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cO>, £ fiU
•David Friedrich Strauß
▼on
Theobald Ziegler.
Motto: Gesprochen h»b' Ich nmchd Wort,
Geschrieben menohee BleU,
Auch Inder mischen Schrill gemacht,
Den nu ffcaoholtM hat.
Die ihr nieh echmlht, so höret dooh
Von mir «in WörÜeta u:
Wohl jedem, des kein Hut« plifftl
Ich hüte, erie loh tum.
(D- Pr. Btrufi, Duldung.)
Zweiter Teü:
1839—1874.
Mit einem Bild von Strauß aas seinem 58. Lebensjahr.
StraßKnrg.
Verlag von Karl J. Trübner.
1908.
iL v> > „..' j(\ *»
Inhalt des zweiten Teils.
Uta
Fünftes Kapitel: Die christliche Glaubenslehre 326—360
Sechstes Kapitel; Die Ehe und ihre Lösung 361—408
Siebentes Kapitel: Strauß als Politiker 409—487
Achtes Kapitel: \.Strauß als Biograph 488—646
Neuntes Kapitel: Die Rückkehr zur Theologie 647—670
Zehntes Kapitel: Das Leben Jesu für das deutsche Volk . . 671—639
Elftes Kapitel: 1866 und 1870. Voltaire und Renan 640—666
Zwölftes Kapitel: Der alte und der neue Glaube 667—730
Dreizehntes Kapitel: Das Ende 731—746
Schluß 746-764
Nachwort 766—768
Namen-Register 769—777
Fünftes Kapitel
Die christliche Glaubenslehre.
Du Jahr 1839 bildet im Leben von Strauß den eigent-
lichen Wendepunkt. Zwar ümCiiIicIi blnli ull.-s heim alten.
In Stuttgart lebte er unvertrieben weiter wie bisher. Daher
halte er auch nicht nötig, auf die Einladung des Fürsten
von Pöckler-Munkau, der ihm sein altes Stammschloß in Schle-
sien als Zufluchtsstätte anbot, einzugehen. Diese Einladung
war gut gemeint, es war etwas RUterliches, etwas „Sickingen-
aohea** in der Art, wie ihm der liberale Aristokrat die Hand
rum Schutze bot. Daneben hatte es freilich auch der Eitel-
keit Senulassos geschmeichelt, wenn er neben Leopold
Schefer und Heuirieh Laube auch diesen seltenen Vogel
#*iner Menagerie hfttte einverleiben dürfen. In einen Käfig
wollte sich aber Strauß nicht sperren lassen, auch wenn er
vergoldet war, er blieb lieber ein freier Mann 1 ).
Aber innerlich wurde es mit ihm nach den Erfahrungen
der letzten Jahre allerdings anders. Bis dahin war er Theologe
pBffraMD uml jrvliürti' in ilu- 'I 'IiimiIii}.'!" uimJ iu dm hnmwilfii
Ganj? ihrer Entwicklung mitten hinein. Er hßtte auf Grund
M'inrr Leitungen Doktor und Professor der Theologie sein
können und hätte beides werden müssen, wenn die theo-
logischen Fakultäten nicht zu engherzig und die Regierungen
•) In der Neuen Freien Preise vom 16. Man 1873 hat Slrautt
Mibr-r die*e ihm wohltuende Episode „tum Andenken an den Fürsten
POcVlor Muikju" erzählt und die Briefe des FQrcltu und Leopold
Mieten an ihn ans den Jahren 1839 und l8to mitgeteilt.
Th. ClȣtM, Di fr. Sirwl IT. 22
•..32a 'MriAtMuiLA V
. . - • . . , . . * • . *. • . . . - -
"... ....
— in Deutschland unter theologischem Einfluß, in der
Schweiz unter dem Ansturm eines fanalisierten Volkes —
nicht zu feige dazu gewesen wären. Jetzt schreibt er die
christliche Glaubenslehre, und mit ihr schreibt er sich aus
der Theologie hinaus. Nur verstehe man das nicht so, als
ob das Buch eine Streit- und Brandschrift oder eine ganz
persönliche Absage an die Theologen gewesen wäre, Es
war auch jetzt wieder, wie das Leben Jesu, ein streng ge-
lehrtes, durchaus im Rahmen wissenschaftlicher Thuologie
sich haltendes Werk. Als Theologe hat er sich durch ein
theologisches Buch aus der Theologie hinausgeschrieben:
das ist die Paradoxie dieser Wendung. Oder sollte es
etwa die Paradoxie der Theologie selbst sein? Erfüllte
sich am Ende hier an Strauß nur jenes Wort von Schleier-
macher in der „Weihnachtsfeier": „Wenn es mildem Märchen-
und Wunderglauben eines Knaben recht arg geworden, so
lasse man ihn nur Theologie studieren, das heilt ihn gewiß"?
Auch Strauß war, durch sie, von ihr „geheilt", und der
Heilungsprozeß vollzog sich eben in der christlichen Glaubens-
lehre, die er jetzt mit aller Energie in Angriff nahm.
Als Student schon hatte er den Plan zu einer auf Hegel-
scher Grundlage sich aufbauenden Dogmatik gefaßt. Das
Loben Jesu und die Kämpfe um dasselbe hatten sich da-
zwischen geschoben, dieses Buch war sozusagen nur eine Vor-
arbeit zu seiner Dogmulik gewesen: eine Vorarbeit im großen
Stile freilich, wenn wir an das denken, was er historisch-
kritisch und exegetisch darin geleistet hat; aber immerhin
nur eine Vorarbeit. Für Strauß lag — wenn nicht der Wert,
so doch der Zweck des Lebens Jesu wirklich in der „philo-
sophierenden" Schlußabhandlung, dieses gipfelte nicht nur
äußerlich im Dogmatischen. Eine Dogmatik zu schmUm.
das war sein frtihgefaßter und bis jetzt festgehaltener Lebens-
plan: warum hätte er ihn nicht ausfuhren sollen?
Dazu kam in letzter Zeit auch von außen her ein
Anlaß, der ihn trieb, sich aufs Dogmatische zu werfen. Er
Die chnMlirhf Glaubenslehre.
387
sollt« ja in Zürich Dogmatik lesen, also mußt«* er sich darauf
vorbereiten, mußte eine solche entwerfen. Und so sehen
wir ihn »eil Ende 1838 eifrig bei dieser Arbeit, die ihn euch
nicht ln*!irß, als sich der Plan mit Zürich und dumit Mfafl
Aussicht auf eine theologische Professur zerschlug. Der
Gedanke an Zürich hatte nur den Anstoß gegeben, minder
Arbeit zu brennen. j er p| an selbst ist viel früher und un-
abhängig davon gefaßt worden — als Lebensplan; deshalb
konnte ihn der Züricher Zwischenfall auch nicht davon
abbringen.
Noch einmal eine Vorarbeit dazu bildet die zunächst
für die Hallischen Jahrbücher geschriebene. Ober 200 Seiten
große Abhandlung „Schleiermacher und Daub in ihrer Be-
deutung für die Theologie unserer Zeil", mit der er im
August 1839 eine Sammlung zerstreuter Aufsätze aus den
Gebieten der Theologie, Anthropologie und Ästhetik unter
dem Titel „Carakteristiken und Kritiken" eröffnet hat.
Sie gehört zum Feinsten und Tiefsten, was Strauß geschrieben
haU „Dankbare Verehrung" für beide Theologen bildet wirklich
den Grundton der Arbeit, auch die Kritik ist daher durchaus
maßvoll und bei aller Bestimmtheit im Ton stets ganzsachlich,
gemessen und angemessen, aber der Aufsatz darum doch
frisch und lebhaft geschrieben. Zuerst wird jeder der beiden
Theologen für sich in seiner wissenschaftlichen Entwicklung
und nach der Reihe seiner vornehmsten theologischen
Schriften betrachtet, wobei uns natürlich der Versuch, die Ent-
wicklung Schleiermachere aus der Romantik heraus und von
den IUden über die Religion an bis hinauf zu der Hohe der
Glaubenslehre zu zeichnen, ganz besonders interessiert. Man
gebt noch heute nicht fohl, wenn man. um sich in Kürze
über Schleierm achers Werdegang zu orientieren, auf den
ersten Abschnitt dieser Strouüschen Abhandlung zurück-
greift. Auch bei Daub handelt es »ich um eine Entwicklung
— von Kant über Schelling zu Hegel. Einzig mit dessen
Phänomenologie zu vergleichen undauch ausdrücklich dem An-
838
Fünft« Kapitel.
denken Hegels gewidmet, ist Daubs letzte Sohrift ,, Die dogma-
tische Theologie jetziger Zeit oder die Selbstsucht in di
Wissenschaft des Glauben» und seiner Artikel", über sie sagt
Strauß: „Es ist eine Dantesche Höll*\ mit den Dogmatiken,
Kommen Utren und theologischen Zeitschriften der letzten
seohxig Jahre geheizt, wo GhibeUinen neben Guelf-n.
Supranaturalisten neben Rationalisten braten, durch deren
verschlungene Gruppen der Geist des verewigten Philosophen
den Theologen, wie dort der des Dichters den IhrM.-r »K
Cicerone hindurchgeleitel; zur göttlichen Komödie aber
wird das Ganze durch die in der Darstellung waltende Ironie,
weleheindcrerhabeinui Ruhe ihreriminanenteii.ftiegeHgewisseii
Haltung vielmehr Humor zu heißen verdient. Es ist ein
Gericht, mit einer durch Mark und Bein dringenden Donner-
stimme ausgesprochen; aber leider in einer Spruche, welche»
weil weder den Gerichteten noch den Gerichtsdienern ver-
ständlich, bis jetzt so viel wie wirkungslos gehlieben ist.
Dan Hui'.h wäre, in ganz anderer Art als du« Sentenzen den
Lombarden» wert, daß die Theologen künftig Kommentare
il.irui.n-r schriebeu; aber warum hat es noch niemand in eine
traktablere Sprache umgesetzt? Ich glaube fast, irh wäre
hiezu befähigt; aber ich möchte es doch nicht tun, weil
ich vorausweiß, daß mir in der meinigen das Buch weuiger
gefallen würde als in der genügen. Zu eiiu-m so l.iefge-
grabenen Inhalt gehört auch diese granitene Form. Dennoch
bleibt es auf der andern Seite wahr: so muß derjenige schrei-
ben, welcher nicht verstanden, nicht gelesen, auch ohne
Wirkung bleiben will." Wir werden bald genug verstell' B,
warum diese Daubsche Kritik aller Dogmatik Strauß so
mächtig imponiert hui: sie war, nur nicht in ihrer unver-
ständlichen Sprache, das nächste Vorbild für seine eigene
Glaubenslehre. Im dritten Abschnitt folgt dann die Parallele
zwischen Scldeiermaeher und Daub ids DogmaÜkcrn. Sie
hebt damit an, daß er jenen den Kant der protestantischen
TheulijLjie nennt. Dauli dagegen mit Schelling und Hegel
Die christliche GUubeatkhre.
«ad sie schließt mit dorn Wort Öklarios
Wilwtoin:
Et *t ili* Starke. Fnruml. uih! S. hnolligkaU.
So beweial schon liier Strauß »eine Kunst zu charukte-
tn f die ihm später in hetnen Hiugniphifn -■ tr-rlllich
zustatten gekommen ist; darum ist die Abhandlung nicht
nur lehrreich für jeden, der sich über Schleiermachera Ent-
wicklungsgang orientieren und von dem heute völlig ver-
gessenen Daub sich ein Bild machen will, sondern sie ist Auch
ästhetisch genußni- I; hui s< hriftstelleriscbes Meisterwerk.
Förden Standpunkt von Strauß alier ist in Ihr noch
besonders bedeutsam das volle Verständnis rar das Gefühls-
m&ßige in Schleiermachers Religiosität und speziell in seinen
Predigten» in denen ,,er sich nach der erkaltenden Verstandes-
arbeit der Woehe Sonntags durch die Belebung des gemüt-
lichen Zusammenhangs mit der Gemeinde wieder zu er-
wftrmen pflegte". Selbst für sein erbauliche* Knde, wi<
er „ehe der Tod ihm die Augen zudrückte, noch den Moment
erhaschte, wo er. mit seiner Familie wenigstens, das Mahl
oVr christlichen Gemeinschaft begehen konnte*', findet
Strauß ein verstehende», gutes Wort. Indem er aber sub-
jektive und objektive Heligion unterscheidet. läßt er doch
nur das Wurzeln der enteren im Gefühl gellen, summt
dagegen Daub im, der die Religion im objektiven Sinn
.•als ein Glauben und Erkennen, mithin als ein Denken
faßt"; auch in der Religion muß Vernunft sein.
Von diesem Gegensatz gegen ScMeiermacher aus for-
muliert Strauß schon hier die Aufgabe der Dogmatik. Er
findet es ,.i i dafl SrMpirrmacher, statt geradeaus
zw geh™. Winkelrtge macht, daß er, wie man wohl Soldaten.
die auf der Bühne zu figurieivii haben, erst in andere Uni-
iien stockt. SO den philosophischen Truppen, die in
»einer Glaubenslehre auftreten, zuvor die Kutte des frommen
Gefühls überwirft, dir aber, M sorgfältig sie auch gearbeitet
ist, docli m.M vrrhülon knnn, daß nicht hin und wieder
180
Fünfte« Kapital.
bei einer röscheren Bewegung der eigentliche Anzug
ihr hervorblickt". Aber, wenn hier Schleiermacher wegen
der Umgestaltung philosophisch, t Blln ifl Gefühlsaussagen
getadelt wird, — haben denn, wird man fragen, philoso-
phische Salze als solche in der Glaubenslehre überhaupt eine
Stolle ? Als solche können aie in derselben schon deswegen
nicht vorkommen, weil sie hier aus ihrem genetischen Zu-
sammenhang mit dem gesamten System der Philosophie
herausgenommen sind; aber vorkommen dürfen, ja müssen
sie, wenn anders die Dogmatik ihrer Aufgabe, das Wissen vom
Glauben zu sein, genügen will. Das philosophische Denken
wird ein theologisch dogmatisches, indem es auf jedem Schritt,
zugleich Reflexion auf den kirchlichen Glauben und den
biblischen Inhalt ist; wobei ein doppelter Gang genommen
worden kann: entweder vom Begriff zum Dogma honb
zusteigen, das spekulativ Erkannte sofort auch als Lehm
der Bibel und Bewußtsein der Kirche nachzuweisen:
oder von gegebenen Positionen, dem einzelnen Glaubens-
artikel, zum philosophischen Begriff aufzusteigen, ihn durch
die Dialektik des dogmatischen Stoffs aus diesem hervor-
zutreiben. Und wenn or dann hinzufügt: ,,lch halte die
letztere Methode für die richtige'*, so sehen wir, wie er
selbst in dieser Arbeit so etwas wie das Sprungbrett hinüber
zu seiner eigenen Glaubenslehre gesehen und in ihr das Pro-
gramm für jene aufgestellt hat.
Freilich, ehe er an die Ausarbeitung ging, hatte er
noch allerlei zu tun. Zunächst wurde 1839 eine neue, die
vierte Auflage des Lebens Jesu nötig, und da galt es, den
Schritt vom Wege, den er in der dritten Auflage getan,
aber noch wahrend der Arbeit daran als einen übereilten und
falschen erkannt hatte, wieder zurückzunehmen, die Zweifel
an der Echtheit des Johannes-Evangeliums, an denen er dort
irre geworden war, wieder in ihr altes gutes Hecht einzu-
setzen und daraus dann im einzelnen die Konsequenzen zu
ziehen. Wie er sich in der Vorrede zu der dritten Auflage
Di« f.lirihtlic'm: «.Ibiubi-ii^Mu-.'.
m
seine Stellung zum Johannes-Evangelium geäußert hat,
in wir 1 ). In der etwa gleichzeitig entstandenen Ab-
handlung über Schleic-rmacher und Daub heißt es gegenüber
dem erateren, der die Echtheit des vierten Evangelium*
ohne weiteres voraussetzte, vorsichtig: „es kommen aber
jetxt konservative und kritische Theologen darin überein,
daß nur durch einen äußerst verwickelten kritischen Prozeß
in Ursprung ausgemittelt und seino Autorität im Ver-
hältnis zu den Übrigen limitiert werden kann.' 1 Jetzt da-
gegen in der vierten Auflage vermißt er, wieder zuversicht-
lich geworden, über Johannes ein ahnliches Zeugnis wn-
da* de* Papias über Matthäus und laßt sich zugeben, daß
wir in keinem unserer Evangelien den unmittelbaren Bericht
eines Augenzeugen haben. In der Vorrede aber erklärt
er: „Die vorige Auflage hatte des Ironischen zu viel.
Die sich durchkreuzenden Stimmen der Gegner, Beurteiler
id Mitarbeiter, nach denen aufmerksam hinzuhören ich
mir zur Pflicht machte, hatten die Idee dos Werkes in mir
übertäubt; über dem emsigen Vergleichen abweichender
iahten hatte ich die Sache selbst aus dem Gesicht ver-
loren. Daher fanden sich, wie ich in gesammelterer Stim-
iung diese letzte Überarbeitung wieder durchsah. Ände-
rn, Ober die ich mich wundern mußte, und durch die
ich offenbar mir selbst Unrecht getan hatte." Daher stellte
allen solchen Stellen die früheren Lesarten wieder her,
seine Arbeit bei der neuen Auflage bestand nur darin, die
Scharten, die in sein gutes Schwert nicht sowohl der Feind
gehauen als er selbst hineingeschÜffcn hatte, wieder aua-
iwetten. In den literarischen Denkwürdigkeiten fügt er
izu: „Doch immer noch nicht genug." Das ist richtig,
der erste Wurf war doch d«r beste gewesen. Und deswegen
it or auch recht mit dorn Stoßseufzer; ,,lch wollte, ich
litte nie w** daran grundert."
*) & Bd. 1. &. 266.
332
Fünft*« Kapitel
Die Hauptarbeit aber galt nun wie getagt der christ-
lichen Glaubenslehre. Einstweilen exzerpiert er und verdirbt
sich dabei die Augen, so daß er in dieser Zeit zum erstenmal
Ober sie zu klagen hat, Mit der Ausarbeitung begann er erat
nach Neujahr 1340; denn das gelehrte Slomuiinmeln und
das künstlerische Schaffen hat er zeitlich immer auseinander-
gehalten. „Der Schriftsteller meiner Art", schreibt er darüber
nn Hupp, ..muß von Anfang des Schreibens schlechter-
dings wie ein vollgesogcner Blutegel sein und von seineu
Büchern, wie ein solcher von der Wunde, wegfallen." Di«
Vorrodo zum BfPtOO Band ist vom 2. September tH'iO diitiert,
der zweite Band erschien im Juni 1841; doch war schon
im Februar „der letzte esc hat elegische Nagel in den Sarg
des [>'iL'i;i,i- ^schlugen".
Was uns an diesem Buch zunächst auffflllt, das ist
der veränderte Ton. Strauß ist, namentlich wenn man
an die zwei Jahre zuvor geschriebenen ..friedlichen Blatter"
zurückdenkt, viel negutiver und polemischer, viel leiden
schaftlicher und aggressiver geworden. Natürlich, in diese
Kampfstellung hatten ihn die Theologen hineingestoßen,
nun mußten sie es eben hinnehmen: sie Katton ihn als
Feind behandelt, also behandelte er auch sie und ihre
Wissenschaft hinfort als den Feind. Kr schreibt jetzt, wie
er selber sagt, ira et studio. Wenn aber Treitschke 1 )
von einem „blöden Haß" spricht» zu dem ..der geist-
reiche Mann in fünf Jahren harter Kfiinpfe herab-
gesunken sei und der dem Fanatismus Eschenmayers nichts
nachgegeben habe", so sucht man dafür in dem Buch vei
gebens auch nur die leiseste Spur, Es war der Bruch mit
i\^r Theologie, nicht mit ihren einzelnen Vertretern, und der
Kampf wurde mit ehrlichen Waffen — nicht blöd und
fanntiNch, sondern in glänzendster, geradezu elegantester
Porm geführt. Treitschke hat das Buch wohl nie in
') Treitschke *. n. O., Bd. IV. 8.493.
Die christliche Glaubenslehre,
333
der Hand gehabt, sonst hätte er so nicht darüber reden
können.
Für den Umschwung zur Negation der Kirche und Alf
Theologie gegenüber ist ein Brief an Mürklin bezeichnend.
defi Strauß dem FlWUld aus Anlaß von dessen Buch
über den Pietismus am 3. November 1839 geschrieben
hat Da heißl e»: „Um indessen meine Ansicht über
Drin« jetzig» Stauung offen n sagan, welche Ansicht
Dir aber freilich, wie ich klnr einsehe, nicht dienen kann,
ehe sie sich Dir ebenso aus dem Zusammenwirken auOercr
Umstand* und innerer Prozesse entwickelt haben wird,
wie mir, — meine Anwirbt also i J t offen gesagt die. daß Du
Dich über Deine Stellung zur Kirche in einer Selbsttäuschung
befindest. Doch dirs habe ich Dir langst gesagt und Du
fuhrst in Deinem letzten Schreiben gegen dieses mein Urteil
eigene frühere Äußerungen von mir an Erstlich die Vor-
rede meines Lebens Jesu, und dn gestehe ich denn gleich
offen, daß ich auf jenem Hegelschcn Standpunkt jetzt nicht
stehe, und von der jungfräulichen Erzeugung Clin-ti.
■i Auferstehung usw. als ewigen Wahrheiten nicht mehr
sprechen mochte. Was aber die Vorredt» tu den zwei fried-
lichen Maltern betrifft, so ist jene Ansicht allerdings noch
in DM die meine, und wenn man du*, was ich dort beschrieben,
noch Christentum nennen will, so habe ich nichts dagegen.
sofern auf Worte nichts nnlt mimt. Aber man wird es nicht:
und das will mir um so lieher sein. Orientiere Dich doch
nur immer an einem von mir schon früher berührten Punkte,
an der Exegese, und Du wirst erkennen, daß der Pietismus
und der Kircheuglniihc hier auf demselben Boden stehen.
Und *o ist denn auch das Urteil tlber Deine Schrift ganz
allgemein, soweit ich vernehmen konnte, dieses, daß Du
— und nun meinen die einen, aus List, dir andern, aus
Selbsttäuschung — auT den Snek (den Pietismus) geschlagen,
den Esel aber (die Kirchenlebre) gemeint habe»»!. F.* ist
merkwürdig und von uns wohl zu beherzigen, was es mit
984
K uii Kr« Kapitel.
dtOI UM nachwachsenden Geschlecht, nachdem wir den
Damm durchstochen, für eiue Wendung genommen: die
besseren Köpfe alle, soweit sie für mehr als da« Hi*tori»ch.->
Sinn haben, sind Ober dio Illusionen, heißen sie nun Schleier-
Jicrsche oder Hegelsche oder wie Bio wollen, Ober diese
Illusionen einer Übergangsperiode, die uns noch immer
äffen wollen, sind diose Leute hinaus, und wir müssen auf
ihren Standpunkt jwgmRig ••ingidieii, um den nnsern "Ih
zu prüfen, N'urmchtzuzeitig stehen geblieben und dem Flusse
des Fortschritts der Konsequenzen Einhalt getan! Sonst
kommen wir in die 'saubere Stellung, nicht nur von den Alt-
gläubigen wie natürlich angefeindet, sondern zugleich von
den Fortschreitenden ausgelacht zu werden. Du mißver-
stehst mich nicht, als wollte ich vom äußeren Erfolg das
Innere abhangig machen, d.h. ermahnen, wir sollen uns
darnach in unseren wissenschaftlichen Bestrebungen richten.
was aie für Anklang finden, — sondern ich zeige die Außen-
seite nur als Kehrseite der inneren Natur der Sache. Und
in dieser Hinsicht bleibe ich dabei und berufe mich auf das
Srgabob einer aufrichtigen SelbstprUfung bei Dir, doB das
Mitmachen und philosophische Aufstutzen der christlichen
Dogmen von unserer Seite eitel Atlektation ist, daß keine
einzige religiöse Empfindung, die wir haben, sich natür-
licherweise in eine christliche Form mehr kleidet, ja daß
uns die religiösen Gefühle lieber ganz davonÜiegeu. ehe
sie sich in das alte stinkende Käfig der wenn auch noch so
?ii -rhe-h uhrrpoppten Kirchenlehre zwingen lassen. Christus
für sich mag gewesen sein, wer und was er will, das kann
unserer Religion gleichgiltig sein, weil wir keinen Versöhner
:iuH«-r iiu.1 kein Orakel mehr brauchen. Wendest Du ein:
aber das Volltl so finde ich ja eben das verkehrt, daß die
Wissenschaft sich noch diesen harten Köpfen richten soll;
unsere /.oit kann nur dadurch weiter gebracht werden, daß
die Wissenden — aber von denen willst Du ja nichts wissen.
mit Scharlenrnnyer rufend: o geehrtes Publikum, bring usw.
Die cbrätiichc Glaubenslehre.
355
Ganz wohl und «nvcrstanden; aber glaube nur, daß diese
ecclc&xa inviaibilis. eben weil sio letztens» ixt, noch viele jetzt
ganz unbekannte Glieder hat, und daU gerade unter den
jetzt schon reifen Fruchten derselben manche sind, die es
nur durch inneren Wurmstich wurden, und bald abfallen
werden, um den wahrhaft von innen heraus gezeitigten Platz
zu machen. Dies, lieber Freund, ist mein Weg; ihn haben
aber nicht bloß meine Gedanken, sondern ebensosehr Äußere
„Führungen'*, für welche ich der „sogenannten Providenz"
nicht genug dankbar sein kann, mich geleitel; darum gehe
Du nur getrost den Deinen und tue. was Dir gemäß ist; da
Dich so gewiß wie nur irgendeinen die liebe der Wahr-
heit leitet, und ich mir ein ähnliches Zeugnis geben darf
(von unreinen Beimischungen ist wohl keiner von beiden
frei), so werden wir wohl nicht zu weit auseinander kommen."
Dreierlei ist an diesem Briefe bemerkenswert. Hier
schon dm Krage; Sind wir noch Christen? und als Antwort
mf auch hier schon ein deutlich erkennbares Nein. Zum
[iten der Hinweis auf Jüngere, Fortgeschrittenere: dabei
denkt Strauß wohl eher als an Bruno Bauer an Feuerbach,
von dem zwar noch nicht „das Wesen des Christentums",
wohl aber sein „Pierre Bayle" und der Aufsatz ober ,,Phil<>-
iphic und Christentum iu Beziehung auf den der Hegel-
i-ih ii l'hiloh<j](hi> KMiiKir.Mi'O. Vonrarl der I rielmstliehknil"
erschienen war. Endlich ist wichtig die Absage an die
Schleicrmaehurechen und an diu liegelscheu „Illusionen".
Ganz so weit wie in diesem Brief vom Novomber 183^,
in dem die Erregung ober die „äußeren Führungen" zu An-
fang des Jahres noch deutlich nachzittert. ist er in der
Glaubenslehre selbst doch nicht gegangen: an der Arbeit
hat er sich beruhigt und seine Anschauungen noch einmal ge-
klärt. Aber den Gegensatz zwischen dem Standpunkt de«
-t liehen Glaubens und dem der modernen Wissenschaft,
r wie er ihn in dem ersten „apologetischen" Teil noch
kürzer ausdruckt, den Gegensatz zwischen Glauben und
Funfl« Kapitel.
Wissen hat er auch hier mit unerbittlicher Schiffe formuliert.
Bis dahin halte er mit Hegel die Identität des Inhalts in
beiden, in Religion und Philosophie, anerkannt und nur einen
l ul.erscbied in der Form gelten lassen wollen: die Iteliginn
hübe in der Form der Vorstellung dieselbe Wahrheit wie
die Philosophie in der freilich höheren Form de» Begriffs.
Jetzt fragt er: „Ist es denn wahr, ist es nnch den eigenen
Prinzipien derjenigen Philosophie, von welcher diese Be-
stimmung de» Verhältnisses ausgegangen ist, wahr, daß der
Inhalt gegen die Form so gleiehgtllig ist? Verhalten sich
wirklich beide so äußerlich zueinander, daß bei der Ver-
änderung der einen Seile die andere unverändert beharren
kann? Wenn Hegel die Form der Vorstellung, in welcher
ihm zufolge die Religion den absoluten Inliult hnl. ungi-
scheut als eine untergeordnete, inadäquate bezei^lmi: so
fragt sich, ob in einer endlichen Form der Inhalt ab abso-
luter vorhanden sein kann und nicht vielmehr mit dieser
Form selbst ein endlicher, der Idee unangemessener wird ?**
Und er beruft sich dafür ausdrücklich auf „die durch Hegel
angeregle jüngere Philosophengeneration", auf Frauonstfidt,
Daumer und Feuerbach, die diese Identität des Inhalts
entschieden in Abrede stellen. An den Begriffen Oflen-
barung, Weissagung, Wunder, Inspiration und Heiliger
Schrift, indem er sie kritisch auflöst, weist er es selber nach.
daß die kirchlichen Glaubensartikel sich auch inhaltlich
nicht decken mit den Vernunftwahrheiten und wissen-
schaftlichen Einsichten unserer Zeit, So ist zwischen Glauben
und Wissen wieder einmal das Ünnd zerschnitten, das die
Hogelsche Philosophie knöpfen zu können geglaubt hatte,
die Versöhnung der beiden Standpunkte gehört zu ihren
großen „Illusionen 4 *. ..Wer zum Vcrmmflghiuheu noch nicht
reif ist, der bleibt beim OfTenbarungsglaubon. Hier ist ein
Kluft zwischen zwei Klassen der menschlichen Gesellschaft,
den Wissenden und dem Volke, d. h. den .Nichtphiloso-
phierendni du- höheren wie der niederen Stünde, befestigt,
Die christliche Ota«hsaaUhf.
:,;
* sich vielleicht niemals aiaUnSc. wird." Also, rafl er
pathetisch au», „also las»* der Glaubende den Wissenden,
wie dieser jenen, ruhig Mine Straß* aeben; wir lassen ihnen
Dkm Glauben, so lassen «e uns aiww Philosophie; und
wenn es den Überfrommen gelingen sollte, an» aus ihrer
Kirche auszuschließen, so werden wir dies für Gewinn achten :
falsche' Vermittlungsversuche sind jetzt genug gemacht; nur
Scheidung: der Gegensätze kann weiter führen".
Dieses Aufgeben des Glaubet» an die inhaltliche Identität
von Religion und Philosophie ist nicht nur für die nächste
Aufgabe, die e* in dem vorliegenden Buch zu löaen galt, sie
ist auch für Strauß selbst und seine ganze innere Entwick-
lung bis in sein letztes Buch hinein wichtig, Durch die Ohdsfc-
li du Glaubenslehre hat er sich nicht bloß aus der Theologie,
«r hat sich damit auch an einem Hauptpunkt aus der
Mi gelsi hrn Philn-oplne tÜDAflagenlulalKlB : Bnd weil er
nun für längere Zeit mit der Theologie auch der Philo-
sophie untreu wird, so fehlt ihm von nun an, wie er
1860 au Professor Biedermann in richtiger Selbsterkennt-
nis schreibt, „der feste Rückhall eines philosophisch D
Systems". Und es ging ihm, als er mit und nach der
rh-utlugia ftnoh wieder zur Philosophie zurückkehrte, ebenso
wie e* Feuerbach gegangen ist: er war dann ohne einen
solchen Ruckhalt „gegeo die Sirenenstimmen des Materialis-
U nicht gesichert". Allein ein konsequenter Materialist
konnte er doch auch nicht werden, dazu waren die Jugcnd-
eiadrucke ui mächtig, und diese wiesen ihn immer wieder
zu Hegel und zum Hegelschcn Idealismus zurück. So hut
der Standpunkt des alten und des neuen Glaubens und der
dort gemachte Versuch, Materialismus und Idealismus als
gleichberechtigt, tu ein-, zu *«tzeii. hier in der Apolfigetül dflf
christlichen Glaubenslehre seine Wurzel. Oder anders aus-
gedruckt: Strauß bruch mit der Theologie und hörlo doch
i. auf. Theologe zu sein; darum konnte er in den
sechziger Jehren wieder zu ihr zurückkehren. Und ebenso
m
FäalU* KapileL
ging es ihm mit der PhßofOpUoi er brach mit einrr Grund-
anschauung Hegels und hörte doch nicht auf, Hegelianer
su sein; darum konnto i*r in »einem letzten Buch Materialist
und Hegelianer zugleich srin und somit auch hier wieder
zu seiner ersten Liebe zurückkehren.
I imcIi lininil greifen wii vm. Hut wird virlrii.hr riur
andere Frage brennend, die wir bisher immer zurückgeschoben
haben und die nun endlich zur Beantwortung reif ist. die Frage,
ob jenur scharfo Trennungsstrich, den Strauß in der Glaubens-
lehre zwischen Glauben und Wissen macht, nicht auf einer
falschen, weil allzu intellektuauHischen Auffassung des Glau-
bens und der Religion beruht? Vom Standpunkt dos Lebens
Jesu und der Streitschriften aus ließ sie sich noch nicht mit
Bestimmtheit beantworten, wenn es auch oft so klang, als ob
Strauß im Gegensatz zu Schien i m ; linr mit Hegel diu Religion
allzu einseitig ab Denken, als Sache („Form") der Vor-
stellung gefaßt bane. Aber schon bei Hegel liegt die Sache
nicht so intellektualistisch einfach. Die Religion, sagt dieser
in der Einleitung zur Rcligionsphilosophii' 1 ). ist „die Region,
worin alle Rätsel der Welt gelöst, alle Widersprüche dt»
tiefersinnonden Gedankens enthüllt sind, alle Seh morsen
des Gefühls verstummen, die Region der ewigen Wahrheit,
der ewigen Ruhe. In der Beschäftigung mit ihr entladet
-ii h der Geist oller Endlichkeit, diese Beschäftigung gibt die
Befriedigung und Befreiung; sie ist absolut freies Bewußt-
sein, das Bewußtsein der absoluten Wahrheit und so selbst
wahrhaftes Bewußtsoin; als Empfindung bestimmt ist sie der
Genuß, den wir Seligkeit nennen, als Tätigkeit tut sie nichts
anderes als die Ehre Gottes zu manifestieren, die Herrlichkeit
ibrsM'llM'ii£iiij|Fi?iib.'ircu. Uio Völker habendies religio 16 B0WU04
sein als ihre wahrhafte Wurde, als den Sonntag des Lebens an-
gesehen; aller Kummer.alle Sorge, diese Sandbank der ZeiÜich-
') Hegfll'n VorlmuDffrn Ober dir Philosophie der Religion,
Bd. I. fi. rtf. (..Ifter Bund der Wnrke).
t>ie <limllt<:h« Olaubenslebrr.
330
ktii, vorschwebt in diesem Äther, es sei im gegenwärtigen Ge-
fühl der Andacht oder in der Hoffnung. In dieser Hegion des
Geist«» strömen die Leihefluten, aus denen Psyche trinkt»
worin sie allen Schmerz versenkt, alle Harten, Dunkel-
hiitcn der Zeit zu einem Traumbild gestaltet und cum Licht-
lans des Ewigen verklärt." Ich weiß nicht, ob man daa
Gefühlsmäßige in der Religion besser und schöner anerkennen
kann, ab e* hier geschehen ist. Und darin weiß sich Strauß
mit Hegel eins. So schon in seiner Definition des Glaubens:
„Die Art und Weise", sagt er, „wie der Mensch den Inhalt
der Offenbarung weh aneignet, die innere Beistimmung,
die er, nicht infolge kritischer oder philosophischer Unter-
suchungen, ja oft im Widerspruche mit solchen, sondern
überwältigt durch ein Gefühl, das die evangelische Kirche
das Zeugnis den heiligen Geis tos genannt hat, das aber in
der Tnt nur die Kmpfindung der Identität des im Individuum
geweckten religiösen Lebens mit dem in der Schrift dar-
ilellten und in der Kirche waltenden ist, — die Bes-
timmung, welche infolge dieses Gefühls der Mensch dem
Schriftiubalt und der Kircheidehre zollt, heißt in der lurch-
len Sprache der Glaube.'* Ganz besonders bezeichnend
aber ist, wie. er die Hegeische Bestimmung von der Form
der Vorstellung ergäuxt und korrigiert: er macht daraus
Form und unmittelbare Weise de* Gefühls und der
Vorstellung". Man wird nicht fehlgehen, wenn man hierin
den Einfluß Schleiermachers sieht, dessen , .musikalische
tMigion" er so gut nachzuempfinden und so trefflich zu
charakterisieren verstand. Endlich spricht er es auch geradezu
aus, daß ..das Gemüt der Boden Bei, dem die Religion unmittel-
bar enUprieaV 'mm* will er mil Hugel iiucrk-imit wissen
daß „auch die Vernunft, die objektive Tätigkeit der Intelligenz,
Samen in diesen Boden streue, daß mithin die aus dem-
in aufkeimende Religion an beiden Seiten Anteil habe 1 '.
Aber wie steht es dann mit dem Wissenden und seinem
Gemüt, wenn seine Wege sich von denen des Glaubenden
340
Fünft» KapilH.
Irwinen? Wird diese» dadurch nicht verarmen? Nein;
denn „dem wahrhaft Philosophierenden gewährt das System
■einer philosophischen Überzeugungen von dem Wesen de«
Absoluten und «einem Verhältnis zum Endlichen, tob der
Natur und Bestimmung des Mensehen usw. gar.x dieselbe
innerste und diu Einheit seine* Wesens, mit sich abschließende
Befriedigung, w«lrhfl dm Gläubigen der Inbegriff christ-
licher Glaubenswahrheiten gewahrt. Religion und Philo-
sophie tun demselben höchsten Bedürfnis des Geistes genug:
mit sich selbst ins reine zu kommen, des Einklänge seiner
endlichen Erscheinung mit seinem absoluten Wesen inne
zu werden; nur dnß die Religion sich zu diesem Behuf«
mit Gefühle« und Vorstellungen begnügt, zu deren Erregung
und Ausdruck sie eine* besonderen Kreises von Darstellungen
und Übungen bedarf; wogegen die Philosophie diesen Utlbatl
BoMfllaf MrTBisH und zur Anschauung der Sache 'ill.-.i
zum Begriffe vordringt." Man wird hier an Spinoza denken
müssen. Aber immerhin, miL dieser let/leii Wendung
kommt Strauß dneh wieder auf den früheren iritellektuali-.it-
schen Gegensatz von Vorstellung und Begriff zurück; und
so wird man sagen köuuen: Strauß habe die Gefühls- .!■
in der Religion nicht verkannt, er habe in der Zusammen-
stellung „Gefühl und Vorstellung" Schleiermacher und
Hegel zu vereinigen gesucht; über der Intellektualismus
und Panlogismus schlagt allerdings wie bei dem Meist
bei Hegel selber, so auch bei ihm immer wieder vor, und
macht seinem RnligiousbegrilT einseitiger und enger, den
Gegensatz zwischen Religion und Philosophie gespannt ■ .
und gefährlicher, als er freilich immer ist.
Für das Buch aber kommt das doch kaum in Betracht.
GIhuIm.d l hro, Dogmatik ist Wissenschaft und will es sein;
die Theologie i*l nicht Religion, sondern ist Wissenschaft oder
sollte es doch suin. Als solche muß sie sich aber durchaus
vor iIiih Klimm der \ ••rmiiift und des Denkens ateUan und
daraufhin prüfen lassen, ob »ich ihre Glaubenssätze mit
Die christliche Glaubenslehre.
341
tikcn der Vernunft, mit der Philosophie, und
philosophisch gebildeten Bewußtsein unserer Zeit
zusammen denken lassen. In diesem Sinn präzisiert
Strauß diu Aufgabe seiner Glaubenslehre und ihn» Stel-
lung zur bisherigen Dogmaük so: „Sie soll der dogmatischen
Wissenschaft dasjenige leisten, was einem Handlungshause
die Bilanz, leistet. Wird es durch diese gleich nicht reicher,
80 erfahrt es doch genau, wie es mit seinen Mitteln daran
i^t: und das ist oft ebensoviel wert als eine positive Ver-
mehrung derselben. Eine solche übersieht über den dogma-
tischen Besitzstand ist in unseren Tagen um so dringenderes
Bedürfnis, nU sich die Mehrzahl der Theologen hierüber
die größten Illusionen macht. Man schlägt den Abzug,
den die Kritik und Polemik der zwei letzten Jahrhunderte
vom alten theologischen Grundstöcke gemacht hat, viel
xu gering an, und dagegen die zweideutigen Hilfsquellen,
dlfl du in der Getühlhtheologio und mystischen Philosophie
des gegenwärtigen gefunden zu haben glaubt, viel xu hoch.
Man meint die Prozesse, welche über jene Ausfülle noch
h weben, zum größten Teile schon gewonnen zu haben
und aus den neueröffneten Schachten der reichsten Ausbeute
gewiß xu sein. Es könnte aber der Fall eintreten, daß jene
Prozesse sönttlich an einem Tage verloren gingen: und wenn
dann zudem noch diese neuen Gruben die Hoffnung tauschten,
so wäre das Falliment unvermeidlich. Grundes genug,
weh in Zeiten vorzusehen und genau zu untersuchen, was
an den froheren Verlusten wirklich unwiederbringlich und
was etwa noch beizulreiben ist, ebenso was bei den neueren
Untornehmuriivn als sicherer Gewinn in Aussicht steht und
wir »ich, dies alles wohl berechnet, die Aktiva zu den Passiva
verhallen.'*
Um eine kritische Überschau handelt es sich also hier,
wie fünf Jahre zuvor beim Leben Jesu. Allein „diesubjektive
Kritik des einzelnen ist ein Brunnenrohr, das jeder Knabe
in VViile «Inhalten kann. Die Kritik, wie sie im Laufe der
342
■ Kapital.
Jahrhunderte sich objoktiv vollzieht, stürzt als ein braust ■ ndcr
Strom heran, gepen den all« Schleusen und Damme ni-
vermögen"; oder noch kürzer und epigrammatischer: „Die
wahre Kritik des Dogma ist seine Geschichte." Es ist nämlich
dieser kritische Prozeß nicht erst von dem heutigen Theologen
zu veranstalten, sondern er liegt in der ganzen Entwicklungs-
geschichte des Christentum:? bereits vor, und der jetzt lebende
Theologe hat ihm bloß zuzusehen und ihn begreifend zusammen-
zufassen. So wird diese Art der Dogmati k vielmehr zur
Dogmengeschichto, der Doguiatiker zum Historiker. „Alle
die Tiegel und Retorten, in welchen das Dogma geschmolzen
und destilliert, alle Iteagentien, durch die es in sich zersetzt
werden, alle Goffißo, in denen es garen und abschäumen
muß, sind nicht erst von uns zu machen und in Tätigkeit zu
setzen, sondern wir dürfen sie nur nehmen, wie sie als kirch-
liche Parteien und Streitigkeiten, als Ketzereien und Synoden,
als Rationalismus. Philosophie u. s. f. bereits gegeben sind "
Es ist interessant und instruktiv zugleich, die Straußische
Glaubenslehre mit einer anderen, 700 Jahre vor ihr geschrie-
benen Dogmatik zu vergleichen, ich meine das für die Theologie
nicht weniger böse Buch von Peter Ab&lard „Sic et non".
Und merkwürdig, die beiden Bucher, die e* auf eine „Unter-
wühlung der Theologie 1 * abgesehen haben, stehen durchaus auf
dem Boden ihrer Zeit und Zeitanschauung, Abalard aufdem
scholastischen, Strauß auf dem Hegelscheu, und doch kommen
sie beide zu demselben Ziel. Abalards Buch halt sich durch-
aus an das Traditions- und Autoritatsprinzip der kirchlichen
Scholastik, aber er entdeckt ein für dieses Prinzip Ver-
hnugiiisvolles: daß die Tradition der Vater zwiespältig int
und die Autoritäten sich widersprechen. Und nun stellt er
unerbittlich diese WidersprOcho, das Ja und das Nein der
Autoritäten nebeneinander und laßt dadurch, daß er sich
weder für das eine noch fftr das andere entscheidet, den Leser
und damit das christliche Subjekt überhaupt ratlos stehen
vor diesem Ja und Nein zugleich. Im neunzehnten Jahr-
Die christliche Glaubenslehre.
:m
hundert war an iii" Stulln der alten eine neue Sduda! lifc
treten, die Hegelsehe 1 Phflosophfa und Ihre dialektische
Methode. Aber die Philosophie Hegels war erfüllt vom Geist
der Geschieht*», der Begriff, mit dem .ic «»pi-rii-rtn uml ihr
Welt in ihr Botfrifr*netz einzufange« suchte, war dfif dfff
Entwicklung. Strauß «teilt sich wie im Leben Jesu so jetzt
in der (rlaubwi.Nielire auf diesen Hegolschon Bod«n und be-
handelt von ihm au» das Dogma entwicklungsgeschichttieh,
er wirft es rettungslos hinein in den Strom der Zeit, in den
W.imlol der (Veichichte, in die mit Ja und Nein aufeinander
fulg<-mlen und einander ablösenden Perioden. So verwandeln
beide die Dogmatik in Dogmengeschichte und zerstören da-
durch den Glauben an ewige Wahrheiten und an die ewige
Wahrheit fies OirntU-nlum* und seiner Onanien hie |)o?-
malik wird wirklich zur Danteschen HöDe und ihre Ge-
schichte zu einer göttlichen Komödie wie bei Daub.
Zu dieser Art geschichtlicher Behandlung brauchte Strauß
aber vor allem eines: Wissen, Gelehrsamkeit, Belesenheit.
Und so ist denn auch in der Tat wieder wie beim Leben Jesu
der erste Kind ruck der, daß wir hier das Werk eines gründlich
gelehrten Theologen vor uns haben. Er selbst sagt darüber:
„Daß ich zum Beliufe genetischer Darstellung des orthodoxen
Systems die dogmatisch wichtigeren Werke aus aller wie aus
neuer Zeit selbst studiert habe, werden Kenner bemerken;
daß ich in Fallen von untergeordnetem Belange auch be-
wahrte Monographien und Sammlungen benutzte, werden die-
jenigen in der Ordnung finden» welche die Masse der Quellen
kaxmnn und den Zweck meiner Schrift erwögen ; In der Literatur
der negativen Seile wird man mir selbständige Belesenheit
ohnehin zutrauen." So ist es: Strauß hatte oberall in den
Quellen gelesen und aus ihnen geschöpft, aber er hat na-
türlich nicht alles gele-.cn . nie.ht alles lesen kOtinen. Sein Werk
Ut aus den Quellen herausgearbeitet, aber es war nicht in allen
Partien gleichmaßig aus dem Vollen geschöpft. War ihm die
negative Seite, wie er seibat andeutet, am besten bekannt, so
■::;*
MI
Fünftes Kapitel.
wird man ihm umgekehrt kein Unrecht tun» wenn man sagt,
duB »rinn Kenntnis der Scholastik vielfach lückenhaft gewesen
ist. Da er die wichtigsten Quellenslellrn im Text oder in den
rahlrcichen Noten selber beibringt, so kann man ihn darin
ja durchaus kontrollieren. Im ganzen aber war die Belescnhoit
für dun noch immer erst 32 jährigen, der ein „Leben
Jesu" hinter sich hatte, eine bewundernswert große und
umfangreiche.
Das Werk gliedert sich in zwei ungleiche Hälften: die
kleinere Apologetik, die die formalen Grundbegriffe der
christlichen Glaubenslehre behandelt und in der uns schon
bekann len Auseinandersetzung über das Verhältnis von Glauben
und Wissen gipfelt, und die größere Dogmatik — der materiale
Inbegriff der christlichen Glaubenslehre. In der eigentlichen
Dogmatik kommt die Anlage des Ganzen deutlicher zum
Ausdruck- Wir erinnern uns an den alten dreiteiligen Plan
zum Leben Jesu, solange dieses noch im Zusammenhang und
uls Vorarbeit zur Dogmatik gedacht war: es sollte in einen
traditionellen, einen kritischen und einen dogmatischen Teil
zerfallen. Dem entspricht jetzt der längst schon entworfene
und im wesentlichen festgehaltene Grundriß der Dogmatik.
Nach dem Schema der allprotestantischen Dogmatik werden
die einzelnen „Loci** durchgenommen: vom Dasein, vom
ilivieinigeii Wesen und von den Eigenschuften Gottes; von
der Schöpfung und den vornehmsten Geschöpfen und deren
Urzustand; vom Sündenfull und der Erlösung, wobei zuerst
ober die Person, dann über das Geschäft Christi geredet wird;
von Vorsehung und Übeln; von Sundo und Gnade; von den
Gnudcnmiltcln und der Kirche, von den letzten Dingen und
der Unsterblichkeit. Dabei wird jedesmal 1. die traditionelle
Lehre dargestellt a) als biblische, b) als kirchliche, und diese
wicderumajalspatristisch-scholastischo, fl)als orthodox prote-
stantische. Darauf folgt 2. die Kritik, die Auflösung der kirch-
lichen Lehre durch den Rationalismus, den Strauß mitden Soxi-
nianern (und Arminianern) einsetzen laßt, weshalb er sie einmal
Dte Chriftbd» Gb«beostehr«.
841
„die Wus**fsrh£'iiio" zwischen der alten Orthodoxie und dem
neueren, bereits rationalistisch angekränkelten Supranatora-
Uunus genannt hat. Ihre Angriffe auf da« orthodoxe System
werden darum besonder* eingehend behandelt, aber dann
<k>ch ror allem die KeulensenUg« Spinoza« im Tractati»
Iboologico-poliÜcus und die Kritik der englischen und deut-
schen Aufklärung in den Vordergrund gerückt. Den Schluß
dieser Ausführungen und den Übergang tum dritten Ab-
schnitt bildet gewöhnlich die Umbildung der Dogmen in der
Schleiermacberschen Glaubenslehre. Bndlich kommt 3. das
begrifflich-spekulative Denken an die Reihe, da« mit Kant
anbebt und mit Hegel und seiner Schule eudigt. In dem
ursprünglichen Plan hatte sich da» Strauß freilich anders
gedacht — als die Versöhnung zwischen Glauben und Wissen,
als die Wiederherstellung des Dogmas auf höherer Potenz,
ab Nachweis der inhaltlichen Identität der kirchlichen Lehre
D U den Gedanken und Begriffen der Hegeischen Spekulation.
Der Glaube an diese Identität war aber nun aufgegeben, und
daher wurde jetzt auch diese spekulative Behandlung und
Umdeutung wesentlich nach ihrer zersetzenden, auflosenden
Seite, im Gegensntz und als Gegensatz zum Dogma gefaßt.
Man sieht dies schon äußerlich daran, daß sie nicht immer
in einem besonderen letzten Abschnitt für »ich dargestellt,
sondern vielfach mit dem zweiten auflösenden Teil in eins
zusammen genommen wird.
Daß aber das Resolut darum doch nicht bloß negativ,
das Fazit nicht =0 war, versteht sich von selbst. An die Stelle,
nicht der Religion, aber der Theologie tritt als Positives
die Philosophie, an die Stelle des christlichen Glaubens die
modern** WtftUflSshatlusff, di. . philosophische Vi-rstfluranfl
des Geistes mit sich aelbsl", die dem Philosophen auch für
Gemüt und Herz dieselbe höchste Befriedigung gewahren
soll, wie dem Gläubigen die religiöse. Machen wir uns
dieses Positive an ein paar Beispielen klar, die zugleich die
Quintessenz der damaligen Anschauungen von Strauß in
SM
Fünft« Kapitel.
sich schließen. Zunächst am Gottesbegriff. In der Speku-
lation unserer Tage hat Gutt aufgehört, dnn Person neben
oder über anderen Personen xu sein. Dafür ist er ihr
„die ewige Bewegung des sich stets zum Subjekt machen-
den Allgemeinen, das erst im Subjekte zur Objektivität und
wahrhaften Wirklichkeit kommt". Nicht als Einzelperson-
liclikeil, wohl ober als Allpersönlichkeit muü Gott gedacht
werden; atall unsererseits das Absolute zu personifizieren.
müssen wir es als das ins Unendliche sich selbst personifizie-
rende begreifen lernen: unser Gottesbegriff ist nicht theistiscb,
sondern panlh eis tisch.
Vom Leben Jesu her interessiert uns weiter die Christo-
logic der Glaubenslehre. Wir sind begierig zu erfahren, ob
Strauß wieder zu der ursprünglichen Auffassung in der
Schlußabhandlung des Lebens Jesu zurückgekehrt oder ob
er bei dem genialen Individuum der Friedlichen Blatter ge-
blieben ist ? Natürlich das erstere : denn in der Glaubenslehre
handelt es sich nicht um den Jesus der Geschichte, sondern
urn den Christus des Glaubens. Nachdem — diesmal in einem
besonderen Paragraphen — Sr.hleic.rmnchers Christologie dar-
gestellt und gezeigt worden ist, daß ihre Grundlage» die postu-
lierte Notwendigkeit eines unsündlichen und schlechthin
vollkommenen Christus, hinfällig, diese ganze Christologie da-
mit auf Sand gebaut sei und darum gegen die taglich steigen-
dcnWasser und Winde der Kritik unmöglich standhalten könne,
kehrt er in dem Abschnitt über die spekulative Christologie
einfach zu sich und seinen Aufstellungen in der „Schluß-
abhandlung" des Lebens Jesu zurück. Um die Idee des Gott'
i rächen, der Menschwerdung Gottes handelt es sich, aber
nicht als um einen einmaligen historischen Vorgang und eine
einzige geschichtliche Persönlichkeit, sondern um die
Menschheit, der allein alle jene Prädikate zukommen, die die
Kirche Christo beigelegt hat. Denn, wiederholt er, es ist nicht
die Art, wie die Idee sich zu verwirklichen pflegt, in Ein
Exemplar ihre ganze Fülle auszugießen und gegen alle andn-ni
Die christliche Glaubenslehre. $47
tu gwzen. in jenem Kineo vollständig, in nllen übrigen hin-
gegen immrr nur unvollständig sich nbzud rücken. Durin
sieht er nicht etwa nur seine persönliche Meinung» sondern
die echto Konsequent der Hegeischen und Überhaupt der
modernen Philosophie in ihrer Entwicklung von Spinoza an.
Und nachdem er die inzwischen erfolgten Verteidigungs-
versuchn, für die historische Persönlichkeit Jesu doch wieder
eine absolute Bedeutung zu gewinnen, sei es nun vom Stand-
punkt der Hegeischen Philosophie oder von dem der Schlei er-
mneherschen Theologin aus, zurückgewiesen hnt, schließt
OT mit dem stolzbescheidenen Wort: „Nach allein diesem mag
ea vielleicht Unverstand sein, aber Eigendünkel ist es gewiß
nicht, wenn ich hier die Überzeugung ausspreche, dnß, um dio
Christologie über den Standpunkt meiner Schlußuhhaudlung
zum Leben Je«u hinauszuführen, noch das erste verständige
Wort vorzubringen ist."
Andererseits hat er aber doch auch einiges zurückzu-
nehmen: die Konzessionen im dritten Heft der Streitschriften
und indem Aufsatz, .Vergängliches und Bleibendes im Christen-
tum" Kswnrenihrerzwei : einmal daß wir in Jesus wirklich ein
Höchstes in seiner Art haben, über das keine Zukunft hinaus-
kBIBBWn könne, und (ms andere, dnQ er derjenige sei. ,.uluie
dessen Gegenwart im Gemüte keine vollkommene Frömmigkeit
möglich ist 4 *. Dem ersten gegenüber fragt Strauß den Ratio-
nalisten, woher er denn wisse, daß Jesus dio erhabenste und
leomrnenste Gestalt in der ganzen Geschichte gewesen sei ?
„Hat er ihn an allen anderen wirklich gemessen 7 und konnte
er ea auch nur mit Sicherheit bei der vergrößernden und ver-
herrlichenden Zeichnung, die. wie er seihst gesteht, die neu-
teslam entlichen Schriftsteller von Jesu entwerfen ?" Dem
Schleiennachernuier Schweizer aber, seinem Gegner in der
Züricher Berufunsjsfrage, der erklärt hülle, überall sonst
m der Stifter einer Schule, der Urheber einer Richtung
großer, als dio Schür »einer Nachfolger, erwidert er, damit
zugleich dich hellet korrigierend, ^hlagfertlgi „GftWiBj ftbet
:us
Kann« Kapitel
darum kein Größtes*'; vielmehr treten nach solchen Bahn-
brechern über kurz oder lang andere auf, die da« von jenen
Begonnen« weiterführen und in denen die in jenen noeh muh
»am ringende und schwankende Idee zu reinerer und vollerer
Darstellung gelangt. Wenn über — wie er das in den Fried-
lichen Blättern selber eingeräumt halte — da* religiöse <-< Inet
sieh von allen anderen dadurch unterscheiden solle, daß hier
ein Erster zugleich ein absolut Größter, ein schlechthin V" . .11-
I >!tirnener sei, über den nicht hinausgegangen werden könne,
so wfire ja damit die Analogie, in die Jesus mit andern
genialen Persönlichkeiten gesetzt wird, wieder aufgehoben:
während sie auf der einen Seite nur denkbar macht, was
nicht geleugnet wird, den relativen Vorzug Jesu vor dem
nächsten Kreise der durch ihn Angeregten, lüßt »io auf der
anderen Seile gerade das, was bewiesen werden soll, die
absolute Größe Christi, als die einzige ungeheure Ausnahme
von aller Analogie erscheinen.
Was aber das andere anlangt, die Bedeutung des histo-
rischen Jeans für uns und unsere Frömmigkeit, so stellt sich
Strauß im Abschnitt „vou dem Geschäfte Christi*" auf den
Hoden iii'1 :.(>< U 1 1 1 : 1 1 1 \ i ■ 1 1 \ Bmtiliuuiigslehre, dir ilen t,'c*chichl-
liohrn Prozeß des Leidens und Sterbens Christi als einen all-
gemeinen und geistigen faßt. Auch dabei könnte das
historische Faktum noch immer als für uns bedeutsam fest-
gehalten werden. Allein wenn Hegel recht hat — und er
hat recht — mit der Behaupluug, daß das Wissen um die
Aufhebung des Gegensatzes von Substanz und Subjekt, von
selbstloser Allgemeinheit und vom einzelnen endlichen Selbst
die Versöhnung des Geistes mit sich selber sei, so bleibt für
die wirkliehe <i'\-elinmli\ im der diese im I.imfe der religiösen
Entwicklung der Menschheit allmählich herangereifte Idee
etwa Veranlassung nahm, ins Bewußtsein hervorzutreten.
Lenin Art von wesentlicher Wichtigkeit im modernen Be-
wußtsein übrig; das geschichtliche Faktum ist als ein für den
Geist gleichgültiges fallenzulassen, das Nähere seines Hergangs
Die christliche Glaubenslehre.
84«
zu mÜtab i*t lodigüch Suche der historischen Kritik dar
große Einzelne, der Jesus der Geschieht«? gehört nicht in die
Dogiiiatik. Gegenüber den erhitzten christozentrischen. auf
Schleiermacher und honte auf Ritachl zurückgehenden Wert-
urteilen ist da* freilich ein sehr kuhler Abschluß derChristo-
lügie: man *ieht. der fiebrige Pulssclilag, wie wir ihn in den
Friedlichen Blattern verspürt haben, hat sich inzwischen völlig
beruhigt. Da* historische Interesse am Stifter unserer Religion
war durch du ..Leben Jesu" vollauf befriedigt und hatte sich
darin vorlaufig durchaus erschöpft.
Neben der Christologie lag ihm — das geht au» ver-
schiedenen UnefsU-Uen deutlich hervor — der letzte Abschnitt
der Dogmatil, das Kapitel von den letzten Dingen besonders am
Herzen. Denn hier scheidet sich der Glauben mit seinen
Jenseitigkeiten am deutlichsten von der Philosophie diu aller
transzendenten Befriedigung entsagen und sich durchaus
mit dem Diesseits begnügen muß. In den Friedlichen Blattern,
als er einen Augenblick das Vertrauen auf Kritik und Philo-
sophie verloren hatte, hatte er auch hierüber einen Augen-
blick geschwankt und zugegeben, daß sich die Unsterblich-
keit wenigstens nicht widerlegen lasse. Jetzt ist er wie einst
in seinem Brief an Binder 1 ) seiner Sache wieder gewiß. Das
Kapital zerfallt in zwei Hauptslücke: die kirchliche Lehre
von den letzten Dingen und die» Unsterblichkeitslehre der
IIMllWliOll ReflonoiL Don ganzen reichen Hausrat der kirch-
lichen Esnhatologie, aus der er ja zwei Hauptpunkte, die
Frage nach der Auferstehung und nach der Wiederbriugung
aller hinge, früher schon herausgegriffen und jene in einer
Preisarbeit, diese in seiner Doktordissertation bearbeitet hatte,
überlaßt nun das moderne Ich ohne sonderliche Gemütsbe-
wegung dem kritischen Brande und ist zufrieden, daraus
wenigstens seine nackte Fortdauer nach dem Tode zu retten.
Wie steht es aber damit ? Auch die Unsterbhchkeitsbeweiae
■) *. Bd. 1. S. iiort
:;/,<>
Fünft« Kapitel.
sind wie die Beweise ffn d Gottes all* hinfällig, sowohl
der Beweis aus der Notwendigkeit einer tittttofefB Vergel-
tung als der teleologische, der die Notwendigkeit einer
iniirrlji-hi'ii Fortdauer des Individuum* mit ihr F.e liimnuiig
Sutclbi n, seine gesamte An! <<.•<■ |y vmvir!;li. h- ri und feh
auszuleben, begründen möchte. Auch hiergegen gilt: nur
die Anlage der Gattung ist (relativ) unendlich und uner-
schöpflich, die de*Euita h tf Mt la1 kann nur eine endliche 9t'in; so-
mit i»t uu'.li hier auf seilendes Glaubens dieselbe Verwechslung
«wischen Gattung und Individuum wie. in der Olmstologie.
Der metaphysische Beweis endlich beruht auf der Voraus-
setzung eines Dualismus zwischen Leib und Seele und auf der
Voraussetzung der Monadologie. Dieser letzteren gegenüber
erklärt Strauß ganz hegelisch: ..Die Spekula ttvr\Yrlt ansieht der
neueren Zeit weiß nichts mehr von vielen, sondern nur von
einer Substanz, sie versetzt das Substantielle nicht in die
Einzelwesen, sondern jenseits ihrer in den absoluten Geist,
zu welchem sich die Individuen als wechselnde, mithin wie
ruiM.iiidene ao auch vergänglich« Akzidenlien, als vorüber-
gehende Aktionen seiner immanenten Negutivitat verhalten".
Wim [uiii in dieser Spinozislisch-Hegelschen Weltansicht. die
hier durchaus die seinige ist, „die Unsterblichkeit noch eine;
Statte finden sollte, ist nicht einzusehen". Kreilieh hat c&
nicht an Versuchen gefehlt, die Unsterblichkeit vom Stand-
punkt der modernen Spekulation aus zu hallen und zu be-
gründen. Gflsehel gegennberverteidigt erhiermit Recht Hegel,
der in diesem Punkte niemals Konzessionen gemacht habe,
gegen die Mißverständnisse und falschen Deutungen diese*
Apologeten, und vollends der Versuch des „Halbphilosophen*
Weiße ist so elend ausgefallen, daß der Spolt und Hohn, den
Strauß darüber ausgießt, vollauf gerechtfertigt ist. Was bloibt
aber dann als das Positive allen diesen Negationen gegenüber
übrig ? Nach Hegel das, daß die Unsterblichkeit nicht als etwa*
erst Zukünftiges, lODdaca als gegenwärtige Qualität desGeist
als »eine innere Allgemeinheit, seine Kraft, sich über alle*
Die christliche Glaubenslehre.
»I
Endlich« hinweg xurldee zu erheben, aulgefaßt
Oder noch einfacher nach Schleiemacher in den Reden Ober
die Religion: , .mitten in der Endlichkeit ein» xu werden mit
dem Unendlichen und ewig xu »ein in jedem Augenblick, ist
alles, was die moderne Wissenschaft Ober Unsterblich keil xu
sagen weiß". Di« Gemüter aber, denen „unsere Eschatologie
wie unser Gott als ein Moloch erscheinen möchte", verweist
er zur Beruhigung auf die Verse von Angelus Silesius:
Mensch, wo du deinen Geist schwingst Ober Ort und Z«it,
80 kannst du jedrn Blirk *ein in der Ewigkeit,
Ich selbst bin KwigksW, wenn ich die Zeit verlasse
IM Sich in Oott und Gott in uueb susjaunirntasssi
oder auf Rückerts schönes Gedicht ,,Die sterbende Blume",
wo, , unsere Eschalologiesamtdemgan?«:. \ l.mfederGemQt*-
dialektik, mittelst deren eine solche Resignation zustande
kommt, in anmutigen Formen dargestellt ist".
Mit dieser Auflösung des künftigen Jenseits in ein ewige»
Diesseits bt da» Geschäft der Dogmatik beendet. ..Denn das
Jenseits ist xwax in allen der eine, in seiner Gestalt als Zu-
künftigem aber der let/ d, welchen die spekulative
Kritik in bekämpfen und womöglich xu überwinden hat."
Oder wie er später einmal gesagt hat: ..Das Aufgeben des
Unsterblichkeitsglaubens ist der Weisheit Anfang; denn
er ist die lange Bank, die allgemeine Eselsbrücke, die
schlechterdings keine Vernunft aufkommen läßt". Eine
Wellanschauung der D iflcd tlgfarft also ist an die Stelle
der auf das Jenseilige gerichteten kirchlich-christlichen
Glaubenslehre getreten, Wissen an die Stelle von Glauben,
Philnsupliii' nn ilie Stelle von Theologie. Die Religion
aber ist als Stufe und Vorstufe des fühlenden und vor-
stellenden Geistes für den denkenden und begreifenden Geist
begriffen und anerkannt, wie gerade die letzten Ausfuhrungen
über die Unsterblichkeit noch einmal die Notwendigkeit einer
Befriedigung des Gemüts und seiner Bedürfnisse gezeigt
1.-11 Drin Bi'dijiTrn\ mit stob Bolbel iie-. reine 7.11
m
Fünft« Kapital
kommen und des Einklang* seiner endlichen Erscheinung
mit »einem absoluten Wesen inne zu wrrden. muß diese
..Spinotiach-Hegelscbe Weltansicht" Genüg© lun, wenn sie be-
stehen soll; und sie tut ihmGenuge, denn in ihr steckt, obwohl
sie Philosophie ist, doch selbst etwa» wie RftHgfftfl und Glaube.
Spinoza und Hegel und mit ihnen Strauß sind Pantheislen. Der
Paiitln i.Mius ober ist jederzeit fromm und Gölte* voll, dio
pnnthcistisiche Philosophie getragen und erfüllt vom frommen
GefuhlschlechlhinigerAbhängigkeit. Daher hatte Straußsp&ter
ganz recht zusagen» daß er sich niemals „dazu habe verstehen
können, die Religion als solche nur wie eine notwendige
Schwachheit der menschlichen Natur zu betrachten". So
war das RosulUtt seiner „christlichen Glaubenslehre" zwar
nicht mehr christlich, aber es war noch religiös, war wirklich
noch Glaubenslehre. Nur hat er, immer noch nicht ganz
losgelöst von der Hegclschon Ansicht über das Verhältnis
von Religion und Philosophie, damals dem alten Glauben das
moderne Wissen entgegengestellt; dreißig Jahre später ist er
vorsichtiger und bescheidener geworden und redet dorn oltofl
Glauben gegenüber nur von einem neuen Glauben. Die Krage :
Haben wir noch Religion? beantwortet er aber als
Pantheisl, dor er immer geblieben ist, auch dann noch wie
jetzt mit Ja.
Über eines kann noch Zweifel sein: ob das alles nur für
den Philosophen gilt, oder ob die Ergebnisse dieses modernen
Wissens, dieser philosophischen Versöhnung des Geistes mit
sich selbst auch in denjenigen lebendig werden können, in
denen sie nicht philosophisch vermittelt sind, d. h. ob der In-
halt der philosophischen Weltanschauung Gemeingut aller
Teile der menschlichen Gesellschaft werden könne, oder ob
dio nicht wissenschaftlich gebildeten Glieder derselben für
immer an die positive kirchliche Lehre gewiesen bleiben ?
Diese Frage — ..eine endlose Untersuchung 44 ! — bleibt liier
unbeantwortet. Eine Bearbeitung der Dogmatik, wie er sie
gibt, ist nicht minder dringendes Bedürfnis, meint er. ob sie
Die christliche Otaafceoslehrc
353
nun für eine künftige Kirtbe der VcrnunftgUubigrn oder
nur für die gegenwärtige und künftige Gemeinde dar
Wissenden geschrieben wird. A« dem Brief an Marktin
wimn wir aber doch, wie er im Grunde seines Hertens über
„diese harten Köpfe" gedacht hat. Auf eine, »eine eccleaia
-■ibilis hofft er im stiDen schon jetzt; aber erst im allen
and neuen Glaubten hat er diese Frage wieder aufgegriffen
und sie zugunsten der zwar nicht notwendig wissenschaftlich
geschulten, aber doch der gebildete* „Wir** beantwortet.
De* Volk, die Massen hatten ihm 1839 gezeigt, was sie vos»
ihm und seinesgleichen dachten und wie sie mit ihnen fertig
werden wollten. Diese Erfahrung bat ihn, soweit er es
nicht schon vorher war, xorn Konservativen und zum
Aristokraten gemacht. Mit dem Volk bat er es vorlaufig
wenigstens nicht zu tun.
Der negative Eindruck der Glaubenslehre wird nun aber
noch verstärkt durch den schroffen Ton, in dem Strauß
hr zuweilen spricht. Es handelt steh um ein kritisches
Geriebt, das freilich nicht er, sondern das die Geschichte und
die Sclbstcnt wicklung des Dogmas an diesem vollzieht. Aber
»<.> ihm Theologen und Halbphilosophen mit ihren Tollheiten.
ihren leichtfertigen Hypothesen und ihren kläglichen Halb-
hinten und Ausflüchten begegnen, durch die sie die alten Dogmen
mit dem modernen Bewußtsein und der neuen Bildung
künstlich und gewaltsam zu vermitteln suchen, da schlagt
er jetzt allerdings rücksichtslos zu: man spürt, er ist in
ideeland und es sind Gegner, mit denen er zu tun bat.
Und auch jetzt wieder trifft er die Halben am schärfsten,
ihre Dogmatikcn vergleicht er unter ausdrücklicher Betonung,
datt das Bild nicht unedler sei als die Sache, mit „einer Wurst-
masse, in der etwa die orthodoxe Kirchenlehre das Fleisch,
IVlhlsifllii H her*: he ThiM>lojrii- den Speck und BsjgBJhOssl
Philosophie das Gewürz vorstellen: das sind jene Mischungen,
in de nendas Abgestandene durch allerlei Zutat wieder schmack-
haft gemacht werden soll, welche schon Lessing so ekel, so
3Ö4
Fünft« Kapitel.
widemtohond. *a aufstoßend fand**. Aber schließlich int doch
auch diesmal diese Sprache in ihrer Scharfe nur wieder ein
Ausfluß jener unerbittlichen Wahrhaftigkeit» milderer derTheo-
Ingto gegenObcrtritt und sie zwingen will, Farbe xubokemuui.
Sic duhei zu schonen hat er keinen Grund mehr, und daher
treibt er sein Geschäft mit aller Hart« und Strenge und scheut
auch vor muten zornigen und höhnischen Wort nicht zurück.
Aber noch einmal, es ist keine Streitschrift, sondern ein tief-
gelehrtes Werk, und daneben — das ist das Nferkwürdige —
trotz aller Gelehrsamkeit und Gründlichkeit ein höchst unter-
haltendes und anziehendes Buch. Denn der so ausfuhrlich
und geduldig beschriebene historische Auflösungsprozeß
vollzieht sich vor unseren Augen unter Aufbietung alle:;
Scharfsinns und der ganzen Fülle eines klaren, funkelnden
Geistes. Und geschrieben ist das Buch mit einer erstaunlichen
Beweglichkeit und Biegsamkeit der Sprache in wahrhaft
glänzender Form. Darum wtrd auch der Leser von Dogma zu
Dogma in Spannung gehalten, wie bei einem großen Kunst-
werk. Dreimal, am Schluß der ,, Apologetik", am Schluß dfit
„Chrislologie" und am Ende des Ganzen erreicht es einen
wahrhaft dramatischen Höhepunkt. Darum hat sich der Ver-
fasser auch gefreut, daß sein Freund Kupp Sinn hatte für die
Sprjir.hi' des Rurhs,, , die für las j?i wüln liehe Iheologisohfi P'iek
rein verschwendet ist. Und sie ist doch der unmittelbarste
Spiegel der Seele eines solchen Buches; wer sie nicht 901
(»findet, versteht das Ruch gewiß nicht. Sit* war im Leben
Jesu noch unfreier» aber auch strenger und keuscher, gleich-
sam noch im üginetischon Stil; jetzt ist sie ganz frei, aber
auch zuweilen tippig und nicht mehr so gleich".
Die christliche Glaubenslehre ist ein schönes, sie ist auch
ein sehr lehrreiches Buch, aus dem mim, wie Strauß es ihn«
selbst bezeugt, auch heute noch viel, namentlich viel Dogmen-
geschichtliches lernen kann. Und sie ist ein befreiendes Buch.
Dieses Zeugnis kann ich ihm ausstellen: mich hat die
Slraußsche Glaubenslehre zu einem freien Menschen ge-
Di© christliche Qlaubeuslehre.
.:■-,
macht; wie Schuppen fii>l e« mir bei dvr Lektüre dieses
Werke* von den Augen, wie von Kelten nfid Pmoln btfavt
konnte ich mich hinfort rühren und regen. Und daß es am h
anderen «o degenRen i*t, dnfur d.-irf irh das Zeugnis eine«
filteren Freunde* anfuhren, der nur noch vor wenigen Mon.
dnrüber geschrieben hui: ..Mir und noch vifiSD In menier Zeit
war diese« Buch der wahre Wegweiser; ihm allein und keinem
M.'-'n *onst weder von den Lehrern noch von don Buchern
meiner Studentenjuhre vsjfdflnlEn ich geistige Befreiung und
Aufklärung in diesen Dingen fürs ganze Leben.* 1 So haben
in den sechziger Jiihren junge Theologen im Tübinger Stift
das Buch etn pfuriden und auf sieh wirken lassen. Und heute ?!
Aber trotz dieser Vorcüge hat es weit weniger Glück und
Krfolg gehabt als das Leben Jesu. Woher das kam? Es war
i hcnlogi&chea Werk, das sich in seiner gelehrt-theologischen
Waffenrüstung vorzugsweise an Theologen wandte; und doch
erklürte H ihnen und ihrer Wissenschaft den Krieg und be-
handelte sie beide oft schlecht genug. Da hatten sie keinen
Grund oder jedenfalls keine Lust, auf ihn zu hören, und
glaubten «ich daher der Mühe überhoben, von ihm zulernen ').
&um twmi(.;ti über hatte sich durch das Lehen Jesu und den
daran sich anschließenden Streitschriftenkampf das Auf-
sehen und du Intern**« für diese Art der Kritik gewisser-
maßen erschöpft. Wtt konnte er. so mochten die meisten
denken, noch viel mehr sagen, nachdem er in jenem ersten
Wurf sein letztes Wortschon so gut wie gesprochen hatte ? Vor
allem aber, die schärfere Tonart, die wohl manchen halte reizen
! locken können, war im Jahre 1840 und 41 nichts so un-
erhört Neuss mehr. Andere Geister wareu inzwischen auf
den Plan gotfelen, die weiter gingen als Strauß und tumul-
'» Herrn. Fit cfa«r in uVr Deutschen Rundschau, Januar 1908
■Mint: „Dun Thi<olo$«n wird * WtOlg Nuu-i gi«agt haben." Du lieber
Gottl Warum war er ni«:ht wenigstens Hob hier wie beim Laben
Jesu so klug, tu ftßgnn: „Ich bin keia Theologo und weiß nicht, wieviel
Bleibende», wieviel Verglngllche* an Straußen* Buch ist?"
356
Fonit« Kapitel.
tuariacher und revolutionärer ab er das kritische Geschäft
betrieben. In den immer radikaler werdenden Hallig -hm
Jahrbüchern Rüge* und Echtermeyer*, deren treuer Mit-
arbeiter SlrauÜ und auf »ein Eintreiben auch mehrere seiner
schwäbischen Freunde in den ersten Jahren ihres Bestehens
gewesen waren, galt er seit Anfang der vierziger Jahre bereits
als ein zurückgebliebener und Überholter „Halber", als ein
Kritiker mit apologetischer Tendenz, /.war fand die Glaubens
lehre selbst durch seinen Landsmann und Freund Schnitzer
eine sympathische Besprechung. Ober die vierte Auflage
des Lebens Jesu aber hieß es in dem gleichen Jahrgang:
„in keinem Punkt habe Strauß die Sache entschieden; an den
mi itten Punkten haben ihn seine Voraussetzungen gehindert,
auch nur zu ahnen, was die Aufgabe und das Ziel der Kritik-
sei!'* Das verkündigte Bruno Bauer, der noch 1835 und 1836
als ein Anhanger der Hegeischen Rechten im Organ der Schule,
den Jahrbüchern för wissenschaftliche Kritik, die mythische
Ansicht zurückgewiesen und das Wunder gerechtfertigt
und sich dafür im dritten Heft der Streitschriften von Strauß
lebhaft hatte zausen lassen müssen. Erwar Mit 1830 in plötz-
lichem Umschlag von der Hegerseben Rechten zur völligen
Negation übergegangen. Zwar verwarf er auch jetzt die
Straußschi.' Mythentheorie: die christliche Gemeinde, diese
mysteriöse Substanzialitat, hat kein Evangelium hervor-
bringen können; denn sie hat keine Hände, zu schreiben.
keinen Geschmack, zu komponieren, keine l-rlnlskraft, das
Zusammengehörende zu vereinen. Aber positiv lautet es nun
anders. Di« Quelle der evangehschen Geschichte sei vielmehr
iliis .li-suliil. Si'ltistbtWOfitBGfB des I irevnngrhslfn Markus,
durch den das Phantasieprodukt der Gestalt Jc*u zustande
gekommen sei, vor dem die Menschheit Grauen empfinden
müßte, wenn sie geschichtlich wfire. Und gleichzeitig mll
dem zweiten Band der Straußschen Glaubenslehre erschien
ein Aufsatz von ihm „Theologische Schamlosigkeiten",
in dem rr den ehriMliefeen GlubflOB ftlfl LflgC 0ACJ Attfiflufi
Die christliche Glaubenslehre*.
357
dienlenartiger Heuchelei bezeichnete undTöne einet fanatischen
Radikalismus anschlug. Gegen solch»- wildi-n Reden konnte
die vornehme Gclehrtenhnltung dos StrauB'schen Werke*
freilich mchl auf kommen. Übrigens hat Strauß unberechtigten
Unmut über die fortgesetzten Angriffe Bauers, die ihm schließ-
lich auch die Mitarbeit nn den Hallischen oder seit 1842
Deutschen Jahrbüchern verleideten — im Oktober 1841 er-
8 en sein letzter Aufsatz, eine „Warnung" gegen einen
Plagiator seiner Glaubenslehre — , Bauer und seine Bedeutung
für die Evangeheiiknlik und Leben- Jesu- Forschung bat er
oline Frago zu gering eingeschätzt.
Das war nicht der Fall mit Feuerbach, dessen wir in
diesem Zusammenhang ebenfalls gedenken müssen. Er wird
in '1 I. usl'-niv nftur zitiert, vor allern sein Buch Ober
Pierre Raylo, den französischen Skeptiker, von dem der Prozeß
:hen Wissen und Glauben zwar nicht entschieden, aber
it eigentlich Kfifftratart worden war. Und auch mit seiner
Ansicht vom Wesen der Religion, soweit diese in ihren Grund-
zügen in dem Aufsatz- „Philosophie und Christentum"
bereit« vorlag, hat sich Strauß in der Einleitung auseinander-
gesetzt, dabei anerkannt, daß der Boden der Religion auch
mit den sinnlichen, endlichen, rein subjektiven Wünschen und
Bedürfnissen der Manschen geschwängert sei ; aber neben dem
Alogischen und Irrationalen hat er doch mit Recht das
Rationale und Vernünftige, neben dem „ Gemüt" und eigen-
willigen Herzen die objektive Tätigkeit der Intelligenz in
dieser Fcuerbachsehen Bestimmung der Religion entschieden
vermißt. Noch war er mchl so weit, zu sagen, Feuerbach habe
doch erst daH Tüpfelchen auf das i seiner, der Straußischen,
ihauungen gesetzt. Nun aber erschien gleichzeitig mit
im zweiten Band der Glaubenslehre Feuerbachs Haupt-
werk ,,Dws Wesen des Christentums". Ganz richtig hat dieser
selbst in dem Vorwort rar zweiten Auflage sein Verhältnis zu
iu ß dahin bestimmt : Dieser habe zum Gegenstand die christ-
liche Glaubenslehre und das Leben Jesu, das man aber auch
TW Ba«W, EL ff. SirwS. IL 24
B68
Fünft« Kapitel.
tinter den Titrl dtf BbflftÜIohen Glaubenslehre subsumieren
könne '), also das dogmatische Christentum oder die dog-
matischu Theologie; er, Feuorbach, dagegen da« Christentum
überhaupt, d. h. ifie christliche Religion. Wobei wir den Ton
auf das Wort, .Religion" legen müssen, wie ja Auch bald danach
,,das Wesen der Religion" (1845 und 1851) den Gegenstand
von Feuerbaehs Büchern und Vorlesungen bildete. I VrGrund-
gedanke beider Religionsphilosophen war derselbo: die Pradi-
kate, die die Religion ihren Stiftern oder ihren Göttern bei-
legt, sind vielmehr Prädikate, die der Menschheit gehören, da*
Kollekt&neonbiich sozusagen alles Besten, w*s die Völker sich
selber, dem Menschen und der Menschheit entnommen haben
QBd zuweisen. Das Unternehmen Feuerbaehs und sein An-
griff aber war umfassender als der von Strauß und die
Behandlungsart eine ganz andere: er ist Philosoph und
Psychologe, wo Strauß Exeget und Historiker ist. Und dazu
kam, daß »ich Feuerbach, ganz anders als Strauß und viel-
leicht nicht durchweg zu seinem Vorteil, völlig losgelöst hatte
von aller Hegeischen Spekulation und Dialektik; es war,
wie er selbst gesagt hat: „Gott war mein erster Gedanke, mein
zweiter die Vernunft, mein dritter und letzter der Mensch",
d.h. der Mensch mitsamt dem Irrationalen an uml In ihm. Ein
Produkt dieses Irrationalen ist ihm die Religion, ,,die Grund-
lagen des Christentums sind erfüllte Herzenswünsche, sein
Wesen ist das Wesen des Gemüts". Daher ist nicht von der
Einheit, sondern vom Widerspruch zwischen Glauben und
Wissen auszugehen, wie ihn Pierre Bayle aufgezeigt und
Leftiniz vorgeblich au verschleiern versucht hatte. In diesen
Zusammenhang sind Feuerbachs Bücher über Rayin und über
') So hat er Strnuß und Mlfl Leben Jesu gunt richtig verstanden.
wahnmri nuin honte in unserer unphilosophischen Znil dun eigontlichen
Werl de* I«ehena Jesu nicht in iIhp philosophierend»» KinW-ilung und
Schlußabhandlung, sondern nur in dorn mittleren Hatipttml, ak
einem synoptischen Kommentar tu den vier Evangi-lirn linden will
ÖtruulJ selber hat es nicht so gemeint und gewollt; *. Bd. I, 8. 135 f.
Die christliche lau banale luv.
ne
Leibnix einzureihen. Weil er sich aber so von Hegel losgelost
hatUi, rnlittc er nudi nacht, nn-ht dir Selmlspracho und den oft
schwerverständlichen Jargon dieser OftOOrOO Philosophie, .höh-
■ I.tii iu-:n-rhlScl dvili un<! popuhn •..•■! udheli, und <lahw U
da» Gros dir Gebildeten und Halbgebildeten von dem vor-
nehmeren und gelehrter«!! Strauß ab und diesem kühneren und
zugftngUcheren Revolutionär zu Da ihn aber die Theologen
nobl mehr hören wollton, so wäre Strauß auf diese Kreise
UgfeWfOtt) /''wi-.rn. Ihnen »her bebaute die gelehrt« Kflfll
«einer Glaubenslehre nicht, Feuerbacb war ihnen lieber,
weil «r verständlicher und weil er radikaler war.
Endlich — die Zeit hatte sich seit 1K40 gewandelt.
Die dreißiger Jahre waren erfüllt von literarischen und
»pazifisch theologischen Interessen und Rümpfen. In den
vierziger Jahren wurde die Welt politisch, die Revolution von
bereitete sieb seit der Thronbesteigung Friedrich
CV. und der Enttäuschung, die er den liberalen und
nationalen Hoffnungen von Tag zu Tag mehr bereitete, lang-
sam vor. Auch die Literatur trat in den Dienst der Politik,
ich brauche nur an die Lyrik Herweghs oder Krciligraths
zu erinnern; die theologischen Fragen hörten auf, die
deutsche Welt zu interessieren, außer soweit sie sich mit
Politik vorknüpfen ließen oder durch den turbulenten Ton,
in dem sie behandelt wurden, in den allgemeinen Strom
revolutionärer Leidenschaft einmündeten. Bewegungen wi*
dio des DeuUchkalhnlizismus oder der Lichtfreunde in Sachsen
trugen diesen Gharakter, daher kam ihnen die ZeiLstromung
freundlich entgegen.
Alles das hat zusammengn wirkt, um dio Strau fische
Glaubenslehre um den äußeren Erfolg zu bnugen. Er hat
selbst darober berichtet: ,,so machte meine Dogmalik wenig
Glück, und dio Auflage von '1000 Exemplaren hat sich nur
langsam vergriffen". Noch einmal, das war schade und für
die Theologen ein großer Verlust; denn gerade sie konnten
viel aus dem Buche lernen und könnten es noch. Daher
HO
Fünft* Kapitel.
ist es auch bedauerlich, daß die Glaubenslehre nicht in die
Sammlung seiner Werke mit aufgenommen worden ist. Sie
verdient es, auch „einem größeren, über die bloße Gelehrten-
weit hinausgehenden Leserkreis 1 * M bekannt zu werden.
lJ.-m „Loben Jesu" ist sie durchaus ebenbürtig, ja fOr mein
persönliches Empfinden steht sie inhaltlich, und als Kunst-
werk ohnedies, noch über diesem, mir Jedenfalls hat sie
von allen Werken von Strauß nm meisten gegeben. Es ist
ein ganz gewaltiges Buch: wer es geschrieben hat, der ist
ein Befreier der Menschheit, er ist aber zugleich auch eän
ganz großer Gelehrter und ein ganz großer Theologe. Und
dennooh hat sich Strauß mit seiner Glaubenslehre aus der
Theologie hinausgeschriebeu. Was er ihr von Anfang an
hatte sagen wollen, dos hatte er ihr nun gesagt. Die
Glaubenslehre war faktisch seine Absage an sie, er hatte ihr
den Bankrott angekündigt, weil ihm der schöne Wahn einer
Einheit und Versöhnung von Glauben und Wissen, von
christlicher und moderner Weltanschauung entzwei gebrochen
und er mit ihr persönlich auf allen Punkten fertig, d. h.
zu negativem Resultat ihr gegenüber gekommen war. Und
— es war zwar zu ihrem eigenen Schaden, aber ea war
natürlich — nun wollte sie ihn in diesem seinem letzten
Wort nicht hören, sie wollte nichts mehr von ihm wissen:
gut, so wollte er hinfort auch nichts mehr von ihr, der
Bruch war ein gegenseitiger und ein vollständiger.
Aber was dann und was nun ? Das war für ihn die große
Schicksals- und Lebensfrage der nächsten Jahre. Doch da
kam ein ganz Persönliches dazwischen, was diese Frage losen
zu können und lösen zu sollen schien, — seine Ehe. Ob sie
sie wirklich gelöst hat, das haben wir nun zu sehen.
l ) So hat nach der Einleitung von 11 Zeller im »reUn Band il«»r
„Gesammelten Schriften" Strauß selbst in einer lotxlwilligun Ver-
fügung Umfang und Zweck dieser Sammlung bestimmt.
Sechstes Kapitel.
Die Ehe und ihre Lösung.
Am 29. Mari 1839. mitten in den Stürmen seiner theo-
Kiinpfo und de» Scheiterns seiner Züricher Aus-
sichten war die Mutter gestorben. Dos war für Strauß ein
liefer Schmer* und auf lange hin ein schweres Vermissen.
So hatte nicht aufgehört, an ihn zu glauben und au ihm zu
halten, obwohl sie nicht in ollem mit ihm einverstanden
war, ihn weder gani verstehen konnte noch in der Negation
*o weit gehen wollte wie er. Aber hier hatte er, wenn die
Welt hart und grausam mit ihm umging, ein liebendes Hers,
hier war er wohl geborgen. Daher geht ihm auch in den
Tagen ihres Sterbens, in den Briefen an die Freunde immer
wieder das Her» weilauf und der Mund über, er freut sich,
ron ihr sprechen zu können, und er spricht nur Gutes und
Liebes von ihr, plant auch schon damals uin Lebensbild,
da« dann freilich erat 19 Jahre spater, auf den Kon-
firmaUonsUg seiner Tochter geschrieben worden ist.
Zwei Jahre nach ihr. am 10. April 1841, starb auch der
Vater. Wir wissen, daß Vater und Sohn sich nie recht ver-
standen haben, seit dem Leben Jesu war das Verhältnis
fast gar an fi-indliches geworden. Oder tun wir dem alten
Strauß damit null! doch unrecht? Urteilt nicht derSohn viel-
!• i< ht tu hart über ihn? Fast scheint es so, wenn wir dnn
Alten selber hören. Am 4. März 1839 zur Zeit der Züricher
V, irren schreibt er seinem Sohn Wilhelm nach Köln: „Seit
rirr Wochen suche ich jedesmal, wenn die Zeilung kommt,
868
Sechbt« Kapital.
gleich den Artikel Zürich auf, und muß froh sein« wenn er
nioht heute ftrger als gestern gegeißelt wird. In Wfiden-
•tchwyl haben sie ihn sogar in cfligie verbrannt. Es ist schreck-
lich, ein Kind so mißhandelt zu sehen. Und wer ist Schuld ?
Die verfluch ton PfafTon, die ihn nicht einmal kennen." In
Minor Krankheit hnt ihn Strauß gepflegt — „aus Pflicht,
ohne Neigung; denn wußte mein Vater in gesunden Tagen
schon BIli&B Neigung nicht zu erwerben, so weiß er es durch
die unmännliche Art, wie er sein Leiden trägt, noch weniger " !
Als aber der Tod kam, da hat Strauß doch lebhaft erfahren
und es /im Sterbet^ selbst ausgesprochen, ,.dnß jeder Tod
ein Versöhnungstod ist. Mein Vater hat sich unendlich
mehr Leiden gegeben als anderen. Seine Wärterin erzählte
mir, im halben Delirium habe er öfters gesagt, er sei von
Gott verflucht, Gott wisse gar nichts mehr von ihm, und
das wegen meinem Buch. Auf die Einwendung der Wärterin.
daß er dafür nichts könne, es auch nie gebilligt habe, er-
widerte er. er habe sich doch im stillen darüber gefreut"!
So klingt das Hin und Her der beiden harten Kopfe zum
Schluß noch harmonisch aus. soweit il.is bei der iiuharmoni
sehen Natur des Vaters möglich war. Äußerlich machte aber
dieser Tod Strauß sorgenfreier und seihständiger. Dank
dor Energie der Mutter war das elterliche Geschalt vor dem
Untergang bewahrt geblieben und die Vermögenslage hatte
sich schließlich günstiger gestaltet als man gedacht. Der
Wert dos Hausos wurde auf 10 000 fl. geschätzt; dazu kan
Fahrnis und Aktivposten im Betrage von 9801 fl. 13 kr.
Da von dem Erbbetreff des älteren der beiden Brüder zu-
gunsten seines Bruders Wilhelm als Entschädigung für dio
im elterlichen Hause, d.h. wohl während seines Wohnen»
dort in dem Jahr 1835/36, genossenen Vorteile 640 fl. ab-
gezogen wurden, so fielen auf Strauß 9160 fl. 36 kr. 3 h.
Als der naher Wohnende behielt er das Haus, das er zunächst
vermietete, und zahlte das Plus an den Bruder, der das Bar-
vermögen erhielt, heraus. Dazu kam das Erschriobeni?.
Di« Ehe und ihr* Lösung.
363
Aus der mir zur Verfügung gestellten Korrespondenz mit
der Oeundrischen Buchhandlung gehl hervor, daß Slrauft
für die vier Auflagon de* Lebens Jesu, dio drei Hefto Streit-
schriften und die zwei Bande christlicher Glaubenslehre
zusammen etwa 36 000 fl. eingenommen hat. Dazu kam
noch ein wenige» für dio Sammlung der „Charakteristiken
und Kritiken", die er bei Otto Wignnd in Leipzig hatte
erscheinen lassen. Da aber diese Summen im Laufe der
Jahre nur allmählich eingingen, so hatte er anfangs, ehe
die Zinsen rrheblirher wurden, natürlich vom Kapital leben
müssen. 1842 betrug sein Vermögen nach seiner Angabe
4S800 fl., wozu 1846 als Erbe von der im September dieses
Jahres verstorbenen Tante Rike noch 10 166 fl gi-flossen
sind. Dazu kam dann noch seit 1839 die Züricher Pension
im Betrag» von 470 fl. pro Jahr. Mit alle dem war Strauß
kein reieher Mann '), wie seine Feinde im Kanton Zürich
und in der heben Heimat es so gerne behauptet baten; aber
er war doch mi situiert, daß er als einzelner hinfort sorglos
leben und auf diese seine Einkünfte hin sogar eine Familie
gründen konnte; zumal da er ja die Kraft seiner Feder und
ihre Fähigkeit, ihm weiterhin Summen zu schaffen, in-
zwittchen kennen gelernt hatte.
Dachte er an diese Möglichkeit ? Strauß ist in seinem
Lfl't.-n wiederholt von Frauenlicbe berührt worden. Daß
er als Repetent in Tübingen in ein dortiges Bürger- und
\Yirtam4dchen verliebt war und daß ihn derGedanke an dieses
...Mineln" und sogar an eine Ehe mit ihr noch über die Tübinger
Zeit hinaus begleitet hat, ist schon erwähnt worden 1 ). Ob-
wohl er ihr nie die Ehe versprochen, sie selber auch, , .einzelne
verübergehende Augenblicke ausgenommen, nie an eine Ver-
bindung mit ihm gedacht" und sich später mit einem anrin n
'I Vielleicht darf ich hi*r ftchon beO fffc s C tluO Sita Vormögnn
b«a tamett T<k1# 112 7?* n. SB kr. hHrAgen hat.
') Bd. I. S. 109.
364
Chiles Kapitel
verheiratet hat. also nicht an gebrochenem Herten gestor-
ben ist, hat es Strauß doch ol* Schuld empfunden, daß er
sie verlassen hat. E* ist eine , «rechte LumpenrohV 1 , achwibt
er in Anwandlung eines moralischen Katzenjammers darüber
an seinen „Beichtvater" Rapp.
Dagegen nahm er ganz ohne alle Skrupel im n artiges
Liebesabenteuer hin, das ihm der Ruhm seine* Lebens Jesu
gleich zu Anfang seines Stuttgarter Aufenthalt» einbrachte.
Wir lassen e» ihn seinem Freund Rapp selber erzählen
..Denk dir einmal' 1 , schreibt er diesem am 10. April 1837,
,,1'in blutjunges, hübsches Mädchen, nicht von hier, verliebt
sich auf meine Schrift und das Gerede davon in mich; kommt.
wie sie auf Besuch bei Verwandten hier ist, geradezu mehrmals
zu mir und sagt mir das alles so naiv und ist auf die un-
schuldigste Weise zufrieden, als ich ihre artige Liebeserklärung
zur Versicherung der Freundschaft abkühle. Nun sage noch
j. ■iiiiiml. daß wir in einem PWftttflhftfl /Vii-ihn h-lu-n."
Und natürlich ,,kam man wieder, bedauerte nicht zu Hause
gewesen zu sein; auch ich mußte wieder hinkommen usf,
Die Verwandten blieben aus dem Spiel, ich wurde einmal
mitten durch sie, doch ohne vorgestellt zu sein, auf ihr Zimmer
geführt» wobei ich dann ganz die Empfindung eines horazi-
seben Liebhabers hotte, der jeden Augenblick befürchten
muß, von dem hereinstürmenden Ehemann usf. zerrissen
zu werden. Was mir nun aber die Sache wirklich lieb und
teuer macht, ist, daß sich gezeigt hat, wie. die ganze Geschichte
auf rein naivem Grunde ruht; ein Madchen, das, auf dem
Lande (in einer kleinen Stadt) aufgewachsen, wie sonst etwa
innen Rumouheldou, so hier einen jungen, vielangefochtencn
Schriftsteller sich als Ideal vorstellt und nun ohne alle Welt
und Rücksicht auf Konvenienz geradezu ihm entgegengeht.
So wurde dann zuletzt ein ordentlicher Liebesantrag gemacht,
alii-r '-<> unschuldig daß sie, als n'h dir Saohfl EUT bloftflfl
Freundschaft mit sehr deutlichen Worten herabstimmte.
herzlich vergnügt war, als ob sie eigentlich nichts weiter
D* Ehe »od Are T iiBii H|
IL hätte B«i dieaer Nairitat ist ea mir j«Ut fast leid,
roehrerna Besuch« auf meinem Zimmer nickt verhindert
iu haben, da da» leicht ihr Nachrede xuriehen könnte. —
«a wir« mir 4u&er»l schmerzlich, «mn die»* ao lieb-
Gt«chächUt im Mundo der l^ute profaniert wurde."
Die Krvuncbchaft war aber doch keine allzu kühle,
wie das xwifchen einem jungen Mann und einem hübachen
MAdeben immer der Fall zu »in pflegt; auch ihre Kusse
beB sich Strauß grrnc jrcfallrn. Eine rufallige Begeg-
nung in der Nebelhöhle, wo sich am Pfingstmontag allerlei
junges Volk xu einer Art Fruhlingsfeier einzufinden pflegt,
ihn zu untenstehenden Versen l ) auf sie. Und
sie im Dezember wieder kam, schmolz das Eis noch einmal.
Doch hören wir ihn darüber wiederum srlber: ..Nach dem
streng trogischen Inhalte meines letzten Briefe»", schreibt
') Iu die Einsemkwit der Znllr.
Wo ich Minen lirban WinUr
Ualer BQchom, sinnend, schreibend,
stnntcrn Kopf«, kühlen Henen*
So nach meiner Art verlebt:
Tritt am ersten Knihlm^morgen.
Mit dem ersten Veilchenduft.
Mit dem ernten WachtelBchlage,
PrOhgecogn« Blumen tragend
Ein ImNihciiSinr' M.ldrhmi tun.
StillKOtrhafltR krftiul mit BOBf
Sie der Zeil.i kuhln Wand«,
KDllt dw «las auf meinem Tischa
Mit Noriusen. Hyazinthen.
Und ein VellchenstrzuDchen heftet
Sie mir urrlich an die Brust.
h:mn viinnkericrr Wie doch, fragrtsie,
Eure FenaUr noch geschlossen,
Da der Winter doch vorüber?
I lad ai« öfftttt (aaJAI F-nater
Dar galindan Fruhlingsluft.
Eh' ich trafen, eh' ich denken
968
Sechste* Kapitel
er am 18. Detemher oVaeolben Jahres» „laß dir auch einmal
wieder einen romantischen schreiben. Da» Romantische,
finde ich. — hat man ihm nur einmal den Finger gegeben,
sei laßt es einen nio mehr ganz lo*, und bcIM die Dezember-
stürme wehen es einem als eine Koste unter dem Schne*-
Konnte. wir sie, hold »ich neigend.
Kinrii Kuß mir nocii hrniher-
VV.rftnd, ilurrh (Im Tum fori
Win ich nun auch mit dorn Tag*
Mich des bunten Reichtum* freu«.
Den sie mir ins Haus gebracht:
Merk ich doch lugleich mit Schraken.
Dali die lo;e Kleine listig
Etwas mir entwendet hat
Wie ich suche, wie ich krame.
Auf d^m Sei »reib tisch, in dem Schranke,
In Papieren, unter tfüchern:
Nirgends find ich dw.h seitdem
Zwei höchst werte Stucke wieder:
Vorig« Arbeitslust den» Kopfe.
Für das Herz die Winterruhe.
Ist's ein Wunderauch, dd täglich.
Statt ru welken, starker nur
Und belaubender die Blumen
Duften, die sie mir gebracht.
Und zum seither offnen Fenster
FfühUngalüfte, Frühlingsvngel,
Kleine Liebesgötter auch
liiniirr muntrer, immer toller
Aus- und eingefloRen kommen,
Sich auf Kopf und Schulter mir.
Auf Papier und Feder setzen,
So daU, wenn den festen Vorsatz
Ich mir stelle, diesmal etwas
Hecht Gelehrte* aufzuschreiben.
Unvermerkt ein Urbmliitdohen
Auf dem Blatte steht und mich,
Seineu uborrafiehlcm Vati-r,
Neckisch halb und halb in Mitleid
Aus den Kinderauijon anblickt?
Lue Ehe und ihr« Lfeung.
m
grstober rum Fenster herein. So, als ich letzten Dienstag
nachmittags von der Bibliothek heimkam, wo ich im Poly-
hius und Diodor etwas nachgeschlagen, und es nun, nachdem
ich eben befohlen, eingefallener Kälte wegen wacker einzu-
heizen, an monier Türe zuerst so leise klopfte, daß ich nicht»
deutlich hörte, dann noch einmal etwas deutlicher: was hatte
ich da weniger erwarten können, als daO es meine Unbe-
kannte vom vorigen Frühjahr sein wurde? Und dennoch
war sie'», hierher gesandt, um Christtagsbcdürfnisse einzu-
kaufen. Anfangs, da mir die Sache ziemlich in den Hinter-
grund getreten war, ging's etwas steif, und ich setzte mich
nicht neben sie, sondern ihr gegenüber auf den Stuhl. Bald
aber schmolz das Eis, und ich konnte nicht umhin, wieder
einige von den Küssen zu versuchen, die mir im Frühjahr
so gut gemundet hatten. Am folgenden Tage kam sie wieder,
da «e eben im Haus etwas einzukaufen hatte, und erzahlte
mir, daÜ tili junger Beamter sich um ihre Hand bewerbe,
wobei ich ihr nun, da sie erwähnte, daß er sehr gute Zeug-
nis** habe, von seinem persönlichen Eindruck auf sie aber
nuliU gestehen wollte, — während sie mir im Arm lag,
unter Liebkosungen zusprach, ihm ihr Jawort zu geben, —
«ine Situation, die mir abwechselnd lustig und traurig,
frivol und unschuldig vorkommt." L)en Antrag hat sie
dann ausgeschlagen, und nun war einen Augenblick doch
Feuer im Dach. Allein ihre Briefe, die ihm nicht
sonderlich gefielen, kühlten das Verhältnis rasch ab; diese
dritte Begegnung ist otTenbar die letzte gewesen.
So ist ee eine Episode geblieben. Ernsthafter, höher
und tiefer zugleich war das Verhältnis zu der Schwester
Des Freundes, Etnilic Sigel, derselben, die durch ihre
Begegnung mit dem katholischen Theologen Möhler im
Bad Doli bekannt geworden ist ')• Dieses edle, geist- und
gern ülr eiche Mfltleh'ii, eEttft von den Naturen, deren reges
] ) Ich kommr wtitcr unten darauf zurück.
368
SecM« KjpiUL
geistigem Leben einen mit Gewalt aufschließt und mitteilsam
macht '), hat ihn ihr Leben lang xart und innig und trau
geliebt; und er war auch nicht unempfänglich dafür. Aber
es war auf seiner Seite doch immer mehr nur Freundschuft,
als Liebe, etwas Mütterliche« in ihrem Wesen kam hinzu,
das sie später seine Kinder *o wohltuend hat fühlen lassen,
und so ging es ihm mit ihr, wie es uns Männern so manchmal
geht: verblendet wie wir sind, sehen wir das Beste, da«
vor uns liegt und dns wir hohen könnten, nicht und haschen
dafür nach irgendeiner Flamme, die uns statt zu leuchten
und eu wärmen, blendet und versengt. So wurde auch hier
das wärmende, lebenspendende Licht, das Über seinem Leben
aufleuchtete und ihn beglückt, seinen Lebensweg sicher
hell und leicht und stetig gemacht hätte, verdrängt durch
eine freilich viel glänzendere, aber eben doch nur meteor-
arlig aufleuchtende und sehlii'Ulieh sein Herz und sein Lehen
versengende Sonne, durch ein Irrlicht, das sein Lehensgllick
in bodenlose Tiefe versinken ließ. Emilie Sägel gab er daran,
weil er in Agnes Schobest „sterblich verliebt" war.
Diese, eine berühmte und gefeierte Opernsfingerin
jener Tage, war im Frühjahr 1837 auf einer ihrer Gastspiel-
reisen nuch Stuttgart gekommen und hatte dort wie überall
durch che seltene Verbindung von Gesang- und Schauspiel-
kunst das Publikum zu Stürmen der Bewunderung und
Begeisterung hingerissen. Unter ihren Verehrern war auch
der 29 jährige Strauß, der in Stuttgart seiner Liehe m
Musik im Konzertsaal und im Theater Nahrung zu geben
Gelegenheit fand und zusammen mit seinem Freund Kein
hold Köstlin diese Gelegenheit eifrig benutzte; auch ver-
kehrte er persönlich mit Schauspielern und Dramaturgen.
Die Streitschrift gegen Menzel, worin dieser Kritikus nament-
'i Ich wfthlu lauter Prädikate, die ich aus den Briefen von Strauß
seinen eiyoncn XtiDeriiiiRtMi über sie entnommen habe; ich find* sie
aber durchaus bestätigt durch das, was &lo SUauB später geworden int.
Die Ehe und ihr* XXmunj.
lieh auch von der Iftthttisohttl Seil« her angegriffen vrunJU,
war Ursache oder bereits Wirkung dieser Veränderung.
Die Brief* aus der Stuttgarter Zeitgeben von diesem neu-
erwachten loteroMiu Straußen» am Theater vielfach Kunde.
Auch die bildenden Konnte sind damals Ober die BohWfiQf
sein«* Bewußtseins getreten; zum Zeichen dafür und für
Richtung, in der er sich luer bewegte, mag ein gemeinschaft-
liches HochzeiUigefcchenk der Freunde für Rapji dienen: «•
waren auf seinen Vorschlag die Werke Winckelmann«. Unter
-1> in BSodruak des Gastspiels der Schebesl wird dann Strauß
— im Deutschen Courier — zum gelegentlichen Theaterkritik»!;
auch mit Sonetten zu ihrem Preis wagte er sich an die Öflcnt-
Uchkcit.wio ubuuso Reinhold Köstlin tat, der eine Zeitlang sein
Rivale in der Bewerbung um die Gunst der schönen Sängerin
gewesen wt 1 ). Bald bringt er ihr seine Huldigungen auch
persönlich dar. Und da die Schebest auf ihr erstes Gast-
*l>ii'l in Stuttgart schon im nächsten Jahr (1838) ein zweites
folgen ließ, fto wandelte sich die künstlerische Begeisterung
immer mehr in ein regelrechtes menschliches Verliebtsein um.
Der Pfeil saß lief. Aber mit aller Macht seilte sich Struuß
dagegen zur Wehre, und so sehen wir ihn nun jahrelang
in der zwiespältigsten, wunderlichsten Stimmung. Folgen
wir ihren s< liw.iukungen, wie sie sich in seinen Briefen wider-
spiegeln. Am 7. Mai 1837 schreibt er an Rapp: bald nach
jenem obenerz&hlten Abenteuer „kam die Sängerin Schebent
hteher; ihre Erscheinung auf dorn Theater zog mich sehr
an ; halb geschoben, halb selbst nachschiebend half ich letzten
Sountag ihr ein Diner in Cannstatt — in Gesellschaft mehrerer
Schauspieler und Kunstfreunde — veranstalten, fuhr mit
ihr in einem Wagen, und da habe ich mich dann 30 ziemlich
angebrannt. Habe ich nicht gestern ein Sonett auf sie ge-
') Keinhold Kösthn, gest. als Professor der Rechte in Tübingrn
1856, «rar zugleich NovolluU »ine Frau war die Liedorkomponwtin
Josephine Lang; sein Sohn Heinrich Adolf Ko*tlin Theologe und
Mu*ikii;hrifUt-IIrr; »eine Enkelin Therese Ktetlin ist Lyrikerin.
370
Sechstes Kapitel.
dichtet, welches ich Dir als Dokument der wunderlichen
GemuUzu&tfinde Deine» I-Yminde» nicht vorenthalten will? *)
Ich wollt* ihres heute, da sie morgen nach Strnßhurg reial.
um erat nach 14 Tagen wiederzukommen, selbst überreichen.
konnte aber nicht ankommen und schickte es ihr zu. Ich
war etwas Ärgerlich, daß sie sieh krank sagen ließ, weil ich'»
nicht recht glaubte, und bin eigentlich noch in großem Ver-
druß. Ich wünschte, sie käme nicht mehr, oder ehrlicher,
sie bliebe jetxt und ginge bttlder, damit ich dieses Stachels
der Unruhe loe würde. Ich möchte so gerne zu Dir und
weiß doch, so lang sie noch hier ist, nicht loszukommen,
und auch in der Zwischenzeit ihrer Reise nach Straßburg
will ich nicht, weil ich in Deinem Umgang aller dieser Un-
riiiinn Iob werden und sie also nicht nachher wieder liier
troffen möchte Freilich werde ich wohl, wenn sie mir auf
die heuligt* Krankenmeldung nicht bald etwas Begütigendes
s-ip-n liilU, Hin Kinlr iir-rHirli :ml -jr v.n.lni, niul ilic. (»ufl
vielleicht den Samen der törichten Neigung wieder aus."
Aber sie kam wieder.
Kinon Augenblick erklärt er, er fühle für sie so, wie
man in eine Antike verliebt sein könne, und halt es für eine
Nicht Klange nur aus sanggeubter Kehle.
Nicht Tongoflechte blou. mit Kunst verschlungen.
fiteU strömtest Du, wenn Du vor uns gesungen.
Im Liciie aus die volle schöne Seele.
Wenn Du nun von uns gehst und juno 8ale,
Wo Deiner Tone Geister kühn gerungen.
Erschollen jetzt von seelenlosen Zungen,
Wie werden wir empfinden, was uns fehle?
Nicht Dich allein wird unser Leid vermissen,
NVin, du auf der Gos finge weichem PlOgQl
Dein Herz dem unsern kosend tugeflogen;
Hat es das unsere zu sich hingeiogen.
Das flieht mit Dir nun Oh* Tal und Hügel,
Uns selbst hast Du un», Zauberin, entrissen.
Du Eh« uo-i ihr« Lfcung.
$71
vorübergehende Anwandlung. An Kern schreibt er man habe
ihr Auftreten nn Ereignis genannt, diu sei sie für diejenigen,
die sich in sie verlieht haben, was bri ihm ..nun gerade nicht
der Fall »ei M . Da tritt sie als Romeo auf» und nun fhngt das
Schwärmen aufs neue an. nicht bloß für ihm Kunst, auch
für ihre IVr&on; ihre Rede Hndet nr durchaus edel und geist-
reich. So ist er „ziemlich wieder im Zuge seiner Neigung",
solang* sie da ist. Und als sie dann für längere Zeit aus
icm Gesichtskreis entschwindet, da bleibt ihr Bild in
Herzen, nur daß er aus der Ferne die Sache für noch
tonchtor und aussichtsloser hall als im Bann und Zauber
Gegenwart; jedenfalls war es „eine Erweiterung seines
eng begrenxten Wesei
Da» war in den Jahren 1837 und 1836. Ks ist klar,
daß diese Liebe die Hauptschuld tragt an dem Bruch mit
dem Tftbinger Minchen, an dem raschen Verklingen der
Liebelei mit joner unbekannten Schönen, die er jetzt für
einen „bloßen Sehen" erklärt, und leider auch an dem bloß
brftderbchen Gefühl für Emilie Sigel Vielleicht kann man
aber noch weiter gehen und sagen, daß aus dieser unklar
weichen und sehnsüchtigen Stimmung heraus — die dritte
Auflage de» Lebens Jesu und der Aufsatz über das Vergäng-
lich? und Bleibende im Christentum erst vollends ganz zu
ist. Er majj nicht mehr pulemiHieren. dem Ver-
hebten ist ea gleichgültig, wie es gewesen ist. „Meinetwegen
die Welt jetzt alles glauben; auch ich selbst wollte,
wenn'» sein müßte, vieles glauben, was unglaublich ist."
Auch das Wort, daß sein Wesen an vielen Stellen wund ge-
worden, verstehen wir erst jetzt ganz. Ks war nicht bloß
das Ketzergefühl und das Vermissen eines „konkreten"
Berufs, nicht bloß das Verwundetsein durch die Lanzen der
Gegner, nicht bloß die — freilich rasch vorübergehende —
wissenschaftliche Unsicherheit, sondern es war Amors Ge-
iß, das mit seinem Widerhaken ihn peinigte: cum
Liebe, die er für töricht und aussichtslos halten mußte
372
tahria Km&A
und die ihn daher ober «ich »eiber unsicher und unklar
machte« deren er aber doch nicht Herr werden konnte
Aus dieser Zeit stammt auch da» an die Spitze des ernten
Bandes gestellte Bild, das für die ..Europa' 4 gezeichnet
wurde : es hat einen sentimental schwärmerischen Zug.
der ihm selbst nicht ganz zusagte.
Aus solchen Stimmungen heraus schreibt er in den
ersten Januartagen 1838 in einer Art Neujahrsbetrachtung
an Rnpp : „Das Jahr 1837 hat mir viel gegeben und genommen.
Ich habe von manchen Dingen einen Begriff bekommen, der
mir früher fohlte. Namentlich in bezug auf Theater, Oper,
Musik überhaupt. Dann habe ich auch in bezug auf den
Umgang mit Menschen manche Erfahrung gemacht. Aber
die Schlu ßerfahrung ist doch, daß ich für diesen Umgang
nicht tauge. Ich habe mich in letzter Zeit von aller Gesell-
schaft zurückgezogen, weil mich die Art des Zusammen-
seins, wie sie in Kneipen möglich ist, nicht mehr befriedigt.
Ich kam jedesmal — natürlich ohne irgend einen Zusammen-
stoß gehabt zu haben — so bedenklich verstimmt und fast
desperat aus solchen Gesellschaften nach Haus, daß ich"»
zuletzt habe aufgeben müssen. So spreche ich jetzt den
Tag durch in der Regel niemand als bei Tisch. Die Abende
ist es mir dann sehr genußreich mit erholendem Lesen hin-
zubringen, nur sehmerzen mich bei Lichte bald die Augen,
ich darf daher nicht lange aufbleiben... Ich lese jetzt Jean
Pauls Titan, das erste, wus ich eigentlich, d. h. ganz und
zusammenhangend von ihm lese. Diesen Titan aber sollte
man durchaus als Achtzehnjähriger lesen. Als Dreißigjähriger
iat's zu spat, und das bin ich nun nächstens, wie Du weißt,
furchte mich aber entsetzlich vor dem Tuge. Mit Drei ßi gen
sollte man ein Mann sein, und das i*t eine Rolle, die ich durch-
aus nicht spielen kann bis jetzt/*
Aber vielleicht gab es ein Kadtkulmiltel, um aus
solcher Unklarheit herauszukommen — heiraten, »olid
bürgerlich heiraten! Und damit versucht er es» nun. zu-
Die Ehe und ihre Lösung.
373
erst praktisch, dann theoretisch. Praktisch: er mach tu
wirklich Anstalt zu einem Heiratsantrag, kam aber damit
xu sprtl. ein Freund warihm zuvorgekommen. Daraul schreibt
rn 2. März 1838 an Kapp: „Der wissenschaftlichen Not geht
in Leben angehörige zur Seite. Ich fohle aufs 4 be-
»timintento, daß die Junggeeetlcnzeil für mich vorüber ist.
Ich habe keine Freude* mehr an der Art von Geselligkeit,
welche durch Kneipeo u. dgl. vermittelt ist. Nan bleibe
ich ab*o zu Hause und bring« meine Abende und sonst fivie
/.iii rnil Leuen oder Auf- und Abgehen zu. Dan ist aber
unnatürlich und fuhrt zum Versauern. Ich sollte also eine
hausliche GvaclUgkuit haben, für welche, wie Du mir früher
'•mmol mit Recht Bchriehsl. n eine Natur ganz geeignet ed..
Der Gründung eines solchen Verhältnisses steht nun nicht
• du meine Äußere Lage im Wege; denn wenn eine Frau
nur ebiMi'ivi,l v.rmögen hatte, als ich habe, so könnten
wir, meine weiteren Arbeiten ungerechnet, schon von den
Interessen loben. Sondern das Hindernis ist dieses. Ich bin
von jeher und auch jetzt noch denjenigen Zirkeln, Familien-
zirkeln und Öffentlichen, wo Madchen gebildeter Stande
kennen zu lernen sind, so fern gestanden, daß ich mich in
\\ mIsIi'm liier und Schauspielerinnen verlieben mußte' 1 . Aber
vielleicht konnten die Freunde selber ihm dieses Hindernis über-
winden hülfen, and so wendet ersieh auch damit zunächst an
Rapp: ,,Für jetzt treibe ich den Heiratsplan in Ermangelung
r wissenschaftlichen Aufgabe als praktisches Problem.
Wirklich als Problem, indem nicht Neigung oder persönliches
Verhältnis, sondern Einsicht in die Notwendigkeit im all-
gemeinen der Ausgangspunkt ist; ein Obersatz, zu welchem
der Untersatz, nämlich das Individuum, erst gesucht wird
nicht Hauptsache ist, weil ich aus meinem bißchen Er-
fahrung so viel entnommen habe, daß, einen Kreis wesent-
licher Bedingungen abgerechnet, die freilich nicht fehlen
dOrf-n, ili' Befriedigung in dieser Hinsicht nicht darauf
beruht, daß die leere Stelle unsere* Wesens und Lebens
TW l4f«tor, t>. IV Mm». iL
374
3*ciules Kapital.
gerade durch dieses Individuum und kein anderes ausgefüllt
wird, als vielmehr darauf, daß erstlich die Leere lebhaft eiup-
f uiiden und zweitens irgendwie ausgefüllt werdr. Wm gesagt,
eine Grenzt« gibt es, außerhalb welcher das Individuum nicht
liegen darf, aber innerhalb dieser Grenz« können viele -
von denon jedes gleich gut taugt. Bildung ist freilich difl
erst«« jener Bedingungen, und die vergesse ich gewiß nicht;
zugleich aber muß ich nach meiner Natur durchaus zugleich
tili- In; ökonomische Vorhältnisse fordern, erstlich aus
IJiiabhltngigkcitslust und zweitens aus Stolz, loh brauche
nicht viel, aber ich muß das Bewußtseio haben, wenn ich
oimnol will, aufwenden zu können, namentlich nicht ums
Brot schreiben oder eine Anstellung suchen zu müssen;
ferner so anspruchslos ich jetzt als einzelner Mann existier«,
oder vielmehr nicht existiere, so Anständig müßte doch
meine Fnmilienexislenz sein, wenn ich einrnul eine anfange.
Davon gehe ich gewiß nicht ab, weil ich dann gewiß wüßte,
uus dem Hegen in die Traufe mich zu begehen, l'nd soviel
gute Wirkung haben diese Gedanken wenigstens bereits
gehabt, daß ich dadurch a)le zweck- und ziellosen Liebes-
nuigungen ausgetrieben habe und ihnen gewiß nicht nn -In
unterliegen werde 11 .
An Märklin aber schreibt er nicht viel später und noch
ernsthafter Beichte ablegend so: „Seit weuigstnns einem
halben Jahre ') linde ich mich in meiner Entwicklung an
eine Stelle gelangt, wo ich mit der bloßen Wissenschaft
nicht weiterkomme; jn es hat sich das Verhältnis beider
St'ih'ii dahin umgekehrt, daß in mdtnen] [noeTO d&B Wissen
schaftliche im Augenblick bloße Nebensache ist neben der
ernsten und dringenden Aufgabe, mich mit dem Lebon aus-
einanderzusetzen und moinem Gemüt hier eine feste Statte
zu bereiten. Ich bin dieses Lebens, wie ich es jetzt führe,
und wie mir seine Mangel in meiner jetzigen Stellung ohne
l ) D. h. auit ur in die Selnrln-st. „sterblich vnrliebl" ist.
Die Ehe und ihre Losung.
•Mb
Amt, in keinem Korps bcgrinVn iib*., erst rocht ffllilhur
geworden sind, seit geraumer Zeit so satt, daß dlfl Phruse:
£9 möchte kein Hund so langer leben, eigentlich mein Morgen-
urnl Abendgebet geworden ist, und diese Stimmung steigert
sich mehr und mehr so, daß sie mich auoh zur Arbeit un-
tüchtig macht und ohnehin von aller Gesellschaft abschließt.
Als das einzige Mittel, mich von diesem vollkommenen
Lebensbankrott zu retten, sehe ich — gewiß mit Recht —
die Gründung einer häuslichen Existenz an, und hübe dies
lange eingesehen, ehe ich mich Oberwinden konnte, nuftott
Kmpfinriung Worte zu leihen. Endlich tat ich'», mit be-
stimmter Beziehung auf einen Gegenstand: aber es war zu
spflt, und daß es zu spflt war, erfuhr ich Inder zu spflt. Ks
würde mich so etwas zu keiner andern Zeit so schwer bc-
t rotten haben, als eben jetzt, wo ich in der Tat meine ganze
flfltrtlpp KxiHt.cn/. ilir Hi'ttmig uns dein unvermeidlichen
Untergang in Hypochondrie und Lebensüberdruß, an einen
solchen Ausweg gebunden habe. Zum Glück nicht an ein
, bestimmte* \ rrhftltnis, sondern daran, daß über-
haupt ein Verhältnis der Art eingegangen werde. Ich hfille
mir niemals träumen lassen, daß es mir in diesem Punkte
so ergehen wurde, nicht vom Untersatze: NN ist heiratens-
wert, sondern vom Obersatze: Es muß geheiratet werden,
ausgehen und dazu den Untersatz erst suchen zu müssen.
Und dieses Suchen wird mir bei meinem Mangel an Be-
kanntschaft und meinem von Tag zu Tag immer einsiedle-
rischeren Lebon so schwer, daß ich genötigt bin, die Hilfe
von Freunden in Anspruch zu nehmen... Dabei kommt aber
noch ein weiterer Punkt in Betracht. Du wirst auch sogleich
daran gedarbt haben, daß ich kein Amt habe und in den
Höchsten Jahren auch schwerlich eins bekomme. Nun besitze
ich zwar einiges erschriebene Vermögen (das ich. um Dich
genau zu uririitieren, ouf 17 (MH) II. nngeben will 1 )); aber
') Das ut vor dem Erechvinen der ..CMaubenslehrt'" uml dem
>.-. hnnri) te nr-rlnn AufUfc d« Lehens Josu gcschriiiben.
26*
.;?..
Sechstes Kapitel.
ich möchte mich, so gewiß ich auch jährlich noch eine ziem-
iohe weitere Summe verdienen kann, doch auf keine
Weise in die Notwendigkeit MIMT I «II. nuch ohne inneren
Trieb de* bloßen Fortkommens wegen schreiben zu müssen.
Hatte ich ein Amt oder nahe Aussicht auf ein «Jehafl, 90
würde irh diesen Punkt gar nicht herousheben; *o «her
muß icha. um mich nicht in Abhängigkeit und Sklaverei
zu versetzen und so da» übel arger zu machen. Nun frqge
ich Dich also in traurigem Ernst, leider heute ohne nllen
Humor, ohne den ich sonst so etwas gewiß nicht hatte sagen
können, ob Dir in C(alw) keine Gelegenheit bekannt ist,
die mir au» dieser Verödung und Vereinsamung heraushelfen
könnte, und ob Du die Sache, etwa bei einem Besuch, den
ich Dir dann machen würde, einzuleiten wüßtest. Wäre
Dir bewußt, in welcher miserahcln Stimmung, wie ganz
huruntergitkommen an Lebensmut und LebenshofTuung ich
dies schreibe, so würdest Du mich wenigstens nicht aus-
lachen. Wüßtest Du aber zugleich, wie lange schon H
nämliche Stimmung und die daraus hervorgehende Ansicht
in mir liegen, so würdest du nicht etwa durch die Meinung,
es mit einem bloßen Anflug trüber Laune zu tun zu hohen,
die Sache von Dir weisen. Nein, nimm sie nur recht 7.11
Herzen, freue Dich, daß ich Dir das so ehrlich anvertraut
habe und sei überzeugt, daß Du an einer armen Seelo eil
gutes Werk tust, wenn du meinen Wunsch zu erfüll, n
trachtest."
Diese Briefe kann man gründlich mißverstehen und hat
sie natürlich auch gründlich und mit böswilligem Behagen
mißverstunden Kin nüchterner Hinunter! ein berechneter
und berechnender Heiratsknndidnt! ein .Spekulant auf eine
gute Parliel Mit Verlaub, ihr Herren, das war Strauß nicht,
sondern ein durch schwere Verliebtheit schwer Bedrängter,
der gegen den Stachel loken, durch eine Heirat den Strich
unter scineTorheit machen zu korinen meint und es natürlich
'loch meht kann und nicht tu! l'ini <IiiIht Mr.hreihl er schon
Die Kft* und An Ltang.
*;:
da» nietet« Mal an Martha, jener Brief sei dumm, sei desperat
grw*rn, von einer solchen „Dcsperaüon*kur" sei er abf*-
kornmen. Dali skh dann in djes«?r Stimmung all« HeiraU-
plane «erschlagen, unter anderen auch der mit einer schönen
Cousine, in die er einen Augenblick *ngar verliebt war,
ist kern Wunder. Alle diese Versuche waren ja nur eine List
des Kopfea gegen das ander» wollende und anderen wünschende
Barr
Nun hilft über noch einmal allerlei zusammen, um die
Beziehungen zu „der Sängerin'*, die nur kurze Zeit brieflich
fortg<*oUt wurden, allmählich doch in den Hintergrund treten
zu hissen. Ks kam tüi; j£rit der Züricher Wirren, und e* kamen
nnue wissenschaftliche Aufgaben, die Wiederherstellung des
I^ben* Je*u aus d*r Yenm-talt nag der dritten Auflagt* und
die Ausarbeitung der chn»Llicheu fflilllniwtflHl. und wir
wissen, wie es in solchen Zeiten in ihm stampft« und gl hie.
[j. h ilf ihm in den nächsten Jahren über die inner« Herzens-
not hinweg. Aber die Not war doch da, und gelegentlich
bricht darum auch ein Notschrei aus dem gepreßten Herzen
hanrnr. „Ich wollt*, ich wßr der Thomas von Aquino oder
sonst ein Mönch oder Kromit des Mittelalters." „Du* Leben
ist mir immer schwer und wird es bleiben/* Er möchte
tft Zeit um ihre bleierne Schwere betrugen," und (l bei leben-
digem Leib dem Leben absterben"*; Vischer sei zum Leben
bestimmt, er dagegen zum sterb-m. Und 40 will er nament-
lirh vom Heiraten nichts mehr wissen, f m Juni 1839 schreibt
t-r darüber. ..Kbei:*u ueuii: 1-! mit dorn Heiraten bei mir
anzukommen [oh glaub« nicht mehr, einer solchen Stütze
zu bedürfen, und das ist ein gutes Zeichen. Auch habe ich
in etwa» (Vuostische* in meiner Natur, daü ich zur l'ort-
111« der M-'n-M-lirngattung, die ich in ihren Individuen
for eine »ehr unglu. kÜohe halte, nicht behilflich sein moehle
Od«*r genauer, wenn ich auch des Lebens nicht eben überdrüssig
tun, was wenigsten* jeU! mihi .Irr Kuli ist. so ist doch das,
wa» man ftaychttöh und geistig Lust am Loben nennt, ob
LiT-i
Sechstes KapiloL
mal* in mir gewesen. Ich kann cm Mißtrauen, ja ein Grauen
fflf dein Leben und seiner Verwirklichung durch Verhält-
nisse wie Ehe u. dgl. nicht überwinden; und wean mich auch,
wie vorm Jnhr die Flucht au» meinen Verhältnissen negativ
oder, wie sonst schon, irgendein weiblicher Reiz positiv
zur Eingehung solcher Bande einmal noch locken sollte,
so, glaube ich, wäre es nicht zu meinem Glück." Im Mai
1841 nimmt er an der Hochzeit seines Bruders in Schwalhach
teil und freut sich, daß er „seinen Hals nicht drinnen hatte;
wann das ihm gälte, so liefe er davon 1** Und noch ebenso
klingt es am 5. Mürz 1842, wo er an Kapp schreibt: , .Frühling!
Man freut sich den ganzen Winter darauf, und wenn er kommt,
macht er einen eher traurig als vergnügt. Man empfindet
in gewissen Jahren, daß man mit der sich verjüngenden
Natur nicht mehr gleichen Schritt halten kann. Übrigens
werde ich durch die Fürsorge meines Bruders in den nächsten
Wochen zum Onkel werden, was mich sehr glücklich macht.
Ich tauge doch im Grund besser zum Onkel als zum Vater.
Es ist ein vermittelter, gleichsam gonußloser Genuß und hat
Resignation zur Grundlage. Das ist doch allein für mich.
Du wirst mich auf Heiratsgedanken nie mehr betreffen."
Daß das ullcs nur Vordergrund ist und im Hintergrund
die alte Wunde weiterbrennt, zeigen diese forcierten Äuße-
rungen alle. Auch das fortdauernde Interesse für Musik
und Thoater deutet darauf bis, so wenn er für seinen Freund
KaufTmann nach der Tieckschen Novelle ..Das Zauberschloß"
einen Operntext dichtet, der dann freilich nicht komponiert
wurde, oder im Stuttgarter „Beobachter*' Epigramme Ober
dir 7,auherflote drucken laßt. Darum wundern wir uns nicht,
daß, wie ihm die Schobest ihre Ankunft in Stuttgart auf
den 10. April 1842 ankündigt und an diesem Tage auch wirk-
lich dort eintrifft, alles wieder kommen ist wie früher, oder
vielmehr, nachdem es so lange heimlich in seiner Brust ver-
schlossen sich hatte halten müssen, jetzt noch viel stürmischer
und leidenschaftlicher als vor fünf Jahren hervorbricht.
Die Ehe und ihre Lösung.
370
Er findet sie schöner und liebenswürdiger als zuvor und ist
von ihr so bezaubert wie je. Gleich beim Wiedersehen f*IIt
er ihr um den Hals und küßt sie nach Herzenslust, wozu er
früher den Mut nicht gehabt hatte. Und sie laßt es rfofa
gefallen. Aber so hoch die Leidenschaft ihre Wellen schlagt,
er „weiß, daß es zu nichts führt und fuhren darf." Doch
der Vorstand ist machtlos, schon „weiß er nicht» wo ilun
der Kopf steht." Nun werden auch die Freunde ängstlich
und besorgt, sie suchen die hochgehenden Wogen der
Leidenschaft zu Künftigen, mahnen und raten ab und —
gießen damit natürlich nur Öl ins Feuer. Ihre Einreden
machen Ihn nicht irre, er verbittet sich's, daß man „Un-
artiges" über die Sängerin schreibe, und denkt, daß eben
auch die Freunde der ,,Philisterei" ihren Tribut bezahlen.
Laut triumphiert er ihnen gegenüber über das gelungene
StOck Arbeit, daß er einem solchen Mädchen Liebe, leiden-
schaftliche, einzuflößen imstande sei: ,,sie ist eine reiche,
feurige Seele und ebenbürtig den unsern. 1 '
Die Freunde waren mit ihren Bodenkon zurückgewiesen.
Aber nun galt es noch den Bruder zu gewinnen. Jubelnd hatte
diesem Strauß am 14. Mai über ..seine Freundin Schebest"
geschrieben: ,,Es ist jetzt etwas über einen Monat, daß sie
nach vier Jahren wieder in Stuttgart erschien und mir nach
langem Winterschlaf endlich einmal auch wieder einen Früh-
ling brachte.... Du fragst in Deinem letzten Briefe teil-
nehmend nach meiner Stimmung: wenn sie heiter ist, wenn
das Leben wieder einen Beiz für mich bat und wenn Dich
dies, wie ich gewiß weiß, erfreut, so haben wir dies nur diesem
seltenen Geschöpfe zu verdanken, von dem ich auch für die
Zukunft ein Glück holte, auf das ich langst Verzicht geleistet
hatte." Der Bruder aber, statt in den Jubel einzustimmen,
erhob seine warnende Stimme unter Berufung auf allerlei
über die Sängerin umlaufende Gerüchte. Dieser Brief
bereitete Strauß schmerzliche Stunden. Da er aber über ihre
Vergangenheit von ihr selbst unterrichtet worden und vieles
380
Sechste* Kapital.
von dorn, wm der Bruder gehört halte, wirklich unbegründet
war, so wies er auch diesen Warner freundlich, aber ent-
schieden ab. Er hofft, daß sich der Bruder überzeugen
werde, daß er „hier ein Her» gefunden hahe, das ihn im Inner-
sten nnd Kigentümliohsten verstehe und liebe und das um
dieser Liebe willen alle Kränze der Kunst, für die sie so be-
gabt und hwgulelml ist und dam ihr noch viele blühten,
hinzuwerfen bereit sei". Nun versucht es der Bruder per-
sönlich. M eilt in wachsender Sorge nach Stuttgart und sucht
ihn dem Zauberbann der schönen Freundin dadurch zu ent-
reißen, daß rr ihn mit sich nach Coln entführt, um dort noch
einmal fern von Madrid mit ihm zu bereden.,, was Verstund und
Kuck&ichten gegen eine solche Heirat haben können". Aber
wie sie Struuß auf ihrem Weg von Aachen, wo sie zu gastieren
hatte, in Coblenz wiedersieht, da schweigen Verstand und
Rücksichten, die Sache ist entschieden, er führt sie dem
Bruder und der Schwägerin als Braut ins Haus.
Wer war nun diese seine Braut ? Es fallt mir nicht ganz
leicht, über Agnes Schebest zu sprechen, weil sie nur —
ich muß m gestehen — sehr wenig sympathisch ist und ich
daher das Gefühl habe, ich könnte gegen sie vorein-
genommen sein und ihr mit meinem Urteil unrecht tun.
Aber sie hat ja ihre Lebensgeschichte selber erzählt 1 );
darnach können mich die Leser kontrollieren und selber
sehen, ob sie meinen ungünstigen Eindruck von ihrbestfitigt
finden oder nicht. Agnes Schobest war als Tochter eines
tschechischen Artillerie-Unteroffizier» am 15. Februar 1813
kB Wien geboren. Der Vater 6tnrb infolge eines Unglücks-
falles schon im November 1815; nun bekam die Mutter
neben einer kleinen Pension in der Festung Theresiensladl
freie Wohnung. Hier wuchs Agnese mit oiner zwei Jahre
*) Aus di-m Labonainur Kuustlorfn von Agaos« Schobost. Mit
dem Bildnis der v>rf«jwrnn. Stuttgart 1857. „Meinen geliebten Kindern
Georgine und Mtl Slrauß herzlichst gewidmet".
Du» KM.« um) ihre Lösung.
381
jüngeren Sriiwi-.irr in recht kleinen, iinnlirlien Verhältnissen
ohne irgendwelche höhere Schulung und Bildung heran.
Durch den Fürsten Ypi*ilnnti, der damals nicht auf Munkacz'
hohem Turm gefunden -iiiU, sondern in def faÖhmlMhafl Festung
Theresienstadt interniert weh ziemlich frei bewegen durfte,
wurde die Stimme iler kleiimn Scheitel, entdeckt, und diese
dnnn mit seiner Hilfe in Dresden von dem Chordirektor
Mikach ausgebildet. Hier trat Agnese denn auch zuerst in
„Joseph und sninn Brüder" als B*mjmuinouf und wurde darnuf-
hm am Hoftheater engagiert. Bis 1832 hltab sie in Dresden.
Drei Jahr« war sie dann in Pesth in fester Stellung. Seit
Frühjahr 1836 «bor zog Bio es vor, statt sich irgendwo fest
zu binden, „in die Welt hinauszuziehen", und so folgt nun
die Zeit ihrer Gastspielreisen, die nur durch eine Periode
längerer Krankheit in Paris und Italien unterbrochen waren
und sie durch ganz Europa führten. Ihr Repertoire war
in sehr reichhaltiges. Hauptrollen waren Medea, Norraa,
Alice in Moyerbeers Robert der Teufel, Sextus im
Titita, Fidelio und vor alJem Romeo in ßellinis
„I Capuleti ed i Montecchi." ') Überall trat sie mit dem
') Auf ihr letztes Gnstspiol in Stuttgart im Jährt) 1842 und ihr»
(liifiiulwii UmIIimi li.nl Strjiiü d.U SOOfttl ."'In M.-l :
Wh' ich zuorst Dich als Romeo «uu.
Via Töne hörte, Jubel, KUgon, bitten.
Wo Ueb und Leid, Lust und Verzweiflung s tri t ton,
Nein! HAh"re.s gibt es nimmer! schwur ich dn.
Doch schnell ward jus dem Nein entzücktes Ja,
Als Du mit Tonern, die das Her/, durchschnitten,
Dir- Treu« SAngest, die %o viel gelitten,
Das Ut ihr Höchstes! rief ich. Tranen nah.
Nun sfth ich nfc Alien Dich tulotit.
Und *o hab lob dt iiihiiibJ* noch gttfunden,
So Oraxic guuz und SüBo! m Itwur ich JeUt.
Doch o dos Wechselt, — nie so moB empfunden
Schon morgnn wird — n.li k-mu •■• \\xi>\*\v*r.*\\\ —
Rnmro mir dua Köchtt*' wicilnr Min,
382
BkMM K.iriM
glanzem) :< n Krfolg nuf; die MAnner. aber auch Frauen,
Ugea ihr ku Fußen. Wie »ehr. da» zeigt z. ß. ihr Auftreten
hier in Strasburg, wo die damalige theologische Fakultät sich
an die Spitze der ihr Huldigenden stellte. Sie verdankte
diese Triumphe cIhmimc ihren natürlichen Mitteln, einer
\'\. ■ ■ i r Minen MtBBMOfnsitkmiDi und wner wifcriiiifl Und*
schon Figur, wie der treulichen Schulung dieser Stimme
und einer für eine Sängerin geradezu phänomenalen schau-
spielerischen Kunst, mit der sie auch nach dieser Seite hin
ihro Hollen großartig zu gestalten wußte. „Eine (lammen-
wirbelnde Leidenschaft" rühmten Rezensenten ihrem Spiele
nach. Ganz besonders begeistert war man gleich bei ihrem
ersten Aufenthalt in Stuttgart und dann bei jeder Wieder-
holung desselben in den Jahren 1836 bis 1842. Zu den be-
geistertsten Verehrern gehorte, wie schon gesagt, neben
Reinhold Köstlin auch Strauß; und er trug mit seiner Werbung
di'ii Preis davon, ihm zulieb gabatelnTBfl BonfftOf, in Km-N-
ruhe hat sie im Juli des Jahres 1842 „ihre künstlerische Tätig-
keit geendigt". Von dort kehrte sie zu den Vorbereitungen
auf die Hochzeit nach Schwaben zurück.
Es war viel, was gegen die Verbindung der beiden hoch-
stehenden Menschen sprach, und wus die Freunde und der
llruder dagegen einzuwenden hatten, und es waren nicht bloß
spießbürgerliche Rücksichten und philiströse Vorurteile, die in
■olchen Bedenken zu Worte kamen. Sie war nicht gebildet und
sie war katholisch. In der \ •> iii. htheit hat Strauß freilich sich
.•iiiM.rnli-t, daß ..mich ihre R«de tatihtOttdel uu*l geistreich
sei"; aber ihre Briefe, die ungefüge Handschrift und manches
\ ulgrirein ihrer Ausdrucksweise sprechen entschieden dagegen.
Ihre Bildung war in den Grundlagen durchaus mangelhaft
und war, wie bei Muckern so oft, auch späterhin nur ganz
• ■r if i;- Mri'.-'m/l und iiilwickeU WOfdflZL I ml diese BÜdDDg
w*r eine katholische. Das, könnte man denken, konnte
dem unkirchlichen Strauß gleichgültig sein; und doch, wenn
•r etwus wer, war er Protestant von dem Wirbel bis zur Zehe,
Die Ehe und ihr« Lösung.
:jh:i
sein Denken. seineWeltanschauung.scine Bildung, xcineSohrift-
stallerei — alles wurzelte bei ihm im ProtesluntiBniuH. Schon
dämm war es eine Selbsttäuschung, wenn Strauß achrieb:
..wie schnell hat sie mich gefaßt und ganz verstand™ !" 1>hs
konnte sie gur nicht, dafür fehlten ihr alle Voraussetzungen,
fehlte ihrer katholischen, aber recht äußerlich katholischen
Frömmigkeit jedes vermittelnde Band der Verständigung.
Aber daß es Strauß trotzdem glauben und sich so ganz darüber
tauschen konnte, war noch viel schlimmer. Denn eines
allerdings könnt« sie, sich den Schein des Verstand rüssos
geben, weil sie eben durch und durch Schauapielerin war:
so spielte sie ihm vor, was sie innerlich nicht hatte. Dieses
Schauspielerische, das ja für ihren Beruf bis duhin durchaus
Iti'ivrhLigt und nur von Gewinn gttVQMW v.:ir, triM mir in
ihrer Selbstbiographie, wo es sich nicht bloß um ihre Kunst,
sondern auch um ihre Persönlichkeit und um ihr Leben handelt,
am unangenehmsten entgegen. Es war zugleich eine innere
Unwahrbaftigkeit, die Strauß den Wahrhaftigen, wenn er
einmal dahinter kommen sollte, aufs entschiedenste abstoßen,
aufs tiefste beleidigen und empören mußte. Dazu gehört
aber noch eine«. Sie hatte die Welt gesehen, Paris, Venedig,
Pesth, Wien, Berlin, Warschau, und überall halte sie das
bunte, große Leben kennen gelernt, ein bewegtos und außerln h
glänzendes Leben selber gefuhrt, in dessen Irrungen und
Wirrungeu sie tief eingetaucht war. Und wenn sie es in
ihrer Biographie ernst zu nehmen scheint mit dem Leben, —
wirldich ernst nahm sie es doch nur mit ihrem Beruf und ihrer
Kunst, im übrigen verbarg sich hinler diesem scheinbaren
Ernst eine große Oberflächlichkeit, sie war eine leichtlebige
Österreicherin, die nirgends in die Tiefe drang und sich mit ein
paar frommen Redensarton auch über Schweres und Schwerstes
wegzuhelfen suchte. Wenn man aber fragt, wie eine solche
Frau der Werbung von Strauß habe folgen können, so könnte
ich nur auf die wunderbaren Fügungen der Liebe verweisen
und möchte fragen: warum sollte ein so dämonisch leiden-
384
Sechstes Kapitel
schaftlichcr Mensch, wie StrnuÜ tt wur, clor auch sonst
Manner ujmI Frauen bezaubert hat, diese Liebe nicht haben
im Sturme gewinnen können? Und dann: es war für diese
Frau von Welt etwas ganz Neues, ein so weltverlorener
Magister, für ihren aufs Außergewöhnliche gestellten Sinn
etwa« Lockende«, ein so berühmter Mann, wie sie das, in
den Tagen des Putsche» zufällig in Zürich anwesend, dort
mit eigenen Augen und Ohren erlebt hatte Uud endln h,
sie kam eben von einem schweren Erlebnis her, du mochte
ihr dir Khe in dem Frieden eines stillen Gelehrtenhauses
wukltch als ein großes Gluck erscheinen.
Und nun auf der andern Seite Strauß 1 Der einsame,
stille Mensch, dem von seiner Seminar- und Stiftserzichung
her ein Wellfremdes anhaftete, der ganz innerliche, der alles
tief philosophisch nahm, der ganz wahrhafte, der den Kampf
gegen Unwahrhnftigkcit und Luge sich zur Lebensaufgabe
gemacht hatte, ein ausgesprochener Melancholiker, wie ihn
jenes Bild für die ,,£iiropa" uns zeigt, und daneben doch
dämonisch, leidenschaftlich, mit Hinneigung zu gelegentlichen
cholerischen Zornausbrüchen, ein Temperaments- und Slim-
mungsrnensch durch uud durch. Dazu von Jugend auf an
bürgerlich solide Verhaltnisse gewöhnt, sparsam und ein
guter Haushalter, der rechnen gelernt hatte und, wenn auch
nicht ängstlich, rechnen mußte.
Und endlich beide über die erste Jugend hinaus, er ein
31 jähriger, sie im 29aten Lebensjahr stehend, fertige Menschen
beide, die viel guten Willen, viel gegenseitige verstehende
und duldende Liebe brauchten wenn sie sich ineinander
schicken und aneinander assimilieren sollten: mit den Ge-
wohnheilen einer Weltdame sie. er der Sohn omes kleinen
'.eliw.iiti i'hen Kaufmiiiinshmisesund lltllOkgMHiOiillOBUnUDMt
nicht heraus aus den derben Stift»- und Kneipeninanieren
bei aller Feinheit dos tieferen Empfindens und illar Höhe
Beines gelehrten \\ issens. So wnr die Ehe zwischen den beiden
von vornherein und unter allen Umstanden ein großes Wagnis.
Die Ehe and ihr« U*ung.
AHh
Und doch wurde sn ;e^eMuH,Hcn Arn 'M.t. August 1842
wurden Strauß und die Schobest in der Dorrkirche xu Hork-
hcim bei Heilbronn getraut, nachdem erst im letzten Augen-
blick dir fehlenden l'apiere licrl»cigeKe.hnlTt und damit das
letzte Hindernis beseitigt war. Freund Kauffmann empfing
das Paar mit Stacken aus der Zauberflöte, die er auf der Oi gel
meisterhaft spielte, und Freund Rnpp leitete die kirchliche
Trauung — eine bürgerliche gab es ja damals noch nicht —
mit einer Hede ein, von der Strauß selbst meint, daß sie
gewiß die erste in dieser Weise gewesen sei, und von dftf
wir meinen, daß sie, die Rede eine* blinden Sehers, als
Einleitung zur Tragödie dieses Ehebunds hier nicht fehlen
dürfe. Auch ist sie für den Redner selbst charakteristisch
genug. Sie lautet:
„Geliebte Freunde! Ein recht freudiges Ereignis hat
heute unfern Freundeskreis zusammengerufen, die Ver-
bindung unsere* Freundes mit der Freundin, der er sein
Herz geschenkt hat und die durch ihn auch unsere Freundin
geworden ist. Und da er mich beauftragt hat, diese Ver-
bindung öffentlich teil» zu erklaren, teils vollziehen zu helfen,
so lasset mich dieses Geschäft vollbringen, indem ich sowohl
fic Gesinnungen und Absichten des gehebten Paares, dem
der Tag gehört, ausspreche, als die Wünsche und Emp-
findungen, mit denen wir ihnen heute zur Seite stehen.
Nicht nur die christliche Kirche, meine Freunde, sondern
alle Religionen, da die Religionen zumeist die höhere Emp-
fiudungsweise der Menschen ausdrücken, oder alle Völker
der Erde nahen die Gewohnheit gehabt, den Bund der Ehe
unter feierlichen Gebrauchen zu vollziehen und sie dadurch
zu ehren und zu befestigen, — ein beweis, daß der mensch-
lichen Natur ursprünglich das Bedürfnis und der Trieb
innewohnt, das Verhältnis zwischen Mann und Weib al»
ein geweihtes aufzufassen und zu halten. Sei es auch, daß
i!i>- Religionen, die eine mehr, die andere weniger, das ehe-
liche Böndnis unler den Gesichtspunkten, die nur ihr.*
BN
ScchiUa KapttcL
Eigentümlichkeit ausmachen, aufgefaßtund gefeiert haben: so
kanu doch dtr, dem das Wesen der Menschheit heilig und
der in allen Dingen den Kern und Grund der Dinge zu he-
Achten gewohnt ist, nicht gewillt sein, mit den äußerlichen
Beziehungen, die einer heiligen Sache in den Augen mancher
ihre Weihe erst geben sollen, die Sache selbst auch, ihre
Bedeutung und die ihr eben für sieh selbst angehörige Heilig-
keit zu verwerfen. Wundert euch also nicht, meine Freunde,
daß, wenn ich die Heiligkeit der Ehe dartun oder aussprechen
will, ich sie diesmal von nllem anderen losschale, was nicht
zu ihrem Wesen und dem sich in ihr offenbarenden Wesen
der menschlichen Natur gehört. Die menschliche Natur
ist es, nichts Höheres und nichts Niedereres, die diesen
heiligen Bund anordnet und ursprünglich gestiftet hat, die
ihn angelegt hat in allen Schöpfungen und Erscheinungen
des niederen Tierlcbens und diesem und sich selbst in der
ehelichen Verbindung der Menschen den Stempel der Heilig-
keit auf die Stirne drückt- Es bedarf hier keines scharf-
sinnigen noch gelehrten, keines herkömmlichen noch neu erst
zu schaffenden Deweises, daß die Ehe durch das Wesen der
menschlichen Natur, aus der sie hervorgeht, ihre Heiligkeit
empfangt, sondern indem die menschliche Natur ursprüng-
lich Mann und Weib füreinander geschaffen hat und sie
zu Liebo und Treue, die aus dem Herzen stammen, imm>*r
wfodfr aufs neue zusammenführt, feiert und erklart sie seihst
fort und fort die Heiligkeit dieses Bündnisses. Eben das.
dnß die Ehe in keiner staatlichen Verbindung und im Schöße
und Schutze keiner Religion es zu der Sicherheit und Heilig-
haltung hat bringen können, die ihr diese zu geben bemüht
waren, ist ein Beweis, daß sie in der Heiligkeit, Schönheit
und inneren Bedeutung, die sie für sich seihst hat, noch nicht
erkannt und begriffen ist.
Glaube nur nicht, mein teurer Freund, der du uns
schon in so vielem belehrt hast, den Schein von dem Wesen
xu trennen, daß ich nicht überzeugt sei, du werdest uns
Die Ehe und ihm Lösung.
981
iiuch in deiner ehelichen Verbindung das Wesen einer scheuen,
menschlichen, liebenden, freien und treuen Voreinigung
zwischen Mann und Frau offenbaren. Du hast — auch
darüber ist kein Zweifel in uns — die Geliebte erkannt und
gefunden, die geschaffen ist, deinem Leben für diesen letzten
und innigsten Zweck, den das Leben des einzelnen h.it.
seine freudige Vollendung zu geben. Freundlich gegrüßt
sei der Tag, da du einkehrst in deinem eigenen Hauswesen,
der letzte von uns, von einer langen Reise zurückkehrend,
auf der wir dir bewundernd zusahen. Du hast dich draußen
um ht verloren, eine großartige Laufbahn hat dich nirgends
Ober die Grenzen des Schönen und Guten geworfen, und
nun trägst du auch die Schatze der Wissenschaft und Kunst
in die prunklose Stille da höflichen Lebens hinüber, wo
dir die gleichgestimmte Braut in der vollendeten Schule
der Kunst das Herz darreicht, das sie der Natur und Wahr-
heit bewahrt hat.
Und jetzt lasset uns nicht länger zögern, den Rund tu
schließen, der euch vereinen soll. Und ich gebe meine Hand
auch dazu, zum Zeichen für alle, daß ihr einander angehöret.
Aus den Hunden der Menschheit nehmet euch jetzt tum
Geschenke: ehret das Geschenk und in dem Geschenke die
Geberin.
Es war ja stets ein guter Gebrauch, meine Freunde, daß
tou verlobte das Gelübde der Treue und Liebe öffentlich
tni'iuander ablegten. Er soll bleiben, dieser Gebrauch,
Schwächeren zum mahnenden Denkzeichen an die
Forderungen des sittlichen Gesetzes in dein natürlichen
Bündnis der Ehe, den Stärkeren, die im Guten den andern
vorangehen, zur freien Erklärung ihres guten Willens für
unerschütterliche Treue und Liebespflicht in der Ehe. Wie
aber die Schwächeren zu befestigen sind durch den foston
Willen der Guten im Guten, so müssen auch die Stärkeren
bedenken, daß sie als Menschen an der schwächeren Natur
der gebrechlichen Brüder teilhaben. Es war daher auch
M
Sechstes Kapitel.
das Angemessene bei der Schließung der christlichen Ehe.
daß die Neuvermählten teils dnrun erinnert wurden, daß
in der Ehe die Schwachheiten des natürlichen Menschen
gegenseitig zu ertragen und durch *ie zu überwinden und
zu läutern seien, teils daß sie überhaupt ermahnt wurden,
der Gebrechlichkeit der Irdischen U 1 1 ige und des Lehens
selbst zu gedenken, dessen Leiden allerdings in dem um-
fassenden Bunde der Familie viel häufiger einzukehren
[illegiMi als im Leben des eiim'lneii. W;is -oll ich hier nun
sagen, mein Fround ? Ist freilich diejenige Natur, welche
durch besondere Starke dos Willens über die meisten andern
hervorragt, eben dadurch auch den sittlich« n Schwächen,
denen die meisten anheimgegeben sind, enthoben: so wird
sie, je uinfossender sie als Natur oder als die naturli« du
Kraft nnd Unterlage dos ganzen geistigen und gemütlichen
Menschen ist, um so häufigeren und gewaltsameren allge-
meinen Schwingungen ausgesetzt sein. .Nur ist hier sogleich
zu erinnern, daß eine solche Natur, indem hie eich in den
Dienst der Liebe, d.h. derjenigen Kraft des Geistes, die
alles natürliche Leben am ersten bändigt, freiwillig begibt,
eben damit ihren entschiedenen Gang zu fortwährender Be-
ruhigung, bleibender Harmonie und vollendeter Stimmung
in sich auch selber gewählt hat. Ist aber der im Guten nie
wankende Wille die erste und letzte Tugend des Mannes,
so kann die Aufgabe der Frau nur sein, verschönernd zu
wirken in Haus und Leben, öiTontlieh und im geheimen;
und wo diese Aufgabe in ihren letztet» Beziehungen einmal
glücklich erfaßt ist, wie sollte da zu zweifeln sein, daß die
Hand und der Sinn der Hausfrau nicht auch das Geringste,
das im häuslichen Leben vorfallt, mit der Huld des Schönen,
das der Preis und der Reiz unsere» Lebens ist, zu umgeben
\< rmogen ?
Was nun aber •! ejemgen leiden des Lebens anbelangt,
die außer dem Bereiche unseres Willens liegen, so ist nicht
zu vergessen, daß, wo mehr Freude und Genuß ist wie im
Natar und ds* ■■iiigi Herrarakeit dt»
ihr u^ s w i nen d en G csnea snd seiaer in ihr saea ei
aitükbea Med** unriiiii Tragen vir aber i
Mut gegen afte Slawe 4» Gwrhirt». wo and wie ä
*'»rh treffe» m ng rn . in wohlverwahrten Hmtagjande u
Brau, so ist aaeh kein Grand vortmadssx deJ wir
seine Brote» pflocken und mm Fracht« gewieften soBtew.
Und wen» da dich, gewebter Freaod. bis dahin kaum von
den SchnMRe aber dan Tod einer gwaaVtea Mutter, in die
dein Sinn und deine Erziehung verwachsen war, entwöhne»
konntest, so Ireoe dich heute auch der Braut, die dir nun
Matter and 01*04* ist. Auch Sie. meine teure Freundin,
kennen den Wankelmut des Geschicke» von Kindeabeinea
an. Nehmen Sic hier den Vater wieder, der Ihnen frühe
gerauht ist, und kehren in den Freuden de« haisshehen
Lebens ein, denen Ihr Inneres a n g eh ör t , and die ein flohen
Geschick von Ihnen forderte auf weiter Laufbahn erst wieder
tu finden.
Uns alle aber, m. Fr v lasset treu iut Seite unserer Ver*
bundenen stehen. Es ist uns nicht* geraubt dadurch, datl
wir nie and mit ihnen einen Teil der Freundschaft, dar suvor
der ansrige war, an sie und ihre Verbindung abtreten. Auch
wir haben durch ihre Verbindung gewonnen und sollen
empfangen, was wir gegeben haben. Sei es auch, daß an
edler Strom zu besonderer Heimlichkeit und Lust der Liebe
eine Insel in seiner Mitte absetze und sie mit ausschließender
Vorliebe umarme, so kehren doch bald seine vereinten Arme
zu gemeinsamer Kraft und Bedeutung zurück. Sei es. dsß
wir das neue Haaswesen unserer Freunde heute fester be-
r. a >- Mma a
tt
390
Sechstes Kapitel.
gründen und begrüßen wollten, wir abreiten doch in go-
nuinsUZW Tätigkeit und befreundeter Verbindung fort,
und unsere Liebe ist nicht mehr eu trennen."
Nach der Trauung gingen Verwandte und Freunde flber
den Neckar hinüber in dil Dl ausgründete StrauQsche Hau»
in Sonlheim und weihten e* donfa 'ine MaliUoit ein, die der
dortige Wirt sehr schmackhaft zubereitet hatte Nach Tisch
kam Jusiinu- Kerner mit Frau und brachte ein Gedicht '),
SUeJh Schnitzer, damals Profewor im nnln-u ll'übronn. trujr
eines vor. Zellcr von Tübingen 14 hi<kle eine», und Rnpp hiell
als Koch verkleidet eine humoristische Rede. K&uffmann
war am Klavier wie am Ginne ttttig, und alle verlebten einen
harmonisch nohonen Tug, bei »lern Strnuß nur den Bruder
v,nnißte. Und harmonisch und glücklich liefen zunächst auch
difl Tage in dor jungen Ehe hin. Und doch, wenn Strnuß
acht Tage nach der Hochzeit in einem Brief an den Bruder dich
unterzeichnet als „Dein dermalen wenigstens glucklich zu
m-ruu-mler Bruder". *o lag darin schon so etwas wie eine
') Strauß' Glaube kommt dem Ehntnnd ganz zu gut;
Denn ist es, wie er wuhnel, nichts mit drüben,
Wenn nach dorn Tode all** Lieben ruht,
So muß man biet iQr Ewigkeiten lieben.
lim undn-r «pnclH: ich -pari' vieles .ml.
Bis wir in omem bessern Sli-ru im- .-Imi;
l£r 3 her spricht: ich liebe hier vollauf,
Denn ich weiß fest, daß Ich und Du vorgohon.
Du andrer, raub* ihm diesen Glauben nicht.
Kr dient tum Heil der herrlichen Agncsc,
Und tritt er einst aus Schein im Tod an- Licht,
Und We «toht vor ihm, wird er drob nicht böse.
Dann wird er spreehen: Kerner halle recht.
Dem machte ächurfoinn wenig graut' Ilaare.
Agnw, whb der Kopf denkt, i*t oft schlecht.
Nur «TM INfB Hen gefühlt» — H«rx! war du* Wahn?.
JuHtinui* Kvrner.
D« Ehe und Ihre Lftauny.
m
Ahnung von d*r WandelbArkoit aller menwhlichlB Dinge;
und bald genug brach diese» kurz« Glück in Sehwbg fl
krachend zusammen
War schon die Ehe der beiden an »ich ein Wagnis, da»
ebenso auch mißlingen konnte, »o war die Wahl de» Ortn*
für den Aulenlhalt den jungen Paares ein schwerer Pafakl
Dreiviertel Stunden von H.dhronn liegt am Neckar da»
hübsche Örtchen Sonlheim, heute durch eine Trambahn von
der Stadt her rasch zu erreichen, damals bei schleehlen Wegen
ohne solche Verbindung doch recht abgelegen. Ein Schlöß-
chen, ursprünglich Sommerxitz des Heilbrunner DmiUch-
orih'DH-K.imltirs, war gemn-tet und hol. wie für die Batik*
MittfM* nm ersten Tag, so auch für die neugegründele
Familie reichlich Raum. Die Einrichtung war hübsch, die
UMtoht von jedem Fenster und vollends vom Balkon an
schonen Ifarbsttagen entzückend; „vor uns der Neckar mit
Schliff n und Flößen, links Horkheim mit unserem Kirohlein *),
rechte Heilbronn mit dem Wartberg, dann die Beleuchtung
morgen*, mittags, abends immer neu und immer schöner".
Es war ein Idyll, aber ein dörfliche*. Und nun denke man
sieh d : e gefeierte Sflngerin. die an den Aufenthalt in Groß-
städten, an den Vorkehr mit interessanten und vornehmen
Menschen aller Art gewöhnt, vom Publikum vergöttert,
von Königen und Fürsten mit ihrer Gnade beehrt war,
plötzlich in ein württembergisches Bauerndorf versetzt.
Das mußte Tür eine so äußerliche Frau ein Herabsteigen be-
deuten und auf die Dauer entsetzlich langweilig werden.
Und auch die kleinstädtischen Kreise des damaligen Heilbronn,
in UisdieStrauß'schen schon ein Jahr später vernünftigerweise
übersiedelten und wo man sich beeilte, das berühmte Paar
Ulich in den Heusern der Gebildelen aufzunehmen, konnten
') Sonlheim, in dar lUupUach* katholisch, halte damah noch
keine ovaAgvlirtdu! Kfrcha; die Protast.,;,lrii wm-en im nahen Korkhelm
cmgepfarrt. Deshalb hnttc dort die Trauung stattgefunden,
392
Sechst* Kipilftl.
ihr keinen Ersatz fflr die verlorene Herrlichkeit gewähren.
Auch dns Singen und Spielen auf einem Liebhahertheater
im Goppel Ischen Hause, zu dessen Einweihung Strauß den
Prolog gedichtet hat, konnte sie fOr die verlorene Kunst sdoht
entschädigen. Und ebensowenig die Freunde von Strauß,
darunter der inzwischen aus dem Pfarramt ausgeschiedene
und zur Philologie übergegangene Marklin, und Schnitzer,
ein etwas älterer Studiengenossc von Tübingen her. Ihr
Verständnis lag nicht auf seilen der Kunst, es waren
Stiftler mit theologiwrh-pliiloflophischeo Interessen und mit
teilweise noch etwas derben studentischen Manieren, wie
man sie in Tübingen auch am Repelententisch noch nicht
ablegt. Am derbsten war Kauffmann, der sich sonst
musikalisch wohl mit der Schebest verstanden hatte.
Kerners drüben in Weinsberg waren feiner und welt-
männischer, aber doch mehr als Huri int zu genießen, zum
ständigen Umgang nicht zu gebrauchen. In diesen Kreisen
konnte es der verwöhnten Dame aus der großen Welt un-
möglich wohl und heimisch werden.
So war sie ganz auf ihren Mann angewiesen; und da
konnte es bei den beiden temperamentvollen und leiden-
schaftlichen, auch durchs Leben schon hart geschmiedeten
Menschen an Gegensätzen und Reibungen, an Ausbrüchen
voll Heftigkeit, an wilden Szenen oft über Kleinigkeiten
nicht fehlen. Und dabei mußte Strauß die innerlich unge-
bildete und unwahre Natur seiner Frau mit Schrecken wahr-
nehmen: was er ernst nahm, war ihr — öuhnenspiel, wo ihm
das Her?, blutete, da spielte sie ihm eine Sxene voll Leidenschaft
und Glut vor. Das machte ihn bitter und hart und wandelte
die Liebe langsam um in Abneigung und Haß; ja, er fing an.
seine Frau zu hassen, wie er Unwahrheit und Lüge sein Leben
lang gehaßt hat. Dazu kamen noch spezielle Anlasse. In
dfa Aufgabe der Hausfrau hat sich die ehemalige Sangurin
überraschend schnell eingearbeitet; bald kochte und buk
sie mit Hilfe der „Lolflcrin" (Kochbuch) wie eine erfahrene
Die Ehe und ihre Losung.
schwäbische Hausfrau; und wenn auch anfangs einiges miß-
lang, mit der Zeit ging es immer besser Allein auch hier
war doch manches außen hui und innen — weniger pünktlich,
als es Strauß von seiner Mutter her gewöhnt war. Und
er hatte Zeit — einen Müßiggänger nennt er sich zu ji-ner
Zeit öftere, und so sah er. wenn es haperte, selber nach dem
Rechten, er mischte sich in die Haushaltung — auch dann
noch, als seine Frau allein fertig werden konnte, und das
kränkte sie in ihrem berechtigten Stolz und in ihrer unbe-
rechtigten Hausfraueneitelkeit mit Fug. Eines aber fehlte Ehf
als Hausfrau am meisten, die Sparsamkeit. An die hohen
Preise der Hotets und der europaischen Großstädte gewöhnt,
fand sie in Sontheim und Heilbronn alles billig und zahlte
dann leicht zu viel, einen Gulden, wo ein paar Kreuzer
genügt hätten. So reich war aber Strauß nicht, die Frau
eines beruflosen Mannes war auf's Sparen hingewiesen.
Daß das nicht etwa nur eine Meinung von Strauß gewesen
ist. seine Frau könne nicht sparen, geht daraus hervor, daß
sie trotz jahrelanger großer Hinkünfte beim Antritt ihrer
Ehe — nichts besaß; die Aussteuer mußte größtenteils
Strauß selbst beschaffen und sich überdies verpflichten.
ihrer Mutler und Schwester in Nürnberg jährlich eine für
seine Verhaltnisse nicht alUukleine Summe auszubezahlen.
Daß dieser bohemeartige Zug ihres Wesens den Kaufiuauns-
sohn verdroß, der so eifrig darauf hielt, daß im Hause nicht
mehr ausgegeben als eingenommen wurde, versteht sich von
selbst. Daß er dagegen unduldsam und heftig zu Felde zog,
hat ihm v IflUafoht am meisten die üble Nachrede des „Geizes* 1
zugezogen. Wenn man eine Reihe einzelner Vorfalle kennt,
wird man dagegen sagen müssen, er war nicht geizig, aber er
griff das Sparen und das Erziehen zur Sparsamkeit ganz ent-
sittlich unpraktisch an.
Das Allerschlim instn aber war : Agnese Schobest war wahr-
haft besessen von jener Leidenschaft, die mit Eifer sucht,
was Leiden schafft, Mit einer unheimlichen und wahrhaft
394
Sechstes Kapitel.
grauenhaften, einer un fixe Ideen und Wahnvorstellungen
grenzenden Eifersucht hat sie ihren Mann gepeinigt bis aufs
Blut. Daß sie keinen Grund dazu hatte, braucht kaum ge-
sagt tu werden. Schon vor der Hochzeit fing es an, auf einer
Kahnfahrt nach Wimpfen packte et» sie zum erstenmal, selbst
der Hochzeitstag war nicht frei davon. Und so ging o* dann
fort. Oh e* die Gattin seines Bruders oder die Frauen und
Verwandten seiner Freunde waren, mit denen er sich gern
unterhielt, oder ganz wildfremde, mehr oder weniger hübsche
M.uii iien, mit denen ite ihn BttAfflg niBaaxmtn ufe od im
denen er vielleicht harmlos ein rein ästhetisches Wohl-
gefallen Äußerte, oder ob es nur die unbestimmte Angst war,
er konnte bei einem Ausgang, auf dem er langer ausgeblieben
war als sonst, ihr untreu geworden sein: auf Schritt und Tritt
umgab ihn dieser unwürdige Argwohn, durch den er sich
förmlich beschmutzt fühlte. F.r verleidete ihm jeden Umgang
und Verkehr mit Frauen, und da die Eifersüchtige auch vor
anderen ihre Mißstimmung merken und oft bis zu heftigen
Szenen anwachsen ließ, so fühlte er sich dadurch aufs pein-
lichste kompromittiert und mußte sich vor Bekannten und
vor Fremden für sie und um ihretwillen schämen. Nur in einer
Beziehung hatte sie wirklich einigen Grund, eifersüchtig zu
sein — auf seine Freunde, mit denen Strauß aufs engste zu-
sammengewachsen war und nach wie vor verbunden blieb,
denen er sich, brieflich vor allem, rückhaltlos erschloß und
bei denen er auf mehr Verständnis für seine geistigen Inter-
essen und Bedürfnisse rechnen konnte als bei der von Haus
aus ungebildeten und dafür nicht organisierten Frau.
Wenn er ihnen jetzt seine eheliche Not klagte — er tat es
lange nicht — , so fand er bei ihnen einen starken Resonanz-
boden, — sie hatten es ihm ja vorausgesagt und sahen nun
ihre Befürchtungen und Warnungen bestätigt; und so
mußte es ihr so vorkommen, als hetzten ihn die Freunde
gegen sie auf. So war sie eifersüchtig auf den Verkehr mit
den Heilbrunner Freunden in der sogenannten „Grußles-
Dio Ehe und ihre Lösung.
395
gesellschaft", wo Strauß zu verkehreu pflegte, und eifer-
süchtig vor allem auf den Briefwechsel mit Kapp.
Das alles entwickelte »ich schon im ersten Jahr nach der
Hochzeit, und auch die Geburl eines Kindes, der Tochter
Georgine, im Jahre 1843 konnte den Zerfall der Ehe nicht
aufhalten; ebensowenig das Erscheinen des Sohnes Fritx
zwei Jahre darnach. Zu welchen leidenschaftlichen Szenen.
su welchen bösen und häßlichen Worten, zu welchen ver-
geblichen Versöhnungsversuchen, eigenen und durch Andere
vermittelten, und zu welchen unwürdigen und innerlich un-
wahren Kompromissen» zu welchen Trennungen und Wieder-
vereinigungen es im Laufe dieser Jahre gekommen ist, bis
endlich der definitive Bruch erfolgte, das geht die Öffentlich-
keit nichts an. Schlimm aber war, daß, auch nachdem dio
Unhaltberkeit der Ehe erkannt war, eine definitive Lösung
dennoch nicht erfolgte. Strauß hatte sie gewünscht, Agnes
Schobest weigerte wich, urll« uht. doch am meisten deswegen,
weil sie katholisch war und die Ehe für unauflöslich hielt. So
kam es zu einer privaten Trennung, über deren Bedingungen
dann freilich doch die Gerichte angerufen werden mußten
und Advokaten in ihren indiskreten Schriftsätzen das Wort
fQhrteu. Diese Verhandlungen sind sehr peinlich, es wurde
dicht bloß um den Besitz der Kinder, es wurde auch um die
. .jährlich* Kontribution" gemarktet, die Strauß seiner Frau zu
tahlen halte, und um ihren Aufenthaltsort. Bis in das Jahr
1848 zog sich der Streit, daa Gezönke und Gozerro unleidlich
hin. Strnuß wurde mürbe und konzedierte endlich Georgine
der Mutter für immer. Fritz sollte ihr bis zürn 7. Jahre ver-
bleiben. Daß os dann doch anders gekommen ist, werden wir
später sehen. Auch in der Frage des Wohnorts — er hfitte für
• i- h -.in Slultgarl gewdhlfl — y.ili er n,.< li. Agne* .Schcliesl /."'-
i! i ihn Kindern dorthin. Im Geldpunkt einigte mnnsichnuf
1050 fl. jährlich, wovon 760 für die Frau, je 150 fl. für ffoafl
• l<r Kinder berechnet waren. So hatte er nun also eine Familie
IQ 1 1 niihren, ohne eine Familie zu tabu: er mußte materiell
m
StthsUt Kapitel.
für Frau und Kinder sorgen, ohne die Freuden und Leiden
eines Otiten und Vater* und dos Glück «It ■ t Freuden und
Leiden, den Segen der besten und schönsten menschlichen
Gemeinschaft zu genießen. Wie ohne Amt und Beruf, so war
er jetzt ohne Frau und Kind, wirklich «in armer, armer Mann.
Und wenn ihn die Beruflosigkeit schwer getroffen hat, diese
Fatniheolosigkeit traf ihn noch viel harter. Auch »ein Stob,
der hei ihm stark entwickelt war, war durch dieses Öffentliche
Zerwürfnis, durch das Gerichtskundige desselben und durch
das im engen Schwanen doppelt starke Gerede und Ge-
klatscho darüber aufs empfindlichste verletzt.
Dazu knm aber noch ein weit Schlimmeres. Wie immer
Schuld oder Unschuld bei solchen Ehedissidieu verteilt Bein
mag, so leiden unter ihnen stets beide Teile auch moralisch.
Man wird erst in dem hauslichen Unfrieden, dann in den von
Advokaten geführten Verhandlungen nolweudig kleinlich
und schlecht .. Audi Siran LS ist. diesem Meu.selienlns in jenen
trauHgHtfii Jahren seines Lebens nicht entgangen. Dali
er leidenschaftlich war, wissen wir. Durch seine Leidenschaft
hat er sich in den häuslichen Szenen zu manchem hinreißen
lassen, waser naohhcrselbstnm meisten bereute. Dauer bitter
und hart, unnachsichtig und unduldsam wurde, ist nicht zu
verwundern; es entsprach seinem Charakter und es liegt in
der Natur solcher Verhältnisse und lag in dem Anlaß dieses
Zerwürfnisses. Aber es ist noch nicht alles. Seine Liebe ver-
wandelte sich, wie schon gesagt, und je heiüYr sin gewesen
war, nur um so mehr allmählich in Haß gegen die Frau,
Über die er sich so gründlich getäuscht hatte und die ihn nun
um Glück und Lehen bringen sollte. Dieser Haß fintiert sich in
vertrauten Briefen oft genug in zornigen Ausbrüchen und pein-
lich starken Ausdrücken. Und er machte ihn auch ungerecht.
Kr sieht nicht* Gutes mehr an ihr und lüßt es nicht gellen
wo er solches hfltte finden müssen. Selbst ihre Stimme klingt
ihm widerwärtig grell; ihr rasches Sicheinleben in den Haus-
frnuonberuf führt er auf Kitolkeit zurück; auf Schauspielerei
Dio Ehe und ihre Lösung.
m
und die Absicht, ihn zu quälen, wenn sie spater die Sorge um ein
krankes Kind an den Orl seines Aufenthalts treibt ; auf Bosheit,
daß sie in Stuttgart wohnen bleibt, wo sie dooh durch Ge-
sangs- und Deklamationsunterricht leichter als anderswo Geld
verdienen konnte. Klein und kleinlich abur zeigte er sich
in den Auseinandersetzungen Ober die Höhe der Subvention,
die er ihr zu zahlen hatte. Über solche Dinge zu verhandeln
ist für vornehme Naturen immer erniedrigend. Hier hatte
er noch besonders gegen Oberspannte Ansprüche zu kämpfen,
dagegen setzte »ich sein Gerechtigkeitsgefühl xur Wehre,
und auch dem Vorurteil, daß er reich sei, mußte er
entgegentreten. Und ein guter Rechner war er ja, Kauf-
mannshlut floß in seinen Adern. So ist Strauß immer
mehr in den zuerst von seinen Züricher Gegnern auf-
gebrachten Ruf des Geizes gekommen, der in Wirklich-
keit ganz unberechtigt war. Er hatte Grund, aufs Geld
zu sehen, zumal in solchen unklaren Verhältnissen, er
war auch in Geldsachen unpraktisch, ganz besonders un-
praktisch dem Leben und den Bedürfnissen einer allein-
stehenden Frau gegenüber, die er nach dem Maßstab seiner
Junggesellenwirtschaft bemessen und befriedigen zu können
meinte. Abergeizig — wir wiederholen es nocheinraal — geizig
ist er nicht gewesen, das zeigt sein Verhallen gegen den Bruder,
gegen Freunde, gegen die alte treue Karoline, von der wir noch
hören werden. Natürlich hat er unter diesem üblen Ruf schwer
zu leiden gehabt. Zumal da er seinen Gegnern höchst will-
kommen kam, die überhaupt dieses ganzo Kholeben und Ehe-
zerwürfnis weidlich gegen ihn ausbeuteten: so mußte es ja bei
vmem solchen Menschen kommen I Auch von Bekannten
nahmen in dem Konflikt einzelne Partei für die Frau, na-
mentlich in Hf-ilhronn, wo sie durch ihre Stimme und ihre
schauspielerische Liebenswürdigkeit viele für sich gewann.
Daß auch Justinus Kerner, dieser schlechte Menschenkenner,
auf ihre Seit* trat, hat ihm Strauß lange Zeit verdacht,
von ihm hat M ihm ganz besonders wehe getan.
m
Sechstes Kapitel.
Die einzig wirkliche Schuld aber besteht Joch nur durin,
daßerAgnesSchebestgeheiraletund sie damit aus ihrer Sphäre
und aus ihrem Itaruf herausgerissen und seinem Leben einge-
pflanzt hat , für das -.h' schlechterdings kein '1 alrnt besaß, und
daß er auf alle die tarnenden Stimmen, die ihm sein Dainioruon
in der eigenen Brust zuflüstert«, und die Freunde und Ver-
wandte so eindringend erhoben hatten, nicht hören wollte
Aber ist das Schuld oder nicht viel mehr Nichtandorskonnen ?
Gewiß war es zum Teil Selbsttäuschung. ..Kunstbegcistcrung
und Liebe" waren nicht bloß „eins'*, er verwechselte auch
jene mit dieser; und außerdem spielten Trotz und Eitelkeit
mit. Je mehr man ihn warnte, desto mehr versteifte er
sich darauf: er, der Aii^nnhmemenHch, durfte auch in der
Wahl seiner Gattin nach einem Ausnabmewescn greifen, er
jubilierte, daß es ihm gelungen sei, die Liebe eines so viel-
hegehl'leli Weibes tu niiii;;ui, \ln-r \s.i- will ij<,<h da-
alles gegen die Macht des Eros, von dem Sophokles in der
Auligoue gesagt hat:
Bros, uube/wuiigen im Rumpf,
Eroe. cltir auf dir BcuU: sich stQnt,...
Niemand kann Dir entrinnen,
Ki-iii C'naterblii'tii.T. keiner
Aus der Mensehen TagesgeschleeM.
Wen Du faUt, der rasot;
Reißest auch des gerechten Manns
Sinn zu krankender Unbill fort.
Dieses Schicksal hat sich auch an Strauß vollzogen.
Nachdem ihm der Menschen II. iß die eine Halft» seine«
Lebens verkümmert hat, hut ihm der Liebe Verblendung dio
andere Hallte und damit das ganze Glück seines Lebens
grausam zerstört und vernichtet.
In dieser ganzen Zeit ist Strauß nach außen hin völlig
verstummt, nur die geschäftige Fama trug seinen Namen
in die Welt hinaus und gab du- zerpflückten BhUtchon
seinen Hufes unbarmherzig den Winden preis. Von 1842
bis 1847 ist so gut wie nichts von ihm gedruckt worden.
Di* Ehe und ihre Lteong.
BN
Daran war zuerst das „Schlaraffenleben" der oralen besseren
Zeil seiner Ehe, dann das mehr und mehr zur Hülle werden
dieses Zusammenlebens, war. wie rr sagt, da» unselige
Weibschuld. Denn um tu schreiben, mußte er, wir wissen«
in Stimmung sein, und seine Stimmung war nicht frei und
frisch genug, um sich au eine größere Arbeit zu machen, jetzt
erst war er ganz wund, war lebensüberdrüssig und todesmall.
Und doch hat er in diesen Jahren geschrieben, — die Briefe
un MfaM Freunde. .Nur in der allerd unk eisten Zeit stockte unter
eifersüchtigen Augen der Krau auch diese Schriftsteller' i
seinst mit Rapp hat er um ihretwillen eine Zeitlong die Korre-
spondenz aufgegeben- In seiner schweren llerzensnot gab
>Iiim sonst, von dieser kurzen Unterbrechung abgesehen,
ein Gott — nichi bloß in gelegentlichen Versen, die doch
erst seit S848 reichlicher fließen, sondern vor allem in der
Form des Briefe« zu sagen, wie er leide. Damals ist Strauß
der Briefschreiber Allerersten Ranges geworden, wie ihn
au* den von Zeller herausgegebenen ,, ausgewählten Briefen"
seit 1895 auch die Fernstehenden kennen und wie er reiche!
noch und virtuoser in der Masse der unveröffentlichten Brief«:
mir täglich neu entgegentritt. Denn das Intimste und das
Individuellste ist natürlich nicht für dieöffentlichkeit geeignet,
und doch zeigt sich gerade darin seine Kunst auf ihrer höchsten
Höhe. Das „pectus facit diserlum" gilt auch hier: da ist er in
Stimmung, Zorn und Haß, Qual und Pein machen ihn wahr-
haft beredt und beflügeln — außer etwa in Stunden uller-
tiefsler Niedergeschlagenheit — seine Feder. Vor allem
ersehen wir uns den Briefen, wie wunderbar er su individu-
[alisieren versteht. Mflrklin hat er einen Charakter. Hnpp eine
Natur 1 ) genannt; und so gibt er sich auch brieflich jenem
gegenüber -- natürlich ganz unwillkürln li - gehaltener und
(Drul
bursc)
*"i Es ist ein fest groteskes MiOvorsiandnls, wenn K. Hermann
(Deutsche Revue, September 1908) Rftpp einen „echten Natur-
burschen" nennt
400
Scchsu* Kapitel.
maßvoller, diesem offenbart er sich in der ganten Zügellosig-
kitit und Leidenschaftlichkeit seiner Natur.
Daß aber Strauß in dieser intimen Weise Freund sein
und Freunde sich gewinnen und sie ein Leben lang festhalten
konnte, dos war in jenen dunklen Stunden, in denen ihm so
oft der Wunsch über die Lippen gabt, bald sterben zu dürfen,
der letzte Rest von Glück. Wenn ein sittlich so hochstehender
M;mn wie Christian Märklin ihm treu bleibt auch über diese
böseste Zeit hinweg, so ist das das beste Zeugnis dafür, daß
sich Strauß auch damals nicht verloren hat und daß sich auch
für ihn. wie für seinen Freund Vischer, das Sittliche doch immer
wieder von selbst verstand. In dem Lebens- und Charakter-
bild, das er wenige Jahre spater von Märklin entworfen hat.
hat er diesem, ohne Worte darüber zu machen, auch dafür
gedankt. Den nnderen Getreuen, Rapp, damals Pfarrer in
Enslingen, später in Mönkheim bei Schwfibiseh-Hall, haben
wir oben aus seiner Hochzeitsrede kennengelernt und lernen
ihn aus den Briefen von Strauß in allen Falten seines
Wesens kennen. Die Summe seines äußeren Lebens hat
Strauß in dem schonen Brief zu seinem fünfzigsten Ge-
burtstag, am 10. Januar 1856 1 ), selbst gezogen; der
Schluß wenigstens soll hier eine Stelle finden: „Du feire
dein Fünfzigjahresfesl, wie es ein Glücklicher feiern soll.
Die Natur, der du treu warst, hat dich gesegnet, und die Sitte,
der du mit freiem Sinn huldigtest, den Gaben der Natur ihre
Weihe verliehen. Du hast Freuden genossen und Leiden zur
Erweiterung und Befestigung deines Wesens verwendet,
Du hast Frau und Kinder, liebe Sorgen, schöne Hoffnungen,
hast Freunde, die dich heben und achten. Unter anderen den-
jenigen, der nur mit dem Leben aufhören wird zu sein Dein
D. Fr. Strauß." Dieses Wort hat sich bewahrheitet.
^ J Neben diesen beiden Getrouosten standen aus der
Studentenzeit Vischer und Knferle, wahrend andere.
') Abgedruckt ab Nr. 326 der „Ausgewählten Brie!«'*.
Die Ehe und ihre Lösung.
401
wie Binder, ohne besonderen sichtbaren Grund allmählich
gegen die Peripherie hin zurücktraten, ohne doch auf-
zuhören, Freund» zu sein. In Heilbronn erneuerte M
die Beziehungen zu Kauffmann, einem LudwigaLurger
Jugendfreund, doch tritt er in gemessenem Abstand
hinter den beiden Intimsten 7urü>k. tlber ihn lasse ich
Strauß selber das Wort 1 ): „Seine ästhetische Bildung und
geselliger Humor zogen mich zu ihm hin. In den dreißiger
Jahren fing ich hierin eine unangenehme Vcrßndening zu
verspüren an; statt von Goethe oder Tieck sprach Kauffmann
von Politik; der sonst so wohlgemute und wohlwollende
Mann fing über Forsten und Heamte, Ober Gott und Well zu
schimpfen an. Ich mied seine Gesollschaft, die mir zu behagen
uufgchOrt hatte. Bald brach der Schaden auf. Die Koserilz-
sche Verschwörung 2 ) kam an den Tag, und es zeigte sich,
daß Kauffmann. für sich als reine Künstlernatur ohne poli-
tische Ador, aber sehr bestimmbar von außen, von seiner Um-
[ gebung, sich wenigstens zurMitwisserschaft an jenen hirnlosen
Anschlägen hatte nußbrauchen lassen. Er wurde suspendiert
und prozessiert, doch einstweilen gegen mäßige Kaution frei-
gelassen. Die hier ihm gewordene Anschauung des boden-
losen Treibens und der dummen oder schlechten Gesellen,
mit denen er sich allzu vertrauensvoll eingelassen, wirkten
jetzt als wohltätigste Krisis auf Kauffmann. Er wurde selbst
184S und 49 nicht mehr rezidiv. Während meines Verban-
nungsjahres in Ludwigsburg vom Herbst 1835 an waren wir
tagliche Gesellschafter. Eines Mittags wollte ich ihn abholen,
fand aber die Türe gesperrt. Endlich öffnete man mir.
Kauffrnunn war früh morgens auf den Asperg geführt worden.
Nach mehreren Wochen wurde er gegen bedeutend höhere
>) Brief an FUpp vom V). Februar 1857, kurz nach Kauft*-
tnunii" Tod« gnschriubrii.
') Ein* Abxweigung flY-s Frankfurter Putsche* vom 3. April
1833 und ebenso sinnlos wie dieser; ihr Führer sollte dor Leutnant
v. Koseriti in Ludwigsburg sein.
402
Sachet« Kapital
Knution wieder auf freien Fuß geaeLzl; seine Haft. die auf
i'/j Jahre festgesetzt war, wurde ihm nach *U Jahren im
Gnadenweg» erlassen Ihe NaehmRtege, »In- i li l»'i ihm auf
dorn Asperg eubrai hu-, gehören W meinen heitersten Kr-
lnuerungcn. Er halle mein Klavier bei stdi, und mehrere
seiner sr.hiWi ii'u l.i.'ii.i' wurden auf dem A>pefg komponiert.
Nnch seiner Entlassung wurde er huld in Heilbronn (ab Renl-
lehrer) angestellt. Daß ereine durchauskunstlerhicheundzwar
mmnknIUolm Natur war, liegt vor Augon. Man kann rieh ihn
trefflich alt Kapellmeister denken, K* war nber doch merk-
würdig, wie in seiner Natur da» Mathematische dem Musi-
kalischen da* Gleichgewicht hielt. Die bürgerliche Grund-
lage, die ihm das erstere gewährte, war ihm um so w -illkom-
ni."n«'r. da sie ihm zur Musik ein ganz freies Verhältnis Übrig
ließ I ue Musik war ihm um ho lieber, da er niehl i?en<Migt WJ r
jurab sie Geld tu verdienen. Und dann war eine hitrgerlichc
Solidität und Ehrbarkeit in Kau [f mann. <Jie doch eher im
Lehrer der Malheiiuilik als im Musikus vmi l'mfessmn ihre
Darstellung fand. Auch die it&rmisohe Leidensehal'ilichk *il
eines solchen fehlte ihm; er war eine durchaus helle. In-:
\nlur. Und wie liebenswürdig war Kn -iffm.inn als Gast.
Wie anspruchslos fand er sieh in jede fremde Lebensart und
Hausordnung. Wie liebenswürdig auch in der Ausübung
aninea musikalischen Talents, wie entfernt von Kitelkeil und
Ziererei; niemandem drang er es auf, nbrr auch nie liefi er
sich vergeblich bitten, wenn man etwas von ihm hoien wollle.
Was erden Mrtdchen und Frauen war, werden diese am besten
wissen, und es ist eine zarte Aufmerksamkeit des Schicksals
für ihn gewesen, daß es ihm in den letzten Stunden nuch eine
begeisterte Vertreterin «einer Anhängerschaft unter diesem
Geeühleoht zuführte." Natürlich hatte Kauffmann aurh an
Agnes Schebest seine Freude, -ie sang seine Lieder, er bc-
gleiteteiie orn Klavier und führt« wohl auch eine iuu-ikalMr|ir
Schnurre mit ihr auf '). Die Oper zu komponieren, zu der ihm
») Awwewnhltr Bflell Nfc IM.
Die Ehe und ihn* 1*<Mung>
403
Strauß das Libretto gedichtet, hatte er freilich nicht die Kraft.
Im Konflikt zwischen den beiden streitenden Mi y Mjw
aber haben er und »eine Frau Strauß die Treue gehalten
und sich fraglos aul seine Soite gmtcllt.
Neben den anderen Heilbrunner Krcunden, dem schon ge-
najintenGymnasialprolessor Schnitzer, dem Mediziner Sicherer
und dein Kaufmann Künzcl, von dunen gelegentlich noch
zu roden sein wird nenne ich hier nur noch Eduard Zellcr,
damals in Tübingen, in dem Strauß nicht bloß den Gelehrten
bewunderte und dos Gesinnungsgenossen sich freute, sondern
der ihm gerade in dieser Zeit auch menschlich immer naher
getreten ist und ihm bei seinen Besuchen durch die völlige
I iiliitfnrigenlieil seinen ehelichen Mißhelligkeiten gegenüber
innerlich wohl getan hat. An Vischer schreibt er unmittelbar
nach der Auflösung seiner Ehe über ihn (im August IS'16):
„Ich bin ihm unendlichen Dank schuldig in Bezug auf mein
bisheriges eheliches Verhältnis. Er ist der einzige, dessen
angehscher Natur es gegeben war, auf diesen Kohlen ohne
Schmerz zu gehen; er allein ging bei uns ein und aus, wie
wenn er nicht anders wüßte, als daß alles zwischen uns gut
stehe. Dies, daß es doch einem Menschen in unserem Hause
v. >ld war, hat auch mir unendlich wohlgetan; es stand auch
wohl, solange er da war; weil er es zu glauben schien, glaubten
auch wir es, und so rechne ich die Tage, die er bei uns zu ver-
: «lnodenen Zeiten zubrachte, zu den wenigen Oasen dieser
Wüste. Sag ihm, wieinnig lieb er mir dadurch gewordensei,
und wie ich dies nicht ohne die tiefste Rührung schreibe.
In ihm, in der Erinnerung an die Art. wie er sich bei
uns gab, lebte für mich diese Ehe idealisch, wie sie hatte
sein sollen, bisher fori; mit dem ersten Wort, daß ich
iln i die Wirklichkeit gestehe, zerfließt für mich (denn er
mußte das Wahre längst wissen) dieser Zauber. Ja, als
«ine Natura angulica hat er sich in dieser Sacht» bewahrt,
und wenn wir zuweilen geneigt hind, da* Mangelhafte, wa .
ie solche Natur hat, hervorzukehren, so habe ich zu-
404
Sechste« Kapifc!.
gleich das volle Gefühl des Höheren bekommen, welches
darin legt, und das uns fehlt."
So hielten ihn in dieser bösen Zeit die Freunde. Und
den anderen Halt fand er in der Arbeit. Denn damit stand es
bei weitem nicht so schlimm, wie er es selber in seinen Briefen
dargestellt hat, wenn er sich einen Müßiggänger und Tagedieb
schilt, vor dein seine Frau schon deshalb keinen Respekt
bekommen könne, weil er auf der Bärenhaut liege und
ein Schlaraffenleben führe. Er hat m jener Zeit von
1842 bis 1847, außer ganz wenigen Kleinigkeiten, nicht*
drucken lassen, das ist richtig. Nicht richtig aber, oder doch
nicht vollständig ist, wus er in den , .Literarischen Denk-
würdigkeiten* 4 ala einzigen Grund für dieses Verstummen
anführt: „Meine Heirat", heißt es da, „brachte meine Schrift-
stellern zum vollkommenen Stillstand. Während der vier-
jährigen Dauer meiner Rh« habe ich nichts, kein Buch, luillfl
Abhandlung, keinen Aufsatz geschrieben- Von den furcht-
barsten Fragen der eigenen Existenz bedrängt» wie ich jene
ganze Zeit über war, lagen mir die wissenschaftlichen Fragen
fem; so fern, wie dem Schiffbrüchigen, dem das Wasser bis
ans Kinn geht, die Sorge für die Bewirtschaftung seiner
Güter am Lande." Aber allein und an allem war in diesem
Fall doch nicht die Frau schuld. Mit dem Leben Jesu und
der christlichen Glaubenslehre hatte Strauß das Beste
gegeben, was er damals zu geben hatte, er hatte aber auch
alles gegeben, was er in jenem Augenblick besaß. Mit der
Theologie war er vorläufig fertig, und überdies die Theologen
wollten nichts von ihm haben, das zeigte ihm die Aufnahme
oder Nichtaufnahme seiner Glaubenslehre. Sie hatten ihn
ausgestoßen aus ihren Reihen, so glaubte er auch mit ihnen
fertig zu sein. In jenen Jahren des Hasses fing er an sie
wirklich zu hassen, wie er sein Weib haßte oder zu hassen
glaubte. Diese beiden hatten ihm sein Leben verpfuscht und
vergiftet, halten ihn wissenschaftlich und menschlich heimat-
los, beruflos, glücklos gemacht. Nun hatte er aber doch nur
Du Eht und ihre Lteuog.
4ÖÖ
Theologie grundlich studiert, da allein hatte er stetig weiter
produktiv sein können. Darum hatte er zunächst überhaupt
keinen Beruf, keine Aufgabe, keinen Stoff mehr, auch nicht als
Schriftsteller. Beruf und Aufgabe mußte er sich erst schaffen,
das hieß: er mußte auls nuue studieren, mußte etwas lernen
und Stoff sammeln, ehe er weiter schreiben konnte. Einst-
weilen war er wirklich in ollem anderen als in der Theologie
ein bloßer Dilettant, und ein solcher hat „kein Recht zum
Schreiben!" Darin ließ er sich auch durtdi das Zureden der
Freund«, I, B. Vischers nicht irre machen, so recht diese von
ihrem Standpunkt aus hatten, ihn immer wieder zur Arbeit
zu treiben. Denn daß er es Ernst nahm mit dem Schrei!" B
und nur aus der Fülle des Wissens heraus das Wort ergriff
als Herr über die Sache, über die er schreiben wollte, das hatten
seine beiden großen Werke, dächte ich, doch deutlich gezeigt.
Ein solches Nacharbeiten und Storfsammeln wnre somit
auch notwendig gewesen, und eine Pause wäre in seiner Schrift-
stellerei nach 1841 fraglos auch dann eingetreten, wenn er
tu jener Zeit in glücklicher äußerer und innerer Verfassung
gewesen wäre. Nur wäre er dann wohl rascher damit
vorangekommen, und Lernen und Schreiben wären vielleicht
mehr Hand in Hand miteinander gegangen.
So finden wir ihn denn in den vierziger Jahren nicht
müßig „auf der Bärenhaut liegend", wie er klagt und sich
anklagt, sondern rezeptiv tatig, mit vielfacher Lektüre eifrig
beschäftigt. Das ästhetisch-literarische Interesse, das — man
denke noch einmal an die Streitschrift gegen Menzel — immer
schon dem theologischen zur Seite gegangen war, und das
musikalische, das durch musikalische Freunde, durch Vatke
und Knuffmann and dann vor allem durch die Kunst seiner
Frau geweckt und genährt worden war, traten immer be-
stimmter hervor. Dazu gesellte sich die Geschichte, die ihn
als solche und in ihrem Zusammenbang mit der literarischen
Entwicklung unseres Volkes lebhaft ansprach und anzog.
Und so las er und las er in jenen Jahren, vielleicht nicht
t\ z*jw, d rk. su«a ii. 27
406
ö*chi t es Kapitel.
strrng systematisch, de an er war ja keine. Gelehrlennalur,
sondern von Büchern, wie es eben kam und wessen er, fern
von einer größeren Bibliothek, gerade habhaft werden
konnte, über mit deutlicher Absicht auf literarhistorische
oder auch rein historische Arbeiten hin. Ich nenne
unter dorn vielen nur Niebuhrs römische Geschichte:
..Der Mann ist ein Koloß von Gelehrsamkeit, aber
dabei mit einer Schwerfälligkeit geschlagen, die den ge-
duldigsten Leser umbringt"; Schlossers Geschichte des
18. Jahrhunderts: „ein treffliche* Buch, es ist ein Stück
Tacjtua in dem Mann, nicht die höchste Art der Geschicht-
M-.iiiviiiiin,', nbüi Bio boahftofeUMm Moms&I in ihr"; Dabft-
mnnns Geschichte der englischen und der französischen
Revolution: ,, gewandt, aber flüchtig und nicht immer
treffend entworfene Skizzen"; von Freund Zeller die
Philosophie der Griechen und von Freund Vischer die An-
fange seiner Ästhetik; dagegen fand er in Schleiermachers
Ästhetik „viel Geglucks und wenig Eier". Gervinus' Ge-
schichte der deutschen Dichtung liest er von hinten herein
und ,,hal nun doch Respekt davor: er kann nicht gerade
ein besonders feines ästhetisches Sensoriuni bei dein Mann
finden und gegen Philosophie ist er eingenommen; aber der
Vorteil der historischen Betrachtung, wo jede Figur an
ihrem Ort und in ihren genetischen Verhältnissen steht,
ergänzt den Mangel". In der Kunstlekture, mit der er es
auch versucht, findet er dagegen „eine mißliche Antinomie:
hat man die Gemälde, die einer beschreibt, noch nicht ge-
sehen, so versteht man die Beschreibung nicht; sieht man
das Gemälde vor der Beschreibung, so versteht man das
Gemälde nicht" Auch Naturwissenschaftliche« fehlt nicht;
so finden wir Alexanderv. Humboldts Kosmos, Schuberts all-
gemeine Geschichte des Lebens und Ritters Erdkunde gelegent-
lich erwähnt. Aber am liebsten greift er doch nach den
Dichtern, neben den Alten, denen er immer die Treue be-
wahrt, nach den neuesten Gutzkow und Laube, Heine und
Die Ehe und ihre Lösung
407
Herwegh, wobei er Heine gegen Vischer in Schul/ nimmt
und ihm selbst seine Eitelkeit eher verzeiht ab einem Path*-
tiker wie Herwegh. Dann kommen die Romantiker an die
Reihe, fön die er in aller Abneigung von früher her
«ne Art von Faible, in seinem wohlbegrtlndeten Unß doch
ein Stück Liebe gehabt hat, das ihn diese wunderlich schil-
lernde Gesellschaft so gründlich und fast kongenial hat
verstehen lassen. Auch das Schicksal der Günderode und
Bettinas ..Dies Buch gehört dem König" hat ihn interessiert,
das letalere freilichschien ihm „ein verunglücktes Produkt; das
Dozieren und Philosophieren steht der Verfasserin schlecht".
Und endlich geht es natürlich weiter rückwärts zu Goethe,
der ihm unter den Neuen doch immer der Allererst«) und
Allerhöchste gewesen ist; zu Hamann und Rousseau, der
ihm mit Recht, aber einstweilen noch ohne nähorc* Kennt-
nis des anderen, als „ein ungleich tieferer Geist als
Voltaire" erscheint; und von ihm dann wieder nach vorn
zum Sturm und Drang, wozu auch Schubart gehört. Von
diesem hat er seit 1843 auch schon Briefe. Das könnte
uns ja mit einem raschen Schritt weiter fuhren. Aber wir
sind noch nicht so weit. Einstweilen ruft er noch klagend aus:
Mir fehlt jetzt nichts als ein tüchtiges Geschäft, aber wo
das hernehmen?" Nur das wollen wir uns merken, daß
<ir schon im Dezember 1842 Vischer fragt: „Weißt Du mir
keinen Helden für eine Biographie? So was würde mir
nicht übel passen jetzt zu schreiben.'
Einstweilen handelte es sich nur um den Nachweis, daß
Strauß in all der Zeit nicht müßig gewesen ist, sondern eifrig
beim Studieren und beim Einsammeln war. Aus der Fülle
des Gelesenen und gleich auch kritisch Verarbeitelen habe
ich ganz willkürlich einiges Wenige herausgehoben» um zu
zeigen, wie weit er in seinen Studien ausgrifT und nach
welchen Seiten hin er Umschau hielt. Sein ..Gelüsten
nach einem weiteren Lileraturgebiet" als dem theologi-
schen hat er damals, vorläufig einmal rezeptiv, befriedigt.
408 B©cb*tea Kapitel.
So stand er, wenn auch nicht müßig, am Markte und
schaute sich nach Arbeit um. Aber ehe er noch recht dazu
kam, auf Gebieten, die ihm lagen, frei und innerer Neigung
folgend sich zu betätigen, kam ein Anstoß von außen, der
sein auf der Sandbank der Ehe gestrandetes Lebensschi fflein
mählich wieder flott machte, diesem aber zugleich eine neue,
Strauß vielleicht fremde und persönlich kaum ganz zusagende
Richtung gab : — es war die Politik, die ihn in ihre Strudel riß.
Siebentes Kapitel.
Strauß als Politiker.
Es ist nicht ganz richtig, wenn wir oben mit Strauß
selber gesagt haben, er sei von 1841 bis 1847 gftnz ver-
stummt. Eiuigo Male ergriff er in der Öffentlichkeit doch
das Wort. Es war zunächst aus Anlaß des Vischer-Handels
in Tobingen. Als dieser zum ordentlichen Professor ernannt
am 21. November 1844 jene temperamentvolle Antrittsrede
lielt, die äußerlich schon ein keckes sich Hinwegsetzen be-
deutete über akademischen Brauch und akademische Würde
und inhaltlich eine schroffe Kriegserklärung war gegen seine
Feinde, insbesondere gegen die Piotisten seiner schwäbi-
schen Heimat, denen er „einen Kampf ohne Rückhalt, volle
ungeteilte Feindschaft, offenen, ehrlichen Haß" versprach,
da nahm Strauß an dem Schicksal des Freundes tiefinner-
lichen Anteil. Ob es den Gegnern gelingen werde, ihm daraus
den Strick zu drehen, und ob die würltembergische Regierung
auch hier wieder schwach und nachgiebig sich zeigen werde,
wie einst bei ihm, diese Frage geht in den Briefen jener
Wochen hin und her. Jetzt konnte er den Freundschafts-
dienst vom Leben Jesu her vergelten und seinerseits
Ober Vischer den Schild halten. Anfangs zwar schreibt er:
..Gitiil- möchte auch ich Dir in der Sache dienen, wüßte
ich nur, in meiner Entfernung vom Schauplatz, wodurch".
Aber bald laßt *s ihm keine Ruhe; oder vielmehr die Frau
ließ ihm keine Ruhe; sie sagte, es sei nicht genug, daß
einer recht habe, man müsse ili-n Publikum auch sagen,
410
Siebente» Kapitel.
daß er es habe" Und so schickte er der Kölnischen Zeitung
einen Artikel, ,,der gar nicht verfänglich war"; sie nahm
ihn über nicht auf. Anders der Stuttgarter Beobachter,
an den sich Strauß — als an „das einzige Blatt, auf da»
mau sich verlassen kann". — daraufhin wandte. In ihm
erschienen zwei, freilich von der /.eiisuc I eil weise arg \< i
sltimmelte Artikel von Strauß zugunsten Vischere, der zweite
mit dem Motto: ,.Der Pietismus hält es mit dem Ärgernis
wie der Mattheus mit dem Eis: hat er keina, so macht er
eins*' 1 ). FurVischer fand er hier das gute Wort: „ Jeder Zoll
ein Ästhetiker, aber auch jeder Zoll ein Mann!" Natürlich
konnten die beiden Artikel so wenig ala die vielen Auf-
•-.,<i/c itadtehet Art in äderen Statten) u iw Buteoheldazif
der Regierung etwas andern: Vischer wurde auf zwei lahm
suspendiert, d.h. er bezog BOfaUO (Midi fort, durfte aber
nicht lesen. Und nun mahnte Strauß den Freund — nicht
etwa agitatorisch zur Fortsetzung des Kampfes, sondern
zu ernster wissenschaftlicher Arbeit, in jenem Brief vom
4 März 1845, der so charakteristisch ist für seine besonnene
Art, wie wir sie ja uueh bei seinen eigenen Händeln in dem
Ifthren 1835 — 30 kennen gelernt hüben und die bei dem leiden-
schaftlichen Mann besonders bewundernswert erscheint
„Wie ich Dich persönlich im Getümmel sah", heißt es da.
,,da konnte mich'swohl fortreißen, daß ich mein alles Sohlach l-
roß spornte, um Dich heraushauen «u helfen ; jetzt>da Du so weit
heraus bist, daß Du mit Kühe selbst wieder Deine Maßregeln
nehmen kannst, habe ich wieder abgezäumt. Im Ernst,
ich glaube, es w&re nicht klug, jetzt bei veränderten Um-
ständen den Kampf noch auf die gleiche Weise fortfuhren
zu wollen. Fürs erste sollte jetzt, meine ich, eine Pause ein-
treten, damit das Publikum uns nicht aus Übersättigung
üb weint, ohne nur die Suche weiter zu uutersuchon.
') Sprichwort auf den MatthDuitag (25. Februar):
bricht's Bis; hat er keins, so macht er eins
ftUttbou»
fctatfß ab PoftUrtr.
Alt
E* Ut jrtrt sehr abwechalungBBÜchtig und bleibt nicht gern
lange bei einer Materie. Für» andere sehen wir, daß der
K unpf in Journalen und Umnchüren uns wenig gttfaoIf€II bat.
Allein in der Kilo, mit der damals die Umstände drängten,
blieb uns kein andere». Um so geeigneter sind jetzt die Um-
fttfinde, diesen andern Weg einzuschlagen. Deine Ankläger
haben zuletzt, und nicht ohne Eindruck bei der Behörde,
die Wendung genommen, Dich so hinzustellen, wie wenn
Du dem Niodersteigon in die Tiefen der Wissenschuft dns
geistreiche Spiel auf ihrer Oberfläche vorzögest, ihren
Ernst durch Witz, ihre Ruhe durch Leidenschaft trübtest.
Du und wir haben gesagt: dem ist nicht so, die Gegner
haben erwidert: o ja, und haben einzelne Stellen aus Deinen
Schriften zum scheinbaren Beweise beigebracht. Jetzt
kann nur noch das wirken, wenn Du ein zusammenhängendes
Wrrlc ernster Wissenschaft der Welt hinstellst, vor welchem
Deine Gegner verstummen müssen, und auf das Deine
Freunde unter don Mnchthaborn sieh berufen kfaHSB.
Ein MlefcoB wird Deine Ästhetik sein. Die wird wirksamer
für Dich sprechen als alle Zeitungsartikel und Broschüren
i'tiuor Freunde. Zugleich ist sie auch eine Rechenschaft,
in welchem Sinne Du Dein Lehramt bisher gefuhrt hast.
Und was sonst noch zu sagen ist, wirst Du in der Vorrede
dazu — bis dahin selbst abgekühlter und mehr über der
Sache stehend, Mkgttfl können. Damit will ich nicht sagen,
daß bis dahin alles schweigen soll, oder auch nur ich schweigen
wolle. Vielleicht gibt die Kammer, in der Römer 1 ) die
Sache zur Sprache bringen will, Anlaß, noch ein Wort darüber
zu sagen. Es wird eine saubere Verhandlung geben*). Hie-
] ) Kriodrich Römer, 1794—1864. liberaler schwab? ulier Politik«-.
1848 Mftrzmimtter in Stuttgart
•) Wirklich hat Körner in der Kammer am SO. April 1845 diu
Vischersche Angelegenheit zur ßprnche gebracht Daß dabei auch
Gufttav Binder ab Abgeordneter von Ulm Gelegenheit halte, für den
Kr, timi . iiixulri'H. ld hi r Uftdrtb kln i. boflMkl BbUMh dlt
*1*.
• . • . - • • ■
mit. lieber, bester Freund, habe ich Dir meine oft beachloasene
Meinung nicht verhalten. Ks wnre mir leid, wenn Du darin
nur den verstimmten Widerwillen gegen das Schreiben,
der freilich in mir groß ist und einen starken Anstoß braucht,
um für den einzelnen Fall überwunden xu werden, nehm
wolltest. Es ist doch wohl auch etwas Vernunft darin.* 4
Vischor hut den Rat befolgt, als „erste llauplfruoht seiner
unfreiwilligen Muße" gab er 1847 den ersten Band seiner
„Ästhetik* 4 heraus.
Noch früher als seine Artikel im Beobachter erschien
in Georg Herwegh3 „Einundzwanzig Bogen aus der Schweiz"
(1643) ebenfalls ein gedruckter Beitrag von Strauß. Es
waren politische Xenien. Politisch — ? Wie kam Strauß
zur Politik? In Landern wie dem deutschen, wo Kirche und
Staat so eng ineinander verschlungen sind und es damals
noch mehr waren, als dies leider auch heute noch der Fall
ist, muß, wer sich für theologische und kirchliche Krügen lebhaft
interessiert, namentlich im freiheitlichen Sinn interessiert,
notwendig politisch werden. Auch Eduard Zoller hat damals
, • mige Worte Über die Bedeutung einer freien Theologie
für das öffentliche Leben" drucken lassen. Wer aber so
am eigenen Leib erfahren hat, daß der Staat sieh immer noch
und immer wieder zum gefügigen Exekutor kirchlicher Bann-
spräche hergibt, wie Strauß 1835, der vollends muß notwendig
politisch liberal worden. Das setzte man bei Strauß zunächst
einfach voraus und übersah darüber die andere Erfahrung,
die er im Kanton Zürich mit einer radikalen Regierung
und einem demokratischen Volk gemacht hatte, und die
ihn schwerlich zu einem Freund des Radikalismus und der
Demokratie machen konnte. So haben im Herbst 1&44
die Stuttgarter Liberalen beabsichtigt, ihn „irgendwo in
Prillat v. Mchring, von dorn wir noch hören werden, gegen die
Zusammenstellung von Schleiermacher und VUcher mit den Worten
protestierte: ,,mnn solle das Reine nicht mit dem Unreinen ver-
mischen t"
StrnuB *h Politiker
413
einem Oberami in die nächste Kammer wählen zu lassen;*'
aber, fügt er in dem Brief an den Bruder, dem er das erzählt,
beruhigt hinzu, „zum Gluck existiert ein Oheramt nicht, wo
dies möglich wäre, und so kann ich ganz ruhig bleiben."
Denn „was geht uns der Welllauf an ?•' fragt er den Bruder
auch einmal und tut »ich damit selber schwer unrecht.
Ihn kümmerte viel, was in der Welt vorging. Um des Bruders
willen, der seil 1841 an einer Zuckerrafftnorie in Köln be-
teiligt war, und den er dort in den vierziger Jahren öfters
besucht hat. in dessen Geschäft er auch zeitweise einen Teil
< iut«s Vermögens stecken hatte, interessierte er sich sogar
für den Handelsvertrag mit Belgien Dieses politische
Interesse verraten nun auch jene Vers« in Herweghs Bogen
aus der Schweiz. Bei den Besuchen in Krtln hatte er die
Arbeiten em dortigen Dom gesehen, den auszubauen eine
d«r ersten Sorgen Friedrich Wilhelms IV. gewesen ist. Gegen
.lirM-s (Juli Tic hrrt.n liclil.'t IT (Ulli |H^, \V (.■ 1 St ü HOi'.h
einmal, seine Pfeile in den Xenien:
Wie? ein &o frommes Werk befeindest Du? „Lasset die Toten
Ruhen." Dieses allein nenn' ich ein frommes Gehet.
Lolchen herausjuseharreu. die doch zu beleben die Kraft fehlt.
Bei es ein griechischer Chor, nei ch ein christlicher Dom,
IIhiO ich Hyäne ngesch&fL Wer, nach dem Gestern verlangend.
Gegen das Heule sich kehrt, wird auch das Gestern entweih'n.
In Württemberg ist es die* Verfassungssfiule auf dem
Schloßplatz und sind es die Festivitäten hei ihrer Ein-
weihung, die seine Satire herausfordern. In Bayern spottet
er, wohl in absichtlich holperigen Versen, über den König,
der den großen Mftnnern Deutschlands ein Walhall errichtet
und Luther davon ausschließt:
Halt) Du bi»t nicht gemeint 1 — ..Ich nicht ins Pantheon deutscher
Zunge? Luther, der euch Deutschen die Zunge gelost!"
Sieh" loh bin ein katholischer Füret — Du entschuldig»! mich »eltwt
wohl —
Und was dio Sprache betrifft, hab' ich von Dir nicht» g«l«rnt-
414
Siebentes Kapital.
Aber am schärfsten wendet er sich schon jetzt gegei
Priodrich Wilhelm IV. selber. Ihm gilt gleich da* oral
Stachelepigramm :
Manches Seltsame sah ich am christlich*» Hofe n Potsdam:
über eines jedoch bin ich noch immer erstaunt
Itunkt nur; nun ullmi I.fimlrrn vnrnc.hrii-b man nii)d»rrgitbriiniite
Kenen um höheren Proi», als m»n für gsn«« beiahlt.
Solchu nur sollen beleuchten den Hof — Ihr lächelt und glaubt'»
nicht?
Fragt nur Scbelling und Tieck, wie man dl« Stumpen dort
•ohatit
Also g8nz verstummt war er auch vor der Öffentlichkeit
in jenen Jahren des Lernens und Sammeins und in jener
scldimmen Zeit seiuer in die Brüche gehenden Khe nicht.
Aber ee waren allerdings nur Kleinigkeiten, gelegentliche
Äußerungen zu Tagesereignissen, wirklich nur Abfalle und
Abschnipfel seines Geistes. Und solche Abfälle waren auch
die kleinen Beiträge, die er zu den ,, Jahrbüchern der Gegen-
wart" beisteuerte. Sie hatte Albert Suhwogler, dämm«
eines der bedeutendsten Milgbeder der Daurschen Schule
in Tübingen, der es aber nach gut württembergischer Sitte
und Art als freigesinnter Gelehrter in der vormftrzhchcn
Zeit nicht über den Privatdozenten hinaus, ja nicht einmal
zum StifUrepotenten hatte bringen können, 1843 ins Leben
gerufen und dafür natürlich auch auf die Mitarbeit von Strauß
gerechnet. Nun endlich im Jahr 1846 stellte sich dieser mit
einem ganz kurzen Beitrag ein, der freilich nlshald höchst
charakteristisch ist und Sp&lerem ahnungsvoll prftludiert.
Daß ..das Hauptwerk von Hermann Samuel fteimarus
noch immer ungedruckt" sei, dem gilt seine Klage. Man
sieht, dieser sein Vorgänger in der Leben- Jesu-Forschung,
Theologisches also, interessiert ihn noch immer. Aber erst
im nächsten Jahr, in dem er von seinem hauslichen Elend
wieder etwas aufatmen konnte, nachdem das Tafeltuch
zwischen ihm und der Frau zerschnitten war, soweit es
sich eben zerschneiden ließ, fließt die schriftstellerische Ader
Strauli als Politiker.
415
iilichor. Und jetzt sind es nicht theologische, sondern
iaüieliflche und biographische Aufsätze, die er für die
Jahrbücher bestimmt. Irn Aprilhoft erscheinen zuerst die
„Ästhetischen Grillen* 1 . Es ist eine Klage darüber, daß
unsere Maler nichts lieber als malende Maler, unsere
Dichter am liebsten wieder Dichter malen und Bclnhiorn.
Denn ,,wo ist unter uns Handlung, Tat im Großen? Ist
es da ein Wunder, wenn dem Dichter bei seinen Schöpfungen
statt Helden immer wieder Literaten und statt Schwerter
Schreibfedern in den Weg kommen?' 1 Es ist dos gegen die
Schriftsteller des jungen Deutschland gerichtet, werden wir
denken, und wirklich — da» Urbild des Tartuffe und Laubes
Karlsschuler dienen als Beispiele. Aber in Wahrheit gilt es
vielmehr der Romantik; bei Tiecks „Dichterleben" und seinem
„Tod des Dichtere", bricht e« los, „weil in diesen Arbeiten
doch die Eitelkeit allzu widrig ist, mit welcher der Poet im
Spiegelbild r sich selbst berüuehert, weil in ihnen jeder wahre
Sohn der Gegenwart echte Produkte der Romantik erkennt,
dieser Poesie der Poesie, die, zeugungsunfähig, mit sich selber
buhlt, die, eigenen prophetischen Geistes bar, der gewesenen
Propheten marklose Schatten durch tauschende KOnste für
einen Augenblick heraufbeschwört.*' Nur darum und soweit
tadelt er die Gutzkow und Laube, die er sonst als „Gleich-
strebende" schätzt, weil und soweit auch sie noch das Prinzip
der „inhaltsleeren, sich selbst bespiegelnden Subjektivität dor
Romantik" nicht überwunden haben. Denn die Rumantik
ist der Feind, ihr gilt dnr Kninpf; uml er k'-unt. .nv svn- \s. ■in;-.
sie gekannt haben, und versteht sie, wie unsere Heutigen
sie überhaupt nicht mehr verstehen 1 ).
Politischer als diese ästhetischen Grillen war der im
Augustheft erschienene Aufsatz „Zwei deutsche Märtyrer".
Dereine von ihnen ist Ernst Moritz Arndt, dessen „notgedrun-
») Es grhört «um Lustigsten, was mir lange vorgekommen, daü
mich Ludwig Stein in seinen „ Philosophischen Strömungen der
Gegenwart" 1 1 908) xu den Neuromantikern rechnet!
416
Sieben!« Kapitel
gener Bericht aus seinem Leben", ebon damals erschienen, von
zwanzigjähriger Verfolgung und Unterdrurkung zu erzählen
hatte. Es ist ein Bild von dem Schicksal des deutschen
Vaterlands selbst, das , .gleichfalls diese 20 Jahre verträumt,
verspielt und vernebelt hat". Tragischer ist das Leben und
Ende seines Landsmanns Friedrich List: auch dieses in seiner
ersten Hälfte ein Bild von der Art, wie das Württemberg
jener Tage mit seinen großen Mannern umzuspringen pflegte;
hier spürt man dem Verfasser ordentlich an. wie ihn der
GroO Über ähnliche Erfahrungen in der Heimat beredt macht 1 ).
Aber auch die anderen deutschen Landsleute sind nicht eben
freundlicher mit List umgegangen: als er ihnen aus Amerika
..das Geschenk der Eiscnbahnon mitbrachte, hatte er Muh",
sie zur Annahme desselben zu bewegen; das andere, das er
ihnen noch zugedacht hatte. Schutz der einheimischen Indu-
strie durch ein zweckmäßiges Zollsystem, weigerten sie sich
beharrlich anzunehmen". Daß spater seine Vaterstadt Reut-
lingen List ein Denkmal errichten und das inzwischen ge-
gründete Deutsche Reich seine Gedanken über den Schutz
der heimischen Industrie vor allem England gegenüber
verwirklichen werde, konnte Strauß damals noch nicht
ahnen.
Sehen wir ihn in diesem Aufsatz auf politischen Buhnen,
so ist der dritte der in diesem Jahr — im Juniheft der Jahr-
bücher — erschienenen Aufsätze ein Nekrolog auf den ihm
befreundeten schwabischen Dichter Ludwig Bauer, geboren
1803, gestorben 1846. Es ist, wenn wir von dem den Fried-
lichen Blattern beigegebenen Aufsatz über Justinus Kerner
absehen, der erste oder also der zweite jener biographischen
Skizzen! denen noch so manche folgen und aus denen dann
*V) Dtttu c ' iri Wort von StatuB nus spaterer Zuit,*dnA iun.ir.h*t
Eduard Zellftf galt: „Württemberg ist bekanntermaßen groOmutig;
es überlaßt seine besten KOpfo gern anderen und nimmt für sich
mit bescheidenen Größen des eigenen Gewächse«, Im Notfall mit
Abtrag von auswärts vorllub."
SUauß ah Politiker.
417
die biographischen Meisterwerk** herauswachsen sollten Von
ihueu allen reden wir deswegen besser in einem beson-
deren Kapitel.
Also im Hintergrund noch immer die Theologie — der
Artikel über Reimarus — , im Vordergrund Ästhetik und
Politik; das zeigt uns, wohin die Fahrt gehen wird, und es
ist nur die Frage, welches von den drei Gebieten ihn zuerst
habensoll? Es war die Politik. Denn Ende Augustdiesesselben
Jiilirt's, IS',, ■!■ ■■ :, n>u: Srhrift Jtnr iU<riiantiker auf
dem Throne der Cäsaren oder Julian der Abtrünnige". Die
Arbeit war wiederum für die Schweglerschen Jahrbücher
der Gegenwart bestimmt; als er sie aber den Freunden in
Heilbronn vortrug, redete ihm Marklin zu. sie als besondere
kleine Schrift zu veröftentlicheii und ihr die Form des Vor-
trags zu geben oder zu belassen, den sie bei dieser Vorlesung
angenommen hatte. So folgt in der Reihe der Schriften
chronologisch auf die christliche Glaubenslehre der Julian.
Das Erscheinen halte sich etwas verzögert, weil die wflrttem-
bergische Zensur erst alle auf die Gegenwart bezüglichen
Stellen gestrichen hatte, so daß der Druck nach Heidelberg
verlegt werden mußte, wo die badische Zensur keinon An-
stand erhob. Auch das aufs neue ein Beitrag, wie engherzig
und schikanös sein Heimatland auf jedem Punkte mit
Strauß VfiTiilnvii ist.
Aber warum hatte der Zensor Bedenken ? Konnten sioh
denn in einer Schrift über einen römischen Kaiser des vierten
Jahrhunderts Stellen finden, die sich auf dieGegenwart bezogen
und in dieser Anstoß erregten ? Schon der Titel kann uns
die Antwort geben. Die Romantik war auch hier wieder der
Feind, die Romantik, wie sie damals am übelsten verkörpert
war in der Person des preußischen Königs Friedrich Wil-
helm IV. Hei ihm hatte die von Novalis aufgebrachte Fabel
von der gottgewollten Zusammengehörigkeit von Thron und
Altar ein gläubiges Ohr gefunden, er regierte den Staat
und nicht zum wenigsten auch die preußische Kirche nach
418
Siebentes Kapitel
dieser Formel. Wenn es gelingen sollte, da* kompliziert*
Wesen dieses geistreichen Dilettanten auf i-iucii Begriff zu
bringen, so konnto ea wirklich kein anderer sein als der des
Romantikers. Nun war in Strauß, dem Landsmann von Paul
Pfixer, schon damals die richtige Witterung, daß Preußen dar
Staat Her Zukunft sei und ihm die politische Fuhrerrolle in
Deutschland zukomme, daß also von ihm das Glück oder
Unglück unseres Volkes abhänge. Jene romantischen Ten-
<lenzen des preußischen Königs sah Strauß somit für ein
ellgemeines deutsches Unglück an. Deswegen haßte er ihn,
soweit mau etwas Kraftloses hassen kann, und deswegen
griff er, kaum daß er aus seinem häuslichen Elend einiger-
maßen aufgetaucht war, zur Feder, um gegen ihn und seine
Art zu regiereu Protest zu erheben. Er tat dies in einer
eigenartigen Form: er schrieb eine Schrift Aber den
römischen Kaiser Julianus Apostnta. Das war der Roman-
tiker auf dem Throne der Cäsaren; von ihm handelte die
.Schrift, gemeint aber warder Romantiker auf dem Throne
Preußens, König Friedrich Wilhelm IV.
Es ist zunächst eine durchaus gelehrte Schrift, im
kleinen ebenso gelehrt wie im großen das Leben Jesu oder
die christliche Glaubenslehre; und so ist sie denn auch
rein wissenschaftlich das Beste gewesen, was bis dahin über
diesen merkwürdigen Mann geschrieben worden war.
Sie war aus den Quellen herausgearbeitet und darum
auch reieidich mit gelehrten Verweisungon, griechischen und
lateinischen Zitaten versehen. Sehr fein ist namentlich die
Beurteilung der bisherigen Beurteiler Julians. Daß ein
anderer gemeint sei als der, um den es sich nach dem Titel
handelt, oder um mit Strauß in einem Brief an Märklin zu
reden, daß der Sack geschlagen wird, um den Esel zu treffen,
das wird natürlich nirgends ausgesprochen, wohl aber für
die damaligen Leser — wir sind daran seit Mommsen ohne
alle Hintergedanken gewöhnt — zunächst dadurch ange-
deutet, daß moderne Ausdrücke auf jene vergangenen Zeiten
Strauß als Politiker.
tlfi
und Verhältnisse Angewendet werden. Mit dem BegrifT
, .romantisch** wird durchweg operiert, vom romantischen
Kronprinzen und Kaiser gesprochen, Maximus sein Hof-
philosoph genannt und die Arbeiten zur Wiederherstellung
des Tempels zu Jerusalem als „romantischer Dombau" be-
zeichnet. Dann aber werden, noch deutlicher, da und dort
auch ausdrücklich Parallelen gezogen zwischen einst und
jetzt. So wenn e* an einer Stelle heißt: „Dem Julian er-
schienen die Christen, weil sie die Götter Griechenlands
und Roms, Ägyptens und Syriens nicht anerkannton, gerade
ebenso als Gottlose und Atheisten (Josßetc und dfteoi sind
ihre stehenden Prädikate in seinen Schriften), wie den jetzigen
Romantikorn diejenigen, welche dem Glauben an den christ-
lichen Gott und Gottmenschen entsagt haben. Ebenso ver-
..rhüi'.h ipneh h foo dem toten Jodoo, defl die ßafiUtf
vorehren, als jetzt von jener Seite über den Vorsuch ge-
sprochen wird, fortan allen geistigen und sittlichen Bedarf
des Menschen lediglich aus der Erkenntnis seines eigenen
Wesens zu schöpfen. Daß die Christen sich weigerten, den
Göttern oder auch nur ihrem Gott Opfer zu bringen, war
ihm nicht minder befremdlich und anstößig, als es jetzt
gefunden wird, daß wir von Abendmahl und Kirchonbesuch
nicht*, mehr wissen wollen. Daß aus dieser neuen Gott-
losigkeit etwas für Leben und Sitte Ersprießliches hervor-
gehen könne, war ihm ebenso undenkbar, als es den An-
hängern des Alten unter uns geläufig ist, von den slaats-
und Bittenverderblichen Lehren der neuen Philosophenschule
zu roden. Mit nicht geringerem Selbstgefühl endlich wurde
der Neuheit des von gestern sich datierenden Christentums
das ehrwürdige Alter der väterlichen Religion entgegen-
gehalten, als heutzutage von dem 1800jahrigen Bestände
dos entern im GegensaU zu der Weisheit des Tages ge-
sprochen wird.*' Ganz besonders charakteristisch aber ist
der Schluß, wo Strauß den widerspruchsvollen Eindruck
konstatiert, wonach wir „uns von dem denkwürdigen Manne
420
Siebentes Kapitel
wechselswei»e angezogen und wieder abgestoßen finden".
Über den Grund davon heißt es: „Uns Söhnen der Gfgen-
wart» die wir vorwärts Bireben und den neuen Tag, deewen
Morgengrauen wir «puren, heraufführen helfen machten, ist
Julian als Komautikor, dc»en Ideale ruck war U liegen, der
daß Rad der ('.i'Mrluchti' /unitk/ii.lr.'lnri unternimmt, ru-
wider, und in dieser Hinsicht, formell gleichsam, finden wir
uns zu seinen clihstlicheu Gegnern hingezogen, welche da-
mals das neue Prinzip des Fortschritts und der Zukunft
vertraten. Aber materiell ist dasjenige, was Julian aus der
Vergangenheit festzuhalten suchte, mit demjenigen verwandt,
was uns die Zukunft bringen soll: die freie* hurmonische
Menschlichkeit des Griechentums, die auf sich selbst ruhende
Mannhaftigkeit des Romertums ist es, zu welcher wir aus
der langen christlichen Mittelzeit und mit der geistigen und
sittlichen Errungenschaft von dieser bereichert uns wieder
herauszuarbeiten im Begriff sind. In dieser Hinsicht auf
den Inhalt seiner Ideale und Bestrebungen fohlen wir um*«.
trotz aller Verzerrung, in der sie bei ihm erscheinen, tu Julian
hingezogen, von seinen Gegnern aber abgestoßen, aus welchen
das Prinzip des unfreien Glaubens, des gebrochenen Lebens
zu uns spricht, das in seinen letzten Nachwirkungen zu über-
winden unsere Aufgabe und unser Pathos ist. 4 " Und der
Sage von seinem letzten Wort, dus ihm seine christlichen
Gegnerin den Mund gelegt haben: Du hast gesiegt, Galilfter,
entnimmt Strauß die trostliche Wahrheit, daß,,unfehlburjcder
Julian, d. h. jeder auch noch so begabte und möchtige Men
der eine ausgelebte Geistes- und Lebensgestalt wiederher-
zustellen oder gewaltsam festzuhalten unternimmt, gegen
den Galilüer oder den Genius der Zukunft unterliegen muß".
So lag die Parallele mit der Gegenwart und dem modernen
Romantiker freilich auf der Hand und wurde auch, ohne
daß sie aufdringlich betont und in den Vordergrund gerückt
wurde, in jener Zeit der Reaktion allgemein verstanden und
von ollen Nicht-Romantikern und Nicht-ReaktionAren mit
Strauft ab Politik«.
ttl
Jubd begrufit. Trefflich Außen irich darüber Anton Springer,
der nachmalige berühmt« Kunsthistoriker, in don Jahr-
Lochern der Gegenwart so: „Keine historische Abhandlung
mit bloß gelegentlichen Seitenhieben auf moderne Roman-
tiker, wie manche meinen, sondern eine durch und durch
politische Schrift hat Strauß geliefert. Die reaktionäre Partei
in Deutschland zu bekämpfen, das Halt- und Bodenlose
ihrer Plane, das Ilad d^r <.r- hichte zuruckzuilr»'!»!». <ln-
Schimäre der Romantik in ihrem wahren Wesen als ohn-
machtiges Sperren gegen die unaufhaltsame Entwicklung
des Geistes aufzudecken, dies ist nicht bloß sein nebenbei
beabsichtigter, es ist sein voller, ganzer Zweck Inno« >i\ i i
seine Tendenz die allen liberalen Politikern gemeinsame.
Aber Strauß bleibt nicht bei dem Unmittelbaren, dem zu-
nächst Gegenwärtigen stehen, er wendet sich nicht an die
einzelnen Wortiührer, Vorfechter der Feindesschar, um sie
niederzustrecken, nein, er zieht sich vorläufig vor dem per-
sönlichen Gegner in die Festung der Geschichte zurück, er
flieht scheinbar — , weil er weiß, daß der unmittelbare Sieg
über einzelne Gespensterseher die Existenz de» Gespenstes
selbst nur teilweise aufhobt, der Fall einzelner Nebelkappen,
die im betäubenden Rausche den Weg verfehlen und z-unvk
ins Mittelalter wanken, die Romantik selbst nur verwundet,
Strauß genügt aber die einfache Verwundung nicht, er will
sie vernichten... Es ist nicht mehr ein Dieses oder Jenes,
eine einzelne Seite der Romantik, die er bekämpft, nein es
■ iiese selbst in ihrem Herzen, im Lebenspunkte getroffen."
Und die Walte, die er in diesem Kampfe braucht, ist, wie
Springer ebenfalls richtig gesehen, die Ironie, aber nicht die
romantische, .Ironie der subjektiven Willkür, welche durch ihre
Vornehmtuerei allea Gewicht verloren, sondern eine objektive,
die Ironie der Tatsachen. Wir bleiben stets auf der Höhe
der Geschichte und stehen doch mitten im Kreise der neuesten
Ereignisse, die historische Erscheinung und die gegenwärtigen
Tatsachen scheinen, weil substanzlos, durcheinander hindurch,
TV Ziffer, D Fr- Suwifi. n. ÜS
422
Piebenlei Kapitel.
und namentlich letztere erhalten eine Klarheit, welch* in
keiner anderen Weise errok lU werden könnte". In einer
englischen Zeitung aber hieß es besonder» fein, das Schrift-
chen sei zwar weder iah noch willig, aber das Schla-
fende der historischen PlfliBdfl wirke wie Geist und Witt.
So empfand die Weltdaruals, inden vierziger Jahren, kur»
vor dem Ausbruch der Revolution. In neuerer Zeit dagegen
hat sich — vielleicht unter dem Eindruck der Überflüssigen
Caligula-Salire Quiddes und der bösartigen Ansptelungskunsle
Hardens — das Urteil Ober den „Julian" zu Ungunsten
von Strauß verschoben. Wieder ist es nllnn voran Trcitschke,
der in seinem Haß gegen Strauß dieses Versteckspielen und
politische Anspielen aufs schar feto verurteilt. Neben dar
berechtigten Tendenz, aus den Erfahrungen der Vergangen-
heit ernste Lehren für die Gegenwart zu gewinnen, meint
er 1 ), (»wagte sich auch die unberechtigte des boshaften An
spielens und des versteckten Anwinkens hervor, ein schlechtes
Handwerk, das sich mit der Würde der Geschichte nie ver-
tragt". Und als Beispiel dafür Führt er die Flugschrift vnn
Strauß an, deren ..frostige Witze über den romantischen
Dombau des Tempels von Jerusalem oder über Juliana alt-
gläubige Kabinottsordres den abgeschmackten Einfall nur
noch widerlicher erscheinen ließen**. Es ist wahr, wir heute
empfinden in solchem indirekt Sagen und Anspielen leicht
etwa* Hinterlistiges und Perfides. Allein was 190$ mißfällt,
war 1847 eine erlaubte und berechtigte, eine geradezu un-
entbehrliche Waffe im Kampf um die Freiheit und gegen
dio Reaktion. Die Zensur war eine Macht, das zeigt ja
das Schicksal der Struußschen Broschüre in seiner Heimat.
Damals durfte und konnte man eben nicht direkt Kritik
üben au gekrönten Häuptern und mußte »ich dahei durch
allerlei List und durch Mankcntragun ftßhütztfi gegOD die
brutale Macht und gegen die Unterdrückung der frei«
>) TreiUchke. a. a. 0. fünfter Teil. 8. 411.
Strauß als Politiker.
IM
Meinung durch sie. Darauf wies schon der erste Kritiker
de* Büchleins, Springer, hin, der die Schrift mit den eng-
lischen Juriiuabriefen kontrastiert und mit Kecht fragt:
„ein deutscher Junius ist unter den gegenwärtigen Ver-
hältnissen ganz unmöglich, jeder Federzug stempelte Bh
heutzutage zürn zehnfachen Majestatsverbrecher: wurde
irgendeine deutsche Behörde Beschreibungen, wie sie Junius
entwirft, gelassen aufuehmen"? Heute ist ein solches An-
spielen und Paralleleziehen unnötig und daher keine Helden-
tat, es kann darin nur ein Mißbrauch der Geschichte gesehen
werden. Vor sechzig Jahren war es ein AJct der Notwehr,
eine neu erfundene und geschickt gehandhabte und vor
allem eine durchaus erlaubte Waffe im Kampfe der Geister.
Die Hauptfrage aber ist eine andere. Der „Julian"
M fin Kunstwerk: ist er als solches gelungen? Oder ander*
Ausgedrückt: war die Parallele ungesucht und schlagend,
oder wurde durch sie der Geschichte Gewalt angetan ? Per-
sönlich war Strauß als dogmengeschiohtlich versierter Theo
löge ganz naturgemäß und ungesucht zu diesem der Reli-
gionsgeschichte entnommenen Vergleich gekommen; und
objektiv hat Strauß den römischen Kaiser um seiner Ten-
denz willen nicht verzeichnet, sondern diesen Neuplatoniker
in seinem WindmUhlenkampf gegen das siegreiche Neue
für eine ausgelebte Geistes- und Lebcuagestoll durchaus
richtig aufgefaßt und dargestellt. Und doch liegt hier eine
Schwäche und liegt eine gewisse Ungerechtigkeit — nicht
geg-Ti il<n nuui'ii Romantik«-!*, ili-in 'In- Satire galt, sondern
gegen den wirklichen, echten Romantiker auf dorn Throne
in Cäsaren, y.^vu ih-n hisku-iM . u<-n Juli.m. IVoflead hat
diese von Strauß an dem römischen Kaiser begangene Un-
gerechtigkeit Theodor Nöldeke so formuliert 1 ): „Wenn Strauß
Julian mit einem Fürsten der Neuzeit parullelutiert, so ist
') Ttt. N AliUk«, Über don syrischem Romun von Kaiser Julian.
Z«lt»chr. d I». mnr^ nltiKlisobon Gesellschaft Ud. XXVIII. 8. 289.
28*
424
Siebentel K«pit*l.
die Ahntirliloit nach einer Seit« hin zwar überraschend,
aber auf der andern Seite muß man nicht verge»on, daß
der Besieger der Alamannen ein sehr tatkräftiger und um-
Mtlttiger Regent war, und da hört die Ähnlichkeit aufl"
Allein ganz so schlimm steht es damit doch nicht. Was tu
kurz gekommen ist, ist nicht ganz übersehen. Ausdrücklich
macht auch Strauß auf solche Züge aufmerksam, durch
die sich Julian „von christlichen Romantikern, mit denen
er uns bisher gemeinsame Merkmale bot, unterscheidet, ja
zu ihnen in einen Gegensatz tritt, der schwerlich zu seinem
Nachteil ausschlagen dürfte*'. Solche Zöge sind die kriege-
rische Tüchtigkeit, die er vom Römertum in sich bewahrt,
und zwar gleichsehr als Talent des Keldherrn, :ils Gabe,
sich ein tüchtiges Heer heranzuziehen und Feldzugs- und
Schlachteupläue zu entwerfen, wie als persönliche Tapfer-
keit des Kriegers; weiter sodann seine damit zusammen-
hangende körperliche Abhärtung, seine Bedürfnislosigkeit
und Mäßigkeit; und endlich ein gewisser politischer Libe-
ralismus, der , .freilich affektiert und wirkungslos, aber doch
immerhin erfreulicher war, als wenn andererseits die un-
umschränkte Machtvollkommenheit und der orientalische
oder feudalistische Prunk des Königtums romantisch wieder
hervorgesucht werden". Vor allem aber, ,,was Julian roman-
tisch erneuern wollte, war das schöne Griechen-, das ge-
waltige Römertum": daß das Strauß nicht übersehen hat.
zeigt ja der Schluß der Schrift. Dies das Eine; und das
andere, duß Strauß nicht eine vollständige Biographie Julians
und eine Geschichte seiner Taten schreiben, sondern ihn
ausdrücklich nur ,,von diesem Gesichtspunkte aus", d. h.
als neuplatonischen Romantiker auf dem Thron»?, betrachten
wollte. Das muß ebenso erlaubt sein, wie wenn heute Mau 1 )
die Religionsphilosophie Julians zum Gegenstand einer be-
sonderen Schrift macht.
l ) 0. Hau. Dte^Religionsphilosophie Kaiser Julians, 1906.
Slraoö »H Politik».
ta
Bndlich aber, was man ihm vorwirft, das hat Strauß
selbst zugestanden und als berechtigten Tadel anerkannt,
in einem aus naheliegenden Gründen nicht veröffentlichen
Epigramm auf diese seine Schrift:
Ich hab ihm wohl tu viel getan —
Er lieht die Stirn' in Falten — »
Daß ich ihn solchem Hampelmann
Ali Spiegel vorgehalten.
Mit dienern Zugeständnis könnten sich, denke ich,
diejenigen zufrieden geben, denen es um Julian schade
und Itud tut. Die aber, die die Schrift als solche ver-
glich finden, mögen auch das noch bedenken, daß im
lahre ihrer Abfassung die Revolution bereits im Anzug war,
man sich also sozusagen schon halb im Kriegszustand
befand, wo immer die Waffen die besten sind, die cum
Siege führen.
Strauß als Politiker! Aber darum hörte er doch nicht
auf, der zu sein, der er, trotz der in der Glaubenslehre er-
folgten Absage an einem bestimmten Punkt, noch immer war,
ein Schüler Hegels. Auch darauf hat Springer aufmerksam ge-
macht, wenn er sagt: diese prinzipielle Form der Polemik
weise deutlich „auf die Quelle hin, der sie entsprungen, auf
die neuere deutsche Philosophie: aus den Individuen schafft
Strauß verkörperte Begriffe, gleichsam Kunstgestal teu; das
breite Detail romantischer Verkehrtheiten nur leise berührend,
it er gleich auf das Prinzip los und überzeugt uns auf
einmal und für immer von der Leerheit des luftigen, hohlen
Gespenstes 4 '. Allein nun die Frage, ob ein solcher „prin-
zipieller" Politiker zum Eingreifen in dio praktische Politik
taugt, eine Frage, die auch durch einen zu Anfang der Be-
wegung von 1S48 erschienenen Aufsatz „Der politische und
der theologische Liberalismus" nicht gelöst wird. Und
riß gerade jetzt die Bewegung dieses Jahres Strauli
ihre Strudel unwiderstehlich mit hinein.
4M
Sieben lea Kapitel.
Der Anstoß dazu kum von außen. Beim Ausbruch
Her Revolution war Strauß innerlich noch tu »ehr mit »Minor
Ehe und ihrer Auflösung beschäftigt, als daß er »ein Schiff-
lein gleich mit vollen Segeln diesen Stürmen hatte preis-
geben wollen. Immerhin ist er früher schon im Schwä-
bischen Merkur in einer Reihe von Leitartikeln mit seiner
Meinung hervor- und den Tagesströmungen und Schlag-
worten jener stürmisch unklaren Zeit tapfer entgegenge-
treten. Und nun wünschten ihn seine Ludwigsburger Lands-
leute a]s ihren Vertreter und Abgeordneten in das Krank-
furier Parlament zu schicken, zu dem die Wahlen im April
1848 stattfinden sollten. Ungern nur und zögernd entschloß
er sich uw Annahme der Kandidatur, und mit ganzem
Herzen ist er nie dabeigewesen. ,,BoJd amüsiert, bald ärgert
mich das Ding 4 *, schreibt er dem Bruder mitten im Wahl-
kampf; „der Erfolg ist zweifelhaft, doch jedenfalls der Vc
such interessant." So sah er es an, wie Bisrnarck das Ein-
gehen des Battenbergers auf das bulgarische Abenteuer.
Dazu kam, daß sich voraussehen ließ, daß seine alten Gegner,
,,die PfafTen und Pietisten" gegen ihn mobil machen wurden;
und wenn er auch der Stadtbevölkerung seiner Ludwigs-
burger sicher war, den Ausschlag gab das Land, und hier
mußte der Pietismus gegen ihn zum voraus gewonnenes
Spiel haben, Auch war sein Gegenkandidat ein ausge-
sprochener Pietist, Hoflmann, Vorsteher der Rettungs-
anstalt auf dem Salon bei Ludwigsburg, den er früher schon
als Hauptgegner Vischers in einem seiner Beobachter-
Artikel „den Gamin des Pietismus" genannt hatte.
Wie er sich seiner Gegner zu erwehren halte und sich
gegen sie gewehrt hat, das zeigen die Reden, die er im
Wahlkampf gehalten und gleich nach der Entscheidung
unter dem bezeichnenden Titel: „Sechs theologisch-politische
Volkareden" im Druck veröffentlicht hat. Als leibhaftigen
AnLichrist stellten ihn seine Feinde dem Volke dar und
suchten so die Grenzlinie zwischen Politik und Religion
.Strauß ab Politiker
427
verwischen und den Politiker Strauß durch religiöse Km
Wendungen unmöglich zu machen. Tont comme chez nous!
möchte man sagen; nur waren es Strauß gegenüber vor
■Hein die Protestanten, die Pietisten und der ihnen affi-
liierie Teil der wurH'Mtibergischeti Geistlichkeit, wflhrend er
den katholischen Pfarrern da» Zeugnis ausstellt, daß sie ..in
besch.'miL'iidmiL Gegensatz zu jenen sich bemühten, ihre Ge-
meinden durch Beleuchtung dieses Unterschiedes zu beruhigen
und tu einer Wahl rein aus politischen Rücksichten zu
ermuntern". Deshalb muß er seineu politischen Reden
immer auch einen theologischen Teil anfügen, muß vor den
Bauern jedesmal zuerst sein religiöses Graubensbekennt-
nix aufsogen, um die Bedenken und Hetzereien zurück-
zuweisen, die unter diesem Gesichtspunkt zur Ungebühr
gegen ihn ins Feld gefuhrt wurden. Doch entsprach dieses
Zusammen auch seinem eigenen Bildungsgang; daher hat er
auch ohne solchen Anlaß in dem oben genannten Aufsatz
den politischen und den theologischen Liberalismus zusammen
behandelt und gemeint, dieser arbeite jenem in die Hände,
wi'nn der Politiker die konfessionelle Spaltung auf seinem
Wege vergeblich auszugleichen suche 1 ).
Wenn dabei sein Auftreteu durchaus maßvoll war und
jede Provokation vermied, ohne daß er doch seinen Stand-
punkt irgendwie verleugnete oder ihm etwas vergab, so
war das nicht bloß ein Akt der Klugheit und Wahl-
laktik, sondern es entfloß seinen eigenen uns nach dieser
Seite hin schon bekannten Anschauungen. Hören wir
b. B.. wie er sich vor den Bürgern und Bauern in Steinheiui
an der Murr dazu äußert: ,,lch habe vor 13 Jahren ein
Buch geschrieben, von dem sich alle diese Vorurteile gegen
J ) Diß er übrigens auch hierin kein Utopist war, eeigt der diesem
snlbim Au tat* entnommene Sntr: „Detitochlundn konfessionellen Bruch
hnli der Zollverein nicht, und selbst in einem deutschen ReichsparU-
iut iit, wenn wir eins hallen, wird er noch hemmend fortwirken, fiill»
*r nicht anderweit gehoben wäre."
«88
Siebentes Kapital.
in . U herdatioreu. Von euch werden es die wonigsten gelesen
haben, und da» war ganz wohl getan, denn — ihr dürft es
mir nicht übdl nehmen, für die Mehrzahl unter euch war es
auch nicht gochrinben. Wenn rin Landwirt tinter euch
eine Schrift über Ackerbuu verfulit, lasse ich mir's ja auch
gefallen, wenn er mir sagt, für mich sei sie nicht geschrieben.
Ich hotte für Gelehrte, für Theologen geschrieben. Der
Ltb) und selbst viele von den hoher gebildeten Laien, wissen
zu ihrem Glück gar nichts von so manchen Zweifeln, welche
den armen Theologen plagen; was soll ihnen also ein Buch,
in welchem lediglich von diesen gelehrten Zweifeln gehandelt
wird? Mancher von meinen Bekannten unter den Nichl-
theologen meinte, Ab Bekannter von mir müsse er auch
mein Buch lesen, und Äußerte das gegen mich; ich gab ihm
zur Autwort: laß es bleiben; du kannst etwas Gescheiteres
tun, als ein Buch losen, das dir vielleicht Skrupel in den
Kopf »elzt, die du jetzt noch nicht hast; während es um-
gekehrt bestimmt ist, dem Theologen die Skrupel lösen zu
helfen, die er hat. llir seht, wie fern mir von jeher der Ge-
danke lug, jemandem seinen Glauben nehmen zu wollen.
Im Gegenteil, ich lasse jeden seines Glaubens leben und
verlange nur, daß man auch mich in meiner Überzeugung
ungekrankl lasse, überhaupt, der Religion zu nahe treten
zu wollen, war nie meine Meinung. Die Religion i&t auch
mir ein ehrwürdiger Gegenstund, wie mir alles ehrwürdig
und heilig ist, was zu den Kräften, den Anlagen der mensch-
lichen Natur gehört. Zu diesen Grundkräften der mensch-
lichen Natur gehört aber vor allem die Religion. Allein ich
glaube, und die Erfahrung, die Geschichte lehrt es mich,
daß alle Anlagen der menschlichen Natur in ihrer Äußerung,
ihrer Entfaltung der Entartung unterworfen sind. Wie
Blumen, wteandero Gewächse mit der Zeil auszuarten pflegen.
«o auch die Anlagen der menschlichen Natur, und zwar nicht
bloß die niederen, die sogenannten sinnlichen Triebe, sondern
auch die höheren und edleren. Nicht nur die Liebe wird
Sir auf) als Politiker.
429
zur Wollust, der Erwerbstrieb zur Habsucht; niclit nur
Versiebt nur Feigheit, Ehrliche zum vorzehrenden Ehrgeiz»
sondern nuch der edle Wissensdrang entartet in Grübelei,
die Religion in Aberglauben und Fanatismus. Wie dos
Wasser Kalk absetzt, der Wein Hefen und Weinstein, so
hat jede Religion zu jeder Zeit Erzählungen, Legenden
abgesetzt, die erbaulich sind, aber nicht wahr, die tuä
Gernöte wohltun, aber vor dem Verstände nicht be-.f.i >i.-n
Diese abzusondern, den edcln Wein der Religion durch ein«
Art von Ablassen von seinen Helen zu befreien, ihn dadurch
heller, genießbarer, haltbarer zu machen, das und das ollein
war meine Absicht mit dem so verschrienen Buche. Nun
Mgen meine GegOOfi u* n t . fcbtif da hftft KB vi> 1 Abging gs>
macht, du hast manches weggegossen, was uns und Tausenden
mit uti3 noch ein erquickender Trank gewesen wfire. Da
beginnt dann der Streit über dasjenige, was in der Religion
wesentlich und unentbehrlich sei und was nicht; was alle
glauben sollen und was einer wohl auch in Abrede ziehen
dürfe. Ich sage nun: wesentlich, unerläßlich in der Religion
sind die Sprüche: Selig sind, die reines Herzens sind; solig
sind die Barmherzigen, die Friedfertigen; richtet nicht, auf
daß ihr nicht gerichtet werdet; liebe deinen Nächsten als
dich solbftt; liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchon —
glaubet ihr, ich sei so unsinnig, daß ich diese und ähnliche
Sprüche als Hefe weggegossen hätte? Daß einer solche
Sprüche in einem feinen Herzen bewahre und im Handeln
ausübe, darauf kommt meiner Meinung nach alles an;
wer sich an sie hält, der wird ein rechtschaffener Bürger,
ein trouor Catto und Vater, ein dienstfertiger Nachbar,
Oberhaupt ein guter Mensch sein, wenn er auch gegen sämt-
liche YVundererzähluuguii der Bibel noch so viele gelehrte
Zweifel hfttto. Da habt ihr mein aufrichtiges religiöses
Glaubensbekenntnis, und ich muß es nun euch überlassen.
ob ihr nach diesem mich noch weiter anhören und auch mein
politischen Glaubensbekenntnis vornehmen wollt."
430
Siebenli« KupiUL
Angehört haben sie ihn wohl, ihm auch für diese freibch
mehr auf «Ion Verstand berechneten als an die Leidenschaft
appellierenden Reden zugejubelt, aber geholfen bat ihm
diese» Wegräumen „des Steine« de* religiösen Anstoßet",
wie wir gleich sehen werden, nicht. Worin bestand nun
aber da» politische Kredo de» Kandidaten Strauß bei Heiner
Bewerbung um einen Sitz in der Paulskirche ? Freiheit und
Kiiiheii! des waren die beiden Ideale, die das deutsche
Volk im Jahre 1848 durch eigene Kraft verwirklichen wollte,
die beiden Pole, um die die Bewegung jenes großen, tollen
Jahres kreiste. Aber beide traten oft in recht un-
klarer und unvernünftiger Weise und Form in die Erschei-
nung. Beim ersleren handelte es sich vor allem um die Frage :
Monarchie oder Republik ? Dor Radikalismus, der sich in
Revolutionszeiten natürlich am lautesten gebärdet und
vorandräiigt, entschied sich für die letztere. Strauß dagegen
ist Monarchist; er will die Fürsten behalten, will als Wart
temborger sein Fürstenhaus, ..mit dem wir und unsere
Vorfahren seit Jahrhunderten Freud und Leid, gute und
böse Tage geteilt haben", nicht vertreiben. Aber die Mon-
archie, die er will, ist die konstitutionelle, in der das Volk
durch seine Vertreter sich selbst regieren darf, nicht bloß
von oben sich regieren lassen muß. Süll aber diese größere
Freiheit nicht auf Sand gebaut sein, so müssen feste Grund-
lagen geschaffen werden, und diese bestehen vor allem in
der Hebung der geistigen und sittlichen Bildung des Volkes,
der Schulunterricht muß verbessert, praktischer, mensch-
licher eingerichtet, vom toten Gedächtniskram immer mehr
auf den Zweck der Geistes- und Herzensbildung hingelenkt,
der Volkslehrerstand gehoben und für seine saure Arbeit
besser belohnt werden. Die Kirche muß vom Staat frei-
gegeben werden, die bürgerlichen Röchle dürfen an kein
Gluubeimbi.<keniitins gebunden sein. Ob einer seine Kinder
taufen oder beschneiden läßt oder nicht, ob er die katholische
Messe besucht oder die protestnntischc Predigt, oder ob er
Slraut als Politiker
431
«• vorzieht, »ich zu Hause auf seine Weise zu erbnuon:
worin er nur die Gebote hält und sich gesagt sein laßt: Du
•ollst nicht töten, nicht ehebrechen, nicht stehlen usw. — .
so «oll er unser Bruder und Mitbürger sein, soll wfihlen und
gewählt werden, aoll Ämter bekleiden dürfen, jeder wie der
andere. Doch was hilft dem Volke die Freiheit, wenn et
hungert? wenn es friert? wenn es von jeder Art von Not
zu ßoden gedrückt wird ? Also Erleichterung der Gedrückten
durch gerechte Verteilung der Lasten, Anleitung der Ar-
b'ilrr, durch Assoziation ihr Los sich selbst zu erleichtern.
Dieses Prinzip der Assoziation, der verbrüderten Arbeit
und gegenseitigen Versorgung, erscheint ihm besonders
•ohftn und fruchtbar Wenn es gereinigt wird von manchen
teils schwärmerischen, teils unlauteren Bestandteilen, so
beruht auf ihm ein großer Teil unserer Hoffnungen auf eine
gedeihliche Entwicklung unserer gesellschaftlichen Zustünde.
Und wahrhaft prophetisch und in gesundem Sinn sozial-
politisch erklärt er schon damals, mittelst dieses Prinzips
können Arbeiter und Tagltthncr sich wohlfeilere Kost in
gesunden, Wartung und Ptlege in kranken Tagen verschaffen;
durch Beitrage der Arbeitgeber auf der einen und kleine
Lohnabzüge auf der anderen Seite werden sich unter Hand-
reichung des Staates Hilfskassen für kranke und alte Ar-
beiter gründen lassen. Genau 41 Jahre nachher ist durch
das Gesetz, über dio Invaliditflts- und Altersversicherung
erreicht worden, was Strauß klar und nüchtern wie kaum
«in anderer damals schon verlangt hat.
Wichtiger aber als die Freiheit erscheint ihm in diesem
drängenden Augenblick die Einheit und Einigung des deut-
schen Volkes. ..Trachtet am ersten nach der Einheit", so
ruft er den Deutschen zu, „so wird euch das übrige alle? zu-
fallen", die Macht nach außen, Freiheit und Wohlstand im
Innern. Denn die Wurzel aller Übel, an denen wir bisher
krankten, war die Geteiltheit und Zerrissenheit unseres Vater-
landes. All- in eine deutsche Einheit soll es sein, d. h. eino
432
Sietantts Kapitel
solche, die nicht wie in Frankreich alles /.MritniliMort und uni-
formiert, den Fortbestand der deutschen Sonderstauten und
ihrer Eigentümlichkeiten nicht aufhebt. Wir wollen nicht auf
die Art Deutsche wurden, daß wir aufholten, Württember^er
zu sein. Also über den kleineren Häuptern ein Oberhaupt,
über Württemberg, Preußen. Bayern usw. ein einige« Deut-
sches Hei cii, eine Bundesmonarchio! Das klingt uns heuto
selbstverständlich und war doch damals tiefste politische
Weisheit, die erst gepredigt werden mußte und im Süden
wie im Norden nur von wonigen geglaubt wurde.
Dazu schieden sich hier noch einmal die Wege.
Die Großdeutschen mit dem Ruf: das ganze Deutschland
soll os sninl wollten östurreicli in diesen Bundesstaat mit
einschließen und aus ihm das Oberhaupt desselben nehmen.
Die Kleindeutschen dagegen hielten es vor allem für nötig,
den Dualismus der zwei Großmächte Österreich und Preußen,
der die Einheit bisher am stärksten gefährdet oder vielmehr
direkt verhindert hatte, zu beseitigen, Österreich mehr oder
weniger auszuschließen und Preußen die Führerrolle zuzu-
weisen. Diese Lösung derdeutschen Frage hatte schon 17 Jahre
vorher ein anderer Schwabe, Paul Pßzer, in seinem „Brief-
wechsel zweier Deutschen", für die einzig rationelle und mög-
liche erklärt. Strauß bekennt sich ausdrücklich zu diesem
seinem Landsmann, „unserem hochverehrten Paul Pfizer**
und fordert ganz in seinem Sinn ein einiges Deutsches Heich
unter Preußens Führung. Auch das ist heute für uns ein
Selbstverständliches geworden, damals aher war das ein ganz
besonders Umstrittenes und gerade im Süden ein fast all-
gemein Porhorresziertos. Man kannte und man liebte Preußen
zu wenig, um sich ihm unterordnen zu wollen: darin waren
die suddeutschen Demokraten und die süddeutschen Fürsten,
allen voran der würtlembergische König Wilhelm I., unter
sich ganz einig, Aber auch für Strauß kam dabei ein Aber,
und das hieß Friedrich Wilhelm IV., der Romantiker auf
dem Throne Preußens, der als solcher auch ein Gegner des
Strauß üls Politiker.
m
konstitutionellen Prinzips war. Dieser Fürst war ihm in
der Seele zuwider. Und dennoch! Strauß war kein Gefühls-
Politiker, er trieb keine Politik persönlicher Antipathien
oder Sympathien, und so erklärte er in verständiger Selbst-
überwindung: , ( Wenn wir ein Haupt für Deutschland wühlen,
so wählen wir hoffentlich nicht bloß für heute und morgen,
sondern für eine lange Zukunft, also müssen wir über diesen
Friedrich Wilhelm IV. , der eben jetzt an der Spitze den
preußischen Staates steht, weg auf die Reihe seiner Nach-
folger hinausblicken. Das können wir in der Tat ohne Ge-
fahr. Je mehr das konstitutionelle Wesen in Deutschland
zur Wahrfacdt wird, desto unschädlicher, desto gleichgültiger
werden die fürstlichen Persönlichkeiten." In diesem letzten
Punkte hat er sich freilich getauscht; aber unser Konstitu-
tionalismus ist eben auch teilweise noch Scheinkonstitu-
tionalismus, unsere Minister und Beamten haben unseren
Fürsten gegenüber nicht den Mut, „konstitutionell" zu sein,
wir alle sind zu byzantinisch, um frei sein zu können. Damals
war man .tapferer und optimistischer. „Von einem Hanse-
mann, einem Kamphausen", fahrt Strauß fort, ,,als ver-
antwortlichen Ministem in die Mitte genommen, wird Friedrich
Wilhelm, selbst wenn er wollte, uns nicht mehr schaden
können. Aber ich glaube auch, er wird es nicht wollen.
Wer meine literarischen Bestrebungen kennt, der weiß,
daß ich kein Verehrer des romantischen Königs bin; aber
ich halte ihn — man darf jajetzt auch von den großen Herren
menschlich sprechen — ich halte ihn für keinen schlimmen
Charnkter. Es ist wahr, er ist in eine böse Schule gegangen,
hat verkehrte Begrifle über Wurde und Gewalt der Fürsten
ringi'Hogeii, hat, geistreich wie <t ist, diese KegrilTr »irh
poetisch und philosophisch aufgeputzt, mit einer eiteln
Hartnäckigkeit an denselben festgehalten und ihnen am
Ende — es läßt sich nicht verdecken — ein schreckliches,
blutiges Opfer gebracht. Aber er ist ein Mensch des Gefühls
und der Einbildungskraft; solche Menschen sind rascher
IM
ftebent« Kapitrt
Umschwünge fähig, und so glaubt« ich, int er jetzt wirklich
umgestimmt und gefällt sich heute ebenso in der Rollo de*
konstitutionellen Herrscher», wie er sich bis gestern in der
des mittelalterlichen Feudalkflnig* gefiel". Auch hier hat
er Friedrich Wilhelm IV. überschätzt, im Herxon blieb
dieser auch als konstitutioneller Monarch der mittelalterliche
Fcudalk'tnig, der er gewesen war. Aber item: „daß ihn die«
nicht abermals gereue, daß er nicht aufs neue aus der Kolle
falle, dafür wird das konstitutionelle System zu sorgen haben.
das Fürstentauncn Schranken setzt. Also, wenn »eh eine
Stimme in Bezug auf unser künftiges Bundcshuupt abzu-
geben hätte, so würde ich sie, in voller Übereinstimmung
mit unserem hochverehrten Paul Pfizer, Preußen und selbst
dem jetzigen König von Preußen geben' 1 .
Leider ist Strauß nicht in den Fall gekommen, mit den
sogenannten Erbkaiserlichen in der Paulskirche in diesem
Sinn seine Stimme abzugeben. Kr unterlag seinem pietistisrh
konservativen Gegner mit 3365 gegen nahezu 6000 Stimmen.
Das Landvolk hatte die aufgeklärtere Stadtbevölkerung
durch seine Massen erdrückt.
Die Erregung über die Niederlage war in Ludwigsburg
groß, um so größer, je höher während der Wahltage die
Wogen der Begeisterung für Strauß gestiegen waren. Das
hatte sich namentlich in der Ostermonlagsversammlung
vom 24. April gezeigt, wo es zwischen Strauß und dem
';•-:.'. nkamli lal.ru und dess n Lheidogisrhen ClOunern ZU
einer dramatisch bewegten Szene gekommen ist, die uns von
einem Augenzeugen anschaulich geschildert wird: „HnfTinann
rrdi'l.e zurr I. ilunn trat Strauß auf, von lauHi-ruNtimmigein
Jubel empfangen. Er konnte vor lange andauernden schallen-
den Hochs fast kaum zum Reden kommen. Als es endlich
stille wurde, hielt er seine schöne, ruhige Rede, deren politi-
sche Gedanken bereits mitgeteilt sind. Bei jedem -(Mögenden
Wort wurde sie von stürmischem Beifall begleitet. Nach
thfll botrat die Kanzel (aic!) Dekan ( lin-ilab von Ludwigs-
Strauß >ls Politiker.
m
bürg. Es war mir gleich nicht recht wohl bei der Sache;
ich erkannte di« schiefe Stellung nur alUugut, in welche
der soriM. bfli. Iilr Mann sich brachte. Kr begann damit,
die Klarheit der Straußschen Rede und die darin ausge-
sprochenen politischen Glaubensartikel zu loben (Bravo!),
er rühmte den eminenten Geist des Redners (Bravo!);
aber — (was aberl) er besitzt nicht das Vertrauen des Volki
(er besiUt'sI). Sie sind nicht das ganze Volk (Wir sind'st
Herab!). Strauß hat ein Buch geschrieben, in welchem
(Herab! Pietist! Heuchler! Pharisäer!) — und nun begann
ein Sturm, von dem Sie sich keine Vorstellung machen
kennen. Vergebens klang die Glocke des Präsidenten,
vergebens blieb Christlieb in ruhiger Haltung stehen; da»
Pfeifen und Geheule nahm auf eine schreckenerregeude
Weifte zu; Sensenmänner umstellten die Tribüne, und der
Dekan — mußte herab. Nun kam Helfer Hackh Man ließ
ihn ruhig sprechou, solange er sich im allgemeinen hielt;
•nv.w i-r hingegen an «i »s v. r/.v.viiVlif „fihef" ImH, bfigUU
drr Sturm aufs neue, und auch er mußte — herab. Nun
rief alles: Strauß! Strauß! Der Gerufene bestieg die Bühne
iinl.fr jubelndem Geschrei und begann die ergreifenden
Worte: ,, Meine Freunde! Die Pharisäer traten einmal ran
Herrn und fragten ihn: ist's recht, daß man dem Kaiser
Zins gebe? Er sprach: weiset mir die Zinsmünze. Und sb
reichten ihm einen Groschen dar. Und er sprach zu ihnen:
ffftfl ist das Bild und die Überschrift? Sie sprachen zu ihm:
des Kaisers. Da sprach er zu ihnen: So gebet dem Kaiser,
was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist. So fragen
iieh unter euch einige: isl's recht, daß man den und den
zum Reichstag in Frankfurt sende? loh frage entgegen:
wm ist da* Bild und die Überschrift dieses Reichstags?
Ihr werdet mir antworten müssen: des Kaisers, d.h. die
Beeli mm mit: des Hfir-hslags int dne politische. Darum
■»•„:•■ ifh eneh: Wähl.-i. n.ioh religiösen Rücksichten, wo es
»ich um dio Religion handelt, aber nach politischen, wo es
436
Siebml« Kapitel.
»ich um Politik bandelt". Als er mit mächtig erhöbe: i U
Stimme geendigt, brach ein Sonnenstrahl aus den schwanen
Wolken hervor, und unten rief eine Stimme: die Sonne der
Wahrheit! Allmächtiger Jubel."
Um 80 größer war nach der Wald die Enttäuschung und
die Erbitterung der Ludwigsburger, man befürchtete sogar
einen Ausbruch der Volksleidenschafl. Wie am Ostermontag
N> uwemnänner den Dekan hatten in die Mitte nehmen müssen.
so mußt« jetzt in der Nacht nach der Wahl das Dekanathaus
am Marktplatz bewacht und ebenso auch der Salon, auf dem
der Sieger HofTrnann wohnte, geschützt werden. Strauß
»olborhat inmitten dieserAufregung, am 28. April, dem Abend
des entscheidenden Wald tags, noch einmal auf dem Hat-
hausplatz in Ludwigsburg das Wort ergriffen und seine
, .geliebten Mitbürger" beschworen, sich nicht über die
Grenzen des Hechten hinaus fortreißen zu lärmen. Auch
ihm zulieb sollen sie ruhig bleiben: „daß jener Zttnhtt
Aufstand sich an meinen Namen knüpft, da* schändet
diesen nicht, weil meine Gegner es waren, die sich an ihrer
selbstgowfihlten Obrigkeit vergriffen: aber wenn es jetzt
hier zu augenblicklichen Tätlichkeiten oder bleibender
Zerwurrnis.se ii käme, so würde alle Welt mit Fingern auf
mich deuten, weil meine Gönner und Anhänger und damit
ich selbst als die Urheber davon gelten wurden. Das werdet
ihr mir nicht zuleide tun, den Flecken meinem .Namen
nicht anhangen wollen; denn ihr habt mir bewiesen, daß
ich euch wert bin, daß ihr meine Ehre als die eurige be-
trachtet, wie ich es mir zur Ehre schätze, ein Ludwigsburger
Hürgerkind zu sein" 1 ). Von dieser Zeil an ist Strauß ein
Gegner drs direkten Wahlrechts gewesen. Nachdem er den
Hergang einer darauf ruhenden Wahl mit angesehen, würde
') Diese Worte und diese ganze Beruh igungsrede von Strauß ist
zugleich die beste Antwort auf Hausraths Bemerkung in der „Deut-
schen Rundachnu" (Marx 190V), daß man nirgends, abo auch im Konton
Zürich nicht, Revolutionen mit Ro»enw«*er und Konfetti mache.
Start ifli Pd&tlfeer.
;*7
«r dagegen sprechen, meint er, auch wenn er mittelst des-
selben durchgedrungen wftre: „je weniger beschränkt das
Wahlrecht, je größer mithin die Masse der W&hler. desto
notwendiger der indirokto Wahlmodus". Wer so denkt,
heißt heut* reaktionär; damals war der Liberalismus noch
beweglicher, noch nickt so auf Schlagworte eingeschworen
wie heute. Strauß war trotz dieser Ansicht von dem
Modus der Wahl liberal, nicht reaktionär, die Wahlreden
haben uns gezeigt, daß er ein gemüßigter Liberuler
etwa »m Sinne des filteren guten, freilich nicht in dem des
heutigen NationaJliberalismus gewesen ist.
Der Versuch, auf dem großen Schauplatz allgemeiner
deutscher Politik eine tätige Rolle tu spielen, war geecheitri-i .
Bl ist müßig zu fragen, welche Figur Strauß in der Pauls-
kirche gemacht hätte. Auch hat er seinen Durchfall persön-
lich nicht allzuschwer genommen und die Koinpromotionalon
Vischer und Zimmermann ohne Neid nach Frankfurt ziehen
loaa«n. Daher war er auch gegen den Versuch, ihm nachträg-
lich doch noch irgendwo im Badischen einen Platz im Parla-
ment zu verschaffen ; auch meinte er: „Zum Maß eines
budischen Liberalen fehlen ihm unterschiedliche Zoll". Aber
sein Biograph hat bei dieser Gelegenheit doch au konsta-
lierm. daß ihm wiederum seine alten Gegner, „die Pfaffen
und die Pietisten" auch diese weltliche Betätigungsweise
mißgönnt und ihm die Ausübung eines politischen Berufs
im großen Stil unmöglich gemacht haben. Und nun machen
sie ihm zum Vorwurf, daß er keinen Beruf ergriffen habe.
Hiir wollte er ja einen ergreifen, sie aber ließen es wie einst
auf theologischem, so jetzt auf weltlichem Gebiet nicht zu.
Denn mcht weil er ihnen politisch zu liberal, sondern ledig-
0*wiß nicM; «twr ins In ml w Irf'ut* verhindern, au.-li in eiiiAf Repu-
blik und wahrend «nur Revolution nach Möglichkeit (l.meinhftlten
OtwalttAtigMU-u. Habfin das diu Blunlschli und dio Alex.
Iitr, die msn mir immer wieder entgegenhält, getan ? Mir ist
davon nichU bekannt. Hüuuü hat ea getan. Das ist der Unterschied.
tk tm t \^. il f, Bknt. El '-•
438
Sieb«ni<n KipiUl.
lieh infl K der Verfasser de» Leben« Jesu war, haben «*■
seine Kandidatur uuf Tod und Leben bckAmpft und seinr
Wahl hintertrieben.
Die Ludwigsburger aber nahmen die Sache schwerer.
Da» zeigten die „Tniurrfcierlichkeiteii** wr^n de» Miß-
lingen» der Wahl; die Brunnen der Sladt wurden mit Trauer-
weiden und Floren geschmückt, und vom Turm herab er-
scholl eine , .ruhrende Traue rmusik". Und ihre Anhänglich-
keit, die „vom General Roder bis zum Schneider Jung,
vom Bierbrauer Körner bis zum Metzger Löbelenz ging
und Strauß von Herzen wohltat' 1 , sollte doch noch xu ihrem
Rechte kommen. Als „gute Stadt 1 * hatte Ludwigsburg
in dio württombergische Kammer einen Abgeordnüten für
sich, nicht beschwert durch das pietistisch bearbeitete
Landvolk des OberamU, und nicht in direkter Form
zu wählen. Diese Wahl fand kurz darauf am 20. Mai
1848 statt, und hier in der indirekten Wahl ging Strauß
fast unbestritten — mit 103 gegen 3 Stimmen, bei einer
Gesamtzahl von 126 Wablern — als Sieger aus der Urne
hervor. Strauß selbst, der von Bich sagt, er sei in diesem
Augenblick „die Lieblingspuppe" seiner Ludwigsburger,
mußte dazu selber wieder auf den Platz. Der Anbruch
des Tages wurde durch Musik vom Stadlkirchenlurm herab
verkündigt, von diesem und vom Rathaus wehten die
württembergischen und die schwarz-rot-goldennn Fahn<-n.
die Stadt war angemessen verziert, die Wähler und alle,
die sich für seine Wahl interessierten, versammelten sich
in festlicher Kleidung morgens um 7J£ Uhr und zogen
in geschlossenen Reihen vor das Rathaus, wo die Ab-
stimmung unter den Klangen der Musik erfolgte. Sobald
den Wählern das günstige Resultat der Abstimmung bekannt
wurde, erdröhnten die Freudenschüsse der Kanonen, und der
Umzug durch die Stadt begann aufs neue. Strauß wurde
an der Post abgeholt und mit Musik ins Haus seines Onkels
Ruofl begleitet. Das Mittagessen, an dem 200 Personen
Strauß als Pulitik.-r.
IN
teilnahmen und wobei nicht einmal alle Platz fanden, halle
im Waldhornsaal statt. Um 3 Uhr zog man von dort
wieder in Prozession und mit Musik in einen Garten,
wo man unter Reden und Toasten und allgemeinem Jubel
den Abend verbrachte. So schildert das gedruckte Pro-
gramm und ein Brief von Strauß an seinen Bruder den
ereignisreichen Tag. Er mochte sich vorkommen wie Faust
um zweiten Ostertag unter dem ihn feiernden Volke draußen
vor der Stadt.
Aber auf den Rausch der Freude folgte zunächst bei
Strauß selber alsbald der Katzenjammer. Durch oino
„Überrumpelung des Gefühls, wie sie ihm leider immer be-
gegnen", hatte er sich bestimmen lassen, von ITeilbronn
nach Ludwigsburg überzusiedeln. Sofort aber erkannte- er.
daß ihm dieses Stillesitzen in Ludwigsburg unerträglich
sein würde; er nahm den ,, dummen Streich" zurück und
gab nicht nur die Wohnung in Heilbronn, sondern auch
das bereits gemietete Logis in Ludwigsburg wieder auf.
Seiner inneren Unruhe enUprach in diesem Augenblick
nur ein ganz unfixierter Aufenthalt bald da, bald dort. Dabei
dachte er zunächst an München, um durch das Studium
der dortigen Kunstschätze und durch passenden Umgang
sich die nötige Beschäftigung und Zerstreuung zu ver-
schaffen. Diesen Plan führte er Ende Juli aus, im August
machte er eine kleine Reise an den Starnberger- und Kochel-
se«. Aber schon Mitte September mußte er zurück — als
LandtagBabgeordneter nuch Stuttgart, wo die Kammer
an 20. September eröffnet wurde.
Nicht bloß seine Ludwigsburgor, im ganzen Lando
setzte man große Hoffnungen auf Strauß und seine Tätig-
keit im Landtag. Allein dort lagen gerade für ihn die
Partei Verhältnisse sehr ungünstig. Die Radikalen waren
1848 wie überall im Süden, so auch liier in Württem-
berg oben auf und hatten die große Mehrheit. Zu
ihnen gehflrto Strauß nicht. In Sachen der Freiheit war er
440
Siebentes Kapitel.
viel gemäßigter ah sie. und in der deutschen Einheilaffage im
Gegensatz tu den großdoutsehen Demokraten SQddoulsch-
lands kleindeutsch und erbkaiserlich, und — für einen
Schwaben jener Tage horribilv dictu — ein Anhänger Preußens.
Die radikale Mehrheit aber stieß ihn auch persönlich durch
die geräuschvolle Roheit ihres Auftretens ab, dir Rein-
heit ihrer Absichten war ihm zweifelhaft, er sah bei ihr nur
Zerstttrungslust, wenig ßauveratand. So stand er als
„ein Mann des bürgerlichen Zentrums" in der Mitte und
kämpfte bald als Liberaler gegen die aristokratische Rechte,
bald als Gemüßigter gegen ».die anarchistische Linke".
Dadurch geriet er in eine seltsame Gesellschaft. Neben
Reyscher '), dem er wohl politisch am nächsten stand,
gehörte zu dem kleinen Klub dieser Gemäßigten auch sein
alter Gegner Wolfgang Menzel und in weiterem Abstand
auch der schneidige Professor der katholischen Theologie
in Tübingen, Dr. Kuhn, dessen Charakterstärke Strauß
mit Hochachtung erfüllte. An Menzel schätzte er den politi-
schen Verstand und die auf früheren Landtagen erworbeue
parlamentarische Routine. Allein wenn er auch wohl im-
stande war, , .einen Menschen, wenn er ihn mit Augen sah.
als einen ganz anderen zu nehmen, als den, den er früher
aus Büchern gelesen", so empfand er es doch als eine Ironie»
erst befangen, dann artig und schließlich sogar freundlich
mit Menzel verkehren zu müssen; und eine wirkliche Ironie
dos Schicksals war es jedenfalls, daß auf Vorschlag von
Strauß , .Freund Menzel" zum Vorsitzenden der Fraktion
und zum Exerziermoistor des kleinen Korps der Gemäßigten
in aller parlamentarischen Taktik bestellt wurde.
Daß er nun zusammen mit solchen Männern, die teil-
weise viel weiter rechts standen als er, für das Ministerium
») Autf LudwiR Keyscher 1802—1880. damals Professor
Tübingen, uiner der besonnenst.? n Politiker Württembergs; 1851 v
lor «r, rin Opfer der Reaktion, seine Professur.
MnuiO *U Politik«.
441
Römer ein- und gegen die Radikalen auftreten mußte, war
naturlich für ihn selber unbequem, zumal da auf der Linken
persönliche Freunde von ihm wie Schnitzer außen. Für
die anderen aber, für Freund du wühl als Feind, war es eine
große Enttäuschung.
Nur selten, so in der Sitzung vom 15. November, ver-
diente er sich den Beifall der Linken. Es handelt sich um
den Entwurf eines Gesetzes über diu Ablösung der Zehuten.
Dazu ergriff Strauß das Wort und erklärte: „es sei ihm
von Geistlichen der Diözese Neuenbürg der Auftrag erteilt
worden, zu erklären, daß sie zwar durch das ZohntablOsungs-
gtrselz hurt betroffen werden, daß sie sich aber nicht Über-
treffen lassen wollen, wenn es gelte, Opfer auf dem Altar
des Volks niederzulegen. Auf einen Stand, bei dem solche
Gesinnungen zu suchen sind, müsse man Rücksicht nehmen.
Der geistliche Stand sei von der neuen Wendung der Dinge
nicht begünstigt; er, der Redner, sei nicht berufen, als Ritter
für ihn einzustehen, uliein wenn man billig sein wolle, müsse
man den unvermeidlichen Widerspruch anerkennen, in
den die wissenschaftliche Forschung mit dem religiösen Be-
dürfnis der Gemeinden hierin geraten sei. Statt aber die
Geistlichen dabei zu erleichtern, habe man ihnen die Köpfe
herumgedreht und die Kehlen heuchlerisch zugeschnürt.
Zu der Kommission, die eine Kirchenverfassung entwerfen
solle, könne man nur dann Vertrauen haben, wenn
zuvor in das Personal des Konsistorium? eine tüchtige
Bresche geschossen worden sei. Er wünschte, daß die Zeit
schon da wäre, in der, wie Professor Vischer in der National-
versammlung gesagt habe, die Schulmeister die Erben der
Pfarrer geworden sein werden. Er begrüße das vorliegende
Ge«et i; es werden aber Falle vorkommen, wo man auf einen
Stand gi'Uührrude Rücksieht zu nehmen habe, der statt
gehoben zu werden, systematisch demoralisiert worden
Mi." Die Prälaten protestierten gegen diesen AngrifT
auf die KirchomVhörde, Strauß aber blieb dabei: „über
442
Siebentes KapiUO.
die Weitherzigkeil des Konsistoriums habe das Land
gerichtet".
Ebenso kreuzte er die Klinge einmal mit der Ritterbank,
als es sieb am den Antrag handelte, daß jeder Grundbesitzer
auf seinem Eigentum dnn Jugdrecht solle ausüben dürfen.
Er wundere sich, daß in diesem Fall gerade d<?r Adel so enci
gisch für die Freiheit eintrete; leicht mochte etwas hinter
dieser Verteidigung stocken, wie hinter dem Eintreten für ihr
Freiheit des Unterrichts so oft der UHramontanisrnus stecke.
Ihm scheine es, man wolle den kleinen Grundbesitzern die
Hasen, don großen aber die Hirsche in die Köche j
Als die Ritter daraufhin beleidigt meinten, daß den J
berechtigten seit dem Ausbruch der Revolution die Jagd-
lust vergangen sei, antwortete Strauß spitzig und unter ver-
ständnisvoller Heiterkeit des Huuses: das glaube er nicht,
es mußte denn nur ein Wunder geschehen sein, an die er
bekanntlich nicht glaubo.
Schlug er in diesen Fällen nach rechts, so kh
es bei weitem schärfer, wenn er der Linken gegenüber
die Regierung belobte, daß sie gegen den Preßunfug ein-
geschritten sei. Sei es doch, ala ob aller Haß und Neil
alle Raub- und Zerstörungslust, alles böse Gift, welches
bisher durch den Preßzwang niedergehalten war, jetzt
in vollem Maß ausgespien werden sollte. Unsere Lokal-
blätter insbesondere, je schaler und ungesalzener sie froher
gewesen, desto giftiger seien sie geworden. Beispielsweise
nannte er aus seiner nächsten Nähe ein Heilbrunner Blatt
mit seinem frechen Hohn, mit seinem heillosen Wesen,
mit seinem neidischen Zühnefletachen, mit seinem tiefen
Haß gegen jeden Gebildeton, der über die Masse sich empor-
gehoben, von dem zynisch ekelhaften Tone solcher Blatter
gar nicht zu sprechen. Landeskundig sei, daß die besten
Männer, wenn sie gegen solchen Unfug sich erheben, als
Aristokraten in den Kot gezogen und mit schmutzigem
Wasser überschüttet werden. Den besser denkenden Bürgern
Strauß als Politik**.
MI
mache man den Vorwurf der Passivität; aber gerade dieser
Zustand der Presse trage zum großen Teil Schuld an dieser
Zurückhaltung, viele fürchten einen Kotwurf mehr als eine
Wunde." Er aei nicht Partei, TOgte er unlor großer Be-
wegung im Snale hinzu, ihm komme es auf einen Kolwurf
mehr oder weniger eicht an, er sei hartschlägig geworden in
der Schule, die or durchgemacht habe, in der theologisch D
So war er in der Tat ,,ein zweischneidiges Schwert",
wie ihn ein Hedner der Linken nannte. Aber bald sollte es
noch w>'ii schlimmer kommen. Am 9. November 1848
war Robert Blum in der Brigittenau zu Wien standrecht-
lich erschossen worden. — obgleich er sich auf seine Unver-
leUlichkeit nls Mitglied und Abgesandter dos Frankfurter
Parlaments berufen oder eben weil er als solcher an dem Kampf
auf den Barrikaden teilgenommen halte: darüber war Streit.
Ein Sturm der Entrüstung über diese blutige Tat ging durch
die Reihen der Radikalen, überall wurden Resolutionen
beschlossen, Protestadressen erlassen und Trauergotles-
dienstfi abgehalten *). Auch in der wurttembergischen
Kammer gingen die Wogen hoch. Seeger beantragte am
16. November eine Adresse an die Nationalversammlung,
um Genugtuung zu fordern für das verletzte nationale Ge-
fühl. Gegen diesen ihm unberechtigt dünkenden Enthusias-
mus erhob sich Strauß. Er führte aus: Über den Wert des
Hingerichteten könne man sehr verschiedener Ansicht sein
und doch seine Hinrichtung einstimmig beklagen. Ebenso
auch über die Berechtigung der österreichischen Militär-
behörde dazu. Die Hinrichtung eines solchen Parteihauptes
') Auch mein Vater, damals Geistlicher in Göppingen, sollte zu
*olchen gezwungen werden. Kr war konservativ und erklärte
': Ja. ich will ouch einen Trauurgottesdlcnit für Blum halten,
ober ihr wurdet von mir hören müssen, daß er mit Recht erschossen
wordoa Ut Daraufhin verlichtete man natürlich auf seine Mitwir-
kung und warf ihm Abends die Fensterscheiben ein. Ihr Klirren ist
memo frü holte Jugendorinnerung.
444
Siebenies Kap ; lel.
:iiehr als ein Unrecht, sie sei ein Fehler, indem man da-
durch i'iwm Märtyrer der Republik gemocht habe. Insofern
mtissen Blums Hinrichtung alle die bedauern, wiche in d«T
Republik ein verführerisches Irrlicht sehen. Müsse man ca
doch nun erleben, daß ein Kultus eingeführt, Totenfeiern fflr
ihn verlangt und das alles als Hebel zur Agitation benutzt
werde. Aber nun ist di« Hinrichtung geschehen, was soll
da unser Protest noch helfen? Soll er etwa die Würde der
Nationalversammlung wahren? Aber war denn Hlum als
ihr Abgesandter in Wien und nicht vielmehr auf eigene Kaust?
Amtlich wenigstens war er nicht in Wien. Aber, sagt man,
als Vertreter der deutschen Nation ist er wie zu Hause so
auch auf Reisen durch das Reichsgesetz geschützt. Das
weiß ich wohl, aber wie denn, wenn or sich auf solchen H eisen
mit dem befaßt, was mit seiner Eigenschaft als solcher nicht
vereinbar ist ? wenn er den Abgeordnetenrock ausgezogen
und die Bluse de» HiirrikiidonniHnnos aufzogen hat? Hin
solcher Mann hat aufgehört, Mitglied der Nationalversamm-
lung zu sein, und wenn er als Freischärler, als Rebellenhaupt-
ling nrgrilTon wird, so haben die, welche ihn ergreifen, das
Recht, ihn zu vernichten. Mit Freischärlern macht man
kurzen Prozeß. Während in dieser Kammer über die greuel-
vollo Ermordung Auorswalds und Lichnowskys ') keine
Beratung vorgenommen worden, sollen wir ein Urteil fallen
über die Hinrichtung Blums, weil diese von den Bevoll-
mächtigten eines souveränen Fürston, die Ermordung in
Frankfurt aber von solchen, die zum souveränen Volke
gehören, begangen worden ist! Wenn der Schuß gegen Blum
ein Schuß des Despotismus in dos Herz der deutschen Freiheit
war, ist dann diese nämliche Freiheit in der Person von
Lichnowsky und Auerswald nicht in Stücke zerrissen
worden? Haijen wir damals geschwiegen, so dürfen wir
auch jetzt nicht reden; daher bin ich gegen die Adresse."
») Am 18. September 1848 in Frankfurt a. M.
Straufl als Politiker.
445
Diese Rede rief in der Kammer und weiterhin in der
Presse und durch das ganze Land hin in den Kreisen der
Linken einen wahren Sturm der Entrüstung gegen Strauß
hervor. Man warf ihm eiserne Stirne und Herzlosigkeit vor.
worauf er in einer öffentlichen Erklärung kaltblütig meinte,
Herzlosigkeit sei in der Politik immer noch hesser als Kopf-
losigkeit. Nicht so ganz gleichmütig nahm er es auf. als
nun auch seine Ludwigshurger Mitbürger, dio inzwischen
vom Strudel fortgerissen radikaler geworden waren, wahrend
er derselbe geblieben war, unzufrieden wurden. In einer
Adresse mit 90 Unterschriften (bei einer war hinzugefügt:
..mit Bedauern'*!) gab ihm der vaterländische Verein in
Ludwigsburg über die Art. wie er sich in der Ständekammer
früher gegen Preßmißbräuche und neuerlich gegen Robert
Blum geäußert habe, sein entschiedenes Mißfallen zu er-
kennen; bei seiner Wahl sei man „von der Ansicht ausge-
gangen, daß der Mann, der auf einem Gebiete des Geistes
als ein so entschiedener, rücksichtsloser Kämpfer für die
Forderungen der Vernunft aufgetreten ist. dies wenn auch
mit der wahrer Bildung eigenen Mäßigung, so doch nicht
minder entschieden und rücksichtslos auf einem anderen
Gebiete des Geistes, nämlich dem des Staates, tun werde".
Rückgabe dos Mandats wurde nicht vorlangt, sondern nur
das Befremden ausgesprochen, den in kirchlicher Be-
ziehung so destruktiven Mann politisch so über alle Erwar-
tung konservativ zu finden. Strauß wollte daraufhin sein
Mandat sofort niederlegen. Allein seine Freunde, vor allem
der Tübinger Kuhn, stellten ihm vor, daß der Rücktritt
eines Abgeordneten auf eine Mißfallensäußerung der Wähler
hin ein übler Vorgang wäre, der, wenn er Nachahmung Tande,
zu völliger Abhängigkeit der Abgeordneten von ihren Wäh-
lern führen müßte. Dun leuchtete Straußein, und so begnügte
ersieh, im Schwäbischen Merkur eine Krklfiruug abzugeben,
die so charakteristisch ist für den Mann und seine stolze Art,
daß sie hier nicht fehlen darf. Sie lautet:
446
Siebrates Kapitel.
„An den Vaterländischen Verein inl.udwigshurg. Hndlt-h
ist mir dessen l/lng*t in öffentlichen Blflltern angekündigt«! Er-
klärung, mit 90 Unterschriften versehen, zugekommen, worin
er mir Ober die Art, wie ich mich in der SlBüdoknuiitf HVroU
früher gegen Preßmißbrauche als neuerlich (fegen H. Blum
geäußert habe, sein entschiedenes Mißfallen zu erkei:
gibt. Was dor genannte Verein mit einer solchen Erklärung
eigentlich bezweckt, ist mir nicht ganz klar. Meint er, vrtil
er die von mir in den bezeichneten Fragen genommene Stel-
lung mißbilligt, werde nun nucli ich sie mißbilligen und be-
reuen, so irrt er sich. Im Gegenteil, ich habe mein poli-
tisches Urteil für mich, das ich so frei bin, selbst gegen die
90 Autoritäten des Vaterländischen Vereins in Ludwigsburg
festzuhalten, und ich bin stolz darauf, meine Überzeugung
ausgesprochen zu haben ohne Furcht vor der Ungunst des
tonangebenden Publikums, die ich mir, wie ich leicht sehen
konnte, dadurch zuziehen mußte. Oder hofft der Verein,
auf seine Erklärung lün werde ich in mich gehen und meine
Stellung in der Kammer lindern, um mich für die Zukunft
seines Beifalls würdig zu machen? Da irrt er ebenfalls
und könnte wissen, daß er sich irrt. Ich bin von jeher meinen
eigenen Weg gegangen, mochte es gefallen oder mißfallen,
wem es wollte, und so gedenke ich es auch fernerhin zu halten.
So unverbesserlich, wie ich demnach bin, konnte die Er-
klüruug des Vaterländischen Vereins nur dann einen prak-
tischen Zweck erreichen, wenn e* ihm gelange, mich durch
dieselbe zur Niederlegung meiner Stellt* zu bewegen, worauf
auch in der Versammlung am 20. d. ein Antrag gestellt worden
ist. Allein so leid es mir tut, so muß ich doch sagen, daß
auch hiezu die mir zugefertigte Erklärung nicht hinreicht.
An meinem guten Willen sollte es in diesem Stöcke gewiß
nicht fehlen; ich habe mich um die Abgeordnetenstclle nicht
beworben, sondern sie nur auf den dringenden Wunsch
meiner Mitbürger übernommen, und ich wurde sie, wollt«
ich meiner Neigung folgen, lieber heute als morgen nieder-
StrauO uli Politiker.
447
Nun ist mir aber der Posten einmal anvertraut,
so darf ich ihn, ohne meine Pflicht zu verletzen, nicht
verlassen, solange mich nicht dieselbe Mehrheit, die mir ihn
anvertraut hat, desselben wieder entbindet. Ware daher da*
mir zugekommene Aktenstück von der Mehrheit der Wähler
oder, was ich gleichfalls anerkennen wurde, von der Mehr-
heit der dortigen Bürger unterzeichnet, so würde ich keinen
Augenblick anstehen, meine Entlassung zu nehmen. Allein
▼od den 126 Ludwigsburger Wählern haben dasselbe nur
25 unterzeichnet und von der Gesamtheit der Bürger nur 90;
da hatte also der Verein erst noch ziemlich viel weitere Unter-
schriften beizubringen, um mir den Rücktritt möglich xu
machen. Nun, vielleicht gibt sich bald ein neuer Aulall
dazu, wenn ich, wie ich im Sinne habe, gerade ao fortmache
wie bisher. Freilich wenn die Wahler unter den Unterzeich-
nern an meinem Auftreten in der Kammer solchen Anstoß
iiuhmeri, so wundert es mich nur und wird auch andere Leute
wundern, daß sie mich gewählt haben. Denn in den Reden,
welche zwar meine Wahl nach Frankfurt bezweckten, aber
die in den hiesigen Landtag zur Folge hatten, und die zum
Glück gedruckt vorliegen, habe ich mich wiederholt so
entschieden dahin erklärt, die Freiheit nur mit der Ordnung
zu wollen, daß niemand mit Grund erwarten konnte, ich
werde über eine wühlerische Presse oder das aufwieglerische
Treiben eines deutschen Reichstagsabgeordueten in Wien
mich anders aussprechen als ich getan habe. Überhaupt,
wer einen bloßen Jaherrn der Tagesmeinung haben wollte,
der hatte mich nicht wählen sollen; denn davon bin ich mein
Leben lang das Gegenteil gewesen. Wenn sich daher unter
der mehrerwähnten Erklärung einer als , .getauschter Wahler"
unterschrieben hat, so war der Mann freilich, wie seine Unter-
schrift zeigt, in einer argen Täuschung befangen; nur kommt
sie auf seine Rechnung und nicht auf die meinige. Ich bin
mir durchaus treu gebheben und werde ea auch ferner bleiben.
Gefallt diee dem Vaterländischen Verein nicht, so möge er
448
Siebentes Kapitel.
zweckdienlicher» Maßregeln ergreifen, ab «eine MiBhilli-
gungäerklörung war, die ich hiermit gleichgültig bei-
seite lege.
Stuttgart, den 26. November 1848.
Der Abgeordnete Strauß.**
Kine Erwiderung de» Ludwigsburger Vereins, der durch
Hirse Antwort voll „Sarkasmus und höhnischem Achsel*
zucken" lief gekränkt war, machte „auf den Mann, der
mit eiserner Stinte sich dem Strome dor Xoit entgegen-
stemmt«", in der Tat keinen Eindruck. Aber der ganze
Handel bestärkte ihn in dem Entschluß, bei passenderer Ge-
legenheit sein Mandat doch niederzulegen. Und diese Ge-
legenheit kam bald. Am 20. Dezember verhandelte man
über einen Antrag Seeger auf Berufung einer konstituierenden
Versammlung. Strauß stimmte dagegen und gab dazu die
Erklärung ab: „Ware er nicht vorher schon entschlossen
gewesen, gegen den Antrag zu stimmen, so hätte die mehr
als zweideutige Art, wie Seeger zuletzt noch den Begriff
einer konstituierenden Versammlung bestimmt habe, ihn
in diesem Entschlüsse bestärken müssen. Er habe um die
Sache in Sätzen und Phrasen herumgeredet, mit welchen er
(Strauß) zum Teil kaum einen bestimmten Sinn zu verbinden
gewußt habe. Die konstituierende Versammlung solle in
der Sache unserer künftigen Verfassung zwar nicht allein
zu reden haben, aber das Hauptwort müsse ihr gestattet
sein; da der Berichterstatter die Regierung nicht außerhalb
des Volkes, das Volk nicht außerhalb der Regierung sehe,
so fürchte er nicht, daß eine Kollision zwischen beiden ein-
treten werde; sollte aber je eine solche zum Ausbruch kommen,
so würdo sie jedenfalls nicht daher rühren, daß jene Vorsamm*
lung sich souverän erklart hatte, sondern daher, duß ein
unvolkstümliche* Ministerium an die Spitze getreten wäre.
usw. Diu ganze Zweideutigkeit sei zuletzt in dem Ausdruck
zusammengefaßt worden, die konstituierende Versammlung
Slnnjlä .»1. PoUUkttr
■tr.«
wohl im Einklang milder Regierung, nicht ub«»r in
■reinbarung mit derselben zu handeln haben. Das er-
innere an tlii* Krklarung ein»* anderen Abgeordneten, dvr vt-r
sichert«, die staatsrechtliche Kommission habe den Ausdruck,
die konstituierende Versammlung werde im Zusammenwirken
mit der Regierung die neue Verfassung zu macheu hüben,
eben deswegen gewählt, um die Frage unentschieden zu
li ob jene Versammlung für sich allein das Recht habe,
sine Verfassung festzustellen, oder ob dies nur in Verein-
barung mit der Regierung zu geschoben habe. Nun bitte
ich Sie, in. IL. man wählt also den Ausdruck: Zusammen-
wirken, um damit zu sogen, doli die fragliche Versammlung
möglicherweise auch für sich allein wirken könne. Ein
solcher Ausdruck ist eine Falle, in diese Falle gehe ich nicht,
und darum Nein." Auf den Hinweis Seegers, daß er in der
Kommission den Ausdruck , .Vereinbarung 1 ' vorgeschlagen
habe, erwiderte Strauß aufs neue: „er habe im Laufe »einer
theologischen Studien die Erfahrung gemacht, so oft ihm vor
Worten und Phrasen das Verständnis ausgegangen sei,
da sei es allemal nicht richtig gewesen; da wollte man entweder
etwas vorstecken, was da war, oder etwas vorspiegeln, was
abhanden gekommen war. Wie nun in der Rede Seegers
Satze kamen, mit denen er keinen bestimmten Sinn zu
(■'binden wußte, so habe er auch hier gleich gesellen, daß
Stall um etwas handeln müsse, das er nicht leugnen könne
und doch auch nicht eingestehen wolle. Übrigens lasse er
der Kunstfertigkeit alle Ehre widerfahren, mit der es doxa
Abgeordneten Seeger gelungen sei, in den BegrifT einer kon-
stituierenden Versammlung, welchem der Abgeordnete Mack
einen unverfänglichen Sinn unterlegt hatte, einen anderen
hineinrueskamotieren. Habe uuoh er (Strauß) das Kunst-
stück bemerkt, so beweise das nichts gegen seine (Seegers)
Kunst, und halte er gleich kein Ja auf seinen Teller gelegt,
so sei dies doch von so vielen anderen geschehen, daß Seeger
immerhin lufrieden sein könne." Zur Ordnung! scholl e*
4&0
Sieben!« Kapital
nun von den Blöken der Linken: wir *ind keine Taschen-
s|inilrc' um! lirr Präsident crkl.'irtr: vYrgnn des Ausdrucks
,, Folie" habe er Strauß nicht zur Ordnung gerufen, weil
dieser damit nur »eine subjektive Auffassung aus-
gesprochen habe; wb» aber den Ausdruck „eakamotieren"
betreffe, so frnge er den Redner, ob er ihn nicht zurück-
nehmen wolle ? Darauf Strauß: ..Ich nehme ihn nicht zurück,
sondern beharre darauf. Wenn in Binar Adresse gesagt wird,
die konstituierende Versammlung habe im Kinklang mit d<r
Regierung zu handeln, und hinterher erklart nicht der
Berichterstatter und Verfortiger der Adresse, sondern ein
anderer, man habe jenen Ausdruck gewählt, um auch der
Ansicht Raum zu lassen, dieselbe Versammlung könne wohl
auch für sich allein handeln, so ist ein solcher Ausdruck
entweder hinterlistig oder sehr ungeschickt gewählt. Im
Einklang mit der Regierung heißt dann soviel als: die Ver-
sammlung beschließt; sogt die Regierung zu ihren Be-
schlüssen ja, so ist os gut; sagt sie nein, so ist es auch gut;
man läßt die Regierung stehen und die Beschlüsse gelten
dooh." Nach dieser ErklArung rief der Präsident den Ab-
geordneten Strauß wegen der beiden gebrauchton Ausdrücke
zur Ordnung. Daraufhin erklärte Strauß noch am selben
Tago schriftlich seinen Austritt aus der Kammer, unter Ver-
lieht auf sämtliche ihm für die Zeit seiner Kammertatigkoit
zustehenden Diäten (,,Geiz" ?!). Was ihn zu diesem Schritt
bestimmt hat, hat er in einer Erklärung an seine Mitbürger
in Ludwigsburg Öffentlich dargelegt. Auch sie müssen wir
hören. Datiert vom 23. Dezember 1848 lautet sie so:
„Wozu ich mich vor vier Wochen für den Fall erboten
hatte, daß die Mehrheit von Ihnen sich der Mißfallens-
Äußerung anschließen würde, welche von einer Minderheit
gegen den Standpunkt meines ständischen Wirkens go-
richtet worden war, das habe ich nun freiwillig getan: ich
bin aus der Kammer der Abgeordneten ausgetreten. Nach
jenen Vorgängen werden Sio von selbst nicht geglaubt
SlMuß als Pole
451
Kuben ilriB i.i--in> \in;t.m tfl ■:: W.inin^ nur in ftl Im ■ll.-r Mit--.-
über den Ordnungsruf d«3 Präsidenten in der letzten Sitzung
gegeben worden Bei; im Gegenteil: hätte nicht» wio meine
Freunde wissen, mein Entschluß zum Rücktritt ftobon vor-
her bei mir (estgestanden, so würde ich o* in jener Sitzung
ni< ht bis zum Bruche haben kommen lassen. Ebensowenig
dürfen Sie jedoch glauben, nachwirkender Verdruß über
jene MißfaUensadresse aus Ihrer Mitte habe mir mein ständi-
sches Wirken entleidet. Entleidet war es mir allerdings;
aber nicht, weil es vielseitig mißfiel, sondern weil ich täg-
lich mehr einsah, in dieser Kammer kein Feld für ersprieß-
liche Wirksamkeit zu linden. Als ich im Frühjahr Ihre
Wahl annahm, welche mich durch die Feierlichkeit, die Ihr
Wohlwollen für mich derselben gab, jetzt in der Erinne-
rung doppell beschämt, da hatte, wie Sie von meiner Fähig-
keit, so ich von dem Kreise meiner künftigen Wirksamkeit
sanguinische HotTnungen, welche sich wie gewöhnlich nicht
erfüllen sollten. Ich freute mich, in eine Kammer einzu-
treten* welche, wie ich mir vorstellte, auf der Grundlage
dessen, was der deutschen Nation von seilen der National-
versammlung gogeben werden würde, und im Anschluß an
ein aus dem Vertrauen des Volks hervorgegangenes Mini-
sterium, unser« Verhältnisse neu gestalten» die Früchte der
französisch-deutschen Revolution im friedlichen Wege der
Reform auch unserem engern Valerlande zuführen werde.
Allein, wie in ganz Deutschland, so gibt es auch in Württem-
berg und zeigten sieh bald auch in der Kammer nicht wenige,
denen die Revolution des Miirz nur als ein halber Schritt
erscheint, die jedes Versuchs friedlicher Umbildung als eines
eitein Flickwerks spotten und einen zweiten gründlichem
Umsturz als das einzige Heilmittel in Aussicht stellen, dem-
nach auch unser jetziges Ministerium zwar gern aufkomm* "
sahen, weil es doch wenigstens A sagte, noch lieber jedoch
es wieder fort hatten, weil es in ihrem Sinne nicht auch B
sagen will. Daher wurden die Arbeilen dor Kammer voa
462
Siebente* Kapitel.
Anfang an bei jeder Gelegenheit durch Interpellationen
unterbrochen; das Ministerium sollt« sich wegen jedes un-
geduldigen Briefs, der von einem politischen Gefangenen
iniilief, wegen jedes Wirlshausgeredes Ober Truppensen-
düngen und Einberufungen verantworten; in der Regel
gelang dies zwar so gut. daß am Ende die Interpellanten
sei bat sich genötigt sahen, dem Ministerium ihr Kompliment
zu machen; doch das schreckte sie nicht ab. hei nächster
Gelegenheit wiederzukommen. Auch mit der National-
versammlung in Frankfurt war man von Seite immer
weniger zufrieden, je mehr in ihr die gemüßigte Partei die
Oberhand bekam. Daher wurde in unserem Standesaalo
auch die große Politik cur Hand genommen; die Verhält-
nisse an der Spree und an der Donau zu bestimmen, wozu
man am Main sich zu schwach fühlte, wurden am Nesen-
bach wiederholte Versuche gemacht. Nach der unbedingter,
Unterwerf ungserklarung in der Antwortsadressc erst Bitten,
dann Monitorien, zuletzt eine Verwahrung, die ein wahres
Mißtrauensvotum war, und der nur noch die Form zur wirk-
lichen Lossagung von den Beschlüssen der Nationalver-
sammlung fehlte. Dazwischen hinein wurden die Geselzes-
vnilagen, welche größtenteils schon im Entwürfe der Regie-
rung das Äußerste bezeichneten, was gewahrt werden konnte,
ohne bestehende Rechte allzu empfindlich zu verletzen
oder der Staatskasse allzu große Ausfälle zu bereiten, —
diese Ceselzesentwürfe wurden teils schon von den |h)
seitig zusammengesetzten Kommissionen in einem Sinne
begutachtet, teils von der Kammermehrheil mit Zusätzen
und Abänderungen angenommen, welche die bedenklichsten
Folgen für das öffentliche und Privatwohl in Aussicht stellen.
So war es nicht genug, durch das ZehntabIö»uug»ge*etK
zugunsten einer einzelnen, allerdings der Erleichterung be-
dürftigen Klasse von Staatsbürgern anderen einzelnen
mehl nur, sondern auch frommen Stiftungen und der Staats-
kasse, mithin der Gesamtheit der Steuerpflichtigen Millionen
SlrftuB Uli. Politiker.
«61
an Knpital zu entziehen: man mußte durch willkürliche
Erniedrigung des ZinsfuOes den Ausfall noch um Hundert-
tausend«) vermehren. Es war nicht genug, die Befreiung
der Privat- und Staatsdomänen von den Gemeindeabgaben
vom nächsten Etatsjahr an aufhören zu lassen: man mußte,
um ja nicht im ordentlichen Wege der Gesetzgebung zu
bleiben, dem Gesetz rückwirkende Kraft bis zum 1. Juli
des nun bald abgelaufenen Jahres geben. Um solches und
ähnliches Übermaß H verhindern, sah ich und meine Ge-
sinnungsgenossen DM oft, obwohl meist vorgeblich, genötigt,
uns an die Ritter- und Pralateubank anzuschließen: man
hat mir dies zum Vorwurf gemacht, unerachtet es auf der
Hand liegt, daß ich mit den Vorrechten und Sonderinter-
iii dieser Stände keinerlei Sympathien haben kann,
lern nur notgedrungen hie und da ihr Bündnis suchte,
weil der moderierenden Elemente unter den bürgerlichen
Abgeordneten zu wenige waren und diese täglich mehr zu-
sammenschmelzen. Jede neue Kommiasinuswah], fast jede
folgende Abstimmung zeigt die steigende Majorität einer
Richtung, welche ohne Hemmschuh den Abhang hiuunter-
jagen möchte, in der ausgespuid nen Absicht, den ul!< n
Staatswagen umzuwerfen und zu zertrümmern, möge es
den Passagieren dabei gehen wie es wolle; einer Richtung,
die mit knabenhaftem Mutwillen über jedes Loch jubelte,
dns ihr in drn bisherigen Rechtshoden zu stoßen gelungen
war. ohne zu bedenken, auf welchem Boden denn als dem
des Rechts und der Achtung vor dem Recht ein künftiger
Staat begründet werden solle- Auf solche Weise meistens
fruchtlos mit der Minorität zu stimmen und gleichsam nur
meine Verwahrung gegen die zustande kommenden Be-
schlüsse tu Protokoll zu geben, da» war eine Stellung, aus
der ich ausscheiden zu dürfen glaubte. Ich erkenne wohl,
was sich Tür die Verpflichtung sugeu laßt, auch in solchem
Falle ohne äußern Erfolg sein Prinrip. und wäre P9 als der
letzte Mann, zu verteidigen. Allein es wird doch alles darauf
TU «WIM D Vi St.--Q IL 30
454
Siebente* Kapitel.
ankommen, ob einer in der Politik seine Lebensaufgabe
erkenn*, oder ob ihm auch noch für ein andere» Tätigkeits-
gebiet Pflichten obliegen, deren er nur so long und unter
der Bedingung entlassen war, daß er im Augenblick auf
dem politischen Felde mehr und ersprießlicher wirken könne.
Letzteres ist nun mein Fall: ich betrachte mich in erster
Linie als Dienstmann der Literatur, welche mir nur in obiger
Voraussetzung auf eine Zeitlang Urlaub gegeben und mich
der Politik abgetreten hat, mich aber nun wieder einberuft,
da jene Voraussetzung nicht mehr zutrifft. Mag auch im
jetzigen Augenblicke der Zeitpunkt für literarische Produk-
tionen noch nicht wiedergekehrt sein, so wird »ich doch im
stillen manches vorbereiten lassen, was zu seiner Zeit will-
kommen ans Licht treten mag.
Diese Erklärung über den von mir getanen Schritt
hielt ich für notwendig, um nicht von Ihnen mißkannt zu
werden, deren Urteil mir niemals gleichgültig sein wird,
und deren Wohlwollen ich immer nur schmerzlich entbehren
würde. e . n
Strauß."
Kurz vor seinem Ausscheiden aus der Kammer hatte er
übrigens noch eine andere politische Stellung abgelehnt, die
sich ihm bot. Das Märzmimslerium Römer wollte ein Regie*
rungsorgan gründen, in dem die Sache des gemäßigten
Liberalismus gegen die radikalen Schreier in Kammer,
Volksversammlungen und Presse vertreten werden sollte.
Die Redaktion dieser Zeitung wurde Strauß angeboten,
und zwar auf ausdrücklichen Wunsch des Königs Wilhelm I-,
der zwar kein Freund seiner theologischen Richtung war,
aber sich über den guten Einfluß auf die Ludwigaburger
anlaßlich seiner Wahl und über sein mannhaftes Auftreten
gegen die radikalen Tendenzen in der Kammer herzlich freute.
Zu seinem Hofarzt Hurdogg sagte er; ,,l>aß er Courage
hat, hab' ich immer geglaubt, sonst halt' er nicht mit den
Strauß aJa Politiker.
466
Fallen angebunden'* l ). Natürlich lohnte Strauß ohtut alles
Besinnen ab, indem er erklärte, daß ihn der König ebensogut
zum Husarenoberaten als tum Redakteur einer politischen
Zeitung machen könnte. Es war auch eine starke Vcrkonnung
seiner politischen Anschauungen und mehr noch seines
ganzen Charakters: nicht im Dienst und Auftrag einer
Regierung, sondern als unabhängiger Mann ging er — natür-
lich nicht durch dick und dünn, sondern nur da und nur
so weit mit dem Ministerium Römer, als ihn seine persön-
liche Überzeugung auf diese Seite führte. Der Gedanke
hat geradezu etwas Groteskes : Strauß als Königlich württem-
bergischer Staatsanzeiger-Redakteur, zwölf Jahre, nachdem
man ihn wie Uhland „sehr gerne' 4 aus dein württembergi-
soben Staatsdienst hatte ziehen lassen.
Was war es aber, was ihm seine politische Tätigkeit so
rasch verleidet hat? In jeuer oben mitgeteilten Erklärung
an seine Ludwigsburger Mitbürger hat er als Grund die Frucht-
losigkeit seines Ankämpfen* gegen den Radikalismus in
der Kammer und den Ekel Ober das Treiben desselben
angegeben: er hat sie einmal brieflieh eine „Rauberhöhle"
genannt. Und gewiß war das ein Grund. Einen zweiten
führt er in den literarischen Denkwürdigkeiten au: das Un-
behagen über seine mangelhafte Ausrüstung zum Kampf
gegen diese radikale Kammermehrheit. Darüber sagt er:
..Was ich llngst wußte, bekam ich hier peinlich zu erfahren:
daß ich koiu Redner sei. Von Natur sind wir Schwaben
dies durchschnittlich überhaupt nicht; ob ich durch Übung
es hätte werden können, steht dahin; aber diese Übung hatte
mir gefehlt. Meine kurzgefaßten Predigten als Vikar und
Repetent hatte ich aufgeschrieben und dann auswendig
gelernt; die Vorlesungen, die ich in Tubingen hielt, wio
damals an der württembergischen Universität alle Welt
•) 80 hat Hardegg das Diklum meinem Vater, mit dem er vi«r
Jahr« im Seminar xu Schönthul «usammenKtTweaim vvur, orxahlu
SO*
m
Stotxntes Kapitel
■v^-!i-.''ii. 'irr k:i1i i -Iii-1is.-1.i- I Mtrirn-iil, iliMl ii h DftOh-
•inander in Religionslehre, alten Sprachen, Philosophie und
Theologie zu erteilen hatte, war doch noch lange kein zu-
sammenhängender freier Vortrag gewesen. Ware ich auf
dem Katheder gehlieben, hatte nuf demselben die Zeiten
erlebt, da auch in SüddeuUchland die Forderung eine»
freien Vortrage immrr unabweisbarer an den akademischen
Lehrer herantrat, gewiß wurde auch ich gesucht haben,
derselben gerecht zu werden, ob mit Glück, weiß ich freilich
nicht. Aber im Herbst 1848 waren es ja bereits 15 Jahre,
daß ich vom Katheder entfernt war, und ich hatte das vier-
zigste Lebensjahr hinter nur. Da hatte jedenfalls eine längere
parlamentarische Übung daau gehört, um aus mir so spat
noch einen Redner zu machen. Für jetzt hielt ich r* in
der Kammer wie einst auf der Kanzel: wollt' ich über einen
Gegenstand sprechen, so schrieb und memorierte ich die
Rede, die ich dann in der Sitzung hielt. Daß man damit
in parlamentarischen Verhandlungen nicht weit kommt,
liegt auf der Hand. Die Fähigkeit, auf das, was in der De-
batte vorkommt, unmittelbar und aus dem Stegreife zu
antworten, und zwar nicht bloß in einzelnen epigi animali-
schen Bemerkungen — denn diese fehlten mir nicht — ,
sondern in zusammenhängender Ausführung, ist unerläßlich.
Daß sie mir fehlte, setzte mich gegen die seichtesten Ge-
sellen, denen aber diese Gabe zu Gebot stand, in Nachteil
und machte meine Situation in die Lange unerträglich."
Also Struuß war nicht schlagfertig, war kein Debatter,
er schnitt, wiu Schweitzer 1 ) sagt, als solcher schlecht ab 1 ).
Wer so redet und daraus gar rückwärts auf den Mang«!
•) Schweitzer, Von Reimnms zu Wredu, S. 73, 96 und oben
Bd. I, 8. t5i (T.
■) Wie schlagfertig er in Wirkliehkuil war, dm> zeigt dio obon
(S. 435» mitgeteilt* Ahlwort an Dekan Christheb bei derLudwigsburger
W u liU LTMiinnilunt*.
StrauO ak Politiker.
467
an Sohlagfertigkeit auch in seinen Streitschriften achließt,
der kennt die landständische Tätigkeit von Strauß doch
wohl nicht durch eigene Binsiohtnohme in die Kammer-
berichte, sondern lediglich aus dieser seiner Sclhstheurtei-
lung, die Hausralh 1 ). darin richtiger sehend, eine ..allzu be-
scheidene" nennt. Zunächst weiß ich nicht, ob es oin Fehler
und ein Mangel ist, wenn ein Parlamentarier sich auch auf
seine Reden genau vorbereitet und auf eine gute Form
rtYrsulhiMi Werl \< yl Ich meiiir, vwrksitriM' Parliuimntarier
tun das auch heute noch. Jedenfalls aber erwiesen sich
gerade dadurch, wie einst die Walüreden, so jetzt die Par-
laincnUreden von StrauO durchaus wirksam; und auch
wo er einmal sofort KD antworten und aus dem Stegreif OB
sprechen hatte, zeigte er sich als des Wortes durchaus mäch-
tig. Daß die Redegewandten solhor und besonders die
lieferen Naturen nachtraglich glauben, nicht Genügendes
gesagt und vieles übersehen und vergessen zu haben, ist
natürlich: sie sind oben nicht so leicht mit sich zufrieden
und machen sich auch nachher noch Gedanken über das,
was sie innerlich bewegt hat und was sie noch alles über
den Gegenstand hätten sagen können und sollen. Auch
der Erfolg seiner Reden spricht gegen jenes Selbsturteil
von Strauß: sie fanden Beifall, riefen heftige Erwiderungen
der Getroffenen und Angegriffenen hervor und halten stets
das Ohr des Hauses. Und als der Präsident in der Sitzung
vorn 4. Januar 1849 der Kammer seinen Austritt mitteilte,
da wurde dem Bedauern darüber laut Ausdruck gegeben,
und viele, auch von der Linken, erhohen sich zum Zeichen
des von ihren Sitzen. Wenn ein kühler Kopf und ein
tapferes Herz zum guten Redner gehören, so war Strauß
einer; denn beides besnB er in hohem Maß. Und waß ihm
etwa technisch fehlte, das hätte er sicher rasch gelernt und
durch die Notwendigkeit des Redens unschwer sich unge-
fc ) Haimrath, D. Fr. fllrauß. H, S. 178.
45*
9itl*tit«t Kapital.
eignet: dafür spricht das, was er in drei Monaten ala Mit-
glied der Kammer geleistet hat,
So wiU auch der zweite Grund nicht verfangen. Wo-
her also jenes tiefgehende Unbehagen Ober seine landstandi-
sche Tätigkeit und jene weitgehende Unzufriedenheit mit
«eh seibor? Nicht der Radikalismus seiner Umgebung,
nicht der Mangel an Schlagfertigkeit ist daran schuld,
sondern — die Frau. Sie lebte mit den Kindern in Stutt-
gart: ihr zu begegnen schwebto er in beständiger Angst
und Aufregung, und umgekehrt durfte er seine Kinder,
obwohl am selben Orte mit ihnen lebend, nicht bei sich
haben, sie nur ab und zu bei befreundeten Familien sehen.
In welcher Stimmung er in jenen Monaten war, daß zeigen
die wahrhaft grauenvollen Verse:
Ich wollte reisen, nun verreis' ich nicht,
Doch ob ich bleiben werde, weiß ich nicht
Daß hier ich In der Fremde bin, ist »icher:
Wo mein« Heimat sei, da» weiß ich nicht.
Ich mein', ich h»tt* oinmnl zwri lieb« Kinder i~
Ob du* nicht bloß cm Traum sei, weiß ich nicht.
Ein Weib verstieß ich: ob zu Haß die Liebe,
Ob Haß xu Liehe wurde, weiß ich nicht.
Sic sagen, Bücher halt* ich einst geschrhiban :
Ob's Wahrheit oder Spott ist, weiß ich nicht.
Ungläubig, hör' ich, nennen mich die Leuto:
Ob ich nicht eher fromm sei, weiß ich nicht.
Nie hob ich vor dem Tode mich gefürchtet:
Ob ich nicht langst gestorben, weiß ich nicht.
Das Schlimmste aber von dem, was er nicht wußte,
war: ob zu Haß die Liebe oder ob Haß zu Liebe geworden.
Er hatte biB dahin das erate für das einzig Mögliche gehalten.
Jetzt, wenn er sie sah — und das ließ sich in dem damals
noch so kleinen Stuttgart nicht vermeiden, sie führte es
auch wohl absichtlich herbei — . so wollte altes Glücks-
gefühl wieder aufwachen, sein Herz wappnete eiob ver-
gebens mit Haß, die Liebe war noch immer da. Ich glaube,
diese Zwiespältigkeit des Gefühls erst erklärt den ganzen
Strauß als Politik».
4M
Strauß jener Tago: weil or sie noch immer liebte, deshalb
rüttelte und schüttelte er seine Ketten und verfluchte sich
und sie, die ihn nicht losließ. Das bezeugen eine ganze
Reihe von Gedichten aus der Zeit, am ergreifendsten die
Verse, die nach einer Begegnung im Konzertsaal entstanden
sind:
Da sitz' ich Auf der Gallerie,
Wie os dem Grumt- ziemt, im Dunkeln;
Im Saale drunten aitzel sie,
Wo vielo hundert Komm funkeln.
Die Töne flattern durch den Saal,
Wie Vögele hon in Lust und Scherzen i
Ich denk an Dich. Du meine Qual,
Du denkst an mich, ich spoVs im Herzen.
Wir lauschon gleicher Harmonie
Mit gleichgestimmtun, reinen Sinnen:
Ach, konnten duun die Herum nie
Den gleichen Hchlag und Ton gewinnen?
Doch tief und tiefer sinket schon
Der Geist in träumendes Erinnern,
Vernimmt statt Hörn- und Flötenion
Nur noch das Schmenenslied im Innern,
Di« Töne scbweigeu, und xu Zwhi'u
Verlassen OlQcklich« die Schwelle:
Ich geh' allein, sie geht allein,
Ein jede» nach der Öden Zelle.
Und noch ein andereä spricht dafür. Nie ist sein Herz
entflammbarer gewesen als in jenen Tagen. Auf der Ge-
birgsreise im Sommer tut es ihm eine „Seejungfrau" an, und
in München schwärmt er für eine „Mohrenfurstin", einen
fremden Wundervogel, den ein Sturm in dies Land der
trüben Tage hergetragen und von dem nicht bloß in dem
bekannten Gedicht 1 ), sondern mich in Briefen gelegentlich
•) Poetisches Gcdeuk))Ui:h in den Ges. Schriften, Bd. 13, S. 55.
400
Siebentes Kapitel.
die Rede ist. Er siebt eben Helenen, d. h. in »einem Kill
Agncsen in jedem Weibe.
So verworren, so elend war ihm zumute. Und die
Quelle alles dieses Elends war in Stuttgart. Wie h.'illc er
es also dort aushalten können? Hier brachen, wir er an
Vischer schrieb, die alten Wunden immer neu auf, darum
mußte or fort, er floh einfach vor MUNT Krau, die er —
haßte und liebte zugleich. Deshalb ergrifT BT die erste beste
Gelegenheit, sich frei zu machen und Stuttgart den Rocken
zu kehren. Und „mit jeder Station atmeto or freier", ul*
er dünn endlich am Dreikönigstag 18(0 München zufuhr.
So hat ihm nicht der Radikalismus und nicht der
Mangel an Schlagfcrtigkeit die Politik verleidet, sondern
sein häuslicher Jammer, oder, wie er natürlich sagt: das
unselige Weib hat ihn gezwungen, alles im Stich zu lassen.
Darum ist es so bedauerlich, daß er nicht in Frankfurt,
sondern in Stuttgart hat Politiker werden müssen: dar.-m
waren wie gesagt seine alten Freunde, die Theologen, schuld.
Daß er in Stuttgart nicht bei der Fahne bleiben konntet,
daran war seine Ehe schuld: die Theologen und das Weib
— es ist das alte Lied, das wir immer wiederholen müssen.
Die letzte Quelle der Schuld aber lag doch wiodor in ihm
selber. Er war mimosenhaft empfindlich, habe ich schon
einmal gesagt: hier wurde diese Empfindlichkeit zur un-
erträglichen Qual und machte ihn aufs neue beruflos. Daß
das zu bedauern ist, vor allem um seiner selbst willen zu
bedauern, liegt auf der Hand. Zu bedauern aber auch um
der Sache willen. Politiker, die so klar dachten und so
gescheit sprachen, die so mutig auch gegen den Strom zu
schwimmen wagten und eich weder durch Gunst von oben
noch durch Enlrüstungsslurme von unten auch nur um
eines Fingers Breite von ihrer ßahn abbringen ließen, gab
es im Jahre 1848 Dicht allzuviele, und in Schwaben war ihre
Zahl noch ganz besonders klein. So begreifen wir, daß ihn
doch recht viele mit Bedauern aus der Kammer I den
Strauß ab Politiker.
4SI
nahen. Allein MÜ der uudern Seite hatte er nurh wieder
recht. In jenen erregten Zeiten war für so viel kühle Be-
sonnenheit in der wurttembergischeri Kammer kein Platz,
auch Strauß halte gegen den Radikalismus nicht« auszu-
richten vermocht, und als dann gleich darauf die Reaktion
kam, wAro er nur mit umgekehrter Front doch wieder in
Opposition gestanden, ohne etwas erreichen zu können.
Vor allem aber — er hatte wirklich anderes, Besseres zu
tun: er war ,,der Schriftsteller, der Poet, den zum Pail.i-
mentsrnann umzubilden ea doch wohl zu spat" — oder
sagen wir lieber: zu schade war.
Den Epilog zu dieser politischen Episode gab er iti
rfoen Brief vom 24. Februar 1849 an den großdeutsch und
demokratisch gesinnten Vischer. Offenbar wollte dieser das
persönliche Hauptmotiv für Straußeus Fahnenflucht nicht
gellen lassen, und darum rechtfertigt sie Strauß, seine
und des Freundes Verhältnis zur Politik in eins zusammen-
fassend, nachträglich noch gewissermaßen aus seiner und
aus des Freundes Natur heraus so: „Dacht ich 's doch, daß
ich bei Dir nicht so leichten Kaufes davonkommen wurde.
Ich wollte um unsere politische Differenz horumschleichen
wie eine Katze, da kommst Du wie ein „Biodermann" und
ziehst mich mitten hinein... Daß ich diese Sachen um-
gehen will und kann, Du aber nicht, das scheint mir oin-
fach daher zu rühren, daß ich mich davon losgemacht habe.
Du aber noch darin steckst; daher, daß ich einfach sage:
Politik ist uns boidon ein ganz gleich fremdes Feld, Du
hust so wenig etwas in Frankfurt zu schaffen als ich in Stutt-
gart hatte, also gleich von gleich geht auf, — daß ich dieses
eiurAiimn, sag* ich, Du aber es von Dir nicht einräumst.
Du sagst. Du wärest, entfernt vom Schauplatz, zerborsten;
da» glaube ich, aber es beweist nichts für Deinen Beruf,
sondern nur für einen Trieb, deren unvollständige N.dmvn
wie wir manche in sich trugen, die zu keinem fruchtbaren
Ziel fuhren, sondern uns nur Affen. Du habest manches
462
Siebentes Kapitel
durchsetzen helfen, wie x. B. Hin Aufhebung der Spielbanken ■
nun, deswegen brauchtest Du nicht nach Frankfurt zugehen,
dir wurden sich gewiß nicht ISnger gehalten haben. Aber
das Wehrgesetz — das ist Dein Steckenpferd, worüber
ich mir kein Urteil erlaube, weil ich mich hiexu bloß ironisch
verhalten kann Du wirst Bogen* wie der Kuchs tur hoch-
hängenden Traube, was ich mir gefallen lassen muß Du
gestehst, daß es Dir in Km nk fürt nicht wohl ist. und damit
habe ich vollkommen genug; denn ich bleibe auf dem Axiom:
wofür einer Beruf hat. in dessen Ausübung ist ihm auch
wohl. Daß Du diese Gleichheit wischen uns nicht einräumst,
hnt auch darin noch seinen Grund, daß Dil mit Neigung,
ich gegen dieselbe in die Politik hineingezogen worden bin.
Du wolltest mitralen, tratest aus eigenem innerem Antrieb
auf; mich schoben andere hinterrücks in die Lanne, die
Ludwigsburger packten mich an der schwächsten Seile,
an der gemütlichen, und aus dieser Rücksicht gab ich mich
xu einer Rolle her, die mir an sich immer fatal erschien.
Zur ganx gerechten Strafe für ein solches Handeln aus bloßer
Rücksicht schlug dann die gemütliche Stimmung der Luil
wigsburger in der Weise um, die mich zur Fortführung der
Stelle unfähig machte. Du hingegen kommst mir vor wie
ein Mann, der als Maler groß wäre und die erste Stellung
einnehmen konnte. — er hat aber eine Marotte für Musik
und spielt lieber bei einem Orchester die 6. Violine oder den
Triangel, als dort die erste Rolle zu spielen. Ganz gleich-
artig sind unsere beiden Naturen darin, daß sie künstlenseh-
wissenschaftliche sind. Den Unterschied in dieser Einheit
möchte ich so ausdrücken, daß Du ein wissenschaftlicher
Künstler, ieh ein künstlerischer Wissenschafter bin, d.h.
Dir ist die Kunst Stoff, den Du wissenschaftlich behandelst,
mir ist die Wissenschaft Stoff, den ich künstlerisch xu ge-
stalten strebe. Daraus kann ich (Ar mich gleich ableiten,
warum für mich Politik kein Feld ist. Goethe schreibt einmal,
ich meine an die Stein, nachdem ihm als Staatsmann manches
Strauß ab Politiker.
M :
mißlungen, — nun wolle ersieh aber mit nicht« mehr befassen,
was er nicht so ganz in der Gewalt habe wie ein Gedicht.
Das ist's. Wer wird denn auf eine Fläche malen wollen,
auf der im nächsten Augenblick andere mit Barenfußen
herumtreten? Dann kommt dafl noch allzu AfGcihle meiner
Natur hinzu, kraft dessen mich ein tagliches personliche»
Gegenüberstehen mit Menschen, deren Treiben ich hossn
und vun denen ich weiß, daß sie mich hassen, aufreibt.
Machte mich dies überhaupt für politisch-parlamentarisches
Wirken zu jeder Zeit untauglich, so kommt flu* die Politik
der Gegenwart noch mein absoluter Widerwillen gegen alles
Revolutionare, die Massen Entfesselnde hinzu. Dieser Wider-
wille ist sehr natürlich, er ist der Schauder jedes Geschöpfs
vor einem Element, in dem es nicht leben kann. Unter
russischem Despotismus konnte ich, zwar mit beschnittenen
Hügeln, doch noch existieren, aber Massenlterrsohaft würde,
mich vernichten. Daher hasse ich, was dahin führt, so sein.
wie ich nie etwas gehaßt habe, weil mir nie etwas mich so
absolut Negierendes 1'nt.gi'genget.relen war. So sehr nun
aber der vernünftige Politiker der Gegenwart auf Bezähmung
dieses Elements aus sein muß, so darf er dies doch nur so,
wie Mephistophelcs: Sei ruhig, freundlich* Element! — er
muß nötigenfalls selbst ein wenig drin leben können, darf
es nicht, wie ich, schlechterdings perhorreszieren. Hieran
nun würde es bei Dir nicht fehlen; es käme Dir dos Kriege-
rische in Deiner Natur zuhilfe; aber im Ergebnis würdest.
Du gewiß immer zu kurz kommen, weil, wie Du selbst sagst,
nur blinde (und unreine) Kräfte den Ausschlag geben.
Noch einmal und mit einem Wort: in so unvollständigen
und ungleichmäßigen Naturen wie die unsern gibt es Reite,
die keinen Beruf anzeigen, keine Frucht versprechen, denen
mau mithin nicht oder nur sehr mit Muß nachhangen dnrl
Daß Vischer diese Auseinandersetzung gut aufnahm, hat
Strauß sehr gefreut. „Ich traue der jetzigen Zeit gar uichU
Gutes zu in betreff alter Freundschaften", schreibt er ihm
46-1
Swbwites Kapitel.
am 22. Mai, aux Erfahrungen wie «lor mit Schnitzer heraus,
mit dem ihn die Politik bleibend entzwei! hat; ..ich fand mm
aber zu meinem Tröste, daß sie der unsrigen nicht« anhaben
U.inn." Was er in dein Hriof an Viachor >.ur KrklJtrung
seiner Abneigung gegen die* Politik und seines Austritts iiua
der Kammer sagt, ist durchaus wahr. Die treuliche Analyse
seiner künstlerisch-wissenschaftlichen Natur wird sich uns als-
bald nur immer mehr bestätigen. Aber die Erklärung Et! keine
vollständig«, weil das Hauptmotiv fehlt: gerade vor dem
„kriegerischen" Freunde mochte er sich schämen, auf „das
Weib" als die wahre Ursache hinzudeuten und ihm seine
ganze Wehleidigkeit zu enthüllen; und auch vor sich selbst
beschönigte er mit einer gewissen Sophistik durch den Hin-
weis auf seine Natur, was zuletzt doch nur eine Flucht vor
seiner Frau gewesen war.
Und dasselbe tat er in gewissem Sinn auch öffentlich in
der Biographie von Christian Mfirklin: auch sie ist eine Recht-
fertigung seiner Fahnenflucht und damit zugleich eine Art
Nachspiel nicht nur zu seinen theologischen» sondern auch zu
seinen politischen Kämpfen. Im Herbst 1849 erwartete
er den Desuch dieses seines besten Freundes mit Kaufmann
in München und freute sich darauf. Da kam statt des Er-
warteten die Nachricht von seinem in der Frühe de* 18. Ok-
tober erfolgten Tode. Seinen besten Freund habe ich Marklin
genannt, ich hatte ihn auch seinen guten Genius nennen
können. Denn das war ihm dieser Charaktervolle wie in den
Stürmen um das Leben Jesu so in den vierziger Jahren bei
seinen ehelichen Kämpfen und Leiden gewesen. Vier Wochen
vor seinem Tode hat er ihm, als es ein kleines Mißverständnis
zu beseitigen galt, geschrieben: ..Daß Du Dich genötigt
glaubst, mir gegenüber Deine Gesinnung zu reohtfWÜgUi
das tut mir innig leid; sie war und ist mir immer ein Hei-
ligtum, an das ich mit Ehrfurcht fest glaube, und da» ich
selbst dann nicht wagen würde, durch Verdacht zu vn-h-Unn,
wenn mir die guten Gründe einer Rede oder Handlung von
Strauß als Politiker.
465
Dir nicht klar wfiren." Darum traf ihn auch dieser Verlust,
vollends in diesem Augenblick so schwer. Durch ihn war
er „mit dem Idealen verknüpft", jetzt ist er „ganz golts-
verlasson". Eben habe ich, schreibt er, noch betäubt von
dem frischen Schlag, an die Witwe, „eben habe ich am Rande
des Bettes, das den Teuren empfangen sollte, den nun der
kühle Schoß der Erde umfängt, ihm ein tränenreiches Lebe-
wohl gesagt, ihm für alle die Treue und Liebe gedankt, die
er mir seit unserer Jugend erwiesen, und mir selbst eine
baldige Nachfolge gewünscht. Sie freilich, verehrtest*
Freundin, mit Ihren lieben Kindern, haben am meisten ver-
loren; aber kaum minder trifft der Schlug den erlesenen
Freundeskreis, der in dem Unvergeßlichen seinen Mittelpunkt,
scinpn festen sittlichen Kern hatte, von dem uns immer nur
Gutes, Heines und Edles kam. Ich insbesondere, seit moinem
Heilbrunner Aufenthalt ihm noch viel inniger als früher ver-
bunden und jetzt in meiner Verbannung gewohnt, «einer
brieflichen Zuspräche mich zu erfreuen, — ich insbesondere
fühle, du!} mit ihm ein Teil von mir selbst, und zwar der
beste, edelste, gestorben ist. Wenn etwas Sie trösten kann,
sei es die Gewißheit, daß in uns allen, die den Vollendeten
wahrhaft erkannt hatten, sein Andenken lebenslänglich mit
den Vorstellungen des Guten und Edeln, der RechtschatTen-
heit und Seelenschönheit unzertrennlich verknüpft sein wird."
lind nlsb.ild - es war am dritten Tag nach -<iiii-i;i Tode.
erklart er es in diesem Briefe für „seine teure Pflicht, für
eine tröstende Aufgabe, dem unvergeßlichen Freunde nach
Kräften ein biographisches Denkmal zu setzen, ihm seihst
xur Befriedigung, den Freunden zur Erinnerung und allen,
die es losen, ein Hinweis auf dasjenige, was unvergänglich
und erhaben über dem Treiben des Taga und dem Gewüldc
der Interessen und Leidenschaften liegt."
Nicht ohne nußern Hemmungen, wie sie wohl keinem
Biographen erspart bleiben und die hier im engen Kreis
der schwäbischen Heimat erst recht natürlich waren — die
4M
3Ub*nU* KapiWl.
Hinterbliebenen fürchteten, die nun doppolt, theologisch und
politisch, verfohmte Persönlichkeit de« Biographen kannte
dem Andenken des Toten schaden und Lebendige kompro-
mittieren. — hat er. wieder einmal aus innerern Drang heraus,
den „Christian Marklin** als „ein Lebons- und Charakterbild
aus der Gegenwart" geschrieben. Im Lauf de» Winter» kam
die Arbeit um so leichter zustande, je mehr hier das Herz
mitarbeitete; aber da es Muhe kostete, dafür einen Verleg***
zu finden, so erschien das Büchlein erst am Ende des Jahres
1850.
Auf den Inhalt dieser Schrift einzugehen, ist nicht
uötig; denn sie war ein Stück Selbstbiographie, ihr Inhalt
ist daher von mir zu allem Vorangebenden bisher schon als
hoste Quelle mitbenutzt worden. Was Strauß in Kapitel zwvi
bis acht von Klosterleben und Universitätsjaliren. vom
Viknnat und den wissenschaftlichen Reisen, von der Repe-
tentenzeit und von Mörklins Schrift über den Pietismus
und endlich von ihrem mehrjährigen Zusammenleben in
Heilbronn berichtet, das war wirklich so, als ob Streu U
Stuck aus seiner eigenen Lebensgeschichte zu erzählen gehabt
hätte. Dagegen war er eben im Begriff, Heilbronn zu vor-
lassen, als MarkUns Beteiligung an der politischen Be-
wegung der Jahre 1848 und 1849 dort anhob: was er
im söhnten Kapitel darüber und über seinen Tod be-
richtet, war also nicht miterlebt. Und war es doch
auch. Wie er in den sieben ersten Kapiteln noch rinmnl
die theologischen und religiösen Kämpfe ihrer gemein-
samen Jugendzeit an sich vorüberziehen ließ, so war
es hier gegen Ende des Buches der Rückblick auf die
Politik und die Abrechnung mit der württenibergischen
Demokratie. Jenes Blatt, das Strauß bei seiner Kann
rede über die Zügellosigkeit der Presse als Beispiel angeführt
hatte, war das in Heilbronn erscheinende ..Neckardampf-
schifT', das bis dahin von kleinlichem Lokalhader gelebt
halte, seit dem 1. April 1848 aber in großer und ganz radi-
Strauß als Politik».
467
kaler Politik macht«. Es pflanzt« dio Fahne der Republik Auf
und lud die Heilbrunner ein, die Uerweghscb» Arbeiter-
nchar, die man damals erwartete, „sittliche Menschen, die
in gut. geleiteten Vereinen in Frankreich dio Prinxipicn der
Gesittung erhalten hatten 4 *, und deren Absicht die Durch-
führung der Republik in Deutschland sei, brüderlich auf-
zunehmen. Dagegen verhöhnte es die konstitutionelle
Monarcliie als alte Lotturlalle und als einen Selbstwider-
spruch, so ungereimt wie eine gußeiserne Pelzkappe. Die
Scheu, die alleinseligmachende Staatsform der Republik
mit Gewalt durchzufuhren, wurde als spießbürgerliche Be-
denklichkeil lächerlich gemacht, die Verfügungen des Marz-
ministeriums gegen Ruhestörungen im Lande als reaktionäre
Maßregeln bitter getadelt und vollends die Unterdrückung
des badischen Aufstands mit Hilfe würtlembergischer Truppen
als Eingriff in die Sondersouveränetat eines deutschen Volks-
stammes strenge verurteilt. Was durch Besitz und Bildung
hervorragte, hieß Reaktionär oder Krebsritler in der witzigen
Sprache dos Blattes; jeder Versuch eines solchen, sich
pobtisch zu betätigen, wurde als nicht länger zu duldende
Bevormundung des Volkes dargestellt und als echter
Volksmann nur der gelten gelassen, welcher Schürze und
Kittel des Arbeiters trug.
Gegen diese Anschauungen trat Mürklin auf. Die Repu-
blik, erklärte er offen, wäre in diesem Augenblick ein Unglück,
dagegen forderte er Kräftigung und Fortbildung der konsti-
tutionellen StaaUfonn. Das Kühnste aber, was in Heilbronn
gesagt werden konnte, war daß auch er den preußischen
Staat für berufen erklärte zur Leitung der Angelegenheiten
Deutschlands.
Das war Marklins politisches Glaubensbekenntnis: es
entsprach ganz genau dorn von Strauß. Und auch das poli-
tische Schicksal der beiden war ähnlich genug. Wie die Lud-
wigsburger in Strauß, so fanden in Heübronn viele in Märklin
den geeignetsten Kandidaten für das Frankfurter Parlament.
168
Siebeol« KupiUL
Nur war sein Gegner kein Pietist wie der von Strauß, »endern
der radikal»? Bierbrauer Htmtge*, „ein Hobort Blum im
kleinen, freilich nur in denselben Maßstabe, wie Heil-
bronn ein Leipzig im kleinen heißen mag". Aber Mir kl in
brachte es nicht oinmal wie Strnuli /.um Durchfallen. Durch
das Dazwischentreten eines dritten Bewerbers, des „Marx-
Stadtschultheißen" Kielt, einer Sache überdrüssig, die ihn
in den ungleichen Kampf mit dnm Unverstand auf der IHM,
mit der Intrigue auf der andern Seite verwickelt halte,
zog er noch vor der Entscheidung seine Kandidatur zurück.
Natürlich siegte Hentge», der «ich ttbrigens :.|iM<-t vcrnuiif-
tiger zeigte, als seine Wähler von ihm vorausgesetzt hutten.
die ihm deshalb ihr Mißfallen in Form einer Katzenmusik
ausdruckten. Nach solchen Verführungen in „der verdorbene a
politischen Atmosphäre" Heilbronns verstand Marklin
wie keiner den Entschluß von Strauß» »ein Mandat ala
Landtugsabgeordnetcr niederzulegen. Zu ihm hatte sich
daher auch Strauß zuerst, unmittelbar danach zwischen
Weihnachten und Neujahr 1848, geflüchtet: ..bei dieser
Gelegenheit sahen sich beide Freunde zum letzten Mnl "
So war das Buch eine Abrechnung — wie in seinem
erstenTeil mit seinen allen Gegnern, den Theologen, so hier am
Schluß mit den neuen Feinden im demokratischen Lager.
Wie seine Reden im Jahr 1848, so war auch diese Schrift
eine „theologisch-politische". Es ist aber auch das Intimste
und Wärmste, was Strauß geschrieben hat. Es wnr ja mokl
die Geschichte eines Fremden, die da erzählt wurde, sondern
die eines guten Kameraden, eines «dein Freunde», mit dem
derVcrfassor eino gute Lebensstrecke weit gewandert war und
mit dem ihm ein Stock von sich selber verloren ging. Und
was er erzählte, war ja zum guten Teil Selbstcrlebtcs; tua res
agitur! hieß es, wenn irgend einmal, so hier. Er selbst meinte
mit Hecht, rann sollte dieser Arbeit „ein wenig Herz und 'in
wenig Kunst Uttpflno." Glück freilich hat er mit dorn
kleinen feinen Büchlein nicht gehabt. Es war bestimmt,
Htr »iifl Ab Politiker.
M9
ihm durch alle Stadien, das Niederschreiben ausgenommen, Ver-
druß 7.11 m.ichon. Schon jene Angst der Familie — „«in
Bandwurm weiblicher Rücksichten und Vorurteile" — vrr-
larb ibra, wenn mcht die Stimmung wahrend des Schreibens,
so doch dio volle Freude am fortig Geschriebenen. Mfl
Schwierigkeit, einen Verleger dafOr EU linden — Bnssermnnn
io Mannheim übernahm es endheh — . ließ ihn den iolmn
Mißerfolg voraussehen; und nachher konnte er mit Goethe
in:
Mein Lied ertönt der unbekannten Menge.
nahm ea kalt und gleichgültig auf. Noch zitierte die
itischc Krregung in den Gemütern nach, hier nber handelte
es sich in der ersten größeren Hälfte nicht um Politisches,
sondern mn etwas ganz Scitabliegendcs, um Weltansohau-
ungsprobleme und um dir sogenannte ..Pfarrersfrage".
Wer interessierte sich 1849 und 1850 dafür ? Die Welt schickte
«ich an, materiell und materialistisch zugleich zu werden,
und hier bekam mnn ein Stürk weltverlorenen Idealismus;
aber war seit dem Beginn der Beaktion direkt verpönt,
nicht zu sagen: geradezu verdachtig. Und ein Buch
von Strauß, diesem theologischen Revolutionär! Daß er
politisch konservativ, d. h. nicht republikanisch oder demo-
kratisch, sondern gemäßigt liberal war, das war vergessen;
in der Zeit der Kirchentage und der inneren Mission kannte
man ihn nur wieder als den Verfasser des Lebens Jesu, und
war ein revolutionäres Buch gewesen: von Revolutio-
närem aber wollte das verängstigte deutsche Volk in dieser
schlimmen Reaktionszeit überhaupt nichts mehr hören oder
lesen; und so ließ es auch den „Christian Marklin" ungo-
Dic Kritiker aber wußten ohnedies nichts mit dem
Buche anzufangen. Die politisch Radikalen ärgerten sich
Ober das „schonungslose Gemälde, das er darin von dem
Treiben einer hirnlosen Demokratie nm Wohnort des Ver-
storbenen entwürfen." Rieh! wußte in der Allgemeinen
Zeitung nur daraus zu entnehmen, „was bei der wftrMonv
TV Suricr. n. fr 9»mS, IL U
471'
.Siebenl» Kapital.
bergischen Klostererziehung herauskomme"; und L. Steob,
ein Mönchner Literat, mit dem Strauß persönlich verkehrt
und dem er das Büchlein selbst geschenkt hatte, «chxieb
ähnlich so eine Rezension des Inhalts : ..Die Beschreibung,
die hier oin württombergischer Magister von dem Leben
eines anderen württembergischen Magisters gebe, habe für
solche, die nicht württenibergLSche Magister seien, viel
Ergötzliche*."
Das konnte freilich nur in München — „beim Bier-
glas* 1 — passieren, meint Strauß; und so verleidete ihm
diese« törichte Gerede aus seinem Umgang&kmis heraus
diesen und damit den Aufenthalt in München Oberhaupt,
an dem er im ersten Augenblick wirkliches Gefallen und
Behagen gefunden hatte. Hier fand sein wunde» Gemüt
Trost bei der Kunst, zunächst in Theater und Konzert. Wir
kennen ja seit seiner Freundschaft mit Vatke sein Verhältnis
zu Mozart und Beethoven, seine Liebe zur Musik hatte sogar
die Brücke geschlagen zu seinem Sich Vorlieben in „die
schone Sängerin'*; aber sie erwies sich stark genug,
um das Persönliche daran zu überdauern. Die musikali-
schen Sonette im poetischen Gedenkbuch stammen aus der
Münchner Zeit, sie sollten während des Karnevals, „wo
in den Sfilen die Konzerte schweigen", eine Art Ersatz
schaffen, durch sie „wollte er die Muse zu sich herbeschworen,
daß sie mit ihm im stillen musiziere". Und neben die Musik
treten in München ganz von selbst auch die bildenden Künste,
neben die musikalischen Sonette die Epigramme aus der
Glyptothek. Der Sinn dafür war ihm spät, zuerst wohl durch
seinen Freund Vischer und dossen Reisebriefe aus Italien, dann
durch die Sammlungen in Stuttgart erschlossen worden.
Jetzt kam er auch zu diesen Künsten in ein näheres
Verhältnis. Dabei ist für den neuhumanislisch Gebildeten,
der „mit seinem Schönheitssinn im altgriechischen Stil
wurzelte", bezeichnend, daß ihn die Antikensammlung
der Glyptothek vor allem anzog und entzückte; und —
Strauß als Politiker
471
„wer sich am Alten gelabt, trinkt nicht vom Neuen so-
gleich*'. Noch kehrte er von Rubens rasch wieder zu den
farblos unsinnlichon Marmorbildern zurück. Was ihm diese
Kunstwerke bedeuteten, das sagt er uns in dem ,,Ktnlnß"
heischenden Epigramm am besten selber:
Götter und Göttinnen ihr, ehrwürdige, Helden und Kaiser.
Laßt In den heiligen Kaum, den ihr bewohnet, mich ein.
Fremd und gedruckt empfind' ich mtch unter den lebenden Menschern
Marmorne Schatten, bei euch fohl' ich mich wohl und daheim.
Aber auch Menschen fand er in München, nicht bloß
solche» mit denen er die Abende am Stammtisch beim köst-
lichen Münchner Bier — wenn es einmal schlecht ist, klagt
er beweglich darüber — verkneipen und verplaudern konnte,
sondern auch solche, denen er sich naher anschließen
mochte. So vor allem den Orientalisten und Historiker
Neurnann, damals Professor in München'), mit dem er viel
spazieren ging und in dessen Familie er auch gerne den
Abend verbrachte. Dessen politischer Radikalismus, soin
,,furor demoeraticus", reizte ihn freilich zuweilen so, daß er
sich ein paar Tage von ihm fernhielt; über den „M&rklin**
wäre es auch mit ihm beinahe zum Bruch gekommen. Aber
der scharfe jüdische Verstand des Mannes war ihm zum
Disputieren und Debattieren unentbehrlich; daß sein Geist
nicht einrostete* verdanke er, meint er, dem Umgang mit
ihm. Und auch mit der gebildeten Hausfrau verkehrte
er gerne, abends lasen sich die drei wohl zusammen
vor; auch zum Weihnachtsabend war er dort; und dabei
bot ihm das kleine Tochterchen Neumanns einen wehmütigen
Ersatz für die eigenen Kinder, die noch immer fern von
ihm in Stuttgart bei der Mutter waren. Von ihnen bekam
er Nachrichten und Grüße durch die getreue Emilie Sigel,
l J Karl Friedrich Neumann wurde wie Reyscher in Tübingen
ein Opfer der Reaktion und 1852 als tu liberal seiner Professur
enthoben; seit 1863 lehte «r in Berlin, wo ihn StrauU wieder traf.
31«
472
Siebentes K»piteL
mit dor er eben deshalb wieder in Korrespondenz gekommen
war. Und eine große Freude war es, als dann die Kinder
nBwt auf vier Wochen tu ihm naeh München kamen. Fritz
beknm dir Mn.tern und mußte gepflegt werden, mit Georgine
lernte er eifrig, da er fand, daß sie im Stuttgarter Katha-
rinrnstift, dieser „AtTenansUlt", nicht sonderlich gefGrdi n
war. Beim Gehen der beiden ist dann neine Stimmung
freilich zwischen Weinen und Knirschen. Es war doch nur
, -i r* Haben gewesen, als hatte man nicht*'. Lind wenn
gar noch plötzlich die Mutter in München auftauchte
und unter dein Schein von Wiederannäherungsversuchen
den Frieden seines Hauses stfirto, so floh er an den SUirn-
berger See. hinaus in den Frieden der Natur, von der er
aus seinem Faust wußte:
Oh er heilig, ob er höse.
Jammert sio der UnglUcksmaiin.
Aber alles das half nichts. Er war, wenn er sich auch
gelegentlich aufraffte und zusammennahm, unheilbar wi
stimmt, „wie ein Sophn, an dem die Federn lahm sind";
für sein eigenes Leben „konnte er keinen Boden, keine Luft,
keine Sonne mehr finden"; „mir ist alles genommen- .
„Wenn wir noch Klöster hatten", seufzte der, den die
Welt für einen Antichristen und einen kühlen Verstandes-
menschen erklärt hatte; und mehr als einmal entringt
sich ihm der Jnmmcxlaut: „Ich wollt', ich lag 1 untw
der Erde." In solcher Stimmung, die freilich „unter
Null" war, halfen dann mich Reisen nicht*. In Kissingen,
wo er 1849 und 1850 mit dem kranken Bruder zusammen-
traf, „hat er niemand zum Schwärmen"; mit einer Jüdin,
die ihm gefüllt, „tlndcl er nicht den Rank anzubandeln";
von Landaleulen, die er dort trifft, schreibt er: „so skloviaeli
und borniert würltembergische Naturen sind mir im Ausland
zuwider." Resser heha^le ihm Weimar. — darüber werden
wir bald mehr hören. Auch an Rom dachte er; sein Volter
Uuofl sollte ihn dorthin begleiten. Aber da dieser nicht
Siran Ö »U Pohlik-r.
473
daxu xu bewegen war. begnügte er sich mit Venedig Diese
Reise zu Anfang des Jahres 1861 war doch nicht so firgebmft-
los, wir *s gelegentlich aus Briefliußerungen hcrausklingt.
Da hören wir froihch, Venedig mache ihm wenig Vergnügen:
Jkaia Wein, kein Wasser, keine Gesellschaft"; auch vermint
er menschlich lebendige Schönheit. Nur die Berührung mit
italienischer Kunst will er als Gewinn gölten lassen: eifrig
staffiert er sio, legt sich historische Tabellen an und resümiert
sich endlich dahin: „Tizian bewundere ich, Veroncso achte
ich hoch. Oellini liebe ich innig." Aus Wien, wo er Laube
aufsuchte, vertreiben ihn die Wanzen; in Dresden hat er
durch die Galerie glückliche Stunden; aber von Gutzkow,
vor dessen „Rittern vom Geist" er Respekt hat. und von
Berthold Auerbach, einem seiner einstigen Zuhörer in Tü-
bingen, findet er: „Der Literat in allen diesen Menschen ist
eitel, neidisch, klatschsüchtig.* 1
Für Ernilio Sigel hat er ein förmliches Tagebuch über
diese Reise geschrieben, und dieses lautet nun aus den
Eindrücken des Augenblick? heraus doch anders, als solche
verstimmten Äußerungen. Ich füge es hior im Wortlaut ein.
Verona, den 8. April lool.
Mein Versprochen, Ihnen womöglich schon von der
Reise aus tu schreiben, war im stillen so gemeint, daß ich
dies tun würde, wenn es mir gut gehe. Und da dies bis jetzt
mehr, als ich hoffen konnte, der Fall war. so will ich dem
freundlichen Schicksal, das es so fügte, meinen Dank dadurch
abstatten, daß ich Ihnen enöhle, wie artig es gegen mich
gewesen ist. Ich schreibe dies, nachdem ich von einem
Gang* nach Hause gekommen, auf dem ich das obon abge-
iildete Denkmal KAmi.nrhcr Grflßo ') mit Andacht in Augen-
lein genommen, in einer Abendstimmung, so still glücklich
wie ich lange keine mehr gehabt habe. Und diese» Glück
') Das Amphithealor tu Veroon
474
SetoftU» K.piut
rührt eben daher, daß das Schicksal, oder wie wir das Höhere,
Aber uns Waltende nennen wollen, mir bis jetzt so freundbnh
gezeigt hat, daß ihm doch noch etwa* an mir liegt.
Gleich anfangs hat es auch ganz wie »ein Kind behandelt,
mir einen Gefallen getan, von dem es selbst am besten wußte.,
dsß er nn sich nichts wert war, aber doch auf mich viel Ein*
druck machen wurde.
Hin Hauptzweifel nämlich, der mich Ober die Route,
£■ ich nehmen wollte, amtrieb, war der, ob ich auf dem Weg
nach Verona ron der Straße abgeben und den Gardaaee
besuchen sollte, wohin mich die gerühmte Schönheit seiner
Ufer lockte, aber der Mangel einer Postrerfcindung usw.
abschreckte.
Wie ich nun in den Eilwagen steige, trelT* ( < i, ,la «inen
Sekretär des Königs ron Bayern, der zu diesem — an den
Gardasee reist.
Ein gutherziger Reisegefährte, wie diese Bayern, selbst
die Hofleute sind, war gefunden, und so war mein Entschluß,
diesen See zu besuchen, gefaßt.
Reise — Schnee und wieder Schnee, schon zwischen
München und dem Starnberger See;
Schamill, die Grenze zwischen Österreich und Bayern,
tief verschneit, ein Bube von drei Jahren (os ist eine einsame
Zollstation) strampft mit Wonne im frischgefallenen Seh;
und sein Hund, gleichfalls extravergnügt, steigt ihm mit
den VordnrfüUon von hinten auf die Achseln. Inzwischen
und während unsere Passe visiert werden, stellt sich der
Postillon kältehalber an einer Mauer wie ein Spalierbaum
in dje Sonne. Immer mehr Schnee und Frost, wobei der
Sekretär, auch für mich, für Heu und Teppiche sorgt. Selbst
nachdem der Brenner, der höchste Gebirgspaß, passiert ist,
will die Kalte kaum abnehmen. Ich fiußere gegen den
SekretAr die Vermutung, dnü am Ende alles, was muri von
der milden Luft Italiens erzählt, Märchen sein möchten,
und mache mit ihm aus, wer den andern zuerst mit Grund
3lr»UÖ als Politiker.
476
auf milde italienisch? Luft aufmerksam mache, dem müsse
der andere eine Flasche vom besten Welschtiroler Wein
auftischen. In Trient trafen wir mit einem Passagier zu-
sammen, der meine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, und
so gewann mirdergefl. (?verfl?) Sekretär die Wette ab, denn
nunhattesioh wirklich eine recht liebliche Frühlingsluft einge-
schlichen. Jener Passagier wor ein alter Karthäuser Mönch,
der, aus der Schweiz durch den Umschwung des Freischaron-
kriegs vertrieben, sich nun in die Karthause bei Pavia zurück-
zuziehen gedachte. Die kindliche Einfalt des allen Manues
rührte mich, und ich wäre imstande gewesen, hätte ich nicht
das Sonderbare gefürchtet, ihn um seinen Segen zu bitten.
Im Wagen betete erlange, lange aus seinem Brevier, nachdem
er zuvor gefragt hatte, der wievielte heute sei; er war der
Meinung, es sei der 23. (März), da doch der 7. April war.
Nachdem er aus dem Brevier gebetet, betete er aus dem
Herzen, aber darüber schlief er bald ein, und sein Hut, der
zum Wagen hinausstürzen wollte, wurde nur durch mich
aufgefangen.
Gardasee — hundekalt, grauer Himmel, die Wolken in
halber Höhe der umgebenden Berge. Demokratisches Wetter,
denn der Kerne von Bayern ist auf dem Schill, der es gewiß
besser gewünscht hätte. Seinon Kammerdiener lerne ich
bewundern. Ein alter, grauer Mann, aber jeder Schritt
wie vom Tanzmeister, keinen Zahn mehr im Mund, aber
dooh eine gewisse Grazie im Gesicht. Ganz Aufmerksamkeit.!
ganz Dienstbedissenheit, aber auch in der Erniedrigung eine
gewisse Würde — Ideal eines Kammerdieners. Daß er
abfcfiB Tubus um den andern für seinen Herrn aus der Tasche
zog, hfltte KaufTmann gefreut, weil er da der aufgelegte graue
Mann aus dem Peter Schlemihl war. Die Ufer des Sees
sind zwar noch ohne frisches GrUn, außer ein wenig Gros
und Weiden, die jetzt auch bei uns grtln sind (auch blühen
die Pfirsiche wie bei uns), aber Wälder von Oliven mit ihrem
überwiuti'niden grauen und Lorbeer mit ihrem hellen GrfiD
m
fiietwnt« K»pit*L
sind zu sehen, und datwischen die PBan
und Zitronen, jetzt noch mit Brettern verdeckt wir unser«
Frühbeete. Doch das Liebste, was ich auf dem Gardaseo
Bah» war mir der Kommandant unseres Dampfschiffes,
ein österreichischer Leutnant von — 18 Jahren, «ne so
liebe Kiiabenjüngliugigestalt, wie sie mich innig rühren
können. Nachdem sein Dienst beim König vorlm v.;ir- «prach
ich ihn italienisch an und er antwortete lieb und naturlich;
bald fand sich, daß er ein Deutscher sei. obwohl in Venedig
geboren; um so faenfidlsV unterhielt ich mich mit dem
frischen unschuldigen Menschen und hatte die Genugtuung,
daß er nur beim Abschied von selbst die Hand reichte und
den Wunsch aussprach, mich auf dem Rückweg wieder zu
sehen. Ich werde dieses liebenswürdige Menschenbild nie
vergessen.
Verona. Zufällige Empfehlung bringt mich in das
Gasthaus, wo ich dies schreibe, und der Zufall unserer An-
kunftszeit an eine kleine Tafel älterer italienischer Herren,
die ich natürlich so wenig kenne, als sie mich. Meine Er-
wähnung des Amphitheaters, das ich im Hereinfahren ge-
sehen, bringt einen Diskurs auf die Bahu, in welchem diese
Herren so viel Sachkenntnis, und besonders einer so viel
Geistestiefe verraten, daß ich im Innersten erwärmt, meinem
bischen Italienisch alle Schleusen Öffne und das Glück habe,
daß die Herren aufmerksam auf mich hören und nachher
sogar mein Italienisch loben. Jenem einen gebe ich nach
Tisch meine Karte und bitte, ihn morgen besuchen zu
dürfen; es ergibt sich, er ist Professor der Geschichte an
der Universität Padua. auch die anderen lauter Professoren,
die Auslese von da, hierher berufen, um die Universität
neu ordnen zu helfen. Die Herzlichkeit, mit welcher der
Mann don Zufall begrüßt, der ihm meine Bekanntschaft
verschafft, die Wärme unserer Unterhaltung, du er auch
in politischen Dingen durchaus mit meiner Mittelstellung
zusammenstimmt, würde auch Sie erfreut haben, wie mich,
Strauß als Politiker.
477
«Irr ich nie denken konnte, in Italien Männer xu finden,
unier denen ich wie zu Hause wäre.
Am 9., morgen*.
Guten Morien, liebe Emilie; der Frohling kommt —
mit einem Landregen. Nicht gut für meinen Kirchgang
heule, weil es nämlich ein Kirchengang ist. So muß n-h ihn
oben mit dem Schirm machen und damit auch diesen Brief
auf dio Post tragen. Heute abend oder morgen früh geht's
nach Vicenza, wo ich auch ca. 1 Tag bleiben werde, dann,
OfcM Aufenthall in Padua, nach Venedig, um von da aus
einen Abstecher nach Padua zu machen, wenn meine Freunde,
die Professoren, wieder dort sein werden, welches in der
f.harwoche der Fall sein wird.
Padua. den 22. April 1851.
Aus Venedig einen Brief von mir tu erhalten, konnten
Sil' so bestimmt erwarten, eis ich im Sinne hatte, Ihnen
von du zu schreiben; und doch, nach einem 10 tagigen
Aufenthalt in Venedig, fange ich diesen Brief an Sie nicht
dort un, sondern im „goldenen Kreuz" in Padua, wohin ich
gestern einen Ausflug unternahm, um diesen Abend noch
einmal in die Lagunenstadt zurückzukehren. Denn man
wird nicht fertig mit diesem Meerwunder, immer ist noch
etwas zu sehen übrig, und je fester man sich vornimmt,
niemals mehr in dieses Labyrinth zurückzukommen, desto
weniger will man ntwas ungesehen zurücklussen. Es ist eine
unendlich merkwürdige, aber auch unendlich unbehagliche
Stadt. Und darin haben Sie auch den Grund zu suchen,
warum ich dort zu keinem Brief an Sie (sonst ohnehin an
Niemand) kam, — daß ich nämlich nicht eine einzige be-
hagliche Stunde hatte Den ganzen Tag rennt und lauft
man nach den Sehenswürdigkeiten, die, selbst wenn man
die Huuptwege in einer Gondel macht, noch genug Laufens
erfordern; dann Abends, statt sich zu einem Glas Wein zu
478
9«*««alc* K*piui
setzen. muß man, um nicht allein zu sein, abermals flfau
Stunde oder mehr auf dem Marcusplatz auf- und ablaufen,
so daß, kommt man endlich gegen 10 Uhr nachts nach
Hause, man froh ist, zu Hott gehen zu können Soll ich in
2 Worten ausdrücken, was einem Ludwigsburger Venedig
so unbehaglich macht, ho ist es 1. der Mangel un allem Grün,
und 2. die engen Gassen, wo jedes Wegfinden. ohne zu fragen,
unmöglich ißt. Bekanntlich sind die Straßen in Venedig
im Durchschnitt so schmal, daß man die Hfiuser zu beiden
Seiton mit ausgestreckten Armen erreichen kann (das Militär
marschiert beim Auf-die-YVache-zieben in Gansreihen auf),
und diln 100 Schritt wenden sie sich, man sieht auf keinen
Platz, keine Kirche, nach der man sich richten könnt«,
daher war ich 8 Tage in Venedig, ohne meine vom Marcus-
platz gar nicht weit entfernte Wohnung auch nur einmal
ungefragt finden zu können.
So weit in Päd ua. — Diesen Guten Morgen schreibe ich
in Venedig, in einem Kaffee, bei einem Glas Cyporwoin,
winnit ich mich nach 4 Kirchenbesuchen zu 4 weiteren
starke. Mein Ziel bei diesem Gange ist hauptsächlich Giovau ol
Bellini, aber ein anderer, als der Opembelhni, ein Maler
des 15. Jahrhunderts, dessen Madonnen und Christkinder
einen wie die Wahrheit und Treue selbst ansehen 1 ). Guten
Morgen, 1. Emilie, Mittwoch nach Ostern, \ , auf 12 Uhr.
Abends in meinem Zimmerchen im Gasthof zur Luna
(vor meiner Reise nach Padua wohnte ich in der Aquila d'oro,
wo mir die Aussicht zu wenig war); Aussicht in den kleinen
Garten des kaiserlichen Palais, weiterhin auf die Lagunen
und ein Stock von Venedig. Morgen gedenke ich mein
Tagwerk in Venedig zu endigen, und in der Nacht um 12 Uhr
nach Triest in See zu gehen, um den Rückweg über Wien
zu machen. Heute sah ich unter anderem in einer Kirche
') In einem Briet an ViÄcher vom 13. Mai 1851 spricht er aus-
führlicher von seiner Reise „als Kunxtrcise" (ausgew. Brief« Nr. 164).
Su-aufl ab Politiker.
479
Madonna von einem uralten Maler, der sie ul« Schutz-
herrin der Gemeinde dadurch darstellt, daß er sie eine Menge
Menschen unter ihren Mantel nehmen hißt. Do dies im
Verhältnis zur Madonnu lauter kleine Pigurchun sind, so
scheinen die Kinder diese Madonna als die ihrige zu be-
trachten, wenigstens war die Kapelle, worin das Bild sich
befindet, fast mit lauter knienden Kindern besetzt, welches
einen rührenden Eindruck machte. Von einer Freundin
habe ich heute auch noch Abschied genommen, die ich mir
schnell in Venedig erworben, ihr noch einmal die goldenen
Haare gestreichelt und die letzten Liebkosungen mit ihr
getauscht. Hoffentlich erraten Sie» daß von einer Katze
die Rede ist, die mein Herz erobert hat und gewiß auch
das Ihrige erobert haben würde, wenn Sie sie gesehen hätten.
Denken Sie sich einen alten Palast, der in ein Magazin von
verkäuflichen Raritäten, alten Gemälden, Rokokomöbeln
aus den alten Zeiten Venedigs verwandelt ist. Gegen die
Straße hat er eine Glastüre mit großen Fenstern, hinter
diesen Fenstern sitzt auf einem alten Pult bestandig ein
großer, roter Kater, der sich, wie ich hineintrat, gleich
erhob, sich von mir streicheln ließ und mich durch das ganze
Etablissement begleitete. Man erzahlte mir, der Eigentümer
der Sammlung behaupte, ihm könne nichts gestohlen werden,
ohne daß ers erfahre; ich bin geneigt, diese Katze für eine
Art von Hausgeist zu halten. Heute nun machte ich bloß
der Katze einen Besuch, und die Leute, die mich schon
kennen, ließen mich ganz unbeschrien kommen und wieder
gehen. Da ich einmal an Schonheiton bin, so sei hier bei-
läufig bemerkt, daß mich in dieser Hinsicht Venedig ganz
getauscht hat; ich habe hier lediglich nichts gesehen, das
mir ans Herz gegangen wäre, dagegen in Padua auf dem
Theater das Ideal eines Blumenmädchens (das war ihre
Rolle im Stück); sie heißt Anna de Martini (so stand's auf
dem Zettel) und schien mir höchstens 16 Jahre alt zu sein;
das Profil, das ich liebe, dadurch gemildert, daß die Nase, ob-
480
Siebentes Kapitel.
wohl nach deutschem Maßstab nicht klein, doch nach italieni-
schem eine Neigung zum Stumpfnäschen verriet; allerliebst.
Nun muß ich noch einmal auf den Marku-iplntx kommen,
diesen GescUschaflssaal unt*r freiem Himmel, von der Gröl
BtMB badtOtandflO Marktplatzes, durchaus mit Marmor-
quadern gepflastert, von 3 Seiten mit Palästen und Hallen,
auf der 4. durch die Markuskirche geschlossen, die Anfai
iliiM's Km I- iih^r|)ildel ih! {U\\ mirli d.-i wundi-rhonH
Bau Venedig», wie ein an* dem Meer aufgestiegener Nixen-
pnlast). Da goht nun also alles von 7 — 10, 11 Uhr auf und
üb, von den Gaslampen, die rings um den Platz her brennen,
beleuchtet, teils unter den Hallen, wo vor den Kaffees be-
setzte Tische und Stühle stellen, teils auf dem freien Platze
selbst; hier treffen sich Bekannte, wie ich z, B. heute den
hiesigen deutschen Arzt, dessen Bekanntschaft ich gemacht
(gottlob nicht als Patient, obwohl ich gleich anfangs durch
Erkältung einen Katarrh bekam), noch einmal zu sprechen
hoffe
Fortsetzung 8 Vi Uhr im Speisehaus Gallo bei Vi Flasche
Ofener Wein. Der Freund in Padua hielt sich treffln-h,
führte mich überall herum und nahm zärtlichen Abschied.
Er hatte mich bis zuletzt nicht für den Dr. St. gehalten;
als ee sich im Gespräch ergab, gestand er, den hatte er sich
anders vorgestellt, und nicht tanto gentile e umano, wie
er mich finde. Am meisten gelacht habe ich hier am schreck-
lichsten Ort, in den alten Kerkern Venedigs, in welche der
alte Aufseher sich amtshalber so verliebt hatte, daß er sie
als die angenehmsten Logis von der Welt darzustellen
suchte. Kinen besondern Zahn hatte er auf die Schrift-
steller, die so schreckliche Märchen (Logen, so groß wie der
St. Markusplatz, sagte er) über diese Gefängnisse ausge-
breitet haben. Die Herren Schriftsteller, sprach er mit
Nachdruck, sollen erst kommen und sehen und dann
schreiben. Übrigens hat er so unrecht nicht; diese Korker
sind besser als ihr Huf
Strauß als Politiker.
481
Gutwi Morgen, I. Kmiliet d.h. guten Abend, denn w
ist bald 5 Uhr (am 24.)-
Mein Tagewerk in Venedig ist nun getan, das Hiili i
auf das Dampfschiff gelost, mit dem ich diese Nacht nach
Triest reisen werde. Diesen Morgen war ich noch in der
Gondel in einigen Kuchen am äußersten Saunin Venedigs,
die ich bis dahin noch nicht besucht hatte, aber nicht un-
besucht lassen wollte, weil sie Bilder meines teuren Belli m
enthalten. Bei der Gelegenheit kam ich durch mehrere der
abgelegenen Quartiere der Stadt, wo man deren traurigen
Verfall recht sehen kann. Die Hauser, mm Teil ehemalige
Palaste, sind mehr als nur halbe Kuinen, ganzen Stock-
werken fehlen oft die Fenster; einen Balkon sah ich. dessen
Kinfassung herabgefallen und durch einen herumgespannten
Strick ersetzt war. Vor den 2 Säulen, die Sie hier oben sehen,
steht das Dampfschiff, mit dem ich abfahren werde.
Zum Wappentier sollte sich Venedig eigentlich den
Taschenkrebs gewählt haben, wie einensolcheneinegriechis- In;
Stadt Siciliens wirklich auf ihren Münzen führte, während
Venedig vornehmer sich den geflügelten Löwen des heiligen
Markus erkoren bat. Das eigentliche, lebendige Sladtt.u-r
aber ist hier, wie gesagt, der Taschrnkrehs. Fahrt man durch
die Kanäle der Stadt, deren Häuser bekanntlich ins Wasser
selbst hiueingebaut sind, so sitzt unten an den Mauern,
wo das Wasser sie bespült, alles so voll von Taachenkrebsen,
wie bei uns zu gewissen Zeiten die Fenster mit Fliegen.
Auch die Jugend, wie sie bei uns einen Maikäfer um Faden
fliegen läÜt, so sah ich gleich in den erstell Tagen ein (»mir
Jungen, die einen armen Taschenkrebs am Faden durch die
Straßen zogen.
Der Morgen war hier sehr heiß und hell, jetzt iat'w Ü
wenig weiß überlaufen und windig, doch das ist der taplirh«-
Wechsel schon seit mehr als 8 Tagen, und immer sieht man
um 10 Uhr wieder die Sterne, und in der Frühe geht die
Sonne wieder heiter auf. Und so, hoffe ich, soll mieh d;i*
482
Siebente» Kiii'ttrl.
Schill ohne Seekrankheit m die deutsche Heimat zurück-
tragen, die zwar in Tricat noch nicht recht anfängt, doch
werde ich, nur nach wenigen Stunden Aufenthalt, von da
weiter nach Wien gehen, wohin man den größten Teil des
W.-"r . rttnii KiMi'fihntiiirii lütt lll Wi'Ti /i''lniM. i- ; i !il.'i':iill
elwn eine Woche zu bleiben, um nach 4 wöchentlicher
Abwesenheit in meine Stiefheiraat München zurückzukehren.
Denn die wahre werde ich wohl mein Leben lang nicht mohi
erreichen, und gebe mich schon darein, ich, der reise-
uidustigste aller Menschen, zum beständigen Flüchtling
und Pilgrim bestimmt zu sein.
Von Wien aus erhalten Sie noch einen Brief von mir;
jetzt will ich diesen zu befördern suchen; ich sorge mim i .
trotz der Osterreichischen Frankokorten, wovon mir der
PofttnekrctAr in Verona sagte, damit sei der Brief frei bis
ans Ende der Welt, — müssen Sie doch noch etwas dafür
zahlen.
Dresden, den 4. Mai 1851-
( Heller Sonnlagraorgen.)
Sie werden sich wundern, teuerste Kmilie, daß meine
Reisebriefe Wien überschlagen, wo Sie sich, wie ich selbst,
gleichfalls einen längeren Aufenthalt gedacht haben werden,
und daß Sie nun gar einen von Dresden aus erhalten, wohin
ich eigentlich gar nicht im Sinne hatte, meine Reise aus*
zudehnen. Allein das Schicksal verfahrt mit Ihrem Freunde
nach einer unerbittlich strengen Regel: alles Geistige, alles,
was mit seiner literarischen Stellung zusammenhangt,
gewahrt es ihm vollauf; sein bloßer Name genügt, daß an
jedem Orte die gebildetsten, besten Menschen sich boeidni
ihm Dienste zu leisten; eine Fülle von neuen Kunstnnsohnu-
ungen und Ideen strömt ihm zu. ein Schatz, an dem er den
ganzen Rest seines Lebens hindurch zu zehren haben wird: —
aber alles behagliche Glück anderer Menschenkinder, woran
auch er seinen Teil haben möchte, das versagt ihm sein
Schicksal mit eiserner, ja höhnischer Folgerichtigkeit. So
Strauß als Politiker.
483
mußten ihn aus Wien, wo er nach den Mühseligkeiten de»
fremdartigen Venedigs ein« Woche voll Behagens sich ver-
sprochen hatte, — sobald das Nötigste gesehen und ein
paar literarische Bekanntschaften gemacht waren, nach
4 Tagen diö Wanzen wörtlich hinausbeißen (es war nämlich
durch einen merkwürdigen Unstern Wien gerade so voll
von Fremden, daß in einem wanzenfreien, d.h. neuen Gast-
hof an kein Unterkommen zu denken war), und nur, um
nicht mit diesem Verdruß nach Hause zu kommen, auch
weil ich nach so vielem Rciseungemach zweifeln mußte,
ob ich so bald wieder zu einer Reise kommen würde, ent-
schloß ich mich, den Besuch Dresdens, den ich eigentlich
für den Herbst bestimmt hatte, gleich an die jetzige Reise
anzuhängen.
Es ist dies auch ganz gut so, wie ich nun sehe, da der
Kreis malerischer Anschauungen, in dem ich mich auf der
ganzen Reise bewege, in der hiesigen Galehe seinen würdigsten
Abschluß findet. Dieser Galerie wohne ich gegenüber, im
Hotel de Saxo, an dem Neumarkt, und bin nun hier zum
erstenmal auch mit der Wohnung zufrieden. Die Galerie
und ihre Gemälde kann ich Ihnen nicht schildern wollen,
ebensowenig die Aussicht von der Elbebrücke oder der
Brühlscheu Terrasse (und so wenig ich der nur einmal auf
der Welt vorhandenen Aussicht vom Markusturm in Venedig
in meinem früheren Briefe gedacht habe); nur so viel, daß
mich das Studium jener Kunstwerke beglückt, so sehr,
daß ich bis jetzt nicht einmal eine literarisohe Bekannt-
schaft zu machen gesucht habe, welches ich jedoch
heute tun und dem Dichter Gutzkow einen Besuch
machen werde.
Auf dieser ganzen letzten Strecke meiner Reise bin ich
durch die Heimat meiner Frau gezogen: sie ist in Wien
geboren, in Theresienstadt in Böhmen aufgewachsen und
hier in Dresden musikalisch gebildet worden; besonders
der Anblick von Theresienstadt stimmte mich weich, und
UM
SStbcot« Kapitel.
ich gab ihm meinen Segen für alle« Gut? und Böse, du leb
dato empfsogen.
Untcr dem Guten verstehe ich besonders die Kinder;
sie sind doch gesund geblieben, und ich darf bei mi >
Rückkehr nicht vor tibcln Nachrichten hange «ein?
Mittags hall) zwei. — Soeben komme ich vom Besuch
bei GuUkow zurück, der mich nach Tisch <hier speist man
um 2 Uhr) mit »einer Familie ru einer Landpartie in den
Plauenachen Grund abholen wird. Der treffliche Mann
dachte schon an eine Gesellschaft aller mOgUobtn I
lebenden Schriftsteller und Künstler, die er meinetwegen
zusammenrufen wolle, bis ich ihm bedeutete, daß mir der
i-ir/-l>' Kni. di-r lirhMe, iümI <<* mir mir um wenig»-, I
mlche Bekanntschaften zu tun sei. die geeignet sind
Herzen fortzuleben. Aul den Abend ist Don Juan, und an
scheinen dio bisherigen musikalischen Leiden 1 ) dieser molner
Heise einmal einer musikalischen Freude Platz machen zu
wollen. Die Sachsen sind ein freundliches, zutrauli«
Volkchen. In einem Gartonkonzert auf der RrflhUchen
Terrasse fragte mich gestern eine alte Dame nach der Uhr,
und ich gab ihr mit Vergnügen Auskunft. Aber die Gute
glaubte mir auch den Grund schuldig zu sein, warum rfe
fragte; wir erwarten, setzte sie hinzu, zwei junge Manschen,
Lehrlinge in der Salomonsupolheke. die um 7 Uhr zu kommen
versprochen haben. Da es ^8 Uhr vorbei war, so wollte
die Dame schon die Hoffnung aufgeben; doch beruhigte
ich sie durch die Bemerkung, daß sie vielleicht durch Ge-
schäfte über die Zeit aufgehalten worden seien, und snh.
dn. indem wir noch redeten, kamen die 2 Lehrlinge in der
Salomonsapotheke zur Türe des Gartensaal* herein.
Am 5., geschwind noch vorTisch: Für einen Vater, der QU)
Töchlerehen hat, gibt es nichts Rührendere* als ein Bild, das
ir, den t<»ri ihm l.rxm-htmi Oalenen häufig wiederkehrt : Man..
») Über seine musikalitehen Leid»n und Freuden tnl der I:
•, den Brief un Kau Umarm. AiMg. Kr. Nr. 263.
Strauß ab Politiker.
485
als kleines M&dchen. wie sie sich dem Tempeldienntc widmet.
Vor dem Tempel eine hohe Treppe, oben der Hohepriester
wartend, die Treppen steigt das blondo Mädchen mit einem
Lichtlein in der Hand hinauf, ringsum Volk, da» auf da*
Kind hinsieht. GutenTag.l. Emiliejch werde zuTischgerufeu.
Nach Tisch. — Gestern nachmittag machte ich also
die Lundpurtiu mit Gutzkow, Auerbach und deren Frauen;
die Gegend ist wirklich recht hübsch; kaum V t Stunde von
der Stadt hat man die romantischsten Berg- und Folspartien.
(Jod alles uuf Weg und Siegen voll Menschen, d. h. spazieren-
gehenden Dresdenern. Was anderer Leute Frauen bethlTt,
so habe ich mir zwar seil meinen eigenen Unfällen zum
11. Gebot gemacht: „Du sollst nicht richten über deines
Nächsten Weib, noch sein Kind, — Knecht. — Magd, —
Ochsen, — Esel etc.", doch weil Loben nicht zum Kichten
gehört, su darf ich von Gutzkows junger Frau (er ist seit
einem Jahr zum zweitenmal verheiratet) sagen, daß sie eines
der lieblichsten Geschöpfe ist, die mir jemals vorgekommen.
Sie ist eine Frankfurterin, durchaus frisch und naiv und
doch von den gewandtesten Formen.
Den 6., Morgens 9 Uhr, in Erwartung eines Malers, dfif
mich in die Galerie abholen soll. Nun, liebste Emilie, fängt
mir sogar das Behagen zu kommen an, aber nun muß auch
geschieden sein, — morgen, längstens übermorgen reise ich,
und zwar ohne Unterbrechung, nach Huuse. Eben die Be-
kanntschaften, die man an einem solchen Orte macht und
die uns don Aufenthalt verschönern, sind es auch, die
einen wieder forttreiben: sie opfern einem ihre Zeit, und
so würde man ihnen in die Länge lästig. Nun erwarte ich
sobald als möglich einen Brief von Ihnen zu erhalten; wenn
Sie bruv waren, so haben Sie unterdessen bisweilen eine Zeile
für mich aufgeschrieben, die Sie nun gleich abschicken können,
— und doch bin ich wahrsc heinlich immer noch vor Ihrem
Briefe zu Haus, der übrigens, wenn er vorher kommt, mir
wohl aufgehoben wird.
n» z.*(i- r. n fr, himho. IL 3t
486
Siebentes Kapitel.
Guten Morgen für heilte; »patnr noch eine Zeüe, wenn
ich don Brief abgehen Ihm*.».
y z 2 Uhr. Von einem Gang durch die Gemäldegalerie
in Begleitung eines Malers und durch die Antiken galeric
in Begleitung des Direktors zurückgekehrt, mache ich diesen
Brief zum Abgang fertig."
Wie er aber dann nach Hause kam, da war trotz solch- r
großen und beglückenden Eindrücke die Verstimmung, der
er durch die Reise hatte entrinnen wollen, wieder da: wie er
sie mit hinnusgenommen, so hat er sie auch wieder narh
Hause zurückgebracht. Die Wunden waren eben noch zu neu.
Ein kleines Nachspiel dieser Reise war mehr lustig ala
ärgerlich. Aus Wien hntten ihn, wie er schreibt, schon nach
vier Tagen die Wanzen vertrieben. In die Presse aber kam
die Nachricht, seine rasche Abreise sei keine freiwillige ge-
wesen, er sei von der k. k. Osterreichischen Polizei aus Wien
ausgewiesen worden. Daß das die demokratische Presse seiner
Heimat hämisch glossierte, hat ihn nur in seinem Urteil
Ober sie bestärkt.
Da kommt plötzlich ein Neues in sein Leben. Im Herbst
1851 mußte die Mutter den nunmehr sechsjährigen Sohn
dem Vater herausgeben: das war Gerichtsbeschluß. Aber
sie fügte freiwillig auch gleich die Tochter hinzu. Was sie
dazu bewogen hat, weiß ich nicht. Ich kann mich des Ver-
dachtes nicht erwehren, daß sie es satt hatte, Mutter zu
spielen. Bis dahin hatte sie wohl noch gehofft, durch die
Kinder zur Wiedervereinigung mit dem Vater zu gelangen.
Diese Hoffnung gibt sie jetzt auf, und damit verloren die
Kinder für sie an Interesse und Wert. Aber wie gesagt, das ist
mein ganz persönlicher Eindruck, mit dem ich ihr vielleicht
unrecht tue. Kür Strauß aber war damit das Leben ,,| la
Bohemienne", das so gar nicht iu ihm gepaßt hatte, zu Ende.
Er mußt« wieder einen Haushalt führen, und als Ort dafür
wfihlte er Weimar, wo es ihm zwei Jahre vorher bei kürzerem
Aufenthalt wohl gefallen hatte.
Strauß als Politik**
ftffl
Aber ehe wir ihn dahin begleiten, zuvor noch die Frage:
was tat er denn in all der Zeit? Was arbeitete er? Und
warum sucht», warum fand er nicht in d«r Arbeit das All-
heilmittel, das ihm alles andere, Kunst, Nnturund Menschen.
versagte? Von einer seiner Arbeiten haben wir ja eben
gesprochen, von seinem „Christian Mfirklin". Und wirk-
lich: Strauß war inzwischen wieder etwas geworden —
Biograph. Doch das ist ein weitschichtiges Kapitel, das
uns zuerst noch einmal in die vierziger odor gar in di»
dreißiger Jahre zurück und dann mit einem Ruck weit
hinaus bis gegen die sechziger Jahre hin führen wird,
Davon muß im Zusammenhang die Rede sein.
32*
>chtes Kapitel.
Strauß als Biograph.
Wie Strauß zum Biographen wurde ? Ich denke, das
ist leicht tu verstehen. Das Leben Jesu war freilich kein«
Biographie, aber doch die Vorarbeit zu einer solchen, wobei
ni'-iilH (tiir.iul iinki'Niii.t, uli iliiJi Hi-Miltat läii-si'i '. n .■u-h.-n
ein positives oder ein negatives war. Biographien schreiben,
entsprach aber auch der Natur von Strauß, wie er sie uns
selbst öftere, z. B. in dem oben mitgeteilten Brief an Viecher,
analysiert hat. Einen ,, künstlerischen Wissenschafter* 1
hat er sich da genannt, die Biographie aber ist das Werk
eines solchen, zu ihr braucht ee der Arbeit de* Wissenschafters
und der Gestaltungskraft des Künstlers. Wenn sich also
Strauß richtig charakterisiert hat, so war das sein Fall und
sein Feld, biographische Werke mußten ihm besondere liegen
und gelingen. Das hat er schon frühe selbst gefohlt
und ja deshalb 1842 an Vischer geschrieben: „Weißt
Du mir keinen Helden für eine Biographie? So was wflrde
mir nicht übel passen jetzt zu schreiben."
Auf die wissenschaftliche Vorarbeit im Leben Jesu war
fntiii'ii ;iis ileMB L't'iiiniM uuii roo Anfang an geplante Fort«
Setzung wieder ein wissenschaftliches Hauptwerk „Die chrisl-
hchuGlaubunslehre" gefolgt. Es konnte aber auch eine künst-
lerische Biographie Jesu folgen, wie er es im zweiten Leben
Jesu mit einer solchen wenigstens versucht hat. Allein noch
früher, schon in den dreißiger Jahren, halte er, neben
dl kritischen Aufsätzen „Zur Wissenschaft der Nachtseite
Strauß als Biograph.
489
der Natur" in den Charakteristiken und Kritiken, in den
Haitischen Jahrbüchern von 1838 die biographische Skizze
von Justinus Knrnor erscheinen lassen, worin dm Goisl |
seher, der Dichter und der Mensch gleich sehr zu seinem
Rechte kommt, und der nicht nur als Beitrag zur geistigen
Entwicklung von Strauß interessiert, sondern mich deswegen
so anmutig und erfreulich zu lesen ist, weil sie uns Kämet
und seine Freundschaft mit Strauß gewissermaßen „noch
in frischer Morgenbelouchtung zeigt" l ). Daß sie neben
dem Aufsatz „Über Vergängliches und Bleibendes im Christen-
tum" den Friedlichen Blättern einverleibt wurde, gab ihr
überdies eine Art von symbolischer Bedeutung. Wenn
Strauß mit diesem Mystiker Freund sein und über alles
Trennende hinweg sein Freund bleiben könnt«, so deutet
er damit auf die romantische Ecke in seinem eigenen Gemüt
hin und spricht aus, daß es wohl auch andere fromme Mystiker
und Wunderglaubige mit ihm wagen konnten. Daß sie ee
dennoch nicht mit ihm gewagt haben, war nicht seine
Schuld.
Den Freund der Welt zu zeigen, wie er war, und »ich
zugleich mit dem ho ganz anders Gearteten und Geriehteten
innerlich auseinanderzusetzen, war der Zweck dieses Auf-
satzes. Um einen Freund und einen von ihm nicht weniger ver-
schiedenen Menschen handelte es sich auch neun Jahre spater
in dem Nekrolog auf Ludwig Bauer. Dieser ist einer der
weniger bekannten schwäbischen Dichter, der hinter Waib-
linger und vollends hinter Mörike, in deren Kreis er hinein-
gehort, weit zurücktritt. Als er 1847 starb, benützte Strauß,
der in Tübingen und spater in Stuttgart gern und viel mit
ihm verkehrt hatte, das Erscheinen einer von Freunden
herausgegebenen Auswahl Bauerecher Schriften als Gelegen-
heit, um ihm in einem feinen kleinen Essay ein lieben*-
Om
l ) Ausdruck von Ed. Zell or im Vorwort zum orsten Band der
(ftvurnmHten Schriften von Strauß, S. VI
4«0
Acht« Kapitel.
würdiges biographisch»** Denkmal zu setzen, wie es der
liebenswflrdtgeti Gestalt des Freundes entsprach. Weil
er aber Dauer bei weitem nicht so nahe stand ww Marklin.
war es kein so unmittelbarer HerzenserguB wie das Bild, das er
von diesem entwarf, sondern wirklich ein kleines Kunst-
werk, dem aber das Persönliche doch die nötige Warme
gab; nur war os nicht dii> Warme dos Schmerzes über den
Verlust, sondern die Freude, einem so guten Gesellen im
Leben begegnet und eine Strecke weit mit ihm gewandert
zu sein. Denn das war Bauer, eine Nolur im Sinn jener
Klassifizierung der Menschen in Köpfe. Charaktere und
Naturen, deren Art durch das Aufgehen im unmittelbaren
Sein und Sichgobon charakterisiert ist. Ihrer Empfänglich-
keit und Erregbarkeit fehlt die Widerstandskraft gegen
den dußeren Eindruck; aber dieser Mangel wurde bei Bauer
ersetzt durch tue maßvolle Schönheit, die er seiner Griechen
Begeisterung und neuhumanistischen Bildung verdankt«.
Wer ihm im geselligen Kreis gegenübersaß, der mußt« ge-
stehen, daß es einen liebenswürdigeren Gesellschafter nicht
geben könne; und um so mehr war er das, je anspruchs-
loser und absichtsloser er war. Er ließ sich einfach gehen, er
brauchte nicht zu pumpen, da es ihm von selber lloß und
dieser natürliche Fluß des Humors seiner Anspruchslosigkeit
genügte. ,.Es war ihm wohl, und so wurde es auch denen
wohl, die ihn sprechen hörten und trinken sahen". So war
es auch Strauß bei ihm wohl geworden. Was ihm aber vor
allem an dieser „Natur* 1 gefiel und imponierte, das war,
daß liier auch einmal der Mensch nicht, lunter drin Schrift-
uti-lliT und dii^er hinter seinem Buch verschwand: an Hirnen
Normalzustand uns zu erinnern, wo der Mann und sein
lebendiges Tun und Heden noch alles war, dazu int ein Mensch
wio Ludwig Bauer in unser papiernes, tintenkleoksenrie*
Sakulum hercingestellt; daher der erquickende, herzerhebende
Eindruck, den er überall macht«, wie die Luft, die aus dem
Walde auf das sonnverbrannte Blachfeld herüberweht. In
Strauß als Biograph.
491
alledem ähnolt Bauer Schubart, nur daß dieser eine vulka-
nische, Bauer mehr eine neptunische Natur war und sein
am Griechentum gebildeter Schönheitssinn ihn vor Ver-
irrungen schutzin, gegen die Sohubfirt eine ahnliche Schutz-
wehr nicht besaß.
So stellt*? Strauß den Freund — in Ähnlichkeit und
Gegensatz — immer wieder mit Schubart zusammen. Natür-
lich; denn als erden Aufsatz Über ihn achrieb, war eine andere,
seine ersto große Biographie eben ihrer Vollendung nahe.
Es war , .Christian Friedrich Daniel Schubarü» Leben in
seinen Briefen"
Äußerlich gab ihm den Anstoß zur Sammlung, Bear-
beitung und Herausgabe dieser Briefe sein Freund Vischer,
der 110 Stücken Schuhartiana auf die Spur gekommen war,
die aus der Familie des Dichters Fr. Haug 1 ) stammten. Er
dachte daran, sie herauszugeben; aber die Arbeit an der Ästhe-
tik hinderte Um an der Ausführung des Planes, und überdies
— er wollte Strauß um jeden Preis wieder an die Arbeit
heranbringen, als sich in den unglückseligen vierziger Jahren
s«) flor nichts gestalten wollte. Und so tat er wirklich ein
gar gutes Werk an ihm, als er ihm den Ankauf jener Briefe
überheß; denn er hatte bemerkt, daß Strauß sich dafür
interessierte und sein biographischer Trieb daran erwachte
und erstarkte. Durch Schuberts Schwestersohn, einen
pensionierten Oberamtmann Hoyer in Ludwigsburg, kamen
dann noch 87 weitere Stücke hinzu, und Freund Künzel
in Heilbronn, ein eifriger Autographensammler, trieb auch
noch etliches auf. Nun konnte Strauß an die Arbeit gehen,
die der Hauptsache nach in das Jahr 1S47 fallt und ihm wirk-
lich über die schlimme Zeit der Auseinandersetzung mit der
Frau einigermaßen hinweggeholfen hat. ,,Mil der Arbeit
>) Geb. 1761, gest. 1829; 1807—1817 Redakteur des Morgen-
blatU; bekannt vor allem durch seine Epigramme.
492
Achtes KapileL
an diesem Sehubartahöchlein habe *ch mir das Schmer««!
Jahr 1847 vertrieben". Erscheinen konnten die zwei Bande
dieser Biographie freilich rrst im übernächsten Jahr. Nur
mit Muhe hatte Strauß durch Varnhagens Vermittlung einen
Verleger dafür gefunden, Duncker in Berlin, der sie ttc
500 Tlr. übernahm, aber in der Kevolulioxutzt-U den Druck
so schläfrig und mutlos betrieb, daß das Buch erst im
1849 zur Ausgabe gelangte.
Strauß ist hier in erster Linie Herausgeber einer großen
zweibändigen Sammlung von Schubartbriefen und Schuburt-
dokumenten: er hatte ihrer nach und nach 317 zusammen-
gebracht. Aus diesen vergilbten Blattern ließ er ein
interessantes Stück Menschenleben vor den Augen seiner
Leser aufsteigen und sich abspielen. Aber er war nicht
bloß Sammler und Herausgeber, er war auch Biograph.
Von Abschnitt zu Abschnitt, achtmal, hat er das tj|
formige Nacheinander der chronologisch geordneten Briefe
unterbrochen und selber das Wort ergriffen; es sind „prag-
matische Übersichten, in denen er Personen und Ereig-
nisse zu gruppieren und in das rechte Licht zu stellen
sich bemüht und zugleich den in der Briefsammlung
einigeraal unterbrochenen geschichtlichen Faden aus den
sonst vorhandenen Mitteln weiterspinnt"; dazu kommt
dann noch eine Schlußbetrachtung mit zusammenfassendem
Urteil über den Helden des Werkes. Nehmen wir endlich
schon hier den Nachtrag von 1857 hinzu : Leben und Schicksal
emer gewissen Barbara Struicherin aus Aalen, jener Magd,
um dorenwillen Schubart seiner Frau untreu geworden war
und in Ludwigsburg Schiffbruch litt, wovon uns Strauß in
zwölf ganz kurzen Kapiteln im scheinbar größten Ernst
und in echt historischer Manier berichtet, wie wenn es sich
um eines der interessantesten „Lebensbilder aus der Sturm-
und Drangperiode unserer Literatur" handelte: so erhalten
wir ein volles Bild des Menschen und des Schriftstellers.
Nur der Musiker Schubart kommt nicht zu seinem Recht,
Strauß aU Biograph.
US
mit ihm sind wir erst neuerdings durch Holxer ') bekannt
gemacht worden.
Um ein deutsches Dichteriebcn handoll es sich in dieser
Biographie in Briefen, um da* Leben eines schwäbischen
Dichters aus dem 18. Jahrhundort. Keiner von den Größten
und Großen, aber doch .ein genialer Mensch, ein echter
Stürmer und Dranger, eine vulkanische, titanenhaft wollende
Natur; ein Temperaments- und Stimmuugamensch, ein
warmherziger Patnot, ein liebenswürdiger Gesellschafter, ein
wackerer Zecher und dabei laut und lArmcnd, oft selbst
wild und wüst und roh. Daß ein solcher Mensch es auch
als Dichter zu nichts Rechtem brachte, ein verunglücktes
und verbummeltes Genie, ein bloßer Improvisator blieb,
nimmt nicht wunder. Etwas Größeres zu gestalten hatte
er nicht die Energie und nicht die Geduld; wenn er es mit
einem Epos oder einem Roman versuchte, versiegte die
Stimmung rasch, und über Anfänge kam er dann nicht
hinaus. Dagegen stellte er als Lyriker vor allem da seinen
Mann, wo ihn Zorn oder Schmerz die rechten Worte finden
ließen; und ebenso gelang ihm Religiöses und Humoristisches
gelegentlich trefflich. Das Beste leistete er auf dem Felde
des Volksliedes; denn das Volk verstand er, in dessen
Stimmungen wußte er sich hineinzuversetzen, weil er mit
ihm lebte und für die beste Gesellschaft nicht die zu halten
pflegte, die sich selber die gute nennt. Heiligem Zorn ent-
sprungen ist sein bekanntestes Gedicht „Die Fürsleugrufr*:
Da liegen sie, die Atollen FürstentrQmmer,
Ehmols die GftUen ihm Welt.
Wie das und wie überhaupt der Mann und sein Schicksal
l ) Schubart als Musiker. Von E. Holier (Darstellungen aus
der wUrUernborglAChen Geschichte, 2. Bd.), 1905. Die unfreundliche
Art, wie H. von ßtrauüeus Schubartwerk spricht, hangt teilweise
mit der Ansteht tusammen. dal) „ihm. im Grunde genommen, der
•o Ranz andere ku rieh tote ächubnrt unsympathisch" gewesen sei.
Darüber rede ich nachher
494
Acht« Kapitrt
auf Schiller gewirkt hat, ist bekannt. Dem «ehnwichUvofltn
Schmerz des auf dem Asperg Gefangenen leiht das herrlich«
Gedicht „Die Aussicht" Worte. Voll köstlichen Humors
ist der „Zinkenistentrost":
Win gHUüHel ist der Zinkenist,
I).t ilorr iiml Min 0ft**lU!
Er kommt, wenn »r gailorban Ul.
("■rwiU Dicht in die Hölle:
Denn Gott halt oft ein Freudenfest
Mit suserwahlten Chrhten,
Und wvil man da Posaunen blast,
80 braucht man Zinkeninten.
Das ruligiöac Gedicht „Urquell aller Seligkeiten" nül
dem schönen Vers:
Geber aller Ruten Gaben I
Featen Glauben mocht' ich hahon!
Wie rm MiNTfrb unbewegt.
Wann au ihn die Wngo schlagt,
ist sogar in die Gesangbücher aufgenommen worden. Den
Volksliederton aber traf er doch am besten iu seinem ..Kap-
Bad":
Auf. auf, ihr Bruder und seid -stark
Der Abschied* tag »st du.
oder in dem ,, schwäbischen Bnuurnlied":
So herzig wie mein Liescl
Gibt's halt nichts auf der Welt.
Aber er war nicht bloß Lyriker, er war auch Journalist,
und hier erst zeigt er ganz, was er kann und was er ist.
Zum Zeitungsschreiber war er geboren, und so steht er auf der
Höhe seiner selbst doch nur als solcher. In seiner Deutschen
Chronik kämpft er mannhaft gegen den Despotismus im
Staat und gegen Ultramontanismus und Jesuitismus in der
Kirche, da schlug er in SuddeuUchlaud ungewohnte deutach-
nulionaloTone an und fohlte wie Goethe fritzisch, weshalb er,
der erste Schwabe, energisch für Preußen eintrat. Seinem
SLrauÜ alt Biograph.
106
deutschen Vaterland aber wünschte er einen Hut voll
eughxcher Freiheit: nur gfl h:tM üflffi Bf für B£oh mit i'iin*m
Fingerhut voll zufrieden gewesen.
Die großartigsten und äußerlich glänzendsten lafan
seines Lebens hat Schubart als Organist und Musikdirektor
in Ludwigsburg verbracht, die traurigsten in der Nahe von
Ludwigsburg als Gefangener des Herzogs Karl von Württem-
berg auf der Festung Hohenasperg. So lag der Mann und
sein Schicksal den beiden Ludwigsburger Frounden, Viseber
und Strauß, besonders nahe. In Ludwigsburg war ex der
'ilnirrlte Speziul Zilling, der neidisch war auf seinen Orga-
nisten, weil man diesen Heber hörte als die langweiligen Pre-
digten des Herrn Dekan: und da Schubart ein loses Maul
hatte und gelegentlich auch der Mode der Freigeisterei
huldigte, ohne mit dem Herzen Freigeist zu sein, und überdies
sein Lebenswandel, insbesondere das anstößige Verhältnis
zu der Barbara Streicherin, Öffentliches Ärgernis gab, so
gelang es Zilling, seine Absetzimg und Landesverweisung
durchzusetzen. Also ein Opfer theologischer Engherzigkeit
auch dieser von viel anderer Engherzigkeit bedrängte Mann:
das mußte Strauß reizen. Und dann drängte sich der Herzog
Karl von Württemberg unberufen in sein Schicksal ein und
ließ ihn widerrechtlich auf dem Asperg gefangen sulzm
und durch seinen Oberst Rieger, einen fanatischen Pietisten,
Bekchrungs- und Erziehungsexperimente mit dem Ärmsten au-
fteilen. Würltembergische Regierungswülkür undpictistischer
Fnnatismus sah man also hier zusammen an der Arbeit, dn
konnte Strauß als ein male expertus mitreden. Und was
bei solcher ktirweisen Anwendung de* Christentums auf eine
Natur wie die Schubartschc herauskam, das konnte sogar
den Verfasser der christlichen Glaubenslehre und den späteren
Verfasser des alten und neuen Glaubens interessieren. Er
hat es so formuliert: ,, Den Zwiespalt, dasAnseinanderstreben
vou Geist und Sinnlichkeit konnte und kann das Christentum
nicht heilen, weil es ihn nicht bei der Wurzel angreift. Eigent-
406
Achtes Kapitel.
lob möchte es die Sinnlichkeit ausrotten: da es dies nielr
kann, so drückt es ein Auge zu und laßt sie unter der Hund
gewähren, sofern sie nur in gewissen Schranken bleibt Aber
das ist auch alles: von Anerkennen und positiv bildend, m
Hingehen auf dieselbe ist nicht die Rede. Der Christ ist
im besten Falle nur ein auf einem gezähmten Tier reitender
Engel, kein Mensch aus einem Guß. Eben deswegen bleibt
aber immer die Gefuhr, daß die gebändigte Bestie sich ge-
legentlich wieder emanzipiere; wie wir dies bei Schubart
nach seiner Befreiung, ja gleich nach der ersten Lüftung
seiner Fesseln alsbald erleben. Die natürliche Grundlage
des menschlichen Wesens nicht zu unterdrücken, sondern
aus sich selbst heraus zu humanisieren, das haben nur die
Griechen verstanden. Mit der Wiedererweckung ihrer
Schriften und ihres Geistes ist den christlichen Völkern erst
wieder der Begriff dieses wahrhaft menschlichen Daseins
aufgegangen. An ihnen großgenöhrt haben unsere beiden
klassischen Dichter diese Durchdringung de* Natürlichen
mit dem Geist, der Sinnlichkeit mit der Sitte, im Leben
wie in der Poesie, in den beiden Hauptformen de* ruhigen
Werdens wie des mächtig erkämpften Sieges dargestellt.
In Goethe und Schiller als Dichtern und als Menschen war
eben damals erfüllt, was Schubart fehlte, als er, ohne auch
nur den Weg dazu gefunden zu haben, seine schicksalsvolle
Irrfahrt endigte."
Endlich, es gab in diesem Menschenleben auch Mythi-
sches, und so konnte man auch hier Kritik Üben und Mythen
zerstören. An das Begräbnis Schubarts (12. Oktober 1791)
knüpfte sieh eine Sage, die noch Strauß in seinen Knaben-
jahren hatte erzählen hören: daß der unglückliche Dichter
lebendig begraben worden sei; aber als man, durch Scharren
und Kratzen aufmerksam gemacht, das Grab geöffnet habe,
ld es zu spat gewesen. Die einfache Deutung dieser Sage
fiel MlMOD Biographen, dem feinsinnigen Anatomen alle*
Mythischen, natürlich nicht schwer. ..Tief hatte sich dem
Strauß iils Biograph.
m
schwäbischen Volko der Kontrast eingeprägt, welchen mit
dem schranken- und rastlosen Geiste des Dichters dessen
langwierige enge Kerkerhaft bildete; es schaute in Schubart
ein Leben an, das freiheitsliebend in dumpfer Luft erstickt;
er war der Lebendigbegrahene schon auf dem Asperg ge-
wesen und halte sich auch selber mündlich und schriftlich
. mderholt so genannt: jetzt nach seinem Tode wurde die
bildliche Anschauung zur sagenhaften Wirklichkeit."
Aber es waren doch nicht bloß solche im äußeren Er-
leben Schuhurta liegende Momente, die Strauß reizten und
trieben, sich jahrelang mit ihm zu beschäftigen. Was es war,
das ihn an diesem Poeten dritten oder gar vierten Ranges
interessierte, wie er, gerade er dazu kam, sein Biograph
zu werden, das hegt tiefer; beantworten können wir es
aber besser erst, wenn wir gleich auch die beiden nächsten
großen Biographien von Strauß dazu nehmen, die von
Frischlin und von Hütten. Dagegen sei hier noch bemerkt,
was sich eigentlich von selber versteht, daß die Schubart-
briefe huehhandlerisch keinen Erfolg hatten. Sie waren
wirklich „zur ungünstigsten Stunde*' erschienen. Wer hutte
1849 Zeit und Lust, die Briefe eines Poeten aus dem 18. Jahr-
hundert zu lesen? Und da der Verleger Überdies den un-
klugen Einfall hatte, für die zwei Bande den Preis auf mehr
alt 5 Taler festzusetzen, so blieb ihm der größte Teil der
Auflage liegen und konnte auch durch dio spötero Herab-
setzung des Preises nicht mehr flott gemacht werden, lind
wie nun — wir haben esbereits vorausgenommen — im folgenden
Jahr auch ilerChristianMärklin nicht sonderlich aufgenommen
wurde, so wollte sich vor dieser rauhen Temperatur, von der
er seine ersten Schößlinge empfangen sah, der neu erwachte
»chriftstollerische Krflhlingstrieb alsbald empfindlich wieder
k zurückziehen. Allein die tatenlose, die schreckliche Zeit
•J-.-i vierziger Jahre lag nun einmal hinter ihm, und mit dem
„man wollte mich nicht mehr lesen, gut, so wollte ich auch
nicht mehr schreiben" war es ihm so Ernst doch nicht mehr;
49»
Acht« KtpiUl.
der Trieb war nun einmal du, or mußt» ihm folgen, er mulHo
schrcibnn, ob man ihn lesen wollte oder nicht.
Aber was «ollte er schreiben ? Von Schubart aus fahrten
zwei Woge weiter. Der oino wiudcr rückwärts xur Theologie,
rlrr andere vorwärts zur welllichen Biographie. Daß ihm
jener eratere nicht gar so fern lag, zeigt der oben litiert*
Schluß des Schubart. Vom Christentum war da die Rede
und von seinem Verhältnis zum Natürlichen und Sinnlichen:
«o konnte auf die Kritik der christlichen Glaubenslehre
nun eine Kritik der christlichen Sittenlehre folgen. Und
wirklich, das war der Plan, als er von Stuttgart nach München
flüchtete und »ich dort nach Arbeit umschaute. Am
11. Februar 1849 schreibt er darüber dem Druder: „Ich
habe wieder eine wissenschaftliche Arbeit vorgenniium-i
die gerade so weitaussehend ist, daß, bis sie zustande kommt,
vielleicht auch unsere öffentlichen Zustande in Ordnung
gebracht und für ein nichtpolitisches Buch wieder Leser
vorhanden sein können. Ich mochte nämlich, wenn's gelinge.
die christliche Moral ebenso wie die Dogmatik kritisch und
historisch bearbeiten, und lese und exzerpiere hierzu jetzt
Folianten und Oktavbände; der StofT ist aber noch viel
weitschichtiger als für die Dogmatik." Doch schon am
12. April berichtet er, daß ihm die endlose Vorstudien or-
fordernde Arbeit an der Moral zu wenig Lust und Befriedigung
für den Augenblick gewähre, daher wolle er versuchen.
ob ihm — der „Voltaire" kommt in Sicht I — nicht die
französischen Enzyklopädisten, und zwar zuerst Diderot.
StofT zu Monographien, gleichsam biogruphisch-literar-
geschichtlichen Porträts, darbieten konnten. Allein ander.»
Arbeiten, kleinere Aufsatze über A.W. Schlegel, über Immer-
mann, eine Rezension von Vischers Ästhetik drängten such
voran; dann kam Mftrklins Tod und die Pflicht, diesem em
biographisches Denkmal zu setzen; und zuletzt noch ein
Abschwenken in das Gebiet der Kunst, dio „Schnurr»*'
über Beethovens neunte Symphonie, und Aufsätze Über
Strauß ab Biograph.
499
Gemäldesammlungen und über Maler. Von dem nllom wird
noch die Rede sein.
Uns treibt es hier in raschem Sprung vorwärts tu dem
nächsten großen Werk, xu der Biographie des Dichters und
Philologen Nikodemus Frischlin, die im August 1855 fertig
geworden und 1856 erschienen ist. Wie Strauß auf diesen
Mann gekommen ist? Durch Schubart. Dieser hat selbst
auf Frischlin und seine Ähnlichkeit mit ihm in Wesen und
Ergehen hingewiesen.
Wo liegt Frischlin. der Bruder meines Geistes?
fragt er zu der Zeit, wo er auf dem Asperg auch der Bruder
seines Schicksals geworden war. Allein auch in der Gegen-
wart war Frischlin in Schwaben nicht gana vergessen.
Neben Kepler und Schubnrt hat Justinus Kerncr auch ihm
in seinen Gedichten ein „Denkmal" gesellt 1 ); und Gustav
Schwab wußte in seinem wanderfrischen Buch Ober die
') Die iwei in Jualinus Kern#rs „Gedichten" in findenden
.Donkmole" lauten:
Frischlin.
Ihn schlössen sie in starre Felsen ein,
Ihn, dem zu i-ng der Erde wuito tando.
Doch er. voll Kraft, zerbrach den FeUeiutein
Und ließ sich abwarte am uns ichern Bande.
Da fanden sie im bleichen Mondenschein
Zerschmettert ihn. zerrissen die Gewände.
Wehl Muttererde, daß mit linden Armen
Du ihn nicht uuffingst, schüttend, voll Erbarmen.
Scbubart.
Ihn stielten sio aus frischen Lobonsgnrton
In dunkle, modernde Gewölbe nieder.
Mit Kellen Beine Hände sie beschwerten:
i i ■; ■■■■ •; ll'il';v In hind Mi ihm nii'di r
Und wurden fortan Freund' ihm und (Wahrten:
-iik' betf'.-isterl er <li< friiiiiimiii Lieder,
Und als den Kerker sie ihm aufgeichloMfln,
Sohlen Ihm die Wolt von Grau'n und Nacht umfloMim.
500
Acht« Kapitel
schwäbische Alb 1 ) „die Kunde von dem tragischen Aus-
gang des Dichtere an die Trümmer und Felsen Hohonurachs
in einer Weise anzuknüpfen, welche zur Wiedererweckung
seines Andenkens nicht wenig beigetragen hat". An einen
mehr sachlichen Anknüpfungspunkt mag uns der schon
zitierte Schluß des Schuhart mahnen, Dem Zwiespältigen itn
Christentum stellte Strauß — seit dem „Julian" — als
Neuhunianist immer häutiger das Humane des Griechen tum»
--■-.'••uiiliiT und freut o *i< n. .hiü rnt dre WinlrriTweekung
seiner Schriften und seines Geistes durch den alteren
Humanismus auch den christlichen Völkern der Begriff
einen wahrhaft menschlichen Daseins uufgrgungen sei. Das
Kritische in seiner Geistesart hat ihn an eine Monographie
über einen französischen Enzyklopädisten denken lassen, das
Humane und rein Menschliche seines Wesens treibt ihn jetzt
tatsächlich zu den Menschen des 16. Jahrhunderts, zu den
Humanisten zurück. ,,Ein Beitrag zur deutschen Kulturge-
schichte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts 1 ' lau!«''
darum der Untertitel seines Buches über Nikodemu*
Frischliu.
Auch dieser war keiner von den Großen, er war sogar
noch unbedeutender als Schubart, ein Epigone des deutschen
Humanismus im 16. Jahrhundert, einer aus der Zunft der
„Poeten", deren Können vor allem in einer virtuosen Hand-
habung der lateinischen Sprache und in der federgewandten
Anfertigung von formal korrekten, aber inhaltlich oft recht
leeren Gedichten und Komödien bestand. Als solcher war
er Johannes Sturm, dem Gründer des Straßburger Gym-
nasiums, das unter dessen Händen m einer Bhctorenschulc
werden sollte, näher verwandt als der musica natura Agri-
colas oder dem feinen und geistreichen Erasmus von Rottor-
») Dieees Buch rsgt auch in mein« Jugend herein und hat in
mir frühe whon den Sinn für die Natunchönbeit meiner schwäbischen
Heimat wecken helfen
StrauU ob Biograph.
601
Er war philologischer Lektor in Tübingen; aber da
er eine unstete und wenig seßhafte Natur wnr, so nahm er
es — wie ea übrigens nach Molils Schilderung 1 ) bei den
Tübinger Dozenten noch bis in da» 19. Jahrhundert hon-m
Sitte war — mit seinen Pflichten nicht nllzu genau und
Builisierte und kneipte gelegentlich lieber mit den Studenten,
als daß er ihnen regelmäßig Kolleg las. Vor allein aber
rar er ein streitbarer, fehdelustiger Mann. Daher lebte er
mit einzelnen seiner Kollegen, vor allem mit seinem Höchsten
Facbgenosaen, dem Philologen Martin Crnsius, aber auch
mit dem okndemischen Lehrkörper im ganzen, mit Rektor
und Senat in ewigem Streit und wußte dabei durch witzige
und bösartige Satiren zwar nicht den Erfolg, wohl aber
die Lacher stets auf seine Seite zu bringen. So kam er in
den Huf eines Übeln Händelsuchers und war infolgedessen
natürlich bei den Kollegen und den Wördetragern der
Universität recht wenig beliebt: ,,sein Geist war ihnen zu
überlegen, sein Selbstgefühl zu laut, seine Zunge zu scharf,
wohl auch sein Wandel zu wenig geordnet", sagt Strauß.
Schlimmer für ihn war sein Zerwürfnis mit dem württem-
bergischen Adel. Im Haus und bei den Gelagen der Edeln
und Herren war er ein gern gesehener Gast, freilich in den
Augen violer kaum mehr als ihr Lusligmacher und Hofnarr.
Kam er daher einem von ihnen mit seinen Witzen und
spitzigen Reden zu krumm, so mußte er auch einmal filna
Ohrfeige hinnehmen. DaswarenzunachHnureinzelnc. Wienun
aber seine Oratio de vita rustica auskam, in der er das Leben
«Irr Kdi'lloule im ganzen sehr zu ihren Ungunsten mit dem der
Bauern verglich, da erhob sich unter dem ganzen Adel im
Lande — und selbst über die Grenzen Schwabens hinaus —
gewaltige Aufregung, es kam zu Klagen und Prozessen,
zu Attentaten und persönlichen Verunglimpfungen. So ver-
mehrte sich die Zahl seiner einflußreichen Gegner recht
») R.v.Mo hl. Ltfbenserimierimgen, S. 214.
Tl.. t «jln, it. i>. m..ui. II.
WA
ö<.'2
Acht» Kapitrl
orhoblicb. Dafür bland er trotz alledem als Hofpoet und
„Pfalsgraf" bei dem Herzog Ludwig von WCrttomberg,
der, auch ein lustiger Zechbruder, bei »oinrn Gelogen den
witzigen Kumpan und bei MÜTWH lloffeslen den gewandten
Poelen nicht entbehren mochte, lange Zeit in großer Gun-st.
Was ihn natürlich in Tübingen nur um so frecher und unleid-
licher sich gebärden ließ. Aber seine Aufnahme in die philo-
ho|iln>.-ln- Knkiilü«t kniiiti- auch der Herwig nicht erzwingen;
und solange er ihn auch gegen die Anfeindungen des Adels
schützte, schließlich inachte es ihm der ungebärdige Mann
selber unmöglich, ihm langer die Stange zu halten und
Schutz zu gewahren. Er verlor allmählich die Gunst des
Herzogs und mußte schließlich sogar die Heimat fliehend
verlassen. Nun führte or — auch darin ein echter Nachfahre
der humanistischen Poeten — einige Jahre ein schweifendes
Abenteurerleben, das ihn nach Laibach und Prag, naoh
Wittenberg und Braunschweig, nach Straüburg und
Frankfurt gebracht hat. Dabei erwarb er sich gelegentlich
den Ruf und das Lob eines tüchtigen Pädagogen 1 ) und
Schulreformors, verdarb sich aber jode Stellung durch seine
unselige Handelsucht, die ihn namentlich auch in die inner-
konfeaaionellen Streitigkeiten der Protestanten sich anzu-
mengen trieb. Die Not ließ ihn endlich wioder an den
württembergiachen Herzog sich wenden; aber als er eine
wenig entgegenkommende Antwort erhielt, reizte er durch
oiuen unverschämten Brief („Famosschrift") an die württem-
bergische Hofkanzlei die herzoglichen Rate und schließlich
auch den Herzog selber, der ,,so lange ab eine heitere, er-
wärmende Sonno in Frischüns Leben hereingeschienen hatte",
so sehr, daß ihn dieser durch einen besonderen Abgesandten
aufsuchen, in Mainz verhaften und als Gefangenen auf die
Festung Hohenurach verbringen ließ. Ein halbes Jahr blieb
') Dieses Zeugnis hat ihm der berufeosto jener Zeit, Job. Sturm,
ausgestellt
8 trau B ab Biograph.
503
er hier eingekerkert. Allein der an oin freies Umherschweifen
gewöhnte Mann hielt das Eingeschlossensein weder leiblich
noch geistig aus. Er daühte auf Flucht. An der itflÜftSD
Stolle der Burg suchte er sich herabzulassen und M d»*r
Gefangenschaft zu entrinnen. Doch die zusammengeknüpften
Leinwandstreifen reichten nicht bis zur Erde oder rinnen,
Frischlin stürzte über die Felsen hinab und fund so am
29. November 1590 ein seinem abenteuernden Leben ent-
sprechendes abenteuerliche« Endo.
Was war es nun, das Strauß für seine biographische
Arbeit gerade nach diesen beiden Helden, Sohubart und
Frischlin, greifen ließ? so fragen wir wioder. Denn sie ge-
hören zusammen. Die Ideenassoziation ist klar. „An zwei
alte Bergfesten des Württemberger Landes 11 , so begann
die Vorrede zum Frischlin, ..knüpfen sich die Namen unglück-
licher Dichter: Schubarta an Hohenasperg, an Hohenurach
Nikodemua Frischlins. Landsmännische Neigung hatte
mich getrieben, für das Andenken des oraleren etwas zu
tun: es lag nahe, auch für das dos andern, seines Geistes-
und Schicksalsverwandten, ähnliches zu versuchen." Schick-
salsgenossen also, widerrechtlich von württembergischen
Fürsten gefangen gesetzt beide, gewaltsam aus ihrer Bahn
gerissen, nicht ohne eigene Schuld um des allzufreien Ge-
brauchs willen, den sie von ihrer spitzen Zunge und ihrer
scharfen Kritik gemacht hatten: das mußte Strauß als ein
auch seinem eigenen Schicksal Verwandtes locken zu einer
Ehrenrettung, wie Lossing solche „Rottungen" vorgenommen
hatte. Und wie bei Schubart der zelotische Dekan von Lud-
wigsburg, so mochten ihn bei Frischlin die Gegner aus der
philosophischen Fakultät in Tübingen besonders reizen. Also
schon im Jahr 1570 hatten sich diese ebenso kleinlich und
neidisch und hämisch benommen, wie sie sich 1833 dem
Repetenten Strauß gegenüber gezeigt hatte. Wonn er von
,,d«m gemeinen Brodneid und der zunftmftßigen Geiste»-
tragheil 4 " der Tübinger Professoren erzahlt oder von „der
88*
&Ö4
Acht« Kapitel.
Angst eines Crusius 1 ), im grammatischen und rhi»tori»chen.
i-iiH'H Ijjcliler, im physis«"-ln"*r». v\no* Hfiilaüd in VorleMingi
und Lehrbüchermonopol beeinträchtigt iu werden", so
mochte er mit ironischem Vergnügen 011 dw Sijjwnrt
Kwchenmayer undTnfel zurückdenken und wie *ich di6M 'inst
gegen ihn benommen Daß er dabei mit keinem Wort die
Parallele zieht, zeigt, wie vornehm und wie wenig muh-
HÖchtig er im Grunde doch gewesen ist.
Aber nicht bloß Schicksals-, auch Geistesverwandte
waren «nue Helden. Sie glichen sich in der gewaltigen
Sinnlichkeit und wilden Leidenschaftlichkeit, Temperamenta-
menschen waren beide und Sanguiniker durch und durch.
Menschen von der Art seines Freundes Bauer, die Stiaufl
mit Goethe „Naturen" nannte. Allein ist es dann nicht erst
recht seltsam, daß der fast Obergeistige Strauß gerade solche
...Naturen" sich zu Helden seiner biographischen Kunst ge-
wählt hat? Darauf antwortet Strauß selber: „Was ich vor
allem an einem Menschen verlangte, wenn er mir das rechte
biographische Interesse einflößen sollte, war Fleisch und
Blut. Ich wollte warme, lebensvolle IVrsönlichkeiten haben,
die mir die menschliche Natur als solche, unveratUmmelt
und unverkunstelt, zur Anschauung brachten. In dieser
Hinsicht waren Schubart und Frischlin unstreitig zwei
') Hermann Fischer meint a. a. O.: „Crusiu* sei von
in »einer Bedeutung für die Geschichte der Philologie nicht vül
gewürdigt worden". Ich kenne Crusius aus der Oeschichtc der
Pädagogik, die ja damals mit der der Philologie fast lumnunenfaUt;
daher wuiß ich, wie sehr ihm Frischlin auf diesem Gebiet Oberlefrn
war. Und auch d*r Philologe B. A- Mystakid*« (in der Renj»
dos £tudoe gmeques 1808) weiß ihn doch nur als „Philh«llfttn<ii und
Hollenulcn" uud ab einen Vielwisser tu rühmen. Pm alle* hat ihm
auch SlrauU gelassen; aber wonn er (8. 56) sagt: „er habu eine
Gelehrsamkeit bescMen. die nicht nur für den Charakter, Hindern
*clb»t für den Oeist beinahe unfruchtbar geblieben sei; so weit der
Umfang seiner Kenntnisse, so eng ist bei dem Manne Kopf und
Herz", ho wird du gewiß richtig »ein.
Straufl ab Biograph.
606
Prachtexemplare/' Doch lag ihm Schubart mehr, nicht
nur weil der Genius der Sturm- und Drangpenode, zeitlich
näher als der de* ausgehenden 16. Jahrhunderle, ihn mehr
ansprach, sondern auch deswegen, weil Schubart bei allor
Wildheit doch weit Liebenswürdiger, weicher und innerlicher
und wohl auch, weil er genialer und geluill voller und
mehr Künstler war als das vorwiegend Auf die Form be-
schrankt« Talent FrischÜus.
Nun kann man freilich noch einmal fragen, wie sich
gerade Strauß, bei dem alles so geordnet und geregelt, alles
so geistig aublimiert war, zu diesen vulkanisch rohen und
wualen, eu diesen sinnlich robusten und naiven Kraft- und
Genußmenschen hingezogen fühlen konnte? Nicht weil er
ihnen verwandt war, wird man zunächst zu sagen haben.
Das haben zwar seine Gegner triumphierend verkündigt :
„Das sind seine Ideale. An ihren Früchten sollt ihr sie er-
kennen. Sage nur. mit wem du umgehst, und ich will dir
sagen, wer du bist!" 1 ), und seine eigene Frau Agnes
Schabest hat daraus sogar Waffen gegen ihn geschmiedet
und hohnisch auf seine Vorliebe für einen „Lumpen" wie
Schubart hingewiesen. Aber so etwas konnten doch nur
solche behaupten, die ihn nicht kannten oder nicht kennen
wollten. Nein, gerade deswegeu hat er sich so liebevoll
in das Wesen dieser beiden versenkt, weil sie den Gegen-
satz tu ihm und damit so etwas wie eine Ergänzung
seines Wesens bildeten. Genußsüchtig und genußfreudig
haben sie gelebt, sich in den Strom des Lebens hineinge-
stürzt und in vollen Zügen das Leben genossen. Dazu war
Strauß nicht robust genug. Er war ein Mann der Ordnung
und der haushälterischen Sparsamkeit, wo jene skrupellos
darauf bewirtschafteten und chaotisch und vulkanisch sich
auslebten, ein reinlicher und schüchterner Anbeter aus der
') So formuliert Kuno Fischer. D. Fr. Strauß ah liioRrnpli
m D. Kr. 8trauQ, Gesammelte AufvAU«, Hvidvltxvg 1909, S 32).
gegnerischen Stimmen.
506
Achtes Kapitel.
Ferne» wo jene Zugriffen und mitnahmen» was gerade kam.
So blieb er raghaft am Ufer des Lebens stehen und wagte
•ich nicht als kecker Schwimmer mitten in seinen flutenden
Strom. Ihm fehlten die kräftigen Organe, mit denen man
«ich dca Lehens bemächtigen, dnn Becher seiner Freuden
ergreifen und bis zur Neige leeren kann. Da» lag teilweise an
seiner Erziehung im Seminar und Stift, wo man, wie schon
gesagt, viel lernt, aber eines nicht lernen kann — loben, und
wo man leicht vor der Zeit müde und alt wird. Darum sah
Strauß mit einem gewissen leisen Neid auf jene frischen, kecken
Gesellen; indem er von ihnen erzählte, konnte er ihr wildes,
kraftguiualisches Wesen wenigstens in der Phantasie init-
und nacherleben, dadurch wurden sie ihm interessant und
linb. Aber ich habe allerdings die Meinung, als ob damit
nicht uUob gesagt sei, und habe daher Lust, nicht bloß Kuno
Fischer, sondern auch Strauß selber zu widersprechen und
mich nun doch noch auf die Seile seiner Gegner zu schlagen.
Strauß hat die Schubart und Frischlin und Hütten aller-
dings auch deswegen zu Gegenständen seiner biographischen
Arbeit gewählt, weil sie ihm wesens verwandt waren. Ja,
wenn er der kühle Verstandesmensch gewesen wäre, als
der er der Welt gewöhnlich gilt, dann müßte man die Wahl
dieser robusten Temperaments- und Sinnenmenschen als
Helden seiner Darstellung lediglich aus dem Kontrast gegen
diese seine eigene Natur erklären. Aber Strauß war kein
bloßer Verstandsmensch, war keine vertrocknete Gelehrte!
natur, er war nicht kühl und gefühlsarm, sondern selber durch
und d urch Temperaments- und Stimmungsmensch, ein Poet wie
seine drei Helden, und auch an gesunder Sinnlichkeit hat es ihm
nicht gefehlt; sie hat ihm gerade damals, als er so plötzlich
wieder auf ein zOlibatares Junggesellenlebon zurückgeworfen
war. ganz natürlich zu schaffen gemacht. Auch den Becher
wußte er unter Freunden wohl zu schwingen, und da ließ
er dann seiner spitzen, scharfen Zunge gelegentlich
freien Lauf, ein Witzwort, das ihm auf der Zunge lag, hat
Strauß aU Biograph.
W7
er »ich nicht leicht verkniffen 1 ). Und auch an jene Zeit
dürfen wir uns hier erinnern, wo die Menschen seine Hand,
die er ihnen so sehnsüchtig iura Frioden entgegenstreckte,
brutal beiseite schlugen: das hat nicht nur sein leidon-
ychaftliehes Gemüt zornig erregt, sondern auch seinem
lit hebedürftigen, empfindlichen Herren weh getan bis hinab
in seine tiefste Tiefe. Deswegen konnte erseinen vom Schicksal
und von Menschen schwer mißhondelten Helden nachfühlen,
weil erjaaelber ähnliches erlebt hatte- Und nun zu alledem jener
leise Neid, weil er war wie die Schubart und Frischlin, und
doch nicht zu sein, zu leben wagte, wie aie gelebt, geliebt
und genossen haben in vollen Zügen. Zum Leben hat sich
Strauß, im Gegensatz zu ihnen und im Unterschied von
ihnen, „immer nur sentimen talisch und elegisch verhalten* 1 ;
aber daran hat er deswegen so schwer getragen, weil er „das
natürliche Verlangen nach den Freuden des Lebens" gehabt
hat wie sie. Unter diesem Widerspruch seines Wesens hat
er gelitten; befreit von diesem Leiden aber hat er sich durch
die Schilderung von Menschen, die waren wie er und die
doch ihr Leben so ganz anders gelebt haben, als er das seinige
gelebt hat. Darum sind die Bilder, die er von ihnen zeichnete,
so meisterhaft ausgefallen, Verwandtschaft und Gegensatz
zugleich haben daran mitgearbeitet: daher dieses volle
Verstehen und dieses künstlerische sich in sie Einfühlen.
Aber ganz war es mit diesem persönlichen Interesse
an seinen Helden doch nicht getan, sie mußten daneben
noch andere Qualitäten haben, die sie ihm anziehend
machten; oder wie er selbst sagt: „sie mußten geistige
Interessen zeigen, geistige Taten aufzuweisen haben, und
zwar in einer Richtung, die der meinigen verwandt war;
eae mußten dem Lichte, der Freiheit zugekehrt, Feinde der
■J Aus Heilbronn, Heidelberg, Bonn werden uns solche scharfen
>rt« von ihm eriahlt. In Oodmberg soll ihm und seinen Be-
■rn einmal ein solche« recht verübelt worden sein wnd eine IUI
angenehme Siene herbeigeführt haben.
BOG
Acht» Kapital.
Despoten und der Pfaffen seui" Bei Schubart denken wir
dabei nicht bloß an sein© Kampfe mit dem protestantischen
Zilling und den Jesuiten in Bayern oder au seinen freilich
schließlich gebrochenen Widerstund gogen die Bekehrungs-
versuche de« Herzog* Karl und «eines frommen Komman-
danten Hieger, »wildern auch au die nationaldcutache Ge-
sinnung und Haltung seiner Deutschen Chronik und un cem
mannhaftes Eintreten für den Staat Friedrichs des Großen.
Und bei Frischlin wat es neben seinen Händeln mit einer
engherzigen Professorenzunft und einem dummstolzen, bru-
talen Adel sein Verhältnis zum klassischen Altertum, das
ihn anzog: wie dieser Humanist, so besaß auch Strauß eine
staunenswerte Beledenheit in den römischen Dichtern und
eine virtuose Meisterschaft der Nachahmung — nur nicht
wie jener in lateinischen Versen, sondern in deutschen Über-
setzungen, wovon uns ja eben der „Frischlin* 1 zahlreiche
Proben gibt. Ein Formtalenl wie Frischlin war auch Strauß,
und ein Humanist war er ohnedies. Dazu nehme mau noch
einmal die Verwandtschaft des Geschicks von Schubart
und Frischlin mit dem von Strauß: — wie sie. war auch er
gescheitert in seinem Kampf mit den „Pfaffen", und ge-
fangen wie sie saß auch er, nicht äußerlich, aber in der
Schwermutshöhle, auf dem Tranenberg schmachtete auch
or und konnte und durfte nicht, was und wie er wollte und
was seine Natur forderte und zu fordern berechtigt wnr;
in Fesseln geschlagen und in unwürdige Bande, denen er
sich nicht entwinden konnte, beruflos, heimatlos, unstet
wandernd von Ort zu Ort — so fühlte er sich ganz in die
beiden hinein und gauz mit ihnen iu eins zusammen.
Aber wir können Strauß als Biographen nicht gerecht
werden, wenn wir nicht sofort auch von seiner dritten großen
Biographie, dem „Ulrich von Hütten" reden, an den er sich
gleich nach der VoDendung des „Frischlin" machte und der
dann 1858 in zwei stattlichen Bänden erschienen ist. Denn
was von Schuharl und von Friscldin gilt, das gilt ebenso, nur
Strauß als Biograph.
509
sozusagen auf höherer Stufe und Potenz, auch von Hütten.
Von Frischlin zu Hütten — das war ein gerader Wog; von dem
Epigonen des deutschen Humanismus zu einem ihrer Prota-
gonisten, von seineu frostigen Komödien zu der welthisto-
n Salirr der Epistohm nbwuimruin virorum und ihren
Verfassern, das war zugleich ein gewaltiger Aufstieg. In
diesem frankischen Ritter hatte Strauß wirklich einen Helden
•_vl lüden, der eine* biographischen Meistere wflrdig war.
Und auch hier trat ihm wieder dasselbe entgegen, was ihn
dort angezogen: das Temperamentvolle und Feurige, das
robust und keck Zugreifende, Sinnenlust und Sinnesfreude,
Kampflust und Kampfesmut, und dazu in allem, wnserschri.»h,
der Stempel des Inspirierten und Unmittelbaren, de» Ur-
sprünglichen und Genialen. Hin Humanist war Hutton, wie die
andern, aber er war zugleich auch ein Ritter, und das hieß
ein Kämpfer sein, ein Mann erfüllt von ©cht germanischem
Krr-iheitsgeföhl, daher auch er kühn sich auflehnend gegen
..Despoten und Pfaffen". Sein Kampf gegen den Herzog
Ulrich von Württemberg als den Mörder seines Vetters
Hans gnh für Strauß auch hier wieder den spezifisch lands-
mannschaftichen Hintergrund, der den Schwaben doch
immer zuerst anzog. Seine Flucht aus der Enge des
Klosters hinaus in die Weite der Welt, sein Eingreifen
in den lustigen Epistelstreit mit den Viri obscuri, den
Scholastikern und den Mönchen, seiu laut und hell in die
deutsche Welt hineinschmetternder Schlachtruf: Loa von
Rom und römischer Fremdherrschaft! — das alles fand
in dem freien GeiBt und in der nationalen Gesinnung
tStrnußnna Keinen vollen Widerhall. Und die Verbindung
diese» größten deutschen Humanisten mit Luther und
Beinern damals noch nicht in Dogmen erstarrten Protest-
antismus, sein Versuch, aus der Reformation eine Revolution
werden zu iMMD und so in kühnem Ansturm das ganze
Deutschland dafür zu gewinnen, brachten auch ihm die
Bilder froher Jugendtage, erste Lieb* und Freundschaft,
510
Achtes Kapitel.
erste Kämpfe und Feindschaften mit herauf — seine
Liebe, die Theologie, seine eigene revolutionäre Tat, da*
Leben Jesu, und die ritterlichen Kampfe der Streitschriften
mit den vielen Feinden ringsum. So fehlte es auch liier weder
an Gegensatz und Verwandtschaft noch an geistigen Interessen
aller Art. Und endlich, es war ein mächtiger Stoff, eine Fülle
von Gestalten: Humanisten und Gelehrte, Kaufleute und
Geistliche, Ritter und Fürsten, und darunter Menschen wie
Erasmus der feine, Franz von Sickingen der kühne und Luther
«irr sie alle überragende große; und eine Fülle und ein Rfitflh-
tum von Schicksalen, ein Epos und ein Drama zugleich,
tragisch der Kampf des Lebensfrohen mit der tückischen
Krankheit und tragisch das einsame Sterben auf der Ufnau
nach dem Scheitern aller seiner Hoffnungen und Entwürfe.
So war es eine große Aufgabe, die dem Biographen
gestellt war. Es ist darum hier zu fragen, ob Strauß
einer solchen Aufgabe auch wirklich gewachsen war? und
das fühlt auf die andere Frage zurück : wie er überhaupt dazu
kam, Biographien zu schreiben und Biograph zu worden?
Zweierlei Aussagen darüber haben wir von Strauß selber,
einmal als er von der biographischen wieder zur theologischen
Schriftstellern! zurückkehrte, die Anwendung eines ursprüng-
lich an Goethe gerichteten Wortes von Merck auf diese
Arbeiten: „solchen Quark mußt Du nicht mehr machen, das
können die andern auch"; nur das Theologische sei sein
eigentümlicher Beruf und entspreche seinem Genius ganz.
Daneben aber, vorher, als er sich dem Biographischen
zuwandte, das andere: diese „Abschweifung auf das bio-
graphische Gebiet war für mich ein Bedürfnis meiner Natur".
Halten wir uns zunächst an dieses letztere. Auch Strauß war
ein Poet; darum sind es drei Poeten, deren Biograph er wird.
Daß er etwas von einem Dichter an sich hatte, das haben
wir — ganz abgesehen von den Versen, die wir gelegentlich
von ihm zitiert haben und noch zitieren werden — längst
schon bemerken müssen, überall da, wo wir von der Stimmung
Strauß als Biograph.
611
sprachen, ohne die er nicht schreiben konnte. Solche» Schrei-
ben und Schaffen aus der Stimmung heraus igt nicht Sache
und Art eine» Gelehrten, so schafft der Dichter. Aber freilich,
trotz der Gedichte, die er in großer Zahl gemacht hat, ein
voller und ganzer Dichter war er doch wioder nicht. Das
wußte er selber am besten. Deshalb hat er sich einen
..künstlerischen Wissenschafter" genannt und seinen geistigen
Qtgätii*ii)iih srlu-r/weiKi; mir ilrni Vnj/cl viTf/lirlxn. I« n
Namen er trug. „Wenn man sagen wird", heißt es in den
Literarischen Denkwürdigkeilen, „die von mir eingestandene
Art ku arbeiten, der Einfluß der Stimmung, das Schaffen
aus einer Intuition heraus, dann die Freude am Formen
und künstlerischen Ausgestalten des Stoffs, alles das sei
■ n titdie Art, wie ein Gelehrter, ein Mann der strengen Wissen-
schaft zu Werke geht, sondern so mache es ein Poet: so bin
ich's lücht, der etwas dagegen einwendet. Und wenn man
hinzusetzt, ein Poet sei ich nun aber doch auch nicht, und
mich fragt, was ich denn nun also eigentlich und schließlich
sei? so werde ich antworten: das ist es eben. Soviel ist
gewiß, wie ich 18 Jahre alt war, wenn ich damals das Zeug
in mir gefunden hätte zu einem Dichter, so hallen Philo-
sophie und Theologie vor mir gute Ruhe gehabt. Aber so
klug war ich doch bald, durch die große Lust mich über die
sehwache Kraft nicht täuschen zu lassen, und so machte ich
mich ernstlich an das wissenschaftliche Studium. Indessen
ich konnte es doch immer nur betreiben und so auch später
darin produktiv werden nach Maßgabe meiner besonderen
Geistesart. Das Stück von einem Poeten, das in mir war,
ließ sich nicht hinauswerfen, um so weniger, als es in der
Tat die Grundlage bildete, worauf mein ganzer geistiger
Organismus aufgebaut war. Es ist spaßhaft, aber ich kann
diesen nicht anschaulicher machen, als wenn ich von meinem
Namen ausgehe, der hier in der Tat ein Omen ist. Das mir
gleichnamige Tier ist ein Vogel, aber kann nicht fliegen;
statt der Flügel hol es nur Stummeln, u.ber diese beflügeln
m
Acht«* Kapitvl.
»einen Lauf. So kann ich nicht dichten; aber ich habe nichU,
weder Großes noch Kleines, geschrieben, wobei mir der Poet
in nur nicht zustatten gekommen wäre, Gewiß war er
mir ebenso auch hinderlich; ohne ihn wtlro ich sicher ein
größerer Gelehrter geworden; über «'in geringerer Schrift-
steller geblieben, und so wollen wir uns eben nehmen wie
wir sind. Die» ist freilich leichter gesagt als getan. Oft
schon habe ich scherzweise gedacht, ich sei wohl im Grunde
darum ein so treuer Anhanger von Preußen, weil, wollte
man meine Geistesanlage zeichnen, eine Figur herauskommen
würde, wie die Preußens auf der Karte (vor den Annexionen
von 1866). Ein Stück hier und ein Stück da, und in der Mitte
kein rechter Zusammenhang. Das ist so wenig für den ein-
zelnen eine behagliche Begabung, als es für einen Staat eine
behagliche Gestaltung ist. Weder dem einen noch dem andern
wird es dabei in seiner Haut recht wohl. Darum begreif»*
ich den Annexionstrieb Preußens so gut: er würde mir auch
nicht fehlen, wenn man Talente annektieren könnte."
Strauß fehlte es zum Dichter nicht an Gefühl, das die
Eindrücke, äußere wie innere, in sich aufnimmt und ver-
arbeitet, wie der Brennspiegel die Sonnenstrahlen konzen-
triert und potenziert, und damit den Drang erzeugt, das
volle Herz durch Mitteilung nach außen zu erleichtern,
nicht an der dichterischen Stimmung, die er vielmehr in
so vollem Maße besaß, daß er unter ihr wie jeder echte
I 'iditcr gelegentlich auch schwer gelitten hat. Was ihm
dagegen fehlte, das war die Phantasie als Werkstätte poet-
ischer Empiinduug, in der der verdichtete Gcfühlsinhalt
aufquillt und zu idealen Formen sich gestaltet und dem
Dichter seine Personen, ihre Charaktere, Situationen und
Konflikte, dem Maler seine Gestalten und Gruppen, dem
Musiker seine Melodien und Akkorde entstehen. So VntH
er nie imstande gewesen, die kleinste wirkliche Novelle,
das einfachste Drama zu erfinden. Die Phantasie wirkt*
hei ihm höchstens als Gabe der Metapher, des Bildes,
Strauß als Biograph.
U :
mithin mir akzidentiell oder dekorativ. In dieser Art
freilich hat tue ihm die bedeutendsten Dienste geleistet.
Das war der Schwingonschlag de» Strauße», der, ohne ihn vom
Boden zu heben, doch seinen Gong beflügelte. Und ein
schmales Endchen wirklicher substantieller Erfindungsgabe
»■igte sich dabei schließlich doch, die Neigung, bei lebhafter
Erörterung, namentlich in Streitschriften, in die dialogische
Form zu falten, Meinung und Gegenmeinung in verschie-
denen Personen zu verkörpern; womit man noch einmal
Schweitzers ') wunderliche Behauptung vergleichen mag,
Strauß sei in seinen Streitschriften ein ungeschickter
Deballer gewesen.
DieserPoet nun, der er war, war in den gelehrten Werken,
im Leben Jesu und in der Glaubenslehre, natürlich nicht
ganz zu seinem Recht gekommen, wenn auch die Gabe der
Metapher und — ein letztes Stuck dichterischer Begabung — -
die Fertigkeit der Fingerspitzen, die Gabe, für jede Art von
Inhalt ungesucht und ohne viel Besinnen die passende Form,
den geeigneten Ton zu finden, selbst diesen wissenschaftlichen
Schriften den Stempel des Künstlerischen aufdrückten.
Dem gegenüber hat er wohl zuweilen daran gedacht, Humane
zu schreiben. Aber er konnte es nicht, es fehlte ihm ja die
Freiheit der Erfindung. Du entdeckte er in der Biographic
die Form dos Romans, wie er ihn sehreihen konnte. Hur
war gegeben, was der Romanschriftsteller von sich aus frei er-
finden muß und was Strauß nicht erfinden konnte, — die Fabel,
die Personen mit ihren Charakteren und Schicksalen, ihren
Situationen und Konflikten. Was ihm dagegen zu Gebote
stand, „die Gabe lebendiger Mitempfindung", lebhafter
Vergegenwfirtigung, warmen Mitgefühls, plastischer, Gemüt
Phantasie des Lesers anregender Darstellung, das
»nnte hier natürlich ganz anders als bei jenen theologischen
Arbeiten zur Anwendung und zur Geltung kommen. Das
t S. hweitter *. «. O. 8. Ofi.
614
Acht«« KapÜfL
Wort: „Ich kann Ober niemand »rhrcihen, den ich nicht
linbe 4 ', hnt hier seine Stelle. Weil in Meinen Biographien
IctJna Situation geschildert» kein Ereignis erzahlt ist, worein
er »ich nicht lebendig versetzt, die er nicht mit den Personen
seiner Erzählung wurm und innig durchotnpfunden hatte,
sind sie so glaubhaft und so anschaulich, so anziehend und
so liebenswürdig geworden. Und was er im Leben Jesu und
in der Glaubenslehre so virtuos geübt hatte, die Fertigkeit
der kritischen Sichtung, der geschickten dialektischen Ent-
wicklung und Abwicklung, der durchsichtigen Klarheit
und der logischen Gliederung, auch davon war in den Bio-
k'riiphien wohl Gebrauch zu machen. So kam in ihnen oral
seine „wunderlich zusammengesetzte Natur" ganz zur Gel-
lung, und darum ist er dieser unvergleichliche Meisler bio-
graphischer Kunst, dieser schriftstellerische Künstler aller-
ersten Ranges geworden.
In dorn Wort: „Ich kann über niemand schreiben, den
ich nicht bebe", liegt aber freilich auch eine Gefahr, dieGefahr,
parteiisch und einseitig zu werden; und ihr erliegt der Biograph
leichter als jeder andere. Strauß war davor geschützt durch
seinen kritischen Geist und seine unbestechliche Wahrhaftig-
keit. Woher wissen wir denn bei Schubart und Frischlin
und Hütten alle die Fehler und Flecken, alle die Aus-
schweifungen und Verirrungen ihres überschäumenden Tem-
peraments und ihrer ungezügelten Sinnlichkeit? Von ihrem
Biographen Strauß, der nichts vorborgen und vertuscht,
nicht« abgeschwächt und verschönert hat. Schubarts an-
stößiges Zusammenleben mit seiner Magd, der Barbara
Streichehn von Aalen, Frischlins Ehebruch, der Verlauf
der venerischen Krankheit, an der Hütten 15 Jahre lang
gelitten hat und schließlich zugrunde gegangen ist, — wer
hat darüber offener und unumwundener gesprochen als
Strauß ? Mit Recht sagt daher Kuno Fischer *) mit Beziehung
*) Kuno Fischer a.a.O. 8.35.
Strauß ab Biograph.
616
auf die Hutton-Biographie: „Es ist nicht wahr, daß die Li^b« 1
blind ist. d. h. die blinde Liebe ist blind, die wahre sieht
mit durchdringenden Augen."
Zum Biographen im großen Stil gehört dann weiter.
daß er nicht nur Künstler und Poet, sondern daß er auch
Historiker ist. Als solcher hatte sich Strauß im Leben Jesu»
etwa so wie Schwegler in seiner römischen Geschichte, d. h.
wesentlich kritisch zersetzend, in der Glaubenslehre dagegen
ganz modern entwicklungsgeschichtlioh betätigt. Zugleich
zeigt sich darin, daß er der Glaubenslehre ein Leben Jesu
vorangehen ließ, vom ersten Spatenstich seiner Arbeit an
seine Vorliebe für das Individuelle und Lebendige in der
Geschichte. Daß daraus dort, bei Jesus, kein positives
Lebensbild geworden ist, daran war nicht er. sondern waren
die Quellen schuld. Aber dann kam in den „Friedlichen
Blattern" schon ein solches Positives nach, da» fein
und mit Liebe gezeichnete Bild von Justinus Kerner und
seinem Haus; es kam jener Autsatz über Daub und
Schleiermacher, der es nicht nur mit ihren Systemen dogmen-
geschichtlich, sondern mit einer scharf umrissenen Zeichnung
und Parallele ihrer Persönlichkeilen zu tun hatte. Gerade da
sieht man, wie für Strauß hinter dem Unpersönlichen der
Lehre und der Weltanschauung stets das Persönliche und
das Menschliche das Interessanteste gewesen ist, und wie
er von Anfang an verstanden hat, dasselbe portratahnlich
herauszuarbeiten. Auch im Julian ist es ein Mensch oder
sind es zwei Menschen, der romantische Cäsar und der
romantische Preußenkönig, deren Bild er, diesmal freilich
nicht ohne Tendenz, aber darum doch historisch richtig
entwirft. Und dann endlich die eigentlichen Biographien:
noch unsicher und skizzenhaft, weil bloß als Umrahmung der
Briefe, der „Schubart'*; voll Liebe das Genrebild „Marklin";
und zuletzt, nach diesen Vorübungen, die großen Meisterwerke
„Frischlin" und „Hütten", wozu wir hier schon als dritte«
und letztes den „Voltaire" stellen müssen. In ihnen steht
;.!.,
AcliUs KapiWL
Slrauß auch historisch auf voller Höhe. Freilich ein geschulter
Historiker war or nicht. Daher machten ihm die gelehrten
Vorarbeiten, recht mühsame und zeitrauhende Vorarbeiten, hei
Frischlin mit seiner entsetzlichen Handschrift und ebenso bei
Hiilton, dflBNO Werke damals noch nicht in einer Gesamt
ausgäbe leicht zuganglich und dessen Briefe wenigste ns t e ilweiso
noch au» dem Manuskript zu entziffern waren, — dieses StolT-
sanunclii und Exc.orpieron machte ihm darum viel Mühe»
er nennt sich selber dafür nicht ., findig 1 * genug. Und jeden-
falls war ihm dieses gelehrte Tun weit weniger genußreich,
als die künstlerische Ausarbeitung und Gestaltung des ge-
sammelten Stoffe», woran er deshalb immer erst ging, wenn er
mk jenem ganz fertig war. Aber trotzdem hat er »ich auch
jener gelehrten Arbeit gewissenhaft unterzogen und sich
darin allmählich immer besser zurechtgefunden; auch ist
ihm ein Mangel oder eine Unterlassung nach dieser Seite hin
niemals vorgeworfen oder nachgewiesen worden. Wissen-
schaftlich, gelehrt-historisch beherrschte er »einen Gegen-
stand vollständig, nur subjektiv, in der fehlenden Freude
au solcher Gelehrtenarbeit und in dem Genuß, mit •im
nach ihrer Erledigung an das Formen und Gestalten ging.
sieht man, daß er zuerst Künstler und nur um des Zweckes
willen auch Historiker war. Und doch httngt ein — Mangel
dürfen wir nicht sagen, aber ein bestimmter Zug sei
biographischen Schaffens recht charakteristisch mit dieser
seiner Goislesarl und Arbrilswrisn zusammen. Der Hütten-
biographic fehlt, was wir zunächst erwarten, fast fordern
mochten, der breit und satt ausgemalte Hintergrund des ganzen
Renaissance- und Reformalionszeilalters, von dem sich die
Gestalt des Helden abhebt und in den sie sich auch wieder einzu-
fügen, gelegentlich unterzutauchen hat. Und beim „Frischlin"
kann man, soweit es sichumsei neTätigkeitals Rektorin Laibach
oder in Braunschweig und um seine grammatischen Kämpfe
und Reformpläne handelt, ein Bild von dem uns heule aus der
( ',< M'hirltteder Pädagogik bekannten Schulbetrieb jener Zeit im
Strauß all Biograph.
511
allgemeinen uud großen wirklich vermissen. FnscbÜus Können
und (lu< Hcilriif nicf •■ein. : fclJÄItt'M winden ilmlureh e: .1 ilir
TOUtt und ihr richtiges Gewicht bekommen hnhen. Die llutten-
biographie ist, ebenso wie der ..Frischlin" und später der
ii.iuv", durchaus individualistisch, alles dreht sich tun
den einen und konzentriert sich in dem einen, eine Milieu-
schilderung ist es nicht. Das hängt, wie gesagt, damit zu-
sammen, daß Strauß von Haus aus kein Historiker, sondan
seiner Begabung und Neigung noch eher etwas wie ein Roman-
schriflstcller war; ein Romanschriftsteller nicht iu der Art
Zolns, sondern in der Art Goethes im Wilhelm Meister.
Strauß interessierte das Psychologisch-Menschliche mehr
als das Milieu, es interessierte ihn eigentlich ausschließlich.
Und das führt uns noch auf ein «weites. Strauß gehört
mit seiner ganzen Denk- und Seinsweise dem individualisti-
schen Zeitalter au, in das er hineingeboren und hinein-
gewachsen war, wirklich noch dem Zeitalter Goethes, wifl
.lieser uns in Wilhelm Meisters Lehrjahren die Entwicklungs-
nd Erzieh ungsgeechichle eines Individuums erzählt hat,
und dorn Zeitalter des Neuhumanismus, der durchaus indi-
vidualistisch und aristokratisch war. In die neuhumanistisclt*
Welt- und Lebensanschauung ist Strauß schon durch
meinen Lehrer Korn in Blaubeuron eingeführt worden, an
Goethe hat er sich gebildet und diesen daher auch fraher
schon gegen die törichten Angriffe eines Bildungsphilisters
wht Menzel verteidigt, und Wilhelm Meisters Lehrjahre
sind für ihn als Biographen immer vorbildlich gewesen.
Nicht die Wanderjahre: diese sind sozialistisch. Aber damit
war Goethe »einer Zeit vorangeeilt; das soziale Zeitalter
war in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts erst
i jn-- i ;m im .Aii/ii;' und Werden, und der einsame und
ganz nur auf sich gestellte Strauß war darum keine
soziale, sondern eine ganz individualistische Nutur, üb-
twohl wir auch davon spater einen Abzug werden machen
TW tl^Wf, D. t: tfUuft. IL 84
618
AWr weaa bei Fnscahn ialotgt
Art der Darsfllaag daa Bild etan
faüca tat. obgleich du Tübinger Milieu «ad das gelehrt«
Zanflweeen an dem ScaäcfcanJ den am doch recht kUr
herauskommt: bei Hatte» tedenfaaH wie analer bei Voltaire
wer dieses Einzelleben reich genug «od mebte dam euch
Toflailiaa'lf, am zu einer SeaaUenaag Ar awh, |a e» war reich
gaaog, un ron diesem einen Punkt iu zuginch noch das
nötige Licht auf da» Genie za werfen, auf die Zeit and Weh.
in der Hütten mitten inne »Und. Nicht aar die Freunde
Ootoa Rubianus, Eoban Hesse, Mutianus Rufas und spater-
bin Franz von Sickxngcn. selbst wieder Individuen von
beno ■ derer Art, lernen wir tum Greifen deutlich kennen:
auch die großen Bewegungen der Zeit, der Humanismus
und seine Kampfe mit einer schal und barbarisch gewordenen
Scholastik, die nationalen gravanuaa der Deutschen gegen
Rom, die beginnende Reformation und Luthers alle über-
ragende Größe, sie alle treten uns an der Gestalt Hütten«,
an seinen Kämpfen, seinen Schriften, »einen Schicksalen
klar vor Augen. Hütten ist eben groß und bedeutend genug,
so daß in ihm seine ganze Zeit sich malt und abspiegelt; in
ihm laufen die Fäden und die geistigen Strömungen jener
gewaltigen Sturm- und Drangperiode unseres Volke* wie in
einem Brennpunkt alle zusammen, wir brauchen sie nicht
noch besonders uns ausspinnen und ausziehen su lassen,
in ihm sind sie alle wie konzentriert und werden darum
auch allen sichtbar und verständlich. So ergänzt sich sozu-
sagen von innen heraus, was von außen ange-sriirn etwa. li*hlt
Darum ist ahrr auch die Huttenbiographie ein so gutes
und, entsprechend der Größe ihres Gegenstandes und seiner
/.eit, ein so machtvolles Buch geworden. Daß die AlMt
gut wnr, bewies diesmal auch die Aufnahme. Frischlin
hatte nur ein spärliches Echo gefunden; aber das über-
raschte Strauß nicht und verdroß ihn nicht. Das War
Kaviar fürs Volk, ein Stück Gelehrten- und Universität*-
Slriuß als Biograph.
619
iohte, also trotz des glänzenden Stils und der künitli-n-
sehen Gestaltung deft Stoffes kein Buch, das auf/ weite Leser-
kreise berechnet war und sich Hoffnung machen konnte.
Gans anders der Hütten. 1857 war in Deutschland tint
hose Zeil, die politische Reaktion uoeh in voller Blflte, Kinlnil
und Freiheil scheinbar ferner als je. „Es waren die Jahre,
da Germania noch einer erschöpfenden Fehlgeburl in tiefer
Sehwache lag, da die großen und kleinen Oranger ihrer
von neuem Meister geworden waren, da übermütige Nach-
barn sie verhöhnten, da selbst jene schwarzen Vögel, als
wäre sie schon eine Leiche, herangeflogen kamen und sie
krachiend umschwärmten Es war die Zeit der Konkordate,
jener Knechtungsvertrage mit Rom, von denen, nachdem
Österreich vorangegangen, auch die Übrigen Staaten de*
südlichen Deutschlands sich bedroht sahen." In diesem
Augenblick kam zur guten Stunde der Rul: ist denn kein
Hütten da? und weil unter den Lebenden keiner war, unter-
nahm es Strauß, das Bild des Verstorbenen tu erneuern und
ihn dem deutschen Volke vorbildlich 1 ) vor Augen zu stellen.
Und sein Unternehmen war nicht umsonst, es kam sogar in
diesem Augenblick eben recht. 1859 war es mit der Reaktion
zu Ende, es folgte in Preußen die Ära Wilhelms 1. und in
Deutschland 1866 und 1870 die Ära Bismarcks, es kamen,
») Ich habe absichtlich das Wort „vorbildlich" in diese dem
Vorworl zur zweiten Auflag* de» 8truußschen Hütten entnommene
Stelle eingefügt, um dabei an ein» recht merkwürdige Bemerkung
IV. I'aulsens in seiner „Geschichte des belehr Len Unterrichts", 2. Aufl.
1. 1606, su erinnern. In je nur fast gar mit Janssen und Demfle weit
tffarnden Schilderung de« humanistischen Zeitalters heittt « 8. 86:
„Befremdlich bleibt, wie ätruuU den fränkischen Ritter, der. an elender
Krankheit dahinsiechend, «lleieit ohne Oold im Beutel, ober voll
großartiger Ansprüche umherzog und mit lateinischen Versen die
libumlitnt. von geistlichen und weltlichen Herren stimulierte, ols
'ftfk.iinpfrr d.'iiUrii.r li.'iln'it und Ihldiiug dum deutschen Volke
hliwUlIon konnte. — Abur «r hat Rum angegriffen. — Ich dlltiN di>eh,
.Uli es heiserer W Affen und besserer Manner im Kampf für deutsche
HO
Acht» K*piUL
kamndaÄzWin Jahre am waren, Kaieer und Reich. So verstand
dieamai öm deutach» Volk Strauß and ww er mit seinem
Helden jrewoBl hatte. Kr fand in dem Zorneiler de» frtnki-
•eben Kittees gegen das hehl- und freih-'iUeindlictifl Rom
und in desaen Mahnung an Min« Deutschen, einif und vJfot-
bewuBt xatamrncnzu*teb«n gegen den Übermut der Fremden.
cid Wort zu rechter Zeil. Zwar eine »weite Auflage erlebte
das Boch erat ri#rz*hn Jahre spater: die Aaüaga war au
Htarfc K>oocnmfD worden und die Form de» Baches durch
die vielen lateinischen Quelleiustellen noch immer eine «u
gelehrte; deahalb lieft Strauß 1871 den Ritter durch solches
Gepäck woniger beschwert seinen zweiten Ausritt antreten.
Aber gleich bei meinem ersten Erscheinen kam ihm doch
von vielen Seiten ein freundlicher Widerhall «ntgr^n:
..das Buch ist, als es im Sommer 1857 herauskam, mit all-
k'ornririMni Beifall uufgenommei worden", *utf1 ei selber.
JeUt hatte Strauß das Ohr seines Volkes, man freut« sich
an der schönen Form und an dem freien Geist, der sie be-
lobte, man freute sich des Ritters und lobte Hemm Biographen.
Das war für Strauß ein ungewohntes Erlebnis. Er, der
Ausgesloßene und Vcrfehmte, der fast schon Vergessene.
war rehabilitiert und mehr als das, er war ein beliebter
Schriftsteller, >in gerne gehörter Rufer im Streit, einer der
Führer und Vorkampfer seines deutschen Volkes geworden.
Das mußte ihm nach langer böser Zeit tief innerlich wohltun
„e* wäre AlTektation, wenn ich das leugnen wollte", hat er
in »einer allerletzten Schrift lejcb bekannt. 7.u dein Glück-
iTi'ihi-ii und Bildung bedurfte und DOÖl] iUl lagt bedarf l'-nil-^n
taatt ilnmnU norh nicht, daß er hold darauf selber genötigt »ein wnrde,
i.U phi!i>M>phu> iniliiuii „Korn anzugreifen" und sich gegen ftafaM
Aiupruchn fur ilniUrhii Fnihml und Bildung »u wehren. Ich finde
überhaupt in <I**u kurzen flchWißbemerkungen von Strauß in seinem
Hatten H. 530 ff (Gi*. Schriften Bd. 7) mehr gescuichtlicho6 Ver-
sUndnis für da* VerhAlt ni* de» Humanismus tur Reformation all
in allem, wua Puulson darüber geschrieben hat.
& trau 8 ab Biograph.
m
losen kam das Glück, oder vielmehr, es war schon vorher,
schon während und durch die Arbeit Am Hutton bei ihm ein-
gekehrt. Denn wir wissen schon, wenn hei Strauß ein Wirk
abgeschlossen war, dann folgte allemal erst eine Periode der
Verstimmung oder, wie er einmal sogt, „der Lebcns-
stockung".
Doch ehe wir zu solchem Persönlichen weiter- oder
vielmehr zurückgehen, müssen wir in diesem Zusammen-
hang neben den drei oder vier gm Um Biographien, di<-
Strauß etwa ein Jahrzehnt hindurch beschäftigt habeu,
nooh einer Reihe kleinerer hingraphischi-i Skiy.y.eu gedenken
wie sie, da und dort erschienen. 1862 in efaMf ersten. 1S66
in einer zweiten Sammlung „Kleiner Schriften' 4 vereinigt
worden sind. Von dem 1839 erschienenen Essai Über Justinus
Kerner war schon mehrfach die Rede, und ebenso ist des
Nekrologs auf Ludwig Dauer als eines Vorspiels zum Christian
Marklin bereits gedacht. 1849 folgen die beiden Aufsätze
Über August Wilhelm Schlegel und Karl [mmermann, für
Brockhaus' „Gegenwart" bestimmt. Schlegel hatte Strauß
auf seiner H hei n reise im Jahr 1H3K persönlich kennen ge-
lernt. Köstlich schildert er den Besuch bei dem citeln Mann.
„Es war im Herbst des Jahres 1838, ah der Verfasser, ein-
geführt durch seinen Landsmann Rehfues 1 ), zu Ronn in
A. W. Schlegelß Besuchzimmer trat, erfüllt von oll der
Hochachtung, welche des Mannes Verdienste um die deutsche
Literatur jedem einflößen müssen, der sie in ihrem Im
fange kennt und nach ihrem Gewicht zu schätzen versteht
Vom Annoir blickte des Bewohners Marinorb tote nieder
und hinter ihr noch ein in Ol g#Mnnltes IMdius denselben
hervor, wahrend er seihst in brauner, jugendlich lockiger
Perücke, in blauem Frack und grauen faltigen Pantalons.
mit munterer, fast frivoler Beweglichkeit uns entgegentrat
') Philipp Jortopu Rehfun* wur Kurator d*r Univnrdtal Bonn
von 1819— «842.
■YJ'J
Acht« KafäteL
und <!i n Fremdling freundlich willkommen hieß. Da wir
unterbrochen wurden, so lud er diesen ein, ihn übend» noch
einmal zu besuchen. Am französischen Kamin, in welchem
ein lieblich duftendes Feuer i alert *aß je tri ein alte» Mann-
chen, im Schlafrock ohne Perücke, da» kahle Haupt mit
• lncm schwarzseidonen Mützchen bedeckt. Um so mehr
sollte nun aber seine geistige Toilette Überraschen. Aua dem
speziellen Fache des Verfasser» brachte er eine Masse von
Notizen und Problemen hervor, mm Teil als Fragen an
diesen, worauf aber keine Antwort abgewartet, sondern
alsbald zu andern und wieder andern Gegenstanden über-
gesprungen wurde. An einen zusammenhängenden Ge-
dankengang von seiner Seite oder an eine wechselseitig*-
Unterhaltung, in welcher beide Teile sich menschlich naher
hatten kommen können, war nicht zu denken, und der so
seltsam umgewirbelte Gast hatte sich von einem wahren
Schwindel zu erholen, als er sich, aus dem Hause getreten,
wieder auf der nächtlichen Straße befand. Solange er frisch
ist, verstimmt ein solcher Eindruck immer und trübt da«
Bild, das man sich von einem merkwürdigen Manne
entwürfen hatte, den man bisher nur gleichsam von seiner
unsterblichen Seite kannte und nun auch von der sterb-
lichen kennen gelernt hat: doch gleicht sich dies bei dem-
jenigen, der von den Verdiensten eines solchen Manne*
i'iii' 1 klare Erkenntnis hat. bald wieder aus." Und darum
folgt nun auf diese anschauliche Schilderung des eiteln
Alten eine feinsinnige Charakteristik des Schriftstellern und
eine gerecht abwägende Würdigung dessen, was er für
Sprache, Literatur und Bildung des deutschen Volkes ge-
leistet hat. Es gehört vor Hoyms großem Werk zum Besten,
was bis dahin über die romantische Schule gesagt worden
war, und war zugleich so etwas wie eine Abrechnung
Simulien« mit seiner eigenen romantischen ErsUingsperiode.
Immerm um i hat Strauß niehl persönlich gekannt; aherdie
baulich« Schilderung seiner Persönlichkeit fand er im
Slrsuft *b Biograph.
RM
„Münchhausen' 1 , und das Biographische über seine Jugend
kcmnte er seinen leider unvollendet gebhebcMien^MeiiioniUilien"
entnehmen. So geht auch hier dem Literarhistorischen und
Kritischen ein Bild des Menschen voran» der ihm diesmal besser
gttficl als der Schriftsteller und Dichter. Was er über die
beiden Hauptwerke — die Epigonen und den Münchhnusen
— sagt, ist trefflich. Der verfehlte Schluß des ersteren ist
ihm nur wieder ein Zeichen der „romantischen Krankheit,
glrichnam einer Selbstzerstörungslust, entspringend aus dem
geheimen Zweifel des Poeten an der Realität seiner Schöp-
fungen 4 *. Der Münchhuuson ist — und das hat sich ja
inzwischen durchaus bewahrheitet — „seinem einen Bestand-
teil nach ebenso gewiß lotgeboren, als nach dem andern
— der Schilderung des Oberhofs und der knorrigen Eiche,
seines westfälischen Hofschnlzen — unsterblich". Wenn
er aber etwa mit dem Dichter Iuunermann allzu scharf ins
Gericht gegangen sein sollte, den Menschen, den Charakter,
»eine tüchtige und kräftige Persönlichkeit hat er gewiß
nicht verkannt.
Zu Ludwig Timotheus Spitllcr führten ihn der Hauch
Lessingischen Geistes, den er in ihm fand, und die lands-
mannschaftliche Vorliebe. Spittler war ja „ein württembergi-
scher Theologo, natürlich also aus dem in solchem Falle
unvermeidlichen Tübinger Stift". Zugleich interessierte
ihn, gleich nach der Vollendung des Hütten im Jahr 1857,
dieser bedeutendste schwäbische Historiker als solcher und
als freigesinnler Politiker; seine schiefe Stellung unter dem
absolutistischen König Friedrich von Württemberg füllte
überdies eine Lücke aus zwischen dem Herzog Karl, der
ihm durch Schubart nahegetreten war. und dem König
Wilhelm I., unter dem er selbst zu leiden gehabt und von
dem er nach seinem Tode im Jahre 1804 ein nicht eben ge-
schmeicheltes, aber durchaus gerechtes Rild entworfen hat,
Und Landsleute waren auch dtfl Haltt, von denen uns
Strauß in einer Reihe von Aufsätzen rrzählt. Di« In*-
524
Achtes Kapital.
malde»ammlung de« Freiherrn von üxküll in Karlsruhe, die er
J863 k*nno* gelernt hatte, führt« ihn auf die deutsch« Malerei
um die Wende de» 18. rum 19. Jahrhundert Au» dem
Nachlaß Uxküll» gab er Joseph Kochs Gedanken Ober
altere und neuen? Malerei heraus, soweit si* nich fnr den
Druck eigneten, und kam dann weiter zu üxkull.i Freund,
dem 1852 verstorbenen Historienmaler Eberhard Wachler,
der freilich in Ho in nach schlechter romantischer Sitte
Konvertit geworden war, dessen Hauptwerk'' Im nun
Hiob und sein Sokrates, nicht romantisch, sondern durch-
aus klassisch gedacht und empfunden sind; der letztere ll l
mir in meinem Arbeitszimmer noch honte ein lieber Freund.
Der Aufsatz über ihn war zugleich ein Nekrolog auf den
eben (1852) gestorbenen. Neben ihm (und Carstens) steht
dann weiter, als , .einer der Erneuerer der deutschen
Malerei", Gottlieb Schick, der uns heute von Wilhelm
v. Humboldts römischem Aufenthalt hör bekannter ist, als
er es damals war '). Die schwäbische Heimat auf den von
ihr schlecht Debandelten und allzu schnell Vergessenen hin-
zuweisen, sollte der Aufsatz ,,Zur Lebonsgeschichte dos
Malers Göttlich Schick" dienen. Nehmen wir dazu noch
die Miszellen, „der Bildhauer Isopi und die Wappentiere
vor dem Stuttgarter Schloß" und „den musikalischen Brief
eines beschrankten Kopfes über Beethovens neunte Sym-
phonie und ihre Bewunderer", von dem noch tu reden
sein wird, so sehen wir, wie es nicht bloß die Literatur und
ihre Geschichte, sondern die Kunst überhaupt ist, die Strauß
interessiert, sehen aber auch, wie es — abgesehen von dem
musikalischen Brief — auoh hier fast durchweg das Bio-
graphische war, das seine Feder dolor in Bewegung
setzte. Überall sucht er hinter dem Kunstwerk den Menschen,
'> Bein Bild von Adelheid und Onbriolft von Humboldt «Uf
dem Jahre 1809 steht an der SpHio der Biogrtiphlt Gabriel« v
riülows.
Straufl ab Biograph.
6tt
und wenn er ihn gefunden hat. redet er mehr von ihm als
von seinen Worknn. Und wieder ist 08 das Humanistische
oder Klunsizistische und das Schwäbische, was ihm die
Themata stellt und ihn zum Schreiben reut.
Krinnorn wir hierauch noch einmal an den Aufsat?. M mn
Andenken nn meine gute Mutter" (1858) und nehmen Hit»
zwei Leichenreden (auf Dr. Sicherer 1861 und seinen Gruder
Wilhelm 18ß3) hinzu, .iie in den Kiemen Schriften mit Auf-
nahm« fanden, so gilt von der zweiten Sammlung noch mehr
alb von der eisten, was Strauß im Vorwort zu dieser über das
bunte Allerlei, das hier versammelt war, Achreibt : „Nun
weiß ich wohl, daß man die Herausgabe einer derartigen
Sammlung bei Leibesleben einem Autor eigentlich verübelt.
Kr «oll warten, ob man nach seinem Todo der Mühe Wort
finden wird, eine solche zu veranstalten. Dagegen will ich
im allgemeinen lüer nicht disputieren, sondern nur angeben,
was mich veranlaßt, solange nicht zu warten. Dem Schrift-
steller mag es noch so sehr um die Sachen zu tun sein, über
welche er schreibt; hat er einmal ein Vierteljahrhundert
lang'geschrieben, so wünscht er billig, vom Publikum auch
sich selbst nicht mehr schief und einseitig beurteilt zu sehen.
Welche Veranlassung hiezu in seinen frühesten Werken lag
(obwohl immer nur für solche, deren Blick nicht unter «Iie
Oberflache von Büchern und Geistern drang), verkennt der
Verfasser des Lebens Jesu nicht. Aber sogar noch neues tens
uus Anlaß seiner Hutten-Biographie sind ihm Öffentliche
Urteile über seine Geistesart zu Gesichte gekommen, die
[hm durch ihr Fehlschießen Spaß gemacht, zugleich aber
auch den Seufzer ausgepreßt haben: Ich wollt*, ich wäre
der reine Verstand, wofür ich euch gelte, so wäre mir man-
ches Ungemach im Leben erspart geblieben! Ein zwang-
loses Allerlei Wffllißehter Schriften zeigt «Im Verdinger nun
doch wohl von mehreren Seiten als ein in einer bestimmten
Richtung verfaßtes Werk, und kann d.izu beitragen, «las
abstrakte Gespenst einer rfnufttiglB Vorstellung von ihm,
GM
Acht« Kapitel.
das ihm nachgerade unbequem geworden, zu verscheuchen ."
Und von der neuen Folge sagt er 1866 ähnlich: „Eine bunte
Gesellschaft! wird beim Überblick dieses Inhalt« mancher
kopfschüttelnd ausrufen. Allein ich wollte einmal mein
ganze-, Or che* tax vorführen, d.h. von den verschiedenen
Instrumenten, die ich zum TroM. oder mir Kurxv.nl i
und nach erlernt, auf jedem ein Stackchen »um besten
geben. Vom I'iccolo darf man kein Adagio \ erlangen; aber
der Tag hat mein- als zwftlf Stunden, da» Leben linilhUflfl
Lagen und Stimmungen: und da i*t c% manchmal gar nicht
übel, wenn muii nicht bloß ein Instrument und eine Leier
zu spielen weiß." Aber geholfen hat ihm die Wlaeitig-
keit und Buntheit, die Liebenswürdigkeit und Grazie, die
er in seinen Kleinen Schriften zeigte, nicht allzuviel. wi»hl
galt er der Welt hinfort uls ein großer Schriftsteller, aber
der Verfasser des Lebens Jesu blieb er ihr dennoch, und erst,
als longo nach seinem Tode die ausgewählten Briefe er-
schienen, hat das große Publikum gemerkt, daß Strauß doch
nicht ,,der kalte herzlose Rechenmeister sei, der unbarm-
herzig mit den Heiligtümern verfuhr, die dem Froramt D
am Herzen liegen" l ), sondern ein feiner, liebenswürdiger
Mensch mit einem warmen Empfinden für allerlei Schönes
und Gutes und Großes in Kunst und Menschenwelt.
So hat sich denn auch der Mythus, der sich an sein
Wanderleben in der Zeit seiner biographischen Arbeiten
geknüpft hat, nur allzulang erhalten, noch Samuel Eck *)
halt daran fest: ein zweiter Ahasver habe Strauß in dieser
Zeit ein — „fast" setzt Eck sich vorsichtig salvierend hinzu:
da sind „die Ganzen" doch tapferer! — „ein Fast unstetes.
Wanderleben geführt, nirgends konnte er — ,, recht" sagt
Eck! — festwurzeln", nirgends fand er Ruhe. Und wahrend
Hnusrath unbefangen anerkennt, daß wir aus den Briefen —
») Ad. Hausrath in dflr BMprechmiK dtf ;ui*K**fihUrii Bnritr.
Protest. Kin-h'MU.-ituhi:. Julu \r li.
■) HamuH Eck. David Friedrich gtraufl, 1809, S. 1S4.
Strauß al= Biograph.
627
schr im Gegensatz zu solchen Vorstellungen — ..einen ge-
wissenhaften Familienvater kennen lernen, der nach Heidel-
berg zieht, weil da für seine Tochter ein passendes Institut
aufgefunden ist, der aber den Aufenthalt in Heidelherg, wo
er die innigsten Freundschaften geschlossen hat. mit Heil-
bronn vertauscht, weil er für seinen Sohn die schwabische
Schule der hadischen vorzieht", rechnet Eck drei Jnhro
nachher diese „Sorge um die Erziehung seiner beiden Kinder'"
noch „fast** gar mit zu den — ich weiß nicht, ob Sünden
oder Strafen des unsteten Mannes.
Ein Wanderleben war es allerdings, das Strauß in
den fünfziger Jahren geführt hat, wir wissen aber auch
bereits die Gründe, die ihn aus der schwäbischen Heimat
fortgetrieben haben, wo es ihm allein ganz wohl war,
und wo er mit allen seinen Interessen und menschlichen
Beziehungen allein „recht" festwurzelte. In München haben
wir ihn verlassen. Dorthin sollten im .November 1851 die
Kinder kommen. Um ihretwillen mußte ein eigenes Hauswesen
eingerichtet und mußte eine Dame ins Haus genommen
werden, die ihm die Kinder erziehen half. Als seine Ehe
ins Wanken gekommen war und die Trennung erst halb,
dann ganz ins Werk gesetzt wurde, da hatte fürs erste die
treue Karoline genügt. Von ihr muß in einer Biographie
von Strauß auch gesprochen worden. Karoline Gerber,
geboren am 28. Oktober 1798 als Tochter eines Sattlers
in Brackenheim, war schon bei der Großmutter von Strauß,
der Witwe des Kaufmanns RuofT in Ludwigsburg, im Dienst
gewesen und hatte diese verpflegt, seit 1824 war sie dann
Magd bei der Tante von Strauß. Friederike Strauß. Im
gleichen Hause waren die beiden Brüder Strauß heran-
gewachsen, und so hatte sich schon zwischen den Knaben
und der vertrauten Dienerin der Familie eine gegenseitig»*
Anhänglichkeit herausgebildet, die sich im Lauf der Jahre
immer mehr vertiefte. Auch bei der Pflege der Eltern von
Strauß, als diese auf dem Totenbett lagen, hat sie sich um-
Achtes KaattaL
sichtig und ftefiig b+utipt. N**h dstn Tod dar Muttsr
h**ocjrte sie, Doch immer im Dienst der Tante slea»end,
Strauß die Wasch« bts iu »einer Verheiratung. Auch die
Tanl* hat sie Im tu deren Tod im Jahre 1846 (popfl^t. Hin-
fort mehr selbständig wollt* sie sich jedesmal den Gliedern
der Familie Strand widmen, die sie brauchten. So sollte
sie e<ben zu dem erkrankten Wilhelm nach Köln gnhen,
aL» sie Strauß hei der Trennung von seiner Frao zur Pflege
der mutterlosen Kinder zu Mch rief. Damit begTüni
Strauß auch dorn Gericht gegenober «ein Verlangan, die
Kinder behnlten zu dOrfon. Damals hat ihr auch der Oheim
KuofT bezeugt, daß zärtliche Anhanglichkeil an die Kinder
und treueste Versorgung von ihr zu erwarten sei ■).
nun, wo es sich nicht bloß um Pflrgen und Aufziehen, sondern
um wirkliche Erziehung handelte, genügte natürlich die
V iii> Magd HOtÜ BHstl Str.'iuLi mußt« MM galnMati I'VjM
ins Haus nehmen, und da traf er es mit Fräulein Eb für
längere Zeit sehr gut; er rühmt — bezeichnenderweise —
vor .-illi'iti ihre Friedfertigkeit! Es ist für ihn ein rechter
Kummer gewesen, als sie schon 1852, um sich zu ver-
heiraten, ihn wieder verlassen hat.
Abnr wo sollte er sich mit diesem Haushalt ansiedeln?
München schien ihm dazu nicht geeignet, und so versuchte
er es zuerst mit Weimar. Dort hatte er kurz zuvor unter
oVr Führung seines Freundes Adolf SchöD, den er von
Tobingen her kannte und der jetzt Direktor der Kunst-
anstalten in Weimar war, unvergeßliche Tage verlebt. So
zogen ihn die N&he dieses befreundeten Hauses und noch
mehr die klassischen Statten Weimars mit der Fülle ihrer
Erinnerungen auch jetzt wieder dorthin. Allein es war ein
Mißgriff. Das litt mir erst dieser Tage, als ich wimW einmal
') Das Voraiw lohende Kt Rr&QtenteiU wörtlich einem Xeognis
I iiin.inini. n, -Li- K.iufmann Ituoff in Ludwigsburg am 6. Mir» 1S47
<I<t KarSÜM n.'fluT najaftllt hat (aufbewuhrt un Ä< hilW Muwim
ku Marbach).
Strauß als Biograph.
629
xu diesem unserem deutschen Mekka gewallfahrtct bin, so
recht klar geworden. Strauß war Schwabe durdi und durch.
Kurs vor Weimar beginnen die Windmühlen, in WcitOtf
bekommt man, wenn mnn vom Süden her kommt, zum
erstenmal gesalzene Butter, — d. h. Weimar ist .Norddeutsch-
land. Und Weimar mutet einen noch heute so philisterhaft
und kleinstädtisch, so unbehaglich und hofrntlich an: wie
muß es erst damals dort gewesen sein! So fühlte »ich der
von Mönchen herkommende Süddeutsche dort recht in
der Fremde, namentlich in den ersten Wochen, ehr die
runder mit der Haushälterin nachkamen. Kein Wem, kein
Bior, die Freunde Toctrinkerl so klagt er dem Bruder
die Wohnung malpropre und unbequem. Doch bald ..ent-
deckt er ein bayrisches Bier, freilich dreimal so teuer als in
seiner Heimat und nicht halb so gut; allein man gewühii!
Und der Bruder schickt Rheinwein. Zum Versuchen des-
selben lud Strauß fünf Hofräte ein: er fand allgemeinen Beifall,
aber „einem der teuren Männer soll er die Nacht und dm
ganzen folgenden Tag viel zu schaffen gemacht haben!
Überhaupt die vielen llofrate in Weimar! Einen Hofral
kann man daran erkennen, daß er in den Schloßzimmern
den Hut abnimmt, in den Kirchen aber ihn aufbehalt''! Und
zu haben sind sie in Gesellschaft nie ohne die Weiber, ..welche
mir im allgemeinen oino fatale Zugabo sind". Freilich so
ganz schlimm war es auch damit nicht. Er hatte ja den
„herzensguten 1 * Scholl, der sich ihm als wahren Freund
erwies und ihm mit seiner Familie alles erdenkliche Gute
antat. Sauppe, der damals Gymnasialdirektor in Weimar
war, stellte ihm seine schöne philologische Bibliothek zu
Gebot, und so las er einmal wieder eifrig Klassiker, darunter
auch solche, die man sonst weniger liest, wieVellejus. Auch musi-
kalisch waren seine Gefülde gemischt. „Gestern habe ich",
erzahlt er der Schwägerin, „bei Liszt, der hier Kapellmeister
ist, einem Violinquartett beigewohnt und mich dabei von
der russischen Fürstin Wittgenstein, die er nächstes Früh-
580
Acht» Kupilfl.
jnhr heiraten wird, anrauchen lassen — was will man mehr?
Da» Quartett i»l gut, nur sind die Leute etwa» rapplig durch
einen allerneueston Komponisten namens Wagner, der sich
hier aufgehalten hat, so duU ihnen Beethoven selbst noch
nicht toll genug ist, wenigstens spielen sie seine spätesten»
krausesten Sachen am liebsten. Meino bescheidene Anfrage
an Violino l-°, einen gescheiten, ganz jungen Virtuosen, ob
denn auch der alte Haydn noch bei ihnen ankommen dürfe,
führte il um doch ein Gespräch herbei, dessen Ende war,
daß er mir ungebeten versprach, nächsten Sonnlag solle ich
ein Haydnsches Quartett von ihnen hören." Zu den öffent-
lichen Quartettvorstellungen „schickten ihm die Herren als
grollcm Musikgönner ein Freibillelt, was ihm eine Verlegen-
heit ist". Und so blieb in Weimar das Beste doch immer
der Umgang mit seinen Kindern. Er hat „viel zu tun,
ihnen im Unterricht nachzuhelfen; da dauert ihn keine
Zeil, die er hierauf verwendet; da weiß man doch, an wen
man sie wendet, was man boiin Büchorschreiben nicht weiß".
Und ao ist er mit ihnen ..fortwährend wohlauf und guter
Dinge, wie seit Jahren nicht". Das einzig Unangenehme sind
die Briefe, die sie mit der Mutter zu wechseln haben und
die ein Anwachsen bei ihm immer wieder verhindern.
So schwankt das Zünglein der Wage für Weimar hin
und her; schließlich geben aber doch die Kinder dun Aus-
schlag gegen das Bleiben. „Es ist erstaunlich, was die
Kleinstaaterei hier fühlbar ist. lauter verrotteter Schlen-
drian, so bei Handwerksleuten wie in LehranslulUn."
Bis «um zehnten Jahre müßte Fritz in einem kleinen
Privatinstitut unterrichtet werden, das ihm nicht genügt.
und so 'lenkt er einen AugimUüek an eine. Ohersimihing
nach Jena, wo ein sehr gerühmtes Institut (da.« Stoysrhei
ist. Aber schließlich lockt ihn — für seine Kinder und
um ihretwillen Köln. liier finden sie i in Huuse des Onkels
Wilhelm Vorwandte und eine zweite Heimat, die ihnen das
Vaterhaus doch nur halb bieten konnte, und finden gleich-
SLruiiB aU Itiograph.
631
altrigt» Spielgenossen und Schulkameraden Davon ver-
spricht er «ich für sie und sich viel Freude. Zwei Jahre,
vom Sommer 1852 bis Herbst 1854, hat er dort gelobt. Dn
für diese Zeil die Briefe an den Bruder pausieren, so fehlt
mm der Hinblick in die Intimitäten seines häuslichen Lebens
in Köln. Wohl hat er sich aber dort nicht gefühlt. Dv
Bruder war viel krank, und die katholische Handelsstadt
bot Strauß außer in musikalischer Beziehung wenig An-
regung; er fund weder die Natur noch die Menschen, die
er brauchte, und auch die für seine Arbeit nötigen Bücher
konnte er sich nur von außen verschaffen *). Auch suchte
er gerndc damals für neue Arbeit tastend erst nach Stoffen.
Einen Augenblick dachte er an ein Lebensbild des alten
Kntionalislen Paulus, der 1851 gestorben war und dessm
Biographie aus der Feder seines Schwiegersohns, des Philo-
sophieprofessors Freihemi von Reichlin-Meldegg Strauß
— ich setze dafür einen parlamentarischen Ausdruck —
wenig befriedigte. Erst im Jahre 1854 fand sein tastender
Fuß festen Grund, der Furor biographicus packte ihn.
die Arbrii um ..Frischlin" begann. Eine ganze Kiste mit
Frischlinschen Briefen und sonstigen auf ihn sich beziehen-
den Akten kam vom Stuttgarter Archiv, und bald , .steckt
l ) In den Literarischen Denkwürdigkeiten heißt en über den
Kölner Aufenthalt: Hier „hatte ich meinen guten Bruder, hall* »eine
Familie seine Freunde; nhrr mein Verkehr mit ihm wiir tnila durch
sein Geschäft, teils durch seine Kränklichkeit sehr gehemmt; «in lite-
rarischer Umgang fehlt» mir, und weder diu Art der Stadt und Gngimd
noch dos Leben und Treiben der Bevölkerung konnte mir behauen.
Dtuu kam Not mit der Haushaltung. Die erst« Haushälterin, mit
floY ich und noch mehr die Kinder wohl versorgt gewesen, fand nach
Jjhrvxtnst Gelegenheit au heiraten; die zweite aber, obwohl mir von
Im- irr II. ,n.| iBnlllfl BlgsQ <■nir.fi-.hh -o. -/..-i^n- -i.h BRl ■■>!' DOttUllf
lirh, iti der l-'olg« als wirklich schlecht. Das waren keine YerhallniMe.
den liM-ktmili-n literarischen Prudiiktiunstriph in netten Khiß xu bringen.
Ich blieb in meiner Verbittern m:; e* entstand mchls, hwin-tn »ich
nichts vor. Die uinilgo 3«iU\ von der ich mich in Kein anguregt r.md,
war die Musik".
GGft
Adit« kmUh.
er bis Ober die Obren darin". Dt ihm aber auch die Schulen
in kulfi t<"ht zusagten, so denkt er darauf die Kinder
anderswo unteren bringen. Auf einer Heise nach Wurttenv
berg kommt er nach Öhringen, wu sein Freund Fischer ab
SUdtpfarrer lebt. Hier verhandelt er mit Prfixeptor Prenm
de^enHou*ihmjcner;iehrempfohlcn hatte, abnrdie Aufnahme
»eines Fritz. Und nun beschließt er auch che Tochter in ein
Institut zugeben. Kr geht nach Manuln -im, wo »ein Freund
H»tsch und »ein Verleger Bassermann ihn beraten. AbcrDiltcn-
berger. ein Schwiegersohu Daubs. damals Hofprediger in
Weimar» froher Stadtpfarrer in Heidelberg, gab für diese» den
Ausschlag. Er empfahl ihm ein dortiges Institut, an dem er zehn
Jahre lang seihst und nach ihm Pfarrer Zilie) (d.a.) Unterricht
gegeben hatte und das an solider Bildung keinem nachstehe. Vor-
steherin war ein Fräulein Hridrl. Da Strauß seinem Kiinl
„die schOne Natur von Heidelberg doch lieber gönnen mochle
als das Ode Mannheim mit seinem Kalkwasser und Beinen
Wanten", so brßchte er Georgine dorthin. Aber wohin dann
mit sich selber? Erst dachte er an Ludwigsburg, wo Karo-
line, auch wenn sie nicht zu ihm zog, die Oberaufsicht Ober
seinen Haushalt übernehmen konnte. Allein die Aussicht, dann
beide Kinder iu der Ferne zu haben, war ihm nicht mehr
ertraglich; und so zog auch er nach Heidelberg, wo er sich
tAglich am Wachsen und Gedeihen der Tochter freuen und
sie allsonn taglich ganz bei sich haben konnte. So halte
er ohne die Beschwernis aSgAMT Menage und ohne direkte
Erziehungssorgen wenigstens das eine der Kinder um sich.
Das zweite, was ihn zu dieser Wahl bestimmte, war die
Natur: darüber bedarf es für Heidelberg keines Wortes.
Seine Briefe zeigen, wie er die Spaziergelegenheit benuzt,
sich am Wald im Winter, am Erwachen der Natur im Früh-
jahr gefreut und ihr Leben in vollen Zügen mitgelebt und
milgenossen hat. Zum dritten war es die Bibliothek und
war es überhaupt die gelehrte Luft der i'niveraitalsstadt,
die dem wiedor produktiv gewordenen Schriftsteller den
Strauß ab Biograph.
638
nötigen Stoff und die gewünschte Anregung zuführten. Gans
andere als in Köln konnte hier der „Frischlin" gefördert
und zu Ende gebracht und der Plan zum ..Hütten 1 ' gefaßt
und durchgeführt werden.
Diese drei Dinge zusammen, das Sorgen und Sorgen-
Hürfen für andere, das Ausruhen von der Unrast de» Lebens
am Busen der alleinen ewigen Natur, und die täglich fort-
sr.|irritiMnlf Arbeit, haben StfftflB in Heidelberg mehr und
mehr gesunden und die Wunde, die die vierziger Jahre
ihm geschlugen hatten, langsam verheilen lassen. Dazu kam
aber noch eines, nicht das Letzte: der Umgang mit bedeuten-
den Menschen, die ihn verstanden, ihn durch ihre Hoch-
schatzung aufrichteten, in lebhaftem Gedankenaustausch aus
dem -scheinbar erkalteten Stein neue Funken herauszulocken
wußten und durch ihre warme menschlicho Teilnahme und
Freundschaft auch seinem Herzen wohltaten. Von Wnimnr
aus, vor der Übersiedelung nach Köln, hatte er dem Bruder
geschrieben: ,,Um die Menschen ist mir's weniger, die brauche
ich leider gar nicht mehr oder weiß sie nicht mehr zu brauchen
Ich bin hier außer mit Schölls rnil niemand öfter zusammen-
gekommen. Ich kann jetzt jedermann entbehren, in dieser
Beziehung bringt das Behagen mit meinen Kindern den
ie im n Widerspruch in meine Existenz, daß es mich von der
Welt vollends ablöst, mit der ich doch, den Kindern zulieb,
eher wieder etwas mehr in Verkehr kommen sollte." Das
wird nun in Heidelberg mit einem Schlag anders. Hier
findet Strauß Menschen, hier wird er wieder gesellig. Auch
die schwäbische Schwerfälligkeil hat er hier vollends abge-
legt und ist der Mann mit den feinen Umgangsformen ge-
worden, als der er mir in der Erinnerung lebt.
Mitte Oktober 1854 war Strauß in Heidelberg eingetroffen,
»am 6. November schon berichtet er dem Bruder: „Bekannt-
schaften hohe ich Ober dem fatalen Wohnungsuchon noch
wenig geraucht, hauptsächlich mit dem Dr. Fischer, einem
Dozenten der Philosophie, dem die Pfaffen kürzlich das
Tk Zlfflrr, 1'. fr Sirml. IL L\
534
Acht« Kapitel
Leaen gelegt haben. Er gefallt mir recht wohl und ift
1 Vi Tage mit mir wegen Wohnungen herumgelauf*
Es ist Kuno Fischer, der ExprivAtdozent, dem allerding»
kürzlich erst in Heidelberg auf der „Pfaffen" Betreiben hin
dir Vi-iiin legendi entzogen worden war. Was ihn dieter
und der Umgang mit ihm gewesen ist, darüber lassen wir
ihn am besten selbst reden. In den „Literarischen Denk-
würdigkeiten* 1 heißt es: ,, Einer der ersten llr-mhr, In
machte, war bei Dr. Kuno Fischer, der damals ala Privat-
dozent, dem aber das Lesen untersagt worden war, am Ort«
lebte. Ich hatte vor einigen Jahren einen Aufsatz von ihm
über L. F«*uerbach gelesen, der mir ala das Beste erscheinen
wollte, was bis dahin zu dessen Beurteilung gesagt war;
und jetzt war er ja fWlflOgfa) dos Interdikts, das infoli
logischer Denunziation auf ihm ruhte, gewissermaßen ein
Kollege voa mir. Ich fand einen noch sehr jungen Mann
mit hellblondem Haar und Schnurrbart, schnell und schärf
in seiner Rede, und norddeutsch-stramm in seinem Auf-
treten. So grell der Gegensatz war, den dies zu meiner Natur
und Art bildete, so kam er mir doch gleich von Anfang an
mit so viel Hoehschfitzung und Zuneigung entgegen, daß
ich mich vertraulich zu ihm hingezogen fühlte. Es mir in
seinem Kreise behaglich zu machen, trug nach näherem
Bekanntwerden auch seine Frau bei, von französischer
Herkunft, aber in Deutschland erzogen und so zart und
gemütvoll, daß sie dorn Deutschen durchaus als Lands-
männin erschien. Auch meine Tochter, und wenn er in
Ferien kam, mein Sohn fanden in der Familie Fischer, zu dar
noch ein munteres Tochtnrchnn von etwa zwei Jahren gehörte,
die fremi'UichHi« Aufnahme, und so bildete sich ein Ver-
hältnis, das, wenn auch längst durch Ortsenlfemung g<
hemmt, doch mich und, wie ich holte, mein« Kinder durchs
Lehen begleiten wird/' Aber auch bei der Arbeit, der I-Vrii •
Stellung des „Frischlin" zeigte Kuno Fischer „ein« ebenso
unerwartete als unschätzbare Freundesgabe. Von dem schroff
Strauß als Biograph.
MG
eigenartig erscheinenden Manne» der vollauf mit eigenen
Werken und Entwürfen beschäftigt war, die noch dazu ein*m
ganz andern Gebiet als meine damalige Arbeit angehm Leu.
konnte n-h bei senior Gesinnung gi*i»i ( n mich wi>lil froiimlÜokfl
Teilnahme an dem, was mich eben beachftftigte, aber nicht
dieses liebevolle Eingehen auch in das Einzelste erwarten,
wie ich es bei ihm fand. Mich mit Fis«her ober «inen Punkt,
den ich gerade unter Händen hatte, zu besprechen, gab mir
die entschiedenste Förderung. Mit bewundernswerter Leich-
tigkeit wußte er sich in die Sache, wie ich sie ihm vortrug,
zu verselten; eine Aufgabe, an der ich mich zerarbeitete.
ward alsbald auch die seinige, und BT machte im Cn>:.pnieh
gemeinsam mit mir Versuche, sio zu losen. Dazu kam noch
eines, was seinen Umgang so belebend für mich machte.
Mein Selbstvertrauen, wie mein Lebensgefühl Oberhaupt,
war 1 11 m besonders stark gewesen; damals war es, infolge
des langen Mißwachses auf seilen meiner literarischen
Tätigkeit zu tiefer Schwache herabgesunken. Seit meinem
Rücktritt uus dem theologischen Felde hatte ich nichts
Durchschlagendes, nichts, woran ich mir holte bewußt
werden können, daß meine Kraft noch ungeschlacht sei,
gesehneben. Fischer brachte mir eine Hoehsehatzung —
nicht bloß meiner früheren schriftstellerischen Leistungen,
sondern meiner lebendigen geistigen Potenz entgegen, din
mich, weil sie von einem selbst so geistvollen Menschen aus-
ging, im Innersien aufrichtete und nicht wenig dazu beitrug,
meiner Schriflslellerei einen frischen Aufschwung zu geben.. .
Zwischen Fischer und mir bildet« l>«i allen Gegensätzen
der Natur und der Geistesrichlung die gemeinsame philo-
sophische Bildung, insbesondere dor Durchgang durch das
Hegelscho System, einen Boden, auf d«m wir uns immer
wieder fanden, eine Voraussetzung, aus welcher heraus
wir uns zum voraus schon vorstanden." So wurde dio Freund-
schaft immer enger, die Freunde Straußen» wurden audh
Freunde von Fischer, namentlich an Rapp und seinem
35-
536
Acht« Kapitel
Pfarrhaus, in das ihn Straub* einführte, hatte di<*rr seine
helle Fremde. Darum war es für Strauß ..nicht bloD ein
Verlust, sondern ein Unglück", als Fischer im Frühjahr
1857 HddcUwnx vr.rbrß und dem Ruf nach Jena folgte,
der ihn wieder in den akademischen Sattel gehohen hat,
auf dem er dann so meisterhaft tu reiten verstand. Wie
ajo Krsatz für seine persönliche Gegenwart, dia Strauß nun
entbehren mußte, war es, daß Fischer vom Hütten bia mm
Voltaire die Hauptwerke von Strauß öffentlich besprochen *)
und drin deutschen Volk klar gemacht hat, was es an Strauß
vor allem als Biographen besaß. Daß er dabei in und nrhen
dem Schriftsteller auch den Menschen, den er ja freilich
intim persönlich kannte, der Wott vor Augen stellte, omp-
fand Strauß als ein seltenes Glück: er fühlte, daß ihm
Fischer damit eine Entschädigung hat geben wollen für so
manche Vorkennung, die ihm im Leben widerfahren war 1 ).
Nicht so vertraut wie mit Fischer, aber doch in „ver-
traulichem Umgang" nahe genug stand Strauß Gervinus.
Mit seinen Schriften war er lange- schon bekannt. Von
seinerGeschichte der deutschen Dichtung, seinem Shakespeare
und seiner Schrift über die Deutschkatholiken ist in den
') Diese AufcaUe von Kuno Fi schar über Slrnufl sind nun von
Hugo Falkenheim gesammelt erschienen in der schon mehrmals er-
wähnten Schrift „Über David Friedrich Strauß. Gesammelte Ant-
räte« von Kuno Fischer". Heidelberg 1908.
•J In dem schonen Gedicht „An Kuno Fischer*' bei dessen Be-
rufung nach Jena heißt es Ober ihr Heidelberger Zusammensein:
Mein Sohifflein schwamm die gleiche Bahn,
Es kam dem Deinigen zur Seite,
Erwünscht war beide» diiA Coloitot
So log man nachbarlich voran.
Ea waren Tage voll Genuß,
Man grüßte »ich am fruhon Morgen.
Vergaß im Redetausch die Borgen,
lu ZukunfUpljnen den Verdruß.
als Biograph.
:,;-.7
Briefen an Vischer und Happ seit 1842 Öfters und stet*
mit viel Zustimmung die Rede. Nun lernt er ihn auch per-
sönlich kennen, und alsbald wird ihm neben Fischer die
l[rl,;rtiril-r!ult Hill liiTvillUä die I LiexliW in illK'St i ' Mini liebste.
je naher er ihm kommt, desto achtungs- und liebens-
werter erscheint er ihm. Zuerst entdecken sie ihre musika-
lische, dann auch ihre theologische Übereinstimmung, nur
daß Gervinus eine pohlischere Natur ist als er. l.'nd das
kam sofort auch dem Hütten zugut, bei dem sich ja die von
Gervinus verlangte Wendung vom Literaten zum Politiker
tatsächlich vollzogen hat. Auch das rege Interesse Straußen»
an der Geschichte und ihren Vertretern in Deutschland, das
wir in den Briefen jener Zeit bemerken, wird auf ihn zurück-
zuführen sein. Doch lassen wir auch Über dieses Verhält-
nis Strauß selber reden: „Ich war", heißt es in den Utera-
rischen Denkwürdigkeiten, „seinem epochemachenden Werk
über die deutsche Nationalliteratur soviel Belehrung schuldig
geworden, hatte mich später an seiner Schrift über den
vereinigten Landtag in Preußen, wie an der vorzugsweise
von ihm geleiteten Deutschen Zeitung so erbaut, meine
Hochachtung vor ihm war so groß, daß mich verlangte,
seine persönliche Bekanntschaft zu machen. Allein es ge-
schah nicht ohne eine gewisse Scheu. Bei aller Geistes-
höhe war er mir immer zugleich als eine herbe Natur er-
schienen; und wie weit in religiösen Dingen sein Freisinn
ging, war mir infolge einiger Bemerkungen über die neuere
theologische Kritik in seiner Literaturgeschichte zweifel-
haft. Wie überraschte mich daher die freundliche, gemüt-
liche Aufnahme, die ich bei ihm fand, und die mein Inneres
so aufschloß, daß ich nach einer halben Stunde mit der Über-
zeugung von ihm ging, auch hier ein Verhältnis auf die
Dauer angeknüpft zu haben. Auch mit Frau Gervinus,
die, bei mancher Seltsamkeit in ihrem Wesen, doch durch
den redlichen Krnsl ihres geistigen Strebens und das auf-
richtige Wohlwollen ihres Herzens mir bald lieb wurde,
588
Acht« KapUL
«rgab sich ein angenehmer Verkehr; wahrem! »eine Kinder,
bei der KindcrlnMgkfit des Paare*, hier weniger Ansprache,
obwohl stets freundliche Aufnahme fanden. 44 Freilieb ein
AberwarauchlOrihn dabei. „So hoch ich ihn um seine* Seelen-
aricU willen verehrte, »viel ich auch, besonder» in Beur-
teilung politischer Verhältnisse, von ihm gelernt hatte und
noch ferner lernte, so sehr auch in vielen wichtigen Punkten
unsere Ansichten zusammenstimmten: im ganzen war doch
»ein Standpunkt ein anderer, seine Art, die Dinge anzu-
fassen und zu schatten, eine andere. Kr war, wenn ich es
mit einem kurzen Worte ausdrücken soll, durchaus ein
sozial-politischer, ich durchaus ein ästhetisch-künstlerischer
Mensch. Kr schwfirrnte för Shakespeare und Handel, wie
ich Goethe und Mozart verehrte ; aber was er in jenen schätzte,
war doch weniger das Musikalische oder Poetische selbst,
als die sittlichen Ideen, die er in ihren Werken mittelst
jener Formen wirksam fand, das Dorische sozusagen in dem
Genius beider Männer, wogegen ihm das Ionische und Atti-
sche in Mozart und Goethe bereits als Erschlaffung md
Entartung erschien. Am meisten trafen wir noch in unserer
Verehrung für Lessing zusammen; aber auch hier, wenn
ich, wenigstens für den jugendlichen Leasing, von einer
gewissen Feehterbravour, einer Liebhaberei fflr dialektische
Virtuosenstücke sprach, begegnete ich uuf seiner Seite einer
Unbedingtheit der Bewunderung, die sich in betreff Shake-
speares zu starrer Orthodoxie steigerte. Es wurde über
diese Punkte besonders im Anfang unserer Bekanntschaft
viel zwischen uns gestritten, wobei ich oft lebhafter wurde
als schicklich war, wahrend Gervinus immer gleich freund-
lich und langmütig, freilich auch unerschüttert bei seiner
Meinung blieb." Auch ihn führte er seinen alten Freund. m
stu. An Pfingsten 1855 kam er mit Gervinus, Fischer und
Mohl nach Auerbach an der Bergstraße, wo sich von Mar-
burg her Zellers und von Tübingen Baur mit seinem Sohn
einfanden: „gleichsam ein Kongreß der phUosophisch-kriti-
Strauß ab Blogripb.
um und historischen Richtung"; auch dor Plön fÜMf
enschaftlichen Zeitschrift wurde hier erwogen, an dor
die Versammelten alle teilnehmen wollten; schade, daß
er nicht verwirklicht worden ist.
Der dritte endlich, tu dem sich in Heidelberg ein ge-
naueres Verhältnis bildete, war Dr. Locher, dessen Bekannt-
schaft Strauß durch Fischer machte. „Noch in München", er-
zählt er, „hatte ich einmal in der Beilage zur Allgemeinen
Zeitung einen Artikel über dortige Theater- und Musik-
zustände gelesen, der mir so wohl gefiel, daß ich mich nach
dem Verfasser erkundigte. Ka wurde mir ein Dr. Locher
genannt, der vor kurzem noch in München gelebt habe.
Ich fand ihn jetzt in Heidelberg und gewann ihn bald sehr
lieb. Kind reicher Eltern, war er, nach deren frühem Tode
sein eigener Herr, auf Universitäten gegangen, hatte sich
aber hier mehr von Kunst und schöner Literatur als von
einer Fakultätswissenschaft angezogen gefühlt. Besondere
dem Theater hatte er seine Neigung zugewandt, und wohl-
gebaut und von angenehmen Manieren wie er war, bald
auf Liehabertheatern Gluck gemacht. In Heidelberg wur
er durch Kuno Fischers hinreißenden Vortrag für philo-
sophische Studien gewonnen worden und bereitet" sich da-
mals vor, sich als Privaldozenl der Ästhetik daselbst zu
habilitieren. Eine schöne und geistvolle Frau stand ihm
zur Seite, und drei anmutige Kinder belebten das Hauswesen.
Eine mehrlagige Pftngatreise, die ich mit ihm, Fischer und
Gervinus in die Pfalz machte, gehört zu den angenehmsten
Erinnerungen meines Heidelberger Lebens. Insbesondere
zwischen Kuno Fischer und mir bildete Locher eine wohl-
tätige Vermittlung. Fischer, von Haus aus scharf, damals
noch durch die erfahrene Unbill frisch gereizt, gab sich bis-
weilen in einer Art, die meinem weicheren und gleichfalls
reizbaren Naturell empfindlich war; da war denn eine milde,
lerne, freundliche .Natur wie Locher unschAtzbar, um die
Gegensätze auszugleichen, Verstimmungen nicht «ufkomninn
540
Acates Eafatst
n Um». Ab er im Herbst 1855. too mi» Vi
steh xu habilitieren auf einmal abspringend. Heidesberg
Heß, empfand ick dies ab schweren Verlust, dar mir auch
nicht ersetzt wurden ist." Rspp gegenüber nennt er ihn
einen „hoehgohsMeteu «Ad guten Menschen'*.
Mit den beiden jüngeren Freunden Fächer und Locher
kam er auch beim Bier zusammen, er rühmte »ich sie tum
Kneipen verführt oder vielmehr „erzogen" zu haben,
den zwei gewöhnlichem Kneipabenden — ■— . aal
noch teil ein Landschaftsmaler Fries, der mit Viseher in
Rom gewesen war, ein Kaulmann Bielefeld aus Hamburg, dar
sieb nach weiten Reisen in Heidelberg xur Ruhe gu ss tit
halte und deutsch* Literatur bei Fischer studierte, endlich
ein aizilianbcher Principe Radali. der aber ein guter bloi
Deutscher war, dessen Vater ein aiüianiscbes
geerbt hatt*. Endlich ist unter den näheren Bekannten noch
Julius Meyer, der spatere Galeriedirektor in Berlin, zu nennen,
mit dem ihn Ästhetische Interessen tusammenfOhrten und
dem er Ober die Heidelberger Zeit hinaus freundschaftlich ver-
bunden blieb. Sehr warm schreibt er ober ihn: „Es ist
ein Mensch von ebenso schöner allgemeiner als gründlicher
Fachbildung, einem ebenso weltmännisch nobeln als innig
gemütlichen Wesen, mir mit der Ergebenheit halb eil
Sohnes, halb eines jüngeren Bruders tugetan und mir vor
allen meinen jüngeren Freunden wert".
Auch mit Hausser, dem kneipfronen Pfalzer. verkehrte
er; zu Schlosser wurde er »um Essen geladen, aber noch
lieber wur es ihm, wenn er sich mit dem ehrwürdigen Patri-
archen auf seinem Studierzimmer unterhalten konnte; Robert
Mohl, den Landsmann von Tübingen her, lernte er erst hier
kennen; selbst zum Chemiker Runsen ergaben sich Be-
rirrningnn. Zittel habe ich unter seinen Bekannten schon
genannt. Mit diesem weiteren Kreis, „den besten Mannern
von Heidelberg", kam er — auf sein Betreiben — jetlr \\ »ehr'
Montags bei einem Backer zusammen, der guten Wein und
StrauO als Biograph.
MI
ein eigenes Zimmer für solche Gflsollsrhuit« m hatte. Daß
es hier an Geist und Witz, an fröhlichen und scharren Worten
nicht gefehlt hat. läßt eich denken; daher haben es nicht
bkiB „die Frommen" dem Stadtpfarrer Zittol schwer ver-
dacht, daß er allwöchentlich mit dem Lcben-Jusu-Strauß
zusammtnsaß und seine ..gotteslästerlichen 11 Reden mit
anhörte. Dagegen wird die Bekanntschaft mit dem Ritter
Jusias von Bimsen, der ja damals auch in Heidelberg lebte,
keine zu nahe gewesen sein, zumal dessen „ganz« ge-
schwätzige Anmaülichkeit" Strauß widerwärtig war.
Auch nach auswärts streckten sich seine Fühlfäden.
Im nahen Mannheim war Heisch Musikdirektor, mit dem
Strauß einst im Stift zusammengoweson war. Mau erneuerte
die alte Freundschaft, verstund sich in gleichgestimmten
musikalischen Knieressen und Sympathien und besuchte sich
fleißig herüber und hinüber, allein oder mit Freund (tapp,
wenn dieser nach Heidelberg kam.
Die Arbeit am Hütten aber führte ihn von den Heidel-
bergern zu den Bonnern. Während Strauß sich dem franki-
schen Ritler zuwandte, war langst schon Professor Eduard
Böcking in Bonn damit beschäftigt, die Werke Hütten» zu
sammeln und ihre Herausgabe vorzubereiten. Durch Gor-
rinus wurden die beiden Huttenfreunde zunächst brieflieb
zusammengeführt Liebenswürdig stellte Böcking Strauß
seinen reichen literarischen Apparat für die Huttenausgabe
zur Verfügung; eiTrig gingen Briefe mit Fragen und Ant-
worten hin und her, und schließlich lud ihn Böcking im
Sommer 1856 zu sich nach Bonn. Es war zunächst eine
literarische Bekanntschaft, wobei Strauß mehr der Kmp-
fangende war. Er rühmt, wie ungemein er durch das Durch-
sprechen des Gegenstands mit Böcking gefördert worden
sei und daß er eigentlich erst durch ihn einen BegrilT \u<
kommen habe, was an gründlicher Urkundenforschung und
diplomatischer Genauigkeit zu einer solchen Arbeit grh>i .
Aus drr literarischen wurde aber auch hier bald eine perSÖn-
Strauß *U Biograph.
M8
reizt, daß Strauß allmählich aus der Rolle de» Empfangenden
und Lernenden in die des Gebenden und Lehrenden hinein-
gewachsen war und daß die leichtere Arbeit dos Biographen
von der Welt höher gewertet wurde, als seine mühsame
Sammlung der Huttenschen Werke. Dieser Unmut kam
dann an falscher Stelle zum Ausbruch. Einen Augenblick
verlor auch Strauß bei diesem unvermuteten tiberfall die
Kühe. Aber er ist es dann doch gewesen, der bei einem
Trnuerfnl! in Röckings Familie die unterbrochene Korre-
spondenz wieder aufuahm und zunächst äußerlich den
Frieden wieder herstellte, Bei Besuchen im Hause seiner
Tochter in Bonn hat sich das Verhältnis später auch
innerlich wiederhergestellt. Die Nachricht von seinem Tode
am 3- Mai 1870 war ihm schmerzlich. „Er wird mir, so
oft ich nach Bonn komme, sehr fehlen'*, schrieb er der
Tochter.
Es war eine Nemesis eigener Art, daß fast zur selben
Zeit Strauß seinerseits durch eine Besprechung seines
, .Hütten" schwer gekrankt wurde. Rudolf Haym hatte
1858 für die von ihm neugegründeten „Preußischen Jahr-
bücher" Strauß in Heidelberg persönlich als Mitarbeiter
geworben, und dieser hatte ihm auch sofort für das zweit» 1
Heft den prächtigen Essai über Spittler geliefert. Nun
sollte Vischerin den Jahrbüchern den Straußischen „Hütten"
anzeigen. Doch das lehnte Haym ab, da er diesen
selber besprechen wollte. Schon das verstimmte Strauß.
Als aber dann der Aufsatz Hey ms, noch im ersten Jahr-
gang der Jahrbücher, erschien, verstimmte ihn auch dor Inholt,
ihn", meint Strauß — . mußte er zurückweisen. Der Ton «bor war
wie in der ersten *o uueh hier durchaus freundlich. Die Anwiic? d«
ersten Bond« erschien in den „Grenzboten", Bd. I, 2. 8. 240 ff. I85tti
.in -v...!.. i..ml.ni im |l. ', s i ', ; \\ — Die Line!« vOB BtMflfl ■<"
Bneking liegrn nnf der Straßburger Bibliothek; sie hnbrii für nimm
Hutt*nfor*<.-her u<,< d minier ihren \Vnrt.
M4
Achte» KapiU-L
daß der Rezensent, wie Haym meint 1 ), „an »eine theologi
Vergangenheit erinnert und srinn biographische Methode
nicht in allen Stücken gebilligt habe"; er hatte sie „allzu
fllikrOHkfi|ii: rli Mini ]ili.liilu<.:i :i ' i'rn.i u u J. Il.i- |u' ihri
Strauß nicht vorziehen, und so wur Mio erster Beitrag au<
sein letzter.
1854 bin 1861 hat Strauß in Heidelberg gelobt,
sechs Jahre sind — er wußte es auch selber — die
liebsten in der zweiten Haltte seine« Lebens gewesen. Sie
haben ihn Ober den toten Punkt der Lebensstockung hin wegge-
hoben und ihm neues Leben gebracht. Äußerlieh sah ersieh der
Plackerei mit einer schlecht versehenen eigenen Haushaltung
enthoben. DicTochter, die er Sonntags bei Tisch hatte und die
auch sonst Spaziergänge und kleine Landpartien mit ihm
machen durfte, sah er vier Jahre lang in trefflicher Obhut an
seiner Seite heranwachsen, den Sohn wußte er in Öhringen
erst bei Preuners, dann bei Bogers (die Frau war Friede
Raup, die Tochter seines Freundes) wohl versorgt. Zu den
alten Freunden kamen in Heidelberg neue hinzu *), die il
') Aus meinem Leben. Erinnerungen von Rudolf Haym, 1901«
8 264 ff. Wenn Haym hier von der ..partikulamtiscaen Gruppe**
derer um Strauß redet, so kann das nur landsmaniw.hnftlich. nicht
politisch gemeint sein; sonst wäre •» falsch. Strauß war kein
ParUkn larisL
■) Oegenuber einer Bemerkung Hausraths m der Deutschen
Rundschau. März 1908, daß „nur ganz hervorragende NJchUchwaben
wie Kuno Fischer und Gervinus zu ahnlich engem Verkehr nie die
alten Studienfrounde zugelassen worden seien", weise ich darauf tun.
daß Strauß neben den alten Genossen aus der Blnnheurer und Tübinger
Z»:it, die natürlich Schwaben waren, sich außerhalb WurtUmbtrg*
duch nicht bloß jimn ^wni, sondnrn noch eine, gnnze /Vnwihl von nähere«
und nächsten Freunden gewonnen hat; ich nenne Wilhalm Vatk«
Berlin. Neumann in München, Adolf Scholl in Wulmar. Locher und
Meyer in Heidelberg, BAcking in Bonn. Damit fallt dar Vorwurf einer
gewissen Ausschlioßhchkeit dahin, falls es ein Vorwurf som soll. Denn
wer von uns hol mehr „Freunde"? Daß ihrer in Heidelberg nicht
noch mehrere geworden sind, daran waren übrigen* auch die damaligen
ätr&uQ als Biograph.
:.n
menschlich und wissenschaftlich wohltaten, bedeutende
Menschen aller Art. Ihnen zuliehe £nh er seine weltschcue
Einsamkeit auf und verkehrte nun wieder wie tu der
„Kneipe" so in den Familien seiner Freunde viel und gen
und entwickelte und offenbarte seine geselligen Talento des
Witzes und Humors und der fröhlichen Laune, die ihm einst
in Blaubeuren und Tübingen die Herzen seiner Altersgenoasen
gewonnen hatten. Daß sein Witz schärfer, sein Humor
schwerblütiger und bitterer war als in jener hunnloseu Jugend-
7.rit, das freilich ließ sich nach alledem, was dazwischen
lag, nicht lindern. Ganz besonders aber weckte der Heidel-
berger Aufenthalt in ihm die Arbeitslust und die lange
stockende Produktivität, Hier war er in wissenschaftln-lx r
Luft, alles um ihn her arbeitete und schrieb, das stockte
au. Und dazu kam die Ermutigung der Freunde, die ihm
Selbstvertrauen gab, und die vielfache geistige Anregung,
wie sie in einer Universitätsstadt ganz von selbst sich ein-
stellt. Bei Fischer fand er liebevolles Eingehen und ent-
schiedene Förderung, bei Gervinus volles Verständnis und
tatkräftige Unterstützung für die Gegenstande seines
Schattens. So konnte er genesen und so ist er in Ileidel-
un erquicklichen Porleiverhrillnksse an der Universität schuld, die
Strauß von Anfang jn störend in den Weg traten. „Zu moin-ni
Beduuurn", schreibt er gleich im November 185'» im Ztllur, „fand
ich, daß die Männer freierer Richtung hier in »wei Lager gespalten"
sind: Moloschott mit flogen und dorn tollen Kupp sind Ultrafcuor-
bnchianer und politisch Radikale, die an Gervinu.« usw. kein gute*
Haar lassen: dagegen bildet dieser mit Hausser. Fischer u.a. eine ge-
mäßigte Partei." Verkehren konnte er daher nur mit einem dieser
Kreise, und da schloß er sich dem Huusserschen an, — Au» dem im
Text Mitgeteilten geht übrigem auch hervor, was is mit d«tr uihIiihiii
Behauptung flausralhs auf sich hat, Strauß habe in Heidelberg „»tili
und zurückgezogen" geloht. So still und lurUckgvtogun, wie mit wenigen
Ausnahmen alle deutschen Gelehrten in kleinen Univer*it.U«tAdten
su leben pflegen, nicht weniger, aber auch kaum mehr. Ich wurde
eher sagen, er habe in Heidelberg aufgehört, so still und turuckfe-
zogen zu leben wie bis dahin.
646 Acht« Kapitel
berg genesen, ist wieder in die Welt hineingewachsen, der
er entfremdet war, und hat sich wieder zu den speziellen
Aufgaben zurückgefunden, die ihm seine Begabung, sein
Studiengang und seine persönliche Neigung nahelegten. In
Heidelberg ist er der große Biograph geworden, als den wir
ihn in diesem Kapitel kennen gelernt haben, der „Frischlin"
und der „Hütten" sind während seines dortigen Aufenthalts
erschienen. Hier hat sich aber daneben auch, langsam und
einstweilen noch unvermerkt fast, seine Rückkehr zur
Theologie angebahnt.
Neuntes Kapitel.
Die Rückkehr zur Theologie.
Der Hütten war fertig: was nun? Da taucht ein Plan
auf, der allerdings zunächst mehr von außen an Strauß
herangetreten zu sein scheint, der Gedanke einer — Lutln-r-
biographie. Ks lag ja sachlich nahe genug, von Hütten auf
Luther tu kommen, über den Strauß in der Biographie seines
Ritters so verständnisvoll und begeistert gesprochen hatte.
Man denke nur nn jene von ihm geschildert« Szene zwischen
Hütten und Sickingen — eine der schönsten in der Ge-
schichte unseres Volkes: „Am gastlichen Tische der Eborn-
burg sitzen in den Winterabenden zwei deutsche Ritter
in Gesprächen ober die deutscheste Angelegenheit; der
«ine Flüchtling, der andere sein machtiger Beschützer;
aber der Flüchtling, der Jüngere ist der Lehrer, der Ältere
schämt sich des Lernens nicht, wie der ritterliche Lehrer
selbst neidlos dem größeren Meister, dem Mönch zu Witten-
berg, sich unterordnet". Vor allem aber war es doch Ger-
vinuB, der ihm aus seiner Verehrung Luthers heraus und
in der Überzeugung, daß eben jetzt durch ein aus dorn rechten
Gesichtspunkte geschriebenes Werk über den grüßen deutschen
Reformator viel gewirkt werden könnte, diesen Gedanken nahe
legte, ftuno Fischer war schon weg, er würde ihm, meint
Strauß, ho wie er ihn kannte, schwerlich zu dem l'nter-
nehmen zugeredet haben. So machte er sich denn an* Werk.
fing aber mit Zwingli und seinen Briefen an, die den
schweizerischen Reformator noch ganz auf humanistischem
548
Nennt« Kapiltf.
Boden zeigten, um so am den Kern der Sache herum-
zugehen, „wie dio Katze um den heißen Hrn"; denn .
Theologischen wollte er vorerst noch nicht« witten. An Luthrr
reizte ihn also zunächst nur die große historische Person'
keit und daneben das rvin Mcnnchlicliu. Luther war, dann
mit Schubart verglriehbar. <m Temperamente- und Kraft-
mann, und so war es wieder Gegensatz und Ähnlichkeit
zugleich, die derbe Bauernnatur dieses heroischen Willcns-
menschen mit seiner von Haus aus starken und BRf kün-t-
lieh und mühsam gebändigten Sinnlichkeit, seiner ober alle
melancholischen Anwandlungen immer wieder sieghaften
Frohnatur und seiner im gegebenen Augenblick robust zu-
greifenden Tatkraft und Energie. Und Als Befreier seiner
Deutschen, um seines im Fonfarenton in sein Volk hinein-
gerufenen „Los von Rom" willen war er natürlich I
Strauß von Herzen teuer und ein Gegenstand freudiger Be-
wunderung. Darum Hebte er ihn, so hatte er wohl Über ihn
-x'hreiben können. Aber Ober eines kam er nicht weg, an
dieses Eine mochte er damals noch nicht wieder heran,
es war das Theologische; oder genauer gesagt: das Irra-
tionale in Luthers Sündenbewußtsein und RechtfertigungN-
glauben, sein Glaube, daß er und alle Menschen für sich
grundverdorben, der ewigen Verdammnis verfallen wftl
und nur durch das Blut Christi und den Glauben au dessen
Kraft davor bewahrt und erlöst werden können. Ein Nfann,
dessen Kern dieses Bewußtsein bildet, war ihm seit seinem
Bruch mit der Theologie so fremd, so unverständlich ge-
worden, daß er ihn nicht zum Helden einer biographischen
Darstellung macheu mochte; es fehlte ihm für diese Seite
in Luther die Sympathie, es fehlte ihm in diesem Augen-
blick sogar die Toleranz dafür; er fand sie einfach unsinnig»
widrig, abscheulich. So war er eine Zeitlang von /.weifefa-
ipialiTi hm und hergeris n, wie • t - ■ - - im dontUohftlM ftm
einem ganz an die ..w&gelnde" Art Viachers erinnernden
Brief an Rapp vorn 19. November 1857 hervorgeht, ,4dl
Die Rückkehr zur Theologie.
549
habe für Luther zu lesen angefangen. . . Um nun aber Luther
xn begreifen, muß man »eine Rechtfertigungslehre und dio
inneren Kampfe, die ihn dnzu führten, »ich deutlich machen,
»ich in dieselben hineinleben. Letztere» ist nicht leicht.
wrnig&tons mir nicht. Zunächst Bind um EÜMB Gemüts-
zustände widrig, und da* Resultat derselben, die Recht-
fertigungslehre, erscheint als l'nsinn. Nun sag' ich nur
aber: diese Geschichten habon dio Welt umgestaltet; unrli
du mit allem. WM dir von Überzeugungen teuer ist, Btthtf
darauf; kann also kuiu bloßer Unsimi sein; dringt' unter
dio Oberfläche und grabe dorn Sinn nach. Gut, ich tu 1 * und
übersetze mir jene Anfechtungen und deren Losung in
mm ine Sprache; aber verfalsche ich sie damit nicht? Bind
das noch Luthers Zustände? Luthors Auskunft? Und doch
muß es eine Vermittlung geben, durch welche, mittel i
einer Reihe von = und wieder =, Luther» Gesetz und Evan-
gelium in Kanu kategorischen Imperativ und Schillers
ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts nusmündrt.
Du siehst, an welchem Knoten ich mich zerarbeit*. Darum
dankt ich also: lnß du Luther Luther sein und schreibe
..Deutsche Dichterleben von Klopstoek bis Schiller"; da
wirst du mehrPlasier davon haben; istauch leichter. Leichtert
eben das wirft mich dann wieder der andern Aufgabe zu,
dio mich durch ihre Schwierigkeit reizt. O Rflpp, was hast
Du für oi neu närrischen Freund l Zum Glück ist er einmal
nfoht geboren, das ist schon hieraus klar. Wozu denn?
Ja, wenn wir das wüßten!'*
Schließlich gab er aber den Plan doch auf. Vielleicht
haben wir Grund, das zu bedauern, trotz des theologischen
ÜefckU. der in einer damals geschriebenen Luthnrbiographie
von Strauß jedenfalls sich spürbar gemacht halle. Der Mensch
Luther wöre sicher gut herausgekommen und ein Kunstwerk
wftre es auch geworden. Aber — „ich kann über niemand
schreiben, deu ich nicht liebe", und Luther heble er in diesem
Augenblick nicht, wenigstens nicht den ganzen, or war ihm zu
n. ztofi«. t>. Ifc sirus. a 36
660
Nfeinlet Kapital
theologisch. Aber gearbeitet mußte werden. So entstand
zwischenhi nein der Aufsatz Ober Spittler, der ihm viel Genuß
gewährte — ,,ich habe lange nicht» mit solcher Liebe gear-
beitet." Doch dos war eine Kleinigkeit; ein Größere» sollte
werden, and so wandte er «ich nun dem andern Plann zu, von
dem er Rapp geschrieben, dorn Plan, eine Reihe deutscher
Dichterloben von Klopstock bis Schiller zu schreiben. Gerade
das hatte Gervinus mit seinem Zureden zu Luther verh :ni. rn
wollen, da er der Ansicht war, mit der schönwissenschaftlich«©
Ära sei es für Deutschland iu Ende, daiür sei eine Zeit der Tal
und des politischen Handelns gekommen, worin er ja am
Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre so un-
recht nicht hatte. Allein Strauß ließ sich durch solche
Bedenken, die ihm als einem „ästhetisch-künstlerischen"
Menschen durchaus fern lagen, nun, nachdem der Gedanke
an Luther aufgegeben war. nicht abhalten. So etwas lag
ihm, dazu hatte er Jüngst schon Neigung und Lust, auch war
er durch seine Lektüre und seine Studien dazu wohl
vorbereitet.
Sein Absehen ging auf drei Paare: Klopstock-Wieland;
Lessing-Herder; Goethe-Schiller, und war ein reinliterarischea
und ästhetisches. Er wollte „anschaulich machen, wie teils
innerhalb der Paare jedesmal der zweite Mann die Ergänzung
des ersten war, teils die Paare unter sich in der Art eine
Stufenleiter bildeten, daß, nachdem das erste Paar durch da*
zweite beseitigt und der Grund tiefer gelegt ist, in dem
dritten sich das erste in höherer und reicherer Weise wieder-
holt. Von der französischen Konventionspoesie losgerissen,
eröffnet sieh die deutsche Dichtung der Neuzeit, wie billig,
mit dem höchsten Idealismus in Klopstock, dessen Fleisch-
losigkeit aber einen Gegensatz wie die Wielandsche Sinn-
lichkeit, die auch alsbald wieder nach den französischen
Mustern zurückgreift, notwendig fordert. Während vor
Lessing hierauf weder Klopstooks hohle Idealitat noch
Wielands niedriger Realismus bestehen, sofern er auf Shake-
Die Rückkehr iur Theologie.
551
speare als das Muster und auf den recht verstandenen Aristo-
teles als den Gesetzgeber einer höheren, volleren Kunst
verweist, und fflr das Drama nach diesen Grundsätzen
gearbeitete Musterstücke selbst liefert: wird seine Verstandes-
schärfe Kritik durch Herders Gefühligkeit und nachschüttende
Einbildungskraft ergänzt, der seinerseits die Schätze der
Volks- und Volkerpoesie für uns erschließt. Und indem
nun alle Hoffnungen und Verheißungen für die deutsche
Dichtung in Goethe sich überschwanglich erfüllen, läßt
er doch *n seiner Seite noch für einen Schiller Raum, der,
in gewissem Sinn ein größerer Klopstock, ihm — mau
darf freilich nicht sagen: als einem höheren YVielund,
aber doch wieder als der Idealist dem Realisten gegenüber-
tritt. Näher zugeschen übrigens sind es doch nur zwei,
nicht drei Rangstufen, worein diese zugführenden Genien
sich ordnen. Gerade die Hälfte von ihnen, mit dem dritten
Paare nämlich auch eiuen Mann des zweiten, hat das deutsche
Volk als Klassiker im engsten Sinne in den Olymp des mo-
dernen Geistes erhoben. Und merkwürdig, wie in diesem
neuen Olymp noch immer jene Typen gelten, welche die
plastische Phantasie des Griechenvolkes in dem alten als die
Urbilder der verschiedenartigen menschlichen Trefflichkeit
aufgestellt hat. Oder denken wir uns nicht unwillkürlich
in unserem deutschen Dichterhirn mel Goethe als den ruhig-
thronenden, alles überschauenden Vater Zeus; Schiller
als den kühn vorschreitenden Apollon, auf dessen Schulter
der KOcher klingt; Lessing aber {wie ihn der formende
Kunstler auch unbewußt dargestellt hat) als
des Atlas beredten Enkel,
I>rr die rohen Sitten der neuen Menschheit
Klug durch Sprache bildete, samt der edlen
t Schule des Ringkampfe?"
Das war der großangelegte Plan, wie ihn Strauß in dem Vorwort
zu dem zweiten Band der Kleinen Schriften selber entwickelt
m
NwnUft Kapital.
hat; und hierktinnen wir ohne alles „vielleicht" *agen: Sri
daß er nicht niir.(p*f1)hrl worden ist.
Von den sechsen waren ihm nur drei, Leasing, Goel
und Schill' ir wirklich fiympathiftr.li, beginnen mußte er mit
einem, den er jedenfalls nicht durchaus li.-lile Zwnr hatte
t-r Klopslocks Messias in früher Jugend mit Begeisterung
gelesen, und der Hehl <. ■-. umi ijic neue Mythnloi
in die derselbe hier noch einmal einsponnen war, Ingen dorn
Verfasser des Lebens Jesu nicht allzufern. Überdies halten
iliin einzelne der Klnpstockischen Oden spttler noch Be-
wunderung eingeflößt, und der selbstbewußte, vornehme Zug
im Wesen des Dichter« imponierte ihm auch m«nschh< h.
Aber wenn dann liier schon Hindernis*" und HcmiMmge»
eintraten, war gerade für Klopstnrk die .Sympathie doch
nicht groß und nicht nachhaltig genug, um si- m nlnn -winden.
Und eine milche Hemmung kam: der Hamburg! '• ■
Lappcnherg verweigerte Strauß die Mitteilung der unge-
druckten Briefe KJopstocks an Fanny, und ohne sie glaubt«
Strauß, ob mit Hecht oder Unrecht, nicht weiter machen
zu können. So blieb das Laben Klopstock* und damit das
ganze Unternehmen unvollendet. Immerhin haben wir
zwei Abschnitte davon, den großen Anfang „Klopatocka
Jugendgesohichle"' bis EU seinem Aufenthalt in Zürich und
das kleine Kabinetlsluckcheu „ Klopft tock und der Markgraf
Friedrich von Baden". Nehmen wir dazu noch den 1861
in Heilbronn zugunsten der deutschen Flotte gehaltenen
Vortrag über ,. Leasings Nathan den Weisen" und die Ab-
schnitte (iber Lessing, Goethe und Schiller im „alten und
neuen Glauben 4 ', so dürfen wir wie gesagt mit Grund be-
dauern, daß dieser umfassende Plan nicht ausgeführt worden
ist. Wie ihm selbst bei Öffnung des bestaubten Pakets mit
der Überschrift „Klopstock, opus imperfectum", so weht
auch uns beim Lesen dieser Klopslockischen Jugendgeschichti*
„die reine tauige Morgenluft der ersten Werdezeit unserer
neudeutschen Dichtung entgegen", und wir begreifen, daß
Die Rückkehr wir Thuologir.
;..:■■
4-r (lirstMi r.niiiii durch Viifmtlinio derAftnU in die „KMnefi
Schriften" auch andern gönnen wollte. Die Verehrung für
den idealen Sinn, den edlen Stolz, das feurige Vater-
hiiidxgrfühl Klnpsl.ntks gibt ilir den nötigen Schwung und ffl
erfreulieh« 1 Wftrme; und dns sinnenfreudige Lebensgefuhl,
da» Klops lock m Zürich menschlich und dichterisch
betätigt hatte, lag schließlich doch auf denselben Linie
wie bei Schubart, Frischlin und Hütten. In jenem
Vortrag über den Nathan aber .-»puren wir da» Kongeniale.
das Strauß mit Leasing verband, den Gleichklang der Seelen
in der Darlegung der Grundgednnk.Mi nVsc< hohen Liedes
der Duldung und geistigen Freiheit, dieser humanen Predigt
vom Kommen eines wahren GoUesroichea auf Erden. Aber
auch die ästhetische Analyse des Dramas ist ein Meister-
stück. In ihr haben wir eine reife Frucht seiner langjährigen
Bisrhüftigung mit deutscher Literatur, von der wir in der
Streitschrift gegen Menzel die erste Probe kennen gelernt
haben. Strauß ist kein Fanatiker der Methode geweseu.
wir so viele unserer heutigen Literarhistoriker; ihm war der
Dichter kein Bündel oder Produkt von überall her zusammen-
gesuchten Parallelstellen, sondern eine Individualität und
Persönlichkeit, «ho er nach- und einfühlend zu verstehen
suchte. Und in d*r Kritik operierte er mit ganz bestimmten
ästhetischen Maßstaben. die er an den Alten und vor
allem un Goethe sich erarbeitet hatte. Hier war dalier
auch ein Punkt, wo er mit Vischer nicht durchaus Hand
in Hand gehen konnte. Zwar daß dieser den zweiten Teil
des Faust tief unter den ersten stellte, das war seit seinem
Kampf mit Menzel *) auch seine Meinung. Aber der nörgelnde.
k scharfe Ton, mit dem Vischer Goethe zuweüen meisterte.
schien ihm pietätlos; auch fürchtete er für die Ästhetik
des Freundes, wenn dieser an Goethe irre werden sollte
Übrigens hat Strauß auch den neuen und neuesten unter
', s. oben I, 8. 2411.
664
Neunte» KaptUL
den Dichtem seine Aufmerksamkeil geschenkt und Ut auch
ihnen mit selbständigem und oft recht scharfem Urteil ent-
gegengetreten. Selbst Freunden wie Kerner oder Mörike, den
er aU Lyriker gleich hinter Goethe stellte, -i. •*. n .Hutzel-
männlein" ihm aber wegen des allzu romantischen Schlüsse«
recht wenig bchagte. So ist es ein wirklicher Verlust, daß
wir von diesem Teil seiner Lebensarbeit nur Bruchstück*
haben 1 ). Was ihm diese Ästhetische Arbeit innerlich be-
deutete, das werden wir aus seinem letzten Buch er-
fahren.
Und nun erhob sich, als die Arbeit an doo Dicht
leben ins Stocken geraten war, aufs neue für den in
Heidelberg dem Schaffen und Produzieren Zurückgewonnenen
die Krage : was nun ? Die Antwort hieß ; zurück zur Theologie !
Noch 1858 hatte Kuno Fischer 1 ) geschrieben: „Man
weiß, in welchen Aufruhr Strauß durch sein Leben Jesu
und seine Dogmatik unsere theologische Welt versetzt hat,
und daß er selbst freiwillig eben diese theologische Welt
verließ, nachdem er den Feuerregen seiner Kritik über sie
ausgeschüttet. Er ist ausgewandert wie Lot, ohne sich
umzusehen. Einige haben gehofft, die meisten gefürchtet,
daß er auf den verlassenen Schauplatz noch einmal zurück-
kehren werde, aber beide haben sich getauscht, und es
scheint, daß sich die aufgeschreckten Wächter wieder ruhig
niederlegen können. Strauß wird sie nicht mehr wecken."
Dafür konnte er sich auf Strauß selber berufen; noch nm
30. Mai 1858 schrieb dieser an Rapp, er lasse sich von
Ludwigsburg den Rest seiner theologischen Bibliothek
schicken, um sie — zu verkaufen: „ich lese sie gewiß nicht
') Das Beste, feine Analysen von Pichtungen, oft bis ins Ein-
zelnste gehend, findet sn:h vielfach in Briefen, namentlich an IUpp;
die in der Deutschen Rovuo 1894 veröffentlichen Stucke aus meinem
NachlaU sind Kleinigkeiten; doch sind die für den Rappischen Fami-
lienkreis bestimmten Qedanken über Schillers Wallenstein rocht foin.
•) a.a.O. 6. IG f.
Die Rückkehr tur Theologie.
665
p M . So wenig dachte er also noch damals an eine Rück-
kehr in die theologische Welt. Und dennoch war jene
Prophezeiung Fischers, daß Strauß die Theologen nicht
mehr wecken werde, falsch, die Rückkehr in ihr Land
stand unmittelbar bevor.
Aber wenn man naher und scharfer zusieht, war denn
Strauß nicht alle die Zeit her bei der Theologio geblieben ?
Nach der Glaubenslehre war zuerst der „Julian" gekommen,
in dem es sich doch klarhch um eine Auseinandersetzung
mit Religion und Kirche wie im 4» so im 19. Jahrhundert
gehandelt hatte: Julian gehört auch heute noch in die Rc-
ligionsgeschichte und Religionsphilosophie. Darauf folgte
das politische Jahr; da zeigt ja schon die Abhandlung
Ober den politischen und den theologischen Liberalismus
und der Titel seiner Volksreden — „theologisch-politisch«" — .
daß er bei seiner Hinwendung zur Politik Theologo geblieben
ist. Und auch den Biographen interessieren doch immer
auch, um nicht zu sagen: immer zuerst die theologisch-
religiösen Dinge und die Stellungnahme seiner Helden zu
ihnen. Den Christian Mörklin, diese Schilderung seiner
eigenen theologischen Vergangenheit mit ihren äußeren
und inneren Kämpfen, darf man ja nur nennen: auch er
ist „theologisch-politisch". Aber auch im „Schuhart"
geht es bei dem Helden ohne äußere und innere Kämpfe
mit den alten Feinden nicht ab: man denke an seine Mili-
handlung durch den Zeloten Zilling in Ludwigsburg oder
an die Bekehrungsversuche, durch die der pietistische Oberst
Rieger auf dem Asperg seinem Genius Gewalt antat, und
denke an Schubart? Kampf gegen die Jesuiten in Bayern.
Frischlin mischte sich — freilich auf der falschen Seite —
als Schildträger Andreas und Osianders in die theologischen
kStreitigkeilen zwischen Pappus und dem liberal denkenden
Johannes Sturm in Straßburg; sonst ist er ein Träger jenes
protestantischen Humanismus, dessen Ideal die Ineinander-
arbeitung der antiken und der christlichen Kultur war.
S56
Nennt« Kapitel
Endlich der fränkische Riller mit seinem Sohlach tral
gegen Dunkelmänner und Pfaden, mit »einem Los von Rom
Und MJnfflf Bundnagenossonxchuft mit Luther. Von ihm
wäre Strauß mit einer Biographie Luther», uurh wenn er ihn
„Wtnigtt theologi^h ;»1- historisch im größten Sinne*' gefaßt
hAtUf . auf dem kürzosWn Wege zur Theologie ntfOokg*
kommen. Allein »ir blieb ungeschrieben, weil ihm Luther da-
mals zu theologisch war. Dafür ging er an die deutschen
I >:< hter tmri arbeitet* sich — nun gerade in den theologischsten
von ihnen, in den Sänger des Meesias hinein und grill von
Leasing gerade das Stock heraus, das seinen theologischen
I- -liliug gegen den Huiiptpaslor in Hamburg zum Abschluß
bracht- und von seiner allen Kanzel, dem Theater, herab
ne humane Religion schönen sittlichen Menschentums ver-
kündigte. So bricht die theologische UnterstrOmung überall
durch, und wenn auch nicht mitten drin, so bewegtsieh Strauß
doch in allen seinen größeren Schriften auf theologischer
Peripherie, und Rwar nicht jenseits, sondern diesseits der
Grenze.
Aber immerhin, es waren lauter weltliche, profane
Schriften, nur der Einschlag war theologisch. Kr»t mit dorn
Jahre 1860 kehrt er zur Theologie als Wissenschaft* und xwar
tu seinem ersten Arbeitsfeld, zu dem Leben Jesu Wfiot
Den Anlaß dazu gab ein äußerer Anstoß, wenn auch die
innere Neigung daneben nicht fehlt. Heden wir zunächst
von jenem
Im Herbst 1857 und 1858 hatte Strauß mit seinen
beiden Kindern schöne Sommer- und Ferienwochen in
Unter-Münlcheim verlebt, einem frankischen Dorfe bei
Hall, wo sein Freund Rapp seit 1853 Pfarrer war. Die Strauß-
»ehen wohnten niehl im Pfarrhaus, sondern im Wirtshaus,
aber täglich war man mit der Pfarrfamilie zusammen und
ging bei ihr ein und aus. Auch besuchte Strauß alUonn-
Ulghch mit seinm Kinderndie Kirche und horte sich die Predigt
des Freundes an, der ihm einst die Traurede gehalten hatte.
Die Rückkehr zur Tlieulogic.
669
So war ku Anstoß und Ärgernis fedn Anlaß und kein Grund.
Trotzdem wurde solches, vielleicht von außen her, in die Ge-
meinde hmniugetrageii und Kupp bei dv Behörde wegtn
-in.-. \ i i U . Ii r- - mit Slr.-inli denunziert. Der vorgesetzte
Prälat, Mrhring in Hall, ließ sich auf die Sache ein. Freilich
kein Wunder, wenn man den Mnnn und Hifll Art kennt.
Strauß hat ihn — wie ich aus eigen»! Beobachtung herauH
bestetigen kann. ganz richtigso charakterisiert „Dieser Prälat
Mehring ist eine der eigentümlich widerwärtigen Gestalten.
wie sie in unserer Zeit mehr ul* in jeder früheren, vermöge
der so verschiedenen Kräfte und Richtungen, die in ihr
durcheinander garen, möglich sind. Kinn dürre, asketische
Natur, querköpfig und eigensinnig. Und et. nachdem B&a sich
*ehon in eine gläubige Theologie einstudiert und an geist-
lichcm Wirken, wohl auoh Herrschen. Geschmack gefunden
hat, an philosophischen Studien Gefallen, ja traut aich gar
besonderen Beruf für die Spekulation zu, aber nur in der
Richtung, sie der Kirche dienstbar zu machen. Indem *o
in hergebrachtr-r Art, nur eigentümlich verselimlieii nach
der Natur des Mannes, Theologie und Philosophie wechsel-
seitig gefälscht, bald die Vernunft, bald die Schrift verdreht
und vergewaltigt werden, bildet »ich ein bitterer Haß gegen
eine mittlerweile aufgekommene Richtung aus, deren Eigen-
tümlichkeit es eben ist, die Sinnlosigkeit und Unlauterkeit
solcher Vermittlungsversuche schonungslos ins Licht zu
stellen, und dieser Haß richtet sich ganz besonders gegen
jeden Versuch, innerhalb derjenigen Kirche, unter deren
Lenker der philosophierende Prälat gehört» einer solchen
Einsicht Zugang zu verschaffen. Zufrieden jedoch, wenn
nur dieses geistliche Palladium, der Glaube, wie er sich den-
selben zurecht gemacht hat und zur Aufrechterhaltung
eines Kirchenverbandes für hinreichend ansieht, gewahrt
ist, hat der Mann namentlich in politischer Hinsicht, schun
aus Widerspruchsgeist, mancherlei liberale, ja selbst radikale
Ideen, ist für Abschaffung der Todesstrafe, scheut »ich über-
658
Neustes Kapitel
haupt ni**ht . wie die» von jeher die Art der rechten Hierarchaa
war, gelegentlich auch der Regierung tu widersprechen und
dadurch von der uhrigon Prälatenhank in der Kammer eine,
wenn man will, rühmliche Ausnahme zu machen." Natür-
lich war einem aolchen Mann Strauß ganz besondere verhaßt
und widerwärtig, und so zog er als Vorgesetzter Itapp auf Jena
Denunziation hin amtlich zur RfffflrtlWth nft und rarwies ihm
seinen intimen Verkehr mit Strauß. Dieser empfand das wtfl
• inen Schlag ins Gesicht, wie ein über ihn verhängtes geist-
liches Interdikt und fand es mit Hecht empörend und un-
geheuerlich, daß man von geistlicher Seite mit täppischer
Hand störend und hemmend in seine persönlichsten Bezie-
hungen hineingreifen wollte. ..L'r hatte nicht geglaubt, daß
ihn die Pfaden noch einmal in Harnisch bringen können";
nun war es doch geschehen. Am nächsten wäre es für
Strauß gelegen, diesen plumpen Eingriff vor der Öffent-
lichkeit — in einem Sendsehreiben an den Prälaten Mehring,
das bereits geschrieben war und im ..Beobachter" erscheinen
sollte — gebührend zu charakterisieren und zurückzuweisen.
Allein die Rücksicht auf Kapp, der nun einmal Pfarrer im
Sprengel Mehrings war, ließ das als untunlich erscheinen.
Strauß wandte sich daher mit einer Beschwerde an den Jusliz-
minister von Wäehter-Spiltler, mit dein er durch seinen Auf-
satz über Ludwig Timotheus Spittler in Beziehung ge-
kommen war. Dieser aber überwies die Sache an den zu-
ständigen Kultusminister, und der gab sie zur KrmiUlung
des Tatbestands weiter an den damaligen Präsidenten des
Konsistoriums, den klugen und vorsichtigen Herrn von
Köstlin. Dieser ersuchte am 24. November 1858 Mehring
um Auskunft. „Von dem Herrn Justizminister v. Wächter,
welcher dermalen mit Dr. Strauß zu Heidelberg wegen einer
literarischen Angelegenheit in Korrespondenz steht, ist
unserem Herrn Departementschef und durch diesen mir
ein Schreiben des Strauß an jenen mitgeteilt worden, worin
derselbe sich beklagt, daß ihm der Umgang mit seinen wflrt-
Pin Riirkknhr nir Theologie.
On'J
lombergisehen Jugendfreunden, die er seinem Bildungsgang
zufolge vorzugsweise unter der Geistlichkeit zähle, erschwert
werde, und als Beleg auf Qhrt: der Pfarrer Rapp ku Münkhn i.
in dessen Familie er seine aus der Pension getretene Tochter
zu ihrer häuslichen Ausbildung auf einige Jahre unterge-
bracht und deshalb sowohl im vorigen als im laufenden Jahr
einige Wochen zu MQnkheirn im Gasthaus wohnend sich
aufgehalten habe, sei von E. Hochwurdeu darüber zur Rede
gestellt, namentlich über etwaige propagandistische Zwecke,
die Strauß dort verfolge, befragt und warnend darauf auf-
merksam gemacht worden, daß die Behörde gegen Bewe-
gungen, die dadurch veranlaßt werden möchten, einzu-
schreiten wissen werde. Auch habe der Dekan Wullen 1 )
den Pfarrer ermahnt, seinen Kredit bei der Behörde und
seine Beförderungsaussichten nicht der Freundschaft mit
Strauß zum Opfer zu bringen, und ihm zugleich mitgeteilt,
daß er, der Dekan, den Herrn Prälaten zu dem von diesem
getanen Schritt veranlaßt habe, wozu die Äußerung eines
Mttnkheimer Bürgers gegen einen Herrn von Hall, daß
Strauß und Rapp miteinander der TVufelsklinge *) tu
spazieren, den Anlaß gegeben habe. Außerdem behuuptet
Strauß, daß an seinen Freund, Sladtpfarrer Fischer zu
Öhringen, wo er wegen seines dort die Schule besuchen-
den Sohnes manchmal sich aufhalte, von E. Hochwürden
die Frage gelangt sei, ob er es nicht angemessen finde,
dem Umgang mit Strauß zu entsagen. Der Herr De-
purtementschef und ich sind der Ansicht, unseren von
Herrn v. Wächter gewünschten Rat über die an Strauß,
') Wullen. als Dekan In Hall Rnpps nächster VorgweUtor.
war ein Kompromotionale meines Vaters, also einen Jahrgang vor
Strauß vorauf und vier Jahre mit diesem in Tübingen zwmmiinn.
Die Rolle, dio er in dieser Sache gespielt hat, ist nicht ganz klar.
a ) Offenbar war der Name dos Orts, dum sie zuspa&ierlon, ifal
besonders beteichnender lind in den Augen der DenuncianUn
besonders gravierender Umstand!
HO
N'wnt« k*fitrl
der Wachten Verwendung nachsucht, zu gebende Anlwoi
mit irgendeiner Sicherheit in betreff der Tatsachen, auf
welche Strauü »eine Klage hlüui, otine eine xu E
Ilocliwörden über dieselben erhalten, loteanf nicht «r-
tcilc-ii xu können. Deshalb und in \U Lacht de» Iulcrc*»eft,
da* der befragte Vorgang für die KlnhankitflBg hat. erlaube
ich mir, E. Hochwürdm um diese Äußerung eichenst xu
bitten."...
Dic Antwort Mehnngs auf diesen Brief, du
— <um 26. November — erfolgte, lautet (im Kon?, nt) to:
,.Auf K. Hoohuohlgcb. geneigte Anfrage vom 24. d. M.
beehre ich mich EQ erwidern, daß allerdings auH AniaU der
Visitation des Dekanats Hall mir Dekan Wullen die Mit-
teilung machte., duü Dr. Strauß sich oft llfiger« /eil in
Münklieim aufhalte und daß dies hei der Gemeindfl Miß-
stimmung errege. I in.. nf wm <■- natürlich meine Pflicht.
bei dem Durchgang mit Pfarrer Kapp -.iche zu er-
wähnen und ihn auf das Mißliebe eines solchen vertrauten
Umgangs mit einem Manne, der seinen Ruhm durch völlige
Leugnung der geschichtlichen Grundlage dos Christentum*
begründet hat, aufmerksam zu machen. Pfarrer Kapp zog
dN Mißstimmung der Gemeinde entschieden in Abrede» da
Strauß im Wirtshaus wohne. Als er meine Entgegnung,
daß die Gemeinde wohl wissen kAnne. daL! in gau? Munkheiin
kein anderer Mann sei, um dessen willen sich Strauß dort
aufhalte, als er, der Pfarrer, nicht gelten lassen wollte, blieb
nur nichts anderes Übrig, als ihm xu sagen, dal» ie.h meine
Nachricht von Dekan Wullen habe. Hieraid erwidert«
Pfarerr Hnpp, darüber wundern er sich sehr, da Dekan Wullen
jüngst erst seihst in Munkheini gewesen sei, um dem Dr.
Strauß seinen Besuch xu machen, und es der Zufall gewollt
habt*, daß dieser schon abgereist gewesen. Die:. d:>- ein«
l'iilsaelie. VVmm den Sl&dtpfnrrcr Fischer in Öhringen an-
belangt, so habe ich allerdings auch diesem bei der (roheren
(nicht letzten) Visitation, also ungefähr vm einem Jahr»,
Die Rückkehr xur Thoologie.
561
ober sein vertrnuUis und für die christlich Denkendon in der
Gemeinde anstößiges Verhältnis zu Strauß Vorstellungen
gemacht. Das letztem«! habe ich es uin deswillen nicht
wiederholt, weil iob nichts mehr von (fan UlDgBAg hörte,
sonst winde ich nicht ermangelt hahen, abermals zu tun.
waa meines Amtes iat. Was Dr. Strauß von propagan-
diblisehan Zwecken, die lob ihn in Münkheirn zutraue, und
von den Maßregeln der Behörde dagegen, die ich in Aussicht
gestellt, erwähnt, das muß entweder seine oder Pfarrer Kupps
Phantasie sein, Denn TOI ■nllem hatte Ml von solchem Treiben
lediglich nichts gehört und glauhe irh nirht, daß Strauß in
Münkheirn für seinen gelehrten Unglauben viele Hörer linde.
Endlich nber wJnv i'iue Hulehc TttligMf eine Sache für diu
l'nlixei, so daß dna mich nicht berührt; E. H. haben schon
oft genug Zeuge nein können, wie mit ;ille und jede V, i
miAchung des POttseKUohail und des Kirchlichen v.itli'1'i.tr.lil..
Wohl aber hnhr ieh Pfarrer Kapp dnrnuf aufmerksam ge-
macht, wie ich jedem Khrenmann zutraue, daß er, wenn er
alfi ThcnloRi« den Standpunkt. »Ich |>r. StrauU teile, von
-einem Amt als Prediger des Evangeliums zurückzutreten
seine Forderung fühlen (?) werde. Das indessen unterliegt
wohl keinem /.weifel, iluU, wenn es in der Gemeinde niclih.ir
werden wurde, daß Pfarrer Rapp in näherem Verhältnis zu
Strauß stehe, dies nicht nur seine Wirksamkeit sehr ge-
fährdend ist, sondern in einer Gemeinde wii' Münkheirn,
dt« in Parteien zerrissen viele Emanzipationslustige Uftttt
Ml z&hlt, in einer Gemeinde, die in den unruhigen Zeiten
ihre Holle kräftig genpirlt hat, von doppelt bedenklichen
Folgen »ein kann. Merkwürdig ist es, daß Dr. Strauß die
Freunde in diesnr Gegend weit mehr zu frequentieren scheint
ab die in Altwürltemherg, wo er doch nach dorn Mogistex-
buch auch nicht wenige haben sollte. Sollte er etwa denken,
daß die Gemeinden dieser Gegend solches Ärgernis mehr
vertragen kminen? Seine Tochter iat wenigstens, wie mir
Pfarrer Rapp sagte, «rat seit dem letzten Besuch in
668
SVunt« Kapitel
Muokheim uod wurde dort nur mit Widerstreben aj
nommen."
Auf dieses Schreiben hin wurde Straußen* Beschwerde
,.mit vornehmer Blasiertheit" ar.gflohnt. Mehr als dieses
kurze Wort au* den „Literarischen Denkwürdigkeiten"
vermag ich über den Ausgang de» MÜln-ln-n Mandela
nicht mitzuteilen. Das hängt so zusammen. Wort um*
bergischer Kultusminister oder genauer Dopartcmentschcf
des Kirchen- und Schulwesens war seil 1856 Gustav Rümelin
Auch Stifller und ein Schüler Gustav Binder» in Schöntal.
den er als Minister alsbald in den Studienrat gerufen hat,
war er Strauß aU freigcsinnler Mann In-kannl, mit Heiner
politischen Haltung in der Paulskirche zu Frankfurt, von
wo er die Sache der Erbkaiserlichen im Schwäbischen Merkur
gescheit und tapfer vertreten hatte, sympathisierte er ohne-
dies Und so halte er über sein Ministenwrden im April
1856 au Rapp zwar ohne Enthusiasmus, aber doch nicht
unfreundlich geschrieben: ,,Dan Ministerium Röiiulin wird
wohl nicht viel Gutes stiften, doch aber vielleicht manche«
Schlimme verhindern. Verfolgungen, wie sie früher gegen
Dich geübl, werden sie unter ihm duch nicht anzustellen
wagen.' 5 Allein es kam anders. Rümelin war von König
Wilhelm I. berufeu worden, um das geplante Konkordat
mit Rom zustande zu bringen; daß er sich dazu hergab»
machte seinem Verstand oder seinem Charakter keine Ehre;
daß er darüber gefallen ist, weil der Landtag die Konvention
verwarf, kam als gerechte Strafe Über ihn, die er auoh als
solche hingenommen hat- In die Aufregung über den Ab-
schluß des Konkordats mitten hinein fiel das Erscheinen
dos „Hütten"; in der Vorrede finden sich scharfe Worte von
Strauß Über Konkordate. Ebenso spielte er im Essai über
Spittler darauf an. Er zitierte zunächst eine Äußerung
dieses Historikern: ,,ln der Lage, in der wir mit dem Papste
sind und von jeher waren, hat man sich vor nichts mehr
zu hüten als vor einem ordentlichen Vertrage"; und fügte
IM* Rückkehr iur Theologie
669
dann seinerseits hinzu: ..Geht os doch heule in Deutschland
tu, als wären solche Wahrheiten nie erkannt, solche Sätze
nie geschrieben worden, die unsere Förster sich jeden
Morgen, wie jener Perserkönig, aufs neue zurufen lassen
müßten." Er wird recht haben, wenn er annimmt, daß
solche Warnungen Rurnclin baß verdrossen, namentlich die
letzteren, die in den Preußischen Jahrbüchern eine Stelle
fanden uml hier weil verbreitet und viel beachtet wurden,
und daß der Minister in der Verstimmung darüber jene
Beschwerde im November 1858 mit vornehmer Blasiertheit
abgewiesen habe. Daß gleich darnach Kapp mit seinen
Münkhcimer Bauern wegen seines freigeistigen Religions-
unterrichtes in der Schule in Konflikt kam — er hatte
die Auferstehung Christi eine alte Sage genannt — , war
für das Ministerium und für den Prälaten nachträglich 90
etwas wie eine Rechtfertigung ihres Verfahren». Ein Zu-
sammenhang bestand jedoch nicht. Dagegen spricht für
einen solchen zwischen der Kritik des Konkordates und der
Abweisung der Straußischen Klage das Fehlen der Akten
Über diesen Vorgang in der Registratur des Kultministe-
riums. Es waren welche da, sie sind aber 1877 dem da-
maligen Staatsmiuister v. Geßler behufs Übermittlung an
Staatsrat v, Rümelin in Tübingen übergeben worden; zurück-
gekommen sind sie von diesem nicht wieder. Und da sie
auch in Rümelins Nachlaß nicht aufzufinden waren, so wird
man mit der Vermutung kaum fehlgehen, daß sie von
ihm beseitigt worden seien. Auch dos Motiv dazu ist leicht
erkennbar. Es war kurx nach dem Erscheinen seiner ,, Reden
und Aufsätze", in denen sich eine Besprechung des letzten
Buches von Strauß findet, von der man sagen konnte, daß
auch sie den Eindruck , .vornehmer Blasiertheit" mache. Da
mochte er fürchten, daß später einmal ein Freund von
Strauß diese Akten gegen ihn als Waffe schwingen könnte;
das suchte er 111 verhindern, indem er sie zurück-
behielt — recht zum Zeichen, daß hier ein Unrecht geschehen
DM
Xeaatai KapitcL
war, an du erinnert zu werden ihm peinlich mr. AI
nuoli Strauß ist nicht ohne Schuld an unserem NichtHmehr-
wijwflii, weil er den Bescheid Rümekins nicht sorgfältiger auf-
bewahrt hat. Daß er in der Zeit und Mit der Z -n Lfl der
um »i'iii« UmIUii so mit »einem Freund Rnpp verfahren und
Briefe wh- .(er von Mehring geachnrlien wurden, hfiuflg von
..Pfaffen" redet und der Groll und Haß gegen die Theologen
in alter Stärke wieder aufwachto.wer durfte lieh 'laruberwun-
dern ? wer wollte ihn darob schellen? Weil AT den einen Mehring
nicht süchtigen durfte, sollten sie nun alle büßen, und sollte
der rwtatworükh« Minister, drv an dar Spiin der Kirchon-
-. stand und ihm für jene Unbill keine Genugtuung
gegeben hatte, noch einmal vor die Klinge.
Strauß (IbervUtn und erlänin h eben, als Nachtrag
xu der Hutlenbiogniphie. GesprAcho von Ulrich \«m Hl
die als deren dritter Teil 1860 erschienen sind.
GcsprAchn stammen aus Hultcna letzter Zeit, in der ersieh der
KrfnnuiitiMn zuw'i'wnndt halte .-. lind rfifonTititorw.-he Str-it
schriften, Kriegsmanifeste gegen die Knechtung der Deut-
■ohm durch Rom; und ee sind GtüpftCJH — Hütten war
eine dialogische Natur. Daß auch Strauß eine solche »rar,
wissen wir: es war ihm von jeher natürlich, bei lebhaften
Klarierungen, namentlich in Streit*« nriftl -n, in die diaJofpscha
Form in fallen und Meinung und Gegenmeinung in ver-
schiedenen Personen zu verkörpern. Da ihm somit die Form
dea Gesurften* lag und er ein Meister der Sprache war und von
seiner Schulzeit her bis herein in sein reifes Alter Freude
hatte an der Kunst des übersetze ns und sich darin stet« fortüble,
so mußte es ihm mit den Hutteruresprachen gelingen: sieWaen
sichdeen auch leicht und flott und frisch srk die Originale selber.
In dieser Übersetzung rYfor*nattosuge»cbicltlz»c& wichtiger
Schritten lag nicht weniger, aber auch nicht mehr Tbeologjh
seh** als m der Huttetiriorrephie selbst ; die Rückkehr auf den
theologischen Kampfplatz aeigU sack, wie dies Kuno Fiseber
in sezaec Beeprvcbang der Dialoge unter
Die Rückkehr iur Theologie.
666
seiner früheren Äußerung alsbald hervorhob, nicht sowohl in
ihnen, als vielmehr in der Vorrede zu dem Buch. Hier kommt
Strauß zuerst auf den Katholizismus unserer Tage zu reden
und zeigt, wie vieles Hütten in ihm tief unter dem finden
würde, was man zu »einer Zeit erwarten durfte. Wenn man
ihm gesagt hatte, daß die römische Hierarchie nach mehr
als dreihundert Jahren noch fortbestehen, daß auch dann
noch halb Deutschland in religiösen Dingen sein Heil vuii
jenen Bergen her erwarten würde, über die ihm seit Jahr-
hunderten soviel Unheil und Verderben gekommen war,
hatte er es nicht geglaubt. Mit der geistigen Knechtung,
die Deutschland von Rom erleidet und sich gefalleu laßt,
ist es so wenig besser geworden, daß diese geistliche Herrsch-
sucht, dieser Haß gegen die Geistes Freiheit und Bildung der
Volker, gegen die selbstfindige und politische Entwicklung
der Staaten mit dem unaufhaltsamen Fortschritt auf diesen
Gebieten nur grimmiger und giftiger geworden ist. Zu sehen
bekäme Hütten heute, wie das von hell denkenden und männlich
wollenden Vorfahren gelockerte Band jetzt die Nachkommen
sioh mit freiem Willen nur immer enger um die Hälse
schnüren. Ein Ding wie das österreichische Konkordat
würde ihn sogar von einem Abkömmling Ferdinands in
Brstaunon setzen. Wie aber vollends nach solchem Vorgang
die protestantischen Fürsten südwestdeuLseher Staaten Lust
bekommen konnten, ihre katholischen Untertanen nach
dem Muster des österreichischen zu beglücken, ist ein un-
gelöstes Rätsel. Das geht doch über alles Maß und wäre der
schärfsten Huttenschen Satire wert, wenn in einem Zeit-
punkt, da Petri Stuhl seinem vorgeblichen Nachfolger unter
dem Leibe wankt (1860), die Deutschen ihm Konkordate
entgegenbrachten, deren sich die Päpste des 16. Jahrhunderts
gefreut haben würden.
Aber auch wir Protestanten dürfen nicht meinen,
Hütten würde mit uns zufrieden sein. „So gewiß er auf
eine protestantische Kirche hingearbeitet hat, so zweifei-
TV Zterltf, H fr Stn*B. IL 37
Neuntts Kapitel
haft irt, ob w in der unseren, wie sie jetzt iat. die erkennen
irftnftt, diu ihm im Sinne lag. Ja, ich weiß nicht, ab sein
Unwille, den er der römischen Kirche gegenüber empfinden
wurde, weil sie nicht ander« geworden, nicht noch viel
heftiger gegen die unsrige entbrennen müßte, da sie so ganz
jhhIci-, ..'r'.vunl.n int, :i!h er von ihr hoffen zu dürfen glaubt«.
An ihr wurde er zu rügen haben, wo* allemal da» Sehlimmate
ist, daß mü sich solbat untreu geworden sei. ihr oigem-s Prinzip
verleugnet habe. Daß ■ ttehlB mit ihr kam, hatte der Kittar
möglicherweise sclbM noch erleben können, denn «s kam
lci.l.i- |fh| Iruii. aber auch heute wurde er noch nicht linden.
daß rie iin großen und ganzen ihr Prinzip wiedergefunden
habe." Zu der Schillerfeicr des vorigen Jahres (1859) haben
die Frommen äußerst sauer gesehen, und selbst einer der
Gebildeten und Süßredenden untre ihii«u (Gerok in Stutt-
gart) glaubte sich zu dem Ausruf bemüßigt: Hinweg mit
■DflT Menschen Vergötterung in wie außer der Kirche 1 „Nun
wir außerhalb", sagt Strauß spottend» „können ihn
sichern, daß nie einer von uns daran gedacht hat odi
denken wird, weder dem alten Hauptmann Schiller zu-
gunsten eines höheren Wesens die Vaterschaft an seinem
Sohne abzusprechen, noch den Rezepten, die dieser als
Hegimentsmedikus verschrieb, eine lotenerweckende Kraft
beizulegen, noch den Umstand, daß Ober dem Begräbnis
des Dichters bis heute ein Geheimnis ruht, zu der Vermutung
zu benützen, er sei wohl bei lebendigem Leib in himmlische
Beginnen erhoben worden.' 1 Und nun geht es ;m die Theologie.
wie sie sich unter der Einwirkung des religiösen Aufschwung*
der Romantik vor allem durch Schleiermacher, der „ebenso
klug wie fromm, vielleicht auch noch utwaa klüger als fromm"
war, gebildet hat. Er charakterisiert sie so: „Von seiten der
wissenschaftlichen Theologie war die Auflösung der bis-
herigen Glaubenslehre, samt deren vermeintlich historischer
Grundlage in der biblischen, insbesondere evangelischen
Geschichte mit einer Schärfe und Bündigkeit vollzogen,
Di« Rockkehr tur Theologie.
561
deren sich kein Urteilsfähiger erwehren konnte. Von der
anderen Seite kamen Natur- und Geschichtsforschung diesen
Ergebnissen bestätigend, ja sie fordurnd entgegen. Und
endlich war da* alles langst über die abgeschlossenen Kreise
hinaus ruchhar und im Zusammenwirken mit den Schriften
unserer neueren Klassiker zur allgemeinen Rilduug^atmo-
bphare der Zeit geworden, die auf jeden, der sich nicht ge-
waltsam abschloß, unwiderstehlich eindrang. Was sollte
nun die Theologie tun ? Das Ratsei der Sphinx war gelöst,
aber in den Abgrund springen mochte eie nicht Wir sind
weit entfernt, ihr dies zu verargen; nur über die guten
Thehaner müssen wir uns wundem, daß sie sieh all den
Spuk gefallen ließen und noch immer gefallen lassen, den
die alte seitdem angestellt hat. Denn all ihr Bemühen ging
von jetzt un dahin, die Welt und am Ende gar auch stall
selbst glauben zu machen, es sei mit nichten aus mit ihr,
sie vielmehr immer noch ein gutes Haus, und die Gerüchte
von ihrem Bankrott nur von leichtfertigen Buhen aus-
gesprengt. Kurz, sie gebardete sich wie ein Kaufmann, der
sich vom unvermeidlichen Ruin in der letzten Stunde noch
zu retten sucht: sie schwindelte, nahm Anleihen auf, wo
man ihr noch borgte, und verwirrte dadurch ihre Angelegen-
heiten nur um so mehr." Am Beispiel Ewalds hat er das
Spiel der theologischen Rettungs- und Vermittlungs-
versuche jener Tage, in denen die sogenannte Vermittlungs-
theologie wahre Orgien der Unklarheit und Halbheit feierte,
ebenso scharf wie wahr dargetan. Von dieser Richtung galt.
was er, damit Spätere* jetzt schon antizipierend, weiterhin
schreibt; „Von keiner Seite sagt man gerne das letzte auf-
richtige Wort. Und warum denn nicht? Ist es doch unter
allen nur einigermaßen Gebildeten und Denkenden langst
ein offenes Geheimnis, daß keiner mehr an das kirchliche
Dogma glaubt. Zu glauben glaubt, dun r/iume te.li ein; aber
wirklich glaubt, das leugne ich. Für keinen mehr ist das
apostolische Symbolum oder die Augsburgische Konfession
IT
668
XevnU* Kapitel
rin angemessener Ausdruck seines religiflenn Bewußtsein».
Keiner glaubt mehr an irgendeines der ncute*Urnenthc}i<»n
Wunder von der übernatürlichen Empfängnis an bis inr
Himmelfahrt. Entweder er erklart sie «ich natOrlkn, oder
er faßt sie als Legenden. Wozu also die WinkeJzüge ? Wozu
dio Heuchelei vor anderen und vor sich selbst ? Ist es de«
Menschen in seinem Verhältnis zur Religion würdig, sich
ihr gegenüber wie ein feiger und tückischer Sklave mit
halben Worten und leeren Ausflüchten zu behalten ? Warum
sieht offen mit der Sprache herausgehen? Warum nicht
gegettaeittg bekennen, daß man in den biblischen Geschichten
nur noch Achtung und Wahrheit, in den kirchlichen Dogmen
nur noch bedeutsame Symbole anerkennen kann, daß man
aber dem sittlichen Gehalt des Christentums, dem Charakter
seines Stifters (soweit unter dem Wundergehause. in da*
sein« ersten Lebensbesehreibor ihn gesteckt haben, die
mensehliche GesUlt noch zu erkennen ist) mit un\*eranderter
Verehrung zugetan bleibt? Doch ob wir uns dann wohl
noch Christen heißen dürfen ? Ich weiß es nicht; aber . i
es denn Auf den Namen an? Das weiß ich, daß wir dann
erst wieder wahr, redlich und unverschroben, also bessere
Monachen sein werden als bisher. Auch Protestanten wer«! M
wir bleiben, ja dann erst rechte Protestanten sein."
So geharnischt erschien Strauß wieder auf seinem
alten Kriegsschauplatz: das war ein Kriegsmanifcat an di<>
kirchlichen Strömungen und an die Theologie seiner Zeit,
eine schmetternde Fanfare hinein in die dumpfe Atmosphäre
voll feigor Vertuschung und erbärmlicher Verlogenheil.
Um sich darauf vorzubereiten, las Strauß in jenen Tagen
eifrig — Kirchenzeitungen. Nach dem Wort „pectus facit
disortum" oder nach einem Wort Ober Hutten, daß der
Zorn die Hebamme seines Geistes gewesen sei, war es eine
wuchtige, machtvolle Kundgebung, er fühlt« sich wieder
einmal inspiriert und schrieb daher wie ein Inspirierter
diese Satze in einem Zuge nieder. Dem entsprechend
Die Rückkehr *ur ThwJogi*.
MW
machten sie auch gewaltigen Eindruck, der hoste Zeuge
dafür ist — Rumelin, der keinen Grund hatte, Freude
darüber zu empfinden, und doch ehrlich bekannte, die
Vorrede zu den Huttengesprachen bei das Beste, was
Strauß jemals geschrieben habe. Und sie wirkt auch
heute, fünfzig Jahre nach ihrer Entstehung, frisch, wie
auf unsere Zeit zugeschnitten; obwohl lange vor dorn
Syllabus des neunten und des zehnten Pius in Rom und vor
der papstlichen Unfehlbarkeitserklarung geschrieben, trifft
sie die römische Herrschsucht und die römische Unduld-
samkeit gegen Geislesfreiheit und moderne Bildung heute
wie damals; und auf protestantischer Seite ist es, wie wenn
Strauß alle die „Falle", mit denen Preußen seither die Blutter
der Kirchengeschichte, nicht zu seinem Ruhme, bedeckt hat.
vorausgesehen hätte; und was er damals von der Vermitt-
luitgstheologin seiner Zeit oder vom theologischen Studium
und den Versuchen, die Jugend um jeden Preis bei der
„lumpigen und zerstückelten Fahne xu erhalten", gesagt
hat, das gilt mutatis mutandis von der Ritschisehen Theo-
logie und von der Erziehung unserer theologischen Jugend
auch jetzt noch.
Daß es aber nicht bloß ein in augenblicklicher Stimmung
des Zornes unternommener Streifzug, sondern wirklich eine
Rückkehr war, das zeigt der Schluß des Manifestes, und wie er
hier auf sein Leben Jesu — das längst widerlegte, wie es unter
den Theologen von ihm hieß — zu sprechen kommt. „Eben
in diesen Tagen", schreibt er im .Mai 1860, ,,ist es ein
Vierteljahrhundcrt, daß mein Leben Jesu zum erstenmal
in die Well ausgegangen ist. Die Theologen werden dos
25jährige Jubiläum dieses Buches schwerlich feiern wollen,
htet es mehr als einem von ihnen erst zu allerlei
übacheu Gedanken, dann zu Amt und Würden verhol Ten
hat. Aber gar mancher bessere Mensch in allen Landen,
der von dem Studium dieses Buches seine geistige Befreiung
datiert, ist mir, das weiß ich. lebenslänglich dankbar dafür
im
Neuntal KapHeL
und macht so, ohne daran tu denken, im stillen dio Feier
mit. Ich selbst sogar könnte meinem Buche grollen, denn
es hut mir (von Rechte wegen! rufen die Frommen) riel
Bflees getan. Es hat mich von der Öffentlichen Lehrtätigkeit
flu*ge***hlo*son, zu der ich hott, vielleicht auch Talent besaß;
es hat mich aus natürlichen Verhältnissen herauagerUeei
und in unnatürliche hineingetrieben, es hat meinen fit hin
gang einsam gemacht. Und doch, bedenke ich, wo» aus mir
geworden wäre, wenn ich das Wort, das mir auf die Seele
gelegt war» verschwiegen, wenn ich die 7*weifol, dio in mir
arbeiteten, unterdrückt hnttc: dann segne ich das Buch,
das nüch zwar äußerlich schwer beschädigt, aber die inner«
Gesundheit dos Gflistes und Gemüts mir, und ich darf mich
dessen getrosten, auch manchem andern noch, erhalten hat.
Und so bezeuge ich ihm denn zu seinem Ehrentag, daß «*
geschrieben i«t aus reinem Drang, in ehrlicher Absicht,
ohne I-eiilensrhnft und ohne Nebenzwecke, und daß ich
allen «einen Gegnern wünschen möchte, sie Vv&ren. als sie
dagegen schrieben, ebenso frei von Nebenabsichten und
Fanatismus gewesen, Ich bezeuge ihm ferner, daß es nicht
widerlegt, sondern nur (ortgebildet worden ist, und daß,
wenn es jetzt wenig mehr gelust-n wird, dies duner kommt,
daß es von der Zeitbildung aufgesogen, in alle Adern der
heutigen Wissenschaft eingedrungen ist, Ich bezeuge ihm
endlich, daß die ganzen 25 Jahre hex über die Gegenstände
von denen es handelt, keine Zeile von Bedeutung geschrieben
worden ist, in der sein Einfluß nicht tu erkennen wäre."
So stolz durfte er reden, denn was er von seinem Buch
sagte, war wahr und ist es noch heute. Mit diesem Schluß
der gewaltigen Rede — denn eine Rede an das deutsche
Volk ist diese Vorrede zu den Gesprfiehen von Ulrich von
Hütten — hat Strauß den Kampf mit seinen alten Feinden
wieder aufgenommen, er war wieder in der Heimat seine»
Geistes, bei der Theologie angekommen.
Zehntes KapitoL
Das Leben Jesu für das deutsche Volk.
Die Vorrede zu den Huttengesprachen hat Strauß noch
in Meidelberg geschrieben. Eben jetzt aber rüstet« er sich
7,11 einem neuen Ortswechsel. In Heidelberg war es einsam
uro ihn her geworden: erst Kuno Fischer, dann Julius
Meyer, der ihm seit Fischers Wegzug nahe gekommen war.
verbüßen den Ort. Und nun mußte er auch Georgine, die
das Heideische Institut absolviert hatte, weggehen. Sie
BoUte im llappischen Hause in Munkheiin Familienleben
und Haushaltung kennen lernen, Leider erwies sich dos
als ein Mißgriff- Das Mädchen konnte zu Frau Rapp,
diese sich zu dem Mädchen kein Herz fassen, und
Frieda, die „Perle* 1 und der gute Engel des Rappschen
Hauses, hatte sich kurz vorher mit Professor Boger in Öh-
ringen verheiratet. Es ist dies eine starke Belastungsprobe
für die Freundschaft zwischen Rapp und Strauß gewesen;
daß sie darüber nicht in die Brüche ging, es kaum vorüber-
gehend zu einer Trübung des Verhältnisses gekommen ist,
ist ein ehrendes Zeugnis für beide. Und wie wenig Strauß
an einen Bruch dachte, geht am besten daraus hervor, daß
er. als es in Münkheim gar nicht gehen wollte, Georgine
tu der Tochter Kapps in das Bogersche Haus nach Öhringen
brachte. Auch seinen Fritz nahm er von I'reun.T weg.
dem er vielfachen Dank schuldete, und gab ihn bei Boger
in Pension. Außerdem hielt sein Freund, Stadtpfarrer
Fischer in Öhringen, seine Hand über die beiden Kinder
673
Zehnte* KftfaUI.
und ließ sie freundschaftlich bei sich ein- und ausgeben.
Kr tut Fritx und di« Söhne des Bruder* Wilhelm, Bernhard
und Emil, dort auch konfirmiert. Denn daran dacht« Strauß
nicht, »eine Kinder durch Unterlassung der kirchlichen
Braucht! in eine Ausnahme- und damit in eine schiefe
Stellung xu bringen; daiu hat ein Vater, so wie die Dinge
bei uns liegen, kein Recht. Nur sorgte er in Heidelberg
durch die Wald /iiM.. in öhringeu durch Fischer,
daß die religiöse UolerMMHUIg, die ihnen zuteil wurde,
in freiem Geist an sie herantrat. Wie menschlich Strauß
solch« kirchlichen Zeremonien faßte, zeigt das für den
Koiifirmutiotistag der Tochter bestimmte Kriniurungsblal
, 'um Andenken an meine gute Mutter* 1 , und zeigen die
schönen Vera« zur Konfirmation seine« NcfTon Bernhard, dio
ebenso auch dem Sohne gelten könnten:
I-uU di« Kinder kindlich spielen.
flfli nie Jüngling, werde Mnnn,
ftlr*h* nach d«n hfteluten Ziel«n,
HehlioOo dich den Beaten an.
Im üewühl dos Erdenlebens
Halte Leih und Seele rein.
Und dir Krone deines Streben.«
Sei: ein edler Mensch iu sein!
Nun fehlten aber in dein Lyzeum (= Progymnasium) in
Öhringen die drei oberen Klassen, und so mußte Fritz im
Hübst 1800 in eine. Vollanstalt übergehen. Der Bruder
Wilhelm war inzwischen nach Darmstadt übergesiedelt,
daher dachte Strauß auch seinerseits daran, mit den Kindern
dorthin zu ziehen. Allein die Brwflgung, daß sein Solin
npatur doch wohl in »einer württembergischen Heimat sein
Leben werde verbringen wollen, wie» ihn auf eine Schule
in der alten Heimat hin; und da er Georgine na wegen im
Sommer 1851* das Soolbad Wimpfon aufsuchte und dorthin
von dem nah" Heilbronn herüber alt« und neue Graßlea*
freuade. Sicherer, Kanzel, Professor Finokh und andere,
Das L«bon Jesu für du d»uUch» Volk
Ö73
Besuche kamen, so lockten die alten Erinnerungen dorthin.
Mit den bei David Gräßle verkehrenden Genomen war
Strauß übrigens auch durch da* SchwabbochcrM Fiat in
Verbindung geblieben, das Dr. Sicherer 1847 gestiftet hatte
und bei dem es stets ganz besonders fröhlich und festlich
herging; Strauß hat, wenn irgend möglich, auch in dm
Jahren der „Verbannung* 1 aus Württemberg, regelmäßig
daran IrilgeiwiniMiHii Kino Wohnung in Heilbronn war
auch bald gefunden. Die treue Karoline sollt« den Haus-
halt einrichten, die junge Georgine ihn führen, und Fritz
das Heilbrunner Gymnasium besuchen.
Freilich erhoben sich gegen diesen Plan auch allerlei
Dtrdenken und Hindernisse. Gervinus suchte Strauß in Heidel-
berg festzuhalten. Mit Beseler, Hausser und Jolly zusammen
wollte er die Deutsche Zeitung, die vor 1848 eine so große
Rolle im politischen Leben Deutschlands gespielt hatte,
wieder ins Leben rufen und Strauß sollte, entweder allein oder
zusammen mit Kuno Fischer und Eduard Zeller, di^ Redak-
tion des literarischen Beiblattes übernehmen. Allein auch
jetzt wieder wie 1848 in Stuttgart — eine Zeitung zu redi-
gieren war nicht seine Sache; und schließlich scheiterte das
Unternehmen überhaupt. Aber auch Heilbronn selber machte
ihm als Aufenthaltsort Bedenken. Vor allem fürchtete er
die Nähe Stuttgarts, wo noch immer die Schebest wohnte
und von wo sie so leicht herüberkommen und sich den Zutritt
zu seinen Kindern erschleichen oder erzwingen konnte.
Wie alte Erinnerungen, so wachten leicht auclv alte Beziehungen
und alter Klatsch wieder auf; neue Pläne, zur Ehescheidung
zu gelangen, scheiterten wie bisher so auch jetzt wieder.
Und wie er schon im Umzug nach Heilbronn begriffen war,
erfuhr er, daß Professor Eyth von Schönthal Rektor am
Heilbrunner Gymnasium werden solle. Nicht nur weil dieser
ein schlechter Pfidagoge war, erschrak Strauß darüber, sondern
•) Schwahbacb oiu Dorf im Oberami Wcinsberg, nicht allzu fora
von Heilbronn.
674
Zehntes KftriUt
vor allem, w«l er in ihm einen ..nrnckorbchen" Gagner 1 )
tu müssen glaubt* , äVm er »einen Sohn nicht Anvertrauen
uiiJ dem er auch persönlich nicht begegnen mochte. Doch
'h Attest warflberfluftaig. Nichtohne Fround BinderaZuUin
i*t Eyth in Schönthnl gebliehen und so in den Jnhr. n
1860—186'» man Lehrer und „der redliche Finckh" als Rektor
de« Gymnasium» in Heilbronn im Winter 186>tyl8G9 mein Vor-
gesetzter gfworden. So habe ich die beiden gekonnt und
gebe Strauß ganz recht in seinem Urteil über Kinckh und
zur Hälfte recht auch in dem Ober Eyth: ein HchJechter
Lehrer ist dieser gewesen, gewiß, aber dem hatten wir, «eine
Schuler. es zu danken, daÜ sein aslhetisierender Pietismus
keine Macht über uns gewinnen konnte*).
Endlich aber das Schlimmst*. Strauß war immer
schon kurzsichtig gewesen. Da halte die Arbeit am Frischlin,
der eine fast unleserliche Handschrift besaß — „eine heil-
losere Hand hat nicht leicht ein Gelehrter geschrieben" — ,
vollends verheerend gewirkt und ihm seine Augen ganz
gründlich ruiniert. Das lastete mehrere Jahre schwer auf
seinem Gemüt, hat ihn auch vielfach menschenscheu und
im Verkehr zurückhaltend und linkisch gemacht. Da kam f
'! Strauß kannte Eyth vom Stift, kannte Ihn aber auch von
einer Schrift her („Klassiker und Bibel in den niederen Gelehrten-
«hulen"), worin Eyth die Schuld an uVr sittlichen Verdorbenheit
unter untern Gebildeten dur Kluasikerlekture in den niederen Oe-
lehrtensehtih-n ms.'hn.-b und sir d.ilnrr -lurch ■■in n.od. r -.-■• in
klassischem Latein und Griechisch geschriebene», ober mit rhrbaiir.hom
Inhalt gefüllte* Lesebuch erselcen wollte. Dagegen halt« C Hinal
pine Schrift geschrieben, welche Strauß mit vieler Zustimmung und
scharf sntirifirh besprochen hatte. Diese Reeension hat in den Charakte-
rHüfcen und Kritiken von 1839. S. 454—459 eine Stelle gefunden.
•) Und auch als Lehrer hat uns Eyth Gut*« getan, lfm flieh im
Griechischen die Vorbereitung iu spuren, las er uns — ab „Exkur*
*ur AnUgono" — die Briefe sein« Sohnes Max Eyth vor, wie pir dnmab
frifich aus Ägypten bei dem Vater einliefen. Dadurch hat er uns in
eine fremde Welt einen Blick tun lauen, diu mm weUubgeachivUi'uun
inirvtten tonst gant verschlossen geblieben wäre.
Dm l»cbm Jwu iQr dos deutsche Voüb
na
gerade als er Heidelberg verlassen wollte, Anfang September
1860 Professor Graefe, der berühmte Berliner Augenarzt,
dorthin. StruuQ benutzte die Gelegenheit und koii8ulti>i -t.«
ihn. Graefe riet wegen de* durch die Kurwichtigkeit
hervorgebrachten Schielen« und Doppelleben» zu einer
Operation und empfahl dafür einen Arzt in Darrnstadl. Da
hier Strauß bei dem Bruder wohnen konnte, griff er eilends tu.
DieOperation brachte über die gewünschte Hilfe nichtoder nur
halb. Allein erließ nun nicht mehr nach, aondern eilte- tu Graefe
nach Berlin, wo er von Ende Oktober bis Endo November l ),
größtenteils in der Augenklinik, verbracht hat. Er wurde
unter groüor Angst — ,,8ein Grausen vor einer Operation
wnr immer ungeheuer gewesen*' — von Graefe selbst
operiert, mit dem Erfolg, daß er hinfort bei etlicher Schonung
.n it seinen Augen zufrieden sein konnte"; nur durfte er noch
längere Zeit nicht bei Licht lesen, was ihm bei der Kürze der
Wintertage sehr schwer fiel. Von Berlin hatte er bei diesem
Aufenthalt natürlich wenig. EinTrost war ihm die Anwesenheit
von Gervinus und Frau und die Assistenz Vatkes, der den
Ängstlichen fast mit Gewalt in den Operationssaal zurück-
brachte und sich in diesen Tagen Überhaupt wieder recht
als Freund bewfthrte. Auch ein schwabischer Landsmann,
Professor Adolf Helflerich. ein ehemaliger Hörer von Strauß
in der Tübinger Zeit, nahm sich seiner an. Wenn dieser
konstatierte, daß er Strauß „weniger menschenscheu als
früher" gefunden habe, so bestätigt das nur, was wir oben
Ober die Wirkung des Heidelberger Aufenthalts gesagt haben.
So mußte der Umzug und die Neueinrichtung des
Hauses in Heilbronn in seiner Abwesenheit von Georgine
iinl. Hilfe Karolinen« besorgt, und als er endlich kam, noch
einmal „die ganze Haushaltung umgeändert" und die Bücher
') Die Datierung do Briefe« an Kuuo flacher. Auagew Urirfo
Nr. 409: Heilbronn, den 8. November 1 »60, kann nicht richtig nein;
am 7. November ist Strauß in Berlin operiert worden und w*t am
23. November von dort ohgereut.
576
ZehaU* KiptteL
erst jetzt ausgepackt und aufgestellt werden. Da« Behagen
«teilte sieb daher nur langsam ein. Auch an da» Zusammen-
leben mit den Kindern und an das Getriebe des Haus-
halts mußte weh Strauß erat wieder gewöhne«. Aber die
alten und neuen Bekannten in Heilbronn kamen ihm und
■einen Kindern ungemein freundlich entgegen. Sein Vortrag
Ober Leasings Nathan, den er im nächsten Winter (De-
zember 1861) zugunsten einer deutschen Flotte unter
Preußen» Fuhrung hielt, sollte eine Art Probepfeil »ein;
und die Probe fiel gut aus: jedermann war davon erbaut,
und damit sozusagen offiziell der Friede geschlossen zwischen
ihm und Heilbronn, das er in seinem „Märklin" um seiner
ultrademokratischen Haltung willen im Jahre 1848 so heftig
gescholten hatte. Dafür hotte auch er in dem Vortrag
jeden politischen und religiösen Anstoß zu vermeiden
gesucht. Im Haus ging oft, da eine ordentliche Magd der
jugendlichen Haustochter zur Seile stand und Korolinc
ab und zu nach dem Hechten sah, gut Georgine war in
Geschäften, Klavierspielen, Tanzon und Schlittenfahren ver-
gnügt, der Sohn besuchte das Gymnasium, dessen Lehrer
tüchtig waren, gern. Mit der Tochter ging er ins Theater,
wo „der alte Schauspieldirektor'" Jakob Winter, dil sohl
schwach gewordene Stimme abgerechnet, immer noch recht
gut spielte. Zu dessen 50 jährigem Wirken als Direktor
hat Strauß einen artigen Gratulittiinisjutiktl p\*rhriebnu,
der dem ulten Mann große Freude und bri der Jubel-
Vorstellung ein volles Haus verschallt hat. Nach seinem
Tode im Jahr 1865 hat er ihm dann auch noch MBU
Nachruf im Schwäbischen Merkur gewidmet.
Aber auch nach auswärts wurden die alten Beziehungen
von Heilbronu aus wieder aufgenommen oder woitergepflegt.
Kreilieli entging auch Strauß dem Los des Älterwerdenden
nicht, alte Freunde starben. Sogleich nach der Übersiede-
lung uach Hellbraun am 2. Dezember 1800 Baur in TflblDgWj
mit dem er noch jüngst von Heulelberg aus an der Berg-
Das Loben Jesu für das deutscht) Volk.
577
straße zusammengekommen war. Kr wÄre pm zur Be-
erdigung nach Tübingen geeilt; aber da die Feier doch
vorzugsweise eine akademische war, wollte er sich nicht
zudrfingen. An den Schwiegersohn Zeller schrieb er noch
vor dem Leichenbegängnis: „Die Trauerkunde ist mir
schmerzlich erschütternd, wenn auch noch dem, was dio
Zeitungen gemeldet hatten, nicht Überraschend gewesen.
Der Schlag trifft uns alle um so harter, je schneller er ein-
getreten ist; aber für den Entschlafenen selbst müssen wir
eben dies als ein Glück, eine freundliche Fügung des SflHfll
sals betrachten. Der Gewallige im Leben sollte den Feinden
nicht im langen Kampfe einer unterliegenden Natur schwuch
gezeigt werden; er sollte in voller Manneekraft, vom be-
ginnenden Alter nur eben ehrwürdig angehaucht, in der
Erinnerung fortleben. Was die Angehörigen, die Freunde
;in ihm verloren haben, fühlen und wissen diese; was der
Welt mit ihm genommen ist, werden viele ahnen, manche
auch zum Teil begreifen, ganz und voll empfinden und
ermessen werden es jetzt nur die wenigen, die sein Geist
dazu erzogen hat, es zu können. Aber die Zeit wird kommen,
da man in den weitesten Kreisen verstehen wird, wir mit
ihm der letzte große Theologe zu Grabe gegangen". Aber
auch öffentlich hat er in der zu Frankfurt erscheinenden
„Zeit", deren Mitarbeiter er auf Haussers Aufforderung
geworden war, ein Wort voll Anerkennung und Verehrung
über ihn und seine Bedeutung für die deutsche Theologie
gesprochen. Die Hauptstellen des Artikels lauten:
„über den Mann, dessen Namen wir diesem Artikel
vorgesetzt haben, sind seit seinem Hingang von verschiedenen
Seiten her Lebensnuchxichteu und Erinnerungswerte ver-
öffentlicht worden, die, bei aller sonstigen Abweichung
d«r Standpunkte doch in dem Ergebnis zusammentreffen,
daß in ihm einer der Stummhalter deutscher Wissenschaft,
ein Gelehrter im echten und großen Stil zu Grabo gegangen
Die treue Auskaufung der Zeit, das völlige Aufgehen
57*
Zehnte KapiteL
in der WUsemehalt, die streute Gewissenhaftigkeit im Ami
und jeder Leb*n*be*iehung. da» aflnOhlkhe. aber ticher*
Vorwärtsschreiten in tU-r Krkenntiii*. dir Vereinigung kntuch
umstürzender mit neubegrUndrnder Tätigkeit, dann die
Amwpruehalowgkeit nach außen bei dem rticfc I ""Pen
Geball: alle diese Züge in dorn Bilde dt* großen deutschen
Theologen erinnern an die entsprechenden in dem de*
großen deutschen Philosophen... Zu diesen großen Produ-
BMrtn» fcm Ht'irlio de» Gedanken» geborte Baur. Erforderte
da« Erz au* den Schachten seine* Wcuens, schmelzte und
sichtote es an der machtigen Flamme »eines Geiste» uud
lieferte die vollwichtigen Barren, die dann andere fOr das
Bedürfnis des Marktes ausprägen und wohl auch legier«
mochten... Zwar war er zunächst theologischer GescluchU-
forscher und al» solcher der Ergriiiniung der Vergangen-
heit zugewendet. Aber was er Vergangenes tu läge förderte,
schloß die gegenwärtigsten Konsequenzen in »ich... Er
wjir Hihturiker und betonte v$ gerne, daß »ein Standpunkt
nur der geschichtliche sei. Er suchte den Glauben an die
Uhernalürlichkeil des SchriflinhalU nicht dadurch xu er-
schüttern, daß er dos Irrige in demselben nachwies, sondern
dadurch, daß er zeigte, wie es hei der Entstehung der Schriften,
der Ausbildung der Lehren und Erzählungen de» Neuen
Testaments so ganz natürlich zugegangen. In der Aufgabe,
die er sich .stellte, die Entstehung des Christentums ge-
schichtlich zu begreifen, war die Ausscheidung alles Cber-
natürlicbon von aelbat enthalten... Sein Gedachtmsredner
in Tübingen (Landerer) berichtet uns aus Baues letzten
Jahren den Ausspruch von ihm: die Überzeugung werda-
irnmer allgemeiner, daß das Christentum auch ohne die
Mjiv.- von Dogmen, die man seil lltor Zeit in deinselbü
nachschleppe, in seinem universellen, von allem Glaubon»-
zwang befreiten Geiste als Prinzip de* Lebens wirken kenn.
Unmöglich konnte ja dem tiefblickenden Forscher Y«r-
borgen bleiben, wohin der Zersetzuugspruzeß, in weh hei .
r».r Iri'hmi Jiwu fiir das deutsche Volt
MB
die Elemente des Christentums seit hundert Jahren be-
griffen sind, am Ende wird führen müssen. Aber erfreu-
lich und tröstlich ist es doch, die Stimme des Gelehrten
aus dein einsamen Schachte der Wissenschaft dasselbe ver-
kündigen zu hören, was das Verlangen so vieler im Gedränge
des heutigen Lebens ist: daß die Bürde unglaublich und
unerträglich gewordener Dogmen von den Schultern ge-
nommen und das Christentum dadurch wieder »um sanften
Joch und zur leichten Last der Gläubigen gemacht werden
müsse, daß es wie ehedem nichts als ein reines Herz, festen
Glauben an die Macht des Guten und unbedingte Hingabe
in seinen Dienst von den Menschen verlange." über die
— nur zu lang geratene und für den Anlaß etwas tu kritisch
gehaltene — Rede Landerers bei der akademischen Gedächt-
nisfeier su Ehren Buurs in der Aula zu Tübingen am
7. Februar 1861 hat sich Strauß übrigens auch privatim
befriedigt ausgesp röche n.
lni Sommer 1861 starb Freund Sicherer in Buden- Buden;
ihm hielt Strauß auf den Wunsch der Grfißlesgcsellschaft
nach der Beerdigung in seinem Salon die Gedächtnisrede,
die zeigt, daß auch der profane. Leichenredner das rechte
Wort zur Würdigung eines Toten finden kann. Und am
21. Februar 1862 starb im nahen Weinsberg „Papa Kerner".
Strauß konnte, weil selber an Grippe erkrankt, dem Be-
gräbnis nicht beiwohnen, hat dann aber für den Schwabi-
schen Merkur den Nekrolog geschrieben. Freilich nicht
gerne. Es warnte ihn die Aufnahme einer Rezension, die
er auf Kernere Verlangen 1841 über die neue Ausgabe von
dessen Dichtungen geschrieben und Kerner vor dem Druck
zugeschickt hatte. Dieser, der keinen Tadel leiden mochte,
schrieb darauf einen verstimmten Brief, und die Besprechung
blieb ungedruckt. Jetzt konnte die Kritik doch noch zu Wort
kommen. Denn bei aller Liebe und Verehrung hatte Strauß
doch an dem Geisterwesen nicht bloß, sondern auch andenGe-
dichten Kerners manche Ausstellung zu machen; und so erregte
ÄftO
ZehnU* K»pilcL
denn auch, was er sagte, bei den AngehGrigrn. denen er übrigen*
das Manuskript ebenfalls vorher zur Durchsicht zugesandt
hatte» eine kleine Verstimmung, die in TheobaJd Kerner»
Buch „Das Kernerhaus und seine Gäste" in deKten böe-
artiger Weise deutlich zum Ausdruck gekommen ist. Uns
Unbefangenen und Unbeteiligten will der Nekrolog durchaus
gerecht, lieb und warm vorkommen. Man nehme nur den
schönen Schluß: ,,. .desto glücklicher preisen wir uns.
daß wir ihm persönlich nahe stehen durften, desto teurer
und heiliger bleibt uns sein Andenken als lebendige Mahnung,
in den Kflrnpfen und Gegensätzen des Lebens der Duldung
nicht zu vergessen, im Streite nur den Frieden zu suchen,
und den Haß nie Meister werden zu lassen Über das Eine.
was Menschen menschlich und gottahnlich macht, die Liebe.* 1
So gute Gedanken brachte ihm die Erinnerung an diesen
ältesten seiner Freunde.
Neben solchen Verlusten halle Strauß freilich auch rini'ii
Gewinn zu verzeichnen — die größere Nahe Zelters, der
1862 von Marburg nach Heidelberg berufen wurde. Dubia
kam er jedoch zunächst in einen peinlichen inneren Kon-
flikt. Daß Zeller die erledigte Professur in Heidelberg er-
halten werde, stand ihm alsbald fest und erfüllte ihn mit
Freude — für Zeller selbst, für die Sache und för sich; denn
die Entfernung Heidelbergs von Heilbronn i*t ja nur klein.
Da tauchte der Plan auf, Kuno Fischer aus Jena zu
berufen: das wäre für diesen eine Genugtuung und ein deut-
liches Symbol für den Umschwung der Dinge in Baden
gewesen. Und nun, wie stand er zu den beiden? Zeller
sein alter Freund; der Scherz Ober „den Papierreisenden",
das Semikolon, das sich Zeller zur Verbesserung seines
taillenlosen Stils zu häufigerem Gebrauche anbietet, zeigte
noch eben, was diese alten Freunde gegeneinander wagen
und voneinander vertragen konnten. Was ihm auf der
anderen Seite Kuno Fischer war. wissen wir ohnedies.
ÜlTen und wahr wie immer, schreibt Strauß in dieser Situation
Das Leben Jesu für das deutscht Volle.
nfil
an Fischer: ..Es ist für uns Freunde nicht ohne Peinliches,
daß die Wahl gerade zwischen Ihnen und Zeller steht, und
iob bin gewiß, auch jodom von Ihnen beiden wird der Erfolg
nur die halbe Freude machen, solange nicht auch der andere
auf den ihm gebührenden Posten gestellt ist. Was insbesondere
mich betrifft) so kennen Sie meine alto Freundschaft für
Zellcr, aber die Versicherung kann ich Ihnen aus aufrichtigem
Herzen geben, daß ich mit keinem selbst meiner ältesten
Freunde so gorne wieder vereinigt wöre als mit Ihnen, da
mich noch keiner so geistig verjüngt und erfrischt hat.'*
So stand er also zwischen zwei Feuern. Daß auch diese
Belastungsprobe ausgehalten wurde, ist ein glänzender
Beweis für die Freundsohaft mit Zeller sowohl als mit Fischer
und für den Takt, den Strauß in der Sache gezeigt hat. Als
Zellor den Sieg davontrug, gratulierte er »ich zu dem Naher-
rucken des alten Freundes und machte mit Kuno Fischer
eiue kleine Reise ins Württembergische, um ihm die Schwäbi-
sche Alb und das Stift in Tübingen zu zeigen und ihn mit
leiser Hnnd au» seiner Verstimmung heraus auf undero
Gedanken zu bringen: es waren erfreuliche, angenehme
Tage, wenn auch Fischers „Bitterkeit ober die Schluß-
wendung seiner Heidelberger Berufungsangelegenheit*' bis-
weilen einen Schatten hineinwarf.
Aber die Hauptsache war für Strauß wie einst in Heidel-
berg so nun in Heilbronn die Arbeit. Die Augen hielten
stand, sie hinderten ihn wenigstens nicht, weun sie auch
im uer berücksichtigt werden mußten; nur die Bibliothek
fehlte, da mußten Stuttgart und Tübingen aushelfen. Auf
welchem Felde diese Arbeit lag, wissen wir seil der Vorrede
zu den Hutteugosp röchen: auf dem theologischen. Dort
war er am Schluß auf sein Leben Jesu zu sprechen gekommen,
das 1860 sein 25 jähriges Jubiläum feierte. Das Buch war
vergriffen, nur 15 Exemplare von der vierten Auflage waren
bei Oslander noch auf Lager. Aber auch von der Dogmatil«
war der erste Band ganz verkauft, vom zweiten allerdings
Tb. Zl*|fer, D. *7. StoMfl. II 38
682
Zehnt« Kapitel
noch 120 Exemplar* übrig. Daher faßt er geradeso wie das
erstemal beide« zusammen tri» Auge, eine Neubearbeitung
beider Bücher wird geplant. ,,So hatte ich denn." schreibt
er im August 1860 dem Bruder, ,,wo nicht für lebens-
länglich, doch so lang mein bißchen Augenlicht noch
wahren wird, Arbeit genug." Der Plan zum Leben Jesu
(ürs deutsche Volk entsteht gleichzeitig mit dem
alten und neuen Glauben. Der Bruder hatte lieber gesehen,
wenn Strauß mit dem letzteren begonnen hatte; ihm selbst
aber lag — das zeigt jener SchluC der Vorrede zu dei
Huttengcsprächon — das ersterc naher: „die Dogmatik
muß jedenfalls dem anderen nachstehen' 1 . Und alsbald
gestaltet sich ihm nun der Plan im einzelnen. An und für
sich wäre es möglich gewesen, nur eine neue, fünfte Auflage
des alten Lebens Jesu mit Eintragung des Probehalligem
aus den neueren Forschungen zu machen. Aber lieber etwas
ganz Neues und Anderes, eine Arbeit aus einem Guß. Diese
soll sich in drei Stücken von dem früheren Leben Jesu
unterscheiden: 1. alle seitherigen Forschungen berücksichti-
gen, 2. synthetisch, statt wie die frühere analytisch,
verfahren, und 3 für alle Gebildeten bestimmt nein, folglich
vieles gelehrten Ballastes sich entschlagen und viel kürzer
werden. Noch in Heidelberg hatte er mit der Matorialien-
sammluug angefangen, er hoffte sogar auf den Winter
1860/1861 zur Ausarbeitung zu kommen. Allein der Umzug
und das Augenleiden traten hemmend dazwischen; und als
er die Vorarbeiten wieder aufnahm — xu Anfung dos Juhrea
1861, da mußte er erfahren, wie sie leider immer mehr ins
Breite wuchsen, indem eine ungeheure Literatur, ,, ungeheure
Bündel Stroh mit wenig Körnern durchzudreachen" waren.
Dabei kam er natürlich auch wieder auf den Anfanger der
ganzen Leben- Jesu-Forschung, auf Heimarus, zurück und
„verwickelte sich dabei in eine Studie über diesen* 1 . Ea war
zugleich eine Flucht aus dem schier ziel- und resultatlosen
Lesen und Exzerpieren , .theologischer Scharteken", eine Kr-
Du beben J«u für das deutsche Volk.
W3
holung »eines Magens, den er »ich „durch die Lektüre von
all dem schalen apologetischen Gebrflu verdorben hatte,
welches die neutestamentliche Kritik inzwischen so reich-
lich zu Markte gebracht" hatte. Und weil ihm der Trunk
aus dem Vollen, d.h. aus Relmarufl gut getan hatte, wollte er
auch andern den Genuß desselben verschaffen. Er hatte
sich das Manuskript aus Hamburg schicken lassen und
en mit steigendom Interesse gelesen. Es war bisher immer
nur in Bruchstücken erschienen; er selbst hatte es sich
schon 1844 zur Veröffentlichung zu verschaffen gesucht;
damals war ihm aber ein anderer zuvorgekommen, der
jedoch wieder nur Teile davon in Niedners Zeitschrift für
historische Theologie hatte drucken lassen. Es war, als ob
man nie Ober Fragmente hinaus zur Kenntnis des Ganzen
kommen sollte. Diesem Zustand wollte Strauß ein Ende
machen. Doch das ganze Werk herauszugeben, daran hinderte
ihn der Zustand seiner Augen, denen er das viele Kollationieren
und Korrigieren doch noch nicht zumuten durfte. Aber
auch eine sachliche Erwägung. Als Ganzes herausgegeben,
wurde os schwerlich viele Leser gefunden haben, da es in
Standpunkt und Haltung, in Anschauungs- und Ausdrucks-
weise unserer Zeit doch allzu fremd geworden war. So
beschrankte er sich darauf, einen Auszug — freilich was
Strauß unter Auszügen verstand — , ein darstellendes Ganzes
daraus zu machen und so der Dolmetscher und Mittelsmann
des alten Reimanis för unsere Zeit zu werden. Er „wollte den
Zeitgenossen anschaulich machen, wer der Mann gewesen,
wie er gedacht, was er erstrebt hat. Er wollte den Hochmut
der Theologen dumpfen, die ihm mit dem Einwurfe, daß
das alles langst widerlegt sei, das Wort abzuschneiden Lust
haben möchten. Ef wollte dem Anstoß vorbeugen, den
bei redlichen Leuten die Hörte seiner Urteilo Ober heilig
gehaltene Personen und Sachen erregen könnte'". Das leistete
er in der Schrift ..Hermann Samuel Reimarus und seine
Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gölte»", die
584
Zehntes Kapitel.
1861 erschien und heute einen Halbhon 4 der gesammelten
Schriften füllt. Durch dio Art der Darstellung erreicht* er
BB| iliiU it cd n \i; itln-K ;n;| .Im li. ntip'ii Statt! der
biblischen Kritik eröffnete, auf welchem das Schroffe und
Einseitige der Hoiiiiarusschen Ansichten sich ebenso voo
selbst gemildert und ergänzt, wie der Kern derselben sich
als unverlierbare Wahrheit erprobt hat"
Albert Schweitzer meint in seiner Geschieht« der Leben-
Jesu-Forschung, Strauß habe Reimanis nicht richtig ge-
würdigt. Das hängt mit seinem eschatologischen Stand-
punkt zusammen: du er alles nur auf diesen hin und in dieser
Beleuchtung ansieht und wertet, so nennt er das Werk von
Reimarus deshalb „die großartigste Leistung in der Leben-
Jesu-Forschung überhaupt", weil dieser zuerst die Vor-
stellungswelt Jesu historisch, d. h. als eschatelogische Welt-
anschauung, erfaßt habe l ), Wir umgekehrt werden Strauß
darum loben, daß er Reimarus nicht in diesem einseitigen
Lichte gesehen, sondern ihn viel allgemeiner und groß-
zügiger aufgefaßt und darum historisch richtig dargestellt
und gewürdigt hut. Und es wäre ja auch wunderbar, WVBO
dem nicht so wäre. Reimarus — Lessing — Strauß: das
sind drei so kongeniale Menschen, daß sie — ich möchte
fast sagen: jedesmal der Spatere den oder dio Vorangehen-
den verstanden haben muß. Reimarus wurzelt ganz
im Zeitalter und Geist der Aufklärung und in der sie
trugenden Wolfßschen Philosophie; Lessing ist der Auf-
klärer, der die Aufklärung überwindet, weil er histori-
scher ist als sie; auch Strauß ist Aufklärer, viel-
leicht im 19. Jahrhundert der stolzeste Vertreter te
Aufklärung; aber er ist zugleich ein Sohn des 19. Jahr-
hunderts mit seiner Romantik und seinem Historismus
und mit der Philosophie Hegels, dio weit fähiger ist als die
WollTsche, „in die fremde Eigentümlichkeit geschichtlicher
l ) A Schweitzer, Von Roimnrus iu WrtAc, S. 22.
Da* Leben Je»u für da* deuUche Volk,
585
Gegenstände einzugehen, »ich in die Gemüts- und Bildungs-
zustände fremder Volker und Zeiten zu versetzen und mit
ihren Objekten liberal und sachgemäß zu verfahren '*). In
dieser Schule war Strauß erzogen 1 ), darum konnte er auch
Rcimarus verstehen und ihm gerecht werden und konnte ihn
zugleich überwinden, indem er den Begriff des Mythus an
die Stelle der Reimarusschen Kategorie eines Gaukelwerks
und Betrugs gesetzt hat. Also nicht mißverstanden hat
Strauß Reimarus, sondern in seiner ganzen Bedeutung
erfaßt, wenn er von ihm sagt, sein Standpunkt sei in dem
der heutigen Religionswissenschaft „aufgehoben" in jenem
Hegeischen Doppelsinn des Worts, wonach das Aufheben
Dicht bloß ein Abtun, sondern auch ein Aufbewahren ist.
Und nicht nur in seiner Verneinung habe er recht behalten,
auch die bessere Bejahung, welche die weitere Entwick-
lung der Theologie an die Stelle der seinigen gesetzt, die
mythische Auffassung der biblisohon Geschichten habe er
schon vorbereiten helfen. Uns aber leistet die bei aller
Gedrängtheit eingehende und überaus feinsinnige Analyse
dos umfangreichen Roimarus-Werkos den unschätzbaren
Dienst, daß wir durch sie auf die bequemste Art mit dem
noch immer schwer zugänglichen Buche in seinem ganzen
Bestände bekannt gemacht worden sind.
Noch in einer andern Beziehung zeigt sich der histori-
sche Sinn von Strauß am Schluß dieser Schrift, wenn er hier
') Kuno Fischor. a. a. O. S. 91.
*) Über das Verhältnis von Strauß zur llegebchen Philosophie
urtclit Kuno l'lsohor a. a. Ü. 3. 90, unter Vergleich mit dem von
Relmarus tu Wolff. treffend 30: „Wie Fteimarus unter den Wolfflnncrn
»eineneit der klaret? Kopf, der beste Stilist, das am meisten kritisch«
T.ili nt und xurfHich einer der positiv Gelahrtesten ist, so galten dieselben
KlK('|Mch;til.':i "i hervor- (■■< li>:nd'.r \Wi-f iinl'T &■ ENgettUMTfl ffOfl
Strauß. Dorn hier mausen wir boimtrkeii, daß Roiirifinu* von der
WoinVhen Schult viel enger und schulmliüittor anhangt Ab Strauß von
te Hoyebchcn. und daß wir in diesem Punkt« uuT der Seile des leti-
teren eine doppelte Überlegenheit entdecken.*'
m
Zehnt« K*ptt*L
ab den Grundfehler des 19. Jahrhunderts die romantisch«
überschwanglichkeit bezeichnet, mit der es sich von dem
18. losgesagt und sich durch die Verleugnung der Aufklärung
um die Frucht großer und herrlicher Anstrengungen ge-
bracht habe. Strauß war einst selber von der Romantik
ausgegangen, durch Juslinus Kerner war er einen Augenblick
tief in sie verstrickt gewesen. Davon hatte er sich langst
frei gemacht; aber je geistesheller und fmier es in ihm
wurde, desto mehr war »eine Vorliebe wie fflr Reimarus Uftd
Lessing so für die ganze Welt der Aufklärung gewachsen.
Der Aufsatz über „Brockes und Reiiuams" zeigt, wie er
in ihr heimisch geworden ist und wie grundlich und fein i-r
sie versteht. Dabei kommt auch Voltaire immer mehr in
Sicht. Die Klarheil aller dieser großen Aufklärer des 18.
Jahrhundert* stellt er turmhoch Ober die romantischen Nebel,
von denen das 19. in seinen Anfangen umhüllt gewesen
ist und aus deneu es 6ich nur mühsam und bis zu dieser
Stiiuilr noch nicht ganz in- Helle und Khnv und Krrtr- henms
gekämpft hat.
Und nun ging es nach dieser Unterbrechung wieder
zu den Vorarbeiten für das Leben Jesu. Nicht eben mit
Enthusiasmus. Strauß las und las, und doch schien ihm
außer Baur und seiner Schüler Arbeiten fast nichts Erheb-
liches zur Sache erschienen zu sein. Und Überdies fiel es
ihm schwer, seine ganze Phantasie wieder so wie ehedem
mit diesen Stoffen zu erfüllen, nachdem er solange dem
theologischen Gebiet entfremdet gewesen war. Dagegen
kommt die Klage, er fühle das Alter und die mindere Be-
weglichkeit und übersichtskraft des Geistes, damals noch
viel zu frühe. Ea war vielmehr die unerfreuliche Zeit dee
Sammeins, das ihm Mühe machte. Wie er im Oktober
1862 an die Ausarbeitung geht, da ist er wieder in seinem
Element, und die Arbeit gehl nun, wenn auch nicht schnell,
so doch stetig voran. Wenn er einmal das Geschriebene im
Zusammenhang überliest, ist er nicht unzufrieden damit.
Da» Loben Jwu fOr du dculache Volk.
687
Da kamen noch in letzter Stunde vor Abschluß des
Werks zwei Hemmungen, von denen die zweite don Ab-
schluß geradezu zu verhindern drohte. Die erste war eine
rein persönliche, der Tod seine» Bruders Wilhelm.
Vor mir liegen die vielen hundert Briefe, die Strauß
diesem Bruder geschrieben hat, der erst« ein gemeinsames
Schreiben von Vater. Mutter und ihm vom 5. Oktober 1832,
der letzte vom Tage seines Todes, dem 21. Februar 1863,
eine Erkundigung nach dem Definden des schwer Leidenden.
Was haben die beiden in dieser 30 jährigen Korrespondenz
nicht einander mitgeteilt und beredet an Freud vmd Leid,
an Schicksalen und Sorgen, an Arbeiten und Erfolgen!
Auch zuweilen sich gezankt und gestritten, aber immer
schnell wieder sieh vertragen, in warmer Bruderliebe einander
zugetan, stets bereit, einander zu fördern und zu helfen, zu
trösten und aufzurichten, jeder des andern bester Freund
und guter Kamerad, treuester Berater und sicherster Halt.
Anfangs hat Strauß dem Bruder für sein Geschäft durch
Einlagen von Kapital ausgeholfen, biB dieses zu einem
blühenden und ertragreichen geworden war; dafür hat ihn
der Bruder bei der Verwaltung seines Vermögens mit Rat
und Tat unterstützt und ihm allerlei Geschäftliches abge-
nommen. Die Erziehung der Neffen laßt sich Strauß an-
gelegen sein wie die der eigenen Kinder, dafür finden diese
im Haus de» Onkels stets willkommene Aufnahme und etwas
wie eine zweite, oft gar die einzige Heimat. In don vierziger
Jahren waren Strauß für seine Nöte bei dem klugen Geschäfts-
mann, der zugleich ein warmes Herz für ihn hatte, volles
Verständnis, guter Rat und treue Hilfe stete bereit; ich
habe den Eindruck, wenn damals einer hatte helfen können,
so wäre es Wilhelm gewesen; wenn auch »eine Vermittlung
die Straußsche Ehe nicht zurechtbiegen konnte, nun so
sieht man auch daraus, daß der Konflikt ein unlöslicher
gewesen ist. Aber über alles fand Strauß bei ihm auch tffl
t/rliri^'lrs Olli . rill Vi' Chi ■'■ llil U\u V< illt'H l*VI ll'i \M >lllt U.'lnlr
\U* Kaprtj-4.
fftr sein« ArMtefi. ät» erfrechen* G«aAm-
gtOMÜMcfaan, bei der natftrliefe vorwiefso d «r der .Gabend»,
der Bruder der Empfangende und Empfängliche war;
in Gesinnung und freier Ansofcaaang aber waren säe ein-
ander durchaus glekh. Gerade von diesi r Seit« her war
auch immer wieder die Aufforderung gekommen. Strauß sollt
NM dH U tp fMi isnvS fctoi - btttssj tat rtoftogfa nrtifc-
kehren. Wie freut« «ich daher der Bruder, als sich dtcssjr
Wunsch erfüllt«, dia Rückkehr »ich wirklich volUog! Nur
schade, daß er ihr« Frucht« nicht mehr «rieben dürft«,
▼or allem nicht den alte« «od neuen Glauben; denn tu einem
aolchen Ginxon und Zusammenlassenden hat er den Bruder
Immer wieder gedrangt. Er wollt« nicht noch einmal «in rein
gelehrt*« und vorwiegend kritische« und negatives Werk
von ihm haben, «ond?m fordert«, ar solle ..der alten christ-
lichen Weltanschauung in allen ihren Teilen und Folge-
rungen, vom Gottes- und Weltbegriff bis auf di« Lehren
von Lebensgenuß und Sitte hinaus die moderne, natürlich«
oder philosophische entgegenstellen und diea in piner Form
urut Sprache, die für alle verstandlich und ergreifend wir*",
— also genau das. was S trau Li sehn Jahre spater in aeioein
fcutirn Buch geleistet hat. Einstweilen halt« er »ich auch
mit der in Aussicht gestellten Abschlagszahlung des neuen
Lebens Jesu zufrieden erklärt, freilich nur in der Voraus-
setzung, daß ea eben bloß eine solche sei. An dem Fortachretton
dor Arbeit nahm er dann den regsten Anteil, fr*?ute sich darüber
und darauf und mahnte immer aufs neue zu rüstigem Weiter-
arbeiten. Aber die Vollendung sollt« er nicht mehr erleben.
Hm langes, schweres Herzleiden hatte ihn vor der Zeit tum
Aufgeben seines Geschaltes, einer Zuckerraffiuerie in Köln
genötigt; doch mag auch die Schwierigkeit, die diesem
Zweig der Industrie der tlborgang vom Rohr- zum Rüben-
zucker hernitoto, zu diesem Entschlüsse mit beigetragen
haben. Seit 1860 lobte or mit den Seimgen zurückgezogen
in Darmstndl, Drei Jahn darnach erlag er jenem tückischen
D» Leben Jeeu fOr du deutsche Volk.
589
Leiden. Im Kreis der Familie hat ihm StruuÜ am Morgen
da 24. Februar, unmittelbar nach der Beerdigung, jene
.Leichenrede" gehalten, die neben den Worten auf ȟ.
Mutter ein so schönes Denkmal vorwnndtnchaftlicher Pietät
il.nslrlll.. \\';\h il « -r Krudrr ihm p'Wt'HiMi, fußt er liier in
die Worte zusammen; „Daß er mir in jeder Lehensnot eine
Zuflucht war, in jedem Sturme ich mich an ihn, das schein-
bar goknickte Rohr, das aber eine starke Riebe war, halten
konnte, in jedem Zweifelsfalle hei ihm den treuesten und
weisesten Rat fand, das ist zwar viel, doch noch lange nicht
alle». Wie selten stehen zwei Bröder, von denen der eine
ein Geschäftsmann ist, der andere Gelohrtex, über das Blut-
und Freundschaftsverhältnis lünaus auch in wirklich inner-
BohflB Zusammenhang! Und wie war dies bei uns beiden
von jeher der Fall. Meine wissenschaftlichen Bestrebungen
hat keiner meiner gelehrtesten Freunde tiefer verstanden,
gründlicher gewürdigt. Für das, was ich schrieb, war mir
kein Leser ohne Ausnahme wichtiger als er. Sein Urteil
war zwar freilich immer das des Bruders, ach! des auch
sonst so nachsichtsvollen Bruders; aber immer konnte ich
mir doch genau daraus entnehmen, ob ihn etwas im Innersten
berührt hatte oder nicht, und nur, wenn sie diese Probe
bestanden hatte, war ich mit einer Arbeit zufrieden. Dieser
Leser, dieser Freund und Ratgeber wird mir von jetzt an
fehlen, wie uns allen, in welchem Grade und welcher Art
von Verwandtschaft und Freundschaft wir tju ihm gestanden
haben mögen, sein treues Herz, sein heller Blick, sein fester,
unerschütterlicher Wille fehlen wird". So fehlte er ihm
denn auch sofort bei und nach der Vollendung seines neuen
Buches, dort als treibender Förderer, hier als einsichtigster
Beurteiler desselben. Wie er diese Hemmung durch Objek-
tivierung seiner Gefühle in der Widmung des Lebens Jesu
überwunden hat, werden wirgleich sehen. Hier füge ich nur
noch hinzu, daß er der Witwe und ihren Kindern durch treues
Festhalten an der Vorbindung mit ihnen zu vergolten suchte,
NO
q.iM.
wm dv.r Dahingegangene ihm gewesen war. Die Briefe an
die Schwägerin erstrecken »ich vom 28. Februar 1863 b»
zum 27. November 1873 in ununterbrochener Kette zahl-
reich fori, und kaum minder zahlreich sind in den späteren
Jahren die an den Neffen Emil, den bekannten Bonner
Buchhändler l ). mit dorn er zuletzt auch noch in Geschäfts-
verbindung getreten ist.
Gefährlicher für die Vollendung des Lebens Jesu alt»
diese rein persönliche Hemmung war eine zweite aachliche,
— das Erscheinen des Lebens Jesu von dem Franzosen
Ernst Renan im Sommer 1863 und die Aufnahme, die dieses
Buch in Frankreich nicht nur, sondern in weiten Kreisen
auch über die Grenzen Frankreichs hinaus in Deutachland
fand. Man hat gesagt, Strauß haben die Lorbeeren Renaas
nicht ruhen lassen, deshalb habe er das zweite Lehen Jesu
geschrieben. Genau das Gegenteil ist wahr. Als es erschien
mit dem beispiellosen Erfolg von acht Auflagen in drei Mo-
naten, da mußte er sich fragen, ob neben diesem „Volks-
buch" das seinige bestehen könne. Und wirklich dachte
er einon Augenblick daran, sein fast fertiges Werk unvollendet
und unveröffentlicht zu lassen. Allein bald erkannt« er,
bei aller Anerkennung für ..das viele Gute in dem Buch",
daß hier etwas ganz anderes vorliege, als er geben konnte
und wollte, kein aus den Quellen heraus gearbeitetes Werk.
sondern ein geistreich schimmernder, sentimental ange-
hauchter Roman, der an den Quellen eine rein subjektive
Gpschmackskritik übte und sich durch die unkritische Vor-
hebe für das Johannes-Evangelium von vornherein um
jede Möglichkeit historischer Wahrheit und Treue bracht«'.
Und es war ein spezifisch französisches Buch, von einem
Franzosen für Franzosen geschrieben '), das zeigt schon
die Widmung ft l'Ame pure de sa soour Henriette morto ä
') Ober ihn siehe dns schon* Buch „Emil StmuB, nn deutscher
Buchhändler am Rhein»", von O. von Hat«. 190?.
■) Sehr gut «vis! das A. Sehn *itn>r nach a. «. O. 8. 179— 19t.
Das Leben Jesu für dos deutsche Volk.
591
Byblos, le 24. Septcmbre 1861. Flu- das deutsche Volk
war jedenfalls ein ganz anderes Leben Jesu ootig. So nahm
Strauß trotz aller Anerkennung» um nicht zu sagen: trotz
einer gewissen Überschätzung der Vorzüge Renans, seine
Arbeit wieder auf, und als dann im März 1864 sein „Leben
Jesu, für das deutsche Volk bearbeitet'* erschien, dareichte
er in der Vorrode dem Franzosen über den Rhein hinüber
freundschaftlich die Hand. „Man mag an diesem schnell
berühmt gewordenen Buche aussetzen, soviel man will",
heißt es da, „ein Buch, das, kaum hervorgetreten, bereits
von ich weiß nicht wieviel Bischöfen und von der römi-
schen Kurie selbst verdammt worden ist, muß notwendig
ein Buch von Verdienst sein. Es hat seine Fehler, aber
nur einen Grundfelder (die Voraussetzung der Echtheit
des Johannes-Evangeliums); und von diesem gebe ich die
Hoffnung nicht auf, daß der geistvolle Verfasser ihn noch
erkennen und darnach seine Arbeit verbessern wird. Was
uns außerdem als Fehler erscheinen mag, sind zum Teil
Eigenschaften, die dem Buch in seiner Heimat als Vorzüge
angerechnet werden und seiner Wirksamkeit Vorschub tun;
wie umgekehrt manches, wodurch der Verfasser des gegen-
wärtigen Werkes die Zufriedenheit seiner Landsleute zu
verdienen hoflt, jenseits des Rheins mißfallen oder doch
langweilen würde. Ich habe das Leben Jesu von Renan,
das erschien, wie das meinige nahezu vollendet war, als
ein Zeichen des allerwarts sich regenden gleichen Bedürf-
nisses mit Freude begrüßt und bei näherer Ansicht mit
Achtung aufgenommen; von meinem Wege abbringen konnte
es mich uicht; aber ein Buch für Deutsche geschrieben zu
haben in dem vollen Sinne, wie er eines für Franzosen ge-
schrieben hat, ist alles, was ich wünsche."
Für ,.das deutsche Volk" halte Strauß diesmal das
Leben Jesu bearbeitet, d. h. nicht für die theologische Zunft
oder wie er bei der ersten Mitteilung davon an den Bruder
kurz nach dem Rappscheu Handel drastisch schreibt: „mit
it«ft KspiUi
Umgebung des verächtliche* TUotage op acks"; abar doch
•arfa nicht fOr das Volk im weitesten Sinn, fondern wie
fr selbst sagt: .Jor Gebildet* sUer Stande". Und was
für Leser er ach wünschte . das zeigt du? Widmung an
den Bruder, die Ende 1862 entwürfe« «od (Ar den Lebend l
bestimmt, nun ab Nachruf an einen Verstorbenen dem
Werke vorangeschkkt wurde. See im Wortlaut meinem
Buche einzuverleiben ist mir geradem Bedürfnis, aber auch
sachlich darf sie nicht fehlen.
„Lieber Bruder! So alt meine Schriftstellern nächsten»
ist, m iai doch, von ein paar Sendachraben abgesehen,
die« da« ante Buch, das ich jemanden zueigne. Gönner
hübet ich nie weder gehabt noch gesucht; meine Lehrer,
nachdem ich mit meiner Krstlingsarbeit Anstoß erregt
hatte, beeilten sich, der Wahrheit gemäß m versichern,
daß ich das, was ich wußte, nicht von ihnen gelenkt habe;
meinen Freunden und Studiengenoesen aber sab ich aus
der bloßen Kunde ihrer Freundschaft mit mir. soweit sie
jii<:ht vorzogen (was auch vorkam), diese den Verhältnissen
xum Opfer zu bringen, besonders in unserer Heimat Württem-
berg soviel Ungelegenheit, Zurücksetxung und Verdächti-
gung erwuchsen, daß es Gewissenssache war. sie nicht durch
ein öffentliches Denkmal unserer Verbindung noch mehr
auszusetzen. Du, lieber Bruder, bist unabhängig, hast Dich
(das iMt der Segen des Gewerbes) um die Gunst oder Ungunst
geistlicher und weltlicher Oberen nicht zu kümmern, Dir
kann es nichts schaden, wenn Dein Name vor einer Schrift
von mir zu losen ist. Zugleich hast Du aber, neben dem,
was Du dorn Bruder warst, wie Du ihm in so mancher schwie-
rigen liehnnslage als treue Stutze zur Seite standst, auch dem
Schriftsteller von jeher in einer Person alles dasjenige
geleistet, was einem solchen von Gönnern, Lehrern und
l'Yeundi.'n geleistet werden kann. Du hast mich ermuntert
und. was mehr i*t. Du hast mich verstanden; Du hast
meinen oft gesunkenen Mut gehoben, aber auch meinem
Das Leben Jesu für das deutsche Volk.
Mfl
bisweilen auf andere Felder abschweifenden Sinn bei
der Sache, tlnr ich mich ursprünglich gewidmet halle, frei-
gehalten; bei Abfassung dieser Schrift insbesondere hast
Du mir von Anfang an im Sinne gelegen, und kein Blatl
derselben ist zustande gekommen» ohne daß das Bestreben,
Dir genug zu tun, so zu schreiben, wie ich wußte, daß Du
es für Budürfnis unserer Zeit haltest, nur Antrieb und Leit-
stern gewesen wfiru. Und hier trifft die Widmung dieses
Buches mit der auf dem Titel ausgesprochenen Bestimmung
desselben zusammen. Indem ich es dem Bruder widme,
denke ich mb Ü6HD als einen Mann aus dem deutschen
Volk; und indem ich es dem deutschen Volk bestim
setze ich voraus, daß unter diesem viele Männer seien, die
dem Bruder gleichen. Ich meine viele, die» unbefriedigt
vom Erwerb, auch geistigen Dingen nachtrachten; die nach
arbeitsvollen Tagen iu ernster Lektüre ihre beste Erholung
finden; die den seltenen Mut haben, um den Bau der her-
gebrachten Meinung und der kirchlichen Satzung unbe-
kümmert, über des Menschen wichtigste Angelegenheit
auf eigene Hand nachzudenken, und die noch seltenere
Einsicht, auch den politischen Fortschritt, wenigstens in
Deutschland, nicht eher für gesichert zu halten, als bis
für die Befreiung der Geister von dem religiösen Wahn.
für rein humane Bildung des Volkes gesorgt ist. Ob eine
Weltansicht, die mit Ablehnung aller übernatürlichen Hilfs-
quellen den Menschen auf sich selbst und die natürliche
Ordnung der Dinge stellt, sich auch wirklich fürs Volk
und fürs Leben eigne, ob sie imstande sei, den Menschen
nicht nur im Glück in der richtigen Bahn, sondern auch
im Unglück aufrecht zu erhalten, dies insbesondere nach
der letzteren Seite zu erproben hast Du, lieber Bruder,
nur allzuviel«' Gelegenheit gehabt. Du hast einem lang-
jährigen Körperleiden ohne fremde Krücken, einzig auf
das gestützt, was Du uls Mensch und Glied dieser gest-
und gollorfullten Well bist und wissen kannst, mannhaft
bn
Z*hnte* KapiteL
widerstand«, Du haut unter Umstanden, die den Gläubigsten
hattrn kleingläubig machen kfmncn, Mut und Fassung b«^
halten; Du baat selbst in solchen Augenblicken, wo jede
LebenshofTnung erloschen war, niemals der Versuchung
nachgegeben, durch Anlehen beim Jenseits Dich zu tauschen.
Möge Dir nach so harter Prüfung ein freundlicher Lebens-
abend beschieden sein; mögn dieses Buch Deiner Nach-
sicht genügen und diese Widmung Dir nicht mißfallen;
an ihr aber unsere runder und einst unsere Enkel noch
.iliinii-n. in wi-lrli.'i inoigSD Geislfs^nninsch.'ifl ihre VUM
gestanden, in welchem Glauben sie, ob auch nicht heilig,
doch wenigstens ehrlich gelebt haben, und wenn nicht selig,
dooh hoffentlich ruhig gestorben sind" l ).
Darin freilich hat sich Strauß getauscht, daß dieses
Leben Jesu ein Volksbuch werden werde: nicht einmal
l ) Der Kontrast awiachen den beiden Widmungen — der StrauBoM
an den Bruder und der Ucnans an die Schwester — ist iu charakte-
ri« tisch, als daß ich nicht auch die letitere wenigstens unmerkungs weise
»um Vergleich hier zum Abdruck bringen möchte. Sie heiOt: „Te
»ouvieim-tu, du »ein de Dimu oü tu reposes. de oes longues journeee
He Ghniir, oü. anul avec toi, j'errivais c*8 piges inapirAiw par I« lieux
qu« tious avions viriles «nsernble? Silencieuse a cöle de moi, tu r*li*an
chaquo feit i Ho, et In recopiais silöl öcrite, pondunt quo la rner, lus
village-s, les ravins, les monlagnes se deroulaient a noe pieds. Quand
l'accablante lumiero avatt fnit place a l'innombrnble arrofa das
etoilM, tes questions flnes et dällcatcs, tes doutes dtscrels,
rameoaient a l'objet sublime de nos commune* poiuöes. Tu me
im jmir que ce hvre-ci tu Vaimrrais, d'abord parte qu'il avalt SU
fait avec toi, et aussi parco qu'il te plaisait. Si parfois tu craignait
pnur lui les etroils Jugements de l'hommo frivole, toujoum tu fua
pvrsuüdl-e que les Arnes vraiment religieuses fliuran«nt par *'y plair».
Au rniliou de cas Uouces medilatfons, la mort nou». Irappa toiw lea
deux deson aile; lesommeil de 1a ü*vra nons pnt a la m*ra« huura; je
in« revoillai seull . . Tu dors inaiulcnant dunt la terra d'AdonU. prfU
de la sainte Byblos et des eaux sacrees ou les femmes des mystftres
antiques venaient melor leurs 1 armes. Kevtile-moi. o bon KÖnlc, a mo4
que tu nimaia, cos veritta qui dominent la mort. empechent de
craindre et la fönt prnsque aimer."
Dm Lobtn Jmu für du d*ut«che Volk-
595
in dem Sinn, in dem er unter dem Volk die Gebildeten ver-
stand, traf das zu. Entweder es gab nicht ho viele im Volk
der Deutschen, die dem Bruder glichen» oder — Strauß
hatte den Ton doch um eine Note zu hoch genommen. Und
so war es — deshalb, weil es zugleich eine Auseinandersetzung
werden sollte mit dem, was seit dem letzten Erscheinen
des ersten Lebens Jesu auf diesem Gebiete geleistet worden
war. Das aber war Gelehrt«»narbeit und für das Volk, wenig-
stens für die Durchschnittsgebildetcn desselben, eine zu
schwer verdauliche Kost. Das Buch war das Werk eines
Theologen und in erster Linie für Theologen : so leicht ließen
sich diese in dieser Frage doch nicht „umgehen 4 * und aus-
schalten.
Der Auseinandersetzung mit den Arbeiten seiner Vor-
gänger ist die „Einleitung", der erste, in den gesammelten
Werken 200 Seiten umfassende Teil des Buches gewidmet.
Sie beschäftigt sich zunächst mit den verschiedenen Be-
arbeitungen des Lebens Jesu von Heß (1768) — Reimarus
war ja eine eigene Schrift gewidmet, von ihm brauchte hier
nicht noch einmal gehandelt zu werden — von Heß bis
zu Keim *) und Renan. Das war in nuce das, was neuer-
dings Albert Schweitzer in einem besonderen, großen Werk
„Von Reimarus bis Wrede" behandelt hat. Darauf folgt
die Untersuchung über die Evangelien als Quellen des Lebens
Jesu, die etwa 130 Seiton einnimmt. Sie huttu mau im
ersten Leben Jesu — wir haben gesehen, wie weit mit Rocht —
vermißt. Inzwischen hatten Baur und seine Schule durch
ihre Arbeiten diese Lücko ausgefüllt, dazu mußt» Strauß
Stellung nehmen. Nun hatten aber diese Untersuchungen
der Tübinger, wie schon des öfteren erwähnt, ja nur be-
stätigt, was Strauß im ersten Leben Jesu mehr nur divi-
natorisch angenommen und vorausgesetzt, als im einzelnen
') Keim's ,, Geschichte Jhsu von Naiam" war Übrigem daniHl*
noch nicht erschienen, «ondorn erat die „gehaltvolln" klnin« Schrift
Ober „Die menschliche Entwicklung Jwu Christi" 1801.
we
hatU: den durchaus imkutoröch
Charakter des JohattnesevangelMitna\ dea vor ika Ba
ssJbrt in so gliastoder Weis« bts xnr Evidenz »eher f««4-
fcsUüt hatU, und dir zeitliche und Wertpriohtat du
Mstthttt*vangeiiufns vor Markos und Lakas. So war es
nur natürlich, daß Strauß an d«n ihm von Anfang an faat-
»tehrnden und nun von den Tübinger Freunden ao erfreulich
nachg e wi e senen Ergebnissen auch jetzt wieder festhielt und**
durch «igtna Nachprüfung bestätigt fand. Nun war aber
inzwischen die zweite Annahme, die der Priorität de» Matthaus
ernstlich in Frage gestellt durch dieMarkuehypothese, diexwar
immer auch aebon dagewesen war, aber neuerdings doch ganz
andcni wiioenschaftlich fundamentiert mit den Aufstellungen
der Tübinger ernsthaft um die Vorherrschaft stritt. Fi
haftete ihr in jenem Augenblick noch ein Element an, das
aio Strauß von vornherein wenig empfehlenswert, geradezu
verdächtig machen mußte: sie war apologeti" <
und als die Hypothese der sogenannten Vermittlung»-
thuologic ausdrücklich der der Tübinger entgegengestellt
wurden Allein die wissenschaftln-he Arbeit hui ihren eigenen
Weg und betätigt nn ihren Werkzeugen ihre eigene Kraft.
Das zeigt sich auch au dieser Hypothese. Männer wie
Weizsäcker und Holt/mann, die im Gegensatz und Kampf
fpge-n die Tübinger Schule ihre theologische Laufbahn
begonnun und im Zusammenhang damit jene Hypothese
WilftluU hatten, durfl'n und dürfen »ich heute als wOnflge
Thronerben und echte Nachfolger Dours betrochten. In
tiefdri uzender gelehrter Arbeit und in demselben wissen-
Mflftfllhill freien Geist wie Baur haben sie jene apologetische
Tendenz nUmAhlirh fallen lassen und die \farkushypothcse
von ihr völlig freigemacht, so daß diese sich heute neben der
Mntthttushy|iwUir*r nicht nur uln wisbriittchuftheh gh'ich-
l" -r. n hligt behaupten, sondern — das ist das Resultat einer
vierzig- bis fünfzigjährigen mühsamen Arbeit — sich als
ihr UhiThrgi'n ftthhm darf. Allein dabei ist mau doch auch
Du Leben Jesu für du druUeho Volk.
m
darüber heute einig, daß der Markus oder richtiger der
Urrnarkus nicht die einzige älteste Quelle für das Leben Jesu
sei, sondern daß ihm eine Redequelle, die unter dem Namen
des Matthäus ging, gleichwertig zur Seite zu stellen sei.
Hntisrath in seinem neuesten Buch 1 ) stellt da» Spruch-
buch der zweiten Grundschrift, der historischen, sogar aus-
drücklich voran. So erschienen auch Strauß wie heim ersten
Leben Jesu, die Reden wichtiger und wertvoller als die Be-
richte Über Taten und Geschehnisse, die doch auch im Markus
schon durch Sagen wuuderhait entstellt, mythisch, also
unhistorisch waren. Auch deshalb blieb er dum Matthäus
treu und trat den „Markuslöwen' 1 , wie er sie später spottend
genannt hat, schroff abweisend gegenüber. Wir werden
alsbald sehen, wie er auch jetzt wieder, und diesmal schlimmer
als das erste Mal, durch diese Einseitigkeit in der On. -Um-
frage seiner Darstellung des Lebens Jesu Eintrag getan hat.
Es hing aber noch mit einem anderen zusammen. Strauß
hatte sich neunzehn Jahre lang aus der Kontinuität der
theologischen Arbeit ausgeschaltet, hatte sich zeitweise
verschworen, keine theologischen* Bücher mehr zu lesen
und zuletzt noch sogar daran gedacht, die, di« er selbst
besaß, zu verkaufen. .Nun mußte er sich nach- und in die
'I 'In mIii^ji- wieder einarbeiten, «Iß et BO plötfHoJ) KU Ifaf
zurückkehrte; und das war keine leichte Sache. Ein Leser
allerersten Ranges ist ja Strauß immer gewesen, und so lus
er sich auch jetzt mit Bienenfleiß in die Kvangelion-
litcratur herein. Aber gerade in dieser Zeit legte sein Augen-
leiden seinem Leseeifer Kesseln an, und schließlich läßt sich
in zwei oder drei Jahren doch nicht alles nachholen, was
man in neunzehn versäumt und ignoriert hat. Und endlich,
am apologetischen Gebräu halte er sich den Magen vor-
ihirben, mehr itl» einmal war •',• imlie ihn-ini. nllen Tlier»li>Ki*e.ho
') Adolf Hausruth, Jesus und dm ncrtil<'3tJi tuen t liehen Schrift-
stollor 1908, 1, B. 173 ff. — übrigens vgl. tu «lie&tir Frage auch noch
einmal du früher schon !, 8. 167 ff. Gesagt*.
TV ftW". I> fr, Biraufi. II ;;•»
M Zahnte* Kapitel.
vid.'i lii-li.rili' /.ll V. :1m lllllli' Lti![i:r i.r.iiiu , liUwiM'
SOgftr voll Vernchtung ftlr das, wo» er zu studieren hatte.
Minie er o* ab, davon zu lernen, und kehrte immer am liebsten
wieder zu den vertrauten Gedankengang n K.mr« und soinei
Tübinger Genossen zurück. So konnten Hin Gegner in dem
gelehrten Hüstzeug diesmal gelegentlich etwas vermissen
und ihm muht ganz ohne Grund nino gewisse. Yomn
heit in der Kvnngelionfrage vorwerfen Und vielleicht wurden
sie es auch mir als Voreingenommenheit und Ausfluß meiner
Vorliebe für meinen Helden auslegen, wenn ich, nachdem ich
das zugegeben habe, nun doch auf der anderen Seite betone,
wie staunenswert rasch und wie staunenswert gründlich
Strauß doch in der Hauptsache nachgearbeitet und sich
nlnbald wieder in die allervordersle Reihe der Leben- Jett"
Forscher durchgearbeitet hat. Auch jetzt wieder stehen
viele auf seinen Schultern und triumphieren, daO sie ein
paar Millimeter weiter sehen und ein paar Milligramm mehr
wissen als er.
In einem dritten kürzeren Abschnitt der Einleitung
werden dünn noch , .etliche Vorbegriffe zu der folgenden
Untersuchung" festgestellt. Das Wunder wird abgelehnt
und vor allem wieder der Begriff dos Mythus als der Hebel
der ".in,'.": Untersuchung eindeutig bestimmt K- ist se.hnn
froher bemerkt worden, daß Strauß durch Baurs Nach-
weisung bewußter und tendenziöser Erdichtung und der
Holle, die diese bei der Bildung der Evangelien gespielt, sieh
veranlaßt gesehen habe, den Begriff des Mythus in diesem
Sinn auszudehnen; dazu hfilt er sich deshalb und dann für
befugt, wenn und weil die christliche Gemeinde diese Tendenz-
dichtungen akzeptiert und sie als einen Bestandteil ihre«
Glaubens diesem einverleibt hat. Er formuliert dies so 1 ):
„Ich habe in dieser neuen Bearbeitung des Lebens Jesu,
') Diese fifthon einmal (I, 143f.) zitierte 8 teile mutt hier in
ihrem Zusammenbang noch einmal wiederholt werden.
Das Leben Jnu Cor da* deutsch« Volk.
Ö9Ü
hauptsächlich infolge von Baut* Nachweisungen, der An-
nahme bewußter und absichtlicher Dichtung weit mehr Raum
als früher zugestanden; durum aber diu Bezeichnung zu
andern, habe ich keine l rsnehe gefunden. Auf di<
vielmehr, ob auch bewußte Erdichtungen eines einzelnen
füglich Mythen zu nennen seien, muß ich auch nach allem
seither darüber Verhandriten noch immer antworten: in
allewege» sobald sie Glauben gefunden haben und in die
Sage eines Volkes oder einer Religio nspartei übergegangen sind ;
was dann immer zugleich beweist, daß sie von ihrem Urheber
nicht bloß nach eigenen Einfällen, sondern im Zusammen-
hang mit dem Bewußtsein einer Mehrheit gebildet waren.
Jede unhistorische Erzfthlung, wie auch immer entstanden,
in welcher eine religiöse Gemeinschaft einen Bestandteil
ihrer heiligen Grundlage, weil einen absoluten Ausdruck
ihrer konstitutiven Empfindungen und Vorstellungen er-
kennt, ist ein Mythus; und wenn die griechische Mythologie
ein Interesse haben mag, von diesem weiteren Mythus-
begriff einen engeren zu unterscheiden, der bewußte Er-
dichtung ausschließt, so hat umgekehrt die kritische Theologie
der sogenannten gläubigen gegenüber ein Interesse» alle
diejenigen evangelischen Erzählungen, denen sie nur ideale
Bedeutung zuerkennt, unter dem gemeinschaftlichen Begriff
des Mythus zusammenzufassen.* 1 Ich wüßte nicht, was
an dieser Begriffsbestimmung, die übrigens mit dem schon
in der vierten Auflage des allen Leben» Jesu darüber Ge-
sagten im wesentlichen übereinstimmt, auszusetzen wäre;
es wird auch mit ihr, soviel ich sehe, von der kritischen
Evangelienforschung seither durchweg bewußt oder un-
bewußt operiert.
Aber noch etwas galt es bei dieser Gelegenheit uueh
vor der Öffentlichkeit ins reine zu bringen, sein Verhältnis
zu Baur, über dessen epochemachende I fnleniiie.hungcn
natürlich zu sprerhen war. Schweitzer hat ganz recht ge-
sehen, wenn er aus einigen Äußerungen von Strauß eine
000
Zehntes Kapittt
<".■.;.■ ,,('.tli'i/.U)i'i| BMVH -«'llu'II .litt'Il J ^1j 1 *! ' !: l : |
liest 1 ). Die» persönlichen Begegnungen mit Baur in dessen
leliUn Lebensjahren und dann sein Tod hatten ausgleichend
und versah nend gewirkt. Du zeigen die Äußerungen kur*
nach seinem Tode, die wir schon kennen. Nun aber war
bei der Arbeit am Leben Jesu, wo Strauß natürlich immer
wieder dessen Untersuchungen Initte beziehen müssen, der
Unmut und Groll über die Art, wie ihn dieser in seinm
Schriften behandelt hatte, wieder neu in ihm aufgestiegen;
in seinen Briefen finden sieh zum Teil recht starke Aus-
brüche desselben. Diesen Unmut halte ich Für durch-
aus gerechtfertigt und bewundere vielmehr die Maßhaltung,
die StruuB Öffentlich in seiner Abwehr gezeigt hat. Frei-
lich traute er sich zunächst selbst nicht ganz und unter-
breitete daher die auf Daur bezüglichen Stellen dem
Urteil Zellers. „Mit der Art", schreibt er diesem mn
28. November 1863, „wie ich sein Werk Über Johanne«
einführe» wirst Du zufrieden sein; wo ich mich abwehrend
zu ihm verhalte, habe ich mich bestrebt, zwischen dieser
notgedrungenen Abwehr und der Liebe und Verehrung,
die ich für ihn habe, die Mittellinie zu finden. Du darfst
aber", fügt er hinzu. ..und ich bitte Dich darum, auch hier
alles streichen, was Dir nicht gefüllt; ich erkenne Dich
zwischen dem Vater und dem Freund unbedingt als den
gerechten Schiedsrichter an." Also hat Zeller, was in dem
Buch von Strauß über Baur zu lesen ist, als billig und
gerecht angesehen, und dabei, denke ich. können auch wir
uns beruhigen, wenn wir nun hören, was er denn eigentlich
schreibt. Stullen wie die, wo er fragt, „ob nicht auch Baur
in den Abweichungen des einen Evangelisten von dem
andern bisweilen tendenziöse Absicht gesucht hübe, wo
nur Ungenauigkeit, Willkür oder Zufall im Spiele «nff
und nicht, wenn sein Vorganger {d. h. Strauß» von den drei
') Schweitxera. a, O. 8. 19;.
Das Leben Jesu für das deutsche Volk.
»Ol
ersten Evangelien au» das vierte mitunter noch zu harmlos
genommen hüben mag, ihn» das Umgekehrte begegnet sei,
weil er sich »eine Vorstellung von den Evangelien nn dem
vierten gebildet hatte, die drei ersten für absichtsvoller und
berechneter zu nehmen, als sie zu nehmen sind", — solche
Stellen gehen über den Rahmen streng sachlicher Diskussion
zwischen zwei Gleichberechtigten nie hl Juriau.v Scharfer klingt
der Schluß dos Abschnitts Ober die drei ersten Evangelien:
,,So bereitwillig ich anerkenne, daß in allen diesen (vorher
besprochenen) Stücken ßaur zu bestimmteren Ergebnissen
fortgeschritten ist, daß seine Untersuchungen eine not-
wendige Ergänzung, in einzelnen Punkten wohl nuch Be-
richtigung der meinigen gewesen sind, so augenscheinlich
ist es, daß er damit nur fortgesetzt hat, was ich angefangen,
nicht vorgenommen, was ich unterlassen hatte. Wenn er
mir vorwarf, ich habe eine Kritik der evangelischen Ge-
schichte gegeben ohne eine Kritik der Evangelien, so könnte
ich ihm mit demselben Recht oder Unrecht das Umge-
kehrte vorwerfen, eine Kritik der Evangelien gegeben zu
leihen ohne oine Kritik der evangelischen Geschichte.
Wenigstens können die allgemeinen Andeutungen, worauf
er sich in letzterer Hinsicht beschrankt hat, unmöglich
genügen, vielmehr erwächst gerade aus seinen Leistungen
für die Evangclienkritik die Aufgabe, nun auch die evange-
lische Geschichte selbst einer neuen eingehenden Kritik
zu unterwerfen". Abor daß der Ton auch an dieser Stelle die
Grenzen berechtigter Ab- und Notwehr — StrauÜ war ja
der mit Namen Angegriffene — nicht überschreitet, muß jeder
zugeben, der weiß, was wissenschaftlich debattieren heißt. Und
daneben nun auch das andere, wie Strauß die Verdienste
Baurs um die Evangelienkritik, vor allem um d«n Nach-
weis der Ungeschicklichkeit des Johannesevangeliums,
anerkennt. Da heißt es: ..Diesen Kampf aufgenommen
und auf eine Weise durchgefochten zu haben, wie noch selten
kritische Kampfe durchgefochten worden sind, ist der un-
ms
Kapital
vergänglich» Ruhm de* verewigten Dr. Bour. MtDOfae
Waffe hatte er von seinen Vorgängen) entlehnt, über manche
auch selbst neu gefertigt, und alle hat er mit Geschick.
Virlnjiwrk und Efoh.'UTlichki'il so lang» geführt, bis der
Kampf zwar nieht vor den Richterstülüen der Theologen,
aber vor dein der Wissenschaft zugunsten der Kritik ent-
schieden war." Eofa denke, nach diesem versöhnlichen
Schlußwort können wir den Fall Baur-Struuß definitiv
verlassen.
Auf die Einleitung folgt im ersten Buch ,,Dns Leben
Jesu im geschichtlichen Umriß' 1 , im zweiten grrtßrrrn ,,Die
mythische Geschichte Jesu in ihrer Entstehung und Aus-
bildung". Diese Disposition hat mnn getadelt, Schweitzer ')
nennt sie sogar „die denkbar unglücklichste: zuerst also
reißt Strauß deu Efeu und die blühenden Schlinggewächse
■. tin Kimm lirrunttT, «In mmii in /.rli ■■■■.m-iht m.il viTinndertcr
Rinde dasteht; dann heftet er das Abgewelkte wieder an
den Stamm und schildert die Art, Herkunft und das Wachs-
tum jeder einzelnen Gattung". Diese Vorwürfe sind, wie
ich glaube, nicht berechtigt. Es war ja doch derselbe Mann,
der das erste Leben Jesu geschrieben und sich in dir
analytisch, durch Kritik des Berichteten, den Weg zu den
mutmaßlich historischen Kern der Geschichte Jesu gebahnt
hatte. Diese war damals nicht als einheitliche und xu-
zammenhdngende zur Darstellung gekommen, nur in An-
deutungen, etwa am Schluß der einzelnen Kapitel bruch-
stückweise vorgetragen worden. So durfte er jetzt nur
zusammenfassen, den Andeutungen der Evangelien ober
das Natürliche und Menschliche in ihm nur so weit nachgehen ,
um wenigstens in ungefähren Umrissen angeben zu können,
was Jesus war und was er wollte. Das war voranzustellen,
»V Schweitzer a. a. O. S. 192 f. und ahnlich Rot he boi Haux-
rnth II, IQO. l'tngektihrt sogt Kuno Fischer a. a. O. 8. 110 gerade
mit Beiiehung auf die Komposition de* Lebens Jesu: „StrauD «t
ein Meiste im Ordnen" 1
i i eben Jrm für diu deuUche Volk.
609
und dann sollte im zweiten Teil weitergegangen und gezeigt
werden, wie die uugeschichtlichen Erzählungen über ihn
aufgekommen seien und sich allmählich immer weiter aus-
gebildet haben. „Als die erste Wirkung dessen, was Jesus
war, werdon wir den in seinen Jüngern entstandenen Glauben
an seine Auferstehung erkennen, damit aber die Vorstellung
von ihm in eine Temperatur versetzt finden, wo sie im üppig-
sten Wachstum zahlreiche unhis torische Schößlinge, einen
immer wunderhafter als den andern, treiben mußte. Der
gotlbegeieterte Davidssohn wird zum vaterlos erzeugten
Gottessohn, der Gottessohn zum tleischgewordeuen Schopf cr-
wort; der menschenfreundlich« Wunderarzt wird zum Tolen-
erwecker, zum unumschränkten Herrn über die Natur und
ihre Gesetze; der weise Volkslehrer, der den Menschen ins
Herz schauende Prophet wird zum Allwissenden, zu Gottes
anderem Ich; der in seiner Auferstehung zu Gott Einge-
gangene ist auch von Gott ausgegangen, ist im Anfang bei
Gott gewesen, und sein Erdendasein war nur eine kurze
Episode, durch welche er sein ewiges Sein bei Gott zum
Besten der Menschen unterbrach. Diesem Gang der Sache,
d. h. der allmählichen Entwicklung der Vorstellungen von
Jesu, der Bereicherung seiner Lebensgeschichte mit immer
mehr idealen Zügen wird unsere Kritik diesmal Schritt
für Schritt nachgehen, zuerst die Ansätze des Unhistori-
schen bemerklich machen, dann nacheinander zeigen» wie
sich über jeder Schicht allemal wieder eine neue gebildet
hat, wie jede dieser Schichten nur der Niederschlag der
jeweiligen Vorstellungen der Zeit und des Kreises, inner-
halb deren sie sich bildete, gewesen ist, bis endlich mit dem
johanneischen Evangelium ein Kuhepunkt eintrat, Über
welchen hinaus eine weitere Steigerung und zugleich Ver-
geistigung nicht mehr müglich, aber auch nicht Bedürfnis
war." Diesen „synthetischen* 4 Gang, wie er es richtig nennt,
dieses dem Gang der Sache selbst folgen finde ich durch-
aus berechtigt und möglich und namentlich auch didak-
604
Zehntes Kapotal.
tisch puflhioH Der Forscher für sich jjeht freilich den Um-
gekehrleu Weg von außen noch innen, im erstem Lrbtm Jcwu
ist ihn auch Strauß gegangen, der Darsteller, der ana „Volk"
sich wendende Schriftsteller dagegen fuhrt ganz angemessen
von innen, vom historischen Kern nach außen, zu der um
sie her gelagerten Schale von Sagen und Legenden Genau
so ist auch Hausrath in seiner „populären Bearbeitung
seiner Vorlesungen Über Jesus und die neutestamentlichen
Schriftsteller" verfahren, recht zum Zeichen, daß dies für
ein Leben Jesu fürs Volk die geeignetste Anordnung ist.
Und ebenso geben wir in der Geschichte der Philosophie
wohl alle hei der Darstellung de» Pythagoreismus zu-
nächst das, was von Pylhagoras historisch feststeht oder
festzustehen scheint; erst wenn wir an den Neupytha-
goroismus kommen, erzfihlen wir, was in der Sage aus
diesem Wunder- und Märchenmann geworden ist, und
niemand wird uns darob schelten und diesen Gang der
Darstellung den denkbar unglücklichsten nennen. Was
man tadeln könnte, ist höchstens das, daß Strauß nicht
ganz konsequent gebliebeu ist, sondern die doch schon
der Sage angehörigen Borichte über die Auferstehung
und die Christuserscheinungen in das erste Buch auf-
genommen hat. statt sie dem zweiten, der mythischen
Geschichte gewidmeten Buch zuzuweisen. Kr rechtfertigt
dies so: „Von der Auferstehung Jesu haben wir hei ihrer
historischen Wichtigkeit, da ohne den Glauben an sie eiue
christliche Gemeinde schwerlich zusammengetreten sein
würde, schon im ersten Buch ausführlich handeln müssen.
Wir haben die Frage, was wohl das Tatsächliche an der-
selben sei, d. h. wie der Glaube daran unter den Jüngern
Jesu zustande gekommen sein möge, zu beantworten ge-
sucht.' 1 Aber just das, wie der Glaube unter den Jüngern
zustande gekommen sei, ist die Frage nicht dea Lebens Jesu
im ersten, sondern seiner mythischen Geschichte im zweiten
Buch und gehört deswegen hierher und nicht schon in jenes.
Dfcs l<*ben Jwu (üf <ta* 4«uUchft Volk.
r,<v>
Es rftcht sich diese Vorwegnahme auch dadurch, daß er
auf die Mytheiigruppe von der Auferstehung und Himmel-
fahrt im zweiten Buch doch noch einmal zurückkommen
und so einzelnes wiederholen, vor allem aber daß er diese
Gruppe in awei Hälften auseinanderreißon mußt«.
Alles das gilt unter einer Voraussetzung: daß »ich das
Lehen Jesu wirklich ,,im historischen Umriß" darstellen
laßt. Das führt auf die Krage, wie es Strauß mit jenem
Positiven im ersten Buch seines neuen Lebens Jesu ge-
lungen sei- Aber zuvor ein anderes. Wie war denn Strauß
Überhaupt zu dem Versuch gekommen, ein solche* posi-
tives Jesusbild scha ITen und geben zu wollen ? Noch klang ihm
die zuerst von Gustav Binder gestellte 1 ) und seitdem immer
wiederholte Einrede in die Ohren: was denn nach all dem
Kritisieren Historisches noch übrig bleibt»? Daniuls hatte
Strauß die Forderung eines bestimmteren Bildes von der
Persönlichkeit Jesu abgelehnt. Aber nur „für jetzt". In-
zwischen war er der große Biograph geworden und halte
am Schubart und Frischlin und Hütten gelernt, aus ver-
gilbten Blattern heraus trotz vieler Lücken lebensvolle
Bilder, Menschen mit Fleisch und Blut erstehen zu lassen.
Warum sollte er, was er dort mit so viel Geschick und Glück
geübt und gelernt hatte, nicht auch auf den gewaltigen
Stoff des Lebens Jesu anwenden und versuchen, aus den
zwar nicht vergilbten, aber von Anfang an durch Sage
und Tendenz übermalten und entstellten Blattern auch
von diesem eine wirkliche Biographie, ein nicht bloß negativ
zersetzendes, sondern ein kritisch geläutertes positives Leben
Jesu herzustellen? Diese Aufgabe mußte den Biographen
reizen, der er inzwischen geworden war. Es war eine schwöre»
aber war es eine unmögliche und unlösbare Aufgabe? Es
galt den Versuch. Und nun also die Frage: ist er gelungen?
Wir haben früher schon gehört, daß heute Theologen
wie Holtzmann jedenfalls von der subjektiven Unmoglirh-
') 8, oben I. S. «70 lt.
606
ZdhnU« KaplUO.
keit Beines Gelingen* überzeugt Bind, wenn sie auch vor-
sichtig die objektive dahingestellt »ein lassen; Hausrath 1 )
verneint auch diese: „um ein Lehen Jesu zu achrriben nach
den Forderungen der Geschichtswissenschaft, dazu sind
unsere Quellen nicht reichlich genug und tu wenig durch-
sichtig." Und ebenso hat ucht Jahre nach dem Leben
Jesu fürs Volk Strauß die objektive Unmöglichkeit kotV
statiert und damit die Position vom Jahre 1804 wieder
zurückgenommen, er hat erklärt; der Jesus der Geschichte
ist fattgjii li ein Problem. Aber ao groß war die Differenz
zwischen 1864 und 1872 doch nicht, wie er das In Nachwort
zum alten und neuen Glauben mit Hecht hervorgehoben h.il
Auch mitten im Versuch des Lebens Je&u selber war er
sich der Schwierigkeit und der Unzulänglichkeit des Ver-
suches wohl bewußt, so wenn er sagt: „das Ganze bleibt
in gewissem Sinn doch immer nur ein Geweln- vmi \
mutungen", oder klagt; ,,über wenige große Männer der
Geschichte sind wir so ungenügend unterrichtet". So warnt
ihn gewissermaßen sein eigenes Daimonion vor diesem
biographischen Abenteuer, die stille Überzeugung, daß
eigentlich doch alle darauf verwandte Mühe vergeblich sei.
hat er umsonst in sich bekämpft. Daher schrieb er dieses
erste Buch auch nur mit halbem Herzen, ohne die richtige
Stimmung dafür; und darum mußte bei der Art seiner
Schriftstellerei, die so ganz von der Stimmung abhängig
war, der Versuch vor allem für ihn selber unbefriedigend
und mußte bei seiner Ehrlichkeit das Bild lückenhaft, blaß
und schattenhaft ausfallen. Und das um so mehr, als er In
der Hauptsache das Matthäusevangelium und seinen Aufriß
des Lebens Jesu sich zur Vorlage nahm. Freilich so groß,
wie manche Markusfreunde meinen, ist der Unterschied
nicht, da sich Gewisses hier so wenig ergibt wie dort. Aber
Ansätze wenigstens und Andeutungen für eine pragmatische
»J Hausrath in der Vorred« zu seinem „Jesus und dis n*u-
tesUmeutlichen Schriftsteller" I, 8. X.
Das beben Jesu für d» deutsche Volk.
üiü
Entwicklung des religiösen Bewußtseins und im BowuÜl-
i -in J. -ti liiiiirii wir bei Markit»ilcH.'.h 1 ) l Wiihr' , iidHii' hi-i MsillhaiM
untereinander geworfen und bis sur Unkenntlichkeit rer-
wi.se ht sind. Daher kann ein Biograph, der sich im diesen
hält, von vornherein schon keine Biographie, keine- zusammen
hangende Geschichte des Lebens Jesu zustande bringen.
Und so hat denn auch Strauß mohrfach nur gewisse zu-
sammengehörige Hauptfragen: das Verhältnis Jesu zum
mosaischen Gesetz, seine Stellung zu den Nichlisraeliten,
»ein Verhältnis zur Messiaside«, Schauplatz und Dauer
seiner aiTcntlichcn Tätigkeit, seine Lehrurl, seine Wunder,
seine Jünger, seine Reise nach Jerusalem und sein Ende
je in besonderen Abschnitten abgehandelt und dumil
schon äußerlich auf Zusammenhang und Kontinuität, auf
das durchgehende Ziehen von Entwicklungslinien verzichtet.
Ein abgerundetes Lebensbild Jesu, das niemand, uueh der
Markushypothetiker nicht geben kann, eine Biographie Jesu
erhalten wir also auch von Strauß nicht.
Neuerdings aber hat man vor allem noch ein andei ■•-■
an diesem zweiten Leben Jesu ausgesetzt: daß Strauß,
bestimmt und beeinflußt durch die geistige Atmosphäre
und die religiösen Horizonte der sechziger Juhre, nur ,,den
liberalen Jesus" gezeichnet habe, wie viele andere vor,
neben und nach ihm, so daß dieses neue Buch eben nur
eines geworden sei unter vielen, nicht wie das erste, eines
vor allen. Das ist natürlich nur dann ein Vorwurf, wenn
dieses liberale Jesusbild falsch ist. Und gerade daä wird
von Schweitzer ') nicht nur behauptet, sondern nach seiner
Art auch alsbald ins Maßlose übertrieben, wenn er das eine
Mal sagt: „Eigentlich fehlt dem Strauß des zweiten Lehens
Jesu das Recht zur Kritik des die Geschichte umbildenden
') Auch dagegen ist Hausrnlh a.a.O. skeptisch: „Als ob
wir eine Ahnung hatten, wie in wichen Häuptern die Gedanken »ich
bewegen" I
") Schweitzer a.a.O. 9. 195, 197.
60«
Zehnt» Kapitel.
Evangeliums, denn er seibat tut nichts anderes, als «Jen
synoptischen Jesu« in« Geistige deuten; er geht dabei ao
gowaltsam zu Werke, daß man »ich fragt, wie weit w es
i<igcntlich mit gutern Gewissen tut**; und ein anderes Mal \
„Durch diese gewalttätige Vergeistigung des synoptischen
Jesus ist das Straußische Hild eigentlich viel ungRSchicht-
Bebtf als das Renans . . So ist er in der unge^chicktm Ge-
schirhtsmeisterung größer als der in Geschichtsmache ge-
schickte Hivale". Und warum das? Weil er das Eschato-
logisehe, das er im ersten Leben Jesu als das hervorragendste
Element der Ideenwelt Jesu anerkannt und in einzelnen
hingeworfenen Gedanken grandios zur Geltung gebracht
habe, inzwischen vergossen und aufgegeben habe. Daß das
über das erste Leben Jesu Behauptete nicht richtig ist, habe
ich schon früher gezeigt l ): ein Eschatologiker war Strauß
auch damals nicht. Aber abgesehen davon, wie steht es.
mit der Sache selbst, d. h. mit seiner Ansicht vom Eacha-
tologischen un Bewußtsein Jesu hier im Loben Jesu für das
Volk? Der Schweitzersche Vorwurf ist nicht neu, glrn-h
nach dem Erscheinen seines Buches hat man bemängelt,
daß Strauß das Eschatologische, den Wiederkunftsgedanken
in Jesus übersehen oder doch nicht genügend betont habe;
so Wilhelm Lang in einer Besprechung des Buches in den
..Grenzboten*' und Zeller in der Sybelschen historischen
Zeitschrift. Darauf schreibt Strauß am 16. Oktober 1864
an Lang: ,,Daß wir unsere okxidentalische Vorstellungsari
nicht in die Orientalenwelt, der auch die neuteslament-
lichen Persönlichkeiten noch angehören, hineintragen dürfen,
habe auch ich mir beständig vorgesagt; aber der Brocken
mit der Wiederkunft war nur zu stark, ich habe ihn nicht
herunterbringen können. Zellers Vergleichung mit dem
Unsterblichkeitsglauben unserer Zeitgenossen kann ich nicht
gelten lassen; es handelt sich um die ungeheure Ausnaln
') 8. oben 1, 3. 176 f
Da* Leben Jesu für das deutsche Volk.
809
die in der Wiederkunftaidee liegt Ich Bilde In «Un früheren
Reden Jesu, namentlich der Bergpredigt, einen *o utionrllrn
Zug, daß ich ihm immer noch jene Idee nicht recht zutrauen
kann, die in meinen Augen dein Wahnsinn ganz nahe stellt.
Sie lassen freilieb in Hinsicht der inneren Klarheit und Buhe
mit Jesu später eine Veränderung vorgehen; wobei aber
das Zusammentreffen mit Renana Darstellung gewiß Sie
selbst beunruhigen wird." So bleibt er bei dem, was er im
Abschnitt über die messiuiiischc Wiederkunft gesagt hat:
„Dergleichen von sich selbst erwarten, ist noch etwas ganz
anderes, als es im allgemeinen nur erwarten, und wer es
von sich und für sich erwartet, der will uns nicht allein als
Schwärmer erscheinen, sondern wir sehen auch eine unerlaubte
Selbstüberhebung darin, wenn ein Mensch (und nur von
ciniuii solchen reden wir hier durchaus) sich einfallet! liißl.
eich so von allen Übrigen auszunehmen, daß er sich ÜUWfl
als künftigen Richter gegenüberstellt; wobei insbesondere
Jesus ganz vergessen haben müßte, wie er einst das Prädikat
gut als ein Gott allein zukommendes abgelehnt hatte."
Wer Schweitzers eschatologisohes Jesusbild kennt, der
wird Strauß recht geben müssen: das ist nicht die Ideen-
welt eines gesunden, sondern eines pathologischen, geistes-
kranken Menschen. Strauß hat acht Jahre spater diesen
..Brocken" allerdings doch noch verschluckt und im allen
und nouon Glauben eben darum das Schwärmerische 1 )
■) Übrigens hat er das Wort „Schwärmer" gerade um dieses
eschutolotfscheu Gedankenkreis« willen schon im ersten Leben Jesu,
1. Aufl., I, 8. W P r.u brauchen sich nir.hi K**nch«nit. Es heißt <ht:
„Wer dii-M" \riMchl von dem Hinterjrrunde- «1*"» iihxm.i machen IMinifi
Jesu bloß deswegen scheut, weil er durch dieselbe Jcmiiih tum ftchw.innur
xu machen glwubt, der bedenkt*, wie genau die**- Hoffnungen den lang-
gehegten Most, iuabegri (Ten der Juden unUprochmi, und wie laicht auf
dem supranaturAliMisf.hon Boden jener Zelt und In dem abgeschlossenen
Kreis« der jüdischen Nation eine für sich obontcuerlicho Vorstellung,
wenn sie nur Natlonolvorstellung war und sonst wahre und tcroOurUg»
Seiten bot. auch einen besonnenen Manu in sich hineinziehen könnt*-"
BIO
Zehnte* KapileL
in Jesus starker betont; weicht- K.on»oquea»n er über daraus
gesogen hat, werden wir dann auch hören. Die „konse-
quent eschatologisehe Anschauung* 4 wtirdc er aber selbst
•l.nnals als eine Einseitigkeit abgelehnt haben, weil sie
ihm eben nur den halben, nicht den ganzen Jesus ver-
siäncQkfa gemacht hatte. Auch das Helle und Rttsond
das Humane und Menschliche, das Heitere und Ungebrochen*,
das Hellenische oder modern ausgedrückt: das Apollinische
gehört mit s\i Jesu Natur und Wesen: das bezeugen dir
Qunllon doch neben dem Eschatologischen ebenso deutli
warum sollte man ihnen darin den Glauben versagen, wenn
man den Brocken mit der Wiederkunft so kritiklos ver-
schluckt? Solchen Stellen muß die rein eschatologisehe
Konstruktion des Lebens Jesu Ohle (miwiiU niil.un, Schweit-
zer hat ihnen solche angetan. Strauß dagegen hat schon
den Gedanken, daß in Jesus ein Bruch stattgefunden habe
und er durch schwere innere Kfimpfu hindurchgegangen
sei, im Leben Jesu für das Volk abgelehnt; davon, meinte
er, müßten doch „die Narben für alle Zeiten, etwas Harte«,
Herbes, Düsteres in ihm nachgeblieben sein", und davon
finde sich in seiner Art und in seinen Reden keine Spur;
IV sei vielmehr als ..eine schöne Natur von Haus aus"
211 denken.
Daß Strauß Jesus damit nicht ganz gerecht geworden
ist, halte auch ich für wahrscheinlich. Er hat der orientali-
schen Vorstellungsart doch zu wenig Konzessionen gemankl
und hat Ober jener hellen Seite die dunkle, das Genial-
Dörnonische oder wiederum modern ausgedrückt, die dionysi-
Man beachte, wio noch dieser Stelle diu «bonleuorllcho Vorstellung
eines in den Wolken de* Himmels zum Oericht* kommenden Mensrhen-
sohnes nur als „Nationalvorstellung" den sonst „besonnenen" Jesus
„in sieh hineinriehen* 1 konnte und durchaus nur den „Hintergrund"
(■«Ines me&sianischen BewuUUein? bildete. Escbatologiker ist Strauß
ehen mich damak nicht gewesen. Vgl. übrigens do»u jetzt auch Haus-
ralh a. n. 0. 1 S. 78 ff.
Das l^lwn Jesu für da» deutliche Volk.
611
sehe l/nterstroraung in Jesus offenbar nicht genügend
anerkannt. Das ist ein Mangel seine» damaligen Jefrusbildes.
Um-m- ihl wirklii'h /.u hidl :m-^ ■ f fall ■ n (Ins Kat.ionellc und
Ideelle, das Humane und Apollinische dominiert, in der
Vergeistigung ist des Guten zu viel getan. Freilich hat eich
Strauß dadurch auch von der psychologischen Ungeheuer-
lichkeit fern- und freigehalten, die uns die modernen Esehato-
logiker zumuten mochten und zumuten müssen; in jenem
Hüllen und Humanen, das nach den Quellen eben doch
auch da war, nur das zu sehen, was sie , .Interimsethik"
nennen, womit es Jesus also gar nicht sonderlich ernst sein
konnte und das darum diese Theologen auch gar nicht
sonderlich hoch stellen können. Nein, auch damit war es
Jesus voller Ernst, mit diesem aus der Enge des Judentums
in die Weite einer Welt hinausschrnitondon Geistigen und
Vergeistigten, und das wurde gleich nach seinem Tode in
seiner Stiftung Hauptsache und Kern: damit und nicht
mit jenem esohatologischen Düster und Dunkel hat seine
Sache die Welt gewonnen und die Welt erobert. Darum
hat Strauß recht, es als ein wahrscheinlich — denn
Über ein „wahrscheinlich" kommen wir nirgends hinaus,
auch das Eschatologische ist nur wahrscheinlich — er hat
recht, es als ein in ihm wahrscheinlich Vorhandenes stark
zu betonen und in den Vordergrund zu stellen. Aber das
andere, das Dunkle und Bodenständige, das Nationale und
zeitlich Beschränkte, das Chaotische und Mystische war —
wahrscheinlich — auch da, und das von seinem damaligen
Jesusbild fast ganz ausgeschlossen zu haben, war ein Mangel
des Buches, wie es das Mangelhafte in dem liberalen
Jesusbdd überhaupt ist. Nur freilich, wie wir die beiden
Elemente in einem Bilde zu voreinigen haben, das weiß
niemand. Nicht weil es zwei sich widersprechende Seiten
sind: jeder große Mensch ist widcrspmc.hHvriU, nur die ganz
Trivialen und Banalen sind widerspruchsfrei und ohne
irrationalen Rest; sondern deswegen, weil die Quellen gerade
612
Zehnt« Kapitel.
das Eschalologische ganz besondere kontaminiert und
früherer und spaterer Apokalyplik vermengt und beschwert
haben und uns nur ein unvermitteltes Nebeneinander zeigen,
über die psychologische Vermittlung und Vereinbarkeit
aber keinen irgendwie genugenden Aufschluß, nicht einmal
Anhaltspunkte dafür geben. Der Jesus der Geschichte ist
eben lediglich ein Problem. Diesen Satz von Strauß haben
die Wrede und die Schweitzer vollauf bestätigt.
Man hat jenen Mangel in dorn Straußschen Lebensbild
übrigens auch dann begründet gefunden, daß Strauß keine
religiöse Natur goweeen sei und schon deshalb einen Kcligions-
Stifter nicht hübe verstehen können. Noch einmal: als oh
ihn auch der Frömmste aus historisch so schlechten Quellen
herausholen und nachzeichnen könnte. Wer von all den
Frommen alter und neuer Zeit hat uns denn ein Lebensbild
Jesu geschallen. das vor der Wissenschaft standhalten kann ?
Wenn Frömmigkeit das ist, womit ein haltbares lieben J« n
geschrieben werden kann, so ist kein Verfasser eine» Lehens
Jesu — fromm gewesen- Und dann: keine religiös« Pereön-
lichkeit! Doch hissen wir das, rs kommt, uns hier noch nu
mal zu früh. Wahr ist nur, daß Strauß den Standpunkt der
,, Friedlichen Blatter", wonach Jesus innerhalb des religiösen
Gebietes und damit überhaupt das Höchste erreicht habe,
worüber keine Zukunft je hinauskommen könne, daß er diesen
Standpunkt allerdings inzwischen preisgegeben hat. „Jeder
sittlich hervorragende Mensch, joder große Denker, der das
handelnde Wesen des Menschen zum Gegenstände seines
Forschen» machte, hat in engeren oder weiteren Kreisen
geholfen, die Idee menschlicher Vollkommenheit zu be-
richtigen, zu ergänzen, weiterzubilden.' 1 Damit stellt or
Jesus hinein in einen weiten Kreis von Genossen; aber,
fügt er hinzu, ,, unter diesen Fortbildnern des MeriM-hrn
ideals steht Jesus in erster Linie. Kr hat Züge in dasselbe
eingeführt, die ihm vorher fehlten oder doch unentwickelt
geblichen waren; andere beschränkt, die seiner allgemeinen
Das Leben Josu für dw douUcho Volk.
MB
Gültigkeit im Wege standen; hat demselben durch die
religiöse Fassung, die er ihm gab, eine höhere Weihe, durch
die Verkörperung in seiner eigenen Person die lebendigste
Wflrme gegeben, während die Religionsgesellschaft, die
von ihm ausging, diesem Ideale die weiteste Verbreitung
unter der Menschheit verschaffte' 4 . Daß das Worte sind,
die Strauüens „Unfähigkeit, religiöse Charaktere bu ver-
stehen" *), beweisen, kann ich nicht sehen. Die Leute der
christlichen Welt möchten ja freib'ch uns „Ungläubige"
immer wieder auf unsere Legitimation hin prüfen und uns
das Recht, in rebgiösen Fragen mitzureden, am liebsten
wegen mangelnder Legitimationspapiere entziehen. Aber
riii'T von ihnen, Max Rcischle 1 ), hat doch gemeint, daß es
für den Religionsphilosophen und Religionshistoriker ge-
nüge, die religiösen Erlebnisse anderer „hypothetisch nachzu-
erleben 11 . Und dieses verständnisvolle Ginloben in andere
sollte Strauß, dem Biographen von Schubart oder Frischlin
oder Hütten, hier bei Jesus ganz gefehlt haben? Das glaube,
wer mag. Wernle hat unlängst in der theologischen Literatur-
zeitung*) gesagt: „Wir haben uns langst daran gewöhnt,
daß jeder Jesusdarsteller bei aller kritischen Vorsicht uns
das gibt, was er nach seiner besonderen Gnbe an Josus
heraushört und sieht." Das wird auch für Strauß gelten.
Er liebte das Humane, das Helle und Rationale, er liebte
ps auch an Jesus, und weil er über niemand schreiben konnte,
den er nicht liebte, so hörte und sali er eben diese Seite
an ihm, die er liebte, heraus und rückte sie in den Vorder-
grund. So wurde es freilich kein Lebensbild, das alle befriedigt
hatte. Aber das gilt von allen andern Lebensbildern Jesu
genau ebenso. Und der Grund davon ist doch immer wieder
in den Quellen zu suchen, die eine wirkliche Biographie
') Rok a.a.O. & 205.
■) Max Reischle, Die Frag« »ach dem Wesen der Religion. 1889.
■) Nr. 19 des Inufonden Jabrgnn^s (tM**) vom 12. Soptembor.
Ähnlich auch H-iusrath a. 3. O. !, S. XU.
TV zwim, n it. Mr»o. it. 40
614
ZthnXm Kapitel.
Jesu iu einem Ding der Unmöglichkeit machen. An diw*r
Unlösbarkeit der Aufgabe ist eben nuch Strauß gescheiter!.
Aber iii*i--It fehlt uns der dritte Teil des Werkes, die
mythische Geschichte Jesu in ihrer Entstehung und Aus-
bildung. Das war seine alte Dom&ne, nichts anderes als eine-
Rekapitulation der Arbeit des ersten Lebens Jesu. Deswegen
fühlte er sich hier ganz wieder in seinem Element- Wenn
er bis zu den Erzählungen vorn Tode Jesu sein Fuhrwerk —
in der stillen Überzeugung, daß seine Arbeit bis dahin doch
eigentlich vergeblich gewesen sei — nur mühsam und langsam
bergauf geschoben hatte, so fand er sich nun auf der Höhe.
Schon innerhalb des ersten Buchen, mit der Au f ernten ungs-
geschichte senkte sich die Straße, von da ab rollte sein
Wägeleiu rasch and lustig bergab; und er hat ganz recht,
wenn er nieint, es müßte seltsam zugegangen sein, wenn
man hier die muntere Stimmung des Verfassers nicht auch
seiner Schreibart angemerkt hatte. Wie spielend wird er
der apologetischen Künsteleien und Flunkereien Herr, mit
denen man ja gerade auch seinem früheren Werk gegenober
den Brand hattelöschen und das bedrohte Gebäude hatte retten
v.. »Heu Je mehr er sich an solchen Schriften den Magen ver-
dorben hatte, desto mehr war es ihm nun eine Lust, diese
theologischen Apologeten zu zausen und sich mit ihnen zu
raufen. Der alte Kampfesmut war wieder in ihm erwaclit.
Man höre nur ein Beispiel, die Geschichte von der Aufer-
weckung des Lazarus. Da heißt es: ,, Maßgebend ist auch hier
fflr die neuere Theologenschaft die Haltung Schleiermachers
gewesen. Die beiden Toten, von deren Erweckung durch
Jesus uns die Synoptiker erzählen, hatte Schleiennacher
ohne weiteres als Scheintote gefaßt. Aber Lazarus lag schon
den vierten Tag im Grabe. Da konnte freilich die Verwesung
bereits ihren Anfang genommen haben. Aber sie mußte et
nicht, meint Schleiermacher; die Äußerung der Martha
sei lediglich ihre Vermutung. Jedenfalls schreibe Jesus
dieses Wunder nicht sich als eigne Tat zu, wie man es freilich
Da? Leben Jesu für don deutsche Volk.
BU
auch nicht denken könne, ohne durch einen solchen schöpferi-
schen Akt »eine menschliche Lebeusemheit zu zerreißen;
sondern er erbitte es von Gott und verdanke ea diesem als
dessen unmittelbare Tat. Was heißt nun das in ehrlichem
Deutsch ? Auch Lazarus ist, obwohl der Fall bei der längeren
Seit, diu er schon in der Gruft gclegwi hntlr, ein minder
gewöhnlicher war, bloß scheintot gewesen, und daß gerade
Jesus die Veranlassung seiner Wiederbelebung wurde, war
ein Zufall» in welchem die höhere Fügung nicht zu verkennen
ist. Jetzt begreifen wir erst, wie Schleiermachor sagen
konnte, die Geschichte von Lazarus habe keinen großen
didaktischen Wert So wie er sie faßt, hat sie vielmehr gar
keinen. Auf das Nähere, wie der johanneischen Erzählung
zufolge Jesus sich bei der Sache benahm, hat sich Schleier-
macher klüglich nicht eingelassen. Und doch muß man
notwendig fragen: wenn es nur der Zufall war, nur die un-
wahrscheinliche Möglichkeit, daß der schon vier Tage be-
grabene Lazarus vielleicht bloß scheintot sein könnte, worauf
Jesus rechnete, wie konnte er schon in der Entfernung,
wie noch am Grabe selbst Reden führen, die als leeres Ge-
flunker erscheinen, wenn nicht die Gewißheit, seinen Freund
den Seinigen lebendig wiedergeben zu können, dahinter stand ?
Man müsse, sagt (Alex.) Schweizer, die ganze pragmatische
und psychische Lage Jesu in Betracht ziehen. Er war in
jenem Zeitpunkt, nachdem er vor den Verfolgungen der
Machthaber in Jerusalem nach Perfia gewichen war, in
gedrückterer Lageal9 jemals vorher. Dabei war sein messiaiü-
sches Bewußtsein ungeschwacht. Was mußte da das Er-
gebnis sein? 1 ) Die zuversichtlichste Hoffnung, antwortet
') Anmerkung von Strauß: „Das sind Potenzen", »etzt Schwetttr
mit deutlicher Beziehung nuf don gegenwärtigen Verfn&sur hinzu,
„welche ein Lehen Jesu auffinden und nU Schlüssel zum WrMnndnii
einzelner Taten benutzen mufl, ehe es den Namen eines Leben* Jesu
verdienen will." Sehr wohl, erwidert der Vorlasaer, wenn erst die
angeblichen Taten kritisch festgestellt sind. Vorher, der bloßen Legend*
gegenüber, ist der pavehotogiache Pragmatismus übet ang^bnchL
4P
ua
ZehoUs Kapitel
Schweizer, daß ihn Gott in solcher Lage nicht im Stich«
lassen werde. f .D<'rnji»nigen'\ erläutert Hase (denn es wascht
hier immer eine Hand die andere), „vordem JairuV Tochter
aus ihrom Scheintod erwacht war, mochte der Wunsch «ur
Ahnung oder in umtut Rt-drimtfiiis zum kühnen Vertrauen
werden, daO hier, wo seine individuelle Neigung mit der
WrhnrrUchung dos Gottesreichs zusammenfiel, Gott sein
Gebet um das Leben dessen, den er liebte, erhören word
Entspricht alsdann, fahrt wieder Schweizer fort, solcher
Zuversicht ein äußeres Ereignis, das an sich kein eigentlich» h
Wunder ist, so entsteht dennoch ein Wunder, nAmlich dn*
des gerechtfertigten Gottvertrauens. So ist hier das Wunder
nicht die Wiederkehr des nur zurückgetretenen Leben* an
sich, sondern das Zusammentreten derselben mit Jesu
Zuversicht und der Eröffnung des Felsengrabs auf seinen
Befehl. Warum soll denn, schließt der ästhetisch gebildete
Theologe, im Leben Jesu nicht wenigstens einigemal ein
auffallender Erfolg seiner kühnen Zuversicht entsprochi
haben, wenn doch etwas jenem Dichterworte zugrunde
hegt: Es gibt im Menschenlehen Augenblicke usw.? Dm
ist die rechte Hohe, wenn die Theologie sich mit modernen
Dichterfedern putzt, die sie dann sicher allemal unrocht
anbringt. So bedenkt sie hier nicht, wie übel dem Helden,
der jene Worte spricht, die falsche Anwendung der darin
enthaltenen Wahrheit bekommt. Der erste, der ihm am
anderen Morgen mit einem IJebeszeichcn entgegenkomme,
hatte er willkürlich bei sich festgesetzt, müsse sein Ireuester
Freund sein: und gerade der wurde sein Verräter. Di
Freund, den er gestorben fand, müsse, so wahr Gott ihn
nicht im Stich lassen könne, nicht wirklich tot sein, sondern
auf seinen Ruf ins Lehen zurückkehren, das hatte sich Jesus
hier in den Kopf gesetzt, und einem so rasenden Einfall
hätte der Erfolg entsprechen sollen. Eine solche Erklärung,
bemerkt Ebrard mit vollem Rocht, wonach der Herr auf
die vermessenste Weise Gott versucht haben würde, enthalte
Das Loben Jesu für das deuUche Volk.
617
zehnmal mehr Unbegreiflichkeiten, als zwanzig Kritiker in
dem evangelischen Bericht xu Anden vermögen Dies ist
nur zu wenig gesagt; es hätte vielmehr gesagt werden müssen,
sie schände Jos um so sehr, wie nur jemals Naturalisten und
Spötter ihn geschändet haben."
Daß die so Getroffenen, unter denen an anderen Stellen
namentlich Ewald schlecht wegkommt, das Buch wie mit
Gift und Galle getränkt empfanden, war ihr gutes Recht,
Wir unbeteiligten Zuschauer aber werden davon nichts
bemerken, sondern vielmehr konstatieren müssen, daß Logik,
gesunder Menschenverstand und guto Laune hier sieghafte
Schlachten geschlagen haben. Überall zeigt »ich die alte
Souveränität und der alle Scharfsinn in der Aufdeckung
von Schwierigkeiten bei den Berichterstattern und in dem
Nachweis der Unverträglichkeit ihrer Angaben und derUnhalt-
barkeit ilirer Ausgleichung durch die Theologen. Was Well-
hausen als der Berufensten einer dem alten Leben Jesu nach-
rüliiut 1 ), gilt ebenso auch von diesem dritten 13 uch desspäteren:
„Es ist ein synoptischer Kommentar zu den vier Evangelien.
Strauß zeigt sich darin als höchst sorgfältigen Exegeten.
mit dem sich wenige messen können. Und vor allem glänzt
er durch die nicht leichte und jetzt ziemlich selten gewordene
Kunst zu referieren; es gibt nichts Besseres als seine Über-
sichten über die Berichte der verschiedenen Evangelisten,
mit der klaren Nachzeichnung der Linien und der treffenden
Hervorhebung der Punkte, worauf es bei der Vergleichung
ankommt. Er Läßt sich Zeit und bricht nichts über das Knie.
In der Kritik ist er sehr ausführlich und bei der Aueeinander-
setzung mit Gegnern, selbst mit gering geschätzten, äußerst
gewissenhaft; jeden Anflug von Frivolität sucht er zu ver-
meiden." Oder sollte man auch jetzt wieder oder jetzt noch
seinen Spott über die Geschichte vom Einzug in Jerusalem
») J. Wellhausen, SlrauD* Leben Jesu, in der Beilage rur
AllKumcinon Zeitung vom 24. Mar* 1908.
818
Zehntes KopiUL
und vom Reiten Jesu auf zwei Eseln für frivol hallen wollen.
wenn er schreibt ; „Wenn Matthäus erzählt, diu beiden von
Jesu nach Bclhphage gesandten Jünger haben nach &<
Anweisung von da eine Eselin mit ihrem Füllen gebracht»
auf beide Tiere ihre Kleider gebreitet und Jeeum darauf
geseilt, so steht uns, wenn wir uns denken sollen, wie Jesus
auf den beiden Tieren zugleich geritten sei, der Verstand still
und kommt nicht eher wieder in Gang, als bis wir die von
dem Evangelisten zitierte Stolle des Zacharias genauer an-
sehen'* ? Zugleich zeigt uns dieses Zitat, wie er, wie im ersten
Leben Jesu, durchaus an richtiger Stelle für die Erklärung
solcher Erzählungen altte&tamenUiche Parallelen, hte ein
mißverstandenes Prophetenwort, verwendet- Der alt«
Schlüssel funktionierte noch immer und wurde womöglich
noch virtuoser und graziöser und zugleich mit mehr Zurück-
haltung und Differenzierung gehandhabt als das erstemal.
So verdankt die neulestamenlliche Forschung und
Kritik auch dem zweiten Leben Jesu von Strauß oine Füll«
von Licht und Belehrung im einzelnen. Man sehe nur zu,
wie oft es zitiert und mit Zustimmung zitiert und wie oft e*
ohne Erwfihnung benützt wird. Aber die Wirkung dos
Buches im ganzen war trotz alledem keine durchschlagende
und epochemachende, kurz gesagt deswegen nicht, weil es in
der Einleitung auf den Schultern der Baurschen Schult*
stand und wenn auch frei und selbständig, doch nicht original
ihre Resultate wiederholte; im zweiten Teil (dem ersten
Buch) die unlösbare Aufgabe einer positiven Darstellung
auch seinerseits nicht lösen konnte; und endlich weil irn
dritten Teil das Beste schon 29 Jahre zuvor von Strauß
selbst vorweggenommen und gesagt war; wer nicht genauer
zusah, konnte den Eindruck bekommen, als ob er sich
wiederhole. Es ist eines der besten Leben Jesu, die wir
haben, aber nicht mehr; es ist wirklich eines unter vielen.
Strauß war mit diesem Buch wieder ganz in seinem,
dem theologischen Fahrwasser, nun läßt er sein Schi {Hein
Das Leben Jesu für du« dflutAChe Volk.
619
flott darin weiter schwimmen. Da war es ein eigentümliches
Zusammentreffen, daß im selbon Jahr wie sein Leben Jesu
endlich auch die Vorlesungen Schlciermachers Ober das
Leben Jesu, von Rutenik herausgegeben, im Druck er-
schienen. Gewiß hat Strauß rocht, wenn or meint: „Ware
nicht im Jahre nach Schleiermochcrs Tode mein Leben Jesu
herausgekommen, so würde das seinige nicht so lange im
Versteck gehalten worden sein. Bis zu diesem Zeitpunkte
wäre es von der theologischen Welt wie ein Heiland emp-
fangen wordeu, aber für die Wunden, die jenes Werk der
bisherigen Theologie schlug, hatte das Sohleiermachcrscho
weder Heilkruut noch Verband, ja es zeigte seinen Urheber
vielfach mitschuldig an dem Unheil, das, von ihm tropfen-
weise eingelassen, jetzt seiner Vorsichtsmaßregeln spottend
in Strömen hereingebrochen wur." Aber ihm kam es in
diesem Augenblick nicht zu spät. Wohl hatte er Nachschriften
von diesen Vorlesungen Schloiermachcrs schon vor der ersten
und so auch jetzt wieder bei der neuen Bearbeitung desselben
Gegenstandes vor sich gehabt, sie benutzt und vor allem
scharf dagegen polemisiert, wie wir oben an einem Beispiel
gesehen haben. Aber eben jetzt, wo er mit seinem Leben
Jesu fertig war, kam ihm dieses Erscheinen vor der Öffent-
lichkeit doch ganz besonders erwünscht. Es mochten doch
manche dieses Benutzen von Nachschriften und das Urteilen
darüber anstößig gefunden und gesägt haben, mit unge-
druckten Heften zu kämpfen, sei leicht, da könne man über-
gehen, was man nicht zu widerlegen wisse, ohne daß eine
Kontrolle möglich sei. Und überdies, wie er seinem Leben
Jesu die Auseinandersetzung mit dem ältesten seiner deut-
schen Vorgänger, mit Rcimarus, vorausgeschickt hatte, so
fühlte er doppelt das Bedürfnis, sich nun auch mit dem großen
Theologen des neunzehnten Jahrhundert*, der zuletzt noch,
unmittelbar vor dem Erscheinen seinen ersten Werkes, im
den Vorlesungen vom Jahre 1832 zu dem Gegenstand das Wort
genommen hatte, in einer besonderen Schrift ouseinamh-r-
IWH
Zehnt« Kapitel
zusetzen. Und so sehen wir ihn denn im Korbst i£6'« mit
einer ausführlichen Kritik desselben beschäftigt, die ab
Broschüre erscheinen sollt*. „E* war mir**, «hreibt er an
VV. Lang, „allzu einladend, mich mit dem intercssuntfto
Buch Schritt fUr Schritt auseinander tu aelzen und dabei
eine Menge wichtiger Punkte noch ausdrücklicher als in
meinem Buche zu erläutern." Kr hatte sich dazu durch die
Lektüre der vier Bände Schleiormacberscher Briefe vor-
bereitet und dabei noch einmal seine Stellung zu ihm einer
Revision unterzogen. Das Resultat war, daß er ..daraus
teils überhaupt einen großen Respekt vor des Manne« emi-
nenter Geisteskraft und Charakterstärke, teils die Über-
zeugung gewann, daß seine religiöse Stellung im allge-
meinen wirkliche Idiosynkrasie war; was natürlich nicht
ausschließt , daß er im einzelnen oft sich und andere wenigstens
mit halbem Wissen täuschte 1 *. Jener Respekl hielt ihn aber
um so weniger ab, an soinom nunmehr erschienenen Leben
Jesu die schärfste Kritik zu üben, als diese Vorlesungen
nicht auf der vollen Höhe des Schleierraacherechen Geiste»
standen und diesen in starker Abhängigkeit und in engstem
Zusammenhang mit dem Rationalismus zeigen. Die Schrift
erschien zu Anfang des Jahres 1865 unter dem Titel „Der
Christus des Glaubens und der Jesus der Geschichte".
NachdemStrauß zuerst gezeigt, daß HerrRutenik nicht der
Mann gewesen sei, um , .einen Tänzer in voller Bewegung zu
photographieren", ein freies und befreiendos Verfahren mit
dem ihm vorliegenden Vorlesungsmaterial von ihm also nicht
zu erwarten sei, geht er Schleiermacher selbst zu Leibe.
Dreierlei ist es, was er an seiner Bearbeitung des Lebens Jesu
auszusetzen hat. Erstens daß Schleiermaoher an der Echtheit
des Johannesevangeliums festhält und sich damit seine Dar-
stellung vom Leben des Jesus der Geschichte unnötigerschwert,
eine solche geradezu unmöglich macht. Der zweite Vorwurf
ist» Schleiermacher sei hier über den Rationalismus mit
seinen oxngiitiöchen VorgnwaHigungskünsten nicht hinaus-
Das Leben Jesu für da* deuttche Volk.
621
gekommen oder doch immer wieder in ihn zurückgefallen;
von der Paulusschen Schrifterklärung sei die semige, soweit
sie das Wunderhafto in der Schrift angeht, nur durch etwas
mehr Geist und Feinheit unterschieden, und an Hauptpunkten
wio der Auferstehuugsgeschichte verschwinde auch dieser
Unterschied bis zum Unmerklichen. Eben an diesen Haupt-
punkten der evangelischen Geschichte weist er dies im ein-
zelnen nach, besonders eingehend und schlagend an der
Auferstehungsgeschichte, der gegenüber Schleiermacher ein
unklares Schwanken zwischen Ebiomtismus und Doketismus.
zwischen vollkommener Natürlichkeit und mysteriösem Ge-
speusterspukdoch nicht überwunden habe A her dasebioni tisch
Natürliche schlage vor, und dabei sehe er sich „von den
Qahrdtiscb-Venturinischen ') Fratzen immer wieder ange-
grinst/ 1 Diese rationalistische Deutung neutestaimullicher
ErzahlungenhaUcStraußschoninseinem Aufsatz von 1839 über
..Schleiermacher und Daub" dem großen Berliner Theologen
unter Berufung auf seine Schrift über Lukas zum Vorwurf
machen können; jetzt führt er diesen Nachweis durch das
Ganze durch. So wurde die Schrift über den Jesus der
Geschichte nachträglich noch einmal zu einer gründlichen
Aaseinandersetzung mit dem alten Gegner von 1835. Wir
erinnern uns, unter den Streitschriften dor dreißiger Jahre
fehlte eine — gegen den Rationalismus; jetzt kommt sie nach-
träglich doch noch, es ist die Kritik des Schleiermac herschen
Lebens Jesu. Aber Schleiermacher war nicht bloß rationa-
listischer Iüxeget, or war auch Dogmatiker. Und da woist ihm
nun Strauß zum dritten nach, wie er mit den Voraussetzungen
seiner Glaubenslehre und speziell seiner mehr an Kant uud
Spinoza als an Hegel orientierten Christologio an die Ge-
schichte heruntritt und ihre Kategorien in sie hineintragt.
') Bahr dt dos orifont tcrrlbL 1 der deutschen Aufklarung: Wu
lurinis natürliche Gmchichte de* großen ProphcUn von Nazaroth
(1800) nach Schweitwr ■ a. 0- S. 47 »och haut« Quelle fOr alle Loben«
Jttu-Roiiiuiin.
622
„Meine Philosophie", hat Schln-n i.u'her einmal gefragt,
„und meine Dogmatik sind fest entschlossen, »ch nicht tu
widersprechen; ober oben deshalb wollen beide aucli niemals
Fertig sein, und solange ich denken aben sie immer
gegenseitig aneinander gestimmt und sich auch immer mehr
angruahort." Fest entschlossen, sich als Dogmutikcr nicht
zu widersprechen, konnte er sich freilich als Histo-
riker nirgends auf den Standpunkt der reinen, voraus-
setzungslosen Wissenschaft stellen, am wimigsten in der
Darstellung des Lebens Jesu. Von dem Begriff der Unsund-
lichkeit und Urbüdlichkeit. der stetigen Kraftigkeit de*
GottesbewußUeius als einem ..eigentlichen" Sein Gottes in
Christo ging er aus; in Christus als dem Gegenstand unsere«
Glaubens sollte, seiner vollständigen Menschheit unbeschadet,
gunz anders als in allen übrigen Menschen das Gottesbewuüt-
sein in jedem Augenblick seines Lebens das ■< M» ■< Mliin
Bestimmende, das sinnliche Bewußtsein durchaus das wider-
standslos Beherrschte gewesen 6ein. Durch diese Formeln
sollte der Jesus der Geschichte mit dem Christus des Glaubens
in eins gesetzt, ergänzt und korrigiert und so Wissenschaft
und Glauben. Geschichte und Dogma miteinander vereinigt
und aufeinander „gestimmt 4 * werden. Das ist jenes Schweben
und Oszillieren zwischen zwei unvereinbaren Standpunkt« n.
die aber — es ist das bei diesem seltenen Menschen das Merk
würdigste — in ihm wirklich vereinigt waren und geradezu
„die ganze Fülle seines irdischen Lebens ausmachten".
Er war, wie er an Jacobi schrieb, „mit dem Verstand ein
Philosoph und mit dem Gefühle ganz ein Frommer* 1 ; das
konnte schon der Redner über die Religion sagen; der Ver-
fasser der Glaubenslehre lügt noch hinzu: „und zwar als
solcher ein Christ". So entsprach jenes Schweben und
Oszillieren freilich durchaus den zwei Seiten in Schleier-
machers Natur. Oder anders ausgedrückt: er war in der
Christologie Supranaturalist, in der Kritik und Exegese
Rationalist. Er fohlte diesen Widerspruch, er ahnte, dir Gefahr,
die darin lag; daher die emsige, fast Ängstliche Geschäftigkeit
»eines an Hilfsquellen so reichen Geistes, zwischen beiden
Teilen Frieden zu stiften, den geglaubten Christus dem
Denken annehmbar» das Denken wenigstens in diesem einen
Punkte dem Glauben fügsam zu machen, wobei es ihm, bei
allem Ernst im allgemeinen, auf etwas Sophisterei im ein-
zelnen nicht ankam. Es war ein unvergleichliches Virtuoscn-
kunstslück, dieser Tanz zwischen den Eiern des Glaubens
und den Messern dor Philosophie. Allein von zwei so ver-
schiedenen Standpunkten aus, dem gläubig-dogmatischen
einerseits, dem wissenschaftlich-kritischen andererseits, ein
haltbaren Bild von Jesus, ein einheitliches Ganzes zu ge-
stalten, datu war auch seine Kunst zu schwach- Er hatte
zu Anfang seines Lebens Jesu versprochen, ohne dogma-
tische Voraussetzungen zu Werke gehen zu wollen; aber
er hielt nicht Wort, er hat sich zwar von manchen, aber nicht
von allen Fesseln des kirchlichen Vorurteils freigemacht.
„Wenn die rechtgläubigen Theologen vor ihm den Gefährten
des Odysseus glichen, die sich gegen die Sirenenstimmen
der Kritik die Ohren verklebten, so hat er sich zwar diese
olTi'ii gehalten, dafür aber B&Qb Blit SchilTslauen »n dem kfflj le
des Christusglaubens anbinden lassen, um unbeschädigt an
dem gefährlichen Eiland vorüborzukommen." Daß ,,das
ganze Märchen von <hn Sirenen nur Einflüsterung der allen
Zauberin Kirke war", hat er nicht gesehen, sagt Slrouß
hübsch. Oder ohne Bild: „Der ideale wie der dogmatische
Christus auf der einen und der geschichtliche Jesus von
Nazareth auf der anderen Seite sind unwiederbringlich
geschieden." Dos ergibt sich deshalb aus dem Leben Jesu
von Schleiermacher, weil darin Geschiedenes verbunden» Unver-
einbares vereinigt werden sollte, und weil dieser Versuch,
der ihm noch am ehesten htttte gelingen können, gerade
ihm nißlungon int. Wenn er es nicht leisten konnte, wem
sollte es dann gelungen sein oder in Zukunft gelingen?
Ich glaube nicht ihiLi mit alledem zuviel gesagt oder Schleier-
624
Zehnt«« Kapitel.
machor irgendwie Unrecht getan ist. Ich ineine im Gegenteil,
richtiger und treffender Bei Schleiermacher kaum je ge-
zeichnet worden als hier; zumal wenn man noch aus dem
Eingang der Schrift die glänzende Schilderung seines Ka-
theder- und Kanzel Vortrags hinzunimmt, wie ihn Strauß.
jetzt aus der Erinnerung heraus und teilweise unter Vergleich
mit der Baurschen Vortragsweise, mit mehr Zustimmung
und billiger noch als einst unter dem ersten frischen Eindruck
charakterisiert.
Der Schrift über Schloiermacher hat Strauß als Beilage
einen Artikel aus der Nationalzeitung vom 21. September
1864 angehängt: „Der Schenkeische Handel in Bad» H
Durch ihn wurde er alsbald in neue heftige Kämpfe mit den
Theologen verwickelt und in den gerade jetzt entbrannten
Streit um ein anderes, ebenfalls 1864 erschienenes Leben
Jesu von Dr. Daniel Schenkel, großherzoglich bndischcin
Kirohenral und Professor der Theologie in Heidelberg,
hineingezogen. Wir haben darüber ausführlich zu reden,
weil daraus noch einmal eine Schrift von Strauß „Di«
Halben und die Ganzen. Eine Streitschrift gegen die
Herren Doktoren Schenkel und Hengstenberg" hervorge-
gangen ist.
Schenkels , .Charakterbild Jesu" hatte zunächst in
Baden unter der Geistlichkeit Beunruhigung erregt. Ein
heftiger Agitationssturm erhob sich dagegen. 117 badi&chu
Geistliche unterzeichneten einen Protest, worin sie klagten,
daß der Verfasser durch grundstürzende Irrlehren der Kirche
ein Ärgernis gegeben und sich deshalb unfähig gemacht
habe, ein Amt in der evangelischen Landeskirche zu be-
kleiden, namentlich als Direktor des Heidelberger Prediger-
senünars die künftigen Geistlichen für den Kirchondien*t
vorzubereiten; daher verlangten sie ausdrücklich, duß Schenkel
dieser seiner Stelle als Direktor des Predigerseminars ent-
hoben werden möge. Diese Agitation war von Berlin her
jingrfjir.hi wurden und *etsta liöfa luoh übfti die Gra&Mfl
Das Leben Jesu für du* deutsche Volk.
m
Badens hinaus in Pfarrversammlungen aller Art fort i ).
Dagegen acharten sich die Manner des kurz zuvor im Sep-
tember 1863 auf Anregung Schenkels gegründeten Prote-
stantenvereins um diesen ihren Herrn und Meister. Auf der
Durlacber Konferenz von 1864 traten die liberalen Budener
Theologen tapfer fftr ihn ein, in besonders eindrucksvoller
Weise Holtzmann, damals außerordentlicher Professor in
Heidelberg. Und wacker hielt sich auch der Obeikirchenrat
in Karlsruhe, der in aeinor Sitzung vom 17. August 1864 die
Petition der 117 zurückwies und nicht nur persönlich ^zu-
gunsten Schenkels entschied, sondern auch nachdrücklich
die in ihm angegriffene Freiheit theologischer Forschung
und Lehre wahrte ■).
Über das Schenkeische Buch und die sich daran
anknüpfende Bewegung verfiuVul.lir.hto nun Strauß in der
Nationalzeitung jenen schon genannten Artikel und nahm
darin ganz entschieden Stellung — gegen Schenkel. Zwar
freute auch er sich über den Ausgang der Sache als einen
*) Auch in der Diözese meines Vaters tot der Antrag auf eine
Kundgebung gegen Schenkel gestellt worden. Mein Vater fragt«,
wieviele der Anwesenden und ob auch nur der Antragstellor selber
das Buch Schenkels gelesen haben. Ab alle, auch der Antragsteller,
erklaren mußten, daß sie da* Buch nicht selber kennen, sondern nur das,
was darübergeschrieben worden, schämten sich doch viele, und der Antrag
wurde mit großer Mehrheit verworfen. Meistens aber ging es anders.
•) Wie der berühmte Erlaß des badischen Kirrhonrals xusUndo
gekommen ist, erxahlt dramatisch Hausralh, Richard RoUwundsein«
Freunde, II. S. 499 ff. Ri hlmim ist, was er dabei auf 8. 508 von Roths
selbst berichtet. Dieser war verstimmt, daß man seinen Entwurf
verstümmelt und durch überflüssige Zusatte erweitert halle. Ergab
seinem Unmut in seinen Briefen nachträglich Ausdruck, stimmte dnnn
jbor doch Schenkel, der auch unzufrieden war. öffentlich aber »eins
vollste Zufriedenheit mit dem oberktrchcnrStlichen Erlaß erklärte,
„ganz bei. daß wir denselben dem großen Publikum gegen ute-r in gün-
stigem Sinne auslogen müssen"! Wenn das geschah um grimm Holz
dessen, den sie den Heiligen dss Protestanten verein* genannt nahen
Politik in dtir Religion verdirbt doch immer den Charakter.
OH
ZehnU* Kapital
Sieg, den das Prinzip der Lehrfreiheit in einem Teil der
protestantischen Kirche errungen hatte. Aber er fragte,
ob gerade die Schenkeische Schritt es verdient habe, in wiener
Art verfochten zu werden, und ob o» ein günstige* Li» lt
auf die Kampfer werfe, daß dieses Buch und .v-in Ver-
fasser sie zu solchem Kampfe begeistert haben Strauß
verneint diese Frage wegen der Halbheit und Zweideutigkeit
dp* Schcnkelschen Standpunkt*. Oder Halbheit ist ein
ungenauer Ausdruck dafür, meint er: ..Herr Schenkel,
sollte ich sagen, ist »u drei Vierteilen auf Seiten der Kritik,
aber ein Vierte! findet er geraten dem Glauben noch ein
zurkuinen." Und das, fügt er hinzu, ..ist seinen Anhängern,
Oberhaupt dem aufgeklarten Mittelschlag (dem Philister,
wurde ich sagen, wenn es nicht unhöflich wäre), eben recht.
Man will sich nicht mehr beengt wissen durch die Schranken
des strengen Kirchenglaubens, man wünscht bequemen
Raum für seine woh! erworbene Verstandesbildung; im
übrigen aber will man an dem bestehenden Kirchenwesen
nicht rütteln, will seine Predigt Ober das Evangelium am
Sonntag, seinen christlichen Festzyklus, sein Abendmahl
nicht verlieren. Beides hofft man an der Hand eines Mann«
wie Schenkel zu erreichen." Und nun der Schluß dos Artikels,
eine Fanfare, ein Keulenschlag: ,,Die Freiheit und das Him-
melreich, singt der alte E. M. Arndt, gewinnen keine Halben.
Aber das Erdreich besitzen sie, und wer, vor allem in reli-
giösen Dingen, halb und für die Halben schreibt, der ist
sicher, zahlreiche Anhänger zu finden, die, falls ihm die
Ganzen von der einen oder andern Seite etwas anhaben
wollen, sich wohl auch als begeisterte Kampfer um ihn scharen.
Von den sieben Schwaben sagt man, sie seien mit starker
Wehr und großer Furcht gegen ein Ungeheuer ausgew^
das sich zuletzt als ein Hase erwies: von den siebenhundert
Durlachern wird man dereinst sagen, daß sie sich ritterlich
geschlagen haben, um ein Banner nicht in Feindeshand fallen
zulussen, das in Wirklichkeit ein geflickter Waschlappen war."
Da* Leben Jcmi für d« deutsche Volk
m
Dieser Artikel erregt» natürlich das größte Aufsehen
und unter den Liberalen Badens einen Sturm der Ent-
rüstung. Strauß war ihnen in den Kucken gefallen, so meint
noch heute Hausrath, und nahe ihnen damit den Kampf
erschwert; denn nun haben sich Minister und Beamte in
Baden hinter ihn gesteckt und gesagt: Strauß sagt ja auch,
daß die Schenkclsche Theologie doch nur eine halbe Ge-
schichte sei.
Für uns aber erhebt sich die Frage: wie kam Strauß
zu diesem Eingreifen und zu dem auffallend scharfen Ton
gegen Schenkel ? Seine badischen Gegner meinUm im «raten
Zorn, es soi so etwas wie Neid gewesen, weil diesmal nicht
sein, sondern das Leben Jesu eines anderen das größere Auf-
sehen und einen solchen Sturm erregt habe. In diesem Sinn
sagt auch Hausrath: ,,Daß der Schenkelstreit die Aufmerk-
samkeit von seinem neuen Leben Jesu völlig ablenkte, ärgerte
ihn, da er auf einen ähnlichen Erfolg wie den seines ersten Buchs
gerechnet hatte." Kr beruft sich dafür sogar auf Eduard
Zeller, der schrieb: „Strauß nahm es als eine persönliche
Beleidigung auf, daß Schenkels Charakterbild Jesu in öffent-
lichen Besprechungen mit seinem Buche auf eine Linie gestellt
wurde." Das ist ganz richtig, wenn wir es nur, so wie
es Zeller gemeint hat, aus der subjektiv-persönlichen
y.ugloich auch in die objektiv-sachliche Sphäre erhoben.
Ehrlich und wahrhaftig sein, offen mit der Sprache heraus-
gehen und Farbe bekennen, das hat Strauß sein Leben
lang geübt, dazu wollte er die Theologie, wenigstens die
wissenschaftliche, zwingen. Nun mußte er sehen, wie hierein
Halber und ganz Zweideutiger, ein Unehrlicher und Unwahr-
haftiger den Erfolg hatte, daß man sich um ihn scharte um)
ihn auf den Schild hob. Darin sah er an einem flagranten
Beispiel wieder einmal sein Lebenswerk gefährdet, sah, wie
die Verschwommenheit und Zwoizüngigkcit in der Theologie
nach wie vor ihr Wesen treiben durfte und gerade auf dem
Gebiete trieb, das durch zweimalige ernste und ernsthafte
m
Zehntes KapiUL
wissenschaftliche Arbeit nun einmal das seinige geworden
war. Das verdroß, das empörte ihn, und daher trat er. ohne
Furcht und ohne Rücksicht zum furchtbaren Schlage aus-
holend, diesen Kampfern um einen geflickten Waschlappen
entgegen und enthüllte die Nichtigkeit und Hohlheit der
Schenktischen Position. Und haben denn die liberalen
Theologen damals nicht wirklich mit zweierlei Maß gemessen ?
Am 30. April 1804 schrieb Rothe Ober den „neugebacken'
Strauß, d. h. «her da» Loben Jesu für das Volk, es sei
ungenießbar. „Man würgt ein wenig. Der Mann ist wirk-
lich nicht gewachsen seit der ersten Bearbeitung, und die
Anordnung des Stoffs, die er diesmal gctroftVn hnt, konnte
nicht unglücklicher gewählt sein für den Zweck, die Lc*rr
zu fesseln, daß sie Geduld behalten, bis «um Schluß fort-
zulesen. Eine Sache, die nun einmal keinen inneren Halt
hat, laßt sich eben nicht mit andauerndem Erfolg auf die
Beine bringen.'* An Schenkels Buch fand er persönlich auch
keinen Gefallen, sein Christus war das nicht. ..Aber daß ein
evangelischer Christ, in welcher amtlichen Stellung auch
immer, nicht die Freiheit haben soll, ein solches Buch n
schreiben, ihm gemäß zu lehren, weil es dem Glauben an
Christus gefährlich sei, wenn solches geduldet werde, das i.tt
mir absolut unleidlich, weil es nichts anderes ist, als Christi
Haus und Hof, die er in der Christenheit hat, in die Gant
erklären, und die tiefste Diskreditierung des Glaubens an
ihn bei dem gegenwärtigen Geschlecht." Sollte das Strauß
nicht auch zuzubilligen gewesen sein? Jetzt entrüsteten
sich die Liberalen über geflissentliche Übertreibungen und
über die „Bauernverhetzung", die die badischen Protestier
trieben: seinerzeit aber hatten auch die freigesinnten Theo-
logen ruhig zugesehen, wie der Pietismus in Schwaben oder
in Zürich die Bauern gegen Strauß gehetzt hatte, und hatten
sich beeilt, den imbequemen Wuhrhritssucher von sich
abzuschütteln; und auch als er jetzt wiedergekommen war,
hatten sie ihn verleugnet und zwischen sich und ihm fein
Das Leben Jesu Tür das deutsche Volk. 62fl
säuberlich das Tafelluch entzweigeschnitten, Schenkel da-
gegen war ein Mann der Partei, also muttlc man ihn halten
um jeden Preis; Strauß war kein Parteimann, sondern ninzig
auf sich selbst gcntellt, deswegen war er vogelfroi. Dieses
Messen mit zweierlei Maß hat Strauß allerdings empört.
Es kam aber noch ein Personliches hinzu, und du»
war die Person Schenkels. Dieser hatte schon eine bewegte
und an Wandlungen reiche Vergangenheit hinler sich, als er
1851, 38 Jahre alt, nach Heidelberg kam. „Alle theologischen
Richtungen**, aagtHausrath 1 ) so hübsch, „Laitan Hypotheken
auf seine Seele und an seiner bisherigen Tätigkeit Anhalts-
punkte, ihn zu den Ihren zu zählen." „Sohn eines herren-
hulisch gesinnten Pfarrers und einer Basler Pfarrerstochter,
war er in völlig pietistischen Traditionen aufgewachsen,
hatte sich dann aber als Schüler de Weites in wissenschaft-
lichen Fragen auf einen freieren Standpunkt emporgearbeitet.
Zuerst begegnen wir dem Basler Lizcntiaten als Mitarbeiter
der Hallischen Jahrbücher von Arnold Rüge, also in dem
radikalsten Organe der junghegelschen Schule. Zwei Jahre
spater hat er sich den Ullmannschen Studien und Kritiken
zugewendet, in denen er 1840, im dritten Heft, die DOOttttO
U«';irl)t'ilun^i'ii ■!<■* Sl.r:inUisi-.lnMi Lfln-ii- Ji-u l»i- - |ic ... i i
Er erscheint hier als treuer Schüler de Weites, der zwar ent-
schieden gegen Strauß Partei nimmt, aber in der Kritik
der evangelischen Quellen, auch des JohannesevangeliumH,
sich einer loblichen Unbefangenheit befleißigt. In poli-
tischen Dingen konservativ, wie sein Widerspruch gegen
den Krieg mit dem katholischen Sonderbund beweist, int
er in theologischen Fragen noch immer freisinnig. Aber
seit sein« r Beteiligung an den Bestrebungen der irinern
Mission kehrte er wieder starker die ursprüngliche piotistisebe
Farbe heraus. Auf dem Kirchentage in Stuttgart im Jahn*
1850 trat er mit UliiKum uml Bahr (in Baden) in Verbindung.
') lUuffftth. K Kothc II. H 218. ihm la.w i'li . u« h in du
Durstbllung vou Schenk«!* Entwicklungsgang das Wort.
Tlu Z-ffUf. O. 1'. Slr.ufl. ii. 41
630
Zehntes Kapitel.
Die Folge dieser Bekanntschaft war, daß Ulimann Schenkels
Berufung nach lleidulberg vorschlug, diu durch Bahr in
Karlsruhe bereits eingeleitet war. Durch diese Art seiner
Vokation kam er noch einen weiteren Schritt nach recht«.
,,Ioh ging natürlich mit denen, di« mich berufen hatten",
sagte er zu Huusntth, „nicht mit denen, die gegen muh
waren." So »Und er bis in die Mitte der fünfziger Jahre, wo
V (lau Schwabcualter bereits überschritten halt«, in Huidnl-
berg kirchlich und theologisch auf konservativer Seite und
leigte »ich bei xwei Gelegenheiten al» skrupelloser, auch
vor Denunziationen nicht zurUckschi'uonder Parteigänger
der Rechten Du eine war ein Fukultfitsgutachten Ober
einen freisinnigen Bremer Geistlichen, Dulon, etwa von
der Art KalthofTs, worin Schenkel unter geflissentlichem Zu-
sammentragen aller belastenden Stellen und Obergehen
aller erbaulichen Momente in dessen Schriften für die
Absetzung des ungläubigen Pastors plädierte. Der zweite
Fall betraf — Kuno Fischer. Schenkel ist es gewe
der Kuno Fischer bei der badischen Regierung in echter
Pietisten- und Pfarrsynodeumamer ab Pantheisten denunziert
und in dieser bösen Reaktionszeit seine Entfernung v
akademischen Lehramt im Jahre 1853 — wir wollen sagen:
angeregt hat 1 ). Und als es dann so weit war, ist wiederum
Schenkel es gewesen, der im Senat den Antrag, sich für
Fischer zu verwenden, durch die Erklärung zu Fall brachte,
das sei eine leere Demonstration, die keine Aussicht auf
Erfolg habe, Indem er endlich nachtraglich in der Darm-
städter Kirchenzeitung die Entziehung der Venia legendi
') War sich naher für Schenkels Anteil darau interessiert, den
verweise ich auf EI ausrath a. a. O. ß. 261 ff. Vgl. aach R. v. Hohl,
Lebensonrmorungen, der damals Prorvktor in Heidelberg war und
nach Karlsruhe ging, um bei Minister v. Weobmar gegen Kuno
Fischers Maßregelung xu protestieren: — „ohne etwa» xu erreichen;
dio Belohnung ist mir jedoch geworden, von möglichen Ministem
ohne alle Frage den stupidesten gesehen zu haben", erzählt «r rj, 11t
in seiner bitterbösen Manier.
Das Leben J«u für du deuUche Volk.
BS]
ausdrücklich billigte und rechtfertigt«, hat er von diu* .Schuld
an dieser Attacke auf die akademische Lehrfreiheit uueh diu
Teil, der dabei etwa auf andere fiel, schließlich noch auf sich
genommen.
Dazu kam noch zweierlei. In dieselbe Zeit liel der
skandalöse Ilochverratsproxeß gegen Gervinus wegen seiner
Hinleitung in die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts.
Daran war Schenkel unschuldig; aber man erinnerte sich nun
doch, wie er im Jahre 1S46 Gervinus wegen seiner Schrift über
die Deutschkalhohken bokümpft hatte und eben zum Lohn
dafür vonden Gegnern des freisinnigen Historikers nach Heidel-
berg berufen worden war. Das andere war schlimmer. Im Jahre
1854 war im Verlag des Kauhen Hausos zu Hamburg, also
sozusagen unter der Firma Wicherns und seiner innern
Mission, ein Roman erschienen: Eritis sicut deusl der zu
Helden Kr. Th. Vischer und dessen Frau hatte, in frei er-
fundener Weise das Scheitern auch dieser Ehe erzählte und
es auf die pantheistische als eine unsittliche Weltanschauung
zurückführte, Es war ein gemeines, widerwärtiges Pamphlet
einer pietistischen Dame 1 ), die damit nicht Vischer allein.
sondern die ganze Tübinger Schule und die Hegeische Linke
treffen und zeigen wollte, wie die Grundsätze dieser un-
gläubigen Pantheisten notwendig in den Schlamm und Sumpf
gemeiuster Sinnlichkeit ausmünden müssen. Auch der
Heidelberger Stadtpfarrer Zittel und seine Ehe wurde
hereingezerrt, und natürlich auoh Strauß und seine Ehe-
irrung nicht geschont, namentlich auch hämisch und hühnisch
auf seinen „Geiz" hingewiesen. Daß Sohflrtel (Macher)
sein Weib von einem anderen küssen laßt, um mit diesem
nach Römer 1, 26 f. Jupiter und Ganymed spielen zu können.
>) Der Roman nrechion anonym; dnhur viel*? Vermutungen übor
«einen Verlaiwr. Sogar der Hofmethkus H ardegg, ein guter Be-
kannter von StriiuÜ, kam in den Vordacht, es tu sein. Rlniuß hiwiriti
du entschieden, obwohl II ardegg ein „MephifttopheWa" »*i; d;»ru wi
er nicht fähig,
41«
632
Zehnt« Kapitel.
und daß Dekan Zillcl Scharte! rat, sich von seiner geistes-
kranken Frau bei anderen Frauen zu erholen: das war so
etwa der Gipfel dieser Gemeinheit, wenn man nicht noch
für weit schlimmer das halten will, daß ilie Verfasserin
nachher in einer besonderen Broschüre für die Abfassung
diese* Machwerks — den heiligen Geist und feine ausdrück-
liche, geradezu verbale Inspiration verantwortlich machte.
Alle anständigen Menschen waren über diesen Streich emi
nur ,,ttin namhafter Theologo nahm sich der Schrift an, ■
ilirwr eine war Schenkel"! In seiner allgemeinen Kirchen
zeitung verglich er diesen Schandroman mit Goethes Wilhelm
Meister und schrieb: „Der Verfasser, welchen wir wohl in
einem jüngeren Gliede der württembergischen Geistlichkeit
zu suchen haben (I), der an Ort und Stelle in Tübingen
Studien und vielleicht auch Erfahrungen über den Pantheis-
mus (!) gemacht hat. steht auf der Höhe, von welcher allein
solche Zeilerscheinungen verstanden werden können, auf
dem Boden der christlichen Offenbarung. Aber sein christ-
licher Standpunkt macht sich nicht in zudringlicher Weise
geltend (I). Wer den Pantheismus gründlich kennen lern
will, seine Hohen und Tiefen, was er ist und was er will,
was er aus dem Menschen macht und wie weit er ihn bringt (\),
der findet hier vollkommen, was er sucht.*' Er jedenfalls
fand hier, wio Hausrath richtig bemerkt 1 ), was er suchte:
nachträglich die Rechtfertigung seines Verfahrens gegen
Kuno Fischer.
Und nun frage ich: hatte Strauß Anlaß und Grand,
sich mit Herrn Schenkel zu befassen? Gervinus war sein
Freund, Kuno Fischer war sein Freund, Friedrich Theodor
Vischer war sein Freund, auch Mittel stand ihm nahe: U)
ihnen allen halte sich Schenkel schnöde vergriffen. Ihn
dafür zu züchtigen halte Strauß Grund und Recht zu-
gleich. Und dazu kam nun dei merkwürdige Umschwung hs
') Hausrath a. h. O. g. 184.
Da* l*b»n J**u für da* d«uUchtf Volk.
633
Schenkels theologischer Richtung: der wievielte war es
doch gleich ? Weil er vor allem Rhetor war, haschte »mach der
Gunst dor Majorität; diese war und wurde damals bei den
Pfalzern in und um Heidelberg immer mehr liberal. Also
wurde auch or es, und der Ausdruck dieser Wandlung, die
man von 1865 an langsam kommen sieht, und die seit der
Wendung der Dinge in Baden nach dem Scheitern des
Konkordats zur vollendeten Tatsache wird, war das Charakter-
bild Jesu. Halte Strauß rocht oder unrecht, wenn er dieser
Bekehrung zum Liberalismus nicht traute, den Überläufer ins
liberale Lager mit Verachtung von sich stieß und mit Beziehung
auf ihn von einem geflickten „Waschlappen" sprach? l'nd
neben Schenkel stand an der Spitze der neugegründeten
Partei der andere Schweizer Bluntschli, den Strauß vom Züri-
putsch her als Konservativen nur zu gut kannte und der
ihm daher jetzt auch als Liberaler nicht imponieren konnte.
Du- Liberalen Badens ober dachten an UM Sadbfl BDid fatal
sich Schenkel sogar als einen ihrer Fahrer gefallen, weil er
als Parteimann und Agitator ganz hervorragende Eigen-
schaften besaß. Vielleicht hatten sie, ehe sie sich um sein
Leben Jesu scharten, sich klar machen können, daß
Renegaten schließlich immer eine Verlegenheit sind für
jede Partei; denn auch in der Parteipolitik ist Charakter-
stärke eine Pflicht und eine Tugend, deren Vernachlässigung
sich auf die Dauer rächt. Aber item, mit Zorn und Ent-
rüstung fielen die Jungliberalen über Strauß her, als er jenen
Artikel in der Nationnlzeitung veröffentlicht« und verleidigten
gegen ihn in Schenkel und seinem Buch ihre eigene Sache.
Damals ist Strauß auch mit Holt/mann in Konflikt geraten,
der als Vertreter der Mnrkushypothcse sein Gegner und ihm
dadurch verdächtig war. Die beiden haben sich hin und her
unrecht getan, und Strauß hat nicht mehr lange genug
gelebt, um das einzusehen und anzuerkennen.
Strauß aber hatte das StreiUchriftenschreiben noch
nicht verlernt. Im Schwäbischen Merkur war der Artikel
BM
Zehntes Kapitel.
gegen Schenkel, wie rr als Beilage zur Kritik de* Schleww-
mncherschen I^obena Jesu erachten, nochmals abgedruckt
und dabei an Teil erinnert worden, der den Parricida abwies.
Dnrniif antwortete Schenkel etwa* allzu eilfertig mit Ben
tigung und Erwiderung. Das gab Strauß den willkommenen
Anlaß. Er griff aufs neue zur Feder und schrieb »eine scharf sie,
aber in ihrem Genre ourh gelungenste Streitschrift ,.I>i»*
Halben und die Gnn*en*\ deren Vorwort vom Mai 1865
datiert ist. Die Halben — das ist Daniel Schenkel: gegen
ihn ist die erste größere Hälfte der Schrift gerichtet. !>?»>
Ganzen — das ist Hengstenberg, ihm gilt der zweite Teil. Und
nun wird Schenkel — man könnte sagen: bei lebendigem Leib
regelrecht seziert, geschunden wie Marsyas von Apollo ge-
schundenwordenist. Znnfichstwird ihm dio Denunziation Kuno
Fischers, die er natürlich jetzt als Liberaler gern abgeleugnet
oder doch, durch das TaschonspiclerkunsUlÜck einer Vit
tauschung von Pantheismus und Atheismus, in ein milderes
Licht gerückt hätte, in aller Ausführlichkeit vorgehalten
und dabei gezeigt, wie anstandige Menschen darober gedacht
haben und denken. Wahrhaftig, ,,es ist eine göttliche Ko-
mödie, daß der jetzt Märtyrer werden soll, der noch vor
wenigen Jahren Ketzermeister war". Damit gewinnt er
den Übergung zum zweiten Teil, in dem er sich mit Schenkels
Leben Jesu beschäftigt. Und auch da ist es wiederum
„eine göttliche Komödie, daß die FortschrittMiiannrr u
ßaden, um die Lehrfreiheit zu wahren, sich eines Kuchen
von Schenkel annehmen müssen. Ein Buch, dessen Ver-
fasser man mit gleich starkem Eifer von der DUMM Seite
abzusetzen, von der andern zu halten sucht, pflegt doch
sonst wenigstens ein Buch von Entschiedenheit und Charakter
zu sein. Schenkels Charakterbild Jesu aber ist ein ver-
schwommenes, ne.hscllrngeriseh vermittelndes, charakter-
loses Buch." Das wird mit ein paar Grillen, am Wunder-
bogriff z. B. und an der Krage nach der KoaliUt der Auf-
erstehung, aufgezeigt und mit spielender Hand die Angriffe
Cas Leben Jesu für diu dvuUchv Volk-
636
al« geschoben, die Schenkel gegen Strauß und seinen
Mangel an Konsequenz gerichtet hatte. Freilich es ist auch
allerlei Gutes in dem Buch. Aber woher stammt das?
Nicht zu Unrecht konnte Strauß spottend sagen, diese
Ergebnisse „seien von Tübingen den Neckar herunter nach
Heidelberg getrieben, dort von Herrn Schenkel ans Land
gezogen und freilich in etwas aufgeweichtem und verwässer-
tem Zustand seinem Bauwesen einverleibt worden' 4 . Wenn
ihn aber Schenkel fragte, wie er zu diesen Angriffen auf ihn
und seine Theologie komme, so antwortet er darauf zum
Schluß stolz und schneidend: „Ja. Herr Kirchenrat, man
kann einen Beruf haben und es für GewifisensÄaehe halten,
diesem Berufe nachzukommen, wenn man auch nicht ordent-
licher Professor der Theologie, nicht Seminardirektor und
erster Universitatsprediger ist. Dieser mein Beruf, daß ich
es Ihnen nur sage, geht gegen die Falschmünzerei. Daß in
der Theologie eben jetzt viel Falschmünzerei im Schwange
geht, werden Sie vielleicht selbst nicht in Abrede ziehen;
wenn Sie auch davon nichts werden wissen mögen, was ich
weiter behaupte, daß gerade die Richtung, der Sie ange-
hören, fast ausschließlich von Falschmünzerei lebt. Jemand
aufzustellen, der auf dieses Unwesen ein Auge hatte, warn
hingst an der Zeit gewoson; aber eben weil es soweit ver-
breitet ist, geschieht nichts; es sind zu viele und darunter
zu Einflußreiche dabei beteiligt. Wohlan, ich warte nicht,
bis mich jemand aufstellt; da bin ich, ich brauche keinen
äußeren, ich folge meinem inneren Berufe. Überall kann
ich nicht sein; aber ich tue» was ich kann. Wenn ich über
den Markt gehe, wenn ich an einer Kasse vorüberkomme,
da halte ich die Augen auf. Mit den falschen Groschen
befasse ich mich nicht, da wäre an kein Fertigwerden zu
denken; aber wo einer bleierne- Taler oder gar Rochenpfennige
statt Dukaten auflegt, der hat es mit mir zu tun, der wird
mich nicht los» bis er überwiesen ist, Beliebt mache ich
mich dadurch freilich nicht, Dank verdiene ich mal keinen ,
636
Äthnto» K*pil*t
*L» von der Wahrheit, der ich diene. Hat »ich 6m
Dank verdient, der «inst die Kramer und Wechsler au» Ana
Heiligtum trieb? Dor Eifer um dein Haus venehret mich,
ist ein schöner Wahlspruch, und ein solch™ Opte gnwiß
Ober Fairen und Widder ein süßer Geruch dem Herrn."
Wo mnn Holi haut, da fallen Spane. StrauB hat den
Dudener Liberalen und den M/lnnern des i'rntcfttnnten-
vereins in dieser Schrift selbst eine halbe Ehrenerklärung
gegeben, wenn er erklärt, er sei nicht gemeint, ihnen «uzu-
muten, „sie hatten so tüchtige Lungen, so rührige An
einen so anschlangen Kopf und eine so geschwinde PfinVr
die sich ihnen (in Schenkel) darboten, zurückweisen sollen* 4 .
Aber ein Unglück bleibe es eben doch, daß sie die n>U- Keil
in ihrer Partei , .einem Mann überladen müßten, der für
dieselbe wohl etwa das praktische Geschick, aber weder dei
geistigen noch deu sittlichen Gehalt besaß**. Die Partei
erklärte sich mit ihrem Führer solidarisch: so trafen die
diesem zugedachten Hiebe freilich auch sie mit, und w
wandte sich die ganze Partei gegen Strauß. Kothe,
der intime Freund von Schenkel, wies „das unwürdige
Machwerk Straußens mit Ekel zurück**; sein alter Gegner
Alexander Schweizer sprach sich von Zürich her ebenso empört
darüber aus; und noch heute zittert in Hausrath dieselbe
zornige Stimmung nach, mnn denke nur an seine böse Be-
merkung über die , .magere, hochgewachsene Schulmeister-
gestalt mit rötlichen Haaren 1 ) und dunkler Brille, dir ig
Baden-Baden einsame Gange gemacht und hier die Streit-
schrift überdacht* 1 habe. Wenn er ihn aber „Magister Strauß**
nennt, so beschwört er damit selber das Bild des Herrn Ge-
heimde Bat Klotz herauf und erinnert uns an Lessing, mit
dessen Anli-Goeze diese Streitschrift gegen Schenkel aller-
dings die größte Ähnlichkeit hat; in Ton und aieghalUr
') „Die Haarfarbe von Strauß w*»r tu dtir Heidelberger Znl
braun, nie war .■.!•■ rot", schreibt mir daiu du; diu ihn damals am best!
gekannt hkL
Das Leben J>:su für das deutsche Volk,
681
Überlegenheit steht sie diesem Vorbild durchaus ebenbürtig
zur Seite- Strauß aber konnte wieder einmal sagen:
Feinde ringsum; das wußte er auoh, wie das böso VMMll
auf diese Schrift zeigt:
Wie mit deiner herben Strenge.
Alter Kampe, du bo dumm bHtl
Keiner wird -in Mann der Menge,
Der nicht halb und hnlh cm Lump Ist
Aber noch sind wir ja mit der Schrift nicht fertig. Ihr
zweiter Teil handelt von den Ganzen, d. h. wie schon gesagt,
von llengstonberg. Um seinetwillen nllcin hätte Strauß
gewiß nicht zur Feder gegriffen, darin halten die Liberalen
ganz recht. Aber nun er das Wort hatte, benutzt« er die
Gelegenheit, um auch einmal wieder mit diesem alten Gegner
abzurechnen. Natürlich war Heugslenberg in seiner Evangeli-
schen Kirchenzeitung nicht eben säuberlich mit dem Ver-
fasser des Lebens Jesu für das deutsche Volk umgesprungen.
Namentlich hatte er Strauß vorgeworfen, er hnlie sich mit
dem dermaligen Stande der einschlägigen Untersuchungen
nicht gehörig bekannt gemacht; es seien indessen neue
Entdeckungen gemacht worden, die den alten Glauben bo
stetigen, und von diesen habe Strauß Uni Notiz genommen,
sondern einfach nur alte Zweifel und Verneinungen wieder-
holt, als ob sie nicht längst schon widerlegt wären. Diese
Ausforderung auf sich sitzen zu lassen, war Strauß nicht
der Mann. Allerdings habe er die neuen Funde unberück-
sichtigt gelassen, weil es oitel Ausflüchte und Winkelzüge,
Finten und Flausen seien, auf die sich einzulassen Zeit ver-
derben hieße. Es sei damit wip mit den Feldmäusen in einem
trocknen Spätsommer: statt ihnen einzeln nachzustellen.
Überlaßt man sie am besten der massenhaften Vertilgung
durch HerbstgewAMor und Winterfrost. Abrrdi^cm Hengsten-
bergischen Vorwurf gegenüber glaubt er nun doch auch im
einzelnen feststellen xu müssen, daß jene Funde, je genauer
man sie untersucht, um so wonigor Berücksichtigung ver-
m
»hnlw Kapttl.
dienen. An drei Punkten weist er da» nach: an der Ge-
schieht« der Schattung zur Zeil der Geburt Christi, für
deren Tatsfichlichkcit eine neue Inteinische Invhrift I
deckt worden »ein und dieser tu Hilfe kommen soll; an
iirr L.izaru Ptrai' i imi lem i ..■i/.ü-ugwnadBr, ■olfaDgMatt-
berg den Stil umdrehen und die Parabel bim der
historischen Gestalt de» Lazarus erklaren wollte; und
endlich natürlich und vor allem an den Wider-
sprüchen in der Auforstehungsgeschicht«, die Hengst? n-
berg wie vor 2* Jahren so auch jetzt wieder durch d«n
Schlüssel der Harmonistik au beseitigen suchte. Bs i
auf allen Punkten leicht, tu zeigen, daß hier überall gar
nichts Neues vorliege, sondern nur die alten Apologeten-
künste in einer nicht einmal verbesserten Auflage wiederholt
werden. Dabei geht er mit dieser rückschreitcndcn Theologie
— schon der Vergleich ihrer Bollwerke mit den Feldmäusen,
an einer anderen Stelle mit Windmühlen zeigt es — BOofe
seinerseits nichts weniger als sanft um; so wenn er von ihr
sagt, da sie einsehe, wie durch Konzessionen ihre Lage nur
immer mißlicher werde, suche sie es jettt durch Hartnackig-
keit im Behaupten und Frechheit im Verfechten ihre* Stand-
punkts zu zwingen. Aber persönlich behandelt er diesen
Gegner doch respektvoller und — ich möchte sagen: gut-
mütiger als den liberalen Herrn Schenkel. Denn ihm
sind eben unter allen Umständen euUchiedene Stand-
punkte lieber als charakterlose Vermittlungen, er zieht
die Ganzen den Halben vor, schon darum, weil sie
weniger gefährlich sind. Dazu kam, daß Hengstenberg
über Schenkels ,,Apostasie" nicht andern dachte als
Strauß und daß er früher anstandig genug gewesen
war, den Schandroman Eritis sicut deus, obwohl er
aus Wicherns Verlag kam, energisch abtulehnen. Solche
Gegner ließ sich Strauß gefallen. Daher fürchtete er auch
die Neckerei der Liberalen nicht, die ihm — schon von den
Streitschriften der dreißiger Jahre her — eine besondere
Das Leben Jesu für das deutsche Volk.
BN
Vorliebe und Zärtlichkeit für diesen seinen Gegenfüßler
nachsagten und sogar von einer Wahlverwandtschaft
zwischen Strauß und Hengstenberg redeten. Aus den Neu-
jahrsvorredon der Evangelischen Kircheneeitung ging ja
doch hervor, wie die beiden in Wahrheit zueinander standen.
Bemerkenswert ist noch der Schluß dieses zweiten
Teiles. Hier wirft Strauß die Frage auf, ob mit der Auf-
erstehung nicht das Christentum selber falle und ob wir
uns am Ende, wenn wir die Tatsachlichkeit jener preis-
geben, nicht auch von diesem lossagen, die Frage also: ob
wir noch Christen sind ? Das ist die erste Frage seines alten
und neuen Glaubens, zu dem also unsere Schrift direkt
überleiten könnte. Aber noch vergehen sieben Jahre bis
zum Erscheinen dieses seines letzten Buches, noch liegt ein
anderes dazwischen, es ist die Voltairebiographie.
1866 and 1870.
KapiteL
Voltaire und Renan.
Da* Jahr 18& bracht« große Veränderungen in SlraoBans
Leben. Im Herbst absolvierte Fht?, da» Gymnasium in
Heilbronn und wurde vom Vater in Tübingen eingeliefert,
wo er Median studieren sollte; und im selben Jahr verlobte
\r\\ Oonoiif mit dem Betgral Hausier in Deate, data in
Bonn, and schon am 17. November desselben Jahres fand die
Hochzeit statt. So waren die Jungen ausgeflogen, der Alte
winliTullein, und wieder hießes: was nun? In Heilbronn hatte
er lediglich um des Sohnes willenseinen Wohnsitzaufgeschlagen.
I hn gab er jetzt auf und ging zunächst einmal für etliche Woch:i
oder Monate nach Berlin, vor allem um Gräfe noch einmal
wegen seiner Augen zu konsultieren, die nach der vielfachen
Arbeit der letzten Jahre wieder den Dienst aufzukündigen
drohten. Dieser empfahl ihm Schonung: er solle nichts
Größere« von Arbeit mehr unternehmen. „Das ist ebensogut
Ms mir don Strick präsentieren", meinte Strauß. Dann ver-
langte ihn aber auch, nach dem Leben in der Kleinstadt wieder
einmal da» Leben in größerem Stil zu sehen, Galerien und
Theater, Musik und Menschen hatten ihm gelegentlich in H .1
hriMin iinrii riT.ht js'eMill Im Vnfang Freilich bedi kokte ihn
in Berlin die Größe der Stadt, die er vor vier Jahren von der
Klinik aus kaum wahrgenommen hatte; uueh schien ihm zuerst
dt-r Heiz, den Hn-ater und Konzert für ihn hatten, so diflBk-
tioh abgestorben, und den Freunden glaubte er als Fremder
Iflstig zu fallen. Aber gerade die geselligen Verhältnisse
1866 uud 1870. Voltaire und Renan.
041
machten sich doch bald so, wie nr sio braucht«. Neben Neu-
manns war es vor allem der nlto Freund Vatkc, bei dem
oder mit dem er last alle Abende verbrachte. Sein ,. Spazier-
kamerad'* war meisten» Auerbach, der ihm bei näherem
Umgang trotr. einiger Schwachen immer besser gelic! und
ihm groüe land&maniiische und persönliche Anhänglichkeit
bewies. Freitags war er bei Rechtsanwalt Lewaids BUS
Abendessen, einer „gar liebenswürdigen Familie", bei dnr ihn
Auerbach eingeführt hatte. Die Frau schickte ihm zu
seinem Geburtstag einen blühenden Syringenbaum und
brachte selber einen Kuchen; mit ihr ist er von dieser Zeit
an in Briefwechsel geblieben. Und auch sonst machte er
allerlei neue Bekanntschaften, die ihn interessierten. Z. B.
besuchte er den alten Diesterweg, „einen noch sehr munteren
Greis", und den alten 84 jährigen Friedrich von Räumer, au
dessen Jugendlichkeit er sich ordentlich erbaute. Mit dem blin-
den Musikrezensenten der Nationalzeitung, Gumprecht, unter-
hielt ersieh gerne über Musik, mit dem Redakteur der Volks-
zeilung, Bernstein, einem getauften Juden und großen Kenner
der rabbinischen Theologie, über Politik und Theologie; an
dem Maler Eduard Magnus, der ihm beim Sehen der Galerien
behilflich war, gewann er eich sogar einen Freund. Dagegen
war mit anderen die Berührung eine nur flüchtige, so mit
Dilthey, dem gegenüber er sich bei dessen Besuch wenig zu-
gänglich zeigte und dem er daher nicht sonderlich gßfltl
Schwer erkaltet kam er aus Berlin zurück: zunOch.it
nach Heidelberg, das er sich aber „durch Stechen in das
dortige Wespennest*', zum bleibenden Aufenthalt VBncUonm
glaubte. Da ihn aber ,,die alten Freunde mit alter Freund-
schaft aufnahmen und die Feinde ihn nicht genierten" ').
so sah er sich nach Wohnungen um, fand aber keine
pnssende. und auch im ganzen wollte ihm ,, dieses Mittelding
*) Nach dieser Brietstelle »ind die Bemerkungen Hauirath*.
R. Roth« 1!, S. ^22, zu revidieren.
642
EUtm KapiUt
zwischen großer und kleiner Stadt" nicht mehr in der alten
Weise behagen; auch trug der sieh imnivr wieder einstellende
KaUrrh nicht zu »einem Behagen bei. So ging er nach Baden.
um sich dort durch Molkunlrinkim wirnfar gesund zu machen
und die Streitschrift gegen Schenkel zu achreiben. Beide»
gelang. Launig und resigniert lugleich schreibt er darüber
an seine Schwagerin: „Ich machte mich gefaßt, schwindsüch-
tig xu werden. Nach der Art, wie ich Ober Leben und Tod
denke, war mir das gar nicht zuwider. Ich dachte so: die
Welt machst du doch nicht kluger als sie einmal ist und
hauptsächlich als sie sein will. Deine Tochter hat einen
Mann, dein Sohn studiert und wird forUtudiercn, ob du
stirbst oder lebst. Deine Schwagerin hat sich auagespreitet
und braucht keinen Mann mehr, viel weniger einen Schwager.
Ihren Buben hast du Rasiermesser geschenkt bis auf den
jüngsten, und dem kann ein solches aus deinem Nachlaß
angeschafft werden. Was aber dich selbst betrifft, w.
du jetzt schwindsüchtig wirst, so wirst du schwerlich mehr
blind. Und dem Elend mit Wohnungsuchen iat dann auf
einud ein Knd gemacht; ein stilles Souterrainchen, \m
dann brauchst, rindet sich überall. So dachte ich und war
sehr getrost. Nun kam es aber anders. Ich muß wieder
leben und sorgen. Was meine Genesung neben dem Regen
beförderte, war die Arbeit, die mir viel Spaß machte. Ich
fing sie nach dem Tag metner Ankunft in Buden au und
vollendete sie, d. h. das Diktieren der Abschrift, den Tag
vor meiner Abreise . . - wie ich in Baden allein war und
keinen Menschen hatte, kam mir Lust und Trieb dazu, und
ich schallte lustig den ganzen Tag."
Über Heilbronn und Öhringen, wo er schon« Tage bei
Bogers verlebte, ging es dann nach München. Aus diesem
Aufenthalt stammt seine Schnurre „Die Göttin im Gefängnis",
mit dem ernsten Hintergrund einer Verteidigung des Nackten
in der Kunst gegen törichte Prüderie und mittelalterlich«
Sinnonfeindschaft. Mit Georgine verlebte er ein paar Sommer-
1866 und 1870. Voltaire qnd Keoan.
BU
wochen in Bieberich und begleitete sie darauf nach Bonn,
wo er ebenfalls wieder ans WohnuugmieUn dachte. Abur
im Oktober 1865 linden wir ihn schließlich in Darmatadt, wo
er dann — mit einer kurzen Unterbrechung in München —
bis 1872 gelebt bat. Die Stadt hatte er näher kennen ge-
lernt, ala sein Bruder dort wohnte, und da haltr Um difl 1 D
gebung überaus Wohlgefallen. Für einen Spaziergänger
wie ihn hatten die prachtvollen Wälder in der unmittel-
baren Umgebung Darinstadts besonderen Reiz. Heidelberg
lag nahe genug, wenn ihn Menschenhunger anwandeln
sollte, und Menschen gab es, wie wir sehen werden, auch
m Darmsladt.
Strauß brauchte aber vor allem eine neue Arbeit, ein
Leben ohne eine solche war für ihn immer leer und un-
erfreulich. Diesmal aber sorgte, auch ohne sein Zutun, die
Weltgeschichte für Stoff und für Interessen, über denen
man die eigene Person vergaß. Das erste, was er in
Darmstadt erlebte, war das Jahr 1866 mit seinen großen
Ereignissen, dem Krieg, wie er sich langsam vorbereitete
und dem, was er Deutschland alles brachte. Die deutsche
Einigung war 1848 nicht zustande gekommen. Wir wissen«
auf welcher Seite Strauß damals stand. Dieser Über-
zeugung von dem moralischen Hechte Preußens auf die
Vorherrschaft in Deutschland und von der politischen Not-
wendigkeit dieser Lösung der deutschen Frage ist er
auch in der Reaktionszeit der fünfziger Jahre treu ge-
blieben. In seiner Abneigung gegen die romantische Politik
Friedrich Wilhelms IV. und gegen alle Romantik in
der Politik haben ihn die Erfahrungen jener Jahre freiln -h
nur bestärkt; darum eifert er gegen den Wiederaufbau einer
Burg auf dem Hohenstaufen, wie gegen die Wiederherstellung
des Kölner Doms, durch die den Ultramonlanen nur der
Kamm steigen werde. Hoffnungsvoll begrüßte er die Thron-
besteigung Wilhelms I. und die neue Ära, nennt aber die Art,
wiü bei der Krönung in Königsberg das monarchische
644
Elftes Kapitel
Gotteftgnadantnm betont wurde, einen „romantisch-brtidcr-
lichen Schnickschnack". »Uli dessen man ganz andere Dinge
von dem neuen Herrscher erwarte. Aber ebensowenig will
er von d*r schwarzrotgoldenen Romantik de« Frankfurter
Schützenfestes wissen: „es ist mir lange nichts von öffent-
lichen Dingen so widerwärtig gewesen'*, wir diese* Fcet.
Damals ist es rwisrh»-n Viseher und ihm auf» neue zu
luftigen politischen Auseinandersetzungen gekommen; dessen
„ewiges Cbclnehmen, Aufbegehren, Ausoiriiindnrwtzen und
WiederUbelnehmcn'* machte die Korrespondenz äußerst
schwierig, führte auch zu einer länger. m Unterbrechung
derselben. Uen Anfängen Bi&marcks stand Strauß, wie
alle Liberalen jener Tage, vor allein in Süddeutsch-
land, mißtrauisch und ablehnend gegenüber, und in der
Konfliktszeit hielt auch er es mit der opponierenden K . m
rnehrheit. „Mit Preußen ist's bis auf weiteres nichts, wie
sollt' ich mich also dafür ereifern ?" schreibt er im Mai 1863
an Viseher, fügt aber vorsichtig hinzu: „Wie es sonst werden
soll, sehe ich freilich nicht ab, man muß eben, scheint mir,
vorerst abwarten ." Und in seiner Grund Überzeugung wird Bf
dadurch nicht irre. „Da Du das fOder.-il.ive Verhältnis selhal
als ungenügend aufgibst", schreibt er ihm im Juni ,,so handelt
es sich um eine Spitze, und da hast Du freilich recht, wenn
Du sagst, die preußische mache der Widerstand der Osln
reicher, Bayern, Schwaben unmöglich. Wenn Du aber auch
den preußischen Staat an und für sich dazu unfähig nennst,
so glaube ich, daß Du ihm sehr unrecht tust. Von der der-
maligcn und allen bisherigen preußischen Regierungen i*t
es zuzugeben, aber das Volk zeigt sich ja eben jetzt von einer
so tüchtigen Seite, die selbst dem stolzen England A> htm ;
abnötigt und es faktisch, was politische Befähigung betrifft,
an die Spitze Deutachlands stellt, Wo ist denn in Österreich,
Bayern, Württemberg das Zeug zu einer solchen Kammer
wie die preußische? Daß Du das preußische Volk als eine
Mischung von Wenden, Franzosen und Juden darstellst,
18I1Ö und 1870. Voltaire und Rentin.
mV,
hat mir wirklich loid getan. Also mit Preußen geht's dermalen
ni<'l»t, weil die Regierung nichts Inugt und weil i'in Tri! der
andern Stämme nicht will; aber mit Österreich »ehe ich nlchl
ein, wie es jemals gehen soll, so lang es 1. diese überwiegenden
außerdeutschen Anhängsel hat und solange es '2. katholisch
ist. Ein katholischer Staat kann nie an der Spitie Deutsch-
lands stehen, denn er repräsentiert gerade das nicht, was
das Beste an Deutschland ist. Doch für jetzt ist alle» Reden
und Schreiben vergebens. Wir müssen erst wieder" —
fügt er prophetisch hinzu — ,,in den Tiegel, die Stunde der
Not muß kommen, da wird's dann werden, nicht wie es »oll,
sondern wie es kann, da wird nicht die Vernunft, sondern dU
Gelegenheit entscheiden."'
Auch in der Schleswig- hol»leiui»rhcu Frugi' war
er anfangs voll Mißtrauen gegen die Politik Bi*-
mareks, das zeigen uns die „Deutschen Gespräche", die
[803 in dem Beiblatt Mir Gartimluube, den Deutschen
Blättern, erschienen. Daß sich Schleswig-Holstein» Schick-
sal nur an der Spree entscheiden könne, das sah er aber
doch früher als die meisten Deutschen. Als dann der
Krieg mit Dänemark kam, atmete er auf, voll Zuversicht,
daß der Kriegsgott den Diplomalengott zwingen werde,
ihm »ein Recht zti lassen. Und nach dem Krieg freute flr
sich, daß dieser Schleswig-Holstein deutsch gemacht habe.
Auch Bisrnarck fing er an zu loben, wenn er seine verschlun-
genen Wege auch noch nicht ganz verstand — wer verstand
sie denn damals? Aach scheute er sich nicht, Preußen
zuzustimmen, daß es aus Schleswig- Holstein keinen selb-
stfindigen Bundesstaat werden lassen wollte und ver-
teidigte sogar seinen Anspruch auf die Eibherzogtümer,
weil es dieser Lander bedürfe, ..um sich zu dem Kampf.
den es Ober kur£ oder long zum Heil des großen Vaterlands
zu bestehen habe, zu starken". Freilich glaubte er, daß
erat das Ministerium Bisrnarck fallen und das verfassungs-
mäßige Recht in Preußen wiederhergestellt sein müsse,
Tb. Zlvrtar, D. rr, StrauS. II- vj
Mfl
Elfi« Kapitel
ehe es an die Losung »einer deutschen Aufgabe denken
könne.
Es kam bekanntlich anders. Der ( .kecke Minister"
hat Preußen nicht nur zur Verwirklichung dieser Aufgabe
di« Mittel geschaffen, er hat sie auch sulb.it hnrbaigvfOhrt.
Im Juli 1866 kam ee zum Krieg mit Österreich. Dieser
war auch Strauß ein Greuel, wenn er auch sonst ober
politische Moral recht realistisch gedacht hat, wio das
einmal sehr hübsch in der Besprechung einer Rede TOB
Böckh 1 ) zum Ausdruck gekommen ist: ..Holtys „Üb"
immer Treu und Redlichkeit" ist ein schöne» Liod, und Khn
dem, der es in Ausübung bringt: zum politischen Wahl-
spruch aber reicht es nicht aus; der alte Fritz wenigstens
hat es gewiß nicht auf seiner Flute gespielt, als er in Schlauen
einrückte und die Größe der preußischen Monarchie be-
gründete." Aber item, es war eine böse Sache, ein Krieg
Deutscher gegen Deutsche. Das gibt er Vischur zu, dor
damals und bis gegen 1870 hin großdeutsch gesinnt und ■■m
fanatischer Preußenfeind gewesen ist: „Allein nun er einmal
ausgebrochen ist, stelle ich mich mit meinen Wünschen
ganz, auf die Seite» der ich immer angehört habe, überzeug! .
daß ein Sieg derselben uns zwar wenig Gutes, der der anderen
aber nur Schlimmes bringen kann. Oder genauer meine ich.
ein Sieg Preußen* brüehte uns im Augenblick auch Schlimmes
ließe aber für die Zukunft doch Gutes hoffen, während un.i
von Österreich jetzt und in Zukunft nur Schlimmes komn
kann.* 1 Neun Tuge darauf faßt er in einem Brief an Rapp
sein politisches Glaubensbekenntnis kurz und bündig so
zusammen: ,,1. Deutschlands Gesamt Verfassung ist so ver-
zweifelt, daß auf dem Wege Rechtens nicht mehr, sondern nur
noch durch Gewalt zu helfen ist. 2. Diese Gewalt kann von
unten oder oben kommen. 3. Von unten wurde »in 1848
') In doT „Zeit" vom 4. April 1861. Es handelte sich nm «iao
akademische Fe&tredo lum Geburtstag des neuen Könige In dor (tun
su viel des Lobes far den verstorbenen Friedrich Wilhelm IV. war.
.1366 und 1870. Vollaip* und Renan.
647
versucht und es ist mißlungen. 4. Preußen versucht"» jetzt
von oben und es ist halb gelungen. 5. Um ganz zum Zi< !•
zu führen, müßte sich die Aktion von oben mit der von
unten kombiniert haben oder noch (wenn möglich) kom-
binieren. Anders kann ich es auch so ausdrücken: Öster-
reich hasse ich, die Mittelstaaten und ihre Politiku verachte
ich. Vor Preußen habe ich Respekt, zur Liebe langt's noch
nicht; aber meine Hoffnung für Deutschland ruht uuf Preußen.
Entweder durch Preußen oder gar nicht ist Deutschland zu
helfen." Wie dann der Krieg seinem Ende zugeht, da
sieht er zunächst nicht ohne Bangen auf die Halbheit des
Ergebnisses. Daß Sachsen nicht auch annekliert werden soll,
verdrießt ihn am meisten. „Denn mit welchem Recht will
man diejenigen verschlucken, die erst im zweiten Aufgebot
der Feinde standen, wenn man den Staat, der unter den
kleinen Feinden voranging, durchschlüpfen laßt ?" Über
die Mainlirüe äußert er sich Kuno Fischer gegenüber so:
„Die Dereliktion Süddeutschlands trifft zwar gerade mich
als Süddeutschen besonders schmerzlich; doch muß ich sagen,
es geschieht diesen Süddeutschen, in erster Linin meinen
Würtlembergern, ganz recht. Der politische Unverstand
dieser Leute ist unglaublich und hat sich auch jetzt nur
verkrochen, nicht verloren. Deutlich stellt »ich auch, wie
im Jahre 1848, wieder die Koalition von Ultramontanen
und Demokraten heraus. Die Preußen haben ein Recht,
auf diesen Süden verächtlich herabzusehen, der in allen
Krisen der Nation regelmäßig auf der unrechten Seite steht
zu Napoleons I. Zeiten bei Frankreich, 1848 bei der roten
Demokratie, 1859 und 1866 bei Österreich. Es mag ganz
heilsam sein, diese Süddeutschen vorerst noch zappeln, mm
durchbohrenden Gefühl ihres Nichts erst gründlich gelungen
zu lassen, sie eine gute Weile klopfen zu lassen, ehe ni.ni
ihnen die Tür aufmacht/' Wie eich aber die Geschicke
schließlich vollenden und die preußische Thronrede mit ihrem
Begehren der Indemnität für die budgetlose Verwaltung der
42*
MS
Elft« KtpitcL
letzten Jahne auch noch dem inneren Hadei nde
macht, da bricht rr trotl "1er Mainlinie. trotz der VersobOBSDg
Sachsen** in hellen Jubel aus: ..Große» Est erreicht, iu r
Größerem der Boden bereit« l, man kann für Deutschland
wieder hoffen. 1 ' l'irnliens S «lauf macht ihn „ungeu
glücklich". Und nnrh helehren laßt er »ich durch dir Kr-
eigniaae. „Allerdings " , MfaoKbl CT an Viacher. — und das
sind Worte, die von großer poMtWiliflf Hinsicht zeugen, —
„war rinn siegreiche Preußen nicht dasjenige, den. ich d
Sieg gewünscht hatte. Gewünscht halt« ich ihn einem libe-
i.tlrn, wahrhaft konstitutionell, u l'reußen; aber das ab 1 i
Preußen hat ihn davongetragen. Daruher könnt«- ich nun
grollen; statt dessen entnehme ich nur daraus eine ge-
schichtliche Belehrung. Bis das liberale Priniip *eine Kff
soweit zusammengefaßt, seine Rckcnncr 50 weit unter cin^n
Hut gebracht halt«, um einen tolehen Stoß gegen den Parti-
kuliirismufl zu führen, hatten wir noch hinge warten können.
Nur darum ist ihm der Absolutismus mit «einer konzen-
trierten Kraft zuvorgekommen. Das sind Tatsachen, die wir
anerkennen, nach denen wir unsere HegriuV berichtigen
müssen. " Und wie ihm schon im Jahre IftW* die Kiuhcit
wichtiger, dringender schien als die Freiheit, so fahrt er auch
jetzt wieder fort: „Kins nach dem andern! Und da ist, vi«
es scheint, die Einheit, wenigstens die Grundlegung zu .h-r
selben, das eine, die Freiheil erst das andere " Ganz be-
sonders leid tut ihm aber nachträglich die Verkenmig
Bismnrcks. Reuevoll schreibt er darüber am 27. Oktober
1866 an Frau Lewald; ,,Es würde mich nicht» kosten,
dein Grafen Bismarck auf offenem Markte jedes Wort
nlmibitten, das ich in bester Meinung, aber mangelhafter
Sachkenntnis Regen ihn gesprochen oder geschrieben habe."
So war er mit. dem Gang der Ereignisse rufriedi 1
soweit ein Süddeutscher, der sich ausgeschlossen sah. im
Jahre 1866 befriedigt sein konnte. Aber klar •• frinffl - li r,
dl 9 ilie-ne tudhe Los» 1:: eben nur 1 in Provisorium 81, « Im!
1S66 und 1870. Voltaire und Renan.
BfA
seine Uaucr einmal — BOT wenig zu kurz — auf drei Jahn»
bestimmt. Aucb personliehe Opfer forderte diese Zeit „des
unglücklichen, in sich enl/.wnteu BfiWußtMOka" von ihm.
Wie damals in jeder Stadt, in jeder Kanulie fast die Herzen
geteilt waren, so stand der Sohn de* preußenbegeisterten
Vaters als Unterarzt bei den Württembergern gegen Preußen.
Das Verhältnis zu Vischer, das seil 1848 immer labD p'\\
war. geriet in heftiges Sehwanken. Strauß schrieb ihm
darüber einmal ganz oiTon; ,,Es kannschnn unbequem worden.
oh es gleich eine Kleinigkeit ist, WWW YOU BWd r'reiinden
der eine die Leibspeise des endern nicht ausstehen kann;
noch unbequemer, wenn der eine ein liundefreund, der
andere ein Feind dieser Kreaturen i-i Wenn nun aber
gar in einer politischen Entwicklung der eine etwas Ver-
rueliles sieht, das ilin In-, zur MeiUH lieiilemdv Iiatl vrn.timii.t.
der andere etwas Großes, das ihm die Urusi zvi neuer patno
lischer Hoffnung hebt, so bedarf es der ganzen Starke alt-
verw urzeiter Freundschaft, damit einer am andern nicht
irre werde." Strauß war dabei — er halt« ea, als auf der
siegreichen Seile stehend, auch leichter — der Versöhn-
lichen-; er hat sich geradezu gelobt, daß es kein Zerwürfnis
mehr zwischen ihnen heulen ^eheti diirle, , .und nun will nh den
Teufel sehen, der doch eins anzetteln könnte 11 . So hat er
denn auch den Vorwurf ..politischen Fanatismus", den ihm
Vischer maehle. ohne Kmptiridhehkeil zurückgewiesen, ihm
denselben freilich — wie ich au* eigenerpereönlieher Erfahrung
bestatigenkaun . mit Hecht zurückgegeben. Schlimmersland
es um sein Verhältnis zu (iervmtrv Mau weiß, wie auch dieser,
und unversöhnlicher als Vischer noch über 187i> hbtttttj Üob in
seinen Groll gegen Preußen eingesponnen und verrannt hat.
harnher beriehtet Strauß au kuno Fischer am V August
1866: „Schon im vorigen Frühjahr überraschte mich Gervinus,
als ich ihn in Heidelberg wieder sprach, nicht wenig durch
seine Idee eine* selbständigen SaMttWtg-HafeUil] TOB dem
er si- b ne n Stützpunkt für eine ganz neue deutsche Politik
660
Blftc« Kapitel.
versprach. Seitdem ohne wtiUM Nachricht von ihm. seh
ich ihn vor vier Wochen, wenig« Tage vor der Schlacht bei
königgratz, hier in Darmstadt bei Tisch, im Begriff, ins
Lager de» achten Armeekorps abzureisen, »im sich von der
dort hingehenden Stimmung zu überzeugen, die aeinige war
mo, daß er gegen den „schfindluhmi Raub" Schleswig-Holstein»
«ehnaubte und sich vermaß, er hnttc nichts dagegen, wenn bei
dieser Gelegenheit Preußen „zerkrümelt" würde. Eine böse
•vn-kgaase für einen Geschichtachrciber des neunzehnten Jahr-
hunderts." So gingen hier die Wege rettungslos auseinander.
Duß aber Strauß trotz dieser schweren Differenz dem allen
Freund die Treue gehalten hat, das zeigt, was er bei seil
Tode am 18. März 1871 über ihn schreibt: „Vorgestern
ich in Heidelberg bei der Leiche von Gervinua. Es war
überaus betrübender Fall. Daß der ausgezeichnete Mann eben
jetzt sterben mußte, so unversöhnt mit der Zeit und notwendig
verkannt von den Zeitgenossen, die langer Besinnung nötig
haben werden, um für sein Verdienst die richtige Würdigung
zu gewinnen, fiel mir schwer aufs Herz. Die Stadt war beflaggt
für die heimkehrenden Truppen, da ging die Leiche so ignoriert
nebenher. Wie nichts der einzelne, selbst der Bedeutendste,
dem Ganzen gegenüber ist, davon hatte man ein nieder-
schlagendes Gefühl."
Das Jahr 1866 war ein politisches Jahr, das zu ruhigem
Studieren wenig geeignet war. Auch wußte Strauß für das
Was einer neuen Arbeit im Augenblick noch keine Antwort.
Der theologische Faden war wieder einmal abgerissen. Sein
Interesse für theologische Dinge, das glaubte er bei der
Arbeit der letzten Jahre bemerkt zu haben, war nur noch
ein beschränktes. Früher hatte ihn an dem Studium am -h
des ihm Antipathischen der polemische Eifer festgehnlten,
jetzt überwog der Ekel an dem vielen Abgeschmackten
und Erlogenen joden Antrieb, sich näher darauf einzulassen.
Und doch schwebte ihm ein, wenigstens halb theologische»
Werk vor, die populäre Umarbeitung seiner Glaubenalehro
18GG und 1807. Voltaire und Keaan.
05]
als letztwilliges Glaubensbekenntnis eines Denkenden unserer
Tage» jenes Zusammenfassende, das ihm der Bruder so oft
ans Herz gelegt hatte und wofür er das Leben Jesu für das
Volk nur als Abschlagszahlung hatte gelten lassen wollen.
Aber ein anderes drängle sieh vor. Durch den national-
liberalen Politiker Metz, mit dem er in Darmstadt verkehrte,
wurde er im Zusammenhang mit den Ereignissen von 1866
auf Adolf Schmidts Geschichte der preußisch-deutschen
Unionsbestrebungen seit der Zeit Friedrichs des Großen hin-
gewiesen. Das führte weiter zu immer eingehendem^ I .cl< Lora
von historischen Werken aus dem Gebiet der preußischen
Geschichte, die er zuerst in Darmsladt, dann im Winter
1867 auf 1868 in München eifrig betrieb. Dabei interessierte
ihn mehr und mehr Friedrich der Große und seine Zeit, er
las die Monographien von Preuß, insbesondere auch dessen
Schrift ,, Friedrich der Große als Schriftsteller*', und griff
dann endlich zu den Werken Friedrichs selbst, zuerst zu
seinem Briefwechsel mit Voltaire. Auch das Erscheinen
und die Lektüre von Rosenkranz* „Diderots Leben und
Werke" — „eine köstliche Geistes- und Herzensnahrung' 4 —
fallt in dieselbe Zeit.
Damit war er ja nun wieder bei seiner geliebten Auf-
klärung, deren größter Vertreter wie in Deutschland Lessing,
so in Frankreich Voltaire gewesen war. Ihn kannte er bis
dahin nur wenig. In seinen jungen Jahren lag er für ihn im
Schatten der Geringschätzung, die vonseiten der romantischen
Philosophie, in der er aufgewachsen war, die Aufklärung
traf; später hatte ihm zwar bei seinen kritischen Bemühungen
der Vorschub nicht entgehen können, den die Vertreter dieser
Richtung demjenigen geleistet hatten, was er erstrebte;
er hatte die englischen Deisteu schätzen, Reimams verehren
und lieben gelernt. Aber immer blieb diesen mehr oder minder
ernsten wissenschaftlichen Männern gegenüber der frivole
Spötter gomieden auf der Seite liegen. Und nicht allein,
daß er Voltaire in der Hauptsache nicht kannte, selbst das,
66a
Etftai KiptUi
was or von ihm kannte. »Und ihm toi Strauß iraWege. An
■ ui.ni Cbtrifli XII. hall»- rr wie herkömmlich da* bißchen
Franzosisch gelernt, das er wußte: von dem zu solchem
Zwecke gelesenen Buche blieb ihm MtArlicti kein Kmdruck
Später halte er uuf Empfehlung »eine- Brüdern der ein
großer Voltaire- Verehrer war, den Candide gelesen:
dem Schiller nijcr hochgc*tinimten idealistischen Philoeotiiiir
der er damals wer, mußt der Voltairesche Horuan seicht
erscheinen. Nun lernte er seine Briefe an Priedriet den
Großen kennen. Wenn er durch irgendeine \il von Schrift-
werken für einen Autor zu gewinnen war. so waren ee
Briefe; so haben ihn auch für Voltaire dessen Briefe ge-
wonnen. Er las sich zuerst in MOnohon, denn m Danneiftdl
wohin er im Frühjahr 18tiS zurückkehrte, in die 70 BntinV
«einer Werke ein und schließlich durch *üe durch und be-
schloß, nicht für das Publikum, auf das er »eil dir ,\uf-
riahme seine* Lehen* Jesu tm-ht eben gut zu sprechen wer,
weil es ihm einen Schenkel vorgewogen hatte, sondern für
■'■Mir 1'orhler ein kleines Leben Voltaire. 1 - /u scluvilieii W.t-
jetzt als dritte Beilage dem ..Voltaire" angefügt ist: Voltaire
und Marie Corneille oder der Patriarch von Ferney als Pflege-
vater und Ehestifter", dos war die Keimzelle seiner Ynlt..
Iiingraphie
Zu dieser kam nun aber noch ein Anstoß von außen.
In Dannstadt lebte als Gemahlin des Erbprinzen Ludwig
von Hessen die PrinsesHin Aliee, eine Tochter defl Prinz-
gemahls Albert und der Konigin Victoria von England.
Schwester der spateren Kaiserin Friedrich. Diese M l
waren durch ihren Vnl.i-r undei-n er/ogen, al- tonst wohl
Prinzessinnen er/.ogen zu werden pflegen, voll geistiger Inter-
essen, ohne religiöse und politisch.? Vorurteile, freidnnkond
und froigehtunt im besinn Sinne den Worts. Daher wünschte
die freigeistige Prinzessin Strauß, der ja, wie sie, in Dji
stadt lebte, kennen zu lernen und schickte ihren Sekreten?
zu ihm, um wegen eines Besuches, den er bei ihr machen sollte».
H6A und I8;0. VolUm und It-nan. 663
zu im trr bandeln. Ich. erzihlt er seinvra Freund Fischer
in Öhringen, „an oin wirkliche* Interesse hoher Haupt*r
fOr unseroinr* absolut ungläubig, wehrte mirh */• Stunden
und hatte auch nicht nachgegeben, wtmn'sein Prin* gewesen
wäre; aber einer Dame gegenüber erschien die bvharrliche
\\ i-igerung als Kuslizität, die ich auf den deutschen Ge-
lehrten nicht kommen lassen durfte. Ging also hin. abgo-
r •'di'iiM-ruaßeii in meinem gewöhnlichen Atmig, ui\t\ fand
mich sehr angesprochen. Das natürlichste, offenste Wesen,
dem gegenüber man sich gleich in gemütlicher Stimmung
findet. Der Vuter hat sie und die allere. Schwester (die
damalige deutsche Kronprinzessin) selbst nach einem popu-
lären Lehrbuch des seligen BrcLachneider in der Keligion
unterrichtet und zum I lenken und Zweifeln angeleitet
Dadurch ist sie und die Schwester in Berlin auf einen ganz
freien Standpunkt gelangt, wovon über Frau Minna nicht*
wissen darf." Strauß hielt diese Bekanntschaft nittSt nur
für eine „hübsche Episode" Aber es wurde mehr. Die beiden
Menschen fandun lebhaftes Wohlgefallen aneinander, und so
etilHtand zwischen ihnen wtrkluhr f "r. 1 1 n< l-< )i;i ft AI-. Bf
nach Manchen gebt, muß er ihr ein Wort in ihr Album
abreiben und ihr seine Photographie zurücklassen; als er
wieder nach I larmsl :uli zurückkommt, wird der Verkehr
wieder aufgenommen und eifrig fortgesetzt, auch sie besucht
ihn mit ihrer Hofdame auf seinem Kimmer. Der Tusso wird
mit verteilten Knllen gelesen, woran uueh dflT Prinz teilnahm
und dahei war es rührend, wie sie mit grünen Lampen- und
Lichtschirmen für seine Augen sorgte. So dürfen wir ihm
glauben, wenn er schreibt: ..Ich habe viel Krlrischung von
diesem Verkehr". Auch mit ihrer Schwest.-i nn.l .In n
Mann, dum Kronprinzen, späterem Kaiser Friedrich, ist er
durrh sie bekannt gemacht worden, Ihirüher erzahli »t ihr
Schwagerin am 17. Oktober 1860: „Diese Woche waren die
preuUischm Herrschaften hier, und gleich am erslmi Abend
stellte mich die Prinzessin ihrer S-hwesler und Schwager vor,
654
Elftes Kapitel.
D« Kmpfaitg war ein Mbf IVcumlii-hrr. die kronpnnzMlin
ist nichts weniger als slolx, sondern gemütlich und behaglnh.
clor Kronprinz Riit und verständig. Die Audienz dauert*')
Über «ine Stunde, und ich wurde schließlich eingeladen,
mich bald einmal in Berlin »eben tu lassen. Für da« künftige
Selucksal Preußen» und Deutschlands istnürdw FirkannUchaft
dieses hohen Paares Äußerst erfrculi'h und hoffnPPfflflboad**.
So lächelte dem Sechzigjahngen die Hofgunst; doch meint
er dazu. „das Schönste au der Sache ist doch, daß ich dabei
keinen persönlichen Wunsch für mich hübe, sondern den
Herrschaften wie Diogenes dem Alexander gegenüberstehe.* 4
Von der Kronprinzessin hat er noch auf seinem letzten
Krankenlager gesagt: , .Meines Geistes hat sie einen Hauch
verspürt: es soll mich freuen, wenn er kein ganz fluchtiger
gewesen." Daß durch den frühen Tod Kaiser Friedrich! dieses
SlrauUisehen Geistes Hauch in Deutschland nicht 7.11 Kinfluß
gekommen ist, hat vor allem der kirchliche und religiöse
Liberalismus als einen welthistorischen Ausfall zu beklagen.
Statt der Aufklärung kam die Romantik.
Strauß aber hatte nun sein Publikum für den „Voll«
— die Prinzessin Alice. Für sie etwas über Voltnire nieder-
zuschreiben, ihr es vorzulesen, war ein Gedanke, der etwa»
Lockendes für ihn hatte. Und so ist denn für sie der Voltaire
im Herbst 1869 geschrieben und ihr dann sofort un Januar 1870
jeden zweiten Tag 1 — 1 *£ Stunden aus dem Manuskript vor-
gelesen worden. Da sie gerade Krankenpflegerin ihres Gemahls
und eines Kindes war, so war ihr diese Unterhaltung am Abend
sehr erwünscht, Sie war ihm eine ebenso beharrliche als
empfangliche Zuhörerin. In sieben Abenden kam er damit
zustande, für den Druck hat er die ,, Vortrüge'* dann noch
etwas erweitert und in deren sechse geteilt im Juni 1870 als
Buch erscheinen lassen. Dieser Entstehung entsprach die
Widmung: „Ihrer Königlichen Hoheit Alice, Pri&MÜ
Ludwig von Hessen, Prinzessin von Großbritannien und Irland,
für die sie geschrieben, von der sie freundlich angehört wurden.
1866 gnd 187$. Voltaire und Renan.
KG
widmet nun die gedruckten Vortrüge nhrfiirchtsvoll und treu
ergeben der Verfasser." Wir müssen es der Prinzessin hoch
anrechnen, daß sie vorurteilslos genug war, ein Buch Über
Voltaire, das David Friedrich Strauß 7.urn Verfnusnr hatte,
sich von diesem widmen zu lassen. Die Widmung selbst hat
Übrigens eine kleine Geschichte. Die Initiative dazu ist
von der Prinzessin ausgegangen. Eines Tages — es war im
April 1870 — dankte sie Strauß für den ..Halt, den sie an
ihm gefunden habe*', worauf er bescheiden erwiderte, auch er
habe ihr vieles zu danken, z. B. wäre der Voltaire ohne
sie nicht zustande gekommen. Darauf die Prinzessin:
Es wäre hübsch, wenn Sie mir ihn dedizierten. Er: Darum
Sie zu bitton, K. 11., war auch ursprünglich meirm Absicht;
aHein ich dachte an den Anstoß, den die Schrift sicher
geben wird, und darein möchte ich E. K. H. nicht ver-
wickeln. Sie: Aus grundlosem Anstoß mache ich mir
nichts; meine Schwester tut's, ohne doch etwas dadurch zu
gewinnen 1 ). Ich: Beschließen wir wenigstens noch nichts,
ehe E. K. H. sich mit Ihrem Herrn Gemahl in der Sache
besprochen haben. Sie: Da haben Sie recht, das will ich tun.
Strauß war trotz dieser „allerliebsten Verhandlung" ent-
schlossen, das Projekt mit der Dedikaüon der Prinzessin
auszureden: ihr würde es Freude machen, ihm natürlich
auch, aber ihr ganz gewiß auch Verdruß, und den ihr zu
ersparen hielt er für seine Pflicht. So stellte er ihr — am
40. Juni — noch einmal alles Bedenkliche vor. Allein ee
half nichts, am folgenden Tage schrieb sie ihm: „Der WVrt,
der für sie darin liege, die Dedikution eines Buches anzu-
nehmen, welches so teure Erinnerungen für sie in sieh berge
(die Erinnerung an die genußreichen Abende, an denen
ihr Strauß den Voltaire vorgelesen), werde stets größer lata
als irgendeine Unannehmlichkeit, die möglicherweise lür
sie daraus entstehen könnte." Auch ihr Mann, der die ge-
») Wie recht die Pnnxwsin damit hatte, teigte dai Jahr 1888.
€ö6
Elfte» Kapita
fährlichatcu Süllen des Buch*» in den Aushängebogen gcleeeo
hallo, war damit dnvmWlldttl I IIb Prinwwin konnte stolz
wir», daß sie die einrißt war, der SlrauU eine* seiner
Uur-hor gewidmet hat '). und daß ihr .Name für all*
mit diesem Werke verknüplt ist. Aber auch für Strauß
war diese* Buch hinfort unzertrennlich verbunden rnil der
Knnueruny an dies«? Frau und damit an eine der erfreulichstiri
iiml rin'11-.rhhch eobAOBlftO Betiehaogen seines I^tbon*.
Das Buch brachte ihn nun auch wieder in Kontakt
mit dem Publikum, an das er bei der Abfassung desselben
■0 wenig .'il- tnotflwli gedacht hatte, und zwar bildete diesmal
nicht nur sein deutsches Volk, mindern wir wir gleich hören
werden, auch die gebildeten Franzosen dieses Publikum.
Die Vortrag" dil.eli (ilüek, kaum wnirn :-e r\ rluriirii, so
war auch schon — trotz des Krieges — eine «weile Anflage
nötig. Diesen Erfolg hat der „Voltaire" aber auch vollauf
verdient. Es war auch diesmal wieder eine echte Biograph-
eine Monographie nach Strnußens Art, keine Schilderung des
Milieus, der Zeit und der Kullurepoche im ganten, sondern
das Bild eines Monschen. Ausdrücklich erklärte or, daß er
sich in betreff der Zeil und der Zeitgenemn Voluii
Schranken gesetzt und die Nebenpersonen als Nebenpersonen
behandelt halte. Aber jener eine, um den sieh alles ilrehl,
war mehr noch ajs seinerreit Multen der typische Vertreter
seines Volkes und der ganzen Kulturepoche, der er angehui i
Wie er selbst in dieser wurselt, bo hat er sie und sein ganzes
Zeitalter geistig beherrscht und nach sieh bestimmt. \
vom Preußen Friedrichs des Großen, so dürfen wir um
Mitte de* achtzehnten Jahrhundert* v Fumkreieh Vol-
taires reden. So erwies sich Strauß im Gegensatz zu den
MiliiMis.-ltild.'ivrii einer demokratisch und sozialistisch go-
wordenen Zeil auch jetzt wieder als der Vertn tei je
*) Die Widmung dir. xwrti» -n 1 Ihm- Jt*u hat ja «Im linidrr
iiu.ht mehr L-licml erreicht.
!86t) und 1870. Voltaire und Konun.
667
neuhtminnislischen Ideals «Iit iinlividiialhilduni;, dflno un-
vergleichlichen Typus Goethe Eo seinem Wilhelm Meister
geechaffeu und geschildert hat. Wie Ih'idie-eiu.so wuraboi auch
bni Strauß, infolge seiner iwihei t6D Stellung itinl BflfsQrkontmi
plativen. von allem Eingreifen in dir Weltnhgnkrhrten I^ebens-
führung, diese Bildung immer mehr eine ästhetische geworden.
Daraus erklärt sieh uns im /.weilen Leben Jr:-u ilie starke Re-
tonung des Hellen und Nationalen, OuM Humanen und
Harmonischen» der schönen Natur in Jesus. Und diese»
Ästhetisch« zeigt, sich j'Ul im „Voltaire 41 schon fiuBoriSoh in
iler schönen Form, Hie du* lliichldn zu einer wahren Perle
biographischer Kunst, .lureh Stil und Komposition zu einem
Schmuckstück und Kunstwerk allerersten Hange* ma< M ÜB
ist nicht das Größte und Beste. nicht das Wuchtigste und
Eindrucksvollste, aber es ist weitaus das Schönste, was
Strauß geschrieben hat.
l.'nd i*s ist auch ein historiaoh^yohologisebea Meister-
werk. Die Cliarakteristik dieses komplizierten Menschen mit
den beiden Seelen in seiner l'eusl , einer ganz hohen und großen
und freien auf der einen und einer ganz kleinen, ja geradezu
gemeinen auf der andern Seite, ist durchaus gelungen, —
gelungen auch jel/.t wieder wir bei Bütten «lureh die absolute
EEfaffiohkdl und Wahrhaftigkeit, mit der Strauß nichts
verbirgt und nichts beschönigt. Offen gibt er in den Schluß-
betrachtungen zu, daß uns, wenn wir auf das Leben Voltaire*
»•inen Rürkhliek werfen, von seinem Wesen ein starker Krden-
rest bleibt, von dem wir mit den Engeln inj zweiten TWI
des Kaust sagen müssen: ,,er ist nicht ivinlirlr. Aber
auch fflr seine Fehler muß man den richtigen Gesichtspunkt
suchen, man darf sie, wie Spinozu forderte, nicht bejammei B
oder verheben, geringschötzen oder verwünschen, du
muß sie verstehen wollen. Und dn ergibt sieh, daß sie
teils als natürliche Wirkungen Nfaer Zeit und ihrer
Vorbildung, leiK soLpir »\y Mittel zu ihrer l mbildung er
kl ii'-inen. Wus die Zeit bedurfte, war nicht eiii reinen.
658
Elft» Kapitel.
ruhiges Licht, sondern ein flackernd«, funkensprübende*
Feuer. Es war jetzt nicht durum zu tun, «ino neun Wahrheit
aus dm Tiefen der Natur und des mffWlMWUB (Jn i
heraufzuholen, sondern die erkannte zu verbreiten, sie für
die weitesten Kreise verständlich und BiHiThtlvfl n muehen
und ganz besonders alles, was ihr« Ausbreitung hindert«,
das Verlebte und Verrottete, Mißbrauche und Vorurteil*
aus dem Wege zu räumen. Er&lwes Eisschicht nm besten
durch leichten, anmutigen Vortrag, letzteres durch Soherz
und Spott: und wer war in beiden ein größerer Meister als
Voltaire? Das Geschäft muß aber auf vielen Punkten an-
gegriffen und die Anlaufe in immer wieder anderer Art —
zur Abwechslung wohl auch einmal mit stürmender Leiden-
schaft — unablässig wiederholt werden: wer war vielge-
staltiger, allgegenwärtiger, unermüdlicher als Voltaire? Wie
wäre aber diese Beweglichkeit ohne Reizbarkeit mögli --h.
wie wäre mit dem Spott und Hohn, dem Zorn und Haß ein
ruhiger Ernst, eine würdige Haltung vereinbur gffNMi
Ich sage nur, daß selbst Voltaires Fehler zum Teil Mittel
für sein Wirken, ich sage nicht, daß sie darum keine person-
lichen Fehler gewesen sind. Daß sie dies in der Tal waren,
zeigt sich darin, daß sie sich als solche bestraft haben. Unter
seiner Eitelkeit, Rachsucht, Habsucht hat Voltaire selbst
am meisten gelitten. Er lebte selten im Vollgefühl »einer
Kraft, seines Wirkens, seines Wertes; die meiste Zeit seines
Lebens war er in der Pein um untergeordnete, oft ganz un-
würdige Zwecke befangen. Er ist, wie wir alle, nur so weil
glücklich gewesen, als er gut gewesen ist." Wenn man sich
so gesugt hat, was sterblich und verwerflich an ihm war,
kann man sich „um so rückhaltloser der Bewunderung seiner
Geistesgaben, der Anerkennung seiner Leistungen überlassen:
er hat sein Pfund nicht vergraben, sondern damit gewuchert
wie — mit seinem Vermögen; er hat gearbeitet wie wenige,
und Arbeit verdient immer Hochachtung; gewirkt aber bat
er wie noch wenigere, und da er auch für uns gewirkt hat.
1166 und 1870. Voltairn und Renan. »!:".!#
verdient er vor vielen unsorn Dunk." So hat un& Slrnuß
Voltaire verstehen gelehrt, und wir halten da* Bild, da» er
uns von dem merkwürdigen MoumMu-u gemellMt hat, noch
heute für richtig und für UttoriiOll treu, wirklieh für ein
Bild, das sine ira et studio entworfen ist 1 )-
.Natürlich ist es diesmal nicht wie bei den früheren Hehlen
der Straußischen Biographien der Gegensatz zwischen Dar-
steller und Dargestelltem, der uns zuerst ins Auge fallt.
Nicht das Gegensätzliche, sondern das Verwandte an Vol-
taire hat ihn angezogen. Dieser war ein Aufklärer und Be-
freier der Menschheit, ein Vorkampfer für Geistesfreihoit,
ein Erlöser aus den Banden des Aberglaubens und des
Vorurteils, ein kühner Streiter gogen Intoleranz und Kirchen-
tum, ein unerschrockener Verteidiger von Wahrheit und
Gerechtigkeit: das alles war Strauß auch, und durum lühltn
er sich innerlich aufgefordert, über ihn zu schreiben. Der
Erdenrest zu tragen peinlich, der Gegensatz in Charakter
und Gemütsart mußte dabei hingenommen und vor allem,
er mußte erklärt und verstanden worden. So war es für
d.-n I -vrhologtD --ine ].>.:k.-n.K> Anilin'
Im Mittelpunkt des Ganzen steht die Schilderung von
Voltaire» Freundschaft mit Friedrich dem Großen und von
dem jfthen Abbruch dieser Beziehung: sie ist gleich meiftter-
huft durch ihre Durchsichtigkeit wie durch das gerecht
Altwögende im Urteil über die beiden Träger des Konflikts.
Richtig und fein ist auch die Würdigung Voltaires als Philo-
sophen im fünftcu Vortrag, und menschlich warm und
schön das Schlußkapitel über den Patriarchen in Fernoy.
M Einnn Schritt Über Strauß hinaua dürfen wir wohl von der in
AuMicbt »tollenden Voltaire - Biographie von Paul Salt murin ar-
wartpn: auch sii* wird Irrilirh das Bild niuhl fludurii. hup viirtiitfiui
und mit «tMf Fülle von weiteren Zügen auutAtUn. Oani wertlo*
ist diu Arbeit von J. Popper über Voltnir«.' (1905). Scmo An-
griff* auT StrauU habn ich in einer Besprechung dta Buchen In der
Frankfurter Ztg. vom 14. Januar 1906 abgewehrt.
MI
Oft« Kapiiel.
Der Beurteilung der historischen und poetischen Werke
im TAViilrn md werten \"ilrag kommt es natürlich zugute.
Hau «eh Strnuß Bdbal auch auf dem «'„■]. iet de Historie
und Literaturgeschichte gründlich heimisch gemacht und
•. iTMichl, von Leasing zu dieser, von SchUwKer und Qu
vinu!» aus zu jener Seite »einen Schaffens mcIi den Zugang
n , iiii„^-.'n hatte und daran den Lebtufigafl dei großen
Franzosen in Anerkennung und Kritik thuchiius gorcrlit
werden konnte.
Der be9te Beweis aber für den Wert dfoaes Buche»
niiii's Deutschen über li'ti französischsten aller Franzosen
ixt der, daß es nicht bloß hei uns als ein uuuhcr-
troftenes Kunstwerk angesehen und geschätzt wird.
Banden daß auch die gebildetem Franzosen voll Be-
wunderung waren und sind über dieses Buch voll Ksprit,
Charme und feinfühligem Verständnis für den Genius
limr Nation und für diesen glänzendsten Vertreter de»
spezifisch französischen Geistes. Zu ihnen gehörte auch
Einest Renan, mit dem Strauß durch die Vermittlung
HON jüngeren Freundes und enthusiastischen Verehrer*,
Chartas Riller in Morges, in persönliche Beziehung gekouuu
war. Ritter war mit der Übersetzung einiger kleinerer
Schriften von Strauß ins Französische beschäftigt.
SHinte-Beuve interessierte sich dafür und sprach auch
Renan davon, worauf dieser sich aus freien Stocken erbot,
eine Vnrrodc zu dem Buch zu schreiben und es so mit seinein
Namen bei dem französischen Publikum einzuführen E»
war dies wohl der Dank für die freundlichen Worte, i
denen Strnuß in der Vorrede zum Leben Jesu seinem fran-
zösischen »Rivalen" über den Rhein hinüber die Hand zum
Gruß entgegengestreckt, hatte. Darauf glaubte Strauß
sich nichts zu vergeben, wenn er ihm nun nach dem RreeJiwnun
de-. ,, Voltaire'* ein Exemplar desselben zusandte. NalÖi
dankte ihm Renan für das scharmante Buch. Er schreibt:
„Pi'U dolectures m'ont fait auLaut de plnisär qiH cello de
1866 und 1870. Voltaire und Renan.
fi6l
ces pages pleines d'espnt, de finesse et de taclc. oü U vnl
carAcUrc de notre grand homme de XVIII" sieele, ri »r.uvcnl
meconnu. est udmirableuient retabli. Voltaire a, duua »es
qualites et »es defaut*, des cötes si profondöment frangais
qu'il pouvnit acmbler impossihle qu'un etranger no commlt
pas Hl le jugument quelque gaucliene." Aber D6ÜLI
„Votis avi-/. uumtIiO ;i Iravers ces dangers avec un tquffibffl
parfait. Votre livre est la verite meme."
Der Brief, der diese Wurlr ent hielt, war datiert vum
31. Juli 1870: seit 14 Tagen lagen Deutschland und
Frankreich miteinander im Krieg. Natürlich kam Renan
in »einem Brief aucli daraul xu sprechen. Er stellte sich
gewissermaßen auf eine über beide Parteien hinaualiegendo
Höhe, beanspruchte für Leute, wie er und Strauß waren,
weit bürgerlich eine Art neutraler Stellung und wollte, ach» in
bar unparteiisch» die Schuld an diesem Kriege an beide
Nationen zu gleichen Hälften verteilen. ,,Vous pensez san*
doute comme moi". schrieb er. ,.que le devoir de Tami de la
justice et de la verile est, tout DB remplissant sc* devoirs
n tous les degres, de se degager du pntriotisme iHroit qui
relrecit le coeur et fausse le jugement." Das konnte Strauß,
der in diesem Augenblick nicht weltbürgerlieh, sondern gftDfl
nur deutsch-national empfand \ind empfinden wollte, in
Frankreich und seinem Kaiser die Schuldigen sah und von
iu'Min Krieg die Krfullung «einer patriotischen und nationalen
Wdnsehe erwartete, nicht, ruhig hinnehmen und damit den
Schein auf sich laden, als ob er Renan zustimme. Am Boden-
sen, wo er eben mit Rapp sich aufhielt, entwarf er nach der
Abreise dos Freundes die Antwort und gab nie am 12. August
1870 als offenen Brief in die Presse (Allgemeine Zeitung).
In vrrbiiKlliilislir Komi, aber ganz entschieden trat er der
in dienern Augenblick doch recht duplizierten und blasierten
Unparteilichkeit Runans entgegen. In kurzem historischen
I 1 !, erblick ging er auf die hinge politische Ohnmacht l)eut*ch-
huulfl und auf seine wiederholten Versuche ein, aus der
TV z»<t», il fr. au«« u.
43
662
ElfUa KapiUt
/ N rifticnheit zur Einhell n kommen. Dabei wies er auf den
..Wolkenmann" hin, dem man 1S49 die deutsche Kaiser-
krone angeboten, der aber darin wenigstens die richtige
KiniH-hi ^cTMiifi habe, daß er weder eich für den rechten
Trager noch diese Krone für *ine tragbare erkannte. J»*txi
aber moi in Herrn von Bismarck ein Mann vom rechten
längt an du* roohtfl Stelle gekommen, tim dem Zustand rin
Knde zu machen, indem ein Pferd vor, ein anderes von
y\ru lirr Starke Junten vorgespannt gewesen; er hübe die
Strang** verhauen, die das hmi n n- i rmte Pferd roll
dem deutschen Wagen verbanden. ,,Wir hatUa di« Biniguuj
Deutschlands von der Idee, von dem Wunsche des Volkes.
den Gedankon Beiner beaten Manner aus zustande bringen
wollen: jetzt war sie von seilen der realen Macht, durch Blui
und Bisen augebuhnt. Es hat Zeit gebraucht, bis der deutr-
Idealismus, bis auch der deutsche Eigensinn sieh mit d
Gegebenen versöhnte; aber die Macht, ich möchte »o^ert die
Vernunft dieses Gegebenen war so unwiderstehlich, daß dir
bessere Hinsicht in kürzester Frist die erfreulichsten Fort-
schritte gemacht hat." Das alles ist eine Sache, die die Deut-
schen unter sich abzumachen haben ; wenn BUI tith im eigen- D
Hause wohnlich einrichten, so geht das den Nachbar
nichts an. Aber Frankreich soh scheel dazu, dns Hau»
schien den Franzosen zu stattlich zu werden, sie wo!
in der ganzen Straße das schönste und höchste be-
sitzen, und vor allem durfte das der Deutschen nirht
zu fest werden, sie sollten es nicht verschließen
können. Oder anders ausgedrückt: Frankreich wnltir
seinen europäischen Primnt nicht aulgeben, darum surlii.
ee die deutsch* Einheit zu hintertreiben. Das ist i
Anmaßung und ist das Unrecht Frankreichs. Um WM
ringen, ist dagegen einzig die Gleichbererhtiijung und ,
Sicherheit, daß fortan nicht mehr ein unruhiger .Vnhb.ir
nach Belieben uns in den Arbeiten ilr Friedens stören und
der Früehte unseres Fleißes berauhen kann".
1866 und 1870. Voltaire und Renan.
6Ö3
Renan antwortete darauf nicht ohne eine deutlich
spürbare Empfindlichkeit und Gereiztheit. Er wollte auch
jetzt wieder für die ,, entfernten Kriegsursachon" die Schuld
zwischen der franfösischen und der preußischen Regierung
,, beinahe gleich" teilen und beteuerte die Friedensliebe
Frankreichs, gab aber dann doch zu, daß es „tausendmal
Unrecht gehabt habe, sich der inneren Entwicklung Deutsch-
lands widersetzen zu wollen". Das war aber nur der Vordersatz
zu seinem lebhatten Protest gegen eine etwaige Anne\
von Elsaß-Lothringen. ,,llat man die Absicht, Frankreich
zugrunde zu richten, nichts besser erdacht als ein solcher
Plan; verstümmelt wDrde Frankreich in Krämpfe geraten
und zugrunde gehen.'* Dagegen verlangt er eine europäische
Intervention, der Friede könne nur das Werk Europas »ein,
das wollen muß. daß kein Glied der europaischen Kam die
allzusehr geschwächt werde. Europa müsse von neuem
,.die gegenwärtigen Grenzen" sanktionieren und jedem Teil
untersagen, an eine Verrückung der durch die „alten \<t
träge" gesetzten Marksteine zu denken. Jede andere Lösung
wurde das Tor offen lassen für Rachehandlungen ohne Ende.
Dieser Brief war vom 13. September datiert, also schon
nach dem Tage von Sedan geschrieben. Da war es Strauß
leicht, in einem zweiten offenen Sendschreiben vom 29. Sep-
tember, also in den Tagen der Übergabe von Straßburg»
die naive Cberhebung Rennns, der sich hier so ganz als Fran-
zose gab und bei allem guten Willen für die Entwicklung
Deutschlands so g«r kein Verständnis zeigte, mil Scharfe
zurückzuweisen. Renan hatte die Franzosen friedliebend
genannt. Aber woher kommt denn, fragt Strauß, „der
Zauber, welchen der Ruf nach der Rheingrenze immer wieder
auf Frankreich ausübt ? woher die sonderbare Vorstellung.
daß es nullt blofi für Waterloo, das ihm eint- .Niederlage
und den midiflllligHn Sturz des ersten Kaiserreich:- I dl ; -einer
Herrlichkeit hruchte. hindern muh für Sadnwn, wo en keinen
Mann und keinen rußbreit Lande« verlor, Genugtuung.
43*
664
Elftes KapiUL
Bach« tu nehmen habe? Woher andere als daher, daß zu
den oflenen Wunden Frankreich! u • ni bloft, wej Sir- als
solch«; bezeichnen, der BfaDBgtl einer allgemein ;iiifik*nntcri
Dynastie, sondern gunr besondere auch diese kruiikliaft
reizbare Eifersucht Deut*rhland gegenüber gehört?" Wenn
abw Renon nach einr-m Artikel in der Hevue de» deux niondee
unter den durch alte Vertrage festgesetzten Grenzen nicht
eigentlich die gegen w artigen, sondern die weiter gesteekun
von 18! \ verstand und somit Cur Frankreich die erst 1815
deutsch ^i"\v*H'iltrnri Gebiete vim l.midiiii um] S-uii'nnie.
reklamierte, »o wallte dem Deutschen doch Mio Blut, und ar
rief: „Das sollte Frankreich» Buße für den freventlich
begonnenen Krieg, das der Prefe unserer glonvi -in m ibev
blutigen Siege sein, daß wir gar noch ein Stock Land her.
gebüji. .in den besiegten Angreifer herausgeben müßten!
NeSn« wenn selbst ein su billig il< nkriuiiT Mann wie Er»
Renan dem von ihm befürworteten Schiedsgericht einen
solchen Vorschlag unterlegen kann, t>o sind wir vollauf ge-
rechtfertigt, wenn wir darauf bestehen, wie wir den Krieg
«Hein jzeffihrt, so auch die Friedensbedingungen ausschließ-
lich selbst zu dikt i iitjii.** Nicht ohne Ironie weist er die
Krieden [ireili^ zuniek \<m eim-m Mittle ■■! de«. Vulke.. du*
»eit Jnhrhundertcn die europäische Kriegsfackel in Händen
hielt, und urklürt oflon, er seinerseits hatte vielmehr Lu&t.
Hein Krieg allerlei Gute* nachzusagen. „Solein- Km-'i .
welche die Völkor zur Abwehr fremder Einfülle und zur
Wahrung ihrer bedrohton Unabhängigkeit unternehmen,
hüben regelmäßig einen Aufschwung des natiumil« • I.« !>■
zur Folge gehabt, von den Perserkriegen der Griechen an
bis zu uii&ern deutschen Befreiungskriegen und bis zu dein
jetzigen, von dum wir für unsere innere Angelegenheiten djfl
Beste zu hoffen schon heute berechtigt sind." Und nun
wendet er sich — es war dies der Nachklang einer Unter-
haltung mit der Prinzessin Alice — zum Schluß an W B6
deutschen Landslcute. Ganz offen redet er hier vom Gegensatz
1866 und 1»:". VoiUif* und Renan.
Hl
zwischen Nord und Süd, von der Unliebenswurdigkeit des
spezifisch preußischen Wesens und vom Fiirtikularismus seiner
süddeutschen l.arulsleute und wci*t den -■/■ ^eiiübcr imf die
Aufgahe hin, die nun, wenn der Friede geschlossen ist, im
eigenen Hause als dio schwerste erat noch KU losen ist. „Cin-
steigen! Kinsteigen! ruft's, wenn der Zug der BiifiTlfrfttffl im
Abfahren begriffen ist und einzelne Passagiere auf dem Perron
noch zögernd und wählerisch hin- und hertrippoln. Nur
eingetreten, eingetreten in den deutschen Staat! so ruft jetzt
die GWQhiofato; der Augenblick ist da. die Flut geht ho<-h
nicht noch einmal gewartet, bis dio Ebbe euer Selnn* auf den
Sand Mtffl Nte jetzt nicht lange gemarktet, nicht vidi'
Bedingungen gemacht; daß wir uns alle, alle einigen, ist. Ii<
Hauptsache. du*i weitere, soweit, es gut ist, wird sich liudnn.
Und wenn Zuroden nicht hilft, so können wir auch drohen.
Ihr habt, jetzt mitgeholfen, ihr süddeutschen Staaten, Frank-
ren -h KU dimitttigcn, ihm schone Landerstreckeu nbzunehiin n.
haU es euch das gedenken, daß es gelegentlich Rache an euch
ku nehmen suchen wird, dürfet ihr als gewiß betrachten.
Wie wollet ihr ihm aber widerstehen, wenn ihr euch nicht fe ■ i
und ganz mit euren norddeutschen Brüdern zusammen
schließt? Fest und ganz, d.h. nicht bloß durch gebrech-
liche einzelne Vertrage, wo es jedesmal noch auf den gBtOII
Willen ankommt, ob man sie hallen will, sondern durch
völligen riieklialtliMeii Kiutnll in den einigen deutschen
Ifundcsstnut."
Die junge C.enerntinn TOB heute kann sieh in unserer
nüchtern gewordenen schwunglosen Zeit keine Vorstellung
machen, welchen Jubel diese aus einem von tiefen. Patriotis-
mus erfüllten und gehobenen Herzen und mit viel histo-
rischem Verständnis vorgetragenen Worte damals bei uns
erregten, liier war Strauß wirklich einmal der Wortführer
und Sprecher ubUB Volks, der das gute Recht der Deutschen
und die nicht minder berechtigten Hoffnungen und Wflnxchft
jene» großen Augenblicks wurhtig und fein zugleich, ruhig
Eift« Kapitel
uod klar, ohne falsches Pathos und doch mit wohltuend«
Wftrnw, ohne Oberhebung und doch voll nationalen Slol
tum Ausdruck bracht«. Daher tat er recht daran, die Ihm
Briefe, zusammen mit dem von Renan in deutscher Ul
*etzung, zu deren Ausarbeitung ihn gleich nach dem Empfang
die Anmut Am SehnftstOcks gereizt hatte, unter dem Titel
..Krieg und Friede" in besonderer Ausgabo erscheinen tu
lassen. Hnuan freilich hat ihm diese etwa* eigenmächtig*
Verfügung über sein geistiges Eigentum and natürlich noch
viel mehr die sieghafte Überlegenheit des Inhalt« der beiden
Strauüschrii Briefe überdeii seinigen übel genommen, (ianzbe-
soiidem empört war er dofttbor, dall Strauß den Krtivig der
kleinen Schrift der deutschen tnvuJidenstiftung und den
SaniliiUvoreino» in Stuttgort und Dannstadt zuwandte.
!' . V ntprcr.li.--n.. eine Vorred) EU ichrfilbtO BU dflT RittflV
sehen Übersetzung einer Auswahl von SlrauBLsche D & hriften,
die nach dem Krieg doch noch erschien, hat er zwar gehall
■teil ili r Aufgabe über in einer so kühlen Weise erledigt, dntt
Strauß es nicht für nötig hielt, ihm dafür zu daukeo. Auch
die persönliche Beziehung zwischen beiden war mit dei
Hth'fwech&el tob 1870 ra Bad*.
Da» deutsche Volk aber war Strauß dankbar für die
tapfere und sieghafte Art, wie er seine Sache dem
Kraiiznwn ^genfiber geführt hatte So konnteer noh diesmal
ungeteilter und allgemein herzlicher Zustimmung freuen.
Es war der letzte Sbnnenhhel; in seinem LebeXL Demi nun
kommt der alle und der neue Glaube ond die *o ganz am'
Aufnahme dieses Buches bei demselben Volke, da» ihm
eben noch in heller Begeisterung zugejubelt halte. Aul iL ■-
Hosianna folgte in jflhom Umschlug das Kreuzige.
Zwölfte* KapiteL
Dcr alte und der neue Glaube.
In Dnrmsladl — in München — wieder in Uarnisludt!
Wie kam es, daU StniuO im September 1867 von DarmM. Li
nach Mönchen übernn d< 'We und dünn doch nur bis in den
Marx 1868 dort verblieb? War es diu Glyptothek, war
es das Münchner Bier, war o die Krimierung an dort
Verlebte /eil. ü. w.'is itltl dahin M% .' I )()iT Wlir (M rille ['!,). |,t
aus Darmstadt weg? und wovor ist er geliehen, um doch
alsbald wfedor rarflokidkabrni ?
K» war eine Flucht; und dir ihn davontrich und die
ihn wieder zurfickxog, war eine Frau.
Dun Verkehr mit gebildeten Frauen hat Strauß alota
xu schätzen p-wiiUt und gesucht, /war schien e* nach drr
Trennung von Agnes Schobest — in den Briefen kann man ea
öltcr lesen — so, als ob dir Krauen dun fatal waren und er
nur noch am dritten Ort bei Bier und Wein mit Männern
verkehren wollte. Allein in den Familien »einer Freunde»
bei Kapp in Munkheim, bei KaulTrnann in Heilbronn. Im
NsunwSO In München, bei Scholl in Weimar, bei Etono
Fischer und Gervinus in Heidelberg, bei Lewald'* in Berlin
um nur »io zu nennen, — überall sind die Frauen seiner
Freunde in Freundschaft und Verkehr einbezogen und
gehör n niii «I.imi. So fehlte es ihm nicht an gebildetem
weiblichen Umgang. Und wie wir schon wissen, auch nicht
un Frauenliebe. Aus froherer /eil ragt bis herein in den
Anfang dor wohliger Jahre die Ge*tall derjenigen, die ihn
Zwölftes K«pit<l.
-tili und entsagungsvoll geliebt und nie aufgebort hat. au»
der PVrne für ihn und »ein« Kinder gulig und inOtl- iri
sorgen. Kr wußte es mich. ..Ich halle Sir unter allen
Seelen, welche leben, für diejenige, die es ■
treuesten mit nur meint", hat er Kimlic Sü-gcl oinm.il
schrieben. Nach ihrem Tod aber klingt leise und doch
deutlich vernehmbar so etwas wie Reue aus dem heraus,
was er oiii 1). August 1861 an Ropp über wo tobrübi,
Wenn iüh i» hier wiedergebe, werden •-.. ihre und -■
Manen iuir verzeihen. „Unsere verstorbene Freundin En
hiit, nrdimngftlirl'M'iid und pünktlich wie sie wor. mir in einein
versiegelten Paket nicht nur meine, sondern nueh diejemgea
Briefe anderer Personen letztwillig übergeben lassen, die sie
«■misten in meine Hiimle m legen glauben mochte.. . .
Zu den zurückerhaltenen Briefen von mir hübe ich seitdem
auch die ihrigen zusammengesucht und mich fast die ganzen
letzten acht Tage damit beschäftigt, die gesamte Kurie
[Min h n/ r.hroTinlogisch ni ordnen I '.< hegen sie nun. Bri \
und Antwort, nebeneinander, wie man zwei Menseben,
die sich im Leben suchten und doch nicht linden kuuuleu.
im Sarge nebeneinanderlegt. Kim -i grollen Teil dflF
Briefe habe ich auch wieder gelesen und damit ein gutes
Stück meines und auch unseres (ich meine Dich) gemein
zürnen Lehens rekapituliert. Sie hat mein ohne Zweifel
erstes Billet aus dem Jahre 1836 noch aufbebalten, das
ihr, noch ziemlich fremd, in KautTinanns Auftrage schnei*.
Dann kommen die Killctchen uns meiner Garten hnuttheil
zeit (in Stuttgart), wo zwischen den Zeilen ein, wenn auch
einfaches, doch reiches und jugendliches Leben hervurbhclrt;
dazwischen das KanuMadler Radelehen de* uueli Dich in
die Kreise der Freundin zieht ; hin und wiederspuckl Hardegg;
KauffmaXU und Flaustellen sich freundln li ein; dei Kousine
Marie Knüll wird i in Konfirmation! leaiiefuK blrmfifc fl
durch die Freundin bestellt: so gehen die Zustande in un-
vermerkter Schwellung fort, bis im Jahn» 1843 ein Durch-
DiTT »lU- iiml >\<<r n>«ue Glaube.
«6<*
hrurh ullo bisherigen Pflanzungen zusammenreißt. [Hitrsu
ein vortrefflicher tragikomischer Brief von Dir an sie als
remcdium arnoris, don Du mir lassen mußt.) Hier groili
min ein anderer BrieTwet hsel ein, den dir Freundin gleich
fall» mir überlassen bat, nämlich die Brief, ihrer Jugend-
freundin Marie Kauffmaiin, welche die alliniililnhe \nf
löaung meiner Qu mit forllaufenden Berichten begleitet,
»pftter eine Wiederannäherung an Emilieu befürwortet und
mir die Gesinnung dieser unvergleichlichen Inundin noch
unumwundener al» ihre eigenen Briefe un mich offenbart
Dann also voru Jahre 1848 an unsere erneute Korrespondent,
in der nun. bWMUJWB UD Anfang, dir Kinder den ll.uipt-
gegeriHlund ausmachen. Die Art, wir von du un Emilie
die Neigung, die sie früher dem Vater gewidmet, auf dessen
Kind (den Snlin) übertragt, ist überaus »rhon und rührend.
Nn-hi minder nber. wie sie, mir fortan in jeder Not - um
Haushaltung und Haushälterinnen usw. — mit Rat und Tat,
selbst vom Krankenbett aus unermndel zur Hand gehi.
Kine Veränderung aber ist im Laufe der Jahre in der Briei-
slellerin nicht zu verkennen. Ihre raUgtOMI Anaichlen
halten früher, in Übereinstimmung mit ihrer ganzen P«nfa
li' -likeit, einen ziemlich freien Wurf. Kin kecke» Wort gegen
Pfaffen- undObskurauteuLum verletzte sie nicht allein nicht,
sundern BS erlaubte es sich selbst. Das wird »pftter anders.
Ihre früher mehr naturliche Frömmigkeit wird immer kirch-
licher. Daß sie ehedem ihrer Mutter die Bücher MnxU mit
ihren OpfurgcscUcn vorlesen rnuÜte, erhielt »ie in der Oppo-
sjii.in; üIh dfl ns nicht mehr mußte, las sie dorglen-tn n von
selbst. Mitteilung über religiöse Dinge wurde »pftter zwischen
uus unmöglich, sii' duldete meine Stellung nur noch un mir
als Ausnuhm*. Dus mußte, unserm Verkehr Kintrag tun;
und doch zürne ich mir jetzt, daß ich mich nicht leichter
durüber hinweggesetzt habe. Unser Verkehr wurde zuletzt
spärlicher. Noch einmal sah ich die Freundin vor Weih-
nachten de« vorigen Jahres in Stuttgart, wo ich auch Frau
■■■7-1
ZvöUtai Kapitel.
KaulTwann xnm letztenmal besuchte Niemand konnte An
eine 10 schnelle Auflfimnjf damel* denken; *ie »ah wohler
Bfld ni&ligcT aus ab Jahn.- vorher. — Einen solchen Schatze
von Liebe und Treue» ala in diesen Briefen enthalten ist,
hfl Loh "»in freilieh mit schmerzlicher Beschämung gegen-
Uber. Gunx habe ich M nifibt verbellen können, weil ich
eben nicht ganz erwidern konnte; aber könnte Ich*» ntokl
doofa veifl mehr, als ich'* tat?" Und mit die-en Sofalud-
worton stimmt übertritt, was er bei diesem Aiünü dem Bruder
(lnribt: „Wie oh einem bei solencn Todesfällen geht,
kann ich leider mit mir nicht ganz tufriedea win
Liebe und Treue, dir sie mir bewifsen, bin ich nicht so dnnk-
hir gewesen, alt ii'h gesollt Kattc."
I '" \ erölT« ■ l-li* hiuiü hrei i •■ rtgen UD MflUM IM
dem Jahn 1832 in den Deutschen JahrbOabers von 1863
•aar ein Akt der PieiM. den Strauß im Vorwort zu den
Kleinen Schriften eo motivier! Diu gne Ich meinem
(i;irt.i'n i'im» l J ll.'iti/.i' iiu, die nuf fremdem, obwohl heiivu !■■
Hoden und nicht ohne mein Zutun gewachsen ist Sic sind i
Arbeit einer teuren Verstorbenen und schienen mir ebensowohl
durch die rSodculung ihres tlegenslaudc* nU dun u die : innige
lt. IinndlnnR der Krhnltuntr wert, wflhrcnd ihre Auf niiiniMMti.
Sammlung meiner Schriften mir, im Andenken '.»range-
gangene Kreunihn. In- dere ItefriediKurtg gewahrte" Kroi-
lich.ob er der Verfasserin dnmit wirklich einen Dien t erwieeeQ
Ji.il. i*t mir immer zweifelhaft ^'«cm'ii. t.'ni Möhler- willen ist
<he Wi i"i it* ntli -Mi: •!■..' ].-i v< !i:i f v,ti im hiferit^t und fordie Kennt-
ni* diese» merkwürdigen Mannes überaus wertvoll. Aber daß
i ; liiiiilh' Sigel dem jungen geistvollen Priester ,.mil aller
weiblichen W'urde, Sprndigkeit, ja w»lbsl SrhrnlThril <:> .
uhcrgestolll und einen Humor und eine Krnft und Geaundhail
der Sonlo gezoigt habe, worin *ie dem Mann überlegen war":
— das schreibt der Freund, loh Kann nach dienen ihn D
eigenen Mitteilungen ihr Vorhalten gegen Mohler nicht %o
hoch »teilen und es nicht so einwandfrei laden:
Der all« und der neue Glaube,
B71
Szene mit dem Hund, ilir diu Abbruch der Beziehungen
herbeiführte, ist doch gar zu plump.
Ganz besonder» «art war dann weiter Jas Verhaltm-*
Straußens zu einer der Ilappischen TiV-hter. Mit. stiller
Freude sah er ilir Wachsen und Werden, ihr liebliche- Sich-
entfalten. „Es hat euch die Natur in dieser Tochter rfflttl
Schatz zu hüten gegeben und wird RftCheitfOhalt fordern
wie ihr ihn gehütet habt", schreibt er einmal den Kitern.
Da tauchten wohl allerlei HulTnungeu utid HerzcuBwünacbe.
und kühne Mann in ihm auf, denen ftber die Verlobung dw
Mädchens ein jähes Ende machte. ,, Meine persönlichen Emp-
findungen bei dieser Entscheidung haben kein Recht, »ich
geltend oder auch nur httrbar zu machen", danul legt er sie
resigniert zu dem Cbrigen. Aber mim (Vesinnungpn für ..das
liebe unschätzbar'* Wi-sr n" andern -ich rueht, er bleibt ihrtfl
,-:r -tc-ii-r ieli hveiU iiiuni'i wieder nur dirsrs eine \\ url I lii
diesesschOnc Verhältnis — Freundschaft zugetan um! über» 1:1^1
diese um IhfQlwfUftD dann auch auf ihren Mann. Si< D
Öhringen zu besuchen, seine Kinder in ihrem H&UM und
unter ihrem Einfluß wohlgehorgen zu wissen, und zu sehen,
wie die Freuudin immer junger und blulieudur wird, da* ist
mehr als Freude, das beglückt ilm hoch, und BO bleibt,
wie er einmal dem Vater schreibt, fllr »ie in Meinem Herzen
stets ein S;»c«lhiui aufgerichtet, denn auch Menschen »ein.
Art können anbeten; ,,or konnte ein Mystiker wardeo Ob«
diesen Empfindungen". DUM Freundin hat .1 h. hallen
dürfen bis aus Ende, noch 111 der letzten Krankheit i*t
ihm der Odniil.n an sie Inisllich l'^mm'ii und haben ihn
ihre Briefe glucklieh gemacht.
Das war eine tiefgehende, beruhigende und beglOi -l.-nde,
wirklnli "ine mystische" Liebe. Aber nun kommt DJ m h den
fast Seehzi(fjahrigen wich noch einmal die leidenschaftliche
Liehe de» Manne» zur Frau. In l.iai m-tadt war es. Sie war
e lii kannte .m . der llcidclliergcl /eil, die inzwifti le-n -vi
witwote Frau — doch wir geben ihr besser den Namen, nnl.
672
Zwölf!« Kautel.
dein Strauß seibor sie so oft in »einen Briefen an Fächer in
Öhringen (nach ihrem Apatervn \ u f»-nt h.itt in dnm bekannten
pfälzischen Weinort Korst) benannt linl: ..Di-* Krau in
Forst". Schon in Heidelberg war ihm ihre junonische
Gestalt aufgefallen, nueh war ^i»* dabei gewesen, als er
Freunden dort du» ernte Kapitel eint Frischbn vorlas. Wi.
er nun im Jahr 1865 nach Darmatadt kam, traf er *ie hier
al» Witwe und Ireutr .sich, an ihr von Anfang an
ku haben mit «lern -ach cm vernünftigen und vertrauliche*
Wort reden ließ. So nahm or den Verkehr mit ihr wi.
auf und war bald der tätliche Goal in ihrem llnuae, er In*
ihr vor. sEfl mu»»uierte für ihn: man besuchte, xu
Theater und Konzert und durchstreifte gemeinsam die
nahen Wähler auch an der Erziehung ihn» SohBM n.ihin
Struuß herzlichen Anteil, wie Goethe an dein des jun
Fritz Stein. Und aus Freundschaft wurde dann Liebe.
Wie ihn dies« beglückt hat. mag er uns selber »äffen m
dem Gedieht ..Venii.iehtmV'. da** vom 5. Juuuar 1867
datiert ist:
Als or gostorbmi. «Inf firen, «In lundmi dm Kind.r diu Heftet
Ul&Uerteii, lo*en darin, dnehlen *ieh iinn.lir. dabei
Wi- »ich der Jüngling gvifuut. miUiuMen die \m-i !i dudm Wr-r
Was als Mann ihn gebeugt, wn* ihn im Alt*r erquickt.
Laubholi erat auf d<*m ■ diuren Grund der l.enlu.-ktiTvii Jahre.
Das sich in Nndelgehölz endlich und Heide verliert
AI»t (.i Wunder! woher in der epigrammatischen Waste
Plntr.lich da* oppijr<* OrOn, Myrten* und llnvngebuisAh ?
Suhl dir Heu Quell ne ht. Kinder, den Schöpfer des IrOhlichva beboai ?
Duukbiir luiuel und fromm dun den verdienten Altar.
Klirt'l die Imtimlen Im- Kr;in, du» enrvui v. l.tn: t-n
Vjtor das blmehuiide. Hunr freundlich mit BhllDSa pSkAOlt
Und wie feurig diese Liebe war, zeigt der Hingang
eines anderen Gedichtes ..Genügen":
Wenn sieh unsre Hände drucken
In der holden Dämmerstunde.
Aug* in Auge mit Entiucken
Per tiu und dnr neu« Glaube
673
Dringt zum tickten Muulcngrundc:
Wenn dem hruVn KuU entflogen
Du dio keusche Wange kehrest.
Mit verstärkten HorzenMchlBgen
Kndlirh mir den Mund guwZ-hrfM; — —
Was stand dfiDD abtf im Wege, «laß Strauß nicht, mit
fester Hand nach diesem sich bietenden spaten Glück griff?
Er war ja noch verheiratet, seine Frau lebte und ließ ihn
nicht lus, gab ihn auch jetzt nicht frei, als ersicd.'mun anging:
it gehörte ihr nicht mehr, aber einer andern sollte er atiotl
nicht angehören. So war es ein Verhältnis, das nicht zu einem
guten Bodl führen konnte und dns vor dfiV Will nhflun ge-
halten vv« ■rden mußte, freudvoll und leidvoll zugleich. Ihn
brachte zur Verzweiflung, daß er vor Fremden fremd tun
muUlc; und wie oft traf er IM nicht allein, die auch für
Krauen ho anziehende Fr;iu! Und sie quälte t\>>v Klatsch,
der »ich an da» häufige Zusanum nsein der Beiden nalurli« li
knüpfte und ihr die üblichen Warnungen guter Freunde
zuzog. Aber auch über ihn, den bald Seehzigjnhrigen.schiltlrl-
ten Nahe- und NachsUtehende den Kopf und raöhttn tu
löschen und zu trennen oder gingen doch nicht mit so vollen
Segeln, wie er es hoffte und wünschte, auf die Sache <in.
Kine Zeitlaug lag in solchen Schwierigkeiten ein Heiz,
man versicherte sich hin und her nur um so mehr Über alle
iiußercii Anfechtungen hinweg uncrschiiltt'rtcr Neigung. Allem
je grflüer die Liebe, desto unerträglicher das Bewußtsein,
daß sie eine hoffnungslose sei. In den GcmUUuufregungeu,
die diese Situation mit siel» brachte neb man sich auf» mochte
man sich krank. Daß Strauß zwischen d*r Schenkel-Streit-
schrift und dem Voltaire so lange verstummt ist, daran war,
doch nicht bloß der Krieg, sondern, wie einst in m ffl v"n iziger
Jahren seine unglückliche Ehe, so jetzt dieser Kampf
um die Geliebte schuld. Kr war zu keiner Arbeit fähig,
tnolit mehr zum I^esen. nicht mehr zum Spazierengehen
aufgelegt. Was blieb da übrig als Trennung, al* Flucht ?
B74
ZwOltl«s Kapitel
Dl rieh «ii \ .rhaltnt*** nicht zwin-fren ließen, wurde 1.
fernung lür ihn xur Pflicht, in erster Linie gegen die gdir-
Frau, in zweiter aber auch gegen »ich selbst; un>d so verließ
.1 am I. Oktober 1S07 Darmstadt und wir nach München.
Wie « ihm dort rumuto war, verrflluns daaGedfehl „Profeß**
in seiner Anfaiigsslrupue:
War' tch vor mtIh J^hrhuiiünrloa g«boren,
So half ich All' d*r Borgen, die mich dnirk^n.
Der Zentnerlasten, den gebeulten Ku< kta
EntlanVn langst vor ein« Klosters Toren,
lud dann machte ein stumpfe*, freud- and treulose»
Hindämmern dorn ernten frischen Wnhegefühl Platz und
ließ ihn den Heil der Munehener Kunstschdtze mehr m der
allen Weise empfinden. Er verbannte wieder einmal dea
(■rdutilteri fernerer Sehnftslellnrei in die fernste WOstt).
Aber auf die Dimer litt ps ihn doch nicht fem vm der
hoben Frau, zumal da der hriellichc Verkehr durch all«
Mißverständnisse schwierig wurde, und fco kehrte er wii
nnch Darrnstadl zurück. Da mußte dann natürlich di
alte Spiel von neuem beginnen. Nun Qieht sie — oach Forst.
das doch nahe genug war. um einen regen Verkehr und
hAufige. Besuche möglich zu machen. Strnuß aber bekam
durch dieses ..Glück der Entfernung" wenigstens wieder
diu Möglichkeit zur Arbeil, er wurde Hen über seine V
Stimmung und schrieb den „Voltaire" dar nlohl nur do.r
Prinzessin, sondern auch der lieben Frau in Fürst von Vortrag
zu Vortrag vorgelogen wird. Schließlich kam es aber doeh.
wie es kommen mußte. Wenn sich zwei Mensehen lieben
und doch nicht zusammen kommen können und dürfen,
zumal wenn bs so nervös und feinbesailet nnd wie tft
beiden, BO rüben sie sieh hin und her auf, allerlei Leiden-
sehaflliches tritt »wischen ile, jedes wird unzufrieden mit
dem andern, man naht sieh mit ernflohterten Augen an,
entdeckt, was einem nicht gefallt, und weil, wenn die Leiden-
Der alle und der neue Glaube.
675
schnfL flieht, die Liebe nicht blrihen darf, so keimt nm Knde
gar etwas wie Haß auf ')•
Am 22. De«embor 1869 i*t Agno* Schobest gtttorb«!
Ihr Tod kam zu lpt1. Noch hei ihren Lebzeiten hatte StrnuÜ
erkannt, daß die Verbindung mit der l-'rau in Korst nicht
nm Heil niiMtchlagan würde. Und m fällt ihm das in diesem
Zusammenhang gesprochene Wort nicht allzu schwer: ,.Wrr
frei ist. kann auch weise sein." Fast wie auf dnu Vcrirning
hat er bald auf diese Hoffnungen und Wftnsohe EurQell
gesehen und schließlich noch für »eine verstorbene Fftll
das Wort gefunden: ..Wenn er ihr etwa» zu danken habe.
so sei es dies, daß sie ihn damals nicht freigegeben und *o
die<*e Heirat verhindert habe." Damit klingt das Verhältnis
zu Agnes Schubes L fast gar versöhnlich aus.
Unter jenem twieflpaltigen Langen und Banges in
schwebender Pein hat Straub* vier Jahre lang unsfigln h
gelitten. Daß er sich trotzdem in dieser ZeiL den „Voltaire*'
abgerungen hat, auf diese Kraft seines WlfloDfl konotfl er
mit flecht stolz »ein. Wer spurt demselben die Schmerzen
an, unter denen er entstanden ist ? Aber gunz gesund machte
Hin doch erst der Krieg von 1870, der ihn das eigene persön-
liche Leiden über den großen Geschicken seines Volkes ver-
gessen ließ. So vorsteht man. wie er im Brief an Renan
u id iiuehlier im Allen und Neuen Glauben dem Krieg n-viel
>) Zufällig Im ich dieser Tage In der Deutschen Rundschau.
Okioberheft 1908, in einem Arlikol d« Grafen Theodor /><- h > Qbti
Österreich und l.'ngarn in ganz anderem /mammi'nhnng du- in ilmu
oben Gesagten »Umwenden Wortei „VW vfcMO .m» ri|OWT Kr'aluuny.
vdn e* ru gehen pflegt. ffBIU) »wei Privatperminen »inon wichtig«
Vertrag odv ein Rechtsgeschäft abMchließen woIIhii, an dem Ihr ganten
Vurmeffnu hingt, und All Verhandlungen. |g| mg unmer
für murin (Irunil«\ in- Sl.irkfii. I »« «UUgO tfcb *ul einmal Antipathien
ein. joditr *i<thi im anderen einen (h'gnrr. difl beiden fangen an »ich xu
hauen, und di .Und d«r Erregung dauert auch Dlflttff n>rt.
selb»! wenn < innvceheii Hi'hmgQli »I, alle Schwierigkeiten xu PO-
Heiligen, alle» b**Um tu ordnen."
676
zwölfte K>pi(a
Gut«* nachzusagen gewillt war. Aber au* lausend Wuiidi
Mutet«' er (torli wieder. I;i-l wie ilnmals, alh *fine Khe II
twnmwibracb, nur war er inzwischen alter und harter und
daher solchen S<. tilflgcn gegenüber stumpfer gewxirdrn.
Auch jrt/l war BT um ein GlQck gelauscht, das ilim
spat noch einmal gewinkt halte und naeli dein fr die Hand
wohl ausstrecken. diiT. er aber nicht pflücken dürft«*; glucklo»
sollte m, in liehen vollends dahingeht' n. Und dennoch
So leben wir. »u wandeln wir lipiclui kl.
ruft rr im Alten und Neuen Glauben aus. Wer spürt dii
an, daß da» nur Vordergrund, und daß der, der so
lockt, ein Schmerzensreich und ein ganz GluckUwor g<
ist? Aber wenn selbst Goethe von sich sagen mottle, er bj
..in seinen 75 Jahren keine vier Wooh«a eigentliches Behagen
gehabt: i*s wai da* ewige. Walzen ein« Steint, dur unmtr
von iieucrn gehoben sein wollte", so durfte sich Straul
li nicht beklagen". Nur rede man nicht so gering-
nhtltlg von seinem Optimismus, es war ein schwer errungener.
p. r Alte iioil iln Nein IjlimUe erschien im Herbst 1673
Geplant und vorbereitet war das Buch schon lange, t'.cplanl
noch ntil dem Bruder, der gerne gesehen hätte, wenn Strauß
KU Anfang der sechziger Jahre statt eines zweiten Lebens
Jesu eine zweite Glaubenslehre in neuer Fassung und
Form, einen Katechismus für freie Menschen gesch/h-ben
hatte. Wenn Strauß auch das letztere ablehnt« und
zweifelte, ob er einen solchen schreiben konnte, «0 hat
er — wir haben es wiederholt gehört — etwas derartig»
doch von da an im Auge behalten und es wie •in Vermäeh
des Bruders angeschen, das er noch zu erfüllen habe Auch
war ja die Glaubenslehre ebenso wie das erste Leben Jesu
vergriffen. So dachte er daran, wie er ein neues Lehm Jesu
für das Volk geschrieben hatte, so nun auch die Glaube n:-]e lue
neu zu bearbeiten und daraus diesmal ein rechtes Volksbuch
EU Hindun. Demi ilaU das zweit*- L<'hen Jesu au dem Kehler
Der alte und der neue Glaubt
m
gelehrter Schwerfälligkeit gescheitert war, sah er wohl ein.
Aber auch dazu waren Vorstudien aller Art ntitig, und damit
sehen wir ihn seit dem Jahre 1868 eifrig beschäftigt. So
schreibt er am 16. Januar 1869 an Käferle; „Dabei inter-
essiert mich noch mancherlei Ijcktüre. worunter jedoch keine
Theologie ist. Eher naturwissenschaftliche; insbesondere
ist mir die Darwinische Theorie und was sich auf sie bezieht,
wichtig und anziehend;" und ebenso an Reuschle 1 ): ,,Ich
habe mich für Darwin, seit seine Theorie bekannt wurde,
interessiert. Ich las seiner Zeit sein Hauptwerk und habe
seitdem zu allem gegriffen, was in dieses Thema einschlug."
Gleich nach dem Erscheinen der deutschen Übersetzung von
dessen ,,The descent of man and seloclion in relation to
sex" (1871) berichtet er Zeller, daß er das Buch gelesen
habe, freilich „mit mehr Begierde als Befriedigung*'; Stil
und Darstellung lassen viel zu wünschen übrig, und das
sei, wie ihm die graziosa prinoipessa gesagt habe, Mangel
des Originals selber Haeckels natürliche Schopfungsge-
schichte liest er mit mehr Befriedigung: „wenn Du das
bekommen könntest"! schreibt er Rapp, und in einem
Brief an Reuschle nennt er sie ..das Beste, wie mir
scheint.*' Auch mit dem Studium der neueren Philosophie
sehen wir ihn seit 1868 eifrig beschäftigt. Dabei geht ihm
Zeller mit Rat aur Seite und besorgt ihm die nötigen Bücher
Er studiert Schopenhauer „mit einem Interesse, wie er es
lange an keinem Buch systematischer Philosophie gehabt",
und liest auch Gwinners und Frauenslädts Schriften Ober ihn:
,,Die könnten einem freilich den Mann gründlich verleiden,
wenn einer seine eigenen Schriften nicht gelesen hotte." Da-
gegen kann er sich mit Lotze nicht befreunden : das ist ihm ein
unprästiorlichor Mensch, in der Wissenschaft das, wo* nmn im
>) C. O. Ueutchle. geb. 1812, Professor der Mathematik In
Stuttgart; ein langjähriger Freund von Strauß. Verfuucr einer zur
Erinnerung an ihn geschriebenen kleinen Schrift „Philosophie und
Naturwissenschaft" (1874).
Ib. Ci«fla, D. nr. fluni. IL 44
m
Zwölfte Kapitel.
Leben einen Schwierigkeitsmacher nennt \VV>mit er Lots*
nicht gerade unrecht tut. ihm aber doch auch nicht ganz
gerecht geworden ial. Die Äußerung ist aber charakteristisch
für Straußen» Art zu philosophieren, die mit der subtileren
und exakteren Form der Philosophie, wie sie eben in den
Merhzigrr Jahren aufkam, sich nicht mehr befreunden konnte.
Da» verrfit auch das Urteil aber Lange» Geschichte da
Materialismus: sie ..ist von einem talcntvollwi philosophi-
schen Kopf und enthalt viel Gutes, ohne darum ein
eigentlich gute» Buch zu »ein; dazu ist e» ta ungleich,
unfertig, zu oft nur tastend statt wegweisend" ; doch gab
sie ihm viel Belehrung Schließlich lernt er auch DOOi
Eduard von Hartmann und seine Philosophie de* Unbe-
wußten kennen. Er lobt an ihm „die Gabe der inneren
Selbstbeobachtung, der Selbstbelauschung de» Geiste« Ober
seinem Tun, die Schärfe in der Bildung und die Logik
in der Verbindung der Begriffe, und seine hübschen, wenn
auch vielleicht nicht ganz zusammenhangenden und nicht
gehörig gesichteten naturwissenschaftlichen Kenntnisse. Aber
wie verwildert muß die Philosophie sein, wenn ein solcher
Mensch ein so haltloses und auf solche Krudl taten hinaus-
laufendes Buch schreiben und damit Aufsehen erregen und
Beifall finden kann"1 Im einzelnen wissen wir jedoch von
den Vorstudien gerade zu seinem letzten Buch und von
der Ausarbeitung desselben weniger als bei den früheren
Schriften. Es hangt dios mit der Verstimmung jener Jahr«:
zusammen, ausdrücklich lehnt er es einmal ab, von seiner
Arbeit viel zu sprechen. Im Dezember 1871 sehen wir ihn
aber doch mit „einem Werklein" bosehlifUgt, „das gewisser*
maßen das Punctum finale seiner Schriftstellerei werden
soll"; der Plan dazu ist fertig, und wie er ihn skiztiert, ent-
spricht er durchaus dem Inhalt des Buche«. Dnnn bleibt
es alier noch einmal ein ganzes Vierteljahr lang „wegen
fehlender Stimmung" liegen. Erst im Mai 1872 geht et»
wieder lustig weiter, die Arbeit, mit der er dornnttohst fertig
Der alt* uod d«f neu« OUubr.
679
zu werden hofft, hal die stockenden Lebensgeister wieder in
Fluß gebracht, mutig und froh ruft er: „Und vorderhand
nichts mehr vom Tod!"
Und so erschien es denn im Oktober 1872 bei S. Hirxel
in Leipzig unter dorn schon wiederholt genannten Tiu-I
„Der alte und der neue Glaube", eine Art General-Glaubens-
bekenntnis, wie er Kaferle schreibt und wie es auch der
Untertitel „ein Bekenntnis*' ausdrücklich sagt. Tue Hech-
nung von deinem Haushalt, dünn du wirst hinfort nicht
lange mehr Haushalter sein: das war der subjektive Rechts-
grund, unter dorn er das Buchlein schrieb. Dieses vorhält
sich zu der christlichen Glaubenslehre genau so, wie das
zweite zum erslen Leben Jesu. Auf die Negation sollt«
auch hier die Position folgen oder vielmehr wie dort mit
ihr vereinigt, neben das Nein nun auch dus Ja gestellt werden,
„über die eigentliche Polemik sind wir hinaus. Man stellt
jetzt die Standpunkte im ganzen und großen einander gegen-
über, wovon der eine den andern von selbst ausschließt.
Man spricht im Namen der Einverstandenen und laßt dir
Nichteinverstandcnen ihres Weges ziehen", wie er es in der
Glaubenslehre, nur umgekehrt, von den Glaubenden für die
Wissenden gefordert hatte, Das Absehen ist also gerichtet auf
die Darstellung der — oder richtiger; einer modernen Welt- und
Lebensanschauung; einen kurzen Abriß der Glauben*- und
Sittenlehre eines modernen Menschen will er den „Einver-
standenen" vorlegen. Ohne Polemik geht es dnbei freilich nicht
ab. Erst muß das negative Verhältnis der modernen Menschen
zum alten Kirchenglauben dargelegt werden, ehe die Grund-
zuge der neuen Weltanschauung gegeben werden kennen.
So zerfallt das Ganze in zwei Hauptteile, einen negativ
polemischen und einen positiv aufbauenden. Jeder dieser
Teile zerlegt sich dann wieder in zwei Fragen und doren Be-
antwortung. Erst negativ: Sind wir noch Christen? und —
allerdings schon nicht mehr ganz negativ — : haben wir noch
Religion ? dann positiv : Wie begreifen wir die WeJt ? und v> H
4V
680
tmtUia DuM,
ordnen wir unser Leben? So sind es vier Abschnitte,
denen »ich noch w« „Zugaben" anschließen: von unseren
großen Dichtern die erste, von unsern groß*« Musikern die
zweite.
Sind wir noch Christen ? Für Strauß war dies« Frage
keine neue. In der Schlußahhnndlurig zum ersten Leben
Jesu und in der Glaubenslehre am Schluß der Apologetik
sieht man aie eigentlich bereits gestellt. Bestimmter taucht
wo dann nuf in jenem theologiftHi -politisi Iwn Aufsatz aus
dem Jnhr 1848 über „den politischen und den theologischen
Liberalismus". Da weist er darauf hin. duß, wenn der Katho-
lizismus ultramontan sei, mit ihm sich auch der Protestanti»-
mus von einem religiösen Prinrip abhangig bekenne, da* in
einem fremden Weltteil, im fernen Asien nicht bloß zufallig
seine Heimat habe, sondern wesentlich orientalischer Natur
sei; und die Kollisionen dieses asiatischen Prinzips teils mit
dem uns gleichfalls eingeimpften europäisch-griechischen,
teils mit dem eigentümlich nationalen werden mit jed
Tage häufiger und tiefer. Dagegen helfe nur die Fortbildung
des Christentums tum reinen Humanismus oder vielmehr
die Herausbildung des letzteren aus dem gesamten Boden
der modern-europfiischen Kultur, an welchem das Christen-
tum nur einen Bestandteil ausmache; es sei dies zugleich
der einzige Weg, um über den Gegensatz von Katholizismus
und Protestantismus hinauszukommen. Und fast wie eine
Vorwegnähme des positiven Teiles vom allen und neuen
Glauben ist es, wenn er schließt: „GepHan/i Im Jugend-
unterricht, gepflegt im Staatsleben, durch Kunst und Wissen-
schaft gefördert — wird die Erkenntnis dessen, was der
Mensch ist, was ihm p /i<;ni . wn* ihn glücklich oder unglück-
lich macht, was er zu tragen und wessen er sich zu getrosten
hat, ein nicht verächtlicher Pilot durchs Leben und der
dos zu sich selbst gekommenen Menschen, des Deutschen
einzig würdige sein." Ähnlich erklärt er siebzehn Jahre
später, am Schluß seiner Streitschrift gegen Schenkel und
Der »Ue und der neue Glaube.
661
Hengstenberg: das Christentum in der Gestalt der Bibel und
der Bekenntniaschrifleu sei mit der Auferstehung Jesu» der ja
Geschichts- und Naturwissenschaft gleicherweise die An-
erkennung versagen, dahingefallcn. Ob mit jener Gestalt
und mit der Gesamtheit seiner bisherigen Gestalten das
Christentum so verwachsen sei, daß sie aufgeben die Los*
losung vom Christentum selber bedeute, das sei freilich
zunächst nur ein Streit um Worte und Namen; aber die
Entscheidung liege doch hier. Wie aber jetzt im Jahre
1872 diese selbe Frage von Strauß so kÜpp und klar gestellt
wurde, da wirkte sie schreckhaft wie das Haupt der Meduse,
schon als Frage wie eine Kriegserklärung und ein unerhörter
Angriff, Heute wird diese Frage sogar von Kirchemeitungen
aufgenommen und ventiliert, also als durchaus berechtigt
anerkannt. Nur die Antwort freilich — sie fällt in Kirchen-
zeitungen anders aus als bei Strauß.
Um eine Auseinandersetzung mit dein Christentum
handelt es sich also im ersten Abschnitt des Buches, speziell
um eine Auseinandersetzung mit dem christlichen Glaubun,
das Kapitel ist in nuce die Wiederholung seiner christlichen
Glaubenslehre. Als Schema benützt er dabei das sogenannte
apostolische Symbolum; denn wenn irgendwo, so ist dort der
alte Kirchenglaube unverfälscht unzutrelTen. Man hat dem
entgegengehalten: an dieses apostolische Glaubensbekenntnis
glaube ja heule kein Mensch mehr, und so habe sich Strauß
die Widerlegung des christlichen Glaubens freilich leicht ge-
macht. Darauf konnte er antworten und hat «r geantwortet:
aber dieses Bekenntnis ist noch heute im kirchlichen Gebrauch;
in vielen auch protestantischen Kirchen wird es allsonntaglich
verlesen, bei der Ordination der Geistlichen in Preußen wird
es „in Einmütigkeit des Glaubens mit der gesamten Christen-
heit" bekannt und die jungen Theologen damit auf dasselbe
verpflichtet. Um so schlimmer, wenn das alles mit d*m
Hintergedanken geschieht, daß man „eigentlich" und inner-
lich nicht mehr glaube, was man so äußerlich mit dem
im
Zwölfte KapiUJ.
.
Munde bekenne. Gerade hierin zeigt sich ja dir tief«
llnwuhrhaftigkeil, die durch unsere öhrislluhe Kirche und
damit durch unser christliche« Volk hindurchgeht und in
diesem dadurch großgezogen wird. Aber Strnuü hielt sich
jii gnr itn-lil Moll :■ 11 jenes alt»' und veraltete Symbol;
ausdrücklich erklärte er gleich zu Anfang, daß er es gelegent-
lich aus spateren Lehrbestimmungen org&nzcn und erläutern
wolle. Und speziell nut Schleiermacher und dessen Christen-
tum hat er sich wiederholt, nicht erst im zweiten, auch
schon im ersten Abschnitt ausdrücklich auseinandergesetzt.
Auf die gestellte Frage aber, ob wir noch Christen seien,
antwortet, er nun allerdings an der Hand jenes Leitfadens
mit einem entschiedenen Nein. Um die Person des Stifters
dreht eich liier alles, Denn dieser ist eben nicht nur Stifter,
sondern zugleich auch der vornehmste Gegenstand der christ-
lichen Religion. Die auf ihn gegründete Glaubens weise
muß daher ihren Boden verlieren, sobald ejofa ergibt, daß
ihm personlich diejenigen Eigenschaften nicht zukommen,
die ein Wesen haben muß, das Gegenstand der Religion
sein soll. Ein Gott braucht er dazu allerdings nicht zu sein;
es wurde genügen, wenn er wäre, was SchleiermRcher im
richtigen Gefühl des kirchlichen Bedürfnisses und, fügen
wir hinzu, was Strauß selbst einst in der schwachen Stunde
seiner Friedlichen Blätter aus ihm gemacht hat: ein Mensch,
von dessen persönlicher Beschaffenheit die unseres religiösen
Lebens noch heute in jedem Augenblick bedingt oder
an den die Menschheit zur Vollendung ihres inneren Lebens
mehr als an irgendeinen andern gewiesen wäre. Aber woher
wissen wir das? Aus den Evangelien. Gut, aber wie steht
es mit diesen ? Viel starker als dies bis dahin jemals von
Strauß geschehen, namentlich im positiven Teil seines zweiten
Lebens Jesu geschehen wiir, betont er jetzt das ganz Un-
genügende unserer Nachrichten über ihn. Ein guter Teil
dessen, was die Evangelisten von angeblichen Taten und
Schicksalen Jesu erzählen, geht mit dem messianischen
Der alto und der neue Glaube.
683
Wundergeflechte, womit sie sein Leben durchwehen, wenn
es kritisch wieder ausgesogen wird, verloren. Aber auch
bei den Reden und Leuren Jesu, die ihm früher teilweise
historisch festzustehen schienen, sind wir auf keinem
Punkte sicher, ob wir Worte und Gedanken von ihm selbst
oder nur solche vor uns haben, die mau in spaterer Zeit
ihm in den Mund zu legen sich bewogen fand. Darum ist
es — damit nimmt Strauß ganz ausdrücklich seinen eigenen
Versuch einer Jesusbiographie vom Jahre 1864 zurück, —
„es ist ein eitler Wahu, daß aus Lebensnachrichten, die,
wie unsere Evangelien, auf ein übermenschliches Wesen
angelegt und noch außerdem durch streitende Parteivor-
steüungen und Interessen in allen Zügen verzerrt sind, sich
durch irgendwelche Operationen ein natürliches, in sich
zusammenstimmendes Menschen- und Lebensbild herstellen
lasse", lind daraus nun der Schluß: ..An wen ich glauben
soll, an wen ich mich auch nur als sittliches Vorbild an-
schließen soll, von dem muß ich vor allem eine bestimmte
sichere Vorstellung haben. Ein Wesen, das ich nur in schwan-
kenden Umrissen sehe, das mir in wesentlichen Beziehungen
unklar bleibt, kann mich zwar als Aufgabe für die wissen-
schaftliche Forschung interessieren, aber praktisch im Leben
mir nicht weiter helfen. Ein Wesen mit bestimmten Zogen,
woran man sich nullen kann, ist aber nur der Christus des
Glaubens, der Legende, natürlich aber nur für den Glaubigen,
der alle Unmöglichkeiten, alle Widersprüche, die in diesem
Uilde liegen, in den Kauf nimmt; der Jesus der Geschichte,
der Wissenschaft, ist lediglich ein Problem, ein Problem
aber kann nicht Gegenstand des Glaubens, nicht Vorbild
des Lebens sein." So endigt Strauß, nachdem er sich ein
ganzes Leben lang abgemüht hatte, ein Leben Jcmi zu
schreiben, dieser unlösbaren Aufgabo gegenober in konse-
quentem Skeptizismus. Was Wrede 1901 vom Standpunkt
der Markusprioritat aus getan, das hatte schon dreißig Jahre
zuvor Strauß von dem der MatthftusprioriUt aus getan:
684
Z«ölft« KtpiUl.
„die Geeohichtliohkoit der bis annocb geltenden Auffassung
de* Lohen* Jon bestritten" 1 ). Dieser Skeptizismus, den
wir bei Strauß langsam haben kommen und wachsen »eh
der also bei ihm nichts Überraschendes »der Sprunghafte»
hat, wird heute von vielen Theologen geteilt. Nur die
Konsequenz, die er daraus gezogen hat. wollen sie nicht
:»■ 1, «!i« ■.
Aber die Unsicherheit unseres Wissens von Jesus ist
nicht die einzige Unterlage für seine Verneinung der Krage,
ob wir noch Christen seien. Unter dem, was wir noch ver-
hältnismäßig am sichersten von Jesus wissen, ist etwas,
was wir als zweiten und entscheidenden Grund dafür an-
zusehen haben, warum er, wenn wir der Wissenschaft
ihr Recht uher ihn lassen, der Menschheit, wie sie unter
dem Einfluß der Bildungsmomente der neueren Zeit sich
entwickelt hat, als religiöser Führer von Tag zu Tag fremder
werden muß: es ist seine Erwartung, zur Eröffnung dos
von ihm verkündigten Messiasreiches in allernächster Zeit
in den Wolken des Himmels zu erscheinen. War er
ein bloßer Mensch und hegte als solcher dennoch diese Er-
wartung, flo können wir uns und ihm nicht helfen, so war
er nach unsern Begriffen ein Schwärmer. Das ist längst
kein Schimpf- und Spottname mehr. Es hat edle, hat geist-
volle Schwärmer gegeben, ein Schwärmer kann anregend,
erhebend, kann auch historisch sehr nachhaltig wirken;
aber zum Lebensführer werden wir ihn nicht wühlen wollen;
er wird uns auf Abwege ftthreu, wenn wir seinen Einfluß
nicht unter die Kontrolle unserer Vernunft stellen. So hat
also Strauß den eschatologischen Brocken, den er acht
Jahre zuvor nicht hatte hinunterbringen können, nun doch
verschluckt Er steht auf dem Standpunkt, wenn auch
nicht einer überhitzten, so doch einer skeptisch moderierten
EschatologR*. Allerdings nicht einer konsequenten. Denn
') So Schweitzer a.a.O. S. 327 über Wrede.
Der alt* und <W nour OUnibe.
68Ö
das Helle und Humane, das schön Sittliche, das Jesus doch
auch gelehrt hat, verflüchtigt sich ihm nicht zu dem un-
möglichen Gedanken einer ..Intcrimsothik", sondern er läßt
beides, wie man muß, unausgeglichen nebeneinander stehen:
gerade weil wahrscheinlich beides in ihm war, bleibt uns
Jesus ein Problem.
Aber auch die sittlichen Vorschriften des Christentums,
die schönste Zierde und der höchste Ruhm seines Stifters,
sind ihm weder ausschließlich eigen, noch fallen sie mit ihm
dahin. Vor allem aber, und das ist in diesem Zusammen-
hang die Hauptsache, sie sind auf dem Boden des Christen-
tums durchaus mit Beschränktheit und Einseitigkeit be-
haftet. Jener schwärmerische, weltablehnende Zug in Jesus
und der Dualismus, der dadurch in das Christentum heran-
gekommen ist, entwertet alles, was sich der menschlichen
Tätigkeit als Ziel und Gegenstand darbieten mag. Das
Streben nach irdischen Gütern, der Erwerbstrieb ist in der
Lehre Jesu nicht anerkannt, seine Wirksamkeit zur Förde-
rung von Bildung und Humanität nicht verstanden, da«
Christentum zeigt sich in dieser Hinsicht geradezu als ein
kulturfeindliches Prinzip. Darum kann es seinen Be-
stand unter den heutigen Kultur- und Industrievölkern
nur durch Korrekturen fristen, die eine weltliche Vernunft-
bildung an ihm anbringt, welche ihrerseits großmütig oder
schwach und heuchlerisch genug ist, dieselben nicht sich,
sondern dem Christentum anzurechnen, dem sie vielmehr
entgegen sind. Man hat vielfach geglaubt und glaubt noch,
daß der Riß, der zwischen Glauben und Wissen klafft, auf
praktischem Gebiete ausgefüllt und auszufüllen sei und daß
man daher gut daran tue, an die Stelle eines dogmatischen
ein praktisches Christentum zu setzen, über das alles hübsch
einig sei. Strauß hat gezeigt, und die Geschieht« der chnnt-
lichen Ethik hat ihm recht gegeben, daß auch hier derselbe
Gegensatz vorhanden ist wie dort. Unserer wel (bejahenden
Lebenspraxis und Kultur steht die weltverneinond« Hieb-
B86
ZwCiric* Kapitel.
tun}? der christlichen Moral diametral gagenühor. Nur
dadurch, daß man es halt wie der Vogel Strauß und gegen
diese Seite gewaltsam die Augen verschließt, macht man
wi -h den Zwiespalt subjektiv erträglich und tut *o, aU exi-
stiere er nicht. Aber dürfen wir weltbejohondcn Menschen
und darl unser bis an die Zahne gerüstete*, über Krieg
und Sieg sich freuendes und mit weltlicher Arbeit Tag aus
Tag ein beschäftigtes Volk sich noch Christen nennen?
Strauß halt« den Mut, es zu verneinen. ..Meine Über-
zeugung toi" sagt er, „wenn wir nicht Ausflüchte stieben
wollen, wenn wir nicht drehen und deuteln wollen, wenn
wir ja ja und nein nein bleiben lassen wullen. kurz, wenn
wir als ehrliche, autrichtige Menschen sprechen wollen, so
müssen wir bekennen: Wir sind keine Christen me-
in dn ..Kindern der Welt" vom Jahre 1873 laßt Paul
Heyse Lea in ihr Tagebuch die Worte eintragen: ,,Was
haben wir Menschen Befreienderes. Holderes, Trost Uchcres,
uIb die Freude, die Freude au der Schönheit, an der Güte.
ander Heiterkeit dieser Welt . r" und wahrend wir das: Sem
Testament lesen, wandeln wir immer im Halbdunkel der
Erwartung und Hoffnung, das Ewige ist nie erfüllt, sondern
«oll erst anbreehen, wenn wir uns durch die Zeit hindurch-
gerungen haben; nie erglänzt ein voller Schein der Fröh-
lichkeit, kein Scherz, kein Lachen — die Freude dieser
Welt ist eitel — wir werden in eine Zukunft verwies«
alle Gegenwart wertlos macht und die höchste F.rdenwonne,
uns in einen reinen, tiefen und liebevollen Gedanken zu
versenken, soll uns auch verdächtig werden, da nur derer
das Himmelreich sein soll, die arm am Geiste sind. . .
Wenn ich Goethes Briefe lese — Schillers enge Häuslich-
keit — von Luther und den Seinigen — von Älteren noch
bis zu SokrateV böser Frau — immer spüre ich einen Hauch
von dem Mutterboden, au» dem die Pflanze ihre.-* Geistes
gewachsen ist, der oih-.Ii meinen so viel geringeren ufihrt und
tragt. Aber die WelOosigkeit dieses sanften, gotthewuBten
Der alte und der neue Glaube
«67
Menschen öngslet und entfremdet mich, und zur Entschuldi-
gung dafür hnbe ich freilich nicht den guten Glauben, daß
das alles. uU bei einem Gott, ganz in der Ordnung sei."
So dachten und fühlten in den siebziger Jahren, wo wir
Deutsche eben anfingen, unser Vaterland nicht mehr in
einem idealen Wölkenkuckucksheim, Sondern hier auf der
wohlgegründeten festen Krde zu buchen und uns in dem-
selben wieder wohl und heimisch zu fühlen, gar viele von
uns, für sie war dieses Nein auf die Frage, ob wir noch
Christen seien, eine wahre Erlösung und Befreiung. Mit
Strauß würden sie aber darum doch nicht haben aufhören
müssen, sich Protestanten zu heißeu. Denn Luther war
ihnen nicht nur ein Reformator, sondern vielmehr der,
der den Grund legte zu einem neuen und neuartigen, einem
well form igen und modernen, einem deutschen, nicht einem
„asiatischen" Christentum, der Platz schaffte für die sittlichen
Aufgaben unseres modernen Lebens und die vom Christentum
entwertete Welt „entprofamsierte". In diesem Sinn kann
Protestant bleiben wollen, auch wer aufhört Christ zu sein.
Auf die zweite Frage: haben wir noch Religion? ist
, .unsere Antwort nicht die rundweg verneinende, wie in
dorn früheren Fall, sondern wir werden sagen: ja oder nein.
je nachdem man es vorstehen will". Im alten theislischen
Sinn nein; denn an einen persönlichen Gott und an eine
persönliche Unsterblichkeit glauben „wir 1 * nicht mehr;
auch zu einem solchen Gott beten können und mögen wir
nicht mehr. Indem Strauß zunächst auf Feuerbachs An-
schauung vom Wesen der Religion als einer Sache der FurcM ,
des Wahns und des Wunsches zurückgeht, kommt er natür-
lich zu einem Nein; denn so gefaßt muß die Religion vor
der fortschreitenden Bildung immer mehr zurückweichen,
schließlich gar verschwinden. Und nicht ander» int ra mit
den Bildern der religiösen Phantasie irn Verhältnis zu der
zunehmenden Verslandesbildung der Völker. So , .gleicht
das religiöse Gebiet in der menschlichen Seele dem Gebiete
688
Zwölfte* KapiUl.
der Rothaute in Amerika, das. man mag tu beklaget] oder
mißbilligen, soviel man will, von deren weißhtlutigen Nach-
barn von Jnhr zu Jahr mehr eingeengt wird". Das wäre
cjue dürftig« und niedrig« Auffassung von der Religion,
wenn das alles und das Ganze wäre. Aber nun tritt ergänzend
und vertiefend die Definition Schleiermacher» hinzu, daß
Religion das Gefühl schlecht hiniger Abhängigkeit »et. Und
auch das genügt Strauß noch nicht. Diese» Abhängigkeits-
gefühl wurde den Menschen erdrücken und vernich'
darum muß er sich dagegen wehren, unter dem Druck,
der auf ihm lastet, Luft und Spielraum zu gewinnen suchen
und sich dieser Abhängigkeit gegenüber in Freiheit setzen:
daraus oral entspringt dem Menschen die Religion. Und
endlich kommt denen gegenüber, die die Religion in Moral
auflösen und untergehen lassen wollen, auch noch der Ge-
danke, daß die Religion über der Moral stehe, weil sie au»
einer noch tieferen Quelle strömt, in einen noch ursprüng-
licheren Grund zurückgeht. „Vergiß in keinem Augenblick,
daß du Mensch und kein bloßes Naturwesen bist, in keinem
Augenblick, daß alle anderen gleichfalls Menschen, d.h. boi
aller individuellen Verschiedenheit, dasselbe was du, mit
den gleichen Bedürfnissen und Ansprüchen wie du sind —
das ist der Inbegriff aller Moral. Vergiß in keinem Augen-
blick, daß du und alles, was du in dir und um dich hrr wahr-
nimmst, was dir und andern widerfahrt, kein zusammen-
hangloses Bruchstück, kein wildes Chaos von Atomen oder
Zufällen ist, sondern daß es alles nach ewigen Gesetzen au»
dem einen Urquell alles Lebens, aller Vernunft und alles
Guten hervorgeht — das ist der Inbegriff der Religion.* 1,
Ob das alles zusammen nicht wirklich den vollen BegritT
▼on Religion im subjektiven Sinne des WorU ergibt ? Ich
wüßte nicht, was fehlt.
Sich abhangig fühlen ist aber doch in ihr das erste,
darin hatte ScbJeiermacher recht. Abhangig — wovon ?
Vom Universum, sagt Strauß, wie einst Schi eierrn acher in
Der alt« und der ncuo Glaub*.
6Ö9
den Reden über die Religion gesagt hatte. Man konnte
auch sagen: von Gott, wenn man sich nur immer bewußt
bleiben wollte» daß das Persönliche, das uns in ihm ent-
gegenblickt, nur das Spiegelbild des in das Universum
Hinpinschauenden ist. Darum eben sieht Strauß die Be-
zeichnung „All" oder „Universum" vor, ohne zu übersehen,
dflß dies*» die Gefahr mit sieh bringt, an die Gesamtheit
der Erscheinungen, statt du den einen Inbegriff der sich
Äußernden Krflfte und sich vollziehenden Gesetze zu
denken. Und daß er dieser Gefahr in seinen Ausfuhrungen
nicht immer entgungen ist, läßt sich nicht leugnen. Er hat
Welt und Wellgrund nicht genügend unterschieden, die
freilich eins sind, weil dieser ihr Grund der Welt immanent
ist, aber begrifflich doch auseinandergehalten werden können
und müssen. Daß er aber den Weltgrund gemeint hat, das
zeigt der wiederholt von ihm gebrauchte Aufdruck: ,,die
Urquelle alles Lebens, alles Vernünftigen und Guten". Als
Entschuldigung für diese Unbestimmtheit müssen wir mit ihm
und für ihn zugeben, daß wir hier wirklich ,,an der Grenze
unseres Erkennen» stehen und in eine Tiefe schauen, die wir
nicht mehr durchdringen können". Indem er dann, im Gegen-
satz zu Schopenhauers Pessimismus, weiterhin das Universum
ab die Werkstätte des Vernünftigen und Guten betrachtet,
erscheint ihm die Welt zwar nicht mehr als dtis Werk einer
absolut vernünftigen und guten Persönlichkeit und nicht
angelegt von einer höchsten Vernunft, wohl aber angelegt
auf die höchste Vernunft, mit nichteu bloß als rohe Über-
macht, der wir mit stummer Resignation uns zu beugen
haben, sondern zugleich als Ordnung und Gesetz, als Ver-
nunft und Güte, der wir uns mit Hebendem Vertrauen er-
geben. Und dn wir die Anlage zu dem Vernünftigen und
Guten, das wir in dieser Welt zu erkennen glauben, auch
in uns selber wahrnehmen und uns als die Wesen linden,
von denen es empfunden, erkannt, in denen es persönlich
werden soll, so fühlen wir uns demjenigen, wovon wir uns
690
ZwoIfUe Kapital.
abhängig linden, zugleich im Innereien verwandt, wir finden
uns in der Abhängigkeit zugleich frei, in unserem Gefühl
(Or da» Universum mischt »ich Stolz und Demut. Freudig-
keit und Krgebung.
Das All vernünftig und selbst Vcrnunlt und Gut«, da«
li'h» n*- und voruunftvolle All die höchste Idee — es ist klar,
woher das Strauß genommen hat. Ha ist nicht* anderes ab
der optimistische Panlogismus Hegels. Wir die Wesen, in
denen da* Vernünftige, persönlich wind, — das klingt wiß
ein Satz aus der Vorrede zur Phänomenologie, wo e« heißt:
„Das Wahre ist da» Ganze; das Ganze aber ist nur das durch
seine Entwicklung sich vollendende Wesen; €* Ist von den
Absoluten zu sagen, daß es wesentlich Resultat, daß «s eret
am Ende das ist, was es in Wahrheit ist". Also Strauß ist
fi-M-h immer soweit Hegelianer, nls er es zur Zeit derGUubens-
lehre gewesen ist 1 ). Indem er aber den Begriff des All durch
den der schlechthinigen Abhängigkeit ins Religiöse übersetzt,
verknüpft or Schleiermacher mit Hegel und gewinnt dadurch
einen Begriff der Religion, der ihn zu dem Worte berechtigt:
„Wir fordern für unser Universum dieselbe Pietfit, wie der
Fromme alten Stils für seinen Gott." Dazu braucht man den
Umweg Ober Schopenhauers Pessimismus und den etwas
frostigen Stiftswitz, daß ein Denken, das die Welt für schlecht
erklärt, selbst ein schlechtes Denken, also die Well vielmehr
gut sei, nicht mitzumachen; wiewohl er mit dem wiederum
Hegelisch klingenden Satz ganz recht hat, daß jede wahre
Philosophie notwendig optimistisch sei, weil sie sonst den
Räumest absftgo, auf dem sie sitzt. Oder wie wir auch
sagen konnten: jede Philosophie ist eine Thoodizce.
Gefühl für dus All: was ist dieses All ? Von ihm hat auch
S<:hli*H'rm:ii;her geredel in den Heden libur ili< KeligiOÜj VN)
er Religion als „Anschauung des Universums*' bestimmt- Man*)
») Vgl. oben 8. 837.
*>0. Wehrung, Der gesGhicliUj>liilo«r>plmche Standpunkt
St-hleiormacherBturZeitaeiner I"miml\i:li:iftmii dm lUxiumLikurn. 1907.
Dtr alte und der neue OUuli«*
m
hat neuerdings behauptet, diese Anschauung dos Uni vor
sums sei bei ihm mit Selbst- und Menschhoitsantiehauung
identisch, da» Universum also ein Geistiges, der weltum-
spannende Zusammenhang aller höheren Geisteskräfte. Da«
ist sicherlich einseitig, ist viel zu eng. so ,, geschieh Lsphtlo-
sophisch u dachte Schleiermacher damals noch nicht. Aber
daß bei ihm und ebenso bei Hegel das Geistige mit zum
Universum gehört und daß dieser letztere, wiederum in der
Phänomenologie, zuletzt und zuhöchst an das Geisterreich
gedacht hat. aus dessen Kelche dem absoluten Geiste seine
Unendlichkeit entgegenschfiuml. das allerdings ist richtig.
Strauß dagegen denkt bei seinem Universum allzu ausschließ-
lich und jedenfalls zuerst an die Natur; es ist, als ob er über
den naturwissenschaftlichen Studien der letzten Jahre der Ge-
schichte vergessen hätte Ersteht in diesem AugenblickSpinota
naher als Hegel. Darum ist ihm. wenn er nun fragt: wie be-
greifen wir die Welt? diese viel mehr die natura naturans
Spinozas als das Geisterreich Hegels. Sein Standpunkt ist dem
All gegenüber naturalistisch. Gewiß ist auch in der Natur,
weil Gesetz, so Vernunft; und umgekehrt kann einer in der
Geschichte nur ein Possenspiel sehen ohne Sinn und Ver-
stand. Aber Strauß kam vun Hegel her und hatte von ihm
gelernt, daß gerade in dem Geisterreich und seiner Ent-
wicklung das Wirkliche vernünftig sei. Das hat er jetzt,
geblendet von dem neuen Licht, das ihm seine naturwissen-
schaftlichen Studien gaben, vergessen, darum ist seine Be-
trachtungsweise an diesem Punkte einseitig- Und daher ver-
steht er bei der Beantwortung der Krage: wie begreifen wir
die Welt ? unter Welt immer nur die Natur als natura natu rata
Vom Menschen und den Formen und den Zusammenhängen
des Menschenlebens handelt er nicht hier, sondern erst im
vierten Abschnitt — nicht sowohl unter dum Gesichtspunkt des
Seins und der sittlichen Substanz., als vielmehr unter dorn dos
Sollen*, so daß an die Stelle einer Thcudu ■,••■ durch die (*•*<: hichtis
hier eine wesentlich imperativisohe Gegenwarten mral tritt.
IN
Zwölfte KaprtcL
Und nun also: wie begreifen wir die Well? Dom eben
Gesagten entsprechend antwortet darauf Strauß mit den
Ergebnissen der modernen Naturwissenschaft. Wir be-
greifen sie im Sinne der sogenannten Kant-LnpUceaehen
Theorie über die Entstehung de» räumlich-körperlich 10
Universums mit seinen Sonnen, Planeten, Milchstraßen
und Nebelflecken. Und wir begreifen sie im Sinn der Darwin-
schön Theorie über die Entstehung der Lebewesen auf der
Erde und der Fülle ihrer Galtungen und Arl*o. Durch
die Theorie von Laplace will Strauß dem Schöpfungswund*r
entgehen, durch dm von Darwin — nach der Zauberformel:
kleinste Schrille und größte Zeitraum*! — dem Zweck-
begriff in der Naturerklfirung, diesem Wundermann. Her
die Welt auf den Kopf stellt, das Hinterste zum Vorder»'
die Wirkung zur Ursache macht und dadurch den Natur-
begriff geradezu zerstört. „Wir Philosophen und kritisch*«
Theologen haben gut reden gehallt, wenn wir das Wunder
in Abgang dekretierten; unser Machtsprueli verhallt) 1 iduie
Wirkung, weil wir es nicht entbehrlich zu machen, keine
Naturkraft nachzuweisen wußten, die e* .111 den Stellen,
wo es bisher am meisten für unerläßlich galt, ersetzen könnt«.
Darwin hat diese Naturkrafl, dieses Naturverfahren nach-
gewiesen, er hat die Tür geöffnet, durch wolcho eine glück-
lichere Nachwelt das Wunder auf Nimmerwiederkehr hinaus-
werfen wird. Jeder, der weiß, was am Wunder hangt, wird
ihn diifür als einen der größten Wohltater des menschlichen
vi -IiIitIiN preisen."
Zwei Punkte in der Entwicklungsreihe der Lebewesen
macheu aber auch hier noch Schwierigkeiten, der unterste
und der oberste, Dort handelt es sich um die Frage der
sogenannten generatio aequivoca: ob es möglich sei, daß
ein organisches Individuum, wenn auch der unvollkommen*
sten Art, anders als durch seinesgleichen entstehen könne,
aus chemischen und morphologischen Prozessen, die nicht
im Ei oder im Mutterleib, sondern in Stoffen anderer Art
Der alte und der Qvue Glaube.
ti93
vor sich gehen. Kant hatte gemeint, man könne zwar wohl
sagen: gebt mir Materie, ich wiU euch zeigen, wie mir Welt
daraus entstehen soll, aber nicht: gebt mir Materie, ich
will «.-lieh zeigen, wie eine Raupe (oder bosser: eine QCBftflJ
sehe Zelle) erzeugt werden soll. Und auch Virchow erklärt,
wenigstens in gegenwärtiger Zeit spreche alles gegen die
spontane Zeugung. Allein was gegenwärtig nicht mehr
geschieht, warum sollte das unter ganz ungewöhnlichen
Bedingungen, in der Zeit großer Erdrevolutionen nicht
doch geschehen sein? Und nun sieht es, meint StrnuB, ja
so aus, als ob die unterste unvollkommenste Form der Lebe-
wesen in Ilujcleys Bathybius oder in Haeckels Moneren
wirklich gefunden und damit der Übergang vom Unorgani-
schen zum Organischen ohne Wunder vermittelt, die Kluft
ausgefüllt sei.
Wie es dann von dieser untersten Form durch UifTe-
renzierung aufwärts geht, das glaubt Strauß mit Hilfe des
Darwinschen Kampfes ums Dasein, seines Prinzips der natür-
lichen Zuchtwahl und des Migrationsgesetzes von Moriz Wagner
erklaren zu können. Aber nun die Vollendung der Reihe zu
oberst, der Mensch? Dieser Punkt, die Menschwerdung
des Tieres, die Abstammung des Menschen vom Affen, wie
man damals sagte, oder von einem affenartigen Wesen,
wie wir uns heute vorsichtiger ausdrucken, war im Jahr
1872 ein besonderer Stein des Anstoßes, ein komischer
Gedanke für die einen, ein blasphemischer für die andern,
oder wie Strauß sagt: „das sauve qui peut nicht nur der
rechtgläubigen und der zartfühlenden Welt, sondern auch
manches sonst leidlich vorurteilsfreien Mannes* 1 . Natür-
lich schreckt Strauß vor dieser Konsequenz, an die wir
tum inzwischen längst gewohnt haben, auch seinerseits nicht
zurück, um so weniger, als er auch in anderer Hinsicht die
K luf t zwischen Mensch u nd Tier überbrücken zu können glaubt
An diesem Punkt ist es. wo Strauß die bekannte materia-
listische Wendung nimmt, indem er bei Mensch und Tier von
TV ZMcIa, S Fr etiwS IL 4b
604
Zwölft« Kapitel
dem Gebunden**!« der geistigen Tätigkeit tu das Gehirn
gehl, mit dessen Wachstum und AwhiMwng auch jene
■loh entfaltet, wie sie spater mit dem Dahinschwinden de*
Gehirns im Altar abnimmt und durch sein Erkranken oder
MMM Verletzung allericrt wird. Ganz richtig hat n daM die
Bedeutung du nicht gar ru lange vorher von »einem Lands-
mann Robert Mayer gefundenen Gesetzes von der Erhaltung
der Energie gerade auch für das geistige Leben in
haltnis zum Leihe erkannt. Wir sind gerade durch dieses
Gesetz genötigt worden, zu der doch recht bedenklichen
Hypothese des psyrhophysischon Paralle.lismus unsere Zu
flucht zu nehmen. Strauß legt sich das Problem, das ihm
gerade an diesem Tunkt zum Bewußtsein gekommen ist, so
Kredit: „Wenn unter gewissen Bedingungen Bewegung sich
in Wflrme verwandelt, wurum sollte es nicht auch Bedingun-
gen gehen, unter denen sie sich in Empfindung verwandelt?
hie Bedingungen, den Apparat dazu haben wir hm Gehirn
und Nervensystem der höheren Tiere und in denjenigen
Organen, die bei den niedrigeren Tierordnungen deren Stelle
vertreten. Auf der einen Seite wird der Nerv berührt, in
innere Bewegung gesetzt, auf der andern spricht eine Emp-
findung, eine Wahrnehmung an, springt ein Gedanke hervor;
und umgekehrt setzt auf dorn Wege nach außen die Emp-
findung und der Gedanke sich in Bewegung der Glieder um."
Das war wirklich der klare, krasse Materialsimus, I
Strauß will zunächst gar nichts dagegen sagen, wenn i
ihn in diesen Worten ausgesprochen findet. Daher i*t es
ganz natürlich, daß man angesichts ihrer an Feuerbach er-
iimiTl Inil ilr.r, wie Strauß und vm ihm, eheum.« .1 ig tinou
Hegelianer ein Sensualist und Materialist geworden *ei, und
daß man Strauß um dieses zuletzt eingenommenen Stand-
punktes willen mit Götz von BerÜchingen verglichen hat, der
den Glanz seines Heldenlebens durch die ('hernähme der
Führerschaft bei den aufrührerischen Bauern zum Schluß aufs
Übelste verdunkelt habe. Wie dieser zu den Bauern sei Strauß
Der alte und der neu«* (ilauho.
„■•-,
von der Philosophie zu den materialistischen Naturforschern
übergegangen und habe damit schimpflich mißgehüud« U, innen
KttiUeri Aufwand schmählich vortun Wh -.(clil. rs diiunl :'
Zunächst meine ich, daß auch der Materialismus eine philo-
sophische Hypothese sei, so berechtigt oder so uliberechtigt
wie manche andere Art von Metaphysik auch Materialis-
mus und Idealismus verhalten sich doch nicht zueinander
wie falsch oder wahr, wie böse oder gut. Keine der beiden
Hypothesen erklärt alles. Wenn also auch die materialisti-
sche von den beiden und von den paar möglichen überhaupt
die wenigst wahrscheinliche und wenigst befriedigende ist,
au ist sie trotz aller Bannsprüche einer philosophia inilitans
darum doch nicht absolut tot. Den Materialismus für alle
Zeiten oder auch nur für unsere Gegenwart für völlig be-
seitigt und abgetan zu halten, wäre eine üble Selbsttäu-
schung. Er fristet vielmehr noch immer und in den ver-
schiedensten Kreisen sein Dasein. Erstens bei vielen Natur-
forschern, die so leicht Prinzip ihrer Forschung und all-
gemeine und allumfassende Welterklärung miteinander ver-
wechseln; denn daß die Naturerklaruug so zu verfahren
hat, als ob es nur StolT und Kraft gäbe, der Materialismus
also recht hätte, das ist das positive Ergebnis des langen
Matcriulismusstreits. Und so ist derselbe ganz naturgemäß
das Krudu vieler Naturforscher, und die Z;ihl seiner An-
hänger heute vielleicht sogar wieder im Wachsen begrifTen;
nur ist es nicht mehr Sache des guten Geschmacks, davon
im Stil derer um Moleschott. Büchner und Vogt viel Auf-
hebens zu machen oder das Wort auch nur in den Mund
zu nehmen. Fürs zweite gibt es eine Menge Halbgebildeter,
die, bestochen von der Einfachheit dieser Anschauung, die
Schwierigkeiten und Widersprüche, in die *ie hin. -infuhrt,
nicht bemerken und sich nicht zum Bewußtsein bringen,
wie schwierig überhaupt diese Probleme sind Und end-
lich lebt der Materialismus am kraftigsten in den breit, u
Schichten der Arbeiterwelt fort, die im alten Glauben eines
096
EwtftftM Eaaftut
der Hauptbollwerke der alten Weltordnung «cht und radikal,
. h- unter dorn Einfluß der Sozialdemokratie geworden ist,
nach dem radikalsten Gegensatz. KU ihm, der materialisti-
•Cben Weltanschauung greift; zugleich entspricht die»** auf
der Naturwissenschaft ruhende Anschauung ihri Üe-
ichaftigung, der Bearbeitung de* Stoffe» durch die Hand,
die ihnen die Widerstände, Kraft* und Geselle drr Hat*
mit dal sie es tagaus tugein zu tun haben, klar und deutlich
zum Bewußtsein linnu't: für d»n HmimLicImiIim- i-I. um d.
willen der Materialismus die nftchslliejjende und einleuch-
tendste wissenschaftliche Weltanschauung 1 ). So steht oa
heute. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderte aber, in den
Jahrzehnten, da das Straußische Buch geschrieben wurde, da
vollends gewann sich unter dorn frischen Eindruck de» gewal-
tigen Aufschwungs der Naturwissenschaften und ihre* von
Triumph zu Triumph forteilenden Siegeslauf*, und im be-
sonderen durch die von Darwin ausgehende Bewegung der
Materialismus die Geister und die KOpffl um Slunn, und
der Widerstand von selten der Theologen und der Philosophen
erschien als so dilettantisch, daß sie gegen ihn nicht auf-
kommen konnten, sondern auf der ganzen Linie zum Weichen
gebracht wurden. Noch vor Strauß ist daher ein anderer
Philosoph, Friedrich Überweg, in das materialistische Lager
übergegangen, nur ohne sich offen zu dieser seiner (Iber-
zeugung zu bekennen.
Wie stand es aber mit Strauß? War er denn wirklii h
Materialist ? Auch hinrgilt: J;i ihIit ii.'iti, je uaehdeui An
Reuschic schreibt er im Januar i960, seine I-ektüre habe
sich „vorzugsweise dem Materialismus und insbesondere
Darwinismus zugewandt, weil er überzeugt sei, daß hier
hoffnungsvolle Zukunftsfcldcr für die Wissenschaft sei»
Und ebenso heißt e* in einem Brief an Professor Bieder-
') über den MatoriAlismu* der fünfziger und sichtiger Jahr«
hoho ich eingehend gesprochen in m einem Buch über „Die geistlgvii
und socialen Strömungen des 19. Jahrhunderts",!. Aufl.. 1901, S. 3M> ff.
Der alle und dnr noitfl Glsubc,
m
mann in Zürich, der ihm seine Dogmatik übersandt hatte,
am 21. Januar 1869: Zu dieser Unfähigkeit (Biedermanns
Buch ganz zu verstehen) „hat vielleicht auch beigetragen,
daß ich gegen die Sirenenstimmen des Materialismus
nicht so wie Sie durch den festen Rückhalt eines philo-
sophischen Systems gesichert war. Als uugedungener Wein-
bergarbeiter, als unfreiwilliger Bummler bin ich in aller-
hand Stricke gefallen". Aber er fügt doch gleich hinzu:
„Der Materialismus wollte mir oft als der gleich-
berechtigte Bruder unseres Hegelsrhrn Idealismus, die
Wahrheit nur durch Ineinsbildung beider erreichbar er-
scheinen." Das warf er damals nur so hin. Jetzt im alten
und neuen Glauben führt er es naher aus. In dem Augen-
blick, wo er sich scheinbar zum „klaren, krassen Materialis-
mus" bekennt, fahrt er fort: ,.In der Tat hübe ich den oft
mit so vielem Lärm geltend gemachten Gegensatz zwischen
Materialismus und Idealismus oder wie man die dem ersteren
entgegenstehende Ansicht sonst nennen mag, im stillen
immer nur für einen Wortstreit angesehen. Ihren gemein-
samen Gegner haben beide in dem Dualismus, der durch
die ganze cliristlicho Zeit herunter herrschenden Weh-
ansicht, die den Menschen in Leib und Seele spaltet, sein
Dasein in Zeit und Ewigkeit scheidet, der geschaffenen
und vergänglichen Welt einen ewigen Gott-Schöpfer gegen-
überstellt. Zu dieser dualistischen Weltanschauung ver-
holten sich sowohl Materialismus wie Idealismus als Monis-
mus, d. h. sie suchen die Gesamtheit der Erscheinungen
aus einem einzigen Prinzip zu erklären, Welt und Loben
aus einem Stücke sich zu gestalten. Dabei geht die eine
Theorie von oben, die andere von unten aus; diese setzt
das Universum aus Atomen und Atomkräften, jene aus
Vorstellungen und Vorstellungskräften zusammen. Aber
sollen sie ihrer Aufgabe genügen, so muß uns ebensowohl
die eine von ihrer Höhe bis zu den untersten Naturkreison
herftbführen und zu dem Ende sich durch sorgfaltige Be-
Zwftlft« KtpiUl.
obachtung kontrollieren, wie «Vir andw die hAchMen geistigen
und sÜfKobcQ Probleme in Rechnung nehmen und lOttn
muß. Bald entdecken wir überdies, daß |sdB dfavar Be-
trachtungsweisen, konsequent durchgesetzt, in die andere
hinüberführt.* 1 Dnfur beruR er »ich auf Schopenhauer
und Kr. Albert Lange, den Verfasser der Gtsohfohtfl des
Materialismus, und schließt: „Immf-r bleibt e* dahei, daß
wir nicht einen Teil der Funktionen unsere* Wesens einer
physischen, einen andern einer geistigen Ursache zuzu-
schreiben haben, sondern alle einer und -I r.rllvn, dio sich
entweder so oder so betrachten laßt, an sejm-m • nun Kndn
ein ausgedehnte, am andern ein denkendes Wesen ist."
Das ist. wie Lange bei Überweg ausdrucklich konsta-
tiert '). nicht Materialismus,, sondern Spinozismus. und
führt entweder zum heule beliebten psyehophysischen
Parallelismus und der auch von Feehner und Paulsen akzep-
tierten Allbeseelungslehre oder zu irgendeiner Form der
Idcntitfltslehre. Strauß ist Monist. Dazu aber gehört,
was wir im zweiten Abschnitt seines Buches gehört haben:
er sieht im Universum, so naturalistisch er es faßt, mit-
nichten bloß eine rohe Übermacht, sondern zugleich Ordnung
und Gesetz, Vernunft und Gute. In einem solchen lebens- und
vernunftvollen AU aber steckt noch immer der Logos, ein Ide-
elles und Geistiges, somit bleibt Strauß auch hier wieder
dem Idealismus und Hegeischen Panlogismua treu, bleibt auch
als Materialist noch Hegelianer, wie oder mehr noch als
Fouerbach in stiner sensualislischen und materialistischen
Periode es geblieben ist. Es ist also kein Lapsus, kein rudi-
mentäres Gebilde, wenn er In jenem Brief an Biedermann von
..unserem** Hegeischen Idealismus redet. Nur daß diese
idealistische und logistische Seite des neuen Glaubens nicht
deutlich und stark genug zum Ausdruck gekummen ist,
*) Fr. A. Lange. Geschichte de* Materialismus, 2. Bd.. 4. HJ.,
Anm. 27.
Vor ultc und der neuo Glaube.
OOI
das freilich ist nicht zu verkennen, Strauß war durch
das für ihn neue Licht, das von den Naturwissenschaften
ausströmte, geblendet, und darum sah er nur das ein« von
den beiden Enden hell beleuchtet und klar, da* andere
dagegen lag für ihn im Schatten und Dunkel. Sein Idealis-
mus war nicht mehr fest genug, um ihn gegen die Sireuen-
stimmen des Materialismus tu schütten, sein Monismus sah
sich an manchen Stellen wirklich wie Materialismus an.
Und auf einer gewissen Blendung beruhte auch seine
alleu vertrauensvolle Hingabe an den Darwinismus: nicht
mir an die Entwicklungslehre, die sich ja durchaus bestätigt
hat und heute Gemeingut aller Naturwissenschaft, das A
und das der Biologie» der Einschlag in aller unserer Wissen-
schaft und Philosophie geworden ist, sondern er glaubt auchan
die beiden Hypothesen Darwins vom Kampf ums Dasein und
von der geschlechtlichen Zuchtwahl als Hobel dieser Ent-
wicklung, wodurch das Auseinandergehen des organischen
Lebens in verschiedene Arten und Formen, das Entstehen»
die Erhaltung und die Steigerung der Abweichungen erklärt
werden sollte. Dieser Teil der Darwinschen Lehre, der Darwi-
nismus im engeren Sinn im Unterschied von der Entwicklungs-
lehre im allgemeinen, hat sich inzwischen als ungenügend,
sein Weg, die Entstehung der Arten tu erklären, als zu
einfach und daher zum mindesten als einseilig heraus-
gestellt. Strauß hat das seihst schon vorausgesehen, wenn er
nagt : , .auch so ist d ie Theorie unstreitig noch h ochst unvollstän-
dig; sie laßt unendlich vieles unerklärt, und zwar nicht bloß
Nebensachen, sondern rechte Haupt- und Kardinalpunktc;
sie deutet mehr auf künftig mögliche Lösungen hin, als
daß sie diese selbst schon gibt 1 '. Deshalb nahm er
das Waguersche Migrationsgosrtz lünzu und meinte, der-
gleichen Mittel und Wege, die die Natur in Anwendung
bringt, um sich zu differenzieren, odersubjektiv ausgedrückt,
dergleichen Erklärungsgründe für die Mannigfaltigkeit der
organischen Formen werde die Nuturforschung mit der Zeit
WM
Zwölfte» h'jpit*!.
immer mehrere finden : sie achließen »ich nicht au«, sondern
wirken alle zur Lösung dos großen Hftlaels zusammen. So
war er auch der Lehre Darwin« gegenüber kritisch. Aber
leugnen laßt sich nicht, daß er, nach dem heutigen Stand
unseres Wissens und Erkennen*, Darwin und »einen genialen
Hypothesen doch immer noch zuviel Vertrauen genchenkt hat;
daß ein neuer Vitalismus kommen und vom Sterbelager
des Darwinismus her seine SirenenUcder anstimmen konnte,
das hatte er sich nicht träumen lassen. So erweisen sich
gerade diese naturwissenschaftlichen Abschnitte seines Buchs
teilweise als vergängliche Kinder ihrer Zeit.
Das hängt aber noch mit einem anderen, mit der einen
großen Lücke dieses neuen Glaubens zusammen. Wie in
dem ersten Leben Jesu die kritische Untersuchung der
Quellen, so fohlte diesem seinem letzten Werk eine Unter-
suchung und Prüfung der menschlichen Vernunft und ihrer
Grenzen. Und doch hatte sich zu einer solchen als zu ihrer
Hauptaufgabe just zur seihen Zeit die deutsche Philosophio
angeschickt und sich damit wieder auf ihre Pflicht bev-.nnen.
Zurück zu Kantl Gerade zehn Jahre vor dem Erscheinen
seines Buchs hat Straußen* Freund ZeUer in seiner Heidel-
berger Antrittsvorlesung diesen Ruf erhoben, ein anderer
Freund von Strauß, Kuno Fischer, hatte schon vorher durch
seine glänzende Darstellung Kants in seiner Geschichte der
neueren Philosophie dem vorgearbeitet, und Fr. Albert Lange
in seiner Geschichte des Materialismus, Otto Liebmann in
seinem „Kant und die Epigonen" schlössen sich seit Mitte
der sechziger Jahre dieser Forderung an, daß in der Philo-
sophie auf Kant zurückgegangen werden müsse. Damit
war der Bann, der seit dem Auseinanderfalten und Zu-
sammenbrechen des Hegeischen Systems auf der deutschen.
Philosophie lag, gebrochen, eine neue Periode do* Auf-
schwungs hatte durch die erkenntnistheoretischen Unter-
suchungen, in denen sie sich auf sich selbst besann, für sie
begonnen. Auch Strauß geht in dem Kapitel: wie begreifen
Der alt« und drr neue Glaub"
701
wir die Well? auf Kanl zurück — auf »eine Allgemeine
Geschichte und Theorie de» Himmele vom Jahr 1755.
d.h. auf den vorkhtischen Kant, nicht auf den Kanl der
Kritik der reinen Vernunft vom Jahr 17Si. Hier rfteht
sich die Vernachlässigung Kants in MlMS Studienzeit.
1839 in der Abhandlung Ober Schleiermacher und Daub
ist er ihm am nächsten gestanden, aber jedesmal, im Loben
Jesu und in der christlichen Glaubenslehre, ist er allzu rasch
Ober ihn hinweg zu Hegel weitergegangen und spater kaum
mehr zu ihm zurückgekehrt. Infolgedessen macht sein Buch
auf uns heute einen dogmatis tischen Eindruck. Gewiß kennt
auch Strauß die Grenzen menschlicher Erkenntnis : ,,wir
stehen hier an der Grenze unseres Erkennen», wir schauen
in eine Tiefe, die wir nicht mehr durchdringen können",
heißt es bei der Lehre von Gott; und bei den Goltesbeweisen
wendet er, was er von Kant an Kritik dagegen gelernt hat,
ganz richtig auch gegen dessen eigenen moralischen Beweis
an. Aber an anderen Stellen vergißt er diese kritische Vor-
sicht und redet wirklich dogmatislisch, sein Buch ist —
er sagt es uns ja im Titel selber — zu sehr Glaubensl«hre
und Bekenntnis, eine zu wenig kritizistiach orientierte Welt-
anschauung. Oder spitzig ausgedrückt: Strauß ist auch hier,
wo er philosophiert, zu sehr Theologe geblieben, und alle
Theologie ist dogmalisch und dogmatislisch. Noch anders
formuliert, kann man es auch so ausdrücken: Strauß ist mit
seinem Buche zu früh und zu spät gekommen. Naturwissen-
schaftlich zu früh; denn der Darwinismus, den or so glaubig
und so hoffnungsvoll aufnahm, mußte erst noch auf seine
Probehai tigkeit hin geprüft werden: so unbedingt zustimmen
durfte man ihm noch nicht; das hat sein Schicksal von da-
mals bis heute gezeigt. In der Philosophie aber kam das
Buch zu spät; denn schon war der Ruf ergangen, zurück zu
Kant! Der Materialismus, gegen dessen Sirenenstimmeu
Strauß zu wenig gefeit war, ist unkritisch, selbst dann,
wenn man ihn nur als die eine Seit» und Betrachtungsweise
Zwölfte« Kapitel.
anrieh l. und jedenfalls dann, wen« man <be andere Seit*
nicht voran- und mil allem Ntcfe b Bei In > 1 i • erste Reihe
stallt. Angesichts de* materialistischen PUfTeutums und
seines , .ungeschlachten Schimpfen** • il du* Philosophie",
Li . StrunLJ :i:i ilm KiVlnnr iliM Yogi VOt tUgU htttU und
darum mit Krnst und Spott zurückwies, und das wir nicht
uunder unerfreulich noch heule vor uns haben, kann man
geradeso sagen: aller Materialismus ist theologisch. Dann
aber mußte Strauß als A&tithtolQgU vor ihm doch mehr
auf der Mut sein, als er es gewesen ist. An den SobtOitl
einer an Kant sich orientierenden, aber rasch immer sju
findiger und scholastischer werdenden Erkerintnintheori«
hatte er übrigens keinen Gefallen gefunden und »ich damit
nicht begnügen mögen. „Schwierigkeilenmacher" hatte er
<Ii<' im Methodologischen stecken bleibenden Philosophen
genannt und diesmal doch lieber LoUe zugestimmt, der
seinerseits fragt: „Was soll das ewige Messerwetten» wenn
es doch nie «um Schneiden kommen soll?" Dazu war
Strauß als aller Hegelianer ru mulaphysiach gerichtet im
guten Sinne des Wortes.
Vom Zweck in der Natur sollte uns Darwin befreit,
die Naturteleologie sollte er beseitigt haben. Als Menschen
kommen wir aber jedenfalls Ober den Zwecke «hinken nicht
hinaus. An einer Stelle, wo wir es geradp am wenigsten
erwarten sollten, stoßen wir auf ihn. Von einem Zweck der
Welt im ganzen, so scheint es, kann füglich nur so lauge
die Rede sein, als ein persönlicher Schöpfer vorausgesetzt
und die Erschaffung der Welt als ein freier Akt seines Willens
betrachtet wird. Aber — und diesmal ist Strauß doch auf
den Spuren Kants und seiner Kritik der Urteilskraft — :
wenn wir uns nur bewußt bleiben, daß wir uns lediglich sub-
jektiv ausdrucken — das K an lache ..als ob"! — , so können
wir doch nach dem Sinn des Zusamm- ,1er in der
Well wirksamen Kräfte fragen. Wenn das letzte die Idee des
Universums ist, oder ganz materialistisch der ins Unendlicho
Ilt-r -il!» uihl ilt-r neu»? Glaub?.
703
bewegte Stoff, der durch Scheidung und Mischung weh zu
immer höheren Formen und Funktionen steigert, durch
Ausbildung, Rückbildung und Neubildung einen ewigen
Kreis beschreibt, so erscheint uns al* «Jaa. was dabei heraus-
kommt, ,,im aUge-meim-n die mannigfachste Bewegung
oder die größte Fülle den Lebens, im besonderen diese Be-
wegung oder dieses Leben moralisch wie physisch als ein
sich entwickelndes, sich aus- und emporringendes, und
selbst im Niedergang des einzelnen nur ein neues Aufsteigen
vorbereitendes'*- Naturlich liegt dann die Erreichung des
Weltzwocks nicht mehr am Ende der Welt, nicht einmal
in etwas, das fortdauern soll, sondern der Zwerk der Welt
ist in jedem Augenblick ihrer Entwicklungsgeschichte
erfüllt.
Über diese Frage nach dem Weltzweck, der uns vor
allem doch in seiner Spezialisierung auf die Entwicklung
des Menschengeschlechts und dessen, was dabei erreicht
wird, interessieren muß, gelangt Strauß ohne irgend-
welchen Sprung nun endlich zum letzten Kapitel, das Ant-
wort geben soll auf die Frage: Wie ordnen wir unser Leben?
„Banal'* ■) wird man ihre Formulierung nur dann finden,
wenn man übersieht, daß hier das Persönliche der Individual-
ethik und ilns SuhManti<'lle der Sozirili'tluk /.nxiiiiriirn-
zunehrnen war: für dieses Doppelte muß die Frissung vielmehr
als eine glückliche bezeichnet werden. Die Individualethik
geht voran, in ihr handelt es sich auerst thooretiach um dir»
Grundlagen der Moral. Auch für den Menschen gibt es ••in
Gesetz der Entwicklung, bei ihm dürfen wir jedenfalls (ragen,
was dabei herauskommen solle und wirklich herauskommt. Kr
hat sehr niedrig, tierisch roh angefangen. Aber der Trieb zur
Geselligkeit, das Spiel der Kräfte im Gegensatz zwischen
seinem sozialen Trieb und sollten) Eigenwillen Itulf weiter
und rührte ihn .ins den Tiefen der Natur EWftff tnfittftl ItBfr
»J Sehweite er ». a. O. 8.75.
ZwölfUs Kapitel.
aara, aber doch allmählich immer höher und höher Dtawr
Weg nach oben wird beschrieben und »eine Klappen am
Hekulog des Alten Testament», an den Sittengoboten Jesu,
am naturgemäßen Leben der Stoiker, an Kant.» kategorischem
Imperativ und an Schopenhauer» MiÜeidxmorul aufgezeigt
iiiv Wesen des Sittlichen aber findet Strauß in dem Sich-
bestimmen des einzelnen nach der Idoe der Gattung, womit
or gewissermaßen konsequent an die SchluUabhaudluug
der* ersten Lebens Jesu nnknUpft. Die Idee der Gattung
hatte er dort als den Kern in der Gestalt de* Mcnschen-
sohnes gefunden, die Idee der Gattung ist oder soll sinn
der sittliche Kern in jedem Menschensohne. Wie er <1b*
Sittengebot, den Inbegriff aller Moral, formuliert, haben
wir oben im Abschnitt über die Religion schon vorweg-
genommen. Nicht bloß aufwärts hat die Natur im Menschen
gewollt, auch über sich selbst hinaus will sie mit ihm. Er
soll also nicht bloß wieder ein Tier, er soll mehr und etwas
besseres sein, er soll die Natur erkennen, die eben nur
in ihm sich erkennen, nach Hegel sich in ihm reflektieren
kann, und er soll sie in sich und außer sich beherrschen.
DnU er das soll, sagt Strauß in Umkehrung eines Kanti-
schen Satzes» wird dadurch bewiesen, daß er es kann.
Daß dies" Ausführungen zur Begründung einer wissen-
schaftlichen Ethik nicht zureichen und dem Bau gerade
hier noch einige kräftige Balken fehlen, vor allem das Zurück-
greifen auf das sittliche Werden im Reich der Sitte, das hat
Strauß seihst wohl gefühlt; schreibt er doch, als die zweit«
Auflage in Sicht ist, darüber an Zeller: „Wo ich aber be-
sonders deine Handreichung erwarte, ist im vierten Ah-
schnitt. Der moralische Passus gleich anfangs ist mir am
schwersten im ganxen Buch geworden, ich habe ihn dreimal
geschrieben, und doch ist er noch nicht, wie or sollte. Hn
müßten noch ein paar tüchtige Balken eingezogen werden,
und wenn du mir dazu ein paar Eichen- oder auch nur Tannen-
stamme vors Haus führen mochtest, würdest du m h i i
Der alt« und der d«u* Glaube
705
großen Dank verdienen". „Er war ebunkeinesiLtlicheNatur",
klingt es angehuht* diesen Kiiip 'sWiihlms -..■■■. wu» es früher
hieß, daß er kein religiöser Mensch gewesen sei. Dagegen
hätle er sich auf Kant berufen und fragen können: „wer
wollte einen neuen Grundsatz aller Sittlichkeit einführen
und diese gleichsam zuerst erfinden? Gleich al* ob vor ihm
die Welt in dem, was Pflicht sei, unwissend oder tu durch*
imngigern Irrtum geweK.«n wäre" Mehl um «eine persön-
liche Sittlichkeit, sondern um die Schwierigkeit, Siltlichkoit
zu begründen, handelt es sich. Der Vorwurf idealistischer
InkoriHiTfuiuiz »her, den muri diesem moralischen Teil viel-
fach gemacht hat, wäre selbst dann unberechtigt, wenn
Strauß wirklich der krasse Matenahst gewesen wäre, der er
eben nicht war. Die kecke Art, in der sich LameUrie, dieser
„Prugeljunge" des franzosischen Materialismus, und noch
mehr manche seiner deutschen .Nachbeter über die Moral aus-
gelassen und gefallen haben, gebort nicht zum Wesen de»
Materialismus; man sollte doch nie vergessen, daß der erste
große Materialist, der Atomistiker Demnkrit, einer der
grOfittiS Klhiker der Griechen gewesen ist. Aber Strauß
war ja kein bloßer Materialist. Zu dem All, das voll ist von
Ordnung und Gesetz, von Vernunft und Güte, gehört auch
der Mensch; in ihm hat die Natur ein Wesen hervorgebracht,
das über sich selbst als bloßes Sinnen- und Naturwesen
hiuaus soll, jene Vernunft und jene Güte im All sich zum
Bewußtsein bringt und im naturgemäßen Leben eich zum
Vorbild nimmt und durch sie in und außer sich die Natur
beherrscht. Das ist für die idealistische und punlogisliöche
Betrachtungsweise, die bei Strauß neben der materialisti-
schen hergeht, durchaus nicht inkonsequent, hier »ind wir
eben am oberen, nicht mehr am unteren Kndc der Reihe.
Auf diese theoretischen folgen dann die praktischen
Ausführungen de* vierten Abschnitts. Von Ehe und
Ehescheidung, von Monarchie und Bepublik, von Adel
und Bürgorstand, von Arbeiterfrage und Sozialdemokratie,
706
Zwölfte* K*pjt-l.
von aMgemeinem Stimmrecht uud Todesstrafe, von Staat
und Kirche und den BnotxmiUda für diese ist hier du*
Rede. Dabei zeigt »ich die konservativ*» Natur von Siran U,
die wir immer schon und vollends seit seinem poUttMba
Auftreten im Jahre IH48 kenium. und o* zeigt neb der in
MJIHII Biographien zutage tretend« individualistische Zug
seines Wesen*. Da» Erste, wenn er manche«, was uns buuto
in der Bttllk und im praktischen Laben «um Problem ge-
worden ist, hinnimmt, als rnulllr •:■- -.-. ><-in und für all* '/.
so bleiben - nach dem Wort seines Meisters Uegel. daß das
Wirkliche vernünftig sei, dem übrigens im Sittlichen» wie
wir eben gehört haben, auch Kant beistimmt. So tritt
um nur eines zu erwähnen, entschieden für die monarchische
Staats form ein und sieht in dem Rätselhaften, ja scheinbar
Absurden derselben das Geheimnis ihres Vorzug» vor der
Republik. Wenn ihm dabei das Wort entschlüpft: „Jede«
Mysterium erscheint absurd, und doch ist nichts Tiefem.
weder Leben noch Kunst noch Staat, ohne Mysterium 4 ',
M hat man ihn darauf festnageln und ihn zum unwillkür-
lichen Zeugen gegen sich selber und für die Mysterien der
Religion und ihre Wunder machen wollen: als ob es sich in
jenen Worten um etwas anderes handelte als um da* My:
rium der Vererbung und der Persönlichkeil und Strauß
dieses nicht ohne weitere* auch für den RfHgionMÜfltt
hätte gelten lassen.
Die individualistische State kommt vor allem bei dar
Besprechung der Arbeiterfrage und in den scharfen Ausfallen
gegen die Sozialdemokratie zum Wort. An dieser beklagt or
den Mangel an Respekt vor den Großen des GflfotM, dio
Sehnsucht nach allgemeiner Duzbrüderschaft in Heiad-
armeln. Und doch, meint er, haben gerade die. Kn-ignisee
der letzten Jahre durch dl666 demokratische Rechnung
einen bösen Strich gemacht und die Wahrheit des HegeJ-
schen Satzes dargetan, daß „an der Spitze An vulthistori-
sehen Handlungen Individuen stehen als die das Substan-
Der alt« und dar neue (Haubo.
707
tielle verwirklichenden Subjektivitäten". An die Stell«
eines Goethe oder Humboldt und jetzt die Bismarck und
die Meli kr getreten, deren Größe um BO weniger zu leugnen
ist, als sie auf dem Gebiet der handgreiflichen äußeren
Tatsachen hervortritt. ,,Da müssen nun auch die steil-
nackigsten und borstigsten unter jenen Gesellen sich be-
quemen, ein wenig aufwärts zu blicken, um die erhabenen
Gestalten wenigstens bis zum Knie in Sicht zu bekommen."
Damit suchte er die kollektivistische Geschichtsauffassung
sozusagen ad oculo» zu widerlegen. Ihm ist die Geschichte
eine gute Aristokratin. Auch mit dem Gedanken, daß das
erbliche Privateigentum als Grundlage der Familie die Grund-
lage der Sittlichkeit und der Kultur und die Ungleichheit
des Besitzes etwas für den Bildungsfnrtschritt der Mensch-
heit Unentbehrliches sei, trat er den sozialdemokratischen
Tendenzen schrofl entgegen. Dabei zeigt er sich, das werden
wir heute leicht zugeben können, gegen den vierten Stand
und die ganze Arbeiterbewegung wirklich ungurncht, wenn
er das Verlangen nach einer verkürzten Arbeitszeit oder
nach Schiedsgerichten bei Streitigkeiten zwischen Arbeit-
gebern und Arbeitnehmern glattweg abweist, die Streiks
für ,,ein Stück von Anarchie mitten im Staat, von Krieg
im Frieden, von ungcschcul am hellen Tage sich durch-
führender Verschwörung'* erklärt. , .deren ungestörte
Fortdauer der Regierung und Gesetzgebung, die ihnen tat-
und willenlos zuschauen, nicht zur Khre gereicht", und
srlilii'Ulirfi t'in Sozialdemokraten zornig . .<i n HofiDflD DJld
Vandalen unserer modernen Kultur 41 nennt. Das alles ist
herausgeschrieben und herauszuverstrhen aus der Stimmung
zu Anfang der siebziger Jahre, wo viele unter dem frischen
Eindruck unserer nationalen Erhebung und Einigung in
dieser gegen alles Nationale hieb richtenden und es roh
verhöhnenden internationalen Bewegung ein absolut Krtnd-
liches, Staat und Kultur Bedrohendes sahen, heraus aus
einer Stimmung, aus der dann oin paar Jahre ipfltor da»
TOS
Zwölftes Kapitel
Sozialistengesetz mit seiueu drakonischen Aasualunebestiin-
mungen erflossen tot Die«» Stellen de* Straußischen Buch«
sind somit wiederum xeitlich bedingt, Ausdruck dw ersten
Schrecken» und der ersten Empörung eines nattonal#e-
Minntin .l.-u! .rhn. i'.i - ..ii-u (Irr m<-|i 'reute. ifaQ BOB KBd-
Hch erreicht und errungen sei, um was der Deutsche so
lange vorgeblich gekämpft und gestritten hatte, und dor
diese Errungenschaften alsbald wieder durch das Hoch-
kommen der Sozialdemokratie in Frage gestallt und sein
Volk durch sie in neue, kaum weniger schwere Kampfe
hineingerissen sah. Es waren schließlich Ähnliche und aus
Ähnlichen Erwägungen herausgewachsene. Gedanken, wie
sie Treitsehke drei Jahre spater in seiner Streitschrift gegon
die sozialistischen Nationalukonomen als die Gönner und Be-
günstiger des Sozialismus vorgetragen hat. Wir stehen heute
auf seitcu Schmollers und der KaUiedersozialisten, aber wir
können den entgegengesetzte» Standpunkt von Treitsehke
und Strauß historisch wohl verstehen, und wenn sich die
Genossen gelegentlich gar so sleifnackig und borstig anstellen,
ihren Zorn auch heute noch nachfohlen. Auf der andern
Seite dürfen wir aber zweierlei nicht vergessen. Einmal,
Strauß ist einer der allerersten gewesen, der die Gefahr
erkannte, an der damals die meisten Liberalen verständnislos
und hochmütig vorübergegangen sind. „Ob nicht Zeiten
kommen werden, wo das sozialdemokratische Lager im Heichs-
tag sich verstärken und in seiner Koalition mit den Klerikal i
der Regierung böse Schwierigkeiten bereiten wird 4 ', die*o
Frage klingt 1872 doch recht weit ausblickend. Und dann,
so verständnislos wie Treitschke ist Strauß der sozial- m
Frage gegenüber doch nicht gewesen. Schon 1848 hat er,
wie wir gesehen haben 1 ), auf das Prinzip der Assoziation
und auf Hilfskassen für kranke und alte Arbeiter hingewiesen.
Und so geht er auch jetzt nicht mit zornig ablehnenden
■l «. öt»n B. 431.
Der alle und der neu« Glaube.
70''
Worten, sondern mit UMB Zugeständnis an di* Kr-
örterung dieser Frage heran: „Bekennen wir vor allem,
es ist von der einen Seito viel gefehlt, insbesondere viol
unterlassen worden; man hat menschliche Kräfte mitunter
rücksichtslos ausgebeutet, ohne weder für das leibliche
noch für das sittliche Gedeihen des Arbeiters gehörige Sorge
eu tragen." Das war ein Anerkenntnis, zu dem auch
noch im Jahr 1872 nur ganz wenige auf Seiten der Bürger-
lichen sich bequemen mochten; noch jtehn oder fünfzehn
Jahre hat es gedauert, bis diese Anschauung allgemein
durchdrang und mmi sii-ti Hinsoll und politisch der Pffiohltt
erinnerte, die man dem vierten Stand gegenüber hatte. Auf
das Sozialistengesetz von 1878 folgte erst am 17. November
1881 die kaiserliche Botschaft, die an diese Pflichten mahnte.
Auoh daß aus jener Stelle des Straußischen Buches meine
Schrift „Die soziale Frage eine sittliche Kruge" heran*
gewachsen ist, darf ich in diesem Zusammenhang vielleicht
hier zu seinen Gunsten mit erwähnen.
Die obligatorische Zivilehe, die früher als er dacht« 1 , durch
das Gesetz vom 6. Februar 1875 für das Deu lache Heich
gekommen ist, hat Strauß ebenfalls schon gefordert, der
Kirche gegenüber vom Staat aber vorerst nicht mehr vor-
langt als Diogenes von dem großen Alexander. Das Stümpern
an der alten Kirche, alle die modernistischen Versuche,
..die Weltkultur mit der christlichen Frömmigkeit zu ver-
söhnen", mißfielen ihm gründlich; denn wenn der alto Glaube
absurd war, so ist es, meint er, der modernisierte des Prote-
slanlenvereius doppelt und dreifach. Er wollt« eben keiue
Halben und nichts Halbes, die Ganzen und das Ganze sind
ihm immer lieber gewesen. So sagte ihm auch da» Tun der
sogenannten freien Gemeinden wenig zu. Er hatte in Iinlm
ihren Gottesdiensten beigewohnt und sie entsetzlich trocken
und unerquicklich, „trübselig bis zum Schauerlichen" ge-
funden. Was würde er erst zu Predigten über Schiller oder
über Zarathustra gesagt haben! Entweder ganz oder gur
710
ZwWUs Kapitel
nichtl So empfand nr Miincrsciu km Bedürfnis nach MMV
halben oder auch ganzen Vernunflkirche, in dn «lu Mrnnehen
doch wieder nicht ganz frei waren. AU ob man »ich nur
in einer Kirch» sammeln, nur an Binar l>n>digt erbauen
könnt*.
Und doch sprach auch Strauß im Namen aiiderrr.
Wer sind diese andoron, die ,,Wir", für dir er liier da» Wort
fuhrt? Kr hat ausdrücklich darauf geantwortet: ..Wir
gehören den verschiedensten Berufsarten an. sind keines-
wegs bloß Gelehrte oder Künstler, sondern Beamte und
Militärs, Gewerbetreibende und Gutsbesitzer; auch das
weibliche Geschlecht ist unter uns nicht unverireten; wir
sind unser nicht wenige, sondern viele Tausend«* und nicht
die schlechtesten in allen Landen." Ks sinil mit einem Wort
Menschen, wie sein Bruder einer gewesen ist. Menschen,
die sich den Sinn möglichst olTeu zu erhalten suchen für iill»>
höheren Interessen und ihr Genüge linden an den Aufgaben,
die das Lehen stellt und an den Freuden, die die Erde bietet.
Diese finden Ersatz für das. was sonst die Kirche gegeben hat,
in geschichtlichen Studien, in Erweiterung ihrer Natur
kenntnisse. an den Schriften unserer groDen Dichter und
bei den Aufführungen der Werke unserer großen Musiker.
StrauQ war Aristokrat. Ein Aristokrat der Bildung
natürlich- Der Bürgerliche, der sich zu ehren mal
wenn er die Erhebung in den Adelsstand nachsucht odi-r
Kar erkauft, schändet sich in seinen Augen; und selbst
wenn ein verdienter Mann aus dem Bürgerstando die ihm
als Belohnung gebotene Standeserhohung d mkhar .umiimut,
zuckt er die Achseln als über eine milleulcnswert« Schwäche.
Vom „Volk" aber hielt er seit dem Züriputsch ron 1839
recht wenig; daß sich die Wissenschaft nuoh diesen harten
Köpfen richten sollte, hielt er, wie er Mnrkliu schrieb, 1 )
für verkehrt. Und doch stammt aus jener Zeit eine merk-
*) Oben S. 384.
Der ult« und der neue Gll
711
würdige Äußerung ganz anderer Art, die Reuschle (ür der
Mühe wert hielt alsbald seiner Braut xu berichten: „Ging
letzthin mit Strnuß spazieren. Die Rede kam auf die
religiösen Wirren, die Mißlichkeit seiner Theologie gegen-
über dem Volk. Ich kam dadurch auf die; Gefühle, die am
Pflngstmorgen der Anblick des zur Kirche gehender» Kulter-
weibles in mir erregte. Kaum hatte ich ..Kutterweible"
und „Kirche 1- gesagt, so liel mir Strauß sogleich in» Wort:
ja, dieses Gefühl kenne er, und solche Kutterweible kennen es
vorzüglich erregen; er sei sich in solchen Augenblicken schon
oft als ein Verbrecher vorgekommen." Ebenso dachte <*.r 11M8.
wie wir wissen, nicht bloß politisch un die Kinheit und
Freiheit, sondern auch sozial an das Volk, das hungert und
friert und von jeder Art von Not zu Boden gedrückt wird 1 ),
lind so ist denn auch in seinem letzten Buch das Volk
nicht so ganz vergessen, wie es er9t scheint. An den
Bildungsschatzen können nicht nur die geistig Höchst-
fclehi'iideii teilnehmen; auch der schlicht« Mnrri aus den,
Volk kann es und soll es Lessings Nathan oder Goethes
Hermann und Dorothea sind nicht schwerer zu verstehen
und enthalten nicht weniger Heilswahrheiten, weniger goldene
Sprüche als ein paulinischer Brief oder eine Johanneische
Christus rede. Darum muß dafür Platz geschafft werden:
„wenn künftig auch unsere Bnuernkinder in der Dorfcrhulr
weniger mit palästinischer Geographie und JudengescjnVht. ,
mit unverständlichen Glaubenssätzen und unverdaulichen
Sprüchen geplagt werden, wird um so mehr Zeit übrig
bleiben, sie zur Teilnahme an dem geistigen Leben des
eigeuen Volke», zum Mitschöpfen aus seinen so reichen
Kullurquellen heranzubilden!" Ich wüßte nicht, was da-
gegen einzuwenden wäre, weiß aber leider wohl, daß diese
Forderung unserer modernen SozialpBdagogik auch heute
noch bloß Forderung und Wunsch ist.
') Oben 8. 431 .
4«.
712
Zwölftes Kapiltt
Man hat den von Strauß propanierten Enati für die
veralteten und ausgelebten Formen de* Kirchentums etwa»
dOnn gefunden, man hnt nber dabei — absichtlich oder unab-
sichtlich — übersehen, daß dem von ihm Genannten noch ein
ladon vur«nifi«ht : .Wir luihni wjihr.-nf| iici letzten Jahn
lebendigen Anteil genommen und jeder in seiner Art mit-
gewirkt an dem großen nationalen Krieg und der Auf-
richtung des deutschen Staate, und wir linden uns durch dicao
so unerwartete nU herrliche Wendung der Geschicke unserer
Wltlgajirffftan Nation im Innereien erhoben; dem Nachdenken
über ilüHjrnigOt mm ri«'ii \'r»1U»-i-ri wir ilni r>iii/.i'lnei r.mn Heil
oder zum Verderben gereicht, gibt, ja dieser Krieg unerschöpf-
lichen SlolT, an sittlichen Lehren war nie eine /-eil
als die letzten Jahre. 1 * So kommt auch hier zürn Individuellen
das Gemeinsame, zum Ästhetischen das Sittliche, r
Genießen die soziale Mitarbeit, zur Natur die Geschichte
hinzu. Und wenn ich mein eigene« Leben auf dieses Straußi-
sche Rezept hin, ,,wie wir es treiben", ansehe und prüfe, so
wüßte ich nicht, was diesem fehlt, Auch ich kann ihm nach-
sprechen :
So leben wir. *o wandeln wir beglückt.
ohne mich eines ruch- und schamlosen Philieteruptirnisniua
schuldig zu wissen. Zum Sittlichen gehört unter ander
auch das, daß man vor der Welt seinen Kopf hoch tragt
und seine persönlichen Sorgen und Leiden ün Innersten
verschließt und damit für sich und mit sich allein fertig wird.
Oder nicht?
Strauß aber, dem gerade in diesem Augenblick wieder
einmal sein Lebensglück in Scherben vor den Füßen I«g,
fand in solchen Zeiten bei Poesie und Musik den Frieden
und die Erquickung, die ihm die Welt und die Menschen
sonst nicht geben konnten; diese beiden Orangen ihm am un-
mittelbarsten ins Herz und wirkten geradezu religiös, er-
bauend und erhebend auf ihn ein, Darum, wessen das Hon
voll ist, des gehet der Mund über. Zu seinem Glauben»-
Dar *lt« und d*r neun Glaub*.
713
bekenntnis gehört, zu sagen, wie er die Meister der Poesie
gelesen, die Meister der Musik gehört und was er dabei
gedacht und empfunden hat. Und so folgen hier ganz sach-
gemäß die beiden Zugaben von unsern großen Dichtern und
von unsern großen Musikern. Die erste ist gewissermaßen ein
später Ersatz für das ungeschriebene Buch über unsere sechs
Klassiker. Da er aber über Klopstoek früher schon geredet
hatte, von Wielands Dichtungen ihm nur wenige anziehend
waren und er gegen Herder eine Art Idiosynkrasie und starke
Antipathie hatte, so beschrankte er sich auf Lessing, Goethe
und Schiller. Ea genügt hier zu sagen, daß diesor Abschnitt
zum Besten und Schönsten gehört, was über diese drei
Größten gesagt worden ist. In der zweiten Zugabe von
unseren Musikern kommen alle sechs Klassiker zu Wort,
Bach und Handel ganz kurz, dann Gluck, unser musikali-
scher Lessing, und Haydn, der etwas von Wieland hat. nur
daß er ohne Vergleich bedeutender ist, darauf am ausführ-
lichsten natürlich Mozart und Beethoven. Daß der erster«
ebenso wie in den Reihen der Dichter Goethe seinem Herzen
am nächsten stand, ist leicht zu spuren.
Mit diesen zwei Größten hier, mit Goethe und Schiller
dort endigen die beiden Abschnitte, von der Romantik ist
nicht die Rede, Zwar die romantischen Poeten hat er wohl
zu schätzen gewußt; er wäre ja kein Schwabe, kein Freund
von Kerner und Mörike gewesen. So hat er z. B. Heinrich
von Kleist voll gewürdigt, wenn er. eben in der Zeit dos
alten und neuen Glaubens, Über seinen ,. Prinzen von Hom-
burg" an Rapp schreibt: ,,Ei, was ist das für ein herrliches
Stück! Der Krankheilsstoff, der Kleist sonst immer so viel
zu schaffen macht, hat sich hier gleichsam heraus auf die
Haut geworfen. Nur die erste Szene, und als ihr Widerschein
dio letzte, ist phantaslisch-somnainbulistisch. Alles andere
kerngesund, und das einzige, was man in dieser Hinsicht
beanstanden könnte, der allzu tiefe Fall des Helden in maß-
lose Todesangst, wird gerade durch das Träumerische, das
714
7-wOlfles Kapitel.
ihm von der ersten Stern» her anklebt, gut gemackt. Da*
ganze IMdenleben ist unter die Beleuchtung de» Gedanken»
„das Lehen ein Traum" geseilt. 1 " Aber, niiu. Mi ff auch
hier weil ihm mit Goethe das Romantische „das Kranke"
war, *o hielt er e» auch in der Poesie lieher mit dem
Klawinchoii. -.ein Geschmack war an den Alten gebildet und
darum durchaus neuhumanistisch im Sinne Leasings und
Schiller* und Goethe*. Ganr. puristisch und streng konser-
vativ aber, um nioht zu sagen: ganz orthodox, war Strauß
auf dam Gebiete der Musik. Schon l>ei Beethoven Mehl sj
trotz aller Bewunderung für s*>ine Größe und titanischen Gewalt
allerlei Einschränkungen, diu ja schon früher, in dem musi-
kalischen Brief eines beschrankten Kopfes über die neunte
Symphonie, xum Ausdruck gekommen waren und hier, ver-
stärkt, wiederholt werden. Beethoven war Ulm ein Übergang
vom Klassischen suin Romantischen, und diesen Schritt ma« I
er nicht gerne mit. Vergehens hatte sein Freund KaufTmann
versucht, ihn für Schumann zu gewinnen; und nun gar Hi-.h ,.i 1
Wagner! Seinen Namen hatte er in der unbeh <
Zeit seines Weimarer Aufenthalts in dem ihm wenig sympa-
thischen Liszlschen Kreise zuerst nennen hören; seither war
er ihm verdächtig und bald ebenso unsympathiu-ii wie jener.
Wagner war ein Neuerer, ein Revolutionär in »einer Kunst,
Strauß war auch hier konservativ. Als er im Winter 1867
auf 1868 in München war, erlebte er dort die Kampfe um
Wagner und die wachsende Hochflut der Wagnerbegeisterung,
deren Opfer sein Freund Lachner geworden ist. De-w
abonniert er sich bei den großen Konzerten nicht, w> il ihm
zu viel ..zukunftsmusikalisches Wildwasser" darein eingedrun-
gen ist; Lachner gab ja seine Entlassung als Generalmusik-
direktor eben deshalb, weil er, wie n ihni i;M«\ .,ip ( i M .
Lftnge mit dem Wagnerspack unmöglich an einem Strang
ziehen könne"; und dann „gute Nacht Haydn und Mozart!"
So verhärtete sich Strauß in diesen Zeiten des Kampfes und
der Agitation, die auf seilen der fanatischen Wagnerianer
Der :ilU' UIlJ *J«*P N''liu ni.njbf.
716
oft recht häßliche Formen annahm, immer mehr gegen den
Meister; seine Briefe geben dieser Antipathie drastischen Aus-
druck l ). Früher hatte er daran gedacht, zusammen mit
KaufTmann eine Broschüre gegen Wagner zu schreiben. Kr
hat es aber schließlich aufgegeben und sich in der öftVi.i
lichkeit. soviel ich sehe, nur einmal zu einem freilich sehr
heftigen Ausfall gegen die Zukunftsmusik hinreißen lassen — an
einem Ort, wo man es kaum suchen würde, in dem Christus
des Glaubens und dem Jesus der Geschichte, wo er das
Kintreien für i\W- Priorität *\v* M.irkusevangeliums für einen
..Zeitschwindel" erklärt» ,,wie die Zukunftsmusik oder die
Agitation gegen die Kuhpockenimpfung"! Im alten und
neuen Glauben hat er sich jedes Angriffs auf Wagner und seine
Richtung enthalten; er hat ihn — das war für die Wagne-
rianer freilich noch kränkender — überhaupt nicht genannt.
Denn wenn er am Schluß sagt: .Kaum für neuere muß ja
werden'*, so hat er dabei an Schubert oder Mendelssohn,
ganz gewiß nicht an Wagner gedneht. Mit Goethe und
FtnteHnr. mit Mozart und Beethoven hört« für ihn seine
Welt der Dichter und der Musiker auf.
Noch ein Wort über die äußere Form des Buche». Um
nicht wieder in den Fehler „gelehrter Schwerfälligkeit"
zu fallen, wie beim zweiten Leben Jesu, hatte er diesmal
ganz aus freier Hand, gleichsam ohne Zirkel und Winkelmaß
gearbeitet und wirklich alle Grazie darüber ausgebreitet ,
deren seine biegsame Feder fähig war. An die Stelle der
Gelehrsamkeit trat die Kunst, es war durch Stil und Form
ein wirkliches Kunstwerk, das als solches nach Zellor* Urteil
„auf gleicher Höhe mit dem Voltaire stand und auch der
gleichen Stilgattung angehörte". Ich denke im ganzen
ebenso darüber — mit einem kleinen Vorbehalt. An einigen
Stellen will e* mir vorkommen, als ob eine gewisse Steiflg
') In dun „Auxgru Hnelm" limM «ich auf 8. &7S ein Bei
davon: in den uugvilruekU-it klingt v% noch weit scharfer.
Zwölftes Kapitel
keR und Umständlichkeit irn Ausdruck sich zeige oder sn
zeigen anfangr. Man redet von Goethes „AlWwliV . Kin
solcher ist auch hier im alten und neuen Glauben — nich»
vorhanden, das wfire zu viel gesagt, aber er ist im Anzug;
für den, der für den Stil Straußen» das Ohr hat. sind 1<
Anzeichen von Verkalkung oder Versteinerung ab und zu
i'irnii.-i! herauszuhören. Im übrigen ist es, wie er selbst sagt.
eins „lcichtgeschurzti ', shu anmutige und graziöse Schrift.
Ee ist aber mehr als das, hinter der leichten Form birgt
sich tiefer Krnst und ein ganz gewaltiger Kern. Es ist viel
Wahrhaftigkeit und Khrlichkeit, viel Helligkeit und Kl
hl ' viel Schönheit und Freiheit in dem Buch, Und
er damit wollte, ist etwas ganz Richtiges und etwas ganz
Notwendiges. Im achtzehnten Jahrhundert h;i Mensch-
heit eine einfache und geschlossene Weltanschauung; mit
den Gedanken: Gott, Tugend und Unsterblichkeit hat das
Aufklürungszeitalter — sparsam, aber es hat anstfindig danüt
gewirtschaftet, es ist ehrlich damit ausgekommen. Durch die
Romantik ist der Haushalt des deutschen Volkes unendlich
viel reicher und feiner und ästhetischer geworden; aber
das Helle und Klare, das Einfache und Einheitliche ging
verloren, die Weihrauchwolken stiegen wieder auf und
nahmen der Sonne ihren Schein und der Luft ihre Remheil ;
wir leben seithor in Dumpfheil und Verworrenheit, im
Clairobsour. Nun kum der Aufschwung der Naturwissen-
schaften und brachte Licht, viel Licht in die Welt. Allein
dadurch wurde unser Leben und unsere Weltanschauung
erst recht zwiespaltig, romantisch und modern zugleich.
Man darf ja nur an unseren höheren Schulen hintereinander
einer Religionsstunde und dem naturwissenschaftlichen Unter-
richt bui wohnen. Uns von dieser Zwiespältigkeit zu be-
freien, den romantischen Nebel zu zerstreuen und uns eine
einheitliche und einfache Weltanschauung zu schaffen,
die wirklich modern gedacht ist, ich denke, das ist ein
durchaus berechtigter Versuch. StrauD hat ihn gi-maclit.
Der iltf und drr neue flljiuhe,
717
darin liegt das groß© Verdienst des alten und des neuen Glau-
bens; daß seh das nicht auf einen Schlag erreichen ließ, das
wußte er selbst am besten, Einer nur erst abgesteckten
Eisenbahn verglich er sein Buch- , .Welche Abgründe sind
noch auszufüllen oder zu überbrücken, welche Borge zu
durchgraben; wie manches Jahr wird noch verfließen, ehe
der Zug reiselustige Menschen schnell und bequem da hinaus
befördert; aber man sieht doch die Richtung, dahin wird
und muß es gehen, wo die Fähnlein lustig im Winde Haltern !"
Daß es ihm mitseinerTrassierungnichtdurchaus gelungen
ist, haben wir mit unseren kritischen Bemerkungen bereits
angedeutet. Zwei Schwierigkeiten hat er unterschätzt. Die
eine können wir am besten mit den Worten Wailensteins
ausdrücken:
Dn wilUt die Macht,
Die ruhig, siclior thronondr, n.r.huUrni.
Die in verjAhrt geheiligtem Heult,
In der Gewohnheit featgogrundot ruht.
Die nn der Völker frommem Kinderglauhen
Hit tausend zähen Wurzeln sich befestigt. ...
Nicht was lebendig, kraftvoll sieh verkündigt
l..i da* gefahrlich Furchtbare. Das gan«
Gemeine ist's, dan ewig Gestrige,
Was immer war und immer wiederkehrt
Und morgen gilt, weil 1 * heute hnt gegolten.
Strauß hat die Macht der Tradition und des auch in der reli-
giösen Tradition hegenden sozialen Faktors zu gering geachtet:
darin zeigt er sich uns immer wieder als den Individualisten,
der er war. Und er hat — darin offenbart sich eine andere
Schranke seines Wesens — die Grenzen menschlicher Er-
kenntnis nicht genügend erwogen: darum ließ er sich all-
zusehr blenden vom naturwissenschaftlichen Licht, sein
Buch wurde infolge davon zu naturalistisch, der Geist
mit seinen Ansprüchen kam zu kurz, und wo diesem
Genüge getan werden sollte, wie im vierten Kapitel, da war
er umgekehrt zu konservativ, zu sehr Hegelianer, der da*
71*
Zwdlfl« Kspitel.
l'roMi'mati-u'he im Wirklichen und Geltenden du fr auf
religiösem Gebiete gesehen hat wie keiner, im (ihrigen doch
nicht in seiner ganzen Schwer»? und Tiefe erkannt*. Aber
was ihm damals nicht m»1I gl hingen ist, wem ist es dl
seither gelungen ? Hat die Philosophie mit ihren iuhtOOD
U&tüttOtaogta über die Grenzen unseres Erkennen».
nur ihrem Zurückgehen auf Kant oder iwutrdlqgi Kar
auf Ficht* ein Hau* gebaut, in dem <ii<* sflMnlsgq
»ich so wohl und so behaglich fühlen können,
die de« Aufklarungszeitaltors in ihrer attofaUroan, aber
hellen Wohnstube? Oder hat von der anderm Seite her
llaeckol die Weltrfiisel gelöst und sind die Monisten auch nur
ni. Im sirli in etwa* nridiTcin i-inig als im Negieren? 1
Weltanschauung für dos Volk derer, die von «1er <•liri.it-
Hchen sich nicht mehr befriedigt fühlen — wir brauchen
sie heute dringender noch nls vor sechsunddniißig Jahren.
Strnuß hol sie schaffen wollen. Wir können Beinen Veniftofa
um -hl als einen durchweg gelungenen anerkennen, er Ist vor
allem ergflnzungsbedurflig. Aber wenn irgendwo, so muß
hier das in mögnis voluisse sat est gelten.
Doch nun noch die andere Frage: wie hat das Buch
gewirkt:' wie wurde es aufgenommen? lis ist heute üblich,
recht geringschätzig von dem allen und neuen Glauben
zu reden. Schweitzer z. B. tut es kurz ab mit dem Wort*:
„Es war ein totes Buch trotz der vielen Aullagen, die
es erlebte, und das Geschrei, das Freund und Feind darum
erhoben, war das Geschrei um einen Toten" l ). Wer die
Wirkung damals miterlebt hat, wio ich. der kann so nicht
reden. Das Buch schlug ein wir ein Funke ins Pulverfaß, und
von mir wenigstens kann ich bezeugen, daß mich in meinen
jungen Jahren kein Buch so erregt hat wie dieses, daß ein«
') Schweitzer a.a.O. ß. 75. „TotonnaH" sagt Ooethfl vom
Systeme dp la nutun\ aber Üoellip drückt sich bvscbsidSMr *u» als
Si iweilr.nr .1 kuni ins so graili SO clBinerlSCh. m '"l nhtfl
» ..r"; und K«sctal4ert hat'* ihn doch davor, wi* w Hn«m Oe*p*tiftl.
Der altf* und der neue UUuhf
719
große, befreiende Wirkung von ihm auf mich ausgegangen ist.
Aber allerdings die Wirkung in der Öffentlichkeit, in der
Presse war eine ganz andere. Wenn Strauß auf ein mächtiges
Echo von den vielen Tausenden seiner „Wir" gehofft hatte,
so sah er sich darin gelauscht; dieses Echo blieb aus, dafür
kamen von selten der Kritik die schrillsten Töne, die* »chmfTMen
Absagen. Er tröstete sich freilich damit, daß die Einver-
standenen sich in solchem Fall mit stiller Zustimmung zu
hegnugen pflegen, namentlich hier, wo es nicht QlUU '"fahr
war, sein Einverständnis offen eineubekennen *). Aber it. <
die Nichteinvcrstandenon hatten das Wort, und was sie
sagten, klang bßse. bitterböse. Strauß mußte die Erfuhrung
machen» daß in Deutschland alterworbener SehrifUtclIor-
ruhm — alt ? es war noch keine zwei Jahre hur. daß man ihm
ob seiner Kenanbnefe allgemein zugejubelt hatte — gegen
die Anwürfe einer respektlosen Kritik nicht schützt ; je junger
die Hczensenten sind, desto frecher pflegen sie sich bekannt-
lich zu gebärden, und gerade auf einen nicht Unbekannten
um so derber und kecker loszuschlagen, je mehr sie merken,
daß die allgemeine Stimmung diesmal gegen ihn ist; und je
unbedeutender sie selber sind, desto wohler tut es ihnen, auch
einmal „mit fadenscheinigem Bettlerstolz die Miene gering-
schatziger Überlegenheit gegen einen Kiesen am Geiste
annehmen" zu könm n
Dnhei übersah die Kritik fast durchweg eine», daß es
steh um ein ..Iiekenutnis" handle, um einen neuen , .Glauben",
den Mi. ml', dem Mleri ifr^iMiiiliei-slelMe /,n el.-iubrii und
ein Glaubensbekenntnis abzulegen nach seiner l'"a«;on,
dazu sollte doch jeder das Hecht haben; und wenn es ein
Mann wie Strauß tut und damit gewissermaßen der Welt
»ein Testament tibergibt, so hatte mnn ihn auf alle Fülle
mit Respekt reden lassen und anhören sollen. Allein Strauß
") Wie Recht er damit hall*, habt Ufa im MtM WL 8.33z
an mnnrr penönlirhi'n Rrfnhnjng in Wurtl"mbf*rg p'MMtft.
reo
Zwölftes K»pit*L
hatte c*, wie er selber ironisch meint, diesmal auch gar m
ungeschickt angegriffen. Zunächst halt« or zum Teil doch
reehtepttxe und starke Worte gebraucht. Wo nner von dein allen
persönlichen Gott, an den er ja nicht mehr glnuble, im Sinn«
von Giorduno Bruno sagte, durch die Erkeiintrm von der
t nrinllioliki'ü der v. i . ■ ihn „gleichsam die Wohnuaj
not herangetreten", oder anderswo die Geschichte von der
Auferstehung Jesu als einen ..weltgesclüchtüchen Ilumbug"
bezeichnete, so wirkte das auf viele wie eine Blasphemie
und war unnötig herausfordernd und verletzend Wii
wissen, wie er dazu kam. Er kam von Voltaire her, dttsen
zu sprechen hatte auf ihn abgefärbt. Aber was die Menschen
der Aufklärung ruhig hinnahmen, das ertrug man im Jahr-
hundert der Romantik, im Reich der Zusammengehörigkeit
von Thron und Altar und in den Zeiten eines Mb humer
ausbreitenden Cant nicht mehr in derselben Weise. Di
hinter dieser Scharfe sich noch andere», PersÖnlit
verbarg, das wußte damals ohnedies niemand; keiner ahnte,
daß der Mann, der so munter philosophierte und so heiter das
So loben wir, so wandeln wir beglückt
auf sich anwandte, ein Schmerzensreich war, dem weben
die letzte HofFnung auf Glück in die Bruche gegangen war.
Die Weiber und die Theologen hatten sein Loben verpfuscht
Was Wunder, wenn am neuen der alle Groll wtedttT auf-
wachte und sich gelegentlich den letzteren zu »puren gab.
weil er es just mit ihnen zu tun hatte.
Aber noch schlimmer war das andere, daß er es mit
allen Parteien vordarb und sich dem Kreuzfeuer der Ortho-
doxen und der Fortschrittstheologen, der Konservativ)
und der Sozialdemokraten ohne alle Deckung aussetzt
Da war der Apostel Paulus, meint er selbst, ein anderer
Stratege, als er vor dem hohen Hat in Jerusalem dio bedroh-
liche Koalition der Pharisäer und Sadduzäer durch das
Hineinspielen der Auferstebungsfrage zu trennen und die
Pharisäer auf seine Seite zu bringen wußte. Auch hier wieder
Der alt« und der neu« Glaubt*.
721
iigte sich Strauß aU den Mann rücksichtsloser, unerbitt-
licher Wahrhaftigkeit, der allen die Wahrheit, r»o wies er
sie sah, ins Gesicht sagte, ohne die Folgen ängstlich zuvor
zu erwägen.
Verdorben hatte er es wieder nrnnal grundlich mit
aller Theologie. Es war natürlich nur ein theologisches
SpnBchnn, wenn Nippold l ) meinte, seine Bundesgenossen
linden wich „fast nur im Loger der verschiedenen klerikalen
Orthodoxien". Wohl wiesen die auf der Rechten schaden-
froh lim mif »iüs. was Strauß über ihre liberalen Gegner
nagte, und sahen in seinem neuen Glauben nur die KoBM
quenz dessen, was diese nur halb gedacht oder nur halb tu
sagen gewagt hallen. Im übrigen war ihnen das Bueh
natürlich ein Greuel. Mut nllrrdings, ganz besonders empört
waren die Manner des Protestantenvereins, und sie hatten
auch allen Grund dazu. Doppelt und dreifach absurd hatte
Strauß ihren modernisierten Gluuben genannt: der alte
widerspreche doch nur der Vernunft, der ihrige sich selbst
in allen Teilen, wie könnte er da mit der Vernunft stimmen i*
Und gewiß hat Strauß die Verdienste, die sich die freisin-
nigen Theologen in einer Zeit des Übergangs um die allmäh-
liche Umbildung und Überführung des alten Glaubens in ein
Neues und damit um unser Volkstum erworben haben und
noch erwerben, verkannt. Aber seine Mission war eben eine
andere, seiner .Natur war nun einmal alles Halbe und alles
Vermittelnde, das ihm stets als ein Unehrliches erschienen
ist, aufs äußerste zuwider. Dazu sah er an der Spitze
des Prolestantenvereins Bluntschli und Schenkel, die zwei
Schweizer, die so merkwürdig aus konservativen Politikern
und Theologen zu Führern de* kirchlichen Liberalismus in
Baden geworden waren : sie zu lieben oder auch nur zu achten
hatte er am allerwenigsten Grund. Diese Gefühle übertrug er
') D. Fr. Strauß' »dt er und neuer Glaub« und Mine 1ii«'rAn*ch*n
Ergebnisse. Zwei kritische Ablumdlungnn von L. W. F.. Run wen-
hoff und Fr. Nippold. 1R7J.
m
Zwölftes KapiUi
dann auf die Bewegung selber, an deren Spitz« sie standen.
Umgekehrt fohlten ».ich Auch «in- Männer de* Protestanten
verein» persönlich von Struuß erkrankt Mit einigen von
ihnen, dem Dogmaliker Biedermann und dem Pfarrer
Heinrich Lang in Zürich, halte vorn Uodtiisi-e her, wo t»r
in den letzten Juhrrn einige Sornrm n zu verbring«
pflegte, Beziehungen angeknüpft und freundschaftlich Dt
suche und Briefe getauscht. Da glaubten sie ihn. ob-
wohl er gerade ihnen gegennber auf die „SfaranaostiflUnifl d«
Materialismus" hingewiesen und den Unterschied der Anschau-
ungen freundlich, aber bestimmt betont hatte, funtgaraU tiDta
der Ihrigen ansehen zu dürfen. Wie Müh min im alten und
neuen Glauben das Hagelwetter besonders schwer über die
liberale. Theologie entlud, so kam ihnen das vor wie ein Vor-
rat an der Freundschaft und wie ein persönlicher Bruch mit
ihnen: das hatten sie nicht von Strauß erwartet, das glaubten
sir nicht um ihn verdient zu haben, lind so war allerdings
von dieser Seite her Abwehr und Kritik am schärfsten. loh
selbst habe von Heinrich Lang im Winter 1872/1873 in
Winterthur einen Vortrag gegen den alten und neuen Glauben
gehört, drr im höchsten Malle gereizt und l inftlich,
wirklich wie in Gift und Galle getaucht war. Ganz ver-
standen habe ich diesen Zorn erst jetzt, wo mir die Un- iV
von Strauß an Biedermann zugänglich geworden bind. Der
letzte, der für schöne in Zürich und auf dem Zürcher»«
zugebrachte Stunden dankt, ist vom 24. Juli 1872 und
schließt mit den Worten: „Wann ich Sie fhr heuer nicht
mehr sehen sollte, so leben Sie wohl, teurer Freund, und
seien mit Ihrer lieben Krau und Tochter, wie auch der
Familie Lang, von Herzen gogrOßt.' 1 Kurz darauf sehrieb
Biedermann an Vatke: „Ich gäbe einen Finger meiner rechten
Hand darum, Strauß hätte das ominöse Buch nicht
schrieben' 1 . Strauß erwartete von ihm sogar ein offenes Send -
schreiben gegen sein Buch; aber erst nach seinem Tod, in
seiner Kektoratsrede von 1875 hat er, soviel ich weiß. OlTenthch
Der alte und der neue Glaube.
79 !
Stellung dagegen genommen. Sie mußten ihn eben, nachdem
sie »ich persönlich mit ihm eingelassen und „an ihm schwarz
gemacht" hatten, im Interesse ihrer Sache von den Rock-
schößen schütteln und den Gegnern zur Rechten die un-
bequeme Waffe aus der Hand zu schlagen suchen, wenn
diese sagten; Seht, dahin führt die schiefe Ebene, auf der
■ In' olle steht. Selbst die scheinbar ganz Freien, die soge-
nannten freireligiösen Gemeinden und ihre Wortführer,
schlössen sich dein allgemeinen Verdammungsurteil an.
Sie hatte Strauß gegen sich aufgebracht, weil er ihre
Gottesdienste „trübselig"' genannt hatte „bis zum Schauer-
lichen",
Auch mit den Philosophen hatte er es verdorben. In
erster Linie mit denen um Schopenhauer und Eduard v. Harl-
rnann. Schopenhauers pessimistisch grobe Reden von Gott
und Welt hatte er för Phuntasiespielo eines Philosophen
erklärt, der beim Niederschreiben solcher Satze nicht bei
Trost gewesen sei; und den Grundgedanken von Eduard
v. Hartmanna Philosophie des Unbewußten nannte er gar
einen bloßen „Einfall". Anderen galt der Darwinismus,
zu dem sich Strauß mit allen seinen Konsequenzen, auch
der der AbfttaUUBUg des Menschen vom Allen, bekennte,
für schlechthin materialistisch; daher legten, ohne zu
'in i^rsuchen, ob Strauß auch wirklich Materialist «ei, die
allen Materialistentoter Ulrici und Curriere ihm stumpfen
Lanzen gegen ihn ein und suchten ihn auf Widersprüchen
aller Art zu ertappen.
Aber auch mit den Politikern ging es ihm nicht hess«r.
Der Materialismus war als «Ins (iliiubeiisliekiMtrituiH der
Sozialdemokraten bei allen konservativ denkenden Merivli.-n
verpönt. Daß Strauß selbst konservativ dacht«, das er«
sehn ii als eine wunderliche Inkonsequenz, die ihm nicht viel
half. Umgekehrt freuten sieh die Sozialdemokraten über
den kritischen und philosophischen Teil des Buches; aber
gerade ihnen, und den Demokraten überhaupt, war er im
724
Zwölfte Kautel
vierten Abaehnitt so derb entgegengetreten, daß *i« von
drin Buch al* ganzem doch nicht« wiwen wollten.
Und w«nn ihm Hclmholtz zu srincr Freude privatim
wenigstens afc H Bafl ließ, daß die naturwissenschaftlichen
Partion durchaus korrekt seien, so zögerten doch auch
auf nnturwiiuonschAftlirhrr Still viele, mit ihm die letzten
Konsequenzen zu ziehen und ihm in Fragen, die mehr pl.
sophisch als naturwissenschaftlich waren, offen zuzustimmen.
Immerhin fand er für diese Abschnitte in Sempcr, Seidlitx
und Monz Wagner sachkundige Verteidiger. Aber abge-
sehen davon konnte Nippold 1873 doch mit Recht sagen:
neben der protestantischen Theologie haben „NaturvriaW
schuft und Philosophie. Nationalökonomie und StaaU-
wissonschaft. Kunst- und Kultur- und Litoratuw i
Judentum, freie Gemeinden und Altkatholizismus — s\e
haben insgesamt ihre Vertreter ausgeschickt, um den neuen
Glauben auf der ganzen Linie zurückzuweisen". Also
Feinde ringsum! Strauß konnte wieder wie im Jahre 1835
fragen: bin ich denn ganz allein? Die beiden Freunde,
die die nächsten dazu gewesen waren, sich seiner ansunrlnn
Eduard Zeller und Kuno Fischer, schwiegen. Sie waren mit
dem Inhalt nicht durchweg einverstanden, und das wollten
sie in einein Augenblick, wo alle Welt auf Strauß und
Buch einschlug, nicht in der Öffentlichkeit sagen, um dadurch
den Gegnern nicht Wasser auf ihre Mühle zu liefern. Privatim
haben sie sich mit ihm durchaus freundlich, aber nicht ohne
ihren abweichenden Standpunkt zu betonen, darüber aus-
gesprochen, und Strauß hat ihnen das nicht übel genommen.
Nur einer trat rückhaltlos für ihn ein, das war ich —
in einer Serie von Artikeln in der Beilage zur Allgemeinen
Zeitung in der Form einer Antikritik gegen den altkatlio-
lischen Professor Johannes Huber In München. Ich rnutt
davon reden, weil ich weiß, eine wie große Freude das für
Slrauli gewesen ist, ein wirklicher Trost in j«ui«i böten
Tagen, wo es von allen Seilen hieß: Philister Über dir. Simsonl
Der alte und der neue filaube.
m
Strauß halte »ich natürlich darauf gefaßt gemacht, Anstoß
zu erregen und Widerspruch zu erfahren. Aber daß es so
toll kommen, daß der Widerspruch so allseilig sein und Dm
— sogar in den Reihen der gebildeten Mittelparteien —
den Ton des gesellschaftlichen Anatandes gegen ihn so völlig
außer acht lassen werde, das hatto er nicht erwartet vmi
seinen
Landsleutun, deuUchnn, wnrlmi.
Die steU ihn freundlich ehrten,
Sii:li jungst die B lui ho liioUtO,
AU Buben nach Ihm Meilen,
Ihn von den Stahlen rlason
Und in die Go»e schmusen.
Da verfuhren Fremde weit glimpflicher mit ihm, so Clad-
slone, der ihn in einer Kede in Liverpool ausführlich be-
kämpfte, aber dabei nicht aufhörte wie ein Gentleman TOB
ihm zusprechen, oder Renan, der auch dieses Buch vonSlrauß
„grnnd, noble, eleve?' genannt hat.
Im Sturme hatte er angefangen, im Sturme sollte er
enden. Aber jetzt war er dem Sturme nicht mehr gewachsen
wie vor 37 Jahren, er war weniger widerstandsfähig, war
ültor, war auch — wir werden es hören — nicht mehr ganz
gesund und überdies verwöhnt von der Aufnahme seines
Voltaire und der Renanbriefe; und ein empfindlicher Schwabe
war er ohnedies. So traf ihn die vielfach so persönliche,
so gehässige und auch in der Form so verletzende Kritik
nocli einmal tief ins Herz.
In dieser Situation erschien meine „Kritik gegen Kritik"
— etwas verspätet, weil mein erster Aufsatz über das Buch,
für den Württembergischen Staatsanzeiger bestimmt und
dort auch bereit« gesetzt, auf höhere Weisung kassiert
worden war; womit sich die württembergische Regierung
in ihrem Verhalten gegen Strauß ja nur bis zum Schluß treu
geblieben ist. Freilich auch die Allgemeine Zeitung hat mit der
Annahme lange gezögert. Was in den Artikeln stand, ist Neben-
rfu iti*f)s*. d. 7i. strMfi. II. 47
726
Zwölft«* Kapttrf.
u \tppoliJ rihinl. irh w?i du mit, ,,nn der Throlofrj* irr*
geworden, mit fliegenden Haaren ') ins Lager der Natur-
al . -, ii: -■ ii.iii ^cMiii'htfl.". Ich hatte iiii hl dm Eindrix'lt iml
hoho ihn noch heule nicht, daß ich mich damals auf der Flucht
befunden habe, und in dem Lager der Naturwissenschaft
Imi ich jii bis zur Stunde noch nicht angekommen; wohl alnw
halle ich. und habe noch, die Meinung, daß die Philosophie
wohl daran tut, sich mit den Ergebnissen und auch mit den
wohl fundierten Hypothesen der Nulurwis.Mmsch.ift in I
klang zu halten. Strauß aber hat, wie schon £i*sagL — und
darüber bin ich heute noch froh und darauf bin ich
taute noch stols — dieses mein Eintreten für ihn in
|oHem Augenblick sehr wohltuend empfunden. „Sic
haben mir 4 ', schrieb er mir am 5. Januar 1873, „durch den
Mut, im bedenklichsten Augenblick des Kampfes »ich mir
zur Seite zu stellen, nicht bloß nach außen, dem Publikum
gegenüber, sondern auch rein für mich selbst einen unschätz-
baren Dienst erwiesen. Ich war doch in Gefahr, nicht an
mir selbst, wohl aber an der Zeit und den Zeitgenossen irre
zu werden, wenn mein aus innerstem Bedürfnis hervorg«-
gegangener Ruf keinen anderen als höhnischen Widerhall
gefunden hatte. Aber auch die Ehre der deutschen Journa-
listik haben Sic retten helfen, die sich bis dahin in der Sache
— ich darf es gewiß ohne Anmaßung sagen — geradezu
') Meine fliegenden Hanro — oheu fugaco*! übrigen* iti dir- «irr
zweite lliiHnnythti», dem wir begegnen : erst die roten Haar« von Strauß,
mm die fliegenden von mir. Man kann daran wirklich Wmoii und
Ursprung des Mythus, wie ihn Strauß bestimmt hat. studio
Die roten Uaare gehen auf den Verräter Judo* mrück. der in der Kumt
vielfach mit solchem llanr dargestellt wird; die (liegenden sollen na
den Knaben ALsulom erinnern, der mit seinen langen lluaren an einer
Dohfl htOfftO blieb und dem dann zum Ijohn lOr seinen Aufruhr Jonb
drei spieße ins Herx stieß. So nicht ohne Tendern erfunden, sind sie
natürlich von ihren l.'rlwhern Kellwl geglaubt worden i und der (Haube
an d** rot» Haar von Strauß wird nefa wohl nie mehr gans *«r-
lirn-n.
Dur alt* und der neue Glaube.
727
«eh mählich benommen hatte." Und daß das nicht bloß
ein höflicher Dank an den jungen Kampfgenossen war,
zeigen die Wort« dnrnher un die Schwägerin: „Das Jahr
hat für mich noch freundlicher geschlossen» als es die Zeit
her den Anschein hatte. Die unverschämten Angriffe auf
mein Buch hatten mich doch düster gestimmt, bis ich selbst
die Feder in die Hand nahm, ihnen zu begegnen. Und nun
kommt ja auch von außen Sukkurs; ich habe das Gefühl,
daß ein günstiger Wendepunkt eingetreten ist."
Die Schrift, zu der er. wie er hier andeutet, selber die
Feder in die Hand nahm, um ,,den unverschämten Angriffen"
zu begegnen, war ,,Ein Nachwort als Vorwort zu den nouen
Auflagen meiner Schrift; Der alte und der neue Glaube".
Ich habe sie zugleich mit jenem Brief vom 5. Januar 1873
von ihm zugeschickt bekommen, datiert ist sie vom letzten
Tag des Jahres 1872. Als man horte, Strauß werde seinen
Kritikern antworten, machte man sich auf eine neue Serie
von Streitschriften und auf eine Abwehr im schärfsten Ton
gefaßt. In dieser — Hoffnung oder Furcht sah man sich
getnuscht. Gegen diejenigen Gegner, die sich am wo testen
vorgewagt hatten, brachte das Schriftchen allerdings nh und
zu ein energisches Wort und einen scharfen Ausfall. So
gegen den ,,hofTnungsvollen jungen Mann, der das Steuer iIit
Zeitschrift .,1m neuen Keich" ■) so munter hundhnbtc",
') Diese Zeitschrift erschien bei Ö. Htrzol in Leipzig, dem Ver-
de* uiton und dt» neuen Olaubon». Slruuü war mit Recht, ompürt,
daß gerade hier, wenn mim ihn nicht lohen wollte, man ihn nicht
wenigstens mit Anstund und KückMcht behandelte. Daher übergab
er „Hin NoflfcWürt ÜB Vorwort" meinem Neffen Emil StrnuU in
V«rl«g und, ;d» Hm»! dadurch beleidigt ihm du Buch zu freier
Verfügung stellte, rbrnso vmi der ftflftM Mittag* an auch dm alten
und den ntoen (•tauben selber. Um» daJMl etwa» ängstlich g*wor*
denen NofFon seliriob ur das lOhn-nd Wort: ..Ihr iiiii.hmM. chnn vor
Richtig sem. ihr könnet Innren Onk.-I lieb und in Klirr n li.ill'n,
ohne seine religi&seu Meinungen ab Kokardo auf den Hut |fl
stecken."
4V
728
Z»Alfl« K*piUJ.
gegen Alfred Dove. Dieser hatte, weil er sich einmal auf Mine
(Straußen*) Konten in guten Humor gesetzt, es noh ja nicht
verkneifen können, spöttisch von de**en Bei erenzen vor
Losving oder von Jesu hoffnung*lo*er Unfähigkeit tum Börsen-
geschäft xu roden. Und ebenso energisch wandte sich Strnuß
gegen den altkatholischen Professor der Philosophie in Mün-
chen, Johannes Huber, wenn dieserihmgegenuberin denselben
Ton fiel und dem geachteten Widersacher null Au ab|
■Ofauoktcsten Konsequenzen zuzuschieben für erlaubt Iiii !f
Sachlich hatte man ihm vielfach einen inzwischen erschienenen
Vortrag von Du Bois-Roymond „Ober dir Gfensen des N&taP*
erkonnens'* mit seinem vielzilierten Ignonilumus entgegenge-
halten, Dove hatte mit Beziehung darauf seiner Kritik ge-
radezu ilie (Iberschrill gegeben: Bekenn Ulis od er Bescheidung ?
gleich als wollte er sagen: „Da sehet auf der einen Seite Hiirn
großen Naturforscher, der sich bescheidet , nur bis zu einen
wissen Punkte hin etwas xu wissen, der also jenseits dii
Punktes euch glauben laßt, was ihr wollet; und auf der andern
Seite einen vermeintlichen Philosophen, der uneinged«
jener Schranken, auch über sie hinaus euch sein unglniilu
Bekenntnis aufdrangen will." Mit Recht weist Strauß den
Versuch ab, sieh dabei auf Kant zu berufen und seine kritische
Eingrenzung des Vemunftgebrouchs nur deshalb willkonim-ii
zu heißen, um jenseits dieser Grenze um so ungestörter ullen
Spuk des alten Glaubens und Aberglaubens forttreiben zu kön-
nen. Dagegen zitiert er aus der Schrift von Du Bois-Kcymoiul
meinerseits Satze, aus denen klar hervorging, wie wenig ('»rund
seine Gegner hatten, sich gerade auf diesen Naturforscher xu be-
rufen. So die Äußerung, daß „die Seele nls allmähliche* Ergeb-
nis gewisser materielle! Kombinationen entstanden and viel
leicht gleich anderen erblichen, im Kampf ums Dasein dem ein-
zelnen nützlichen Gaben durch eine zahllose Reihe von Ge-
HeMechlern sich gesteigert und vervollkommnet hui .der
noch deutlicher die andere: „Was wftre dem Naturforscher xu
erwiderr, wenn er, bevor er in die Annahme einer WelUoeJ«
Dor alte und der neue OUuhe.
:jv
willigte» verlangte, daß ihm irgendwo inder Welt, in Neuroglia
gebettet und mit warmem, arteriellem Ulut unter richtigem
Druck gespeist, ein dem geistigen Vermögen solcher Seele an
Umfang entsprechendes Konvolut von Ganglienkugeln und
Nervenröhren gezeigt würde ?" Die Meinung eines Forschers,
der so sprach, konnte unmöglich nein, sagt Strauß, „hinter
den von ihm abgesteckten Grenzen unseres exakten Natur-
erkennens veraltete Hypothesen und abgestorbene Dugn.i-n
sich von neuem ansiedeln zu lassen". Vielleicht freilich
haben damals Feind und Freund das mehr aus rhetorischen
als aus kritischen Bedürfnissen entsprungene .Jgnorabimus"
des berühmten VnrlruKs (iherliiHi|i| /u erusl und zu hoch
genommen.
ltn übrigen aber war der Ton der kleinen Straußischen
Schrift weit weniger streitbar, als man erwartet hatte.
Sie machte, Tast wie einst die Friedlichen Mittler, eher einen
elegischen Eindruck, als ob ihr Verfasser bei allem Fest-
halten an seinem Standpunkt vielmehr nach einer Verstau-
digungsuchte und tastete. Ausdrücklich heißt es: ..kein Streit
milAndersdenkenden, nur Verständigung mit Gleichgesinnten
v-.ii die Ab.sielit " Kin?.ig das K< cid dazu, «hili nur Vii-/.:ib1 vom
Staatsbürgern überhaupt keiner Kirche mehr nuch nur Äußer-
lich augehöre, habe er durch sein Bekenntnis in Anspruch
nehmen wollon; und davon bleibe er trotz aller Schmä-
hungen überzeugt, daß er damit ein gutes Werk getan und
sich den Dank einer minder befangenen Zukunft ver-
dient habe. „Die Zeit der Verständigung wird kommen",
mit diesen Worten schließt er, ..wie sie für das Lehen Jesu
gekommen ist: nur daß ich sie diesmal nicht mehr erleben
werde."
Ob er mit dem Ausblick in eine ihm günstigere Zukunft
recht gehabt hat, lassen wir dahingestellt; das gehört nicht
mehr in die Lcbensgeschichte von Strauß. Aber damit
halte er sicher recht, daß er die Zeit der Versündigung
nicht mehr erleben werde. Der Wendepunkt war Ende 1872
730 Zwölftes Kapitel
doch noch nicht eingetreten, der Kampf gegen sein Buch ging
weiter, die Schmähungen hörten nicht auf, das Schlimmste
sollte sogar erst noch kommen. Allein für ihn persönlich
war der Streit zu Ende, jene Schlußworte waren aus einer
Todesahnung herausgeschrieben, die sich nur zu rasch erfüllen
sollte. Bald tönte das Kampfgetöse nur noch dumpf und
leise herein in das Zimmer eines Sterbenden.
Dreizehnte* Kapitel.
Das Ende.
Der alte und der neue Glaube war noch in Darmaladt
tu Ende gebracht worden. Aber wir wissen bereits, daß
ihn dort nichts mehr hielt. Ohne Arbeit zu bleiben. wurc
ihm unmöglich gewesen. Auch lag Darmstadi zu well
ab von seinen beiden Kindern, Georgine war in Bonn, Fritz
in Stuttgart: was war natürlicher, als daß er in die Nahe
des einen oder des andern zog? Am NtadarrhttD hatte er
.schon einmal gelebt, ohne sich dort behaglich zu fahlen,
und so begnügte er sich, alljährlich mit der Tochter in
Biebrich oder um Bodensee schöne Wochen zu verbringen.
Er war ein Schwabe, in diese seine Heimat gehörte er, dorthin
zogen ihn Jugenderinnerungen und Jugendfreunde, dorthin
nun auch der Sohn, Und die Lufl war ja frei, seit Agnes
Schabest in Stuttgart gestorben war. Die Wahl war nur, ob
Stuttgart oder Ludwigsburg? Eine passende Wohnung, die
sich zuffillig fand, entschied für das letztere, für seine Geburts-
stadt Ludwigsburg. Von dort führte die Bahn in 20 Minuten
den Sohn und die Freunde herüber, unter dienen vor allem
Kapp, der seit 1867 als Pensionärin Stuttgart wohnte. Zum
Leben freilich wäre Ludwignhurg für Strauß bald EU einsam
geworden, zum Sterben aber war es ihm eben recht.
Als er im November 1872 in Ludwigsburg einzog,
fand er, daß der Tausch mit Darmstadt sehr seine zwei
Seiten habe, zumal die Jahreszeit eine solche war, in der
Ludwigsburg seine Vorzüge nur sehr unvollständig zur Gel-
753
lir'-iuhntcs fcwjuUl.
tmi^ bringen könnt*. Doch macht« nr »ich di< Spaziergang«
nach M<Vhehkeit zunutze und fan lia-t bei dem fouchlon
Novemberwetter recht gangbar- Dagegen wirkten die Erinn*-
rungon, dk »ich ihm auf Schritt und Tritt darboten, so teuer
Hie ihm waren, im ganzen doch mehr hclimerzlich als
erfreulich, weil "i" lieh durchaus an Ventorbene knüpfun.
Ludwigsburg war für ihn eine wahr« Toteustadt. Außer
tTiit dem ihm verwandten Ruoffacheu Hause knüpfte er L>
Verbindungen an. Dem Prälaten Hauber, »einem um **inr
Promotion älteren Konkurrenten von Tübingen her'), be>-
;'- : 'i ü !t- er mweilen Jini Sp:r/,ieri,'angen, man begrüßte HCh
freundlich und ging wohl auch eine Strecke zusammen. Den
klugen Prälaten mochte es reizen, dem einsamen Strauß gegen*
iiber unterwegs ijeii I nhrfiiiij»fiieii nml I ir.i_iiititi>r"ii xu
spielen. Ein Verkehr war da* natürlich nicht. Seinem ohn©-
Jün schwachen. Trieb, sich anzuschließen, und den guten Vor-
sätzen, mit denen er gekommen war, wirkte ijburdies der
Uhle Kindruck entgegen, den er »ein Buch überall machen sah.
Aber gerade, daß er niemand zu besuchen hatte und von
niemand besucht wurde, daß er uiieh Her/e.uslnsi illei ein
konnte, benagte ihm in dieser menschenscheuen, menschen -
überdrüssigen Stimmung doch, Und die alte Karoline hatte
zu seiner Bedienung ein« recht ordentliche Person ausfindig
gemacht und sah ja, am Orte gegenwärtig, treulich sorgend
selber nach dem Rechten. iNur die Wohnung war nicht gut
gelegen, so nüchtern und prosaisch, so stil- und Stimmung*!«*,
wie Bto uns heute anmutet, war sie schon dainuls. (Ihrigen*
dachte er auch an neue Arbeit, die ihn am besten aus der
Verstimmung herausgerissen hätte. Kr fing bereit» wiedei
an, Steine zu brechen und Stamme zu fallen. Ich traf ihn
im Dezember 1872 beim Studium von Zellers Geschichte der
deutschen Philosophie. Aul ein Opus philosopliirum wei.-tui
auch sonnt Andeutungen hin: vielleicht wollte er den früheren
'j Siehu Band 1, S. 52.
Das binde.
RS
Plan einer Geschichte der Moral wieder aufnehmen. Gelegent-
lich klingt es auch so, als ob es sich um ein Buch über
Lessing handelte. Aber über die allerersten Vorarbeiten
ist er jedenfalls nicht hinausgekommen, denn nun kam
«In anderes, — zuerst die Krankheit, dann der Tod.
Noch im Mars 1873 schreibt er: , .wenigstens bin ich
gesund". Allein schon am 3. April klingt es anders: „MtÜLQ
Gesundheit hat einen Puff bekommen.** Strauß war bis
dahin nie eigentlich krank gewesen, nur von Katarrh und
Grippe, seltener von Magenverstimmung ist in den Briefen
gelegentlich die Rede. Jetst, beinahe genau mit dem 65.
Geburtstag, verließ ihn seine bisherige Gesundheit, er sah einem
durch tiefe Körperleideu getrübten Lebensabend entgegen.
Der Versuch mit einer Kur in Karlsbad verlief resultatlo:
Im Juni entdeckten die Ärzte, sein Sohn Fritz und Obor-
medisinalrat Elaässer in Stuttgart, eine Geschwulst im Darm-
kanal. Man dachte natürlich an Krebs; es war aber, wio
ein später vorgenommener Probestich durch Professor
Simon aus Heidelberg ergab, ein Abszeß harmloserer Art,
eine RluUyate, die allmählich in Verjauchung Oberging 1 ).
Schon vorher, gleich nach der Rückkehr aus Karlsbad,
war stark« Abmagerung und rasches Schwinden der Kraft«
rii.iii ; n ■.!■■ \i-ttt auch von einer eigentlichen Ope-
ration absehen ließ. Dazu stellten sich heftige und immer
heftiger werdende Schmerzen ein, die kaum durch Narkotika
in erträglichen Maßen zu haiton waren. Es war ein langes,
schweres Krankenlager, waren Tage und Wochen und Monate
voll körperlicher und geistiger Schwache und voll fürchter-
licher Schmerzen. Und es war fast von Anfang an ein
Krankenlager ohne Hoffnung, namentlich bei dem Kranken
selber.
Da berührte ihn, was von außen kam, nicht allzuviel
mehr. Den literarischen Verdrießlichkeiten des vergangenen
l ) So u*ch einem mir vorlügenden briet von ProfcMor Simon
an den Solm.
m
Divtiehntc* Kapitel
Winter* schrieb er teilweise die Schuld an der Widerstands-
Uwugki-it und dorn Schwinden seiner Kraft« zu. Also Ralt
.■ . >.m> mi ii von Lettx n halten \ .1 iirm- , i-ii . 1 üti t <<r
Kapp:
Tu mir nirhtt davon zu wi*vn,
L.aÜ mich ruh'n auf meinem Ktwn.
Kann loa mir.h nirht krner wehren.
M*k Ich .hi.Ii in. ht* wetter liOrrn.
Nur das angekündigte Sendschreiben von Biedermann in
Zürich hatte ihn interessiert- Und doch kamen noch zwei
schlimme Attacken. Zunächst ein« von befreundeter Seile.
Macher wollte schon im J miliar 1873 öffentlich über den alten
und den neuen Glauben das Wort ergreifen, und xwar — alt
Gegner des Buches; dann glaubte er sich auf einn private
Admonition beschranken 7.11 können und schickte Strauß
das Paket mit seinen Bemerkungen tu, obwohl ihn dieeer
hatte bitten lassen, damit zu warten, bi* er mit wieder-
gewonnener Ruhe und innerer Klarheit seine Arbeil von
neuem vornehmen könne. Aber Vischer drängte es *u reden,
zu streiten, recht xu behalten; und so erschien in dun, .kri tisch n
Gängen" im August 1873 ein Artikel gegrn dm :>\\> u und .!■ n
neuen Glauben: — „also richtig!" wie Strauß an Rapp seufzend
schreibt. Das war in diesem Augenblick zuviel. AU Vischer
einige Zeit nachher dm besuchen wollte, wandle sich
Strauß wortlos von ihm ab, das Band zwischen den
beiden war, wie schon so manchesmal. ziTschnittcu. nur
konnte es diesmal im Lehm nicht mehr wieder angeknüpft
werden.
Die zweite Attacke ging von Nietzsche aus. hu Herbst
1873 erhielt Strauß das erste Stock von dessen »Uoc
gemäßen Betrachtungen. David Strauß, der Bekennor und
Schriftsteller.*' Auf den Inhalt komme ich nachher noch mit
einem Wort zurück. Hier handelt es eich nur um den Kin-
druck, den das Pamphlet auf Strauß gemacht hat. ,,Der
Nietzache", schreibt er am 19. Dezember un Rapp, „hat oe
Das Eutin. M
ja den Leuten förmlich angetan. Ks ging mir hier, wie es
in der Entführung heißt:
Erst geköpft, timl dtflfl gehangen. ..
Freilich, wenn es ihm gelungen ist. einen schon Geköpften
auch noch zu haiigen, so war das Aufsehen, das er muchtr,
nicht unverdient! Ihr seht übrigens, wie vergeblich eure
Bemühungen sind, einen schon zweifach Geloteten wieder
zu beleben Auch würe es kaum wünschenswert; denn in
der Entfuhrung heißt es weiter:
IHmn gespn-Ul .ml heiBe BUBfMj —
was ja noch schmerzhafter als Hangen und Köpfen sein muß.
Mir ist an dem Putron mir das psychologische Problem
merkwürdig, wie man «u einer aolchen Wut kommen kann
gegen einen Menschen, der einem nie ins Gehege gekommen, —
kurz das eigentliche Motiv seines leidenschaftlichen Hasses
begreife ich nicht '). Doch lassen wir die Fratzen und wenden
l ) Wir begreifen das heute natürlich btw.or. Abgesehen von gum
Persönlichem, dem Neid des Stillsten Nietische auf den Stilisten Str.mU,
wovon noch die Rode sein soll, war es die „Wut" des W-igucriancr*
gegen den musikalischen Klammsten, der von Wagner nicht* wissen
wollte, die Verachtung des Pessimisten gegen den „ruchloson" Opti-
mismus von Strand und die Empörung über deaicn Kritik an Schopen-
hauer, der damals noch NmI'mIics anderer Meister war. Seit dem
Erscheinen des Buche* von Bernoulli. Overbeek und N
wissen wir aber such, wer hinter diesem II * Ü gestanden, ihn .<ngrf;n hl
und geschürt bat: us war der Thenlc.gr. Ovorheok. der üben damaln
eine höchst merkwürdige „Streit- und Friedensaetirifl" („Ober
die Chrtetlluhkeit unserer heutigen Theologio" 1873) hatUi erscheinen
lassen, in der auch ersieh mit dem Buch von Slr/mU auseinarnl« -r-
seUto. So stockt theologisch© Antipathie, theologisches KesscnUmont
auch in dem NietMchcschcn Angriff auf StrauD. — Die Verständnis-
loslgkoit und Urutabtat der Schwastor, die uns in ihrer tJlographle
dea Bruders II, B»4t6 benchtet, wie dl«cm sein Pamphlet naebtrag-
habe leid tun wollen, als er hurte, daU StruuU ein Kranker und BUT<
bander sei, dann aber ihrerseits auf Grund des oben mitgeteilten
Briete* von Strauü ihn einen selbstgefälligen Saturiait nennt, der
kein Mitleid verdiene und „nicht im gebrochenem Herten l'ülm
736
Dreiiehul« Kapitel.
um den Musterbildern d« Schönen und Gutem xn." Im
Übrigen hielt er sich die nicht endenv. ollende Flut der Stall
»chrifteriliteratur um »«in Buch her möglichst vom Letb.
Audi meine Schrift „In Sachen dos Slrnuüiscbon Buche*", in
der ich den Kampf gegen Johunnes Huher fortsetzte, hat it
zwar in den ersten Tagen des Jahres 1874 noch erhalten.
.iii"i rimn nur noch gescheu, nicht mehr gelesen.
Sonst ermOdete sein Geist bis gegen das Bude hin Dicht
Nicht nur für leichte Arbeit und allerlei Lektüre hielt er
stand, auch zum Briefeschreiben raffte sich StnuiU auf, so
schwer es ihm mehr und mehr auch fiel. Namentlich fwittl b
Rapp und ihm flogen Briefe und Billette hin und her: aus
ilrm J.iluv 1873 sind noch 72, aus dem Januar 1874 noch
7 Briefe von Strauß an ihn erhalten. Und dann wird nicht
nur i in Befinden berichtet, hindern jll. -clei Ernsthaft«»
besprochen; über Treitschkes Stil und Juslis Winckclmnim.
über /.elh-rs Vorlesungi'u Ober Staut und Kirrhe, über Schopen-
hauer und Piaton, über Morike und Hermann Kurz, Ober
Paulis englische Geschichte oder über ein Bild von Kaulba« h,
Über Cornelius Nepoa' Atticus und den Unterschied von
sei", soll hier nur niedriger gehängt, kein» Wortes der BuiQekmlnttf
gewürdigt werden. Strauß ein Sutlsfait! Du »ober Üott! Wona
Nietwehe bB M Ecc* liomo" 8. 70 ff. nein« Beschimpfungen wiederholt
und Strauß noch einmal einen liildungtphilwter und ÖaWsfait nenut,
ihn zu den unvorbotaerliclien Flnchkftpfen und Hanswursten rechnet
und dieses schwäbische Wundertier komisch findet, *o mag man das
dem Oei-kükr ukuii zugute halten. 1 • i ■ ^rhwester h:il dji-n Knt
schuldigung nicht. — Sehr merkwürdig ist die Darstellung dM uns
hier nicht weiter berührenden Verhältnisse* von Nlelwehr und Strauß
in der Naumonnachon Patria von 1909, 8. 210IT., du- hir NmlueJi«
gegen Strauß Partei uunnit und m einein Hymnus auf tli« froh*
Botschaft des Patrioten Nietzsche endigt. Sollte die Aufnahme du
Artikels auch hier auf früher* theologische Antipathien zurüekiutuhren
sein? oder ist sie ein Zeichen einer beginnenden Rückwärtsentwick-
lung: erat von Stocker bis gani nahe heran an die Sozialdemokratie
und nun zurück Über dem Block zu Nietzsche, der antisozial, anti-
demokratisch, anttliberal war „bis zur Bosheit"? Wer will il»aag*a?
Dm Esrie.
737
Catull und Horaz. Auch scherzen kann er noch, so w«n er
Freund Rapp Über die Schreibun*; de* Namen» Darwin
belehrt: „Was würde die Nachwelt, was wurden auch im
Klysium die saugen Schatten, so gutherzig wir uns auch
diese vorzustellen haben mögen, von mir sagen, wenn weh
reigte, daß ich, 1 brnsUnglith ein Schuht - i*ter. nicht einmal
so viel Beruf dazu gehabt, um meinem vertrautesten Freund
auch mir ijiii Namen ein«* Manne«, uro den sich in der letzten
Zeit unsere Verhandlungen so oft gedreht, richtig beixu-
bringenf" Und neben den Briefen die Besuche- Von Stutt-
gart kam ihm der Sühn nur nicht oft genug, Hup» m> hAuflg
als möglich, öfter auch Gustav Binder, Professor Keuschle
u. a. Aus Heidelberg Kuno Fischer, Ober dessen Zu/Ock-
versnUungAuf den nllen Boden als über einen Akt angleichen
drr (irre« htiirk' it Stmfl M'-h gans besonders freute; Fischer,
rühmt er, war bei seinem Besuch unendlich teilnehmend
und gab, für einen «o iitrammen Mann, seinem Sabinen
1-irnMi leidrfi*rh;< Mienen Aundrurk Auch mit Zollirr hatte
er noch einmal ..eine recht schöne Stunde**; ..auch er gehört zu
den Freunden, deren Uobsj nach buachflint." Seihst von Frem-
deren drangen teilnehmende Stimmen in dan Kranken-
zimmer, unter denen natürlich auch die der beiden fürst-
lichen Frauen in Dnrrrwtadt und Berlin nicht fehlten.
Und wie dankbar er für all' das wart Namentlich Kapp
dankt er immer wieder für »eine fast täglichen Briefe, durch
die er ihm gar wohl tut. und überhaupt für alle Freund-
schaft und Liebe, die er für ihn hat und ein Leben lang
gehabt hat:
Freund, luß undere sich um ihm Ehr« sanken.
Die niemand *ntut**l*n «trebt;
Du int»« Titiht mit jaBadam Wort das EranktOi
Dlewetl *r atmet, weil er lebt.
LaÖ lim im FrMta iu dtSf dunkeln Pforto «chwankea.
Die schon «ich in den Angeln hebt;
Du ftiahftt ihn mit dur Hand Dir noch von fern« danken,
Ind»* mm Chatten «r vererhwebt.
7:is
Dmuhnt« Kapitel.
Alter auch ein anderer Sonnenstrahl fiel noch herein in
«in - immer duiiklnr werdende Kammer. Ge .- «unt«- tii- ! > i
kommen, dnfur überraschte sie Anfang Oktober den V
mit der Nachricht von der Ankunft eines ZwilUngspäreheii».
Anfangs erschrak er xwar nber den h ■■. n. da*-chi>ndroi
](;.- Knkelkinder du waren, zumal er eben einen recht
schlechten Tag hatte, als das Telegramm kam. Aber bald
nahm er die Sache von der heiteren Seite und bedam
nur. dali er die beiden , Kerkolchen" niehl Behau konnte;
Im -,»u,|, r, |i|i 1 ;.i-l>.- nl». i rli.T, - ( .11' -■ I Mi' -ie f ( y.- r IU VO* /l><-
lichundlu»ligfccliei'/l rn m Anklang nui!iuMOrikc*cho»('>edicht:
Ja die 8töre.hc, ja du- 8lAre.hr. lud die Fr.m. wofern *ie kluf
la der Kammer wie im Pferehu Weiü, dui) ein* gorode gnug tat;
Können einen Mann erschrecken. Wenn dann Zwilling« erscheint*.
Wenn sin Ihn zu iweiun Ml IM Kragt alo: lachen oder weinen?
i\nrh der liroßpnpa, der nlte.
Auf der Stirne manche Falte,
Seufxet in den aehlunken Beutel:
Alles eitel 1 allws eitel)
Ein anderes Mal tröstet er die Eltern:
Final mit eurem Zwillingnachrecken Unsere großen Drei in Ehren;
Werdet ihr euch selber necken, Doch was wurden wir mtbel
An Goburls- und Jubeltagen Halten wir die 7.wilhngHrungr*n
Fröhlich euren Gasten sagen: NichlaUNiu Mmlniochatoefcnf**!
Und ebenso stellt er sich zur Teufe im November mit
Versen ein. weil er auch dabei sein will, wie
Au-, den binden kleinen Heiden
Macht man JeUt zwei kleine Giraten.
Aber nun die Hauptfrage, wie hat sich der neue Glaube
im Leiden und Sterben an ihm liewiilirt? Auch darüber geben
uns Briefe und vor allem Verse Aufsehliil). Daß Straub* die
Schmerzen trug wie ein Held, darüber war seine Umgelr.
einig; nur Kapp wuUto, wie er litt. „Er klugti: nicht,"
erzählt Binder; als dieser ihn einmal 1'ra^t.e. ob . mIiw-i
leide, erwiderte er fast streng: ,.So dürfen wir nicht sprechen,
wir müssen tragen, was der Lauf der Natur uns bringt."
Das EnJi-
TW
Religion ist GcfÖlil schlechthiriger Abhängigkeit vom Uni-
versum, vom Lauf der Natur: so hatte er im alten und neuen
Glauben gelehrt. Diese Abhängigkeit brachte ihm dor Leidens-
weg, auf dem ihm keine Station erlassen wurde, ganz
persönlich tum Bewußtsein; und dieses Gefühl dor Ab-
hängigkeit und Ergebung in den Lauf der Natur brachte er
nun auch in Venen vom Kranken- und Sterbelager aus
schon und rein und fromm zum Ausdruck
Aus den letzten Monaten stammen die beiden Suspirien:
Könnt' ich denn empfangen haben.
O Natur, aus deinen Hunden
Diese schonen, reichen Spenden
Und nicht auch Yerlrau'n auf dich?
Große Geborin der Gaben,
Seufe' ich dann "> nu'iner Kummer,
Nur mit »Ihn srhwnrwn JummOr,
Gütige, verschont- mich.
Und das andere:
Stund' um Stunde fohl* ich mein« KrAfL* schwindi-n,
Sich die Bunde losen, die mich hier noch binden;
Wenig Munde noch, so ist von diesen Resten,
Die jfltit mich bedeuten, keiner mehr xu finden.
Ew'go Kraft der Welten, hilf der müden Seele
Diese letzten Qualen standhaft überwinden!
Ja, in Ruhestunden spQr* Ich schon oin Snusoln.
Wie von Sicgeslüftcn, kohlenden, gelinden.
Doch nicht Lorbeer, nur der Liebe Kranz, begehr' ich
Mir im Sarg die bleichen Locken su umwinden.
Und endlich das letzte vom 29. Dezember 1873 an
Frieda Bogcr:
Wem ich dieses kluge, IIoiiIk heißt'*: vnrglimmen,
Wriü. i< h 1«I;ik-- nicht; Wi. .in I irlii verglimmt,
D«r ifh iln'" :-.ij:i-. In die Luft veix.hwiiuuii-ii.
Kühlt, ich zage nicht. Wie ein Ton verschwimmt.
MGge schwach wie mummt.
Aber hell und rein,
Dieser leiste Schimmer,
Dieser Ton nur sein,
740
Dreizehn!« Kapitel.
Wer BO stirbt, der stirbt wohl. Was Strauß dem Bi
Hin fahre vorher nachgerühmt hatte: ..Ou hast selbst In
»olehen AuRrnMickcn, wo jede Lebenshoftnung orlo*
war, niemals der Versuchung nachgegeben, durch AnMbflO
beim Jenseits dich zu tauschen", das gilt nun von ihm selber.
Ou- Flügel, die immer schon seine Prosa beflügelt hatten.
sri' haben ihn in diesen letzten schweren Wochen vom BodflO
aufwart» gehoben und ihn zu jenen reinsten und höchsten
Höhen geführt, über die einst der sterbende Sokrates
im Gefängnis und beim Seim rlingsbeeher gewandert, war.
Als ein weiser und uls ein frommer Mnnn ist David Friedrieh
Strauß gestorben. Damit hat er den vorwitzigen Frag-- in
dl) i-r ,'inrh fromm genug gewesen sei, urn Ober religiöse Dinge
mitzusprechen, die einzig mögliche Antwort gegeben. \'xu\
in dieser seiner Religion war alles: Abhängigkeitsgefühl
und fromme Ergebung, Vertrauen und Glauben, Erhebung
und innerrs Freigewordensein dem uncrhittlirheu C.ang der
Natur gegenüber Ergebung. Glauben an die Vernunft und
Güle des Wcltlaufs und damit Äugh-ieh das Triumpbgcfuhl
des Menschen gegenüber Schicksal und Natur, da» ihn in
Leiden und Sterben rufen läßt : Schmerz, wo ist dein Stachel ?
Tod. wo ist dein Sieg? Es war die Frömmigkeit eines Pan-
thristrn. wie sie ähnlich so etwa auch Goethe In rieh getragen
haben mag.
Auch noch ein anderes hat Strauß in dieser letzten /. ii
mehr und mehr abgestreift, jenes Individualistische soweit es
ein Egoistisches war oder zu werden drohte. Ein guter Deut-
scher ist Strauß immer gewesen. In den Kriegen von 1866
und noch mehr in dem von 1870 hat er über dem Kampf und
Sieg seines Volkes die eigene Not und das eigene Glviek oder
Unglück mehr und mehr vergessen. In diesem letztri
m hweren Jahr aber wandte er sich vollends angeekelt von
jenen ..Fratzen*' eines kleinlichen persönlichen Gezankes
den Musterbildern des Guten und Schönen, von dem Gedanken
an sich den Gedanken an sein Volk und dessen große Sehfofc
741
sule zu. Am 10. November 1873 freut tf itflh In trefflichen
Distichen der Bwei mAchtigen Treffer, die ddi dura Tag
gebracht hnt, Luther* und Schillers. In rmcm Kpigramm
jubiliert er über die Antwort Kaiser Wilhelms I. auf die
Anmaßung Pio Nonos, der in einem Schreiben vom 7. August
1873 nllc Getauften fnr mcIi in An-pruch genommen hatte:
Dii^ alte W.iM-lmcilj dort mit difint»tuflor Huube
Wlu BOhrett es au» dem Vatikan? —
Die Aalwort gibt ihm schon, gekrt&l mit deutschem Ltubo,
Bin kaiserlicher Mann.
Und in seinem lel/lni Hnel .m Kapp \ um 'i. I'rbni.n 1874
— es sind die letzten Worte, die er überhaupt gMCfcfidhtft, —
da heißt es: .Gluckauf für morgen zur Reichstägseröflnungf
Das sind Hauptsachen, wogegen unsere kleinen Schmerzen
verschwinden". So kommt zürn St hlul.l neben Gott-Natur
auch Gott in der Geschichte noch zu seinem Rech!
Am 8. Februar 1874 ist er mit frommer Ergebung in
den Nalurlauf und mit einem Hnvrii vull Leim für Vater-
land und Freunde, für Kinder und Enkel gestorben.
Am lt. Februar haben wir ihn begraben. ,,Ks war -in
kalter, Hrhoner Wintertag: hell um! klar Hellten die Sonne,
fast als wollte sie zeigen, daß hier ein Mann zur Erde
bestattet werde, der es an Klarheit Ehr gleich zu tun versucht
hatte. Es war ein Bläulicher Zug, der sich durch die mehr
als sonst belebten Straßen »einer Vaterstadt dem Friedhof
zu bewegte; und »o webmutig es mir ums Herz war, so
freute ich muh doch, daß heute sn manche rioh zn Strauß
bekannten, sei's nur mit dem Kopf oder auch mit dem Herzen.
Zugleich aber fühlte ich mich und fühlten sich viele mit mir
gehoben durch den Anblick, der uns vorher noch «uteil
geworden war. Wir hntten den Toten noch einmal gesehen,
noch einmal die Denke rstirm*. die so frei und lest die ge-
■oUoiMnni Augen überragte, noch einmal den Mund, der
mui Leiden zeugte und doch von Freundlichkeit und frieden
umspielt war, geschaut. So lag er inmitten seiner Bücher
in. zi*fi*r. h. n MnBi II. 48
742
Dreizehnte* Kapitel.
gebettet in herrUcketee Gran: e* war ein Anblick, in aller
jiehhcit schon und Kroß, wie ieh noch nie rlvow pc*eh*n
hatte " So schrieb ich unter dein Eindruck dieses Erlebnis«**
in ili-r ..r.rjrenwÄrr' vom 21. MBrs 1874. Glocke mjeliule
hatte sich Strauß ausdrücklich verbeten, auch kein Geist-
licher sollt* an »einem Grabe sprechen. Damit war sein
Pmuufl Rapp aiMgeschloMnn, der wohl auch zu ergriffen
Ipiwraen wäre, es su tun, Am nächsten standen dann
drei, Vischer, Zeller und Kuno Fischer. Aber der erste
könnt- »Uni dürft*- nicht. Kr selbst hnt noch, als er zehn
Jahn später bei dar Kokt der Kiithüllung einer Gedenk tu fr-1
am GeburUhaus von Strauß die Rede hielt, gesagt: ..Ein
Schatten schien sich mir zwischen mich und den Entschluß
zu stellen, niii Sunniten mit Geistermieiicn, die mlofa
Sprecher nicht willkommen hießen." 1874 jedenfalls war der
Schatten noch zu tief, der Bruch noch zu neu. ZeüVr war
krank. Warum Kuno Fischer, der darum ifheten wurd .
es nicht übernommen hat, weiß ich nicht. In dieser Not
bot sich ein anderer von den Getreuesten, Gustav Binder,
damals Direktor des Studienrats in Stuttgart» an. Sohn
und Tochter waren damit einverstanden. Neben ihm kamen
noch Professor Reusclile und ein Verwandter. Dr. Huofl von
Ludwigsburg, zu Wort. Heuschle feierte Strauß etwas pal
tisch als den Lessing des 19. Jahrhunderts 1 ). Huofl dankte in
wurmen, würdigen Worten dem Verstorbenen für die Freund -
*) Ubor diesen Vergleich hnt Struuü fruhor einmal im Retuchls
geschrieben: „Ich leugne nicht, daü Ich in Stunden gehobenen Selbst-
gefühls mir zuweilen geschmeichelt habe, as sei von Leasings
Ment«1 cm Stückchen, groß genug, mir eine Jacke daraus au machon.
auf mich gefallen; was aber die Verglvichung betrifft, gedenk.
d«w Spruch**:
Aber mit Oötlorn
Soll sich nicht messen
IrgiMnl rm MeBK h 1
oder genauer, Ich wotO, daO Jenas das Zeitalter der Halbgötter wor.
des jetzige das der ofa v&v ßporoi «toiv ist
Das Emk.
743
Hehkalft iitti) i ingehende Teilnahme, die er den Angelegen-
hi-iti-n da i.Hi.i'.i- -i*i- anritm habe umi dafür, daß er
den Semigeu ein l-'ührer zur Wahrheit gewesen »ei. Die Hede
lünders aber lautete wie folgt:
Hochgeehrte Trauerversammlung!
Ho alter Freund des Dahingeschiedenen, wenn auch
seit unserer gemeinschaftlich vorlebten Jugend nur selten
seines näheren Umgangs teilhaftig geworden, wage ich et.
Rtm Abschied auf bnnuff von ihm ein paar Worte an Sie
i\x richten. Ich gedenke seiner, wie er als ein zarter, ■ohnweh-
tiger Knabe mit großem dunklem Auge im Jahre 1&21 mit
uns in das niedere Seminar kam; daß er dereinst den ersten
Platz unter allen einnehmen werde, weissagte sehnn damals
sein Lehrer, der Rektor der hiesigen Lateinschule. Cr hatte
ein lnhluift.es Bedürfnis, sich an wenige Freunde onger an-
zusehließen, war heiter und fröhlich in der Gesellschaft,
dabei aber stets maßvoll und züchtig, jeder Unanständigkeit
und Aiihgelnssenheit abgeneigt und seinen Studien mit Fleiß
und Eifer hingegeben. Und so ist er geblieben in den llfalti-
mischen Jahren und sein ganzes Leben lang, einfach und
sehlieht, als sein Ruhm schon durch alle Lande ging, in
s. Hut eigenen Äußeren Erscheinung und seiner Umgebung;
außer dem Nötigsten (dazu gehörte aber für ihn eine stetige
L-eirdige Beschäftigung) bedftrfnialcM und im odublmi Sinn
bürgerlich; siltenroin war sein Gespräch und sein ganges
Tun, und wenn er auch zuweilen gegen Freund und Feind
um seiner Überzeugung willen hart und zurückstoßend sich
;nisln II. wer wird das nicht zurechtzulegen winsen, wenn er
gedenkt, auf welchem Wege und mit welch unerschrockenem
Mute er sich seine Überzeugung erstritten und gegen welcher-
lei Anfechtungen er sie «u verteidigen hatte! Denn wahrlich,
sein Lebenslos ist ihm nicht aufs lieblichste gefallen; er,
der 111 seineu besten Jahren tö telir ein ständiges Amt,
und wenn auch nur, wie Bf mir etamal bekannte, eine Im •
744
Dreizehntes Kapitel
dene Lehrstelle sich wünschte, und der bereit* «ine aJead«
mische WWwa—h^H, for iiie er gans gesch.iil : .. i :m
schönstem Erfolge begonnen hatte h zweimal »ich au»
dieser Laufbahn hinausgedrängt und im einem unruhigen
VVaihiri! urltill. his er endlich n.ich billlflgem Wechsel
wiru* Wohnsitz in seine Vaterstadt zurückkehrte, wel
ihm und welcher er fabl gänzlich fremd geworden war >
die, Unit eben nur die Still Cr- seine*, lct/.leti Leiden-- 1( | 1;
Kndcs v..t<|. n -..»lii.-. Huri) rr h;il sein Schicksal niil -.1. ts
ungebeugtem Mute hingenommen, hat an jedem seiner
Wohnorte bin den wenigen, an die er neb nfther anschloß,
ein reich* 1 * Angedenken sich gestiftet und dafl schreckliche
geh^inmi-v t.ille Übel, das ihm tödlich geworden ist, mit
klageloser Standhaftigkcit ertragen. Italic sanft, licbi
l'i iml. ruhe sanft, dein Volk wird deiner eingedenk sei
nnd die Jugend deines Volke* wird dich nicht vergeben.*'
Männergesang umrahmte- die würdige Feier, von der
wir Teilnehmer lief ergriffen und erbaut davongegangen
sind. Aber es war noch nicht zu Ende. Für da* „Leirhen-
sagerkapitd". wie Strauß solche Nachspiele in seinen Bio
graphien nannte, sorgten bei ihm seine alten Kinn!., dir
schwäbischen Pietisten, über dem Grab de* BlnitfMQ
Mannes klirrten noch einmal friedlos die Waffen, wie ÜB
zu Lebzeiten so oft um ihn geklirrt hatten Am 12. März
J874 erschien im Schwabischen Merkur, mit 214 Unter-
schriften bedeckt, folgende Erklärung: „Nach dum Schwtt-
hiwhen Merkur vom 12. Februar hat am Grabe des
Dr. Strauß, dieses entschiedenen Gottesleugners, Herr
Direktor v. Binder, der an d>:-v Spitze unsere? yMu Im Schul-
wesens und auch der Behörde steht, welcher unsere evi
lisch-theologischen Seminarien unterstellt sind, eine Redi
zur Verherrlichung dieses Mannes gehalten und mit folgen-
den Worten geschlossen: das deutsche Volk wird deiner
eingedenk sein, die deutsche Jugend wird dich nicht ver-
gessen. Wir finden uns in unserem Gewiaseu gedrungen.
Qm Ende.
74Ö
zu erklären. Haß durch solche* Auftreten dorn christlichen
lH",vuUirti'in unseres Volkes sffl hJüwbnc Anstoß gegeben
iHfdi und machen auch darauf aufmerksam, daß dir
Stroußischen Lehren schließlich auf die Zerstörung d«
CÜnSg wahren Grundlagen vi.m Staut, l*;iuiilie und Sitl
DohUt hinfuhren und folglich nur dein Si.?i.:lisnws in dir
Hunde arbeiten. Wir bleiben bei dem apostolischen Worte:
Wer .li'ii Snliri i"hiII(-. hat, der lial «Ins Leben, \\n den
Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht." Daß
de* eigentlich« Anstifter dieser denunzialoriachcn Erklärung.
Prälat KopIT in Stuttgart, nachher mefefln MtwJegervaUl
gegenüber seine llftnde heuchlerisch in Unschuld waschen
wollte, nach dem Rezept: Si fecisti. nega. das gehört
zum Treppenwitz di ^liohen Geschichte,
Man begreift heute nur schwer, wie dir m Idiehten
Freundesworte Binders Anlaß zu diesem Protest haben geben
können *); oder man begreift ee nach dem alten HmlogW
wort: Haerelicis fides non est habenda. Nicht einmal am
I Wixh sollte der Freund menschlich sich zum Freunde bekennen
dürfen, weil dieser ein ,, Gottesleugner und Atneist" gewer- BD
wnr. Ob die Stuttgarter PictWten ihr Ziel «''gen Binder er-
reicht und den ihnen um seines Freisinns willen längst schon
verhaßten Mann aus seinem Amte vordrangt hatten, wenn
nicht diiHHohngelflchter. das darüber durch gunz Deutschland
ging, Gegenerklärungen im Merkur, die kaum weniger Unter-
schriften fanden, und scharfe Artikel von Männern wie Kduard
Zeller und Viseherden König Karl und seinen Minister v. Geßlor
davon zurückgehalten hatten, weiß ich nicht. Immerhin war
Binder von da im Persona minus grata. Wir .tbei kehren von
solehen ..Fratzen" iioeh einmal zu Strauß EQTflok
') M«ii bi*|p-«iri >t$ h«utn so WKtii« iin'hr, dnU, mm> uh hör*, im
'.'■. ftrttvmti PK dfc -..-■ Wltefllet : l, I'.iiuIit li;«lii in -riiii : C'-dr M-iii
bognu sU einem »yjt*matismrten Wahn gesprochen. »*U dir- Rede
genau so gehalten worden ist, wie ich sie oben wmd«rv<-p Im liabo,
knnn Ich ab Ohrenzeu go vertagen | jone Behauptung tot also nicht m Ell
Schluß.
Strauß war Schriftsteller, da* war sein ttrruf.
Schriftsteller ist da» Erste und Wichtigste du- Art. wie er
Bclipi'ihi h£d Stil. Le style o'ost l'homme: alsobeantv.nrt-4-ii
wir mil clor Frage nach seinem Stil zugleich |Mb die ander«,
was für ein Mensch er gewesen sei ?
Es gibt bei uns in Deutschland drei Stilarten, d
kann sie am besten nach ihren typi.ir.hen Vertretern den
Treitschke-, den Nietische- und den Straußotil nennen.
Ober den ersten hat sich Strauß selber in eim m Baal
Rspp so ausgesprochen: , .Allen Ke*pekl vor Treitschk«*,
seinem ausgebreiteten Wiesen, seiner tiefen Einsicht, gv-
iii<-;'*-ii"ii ln-Miiiiiili^. ItiliiviÜmdrii ! >.. i uh Un :n_'. Villi :ilii
dfin trflgt der Leser reiche Ausbeute davon, aber um Kude
doch auch einen eingenommenen Kopf. Woher das? Weil
des \l;iiiii's Grundstimmung Pathos ist, und da* tau^t
nichts, am wenigsten hei einem Historiker.. . IC» ist du» Stflofc
Fichte, das in ihm steckt... Wenn Du erkennen willst, wk
weit dieses Pathos von TreiUchk«- das rechte ist. so il.n 1 t
Du nur darauf merken, wie all' seine AufsftlM aus di
gleichen Tone gehen. Der sollte aber doch billig variieren
mich den Gegenständen; und wenn auch derselbe Verfasser
einige Gleichheit des Grund tom mit »ich bringen wird, so
sollte doch auch der Verfasser, wenn er gehörig beweglichen
Geistes ist, zu verschiedene:! Zeilen verschieden aufgelegt
sein? Wo aber In IM. Du bei Tml e.] \v ein Künklafal
Humors? Wie tritt auch nur die epische Betr.<< litung der
Dinge gegen d«n ewigen kategorischen Impoiativ zurück!'"
Schluß.
747
Da* Pathos nlso. die Gleichheit des Ton*, auf dm alles ge-
süimnt war. und der Mangel an Humor — das war es, was
Ihn am Treiuchke-tii mißfiel.
Über dm Stil Nietzsches finden wir keine Äußerung
von Strauß, um so besser wissen wir, was Nietzsche am
Stil von „David Strauß, dem Schriftsteller" auiUHlno
hatte: irr hat es uns in seiner ersten ..rrir.eitgpmußen" laul
genug in die Ohren geschrien. Zuerbt eine kleine BUin
lese daraus! Zwar der „Bildungsphilistw" gilt mehr dem
Bckcnncr ul.t dem Schriftsteller, ebenso die Yulguntat der
Gesinnung und die klassische PhilisterkVigheit. Aber die
Impotenz und der Lumpen jargon, der nichtswürdig" Stilist
und Skribler. das stilistische Pachyderma (sie!) und das
Sudlergesindel, der Tintenkleckser und der Flickschneid i
— diese Schimpfworte sollen den schlechten Schriftsteller
treffen, der Strauß in Nietzsches Augen war. leh denke,
dieses kirim W-rz'-ielm^ geniiut, um die Maßlosigkeit und
die Ungerechtigkeit dieses Angriffs für jeden, der etwas <«•
srlirii'liciii"! von Strauß kennt, ohne weitere» dnr/ntiiii I n < - .
erste Unzeitgemäße ist darum heute selbst vielen Nictzsohe-
uneni eine arg« V erh v> nh< it ; denn sie- ist töricht und sie i-l
lti:s;irli^. I nd uueh die Art, wie Ni»l/.srhe seine Se|iim(ifereich
zu beweisen sucht, macht ihm wenig Ehre. Nirgends ist
S Lacht kleinlicher gewesen nls hier, wo er sich mit Grimms
VV«ii -terliurh hrwalTnel ■ uv, il ei In» dahin rr*ehi< neu war ' |.
niedersetzt und den alten und den neuen Glauben mit rol< r
Tinte w.e dlktt Schulcraufsatz durchkorrigiert. Von solchen
Phertrri Innigen i I liir >iii-hImi nichts zu Intim Urne Kennt ms
'> l)*u hat OukIüv Binder (der Sohn dw 9tn<li.'iir..i.«iir*klof»)
im i-iiiit Sitjp von Artikeln in .irr ..(";. yi-nwart", IV, 1*?3, linchgo-
wiesen. DU» Invektiven d«t oben ftttaoltn I'iina.Auf**tte* gaffen
meinen verstorbenen BcfewagW g«li«u m*it ubitr d:ta MuO dessen
hinaus, wna Nietzsche selbst im Reo« homo darüber *agt: er nennt
(8.71) diese schwäbische Erwiderung „so bieder und grob. aJ* «r's
irgwidwie wuntehen konnte". Ich denke über die Artikel FltndoW
natürlich ander».
StWutt.
und bin ViTsKuidnb de« Straufiiachen StiK Wh mfl
ander* Jinjfreifcn. Diflaaea ihn hrt uaaefferaeha mit dei
te vergleichen, hBetaMlu m. darObei 'kann natür-
lich ki'iu sti.it mihi einer unM-fvrjpiftnwtndsi^n Schriftsteller:
alfgeadetoter Bucht tabe, bbereJ] Mm ndigi Rade voll Wohllaut
und Mu-ih. lab Stil i-t frirklleh Slil. UihsierU? Rede, ein
gWStci lif- Aphorismengi -f nnki-1. du* jjliiht und I
da* unruhig flimmert und flack.it. er Ist loch «I» Stilist
tili ri u i-i dlonyitob Zun Weeeo dee EXooyiUohesi
^ftiOrt, daß »s leidenschaftlich und anduldenm ki>in#
«ndern Götter mdn-n lieb beben will und »lull ihn dal AjH'lli
njsche als Ausdruck einer affektierten Mäßigung verftchl
lieh erabeint.
Der Streuffienha Stil dagegen i*t einfach und ichlicht,
unge*ucht und ungekünstelt, maßvoll und ruhig, h- II und klar.
NiiyiBlSe »tOrt (Öl mische» oder auch nur rin laute-, i'.itli.
nirgend? l 1 1 l r jfnnnhfii Dach Effekt Seil StD [et obafl
im Gegensatz zu dem von Nietzsche apolHm*ch; und so
. I I'mmi hii'i zwei Stilrichlungcn in aller Gcgeruatzlichkoil
und Schorfe gegeneinander. Wie er Treitachkee Pathos
oder Mankos allzu elegante und gelockte. . .holliarh noble"
Art von Geschichtschreibung ablehnte, »o hatte er auch
Nietzsche* Slil nur ablehnen können. 1 ad doch bat fedef
von den Dreien in seiner Art recht. TroiUchkc* Pul
riß uns in den großen Stunden der deutschen Geschieht*
begeisternd mit, Nietzsches blitzende Diamanten fantaiora
un* mit ihren Pointen und Schlagern im Spiel geistreicher
Unterhaltung, Straußen* einfach -achoae Pru»a d
können wir in jilli-n Lebenslagen griuellrn und uns »liiw>
Aufregung oder misc an BOenc in aller Ruhe ihrer in jftdi
Augenblick Treuen. Sie belehrt un», ohaa uni Obemd<Mi
zu wnlli'u, hie tut uns \uihl, ohne uns tu blanden, weü
nicht allein da* Wort, haben will, sondern riialektieeh um
dialogisch da» Hin und Her, das Für und \N ider objektiv mit
uns erörtert. Daher schalten dm dann freilich N'tetasche und
Schilift.
749
Treitachke einen Philister, und der Ni«tzach**ner Schweitzer
nennt um einen Scfaulmebter. In ditmn Sinn hfttta wich
\iet7nehc mich Cmr-the etwas vorn Philister an sieh, umJ
für Schweitzer müßte auch Leasing ein Schulmeister .-• ■■
.Irin' Vorzüge de.* Straußischen Stiles, die wir .illi i
[ober Verkleinerung gegenüber empfindftO «ml anerkennen.
treten vielleicht nirgends so klar zutage wie in »einen Briefen.
WtBB er nn Treitsehke difl Kinförmigkcit dw* Toni» rügt
nnrl ihn tadelt, daß er nieht wenigstens zu verschied i
/ ■■ifen verschieden aufgelegt sei und dann auch verschieden
schreib«'-. Kl bflVafi HBOhl UD GogBBMtl du^ii Strauß die Gabe,
allen, mit denen 61 *t<'h bri «'flieh unterhielt . alle*, d ti jedem
ein anderer tu »ein. Es ist ein Individualisieren von un-
nachahmlichem Reiz, je nachdem er an Kapp oder Märklin,
an Kaufmann oder Viseher, an Zeller oder Kutm l'ixeher-
sehreiht; und er achreibt heute ander* als morgen, seine
Briefe sind aus der Stimmung herausgeboren und spiegeln
die Stimmung des AagenbUoks unverkennbar wider. Au« h
der Humor, von dem er hei Treilsehkc mit Fteehl jede Spur
vermiUt Ji.il. ihm stellt er im brieflichen Verkehr, doch
nielit in diesem allein, ausgiebig zu Gebote.
Aber in den Briefen zeigt sieh noch einen. Diese* unver-
gltiahHoba Stilgefühl ist nicht von Anfang an da. Wie er »ich
ids Charakter erst durchgerungen hat zum Weisen, der
er schließlich war, so muß er auch das Hriefsohreibcn erst
lernen: die frühesten Briefe haben noch etwa» Steife» und
Unfreie«, erst allmadlieh wird er der Virtuose des Briefstils,
nls den ihn auch die Welt aus den ..aiisgpwahlten Briefen
kennen gelernt hat. Und dasselbe gilt von seinen
Büchern. Der Stil des ersten Lebens Jesu ist gewiß nicht
einförmig oder langweilig, der Ton seiner Streitschriften
ist gewiß kriegerisch und lebendig. Aber erst in der Ofafbt-
liehen Glaubenslehre ist .sein wisseiisclulllieher Stil im.-
gebildet, es ist ein glänzend gesrhrnlienes Werk; und in
,den Halben und den Ganzen" klirren die Waffen doch
.....
noch ffonx ander», die Hieb« sind rlrgjulir und wuchtiger,
A t BoHublnl heller mi fröhlicher als in der Schrift gegen
Sien«! 1 ... r Menzel; gerade über jene ist bei niler gottiic
iiJitil BDI wahrhaft hell«-mv:he Heiterkeit ausgebreitet.
Dieser -1'liHtinclK 1 AuIhIhv '.v'lii immer so fori, bis er im
Voltaire, diesem Schmuckstück unserer Literatur, seinen !l-v
punkt erreicht. Dan gleich steht der Arl nach der alte und
der iieueOltiuhc.uhei ijuch imt !n-.c Auk ImhIi^' -" V '" u - Ute«**
stils, so daß sich die Kurve eben jetzt senken xu wollen scheint ;
zum wirklichen Abstieg hat es der frühe Tod glucl»
iHi-tif. k<iiiini«n lassen. Die ersten Aaceiohen davon hat
vielleicht dtf feinhörige Nietzsche mit seiner Goldschmied**
kunat und -kennerschaft des Worts doch schon herau*ge*i<
und im! seiner Neigung, «lies in* Maßlose zu Ohei treib
zuventerren. schonungslos herausgestellt. AI* Karikatur be-
kommt das iiblePainpldet wenigstens einen Sehein von Recht.
Und wie die Briefe, so «eigen :ni*_li »In- liiiehn von Sti
jene Mannigfaltigkeit und Vcrsehiedenartigkcit. die auf
seiner Kunst des Individualisierens ruht. In den
seh.'iftlichi'ii Werken ist die Seim iliwrise breit au*lad>
er sagt nicht zu viel, aber er lflßl sich Zeit, alle» xu siu:
was er xu sagen hat. Dabei vermeidet er auch lange Pen"
nicht. Die Hiogni|diic!i sind fein ausgefeilt, grazil und groziöe,
die Satz, werden kürzer, die Kunst wird sichtbarer, nber
nie aufdringlich. Und endlich» wo es not tut, ohne Pathos
doch eine Kraft und eine Wucht, die sieghaft den Ge*'
Qbflnrlltigt iiml den eu Überzeugenden in adne Hahnen
zwingt: so in der Vorrede zu den Huttengespr&chen oder
in den Briofen an Renan. Auf dorn Krankenbett hat w
letzt* nn •'inniiil wieder gelesen, da haben sie ihr» Macht an
ihm selbst bezeugt, ohne alle Ruhmredigkeil hat er von
ihnen sagen dürfen. „Wom die Nutm auch nur einmal so
die Zunge geloht hat, der gehört nicht zu ihren Stiefkindern,
und den wird sie, auch wenn's mit ihm feibat Ernst wird.
nicht verlassen,"
gchlui
761
Zu seinem Stil gehört — das wissen wir Innprt — auch
seiu Reichtum an Bildern. Diese Gabe der Metapher schrieb
BT den StOck vom Poeten zu, dös in ihm war. Da* KU doi
Schwinj^i-iisrhliiir des Straußes, der seinen Gang hel1usp*lte.
In der Wahl seiner Bilder ist er — vrir haben davon Bei-
spiele genug kennen gelernt — überaus glücklich und mannig-
faltig, nirgends gesucht und überladen. Nur S. Eck A ) blieb
es vorbehalten, zu finden, daß die Bilder von Strauß an die
Schwäbische Kleinstadt gemahnen. Es ist wahr, von Berliner
Nachtcafes oder von der FrndrichslralJc, von Hofkirchen
oder Siegesalleen hat er sie nirgends hergenommen; aber
kleinstädtisch sind sie durum nicht, und auch ein npttfiflfWih
Si hwiibisches lindi-t sieh nur selten. Auch tut er wie meist
nicht mit zwei Worten ab, sondern er führt sie aus und durch,
soweit es die Sache fnrdert und die Ähnlichkeit erlaubt; »o
wirken sie nnsrhnulirh und werden doch nie zu Tode
gehetzt. Daß ihm dabei gelegentlich auch eine Katachrese
mit unterläuft, ist selbstverständlich. Mit der Schurf-
augigk^it des Korrektors und der VericröBerungsbrilli di
Neides bat hier Nietzsche manchen Fehler entdeckt
und dann über solchen lapsus cidami ein SiogcsgcMchrci tf
hoben, wie Junten beim Indianenmiel uher den erbeuteten
Skulj» .-ini'? . i-li-yti-n I : :m. i, t iiß hatte dacuul Mgflfl
können, was ( inet he von dem aufgefundene» BfrhMlfOfiiWD
Hexameter »n Hermann und Dorothea gesagt hat: „l*nUt
den Racker stehen!"
Doch jene* Stock von einem Poeten trug ihn noch
weiter. ..Verse- luachen wird mir schwer. M bedarf
daher eine* »ehr starken Anstoßes von der Seite des Ge-
fühls, in Lust oder Schmerz. Liebe oder Hau, um die
Schwierigkeiten überwinden fcn helfen'*: *o hat er »eiber
über sein Dichten geurteilt Da nun aber in seinem Leben
wiederholt solche »tnrken AiulOtic in I.ust und Schmer/..
>) S. Kclt a.a.O. Ö. 200.
702
Jfchlui-
in Liebe und Haß gekommen sind, so hat er doch mbl
viel gedichtet. Von dienern Vielen kennt die Well nur .inen
ganz kU'inrri Ausschnitt, „du poetische Gedenkbuch" für
die Freunde MllsevwMilt mm;i Stilni, tllltl 1.1 \\>\: IM Wenig
veränderter yinimmHnfft^mtg bn zwölften Band der
sammelten Werke. leb habe i u Buche mit Ver*-
proben nicht gekargt, so daß rieh DMine Leeer, auch ohne
zu jenen Sammlungen greifen zu müssen, ein Bdd BUCh
von dem Poeten Strauß machen könne«.
Do hri dnrf ein™ nicht übersehen werden: SiimuD hat
nicht an diu Veröffentlichung »einer Gedichte ip'diicht AU
im Jahr 1849 sein Freund Kaferle ohne sein Wissen In
!tt'hw.ihi*cln-n Lnktdhlall .Jus (iedichl. ,,l>uldung", dem
Motto /Urses zweiirr» Banden meiner Biographie entrinn, r.
i-i, drucken ließ, ist er recht ungehalten darober gewesen.
Nur zuletzt noch hat er auf Befragen erklArt, daß ar nicht*
dagegen einwenden wolle, wenn nach seinem Tod« m
Angehörigen Proben davon auch weiteren Kreieea mii-
teileu. So gehören diese stillen Verse nicht in die Literatur-
geechichte, sondern ausschließlich nur in die Lchcnsgaechiclii
dessen, der sie gedichtet hat. Darum ist Bapp teilweis«
das einzige Publikum dafür gewesen, denn der sollt« dm
ganz kennen, und dazu dienten diese dneumenta Iminaina.
Daher nimmt er es auch flbel, wenn andere darüber spoti
sie lachen ja damit ihn und seine Schmerzen aus. I'
wie eine leise, wenig aufdringliche Musik hegleiten diese Verse
sein Leben vor allem dann, wenn es dramatisch bewegt und
sein SchifTloin von Wellenbergen hoch gehoben oder in
Wellental lief hinnhgeHchlcudci-r wird. Deshalb sind sie
Schneeflocken zahlreich in den Jahren nach dem Zusammen-
bruch auinur Ehe: die Poesie sollte ihm die? Stöße der Wirk-
lichkeit aushalten helfen hier kann u Schmerz und Jammer
und Groll darüber zu Wort; sie sollte ihm Trosl gewahren,
daher die Epigramme aus der Glyptothek und die musikali
sehen Sonette, weil er wie Saul vor den schönen Milien
Sc- Muß.
763
Bildern dar Antike oder bei dC0 Klangen der Znuberflöte
und des Fidelio Beruhigung und Frieden fand. Selbst die
scheinbar lustigen Strophen auf „Kellm-r und Kellnerinnen"
sind nur .'ins seim-m Klend heraus neblig 211 verstehen. De-.
waren in jener Zeit oft wochenlang die einzigen Menschen,
mit denen er reden konnte. Da fühlte er sich Leilnehm ml
in sie hinein, fühlte sein Los als das eines Ausgcstoßenen
und Gemiedenen dem ihrigen verwandt und verstand aus
sich und seinem Schicksal heraus auch ihre Monschli'liLnt
Ihre Heimatlosigkeit und seine Bedürftigkeit» sieh viel ver-
geben tu lassen, nachdem auch er durch Schuld und Reue
halte hindurchgehen müssen, hißt ihn den Kellm-r mit
Ahunver vergleichen:
Was er war? ob Schuster? Schneider?
Pharisäer oder Zöllner?
Weil gefehlt! Der ew'ge Jude
Wnr vielmehr ein Oberkellner ;
und die Kellnerin mit jener Magdalena dOBNcoea Testamentes.
(I. r viel erlassen wurde, weil sie viel geliebt:
War der ew'ge Jud' ein Kollner,
So ist die, von der wir lesen,
DuÜ den Herrn ihr Weinen rührte.
Sicher Kellnerin tfpwrsen.
Und wenn die Vermutung richtig ist, daß auch ,A'w
Mtdiivnfiirhlin" eine solche wnr, so würde das Neheneiu-
anderstehen dieser drei Gedichte im , .poetischen Gedenk-
buch" vollends ganz erklärlich sein. Eine zweite Welle für
seinen Drang, aich in Versen auszuspivrh« n. kommt dann m
Durmstadt in der Zeit von 1866 bis 1870, wo noch einmal
das Glück des Gefundenhabens in hellen Tönen ausströmt.
Und endlieh difl dritte und letzte — aus dem KrunJ<< n/immer
die vrrhnltenen Schmerzenslaute. die Su*pirien und Gebete
zur großen Geber in der Gaben, zur ewigen Kraft der Welten,
hell und rein, wie er selbst hagt. fromm und tief, wie - 1
hinzufügen Daß auch seine Arbeiten und ihre Erfolge,
7'.1
Befclut
gute uii'l bO»i-, vn!i .ol-lu-i) Versr-n begleite! werden.
krltik und Kriük fremder Kritik darin tum Ausdruck kommt
ii.iiH'u v.n - in'iii.ili:. Iren gesehen.
Hermann Fischer 1 ! hat an den Odichlcn die ., Un-
mittelbarkeit und »[.nMelmle l-'ulle" vermißt. Di« letzter«
mit Hecht, Obglfi-h im v;i t.rlil. .hinii .In IS.. IiIji
Formen und Stimmungen bei Strauß überrascht xu »ein.
Strauß ging es beim Dichten »ie Leasing, es sprudelte nicht
'. < >l; i i mußte mit Pumpen um] Kuhn n BUi da 1 "■(■■.
meist au» der Tiefe des Schmerzet heraufgeholt Wtcrd
Aber Unmittelbarkeit — 1 Nein, diese fehlt der Straußiscl
Lyrik so wenig, daß dnrin vielmehr ihr lit»r m <lni Mnngel
gefunden werden kunn. Die Verse sind tu imrnitteihar,
zu subjektiv und individuell, ihr Anlaß und die Stimmung,
die Mio hervorgerufen mit, sind noch xu nah und dal
noch ku deutlich sichtbar. Deshalb ?ind mOftotii
Gedichte nicht weit genug hinaufgehoben in das Universelle«
und uligemein Menschliche. Strnuß dichtet eben nur ffli
-i' li und für den Hmisbraueh, für seine Stimmung und fi
seine Befreiung von allerlei Verstimmungen. Darin ist i i
wirklich ganz Stimmungsmensch. Auch die Kpigrammc
aus der Glyptothek wollen nicht „einen selnmen Gedank
eine feine Empfindung, eine treffende Krilik in d. v .-
bildeisten, wie aus edlem Metall gegossenen Form"
') In Humum Artikel „Zum hundertsten ■-. ;j,g murire
Q I urt", Deutsche Rundschau, Januarheft 1908. Laider hat Fischer
us sich nicht vorsagen mögen, Strauß aütVisohtf. laln« QodfchU mit
dessen „Lyrischen Gangen" eu vergleichen, die von Vischcr selber d-in
Druck übergeben worden sind. Dieser wollte also ein Dichter satB
n U nicht. Ein solches Hinuberschlelen auf den asthetiicnen Freund
hat übrigen* StrauÜ aolbit einmal «einem Urudor tost lonun \
Und ich meine, wir Schwaben haben allen Grund, uns zu freuen, daß
Mir bt'ide haben, und sollten daher jeden in »einer .\rt gellen lasvu.
wie af tot Daß dem Utsrarhistoriksr Fischer Fr. Th. Vischcr naher
innl bebst rtsM ah Strauß, i*t ja natürlich; auf AUgemcmgültigkeil
J.iiiin nn Milt-hi-' ITrl.fi! iialiirlie.h l* t-i ih-b.-n.
üchluö.
7H
objoktlr darstellen, sondern es sind Trostgedichte aus tiefer
Not und Pein heraus. Aber allerdings, die gebildete, edle
und feine Form — : da« ial'a doch, was ihnen allen wenig- 1
die Form der Allgpmeingiilligkcit gibt. Der Goetheaohe
Einfluß auf Strauß ist jn ohnedies klar. Aber mich durch
die Schule der Alten int er gegangen. Daher sind ihm untike
Formen, vor allem natürlich dio des Distichons, so gelaufig
und handhabt er sie so meisterlich. Von A. W. Schlegel,
den er in seinem Essay auch nach der formellen Seite bin
fein charakterisiert hat, hat er eich Strenge und Feinheit
in Metrum und Mali zur Regel machen lassen, und an Platen,
den er sonst nicht liebt, hat er ein Muster und Vorbild, nfa
\M-it es auch hierin die deutsche Sprache bringen kann
Nur im Reim dürfte er strenger sein. Durrh diese Arht
samkeit auf die Form erheben sich die Gedichte über die
nächste Unmittelbarkeit in das Reich de* Allgemeinen umi
1*1 ','iI.ti und machen rinM 10 itardutoi „gliifttailfiigtn'
Eindruck.
Noch eines, ein Doppeltes sogar tritt uns in den Ge-
■ lichten entgegen, etwa*, wm fehlt, und etwas. Wtf da ist.
Jenes ist der Mangel au Nalurainn. Die Gestalten der Glypto-
thek, die Töne der Musik versetzen Strauß in dichterische
Stimmung, die Schönheit der Natur kaum je. Auch in seinen
Briefen wird weder von der Schönheit des Meeres in Venedig.
mich von der Großartigkeit der Alpenwolt, durch die er nach
Italien fährt, weder von den Reizen Lichtenthals aftd Buden*.
noch von der Romantik Heidelbergs und des Rheins viel
Aufhebens gemacht. Äußerungen derart fehlen nicht,
aber sie sind selten. An Blumen hatte er Freude und zum
Spazierengehen brauchte er Natur — das i»t alles. Teilweise
lag das wohl au seiner Ktirzsicht.igke.it, die das Sehen in du
Kerne und Weite von Anfang an erschwert, spater gnnx
unmöglich gemacht hat. Es lag aber auch ansei nein Durchgang
durch die Philosophie Hegels. Dieser hotte der Natm
Philosophie Scliclhmjs tan« Philosophie des Geisten als das
M
Sdiluß
Höhere gpgonubsrg»* teilt, and in der Ästhetik a i ihm
und uiin n Schulern «In- Etaro&hong «loa Naturschönen als
M gleichwertigen Faktors im System neben dem Kun-i
schönen am iwisUtn Schwierigkeit. Sn inUuvMitrt sich auch
Slruuß ul* lli'^fliaiiiT nur für das Schune. in der Kunst,
in der Natur nahm er es ohne viel Heden hin. Oder
ii'-m Wort gwitft: Strauß verhielt *ieh IUI Natur naiv,
nicht »entimenUilirieh. Da» andere, was im Gcirensatx daxu
in seinen Gedichten vorhanden ist, ist der Humor. In seinen
Gedichten, aber auch m seinen Briefen und selbst in seinen
Schriften fohlt er nicht. Wenn der Humor (lau Oszillieren
»wischen Idealismus und Wirklichkeitssinn ist, so mußte
Strauß] diraurkühl beobachtende Kritiker mit demSchwingcn-
schlag de» Poeten, Humor haben. Und es war die Bpstlfitfih
schwäbische Form dieser Göttergabe: das zeigt sich vor
.illi'tn im Kreise der Genossen, wenn er in ilei <. loigtull-
schuft seine munteren Toaste hftlt. seinem Freund Vischer,
dem Kritiker und Reformator der Mode, das Lied vom
„ewigen Schneider" singt oder Kduard /.eller durch 1*0
Papierreiaeuden Künzcl das Semikolon zur Auflieferung seine*
taillenlosen Stils empfehlen läßt Und auch sich selber
verschont er nicht damit, wenn n dem Hun-rn, der ihn in
,, Wassersnot" nm ausgetretenen Bodensoe durch» Wasser
trögt, als ,,Antichristophoru6" dafür dankt. Aber dieser
Humor, der dem an den Ksrkerstöheu de- \>.\ .
Menschen die Gitter vergoldet und das Lehen im Käfig
erträglich macht, war bei Strauß nicht der leichte, sonim
der mit seinem Idealismus und mit seinem GlaubOD an du-
Well und die Menschen alles überglänzt, bei ihm war
viel Bitterkeit und Grimrn mit zugemischt, und der theo-
retische Optimismus, dar freilich nicht verguß. «siebe
„gewaltige Rolle Schmerz und f bei in der Well ■■'■
mußte in praxi oft dem Pessimismus weichen, Der Humoi
war bei Strauß wie die Sonne, die am wolkei
Himmel nur ah und zu einmal durchbricht, aber dann
BdUul
m
der Landschaft eine um so wirkungsvollere, nhnnngx*
reichere Beleuchtung verleiht.
Damit nind wir vom I »Echter unmerklich zum M 'nschen
hinübergeführt, und es wäre nun unsere Aufgabe, zum
Schluß noch zusammenfassend zu sagen, wer Strauß
gWtsfln und was er der Welt der andern geworden ist.
Aber ob man das so einfach kann? Ob sich ein Mensch,
wenn i*r kein ganz unbedeutend- und ulltaglichebObrruViii n-
wesen int, Oberhaupt je auf eine kurze Formel bringen laßt?
lind können wir im Ozean noch die Wassct de» Strome*
nachweisen, wenn dieser langst schon iu ihn eingemündet ist
und die Strömungen und Wirbel, dk tf hervorgerufen hat,
mit tausend anderen sich vermischt haben? .Strauß aber
ist um so schwerer zu fassen, du er ein so k»iupli/.i<
oder sagen wir es offen heraus: ein aus so «idsnpnohoildflO
Elementen sich zusammensetzender Mensch gewesen isL
Stellen wir — nicht um sie zu erschöpfen, sondern nur um
diis 'hsjij*'.- mil I'm i - f 1 1 ■ ■ 1 ■ !. .ii In-lr^i-n, ein puai von die^-n
Gegensätzen nebeneinander, wie sie uns sofort bei ihm ins
Auge fallen. Ein kühler Verstandesmensch, so erschien er
den Fe rnereteh enden beim persönlichen Begegnen und so
erscheint er beim Lesen seiner Schriften noch immer den
np'1-t.'ii; und hell und klar und verstand esse hurf war sein
Denken gewiß; aber nein Herz war weich und teilnehmend,
d&fl erfuhren seine Kinder und seine Freunde, Stimmungen
nur konnten seine Gedanken in Bewegung detxen und gaben
ihnen oft genug die Hichtung, und sein Temperament ver-
barg sich z. B. in seinen Streitschriften niemals. Leiden-
schaftlich war er und zornmütig, aber der Grundton seines
Wesens war doch nicht cholerisch, sondern melancholis« ■!»,
lang iinchliallfcn Stimmungen und Verstimmungen in
di«*em reizbaren Gemüte fort Ein Revolutionär ist er
gewesen, so daß durch ihn das Jahr 1£3£» zum großen Hevo-
luImnHjahr für die Theologie geworden ist, und eSfl \<<r
knmpfer der Freiheit, wo immer er eingriff; und daneben doch
IV ZtefW, Di p». »um««, u. 49
res
scMub.
konservativ hi* in die Knochen, in d*r Politik und
tu in il-'t Maral, von rinn- ueuon Kthik und dem Reehl
des Individuums eich auszuleben wollte er nichts wi*j*n.
Und doch war er Individualist und Ästhet; aber die grüßen
nationalen und ander lVn|mcrie. auch schon die großen sozialen
Fragen standen ihm hoher ulx die klemm l.rideuund Freuden
dos einzelnen Ein Mann der Wr- u-< halt war er und ein
Dichter, ein Kritiker und nn KümtW zugleich: wo jener
zersetzte, da baute dieser auf und schuf Kunstwerke, wio
der Hütten und vor allem der Voltaire eine» gewesen ist.
Und ein schneidiger Kritiker war er, der verwundeto und
mb tat; für sich aber mimosenhaft empQndlich und innerlich
wehrlos wie gegen die Nadelstiche so gegen die Keulen-
achlagc anderer. Auch von seinem Herzen gilt, daß es
troUigcMind v r i'[-/.'ivrt.rs l)iiiggrw«stin. Knie gesellige Natur voll
Menschenhunger war Strauß, heiter und witzig im Kreineder Ge-
nossen, kein Spielverderber, ein guter Kamerad auch liier; Bad
dunehen ein armer Kinsiedler, der sich vor den Mcnsu-hrn
fürchtete und schüchtern und scheu zurückzog und am liebsten
für sich allein blieb bei seinen Büchernoderbei seinen Gedanken.
Sti»lzwar«»r und bescheiden zugleich; ein innerlich reinlicher und
keuscher, am Rande dr-s Genußlebens zaghaft «ich haltender,
ein geistig subliiruerler, fast naturloser Mensch; und doch voll
h'ivmi. ,.n ili-r robusten .Sinnlichkeit :i in Irrer, wenn h\> ihm nur'
ais natürliche entgegentrat, der verständnisvolle Schilderer von
wilden oder gar wüsten Menschen, wie Schubart und Frisoblin
gowesensind. Solher ein Kopf, aber ein Freund von Charakteren
wie Mörklin, von Lebenskünstlern wie Ludwig Bauer oder von
sinnigen, träumerischen Naturen wie Rapp. Optimist und
Pessimist zugleich, ein Schmerzensreich, ein (ihe-kl«i.-.ec vom
Schicksal Verfolgter, der die Zahne zusammenbiß und jubelt*
So leben wir, so wandeln wir beglückt.
Woher diese Gegensätze und Widersprüche, deren sich
noch weit mehrere aufzählen ließen, als hier geschrh' ■
Wer will das sagen, wer kann das bestimmen? Das ixt du
SkhliiU.
7Ö9
Mysterium der rtTsönUclikeil. das er selbal für Könige und Rfli-
giooBstifteranerkannthatund daher gewißauchsichselber zuge-
billigt hatte. Diese Widerspruche lagen in seiner Natur, sie
waren Sache der Vererbung, aber auch Folge seiner Erziehung,
zu Haus durch zwei so entgegengesetzte Menschen wie Vater
und Mutler es gewesen, und nachher im weltfremd machenden
Seminar und Stift. Und auch das Schicksal war schuld,
das durch die Hand der Theologen und der Frauen ihn so
unbarmherzig traf.
Aber so voll von Widersprüchen er war und so schwer
er unter der Zwiespältigkeit seiner Natur gelitten hat, er war
doch einMann auseinemGuß. Hatte ihn die Natur zwiespaltig
geformt, so machte er daraus mit eisernem Willen ein Ganzes.
Wenn er als ein weiser und als ein frommer Mann gestorben
ist, so hat er das in schwerem Ringen seiner Natur abge-
kämpft, und was die Erziehung an ihm gefehlt hat, die Selbst-
zucht hat es gut gemacht. Doch auch hier noch einmal
ein Merkwürdiges. Der Chnrakterkopf mit den scharfen
Zügen war zugleich eine schöne Seele, ein durch und durch
iiNfliriis'lirr. künstlerisch empfindender Mensch. Weil
aber in seinem Begriff der Schönheit das hellenische Element
des Maßes und des Maßhaltens obenan stand, sowarCharakter
und Schönheit doch wieder eins. Die Tugend der Sophmsyne
war der Reif, der das Gegensätzliche in ihm zusammenband
und was uns alle bändigt, das Gemeine, in Schranken hielt
und niederzwang.
Nur von einer Eigenschaft haben wir noch besonders
zu reden, weil sie ihm von allen Seiten und immer wieder
vorgehalten wird, von Trcitschke und Nietzsche, von Hau*-
rath und Schweitzer: Strauß sei ein Philister gewesen, ja
geradezu der Häuptling aller Philister, der klassische Typus
eines deutschenBildungsphilisters. Zuerst von diesem. Guwiü,
Strauß war nach 1870 Optimist, wir waren es damals fast
alle. Aus der freudigen politischen Stimmung dieser Kriegs-
jähre heraus hat Strauß den alten und den neuen Gluuln n
960
fehluß.
I» In Ulli» Gtoftej mr Mi |! mecUaad u edoal, du Steg
und mit ihm du* Kmh -it v,,nvu erstritten, wi
und Reich l>i>' jui it.Tiit.ion weiß null wn- UD0, die
\sir die knisorlasf-, die BChwoMSctU Zeil QOCfc erlebt haben,
in jenen Tagen (Ins Hera weit aufging, wil um.
;.- ;'hm! rrfulltf n ittrft ii 1 J Crok nie. leltdem sät «Map,
Das ist der große Sehnt* von Idealismus, den wir Alteren
vor dnr Jugend von heut« voraus haben. !>** wnr RSOht,
wir MflttBaae rn. iiiTj-, philisterhafte Anbetung dea Erfolg»,
war auch nicht bloß der Triumph de« Erreichthaben», soruli rn
es war zu^h-ich ein Gefühl der Hoffnung und fr*> :
Bnwtung; wie nach den Peraaritriegen, da c hten wir. mtteae
nun auch hei uns die Ära eine» perikleitchen Kulturideals
anbrechen. .Nietuche ober war k«*in PotitiJun und l.-htr
danml- in der Seh.setz, wu man nicht eben freuudlieh \
unserem Sieg dachte und redete: so ist ihm jene» Glück»
gefuhl Ireind geblieben oder hat »ich doch nicht groß und
frri in ihm eutwu-keln können. An die Stelle der Hoffi.
trot hei ihm von vorn herein die Sorge, ob »ich au» di
deutsclivii Sieg und der politischen Einigung eine einheitlii -In-
deutsch»' Kultur hn'aMM-nUurkrlri werde, Icli hin heute ge-
neigt, dieser Sorge Nietzsches mehr recht tu gehen als me.
damaligen Vertrauensseligkeit, das perildeiselie Zeitalter I
nicht gekommen, ist heute noch nicht da» und uueh poüt
hnben wir nicht gehalten, was wir damals um und and<
verapruch'-n haben. Aber dennoch -e!i .in ■■■ uh mich des Prot
gefuhl* jrnrr Juhre nicht und ruoehl meiner I
entwickhing nicht missen, es hat mir bis heul« viel Mut
und Kralt und Glauben gegeben. Und so komme ich I
darum auch nicht als Biidungsphilister vor, weder in der
Erinnerung damals noch in meinem nachwirkenden Opti-
mismus beute, Was ich aber von mir sage, da» gilt
auch von Strauß. Weil er «ich der politischen K r rangen -
i.rhuften freute und sich durch unsere Kulturguter in Wissen-
schaft und Kunst beglückt fühlte, deshalb war er noch lange
701
kein Bildungsphilister. Wenn aber dieser Begriff gnr vollende
dkm Vorwurf de» Herdentieres und de» Feiglings mit ein-
schließt: der alte und dorneue Glaube, gegen den sich dieser
Vorwurf zunächst gerichtet hat, widersprach ja vielmehr
allen Instinkten der Herde und aller Bequemlichkeit des
Philisters und stieß darum l« i diosom auf einen geradezu
empörten Widerspruch und Widerstand. Und ein Werk der
Feigheit! — Nietzsche hat es behauptet, aber geglaubt hal
ea ihm keiner, der Strauß kennt. In derStunde der Gefahr,
im Jahre 1848, als fast alle Welt den Mut verloren hatte,
hat ihm sein sonst nicht eben wohlaffektioiiicrter Konig,
Wilhelm I von Württemberg, bezeugt, daß er „Courage
habe". Couraj?^ hat n- nurh im alten und neuen Glauben
gezeigt, ein Feigling ist er nie, tapfer ist er immer gewesen.
Aber ein Philister kfinnic b durum doch gewesen sein.
Und wirklich i*t etwa.-» daran. Vielleicht liegt das im
schwäbischen Charakter; denn seltsam! alle unsere großen
Schwaben, kaum von dem größten, von Schiller, abgesehen,
dil Dichter wie Unland und Justinus Körner, Hermann Kur*
und Mörike, und die Gelehrten ohnedies. nhVn voran Hegel,
dann Baur und Zeller, auch Viseher nicht ausgenommen —
Ria alle haben einen Stich ins Philisterhafte und Philiströse,
was natürlich mit der Enge des Sehwabenlundes und mit
der Verknöpf theit de* schwfibischen Volkscharokters zu-
sammenhangt. Bei St muß aber kam dazu noch seine Her
kunft aus dem alten, ordnungsliebenden und peinlicher
Ordnung benötigten Kaufmannshause. Wie er seine Bilder
gerne vom Stand und vomGcichnft des Vater* hernimmt, so
hat er auch zeitlebens festgehalten au Pünktlichkeit und
Genauigkeit wie im GruüVu KUMT Arbeit, so im Kleinen
und Kleinston seiner 1,- -heusfuhrung und Kinnnzgpbnrung.
Das widerspricht nun freilich der Vorstellung, die sieh der
I »i'Ul:.' Mi" -<|l .IrC l.i.'rfl i|i<) Itltd I IrsilI^pCl'indi'
vom (i.-itii und von geninlen MftlW&ffl zu i h--i. pflegt
Wenn es in Kopf und Düsen braust und gört, so soll auch
762
- im ;•.
-!n- I«cben*h;dltiii£ ,, i» r wild«, UM maß- und zügellose »ein.
Und gar vollends, whih ir und ein Frei-
geist ist, dann »oll er womöglich Aiirh ein freies Loben fuhren
wir Schillers fUubcr und losgebunden frei Mch zeigen auch
von der Sitte und <l< NUengeeeti. Diesem iiMiehen Hild
de* genialen Hffflth« *ntsr-rach Strauß nicht. Schon
seine einfach xclüiehto, gut bürgerliche Llrsdieinuug. dir
ruhige, zugeknöpfte Haltung und Weiss rieh xu geben,
»ein Sorgen um geordnete Verhältnisse und Üb m trefft b Mio
Festhalten an dir alten Ktliik. die sich für ihn als oberes
Stockwerk »tot» von selbst verstand: — da» hat ihm den
Huf eines Philisters eingetragen. Daß ihm jede» Pathos
und jedes geistreiche Sichuufspielen, Blenden und Posieren
widerwärtig war und er es gar noch verhöhnte, die BoUktfata
Schönheil seiner Sprache, die logisch snuhere Gliederung
seiner Gedanken und die unerbittliche Dialektik seiner
Beweisführung» das alle* ooliliel und mißfallt noch ht»ute
unseren lauten Patrioten und untern geistreich sein wolL-nd^n
Ästheten. Auch einen Schulmeister haben ihn Hausratl) und
Schweitzer deshalb genannt. Es ist bezeichnend, daß gerade
von theologischer Seite das als Scheltwort kommt, bezeichnend
für die geringe Achtung unserer heutigen Theologenwelt
vor dem Stand des Schulmeisters, der ihnen das dann natür-
lich mit zorniger Entrüstung heimzahlt. Aber en Ist wahr,
Strauß hat etwas Schulmeisterliches, besser gesagt: etwa»
Lehrhaftes. Um so schlimmer, daß ihn die Theologon ge-
hindert haben, zu werden, was er darnach halte werden ftollafl
ein rechter Hochschulmeislcr. wofür er sich ja so glänzend
ausgewiesen hatte. Etwas „Schulmeisterhafte»*' halte
auch Sokrates, diese Ähnlichkeit hat Nietzsche ganz richtig
herausgefühlt Ihm war auch Sokrates ein bildun«n|ihilnler.
Und wirklich, an ihn erinnert Strauß in der Kunst der
dialektischen Genprarhsführnng, in dem Zug von Ironie und
Humor, der seine Gestalt umwittert und ihn der Well der
Philister so unheimlich und so gefährlich erscheinen ließ, und
Schluß.
endlieh in der Gemeinsamkeit des Sclucksals, nur daß man
heute die Männchen, die man vergiften möchte, nuht mehr
vergiften darf l.'nd auch & : .t"rhen sind tie heule ;iN
tapfere und als fromme Manner.
Damit waren wir I ■■ i dem was Strauß goMlftd hat und
was er uns anderen gewesen ist. Vorn enttrren hat aber ja
mein ganzes Buch gehandelt das brauche ich hier nicht n
wiederholen; und ein Buch Ober die geistigen Strömungen,
dir von ihm ausgehen oder mit ihm zusammenhangen, wollte
ich nicht achreiben. Strauß war ein Wahrheilsucher und
ein Wuhrlipjtfclehrer. Das Eigenste, was ihm gehfirt, den
Sinn Im- Wahrhaftigkeit wollte er die WÖ1 leim n. Und
dadurch Klarheit und Helligkeit, Licht und Heiterkeit in
sie hineintragen, und ihr zugleich eine Fülle von Schön-
heit, wirkliche Kunstwerke schenken, an denen Btob auch
die, die sonst seine Gegner sind, erfreuen und erbauen können;
und endlich auch ein gut Teil eehten schlichten Patriotismus,
der ihn in einer großen Stunde zum sieghaften Wortführer
seines Volks hat werden lassen, gehört mit dasu Er selber
mochte verstimmt von sich und seinem Schaffen sagen, „der
Baum habe weder die Höhe erreicht noch die vollendete
Form erhalten, die ihm bestimmt schien, und mache schließ-
lich doch den Eindruck eines verkümmerten GewAnhiw"; an-
wenden auf ihn und sein Werk lieber das Wort Goethes an :
Wir haben alle segenreiüi erführen.
Die Welt verdnnk' ihm, was er sie gelehrt.
Ein Lehrer und Erriete zur Wahrhaftigkeit ist uns
Strauß gewesen, ein Lichthringer und Aufklärer, wie Leasing
für uns Deutsche, wie Voltaire für Frankreich. I ml da nach
dem Bibelwort nur die Wahrheit in nnachen kann, war er
idblt ein Freier und für andere ein Befreier \\i< viele
sich in diesem Sinn von ihm freimachen lassen wollen, in
wio vielen oder in wie wenigen der Same aufgeht, du* hangl
ja nicht vom Sämann allein nb. der ihn ausstreut. Nur von
mir kann ich es bestimmt wissen und bekennen, daß er es ge-
764 Schluß.
wesen ist, der mich freigemacht und mir den Mut und die
Kraft gegeben hat in meinem Leben, mich in den Dienst
der Freiheit und der Wahrhaftigkeit zu stellen. In diesem
Sinn ist mein Buch, wie ich im Vorwort gesagt habe, ge-
dacht als ein Akt der Pietät und als ein Zeichen der Dank-
barkeit für das, was er mir gewesen ist. Ich kann über nie-
mand schreiben, den ich nicht liebe: Über Strauß habe ich
schreiben können, denn ich liebe ihn und schulde ihm viel.
Nachwort,
In der Vor rode habe ich versprochen, hier noch Db*r da» Mat.-i 1 1
Kochonschuft /.u geben, aus dorn da* Buch herausgearbeitet Ist. Mein«
llfuiptqtiellen sind die VY>rU:e von StrauU, darunter für das biographische
der Christian Murklin und dlo literarischen Denkwürdigkeiten von
besonderer Wichtigkeit, »eine Briefe, gedruckte und ungedruckte.
und sonst Doch allerlei Ungedrucktes. Was Ober ihn gedruckt ist.
hübe ich in meinem Artikel „Strautt" im 19, Band der Reulenzyklo-
I»:»iIh' f im jT<>t*aUtitbcb* Theologie und Kirche, 9, Auflag*. vtfnkM
Iiir.wiHi-lu-ii int lunit'nVlirh mix Anbiß der FfltOT BflllMI hiinilerl.jlthngeu
IMmrlsUg* ein wdli rc!' -K'liiii'cMin-knifidl von !• «-.!.■ .-likiln inrd«r-
■•MiiKri. die ieh nur iiioj/hrh l \ :' ' /-.i vtirluinVii üv..ui-hl
habe; sie aber hier «imeln m nennen, hat keinen. Wort. Wo ich rtw«
davon bonllUt habe, ist in dfO AnmntangH darauf vorwiesen. Wohl
ober habe ich hier Grund, das ungedruckte Material tu verrechnen,
um dafür xu danken. An die Spllto stelle ich dlo Mitteilungen von
der Familie, dem imwtschen vmtorbenen Sohn. Herrn Oraermlabd
nrxt Dr, Fr. StruuU, und seiner Schwester Fmu Oeh. tiergrjt
Georgine Heutler. geb. Strauß; und nicht minder wirblig die mir
ruckhalllo». zur Vertagung gestellten Briefe an den Bruder Wilhelm,
.in die Sf'-hwngorin Frau Amnlte SItjiiiQ und im deren Sohn, «hm
bekannten BuchhAmll.r DaftU8lrauß. I" /.weiter Uni« gebührt im -m
Dank Fruu Prufe-axur Murklin, Fmu Direktor \. Kapp und Krau Professor
Teichmann in Stuttgart und lUrrn Professor KaulTmann In Tübingen
für die, Überlassung d* Brief, .m diu Freunde Markltn. Kupp.tfchniUcr
und KoufTmann. Weiter danke ich meinem Vetter Professor Hermann
Tücher in Ludwigsburg, dor mir ebenso bereitwillig die Briefe an
'.einen Vater. Stadtpfarror Fischer in Öhringen, zur Benützung hnt
zukommen lassen; und endlich Herrn Dr. Wilhelm Lang NU dm
Cberlnsming der wertvollen und ttttMMIlftU Brief* TOD BtmuB Ifl
ilm. Strjuflens Ilnefe an Professor BledHYQfcOn ifl Urteil v#r-
d:uike u-h d< e -;uii iIih lli-mi Dr in 1; rhu. dir B&l Hin-
aus soiuem Besitze freundwillig ubgMr»d*a hui. Der Bindersche Nach-
laß stand mir natürlich ohnedhw tu Gebot Dazu kirnen dann
Brtefe Auf dm Kbliothi k«l) in StraUhurg UDI * StulLgÄrt und gant
766
Nachwort
besonders sahtfeteh im Jahre der Stroufc- Ausstellung im8chUlflnms#tjin
tu Mar back; auch die 15 riefe vou Strauß an da» Stuttgarter Ar
■regen de* Fnvhlin dürft« ich einsehen. Den VersraKungrn aller d»r»*r
Anstalten statte ich für ihr« Dienst Willigkeit auch hier jr**zi*-inr»<lcu
Dank ab. Eb«mo den Redaktionen de* Schwabiachrn MVrkur und
des Beobachter« in Stuttgart Wnt#rs* Matr-njl «erschafft* nur
vor aHein mein Freitod Df. A. Baunatal*«*, Dekan in L**wtg*burg: so
oft ich mit ineinen teilweise recht weitgehenden Fragen und Wün*.cheo
in ihn tum, fand ich bei Ihm immer ein offene« Ohr und K-rtUwillig-ste
Unterstützung. In Tübingen bin ich vor allem dem Ephor« de* Stjfu,
Herrn Professor v. Budcr. und Herrn Professor Bober als Dekan der kmhn-
i.-.. i. ih. .!.../!■., tun WnüiW tu lebhafton Dank vorpftiehli '. ■ ■ v.i .-t,
rückhaltlos und in zuvorkommendster Weise mir Kiusiehlnahme in ihm
Akten grata tt et und mein«- Iti.mi ]>< MniMnr'. i ; abMM seinrnett der
Senior da» Repeletitenkall.yiiiiM- im Stift, lUrr Dr. Karl Hartman».
Auch der phil(»nnhi*rhmi Fakultät in Tübingen hin n h für dkl Zu-
inlunjr •!■ ■ .; wunv'hl'Mi Akt.-iim.it. ri.il« I Unk v: huldig. Ojiix besonder*
verpflichtet »lmr hin ich drm wtirücmbergi>che,n KuKu.mimxler, Y.x-
telleni von Fleischhauer, der mir auf mein Krauchen wertvolles
Material zukommen Ucü. ohne lrgOüdw*4abo Heduiguag daran zu
knüpfen: Ich weiö die-ie* Vertrauen und dlnen Akt unbefangener Groß*.
herzigkeit in seinem Kamen Werte zu schätzen und sproche Ihm auch
an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank am. Endlich durfte
— tafD Freund, Herrn Oberstudienral Dr. Julius v Hartmann.
buwnhrt--n KttMT von Würtlcmbcrgira, in allerlei Verlegenheit an ■
Nöte.» um Hat und Hilf» angehen. — Ohne solch. ' ». Mtützung
vielen Seilen hiiLtn ich mein Buch nicht schreiben kennen,
Mit eiiifehien Kritikern de* ersten Bandes dieser Ihographtt)
mich hier aizsein;inderzu»eu.;ii. dum »ehe ich keinen Grund und hab«
ich in diesem Augenblick keine Zeit, Wenn derselbe ein* iwmU \uJ.
luge erlebt, soll es an mir nicht fohlen.
Nochzutragen habe ich rum ersten Hände dreierlei: t. lu drin Im
Vorwort S. X tiesoglen. daß ich auch fünf Jahro (1871— ts?6) ,i
Kantnn Zürich gelebt und hier nicht nur den Schauplatz, auf £sj
sich der Zun putsch abspielte* sondern uueh eine Keine von lUttnlaJ
hei diesem r>rnniii persönlich kennen gelernt habe; t. ?u 8. 46
ich darauf aufmerksam k'"»-»"''!. daß der jüngere lU'tigel. zu Slraußci
Zeit du* Haupt der ullon Tübinger B< ("de. nicht de» Knhn, fön de i
der Enkel des berühmten Johann AUirecht Rcur«! $••* ., tl m | , M
endlich lasse leb 3. m dorn auf B. 11". und IM I rw.ilmten Vomoh ^ «n
SlrnuU, nach dem F.rscheincn des I^hens Jesu an dar Hfl
in Heidelberg anzukommen, füllenden inzwischen in oUaffl
Zeitung veröffentlichten Bnef von ihm an Daub hier im Wortlaut folgen:
Nadnnrt
767
Hochwürdigor Herr geheimer Kirchenrat ]
Es sind eigentümliche Gefühle, mit denen ich nuch so langem
Stillschweigen wiederum die Köder ergreite und 7.11 einem Schreiben
an Sie in Bewegung wliv. Denn so sehr ich mich noch immer im Geist
mit Euer Hn.-iiworden einig weiU. so gewiß gl.-iuhi i'h zu whuen, duß
ich durch meine Schrift Ober du Leben Jesu, sofern Sie von derselben
Eiiimrhl genommen haben nollten, Ihr Mißfallen mir zugnmgi'ii habe,
l.-'ichl k.iun fr- ihcb eine Kritik, wn ich in der grdui hten Schrifl m*'
Ulm. als untliimlngMrhi und profani- recheinnn: aber für nijrh r>. t . 1 ■
nur dt-r UV« xnr v|n-U ul;.ti v«-n DOgMfttflt, dio dialektische Vermittlung,
durch welche dio blbliMihe \ omlellung hindurch inuü. um lum Begriff
zu werden; Ich »«he kern Auferstehen der Idee, wenn nicht die Historie
zu Grunde gehl. Ich weiß wohl, daß nur dieß von Seilen der Schule,
zu welcher Ich übrigens mich rechnen zu dürfen die Ehre hübe, als
Rückfall in den Kun tuschen Standpunkt, wo die Idee nicht zugleich
-dion Wirklichkeit i«t» mm Vorwurf gemacht werden wird, aber ich
bin so kiilin tu !.. lump!-'... .I.ili • ■;■ .. -. li. -II . ndinuchen dm NrgaliviUt
gegen diu religiöse Vorstellung nin ebenso riuthwendigr-r T>tirchgangi
proteß ut, um r.iim christluh- theologischen Absoluten r.u wboigen,
ab seiner Zelt die Phänomenologie notig war. um du* Abvoluto dar
Schelhngschen Philosophie wissenschaftlich ru vermitteln, — wobei
ich jedoch, wie bieh von solbst verstoht, nur don in meiner Schrift
betretenen Weg im Allgemeinen im Auge hnbe. die Aufführung im
Einzelnen mit der der Phänomenologie auch nicht von fern zu ver-
gleichen die Anmaßung haben kann.
Doch wozu alle diese Reflexionen, die Kuer Hocbwnrden entweder
soll»! schon gemacht haben oder, wenn ich »ie auch liier vortrage,
drßwegi'ii doch nn hl geneigter sein werden, si« •inxurflumen? Kurie h
fBMgt. weil mir In |UfMWIft|gBin Augenblick hWHIfHMl viel di.1,111
liegen muß, Ku<-i Hoch wurden iu keinem tu ungünstigen lachte zu
erscheinen. Ich habe uiinilich infolge der Herausgabe meiner Schrift
meine Stelle als Repetent am hiesigen Seminnr. welche mir zugleich
das Halten von Vorlesungen an dor Universität möglich machte, ver-
loren. und bin an ein Lyceum als Hulfslehrer versetzt worden, — eine
NMI-. die meinen Bestrebungen ganz entgegen ist und die ich im
i\Ui 1. ;i. 1» h.tI .1 untn ton 10U
Natürlich -buk- ich nun .111 ein l'nterkommfl U •'"• I auswar-
ügMi Tmiveputnt, und zuerst muß mir du Heidelberg einfallen, wo eh
in der PWOO A«a Herrn il-hemien KircbenraU Daub sonst emen tlftnncr
hatte — ob noch JtUt, ihr; kann Ich fi eiluli nicht wisaen. Aber Ich will
'•. einmal versur .heu und sehen, wie ich noch vor Ihr Angesicht kommen
darf. Sind Ihnen dio Orundsatzo meiner Se.hnfl twelchr aber hier nur
788
HtdgraL
nach »hrwi gleichsam unUrsdn. Ußm - röcheln «, wahrand si*
nben in ein Gebiet «ch verlaufen, wtlthe* mir mit Eoer Ilorhvrürdta
gemeiuschuftheh isti nicht m sehr cutgugen. so werden Sic gvwiD,
dieß laßt mich Ihre mir immer bewiesene Oute hoffen, »fern rieh in
Heidelberg «ü>« anstAndigt Slcllung für mich Anden helle, mir gü'
Auskunft erteilen und Ihren Einfluß xu meinen Gunsten verwende«.
An Herrn Geh. K)rth«orat Paulus, der meine Schrift u . bc
uri. ilt htt* la»M> ich ruglen-h nn Schreiben in derselben Angebgflnlki I
Kntnchulditfdn Si* nur die Freiheit, diu ich mir genomm-n. ,.
.!■ uihrgre litte Zutraue», il«« mir In- v.M rli. h« * in-.* gtJpM im b
Ina. iiml v<m Im die Versicherung uoT*rand«rt*T
Klirfurcht, mit wskher ich bleib«
Kuer llminvurdffl
ergebenster
Dr. Strauß.
Tübingen. 11. August 1S35.
Dan dorn ersten Bfllld VOftOffetelHl Bild Mamml au* dem Jahre
193?: es war fordie „Kuropa" l>«xtimmt. Oberda* fühl vi.r de m iweitea
Band gibt fin Brief von Strauß an Brost HM6k*] vom i:. AuguM tKT.'i
AiifschluB. DieHtelleistiugleichforStraaBens&ttiiuii.: Ina u Beta
socharaktorUÜsch. d;iü sie hier nicht fühlen darf. „Besonder**
habe Ich Ihnen noch fürdie Retgabe Ihrer Photographie", schreibt er. „ tfa
mir hoch willkommen ist; aber was werden Sie sagon, wenn Ich Ihr-»
Wunsch, dagegen die mewtge ru bekommen, nicht erfüllen kann?
Am besten, Sie lachen darüber, wie ich selbst; in ganz Stuttgart —
wo irh. da mein Vorrot erschöpft i*t. meinen Sohn beauftragte in den
Kunsthandlungen nachzufragen — i»t eine Photographie von mir
nn ht 7ii finden, Sie sehen, der °n manchen RibrHprudh wankend
gemacht hat, muß doch den vom Propheten, der in der Hei mit nichts
gilt, lieatAtigen* Zum TWI bin ich wohl Bolhsl '-(■huldig, da leb
im i'.ruii'li' nur »in mal habe phcdngr.»pln.!roii li-'n. n.iiiiln !i
Jnhrru bei drm Hnfphologrtiphe» Günther in Berlin. An de« ich nun
h Bit \rrwm*rn muU. Verlang" n Sie die AufnAhOM mit dem Buch —
dir luli.im meine Freund Mi dl« b«sora." Kür diu rU'produktiun
schien mir und mein, tu Hei rn \ erlog« da» gletchceltig entstandene Bild
ohne Buch geeigneter.
Straßburg, »m 10. November tftOU.
Theobald Z i e g I e r.
Namenregister.
Ahnbrd Hl IM. 267. 283. 308. 414. 538,
AdoniH 12«.
576 ff.. 579. 586. 595. 596, 598 IT..
\i:iiri)l:i Ļ0.
(01 f.. 618, 761.
AHttTt, I'nn/tNiimlil von Kny.
Bayle, Pierrv J57. 358.
662, «58.
BtttbOttt Mi 470. 624. 530, 713,
Alice. Printc&aln von H«tf:i 652 fl.
714. 715.
655 f.. 664 6;4. W.
KHIini. M.ilir 4M; KMtiipiMii-: :;m
Andersen X 1 v
B'-li;v (Juttlirh 41..
Andrea 555.
Johann AHiri'rht . .' . 203.
Angelus Silmiin 351.
Berllchin«en. GM* von 694.
Arndt. Bm*l MopiU 415, 626.
Bernstein 641.
Arndt, lob, 127.
Bettina 407.
Au#rbwJi, Berthold 473. '.85. IM.
Bender 573.
Aomwald 444. Uotenua 387, »197, 698. 722. 73t.
Aiiffuitin IM«
KaWaU 140.
; Hiw,ky XI11
BAAiter. Frwnx vod 207.
Bladar. OutUr, Prtüda! 26 f., 32,
Bach. Jiili.mii HttluiKliiiti »8. 713.
33. 34. 40t, 44. 49. 51. 52, 65.
BacmeuUor. Albert 15. 60 1.. 103. 107. 11t, 114. 132,
Bahninnicr 240.
170 1., 190, 211. 213 IT.. 264, 401.
I'.ihr 240. 629 f.
562. 574. 605, 737, 738, 742, 743.
Bahrdl 139. 621.
744 1,
Ki rn um 469. 532.
Professor 747.
Butlfnlmritr 426.
BUmarck 426. 519. 644. 645. 648.
Bii-inv, Bruno 210. 250, 254, 335.
6*vfc 707.
»56. 357.
Blum. ItnlHTl 443 f.. 4*5 f.. 44*.
Bauer. I.iidwijr, 43. 41«, 489 IT..
Rlunfedili 306. 314. 815. 633. 721.
504. 521. 758.
Boclch 646.
Btumiriirtfii O.ruxius 208.
B ddDf, Eduard 5-41 IL
Baue I-Vnluund ChnMiau 22 f.
Boettttmmtf
40, 48 f.. SO, 54. 109. 115, 140,
Boger 544. 571. 642.
141, 143, 163. 16S. 166. 167, 168,
Böhme. Jakob 42. 44. 50, 56. 42,
181. 197. 216 IT. 219 f. 221 fT..
90
770 X*m
BreiUchwwdt 14. 15. 33.
Dr*y 16.
ohadte Itfc 1*0, 146. 169.
ThiW Raymond 716.
206. 653.
Dulon 630-
Brockt« 58fl.
DVMte 105. 492.
Brock hau« S21.
DOrcr XV, 9*
.-, Oiordüiiu 720.
Büchner 695. 702.
Eb, Fr»ulc.n 528.
Bahn* 24.
BfanWd 616.
Bimsen, Robert Wilhelm 317. 540.
Bchtermerer 212, 356.
Bunsen, Josiu Ritter von 541.
Bold Samuel VII ff.. 526 f.. 751.
Eichhorn 140. 166. 169.
Califfula • ' '
Kppaf M
CarovA 105 f.
Kl rt0«r. Ii*inalr*t 753
Carnar* 723.
HlBIrr. Fanny 103.
Canions 524.
Elsmir. Heinrich 316.
Catull 737.
Biwert 264 r.. 286. 290.
«>!:•..- 129. 135.
Erosmus v. Rotterdam 000. 510.
Cham i.w 103.
Krhardt. Karl 26 f. 58, 59.
Christheb. Dekan 434 f.
Bschenmayer 41. 77. 89 II. . 93. 119.
Christoph. Herrog v. Württemberg
122. 202. 205 f.. 216, 235. »;n..
ii
237 f., 256. 25*. S32. 504.
Cornwillu, Mario 652.
BwtM 567. 617
Comaliua Napo» 736.
Kvth, Eduard 5731.
Corrodi 295.
— Man 17. 574.
Cruaiu», Martin 501. 504
»••ebner 698.
Dithlmnnn 406, 542.
Feuerbach. L 335. 336, 337, 357 ff..
Dante 327.
534. 687. 694. 698.
Darwin 677, 692. 693, 606, 099 f.
Pichte 95, 103, 141, 248. 7t«, 746.
701. 702, 723. 737.
Fischer, Hermann 754
Daub 102, tOfi, 327 ff-, 331, 343.
— Stiiilipfiirrrr 532, 559. 5*0 f..
HS, 532. 621. 701
571. 572.
Duumer 336.
— Kuno 506, 514. 533, 534 ff .
Demokrit 70S.
537. 538, 539'.. 545. 547. 554.
Devriont, Ludwig 103.
671. 573, 580. 581. 680. 632. 684,
Diderot 651.
667. 700. 724. 737. 742, 749, 750.
Dilthey 641.
PUtt 179. 191.
Diesterareg 641.
Plnckh 572. »74
Diogenes 709.
Förster 95.
Dittttnherger 532.
..Krau in Forst" 671 ff.
Dobelrnann, Eva Koaina 4, 5.
PrsuaimUdt 836. 677.
Dovn, Alfred 72».
PnUfcjrtti) Wt
NanienrrKi»t*r. 771
Friedrich lt. .1 Grotte 337, SO«.
Oumprecht 641.
646. 651, 052. 656. 659.
(Mndtivdi 407.
Friedrich 111 . Kaiser 653. 654.
Chltskow 1'»9, 239, 283, 406. 415,
Friedrich. Kaiserin 652, 653. 65'..
473. 484. 485.
SM, ::t; OwtOMT 677.
Friedrich I.. König v. Württom.
tmg «3.
M.ickh 435.
l'n.-dnch. Murkfcraf v. H*d*«n 552 Hncckel 677, 693, 718.
Frlodrich Wilhalm IV 205. 246,
Ilailand 504.
294. 317, 359. 413. 414. 417 IT..
Hallberfter 213.
432 IT.. 515, 643.
Hamann 407.
Fricw, Maler 540.
M.mdel 538. 713.
FriBchlm. NikodemuK 49". 499 IT..
Il;iikxi'iii;iitit 433.
502 ff-, 505. 506. 507, 508 f.. 514.
Hiipdi-gK IH W.
516, 517, 518, 553. 555. 574, 605.
Kurden 422.
61», 758.
Hurloß 202, 207.
FnUsch« 157.
Harnack 197
FQOli 296.
Harrttu* VIII IT.
Hartmann. Kdunrd v. 677, 723.
Cabler 195 f.. 210.
Hase 105. 131. 133. 154. 616.
O/niü 51.
Hnuber 52, 732.
Ovlier, Heinrich 317 t.
Huuff. Prof U M
Georgi» 38, 107.
M.niir, G. F. 107.
Gerber, Karoliiie 527 f.. 532, 573,
H»UK. Fr. 491.
575. 576, 732.
H;ni*r:Uh. Adolf VI II 11,91.228,288,
Gitmk 566.
289, 319, 320, 321, 457, 526 f., 597,
Oorvlous 406, 536 IT., 539. 545, S47.
604.606.627.629,630,636,759,762.
550. 573. 575, 631, 632. 649 f..
llAUMer 540, 573, 577.
660. 667
Uaydn 530. 713. 71V
v. Opßler 56». 745.
Hiiym. Rudolf 249. 522, 543 f.
OUdston 725.
IIorvUI. 50 fT. . 55. 60 f .70,80.83.87.
Oluck 719.
89 f., 93a.. 10Ä. 111 114 (!.. 118,
Goethe XIII. 239, 241, 279, 401.
124. 131.134,138. 141. 145. 147.
407. 462. 469, 494 f.. 504. 610, 517.
191. !••',. 2»<O>0.231, 233, 238, 239.
538, 550, 551, 552, 553, 554, 632.
242, 246.248 IT.. V 1 lf .257. 264.272.
657. 672. 676, 686. 707, 711.713.
275. 326. 327 f., .133 f.. 335, 336.
71 i. 716, 716. 749, 751.755. 763.
337 f.. 342 1.. 345, 347.348, 351,352,
GOrro» 242.
353. 356. 358. 359, 425, 584. 585,
Göschel 210, 250. 350.
621. G90. 691. 694. 697, 698. 700.
Ortf* 575. 640.
701. 701. 706, 717. 755 f.. 761.
Orir buch 266.
Hoidel, Frftulein 532. 571.
(lruu«wii '*'., 102, 103.
Il'iii« -■::''. '.()••., 4UT.
772
Namenregister.
Helfferich, Adolf 575.
Helmholtz 724.
Hengstenberg 207, 208, 218 ff., 228,
235, 246 ff-, 250. 257, 282, 624,
634, 637 ff., 681.
Henning 97.
Hentges 468.
Herakles 126.
Herbat 86.
Herder 550, 713.
Herwegh, Georg 359, 407, 412, 413,
467.
Heß 595.
Hesse, Eoban 518.
— Hermann 17.
Hetech 532, 541.
Heyne 23.
Heyse, Paul 686.
Heusler, Bergrat 640.
Hirzel, Bernhard 315.
— Kaspar Melchior 292, 297, 299,
300, 302, 306, 307.
— S. 679.
Hitzig, Ferdinand 226, 227, 264 f.,
290, 291 f., 302, 313.
— Kriminaldirektor 103.
Hoffmann 426, 434, 436.
— Wilhelm 202, 205.
Holzer 493.
Hölty 646.
Holtzmann 165, 168, 174, 197, 198,
596, 605, 625, 633.
Homer 212, 274.
Horaz 737.
Hotho 97.
Hoyer 491.
Huber, Johannes 724, 728, 736.
Humboldt, Alexander v. 406.
— Wilhelm v. 524, 707.
Hürlimann-Landis 298 f., 301, 307,
308, 315.
Hütten, Ulrich v. 497, 506, 508 ff..
514, 516, 518, 519, 520, 541, 547.
553, 556, 564 ff., 568, 605, 613,
656, 758.
Hütten, Hans von 509.
Huxley 693.
Jacobi 622.
Jager, Ephorus 37 f., 91, 92, 120.
Jahn, Otto 542.
Jmmermann, Karl 52t, 522 f.
Jolly 573.
Josephus 254.
Jsopi 524.
Julianus Apostata 417, 419 f., 422,
423 ff., 515.
Jülicher, Ad. 174.
Junius 423.
Justi 736.
Kafcrlc 400, 677, 679, 752.
KalthofT 630.
Kamphausen 433.
Kant 40, 42, 51, 115, 117 f., 141, 248.
327, 328, 345, 621, 692, 693,
700 (T., 704, 705, 706, 718, 728.
KapfT 24, 203, 745.
Karl, König von Württemberg 745.
— Herzog 495, 508, 523.
Kauffmann, Marie 669, 670.
— E. F. 58, 227, 378, 385, 390,
392, 401 ff., 405, 464, 667, 668,
714, 715, 749.
Kaulbach 736.
Keim 595.
Keller 298, 306.
Keppler XIV, 499.
Kern 22 f., 40, 48, 55, 168, 202,
206, 216 f., 517.
Kerner, Justinus 3, 41, 43 ff., 50,
56 f., 268, 289, 390, 392, 397,
416, 420, 489, 499, 515, 521, 554,
579, 586, 713, 761.
Namenregister. 773
Kerner, Theobald 580.
■ nowiky 4M.
EU« U.
Liebmann, Otlo 700.
Kleist, Heinrich von 718.
l.ioblrr 504.
Klett 468.
Last, Friedrich 416.
KlopMnrk 549. 550. 551, 552 f„
Ltet 529, Ml
556. HS,
Lochtf 589 r.
Kim/, v.u. 63«.
Lofluiid 105.
KiiMpp, Alb-rt '.'t2, 240.
IäUo 67? f.. 702.
Koch, Joseph 524.
UlCkS 283.
Ko»enlt, von 101.
Luden 105.
Küstllu. Kemhold 259, 368 f.. 382. Ludwig. Erbprinz v. Heuen 08%
Kontlm v. 558.
..... 6S4, 55«.
Kraus 33.
— llerrog v. Württemberg 502.
Kugler 103.
Luther M5, 127. 240. 321, 4M.
Kulm UO. i45.
609, 51». 51«. 547. 54H1T.
KuinAl 155.
686, fite. 7'.J.
Kuii/.M 406t 491, 572.
Kurz. Hermann 16, 84, ;36, 761,
Magnus Eduard 641.
— Isolde 84.
Mahrlen 260.
Marheineku 95 l. 97. 100. 102, 104.
Lnchner 714.
105. 113. 180, 209, 210.
Unnettrie "05.
Maxkim. Christian 25. 51, 69 ff..
Undrrcr 292. 5;8.
94, 99, 107. 108 f.. 190. 111,
Lang. Ih-inrich 7J&
114 f., MO, 888, 374. 8W. 392,
— Wilhelm 608, 620.
399. 400. 417. (64 IT.. 467 f., 489,
Langt?, Joh. Peter 205, 316.
021. 749, 75».
Lütge Friedrich Albert 678. 698,
Man 424.
;oo.
M.iMiini' 419.
Laplace 692.
Mayer. Robert 694.
Lflppcnherg 552.
Mehl 260.
Laub*. Heinrich 325. 406. 415.
Mehring 557 f.. 560, 564.
.::i.
Mendelssohn 715.
Leihm* '*>•
M bnL Wullgang 207. 235, 236.
Leibola 358, 359,
238 IT.. 2411T., 257 f.. 260. 3*1«.
Uo 207.
405, 440, M7. 55», 750.
Leasing 9. 103, 135, 258, 259, 281,
Mmk 510.
313, 353, 603, S23, 538, 560, 551,
Metz {Politiker» 661.
552. 553, 556. 576. 584, 586, 636.
Meyer. Julius 540, 571.
1.M.660, 711.713. 714, 728. 742.
Meyerbeer 381.
74», 754, 763.
Mlkach 381.
I.riiiliv, Johann J.ikob 320.
Mohl. Robort von 40 ff.. 121. SOI,
Lawald 641, 667.
538. 540.
Tb. Xttffitr. D< fr SiruO. IL n
774
Namenregister.
Monier 49, 367, 670
Moleschott 695.
Moltke 707.
Mommsen 418.
Mörike 3, 37, 43, 46, 55, 489, 554,
713, 736, 761.
Moser 34.
Mozart 94, 470, 538, 713, 714, 715.
Müller, Julius 207, 235, 252, 253 f.,
256.
Napoleon III. 661.
Napoleon I. 279.
Neander 99, 104, 207, 227. 266.
Neumann, Karl Friedrich 471, 641,
667.
Niebuhr 405.
Niedner 583.
Nietzsche XI, 83, 734, 746, 747 f.,
■ 749, 750, 751, 759, 760 f., 762.
Nippold, Fr. 721, 724, 72G.
Nöldecke 423 f.
Novalis 263, 417.
Olshausen 135.
Orelli, Kaspar 292, 293, 302, 307.
Oslander, C. F. 134, 234, 363,
581.
Oslander, Prof. 206.
Oslander, Lukas 555.
Osiris 126.
Origenes 88, 206.
Papias 331.
Pappus 555.
Parmenides 115.
Paul, Jean 372.
Pauli 736.
Paulsen 698.
Paulus, H. E. G. 21, 135, 137. 138,
140, 154, 155, 156, 208, 243, 257.
299, 531, 621.
Perthes 317.
Pestalozzi 293.
Philo 254.
Pfister 295.
Pfizer, Gustav 21, 26, 33, 54, 55.
— Paul 418, 432, 434.
Pfizmayer 28.
Phlegon 154.
Platen 755.
Piaton 115, 269, 736.
Pius IX. 741.
Preuner 532, 544, 571.
Preuß 651.
Prevorst, Seherin v. 44 ff., 56, 111,
268.
POckler-Muakau, Fürst v. 325.
Pythagoras 604.
Quiddo 422.
Radali 540.
Ranke 748.
Rapp 81, 354, 364, 369, 373, 385,
390, 395, 399, 400, 535, 541, 544,
549, 556, 557 ff.. 560, 561, 563,
564, 571, 591, 661, 667, 731, 734,
736, 737, 738, 741, 742, 743, 752.
758.
— Frieda 544, 574, 671, 739.
Raphael 274.
Raumer, Friedrich v. 641.
Rehfues, Philipp Joseph 521.
Reichlin- Meldegg, v. 531.
Reimarus, Hermann Samuel 135 ff.,
136, 139, 414, 417. 582, 583. 584,
595, 619. 651.
Reischle. Max 613.
Renan, Ernst 590 f., 595, 609, 660 f.,
663 f., 666, 675, 725, 750.
Rettig 264.
Reuschle 677, 696, 711, 737, 742.
Reuß, Ephorus 21 f., 33, 34 f., 38.
Namenregister. 775
1 ;, whrr. I.udwijr 4*0
Schenkel. Daniel 624 IT.. 627 ff..
P l*r, Friedrich ti'., '209.
630 IT.. 638 flU 036. 038, (.'.:.
Rfafev (M, 5O0i S5Ä.
«■.73. 680. 721.
R..W, W. -'.69.
lM-rr. Thornsa 293, 294. 295, 298,
RiUi-hl W, 349.
301 f.. 314 f.. üä, 318, 320.
Rilt.-r. Charta« 660, 666.
Schick, GOttiMb 524.
Rillnr, Karl 9:, 406.
SchUliT 19. 494. 549. 550. 551. 552,
Rohr 208.
E$6, 686. 709. 713, 714. 715, 741,
EU i r. Friedrich 411. KU,
54 r.
TG1. 701
R.vs-nkrani 123, 12'. I„ 138,
210,
Schlayor 193.
MO f.. 272, 651
hkgd, August Wilhelm 141, 199,
Rothft 262. 628. fi.".'..
521 f.. "
Hulc.'iis 171,
— , Kr 1.1
Rubiuiiiifi, CrntuM 518.
ftrlilniiTitmchnr 48, 49. 50, nS f., 59,
ROi k'Tt :;M
89, 94 f.. 98. 99 IT.. 104. 118, 131,
Ruftifc. Mulmnus 518.
133, 138. 140.145.155. 166. 191.
Ruk*-. Arnold 212, 356. 629.
199. 242. 276, 277, 283, 306. 326.
Rüinehn, Gustav 85. 562 ff..
569.
327. 328. 329 f.. 331. 334. 335.
— Pul- von Bbtnl H
33«. 339 f. 3'.:.. MB, 347, 349.
Ruoff, Senator. Großvater 4
. 10,
351. 353, 400. 515, 614 f., M9 fl ,
11, w.
632 IT.. ttti 683. «38. 690 f., 701
— Ook«l Uli 528.
:viii-r: vor,, v.o. Mio
— Vetter 47t, 732, 742 f.
BchnM 49. 217.
— Mari* 668.
^ J, mi.lt, Adolf 651.
ROtMdk 619. 620.
Sihmoller. v. 708.
8ehneckr>nburgcr 49 f., 93, 168, 169,
Äainto-Bouvo 660.
227. 26'..
Sniippe 529,
BdudtUf 356, 390, 392, 403, 464.
8»iilier 227
Scholl, Adolf 528. »9, 607.
Sr.htirffimstein 24.
.Schnpmihniier «77, 089, 690, 098,
flchftrlel (Vischer) ©31 r.
704. 723, 736.
Schnrtunmoyer (Vinclior) 3, 334.
Schott 40.
Schefer. Leopold
Schrempf, Christoph 79 f., 82, 83.
Schebat, Agn« SSO. 368 IT.. 378 IT..
Schulart 43. '.(■;. 491 ff.. 494 IT..
380 IT., 391 IT., 393 ff., 396 IT..
497. 498, 499, 500. 503 IT., 506.
402 f.. 405, 414, 458(1.. 4G4.
471.
507. 508. 514. 523, 548, 553, 555.
472, 4831., 486, 491, 505,
528»
605, 613. 758.
530. 573, 667. «73. 675. 731.
Schubert. Fr. 715.
Schelling 41, 42, 44, 46, 50, 56.
105,
Srhufacrt, G. II- 406.
141, 142, 249, 927. 328,
«4.
Schumann 714.
755.
Betank (tat** 49* f.
Schell. BtHMSfl 289. -
Skhwf-Kl" 221 f., 414, 417. 515
HaacantfitaB,
Schw*itrr-r. Albrrl VIII. Kl f.. 1 '..
Strauß Johann Friedrich. Ilrodcr \ |
196. 154 IT.. 456. 313. 584. 595.
— Wilhelm. Bruder 11. 13. 361.
59*. 602. 603 f.. 009, 610, NS
Wtot :t:9f. ;ih?. 197, 413. 472.
71% JM4 :59. m
525. 529. 530. Ml. 57.*.
fkh«Y»ir«r. Aloxamlcr 290, 196. 306.
'Mi. :.mv ft. SM.iM.48ih
. . mm., 63*.
652. 676. 710, 740.
8#^»r M, 443. 448. 449.
— Eva Ftwinu s*b. Dotolmon».
S«d!iTi 724.
jfoßmuttM 4, 5.
iipör 724.
— Christin« Maryaralfc«: gib. /-im-
BhAkmpMir 10S. S3R. SSO.
mrrmnnn. üroUmuttrr 5. 6. 527.
Sicherer 403. 525. 572. 678, S"9.
— Kaibarina geb. Bwk. Kul
SK-kinR^n. Fram ron 510, 518. 547.
6 ff., 12. X IM f..
Su-fT-rt IM, IM.
389. 393. 525. 527. 528. 572. 587.
589. 669, "•'».
8)H. Kmili" 260. 307 f. 371. 471 t.
47U. ÜOHff.
— FriU. . .-1 f., 484. 4M.
— , Ffjirr.ir 260.
527. 528. 529. 530, Ml.
Siffwjrt .1. Ä., I'rot. in TtU.inßen 40 f.
538, 544, 555, 559, 571. 572, 573.
43. 90 f.. 93. 118 ff.. 12t ff.. 1*0.
574. 576. 640. 642. 649. 669. 7»l.
733. 737. 742. T&2.
— Gtoffino. TochUr »95. 471 f..
504.
Slmaon, Job. Baptist 53.
Simon. ProfeMor 753.
484. 486, 527. 528, 529, 630.
Sokrat« 269. 686. 740. 762.
533. 534. 538. 543. 544. 556. 559.
Sophoklm .198.
561.571. V: 676, 576, 640.
ßpinow »9, 340. »45. 347. 352. 621.
642.652, 731. 738, 742.
657. «91. 698.
- Fri*d«rikc Tanlo 363. 527, 52«.
öpntl.T. LaMfc TteoUw 117.
— Brrnhanl. N«fl« 572. 587.
523. 543. 550. 562.
— Bali, WITo 572. 587. 590.
Springer. Anton 421, 423, 425.
Streicher. Barbara 493, 495.
SUio, FnU 672.
Sturm. Johanne* 500. 555.
8t*ub, U 470.
8ybcl 608.
Öteudol. Joh. Chr. Fr. 17. 48. 79, 99,
Syrliu 33.
100, 114. 116. 134. 180. 202. 203,
206, 216 r.. 235. 240. 243 ff.. 246,
Taeilu* 406.
247. 256, 257, 750.
Tafel 40. 91. 92. 118 »., 121 ff.. 504.
Starr 46.
Tholuck 207.
ätrauil, Johunn Oorg, Ki-groß-
Thorn:ix von A^miihi 89. 377-
vatcr 4.
Titck 106, :I7«. 4M. 414. 415.
— D.ivld Friedrich, Oroßvatur 4,
Ti/.i.m 478. f
7, 11.
rrtttachk«, B. von, xi, i60, te*.
— Johann Friedrich, Valor 6 f..
170, 173. 174, 1 1 WO, 3J1.
»7. 260. 262. 361 f.. 557. 587,
B82 f.. 422, 708. 736. 746, 748.
759. 761.
7 49. 759.
Namenregister. 777
Überweg, Friedrich 690, 698. Wi-iß«- in.. 350.
Unland 43, 455. 7M.
WMuMOm 194, US, 596.
1 llmnnn 207, 235, 252 t. 256, 259,
WYUhAuson 617.
262. 273, 282, 629 f.
Wwnät H&
Ulrich, Huriog vuu Württemberg
\\ 'MiitT. Zacbnrlus 77, 206.
JÜ9.
Wcbilein 154.
Ulrici 723.
de Wette 202. 208. 226. 26C, 629.
1 mbreit 262.
■ m 631, 638.
ÜxltüU. Freiherr von 524.
Wieland 550, 551, 713.
Wigand. Otto 16 &
Yaihiuger 205.
Wildvrmuth, OiÜli« 16.
Vtimhagen 492.
Wilholm 1., Kfmig von Wurltoro-
Vatke 97 IT., J02. 104, 130, 133, 135.
berft 231. 432. 454, 523, 562, 741,
197, 210 f., 40Ä, 470, 575, 641.
761.
Veltoju* 529.
Wilhelm I., König von Preullea,
Veoturini 621.
später Kaiser 519, 643.
Vcronese, Paul 47».
Winckelmann 369. 736.
Viktoria, Königin von England 652.
Winter. Jakob 576.
653.
Wittg.Tr.Uin, Fürstin 529.
Virchow 693.
WolfT 584
VirgJI 156.
rVMfl 595. 612, 333,
V»cner, Prii'flrirJi Tlir.nlor :t ( 24 f.,
WqlUn 559. WO.
2*. 31. 32, 33. 52, 107 1.. 211 fT..
215, 37 7, 400. 405. 406, 407. 409 fT.
Xenophon 269.
426. 4*:. 441. 461. 463 f.. 470.
491, 491.. 540. B48i 548, SO, BM ( ' Vpsilanti. Alexander 381.
632. 64'.. «46. 649. 734, Hl, HB,
.'(, 751. X.uhn. Pfarrer 58.
— Pelor 24. Zarathuslra 709.
Vög«li 206.
EaOer, I-Munr.1 VIH f.. 84. 96. 107.
Vogt 695, 702.
116, 117, 118, 166. 221 f.. 890,
VolUfre 518. 586. 651 f., 654, 655, 399, 403, 406. 412. 538, 573. 577,
656 IT., 659 IT. . »Q, 763, M3.
580. 581, 600. 608, 627, 677, 700.
704, 724. 782. 736. 737, 742, 745,
Wnchter-Splttler, Freiherr von 558,
749. 756, 761.
559. 560.
fitgfa Bdwd A. 52. i'.3.
Wki v.t. Eberhard 524.
Zilling 495, 508, 555.
Waffner, Moritz 693. 699. 724.
ermann 25 f.. 38. 50, 437.
Wagner, Richard 530, 714 f.
Z.it.-l 533, 540 f., 572, 631 f.
WaiblEfltfaT "5. 37. 43. 489.
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diarortrrlftir unO Woiimbebuetlon. — lieber fubjfcttbc, ob«
Icctloe tniö abfolutc <iclt. — lieber relatlDe iinö abfolutc *üc»
niffliinn. — jjur iljeoric oc# heften«, tfrfleö ÄapiteL Id. ßioeltefl
flüi'Uel. — vic «ooif bei Zltiufadjen ob« Sauialität uno 3rtt*
IMßt — t)le WctftmorpDolen btA ttprlort
AjDcltct ttbfrfjnltt: 3uc tfututpyllo|opbi: Bttfe
VHtrtioloflie. Ü?otbctTuri?l u nactt . ©rjlc <ReOU«Mon. Id. £n>eitc
Webhnttoit. — liebet heu pWlofoi>Wfd)cu Sßertp beT matfc«
mattjdjeii Waturwiflcnfriwft- - (Adlige 'JBotie über bat Vtom. —
4 lMiit"iiismu* wnb *>arotnl*niii*. — Pnfl iÜTOblcm oeö i'ebcn*.
— tflpborlömeu jur Stoömoflonfe. fSHuigotogle unb Wlotop&le.
$lfUutfcf>r 3ivil|ilK»beiuevtimfl Siebenten, woguitte. iJdii|oI!tfll
unb Jeleuloule. Sunye ^ulltiftfucflc. Qbrtiiorbuung \m Uiibet-
Inm.) — tlebrt beu ^iifHnct. — Xte Stfoclatiptt Ö« Sor-
teQutlMR, — IWet bk llylftcitj aoftraettr ©rflrtfft - OTrnfaVn»
unb ti>»erWT!(rtiib. — &e«lm mib liJetjt. — 'öle Gingen bei
Katar,
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unb äfcrlhaVctt. — ßoa nftQvtifrtx '^beai. — 'Ha* ei&lfdje 06wt
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Urflei Baiib: 8» XI, 470 (& 18Ö9. .* 9.-.
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©ebaittVii über Warm unb Waturtrrcimtnlfe. I. Statut im VtU-
Srmemrn, 2. QJf|^e unb »trifte, 3. X>ir Mtomiftif, 4 Orßtutlfdie
lotur unb tettoloßlc, 6. 3)ie 9torurbcjre(imß unb brt flJctft
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1904, jf 11.—.
3iibatt. 1. ^>cFt: <M«lft bet lron0lccnbcntütp§Uo|opl)le.
— 2. $cft: Utuiibrtft btx fttitlfrfKU 3Hetap&l]fU — 3. jneft:
3rrifog(e brß qfrfftmtönm«. Gkoonfcn Ober Srfjönbelt unb Jfunfi.
— 4. £eft. »er Uifyruna bei Söcrtb«. (frifobai; rine
iMfbünfcnfijnipbontf. ttcbaitfot über bofl Söffen bn fflcoraltMt.
©ang ber Oefdjldjte.
Das Werk enthalt eine planmäßig uml methodisch
angeordnete Sammlung philosophischer Schriften, die sich
auf dem Faden einer charakteristisch-bestimmten Welt-
aufTaasung aneinanderreihen, und zwar derjenigen philo«
sophischen Weltauffasiung, die in des Verfassers frühcrem
Werke .Analysis der Wirklichkeit, ihre wissenschaftliche
Begründung erhalten hat.
Vorn gleichen Verfasser erschien:
flclicr pDi'ofbPÖifdje Sürabltion. Hirn otobemiföc
«nttitterfbe, geftalten in ber Hula bfr Uniüerfitar. Said
dm 9. fctcemfcr 1882. 8°. 32 C u» 1.—
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«n wt UntKflltai ewllau.
©rfftftf «uflofic. 0°-— l2 loufenb..
n.8°. IV, ltte. 1906. «MjefM^U.», tnfrtrao<m5.*2l<"i.
•TWi '•Vihrlieluv.uih, <tl# |e«cV.crnlIch« Uciliafragaith»!!, 41« Ub«»i1if«
l«(fc()rl-f.. nC( die SettBnhen <le« i'i.ftn, hri • llrm Krr'mufri Her Kttttfc 4.»
Ironmt «hrturcbirvolU Seht« vor <J«n H«i!lfthüanro 4M *lt«n Tt lUSKDti
»«!■ S- '!<• Comlll'ichtn Vortritt *utj«li*hn»o, Iamcci •!>•«> Wunich •m-
•l'Uait, tu "töuliLrt. von r«u«cn'lni mii| TUMHW (flr-fi. ■fi.|«n| «1*
bUtan ><nikn4l(«n L«nrn rar 4at AU« T<nament rin«r. SchlQtatt, G«r
»Ifklict» •"l«..!.'.ir..i.« FnnhfmrUt Zi<t»ug ». • AW. J.'Vrf AV. JfO.
In adjt Wortrfigcn öargtfteilt
Mai töhr,
Wv % v r«t«flM itn& VtM«|«i>«l< XictiDt. «,*, Veofefln *' t*4«f»«*
In *««iau.
Wtt Dl« ÄaTton.
»(. 8°. VIII, 108 @. 1900. ©rojttjim JL '£.—, U\ Velnttanft
gebimben .4 2.60.
Verlag »on KARL j. TRÜBNER 1.. SUftßUug Ofld Bulla.
Die Ällraor btr ftljeomcn.
ous bem fOerttdi Itx oligemthun Wii|Tf»fil]afl6leijre
<£Hta X'icömann.
» u . VII, 118 «. 18M. .* 2.-.
„Die principicllc Kriegserklärung gegen den krassen
Empirismus enthalt l.iebraanns letzte Veröffentlichung:
„Die Klimax der Theorien", seine klarste und conciseste
Schrift, ein Cahinetstück in der Composition ond höchst
ergötzlich durch die .spielende Gewandtheit, mit der er
Schlag für Schlag »eine Hiebe fallen laut . . ."
fifüngf mr Atlgtmetwn Zeitung iSyi. Nr. 6i-
„ Eines der wenigen philosophischen Bücher, deren
Methode man einfach und genial nennen kann! Mit
unerwartet durchdringenden JJeweisen bringt es Klarheit
in einen erkcnntnis-theorctlschen Wirrwarr, der sich für
das Licht selbst ausgegeben hatte. Mit Überzeugenden
Argumenten rerntGrt Licbmann die Illusion, dass es einen
reinen Empirismus gieht . •' Nord tmtl Süd.
3mmanuel Kant.
£inc <5e6A l t$inlircoe
gehalten am Dunfrmja&ilflen Tobeötage Srant«, bcii 12. Qtbruar
WH öor bcrfammeltn: UiiiutrfUät ü» t>er tiofleglenflnöe ju Ofeim
wm
<UHto Ittc&mann,
8*. VI, IM ©, 1904. .* <M)0,
t$ünf CoTlcfungcn oh* bcm 9tad»lajj
bon
Äcrn^arb ten iNnnf.
2RU ö*m SRfboiOonWItml fcc* ©ttfafiu* t« Sidjttmtf.
ItKic buKtmrlchcnc VUflafir.
«tetn S» VIL 149 «. 1907. * 2.-, getunbcii j»*.-.
3nöoU. ©rfte Sorlffunfl: S>« T>l«tti un6 ftn SRtnfd). — 8ittlie
Botlcfuitß. SM* Settfolfle von ©OafiprK* tOeffrn. — «*tö*
VorCffung CQalfpnt olc Siramaltf«. — Cime Uotlffuna:
eWfpcu oW fomlfdjrr ^Irfjiec - puttefflotletuna: ©Wlprre
alt -* walle r
„Ks ibI ein hoher und herrlicher Geist, der aas dicirn Vor-
trages spricht. Flammende Begeisterung, philosophisch! liildunj
und «trenne Wisseoschaltlichkeit, feinitea Verstllndmt und Nach-
fühlen de« Dichter«, das find die Vorrage, die «ich hier mit-
einander vereinen." Sctmanni Luierar, yahrttttritht JSQj.
„Bedarf e* eine» Ueispicls Air die Art von Wissenschaft wie
wir mc uo* denken, so -ici nur im Augenblick auf dos köstliche
Buch Ub*r „Shakspert" verwiesen, das auch dem Nachlast« vo,n
ten Brink, cjne« der hervorragendtten ' »elehrte n unserer Zeit,
durch die Sorgfalt Edward Schröders zugänglich geworden tsl.
Was psychologische Synthese und nachfühlende Aesthelik zu
leisten vermag, darflher belehrt dieses kleine Werk besiei, als
es der weltlUÜGifBteD Theorie gelange."
A*H>* £. ScAtnAaeA in Vm Frii mm Mtrr J&&I94 **'/' '■
Dieses Buch ten Brinks ist bei ScAimAach (ÜAir '.tum ■■*»"
Bü***g, 4^ AußJ unter den besten deutschen Ptosawerkan genannt.
Von £utt)er bie £effing.
»Spcacfigcjdiitötiicbf ftuffagc
iMeff« an Mi HnlucrUUl frretöurg t Cr.
tütrttc burrfJacfeQrnr fluflnflc.
8». VD,3W€. mll einem aArlrtKn. 1U0I. *wl#.4t-. ftfl>, .As'&.-
CinOalt: air*cr.|pro4)< uiib *öiroiiiv«iUc, 2Nai,imman urd |rht/ taiukl.
— vtiifttt l»p Mt Mut!** fc»t<ifte. — e^tmiKUu iu<b fldAbYMifrr. — ftttnltl-
(piorfef uns Tfmihdri In bct 6<&n>et| — Cbrrbfiitltbn unb mltttibrullcbet
Möilf^o». — '»Irbrrbfiitfc) unb Ö°*Mutf$. - Dtttfta mft CiuiHinltiniis. —
abiol unb Wi*# . — CMifcfiitt*lflnb uM Mi »all»« fiten. — *n>iti- unb r>|<
f'MifAc 5via4t -nnöoita: JWslofelH »in nrnboAMitHtticn e*nK|«((4l4ie ;
SJamem un» «oftieatfirr.
Urteile de* Prcaae Über die bisherigen Auflagen:
„Rs tnuis mit allem Nachdrucke betont werden, dati Kluyes
Schrift «Ine sehr Irhrni.-he und für den grossoicn Leserluele, (tlr
deu >ic bestimmt, hocuerw'iiischtc ist."
Ürutt.kt i.ttttTalurxtttMKf lS9B, A>. I f.
„Der Verfasser der vorliegenden Aufsnrze jur <i eicht eh te der
neotiochJcuiscIico Schriftsprache hat bereit« bewiesen, dasa er es
rortnflltch ftr»tebt, Itlr einen grösseren Leserkreis ni arbeiten,
ohne der strengen Wissen Schädlichkeit dadurch Abbruch su (hun.
Kr weiss teirtc Forschungen in cm Uewand ru kleiden, weichet
auch Kl cht- Kachleute ansieht- er NflM nicht ab duich su viale
CilRtc, durch störende Anmerkungen und weitläufige Ktkurse; er
Crcilt geschickt die intcicssonloten Prolilcine heraus und behandelt
sie mit leichter Feder, so das* auch der Laie gereizt wird, weiter
.'< lesen, Und sollte et nicht ein Verdien*! »ein, gerade dl« ebenso
schwierigen ata wichtigen und intcictsiini.ru Frauen, die »ich an
die 'ieichichte der Ausbildung unsere* ■rlirifclichcn Ausdrucket
ankiiÜ|.ileii. in wettete Kreise au trafen, iritbesondeie »ich djl
Schule dafür tu gewinnen' Die Schule, die sich der gerinmmti.iJi'.-ii
Forschung gegenüber sonst bö spröde verhalt? Wenn Klage mit
der vorliegennen Schrift in Leserkreisen denselben Krfolg arslolr,
wie mit seinem clvmo logischen WArf erbliche, *o s-crdicni er »(hon
die wBrmste Anerkennung, .
/M/r antiker CtntraüUti iSSS tVr.Jf.
H
(Erinnerungen, Weben uub Stubien
oon
Jtubm*? £rtcMJo£>cr.
3tprl »diirjr.
8». IX, «M «. 1006. «fOcfttf u» 0.-, Im ftlnninno Q»
trotten u» 10.60.
I. Xu* alten $aplrreii. — lt. 4tu«i ftuuiaOIieriici WetrtjiUit'
fretfcn. - 111 XHrt outotfirntMif Vfbttt. — IV. Swn>( \ IHM).
V Äha ■"'iom (186Ä/51J. - VI. (arrnnrouiflcn an turarnirm.
— VII. Ttcl afabcmtfroe iHcbtn Viu ftfrr oicamift »unfl
im Q^flcii|ai} 4UT mobiTiicn. — IX. X>aB tttutteta her Vlimfc
t:ti THiUeloü«. X. ffüiit Üi fehlem Verbdlluh) 4m Aunft uiib
frt>i>ncit Statur. — XI. Jhiiit tu (euient ©erWlnit* s w $eOttt
MI. »cifen tn Ololirn in Örn (cbtcn Otrr ^ahrötmbront. —
Xiil. «u« Stollen. - XIV ^Tana6Pfd»c Urteil« O&er Xeut|d)lartb
,.Mit dieser Verrtffenttlchung von Nebenarbeiten hat
d«r Verfasser der .Darstellungen ms der Sittengeschichte
Rom»* der deutschen Bildung ninen großem Dienst er
wiesen und sugleich seinen Kollegen von der Philologie
ein Muster geistiger Vielseitigkeit geboten, dem inner-
halb dieses Kreises wenig an die Seite gcjiclil weiden
kann." Grmtitim, April /OPÖ.
„Unter den hier vereinigten AufaaUcn Fru-dlandcr»
ist keiner, der es nicht verdiente, dem weiten Kr*U der
Gebildeten »ugänglich gemacht tu werden, wer einige
Stunden genudreicher Sammlung und Einkehr verleben
will, mag tu diesem Buche greifen "
VmUrtt Ztliuiy, j. M*\ /pao.
..I. I r riedländer, der berühmte Verfasser der „Sitte*.
veachichle Roms", hat seine ..Erinnerungen, Reden und
Studien" in lwei handlichen ßtndrhrn gettmmelt, die
schon äußerlich den schweren, unfaßharen S.irnmclbanden
anderer Gelehrten gegenQbci eine gewisse Modernität
andeuten. — Hier nun haben wir wirklich ein-
logen" im hohen Sinne de» Wortes, einen Freund aller
Kunstwerke menschlicher Sprache und Vernunft . .
DU Lariam xo-x>. AV. <r. (Mtltord ,V Jft
Vcrlsi: ron KARL J. TROHNHR In »rafitarr •»•! Holm.
5 ci) la g Wörter bud?
«in «ecjurfi
U011
Otto Caöenoocf.
8«. XXIV, 868 ©dtrn. Mi*. QfcQeftrt u» 0-, gtlmnotii M 7.—.
„Die ErgcbtiiMo der Schlagwort for schling, dieses ttlngsten
Zweige» der deutschen Wortforschung, der nicht lltcr t* all unser
Jahrhundert, hat üi'o I-adendorf In dem Versieh seine* Hl
sehen Sehlagwöiterlnichr» luaamtucugcfaßt. Der Verfasser hat
»cid fleißige» Werk »film bescheiden »I» Versuch beieithnct, und
in der Tai. e* wir« gewagt, nach so kurier Zeit des Satnjrjelni
mehr bieten in wullcu. Ist «loch da» Kcicli der Schl»^«'uite ein
weilet, unbegrcMtea, wie da» der verwandten ModcwOncr und
geflügelten Worte, welch l«ut«rcs littchtnann und seine Nachfolger
nach mehr als 40)*hrigcr Arbeit noch nicht völlig erforscht haben
und nie völlig erforschen werden. Derartige Arbeiten können nie
abschließend vollendet werden« so wenig die lebende Sprache
•Inen Abichluß kuniit — et -iii'l n er nur cioicliie Absein. in»-,
die ua< h bienenfleißigem bammeln und Schaffen iu einer anfiBlietii-
UB Vollendung gelangen. — . . . Welch eine Fülle von Witt
und Geist, von Liebe und Mali, von Kämpfen. Streben and Hollen
kommt in diaien Schlagwortes ium Ausdruckt Welch l>um<
billigende«, anregendes Hilde rburti, rt n » n,mi nichi «u* der Hand
legt, ehe man caganr durchblättert, durchlesen hat'— IIa» meiste,
was Ladender? nietet, entstammt dem io. Jahrhunden, auch die
■ weite IlHlftc des |S, Jahrhundert« ist stark von Ihm bcrflcksichtigt
worden, aber daß auch die ['einsehen vor 1750 In den Zelten
GotUchcda, der SprachrcinlgcT, de* Dreißigjährigen Krieg«, der
Reformation, der Humanisten Schlagworte kannten, lehrt sein
dankenswerte« Dach nirbr. Dl dehnen sich noch Wut«, Tut gsrj*
unerforschte Gebiete, die *u den kilnlngen Auflagen des „!. sden-
dorf" viel besteuern werden! — Zur Mitarbeit an diesem Werke,
da» *U *tlrdii>e« CegenatQck iu 8HchiriJims ^efltigeUen Worten
b«>«jchi>«i wenttQ keno, ist teder berufen — jeden noch so kleinen
Beitrete wlt«1 die Verlagsbuchhandlung dankend für den Verfasse«
entgegennehmen!"
ßci/er* tmr Attftmtinm Zeitung vom 4- Ptbrutr /yod (Hr. *3),
Verlag von KARL J. TRÜBNER in Nirafiburg und »erlin.
Der empfindsame Roman
in Frankreich
TOD
Max Freiherrn von Waldberg.
Erster Teil:
Die Anf finge bis zum Beginn des X Vffl. Jahr-
hunderts.
Kl. 8*. XIII, 489 S. 1906. Geheftet Jt 6.—, gebunden Jt 7.—.
„Die Bedeutung des Buche* v. Waldbergs beruht nicht bloß
auf der Erschließung neuer Quellen für den Roman des 18. Jahr-
hunderts ; sie liegt ebenso sehr in der gans eigenartigen Beleuchtung,
in welcher es ans die Menschen des Zeitalters Ludwigs XIV. er-
scheinen lißt. So steif und regungslos, wie man sie sich ge-
wöhnlich vorstellt, sind die Zeitgenossen der Allongeperflcke nicht
gewesen. Und wenn auch die „biense^nce" ihnen nicht erlaubte,
m der Öffentlichkeit die Regungen ihrer Seele su an verhallt sa
zeigen, wenn sie allein waren, da ließen sie sich gehen, da warfen
sie die Maske weg und hielten die Tranen nicht zurück, die ihnen
das Hers so schwer machten. Einen Beitrag zur Genealogie der
menschlichen Seele kann man deshalb t. Waldbergs Buch recht
wohl nennen. Als solches verdient es die Beachtung nicht bloß
der Fachgenossen; als solches wird es sich gewiß auch viele
Freunde im weiteren Kreis der Gebildeten erobern."
Beilage *ur „Allgemeinen Zeitung" iooö Nr. 87.
Heinrich Sehneegant.
„Dans Timportant ouvrage consacre 1 par M. von Waldberg a
une vari('-(6 du roman francals du XVfl« siecle, il n'y a, pour
em erger vraiiucct encore, que la Princesse de Cleves: et pourtant
le soin paüent que l'auteur a mis a suivre une veine a peu pres
nlgligle de notre ancienne production romanesque ne parattra
iicine perdue * aucun de ceux qu'intlrcssent les vicissitudes de
a vie et de l'art modernes."
Revue a'hiitoire litleraire de la France, 13* annee, No. a,
Fernand Bälden iperger.
Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg und Berlin.
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Jdtcit, Hölkrr titib illrnfdjrn
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7 tMnbr. «•. fntf pro «aiiä icMmi •* < . 9**- •* * -
L .Yianrirafc utib *tr .WähwAu, 4. rttWntc unb Der-
«frte «uffoflf. fi* XXH, fH IW
■hr* ur> Cruitcbr*. 2. wttufjnti aiift Wnm$rt*
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Ol 3ln» un& über ffitgloitt. 7 Ärieprttr mt HuwtlW
IV pttffe 1 «urtoftc *•. TM, Wl ©. w:
«M fc. IK'2.
VII. *uliucsr(*.ct»rti$r*. *r. XII. «Ö fe R« tan «IMft
M «etlaffert tu (wliidmiu- UM.
3w*lf Griffe rtve iahtlifdjrn JUfcrr*. 2 «uffe*.
!-'". :i*€.1874. 0c$efirtt*:.'.-,gc*ii3tait*
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•*i Ott '•■ *ipm •MdgvÖMMu if iitti 1'rnailntt,
MMt 41* Wart« kt*mtan ml Ocaca AaWa & *«»»»»•<■ m
MUn k>-*i<Hnuu Mm** .CW* Um ud ItiUa»«* iwni
MhnftaMU*« iMFMtttV Kr MUH K*rt Htll»»r»»f ■ A-» T»f*i.
Mr & Aifc<t .rte« i^ttMrOM KmwAm, *t» t MmUni *•*-
C*c*«*a*l «teil WiflMic»t Krtuker; I iilufc **■ Oatmrl wM Xr-
U**»* lnto»u£***l «arv» m*j« MU»t, kmiraUi 4« tft-
wftBMfet MMr Jttttjuli«H i»<Mi|Ml; •» »*>-
teM w tttbtti «U r%Ui •>* Qa U««w wpftc&ur B ■%*>■ ! •
iU.jlittr.lrt tr Millilnali i«U«t. lölkfr üllioiilrt
im ttutft UlafcwtMUW «CM 4M Wirk«« itf,lMly ffvlcUf« »*••
UflM H«> t»»l»*— D«M«ttt«
14
Das moberne Drama.
ÄOTt
Stöbert g. Hrnolb
ü. 0. ^roffJTöT flu bft UitfDfrfttlt (Bf es.
8«. X, 887 ©. 1907. ©tieftet u« 6.—, gehirnben j» 7.—.
„ . . . Arnolds Darstellung eine Philosophie der Geschichte
des modernen Dramas and zugleich eine Statistik desselben, in
letzter Beziehung eine wahrhaft bewundernswerte Leistung sam-
melnden Fleißes und einer Aufmerksamkeit, welcher nicht» ent-
ging . . ." Bund tgoj, Nr. 41.
„Es ist ein schwieriges Unterfangen, mitten in den Strö-
mungen einer wechselreicnen Kunstperiode, die Zusammenhinge
unter ihren verschiedenartigsten Äußerungen und die Richtung
ihrer Bewegungen festzustellen. Professor Dr. Arnold in Wien
hat in dem Zyklus zwölf knapper Vorlesungen, die ursprünglich
an den Universitäten Innsbruck und Wien gehalten wurden, die
denkbar einheitlichste Zusammenfassung des komplexen Materials
der modernen dramatischen Produktion geleistet. Er begnügt
sich weder mit der Veranschaulichung der Welt und Technik der
modernen Dramatik in HaupteindrUcken durch scharfe ästhetische
Beleuchtung ihrer Höhepunkte, noch mit der Charakteristik ihres
Fortschrittes oder ihrer Eigenart vor dem alten Drama durch
Unterstreichung ihres spezifisch Modernen. Er reiht vielmehr mit
kühlster Objektivität und doch wärmster Teilnahme an ihrem
Lebensgehalt die große Vielheit der divergierendsten Erschei-
nungen in die folgerichtige Kette historischer Entwicklung . . ."
Beilage der Hamburger Nachrichten 1907, Nr. 32.
„Die Geschichte der Entwicklung des modernen Dramas zu
schreiben ist eine Aufgabe, der sich zu unterziehen eine genaue
Kenntnis aller Gebiete des modernen Lebens, nicht nur des ein-
schlägigen literarischen, voraussetzt. Vor uns liegt ein Buch von
Robert F. Arnold, das dieser Forderung im weitesten Sinne ge-
recht wird. . , ." National-Zeitung 1907, Nr. 48s.
„Wer das Werk unbefangen aufnimmt, der findet in ihm große
Belesenheit, peinliche Genauigkeit der Angaben und feinen Ge-
schmack. Solches Lob ist um so tedlicher verdient, als Arnold
dem literarischen Getriebe ganz fernsteht, in dem Bilde aber, das
er mit künstlerischer Hand entwirft, ein ausnehmend sicheres Ver-
ständnis der Menschen und Dinge bekundet".
Fester Lloyd 8. Nov. 1907.
Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg und Berlin.
!■■■
5>et finnretdye iTunfer =r:rn
$>on (Dutjote von öet tUcnd)ß
von ttligutl 6e OrrÄittr Qsiavefcra.
Uebetfeijr.. ciitgi'Ii'itrt und mit
tfrläii!friin$*ti veri'rhrn t»<*n
&uta»0 X>r4imfci<v
neue reriblerie 3ubiläumdaitdgat>e
Vitt 33änbf. Oeber üanb «■ 400 Reiten. 1905.
«ßrcifi pro ©anb ßcöeftet -42.60, In *?clmocnib nebunbm -f 3.60.
jSiw/_yilr<rfy/, gettitgrm * /tiMio/A/ljiuifaA/ . <>n C":>,i»f'i, D*n
Quijett. fihll t buhtr im JrutuhtH BucAhan,ld. IHi jo ojdAtjft
Jm&lläwm dittrt ktaitlttkt* MtltUrmtiktt Ji* Wttttittratw t*of
tme patitndt Gtttfmheit, dujtt BtdürfnU tu kefntikgtn.
So war es denn «in vortrefflicher Gedankt, gerade dieser
auapejcicliiKt.cn Ubencticr-Arbeir ein fröhliches Aulerttohen
in
ieaiitli m ichnffLii
verjüngter und verbesserter
Mit dieser Neuam^b.. . 1 U-mn kernigeren Namen verbunden
•Isdet Fror. Heinrich Morfs in b'ranklurt «. M. ., Mandirf »ich
aufrichtig .'reuen, daU ein« so (eine, taktvolle Hand über di^erRe-
vltiongcwaliethit.suglekb die Hu»d eines •<<■ i r «ehinaum» (
dem man sich Ubei all liMMr und vertrauensvoll überlasten kann.
Braunfcls steht als Don Qatjote - Obers etser wi It
Über allen deutschen Vorginge rn in seiner Verbindung von
kenntnisreicher Sorgfalt und UMtterlschein Nachempfinden. Er
■ Hein liil un* eine nnWortainn und Ton treue Um>r lind gelt ofori ."
.Vtuf Züritktr Zniung, SriU Jtfi/agf tt* .Vf. f$y, t$of.
Die grolle (Gemeinde der C«ivant«sverehrer, die der unsterblich«
Spanier auch bei um beutst, wird es dem hervorragenden Krank-
forler Philologen Dank wissen, daß er »Ich herbe igcla*%in hut. rura
Don Qu! jou- Jubiläum eine revidiere Atiigaheion Rraunfcis' l'lber-
sctiungru geben. die. in der Ki dl^kl Ion Spe mann »erfliTenllich'.lf idei
Viel fU wenig Beichtnng im gebildeten Publikum gefunden bat.
Ututtsh* liUi <Mm iu 'fmng iyoj- f/r.jj.
Vertag von KARL J. TRÜBNER in Straflbure und Berlin.
IDie Tlenatffance*
^tftorif^e «Spntn
bhu
ißraftn <ffobirtc«tu.
fccultd) Don UHbic.A a-Oitnißniu
ttdli CiuTit)ftcfe&«if; iniÖ OfT&effcric Äu«fl06t.
6. m « ^aufruft
8'. XXXIX, 861 0. 1908.
¥trt« btuftfjlcrt ut &,— , in ßrttcflcnrm Veinrnbano, c6rr«t Cdinttt
örrßofbft J* 650, In cf*ß, $an>ftoii$rjOHfa •* *•— •
Aus der Einleitung des UbcncUcr»;
Von allen künstlerischen
-trho-p hinge
Franzosen übt dieses Werk die m)c
n de» p.
hligstc Wir-
kung iui. Es gibt, wie kein anderes Werk, eine klarr
Anschauung der Rcnnisaanceieit mit ihr.
gl c ichlichen üeisies-werken und ihren gros&en KOnttlern.
deren Schaffen Italien wie im Traum In da wahre*
Wunderland der Kunst umschuf.
Die einstimmige Aufnahme, die das Rcnain.v
Gobinoau» in der gesamten lltcranachen ftffcntliehV<at
unteres Vaterlandes gefunden, tönt am besten aus den
Worten de» Ltirrarisehnt Z*ntriitt>!attft wider:
„Ulm du .i ■ I! .. Ii -in,! ' AWi. I^USOk
Sem Ruhm »teht fe»( and wird nie wieOcr »etfjet"-i
nur ein fcanaliemclie*, nein, cm hutoriiclici Mcut«:«i
dl« R«nai«uiJt |
Ober die neue Trobnereche Ausgabe urteilt die /An».*
Mmatsiekrift für das gtsamtt Lehrt* der <Jt$emcwi
„Diese neue »chöne Auicah« der lt< i
,.|.-m -„ !,.• m.II .... > hat DUO MUCh «Tm
ihrem Geist und Kumtwett enivfircciiendc uriKükraüiclic Gt-
wand erhalten."
VeaUfi von KARL J. TROBNER ii
3 tJ-
L.n U»
STANFORD IJN.VtRSltv H&lARlfS
STANFORD AUXI.iAR'r t iB«A*Y
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