ich sind der Ansicht, unseren von 
Herrn v. Wächter gewünschten Rat über die an Strauß, 




') Wullen. als Dekan In Hall Rnpps nächster VorgweUtor. 
war ein Kompromotionale meines Vaters, also einen Jahrgang vor 
Strauß vorauf und vier Jahre mit diesem in Tübingen zwmmiinn. 
Die Rolle, dio er in dieser Sache gespielt hat, ist nicht ganz klar. 

a ) Offenbar war der Name dos Orts, dum sie zuspa&ierlon, ifal 
besonders beteichnender lind in den Augen der DenuncianUn 
besonders gravierender Umstand! 



HO 



N'wnt« k*fitrl 



der Wachten Verwendung nachsucht, zu gebende Anlwoi 
mit irgendeiner Sicherheit in betreff der Tatsachen, auf 
welche Strauü »eine Klage hlüui, otine eine xu E 

Ilocliwörden über dieselben erhalten, loteanf nicht «r- 
tcilc-ii xu können. Deshalb und in \U Lacht de» Iulcrc*»eft, 
da* der befragte Vorgang für die KlnhankitflBg hat. erlaube 
ich mir, E. Hochwürdm um diese Äußerung eichenst xu 
bitten."... 

Dic Antwort Mehnngs auf diesen Brief, du 
— <um 26. November — erfolgte, lautet (im Kon?, nt) to: 
,.Auf K. Hoohuohlgcb. geneigte Anfrage vom 24. d. M. 
beehre ich mich EQ erwidern, daß allerdings auH AniaU der 
Visitation des Dekanats Hall mir Dekan Wullen die Mit- 
teilung machte., duü Dr. Strauß sich oft llfiger« /eil in 
Münklieim aufhalte und daß dies hei der Gemeindfl Miß- 
stimmung errege. I in.. nf wm <■- natürlich meine Pflicht. 
bei dem Durchgang mit Pfarrer Kapp -.iche zu er- 

wähnen und ihn auf das Mißliebe eines solchen vertrauten 
Umgangs mit einem Manne, der seinen Ruhm durch völlige 
Leugnung der geschichtlichen Grundlage dos Christentum* 
begründet hat, aufmerksam zu machen. Pfarrer Kapp zog 
dN Mißstimmung der Gemeinde entschieden in Abrede» da 
Strauß im Wirtshaus wohne. Als er meine Entgegnung, 
daß die Gemeinde wohl wissen kAnne. daL! in gau? Munkheiin 

kein anderer Mann sei, um dessen willen sich Strauß dort 
aufhalte, als er, der Pfarrer, nicht gelten lassen wollte, blieb 
nur nichts anderes Übrig, als ihm xu sagen, dal» ie.h meine 
Nachricht von Dekan Wullen habe. Hieraid erwidert« 
Pfarerr Hnpp, darüber wundern er sich sehr, da Dekan Wullen 
jüngst erst seihst in Munkheini gewesen sei, um dem Dr. 
Strauß seinen Besuch xu machen, und es der Zufall gewollt 

habt*, daß dieser schon abgereist gewesen. Die:. d:>- ein« 
l'iilsaelie. VVmm den Sl&dtpfnrrcr Fischer in Öhringen an- 
belangt, so habe ich allerdings auch diesem bei der (roheren 
(nicht letzten) Visitation, also ungefähr vm einem Jahr», 



Die Rückkehr xur Thoologie. 



561 



ober sein vertrnuUis und für die christlich Denkendon in der 
Gemeinde anstößiges Verhältnis zu Strauß Vorstellungen 
gemacht. Das letztem«! habe ich es uin deswillen nicht 
wiederholt, weil iob nichts mehr von (fan UlDgBAg hörte, 
sonst winde ich nicht ermangelt hahen, abermals zu tun. 
waa meines Amtes iat. Was Dr. Strauß von propagan- 
diblisehan Zwecken, die lob ihn in Münkheirn zutraue, und 
von den Maßregeln der Behörde dagegen, die ich in Aussicht 
gestellt, erwähnt, das muß entweder seine oder Pfarrer Kupps 
Phantasie sein, Denn TOI ■nllem hatte Ml von solchem Treiben 
lediglich nichts gehört und glauhe irh nirht, daß Strauß in 
Münkheirn für seinen gelehrten Unglauben viele Hörer linde. 
Endlich nber wJnv i'iue Hulehc TttligMf eine Sache für diu 
l'nlixei, so daß dna mich nicht berührt; E. H. haben schon 
oft genug Zeuge nein können, wie mit ;ille und jede V, i 
miAchung des POttseKUohail und des Kirchlichen v.itli'1'i.tr.lil.. 
Wohl aber hnhr ieh Pfarrer Kapp dnrnuf aufmerksam ge- 
macht, wie ich jedem Khrenmann zutraue, daß er, wenn er 
alfi ThcnloRi« den Standpunkt. »Ich |>r. StrauU teile, von 
-einem Amt als Prediger des Evangeliums zurückzutreten 
seine Forderung fühlen (?) werde. Das indessen unterliegt 
wohl keinem /.weifel, iluU, wenn es in der Gemeinde niclih.ir 
werden wurde, daß Pfarrer Rapp in näherem Verhältnis zu 
Strauß stehe, dies nicht nur seine Wirksamkeit sehr ge- 
fährdend ist, sondern in einer Gemeinde wii' Münkheirn, 
dt« in Parteien zerrissen viele Emanzipationslustige Uftttt 
Ml z&hlt, in einer Gemeinde, die in den unruhigen Zeiten 
ihre Holle kräftig genpirlt hat, von doppelt bedenklichen 
Folgen »ein kann. Merkwürdig ist es, daß Dr. Strauß die 
Freunde in diesnr Gegend weit mehr zu frequentieren scheint 
ab die in Altwürltemherg, wo er doch nach dorn Mogistex- 
buch auch nicht wenige haben sollte. Sollte er etwa denken, 
daß die Gemeinden dieser Gegend solches Ärgernis mehr 
vertragen kminen? Seine Tochter iat wenigstens, wie mir 
Pfarrer Rapp sagte, «rat seit dem letzten Besuch in 



668 



SVunt« Kapitel 






Muokheim uod wurde dort nur mit Widerstreben aj 
nommen." 

Auf dieses Schreiben hin wurde Straußen* Beschwerde 
,.mit vornehmer Blasiertheit" ar.gflohnt. Mehr als dieses 
kurze Wort au* den „Literarischen Denkwürdigkeiten" 
vermag ich über den Ausgang de» MÜln-ln-n Mandela 
nicht mitzuteilen. Das hängt so zusammen. Wort um* 
bergischer Kultusminister oder genauer Dopartcmentschcf 
des Kirchen- und Schulwesens war seil 1856 Gustav Rümelin 
Auch Stifller und ein Schüler Gustav Binder» in Schöntal. 
den er als Minister alsbald in den Studienrat gerufen hat, 
war er Strauß aU freigcsinnler Mann In-kannl, mit Heiner 
politischen Haltung in der Paulskirche zu Frankfurt, von 
wo er die Sache der Erbkaiserlichen im Schwäbischen Merkur 
gescheit und tapfer vertreten hatte, sympathisierte er ohne- 
dies Und so halte er über sein Ministenwrden im April 
1856 au Rapp zwar ohne Enthusiasmus, aber doch nicht 
unfreundlich geschrieben: ,,Dan Ministerium Röiiulin wird 
wohl nicht viel Gutes stiften, doch aber vielleicht manche« 
Schlimme verhindern. Verfolgungen, wie sie früher gegen 
Dich geübl, werden sie unter ihm duch nicht anzustellen 
wagen.' 5 Allein es kam anders. Rümelin war von König 
Wilhelm I. berufeu worden, um das geplante Konkordat 
mit Rom zustande zu bringen; daß er sich dazu hergab» 
machte seinem Verstand oder seinem Charakter keine Ehre; 
daß er darüber gefallen ist, weil der Landtag die Konvention 
verwarf, kam als gerechte Strafe Über ihn, die er auoh als 
solche hingenommen hat- In die Aufregung über den Ab- 
schluß des Konkordats mitten hinein fiel das Erscheinen 
dos „Hütten"; in der Vorrede finden sich scharfe Worte von 
Strauß Über Konkordate. Ebenso spielte er im Essai über 
Spittler darauf an. Er zitierte zunächst eine Äußerung 
dieses Historikern: ,,ln der Lage, in der wir mit dem Papste 
sind und von jeher waren, hat man sich vor nichts mehr 
zu hüten als vor einem ordentlichen Vertrage"; und fügte 




IM* Rückkehr iur Theologie 



669 



dann seinerseits hinzu: ..Geht os doch heule in Deutschland 
tu, als wären solche Wahrheiten nie erkannt, solche Sätze 
nie geschrieben worden, die unsere Förster sich jeden 
Morgen, wie jener Perserkönig, aufs neue zurufen lassen 
müßten." Er wird recht haben, wenn er annimmt, daß 
solche Warnungen Rurnclin baß verdrossen, namentlich die 
letzteren, die in den Preußischen Jahrbüchern eine Stelle 
fanden uml hier weil verbreitet und viel beachtet wurden, 
und daß der Minister in der Verstimmung darüber jene 
Beschwerde im November 1858 mit vornehmer Blasiertheit 
abgewiesen habe. Daß gleich darnach Kapp mit seinen 
Münkhcimer Bauern wegen seines freigeistigen Religions- 
unterrichtes in der Schule in Konflikt kam — er hatte 
die Auferstehung Christi eine alte Sage genannt — , war 
für das Ministerium und für den Prälaten nachträglich 90 
etwas wie eine Rechtfertigung ihres Verfahren». Ein Zu- 
sammenhang bestand jedoch nicht. Dagegen spricht für 
einen solchen zwischen der Kritik des Konkordates und der 
Abweisung der Straußischen Klage das Fehlen der Akten 
Über diesen Vorgang in der Registratur des Kultministe- 
riums. Es waren welche da, sie sind aber 1877 dem da- 
maligen Staatsmiuister v. Geßler behufs Übermittlung an 
Staatsrat v, Rümelin in Tübingen übergeben worden; zurück- 
gekommen sind sie von diesem nicht wieder. Und da sie 
auch in Rümelins Nachlaß nicht aufzufinden waren, so wird 
man mit der Vermutung kaum fehlgehen, daß sie von 
ihm beseitigt worden seien. Auch dos Motiv dazu ist leicht 
erkennbar. Es war kurx nach dem Erscheinen seiner ,, Reden 
und Aufsätze", in denen sich eine Besprechung des letzten 
Buches von Strauß findet, von der man sagen konnte, daß 
auch sie den Eindruck , .vornehmer Blasiertheit" mache. Da 
mochte er fürchten, daß später einmal ein Freund von 
Strauß diese Akten gegen ihn als Waffe schwingen könnte; 
das suchte er 111 verhindern, indem er sie zurück- 
behielt — recht zum Zeichen, daß hier ein Unrecht geschehen 



DM 



Xeaatai KapitcL 




war, an du erinnert zu werden ihm peinlich mr. AI 
nuoli Strauß ist nicht ohne Schuld an unserem NichtHmehr- 
wijwflii, weil er den Bescheid Rümekins nicht sorgfältiger auf- 
bewahrt hat. Daß er in der Zeit und Mit der Z -n Lfl der 

um »i'iii« UmIUii so mit »einem Freund Rnpp verfahren und 
Briefe wh- .(er von Mehring geachnrlien wurden, hfiuflg von 

..Pfaffen" redet und der Groll und Haß gegen die Theologen 
in alter Stärke wieder aufwachto.wer durfte lieh 'laruberwun- 
dern ? wer wollte ihn darob schellen? Weil AT den einen Mehring 
nicht süchtigen durfte, sollten sie nun alle büßen, und sollte 
der rwtatworükh« Minister, drv an dar Spiin der Kirchon- 
-. stand und ihm für jene Unbill keine Genugtuung 
gegeben hatte, noch einmal vor die Klinge. 

Strauß (IbervUtn und erlänin h eben, als Nachtrag 
xu der Hutlenbiogniphie. GesprAcho von Ulrich \«m Hl 
die als deren dritter Teil 1860 erschienen sind. 
GcsprAchn stammen aus Hultcna letzter Zeit, in der ersieh der 
KrfnnuiitiMn zuw'i'wnndt halte .-. lind rfifonTititorw.-he Str-it 
schriften, Kriegsmanifeste gegen die Knechtung der Deut- 
■ohm durch Rom; und ee sind GtüpftCJH — Hütten war 
eine dialogische Natur. Daß auch Strauß eine solche »rar, 
wissen wir: es war ihm von jeher natürlich, bei lebhaften 
Klarierungen, namentlich in Streit*« nriftl -n, in die diaJofpscha 
Form in fallen und Meinung und Gegenmeinung in ver- 
schiedenen Personen zu verkörpern. Da ihm somit die Form 
dea Gesurften* lag und er ein Meister der Sprache war und von 
seiner Schulzeit her bis herein in sein reifes Alter Freude 
hatte an der Kunst des übersetze ns und sich darin stet« fortüble, 
so mußte es ihm mit den Hutteruresprachen gelingen: sieWaen 
sichdeen auch leicht und flott und frisch srk die Originale selber. 
In dieser Übersetzung rYfor*nattosuge»cbicltlz»c& wichtiger 
Schritten lag nicht weniger, aber auch nicht mehr Tbeologjh 
seh** als m der Huttetiriorrephie selbst ; die Rückkehr auf den 
theologischen Kampfplatz aeigU sack, wie dies Kuno Fiseber 
in sezaec Beeprvcbang der Dialoge unter 



Die Rückkehr iur Theologie. 



666 



seiner früheren Äußerung alsbald hervorhob, nicht sowohl in 
ihnen, als vielmehr in der Vorrede zu dem Buch. Hier kommt 
Strauß zuerst auf den Katholizismus unserer Tage zu reden 
und zeigt, wie vieles Hütten in ihm tief unter dem finden 
würde, was man zu »einer Zeit erwarten durfte. Wenn man 
ihm gesagt hatte, daß die römische Hierarchie nach mehr 
als dreihundert Jahren noch fortbestehen, daß auch dann 
noch halb Deutschland in religiösen Dingen sein Heil vuii 
jenen Bergen her erwarten würde, über die ihm seit Jahr- 
hunderten soviel Unheil und Verderben gekommen war, 
hatte er es nicht geglaubt. Mit der geistigen Knechtung, 
die Deutschland von Rom erleidet und sich gefalleu laßt, 
ist es so wenig besser geworden, daß diese geistliche Herrsch- 
sucht, dieser Haß gegen die Geistes Freiheit und Bildung der 
Volker, gegen die selbstfindige und politische Entwicklung 
der Staaten mit dem unaufhaltsamen Fortschritt auf diesen 
Gebieten nur grimmiger und giftiger geworden ist. Zu sehen 
bekäme Hütten heute, wie das von hell denkenden und männlich 
wollenden Vorfahren gelockerte Band jetzt die Nachkommen 
sioh mit freiem Willen nur immer enger um die Hälse 
schnüren. Ein Ding wie das österreichische Konkordat 
würde ihn sogar von einem Abkömmling Ferdinands in 
Brstaunon setzen. Wie aber vollends nach solchem Vorgang 
die protestantischen Fürsten südwestdeuLseher Staaten Lust 
bekommen konnten, ihre katholischen Untertanen nach 
dem Muster des österreichischen zu beglücken, ist ein un- 
gelöstes Rätsel. Das geht doch über alles Maß und wäre der 
schärfsten Huttenschen Satire wert, wenn in einem Zeit- 
punkt, da Petri Stuhl seinem vorgeblichen Nachfolger unter 
dem Leibe wankt (1860), die Deutschen ihm Konkordate 
entgegenbrachten, deren sich die Päpste des 16. Jahrhunderts 
gefreut haben würden. 

Aber auch wir Protestanten dürfen nicht meinen, 
Hütten würde mit uns zufrieden sein. „So gewiß er auf 
eine protestantische Kirche hingearbeitet hat, so zweifei- 

TV Zterltf, H fr Stn*B. IL 37 



Neuntts Kapitel 

haft irt, ob w in der unseren, wie sie jetzt iat. die erkennen 
irftnftt, diu ihm im Sinne lag. Ja, ich weiß nicht, ab sein 
Unwille, den er der römischen Kirche gegenüber empfinden 
wurde, weil sie nicht ander« geworden, nicht noch viel 
heftiger gegen die unsrige entbrennen müßte, da sie so ganz 
jhhIci-, ..'r'.vunl.n int, :i!h er von ihr hoffen zu dürfen glaubt«. 
An ihr wurde er zu rügen haben, wo* allemal da» Sehlimmate 
ist, daß mü sich solbat untreu geworden sei. ihr oigem-s Prinzip 
verleugnet habe. Daß ■ ttehlB mit ihr kam, hatte der Kittar 
möglicherweise sclbM noch erleben können, denn «s kam 
lci.l.i- |fh| Iruii. aber auch heute wurde er noch nicht linden. 
daß rie iin großen und ganzen ihr Prinzip wiedergefunden 
habe." Zu der Schillerfeicr des vorigen Jahres (1859) haben 
die Frommen äußerst sauer gesehen, und selbst einer der 
Gebildeten und Süßredenden untre ihii«u (Gerok in Stutt- 
gart) glaubte sich zu dem Ausruf bemüßigt: Hinweg mit 
■DflT Menschen Vergötterung in wie außer der Kirche 1 „Nun 
wir außerhalb", sagt Strauß spottend» „können ihn 
sichern, daß nie einer von uns daran gedacht hat odi 
denken wird, weder dem alten Hauptmann Schiller zu- 
gunsten eines höheren Wesens die Vaterschaft an seinem 
Sohne abzusprechen, noch den Rezepten, die dieser als 
Hegimentsmedikus verschrieb, eine lotenerweckende Kraft 
beizulegen, noch den Umstand, daß Ober dem Begräbnis 
des Dichters bis heute ein Geheimnis ruht, zu der Vermutung 
zu benützen, er sei wohl bei lebendigem Leib in himmlische 
Beginnen erhoben worden.' 1 Und nun geht es ;m die Theologie. 
wie sie sich unter der Einwirkung des religiösen Aufschwung* 
der Romantik vor allem durch Schleiermacher, der „ebenso 
klug wie fromm, vielleicht auch noch utwaa klüger als fromm" 
war, gebildet hat. Er charakterisiert sie so: „Von seiten der 
wissenschaftlichen Theologie war die Auflösung der bis- 
herigen Glaubenslehre, samt deren vermeintlich historischer 
Grundlage in der biblischen, insbesondere evangelischen 
Geschichte mit einer Schärfe und Bündigkeit vollzogen, 



Di« Rockkehr tur Theologie. 



561 




deren sich kein Urteilsfähiger erwehren konnte. Von der 
anderen Seite kamen Natur- und Geschichtsforschung diesen 
Ergebnissen bestätigend, ja sie fordurnd entgegen. Und 
endlich war da* alles langst über die abgeschlossenen Kreise 
hinaus ruchhar und im Zusammenwirken mit den Schriften 
unserer neueren Klassiker zur allgemeinen Rilduug^atmo- 
bphare der Zeit geworden, die auf jeden, der sich nicht ge- 
waltsam abschloß, unwiderstehlich eindrang. Was sollte 
nun die Theologie tun ? Das Ratsei der Sphinx war gelöst, 
aber in den Abgrund springen mochte eie nicht Wir sind 
weit entfernt, ihr dies zu verargen; nur über die guten 
Thehaner müssen wir uns wundem, daß sie sieh all den 
Spuk gefallen ließen und noch immer gefallen lassen, den 
die alte seitdem angestellt hat. Denn all ihr Bemühen ging 
von jetzt un dahin, die Welt und am Ende gar auch stall 
selbst glauben zu machen, es sei mit nichten aus mit ihr, 
sie vielmehr immer noch ein gutes Haus, und die Gerüchte 
von ihrem Bankrott nur von leichtfertigen Buhen aus- 
gesprengt. Kurz, sie gebardete sich wie ein Kaufmann, der 
sich vom unvermeidlichen Ruin in der letzten Stunde noch 
zu retten sucht: sie schwindelte, nahm Anleihen auf, wo 
man ihr noch borgte, und verwirrte dadurch ihre Angelegen- 
heiten nur um so mehr." Am Beispiel Ewalds hat er das 
Spiel der theologischen Rettungs- und Vermittlungs- 
versuche jener Tage, in denen die sogenannte Vermittlungs- 
theologie wahre Orgien der Unklarheit und Halbheit feierte, 
ebenso scharf wie wahr dargetan. Von dieser Richtung galt. 
was er, damit Spätere* jetzt schon antizipierend, weiterhin 
schreibt; „Von keiner Seite sagt man gerne das letzte auf- 
richtige Wort. Und warum denn nicht? Ist es doch unter 
allen nur einigermaßen Gebildeten und Denkenden langst 
ein offenes Geheimnis, daß keiner mehr an das kirchliche 
Dogma glaubt. Zu glauben glaubt, dun r/iume te.li ein; aber 
wirklich glaubt, das leugne ich. Für keinen mehr ist das 
apostolische Symbolum oder die Augsburgische Konfession 

IT 



668 



XevnU* Kapitel 



rin angemessener Ausdruck seines religiflenn Bewußtsein». 
Keiner glaubt mehr an irgendeines der ncute*Urnenthc}i<»n 
Wunder von der übernatürlichen Empfängnis an bis inr 
Himmelfahrt. Entweder er erklart sie «ich natOrlkn, oder 
er faßt sie als Legenden. Wozu also die WinkeJzüge ? Wozu 
dio Heuchelei vor anderen und vor sich selbst ? Ist es de« 
Menschen in seinem Verhältnis zur Religion würdig, sich 
ihr gegenüber wie ein feiger und tückischer Sklave mit 
halben Worten und leeren Ausflüchten zu behalten ? Warum 
sieht offen mit der Sprache herausgehen? Warum nicht 
gegettaeittg bekennen, daß man in den biblischen Geschichten 
nur noch Achtung und Wahrheit, in den kirchlichen Dogmen 
nur noch bedeutsame Symbole anerkennen kann, daß man 
aber dem sittlichen Gehalt des Christentums, dem Charakter 
seines Stifters (soweit unter dem Wundergehause. in da* 
sein« ersten Lebensbesehreibor ihn gesteckt haben, die 
mensehliche GesUlt noch zu erkennen ist) mit un\*eranderter 
Verehrung zugetan bleibt? Doch ob wir uns dann wohl 
noch Christen heißen dürfen ? Ich weiß es nicht; aber . i 

es denn Auf den Namen an? Das weiß ich, daß wir dann 
erst wieder wahr, redlich und unverschroben, also bessere 
Monachen sein werden als bisher. Auch Protestanten wer«! M 
wir bleiben, ja dann erst rechte Protestanten sein." 

So geharnischt erschien Strauß wieder auf seinem 
alten Kriegsschauplatz: das war ein Kriegsmanifcat an di<> 
kirchlichen Strömungen und an die Theologie seiner Zeit, 
eine schmetternde Fanfare hinein in die dumpfe Atmosphäre 
voll feigor Vertuschung und erbärmlicher Verlogenheil. 
Um sich darauf vorzubereiten, las Strauß in jenen Tagen 
eifrig — Kirchenzeitungen. Nach dem Wort „pectus facit 
disortum" oder nach einem Wort Ober Hutten, daß der 
Zorn die Hebamme seines Geistes gewesen sei, war es eine 
wuchtige, machtvolle Kundgebung, er fühlt« sich wieder 
einmal inspiriert und schrieb daher wie ein Inspirierter 
diese Satze in einem Zuge nieder. Dem entsprechend 



Die Rückkehr *ur ThwJogi*. 



MW 




machten sie auch gewaltigen Eindruck, der hoste Zeuge 
dafür ist — Rumelin, der keinen Grund hatte, Freude 
darüber zu empfinden, und doch ehrlich bekannte, die 
Vorrede zu den Huttengesprachen bei das Beste, was 
Strauß jemals geschrieben habe. Und sie wirkt auch 
heute, fünfzig Jahre nach ihrer Entstehung, frisch, wie 
auf unsere Zeit zugeschnitten; obwohl lange vor dorn 
Syllabus des neunten und des zehnten Pius in Rom und vor 
der papstlichen Unfehlbarkeitserklarung geschrieben, trifft 
sie die römische Herrschsucht und die römische Unduld- 
samkeit gegen Geislesfreiheit und moderne Bildung heute 
wie damals; und auf protestantischer Seite ist es, wie wenn 
Strauß alle die „Falle", mit denen Preußen seither die Blutter 
der Kirchengeschichte, nicht zu seinem Ruhme, bedeckt hat. 
vorausgesehen hätte; und was er damals von der Vermitt- 
luitgstheologin seiner Zeit oder vom theologischen Studium 
und den Versuchen, die Jugend um jeden Preis bei der 
„lumpigen und zerstückelten Fahne xu erhalten", gesagt 
hat, das gilt mutatis mutandis von der Ritschisehen Theo- 
logie und von der Erziehung unserer theologischen Jugend 
auch jetzt noch. 

Daß es aber nicht bloß ein in augenblicklicher Stimmung 
des Zornes unternommener Streifzug, sondern wirklich eine 
Rückkehr war, das zeigt der Schluß des Manifestes, und wie er 
hier auf sein Leben Jesu — das längst widerlegte, wie es unter 
den Theologen von ihm hieß — zu sprechen kommt. „Eben 
in diesen Tagen", schreibt er im .Mai 1860, ,,ist es ein 
Vierteljahrhundcrt, daß mein Leben Jesu zum erstenmal 
in die Well ausgegangen ist. Die Theologen werden dos 
25jährige Jubiläum dieses Buches schwerlich feiern wollen, 
htet es mehr als einem von ihnen erst zu allerlei 
übacheu Gedanken, dann zu Amt und Würden verhol Ten 
hat. Aber gar mancher bessere Mensch in allen Landen, 
der von dem Studium dieses Buches seine geistige Befreiung 
datiert, ist mir, das weiß ich. lebenslänglich dankbar dafür 



im 



Neuntal KapHeL 



und macht so, ohne daran tu denken, im stillen dio Feier 
mit. Ich selbst sogar könnte meinem Buche grollen, denn 
es hut mir (von Rechte wegen! rufen die Frommen) riel 
Bflees getan. Es hat mich von der Öffentlichen Lehrtätigkeit 
flu*ge***hlo*son, zu der ich hott, vielleicht auch Talent besaß; 
es hat mich aus natürlichen Verhältnissen herauagerUeei 
und in unnatürliche hineingetrieben, es hat meinen fit hin 
gang einsam gemacht. Und doch, bedenke ich, wo» aus mir 
geworden wäre, wenn ich das Wort, das mir auf die Seele 
gelegt war» verschwiegen, wenn ich die 7*weifol, dio in mir 
arbeiteten, unterdrückt hnttc: dann segne ich das Buch, 
das nüch zwar äußerlich schwer beschädigt, aber die inner« 
Gesundheit dos Gflistes und Gemüts mir, und ich darf mich 
dessen getrosten, auch manchem andern noch, erhalten hat. 
Und so bezeuge ich ihm denn zu seinem Ehrentag, daß «* 
geschrieben i«t aus reinem Drang, in ehrlicher Absicht, 
ohne I-eiilensrhnft und ohne Nebenzwecke, und daß ich 
allen «einen Gegnern wünschen möchte, sie Vv&ren. als sie 
dagegen schrieben, ebenso frei von Nebenabsichten und 
Fanatismus gewesen, Ich bezeuge ihm ferner, daß es nicht 
widerlegt, sondern nur (ortgebildet worden ist, und daß, 
wenn es jetzt wenig mehr gelust-n wird, dies duner kommt, 
daß es von der Zeitbildung aufgesogen, in alle Adern der 
heutigen Wissenschaft eingedrungen ist, Ich bezeuge ihm 
endlich, daß die ganzen 25 Jahre hex über die Gegenstände 
von denen es handelt, keine Zeile von Bedeutung geschrieben 
worden ist, in der sein Einfluß nicht tu erkennen wäre." 

So stolz durfte er reden, denn was er von seinem Buch 
sagte, war wahr und ist es noch heute. Mit diesem Schluß 
der gewaltigen Rede — denn eine Rede an das deutsche 
Volk ist diese Vorrede zu den Gesprfiehen von Ulrich von 
Hütten — hat Strauß den Kampf mit seinen alten Feinden 
wieder aufgenommen, er war wieder in der Heimat seine» 
Geistes, bei der Theologie angekommen. 




Zehntes KapitoL 
Das Leben Jesu für das deutsche Volk. 

Die Vorrede zu den Huttengesprachen hat Strauß noch 
in Meidelberg geschrieben. Eben jetzt aber rüstet« er sich 
7,11 einem neuen Ortswechsel. In Heidelberg war es einsam 
uro ihn her geworden: erst Kuno Fischer, dann Julius 
Meyer, der ihm seit Fischers Wegzug nahe gekommen war. 
verbüßen den Ort. Und nun mußte er auch Georgine, die 
das Heideische Institut absolviert hatte, weggehen. Sie 
BoUte im llappischen Hause in Munkheiin Familienleben 
und Haushaltung kennen lernen, Leider erwies sich dos 
als ein Mißgriff- Das Mädchen konnte zu Frau Rapp, 
diese sich zu dem Mädchen kein Herz fassen, und 
Frieda, die „Perle* 1 und der gute Engel des Rappschen 
Hauses, hatte sich kurz vorher mit Professor Boger in Öh- 
ringen verheiratet. Es ist dies eine starke Belastungsprobe 
für die Freundschaft zwischen Rapp und Strauß gewesen; 
daß sie darüber nicht in die Brüche ging, es kaum vorüber- 
gehend zu einer Trübung des Verhältnisses gekommen ist, 
ist ein ehrendes Zeugnis für beide. Und wie wenig Strauß 
an einen Bruch dachte, geht am besten daraus hervor, daß 
er. als es in Münkheim gar nicht gehen wollte, Georgine 
tu der Tochter Kapps in das Bogersche Haus nach Öhringen 
brachte. Auch seinen Fritz nahm er von I'reun.T weg. 
dem er vielfachen Dank schuldete, und gab ihn bei Boger 
in Pension. Außerdem hielt sein Freund, Stadtpfarrer 
Fischer in Öhringen, seine Hand über die beiden Kinder 



673 



Zehnte* KftfaUI. 



und ließ sie freundschaftlich bei sich ein- und ausgeben. 
Kr tut Fritx und di« Söhne des Bruder* Wilhelm, Bernhard 
und Emil, dort auch konfirmiert. Denn daran dacht« Strauß 
nicht, »eine Kinder durch Unterlassung der kirchlichen 
Braucht! in eine Ausnahme- und damit in eine schiefe 
Stellung xu bringen; daiu hat ein Vater, so wie die Dinge 
bei uns liegen, kein Recht. Nur sorgte er in Heidelberg 
durch die Wald /iiM.. in öhringeu durch Fischer, 
daß die religiöse UolerMMHUIg, die ihnen zuteil wurde, 
in freiem Geist an sie herantrat. Wie menschlich Strauß 
solch« kirchlichen Zeremonien faßte, zeigt das für den 
Koiifirmutiotistag der Tochter bestimmte Kriniurungsblal 
, 'um Andenken an meine gute Mutter* 1 , und zeigen die 
schönen Vera« zur Konfirmation seine« NcfTon Bernhard, dio 
ebenso auch dem Sohne gelten könnten: 

I-uU di« Kinder kindlich spielen. 
flfli nie Jüngling, werde Mnnn, 
ftlr*h* nach d«n hfteluten Ziel«n, 
HehlioOo dich den Beaten an. 
Im üewühl dos Erdenlebens 
Halte Leih und Seele rein. 
Und dir Krone deines Streben.« 
Sei: ein edler Mensch iu sein! 

Nun fehlten aber in dein Lyzeum (= Progymnasium) in 
Öhringen die drei oberen Klassen, und so mußte Fritz im 
Hübst 1800 in eine. Vollanstalt übergehen. Der Bruder 
Wilhelm war inzwischen nach Darmstadt übergesiedelt, 
daher dachte Strauß auch seinerseits daran, mit den Kindern 
dorthin zu ziehen. Allein die Brwflgung, daß sein Solin 
npatur doch wohl in »einer württembergischen Heimat sein 
Leben werde verbringen wollen, wie» ihn auf eine Schule 
in der alten Heimat hin; und da er Georgine na wegen im 
Sommer 1851* das Soolbad Wimpfon aufsuchte und dorthin 
von dem nah" Heilbronn herüber alt« und neue Graßlea* 
freuade. Sicherer, Kanzel, Professor Finokh und andere, 



Das L«bon Jesu für du d»uUch» Volk 



Ö73 



Besuche kamen, so lockten die alten Erinnerungen dorthin. 
Mit den bei David Gräßle verkehrenden Genomen war 
Strauß übrigens auch durch da* SchwabbochcrM Fiat in 
Verbindung geblieben, das Dr. Sicherer 1847 gestiftet hatte 
und bei dem es stets ganz besonders fröhlich und festlich 
herging; Strauß hat, wenn irgend möglich, auch in dm 
Jahren der „Verbannung* 1 aus Württemberg, regelmäßig 
daran IrilgeiwiniMiHii Kino Wohnung in Heilbronn war 
auch bald gefunden. Die treue Karoline sollt« den Haus- 
halt einrichten, die junge Georgine ihn führen, und Fritz 
das Heilbrunner Gymnasium besuchen. 

Freilich erhoben sich gegen diesen Plan auch allerlei 
Dtrdenken und Hindernisse. Gervinus suchte Strauß in Heidel- 
berg festzuhalten. Mit Beseler, Hausser und Jolly zusammen 
wollte er die Deutsche Zeitung, die vor 1848 eine so große 
Rolle im politischen Leben Deutschlands gespielt hatte, 
wieder ins Leben rufen und Strauß sollte, entweder allein oder 
zusammen mit Kuno Fischer und Eduard Zeller, di^ Redak- 
tion des literarischen Beiblattes übernehmen. Allein auch 
jetzt wieder wie 1848 in Stuttgart — eine Zeitung zu redi- 
gieren war nicht seine Sache; und schließlich scheiterte das 
Unternehmen überhaupt. Aber auch Heilbronn selber machte 
ihm als Aufenthaltsort Bedenken. Vor allem fürchtete er 
die Nähe Stuttgarts, wo noch immer die Schebest wohnte 
und von wo sie so leicht herüberkommen und sich den Zutritt 
zu seinen Kindern erschleichen oder erzwingen konnte. 
Wie alte Erinnerungen, so wachten leicht auclv alte Beziehungen 
und alter Klatsch wieder auf; neue Pläne, zur Ehescheidung 
zu gelangen, scheiterten wie bisher so auch jetzt wieder. 
Und wie er schon im Umzug nach Heilbronn begriffen war, 
erfuhr er, daß Professor Eyth von Schönthal Rektor am 
Heilbrunner Gymnasium werden solle. Nicht nur weil dieser 
ein schlechter Pfidagoge war, erschrak Strauß darüber, sondern 

•) Schwahbacb oiu Dorf im Oberami Wcinsberg, nicht allzu fora 
von Heilbronn. 



674 



Zehntes KftriUt 



vor allem, w«l er in ihm einen ..nrnckorbchen" Gagner 1 ) 
tu müssen glaubt* , äVm er »einen Sohn nicht Anvertrauen 
uiiJ dem er auch persönlich nicht begegnen mochte. Doch 
'h Attest warflberfluftaig. Nichtohne Fround BinderaZuUin 
i*t Eyth in Schönthnl gebliehen und so in den Jnhr. n 
1860—186'» man Lehrer und „der redliche Finckh" als Rektor 
de« Gymnasium» in Heilbronn im Winter 186>tyl8G9 mein Vor- 
gesetzter gfworden. So habe ich die beiden gekonnt und 
gebe Strauß ganz recht in seinem Urteil über Kinckh und 
zur Hälfte recht auch in dem Ober Eyth: ein HchJechter 
Lehrer ist dieser gewesen, gewiß, aber dem hatten wir, «eine 
Schuler. es zu danken, daÜ sein aslhetisierender Pietismus 
keine Macht über uns gewinnen konnte*). 

Endlich aber das Schlimmst*. Strauß war immer 
schon kurzsichtig gewesen. Da halte die Arbeit am Frischlin, 
der eine fast unleserliche Handschrift besaß — „eine heil- 
losere Hand hat nicht leicht ein Gelehrter geschrieben" — , 
vollends verheerend gewirkt und ihm seine Augen ganz 
gründlich ruiniert. Das lastete mehrere Jahre schwer auf 
seinem Gemüt, hat ihn auch vielfach menschenscheu und 
im Verkehr zurückhaltend und linkisch gemacht. Da kam f 

'! Strauß kannte Eyth vom Stift, kannte Ihn aber auch von 
einer Schrift her („Klassiker und Bibel in den niederen Gelehrten- 
«hulen"), worin Eyth die Schuld an uVr sittlichen Verdorbenheit 
unter untern Gebildeten dur Kluasikerlekture in den niederen Oe- 

lehrtensehtih-n ms.'hn.-b und sir d.ilnrr -lurch ■■in n.od. r -.-■• in 

klassischem Latein und Griechisch geschriebene», ober mit rhrbaiir.hom 
Inhalt gefüllte* Lesebuch erselcen wollte. Dagegen halt« C Hinal 
pine Schrift geschrieben, welche Strauß mit vieler Zustimmung und 
scharf sntirifirh besprochen hatte. Diese Reeension hat in den Charakte- 
rHüfcen und Kritiken von 1839. S. 454—459 eine Stelle gefunden. 
•) Und auch als Lehrer hat uns Eyth Gut*« getan, lfm flieh im 
Griechischen die Vorbereitung iu spuren, las er uns — ab „Exkur* 
*ur AnUgono" — die Briefe sein« Sohnes Max Eyth vor, wie pir dnmab 
frifich aus Ägypten bei dem Vater einliefen. Dadurch hat er uns in 
eine fremde Welt einen Blick tun lauen, diu mm weUubgeachivUi'uun 
inirvtten tonst gant verschlossen geblieben wäre. 



Dm l»cbm Jwu iQr dos deutsche Voüb 



na 



gerade als er Heidelberg verlassen wollte, Anfang September 
1860 Professor Graefe, der berühmte Berliner Augenarzt, 
dorthin. StruuQ benutzte die Gelegenheit und koii8ulti>i -t.« 
ihn. Graefe riet wegen de* durch die Kurwichtigkeit 
hervorgebrachten Schielen« und Doppelleben» zu einer 
Operation und empfahl dafür einen Arzt in Darrnstadl. Da 
hier Strauß bei dem Bruder wohnen konnte, griff er eilends tu. 
DieOperation brachte über die gewünschte Hilfe nichtoder nur 
halb. Allein erließ nun nicht mehr nach, aondern eilte- tu Graefe 
nach Berlin, wo er von Ende Oktober bis Endo November l ), 
größtenteils in der Augenklinik, verbracht hat. Er wurde 
unter groüor Angst — ,,8ein Grausen vor einer Operation 
wnr immer ungeheuer gewesen*' — von Graefe selbst 
operiert, mit dem Erfolg, daß er hinfort bei etlicher Schonung 
.n it seinen Augen zufrieden sein konnte"; nur durfte er noch 
längere Zeit nicht bei Licht lesen, was ihm bei der Kürze der 
Wintertage sehr schwer fiel. Von Berlin hatte er bei diesem 
Aufenthalt natürlich wenig. EinTrost war ihm die Anwesenheit 
von Gervinus und Frau und die Assistenz Vatkes, der den 
Ängstlichen fast mit Gewalt in den Operationssaal zurück- 
brachte und sich in diesen Tagen Überhaupt wieder recht 
als Freund bewfthrte. Auch ein schwabischer Landsmann, 
Professor Adolf Helflerich. ein ehemaliger Hörer von Strauß 
in der Tübinger Zeit, nahm sich seiner an. Wenn dieser 
konstatierte, daß er Strauß „weniger menschenscheu als 
früher" gefunden habe, so bestätigt das nur, was wir oben 
Ober die Wirkung des Heidelberger Aufenthalts gesagt haben. 
So mußte der Umzug und die Neueinrichtung des 
Hauses in Heilbronn in seiner Abwesenheit von Georgine 
iinl. Hilfe Karolinen« besorgt, und als er endlich kam, noch 
einmal „die ganze Haushaltung umgeändert" und die Bücher 




') Die Datierung do Briefe« an Kuuo flacher. Auagew Urirfo 
Nr. 409: Heilbronn, den 8. November 1 »60, kann nicht richtig nein; 
am 7. November ist Strauß in Berlin operiert worden und w*t am 
23. November von dort ohgereut. 



576 



ZehaU* KiptteL 



erst jetzt ausgepackt und aufgestellt werden. Da« Behagen 
«teilte sieb daher nur langsam ein. Auch an da» Zusammen- 
leben mit den Kindern und an das Getriebe des Haus- 
halts mußte weh Strauß erat wieder gewöhne«. Aber die 
alten und neuen Bekannten in Heilbronn kamen ihm und 
■einen Kindern ungemein freundlich entgegen. Sein Vortrag 
Ober Leasings Nathan, den er im nächsten Winter (De- 
zember 1861) zugunsten einer deutschen Flotte unter 
Preußen» Fuhrung hielt, sollte eine Art Probepfeil »ein; 
und die Probe fiel gut aus: jedermann war davon erbaut, 
und damit sozusagen offiziell der Friede geschlossen zwischen 
ihm und Heilbronn, das er in seinem „Märklin" um seiner 
ultrademokratischen Haltung willen im Jahre 1848 so heftig 
gescholten hatte. Dafür hotte auch er in dem Vortrag 
jeden politischen und religiösen Anstoß zu vermeiden 
gesucht. Im Haus ging oft, da eine ordentliche Magd der 
jugendlichen Haustochter zur Seile stand und Korolinc 
ab und zu nach dem Hechten sah, gut Georgine war in 
Geschäften, Klavierspielen, Tanzon und Schlittenfahren ver- 
gnügt, der Sohn besuchte das Gymnasium, dessen Lehrer 
tüchtig waren, gern. Mit der Tochter ging er ins Theater, 
wo „der alte Schauspieldirektor'" Jakob Winter, dil sohl 
schwach gewordene Stimme abgerechnet, immer noch recht 
gut spielte. Zu dessen 50 jährigem Wirken als Direktor 
hat Strauß einen artigen Gratulittiinisjutiktl p\*rhriebnu, 
der dem ulten Mann große Freude und bri der Jubel- 
Vorstellung ein volles Haus verschallt hat. Nach seinem 
Tode im Jahr 1865 hat er ihm dann auch noch MBU 
Nachruf im Schwäbischen Merkur gewidmet. 

Aber auch nach auswärts wurden die alten Beziehungen 
von Heilbronu aus wieder aufgenommen oder woitergepflegt. 
Kreilieli entging auch Strauß dem Los des Älterwerdenden 
nicht, alte Freunde starben. Sogleich nach der Übersiede- 
lung uach Hellbraun am 2. Dezember 1800 Baur in TflblDgWj 
mit dem er noch jüngst von Heulelberg aus an der Berg- 



Das Loben Jesu für das deutscht) Volk. 



577 




straße zusammengekommen war. Kr wÄre pm zur Be- 
erdigung nach Tübingen geeilt; aber da die Feier doch 
vorzugsweise eine akademische war, wollte er sich nicht 
zudrfingen. An den Schwiegersohn Zeller schrieb er noch 
vor dem Leichenbegängnis: „Die Trauerkunde ist mir 
schmerzlich erschütternd, wenn auch noch dem, was dio 
Zeitungen gemeldet hatten, nicht Überraschend gewesen. 
Der Schlag trifft uns alle um so harter, je schneller er ein- 
getreten ist; aber für den Entschlafenen selbst müssen wir 
eben dies als ein Glück, eine freundliche Fügung des SflHfll 
sals betrachten. Der Gewallige im Leben sollte den Feinden 
nicht im langen Kampfe einer unterliegenden Natur schwuch 
gezeigt werden; er sollte in voller Manneekraft, vom be- 
ginnenden Alter nur eben ehrwürdig angehaucht, in der 
Erinnerung fortleben. Was die Angehörigen, die Freunde 
;in ihm verloren haben, fühlen und wissen diese; was der 
Welt mit ihm genommen ist, werden viele ahnen, manche 
auch zum Teil begreifen, ganz und voll empfinden und 
ermessen werden es jetzt nur die wenigen, die sein Geist 
dazu erzogen hat, es zu können. Aber die Zeit wird kommen, 
da man in den weitesten Kreisen verstehen wird, wir mit 
ihm der letzte große Theologe zu Grabe gegangen". Aber 
auch öffentlich hat er in der zu Frankfurt erscheinenden 
„Zeit", deren Mitarbeiter er auf Haussers Aufforderung 
geworden war, ein Wort voll Anerkennung und Verehrung 
über ihn und seine Bedeutung für die deutsche Theologie 
gesprochen. Die Hauptstellen des Artikels lauten: 

„über den Mann, dessen Namen wir diesem Artikel 
vorgesetzt haben, sind seit seinem Hingang von verschiedenen 
Seiten her Lebensnuchxichteu und Erinnerungswerte ver- 
öffentlicht worden, die, bei aller sonstigen Abweichung 
d«r Standpunkte doch in dem Ergebnis zusammentreffen, 
daß in ihm einer der Stummhalter deutscher Wissenschaft, 
ein Gelehrter im echten und großen Stil zu Grabo gegangen 
Die treue Auskaufung der Zeit, das völlige Aufgehen 



57* 



Zehnte KapiteL 



in der WUsemehalt, die streute Gewissenhaftigkeit im Ami 
und jeder Leb*n*be*iehung. da» aflnOhlkhe. aber ticher* 
Vorwärtsschreiten in tU-r Krkenntiii*. dir Vereinigung kntuch 
umstürzender mit neubegrUndrnder Tätigkeit, dann die 
Amwpruehalowgkeit nach außen bei dem rticfc I ""Pen 
Geball: alle diese Züge in dorn Bilde dt* großen deutschen 
Theologen erinnern an die entsprechenden in dem de* 
großen deutschen Philosophen... Zu diesen großen Produ- 
BMrtn» fcm Ht'irlio de» Gedanken» geborte Baur. Erforderte 
da« Erz au* den Schachten seine* Wcuens, schmelzte und 
sichtote es an der machtigen Flamme »eines Geiste» uud 
lieferte die vollwichtigen Barren, die dann andere fOr das 
Bedürfnis des Marktes ausprägen und wohl auch legier« 
mochten... Zwar war er zunächst theologischer GescluchU- 
forscher und al» solcher der Ergriiiniung der Vergangen- 
heit zugewendet. Aber was er Vergangenes tu läge förderte, 
schloß die gegenwärtigsten Konsequenzen in »ich... Er 
wjir Hihturiker und betonte v$ gerne, daß »ein Standpunkt 
nur der geschichtliche sei. Er suchte den Glauben an die 
Uhernalürlichkeil des SchriflinhalU nicht dadurch xu er- 
schüttern, daß er dos Irrige in demselben nachwies, sondern 
dadurch, daß er zeigte, wie es hei der Entstehung der Schriften, 
der Ausbildung der Lehren und Erzählungen de» Neuen 
Testaments so ganz natürlich zugegangen. In der Aufgabe, 
die er sich .stellte, die Entstehung des Christentums ge- 
schichtlich zu begreifen, war die Ausscheidung alles Cber- 
natürlicbon von aelbat enthalten... Sein Gedachtmsredner 
in Tübingen (Landerer) berichtet uns aus Baues letzten 
Jahren den Ausspruch von ihm: die Überzeugung werda- 
irnmer allgemeiner, daß das Christentum auch ohne die 
Mjiv.- von Dogmen, die man seil lltor Zeit in deinselbü 
nachschleppe, in seinem universellen, von allem Glaubon»- 
zwang befreiten Geiste als Prinzip de* Lebens wirken kenn. 
Unmöglich konnte ja dem tiefblickenden Forscher Y«r- 
borgen bleiben, wohin der Zersetzuugspruzeß, in weh hei . 



r».r Iri'hmi Jiwu fiir das deutsche Volt 



MB 




die Elemente des Christentums seit hundert Jahren be- 
griffen sind, am Ende wird führen müssen. Aber erfreu- 
lich und tröstlich ist es doch, die Stimme des Gelehrten 
aus dein einsamen Schachte der Wissenschaft dasselbe ver- 
kündigen zu hören, was das Verlangen so vieler im Gedränge 
des heutigen Lebens ist: daß die Bürde unglaublich und 
unerträglich gewordener Dogmen von den Schultern ge- 
nommen und das Christentum dadurch wieder »um sanften 
Joch und zur leichten Last der Gläubigen gemacht werden 
müsse, daß es wie ehedem nichts als ein reines Herz, festen 
Glauben an die Macht des Guten und unbedingte Hingabe 
in seinen Dienst von den Menschen verlange." über die 
— nur zu lang geratene und für den Anlaß etwas tu kritisch 
gehaltene — Rede Landerers bei der akademischen Gedächt- 
nisfeier su Ehren Buurs in der Aula zu Tübingen am 
7. Februar 1861 hat sich Strauß übrigens auch privatim 
befriedigt ausgesp röche n. 

lni Sommer 1861 starb Freund Sicherer in Buden- Buden; 
ihm hielt Strauß auf den Wunsch der Grfißlesgcsellschaft 
nach der Beerdigung in seinem Salon die Gedächtnisrede, 
die zeigt, daß auch der profane. Leichenredner das rechte 
Wort zur Würdigung eines Toten finden kann. Und am 
21. Februar 1862 starb im nahen Weinsberg „Papa Kerner". 
Strauß konnte, weil selber an Grippe erkrankt, dem Be- 
gräbnis nicht beiwohnen, hat dann aber für den Schwabi- 
schen Merkur den Nekrolog geschrieben. Freilich nicht 
gerne. Es warnte ihn die Aufnahme einer Rezension, die 
er auf Kernere Verlangen 1841 über die neue Ausgabe von 
dessen Dichtungen geschrieben und Kerner vor dem Druck 
zugeschickt hatte. Dieser, der keinen Tadel leiden mochte, 
schrieb darauf einen verstimmten Brief, und die Besprechung 
blieb ungedruckt. Jetzt konnte die Kritik doch noch zu Wort 
kommen. Denn bei aller Liebe und Verehrung hatte Strauß 
doch an dem Geisterwesen nicht bloß, sondern auch andenGe- 
dichten Kerners manche Ausstellung zu machen; und so erregte 



ÄftO 



ZehnU* K»pilcL 



denn auch, was er sagte, bei den AngehGrigrn. denen er übrigen* 
das Manuskript ebenfalls vorher zur Durchsicht zugesandt 
hatte» eine kleine Verstimmung, die in TheobaJd Kerner» 
Buch „Das Kernerhaus und seine Gäste" in deKten böe- 
artiger Weise deutlich zum Ausdruck gekommen ist. Uns 
Unbefangenen und Unbeteiligten will der Nekrolog durchaus 
gerecht, lieb und warm vorkommen. Man nehme nur den 
schönen Schluß: ,,. .desto glücklicher preisen wir uns. 
daß wir ihm persönlich nahe stehen durften, desto teurer 
und heiliger bleibt uns sein Andenken als lebendige Mahnung, 
in den Kflrnpfen und Gegensätzen des Lebens der Duldung 
nicht zu vergessen, im Streite nur den Frieden zu suchen, 
und den Haß nie Meister werden zu lassen Über das Eine. 
was Menschen menschlich und gottahnlich macht, die Liebe.* 1 
So gute Gedanken brachte ihm die Erinnerung an diesen 
ältesten seiner Freunde. 

Neben solchen Verlusten halle Strauß freilich auch rini'ii 
Gewinn zu verzeichnen — die größere Nahe Zelters, der 
1862 von Marburg nach Heidelberg berufen wurde. Dubia 
kam er jedoch zunächst in einen peinlichen inneren Kon- 
flikt. Daß Zeller die erledigte Professur in Heidelberg er- 
halten werde, stand ihm alsbald fest und erfüllte ihn mit 
Freude — für Zeller selbst, für die Sache und för sich; denn 
die Entfernung Heidelbergs von Heilbronn i*t ja nur klein. 
Da tauchte der Plan auf, Kuno Fischer aus Jena zu 
berufen: das wäre für diesen eine Genugtuung und ein deut- 
liches Symbol für den Umschwung der Dinge in Baden 
gewesen. Und nun, wie stand er zu den beiden? Zeller 
sein alter Freund; der Scherz Ober „den Papierreisenden", 
das Semikolon, das sich Zeller zur Verbesserung seines 
taillenlosen Stils zu häufigerem Gebrauche anbietet, zeigte 
noch eben, was diese alten Freunde gegeneinander wagen 
und voneinander vertragen konnten. Was ihm auf der 
anderen Seite Kuno Fischer war. wissen wir ohnedies. 
ÜlTen und wahr wie immer, schreibt Strauß in dieser Situation 



Das Leben Jesu für das deutscht Volle. 



nfil 



an Fischer: ..Es ist für uns Freunde nicht ohne Peinliches, 
daß die Wahl gerade zwischen Ihnen und Zeller steht, und 
iob bin gewiß, auch jodom von Ihnen beiden wird der Erfolg 
nur die halbe Freude machen, solange nicht auch der andere 
auf den ihm gebührenden Posten gestellt ist. Was insbesondere 
mich betrifft) so kennen Sie meine alto Freundschaft für 
Zellcr, aber die Versicherung kann ich Ihnen aus aufrichtigem 
Herzen geben, daß ich mit keinem selbst meiner ältesten 
Freunde so gorne wieder vereinigt wöre als mit Ihnen, da 
mich noch keiner so geistig verjüngt und erfrischt hat.'* 
So stand er also zwischen zwei Feuern. Daß auch diese 
Belastungsprobe ausgehalten wurde, ist ein glänzender 
Beweis für die Freundsohaft mit Zeller sowohl als mit Fischer 
und für den Takt, den Strauß in der Sache gezeigt hat. Als 
Zellor den Sieg davontrug, gratulierte er »ich zu dem Naher- 
rucken des alten Freundes und machte mit Kuno Fischer 
eiue kleine Reise ins Württembergische, um ihm die Schwäbi- 
sche Alb und das Stift in Tübingen zu zeigen und ihn mit 
leiser Hnnd au» seiner Verstimmung heraus auf undero 
Gedanken zu bringen: es waren erfreuliche, angenehme 
Tage, wenn auch Fischers „Bitterkeit ober die Schluß- 
wendung seiner Heidelberger Berufungsangelegenheit*' bis- 
weilen einen Schatten hineinwarf. 

Aber die Hauptsache war für Strauß wie einst in Heidel- 
berg so nun in Heilbronn die Arbeit. Die Augen hielten 
stand, sie hinderten ihn wenigstens nicht, weun sie auch 
im uer berücksichtigt werden mußten; nur die Bibliothek 
fehlte, da mußten Stuttgart und Tübingen aushelfen. Auf 
welchem Felde diese Arbeit lag, wissen wir seil der Vorrede 
zu den Hutteugosp röchen: auf dem theologischen. Dort 
war er am Schluß auf sein Leben Jesu zu sprechen gekommen, 
das 1860 sein 25 jähriges Jubiläum feierte. Das Buch war 
vergriffen, nur 15 Exemplare von der vierten Auflage waren 
bei Oslander noch auf Lager. Aber auch von der Dogmatil« 
war der erste Band ganz verkauft, vom zweiten allerdings 

Tb. Zl*|fer, D. *7. StoMfl. II 38 



682 



Zehnt« Kapitel 



noch 120 Exemplar* übrig. Daher faßt er geradeso wie das 
erstemal beide« zusammen tri» Auge, eine Neubearbeitung 
beider Bücher wird geplant. ,,So hatte ich denn." schreibt 
er im August 1860 dem Bruder, ,,wo nicht für lebens- 
länglich, doch so lang mein bißchen Augenlicht noch 
wahren wird, Arbeit genug." Der Plan zum Leben Jesu 
(ürs deutsche Volk entsteht gleichzeitig mit dem 
alten und neuen Glauben. Der Bruder hatte lieber gesehen, 
wenn Strauß mit dem letzteren begonnen hatte; ihm selbst 
aber lag — das zeigt jener SchluC der Vorrede zu dei 
Huttengcsprächon — das ersterc naher: „die Dogmatik 
muß jedenfalls dem anderen nachstehen' 1 . Und alsbald 
gestaltet sich ihm nun der Plan im einzelnen. An und für 
sich wäre es möglich gewesen, nur eine neue, fünfte Auflage 
des alten Lebens Jesu mit Eintragung des Probehalligem 
aus den neueren Forschungen zu machen. Aber lieber etwas 
ganz Neues und Anderes, eine Arbeit aus einem Guß. Diese 
soll sich in drei Stücken von dem früheren Leben Jesu 
unterscheiden: 1. alle seitherigen Forschungen berücksichti- 
gen, 2. synthetisch, statt wie die frühere analytisch, 
verfahren, und 3 für alle Gebildeten bestimmt nein, folglich 
vieles gelehrten Ballastes sich entschlagen und viel kürzer 
werden. Noch in Heidelberg hatte er mit der Matorialien- 
sammluug angefangen, er hoffte sogar auf den Winter 
1860/1861 zur Ausarbeitung zu kommen. Allein der Umzug 
und das Augenleiden traten hemmend dazwischen; und als 
er die Vorarbeiten wieder aufnahm — xu Anfung dos Juhrea 
1861, da mußte er erfahren, wie sie leider immer mehr ins 
Breite wuchsen, indem eine ungeheure Literatur, ,, ungeheure 
Bündel Stroh mit wenig Körnern durchzudreachen" waren. 
Dabei kam er natürlich auch wieder auf den Anfanger der 
ganzen Leben- Jesu-Forschung, auf Heimarus, zurück und 
„verwickelte sich dabei in eine Studie über diesen* 1 . Ea war 
zugleich eine Flucht aus dem schier ziel- und resultatlosen 
Lesen und Exzerpieren , .theologischer Scharteken", eine Kr- 



Du beben J«u für das deutsche Volk. 



W3 




holung »eines Magens, den er »ich „durch die Lektüre von 
all dem schalen apologetischen Gebrflu verdorben hatte, 
welches die neutestamentliche Kritik inzwischen so reich- 
lich zu Markte gebracht" hatte. Und weil ihm der Trunk 
aus dem Vollen, d.h. aus Relmarufl gut getan hatte, wollte er 
auch andern den Genuß desselben verschaffen. Er hatte 
sich das Manuskript aus Hamburg schicken lassen und 
en mit steigendom Interesse gelesen. Es war bisher immer 
nur in Bruchstücken erschienen; er selbst hatte es sich 
schon 1844 zur Veröffentlichung zu verschaffen gesucht; 
damals war ihm aber ein anderer zuvorgekommen, der 
jedoch wieder nur Teile davon in Niedners Zeitschrift für 
historische Theologie hatte drucken lassen. Es war, als ob 
man nie Ober Fragmente hinaus zur Kenntnis des Ganzen 
kommen sollte. Diesem Zustand wollte Strauß ein Ende 
machen. Doch das ganze Werk herauszugeben, daran hinderte 
ihn der Zustand seiner Augen, denen er das viele Kollationieren 
und Korrigieren doch noch nicht zumuten durfte. Aber 
auch eine sachliche Erwägung. Als Ganzes herausgegeben, 
wurde os schwerlich viele Leser gefunden haben, da es in 
Standpunkt und Haltung, in Anschauungs- und Ausdrucks- 
weise unserer Zeit doch allzu fremd geworden war. So 
beschrankte er sich darauf, einen Auszug — freilich was 
Strauß unter Auszügen verstand — , ein darstellendes Ganzes 
daraus zu machen und so der Dolmetscher und Mittelsmann 
des alten Reimanis för unsere Zeit zu werden. Er „wollte den 
Zeitgenossen anschaulich machen, wer der Mann gewesen, 
wie er gedacht, was er erstrebt hat. Er wollte den Hochmut 
der Theologen dumpfen, die ihm mit dem Einwurfe, daß 
das alles langst widerlegt sei, das Wort abzuschneiden Lust 
haben möchten. Ef wollte dem Anstoß vorbeugen, den 
bei redlichen Leuten die Hörte seiner Urteilo Ober heilig 
gehaltene Personen und Sachen erregen könnte'". Das leistete 
er in der Schrift ..Hermann Samuel Reimarus und seine 
Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gölte»", die 



584 



Zehntes Kapitel. 



1861 erschien und heute einen Halbhon 4 der gesammelten 
Schriften füllt. Durch dio Art der Darstellung erreicht* er 

BB| iliiU it cd n \i; itln-K ;n;| .Im li. ntip'ii Statt! der 

biblischen Kritik eröffnete, auf welchem das Schroffe und 
Einseitige der Hoiiiiarusschen Ansichten sich ebenso voo 
selbst gemildert und ergänzt, wie der Kern derselben sich 
als unverlierbare Wahrheit erprobt hat" 

Albert Schweitzer meint in seiner Geschieht« der Leben- 
Jesu-Forschung, Strauß habe Reimanis nicht richtig ge- 
würdigt. Das hängt mit seinem eschatologischen Stand- 
punkt zusammen: du er alles nur auf diesen hin und in dieser 
Beleuchtung ansieht und wertet, so nennt er das Werk von 
Reimarus deshalb „die großartigste Leistung in der Leben- 
Jesu-Forschung überhaupt", weil dieser zuerst die Vor- 
stellungswelt Jesu historisch, d. h. als eschatelogische Welt- 
anschauung, erfaßt habe l ), Wir umgekehrt werden Strauß 
darum loben, daß er Reimarus nicht in diesem einseitigen 
Lichte gesehen, sondern ihn viel allgemeiner und groß- 
zügiger aufgefaßt und darum historisch richtig dargestellt 
und gewürdigt hut. Und es wäre ja auch wunderbar, WVBO 
dem nicht so wäre. Reimarus — Lessing — Strauß: das 
sind drei so kongeniale Menschen, daß sie — ich möchte 
fast sagen: jedesmal der Spatere den oder dio Vorangehen- 
den verstanden haben muß. Reimarus wurzelt ganz 
im Zeitalter und Geist der Aufklärung und in der sie 
trugenden Wolfßschen Philosophie; Lessing ist der Auf- 
klärer, der die Aufklärung überwindet, weil er histori- 
scher ist als sie; auch Strauß ist Aufklärer, viel- 
leicht im 19. Jahrhundert der stolzeste Vertreter te 
Aufklärung; aber er ist zugleich ein Sohn des 19. Jahr- 
hunderts mit seiner Romantik und seinem Historismus 
und mit der Philosophie Hegels, dio weit fähiger ist als die 
WollTsche, „in die fremde Eigentümlichkeit geschichtlicher 



l ) A Schweitzer, Von Roimnrus iu WrtAc, S. 22. 



Da* Leben Je»u für da* deuUche Volk, 



585 



Gegenstände einzugehen, »ich in die Gemüts- und Bildungs- 
zustände fremder Volker und Zeiten zu versetzen und mit 
ihren Objekten liberal und sachgemäß zu verfahren '*). In 
dieser Schule war Strauß erzogen 1 ), darum konnte er auch 
Rcimarus verstehen und ihm gerecht werden und konnte ihn 
zugleich überwinden, indem er den Begriff des Mythus an 
die Stelle der Reimarusschen Kategorie eines Gaukelwerks 
und Betrugs gesetzt hat. Also nicht mißverstanden hat 
Strauß Reimarus, sondern in seiner ganzen Bedeutung 
erfaßt, wenn er von ihm sagt, sein Standpunkt sei in dem 
der heutigen Religionswissenschaft „aufgehoben" in jenem 
Hegeischen Doppelsinn des Worts, wonach das Aufheben 
Dicht bloß ein Abtun, sondern auch ein Aufbewahren ist. 
Und nicht nur in seiner Verneinung habe er recht behalten, 
auch die bessere Bejahung, welche die weitere Entwick- 
lung der Theologie an die Stelle der seinigen gesetzt, die 
mythische Auffassung der biblisohon Geschichten habe er 
schon vorbereiten helfen. Uns aber leistet die bei aller 
Gedrängtheit eingehende und überaus feinsinnige Analyse 
dos umfangreichen Roimarus-Werkos den unschätzbaren 
Dienst, daß wir durch sie auf die bequemste Art mit dem 
noch immer schwer zugänglichen Buche in seinem ganzen 
Bestände bekannt gemacht worden sind. 

Noch in einer andern Beziehung zeigt sich der histori- 
sche Sinn von Strauß am Schluß dieser Schrift, wenn er hier 




') Kuno Fischor. a. a. O. S. 91. 

*) Über das Verhältnis von Strauß zur llegebchen Philosophie 
urtclit Kuno l'lsohor a. a. Ü. 3. 90, unter Vergleich mit dem von 
Relmarus tu Wolff. treffend 30: „Wie Fteimarus unter den Wolfflnncrn 
»eineneit der klaret? Kopf, der beste Stilist, das am meisten kritisch« 
T.ili nt und xurfHich einer der positiv Gelahrtesten ist, so galten dieselben 

KlK('|Mch;til.':i "i hervor- (■■< li>:nd'.r \Wi-f iinl'T &■ ENgettUMTfl ffOfl 

Strauß. Dorn hier mausen wir boimtrkeii, daß Roiirifinu* von der 
WoinVhen Schult viel enger und schulmliüittor anhangt Ab Strauß von 
te Hoyebchcn. und daß wir in diesem Punkt« uuT der Seile des leti- 
teren eine doppelte Überlegenheit entdecken.*' 



m 



Zehnt« K*ptt*L 



ab den Grundfehler des 19. Jahrhunderts die romantisch« 
überschwanglichkeit bezeichnet, mit der es sich von dem 
18. losgesagt und sich durch die Verleugnung der Aufklärung 
um die Frucht großer und herrlicher Anstrengungen ge- 
bracht habe. Strauß war einst selber von der Romantik 
ausgegangen, durch Juslinus Kerner war er einen Augenblick 
tief in sie verstrickt gewesen. Davon hatte er sich langst 
frei gemacht; aber je geistesheller und fmier es in ihm 
wurde, desto mehr war »eine Vorliebe wie fflr Reimarus Uftd 
Lessing so für die ganze Welt der Aufklärung gewachsen. 
Der Aufsatz über „Brockes und Reiiuams" zeigt, wie er 
in ihr heimisch geworden ist und wie grundlich und fein i-r 
sie versteht. Dabei kommt auch Voltaire immer mehr in 
Sicht. Die Klarheil aller dieser großen Aufklärer des 18. 
Jahrhundert* stellt er turmhoch Ober die romantischen Nebel, 
von denen das 19. in seinen Anfangen umhüllt gewesen 
ist und aus deneu es 6ich nur mühsam und bis zu dieser 
Stiiuilr noch nicht ganz in- Helle und Khnv und Krrtr- henms 
gekämpft hat. 

Und nun ging es nach dieser Unterbrechung wieder 
zu den Vorarbeiten für das Leben Jesu. Nicht eben mit 
Enthusiasmus. Strauß las und las, und doch schien ihm 
außer Baur und seiner Schüler Arbeiten fast nichts Erheb- 
liches zur Sache erschienen zu sein. Und Überdies fiel es 
ihm schwer, seine ganze Phantasie wieder so wie ehedem 
mit diesen Stoffen zu erfüllen, nachdem er solange dem 
theologischen Gebiet entfremdet gewesen war. Dagegen 
kommt die Klage, er fühle das Alter und die mindere Be- 
weglichkeit und übersichtskraft des Geistes, damals noch 
viel zu frühe. Ea war vielmehr die unerfreuliche Zeit dee 
Sammeins, das ihm Mühe machte. Wie er im Oktober 
1862 an die Ausarbeitung geht, da ist er wieder in seinem 
Element, und die Arbeit gehl nun, wenn auch nicht schnell, 
so doch stetig voran. Wenn er einmal das Geschriebene im 
Zusammenhang überliest, ist er nicht unzufrieden damit. 



Da» Loben Jwu fOr du dculache Volk. 



687 




Da kamen noch in letzter Stunde vor Abschluß des 
Werks zwei Hemmungen, von denen die zweite don Ab- 
schluß geradezu zu verhindern drohte. Die erste war eine 
rein persönliche, der Tod seine» Bruders Wilhelm. 

Vor mir liegen die vielen hundert Briefe, die Strauß 
diesem Bruder geschrieben hat, der erst« ein gemeinsames 
Schreiben von Vater. Mutter und ihm vom 5. Oktober 1832, 
der letzte vom Tage seines Todes, dem 21. Februar 1863, 
eine Erkundigung nach dem Definden des schwer Leidenden. 
Was haben die beiden in dieser 30 jährigen Korrespondenz 
nicht einander mitgeteilt und beredet an Freud vmd Leid, 
an Schicksalen und Sorgen, an Arbeiten und Erfolgen! 
Auch zuweilen sich gezankt und gestritten, aber immer 
schnell wieder sieh vertragen, in warmer Bruderliebe einander 
zugetan, stets bereit, einander zu fördern und zu helfen, zu 
trösten und aufzurichten, jeder des andern bester Freund 
und guter Kamerad, treuester Berater und sicherster Halt. 
Anfangs hat Strauß dem Bruder für sein Geschäft durch 
Einlagen von Kapital ausgeholfen, biB dieses zu einem 
blühenden und ertragreichen geworden war; dafür hat ihn 
der Bruder bei der Verwaltung seines Vermögens mit Rat 
und Tat unterstützt und ihm allerlei Geschäftliches abge- 
nommen. Die Erziehung der Neffen laßt sich Strauß an- 
gelegen sein wie die der eigenen Kinder, dafür finden diese 
im Haus de» Onkels stets willkommene Aufnahme und etwas 
wie eine zweite, oft gar die einzige Heimat. In don vierziger 
Jahren waren Strauß für seine Nöte bei dem klugen Geschäfts- 
mann, der zugleich ein warmes Herz für ihn hatte, volles 
Verständnis, guter Rat und treue Hilfe stete bereit; ich 
habe den Eindruck, wenn damals einer hatte helfen können, 
so wäre es Wilhelm gewesen; wenn auch »eine Vermittlung 
die Straußsche Ehe nicht zurechtbiegen konnte, nun so 
sieht man auch daraus, daß der Konflikt ein unlöslicher 
gewesen ist. Aber über alles fand Strauß bei ihm auch tffl 

t/rliri^'lrs Olli . rill Vi' Chi ■'■ llil U\u V< illt'H l*VI ll'i \M >lllt U.'lnlr 



\U* Kaprtj-4. 




fftr sein« ArMtefi. ät» erfrechen* G«aAm- 
gtOMÜMcfaan, bei der natftrliefe vorwiefso d «r der .Gabend», 
der Bruder der Empfangende und Empfängliche war; 
in Gesinnung und freier Ansofcaaang aber waren säe ein- 
ander durchaus glekh. Gerade von diesi r Seit« her war 
auch immer wieder die Aufforderung gekommen. Strauß sollt 

NM dH U tp fMi isnvS fctoi - btttssj tat rtoftogfa nrtifc- 
kehren. Wie freut« «ich daher der Bruder, als sich dtcssjr 
Wunsch erfüllt«, dia Rückkehr »ich wirklich volUog! Nur 
schade, daß er ihr« Frucht« nicht mehr «rieben dürft«, 
▼or allem nicht den alte« «od neuen Glauben; denn tu einem 
aolchen Ginxon und Zusammenlassenden hat er den Bruder 
Immer wieder gedrangt. Er wollt« nicht noch einmal «in rein 
gelehrt*« und vorwiegend kritische« und negatives Werk 
von ihm haben, «ond?m fordert«, ar solle ..der alten christ- 
lichen Weltanschauung in allen ihren Teilen und Folge- 
rungen, vom Gottes- und Weltbegriff bis auf di« Lehren 
von Lebensgenuß und Sitte hinaus die moderne, natürlich« 
oder philosophische entgegenstellen und diea in piner Form 
urut Sprache, die für alle verstandlich und ergreifend wir*", 
— also genau das. was S trau Li sehn Jahre spater in aeioein 
fcutirn Buch geleistet hat. Einstweilen halt« er »ich auch 
mit der in Aussicht gestellten Abschlagszahlung des neuen 
Lebens Jesu zufrieden erklärt, freilich nur in der Voraus- 
setzung, daß ea eben bloß eine solche sei. An dem Fortachretton 
dor Arbeit nahm er dann den regsten Anteil, fr*?ute sich darüber 
und darauf und mahnte immer aufs neue zu rüstigem Weiter- 
arbeiten. Aber die Vollendung sollt« er nicht mehr erleben. 
Hm langes, schweres Herzleiden hatte ihn vor der Zeit tum 
Aufgeben seines Geschaltes, einer Zuckerraffiuerie in Köln 
genötigt; doch mag auch die Schwierigkeit, die diesem 
Zweig der Industrie der tlborgang vom Rohr- zum Rüben- 
zucker hernitoto, zu diesem Entschlüsse mit beigetragen 
haben. Seit 1860 lobte or mit den Seimgen zurückgezogen 
in Darmstndl, Drei Jahn darnach erlag er jenem tückischen 



D» Leben Jeeu fOr du deutsche Volk. 



589 



Leiden. Im Kreis der Familie hat ihm StruuÜ am Morgen 
da 24. Februar, unmittelbar nach der Beerdigung, jene 
.Leichenrede" gehalten, die neben den Worten auf ȟ. 
Mutter ein so schönes Denkmal vorwnndtnchaftlicher Pietät 

il.nslrlll.. \\';\h il « -r Krudrr ihm p'Wt'HiMi, fußt er liier in 

die Worte zusammen; „Daß er mir in jeder Lehensnot eine 
Zuflucht war, in jedem Sturme ich mich an ihn, das schein- 
bar goknickte Rohr, das aber eine starke Riebe war, halten 
konnte, in jedem Zweifelsfalle hei ihm den treuesten und 
weisesten Rat fand, das ist zwar viel, doch noch lange nicht 
alle». Wie selten stehen zwei Bröder, von denen der eine 
ein Geschäftsmann ist, der andere Gelohrtex, über das Blut- 
und Freundschaftsverhältnis lünaus auch in wirklich inner- 
BohflB Zusammenhang! Und wie war dies bei uns beiden 
von jeher der Fall. Meine wissenschaftlichen Bestrebungen 
hat keiner meiner gelehrtesten Freunde tiefer verstanden, 
gründlicher gewürdigt. Für das, was ich schrieb, war mir 
kein Leser ohne Ausnahme wichtiger als er. Sein Urteil 
war zwar freilich immer das des Bruders, ach! des auch 
sonst so nachsichtsvollen Bruders; aber immer konnte ich 
mir doch genau daraus entnehmen, ob ihn etwas im Innersten 
berührt hatte oder nicht, und nur, wenn sie diese Probe 
bestanden hatte, war ich mit einer Arbeit zufrieden. Dieser 
Leser, dieser Freund und Ratgeber wird mir von jetzt an 
fehlen, wie uns allen, in welchem Grade und welcher Art 
von Verwandtschaft und Freundschaft wir tju ihm gestanden 
haben mögen, sein treues Herz, sein heller Blick, sein fester, 
unerschütterlicher Wille fehlen wird". So fehlte er ihm 
denn auch sofort bei und nach der Vollendung seines neuen 
Buches, dort als treibender Förderer, hier als einsichtigster 
Beurteiler desselben. Wie er diese Hemmung durch Objek- 
tivierung seiner Gefühle in der Widmung des Lebens Jesu 
überwunden hat, werden wirgleich sehen. Hier füge ich nur 
noch hinzu, daß er der Witwe und ihren Kindern durch treues 
Festhalten an der Vorbindung mit ihnen zu vergolten suchte, 




NO 



q.iM. 






wm dv.r Dahingegangene ihm gewesen war. Die Briefe an 
die Schwägerin erstrecken »ich vom 28. Februar 1863 b» 
zum 27. November 1873 in ununterbrochener Kette zahl- 
reich fori, und kaum minder zahlreich sind in den späteren 
Jahren die an den Neffen Emil, den bekannten Bonner 
Buchhändler l ). mit dorn er zuletzt auch noch in Geschäfts- 
verbindung getreten ist. 

Gefährlicher für die Vollendung des Lebens Jesu alt» 
diese rein persönliche Hemmung war eine zweite aachliche, 
— das Erscheinen des Lebens Jesu von dem Franzosen 
Ernst Renan im Sommer 1863 und die Aufnahme, die dieses 
Buch in Frankreich nicht nur, sondern in weiten Kreisen 
auch über die Grenzen Frankreichs hinaus in Deutachland 
fand. Man hat gesagt, Strauß haben die Lorbeeren Renaas 
nicht ruhen lassen, deshalb habe er das zweite Lehen Jesu 
geschrieben. Genau das Gegenteil ist wahr. Als es erschien 
mit dem beispiellosen Erfolg von acht Auflagen in drei Mo- 
naten, da mußte er sich fragen, ob neben diesem „Volks- 
buch" das seinige bestehen könne. Und wirklich dachte 
er einon Augenblick daran, sein fast fertiges Werk unvollendet 
und unveröffentlicht zu lassen. Allein bald erkannt« er, 
bei aller Anerkennung für ..das viele Gute in dem Buch", 
daß hier etwas ganz anderes vorliege, als er geben konnte 
und wollte, kein aus den Quellen heraus gearbeitetes Werk. 
sondern ein geistreich schimmernder, sentimental ange- 
hauchter Roman, der an den Quellen eine rein subjektive 
Gpschmackskritik übte und sich durch die unkritische Vor- 
hebe für das Johannes-Evangelium von vornherein um 
jede Möglichkeit historischer Wahrheit und Treue bracht«'. 
Und es war ein spezifisch französisches Buch, von einem 
Franzosen für Franzosen geschrieben '), das zeigt schon 
die Widmung ft l'Ame pure de sa soour Henriette morto ä 

') Ober ihn siehe dns schon* Buch „Emil StmuB, nn deutscher 
Buchhändler am Rhein»", von O. von Hat«. 190?. 

■) Sehr gut «vis! das A. Sehn *itn>r nach a. «. O. 8. 179— 19t. 



Das Leben Jesu für dos deutsche Volk. 



591 



Byblos, le 24. Septcmbre 1861. Flu- das deutsche Volk 
war jedenfalls ein ganz anderes Leben Jesu ootig. So nahm 
Strauß trotz aller Anerkennung» um nicht zu sagen: trotz 
einer gewissen Überschätzung der Vorzüge Renans, seine 
Arbeit wieder auf, und als dann im März 1864 sein „Leben 
Jesu, für das deutsche Volk bearbeitet'* erschien, dareichte 
er in der Vorrode dem Franzosen über den Rhein hinüber 
freundschaftlich die Hand. „Man mag an diesem schnell 
berühmt gewordenen Buche aussetzen, soviel man will", 
heißt es da, „ein Buch, das, kaum hervorgetreten, bereits 
von ich weiß nicht wieviel Bischöfen und von der römi- 
schen Kurie selbst verdammt worden ist, muß notwendig 
ein Buch von Verdienst sein. Es hat seine Fehler, aber 
nur einen Grundfelder (die Voraussetzung der Echtheit 
des Johannes-Evangeliums); und von diesem gebe ich die 
Hoffnung nicht auf, daß der geistvolle Verfasser ihn noch 
erkennen und darnach seine Arbeit verbessern wird. Was 
uns außerdem als Fehler erscheinen mag, sind zum Teil 
Eigenschaften, die dem Buch in seiner Heimat als Vorzüge 
angerechnet werden und seiner Wirksamkeit Vorschub tun; 
wie umgekehrt manches, wodurch der Verfasser des gegen- 
wärtigen Werkes die Zufriedenheit seiner Landsleute zu 
verdienen hoflt, jenseits des Rheins mißfallen oder doch 
langweilen würde. Ich habe das Leben Jesu von Renan, 
das erschien, wie das meinige nahezu vollendet war, als 
ein Zeichen des allerwarts sich regenden gleichen Bedürf- 
nisses mit Freude begrüßt und bei näherer Ansicht mit 
Achtung aufgenommen; von meinem Wege abbringen konnte 
es mich uicht; aber ein Buch für Deutsche geschrieben zu 
haben in dem vollen Sinne, wie er eines für Franzosen ge- 
schrieben hat, ist alles, was ich wünsche." 

Für ,.das deutsche Volk" halte Strauß diesmal das 
Leben Jesu bearbeitet, d. h. nicht für die theologische Zunft 
oder wie er bei der ersten Mitteilung davon an den Bruder 
kurz nach dem Rappscheu Handel drastisch schreibt: „mit 




it«ft KspiUi 



Umgebung des verächtliche* TUotage op acks"; abar doch 
•arfa nicht fOr das Volk im weitesten Sinn, fondern wie 
fr selbst sagt: .Jor Gebildet* sUer Stande". Und was 
für Leser er ach wünschte . das zeigt du? Widmung an 
den Bruder, die Ende 1862 entwürfe« «od (Ar den Lebend l 
bestimmt, nun ab Nachruf an einen Verstorbenen dem 
Werke vorangeschkkt wurde. See im Wortlaut meinem 
Buche einzuverleiben ist mir geradem Bedürfnis, aber auch 
sachlich darf sie nicht fehlen. 

„Lieber Bruder! So alt meine Schriftstellern nächsten» 
ist, m iai doch, von ein paar Sendachraben abgesehen, 
die« da« ante Buch, das ich jemanden zueigne. Gönner 
hübet ich nie weder gehabt noch gesucht; meine Lehrer, 
nachdem ich mit meiner Krstlingsarbeit Anstoß erregt 
hatte, beeilten sich, der Wahrheit gemäß m versichern, 
daß ich das, was ich wußte, nicht von ihnen gelenkt habe; 
meinen Freunden und Studiengenoesen aber sab ich aus 
der bloßen Kunde ihrer Freundschaft mit mir. soweit sie 
jii<:ht vorzogen (was auch vorkam), diese den Verhältnissen 
xum Opfer zu bringen, besonders in unserer Heimat Württem- 
berg soviel Ungelegenheit, Zurücksetxung und Verdächti- 
gung erwuchsen, daß es Gewissenssache war. sie nicht durch 
ein öffentliches Denkmal unserer Verbindung noch mehr 
auszusetzen. Du, lieber Bruder, bist unabhängig, hast Dich 
(das iMt der Segen des Gewerbes) um die Gunst oder Ungunst 
geistlicher und weltlicher Oberen nicht zu kümmern, Dir 
kann es nichts schaden, wenn Dein Name vor einer Schrift 
von mir zu losen ist. Zugleich hast Du aber, neben dem, 
was Du dorn Bruder warst, wie Du ihm in so mancher schwie- 
rigen liehnnslage als treue Stutze zur Seite standst, auch dem 
Schriftsteller von jeher in einer Person alles dasjenige 
geleistet, was einem solchen von Gönnern, Lehrern und 
l'Yeundi.'n geleistet werden kann. Du hast mich ermuntert 
und. was mehr i*t. Du hast mich verstanden; Du hast 
meinen oft gesunkenen Mut gehoben, aber auch meinem 



Das Leben Jesu für das deutsche Volk. 



Mfl 



bisweilen auf andere Felder abschweifenden Sinn bei 
der Sache, tlnr ich mich ursprünglich gewidmet halle, frei- 
gehalten; bei Abfassung dieser Schrift insbesondere hast 
Du mir von Anfang an im Sinne gelegen, und kein Blatl 
derselben ist zustande gekommen» ohne daß das Bestreben, 
Dir genug zu tun, so zu schreiben, wie ich wußte, daß Du 
es für Budürfnis unserer Zeit haltest, nur Antrieb und Leit- 
stern gewesen wfiru. Und hier trifft die Widmung dieses 
Buches mit der auf dem Titel ausgesprochenen Bestimmung 
desselben zusammen. Indem ich es dem Bruder widme, 
denke ich mb Ü6HD als einen Mann aus dem deutschen 
Volk; und indem ich es dem deutschen Volk bestim 
setze ich voraus, daß unter diesem viele Männer seien, die 
dem Bruder gleichen. Ich meine viele, die» unbefriedigt 
vom Erwerb, auch geistigen Dingen nachtrachten; die nach 
arbeitsvollen Tagen iu ernster Lektüre ihre beste Erholung 
finden; die den seltenen Mut haben, um den Bau der her- 
gebrachten Meinung und der kirchlichen Satzung unbe- 
kümmert, über des Menschen wichtigste Angelegenheit 
auf eigene Hand nachzudenken, und die noch seltenere 
Einsicht, auch den politischen Fortschritt, wenigstens in 
Deutschland, nicht eher für gesichert zu halten, als bis 
für die Befreiung der Geister von dem religiösen Wahn. 
für rein humane Bildung des Volkes gesorgt ist. Ob eine 
Weltansicht, die mit Ablehnung aller übernatürlichen Hilfs- 
quellen den Menschen auf sich selbst und die natürliche 
Ordnung der Dinge stellt, sich auch wirklich fürs Volk 
und fürs Leben eigne, ob sie imstande sei, den Menschen 
nicht nur im Glück in der richtigen Bahn, sondern auch 
im Unglück aufrecht zu erhalten, dies insbesondere nach 
der letzteren Seite zu erproben hast Du, lieber Bruder, 
nur allzuviel«' Gelegenheit gehabt. Du hast einem lang- 
jährigen Körperleiden ohne fremde Krücken, einzig auf 
das gestützt, was Du uls Mensch und Glied dieser gest- 
und gollorfullten Well bist und wissen kannst, mannhaft 




bn 



Z*hnte* KapiteL 



widerstand«, Du haut unter Umstanden, die den Gläubigsten 
hattrn kleingläubig machen kfmncn, Mut und Fassung b«^ 
halten; Du baat selbst in solchen Augenblicken, wo jede 
LebenshofTnung erloschen war, niemals der Versuchung 
nachgegeben, durch Anlehen beim Jenseits Dich zu tauschen. 
Möge Dir nach so harter Prüfung ein freundlicher Lebens- 
abend beschieden sein; mögn dieses Buch Deiner Nach- 
sicht genügen und diese Widmung Dir nicht mißfallen; 
an ihr aber unsere runder und einst unsere Enkel noch 

.iliinii-n. in wi-lrli.'i inoigSD Geislfs^nninsch.'ifl ihre VUM 
gestanden, in welchem Glauben sie, ob auch nicht heilig, 
doch wenigstens ehrlich gelebt haben, und wenn nicht selig, 
dooh hoffentlich ruhig gestorben sind" l ). 

Darin freilich hat sich Strauß getauscht, daß dieses 
Leben Jesu ein Volksbuch werden werde: nicht einmal 



l ) Der Kontrast awiachen den beiden Widmungen — der StrauBoM 
an den Bruder und der Ucnans an die Schwester — ist iu charakte- 
ri« tisch, als daß ich nicht auch die letitere wenigstens unmerkungs weise 
»um Vergleich hier zum Abdruck bringen möchte. Sie heiOt: „Te 
»ouvieim-tu, du »ein de Dimu oü tu reposes. de oes longues journeee 
He Ghniir, oü. anul avec toi, j'errivais c*8 piges inapirAiw par I« lieux 
qu« tious avions viriles «nsernble? Silencieuse a cöle de moi, tu r*li*an 
chaquo feit i Ho, et In recopiais silöl öcrite, pondunt quo la rner, lus 
village-s, les ravins, les monlagnes se deroulaient a noe pieds. Quand 
l'accablante lumiero avatt fnit place a l'innombrnble arrofa das 
etoilM, tes questions flnes et dällcatcs, tes doutes dtscrels, 
rameoaient a l'objet sublime de nos commune* poiuöes. Tu me 
im jmir que ce hvre-ci tu Vaimrrais, d'abord parte qu'il avalt SU 
fait avec toi, et aussi parco qu'il te plaisait. Si parfois tu craignait 
pnur lui les etroils Jugements de l'hommo frivole, toujoum tu fua 
pvrsuüdl-e que les Arnes vraiment religieuses fliuran«nt par *'y plair». 
Au rniliou de cas Uouces medilatfons, la mort nou». Irappa toiw lea 
deux deson aile; lesommeil de 1a ü*vra nons pnt a la m*ra« huura; je 
in« revoillai seull . . Tu dors inaiulcnant dunt la terra d'AdonU. prfU 
de la sainte Byblos et des eaux sacrees ou les femmes des mystftres 
antiques venaient melor leurs 1 armes. Kevtile-moi. o bon KÖnlc, a mo4 
que tu nimaia, cos veritta qui dominent la mort. empechent de 
craindre et la fönt prnsque aimer." 



Dm Lobtn Jmu für du d*ut«che Volk- 



595 



in dem Sinn, in dem er unter dem Volk die Gebildeten ver- 
stand, traf das zu. Entweder es gab nicht ho viele im Volk 
der Deutschen, die dem Bruder glichen» oder — Strauß 
hatte den Ton doch um eine Note zu hoch genommen. Und 
so war es — deshalb, weil es zugleich eine Auseinandersetzung 
werden sollte mit dem, was seit dem letzten Erscheinen 
des ersten Lebens Jesu auf diesem Gebiete geleistet worden 
war. Das aber war Gelehrt«»narbeit und für das Volk, wenig- 
stens für die Durchschnittsgebildetcn desselben, eine zu 
schwer verdauliche Kost. Das Buch war das Werk eines 
Theologen und in erster Linie für Theologen : so leicht ließen 
sich diese in dieser Frage doch nicht „umgehen 4 * und aus- 
schalten. 

Der Auseinandersetzung mit den Arbeiten seiner Vor- 
gänger ist die „Einleitung", der erste, in den gesammelten 
Werken 200 Seiten umfassende Teil des Buches gewidmet. 
Sie beschäftigt sich zunächst mit den verschiedenen Be- 
arbeitungen des Lebens Jesu von Heß (1768) — Reimarus 
war ja eine eigene Schrift gewidmet, von ihm brauchte hier 
nicht noch einmal gehandelt zu werden — von Heß bis 
zu Keim *) und Renan. Das war in nuce das, was neuer- 
dings Albert Schweitzer in einem besonderen, großen Werk 
„Von Reimarus bis Wrede" behandelt hat. Darauf folgt 
die Untersuchung über die Evangelien als Quellen des Lebens 
Jesu, die etwa 130 Seiton einnimmt. Sie huttu mau im 
ersten Leben Jesu — wir haben gesehen, wie weit mit Rocht — 
vermißt. Inzwischen hatten Baur und seine Schule durch 
ihre Arbeiten diese Lücko ausgefüllt, dazu mußt» Strauß 
Stellung nehmen. Nun hatten aber diese Untersuchungen 
der Tübinger, wie schon des öfteren erwähnt, ja nur be- 
stätigt, was Strauß im ersten Leben Jesu mehr nur divi- 
natorisch angenommen und vorausgesetzt, als im einzelnen 



') Keim's ,, Geschichte Jhsu von Naiam" war Übrigem daniHl* 
noch nicht erschienen, «ondorn erat die „gehaltvolln" klnin« Schrift 
Ober „Die menschliche Entwicklung Jwu Christi" 1801. 




we 




hatU: den durchaus imkutoröch 
Charakter des JohattnesevangelMitna\ dea vor ika Ba 
ssJbrt in so gliastoder Weis« bts xnr Evidenz »eher f««4- 
fcsUüt hatU, und dir zeitliche und Wertpriohtat du 
Mstthttt*vangeiiufns vor Markos und Lakas. So war es 
nur natürlich, daß Strauß an d«n ihm von Anfang an faat- 
»tehrnden und nun von den Tübinger Freunden ao erfreulich 
nachg e wi e senen Ergebnissen auch jetzt wieder festhielt und** 
durch «igtna Nachprüfung bestätigt fand. Nun war aber 
inzwischen die zweite Annahme, die der Priorität de» Matthaus 
ernstlich in Frage gestellt durch dieMarkuehypothese, diexwar 
immer auch aebon dagewesen war, aber neuerdings doch ganz 
andcni wiioenschaftlich fundamentiert mit den Aufstellungen 
der Tübinger ernsthaft um die Vorherrschaft stritt. Fi 
haftete ihr in jenem Augenblick noch ein Element an, das 
aio Strauß von vornherein wenig empfehlenswert, geradezu 
verdächtig machen mußte: sie war apologeti" < 
und als die Hypothese der sogenannten Vermittlung»- 
thuologic ausdrücklich der der Tübinger entgegengestellt 
wurden Allein die wissenschaftln-he Arbeit hui ihren eigenen 
Weg und betätigt nn ihren Werkzeugen ihre eigene Kraft. 
Das zeigt sich auch au dieser Hypothese. Männer wie 
Weizsäcker und Holt/mann, die im Gegensatz und Kampf 
fpge-n die Tübinger Schule ihre theologische Laufbahn 
begonnun und im Zusammenhang damit jene Hypothese 
WilftluU hatten, durfl'n und dürfen »ich heute als wOnflge 
Thronerben und echte Nachfolger Dours betrochten. In 
tiefdri uzender gelehrter Arbeit und in demselben wissen- 
Mflftfllhill freien Geist wie Baur haben sie jene apologetische 
Tendenz nUmAhlirh fallen lassen und die \farkushypothcse 
von ihr völlig freigemacht, so daß diese sich heute neben der 
Mntthttushy|iwUir*r nicht nur uln wisbriittchuftheh gh'ich- 
l" -r. n hligt behaupten, sondern — das ist das Resultat einer 
vierzig- bis fünfzigjährigen mühsamen Arbeit — sich als 
ihr UhiThrgi'n ftthhm darf. Allein dabei ist mau doch auch 



Du Leben Jesu für du druUeho Volk. 



m 



darüber heute einig, daß der Markus oder richtiger der 
Urrnarkus nicht die einzige älteste Quelle für das Leben Jesu 
sei, sondern daß ihm eine Redequelle, die unter dem Namen 
des Matthäus ging, gleichwertig zur Seite zu stellen sei. 
Hntisrath in seinem neuesten Buch 1 ) stellt da» Spruch- 
buch der zweiten Grundschrift, der historischen, sogar aus- 
drücklich voran. So erschienen auch Strauß wie heim ersten 
Leben Jesu, die Reden wichtiger und wertvoller als die Be- 
richte Über Taten und Geschehnisse, die doch auch im Markus 
schon durch Sagen wuuderhait entstellt, mythisch, also 
unhistorisch waren. Auch deshalb blieb er dum Matthäus 
treu und trat den „Markuslöwen' 1 , wie er sie später spottend 
genannt hat, schroff abweisend gegenüber. Wir werden 
alsbald sehen, wie er auch jetzt wieder, und diesmal schlimmer 
als das erste Mal, durch diese Einseitigkeit in der On. -Um- 
frage seiner Darstellung des Lebens Jesu Eintrag getan hat. 
Es hing aber noch mit einem anderen zusammen. Strauß 
hatte sich neunzehn Jahre lang aus der Kontinuität der 
theologischen Arbeit ausgeschaltet, hatte sich zeitweise 
verschworen, keine theologischen* Bücher mehr zu lesen 
und zuletzt noch sogar daran gedacht, die, di« er selbst 
besaß, zu verkaufen. .Nun mußte er sich nach- und in die 
'I 'In mIii^ji- wieder einarbeiten, «Iß et BO plötfHoJ) KU Ifaf 
zurückkehrte; und das war keine leichte Sache. Ein Leser 
allerersten Ranges ist ja Strauß immer gewesen, und so lus 
er sich auch jetzt mit Bienenfleiß in die Kvangelion- 
litcratur herein. Aber gerade in dieser Zeit legte sein Augen- 
leiden seinem Leseeifer Kesseln an, und schließlich läßt sich 
in zwei oder drei Jahren doch nicht alles nachholen, was 
man in neunzehn versäumt und ignoriert hat. Und endlich, 
am apologetischen Gebräu halte er sich den Magen vor- 
ihirben, mehr itl» einmal war •',• imlie ihn-ini. nllen Tlier»li>Ki*e.ho 

') Adolf Hausruth, Jesus und dm ncrtil<'3tJi tuen t liehen Schrift- 
stollor 1908, 1, B. 173 ff. — übrigens vgl. tu «lie&tir Frage auch noch 
einmal du früher schon !, 8. 167 ff. Gesagt*. 

TV ftW". I> fr, Biraufi. II ;;•» 




M Zahnte* Kapitel. 

vid.'i lii-li.rili' /.ll V. :1m lllllli' Lti![i:r i.r.iiiu , liUwiM' 

SOgftr voll Vernchtung ftlr das, wo» er zu studieren hatte. 
Minie er o* ab, davon zu lernen, und kehrte immer am liebsten 
wieder zu den vertrauten Gedankengang n K.mr« und soinei 
Tübinger Genossen zurück. So konnten Hin Gegner in dem 
gelehrten Hüstzeug diesmal gelegentlich etwas vermissen 
und ihm muht ganz ohne Grund nino gewisse. Yomn 
heit in der Kvnngelionfrage vorwerfen Und vielleicht wurden 
sie es auch mir als Voreingenommenheit und Ausfluß meiner 
Vorliebe für meinen Helden auslegen, wenn ich, nachdem ich 
das zugegeben habe, nun doch auf der anderen Seite betone, 
wie staunenswert rasch und wie staunenswert gründlich 
Strauß doch in der Hauptsache nachgearbeitet und sich 
nlnbald wieder in die allervordersle Reihe der Leben- Jett" 
Forscher durchgearbeitet hat. Auch jetzt wieder stehen 
viele auf seinen Schultern und triumphieren, daO sie ein 
paar Millimeter weiter sehen und ein paar Milligramm mehr 
wissen als er. 

In einem dritten kürzeren Abschnitt der Einleitung 
werden dünn noch , .etliche Vorbegriffe zu der folgenden 
Untersuchung" festgestellt. Das Wunder wird abgelehnt 
und vor allem wieder der Begriff dos Mythus als der Hebel 
der ".in,'.": Untersuchung eindeutig bestimmt K- ist se.hnn 
froher bemerkt worden, daß Strauß durch Baurs Nach- 
weisung bewußter und tendenziöser Erdichtung und der 
Holle, die diese bei der Bildung der Evangelien gespielt, sieh 
veranlaßt gesehen habe, den Begriff des Mythus in diesem 
Sinn auszudehnen; dazu hfilt er sich deshalb und dann für 
befugt, wenn und weil die christliche Gemeinde diese Tendenz- 
dichtungen akzeptiert und sie als einen Bestandteil ihre« 
Glaubens diesem einverleibt hat. Er formuliert dies so 1 ): 
„Ich habe in dieser neuen Bearbeitung des Lebens Jesu, 



') Diese fifthon einmal (I, 143f.) zitierte 8 teile mutt hier in 
ihrem Zusammenbang noch einmal wiederholt werden. 



Das Leben Jnu Cor da* deutsch« Volk. 



Ö9Ü 



hauptsächlich infolge von Baut* Nachweisungen, der An- 
nahme bewußter und absichtlicher Dichtung weit mehr Raum 
als früher zugestanden; durum aber diu Bezeichnung zu 
andern, habe ich keine l rsnehe gefunden. Auf di< 

vielmehr, ob auch bewußte Erdichtungen eines einzelnen 
füglich Mythen zu nennen seien, muß ich auch nach allem 
seither darüber Verhandriten noch immer antworten: in 
allewege» sobald sie Glauben gefunden haben und in die 
Sage eines Volkes oder einer Religio nspartei übergegangen sind ; 
was dann immer zugleich beweist, daß sie von ihrem Urheber 
nicht bloß nach eigenen Einfällen, sondern im Zusammen- 
hang mit dem Bewußtsein einer Mehrheit gebildet waren. 
Jede unhistorische Erzfthlung, wie auch immer entstanden, 
in welcher eine religiöse Gemeinschaft einen Bestandteil 
ihrer heiligen Grundlage, weil einen absoluten Ausdruck 
ihrer konstitutiven Empfindungen und Vorstellungen er- 
kennt, ist ein Mythus; und wenn die griechische Mythologie 
ein Interesse haben mag, von diesem weiteren Mythus- 
begriff einen engeren zu unterscheiden, der bewußte Er- 
dichtung ausschließt, so hat umgekehrt die kritische Theologie 
der sogenannten gläubigen gegenüber ein Interesse» alle 
diejenigen evangelischen Erzählungen, denen sie nur ideale 
Bedeutung zuerkennt, unter dem gemeinschaftlichen Begriff 
des Mythus zusammenzufassen.* 1 Ich wüßte nicht, was 
an dieser Begriffsbestimmung, die übrigens mit dem schon 
in der vierten Auflage des allen Leben» Jesu darüber Ge- 
sagten im wesentlichen übereinstimmt, auszusetzen wäre; 
es wird auch mit ihr, soviel ich sehe, von der kritischen 
Evangelienforschung seither durchweg bewußt oder un- 
bewußt operiert. 

Aber noch etwas galt es bei dieser Gelegenheit uueh 
vor der Öffentlichkeit ins reine zu bringen, sein Verhältnis 
zu Baur, über dessen epochemachende I fnleniiie.hungcn 
natürlich zu sprerhen war. Schweitzer hat ganz recht ge- 
sehen, wenn er aus einigen Äußerungen von Strauß eine 




000 



Zehntes Kapittt 



<".■.;.■ ,,('.tli'i/.U)i'i| BMVH -«'llu'II .litt'Il J ^1j 1 *! ' !: l : | 

liest 1 ). Die» persönlichen Begegnungen mit Baur in dessen 
leliUn Lebensjahren und dann sein Tod hatten ausgleichend 
und versah nend gewirkt. Du zeigen die Äußerungen kur* 
nach seinem Tode, die wir schon kennen. Nun aber war 
bei der Arbeit am Leben Jesu, wo Strauß natürlich immer 
wieder dessen Untersuchungen Initte beziehen müssen, der 
Unmut und Groll über die Art, wie ihn dieser in seinm 
Schriften behandelt hatte, wieder neu in ihm aufgestiegen; 
in seinen Briefen finden sieh zum Teil recht starke Aus- 
brüche desselben. Diesen Unmut halte ich Für durch- 
aus gerechtfertigt und bewundere vielmehr die Maßhaltung, 
die StruuB Öffentlich in seiner Abwehr gezeigt hat. Frei- 
lich traute er sich zunächst selbst nicht ganz und unter- 
breitete daher die auf Daur bezüglichen Stellen dem 
Urteil Zellers. „Mit der Art", schreibt er diesem mn 
28. November 1863, „wie ich sein Werk Über Johanne« 
einführe» wirst Du zufrieden sein; wo ich mich abwehrend 
zu ihm verhalte, habe ich mich bestrebt, zwischen dieser 
notgedrungenen Abwehr und der Liebe und Verehrung, 
die ich für ihn habe, die Mittellinie zu finden. Du darfst 
aber", fügt er hinzu. ..und ich bitte Dich darum, auch hier 
alles streichen, was Dir nicht gefüllt; ich erkenne Dich 
zwischen dem Vater und dem Freund unbedingt als den 
gerechten Schiedsrichter an." Also hat Zeller, was in dem 
Buch von Strauß über Baur zu lesen ist, als billig und 
gerecht angesehen, und dabei, denke ich. können auch wir 
uns beruhigen, wenn wir nun hören, was er denn eigentlich 
schreibt. Stullen wie die, wo er fragt, „ob nicht auch Baur 
in den Abweichungen des einen Evangelisten von dem 
andern bisweilen tendenziöse Absicht gesucht hübe, wo 
nur Ungenauigkeit, Willkür oder Zufall im Spiele «nff 
und nicht, wenn sein Vorganger {d. h. Strauß» von den drei 



') Schweitxera. a, O. 8. 19;. 



Das Leben Jesu für das deutsche Volk. 



»Ol 



ersten Evangelien au» das vierte mitunter noch zu harmlos 
genommen hüben mag, ihn» das Umgekehrte begegnet sei, 
weil er sich »eine Vorstellung von den Evangelien nn dem 
vierten gebildet hatte, die drei ersten für absichtsvoller und 
berechneter zu nehmen, als sie zu nehmen sind", — solche 
Stellen gehen über den Rahmen streng sachlicher Diskussion 
zwischen zwei Gleichberechtigten nie hl Juriau.v Scharfer klingt 
der Schluß dos Abschnitts Ober die drei ersten Evangelien: 
,,So bereitwillig ich anerkenne, daß in allen diesen (vorher 
besprochenen) Stücken ßaur zu bestimmteren Ergebnissen 
fortgeschritten ist, daß seine Untersuchungen eine not- 
wendige Ergänzung, in einzelnen Punkten wohl nuch Be- 
richtigung der meinigen gewesen sind, so augenscheinlich 
ist es, daß er damit nur fortgesetzt hat, was ich angefangen, 
nicht vorgenommen, was ich unterlassen hatte. Wenn er 
mir vorwarf, ich habe eine Kritik der evangelischen Ge- 
schichte gegeben ohne eine Kritik der Evangelien, so könnte 
ich ihm mit demselben Recht oder Unrecht das Umge- 
kehrte vorwerfen, eine Kritik der Evangelien gegeben zu 
leihen ohne oine Kritik der evangelischen Geschichte. 
Wenigstens können die allgemeinen Andeutungen, worauf 
er sich in letzterer Hinsicht beschrankt hat, unmöglich 
genügen, vielmehr erwächst gerade aus seinen Leistungen 
für die Evangclienkritik die Aufgabe, nun auch die evange- 
lische Geschichte selbst einer neuen eingehenden Kritik 
zu unterwerfen". Abor daß der Ton auch an dieser Stelle die 
Grenzen berechtigter Ab- und Notwehr — StrauÜ war ja 
der mit Namen Angegriffene — nicht überschreitet, muß jeder 
zugeben, der weiß, was wissenschaftlich debattieren heißt. Und 
daneben nun auch das andere, wie Strauß die Verdienste 
Baurs um die Evangelienkritik, vor allem um d«n Nach- 
weis der Ungeschicklichkeit des Johannesevangeliums, 
anerkennt. Da heißt es: ..Diesen Kampf aufgenommen 
und auf eine Weise durchgefochten zu haben, wie noch selten 
kritische Kampfe durchgefochten worden sind, ist der un- 




ms 



Kapital 



vergänglich» Ruhm de* verewigten Dr. Bour. MtDOfae 
Waffe hatte er von seinen Vorgängen) entlehnt, über manche 
auch selbst neu gefertigt, und alle hat er mit Geschick. 
Virlnjiwrk und Efoh.'UTlichki'il so lang» geführt, bis der 
Kampf zwar nieht vor den Richterstülüen der Theologen, 
aber vor dein der Wissenschaft zugunsten der Kritik ent- 
schieden war." Eofa denke, nach diesem versöhnlichen 
Schlußwort können wir den Fall Baur-Struuß definitiv 
verlassen. 

Auf die Einleitung folgt im ersten Buch ,,Dns Leben 
Jesu im geschichtlichen Umriß' 1 , im zweiten grrtßrrrn ,,Die 
mythische Geschichte Jesu in ihrer Entstehung und Aus- 
bildung". Diese Disposition hat mnn getadelt, Schweitzer ') 
nennt sie sogar „die denkbar unglücklichste: zuerst also 
reißt Strauß deu Efeu und die blühenden Schlinggewächse 
■. tin Kimm lirrunttT, «In mmii in /.rli ■■■■.m-iht m.il viTinndertcr 
Rinde dasteht; dann heftet er das Abgewelkte wieder an 
den Stamm und schildert die Art, Herkunft und das Wachs- 
tum jeder einzelnen Gattung". Diese Vorwürfe sind, wie 
ich glaube, nicht berechtigt. Es war ja doch derselbe Mann, 
der das erste Leben Jesu geschrieben und sich in dir 
analytisch, durch Kritik des Berichteten, den Weg zu den 
mutmaßlich historischen Kern der Geschichte Jesu gebahnt 
hatte. Diese war damals nicht als einheitliche und xu- 
zammenhdngende zur Darstellung gekommen, nur in An- 
deutungen, etwa am Schluß der einzelnen Kapitel bruch- 
stückweise vorgetragen worden. So durfte er jetzt nur 
zusammenfassen, den Andeutungen der Evangelien ober 
das Natürliche und Menschliche in ihm nur so weit nachgehen , 
um wenigstens in ungefähren Umrissen angeben zu können, 
was Jesus war und was er wollte. Das war voranzustellen, 



»V Schweitzer a. a. O. S. 192 f. und ahnlich Rot he boi Haux- 
rnth II, IQO. l'tngektihrt sogt Kuno Fischer a. a. O. 8. 110 gerade 
mit Beiiehung auf die Komposition de* Lebens Jesu: „StrauD «t 
ein Meiste im Ordnen" 1 



i i eben Jrm für diu deuUche Volk. 



609 



und dann sollte im zweiten Teil weitergegangen und gezeigt 
werden, wie die uugeschichtlichen Erzählungen über ihn 
aufgekommen seien und sich allmählich immer weiter aus- 
gebildet haben. „Als die erste Wirkung dessen, was Jesus 
war, werdon wir den in seinen Jüngern entstandenen Glauben 
an seine Auferstehung erkennen, damit aber die Vorstellung 
von ihm in eine Temperatur versetzt finden, wo sie im üppig- 
sten Wachstum zahlreiche unhis torische Schößlinge, einen 
immer wunderhafter als den andern, treiben mußte. Der 
gotlbegeieterte Davidssohn wird zum vaterlos erzeugten 
Gottessohn, der Gottessohn zum tleischgewordeuen Schopf cr- 
wort; der menschenfreundlich« Wunderarzt wird zum Tolen- 
erwecker, zum unumschränkten Herrn über die Natur und 
ihre Gesetze; der weise Volkslehrer, der den Menschen ins 
Herz schauende Prophet wird zum Allwissenden, zu Gottes 
anderem Ich; der in seiner Auferstehung zu Gott Einge- 
gangene ist auch von Gott ausgegangen, ist im Anfang bei 
Gott gewesen, und sein Erdendasein war nur eine kurze 
Episode, durch welche er sein ewiges Sein bei Gott zum 
Besten der Menschen unterbrach. Diesem Gang der Sache, 
d. h. der allmählichen Entwicklung der Vorstellungen von 
Jesu, der Bereicherung seiner Lebensgeschichte mit immer 
mehr idealen Zügen wird unsere Kritik diesmal Schritt 
für Schritt nachgehen, zuerst die Ansätze des Unhistori- 
schen bemerklich machen, dann nacheinander zeigen» wie 
sich über jeder Schicht allemal wieder eine neue gebildet 
hat, wie jede dieser Schichten nur der Niederschlag der 
jeweiligen Vorstellungen der Zeit und des Kreises, inner- 
halb deren sie sich bildete, gewesen ist, bis endlich mit dem 
johanneischen Evangelium ein Kuhepunkt eintrat, Über 
welchen hinaus eine weitere Steigerung und zugleich Ver- 
geistigung nicht mehr müglich, aber auch nicht Bedürfnis 
war." Diesen „synthetischen* 4 Gang, wie er es richtig nennt, 
dieses dem Gang der Sache selbst folgen finde ich durch- 
aus berechtigt und möglich und namentlich auch didak- 




604 



Zehntes Kapotal. 



tisch puflhioH Der Forscher für sich jjeht freilich den Um- 
gekehrleu Weg von außen noch innen, im erstem Lrbtm Jcwu 
ist ihn auch Strauß gegangen, der Darsteller, der ana „Volk" 
sich wendende Schriftsteller dagegen fuhrt ganz angemessen 
von innen, vom historischen Kern nach außen, zu der um 
sie her gelagerten Schale von Sagen und Legenden Genau 
so ist auch Hausrath in seiner „populären Bearbeitung 
seiner Vorlesungen Über Jesus und die neutestamentlichen 
Schriftsteller" verfahren, recht zum Zeichen, daß dies für 
ein Leben Jesu fürs Volk die geeignetste Anordnung ist. 
Und ebenso geben wir in der Geschichte der Philosophie 
wohl alle hei der Darstellung de» Pythagoreismus zu- 
nächst das, was von Pylhagoras historisch feststeht oder 
festzustehen scheint; erst wenn wir an den Neupytha- 
goroismus kommen, erzfihlen wir, was in der Sage aus 
diesem Wunder- und Märchenmann geworden ist, und 
niemand wird uns darob schelten und diesen Gang der 
Darstellung den denkbar unglücklichsten nennen. Was 
man tadeln könnte, ist höchstens das, daß Strauß nicht 
ganz konsequent gebliebeu ist, sondern die doch schon 
der Sage angehörigen Borichte über die Auferstehung 
und die Christuserscheinungen in das erste Buch auf- 
genommen hat. statt sie dem zweiten, der mythischen 
Geschichte gewidmeten Buch zuzuweisen. Kr rechtfertigt 
dies so: „Von der Auferstehung Jesu haben wir hei ihrer 
historischen Wichtigkeit, da ohne den Glauben an sie eiue 
christliche Gemeinde schwerlich zusammengetreten sein 
würde, schon im ersten Buch ausführlich handeln müssen. 
Wir haben die Frage, was wohl das Tatsächliche an der- 
selben sei, d. h. wie der Glaube daran unter den Jüngern 
Jesu zustande gekommen sein möge, zu beantworten ge- 
sucht.' 1 Aber just das, wie der Glaube unter den Jüngern 
zustande gekommen sei, ist die Frage nicht dea Lebens Jesu 
im ersten, sondern seiner mythischen Geschichte im zweiten 
Buch und gehört deswegen hierher und nicht schon in jenes. 



Dfcs l<*ben Jwu (üf <ta* 4«uUchft Volk. 



r,<v> 



Es rftcht sich diese Vorwegnahme auch dadurch, daß er 
auf die Mytheiigruppe von der Auferstehung und Himmel- 
fahrt im zweiten Buch doch noch einmal zurückkommen 
und so einzelnes wiederholen, vor allem aber daß er diese 
Gruppe in awei Hälften auseinanderreißon mußt«. 

Alles das gilt unter einer Voraussetzung: daß »ich das 
Lehen Jesu wirklich ,,im historischen Umriß" darstellen 
laßt. Das führt auf die Krage, wie es Strauß mit jenem 
Positiven im ersten Buch seines neuen Lebens Jesu ge- 
lungen sei- Aber zuvor ein anderes. Wie war denn Strauß 
Überhaupt zu dem Versuch gekommen, ein solche* posi- 
tives Jesusbild scha ITen und geben zu wollen ? Noch klang ihm 
die zuerst von Gustav Binder gestellte 1 ) und seitdem immer 
wiederholte Einrede in die Ohren: was denn nach all dem 
Kritisieren Historisches noch übrig bleibt»? Daniuls hatte 
Strauß die Forderung eines bestimmteren Bildes von der 
Persönlichkeit Jesu abgelehnt. Aber nur „für jetzt". In- 
zwischen war er der große Biograph geworden und halte 
am Schubart und Frischlin und Hütten gelernt, aus ver- 
gilbten Blattern heraus trotz vieler Lücken lebensvolle 
Bilder, Menschen mit Fleisch und Blut erstehen zu lassen. 
Warum sollte er, was er dort mit so viel Geschick und Glück 
geübt und gelernt hatte, nicht auch auf den gewaltigen 
Stoff des Lebens Jesu anwenden und versuchen, aus den 
zwar nicht vergilbten, aber von Anfang an durch Sage 
und Tendenz übermalten und entstellten Blattern auch 
von diesem eine wirkliche Biographie, ein nicht bloß negativ 
zersetzendes, sondern ein kritisch geläutertes positives Leben 
Jesu herzustellen? Diese Aufgabe mußte den Biographen 
reizen, der er inzwischen geworden war. Es war eine schwöre» 
aber war es eine unmögliche und unlösbare Aufgabe? Es 
galt den Versuch. Und nun also die Frage: ist er gelungen? 

Wir haben früher schon gehört, daß heute Theologen 
wie Holtzmann jedenfalls von der subjektiven Unmoglirh- 

') 8, oben I. S. «70 lt. 






606 



ZdhnU« KaplUO. 



keit Beines Gelingen* überzeugt Bind, wenn sie auch vor- 
sichtig die objektive dahingestellt »ein lassen; Hausrath 1 ) 
verneint auch diese: „um ein Lehen Jesu zu achrriben nach 
den Forderungen der Geschichtswissenschaft, dazu sind 
unsere Quellen nicht reichlich genug und tu wenig durch- 
sichtig." Und ebenso hat ucht Jahre nach dem Leben 
Jesu fürs Volk Strauß die objektive Unmöglichkeit kotV 
statiert und damit die Position vom Jahre 1804 wieder 
zurückgenommen, er hat erklärt; der Jesus der Geschichte 
ist fattgjii li ein Problem. Aber ao groß war die Differenz 
zwischen 1864 und 1872 doch nicht, wie er das In Nachwort 
zum alten und neuen Glauben mit Hecht hervorgehoben h.il 
Auch mitten im Versuch des Lebens Je&u selber war er 
sich der Schwierigkeit und der Unzulänglichkeit des Ver- 
suches wohl bewußt, so wenn er sagt: „das Ganze bleibt 
in gewissem Sinn doch immer nur ein Geweln- vmi \ 
mutungen", oder klagt; ,,über wenige große Männer der 
Geschichte sind wir so ungenügend unterrichtet". So warnt 
ihn gewissermaßen sein eigenes Daimonion vor diesem 
biographischen Abenteuer, die stille Überzeugung, daß 
eigentlich doch alle darauf verwandte Mühe vergeblich sei. 
hat er umsonst in sich bekämpft. Daher schrieb er dieses 
erste Buch auch nur mit halbem Herzen, ohne die richtige 
Stimmung dafür; und darum mußte bei der Art seiner 
Schriftstellerei, die so ganz von der Stimmung abhängig 
war, der Versuch vor allem für ihn selber unbefriedigend 
und mußte bei seiner Ehrlichkeit das Bild lückenhaft, blaß 
und schattenhaft ausfallen. Und das um so mehr, als er In 
der Hauptsache das Matthäusevangelium und seinen Aufriß 
des Lebens Jesu sich zur Vorlage nahm. Freilich so groß, 
wie manche Markusfreunde meinen, ist der Unterschied 
nicht, da sich Gewisses hier so wenig ergibt wie dort. Aber 
Ansätze wenigstens und Andeutungen für eine pragmatische 

»J Hausrath in der Vorred« zu seinem „Jesus und dis n*u- 
tesUmeutlichen Schriftsteller" I, 8. X. 



Das beben Jesu für d» deutsche Volk. 



üiü 



Entwicklung des religiösen Bewußtseins und im BowuÜl- 
i -in J. -ti liiiiirii wir bei Markit»ilcH.'.h 1 ) l Wiihr' , iidHii' hi-i MsillhaiM 
untereinander geworfen und bis sur Unkenntlichkeit rer- 
wi.se ht sind. Daher kann ein Biograph, der sich im diesen 
hält, von vornherein schon keine Biographie, keine- zusammen 
hangende Geschichte des Lebens Jesu zustande bringen. 
Und so hat denn auch Strauß mohrfach nur gewisse zu- 
sammengehörige Hauptfragen: das Verhältnis Jesu zum 
mosaischen Gesetz, seine Stellung zu den Nichlisraeliten, 
»ein Verhältnis zur Messiaside«, Schauplatz und Dauer 
seiner aiTcntlichcn Tätigkeit, seine Lehrurl, seine Wunder, 
seine Jünger, seine Reise nach Jerusalem und sein Ende 
je in besonderen Abschnitten abgehandelt und dumil 
schon äußerlich auf Zusammenhang und Kontinuität, auf 
das durchgehende Ziehen von Entwicklungslinien verzichtet. 
Ein abgerundetes Lebensbild Jesu, das niemand, uueh der 
Markushypothetiker nicht geben kann, eine Biographie Jesu 
erhalten wir also auch von Strauß nicht. 

Neuerdings aber hat man vor allem noch ein andei ■•-■ 
an diesem zweiten Leben Jesu ausgesetzt: daß Strauß, 
bestimmt und beeinflußt durch die geistige Atmosphäre 
und die religiösen Horizonte der sechziger Juhre, nur ,,den 
liberalen Jesus" gezeichnet habe, wie viele andere vor, 
neben und nach ihm, so daß dieses neue Buch eben nur 
eines geworden sei unter vielen, nicht wie das erste, eines 
vor allen. Das ist natürlich nur dann ein Vorwurf, wenn 
dieses liberale Jesusbild falsch ist. Und gerade daä wird 
von Schweitzer ') nicht nur behauptet, sondern nach seiner 
Art auch alsbald ins Maßlose übertrieben, wenn er das eine 
Mal sagt: „Eigentlich fehlt dem Strauß des zweiten Lehens 
Jesu das Recht zur Kritik des die Geschichte umbildenden 



') Auch dagegen ist Hausrnlh a.a.O. skeptisch: „Als ob 
wir eine Ahnung hatten, wie in wichen Häuptern die Gedanken »ich 
bewegen" I 

") Schweitzer a.a.O. 9. 195, 197. 




60« 



Zehnt» Kapitel. 



Evangeliums, denn er seibat tut nichts anderes, als «Jen 
synoptischen Jesu« in« Geistige deuten; er geht dabei ao 
gowaltsam zu Werke, daß man »ich fragt, wie weit w es 
i<igcntlich mit gutern Gewissen tut**; und ein anderes Mal \ 
„Durch diese gewalttätige Vergeistigung des synoptischen 
Jesus ist das Straußische Hild eigentlich viel ungRSchicht- 
Bebtf als das Renans . . So ist er in der unge^chicktm Ge- 
schirhtsmeisterung größer als der in Geschichtsmache ge- 
schickte Hivale". Und warum das? Weil er das Eschato- 
logisehe, das er im ersten Leben Jesu als das hervorragendste 
Element der Ideenwelt Jesu anerkannt und in einzelnen 
hingeworfenen Gedanken grandios zur Geltung gebracht 
habe, inzwischen vergossen und aufgegeben habe. Daß das 
über das erste Leben Jesu Behauptete nicht richtig ist, habe 
ich schon früher gezeigt l ): ein Eschatologiker war Strauß 
auch damals nicht. Aber abgesehen davon, wie steht es. 
mit der Sache selbst, d. h. mit seiner Ansicht vom Eacha- 
tologischen un Bewußtsein Jesu hier im Loben Jesu für das 
Volk? Der Schweitzersche Vorwurf ist nicht neu, glrn-h 
nach dem Erscheinen seines Buches hat man bemängelt, 
daß Strauß das Eschatologische, den Wiederkunftsgedanken 
in Jesus übersehen oder doch nicht genügend betont habe; 
so Wilhelm Lang in einer Besprechung des Buches in den 
..Grenzboten*' und Zeller in der Sybelschen historischen 
Zeitschrift. Darauf schreibt Strauß am 16. Oktober 1864 
an Lang: ,,Daß wir unsere okxidentalische Vorstellungsari 
nicht in die Orientalenwelt, der auch die neuteslament- 
lichen Persönlichkeiten noch angehören, hineintragen dürfen, 
habe auch ich mir beständig vorgesagt; aber der Brocken 
mit der Wiederkunft war nur zu stark, ich habe ihn nicht 
herunterbringen können. Zellers Vergleichung mit dem 
Unsterblichkeitsglauben unserer Zeitgenossen kann ich nicht 
gelten lassen; es handelt sich um die ungeheure Ausnaln 



') 8. oben 1, 3. 176 f 




Da* Leben Jesu für das deutsche Volk. 



809 



die in der Wiederkunftaidee liegt Ich Bilde In «Un früheren 
Reden Jesu, namentlich der Bergpredigt, einen *o utionrllrn 
Zug, daß ich ihm immer noch jene Idee nicht recht zutrauen 
kann, die in meinen Augen dein Wahnsinn ganz nahe stellt. 
Sie lassen freilieb in Hinsicht der inneren Klarheit und Buhe 
mit Jesu später eine Veränderung vorgehen; wobei aber 
das Zusammentreffen mit Renana Darstellung gewiß Sie 
selbst beunruhigen wird." So bleibt er bei dem, was er im 
Abschnitt über die messiuiiischc Wiederkunft gesagt hat: 
„Dergleichen von sich selbst erwarten, ist noch etwas ganz 
anderes, als es im allgemeinen nur erwarten, und wer es 
von sich und für sich erwartet, der will uns nicht allein als 
Schwärmer erscheinen, sondern wir sehen auch eine unerlaubte 
Selbstüberhebung darin, wenn ein Mensch (und nur von 
ciniuii solchen reden wir hier durchaus) sich einfallet! liißl. 
eich so von allen Übrigen auszunehmen, daß er sich ÜUWfl 
als künftigen Richter gegenüberstellt; wobei insbesondere 
Jesus ganz vergessen haben müßte, wie er einst das Prädikat 
gut als ein Gott allein zukommendes abgelehnt hatte." 
Wer Schweitzers eschatologisohes Jesusbild kennt, der 
wird Strauß recht geben müssen: das ist nicht die Ideen- 
welt eines gesunden, sondern eines pathologischen, geistes- 
kranken Menschen. Strauß hat acht Jahre spater diesen 
..Brocken" allerdings doch noch verschluckt und im allen 
und nouon Glauben eben darum das Schwärmerische 1 ) 



■) Übrigens hat er das Wort „Schwärmer" gerade um dieses 
eschutolotfscheu Gedankenkreis« willen schon im ersten Leben Jesu, 
1. Aufl., I, 8. W P r.u brauchen sich nir.hi K**nch«nit. Es heißt <ht: 
„Wer dii-M" \riMchl von dem Hinterjrrunde- «1*"» iihxm.i machen IMinifi 
Jesu bloß deswegen scheut, weil er durch dieselbe Jcmiiih tum ftchw.innur 
xu machen glwubt, der bedenkt*, wie genau die**- Hoffnungen den lang- 
gehegten Most, iuabegri (Ten der Juden unUprochmi, und wie laicht auf 
dem supranaturAliMisf.hon Boden jener Zelt und In dem abgeschlossenen 
Kreis« der jüdischen Nation eine für sich obontcuerlicho Vorstellung, 
wenn sie nur Natlonolvorstellung war und sonst wahre und tcroOurUg» 
Seiten bot. auch einen besonnenen Manu in sich hineinziehen könnt*-" 




BIO 



Zehnte* KapileL 



in Jesus starker betont; weicht- K.on»oquea»n er über daraus 
gesogen hat, werden wir dann auch hören. Die „konse- 
quent eschatologisehe Anschauung* 4 wtirdc er aber selbst 
•l.nnals als eine Einseitigkeit abgelehnt haben, weil sie 
ihm eben nur den halben, nicht den ganzen Jesus ver- 
siäncQkfa gemacht hatte. Auch das Helle und Rttsond 
das Humane und Menschliche, das Heitere und Ungebrochen*, 
das Hellenische oder modern ausgedrückt: das Apollinische 
gehört mit s\i Jesu Natur und Wesen: das bezeugen dir 
Qunllon doch neben dem Eschatologischen ebenso deutli 
warum sollte man ihnen darin den Glauben versagen, wenn 
man den Brocken mit der Wiederkunft so kritiklos ver- 
schluckt? Solchen Stellen muß die rein eschatologisehe 
Konstruktion des Lebens Jesu Ohle (miwiiU niil.un, Schweit- 
zer hat ihnen solche angetan. Strauß dagegen hat schon 
den Gedanken, daß in Jesus ein Bruch stattgefunden habe 
und er durch schwere innere Kfimpfu hindurchgegangen 
sei, im Leben Jesu für das Volk abgelehnt; davon, meinte 
er, müßten doch „die Narben für alle Zeiten, etwas Harte«, 
Herbes, Düsteres in ihm nachgeblieben sein", und davon 
finde sich in seiner Art und in seinen Reden keine Spur; 
IV sei vielmehr als ..eine schöne Natur von Haus aus" 
211 denken. 

Daß Strauß Jesus damit nicht ganz gerecht geworden 
ist, halte auch ich für wahrscheinlich. Er hat der orientali- 
schen Vorstellungsart doch zu wenig Konzessionen gemankl 
und hat Ober jener hellen Seite die dunkle, das Genial- 
Dörnonische oder wiederum modern ausgedrückt, die dionysi- 




Man beachte, wio noch dieser Stelle diu «bonleuorllcho Vorstellung 
eines in den Wolken de* Himmels zum Oericht* kommenden Mensrhen- 
sohnes nur als „Nationalvorstellung" den sonst „besonnenen" Jesus 
„in sieh hineinriehen* 1 konnte und durchaus nur den „Hintergrund" 
(■«Ines me&sianischen BewuUUein? bildete. Escbatologiker ist Strauß 
ehen mich damak nicht gewesen. Vgl. übrigens do»u jetzt auch Haus- 
ralh a. n. 0. 1 S. 78 ff. 



Das l^lwn Jesu für da» deutliche Volk. 



611 



sehe l/nterstroraung in Jesus offenbar nicht genügend 
anerkannt. Das ist ein Mangel seine» damaligen Jefrusbildes. 

Um-m- ihl wirklii'h /.u hidl :m-^ ■ f fall ■ n (Ins Kat.ionellc und 
Ideelle, das Humane und Apollinische dominiert, in der 
Vergeistigung ist des Guten zu viel getan. Freilich hat eich 
Strauß dadurch auch von der psychologischen Ungeheuer- 
lichkeit fern- und freigehalten, die uns die modernen Esehato- 
logiker zumuten mochten und zumuten müssen; in jenem 
Hüllen und Humanen, das nach den Quellen eben doch 
auch da war, nur das zu sehen, was sie , .Interimsethik" 
nennen, womit es Jesus also gar nicht sonderlich ernst sein 
konnte und das darum diese Theologen auch gar nicht 
sonderlich hoch stellen können. Nein, auch damit war es 
Jesus voller Ernst, mit diesem aus der Enge des Judentums 
in die Weite einer Welt hinausschrnitondon Geistigen und 
Vergeistigten, und das wurde gleich nach seinem Tode in 
seiner Stiftung Hauptsache und Kern: damit und nicht 
mit jenem esohatologischen Düster und Dunkel hat seine 
Sache die Welt gewonnen und die Welt erobert. Darum 
hat Strauß recht, es als ein wahrscheinlich — denn 
Über ein „wahrscheinlich" kommen wir nirgends hinaus, 
auch das Eschatologische ist nur wahrscheinlich — er hat 
recht, es als ein in ihm wahrscheinlich Vorhandenes stark 
zu betonen und in den Vordergrund zu stellen. Aber das 
andere, das Dunkle und Bodenständige, das Nationale und 
zeitlich Beschränkte, das Chaotische und Mystische war — 
wahrscheinlich — auch da, und das von seinem damaligen 
Jesusbild fast ganz ausgeschlossen zu haben, war ein Mangel 
des Buches, wie es das Mangelhafte in dem liberalen 
Jesusbdd überhaupt ist. Nur freilich, wie wir die beiden 
Elemente in einem Bilde zu voreinigen haben, das weiß 
niemand. Nicht weil es zwei sich widersprechende Seiten 
sind: jeder große Mensch ist widcrspmc.hHvriU, nur die ganz 
Trivialen und Banalen sind widerspruchsfrei und ohne 
irrationalen Rest; sondern deswegen, weil die Quellen gerade 




612 



Zehnt« Kapitel. 



das Eschalologische ganz besondere kontaminiert und 
früherer und spaterer Apokalyplik vermengt und beschwert 
haben und uns nur ein unvermitteltes Nebeneinander zeigen, 
über die psychologische Vermittlung und Vereinbarkeit 
aber keinen irgendwie genugenden Aufschluß, nicht einmal 
Anhaltspunkte dafür geben. Der Jesus der Geschichte ist 
eben lediglich ein Problem. Diesen Satz von Strauß haben 
die Wrede und die Schweitzer vollauf bestätigt. 

Man hat jenen Mangel in dorn Straußschen Lebensbild 
übrigens auch dann begründet gefunden, daß Strauß keine 
religiöse Natur goweeen sei und schon deshalb einen Kcligions- 
Stifter nicht hübe verstehen können. Noch einmal: als oh 
ihn auch der Frömmste aus historisch so schlechten Quellen 
herausholen und nachzeichnen könnte. Wer von all den 
Frommen alter und neuer Zeit hat uns denn ein Lebensbild 
Jesu geschallen. das vor der Wissenschaft standhalten kann ? 
Wenn Frömmigkeit das ist, womit ein haltbares lieben J« n 
geschrieben werden kann, so ist kein Verfasser eine» Lehens 
Jesu — fromm gewesen- Und dann: keine religiös« Pereön- 
lichkeit! Doch hissen wir das, rs kommt, uns hier noch nu 
mal zu früh. Wahr ist nur, daß Strauß den Standpunkt der 
,, Friedlichen Blatter", wonach Jesus innerhalb des religiösen 
Gebietes und damit überhaupt das Höchste erreicht habe, 
worüber keine Zukunft je hinauskommen könne, daß er diesen 
Standpunkt allerdings inzwischen preisgegeben hat. „Jeder 
sittlich hervorragende Mensch, joder große Denker, der das 
handelnde Wesen des Menschen zum Gegenstände seines 
Forschen» machte, hat in engeren oder weiteren Kreisen 
geholfen, die Idee menschlicher Vollkommenheit zu be- 
richtigen, zu ergänzen, weiterzubilden.' 1 Damit stellt or 
Jesus hinein in einen weiten Kreis von Genossen; aber, 
fügt er hinzu, ,, unter diesen Fortbildnern des MeriM-hrn 
ideals steht Jesus in erster Linie. Kr hat Züge in dasselbe 
eingeführt, die ihm vorher fehlten oder doch unentwickelt 
geblichen waren; andere beschränkt, die seiner allgemeinen 



Das Leben Josu für dw douUcho Volk. 



MB 



Gültigkeit im Wege standen; hat demselben durch die 
religiöse Fassung, die er ihm gab, eine höhere Weihe, durch 
die Verkörperung in seiner eigenen Person die lebendigste 
Wflrme gegeben, während die Religionsgesellschaft, die 
von ihm ausging, diesem Ideale die weiteste Verbreitung 
unter der Menschheit verschaffte' 4 . Daß das Worte sind, 
die Strauüens „Unfähigkeit, religiöse Charaktere bu ver- 
stehen" *), beweisen, kann ich nicht sehen. Die Leute der 
christlichen Welt möchten ja freib'ch uns „Ungläubige" 
immer wieder auf unsere Legitimation hin prüfen und uns 
das Recht, in rebgiösen Fragen mitzureden, am liebsten 
wegen mangelnder Legitimationspapiere entziehen. Aber 
riii'T von ihnen, Max Rcischle 1 ), hat doch gemeint, daß es 
für den Religionsphilosophen und Religionshistoriker ge- 
nüge, die religiösen Erlebnisse anderer „hypothetisch nachzu- 
erleben 11 . Und dieses verständnisvolle Ginloben in andere 
sollte Strauß, dem Biographen von Schubart oder Frischlin 
oder Hütten, hier bei Jesus ganz gefehlt haben? Das glaube, 
wer mag. Wernle hat unlängst in der theologischen Literatur- 
zeitung*) gesagt: „Wir haben uns langst daran gewöhnt, 
daß jeder Jesusdarsteller bei aller kritischen Vorsicht uns 
das gibt, was er nach seiner besonderen Gnbe an Josus 
heraushört und sieht." Das wird auch für Strauß gelten. 
Er liebte das Humane, das Helle und Rationale, er liebte 
ps auch an Jesus, und weil er über niemand schreiben konnte, 
den er nicht liebte, so hörte und sali er eben diese Seite 
an ihm, die er liebte, heraus und rückte sie in den Vorder- 
grund. So wurde es freilich kein Lebensbild, das alle befriedigt 
hatte. Aber das gilt von allen andern Lebensbildern Jesu 
genau ebenso. Und der Grund davon ist doch immer wieder 
in den Quellen zu suchen, die eine wirkliche Biographie 

') Rok a.a.O. & 205. 

■) Max Reischle, Die Frag« »ach dem Wesen der Religion. 1889. 
■) Nr. 19 des Inufonden Jabrgnn^s (tM**) vom 12. Soptembor. 
Ähnlich auch H-iusrath a. 3. O. !, S. XU. 

TV zwim, n it. Mr»o. it. 40 




614 



ZthnXm Kapitel. 



Jesu iu einem Ding der Unmöglichkeit machen. An diw*r 
Unlösbarkeit der Aufgabe ist eben nuch Strauß gescheiter!. 
Aber iii*i--It fehlt uns der dritte Teil des Werkes, die 
mythische Geschichte Jesu in ihrer Entstehung und Aus- 
bildung. Das war seine alte Dom&ne, nichts anderes als eine- 
Rekapitulation der Arbeit des ersten Lebens Jesu. Deswegen 
fühlte er sich hier ganz wieder in seinem Element- Wenn 
er bis zu den Erzählungen vorn Tode Jesu sein Fuhrwerk — 
in der stillen Überzeugung, daß seine Arbeit bis dahin doch 
eigentlich vergeblich gewesen sei — nur mühsam und langsam 
bergauf geschoben hatte, so fand er sich nun auf der Höhe. 
Schon innerhalb des ersten Buchen, mit der Au f ernten ungs- 
geschichte senkte sich die Straße, von da ab rollte sein 
Wägeleiu rasch and lustig bergab; und er hat ganz recht, 
wenn er nieint, es müßte seltsam zugegangen sein, wenn 
man hier die muntere Stimmung des Verfassers nicht auch 
seiner Schreibart angemerkt hatte. Wie spielend wird er 
der apologetischen Künsteleien und Flunkereien Herr, mit 
denen man ja gerade auch seinem früheren Werk gegenober 
den Brand hattelöschen und das bedrohte Gebäude hatte retten 
v.. »Heu Je mehr er sich an solchen Schriften den Magen ver- 
dorben hatte, desto mehr war es ihm nun eine Lust, diese 
theologischen Apologeten zu zausen und sich mit ihnen zu 
raufen. Der alte Kampfesmut war wieder in ihm erwaclit. 
Man höre nur ein Beispiel, die Geschichte von der Aufer- 
weckung des Lazarus. Da heißt es: ,, Maßgebend ist auch hier 
fflr die neuere Theologenschaft die Haltung Schleiermachers 
gewesen. Die beiden Toten, von deren Erweckung durch 
Jesus uns die Synoptiker erzählen, hatte Schleiennacher 
ohne weiteres als Scheintote gefaßt. Aber Lazarus lag schon 
den vierten Tag im Grabe. Da konnte freilich die Verwesung 
bereits ihren Anfang genommen haben. Aber sie mußte et 
nicht, meint Schleiermacher; die Äußerung der Martha 
sei lediglich ihre Vermutung. Jedenfalls schreibe Jesus 
dieses Wunder nicht sich als eigne Tat zu, wie man es freilich 



Da? Leben Jesu für don deutsche Volk. 



BU 



auch nicht denken könne, ohne durch einen solchen schöpferi- 
schen Akt »eine menschliche Lebeusemheit zu zerreißen; 
sondern er erbitte es von Gott und verdanke ea diesem als 
dessen unmittelbare Tat. Was heißt nun das in ehrlichem 
Deutsch ? Auch Lazarus ist, obwohl der Fall bei der längeren 
Seit, diu er schon in der Gruft gclegwi hntlr, ein minder 
gewöhnlicher war, bloß scheintot gewesen, und daß gerade 
Jesus die Veranlassung seiner Wiederbelebung wurde, war 
ein Zufall» in welchem die höhere Fügung nicht zu verkennen 
ist. Jetzt begreifen wir erst, wie Schleiermachor sagen 
konnte, die Geschichte von Lazarus habe keinen großen 
didaktischen Wert So wie er sie faßt, hat sie vielmehr gar 
keinen. Auf das Nähere, wie der johanneischen Erzählung 
zufolge Jesus sich bei der Sache benahm, hat sich Schleier- 
macher klüglich nicht eingelassen. Und doch muß man 
notwendig fragen: wenn es nur der Zufall war, nur die un- 
wahrscheinliche Möglichkeit, daß der schon vier Tage be- 
grabene Lazarus vielleicht bloß scheintot sein könnte, worauf 
Jesus rechnete, wie konnte er schon in der Entfernung, 
wie noch am Grabe selbst Reden führen, die als leeres Ge- 
flunker erscheinen, wenn nicht die Gewißheit, seinen Freund 
den Seinigen lebendig wiedergeben zu können, dahinter stand ? 
Man müsse, sagt (Alex.) Schweizer, die ganze pragmatische 
und psychische Lage Jesu in Betracht ziehen. Er war in 
jenem Zeitpunkt, nachdem er vor den Verfolgungen der 
Machthaber in Jerusalem nach Perfia gewichen war, in 
gedrückterer Lageal9 jemals vorher. Dabei war sein messiaiü- 
sches Bewußtsein ungeschwacht. Was mußte da das Er- 
gebnis sein? 1 ) Die zuversichtlichste Hoffnung, antwortet 

') Anmerkung von Strauß: „Das sind Potenzen", »etzt Schwetttr 
mit deutlicher Beziehung nuf don gegenwärtigen Verfn&sur hinzu, 
„welche ein Lehen Jesu auffinden und nU Schlüssel zum WrMnndnii 
einzelner Taten benutzen mufl, ehe es den Namen eines Leben* Jesu 
verdienen will." Sehr wohl, erwidert der Vorlasaer, wenn erst die 
angeblichen Taten kritisch festgestellt sind. Vorher, der bloßen Legend* 
gegenüber, ist der pavehotogiache Pragmatismus übet ang^bnchL 

4P 




ua 



ZehoUs Kapitel 



Schweizer, daß ihn Gott in solcher Lage nicht im Stich« 
lassen werde. f .D<'rnji»nigen'\ erläutert Hase (denn es wascht 
hier immer eine Hand die andere), „vordem JairuV Tochter 
aus ihrom Scheintod erwacht war, mochte der Wunsch «ur 
Ahnung oder in umtut Rt-drimtfiiis zum kühnen Vertrauen 
werden, daO hier, wo seine individuelle Neigung mit der 
WrhnrrUchung dos Gottesreichs zusammenfiel, Gott sein 
Gebet um das Leben dessen, den er liebte, erhören word 
Entspricht alsdann, fahrt wieder Schweizer fort, solcher 
Zuversicht ein äußeres Ereignis, das an sich kein eigentlich» h 
Wunder ist, so entsteht dennoch ein Wunder, nAmlich dn* 
des gerechtfertigten Gottvertrauens. So ist hier das Wunder 
nicht die Wiederkehr des nur zurückgetretenen Leben* an 
sich, sondern das Zusammentreten derselben mit Jesu 
Zuversicht und der Eröffnung des Felsengrabs auf seinen 
Befehl. Warum soll denn, schließt der ästhetisch gebildete 
Theologe, im Leben Jesu nicht wenigstens einigemal ein 
auffallender Erfolg seiner kühnen Zuversicht entsprochi 
haben, wenn doch etwas jenem Dichterworte zugrunde 
hegt: Es gibt im Menschenlehen Augenblicke usw.? Dm 
ist die rechte Hohe, wenn die Theologie sich mit modernen 
Dichterfedern putzt, die sie dann sicher allemal unrocht 
anbringt. So bedenkt sie hier nicht, wie übel dem Helden, 
der jene Worte spricht, die falsche Anwendung der darin 
enthaltenen Wahrheit bekommt. Der erste, der ihm am 
anderen Morgen mit einem IJebeszeichcn entgegenkomme, 
hatte er willkürlich bei sich festgesetzt, müsse sein Ireuester 
Freund sein: und gerade der wurde sein Verräter. Di 
Freund, den er gestorben fand, müsse, so wahr Gott ihn 
nicht im Stich lassen könne, nicht wirklich tot sein, sondern 
auf seinen Ruf ins Lehen zurückkehren, das hatte sich Jesus 
hier in den Kopf gesetzt, und einem so rasenden Einfall 
hätte der Erfolg entsprechen sollen. Eine solche Erklärung, 
bemerkt Ebrard mit vollem Rocht, wonach der Herr auf 
die vermessenste Weise Gott versucht haben würde, enthalte 



Das Loben Jesu für das deuUche Volk. 



617 



zehnmal mehr Unbegreiflichkeiten, als zwanzig Kritiker in 
dem evangelischen Bericht xu Anden vermögen Dies ist 
nur zu wenig gesagt; es hätte vielmehr gesagt werden müssen, 
sie schände Jos um so sehr, wie nur jemals Naturalisten und 
Spötter ihn geschändet haben." 

Daß die so Getroffenen, unter denen an anderen Stellen 
namentlich Ewald schlecht wegkommt, das Buch wie mit 
Gift und Galle getränkt empfanden, war ihr gutes Recht, 
Wir unbeteiligten Zuschauer aber werden davon nichts 
bemerken, sondern vielmehr konstatieren müssen, daß Logik, 
gesunder Menschenverstand und guto Laune hier sieghafte 
Schlachten geschlagen haben. Überall zeigt »ich die alte 
Souveränität und der alle Scharfsinn in der Aufdeckung 
von Schwierigkeiten bei den Berichterstattern und in dem 
Nachweis der Unverträglichkeit ihrer Angaben und derUnhalt- 
barkeit ilirer Ausgleichung durch die Theologen. Was Well- 
hausen als der Berufensten einer dem alten Leben Jesu nach- 
rüliiut 1 ), gilt ebenso auch von diesem dritten 13 uch desspäteren: 
„Es ist ein synoptischer Kommentar zu den vier Evangelien. 
Strauß zeigt sich darin als höchst sorgfältigen Exegeten. 
mit dem sich wenige messen können. Und vor allem glänzt 
er durch die nicht leichte und jetzt ziemlich selten gewordene 
Kunst zu referieren; es gibt nichts Besseres als seine Über- 
sichten über die Berichte der verschiedenen Evangelisten, 
mit der klaren Nachzeichnung der Linien und der treffenden 
Hervorhebung der Punkte, worauf es bei der Vergleichung 
ankommt. Er Läßt sich Zeit und bricht nichts über das Knie. 
In der Kritik ist er sehr ausführlich und bei der Aueeinander- 
setzung mit Gegnern, selbst mit gering geschätzten, äußerst 
gewissenhaft; jeden Anflug von Frivolität sucht er zu ver- 
meiden." Oder sollte man auch jetzt wieder oder jetzt noch 
seinen Spott über die Geschichte vom Einzug in Jerusalem 



») J. Wellhausen, SlrauD* Leben Jesu, in der Beilage rur 
AllKumcinon Zeitung vom 24. Mar* 1908. 



818 



Zehntes KopiUL 




und vom Reiten Jesu auf zwei Eseln für frivol hallen wollen. 
wenn er schreibt ; „Wenn Matthäus erzählt, diu beiden von 
Jesu nach Bclhphage gesandten Jünger haben nach &< 
Anweisung von da eine Eselin mit ihrem Füllen gebracht» 
auf beide Tiere ihre Kleider gebreitet und Jeeum darauf 
geseilt, so steht uns, wenn wir uns denken sollen, wie Jesus 
auf den beiden Tieren zugleich geritten sei, der Verstand still 
und kommt nicht eher wieder in Gang, als bis wir die von 
dem Evangelisten zitierte Stolle des Zacharias genauer an- 
sehen'* ? Zugleich zeigt uns dieses Zitat, wie er, wie im ersten 
Leben Jesu, durchaus an richtiger Stelle für die Erklärung 
solcher Erzählungen altte&tamenUiche Parallelen, hte ein 
mißverstandenes Prophetenwort, verwendet- Der alt« 
Schlüssel funktionierte noch immer und wurde womöglich 
noch virtuoser und graziöser und zugleich mit mehr Zurück- 
haltung und Differenzierung gehandhabt als das erstemal. 

So verdankt die neulestamenlliche Forschung und 
Kritik auch dem zweiten Leben Jesu von Strauß oine Füll« 
von Licht und Belehrung im einzelnen. Man sehe nur zu, 
wie oft es zitiert und mit Zustimmung zitiert und wie oft e* 
ohne Erwfihnung benützt wird. Aber die Wirkung dos 
Buches im ganzen war trotz alledem keine durchschlagende 
und epochemachende, kurz gesagt deswegen nicht, weil es in 
der Einleitung auf den Schultern der Baurschen Schult* 
stand und wenn auch frei und selbständig, doch nicht original 
ihre Resultate wiederholte; im zweiten Teil (dem ersten 
Buch) die unlösbare Aufgabe einer positiven Darstellung 
auch seinerseits nicht lösen konnte; und endlich weil irn 
dritten Teil das Beste schon 29 Jahre zuvor von Strauß 
selbst vorweggenommen und gesagt war; wer nicht genauer 
zusah, konnte den Eindruck bekommen, als ob er sich 
wiederhole. Es ist eines der besten Leben Jesu, die wir 
haben, aber nicht mehr; es ist wirklich eines unter vielen. 

Strauß war mit diesem Buch wieder ganz in seinem, 
dem theologischen Fahrwasser, nun läßt er sein Schi {Hein 



Das Leben Jesu für du« dflutAChe Volk. 



619 



flott darin weiter schwimmen. Da war es ein eigentümliches 
Zusammentreffen, daß im selbon Jahr wie sein Leben Jesu 
endlich auch die Vorlesungen Schlciermachers Ober das 
Leben Jesu, von Rutenik herausgegeben, im Druck er- 
schienen. Gewiß hat Strauß rocht, wenn or meint: „Ware 
nicht im Jahre nach Schleiermochcrs Tode mein Leben Jesu 
herausgekommen, so würde das seinige nicht so lange im 
Versteck gehalten worden sein. Bis zu diesem Zeitpunkte 
wäre es von der theologischen Welt wie ein Heiland emp- 
fangen wordeu, aber für die Wunden, die jenes Werk der 
bisherigen Theologie schlug, hatte das Sohleiermachcrscho 
weder Heilkruut noch Verband, ja es zeigte seinen Urheber 
vielfach mitschuldig an dem Unheil, das, von ihm tropfen- 
weise eingelassen, jetzt seiner Vorsichtsmaßregeln spottend 
in Strömen hereingebrochen wur." Aber ihm kam es in 
diesem Augenblick nicht zu spät. Wohl hatte er Nachschriften 
von diesen Vorlesungen Schloiermachcrs schon vor der ersten 
und so auch jetzt wieder bei der neuen Bearbeitung desselben 
Gegenstandes vor sich gehabt, sie benutzt und vor allem 
scharf dagegen polemisiert, wie wir oben an einem Beispiel 
gesehen haben. Aber eben jetzt, wo er mit seinem Leben 
Jesu fertig war, kam ihm dieses Erscheinen vor der Öffent- 
lichkeit doch ganz besonders erwünscht. Es mochten doch 
manche dieses Benutzen von Nachschriften und das Urteilen 
darüber anstößig gefunden und gesägt haben, mit unge- 
druckten Heften zu kämpfen, sei leicht, da könne man über- 
gehen, was man nicht zu widerlegen wisse, ohne daß eine 
Kontrolle möglich sei. Und überdies, wie er seinem Leben 
Jesu die Auseinandersetzung mit dem ältesten seiner deut- 
schen Vorgänger, mit Rcimarus, vorausgeschickt hatte, so 
fühlte er doppelt das Bedürfnis, sich nun auch mit dem großen 
Theologen des neunzehnten Jahrhundert*, der zuletzt noch, 
unmittelbar vor dem Erscheinen seinen ersten Werkes, im 
den Vorlesungen vom Jahre 1832 zu dem Gegenstand das Wort 
genommen hatte, in einer besonderen Schrift ouseinamh-r- 




IWH 



Zehnt« Kapitel 



zusetzen. Und so sehen wir ihn denn im Korbst i£6'« mit 
einer ausführlichen Kritik desselben beschäftigt, die ab 
Broschüre erscheinen sollt*. „E* war mir**, «hreibt er an 
VV. Lang, „allzu einladend, mich mit dem intercssuntfto 
Buch Schritt fUr Schritt auseinander tu aelzen und dabei 
eine Menge wichtiger Punkte noch ausdrücklicher als in 
meinem Buche zu erläutern." Kr hatte sich dazu durch die 
Lektüre der vier Bände Schleiormacberscher Briefe vor- 
bereitet und dabei noch einmal seine Stellung zu ihm einer 
Revision unterzogen. Das Resultat war, daß er ..daraus 
teils überhaupt einen großen Respekt vor des Manne« emi- 
nenter Geisteskraft und Charakterstärke, teils die Über- 
zeugung gewann, daß seine religiöse Stellung im allge- 
meinen wirkliche Idiosynkrasie war; was natürlich nicht 
ausschließt , daß er im einzelnen oft sich und andere wenigstens 
mit halbem Wissen täuschte 1 *. Jener Respekl hielt ihn aber 
um so weniger ab, an soinom nunmehr erschienenen Leben 
Jesu die schärfste Kritik zu üben, als diese Vorlesungen 
nicht auf der vollen Höhe des Schleierraacherechen Geiste» 
standen und diesen in starker Abhängigkeit und in engstem 
Zusammenhang mit dem Rationalismus zeigen. Die Schrift 
erschien zu Anfang des Jahres 1865 unter dem Titel „Der 
Christus des Glaubens und der Jesus der Geschichte". 

NachdemStrauß zuerst gezeigt, daß HerrRutenik nicht der 
Mann gewesen sei, um , .einen Tänzer in voller Bewegung zu 
photographieren", ein freies und befreiendos Verfahren mit 
dem ihm vorliegenden Vorlesungsmaterial von ihm also nicht 
zu erwarten sei, geht er Schleiermacher selbst zu Leibe. 
Dreierlei ist es, was er an seiner Bearbeitung des Lebens Jesu 
auszusetzen hat. Erstens daß Schleiermaoher an der Echtheit 
des Johannesevangeliums festhält und sich damit seine Dar- 
stellung vom Leben des Jesus der Geschichte unnötigerschwert, 
eine solche geradezu unmöglich macht. Der zweite Vorwurf 
ist» Schleiermacher sei hier über den Rationalismus mit 
seinen oxngiitiöchen VorgnwaHigungskünsten nicht hinaus- 



Das Leben Jesu für da* deuttche Volk. 



621 



gekommen oder doch immer wieder in ihn zurückgefallen; 
von der Paulusschen Schrifterklärung sei die semige, soweit 
sie das Wunderhafto in der Schrift angeht, nur durch etwas 
mehr Geist und Feinheit unterschieden, und an Hauptpunkten 
wio der Auferstehuugsgeschichte verschwinde auch dieser 
Unterschied bis zum Unmerklichen. Eben an diesen Haupt- 
punkten der evangelischen Geschichte weist er dies im ein- 
zelnen nach, besonders eingehend und schlagend an der 
Auferstehungsgeschichte, der gegenüber Schleiermacher ein 
unklares Schwanken zwischen Ebiomtismus und Doketismus. 
zwischen vollkommener Natürlichkeit und mysteriösem Ge- 
speusterspukdoch nicht überwunden habe A her dasebioni tisch 
Natürliche schlage vor, und dabei sehe er sich „von den 
Qahrdtiscb-Venturinischen ') Fratzen immer wieder ange- 
grinst/ 1 Diese rationalistische Deutung neutestaimullicher 
ErzahlungenhaUcStraußschoninseinem Aufsatz von 1839 über 
..Schleiermacher und Daub" dem großen Berliner Theologen 
unter Berufung auf seine Schrift über Lukas zum Vorwurf 
machen können; jetzt führt er diesen Nachweis durch das 
Ganze durch. So wurde die Schrift über den Jesus der 
Geschichte nachträglich noch einmal zu einer gründlichen 
Aaseinandersetzung mit dem alten Gegner von 1835. Wir 
erinnern uns, unter den Streitschriften dor dreißiger Jahre 
fehlte eine — gegen den Rationalismus; jetzt kommt sie nach- 
träglich doch noch, es ist die Kritik des Schleiermac herschen 
Lebens Jesu. Aber Schleiermacher war nicht bloß rationa- 
listischer Iüxeget, or war auch Dogmatiker. Und da woist ihm 
nun Strauß zum dritten nach, wie er mit den Voraussetzungen 
seiner Glaubenslehre und speziell seiner mehr an Kant uud 
Spinoza als an Hegel orientierten Christologio an die Ge- 
schichte heruntritt und ihre Kategorien in sie hineintragt. 

') Bahr dt dos orifont tcrrlbL 1 der deutschen Aufklarung: Wu 
lurinis natürliche Gmchichte de* großen ProphcUn von Nazaroth 
(1800) nach Schweitwr ■ a. 0- S. 47 »och haut« Quelle fOr alle Loben« 
Jttu-Roiiiuiin. 



622 




„Meine Philosophie", hat Schln-n i.u'her einmal gefragt, 
„und meine Dogmatik sind fest entschlossen, »ch nicht tu 
widersprechen; ober oben deshalb wollen beide aucli niemals 
Fertig sein, und solange ich denken aben sie immer 

gegenseitig aneinander gestimmt und sich auch immer mehr 
angruahort." Fest entschlossen, sich als Dogmutikcr nicht 
zu widersprechen, konnte er sich freilich als Histo- 
riker nirgends auf den Standpunkt der reinen, voraus- 
setzungslosen Wissenschaft stellen, am wimigsten in der 
Darstellung des Lebens Jesu. Von dem Begriff der Unsund- 
lichkeit und Urbüdlichkeit. der stetigen Kraftigkeit de* 
GottesbewußUeius als einem ..eigentlichen" Sein Gottes in 
Christo ging er aus; in Christus als dem Gegenstand unsere« 
Glaubens sollte, seiner vollständigen Menschheit unbeschadet, 
gunz anders als in allen übrigen Menschen das Gottesbewuüt- 
sein in jedem Augenblick seines Lebens das ■< M» ■< Mliin 
Bestimmende, das sinnliche Bewußtsein durchaus das wider- 
standslos Beherrschte gewesen 6ein. Durch diese Formeln 
sollte der Jesus der Geschichte mit dem Christus des Glaubens 
in eins gesetzt, ergänzt und korrigiert und so Wissenschaft 
und Glauben. Geschichte und Dogma miteinander vereinigt 
und aufeinander „gestimmt 4 * werden. Das ist jenes Schweben 
und Oszillieren zwischen zwei unvereinbaren Standpunkt« n. 
die aber — es ist das bei diesem seltenen Menschen das Merk 
würdigste — in ihm wirklich vereinigt waren und geradezu 
„die ganze Fülle seines irdischen Lebens ausmachten". 
Er war, wie er an Jacobi schrieb, „mit dem Verstand ein 
Philosoph und mit dem Gefühle ganz ein Frommer* 1 ; das 
konnte schon der Redner über die Religion sagen; der Ver- 
fasser der Glaubenslehre lügt noch hinzu: „und zwar als 
solcher ein Christ". So entsprach jenes Schweben und 
Oszillieren freilich durchaus den zwei Seiten in Schleier- 
machers Natur. Oder anders ausgedrückt: er war in der 
Christologie Supranaturalist, in der Kritik und Exegese 
Rationalist. Er fohlte diesen Widerspruch, er ahnte, dir Gefahr, 




die darin lag; daher die emsige, fast Ängstliche Geschäftigkeit 
»eines an Hilfsquellen so reichen Geistes, zwischen beiden 
Teilen Frieden zu stiften, den geglaubten Christus dem 
Denken annehmbar» das Denken wenigstens in diesem einen 
Punkte dem Glauben fügsam zu machen, wobei es ihm, bei 
allem Ernst im allgemeinen, auf etwas Sophisterei im ein- 
zelnen nicht ankam. Es war ein unvergleichliches Virtuoscn- 
kunstslück, dieser Tanz zwischen den Eiern des Glaubens 
und den Messern dor Philosophie. Allein von zwei so ver- 
schiedenen Standpunkten aus, dem gläubig-dogmatischen 
einerseits, dem wissenschaftlich-kritischen andererseits, ein 
haltbaren Bild von Jesus, ein einheitliches Ganzes zu ge- 
stalten, datu war auch seine Kunst zu schwach- Er hatte 
zu Anfang seines Lebens Jesu versprochen, ohne dogma- 
tische Voraussetzungen zu Werke gehen zu wollen; aber 
er hielt nicht Wort, er hat sich zwar von manchen, aber nicht 
von allen Fesseln des kirchlichen Vorurteils freigemacht. 
„Wenn die rechtgläubigen Theologen vor ihm den Gefährten 
des Odysseus glichen, die sich gegen die Sirenenstimmen 
der Kritik die Ohren verklebten, so hat er sich zwar diese 
olTi'ii gehalten, dafür aber B&Qb Blit SchilTslauen »n dem kfflj le 
des Christusglaubens anbinden lassen, um unbeschädigt an 
dem gefährlichen Eiland vorüborzukommen." Daß ,,das 
ganze Märchen von <hn Sirenen nur Einflüsterung der allen 
Zauberin Kirke war", hat er nicht gesehen, sagt Slrouß 
hübsch. Oder ohne Bild: „Der ideale wie der dogmatische 
Christus auf der einen und der geschichtliche Jesus von 
Nazareth auf der anderen Seite sind unwiederbringlich 
geschieden." Dos ergibt sich deshalb aus dem Leben Jesu 
von Schleiermacher, weil darin Geschiedenes verbunden» Unver- 
einbares vereinigt werden sollte, und weil dieser Versuch, 
der ihm noch am ehesten htttte gelingen können, gerade 
ihm nißlungon int. Wenn er es nicht leisten konnte, wem 
sollte es dann gelungen sein oder in Zukunft gelingen? 
Ich glaube nicht ihiLi mit alledem zuviel gesagt oder Schleier- 




624 



Zehnt«« Kapitel. 



machor irgendwie Unrecht getan ist. Ich ineine im Gegenteil, 
richtiger und treffender Bei Schleiermacher kaum je ge- 
zeichnet worden als hier; zumal wenn man noch aus dem 
Eingang der Schrift die glänzende Schilderung seines Ka- 
theder- und Kanzel Vortrags hinzunimmt, wie ihn Strauß. 
jetzt aus der Erinnerung heraus und teilweise unter Vergleich 
mit der Baurschen Vortragsweise, mit mehr Zustimmung 
und billiger noch als einst unter dem ersten frischen Eindruck 
charakterisiert. 

Der Schrift über Schloiermacher hat Strauß als Beilage 
einen Artikel aus der Nationalzeitung vom 21. September 
1864 angehängt: „Der Schenkeische Handel in Bad» H 
Durch ihn wurde er alsbald in neue heftige Kämpfe mit den 
Theologen verwickelt und in den gerade jetzt entbrannten 
Streit um ein anderes, ebenfalls 1864 erschienenes Leben 
Jesu von Dr. Daniel Schenkel, großherzoglich bndischcin 
Kirohenral und Professor der Theologie in Heidelberg, 
hineingezogen. Wir haben darüber ausführlich zu reden, 
weil daraus noch einmal eine Schrift von Strauß „Di« 
Halben und die Ganzen. Eine Streitschrift gegen die 
Herren Doktoren Schenkel und Hengstenberg" hervorge- 
gangen ist. 

Schenkels , .Charakterbild Jesu" hatte zunächst in 
Baden unter der Geistlichkeit Beunruhigung erregt. Ein 
heftiger Agitationssturm erhob sich dagegen. 117 badi&chu 
Geistliche unterzeichneten einen Protest, worin sie klagten, 
daß der Verfasser durch grundstürzende Irrlehren der Kirche 
ein Ärgernis gegeben und sich deshalb unfähig gemacht 
habe, ein Amt in der evangelischen Landeskirche zu be- 
kleiden, namentlich als Direktor des Heidelberger Prediger- 
senünars die künftigen Geistlichen für den Kirchondien*t 
vorzubereiten; daher verlangten sie ausdrücklich, duß Schenkel 
dieser seiner Stelle als Direktor des Predigerseminars ent- 
hoben werden möge. Diese Agitation war von Berlin her 
jingrfjir.hi wurden und *etsta liöfa luoh übfti die Gra&Mfl 



Das Leben Jesu für du* deutsche Volk. 



m 



Badens hinaus in Pfarrversammlungen aller Art fort i ). 
Dagegen acharten sich die Manner des kurz zuvor im Sep- 
tember 1863 auf Anregung Schenkels gegründeten Prote- 
stantenvereins um diesen ihren Herrn und Meister. Auf der 
Durlacber Konferenz von 1864 traten die liberalen Budener 
Theologen tapfer fftr ihn ein, in besonders eindrucksvoller 
Weise Holtzmann, damals außerordentlicher Professor in 
Heidelberg. Und wacker hielt sich auch der Obeikirchenrat 
in Karlsruhe, der in aeinor Sitzung vom 17. August 1864 die 
Petition der 117 zurückwies und nicht nur persönlich ^zu- 
gunsten Schenkels entschied, sondern auch nachdrücklich 
die in ihm angegriffene Freiheit theologischer Forschung 
und Lehre wahrte ■). 

Über das Schenkeische Buch und die sich daran 
anknüpfende Bewegung verfiuVul.lir.hto nun Strauß in der 
Nationalzeitung jenen schon genannten Artikel und nahm 
darin ganz entschieden Stellung — gegen Schenkel. Zwar 
freute auch er sich über den Ausgang der Sache als einen 



*) Auch in der Diözese meines Vaters tot der Antrag auf eine 
Kundgebung gegen Schenkel gestellt worden. Mein Vater fragt«, 
wieviele der Anwesenden und ob auch nur der Antragstellor selber 
das Buch Schenkels gelesen haben. Ab alle, auch der Antragsteller, 
erklaren mußten, daß sie da* Buch nicht selber kennen, sondern nur das, 
was darübergeschrieben worden, schämten sich doch viele, und der Antrag 
wurde mit großer Mehrheit verworfen. Meistens aber ging es anders. 

•) Wie der berühmte Erlaß des badischen Kirrhonrals xusUndo 
gekommen ist, erxahlt dramatisch Hausralh, Richard RoUwundsein« 
Freunde, II. S. 499 ff. Ri hlmim ist, was er dabei auf 8. 508 von Roths 
selbst berichtet. Dieser war verstimmt, daß man seinen Entwurf 
verstümmelt und durch überflüssige Zusatte erweitert halle. Ergab 
seinem Unmut in seinen Briefen nachträglich Ausdruck, stimmte dnnn 
jbor doch Schenkel, der auch unzufrieden war. öffentlich aber »eins 
vollste Zufriedenheit mit dem oberktrchcnrStlichen Erlaß erklärte, 
„ganz bei. daß wir denselben dem großen Publikum gegen ute-r in gün- 
stigem Sinne auslogen müssen"! Wenn das geschah um grimm Holz 
dessen, den sie den Heiligen dss Protestanten verein* genannt nahen 
Politik in dtir Religion verdirbt doch immer den Charakter. 




OH 



ZehnU* Kapital 




Sieg, den das Prinzip der Lehrfreiheit in einem Teil der 
protestantischen Kirche errungen hatte. Aber er fragte, 
ob gerade die Schenkeische Schritt es verdient habe, in wiener 
Art verfochten zu werden, und ob o» ein günstige* Li» lt 
auf die Kampfer werfe, daß dieses Buch und .v-in Ver- 
fasser sie zu solchem Kampfe begeistert haben Strauß 
verneint diese Frage wegen der Halbheit und Zweideutigkeit 
dp* Schcnkelschen Standpunkt*. Oder Halbheit ist ein 
ungenauer Ausdruck dafür, meint er: ..Herr Schenkel, 
sollte ich sagen, ist »u drei Vierteilen auf Seiten der Kritik, 
aber ein Vierte! findet er geraten dem Glauben noch ein 
zurkuinen." Und das, fügt er hinzu, ..ist seinen Anhängern, 
Oberhaupt dem aufgeklarten Mittelschlag (dem Philister, 
wurde ich sagen, wenn es nicht unhöflich wäre), eben recht. 
Man will sich nicht mehr beengt wissen durch die Schranken 
des strengen Kirchenglaubens, man wünscht bequemen 
Raum für seine woh! erworbene Verstandesbildung; im 
übrigen aber will man an dem bestehenden Kirchenwesen 
nicht rütteln, will seine Predigt Ober das Evangelium am 
Sonntag, seinen christlichen Festzyklus, sein Abendmahl 
nicht verlieren. Beides hofft man an der Hand eines Mann« 
wie Schenkel zu erreichen." Und nun der Schluß dos Artikels, 
eine Fanfare, ein Keulenschlag: ,,Die Freiheit und das Him- 
melreich, singt der alte E. M. Arndt, gewinnen keine Halben. 
Aber das Erdreich besitzen sie, und wer, vor allem in reli- 
giösen Dingen, halb und für die Halben schreibt, der ist 
sicher, zahlreiche Anhänger zu finden, die, falls ihm die 
Ganzen von der einen oder andern Seite etwas anhaben 
wollen, sich wohl auch als begeisterte Kampfer um ihn scharen. 
Von den sieben Schwaben sagt man, sie seien mit starker 
Wehr und großer Furcht gegen ein Ungeheuer ausgew^ 
das sich zuletzt als ein Hase erwies: von den siebenhundert 
Durlachern wird man dereinst sagen, daß sie sich ritterlich 
geschlagen haben, um ein Banner nicht in Feindeshand fallen 
zulussen, das in Wirklichkeit ein geflickter Waschlappen war." 



Da* Leben Jcmi für d« deutsche Volk 



m 



Dieser Artikel erregt» natürlich das größte Aufsehen 
und unter den Liberalen Badens einen Sturm der Ent- 
rüstung. Strauß war ihnen in den Kucken gefallen, so meint 
noch heute Hausrath, und nahe ihnen damit den Kampf 
erschwert; denn nun haben sich Minister und Beamte in 
Baden hinter ihn gesteckt und gesagt: Strauß sagt ja auch, 
daß die Schenkclsche Theologie doch nur eine halbe Ge- 
schichte sei. 

Für uns aber erhebt sich die Frage: wie kam Strauß 
zu diesem Eingreifen und zu dem auffallend scharfen Ton 
gegen Schenkel ? Seine badischen Gegner meinUm im «raten 
Zorn, es soi so etwas wie Neid gewesen, weil diesmal nicht 
sein, sondern das Leben Jesu eines anderen das größere Auf- 
sehen und einen solchen Sturm erregt habe. In diesem Sinn 
sagt auch Hausrath: ,,Daß der Schenkelstreit die Aufmerk- 
samkeit von seinem neuen Leben Jesu völlig ablenkte, ärgerte 
ihn, da er auf einen ähnlichen Erfolg wie den seines ersten Buchs 
gerechnet hatte." Kr beruft sich dafür sogar auf Eduard 
Zeller, der schrieb: „Strauß nahm es als eine persönliche 
Beleidigung auf, daß Schenkels Charakterbild Jesu in öffent- 
lichen Besprechungen mit seinem Buche auf eine Linie gestellt 
wurde." Das ist ganz richtig, wenn wir es nur, so wie 
es Zeller gemeint hat, aus der subjektiv-persönlichen 
y.ugloich auch in die objektiv-sachliche Sphäre erhoben. 
Ehrlich und wahrhaftig sein, offen mit der Sprache heraus- 
gehen und Farbe bekennen, das hat Strauß sein Leben 
lang geübt, dazu wollte er die Theologie, wenigstens die 
wissenschaftliche, zwingen. Nun mußte er sehen, wie hierein 
Halber und ganz Zweideutiger, ein Unehrlicher und Unwahr- 
haftiger den Erfolg hatte, daß man sich um ihn scharte um) 
ihn auf den Schild hob. Darin sah er an einem flagranten 
Beispiel wieder einmal sein Lebenswerk gefährdet, sah, wie 
die Verschwommenheit und Zwoizüngigkcit in der Theologie 
nach wie vor ihr Wesen treiben durfte und gerade auf dem 
Gebiete trieb, das durch zweimalige ernste und ernsthafte 




m 



Zehntes KapiUL 




wissenschaftliche Arbeit nun einmal das seinige geworden 
war. Das verdroß, das empörte ihn, und daher trat er. ohne 
Furcht und ohne Rücksicht zum furchtbaren Schlage aus- 
holend, diesen Kampfern um einen geflickten Waschlappen 
entgegen und enthüllte die Nichtigkeit und Hohlheit der 
Schenktischen Position. Und haben denn die liberalen 
Theologen damals nicht wirklich mit zweierlei Maß gemessen ? 
Am 30. April 1804 schrieb Rothe Ober den „neugebacken' 
Strauß, d. h. «her da» Loben Jesu für das Volk, es sei 
ungenießbar. „Man würgt ein wenig. Der Mann ist wirk- 
lich nicht gewachsen seit der ersten Bearbeitung, und die 
Anordnung des Stoffs, die er diesmal gctroftVn hnt, konnte 
nicht unglücklicher gewählt sein für den Zweck, die Lc*rr 
zu fesseln, daß sie Geduld behalten, bis «um Schluß fort- 
zulesen. Eine Sache, die nun einmal keinen inneren Halt 
hat, laßt sich eben nicht mit andauerndem Erfolg auf die 
Beine bringen.'* An Schenkels Buch fand er persönlich auch 
keinen Gefallen, sein Christus war das nicht. ..Aber daß ein 
evangelischer Christ, in welcher amtlichen Stellung auch 
immer, nicht die Freiheit haben soll, ein solches Buch n 
schreiben, ihm gemäß zu lehren, weil es dem Glauben an 
Christus gefährlich sei, wenn solches geduldet werde, das i.tt 
mir absolut unleidlich, weil es nichts anderes ist, als Christi 
Haus und Hof, die er in der Christenheit hat, in die Gant 
erklären, und die tiefste Diskreditierung des Glaubens an 
ihn bei dem gegenwärtigen Geschlecht." Sollte das Strauß 
nicht auch zuzubilligen gewesen sein? Jetzt entrüsteten 
sich die Liberalen über geflissentliche Übertreibungen und 
über die „Bauernverhetzung", die die badischen Protestier 
trieben: seinerzeit aber hatten auch die freigesinnten Theo- 
logen ruhig zugesehen, wie der Pietismus in Schwaben oder 
in Zürich die Bauern gegen Strauß gehetzt hatte, und hatten 
sich beeilt, den imbequemen Wuhrhritssucher von sich 
abzuschütteln; und auch als er jetzt wiedergekommen war, 
hatten sie ihn verleugnet und zwischen sich und ihm fein 



Das Leben Jesu Tür das deutsche Volk. 62fl 

säuberlich das Tafelluch entzweigeschnitten, Schenkel da- 
gegen war ein Mann der Partei, also muttlc man ihn halten 
um jeden Preis; Strauß war kein Parteimann, sondern ninzig 
auf sich selbst gcntellt, deswegen war er vogelfroi. Dieses 
Messen mit zweierlei Maß hat Strauß allerdings empört. 

Es kam aber noch ein Personliches hinzu, und du» 
war die Person Schenkels. Dieser hatte schon eine bewegte 
und an Wandlungen reiche Vergangenheit hinler sich, als er 
1851, 38 Jahre alt, nach Heidelberg kam. „Alle theologischen 
Richtungen**, aagtHausrath 1 ) so hübsch, „Laitan Hypotheken 
auf seine Seele und an seiner bisherigen Tätigkeit Anhalts- 
punkte, ihn zu den Ihren zu zählen." „Sohn eines herren- 
hulisch gesinnten Pfarrers und einer Basler Pfarrerstochter, 
war er in völlig pietistischen Traditionen aufgewachsen, 
hatte sich dann aber als Schüler de Weites in wissenschaft- 
lichen Fragen auf einen freieren Standpunkt emporgearbeitet. 
Zuerst begegnen wir dem Basler Lizcntiaten als Mitarbeiter 
der Hallischen Jahrbücher von Arnold Rüge, also in dem 
radikalsten Organe der junghegelschen Schule. Zwei Jahre 
spater hat er sich den Ullmannschen Studien und Kritiken 
zugewendet, in denen er 1840, im dritten Heft, die DOOttttO 
U«';irl)t'ilun^i'ii ■!<■* Sl.r:inUisi-.lnMi Lfln-ii- Ji-u l»i- - |ic ... i i 
Er erscheint hier als treuer Schüler de Weites, der zwar ent- 
schieden gegen Strauß Partei nimmt, aber in der Kritik 
der evangelischen Quellen, auch des JohannesevangeliumH, 
sich einer loblichen Unbefangenheit befleißigt. In poli- 
tischen Dingen konservativ, wie sein Widerspruch gegen 
den Krieg mit dem katholischen Sonderbund beweist, int 
er in theologischen Fragen noch immer freisinnig. Aber 
seit sein« r Beteiligung an den Bestrebungen der irinern 
Mission kehrte er wieder starker die ursprüngliche piotistisebe 
Farbe heraus. Auf dem Kirchentage in Stuttgart im Jahn* 
1850 trat er mit UliiKum uml Bahr (in Baden) in Verbindung. 

') lUuffftth. K Kothc II. H 218. ihm la.w i'li . u« h in du 
Durstbllung vou Schenk«!* Entwicklungsgang das Wort. 
Tlu Z-ffUf. O. 1'. Slr.ufl. ii. 41 




630 



Zehntes Kapitel. 



Die Folge dieser Bekanntschaft war, daß Ulimann Schenkels 
Berufung nach lleidulberg vorschlug, diu durch Bahr in 
Karlsruhe bereits eingeleitet war. Durch diese Art seiner 
Vokation kam er noch einen weiteren Schritt nach recht«. 
,,Ioh ging natürlich mit denen, di« mich berufen hatten", 
sagte er zu Huusntth, „nicht mit denen, die gegen muh 
waren." So »Und er bis in die Mitte der fünfziger Jahre, wo 
V (lau Schwabcualter bereits überschritten halt«, in Huidnl- 
berg kirchlich und theologisch auf konservativer Seite und 
leigte »ich bei xwei Gelegenheiten al» skrupelloser, auch 
vor Denunziationen nicht zurUckschi'uonder Parteigänger 
der Rechten Du eine war ein Fukultfitsgutachten Ober 
einen freisinnigen Bremer Geistlichen, Dulon, etwa von 
der Art KalthofTs, worin Schenkel unter geflissentlichem Zu- 
sammentragen aller belastenden Stellen und Obergehen 
aller erbaulichen Momente in dessen Schriften für die 
Absetzung des ungläubigen Pastors plädierte. Der zweite 
Fall betraf — Kuno Fischer. Schenkel ist es gewe 
der Kuno Fischer bei der badischen Regierung in echter 
Pietisten- und Pfarrsynodeumamer ab Pantheisten denunziert 
und in dieser bösen Reaktionszeit seine Entfernung v 
akademischen Lehramt im Jahre 1853 — wir wollen sagen: 
angeregt hat 1 ). Und als es dann so weit war, ist wiederum 
Schenkel es gewesen, der im Senat den Antrag, sich für 
Fischer zu verwenden, durch die Erklärung zu Fall brachte, 
das sei eine leere Demonstration, die keine Aussicht auf 
Erfolg habe, Indem er endlich nachtraglich in der Darm- 
städter Kirchenzeitung die Entziehung der Venia legendi 



') War sich naher für Schenkels Anteil darau interessiert, den 
verweise ich auf EI ausrath a. a. O. ß. 261 ff. Vgl. aach R. v. Hohl, 
Lebensonrmorungen, der damals Prorvktor in Heidelberg war und 
nach Karlsruhe ging, um bei Minister v. Weobmar gegen Kuno 
Fischers Maßregelung xu protestieren: — „ohne etwa» xu erreichen; 
dio Belohnung ist mir jedoch geworden, von möglichen Ministem 
ohne alle Frage den stupidesten gesehen zu haben", erzählt «r rj, 11t 
in seiner bitterbösen Manier. 



Das Leben J«u für du deuUche Volk. 



BS] 



ausdrücklich billigte und rechtfertigt«, hat er von diu* .Schuld 
an dieser Attacke auf die akademische Lehrfreiheit uueh diu 
Teil, der dabei etwa auf andere fiel, schließlich noch auf sich 
genommen. 

Dazu kam noch zweierlei. In dieselbe Zeit liel der 
skandalöse Ilochverratsproxeß gegen Gervinus wegen seiner 
Hinleitung in die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts. 
Daran war Schenkel unschuldig; aber man erinnerte sich nun 
doch, wie er im Jahre 1S46 Gervinus wegen seiner Schrift über 
die Deutschkalhohken bokümpft hatte und eben zum Lohn 
dafür vonden Gegnern des freisinnigen Historikers nach Heidel- 
berg berufen worden war. Das andere war schlimmer. Im Jahre 
1854 war im Verlag des Kauhen Hausos zu Hamburg, also 
sozusagen unter der Firma Wicherns und seiner innern 
Mission, ein Roman erschienen: Eritis sicut deusl der zu 
Helden Kr. Th. Vischer und dessen Frau hatte, in frei er- 
fundener Weise das Scheitern auch dieser Ehe erzählte und 
es auf die pantheistische als eine unsittliche Weltanschauung 
zurückführte, Es war ein gemeines, widerwärtiges Pamphlet 
einer pietistischen Dame 1 ), die damit nicht Vischer allein. 
sondern die ganze Tübinger Schule und die Hegeische Linke 
treffen und zeigen wollte, wie die Grundsätze dieser un- 
gläubigen Pantheisten notwendig in den Schlamm und Sumpf 
gemeiuster Sinnlichkeit ausmünden müssen. Auch der 
Heidelberger Stadtpfarrer Zittel und seine Ehe wurde 
hereingezerrt, und natürlich auoh Strauß und seine Ehe- 
irrung nicht geschont, namentlich auch hämisch und hühnisch 
auf seinen „Geiz" hingewiesen. Daß Sohflrtel (Macher) 
sein Weib von einem anderen küssen laßt, um mit diesem 
nach Römer 1, 26 f. Jupiter und Ganymed spielen zu können. 



>) Der Roman nrechion anonym; dnhur viel*? Vermutungen übor 
«einen Verlaiwr. Sogar der Hofmethkus H ardegg, ein guter Be- 
kannter von StriiuÜ, kam in den Vordacht, es tu sein. Rlniuß hiwiriti 
du entschieden, obwohl II ardegg ein „MephifttopheWa" »*i; d;»ru wi 
er nicht fähig, 

41« 




632 



Zehnt« Kapitel. 



und daß Dekan Zillcl Scharte! rat, sich von seiner geistes- 
kranken Frau bei anderen Frauen zu erholen: das war so 
etwa der Gipfel dieser Gemeinheit, wenn man nicht noch 
für weit schlimmer das halten will, daß ilie Verfasserin 
nachher in einer besonderen Broschüre für die Abfassung 
diese* Machwerks — den heiligen Geist und feine ausdrück- 
liche, geradezu verbale Inspiration verantwortlich machte. 
Alle anständigen Menschen waren über diesen Streich emi 
nur ,,ttin namhafter Theologo nahm sich der Schrift an, ■ 
ilirwr eine war Schenkel"! In seiner allgemeinen Kirchen 
zeitung verglich er diesen Schandroman mit Goethes Wilhelm 
Meister und schrieb: „Der Verfasser, welchen wir wohl in 
einem jüngeren Gliede der württembergischen Geistlichkeit 
zu suchen haben (I), der an Ort und Stelle in Tübingen 
Studien und vielleicht auch Erfahrungen über den Pantheis- 
mus (!) gemacht hat. steht auf der Höhe, von welcher allein 
solche Zeilerscheinungen verstanden werden können, auf 
dem Boden der christlichen Offenbarung. Aber sein christ- 
licher Standpunkt macht sich nicht in zudringlicher Weise 
geltend (I). Wer den Pantheismus gründlich kennen lern 
will, seine Hohen und Tiefen, was er ist und was er will, 
was er aus dem Menschen macht und wie weit er ihn bringt (\), 
der findet hier vollkommen, was er sucht.*' Er jedenfalls 
fand hier, wio Hausrath richtig bemerkt 1 ), was er suchte: 
nachträglich die Rechtfertigung seines Verfahrens gegen 
Kuno Fischer. 

Und nun frage ich: hatte Strauß Anlaß und Grand, 
sich mit Herrn Schenkel zu befassen? Gervinus war sein 
Freund, Kuno Fischer war sein Freund, Friedrich Theodor 
Vischer war sein Freund, auch Mittel stand ihm nahe: U) 
ihnen allen halte sich Schenkel schnöde vergriffen. Ihn 
dafür zu züchtigen halte Strauß Grund und Recht zu- 
gleich. Und dazu kam nun dei merkwürdige Umschwung hs 



') Hausrath a. h. O. g. 184. 



Da* l*b»n J**u für da* d«uUchtf Volk. 



633 



Schenkels theologischer Richtung: der wievielte war es 
doch gleich ? Weil er vor allem Rhetor war, haschte »mach der 
Gunst dor Majorität; diese war und wurde damals bei den 
Pfalzern in und um Heidelberg immer mehr liberal. Also 
wurde auch or es, und der Ausdruck dieser Wandlung, die 
man von 1865 an langsam kommen sieht, und die seit der 
Wendung der Dinge in Baden nach dem Scheitern des 
Konkordats zur vollendeten Tatsache wird, war das Charakter- 
bild Jesu. Halte Strauß rocht oder unrecht, wenn er dieser 
Bekehrung zum Liberalismus nicht traute, den Überläufer ins 
liberale Lager mit Verachtung von sich stieß und mit Beziehung 
auf ihn von einem geflickten „Waschlappen" sprach? l'nd 
neben Schenkel stand an der Spitze der neugegründeten 
Partei der andere Schweizer Bluntschli, den Strauß vom Züri- 
putsch her als Konservativen nur zu gut kannte und der 
ihm daher jetzt auch als Liberaler nicht imponieren konnte. 
Du- Liberalen Badens ober dachten an UM Sadbfl BDid fatal 
sich Schenkel sogar als einen ihrer Fahrer gefallen, weil er 
als Parteimann und Agitator ganz hervorragende Eigen- 
schaften besaß. Vielleicht hatten sie, ehe sie sich um sein 
Leben Jesu scharten, sich klar machen können, daß 
Renegaten schließlich immer eine Verlegenheit sind für 
jede Partei; denn auch in der Parteipolitik ist Charakter- 
stärke eine Pflicht und eine Tugend, deren Vernachlässigung 
sich auf die Dauer rächt. Aber item, mit Zorn und Ent- 
rüstung fielen die Jungliberalen über Strauß her, als er jenen 
Artikel in der Nationnlzeitung veröffentlicht« und verleidigten 
gegen ihn in Schenkel und seinem Buch ihre eigene Sache. 
Damals ist Strauß auch mit Holt/mann in Konflikt geraten, 
der als Vertreter der Mnrkushypothcse sein Gegner und ihm 
dadurch verdächtig war. Die beiden haben sich hin und her 
unrecht getan, und Strauß hat nicht mehr lange genug 
gelebt, um das einzusehen und anzuerkennen. 

Strauß aber hatte das StreiUchriftenschreiben noch 
nicht verlernt. Im Schwäbischen Merkur war der Artikel 




BM 



Zehntes Kapitel. 




gegen Schenkel, wie rr als Beilage zur Kritik de* Schleww- 
mncherschen I^obena Jesu erachten, nochmals abgedruckt 
und dabei an Teil erinnert worden, der den Parricida abwies. 
Dnrniif antwortete Schenkel etwa* allzu eilfertig mit Ben 
tigung und Erwiderung. Das gab Strauß den willkommenen 
Anlaß. Er griff aufs neue zur Feder und schrieb »eine scharf sie, 
aber in ihrem Genre ourh gelungenste Streitschrift ,.I>i»* 
Halben und die Gnn*en*\ deren Vorwort vom Mai 1865 
datiert ist. Die Halben — das ist Daniel Schenkel: gegen 
ihn ist die erste größere Hälfte der Schrift gerichtet. !>?»> 
Ganzen — das ist Hengstenberg, ihm gilt der zweite Teil. Und 
nun wird Schenkel — man könnte sagen: bei lebendigem Leib 
regelrecht seziert, geschunden wie Marsyas von Apollo ge- 
schundenwordenist. Znnfichstwird ihm dio Denunziation Kuno 
Fischers, die er natürlich jetzt als Liberaler gern abgeleugnet 
oder doch, durch das TaschonspiclerkunsUlÜck einer Vit 
tauschung von Pantheismus und Atheismus, in ein milderes 
Licht gerückt hätte, in aller Ausführlichkeit vorgehalten 
und dabei gezeigt, wie anstandige Menschen darober gedacht 
haben und denken. Wahrhaftig, ,,es ist eine göttliche Ko- 
mödie, daß der jetzt Märtyrer werden soll, der noch vor 
wenigen Jahren Ketzermeister war". Damit gewinnt er 
den Übergung zum zweiten Teil, in dem er sich mit Schenkels 
Leben Jesu beschäftigt. Und auch da ist es wiederum 
„eine göttliche Komödie, daß die FortschrittMiiannrr u 
ßaden, um die Lehrfreiheit zu wahren, sich eines Kuchen 
von Schenkel annehmen müssen. Ein Buch, dessen Ver- 
fasser man mit gleich starkem Eifer von der DUMM Seite 
abzusetzen, von der andern zu halten sucht, pflegt doch 
sonst wenigstens ein Buch von Entschiedenheit und Charakter 
zu sein. Schenkels Charakterbild Jesu aber ist ein ver- 
schwommenes, ne.hscllrngeriseh vermittelndes, charakter- 
loses Buch." Das wird mit ein paar Grillen, am Wunder- 
bogriff z. B. und an der Krage nach der KoaliUt der Auf- 
erstehung, aufgezeigt und mit spielender Hand die Angriffe 



Cas Leben Jesu für diu dvuUchv Volk- 



636 



al« geschoben, die Schenkel gegen Strauß und seinen 
Mangel an Konsequenz gerichtet hatte. Freilich es ist auch 
allerlei Gutes in dem Buch. Aber woher stammt das? 
Nicht zu Unrecht konnte Strauß spottend sagen, diese 
Ergebnisse „seien von Tübingen den Neckar herunter nach 
Heidelberg getrieben, dort von Herrn Schenkel ans Land 
gezogen und freilich in etwas aufgeweichtem und verwässer- 
tem Zustand seinem Bauwesen einverleibt worden' 4 . Wenn 
ihn aber Schenkel fragte, wie er zu diesen Angriffen auf ihn 
und seine Theologie komme, so antwortet er darauf zum 
Schluß stolz und schneidend: „Ja. Herr Kirchenrat, man 
kann einen Beruf haben und es für GewifisensÄaehe halten, 
diesem Berufe nachzukommen, wenn man auch nicht ordent- 
licher Professor der Theologie, nicht Seminardirektor und 
erster Universitatsprediger ist. Dieser mein Beruf, daß ich 
es Ihnen nur sage, geht gegen die Falschmünzerei. Daß in 
der Theologie eben jetzt viel Falschmünzerei im Schwange 
geht, werden Sie vielleicht selbst nicht in Abrede ziehen; 
wenn Sie auch davon nichts werden wissen mögen, was ich 
weiter behaupte, daß gerade die Richtung, der Sie ange- 
hören, fast ausschließlich von Falschmünzerei lebt. Jemand 
aufzustellen, der auf dieses Unwesen ein Auge hatte, warn 
hingst an der Zeit gewoson; aber eben weil es soweit ver- 
breitet ist, geschieht nichts; es sind zu viele und darunter 
zu Einflußreiche dabei beteiligt. Wohlan, ich warte nicht, 
bis mich jemand aufstellt; da bin ich, ich brauche keinen 
äußeren, ich folge meinem inneren Berufe. Überall kann 
ich nicht sein; aber ich tue» was ich kann. Wenn ich über 
den Markt gehe, wenn ich an einer Kasse vorüberkomme, 
da halte ich die Augen auf. Mit den falschen Groschen 
befasse ich mich nicht, da wäre an kein Fertigwerden zu 
denken; aber wo einer bleierne- Taler oder gar Rochenpfennige 
statt Dukaten auflegt, der hat es mit mir zu tun, der wird 
mich nicht los» bis er überwiesen ist, Beliebt mache ich 
mich dadurch freilich nicht, Dank verdiene ich mal keinen , 




636 



Äthnto» K*pil*t 



*L» von der Wahrheit, der ich diene. Hat »ich 6m 
Dank verdient, der «inst die Kramer und Wechsler au» Ana 
Heiligtum trieb? Dor Eifer um dein Haus venehret mich, 
ist ein schöner Wahlspruch, und ein solch™ Opte gnwiß 
Ober Fairen und Widder ein süßer Geruch dem Herrn." 
Wo mnn Holi haut, da fallen Spane. StrauB hat den 
Dudener Liberalen und den M/lnnern des i'rntcfttnnten- 
vereins in dieser Schrift selbst eine halbe Ehrenerklärung 
gegeben, wenn er erklärt, er sei nicht gemeint, ihnen «uzu- 
muten, „sie hatten so tüchtige Lungen, so rührige An 
einen so anschlangen Kopf und eine so geschwinde PfinVr 
die sich ihnen (in Schenkel) darboten, zurückweisen sollen* 4 . 
Aber ein Unglück bleibe es eben doch, daß sie die n>U- Keil 
in ihrer Partei , .einem Mann überladen müßten, der für 
dieselbe wohl etwa das praktische Geschick, aber weder dei 
geistigen noch deu sittlichen Gehalt besaß**. Die Partei 
erklärte sich mit ihrem Führer solidarisch: so trafen die 
diesem zugedachten Hiebe freilich auch sie mit, und w 
wandte sich die ganze Partei gegen Strauß. Kothe, 
der intime Freund von Schenkel, wies „das unwürdige 
Machwerk Straußens mit Ekel zurück**; sein alter Gegner 
Alexander Schweizer sprach sich von Zürich her ebenso empört 
darüber aus; und noch heute zittert in Hausrath dieselbe 
zornige Stimmung nach, mnn denke nur an seine böse Be- 
merkung über die , .magere, hochgewachsene Schulmeister- 
gestalt mit rötlichen Haaren 1 ) und dunkler Brille, dir ig 
Baden-Baden einsame Gange gemacht und hier die Streit- 
schrift überdacht* 1 habe. Wenn er ihn aber „Magister Strauß** 
nennt, so beschwört er damit selber das Bild des Herrn Ge- 
heimde Bat Klotz herauf und erinnert uns an Lessing, mit 
dessen Anli-Goeze diese Streitschrift gegen Schenkel aller- 
dings die größte Ähnlichkeit hat; in Ton und aieghalUr 

') „Die Haarfarbe von Strauß w*»r tu dtir Heidelberger Znl 
braun, nie war .■.!•■ rot", schreibt mir daiu du; diu ihn damals am best! 
gekannt hkL 



Das Leben J>:su für das deutsche Volk, 



681 



Überlegenheit steht sie diesem Vorbild durchaus ebenbürtig 
zur Seite- Strauß aber konnte wieder einmal sagen: 
Feinde ringsum; das wußte er auoh, wie das böso VMMll 
auf diese Schrift zeigt: 

Wie mit deiner herben Strenge. 
Alter Kampe, du bo dumm bHtl 
Keiner wird -in Mann der Menge, 
Der nicht halb und hnlh cm Lump Ist 

Aber noch sind wir ja mit der Schrift nicht fertig. Ihr 
zweiter Teil handelt von den Ganzen, d. h. wie schon gesagt, 
von llengstonberg. Um seinetwillen nllcin hätte Strauß 
gewiß nicht zur Feder gegriffen, darin halten die Liberalen 
ganz recht. Aber nun er das Wort hatte, benutzt« er die 
Gelegenheit, um auch einmal wieder mit diesem alten Gegner 
abzurechnen. Natürlich war Heugslenberg in seiner Evangeli- 
schen Kirchenzeitung nicht eben säuberlich mit dem Ver- 
fasser des Lebens Jesu für das deutsche Volk umgesprungen. 
Namentlich hatte er Strauß vorgeworfen, er hnlie sich mit 
dem dermaligen Stande der einschlägigen Untersuchungen 
nicht gehörig bekannt gemacht; es seien indessen neue 
Entdeckungen gemacht worden, die den alten Glauben bo 
stetigen, und von diesen habe Strauß Uni Notiz genommen, 
sondern einfach nur alte Zweifel und Verneinungen wieder- 
holt, als ob sie nicht längst schon widerlegt wären. Diese 
Ausforderung auf sich sitzen zu lassen, war Strauß nicht 
der Mann. Allerdings habe er die neuen Funde unberück- 
sichtigt gelassen, weil es oitel Ausflüchte und Winkelzüge, 
Finten und Flausen seien, auf die sich einzulassen Zeit ver- 
derben hieße. Es sei damit wip mit den Feldmäusen in einem 
trocknen Spätsommer: statt ihnen einzeln nachzustellen. 
Überlaßt man sie am besten der massenhaften Vertilgung 
durch HerbstgewAMor und Winterfrost. Abrrdi^cm Hengsten- 
bergischen Vorwurf gegenüber glaubt er nun doch auch im 
einzelnen feststellen xu müssen, daß jene Funde, je genauer 
man sie untersucht, um so wonigor Berücksichtigung ver- 




m 



»hnlw Kapttl. 



dienen. An drei Punkten weist er da» nach: an der Ge- 
schieht« der Schattung zur Zeil der Geburt Christi, für 
deren Tatsfichlichkcit eine neue Inteinische Invhrift I 
deckt worden »ein und dieser tu Hilfe kommen soll; an 
iirr L.izaru Ptrai' i imi lem i ..■i/.ü-ugwnadBr, ■olfaDgMatt- 
berg den Stil umdrehen und die Parabel bim der 
historischen Gestalt de» Lazarus erklaren wollte; und 
endlich natürlich und vor allem an den Wider- 
sprüchen in der Auforstehungsgeschicht«, die Hengst? n- 
berg wie vor 2* Jahren so auch jetzt wieder durch d«n 
Schlüssel der Harmonistik au beseitigen suchte. Bs i 
auf allen Punkten leicht, tu zeigen, daß hier überall gar 
nichts Neues vorliege, sondern nur die alten Apologeten- 
künste in einer nicht einmal verbesserten Auflage wiederholt 
werden. Dabei geht er mit dieser rückschreitcndcn Theologie 
— schon der Vergleich ihrer Bollwerke mit den Feldmäusen, 
an einer anderen Stelle mit Windmühlen zeigt es — BOofe 
seinerseits nichts weniger als sanft um; so wenn er von ihr 
sagt, da sie einsehe, wie durch Konzessionen ihre Lage nur 
immer mißlicher werde, suche sie es jettt durch Hartnackig- 
keit im Behaupten und Frechheit im Verfechten ihre* Stand- 
punkts zu zwingen. Aber persönlich behandelt er diesen 
Gegner doch respektvoller und — ich möchte sagen: gut- 
mütiger als den liberalen Herrn Schenkel. Denn ihm 
sind eben unter allen Umständen euUchiedene Stand- 
punkte lieber als charakterlose Vermittlungen, er zieht 
die Ganzen den Halben vor, schon darum, weil sie 
weniger gefährlich sind. Dazu kam, daß Hengstenberg 
über Schenkels ,,Apostasie" nicht andern dachte als 
Strauß und daß er früher anstandig genug gewesen 
war, den Schandroman Eritis sicut deus, obwohl er 
aus Wicherns Verlag kam, energisch abtulehnen. Solche 
Gegner ließ sich Strauß gefallen. Daher fürchtete er auch 
die Neckerei der Liberalen nicht, die ihm — schon von den 
Streitschriften der dreißiger Jahre her — eine besondere 






Das Leben Jesu für das deutsche Volk. 



BN 



Vorliebe und Zärtlichkeit für diesen seinen Gegenfüßler 
nachsagten und sogar von einer Wahlverwandtschaft 
zwischen Strauß und Hengstenberg redeten. Aus den Neu- 
jahrsvorredon der Evangelischen Kircheneeitung ging ja 
doch hervor, wie die beiden in Wahrheit zueinander standen. 
Bemerkenswert ist noch der Schluß dieses zweiten 
Teiles. Hier wirft Strauß die Frage auf, ob mit der Auf- 
erstehung nicht das Christentum selber falle und ob wir 
uns am Ende, wenn wir die Tatsachlichkeit jener preis- 
geben, nicht auch von diesem lossagen, die Frage also: ob 
wir noch Christen sind ? Das ist die erste Frage seines alten 
und neuen Glaubens, zu dem also unsere Schrift direkt 
überleiten könnte. Aber noch vergehen sieben Jahre bis 
zum Erscheinen dieses seines letzten Buches, noch liegt ein 
anderes dazwischen, es ist die Voltairebiographie. 




1866 and 1870. 



KapiteL 

Voltaire und Renan. 



Da* Jahr 18& bracht« große Veränderungen in SlraoBans 
Leben. Im Herbst absolvierte Fht?, da» Gymnasium in 
Heilbronn und wurde vom Vater in Tübingen eingeliefert, 
wo er Median studieren sollte; und im selben Jahr verlobte 
\r\\ Oonoiif mit dem Betgral Hausier in Deate, data in 
Bonn, and schon am 17. November desselben Jahres fand die 
Hochzeit statt. So waren die Jungen ausgeflogen, der Alte 
winliTullein, und wieder hießes: was nun? In Heilbronn hatte 
er lediglich um des Sohnes willenseinen Wohnsitzaufgeschlagen. 
I hn gab er jetzt auf und ging zunächst einmal für etliche Woch:i 
oder Monate nach Berlin, vor allem um Gräfe noch einmal 
wegen seiner Augen zu konsultieren, die nach der vielfachen 
Arbeit der letzten Jahre wieder den Dienst aufzukündigen 
drohten. Dieser empfahl ihm Schonung: er solle nichts 
Größere« von Arbeit mehr unternehmen. „Das ist ebensogut 
Ms mir don Strick präsentieren", meinte Strauß. Dann ver- 
langte ihn aber auch, nach dem Leben in der Kleinstadt wieder 
einmal da» Leben in größerem Stil zu sehen, Galerien und 
Theater, Musik und Menschen hatten ihm gelegentlich in H .1 
hriMin iinrii riT.ht js'eMill Im Vnfang Freilich bedi kokte ihn 
in Berlin die Größe der Stadt, die er vor vier Jahren von der 
Klinik aus kaum wahrgenommen hatte; uueh schien ihm zuerst 
dt-r Heiz, den Hn-ater und Konzert für ihn hatten, so diflBk- 
tioh abgestorben, und den Freunden glaubte er als Fremder 
Iflstig zu fallen. Aber gerade die geselligen Verhältnisse 



1866 uud 1870. Voltaire und Renan. 



041 



machten sich doch bald so, wie nr sio braucht«. Neben Neu- 
manns war es vor allem der nlto Freund Vatkc, bei dem 
oder mit dem er last alle Abende verbrachte. Sein ,. Spazier- 
kamerad'* war meisten» Auerbach, der ihm bei näherem 
Umgang trotr. einiger Schwachen immer besser gelic! und 
ihm groüe land&maniiische und persönliche Anhänglichkeit 
bewies. Freitags war er bei Rechtsanwalt Lewaids BUS 
Abendessen, einer „gar liebenswürdigen Familie", bei dnr ihn 
Auerbach eingeführt hatte. Die Frau schickte ihm zu 
seinem Geburtstag einen blühenden Syringenbaum und 
brachte selber einen Kuchen; mit ihr ist er von dieser Zeit 
an in Briefwechsel geblieben. Und auch sonst machte er 
allerlei neue Bekanntschaften, die ihn interessierten. Z. B. 
besuchte er den alten Diesterweg, „einen noch sehr munteren 
Greis", und den alten 84 jährigen Friedrich von Räumer, au 
dessen Jugendlichkeit er sich ordentlich erbaute. Mit dem blin- 
den Musikrezensenten der Nationalzeitung, Gumprecht, unter- 
hielt ersieh gerne über Musik, mit dem Redakteur der Volks- 
zeilung, Bernstein, einem getauften Juden und großen Kenner 
der rabbinischen Theologie, über Politik und Theologie; an 
dem Maler Eduard Magnus, der ihm beim Sehen der Galerien 
behilflich war, gewann er eich sogar einen Freund. Dagegen 
war mit anderen die Berührung eine nur flüchtige, so mit 
Dilthey, dem gegenüber er sich bei dessen Besuch wenig zu- 
gänglich zeigte und dem er daher nicht sonderlich gßfltl 
Schwer erkaltet kam er aus Berlin zurück: zunOch.it 
nach Heidelberg, das er sich aber „durch Stechen in das 
dortige Wespennest*', zum bleibenden Aufenthalt VBncUonm 
glaubte. Da ihn aber ,,die alten Freunde mit alter Freund- 
schaft aufnahmen und die Feinde ihn nicht genierten" '). 
so sah er sich nach Wohnungen um, fand aber keine 
pnssende. und auch im ganzen wollte ihm ,, dieses Mittelding 



*) Nach dieser Brietstelle »ind die Bemerkungen Hauirath*. 
R. Roth« 1!, S. ^22, zu revidieren. 






642 



EUtm KapiUt 




zwischen großer und kleiner Stadt" nicht mehr in der alten 
Weise behagen; auch trug der sieh imnivr wieder einstellende 
KaUrrh nicht zu »einem Behagen bei. So ging er nach Baden. 
um sich dort durch Molkunlrinkim wirnfar gesund zu machen 
und die Streitschrift gegen Schenkel zu achreiben. Beide» 
gelang. Launig und resigniert lugleich schreibt er darüber 
an seine Schwagerin: „Ich machte mich gefaßt, schwindsüch- 
tig xu werden. Nach der Art, wie ich Ober Leben und Tod 
denke, war mir das gar nicht zuwider. Ich dachte so: die 
Welt machst du doch nicht kluger als sie einmal ist und 
hauptsächlich als sie sein will. Deine Tochter hat einen 
Mann, dein Sohn studiert und wird forUtudiercn, ob du 
stirbst oder lebst. Deine Schwagerin hat sich auagespreitet 
und braucht keinen Mann mehr, viel weniger einen Schwager. 
Ihren Buben hast du Rasiermesser geschenkt bis auf den 
jüngsten, und dem kann ein solches aus deinem Nachlaß 
angeschafft werden. Was aber dich selbst betrifft, w. 
du jetzt schwindsüchtig wirst, so wirst du schwerlich mehr 
blind. Und dem Elend mit Wohnungsuchen iat dann auf 
einud ein Knd gemacht; ein stilles Souterrainchen, \m 
dann brauchst, rindet sich überall. So dachte ich und war 
sehr getrost. Nun kam es aber anders. Ich muß wieder 
leben und sorgen. Was meine Genesung neben dem Regen 
beförderte, war die Arbeit, die mir viel Spaß machte. Ich 
fing sie nach dem Tag metner Ankunft in Buden au und 
vollendete sie, d. h. das Diktieren der Abschrift, den Tag 
vor meiner Abreise . . - wie ich in Baden allein war und 
keinen Menschen hatte, kam mir Lust und Trieb dazu, und 
ich schallte lustig den ganzen Tag." 

Über Heilbronn und Öhringen, wo er schon« Tage bei 
Bogers verlebte, ging es dann nach München. Aus diesem 
Aufenthalt stammt seine Schnurre „Die Göttin im Gefängnis", 
mit dem ernsten Hintergrund einer Verteidigung des Nackten 
in der Kunst gegen törichte Prüderie und mittelalterlich« 
Sinnonfeindschaft. Mit Georgine verlebte er ein paar Sommer- 



1866 und 1870. Voltaire qnd Keoan. 



BU 



wochen in Bieberich und begleitete sie darauf nach Bonn, 
wo er ebenfalls wieder ans WohnuugmieUn dachte. Abur 
im Oktober 1865 linden wir ihn schließlich in Darmatadt, wo 
er dann — mit einer kurzen Unterbrechung in München — 
bis 1872 gelebt bat. Die Stadt hatte er näher kennen ge- 
lernt, ala sein Bruder dort wohnte, und da haltr Um difl 1 D 
gebung überaus Wohlgefallen. Für einen Spaziergänger 
wie ihn hatten die prachtvollen Wälder in der unmittel- 
baren Umgebung Darinstadts besonderen Reiz. Heidelberg 
lag nahe genug, wenn ihn Menschenhunger anwandeln 
sollte, und Menschen gab es, wie wir sehen werden, auch 
m Darmsladt. 

Strauß brauchte aber vor allem eine neue Arbeit, ein 
Leben ohne eine solche war für ihn immer leer und un- 
erfreulich. Diesmal aber sorgte, auch ohne sein Zutun, die 
Weltgeschichte für Stoff und für Interessen, über denen 
man die eigene Person vergaß. Das erste, was er in 
Darmstadt erlebte, war das Jahr 1866 mit seinen großen 
Ereignissen, dem Krieg, wie er sich langsam vorbereitete 
und dem, was er Deutschland alles brachte. Die deutsche 
Einigung war 1848 nicht zustande gekommen. Wir wissen« 
auf welcher Seite Strauß damals stand. Dieser Über- 
zeugung von dem moralischen Hechte Preußens auf die 
Vorherrschaft in Deutschland und von der politischen Not- 
wendigkeit dieser Lösung der deutschen Frage ist er 
auch in der Reaktionszeit der fünfziger Jahre treu ge- 
blieben. In seiner Abneigung gegen die romantische Politik 
Friedrich Wilhelms IV. und gegen alle Romantik in 
der Politik haben ihn die Erfahrungen jener Jahre freiln -h 
nur bestärkt; darum eifert er gegen den Wiederaufbau einer 
Burg auf dem Hohenstaufen, wie gegen die Wiederherstellung 
des Kölner Doms, durch die den Ultramonlanen nur der 
Kamm steigen werde. Hoffnungsvoll begrüßte er die Thron- 
besteigung Wilhelms I. und die neue Ära, nennt aber die Art, 
wiü bei der Krönung in Königsberg das monarchische 




644 



Elftes Kapitel 




Gotteftgnadantnm betont wurde, einen „romantisch-brtidcr- 
lichen Schnickschnack". »Uli dessen man ganz andere Dinge 
von dem neuen Herrscher erwarte. Aber ebensowenig will 
er von d*r schwarzrotgoldenen Romantik de« Frankfurter 
Schützenfestes wissen: „es ist mir lange nichts von öffent- 
lichen Dingen so widerwärtig gewesen'*, wir diese* Fcet. 
Damals ist es rwisrh»-n Viseher und ihm auf» neue zu 
luftigen politischen Auseinandersetzungen gekommen; dessen 
„ewiges Cbclnehmen, Aufbegehren, Ausoiriiindnrwtzen und 
WiederUbelnehmcn'* machte die Korrespondenz äußerst 
schwierig, führte auch zu einer länger. m Unterbrechung 
derselben. Uen Anfängen Bi&marcks stand Strauß, wie 
alle Liberalen jener Tage, vor allein in Süddeutsch- 
land, mißtrauisch und ablehnend gegenüber, und in der 
Konfliktszeit hielt auch er es mit der opponierenden K . m 
rnehrheit. „Mit Preußen ist's bis auf weiteres nichts, wie 
sollt' ich mich also dafür ereifern ?" schreibt er im Mai 1863 
an Viseher, fügt aber vorsichtig hinzu: „Wie es sonst werden 
soll, sehe ich freilich nicht ab, man muß eben, scheint mir, 
vorerst abwarten ." Und in seiner Grund Überzeugung wird Bf 
dadurch nicht irre. „Da Du das fOder.-il.ive Verhältnis selhal 
als ungenügend aufgibst", schreibt er ihm im Juni ,,so handelt 
es sich um eine Spitze, und da hast Du freilich recht, wenn 
Du sagst, die preußische mache der Widerstand der Osln 
reicher, Bayern, Schwaben unmöglich. Wenn Du aber auch 
den preußischen Staat an und für sich dazu unfähig nennst, 
so glaube ich, daß Du ihm sehr unrecht tust. Von der der- 
maligcn und allen bisherigen preußischen Regierungen i*t 
es zuzugeben, aber das Volk zeigt sich ja eben jetzt von einer 
so tüchtigen Seite, die selbst dem stolzen England A> htm ; 
abnötigt und es faktisch, was politische Befähigung betrifft, 

an die Spitze Deutachlands stellt, Wo ist denn in Österreich, 
Bayern, Württemberg das Zeug zu einer solchen Kammer 
wie die preußische? Daß Du das preußische Volk als eine 
Mischung von Wenden, Franzosen und Juden darstellst, 



18I1Ö und 1870. Voltaire und Rentin. 



mV, 



hat mir wirklich loid getan. Also mit Preußen geht's dermalen 
ni<'l»t, weil die Regierung nichts Inugt und weil i'in Tri! der 

andern Stämme nicht will; aber mit Österreich »ehe ich nlchl 
ein, wie es jemals gehen soll, so lang es 1. diese überwiegenden 
außerdeutschen Anhängsel hat und solange es '2. katholisch 
ist. Ein katholischer Staat kann nie an der Spitie Deutsch- 
lands stehen, denn er repräsentiert gerade das nicht, was 
das Beste an Deutschland ist. Doch für jetzt ist alle» Reden 
und Schreiben vergebens. Wir müssen erst wieder" — 
fügt er prophetisch hinzu — ,,in den Tiegel, die Stunde der 
Not muß kommen, da wird's dann werden, nicht wie es »oll, 
sondern wie es kann, da wird nicht die Vernunft, sondern dU 
Gelegenheit entscheiden."' 

Auch in der Schleswig- hol»leiui»rhcu Frugi' war 
er anfangs voll Mißtrauen gegen die Politik Bi*- 
mareks, das zeigen uns die „Deutschen Gespräche", die 
[803 in dem Beiblatt Mir Gartimluube, den Deutschen 
Blättern, erschienen. Daß sich Schleswig-Holstein» Schick- 
sal nur an der Spree entscheiden könne, das sah er aber 
doch früher als die meisten Deutschen. Als dann der 
Krieg mit Dänemark kam, atmete er auf, voll Zuversicht, 
daß der Kriegsgott den Diplomalengott zwingen werde, 
ihm »ein Recht zti lassen. Und nach dem Krieg freute flr 
sich, daß dieser Schleswig-Holstein deutsch gemacht habe. 
Auch Bisrnarck fing er an zu loben, wenn er seine verschlun- 
genen Wege auch noch nicht ganz verstand — wer verstand 
sie denn damals? Aach scheute er sich nicht, Preußen 
zuzustimmen, daß es aus Schleswig- Holstein keinen selb- 
stfindigen Bundesstaat werden lassen wollte und ver- 
teidigte sogar seinen Anspruch auf die Eibherzogtümer, 
weil es dieser Lander bedürfe, ..um sich zu dem Kampf. 
den es Ober kur£ oder long zum Heil des großen Vaterlands 
zu bestehen habe, zu starken". Freilich glaubte er, daß 
erat das Ministerium Bisrnarck fallen und das verfassungs- 
mäßige Recht in Preußen wiederhergestellt sein müsse, 

Tb. Zlvrtar, D. rr, StrauS. II- vj 




Mfl 



Elfi« Kapitel 



ehe es an die Losung »einer deutschen Aufgabe denken 
könne. 

Es kam bekanntlich anders. Der ( .kecke Minister" 
hat Preußen nicht nur zur Verwirklichung dieser Aufgabe 
di« Mittel geschaffen, er hat sie auch sulb.it hnrbaigvfOhrt. 
Im Juli 1866 kam ee zum Krieg mit Österreich. Dieser 
war auch Strauß ein Greuel, wenn er auch sonst ober 
politische Moral recht realistisch gedacht hat, wio das 
einmal sehr hübsch in der Besprechung einer Rede TOB 
Böckh 1 ) zum Ausdruck gekommen ist: ..Holtys „Üb" 
immer Treu und Redlichkeit" ist ein schöne» Liod, und Khn 
dem, der es in Ausübung bringt: zum politischen Wahl- 
spruch aber reicht es nicht aus; der alte Fritz wenigstens 
hat es gewiß nicht auf seiner Flute gespielt, als er in Schlauen 
einrückte und die Größe der preußischen Monarchie be- 
gründete." Aber item, es war eine böse Sache, ein Krieg 
Deutscher gegen Deutsche. Das gibt er Vischur zu, dor 
damals und bis gegen 1870 hin großdeutsch gesinnt und ■■m 
fanatischer Preußenfeind gewesen ist: „Allein nun er einmal 
ausgebrochen ist, stelle ich mich mit meinen Wünschen 
ganz, auf die Seite» der ich immer angehört habe, überzeug! . 
daß ein Sieg derselben uns zwar wenig Gutes, der der anderen 
aber nur Schlimmes bringen kann. Oder genauer meine ich. 
ein Sieg Preußen* brüehte uns im Augenblick auch Schlimmes 
ließe aber für die Zukunft doch Gutes hoffen, während un.i 
von Österreich jetzt und in Zukunft nur Schlimmes komn 
kann.* 1 Neun Tuge darauf faßt er in einem Brief an Rapp 
sein politisches Glaubensbekenntnis kurz und bündig so 
zusammen: ,,1. Deutschlands Gesamt Verfassung ist so ver- 
zweifelt, daß auf dem Wege Rechtens nicht mehr, sondern nur 
noch durch Gewalt zu helfen ist. 2. Diese Gewalt kann von 
unten oder oben kommen. 3. Von unten wurde »in 1848 



') In doT „Zeit" vom 4. April 1861. Es handelte sich nm «iao 
akademische Fe&tredo lum Geburtstag des neuen Könige In dor (tun 
su viel des Lobes far den verstorbenen Friedrich Wilhelm IV. war. 



.1366 und 1870. Vollaip* und Renan. 



647 



versucht und es ist mißlungen. 4. Preußen versucht"» jetzt 
von oben und es ist halb gelungen. 5. Um ganz zum Zi< !• 
zu führen, müßte sich die Aktion von oben mit der von 
unten kombiniert haben oder noch (wenn möglich) kom- 
binieren. Anders kann ich es auch so ausdrücken: Öster- 
reich hasse ich, die Mittelstaaten und ihre Politiku verachte 
ich. Vor Preußen habe ich Respekt, zur Liebe langt's noch 
nicht; aber meine Hoffnung für Deutschland ruht uuf Preußen. 
Entweder durch Preußen oder gar nicht ist Deutschland zu 
helfen." Wie dann der Krieg seinem Ende zugeht, da 
sieht er zunächst nicht ohne Bangen auf die Halbheit des 
Ergebnisses. Daß Sachsen nicht auch annekliert werden soll, 
verdrießt ihn am meisten. „Denn mit welchem Recht will 
man diejenigen verschlucken, die erst im zweiten Aufgebot 
der Feinde standen, wenn man den Staat, der unter den 
kleinen Feinden voranging, durchschlüpfen laßt ?" Über 
die Mainlirüe äußert er sich Kuno Fischer gegenüber so: 
„Die Dereliktion Süddeutschlands trifft zwar gerade mich 
als Süddeutschen besonders schmerzlich; doch muß ich sagen, 
es geschieht diesen Süddeutschen, in erster Linin meinen 
Würtlembergern, ganz recht. Der politische Unverstand 
dieser Leute ist unglaublich und hat sich auch jetzt nur 
verkrochen, nicht verloren. Deutlich stellt »ich auch, wie 
im Jahre 1848, wieder die Koalition von Ultramontanen 
und Demokraten heraus. Die Preußen haben ein Recht, 
auf diesen Süden verächtlich herabzusehen, der in allen 
Krisen der Nation regelmäßig auf der unrechten Seite steht 
zu Napoleons I. Zeiten bei Frankreich, 1848 bei der roten 
Demokratie, 1859 und 1866 bei Österreich. Es mag ganz 
heilsam sein, diese Süddeutschen vorerst noch zappeln, mm 
durchbohrenden Gefühl ihres Nichts erst gründlich gelungen 
zu lassen, sie eine gute Weile klopfen zu lassen, ehe ni.ni 
ihnen die Tür aufmacht/' Wie eich aber die Geschicke 
schließlich vollenden und die preußische Thronrede mit ihrem 
Begehren der Indemnität für die budgetlose Verwaltung der 

42* 




MS 



Elft« KtpitcL 



letzten Jahne auch noch dem inneren Hadei nde 

macht, da bricht rr trotl "1er Mainlinie. trotz der VersobOBSDg 

Sachsen** in hellen Jubel aus: ..Große» Est erreicht, iu r 
Größerem der Boden bereit« l, man kann für Deutschland 

wieder hoffen. 1 ' l'irnliens S «lauf macht ihn „ungeu 

glücklich". Und nnrh helehren laßt er »ich durch dir Kr- 
eigniaae. „Allerdings " , MfaoKbl CT an Viacher. — und das 
sind Worte, die von großer poMtWiliflf Hinsicht zeugen, — 
„war rinn siegreiche Preußen nicht dasjenige, den. ich d 
Sieg gewünscht hatte. Gewünscht halt« ich ihn einem libe- 
i.tlrn, wahrhaft konstitutionell, u l'reußen; aber das ab 1 i 
Preußen hat ihn davongetragen. Daruher könnt«- ich nun 
grollen; statt dessen entnehme ich nur daraus eine ge- 
schichtliche Belehrung. Bis das liberale Priniip *eine Kff 
soweit zusammengefaßt, seine Rckcnncr 50 weit unter cin^n 
Hut gebracht halt«, um einen tolehen Stoß gegen den Parti- 
kuliirismufl zu führen, hatten wir noch hinge warten können. 
Nur darum ist ihm der Absolutismus mit «einer konzen- 
trierten Kraft zuvorgekommen. Das sind Tatsachen, die wir 
anerkennen, nach denen wir unsere HegriuV berichtigen 
müssen. " Und wie ihm schon im Jahre IftW* die Kiuhcit 
wichtiger, dringender schien als die Freiheit, so fahrt er auch 
jetzt wieder fort: „Kins nach dem andern! Und da ist, vi« 
es scheint, die Einheit, wenigstens die Grundlegung zu .h-r 
selben, das eine, die Freiheil erst das andere " Ganz be- 
sonders leid tut ihm aber nachträglich die Verkenmig 
Bismnrcks. Reuevoll schreibt er darüber am 27. Oktober 
1866 an Frau Lewald; ,,Es würde mich nicht» kosten, 
dein Grafen Bismarck auf offenem Markte jedes Wort 
nlmibitten, das ich in bester Meinung, aber mangelhafter 
Sachkenntnis Regen ihn gesprochen oder geschrieben habe." 
So war er mit. dem Gang der Ereignisse rufriedi 1 
soweit ein Süddeutscher, der sich ausgeschlossen sah. im 
Jahre 1866 befriedigt sein konnte. Aber klar •• frinffl - li r, 
dl 9 ilie-ne tudhe Los» 1:: eben nur 1 in Provisorium 81, « Im! 



1S66 und 1870. Voltaire und Renan. 



BfA 



seine Uaucr einmal — BOT wenig zu kurz — auf drei Jahn» 
bestimmt. Aucb personliehe Opfer forderte diese Zeit „des 
unglücklichen, in sich enl/.wnteu BfiWußtMOka" von ihm. 
Wie damals in jeder Stadt, in jeder Kanulie fast die Herzen 
geteilt waren, so stand der Sohn de* preußenbegeisterten 
Vaters als Unterarzt bei den Württembergern gegen Preußen. 
Das Verhältnis zu Vischer, das seil 1848 immer labD p'\\ 
war. geriet in heftiges Sehwanken. Strauß schrieb ihm 
darüber einmal ganz oiTon; ,,Es kannschnn unbequem worden. 
oh es gleich eine Kleinigkeit ist, WWW YOU BWd r'reiinden 

der eine die Leibspeise des endern nicht ausstehen kann; 
noch unbequemer, wenn der eine ein liundefreund, der 
andere ein Feind dieser Kreaturen i-i Wenn nun aber 
gar in einer politischen Entwicklung der eine etwas Ver- 

rueliles sieht, das ilin In-, zur MeiUH lieiilemdv Iiatl vrn.timii.t. 
der andere etwas Großes, das ihm die Urusi zvi neuer patno 
lischer Hoffnung hebt, so bedarf es der ganzen Starke alt- 
verw urzeiter Freundschaft, damit einer am andern nicht 
irre werde." Strauß war dabei — er halt« ea, als auf der 
siegreichen Seile stehend, auch leichter — der Versöhn- 
lichen-; er hat sich geradezu gelobt, daß es kein Zerwürfnis 
mehr zwischen ihnen heulen ^eheti diirle, , .und nun will nh den 

Teufel sehen, der doch eins anzetteln könnte 11 . So hat er 
denn auch den Vorwurf ..politischen Fanatismus", den ihm 
Vischer maehle. ohne Kmptiridhehkeil zurückgewiesen, ihm 
denselben freilich — wie ich au* eigenerpereönlieher Erfahrung 
bestatigenkaun . mit Hecht zurückgegeben. Schlimmersland 
es um sein Verhältnis zu (iervmtrv Mau weiß, wie auch dieser, 
und unversöhnlicher als Vischer noch über 187i> hbtttttj Üob in 
seinen Groll gegen Preußen eingesponnen und verrannt hat. 
harnher beriehtet Strauß au kuno Fischer am V August 
1866: „Schon im vorigen Frühjahr überraschte mich Gervinus, 
als ich ihn in Heidelberg wieder sprach, nicht wenig durch 
seine Idee eine* selbständigen SaMttWtg-HafeUil] TOB dem 

er si- b ne n Stützpunkt für eine ganz neue deutsche Politik 



660 



Blftc« Kapitel. 



versprach. Seitdem ohne wtiUM Nachricht von ihm. seh 
ich ihn vor vier Wochen, wenig« Tage vor der Schlacht bei 
königgratz, hier in Darmstadt bei Tisch, im Begriff, ins 
Lager de» achten Armeekorps abzureisen, »im sich von der 
dort hingehenden Stimmung zu überzeugen, die aeinige war 
mo, daß er gegen den „schfindluhmi Raub" Schleswig-Holstein» 
«ehnaubte und sich vermaß, er hnttc nichts dagegen, wenn bei 
dieser Gelegenheit Preußen „zerkrümelt" würde. Eine böse 
•vn-kgaase für einen Geschichtachrciber des neunzehnten Jahr- 
hunderts." So gingen hier die Wege rettungslos auseinander. 
Duß aber Strauß trotz dieser schweren Differenz dem allen 
Freund die Treue gehalten hat, das zeigt, was er bei seil 
Tode am 18. März 1871 über ihn schreibt: „Vorgestern 
ich in Heidelberg bei der Leiche von Gervinua. Es war 
überaus betrübender Fall. Daß der ausgezeichnete Mann eben 
jetzt sterben mußte, so unversöhnt mit der Zeit und notwendig 
verkannt von den Zeitgenossen, die langer Besinnung nötig 
haben werden, um für sein Verdienst die richtige Würdigung 
zu gewinnen, fiel mir schwer aufs Herz. Die Stadt war beflaggt 
für die heimkehrenden Truppen, da ging die Leiche so ignoriert 
nebenher. Wie nichts der einzelne, selbst der Bedeutendste, 
dem Ganzen gegenüber ist, davon hatte man ein nieder- 
schlagendes Gefühl." 

Das Jahr 1866 war ein politisches Jahr, das zu ruhigem 
Studieren wenig geeignet war. Auch wußte Strauß für das 
Was einer neuen Arbeit im Augenblick noch keine Antwort. 
Der theologische Faden war wieder einmal abgerissen. Sein 
Interesse für theologische Dinge, das glaubte er bei der 
Arbeit der letzten Jahre bemerkt zu haben, war nur noch 
ein beschränktes. Früher hatte ihn an dem Studium am -h 
des ihm Antipathischen der polemische Eifer festgehnlten, 
jetzt überwog der Ekel an dem vielen Abgeschmackten 
und Erlogenen joden Antrieb, sich näher darauf einzulassen. 
Und doch schwebte ihm ein, wenigstens halb theologische» 
Werk vor, die populäre Umarbeitung seiner Glaubenalehro 



18GG und 1807. Voltaire und Keaan. 



05] 



als letztwilliges Glaubensbekenntnis eines Denkenden unserer 
Tage» jenes Zusammenfassende, das ihm der Bruder so oft 
ans Herz gelegt hatte und wofür er das Leben Jesu für das 
Volk nur als Abschlagszahlung hatte gelten lassen wollen. 

Aber ein anderes drängle sieh vor. Durch den national- 
liberalen Politiker Metz, mit dem er in Darmstadt verkehrte, 
wurde er im Zusammenhang mit den Ereignissen von 1866 
auf Adolf Schmidts Geschichte der preußisch-deutschen 
Unionsbestrebungen seit der Zeit Friedrichs des Großen hin- 
gewiesen. Das führte weiter zu immer eingehendem^ I .cl< Lora 
von historischen Werken aus dem Gebiet der preußischen 
Geschichte, die er zuerst in Darmsladt, dann im Winter 
1867 auf 1868 in München eifrig betrieb. Dabei interessierte 
ihn mehr und mehr Friedrich der Große und seine Zeit, er 
las die Monographien von Preuß, insbesondere auch dessen 
Schrift ,, Friedrich der Große als Schriftsteller*', und griff 
dann endlich zu den Werken Friedrichs selbst, zuerst zu 
seinem Briefwechsel mit Voltaire. Auch das Erscheinen 
und die Lektüre von Rosenkranz* „Diderots Leben und 
Werke" — „eine köstliche Geistes- und Herzensnahrung' 4 — 
fallt in dieselbe Zeit. 

Damit war er ja nun wieder bei seiner geliebten Auf- 
klärung, deren größter Vertreter wie in Deutschland Lessing, 
so in Frankreich Voltaire gewesen war. Ihn kannte er bis 
dahin nur wenig. In seinen jungen Jahren lag er für ihn im 
Schatten der Geringschätzung, die vonseiten der romantischen 
Philosophie, in der er aufgewachsen war, die Aufklärung 
traf; später hatte ihm zwar bei seinen kritischen Bemühungen 
der Vorschub nicht entgehen können, den die Vertreter dieser 
Richtung demjenigen geleistet hatten, was er erstrebte; 
er hatte die englischen Deisteu schätzen, Reimams verehren 
und lieben gelernt. Aber immer blieb diesen mehr oder minder 
ernsten wissenschaftlichen Männern gegenüber der frivole 
Spötter gomieden auf der Seite liegen. Und nicht allein, 
daß er Voltaire in der Hauptsache nicht kannte, selbst das, 




66a 



Etftai KiptUi 



was or von ihm kannte. »Und ihm toi Strauß iraWege. An 
■ ui.ni Cbtrifli XII. hall»- rr wie herkömmlich da* bißchen 
Franzosisch gelernt, das er wußte: von dem zu solchem 
Zwecke gelesenen Buche blieb ihm MtArlicti kein Kmdruck 
Später halte er uuf Empfehlung »eine- Brüdern der ein 
großer Voltaire- Verehrer war, den Candide gelesen: 
dem Schiller nijcr hochgc*tinimten idealistischen Philoeotiiiir 
der er damals wer, mußt der Voltairesche Horuan seicht 
erscheinen. Nun lernte er seine Briefe an Priedriet den 
Großen kennen. Wenn er durch irgendeine \il von Schrift- 
werken für einen Autor zu gewinnen war. so waren ee 
Briefe; so haben ihn auch für Voltaire dessen Briefe ge- 
wonnen. Er las sich zuerst in MOnohon, denn m Danneiftdl 
wohin er im Frühjahr 18tiS zurückkehrte, in die 70 BntinV 
«einer Werke ein und schließlich durch *üe durch und be- 
schloß, nicht für das Publikum, auf das er »eil dir ,\uf- 
riahme seine* Lehen* Jesu tm-ht eben gut zu sprechen wer, 
weil es ihm einen Schenkel vorgewogen hatte, sondern für 

■'■Mir 1'orhler ein kleines Leben Voltaire. 1 - /u scluvilieii W.t- 
jetzt als dritte Beilage dem ..Voltaire" angefügt ist: Voltaire 
und Marie Corneille oder der Patriarch von Ferney als Pflege- 
vater und Ehestifter", dos war die Keimzelle seiner Ynlt.. 
Iiingraphie 

Zu dieser kam nun aber noch ein Anstoß von außen. 
In Dannstadt lebte als Gemahlin des Erbprinzen Ludwig 
von Hessen die PrinsesHin Aliee, eine Tochter defl Prinz- 
gemahls Albert und der Konigin Victoria von England. 
Schwester der spateren Kaiserin Friedrich. Diese M l 
waren durch ihren Vnl.i-r undei-n er/ogen, al- tonst wohl 
Prinzessinnen er/.ogen zu werden pflegen, voll geistiger Inter- 
essen, ohne religiöse und politisch.? Vorurteile, freidnnkond 
und froigehtunt im besinn Sinne den Worts. Daher wünschte 

die freigeistige Prinzessin Strauß, der ja, wie sie, in Dji 
stadt lebte, kennen zu lernen und schickte ihren Sekreten? 
zu ihm, um wegen eines Besuches, den er bei ihr machen sollte». 



H6A und I8;0. VolUm und It-nan. 663 

zu im trr bandeln. Ich. erzihlt er seinvra Freund Fischer 
in Öhringen, „an oin wirkliche* Interesse hoher Haupt*r 
fOr unseroinr* absolut ungläubig, wehrte mirh */• Stunden 
und hatte auch nicht nachgegeben, wtmn'sein Prin* gewesen 
wäre; aber einer Dame gegenüber erschien die bvharrliche 
\\ i-igerung als Kuslizität, die ich auf den deutschen Ge- 
lehrten nicht kommen lassen durfte. Ging also hin. abgo- 
r •'di'iiM-ruaßeii in meinem gewöhnlichen Atmig, ui\t\ fand 
mich sehr angesprochen. Das natürlichste, offenste Wesen, 
dem gegenüber man sich gleich in gemütlicher Stimmung 
findet. Der Vuter hat sie und die allere. Schwester (die 
damalige deutsche Kronprinzessin) selbst nach einem popu- 
lären Lehrbuch des seligen BrcLachneider in der Keligion 
unterrichtet und zum I lenken und Zweifeln angeleitet 
Dadurch ist sie und die Schwester in Berlin auf einen ganz 
freien Standpunkt gelangt, wovon über Frau Minna nicht* 
wissen darf." Strauß hielt diese Bekanntschaft nittSt nur 
für eine „hübsche Episode" Aber es wurde mehr. Die beiden 
Menschen fandun lebhaftes Wohlgefallen aneinander, und so 
etilHtand zwischen ihnen wtrkluhr f "r. 1 1 n< l-< )i;i ft AI-. Bf 

nach Manchen gebt, muß er ihr ein Wort in ihr Album 
abreiben und ihr seine Photographie zurücklassen; als er 

wieder nach I larmsl :uli zurückkommt, wird der Verkehr 

wieder aufgenommen und eifrig fortgesetzt, auch sie besucht 
ihn mit ihrer Hofdame auf seinem Kimmer. Der Tusso wird 
mit verteilten Knllen gelesen, woran uueh dflT Prinz teilnahm 
und dahei war es rührend, wie sie mit grünen Lampen- und 
Lichtschirmen für seine Augen sorgte. So dürfen wir ihm 
glauben, wenn er schreibt: ..Ich habe viel Krlrischung von 
diesem Verkehr". Auch mit ihrer Schwest.-i nn.l .In n 
Mann, dum Kronprinzen, späterem Kaiser Friedrich, ist er 
durrh sie bekannt gemacht worden, Ihirüher erzahli »t ihr 

Schwagerin am 17. Oktober 1860: „Diese Woche waren die 
preuUischm Herrschaften hier, und gleich am erslmi Abend 
stellte mich die Prinzessin ihrer S-hwesler und Schwager vor, 




654 



Elftes Kapitel. 



D« Kmpfaitg war ein Mbf IVcumlii-hrr. die kronpnnzMlin 
ist nichts weniger als slolx, sondern gemütlich und behaglnh. 
clor Kronprinz Riit und verständig. Die Audienz dauert*') 
Über «ine Stunde, und ich wurde schließlich eingeladen, 
mich bald einmal in Berlin »eben tu lassen. Für da« künftige 
Selucksal Preußen» und Deutschlands istnürdw FirkannUchaft 
dieses hohen Paares Äußerst erfrculi'h und hoffnPPfflflboad**. 
So lächelte dem Sechzigjahngen die Hofgunst; doch meint 
er dazu. „das Schönste au der Sache ist doch, daß ich dabei 
keinen persönlichen Wunsch für mich hübe, sondern den 
Herrschaften wie Diogenes dem Alexander gegenüberstehe.* 4 
Von der Kronprinzessin hat er noch auf seinem letzten 
Krankenlager gesagt: , .Meines Geistes hat sie einen Hauch 
verspürt: es soll mich freuen, wenn er kein ganz fluchtiger 
gewesen." Daß durch den frühen Tod Kaiser Friedrich! dieses 
SlrauUisehen Geistes Hauch in Deutschland nicht 7.11 Kinfluß 
gekommen ist, hat vor allem der kirchliche und religiöse 
Liberalismus als einen welthistorischen Ausfall zu beklagen. 
Statt der Aufklärung kam die Romantik. 

Strauß aber hatte nun sein Publikum für den „Voll« 
— die Prinzessin Alice. Für sie etwas über Voltnire nieder- 
zuschreiben, ihr es vorzulesen, war ein Gedanke, der etwa» 
Lockendes für ihn hatte. Und so ist denn für sie der Voltaire 
im Herbst 1869 geschrieben und ihr dann sofort un Januar 1870 
jeden zweiten Tag 1 — 1 *£ Stunden aus dem Manuskript vor- 
gelesen worden. Da sie gerade Krankenpflegerin ihres Gemahls 
und eines Kindes war, so war ihr diese Unterhaltung am Abend 
sehr erwünscht, Sie war ihm eine ebenso beharrliche als 
empfangliche Zuhörerin. In sieben Abenden kam er damit 
zustande, für den Druck hat er die ,, Vortrüge'* dann noch 
etwas erweitert und in deren sechse geteilt im Juni 1870 als 
Buch erscheinen lassen. Dieser Entstehung entsprach die 
Widmung: „Ihrer Königlichen Hoheit Alice, Pri&MÜ 
Ludwig von Hessen, Prinzessin von Großbritannien und Irland, 
für die sie geschrieben, von der sie freundlich angehört wurden. 



1866 gnd 187$. Voltaire und Renan. 



KG 



widmet nun die gedruckten Vortrüge nhrfiirchtsvoll und treu 
ergeben der Verfasser." Wir müssen es der Prinzessin hoch 
anrechnen, daß sie vorurteilslos genug war, ein Buch Über 
Voltaire, das David Friedrich Strauß 7.urn Verfnusnr hatte, 
sich von diesem widmen zu lassen. Die Widmung selbst hat 
Übrigens eine kleine Geschichte. Die Initiative dazu ist 
von der Prinzessin ausgegangen. Eines Tages — es war im 
April 1870 — dankte sie Strauß für den ..Halt, den sie an 
ihm gefunden habe*', worauf er bescheiden erwiderte, auch er 
habe ihr vieles zu danken, z. B. wäre der Voltaire ohne 
sie nicht zustande gekommen. Darauf die Prinzessin: 
Es wäre hübsch, wenn Sie mir ihn dedizierten. Er: Darum 
Sie zu bitton, K. 11., war auch ursprünglich meirm Absicht; 
aHein ich dachte an den Anstoß, den die Schrift sicher 
geben wird, und darein möchte ich E. K. H. nicht ver- 
wickeln. Sie: Aus grundlosem Anstoß mache ich mir 
nichts; meine Schwester tut's, ohne doch etwas dadurch zu 
gewinnen 1 ). Ich: Beschließen wir wenigstens noch nichts, 
ehe E. K. H. sich mit Ihrem Herrn Gemahl in der Sache 
besprochen haben. Sie: Da haben Sie recht, das will ich tun. 
Strauß war trotz dieser „allerliebsten Verhandlung" ent- 
schlossen, das Projekt mit der Dedikaüon der Prinzessin 
auszureden: ihr würde es Freude machen, ihm natürlich 
auch, aber ihr ganz gewiß auch Verdruß, und den ihr zu 
ersparen hielt er für seine Pflicht. So stellte er ihr — am 
40. Juni — noch einmal alles Bedenkliche vor. Allein ee 
half nichts, am folgenden Tage schrieb sie ihm: „Der WVrt, 
der für sie darin liege, die Dedikution eines Buches anzu- 
nehmen, welches so teure Erinnerungen für sie in sieh berge 
(die Erinnerung an die genußreichen Abende, an denen 
ihr Strauß den Voltaire vorgelesen), werde stets größer lata 
als irgendeine Unannehmlichkeit, die möglicherweise lür 
sie daraus entstehen könnte." Auch ihr Mann, der die ge- 



») Wie recht die Pnnxwsin damit hatte, teigte dai Jahr 1888. 




€ö6 



Elfte» Kapita 



fährlichatcu Süllen des Buch*» in den Aushängebogen gcleeeo 
hallo, war damit dnvmWlldttl I IIb Prinwwin konnte stolz 
wir», daß sie die einrißt war, der SlrauU eine* seiner 
Uur-hor gewidmet hat '). und daß ihr .Name für all* 
mit diesem Werke verknüplt ist. Aber auch für Strauß 
war diese* Buch hinfort unzertrennlich verbunden rnil der 
Knnueruny an dies«? Frau und damit an eine der erfreulichstiri 
iiml rin'11-.rhhch eobAOBlftO Betiehaogen seines I^tbon*. 

Das Buch brachte ihn nun auch wieder in Kontakt 
mit dem Publikum, an das er bei der Abfassung desselben 
■0 wenig .'il- tnotflwli gedacht hatte, und zwar bildete diesmal 
nicht nur sein deutsches Volk, mindern wir wir gleich hören 
werden, auch die gebildeten Franzosen dieses Publikum. 

Die Vortrag" dil.eli (ilüek, kaum wnirn :-e r\ rluriirii, so 

war auch schon — trotz des Krieges — eine «weile Anflage 
nötig. Diesen Erfolg hat der „Voltaire" aber auch vollauf 
verdient. Es war auch diesmal wieder eine echte Biograph- 
eine Monographie nach Strnußens Art, keine Schilderung des 
Milieus, der Zeit und der Kullurepoche im ganten, sondern 
das Bild eines Monschen. Ausdrücklich erklärte or, daß er 
sich in betreff der Zeil und der Zeitgenemn Voluii 
Schranken gesetzt und die Nebenpersonen als Nebenpersonen 

behandelt halte. Aber jener eine, um den sieh alles ilrehl, 
war mehr noch ajs seinerreit Multen der typische Vertreter 
seines Volkes und der ganzen Kulturepoche, der er angehui i 
Wie er selbst in dieser wurselt, bo hat er sie und sein ganzes 
Zeitalter geistig beherrscht und nach sieh bestimmt. \ 
vom Preußen Friedrichs des Großen, so dürfen wir um 
Mitte de* achtzehnten Jahrhundert* v Fumkreieh Vol- 
taires reden. So erwies sich Strauß im Gegensatz zu den 
MiliiMis.-ltild.'ivrii einer demokratisch und sozialistisch go- 
wordenen Zeil auch jetzt wieder als der Vertn tei je 



*) Die Widmung dir. xwrti» -n 1 Ihm- Jt*u hat ja «Im linidrr 
iiu.ht mehr L-licml erreicht. 



!86t) und 1870. Voltaire und Konun. 



667 



neuhtminnislischen Ideals «Iit iinlividiialhilduni;, dflno un- 
vergleichlichen Typus Goethe Eo seinem Wilhelm Meister 
geechaffeu und geschildert hat. Wie Ih'idie-eiu.so wuraboi auch 
bni Strauß, infolge seiner iwihei t6D Stellung itinl BflfsQrkontmi 
plativen. von allem Eingreifen in dir Weltnhgnkrhrten I^ebens- 
führung, diese Bildung immer mehr eine ästhetische geworden. 
Daraus erklärt sieh uns im /.weilen Leben Jr:-u ilie starke Re- 
tonung des Hellen und Nationalen, OuM Humanen und 
Harmonischen» der schönen Natur in Jesus. Und diese» 
Ästhetisch« zeigt, sich j'Ul im „Voltaire 41 schon fiuBoriSoh in 
iler schönen Form, Hie du* lliichldn zu einer wahren Perle 
biographischer Kunst, .lureh Stil und Komposition zu einem 
Schmuckstück und Kunstwerk allerersten Hange* ma< M ÜB 
ist nicht das Größte und Beste. nicht das Wuchtigste und 
Eindrucksvollste, aber es ist weitaus das Schönste, was 
Strauß geschrieben hat. 

l.'nd i*s ist auch ein historiaoh^yohologisebea Meister- 
werk. Die Cliarakteristik dieses komplizierten Menschen mit 
den beiden Seelen in seiner l'eusl , einer ganz hohen und großen 
und freien auf der einen und einer ganz kleinen, ja geradezu 
gemeinen auf der andern Seite, ist durchaus gelungen, — 
gelungen auch jel/.t wieder wir bei Bütten «lureh die absolute 
EEfaffiohkdl und Wahrhaftigkeit, mit der Strauß nichts 
verbirgt und nichts beschönigt. Offen gibt er in den Schluß- 
betrachtungen zu, daß uns, wenn wir auf das Leben Voltaire* 
»•inen Rürkhliek werfen, von seinem Wesen ein starker Krden- 
rest bleibt, von dem wir mit den Engeln inj zweiten TWI 
des Kaust sagen müssen: ,,er ist nicht ivinlirlr. Aber 
auch fflr seine Fehler muß man den richtigen Gesichtspunkt 
suchen, man darf sie, wie Spinozu forderte, nicht bejammei B 
oder verheben, geringschötzen oder verwünschen, du 
muß sie verstehen wollen. Und dn ergibt sieh, daß sie 
teils als natürliche Wirkungen Nfaer Zeit und ihrer 
Vorbildung, leiK soLpir »\y Mittel zu ihrer l mbildung er 
kl ii'-inen. Wus die Zeit bedurfte, war nicht eiii reinen. 




658 



Elft» Kapitel. 



ruhiges Licht, sondern ein flackernd«, funkensprübende* 
Feuer. Es war jetzt nicht durum zu tun, «ino neun Wahrheit 
aus dm Tiefen der Natur und des mffWlMWUB (Jn i 
heraufzuholen, sondern die erkannte zu verbreiten, sie für 
die weitesten Kreise verständlich und BiHiThtlvfl n muehen 
und ganz besonders alles, was ihr« Ausbreitung hindert«, 
das Verlebte und Verrottete, Mißbrauche und Vorurteil* 
aus dem Wege zu räumen. Er&lwes Eisschicht nm besten 
durch leichten, anmutigen Vortrag, letzteres durch Soherz 
und Spott: und wer war in beiden ein größerer Meister als 
Voltaire? Das Geschäft muß aber auf vielen Punkten an- 
gegriffen und die Anlaufe in immer wieder anderer Art — 
zur Abwechslung wohl auch einmal mit stürmender Leiden- 
schaft — unablässig wiederholt werden: wer war vielge- 
staltiger, allgegenwärtiger, unermüdlicher als Voltaire? Wie 
wäre aber diese Beweglichkeit ohne Reizbarkeit mögli --h. 
wie wäre mit dem Spott und Hohn, dem Zorn und Haß ein 
ruhiger Ernst, eine würdige Haltung vereinbur gffNMi 
Ich sage nur, daß selbst Voltaires Fehler zum Teil Mittel 
für sein Wirken, ich sage nicht, daß sie darum keine person- 
lichen Fehler gewesen sind. Daß sie dies in der Tal waren, 
zeigt sich darin, daß sie sich als solche bestraft haben. Unter 
seiner Eitelkeit, Rachsucht, Habsucht hat Voltaire selbst 
am meisten gelitten. Er lebte selten im Vollgefühl »einer 
Kraft, seines Wirkens, seines Wertes; die meiste Zeit seines 
Lebens war er in der Pein um untergeordnete, oft ganz un- 
würdige Zwecke befangen. Er ist, wie wir alle, nur so weil 
glücklich gewesen, als er gut gewesen ist." Wenn man sich 
so gesugt hat, was sterblich und verwerflich an ihm war, 
kann man sich „um so rückhaltloser der Bewunderung seiner 
Geistesgaben, der Anerkennung seiner Leistungen überlassen: 
er hat sein Pfund nicht vergraben, sondern damit gewuchert 
wie — mit seinem Vermögen; er hat gearbeitet wie wenige, 
und Arbeit verdient immer Hochachtung; gewirkt aber bat 
er wie noch wenigere, und da er auch für uns gewirkt hat. 



1166 und 1870. Voltairn und Renan. »!:".!# 

verdient er vor vielen unsorn Dunk." So hat un& Slrnuß 
Voltaire verstehen gelehrt, und wir halten da* Bild, da» er 
uns von dem merkwürdigen MoumMu-u gemellMt hat, noch 
heute für richtig und für UttoriiOll treu, wirklieh für ein 
Bild, das sine ira et studio entworfen ist 1 )- 

.Natürlich ist es diesmal nicht wie bei den früheren Hehlen 
der Straußischen Biographien der Gegensatz zwischen Dar- 
steller und Dargestelltem, der uns zuerst ins Auge fallt. 
Nicht das Gegensätzliche, sondern das Verwandte an Vol- 
taire hat ihn angezogen. Dieser war ein Aufklärer und Be- 
freier der Menschheit, ein Vorkampfer für Geistesfreihoit, 
ein Erlöser aus den Banden des Aberglaubens und des 
Vorurteils, ein kühner Streiter gogen Intoleranz und Kirchen- 
tum, ein unerschrockener Verteidiger von Wahrheit und 
Gerechtigkeit: das alles war Strauß auch, und durum lühltn 
er sich innerlich aufgefordert, über ihn zu schreiben. Der 
Erdenrest zu tragen peinlich, der Gegensatz in Charakter 
und Gemütsart mußte dabei hingenommen und vor allem, 
er mußte erklärt und verstanden worden. So war es für 

d.-n I -vrhologtD --ine ].>.:k.-n.K> Anilin' 

Im Mittelpunkt des Ganzen steht die Schilderung von 
Voltaire» Freundschaft mit Friedrich dem Großen und von 
dem jfthen Abbruch dieser Beziehung: sie ist gleich meiftter- 
huft durch ihre Durchsichtigkeit wie durch das gerecht 
Altwögende im Urteil über die beiden Träger des Konflikts. 
Richtig und fein ist auch die Würdigung Voltaires als Philo- 
sophen im fünftcu Vortrag, und menschlich warm und 
schön das Schlußkapitel über den Patriarchen in Fernoy. 



M Einnn Schritt Über Strauß hinaua dürfen wir wohl von der in 
AuMicbt »tollenden Voltaire - Biographie von Paul Salt murin ar- 
wartpn: auch sii* wird Irrilirh das Bild niuhl fludurii. hup viirtiitfiui 
und mit «tMf Fülle von weiteren Zügen auutAtUn. Oani wertlo* 
ist diu Arbeit von J. Popper über Voltnir«.' (1905). Scmo An- 
griff* auT StrauU habn ich in einer Besprechung dta Buchen In der 
Frankfurter Ztg. vom 14. Januar 1906 abgewehrt. 




MI 



Oft« Kapiiel. 






Der Beurteilung der historischen und poetischen Werke 
im TAViilrn md werten \"ilrag kommt es natürlich zugute. 
Hau «eh Strnuß Bdbal auch auf dem «'„■]. iet de Historie 
und Literaturgeschichte gründlich heimisch gemacht und 
•. iTMichl, von Leasing zu dieser, von SchUwKer und Qu 
vinu!» aus zu jener Seite »einen Schaffens mcIi den Zugang 

n , iiii„^-.'n hatte und daran den Lebtufigafl dei großen 

Franzosen in Anerkennung und Kritik thuchiius gorcrlit 
werden konnte. 

Der be9te Beweis aber für den Wert dfoaes Buche» 
niiii's Deutschen über li'ti französischsten aller Franzosen 
ixt der, daß es nicht bloß hei uns als ein uuuhcr- 
troftenes Kunstwerk angesehen und geschätzt wird. 
Banden daß auch die gebildetem Franzosen voll Be- 
wunderung waren und sind über dieses Buch voll Ksprit, 
Charme und feinfühligem Verständnis für den Genius 
limr Nation und für diesen glänzendsten Vertreter de» 
spezifisch französischen Geistes. Zu ihnen gehörte auch 
Einest Renan, mit dem Strauß durch die Vermittlung 
HON jüngeren Freundes und enthusiastischen Verehrer*, 
Chartas Riller in Morges, in persönliche Beziehung gekouuu 
war. Ritter war mit der Übersetzung einiger kleinerer 
Schriften von Strauß ins Französische beschäftigt. 
SHinte-Beuve interessierte sich dafür und sprach auch 
Renan davon, worauf dieser sich aus freien Stocken erbot, 
eine Vnrrodc zu dem Buch zu schreiben und es so mit seinein 
Namen bei dem französischen Publikum einzuführen E» 
war dies wohl der Dank für die freundlichen Worte, i 
denen Strnuß in der Vorrede zum Leben Jesu seinem fran- 
zösischen »Rivalen" über den Rhein hinüber die Hand zum 
Gruß entgegengestreckt, hatte. Darauf glaubte Strauß 
sich nichts zu vergeben, wenn er ihm nun nach dem RreeJiwnun 
de-. ,, Voltaire'* ein Exemplar desselben zusandte. NalÖi 
dankte ihm Renan für das scharmante Buch. Er schreibt: 
„Pi'U dolectures m'ont fait auLaut de plnisär qiH cello de 



1866 und 1870. Voltaire und Renan. 



fi6l 



ces pages pleines d'espnt, de finesse et de taclc. oü U vnl 
carAcUrc de notre grand homme de XVIII" sieele, ri »r.uvcnl 
meconnu. est udmirableuient retabli. Voltaire a, duua »es 
qualites et »es defaut*, des cötes si profondöment frangais 
qu'il pouvnit acmbler impossihle qu'un etranger no commlt 
pas Hl le jugument quelque gaucliene." Aber D6ÜLI 
„Votis avi-/. uumtIiO ;i Iravers ces dangers avec un tquffibffl 
parfait. Votre livre est la verite meme." 

Der Brief, der diese Wurlr ent hielt, war datiert vum 
31. Juli 1870: seit 14 Tagen lagen Deutschland und 
Frankreich miteinander im Krieg. Natürlich kam Renan 
in »einem Brief aucli daraul xu sprechen. Er stellte sich 
gewissermaßen auf eine über beide Parteien hinaualiegendo 
Höhe, beanspruchte für Leute, wie er und Strauß waren, 
weit bürgerlich eine Art neutraler Stellung und wollte, ach» in 
bar unparteiisch» die Schuld an diesem Kriege an beide 
Nationen zu gleichen Hälften verteilen. ,,Vous pensez san* 
doute comme moi". schrieb er. ,.que le devoir de Tami de la 
justice et de la verile est, tout DB remplissant sc* devoirs 
n tous les degres, de se degager du pntriotisme iHroit qui 
relrecit le coeur et fausse le jugement." Das konnte Strauß, 
der in diesem Augenblick nicht weltbürgerlieh, sondern gftDfl 
nur deutsch-national empfand \ind empfinden wollte, in 
Frankreich und seinem Kaiser die Schuldigen sah und von 
iu'Min Krieg die Krfullung «einer patriotischen und nationalen 
Wdnsehe erwartete, nicht, ruhig hinnehmen und damit den 
Schein auf sich laden, als ob er Renan zustimme. Am Boden- 
sen, wo er eben mit Rapp sich aufhielt, entwarf er nach der 
Abreise dos Freundes die Antwort und gab nie am 12. August 
1870 als offenen Brief in die Presse (Allgemeine Zeitung). 
In vrrbiiKlliilislir Komi, aber ganz entschieden trat er der 
in dienern Augenblick doch recht duplizierten und blasierten 
Unparteilichkeit Runans entgegen. In kurzem historischen 
I 1 !, erblick ging er auf die hinge politische Ohnmacht l)eut*ch- 
huulfl und auf seine wiederholten Versuche ein, aus der 



TV z»<t», il fr. au«« u. 



43 



662 



ElfUa KapiUt 



/ N rifticnheit zur Einhell n kommen. Dabei wies er auf den 
..Wolkenmann" hin, dem man 1S49 die deutsche Kaiser- 
krone angeboten, der aber darin wenigstens die richtige 
KiniH-hi ^cTMiifi habe, daß er weder eich für den rechten 
Trager noch diese Krone für *ine tragbare erkannte. J»*txi 
aber moi in Herrn von Bismarck ein Mann vom rechten 
längt an du* roohtfl Stelle gekommen, tim dem Zustand rin 
Knde zu machen, indem ein Pferd vor, ein anderes von 
y\ru lirr Starke Junten vorgespannt gewesen; er hübe die 
Strang** verhauen, die das hmi n n- i rmte Pferd roll 
dem deutschen Wagen verbanden. ,,Wir hatUa di« Biniguuj 
Deutschlands von der Idee, von dem Wunsche des Volkes. 
den Gedankon Beiner beaten Manner aus zustande bringen 
wollen: jetzt war sie von seilen der realen Macht, durch Blui 
und Bisen augebuhnt. Es hat Zeit gebraucht, bis der deutr- 
Idealismus, bis auch der deutsche Eigensinn sieh mit d 
Gegebenen versöhnte; aber die Macht, ich möchte »o^ert die 
Vernunft dieses Gegebenen war so unwiderstehlich, daß dir 
bessere Hinsicht in kürzester Frist die erfreulichsten Fort- 
schritte gemacht hat." Das alles ist eine Sache, die die Deut- 
schen unter sich abzumachen haben ; wenn BUI tith im eigen- D 
Hause wohnlich einrichten, so geht das den Nachbar 
nichts an. Aber Frankreich soh scheel dazu, dns Hau» 
schien den Franzosen zu stattlich zu werden, sie wo! 
in der ganzen Straße das schönste und höchste be- 
sitzen, und vor allem durfte das der Deutschen nirht 
zu fest werden, sie sollten es nicht verschließen 
können. Oder anders ausgedrückt: Frankreich wnltir 
seinen europäischen Primnt nicht aulgeben, darum surlii. 
ee die deutsch* Einheit zu hintertreiben. Das ist i 
Anmaßung und ist das Unrecht Frankreichs. Um WM 
ringen, ist dagegen einzig die Gleichbererhtiijung und , 
Sicherheit, daß fortan nicht mehr ein unruhiger .Vnhb.ir 
nach Belieben uns in den Arbeiten ilr Friedens stören und 
der Früehte unseres Fleißes berauhen kann". 



1866 und 1870. Voltaire und Renan. 



6Ö3 



Renan antwortete darauf nicht ohne eine deutlich 
spürbare Empfindlichkeit und Gereiztheit. Er wollte auch 
jetzt wieder für die ,, entfernten Kriegsursachon" die Schuld 
zwischen der franfösischen und der preußischen Regierung 
,, beinahe gleich" teilen und beteuerte die Friedensliebe 
Frankreichs, gab aber dann doch zu, daß es „tausendmal 
Unrecht gehabt habe, sich der inneren Entwicklung Deutsch- 
lands widersetzen zu wollen". Das war aber nur der Vordersatz 
zu seinem lebhatten Protest gegen eine etwaige Anne\ 
von Elsaß-Lothringen. ,,llat man die Absicht, Frankreich 
zugrunde zu richten, nichts besser erdacht als ein solcher 
Plan; verstümmelt wDrde Frankreich in Krämpfe geraten 
und zugrunde gehen.'* Dagegen verlangt er eine europäische 
Intervention, der Friede könne nur das Werk Europas »ein, 
das wollen muß. daß kein Glied der europaischen Kam die 
allzusehr geschwächt werde. Europa müsse von neuem 
,.die gegenwärtigen Grenzen" sanktionieren und jedem Teil 
untersagen, an eine Verrückung der durch die „alten \<t 
träge" gesetzten Marksteine zu denken. Jede andere Lösung 
wurde das Tor offen lassen für Rachehandlungen ohne Ende. 

Dieser Brief war vom 13. September datiert, also schon 
nach dem Tage von Sedan geschrieben. Da war es Strauß 
leicht, in einem zweiten offenen Sendschreiben vom 29. Sep- 
tember, also in den Tagen der Übergabe von Straßburg» 
die naive Cberhebung Rennns, der sich hier so ganz als Fran- 
zose gab und bei allem guten Willen für die Entwicklung 
Deutschlands so g«r kein Verständnis zeigte, mil Scharfe 
zurückzuweisen. Renan hatte die Franzosen friedliebend 
genannt. Aber woher kommt denn, fragt Strauß, „der 
Zauber, welchen der Ruf nach der Rheingrenze immer wieder 
auf Frankreich ausübt ? woher die sonderbare Vorstellung. 
daß es nullt blofi für Waterloo, das ihm eint- .Niederlage 
und den midiflllligHn Sturz des ersten Kaiserreich:- I dl ; -einer 
Herrlichkeit hruchte. hindern muh für Sadnwn, wo en keinen 
Mann und keinen rußbreit Lande« verlor, Genugtuung. 

43* 



664 



Elftes KapiUL 






Bach« tu nehmen habe? Woher andere als daher, daß zu 
den oflenen Wunden Frankreich! u • ni bloft, wej Sir- als 
solch«; bezeichnen, der BfaDBgtl einer allgemein ;iiifik*nntcri 
Dynastie, sondern gunr besondere auch diese kruiikliaft 
reizbare Eifersucht Deut*rhland gegenüber gehört?" Wenn 
abw Renon nach einr-m Artikel in der Hevue de» deux niondee 
unter den durch alte Vertrage festgesetzten Grenzen nicht 
eigentlich die gegen w artigen, sondern die weiter gesteekun 
von 18! \ verstand und somit Cur Frankreich die erst 1815 
deutsch ^i"\v*H'iltrnri Gebiete vim l.midiiii um] S-uii'nnie. 

reklamierte, »o wallte dem Deutschen doch Mio Blut, und ar 
rief: „Das sollte Frankreich» Buße für den freventlich 
begonnenen Krieg, das der Prefe unserer glonvi -in m ibev 
blutigen Siege sein, daß wir gar noch ein Stock Land her. 
gebüji. .in den besiegten Angreifer herausgeben müßten! 
NeSn« wenn selbst ein su billig il< nkriuiiT Mann wie Er» 
Renan dem von ihm befürworteten Schiedsgericht einen 
solchen Vorschlag unterlegen kann, t>o sind wir vollauf ge- 
rechtfertigt, wenn wir darauf bestehen, wie wir den Krieg 
«Hein jzeffihrt, so auch die Friedensbedingungen ausschließ- 
lich selbst zu dikt i iitjii.** Nicht ohne Ironie weist er die 
Krieden [ireili^ zuniek \<m eim-m Mittle ■■! de«. Vulke.. du* 
»eit Jnhrhundertcn die europäische Kriegsfackel in Händen 
hielt, und urklürt oflon, er seinerseits hatte vielmehr Lu&t. 
Hein Krieg allerlei Gute* nachzusagen. „Solein- Km-'i . 
welche die Völkor zur Abwehr fremder Einfülle und zur 
Wahrung ihrer bedrohton Unabhängigkeit unternehmen, 
hüben regelmäßig einen Aufschwung des natiumil« • I.« !>■ 
zur Folge gehabt, von den Perserkriegen der Griechen an 
bis zu uii&ern deutschen Befreiungskriegen und bis zu dein 
jetzigen, von dum wir für unsere innere Angelegenheiten djfl 
Beste zu hoffen schon heute berechtigt sind." Und nun 
wendet er sich — es war dies der Nachklang einer Unter- 
haltung mit der Prinzessin Alice — zum Schluß an W B6 
deutschen Landslcute. Ganz offen redet er hier vom Gegensatz 



1866 und 1»:". VoiUif* und Renan. 



Hl 



zwischen Nord und Süd, von der Unliebenswurdigkeit des 
spezifisch preußischen Wesens und vom Fiirtikularismus seiner 
süddeutschen l.arulsleute und wci*t den -■/■ ^eiiübcr imf die 
Aufgahe hin, die nun, wenn der Friede geschlossen ist, im 
eigenen Hause als dio schwerste erat noch KU losen ist. „Cin- 
steigen! Kinsteigen! ruft's, wenn der Zug der BiifiTlfrfttffl im 
Abfahren begriffen ist und einzelne Passagiere auf dem Perron 
noch zögernd und wählerisch hin- und hertrippoln. Nur 
eingetreten, eingetreten in den deutschen Staat! so ruft jetzt 
die GWQhiofato; der Augenblick ist da. die Flut geht ho<-h 
nicht noch einmal gewartet, bis dio Ebbe euer Selnn* auf den 
Sand Mtffl Nte jetzt nicht lange gemarktet, nicht vidi' 
Bedingungen gemacht; daß wir uns alle, alle einigen, ist. Ii< 

Hauptsache. du*i weitere, soweit, es gut ist, wird sich liudnn. 
Und wenn Zuroden nicht hilft, so können wir auch drohen. 
Ihr habt, jetzt mitgeholfen, ihr süddeutschen Staaten, Frank- 
ren -h KU dimitttigcn, ihm schone Landerstreckeu nbzunehiin n. 
haU es euch das gedenken, daß es gelegentlich Rache an euch 
ku nehmen suchen wird, dürfet ihr als gewiß betrachten. 
Wie wollet ihr ihm aber widerstehen, wenn ihr euch nicht fe ■ i 
und ganz mit euren norddeutschen Brüdern zusammen 
schließt? Fest und ganz, d.h. nicht bloß durch gebrech- 
liche einzelne Vertrage, wo es jedesmal noch auf den gBtOII 
Willen ankommt, ob man sie hallen will, sondern durch 
völligen riieklialtliMeii Kiutnll in den einigen deutschen 
Ifundcsstnut." 

Die junge C.enerntinn TOB heute kann sieh in unserer 
nüchtern gewordenen schwunglosen Zeit keine Vorstellung 

machen, welchen Jubel diese aus einem von tiefen. Patriotis- 
mus erfüllten und gehobenen Herzen und mit viel histo- 
rischem Verständnis vorgetragenen Worte damals bei uns 
erregten, liier war Strauß wirklich einmal der Wortführer 
und Sprecher ubUB Volks, der das gute Recht der Deutschen 
und die nicht minder berechtigten Hoffnungen und Wflnxchft 
jene» großen Augenblicks wurhtig und fein zugleich, ruhig 



Eift« Kapitel 



uod klar, ohne falsches Pathos und doch mit wohltuend« 
Wftrnw, ohne Oberhebung und doch voll nationalen Slol 
tum Ausdruck bracht«. Daher tat er recht daran, die Ihm 
Briefe, zusammen mit dem von Renan in deutscher Ul 
*etzung, zu deren Ausarbeitung ihn gleich nach dem Empfang 
die Anmut Am SehnftstOcks gereizt hatte, unter dem Titel 
..Krieg und Friede" in besonderer Ausgabo erscheinen tu 
lassen. Hnuan freilich hat ihm diese etwa* eigenmächtig* 
Verfügung über sein geistiges Eigentum and natürlich noch 
viel mehr die sieghafte Überlegenheit des Inhalt« der beiden 
Strauüschrii Briefe überdeii seinigen übel genommen, (ianzbe- 
soiidem empört war er dofttbor, dall Strauß den Krtivig der 
kleinen Schrift der deutschen tnvuJidenstiftung und den 
SaniliiUvoreino» in Stuttgort und Dannstadt zuwandte. 

!' . V ntprcr.li.--n.. eine Vorred) EU ichrfilbtO BU dflT RittflV 

sehen Übersetzung einer Auswahl von SlrauBLsche D & hriften, 
die nach dem Krieg doch noch erschien, hat er zwar gehall 
■teil ili r Aufgabe über in einer so kühlen Weise erledigt, dntt 
Strauß es nicht für nötig hielt, ihm dafür zu daukeo. Auch 
die persönliche Beziehung zwischen beiden war mit dei 
Hth'fwech&el tob 1870 ra Bad*. 

Da» deutsche Volk aber war Strauß dankbar für die 
tapfere und sieghafte Art, wie er seine Sache dem 
Kraiiznwn ^genfiber geführt hatte So konnteer noh diesmal 
ungeteilter und allgemein herzlicher Zustimmung freuen. 
Es war der letzte Sbnnenhhel; in seinem LebeXL Demi nun 
kommt der alle und der neue Glaube ond die *o ganz am' 
Aufnahme dieses Buches bei demselben Volke, da» ihm 
eben noch in heller Begeisterung zugejubelt halte. Aul iL ■- 
Hosianna folgte in jflhom Umschlug das Kreuzige. 



Zwölfte* KapiteL 
Dcr alte und der neue Glaube. 

In Dnrmsladl — in München — wieder in Uarnisludt! 
Wie kam es, daU StniuO im September 1867 von DarmM. Li 
nach Mönchen übernn d< 'We und dünn doch nur bis in den 
Marx 1868 dort verblieb? War es diu Glyptothek, war 
es das Münchner Bier, war o die Krimierung an dort 

Verlebte /eil. ü. w.'is itltl dahin M% .' I )()iT Wlir (M rille ['!,). |,t 

aus Darmstadt weg? und wovor ist er geliehen, um doch 
alsbald wfedor rarflokidkabrni ? 

K» war eine Flucht; und dir ihn davontrich und die 

ihn wieder zurfickxog, war eine Frau. 

Dun Verkehr mit gebildeten Frauen hat Strauß alota 
xu schätzen p-wiiUt und gesucht, /war schien e* nach drr 
Trennung von Agnes Schobest — in den Briefen kann man ea 
öltcr lesen — so, als ob dir Krauen dun fatal waren und er 
nur noch am dritten Ort bei Bier und Wein mit Männern 
verkehren wollte. Allein in den Familien »einer Freunde» 
bei Kapp in Munkheim, bei KaulTrnann in Heilbronn. Im 
NsunwSO In München, bei Scholl in Weimar, bei Etono 
Fischer und Gervinus in Heidelberg, bei Lewald'* in Berlin 
um nur »io zu nennen, — überall sind die Frauen seiner 
Freunde in Freundschaft und Verkehr einbezogen und 
gehör n niii «I.imi. So fehlte es ihm nicht an gebildetem 
weiblichen Umgang. Und wie wir schon wissen, auch nicht 
un Frauenliebe. Aus froherer /eil ragt bis herein in den 
Anfang dor wohliger Jahre die Ge*tall derjenigen, die ihn 



Zwölftes K«pit<l. 



-tili und entsagungsvoll geliebt und nie aufgebort hat. au» 
der PVrne für ihn und »ein« Kinder gulig und inOtl- iri 
sorgen. Kr wußte es mich. ..Ich halle Sir unter allen 
Seelen, welche leben, für diejenige, die es ■ 
treuesten mit nur meint", hat er Kimlic Sü-gcl oinm.il 
schrieben. Nach ihrem Tod aber klingt leise und doch 
deutlich vernehmbar so etwas wie Reue aus dem heraus, 
was er oiii 1). August 1861 an Ropp über wo tobrübi, 
Wenn iüh i» hier wiedergebe, werden •-.. ihre und -■ 
Manen iuir verzeihen. „Unsere verstorbene Freundin En 
hiit, nrdimngftlirl'M'iid und pünktlich wie sie wor. mir in einein 
versiegelten Paket nicht nur meine, sondern nueh diejemgea 
Briefe anderer Personen letztwillig übergeben lassen, die sie 

«■misten in meine Hiimle m legen glauben mochte.. . . 

Zu den zurückerhaltenen Briefen von mir hübe ich seitdem 

auch die ihrigen zusammengesucht und mich fast die ganzen 

letzten acht Tage damit beschäftigt, die gesamte Kurie 

[Min h n/ r.hroTinlogisch ni ordnen I '.< hegen sie nun. Bri \ 

und Antwort, nebeneinander, wie man zwei Menseben, 
die sich im Leben suchten und doch nicht linden kuuuleu. 
im Sarge nebeneinanderlegt. Kim -i grollen Teil dflF 
Briefe habe ich auch wieder gelesen und damit ein gutes 
Stück meines und auch unseres (ich meine Dich) gemein 
zürnen Lehens rekapituliert. Sie hat mein ohne Zweifel 
erstes Billet aus dem Jahre 1836 noch aufbebalten, das 
ihr, noch ziemlich fremd, in KautTinanns Auftrage schnei*. 
Dann kommen die Killctchen uns meiner Garten hnuttheil 
zeit (in Stuttgart), wo zwischen den Zeilen ein, wenn auch 
einfaches, doch reiches und jugendliches Leben hervurbhclrt; 
dazwischen das KanuMadler Radelehen de* uueli Dich in 
die Kreise der Freundin zieht ; hin und wiederspuckl Hardegg; 
KauffmaXU und Flaustellen sich freundln li ein; dei Kousine 
Marie Knüll wird i in Konfirmation! leaiiefuK blrmfifc fl 
durch die Freundin bestellt: so gehen die Zustande in un- 
vermerkter Schwellung fort, bis im Jahn» 1843 ein Durch- 



DiTT »lU- iiml >\<<r n>«ue Glaube. 



«6<* 



hrurh ullo bisherigen Pflanzungen zusammenreißt. [Hitrsu 
ein vortrefflicher tragikomischer Brief von Dir an sie als 
remcdium arnoris, don Du mir lassen mußt.) Hier groili 
min ein anderer BrieTwet hsel ein, den dir Freundin gleich 
fall» mir überlassen bat, nämlich die Brief, ihrer Jugend- 
freundin Marie Kauffmaiin, welche die alliniililnhe \nf 
löaung meiner Qu mit forllaufenden Berichten begleitet, 
»pftter eine Wiederannäherung an Emilieu befürwortet und 
mir die Gesinnung dieser unvergleichlichen Inundin noch 
unumwundener al» ihre eigenen Briefe un mich offenbart 
Dann also voru Jahre 1848 an unsere erneute Korrespondent, 
in der nun. bWMUJWB UD Anfang, dir Kinder den ll.uipt- 
gegeriHlund ausmachen. Die Art, wir von du un Emilie 
die Neigung, die sie früher dem Vater gewidmet, auf dessen 
Kind (den Snlin) übertragt, ist überaus »rhon und rührend. 
Nn-hi minder nber. wie sie, mir fortan in jeder Not - um 
Haushaltung und Haushälterinnen usw. — mit Rat und Tat, 
selbst vom Krankenbett aus unermndel zur Hand gehi. 
Kine Veränderung aber ist im Laufe der Jahre in der Briei- 
slellerin nicht zu verkennen. Ihre raUgtOMI Anaichlen 
halten früher, in Übereinstimmung mit ihrer ganzen P«nfa 
li' -likeit, einen ziemlich freien Wurf. Kin kecke» Wort gegen 
Pfaffen- undObskurauteuLum verletzte sie nicht allein nicht, 
sundern BS erlaubte es sich selbst. Das wird »pftter anders. 
Ihre früher mehr naturliche Frömmigkeit wird immer kirch- 
licher. Daß sie ehedem ihrer Mutter die Bücher MnxU mit 
ihren OpfurgcscUcn vorlesen rnuÜte, erhielt »ie in der Oppo- 
sjii.in; üIh dfl ns nicht mehr mußte, las sie dorglen-tn n von 
selbst. Mitteilung über religiöse Dinge wurde »pftter zwischen 
uus unmöglich, sii' duldete meine Stellung nur noch un mir 
als Ausnuhm*. Dus mußte, unserm Verkehr Kintrag tun; 
und doch zürne ich mir jetzt, daß ich mich nicht leichter 
durüber hinweggesetzt habe. Unser Verkehr wurde zuletzt 
spärlicher. Noch einmal sah ich die Freundin vor Weih- 
nachten de« vorigen Jahres in Stuttgart, wo ich auch Frau 




■■■7-1 



ZvöUtai Kapitel. 



KaulTwann xnm letztenmal besuchte Niemand konnte An 
eine 10 schnelle Auflfimnjf damel* denken; *ie »ah wohler 
Bfld ni&ligcT aus ab Jahn.- vorher. — Einen solchen Schatze 
von Liebe und Treue» ala in diesen Briefen enthalten ist, 
hfl Loh "»in freilieh mit schmerzlicher Beschämung gegen- 
Uber. Gunx habe ich M nifibt verbellen können, weil ich 
eben nicht ganz erwidern konnte; aber könnte Ich*» ntokl 
doofa veifl mehr, als ich'* tat?" Und mit die-en Sofalud- 
worton stimmt übertritt, was er bei diesem Aiünü dem Bruder 
(lnribt: „Wie oh einem bei solencn Todesfällen geht, 
kann ich leider mit mir nicht ganz tufriedea win 
Liebe und Treue, dir sie mir bewifsen, bin ich nicht so dnnk- 
hir gewesen, alt ii'h gesollt Kattc." 

I '" \ erölT« ■ l-li* hiuiü hrei i •■ rtgen UD MflUM IM 

dem Jahn 1832 in den Deutschen JahrbOabers von 1863 
•aar ein Akt der PieiM. den Strauß im Vorwort zu den 
Kleinen Schriften eo motivier! Diu gne Ich meinem 

(i;irt.i'n i'im» l J ll.'iti/.i' iiu, die nuf fremdem, obwohl heiivu !■■ 
Hoden und nicht ohne mein Zutun gewachsen ist Sic sind i 
Arbeit einer teuren Verstorbenen und schienen mir ebensowohl 
durch die rSodculung ihres tlegenslaudc* nU dun u die : innige 
lt. IinndlnnR der Krhnltuntr wert, wflhrcnd ihre Auf niiiniMMti. 
Sammlung meiner Schriften mir, im Andenken '.»range- 
gangene Kreunihn. In- dere ItefriediKurtg gewahrte" Kroi- 

lich.ob er der Verfasserin dnmit wirklich einen Dien t erwieeeQ 
Ji.il. i*t mir immer zweifelhaft ^'«cm'ii. t.'ni Möhler- willen ist 
<he Wi i"i it* ntli -Mi: •!■..' ].-i v< !i:i f v,ti im hiferit^t und fordie Kennt- 
ni* diese» merkwürdigen Mannes überaus wertvoll. Aber daß 
i ; liiiiilh' Sigel dem jungen geistvollen Priester ,.mil aller 
weiblichen W'urde, Sprndigkeit, ja w»lbsl SrhrnlThril <:> . 
uhcrgestolll und einen Humor und eine Krnft und Geaundhail 
der Sonlo gezoigt habe, worin *ie dem Mann überlegen war": 
— das schreibt der Freund, loh Kann nach dienen ihn D 
eigenen Mitteilungen ihr Vorhalten gegen Mohler nicht %o 
hoch »teilen und es nicht so einwandfrei laden: 



Der all« und der neue Glaube, 



B71 



Szene mit dem Hund, ilir diu Abbruch der Beziehungen 
herbeiführte, ist doch gar zu plump. 

Ganz besonder» «art war dann weiter Jas Verhaltm-* 
Straußens zu einer der Ilappischen TiV-hter. Mit. stiller 
Freude sah er ilir Wachsen und Werden, ihr liebliche- Sich- 
entfalten. „Es hat euch die Natur in dieser Tochter rfflttl 
Schatz zu hüten gegeben und wird RftCheitfOhalt fordern 
wie ihr ihn gehütet habt", schreibt er einmal den Kitern. 
Da tauchten wohl allerlei HulTnungeu utid HerzcuBwünacbe. 
und kühne Mann in ihm auf, denen ftber die Verlobung dw 
Mädchens ein jähes Ende machte. ,, Meine persönlichen Emp- 
findungen bei dieser Entscheidung haben kein Recht, »ich 
geltend oder auch nur httrbar zu machen", danul legt er sie 
resigniert zu dem Cbrigen. Aber mim (Vesinnungpn für ..das 
liebe unschätzbar'* Wi-sr n" andern -ich rueht, er bleibt ihrtfl 
,-:r -tc-ii-r ieli hveiU iiiuni'i wieder nur dirsrs eine \\ url I lii 

diesesschOnc Verhältnis — Freundschaft zugetan um! über» 1:1^1 
diese um IhfQlwfUftD dann auch auf ihren Mann. Si< D 
Öhringen zu besuchen, seine Kinder in ihrem H&UM und 
unter ihrem Einfluß wohlgehorgen zu wissen, und zu sehen, 
wie die Freuudin immer junger und blulieudur wird, da* ist 
mehr als Freude, das beglückt ilm hoch, und BO bleibt, 
wie er einmal dem Vater schreibt, fllr »ie in Meinem Herzen 
stets ein S;»c«lhiui aufgerichtet, denn auch Menschen »ein. 
Art können anbeten; ,,or konnte ein Mystiker wardeo Ob« 
diesen Empfindungen". DUM Freundin hat .1 h. hallen 
dürfen bis aus Ende, noch 111 der letzten Krankheit i*t 
ihm der Odniil.n an sie Inisllich l'^mm'ii und haben ihn 
ihre Briefe glucklieh gemacht. 

Das war eine tiefgehende, beruhigende und beglOi -l.-nde, 
wirklnli "ine mystische" Liebe. Aber nun kommt DJ m h den 
fast Seehzi(fjahrigen wich noch einmal die leidenschaftliche 
Liehe de» Manne» zur Frau. In l.iai m-tadt war es. Sie war 

e lii kannte .m . der llcidclliergcl /eil, die inzwifti le-n -vi 

witwote Frau — doch wir geben ihr besser den Namen, nnl. 




672 



Zwölf!« Kautel. 






dein Strauß seibor sie so oft in »einen Briefen an Fächer in 
Öhringen (nach ihrem Apatervn \ u f»-nt h.itt in dnm bekannten 
pfälzischen Weinort Korst) benannt linl: ..Di-* Krau in 
Forst". Schon in Heidelberg war ihm ihre junonische 

Gestalt aufgefallen, nueh war ^i»* dabei gewesen, als er 
Freunden dort du» ernte Kapitel eint Frischbn vorlas. Wi. 
er nun im Jahr 1865 nach Darmatadt kam, traf er *ie hier 
al» Witwe und Ireutr .sich, an ihr von Anfang an 
ku haben mit «lern -ach cm vernünftigen und vertrauliche* 
Wort reden ließ. So nahm or den Verkehr mit ihr wi. 
auf und war bald der tätliche Goal in ihrem llnuae, er In* 
ihr vor. sEfl mu»»uierte für ihn: man besuchte, xu 
Theater und Konzert und durchstreifte gemeinsam die 
nahen Wähler auch an der Erziehung ihn» SohBM n.ihin 
Struuß herzlichen Anteil, wie Goethe an dein des jun 
Fritz Stein. Und aus Freundschaft wurde dann Liebe. 
Wie ihn dies« beglückt hat. mag er uns selber »äffen m 
dem Gedieht ..Venii.iehtmV'. da** vom 5. Juuuar 1867 
datiert ist: 

Als or gostorbmi. «Inf firen, «In lundmi dm Kind.r diu Heftet 

Ul&Uerteii, lo*en darin, dnehlen *ieh iinn.lir. dabei 
Wi- »ich der Jüngling gvifuut. miUiuMen die \m-i !i dudm Wr-r 

Was als Mann ihn gebeugt, wn* ihn im Alt*r erquickt. 
Laubholi erat auf d<*m ■ diuren Grund der l.enlu.-ktiTvii Jahre. 

Das sich in Nndelgehölz endlich und Heide verliert 
AI»t (.i Wunder! woher in der epigrammatischen Waste 

Plntr.lich da* oppijr<* OrOn, Myrten* und llnvngebuisAh ? 
Suhl dir Heu Quell ne ht. Kinder, den Schöpfer des IrOhlichva beboai ? 

Duukbiir luiuel und fromm dun den verdienten Altar. 
Klirt'l die Imtimlen Im- Kr;in, du» enrvui v. l.tn: t-n 

Vjtor das blmehuiide. Hunr freundlich mit BhllDSa pSkAOlt 

Und wie feurig diese Liebe war, zeigt der Hingang 
eines anderen Gedichtes ..Genügen": 

Wenn sieh unsre Hände drucken 
In der holden Dämmerstunde. 
Aug* in Auge mit Entiucken 



Per tiu und dnr neu« Glaube 



673 



Dringt zum tickten Muulcngrundc: 
Wenn dem hruVn KuU entflogen 
Du dio keusche Wange kehrest. 
Mit verstärkten HorzenMchlBgen 
Kndlirh mir den Mund guwZ-hrfM; — — 

Was stand dfiDD abtf im Wege, «laß Strauß nicht, mit 
fester Hand nach diesem sich bietenden spaten Glück griff? 
Er war ja noch verheiratet, seine Frau lebte und ließ ihn 
nicht lus, gab ihn auch jetzt nicht frei, als ersicd.'mun anging: 
it gehörte ihr nicht mehr, aber einer andern sollte er atiotl 
nicht angehören. So war es ein Verhältnis, das nicht zu einem 
guten Bodl führen konnte und dns vor dfiV Will nhflun ge- 
halten vv« ■rden mußte, freudvoll und leidvoll zugleich. Ihn 

brachte zur Verzweiflung, daß er vor Fremden fremd tun 

muUlc; und wie oft traf er IM nicht allein, die auch für 
Krauen ho anziehende Fr;iu! Und sie quälte t\>>v Klatsch, 
der »ich an da» häufige Zusanum nsein der Beiden nalurli« li 
knüpfte und ihr die üblichen Warnungen guter Freunde 
zuzog. Aber auch über ihn, den bald Seehzigjnhrigen.schiltlrl- 
ten Nahe- und NachsUtehende den Kopf und raöhttn tu 
löschen und zu trennen oder gingen doch nicht mit so vollen 
Segeln, wie er es hoffte und wünschte, auf die Sache <in. 
Kine Zeitlaug lag in solchen Schwierigkeiten ein Heiz, 
man versicherte sich hin und her nur um so mehr Über alle 
iiußercii Anfechtungen hinweg uncrschiiltt'rtcr Neigung. Allem 
je grflüer die Liebe, desto unerträglicher das Bewußtsein, 
daß sie eine hoffnungslose sei. In den GcmUUuufregungeu, 
die diese Situation mit siel» brachte neb man sich auf» mochte 
man sich krank. Daß Strauß zwischen d*r Schenkel-Streit- 
schrift und dem Voltaire so lange verstummt ist, daran war, 
doch nicht bloß der Krieg, sondern, wie einst in m ffl v"n iziger 
Jahren seine unglückliche Ehe, so jetzt dieser Kampf 
um die Geliebte schuld. Kr war zu keiner Arbeit fähig, 
tnolit mehr zum I^esen. nicht mehr zum Spazierengehen 
aufgelegt. Was blieb da übrig als Trennung, al* Flucht ? 




B74 



ZwOltl«s Kapitel 




Dl rieh «ii \ .rhaltnt*** nicht zwin-fren ließen, wurde 1. 
fernung lür ihn xur Pflicht, in erster Linie gegen die gdir- 
Frau, in zweiter aber auch gegen »ich selbst; un>d so verließ 
.1 am I. Oktober 1S07 Darmstadt und wir nach München. 
Wie « ihm dort rumuto war, verrflluns daaGedfehl „Profeß** 
in seiner Anfaiigsslrupue: 

War' tch vor mtIh J^hrhuiiünrloa g«boren, 
So half ich All' d*r Borgen, die mich dnirk^n. 
Der Zentnerlasten, den gebeulten Ku< kta 
EntlanVn langst vor ein« Klosters Toren, 

lud dann machte ein stumpfe*, freud- and treulose» 
Hindämmern dorn ernten frischen Wnhegefühl Platz und 

ließ ihn den Heil der Munehener Kunstschdtze mehr m der 

allen Weise empfinden. Er verbannte wieder einmal dea 

(■rdutilteri fernerer Sehnftslellnrei in die fernste WOstt). 

Aber auf die Dimer litt ps ihn doch nicht fem vm der 
hoben Frau, zumal da der hriellichc Verkehr durch all« 
Mißverständnisse schwierig wurde, und fco kehrte er wii 
nnch Darrnstadl zurück. Da mußte dann natürlich di 
alte Spiel von neuem beginnen. Nun Qieht sie — oach Forst. 
das doch nahe genug war. um einen regen Verkehr und 
hAufige. Besuche möglich zu machen. Strnuß aber bekam 
durch dieses ..Glück der Entfernung" wenigstens wieder 
diu Möglichkeit zur Arbeil, er wurde Hen über seine V 
Stimmung und schrieb den „Voltaire" dar nlohl nur do.r 
Prinzessin, sondern auch der lieben Frau in Fürst von Vortrag 
zu Vortrag vorgelogen wird. Schließlich kam es aber doeh. 
wie es kommen mußte. Wenn sich zwei Mensehen lieben 
und doch nicht zusammen kommen können und dürfen, 
zumal wenn bs so nervös und feinbesailet nnd wie tft 

beiden, BO rüben sie sieh hin und her auf, allerlei Leiden- 

sehaflliches tritt »wischen ile, jedes wird unzufrieden mit 
dem andern, man naht sieh mit ernflohterten Augen an, 

entdeckt, was einem nicht gefallt, und weil, wenn die Leiden- 



Der alle und der neue Glaube. 



675 



schnfL flieht, die Liebe nicht blrihen darf, so keimt nm Knde 
gar etwas wie Haß auf ')• 

Am 22. De«embor 1869 i*t Agno* Schobest gtttorb«! 
Ihr Tod kam zu lpt1. Noch hei ihren Lebzeiten hatte StrnuÜ 
erkannt, daß die Verbindung mit der l-'rau in Korst nicht 
nm Heil niiMtchlagan würde. Und m fällt ihm das in diesem 
Zusammenhang gesprochene Wort nicht allzu schwer: ,.Wrr 
frei ist. kann auch weise sein." Fast wie auf dnu Vcrirning 
hat er bald auf diese Hoffnungen und Wftnsohe EurQell 
gesehen und schließlich noch für »eine verstorbene Fftll 
das Wort gefunden: ..Wenn er ihr etwa» zu danken habe. 
so sei es dies, daß sie ihn damals nicht freigegeben und *o 
die<*e Heirat verhindert habe." Damit klingt das Verhältnis 
zu Agnes Schubes L fast gar versöhnlich aus. 

Unter jenem twieflpaltigen Langen und Banges in 
schwebender Pein hat Straub* vier Jahre lang unsfigln h 
gelitten. Daß er sich trotzdem in dieser ZeiL den „Voltaire*' 
abgerungen hat, auf diese Kraft seines WlfloDfl konotfl er 
mit flecht stolz »ein. Wer spurt demselben die Schmerzen 
an, unter denen er entstanden ist ? Aber gunz gesund machte 
Hin doch erst der Krieg von 1870, der ihn das eigene persön- 
liche Leiden über den großen Geschicken seines Volkes ver- 
gessen ließ. So vorsteht man. wie er im Brief an Renan 
u id iiuehlier im Allen und Neuen Glauben dem Krieg n-viel 



>) Zufällig Im ich dieser Tage In der Deutschen Rundschau. 
Okioberheft 1908, in einem Arlikol d« Grafen Theodor /><- h > Qbti 
Österreich und l.'ngarn in ganz anderem /mammi'nhnng du- in ilmu 
oben Gesagten »Umwenden Wortei „VW vfcMO .m» ri|OWT Kr'aluuny. 
vdn e* ru gehen pflegt. ffBIU) »wei Privatperminen »inon wichtig« 
Vertrag odv ein Rechtsgeschäft abMchließen woIIhii, an dem Ihr ganten 
Vurmeffnu hingt, und All Verhandlungen. |g| mg unmer 

für murin (Irunil«\ in- Sl.irkfii. I »« «UUgO tfcb *ul einmal Antipathien 
ein. joditr *i<thi im anderen einen (h'gnrr. difl beiden fangen an »ich xu 
hauen, und di .Und d«r Erregung dauert auch Dlflttff n>rt. 

selb»! wenn < innvceheii Hi'hmgQli »I, alle Schwierigkeiten xu PO- 
Heiligen, alle» b**Um tu ordnen." 




676 



zwölfte K>pi(a 



Gut«* nachzusagen gewillt war. Aber au* lausend Wuiidi 
Mutet«' er (torli wieder. I;i-l wie ilnmals, alh *fine Khe II 

twnmwibracb, nur war er inzwischen alter und harter und 
daher solchen S<. tilflgcn gegenüber stumpfer gewxirdrn. 
Auch jrt/l war BT um ein GlQck gelauscht, das ilim 
spat noch einmal gewinkt halte und naeli dein fr die Hand 

wohl ausstrecken. diiT. er aber nicht pflücken dürft«*; glucklo» 
sollte m, in liehen vollends dahingeht' n. Und dennoch 

So leben wir. »u wandeln wir lipiclui kl. 

ruft rr im Alten und Neuen Glauben aus. Wer spürt dii 
an, daß da» nur Vordergrund, und daß der, der so 
lockt, ein Schmerzensreich und ein ganz GluckUwor g< 
ist? Aber wenn selbst Goethe von sich sagen mottle, er bj 
..in seinen 75 Jahren keine vier Wooh«a eigentliches Behagen 
gehabt: i*s wai da* ewige. Walzen ein« Steint, dur unmtr 
von iieucrn gehoben sein wollte", so durfte sich Straul 

li nicht beklagen". Nur rede man nicht so gering- 
nhtltlg von seinem Optimismus, es war ein schwer errungener. 

p. r Alte iioil iln Nein IjlimUe erschien im Herbst 1673 
Geplant und vorbereitet war das Buch schon lange, t'.cplanl 
noch ntil dem Bruder, der gerne gesehen hätte, wenn Strauß 
KU Anfang der sechziger Jahre statt eines zweiten Lebens 
Jesu eine zweite Glaubenslehre in neuer Fassung und 
Form, einen Katechismus für freie Menschen gesch/h-ben 
hatte. Wenn Strauß auch das letztere ablehnt« und 
zweifelte, ob er einen solchen schreiben konnte, «0 hat 
er — wir haben es wiederholt gehört — etwas derartig» 
doch von da an im Auge behalten und es wie •in Vermäeh 
des Bruders angeschen, das er noch zu erfüllen habe Auch 
war ja die Glaubenslehre ebenso wie das erste Leben Jesu 
vergriffen. So dachte er daran, wie er ein neues Lehm Jesu 
für das Volk geschrieben hatte, so nun auch die Glaube n:-]e lue 
neu zu bearbeiten und daraus diesmal ein rechtes Volksbuch 
EU Hindun. Demi ilaU das zweit*- L<'hen Jesu au dem Kehler 



Der alte und der neue Glaubt 



m 



gelehrter Schwerfälligkeit gescheitert war, sah er wohl ein. 
Aber auch dazu waren Vorstudien aller Art ntitig, und damit 
sehen wir ihn seit dem Jahre 1868 eifrig beschäftigt. So 
schreibt er am 16. Januar 1869 an Käferle; „Dabei inter- 
essiert mich noch mancherlei Ijcktüre. worunter jedoch keine 
Theologie ist. Eher naturwissenschaftliche; insbesondere 
ist mir die Darwinische Theorie und was sich auf sie bezieht, 
wichtig und anziehend;" und ebenso an Reuschle 1 ): ,,Ich 
habe mich für Darwin, seit seine Theorie bekannt wurde, 
interessiert. Ich las seiner Zeit sein Hauptwerk und habe 
seitdem zu allem gegriffen, was in dieses Thema einschlug." 
Gleich nach dem Erscheinen der deutschen Übersetzung von 
dessen ,,The descent of man and seloclion in relation to 
sex" (1871) berichtet er Zeller, daß er das Buch gelesen 
habe, freilich „mit mehr Begierde als Befriedigung*'; Stil 
und Darstellung lassen viel zu wünschen übrig, und das 
sei, wie ihm die graziosa prinoipessa gesagt habe, Mangel 
des Originals selber Haeckels natürliche Schopfungsge- 
schichte liest er mit mehr Befriedigung: „wenn Du das 
bekommen könntest"! schreibt er Rapp, und in einem 
Brief an Reuschle nennt er sie ..das Beste, wie mir 
scheint.*' Auch mit dem Studium der neueren Philosophie 
sehen wir ihn seit 1868 eifrig beschäftigt. Dabei geht ihm 
Zeller mit Rat aur Seite und besorgt ihm die nötigen Bücher 
Er studiert Schopenhauer „mit einem Interesse, wie er es 
lange an keinem Buch systematischer Philosophie gehabt", 
und liest auch Gwinners und Frauenslädts Schriften Ober ihn: 
,,Die könnten einem freilich den Mann gründlich verleiden, 
wenn einer seine eigenen Schriften nicht gelesen hotte." Da- 
gegen kann er sich mit Lotze nicht befreunden : das ist ihm ein 
unprästiorlichor Mensch, in der Wissenschaft das, wo* nmn im 

>) C. O. Ueutchle. geb. 1812, Professor der Mathematik In 
Stuttgart; ein langjähriger Freund von Strauß. Verfuucr einer zur 
Erinnerung an ihn geschriebenen kleinen Schrift „Philosophie und 
Naturwissenschaft" (1874). 

Ib. Ci«fla, D. nr. fluni. IL 44 




m 



Zwölfte Kapitel. 



Leben einen Schwierigkeitsmacher nennt \VV>mit er Lots* 
nicht gerade unrecht tut. ihm aber doch auch nicht ganz 
gerecht geworden ial. Die Äußerung ist aber charakteristisch 
für Straußen» Art zu philosophieren, die mit der subtileren 
und exakteren Form der Philosophie, wie sie eben in den 
Merhzigrr Jahren aufkam, sich nicht mehr befreunden konnte. 
Da» verrfit auch das Urteil aber Lange» Geschichte da 
Materialismus: sie ..ist von einem talcntvollwi philosophi- 
schen Kopf und enthalt viel Gutes, ohne darum ein 
eigentlich gute» Buch zu »ein; dazu ist e» ta ungleich, 
unfertig, zu oft nur tastend statt wegweisend" ; doch gab 
sie ihm viel Belehrung Schließlich lernt er auch DOOi 
Eduard von Hartmann und seine Philosophie de* Unbe- 
wußten kennen. Er lobt an ihm „die Gabe der inneren 
Selbstbeobachtung, der Selbstbelauschung de» Geiste« Ober 
seinem Tun, die Schärfe in der Bildung und die Logik 
in der Verbindung der Begriffe, und seine hübschen, wenn 
auch vielleicht nicht ganz zusammenhangenden und nicht 
gehörig gesichteten naturwissenschaftlichen Kenntnisse. Aber 
wie verwildert muß die Philosophie sein, wenn ein solcher 
Mensch ein so haltloses und auf solche Krudl taten hinaus- 
laufendes Buch schreiben und damit Aufsehen erregen und 
Beifall finden kann"1 Im einzelnen wissen wir jedoch von 
den Vorstudien gerade zu seinem letzten Buch und von 
der Ausarbeitung desselben weniger als bei den früheren 
Schriften. Es hangt dios mit der Verstimmung jener Jahr«: 
zusammen, ausdrücklich lehnt er es einmal ab, von seiner 
Arbeit viel zu sprechen. Im Dezember 1871 sehen wir ihn 
aber doch mit „einem Werklein" bosehlifUgt, „das gewisser* 
maßen das Punctum finale seiner Schriftstellerei werden 
soll"; der Plan dazu ist fertig, und wie er ihn skiztiert, ent- 
spricht er durchaus dem Inhalt des Buche«. Dnnn bleibt 
es alier noch einmal ein ganzes Vierteljahr lang „wegen 
fehlender Stimmung" liegen. Erst im Mai 1872 geht et» 
wieder lustig weiter, die Arbeit, mit der er dornnttohst fertig 



Der alt* uod d«f neu« OUubr. 



679 



zu werden hofft, hal die stockenden Lebensgeister wieder in 
Fluß gebracht, mutig und froh ruft er: „Und vorderhand 
nichts mehr vom Tod!" 

Und so erschien es denn im Oktober 1872 bei S. Hirxel 
in Leipzig unter dorn schon wiederholt genannten Tiu-I 
„Der alte und der neue Glaube", eine Art General-Glaubens- 
bekenntnis, wie er Kaferle schreibt und wie es auch der 
Untertitel „ein Bekenntnis*' ausdrücklich sagt. Tue Hech- 
nung von deinem Haushalt, dünn du wirst hinfort nicht 
lange mehr Haushalter sein: das war der subjektive Rechts- 
grund, unter dorn er das Buchlein schrieb. Dieses vorhält 
sich zu der christlichen Glaubenslehre genau so, wie das 
zweite zum erslen Leben Jesu. Auf die Negation sollt« 
auch hier die Position folgen oder vielmehr wie dort mit 
ihr vereinigt, neben das Nein nun auch dus Ja gestellt werden, 
„über die eigentliche Polemik sind wir hinaus. Man stellt 
jetzt die Standpunkte im ganzen und großen einander gegen- 
über, wovon der eine den andern von selbst ausschließt. 
Man spricht im Namen der Einverstandenen und laßt dir 
Nichteinverstandcnen ihres Weges ziehen", wie er es in der 
Glaubenslehre, nur umgekehrt, von den Glaubenden für die 
Wissenden gefordert hatte, Das Absehen ist also gerichtet auf 
die Darstellung der — oder richtiger; einer modernen Welt- und 
Lebensanschauung; einen kurzen Abriß der Glauben*- und 
Sittenlehre eines modernen Menschen will er den „Einver- 
standenen" vorlegen. Ohne Polemik geht es dnbei freilich nicht 
ab. Erst muß das negative Verhältnis der modernen Menschen 
zum alten Kirchenglauben dargelegt werden, ehe die Grund- 
zuge der neuen Weltanschauung gegeben werden kennen. 
So zerfallt das Ganze in zwei Hauptteile, einen negativ 
polemischen und einen positiv aufbauenden. Jeder dieser 
Teile zerlegt sich dann wieder in zwei Fragen und doren Be- 
antwortung. Erst negativ: Sind wir noch Christen? und — 
allerdings schon nicht mehr ganz negativ — : haben wir noch 
Religion ? dann positiv : Wie begreifen wir die WeJt ? und v> H 

4V 




680 



tmtUia DuM, 




ordnen wir unser Leben? So sind es vier Abschnitte, 
denen »ich noch w« „Zugaben" anschließen: von unseren 
großen Dichtern die erste, von unsern groß*« Musikern die 

zweite. 

Sind wir noch Christen ? Für Strauß war dies« Frage 
keine neue. In der Schlußahhnndlurig zum ersten Leben 
Jesu und in der Glaubenslehre am Schluß der Apologetik 
sieht man aie eigentlich bereits gestellt. Bestimmter taucht 
wo dann nuf in jenem theologiftHi -politisi Iwn Aufsatz aus 
dem Jnhr 1848 über „den politischen und den theologischen 
Liberalismus". Da weist er darauf hin. duß, wenn der Katho- 
lizismus ultramontan sei, mit ihm sich auch der Protestanti»- 
mus von einem religiösen Prinrip abhangig bekenne, da* in 
einem fremden Weltteil, im fernen Asien nicht bloß zufallig 
seine Heimat habe, sondern wesentlich orientalischer Natur 
sei; und die Kollisionen dieses asiatischen Prinzips teils mit 
dem uns gleichfalls eingeimpften europäisch-griechischen, 
teils mit dem eigentümlich nationalen werden mit jed 
Tage häufiger und tiefer. Dagegen helfe nur die Fortbildung 
des Christentums tum reinen Humanismus oder vielmehr 
die Herausbildung des letzteren aus dem gesamten Boden 
der modern-europfiischen Kultur, an welchem das Christen- 
tum nur einen Bestandteil ausmache; es sei dies zugleich 
der einzige Weg, um über den Gegensatz von Katholizismus 
und Protestantismus hinauszukommen. Und fast wie eine 
Vorwegnähme des positiven Teiles vom allen und neuen 
Glauben ist es, wenn er schließt: „GepHan/i Im Jugend- 
unterricht, gepflegt im Staatsleben, durch Kunst und Wissen- 
schaft gefördert — wird die Erkenntnis dessen, was der 
Mensch ist, was ihm p /i<;ni . wn* ihn glücklich oder unglück- 
lich macht, was er zu tragen und wessen er sich zu getrosten 
hat, ein nicht verächtlicher Pilot durchs Leben und der 
dos zu sich selbst gekommenen Menschen, des Deutschen 
einzig würdige sein." Ähnlich erklärt er siebzehn Jahre 
später, am Schluß seiner Streitschrift gegen Schenkel und 



Der »Ue und der neue Glaube. 



661 



Hengstenberg: das Christentum in der Gestalt der Bibel und 
der Bekenntniaschrifleu sei mit der Auferstehung Jesu» der ja 
Geschichts- und Naturwissenschaft gleicherweise die An- 
erkennung versagen, dahingefallcn. Ob mit jener Gestalt 
und mit der Gesamtheit seiner bisherigen Gestalten das 
Christentum so verwachsen sei, daß sie aufgeben die Los* 
losung vom Christentum selber bedeute, das sei freilich 
zunächst nur ein Streit um Worte und Namen; aber die 
Entscheidung liege doch hier. Wie aber jetzt im Jahre 
1872 diese selbe Frage von Strauß so kÜpp und klar gestellt 
wurde, da wirkte sie schreckhaft wie das Haupt der Meduse, 
schon als Frage wie eine Kriegserklärung und ein unerhörter 
Angriff, Heute wird diese Frage sogar von Kirchemeitungen 
aufgenommen und ventiliert, also als durchaus berechtigt 
anerkannt. Nur die Antwort freilich — sie fällt in Kirchen- 
zeitungen anders aus als bei Strauß. 

Um eine Auseinandersetzung mit dein Christentum 
handelt es sich also im ersten Abschnitt des Buches, speziell 
um eine Auseinandersetzung mit dem christlichen Glaubun, 
das Kapitel ist in nuce die Wiederholung seiner christlichen 
Glaubenslehre. Als Schema benützt er dabei das sogenannte 
apostolische Symbolum; denn wenn irgendwo, so ist dort der 
alte Kirchenglaube unverfälscht unzutrelTen. Man hat dem 
entgegengehalten: an dieses apostolische Glaubensbekenntnis 
glaube ja heule kein Mensch mehr, und so habe sich Strauß 
die Widerlegung des christlichen Glaubens freilich leicht ge- 
macht. Darauf konnte er antworten und hat «r geantwortet: 
aber dieses Bekenntnis ist noch heute im kirchlichen Gebrauch; 
in vielen auch protestantischen Kirchen wird es allsonntaglich 
verlesen, bei der Ordination der Geistlichen in Preußen wird 
es „in Einmütigkeit des Glaubens mit der gesamten Christen- 
heit" bekannt und die jungen Theologen damit auf dasselbe 
verpflichtet. Um so schlimmer, wenn das alles mit d*m 
Hintergedanken geschieht, daß man „eigentlich" und inner- 
lich nicht mehr glaube, was man so äußerlich mit dem 



im 



Zwölfte KapiUJ. 



. 



Munde bekenne. Gerade hierin zeigt sich ja dir tief« 
llnwuhrhaftigkeil, die durch unsere öhrislluhe Kirche und 
damit durch unser christliche« Volk hindurchgeht und in 
diesem dadurch großgezogen wird. Aber Strnuü hielt sich 
jii gnr itn-lil Moll :■ 11 jenes alt»' und veraltete Symbol; 

ausdrücklich erklärte er gleich zu Anfang, daß er es gelegent- 
lich aus spateren Lehrbestimmungen org&nzcn und erläutern 
wolle. Und speziell nut Schleiermacher und dessen Christen- 
tum hat er sich wiederholt, nicht erst im zweiten, auch 
schon im ersten Abschnitt ausdrücklich auseinandergesetzt. 
Auf die gestellte Frage aber, ob wir noch Christen seien, 
antwortet, er nun allerdings an der Hand jenes Leitfadens 
mit einem entschiedenen Nein. Um die Person des Stifters 
dreht eich liier alles, Denn dieser ist eben nicht nur Stifter, 
sondern zugleich auch der vornehmste Gegenstand der christ- 
lichen Religion. Die auf ihn gegründete Glaubens weise 
muß daher ihren Boden verlieren, sobald ejofa ergibt, daß 
ihm personlich diejenigen Eigenschaften nicht zukommen, 
die ein Wesen haben muß, das Gegenstand der Religion 
sein soll. Ein Gott braucht er dazu allerdings nicht zu sein; 
es wurde genügen, wenn er wäre, was SchleiermRcher im 
richtigen Gefühl des kirchlichen Bedürfnisses und, fügen 
wir hinzu, was Strauß selbst einst in der schwachen Stunde 
seiner Friedlichen Blätter aus ihm gemacht hat: ein Mensch, 
von dessen persönlicher Beschaffenheit die unseres religiösen 
Lebens noch heute in jedem Augenblick bedingt oder 
an den die Menschheit zur Vollendung ihres inneren Lebens 
mehr als an irgendeinen andern gewiesen wäre. Aber woher 
wissen wir das? Aus den Evangelien. Gut, aber wie steht 
es mit diesen ? Viel starker als dies bis dahin jemals von 
Strauß geschehen, namentlich im positiven Teil seines zweiten 
Lebens Jesu geschehen wiir, betont er jetzt das ganz Un- 
genügende unserer Nachrichten über ihn. Ein guter Teil 
dessen, was die Evangelisten von angeblichen Taten und 
Schicksalen Jesu erzählen, geht mit dem messianischen 



Der alto und der neue Glaube. 



683 



Wundergeflechte, womit sie sein Leben durchwehen, wenn 
es kritisch wieder ausgesogen wird, verloren. Aber auch 
bei den Reden und Leuren Jesu, die ihm früher teilweise 
historisch festzustehen schienen, sind wir auf keinem 
Punkte sicher, ob wir Worte und Gedanken von ihm selbst 
oder nur solche vor uns haben, die mau in spaterer Zeit 
ihm in den Mund zu legen sich bewogen fand. Darum ist 
es — damit nimmt Strauß ganz ausdrücklich seinen eigenen 
Versuch einer Jesusbiographie vom Jahre 1864 zurück, — 
„es ist ein eitler Wahu, daß aus Lebensnachrichten, die, 
wie unsere Evangelien, auf ein übermenschliches Wesen 
angelegt und noch außerdem durch streitende Parteivor- 
steüungen und Interessen in allen Zügen verzerrt sind, sich 
durch irgendwelche Operationen ein natürliches, in sich 
zusammenstimmendes Menschen- und Lebensbild herstellen 
lasse", lind daraus nun der Schluß: ..An wen ich glauben 
soll, an wen ich mich auch nur als sittliches Vorbild an- 
schließen soll, von dem muß ich vor allem eine bestimmte 
sichere Vorstellung haben. Ein Wesen, das ich nur in schwan- 
kenden Umrissen sehe, das mir in wesentlichen Beziehungen 
unklar bleibt, kann mich zwar als Aufgabe für die wissen- 
schaftliche Forschung interessieren, aber praktisch im Leben 
mir nicht weiter helfen. Ein Wesen mit bestimmten Zogen, 
woran man sich nullen kann, ist aber nur der Christus des 
Glaubens, der Legende, natürlich aber nur für den Glaubigen, 
der alle Unmöglichkeiten, alle Widersprüche, die in diesem 
Uilde liegen, in den Kauf nimmt; der Jesus der Geschichte, 
der Wissenschaft, ist lediglich ein Problem, ein Problem 
aber kann nicht Gegenstand des Glaubens, nicht Vorbild 
des Lebens sein." So endigt Strauß, nachdem er sich ein 
ganzes Leben lang abgemüht hatte, ein Leben Jcmi zu 
schreiben, dieser unlösbaren Aufgabo gegenober in konse- 
quentem Skeptizismus. Was Wrede 1901 vom Standpunkt 
der Markusprioritat aus getan, das hatte schon dreißig Jahre 
zuvor Strauß von dem der MatthftusprioriUt aus getan: 




684 



Z«ölft« KtpiUl. 







„die Geeohichtliohkoit der bis annocb geltenden Auffassung 
de* Lohen* Jon bestritten" 1 ). Dieser Skeptizismus, den 
wir bei Strauß langsam haben kommen und wachsen »eh 
der also bei ihm nichts Überraschendes »der Sprunghafte» 
hat, wird heute von vielen Theologen geteilt. Nur die 
Konsequenz, die er daraus gezogen hat. wollen sie nicht 

:»■ 1, «!i« ■. 

Aber die Unsicherheit unseres Wissens von Jesus ist 
nicht die einzige Unterlage für seine Verneinung der Krage, 
ob wir noch Christen seien. Unter dem, was wir noch ver- 
hältnismäßig am sichersten von Jesus wissen, ist etwas, 
was wir als zweiten und entscheidenden Grund dafür an- 
zusehen haben, warum er, wenn wir der Wissenschaft 
ihr Recht uher ihn lassen, der Menschheit, wie sie unter 
dem Einfluß der Bildungsmomente der neueren Zeit sich 
entwickelt hat, als religiöser Führer von Tag zu Tag fremder 
werden muß: es ist seine Erwartung, zur Eröffnung dos 
von ihm verkündigten Messiasreiches in allernächster Zeit 
in den Wolken des Himmels zu erscheinen. War er 
ein bloßer Mensch und hegte als solcher dennoch diese Er- 
wartung, flo können wir uns und ihm nicht helfen, so war 
er nach unsern Begriffen ein Schwärmer. Das ist längst 
kein Schimpf- und Spottname mehr. Es hat edle, hat geist- 
volle Schwärmer gegeben, ein Schwärmer kann anregend, 
erhebend, kann auch historisch sehr nachhaltig wirken; 
aber zum Lebensführer werden wir ihn nicht wühlen wollen; 
er wird uns auf Abwege ftthreu, wenn wir seinen Einfluß 
nicht unter die Kontrolle unserer Vernunft stellen. So hat 
also Strauß den eschatologischen Brocken, den er acht 
Jahre zuvor nicht hatte hinunterbringen können, nun doch 
verschluckt Er steht auf dem Standpunkt, wenn auch 
nicht einer überhitzten, so doch einer skeptisch moderierten 
EschatologR*. Allerdings nicht einer konsequenten. Denn 



') So Schweitzer a.a.O. S. 327 über Wrede. 



Der alt* und <W nour OUnibe. 



68Ö 



das Helle und Humane, das schön Sittliche, das Jesus doch 
auch gelehrt hat, verflüchtigt sich ihm nicht zu dem un- 
möglichen Gedanken einer ..Intcrimsothik", sondern er läßt 
beides, wie man muß, unausgeglichen nebeneinander stehen: 
gerade weil wahrscheinlich beides in ihm war, bleibt uns 
Jesus ein Problem. 

Aber auch die sittlichen Vorschriften des Christentums, 
die schönste Zierde und der höchste Ruhm seines Stifters, 
sind ihm weder ausschließlich eigen, noch fallen sie mit ihm 
dahin. Vor allem aber, und das ist in diesem Zusammen- 
hang die Hauptsache, sie sind auf dem Boden des Christen- 
tums durchaus mit Beschränktheit und Einseitigkeit be- 
haftet. Jener schwärmerische, weltablehnende Zug in Jesus 
und der Dualismus, der dadurch in das Christentum heran- 
gekommen ist, entwertet alles, was sich der menschlichen 
Tätigkeit als Ziel und Gegenstand darbieten mag. Das 
Streben nach irdischen Gütern, der Erwerbstrieb ist in der 
Lehre Jesu nicht anerkannt, seine Wirksamkeit zur Förde- 
rung von Bildung und Humanität nicht verstanden, da« 
Christentum zeigt sich in dieser Hinsicht geradezu als ein 
kulturfeindliches Prinzip. Darum kann es seinen Be- 
stand unter den heutigen Kultur- und Industrievölkern 
nur durch Korrekturen fristen, die eine weltliche Vernunft- 
bildung an ihm anbringt, welche ihrerseits großmütig oder 
schwach und heuchlerisch genug ist, dieselben nicht sich, 
sondern dem Christentum anzurechnen, dem sie vielmehr 
entgegen sind. Man hat vielfach geglaubt und glaubt noch, 
daß der Riß, der zwischen Glauben und Wissen klafft, auf 
praktischem Gebiete ausgefüllt und auszufüllen sei und daß 
man daher gut daran tue, an die Stelle eines dogmatischen 
ein praktisches Christentum zu setzen, über das alles hübsch 
einig sei. Strauß hat gezeigt, und die Geschieht« der chnnt- 
lichen Ethik hat ihm recht gegeben, daß auch hier derselbe 
Gegensatz vorhanden ist wie dort. Unserer wel (bejahenden 
Lebenspraxis und Kultur steht die weltverneinond« Hieb- 



B86 



ZwCiric* Kapitel. 



tun}? der christlichen Moral diametral gagenühor. Nur 

dadurch, daß man es halt wie der Vogel Strauß und gegen 
diese Seite gewaltsam die Augen verschließt, macht man 
wi -h den Zwiespalt subjektiv erträglich und tut *o, aU exi- 
stiere er nicht. Aber dürfen wir weltbejohondcn Menschen 
und darl unser bis an die Zahne gerüstete*, über Krieg 
und Sieg sich freuendes und mit weltlicher Arbeit Tag aus 
Tag ein beschäftigtes Volk sich noch Christen nennen? 
Strauß halt« den Mut, es zu verneinen. ..Meine Über- 
zeugung toi" sagt er, „wenn wir nicht Ausflüchte stieben 
wollen, wenn wir nicht drehen und deuteln wollen, wenn 
wir ja ja und nein nein bleiben lassen wullen. kurz, wenn 
wir als ehrliche, autrichtige Menschen sprechen wollen, so 
müssen wir bekennen: Wir sind keine Christen me- 
in dn ..Kindern der Welt" vom Jahre 1873 laßt Paul 
Heyse Lea in ihr Tagebuch die Worte eintragen: ,,Was 
haben wir Menschen Befreienderes. Holderes, Trost Uchcres, 
uIb die Freude, die Freude au der Schönheit, an der Güte. 
ander Heiterkeit dieser Welt . r" und wahrend wir das: Sem 
Testament lesen, wandeln wir immer im Halbdunkel der 
Erwartung und Hoffnung, das Ewige ist nie erfüllt, sondern 
«oll erst anbreehen, wenn wir uns durch die Zeit hindurch- 
gerungen haben; nie erglänzt ein voller Schein der Fröh- 
lichkeit, kein Scherz, kein Lachen — die Freude dieser 
Welt ist eitel — wir werden in eine Zukunft verwies« 
alle Gegenwart wertlos macht und die höchste F.rdenwonne, 
uns in einen reinen, tiefen und liebevollen Gedanken zu 
versenken, soll uns auch verdächtig werden, da nur derer 
das Himmelreich sein soll, die arm am Geiste sind. . . 
Wenn ich Goethes Briefe lese — Schillers enge Häuslich- 
keit — von Luther und den Seinigen — von Älteren noch 
bis zu SokrateV böser Frau — immer spüre ich einen Hauch 
von dem Mutterboden, au» dem die Pflanze ihre.-* Geistes 
gewachsen ist, der oih-.Ii meinen so viel geringeren ufihrt und 
tragt. Aber die WelOosigkeit dieses sanften, gotthewuBten 



Der alte und der neue Glaube 



«67 



Menschen öngslet und entfremdet mich, und zur Entschuldi- 
gung dafür hnbe ich freilich nicht den guten Glauben, daß 
das alles. uU bei einem Gott, ganz in der Ordnung sei." 
So dachten und fühlten in den siebziger Jahren, wo wir 
Deutsche eben anfingen, unser Vaterland nicht mehr in 
einem idealen Wölkenkuckucksheim, Sondern hier auf der 
wohlgegründeten festen Krde zu buchen und uns in dem- 
selben wieder wohl und heimisch zu fühlen, gar viele von 
uns, für sie war dieses Nein auf die Frage, ob wir noch 
Christen seien, eine wahre Erlösung und Befreiung. Mit 
Strauß würden sie aber darum doch nicht haben aufhören 
müssen, sich Protestanten zu heißeu. Denn Luther war 
ihnen nicht nur ein Reformator, sondern vielmehr der, 
der den Grund legte zu einem neuen und neuartigen, einem 
well form igen und modernen, einem deutschen, nicht einem 
„asiatischen" Christentum, der Platz schaffte für die sittlichen 
Aufgaben unseres modernen Lebens und die vom Christentum 
entwertete Welt „entprofamsierte". In diesem Sinn kann 
Protestant bleiben wollen, auch wer aufhört Christ zu sein. 
Auf die zweite Frage: haben wir noch Religion? ist 
, .unsere Antwort nicht die rundweg verneinende, wie in 
dorn früheren Fall, sondern wir werden sagen: ja oder nein. 
je nachdem man es vorstehen will". Im alten theislischen 
Sinn nein; denn an einen persönlichen Gott und an eine 
persönliche Unsterblichkeit glauben „wir 1 * nicht mehr; 
auch zu einem solchen Gott beten können und mögen wir 
nicht mehr. Indem Strauß zunächst auf Feuerbachs An- 
schauung vom Wesen der Religion als einer Sache der FurcM , 
des Wahns und des Wunsches zurückgeht, kommt er natür- 
lich zu einem Nein; denn so gefaßt muß die Religion vor 
der fortschreitenden Bildung immer mehr zurückweichen, 
schließlich gar verschwinden. Und nicht ander» int ra mit 
den Bildern der religiösen Phantasie irn Verhältnis zu der 
zunehmenden Verslandesbildung der Völker. So , .gleicht 
das religiöse Gebiet in der menschlichen Seele dem Gebiete 




688 



Zwölfte* KapiUl. 




der Rothaute in Amerika, das. man mag tu beklaget] oder 
mißbilligen, soviel man will, von deren weißhtlutigen Nach- 
barn von Jnhr zu Jahr mehr eingeengt wird". Das wäre 
cjue dürftig« und niedrig« Auffassung von der Religion, 
wenn das alles und das Ganze wäre. Aber nun tritt ergänzend 
und vertiefend die Definition Schleiermacher» hinzu, daß 
Religion das Gefühl schlecht hiniger Abhängigkeit »et. Und 
auch das genügt Strauß noch nicht. Diese» Abhängigkeits- 
gefühl wurde den Menschen erdrücken und vernich' 
darum muß er sich dagegen wehren, unter dem Druck, 
der auf ihm lastet, Luft und Spielraum zu gewinnen suchen 
und sich dieser Abhängigkeit gegenüber in Freiheit setzen: 
daraus oral entspringt dem Menschen die Religion. Und 
endlich kommt denen gegenüber, die die Religion in Moral 
auflösen und untergehen lassen wollen, auch noch der Ge- 
danke, daß die Religion über der Moral stehe, weil sie au» 
einer noch tieferen Quelle strömt, in einen noch ursprüng- 
licheren Grund zurückgeht. „Vergiß in keinem Augenblick, 
daß du Mensch und kein bloßes Naturwesen bist, in keinem 
Augenblick, daß alle anderen gleichfalls Menschen, d.h. boi 
aller individuellen Verschiedenheit, dasselbe was du, mit 
den gleichen Bedürfnissen und Ansprüchen wie du sind — 
das ist der Inbegriff aller Moral. Vergiß in keinem Augen- 
blick, daß du und alles, was du in dir und um dich hrr wahr- 
nimmst, was dir und andern widerfahrt, kein zusammen- 
hangloses Bruchstück, kein wildes Chaos von Atomen oder 
Zufällen ist, sondern daß es alles nach ewigen Gesetzen au» 
dem einen Urquell alles Lebens, aller Vernunft und alles 
Guten hervorgeht — das ist der Inbegriff der Religion.* 1, 
Ob das alles zusammen nicht wirklich den vollen BegritT 
▼on Religion im subjektiven Sinne des WorU ergibt ? Ich 
wüßte nicht, was fehlt. 

Sich abhangig fühlen ist aber doch in ihr das erste, 
darin hatte ScbJeiermacher recht. Abhangig — wovon ? 
Vom Universum, sagt Strauß, wie einst Schi eierrn acher in 



Der alt« und der ncuo Glaub*. 



6Ö9 



den Reden über die Religion gesagt hatte. Man konnte 
auch sagen: von Gott, wenn man sich nur immer bewußt 
bleiben wollte» daß das Persönliche, das uns in ihm ent- 
gegenblickt, nur das Spiegelbild des in das Universum 
Hinpinschauenden ist. Darum eben sieht Strauß die Be- 
zeichnung „All" oder „Universum" vor, ohne zu übersehen, 
dflß dies*» die Gefahr mit sieh bringt, an die Gesamtheit 
der Erscheinungen, statt du den einen Inbegriff der sich 
Äußernden Krflfte und sich vollziehenden Gesetze zu 
denken. Und daß er dieser Gefahr in seinen Ausfuhrungen 
nicht immer entgungen ist, läßt sich nicht leugnen. Er hat 
Welt und Wellgrund nicht genügend unterschieden, die 
freilich eins sind, weil dieser ihr Grund der Welt immanent 
ist, aber begrifflich doch auseinandergehalten werden können 
und müssen. Daß er aber den Weltgrund gemeint hat, das 
zeigt der wiederholt von ihm gebrauchte Aufdruck: ,,die 
Urquelle alles Lebens, alles Vernünftigen und Guten". Als 
Entschuldigung für diese Unbestimmtheit müssen wir mit ihm 
und für ihn zugeben, daß wir hier wirklich ,,an der Grenze 
unseres Erkennen» stehen und in eine Tiefe schauen, die wir 
nicht mehr durchdringen können". Indem er dann, im Gegen- 
satz zu Schopenhauers Pessimismus, weiterhin das Universum 
ab die Werkstätte des Vernünftigen und Guten betrachtet, 
erscheint ihm die Welt zwar nicht mehr als dtis Werk einer 
absolut vernünftigen und guten Persönlichkeit und nicht 
angelegt von einer höchsten Vernunft, wohl aber angelegt 
auf die höchste Vernunft, mit nichteu bloß als rohe Über- 
macht, der wir mit stummer Resignation uns zu beugen 
haben, sondern zugleich als Ordnung und Gesetz, als Ver- 
nunft und Güte, der wir uns mit Hebendem Vertrauen er- 
geben. Und dn wir die Anlage zu dem Vernünftigen und 
Guten, das wir in dieser Welt zu erkennen glauben, auch 
in uns selber wahrnehmen und uns als die Wesen linden, 
von denen es empfunden, erkannt, in denen es persönlich 
werden soll, so fühlen wir uns demjenigen, wovon wir uns 




690 



ZwoIfUe Kapital. 



abhängig linden, zugleich im Innereien verwandt, wir finden 
uns in der Abhängigkeit zugleich frei, in unserem Gefühl 
(Or da» Universum mischt »ich Stolz und Demut. Freudig- 
keit und Krgebung. 

Das All vernünftig und selbst Vcrnunlt und Gut«, da« 
li'h» n*- und voruunftvolle All die höchste Idee — es ist klar, 
woher das Strauß genommen hat. Ha ist nicht* anderes ab 
der optimistische Panlogismus Hegels. Wir die Wesen, in 
denen da* Vernünftige, persönlich wind, — das klingt wiß 
ein Satz aus der Vorrede zur Phänomenologie, wo e« heißt: 
„Das Wahre ist da» Ganze; das Ganze aber ist nur das durch 
seine Entwicklung sich vollendende Wesen; €* Ist von den 
Absoluten zu sagen, daß es wesentlich Resultat, daß «s eret 
am Ende das ist, was es in Wahrheit ist". Also Strauß ist 
fi-M-h immer soweit Hegelianer, nls er es zur Zeit derGUubens- 
lehre gewesen ist 1 ). Indem er aber den Begriff des All durch 
den der schlechthinigen Abhängigkeit ins Religiöse übersetzt, 
verknüpft or Schleiermacher mit Hegel und gewinnt dadurch 
einen Begriff der Religion, der ihn zu dem Worte berechtigt: 
„Wir fordern für unser Universum dieselbe Pietfit, wie der 
Fromme alten Stils für seinen Gott." Dazu braucht man den 
Umweg Ober Schopenhauers Pessimismus und den etwas 
frostigen Stiftswitz, daß ein Denken, das die Welt für schlecht 
erklärt, selbst ein schlechtes Denken, also die Well vielmehr 
gut sei, nicht mitzumachen; wiewohl er mit dem wiederum 
Hegelisch klingenden Satz ganz recht hat, daß jede wahre 
Philosophie notwendig optimistisch sei, weil sie sonst den 
Räumest absftgo, auf dem sie sitzt. Oder wie wir auch 
sagen konnten: jede Philosophie ist eine Thoodizce. 

Gefühl für dus All: was ist dieses All ? Von ihm hat auch 
S<:hli*H'rm:ii;her geredel in den Heden libur ili< KeligiOÜj VN) 
er Religion als „Anschauung des Universums*' bestimmt- Man*) 

») Vgl. oben 8. 837. 

*>0. Wehrung, Der gesGhicliUj>liilo«r>plmche Standpunkt 
St-hleiormacherBturZeitaeiner I"miml\i:li:iftmii dm lUxiumLikurn. 1907. 



Dtr alte und der neue OUuli«* 



m 



hat neuerdings behauptet, diese Anschauung dos Uni vor 
sums sei bei ihm mit Selbst- und Menschhoitsantiehauung 
identisch, da» Universum also ein Geistiges, der weltum- 
spannende Zusammenhang aller höheren Geisteskräfte. Da« 
ist sicherlich einseitig, ist viel zu eng. so ,, geschieh Lsphtlo- 
sophisch u dachte Schleiermacher damals noch nicht. Aber 
daß bei ihm und ebenso bei Hegel das Geistige mit zum 
Universum gehört und daß dieser letztere, wiederum in der 
Phänomenologie, zuletzt und zuhöchst an das Geisterreich 
gedacht hat. aus dessen Kelche dem absoluten Geiste seine 
Unendlichkeit entgegenschfiuml. das allerdings ist richtig. 
Strauß dagegen denkt bei seinem Universum allzu ausschließ- 
lich und jedenfalls zuerst an die Natur; es ist, als ob er über 
den naturwissenschaftlichen Studien der letzten Jahre der Ge- 
schichte vergessen hätte Ersteht in diesem AugenblickSpinota 
naher als Hegel. Darum ist ihm. wenn er nun fragt: wie be- 
greifen wir die Welt? diese viel mehr die natura naturans 
Spinozas als das Geisterreich Hegels. Sein Standpunkt ist dem 
All gegenüber naturalistisch. Gewiß ist auch in der Natur, 
weil Gesetz, so Vernunft; und umgekehrt kann einer in der 
Geschichte nur ein Possenspiel sehen ohne Sinn und Ver- 
stand. Aber Strauß kam vun Hegel her und hatte von ihm 
gelernt, daß gerade in dem Geisterreich und seiner Ent- 
wicklung das Wirkliche vernünftig sei. Das hat er jetzt, 
geblendet von dem neuen Licht, das ihm seine naturwissen- 
schaftlichen Studien gaben, vergessen, darum ist seine Be- 
trachtungsweise an diesem Punkte einseitig- Und daher ver- 
steht er bei der Beantwortung der Krage: wie begreifen wir 
die Welt ? unter Welt immer nur die Natur als natura natu rata 
Vom Menschen und den Formen und den Zusammenhängen 
des Menschenlebens handelt er nicht hier, sondern erst im 
vierten Abschnitt — nicht sowohl unter dum Gesichtspunkt des 
Seins und der sittlichen Substanz., als vielmehr unter dorn dos 
Sollen*, so daß an die Stelle einer Thcudu ■,••■ durch die (*•*<: hichtis 
hier eine wesentlich imperativisohe Gegenwarten mral tritt. 




IN 



Zwölfte KaprtcL 




Und nun also: wie begreifen wir die Well? Dom eben 
Gesagten entsprechend antwortet darauf Strauß mit den 
Ergebnissen der modernen Naturwissenschaft. Wir be- 
greifen sie im Sinne der sogenannten Kant-LnpUceaehen 
Theorie über die Entstehung de» räumlich-körperlich 10 
Universums mit seinen Sonnen, Planeten, Milchstraßen 
und Nebelflecken. Und wir begreifen sie im Sinn der Darwin- 
schön Theorie über die Entstehung der Lebewesen auf der 
Erde und der Fülle ihrer Galtungen und Arl*o. Durch 
die Theorie von Laplace will Strauß dem Schöpfungswund*r 
entgehen, durch dm von Darwin — nach der Zauberformel: 
kleinste Schrille und größte Zeitraum*! — dem Zweck- 
begriff in der Naturerklfirung, diesem Wundermann. Her 
die Welt auf den Kopf stellt, das Hinterste zum Vorder»' 
die Wirkung zur Ursache macht und dadurch den Natur- 
begriff geradezu zerstört. „Wir Philosophen und kritisch*« 
Theologen haben gut reden gehallt, wenn wir das Wunder 
in Abgang dekretierten; unser Machtsprueli verhallt) 1 iduie 
Wirkung, weil wir es nicht entbehrlich zu machen, keine 
Naturkraft nachzuweisen wußten, die e* .111 den Stellen, 
wo es bisher am meisten für unerläßlich galt, ersetzen könnt«. 
Darwin hat diese Naturkrafl, dieses Naturverfahren nach- 
gewiesen, er hat die Tür geöffnet, durch wolcho eine glück- 
lichere Nachwelt das Wunder auf Nimmerwiederkehr hinaus- 
werfen wird. Jeder, der weiß, was am Wunder hangt, wird 
ihn diifür als einen der größten Wohltater des menschlichen 
vi -IiIitIiN preisen." 

Zwei Punkte in der Entwicklungsreihe der Lebewesen 
macheu aber auch hier noch Schwierigkeiten, der unterste 
und der oberste, Dort handelt es sich um die Frage der 
sogenannten generatio aequivoca: ob es möglich sei, daß 
ein organisches Individuum, wenn auch der unvollkommen* 
sten Art, anders als durch seinesgleichen entstehen könne, 
aus chemischen und morphologischen Prozessen, die nicht 
im Ei oder im Mutterleib, sondern in Stoffen anderer Art 



Der alte und der Qvue Glaube. 



ti93 



vor sich gehen. Kant hatte gemeint, man könne zwar wohl 
sagen: gebt mir Materie, ich wiU euch zeigen, wie mir Welt 
daraus entstehen soll, aber nicht: gebt mir Materie, ich 
will «.-lieh zeigen, wie eine Raupe (oder bosser: eine QCBftflJ 
sehe Zelle) erzeugt werden soll. Und auch Virchow erklärt, 
wenigstens in gegenwärtiger Zeit spreche alles gegen die 
spontane Zeugung. Allein was gegenwärtig nicht mehr 
geschieht, warum sollte das unter ganz ungewöhnlichen 
Bedingungen, in der Zeit großer Erdrevolutionen nicht 
doch geschehen sein? Und nun sieht es, meint StrnuB, ja 
so aus, als ob die unterste unvollkommenste Form der Lebe- 
wesen in Ilujcleys Bathybius oder in Haeckels Moneren 
wirklich gefunden und damit der Übergang vom Unorgani- 
schen zum Organischen ohne Wunder vermittelt, die Kluft 
ausgefüllt sei. 

Wie es dann von dieser untersten Form durch UifTe- 
renzierung aufwärts geht, das glaubt Strauß mit Hilfe des 
Darwinschen Kampfes ums Dasein, seines Prinzips der natür- 
lichen Zuchtwahl und des Migrationsgesetzes von Moriz Wagner 
erklaren zu können. Aber nun die Vollendung der Reihe zu 
oberst, der Mensch? Dieser Punkt, die Menschwerdung 
des Tieres, die Abstammung des Menschen vom Affen, wie 
man damals sagte, oder von einem affenartigen Wesen, 
wie wir uns heute vorsichtiger ausdrucken, war im Jahr 
1872 ein besonderer Stein des Anstoßes, ein komischer 
Gedanke für die einen, ein blasphemischer für die andern, 
oder wie Strauß sagt: „das sauve qui peut nicht nur der 
rechtgläubigen und der zartfühlenden Welt, sondern auch 
manches sonst leidlich vorurteilsfreien Mannes* 1 . Natür- 
lich schreckt Strauß vor dieser Konsequenz, an die wir 
tum inzwischen längst gewohnt haben, auch seinerseits nicht 
zurück, um so weniger, als er auch in anderer Hinsicht die 
K luf t zwischen Mensch u nd Tier überbrücken zu können glaubt 
An diesem Punkt ist es. wo Strauß die bekannte materia- 
listische Wendung nimmt, indem er bei Mensch und Tier von 

TV ZMcIa, S Fr etiwS IL 4b 




604 



Zwölft« Kapitel 



dem Gebunden**!« der geistigen Tätigkeit tu das Gehirn 
gehl, mit dessen Wachstum und AwhiMwng auch jene 
■loh entfaltet, wie sie spater mit dem Dahinschwinden de* 
Gehirns im Altar abnimmt und durch sein Erkranken oder 
MMM Verletzung allericrt wird. Ganz richtig hat n daM die 
Bedeutung du nicht gar ru lange vorher von »einem Lands- 
mann Robert Mayer gefundenen Gesetzes von der Erhaltung 
der Energie gerade auch für das geistige Leben in 
haltnis zum Leihe erkannt. Wir sind gerade durch dieses 
Gesetz genötigt worden, zu der doch recht bedenklichen 
Hypothese des psyrhophysischon Paralle.lismus unsere Zu 
flucht zu nehmen. Strauß legt sich das Problem, das ihm 
gerade an diesem Tunkt zum Bewußtsein gekommen ist, so 
Kredit: „Wenn unter gewissen Bedingungen Bewegung sich 
in Wflrme verwandelt, wurum sollte es nicht auch Bedingun- 
gen gehen, unter denen sie sich in Empfindung verwandelt? 
hie Bedingungen, den Apparat dazu haben wir hm Gehirn 
und Nervensystem der höheren Tiere und in denjenigen 
Organen, die bei den niedrigeren Tierordnungen deren Stelle 
vertreten. Auf der einen Seite wird der Nerv berührt, in 
innere Bewegung gesetzt, auf der andern spricht eine Emp- 
findung, eine Wahrnehmung an, springt ein Gedanke hervor; 
und umgekehrt setzt auf dorn Wege nach außen die Emp- 
findung und der Gedanke sich in Bewegung der Glieder um." 

Das war wirklich der klare, krasse Materialsimus, I 
Strauß will zunächst gar nichts dagegen sagen, wenn i 
ihn in diesen Worten ausgesprochen findet. Daher i*t es 
ganz natürlich, daß man angesichts ihrer an Feuerbach er- 
iimiTl Inil ilr.r, wie Strauß und vm ihm, eheum.« .1 ig tinou 
Hegelianer ein Sensualist und Materialist geworden *ei, und 
daß man Strauß um dieses zuletzt eingenommenen Stand- 
punktes willen mit Götz von BerÜchingen verglichen hat, der 
den Glanz seines Heldenlebens durch die ('hernähme der 
Führerschaft bei den aufrührerischen Bauern zum Schluß aufs 
Übelste verdunkelt habe. Wie dieser zu den Bauern sei Strauß 






Der alte und der neu«* (ilauho. 



„■•-, 



von der Philosophie zu den materialistischen Naturforschern 
übergegangen und habe damit schimpflich mißgehüud« U, innen 

KttiUeri Aufwand schmählich vortun Wh -.(clil. rs diiunl :' 

Zunächst meine ich, daß auch der Materialismus eine philo- 
sophische Hypothese sei, so berechtigt oder so uliberechtigt 
wie manche andere Art von Metaphysik auch Materialis- 
mus und Idealismus verhalten sich doch nicht zueinander 
wie falsch oder wahr, wie böse oder gut. Keine der beiden 
Hypothesen erklärt alles. Wenn also auch die materialisti- 
sche von den beiden und von den paar möglichen überhaupt 
die wenigst wahrscheinliche und wenigst befriedigende ist, 
au ist sie trotz aller Bannsprüche einer philosophia inilitans 
darum doch nicht absolut tot. Den Materialismus für alle 
Zeiten oder auch nur für unsere Gegenwart für völlig be- 
seitigt und abgetan zu halten, wäre eine üble Selbsttäu- 
schung. Er fristet vielmehr noch immer und in den ver- 
schiedensten Kreisen sein Dasein. Erstens bei vielen Natur- 
forschern, die so leicht Prinzip ihrer Forschung und all- 
gemeine und allumfassende Welterklärung miteinander ver- 
wechseln; denn daß die Naturerklaruug so zu verfahren 
hat, als ob es nur StolT und Kraft gäbe, der Materialismus 
also recht hätte, das ist das positive Ergebnis des langen 
Matcriulismusstreits. Und so ist derselbe ganz naturgemäß 
das Krudu vieler Naturforscher, und die Z;ihl seiner An- 
hänger heute vielleicht sogar wieder im Wachsen begrifTen; 
nur ist es nicht mehr Sache des guten Geschmacks, davon 
im Stil derer um Moleschott. Büchner und Vogt viel Auf- 
hebens zu machen oder das Wort auch nur in den Mund 
zu nehmen. Fürs zweite gibt es eine Menge Halbgebildeter, 
die, bestochen von der Einfachheit dieser Anschauung, die 
Schwierigkeiten und Widersprüche, in die *ie hin. -infuhrt, 
nicht bemerken und sich nicht zum Bewußtsein bringen, 
wie schwierig überhaupt diese Probleme sind Und end- 
lich lebt der Materialismus am kraftigsten in den breit, u 
Schichten der Arbeiterwelt fort, die im alten Glauben eines 




096 



EwtftftM Eaaftut 






der Hauptbollwerke der alten Weltordnung «cht und radikal, 
. h- unter dorn Einfluß der Sozialdemokratie geworden ist, 
nach dem radikalsten Gegensatz. KU ihm, der materialisti- 
•Cben Weltanschauung greift; zugleich entspricht die»** auf 
der Naturwissenschaft ruhende Anschauung ihri Üe- 
ichaftigung, der Bearbeitung de* Stoffe» durch die Hand, 
die ihnen die Widerstände, Kraft* und Geselle drr Hat* 
mit dal sie es tagaus tugein zu tun haben, klar und deutlich 
zum Bewußtsein linnu't: für d»n HmimLicImiIim- i-I. um d. 
willen der Materialismus die nftchslliejjende und einleuch- 
tendste wissenschaftliche Weltanschauung 1 ). So steht oa 
heute. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderte aber, in den 
Jahrzehnten, da das Straußische Buch geschrieben wurde, da 
vollends gewann sich unter dorn frischen Eindruck de» gewal- 
tigen Aufschwungs der Naturwissenschaften und ihre* von 
Triumph zu Triumph forteilenden Siegeslauf*, und im be- 
sonderen durch die von Darwin ausgehende Bewegung der 
Materialismus die Geister und die KOpffl um Slunn, und 
der Widerstand von selten der Theologen und der Philosophen 
erschien als so dilettantisch, daß sie gegen ihn nicht auf- 
kommen konnten, sondern auf der ganzen Linie zum Weichen 
gebracht wurden. Noch vor Strauß ist daher ein anderer 
Philosoph, Friedrich Überweg, in das materialistische Lager 
übergegangen, nur ohne sich offen zu dieser seiner (Iber- 
zeugung zu bekennen. 

Wie stand es aber mit Strauß? War er denn wirklii h 
Materialist ? Auch hinrgilt: J;i ihIit ii.'iti, je uaehdeui An 

Reuschic schreibt er im Januar i960, seine I-ektüre habe 
sich „vorzugsweise dem Materialismus und insbesondere 
Darwinismus zugewandt, weil er überzeugt sei, daß hier 
hoffnungsvolle Zukunftsfcldcr für die Wissenschaft sei» 
Und ebenso heißt e* in einem Brief an Professor Bieder- 



') über den MatoriAlismu* der fünfziger und sichtiger Jahr« 
hoho ich eingehend gesprochen in m einem Buch über „Die geistlgvii 
und socialen Strömungen des 19. Jahrhunderts",!. Aufl.. 1901, S. 3M> ff. 



Der alle und dnr noitfl Glsubc, 



m 



mann in Zürich, der ihm seine Dogmatik übersandt hatte, 
am 21. Januar 1869: Zu dieser Unfähigkeit (Biedermanns 
Buch ganz zu verstehen) „hat vielleicht auch beigetragen, 
daß ich gegen die Sirenenstimmen des Materialismus 
nicht so wie Sie durch den festen Rückhalt eines philo- 
sophischen Systems gesichert war. Als uugedungener Wein- 
bergarbeiter, als unfreiwilliger Bummler bin ich in aller- 
hand Stricke gefallen". Aber er fügt doch gleich hinzu: 
„Der Materialismus wollte mir oft als der gleich- 
berechtigte Bruder unseres Hegelsrhrn Idealismus, die 
Wahrheit nur durch Ineinsbildung beider erreichbar er- 
scheinen." Das warf er damals nur so hin. Jetzt im alten 
und neuen Glauben führt er es naher aus. In dem Augen- 
blick, wo er sich scheinbar zum „klaren, krassen Materialis- 
mus" bekennt, fahrt er fort: ,.In der Tat hübe ich den oft 
mit so vielem Lärm geltend gemachten Gegensatz zwischen 
Materialismus und Idealismus oder wie man die dem ersteren 
entgegenstehende Ansicht sonst nennen mag, im stillen 
immer nur für einen Wortstreit angesehen. Ihren gemein- 
samen Gegner haben beide in dem Dualismus, der durch 
die ganze cliristlicho Zeit herunter herrschenden Weh- 
ansicht, die den Menschen in Leib und Seele spaltet, sein 
Dasein in Zeit und Ewigkeit scheidet, der geschaffenen 
und vergänglichen Welt einen ewigen Gott-Schöpfer gegen- 
überstellt. Zu dieser dualistischen Weltanschauung ver- 
holten sich sowohl Materialismus wie Idealismus als Monis- 
mus, d. h. sie suchen die Gesamtheit der Erscheinungen 
aus einem einzigen Prinzip zu erklären, Welt und Loben 
aus einem Stücke sich zu gestalten. Dabei geht die eine 
Theorie von oben, die andere von unten aus; diese setzt 
das Universum aus Atomen und Atomkräften, jene aus 
Vorstellungen und Vorstellungskräften zusammen. Aber 
sollen sie ihrer Aufgabe genügen, so muß uns ebensowohl 
die eine von ihrer Höhe bis zu den untersten Naturkreison 
herftbführen und zu dem Ende sich durch sorgfaltige Be- 



Zwftlft« KtpiUl. 



obachtung kontrollieren, wie «Vir andw die hAchMen geistigen 
und sÜfKobcQ Probleme in Rechnung nehmen und lOttn 
muß. Bald entdecken wir überdies, daß |sdB dfavar Be- 
trachtungsweisen, konsequent durchgesetzt, in die andere 
hinüberführt.* 1 Dnfur beruR er »ich auf Schopenhauer 
und Kr. Albert Lange, den Verfasser der Gtsohfohtfl des 
Materialismus, und schließt: „Immf-r bleibt e* dahei, daß 
wir nicht einen Teil der Funktionen unsere* Wesens einer 
physischen, einen andern einer geistigen Ursache zuzu- 
schreiben haben, sondern alle einer und -I r.rllvn, dio sich 
entweder so oder so betrachten laßt, an sejm-m • nun Kndn 
ein ausgedehnte, am andern ein denkendes Wesen ist." 
Das ist. wie Lange bei Überweg ausdrucklich konsta- 
tiert '). nicht Materialismus,, sondern Spinozismus. und 
führt entweder zum heule beliebten psyehophysischen 
Parallelismus und der auch von Feehner und Paulsen akzep- 
tierten Allbeseelungslehre oder zu irgendeiner Form der 
Idcntitfltslehre. Strauß ist Monist. Dazu aber gehört, 
was wir im zweiten Abschnitt seines Buches gehört haben: 
er sieht im Universum, so naturalistisch er es faßt, mit- 
nichten bloß eine rohe Übermacht, sondern zugleich Ordnung 
und Gesetz, Vernunft und Gute. In einem solchen lebens- und 
vernunftvollen AU aber steckt noch immer der Logos, ein Ide- 
elles und Geistiges, somit bleibt Strauß auch hier wieder 
dem Idealismus und Hegeischen Panlogismua treu, bleibt auch 
als Materialist noch Hegelianer, wie oder mehr noch als 
Fouerbach in stiner sensualislischen und materialistischen 
Periode es geblieben ist. Es ist also kein Lapsus, kein rudi- 
mentäres Gebilde, wenn er In jenem Brief an Biedermann von 
..unserem** Hegeischen Idealismus redet. Nur daß diese 
idealistische und logistische Seite des neuen Glaubens nicht 
deutlich und stark genug zum Ausdruck gekummen ist, 




*) Fr. A. Lange. Geschichte de* Materialismus, 2. Bd.. 4. HJ., 
Anm. 27. 



Vor ultc und der neuo Glaube. 



OOI 



das freilich ist nicht zu verkennen, Strauß war durch 
das für ihn neue Licht, das von den Naturwissenschaften 
ausströmte, geblendet, und darum sah er nur das ein« von 
den beiden Enden hell beleuchtet und klar, da* andere 
dagegen lag für ihn im Schatten und Dunkel. Sein Idealis- 
mus war nicht mehr fest genug, um ihn gegen die Sireuen- 
stimmen des Materialismus tu schütten, sein Monismus sah 
sich an manchen Stellen wirklich wie Materialismus an. 

Und auf einer gewissen Blendung beruhte auch seine 
alleu vertrauensvolle Hingabe an den Darwinismus: nicht 
mir an die Entwicklungslehre, die sich ja durchaus bestätigt 
hat und heute Gemeingut aller Naturwissenschaft, das A 
und das der Biologie» der Einschlag in aller unserer Wissen- 
schaft und Philosophie geworden ist, sondern er glaubt auchan 
die beiden Hypothesen Darwins vom Kampf ums Dasein und 
von der geschlechtlichen Zuchtwahl als Hobel dieser Ent- 
wicklung, wodurch das Auseinandergehen des organischen 
Lebens in verschiedene Arten und Formen, das Entstehen» 
die Erhaltung und die Steigerung der Abweichungen erklärt 
werden sollte. Dieser Teil der Darwinschen Lehre, der Darwi- 
nismus im engeren Sinn im Unterschied von der Entwicklungs- 
lehre im allgemeinen, hat sich inzwischen als ungenügend, 
sein Weg, die Entstehung der Arten tu erklären, als zu 
einfach und daher zum mindesten als einseilig heraus- 
gestellt. Strauß hat das seihst schon vorausgesehen, wenn er 
nagt : , .auch so ist d ie Theorie unstreitig noch h ochst unvollstän- 
dig; sie laßt unendlich vieles unerklärt, und zwar nicht bloß 
Nebensachen, sondern rechte Haupt- und Kardinalpunktc; 
sie deutet mehr auf künftig mögliche Lösungen hin, als 
daß sie diese selbst schon gibt 1 '. Deshalb nahm er 
das Waguersche Migrationsgosrtz lünzu und meinte, der- 
gleichen Mittel und Wege, die die Natur in Anwendung 
bringt, um sich zu differenzieren, odersubjektiv ausgedrückt, 
dergleichen Erklärungsgründe für die Mannigfaltigkeit der 
organischen Formen werde die Nuturforschung mit der Zeit 




WM 



Zwölfte» h'jpit*!. 



immer mehrere finden : sie achließen »ich nicht au«, sondern 
wirken alle zur Lösung dos großen Hftlaels zusammen. So 
war er auch der Lehre Darwin« gegenüber kritisch. Aber 
leugnen laßt sich nicht, daß er, nach dem heutigen Stand 
unseres Wissens und Erkennen*, Darwin und »einen genialen 
Hypothesen doch immer noch zuviel Vertrauen genchenkt hat; 
daß ein neuer Vitalismus kommen und vom Sterbelager 
des Darwinismus her seine SirenenUcder anstimmen konnte, 
das hatte er sich nicht träumen lassen. So erweisen sich 
gerade diese naturwissenschaftlichen Abschnitte seines Buchs 
teilweise als vergängliche Kinder ihrer Zeit. 

Das hängt aber noch mit einem anderen, mit der einen 
großen Lücke dieses neuen Glaubens zusammen. Wie in 
dem ersten Leben Jesu die kritische Untersuchung der 
Quellen, so fohlte diesem seinem letzten Werk eine Unter- 
suchung und Prüfung der menschlichen Vernunft und ihrer 
Grenzen. Und doch hatte sich zu einer solchen als zu ihrer 
Hauptaufgabe just zur seihen Zeit die deutsche Philosophio 
angeschickt und sich damit wieder auf ihre Pflicht bev-.nnen. 
Zurück zu Kantl Gerade zehn Jahre vor dem Erscheinen 
seines Buchs hat Straußen* Freund ZeUer in seiner Heidel- 
berger Antrittsvorlesung diesen Ruf erhoben, ein anderer 
Freund von Strauß, Kuno Fischer, hatte schon vorher durch 
seine glänzende Darstellung Kants in seiner Geschichte der 
neueren Philosophie dem vorgearbeitet, und Fr. Albert Lange 
in seiner Geschichte des Materialismus, Otto Liebmann in 
seinem „Kant und die Epigonen" schlössen sich seit Mitte 
der sechziger Jahre dieser Forderung an, daß in der Philo- 
sophie auf Kant zurückgegangen werden müsse. Damit 
war der Bann, der seit dem Auseinanderfalten und Zu- 
sammenbrechen des Hegeischen Systems auf der deutschen. 
Philosophie lag, gebrochen, eine neue Periode do* Auf- 
schwungs hatte durch die erkenntnistheoretischen Unter- 
suchungen, in denen sie sich auf sich selbst besann, für sie 
begonnen. Auch Strauß geht in dem Kapitel: wie begreifen 



Der alt« und drr neue Glaub" 



701 



wir die Well? auf Kanl zurück — auf »eine Allgemeine 
Geschichte und Theorie de» Himmele vom Jahr 1755. 
d.h. auf den vorkhtischen Kant, nicht auf den Kanl der 
Kritik der reinen Vernunft vom Jahr 17Si. Hier rfteht 
sich die Vernachlässigung Kants in MlMS Studienzeit. 
1839 in der Abhandlung Ober Schleiermacher und Daub 
ist er ihm am nächsten gestanden, aber jedesmal, im Loben 
Jesu und in der christlichen Glaubenslehre, ist er allzu rasch 
Ober ihn hinweg zu Hegel weitergegangen und spater kaum 
mehr zu ihm zurückgekehrt. Infolgedessen macht sein Buch 
auf uns heute einen dogmatis tischen Eindruck. Gewiß kennt 
auch Strauß die Grenzen menschlicher Erkenntnis : ,,wir 
stehen hier an der Grenze unseres Erkennen», wir schauen 
in eine Tiefe, die wir nicht mehr durchdringen können", 
heißt es bei der Lehre von Gott; und bei den Goltesbeweisen 
wendet er, was er von Kant an Kritik dagegen gelernt hat, 
ganz richtig auch gegen dessen eigenen moralischen Beweis 
an. Aber an anderen Stellen vergißt er diese kritische Vor- 
sicht und redet wirklich dogmatislisch, sein Buch ist — 
er sagt es uns ja im Titel selber — zu sehr Glaubensl«hre 
und Bekenntnis, eine zu wenig kritizistiach orientierte Welt- 
anschauung. Oder spitzig ausgedrückt: Strauß ist auch hier, 
wo er philosophiert, zu sehr Theologe geblieben, und alle 
Theologie ist dogmalisch und dogmatislisch. Noch anders 
formuliert, kann man es auch so ausdrücken: Strauß ist mit 
seinem Buche zu früh und zu spät gekommen. Naturwissen- 
schaftlich zu früh; denn der Darwinismus, den or so glaubig 
und so hoffnungsvoll aufnahm, mußte erst noch auf seine 
Probehai tigkeit hin geprüft werden: so unbedingt zustimmen 
durfte man ihm noch nicht; das hat sein Schicksal von da- 
mals bis heute gezeigt. In der Philosophie aber kam das 
Buch zu spät; denn schon war der Ruf ergangen, zurück zu 
Kant! Der Materialismus, gegen dessen Sirenenstimmeu 
Strauß zu wenig gefeit war, ist unkritisch, selbst dann, 
wenn man ihn nur als die eine Seit» und Betrachtungsweise 




Zwölfte« Kapitel. 




anrieh l. und jedenfalls dann, wen« man <be andere Seit* 
nicht voran- und mil allem Ntcfe b Bei In > 1 i • erste Reihe 
stallt. Angesichts de* materialistischen PUfTeutums und 
seines , .ungeschlachten Schimpfen** • il du* Philosophie", 
Li . StrunLJ :i:i ilm KiVlnnr iliM Yogi VOt tUgU htttU und 
darum mit Krnst und Spott zurückwies, und das wir nicht 
uunder unerfreulich noch heule vor uns haben, kann man 
geradeso sagen: aller Materialismus ist theologisch. Dann 
aber mußte Strauß als A&tithtolQgU vor ihm doch mehr 
auf der Mut sein, als er es gewesen ist. An den SobtOitl 
einer an Kant sich orientierenden, aber rasch immer sju 
findiger und scholastischer werdenden Erkerintnintheori« 
hatte er übrigens keinen Gefallen gefunden und »ich damit 
nicht begnügen mögen. „Schwierigkeilenmacher" hatte er 
<Ii<' im Methodologischen stecken bleibenden Philosophen 
genannt und diesmal doch lieber LoUe zugestimmt, der 
seinerseits fragt: „Was soll das ewige Messerwetten» wenn 
es doch nie «um Schneiden kommen soll?" Dazu war 
Strauß als aller Hegelianer ru mulaphysiach gerichtet im 
guten Sinne des Wortes. 

Vom Zweck in der Natur sollte uns Darwin befreit, 
die Naturteleologie sollte er beseitigt haben. Als Menschen 
kommen wir aber jedenfalls Ober den Zwecke «hinken nicht 
hinaus. An einer Stelle, wo wir es geradp am wenigsten 
erwarten sollten, stoßen wir auf ihn. Von einem Zweck der 
Welt im ganzen, so scheint es, kann füglich nur so lauge 
die Rede sein, als ein persönlicher Schöpfer vorausgesetzt 
und die Erschaffung der Welt als ein freier Akt seines Willens 
betrachtet wird. Aber — und diesmal ist Strauß doch auf 
den Spuren Kants und seiner Kritik der Urteilskraft — : 
wenn wir uns nur bewußt bleiben, daß wir uns lediglich sub- 
jektiv ausdrucken — das K an lache ..als ob"! — , so können 
wir doch nach dem Sinn des Zusamm- ,1er in der 

Well wirksamen Kräfte fragen. Wenn das letzte die Idee des 
Universums ist, oder ganz materialistisch der ins Unendlicho 



Ilt-r -il!» uihl ilt-r neu»? Glaub?. 



703 



bewegte Stoff, der durch Scheidung und Mischung weh zu 
immer höheren Formen und Funktionen steigert, durch 
Ausbildung, Rückbildung und Neubildung einen ewigen 
Kreis beschreibt, so erscheint uns al* «Jaa. was dabei heraus- 
kommt, ,,im aUge-meim-n die mannigfachste Bewegung 
oder die größte Fülle den Lebens, im besonderen diese Be- 
wegung oder dieses Leben moralisch wie physisch als ein 
sich entwickelndes, sich aus- und emporringendes, und 
selbst im Niedergang des einzelnen nur ein neues Aufsteigen 
vorbereitendes'*- Naturlich liegt dann die Erreichung des 
Weltzwocks nicht mehr am Ende der Welt, nicht einmal 
in etwas, das fortdauern soll, sondern der Zwerk der Welt 
ist in jedem Augenblick ihrer Entwicklungsgeschichte 
erfüllt. 

Über diese Frage nach dem Weltzweck, der uns vor 
allem doch in seiner Spezialisierung auf die Entwicklung 
des Menschengeschlechts und dessen, was dabei erreicht 
wird, interessieren muß, gelangt Strauß ohne irgend- 
welchen Sprung nun endlich zum letzten Kapitel, das Ant- 
wort geben soll auf die Frage: Wie ordnen wir unser Leben? 
„Banal'* ■) wird man ihre Formulierung nur dann finden, 
wenn man übersieht, daß hier das Persönliche der Individual- 
ethik und ilns SuhManti<'lle der Sozirili'tluk /.nxiiiiriirn- 
zunehrnen war: für dieses Doppelte muß die Frissung vielmehr 
als eine glückliche bezeichnet werden. Die Individualethik 
geht voran, in ihr handelt es sich auerst thooretiach um dir» 
Grundlagen der Moral. Auch für den Menschen gibt es ••in 
Gesetz der Entwicklung, bei ihm dürfen wir jedenfalls (ragen, 
was dabei herauskommen solle und wirklich herauskommt. Kr 
hat sehr niedrig, tierisch roh angefangen. Aber der Trieb zur 
Geselligkeit, das Spiel der Kräfte im Gegensatz zwischen 
seinem sozialen Trieb und sollten) Eigenwillen Itulf weiter 
und rührte ihn .ins den Tiefen der Natur EWftff tnfittftl ItBfr 



»J Sehweite er ». a. O. 8.75. 




ZwölfUs Kapitel. 




aara, aber doch allmählich immer höher und höher Dtawr 
Weg nach oben wird beschrieben und »eine Klappen am 
Hekulog des Alten Testament», an den Sittengoboten Jesu, 
am naturgemäßen Leben der Stoiker, an Kant.» kategorischem 
Imperativ und an Schopenhauer» MiÜeidxmorul aufgezeigt 
iiiv Wesen des Sittlichen aber findet Strauß in dem Sich- 
bestimmen des einzelnen nach der Idoe der Gattung, womit 
or gewissermaßen konsequent an die SchluUabhaudluug 
der* ersten Lebens Jesu nnknUpft. Die Idee der Gattung 
hatte er dort als den Kern in der Gestalt de* Mcnschen- 
sohnes gefunden, die Idee der Gattung ist oder soll sinn 
der sittliche Kern in jedem Menschensohne. Wie er <1b* 
Sittengebot, den Inbegriff aller Moral, formuliert, haben 
wir oben im Abschnitt über die Religion schon vorweg- 
genommen. Nicht bloß aufwärts hat die Natur im Menschen 
gewollt, auch über sich selbst hinaus will sie mit ihm. Er 
soll also nicht bloß wieder ein Tier, er soll mehr und etwas 
besseres sein, er soll die Natur erkennen, die eben nur 
in ihm sich erkennen, nach Hegel sich in ihm reflektieren 
kann, und er soll sie in sich und außer sich beherrschen. 
DnU er das soll, sagt Strauß in Umkehrung eines Kanti- 
schen Satzes» wird dadurch bewiesen, daß er es kann. 

Daß dies" Ausführungen zur Begründung einer wissen- 
schaftlichen Ethik nicht zureichen und dem Bau gerade 
hier noch einige kräftige Balken fehlen, vor allem das Zurück- 
greifen auf das sittliche Werden im Reich der Sitte, das hat 
Strauß seihst wohl gefühlt; schreibt er doch, als die zweit« 
Auflage in Sicht ist, darüber an Zeller: „Wo ich aber be- 
sonders deine Handreichung erwarte, ist im vierten Ah- 
schnitt. Der moralische Passus gleich anfangs ist mir am 
schwersten im ganxen Buch geworden, ich habe ihn dreimal 
geschrieben, und doch ist er noch nicht, wie or sollte. Hn 
müßten noch ein paar tüchtige Balken eingezogen werden, 
und wenn du mir dazu ein paar Eichen- oder auch nur Tannen- 
stamme vors Haus führen mochtest, würdest du m h i i 



Der alt« und der d«u* Glaube 



705 



großen Dank verdienen". „Er war ebunkeinesiLtlicheNatur", 
klingt es angehuht* diesen Kiiip 'sWiihlms -..■■■. wu» es früher 
hieß, daß er kein religiöser Mensch gewesen sei. Dagegen 
hätle er sich auf Kant berufen und fragen können: „wer 
wollte einen neuen Grundsatz aller Sittlichkeit einführen 
und diese gleichsam zuerst erfinden? Gleich al* ob vor ihm 
die Welt in dem, was Pflicht sei, unwissend oder tu durch* 
imngigern Irrtum geweK.«n wäre" Mehl um «eine persön- 
liche Sittlichkeit, sondern um die Schwierigkeit, Siltlichkoit 
zu begründen, handelt es sich. Der Vorwurf idealistischer 
InkoriHiTfuiuiz »her, den muri diesem moralischen Teil viel- 
fach gemacht hat, wäre selbst dann unberechtigt, wenn 
Strauß wirklich der krasse Matenahst gewesen wäre, der er 
eben nicht war. Die kecke Art, in der sich LameUrie, dieser 
„Prugeljunge" des franzosischen Materialismus, und noch 
mehr manche seiner deutschen .Nachbeter über die Moral aus- 
gelassen und gefallen haben, gebort nicht zum Wesen de» 
Materialismus; man sollte doch nie vergessen, daß der erste 
große Materialist, der Atomistiker Demnkrit, einer der 
grOfittiS Klhiker der Griechen gewesen ist. Aber Strauß 
war ja kein bloßer Materialist. Zu dem All, das voll ist von 
Ordnung und Gesetz, von Vernunft und Güte, gehört auch 
der Mensch; in ihm hat die Natur ein Wesen hervorgebracht, 
das über sich selbst als bloßes Sinnen- und Naturwesen 
hiuaus soll, jene Vernunft und jene Güte im All sich zum 
Bewußtsein bringt und im naturgemäßen Leben eich zum 
Vorbild nimmt und durch sie in und außer sich die Natur 
beherrscht. Das ist für die idealistische und punlogisliöche 
Betrachtungsweise, die bei Strauß neben der materialisti- 
schen hergeht, durchaus nicht inkonsequent, hier »ind wir 
eben am oberen, nicht mehr am unteren Kndc der Reihe. 
Auf diese theoretischen folgen dann die praktischen 
Ausführungen de* vierten Abschnitts. Von Ehe und 
Ehescheidung, von Monarchie und Bepublik, von Adel 
und Bürgorstand, von Arbeiterfrage und Sozialdemokratie, 




706 



Zwölfte* K*pjt-l. 




von aMgemeinem Stimmrecht uud Todesstrafe, von Staat 
und Kirche und den BnotxmiUda für diese ist hier du* 
Rede. Dabei zeigt »ich die konservativ*» Natur von Siran U, 
die wir immer schon und vollends seit seinem poUttMba 
Auftreten im Jahre IH48 kenium. und o* zeigt neb der in 
MJIHII Biographien zutage tretend« individualistische Zug 
seines Wesen*. Da» Erste, wenn er manche«, was uns buuto 
in der Bttllk und im praktischen Laben «um Problem ge- 
worden ist, hinnimmt, als rnulllr •:■- -.-. ><-in und für all* '/. 
so bleiben - nach dem Wort seines Meisters Uegel. daß das 
Wirkliche vernünftig sei, dem übrigens im Sittlichen» wie 
wir eben gehört haben, auch Kant beistimmt. So tritt 
um nur eines zu erwähnen, entschieden für die monarchische 
Staats form ein und sieht in dem Rätselhaften, ja scheinbar 
Absurden derselben das Geheimnis ihres Vorzug» vor der 
Republik. Wenn ihm dabei das Wort entschlüpft: „Jede« 
Mysterium erscheint absurd, und doch ist nichts Tiefem. 
weder Leben noch Kunst noch Staat, ohne Mysterium 4 ', 
M hat man ihn darauf festnageln und ihn zum unwillkür- 
lichen Zeugen gegen sich selber und für die Mysterien der 
Religion und ihre Wunder machen wollen: als ob es sich in 
jenen Worten um etwas anderes handelte als um da* My: 
rium der Vererbung und der Persönlichkeil und Strauß 
dieses nicht ohne weitere* auch für den RfHgionMÜfltt 
hätte gelten lassen. 

Die individualistische State kommt vor allem bei dar 
Besprechung der Arbeiterfrage und in den scharfen Ausfallen 
gegen die Sozialdemokratie zum Wort. An dieser beklagt or 
den Mangel an Respekt vor den Großen des GflfotM, dio 
Sehnsucht nach allgemeiner Duzbrüderschaft in Heiad- 
armeln. Und doch, meint er, haben gerade die. Kn-ignisee 
der letzten Jahre durch dl666 demokratische Rechnung 
einen bösen Strich gemacht und die Wahrheit des HegeJ- 
schen Satzes dargetan, daß „an der Spitze An vulthistori- 
sehen Handlungen Individuen stehen als die das Substan- 



Der alt« und dar neue (Haubo. 



707 



tielle verwirklichenden Subjektivitäten". An die Stell« 
eines Goethe oder Humboldt und jetzt die Bismarck und 
die Meli kr getreten, deren Größe um BO weniger zu leugnen 
ist, als sie auf dem Gebiet der handgreiflichen äußeren 
Tatsachen hervortritt. ,,Da müssen nun auch die steil- 
nackigsten und borstigsten unter jenen Gesellen sich be- 
quemen, ein wenig aufwärts zu blicken, um die erhabenen 
Gestalten wenigstens bis zum Knie in Sicht zu bekommen." 
Damit suchte er die kollektivistische Geschichtsauffassung 
sozusagen ad oculo» zu widerlegen. Ihm ist die Geschichte 
eine gute Aristokratin. Auch mit dem Gedanken, daß das 
erbliche Privateigentum als Grundlage der Familie die Grund- 
lage der Sittlichkeit und der Kultur und die Ungleichheit 
des Besitzes etwas für den Bildungsfnrtschritt der Mensch- 
heit Unentbehrliches sei, trat er den sozialdemokratischen 
Tendenzen schrofl entgegen. Dabei zeigt er sich, das werden 
wir heute leicht zugeben können, gegen den vierten Stand 
und die ganze Arbeiterbewegung wirklich ungurncht, wenn 
er das Verlangen nach einer verkürzten Arbeitszeit oder 
nach Schiedsgerichten bei Streitigkeiten zwischen Arbeit- 
gebern und Arbeitnehmern glattweg abweist, die Streiks 
für ,,ein Stück von Anarchie mitten im Staat, von Krieg 
im Frieden, von ungcschcul am hellen Tage sich durch- 
führender Verschwörung'* erklärt. , .deren ungestörte 
Fortdauer der Regierung und Gesetzgebung, die ihnen tat- 
und willenlos zuschauen, nicht zur Khre gereicht", und 
srlilii'Ulirfi t'in Sozialdemokraten zornig . .<i n HofiDflD DJld 
Vandalen unserer modernen Kultur 41 nennt. Das alles ist 
herausgeschrieben und herauszuverstrhen aus der Stimmung 
zu Anfang der siebziger Jahre, wo viele unter dem frischen 
Eindruck unserer nationalen Erhebung und Einigung in 
dieser gegen alles Nationale hieb richtenden und es roh 
verhöhnenden internationalen Bewegung ein absolut Krtnd- 
liches, Staat und Kultur Bedrohendes sahen, heraus aus 
einer Stimmung, aus der dann oin paar Jahre ipfltor da» 




TOS 



Zwölftes Kapitel 



Sozialistengesetz mit seiueu drakonischen Aasualunebestiin- 
mungen erflossen tot Die«» Stellen de* Straußischen Buch« 
sind somit wiederum xeitlich bedingt, Ausdruck dw ersten 
Schrecken» und der ersten Empörung eines nattonal#e- 
Minntin .l.-u! .rhn. i'.i - ..ii-u (Irr m<-|i 'reute. ifaQ BOB KBd- 
Hch erreicht und errungen sei, um was der Deutsche so 
lange vorgeblich gekämpft und gestritten hatte, und dor 
diese Errungenschaften alsbald wieder durch das Hoch- 
kommen der Sozialdemokratie in Frage gestallt und sein 
Volk durch sie in neue, kaum weniger schwere Kampfe 
hineingerissen sah. Es waren schließlich Ähnliche und aus 
Ähnlichen Erwägungen herausgewachsene. Gedanken, wie 
sie Treitsehke drei Jahre spater in seiner Streitschrift gegon 
die sozialistischen Nationalukonomen als die Gönner und Be- 
günstiger des Sozialismus vorgetragen hat. Wir stehen heute 
auf seitcu Schmollers und der KaUiedersozialisten, aber wir 
können den entgegengesetzte» Standpunkt von Treitsehke 
und Strauß historisch wohl verstehen, und wenn sich die 
Genossen gelegentlich gar so sleifnackig und borstig anstellen, 
ihren Zorn auch heute noch nachfohlen. Auf der andern 
Seite dürfen wir aber zweierlei nicht vergessen. Einmal, 
Strauß ist einer der allerersten gewesen, der die Gefahr 
erkannte, an der damals die meisten Liberalen verständnislos 
und hochmütig vorübergegangen sind. „Ob nicht Zeiten 
kommen werden, wo das sozialdemokratische Lager im Heichs- 
tag sich verstärken und in seiner Koalition mit den Klerikal i 
der Regierung böse Schwierigkeiten bereiten wird 4 ', die*o 
Frage klingt 1872 doch recht weit ausblickend. Und dann, 
so verständnislos wie Treitschke ist Strauß der sozial- m 
Frage gegenüber doch nicht gewesen. Schon 1848 hat er, 
wie wir gesehen haben 1 ), auf das Prinzip der Assoziation 
und auf Hilfskassen für kranke und alte Arbeiter hingewiesen. 
Und so geht er auch jetzt nicht mit zornig ablehnenden 



■l «. öt»n B. 431. 



Der alle und der neu« Glaube. 



70'' 




Worten, sondern mit UMB Zugeständnis an di* Kr- 
örterung dieser Frage heran: „Bekennen wir vor allem, 
es ist von der einen Seito viel gefehlt, insbesondere viol 
unterlassen worden; man hat menschliche Kräfte mitunter 
rücksichtslos ausgebeutet, ohne weder für das leibliche 
noch für das sittliche Gedeihen des Arbeiters gehörige Sorge 
eu tragen." Das war ein Anerkenntnis, zu dem auch 
noch im Jahr 1872 nur ganz wenige auf Seiten der Bürger- 
lichen sich bequemen mochten; noch jtehn oder fünfzehn 
Jahre hat es gedauert, bis diese Anschauung allgemein 
durchdrang und mmi sii-ti Hinsoll und politisch der Pffiohltt 
erinnerte, die man dem vierten Stand gegenüber hatte. Auf 
das Sozialistengesetz von 1878 folgte erst am 17. November 
1881 die kaiserliche Botschaft, die an diese Pflichten mahnte. 
Auoh daß aus jener Stelle des Straußischen Buches meine 
Schrift „Die soziale Frage eine sittliche Kruge" heran* 
gewachsen ist, darf ich in diesem Zusammenhang vielleicht 
hier zu seinen Gunsten mit erwähnen. 

Die obligatorische Zivilehe, die früher als er dacht« 1 , durch 
das Gesetz vom 6. Februar 1875 für das Deu lache Heich 
gekommen ist, hat Strauß ebenfalls schon gefordert, der 
Kirche gegenüber vom Staat aber vorerst nicht mehr vor- 
langt als Diogenes von dem großen Alexander. Das Stümpern 
an der alten Kirche, alle die modernistischen Versuche, 
..die Weltkultur mit der christlichen Frömmigkeit zu ver- 
söhnen", mißfielen ihm gründlich; denn wenn der alto Glaube 
absurd war, so ist es, meint er, der modernisierte des Prote- 
slanlenvereius doppelt und dreifach. Er wollt« eben keiue 
Halben und nichts Halbes, die Ganzen und das Ganze sind 
ihm immer lieber gewesen. So sagte ihm auch da» Tun der 
sogenannten freien Gemeinden wenig zu. Er hatte in Iinlm 
ihren Gottesdiensten beigewohnt und sie entsetzlich trocken 
und unerquicklich, „trübselig bis zum Schauerlichen" ge- 
funden. Was würde er erst zu Predigten über Schiller oder 
über Zarathustra gesagt haben! Entweder ganz oder gur 




710 



ZwWUs Kapitel 



nichtl So empfand nr Miincrsciu km Bedürfnis nach MMV 
halben oder auch ganzen Vernunflkirche, in dn «lu Mrnnehen 
doch wieder nicht ganz frei waren. AU ob man »ich nur 
in einer Kirch» sammeln, nur an Binar l>n>digt erbauen 
könnt*. 

Und doch sprach auch Strauß im Namen aiiderrr. 
Wer sind diese andoron, die ,,Wir", für dir er liier da» Wort 
fuhrt? Kr hat ausdrücklich darauf geantwortet: ..Wir 
gehören den verschiedensten Berufsarten an. sind keines- 
wegs bloß Gelehrte oder Künstler, sondern Beamte und 
Militärs, Gewerbetreibende und Gutsbesitzer; auch das 
weibliche Geschlecht ist unter uns nicht unverireten; wir 
sind unser nicht wenige, sondern viele Tausend«* und nicht 
die schlechtesten in allen Landen." Ks sinil mit einem Wort 
Menschen, wie sein Bruder einer gewesen ist. Menschen, 
die sich den Sinn möglichst olTeu zu erhalten suchen für iill»> 
höheren Interessen und ihr Genüge linden an den Aufgaben, 
die das Lehen stellt und an den Freuden, die die Erde bietet. 
Diese finden Ersatz für das. was sonst die Kirche gegeben hat, 
in geschichtlichen Studien, in Erweiterung ihrer Natur 
kenntnisse. an den Schriften unserer groDen Dichter und 
bei den Aufführungen der Werke unserer großen Musiker. 
StrauQ war Aristokrat. Ein Aristokrat der Bildung 
natürlich- Der Bürgerliche, der sich zu ehren mal 
wenn er die Erhebung in den Adelsstand nachsucht odi-r 
Kar erkauft, schändet sich in seinen Augen; und selbst 
wenn ein verdienter Mann aus dem Bürgerstando die ihm 
als Belohnung gebotene Standeserhohung d mkhar .umiimut, 
zuckt er die Achseln als über eine milleulcnswert« Schwäche. 
Vom „Volk" aber hielt er seit dem Züriputsch ron 1839 
recht wenig; daß sich die Wissenschaft nuoh diesen harten 
Köpfen richten sollte, hielt er, wie er Mnrkliu schrieb, 1 ) 
für verkehrt. Und doch stammt aus jener Zeit eine merk- 



*) Oben S. 384. 



Der ult« und der neue Gll 



711 



würdige Äußerung ganz anderer Art, die Reuschle (ür der 
Mühe wert hielt alsbald seiner Braut xu berichten: „Ging 
letzthin mit Strnuß spazieren. Die Rede kam auf die 
religiösen Wirren, die Mißlichkeit seiner Theologie gegen- 
über dem Volk. Ich kam dadurch auf die; Gefühle, die am 
Pflngstmorgen der Anblick des zur Kirche gehender» Kulter- 
weibles in mir erregte. Kaum hatte ich ..Kutterweible" 
und „Kirche 1- gesagt, so liel mir Strauß sogleich in» Wort: 
ja, dieses Gefühl kenne er, und solche Kutterweible kennen es 
vorzüglich erregen; er sei sich in solchen Augenblicken schon 
oft als ein Verbrecher vorgekommen." Ebenso dachte <*.r 11M8. 
wie wir wissen, nicht bloß politisch un die Kinheit und 
Freiheit, sondern auch sozial an das Volk, das hungert und 
friert und von jeder Art von Not zu Boden gedrückt wird 1 ), 
lind so ist denn auch in seinem letzten Buch das Volk 
nicht so ganz vergessen, wie es er9t scheint. An den 
Bildungsschatzen können nicht nur die geistig Höchst- 
fclehi'iideii teilnehmen; auch der schlicht« Mnrri aus den, 
Volk kann es und soll es Lessings Nathan oder Goethes 
Hermann und Dorothea sind nicht schwerer zu verstehen 
und enthalten nicht weniger Heilswahrheiten, weniger goldene 
Sprüche als ein paulinischer Brief oder eine Johanneische 
Christus rede. Darum muß dafür Platz geschafft werden: 
„wenn künftig auch unsere Bnuernkinder in der Dorfcrhulr 
weniger mit palästinischer Geographie und JudengescjnVht. , 
mit unverständlichen Glaubenssätzen und unverdaulichen 
Sprüchen geplagt werden, wird um so mehr Zeit übrig 
bleiben, sie zur Teilnahme an dem geistigen Leben des 
eigeuen Volke», zum Mitschöpfen aus seinen so reichen 
Kullurquellen heranzubilden!" Ich wüßte nicht, was da- 
gegen einzuwenden wäre, weiß aber leider wohl, daß diese 
Forderung unserer modernen SozialpBdagogik auch heute 
noch bloß Forderung und Wunsch ist. 



') Oben 8. 431 . 



4«. 



712 



Zwölftes Kapiltt 




Man hat den von Strauß propanierten Enati für die 
veralteten und ausgelebten Formen de* Kirchentums etwa» 
dOnn gefunden, man hnt nber dabei — absichtlich oder unab- 
sichtlich — übersehen, daß dem von ihm Genannten noch ein 
ladon vur«nifi«ht : .Wir luihni wjihr.-nf| iici letzten Jahn 
lebendigen Anteil genommen und jeder in seiner Art mit- 
gewirkt an dem großen nationalen Krieg und der Auf- 
richtung des deutschen Staate, und wir linden uns durch dicao 
so unerwartete nU herrliche Wendung der Geschicke unserer 
Wltlgajirffftan Nation im Innereien erhoben; dem Nachdenken 
über ilüHjrnigOt mm ri«'ii \'r»1U»-i-ri wir ilni r>iii/.i'lnei r.mn Heil 
oder zum Verderben gereicht, gibt, ja dieser Krieg unerschöpf- 
lichen SlolT, an sittlichen Lehren war nie eine /-eil 
als die letzten Jahre. 1 * So kommt auch hier zürn Individuellen 
das Gemeinsame, zum Ästhetischen das Sittliche, r 
Genießen die soziale Mitarbeit, zur Natur die Geschichte 
hinzu. Und wenn ich mein eigene« Leben auf dieses Straußi- 
sche Rezept hin, ,,wie wir es treiben", ansehe und prüfe, so 
wüßte ich nicht, was diesem fehlt, Auch ich kann ihm nach- 
sprechen : 

So leben wir. *o wandeln wir beglückt. 

ohne mich eines ruch- und schamlosen Philieteruptirnisniua 
schuldig zu wissen. Zum Sittlichen gehört unter ander 
auch das, daß man vor der Welt seinen Kopf hoch tragt 
und seine persönlichen Sorgen und Leiden ün Innersten 
verschließt und damit für sich und mit sich allein fertig wird. 
Oder nicht? 

Strauß aber, dem gerade in diesem Augenblick wieder 
einmal sein Lebensglück in Scherben vor den Füßen I«g, 
fand in solchen Zeiten bei Poesie und Musik den Frieden 
und die Erquickung, die ihm die Welt und die Menschen 
sonst nicht geben konnten; diese beiden Orangen ihm am un- 
mittelbarsten ins Herz und wirkten geradezu religiös, er- 
bauend und erhebend auf ihn ein, Darum, wessen das Hon 
voll ist, des gehet der Mund über. Zu seinem Glauben»- 



Dar *lt« und d*r neun Glaub*. 



713 



bekenntnis gehört, zu sagen, wie er die Meister der Poesie 
gelesen, die Meister der Musik gehört und was er dabei 
gedacht und empfunden hat. Und so folgen hier ganz sach- 
gemäß die beiden Zugaben von unsern großen Dichtern und 
von unsern großen Musikern. Die erste ist gewissermaßen ein 
später Ersatz für das ungeschriebene Buch über unsere sechs 
Klassiker. Da er aber über Klopstoek früher schon geredet 
hatte, von Wielands Dichtungen ihm nur wenige anziehend 
waren und er gegen Herder eine Art Idiosynkrasie und starke 
Antipathie hatte, so beschrankte er sich auf Lessing, Goethe 
und Schiller. Ea genügt hier zu sagen, daß diesor Abschnitt 
zum Besten und Schönsten gehört, was über diese drei 
Größten gesagt worden ist. In der zweiten Zugabe von 
unseren Musikern kommen alle sechs Klassiker zu Wort, 
Bach und Handel ganz kurz, dann Gluck, unser musikali- 
scher Lessing, und Haydn, der etwas von Wieland hat. nur 
daß er ohne Vergleich bedeutender ist, darauf am ausführ- 
lichsten natürlich Mozart und Beethoven. Daß der erster« 
ebenso wie in den Reihen der Dichter Goethe seinem Herzen 
am nächsten stand, ist leicht zu spuren. 

Mit diesen zwei Größten hier, mit Goethe und Schiller 
dort endigen die beiden Abschnitte, von der Romantik ist 
nicht die Rede, Zwar die romantischen Poeten hat er wohl 
zu schätzen gewußt; er wäre ja kein Schwabe, kein Freund 
von Kerner und Mörike gewesen. So hat er z. B. Heinrich 
von Kleist voll gewürdigt, wenn er. eben in der Zeit dos 
alten und neuen Glaubens, Über seinen ,. Prinzen von Hom- 
burg" an Rapp schreibt: ,,Ei, was ist das für ein herrliches 
Stück! Der Krankheilsstoff, der Kleist sonst immer so viel 
zu schaffen macht, hat sich hier gleichsam heraus auf die 
Haut geworfen. Nur die erste Szene, und als ihr Widerschein 
dio letzte, ist phantaslisch-somnainbulistisch. Alles andere 
kerngesund, und das einzige, was man in dieser Hinsicht 
beanstanden könnte, der allzu tiefe Fall des Helden in maß- 
lose Todesangst, wird gerade durch das Träumerische, das 




714 



7-wOlfles Kapitel. 



ihm von der ersten Stern» her anklebt, gut gemackt. Da* 
ganze IMdenleben ist unter die Beleuchtung de» Gedanken» 
„das Lehen ein Traum" geseilt. 1 " Aber, niiu. Mi ff auch 
hier weil ihm mit Goethe das Romantische „das Kranke" 
war, *o hielt er e» auch in der Poesie lieher mit dem 
Klawinchoii. -.ein Geschmack war an den Alten gebildet und 
darum durchaus neuhumanistisch im Sinne Leasings und 
Schiller* und Goethe*. Ganr. puristisch und streng konser- 
vativ aber, um nioht zu sagen: ganz orthodox, war Strauß 
auf dam Gebiete der Musik. Schon l>ei Beethoven Mehl sj 
trotz aller Bewunderung für s*>ine Größe und titanischen Gewalt 
allerlei Einschränkungen, diu ja schon früher, in dem musi- 
kalischen Brief eines beschrankten Kopfes über die neunte 
Symphonie, xum Ausdruck gekommen waren und hier, ver- 
stärkt, wiederholt werden. Beethoven war Ulm ein Übergang 
vom Klassischen suin Romantischen, und diesen Schritt ma« I 
er nicht gerne mit. Vergehens hatte sein Freund KaufTmann 
versucht, ihn für Schumann zu gewinnen; und nun gar Hi-.h ,.i 1 
Wagner! Seinen Namen hatte er in der unbeh < 
Zeit seines Weimarer Aufenthalts in dem ihm wenig sympa- 
thischen Liszlschen Kreise zuerst nennen hören; seither war 
er ihm verdächtig und bald ebenso unsympathiu-ii wie jener. 
Wagner war ein Neuerer, ein Revolutionär in »einer Kunst, 
Strauß war auch hier konservativ. Als er im Winter 1867 
auf 1868 in München war, erlebte er dort die Kampfe um 
Wagner und die wachsende Hochflut der Wagnerbegeisterung, 
deren Opfer sein Freund Lachner geworden ist. De-w 
abonniert er sich bei den großen Konzerten nicht, w> il ihm 
zu viel ..zukunftsmusikalisches Wildwasser" darein eingedrun- 
gen ist; Lachner gab ja seine Entlassung als Generalmusik- 
direktor eben deshalb, weil er, wie n ihni i;M«\ .,ip ( i M . 
Lftnge mit dem Wagnerspack unmöglich an einem Strang 
ziehen könne"; und dann „gute Nacht Haydn und Mozart!" 
So verhärtete sich Strauß in diesen Zeiten des Kampfes und 
der Agitation, die auf seilen der fanatischen Wagnerianer 



Der :ilU' UIlJ *J«*P N''liu ni.njbf. 



716 



oft recht häßliche Formen annahm, immer mehr gegen den 
Meister; seine Briefe geben dieser Antipathie drastischen Aus- 
druck l ). Früher hatte er daran gedacht, zusammen mit 
KaufTmann eine Broschüre gegen Wagner zu schreiben. Kr 
hat es aber schließlich aufgegeben und sich in der öftVi.i 
lichkeit. soviel ich sehe, nur einmal zu einem freilich sehr 
heftigen Ausfall gegen die Zukunftsmusik hinreißen lassen — an 
einem Ort, wo man es kaum suchen würde, in dem Christus 
des Glaubens und dem Jesus der Geschichte, wo er das 
Kintreien für i\W- Priorität *\v* M.irkusevangeliums für einen 
..Zeitschwindel" erklärt» ,,wie die Zukunftsmusik oder die 
Agitation gegen die Kuhpockenimpfung"! Im alten und 
neuen Glauben hat er sich jedes Angriffs auf Wagner und seine 
Richtung enthalten; er hat ihn — das war für die Wagne- 
rianer freilich noch kränkender — überhaupt nicht genannt. 
Denn wenn er am Schluß sagt: .Kaum für neuere muß ja 
werden'*, so hat er dabei an Schubert oder Mendelssohn, 
ganz gewiß nicht an Wagner gedneht. Mit Goethe und 
FtnteHnr. mit Mozart und Beethoven hört« für ihn seine 
Welt der Dichter und der Musiker auf. 

Noch ein Wort über die äußere Form des Buche». Um 
nicht wieder in den Fehler „gelehrter Schwerfälligkeit" 
zu fallen, wie beim zweiten Leben Jesu, hatte er diesmal 
ganz aus freier Hand, gleichsam ohne Zirkel und Winkelmaß 
gearbeitet und wirklich alle Grazie darüber ausgebreitet , 
deren seine biegsame Feder fähig war. An die Stelle der 
Gelehrsamkeit trat die Kunst, es war durch Stil und Form 
ein wirkliches Kunstwerk, das als solches nach Zellor* Urteil 
„auf gleicher Höhe mit dem Voltaire stand und auch der 
gleichen Stilgattung angehörte". Ich denke im ganzen 
ebenso darüber — mit einem kleinen Vorbehalt. An einigen 
Stellen will e* mir vorkommen, als ob eine gewisse Steiflg 



') In dun „Auxgru Hnelm" limM «ich auf 8. &7S ein Bei 
davon: in den uugvilruekU-it klingt v% noch weit scharfer. 




Zwölftes Kapitel 




keR und Umständlichkeit irn Ausdruck sich zeige oder sn 
zeigen anfangr. Man redet von Goethes „AlWwliV . Kin 
solcher ist auch hier im alten und neuen Glauben — nich» 
vorhanden, das wfire zu viel gesagt, aber er ist im Anzug; 
für den, der für den Stil Straußen» das Ohr hat. sind 1< 
Anzeichen von Verkalkung oder Versteinerung ab und zu 
i'irnii.-i! herauszuhören. Im übrigen ist es, wie er selbst sagt. 
eins „lcichtgeschurzti ', shu anmutige und graziöse Schrift. 
Ee ist aber mehr als das, hinter der leichten Form birgt 
sich tiefer Krnst und ein ganz gewaltiger Kern. Es ist viel 
Wahrhaftigkeit und Khrlichkeit, viel Helligkeit und Kl 
hl ' viel Schönheit und Freiheit in dem Buch, Und 
er damit wollte, ist etwas ganz Richtiges und etwas ganz 
Notwendiges. Im achtzehnten Jahrhundert h;i Mensch- 

heit eine einfache und geschlossene Weltanschauung; mit 
den Gedanken: Gott, Tugend und Unsterblichkeit hat das 
Aufklürungszeitalter — sparsam, aber es hat anstfindig danüt 
gewirtschaftet, es ist ehrlich damit ausgekommen. Durch die 
Romantik ist der Haushalt des deutschen Volkes unendlich 
viel reicher und feiner und ästhetischer geworden; aber 
das Helle und Klare, das Einfache und Einheitliche ging 
verloren, die Weihrauchwolken stiegen wieder auf und 
nahmen der Sonne ihren Schein und der Luft ihre Remheil ; 
wir leben seithor in Dumpfheil und Verworrenheit, im 
Clairobsour. Nun kum der Aufschwung der Naturwissen- 
schaften und brachte Licht, viel Licht in die Welt. Allein 
dadurch wurde unser Leben und unsere Weltanschauung 
erst recht zwiespaltig, romantisch und modern zugleich. 
Man darf ja nur an unseren höheren Schulen hintereinander 
einer Religionsstunde und dem naturwissenschaftlichen Unter- 
richt bui wohnen. Uns von dieser Zwiespältigkeit zu be- 
freien, den romantischen Nebel zu zerstreuen und uns eine 
einheitliche und einfache Weltanschauung zu schaffen, 
die wirklich modern gedacht ist, ich denke, das ist ein 
durchaus berechtigter Versuch. StrauD hat ihn gi-maclit. 



Der iltf und drr neue flljiuhe, 



717 



darin liegt das groß© Verdienst des alten und des neuen Glau- 
bens; daß seh das nicht auf einen Schlag erreichen ließ, das 
wußte er selbst am besten, Einer nur erst abgesteckten 
Eisenbahn verglich er sein Buch- , .Welche Abgründe sind 
noch auszufüllen oder zu überbrücken, welche Borge zu 
durchgraben; wie manches Jahr wird noch verfließen, ehe 
der Zug reiselustige Menschen schnell und bequem da hinaus 
befördert; aber man sieht doch die Richtung, dahin wird 
und muß es gehen, wo die Fähnlein lustig im Winde Haltern !" 
Daß es ihm mitseinerTrassierungnichtdurchaus gelungen 
ist, haben wir mit unseren kritischen Bemerkungen bereits 
angedeutet. Zwei Schwierigkeiten hat er unterschätzt. Die 
eine können wir am besten mit den Worten Wailensteins 
ausdrücken: 

Dn wilUt die Macht, 
Die ruhig, siclior thronondr, n.r.huUrni. 
Die in verjAhrt geheiligtem Heult, 
In der Gewohnheit featgogrundot ruht. 
Die nn der Völker frommem Kinderglauhen 
Hit tausend zähen Wurzeln sich befestigt. ... 
Nicht was lebendig, kraftvoll sieh verkündigt 
l..i da* gefahrlich Furchtbare. Das gan« 
Gemeine ist's, dan ewig Gestrige, 
Was immer war und immer wiederkehrt 
Und morgen gilt, weil 1 * heute hnt gegolten. 

Strauß hat die Macht der Tradition und des auch in der reli- 
giösen Tradition hegenden sozialen Faktors zu gering geachtet: 
darin zeigt er sich uns immer wieder als den Individualisten, 
der er war. Und er hat — darin offenbart sich eine andere 
Schranke seines Wesens — die Grenzen menschlicher Er- 
kenntnis nicht genügend erwogen: darum ließ er sich all- 
zusehr blenden vom naturwissenschaftlichen Licht, sein 
Buch wurde infolge davon zu naturalistisch, der Geist 
mit seinen Ansprüchen kam zu kurz, und wo diesem 
Genüge getan werden sollte, wie im vierten Kapitel, da war 
er umgekehrt zu konservativ, zu sehr Hegelianer, der da* 



71* 



Zwdlfl« Kspitel. 






l'roMi'mati-u'he im Wirklichen und Geltenden du fr auf 
religiösem Gebiete gesehen hat wie keiner, im (ihrigen doch 
nicht in seiner ganzen Schwer»? und Tiefe erkannt*. Aber 
was ihm damals nicht m»1I gl hingen ist, wem ist es dl 
seither gelungen ? Hat die Philosophie mit ihren iuhtOOD 
U&tüttOtaogta über die Grenzen unseres Erkennen». 
nur ihrem Zurückgehen auf Kant oder iwutrdlqgi Kar 
auf Ficht* ein Hau* gebaut, in dem <ii<* sflMnlsgq 
»ich so wohl und so behaglich fühlen können, 
die de« Aufklarungszeitaltors in ihrer attofaUroan, aber 
hellen Wohnstube? Oder hat von der anderm Seite her 
llaeckol die Weltrfiisel gelöst und sind die Monisten auch nur 
ni. Im sirli in etwa* nridiTcin i-inig als im Negieren? 1 
Weltanschauung für dos Volk derer, die von «1er <•liri.it- 
Hchen sich nicht mehr befriedigt fühlen — wir brauchen 
sie heute dringender noch nls vor sechsunddniißig Jahren. 
Strnuß hol sie schaffen wollen. Wir können Beinen Veniftofa 
um -hl als einen durchweg gelungenen anerkennen, er Ist vor 
allem ergflnzungsbedurflig. Aber wenn irgendwo, so muß 
hier das in mögnis voluisse sat est gelten. 

Doch nun noch die andere Frage: wie hat das Buch 
gewirkt:' wie wurde es aufgenommen? lis ist heute üblich, 
recht geringschätzig von dem allen und neuen Glauben 
zu reden. Schweitzer z. B. tut es kurz ab mit dem Wort*: 
„Es war ein totes Buch trotz der vielen Aullagen, die 
es erlebte, und das Geschrei, das Freund und Feind darum 
erhoben, war das Geschrei um einen Toten" l ). Wer die 
Wirkung damals miterlebt hat, wio ich. der kann so nicht 
reden. Das Buch schlug ein wir ein Funke ins Pulverfaß, und 
von mir wenigstens kann ich bezeugen, daß mich in meinen 
jungen Jahren kein Buch so erregt hat wie dieses, daß ein« 



') Schweitzer a.a.O. ß. 75. „TotonnaH" sagt Ooethfl vom 
Systeme dp la nutun\ aber Üoellip drückt sich bvscbsidSMr *u» als 
Si iweilr.nr .1 kuni ins so graili SO clBinerlSCh. m '"l nhtfl 
» ..r"; und K«sctal4ert hat'* ihn doch davor, wi* w Hn«m Oe*p*tiftl. 



Der altf* und der neue UUuhf 



719 



große, befreiende Wirkung von ihm auf mich ausgegangen ist. 
Aber allerdings die Wirkung in der Öffentlichkeit, in der 
Presse war eine ganz andere. Wenn Strauß auf ein mächtiges 
Echo von den vielen Tausenden seiner „Wir" gehofft hatte, 
so sah er sich darin gelauscht; dieses Echo blieb aus, dafür 
kamen von selten der Kritik die schrillsten Töne, die* »chmfTMen 
Absagen. Er tröstete sich freilich damit, daß die Einver- 
standenen sich in solchem Fall mit stiller Zustimmung zu 
hegnugen pflegen, namentlich hier, wo es nicht QlUU '"fahr 
war, sein Einverständnis offen eineubekennen *). Aber it. < 
die Nichteinvcrstandenon hatten das Wort, und was sie 
sagten, klang bßse. bitterböse. Strauß mußte die Erfuhrung 
machen» daß in Deutschland alterworbener SehrifUtclIor- 
ruhm — alt ? es war noch keine zwei Jahre hur. daß man ihm 
ob seiner Kenanbnefe allgemein zugejubelt hatte — gegen 
die Anwürfe einer respektlosen Kritik nicht schützt ; je junger 
die Hczensenten sind, desto frecher pflegen sie sich bekannt- 
lich zu gebärden, und gerade auf einen nicht Unbekannten 
um so derber und kecker loszuschlagen, je mehr sie merken, 
daß die allgemeine Stimmung diesmal gegen ihn ist; und je 
unbedeutender sie selber sind, desto wohler tut es ihnen, auch 
einmal „mit fadenscheinigem Bettlerstolz die Miene gering- 
schatziger Überlegenheit gegen einen Kiesen am Geiste 
annehmen" zu könm n 

Dnhei übersah die Kritik fast durchweg eine», daß es 
steh um ein ..Iiekenutnis" handle, um einen neuen , .Glauben", 

den Mi. ml', dem Mleri ifr^iMiiiliei-slelMe /,n el.-iubrii und 

ein Glaubensbekenntnis abzulegen nach seiner l'"a«;on, 
dazu sollte doch jeder das Hecht haben; und wenn es ein 
Mann wie Strauß tut und damit gewissermaßen der Welt 
»ein Testament tibergibt, so hatte mnn ihn auf alle Fülle 
mit Respekt reden lassen und anhören sollen. Allein Strauß 



") Wie Recht er damit hall*, habt Ufa im MtM WL 8.33z 

an mnnrr penönlirhi'n Rrfnhnjng in Wurtl"mbf*rg p'MMtft. 




reo 



Zwölftes K»pit*L 



hatte c*, wie er selber ironisch meint, diesmal auch gar m 
ungeschickt angegriffen. Zunächst halt« or zum Teil doch 
reehtepttxe und starke Worte gebraucht. Wo nner von dein allen 
persönlichen Gott, an den er ja nicht mehr glnuble, im Sinn« 
von Giorduno Bruno sagte, durch die Erkeiintrm von der 
t nrinllioliki'ü der v. i . ■ ihn „gleichsam die Wohnuaj 
not herangetreten", oder anderswo die Geschichte von der 
Auferstehung Jesu als einen ..weltgesclüchtüchen Ilumbug" 
bezeichnete, so wirkte das auf viele wie eine Blasphemie 
und war unnötig herausfordernd und verletzend Wii 
wissen, wie er dazu kam. Er kam von Voltaire her, dttsen 
zu sprechen hatte auf ihn abgefärbt. Aber was die Menschen 
der Aufklärung ruhig hinnahmen, das ertrug man im Jahr- 
hundert der Romantik, im Reich der Zusammengehörigkeit 
von Thron und Altar und in den Zeiten eines Mb humer 
ausbreitenden Cant nicht mehr in derselben Weise. Di 
hinter dieser Scharfe sich noch andere», PersÖnlit 
verbarg, das wußte damals ohnedies niemand; keiner ahnte, 
daß der Mann, der so munter philosophierte und so heiter das 

So loben wir, so wandeln wir beglückt 
auf sich anwandte, ein Schmerzensreich war, dem weben 
die letzte HofFnung auf Glück in die Bruche gegangen war. 
Die Weiber und die Theologen hatten sein Loben verpfuscht 
Was Wunder, wenn am neuen der alle Groll wtedttT auf- 
wachte und sich gelegentlich den letzteren zu »puren gab. 
weil er es just mit ihnen zu tun hatte. 

Aber noch schlimmer war das andere, daß er es mit 
allen Parteien vordarb und sich dem Kreuzfeuer der Ortho- 
doxen und der Fortschrittstheologen, der Konservativ) 
und der Sozialdemokraten ohne alle Deckung aussetzt 
Da war der Apostel Paulus, meint er selbst, ein anderer 
Stratege, als er vor dem hohen Hat in Jerusalem dio bedroh- 
liche Koalition der Pharisäer und Sadduzäer durch das 
Hineinspielen der Auferstebungsfrage zu trennen und die 
Pharisäer auf seine Seite zu bringen wußte. Auch hier wieder 



Der alt« und der neu« Glaubt*. 



721 



iigte sich Strauß aU den Mann rücksichtsloser, unerbitt- 
licher Wahrhaftigkeit, der allen die Wahrheit, r»o wies er 
sie sah, ins Gesicht sagte, ohne die Folgen ängstlich zuvor 
zu erwägen. 

Verdorben hatte er es wieder nrnnal grundlich mit 
aller Theologie. Es war natürlich nur ein theologisches 
SpnBchnn, wenn Nippold l ) meinte, seine Bundesgenossen 
linden wich „fast nur im Loger der verschiedenen klerikalen 
Orthodoxien". Wohl wiesen die auf der Rechten schaden- 
froh lim mif »iüs. was Strauß über ihre liberalen Gegner 
nagte, und sahen in seinem neuen Glauben nur die KoBM 
quenz dessen, was diese nur halb gedacht oder nur halb tu 
sagen gewagt hallen. Im übrigen war ihnen das Bueh 
natürlich ein Greuel. Mut nllrrdings, ganz besonders empört 
waren die Manner des Protestantenvereins, und sie hatten 
auch allen Grund dazu. Doppelt und dreifach absurd hatte 
Strauß ihren modernisierten Gluuben genannt: der alte 
widerspreche doch nur der Vernunft, der ihrige sich selbst 
in allen Teilen, wie könnte er da mit der Vernunft stimmen i* 
Und gewiß hat Strauß die Verdienste, die sich die freisin- 
nigen Theologen in einer Zeit des Übergangs um die allmäh- 
liche Umbildung und Überführung des alten Glaubens in ein 
Neues und damit um unser Volkstum erworben haben und 
noch erwerben, verkannt. Aber seine Mission war eben eine 
andere, seiner .Natur war nun einmal alles Halbe und alles 
Vermittelnde, das ihm stets als ein Unehrliches erschienen 
ist, aufs äußerste zuwider. Dazu sah er an der Spitze 
des Prolestantenvereins Bluntschli und Schenkel, die zwei 
Schweizer, die so merkwürdig aus konservativen Politikern 
und Theologen zu Führern de* kirchlichen Liberalismus in 
Baden geworden waren : sie zu lieben oder auch nur zu achten 
hatte er am allerwenigsten Grund. Diese Gefühle übertrug er 

') D. Fr. Strauß' »dt er und neuer Glaub« und Mine 1ii«'rAn*ch*n 
Ergebnisse. Zwei kritische Ablumdlungnn von L. W. F.. Run wen- 
hoff und Fr. Nippold. 1R7J. 



m 



Zwölftes KapiUi 



dann auf die Bewegung selber, an deren Spitz« sie standen. 
Umgekehrt fohlten ».ich Auch «in- Männer de* Protestanten 
verein» persönlich von Struuß erkrankt Mit einigen von 
ihnen, dem Dogmaliker Biedermann und dem Pfarrer 
Heinrich Lang in Zürich, halte vorn Uodtiisi-e her, wo t»r 
in den letzten Juhrrn einige Sornrm n zu verbring« 

pflegte, Beziehungen angeknüpft und freundschaftlich Dt 
suche und Briefe getauscht. Da glaubten sie ihn. ob- 
wohl er gerade ihnen gegennber auf die „SfaranaostiflUnifl d« 
Materialismus" hingewiesen und den Unterschied der Anschau- 
ungen freundlich, aber bestimmt betont hatte, funtgaraU tiDta 
der Ihrigen ansehen zu dürfen. Wie Müh min im alten und 
neuen Glauben das Hagelwetter besonders schwer über die 
liberale. Theologie entlud, so kam ihnen das vor wie ein Vor- 
rat an der Freundschaft und wie ein persönlicher Bruch mit 
ihnen: das hatten sie nicht von Strauß erwartet, das glaubten 
sir nicht um ihn verdient zu haben, lind so war allerdings 
von dieser Seite her Abwehr und Kritik am schärfsten. loh 
selbst habe von Heinrich Lang im Winter 1872/1873 in 
Winterthur einen Vortrag gegen den alten und neuen Glauben 
gehört, drr im höchsten Malle gereizt und l inftlich, 

wirklich wie in Gift und Galle getaucht war. Ganz ver- 
standen habe ich diesen Zorn erst jetzt, wo mir die Un- iV 
von Strauß an Biedermann zugänglich geworden bind. Der 
letzte, der für schöne in Zürich und auf dem Zürcher»« 
zugebrachte Stunden dankt, ist vom 24. Juli 1872 und 
schließt mit den Worten: „Wann ich Sie fhr heuer nicht 
mehr sehen sollte, so leben Sie wohl, teurer Freund, und 
seien mit Ihrer lieben Krau und Tochter, wie auch der 
Familie Lang, von Herzen gogrOßt.' 1 Kurz darauf sehrieb 
Biedermann an Vatke: „Ich gäbe einen Finger meiner rechten 
Hand darum, Strauß hätte das ominöse Buch nicht 
schrieben' 1 . Strauß erwartete von ihm sogar ein offenes Send - 
schreiben gegen sein Buch; aber erst nach seinem Tod, in 
seiner Kektoratsrede von 1875 hat er, soviel ich weiß. OlTenthch 



Der alte und der neue Glaube. 



79 ! 



Stellung dagegen genommen. Sie mußten ihn eben, nachdem 
sie »ich persönlich mit ihm eingelassen und „an ihm schwarz 
gemacht" hatten, im Interesse ihrer Sache von den Rock- 
schößen schütteln und den Gegnern zur Rechten die un- 
bequeme Waffe aus der Hand zu schlagen suchen, wenn 
diese sagten; Seht, dahin führt die schiefe Ebene, auf der 
■ In' olle steht. Selbst die scheinbar ganz Freien, die soge- 
nannten freireligiösen Gemeinden und ihre Wortführer, 
schlössen sich dein allgemeinen Verdammungsurteil an. 
Sie hatte Strauß gegen sich aufgebracht, weil er ihre 
Gottesdienste „trübselig"' genannt hatte „bis zum Schauer- 
lichen", 

Auch mit den Philosophen hatte er es verdorben. In 
erster Linie mit denen um Schopenhauer und Eduard v. Harl- 
rnann. Schopenhauers pessimistisch grobe Reden von Gott 
und Welt hatte er för Phuntasiespielo eines Philosophen 
erklärt, der beim Niederschreiben solcher Satze nicht bei 
Trost gewesen sei; und den Grundgedanken von Eduard 
v. Hartmanna Philosophie des Unbewußten nannte er gar 
einen bloßen „Einfall". Anderen galt der Darwinismus, 
zu dem sich Strauß mit allen seinen Konsequenzen, auch 
der der AbfttaUUBUg des Menschen vom Allen, bekennte, 
für schlechthin materialistisch; daher legten, ohne zu 
'in i^rsuchen, ob Strauß auch wirklich Materialist «ei, die 
allen Materialistentoter Ulrici und Curriere ihm stumpfen 
Lanzen gegen ihn ein und suchten ihn auf Widersprüchen 
aller Art zu ertappen. 

Aber auch mit den Politikern ging es ihm nicht hess«r. 
Der Materialismus war als «Ins (iliiubeiisliekiMtrituiH der 
Sozialdemokraten bei allen konservativ denkenden Merivli.-n 
verpönt. Daß Strauß selbst konservativ dacht«, das er« 
sehn ii als eine wunderliche Inkonsequenz, die ihm nicht viel 
half. Umgekehrt freuten sieh die Sozialdemokraten über 
den kritischen und philosophischen Teil des Buches; aber 
gerade ihnen, und den Demokraten überhaupt, war er im 



724 



Zwölfte Kautel 



vierten Abaehnitt so derb entgegengetreten, daß *i« von 
drin Buch al* ganzem doch nicht« wiwen wollten. 

Und w«nn ihm Hclmholtz zu srincr Freude privatim 
wenigstens afc H Bafl ließ, daß die naturwissenschaftlichen 
Partion durchaus korrekt seien, so zögerten doch auch 
auf nnturwiiuonschAftlirhrr Still viele, mit ihm die letzten 
Konsequenzen zu ziehen und ihm in Fragen, die mehr pl. 
sophisch als naturwissenschaftlich waren, offen zuzustimmen. 
Immerhin fand er für diese Abschnitte in Sempcr, Seidlitx 
und Monz Wagner sachkundige Verteidiger. Aber abge- 
sehen davon konnte Nippold 1873 doch mit Recht sagen: 
neben der protestantischen Theologie haben „NaturvriaW 
schuft und Philosophie. Nationalökonomie und StaaU- 
wissonschaft. Kunst- und Kultur- und Litoratuw i 
Judentum, freie Gemeinden und Altkatholizismus — s\e 
haben insgesamt ihre Vertreter ausgeschickt, um den neuen 
Glauben auf der ganzen Linie zurückzuweisen". Also 
Feinde ringsum! Strauß konnte wieder wie im Jahre 1835 
fragen: bin ich denn ganz allein? Die beiden Freunde, 
die die nächsten dazu gewesen waren, sich seiner ansunrlnn 
Eduard Zeller und Kuno Fischer, schwiegen. Sie waren mit 
dem Inhalt nicht durchweg einverstanden, und das wollten 
sie in einein Augenblick, wo alle Welt auf Strauß und 
Buch einschlug, nicht in der Öffentlichkeit sagen, um dadurch 
den Gegnern nicht Wasser auf ihre Mühle zu liefern. Privatim 
haben sie sich mit ihm durchaus freundlich, aber nicht ohne 
ihren abweichenden Standpunkt zu betonen, darüber aus- 
gesprochen, und Strauß hat ihnen das nicht übel genommen. 

Nur einer trat rückhaltlos für ihn ein, das war ich — 
in einer Serie von Artikeln in der Beilage zur Allgemeinen 
Zeitung in der Form einer Antikritik gegen den altkatlio- 
lischen Professor Johannes Huber In München. Ich rnutt 
davon reden, weil ich weiß, eine wie große Freude das für 
Slrauli gewesen ist, ein wirklicher Trost in j«ui«i böten 
Tagen, wo es von allen Seilen hieß: Philister Über dir. Simsonl 



Der alte und der neue filaube. 



m 



Strauß halte »ich natürlich darauf gefaßt gemacht, Anstoß 
zu erregen und Widerspruch zu erfahren. Aber daß es so 
toll kommen, daß der Widerspruch so allseilig sein und Dm 

— sogar in den Reihen der gebildeten Mittelparteien — 
den Ton des gesellschaftlichen Anatandes gegen ihn so völlig 
außer acht lassen werde, das hatto er nicht erwartet vmi 
seinen 

Landsleutun, deuUchnn, wnrlmi. 
Die steU ihn freundlich ehrten, 
Sii:li jungst die B lui ho liioUtO, 
AU Buben nach Ihm Meilen, 
Ihn von den Stahlen rlason 
Und in die Go»e schmusen. 

Da verfuhren Fremde weit glimpflicher mit ihm, so Clad- 
slone, der ihn in einer Kede in Liverpool ausführlich be- 
kämpfte, aber dabei nicht aufhörte wie ein Gentleman TOB 
ihm zusprechen, oder Renan, der auch dieses Buch vonSlrauß 
„grnnd, noble, eleve?' genannt hat. 

Im Sturme hatte er angefangen, im Sturme sollte er 
enden. Aber jetzt war er dem Sturme nicht mehr gewachsen 
wie vor 37 Jahren, er war weniger widerstandsfähig, war 
ültor, war auch — wir werden es hören — nicht mehr ganz 
gesund und überdies verwöhnt von der Aufnahme seines 
Voltaire und der Renanbriefe; und ein empfindlicher Schwabe 
war er ohnedies. So traf ihn die vielfach so persönliche, 
so gehässige und auch in der Form so verletzende Kritik 
nocli einmal tief ins Herz. 

In dieser Situation erschien meine „Kritik gegen Kritik" 

— etwas verspätet, weil mein erster Aufsatz über das Buch, 
für den Württembergischen Staatsanzeiger bestimmt und 
dort auch bereit« gesetzt, auf höhere Weisung kassiert 
worden war; womit sich die württembergische Regierung 
in ihrem Verhalten gegen Strauß ja nur bis zum Schluß treu 
geblieben ist. Freilich auch die Allgemeine Zeitung hat mit der 
Annahme lange gezögert. Was in den Artikeln stand, ist Neben- 

rfu iti*f)s*. d. 7i. strMfi. II. 47 




726 



Zwölft«* Kapttrf. 



u \tppoliJ rihinl. irh w?i du mit, ,,nn der Throlofrj* irr* 
geworden, mit fliegenden Haaren ') ins Lager der Natur- 
al . -, ii: -■ ii.iii ^cMiii'htfl.". Ich hatte iiii hl dm Eindrix'lt iml 
hoho ihn noch heule nicht, daß ich mich damals auf der Flucht 
befunden habe, und in dem Lager der Naturwissenschaft 
Imi ich jii bis zur Stunde noch nicht angekommen; wohl alnw 
halle ich. und habe noch, die Meinung, daß die Philosophie 
wohl daran tut, sich mit den Ergebnissen und auch mit den 
wohl fundierten Hypothesen der Nulurwis.Mmsch.ift in I 
klang zu halten. Strauß aber hat, wie schon £i*sagL — und 
darüber bin ich heute noch froh und darauf bin ich 
taute noch stols — dieses mein Eintreten für ihn in 
|oHem Augenblick sehr wohltuend empfunden. „Sic 
haben mir 4 ', schrieb er mir am 5. Januar 1873, „durch den 
Mut, im bedenklichsten Augenblick des Kampfes »ich mir 
zur Seite zu stellen, nicht bloß nach außen, dem Publikum 
gegenüber, sondern auch rein für mich selbst einen unschätz- 
baren Dienst erwiesen. Ich war doch in Gefahr, nicht an 
mir selbst, wohl aber an der Zeit und den Zeitgenossen irre 
zu werden, wenn mein aus innerstem Bedürfnis hervorg«- 
gegangener Ruf keinen anderen als höhnischen Widerhall 
gefunden hatte. Aber auch die Ehre der deutschen Journa- 
listik haben Sic retten helfen, die sich bis dahin in der Sache 
— ich darf es gewiß ohne Anmaßung sagen — geradezu 



') Meine fliegenden Hanro — oheu fugaco*! übrigen* iti dir- «irr 
zweite lliiHnnythti», dem wir begegnen : erst die roten Haar« von Strauß, 
mm die fliegenden von mir. Man kann daran wirklich Wmoii und 
Ursprung des Mythus, wie ihn Strauß bestimmt hat. studio 
Die roten Uaare gehen auf den Verräter Judo* mrück. der in der Kumt 
vielfach mit solchem llanr dargestellt wird; die (liegenden sollen na 
den Knaben ALsulom erinnern, der mit seinen langen lluaren an einer 
Dohfl htOfftO blieb und dem dann zum Ijohn lOr seinen Aufruhr Jonb 
drei spieße ins Herx stieß. So nicht ohne Tendern erfunden, sind sie 
natürlich von ihren l.'rlwhern Kellwl geglaubt worden i und der (Haube 
an d** rot» Haar von Strauß wird nefa wohl nie mehr gans *«r- 
lirn-n. 



Dur alt* und der neue Glaube. 



727 



«eh mählich benommen hatte." Und daß das nicht bloß 
ein höflicher Dank an den jungen Kampfgenossen war, 
zeigen die Wort« dnrnher un die Schwägerin: „Das Jahr 
hat für mich noch freundlicher geschlossen» als es die Zeit 
her den Anschein hatte. Die unverschämten Angriffe auf 
mein Buch hatten mich doch düster gestimmt, bis ich selbst 
die Feder in die Hand nahm, ihnen zu begegnen. Und nun 
kommt ja auch von außen Sukkurs; ich habe das Gefühl, 
daß ein günstiger Wendepunkt eingetreten ist." 

Die Schrift, zu der er. wie er hier andeutet, selber die 
Feder in die Hand nahm, um ,,den unverschämten Angriffen" 
zu begegnen, war ,,Ein Nachwort als Vorwort zu den nouen 
Auflagen meiner Schrift; Der alte und der neue Glaube". 
Ich habe sie zugleich mit jenem Brief vom 5. Januar 1873 
von ihm zugeschickt bekommen, datiert ist sie vom letzten 
Tag des Jahres 1872. Als man horte, Strauß werde seinen 
Kritikern antworten, machte man sich auf eine neue Serie 
von Streitschriften und auf eine Abwehr im schärfsten Ton 
gefaßt. In dieser — Hoffnung oder Furcht sah man sich 
getnuscht. Gegen diejenigen Gegner, die sich am wo testen 
vorgewagt hatten, brachte das Schriftchen allerdings nh und 
zu ein energisches Wort und einen scharfen Ausfall. So 
gegen den ,,hofTnungsvollen jungen Mann, der das Steuer iIit 
Zeitschrift .,1m neuen Keich" ■) so munter hundhnbtc", 



') Diese Zeitschrift erschien bei Ö. Htrzol in Leipzig, dem Ver- 
de* uiton und dt» neuen Olaubon». Slruuü war mit Recht, ompürt, 
daß gerade hier, wenn mim ihn nicht lohen wollte, man ihn nicht 
wenigstens mit Anstund und KückMcht behandelte. Daher übergab 
er „Hin NoflfcWürt ÜB Vorwort" meinem Neffen Emil StrnuU in 
V«rl«g und, ;d» Hm»! dadurch beleidigt ihm du Buch zu freier 
Verfügung stellte, rbrnso vmi der ftflftM Mittag* an auch dm alten 
und den ntoen (•tauben selber. Um» daJMl etwa» ängstlich g*wor* 
denen NofFon seliriob ur das lOhn-nd Wort: ..Ihr iiiii.hmM. chnn vor 
Richtig sem. ihr könnet Innren Onk.-I lieb und in Klirr n li.ill'n, 
ohne seine religi&seu Meinungen ab Kokardo auf den Hut |fl 
stecken." 

4V 



728 



Z»Alfl« K*piUJ. 






gegen Alfred Dove. Dieser hatte, weil er sich einmal auf Mine 
(Straußen*) Konten in guten Humor gesetzt, es noh ja nicht 
verkneifen können, spöttisch von de**en Bei erenzen vor 
Losving oder von Jesu hoffnung*lo*er Unfähigkeit tum Börsen- 
geschäft xu roden. Und ebenso energisch wandte sich Strnuß 
gegen den altkatholischen Professor der Philosophie in Mün- 
chen, Johannes Huber, wenn dieserihmgegenuberin denselben 
Ton fiel und dem geachteten Widersacher null Au ab| 
■Ofauoktcsten Konsequenzen zuzuschieben für erlaubt Iiii !f 
Sachlich hatte man ihm vielfach einen inzwischen erschienenen 
Vortrag von Du Bois-Roymond „Ober dir Gfensen des N&taP* 
erkonnens'* mit seinem vielzilierten Ignonilumus entgegenge- 
halten, Dove hatte mit Beziehung darauf seiner Kritik ge- 
radezu ilie (Iberschrill gegeben: Bekenn Ulis od er Bescheidung ? 
gleich als wollte er sagen: „Da sehet auf der einen Seite Hiirn 
großen Naturforscher, der sich bescheidet , nur bis zu einen 
wissen Punkte hin etwas xu wissen, der also jenseits dii 
Punktes euch glauben laßt, was ihr wollet; und auf der andern 
Seite einen vermeintlichen Philosophen, der uneinged« 
jener Schranken, auch über sie hinaus euch sein unglniilu 
Bekenntnis aufdrangen will." Mit Recht weist Strauß den 
Versuch ab, sieh dabei auf Kant zu berufen und seine kritische 
Eingrenzung des Vemunftgebrouchs nur deshalb willkonim-ii 
zu heißen, um jenseits dieser Grenze um so ungestörter ullen 
Spuk des alten Glaubens und Aberglaubens forttreiben zu kön- 
nen. Dagegen zitiert er aus der Schrift von Du Bois-Kcymoiul 
meinerseits Satze, aus denen klar hervorging, wie wenig ('»rund 
seine Gegner hatten, sich gerade auf diesen Naturforscher xu be- 
rufen. So die Äußerung, daß „die Seele nls allmähliche* Ergeb- 
nis gewisser materielle! Kombinationen entstanden and viel 
leicht gleich anderen erblichen, im Kampf ums Dasein dem ein- 
zelnen nützlichen Gaben durch eine zahllose Reihe von Ge- 
HeMechlern sich gesteigert und vervollkommnet hui .der 

noch deutlicher die andere: „Was wftre dem Naturforscher xu 
erwiderr, wenn er, bevor er in die Annahme einer WelUoeJ« 



Dor alte und der neue OUuhe. 



:jv 



willigte» verlangte, daß ihm irgendwo inder Welt, in Neuroglia 
gebettet und mit warmem, arteriellem Ulut unter richtigem 
Druck gespeist, ein dem geistigen Vermögen solcher Seele an 
Umfang entsprechendes Konvolut von Ganglienkugeln und 
Nervenröhren gezeigt würde ?" Die Meinung eines Forschers, 
der so sprach, konnte unmöglich nein, sagt Strauß, „hinter 
den von ihm abgesteckten Grenzen unseres exakten Natur- 
erkennens veraltete Hypothesen und abgestorbene Dugn.i-n 
sich von neuem ansiedeln zu lassen". Vielleicht freilich 
haben damals Feind und Freund das mehr aus rhetorischen 
als aus kritischen Bedürfnissen entsprungene .Jgnorabimus" 
des berühmten VnrlruKs (iherliiHi|i| /u erusl und zu hoch 
genommen. 

ltn übrigen aber war der Ton der kleinen Straußischen 
Schrift weit weniger streitbar, als man erwartet hatte. 
Sie machte, Tast wie einst die Friedlichen Mittler, eher einen 
elegischen Eindruck, als ob ihr Verfasser bei allem Fest- 
halten an seinem Standpunkt vielmehr nach einer Verstau- 
digungsuchte und tastete. Ausdrücklich heißt es: ..kein Streit 
milAndersdenkenden, nur Verständigung mit Gleichgesinnten 
v-.ii die Ab.sielit " Kin?.ig das K< cid dazu, «hili nur Vii-/.:ib1 vom 
Staatsbürgern überhaupt keiner Kirche mehr nuch nur Äußer- 
lich augehöre, habe er durch sein Bekenntnis in Anspruch 
nehmen wollon; und davon bleibe er trotz aller Schmä- 
hungen überzeugt, daß er damit ein gutes Werk getan und 
sich den Dank einer minder befangenen Zukunft ver- 
dient habe. „Die Zeit der Verständigung wird kommen", 
mit diesen Worten schließt er, ..wie sie für das Lehen Jesu 
gekommen ist: nur daß ich sie diesmal nicht mehr erleben 
werde." 

Ob er mit dem Ausblick in eine ihm günstigere Zukunft 
recht gehabt hat, lassen wir dahingestellt; das gehört nicht 
mehr in die Lcbensgeschichte von Strauß. Aber damit 
halte er sicher recht, daß er die Zeit der Versündigung 
nicht mehr erleben werde. Der Wendepunkt war Ende 1872 




730 Zwölftes Kapitel 

doch noch nicht eingetreten, der Kampf gegen sein Buch ging 
weiter, die Schmähungen hörten nicht auf, das Schlimmste 
sollte sogar erst noch kommen. Allein für ihn persönlich 
war der Streit zu Ende, jene Schlußworte waren aus einer 
Todesahnung herausgeschrieben, die sich nur zu rasch erfüllen 
sollte. Bald tönte das Kampfgetöse nur noch dumpf und 
leise herein in das Zimmer eines Sterbenden. 



Dreizehnte* Kapitel. 
Das Ende. 

Der alte und der neue Glaube war noch in Darmaladt 
tu Ende gebracht worden. Aber wir wissen bereits, daß 
ihn dort nichts mehr hielt. Ohne Arbeit zu bleiben. wurc 
ihm unmöglich gewesen. Auch lag Darmstadi zu well 
ab von seinen beiden Kindern, Georgine war in Bonn, Fritz 
in Stuttgart: was war natürlicher, als daß er in die Nahe 
des einen oder des andern zog? Am NtadarrhttD hatte er 
.schon einmal gelebt, ohne sich dort behaglich zu fahlen, 
und so begnügte er sich, alljährlich mit der Tochter in 
Biebrich oder um Bodensee schöne Wochen zu verbringen. 
Er war ein Schwabe, in diese seine Heimat gehörte er, dorthin 
zogen ihn Jugenderinnerungen und Jugendfreunde, dorthin 
nun auch der Sohn, Und die Lufl war ja frei, seit Agnes 
Schabest in Stuttgart gestorben war. Die Wahl war nur, ob 
Stuttgart oder Ludwigsburg? Eine passende Wohnung, die 
sich zuffillig fand, entschied für das letztere, für seine Geburts- 
stadt Ludwigsburg. Von dort führte die Bahn in 20 Minuten 
den Sohn und die Freunde herüber, unter dienen vor allem 
Kapp, der seit 1867 als Pensionärin Stuttgart wohnte. Zum 
Leben freilich wäre Ludwignhurg für Strauß bald EU einsam 
geworden, zum Sterben aber war es ihm eben recht. 

Als er im November 1872 in Ludwigsburg einzog, 
fand er, daß der Tausch mit Darmstadt sehr seine zwei 
Seiten habe, zumal die Jahreszeit eine solche war, in der 
Ludwigsburg seine Vorzüge nur sehr unvollständig zur Gel- 



753 



lir'-iuhntcs fcwjuUl. 



tmi^ bringen könnt*. Doch macht« nr »ich di< Spaziergang« 
nach M<Vhehkeit zunutze und fan lia-t bei dem fouchlon 

Novemberwetter recht gangbar- Dagegen wirkten die Erinn*- 
rungon, dk »ich ihm auf Schritt und Tritt darboten, so teuer 
Hie ihm waren, im ganzen doch mehr hclimerzlich als 
erfreulich, weil "i" lieh durchaus an Ventorbene knüpfun. 
Ludwigsburg war für ihn eine wahr« Toteustadt. Außer 
tTiit dem ihm verwandten Ruoffacheu Hause knüpfte er L> 
Verbindungen an. Dem Prälaten Hauber, »einem um **inr 
Promotion älteren Konkurrenten von Tübingen her'), be>- 
;'- : 'i ü !t- er mweilen Jini Sp:r/,ieri,'angen, man begrüßte HCh 
freundlich und ging wohl auch eine Strecke zusammen. Den 
klugen Prälaten mochte es reizen, dem einsamen Strauß gegen* 
iiber unterwegs ijeii I nhrfiiiij»fiieii nml I ir.i_iiititi>r"ii xu 
spielen. Ein Verkehr war da* natürlich nicht. Seinem ohn©- 
Jün schwachen. Trieb, sich anzuschließen, und den guten Vor- 
sätzen, mit denen er gekommen war, wirkte ijburdies der 
Uhle Kindruck entgegen, den er »ein Buch überall machen sah. 
Aber gerade, daß er niemand zu besuchen hatte und von 
niemand besucht wurde, daß er uiieh Her/e.uslnsi illei ein 
konnte, benagte ihm in dieser menschenscheuen, menschen - 
überdrüssigen Stimmung doch, Und die alte Karoline hatte 
zu seiner Bedienung ein« recht ordentliche Person ausfindig 
gemacht und sah ja, am Orte gegenwärtig, treulich sorgend 
selber nach dem Rechten. iNur die Wohnung war nicht gut 
gelegen, so nüchtern und prosaisch, so stil- und Stimmung*!«*, 
wie Bto uns heute anmutet, war sie schon dainuls. (Ihrigen* 
dachte er auch an neue Arbeit, die ihn am besten aus der 
Verstimmung herausgerissen hätte. Kr fing bereit» wiedei 
an, Steine zu brechen und Stamme zu fallen. Ich traf ihn 
im Dezember 1872 beim Studium von Zellers Geschichte der 
deutschen Philosophie. Aul ein Opus philosopliirum wei.-tui 
auch sonnt Andeutungen hin: vielleicht wollte er den früheren 



'j Siehu Band 1, S. 52. 




Das binde. 



RS 



Plan einer Geschichte der Moral wieder aufnehmen. Gelegent- 
lich klingt es auch so, als ob es sich um ein Buch über 
Lessing handelte. Aber über die allerersten Vorarbeiten 
ist er jedenfalls nicht hinausgekommen, denn nun kam 
«In anderes, — zuerst die Krankheit, dann der Tod. 

Noch im Mars 1873 schreibt er: , .wenigstens bin ich 
gesund". Allein schon am 3. April klingt es anders: „MtÜLQ 
Gesundheit hat einen Puff bekommen.** Strauß war bis 
dahin nie eigentlich krank gewesen, nur von Katarrh und 
Grippe, seltener von Magenverstimmung ist in den Briefen 
gelegentlich die Rede. Jetst, beinahe genau mit dem 65. 
Geburtstag, verließ ihn seine bisherige Gesundheit, er sah einem 
durch tiefe Körperleideu getrübten Lebensabend entgegen. 
Der Versuch mit einer Kur in Karlsbad verlief resultatlo: 
Im Juni entdeckten die Ärzte, sein Sohn Fritz und Obor- 
medisinalrat Elaässer in Stuttgart, eine Geschwulst im Darm- 
kanal. Man dachte natürlich an Krebs; es war aber, wio 
ein später vorgenommener Probestich durch Professor 
Simon aus Heidelberg ergab, ein Abszeß harmloserer Art, 
eine RluUyate, die allmählich in Verjauchung Oberging 1 ). 
Schon vorher, gleich nach der Rückkehr aus Karlsbad, 
war stark« Abmagerung und rasches Schwinden der Kraft« 
rii.iii ; n ■.!■■ \i-ttt auch von einer eigentlichen Ope- 

ration absehen ließ. Dazu stellten sich heftige und immer 
heftiger werdende Schmerzen ein, die kaum durch Narkotika 
in erträglichen Maßen zu haiton waren. Es war ein langes, 
schweres Krankenlager, waren Tage und Wochen und Monate 
voll körperlicher und geistiger Schwache und voll fürchter- 
licher Schmerzen. Und es war fast von Anfang an ein 
Krankenlager ohne Hoffnung, namentlich bei dem Kranken 
selber. 

Da berührte ihn, was von außen kam, nicht allzuviel 
mehr. Den literarischen Verdrießlichkeiten des vergangenen 

l ) So u*ch einem mir vorlügenden briet von ProfcMor Simon 

an den Solm. 




m 



Divtiehntc* Kapitel 



Winter* schrieb er teilweise die Schuld an der Widerstands- 
Uwugki-it und dorn Schwinden seiner Kraft« zu. Also Ralt 
.■ . >.m> mi ii von Lettx n halten \ .1 iirm- , i-ii . 1 üti t <<r 
Kapp: 

Tu mir nirhtt davon zu wi*vn, 
L.aÜ mich ruh'n auf meinem Ktwn. 
Kann loa mir.h nirht krner wehren. 
M*k Ich .hi.Ii in. ht* wetter liOrrn. 

Nur das angekündigte Sendschreiben von Biedermann in 
Zürich hatte ihn interessiert- Und doch kamen noch zwei 
schlimme Attacken. Zunächst ein« von befreundeter Seile. 
Macher wollte schon im J miliar 1873 öffentlich über den alten 
und den neuen Glauben das Wort ergreifen, und xwar — alt 
Gegner des Buches; dann glaubte er sich auf einn private 
Admonition beschranken 7.11 können und schickte Strauß 
das Paket mit seinen Bemerkungen tu, obwohl ihn dieeer 
hatte bitten lassen, damit zu warten, bi* er mit wieder- 
gewonnener Ruhe und innerer Klarheit seine Arbeil von 
neuem vornehmen könne. Aber Vischer drängte es *u reden, 
zu streiten, recht xu behalten; und so erschien in dun, .kri tisch n 
Gängen" im August 1873 ein Artikel gegrn dm :>\\> u und .!■ n 
neuen Glauben: — „also richtig!" wie Strauß an Rapp seufzend 
schreibt. Das war in diesem Augenblick zuviel. AU Vischer 
einige Zeit nachher dm besuchen wollte, wandle sich 
Strauß wortlos von ihm ab, das Band zwischen den 
beiden war, wie schon so manchesmal. ziTschnittcu. nur 
konnte es diesmal im Lehm nicht mehr wieder angeknüpft 
werden. 

Die zweite Attacke ging von Nietzsche aus. hu Herbst 
1873 erhielt Strauß das erste Stock von dessen »Uoc 
gemäßen Betrachtungen. David Strauß, der Bekennor und 
Schriftsteller.*' Auf den Inhalt komme ich nachher noch mit 
einem Wort zurück. Hier handelt es eich nur um den Kin- 
druck, den das Pamphlet auf Strauß gemacht hat. ,,Der 
Nietzache", schreibt er am 19. Dezember un Rapp, „hat oe 



Das Eutin. M 

ja den Leuten förmlich angetan. Ks ging mir hier, wie es 
in der Entführung heißt: 

Erst geköpft, timl dtflfl gehangen. .. 

Freilich, wenn es ihm gelungen ist. einen schon Geköpften 
auch noch zu haiigen, so war das Aufsehen, das er muchtr, 
nicht unverdient! Ihr seht übrigens, wie vergeblich eure 
Bemühungen sind, einen schon zweifach Geloteten wieder 
zu beleben Auch würe es kaum wünschenswert; denn in 
der Entfuhrung heißt es weiter: 

IHmn gespn-Ul .ml heiBe BUBfMj — 

was ja noch schmerzhafter als Hangen und Köpfen sein muß. 
Mir ist an dem Putron mir das psychologische Problem 
merkwürdig, wie man «u einer aolchen Wut kommen kann 
gegen einen Menschen, der einem nie ins Gehege gekommen, — 
kurz das eigentliche Motiv seines leidenschaftlichen Hasses 
begreife ich nicht '). Doch lassen wir die Fratzen und wenden 

l ) Wir begreifen das heute natürlich btw.or. Abgesehen von gum 
Persönlichem, dem Neid des Stillsten Nietische auf den Stilisten Str.mU, 
wovon noch die Rode sein soll, war es die „Wut" des W-igucriancr* 
gegen den musikalischen Klammsten, der von Wagner nicht* wissen 
wollte, die Verachtung des Pessimisten gegen den „ruchloson" Opti- 
mismus von Strand und die Empörung über deaicn Kritik an Schopen- 
hauer, der damals noch NmI'mIics anderer Meister war. Seit dem 
Erscheinen des Buche* von Bernoulli. Overbeek und N 
wissen wir aber such, wer hinter diesem II * Ü gestanden, ihn .<ngrf;n hl 
und geschürt bat: us war der Thenlc.gr. Ovorheok. der üben damaln 
eine höchst merkwürdige „Streit- und Friedensaetirifl" („Ober 
die Chrtetlluhkeit unserer heutigen Theologio" 1873) hatUi erscheinen 
lassen, in der auch ersieh mit dem Buch von Slr/mU auseinarnl« -r- 
seUto. So stockt theologisch© Antipathie, theologisches KesscnUmont 
auch in dem NietMchcschcn Angriff auf StrauD. — Die Verständnis- 
loslgkoit und Urutabtat der Schwastor, die uns in ihrer tJlographle 
dea Bruders II, B»4t6 benchtet, wie dl«cm sein Pamphlet naebtrag- 
habe leid tun wollen, als er hurte, daU StruuU ein Kranker und BUT< 
bander sei, dann aber ihrerseits auf Grund des oben mitgeteilten 
Briete* von Strauü ihn einen selbstgefälligen Saturiait nennt, der 
kein Mitleid verdiene und „nicht im gebrochenem Herten l'ülm 



736 



Dreiiehul« Kapitel. 



um den Musterbildern d« Schönen und Gutem xn." Im 
Übrigen hielt er sich die nicht endenv. ollende Flut der Stall 
»chrifteriliteratur um »«in Buch her möglichst vom Letb. 
Audi meine Schrift „In Sachen dos Slrnuüiscbon Buche*", in 
der ich den Kampf gegen Johunnes Huher fortsetzte, hat it 
zwar in den ersten Tagen des Jahres 1874 noch erhalten. 
.iii"i rimn nur noch gescheu, nicht mehr gelesen. 

Sonst ermOdete sein Geist bis gegen das Bude hin Dicht 
Nicht nur für leichte Arbeit und allerlei Lektüre hielt er 
stand, auch zum Briefeschreiben raffte sich StnuiU auf, so 
schwer es ihm mehr und mehr auch fiel. Namentlich fwittl b 
Rapp und ihm flogen Briefe und Billette hin und her: aus 
ilrm J.iluv 1873 sind noch 72, aus dem Januar 1874 noch 
7 Briefe von Strauß an ihn erhalten. Und dann wird nicht 
nur i in Befinden berichtet, hindern jll. -clei Ernsthaft«» 

besprochen; über Treitschkes Stil und Juslis Winckclmnim. 
über /.elh-rs Vorlesungi'u Ober Staut und Kirrhe, über Schopen- 
hauer und Piaton, über Morike und Hermann Kurz, Ober 
Paulis englische Geschichte oder über ein Bild von Kaulba« h, 
Über Cornelius Nepoa' Atticus und den Unterschied von 



sei", soll hier nur niedriger gehängt, kein» Wortes der BuiQekmlnttf 

gewürdigt werden. Strauß ein Sutlsfait! Du »ober Üott! Wona 
Nietwehe bB M Ecc* liomo" 8. 70 ff. nein« Beschimpfungen wiederholt 
und Strauß noch einmal einen liildungtphilwter und ÖaWsfait nenut, 
ihn zu den unvorbotaerliclien Flnchkftpfen und Hanswursten rechnet 
und dieses schwäbische Wundertier komisch findet, *o mag man das 
dem Oei-kükr ukuii zugute halten. 1 • i ■ ^rhwester h:il dji-n Knt 
schuldigung nicht. — Sehr merkwürdig ist die Darstellung dM uns 
hier nicht weiter berührenden Verhältnisse* von Nlelwehr und Strauß 
in der Naumonnachon Patria von 1909, 8. 210IT., du- hir NmlueJi« 
gegen Strauß Partei uunnit und m einein Hymnus auf tli« froh* 
Botschaft des Patrioten Nietzsche endigt. Sollte die Aufnahme du 
Artikels auch hier auf früher* theologische Antipathien zurüekiutuhren 
sein? oder ist sie ein Zeichen einer beginnenden Rückwärtsentwick- 
lung: erat von Stocker bis gani nahe heran an die Sozialdemokratie 
und nun zurück Über dem Block zu Nietzsche, der antisozial, anti- 
demokratisch, anttliberal war „bis zur Bosheit"? Wer will il»aag*a? 



Dm Esrie. 



737 



Catull und Horaz. Auch scherzen kann er noch, so w«n er 
Freund Rapp Über die Schreibun*; de* Namen» Darwin 
belehrt: „Was würde die Nachwelt, was wurden auch im 
Klysium die saugen Schatten, so gutherzig wir uns auch 
diese vorzustellen haben mögen, von mir sagen, wenn weh 
reigte, daß ich, 1 brnsUnglith ein Schuht - i*ter. nicht einmal 
so viel Beruf dazu gehabt, um meinem vertrautesten Freund 
auch mir ijiii Namen ein«* Manne«, uro den sich in der letzten 
Zeit unsere Verhandlungen so oft gedreht, richtig beixu- 
bringenf" Und neben den Briefen die Besuche- Von Stutt- 
gart kam ihm der Sühn nur nicht oft genug, Hup» m> hAuflg 
als möglich, öfter auch Gustav Binder, Professor Keuschle 
u. a. Aus Heidelberg Kuno Fischer, Ober dessen Zu/Ock- 
versnUungAuf den nllen Boden als über einen Akt angleichen 
drr (irre« htiirk' it Stmfl M'-h gans besonders freute; Fischer, 
rühmt er, war bei seinem Besuch unendlich teilnehmend 
und gab, für einen «o iitrammen Mann, seinem Sabinen 
1-irnMi leidrfi*rh;< Mienen Aundrurk Auch mit Zollirr hatte 
er noch einmal ..eine recht schöne Stunde**; ..auch er gehört zu 
den Freunden, deren Uobsj nach buachflint." Seihst von Frem- 
deren drangen teilnehmende Stimmen in dan Kranken- 
zimmer, unter denen natürlich auch die der beiden fürst- 
lichen Frauen in Dnrrrwtadt und Berlin nicht fehlten. 

Und wie dankbar er für all' das wart Namentlich Kapp 
dankt er immer wieder für »eine fast täglichen Briefe, durch 
die er ihm gar wohl tut. und überhaupt für alle Freund- 
schaft und Liebe, die er für ihn hat und ein Leben lang 
gehabt hat: 

Freund, luß undere sich um ihm Ehr« sanken. 

Die niemand *ntut**l*n «trebt; 

Du int»« Titiht mit jaBadam Wort das EranktOi 

Dlewetl *r atmet, weil er lebt. 

LaÖ lim im FrMta iu dtSf dunkeln Pforto «chwankea. 

Die schon «ich in den Angeln hebt; 

Du ftiahftt ihn mit dur Hand Dir noch von fern« danken, 

Ind»* mm Chatten «r vererhwebt. 




7:is 



Dmuhnt« Kapitel. 






Alter auch ein anderer Sonnenstrahl fiel noch herein in 
«in - immer duiiklnr werdende Kammer. Ge .- «unt«- tii- ! > i 

kommen, dnfur überraschte sie Anfang Oktober den V 
mit der Nachricht von der Ankunft eines ZwilUngspäreheii». 
Anfangs erschrak er xwar nber den h ■■. n. da*-chi>ndroi 

](;.- Knkelkinder du waren, zumal er eben einen recht 
schlechten Tag hatte, als das Telegramm kam. Aber bald 
nahm er die Sache von der heiteren Seite und bedam 
nur. dali er die beiden , Kerkolchen" niehl Behau konnte; 

Im -,»u,|, r, |i|i 1 ;.i-l>.- nl». i rli.T, - ( .11' -■ I Mi' -ie f ( y.- r IU VO* /l><- 

lichundlu»ligfccliei'/l rn m Anklang nui!iuMOrikc*cho»('>edicht: 

Ja die 8töre.hc, ja du- 8lAre.hr. lud die Fr.m. wofern *ie kluf 

la der Kammer wie im Pferehu Weiü, dui) ein* gorode gnug tat; 

Können einen Mann erschrecken. Wenn dann Zwilling« erscheint*. 

Wenn sin Ihn zu iweiun Ml IM Kragt alo: lachen oder weinen? 
i\nrh der liroßpnpa, der nlte. 
Auf der Stirne manche Falte, 
Seufxet in den aehlunken Beutel: 

Alles eitel 1 allws eitel) 

Ein anderes Mal tröstet er die Eltern: 

Final mit eurem Zwillingnachrecken Unsere großen Drei in Ehren; 
Werdet ihr euch selber necken, Doch was wurden wir mtbel 
An Goburls- und Jubeltagen Halten wir die 7.wilhngHrungr*n 

Fröhlich euren Gasten sagen: NichlaUNiu Mmlniochatoefcnf**! 

Und ebenso stellt er sich zur Teufe im November mit 
Versen ein. weil er auch dabei sein will, wie 
Au-, den binden kleinen Heiden 
Macht man JeUt zwei kleine Giraten. 

Aber nun die Hauptfrage, wie hat sich der neue Glaube 

im Leiden und Sterben an ihm liewiilirt? Auch darüber geben 
uns Briefe und vor allem Verse Aufsehliil). Daß Straub* die 
Schmerzen trug wie ein Held, darüber war seine Umgelr. 
einig; nur Kapp wuUto, wie er litt. „Er klugti: nicht," 
erzählt Binder; als dieser ihn einmal 1'ra^t.e. ob . mIiw-i 
leide, erwiderte er fast streng: ,.So dürfen wir nicht sprechen, 
wir müssen tragen, was der Lauf der Natur uns bringt." 



Das EnJi- 



TW 



Religion ist GcfÖlil schlechthiriger Abhängigkeit vom Uni- 
versum, vom Lauf der Natur: so hatte er im alten und neuen 
Glauben gelehrt. Diese Abhängigkeit brachte ihm dor Leidens- 
weg, auf dem ihm keine Station erlassen wurde, ganz 
persönlich tum Bewußtsein; und dieses Gefühl dor Ab- 
hängigkeit und Ergebung in den Lauf der Natur brachte er 
nun auch in Venen vom Kranken- und Sterbelager aus 
schon und rein und fromm zum Ausdruck 

Aus den letzten Monaten stammen die beiden Suspirien: 

Könnt' ich denn empfangen haben. 
O Natur, aus deinen Hunden 
Diese schonen, reichen Spenden 
Und nicht auch Yerlrau'n auf dich? 
Große Geborin der Gaben, 
Seufe' ich dann "> nu'iner Kummer, 
Nur mit »Ihn srhwnrwn JummOr, 
Gütige, verschont- mich. 

Und das andere: 
Stund' um Stunde fohl* ich mein« KrAfL* schwindi-n, 
Sich die Bunde losen, die mich hier noch binden; 
Wenig Munde noch, so ist von diesen Resten, 
Die jfltit mich bedeuten, keiner mehr xu finden. 
Ew'go Kraft der Welten, hilf der müden Seele 
Diese letzten Qualen standhaft überwinden! 
Ja, in Ruhestunden spQr* Ich schon oin Snusoln. 
Wie von Sicgeslüftcn, kohlenden, gelinden. 
Doch nicht Lorbeer, nur der Liebe Kranz, begehr' ich 
Mir im Sarg die bleichen Locken su umwinden. 

Und endlich das letzte vom 29. Dezember 1873 an 
Frieda Bogcr: 

Wem ich dieses kluge, IIoiiIk heißt'*: vnrglimmen, 

Wriü. i< h 1«I;ik-- nicht; Wi. .in I irlii verglimmt, 

D«r ifh iln'" :-.ij:i-. In die Luft veix.hwiiuuii-ii. 

Kühlt, ich zage nicht. Wie ein Ton verschwimmt. 

MGge schwach wie mummt. 

Aber hell und rein, 

Dieser leiste Schimmer, 

Dieser Ton nur sein, 




740 



Dreizehn!« Kapitel. 



Wer BO stirbt, der stirbt wohl. Was Strauß dem Bi 
Hin fahre vorher nachgerühmt hatte: ..Ou hast selbst In 
»olehen AuRrnMickcn, wo jede Lebenshoftnung orlo* 
war, niemals der Versuchung nachgegeben, durch AnMbflO 
beim Jenseits dich zu tauschen", das gilt nun von ihm selber. 
Ou- Flügel, die immer schon seine Prosa beflügelt hatten. 
sri' haben ihn in diesen letzten schweren Wochen vom BodflO 
aufwart» gehoben und ihn zu jenen reinsten und höchsten 
Höhen geführt, über die einst der sterbende Sokrates 
im Gefängnis und beim Seim rlingsbeeher gewandert, war. 
Als ein weiser und uls ein frommer Mnnn ist David Friedrieh 
Strauß gestorben. Damit hat er den vorwitzigen Frag-- in 
dl) i-r ,'inrh fromm genug gewesen sei, urn Ober religiöse Dinge 
mitzusprechen, die einzig mögliche Antwort gegeben. \'xu\ 
in dieser seiner Religion war alles: Abhängigkeitsgefühl 
und fromme Ergebung, Vertrauen und Glauben, Erhebung 
und innerrs Freigewordensein dem uncrhittlirheu C.ang der 
Natur gegenüber Ergebung. Glauben an die Vernunft und 
Güle des Wcltlaufs und damit Äugh-ieh das Triumpbgcfuhl 
des Menschen gegenüber Schicksal und Natur, da» ihn in 
Leiden und Sterben rufen läßt : Schmerz, wo ist dein Stachel ? 
Tod. wo ist dein Sieg? Es war die Frömmigkeit eines Pan- 
thristrn. wie sie ähnlich so etwa auch Goethe In rieh getragen 
haben mag. 

Auch noch ein anderes hat Strauß in dieser letzten /. ii 
mehr und mehr abgestreift, jenes Individualistische soweit es 
ein Egoistisches war oder zu werden drohte. Ein guter Deut- 
scher ist Strauß immer gewesen. In den Kriegen von 1866 
und noch mehr in dem von 1870 hat er über dem Kampf und 
Sieg seines Volkes die eigene Not und das eigene Glviek oder 
Unglück mehr und mehr vergessen. In diesem letztri 
m hweren Jahr aber wandte er sich vollends angeekelt von 
jenen ..Fratzen*' eines kleinlichen persönlichen Gezankes 
den Musterbildern des Guten und Schönen, von dem Gedanken 
an sich den Gedanken an sein Volk und dessen große Sehfofc 



741 

sule zu. Am 10. November 1873 freut tf itflh In trefflichen 
Distichen der Bwei mAchtigen Treffer, die ddi dura Tag 

gebracht hnt, Luther* und Schillers. In rmcm Kpigramm 
jubiliert er über die Antwort Kaiser Wilhelms I. auf die 
Anmaßung Pio Nonos, der in einem Schreiben vom 7. August 
1873 nllc Getauften fnr mcIi in An-pruch genommen hatte: 

Dii^ alte W.iM-lmcilj dort mit difint»tuflor Huube 

Wlu BOhrett es au» dem Vatikan? — 

Die Aalwort gibt ihm schon, gekrt&l mit deutschem Ltubo, 

Bin kaiserlicher Mann. 

Und in seinem lel/lni Hnel .m Kapp \ um 'i. I'rbni.n 1874 
— es sind die letzten Worte, die er überhaupt gMCfcfidhtft, — 
da heißt es: .Gluckauf für morgen zur Reichstägseröflnungf 
Das sind Hauptsachen, wogegen unsere kleinen Schmerzen 
verschwinden". So kommt zürn St hlul.l neben Gott-Natur 
auch Gott in der Geschichte noch zu seinem Rech! 

Am 8. Februar 1874 ist er mit frommer Ergebung in 
den Nalurlauf und mit einem Hnvrii vull Leim für Vater- 
land und Freunde, für Kinder und Enkel gestorben. 

Am lt. Februar haben wir ihn begraben. ,,Ks war -in 
kalter, Hrhoner Wintertag: hell um! klar Hellten die Sonne, 
fast als wollte sie zeigen, daß hier ein Mann zur Erde 
bestattet werde, der es an Klarheit Ehr gleich zu tun versucht 
hatte. Es war ein Bläulicher Zug, der sich durch die mehr 
als sonst belebten Straßen »einer Vaterstadt dem Friedhof 
zu bewegte; und »o webmutig es mir ums Herz war, so 
freute ich muh doch, daß heute sn manche rioh zn Strauß 
bekannten, sei's nur mit dem Kopf oder auch mit dem Herzen. 
Zugleich aber fühlte ich mich und fühlten sich viele mit mir 
gehoben durch den Anblick, der uns vorher noch «uteil 
geworden war. Wir hntten den Toten noch einmal gesehen, 
noch einmal die Denke rstirm*. die so frei und lest die ge- 
■oUoiMnni Augen überragte, noch einmal den Mund, der 
mui Leiden zeugte und doch von Freundlichkeit und frieden 
umspielt war, geschaut. So lag er inmitten seiner Bücher 

in. zi*fi*r. h. n MnBi II. 48 




742 



Dreizehnte* Kapitel. 



gebettet in herrUcketee Gran: e* war ein Anblick, in aller 
jiehhcit schon und Kroß, wie ieh noch nie rlvow pc*eh*n 
hatte " So schrieb ich unter dein Eindruck dieses Erlebnis«** 
in ili-r ..r.rjrenwÄrr' vom 21. MBrs 1874. Glocke mjeliule 
hatte sich Strauß ausdrücklich verbeten, auch kein Geist- 
licher sollt* an »einem Grabe sprechen. Damit war sein 
Pmuufl Rapp aiMgeschloMnn, der wohl auch zu ergriffen 
Ipiwraen wäre, es su tun, Am nächsten standen dann 
drei, Vischer, Zeller und Kuno Fischer. Aber der erste 
könnt- »Uni dürft*- nicht. Kr selbst hnt noch, als er zehn 
Jahn später bei dar Kokt der Kiithüllung einer Gedenk tu fr-1 

am GeburUhaus von Strauß die Rede hielt, gesagt: ..Ein 
Schatten schien sich mir zwischen mich und den Entschluß 
zu stellen, niii Sunniten mit Geistermieiicn, die mlofa 
Sprecher nicht willkommen hießen." 1874 jedenfalls war der 
Schatten noch zu tief, der Bruch noch zu neu. ZeüVr war 
krank. Warum Kuno Fischer, der darum ifheten wurd . 
es nicht übernommen hat, weiß ich nicht. In dieser Not 
bot sich ein anderer von den Getreuesten, Gustav Binder, 
damals Direktor des Studienrats in Stuttgart» an. Sohn 
und Tochter waren damit einverstanden. Neben ihm kamen 
noch Professor Reusclile und ein Verwandter. Dr. Huofl von 
Ludwigsburg, zu Wort. Heuschle feierte Strauß etwas pal 
tisch als den Lessing des 19. Jahrhunderts 1 ). Huofl dankte in 
wurmen, würdigen Worten dem Verstorbenen für die Freund - 




*) Ubor diesen Vergleich hnt Struuü fruhor einmal im Retuchls 
geschrieben: „Ich leugne nicht, daü Ich in Stunden gehobenen Selbst- 
gefühls mir zuweilen geschmeichelt habe, as sei von Leasings 
Ment«1 cm Stückchen, groß genug, mir eine Jacke daraus au machon. 
auf mich gefallen; was aber die Verglvichung betrifft, gedenk. 
d«w Spruch**: 

Aber mit Oötlorn 

Soll sich nicht messen 

IrgiMnl rm MeBK h 1 
oder genauer, Ich wotO, daO Jenas das Zeitalter der Halbgötter wor. 
des jetzige das der ofa v&v ßporoi «toiv ist 



Das Emk. 



743 



Hehkalft iitti) i ingehende Teilnahme, die er den Angelegen- 
hi-iti-n da i.Hi.i'.i- -i*i- anritm habe umi dafür, daß er 

den Semigeu ein l-'ührer zur Wahrheit gewesen »ei. Die Hede 
lünders aber lautete wie folgt: 

Hochgeehrte Trauerversammlung! 

Ho alter Freund des Dahingeschiedenen, wenn auch 
seit unserer gemeinschaftlich vorlebten Jugend nur selten 
seines näheren Umgangs teilhaftig geworden, wage ich et. 
Rtm Abschied auf bnnuff von ihm ein paar Worte an Sie 
i\x richten. Ich gedenke seiner, wie er als ein zarter, ■ohnweh- 
tiger Knabe mit großem dunklem Auge im Jahre 1&21 mit 
uns in das niedere Seminar kam; daß er dereinst den ersten 
Platz unter allen einnehmen werde, weissagte sehnn damals 
sein Lehrer, der Rektor der hiesigen Lateinschule. Cr hatte 
ein lnhluift.es Bedürfnis, sich an wenige Freunde onger an- 
zusehließen, war heiter und fröhlich in der Gesellschaft, 
dabei aber stets maßvoll und züchtig, jeder Unanständigkeit 
und Aiihgelnssenheit abgeneigt und seinen Studien mit Fleiß 
und Eifer hingegeben. Und so ist er geblieben in den llfalti- 
mischen Jahren und sein ganzes Leben lang, einfach und 
sehlieht, als sein Ruhm schon durch alle Lande ging, in 
s. Hut eigenen Äußeren Erscheinung und seiner Umgebung; 
außer dem Nötigsten (dazu gehörte aber für ihn eine stetige 
L-eirdige Beschäftigung) bedftrfnialcM und im odublmi Sinn 
bürgerlich; siltenroin war sein Gespräch und sein ganges 
Tun, und wenn er auch zuweilen gegen Freund und Feind 
um seiner Überzeugung willen hart und zurückstoßend sich 
;nisln II. wer wird das nicht zurechtzulegen winsen, wenn er 
gedenkt, auf welchem Wege und mit welch unerschrockenem 
Mute er sich seine Überzeugung erstritten und gegen welcher- 
lei Anfechtungen er sie «u verteidigen hatte! Denn wahrlich, 
sein Lebenslos ist ihm nicht aufs lieblichste gefallen; er, 
der 111 seineu besten Jahren tö telir ein ständiges Amt, 
und wenn auch nur, wie Bf mir etamal bekannte, eine Im • 



744 



Dreizehntes Kapitel 



dene Lehrstelle sich wünschte, und der bereit* «ine aJead« 
mische WWwa—h^H, for iiie er gans gesch.iil : .. i :m 
schönstem Erfolge begonnen hatte h zweimal »ich au» 
dieser Laufbahn hinausgedrängt und im einem unruhigen 

VVaihiri! urltill. his er endlich n.ich billlflgem Wechsel 

wiru* Wohnsitz in seine Vaterstadt zurückkehrte, wel 
ihm und welcher er fabl gänzlich fremd geworden war > 

die, Unit eben nur die Still Cr- seine*, lct/.leti Leiden-- 1( | 1; 
Kndcs v..t<|. n -..»lii.-. Huri) rr h;il sein Schicksal niil -.1. ts 

ungebeugtem Mute hingenommen, hat an jedem seiner 
Wohnorte bin den wenigen, an die er neb nfther anschloß, 
ein reich* 1 * Angedenken sich gestiftet und dafl schreckliche 
geh^inmi-v t.ille Übel, das ihm tödlich geworden ist, mit 
klageloser Standhaftigkcit ertragen. Italic sanft, licbi 
l'i iml. ruhe sanft, dein Volk wird deiner eingedenk sei 
nnd die Jugend deines Volke* wird dich nicht vergeben.*' 
Männergesang umrahmte- die würdige Feier, von der 
wir Teilnehmer lief ergriffen und erbaut davongegangen 
sind. Aber es war noch nicht zu Ende. Für da* „Leirhen- 
sagerkapitd". wie Strauß solche Nachspiele in seinen Bio 
graphien nannte, sorgten bei ihm seine alten Kinn!., dir 
schwäbischen Pietisten, über dem Grab de* BlnitfMQ 
Mannes klirrten noch einmal friedlos die Waffen, wie ÜB 
zu Lebzeiten so oft um ihn geklirrt hatten Am 12. März 
J874 erschien im Schwabischen Merkur, mit 214 Unter- 
schriften bedeckt, folgende Erklärung: „Nach dum Schwtt- 
hiwhen Merkur vom 12. Februar hat am Grabe des 
Dr. Strauß, dieses entschiedenen Gottesleugners, Herr 
Direktor v. Binder, der an d>:-v Spitze unsere? yMu Im Schul- 
wesens und auch der Behörde steht, welcher unsere evi 
lisch-theologischen Seminarien unterstellt sind, eine Redi 
zur Verherrlichung dieses Mannes gehalten und mit folgen- 
den Worten geschlossen: das deutsche Volk wird deiner 
eingedenk sein, die deutsche Jugend wird dich nicht ver- 
gessen. Wir finden uns in unserem Gewiaseu gedrungen. 



Qm Ende. 



74Ö 



zu erklären. Haß durch solche* Auftreten dorn christlichen 
lH",vuUirti'in unseres Volkes sffl hJüwbnc Anstoß gegeben 
iHfdi und machen auch darauf aufmerksam, daß dir 
Stroußischen Lehren schließlich auf die Zerstörung d« 
CÜnSg wahren Grundlagen vi.m Staut, l*;iuiilie und Sitl 
DohUt hinfuhren und folglich nur dein Si.?i.:lisnws in dir 
Hunde arbeiten. Wir bleiben bei dem apostolischen Worte: 
Wer .li'ii Snliri i"hiII(-. hat, der lial «Ins Leben, \\n den 
Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht." Daß 
de* eigentlich« Anstifter dieser denunzialoriachcn Erklärung. 
Prälat KopIT in Stuttgart, nachher mefefln MtwJegervaUl 
gegenüber seine llftnde heuchlerisch in Unschuld waschen 
wollte, nach dem Rezept: Si fecisti. nega. das gehört 
zum Treppenwitz di ^liohen Geschichte, 

Man begreift heute nur schwer, wie dir m Idiehten 
Freundesworte Binders Anlaß zu diesem Protest haben geben 
können *); oder man begreift ee nach dem alten HmlogW 
wort: Haerelicis fides non est habenda. Nicht einmal am 
I Wixh sollte der Freund menschlich sich zum Freunde bekennen 
dürfen, weil dieser ein ,, Gottesleugner und Atneist" gewer- BD 
wnr. Ob die Stuttgarter PictWten ihr Ziel «''gen Binder er- 
reicht und den ihnen um seines Freisinns willen längst schon 
verhaßten Mann aus seinem Amte vordrangt hatten, wenn 
nicht diiHHohngelflchter. das darüber durch gunz Deutschland 
ging, Gegenerklärungen im Merkur, die kaum weniger Unter- 
schriften fanden, und scharfe Artikel von Männern wie Kduard 
Zeller und Viseherden König Karl und seinen Minister v. Geßlor 
davon zurückgehalten hatten, weiß ich nicht. Immerhin war 
Binder von da im Persona minus grata. Wir .tbei kehren von 
solehen ..Fratzen" iioeh einmal zu Strauß EQTflok 



') M«ii bi*|p-«iri >t$ h«utn so WKtii« iin'hr, dnU, mm> uh hör*, im 
'.'■. ftrttvmti PK dfc -..-■ Wltefllet : l, I'.iiuIit li;«lii in -riiii : C'-dr M-iii 

bognu sU einem »yjt*matismrten Wahn gesprochen. »*U dir- Rede 
genau so gehalten worden ist, wie ich sie oben wmd«rv<-p Im liabo, 
knnn Ich ab Ohrenzeu go vertagen | jone Behauptung tot also nicht m Ell 




Schluß. 




Strauß war Schriftsteller, da* war sein ttrruf. 
Schriftsteller ist da» Erste und Wichtigste du- Art. wie er 
Bclipi'ihi h£d Stil. Le style o'ost l'homme: alsobeantv.nrt-4-ii 
wir mil clor Frage nach seinem Stil zugleich |Mb die ander«, 
was für ein Mensch er gewesen sei ? 

Es gibt bei uns in Deutschland drei Stilarten, d 
kann sie am besten nach ihren typi.ir.hen Vertretern den 
Treitschke-, den Nietische- und den Straußotil nennen. 
Ober den ersten hat sich Strauß selber in eim m Baal 
Rspp so ausgesprochen: , .Allen Ke*pekl vor Treitschk«*, 
seinem ausgebreiteten Wiesen, seiner tiefen Einsicht, gv- 

iii<-;'*-ii"ii ln-Miiiiiili^. ItiliiviÜmdrii ! >.. i uh Un :n_'. Villi :ilii 

dfin trflgt der Leser reiche Ausbeute davon, aber um Kude 
doch auch einen eingenommenen Kopf. Woher das? Weil 
des \l;iiiii's Grundstimmung Pathos ist, und da* tau^t 
nichts, am wenigsten hei einem Historiker.. . IC» ist du» Stflofc 
Fichte, das in ihm steckt... Wenn Du erkennen willst, wk 
weit dieses Pathos von TreiUchk«- das rechte ist. so il.n 1 t 
Du nur darauf merken, wie all' seine AufsftlM aus di 
gleichen Tone gehen. Der sollte aber doch billig variieren 
mich den Gegenständen; und wenn auch derselbe Verfasser 
einige Gleichheit des Grund tom mit »ich bringen wird, so 
sollte doch auch der Verfasser, wenn er gehörig beweglichen 
Geistes ist, zu verschiedene:! Zeilen verschieden aufgelegt 
sein? Wo aber In IM. Du bei Tml e.] \v ein Künklafal 
Humors? Wie tritt auch nur die epische Betr.<< litung der 
Dinge gegen d«n ewigen kategorischen Impoiativ zurück!'" 



Schluß. 



747 



Da* Pathos nlso. die Gleichheit des Ton*, auf dm alles ge- 
süimnt war. und der Mangel an Humor — das war es, was 
Ihn am Treiuchke-tii mißfiel. 

Über dm Stil Nietzsches finden wir keine Äußerung 
von Strauß, um so besser wissen wir, was Nietzsche am 
Stil von „David Strauß, dem Schriftsteller" auiUHlno 
hatte: irr hat es uns in seiner ersten ..rrir.eitgpmußen" laul 
genug in die Ohren geschrien. Zuerbt eine kleine BUin 
lese daraus! Zwar der „Bildungsphilistw" gilt mehr dem 
Bckcnncr ul.t dem Schriftsteller, ebenso die Yulguntat der 
Gesinnung und die klassische PhilisterkVigheit. Aber die 
Impotenz und der Lumpen jargon, der nichtswürdig" Stilist 
und Skribler. das stilistische Pachyderma (sie!) und das 
Sudlergesindel, der Tintenkleckser und der Flickschneid i 
— diese Schimpfworte sollen den schlechten Schriftsteller 
treffen, der Strauß in Nietzsches Augen war. leh denke, 
dieses kirim W-rz'-ielm^ geniiut, um die Maßlosigkeit und 
die Ungerechtigkeit dieses Angriffs für jeden, der etwas <«• 
srlirii'liciii"! von Strauß kennt, ohne weitere» dnr/ntiiii I n < - . 
erste Unzeitgemäße ist darum heute selbst vielen Nictzsohe- 
uneni eine arg« V erh v> nh< it ; denn sie- ist töricht und sie i-l 
lti:s;irli^. I nd uueh die Art, wie Ni»l/.srhe seine Se|iim(ifereich 
zu beweisen sucht, macht ihm wenig Ehre. Nirgends ist 
S Lacht kleinlicher gewesen nls hier, wo er sich mit Grimms 
VV«ii -terliurh hrwalTnel ■ uv, il ei In» dahin rr*ehi< neu war ' |. 
niedersetzt und den alten und den neuen Glauben mit rol< r 
Tinte w.e dlktt Schulcraufsatz durchkorrigiert. Von solchen 
Phertrri Innigen i I liir >iii-hImi nichts zu Intim Urne Kennt ms 

'> l)*u hat OukIüv Binder (der Sohn dw 9tn<li.'iir..i.«iir*klof») 
im i-iiiit Sitjp von Artikeln in .irr ..(";. yi-nwart", IV, 1*?3, linchgo- 

wiesen. DU» Invektiven d«t oben ftttaoltn I'iina.Auf**tte* gaffen 
meinen verstorbenen BcfewagW g«li«u m*it ubitr d:ta MuO dessen 
hinaus, wna Nietzsche selbst im Reo« homo darüber *agt: er nennt 
(8.71) diese schwäbische Erwiderung „so bieder und grob. aJ* «r's 
irgwidwie wuntehen konnte". Ich denke über die Artikel FltndoW 
natürlich ander». 




StWutt. 




und bin ViTsKuidnb de« Straufiiachen StiK Wh mfl 
ander* Jinjfreifcn. Diflaaea ihn hrt uaaefferaeha mit dei 

te vergleichen, hBetaMlu m. darObei 'kann natür- 
lich ki'iu sti.it mihi einer unM-fvrjpiftnwtndsi^n Schriftsteller: 
alfgeadetoter Bucht tabe, bbereJ] Mm ndigi Rade voll Wohllaut 
und Mu-ih. lab Stil i-t frirklleh Slil. UihsierU? Rede, ein 
gWStci lif- Aphorismengi -f nnki-1. du* jjliiht und I 

da* unruhig flimmert und flack.it. er Ist loch «I» Stilist 

tili ri u i-i dlonyitob Zun Weeeo dee EXooyiUohesi 

^ftiOrt, daß »s leidenschaftlich und anduldenm ki>in# 
«ndern Götter mdn-n lieb beben will und »lull ihn dal AjH'lli 
njsche als Ausdruck einer affektierten Mäßigung verftchl 
lieh erabeint. 

Der Streuffienha Stil dagegen i*t einfach und ichlicht, 
unge*ucht und ungekünstelt, maßvoll und ruhig, h- II und klar. 
NiiyiBlSe »tOrt (Öl mische» oder auch nur rin laute-, i'.itli. 

nirgend? l 1 1 l r jfnnnhfii Dach Effekt Seil StD [et obafl 

im Gegensatz zu dem von Nietzsche apolHm*ch; und so 
. I I'mmi hii'i zwei Stilrichlungcn in aller Gcgeruatzlichkoil 
und Schorfe gegeneinander. Wie er Treitachkee Pathos 
oder Mankos allzu elegante und gelockte. . .holliarh noble" 
Art von Geschichtschreibung ablehnte, »o hatte er auch 
Nietzsche* Slil nur ablehnen können. 1 ad doch bat fedef 
von den Dreien in seiner Art recht. TroiUchkc* Pul 
riß uns in den großen Stunden der deutschen Geschieht* 
begeisternd mit, Nietzsches blitzende Diamanten fantaiora 
un* mit ihren Pointen und Schlagern im Spiel geistreicher 
Unterhaltung, Straußen* einfach -achoae Pru»a d 

können wir in jilli-n Lebenslagen griuellrn und uns »liiw> 
Aufregung oder misc an BOenc in aller Ruhe ihrer in jftdi 
Augenblick Treuen. Sie belehrt un», ohaa uni Obemd<Mi 
zu wnlli'u, hie tut uns \uihl, ohne uns tu blanden, weü 
nicht allein da* Wort, haben will, sondern riialektieeh um 
dialogisch da» Hin und Her, das Für und \N ider objektiv mit 
uns erörtert. Daher schalten dm dann freilich N'tetasche und 



Schilift. 



749 



Treitachke einen Philister, und der Ni«tzach**ner Schweitzer 
nennt um einen Scfaulmebter. In ditmn Sinn hfttta wich 

\iet7nehc mich Cmr-the etwas vorn Philister an sieh, umJ 
für Schweitzer müßte auch Leasing ein Schulmeister .-• ■■ 
.Irin' Vorzüge de.* Straußischen Stiles, die wir .illi i 
[ober Verkleinerung gegenüber empfindftO «ml anerkennen. 
treten vielleicht nirgends so klar zutage wie in »einen Briefen. 
WtBB er nn Treitsehke difl Kinförmigkcit dw* Toni» rügt 
nnrl ihn tadelt, daß er nieht wenigstens zu verschied i 
/ ■■ifen verschieden aufgelegt sei und dann auch verschieden 
schreib«'-. Kl bflVafi HBOhl UD GogBBMtl du^ii Strauß die Gabe, 
allen, mit denen 61 *t<'h bri «'flieh unterhielt . alle*, d ti jedem 
ein anderer tu »ein. Es ist ein Individualisieren von un- 
nachahmlichem Reiz, je nachdem er an Kapp oder Märklin, 
an Kaufmann oder Viseher, an Zeller oder Kutm l'ixeher- 
sehreiht; und er achreibt heute ander* als morgen, seine 
Briefe sind aus der Stimmung herausgeboren und spiegeln 
die Stimmung des AagenbUoks unverkennbar wider. Au« h 
der Humor, von dem er hei Treilsehkc mit Fteehl jede Spur 
vermiUt Ji.il. ihm stellt er im brieflichen Verkehr, doch 
nielit in diesem allein, ausgiebig zu Gebote. 

Aber in den Briefen zeigt sieh noch einen. Diese* unver- 
gltiahHoba Stilgefühl ist nicht von Anfang an da. Wie er »ich 
ids Charakter erst durchgerungen hat zum Weisen, der 
er schließlich war, so muß er auch das Hriefsohreibcn erst 
lernen: die frühesten Briefe haben noch etwa» Steife» und 
Unfreie«, erst allmadlieh wird er der Virtuose des Briefstils, 
nls den ihn auch die Welt aus den ..aiisgpwahlten Briefen 
kennen gelernt hat. Und dasselbe gilt von seinen 
Büchern. Der Stil des ersten Lebens Jesu ist gewiß nicht 
einförmig oder langweilig, der Ton seiner Streitschriften 
ist gewiß kriegerisch und lebendig. Aber erst in der Ofafbt- 
liehen Glaubenslehre ist .sein wisseiisclulllieher Stil im.- 
gebildet, es ist ein glänzend gesrhrnlienes Werk; und in 

,den Halben und den Ganzen" klirren die Waffen doch 




..... 




noch ffonx ander», die Hieb« sind rlrgjulir und wuchtiger, 
A t BoHublnl heller mi fröhlicher als in der Schrift gegen 

Sien«! 1 ... r Menzel; gerade über jene ist bei niler gottiic 

iiJitil BDI wahrhaft hell«-mv:he Heiterkeit ausgebreitet. 
Dieser -1'liHtinclK 1 AuIhIhv '.v'lii immer so fori, bis er im 
Voltaire, diesem Schmuckstück unserer Literatur, seinen !l-v 
punkt erreicht. Dan gleich steht der Arl nach der alte und 
der iieueOltiuhc.uhei ijuch imt !n-.c Auk ImhIi^' -" V '" u - Ute«** 
stils, so daß sich die Kurve eben jetzt senken xu wollen scheint ; 
zum wirklichen Abstieg hat es der frühe Tod glucl» 
iHi-tif. k<iiiini«n lassen. Die ersten Aaceiohen davon hat 
vielleicht dtf feinhörige Nietzsche mit seiner Goldschmied** 
kunat und -kennerschaft des Worts doch schon herau*ge*i< 
und im! seiner Neigung, «lies in* Maßlose zu Ohei treib 
zuventerren. schonungslos herausgestellt. AI* Karikatur be- 
kommt das iiblePainpldet wenigstens einen Sehein von Recht. 

Und wie die Briefe, so «eigen :ni*_li »In- liiiehn von Sti 
jene Mannigfaltigkeit und Vcrsehiedenartigkcit. die auf 
seiner Kunst des Individualisierens ruht. In den 
seh.'iftlichi'ii Werken ist die Seim iliwrise breit au*lad> 
er sagt nicht zu viel, aber er lflßl sich Zeit, alle» xu siu: 

was er xu sagen hat. Dabei vermeidet er auch lange Pen" 
nicht. Die Hiogni|diic!i sind fein ausgefeilt, grazil und groziöe, 
die Satz, werden kürzer, die Kunst wird sichtbarer, nber 
nie aufdringlich. Und endlich» wo es not tut, ohne Pathos 
doch eine Kraft und eine Wucht, die sieghaft den Ge*' 
Qbflnrlltigt iiml den eu Überzeugenden in adne Hahnen 
zwingt: so in der Vorrede zu den Huttengespr&chen oder 
in den Briofen an Renan. Auf dorn Krankenbett hat w 

letzt* nn •'inniiil wieder gelesen, da haben sie ihr» Macht an 

ihm selbst bezeugt, ohne alle Ruhmredigkeil hat er von 
ihnen sagen dürfen. „Wom die Nutm auch nur einmal so 
die Zunge geloht hat, der gehört nicht zu ihren Stiefkindern, 
und den wird sie, auch wenn's mit ihm feibat Ernst wird. 
nicht verlassen," 



gchlui 



761 



Zu seinem Stil gehört — das wissen wir Innprt — auch 
seiu Reichtum an Bildern. Diese Gabe der Metapher schrieb 
BT den StOck vom Poeten zu, dös in ihm war. Da* KU doi 

Schwinj^i-iisrhliiir des Straußes, der seinen Gang hel1usp*lte. 

In der Wahl seiner Bilder ist er — vrir haben davon Bei- 
spiele genug kennen gelernt — überaus glücklich und mannig- 
faltig, nirgends gesucht und überladen. Nur S. Eck A ) blieb 
es vorbehalten, zu finden, daß die Bilder von Strauß an die 
Schwäbische Kleinstadt gemahnen. Es ist wahr, von Berliner 
Nachtcafes oder von der FrndrichslralJc, von Hofkirchen 
oder Siegesalleen hat er sie nirgends hergenommen; aber 
kleinstädtisch sind sie durum nicht, und auch ein npttfiflfWih 
Si hwiibisches lindi-t sieh nur selten. Auch tut er wie meist 

nicht mit zwei Worten ab, sondern er führt sie aus und durch, 
soweit es die Sache fnrdert und die Ähnlichkeit erlaubt; »o 
wirken sie nnsrhnulirh und werden doch nie zu Tode 
gehetzt. Daß ihm dabei gelegentlich auch eine Katachrese 
mit unterläuft, ist selbstverständlich. Mit der Schurf- 
augigk^it des Korrektors und der VericröBerungsbrilli di 
Neides bat hier Nietzsche manchen Fehler entdeckt 
und dann über solchen lapsus cidami ein SiogcsgcMchrci tf 
hoben, wie Junten beim Indianenmiel uher den erbeuteten 
Skulj» .-ini'? . i-li-yti-n I : :m. i, t iiß hatte dacuul Mgflfl 

können, was ( inet he von dem aufgefundene» BfrhMlfOfiiWD 
Hexameter »n Hermann und Dorothea gesagt hat: „l*nUt 
den Racker stehen!" 

Doch jene* Stock von einem Poeten trug ihn noch 
weiter. ..Verse- luachen wird mir schwer. M bedarf 
daher eine* »ehr starken Anstoßes von der Seite des Ge- 
fühls, in Lust oder Schmerz. Liebe oder Hau, um die 
Schwierigkeiten überwinden fcn helfen'*: *o hat er »eiber 
über sein Dichten geurteilt Da nun aber in seinem Leben 

wiederholt solche »tnrken AiulOtic in I.ust und Schmer/.. 



>) S. Kclt a.a.O. Ö. 200. 




702 



Jfchlui- 



in Liebe und Haß gekommen sind, so hat er doch mbl 
viel gedichtet. Von dienern Vielen kennt die Well nur .inen 
ganz kU'inrri Ausschnitt, „du poetische Gedenkbuch" für 

die Freunde MllsevwMilt mm;i Stilni, tllltl 1.1 \\>\: IM Wenig 

veränderter yinimmHnfft^mtg bn zwölften Band der 
sammelten Werke. leb habe i u Buche mit Ver*- 

proben nicht gekargt, so daß rieh DMine Leeer, auch ohne 

zu jenen Sammlungen greifen zu müssen, ein Bdd BUCh 

von dem Poeten Strauß machen könne«. 

Do hri dnrf ein™ nicht übersehen werden: SiimuD hat 
nicht an diu Veröffentlichung »einer Gedichte ip'diicht AU 
im Jahr 1849 sein Freund Kaferle ohne sein Wissen In 
!tt'hw.ihi*cln-n Lnktdhlall .Jus (iedichl. ,,l>uldung", dem 
Motto /Urses zweiirr» Banden meiner Biographie entrinn, r. 
i-i, drucken ließ, ist er recht ungehalten darober gewesen. 
Nur zuletzt noch hat er auf Befragen erklArt, daß ar nicht* 
dagegen einwenden wolle, wenn nach seinem Tod« m 
Angehörigen Proben davon auch weiteren Kreieea mii- 
teileu. So gehören diese stillen Verse nicht in die Literatur- 
geechichte, sondern ausschließlich nur in die Lchcnsgaechiclii 
dessen, der sie gedichtet hat. Darum ist Bapp teilweis« 
das einzige Publikum dafür gewesen, denn der sollt« dm 
ganz kennen, und dazu dienten diese dneumenta Iminaina. 
Daher nimmt er es auch flbel, wenn andere darüber spoti 
sie lachen ja damit ihn und seine Schmerzen aus. I' 
wie eine leise, wenig aufdringliche Musik hegleiten diese Verse 
sein Leben vor allem dann, wenn es dramatisch bewegt und 
sein SchifTloin von Wellenbergen hoch gehoben oder in 
Wellental lief hinnhgeHchlcudci-r wird. Deshalb sind sie 
Schneeflocken zahlreich in den Jahren nach dem Zusammen- 
bruch auinur Ehe: die Poesie sollte ihm die? Stöße der Wirk- 
lichkeit aushalten helfen hier kann u Schmerz und Jammer 
und Groll darüber zu Wort; sie sollte ihm Trosl gewahren, 
daher die Epigramme aus der Glyptothek und die musikali 
sehen Sonette, weil er wie Saul vor den schönen Milien 



Sc- Muß. 



763 



Bildern dar Antike oder bei dC0 Klangen der Znuberflöte 
und des Fidelio Beruhigung und Frieden fand. Selbst die 
scheinbar lustigen Strophen auf „Kellm-r und Kellnerinnen" 

sind nur .'ins seim-m Klend heraus neblig 211 verstehen. De-. 

waren in jener Zeit oft wochenlang die einzigen Menschen, 
mit denen er reden konnte. Da fühlte er sich Leilnehm ml 
in sie hinein, fühlte sein Los als das eines Ausgcstoßenen 
und Gemiedenen dem ihrigen verwandt und verstand aus 
sich und seinem Schicksal heraus auch ihre Monschli'liLnt 
Ihre Heimatlosigkeit und seine Bedürftigkeit» sieh viel ver- 
geben tu lassen, nachdem auch er durch Schuld und Reue 
halte hindurchgehen müssen, hißt ihn den Kellm-r mit 
Ahunver vergleichen: 

Was er war? ob Schuster? Schneider? 

Pharisäer oder Zöllner? 

Weil gefehlt! Der ew'ge Jude 

Wnr vielmehr ein Oberkellner ; 

und die Kellnerin mit jener Magdalena dOBNcoea Testamentes. 
(I. r viel erlassen wurde, weil sie viel geliebt: 

War der ew'ge Jud' ein Kollner, 
So ist die, von der wir lesen, 
DuÜ den Herrn ihr Weinen rührte. 
Sicher Kellnerin tfpwrsen. 

Und wenn die Vermutung richtig ist, daß auch ,A'w 

Mtdiivnfiirhlin" eine solche wnr, so würde das Neheneiu- 

anderstehen dieser drei Gedichte im , .poetischen Gedenk- 
buch" vollends ganz erklärlich sein. Eine zweite Welle für 
seinen Drang, aich in Versen auszuspivrh« n. kommt dann m 
Durmstadt in der Zeit von 1866 bis 1870, wo noch einmal 
das Glück des Gefundenhabens in hellen Tönen ausströmt. 
Und endlieh difl dritte und letzte — aus dem KrunJ<< n/immer 
die vrrhnltenen Schmerzenslaute. die Su*pirien und Gebete 
zur großen Geber in der Gaben, zur ewigen Kraft der Welten, 
hell und rein, wie er selbst hagt. fromm und tief, wie - 1 
hinzufügen Daß auch seine Arbeiten und ihre Erfolge, 




7'.1 



Befclut 



gute uii'l bO»i-, vn!i .ol-lu-i) Versr-n begleite! werden. 
krltik und Kriük fremder Kritik darin tum Ausdruck kommt 

ii.iiH'u v.n - in'iii.ili:. Iren gesehen. 

Hermann Fischer 1 ! hat an den Odichlcn die ., Un- 
mittelbarkeit und »[.nMelmle l-'ulle" vermißt. Di« letzter« 
mit Hecht, Obglfi-h im v;i t.rlil. .hinii .In IS.. IiIji 
Formen und Stimmungen bei Strauß überrascht xu »ein. 
Strauß ging es beim Dichten »ie Leasing, es sprudelte nicht 

'. < >l; i i mußte mit Pumpen um] Kuhn n BUi da 1 "■(■■. 
meist au» der Tiefe des Schmerzet heraufgeholt Wtcrd 
Aber Unmittelbarkeit — 1 Nein, diese fehlt der Straußiscl 
Lyrik so wenig, daß dnrin vielmehr ihr lit»r m <lni Mnngel 
gefunden werden kunn. Die Verse sind tu imrnitteihar, 
zu subjektiv und individuell, ihr Anlaß und die Stimmung, 
die Mio hervorgerufen mit, sind noch xu nah und dal 
noch ku deutlich sichtbar. Deshalb ?ind mOftotii 
Gedichte nicht weit genug hinaufgehoben in das Universelle« 
und uligemein Menschliche. Strnuß dichtet eben nur ffli 
-i' li und für den Hmisbraueh, für seine Stimmung und fi 
seine Befreiung von allerlei Verstimmungen. Darin ist i i 
wirklich ganz Stimmungsmensch. Auch die Kpigrammc 
aus der Glyptothek wollen nicht „einen selnmen Gedank 
eine feine Empfindung, eine treffende Krilik in d. v .- 
bildeisten, wie aus edlem Metall gegossenen Form" 




') In Humum Artikel „Zum hundertsten ■-. ;j,g murire 

Q I urt", Deutsche Rundschau, Januarheft 1908. Laider hat Fischer 
us sich nicht vorsagen mögen, Strauß aütVisohtf. laln« QodfchU mit 
dessen „Lyrischen Gangen" eu vergleichen, die von Vischcr selber d-in 
Druck übergeben worden sind. Dieser wollte also ein Dichter satB 
n U nicht. Ein solches Hinuberschlelen auf den asthetiicnen Freund 
hat übrigen* StrauÜ aolbit einmal «einem Urudor tost lonun \ 
Und ich meine, wir Schwaben haben allen Grund, uns zu freuen, daß 
Mir bt'ide haben, und sollten daher jeden in »einer .\rt gellen lasvu. 
wie af tot Daß dem Utsrarhistoriksr Fischer Fr. Th. Vischcr naher 
innl bebst rtsM ah Strauß, i*t ja natürlich; auf AUgemcmgültigkeil 

J.iiiin nn Milt-hi-' ITrl.fi! iialiirlie.h l* t-i ih-b.-n. 



üchluö. 



7H 



objoktlr darstellen, sondern es sind Trostgedichte aus tiefer 
Not und Pein heraus. Aber allerdings, die gebildete, edle 
und feine Form — : da« ial'a doch, was ihnen allen wenig- 1 
die Form der Allgpmeingiilligkcit gibt. Der Goetheaohe 
Einfluß auf Strauß ist jn ohnedies klar. Aber mich durch 
die Schule der Alten int er gegangen. Daher sind ihm untike 
Formen, vor allem natürlich dio des Distichons, so gelaufig 
und handhabt er sie so meisterlich. Von A. W. Schlegel, 
den er in seinem Essay auch nach der formellen Seite bin 
fein charakterisiert hat, hat er eich Strenge und Feinheit 
in Metrum und Mali zur Regel machen lassen, und an Platen, 
den er sonst nicht liebt, hat er ein Muster und Vorbild, nfa 
\M-it es auch hierin die deutsche Sprache bringen kann 
Nur im Reim dürfte er strenger sein. Durrh diese Arht 
samkeit auf die Form erheben sich die Gedichte über die 
nächste Unmittelbarkeit in das Reich de* Allgemeinen umi 
1*1 ','iI.ti und machen rinM 10 itardutoi „gliifttailfiigtn' 
Eindruck. 

Noch eines, ein Doppeltes sogar tritt uns in den Ge- 
■ lichten entgegen, etwa*, wm fehlt, und etwas. Wtf da ist. 
Jenes ist der Mangel au Nalurainn. Die Gestalten der Glypto- 
thek, die Töne der Musik versetzen Strauß in dichterische 
Stimmung, die Schönheit der Natur kaum je. Auch in seinen 
Briefen wird weder von der Schönheit des Meeres in Venedig. 
mich von der Großartigkeit der Alpenwolt, durch die er nach 
Italien fährt, weder von den Reizen Lichtenthals aftd Buden*. 
noch von der Romantik Heidelbergs und des Rheins viel 
Aufhebens gemacht. Äußerungen derart fehlen nicht, 
aber sie sind selten. An Blumen hatte er Freude und zum 
Spazierengehen brauchte er Natur — das i»t alles. Teilweise 
lag das wohl au seiner Ktirzsicht.igke.it, die das Sehen in du 
Kerne und Weite von Anfang an erschwert, spater gnnx 
unmöglich gemacht hat. Es lag aber auch ansei nein Durchgang 
durch die Philosophie Hegels. Dieser hotte der Natm 
Philosophie Scliclhmjs tan« Philosophie des Geisten als das 




M 



Sdiluß 



Höhere gpgonubsrg»* teilt, and in der Ästhetik a i ihm 
und uiin n Schulern «In- Etaro&hong «loa Naturschönen als 
M gleichwertigen Faktors im System neben dem Kun-i 
schönen am iwisUtn Schwierigkeit. Sn inUuvMitrt sich auch 
Slruuß ul* lli'^fliaiiiT nur für das Schune. in der Kunst, 
in der Natur nahm er es ohne viel Heden hin. Oder 

ii'-m Wort gwitft: Strauß verhielt *ieh IUI Natur naiv, 
nicht »entimenUilirieh. Da» andere, was im Gcirensatx daxu 
in seinen Gedichten vorhanden ist, ist der Humor. In seinen 
Gedichten, aber auch m seinen Briefen und selbst in seinen 
Schriften fohlt er nicht. Wenn der Humor (lau Oszillieren 
»wischen Idealismus und Wirklichkeitssinn ist, so mußte 
Strauß] diraurkühl beobachtende Kritiker mit demSchwingcn- 
schlag de» Poeten, Humor haben. Und es war die Bpstlfitfih 
schwäbische Form dieser Göttergabe: das zeigt sich vor 
.illi'tn im Kreise der Genossen, wenn er in ilei <. loigtull- 
schuft seine munteren Toaste hftlt. seinem Freund Vischer, 
dem Kritiker und Reformator der Mode, das Lied vom 
„ewigen Schneider" singt oder Kduard /.eller durch 1*0 
Papierreiaeuden Künzcl das Semikolon zur Auflieferung seine* 
taillenlosen Stils empfehlen läßt Und auch sich selber 

verschont er nicht damit, wenn n dem Hun-rn, der ihn in 
,, Wassersnot" nm ausgetretenen Bodensoe durch» Wasser 
trögt, als ,,Antichristophoru6" dafür dankt. Aber dieser 
Humor, der dem an den Ksrkerstöheu de- \>.\ . 
Menschen die Gitter vergoldet und das Lehen im Käfig 
erträglich macht, war bei Strauß nicht der leichte, sonim 
der mit seinem Idealismus und mit seinem GlaubOD an du- 
Well und die Menschen alles überglänzt, bei ihm war 
viel Bitterkeit und Grimrn mit zugemischt, und der theo- 
retische Optimismus, dar freilich nicht verguß. «siebe 
„gewaltige Rolle Schmerz und f bei in der Well ■■'■ 
mußte in praxi oft dem Pessimismus weichen, Der Humoi 

war bei Strauß wie die Sonne, die am wolkei 

Himmel nur ah und zu einmal durchbricht, aber dann 



BdUul 



m 






der Landschaft eine um so wirkungsvollere, nhnnngx* 
reichere Beleuchtung verleiht. 

Damit nind wir vom I »Echter unmerklich zum M 'nschen 
hinübergeführt, und es wäre nun unsere Aufgabe, zum 
Schluß noch zusammenfassend zu sagen, wer Strauß 
gWtsfln und was er der Welt der andern geworden ist. 
Aber ob man das so einfach kann? Ob sich ein Mensch, 
wenn i*r kein ganz unbedeutend- und ulltaglichebObrruViii n- 
wesen int, Oberhaupt je auf eine kurze Formel bringen laßt? 
lind können wir im Ozean noch die Wassct de» Strome* 
nachweisen, wenn dieser langst schon iu ihn eingemündet ist 
und die Strömungen und Wirbel, dk tf hervorgerufen hat, 
mit tausend anderen sich vermischt haben? .Strauß aber 
ist um so schwerer zu fassen, du er ein so k»iupli/.i< 
oder sagen wir es offen heraus: ein aus so «idsnpnohoildflO 
Elementen sich zusammensetzender Mensch gewesen isL 
Stellen wir — nicht um sie zu erschöpfen, sondern nur um 
diis 'hsjij*'.- mil I'm i - f 1 1 ■ ■ 1 ■ !. .ii In-lr^i-n, ein puai von die^-n 
Gegensätzen nebeneinander, wie sie uns sofort bei ihm ins 
Auge fallen. Ein kühler Verstandesmensch, so erschien er 
den Fe rnereteh enden beim persönlichen Begegnen und so 
erscheint er beim Lesen seiner Schriften noch immer den 
np'1-t.'ii; und hell und klar und verstand esse hurf war sein 
Denken gewiß; aber nein Herz war weich und teilnehmend, 
d&fl erfuhren seine Kinder und seine Freunde, Stimmungen 
nur konnten seine Gedanken in Bewegung detxen und gaben 
ihnen oft genug die Hichtung, und sein Temperament ver- 
barg sich z. B. in seinen Streitschriften niemals. Leiden- 
schaftlich war er und zornmütig, aber der Grundton seines 
Wesens war doch nicht cholerisch, sondern melancholis« ■!», 
lang iinchliallfcn Stimmungen und Verstimmungen in 
di«*em reizbaren Gemüte fort Ein Revolutionär ist er 
gewesen, so daß durch ihn das Jahr 1£3£» zum großen Hevo- 
luImnHjahr für die Theologie geworden ist, und eSfl \<<r 
knmpfer der Freiheit, wo immer er eingriff; und daneben doch 

IV ZtefW, Di p». »um««, u. 49 






res 



scMub. 



konservativ hi* in die Knochen, in d*r Politik und 

tu in il-'t Maral, von rinn- ueuon Kthik und dem Reehl 
des Individuums eich auszuleben wollte er nichts wi*j*n. 
Und doch war er Individualist und Ästhet; aber die grüßen 
nationalen und ander lVn|mcrie. auch schon die großen sozialen 
Fragen standen ihm hoher ulx die klemm l.rideuund Freuden 
dos einzelnen Ein Mann der Wr- u-< halt war er und ein 
Dichter, ein Kritiker und nn KümtW zugleich: wo jener 
zersetzte, da baute dieser auf und schuf Kunstwerke, wio 
der Hütten und vor allem der Voltaire eine» gewesen ist. 
Und ein schneidiger Kritiker war er, der verwundeto und 
mb tat; für sich aber mimosenhaft empQndlich und innerlich 
wehrlos wie gegen die Nadelstiche so gegen die Keulen- 
achlagc anderer. Auch von seinem Herzen gilt, daß es 
troUigcMind v r i'[-/.'ivrt.rs l)iiiggrw«stin. Knie gesellige Natur voll 
Menschenhunger war Strauß, heiter und witzig im Kreineder Ge- 
nossen, kein Spielverderber, ein guter Kamerad auch liier; Bad 
dunehen ein armer Kinsiedler, der sich vor den Mcnsu-hrn 
fürchtete und schüchtern und scheu zurückzog und am liebsten 
für sich allein blieb bei seinen Büchernoderbei seinen Gedanken. 
Sti»lzwar«»r und bescheiden zugleich; ein innerlich reinlicher und 
keuscher, am Rande dr-s Genußlebens zaghaft «ich haltender, 
ein geistig subliiruerler, fast naturloser Mensch; und doch voll 
h'ivmi. ,.n ili-r robusten .Sinnlichkeit :i in Irrer, wenn h\> ihm nur' 
ais natürliche entgegentrat, der verständnisvolle Schilderer von 
wilden oder gar wüsten Menschen, wie Schubart und Frisoblin 
gowesensind. Solher ein Kopf, aber ein Freund von Charakteren 
wie Mörklin, von Lebenskünstlern wie Ludwig Bauer oder von 
sinnigen, träumerischen Naturen wie Rapp. Optimist und 
Pessimist zugleich, ein Schmerzensreich, ein (ihe-kl«i.-.ec vom 
Schicksal Verfolgter, der die Zahne zusammenbiß und jubelt* 
So leben wir, so wandeln wir beglückt. 

Woher diese Gegensätze und Widersprüche, deren sich 
noch weit mehrere aufzählen ließen, als hier geschrh' ■ 
Wer will das sagen, wer kann das bestimmen? Das ixt du 



SkhliiU. 



7Ö9 



Mysterium der rtTsönUclikeil. das er selbal für Könige und Rfli- 
giooBstifteranerkannthatund daher gewißauchsichselber zuge- 
billigt hatte. Diese Widerspruche lagen in seiner Natur, sie 
waren Sache der Vererbung, aber auch Folge seiner Erziehung, 
zu Haus durch zwei so entgegengesetzte Menschen wie Vater 
und Mutler es gewesen, und nachher im weltfremd machenden 
Seminar und Stift. Und auch das Schicksal war schuld, 
das durch die Hand der Theologen und der Frauen ihn so 
unbarmherzig traf. 

Aber so voll von Widersprüchen er war und so schwer 
er unter der Zwiespältigkeit seiner Natur gelitten hat, er war 
doch einMann auseinemGuß. Hatte ihn die Natur zwiespaltig 
geformt, so machte er daraus mit eisernem Willen ein Ganzes. 
Wenn er als ein weiser und als ein frommer Mann gestorben 
ist, so hat er das in schwerem Ringen seiner Natur abge- 
kämpft, und was die Erziehung an ihm gefehlt hat, die Selbst- 
zucht hat es gut gemacht. Doch auch hier noch einmal 
ein Merkwürdiges. Der Chnrakterkopf mit den scharfen 
Zügen war zugleich eine schöne Seele, ein durch und durch 
iiNfliriis'lirr. künstlerisch empfindender Mensch. Weil 
aber in seinem Begriff der Schönheit das hellenische Element 
des Maßes und des Maßhaltens obenan stand, sowarCharakter 
und Schönheit doch wieder eins. Die Tugend der Sophmsyne 
war der Reif, der das Gegensätzliche in ihm zusammenband 
und was uns alle bändigt, das Gemeine, in Schranken hielt 
und niederzwang. 

Nur von einer Eigenschaft haben wir noch besonders 
zu reden, weil sie ihm von allen Seiten und immer wieder 
vorgehalten wird, von Trcitschke und Nietzsche, von Hau*- 
rath und Schweitzer: Strauß sei ein Philister gewesen, ja 
geradezu der Häuptling aller Philister, der klassische Typus 
eines deutschenBildungsphilisters. Zuerst von diesem. Guwiü, 
Strauß war nach 1870 Optimist, wir waren es damals fast 
alle. Aus der freudigen politischen Stimmung dieser Kriegs- 
jähre heraus hat Strauß den alten und den neuen Gluuln n 




960 



fehluß. 






I» In Ulli» Gtoftej mr Mi |! mecUaad u edoal, du Steg 

und mit ihm du* Kmh -it v,,nvu erstritten, wi 
und Reich l>i>' jui it.Tiit.ion weiß null wn- UD0, die 

\sir die knisorlasf-, die BChwoMSctU Zeil QOCfc erlebt haben, 
in jenen Tagen (Ins Hera weit aufging, wil um. 
;.- ;'hm! rrfulltf n ittrft ii 1 J Crok nie. leltdem sät «Map, 
Das ist der große Sehnt* von Idealismus, den wir Alteren 
vor dnr Jugend von heut« voraus haben. !>** wnr RSOht, 
wir MflttBaae rn. iiiTj-, philisterhafte Anbetung dea Erfolg», 
war auch nicht bloß der Triumph de« Erreichthaben», soruli rn 
es war zu^h-ich ein Gefühl der Hoffnung und fr*> : 
Bnwtung; wie nach den Peraaritriegen, da c hten wir. mtteae 
nun auch hei uns die Ära eine» perikleitchen Kulturideals 
anbrechen. .Nietuche ober war k«*in PotitiJun und l.-htr 
danml- in der Seh.setz, wu man nicht eben freuudlieh \ 
unserem Sieg dachte und redete: so ist ihm jene» Glück» 
gefuhl Ireind geblieben oder hat »ich doch nicht groß und 
frri in ihm eutwu-keln können. An die Stelle der Hoffi. 
trot hei ihm von vorn herein die Sorge, ob »ich au» di 
deutsclivii Sieg und der politischen Einigung eine einheitlii -In- 
deutsch»' Kultur hn'aMM-nUurkrlri werde, Icli hin heute ge- 
neigt, dieser Sorge Nietzsches mehr recht tu gehen als me. 
damaligen Vertrauensseligkeit, das perildeiselie Zeitalter I 
nicht gekommen, ist heute noch nicht da» und uueh poüt 
hnben wir nicht gehalten, was wir damals um und and< 

verapruch'-n haben. Aber dennoch -e!i .in ■■■ uh mich des Prot 
gefuhl* jrnrr Juhre nicht und ruoehl meiner I 

entwickhing nicht missen, es hat mir bis heul« viel Mut 
und Kralt und Glauben gegeben. Und so komme ich I 
darum auch nicht als Biidungsphilister vor, weder in der 
Erinnerung damals noch in meinem nachwirkenden Opti- 
mismus beute, Was ich aber von mir sage, da» gilt 
auch von Strauß. Weil er «ich der politischen K r rangen - 
i.rhuften freute und sich durch unsere Kulturguter in Wissen- 
schaft und Kunst beglückt fühlte, deshalb war er noch lange 



701 



kein Bildungsphilister. Wenn aber dieser Begriff gnr vollende 
dkm Vorwurf de» Herdentieres und de» Feiglings mit ein- 
schließt: der alte und dorneue Glaube, gegen den sich dieser 
Vorwurf zunächst gerichtet hat, widersprach ja vielmehr 
allen Instinkten der Herde und aller Bequemlichkeit des 
Philisters und stieß darum l« i diosom auf einen geradezu 
empörten Widerspruch und Widerstand. Und ein Werk der 
Feigheit! — Nietzsche hat es behauptet, aber geglaubt hal 
ea ihm keiner, der Strauß kennt. In derStunde der Gefahr, 
im Jahre 1848, als fast alle Welt den Mut verloren hatte, 
hat ihm sein sonst nicht eben wohlaffektioiiicrter Konig, 
Wilhelm I von Württemberg, bezeugt, daß er „Courage 
habe". Couraj?^ hat n- nurh im alten und neuen Glauben 
gezeigt, ein Feigling ist er nie, tapfer ist er immer gewesen. 
Aber ein Philister kfinnic b durum doch gewesen sein. 
Und wirklich i*t etwa.-» daran. Vielleicht liegt das im 
schwäbischen Charakter; denn seltsam! alle unsere großen 
Schwaben, kaum von dem größten, von Schiller, abgesehen, 
dil Dichter wie Unland und Justinus Körner, Hermann Kur* 
und Mörike, und die Gelehrten ohnedies. nhVn voran Hegel, 
dann Baur und Zeller, auch Viseher nicht ausgenommen — 
Ria alle haben einen Stich ins Philisterhafte und Philiströse, 
was natürlich mit der Enge des Sehwabenlundes und mit 
der Verknöpf theit de* schwfibischen Volkscharokters zu- 
sammenhangt. Bei St muß aber kam dazu noch seine Her 
kunft aus dem alten, ordnungsliebenden und peinlicher 
Ordnung benötigten Kaufmannshause. Wie er seine Bilder 
gerne vom Stand und vomGcichnft des Vater* hernimmt, so 
hat er auch zeitlebens festgehalten au Pünktlichkeit und 
Genauigkeit wie im GruüVu KUMT Arbeit, so im Kleinen 
und Kleinston seiner 1,- -heusfuhrung und Kinnnzgpbnrung. 
Das widerspricht nun freilich der Vorstellung, die sieh der 

I »i'Ul:.' Mi" -<|l .IrC l.i.'rfl i|i<) Itltd I IrsilI^pCl'indi' 

vom (i.-itii und von geninlen MftlW&ffl zu i h--i. pflegt 

Wenn es in Kopf und Düsen braust und gört, so soll auch 



762 



- im ;•. 



-!n- I«cben*h;dltiii£ ,, i» r wild«, UM maß- und zügellose »ein. 
Und gar vollends, whih ir und ein Frei- 

geist ist, dann »oll er womöglich Aiirh ein freies Loben fuhren 
wir Schillers fUubcr und losgebunden frei Mch zeigen auch 
von der Sitte und <l< NUengeeeti. Diesem iiMiehen Hild 
de* genialen Hffflth« *ntsr-rach Strauß nicht. Schon 
seine einfach xclüiehto, gut bürgerliche Llrsdieinuug. dir 
ruhige, zugeknöpfte Haltung und Weiss rieh xu geben, 
»ein Sorgen um geordnete Verhältnisse und Üb m trefft b Mio 
Festhalten an dir alten Ktliik. die sich für ihn als oberes 
Stockwerk »tot» von selbst verstand: — da» hat ihm den 
Huf eines Philisters eingetragen. Daß ihm jede» Pathos 
und jedes geistreiche Sichuufspielen, Blenden und Posieren 
widerwärtig war und er es gar noch verhöhnte, die BoUktfata 
Schönheil seiner Sprache, die logisch snuhere Gliederung 
seiner Gedanken und die unerbittliche Dialektik seiner 
Beweisführung» das alle* ooliliel und mißfallt noch ht»ute 
unseren lauten Patrioten und untern geistreich sein wolL-nd^n 
Ästheten. Auch einen Schulmeister haben ihn Hausratl) und 
Schweitzer deshalb genannt. Es ist bezeichnend, daß gerade 
von theologischer Seite das als Scheltwort kommt, bezeichnend 
für die geringe Achtung unserer heutigen Theologenwelt 
vor dem Stand des Schulmeisters, der ihnen das dann natür- 
lich mit zorniger Entrüstung heimzahlt. Aber en Ist wahr, 
Strauß hat etwas Schulmeisterliches, besser gesagt: etwa» 
Lehrhaftes. Um so schlimmer, daß ihn die Theologon ge- 
hindert haben, zu werden, was er darnach halte werden ftollafl 
ein rechter Hochschulmeislcr. wofür er sich ja so glänzend 
ausgewiesen hatte. Etwas „Schulmeisterhafte»*' halte 
auch Sokrates, diese Ähnlichkeit hat Nietzsche ganz richtig 
herausgefühlt Ihm war auch Sokrates ein bildun«n|ihilnler. 
Und wirklich, an ihn erinnert Strauß in der Kunst der 
dialektischen Genprarhsführnng, in dem Zug von Ironie und 
Humor, der seine Gestalt umwittert und ihn der Well der 
Philister so unheimlich und so gefährlich erscheinen ließ, und 



Schluß. 

endlieh in der Gemeinsamkeit des Sclucksals, nur daß man 
heute die Männchen, die man vergiften möchte, nuht mehr 

vergiften darf l.'nd auch & : .t"rhen sind tie heule ;iN 

tapfere und als fromme Manner. 

Damit waren wir I ■■ i dem was Strauß goMlftd hat und 
was er uns anderen gewesen ist. Vorn enttrren hat aber ja 
mein ganzes Buch gehandelt das brauche ich hier nicht n 
wiederholen; und ein Buch Ober die geistigen Strömungen, 
dir von ihm ausgehen oder mit ihm zusammenhangen, wollte 
ich nicht achreiben. Strauß war ein Wahrheilsucher und 
ein Wuhrlipjtfclehrer. Das Eigenste, was ihm gehfirt, den 
Sinn Im- Wahrhaftigkeit wollte er die WÖ1 leim n. Und 
dadurch Klarheit und Helligkeit, Licht und Heiterkeit in 
sie hineintragen, und ihr zugleich eine Fülle von Schön- 
heit, wirkliche Kunstwerke schenken, an denen Btob auch 
die, die sonst seine Gegner sind, erfreuen und erbauen können; 
und endlich auch ein gut Teil eehten schlichten Patriotismus, 
der ihn in einer großen Stunde zum sieghaften Wortführer 
seines Volks hat werden lassen, gehört mit dasu Er selber 
mochte verstimmt von sich und seinem Schaffen sagen, „der 
Baum habe weder die Höhe erreicht noch die vollendete 
Form erhalten, die ihm bestimmt schien, und mache schließ- 
lich doch den Eindruck eines verkümmerten GewAnhiw"; an- 
wenden auf ihn und sein Werk lieber das Wort Goethes an : 

Wir haben alle segenreiüi erführen. 

Die Welt verdnnk' ihm, was er sie gelehrt. 

Ein Lehrer und Erriete zur Wahrhaftigkeit ist uns 
Strauß gewesen, ein Lichthringer und Aufklärer, wie Leasing 
für uns Deutsche, wie Voltaire für Frankreich. I ml da nach 
dem Bibelwort nur die Wahrheit in nnachen kann, war er 
idblt ein Freier und für andere ein Befreier \\i< viele 
sich in diesem Sinn von ihm freimachen lassen wollen, in 
wio vielen oder in wie wenigen der Same aufgeht, du* hangl 
ja nicht vom Sämann allein nb. der ihn ausstreut. Nur von 
mir kann ich es bestimmt wissen und bekennen, daß er es ge- 




764 Schluß. 

wesen ist, der mich freigemacht und mir den Mut und die 
Kraft gegeben hat in meinem Leben, mich in den Dienst 
der Freiheit und der Wahrhaftigkeit zu stellen. In diesem 
Sinn ist mein Buch, wie ich im Vorwort gesagt habe, ge- 
dacht als ein Akt der Pietät und als ein Zeichen der Dank- 
barkeit für das, was er mir gewesen ist. Ich kann über nie- 
mand schreiben, den ich nicht liebe: Über Strauß habe ich 
schreiben können, denn ich liebe ihn und schulde ihm viel. 



Nachwort, 



In der Vor rode habe ich versprochen, hier noch Db*r da» Mat.-i 1 1 
Kochonschuft /.u geben, aus dorn da* Buch herausgearbeitet Ist. Mein« 
llfuiptqtiellen sind die VY>rU:e von StrauU, darunter für das biographische 
der Christian Murklin und dlo literarischen Denkwürdigkeiten von 
besonderer Wichtigkeit, »eine Briefe, gedruckte und ungedruckte. 
und sonst Doch allerlei Ungedrucktes. Was Ober ihn gedruckt ist. 
hübe ich in meinem Artikel „Strautt" im 19, Band der Reulenzyklo- 
I»:»iIh' f im jT<>t*aUtitbcb* Theologie und Kirche, 9, Auflag*. vtfnkM 
Iiir.wiHi-lu-ii int lunit'nVlirh mix Anbiß der FfltOT BflllMI hiinilerl.jlthngeu 
IMmrlsUg* ein wdli rc!' -K'liiii'cMin-knifidl von !• «-.!.■ .-likiln inrd«r- 
■•MiiKri. die ieh nur iiioj/hrh l \ :' ' /-.i vtirluinVii üv..ui-hl 

habe; sie aber hier «imeln m nennen, hat keinen. Wort. Wo ich rtw« 
davon bonllUt habe, ist in dfO AnmntangH darauf vorwiesen. Wohl 
ober habe ich hier Grund, das ungedruckte Material tu verrechnen, 
um dafür xu danken. An die Spllto stelle ich dlo Mitteilungen von 
der Familie, dem imwtschen vmtorbenen Sohn. Herrn Oraermlabd 
nrxt Dr, Fr. StruuU, und seiner Schwester Fmu Oeh. tiergrjt 
Georgine Heutler. geb. Strauß; und nicht minder wirblig die mir 
ruckhalllo». zur Vertagung gestellten Briefe an den Bruder Wilhelm, 
.in die Sf'-hwngorin Frau Amnlte SItjiiiQ und im deren Sohn, «hm 
bekannten BuchhAmll.r DaftU8lrauß. I" /.weiter Uni« gebührt im -m 
Dank Fruu Prufe-axur Murklin, Fmu Direktor \. Kapp und Krau Professor 
Teichmann in Stuttgart und lUrrn Professor KaulTmann In Tübingen 
für die, Überlassung d* Brief, .m diu Freunde Markltn. Kupp.tfchniUcr 
und KoufTmann. Weiter danke ich meinem Vetter Professor Hermann 
Tücher in Ludwigsburg, dor mir ebenso bereitwillig die Briefe an 
'.einen Vater. Stadtpfarror Fischer in Öhringen, zur Benützung hnt 
zukommen lassen; und endlich Herrn Dr. Wilhelm Lang NU dm 
Cberlnsming der wertvollen und ttttMMIlftU Brief* TOD BtmuB Ifl 
ilm. Strjuflens Ilnefe an Professor BledHYQfcOn ifl Urteil v#r- 
d:uike u-h d< e -;uii iIih lli-mi Dr in 1; rhu. dir B&l Hin- 

aus soiuem Besitze freundwillig ubgMr»d*a hui. Der Bindersche Nach- 
laß stand mir natürlich ohnedhw tu Gebot Dazu kirnen dann 
Brtefe Auf dm Kbliothi k«l) in StraUhurg UDI * StulLgÄrt und gant 



766 



Nachwort 



besonders sahtfeteh im Jahre der Stroufc- Ausstellung im8chUlflnms#tjin 
tu Mar back; auch die 15 riefe vou Strauß an da» Stuttgarter Ar 
■regen de* Fnvhlin dürft« ich einsehen. Den VersraKungrn aller d»r»*r 
Anstalten statte ich für ihr« Dienst Willigkeit auch hier jr**zi*-inr»<lcu 
Dank ab. Eb«mo den Redaktionen de* Schwabiachrn MVrkur und 
des Beobachter« in Stuttgart Wnt#rs* Matr-njl «erschafft* nur 
vor aHein mein Freitod Df. A. Baunatal*«*, Dekan in L**wtg*burg: so 
oft ich mit ineinen teilweise recht weitgehenden Fragen und Wün*.cheo 
in ihn tum, fand ich bei Ihm immer ein offene« Ohr und K-rtUwillig-ste 
Unterstützung. In Tübingen bin ich vor allem dem Ephor« de* Stjfu, 
Herrn Professor v. Budcr. und Herrn Professor Bober als Dekan der kmhn- 

i.-.. i. ih. .!.../!■., tun WnüiW tu lebhafton Dank vorpftiehli '. ■ ■ v.i .-t, 

rückhaltlos und in zuvorkommendster Weise mir Kiusiehlnahme in ihm 
Akten grata tt et und mein«- Iti.mi ]>< MniMnr'. i ; abMM seinrnett der 
Senior da» Repeletitenkall.yiiiiM- im Stift, lUrr Dr. Karl Hartman». 
Auch der phil(»nnhi*rhmi Fakultät in Tübingen hin n h für dkl Zu- 

inlunjr •!■ ■ .; wunv'hl'Mi Akt.-iim.it. ri.il« I Unk v: huldig. Ojiix besonder* 

verpflichtet »lmr hin ich drm wtirücmbergi>che,n KuKu.mimxler, Y.x- 
telleni von Fleischhauer, der mir auf mein Krauchen wertvolles 
Material zukommen Ucü. ohne lrgOüdw*4abo Heduiguag daran zu 
knüpfen: Ich weiö die-ie* Vertrauen und dlnen Akt unbefangener Groß*. 
herzigkeit in seinem Kamen Werte zu schätzen und sproche Ihm auch 
an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank am. Endlich durfte 
— tafD Freund, Herrn Oberstudienral Dr. Julius v Hartmann. 
buwnhrt--n KttMT von Würtlcmbcrgira, in allerlei Verlegenheit an ■ 
Nöte.» um Hat und Hilf» angehen. — Ohne solch. ' ». Mtützung 
vielen Seilen hiiLtn ich mein Buch nicht schreiben kennen, 

Mit eiiifehien Kritikern de* ersten Bandes dieser Ihographtt) 
mich hier aizsein;inderzu»eu.;ii. dum »ehe ich keinen Grund und hab« 
ich in diesem Augenblick keine Zeit, Wenn derselbe ein* iwmU \uJ. 
luge erlebt, soll es an mir nicht fohlen. 

Nochzutragen habe ich rum ersten Hände dreierlei: t. lu drin Im 
Vorwort S. X tiesoglen. daß ich auch fünf Jahro (1871— ts?6) ,i 
Kantnn Zürich gelebt und hier nicht nur den Schauplatz, auf £sj 
sich der Zun putsch abspielte* sondern uueh eine Keine von lUttnlaJ 
hei diesem r>rnniii persönlich kennen gelernt habe; t. ?u 8. 46 
ich darauf aufmerksam k'"»-»"''!. daß der jüngere lU'tigel. zu Slraußci 
Zeit du* Haupt der ullon Tübinger B< ("de. nicht de» Knhn, fön de i 
der Enkel des berühmten Johann AUirecht Rcur«! $••* ., tl m | , M 
endlich lasse leb 3. m dorn auf B. 11". und IM I rw.ilmten Vomoh ^ «n 
SlrnuU, nach dem F.rscheincn des I^hens Jesu an dar Hfl 
in Heidelberg anzukommen, füllenden inzwischen in oUaffl 

Zeitung veröffentlichten Bnef von ihm an Daub hier im Wortlaut folgen: 



Nadnnrt 



767 



Hochwürdigor Herr geheimer Kirchenrat ] 

Es sind eigentümliche Gefühle, mit denen ich nuch so langem 
Stillschweigen wiederum die Köder ergreite und 7.11 einem Schreiben 
an Sie in Bewegung wliv. Denn so sehr ich mich noch immer im Geist 
mit Euer Hn.-iiworden einig weiU. so gewiß gl.-iuhi i'h zu whuen, duß 
ich durch meine Schrift Ober du Leben Jesu, sofern Sie von derselben 
Eiiimrhl genommen haben nollten, Ihr Mißfallen mir zugnmgi'ii habe, 
l.-'ichl k.iun fr- ihcb eine Kritik, wn ich in der grdui hten Schrifl m*' 
Ulm. als untliimlngMrhi und profani- recheinnn: aber für nijrh r>. t . 1 ■ 
nur dt-r UV« xnr v|n-U ul;.ti v«-n DOgMfttflt, dio dialektische Vermittlung, 
durch welche dio blbliMihe \ omlellung hindurch inuü. um lum Begriff 
zu werden; Ich »«he kern Auferstehen der Idee, wenn nicht die Historie 
zu Grunde gehl. Ich weiß wohl, daß nur dieß von Seilen der Schule, 
zu welcher Ich übrigens mich rechnen zu dürfen die Ehre hübe, als 
Rückfall in den Kun tuschen Standpunkt, wo die Idee nicht zugleich 
-dion Wirklichkeit i«t» mm Vorwurf gemacht werden wird, aber ich 
bin so kiilin tu !.. lump!-'... .I.ili • ■;■ .. -. li. -II . ndinuchen dm NrgaliviUt 
gegen diu religiöse Vorstellung nin ebenso riuthwendigr-r T>tirchgangi 
proteß ut, um r.iim christluh- theologischen Absoluten r.u wboigen, 
ab seiner Zelt die Phänomenologie notig war. um du* Abvoluto dar 
Schelhngschen Philosophie wissenschaftlich ru vermitteln, — wobei 
ich jedoch, wie bieh von solbst verstoht, nur don in meiner Schrift 
betretenen Weg im Allgemeinen im Auge hnbe. die Aufführung im 
Einzelnen mit der der Phänomenologie auch nicht von fern zu ver- 
gleichen die Anmaßung haben kann. 

Doch wozu alle diese Reflexionen, die Kuer Hocbwnrden entweder 
soll»! schon gemacht haben oder, wenn ich »ie auch liier vortrage, 
drßwegi'ii doch nn hl geneigter sein werden, si« •inxurflumen? Kurie h 
fBMgt. weil mir In |UfMWIft|gBin Augenblick hWHIfHMl viel di.1,111 
liegen muß, Ku<-i Hoch wurden iu keinem tu ungünstigen lachte zu 
erscheinen. Ich habe uiinilich infolge der Herausgabe meiner Schrift 
meine Stelle als Repetent am hiesigen Seminnr. welche mir zugleich 
das Halten von Vorlesungen an dor Universität möglich machte, ver- 
loren. und bin an ein Lyceum als Hulfslehrer versetzt worden, — eine 
NMI-. die meinen Bestrebungen ganz entgegen ist und die ich im 

i\Ui 1. ;i. 1» h.tI .1 untn ton 10U 

Natürlich -buk- ich nun .111 ein l'nterkommfl U •'"• I auswar- 
ügMi Tmiveputnt, und zuerst muß mir du Heidelberg einfallen, wo eh 
in der PWOO A«a Herrn il-hemien KircbenraU Daub sonst emen tlftnncr 
hatte — ob noch JtUt, ihr; kann Ich fi eiluli nicht wisaen. Aber Ich will 
'•. einmal versur .heu und sehen, wie ich noch vor Ihr Angesicht kommen 
darf. Sind Ihnen dio Orundsatzo meiner Se.hnfl twelchr aber hier nur 



788 



HtdgraL 



nach »hrwi gleichsam unUrsdn. Ußm - röcheln «, wahrand si* 
nben in ein Gebiet «ch verlaufen, wtlthe* mir mit Eoer Ilorhvrürdta 
gemeiuschuftheh isti nicht m sehr cutgugen. so werden Sic gvwiD, 
dieß laßt mich Ihre mir immer bewiesene Oute hoffen, »fern rieh in 
Heidelberg «ü>« anstAndigt Slcllung für mich Anden helle, mir gü' 
Auskunft erteilen und Ihren Einfluß xu meinen Gunsten verwende«. 
An Herrn Geh. K)rth«orat Paulus, der meine Schrift u . bc 

uri. ilt htt* la»M> ich ruglen-h nn Schreiben in derselben Angebgflnlki I 

Kntnchulditfdn Si* nur die Freiheit, diu ich mir genomm-n. ,. 
.!■ uihrgre litte Zutraue», il«« mir In- v.M rli. h« * in-.* gtJpM im b 

Ina. iiml v<m Im die Versicherung uoT*rand«rt*T 

Klirfurcht, mit wskher ich bleib« 



Kuer llminvurdffl 



ergebenster 

Dr. Strauß. 

Tübingen. 11. August 1S35. 

Dan dorn ersten Bfllld VOftOffetelHl Bild Mamml au* dem Jahre 
193?: es war fordie „Kuropa" l>«xtimmt. Oberda* fühl vi.r de m iweitea 
Band gibt fin Brief von Strauß an Brost HM6k*] vom i:. AuguM tKT.'i 

AiifschluB. DieHtelleistiugleichforStraaBens&ttiiuii.: Ina u Beta 

socharaktorUÜsch. d;iü sie hier nicht fühlen darf. „Besonder** 
habe Ich Ihnen noch fürdie Retgabe Ihrer Photographie", schreibt er. „ tfa 
mir hoch willkommen ist; aber was werden Sie sagon, wenn Ich Ihr-» 
Wunsch, dagegen die mewtge ru bekommen, nicht erfüllen kann? 
Am besten, Sie lachen darüber, wie ich selbst; in ganz Stuttgart — 
wo irh. da mein Vorrot erschöpft i*t. meinen Sohn beauftragte in den 
Kunsthandlungen nachzufragen — i»t eine Photographie von mir 
nn ht 7ii finden, Sie sehen, der °n manchen RibrHprudh wankend 
gemacht hat, muß doch den vom Propheten, der in der Hei mit nichts 
gilt, lieatAtigen* Zum TWI bin ich wohl Bolhsl '-(■huldig, da leb 

im i'.ruii'li' nur »in mal habe phcdngr.»pln.!roii li-'n. n.iiiiln !i 
Jnhrru bei drm Hnfphologrtiphe» Günther in Berlin. An de« ich nun 
h Bit \rrwm*rn muU. Verlang" n Sie die AufnAhOM mit dem Buch — 
dir luli.im meine Freund Mi dl« b«sora." Kür diu rU'produktiun 
schien mir und mein, tu Hei rn \ erlog« da» gletchceltig entstandene Bild 
ohne Buch geeigneter. 

Straßburg, »m 10. November tftOU. 

Theobald Z i e g I e r. 



Namenregister. 


Ahnbrd Hl IM. 267. 283. 308. 414. 538, 


AdoniH 12«. 


576 ff.. 579. 586. 595. 596, 598 IT.. 


\i:iiri)l:i Ļ0. 


(01 f.. 618, 761. 


AHttTt, I'nn/tNiimlil von Kny. 


Bayle, Pierrv J57. 358. 


662, «58. 


BtttbOttt Mi 470. 624. 530, 713, 


Alice. Printc&aln von H«tf:i 652 fl. 


714. 715. 


655 f.. 664 6;4. W. 


KHIini. M.ilir 4M; KMtiipiMii-: :;m 


Andersen X 1 v 


B'-li;v (Juttlirh 41.. 


Andrea 555. 


Johann AHiri'rht . .' . 203. 


Angelus Silmiin 351. 


Berllchin«en. GM* von 694. 


Arndt. Bm*l MopiU 415, 626. 


Bernstein 641. 


Arndt, lob, 127. 


Bettina 407. 


Au#rbwJi, Berthold 473. '.85. IM. 


Bender 573. 


Aomwald 444. Uotenua 387, »197, 698. 722. 73t. 


Aiiffuitin IM« 


KaWaU 140. 




; Hiw,ky XI11 


BAAiter. Frwnx vod 207. 


Bladar. OutUr, Prtüda! 26 f., 32, 


Bach. Jiili.mii HttluiKliiiti »8. 713. 


33. 34. 40t, 44. 49. 51. 52, 65. 


BacmeuUor. Albert 15. 60 1.. 103. 107. 11t, 114. 132, 


Bahninnicr 240. 


170 1., 190, 211. 213 IT.. 264, 401. 


I'.ihr 240. 629 f. 


562. 574. 605, 737, 738, 742, 743. 


Bahrdl 139. 621. 


744 1, 


Ki rn um 469. 532. 


Professor 747. 


Butlfnlmritr 426. 


BUmarck 426. 519. 644. 645. 648. 


Bii-inv, Bruno 210. 250, 254, 335. 


6*vfc 707. 


»56. 357. 


Blum. ItnlHTl 443 f.. 4*5 f.. 44*. 


Bauer. I.iidwijr, 43. 41«, 489 IT.. 


Rlunfedili 306. 314. 815. 633. 721. 


504. 521. 758. 


Boclch 646. 


Btumiriirtfii O.ruxius 208. 


B ddDf, Eduard 5-41 IL 


Baue I-Vnluund ChnMiau 22 f. 


Boettttmmtf 


40, 48 f.. SO, 54. 109. 115, 140, 


Boger 544. 571. 642. 


141, 143, 163. 16S. 166. 167, 168, 


Böhme. Jakob 42. 44. 50, 56. 42, 


181. 197. 216 IT. 219 f. 221 fT.. 


90 



770 X*m 




BreiUchwwdt 14. 15. 33. 


Dr*y 16. 


ohadte Itfc 1*0, 146. 169. 


ThiW Raymond 716. 


206. 653. 


Dulon 630- 


Brockt« 58fl. 


DVMte 105. 492. 


Brock hau« S21. 


DOrcr XV, 9* 


.-, Oiordüiiu 720. 




Büchner 695. 702. 


Eb, Fr»ulc.n 528. 


Bahn* 24. 


BfanWd 616. 


Bimsen, Robert Wilhelm 317. 540. 


Bchtermerer 212, 356. 


Bunsen, Josiu Ritter von 541. 


Bold Samuel VII ff.. 526 f.. 751. 




Eichhorn 140. 166. 169. 


Califfula • ' ' 


Kppaf M 


CarovA 105 f. 


Kl rt0«r. Ii*inalr*t 753 


Carnar* 723. 


HlBIrr. Fanny 103. 


Canions 524. 


Elsmir. Heinrich 316. 


Catull 737. 


Biwert 264 r.. 286. 290. 


«>!:•..- 129. 135. 


Erosmus v. Rotterdam 000. 510. 


Cham i.w 103. 


Krhardt. Karl 26 f. 58, 59. 


Christheb. Dekan 434 f. 


Bschenmayer 41. 77. 89 II. . 93. 119. 


Christoph. Herrog v. Württemberg 


122. 202. 205 f.. 216, 235. »;n.. 


ii 


237 f., 256. 25*. S32. 504. 


Cornwillu, Mario 652. 


BwtM 567. 617 


Comaliua Napo» 736. 


Kvth, Eduard 5731. 


Corrodi 295. 


— Man 17. 574. 


Cruaiu», Martin 501. 504 






»••ebner 698. 


Dithlmnnn 406, 542. 


Feuerbach. L 335. 336, 337, 357 ff.. 


Dante 327. 


534. 687. 694. 698. 


Darwin 677, 692. 693, 606, 099 f. 


Pichte 95, 103, 141, 248. 7t«, 746. 


701. 702, 723. 737. 


Fischer, Hermann 754 


Daub 102, tOfi, 327 ff-, 331, 343. 


— Stiiilipfiirrrr 532, 559. 5*0 f.. 


HS, 532. 621. 701 


571. 572. 


Duumer 336. 


— Kuno 506, 514. 533, 534 ff . 


Demokrit 70S. 


537. 538, 539'.. 545. 547. 554. 


Devriont, Ludwig 103. 


671. 573, 580. 581. 680. 632. 684, 


Diderot 651. 


667. 700. 724. 737. 742, 749, 750. 


Dilthey 641. 


PUtt 179. 191. 


Diesterareg 641. 


Plnckh 572. »74 


Diogenes 709. 


Förster 95. 


Dittttnherger 532. 


..Krau in Forst" 671 ff. 


Dobelrnann, Eva Koaina 4, 5. 


PrsuaimUdt 836. 677. 


Dovn, Alfred 72». 


PnUfcjrtti) Wt 



NanienrrKi»t*r. 771 


Friedrich lt. .1 Grotte 337, SO«. 


Oumprecht 641. 


646. 651, 052. 656. 659. 


(Mndtivdi 407. 


Friedrich 111 . Kaiser 653. 654. 


Chltskow 1'»9, 239, 283, 406. 415, 


Friedrich. Kaiserin 652, 653. 65'.. 


473. 484. 485. 


SM, ::t; OwtOMT 677. 


Friedrich I.. König v. Württom. 


tmg «3. 


M.ickh 435. 


l'n.-dnch. Murkfcraf v. H*d*«n 552 Hncckel 677, 693, 718. 


Frlodrich Wilhalm IV 205. 246, 


Ilailand 504. 


294. 317, 359. 413. 414. 417 IT.. 


Hallberfter 213. 


432 IT.. 515, 643. 


Hamann 407. 


Fricw, Maler 540. 


M.mdel 538. 713. 


FriBchlm. NikodemuK 49". 499 IT.. 


Il;iikxi'iii;iitit 433. 


502 ff-, 505. 506. 507, 508 f.. 514. 


Hiipdi-gK IH W. 


516, 517, 518, 553. 555. 574, 605. 


Kurden 422. 


61», 758. 


Hurloß 202, 207. 


FnUsch« 157. 


Harnack 197 


FQOli 296. 


Harrttu* VIII IT. 




Hartmann. Kdunrd v. 677, 723. 


Cabler 195 f.. 210. 


Hase 105. 131. 133. 154. 616. 


O/niü 51. 


Hnuber 52, 732. 


Ovlier, Heinrich 317 t. 


Huuff. Prof U M 


Georgi» 38, 107. 


M.niir, G. F. 107. 


Gerber, Karoliiie 527 f.. 532, 573, 


H»UK. Fr. 491. 


575. 576, 732. 


H;ni*r:Uh. Adolf VI II 11,91.228,288, 


Gitmk 566. 


289, 319, 320, 321, 457, 526 f., 597, 


Oorvlous 406, 536 IT., 539. 545, S47. 


604.606.627.629,630,636,759,762. 


550. 573. 575, 631, 632. 649 f.. 


llAUMer 540, 573, 577. 


660. 667 


Uaydn 530. 713. 71V 


v. Opßler 56». 745. 


Hiiym. Rudolf 249. 522, 543 f. 


OUdston 725. 


IIorvUI. 50 fT. . 55. 60 f .70,80.83.87. 


Oluck 719. 


89 f., 93a.. 10Ä. 111 114 (!.. 118, 


Goethe XIII. 239, 241, 279, 401. 


124. 131.134,138. 141. 145. 147. 


407. 462. 469, 494 f.. 504. 610, 517. 


191. !••',. 2»<O>0.231, 233, 238, 239. 


538, 550, 551, 552, 553, 554, 632. 


242, 246.248 IT.. V 1 lf .257. 264.272. 


657. 672. 676, 686. 707, 711.713. 


275. 326. 327 f., .133 f.. 335, 336. 


71 i. 716, 716. 749, 751.755. 763. 


337 f.. 342 1.. 345, 347.348, 351,352, 


GOrro» 242. 


353. 356. 358. 359, 425, 584. 585, 


Göschel 210, 250. 350. 


621. G90. 691. 694. 697, 698. 700. 


Ortf* 575. 640. 


701. 701. 706, 717. 755 f.. 761. 


Orir buch 266. 


Hoidel, Frftulein 532. 571. 


(lruu«wii '*'., 102, 103. 


Il'iii« -■::''. '.()••., 4UT. 



772 



Namenregister. 



Helfferich, Adolf 575. 

Helmholtz 724. 

Hengstenberg 207, 208, 218 ff., 228, 

235, 246 ff-, 250. 257, 282, 624, 

634, 637 ff., 681. 
Henning 97. 
Hentges 468. 
Herakles 126. 
Herbat 86. 
Herder 550, 713. 
Herwegh, Georg 359, 407, 412, 413, 

467. 
Heß 595. 
Hesse, Eoban 518. 

— Hermann 17. 
Hetech 532, 541. 
Heyne 23. 
Heyse, Paul 686. 
Heusler, Bergrat 640. 
Hirzel, Bernhard 315. 

— Kaspar Melchior 292, 297, 299, 
300, 302, 306, 307. 

— S. 679. 

Hitzig, Ferdinand 226, 227, 264 f., 
290, 291 f., 302, 313. 

— Kriminaldirektor 103. 
Hoffmann 426, 434, 436. 

— Wilhelm 202, 205. 
Holzer 493. 

Hölty 646. 

Holtzmann 165, 168, 174, 197, 198, 

596, 605, 625, 633. 
Homer 212, 274. 
Horaz 737. 
Hotho 97. 
Hoyer 491. 

Huber, Johannes 724, 728, 736. 
Humboldt, Alexander v. 406. 

— Wilhelm v. 524, 707. 
Hürlimann-Landis 298 f., 301, 307, 

308, 315. 
Hütten, Ulrich v. 497, 506, 508 ff.. 



514, 516, 518, 519, 520, 541, 547. 

553, 556, 564 ff., 568, 605, 613, 

656, 758. 
Hütten, Hans von 509. 
Huxley 693. 

Jacobi 622. 

Jager, Ephorus 37 f., 91, 92, 120. 

Jahn, Otto 542. 

Jmmermann, Karl 52t, 522 f. 

Jolly 573. 

Josephus 254. 

Jsopi 524. 

Julianus Apostata 417, 419 f., 422, 

423 ff., 515. 
Jülicher, Ad. 174. 
Junius 423. 
Justi 736. 

Kafcrlc 400, 677, 679, 752. 

KalthofT 630. 

Kamphausen 433. 

Kant 40, 42, 51, 115, 117 f., 141, 248. 
327, 328, 345, 621, 692, 693, 
700 (T., 704, 705, 706, 718, 728. 

KapfT 24, 203, 745. 

Karl, König von Württemberg 745. 

— Herzog 495, 508, 523. 
Kauffmann, Marie 669, 670. 

— E. F. 58, 227, 378, 385, 390, 
392, 401 ff., 405, 464, 667, 668, 
714, 715, 749. 

Kaulbach 736. 

Keim 595. 

Keller 298, 306. 

Keppler XIV, 499. 

Kern 22 f., 40, 48, 55, 168, 202, 

206, 216 f., 517. 
Kerner, Justinus 3, 41, 43 ff., 50, 

56 f., 268, 289, 390, 392, 397, 

416, 420, 489, 499, 515, 521, 554, 

579, 586, 713, 761. 



Namenregister. 773 


Kerner, Theobald 580. 


■ nowiky 4M. 


EU« U. 


Liebmann, Otlo 700. 


Kleist, Heinrich von 718. 


l.ioblrr 504. 


Klett 468. 


Last, Friedrich 416. 


KlopMnrk 549. 550. 551, 552 f„ 


Ltet 529, Ml 


556. HS, 


Lochtf 589 r. 


Kim/, v.u. 63«. 


Lofluiid 105. 


KiiMpp, Alb-rt '.'t2, 240. 


IäUo 67? f.. 702. 


Koch, Joseph 524. 


UlCkS 283. 


Ko»enlt, von 101. 


Luden 105. 


Küstllu. Kemhold 259, 368 f.. 382. Ludwig. Erbprinz v. Heuen 08% 


Kontlm v. 558. 


..... 6S4, 55«. 


Kraus 33. 


— llerrog v. Württemberg 502. 


Kugler 103. 


Luther M5, 127. 240. 321, 4M. 


Kulm UO. i45. 


609, 51». 51«. 547. 54H1T. 


KuinAl 155. 


686, fite. 7'.J. 


Kuii/.M 406t 491, 572. 




Kurz. Hermann 16, 84, ;36, 761, 


Magnus Eduard 641. 


— Isolde 84. 


Mahrlen 260. 




Marheineku 95 l. 97. 100. 102, 104. 


Lnchner 714. 


105. 113. 180, 209, 210. 


Unnettrie "05. 


Maxkim. Christian 25. 51, 69 ff.. 


Undrrcr 292. 5;8. 


94, 99, 107. 108 f.. 190. 111, 


Lang. Ih-inrich 7J& 


114 f., MO, 888, 374. 8W. 392, 


— Wilhelm 608, 620. 


399. 400. 417. (64 IT.. 467 f., 489, 


Langt?, Joh. Peter 205, 316. 


021. 749, 75». 


Lütge Friedrich Albert 678. 698, 


Man 424. 


;oo. 


M.iMiini' 419. 


Laplace 692. 


Mayer. Robert 694. 


Lflppcnherg 552. 


Mehl 260. 


Laub*. Heinrich 325. 406. 415. 


Mehring 557 f.. 560, 564. 


.::i. 


Mendelssohn 715. 


Leihm* '*>• 


M bnL Wullgang 207. 235, 236. 


Leibola 358, 359, 


238 IT.. 2411T., 257 f.. 260. 3*1«. 


Uo 207. 


405, 440, M7. 55», 750. 


Leasing 9. 103, 135, 258, 259, 281, 


Mmk 510. 


313, 353, 603, S23, 538, 560, 551, 


Metz {Politiker» 661. 


552. 553, 556. 576. 584, 586, 636. 


Meyer. Julius 540, 571. 


1.M.660, 711.713. 714, 728. 742. 


Meyerbeer 381. 


74», 754, 763. 


Mlkach 381. 


I.riiiliv, Johann J.ikob 320. 


Mohl. Robort von 40 ff.. 121. SOI, 


Lawald 641, 667. 


538. 540. 


Tb. Xttffitr. D< fr SiruO. IL n 



774 



Namenregister. 



Monier 49, 367, 670 

Moleschott 695. 

Moltke 707. 

Mommsen 418. 

Mörike 3, 37, 43, 46, 55, 489, 554, 

713, 736, 761. 
Moser 34. 

Mozart 94, 470, 538, 713, 714, 715. 
Müller, Julius 207, 235, 252, 253 f., 

256. 

Napoleon III. 661. 

Napoleon I. 279. 

Neander 99, 104, 207, 227. 266. 

Neumann, Karl Friedrich 471, 641, 

667. 
Niebuhr 405. 
Niedner 583. 

Nietzsche XI, 83, 734, 746, 747 f., 
■ 749, 750, 751, 759, 760 f., 762. 
Nippold, Fr. 721, 724, 72G. 
Nöldecke 423 f. 
Novalis 263, 417. 

Olshausen 135. 

Orelli, Kaspar 292, 293, 302, 307. 

Oslander, C. F. 134, 234, 363, 

581. 
Oslander, Prof. 206. 
Oslander, Lukas 555. 
Osiris 126. 
Origenes 88, 206. 

Papias 331. 

Pappus 555. 

Parmenides 115. 

Paul, Jean 372. 

Pauli 736. 

Paulsen 698. 

Paulus, H. E. G. 21, 135, 137. 138, 

140, 154, 155, 156, 208, 243, 257. 

299, 531, 621. 



Perthes 317. 

Pestalozzi 293. 

Philo 254. 

Pfister 295. 

Pfizer, Gustav 21, 26, 33, 54, 55. 

— Paul 418, 432, 434. 
Pfizmayer 28. 
Phlegon 154. 

Platen 755. 

Piaton 115, 269, 736. 

Pius IX. 741. 

Preuner 532, 544, 571. 

Preuß 651. 

Prevorst, Seherin v. 44 ff., 56, 111, 

268. 
POckler-Muakau, Fürst v. 325. 
Pythagoras 604. 

Quiddo 422. 

Radali 540. 

Ranke 748. 

Rapp 81, 354, 364, 369, 373, 385, 
390, 395, 399, 400, 535, 541, 544, 
549, 556, 557 ff.. 560, 561, 563, 
564, 571, 591, 661, 667, 731, 734, 
736, 737, 738, 741, 742, 743, 752. 
758. 

— Frieda 544, 574, 671, 739. 
Raphael 274. 

Raumer, Friedrich v. 641. 
Rehfues, Philipp Joseph 521. 
Reichlin- Meldegg, v. 531. 
Reimarus, Hermann Samuel 135 ff., 

136, 139, 414, 417. 582, 583. 584, 

595, 619. 651. 
Reischle. Max 613. 
Renan, Ernst 590 f., 595, 609, 660 f., 

663 f., 666, 675, 725, 750. 
Rettig 264. 

Reuschle 677, 696, 711, 737, 742. 
Reuß, Ephorus 21 f., 33, 34 f., 38. 



Namenregister. 775 


1 ;, whrr. I.udwijr 4*0 




Schenkel. Daniel 624 IT.. 627 ff.. 


P l*r, Friedrich ti'., '209. 




630 IT.. 638 flU 036. 038, (.'.:. 


Rfafev (M, 5O0i S5Ä. 




«■.73. 680. 721. 


R..W, W. -'.69. 




lM-rr. Thornsa 293, 294. 295, 298, 


RiUi-hl W, 349. 




301 f.. 314 f.. üä, 318, 320. 


Rilt.-r. Charta« 660, 666. 




Schick, GOttiMb 524. 


Rillnr, Karl 9:, 406. 




SchUliT 19. 494. 549. 550. 551. 552, 


Rohr 208. 




E$6, 686. 709. 713, 714. 715, 741, 


EU i r. Friedrich 411. KU, 


54 r. 


TG1. 701 


R.vs-nkrani 123, 12'. I„ 138, 


210, 


Schlayor 193. 


MO f.. 272, 651 




hkgd, August Wilhelm 141, 199, 


Rothft 262. 628. fi.".'.. 




521 f.. " 


Hulc.'iis 171, 




— , Kr 1.1 


Rubiuiiiifi, CrntuM 518. 




ftrlilniiTitmchnr 48, 49. 50, nS f., 59, 


ROi k'Tt :;M 




89, 94 f.. 98. 99 IT.. 104. 118, 131, 


Ruftifc. Mulmnus 518. 




133, 138. 140.145.155. 166. 191. 


Ruk*-. Arnold 212, 356. 629. 




199. 242. 276, 277, 283, 306. 326. 


Rüinehn, Gustav 85. 562 ff.. 


569. 


327. 328. 329 f.. 331. 334. 335. 


— Pul- von Bbtnl H 




33«. 339 f. 3'.:.. MB, 347, 349. 


Ruoff, Senator. Großvater 4 


. 10, 


351. 353, 400. 515, 614 f., M9 fl , 


11, w. 




632 IT.. ttti 683. «38. 690 f., 701 


— Ook«l Uli 528. 




:viii-r: vor,, v.o. Mio 


— Vetter 47t, 732, 742 f. 




BchnM 49. 217. 


— Mari* 668. 




^ J, mi.lt, Adolf 651. 


ROtMdk 619. 620. 




Sihmoller. v. 708. 
8ehneckr>nburgcr 49 f., 93, 168, 169, 


Äainto-Bouvo 660. 




227. 26'.. 


Sniippe 529, 




BdudtUf 356, 390, 392, 403, 464. 


8»iilier 227 




Scholl, Adolf 528. »9, 607. 


Sr.htirffimstein 24. 




.Schnpmihniier «77, 089, 690, 098, 


flchftrlel (Vischer) ©31 r. 




704. 723, 736. 


Schnrtunmoyer (Vinclior) 3, 334. 


Schott 40. 


Schefer. Leopold 




Schrempf, Christoph 79 f., 82, 83. 


Schebat, Agn« SSO. 368 IT.. 378 IT.. 


Schulart 43. '.(■;. 491 ff.. 494 IT.. 


380 IT., 391 IT., 393 ff., 396 IT.. 


497. 498, 499, 500. 503 IT., 506. 


402 f.. 405, 414, 458(1.. 4G4. 


471. 


507. 508. 514. 523, 548, 553, 555. 


472, 4831., 486, 491, 505, 


528» 


605, 613. 758. 


530. 573, 667. «73. 675. 731. 


Schubert. Fr. 715. 


Schelling 41, 42, 44, 46, 50, 56. 


105, 


Srhufacrt, G. II- 406. 


141, 142, 249, 927. 328, 


«4. 


Schumann 714. 


755. 




Betank (tat** 49* f. 


Schell. BtHMSfl 289. - 




Skhwf-Kl" 221 f., 414, 417. 515 



HaacantfitaB, 


Schw*itrr-r. Albrrl VIII. Kl f.. 1 '.. 


Strauß Johann Friedrich. Ilrodcr \ | 


196. 154 IT.. 456. 313. 584. 595. 


— Wilhelm. Bruder 11. 13. 361. 


59*. 602. 603 f.. 009, 610, NS 


Wtot :t:9f. ;ih?. 197, 413. 472. 


71% JM4 :59. m 


525. 529. 530. Ml. 57.*. 


fkh«Y»ir«r. Aloxamlcr 290, 196. 306. 


'Mi. :.mv ft. SM.iM.48ih 


. . mm., 63*. 


652. 676. 710, 740. 


8#^»r M, 443. 448. 449. 


— Eva Ftwinu s*b. Dotolmon». 


S«d!iTi 724. 


jfoßmuttM 4, 5. 


iipör 724. 


— Christin« Maryaralfc«: gib. /-im- 


BhAkmpMir 10S. S3R. SSO. 


mrrmnnn. üroUmuttrr 5. 6. 527. 


Sicherer 403. 525. 572. 678, S"9. 


— Kaibarina geb. Bwk. Kul 


SK-kinR^n. Fram ron 510, 518. 547. 


6 ff., 12. X IM f.. 


Su-fT-rt IM, IM. 


389. 393. 525. 527. 528. 572. 587. 
589. 669, "•'». 


8)H. Kmili" 260. 307 f. 371. 471 t. 


47U. ÜOHff. 


— FriU. . .-1 f., 484. 4M. 


— , Ffjirr.ir 260. 


527. 528. 529. 530, Ml. 


Siffwjrt .1. Ä., I'rot. in TtU.inßen 40 f. 


538, 544, 555, 559, 571. 572, 573. 


43. 90 f.. 93. 118 ff.. 12t ff.. 1*0. 


574. 576. 640. 642. 649. 669. 7»l. 
733. 737. 742. T&2. 
— Gtoffino. TochUr »95. 471 f.. 


504. 


Slmaon, Job. Baptist 53. 


Simon. ProfeMor 753. 


484. 486, 527. 528, 529, 630. 


Sokrat« 269. 686. 740. 762. 


533. 534. 538. 543. 544. 556. 559. 


Sophoklm .198. 


561.571. V: 676, 576, 640. 


ßpinow »9, 340. »45. 347. 352. 621. 


642.652, 731. 738, 742. 


657. «91. 698. 


- Fri*d«rikc Tanlo 363. 527, 52«. 


öpntl.T. LaMfc TteoUw 117. 


— Brrnhanl. N«fl« 572. 587. 


523. 543. 550. 562. 


— Bali, WITo 572. 587. 590. 


Springer. Anton 421, 423, 425. 


Streicher. Barbara 493, 495. 


SUio, FnU 672. 


Sturm. Johanne* 500. 555. 


8t*ub, U 470. 


8ybcl 608. 


Öteudol. Joh. Chr. Fr. 17. 48. 79, 99, 


Syrliu 33. 


100, 114. 116. 134. 180. 202. 203, 




206, 216 r.. 235. 240. 243 ff.. 246, 


Taeilu* 406. 


247. 256, 257, 750. 


Tafel 40. 91. 92. 118 »., 121 ff.. 504. 


Starr 46. 


Tholuck 207. 


ätrauil, Johunn Oorg, Ki-groß- 


Thorn:ix von A^miihi 89. 377- 


vatcr 4. 


Titck 106, :I7«. 4M. 414. 415. 


— D.ivld Friedrich, Oroßvatur 4, 


Ti/.i.m 478. f 


7, 11. 


rrtttachk«, B. von, xi, i60, te*. 


— Johann Friedrich, Valor 6 f.. 


170, 173. 174, 1 1 WO, 3J1. 


»7. 260. 262. 361 f.. 557. 587, 


B82 f.. 422, 708. 736. 746, 748. 


759. 761. 


7 49. 759. 



Namenregister. 777 


Überweg, Friedrich 690, 698. Wi-iß«- in.. 350. 


Unland 43, 455. 7M. 


WMuMOm 194, US, 596. 


1 llmnnn 207, 235, 252 t. 256, 259, 


WYUhAuson 617. 


262. 273, 282, 629 f. 


Wwnät H& 


Ulrich, Huriog vuu Württemberg 


\\ 'MiitT. Zacbnrlus 77, 206. 


JÜ9. 


Wcbilein 154. 


Ulrici 723. 


de Wette 202. 208. 226. 26C, 629. 


1 mbreit 262. 


■ m 631, 638. 


ÜxltüU. Freiherr von 524. 


Wieland 550, 551, 713. 




Wigand. Otto 16 & 


Yaihiuger 205. 


Wildvrmuth, OiÜli« 16. 


Vtimhagen 492. 


Wilholm 1., Kfmig von Wurltoro- 


Vatke 97 IT., J02. 104, 130, 133, 135. 


berft 231. 432. 454, 523, 562, 741, 


197, 210 f., 40Ä, 470, 575, 641. 


761. 


Veltoju* 529. 


Wilhelm I., König von Preullea, 


Veoturini 621. 


später Kaiser 519, 643. 


Vcronese, Paul 47». 


Winckelmann 369. 736. 


Viktoria, Königin von England 652. 


Winter. Jakob 576. 


653. 


Wittg.Tr.Uin, Fürstin 529. 


Virchow 693. 


WolfT 584 


VirgJI 156. 


rVMfl 595. 612, 333, 


V»cner, Prii'flrirJi Tlir.nlor :t ( 24 f., 


WqlUn 559. WO. 


2*. 31. 32, 33. 52, 107 1.. 211 fT.. 




215, 37 7, 400. 405. 406, 407. 409 fT. 


Xenophon 269. 


426. 4*:. 441. 461. 463 f.. 470. 


491, 491.. 540. B48i 548, SO, BM ( ' Vpsilanti. Alexander 381. 


632. 64'.. «46. 649. 734, Hl, HB, 


.'(, 751. X.uhn. Pfarrer 58. 


— Pelor 24. Zarathuslra 709. 


Vög«li 206. 


EaOer, I-Munr.1 VIH f.. 84. 96. 107. 


Vogt 695, 702. 


116, 117, 118, 166. 221 f.. 890, 


VolUfre 518. 586. 651 f., 654, 655, 399, 403, 406. 412. 538, 573. 577, 


656 IT., 659 IT. . »Q, 763, M3. 


580. 581, 600. 608, 627, 677, 700. 




704, 724. 782. 736. 737, 742, 745, 


Wnchter-Splttler, Freiherr von 558, 


749. 756, 761. 


559. 560. 


fitgfa Bdwd A. 52. i'.3. 


Wki v.t. Eberhard 524. 


Zilling 495, 508, 555. 


Waffner, Moritz 693. 699. 724. 


ermann 25 f.. 38. 50, 437. 


Wagner, Richard 530, 714 f. 


Z.it.-l 533, 540 f., 572, 631 f. 


WaiblEfltfaT "5. 37. 43. 489. 


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unb ti>»erWT!(rtiib. — &e«lm mib liJetjt. — 'öle Gingen bei 
Katar, 

.ttcrdlbfitiuili.^urWcftftctttuii&liibir - 
unb äfcrlhaVctt. — ßoa nftQvtifrtx '^beai. — 'Ha* ei&lfdje 06wt 



(fttatai ml) lljatfiitficiL 

¥biIofou6i[*c Ubianblnnflcii, Styljorünifn nnb gtubitn 

DOll 

Otto £icbmann. 

Urflei Baiib: 8» XI, 470 (& 18Ö9. .* 9.-. 

m«(t)(inl1(t)t 9?ntWY«flilrmi(i. C^brc unb Gntelecftlf. — S. $>eft 
©ebaittVii über Warm unb Waturtrrcimtnlfe. I. Statut im VtU- 

Srmemrn, 2. QJf|^e unb »trifte, 3. X>ir Mtomiftif, 4 Orßtutlfdie 
lotur unb tettoloßlc, 6. 3)ie 9torurbcjre(imß unb brt flJctft 
«ctjlufe - 3. $«,(.: Sie ©über bei V6nntafie- ®o# 8«lt« 
bettopfebt t>\t ©pracfjfrtölfifft!. ^IrjdjofofltfdK Äpfjotlömen 



atüfdct ©anb. 8«. IV, Ä08 



1904, jf 11.—. 



3iibatt. 1. ^>cFt: <M«lft bet lron0lccnbcntütp§Uo|opl)le. 

— 2. $cft: Utuiibrtft btx fttitlfrfKU 3Hetap&l]fU — 3. jneft: 
3rrifog(e brß qfrfftmtönm«. Gkoonfcn Ober Srfjönbelt unb Jfunfi. 

— 4. £eft. »er Uifyruna bei Söcrtb«. (frifobai; rine 
iMfbünfcnfijnipbontf. ttcbaitfot über bofl Söffen bn fflcoraltMt. 
©ang ber Oefdjldjte. 

Das Werk enthalt eine planmäßig uml methodisch 
angeordnete Sammlung philosophischer Schriften, die sich 
auf dem Faden einer charakteristisch-bestimmten Welt- 
aufTaasung aneinanderreihen, und zwar derjenigen philo« 
sophischen Weltauffasiung, die in des Verfassers frühcrem 
Werke .Analysis der Wirklichkeit, ihre wissenschaftliche 
Begründung erhalten hat. 



Vorn gleichen Verfasser erschien: 

flclicr pDi'ofbPÖifdje Sürabltion. Hirn otobemiföc 
«nttitterfbe, geftalten in ber Hula bfr Uniüerfitar. Said 
dm 9. fctcemfcr 1882. 8°. 32 C u» 1.— 



|tr ilroelitifilit |rojilittisinns. 

3n fftnf «Jorttäßttt tnr erttttatt Gnttn fle&Ubrrt 

Mi 

Carl öcmrich CoruilL 

«n wt UntKflltai ewllau. 

©rfftftf «uflofic. 0°-— l2 loufenb.. 
n.8°. IV, ltte. 1906. «MjefM^U.», tnfrtrao<m5.*2l<"i. 



•TWi '•Vihrlieluv.uih, <tl# |e«cV.crnlIch« Uciliafragaith»!!, 41« Ub«»i1if« 
l«(fc()rl-f.. nC( die SettBnhen <le« i'i.ftn, hri • llrm Krr'mufri Her Kttttfc 4.» 
Ironmt «hrturcbirvolU Seht« vor <J«n H«i!lfthüanro 4M *lt«n Tt lUSKDti 
»«!■ S- '!<• Comlll'ichtn Vortritt *utj«li*hn»o, Iamcci •!>•«> Wunich •m- 
•l'Uait, tu "töuliLrt. von r«u«cn'lni mii| TUMHW (flr-fi. ■fi.|«n| «1* 
bUtan ><nikn4l(«n L«nrn rar 4at AU« T<nament rin«r. SchlQtatt, G«r 
»Ifklict» •"l«..!.'.ir..i.« FnnhfmrUt Zi<t»ug ». • AW. J.'Vrf AV. JfO. 





In adjt Wortrfigcn öargtfteilt 
Mai töhr, 

Wv % v r«t«flM itn& VtM«|«i>«l< XictiDt. «,*, Veofefln *' t*4«f»«* 
In *««iau. 



Wtt Dl« ÄaTton. 



»(. 8°. VIII, 108 @. 1900. ©rojttjim JL '£.—, U\ Velnttanft 
gebimben .4 2.60. 

Verlag »on KARL j. TRÜBNER 1.. SUftßUug Ofld Bulla. 




Die Ällraor btr ftljeomcn. 

ous bem fOerttdi Itx oligemthun Wii|Tf»fil]afl6leijre 



<£Hta X'icömann. 

» u . VII, 118 «. 18M. .* 2.-. 

„Die principicllc Kriegserklärung gegen den krassen 
Empirismus enthalt l.iebraanns letzte Veröffentlichung: 
„Die Klimax der Theorien", seine klarste und conciseste 
Schrift, ein Cahinetstück in der Composition ond höchst 
ergötzlich durch die .spielende Gewandtheit, mit der er 
Schlag für Schlag »eine Hiebe fallen laut . . ." 

fifüngf mr Atlgtmetwn Zeitung iSyi. Nr. 6i- 

„ Eines der wenigen philosophischen Bücher, deren 
Methode man einfach und genial nennen kann! Mit 
unerwartet durchdringenden JJeweisen bringt es Klarheit 
in einen erkcnntnis-theorctlschen Wirrwarr, der sich für 
das Licht selbst ausgegeben hatte. Mit Überzeugenden 
Argumenten rerntGrt Licbmann die Illusion, dass es einen 
reinen Empirismus gieht . •' Nord tmtl Süd. 



3mmanuel Kant. 

£inc <5e6A l t$inlircoe 

gehalten am Dunfrmja&ilflen Tobeötage Srant«, bcii 12. Qtbruar 
WH öor bcrfammeltn: UiiiutrfUät ü» t>er tiofleglenflnöe ju Ofeim 

wm 

<UHto Ittc&mann, 

8*. VI, IM ©, 1904. .* <M)0, 




t$ünf CoTlcfungcn oh* bcm 9tad»lajj 
bon 

Äcrn^arb ten iNnnf. 

2RU ö*m SRfboiOonWItml fcc* ©ttfafiu* t« Sidjttmtf. 

ItKic buKtmrlchcnc VUflafir. 

«tetn S» VIL 149 «. 1907. * 2.-, getunbcii j»*.-. 



3nöoU. ©rfte Sorlffunfl: S>« T>l«tti un6 ftn SRtnfd). — 8ittlie 
Botlcfuitß. SM* Settfolfle von ©OafiprK* tOeffrn. — «*tö* 
VorCffung CQalfpnt olc Siramaltf«. — Cime Uotlffuna: 
eWfpcu oW fomlfdjrr ^Irfjiec - puttefflotletuna: ©Wlprre 
alt -* walle r 



„Ks ibI ein hoher und herrlicher Geist, der aas dicirn Vor- 
trages spricht. Flammende Begeisterung, philosophisch! liildunj 
und «trenne Wisseoschaltlichkeit, feinitea Verstllndmt und Nach- 
fühlen de« Dichter«, das find die Vorrage, die «ich hier mit- 
einander vereinen." Sctmanni Luierar, yahrttttritht JSQj. 

„Bedarf e* eine» Ueispicls Air die Art von Wissenschaft wie 
wir mc uo* denken, so -ici nur im Augenblick auf dos köstliche 
Buch Ub*r „Shakspert" verwiesen, das auch dem Nachlast« vo,n 
ten Brink, cjne« der hervorragendtten ' »elehrte n unserer Zeit, 
durch die Sorgfalt Edward Schröders zugänglich geworden tsl. 
Was psychologische Synthese und nachfühlende Aesthelik zu 
leisten vermag, darflher belehrt dieses kleine Werk besiei, als 
es der weltlUÜGifBteD Theorie gelange." 

A*H>* £. ScAtnAaeA in Vm Frii mm Mtrr J&&I94 **'/' '■ 

Dieses Buch ten Brinks ist bei ScAimAach (ÜAir '.tum ■■*»" 
Bü***g, 4^ AußJ unter den besten deutschen Ptosawerkan genannt. 



Von £utt)er bie £effing. 

»Spcacfigcjdiitötiicbf ftuffagc 

iMeff« an Mi HnlucrUUl frretöurg t Cr. 

tütrttc burrfJacfeQrnr fluflnflc. 
8». VD,3W€. mll einem aArlrtKn. 1U0I. *wl#.4t-. ftfl>, .As'&.- 
CinOalt: air*cr.|pro4)< uiib *öiroiiiv«iUc, 2Nai,imman urd |rht/ taiukl. 
— vtiifttt l»p Mt Mut!** fc»t<ifte. — e^tmiKUu iu<b fldAbYMifrr. — ftttnltl- 
(piorfef uns Tfmihdri In bct 6<&n>et| — Cbrrbfiitltbn unb mltttibrullcbet 
Möilf^o». — '»Irbrrbfiitfc) unb Ö°*Mutf$. - Dtttfta mft CiuiHinltiniis. — 
abiol unb Wi*# . — CMifcfiitt*lflnb uM Mi »all»« fiten. — *n>iti- unb r>|< 
f'MifAc 5via4t -nnöoita: JWslofelH »in nrnboAMitHtticn e*nK|«((4l4ie ; 
SJamem un» «oftieatfirr. 



Urteile de* Prcaae Über die bisherigen Auflagen: 
„Rs tnuis mit allem Nachdrucke betont werden, dati Kluyes 
Schrift «Ine sehr Irhrni.-he und für den grossoicn Leserluele, (tlr 
deu >ic bestimmt, hocuerw'iiischtc ist." 

Ürutt.kt i.ttttTalurxtttMKf lS9B, A>. I f. 

„Der Verfasser der vorliegenden Aufsnrze jur <i eicht eh te der 
neotiochJcuiscIico Schriftsprache hat bereit« bewiesen, dasa er es 
rortnflltch ftr»tebt, Itlr einen grösseren Leserkreis ni arbeiten, 
ohne der strengen Wissen Schädlichkeit dadurch Abbruch su (hun. 
Kr weiss teirtc Forschungen in cm Uewand ru kleiden, weichet 
auch Kl cht- Kachleute ansieht- er NflM nicht ab duich su viale 
CilRtc, durch störende Anmerkungen und weitläufige Ktkurse; er 
Crcilt geschickt die intcicssonloten Prolilcine heraus und behandelt 
sie mit leichter Feder, so das* auch der Laie gereizt wird, weiter 
.'< lesen, Und sollte et nicht ein Verdien*! »ein, gerade dl« ebenso 
schwierigen ata wichtigen und intcictsiini.ru Frauen, die »ich an 
die 'ieichichte der Ausbildung unsere* ■rlirifclichcn Ausdrucket 
ankiiÜ|.ileii. in wettete Kreise au trafen, iritbesondeie »ich djl 
Schule dafür tu gewinnen' Die Schule, die sich der gerinmmti.iJi'.-ii 
Forschung gegenüber sonst bö spröde verhalt? Wenn Klage mit 
der vorliegennen Schrift in Leserkreisen denselben Krfolg arslolr, 
wie mit seinem clvmo logischen WArf erbliche, *o s-crdicni er »(hon 
die wBrmste Anerkennung, . 

/M/r antiker CtntraüUti iSSS tVr.Jf. 



H 



(Erinnerungen, Weben uub Stubien 

oon 
Jtubm*? £rtcMJo£>cr. 

3tprl »diirjr. 
8». IX, «M «. 1006. «fOcfttf u» 0.-, Im ftlnninno Q» 

trotten u» 10.60. 



I. Xu* alten $aplrreii. — lt. 4tu«i ftuuiaOIieriici WetrtjiUit' 
fretfcn. - 111 XHrt outotfirntMif Vfbttt. — IV. Swn>( \ IHM). 
V Äha ■"'iom (186Ä/51J. - VI. (arrnnrouiflcn an turarnirm. 
— VII. Ttcl afabcmtfroe iHcbtn Viu ftfrr oicamift »unfl 
im Q^flcii|ai} 4UT mobiTiicn. — IX. X>aB tttutteta her Vlimfc 
t:ti THiUeloü«. X. ffüiit Üi fehlem Verbdlluh) 4m Aunft uiib 
frt>i>ncit Statur. — XI. Jhiiit tu (euient ©erWlnit* s w $eOttt 
MI. »cifen tn Ololirn in Örn (cbtcn Otrr ^ahrötmbront. — 
Xiil. «u« Stollen. - XIV ^Tana6Pfd»c Urteil« O&er Xeut|d)lartb 

,.Mit dieser Verrtffenttlchung von Nebenarbeiten hat 
d«r Verfasser der .Darstellungen ms der Sittengeschichte 
Rom»* der deutschen Bildung ninen großem Dienst er 
wiesen und sugleich seinen Kollegen von der Philologie 
ein Muster geistiger Vielseitigkeit geboten, dem inner- 
halb dieses Kreises wenig an die Seite gcjiclil weiden 
kann." Grmtitim, April /OPÖ. 

„Unter den hier vereinigten AufaaUcn Fru-dlandcr» 
ist keiner, der es nicht verdiente, dem weiten Kr*U der 
Gebildeten »ugänglich gemacht tu werden, wer einige 
Stunden genudreicher Sammlung und Einkehr verleben 
will, mag tu diesem Buche greifen " 

VmUrtt Ztliuiy, j. M*\ /pao. 

..I. I r riedländer, der berühmte Verfasser der „Sitte*. 
veachichle Roms", hat seine ..Erinnerungen, Reden und 
Studien" in lwei handlichen ßtndrhrn gettmmelt, die 
schon äußerlich den schweren, unfaßharen S.irnmclbanden 
anderer Gelehrten gegenQbci eine gewisse Modernität 
andeuten. — Hier nun haben wir wirklich ein- 
logen" im hohen Sinne de» Wortes, einen Freund aller 
Kunstwerke menschlicher Sprache und Vernunft . . 
DU Lariam xo-x>. AV. <r. (Mtltord ,V Jft 




Vcrlsi: ron KARL J. TROHNHR In »rafitarr •»•! Holm. 






5 ci) la g Wörter bud? 

«in «ecjurfi 

U011 

Otto Caöenoocf. 

8«. XXIV, 868 ©dtrn. Mi*. QfcQeftrt u» 0-, gtlmnotii M 7.—. 

„Die ErgcbtiiMo der Schlagwort for schling, dieses ttlngsten 
Zweige» der deutschen Wortforschung, der nicht lltcr t* all unser 
Jahrhundert, hat üi'o I-adendorf In dem Versieh seine* Hl 
sehen Sehlagwöiterlnichr» luaamtucugcfaßt. Der Verfasser hat 
»cid fleißige» Werk »film bescheiden »I» Versuch beieithnct, und 
in der Tai. e* wir« gewagt, nach so kurier Zeit des Satnjrjelni 
mehr bieten in wullcu. Ist «loch da» Kcicli der Schl»^«'uite ein 
weilet, unbegrcMtea, wie da» der verwandten ModcwOncr und 
geflügelten Worte, welch l«ut«rcs littchtnann und seine Nachfolger 
nach mehr als 40)*hrigcr Arbeit noch nicht völlig erforscht haben 
und nie völlig erforschen werden. Derartige Arbeiten können nie 
abschließend vollendet werden« so wenig die lebende Sprache 

•Inen Abichluß kuniit — et -iii'l n er nur cioicliie Absein. in»-, 

die ua< h bienenfleißigem bammeln und Schaffen iu einer anfiBlietii- 
UB Vollendung gelangen. — . . . Welch eine Fülle von Witt 
und Geist, von Liebe und Mali, von Kämpfen. Streben and Hollen 
kommt in diaien Schlagwortes ium Ausdruckt Welch l>um< 
billigende«, anregendes Hilde rburti, rt n » n,mi nichi «u* der Hand 
legt, ehe man caganr durchblättert, durchlesen hat'— IIa» meiste, 
was Ladender? nietet, entstammt dem io. Jahrhunden, auch die 
■ weite IlHlftc des |S, Jahrhundert« ist stark von Ihm bcrflcksichtigt 
worden, aber daß auch die ['einsehen vor 1750 In den Zelten 
GotUchcda, der SprachrcinlgcT, de* Dreißigjährigen Krieg«, der 
Reformation, der Humanisten Schlagworte kannten, lehrt sein 
dankenswerte« Dach nirbr. Dl dehnen sich noch Wut«, Tut gsrj* 
unerforschte Gebiete, die *u den kilnlngen Auflagen des „!. sden- 
dorf" viel besteuern werden! — Zur Mitarbeit an diesem Werke, 
da» *U *tlrdii>e« CegenatQck iu 8HchiriJims ^efltigeUen Worten 
b«>«jchi>«i wenttQ keno, ist teder berufen — jeden noch so kleinen 
Beitrete wlt«1 die Verlagsbuchhandlung dankend für den Verfasse« 
entgegennehmen!" 

ßci/er* tmr Attftmtinm Zeitung vom 4- Ptbrutr /yod (Hr. *3), 



Verlag von KARL J. TRÜBNER in Nirafiburg und »erlin. 



Der empfindsame Roman 
in Frankreich 

TOD 

Max Freiherrn von Waldberg. 

Erster Teil: 

Die Anf finge bis zum Beginn des X Vffl. Jahr- 
hunderts. 

Kl. 8*. XIII, 489 S. 1906. Geheftet Jt 6.—, gebunden Jt 7.—. 



„Die Bedeutung des Buche* v. Waldbergs beruht nicht bloß 
auf der Erschließung neuer Quellen für den Roman des 18. Jahr- 
hunderts ; sie liegt ebenso sehr in der gans eigenartigen Beleuchtung, 
in welcher es ans die Menschen des Zeitalters Ludwigs XIV. er- 
scheinen lißt. So steif und regungslos, wie man sie sich ge- 
wöhnlich vorstellt, sind die Zeitgenossen der Allongeperflcke nicht 
gewesen. Und wenn auch die „biense^nce" ihnen nicht erlaubte, 
m der Öffentlichkeit die Regungen ihrer Seele su an verhallt sa 
zeigen, wenn sie allein waren, da ließen sie sich gehen, da warfen 
sie die Maske weg und hielten die Tranen nicht zurück, die ihnen 
das Hers so schwer machten. Einen Beitrag zur Genealogie der 
menschlichen Seele kann man deshalb t. Waldbergs Buch recht 
wohl nennen. Als solches verdient es die Beachtung nicht bloß 
der Fachgenossen; als solches wird es sich gewiß auch viele 
Freunde im weiteren Kreis der Gebildeten erobern." 

Beilage *ur „Allgemeinen Zeitung" iooö Nr. 87. 

Heinrich Sehneegant. 



„Dans Timportant ouvrage consacre 1 par M. von Waldberg a 
une vari('-(6 du roman francals du XVfl« siecle, il n'y a, pour 
em erger vraiiucct encore, que la Princesse de Cleves: et pourtant 
le soin paüent que l'auteur a mis a suivre une veine a peu pres 
nlgligle de notre ancienne production romanesque ne parattra 

iicine perdue * aucun de ceux qu'intlrcssent les vicissitudes de 
a vie et de l'art modernes." 

Revue a'hiitoire litleraire de la France, 13* annee, No. a, 

Fernand Bälden iperger. 



Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg und Berlin. 



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Jdtcit, Hölkrr titib illrnfdjrn 

CSC 

7 tMnbr. «•. fntf pro «aiiä icMmi •* < . 9**- •* * - 



L .Yianrirafc utib *tr .WähwAu, 4. rttWntc unb Der- 
«frte «uffoflf. fi* XXH, fH IW 

■hr* ur> Cruitcbr*. 2. wttufjnti aiift Wnm$rt* 
«iifUflr. UA& 18». 

Ol 3ln» un& über ffitgloitt. 7 Ärieprttr mt HuwtlW 
IV pttffe 1 «urtoftc *•. TM, Wl ©. w: 
«M fc. IK'2. 

VII. *uliucsr(*.ct»rti$r*. *r. XII. «Ö fe R« tan «IMft 
M «etlaffert tu (wliidmiu- UM. 



3w*lf Griffe rtve iahtlifdjrn JUfcrr*. 2 «uffe*. 
!-'". :i*€.1874. 0c$efirtt*:.'.-,gc*ii3tait* 



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•*i Ott '•■ *ipm •MdgvÖMMu if iitti 1'rnailntt, 

MMt 41* Wart« kt*mtan ml Ocaca AaWa & *«»»»»•<■ m 

MUn k>-*i<Hnuu Mm** .CW* Um ud ItiUa»«* iwni 
MhnftaMU*« iMFMtttV Kr MUH K*rt Htll»»r»»f ■ A-» T»f*i. 

Mr & Aifc<t .rte« i^ttMrOM KmwAm, *t» t MmUni *•*- 
C*c*«*a*l «teil WiflMic»t Krtuker; I iilufc **■ Oatmrl wM Xr- 
U**»* lnto»u£***l «arv» m*j« MU»t, kmiraUi 4« tft- 
wftBMfet MMr Jttttjuli«H i»<Mi|Ml; •» »*>- 
teM w tttbtti «U r%Ui •>* Qa U««w wpftc&ur B ■%*>■ ! • 

iU.jlittr.lrt tr Millilnali i«U«t. lölkfr üllioiilrt 
im ttutft UlafcwtMUW «CM 4M Wirk«« itf,lMly ffvlcUf« »*•• 
UflM H«> t»»l»*— D«M«ttt« 



14 



Das moberne Drama. 

ÄOTt 

Stöbert g. Hrnolb 

ü. 0. ^roffJTöT flu bft UitfDfrfttlt (Bf es. 

8«. X, 887 ©. 1907. ©tieftet u« 6.—, gehirnben j» 7.—. 



„ . . . Arnolds Darstellung eine Philosophie der Geschichte 
des modernen Dramas and zugleich eine Statistik desselben, in 
letzter Beziehung eine wahrhaft bewundernswerte Leistung sam- 
melnden Fleißes und einer Aufmerksamkeit, welcher nicht» ent- 
ging . . ." Bund tgoj, Nr. 41. 

„Es ist ein schwieriges Unterfangen, mitten in den Strö- 
mungen einer wechselreicnen Kunstperiode, die Zusammenhinge 
unter ihren verschiedenartigsten Äußerungen und die Richtung 
ihrer Bewegungen festzustellen. Professor Dr. Arnold in Wien 
hat in dem Zyklus zwölf knapper Vorlesungen, die ursprünglich 
an den Universitäten Innsbruck und Wien gehalten wurden, die 
denkbar einheitlichste Zusammenfassung des komplexen Materials 
der modernen dramatischen Produktion geleistet. Er begnügt 
sich weder mit der Veranschaulichung der Welt und Technik der 
modernen Dramatik in HaupteindrUcken durch scharfe ästhetische 
Beleuchtung ihrer Höhepunkte, noch mit der Charakteristik ihres 
Fortschrittes oder ihrer Eigenart vor dem alten Drama durch 
Unterstreichung ihres spezifisch Modernen. Er reiht vielmehr mit 
kühlster Objektivität und doch wärmster Teilnahme an ihrem 
Lebensgehalt die große Vielheit der divergierendsten Erschei- 
nungen in die folgerichtige Kette historischer Entwicklung . . ." 
Beilage der Hamburger Nachrichten 1907, Nr. 32. 

„Die Geschichte der Entwicklung des modernen Dramas zu 
schreiben ist eine Aufgabe, der sich zu unterziehen eine genaue 
Kenntnis aller Gebiete des modernen Lebens, nicht nur des ein- 
schlägigen literarischen, voraussetzt. Vor uns liegt ein Buch von 
Robert F. Arnold, das dieser Forderung im weitesten Sinne ge- 
recht wird. . , ." National-Zeitung 1907, Nr. 48s. 

„Wer das Werk unbefangen aufnimmt, der findet in ihm große 
Belesenheit, peinliche Genauigkeit der Angaben und feinen Ge- 
schmack. Solches Lob ist um so tedlicher verdient, als Arnold 
dem literarischen Getriebe ganz fernsteht, in dem Bilde aber, das 
er mit künstlerischer Hand entwirft, ein ausnehmend sicheres Ver- 
ständnis der Menschen und Dinge bekundet". 

Fester Lloyd 8. Nov. 1907. 



Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg und Berlin. 



!■■■ 




5>et finnretdye iTunfer =r:rn 
$>on (Dutjote von öet tUcnd)ß 

von ttligutl 6e OrrÄittr Qsiavefcra. 

Uebetfeijr.. ciitgi'Ii'itrt und mit 

tfrläii!friin$*ti veri'rhrn t»<*n 

&uta»0 X>r4imfci<v 

neue reriblerie 3ubiläumdaitdgat>e 

Vitt 33änbf. Oeber üanb «■ 400 Reiten. 1905. 

«ßrcifi pro ©anb ßcöeftet -42.60, In *?clmocnib nebunbm -f 3.60. 

jSiw/_yilr<rfy/, gettitgrm * /tiMio/A/ljiuifaA/ . <>n C":>,i»f'i, D*n 

Quijett. fihll t buhtr im JrutuhtH BucAhan,ld. IHi jo ojdAtjft 

Jm&lläwm dittrt ktaitlttkt* MtltUrmtiktt Ji* Wttttittratw t*of 

tme patitndt Gtttfmheit, dujtt BtdürfnU tu kefntikgtn. 

So war es denn «in vortrefflicher Gedankt, gerade dieser 

auapejcicliiKt.cn Ubencticr-Arbeir ein fröhliches Aulerttohen 



in 



ieaiitli m ichnffLii 



verjüngter und verbesserter 

Mit dieser Neuam^b.. . 1 U-mn kernigeren Namen verbunden 
•Isdet Fror. Heinrich Morfs in b'ranklurt «. M. ., Mandirf »ich 
aufrichtig .'reuen, daU ein« so (eine, taktvolle Hand über di^erRe- 
vltiongcwaliethit.suglekb die Hu»d eines •<<■ i r «ehinaum» ( 

dem man sich Ubei all liMMr und vertrauensvoll überlasten kann. 

Braunfcls steht als Don Qatjote - Obers etser wi It 

Über allen deutschen Vorginge rn in seiner Verbindung von 

kenntnisreicher Sorgfalt und UMtterlschein Nachempfinden. Er 

■ Hein liil un* eine nnWortainn und Ton treue Um>r lind gelt ofori ." 

.Vtuf Züritktr Zniung, SriU Jtfi/agf tt* .Vf. f$y, t$of. 

Die grolle (Gemeinde der C«ivant«sverehrer, die der unsterblich« 
Spanier auch bei um beutst, wird es dem hervorragenden Krank- 
forler Philologen Dank wissen, daß er »Ich herbe igcla*%in hut. rura 
Don Qu! jou- Jubiläum eine revidiere Atiigaheion Rraunfcis' l'lber- 
sctiungru geben. die. in der Ki dl^kl Ion Spe mann »erfliTenllich'.lf idei 
Viel fU wenig Beichtnng im gebildeten Publikum gefunden bat. 
Ututtsh* liUi <Mm iu 'fmng iyoj- f/r.jj. 



Vertag von KARL J. TRÜBNER in Straflbure und Berlin. 



IDie Tlenatffance* 



^tftorif^e «Spntn 



bhu 



ißraftn <ffobirtc«tu. 



fccultd) Don UHbic.A a-Oitnißniu 



ttdli CiuTit)ftcfe&«if; iniÖ OfT&effcric Äu«fl06t. 

6. m « ^aufruft 

8'. XXXIX, 861 0. 1908. 

¥trt« btuftfjlcrt ut &,— , in ßrttcflcnrm Veinrnbano, c6rr«t Cdinttt 

örrßofbft J* 650, In cf*ß, $an>ftoii$rjOHfa •* *•— • 



Aus der Einleitung des UbcncUcr»; 
Von allen künstlerischen 



-trho-p hinge 
Franzosen übt dieses Werk die m)c 



n de» p. 

hligstc Wir- 
kung iui. Es gibt, wie kein anderes Werk, eine klarr 
Anschauung der Rcnnisaanceieit mit ihr. 
gl c ichlichen üeisies-werken und ihren gros&en KOnttlern. 
deren Schaffen Italien wie im Traum In da wahre* 
Wunderland der Kunst umschuf. 



Die einstimmige Aufnahme, die das Rcnain.v 
Gobinoau» in der gesamten lltcranachen ftffcntliehV<at 
unteres Vaterlandes gefunden, tönt am besten aus den 
Worten de» Ltirrarisehnt Z*ntriitt>!attft wider: 

„Ulm du .i ■ I! .. Ii -in,! ' AWi. I^USOk 

Sem Ruhm »teht fe»( and wird nie wieOcr »etfjet"-i 
nur ein fcanaliemclie*, nein, cm hutoriiclici Mcut«:«i 
dl« R«nai«uiJt | 

Ober die neue Trobnereche Ausgabe urteilt die /An».* 
Mmatsiekrift für das gtsamtt Lehrt* der <Jt$emcwi 
„Diese neue »chöne Auicah« der lt< i 

,.|.-m -„ !,.• m.II .... > hat DUO MUCh «Tm 

ihrem Geist und Kumtwett enivfircciiendc uriKükraüiclic Gt- 
wand erhalten." 



VeaUfi von KARL J. TROBNER ii 



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STANFORD AUXI.iAR'r t iB«A*Y 

STANFORD. CALIFORNIA 943056004 

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