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Full text of "Denkschriften"

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DENKSCHRIFTEN 


DER 


KAISERLICHEN 


AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN, 


PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE  KLASSE 


58.  BAND. 


MIT   197    ABBILDUNGEN   IM   TEXTE. 


L 


V   I 


WIEN,  1915. 

IN    KOMMISSION    BEI   ALFRED    HOLDER 

K.  D.  K.  HOF-   UND    UNIVEESlTATS-ßUCJIHANDLER 
BUCUHÄNDLEK  DER   KA  ISEKLICilEN   AKADEMIE  DEE  WISSENSCII A  FTEN. 


Druck  von  Adolf  Hohhausen, 

k  und  k.  Hof-  und  UnivorfitlUs-Buclidrucker  in  Wien. 


INHALT. 


I.  Abhandlung.   Adolf  Grohmann:    Göttersymbole  und  Symboltiere  auf  sü dar abi sehen 
Denkmälern.     (Mit   197  Abbildungen  im  Texte.) 

II.  Abhandlung.     Constantin    Jirecek:     Staat    und    Gesellschaft    im    mittelalterlichen 
Serbien.     Studien  zur  Kulturgeschichte  des   13.  — 15.  Jahrhunderts.     Dritter  Teil. 

III.  Abhandlung.     Leopold    von    Schroeder:     Herakles    und    ludra.     Eine    mythenver- 

sifleichende  Untersuchung.     Erster  Teil. 

IV.  Abhandlung.      Leopold    von    Schroeder:     Herakles    und    Indi-a.     Eine    mythenver- 

gleichende Untersuchung.     Zweiter  Teil. 


DENKSCHRIFTEN^ 


DEK 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER   WISSENSCHAFTEN  IN  WIEN 

PHILOSOPHISCH -HISTORISCHE  KLASSE,. 


58.  BAND,    1.  ABHANDLUNG. 


GÖTTERSYMBOLE  UND  SYMBOLTIERE 


AUF 


SÜDARABISCHEN  DENKMÄLERN 


VON 


D"    ADOLF  GROHMANN. 


VORGELEGT    IN    DER    SITZUNG    AM    22.  OKTOBER    191,S. 


WIEN,    1914. 
IN    KOMMISSION   BEI   ALFRED   HOLDER 

K.  U.  K.  HOF-  UND  UNIVERSITÄTS-BUCHHÄNDLER 
BüCHBÄNDLEli  DER  KAIS.  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


VORWORT. 


Die  vorliegende  Arbeit  verdankt  ihre  Ent- 
stehung einer  Anregung  meines  verehrten  Lehrers, 
Hofrat  Prof.  Dr.  D.  H.  v.  Müller.  Dr.  Otto 
Weber  hatte  einen  Sonderabdruck  seines  Auf- 
satzes ,Göttersynibole  auf  sUdarabischen  Denk- 
mälern' an  ihn  geschickt  und  D.  H.  v.  Müller 
übergab  ihn  mir  mit  der  Aufforderung  nachzu- 
sehen, was  sich  aus  dem  Nachlasse  E.  Glasers 
zu  den  von  O.  Weber  erschlossenen  Ergebnissen 
nachtragen  ließe.  Die  genaue  Durchsicht  dieses 
nicht  nur,  sondern  auch  alles  dessen,  was  bis  jetzt 
an  südarabischen  Inschriften  veröffentlicht  worden 
war,  ergab  ein  Material,  auf  Grund  dessen  die 
von  0.  Weber  aufgeworfeneu  und  teilweise  auch 
gelösten  Fragen  und  Probleme  von  einem  weiteren 
Gesichtspunkte  aus  betrachtet  werden  konnten, 
als  es  0.  Weber  möglich  war,  dem  E.  Glasers 
Material  nur  teilweise  zugänglich  gewesen.  Um 
so  größere  Anerkennung  aber  wird  die  Wissen- 
schaft der  scharfsinnigen  Entdeckung  0.  Webers 
zollen  müssen,  der  zuerst  in  seiner  Arbeit  die  Be- 
deutung der  südarabisclien  Zeichen  \,  V)  fn.  Äi 
der  Lanzenspitze,  des  Stierkopfes  und  Drachen 
als  Göttersymbole  richtig  erkannte.  War  auch  in- 
folge des  fehlenden  Materials  manches  unerkannt, 
selbst  verkannt  geblieben,  die  Bahn  für  die  richtige 
Beurteilung  dieser  Zeichen  hatte  0.  Weber  ge- 
wiesen. —  E.  Glasers  Material  —  es  konnten  mehr 
als  200  Inschriften,  darunter  manche  bis  jetzt 
unbekannte  herangezogen  werden  —  gab  nicht 
nur  für  den  inschriftlichen  Befund  manchen  neuen 
Fingerzeig,  die  vorliegenden  Abklatsche  ließen 
auch  das  Gegenständliche  der  Symbole  in  anderem 
Licht  erscheinen,  als  die  gelegentlich  irreführenden 
skizzenhaften  Zeichnungen  in  E.  Glasers  Tage- 
büchern. Es  war  nun  meine  erste  Sorge,  für  die 
Form  der  Zeichen  vor  allem  die  Abklatsche  in 
getreuen  Kopien  und  Photographien  heranzuziehen 
und  nur  dann,  wenn  ein  Abklatsch  nicht  vor- 
handen   war,    die    Kopie    in    E.  Glasers    Tage- 


büchern zugrunde  zu  legen.  So  konnte  die  Ur- 
form zum  Totschläger  —  den  0.  Weber  für  ein 
Zwillingsdämonensymbol  hielt  ■ —  gefunden,  das 
Blitzbündel  und  der  Doppelgriffel  mit  seinen  ba- 
bylonischenYerwandten  verglichen  werden.  Außer- 
dem ergab  sich  eine  Reihe  neuer  Symbole:  aus 
den  schon  bekannten  Halevyinschriften  die  Feder- 
krone, aus  E.  Glasers  Nachlaß  das  Kreuz,  ]\Iond- 
sichel  und  Scheibe,  die  Hand,  der  Stern,  bzw.  die 
Sterne,  das  Tor,  der  Stierkopf  mit  dem  Donner- 
keil, beziehungsweise  BlitzbUndel  und  Donnerkeil. 
Es  gelang,  fast  alle  diese  Symljole  mit  den  ihnen  ent- 
sprechenden babylonischen  Symbolen  zusammen- 
zustellen. Wie  sich  diese  Symbole  auf  die  drei 
Sprachgebiete  von  Saba,  Ma'in  und  Katabän  ver- 
teilen, ergibt  sich  aus  der  am  Schlüsse  der  Ar- 
beit stehenden  Tabelle. 

Außer  dem  Gegenständlichen  war  meine 
Hauptarbeit  der  Zuweisung  der  Symbole  an  die 
einzelnen  Götter  des  südarabischen  Pantheons  ge- 
widmet. Hier  war  vor  allem  der  inschriftliche  Be- 
fund maßgebend,  nach  dem  mit  Mayer-Lambert 
das  Totschlägersymbol  dem  'Almakah,  mit  O.We- 
ber die  Speerspitze  dem  'Attar  zugesprochen 
wurde.  Im  Gegensatz  zu  den  bisherigen  Annahmen 
0.  Webers  konnte  Blitzbündel  und  Doppelgriffel 
dem  'Almakah,  das  Tor  dem  'Attar,  die  übrigen 
Symbole  erst  jetzt  auf  Grund  dieses  Befundes  den 
einzelnen  Göttern,  die  sie  vertraten,  zugewiesen 
werden.  —  Hiezu  kamen  noch  die  Symboltiere,  wie 
Steinbock,  Antilope,  Stier,  Pferd,  Adler,  Schlange, 
Drache,  Löwe,  Sphinx,  die  sich  nach  dem  in- 
schriftlichen Befunde  den  einzelnen  Göttern  zu- 
teilen ließen,  deren  Bedeutung  aber  nur  0.  Weber, 
der  den  Drachen  dem  Sahar  zuwies,  und  teil- 
weise auch  D.  Nielsen  erkannt  hatten. 

Hof  rat  D.  H.  v.  Müller,  der  meiner  Arbeit 
auch  in  den  schweren  Tageu  seiner  Krankheit 
manch  teilnehmendes  Wort  gewidmet  hatte,  konnte 
deren  Durchsicht  nicht  mehr  selbst  übernehmen; 

1* 


Vorwort. 


sie  wurde  nun  an  Herrn  Prof.  Dr.  X.  Rliodüka- 
nakis  übertragen.  Ilim  verdanke  icli  manche 
neue  Anregung:  er  hat  au  meine  bescheidene  Ar- 
beit viel  Muhe  und  Zeit  gewendet  und  zu  ihrem 
Ausbaue  manches  beigetragen.  Ihm  sei  von  gan- 
zem Herzen  Dank  gesagt.  Auch  Herrn  Professor 
R.  Heber dey  in  Graz  schulde  ich  für  seine 
freundliche  Auskunft  zur  gegenständlichen  Seite 
des  Totschlägersymbols  wie  für  den  Nachweis 
mancher  Parallelen  aus  der  klassischen  Archäolo- 
eie  vielen  Dank.  Der  südarabischen  Kommis- 
s  i  0  n  der  Kaiserlichen  Akademie  der  "Wissenschaften 
in  Wien  aber  verpHichtet  mich  die  Auszeichnung, 
nicht  nur  mit  ihrer  gütigen  Erlaubnis  das  Gla- 
sersche  Material  benützen  und  veröffentlichen  zu 
dürfen,  sondern  auch  durch  sie  der  Sorge  um 
die  kostspielige  Drucklegung  enthoben  worden 
zu  sein.  Dafür  gebührt  ihr  nicht  nur  mein  tief- 
gefühlter Dank,  sondern  auch  der  Dank  der 
AA'issenschaft,   der  sie  neues  südarabisches  Mate- 


rial zugänglich  macht.  Endlich  sei  auch  noch 
Herrn  Prof.  Dr.  H.  Schrader  für  die  gütige  Er- 
laubnis, einige  Stücke  aus  dem  kuusthistorischen 
Hüfmuseum  in  meine  Arbeit  einbeziehen  zu  dürfen, 
sowie  Herrn  Dr.  J.  Banko  für  sein  Entgegen- 
kommen beim  Photographieren  dieser  Stücke, 
Herrn  Direktor  Regierungsrat  F.  Heger  für  die 
Überlassung  eines  Stücks  aus  dem  naturhistorischen 
Hüfmuseum  in  Wien,  das  Herr  Dr.  V.  Christian 
für  mich  zu  ])hotographiereu  die  Liebenswürdig- 
keit hatte,  sowie  der  Direktion  des  archäologischen 
]\luseums  in  [Marseille,  Herrn  Dr.  E.  A.  AVallis 
Budge  am  British  Museum  und  Sr.  Exzellenz 
Halil  Edhem  Pascha  in  Konstantinopel  für  die 
freundliche  Überlassung  von  Stücken  ilirer  Samm- 
lungen zur  Veröffentlichung  herzlich  Dank  gesagt. 
Durcli  die  Lesung  je  einer  Korrektur  haben 
mich  die  Herreu  Professoren  Dr.  M.  Bittner, 
R.Geyer  und  N.  Rliodokanakis  zu  Dank  ver- 
pflichtet. 


Dr.  Adolf  Grohmann. 


A)  Göttersymbole. 


a)  Sabäische  und  katabanische  Symbole. 


öchon  auf  den  ersten  Deukmälern,  die  aus 
Südarabieu  nach  Europa  kamen,  fanden  sieh  ge- 
legentlicli  Zeichen,  die  den  ersten  Entzifferern 
dieser  Inschriften  uuerklärhcli  Ijheben.  Daß  man 
einen  Teil  dieser  Zeichen  von  vorne  lierein  niclit 
als  Buchstaben  deuten  konnte,  wie  z.  B.  \,  sali 
man  ein.  Soweit  man  nun  der  Schwierigkeit  nicht 
stillschweigend  aus  dem  Wege  ging,  suchte  man 
sich  dadurch  aus  der  Verlegenheit  zu  helfen,  daß 
man  auf  ein  Ornament  riet,'  ja  mau  dachte  sogar 
daran,  daß  das  Zeichen  dazu  dagewesen  sei,  den 
Anfang  der  Inschrift  zu  bezeichnen,^  eine  schon  an 
und  für  sieh  nicht  sehr  glückliche  Erklärung. 
Endlich  versuchte  man,  eine  Zeichengruppe,  f„, 
als  Monogramm  zu  deuten  und  mit  der  Familie 
der  Halilier  in  Zusammenhang  zu  bringen.^  Mit 
größerem  Erfolge  beschäftigte  man  sich  mit  der 
Deutung  der  Tierfiguren  und  wenn  dabei  auch 
gelegentlich  danebengeraten  wurde,  so  sind  hier 
doch  z.  B.  die  Vorarbeiten  E.  Oslanders  auch 
heute  noch  von  Wert.  Die  Tiersjmbole  und  Svm- 
boltiere  waren  es  auch,  die  zusammen  mit  dem 
Handsjmbole  in  D.  Nielsen  einen  berufenen  Er- 
klärer fanden,  nachdem  sich  auch  F.  Hommel  be- 
reits gelegentlich  zu  diesen  Fragen  geäußert  hatte. 

Alle  Zweifel  am  Syrabolcharakter  der  frag- 
lichen Zeichen  wurden  erst  gegenstandslos,  als 
0.  Weber  im  Hilprecht  AnniwrsaryVolume  (Leip- 
zig 1909)  in  seinem  Aufsatze  , Göttersymbole  auf 
südarabischen  Denkmälern'  klar  darlegte,  daß  man 
in  jenen  Zeichen  Göttersymbole  zu  sehen  habe. 
Unter  Heranziehung  babylonischer  Symbole  ver- 
suchte 0.  Weber  auch   auf   das  Gegenständliche 


einzugehen,  identifizierte  mit  glücklichem  Griff  die 
Lanzenspitze  Marduks  mit  dem  gleichen  Symbole 
des  sabäo-minäischen  'Attar,  brachte  den  sabäi- 
schen  Drachen,  den  er  zum  ersten  Male  auf  dem 
Bulawayosteine  erkannte,  mit  dem  babylonischen 
in  Zusammenhang  und  wies  dem  minäischen  Gotte 
Wadd  die  Schlange  als  Symbol  zu.  Weniger  glück- 
lich war  seine  Zusammenstellung  der  beiden  sa- 
bäischen  Symbole  \^  und  \,  sowie  des  minäi- 
schen Y\  ™it  "ißi^  babylonischen  Zwillingssymbolen 
und  gezwungen  die  Auffassung  von  Wadd  und 
Nkrh,  bezw.  'Attar  Du  Kbd'"  und  'Attar  Du  Ihrk 
als  Zwillingsgottheiten.  Besonders  bei  'Attar  Du 
Kbd'"  und  'Attar  Du  Ihrk  ist  dies  schwerlich  der 
Fall.  Die  Beinamen  Du  KbcJ'",  bezw.  Du  Ihrk  sind 
wohl  nur  als  Hinweise  auf  den  Tempelbezirk  auf- 
zufassen, in  dem  oder  für  den  dem  Gotte  die  Wid- 
mung dargebracht,  bezw.  iu  dem  er  verehrt  wird.* 
Ich  erinnere  an  Namen  wie  2oy,veßTuvi;  Sbk  in  Neb- 
tynis  und  Soz,v'jva!0(;  Sbk,  Herr  der  Insel.  Schon 
Mayer-Lambert,  der  jetzige  Herausgeber  des 
C<ir]>us  Inscriptionum  Himjariticarum,  hatte  seiner- 
zeit zu  CIH  366  seine  Bedenken  gegen  die  letzt- 
genannte Auffassung  0.  Webers  geäußert  und 
sich  auch  dagegen  ausgesprochen,  daß  das  minäi- 
sche  Symbol  J^  eine  andere  Form  des  \  sei.  Er 
gelangte  zur  Auffassung,  daß  die  Symbole  1=1  und 
\  dem  Gotte  'Almakah,  nicht  Zwillingsgöttern,  an- 
gehören, eine  Auffassung,  die  im  folgenden  des 
näheren  begründet  werden  soll ;  er  hält  aber  das 
Y  in  \  für  ein  Symbol  'Attars,  was  nicht  richtig  ist. 
Inzwischen  i.st  durch  das  Glas  er  sehe  Mate- 
rial,   das   nun  in  seiner  Gänze  zur  Untersuchung 


'  So  für  \  J.  H.  Mordtm.inn,  Wiener  Numism.  Zeitschrift  XII,  p,  300.  Catalogue  sommaire  p.  34,  Note  1. 

"^  E.  Osiander,   ZDMd  19,  p.  274  zu  Os.  34. 

=  So  E.  Glaser.  In  seinem  Tagebuclie  XI  (Märiber  Reise,  p.  69  [Gl.  522])  bezeichnet  er  jedoch  das  Symbol  als  Schreiber- 
zeichen. Vgl.  auch  den  Versuch  D.  H.  Müllers  (ZDMG  37,  p.  391)  das  Zeichen  als  rn  =  ODirä  zu  deuten.  G.  H.  A.  v.  Ewald, 
der  erste,  der  sich  mit  den  beiden  Zeichen  beschäftigte,  glaubte,  sie  seien  dazu  da,  den  Leser  der  Inschriften  wegen  der  mög- 
lichen Unsicherheit  des  Anfangs  auf  die  rechte  Spur  zu  leiten;  s.  seinen  Aufsatz  ,Über  die  himjarische  Sprache',  A.  Hoefers 
Zeitschrift  für  die  Wissenschaft  der  Sprache,   1840,   I,  p.  300. 

*  Anders  faßt  W.  Fell,  ZDMG  54,  p.  238  ff.  diese  Beinamen  auf;  vgl.  dazu  Otto  Weber,  Studien  zur  südarab.  Alter- 
tumskunde (ilVAG  VI,  1901)  II.  p.  5  f.  (65  f.)  und  M.  Lidzbarski,  Ephem.  I,  p.  226. 


1.  Abhandlun'g:  Adolf  Guohmann. 


herangezogen  werden  konnte,  ganz  abgesehen  von 
den  bereits  edierten  südarabischen  Inschriften, 
eine  breitere  Basis  gegeben,  von  der  aus  ich  eine 
erfoigreielie  Untersucliung  der  mitunter  verwickel- 
ten Probleme,  welche  die  sUdarabischen  Sym- 
bole stellen,  unternehmen  durfte.  Dabei  ergaben 
E.  Glasers  Kopien  und  Abklatsche  nicht  nur  eine 
Anzahl  neuer  Symbole,  sondern  manches  konnte 
erst   jetzt  richtig  erkannt    und    gewertet  werden. 

Für  die  gegenständliche  Seite  haben  sich 
die  letzten  Ausgrabungen  im  vorderen  Orient,  l)e- 
sonders  die  E.  de  Sarzecs  in  Tello,  wertvoll  er- 
wiesen, und  so  kommen  die  Fortschritte  der  alt- 
orientalischen Archäologie  auch  der  Untersuchung 
der  sabäischen  Symbole  zugute. 

In  der  Reproduktion  der  Symbole  wurden, 
soweit  nicht  die  wenigen  vorhandenen  Originale  in 


Betracht  kamen,  meist  E.  Glasers  Kopien  aus 
seinen  Tagebüchern  in  Bausen  wiedergegeben,  wo 
dies  aber  nur  irgendwie  möglich  war,  der  vorhandene 
Al)klatschphotograi.hiert  fGl.301, 1083, 1153, 1209, 
1234,1316,1422.1527,15,^1,1550,1052,1049,1728), 
oder  bei  zu  schlechtem  Erhaltungszustande  das 
Symbol  durchgebaust  (so  von  \  Gl.  425,  15a3, 1572 
und  dem  Yehaaltare,  von  \4  Gl.  1139,  von  der  Hand 
Gl.  1724)  und  wo  dies  aus  räumlichen  Rücksichten 
nicht  statthaft  war,  in  verkleinertem  Maßstabe 
nachgezeichnet  (so  von  \  Gl.  1551,  von  f„,bzw.  Y 
Gl.  1000  B,  1109,  1158, 1302,  1529,  1550, 1558—60, 
1641,  1698,  von  Mondsichel  und  Scheibe  Gl.  1111, 
1426, 1652, 1747,  vom  Steinbock  Abb.  129).  Bei  l)e- 
i-eits  publizierten  Inschriften  wurde  die  Reproduk- 
tion wiedergegeben,  entweder  nach  einer  Photogra- 
phie der  betreffenden  Tafel  oder  naah  einer  Bause. 


Der  Totschläger. 


Das  Symbol  \  ist  eines  der  formreichsten 
sabäischen  Symbole.  Der  Formenreichtum  wird 
verständlich,  wenn  man  bedenkt,  daß  sich  dies 
Symbol  von  der  Jlukarribperiode  (nach  O.Weber' 
ca.  750  bis  500  v.  Chr.)  bis  in  die  ersten  nach- 
christlichen Jahrhunderte  erhalten  hat.  Zu  Be- 
ginn der  Inschrift  hat  es  meist  die  Richtung  von 


links  oben  nach  rechts  unten ;  die  Ausbuchtung 
nach  links  fällt  in  die  obere  Hälfte,  eine  Art 
Knie  nach  rechts  in  die  untere  Hälfte  des  Zei- 
chens. Die  Formen  des  Symbols  lassen  sich  in 
fünf  Gruppen  gliedern,  in  die  sich  die  Inschriften, 
die  das  Symbol  tragen,  in  nachstehender  Weise 
einordnen. 


I.   G  r  u  p  p  e. 


Die  Zeichen  dieser  Gruppe  stellen  sozusagen 
nur  die  leere  Form  dar,  die  die  Gestalt  des  Sym- 
bols bloß  schematisch  wiedergibt. 


n  r 


Abb.  1.  Totschlägersymbol  auf  Gl.  42.'). 

Rechts  von  Gl.  425  (Abb.  1,  aus  der  Stadt 
Märib)  neben  der  ersten  und  zweiten  Zeile.  Das 
Symbol  ist  ebenso  wie  das  links  stehende  Jlono- 
gramm  in  ein  Viereck  eingeschlossen  und  en  relief 
gearbeitet.    Wie  aus   dem  Abklatsch   zu   ersehen 


ist,  war  das  Syml)ol  am  Stein  teilweise  beschädigt. 
Die  Inschrift  enthält  eine  Weihung  an  'Almakah, 
den  Herrn  von  Hrn"  (l]H>TI1°nia'I]Vh>I]  hO-^), 
der  auch  am  Schlüsse  der  Inschrift  angerufen  wird 

(i]h>Tii°niY^i]ihn). 

a  b  c  d  e  f  g 

Abb.  2.   Totschlägersymbole  auf  sabäischen  Inschriften : 

a  Gl.  487,  h  Os.  17,  c  Gl.  1049,   d  Mackell  Nr.  2,  e  Hai   172, 

/  CIH  383,  g  Gl.  1551. 

Rechts,  neben  der  ersten  zerstörten  Zeile  von 
Gl.  487  (Abb.  2a,  auf  dem  Kapital  einer  Säule 
am  Wege  vom  Haram  Bilkis  zum  Dorfe  Märib). 
Wie  die  Inschrift  f]f]I]TimWH°§?MWXTnHl]  W 
,  Altar  der  Sij)pe  It'n-  für  Du  Gmm""^  zeigt,  steht 
das  Svmbol  auf  einem  Altare.     Daß  wir  es    hier 


'  Studien  zur  8üdar.ib.  AltertunisUundc  I  (MVAG  VI,   1901),  p.  22. 

»  Beziehungsweise  des  Familienhauptes:    vgl.   Mordtmann,  Ueiträge   zur  min.   Epigr.,  p.  72—74   und  M.  Hartman  n, 
Die  arabische  Frage,  p.  220.  '  Vgl.  Prid.  XIII. 


GüTTERSYMBOLE    UND    SyMBOLTIERE    AUF    SÜDARABISCHBN     ÜENKMÄLERN. 


mit  einem  sakralen  Gegenstände  zu  tun  lialjen, 
bemerkte  auch  schon  Glaser  (im  Tagebuch  XI, 
p.  58),  der  die  Säule  für  eine  Opfersäule  hielt, 
,weil  oben  ein  Ausfluß  angebracht  ist  und  eine 
Stelle  für  das  Öl'.i 

Der  Altar  gehörte  vermutlich  einst  mit  zum 
Tempelkomplex  des  Haram  Bilkis.  Genau  die- 
selbe Form  des  Symbols  findet  sich  rechts  neben 
der  Inschrift  Gl.  482  =  Arn.  54  (von  der  Süd- 
seite des  Ilaram  Bilkis),  die  von  Arbeiten  am 
Tempel  des  'Almakah  berichtet. - 

Links  unten,  neben  der  letzten  Zeile  von 
Os.  17  =  CTH  86,  Abb.  2  b  (Bronzetafel  aus 'Am- 
rän),  einer  Votivinschrift  an  'Almakah.  Die  Stel- 
lung des  Zeichens  ist  hier  dieselbe  wie  zu  Beginn 
der  Inschriften  (|  H>YH  I  «V^fll  h  I  ®?h^V)- 

Rechts  von  der  ersten  Zeile  der  Altarin- 
schrift ohne  Gottesnamen  Gl.  1049=  Hofmus.  23 
(Abb.  2  c  aus  Märib).« 

Rechts  von  der  Altarinschrift  ohne  Gottes- 
namen, Mackell  (Bird)  Nr.  2  (Abb.  2d)  (aus  der 
Gegend  von  Märib).* 

Rechts,  neben  der  ersten  Zeile  von  Hai.  172 
=  GIH  403  (Abb.  2e)  (aus  el-Hazm  Hamdän,  im 
mittleren  Gauf).  Die  Inschrift  ist  eine  Weihiu- 
schrift  an  'Almakah  (|  )t^^\  loH  |  Y"^I]1h  I  TH-^V)- 

Rechts,  neben  der  ersten  Zeile  von  CIH  383 
(Abb.  2/).    Diese   in    sehr    altem    Duktus    en    re- 
lief  gearbeitete  Bustropheduninschrift 
enthält  eine  Weihung  au  'Almakah 

Rechts  von  der  ersten  Zeile 
der  Bustrophedouinschrift  Gl.  1551 
(Abb.  2  g,  aus  Ragwän  ed  Duraib),  die 
eine  Weihung  an  "Almakah  enthält 
CY'i'tllh  I  ?H'i'Y)i  sowie  in  derselben 
Form  ober  der  ersten  Zeile  der 
Bustrophedoninschrift  Gl.  1565  (aus 
el-'Asähil),  in  der  kein  Gottesname 
vorkommt. 

Außer  auf  Stein-  und  Bronzedenkmälern  findet 
sich  diese  Symboltype  in   der  Form  wie  Abb.  2a 


>1 


/, 


Abb.  3.  Sym- 
bole auf  sabä- 
ischen  Mün- 
zen laScblum- 
berger  13  (Pa- 
ri.s),  h  Head  I  5 
(London,  Brit. 
Mus.). 


auch  auf  himjarischen  Ällinzen.  jedoch  in  Spie- 
gelstellung,^  und  zwar  allein  (Abb.  3  h)  auf 
Head  15^  oder  mit  Blitzbündel  und  Doppel- 
griffel  (Abb.  3  a)  auf  dem  Revers  der  Schlum- 
bergeri  sehen  Münze  Nr.  13.' 

Besonders  häufig  sind  aber  auf  ]\Iüuzen  die 
Formen  Ahh.  2 f,g  vertreten:  bald  in  der  Stellung 
wie  zu  Beginn  der  Inschriften  (vgl.  oben  Gl.  1551), 
bald  in  Spiegelstellung ;  teils  allein,  teils  neben 
dem  Blitzbüudel-  und  Doppelgriffelsymbole.  Auch 
liegend  (unter  dem  Monogramme)  kommt  das 
Zeichen  vor.*  Ich  führe  als  typisch  folgende  Bei- 
spiele an :  Abb.  4  a — /;,  und  zwar  entspricht 


d 


f 


Abb.  4.  Totsclilägersymbole  auf  sabUischen  Münzen. 

Abb.  4a...  Hofmus.,  Gruppe  III,  1  (D.  II.  Müller, 

Südarab.  Alterth.,   p.  69  und  Taf.  XIV,  15); 

am  Revers  in  Sjjiegelstellung  neben  dem  Mono- 
gramm. 
Abb.  4b  ...   B.  V.  Head  7    (^Num.  Chron.  NS., 

Vol.  18,  PI.  XIII.  7),  auf  dem  Revers  rechts 

unter  dem  Monogramm. 
Abb.  4c  .  .  .  Dr.  Imhoof  Blumer,    B  1   (D.  H. 

Müller,  a.  a.  0.,  p.  75),  auf  dem  Revers  links 

vom  Monogramm. 
Abb.  4  d  .  .  .  Hofmus.,  Gruppe  V,  5  (a.  a.  0.,  Taf. 

XIV,   26    vgl.  Abb.   70  c),    auf    dem  Revers 

neben  dem  Kopfe. 
Abb.  4  e  .  .  .  B.  V.  Head  6   (a.  a.  0.,  Vol.  20, 

PI.  XV,  6),  auf  dem  Revers  rechts  unter  dem 

Monogramm. 
Abb.  4  f.  ...  G.  Schlumberger  (a.  a.  0.,  Taf.  I, 

10).  am  Revers  in  Spiegelstellung,  links  neben 

Blitzbündel  und  Doi>pelgriffel. 
Abb.  4  g  und  h  .  .  .  G.  Schlumberger  (a.  a.  0., 

Taf.  II,  21.  25),  am  Revers  unter,  dem  Mono- 


'   Vgl.  auch  E.  Glaser,   Mürib  im  Jemen  (.Sanimluiig  E.  Glaser  I),  p   46a  unten,   137,  Note  2.  ^ 

*  Vgl.  Gl.  483  =  CIH  373;  E.  Glaser,  Märib  im  Jemen,  p.  46,  138. 

'  Vgl.  D.  H.  Müller,    Südarabische   Ältc-rtbümer   im    Kunsthist.  Hofmuscum,    p.  44;    vgl.   F.   Hommel,    Aufsätze    und 
Abhandlungen,  p.  184. 

*  Vgl.  Journ.  of  the  Bomb.iy  Brauch  of  the  Koy.    Asintic  Soc.,  Vol.  II,   p.  3.->,  Taf.  IV.   —   F.   Hommel, 
5  So    nenne   ich    im  folgenden  der  Kurze  halber  die  meist  ihrem  .symmetrischen  Gegenbild  (am  Ende  d 

zukommende    umgekehrte  Richtung-   des  Zeichens.     Zu  ähnlichen  Erscheinungen  im  Wappenstile  vgl.  van  Ber 
p.  19;  M.  Lidzbarski,  Ephemeris  I,  p.  115. 

«  Num.  Chron.  NS.,  Vol.  18,  PI.  XIII,   15. 

'  Le  tresor  de  $an'ä,   PI.  I,   13. 

»  Z.  B.  Hofmuseum,  Gruppe  III,  7   und  VII,  1;  Ü.  H.  Müller,   a   a.  0.,  p.  6'.),   74. 


ehrest.,  p.  G7. 
er  Inschrift) 
cliem,   Auiidai 


8 


I.  Abhandlung:  Adolf  (Jrohmann. 


Interessant  ist,  daü  ilie  in  dieser  Clruppe  vei-- 
tretene  leere  Form  des  Symbols  sich  unter  den 
minoischen  Zeichen  findet,  und  zwar  in  der 
Stellung  und  Ausführung-  Abb.  5.  Im 
Catalogue  of  thc  hierogl>iihical  Signs 
jribt  A.  J.  Erans'  unter  Nr.  115  die 
nebenstehende  Zeichnung  nebst  drei 
offenen  Formen  desselben  Zeichens,  auf 
die  später  zurückgekommen  werden 
soll.  Evans  bemerkt  zu  diesen  Zeichen 
folgendes:  ,Tvpc  n  witli  the  closcd  ends 


Abb.  5. 
Miiiniscbc 
Hiero- 
glyphe. 


seems  to  he  the  niost  perfect  form  of  this  sign. 
Its  meaning  is  euigmatic  though  the  specks 
witliiii  recur  in  the  case  of  the  „grain  jar"  the 
..silphiuui  fruit"  the  disk  (No.  52)  and  else- 
where  .  .  .  What  nppears  to  be  a  later  version 
of  this  sign  with  its  parallel  zigzags  generally 
reduced  to  mere  s-  shaped  forms  and  with  tlie 
intervening  dots  omittod  recurs  in  both  the  linear 
classes.'  Auf  die  gegenständliche  Seite  dieses  mi- 
noischen Zeichens  möclite  ich  später  einzugehen 
versuchen  (vgl.  p.  12  f.). 


IL  Gruppe. 


Das  Unterscheidende  von  Gruppe  I  bildet  der 
Mittelstrich,   der  quer  durchgezogen  ist. 

Links  am  Ende  der  fragmentarischen  Zeile 
(und  der  Inschrift)  Ol.  491  (Abb.  6  er,  aus  Märih, 
auf  einem  Steine,  den  E.  Glaser  als  Opfer-  oder 
Olstein  auffaßt). 


a  b  c         d       e 


^  f 


Abb.  6.   a — c   Totsciilägeisj-mbole   auf  sabäischen  Inschriften 

und    Münzen:    a    Gl.   491,    h   Gl.  4,   c   CIH    378,    d   auf  der 

Münze  Ilofnius.  V  1 — 2,  e  von  den  Münzen  Berlin  195,  220, 

221,  /,  g  niinoische  Zeichen  auf  Tontäfelchen. 


Rechts  von  der  ersten  Zeile  am  Anfang  von 
Hai.  10  =  Gl.  4  (Abb.  6  &,  aus  Sana)  =  CIH  4, 
einer  fragmentarischen  Bauiuschrift.  Dieselbe  Form 
des  Symbols  tritt  uns  auf  dem  Revers  der  Mün- 
zen Schlumberger  Nr.  46,^  Berlin  Nr.  195^  und 
in  Spiegelstellung  in  Schlumberger  Nr.  45  und 
52*  entgegen. 

Rechts,  neben  der  ersten  Zeile  von  Prid.  11 
=  CIH  378  (Abb.  6  c).  Die  Inschrift  berichtet  von 
einer  Inauguration  für  'Almakah  (Y'!>t]1hl  I  ?I>ITV)- 

Mit  der  Form  Abb.  6  c  geht  die  Form  Abb. 
6  d,  der  sogenannte  .Doppelstab',  auf  den  sabäi- 
schen Münzen  enge  zusammen.  Er  findet  sich  in 
der  auf  Abb.  6  ri  angegebenen  Form  auf  der  ^lünze 
Hofmus.  V.  1,2  am  Avers  links  vom  Kopfe, ^  so- 
wie in  Spicgelstellung  auf  dem  Revers  von  Hof- 
mus. III.  10;'^  in  der  auf  Abb.Ge  gegebenen  Form, 
auf  dem  Avers  der  Berliner  Münzen  Nr.  220,  195, 
221,  auf  den  zwei    letzten  in  Spiegelstellung. ' 

Eine  ganz  ähnliche  Form  wie  Abb.  6e  zeigen 
die  in  Abb.  6y,  q  gegebenen  minoischen  Zeichen.'' 


IIL   G  r  u  p  p  e. 


Diese  (iruppe  ist  durcli  zwei  «juerlaufende 
Mittelstriche  oder  Bänder  charakterisiert,  die  bald 
näher,  bald,  weiter  aneinandergerückt  erscheinen. 

Rechts,  neben  den  vier  Zeilen  von  Sab. 
Denkm.  20    (Abb.  Ta).'-»     In   der    Inschrift    wird 


'Almakali  nicht  besonders,  sondern  in  der  üblichen 
Göttertetras  erwähnt.  Dieselbe  Form  des  Symbols 
(Ahb.  7  b,  c)  erscheint  noch  neben  dem  Bukranion 
auf  dem  Revers  der  himjarischen  ^Münzen  Berlin 
219.  196;"''  auf  dem  Revers  A^on  Sclilumberger 


'  Scripta  Minoa,  The  written  Docunients  of  Minoan  Crete,  p.  224. 

»  Vgl.  G.  Schlumberger,  a.  a.  O.,  Taf.  III. 

"  Vgl.  D.  H.   Müller,  .Südarab.  Alterth.,  p   77. 

*  Vgl.   G.  Schlumberger,  a.  a.  ().,  T.af.  III. 

'  Vgl.  D.  H.  Müller,  Südarab.  Alterth.,  p.  70,  Taf.  14,  Abb.  24,  25  (s.  Abb.  70a,  h). 

«  Vgl.  D.  H.  Müller,  Südarab.  Alterth.,  p.  69,  Taf  14,  Abb.  22. 

'  Vgl.  D.  H.  Müller,  Südarab.  Alterth.,  p.  77. 

"  N,ich  .J.  A.  Evans,  a.  a.  0.,  p.  226,  Nr.  124. 

"  Vgl.  J.  II.  Mordtmann  und  D.  H.  Müller,  Sab.  Denkmäler,  p.  70  if. 

'°  U.  H.  Müller,  Südarab.  Alterth.,  p.  77  f. 


GoTTERSYMnOLE    UND    SyMBOLTIERE    AUF    SÜDARABISCHEN    DeNKMÄLERN. 


Ö 


6,  8 '  nebea  dem  Blitzbüudel,  bezw.  dem  Blitz- 
büüdel    und    Doppelgriffel;    auf    Schlumberger 

ah  c  de  f  g 

Abb.   7.   Totscliljiijei'sj'mbole    auf  sabiiischen  Inschriften   und 

Münzen:    a   sab.  Denkm.    20,    h    Berlin    196,    c    Berlin    219, 

d  Gl.  655,  e  Gl.  483,  /  Berliner  Münze,  <j  Mordtniann  8. 

38^  allein  und  auf  Head  12'  neben  der  Eule, 
stets  in  Spiegelstellung. 

Rechts,  neben  der  ersten  Zeile  der  Altarin- 
schrift  ohne  Gottesnamen  Gl.  655  (Abb.  7  d,  aus 
Märib). 

Rechts,  neben  der  ersten  Zeile  von  Gl.  483 
=  Arn.  54  =  CIH  373  (Aldi.  7  o)  von  der  Ostseite 
des  Haram  Bilkis.* 

Eine  analog  gekrümmte  Form  des  Symbols 
zeigt  der  Revers  einer  Berliner  Münze  ohne  Num- 
mer bei  D.  H.  Müller,  a.  a.  0.,  p.  77  oben  in 
Spiegelstellung  (Abb.  7/). 

Rechts,  neben  der  ersten  Zeile  der  fragmen- 
tarischen Inschrift  Nr.  8,  die  J.  H.  Mordtmann, 


Abb.  8.  Totscliliigersymbole  .auf  s.ibäiscben  Inschriften: 
a  CIH  393,  h  Os.  34,  c  CIH  397. 

ZDMG  30,  p.  291  mitteilt  (Abb.  7^);  sie  enthält 
keinen  Gottesuameu. 

Das  groß  ausgeführte  Symbol  zieht  sich  vom 
oberen  linken  Rande  der  Inschrift  CIH  393  (Abb. 
8  a)  bis  zur  Schreiblinie  der  ersten  Zeile  hin.  Die 


Inschrift  ist  eine  Weihinschrift  an  'Almakah,  den 
Herrn  von  \i°. 

Rechts,  neben  den  ersten  zwei  Zeilen  von 
Os.34  =  ClH389(Abb.8T)).  Die  Inschrift  stammt 
nach  E.  Oslander  aus  Märib  ^  und  ist  eine 
Weihinschrift    an  'xVlmakah,    den   Herrn    von  'u'" 

(lt]<i'h1°niY^r]1h1IHh?<i'l?Xa^). 

Rechts,  neben  den  ersten  zwei  Zeilen  der  In- 
schrift Reh.  6  =  CIH  397  (Abb.  8  c).  Die  Inschrift 
ist    eine  Weihinschrift    an   'Almakah:    ]  (D]fU|<i>V 

I  T]<i')A1oi)^h1onY^i]1h  1  <saV[h)I]  .weihten 
ihrem  Herrn  'Almakah,  dem  Herrn  der  Steinbocke" 
von  Sirwäh'.  Ebenso  (vgl.  dazu  die  Tafel  des  Cor- 
pus Inscr.)  in  CIH  395,    einer  Weihinschrift    für 


>>f,^(D|^XI''IOf^ 


Abb.  9.  Sabäisches  Kelief  in   Bulawayo. 

'Almakah,  den  Herrn  von  'u"  (I1°n  I  Y"^t]1h  I  O«!- 
I  ^<Dh) ;  Mars.  I  =  CIH  407:  Widmung  an  'Alma- 
kah Thnän  Oi]®h1°nH®Ymi]1hlTH'^V);  <'••  i»46 
=  623  =  Hotm.  5  aus  Marib : '  Widmung  an  'Al- 
makah Tlinan.  Wahrscheinlich  ist  im  zerstörten 
Viereck  von  CIH  410,  einer  Widmung  an  denselben 
Gott,  einst  auch  dasselbe  Symbol  gestanden.^ 

Eine  der  Form  auf  CIH  397  verwandte  Form 
erschehit  auf  dem  Bulawayosteine  (Abb.  9.  3,  aus 
El-Hauta  [Laliagl,  im  Besitze  des  Marschalls  Hole 
in  Bulawayo)"  mit  der  Inschrift:  , Altar  des 'Attar 
und  des  Sahar.'  Endlich  ist  dies  Symbol  (beachte  den 
Abschluß  unten),  nicht  ein  H,  in  die  Dracheuhälse 


■     '  G.  Schlumberger,   a.  a.  O.,  Taf.  I. 
2  G.  Schlumberger,  .a.a.O.,  Taf.  II. 
'  Num.  Chron.  NS.,  Vol.  18,  PI.  XIII. 

^  Vgl.  E.  Glaser,  Märib  im  .lernen,  j).  46,   138   und  vgl.  oben  Gl.  482,   \k  7. 
^  Vgl.  ZDMG  XIX,  p.  273. 

«  F.  Honnnel,  Aufs.  n.  Abb.,  p.  162,   Note;  dagegen  E.  Glaser,   Altjem.  Nachrichten,  p    41   rnüen. 

'  D    H    Müller,  Südarab.  Alterth.,  p.  18  und  Taf.  III.     Der  untere  Teil  des  Symbols  (kein  T.erkopf)  ist  ant  Tat.  III 
noch  sichtbar,   wie  schon  der  Herausgeber  von  CIH  zu   Nr.  409   (=  Hofm.  5)  bemerkt  hat, 
"  Vgl.  auch  CIH  zur  Stelle. 
"  Vgl.  D.  H.  Müller,  Anzeiger  der  Kais,  Akad    der  Wis^ensch.  zu  Wien,  phil,-hist.  Kl.  1903,   p.  -0. 

Denkscbriften  der  phil.-list.  Kl,  5S,  Bd,  1,  Abb, 


10 


I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmann. 


auf    dem    Stein  282    des    Osnianisclien   Museums 
(Abb.  10)  hineiiikomponiert :    mit   diesem   Stücke 


hat    sicli  M.   llartmann   in    der  OLZ  11   (1908), 
S|>.  173  ff.,  269  ff.  eingehend  Ijeschäftig-t.i 


Abh.   iu.     .s;ili;n~iiio<   iicliel    (tJÜ.  'if^'dj.   Koustaiitiimpel,   Tschiiiili   Kiösclik. 


Eine  eigenartige  Stabform  des  Symbols  (Abl>. 

IIa)  ro]>räsentiert  die  Münze  Scblumberger  53- 

ft  (auf   dem  Revers    neben  der  Eule) 

Vv       '^        uud    Iload    9-''    (ebenfalls    auf    dem 

'^  Rever.s  neben  der  Eule). 

Einem  Stab  mit  Köpfen  an  den 
Enden  siebt  Al)b,  Hb  älmlieb. 
■ivelcbc  Form  auf  dem  Revers  neben 
dem  Rukranion  der  Münze  Hofmus. 
V.  5*  erscheint. 

Endlich  findet  sich  das  Sym- 
bol zweimal  auch  in  oben  und 
unten  offener  Form  in  Gl.  488 
einem  Oj)fer-  oder  Ölstein  (aus 
Märib,  auf  dem  AVege  zum  Ilaram  Bilkis)  in 
der  Mitte  zwischen  zwei  Monogrammen,  dessen 
reciites  vielleicht  mit  einer  leichten  Ergänzung 
QflOTlH  '■^■gl-  ^1-  '^^'' )  ^^  lesen  ist.  und  rechts 
von  der  Altarinschrift  Gl.  654,  (At)b.  12  6,  aus 
den  Ruinen   der   alten  Stadt  Märib),    in    der    der 


Abb.  11.  Tot- 
schläg:ersyni- 
bole  auf  sabä- 
isclien  Mün- 
zen:aScliluin- 
berger  ö.^  (P.i- 
ris),  AHipfmus. 
V.  5   (Wien). 

(Abb.     12a), 


Altar    dem    'Ahnakab    in    Schutz    gegeben    wird 

IV<^!]1hlVH?><i''--IXTnN!]J- 


1 


Abb.  12.   Totschl.Hgersymbole:   a  auf  Gl.  488,   h  auf  Gl.  654. 

Interessant    ist,    daß    auch    unter   den   minoi- 
schen  Zeichen  der  gesclilossenen  .leeren'  Form 


Abb.  13.    Minoische  Hieroglyphe. 

eine   offene   zur  Seite  steht,    die  iu  Abb.   13^ 
gegeben  ist  (vgl.  aucii  p.  8). 


IV.  (t  r  II  p  p  e. 


Statt  zweier  Striclio  ersclieinen  in  dieser 
Gruppe  drei  oder  auch  nielir  (^)uerstriche  in  der 
Mitte. 

Rechts  von  Gl.  499  (Abb.  14a,  aus  Marib, 
auf  dem  Wege  nach  dem  Mebnä  el  Hasrag) ;  die 
Inschrift   liesteht  nur  aus  dem  Namen  «V'i'^lh- 

Rechts,  neben  der  ersten  Zeile  von  Gl.  1533 
(Abb.  I4h,  aus  §irwäh),  worin  der  Name  'Alma- 


kali  niclit  vorkommt.  Diese  Form  des  Symbols 
erscheint  rechts,  nelien  der  ersten  Zeile  der  Altar- 
inschrift ohne  Gottesnamen,  die  J.  H.  Mordtmann 
ZDMG30,  p.  291  unter  Nr.  6  mitteilt;  rechts  von 
der  Inschrift  0.  M.  32,  die  nur  das  Wort  XTRHl] 
(Opferaltar)  enthält"  sowie  in  Sjnogelstellung 
am  Ende  des  OX®"Textes,  Sab.  Denkm.  21  = 
CIH  380.'   Daraus  kann  man  vielleicht  schließen, 


'  Vgl.  aueb  O.  Weber,  Göttersymbole,  p.  270  ff. 

-  Vgl.  G.  Schi  uinbcrger,  a.  a.  O.,  Taf.  III. 

»  Nuni.  Chron.  N.S.,  Vol    XX,   PI.  XV. 

*  Vgl.  D.  H.  Müller,  Südarab.  Alterth  ,  p.  70,  Taf.  XIV,  Abb.  26  (s.  Abb.  70c). 
'  Nach  A.  J.  Evans,  Scripta  Minoa,  p.  224. 

•  Vgl.  J.  H.  Mordtmann,  Antiquitös  liimj.ir.  et  paliiiyr.  Catalog.  Somm  ,   p.  30  und  ZDMG  33,  Nr.  XIX,   p.  495. 
'  Vgl.  J.  H.  Mordtmann,  Catalogue  Somm.,  p.  42  f. 


GöTTERSVMBOI.E    UND    SyMBOLTIERE    AUF    SÜDARABISCHEN    DeNKMÄLERN. 


11 


daß  das  Symbol  auch  zu  Anfang  der  dort  unvoll- 
ständigen Insclirift  stand. 

Rechts   (Abb.  14  c),   neben    der   ersten    Zeile 
von  Gl.  1572   (aus  Sirwäh),    wo  llofl  lY'l'tllh 


\ 


Abb.  14.    Totseblägersynibole  auf  sabäischen  Inschriften  und 

Münzen:  a  Gl.  499,  b  Gl.  1533,  c  Gl.  1572,  d  Münze  Hofmus. 

V.  1—2  (Wien),  e  Gl.  1572. 

|^1o0^  erwähnt  wird,  zu  dem  1o®|ii  lof]  V<|>I]1h 
|HJ(D>A  von  CIH  397  zu  vergleichen  ist. 


Links,  neben  der  letzten  Zeile  derselben  In- 
schrift, erscheint  das  Syraltol  in  E.Glasers  Kopie 
in  der  Form,  wie  sie  Abb.  14  e  zeigt;  auf  dem 
Abklatsch  ist  nichts  zu  sehen.  Es  ist  auffallend, 
daß  hier  eine  Form  mit  vier  Querstrichen  und 
eine  solche  mit  drei  Querstrichen  auf  ein  und 
derselben  Inschrift  abwechseln.  Vielleicht  liegt  ein 
Fehler  Glasers  vor,  der  einen  Strich  zu  viel  ko- 
pierte. Bemerkenswert  ist  auch,  daß  Abb.  14  e 
nicht,  wie  dies  Sab.  Denkm.  21  am  Ende  der 
Inschrift  der  Fall  ist,  in  Spiegelstellung  er- 
scheint. 

Der  Form  Abb.  14  c  steht  auf  den  himjari- 
rischen  Münzen  die  Form  Abb.  \Ad  zur  Seite,  die 
oben  und  unten  einen  kopfartigen  Abschluß  auf- 
weist; sie  findet  sich  auf  dem  Revers  von  Hof- 
mus. V.  1,2  (Abb.  14  e)  und  verwischt  in  Spiegel- 
stellung auf  V.  71,  neben  dem  Bukranion. 


Y.   Gruppe. 


Diese  Gruppe  ist  charakterisiert  durch  einen 
in  der  Mitte  von  oben  nach  unten  durchlaufenden 
Strich.  Im  Vergleiche  mit  Gruppe  VII  a,  b  könnte 


^ 


Abb.  15.     Totschlägersymbole  auf  sabäischen  Inschriften: 
o  CIH  394,  b  Gl.  481,  c  Gl.  712. 

man  diese  Form  als  schematisch  aus  ihr  erdacht 
bezeichnen. 

Rechts  von  den  ersten  drei  Zeilen  von  Land- 
berg 4  =  CIH.  3942  (Abb.  15a).  Die  Inschrift 
ist  eine  Weihinschrift  für  'Almakah,  den  Herrn  von 

V  (ii]a>hii°n[iv^aihiTH^v])- 

Rechts  vom  Bustrophedon-Fragment  Gl.  712 
(Abb.  15  c,  aus  Kera'  bei  Marib),  welche  In- 
schrift keinen  Gottesnamen  enthält;  und  in  Spiegel- 
stellung auf  der  linken  Seite,  Z.  1  zu  Anfang  der 
bustrophedon  geschriebenen  Inschrift  Gl.  481  = 
Arn.  56   (Abb.  15  b)  (CIH  375).    Die  Zeile  läuft 


von  links  nach  rechts,   woraus   man  vielleicht 
schließen  kann,  daß  das  Symbol  der  Schriftrichtung 

-lo- 

'o 


weg-en    in    Spiegelstellung   steht. 


Gl.  481'  bildet 
den  Anfang  der  großen  Tempelinschrift  des  Haram 
Bilkis  ,auf  der  Außenseite  der  kolossalen  Um- 
(nach   E.  Glaser  Tagebuch  XI). 


tassungsmauer 


Abb.  10.     Gl.  HJl'.i,   sabaisL-hes  Relief  aus  .'^irwä!l. 

Sie  berichtet  von  einer  ganz  großen  Dedikation 
an  'Almakah,  der  auch  in  der  Anrufung  zum 
Schlüsse  genannt  ist.  In  derselben  Form  findet  sich 
das  Symbol  auf  der  Inschrift  Gl.  1649  (Abb.  16), 
wo  es,  in  ein  Viereck  eingeschlossen,  rechts  neben 
einem  stilisierten  Stierkopf  steht;  darunter  der 
Gottesnamc  'Almakah. 


1  Vgl.  D.  H.  Müller,  Südarab.  Alterth.,  p.  70,  Taf.  XIV,  Abb.  24,  25,  27  (s.  Abb.  10  ah,  d). 
'-  Vgl.  auch  O.  Weber,  Studien  III.  MVAG  XII.  2  (1907),  Taf.  IV. 
'  E.  Glaser,  Märib  im  Jemen,  p.  137. 


2* 


12 


I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmann. 


Abb.  17.  Tot- 
sclilägersynibol 
auf  einem  sa- 
bäischen  Altäre 
aus  Jeba. 


FAne  ähnlich  schraffierte  Form  des  Symbols 
wie  auf  Gl.  1(549  findet  sich  auch  in  Spicgel- 
stellung^  rechts  am  Anfange  der  Dedikatiou  auf 
der  sabäischen  Altarinschrift  aus 
Jeha,  die  E.  Littmaun  als  editio 
secunda  im  IV.  Bande  der  Deutscheu 
Aksunicx]>cdition  ]).  58  unter  Nr.  27 
veröffentlicht  hat.^  Das  SviuIxjI 
scheint  bei  Littmann  jedoch  niclit 
genau  wiedergegeheu  zu  sein.  Der 
Abklatsch  Tb.  Hents,  der  seiner- 
zeit D.  H.  Müller  für  seine  Publi- 
kation vorlag,^  zeigt  nebenstcheudo 
Form  (Abb.  17).  Der  Altar  ist  dem 
'Attar  geweiht,  neben  dem  auch 
ein  Gott  Nru  genannt  ist.  Auf 
demselben  ^Vltare  findet  sich  auch  Mondsichel  und 
Scheibe.  Die  Schraffierung  im  Symbol  (und 
den    Hörnern    des    Stierkopfes)    bedeutet    nichts 

für  die  Form  Wesent- 
liches, ist  also  nicht 
etwa  ein  Ersatz  für 
Querbiuden ;  in  der 
gleichen  Art  erscheint 
sie  ja,  dort  um  Federn 
anzudeuten,  schon  auf 
dem  Vogelleibe  in  einer 
Zeichnung  eines  assyri- 
sciien  Tempelschülers 
(vgl.  Abb.  18)^  auf  einer 
Tonseberbe,  die  hier 
zum  Vergleich  abge- 
bildet sei. 

Dasselbe  Zeichen 
zeigt   uns   in   der  mi- 
noischen     Kunst     die 
Phaestusscheibe    (Abb.   19) ;  ^    unter    Nr.  45    der 

Zeichen  dieser  Scheibe 
,Dr.  Pernier  considers  tbat 
this  sign  may  be  a  conventional  representation 
of  water.'*  Nach  Evans  würde  sie  in  die 
dritte  minoische  Periode  (um  1600  v.  Chr.)  ge- 
hören. 


Abb.  18.    Zeiclmung   eines   as 
syrischen  Tenn)elschülers. 


Zusammenstellung    der 
gibt    Evans    an: 


Die  Zusammenstellung  mit  der  Wasserlinie 
hat  tatsächlich  noch  das  meiste  für  sich,  wie  ich 
aus  assyrisch-babylonischen  Parallelen 
zu  zeigen  versuchen  will.  Als  Wasser 
deutet  zunächst  R.  Heberdey,  dem 
ich  den  Hinweis  verdanke,  den  Ge- 
genstand in  der  linken  Hand  der 
beiden  ersten  jMännergestalten,  Taf.  IV 
bei  Tb.  Wigand,  Die  Porosarchitektur 
der  Akropolis  zu  Athen  (Abb.  201." 
Daß  dem  so  ist,  zeigt  der  Vergleich 
mit  der  Steinskul]>tur  einer  clialdä- 
ischen  Göttin  (Abb.  21),  die  E.  de  Sar- 
zec  in  Tello  fand.'  Die  Göttin  hält 
dort  in  der  linken  Hand  ein  Gefäß, 
dem  Wasser  entströmt:  nach  M.  Jastrow**  das 
natürliche    Svmbol    des    Lebens   und    der   Frucht- 


Abb.  19. 
Minoisclie 
Hiero- 
glyphe 
.-Ulf  der 
l'h.iestus- 
sebeibe. 


J  .  ^'^ 


4?i 


/' 


\ 


Abb.  '2U.   AV^asscisyiubol  vuii  i.lur  rür«»;>aichitLktur 
in  Athen. 


a.T  Akrw|,„lis 


barkeit.     Anderer  Meinung  ist  Leon  Heuzey  in 
seiner    Beschreibung    des    Denkmals.     Er    sagt:" 

•  E.  Littmann    spricht   das   Symbol    a.  a.  O.    als   .Wapiienzeiihen'    an;    vgl.    auch    M.   Lirlzbnrski,    Ephemeris    II, 
p.  398. 

'  D.  H.  Müller,  Epigraph.  Denkm.   aus  Abessinien,  Taf.  IV,  Jeha  'ü. 

•■'  Nach  II.  W.  Hilprccht,  Die  Ausgrabungen  im  Bel-Tempel  zu  Nippur,  p.  59,  Abb.  41. 

•  Vgl.  A.  J.  Evans,  Scripta  Minoa,  p.  276  und  280,  sowie  Taf.  XIII  und  Fig.  126,  45. 
'  Dr.  L.  Pernier,  Ausonia  1909,  p.  255  ff. 

'  P.  Jacobsthal,  Der  Blitz  in  der  orientalisehen  und  griechischen  Kunst,  p.  8,  l^,  schließt  sich  der  Ansicht  an,  daß 
wir  es  hier  mit  gewelltem  Feuer  zu  tun  haben. 

■   Vgl.  E.  de  Sarzec,  D^couvertes  en  Chald^e,  vol.  II,  Taf.  8'"',   fig.  4,  vol.  I,   p.  21".;  f. 

"  M.  Jastrow,  Hildermappe  zur  Religion  Babylouiens  und  Assyriens,  Taf.  0,   Fig.  19  und  Te.\t  Sp.  9. 

"  l.i'oii   Heuzey,  Döcouvertes  en  Chalde^c,  p.  213. 


GöTTSRSYMBOLE    UND    SyMBOI.TIERK    AUF    SÜDARABISCHEN'    E)kNKMÄLERN. 


13 


.Elle  tient  en  avaut  de  la  poitriiie  im  vase  ä  pause 
splierique,  d'oü  s'echapi>e,  ooiume  daus  plusieurs 
autres  exemples  deja  signales  (ebd.  p.  156  f.),  le 
double  flot.  Ce  syrabole,  evideniment  cos- 
mique,  des  eaux  jaillissantes,  se  Joint  aux 
vestiges  tres  appa- 
rents  de  la  tiare  ä 
plusieurs  etages  de 
cornes,  pour  faire 
reconnaitre  uue  di- 
vinite,  peut-etre  la 
deesse  Nina ,  dont 
l'ideograme  etait. 
coinme  ou  sait,  le 
vase  conteuaut  un 
poisson.  Toutefois 
ee  vase  merveilleux 
...  n'etant  pas  le  Sym- 
bole constant  d'une 
seule  et  merae  divi- 
uiteetriconographie 
chaldeenue-  le  pla- 
pant  eu  diverses 
mains ,  1 '  ideiitifica- 
tion  reste  douteuse.' 

Über  die  Gefäße  der  beiden  (dort  p.  217) 
abgebildeten  Frauengestalteu  sagt  L.  Heuzey 
(ebendort) :  ,Eutre  leurs  niaius  le  vase  inepui- 
sable  est  evideniment  un  embleme  cosmique;  il 
represente  relemeut  humide,  symbolise  par 
les  courants  du  Tigre  et  de  lEuplirate,  par  les 
deux  fleuves  sacres  ou  Naliaraim,  qui  sous  cette 
forme  sont  deveuus  dans  la  legende  une  sorte  de 
talisman  paradisiaque.' ^  Ob  -ivir  es  nun  mit  einem 


Abb.  21. 

Chaldäische  Göttin  auf  einem 

Relief  aus  Tellü  (Paris,  Louvre). 


natürlichen  Symbol  der  Fruchtbarkeit  oder  mit 
einem  kosmischen  Symbol  höherer  Art  zu  tun 
haben,  bleibt  künftiger  Forschung  zu  entscheiden 
vorbehalten.  Für  uns  ist  wichtig,  daß  die  beiden 
Gelehrten  darin  einig  sind,  daß  ein  Symbol  vor- 
liegt, bei  dem  das  Wasser  eine  Rolle  spielt,  und 
daß  Pernier  auch  im  minoischen  Zeichen  (Abb.  19) 
Wasserlinien  sieht. 

Diese  Betrachtungen  legen  nun  die  Frage 
nahe,  ob  nicht  auch  das  sabäische  Symbol  die 
Wasserlinie  darstelle.  Bei  Heranziehung  der  Form 
auf  Abb.  15  h,  c  allein  stünde  dieser  Annahme 
nichts  im  Wege;  allein  die  Form  auf  Abb.  15a 
zeigt  die  unteren  Enden  so  deutlich  abgerundet 
und  die  beiden  Stücke  im  Gegensatz  zum  mi- 
noischen Zeichen  und  zum  Gegenstand  in  der  Hand 
der  beiden  Porosfiguren  ganz  ersichtlich  als  Stäbe 
(erhaben,  also  etwa  im  Querschnitt  (Ml),  daß  ich 
mir  die  gegenständliche  Auffassung  als  Wasser- 
linie nicht  recht  denken  kann,  und  die  im  spä- 
teren gegebene  Deutung  auch  für  diese  Form  auf- 
recht erhalten  möchte.  Die  etwa  anzunehmende 
Angleichung  der  Form  an  die  Wasserlinie 
konnte  höchstens  zur  Vermutung  berechtigen,  es 
habe  einst  ein  sabäisches  Symbol  in  Wasserliuien- 
form  gegeben,  das  sich  dann  im  Laufe  der  Zeit 
mit  dem  audei'u  —  wie  wir  es  nennen  wollen 
—  dem  Totschlägersymbol  vermengt  hat.  jMir 
scheint  jedoch  der  Zusammenhang  mit  Gruppe  VII 
stärker  als  etwa  mit  dem  Stück  der  Poros- 
arehitektur,  und  bedeutend  die  Schwierigkeit  von 
den  nicht  quergebundeneu  Formen  unseres  Sym- 
bols jene  mit  Querbindung  zu  trennen:  diese  aber 
schließen   jeden    Gedanken    an  Wasserlinien    aus. 


VI.   G  r  u  p  p  e. 


Der  Übergang  von  Gruppe  V  zu  Gruppe  VII 
ist  durch  Beibehaltung  der  beiden  Querbinden 
(Gruppe  VII)  unter 
Einfügung  des  Mit- 
telstrichs bis  zur 
ersten  Querbindung 
(GruppeV)  gegeben. 

Rechts  von  der 
sehralten^Königsiu-  Abb.  22. 

Schrift    Gl.   485   =  Totscbläger  auf: 

Arn.  55  =  CIH  374  a  Gl.  48i,  i>  Gl.  485. 


(Abb.  22  h,  au  der  Westseite  des  Haram  Bilkis 
bei  Märib).  Auf  der  linken  Seite  (am  Ende) 
der  eine  einzige  Zeile  bildenden  Inschiüft  steht 
das  Blitzbündel  mit  Doppelgriffel  in  Spiegel- 
stellung. Die  Inschrift  enthält  eine  Dedikatiou 
an  'Almakah  (|  Y'!' ^1hl?h'l' Vj-^  Dasselbe  Sym- 
bol erscheint  mit  den  beiden  andern  in  eine 
Gruppe  vereinigt  auf  der  rechten  Seite  zu  An- 
fang der  zweiten  Zeile  von  Gl.  481  =  Arn. 
56  =  cm  375  (Abb.  22«),  der  schon  p.  II  er- 
wähnten großen  Widmung  an  'Almakah. 


'  Das  Gesperrte  iin  französisclien  Te.xt  ist  vou  mir  so  hervorgehoben  worden. 

''  Vgl.  J.  H.  Mordtmann,  Beitr.  zur  min.  Epigr.,  p.  111;  F.  Hommel,  Aufs.  u.  Abb.,  p.  146,  Note  6. 

'  Vgl.  E.  Glaser,  Märib  im  Jemen,  p.  138. 


14 


I.  Abhandluno:  Adolf  Grohmann. 


VII.   Gr 

Diese  Gruppe  zerfällt  iu  zwei  Untergru]ij»eu: 
a)  Avelche  ZAvei  durcii  ein  Doppelband  in  der 
Mitte  zusammengehaltene  Stäbe  mit 
Endküpfeu  und  b)  welche  zwei  durch 
drei  Doppelbänder  zusammengehaltene 
Stäbe  zeigt.  Die  Form  der  Gruppe 
b)  wird  wohl  als  die  ursprüngliche  zu 
betrachten  sein. 

a)  Auf  der  rechten  Randleiste  der 
'Amräner  Bronzetafel  Os.  1  =  CHI  73 
(Abb.  23).  Die  Inschrift  ist  dem  'Al- 
makali  von  llirran  geweiht. 
Auf  der  linken  Seite  neben  einem  sti- 
lisierten Stierkoj)f  mit  derselben  Schraffierung 
der  Hörner    wie    p.  H,  Abb.   16,    auf    der   Vor- 


b) 


nHXirmwiKi/rVA 


Abb.  24. 

■Sabäisclicr  Alt.-ir  .ins  ^alma,  Gl.  717:  a  Vorderseite, 

A  Totalansicht. 


u  p  p  e. 

derseite  von  Gl.  717  (Abb.  24),  einem  großen 
Opfersteine,  den  E.  Glaser  auf  den  Ruinen  von 
?alma  bei  seinem  Ausflug  nach  dem  Feleg  bei 
Märib  fand.  Die  Bustrophedoninschrift  (ur- 
s])rünglich  sechs  Zeilen)  dürfte  die  Widmung 
des  Opfersteines  zum  Ausdrucke  bringen;  Z.  1 
sind  Spuren  von  I>|§)  sichtbar.  Wenn  Z.  1 — 2 
zu  r^[n®V]  ergänzt  werden  kann,  so  wurde  der 
Stein  in  Schutz  übergeben  allenfalls  dem  'Attar, 
dann    wahrscheinlich    dem   Haubas,    sicher    aber 


Abb.  25.     Gl.  .524. 


auch  dem  'Alma- 
kah.  Die  Götter- 
anrufung beginnt 
tatsächlich  mit 
>X?on.  Ein  Frag- 

ment  desselben  Symbols  steht  rechts  neben  Gl.  524 
=  Arn.  19  (Abb.  25,  vom  Marbat  ed-Dimm  bei 
Marib).  Es  ist  paläographisch  anscheinend  ziem- 
lich alt. 

Beachten  wir  die  Provenienz  der  eben  an- 
geführten Inschriften,  so  stellt  sich  heraus,  daß 
die  weitaus  größere  Zahl  aus  Märib  und  Umge- 
bung stammt  (Gl.  425,  481,  482,  483,  485,  487, 
488,  491,  499,  524,  654,  655,  712,  717,  1049,  1546 
Os.  34,  Bird  2).  Davon  stehen  Gl.  481,  482, 
483,  485  auf  dem  'Almakahtempel  in  Märib,  dem 
heutigen  Haram  Bilkis,  während  Gl.  487,  488 
wahrscheinlich  zum  Komplex  dieses  Tempels  ge- 
hörten. Nach  E.  Glaser^  findet  sich  in  der  Nähe, 
im  Westen  vor  der  Stadtmauer  von  Märib  eine 
Örtlichkeit,  die  heute  Bäh  el-'Akir  (Tor  des  Opfern- 
den) genannt  ist,  und  südöstlich  vom  Dorfe  Märib 
(in  der  Richtung  des  Fundortes  von  Gl.  653 — 655) 
die  Benennung  'Umm  el-Kis,  die  nach  E.  Glaser 
mit  Bilkis  und  weiterhin  mit  'Almakah  in  Ver- 
bindung zu  bringen  sei.  Der  Grund  zum  Haram 
Bilkis,  in  dem  schon  E.  Oslander"  mit  Recht 
ein  Heiligtum  des  'Almakah  erblickte,  wurde  nach 
D.  Nielsen^  in  der  Mukarribjieriode  gelegt  und 
der  Bau  in  der  Köuigszeit  noch  erweitert.*  Drei 
Inschriften,  Gl.  1533,  1572,  1649  stammen  hin- 
gegen aus  Sirwäh,  Os.  1,  17  aus  'Amrän,  Gl.  1551 
aus  Ragwän  ed  Duraib,  Gl.  1565  aus  el-'Asähil, 
Hai.  10  aus  San'ä,  Hai.  172  aus  el-IJazni  Hamdäu 
und  der  Bulawayostein  aus  el-I.Iauta  bei  Lahag, 
eine  einzige  Inschrift,  der  sabäische  Altar  von 
Jeha,  aus  Abessinien.  Die  Provenienz  der  übrigen 
Inschriften  ist  unbekannt. 


'  E.  Glaser,  Märib  im  Jemen,  p.  73.  »  ZDMG.  X,  p.  (53. 

'  D.  Nielsen,  Der  sabäische  Gott  Umuljah,  MVAG.  XIV  (1909),  p.  372. 

*  Vgl.  E.  Glaser,  Märib  im  Jemen,  p.  137  f. 


GöTTEUSYMBOLE    UND    SyMBOLTIERE    AUF    SÜDAKABISCHEN    DeNKMÄLEEN. 


15 


Bedenken  wir,  daß  Märib  und  Sirwäh  die 
Hauptkultstätten  'Almakahs  waren,  in  denen  sich 
zwei  berühmte  Tempel  dieses  Gottes  erhoben,  so 
wäre  das  häufige  Vorkommen  des  Symbols  gerade 
an  diesen  beiden  Orten  schon  an  sich  ein  Grund, 
an  einen  Zusammenhang  des  Symbols  mit  'Al- 
makah  zu  denken,  wie  dies  auch  schon  Mayer- 
Lambert  getan  hat;  allerdings  wäre  im  ärgsten 
Fall  die  Möglichkeit  einer  Verschlej^pung  einiger 
Steine  an  diese  beiden  Orte,  wie  sie  ja  des  öfteren 
gewiß  auch  von  diesen  beiden  Sakralstätten  statt- 
fand, in  Betracht  zu  ziehen.  So  ist  es  wohl  wich- 
tig, daß  die  überwiegende  Mehrheit  der  Inschriften 
mit  dem  Symbole,  auch  solche  die  nicht  aus  Mä- 
rib oder  Sirwall  stammen,  von  einer  A^'eihung  spe- 
ziell und  nur  au  'Almakah  (Gl.  425,  654,  1551; 
Hai.  172;  Os.  1, 17. 34;  CHi  378,  383,  393,  394.  395, 
397,  403,  407,  410)  oder  von  einer  Bautätigkeit  an 
seinem  Tempel  in  Märib  (Gl.  481—483,  485)  be- 
richten; oder  daß  auf  ihnen  nur  'Almakahs  Name 
vorkommt  (Gl.  499,  1572,  1649)  oder  endlich  dem 
'Ahnakah  mit  anderen  Gottheiten  eine  Weihung 
dargebracht  wird  (Gl.  717,  1546;  Sab.  Denk- 
mäler 20?),  ferner  daß  in  einem  ^X'^ -Vertrag 
'Almakah  genannt  wird  (Sab.  Denkm.  21).  Es  ist 
also  mit  gutem  Grunde  anzunehmen,  daß  das 
diese  Inschriften  begleitende  Symbol  das  Zeichen 
'Almakahs  ist.  Eine  Ausnahme  scheint  hier  nur 
die  Altarinschrift  aus  Jeha  (p.  12)  zu  machen. 
Da  der  Altar  nur  dem  'Attar  und  Nru  geweiht 
ist,  kann  'Almakah  hier  nicht  in  Betracht  kommen, 
er  müßte  sieh  denn  unter  dem  Namen  Nru  ver- 
bergen. Weil  aber  auf  derselben  Inschrift  das 
auch  sonst  für  'Attar  in  Betracht  kommende  Sym- 
bol Mondsichel  und  Scheibe  sich  findet  (s,  w.  u.), 
so  könnte  — ■  wenn  die  Gleichung  'Almakah  = 
Nru  nicht  zu  halten  ist  —  das  Symbol  hier  dem 
'Attar  angehören,  vielleicht  als  Zeichen  des  , Herrn 
des  Himmels'. 

Nun  finden  wir  in  Gl.  1649  (p.  11,  Abb.  16) 
außer  dem  Stierkopfe  den  Namen  'Almakah  und 
eben  unser  Symbol.  Ist  die  eben  gegebene  Deu- 
tung richtig  und  gehört  es  dem  'Almakah,  so 
bleibt  der  Stierkopf  auf  der  Inschrift  frei.  Er 
bleibt  auch  auf  dem  Bulawayosteine  frei  (p.  9, 
Abb.  9),i  wo  er  gleichfalls  neben  dem  Totschläger- 
symbole dopjielt  vorkommt:  klein  und  groß,  wie 


auf  Hofm.  24,  Abb.  26.  Schon  durch  den  Inhalt 
dieser  letzten  Inschrift,  die  keinen  Gott  nennt 
und  bloß  von  Zauberschutz  redet,  ist  es  in  hohem 
Grade  wahrscheinlich,  daß  die  Bukranien  aus 
Zaubergründen  angebracht  sind,  wie  ja  auch  in 
Ägypten  zur  Nagadazeit  vor  den  Häusern  ,das  Bild 
des  Stieres  oder  seines  Kopfes  als  Übel  abwehrendes 
Zeichen  aufgepflanzt,  der  Ko])f  allein  über  Fenstern 


<^ä-m^^Mmm:^. 


'  J  ;^ilf 


Abb.  "26.     Hofmus.  24,  sabiiisehes  Relief  (WieiO. 

und  Türen  angebracht'  wurde."  Dasselbe  könnte 
auf  Gl.  1649  der  Fall  sein.  —  Nimmt  man,  wie 
D.  Nielsen,  an,^  daß  die  schematischen  Stier- 
köpfe selbst  'Almakahsymbole  sind,  so  könnte  man 
sich  denken,  daß,  nachdem  diese  zum  Zauber- 
zeichen geworden,  das  Totschlägersymbol  auf  dem 
Bulawayostein  für  die  z.  B.  auf  Gl.  1649  auch 
verbatim  erfolgende  Anrufung  'Almakahs  vika- 
rierend  gesetzt  worden  sei.  Das  würde  uns  er- 
klären, warum  wir  auf  dem  Bulawayosteine  mit 
zwei  Götternamen  fünf  Syml)olzeichen  bekämen, 
wovon  drei  auf  eine  Gottheit  entfielen,  die  der 
Stein  nicht  nennt.  Stellt  man  sich  aber  auf  den 
Standpunkt,    daß,    um   den  Zauber  auszudrücken, 


'  Die  anderen  Symbole:  Lanzenspitze  und  Drache  gehören  den  zwei  von  der  Inschrift  genannten  Gottheiten:  'Attar 
und  Sbr;  O.  Weber,  Göttersyinbole,  p.  '278. 

•-  .Ähnliche  Bilder  grub  man  zu  gleichen  Zwecken  auf  Töpfen  ein'.  A.  ^Viederaann,  Der  Tierkult  der  alten  Ägypter, 
A.  0.  XIV,   1.  Heft,  p.  16. 

»  Der  sabäische  Gott  Ilmuk.ih,  MVAG.  XIV  (1909),  p.  355  f. 


16 


I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmann. 


zwei  Stierköpfe  uotweiulig  sind,  ein  großer  und 
ein  kleiner,*  so  bleibt  nichts  übrig-,  als  Gl.  1649 
(Abb.  16)  auf  eine  Stufe  mit  der  Darstellung 
Gl.  717  (Abb.  24)  zu  stellen.  Auch  da  ist  neben 
unserem  Symbol  nur  ein  Stierkopf  angebracht, 
wozu  wir  auf  dem  Revers  der  himyarisclien  Mün- 
zen Hofmus.  V,  1—4  (Taf.  XI Y,  24—27)  eine  Pa- 
rallele haben:  das  Totschlägersymbol  neben  dem 
Bukranion.  Wir  fänden  dann  in  diesen  Fällen 
eine  Gottheit  durch  zwei  Symbole  ausgedrückt, 
gerade  so  wie  f^  zwei  Symbole  für  den  einen 
'Almakah  darstellt  (s.  w.  u.). 

Bevor   nun   auf   das    Gegenständliche    einge- 
gangen wird,  seien  noch  die  wichtigsten  Formen 


a  i  c  r  e 


Abb.  27.    Typeniiheisicht  zum  Totschlägeisymbole. 
a  Gl.  487.    6  CIH  383.    c  Gl.  491.    d  CIH  378.    e  Sab. 
Denkm.   20.   /  Bulawayostein.     g   Gl.  488.    h   Gl.    1572. 
i  Gl.  712.   j  Gl.  164'J.    k  Gl.  485.    l  Os.  1.    m   Gl.  717. 


des  Symbols  nach  ihrer  Gruppeneinteilung  über- 
sichtlich zusammengestellt.  Gruppe  YII  (Abb.  277») 
repräsentiert  die  älteste  greifbare  Form  unseres 
S3'mbols;  der  Stein  stammt  aus  der  Mukarrili- 
periode  (750—500  v.  Chr.).  Die  Form  zeigt  deut- 
lich die  Zusammensetzung  aus  zwei  unten  ab- 
gerundeten Stäben  durch  dreimal  angebrachte 
zweifache  Querbänder.  Der  obere  Teil  des  Steines 
ist  leider  abgeltrochen,  so  daß  der  weitere  Ver- 
lauf der  Krümmung,  die  sich  wohl  wie  bei  den 
übrigen  Typen  nach  rechts  wandte,  nicht  mehr 
festzustellen  ist;    vielleicht    war    oben   auch    noch 


eine  vierte  Querbindung  angebraclit.  Dieser  Ur- 
form stehen  die  Formen  der  Gruppe  TV  (h),  in 
der  die  Querbindung  dreimal  durch  Striche  an- 
gedeutet ist  und  die  zweimal  quergebuudenen 
Formen  der  Gruppe  III  (e — g)  am  nächsten.  Sehr 
nahe  steht  ihr  aus  den  einmal  quergebundenen 
Formen  der  Gruppe  II,  d.  Gruppe  I  (a,  b)  zeigt 
keine  Querbindung  und  keinen  durchlaufenden 
Mittelstrich,  den  übrigens  auch  schon  Gruppe  II 
bis  IV  aufgeben;  sie  stellt  die  ,leere  Form'  des 
Zeichens  dar.  Durch  Beibehaltung  des  durch- 
laufenden Mittelstrichs,  der  die  Reminiszenz  an 
die  Zusammensetzung  aus  zwei  Stäben  zeigt,  ist 
Gruppe  V  (i,  ./)  charakterisiert;  dazu  tritt  in 
Gruppe  A^II  (l)  auch  noch  zweifache  Mittelquer- 
bindung (also  etwa  analog  wie  II  d),  während 
Gruppe  VI  {k)  den  Mittelst'rich  sozusagen  rudi- 
mentär nur  bis  zum  ersten  der  zwei  Querbänder 
verlaufen  läßt,  wodurch  sie  eine  Mittelstellung 
zwischen  Gruppe  III  und  VII  einnimmt.  Zeitlich 
liegen  die  Repräsentanten  der  einzelnen  Formen 
oft  weit  auseinander.  So  stehen  die  Formen 
(Abb.  2/,  g),  die  sich  von  der  Urform  schon  ziem- 
lich weit  entfernen  und  zur  leeren  Form  ge- 
zogen wurden,  auf  bustrophedon  geschriebenen 
Inschriften;  allerdings  kann  man  der  ganzen  Aus- 
führung nach  daran  denken,  daß  hier  eben  nur 
ein  Stab  von  den  beiden  zusammengesetzten  der 
angenommenen  Urform  das  Symbol  darstellt,  dessen 
Biegung  ja  gewahrt  ist.  Die  Form  in  Abb.  15  a 
steht  auf  einer  jüngeren  Inschrift,  jenein  Aljb.  lbh,c, 
Abb.  27  i  auf  Bustrophedoninschriften  und  beide 
stellen  denselben  Typ  dar.  Die  Übergaugsform  k 
auf  Abb.  27  steht  auf  einer  Bustrophedoninschrift 
^Gl.  481),  die  etwas  jünger  ist^  als  der  Mukarrib- 
text  Gl.  484;  ebenso  auf  der  sehr  alten  Inschrift 
Gl.  485,  die  der  Urform  näher  stehende  Form  l 
(Abb.  27)  steht  auf  einer  Bronzetafel,  die  etwa 
aus  der  Köuigszeit  stammt.  Aus  diesem  Grunde 
wurde  auch  bei  der  Gruppierung  das  zeitliche 
^Moment  ausgeschaltet  und  diese  rein  nach  for- 
malen Gesichtspunkten  vorgenommen. 

AVas  l)edeutet  nun  das  Sj'mhol  in  gegenständ- 
licher Hinsicht?  0.  Weber ^  hat  in  ihm  eine  Va- 
riante '  des  \:^  gesehen  und  es  als  Symbol  von 
Zwillingsdämonen  erklärt.  Für  beides  bieten  weder 
die  Form  noch  die  Inschriften  einen  Anhaltspunkt. 
Die  als  vollständiger,  dem  Gegenstande  nahe- 
kommender Typus  anzusetzende  Form  m  (Abb.  27, 
Gl.  717),   aber  auch   die  übrigen   Formen    setzen 


'  So  deutlich  auf  Hofmus.  24  (Abb.  26)  und  dem  Bulawayosteine  (Abb.  9). 

'  E.  Glaser,  Märib  im  .leinen,  p.  137  a.  "  O.  Weber,  Göttcrsynibole,  p.  270. 


Göttersymbole  und  Symboltiere  auf  südarabischen  Denkmälern. 


17 


von    mein 


der  Erklärung'  des  Zeichens  als  einer  Variante 
des  ^  erliebliclie  Seliwierigkeiten  entgegen  und 
selbst  die  offene  Form  g  (Abb.  27,  61.  488)  zeigt 
so  deutlicli  die  cliarakteristisclie  Biegung,  die  sich 
bei  \4  1^16  findet,  daß  auch  in  diesem  Falle  an 
eine  Zusammenstellung  mit  |rj  nicht  zu  denken  ist. 
0.  Weber  geht^  bei  seiner  Yergleichung  der 
Symbole,  des  Totschlägers,  y  und  des  |rj,  mit 
den  Zwillingsdämonen  der  Nazi  Maruttash-Stele 
(vgl.  Abb.  51,  dritte  Reihe,  Nr.  12,  13,  14)  wohl 
äußerlichen  Gesichtspunkten  aus  und 
die  Almlichkeit  vom  Symbol  13  imd 
14  der  genannten  Stele  mit  dem  Zei- 
chen |rj  möchte  ich  doch  in  Zweifel 
ziehen;  es  leuchtet  nicht  ein,  warum 
die  Sabäer  dann  nicht  auch  die 
Köpfe  mit  übernommen  oder  docli 
wenigstens  angedeutet  hätten.  Das 
Symbol  ist  andererseits  in  seinem 
Zusammenhange  mit  'Almakah  aus 
dem  Vorhergehenden  wohl  so  weit 
wahrsclieinlich    gemacht,    daß    man 


Abb.  28.  Tot 

schlägersym 

bol  auf 

Gl.  717. 


von  den  Zwillingsdämonen  wird  ab- 


sehen können.  Allein  0.  Weber 
hat  mit  Recht  auf  die  große  Be- 
deutung der  babylonischen  Symbole  für  die  süd- 
arabischen hingewiesen  und  hier  werden  wir  auch 
die  Anknüi)fungspunkte  für  unser  Symbol  zu  su- 
chen haben.  Betrachten  wir  unser  Symbol  auf 
Gl.  717  (Abb.  28)  neben  Abb.  29  B,  so  wird  die 
auffallende  Ähnlichkeit  beider  wohl  jedem 
klar  werden.  Die  in  Abb.  29  B''  in  der  hal- 
tenden Hand  dargestellte  Waffe,  die  wir 
uns  wohl  als  zusammengebundene  elastische 
Schlaggegenstände'  (etwa  Totschläger)  zu 
denken  haben,  findet  sich  auf  der  rechten 
oberen  Ecke  eines  gravierten  konvexen  tra- 
pezförmigen Muscheltäfelchens  (Abb.  30), 
das  uns  einen  aufspringenden  Stier,  ge- 
packt von  einem  Löwen,  zeigt,  der  seine 
Krallen  in  Hals  und  Flanke  des  Tieres 
einschlägt  und  in  seinen  Nacken  verbissen 
ist;  die  Waffe  gehört  offenbar  einem  Hirten 
an,  der  eben  in  die  Szene  eingreift.  Das 
Stück,  von  E.  de  Sarzec  in  Tello  ge- 
funden, ist  eines  der  ältesten  Beispiele 
der  Gravierarheit  auf  Muschelmasse,  das 
wir  auf  mesopotamischem  Boden  kennen, 
und  gehört   in   die  Periode  vor  Ur-Nina, 


dem    Begründer    der    ersten    Dynastie    von    La- 
gasch (um  3000  V.  Chr.).     L.  Heuzey''  gibt  fol- 
gende  Beschreibung    der  Waffe :    plus    bas,    pa- 
rait    une    main    tenant 
le  bätou  coude   et  an- 
nale, qui  semble  avoir 
ete  ä  la  fois  une  arme 
et  un  sceptre  des  an- 
ciens   rois  du  pays, 
par  exemple  dans  la 
figure    d  '  E a nn a d 0 u. 
On   ne    comprend   pas 
bien  la  force  que  pou- 
vait  avoir  un  pareil  en- 


gin,* surtout  dans  une 


Al)l).  30.    Muscheltäfelchen  aus 
Tellü  (Paris,  Louvre). 


chasse  aux  Kons ;  iL  in- 

dique    cependaut    que, 

sur  une  jüece  contigue,  se  trouvait  un  personnage 

royak. 

Die  in  Abb.  29  zusammengestellten  Waffen  be- 
handelt P.  Handcock,  Mesopotamian  Archaeology 
p.  341  ff.  im  Zusammenhang.  Er  vermutet  in 
Abb.  29  A  (Detail  aus  Abb.  31)«  ein  Wurfholz  oder 
einen  Bumerang,  allerdings  mit  der  Einscliränkung : 
,though  its  shape  is  the  only  argument  in  support 
of  this  theory'.  Die  Waffe  Abb.  29  B  —  hier  ist 
jeder  Gedanke  an  ein  Wurfholz  mit  Recht  auf- 
gegeben —  sei  als  Knüttel  im  Nahkampf  ver- 
wendet worden  (vgl.  die  Jagdszene !) ;  sie  ist  nicht 
mehr  aus  einem  Stück,   sondern  deren  drei  seien 


•  A.  a.  O.,  p.  •275  ff.  '  Diese  Aufklärung;  verdanke  ich  Herrn  Prof.  R.  Heberdoy  in  Gr.iz. 

-  Nach  P.  Handcock,  Mesop.Arch.,  Fig. 94.  ■■  L.  Heuzey,  Döcouvertes  eu  Chald(5e,  vol.I,  p.267  (zu  H  P1.4(j,  Nr.  3). 

^  Die  oben  vorgeschlagene  Deutung  macht  auch  die  Wirksamkeit  der  "Watie  begreiflieh. 

"  Kalksteinfragment  aus  Tello:  de  Sarzec,   Decouvertes  en  Chaldee,  II,  Tat".  \tei;  la;    aus  der  Periode  von  Ur-Nina. 

Denkscliriften  der  iiUil.-liist.  Kl.  5».  Bd.  1.  Abb.  3 


18 


J.  Abhandlung:  Adolf  Gkohmann. 


mit  Ringen  zusanimcngehaltcu.  um  die  Wirkung  zu 
verstärken.  Der  \A'.iffe  Abb.  29  C  sei  zur  weiteren 
Erhöhung  der  Schlagfertigkeit  eine  Klinge  ein- 
gesetzt Avordcn:  am  natürlichsten  hätte  das  ge- 
schehen  können   durch   Einfügung   der  Schneide 


Abb.  31.    K.ilksteiurelicf  .ins  Tell.i  i^P.ivis,  Louvie). 

zwischen  die  durch  Ringe  zusammengehaltenen 
Schäfte  oder  Stäbe';  in  29  0  sei  die  Klinge  in 
einen  Schlitz  im  liolz  eingclas.sen. 

Die  Waffe  Abb.  29  C  scheidet  bei  Betrachtung 
des  sabäischon  Symboles  aus.  Aber  auch  die  An- 
sicht -,  Abb.  29  B  sei  aus  29  A  entstanden,  bereitet 
Schwierigkeiten,  besonders  wenn  Abb.  29  A  einen 


der  Biegung  in  Abb. 
29  A  eine  andere 
ist  als  in  29  B 
und  den  sabäischen 
Symbolen,  die  mit 
29  B  darin  überein- 
stimmen; auch  die 
oben  breiten,  nach 
unten  sich  A'erjüu- 
genden  l^mrisse  von 
29  A  sprechen  da- 
gegen. 

Darum  sei  auch 
davon  abgeseiieu, die 
Mardukwaffe    Abb. 


id  33  ■ 


L  Ver- 


gleich mit  den  sabäi- 
sehen  Symbolen  her- 
anzuziehen. Denn  es 
ist  zu  bedenken,  daß 
die  Form  des  sabäi- 
schen   Symbols    in 


Abb.  32.  Gott  Marduk;  Lazur- 

staiige  aus  Babylon  (ca. 850 v.Chr.) 

(Berlin,  Kgl.  Museen). 


pHiiNuiui-uiij).*j)finiiii  iii-uj,<iiii'irMi . 


i,,ii,j..^vi"""i'"i"iiim,i)i,in'i,< 


ij'Tmimiiii.ii,iiini'niii|i'"i'i''|i"iii'iiniiiiw.iM'iiiinwiii.Miimw.ii"i''.i"''"'ii"'"<<| 


Abb.  33.     Assyrische  Götterprozession  aus  Malatia. 


Bumerang  darstellen  soll:  denn  aus  diesem  kann 
durch  Vervielfältigung  und  tJuerbindung  niemals 


eine    Schlagwaffe    werden.    Sieht   man    aber   in 


Abb.  29  A  kein  Wurfholz,  so  müßte  man  erwägen, 
ob  die  als  leere  Form  (s.  p.  6  f.,  Gruppe  I)  zu- 
sammengezogenen sabäischen  Symboltypen  nicht 
damit  zusammengestellt  werden  könnten.  Das 
wird  aber  kaum  angehen :  nicht  nur  daß  die  Art 


seiner  ältesten  Gestalt  (Abb.  28)  nichts  mit 
dem  Gegenstand  in  der  Hand  der  vielleicht  um 
100  Jahre  älteren*  Mardukfigur  (Abb.  32)  ge- 
niein hat,  sondern  mit  der  Form  der  Waffe  auf 
dem  wohl  zwei  Jahrtausende  älteren  Muscheltäfel- 
ehen von  Tello  (Abb.  30)  zusammengeht.  Das 
sabäische  Symbol  ist  aus  zwei  gekrümmten  Stäben 
zusammengesetzt,    die  durch  je  zwei  aneinander- 


'  Davon  gibt  es  kein  Beispiel.  '•'  Handcock,  a.  a.  O.,  p.  :H41   unten. 

"  S.  die  Erläuterung;  im  Te.xte  zu  den  Abbildungen  bei  M.  Jastrow,  Bildermappe,  Sp.  7  (Nr.  14)  und  Sp.  6U  (Nr.  98). 
in  Abb.  33  kommt  es  auf  die  zweite  und  vierte  Person  von  links  an.  —  Vgl.  auch  die  Waffe  in  der  Hand  Marduks  auf 
Seite  U  einer  Urkunde  aus  der  Zeit  Meli-Schipaks  (ca.  1204—1189  v.  Chr.  Abb.  52).  Auch  dort  ist  die  rechte,  deutlich  den 
Gegenstand  haltende  Hand  gesenkt. 

•  Das  Olijokt  i.st  ein  Weihgeschenk  des  Königs  Marduknailiiisnni  von  Babylonien  (ca.  850  v.  Chr.)  an   Marduk. 


GöTTERSTMBOLE    UND    SyMBOLTIEKE    AUF    SÜDARABISCHEN     DeNKMÄL 


19 


schließende  Ringe  an  drei  (vielleicht  auch  vier) 
Stellen  zusammengebunden  sind;  das  sabäische 
Stück  ist  oben  abgebrochen,  die  Krümmung  setzte 
sich  also  wahrseiieinlich  nach  obenbin  fort,  so  daß 
sieh  die  in  Abb.  29  B  auttretende  Form  ergeben 
haben  mag,  was  anzunehmen  uns  die  Formen 
auf  Abb.  2  g,  6c,d,  7e,  Abb.  12,  14  c  (vgl.  auch 
Abb.  27)  berechtigen.  Die  babylonische  Form  ist 
aus    drei   Streifen   zusammengesetzt   und  an  vier 


Stellen  durch  je  vier  Ringe  zusammengehalten. 
Die  Zahl  der  Ringe  und  der  Stäbe  bildet  aber 
keinen  wesentlichen  Unterschied,  das  Ausschlag- 
gebende ist  das  Vorkommen  der  durch  eine  An- 
zahl von  Ringen  aneinandergebundenen  Stäbe  und 
ferner  ihre  charakteristische  Krümmung;  und 
diese  hauptsächlichsten  Eigentümlichkeiten  haben 
sich  in  den  verschiedenen  Formen  des  sabäischen 
Symbols  bis  in  die  späte  Zeit  durchgesetzt. 


Das  Blitzbündel  und  der  Doppelgriffel. 


Unter  allen  sabäischen  Symbolen  ist  die 
Gruppe  %  am  häufigsten  auf  den  Inschriften 
vertreten.  Doch  findet  sich  diese  Symbolgruppe 
mit  zwei  Ausnahmen  nur  auf  Inschriften  der 
Mukarribperiode. 


H 


r 


Abb.  34.    Blitzbündel    und   Doppelgriftel    auf  sabäischen  In- 
schriften: a  Gl.  472,  h  Gl.  477,  c  Gl.  4SI,  d  Gl.  485,  e  Gl.  502. 


Für  die  beiden  vorliegenden  Symbole  kommt 
folgendes  inschriftliche  Material  in  Betracht: 

Rechts  vom  Fragmente  Gl.  472  (Abb.  34«, 
aus  der  Stadt  Marib),  das  mit  dem  Anfang  von 
CIH  366  übereinstimmt.  ^  Man  beachte  die  jrerade 
Form  des  Schaftes  von  Y  ""d  den  einen  Mittel- 
strich des  Doppelgriffels. 

Links  in  Spiegelstellung  von  Gl.  477  = 
Gl.  563  =  Arn.  36  (Abb.  346  aus  dem  Dorfe 
Märib);  die  Inschrift  ist  ein  Schlußstück  und  ent- 
hält nur:  ,und  'Almakah'  (Y'i'Illh®)- 

Rechts  in  Spiegelstellung  von  Gl.  481 
(Abb.  34  c),  Zeile  2  (linksläufig)  zusammen  mit 
dem  Totschläger.  Vgl.  p.  13,  Abb.  22  a. 

Links  in  Spiegelstellung  am  Ende  von 
Gl.  485  =  Arn.  55  (Abb.  Md;  vgl.  p.  13). 

Links  in  Spiegelstelluug  neben  Gl.  502 
(Abb.  34  e,  vom  Mebnä  eHIasrag  bei  Märib).  Die 
Inschrift  enthält  eine  Weihung  an  'Almakah 
(Y'i'tllhlTH'l'V)-  ^-  Glaser  kombiniert  diese  In- 
schrift mit  der  folgenden  Gl.  503^  und  übersetzt: 
,Jeda'il  Watar  weihte  dem  'Almakah  das  Bauwerk 
'Äthan.' 


Rechts  von  Gl.  503  (Abb.  35a),  t=i  scheint 
zerstört  zu  sein.   Vgl.  zur  vorangehenden  Nummer. 

Links  in  Spiegelstellung  neben  der  zweizeiligen 
Bustrophedoninschrift  Gl.  514  =  513  =  Arn.  14 
=  Hai.  673,  674  (Abb.  35  i,  vom  Marbat  ed-Dimm 
bei  Märib),   rechts  ^^ ;    ohne  Gottesnamen.  ^ 

Das  Symbol  allein  in  Spiegelstellung  bildet 
Gl.  522  (Abb.  35c,  vom  Marbat  ed-Dimm). 

Rechts  und  in  Spiegelstellung  links  neben 
der  zweizeiligen  Bustrophedoninschrift  Gl.  525, 
vgl.  Gl.  523  =  Arn.  XII  bzw.  XIII  (Abb.  dbd, 
vom  Marbat  ed-Dimm).*  Kein  Gottesname. 


If 


d 

Abb.  35.    Blitzbündel    und  Doppelgriflfel    auf  sab.äischen  In- 
schriften:    a    Gl.   503,    b    Gl.    514,    c    Gl.    522,    d   Gl.    525, 
e  Gl.  545,  /  Gl.  558,  g   Gl.  54',i. 

Rechts  von  Gl.  545  =  Arn.  33  =  Hai.  671 
(Abb.  35  e  aus  Märib).  Die  Inschrift  enthält  nur 
den  Namen  >X®l1h°l>l?- 

Rechts  von  Gl.  558  (Abi).  35/  vom  Marbat  ed- 
Dimm),  Bruchstück  einer  Inschrift:  ////7ni>I]h°S? 

Links  in  Spiegelstellung  neben  Gl.  549 
(Abb.  35^,  vom  Marbat  ed-Dimm),  Bruchstück 
einer  Bauinschrift  eines  [Mukarjrib  von  Saba, 
ohne  Gottesnamen. 


'  S.  w.  u.  Gl.  901,   1530.  »  Märib  im  Jemen,  p.  50  b. 

^  Vgl.  D.  H.  Müller,  Burg.  u.  Schlöss.  II,  p.  14;  E.  Glaser,  Märib  im  Jemen,  p.  5',l  f 

■*  Vgl.  D.  H.  Müller,  Burg.  u.  Schlöss.  II,  p.  13,  E.  Glaser,  Märib  im  Jemen,  p.  (50. 


20 


1.  Abhandlung:  Adolf  Grohmasn. 


Links  in  Spiegelstellung  neben  Gl.  56  3  = 
565  =  Arn.  28  =  44  (Abb.  3ü  a,  vom  Marbat 
ed-Dimm).  Das  Fragment  lautet:  Y'l'fllh®  -und 
'Almakab'. 

Links  in  S])iegelstellung  neben  Gl.  5  73 
(Abb.  36  i  aus  Märib).  Das  Fragment  entliält 
nur  den  Gottesnamen  'Almakab  (Y<!il][1h)- 

Links  in  Spiegelstellung  neben  Gl.  591 
(Abb.  36c,  aus  Märib).  Das  Fragment  entliält 
wieder  nur  den  Gottesnamen  'Almakali  (Y'l'Illh)- 


a  ^ 


IVI 


d 


f 


Abb.   'i6.    Blitzbündel    uiul  Doppelgiiftel    auf  sabiiischen  In- 
schriften: a  Gl.  üGö,  4  Gl.  573,  c  Gl.  591,  d  Gl.  596,  e  Gl.  010, 
/  Gl.  696,  g  Gl.  731. 

Links  von  Gl.  596  (Abb.  36 ti  vom  unteren 
IJusn  bei  Märib).  Der -linke  (rechte?)  Stricb  stellt 
wohl  den  Rest  des  [^  dar ;  das  Symbol  hätte  dann 
Spiegelstellung.  Die  Inschrift  ist  ein  Fragment 
ohne  Gottesnamen. 

Rechts  von  (J 1.  610  (Abb.  36  e.  vom  unteren 
yu.sn    bei   Märib).'    Das    Fragment    enthält    nur 


IV 


i'ik 


a  b  c 

Abb.  37.    Blitzbündel    und   Doppelgriffel    avif  sabäisclien  In- 
schriften :  a  Gl.  743,  4  Gl.  796,  c  Gl.  797. 

/////^|>X'Dl1rH°l>l?-  Der  Strich  rechts  stellt  wohl 
den  Rest  von  \^  dar. 

Rechts  und  in  Spiegelstelluug  links  von 
Gl.  69  6  =  Arn.  46  (Abb.  36/  aus  Märib).  Die 
Inschrift  ist  das  Fragment  einer  Bauinsehrift  aus 
der  ^Fukarrib-Zeit.- 

Rechts  von  Gl.  731  (Fragment  aus  Säw- 
wana  bei  Märib,  Abb.  36  j).  Nur  in  der  Götter- 
anrufung  am  Schlüsse   erscheint  auch  'Almakab : 


Links  in  Spiegelstellung  neben  dem  Buch- 
staben ^,  Gl.  743  (Abb.  37a,  aus  den  Ruinen 
der  alten  Stadt  Märib). 

Rechts  ohne  H,  das  wohl  zerstört  ist,  neben 
der  mit  Gl.  610  (vgl.  p.  20  a)  inhaltsgleichen  In- 
schrift Gl.  796  (südlich  von  Wädi,  V2  Stunde 
östlich    vom   Dorfe    Märib    gefunden,    Abb.  37  &). 


Abb.  38.     Blitzbündel   und  Doppelgriffel  auf  Gl.  1527. 

Beachte    den   nicht   geschlängelten  Yertikalstrich, 
wie  in  Abb.  34  a. 

Rechts  und  in  Spiegelstellung  links  neben 
Zeile  1  und  2  der  Bustrophedoninschrift  Gl.  797 
(Abb.  37c,  am  MaVib  auf  dem  Wege  nach  Sana 
gefunden),   auf  der  Vorderseite  eines  oben  abge- 


Abb.  39.    Blitzbündel  und  Doppelgriffel  auf  Gl.  1531. 

brochenen  Opferaltars,  der  ,sich  wie  der  Sitz  eines 
Fauteuils  präsentiert'.  Glasers  Übersetzung  der 
Inschrift  auf  Fol.  246  seines  Inschriftenwerkes 
lautet:  ,Jath'i  -  amar  Bain,  Sohn  Samah'alaj's, 
Priesterfürst  von  Saba,  richtete  her  das  r^-p  der 
beiden  (oder  PI.  der)  Wege  (Passagen?  Bezirke? 
Wälder?)  von  Xawära",  am  Tage  als  er  (gewöhn- 
liches) Wild  (Schuß-  oder  Bogenwild)  jagte  (für) 
'.\ttar  (oder:  'Attarwihl,  d.  h.  frei  verfolgtes  Wild?) 
und  (als  er  gleichfalls  jagte)  Fällgrubenwild  [Stech- 


'  Vgl.   E.  Glaser,   Märib  im  Jemen,  p.  70. 


Vgl    E.  Glaser,  Mfirib  im  Jemen,   ]>.  74a  unten. 


Göttersymbole  und  Symboltiere  auf  sCdarabischen  Denkmälern. 


21 


wild,  Hyäneu]  (oder:  als  er  dem  Wild  naclistellte 
mittels  Fallgrubeü).'  ^ 

Links  in  Spiegelstellung  neben  Gl.  89  2  = 
1527  (Abb.  38,  aus  Sirwah),  einer  Bauinscbrift 
aus  der  Mukarribperiode. 

Rechts  am  Anfang  und  in  Spiegelstellung 
links  am  Ende  der  Inschrift  Gl.  901  ^  1531  = 
Hai.  50  =  cm  366  (Abb.  39) ;  sie  befindet  sich 
auf  der  Nordseite  der  runden  Mauer  in  Sirwah, 
die  die  erhaltenen  Reste  des  alten  'Almakahtempels 
darstellt.  Vgl.  auch  Gl.  902  =  903,  welche  In- 
schriften sich  von  der  Nordseite  über  Osten  nach 
Süden  bis  zum  Tore  der  Ringmauer  in  Sirwah 
hinziehen,    und    Gl.  1530    (auch   aus   Sirwah).    In 


u. 


Abb.  40.  Blitzbündel  und  Doppelgiiffel  auf  sabäischen  In- 
schriften:   a  Gl.  910,   h  Gl.  91G,    c   Gl.  1000  B,    d   Gl.  1109. 

der  Schlußformel  der  Inschrift  erscheint  'Alraakah 
zusammen  mit  'Attar  und  Dat  Hmi"'. 

Rechts  und  links,  jedoch  nicht  in  Spiegel- 
stellung, neben  Gl.  910  =  1676  (Abb.  40a),  einer 
Bauinschrift  aus  Sirwah. 

Links  von  Gl.  916  (Abb.  40  6  aus  Sirwah) 
in  Spiegelstellung.  Die  Inschrift  ist  das  Fragment 
einer  Bauinschrift  aus  der  Mukarribperiode. 

Rechts  und  in  Spiegelstellung  links  neben 
Gl.  1000  A  und  1000  B  (Abb.  40c),  den  großen 
Tempelinsehriften  von  Sirwah  (um  c.  550  v.  Chr. 
gesetzt),-  die  in  Form  großer  Dedikationen  an 
'Almakah  abgefaßt  sind. 

Rechts  und  links  in  Spiegelstellung  neben 
den  beiden    einzeiligen  Bauinschriften    Gl.  1108 


"■■■v-'i  /r"'i   «--i' 


'\m 


Abb.  11.     lilitzbündel  und  Doppelgiiffel  auf  Hofinus.  l-l. 

und  1109  (Abb.  40 li).  Sie  sind  vom  Mukarrib 
Id'  '1  Drh,  Sohne  des  Smh'li,  gesetzt  und  befinden 
sich  in  el-Mesägid,  3  Stunden  nw.  von  el-Gedida 
(Grüba)  unweit  vom  Wädl  I)enne,  auf  dem  großen 
'Almakahtempel,^  der  nach  Glasers  Angabe  im 
Tagebuch  I,  p.  30',  noch  größer  ist  als  der  in 
Märib  und  Sirwah.  In  der  Schlußformel  von 
Gl.  1108  ist  'Almakah  zusammen  mit  'Attar 
(Y<l'^1hin®l>X§°n).  ii^  der  übUchen  Göttertrias 
(^?^TXNin<i>|Y^^1hin®l>XS°n)  am  Ende  von 
Gl.  1109  genannt. 

Links  in  Spiegelstellung  neben  der  alt- 
sabcäischen  Inschrift  Gl.  1147  =  Hofmus.  14 
(Abb.  41  aus  dem  Bustän  es  Suhan,  San  ä).  Nach 
F.  Hommels  Ergänzung  berichtet  sie  vom  Bau 

eines  Altars   des  'Almakah^   (<i>YilhlO?'!'l?Hn)-' 

Links,  jedoch  nicht  in  Spiegelstellung,  neben 

Gl  1467  =  Hai.  331    (Abb.  42a   aus  el-Baidä- 

Gauf),  einer  Bauinschrift  aus  der  Mukarribperiode. 


V«      f« 


Abb.  42.     Blitzbiindel    und  Doppelgriffel    auf  sabäi.sclien  In- 
scbriften:  a  Gl.  1467,  /;  Gl.  1468,  c  Gl.  1529,  d  Gl.  1550. 


>   Vg:l.  N.  Rhodokanakis,  WZKM  XXVIll   1914,   p. 

'  V'i'^1hlX?n  '1  beiden  Inschriften. 

6  Nach  E.  Glaser  ist  B'p  das  Wort  für  Riiucher.iltar. 


112.  -  Vgl.  O.  Weber,  Studien  I,  MVAG  VI  (1901),  p.  22. 

"  Aufs.  u.  Abb.,  p.  145  f. 


22 


1.  Abhandlung:  Adolf  Grohmann. 


Links,  jedocli  nielit  in  Spicgelstellung,  neben 
Gl.  1468  =  Hcal.  339  (Al)b.  42  6,  aus  el-Bai(Jä), 
einer  Bauinschrift  aus  der  Mukarribperiode. 

Rechts  von  Gl.  1529  =  Hai.  52  (Abb.  42c., 
aus  §irwäh),  einer  Bauinschrift  aus  der  Mukarril)- 
periode.  Auf  den  Ideinen  Kreis  links  wird  noch 
zurückzukommen  sein;  vgl.  die  folgende  Numnior. 

Rechts  und  in  Spiegelstellung  links  neben 
Gl.  1550  (Abb.  42d,  aus  ed-Duraib,  wohin  der 
Stein  nach  E.  Glasers  Angabe  aus  den  Ruinen 


H 


nn 


Abb.  43.     Blitzbündcl    uud  Doppelgriffel    auf  sabäischen  In- 
schriften: a  Gl.  l.'>58,  A  Gl.  I.i59,  c  Gl.  ITiGO. 

von  el-'A.sähil  ver.schleppt  wurde).  Auf  die  Form 
der  Sjmbolgruppe  der  linken  Seite  wird  weiter  unten 
des  näheren  eingegangen;  s.  die  vorangehende 
Nummer.  Der  Schluß  dieser  Bauinschrift  aus  der 
.Mukarribperiode  ist  ähnlich  dem  von  CIH  366. 
Rechts  und  in  Spiegelstellung  links  neben 
Gl.  1558,  1559,  1560  (Abb.  43a— c,  aus  ed-Du- 
raib), 3  Bauinschriften  des  Mukarrib  H?ni>^h°ST> 
Sohnes  des  ?1oY^r^. 


\ 


nfi-iw 


Abb.  44.    Blitzbündcl    und    Doppeljrrirt'el    auf  sabäischen  In- 

Bchriften:    a   Gl.  1641,    />    Gl.  1C47,    c   Gl.   IGT.i,    d   (Jl.   1698, 

e  Gl.  1064. 

Rechts  in  Spiegelstellung  (!)  von  Gl.  1641 
(Abb.  44  a,  aus  Sirwäh).  Fragment  aus  der  Mu- 
karribperiode. 


Hechts  von  Gl.  1647  (Abb.  44  6,  aus  Sirwäh). 
Die  Inschrift  ist  ein  Fragment. 

Rechts  uud  links,  jedoch  nicht  in  Spiegel- 
stellung, neben  Gl.  1675  =  Münch.  14  (Abb.  44c, 
aus  Sirwäh).  Die  Inschrift  ist  eine  Bauinschrift 
des  SmhMi  Drh,  Königs  von  Saba,  Sohnes  des 
H?ni>^h°S?-  Sie  bildet  mit  Gl.  485  =  Arn.  55 > 
die  zwei  beweisbaren  Ausnahmen  von  der  Tat- 
sache, daß  die  Symbolgruppe  f,,  sonst  auf  Mu- 
karribinschriften   vorkommt;    zu   Arn.  20  s.  w.  u. 

Rechts  von  Gl.  1698  =  Münch.  44  (Abb.  44 rf, 
aus  Sirwäh).  Die  Inschrift  ist  ein  Fragment. 

Vielleicht  gehört  auch  noch  Gl.  1664  = 
Münch.  1  (Abb.  44  e,  aus  dem  "Wädi  'Abida)  hie- 
her :  rechts  von  der  ersten  Zeile  steht  der  Buch- 
stabe Y  etwas  größer  gezeichnet  als  die  übrigen 
Buchstaben.  (Abklatsch  ist  leider  nicht  vorhanden.") 
Der  Stifter  der  Inschrift    ist  ein  Y'l'^1hl®^>- 

Die  Symbolgruppe  ^j^  findet  sich  ferner  noch : 
in  Spiegelstellung  rechts  von  der  Inschrift  Arn.  20 
vom  Damme  bei  Märib :  ?a)^r^HIO"l'^  (,Weihe- 
denkmal  des  Du  Smui'),  sowie  in  den  inhaltlich 
mit  Gl.  1467  übereinstimmenden  und  teilweise 
fragmentarischen  Inschriften  Hai.  280 — 286, 
289,  292,  303—305,  326,  331  (aus  al-Bai(Jä) 
in  folgender  Anordnung: 


Hai.  280/281 

VH- 

..W'^isicf 

„     282 

VH- 

•V 

„     283- 

-286, 

303 

306  . 

•V 

^     289 

VH- 

■V 

„     292 

VH- 

.  VMV  i>«c/ 

„     331 

VH- 

.,     326 

V-. 

Zerstört  ist  |=j  vielleicht  in  der  Inschrift 
Hai.  620  (aus  Silyäm),  die  neben  dem  Blitz- 
bündel oO?1   enthält;  vgl.  Gl.  503,  610,  796. 

Die  Symbolgru])]»e  f„  findet  sich  allein 
oder  in  Verbindung  mit  dem  Totschläger,  auch 
auf  dem  Revers  sabäischer  Münzen;  und  zwar 
"^„  allein  in  der  Form: 

Abb.  45  a  auf  dem  Revers    vom  Hofmus.  I   12.' 

,,      40  C       „         „  „  „  „ 

..     45  d     .,       ..  .,         von  Head  5.^ 


I  16.* 
I  14.^ 


'  Beides  sehr  alte  Inschriften;   vgl.  oben  p.  LS,  Note  2. 

'  Die  Hal<!vykopien   fahren    mit   dem    Namen   des  Erbauer.?  von    N.aslj  HTni1n°'HT    fort;    in    welcher  Reihenfolge 

da   die   zwei    Symbolelementc   kombiniert   waren,    bzw.  ob   wirklich  das   eine   zweimal    dastand,    ist   kaum    mit  Sicherheit   zu 

ermitteln;  eben.sowenig,  ob  in  den  übrigen  Fällen  (Hai.  283 — 281)  etc.)  tatsächlich  bloß  das  eine  Element  angebracht  war. 
Beachtenswert  ist  die  Stellung  xH  a™  Ende;  vgl.  Abb.  44  c. 

»  D.  H.  Müller,  Südarab.  Altert.,  p.  67,  Taf.  XIV,  Abb.  7.  ■>  D.  H.  Müller,  a.  a.  O.,  p.  07,  Taf.  XIV,  Abb.  8. 

"  D.  H.  Müller,  a.  a.  O.,  p.  67,  Taf.  XIV,   Abb.  6.  "  Num.  Clironicle,  N.  S.,   Vol.  IS,   PI.  13,   5. 


GöT 


TERSYMBOLE    UND    SyMBOLTIERE    AUF    SÜDARABISCHEN    DeNKMÄLERN. 


23 


a  b 


HYl    *\^    ^>    f      tl 

e  f        g         h         i 

Abb.   45.     Güttersymbole  auf  sabäischen  ilUnzen. 

Zusammen  mit  dem  Totscliläger  iu  der  Form: 
Abb.  45  e    auf    dem    Revers    von    Dr.   Imhoof- 

Blumer  A.  1,  2.i 
„     45/  auf  dem  Revers  vom  Hofmus.  i:-}1.694,^ 

ebenso    in    He  ad    5-'    und    Schlumb  erger 

1—3,  5,  7,  9,  11,  12,  14— 17.'' 
„     45  g    auf    dem    Revers    von   Dr.   Imhoof- 

Blumer  A3,*  ebenso  Head  6.'' 
„     45  h  Schlumberger  8,  ähnlich  10,  13  und 

ohne  H  Nr.  6.'   (Vgl.  hier  Abb.  3a,  pag.  7.) 
„     45 1  auf  dem  Revers  von  Windischgrätz  1.^ 

Der  besseren  Übersicht  halber  seien  einige 
minäische  Formen,  die  zu  dem  einen  der  zwei 
kombinierten  Symbolelemente  gehören,  gleieii  hier 
angereiht : 

Das  Symbol  y  allein^  findet  .sich  öfters  auf 
minäischen  Inschriften;    so: 

zusammen  mit  dem  'Attarmonogramm,  der 
Schlange,  dem  Kreise  und  dem  Tore  rechts  von 
Gl.  1158  aus  Baräkiä  (Abb.  46a), 

zusammen  mit  dem  'Attarmonogramm  und 
der  Schlange  links  von  Gl.  1302  aus  Barakis 
(Abb.  46  b), 

zusammen  mit  dem  'Attarmonogramm  rechts 
von  Hai.  480  aus  Barakis  (Abb.  46c\ 

zusammen  mit  der  Schlange  und  dem  Tore 
auf  der  nordminäischen  Altarinschrift  von  Delos 
(Abb.  46 d)."  Eine  ähnliche  Form  findet  .sich  öfter 


U 


V    T 


Abb.  46.     Blitzbündel  auf  minäischen  Inschriften: 
a   Gl.   1158,    b    Gl.   1302,    c  Hai.  480,    d  Delosaltar. 


auf    den   Graffiti    der  Wiener  Südarabischen  Ex- 
pedition. 

Zum  Schlüsse  seien  noch  zwei  nach  oben 
und  unten  symmetrisch  komponierte  Formen 
des  Blitzbündels  hiehergestellt: 

Rechts  neben  der  ersten  und  zweiten  Zeile 
der  sabäischen  Bustrophedoninschrift  Mars.  X 
(Abb.  47  a);"  vgl.  die  einfache  Form  in  den  sa- 
bäischen Texten  Gl.  472,  477  etc. 

Links  von  der  zweizeiligen  altsabäischen 
Bustrophedoninschrift  Gl.  781  (Abb.  47  i,  Um- 
gebung von  Jlärib)  mit  3  Zinken  wie  Abb.  46  d, 
aber  gerundet.  Das  einfache  Zeichen  hiezu  liegt 
M'ohl  A'or  rechts  von  der  fragmentarischen  kata- 
bänischen  Bauiuschrift  Gl.  1343  (Abb.  47  c  aus 
el-Güba)  und  in  dem  ganz  alleinstehenden  riesigen  f 
(Abb.  47  tZ,   Gl.  1434    ohne   Fundort),   das   (nach 


Abb.  47.    Blitzbundel  auf  sabäischen   und  katabanischen   In- 
schriften:   a  Mars.  X,   h  Gl.  781,  c  Gl.  1343,   d  Gl.  1434. 

Glaser)    in   der   Form    zu   keiner    der    kopierten 
Inschriften  gehört. 

Die  eben  angeführten  sabäischen  Inschriften 
stammen  größtenteils  aus  der  Mukarribperiode, 
der  Zeit,  in  der  die  großen  'Almakahtempel  zu 
Sirwäh,  Märib  und  al-Mesägid  erbaut  wurden. 
In  diesen  drei  Tempelbezirken  wurde  auch  der 
größte  Teil  der  herangezogenen  Inschriften  ge- 
funden :  so  in  Märib  und  Umgebung  Gl.  472,  477  = 
563,  502,  503,  514,  522,  523,  525.  545,  549,  558, 
573,  591,  596,  610,  696,  731,  743,  781,  796,  797, 
Arn.  20;  in  Wädi  'Abida  Gl.  1664.  Vom  Haram 
Bilkis  stammen  Gl.  481,  485.  Aus  Sirwäh  kommen 
GL  892,  902,  903,  910,  916,  1529,  15301.,  1641, 
1647,  1675,  1676,  1698;  vom  Sirwäher  'Almakah- 
tempel rühren  her  :  Gl.  901  =  1531,  902/3,  1000  A 
undlOOOB.  Ferner  wurden  gefunden:  in  al-Baidäini 
Gauf  Gl.  1467/,  Hai.  280— 286,  289, 292,  303—305, 


1  D.  H.  Müller,  a.  a.  O.,  p.  75.  -  I).  H.  Müller,  a.  a,  O  ,  p.  74,  Tat".  XIV,  Abb.  52. 

'  Num.  Chronicle,  N.  S.,  Vol.  20,   PI.  15.  ■•  G.  Schi  umberger,  a.  a.  O.,  Taf.  1. 
°  D.  H.  Müller,  a.  a.  O.,  p.  75.    Das  Totschlägersymbol  ist  nicht  durchstrichen. 

«  Num.  Chronicle,  N.  S.,  Vol.  18,  PI.  13.  '  G.  Schlu  niberger,  n.  a.  O.,  Taf.  I. 
"  D.  H.  Müller,  a.  a.  ().,  p.  76. 

"  Vgl.  p.  22,  Note  2.  '°  OLZ   Xll.   (I'.t09),  Sp.  64;  O.  Weber,   Melanges  Derenbourg   1909. 

"  Revue  archöologique,  III""  ser.,  tonie  35,  p.  12. 


24 


I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmasn. 


826,  331;  in  ed-Duraib  01.1550,  1558—1560:  in 
Silväm  Hai.  620;  in  al-Mes;\gid  am  'Almakahtemitel 
Gl  1108,  1109;    in   San'ä  Gl.  1147.    Von   diesen 
Inschriften  erwähnen  den  'Alinakah  Gl.  477,  563, 
565,  573,  591,  731;  die  Inschriften  Gl.  481,  485, 
502,  1000 AB  berichten  von  Widmungen  an  ihn, 
Gl.  1147   speziell  vom  Bau  eines  'Almakahaltar.s, 
1664   erwähnt  einen  r§u  (Priester)  des  'Almaljah 
und  Gl.  901,  1108,  UO'J  berichten  von  einer  Bau- 
tätigkeit am  Tempel  in  §irwäb,  bezw.  el-Mesagid. 
Nur  Gl.  797  erwähnt  den  Gott  'Attar  allein,  und 
Arn.  20  ist  ein  ^Veihdenkmal  (cps:)  des  Du  Smui. 
Nach  all  dem  wird  es  wohl  nicht   als    zu  gewagt 
erscheinen,  auch  diese  Symbolgruppe  mit  'Almakah 
in  Verbindung  zu  bringen    und   als   sein   Zeichen 
aufzufassen.  In  diesem  Zusammenhang  möchte  icli 
auch  darauf  hinweisen,  daß  die  Symbolgru]>pe  ')'„ 
in  Gl.  481,  485  und  auf  etlichen  sahäischen  ^Hinzen 
(vgl.  p.  23)  zusammen  mit  dem  Totschlägersymbol 
erscheint,  das  schon  oben,  p.  15,  mit  einiger  Sicher- 
heit 'Almakah  zugewiesen  werden  konnte.  —  Nun 
hat   0.  Weber   die  Ansicht    ausgesprochen, '    daß 
das  Bukraniou  auf  dem  Revers  der  Münzen  mit 
Doppelstab-   (=  Totschläger)    als  Vertreter    des 
Zeichens  V  anzusehen  sei.  Wenn  dem  so  ist,  könnte 
man   weitergehend  in  H   ein  Äquivalent  des  Tot- 
schlägersymbols   vormuten ;    Äquivalent    insofern 
als  jedes  'Almakah  bezeichnet  haben  dürfte,  wobei 
aber  gegenständlich  V  bezw.  |:|  je  etwas  anderes 
darstellen  als  das  Bukranion,   bezw.  Totschläger- 
symbol.   Dann  ist   auch   die  Gruppe  1«  '^'s  Sym- 
bol der  Gruppe  Gl.  1649  (Abb.  16,  p.  11,  Stier- 
kopf  nebst  Totschläger)   gleichwertig.    Nur  geht 
aus  dem  ganzen  hier  mitgeteilten  Material  deutlich 
hervor,    daß   Y    und   ^    besonders   im  Sahäischen 
eine  ganz  enge  Verbindung  eingegangen  sind,  viel 
enger  als  sonst  welche  Symbole  sieh  gruppieren. 
So  wurden  sie  zuletzt  als  Einheit  gefühlt  und  es 
konnte  dann  auch  zu  ihnen  das  Totschlägersymbol 
treten  (s.  p.  23),  wie  es  auf  Münzen  und  gelegent- 
lich  auf   Steinen    zum   Stierkopf   trat.    So    haben 
wir  folgende   Gruppen   auf  Münzen   und  Steinen: 

(Doppelstab-)  Totschläger  +  Stierkopf, 

fu  allein. 

Interessant  ist,  daß  die  Symbolgruppo  f,, 
auf  Inschriften  nur  durch  die  Mukarribperiode 
hindurch  herrschend  bleibt;  in  der  Köuigsperiode 


läßt  sie  sich  nur  in  zwei  sehr  alten  Fällen  nach- 
weisen (vgl.  p.  226,  oben),  während  Stierko])f  und 
Totschläger  bis  in  späte  Zeit  hinab  als  Symbole 
verwendet  wurden.  Der  Grund  für  diese  Er- 
scheinung läßt  sich  vorderhand  noch  nicht  er- 
mitteln, vielleicht  verbirgt  sich  in  ihr  eine  theo- 
lüo-ische  Umwertung,  vielleicht  war  es  auch  bloß 
eine  Modesache.  Wichtig  ist  dabei,  daß  wir  auf 
zwei  Inschriften  der  Mukarribperiode  direkt  eine 
andere  Gottheit  als  'Almakah  genannt  findeu.  So  auf 
Arn.  20  Du  Smui  und  auf  Gl.  797  'Attar.  Ob  diese 
Symbolgruppe  zeitweise  oder  gelegentlich  auch 
zu  diesen  beiden  Göttern  in  Beziehung  stand  und 
kraft  welcher  Umstände,  läßt  sich  nicht  ermitteln; 
in  der  Hauptsache  vertrat  sie  'Almakah.  Für  das 
katabanische  Gebiet  wird  durch  das  .BlitzbUndel 
mutmaßlich  'Amm  symbolisiert,  zur  miuäischen 
Entsprechung  s.  w.  u. 

Was  bedeutet  die  Symbolgruppe   f„   nun  ge- 
o-enständlich?    Vor  allem  ist  zu  beachten,   daß  sie 
aus  zwei  Elementen,  dem  V  und  dem  H,  besteht, 
die  beide  als   solche   zugegeben  werden   müssen, 
da  die  sabäische  Symbolik  \4  auch  allein  verwendet 
und  in  der  minäischen  nur  Y  vorkommt.  Vielleicht 
war  es  ein  Gefühl  für  Stufensymmetrie,  das  beide 
Elemente  so  anordnen  ließ,   daß  das  |=|  fast  stets 
nur  bis  zur  Hälfte  des  Y  reicht,  jedenfalls  können 
beide  Symbole    ihre  Stellung    zueinander    ändern. 
So   entstehen   Spiegelformen,    die   lebhaft    an   den 
Wappenstil    erinnern,    den   man   auf  den  Erzeug- 
nissen   der    assyrisch-babylonischen    Glyptik    und 
auch  in  der  sahäischen  Kunst  (vgl.  z.  B.  CTH  73) 
sowie    auf    den  Denkmälern    der  Phönizier    beob- 
.  achten    kann    und    der    dem    Streben    nach    Sym- 
metrie  seine  Entstehung   verdankt  ^   und  auch  in 
der  arabischen  Epigraphik  zu  verfolgen  ist.*  Wenn 
die  Svmbolgruppe  zu  beiden  Seiten  einer  Inschrift 
angebracht  ist  —  und  dies  ist  sehr  oft  der  Fall  — 
so  ist  es  fast  die  Regel,    daß   beide  Gruppen  zu- 
einander Spiegelstellung  einnehmen.    Nur  seltene 
Fälle   machen   von  dieser  Regel   eine  Ausnahme: 
so    Abb.  40  a,    42  a,  b,    44  a,  c.     Zu    den    Kopien 
Halevys  280—331  vgl.  oben  p.  22,  Anm.  2.  Auf 
den  Münzen  endlich  ist  stets  die  Stellung  t=|V  ein- 
gehalten.   Dieselbe  Unstimmigkeit   herrseht   auch 
in   bezug    auf    die    Monogramme    der    sahäischen 
Denkmäler;    so    zeigt    Gl.   1095    (Abb.  48,    aus 
Sirwäl.i)  die  beiden  ^Monogramme  rechts  und  links 
der  Inschrift  nicht  in  Spiegelstellung  zueinander, 


'  O.  Weber.  Güttcrsymbole,  p.  279.  »   Vgl.  Hofmus.,  Taf.  XIV,   Abb.  24—26  (Abb.  10  a— c) 

'  Vgl.  M.  Lidzbarski,  Epbemeris  I,  p.  114  f. 

♦  Vgl.  ebenda  und  van  Bcrchem-S trzygowski,  Amida,  p.  18  f. 


GuTTERSYMBOLE    UND    SyMBOLTIERE    AUF    SÜDARABISCHEN    DeNKMÄLERN. 


25 


1^1       1^ 

Al)b.  48. 

Monogramm  auf 

Gl.  1095. 


wahrend  Gl.  1422  =  1620 
(aus  8ekir)  diese  in  den  Haupt- 
elementen einhält. 

Das  Symbol  Y  tritt  uns 
in  verschiedenen  Formen  ent- 
gegen und  es  ist  nicht  immer 
leicht,  alle  diese  Formen  mit- 
einander in  Einklang  zu  bringen,  wenn  man 
nicht  die  gegenständliche  Seite  mit  berücksichtigt. 
Ich  möchte  nun  den  Versuch  machen,  unser  sabäi- 
sches  Symbol  mit  dem  babylonischen  Blitzbündel 
zusammenzustellen,     das     allem    Anscheine    nach 


XH' 


tx 


nicht  nur  für  die  Entwick- 
lung des  sabäischen  Sym- 
bols, sondern  auch,  wie 
P.  Jacobsthal  in  seiner 
Arbeit  gezeigt  hat ,  ^  f ür 
die  Darstellung  des  Blitzes 
in    der    griechischen    Kunst 

von  einschneidender  Bedeutung  gewesen  ist.-  Zur 
leichteren  Beurteilung  meiner  Auffassung  setze  ich 
unter  das  sabäische,  bezw.  minäische  Symbol  der 
folgenden  Übersichtstafel  gleich  auch  das  korre- 
spondierende babylonische. 


Abb.  49. 

Monogramm  auf 

Gl.  1422. 


I.   Gruppe. 


sabäisch 


6' 


minäisch-sabäisch 


V 


sabäisch 


"i 


V 


d' 


minäisch 


V 


babylonisch 


?     Jk 


ß' 


babylonisch 


V 


Abb.  50.  Übersicht  über  die  sabäo-minäischen  und  babylonischen  Formen  des  einfachen  Blitzbündel- 
symboles  von  a  Hofm.  14,  h  Gl.  591,  h'  Gl.  1698,  c  Gl.  1158,  c'  Gl.  1664,  d  Münze  Hofm.  1 12,  d'  Gl.  472,  e  Hai.  480; 
K  von  der  Nazi-Maruttaschstele  (vgl.  Abb.  öl),  «'  von  einer  Belehnungsurkunde  Nebukadnezars  I.  (ca.  1130  v.  Chr.),  ß  vom 
babylonischen  Siegelzylinder  Delaporte  181,  ß'  vom  babylonischen  Siegelzylinder  Delaporte  148  (ca.  2200—2100  v.  Chr.), 
y   von   der   Alabastertafel    Schamschi    Adads  IV.    (ca.  82:J— 811    v.  Chr.,   vgl.  Abb.  54),    y'    von   der   Belehnungsurkunde  Meli 

Schipaks  (ca.  1204--1190  v.Chr.). 


'  A.  a.  O.,  p.  49  ff. 

'  Vgl.  auch  Goblet  d'AlvieUa,   La  migration  des  Symbols,  p.  122ff. 

Denkschriften  der  phil.-bisl.  Kl    68.  Bd,  1.  Abb. 


26 


I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmasn. 


Diese  Gruppe  der  miuäo-sabäischen  Symbole 
zeigt   fünf   verscliiedene   Formen:    a)  eine   Form 


Abb.  r.i. 

Grenzstein  des  Jsazi-Manittaseli,  ca.  1322 — 1297  v.Chr. 

(Paris,  Louvre.) 

mit  gebogenem,  lyraförmig  gestaltetem  Oberteile 
und  gesehläiigeltem  Scliafto,  b)  eine  Form  mit 
geknicktem  Oberteile  und  geschlängeltem  Schafte, 


c)  eine  Form  mit  abgerundetem,  gerade  stilisiertem 
Oberteile  und  geradem  Schafte,  d)  eine  Form  mit 
dem  Oberteile  wie  in  a),  jedoch  geradem  Schafte 
und  endlich  e)  eine  Form  mit  eckig  stilisiertem 
Oberteile  und  geradem  Schafte.  Beim  babyloni- 
schen BlitzbUndel  ist  der  Schaft  fast  stets  gerade, 
das  zweistrahlige  Blitzbündel  aber  rund  wie  in 
/.  oder  gewellt  wie  in  «,  «' ^  und  ß^  oder  gezackt 
wie  in  ß' -j^  damit  ist  wohl  siclier  Gl.  Ö91  zu- 
sammenzustellen. Dies  zweistrahlige  Blitzbündel 
findet  sich  oft  auf  babylonischen  Belehnungs- 
urkunden,  so  auf  Seite  D  der  Schenkungsurkunde 
aus  der  Zeit  des  Nazi-Maruttasch  (ca.  1322—1297 
V.  Chr.)  in  der  vierten  Abteilung  rechts  auf  dem 
liegenden  Ochsen  (Abb.  51);*  auf  der  Belehnungs- 
urkunde  von  Meli-Sehipak  (ca.  1204—1190  v. 
CAir.)  trägt  in  der  vierten  Reiiie  links  ein  liegender 
Ochse  einen  Götterthron  mit  zweizackigem  Blitze 
(vgl.  Abb.  50.  j').  ^  Auf  einer  andern  Urkunde 
desselben  Königs  erscheint  der  zweistrahlige  Blitz 
als  Symbol  Adads  (Abb.  52),"  ebenso  auf  den 
Siegelzylindern  Delaporte,  208,  253—255  (aus 
Sumer"'und  Akkad  ca.  2200—2000  v,  Chr.)'  und 
den  syro-kappadokischen  Zylindern  Delaporte  447, 
487.*  Ferner  finden  wir  auf  einem  Grenzstein 
der  Zeit  Marduk-paliddins  T.  (ca.  1189—1177 
V.  Chr.)  als  14.  Symbol  den  liegenden  Ochsen 
mit  dem  zweizackigen  Blitz  auf  dem 
ebenso  auf  den  babylonischen 
Siegelzylindern  Delaporte  148 
(vgl.  Abb.  öOß'),  204  (Abb.  53)1» 
und  255,11  beide  aus  Sumer  und 
Akkad,  ca.  2200—2000  v.  Chr. 

Zum      zweizackigen      Blitze 
allein  vgl.  M.  Jastrow,    Bilder- 
mappe, Taf.  12,  Nr.  40;   Taf.  13, 
Nr.  42,  43,  44.  Auf  der  Alabaster- 
tafel mit  dem  Bildnis   Sehamschi 
Adads IV.  (823—811  v.  Chr.),  Kö- 
nigs von  Assyrien,  erscheint  der 
zweistrahlige    Blitz    als    Amulett 
am    Halsbande    des    Königs    und 
oben  hnks    im  Felde  (vgl.  Abb.  54).'=     Die  for- 
male  Übereinstimmung   von    Delaporte  148,    181 
LVbb.  50/9',  ß)    mit    Gl.    591    (Abb.  50  &)    oder 
Jastrow    Nr.  29    (Abb.  50/),   96   (Abb.  50  y)  mit 


Rücken ; ^ 


Abb.  53. 
Ochse  mit  Blitz- 
bündel, vom  ba- 
bylonischen Sie- 
gelzylinder Dela- 
porte 204.  (Paris, 
Bibliotheque  na- 
tionale.) 


'  Vgl.  M.  Ja.strow,  a.  a.  O.,  Taf.  12,  Nr.  39. 
*  Nach  Louis  Delaporte,  a.  a.  O.,  PI.  XII. 
»  Nach  M.  Jastrow,  a.  a.  O.,  Taf.  8,  Nr.  29. 
'  Vgl.  L.  Delaporte,  a.  a.  O.,  PI.  XV,  XVIII. 


-  Nach  Lonis  Delaporte,   Cylindres  Orientaux,   PI.  XIV. 

*  Nach  M.  Jastrow,  a.  a  O.,  Taf.  8,  Nr.  28. 

«  Nach  M.  Jastrow,  a.  a.  O.,  Taf.  9,  Nr.  30. 

"  Vgl.  L.  Delaporte,  a.  a.  O.,  PI.  XXX,  XXXII. 


■•  Vgl.  M.  Jastrow,  a.  a.  O.,  Taf.  11,  Nr.  37;  vgl.  noch  Nr.  38,  39. 
'«  Vgl.  L.  Delaporte,  a.a.O.,  PI.  XV.  "  Vgl.  L.  Delaporte, 

"  Nacli   M.  .lastrow,   a.  a.  O  ,  Taf.  :i2,  Nr.  96. 


a.  O.,  PI.  XVIU. 


Göttersymbole  und  Symboltiere  auf  sOdarabisches  Denkmälek.n. 


27 


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Gl.  472  (Abb.  50  (i')  wird  wohl  schwer  zu  leugnen 
sein  und  hoffentlich  zu  unserer  ZusammensteUung 
voll  berechtigen.  Allein  nicht  nur  der  zweistrahlige 
babylonische    Blitz    hat    sein    Analogon    bei    den 


Südarabern,  aucli  dem  drcistraldigen  auf  einem 
hettitischon  Denkmal  erhaltenen  läßt  sicli  ein 
südarabisches  Pendant  zur  Seite  stellen,  das  die 
folgende  Gruppe  umfassen  soll. 

4* 


28 


I.  ^Vbhandluno  :  Adolf  Grohmann. 


IL  Gl 

Die  südarabischen  Formen  dieser  Gruppe  ver- 
teilen sicli  auf  das  uordmiuäischc  und  katabänisclie 
Sprach-  und  Kulturgebiet  (vgl.  p. 23);  aus  dem  sa- 
bäischen  ist  diese  Form  nicht  belegt:  Gl.  1434  ist 
leider  ohne  rrovcnienzangabe.    Sollte  das  Symbol 


r  f 


Abb.  55.  Das  dreistrahligeBlitzbUndel: 

n    vom   Delosaltare,    h  von  Gl.   1343; 

K  vom  Bilde  Teschups   (atis  Babylon, 

s.  Abb.  57). 


Abb.  56.  IJlitz- 
bündel  in  der 
Hand  Adads, 
auf  einer  La- 
zurstange  aus 
Babylon. 


in  dieser  Form  bei  den  Sabäern  bestanden  haben,  so 
dürfte  es  nach  Gl.  781,  Abb.  58  h  der  folgenden 
III.  Gruppe  zu  schließen,  wohl  die  abgerundete 
Form  wie  Gl.  1343  gehabt  haben.  Das  Minäische 
neigt  scheinbar  mehr  den  gradlinigen,  dann  eckigen 
Formen  zu  (s.  Abb.  46):  es  dürfte  wohl  das  Symbol 
des  Delosaltars  bezüglich  der  eckigen  Form  Hai. 480 
(vgl.  Abb.  50 e)  zur  Seite  zu  stellen  sein  und  nicht, 
wie  0.  Weber*  annehmen  wollte,  eine  irrige  Ver- 
schreibuug  des  Steinmetzen  aus  dieser  Form  dar- 
stellen; spricht  ja  die  gegenständliche  babylonische 
Parallele  und  die  katabänisclie  Form  dagegen.  Im 
bahvlonischen   Symbole,    das  sich  in  den  Händen 


u  p  p  e. 

Adads  (Abb.  56),^  auf  einer  zyliudei-forniigeu  La- 
zurstange  befindet  —  sie  wurde  von  Asarhaddon, 
König  von  Assyrien 
(G80— 669  V.  Chr.), 
Marduk     gewidmet 
—  kommt  zwar  der 

Zusammenhang 
nicht     so      deutlich 
zum  Ausdruck,  aber 
auch     hier    ist    der 

Blitz  ersichtlich 
drei  strahlig  gege- 
ben. So  wurde  in 
Abb.  55«  besser  die 
hettitische  Form 
des  Symbols  zum 
Vergleiche  herange- 
zogen, wie  sie  sich 
in  der  linken  Hand 
Teschups  auf  einem 
Götterbilde  aus  Ba- 
bylon darstellt  (Abb. 
57).^  Wie  der  zwei- 
strahlige Blitz  der 
babylonischen  Ku- 
durrus  geschlängelt 

ist,  so  auch  hier  der  dreistrahlige  hettitische.  Dem 
zweistrahligen  und  dreistrahligen  BlitzbUndel  ent- 
spricht, wie  im  babylonischen  und  griechischen, 
auf  südarabischem  Boden  ein  zwei-,  bezw.  drei- 
strahliger  Doppelblitz,    den   Gruppe  III  vorführt. 


Abb.  57.     Bild  des  hettitisclien 
Gottes  Tescbup,  aus  Babylon. 


III.   Grruppe. 


Die  zweistrahlige  Form  des  Doppelblitzes  auf 
der  sabäischen  Bustrophedoninschrift  Mars.  X  hat. 
soviel  ich  weiß,   keine  babylonische  Parallele.  — 


Sehr  häufig  findet  sich  hingegen 


der  dreistrahlige 


Doppelblitz   auf  babylonisch- assyrischen   Darstel- 
lungen:   so   auf   einer   dem   babylonischen  Kunst- 


l 


"Mf-^^z-  -'j. 


.    '••:iWi 


M 


Abb.  58.     Das  zwei-  und  drcistr.ihlif^e  Blitzbündcl: 
a  von  Marseille  X,  h  von  (il.  7S1;  «  von  der  Ala- 
basterskulptur Aschurna^irpals  III.  (Abb.  GO). 


Abb.  59. 

Gemme  mit  lilivanischer  Inschrift 

(London,  British  Museum). 


•  O.  Weber,  Götter.symbole,  p.  274,  Note  2.  '  Nach  M.  .lastrow,  a.  a.  O.,  Taf  5,   Nr.  15. 

^  Nach  A.  Jeremias,   Das  Alte  Testament  im   Lichte  des  alten  Orients,   I.  Aufl.,   p.  .Sy,  Abb.  18. 


Göttersymbole  und  Symboltiere  auf  südarabischen  Denkmälern. 


29 


kreise  angehörigeii  Gemme  (Abb.  59,  die  Mittel- 
figur). Das  Original  im  British  Museum  ist  etwa 
um  1000  V.  Chr.  anzusetzen.^  Wir  sehen  einen 
Doppelblitz    derselben    Form    in    der    Hand    des 


Abb.  6(1.    Alabasterskuljjtur  Aschurnasirpals  III. 
(ca.  883 — 8ö9  v.-Chr.)  aus  Nimrud  (London,  Britisli  Jluseum). 

Gottes  (wohl  Adad  oder  Ramman)  auf  der  im 
Xordwestjialaste  Aschurnasirpals  III.  gefundenen 
Alabasterskuljjtur,  im  Kampfe  gegen  ein  geflügel- 
tes Ungeheuer  augewendet  (Abb.  60).''  Ein  ähn- 
licher dreistrahliger  Blitz  aus  Gold  wurde  liei 
den  Ausgrabungen  im  Anu-Adad-Temjiel  ge- 
funden (Abb.  61);^  bemerkenswert  ist,  daß  er 
wie  die  sabäischen  einfachen  Formen  einen  ge- 
schläng'elten  Schaft  hat. 


Endlich  sei  zum  Yergleicli  noch  die  wahr- 
scheinlich auf  den  hettitischen  Gott  Teschup  zu 
deutende  Gestalt  der  Götterpro- 
zession aus  dem  Nordwestpalaste 
Aschurnasirpals  III.  herangezogen 
(vgl.  Abb.  62);*  sie  hält  in  der 
Linken  den  dreistrahligen  Doppel- 
blitz, in   der  Rechten  ein  Beil. 

P.  Jacobs thal  hat  im  Schluß- 
wurto  seiner  Arbeit^  das  entwick- 
lungsgesehiehtliclie  Moment  des  alt- 
orientalischen  Blitzes  hervorgeho- 
ben und  kommt  zum  Resultate, 
daß  das  zweistrahlige  Blitzbündel 
die  älteste  Stufe  darstelle,  worauf 
die  dreiteilige  Bildung  folge,  und 
endlich  im  8.,  besser  wohl  im 
9.  Jahrhundert  v.  Chr.  die  Ver- 
dopplung beider  Formen  durch- 
dringe, zu  der  schon  in  altbaby- 
lonischer Zeit  Ansätze  vorhanden 
ge^^-Gsen.  ^bb.  6i. 

Was  die  südarabischen  Ty-  Goldblitz  aus 
pen  dieses  Symboles  betrifft,  kann  dem  Anu-Adad- 
vorläufig  nur  gesagt  werden,  daß  tempel  inAssur. 
die  dreistrahlige  Bildung  schon  für  die  altsabäi- 
sche  Zeit  durch  die  Bustrophedoninschrift  Gl.  781 
belegt  ist;  ebenso  stammt  die  zweistrahlige  dop- 
pelte  Form   (Mars.  X)   aus   der  Mukarribperiode, 


Abb.  32. 
Götterprozession  aus  dem  Nordwestpalaste  Aschurnasirpals  III.   (883—859  v.  Chr.)  in  Nimrud  (London,   British  Museum) 


>  Vgl.  D.  H.  Müller,  Epigraphische  Denkmäler  aus  Arabien,  Taf.  V,  Abb.  9,  p.  4,  19. 

«  Nach  Fr.  Delitzsch,  Mehr  Licht,  p.  48,  Abb.  43.  '  Nach  Veröff.  deutsch.  Orientges.  10  (1£09),  Taf.  34. 

*  Nach  M.  Jastrow,  a.  a.  O.,  Taf.  32,  Nr.  97.  ^  P.  Jacobsthal,  a.  a.  O.,  p.  49  f. 


30 


I.  Abuandlüng:  Adolf  Grohmann. 


in  die  aucli  fast  alle  Inschriften  mit  der  zwei- 
straliligen  einfachen  Form  fallen.  Hier  fehlt  jeder 
Anhaltspunkt  ein  Prius  zu  konstatieren.  —  Von 
der  formalen  Seite  aber  ist  es  interessant  zu  beob- 
achten, daß  im  minäischen  Kulturkreise  —  soweit 
wir  bis  jetzt  sehen  —  die  Doppelform  (symmetrisch 
nach  oben  und  unten)  fehlt:  das  Sabäische  hat 
den  größeren  Formenreichtum  entwickelt,  aber 
in  der  mit  H    kombinierten   Gruppe,    die    schon 


R 


H 


Abb.  63.    D.is  Doppelpriffelsymbol: 

a     von     der    G.inne.-iustele     ^Abb.    llül, 

h  von  s.ib.  Denkm.  1,    c  von  Levy  2,  d 

von  Hofm.  9,  e  von  Gl.  1139. 


beim  sehr  alten  Mukarrib  Gl.  1147  =  Hofm.  14 
auftritt,  stets  die  einfachste  Form  des  Blitz- 
bündels bewahrt,  nämlich  die  zweistrahlige  ein- 
fache Type,  was  mindestens  für  ein  sehr  hohes 
Alter  derselben  spricht. 

Bei  diesem  sUdarabischen  Symbole  läge  die  An- 
nahme einer  Entlehnung  oder  einer  Beeinflussung 
vom  babylonischen  Kulturkreise  her  sehr  nahe: 
sind  doch  die  Formen  hier  und  dort  fast  iden- 
tisch. 

Nun  zum  Symbol  [=1.  Abgesehen  von  den 
oben  genannten  Inscliriften  und  Münzen,  wo  es 
zusammen  mit  dem  zweistrahligen  J51itze  vor- 
kommt, findet  sich  dieses  Symbol  allein:  auf  dem 
Gewände  der  sitzenden  Frau  auf  der  Ganneau- 
stelei  (Abb,  63  n). 

Rechts  neben  den  ersten  zwei  Zeilen  der  In- 
schrift Sab.  Denkm.  Nr.  1  (Abb.  63h)."  einer  Weih- 
inschrift an  Du  Smi  (|  ^  >  '^  Fl  11  °  Fl  I  T  ^  f^  N  I  o»  ?  H  -^  V.)- 

Rechts  am  Rande  der  Bronzetafel  Levy  II 
=  Hai.  682,  (Abb.  63  c)  neben  der  ersten  und 
zweiten  Zeile,  einer  Bußiuschrift'  an  Du  Smui 
in  Bin. 


Rechts  neben  der  ersten  Zeile  von  Hofmus.  9 
=  Gl.  1790  (aus  Härim,  Abb.  63  d),  einer  Weih- 
inschrift an  Du  Smvii  in  Bin. 

Links  neben  den  zwei  letzten  Zeilen  von 
Qj  1139  =  924  =  940  =  899  =  Hai.  43  (Abb.  63  e 
aus  Kam  el-Mureitih)  einer  Bauinschrift  ohne 
Gottesnamen. 

Da  von  diesen  fünf  Inschriften  drei  eine 
Widmung  an  den  Gott  Du  Smui  enthalten,  läge 
es  nahe,  das  Symbol  \^  mit  diesem  Gott  in  Zu- 
sammenhang zu  bringen.  Dies  ist  aber  nicht  so 
aufzufassen,  als  wäre  [=1  einfach  nur  als  Anfangs- 
buchstabe des  Gottesnamens  hingesetzt,  vielmehr 
ist  die  Form  des  Zeichens,  wie  sie  uns  hier  ent- 
gegentritt, höchstens  eine  Angleichung  an  die 
Buclistabenform  j^,  gegenständlich  aber  bedeutet  es 
etwas  anderes. 

Wir  sahen,  daß  die  Symbolgruppe  ^„  mit 
zwei  Ausnahmen  in  Verbindung  mit  'Almakah 
steht  und  in  der  Königszeit  verschwindet.  Den 
Gott  fffi^rSH,  der  einmal  (Arn.  20)  in  Verbin- 
dung mit  dieser  Symbolgruppe  erscheint,  finden 
wir  nun  des  öfteren  neben  dem  einen  der  zwei 
Elemente,  aus  denen  die  Gruppe  "{„  besteht. 
Ob  da  irgendwelche  Zusammenhänge  und  Über- 
gänge bestehen,  das  ist  aus  dem  vorliegenden 
Material   unmöglich   zu   ermitteln;    s.  oben  p.  24. 

Das  einzige  halbwegs  Feststehende  ist,  daß 
sowohl  der  Gott  fcD^f^f::^^  als  auch  das  iso- 
lierte Zeichen  \4,  soweit  ein  paläographisches 
Urteil  möglich  ist,  erst  in  später  Zeit  erscheint, 
vorausgesetzt,  daß  das  Schweigen  der  Inschriften 
bei  der  Lückenhaftigkeit  des  Materials  diesen 
Schluß  ex  silentio  bezüglich  beider  Punkte  ge- 
stattet. Nehmen  wir  ihn  aber  hin,  so  ist  die 
ganze  Entwicklung,  die  etwa  zwischen  Arn.  20. 
und  den  soeben  zu  Abb.  63  zitierten  Texten  läge, 
und  das  Verhältnis  von  '{„  zu  t=|  allein  bei 
demselben  Gott  völlig  in  Dunkel  gehüllt.  Hat 
jedoch  das  Zeichen  H  zur  Zeit  der  Mukarrib- 
periode,  als  die  Grup])e  "f„  gang  und  gäbe  war, 
daneben  auch  sozusagen  ein  eigenes  Leben  ge- 
führt, oder  vielleicht  schon  in  noch  früherer  Zeit 
isoliert  bestanden,  bevor  es  die  Verbindung  mit  Y 
einging  —  welchem  Gott  eignete  es  damals  zu? 
Die  Stellung  und  Geschichte  des  fo^r^tzj  im 
Sabäischen  Pantheon  ist  ja  völlig  unklar:  wer  er 
ist,  wessen  Rolle  er  übernommen  hätte,  wissen 
wir  nicht. 


'  Clermont-Ganneau,  Un  .sacrifice  ;'i  'Athtar,  J.  A.,  VI""  ser.,  tom.  XV,  p.  302  ff. 

»  Vgl.  .7.  H.  Mordtmann  und  1).  H.  Müller,  Sab.  Denkm.,  Taf.  I. 

»  Vgl.  1).  H.  Müller,  Südarab.  Altert.,  p.  20  und  F.  Hommel,  Aufs.  u.  Abb.  zur  Stelle,  p.  136  f. 

'  M.  Jjidzbarski,  Ephemeris  I,  p.  245. 


Göttersymbole  und  Symboltjere  auf  südauabischen  Denkmälern. 


31 


Mau  hat  früher  in  fa^f^^  den  Herrn  des 
Himmels  g-esehen.' 

Diese  nocli  von  R.  Dussaud-  auf  Grund  des 
safatenischen  'i::c'?";  .jQDbj'n  verteidigte  Ansicht 
hatte  den  psychologischen  Vorteil,  daß  es  uns  bei 
ihr  ebenso  erging-  wie  A.  Sprenger,  der  meint: 
,es  macht  auf  mich  wenigstens  einen  ganz  anderen 
Eindruck,  wenn  es  heißt:  der  Prophet  sprach  zu 
'Alkama,  selbst  wenn  ich  von  diesem  'Alkama 
weiter  gar  nichts  weiß,  als  wenn   es   bloß   lieißt: 


H       H 


Himmels  gehören?  In  welcher  Beziehung  stünde 
dann  ,der  Herr  des  Himmels'  zu  'Almakah  mit  dem 
gleichen  Symbol?*  Und  auf  welchem  Wege  hätte 
etwa  die  Gruppe  f„  ihr  eines  Element  verloren, 
so  daß  f<i>^r^|=|  sich  zuletzt  mit  dem  zweiten  be- 
gnügt haben  würde?  Wenn  wir  eine  stattliche 
Anzahl  Inschriften  vor  uns  liaben,  die  aus  dem 
Hauptkultuskreise  eines  Gottes  stammen  und  das- 
selbe Symbol  tragen,  so  sind  wir  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  berechtigt,  das  Symbol  als  Träger 


SabäiscU. 
B 


N 


t 


Babylonisch. 


Abb.  64.     Übersicht   über   das  Doppelgriffelsymbnl :    ,4a   von  Gl.  472,    Ah  von  der  Münze  Hofin.  I  12,    Ba    von 

Hofm.  14,   Bh  von  Sab.  Denkm.  1,   Bc  von  Hofm.  9,   C  von  der  Ganneaustele,  «  von  einer  Belehnungsurkunde 

Nebopaliddins    (ca.  86S  v.  Chr.,    British   Museum),    ß  vom  babylon.  Siegelzylinder   Delaporte  592  (Paris,   Biblio- 

theque  nationale),   y  vom  babyl.  Siegelzylinder  Delaporte  G02  (Paris,  Bibliotheque  nationale). 


er  sagte  zu  jemandem.'  Mit  dem  Herrn  des 
Himmels  konnte  man  sich  immerhin  verständigen; 
seit  aber  f^^rhN  '^uf  den  Himmel  hat  verzichten 
müssen,  ist  er  .jemand'  geworden,  —  oder  etwas, 
womit  wir  derzeit  noch  gar  keine  Vorstellung 
verknüjjfen  können. 

Wenn  es  nun  unmöglich  erscheint,  aus  un- 
bekannten Qualitäten  dieses  Gottes  Licht  für  die 
Geschichte  des  Zeichens  |=1  zu  holen,  so  wäre  es 
auch  waghalsig  aus  dem  Zeichen  \i^  und  seinem 
Vorkommen  Schlüsse  auf  das  Wesen  jener  Gott- 
heit zu  ziehen :  muß  etwa,  da  'Attar  der  Herr  des 
Himmels  ist^  und  die  ihn  nennende  Inschrift  Gl.  797 
die  Sigle  f^  trägt,  auch  die  Dü-Smuiinschrift 
Arn.  20   (mit    derselben    Sigle)    dem    Herrn    des 


jener  Gottheit  anzusehen;  daß  aber  dabei  immer 
nocli  ungelöste  Rätsel  bleiben,  zeigt  uns  das  Vor- 
kommen des  \^. 

Nun  zum  Gegenständliciien;  hier  stehen  wir 
auf  festerem  Boden.  Der  Form  nach  gliedert 
sich  das  Symbol  in  drei  Gruppen.  A  die  Form 
mit  einem  mittleren  Querstrich,  B  die  Formen 
mit  zwei  mittleren  Querstrichen,  die  entweder 
a  parallel  horizontal  oder  h  parallel  nach  rechts 
aufwärts  oder  c  parallel  nach  rechts  abwärts  ge- 
richtet sind,  C  die  Form  mit  drei  parallelen 
mittleren  horizontalen  Querstrichen.  Zur  besseren 
Übersicht  seien  diese  Formen  zusammen  mit  dem 
babylonischen  A'^ergleichsmaterial  in  der  obigen 
Abb.  64  vereinigt. 


1  Vgl.  d.irüber   M.  Lidzbarski,    Ephemeris  1,    p.  243  ff.    und   die   daselbst   zitierte  I^iteratur;    ferner  M.  Hartmann, 
ZA.  21,  p.  Uff.  -  E.  Dussaud,  Les  Arabes  en  Syrie,  p,  159. 

'  D.  Nielsen,  ZDMG  66,  p.  596.  ■*  Vgl.  w.  u.  das  bei  Besprechung  der  Symboltiere  zum  Stierkopf  Bemerkte. 


32 


I.  Abhandlukg:  Adolf  Grohmank. 


Die  babylonisclien  Zeichen,  mit  denen  ich 
das  sabäische  Symbol  zusammenstellen  möchte, 
stellen  den  Dopi>elgTiffcl  Nebos  dar.  Der  Gruppe 
A  entspriclit  die  Form  des  Doppelgriffels  auf 
einem  Götterthrone  einer  Belehnungsurkunde  aus 
dem  20.  Jahre  Nebopaliddins  (ca.  868  v.  Chr.).i 
Der  Form  B  entspricht  der  Doppelgriffel  Nebos 
auf  dem  l)abylonisciien  Siegelzylinder  Delaporte 
592=  mit  einem  Gebet  an  Marduk,  wozu  noch 
Delaporte    587,    589,    591a.  b,    594,    596,   598, 


599,  601,  603,  620  c^  zu  vergleichen  sind.  C  end- 
lich entspricht  nicht  ganz  genau  —  die  Bin- 
dung ist  in  der  sabäischeu  Form  viel  mehr  in  der 
Mitte  zusammengerückt  als  auf  der  babyloni- 
schen —  der  Doppelgriffel  auf  dem  Siegelzylinder 
Delaporte  602.*  Die  Ähnlichkeit  der  sabäischen 
und  babylonischen  Formen  ist  wohl  unverkenn- 
bar. Für  weitere  Belege  sowie  zum  Gegenstande 
selbst  sei  auf  K.  Frank,  Bilder  u.  Symbole,  p.  24f. 
verwiesen. 


Blitzbündel  und  Donnerkeil, 


Im  engsten  Zusammenhange  mit  dem  Blitz- 
bündel steht  ein  Symbol,  das  wir  unter  einer 
Gruppe  von  Symbolen,  die  Abb.  65  veranschau- 
licht, links  von  Gl.  1550  finden  (vgl.  p.  21  f.).  Wir 

erkennen  ganz  links 
den  Doppelgriffel,  dann 
einen  Kreis  und  dann 
die  geläufige  Form  des 
Blitzbündels,  jedoch 
mit  einem  vom  eckigen 
Knopf  aus  nach  unten 
nadeiförmig  sich  ver- 
jüngenden Gegenstand 
in  der  Mitte.  Wir  sehen 
also  kein  einfaches 
Blitzbündel  vor  uns, 
sondern  eine  Verbin- 
dung mit  einem  an- 
deren Gegenstande. 
AVas  nun  dieser  Gegen- 
stand vorstellen  mag, 
wollen  wir  aus  Abb.  66 
zu  ersehließen  suchen. 
^\"ir  erkennen  hier 
auf  einem  etruskischen 
Spiegel*  einen  riesigen 
zweistrahligen  Blitz,  dessen  obere  Komposition 
große  Ai)nlichkeit  mit  der  von  Alib.  65  aufweist. 
,Aus  zwei  Akanthusblättern  erwächst  ein  starrer 
Pfeilschaft  mit  einer  großen,  wohlgezeicimeten 
Pfeilspitze.  Von  dem  langen,  aus  der  Knospe 
umgebildeten  Unterteil  des  Blitzes  gehen  seitlich 
unorganisch  angesetzte  Flügel  aus.' 

Dieser  mittlere  Pfeil  ist  bei  uns  durch  den 
spitzen   nadelförmigon  Gegenstand  vertreten:  dem 


Abb.6ö.  Symbole  auf  Gl.  15.50. 


Volksl)ewußtsein  wird  aber  wohl,  wie  auf  etrus- 
kischem  Boden  bei  dem  Pfeile  so  auch  auf  süd- 
arabischem Boden  bei  dem  nadeiförmigen  Gegen- 
stande die  Vorstellung  des  Donnerkeiles  vor- 
geschwebt haben.  Dieser  konnte  ja,  das  ersehen 
wir  aus  P.  Jacobsthals  Ar- 
beit, alle  möglichen  Formen  an- 
nehmen. ^ 

Allein  die  Komposition  von 
Blitzbündel  und  Donnerkeil  rückt 
auch  eine  andere  südarabische 
Darstellung  in  ein  neues  Licht: 
den  Stierkopf  mit  dem  bis  jetzt 
unklaren  Gegenstande  zwischen 
den  Hörnern.  Ich  verweise  zu- 
erst auf  Hofmus.  24  (Abb.  26. 
p.  15);  dort  sehen  wir  zwei  Stier- 
köpfe  mit  sichelförmig  stilisierten 
Hörnern  und  dazwischen,  vom  Ni- 
veau der  Hornspitzen  bis  unter  die 
Augen  reichend,  einen  dreiecki- 
gen geschuppten  Gegenstand,  der 
sich  nach  unten  zu  scharf  ver- 
jüngt. Ahnlich  wie  Hofmus.  24 
sehen  auch  die  fünf  Stierköjife 
auf  0.  M.  282  aus  (Abb.  10).  nur 
daß  an  Stelle  der  Schuppung  hier  Strichlierung- 
tritt,  so  daß  der  Gegenstand  zwischen  den  Hörnern 
mehr  einem  breiten  Büschel  ähnelt;"  außerdem 
verjüngt  er  sich  hier  (anders  als  Hofm.  24)  nicht 
in  einem  Zuge  nach  unten,  sondern  setzt  einmal 
auf  dem  Niveau  des  Hörneransatzes  ab,  dort,  wo 
Hofm.  24  ein  horizontal  verlaufendes,  die  Struktur, 
aber  nicht  die  Zuspitzung  des  Keiles  unter- 
Itrechendes   ornamentales  Band   zeigt.'    In  etwas 


Abb.  CG.  Zwei- 
strahliger Blitz 
auf  einem  etrus- 
kischen    Si)iegel. 


'   M.  .Kistrow,  a.  a.  0.,  Taf.  1.3,  Nr.  44.  '  L.   Delaporte,   a.  a.  ().,  Taf.  a7. 

'  h.  Delaporte,  a.  a.  O.,  Taf.  37,  38.  «  L.  Delaporte,  a.  a.  O.,  Taf.  37. 

»  Vgl.  P.  Jacobsthal,  a.  a.  O.,   p.  20  und  Taf.  I  ai.  «  Vgl.  M.  Hartmann,  OLZ   11   (1908),  Sp.  269  f. 

'  Dieser   untere  Teil   des  Keiles   ist   auf  dem  Stierkopf,  Abb.  24   (mitsamt  dem  Stück  zwischen  den  beiden   Hürner- 
ansätzcn),  in  Form  eines  schmalen  Rechteckes  sichtbar. 


Göttersymbole  und  Symboltiere  auf  südarabischen  Denkmalern. 


33 


:% 


IM«£tttS^'-'%'. 


Abb.  08.     Die  IJadaljäninschrift,  Gl.  302.  (Berlin,  Künigl.  Museen.) 


Abb.  67. 

Stierkopf  von 

der     Inscbrift 

CIH  102. 

(Paris, 
Acadömie.) 


anderer,   mehr   geschwungener  Form    findet    sieli 

dieses  Büschel  auch    zwischen  den   Hörnern   des 

Ochsen  auf  dem  BuLiwayosteine  (vgl. 

S!^^y^        Abb.   9).     Hieher   wird    auch   wohl 

CIH  102   gehören  (Abb.   67).    eine 

Weihinschrift  an  'Attar  Srkn. 

Der  Stierkopf  (rechts  neben  den 
•ersten  zwei  Zeilen  der  Inschrift)  ist 
zwar  oben  zerstört,  doch  spricht  der 
Ansatz  der  Schuppung  zwischen  den 
Hörnern  mehr  für  eine  Hofmus.  24 
ähnliche  Darstellung,  der  auch  ein 
kleiner  Stierko])f  aus  Kalksinter  (aus 
Zafär),  der  sich  in  Glasers  Nachlaß 
fand,  nahesteht.  Auf  der  Hadakcäninschrift  (Gl. 
302,  Abb.  68),  einer  Personaldedikation  an  Ta'lab, 
sehen  wir  zwei  Stierköpfe  mit  stark  nach  außen 
divergierenden  sichelförmigen  Hörnern,  die  in  der 
Mitte  eine  , Frucht'  oder  einen 
Pinienzapfen'  tragen.  Hier 
schließt  sich  die  Stierkopfdar- 
stellung auf  dem  Altar  von 
'Abyän  an  (Os.  30,  Abb.  69). 
in  dessen  Bustrophedoninschrift 
eine  Weiimng  an  'Attar  ausge- 
sprochen ist,  während  in  der 
Anrufung  am  Ende  Attar  und 
'Almakah  zusammen  erscheinen 

(Y^^ihn<i'i>xs°n)-  E.  Gia- 

ser  hat  bei  seinem  Aufenthalte 

in    London    auch    von    diesem 

Stierkopfe  eine  Zeichnung  ge- 

Abb.  69.  nommen,    die   vollkommen  mit 

Stierkopf  vom  Altar  -,        .       .,  , 

•AI    -    rr^   „AN  der  in  Abb 

von  Abyan(Os.  30). 
(London,  British  ^em 

Museiim.)  Pause   übereinstimmt  und   das 


69  gegebenen  nach 
Abklatsch    angefertigten 


Bild  bei  Osiander  wesentlich  verändert.  Während 
bei  Osiander  die  Hörner  mit  dem  länglichen, 
oben  spitzen  den  Zwischenraum  der  Hörner  aus- 
füllenden Gegenstand  gleichsam  aus  einer  Blume 
hervorwachsen, ^  ist  in  Glasers  Zeichnung  der 
Stierkopf  unverkennbar.  Zu  den  Darstellungen 
auf  sabäischen  Mün- 
zen leitet  endlich 
Gl.  1649  (Abb.  16) 
über:  zwischen  den  " 
hochgezogenen  Hör- 
nern erscheint  dort 
wieder  ein  läng- 
licher büschelar-  j 
tiger  Gegenstand, 
der  sich  nach  unten 
bis  in  die  Augen- 
region fortsetzt.  Es 
kommen  hier  jene 
Münztypen  in  Be- 
tracht, die  bei  D. 
H.  Müller,  Südara- 
bische .Vltertümer,  ^^ 
Taf.XIV.Abb.24— 
27  abgebildet  sind 
(vgl.  Abb.  70). 

Ihr  Revers  zeigt 
das   Bukranion   mit 

einem  Büschel  zwischen  den  Hörnern.  Wie  ver- 
hält es  sich  nun  mit  dieser  Frucht,  bezw.  dem  Bü- 
schel ?  Ich  will  hier  zur  Frucht  auf  dem  Hadakän- 
relief  (vgl.  Abb.  68)  auf  P.  Jacobsthal,  Fig.  64 
verweisen  (Abb.  71),  einen  goldenen  Ring  mit  Blitz, 
^■^efunden  in  der  vigna  Ribultano  bei  Bolsena. ' 
Der  Blitz  zeigt  gekörnte  Arbeit  auf  silbernem 
Grunde.    Der  Fund  selbst  stammt  aus  dem  dritten 


■« 


Abb.  70.    Sabäische  Münzen  im 
Hofmuseum  zu  Wien. 


»  Vgl.  Ad.  Ermau  bei  1).  H.  Müller,  Sitzungsber.  Künigl.  Preuß.  Akail.  1886,  Bd.  2,  p.  839  und  M.  Hartmann,  OLZ. 
1908,  Sp.  270. 

*  Der  Kopf  auf  dem  'Abyanaltare,  Os.  30,  wird  von  .1.  H.  Mordtmann,  Sab.  DenUm.,  p.  66  und  in  der  Londoner 
Publikation  als  ,the  head  of  a  gazelle'  gedeutet,  doch  stempelt  ihn  —  abgesehen  von  Abb.  69  —  das  ,some  object 
between  the  horns'  zum  Stierkopf  mit  Donnerkeil. 

»  Vgl.  P.  Jacobsthal,  a.  a.  O.,  p.  42,  Taf.  11,  Nr.  64. 

Denkschriften  der  phil.-hist.  Kl.  68.  Bd.  1.  Abb.  "^ 


34 


1.  Abhandlung:  Adolf  Grohmann. 


Alil).  71. 

Goldener  Ring 

mit  Blitz  ans  Bol- 

sena      ('l>i'es(len). 


Jalirliundert  v.  Chr.  Geb.  Diese  Blitzform  liat 
sich  aus  dem  iiiehrkelelügen  Lotos  entwickelt, 
dessen  drei  Blätter  zu  drei  spitzeu 
Strahlen  g-oworden  sind:  die  mitt- 
leren umschließen  eine  Art  Frucht, 
die  ihrer  Körnung  nach  mit  einem 
Pinienzai>fcn  zu  vergleichen  wäre. 
Denn  als  Frucht  wird  man  den 
gekörnten  Gegenstand  ansprechen 
dürfen,  da  Lei  bloßen  Blättern  oder 
einer  Knospe  die  Körnung  unver- 
ständlich wäre  —  es  ist  mit  der 
Körnung  wohl  die  Schuppung  der 
Fruciit  angedeutet,  wie  ja  auch 
die  kleinen  Federn  auf  den  seit- 
lichen Flügeln^  durch  derartige 
Körnung  kenntlich  gemaclit  sind.  Mithin  ist  der  ge- 
körnte Gegenstand  in  Al)l).  71  zum  ,Pinienza])fen' 
von  Abb.  68  zu  stellen,  und,  da  jener  mit  zum  Blitze 
geiiört.  wird  auch  dieser  als  Teil  und  ornamentale 
Umformung  von  Blitz  und  Doimerkeil  zu  deuten 
sein.  Übrigens  sei  noch  auf  die  Ähnlichkeit  der 
Anordnung  von  Os.  30  (Abb.  69)  mit  Abb.  7  l  ver- 
wiesen, nur  sind  in  Os.  30  die  äußeren  Blätter 
durch  die  Stieriiörner  ersetzt.  In  Hofm.  24  er- 
innert zwar  die  Sclmppung  des  Keiles  an  die 
Pinienzapfen  der  Hadakänin- 
sciirift  (Abi).  68);  doch  die 
Gestalt  schließt  dort  jeden  Ge- 
danken an  eine  Fruclit  aus. 
Elier  wird  hier  an  den  Donner- 
keil  zu  denken  sein.  Wie 
weit  die  Stilisierung  geht,  zei- 
gen die  Büschel  auf  dem  Bu- 
kranion der  sabäisclien  Mün- 
zen (Abb.  70):  hiezu  besitzen 
wir  eine  scidagende  Paral- 
lele auf  dem  Revers  einer  Te- 
Ptolemaios  Epiphanes  (Berlin, 
vgl.  Abb.  72)."  Der  Unter- 
schied beruht  nur  in   der  Anordnung.     Der  Blitz 


Abb.  72. 

Tetradrachme  des 

Ptolemäus  Epiphanes 

(Berlin). 


tradrachme 
S  V  o  r  0  n  o  s 


des 
1249, 


der  griechischen  Münze  ist  eine  gegenständig 
nach  oben  und  unten  ^  symmetrische  Anordnung 
zweier  Bündel:  auf  den  sabäischen  Münzen  ist 
nur  ein  solches  Bündel  zwischen  die  Horner  des 
Stieres  gesetzt.  Daß  dies  Bündel  jedoch  mit  dem 
Blitz  zusammenhängen  muß,*  geht  aus  dem  Ver- 
gleich mit  der  Ptolemäermünzc  wohl  zur  Genüge 
hervor.  Es  ist  darin  also  kein  Schmuck  des 
Tieres  (Ochsen)  zu  sehen,  wie  M.  Hartmann 
annehmen  möchte,''  sondern  die  Darstellung  ist 
mit  Gl.  1550  (Abb.  65)  auf  eine  Linie  zu  stellen. 
Hier  wie  in  Hofm.  24  (Abi).  26)  ist  der  mittlere 
Gegenstand  als  aus  dem  Donnerkeil  erdacht  zu 
deuten,  und  in  diesem  Zusammenhange  möchte 
ich  auch  die  Vermutung  aussprechen,  daß  die 
eigenartige  Formung  der  Hörner  auf  den  sabäi- 
sclien Münzen  in  Abb.  70,  auf  Os.  30  (Abb.  69) 
und  Gl.  1649  (Abb.  16)  der  Form  des  sabäischen 
Blitzbündels,  die  uns  schon  von  früher  geläufig 
ist  und  auch  in  Abb.  65  zum  Ausdruck  kommt, 
angeglichen  ist;  ebenso  mit  Absicht,  wie  die 
Hörner  Abb.  26,  68  der  Mondsichel  gleichen, 
worauf  noch  zurückgekommen  werden  wird. 

Das  inschriftliche  Material  zu  diesem  Symbol 
ist  leider  viel  zu  dürftig,  um  daraufhin  eine  An- 
sicht über  seine  Zugehörigkeit  zu  einer  bestimmten 
Gottheit  zu  wagen,  und  so  ist  es  auch  sehr  frag- 
lich, ob  man  etwa  daliei  im  Hinblick  auf  Os.  30  und 
eventuell  CTH  102  an  'Attar  denken  könnte.  Der 
Umstand,  daß  das  Symbol  zusammen  mit  dem 
Totschläger,  der  oben  'Almakah  zugewiesen  wurde, 
auf  der  Inschrift  Gl.  1649  mit  der  Aufschrift 
'Almakah  vorkommt,  sowie  die  Erwägung,  daß 
der  Stier  in  Südarabien  wie  auch  anderswo  die 
Mondgottheit  symbolisiert,  endlich  die  Anglei- 
chung  der  Hörner  (Os.  30,  Gl.  1649)  an  das 
Blitzbündel,  das  Symbol  'Almakahs,''  lassen  es 
als  möglich  erscheinen,  daß  wir  es  auch  hier 
mit  einem  kombinierten  Symbole  'Almakahs  zu 
tun  haben;  vgl.  übrigens  das  weiter  unten  zum 
Stierkojif  Bemerkte.' 


'  Vgl.  Abb.  06  den  Unterteil. 

'  Vgl.  P.  Jacobsthal,  a.  a.  O.,  MUnztafel,  Nr.  14. 

'  Vgl.  den  griißercn  Stiorkopf  auf  dem  Bulawayosteine,  Abb.  9. 

*  Vgl.  das  Beil  zwischen  den  Hürnern  im  Ägyptischen  und  Mykenischen. 

'  OLZ  1908,  Sp.  271. 

'  Vgl.  die  Mondhynine  4  Kawl.  11  ,der  da  hält  Blitzstrahl  und  Regen'  F.  Hommel,  Aufs.  u.  Abb.  159,  Note  2.  — 
Wenn  W.  Fell  mit  seiner  Dentung  des  Namens  f  <D^f^t^  =  Regenspender  (ZDMG  54,  p.  259)  recht  behält  und  |^  von  jeher 
eine  Regen-,  bezw.  Wettergottheit  bezeichnet  h.iben  sollte,  wiire  die  Verbindung  dieses  Zeichens  mit  dem  Blitzsynibol  sehr 
angemessen. 

'  B.  Der  Stier,  gegen  Ende. 


Göttersymbole  und  Symboltiere  auf  ^üdakabischen  Denkmälern. 


35 


Das  Sternsyrabol. 


Ein  bisher  unbeaclitetes  Symbol  stellen  die 
in  verschiedener  Anzahl  an  den  Anfang  der 
folgenden  sabäischen  Inschriften  gesetzten  Kreise 


Abb.  73.    Sternsymbol  auf  Gl.  1728. 

dar,     die     in     nachstehender    Gruppierung    auf- 
treten. 

a)  Sechs  Kreise  in  der  Anordnung  wie 
Ahb.73,  rechts  von  Gl.  691  =  1728  =  Münch.  74 
(von  einem  Mensäh  bei  Marib).  Die  Bustropliedon- 
inschrift  ist  eine  Bauinsehrift,  die  außer  der  Götter- 


Husn   in    der   Mitte   der    Stadt   Marib).    Die  In- 
schrift ist  ein  Fragment. 

b)   Fünf    Kreise     in    der    Anordnung,    wie 
Abb.  74  i,    rechts    von    der    Bustrophedoninschrift 


Abb.  75.    Sternsymbol   ,Tuf  Gl.  1552. 

Mars.  XII.-  H.  Derenbourg  sagt  ül)er  das  Sym- 
bol ebenda:  ,cincj  petits  cercles  places  sans  syme- 
trie  et  destines  sans  doute  ä  marquer  le  commeu- 
cement.'  Nach  der  Reproduktion  bei  H.  Deren- 
bourg könnte  man  auch  sechs  Kreise  in  der 
Anordnung  von  Gl.  691  vor  sich  haben;  der 
unterste  stünde  rechts  neben  dem  o  in  Zeile  2 
und  wäre  ganz  beschädigt.  Die  Inschrift  enthält 
eine  Personaldedikation  an  die  Sonnengöttin  Dät 
Hnii"\  die  auch  in  der  Anrufung  am  Schlüsse 
allein  genannt  ist  (^f  ^^XMID- 

Links  von  der  zweiten  Zeile  Gl.  1552, 
(Abb.  75)  einer  ReUefinschrift  aus  Ragwän  in  altem 
Ductus,  die  eine  Weihung  an  Dät  Hmi"  enthält 
ll^?^tlXNI®?H'!'V)-Endhch  rechts  neben  der  frag- 


O  o 

oc 


Abb.  74.    Sternsymbol :  a  von   Gl.  755,  b  von  Mars.  XII. 


Abb.    76.     Symbol    des    Sibitti    und    Istarstern    von    einer 

babylonischen   Bestallungsurkunde  Nebo-.Schumischkun  I. 

(ca.   900  T.  Chr.,  Kgl.  Mus.,  Berlin). 


anrufung  mm  \y.^[]<^\\  ^^^h\[\<^\>'Alo[] 
keinen  Gottesuamen  enthält. 

Ebenso  rechts  von  Gl.  695  =  Arn.  47  (von 
der  alten  Stadtmauer  in  Marib).  Dies  Fragment 
enthält  keinen  Gottesnamen. 

Ebenso  endlich  von  zwei  parallellaufenden 
gebogenen  Strichen^  eingerahmt,  links  von  der 
Bustrophedoninschrift  Gl.  755  (Abb.  74a  von  einen 


mentarischeu  Inschrift  Ilal.  647  (aus  l.lu.su  äl-Ge- 
rädän)  in  derselben  Gruppierung  w-ie  Mars.  XII. 

e)  Drei  Kreise  in  der  Anordnung  °o  rechts 
von  Gl.  118  =  CHI  139  (aus  Öibäm). 

d)  Ein  größerer  Kreis  findet  sich  endlich 
auf  den  sabäischen  Inschriften  Gl.  1529,  155U 
{Vgl.  p.  21  f)  und  auf  der  minäischen  Inschrift 
Gl.  1158  (vgl.  w.  u.  Abb.  137). 


'  Sollten  sie  ein  Rest  der  Mondsichel  sein,  die  Abb.  80  neben  den  Sternen  wiederkehrt?  Zur  ihrer  Form  wäre  dann 
Abb.  91  zu  vergleichen,  wo  der  Adler  offenbar  auf  einer  Mondsichel  steht. 
^  H.  Derenbourg,   Rcv.  Arch.,  III""  serie,  tom.  .S5,   p.  14. 

5* 


36 


I.  Abhandlung:  Adolf  Gkohmann. 


Daß  dies  Zeichen  nicht,  wie  H.Dcrenbourg 
glaubte,*  dazu  da  sei,  den  Anfang  der  Inschrift 
zu  bezeichnen,  dürfte  wohl  aus  der  Sache  selbst 
klar  sein.  Die  Buchstabenrichtung  allein  gibt  ja 
in  der  sabäischen  Schrift  zugleich  die  Schrift- 
richtuugan;  diese  noch  besonders  durch  ein  Zeichen 
kenntlich  zu  machen,  lag  also  kein  Grund  vor  und 
Tneinirewciliten  blieb  die  Schriftrichtung  auch  mit 
hinweisenden  Zeichen  gleichgültig.  Gegen  diese 
Deutung  dos  Zeichens  spricht  ja  auch  Gl.  1552, 
wo  es  links  am  Ende  der  zweiten  und  letzten 
Zeile  steht.  Treffender  faßte  schon  E.  Glaser 
die  Sache  auf,  der  das  Zeichen  in  seinem  Tage- 
bucho  XI.  p.  149  als  Familienwappen  deutete. 

Nun  sei  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß 
unter  den  Gott  er  Symbolen  auf  einer  baby- 
lonischen Bcstallungsurkunde,  datiert  zu  Borsippa 
im  8.  Jahre  des  Königs  Nebo-Schumisclikun  I. 
(ca.  900  V.  Chr.),  neben  dem  achtstrahligen  Sterne 
der  Istar  sieben  Sterne  in  Form  von  Kreisen, 
das  Symbol  des  Sibitti  und  auch  des  Nergal, 
mit  dem  Sibitti  identifiziert  wurde,^  in  der  aus 
Abb.  76''  ersichtlichen  Anordnung  stehen.  Sie 
stimmt  mit  der  Anordnung  der  sechs,  bezw.  fünf 
Sterne  auf  den  sabäischen  Inschriften  überein  (vgl. 
Abb.  75),  nur  daß  beim  sabäischen  Symbol  die 
vertikale,  beim  babylonischen  die  horizontale  Rich- 
tung  in    der  Anordnung   eingehalten  ist.    Ebenso 


Abb.  77.    Uavianrelief  (ca.  705—681   v.  Chr.). 

steht  das  Symbol  neben  dem  vierstrahligen  Stern 
der  lätar,  gleichfalls  als  Symbol  des  Sibitti,  auf 
der  Felsenskulptur  zu  Bavian  (Zeit  Sanheribs. 
705—681  V.  Chr..  Abb.  77).^  Dasselbe  Symbol 
erscheint    auch    in    der    gleichen    Anordnung    auf 


assyrischen  Siegelzjdindern.  so  z.  B.  auf  Dela- 
porte  350  (Abb.  78);^  vielfach  ist  aber  diese 
stereotype  Anordnung  durchbrochen  (vgl.  Abb.  145) 


'i:mi 


Abb.  78. 
Assyrischer  Siegelzylimler.  (Paris,  Bibliotheque  nationale.) 

und  die  sieben,  sechs  oder  fünf  Sterne  sind  ganz 
unsymmetrisch  in  zerstreuter  Anordnung  gehalten. 
So  ist  z.  B.  der  siebente  Stern  von  Delaporte 
354  (Abb.  79)"  in  die  erste  Reihe  nach  oben  ge- 
rückt; oder  es  sind  auf  dem  Siegelzylinder 
Abb.  80  ''    sechs  Sterne  in    der  Anordnung  3  -+-  3 


Abb.  79. 
Assyrischer  .Siegelzylinder.  (Paris,  Bibliotheque  nationale.) 

unter  der  Mondsichel  gegeben,  während  auf 
M.  Jastrow,  Bildennappe,  Taf.  54,  Nr.  208  unter 
die  Mondsichel  nur  mehr  zwei  Sterne  und  drei 
neben  die  rechte  Person  gesetzt  sind,  also  im 
jranzen  fünf  Sterne  vorkommen.^  In  der  Zalil 
und  Anordnung:  der  Sterne  bieten  also  schon  die 


^i:^ 


Abb.  80.     Symbole  auf  einem  babyl.  Siegelzylinder. 
(Sammlung  Pierpont-Morgan.) 

assyrischen  Zylinder  Varianten  dar.  In  Südarabien 
haben  wir  auf  den  Bustrophedoninscliriften  (( ü.  691, 
755,  Mars.  XII)  eine  dem  Bavianrelief  analoge 
Anordnung  streng  eingehalten ;  nur  scheint  Mars. 
XII   statt   der   üblichen   sechs   wie  Hai.  647   fünf 


'   a.  a.  O.,  p.  14.  '   Vgl.  K.  Frank,  Bilder  und  Symbole,  p.  -29. 

=  Nach  M.  Jastrow,  a.  a.  O.,  Taf.  13,  Nr.  43.  *  Nach  M.  .Tastrow,  a.  a.  O.,  T,af.  14,  Nr.  40. 

»  L.  Delaporte,  a.  a.  O.,  PI.  24.  "  L.  Delaporte,   .a.  a.  O.,  PI.  24. 

'  M.  Jastrow,  a.  a.  O.,  Taf.  54,  Nr.  211. 

»  Vgl.   noch  Jastrow,  a.  a.  O.,  Taf.  53,  Nr.  '200,  '202,  205;    Taf.   54,  Nr.   206,   211;    Taf.  5,5,   Nr.  217;   Taf.  56,   Nr.  226; 
Delaporte,  Cyl.  Orient.,  PI.  23,  340;  24,  353,  355,  357,  359;  26,  378. 


Göttersymbole  und  Symboltiere  auf  südarabischek  D 


ENKMALERN. 


37 


Sterne  zu  zeigen,  was  jedoch  nicht  sieher  fest- 
zustellen ist.  Die  archaisierende  Reliefinschrift 
Gl.  1552  zeigt  eine  leichte  Veränderung  in  der 
Anordnung  dadurch,  daß  unter  ßeihehaltung  der 
Grup2)iorung  fünf  Sterne  gradlinig  zu  einem  spitzen 
Dreieck  zulaufend  angeordnet  sind.  Durchbrochen 
wird  die  ühliche  Zahl  durch  Gl.  118,  das  nur 
drei  Sterne  zeigt  —  ob  etwa  zwei  fehlen,  ist  nicht 
meiir  festzustellen,  die  Stellung  würde  auch  zu 
dreien  gut  passen. 

Daß  das  Zeichen  auch  bei  den  Südarabern  als 
Symbol  gefaßt  wurde,  geht  aus  den  babylonischen 
Parallelen  wohl  mit  ziemlicher  Wahrscheinlichkeit 
hervor.  Wem  wäre  aber  dieses  Symbol  zuzu- 
weisen? Mars.  XII  und  Gl.  1552  sind  Personal- 
dedikationen  ausschließlich  an  Dät  Hmi"';  viel- 
leicht dürfte  man  daraus  auf  Dat  Hmi"  als  Gott- 
heit des  Sternsymbols  raten.  Dieser  Auffassung: 
würde  auch  die  letzte  noch  in  Betracht  kommende 
Inschrift  Gl.  691  =  1728  nicht  Avidersprechen; 
denn  in  der  Göttertrias  der  Anrufung  steht  auch 
Dät  Hmi".  Allerdings  könnte  man  dort  ebenso 
gut  das  Blitzbündel  und  den  Doppelgriffel  'Almakahs 
erwarten ;  doch  würde,    wenn  man  annähme,  daß 


etwa  das  Sternsymbol  'Almakah  oder  "^Attar  an- 
gehört, der  Umstand  zu  denken  geben,  daß  sich 
dies  Symbol  auf  keiner  Inschrift  findet,  die  den 
Namen  eines  dieser  beiden  Götter  allein  führt.  Ver- 
mutungsweise können  wir  also  an  Dät  Hmi™ 
denken,  und  erst  in  zweiter  Linie  allenfalls  an 
den  Hauptgott  'Almakah  selbst.  Die  Symbolisie- 
rung einer  Sonnengöttin  durch  Sterne  läßt  keine 
volle  Sicherheit  aufkommen.* 

Werfen  wir  nun  noch  einen  Rückblick  auf 
Gl.  1529  und  1550,  so  werden  wir  in  dem  Kreise 
neben  dem  Blitzbündel  gleichfalls  ein  Symbol 
erkennen  dürfen.  Wem  dies  angehört  haben 
mag  und  ob  es  hier  vielleicht  in  Anbetracht  des 
'Almakahsymboles,  neben  dem  es  an  beiden  Stellen 
steht,  auch  diesem  zuzusprechen  sei  (zur  minäi- 
schen  Inschrift  Gl.  1158  s.  w.  u.),  ist  nicht  zu 
entscheiden,  da  beide  Inschriften  keine  Götter- 
namen erwähnen.  Ob  ferner  der  Kreis  dieser 
zwei  Inschriften  gegenständlich  einen  Stern  dar- 
stellt, also  sozusagen  ein  Element  des  Sternsym- 
bols enthält,  oder  ob  er  nicht  vielmehr  als  ein 
Ring,  etwa  wie  der  Ring  Marduks,  zu  deuten  ist, 
erscheint  vorderhand  gleichfalls  noch  zweifelhaft. 


Mondsichel  und  Scheibe. 


Als  Göttersymbol  haben  wir  wohl  ohne 
Zweifel  die  Neumondsichel  mit  der  hineingelegten 
Scheibe  anzusehen,  die  in  stark  schematisierten 
Formen  nicht  nur  auf  sabäischen,  sondern  auch 
auf  katabäuischen  Denkmälern  vorkommt.  Von 
sabäischen  Denkmälern   finden  wir  das   Sym- 


~~F~ziq 

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/    - 

1 — 

il^lkUHz 



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UüüMm^ 

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Abb.  81.     Sabkisches  Relief  .aus  Häz  (Gl.  210). 

hol:  im  mittleren  Felde  von  Gl.  210  =  CIH  226 
(Abb.  81  aus  Häz  in  Hamdän) ;  der  Stifter 
der  Inschrift  heißt  Wahab-Sams  und  steht  zu 
einem  Angehörigen  der  Sippe  Bata'  im  Dienst- 
verhältnisse ;     ferner     im     obersten     Felde     von 


Gl.  230  =  CIH  251    (Abb.  82,    aus  'Erren);   die 
Inschrift   ist   von  Angehörigen   der  Bata'  gesetzt. 


k^ 


^^3 


V__-JilMAÜ! 


Abb.  82.  Sabäisches  Relief  aus  'Erren  (Gl.  230). 


*  Es  wäre  o-ewact  (mit  .anderer  Etymologie  als  l'"ell,  ZDMG  54,  p.2ö0f.),  uTUTlXI-i  "'s  die  Göttin  der  (verzehrenden) 
Sonnenglut  zu  deuten  und  den  Umstand  zur  Erklärung  des  Symbols  lieranzuzieben,  daß  Nergal  (s.  o.  p.  36)  in  der  baby- 
lonischen Theoloo-ie  eine  Erscheinungsform  des  Sonnengottes  war  (M.  Jastrow,  Religion  Babyloniens  und  Assyriens,  I,  p.  66): 
die  vernichtende  Gewalt  der  Sonnenglut. 


38 


I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmasn. 


Dieselbe  Darstellung   findet    sich   auf   einem 
Rauch eraltare   ohne  Inschrift,    die   im  Alraanach 


Abb.  83.  Sabäischer  Altar.  (().  M.  157,  Tschinili-Kiöschk, 

Konstautinopel.) 

von  San'ä  1298  d.  H.  abgebildet  wurde, ^  derzeit 
im  Tschinili  Kiösclik  zu  Konstantiuopel.  Er  ist 
wohl  indentisch  mit  0.  M.  157,°  einem  Altare 
ohne  Inschrift,  ornamental  verziert  durch  eine 
vertiefte  Zahnlciste  rechts  und  links;  das  Symbol 
Mondsichel   und   Scheibe   steht  über  zwei   gegen- 


^mi 


Abb.   84.     Sabäischer  Altar 
aus  Märib  (Gl.  737). 


Abb.  8.T.  Sabäisches  Relief  aus 
Doniär  (Gl.  801). 


ständigen  liegenden  Steinböcken,  die  eine  Säule 
in  die  Mitte  nehmen.  —  (Abb.  83.)  Vgl.  weiter 
unten. 

Die  Mondsichel  mit  der   eingelegten  Scheibe 
zeigt  auch  die  Spitze  der  Rückenlehne  eines  fau- 


tcuilartigen  Altares,  der  die  Bustrophedoninschrift 
Gl.  737  trägt'  (Abb.  84,  auf  dem  Gebel  Bälak  el- 
'Ausat  beiMarib).  Die  Inschrift  spricht  vom  Bau  des 
E-p  des  'Attar  und  des  Sm'  und  der  Dät  Hmi""  und  des 
.Uadd.  (|^t^a>a>|^?^TIXH1>l°^r^<»l>XSo|0?'^l?h^)• 
Ferner  in  Gl.  801  (aus  Domär,  Abb.  85),  mit 
dem  Namen  Grajh'm.    Der  Schlußmond  mit  einge- 


Abb.  86.    Sabäische  Inschrift  aus  Domär  (Gl.  804). 

legter  Sclieibe  und  zwei  (mit  dem  Daumen*  nach 
links  gekehrten?)  Händen  findet  sich  auf  Gl.  804 
(aus  Domär,  Abb.  86)  links  neben  der  fragmenta- 
rischen Inschrift.  Wahrscheinlich  ist  aber  der 
Stein  umgedreht  eingemauert  oder  kopiert  worden, 
wie  die  Buclistabenrichtung  anzunehmen  nahelegt. 
Wir  haben  in  dem  Falle  die  übliche  Stellung  des 
Symbols  vor  uns  und  darüber  zwei  wie  in  GIH  79 
(s.  w.  u.)  nach  abwärts  gekehrte  Hände;  die 
nach  aufwärts  gekehrte  Stellung  der  Hände  würde, 
wie  Gl.  1724  (Alib.  102.  106)  zeigt,  nicht  zum 
Schlußmond  passen.  Ferner  (ohne  Hände)  vorn 
auf  dem  oberen  Teile  des  Altars  CIH  362  (Abb.  87), 
der  den  Eigennamen  Brisams  l'll  (11of  Ir^i^^T^rT) 
trägt.  ^ 

Auf  einer  Reihe  von  Altären  finden  wir  aber 
die    Mondsichel    auf    einen    konischen    Untersatz 


Abb.  87.   Sabäischer  Altar,  CIH  362.  (Paris,  Lnuvre.; 


'  Vgl.  D.  H.  Müller  und  .1.  11.  .Mordt mann,  Sab.  Denkm,   ]>.  59  f.,  J.  H.  Mordtmann,  Himjar.  Inschr.  u.  Altert.,  ji.  41. 

'  Yg\.  3.  H.  Mordtmann,  Catal.  Somm.,  Nr.  37,  p.  33. 

'  Vgl.  F.  Hommel,  Chrestomathie,  p.  62  a,  Aufs.  u.  Abb.,  p.  146  f. 

*  Für  die  Daumenstellung  bei  Handpaaren  vgl.  Abb.  10:i 

*  Im  CHI   I,  ]i.  448  wird  für  dieses  Stück  und  Mars  III.  fragend  Ijatabänischer  Ursprung  vermutet. 


GoTTEUSYMBOLE    UND    SyMBOLTIERE    AUF    SÜDAEABISCHEN    DeNKMÄLEKX. 


gestellt:  so  auf  dem  Altar  Marseille  III  (Ablj.  88)i 
mit  dem  uomen  proprium  Bri§ams  (rh^^lT^n) 
im  mittleren  Felde;  ähnlich  auf  dem  Altare 
Gl.  262  (aus  Gir'äu,  Abb.  89  =  CIH.  285).2  Er 
ist  gestiftet  und  gesetzt  von  Sa'd  und  Sa'dsams 
und  Ril)b'il,  den  Söhnen  des  Bahr.  Interessant 
ist  der  Altar  noch  dadurch,  daß  hier  von  der 
Scheibe  ausgehende  Strahlen  eingemeißelt  sind. 
Dieselbe  Form  und  Anordung  finden  wir  auch 
auf  Gl.  1652  (aus  Sirwäh,  Abb.  90),  einem  Altare 
ohne  Inschrift.  Hiezu  gehört  auch  noch  ein  Altar 
mit  der  Inschrift  H'l'1'^1  ,dem  Särik',  der  sich 
gegenwärtig  im  Tschinili  Kiöschk  befindet.'  Er 
zeigt  an  der  Vorderseite  des  Aufsatzes  gleichfalls 
den  Neumond  mit  der  eingelegten  Scheibe  auf 
konischem  Untersatze.  Endlich  ist  noch  Deren- 
bourg  I.  zu  erwähnen,^  ein  Altar,  dem  Gotte 
Uadd  geweiht  (flt]®  I?  H'!' V).  mit  Mondsichel  und 
Scheibe  in  ähnlicher  Form  wie  Mars.  III,  Abb.  88. 


Abb.  88.  Sabäischer  Altar,   Mars.  III.   (Mus.  Marseille.) 


Abb.  89.  Sabäischer  Altar  aus  Uir'An,  Gl.  •262. 
(Berlin,  Kgl.  Mus.) 

Auch  Gegenstände  der  Kleinkunst  tragen  ge- 
legentlich dieses  Svmbol:  so  die  von  E.  Osiauder 
ZDMG  19,  Taf.  .35  e  abgebildete  sabäische  Gemme 
(Abb.  91),  die  Mondsichel  und  Scheibe  über  dem 
auf  einer  Mondsichel  stehenden  Adler  zeigt,  und 
die  Gemme  2631  des  Berliner  Museums  (Abb.  92),^ 
auf  der  wir  zwischen  den  Köpfen  eines  Löwen, 
einer  Ziege,  eines  Schafes^  und  eines  Pferdes 
die  ^Mondsichel  mit  eingelegter  Scheibe  sehen. 
Endlich  findet  sich  dies  Symbol  auch  auf  Avers 
und  Revers  der  Jlünzgruppe ,  die  das  Bukra- 
nion auf  dem  Revers  zeigt  (vgl.  D.  H.  Müller. 
Südarab.  Altert.,  Gruppe  V.  4,  5,  6,  9,  10,  p.  70, 
Taf.  XIY,  Abb.  26  und  ebenda  die  Berliner 
Stücke  Nr.  219,  220,  221  D.  H.  Müller,  a.  a.  0.. 
p.77). 

Von  katabanischeu  Inschriften"  tragen  nur 
zwei  die  Mondsichel  mit  eingelegter  Scheibe,  und 
zwar  hat  Gl.  1111  (aus  Gredida-Güba,  Abb.  93) 
ohne  weiteren  Schmuck  Mondsichel  und  Scheibe 
direkt  über  der  Inschrift,  die  den  Altar  dem 
Gotte  'Amm  weiht  ( |  ^o|<f  ^<}.r^).  Gl.  1747/48  = 


»  Vgl.  Rev.  Arch.,  III.  ser.,  tome  35,  p.  7. 

'   Vgl.  J.  H.  Mordtmann,  Himjar.  Inschr.  u.  Altert.,  p.  41  f. 

'  Vgl.  J.  H.  Mordtmann,  Catalogue  sonimaire,  p.  32. 

*  Vgl.  J.  A.,   S'""  ser.,  tome  2,  PI.  I,  p.  231. 

^  Vgl.  J.  H.  Mordtmann,  HIA,  p.  .Ö2,  Taf.  I. 

'  Hier  sei  erwähnt,  daG  auch  (Jl.  323  den  Kopf  eines  Schafes  darstellt,  auf  dessen  Scheitel  der  Buchstabe  fl  eingra- 
viert ist.  Ob  auch  Schaf  und  Ziege,  wie  Löwe  und  Pferd,  zu  den  Symboltieren  gehören,  von  denen  noch  später  die  Rede 
sein  soll,   ist  auf  Grund  des  spärlichen  Materials  nicht  zu  entscheiden. 

'  Vgl.  oben  p.  39,  Note  1. 


40 


I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmann. 


Münch.  93,   94    (aus    dem    Gauf)    zeigt    dieselbe 
Anordnung   wie   Jlars.  III   (Abb.  88),    nur   stebt 


Abb.  90.  Oberteil  eines  s;ib;iischen  Altares  aus 
!5irw.äb  (Gl.  1652). 

die  Mondsicliel  nicbt  auf  einem  Untersatze 
(Abb.  94).  —  Die  Inscbrift  entbält  eine  Widmung 
an  'Amm  (^o|?H<^r^).  —  Von  katabanisebem 
Boden,  aus  Henu  ez-Zireir,  stammt  aucli  die 
wichtigste  Inschrift  dieser  Gruppe, 
(Abb.  95). 

Das  Denkmal  ist  ein  Relief  in 
Arbeit,  35  cm  lang  und  114  cm  breit 
zwei  gegenständige  Stiere,  die  die  Mondsichel  und 
Scheibe  in  die  Mitte  nehmen.  Die  Darstellung 
erinnert  an  das  Basrelief  aus  ed-Duwair  (Louvre) 
bei  R.  Dussaud,  Notes  de  Mythologie  Syrienne, 


Gl.    1426 

vertiefter 
und    zeigt 


Abb.  91. 

Sabäische     Gemme. 
(London,  Brit.  Mu.s.) 


Abb.  92. 
Sabäische  Gemme. 
(Berlin,  Kgl.  Mus.) 


j)ag.  89,  Abb.  21.  Die  Hörner  der  Stiere  sind 
nach  der  Form  der  Mondsichel  stilisiert,  wie  wir 
dies  auch  schon  früher  bei  Ilofmus.  24  (Abb.  26) 
sehen  konnten,  wobei  ebensogut  an  babylonische 
Vorbilder  1  als  an  ägyptische  Parallelen  zu 
denken  ist.^  Rechts  und  links,  neben  und  unter 
der  Moudsicliel  von  Gl.  1426  stehen  die  vier 
Buchstaben  Hh^l®'  ^'^  bekannte  stereotype  Formel 
,Uadd  ist  Vater',  wie  schon  E.  Glaser  in  seinem 
Tagebucbe  I.  p.  81  Ijemerkt  hat.  Das  Relief  ist 
schon    deshalb    von    großer    Wichtigkeit,     da    es 


ganze  Stierbilder  zeigt,  während  wir  bis  jetzt 
mit  einer  einzigen  Ausnahme  —  dem  Fragment 
O'Sl.  84»  (s.  Abb.  178)  —  nur  Stierköpfe  besaßen. 
Wer  dächte  dabei  nicht  an  die  Tradition  aus  dem 
Wadi  Dahr,  Beled  Hamdan  und  Arbab,  die  uns 
E.  Glaser*  bewahrt  hat,  wonach  in  diesen  Ge- 
genden niemand  ein  schwarzes  Rind  kauft,  schlach- 
tet  oder   davon   ißt?  Schon  E.  Glaser  hat  diese 


Abb.  93.  Katabänischer  Altar  .^us  Gedida  (Gl.  1111). 

Tradition  mit  Stierkult  in  A-erbindung  gebracht; 
mit  dem  Relief  zusammen  gibt  uns  jetzt  diese 
Überlieferung  wohl  das  Recht,  für  das  südara- 
bische Kulturgebiet  Verehrung  der  Mondgottheit 
in   Form   eines   Stieres  zu  vermuten,   wobei  auch 


Abb.  94.  Uatabänisclier  Altar  aus  dem  Gauf  (Gl.  1747/8). 

daran  erinnert  sei,  daß  |^1oni>®2  als  Gottes- 
name auftritt  (Gl.  138  =  CIH  155 ;  891  =  CIH  398 ; 
1546  =  Hofmus.  5),  und  vielleicht  ein  Beiname 
des  'Almakah  ist.^  Daß  aber  nur  die  Mondgott- 
heit unter  Gestalt  eines  Stieres  bei  den  Südarabern 
verehrt  worden  sei,  geht,  abgesehen  von  anderen 
Parallelen,  für  unseren  Fall  auch  aus  der  Bei- 
schrift rihH®  hervor;  denn  Uadd  ist  ja  wie 
'Amm  eine  Mondgottheit.*' 

Nun    zur    Formel    nh'>l®-     ^-  Honimel    ist 
der    Ansicht    (ebda.,    p.  160),    daß    UM'^    ""»i 


Zbb. 


»  Vgl.  F.  Uelitzsch,  Babel  und  Bibel,  I,  Abb.  8. 

»  Vgl.  A.  Jeremias,  Das  Alte  Testament  im  Lichte  des  alten  Orients  (I.  Aufl.),  p.  32,  Note  2,  p.  274  unten. 

'  Vgl.  J.  H.  Mordtmann,  Catalogue  sommaire,  Nr.  77. 

*  E.  Glaser,  Mitteilungen,  p.  4  ff. 

'  Vgl.   D.  H.  Müller,   Südarab.  Altert.,  p.  19.  -  M.  Hartmann,   OLZ  1908,  Sp.  271  f.  -  D.  Nielsen,  MVAG  XIV, 

i. 
«  Vgl.  F.  Hoininel,  Aufs.  u.  Abh.,  p.  159. 


Göttersymbole  und  Symboltiere  auf  südarabischen  Denkmälern. 


41 


^  n  M  ^  H  ^  eine  talismanische  Formel  darstellen, 
worauf  auch  das  Yorkominea  auf  Täfelchen  hin- 
zuweisen scheint  (Hofmus.  41 — 44,  Berlin  8),  die 
wohl  als  Amulette  anzusehen  sind.^  E.  Glaser 
hat  nh>l®  direkt  mit  dem  CMB,  das  man  zur  Weih- 
nacht auf  die  Türen  schreibt,  verglichen.-  Ob- 
wohl nun  Uadd  der  minäische  Mondgott  ist, 
findet  sich  die  Formel  nhl>l®  auch  in  sabäischen 
Inschriften,  z.  B.  in  der  recht  späten  Hai.  686  = 
CIH  106  (Kaukabän),  vgl.  CIH  33  aus  San'ä,  97 
aus  'Amrän;  ja  dem  Uadd  werden  auch  von  Sa- 
bäern  Weihungen  dargebracht  (CIH  30,  Gl.  737),  ^ 
und  zwar,  wie  wir  aus  Gl.  737  ersehen,  schon 
in    der    Mukarribperiode,    während    CIH.   293  == 


die  sich  auch  in  der  afrikanischen  Kolonialzone 
der  südarabischen  Kultur  finden.  A])l).  96  stellt 
ein  Pendant  zur  katab.-inischen  Inschrift  Gl.  IUI 
(Abb.  93)  dar,  ein  Altarfragment,  das  E.  Littmann 
bei  den  Gralmngen  im  Tempel  zu  Jeha  gefunden 
hat.  ^  Das  Kapital  des  Altares  trägt  in  Hochrelief 
Mondsichel  und  Scheibe  und  darunter  stehen  die 
Worte : 

IH  tH  )  y  Schlachtopferaltar  (?) 
.  .  I  H  r^  1    für  Sin. 

Nach  dem  Gottesnamen  Sin  zu  schließen,  der  nur  im 
Hadramötischen  belegt  ist,  dürfte  es  sich  hier  um  eine 
der  seltenen  hadlramötischen  Inschriften   handeln. 


Abb.  95.    Katabänisches  Felsenrelief  aus  Henu  ez-Zireir  (Gl.  1426). 


Sab.  Denkm.  18  hllElTNI^lH'i'  am  Schluß  der 
Inschrift  neben  anderen  Gottheiten  oenanut  ist. 
Endlich  sei  darauf  hingewiesen,  daß  aus  Henu 
ez-Zireir,  dem  Fundorte  von  Gl.  1426,  auch  die 
Inschriften  Gl.  1424,  1425  stammen,  die  beide  die 
Formel  flhH®  tragen.  Da  nun  in  Henu  ez- 
Zireir  auch  die  katabänischen  Inschriften 
Gl.  1603 — 6  gefunden  wurden,  wäre  ein  gewisser 
Anhaltspunkt  gegeben.  Gl.  1424,  1425  und  1426 
eventuell  als  katabänische  anzusprechen.*  Mithin 
würde  sich  die  Formel  flhtH®  nicht  nur  auf 
sabäischen,  sondern  auch  auf  katabänischen  In- 
schriften finden.  Ist  dem  aber  so,  dann  läge  wohl 
die  Annahme  nicht  zu  ferne,  daß  der  minäische 
Uadd  bei  beiden  samt  der  zugehörigen  Formel 
Entlehnung  ist,  da  ja  die  Sabäer  als  Mondgott 
Almakah,  die  Katabänen  als  solchen  "^Ainm  ver- 
ehrten. 

Schließlieh  ist  zu  erwähnen,  daß  das  Vor- 
kommen dieses  Symboles  nicht  auf  den  Boden  Süd- 
arabiens beschränkt  ist.    Es  ist  eines  der  wenigen. 


Zerstört  ist  Mondsichel  und  Scheibe  zwischen 
den  Worten   )Xr^[°]    und   cd  )  U|  ®    auf    der    ersten 
Zeile    der   Altarinschrift    aus   Jeha,    die    E.  Litt- 
mann als  Nr.  27  a.  a.  0.,  p.  58 
abgebildet      und      veröffentlicht 
hat;  daß  es  sich  nicht  um  einen 
Kopf,  sondern  um  unser  Symbol 
handelt,  läßt  sich  auch  aus  Th. 
Bents  Abklatsch  der  Inschrift, 
der  seinerzeit  D.  H.  Müller  zu 
seiner  Edition  vorlag,^  ersehen. 
Da    der    Altar    dem    Wttar    ge- 
weiht   ist,    wird    sich    auch    das 
Svmbol   wohl   auf  ihn    beziehen 
(vgl.  p.  12). 

Auf    abessinischem     Boden 
hat  sich  das  Symbol  auch  noch 
in  der  Zeit  erhalten,  als  man  bereits  mit  äthiopi- 
schen   Buchstaben    schrieb.     So    ziert  Mondsichel 
und  Scheibe,   ähnlich   wie   auf  Gl.  737  (Abb.  84), 
auch    den    altäthiopischen    Obelisken    von    Jlatarä 


MV.nv. 


Abb.  96. 

Altarfragment 

aus  Jeha. 


'   Vgl.  auch  D.  Nielsen,   Altarab.   Mondreligion,  p.  191  f.  '  Vgl.   F.  Hommel,  Chrestomathie,   p.  60  a. 

■''  Vgl.  oben  zu  H.  Dörenbourg,   Etudes   I,  p.  39  u.  Note  4.     Zu  Gl.  737  vgl.  F.  Hommel,  Chrestom.,   p.  62. 
■■  Über  das  gelegentliche  Vorkommen  Uadds  auch  in  katabänischen  Inschriften,  vgl.  F.  Hommel,  Aufs.  u.  Abb.,  p.  153 f. 
'  E.  Littmann,  Deutsche  Aksumexpedition,  IV.  Bd.,  Nr.  32,  p.  60. 
^  D.  H.  Müller,   Epigr.  Denkm.  aus  Abessinien,   p.  59  f. 
Denkschriften  der  phiL-hist.  Kl    58.  Bd.  1    Abb.  6 


42 


I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmann. 


(ca.  350  u.  Chr.),  dessen  Inschrift  zuerst  C. 
Conti  Rossini  in  den  RRAL  1896,  p.  250— 253 
publizierte.* 

Gegenständlicli    ist    über    das    Symbol    nicht 
viel  zu  saffeu:  es  ist  eines  der  vcrbreitetsten  Sym- 


llalbmond   mit   Stern   auf.     Tatsächlich    erscheint 
auch,    um  babylonische  Parallelen  heranzuziehen, 


Abb.  97. 

Babylonischer   Siegelzyliuder.    (J.  Pierpont  Morgan  libiary.) 

hole  und  auch  wohl  eines  der  ältesten.  Zum  for- 
malen Vergleich  sei  der  altbabylonische  Siegel- 
zylindcr  Jastrow  188  herangezog'en  (Abb.  97), 
wo  wir  das  Symbol  zwischen  dem  Gotte  Älartu 
und  der  Göttin  Schala  sehen, ^  sowie  auf  dem  ganz 
ähnlichen  Siegelzylinder  Delaporte  Nr.  207 
(Abb.  99),^  aus  der  Zeit  der  ersten  babylonischen 
Dynastie.  Der  Schlußmond  mit  der  Scheibe, 
der  vielleicht  auf  Gl.  804 
(Abb.  86)  vorkommt,  findet  sich 
iil)oraus  häufig  auf  phönizischen 
(irabstellen ,  z.  B.  der  Stele 
eis  3011,  Abb.  98."  Hingegen 
scheint  die  Stellung  wie  im 
Sabäischen  den  phönizischen 
Denkmälern  nicht  geläufig 
zu  .sein. 

I.^ber  die  Auffassung  der 
in  die  Mondsichel  hineinge- 
legten Scheibe  sind  die  Mei- 
nungen geteilt.  D.  Nielsen" 
sieht  in  der  Scheibe  einen  Stern, 
der  wohl  den  Venusstern  vorstellt,  und  ebenso 
faßt  Ch  wolsohn ''  das  harränische  Mondsymbol  als 


Abb.  »8.  Phünizische 
Grabstele  aus  Kar- 
thago(Mus.du  Bardo). 


i^ 


Ml^ 


Abb.  yi».     Babylonischer    Siejjel/.yünder. 
(Paris,   Bibl.  Nat.) 

auf  der  ßelehnungsurkunde  Nebukadnezars  I.,'  auf 
dem  unbeschriebenen  Grenzstein*  Abb.  100  und 
auf  den  babylonischen  Siegelzylindern M.  Jastrow, 
Bildermappe,  Taf.44,  Nr.  144,51,  Nr.  186  ein  Stern 
an  Stelle  der  kreisrunden  Scheibe.  W.  H.  Ward'' 
faßt  hingegen  die  runde  Scheibe  auch  als  Sonnen- 
diskus auf,  wozu  die  Darstellungen  des  Symbols 
auf  den  babylonischen  Siegelzylindern  bei  M.  Ja- 
strow, Bildermappe,  Taf.  41,  Nr.  130  (Abb.  101), 
51,  Nr.  183  passen.  Auch  scheint  auf  Siegel- 
zylindern der  Zeit  der  Könige  von  Ur  (2400 — 2350 
V.  Chr.  Geb.)    die  Sonne   öfter   als  der  Stern  mit 


Abb.  101.     Mondsichel  und 
Scheibe      von      einem     ba- 
bylonischen  Siegelzylinder. 
(Brit.  Mus.,  London.) 


Abb.  100.  Mondsichel  mit 
Stern  auf  einem  Grenzsteine 
aus  Susa.    (Paris,    Louvre.) 


der  Mondsichel  zusammen  vorzukommen,  so  z.B. 
Delaporte  Nr.  105,  110,  114,  116,  118  gegen 
Nr.  111(?),  113,  117.1«  Die  Deutung  ist  bei  all 
dem  nicht  sicher  zu  geben.  Bei  derartig  abge- 
nützten und  schon  so  früh  (vgl.  Abb.  97)  sche- 
matisch  gebildeten  Symbolen  ist  die  Entscheidung 
für  die  eine  oder  die  andere  Auffassung  unmög- 
lich —  Venusstern  und  Sonne,  schon  im  alten 
Babylonien  einander  sehr  ähnlich  und  in  gleichen 
Dimensionen  gezeichnet,  können  beide  zur  einfachen 
Scheibe    schematisiert    worden    sein,    so    daß    wir 


'  Vgl.  E.  Littmann,  Vorbericht  der  Deutschen  Aksuuiexped.,  p.  15,  Deutsche  Aksume.xped.,  Bd. II,  p.24,  Abb. 44,  IV,  p.(jl. 

"  Nach  M.  Jastrow,  Bildermappe,  Taf.  51,  Nr.  188.  '  L.  Delaporte,  a.  a.  O.,  PI.  XV. 

*  Nach  eis,  Pars  I,  tom.  II,  Taf.  62.  Vgl.  auch  tom.  I,  Nr.  264,  324,  339,  346,  348,  350,  352,  356,  359,  365  (Taf.  49,  53 ff.). 

'  Altarab.  Mondreligion,  p.  110.  °  Ssabier,  I,  p.  401. 

■  Vgl.  M.  Jastrow,  a.  a.  O.,  Taf  12,  Nr.  40.  »  Nach  M.  Jastrow,  a.  a.  0  ,   Taf.  14,  Nr.  47. 

»  Bei  M.  Jastrow,  a.  a.  O.,  Tc.\t,  Sp.  109. 

'«  L.  Delaporte,   a.  a.  0.,  PI.  X,  XI. 


Göttersymbole  und  Symboltiere  auf  südarabischen  D 


ENKMALERN. 


43 


keiii  Recht  haben,  dem  einen  oder  andern  Gestirn 
den  Vorzug  zu  geben.  Um  fürs  sabäische  Symbol 
auf  Einzellieiten  einzugehen,  könnte  das  Größen- 
verbältnis  in  Abb.  88 — 90  dazu  führen,  hier  den 
Stern  in  der  runden  Seheibe  zu  seilen,  wozu  in 
Abb.  89  auch  noch  die  Strahlen  Anlaß  gelien 
könnten.  Allein  auch  das  ist  kein  sicheres  Krite- 
rium. So  kann  es  uns  nicht  unerwünscht  sein, 
zu  erfahren ,  wie  die  arabischen  Archäologen 
über  die  Sache  dachten.  Hamdäni  erwähnt  im 
achten  Buche  des  Iklil  an  zwei  Stellen  eine  In- 
schriftplatte, die  etwa  wie  Abb.  82  ausgesehen 
haben  mag.  Bei  der  Beschreibung  von  Äledr^ 
sagt  er: 

^jX^^ii   <^i.A~Q.X**-.xi    '-^■^a    ^b^j    ^■^■*-'«  ^^^j\    j.-^as  ^3l-..Ä  • 

, Gegenüber  dem  Königsschlosse  befindet  sich  eine 
Platte  nach  Osten  gerichtet,  mit  dem  Bilde  der 
Sonne  und  des  Mondes,'-'  die  dem  Könige  gerade 
gegenüliertreten,  so  oft  er  das  Schloß  verläßt'. 
Ahnliches  berichtet  Hamdani  auch  im  Ka])itel 
über  Riyäm :  ^ 

^..  «  ■i'.i'.Jl      )%-o      l..^-^5     A1>^.'     <)^^»     kSls-      j^oiM      1 sb     p\^"« 

,Und  vor  dem  Tore  des  Schlosses  war  eine  Mauer 
mit  einer  Platte,  auf  der  sich  das  Bild  der  Sonne 
und  des  neuen  Mondes  befand.  Und  so  oft  der 
König  heraustrat,  kaum  daß  sein  Blick  auf  sie 
fiel,*  und  da  er-  ihrer  ansichtig  wurde,  verneigte 
er  sich  (schon)  vor  ihr,  indem  er  seine  Handfläche 
unter  sein  Kinn  legte,  so  daß  er  es  verdeckte 
(schützte),  hernach  warf  er  sich  anbetend  mit 
seinem  Kinne   vor   ihr   nieder'.    Darauf  soll  nach 


Hamdäni  im  Kor'än,  Sure  17.  Vers  108  angespielt 
sein.  Wie  wir  aus  Hamdänis  Stellen  ersehen, 
wurde  also  in  späterer  sabäischer  Zeit  in  unserem 
Symbole  Mond  und  Sonne  gesehen.  Zum  Kulte 
beider  Gestirne  erfahren  wir  ja  auch  aus  anderen 
Berichten  Verschiedenes;  schon  E.  Oslander^ 
und  Krehl''  führen  eine  Reihe  von  Stellen  an, 
in  denen  vom  Sonuendienste  der  vorislamischen 
Araber  die  Rede  ist.  Zur  Verehrung  des  Mondes 
bei  den  Banü  Kinäna  vgl.  man  Abulfarag  bei 
Gaussin  de  Perceval,  Essai  sur  Tliistoire  des 
Arabes  (Paris  1847)  I,  pag.  112. 

Werfen  wir  nun  noch  einen  Rückblick  auf 
die  hieher  gehörigen  Inschriften,  so  finden  wir 
auf  den  katabänischeii  Inschriften  (Gl.  1111  und 
1747)  einen  Gottesnamen,  der  mit  dem  Symbole 
in  Beziehung  stehen  kann,  nämlich  'Amm  und 
n  rh  iH  ®  «luf  Gl.  1426,  sowie  den  hadramötischen 
Sin  auf  der  Inschrift  aus  Jeha  (vgl.  p.  41).  Von 
den  sabäischen  Inschriften  läßt  uns  Gl.  737  die 
Wahl  zwischen  dem  Mondgott  Uadd  und  der 
Sonnengöttin  Dat  Hmi"  (erwähnt  sind  aber  auch 
'Attar  und  Sin')  oder  es  bezieht  sich  das  Symbol 
vielleicht  auf  beide.  Der  oben  erwähnte  Altar 
Derenbourg,  P]tudes  I  ist  dem  Uadd  allein  ge- 
weiht, die  sabäische  Inschrift  aus  Jeha  dem  'Attar. 
Gl.  210,  Mars.  III,  CIH  362  und  Gl.  262  sind 
hingegen  von  Personen  gestiftet,  deren  Namen  (in 
Gl.  262  zum  Teil)  Composita  von  Schams  (Sonne) 
sind,'  die  Stifter  von  Gl.  230  gehören  überdies 
dem  Stamme  der  Bata'  an,  einem  Zweigstamme 
der  Hamdän,  deren  Gebiet  nach  J.  H.  Mordtmann* 
ein  Hauptkultusgebiet  der  Sonne  war.'  So  wäre 
es  möglich,  daß  zur  späten  Zeit  (etwa  der  Ham- 
däniden),  welcher  die  erwähnten  sabäischen  In- 
schriften (ausser  Gl.  737)  meist  angehören,  das 
Symbol  zum  Sonnendienste  in  Beziehung  gestanden 
hätte.  •"  Es  ist  aber  auch  denkbar,  daß  es  zu  einem 
religiösen    Emblem    geworden    ist,    das    zwar    die 


>  Vgl.  D.  H.  Müller,  Südarab.  Altert,  p.  87. 

''  [^  gehört  vor  »j^^;  vgl.  die  P.arallelstelle  w.  u. 

'  Vgl.  D.  H.  Müller,  Südarab.  Stud.,  p.  26. 

*  l.^.«  \l\  U  yj  kann  bloß  bedeuten:  ,imr  auf  den  (ersten,  d.  h.)  zuerst  (sieh  seinen  Blicken  darbietenden)  Teil 
der  Platte.'  D.  h.  sobald  er  ihrer  nur  ansichtig  wurde,  begann  die  Trpodxwijorts. 

^  ZDM(;   7    p.  466  ff.,  20,   p.  285  t'.  ^  Uie  Religion  der  vorislamischen  Araber,  p.  41  S. 

'  Allerdings  ist  auch  zu'  bedenken,  daß  Träger  derartiger  Namen  gelegentlich  als  Verehrer  Ta'iabs  erscheinen,  so 
z.  B.   Rabbsams  in  Gl.  136  und  Sa'dsams  in  Gl.  137. 

*  Sab.  Denkm.,  p.  56  ff. 

»  Daß  dieser  Sonnenkult  keine  Fiktion  ist,  ersieht  man  z.  B.  aus  der  späten  Inschrift  Gl  374  ==  CIH  43  (aus  päff_K 
in  welcher  vom  Baue  eines  Heiligtums  der  öams  die  Rede  ist  (Z.  2)  (.  .  •]  ^  ^  ^  |  ^  >  T  ^  I  h>  ^  ^  V  ®  I  H  >  S  <■>  V  O»  I  <I>  ?  H  H 
vgl.  D.  H.  Müller,  ZDMG  37,  p.  363). 

'»  Da  auf  abessinischem  Boden  'Attar  der  Herr  des  Himmels  ist,    könnte  für  jene  Inschritten,  deren  Befund    Attar  als 

Inhaber  des  Symbols  nahelegt,  wie  die  Inschrift  aus  Jeha  und  eventuell  Gl.  737,  auch  die  Möglichkeit  in  Betracht  kommen, 

daß  ihm  eben  in  dieser  Eigenschaft  das  astrale  Symbol  beigelegt  wurde. 

6* 


44 


I.  Abhandlunq:  Adolf  Grohmann. 


Mondgottheit  bezeichnete,  aber  in  Verbindung 
mit  seiner  Tochter  oder  Gattin^  —  der  Sonne  — 
oder  mit  'Attar,  wo  der  Kreis  den  Stern  sj'ra- 
bolisieren  sollte;-  so  würde  es  sich  auch  erklären, 


warum  das  Symbol  so  oft  Altäre  schmückt  und 
warum  auch  über  dem  Namen  des  Särik  (nach 
J.  H.  Mordtmann,  ZDMG  39,  p.  235  =  'Attar)=' 
dasselbe  Symbol  angebracht  ist. 


Die  Hand 

Zum    symbolischen  Apparat    der   Sabäer    ge- 


hört   auch    die    ausgestreckte  Hand.     Sie    ist   bis 
jetzt  nur  auf  vier   sabäischen  Inschriften    belegt. 


^VJ 


Abb.  102.    Handsymbol  von  Gl.  1724. 

Auf  Gl.  804  (vgl.  Abb.  86)  sehen  wir  zwei  mit 
dem  Daumen  nach  links  (rechts?)  gekehrte  Hände 
unter  (über?)  der  Mondsichel  mit  der  Scheibe  (s. 


Al)b.  103.    Sabäisclie  Broiizetai'el  aus  'Annan. 
(London,  Brit.  Mus.) 


schließt  mit  der  Anrufung  an  'Almakah  (V «l»  ^1  h  Fl)- 
Auf  der  'Amräner  Bronzetafel  CIH  76  (Os.  12) 
sehen  wir  zwei  nach  unten  gerichtete  gegenstän- 


Abb.  104.   Symbol   auf  Hai.  257. 

'  dige  Hände  mit  nach  innen  gekehrtem  Daumen 
im  Schriftraume;  auf  der  'Amraner  Bronzetafel 
'CIH  79  (Abb.  103)  finden  wir  folgende  Anord- 
nung: rechts  zwei  gegenständige  Hände  mit  nach 
innen  gewendetem  Daumen,  links  daneben  eine 
Hand  mit  nach  links  gewendetem  Daumen ;  die- 
selbe Anordnung  dürfte  gegenständig  auch  auf  der 
abgebrochenen  Seite  angebracht  gewesen  sein. 
Auch  hier  sind  die  Hände  nach  unten  gerichtet. 
CIH  76  und  79,  in  welcher  sich  die  Reihe  von 
Handpaaren  auch  in  der  Leiste  über  dem  Schrift- 


Abb.  105.     Opfertisch  auf  einem  äg:yptisclien  Grabsteine 
des  mittleren  Reiches  (Genf). 


0.  p.  38).  Gl.  1724  =  Münch.  70  (Abb.  102)  zeigt 
reclits  neben  der  ersten  Zeile  der  Bustrophedon- 
inschrift  die  mit  dem  Daumen  nach  rechts  ge- 
wendete, nach  unten  gekehrte  Hand  und  darüber 
die    Mondsichel;    diese    altsabäische    Bauinschrift 


räum  wiederholt,  sind  Yotivinschriften  an  'Ahnakah. 
Kaum  ist  hier  die  bronzene  Hand  zu  erwähnen, 
die  sich  nach  J.  H.  Mordtmann*  im  Tschinili 
Kiöschk  befindet;  denn  sie  ist  wahrscheinlicher 
eine  Votivgabe    als  Dank    für    die  Heilung    eines 


'  F.  Hommel,  Aufs,  u   Abb.,   p.  157;  II.  Winckler,  ZDMG  54,  p.417;  D.  Nielsen,  ZDMG  66,  p.  595  ff.,   C7,  p.  380  ff. 

'  Vgl.  K.  Dussaud,  Notes  de  mythologie  nyrienne,  p.  5  ff. 

»  W.  Fell,  ZDMG  54,  p.  254  ,der  Glänzende'. 

*  J.  H.  Mordtmann,  Catalogue  sommairc,  p.  57   ^=  OM   119. 


GöTTERSYMBOLB    UND    SyMBOLTIERE    AUF    SÜDARABISCHEN    DbNKMÄLERK. 


45 


Haudgebrechens.  Auch  ist  es  nicht  ganz  sieher, 
oh  das  Zeichen  rechts  neben  Hai  257  =  GL  1091 
(aus  Ma'in,  Abb.  104)  tatsächlich  das  Haudsymbol 


Abb.  106.    Mondsichel  und  Hand.  Amulett  im  Besitze 
von  A.  Jeremias. 

darstellt,  wie  F.HommeP  annimmt.  In  E.Glasers 
Kopie  fehlt  das  Zeichen.  Man  könnte  anstatt  an 
die  Hand  besser  vielleicht  an  eine  Nachahmung 
des  cägvptischen  Opfertisclies  (Abb.  105)-  denken, 


Abb.  107.    Messinghand   von    einer   per.sischen  Fahnenstange 
im  k.  k.  Naturhist.  Hofmuseum  zu  Wien  (Invent.  25551). 


wie  er  auf  ägA^itischen  Grabsteinen  des  mittleren 
Reiches  (2000—1700  v.  Chr.)  vorkommt.  Ist  das 
Zeichen  in  Hai.  257  aber  tatsächlich  eine  Hand, 
dann  ist  auch  P'.Hommels  Zusammenstellung  mit 
dem  Svmbol  der  Istar  und  die  Ühertra"-uns-  auf 
den  minäischen  'Attar,  den  Hai.  257  nennt,  anzu- 
nehmen. 

Am  interessantesten  sind  für  uns  von  den  er- 
wähnten Handsymbolen  wohl  Gl.  804  (Abb.  86) 
und  besonders  Gl.  1724  (Abb.  102),  und  zwar  des- 
halb,   weil    dies  Svmbol    noch    heute    als  Amulett 


Abb.  108.    Handsynibol   auf  einer  punischen  Stele 
aus  Karthago. 

und  heiliges  Zeichen  bei  den  Arabern  in  Gebrauch 
ist.  In  Abb.  106^  sehen  wir  fast  dieselbe  Anord- 
nung wie  auf  Gl.  1724:  unter  der  Mondsichel 
steht,  nach  abwärts  gekehrt,  die  Hand,  welche 
die  Moslime  heute  als  Hand  der  Fatima  oder 
Muhamnieds  deuten.  Sie  kommt  auch  ohne  Mond- 
sichel vor;    so   findet   sich  im  Naturhist.   Hofmus. 


Abb.  109.     Handsymbol  auf  einem  babyl.  Siegelzylinder. 

ZU  Wien  eine  Messinghand,  die  eine  persische 
Fahnenstange  schmückte,*  in  der  Abb.  107  ver- 
anschaulichten Form.  Die  ausgestreckte  Hand 
ist  ein  äußerst  häufig  vorkommendes  Symbol 
auf  punischen,  der  Göttin  Tanit  (d.  i.  Astarte) 
geweihten  Inschriften  (vgl.  Abb.  108,  nach  CIS, 
Pars  I,  tom.  II,  Tab.  LXII,  Nr.  3019)  ^  und 
findet  sich  bereits  auf  babylonischen  Siegel- 
zylindern; so  steht  auf  Abb.  109''  die  sieben- 
fingerige   Hand   zwischen    der   Gottheit   und   dem 


'  F.  Horamel,  Grundriß  der  Geogr.  und  Gesch.  des  alten  Orients,  p.  101. 

'■'  Nach  W.  Spiegelberg,  Ägyptische  Grab-  und  Denksteine  aus  verschiedenen  Sammlungen,   Ud.  III,  Abb.  81,  Taf.  II. 

'  Nach  A.  Jeremias,   Das  alte  Testament  im  laichte  des  alten  Orients,   II.  Aufl..  p.  101,  Abb.  37. 

'  Nach   einer  freundlichen  Jlitteilurg  J.  v.  Karabaceks  ist  die  Hand  hier  als  die  rächende  Hand  'Alis  umgedeutet. 

*  Vgl.   F.  Hommel,  Grundriß  d.  Geogr.  u.  Gesch.,  p.  101, 

"  Nach  I).  Nielsen,  Altarab.  Mondreligion,  p.  155,  Fig.  23. 


46 


I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmann. 


Adoranten.'  Nun  ist  die  Hand  ja  bereits  auf 
Siegelzylindern  der  Hammurabi-Dynastie  als  gött- 
lich verehrte  Ha"nd  und  8vmbol  der  Tstar  zu  deuten.^ 
Eine  Darstellung  wie  Abb.  102  =  Gl.  1724  könnte 
also  ein  Seitenstück  zu  Abb.  88—90  darstellen, 
wenn  wir  bei  diesen  annelunen,  daß  die  runde 
Scheibe  den  Venusstern  A'crtritt,  der  in  Abb.  102 
durch  die  Hand  bezeichnet  wäre  —  auE  der  sich 
überdies  noch  die  gleichfalls  als  Venusstern  auf- 
zufassende Scheibe  befindet  —  wobei  nur  die 
Stellung  der  Mondsichel  verschieden  ist:  d.  h.  wir 
hätten  ein  'Attarsynibol  mit  dem  Mond- 
svmbol  verbunden.  Etwas  Ähnliches  könnte 
man  zu  Abb.  8G  vermuten;  allerdings  setzt  diese 
Darstellung  einer  Erklärung  erhebliche  Schwierig- 


keiten entgegen:  denn  da  sind  zwei  Hände  vor- 
handen, die  aber  auch  nicht  als  Adorantenhände 
gedeutet  werden  können,  da  sie  beide  —  die 
Richtigkeit  der  Kopie  vorausgesetzt  —  mit  dem 
Daumen  nicht  zueinander,  sondern  nach  derselben 
Seite  gestellt  sind. 

Wenn  wir  aber  einen  Versuch  zur  Deutung- 
von  CIH  76,  79  wagen  dürfen,  so  wäre  vielleicht 
zu  erwägen,  ob  dort  nicht  eine  dekorative  An- 
wendung der  nach  unten  gerichteten  Adoranten- 
handpaare  vorläge;  anderenfalls  wäre  sie  mit 
Zauber  in  Verbindung  zu  bringen,  wie  heute  in 
Palästiiyi  und  ^Marokko  die  nach  oben  ausgestreckte 
Hand  an  Häusern  angebraclit  wird,  um  die  Be- 
wohner vor  bösen  Einflüssen  zu  schützen.^ 


Das   Kreuz. 


Ein  bislier  in  Sudarabien  unbeachtet  geblie- 
benes Svmbol  stellt  auch  das  Kreuz  dar.  Es  findet 
sich :  reciits  neben  den  ersten  beiden  Zeilen  von 


Abb.  110.    Kieuzsymbol  auf  Gl.  1209. 

Gl.  1209  =  29  =  279(ausHagarZa]ira,  Vgl.  CIH  338), 
einer  Personaldedikation an  ^^"f>inihX  (Abb.  HO). 
Außerdem  nocli  in  derselben  Form  auf  den  beiden 
katabänischen    Bauinschriften     Gl.  1121     (aus 


(mit    \4    in    der    Mitte),    2624    und    2635*    (vgl. 
Abb.  111);  vielleicht  ist  auch  das  in  zwei  quadra- 


Abb.  111.  Sabäisclie  Siegel.  (Berlin,  Kgl.  Mus.) 


IIJW  «I' "■" 


-yi 


Gedida)  und  Gl.  1587  (aus  Ne^ä  im  Muräd),  rechts 
neben  der  ersten  Zeile.  Dieses  Symbol  scheint 
auch  noch  auf  drei  sabäischen  Siegeln  des  Berl. 
Mus.  vorzukommen,  und  zwar  den  Nummern  2618 


Abb.   ll'J.     Sabäisclie  Stele. 


,=*««?:. 


'  Vgl.  I).  Nielsen,  a.  a.  O.,  p.  155,  Fig.  24  (ähnlich  Fig.  23)  und  p.  111,  Fig.  10,  einen  Siegelzylinder  mit  einer 
Keihe  von  drei  Händen  in  der  -Mitte.  -  F.  Hommel,  Grundriß  d.  Geogr.  u.  Gesch.,  p.  101. 

'  Vgl.  Goblet  d'Alviella,  La  migration  des  symboles,  p.  35.  Vgl.  auch  Janssen  et  Savignac,  Mission  arch^o- 
logique  cn  Arabie  I.  (Paris  1909),  Taf.  32  zw.  p.  65  u.  64.  ■>  Vgl.  J.  H.  Mordtmann,  H.  I.  A.  T.if.  I,  p.  51  f.,  57. 


Göttersymbole  lnd  Syjiboltiere  auf  südarabischen  Denkmälern. 


47 


tische  Linienr.ihmen  gesteckte  X  neben  dem  Svm- 
Lole  1=1  auf  dem  Gewände  der  sitzenden  Frau  der 
Glermont-Ganne.iuschen  Stele  (vgl.  Abb.  112, 
s.  pag.  30,  Note  1),  sowie  das  Zeichen  |X|  links  von 
Hai.  623  (aus  Silyäm)  so  zu  deuten.  Endlich  findet 
sich  das  Symbol  in  der  Form  X  auch  noch  auf 
dem  Revers  der  sabäischen  Münzen  Sclilum- 
berger,  Nr.  48/49, i  links  unter  der  Eule.  Bereits 
Schlumberger  hat  in  diesem  Zeichen  ein  Kreuz 
erkannt;  er  sagt  (a.  a.  0.,  p.  25):  ,Sur  deux 
draclunes  du  type  le  plus  recent  ä  coiffure  a  la 
riimaine  ou  augusteenne,  on  aperfoit  au  revers, 
sous  la  queue  de  la  chouette,  ä  la  place  ancienne 
du  noun.  un  caractere  qui  se  rapproclie  du  tau 
pointe,  Xi  himyaritique,  mais  qui  est  encore 
plus  voisin  d'une  croix.  Sur  la  seconde  de 
ces    drachmes   le   neun  de  Nagran,    qui,    sur    les 

^.    X    +   X 


Abb.  113.     Minoisches  Kreuz. 


autres  exemplaires  de  cette  serie,  figure  d'ordi- 
naire  derriere  la  tete  royale  du  droit,  a  disparu, 
mais  par  contre,  sur  la  premiere,  on  le  distingue 
tres  nettement.  II  parait  en  consequence  difficile 
de  faire  egalement  de  ce  caractere  l'initiale  d'un 
ciuquieme  atelier  monetaire  inconnu.' 

Das  sabäische  Kreuzsymbol  auf  Münzen  hat 
auch  im  Minoischen  ein  Gegenstück.  Das  Minoi- 
sche  Kreuz  ^  (Abb.  113)  erscheint  als  religiöses 
Symbol  auf  einer  Reihe  von  Siegeln,  die  in  einem 
Schrein  der  Schlangengottiieit  in  Knossos  ge- 
funden  wurden. 

Daß  das  Zeichen  wolil  nur  ein  Kreuz  sein 
kann,  wird  noch  deutlicher,  wenn  wir  die  babyloni- 
schen Darstellungen  iieranziehen.  Auf  dem  Siegel- 
zylinder Delaporte  Nr.  297  (Abb.  114),^  aus  der 
Zeit  der  Kassitenkönige,  sieht  man  links  oben 
neben  der  Männergestalt  ein  Kreuz  und  auf  dem 
babylonischen      Zylinder     Delaporte      Nr.    385 


(Abb.  115)*  ein  Kreuz  oben  in  der  Ecke  links  über 
dem  Greifen  zur  Seite  des  stilisierten  Lebens- 
baumes.^ Bereits  F.  Hommel  hat  im  Kreuze  eine 
Schlußmarke,  bezw.  das  Symbol  des  Planeten 
Saturn    gesehen''    und     die    Bedeutung    , Zeichen, 


Abb.  114.  Babylonischer  Siegelzylinder  (ca.  1700- 
V.  Chr.),  Delaporte  297.  (Paris,  Bibl.  Nat.) 


■1200 


Marke'  des  Wortes  in  im  Alten  Testament  heran- 
gezogen. A.  Jeremias"  sieht  im  liegenden  Kreuze 
das  Jahwezeichen,  das  nach  Hi.  31,  35  zur 
Beglaubigung  eines  Dokumentes  für  den  Schrift- 
unkundigen  gegolten  liätte,  wie  es  bei  den  Baby- 
loniern  und  Elamiten  als  Schlußzeichen  bei  Ur- 
kunden gedient  zu  liaben  scheint.  Nach  den 
babylonischen  Analogien  wii-d  man  auch  im  sa- 
bäischen Kreuz  ein  Symbol  zu  sehen  haben, 
dem  vielleicht  die  gleiche  Bedeutung  innewohnte; 
vielleiclit  bezeichnet  es  auch  auf  der  sabäischen 
und  den  beiden  katabänischen  Inscliriften  eine 
Art  Bestätigung   durcli  die   Gottheit.    An  welciie 


Abb.  115. 


Neubabylonischer    Siegelzylinder,  Delaporte    385. 
(Paris,  Bibl.  Nat.) 


Gottheit  aber  dabei  zu  denken  wäre,  läßt  sich 
aus  den  Inschriften  nicht  ersehen.  Daß  es  etwa 
wegen  Gl.  1209  mit  Ta'lab  Riyäm  zusammen- 
zubringen wäre,  scheint  mir  niclit  wahrschein- 
lich, und  auch  die  Gleichheit  des  Symbols  mit 
dem  ersten  Buchstaben  dieses  Gottesnamens 
kann  hiezu  keine  Handhabe  bieten.*  Einer  Er- 
klärung als  Symbol  Ta'lab  Riycäms  stünden  denn 
auch  die  beiden  katabänischen  Inscliriften  im 
Wege,  die  diese  spezifiscli  sabäische  Gottheit 
nicht  kennen. " 


1  G.  Schlumberger,  a.  a.  O.,  Taf.  III.  «  Nach  A.  J.  Evans,  Scripta  Minoa,  p.  222,  Nr.  112. 

'  Nach   L.  Delaporte,  a.  a.  O.,  PI.  XX.  *  Nach  L.  Delaporte,   a.  a.  0.,  PI.  XXVI. 

^  Siehe  hier  auch  Abb.  149  und  vgl.  A.  Jeremias,  Das  Alte  Testament  im  Lichte  des  alten  Orients,  I.  Aufl.,  p.  356, 
Abb.  136;  L.  Delaporte,  Cyl.  Orient.,  Taf.  20,  Nr.296,30!.  "  F.  Hommel,  Grundriß  d.  Geogr.  u.  Gesch.,  p.  100  und  Anm.l. 

'  A.  Jeremias,  Das  Alte  Testament  im  Lichte  des  alten  Orients,  I.  Aufl.,  p.  356 f.  '  Vgl.  oben  p.  30  f.  zu    ?a)är^U. 

^  Viel  v^ertvolles  Material  zum  Kreuzsymbole  bringt  auch  W.  Scliul  tz,  Das  Hackenkreuz  als  Grundzeichen  des  semi- 
tischen Alphabetes,  Memnon  III.   175 — 200. 


48 


I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmann. 


Die  Speerspitze. 


Bereits  0.  Welier'  hat  das  Speerspitzcn- 
svmbol  (Abb.  9)  auf  südarabischen  Denkmälern 
nachgewiesen  und  es  mit  der  Speerspitze  Marduks 
(Abb.  51,  dritte  Reihe  links)''  zusammengestellt 
und  dem  Gotte  'Attar  zugewiesen,   dessen  Mono- 


%\ 


Abb.  116.    Speerspitzensvmbol  .luf  Gl.  552. 


«rramm  es  vertritt 


■Wenn  icli  hier  noch  einmal 
auf  dies  Symbol  zurückkomme,  so  geschieht  es 
der  Vollständigkeit  halber,  um  im  Rahmen  der 
Gesamtdarstellung  der  südarabischen  Gütter- 
symbolc  kein  gesichertes  fehlen  zu  lassen.  Gleich- 
zeitig seien  auch  alle  Formen  des  Symbols,  die 
Weber  in  seiner  Arbeit  nicht  vollständig  geben 
konnte,  hier   angeführt. 


Das  Symbol  gehört  zu  jenen,  die  sieh  auf 
Denkmälern  von  Saba  und  Ma'in  finden.  Es  steht : 
An  erster  Stelle  links  auf  dem  Bulawayosteine 
(Abb.  9);  links  von  Gl.  552  ==  Arn.  26  auf  der 
Nordostseite    der   Yerbindungsmauer    des    Marbat 

\   -^    t   t     tu 

a  b  c  d  e  f  9 

Abb.  117.    Speerspitzensj'mbol  auf  sabäischen  Münzen. 

ed-Dimm  mit  dem  Berge  ^  (Abb.  116).  Diese 
fragmentarische  Inschrift  (^f^T)  bildet  wohl  den 
Schluß  der  Invokationsformel:  [..Bei  'Attar  und 
'Almakah  und  Dät]  Hmi"."  Ferner  erscheint  es 
vielfach  variiert  auf  einer  Anzahl  sabäischer 
Münzen  des  Hofmuseums  in  Wien  und  auf  etlichen 
Berliner  Stücken  auf  dem  Avers,  —  der  Revers 
trägt  das  Bukranion  — ,  gesammelt  in  Abb.  117: 


a  entspricht  D.  H.  Müller,  Südarab.  Altert,  p.  70  Taf.  XIV.  Abb.  25  Ty-p.  Y,  ähnlich  Berl.  219  (p.  77). 


26 


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7)        ?J 

.,  77 


Abb.  118. 


Außer  diesen    sabäischen  Denkmälern   trägt 

auch  die  minäische  Inschrift  Hai.  236  (Abb.  118 

aus    Ma'in)    rechts   neben   der    ersten 

Zeile   dies  Symbol. 

Vorderhand     unverständlich     ist 

mir    die  Schlinge,  die    um    die    Mitte 

des    Schaftes     der     Speerspitze     der 

minäischen    sowohl     wie    der    sabäi- 
Bpeerspitzen-  i     i     i      •     i 

Symbol    auf    scheu  Form  läuft.     Die   babylonische 

Hai.  236.       Form    dieses    Symbols,    wie    wir    sie 

auch  auf   den   beiden  Siegelzj'lindern 

Abb.  64  sehen,  hat  diese  Schlinge  nicht.     Sollte 

es    sich     vielleicht    um     einen     Speerrienien    als 

Handhabe    handeln?      Der    babylonischen    Form 

auf    den    Siegeln    kommen    übrigens    die    Formen 

c.    f    in    Abb.   117    sehr    nahe.      Auch    hier,    wie 


V. 

V4 


.     V3 

,,     Vio  ähnlich  wohl  Berl.  221  (p.  77) . 
Berl.  220,195.  — 

schon  früher  beim  Totschläger  wird  kaum  an 
direkte  Entlehnung  des  babylonischen  Symbols 
zu  denken  sein,  da  die  sabäo- 
mniäische  Form  mit  Schlinge 
kein  formgleiches  Analogen  in 
Babylonien  hat.  Man  könnte  aber 
an  eine  Mittelstufe  denken,  die  im 
babylonischen  nicht  erhalten  wäre 
und  die  Schlinge  aus  einer  Dar- 
stellung wie  Abb.  119,  dem  Siegel 
Delaporte  603^  entwickelt  hätte, 
wo  der  Strich  unter  der  Spitze 
etwas  tiefer  nach  unten  gerückt 
ist  als  in  den  Typen  Abb.  64. 
Zum  babylonischen  Symbole  selbst  wolle  man  K. 
Frank,  Bilder  und  Symbole  pag.  23  vergleichen. 


Abb.  im.  B.aby- 
lonisclies  Siegel. 
(Delaporte  603, 
Paris,  Bibl.  Nat.) 


'  O.  Weber,  Göttersymbole  p.  275. 

''  Vgl.    M.   Jastrow,    Bildermappe,    Taf.   10,    Nr.  34;     11,    Nr.   36,    37,    38;     12,    Nr.  40;     13,    Nr.   42,    43,    44;     14, 
Nr.  45,  47. 

"  Vgl.  E.  Glaser,  Märib  im  Jemen,  p.  59  ff. 
*  Nach  L.  Delaporte,  a.  a.  O.  Taf.  XXXVII. 


GOtteksymbole  und  Syuboltiere  auf  südarabischen  Denkmälern. 


49 


Die  Federkrone  und  die  Vulva. 


Am  Schlüsse  der  Inschriften  H.al.  1 55  f.,  1 60  f. 
(aus  Medinet  Haram)  findet  sich  ein  Zeichen,  mit 
dem   sich  bis   jetzt   niemand  beschäftigt   hat.    das 


©I 


V 


Abb.  120.    Federkrone  auf  Hai.  155. 

aber  nicht  nur  iu  religionsgeschichtlicher,  sondern 
auch  in  ethnographischer  Beziehung  von  Inter- 
esse ist.  Das  Zeichen  steht  in  der  (Abb.  120) 
gegebenen  Form  und  Anordnung,  auf  Hai.  155 
=  156;  in  einer  Reilie  mit  den  beiden  Mono- 
grammen steht  es  in  Hai.  160^161.  Welchen 
Gegenstand  nun  dies  Zeichen  darstellen  mag, 
können  wir  aus  Abb.  121  erschließen,  die  uns 
die  Kopfbedeckung  der  drei  göttlichen  Wesen  auf 
dem    Aveiter  unten    (Abb.  148)    besprochenen  und 


Abb.  121.    Federkrone  auf  dem  Haupte  eines  geflügelten 
Genius  auf  einem  altlihjünischen  Siegelzylinder. 


Abb.   122  a.     Minoisehe 

Hieroglyphe      auf     der 

Phästusscheibe. 


Abb.  122  b.    Eevers  einer 
sardischen  Münze. 


abgebildeten  lihjänischen  Siegelzylinder '  zeigt ; 
wir  sehen  mit  F.  Hommel  in  ihr  eine  Feder- 
krone. Einen  ähnlichen  Kopfschmuck  tragen  die 
beiden  reciiten  Männergestalten  auf  dem  bereits 
p.  28  f.  besprochenen  Siegelzylinder  (Abb.  59). 


Die  Federkrone,  doch  mehr  einem  Ilelm- 
kamme  ähnlich,  erscheint  auch  auf  dem  Kopfe 
einer  Hieroglyphe  (Abi).  122  a),  die  des  öfteren 
auf  der  bereits  erwähnten  Phästusscheibe  vor- 
kommt. -  Zu  der  minoischen  Hieroglyphe  ist, 
wie  hier  nur  beiläufig  bemerkt  werden  soll,  viel- 
leicht auch  die  Darstellung  des  Sardus  Pater  auf 
einer  römischen  Münze  aus  Sizilien  zu  stellen 
(Abb.  122  6);  3  es  scheint  demnach  auch  dort  die 
Gottheit  —  wie  bei  den  Sumerern  —  eine  Feder- 
krone als  Götterabzeiehcn  getragen  zu  haben. 


Abb.  123.    Federkrone  auf  dem   Haupte  Adads,  von  einer 
Lazurstange  aus  Babylon   (MÜOG:  Nr.  5). 

Die  Form  der  Federkrone  ist  sich  auf  den 
babA'lonisch-assyrischen  Darstellungen  niclit  immer 
gleich  geblieben.  Vergleicht  man  die  Federkrone 
auf  dem  Haupte  Adads  (Abb.  123;*  zwischen  680 
und  669  v.  Chr.  zu  datieren)  mit  der  auf  dem 
Kopfe  Marduks  in  Abb.  52  (ca.  1204  bis  1189  v. 
Clir.)  oder  Abb.  32  (ca.  S50  v.  Chr.),  so  ergeben 
sich  schon  gewisse  Unterschiede.  So  sind  bei  der 
Federkrone  Marduks  die  Federn  noch  deutlich 
als   solche   erkennbar,   während   die  Adads  sciion 


Abb.  124.  Acbämenidiseher  Siegelzylinder. 
(Delaporte  399,  Paris,  Bibl.  Nat.) 

mehr  an  die  Form  der  Kione  auf  dem  Haupte 
der  Göttin  'Aniiket  bei  F.  Hommel,  Aufs.  u. 
Abb.,  ]).  218  erinnert.  Eine  Federkrone  mit  fünf 
Zacken*  trägt  der  rechte  Genius  auf  dem  achä- 
menidischen  Siegelzylinder  Delaporte  Nr.  399 
(Abb.    1241,"    während    sicii    die    sabäische    Form 


'  Nach  F.  Hommel,  Aufs,  und  Abb.,  p.  161,  aus  der  assyrischen,  spätestens  acliämenidischcn  Zeit. 
'  Vgl.  A.  J.  Evans,   Scripta  Minoa  p.  24,   Fig.  IIb,   c,  und  allgemein  zur  Federkrone  p.  2ö. 
^  Nach  KRAL.,  1910,  p.  239,  Fig.  10.  *  Nach  M.  .lastrow,  a.  a.  O.,  Taf.  5,  Nr.  15. 

^  Dieselbe  Zahl  in  den  Darstellungen  bei  F.  Hommel,  a.  a.  O.,  Abb.  p.  160,  163,  214. 
6  Nach  L.  Delaporte,  a.  a.  O.,  PI.  XXVII. 
Denkschriften  der  phil.-hist.  Kl,  68.  lid.  1.  Abb.  7 


50 


I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmann. 


mit  deren  vier  zu  begnügen  scheint;  ebenso  die 
Jlittelfigur  desselben  Zylinders.  Interessant  ist 
nun,  daß  die  Vierzalil  der  Federn,  als  deren 
Vertreter  wir  die  Zacken  der  Siegelzylinder  an- 
zusehen haben,  schon  auf  der  ältesten  Form  der 
Federkrone   eingehalten   erscheint;     so    auf    dem 


Abb.  r25.    Fragment  der  Geierstele  (ca.  3000  v.  Chr.). 
(Paris,  Louvre.) 

Bruchstück  C  der  Geierstele  aus  der  Zeit  Eannadu 
(ca.  3000  V.  Chr.)  in  der  rechten  unteren  Ecke 
(Abb.  125).^  Sehr  wichtig  ist  nun,  was  L.  Heuzey 
über  die  Bedeutung  dieses  merkwürdigen  Kopf- 
schmuckes sagt:-  ,La  comparaison  patiente  des 
raonunients  demontre  fpie  cette  coiffure,  corame 
la  tiare  multicorne  assyrienne,  ä  laquelle  eile 
correspond,  est  un  attribut  exclusivement  mytho- 
logique.  Elle  n'est  portee  ni  par  les  rois  ui  par 
les  guerriers  ni  meme  par  les  pretres;  mais  eile 
est  rinsigue  des  etres  surnaturels,  c'est-ä-dire 
des  genies  et  des  dieux.  Ici,  vu  le  caractere  fe- 
minin des  figures,  eile  designe  siirement  deux 
decsses'.  Diese  Anschauung,  die  in  ähnlicher 
Weise  auch  F.  Hommol  ausgesprochen  hat,  indem 
er  die  mit  der  Federkrone  geschmückten  Gestalten 
mythologische  nennt,''  legt  uns  die  Frage  nahe, 
ob  die  Federkrone  als  ,insigne  des  etres  sur- 
naturels' bei  den  Sumerern,  nicht  etwa  auch  im 
sabäischen  Götterkulte  eine  ähnliche  Stellung  ein- 
senommen  hätte.  Nach  dem  bereits  oben  aufse- 
zeigten  Parallelismus  der  Göttersymbole  in  Baby- 
lonien  und  Südarabien  ist  eine  bejahende  Antwort 
auf  diese  Frage  immerhin  wahrscheinlich  gemacht. 
Galt  aber  die  Federkrone  als  Abzeichen  gött- 
licher Würde,  so  ist  der  Schritt,  ein  solches  Ab- 


zeichen als  Göttersymbol  zu  fassen,  nicht  gar 
weit.  Die  Inschriften  Hai.  155 f.,  160 f.  geben 
dann  auf  die  Frage,  wem  dies  Symbol  angehört 
haben  mag,  eine  ziemlich  eindeutige  Antwort: 
sie  stehen  in  der  Grupjie  von  Inschriften,  die  von 
J.  Halevy  in  Haram  gefunden  worden  sind;  in 
Haram  wurde  der  Gott  HTDlhnX^  verehrt;  die 
Inschriften  Hai.  144  ff.  sind  auch  Dedikationen 
au  ihn;  ebenso  Hai.  155  =  156*  und  160=161. 
Nach  J.  H.  Mordtmann,"  dem  sich  W.  Fell" 
anschließt,  ist  hf  [DHnX^  soviel  wie  )X?°)  während 
F.  Hommel'  von  ihm  eine  abweichende  Auffassung 
hat  und  auch  seinen  rätselhaften  Namen  anders 
erklärt  als  W.  Fell. 

Wenn  zwar  die  Inschriften  die  völlige  Lösung 
der  Frage  nach  der  Natur  dieses  Gottes  bisher 
nicht  gegeben  haben,  so  deuten  sie  immerhin  mit 
einiger  Wahrscheinlichkeit  darauf  hin,  daß  sein 
Symbol  die  Federkrone  war. 

Der  Vollständigkeit  halber  sei  noch,  bevor 
auf  die  minäischen  Symbole  näher  eingegangen 
wird,  der  Darstellung  Sab.  Denkm.  40  (Abb.  126) 
gedacht;    es   ist   vorderhand  jedoch    unsicher,    ob 


.^^?5^si^.,^>i;r»v:rt^ -/v- 


.-;-^^i'??^?^ 


oriQir 


Abb.  1'26.   (Sab.  Denkm.  40.)  Sabäische  Inschrift  im  Tschinili 
KiOschk,  Konstantinopel. 

die  von  D.  H.  Müller  als  Bäume  gedeuteten  Ver- 
zierungen* nicht  etwa  Symbole  darstellen;  die 
sabäische  Inschrift  bietet  zu  keiner  Deutung 
Anlaß,  auch  kommt  diese  Verzierung  sonst  meines 
Wissens  nicht  vor. 

Es  ist  nämlich  fraglich,  ob  die  beiden  ,Bäum- 
clien'   von  Sab.  Denkm.  40  mit   dem  Symbol  zu- 


'  Nach  E.  de  Sarzec,  D^c.  eu  Chaldf'e,  tom.  II,  PI.  IV  C. 

'  l)6c.  en  Chaldec,  tom.  I,  p.  101.  »  Anfs.  u.  Abh.,  p.  163.  « 

*  In  H.il.  155  sclicint  Zeile  4/5    ;'B:;rB    übersprungen  zu  sein,  wodurch   die  Inschrift  um   1   Zeile  kürzer  ist;  -vg].  auch 
Hai.  158.     Das  ••  •  ;s   ist  nach  Hai.  159  4/5  -[snl-s  zu  ergänzen;  vgl.   144,   7;    148,   5;    150,  6. 
»  ZDMG  31,  p.  86.  5-.',  p.  400.  «  Ebda.  54,  p.  233  ff.,  237. 

'  Aufs.  u.  Abb.,  p.  192.  »  Vgl.  D.  H.  Müller,  Sab.  Denkm.,   p.  96. 


Göttersymbole  und  Symboltiere  auf  südarabischen  Denkmälekn. 


51 


sanimenliängen,  -welches  Abli.  127 — 129  veraiischau- 
liclieii  und  das  auch  auf  einem  Graffito  von  Tocou- 
da^  vorkommt.  Neben  dem  Totschläger  und  dem 
Symbol  Mondsichel    mit   Scheibe   finden   wir   hier 

Abb.  1-27.  Gl.  1757   =  München  103  (aus  fjirw;"ih). 


nun  schon  das  dritte  Symbol  auf  südarabischem 
Boden"  und  in  Abessynien  wieder.  Die  Pfeiler- 
inschrift aus  Kaskase^  (Abb.  129)  hat  E.  Littmann 
aus  inneren  Gründen  in  das  1. — 2.  nachchristliche 
Jahrh.  gesetzt;  paläograiriiiscli  zeigt  sie  jedoch 
alten  Duktus,  d-er  an  die  Schrift  des  Yehaaltares 
(s.  0.  p.  12)  erinnert;  sie  ist  auch  wie  die  dritte  Seite 
jenes  Altarsteines,  den  E.  Littmann  ins  5. — 1.  vor- 
christliche Jahrh.  setzt,  bustrophedon  geschrieben. 
Während  es  bei  der  Yehainschrift  unsicher  ist, 
ob  sie  Sabäer  haben  setzen  lassen,*  fällt  die  In- 
schrift   aus    Kaskasö    nach    ihrer    Fassung    noch 


Abb.  128.  Sabäisclier  Terrakottastein  im  k.  k.  Hofiuuseuiu 
zu   Wien. 

mehr  als  jene  aus  dem  Rahmen  der  uns  bekannten 
südarabischen  Epigraphik.*  Man  wäre  also  zwar 
geneigt,  auf  Grund  paläographischer  Indizien  die 
Kaskaseinschrift  höher  anzusetzen  als  es  E.  Litt- 
mann tut:  doch  reicht  sie  —  auch  im  Verein 
mit  den  Yehainschriften  —  keineswegs  aus,  weiter- 


gehenden chronologischen  Schlüssen  als  Unterlage 
zu  dienen. 

Von  den  sabäischen  Inschriften,  die  auf  ara- 
bischem Boden  das  <}-Zeichen  tragen,  müssen  wir 
aber  Gl.  1757  in  die  älteste  Zeit  der  sabäischen 
Geschichte  verlegen.  Sie  ist  eine  Felsinschrift, 
die  wie  überhaupt  die  Nummern  München  98 — 117 
wahrscheinlich  aus  Sirwäh  stammt  und  auch  sonst 
Berührungspunkte  mit  den  anderen  Texten  dieser 
Gruppe  aufweist.  Sie  ist  bustrophedon  und  im 
alten  Duktus  geschrieben.  Die  vollständigste  In- 
schrift dieser  Gruppe  (München  98  =  Gl.  1752) 
ist  eine   lexikographisch   wie  paläographisch  sehr 


Abb.  129.     Sabäische  Inschrift  aus  Kaskase. 

altertümliche  'Attarinschrift;  in  anderen  Texten 
kommt  wenigstens  der  Eigenname  )  X  S  °  Fl  ■^'or.") 
Von  den  drei  abgebildeten  Inschriften,  die  das 
^-Zeichen  tragen,  nennt  jedoch  keine  (auch  Gl.  1757 
nicht  explicite)  den  Gott  'Attar.  Trotzdem  fällt 
einem  unwillkürlich  die  Ähnlichkeit  unseres  Sym- 
bols mit.  der  Vulva  auf,  dem  assyrischen  Symbol 
der  Istar  (vgl.  Abb.  142  f.):  es  sei  also  vorder- 
hand nur  diese  gegenständliche  Gleichung  vor- 
geschlagen; denn  wollte  man  dem  männlich  ge- 
dachten 'Attar  dieses  spezifisch  weibliche  Symbol 
angliedern,  so  könnte  man  auch  der  Annahme 
nicht  entraten,  daß  die  Auffassung  des  'Attar  als 
männliche  Gottheit  zu  einer  Zeit  platzgriff,  als 
das  Symbol  längst  in  ihrem  Kultusapparat  ein- 
gewurzelt und  in  seiner  gegenständlichen  Be- 
deutung' schon  verblaßt  war. 


b.  Die  minäischen  Symbole. 


Bis  jetzt  bildeten  hauptsächlich  jene  Symbole 
den  Gegenstand  der  Untersuchung,  die  auf  sabäi- 
schen Denkmälern   vorkommen.    Das  Blitzbüudel 


und  die  Speerspitze,  die  wir  auch  auf  minäischen 
Denkmälern  finden,  wurden  z.  T.  schon  im  vor- 
hergehenden   behandelt    (p.   23  ff.,  48).      Zu   den 


'  E.  Littmann,  Deutsche  Aksuniexped.  IV,  Nr.  .S6,   p.  63. 

'  Gl.  1757,  Abb.  127  nach  E.  Glaser  wahrscheinlicli  aus  l~;irwäh;  Abb.  128  =  Hofmuseum  40  nach  D.  H.  M  aller,  Südarab. 
Altert.,  p.  51.  =  E.  Littmann,  a.  a.  O.,  Nr.  3.ö,  p.  62.  *  V^l.  E.  Li  ttmann,  a.  a.  O.,  p.  59.  ^  Herselbe  a.  a.  O.,  p.  63. 

«  InMünch.  lOlf,  105.  Vgl.auch:  |>XS°  l?'!'!^®  Münch.  106,  109;  vgl.  112.  —  IHfl  WNI>X§°I<I>^  )l  ^®?  Münch.  98, 
113;  vgl.  114,  116. 


52 


I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmann. 


spezifisch  minäisehen  Symbolen  gehört  a)  das 
'Attarmonogramm,  b)  die  Sciilange  und  c)  das 
Tor  H. 

Für    das    'Attarmonogramm    hat     schon    0. 
Weber*  die  richtige  Deutung  gefunden  und  das 


Abb.  130.     Schlange  auf  der  uüuäischen  Inschrift  Gl.  1316 
(aus  Baräljis). 

^lonogramm  sowie  seinen  Stellvertreter,  die  Speer- 
spitze, als  Symbol  des  'Attar  gedeutet.  Ebenso 
verdanken  wir  0.  Weber  (a.  a.  0.  p.  280)  die  Be- 
stimmung der  Schlange  als  Symbol  des  Gottes 
Uadd,  wozu  Gl.  1316  =  Hai.  532  (aus  Baräkis) 
einen  schönen  Beweis  liefert;  links  neben  der 
Schlange,  die  rechts  von  der  dreizeiligen  Inschrift 
eingehauen  ist,  ersciieint  in  großen  Buchstaben 
der  Name  t>l<i)  i^Uaddj  (Abb.  130i. 

Von  einem  Tempelbau   für    diesen    Gott   be- 
richtet auch  Z.  1    der  Inschrift   (iH®!  X  TD  I  ?H  fl)- 


Abb.  131.    Torsynil)ol    auf  der  minäisehen  Inschrift  vom 
Mikntb  in  Ma'in  (Gl.  1153). 

So  bleibt  nur  nocii  das  au  dritter  Stelle  ge- 
nannte Symbol  übrig,  das  Abb.  131  veranschau- 
licht. 0.  Weber  hat  dieses  SymboP  mit  dem  sa- 
bäischen  Doppelgriffelsymbol  zusammengestellt  und 
es  als  dessen  Variante  angesehen.  Dagegen  erregt 


'  O.  Weber,  Göttersymbole,  p.  275. 
'  O.  Weber,  Göttersymbole,  p.  277. 

•  Vgl.  E.Glaser,  Die  Abessinier,  p.  74  f.,  F.  Hnmuiel 
übrigen  dort  zitierten  Belegen. 


aber  die  Form  des  Symbols  schwere  Bedenken. 
Das  Charakteristische  am  Symbole  Abb.  131  ist 
die  Schweifung  der  Linien  des  aufrechten  Parallelo- 


Abb.  132.    Anfang  der  minäisehen  Inschrift  Gl.  1083 
(aus  Ma'in). 

grammes,  das  Charakteristische  des  Doppelgriffel- 
symboles  |=j  sind  die  beiden  parallelen  Stäbe  mit 
einer  oder  zwei  verbindenden  Mittellinien.  Die 
gänzliche  Verschiedenheit  der  Form  macht  die 
Annahme,  es  handle  sich  bei  Abb.  131  um  eine 
Variante  des  Doppelgriffels,  unmöglich;  es  hat 
mit  dem  Doppelgriffelsymbol  nichts  gemein  und 
stellt  ein  spezifisch  minäisches  Sj-mbol  dar.  Das 
Symbol  findet  sich: 

I.  Allein. 

a)  Rechts  von  den  drei  ersten  Zeilen  der 
Inschrift  Gl.  1155  =  Hai.  535  +  578  (aus  Barä- 
kis).* Die  Inschrift  enthält  1.  eine  Bauwidmung 
(ITH^r^<ß|?Hn»lh1^)an  |t]Bn'^HI>X?°  ('Attar 


Aufs.  u.  Abli.,    p.  230  ft',    Chrestomathie     p.   103    nebst    den 


GOttersymbole  und   Symboltiere  auf  südarabischen  D 


ENKMALERN. 


53 


Du  Kb(J"');  2.  im  weiteren  Verlaufe  nennt  der 
Text  Z.  2  (10,  14)  den  'Attar  Du  Kbd"',  Uadd 
und  Nkrh,  3.  in  der  Götteranrufung  geht  'Attar 
Srkn,  wie  oft  sonst,  voraus;  er  ist,  wie  auch 
die  Gral)inscliriften  zeigen,  der  spezielle  Scliutz- 
gott  gegen  Beseliädigung  von  Monumenten;  es 
folgen  die  übrigen  Götter  wie  oben  (Z.  2),  dann 
'Attar  Du  Ihrk,  Dät  Nsk"",  die  Götter  von  Ma'in 
und  von  latil. 

b)  Oben  in  der  Jlitte  über  der  ersten  Zeile 
von  Gl.  1153  =  1090  ==  Hai.  243  (vom  Mikräb 
von  Ma'in,  Abb.  131)  mit  einer  Widmung  au 
'Attar  Du  Kbd». 

c)  Rechts  von  den  drei  ersten  Zeilen  von 
Gl.  1083  =  Hal.  187  +  188  +  191  (Abb.  132;  aus 
Ma'in).'  Die  Inschrift  enthält  die  Bauwidmuno- 
eines  Jurines  ([H  BIR«^  H  l>  X§o  |  f^^  g)  an  'Attar 
Du  Kbd".  Der  Text  erwähnt  weiter  noch  den 
Uadd  (188,  lf.,-6f.)  und  Nkrh  (188,  3),  und  zwar 


IV 


Abb.  133.      "Attarmnuogranun    und   Blitzbündel   auf  der   nii- 
näischen  Inschrift  Hai.  480  (aus  Baräljis). 

erst  in  zweiter  Linie  Opfergabeu  an  sie.  In  der 
Götteranrufuug  stehen  die  genannten  Götter  in 
der  Reiheufolge:  'Attar  Du  Kb^"",  Uadd,  Nkrh; 
dann    Attar  Du  Ihrk   und   die  Götter  von  Ma'in. 

d)  Rechts  neben  der  ersten  Zeile  von  Gl. 
1091  =  Iial.257  (aus  Ma'in).^  In  E.  Glasers  Kopie 
steht  das  Sj'mbol  rechts  über  der  ersten  Zeile. 
Das  schon  auf  p.  44  Abb.  104  besprochene  Zeichen, 
das  J.  Halevy  vor  der  dritten  Zeile  kopiert  hat, 
fehlt  bei  E.  Glaser.  Die  Inschrift  ist  eine  Bau- 
inschrift des  minäischen  Königs  Hlkrb  Sdk  ben 
'Abid'  betreffend  den  Tempel  Rsf"  des  Gottes 
'Attar  Du  Kbd".  Der  Tempel  wird  in  den  Schutz 
des  'Attar  Srkn  und  aller  Götter  gestellt. 

II.  Zusammen  mit  anderen  Symbolen. 

a)  Wohl  zusammen  mit  dem  'Attarmonogramm 
rechts  von  Hai.  486  (aus  Baräkis).  J.  Ilalevys 
Kopie  hat  1  h  'ß  B  )  S  H  •  Wahrscheinlich  ist  aber 
statt  l  das  'Attarmonogramm  zu  lesen.  Es  steht 
also  unser  Symbol  an  derselben  Stelle,  die  auf 
Hai.  480  (aus  Baräkis,  Abb.  133)  rechts  neben 
dem  'Attarmonog-ramni  das  Blitzbündel  einnimmt. 


Hai.  480  enthält  die  Bauwidmung  eines  Turmes 
(IH>l<)Tl]l?Hn®ih1^)  '''ine  Nennung  eines 
Gottesnamens.  Hieher  ziehe  ich  auch  Gl.  1302 
(aus  Baräki.s,  Abb.  134,  so  nach  dem  Abklatsch, 
anders    0.  Weber  MVAG.  VI  (1901)   p.  63   und 


Abb.  134.     'Attarmonogramm,  Blitzbündel  und  Schlange  auf 
der  minäischen  Inschrift  Gl.  1302  (aus  Baräkis). 

Göttersymbole,  p.  275  Abb.  9).  Diese  Inschrift 
enthält  die  Bauwidmung  einer  Warte  an  'Attar 
Du  Kbd-",  Uadd,  Nkrh  und  'Attar  Du  Ihrk.  Die 
Weihuugen  werden  in  den  Schutz  des  'Attar  Srkn, 
'Attar  Du  Kbd"",  Uadd  und  Nkrh  gestellt.  Die 
Götteranrufung  nennt  außer  diesen  Göttern  noch 
'Attar  Du  Ilirk  und  alle  tnitter  von  Ma'in  und  latil. 

In  Gl.  1302  kommt  rechts  zu  den  zwei  Sym- 
bolen ('Attarmonogramm  und  Blitzbüudel),  die  wie 
in  Hai.  480  angeordnet  sind,  noch  die  Schlange  hin- 
zu; sie  ist  auf  dem  Abklatsch  in  der  oben  gegebe- 
nen Form  (Abb.  134)  noch  erkennbar.  O.Webers 
Zeichnung  dürfte  auf  der  flüchtigen,  skizzenhaften 
Tagebuchzeichnung  E.  Glasers  beruhen,  die  das 
wirkliche  Bild  nicht  wiedergibt. 

b)  Zusammen  mit  dem  Blitzbündel  steht  es 
auf  der  Inschrift  Gl.  1162  =  Hai.  2553  i^aus  Ma'in, 


n 


Abb.  135.    Blitzbündel  und  Tor  auf  der  minäischen  Inschrift 
Gl.  1162  (aus  Ma'in). 

Abb.  135);  und  zwar  unser  Symbol  rechts,  das 
Blitzbündel  links  neben  den  beiden  Zeilen  der 
Inschrift,  die  von  der  Bauwidmung  eines  Turmes 
an  'Attar  Du  Kbd",  Uadd  und  Nkrh  [und]  die 
Götter  von  Ma'in  berichtet. 

c)  Zusammen  mit  der  Schlange  und  einem 
zerstörten  Monogramme  rechts  neben  den  ersten 
zwei  Zeilen  von  Gl.  1234  =  Ilal.  478  f*  (aus  Barä- 
kis, Abb.  136),  in  welcher  Inschrift  von  der  Wid- 


'  Vgl.  E.  Glaser,  Abessinier,  \>.  75,  F.  Hommcl,  Chrestomathie,  p.  107. 

-  Vgl.  F.  Hommel,   Chrestomathie,  p.  111. 

ä  Vgl.  ZDMG  37,  p.  .344. 

*  Vgl.  F.  Hommel,   Chrestomathie,   p.  98  f. 


54 


I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmann. 


muug   eines   Turmes   und    anderer   Baulichkeiten 
an  'Attar  Du  ^H'^,  Uadd/  Nkrh,  'Attar  Du  Ihrk 

und  'Attar berichtet  wird.    Die  Widmungen 

etc.    werden    in    den    Schutz    des     'Attar     Örljn , 


Abb.  136.    Tor  und  Schlange  .luf  der  minäischen  Inschrift 
Gl.  1234  (aus  Barakis). 

'Attar  Du  KbcJ",   Uadd,  Nkrh,   aller  Götter  von 
Ma'in  und  Jatil  usw.  gestellt. 

d)  Zusammen  mit  der  Schlange  und  dem 
Blitzbündel  auf  dem  nordininäischen  Altare  von 
Delos  (Abi).  137)2.  j)[q  Inschrift  berichtet  von 
der  Aufstellung  eines  Altares  des  Uadd  und  der 
Götter  von  Ma'in. 

e)  Zusammen  mit  dem  Kreis,  der  Schlange, 
dem  BlitzbUndel  und  dem'Attarmonogramm  rechts 
neben  der  vierzeiligcn  fragmentarischen  Inschrift 
Gl.  1158  (Abb.  138,  aus  Barakis) 3.  Im  Texte 
finden  sich  keine  Götternamen. 

f)  Sehr  fraglich  ist,  ob  hieher  auch  die  spät- 
sabäische  Inschrift  Gl.  1050  =  Hofmus.  4  (Abb. 
139)  gehört.   Diese  Inschrift  des  Sammar  Juhar'is, 


TfS 


Abb.  137.    Blitzbündel,  Schlange  und  Tor  auf  dem  Delos- 
altare. 

Königs  von  Saba  und  Du  Reidan  und  Hadramant 
und  Imnt*,  ist  eine  Weihinsclxrift  an  'Attar  Dvi 
Dibän,  Ba'al  bhr  Htb"^.  Die  Inschrift  kann  mit 
f  )Tni°n  unmöglich  scldießen;  vielmehr  muß 
nach  den  A'on  D.  IL  Müller  a.  a.  0.  zitierten 
Stellen  dflO]    gefolgt    haben    und    dazu    j)aßt    das 


auf  4^  folgende  Zeichen  bis  zu  einem  gewissen 
Grade.  Bestehen  bleibt  allerdings  die  Schwierig- 
keit der  Form  dieses  \Q ;  es  ist  in  Gl.  862  = 
CIH.  290  zwar  auch  geschweift;  aber  der  Mittel- 
3'  1  2  1'  3 


Abb.  138.  'Attarmonogramni,  Blitzbündel,  Schlange,  Stern  und 
Tor  auf  der  minäischen  Inschrift  Gl.  1158   (aus  Barälfis). 

strich  schließt  dort  oben  und  unten  an.  Anderer- 
seits wäre  das  Auftauchen  des  Symbols  in  einer 
sabäischen  Inschrift  aus  so  später  Zeit  dort  als 
schwierig  zu  bedenken  und  ebenso  der  Umstand, 
daß  das  Symbol  J^  sonst  stets  ohne  Mittelstrich 
erscheint.    Es  sind  nun  drei  Annahmen  möglicli: 

1.  Das   fragliche   Zeiclien  Abb.  139  nach  ^ 
ist  nicht  Symbol. 

2.  Es   ist   Symbol   und  es  folgten   auf   dieses 
die  notwendig  zu  ergänzenden  Buchstaben  ^niU- 


m>^i 


Abb.  139.  Schluß  von  Hofmuseuni  4  (aus  Märib). 

Dann  stünde  das  Symbol  mitten  im  Texte,  eine 
Erscheinung,  der  nur  die  überdies  anders  geartete 
Inschrift  Gl.  801  (vgl.  Abb.  85)  zur  Seite  zu 
stellen  wäre. 

3.  [0  ist  in  der  Form  dem  Symbole  ange- 
glichen worden ;  dann  könnte  das  diesem  voran- 
gehende ^  zugleich  ein  Blitzbündel  darstellen. 

Bis  auf  weiteres  wird  die  erste  Annahme 
wohl  noch  die  wahrsclieinlichste  sein;  eine  feste 
Basis  zur  Beurteilung  der  Frage  könnte  nur  neues 
Material  bieten.  So  lange  dies  aussteht,  wird  schwer 
um  die  oben  angedeuteten  Schwierigkeiten,  die 
dem  Symbolcharakter  des  Zeichens  im  Wege 
stehen,  herumzukommen  sein. 


'  Dieser  wird  noch  besonders  Z.  II,   13  erwähnt. 

'  Vgl.  ü.  Weber,  Gi'itter.symbole,  p.  274,  Abb.  «,  OLZ  1909,  Sp.  60 ff.,  Comptes  Rendus  de  l'Acad.  des  inscriptions  et  belles 
lettres  (Paris)  1908,  Octobre  p.  ö46  ff.,  F.  Hommel,  OLZ  1909,  Sp.  59,  M(51anges  Derenbourg  1909;  ebendort  O.Weber, 
D.  H.  Müller.  '  Vgl.  O.  Weber,  MVAG  VI.  (1901),  p.  64.  Göttersymbole,  p.  274  und  Abb.  5. 

*  E.  Glaser,  Die  Abessinier,  p.  31. 

'  Vgl.   I).  H.  Müller,  Südarab.  Altert.,   p.  16  ff.,  Taf.  III. 


Göttersymbole  und  Svmboltiere  auf  sOdarabischen  D 


ENKMALERN. 


55 


Betrachten  wir  das  vorliegende  Material  nach 
der  Symbolik  und  nach  dem  Texte,  so  ergibt 
sich  folgendes:  1.  Das  Symbol  fehlt  in  den  an- 
geführten Inschriften  nirgends  außer  Gl.  1302 
und  Hai.  480,  die  aber  dafür  das  'Attarmonogramm 
führen.  2.  Steht  ein  Symbol  allein,  so  ist  es  2 
(Gl.  1155,  1153,  1083);  3.  stehen  zwei  Symbole, 
so  fehlt  entweder  die  Schlange  (Gl.  1162,  Hai.  480) 
oder  das  Blitzbündel  (Gl.  1234).  4.  Exzeptionell 
ist  Hai.  257  =  Gl.  1091,  wo  wir  das  Symbol  fi 
über  der  Hand  (dem  Opfertische?)  finden.  Ferner 

5.  wenn  die  SA'mbolreihe  von  Hai.  486  (vgl.  oben 
IIa)  vollständig  ist,  so  trägt  diese  Inschrift  mit  zwei 
Symbolen  sowohl  J(  als  auch  das  'Attarmonogramm ; 

6.  wo  3  Symbole  stehen,  sind  es:  Blitzbündel, 
Schlange  und  J^  (Altar  von  Delos),  ebenso  7.  Gl.  1302, 
nur  mit  dem 'Attarmonogramm  statt  J(.  (Zu  Gl.  11 58 
mit  5  Symbolen  vgl.  weiter  unten.)  Schon  aus 
dieser  Aufstellung  geht  die  dominierende  Stellung 
des  Symboles  ß  hervor,  das  auch  teils  durch  das 
'Attarmonogramm  vertreten  wird,  teils  neben 
diesem  steht.  So  liegt  es  schon  bei  diesem  Tat- 
bestande nahe,  in  j^  das  'Attarsymhol  zu  suchen. 
Diese  Vermutung  wird  durch  den  inhaltlichen 
Befund  der  Texte  gestützt.  'Attar  (von  Kbd"') 
ist  der  Hauptgott  und  wird  in  den  Inschriften 
(zum  Delosaltare  siehe  weiter  unten)  an  erster 
Stelle  genannt.  Wo  die  Widmung  ihm  allein  gilt, 
steht  jf  allein  da  (Gruppe  I,  Gl.  1155,  1153,  1083; 
nur  1091  mit  dem  Handsymbole  oder  Opferaltare); 
wo  die  Widmung  der  niinäischen  Göttertrias  und 
eventuell  außerdem  noch  den  deis  minorum  gen- 
tium gilt  (Gruppe  II),  haben  Avir  in  Gl.  1302  (IIa) 
'Attar  durch  sein  Monogramm  vertreten ,  Uadd 
durch  die  Schlange. 

Das  legt  uns  den  Gedanken  sehr  nahe,  eben 
dort  dem  dritten  Gotte  der  Trias,  Nkrh,  das 
BlitzbUndel  zuzuweisen.  Halten  wir  uns  gegen- 
wärtig, daß  in  den  südarabischen  Gotterreihen  * 
der  minäische  Nkrh  dem  sabäischen  'Almakah 
entspricht  und  daß  das  Blitzbündel  oben  dem 
^Almakah  zugesprochen  wurde,  so  wird  die  Zu- 
weisung des  Blitzbündels  in  den  minäischen  In- 
schriften an  Nkrh  nicht  unwahrscheinlich  sein. 

Bevor  an  die  Inschriften  mit  bloß  2  Sym- 
bolen geschritten  wird,  sei  die  aus  dem  Rahmen 
der  übrigen  fallende  Delosinschrift  erwähnt:  Auf 
ihr  steht  Uadd  (Schlange)  statt  des  'Attar  wie 
in  den  nordminäischen  Inschriften  obenan  und 
wird  an  erster  Stelle  genannt^;  die  übrigen  Götter 


von  Jla'in  müssen  hier  also  zunächst  die  Haupt- 
götter 'Attar  und  Nkrh  sein;  jener  ist  in  der 
Symbolik  durch  )[,  dieser  durch  das  Blitzbündel 
vertreten,  was  unseren  Aufstellungen  völlig  ent- 
sf)richt.  —  So  können  wir  sagen,  daß  in  den 
Inschriften  der  Gruppe  11,  Gl.  1162  bzw.  1234 
(IIb,  c)  mit  'Attar  als  Ilauptgott,  dann  Uadd 
und  Nkrh,  wo  aber  bloß  zwei  Symbole  stehen, 
J(  beidemale  den  'Attar  vertritt,  während  in  Gl. 
1162  (IIb)  für  das  zweite  Symbol,  das  Blitzbündel, 
nur  Nkrh  übrig  bleibt,  da  Uadd  sonst  stets  durch 
die  hier  fehlende  Schlange  symbolisiert  wird^. 
So  ist  auch  Hai.  480  (IIa)  zu  beurteilen,  nur  ist 
dort  das  Attarmonogramm  an  Stelle  des  ]^  ge- 
treten.   Umgekehrt   bekommt   in    Gl.  1234    (II  c) 


Abb.  140.    Schlangengott  mit  Tortliigfel  auf  einem  vorsargoni- 
schen  Siegelzylinder  des  British  Museum. 

Nkrh  kein  eigenes  Symbol,  da  von  den  beiden 
Symbolen  ][  dem  'Attar  und  die  Schlange  dem 
Uadd  zuzuweisen  sind. 

Nun  bleiben  noch  die  fünf  Symbole  von 
Gl.  1158  zu  besprechen.  Zu  vergleichen  ist  der 
Altar  von  Delos  (Abb.  137)  und  Gl.  1158  (Abb. 
138).  Die  Schlange  (2)  steht  beidemale  in  der 
Mitte.  Beidemal  links  das  Blitzbündel  (1),  rechts 
1^  (3).  In  Gl.  1158  entspricht  aber  das  linke 
äußerste  Ende  3'  symmetrisch  dem  rechten  äußer- 
sten Ende  3  und  beide  stehen  für  'Attar.  Man 
wäre  versucht,  diese  Symmetrie  weiterführend, 
das  Blitzbündel  (1)  nicht  gegenständlicii,  aber  in 
Beziehung  zur  Gottheit  dem  Kreise  (1')  gleich- 
zusetzen, also  auch  im  Kreise  Nkrh  vertreten 
zu  sehen.  Dann  wäre  auf  Gl.  1550  (p.  32)  und 
Gl.  1529  (p.  21)  hinzuweisen,  wo  der  Kreis  (auf 
erstcrer  inmitten,  auf  letzterer  links)  nel)en  der 
'Alniakali-Symbolgrui)pc,  eben  des  Blitz büudols 
mit  dem  Doppelgriffel  erscheint. 


'  Vgl.  F.  Hommel,  Aufs.  u.  Abb.,  p.  156.  -   Vgl.  darüber  O.  Weber,   Melanges  iJerenbourg,  p.  3  unten. 

'  Vgl.  oben  p.  62  und  O.  Weber,  Göttersymbole,   p.  280. 


56 


I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmann. 


Nun  wäre  noch  auf  das  Gegenständliche  des 
Sjmholes  einzugehen.  Ich  kann  vorderhand  nicht 
mehr  als  eine  Vermutung  aussprechen,  wenn  ich 
das  Symbol  mit  dem  Türflügel  hinter  dem  Gotte 
zusammenstelle,  dessen  Körper  in  eine  sich  Avin- 
dende  Schlange  endet  (auf  einem  vorsargonischen 
Siegeizylinder,  Abb.  140).  ^  Jener  alte  Gott  ist 
nach  W.  H.  AA'ard-  vielleicht  Siru,  vielleicht  auch 
Ea.  Handcock  bemerkt^  zu  dieser  Darstellung 
folgendes:  .Beliind  tiie  god  is  a  five-barred  gate, 
which  must  be  intended  to  suggest  the  difficulty 
of  access  to  the  divine  presence,  er  eise  the  ne- 
cessitv    of   an    introduction    thereto.      Unless    the 


gate  were  opened  either  by  the  god  himself,  or 
by  some  intermediary  being  of  divine  or  quasi- 
divine  character,  the  worshipper  was  presumably 
unable  to  gain  admittance'.  Man  hat  auch  ge- 
dacht, daß  dies  Tor  mit  den  Toren  des  Tages 
zusammenhängt,  aus  denen  §amas  auf  anderen 
Bildern  hervortritt*.  Ob  eine  analoge  Vorstellung 
auch  bei  den  Minäern  vorhanden  gewesen,  hier 
etwa  'Attar,  der  im  Osten  aufgehende  Venussteru, 
aus  einem  solchen  Himmelstore  hervorgetreten 
und  auf  unseren  Darstellungen  dieses  Tor  als 
sein  Symbol  verwendet  worden  wäre,  läßt  sich 
natürlich  vorderhand  schwer  behaupten. 


B.  Symboltiere. 


Der  Steinbock. 


Innerhalb  der  Tierwelt,  die  für  den  Süd- 
arabischen Kultusapparat  Symbole  abgab,  nimmt 
der  Steinbock  eine  dominierende  Stellung  ein;  er 
findet  .sich  nicht  nur  in  der  Kleinkunst,  sondern 
ist  auch  auf  den  Inschriftsteinen  nnd  in  der  Archi- 
tektonik verwendet. 

a)  Kleinkunst:  M.  A.  Levy  hat  in  ZDMG 
12  p.  160  eine  sabäische   Gemme  aus   Layards 


Abb.  141.  Sabiiisclie  Gemme  im  British  Museum  (London). 

Recherchos  sur  le  culte  de  Venus  (PI.  XXI,  Nr.  30) 
veröffentlicht  (Abb.  141),  die  in  mehr  als  einer 
Hinsicht  interessant  ist.  Bei  Betrachtung  dieses 
Denkmals  sahäischer  Glyptik  drängen  sich  vor 
allem  folgende  Fragen  auf:  1.  Wie  ist  die  merk- 


würdige Stellung  der  Steinböcke  zu  erklären? 
2.  Was  bedeutet  der  Gegenstand  unter  dem  rechten, 
bezw.  linken  Vorderlauf  der  Steinböcke?  3.  Was 
bedeutet  das  Monogramm  in  der  Mitte? 

Zu  Punkt  1.  und  2.  wollen  wir  vor  allem 
das  assyrisch -babyloniche  A'ergleichungsmaterial 
sprechen  lassen.  Betrachtet  man  den  Siegelzylinder 
Abb.  142^,  so  ergibt   sich    sofort    die  Ähnlichkeit 


^■yfx  IM^ 


i 

IT       --■.--- 


Abb.  142.  Achämenidischer(?)  Siegelzylinder.   (London, 
British  Museum.) 

der  rechten  Hälfte  von  Abb.  141  und  142.  Der 
über  einer  Pflanze  aufspringende  Steinbock  dreht 
den  Kopf  nach  rückwärts  dem  Baume  (bzw.  dem 
Monogramm)  zu.  AVie  diese  Szene  aufzufassen  ist, 
zei<rt  Abb.  143.''  Es  ist  hier  nach  A.  Jeremias' 
der  Kampf  der  drei  großen  Einheitsgestirne  Mond 


'  Nach  M.  Jastrow,  a.a.O.,  Taf.  46,  Nr.  154;  vgl.  eine  ähnliehe  Darstellung  bei  L.  Delaporte,  a.a.O.,  Taf.  9,  Nr.  78. 

'  Text  zu  M.  Jastrow,  Bildermappe,  Sp.  97.  '  Mesopotamian  Ärcheology,  p.  297. 

*  Vgl.  M.  Jastrow,  a.  a.  O.,  Taf.  48,  Nr.  170,  Sp.  100;  L.  Delaporte,  a,  a.  O.,  Taf.  8,  Nr.  71. 

'  Nach  A.  Jeremias,  Das  Alte  Testament  im  Lichte  des  alten  Orients,  II.  Aufl.,  p.  81,  Abb.  26. 

"  Nach  A.  Jeremias,  a.  a.  O.,  Abb.  27. 

"  a.  a.  O.,  p.  81,  82,   Anm.  1. 


GoTTERSYMBOI.E    UND    SyMBOLTIERE    AUF    SÜDARABISCHEN    DeNKMÄLERN. 


57 


(Sichel),  Sonne  (Lebensbaum')  und  Istar  (Vulva, 
vgl.  ]>.  51)  mit  Kingu  und  Tiämat  oder  entspre- 
chenden Gewalten  dargestellt;  die  Männergestalt 
mit  dem  Schwerte  wird  wohl  Marduk  darstellen. 
Während  wir  in  Abb.  143  den  Steinbock  —  sasren 


Abb.  143.  Achämenidisdier(V)  Siegelzj-Iiiider.   (London, 
British  Museum.) 

wir  —  in  Kampfstellung  dem  angreifenden  Gotte 
gegenüber  sehen,  ist  auf  Abb.  142  der  Steinbock 
rechts  in  derselben  Haltung  so  zu  sagen  nur  Zu- 
schauer des  Kampfes,  in  den  an  seiner  statt  links 
ein  geflügeltes  menscheuköpfiges  Tier  mit  Zacken- 
krone verwickelt  ist;  auch  für  dieses  Tier  ist  die 
Kampfstellung  durch  den  in  aufspringender  Hal- 
tung nach  rückwärts  gewendeten  Kopf  charakteri- 


Abb.  144.    Muscheltäfelchen  aus  Tellö  (voragadeische  Periode 
vor  3800  V.  Chr.).  (Paris,  Louvre.) 

siert.  Daß  diese  Kampfstellung  übrigens  schon  sehr 
lange  im  Gebrauch  der  assyrisch-babA'lonisehen 
Künstler  ist,  zeigt  Abb.  144,  ein  JMuscheltäfelchen 
aus  der  voragadeischen  Periode '  aus  Tello,  das 
als  Amulett  diente,  und  Abb.  114  fp.47),  ein  Siegel- 
zylinder aus  der  Kassitenzeit  (1700 — 1200  v.  Chr.), 
auf  dem  Marduk  im  Kampfe  mit  dem  Steinbock 
dargestellt  ist,  also  dieselbe  Szene  wie  Abb.  143, 


nur  mit  stark  veränderten  Details.  Aus  dieser 
Kampfszeue  hat  der  sabäische  Künstler  vielleicht 
schon    nach    einer    babylonischen    Vorlage    jene 


Abb.  145.  Siegel  Netan-yähü's.  (Paris,  Louvre.) 

symmetrische  Komposition  geschaffen,  die  uns 
Abb.  141  darstellt.  Die  sabäische  Gemme  zeigt  die 
rechte  Szene  von  Abb.  142  in  gegenständiger  An- 
ordnung. Dieselbe  symmetrische  Anordnung  der 
Kampfszene  wie  die  sabäische  Gemme  zeigt  das 
Siegel  Netan-yahiVs  (Abb.  145. )''  Das  Stück  ist 
nach  der  Ansicht  M.  de  Vogües  hebräisch.^  Das 
Zentrum    der    svmmetrisch    angeordneten    Böcke 


Al)b.  14().  Assyrischer  Siegelzylinder  (Delaporte  378). 
(Paris,  Bibl.  Nat.) 

bildet  im  sabäischen  Stück  das  Monogramm,  hier 
die  doppelte  Schriftreihe,  in  deren  Anordnung 
noch  der  Baum  (vgl.  Abb.  142  f.)  zu  erkennen  ist. 
Zur  symmetrischen  Anordnung  um  den  Baum  als 
Zentrum  sei  noch  auf  Abb.  146,  den  assyrischen 
Siegelzylinder  Delaporte  378'*  verwiesen,  nur 
ist  hier   die   um<rekelirte  StoUun"'   der  Steinböcke 


i^vi^ 


1 


Abb.  147.    Syro-kappadokischer  Siegelzylinder 
(Delaporte  47.3).  (Paris,  Bibl.  N'at.) 

(gegenständig  nach  innen.  Köpfe  nach  außen) 
eingehalten  (vgl.  auch  Abb.  159).  Eine  geflügelte 
Männergestalt  tritt  auf  dem  syro-kappadokischen 
Zylinder,  Delaporte  473  (Abb.  147),-'*  an  die 
Stelle  des  Baumes;  zu  ihrer  rechten  Seite  steht 
ein  Stier,  zur  linken  Seite  ein  Steinbock  in  Kanipf- 


'  Nach   E.  de  Sarzec,   Dec.  en  Cbaldee,  Tom.  II,  Taf.  46,  Nr.  b  ;  s.  Tom.  I,  p.  267. 
-  Nach  Perrot-Chipiez,  Histoire  de  l'Art  dans  l'antiquitc',  Tom.  [V,   p.  440,   Fig.  230. 

'  Aus  kananäischem  Kulturgebiet   sei    hier  aucli  noch  an    den   Käucheraltar  von  Ta'anck  erinnert,    der  eine  Keliefdar 
Stellung  aufweist,  den  Lebensbaum  mit  zwei  Steinbücken   und   einem  eine  Schlange  würgenden   Knaben. 
'  S.  L.  Delaporte,  a.  a.  O.,  Taf.  20. 
^  Nach  L.  Delaporte,  a.  a.  O.,  Taf.  31. 
Denkschriften  der  phil.-hist.  Kl.  68.  Bd.    1.  Abb.  8 


58 


I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmann. 


Stellung;  neben  den  nach  außen  gedrehten  Köpfen 
steht  eine  stilisierte  Pflanze  mit  tulpenartigem 
dreiblättrigem  Kelche.  Die  Anordnung  ist  eine 
Komposition  der  Kampfszene  von  Abb.  142  f.  mit 
Abb.  146,  deren  Stellung  (bezüglich  der  Tierköpfe 
und  Tierleiber)  eingehalten  ist. 

Nun  zum  zweiten  Punkte.  E.  Oslander  hat^ 
in  Anlehnuns"    an    den    oben   angeführten  Aufsatz 


Abli.  148.  AltHoyäniscliei-  Siegelzj-linder. 

Levys  die  Ansicht  ausgesprochen,  daß  die  beiden 
Tiergestalten,  ,halb  Bock  halb  Widder',  in  denen 
schon  LevT  symbolische  Gestalten  des  Ammon 
gesehen  hatte,  auf  unwiderlegliche  Weise  das  Vor- 
kommen des  Phallusdienstes  auf  diesem  Gebiete 
feststellen.  Dabei  ging  er  wohl  von  Levys  An- 
sieht aus,  daß  die  Tiere  Widdergestalt  hätten  — 
denn  der  Widder  ist  das  Tier  des  ägyptischen 
Zeugungsgottes  Ammon.  Es  scheint  ihn  ferner 
der  Umstand  beeinflußt  zu  haben,  daß  er  wie 
F.  Hommel,  der  in  seiner  Chrestomathie  p.  70 
die  Tiere  zuerst  richtig  als  Steinböcke  bestimmte, 
die  beiden  fraglichen  Dinge  rechts  und  links  unter 
den  Steinböcken  für  zwei  Phallen  ansah.  Ver- 
gleichen wir  nun  die  Abbildungen  142  und  147, 
so  sehen  wir  dort  an  der  Stelle  des  fraglichen 
Phallus  ganz  deutlich  eine  Pflanze;  man  wird  so 
wohl  auch  in  dem  Gegenstande  der  sabäischen 
Gemme  eine  Pflanze  zu  sehen  haben,  die  eben 
nach  Analogie  von  Abb.  142  und  147  mit  zur 
Kampfszene  zu  gehören  scheint  und  vielleicht 
nach  Abb.  146  den  Stern  vertritt.  Eine  ähn- 
liche Form  dieser  Pflanze  wie  in  Abb.  142  er- 
scheint auch  auf  dem  altlihyänischen  Siegelzylin- 
dur  Abb.  148,  abgebildet  bei  F.  Hommel  in  seinen 
Aufs,  und  Abb.  p.  160,  die  er  fragend  als  Blume  ge- 
deutet hat.^  Zum  Mißverständnisse,  daß  die  Pflanze 
auf  Abb.  141  ein  Phallus  sei,  scheint  ihre  Stel- 
lung beigetragen  zu  haben,    da  der  dreiblätterige 


tulpenähnliche  Kelch  dort  statt  wie  auf  Abb.  142, 
148  nach  oben,  auf  Abb.  141  nach  unten  ge- 
kehrt ist.  Mit  diesem  Mißverständnisse  dürfte 
auch    der  Schluß    auf  Phallusdienst  erledigt  sein. 

Es  bleibt  nun  noch  der  dritte  Punkt  zu  be- 
sprechen übrig,  das  Monogramm.  Schon  Lew 
hat  zwei  Buchstaben  des  Monogrammes,  [^  und  ^ 
richtig  erkannt,  die  Frage,  ob  der  Kreis  aber 
ein  o  (r)  vorstelle,  offen  gelassen.  F.  Hommel' 
las  das  Monogramm  1h!]°  =  'Ammi-ilu,  faßte 
also  ^  als  ^  auf.  Dagegen  spricht  aber  die  Stel- 
lung des  ^,  das,  wenn  es  ^  zu  lesen  wäre,  links 
angebracht  sein  müßte,  und  nicht  als  k,  da  die 
Schriftrichtung  dui'ch  das  \^  als  nach  links  gehend 
Gekennzeichnet  ist;  ferner  dürften  in  dem  Falle  die 
schiefen  Balken  des  ^  nicht  über  den  Sockel  des 
\^  hinausragen,  wie  es  tatsächlich  der  Fall  ist, 
sondern  müßten  unter  der  Horizontallinie  des 
Sockels  des  \^  liegen.  So  möchte  ich  die  Le- 
sung Levys  beibehalten  und  in  den  drei  Buch- 
staben o  1^1  ^  mit  E.  Oslander  , Abbreviaturen 
religiöser  Bedeutung'  sehen,  die  ich  mit  dem  An- 
fangsbuchstaben der  sahäischen  Göttertrias  1)X§° 
('Attar),  Y-J-CHh  ('Almakah)  und  ^1]^  (ßa.ms)  auf- 
zulösen versuche. 

Ein  zweites  bisher  nicht  veröffentlichtes  Bei- 
spiel der  sabäischen  Kleinkunst  zeigt  Abb.  149,  eine 
Bronzeschnalle    aus    dem    k.    k.  Kunsthistorischen 


Abb.  149.  Sabäische  Bronzesduialle.  (Wien,  k.k.  Hofmuseum.) 

Hofmuseum  in  Wien,  5'1  X4'2  cm,  die  von  der  süd- 
arabischen Expedition  der  k.  Akademie  der  Wissen- 
schaften erworben  wurde.  Wir  sehen  hier  zwei  auch 
mit  dem  Kopf  nach  innen  gekehrte  gegenständige 
Steinböcke  von  einem  hockenden  Manne  gehalten,* 


'  ZDM6  17,  j).  790.  -   Ebendort  p.  162  weitere  Nachweise  zum  Vorkommen  dieses  Blunienzeichens. 

'  Aufs.  u.  Abh.,  p.  1B2. 

*  Vgl.  auch  die  ähnliche  Darstellung  auf  einem  persisch-ägyptischen  Siegelzylinder  bei  M.  Lidzbarski,  Ephemeris  II, 
p.  4UU.  Der  hockende  Mann  trägt  dort  eine  Federkrone  (wohl  Bes),  die  Tiere  sind  nicht  Steinböcke,  sondern  geflügelte 
Löwen  mit  Ziegenhörnern. 


GöTTEnSYMBOLE    UND    SyMBOLTIERE    AUF    SÜDARABISCHEN    DeNKMÄLEHN. 


59 


über  dem  ein  Vogel  schwebt.  Diese  Szene  läßt  sieh 
noch  am  ehesten  mit  dem  babylonischen  Siegel- 
zylinder Delaporte  301   (Abb.  150)'  vergleichen, 


Abb.  150.  Babylonischer  Öiegelzylinder  (Delaporte  301). 
(Paris,  Bibl.  Nat.) 

auf  dem  eine  stehende  nackte  Männergestalt,  nach 
dem  Hymnus  wohl  Marduk,  zwei  Steinböcke  an 
den  Hörnern  packt.  Über  dem  Gotte  schwebt,  ähn- 
lich der  Darstellung  auf  der  sabäischen  Schnalle, 
ein  Vogel.  Wir  haben  hier  wieder  eine  Kampfszene 
vor  uns,  nur  mit  anderer  Stellung  der  Tiere  als  in 
Abb.  141 — 145.  Dieselbe  Stellung  und  eine  ähn- 
liche Kampfszene  wie  Abb.  150  zeigt  Abb.  151,  ein 


Abb.  151.  Philnizisches  Chalzedonsiegel.  (Paris,  LouvreV) 

phönizisches    Chalzedonsiegel,    das    im    Tale    des 
Xahr  Ibrahim  in  Syrien  gefunden  wurde." 

Aus  dem  Rahmen  dieser  beiden  sabäischen 
Darstellungen  der  Kampf szene.  die  sich  an  zwei 
bereits  in  der  babylonischen  Kunst  vorgebildete 
Varianten  anschließen,'  fallen  folgende  Gegen- 
stände der  Kleinkunst:  In  Abb.  152  sehen  wir 
einen  einzelnen  Steinbock  auf  einem  Untersatze 
stehend.     Die  Abbildung  ist    nach  einer  Bleistift- 


zeichnung E.  Glasers  in  seinem  Tagebuche  VIII 
gebaust.  Das  Original  befindet  sich  im  Besitze  des 
damaligen  Mutessarifs  von  San'ä  Exz.  Mahmud 
Bey  und  stammt  aus  Zafär.  Fast  dieselbe  Haltung 
zeigt  der  Steinbock  auf  der  sabäischen  Gemme, 
die   D.  H.  Müller,    Südarab.  Altert.,  Taf.  XIII., 


Abb.  152.    Steinbock  aus  Zafär  (Besitz  Sr.  Exz.  Mahmiid  Bey\ 

Fig.  40  abgebildet  hat.  Es  wäre  übrigens  zu  er- 
wägen, ob  der  Untersatz  in  Abb.  152  nicht  die 
Spuren  eines  Zapfens  trägt,  so  daß  wir  es  even- 
tuell mit  einem  jener  Weihgeschenke  aus  vergolde- 
ter Bronze  zu  tun  hätten,  die  auf  Weihinschriften 
aufgesetzt  wurden.''  Leider  gibt  E.  Glaser  nichts 
Näheres  zu  diesem  Stücke  an. 

Aus  Glasers  Nachlaß  stammt  das  Abb.  153 
photographierte  Stück,  ein  Steinbockkopf  in  Relief. 


Abb.  153.  Sabäisches  Relief  aus  Zafär.  (Wien,  Hofbibliotliek.) 

6  cm  hoch,  5  cm  breit,  aus  alabasterähnlichem 
Kalksinter,  das  in  Zafär  gefunden  wurde.  Im 
Gegensatz   zu    diesem    etwas    mißlungenen   Stück 


'   Nach  L.  Delaporte,  a.  a.  O.,  Taf.  20.  ^  Nacli  Perrot-Chipiez,  a.  .a.  0.,   Tom.  111,  p.  G49,  Fig.  456. 

'  .Sie  sind  auch  für  die  acliänienidische  Kunst  vorbildlieh  gewesen;  vgl.  Perrot  et  Chipicz,  Tom.  V,  p.  853, 
Fig.  501  f.  Zur  wappenartigen  Stilisierung  von  Tieren  (auch  des  Steinbocks)  und  von  P^belwesen  um  Pfeiler  oder  Baum 
vD-I.  A.Brückner  in  Dürpfeld,  Troja  und  Ilion  11,  IX.  Abschnitt,  p.  564  für  den  mykenischrn  Kulturkrcis.  Bei  Evans 
(Journal  of  Hell.  Stud.  XXI,  p.  154  fl'.,  Abb.  30  ff.)  findet  man  die  Parallelen  zu  dem  hier  vorgeführten  .Material.  Vgl.  auch 
E.  Curtius,  Wappengebrauch  u.  Wappenstil  im  Altertum,  ABAW  1874,  p.  79ff.;  Jolles,  Die  antithetische  Gruppe,  Jahrb.  des 
Inst.   1904,  p.  29ff.;    B.  Laum,  N.  Ib.  f.  Kl.  A.   1912,    p.  624   (nach   freundlicher  Mitteilung  von   Herrn   Dr.  C.  Praschniker). 

*  Vgl.   Sabäische  Denkmäler,  p.  10  u.  ö. 

8* 


60 


I.  Abhandlung  :  Adolf  G  rohmann. 


i.; 


Abb.  154.  Sabäische  Br..nzi;laiiipe.  (Wien,  k.  k.  llufmuseura.) 


Abb.  155.  Sabäisches  Relief  (Hofmus.  125).  (Wien,  k.  k.  Hof- 
inuseum.) 

hat    die    Bronzclampc    mit    sabäischer    Inschrift 
(Abb.  154)  nicht  unbedeutenden  Kuustwert.    Der 


Griff  zeigt  den  Oberleib  eines  Steinbocks,  dessen 
Vorderläufe  abgebrochen  sind.  Das  Stück,  34  cm 
hoch,  25  cm  lang,  befindet  sich  im  k.  k.  Kunst- 
historischen Hofmuseum  in  Wien  und  wurde  von 
der  Südarabischen  Expedition  erworben. 

b)  Architektur  und  Skulptur.    Hier  sind 
es    vor    allem   Steinbockreihen,    die    in  Form  von 


Abb.  156.  Babylonischer  Siegelzylinder  (Delaporte  294), 
(ca.  1700—1200  v.  Chr.).  (Paris,  Bibl.  Nat.) 

Friesen  teils  zur  Einrahmung  von  Inschriften, 
teils  als  Architekturstücke  verwendet  werden. 
Wir  unterscheiden: 

1.  Reihen  übereinander  liegender  Stein- 
böcke. Die  hier  in  Betracht  kommenden  Denk- 
mäler stammen  fast  durchwegs  aus  der  Mukarrib- 
periode.  Das  besterhaltene  Stück  ist  Hofmus.  125 
(Abb.  155).'  Um  die  Platte  laufen  rechts  und 
links  zwei  in  Felder  ^  geteilte  Bänder,  in  denen 
liegende  Steinböcke,  in  Flachrelief  herausgearbeitet, 


Abb.  157.  Mit  Draclien-  und  Stierreliefs  geschmückter  Turm 
des  lätartores. 


'  Vgl.  D.  H.  Müller,  Südarab.  Altert,  Taf.  XII  u.  p.  58. 

''  In  einem  ähnlichen    Feld    der    einzelne    schreitende    Steinbock   ,von    übertrieben    kräftigen   Formen'    im    Berl.   Mus. 
'St.  2644  bei  .J.  II.  Mordtmann,   Ilimyar.  Inschr.  u.  Altertümer,  Taf.  VII,   p.  48. 


Göttersymbole  und  Symboltiere  auf  südarabischen  Denkmälern. 


61 


übereinander  so  angeordnet  sind,  daß  alle  die 
Köpfe  nach  einer  Seite  wenden  und  zur  ReiVie 
gegenüber  hinsehen.  Steinbockreihen  sind  ja  auch 
aus  der  babylonischen  Kunst  bekannt.  Allein  ich 
konnte    bis    jetzt    kein    Beispiel    linden,    das    sich 


Abb.  158.    Syro-kappadokischer  Siegelzylinder,   Uela- 
porte  467.   (Paris   Bibl.  Nat.) 

vollständig  mit  der  sabäischen  Platte  decken 
würde.  Der  babylonische  Siegelzylinder  Dela- 
porte  294  (Abb.  156)i  aus  der  Zeit  der  Kassiten- 


Abb.  1Ö9.    Reliefplatte  aus  Ninive. 

könige,  mit  einer  Widmung  an  Samas,  zeigt  neben 
der  Männergestalt  nur  eine  Steinbockreihe  von 
vier  Feldern;    die  Steinböcke  der  beiden  inneren 


Abb.  160.  Öabäisches  Relief  aus  Zalma  (Gl.  715). 

Felder  (2,  3)  drehen  die  Köpfe  nach  links  rück- 
wärts, die  zwei  Steinböcke  der  äußeren  Felder 
(1,  4)  drehen  die  Köpfe  nach  rechts  rückwärts. 
In  Haltung  und  Anordnung  besteht  also  ein  Unter- 
schied gegen  die  sabäische  Darstellung.^  Ein  Bei- 


spiel für  dieselbe  Anordnung  wie  auf  Abb.  155 
bietet  in  der  babylonischen  Architektur  der  mit 
Ziegelreliefs  geschmückte  Turm  des  Istartores  in 
Babylon  (Abb.  157)3.  pjg  i{eihe  stehender  Tiere 
zeigt  von  oben  nach  unten  eine  Aufeinanderfolge 


Abb.  161.  Sabäisches  Relief  aus  Märib. 

von  je  einem  Stiere  und  einem  Drachen,  die 
Köpfe  dem  Tore  zugewandt;  dieser  Tierreihe 
stand  eine  symmetrische  auf  dem  Turm  der  andern 
Seite  gegenüber,  so  daß  wir  lediglich  die  An- 
ordnung von  Hofmus.  125  erhalten  würden. 

An  die   Stellung    der    liegenden   Steinböcke 
von    Abb.   155    (Hofmus.   125)    erinnert    hingegen 


Abb.  162.  Sabäisches  Relief  (Sab.  Denkm.  46)  im  T.scbinili 
Kiöschk  in  Konstantinopel. 

der  einzelne  Steinbock  rechts  oben  auf  dem  syro- 
kappadokischen  Siegelzylinder  Delaporte  467 
(Abb.  158),''  während  das  Tier  im  unteren  Felde 
von  Abb.  159,  einer  Platte  aus  Ninive,-""  die  auch 


'  Nach  L.  Delaporte,   a.  a.  O.,  Taf.  19. 

"  Nach  Fr.  Delitzsch,  Im  Lande  des  einstigen  Paradieses,  p.  36,  Fig.  26. 

*  Nach  L.  Delaporte,  a.  a.  O.,  Taf.  31. 


S.  jedoch  p.  62,  Note  3. 
'aradieses,  p.  36,  Fig.  26 
5  Nach  A.  Jeremias,  a.  a.  O.  (I.  Aufl.),  p.  352,  Abb.  130. 


62 


I.  Abhandlung:  Adolf  Guohmann. 


sonst'    charakteristische    abge wendete    Stellung 
des  Kopfes  aufweist  wie  in  Abb.  156. 

Bruchstücke  derselben  Darstellung  wie  Abb. 
155  bilden:  Gl.  715  (aus  Zalma  bei  Märib),  eine 
Platte  mit  Bustrophedoniuschrift  (Abb.  160);  eine 
Inschriftplatte  ohne  Nummer  aus  Märib  (Abb.  161 
nach  dem  Abklatsch  angefertigt)  gleichfalls  mit 
Bustrophedoninschrift,    und   endlieh   Sab.  Dcnkm. 


Abb.  163.  Sabäisches  Relief  aus  Sibäm  (Gl.  103). 

46^  ein  Bustrophedonfragment  aus  der  ersten 
Periode  der  sabäischen  Geschichte  (Abb.  162). 
Hier  ist  die  linke  Steinbockreihe  erhalten.^ 

2.  Reihen  hintereinander  liegender 
Steinböcke.  Diese  Gruppe  ist  bis  jetzt  nur 
durch  ein  sabäisches  Beispiel,  Gl.  103  =  CIH  124 
(Abb.  163,  aus  §ibäm\  bekannt.   Die  Haltung  der 


Abli.  1G4.    Kappadokischer  Siegelzylinder  (Delaporte  418). 
(Paris,  Bibl.  Nat.) 

Steinböcke  ist  dieselbe  wie  in  der  vorhergehenden 
Gruppe.  Als  Parallele  kann  der  kappadokische 
Siegelzylinder  Delaporte  418  (Abb.  164)''  heran- 
gezogen werden.  Die  vorletzte  Tierreihe  zeigt 
hier  drei  liegende  Steinböcke,  die  in  ihrer  Hal- 
tung etwa  der  sabäisclien  Darstellung  entsprechen 
würden. 

3.  Reihen  nebeneinander  liegender 
Steinböcke.  Diese  Gruppe  ist  bis  jetzt  zunächst 
durch  ein  sabäisches  Areliitekturstück,  Hofmus. 
123  (Abb.  165),^  repräsentiert.    Das  Stück  besteht 


aus  sieben  in  einer  Reihe  liegenden  Steinböcken, 
mit  unförmlichen  Köpfen  und  knopfartigen  Augen. 
Der  Körper  der  beiden  die  Reihe  abschließenden 
Tiere  ist  in  Profilansicht  gearbeitet."   Die  Haltung 


Abb.  165.  Sabäisches  Architekturstück  (Hofmus.  123). 
(Wien,  k.  k.  Hofmuseuui.) 

der  Steinböcke  ist  dieselbe  wie  in  Gruppe  1  und  2. 
Ein  ähnliches  Stück  stammt  von  einem  Altar, 
den  H.  Derenbourg,  Etudes  I,  3'  beschreibt. 
Der  Text  erinnert  an  die  minäische  Aufschrift 
des  Altares  Sab.  Denkm.  Xr.  23 — 25.  Die  Yorder- 
fläche  jenes  Altars  bildet  oben  einen  starken  Vor- 
sprung, welcher  die  Vorderansicht  von  sechs  Stein- 
bockköpfen, zu  je  drei  gruppiert,  zeigt.  Das  erste 


Abb.  166.  Sabäischer  Altar  (Seite),    Mars.  III  (Marseille). 

und  letzte  Tier  sind  en  profil  ausgearbeitet.  Die 
Hörner  sind  groß,  runden  sich  nach  oben  ab  und 
bilden  eine  Art  Kapital.  Die  zwei  Gruppen  von 
Köpfen  sind  durch  einen  größeren  Steinbockkopf 
getrennt,  der  tiefer  reiclit  als  die  übrigen.  Er  ist 


'   Beim  aufspringenden  Tier  auch  im  Südarabisclien,  s.  o.  Abb.  141. 
'  Nach  J.  H.  Mordtniann   und  D.  H.  Müller,  Sab.  Denkm.,  Taf.  VIII. 

=  Ergänzend   sei    hier   noch    auf  M.  Lidzbarski,    Ephemeris   II,    p.  382  f.    verwiesen,    wo    eine    antithetische  Dar- 
stellung zweier  Greife  über   einander  (auf  einer  Steinplatte  im  Louvre)  beschrieben  wird.   —   Vgl.  hier  Abb.  156. 
<  Nach  L.  Delaporte,  a.  a.  O.,  Taf.  29.  ^  Nach  D.  H.  Müller,  Südarab.  Altert.,  T.if.  XII. 

'  R.V.Schneider  bei   D.  H.  Müller,  Südarab.  Altertümer  im  Hofmus.,  p.  57  unten. 
'  J.  A.  VIII'""  Sir.  tom.  II,  p.  235 f. 


Göttersymbole  und  Stmboltiere  auf  südarabischen  D 


ENKMALERN. 


63 


von  oben  nach  unten  ausflußartig'  durchlocht.  Zu 
dieser  Art  der  Anordnung-  gehört  vielleicht  auch 
der  Altar  Marseille  III.  Wir  sehen  hier  je  einen 
liegenden  Steinhock  auf  den  beiden  einander 
gleichen  Seitenflächen  (Abb.  166)  eines  Altares, 
dessen  Vorderfront  oben  (Abb.  88,  p.  39)  wohl 
eine  liegende  Reihe  von  sechs  Tieren  (Steinböcke?) 
wie  Hofmus.  123  und  darunter  Mondsichel  und 
Scheibe  über  der  Inschrift  zeigt. 

4.  Ein  (einzelnes)  Paar  gegenständig 
liegender  Steinböcke;  meist  auf  Altären,  eine 
Variante  zu  dem  gegenständig  anspringenden  Tier- 
paar, das  in  der  Kleinkunst  (s.o.  ]i.  56ff.)  eine 
Rolle  spielt.  In  anderer  Beziehung  kann  auch  die 
Gruppe  b  1,  p.  60  f.,  zum  Vergleich  herangezogen 
werden :  die  zwei  Reihen  übereinander  o-etren- 
ständig  liegender  Steinböcke,  die  eine  Inschrift 
in  die  Mitte  nehmen. 

Zu  dieser  Gruppe  kann  zunächst  der  eben 
erwähnte  Altar  Mars.  III  gezogen  werden:  wenn 
man  sich  seine  zwei  Seitenflächen  nach  Art  eines 
Triptychons  aufgerollt  denkt,  erliält  man  ein 
gegenständiges  Steinbockpaar,  das  liegend  die 
Mondsichel  und  Scheibe  der  Vorderfront  (Abb.  88) 
in  die  Mitte  nimmt. 

Hieher  gehört  auch  der  Altar  0.  M.  157 
(Abb.  83),  der  auf  dem  Kapital  unter  Mondsichel 
und  Scheibe  zwei  liegende  gegenständige  Stein- 
böcke zeigt,  die  eine  Säule  in  die  Mitte  nehmen; 
die  Anordnung  ist  dieselbe,  wie  sie  der  Siegel- 
zylinder Delaporte  467  (Abi).  158)  zeigt. 

Von  einer  ähnlichen  Darstellung,  nur  ohne 
Säule,  berichtet,  wie  schon  p.  38  erwähnt  ist,  auch 
der  Almanach  von  San'ä :  auf  einem  Räucher- 
altare befindet  sich  ein  Relief,  das  die  Sonne, 
darunter  den  Halbmond  über  zwei  liegenden,  mit 
den  Köpfen  einander  zugekehrten  Steinböcken 
darstellt.!  Hiezu  ist  noch  Abb.  82  (Gl.  230)  zu 
vergleichen,  eine  der  eben  erwähnten  ähnliche 
Darstellung. 

Der  Vergleich  der  beiden  südarabischen  Dar- 
stellungen Abb.  141  und  149  mit  dem  babyloni- 
schen Materiale  ergab  bereits,  daß  jene  Motive 
im  Zusammenhang  stehen  mit  Darstellungen  aus 
dem  babylonischen  Mythos  des  Mardukkampfes; 
es  fragt  sich  nun.  ob  der  mythologischen  Stellung 
des  babvlonischen  Steinbocks  als  Feindes  Marduks 


auch  in  Südarabien  etwas  Ähnliches  an  die  Seite 
tritt.  Göttermythen  aus  dem  südarabischen  Gebiete 
kennen  wir  nicht;  ob  also  etwa  auch  in  unsere  Dar- 
stellungen ein  Mythos  hineinspielt,  ist  vorderhand 
nicht  zu  entscheiden.  Aber  unsere  Ausführunffen 
bestätigen  eine  Vermutung,  die  F.  Hommel, 
Aufs.  u.  Abb.,  p.  162f.,  zu  einem  altbabylonischen 
(ebendort  abgebildeten)  Zylinder,  der  eine  Götter- 
gestalt im  Kampfe  mit  dem  Steinbock  zeigt, 
ausgesproclien  hat:  daß  ,eine  noch  unbekannte 
ostarabische,  von  Babylonien  oder  Assyrien  aus 
beeinflußte  Kunst'  bestanden  hätte,  deren  Reprä- 
sentant auch  der  hier  Abb.  148  mitgeteilte  Zylin- 
der sein  mag. 

Auf  die  religiöse  Bedeutung  des  Steinbocks 
in  Assyrien  weist  auch  der  Umstand  hin,  daß  er 
in  der  Hand  des  Opferspenders  auf  einer  Relief- 
platte aus  Chorsabad  erscheint:^  da  man  dem 
Gotte  meist  das  ihm  heilige  Tier  opfert,  wird 
auch  der  Steinbock  einem  Gotte  des  assyrischen 
Pantheons  heilig  gewesen  sein.  Daß  in  Südarabien 
dem  Steinbock  eine  religiöse  Bedeutung  zukommt, 
geht  aus  dem  gegebenen  Materiale  hervor :  so 
sehen  wir  in  Abb.  166  den  Steinbock  auf  den 
Seitenflächen  eines  Altares  (Mars.  III ;  vgl.  auch 
Derenbourg,  Etudes  I,  3) ;  ferner  zwei  liegende 
Steinböcke  und  darüber  das  Symbol  Mondsichel 
und  Scheibe  in  OM.  157  (Abb.  83)  und  eine  ähn- 
liche Darstellung  in  Abb.  82,  wieder  in  Verbin- 
dung mit  dem  Symbole  der  Mondsichel  und 
Scheibe.  So  liegt  es  nahe,  auch  im  Steinbocke 
ein  religiöses  Symbol  zu  erblicken;  das  wird 
vielleicht  durch  den  inschriftlichen  Befund  von 
Gl.  891,  Z.  12  gestützt,  wo  von  einem  .Heiligtume 
des  Herrn  der  Steinböcke'  (IHIoO'hlloni^  )T^t 
und  Z.  3  von  einem  , Heiligtume  des  Herrn  der  Stein- 
böcke von  sirwäh'  dT<i'>Aii°<Dh [n°ni^ )T^n]) 

die  Rede  ist.  ^  Diesem  , Herrn  der  Steinböcke' 
werden  die  Steinböcke  der  südarabischen  Dar- 
stelluncren  wohl  als  svmbolisches  oder  heilig-es 
Tier  nahegestanden,  wahrscheinlich  ihn  auch  re- 
präsentiert haben.  Wer  aber  mit  dem  Herrn 
der  Steinböcke  gemeint  ist,  erfahren  wir  aus 
CIH  397,*  wo  die  Weihung  ,'Almakaii,  dem 
Herrn    der   Steinböcke    von    Sirwäh'    dargebracht 

aus  Gl.  1572,   wo  von  .'Almakali,   dem  Herrn  der 


'   Wahrscheinlich  ist  der  Geeenstand  in  der  Mitte  übersehen   und  das  Stück  identisch  mit  OM   157,  Ahh.  83. 
••^  Vgl.  M.  Jastrow,  a.  a.  O.,  Taf.  29,  Nr.  88. 
■''  Vgl.  F.  Hommel,  Aufs,  und  Abh.,  p.  162,  Note  1. 

*  Prideaux  faßte  diese  bi-ix  als  .Häupter,  Edle'  auf.     Eine  ähnliche  Ansicht  E.  Glasers  s.  Altj.  Naclir.,  p   41   u.  85. 
Nach     M.  Lidzbarski,   Ephem.  HI,  p.  266  ist  'rv-x  Name  eines  Ortes  oder  Herges. 


64 


I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmann. 


Steinböcke'  llH1o®f^noniV'|>H1h)  g-csprochen 
wird.  Der  Steinbock  wäre  demnacli  in  Saba  ein 
Symbol  des  Jlondgottes  'Almakah  gewesen. 

Auf  den  Graffiti  der  südarabisclien  Expedi- 
tion finden  ?icli  gleiclifalls  Steiubockdarstelkingen; ' 
so  auf  Ril.iäb  32  mit  der  Insckrift  H  X  ?  1  Fl  >  fn  N  °  ^ 


(linksläufig)  u.  ö.  Der  Hauptgott  jener  Felsinschrif- 
ten und  Kritzeleien  ist  'Amm.  Es  scheint  also 
nicht  bloß  bei  den  Sabäern,  sondern  auch  in  ka- 
tabanischem  Gebiete  der  Steinbock  im  symbo- 
lischen Apparat  die  Mondgottheit  vertreten  zu 
haben. 


Die  Antilope. 


Die  südarabischen  Denkmäler  weisen  sowohl 
die  volle  Gestalt  der  Antilope  als  auch  Antilopen- 
köpfe auf.  Die  Yollfigur  eines  laufenden  daht 
zeigt  Abb.  167.  Das  Objekt,  ca.  12  cm  lang, 
gehört  zu  den  aus  Zafar  stammenden  Antiqui- 
täten   des    Mutessarif    von    San'ä    Mahmud    Bey 


Abb.  167.  Sabäische  Bronze  aus  Zaför. 

und  wurde  von  E.  Glaser  in  seinem  Tagebuche 
VIII  abgezeichnet;  nach  der  Stellung  der  Hör- 
ner und  nach  der  Form  der  recht  großen  Ohren 
handelt  es  sich  um  eine  gazellenartige  kurzhör- 
nige  Antilopenart.-  Die  Zunge  des  im  Laufe  er- 
schöpften Tieres  hängt  aus  dem  Maul;  die  Läufe 
sind  zu  stark  gezeichnet.  Auf  einem  der  Hinter- 
hufe bemerkte  Glaser  einen  Haken,  der  offen- 
bar in  den  Stein  (das  Postament)  versenkt  war; 
das  Stück  ist,  wie  die  Inschrift  Gl.  358'  beweist: 
l>XS°1l?H'l'V  ein  Weihgeschenk  an  'Attar. 


Den  Kopf  einer  Antilope  zeigt  Abb.  168.  Er 
stammt  aus  derselben  Sammlung  wie  das  zuerst 
besprochene  Stück.  E.  Glaser  (Tagebuch  VIII) 
bezeichnet  das  Tier  als  wail,  was  eigentlich  den 
Steinbock^  bedeutet;  hier  liegt,  wie  die  Hörner 
zeigen,  eine  Antilopenart  vor.^  Der  Kopf  trägt 
keine  Inschrift. 

Antilopen  und  Antilopeuköpfe  finden  wir  auf 
Altären  und  Inschriften.     So   auf   dem  Libations- 


Abb.  168.  Antilopenkopf  aus  Zafär. 

altar  GM  3,  J.  H.  M o r dtmann,  Catalogue  sommaire, 
p.  18:  .Le  fragment  Ä  montre  au  milieu  une  forte 
saillie,  formee  par  deux  antilopes;  entre  leurs 
tetes  une  rigole  qui  servait  ä  Tecoulement  des 
liquides  provenant  du  sacrifice.'  Sabäische  Denk- 
mäler p.  77  lesen  wir  die  kürzere  Beschreibung: 
,I)ie  beiden  Seiten  des  Ausgusses  sind  durch 
zwei  aus  dem  Stein  herausgearbeitete  Antilopen 
gebildet.'"   In  der  minäischen  Inschrift  des  Al- 


'  Ähnliche  Darsteilunpren  erwähnt  auch  J.  Eutin "•,  Tagebuch  I,  p.  152. 

''  Diese  Angaben  verdanke  ich  Herrn  Prof.  L.  Bühmig  in  Graz,  der  die  Güte  hatte,  auch  die  meisten  Tierfiguren 
dieser  Arbeit  nach  der  zoologischen  Seite  zu  überprüfen. 

'  Vgl.  E.  Glaser,  Mitteilungen,  p.  3. 

*  Vgl.  auch  E.  Glaser,  Märib  in  Jemen,  p.  32,  wa'il  für  den  Steinbock.  —  Beachte  den  charakteristischen  Unter- 
schied des  Kopfes  Abb.  168  gegenüber  den  Steinbockkopfen  der  vorangehenden  Kapitel. 

''  Eine  ähnliche  Unsicherheit  im  vorangehenden  Stücke,  wo  E.Glaser  zunächst  wa'il  angegeben,  dann  dieses  durch 
das  richtige  ^ah'i  ersetzt  hat. 

"  Diese  Darstellung  ist  in  gewissem  Sinne  Hofni.  123  (Abb.  165)  an  die  Seite  zu  stellen.  Sollte  es  sich  auch  hier 
um  Steinböcke  handeln? 


GüTTERSYMBOLB    UND    SyMBOLTIERE    AUF    SÜDARABISCHEN    DeNKMÄLERN. 


65 


tares  ist  vou  Liljationen  an  'Attar  [VnT)N]  die 
Rede.  In  der  Schlußinvokation  stehen  auch  an- 
dere Götter.  Unsicher  .sind  die  Angaben  bezüg- 
lich eines  anderen  Stückes. 

So  ist  Bibliothet^ue  nationale  (Derenbour«;) 
20  als  fraglich  anzusehen.  In  der  Erst])u])li- 
kation  ZDMG  30,  p.  289 f.,  Xr.  2  hatte  J.  H. 
Mordtmann  einen  Ochsenkopf  angesetzt:  Sal). 
Denkm.  p.  66  (zu  Nr.  16)  scheint  er  ihn  für  einen 
Gazellenkopf  zu  halten.  Der  obere  Teil  des  Kopfes 
ist  zerstört  (vgl.  die  Abb.  ZDMG  a.  a.  0.).  H. 
Derenbourg  sagt:  ^  „un  cartouche  oü  avait  ete 
grossierement  sculptee  une  tete  de  taureau  ou 
d'antilope.    La  partie  superieure  a  disparu  dans  la 


cassure  du  monument".  Die  recht  späte  Inschrift 
(vgl.  Hofm.  4)  beinhaltet  eine  Dedikation  an  'Attar 
dn  Dibän  Ba'l  Bhr  Htb™.    (Vgl.  auch  p.  67.) 

Bereits  D.  H.  Müller  und  J.  H.  Mordtmann 
haben^  die  Ansicht  ausgesj)rochen,  daß  die  Anti- 
lope dem  Attar  heilig  gewesen  sei.^  Dies  wird 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  durch  den  Befund 
der  oben  herangezogenen  sabäischen  und  mi- 
näisehen  Inschriften  gestützt,  wobei  freilich  das 
Schwanken  in  der  Bestimmung  eines  Tierkopfes 
in  Rechnung  zu  bringen  ist.  Die  Antilope  hätte 
dann  zu  'Attar  in  einem  ähnlichen  Verhältnisse 
gestanden,  wie  die  Steinböcke  zum  Herrn  der 
Steinböcke  von  Sirwäh. 


Der  Stier. 


Über  die  einzige  vollständige  Vollbilddar- 
stellung eines  Stieres  (Gl.  1426)  wurde  schon 
oben  das  Einschlägige  mitgeteilt  (p.  40).  Soweit 
wir  bis  jetzt  sehen,  hat  es  die  Mondgottheit  dar- 
gestellt, im  Falle  Gl.  1426  den  üadd.  Der  Stiei- 
wäre  als  heiliges  und  Symboltier  der  Mondgott- 
lieit  aufzufassen,  sowie  er  in  Babylon  als  heili- 
ges Tier  des  Sin  und  des  Adad  galt.*   Die  Stier- 


Abb.  169.    Sabäischer  Altar  (OM.  34)    im  Tscbinili   Kiösclik, 
Konstantinopel. 

köpfe, ^  die  bisher  behandelt  wurden,  dienten  ent- 
weder als  Zauberscbutz  (p.  15),  oder  waren  in  Ver- 


bindung mit  dem  Donnerkeil  ein  Symbol 'Almakahs 
(vgl.  p.  32 ff.).  Zwei  Stierküpfo  waren  überdies  mit 
dem    Totschlägersymbole   'Almakahs    verbunden : 


h. 

Abb.  170.    Stierköpfe  als    Ornament   auf  sabäischen  Altären, 

a  von  OM.  135,    h  von  OM.  138.    (Konstantinopel,    Tschinili 

Kiöschk.) 

Gl.  1649  (Abb.  16)  und  Gl.  717  (Abb.  24);   über 
diese  Stücke  ist  oben  p  11,  14  abgehandelt  worden. 


'  Les  monnraents  sab^ens  et  Inmyarites  de  la  lübliotbL'qiie  nationale  (Paris),  p.  30. 

-  Sab.  Denkm.,  p.  10  u.  66. 

^  Auf  die  Gazellen  des  Zemzembrunnens  ist  unzählige  Male  hingewiesen  worden,  so  von  Oslander  ZDMG  VII.,  p.  493 
und  Sab.  Denkm.,  p.  10.  —  In  seinem  Catalogue  sommaire  p.  32  machte  J.  H.  Mordtmann  in  Note  1  darauf  aufmerksam, 
daß  die  dem  'Attar  geweihten  Altäre  einen  Antilopenkopf  tragen,  im  Gegensatz  zu  den  Altären  mit  Mondsichel  und  Scheibe, 
die  dem  Uadd,  Nasr  und  Sarilj  geweiht  sind;  vgl.  p.  67,  Note  1.  —  Das  ^nbi  ist  übrigens  noch  heute  in  Südarabien  ein 
heiliges  Tier,  vgl.  Sudarab.  Exped.  VIII.,  p.  9;i,  unten. 

<  Vgl.  K.  Frank,  Bilder  und  Symbole,  p.  30  ff,  4. 

"  Vgl.  hierüber  auch  M.  Ilartmann,  OLZ  1908,  Sp.  "269 — 273.  Der  Stierkopf  erscheint  in  verschiedenen  Formen 
auch  als  minoische  Hieroglyphe,  vgl.  A.  J.  Evans,  a.  a.  O.,  p.  206,  Nr.  63. 

Dcnkfchiiften  der  pLil.-hist.  Kl.  58.  Bd.  1.  Abb.  9 


66 


I.  Abhandluno:  Adolf  Gbohmann. 


Hier  seien  nun  noch  einige  Stierköpfe  ange- 
führt, die  sich  nicht  in  eine  der  erwähnten  Ka- 
tegorien einordnen  lassen.  Zu  diesen  gehört  vor 
allem  der  Stierkopf  auf  dem  sabäischen  Altare 
OM.  34  (Abb.  169),  der  dem  Gotte  'Attar  ge- 
weiht ist  G)XSo[IX]?H*V)-'  Das  Stück  befindet 

Abb.  171.   Stierkopf  mit  In.sclirift  (Gl.  325),  fon  einem 
sabäischen  Bronzegefäße. 

sich  jetzt  im  Tschinili  Kiöschk.  Aus  demselben 
Jluseum  stammen  auch  die  beiden  Stierköpfe 
OM.  135,  138  (Abb.  170  a,  b),  zu  denen  J.  H. 
Mordtmann  in  seinem  Catalogue  sommaire  p.  50 


Abb.  172.     Stierkopf  und  Monogramm  von  Gl.  1422. 

(zu  Nr.  86,  87)  bemerkt:  ,Une  espece  de  rigole 
pratiquee  entre  les  cornes  .  .  .  fait  supposer  que 
ces  deux  sculptures  sont  des  fragraents  d'une 
table  ä  libation  de  la  meme  forme  (jue  celle  de- 
crite  plus  haut'.-  Ein  ähnliches  Stück,  ohne  In- 
schrift, gleichfalls  einen  Ausguß  eines  Altars,  be- 
sitzt auch  das  k.  k.  kunsthistorische  Hofmuseum 
zu  \yien.  Ein  Stierkopf  findet  sich  auch  auf 
einem  becherartigen  Bronze-  oder  Kupfergefäß 
aus  Harim,  rechts  von  der  ersten  Zeile  der  um 
das  Gefäß  herumlaufenden  Inschrift  Gl.  325 
(Abb.  171).  Die  Inschrift  besagt  nach  E.  Glaser:^ 
„Hm'tt  heil  Taur,  Vorsteher  der  Priesterschaft  des 
(Gottes)  hTIIlhnX^'"-  Zum  Gotte  Mtbntin  vgl. p. 50. 


Als  stilisierten  Stierkopf  möchte  ich  endlich 
auch  noch  die  beiden  Köpfe  unter  dem  Mono- 
gramm rechts  und  links  auf  der  katabänischen 
Inschrift  Gl.  1422  =  1620  =  SUdarab.  Expedition 


Abb.   173.      Vorderfront    des    Altares    Gl.   801    (London, 
Brit.  Mus.)  nach  dem  Abklatsche. 

Nr.  90  (aus  Sekir)  ansprechen.  Die  Stilisierung 
geht  allerdino-s  ziemlich  weit,  so  sind  die  Ohren 
zu  Blättchen  umgestaltet,  auf  die  Stirne  ist  ein 
herzartiges  Blatt  gelegt,*  die  Hörner  sind  nur 
linear  angedeutet.  Im  ganzen  ist  aber  der  ur- 
sprüngliche Stierkopf   in   den  Konturen   und    den 


Abb.  174.     Tierkopf  auf  Bibl.  Nat.  22. 

Nüstern  noch  ganz  gut  zu  erkennen.  Die  In- 
schrift berichtet  vom  Bau  eines  Paßweges,  der 
r"!'^HIl]°l')J]hn  a"f  Befehl  des  'Amin  von  Skr 
geschah.  'Amm  steht  auch  in  der  Götteranrufung 
dieser  Inschrift  an  erster  Stelle. 


'  J.  H.  Mordtmann  s.agt  über  dieses  Stück  (Sab.  Denkm.,  Nr.  16,  p.  65  f.):  ,Der  obere  Teil  des  Altares  enthält  auf  der 
Vorderseite  eine  rohe  Zeichnung,  einen  Stier-  oder  Antilojjenkopf  darstellend';  in  seinem  Catalogue  sommaire  p.  31  entscheidet 
er  sich  für  eine  Antilope:  ,iine  tete  d'antilopc  cncadree  d'un  ornement  ayant  la  forme  d'une   (Schelle'. 

'■■  Nämlich:  OM.  3  =  Sab.  Denkm.,   Nr.  23,  p.  77.    Vgl.  oben  p.  64.  ''  Mitteilungen,  p.  76. 

'  Stilisierung  des  Donnerkeils? 


Göttersymbole  und  Symboltiere  aui'  südarabischex  Denkmälern. 


67 


Im  vorig-en  Kapitel  lial)en  wir  auch  einen 
Tierkopf  auf  einem  'Attardenkmale  beliandelt. 
bei  dem  die  Bestimmung  zwischen  Stier-  und 
Gazellenkopf  schwankte.  Dabin  hätten  auch  Bi- 
bliotheque  nationale  22  und  24  gezogen  werden 
können.  In  ersterer  Inschrift  wird  Z.  5  f.  eine 
goldene  Statue  dem  'Attar  du  Dibän  Ba'l  Bhr 
Htb"  gewidmet;  vgl.  oben  Bibl.  Nat.  20.  In  der 
Erstpublikation  des  Steines  hatte  Mordtmann 
ZDMG.  30,  p.  290  Nr.  3  rechts  oben  einen  Au- 
tilopenkopf  erkannt.  Abb.  174  ist  nach  Tafel  II 
ZDMG  30  augefertigt:  man  sieht,  daß  die  Sache 
nicht  sehr  klar  ist.   Derenbourg  sagt  aber  a.a.O., 


Abb.  175.     Göttersymbole  .nvif  einer  pliünizischen  Terrakotta- 
planquette  aus  Karthago. 

p.  33  ,une  tete  de  taureau  ou  d'antilope.  Seulement 
cette  fois  la  representation  grossiere  est  complete 
avec  les  cornes  qui  vont  toucher  le  sommet  de  la 
pierre  et  que  separe  une  sorte  d'aigrette".  Man 
wird  wohl  nicht  fehlgelien,  wenn  man  in  diesem 
..Federbusch"  das  Büschel  sieht,  welches  zwischen 
den  Stierhörnern  angebracht  wurde.  Die  Stier- 
kopfdarstellung dieser  Inschrift  läßt  sich  vielleicht 
daraus  erklären,  daß  die  Darbringer  sich  Z.  4 
I  ^  )(Dg  I  (El/|n  nennen;  vgl.  einen  ähnlichen  Fall 
oben  in  Gl.  325  (Abb.  171). 

Es  scheint  aber,  daß  auch  der  Altar  mit  sa- 
bäischer  Inschrift  Gl.  301  =  Hai.  370,  371  aus  es- 


Saudä  (WZKM  II,  p.  205)  einen  Stierkopf  trägt.^ 
Die  Inschrift  spricht  von  einer  Weihung  an  'Attar 
du  Rsf"".  Abb.  173  zeigt  die  Photographie  nach 
dem  Abklatsche  Glasers.  Der  Kopf  erinnert  an 
den  Stierkopf  Abb.  175  auf  einer  phönizischen 
Terraküttaplanquette  aus  dem  Tempel  der  Tanit 
in  Karthago.^ 

Es  liegt  also  immerhin  die  Möglichkeit  vor, 
daß  auf  drei  der  erwähnten,  vielleicht  auch  auf 
mehreren  Widmungsinschriften  an  'Attar,  ein 
sonst  spezifisches  Mondsynibol,'  der  Stierkopf, 
vielleicht  den  Attar  symbolisierend,  vorkommt. 
Daß  dies  gelegentlich  der  Fall  sein  könnte, 
haben  wir  beim  kombinierten  Symbole  Stierkopf 
nebst  Donnerkeil  ausgesprochen;  s.  o.  p.  34.  Man 
beachte  nun,  daß  auf  dem  eben  herangezogenen 
phönizischen  Stück  neben  dem  Stierkopfe  das 
Kegelsymbol  der  Tanit  steht,  welche  selbst  eine 
Erscheinungsform  der  Istar  ist.  Auf  Inschriften 
mit  einer  Dedikation  an  Tanit  findet  sicli  denn 
auch  sehr  häufig  das  Symbol  der  Mondsichel 
mit  der  Scheibe.^  Als  karthagische  Himmelsköni- 
gin hält  Tanit  auch  die  Mondsichel  mit  darüber- 
schwebender  Sonnenscheibe  in  den  Händen.*  Nimmt 
man  an,  daß  ihr  dieses  Symbol  in  ihrer  Eigen- 
schaft als  Himmelskönigin  zukam,  so  wäre  zu 
bedenken,  ob  nicht  auch  der  Stierkopf  deshalb 
den  Gott  'Attar  hätte  symbolisieren  können,  weil 
'Attar  in  Südarabien  Herr  des  Himmels  gewesen 
wäre.  Die  Möglichkeit  solcher  Übergänge  wurde 
oben  p.  31  bei  Besprechung  des  Doppelgriffels 
angedeutet.  So  etwa  ließe  es  sich  erklären,  daß 
Attar  als  Gott  des  Yeaussterns  zu  einem  Mond- 
symbole gekommen  ist. 


Löwe  und  Sphinx. 


Löwendarstellungen  sind  bis  jetzt  auf  süd- 
arabischem Boden  ziemlich  selten.  Zum  Löwen- 
kopfe auf  der  Gemme  Abb.  92  tritt  in  der  'Am- 
räner  Bronzetafel  CIH  72  (Abb.  176)'^  ein  Voll- 
bild hinzu:  ein  mit  drei  Tatzen  auf  einem  Kegel 
stehender  Löwe,  die  linke  Vorderpranke  erhoben, 
über  ihm  ein  Baum,  wohl  eine  Palme.    Hingegen 


dürfte  Gl.  397  (Abb.  177)  kaum  einen  Löwen  dar- 
stellen. Gl.  397  ist  ein  Relief  aus  weißgrauem 
Marmor,  das  Glaser  auf  seiner  Reise  nach  Zafär 
in  Beyt  el  Aswal  auf  dem  Tore  einer  Semsora 
sah.  Das  Tier  hat  auf  der  Zeichnung  einen  viel 
zu  langen  und  schmalen  Hals,  allerdings  mit  An- 
deutung einer  ]Mähue.    Beim  Löwen  haben  ferner 


■  J.  H.  Mordtmann    erwälint    Gl.  301    auf  p.  32   seines  Catalogue  sommaire   in    Note   1    unter   den    Beispielen    eines 
'Attaraltares  mit  Antilopenkopf. 

-  Nach   Perrot-Chipiez,  a.  a.  0.,  tom.  III,  Fig.  ,339. 

'  Man    beachte,    daß    in    01.1422   der    Mondgott   'Amm    an    erster   Stelle    genannt   ist.      Diese    katab.änische    Inschrift 
würde  also  den  einzigen  Beleg  für  das  Nebeneinander  Ton   Mondgottlieit  und  Stierkopf  (als  Mondsynibol)  darstellen. 

■•  Vgl.   eis  Pars  I,  Tom.  I,  Nr.  264,  324,   339  u.  a. 

^  Vgl.  ebenda  Tom.  I,  Taf.  45,  Nr.  183.    A.Jeremias,  Das  Alte  Testament  im  Lichte  des  alten  Orients,  II.  Autl.,   p.  80. 

»  Nach  CIH  Pars  IV,  tom.  I,  Taf.  XIII. 

9* 


68 


I.  Abhandlung:  Adolf  Gkohmann. 


die  Geschleclitsorgane  eine  ganz  andere  Situation 
und  sind  bei  dieser  Stellung  des  Tieres  nicht 
sichtbar.'     Ist  endlich  der  Schwanz  am  Original 


Abb.  170.    Sabäische  Bronzetafel  aus  'Annan.  (CIH  72, 
London,  Brit.  Mus.) 

beschädigt  oder  so  unnatürlich  kurz  wie  auf 
Glasers  Zeichnung?  Man  vergleiche  daneben 
das  Bild  des  bekannten  babylonischen  Löwen 
(Abb.  178).-    Rechts  in  Abb.  177  ein  Baum;  s.w.u. 


Abb.  177.     Sabäisches  Relief  aus  Beyt  el  Aswal. 
(Gl.  397.) 

An  gegenständigen  Darstellungen  seien  er- 
wähnt: Eine  Darstellung  in  der  Anordnung  der 
bereits  oben  (p.  50  ff.  Abb.  142  ff.)  besprochenen 
Kamj)fszene  zeigt  auch  Abb.  179,  eine  sabäische 
Bronze  des  Wiener  Hofmuseums,  die  die  südarab. 
Expedition  i.J.  1899  mitbrachte,  8-5 X 6-5  cm  groß. 
Die  Haltung  der  die  Köpfe  nach  außen  wenden- 
den gegenständigen  Löwen  erinnert  an  Abb.  146  f. 


Ferner  OM.  84  Abb.  180  nach  J.  H.  Mordt- 
manns  Beschreibung:-''  ,deux  quadrupedes  sau- 
tant  vers  un  palmier  place  au  milieu  d'eux : 
le  quadrupede  ä  gauche  parait  etre  un  lion,  celui 
a  droite  un  boeuf.  A  gauche  du  lion  un  eypres, 
ä  droite  du  bceuf  un  palmier.' 


Abb.  17S.   Her  Lüwe  von  Babylon. 

An  Sphinxdarstellungen  sind  zwei  Stücke  zu 
nennen:  das  eine  wurde  von  den  Türken  bei 
Öffnung  eines  Grabes  in  San'ä  gefunden;*  es  stellt 
einen  geflügelten  Löwen  mit  Menschenkopf  en 
relief  dar.^  Das  zweite  ist  die  'Amräner  Bronze- 
tafel   CIH   73    (Abb.  181)«:    zwei    gegenständige 


Abb.  179.     Sabäische  Bronze  aus  dem  k.  k.  Hofiuuseuni 
zu  Wien. 

Sphinxe  mit  erhübener  linker,  bezw.  rechter 
Vorderpranke,  die  einen  Baum  in  die  Mitte  neh- 
men.      Rechts    und    links    je    ein    Palmbaum    die 


'  Man  beachte  aber,  daß  die  Genitalien  .-nicli  beim  Lüwcu  auf  der  "Amräner  Bronzetafel  CIH  Tl  (Abb.  176)  sichtbar, 
also  unrealistisch  dargestellt  sind. 

-  Nach  F.  Delitzsch,  Babel  und  Biliel  1,  Titelblatt. 

'  Catal.  somm.  p.  48.  Nr.  77. 

*  Vilayets-Zeitung  1317:  D.  Nielsen,  Altarab.  Mondreligion,   p.  116. 

"  Vgl.  auch  M.  Lidzbarski,  Ephemeris  II,  p.  382  f.  Eine  Sphinx  stellt  auch  der  Gewichtslöwe  Hofm.  Nr.  48  dar, 
vgl.  D.  H.  Müller,  Südarab.  Altert.,  p.  52. 

«  Nach  CIH,  tom.  I,  Taf.  XIII. 


Göttersymbole  und  Symboltiere  auf  süDARABIscHE^^  Denkmälern. 


69 


Abb.  180.     Sabäiscbes   Ixelief  (OM.  84),    Jlordtmann  77,  im 
Tscbinili   Kiösobk   in  Konstantinopel. 

Szene  abschließend,  wie  auf  dem  Siegelzylinder 
des  Dareius  Hystaspis.^ 

Wie  es  beim  Steinbocke  als  ursjirünglicli  an- 
genommen wurde,  spielt  also  auch  bei  den  Löwen- 
darstelliingen  der  s.tilisierte  Baum  eine  Rolle;  wo 
keine  gegenständige  Komposition  vorliegt,  steht  ein 
Palmbaum  über  dem  Löwen  (Abb.  176).  Ferner 
ist  wenigstens  für  die  zwei  'Amraner  Darstellungen 
die  erhobene  Pranke  charakteristisch. 

Aus  dem  Babylonisch-Assyrischen  sei  folgen- 
des Yergleichsmaterial  herangezogen:  Abb.  115 
bloß  mit  ähnlicher  Anordnung  wie  Abb.  181;  da- 
gegen ist  die  Haltung  der  zwei  geflügelten  Tiere 
(Greife)  zur  Seite  des  Baumes  dort  leicht  verän- 
dert; die  zwei  Vorderpranken  greifen  zum  Baum 
hinauf;  in  diesem  Punkt  liegt  also  Ähnlichkeit 
mit  OM.  84  vor.  Zwei  geflügelte,  gegenstän- 
dig liockende  Genien  mit  Tierleib,  bärtigem 
Kopf  und  Zackenkrone  um  einen  Baum  grupjiiert 
zeigt  der  achämenidische  Zylinder  Delaporte  399 


Abb.  124;-  die  eine  A'orderpranke  scheint  nicht 
erhoben  zu  sein.  Eine  bis  auf  die  Haltung  des 
Schweifes  vollständige  Analogie  zur  Stellung  des 
sabäischen  Löwen  bezw.  der  Sphinxe  von  Abb. 
176,  181  bietet  erst  Abb.  182":  das  Fabeltier 
steht  auf  drei  Tatzen  und  hat  die  eine  (linke) 
Vorderpranke  erhoben.  Dafür  ist  hier  die  Sym- 
metrie der  zwei  Gestalten  durchbrochen;  wie  in 
0^1.  84  steht  rechts  und  links  des  Baumes  je  ein 
verschiedenes  Wesen;  der  Baum  ist  zu  einem 
fächerartigen  Ornament  verkleinert  und  der  Kunst- 
ler läßt  die  zwei  geflügelten  kämpfenden  Fabel- 
wesen über  ihn  hinweg  an  einander  geraten;*  nach 
W.  H.  Ward^  liegt  dieser  Darstellung  eine  phan- 
tastische Ausartung  des  Kampfes  Jlarduks  mit 
dem  Drachen  zugrunde. 

D.  Nielsen  sieht  in  den  beiden  Darstellungen 
Abb.  176,    181    Mondsvmbole,   in  Abb.  181    noch 


Abb.  ia'2.     Muster  eines  assyrischen  Gewandes.   (^London, 
Brit.  Mus.) 

speziell  eine  Darstellung  der  beiden  Monde  im 
Monat;-'  da  in  Saba  die  Mondgottheit  durch  'Al- 
makah  vertreten  ist,  wären  hier  die  beiden  gegen- 
ständigen   Sphinxe    und    der    Löwe     als    Symbol 


Abb.  ISl.    .SabUisclie  Uruii/.ot.U'el   aus  'Alurän  CHI   7li.   (J>ondun,   i'.iit.  .Mus.J 


Vgl.  Fr.  Delitzsch,  Babel  und  Bibel  I,  Vig.  7. 

Der  ganzen  Stilisierung  jenes  Stückes  entsprechend  geht  der  Baum  dort  in  ein  Zaekcnbüschel  aus. 

Nach  M.  Jastrow,  a.  a.  O.,  Taf.  19,  Nr.  63  h. 

Sonst  spielt  sich  der  Kampf  auf  einer  Seite  des  Baumes  ab;  vgl.  .\bb.  142  f. 

The  Seal  C'ylinders  of  Western  Äsia,  Cap.  36.  "  Vgl.  D.  Nielsen,  Altarab.  Mondreligion,  p.  115  f. 


70 


I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmann. 


'Almakahs  aufzufassen,  was  durch  den  iuschrift- 
lichen  Befund  jrestützt  würde,  da  beide  Inschrif- 
ten eine  Dedikation  an  'Almakah  enthalten.  Es 
ist  jedoch  nicht  zu  übersehen,  daß  der  Löwe  sonst 
nicht  als  Mondsymbol  geläufig  ist.  In  Babylonien 
ist  er  das  heilige  Tier  der  Istar,^  in  Persien  noch 
heute  das  Symbol  der  Sonne.  So  hat  schon  E. 
Oslander^  den  Löwen  als  Sonnensymbol  erklärt. 
In  der  muslimischen  Tradition  haben  sich  Berichte 


erhalten  über  ein  Idol  in  Gestalt  eines  Löwen, 
das  den  Götzen  lagüt  darstellte.'  Ob  aber  die 
vier  Löwen,  die  nach  dem  Berichte  l^azwinis  in 
der  Ecke  des  Schlosses  Gumdän  standen  und, 
wenn  der  Wind  in  ihren  Rachen  blies,  einen  Laut 
wie  Löwengebrüll  von  sich  gaben,  gleichfalls  sa- 
kralen Charakter  hatten.'*  ist  nicht  zu  entsclieiden; 
man  kann  sekundär  auch  an  rein  dekorative  Gründe 
für  die  Anbringung  solcher  Statuen  denken. 


Das  Pferd. 


Zu  den  symbolisclien  Tieren  auf  südarabi- 
schem Boden  geliört  auch  das  Pferd.  Einen  Pferde- 
kopf zeigt  die  Gemme  Abb.  92  unter  anderen 
Symboltieren.  Im  Hofmuseum  zu  AVien  befindet  sich 


Abb.  183.    Sabäisches  Bronzepferd  (Hofmus.  132).  (Wien, 
k.  k.  Hofmuseum.) 

ein  gesatteltes  Bronzepferd  (Abb.  183,  Hofmus. 
132),  das  jedoch  nacli  dem  erhaltenen  Zapfen  zu 
schließen,  einst  auf  einem  Inschriftsteine  ange- 
bracht war,  der  wohl  die  Widmung  dieses  Votiv- 
geschenkes  an  einen  Gott  enthielt."  Ein  zweites 
geschirrtes  Bronzepferd  aus  dem  Tschinili  Kiöschk 


(Abb.  184)  wurde  von  J.  H.  Mordtmann  publiziert;" 
die  Inschrift  auf  dem  Pferde  übersetzt  Mordt- 
mann ebendort:  , Pferd  der  Dät  Ba'dän,  Geschenk 
des    Lihaj'att'.     Im    Catalogue    sommaire    p.  57, 


Abb.  184.    Sabäisches  Bronzepferd 
im    Tschinili     Kiöschk    (Konstan- 
tinopel). 


OM.  118  berichtigt  er  die  Übersetzung'  , Gabhat, 
maitresse  de  Ba'dän;  offrande  de  Lihayathat'. 
^i-f-^^  soll  nach  Ihn  Sidah  ein  Idol  gewesen  sein 
(Lisän  el-'Arab,  s.v.).  Das  dritte  endlich  ist  Gl.  1427, 
die  Reliefdarstellung  eines  Pferdes  mit  der  Über- 
schrift h^ol/i,  die  E.  Glaser  in  Ilenu  ez-Zireir 
fand.  Leider  gibt  Glaser  hiezu  keine  Zeichnung. 
Die  arab.  Tradition  berichtet,  daß  der  Götze 
Ja'ük  die  Gestalt  eines  Pferdes  gehabt,  und  eine 
Tradition  über  den  Propheten  erzählt,  daß  dieser 
zum  Tajjiten  Zaid  al-hail  gesagt  habe:   ,Ich   will 


'  Vgl.  die  Götterprozession  von  Malatia,   Abb.  33,  p.  18. 

2  ZDMG   VII,  p.  475. 

'  Nach  Kobertson-Smith,  Kinship  and  Marriage  p.  192  f.  wurde  der  Löwengott  lagüt  in  Negrän  und  ganz  Nordjemen 
verehrt.   —  Vgl.  ZDMG  VII,  p.  474. 

*  ZDMG  VII,  p.  276. 

'  Ein  , Pferd  mit  seinem  Reiter'  wird  Gl.  863  =  CIH  306  dem  Ta'Iab  Rim"»  in  effigie  dargebracht.  Da  man  eher 
einen  .Reiter  mit  seinem  Pferd'  erwartete,  vgl.  S.ib.  Denkro.  I,  4:     I  :nj'::xi  I  ;!:H-  heißt   flfl)  vielleicht  Sattelgeschirr  (vgl. 

Hofm.  132)   und  ,^ :\i.  Steigbügel,   Syr.  ]^?    würde    die    Bedeutung    Riemenzeug    vermitteln.    —    Ein  Roß  mit  Reiter  ist 

ZDMG  XXX,  zu  p.  115f.  abgebildet.     Dort  liegt  aber  kein  Votivgeschenk  vor. 

"  ZDMG  XXXIX,  p.  235,  T.if.  II. 

'  Der  Text  nach  J.  H.  Mordtmanns  Lesung:    |  nri[v]'nb  I  n':pn  I  m>2  I  m"!  nnsj 


Göttersymbole  und  Stmboltiere  auf  südarabischen  Denkmälern. 


71 


euch  bescliützen  vor  der  'Uzzä  und  vor  den 
schwarzen  Pferden,  denen  ihr  dient  anstatt  des 
wahren  Gottes'. *  In  der  oben  erwähnten  Inschrift 
auf  dem  Bronzepferde  des  Tschinili  Kiöschk  ist 
doch  wohl  von  der  Sonnengöttin  Dät  Ba'dän 
die  Rede.  Daß  das  Pferd  der  Sonneng-öttin  heilio- 
war.  ist  auch  sonsther  bekannt;  so  in  Bahrein 
(Belädurl  78).  Es  sei  ferner  an  die  Sonnenrosse 
zu  Jerusalem  erinnert,  die  Josiah  entfernte  (II 
Reg.  23,  11)  sowie  an  den  babylonischen  Kultus, 
in  dem  das  geschirrte  Pferd  das  heilige  Tier  des 
Sania.s  ist."  Einen  wertvollen  Wiuk  gibt  die  oben 
erwähnte  muslimische  Tradition,  deren  schwarze 
Pferde  an  das  erinnern,  was  Glaser  aus  Süd- 
arabien über  die  schwarzen  Rinder  erzählt. ^ 
Es  ist  in  diesem  Falle  doch  mindestens  die  sym- 
bolische Vertretung  des  Gottes  durch  das  Pferd 
bezeugt.  Kann  man  aber  weiter  aus  jener  Überliefe- 
rung schließen,- daß  bei  den  Sabäern  ein  förmlicher 
Pferdekult  bestanden  habe  —  was  ja  beim  Stiere 
in  Beziehung  zu  Uadd  der  Fall  gewesen  zu  sein 
scheint ■*  —  dann  wäre  man  in  Saba  einen  Schritt 
weiter  gegangen  als  in  Babylon,  wo  das  heilige 
Tier  den  Gott  nur  begleitet  und  symbolisiert  zu 
haben,  aber  nicht  als  sein  Bild  angebetet  worden 


zu  sein  scheint.  Eine  derartige  sabäische  Sitte 
würde  dann  schon  an  die  Formen  des  ägypti- 
schen Tierkultes  erinnern.  Ob  aber  jene  Tra- 
dition ein  Substrat  für  derartige  weitgehende 
Schlüsse  bilden  kann,  dagegen  macht  sich  doch 
das  Bedenken  einer  möglichen  Übertreibung  gel- 
tend. 

Daß  aufs  Sabäische  der  assyrische  Kultus  mit 
seiner  ausgebildeten  Tiersymbolik  von  Einfluß 
gewesen  sein  dürfte,  darauf  hat  schon  Mordt- 
mann.  Sab.  Denkm.  p.  66  hingewiesen.  Und  so 
könnte  die  assyrische  Parallele  verbunden  mit  dem 
hier  vorgeführten  Material,  bes.  OM.  118  und  der 
Gemme  Abb.  92,  welche  den  Pferdekopf  mit  an- 
deren Sj-mboltieren  um  den  Mond  mit  Scheibe 
gestellt  zeigt,  eine  Stütze  für  die  schwarzen  Rosse 
jener  Tradition  bilden,  von  der  wir  ausgegangen 
sind.  Robertson  Smith"  hat  ja  auf  die  Stelle  Agä- 
ni  XVI,  48,  30  iiingewiesen.  die  anstatt  der  Pferde 
schwarze  Kamele  setzt.  Zwar  kann  der  Name 
Zaid  al-hail  die  Idee  eines  Pferdekultus  nicht 
bestärken;"  ja  man  könnte  denken,  daß  ihm  zu- 
liebe aus  den  Kamelen  Pferde  geworden  wären. 
Die  sabäischen  Darstellungen  sind  jedoch  nicht 
zu  umsehen. 


Schlange  und  Drache. 


Die  Bestimmung  dieser  beiden  symbolischen 
Tiere  verdanken  wir  0.  Weber,  der  die  Schlange 
dem  Uadd,  den  Drachen  dem  Sahar  zuwies;  das 
stimmt  mit  dem  Befunde  der  hier  herangezogenen 
Inschriften  überein  (vgl.  p.  9 f.,  51ff.).  Nachzutragen 
wäre  noch,  daß  sicli  auf  Gl.  495  (=  OM.  304, 
aus  Märib)  rechts  neben  den  ersten  drei  Zeilen 
der  Inschrift  der  Drachenkopf  findet;  darauf  hat 
schon  O.Web  er,  Göttersymbole,  p.  278  hingewiesen. 
Die  Darstellung  (Abb.  185)  steht  aber  hinsicht- 
lich der  Ausführung  hinter  der  von  OM.  282 
(Abb.  10)  und  auch  hinter  jener  des  Bulawayo- 
steines  (Abb.  9)  weit  zurück.  Hier  ist  alles  viel 
plumper,  die  ganze  Form  der  rechteckigen  Um- 
rahmung angepaßt.    Der  Inhalt  der  Inschrift  be- 


stätigt  0.  Webers    Zuweisung    des    Symbols   an 
Sahar.    Die  beiden  Stifter  entstammen  der  Sippe 


Abb.  185.     Drachenkopf  von  Gl.  495    (aus  Marib),  Tsc-hiniü 
Kiöschk  (Konst.-intinopel). 


1  Vpl.  Ibn  Nubäta  bei  Rasniussen,  Addit.imenta,   p.  23,  Z.  15—17,  ZDMG  VII,  p.  475,  Note  2. 

-  Vgl.  z.  B.  die  Götterprozession  von  Malatia,  auf  der  wir  Samas  auf  einem  Pferde  sehen,  Abb.  33,  p.  18  und 
K.  Frank,  Bilder  und  Symbole,  p.  15. 

'  Vgl.  die  schon  oben  S.  40  herangezogene  Stelle  aus  E.  Glasers  Mitteilungen  über  einige  ....  sab.  Inschr. 
p.  2  ff.  über  Stierdienst  bei  den  alten  Südarabern. 

■*  Außer  bei  der  Schlange  finden  sich  in  den  alten  Überlieferungen  andere  sichere  Spuren  von  Tierdienst  im  alten 
Arabien  nicht;  vgl.  J.  Wellhauscu,  Reste  ar.  Heidentumes  I.  Aufl.,  p.  176,  anders  II.  Aufl.,  p.  214.  —  Über  die  hier  be- 
handelten Symboltiere  wird  vielleicht  Ibn  al  Kalbis  Iciläh  itl-a.mäm  bald  neue  Aufschlüsse  bringen. 

'"  Kinship  and  Marriage  p.  208  f.  •■'  Ebenda  p.  209. 


Du  Sal.iar  und  stellen  ihre  Widmung  in  den  Schutz 
der  zwei  Götter  'Attar  und  Sahar,  deren  Hülfe 
und  Schutz  sie  in  der  üblichen  Weise  anrufen. 

Ein  Drachenkoiif   aus  Bronze  (Abb.  18G)  im 
Besitz  des  k.  k.  Hofmuseums  zu  Wien  scheint  als 


I.  Abhandlung:  Adolf  Geohmann. 

Haltungen    finden    sich    auch    bei    den   Schlangen 


Abb.   186.    Drachenkopf    .ins    Hionze,    Höhe  6-5  cm.    (Wien, 
k.  k.  Hofmuscum.) 

Griff  zu  irgend  einem  Gegenstand  gehört  zu 
haben.  Das  Stück  zählt  zu  den  Erwerbungen  der 
Südarabisclien  Expedition. 

Es    erübrigt    noch,    auf    die    gegenständliche 
Seite  der  beiden  Symbole  näher  einzugeben.  Für 


der  babylonischen  Belehnungsurkunden;  so  zeigt 
die  Haltung  a)  die  Sirruschlange  auf  einer  Be- 
lehnunesurkunde  aus  dem  16,  Jahre  Nebukadne- 
zars  I.  (ca.  1125  v.  Chr.),  die  zu  Nippur  gefunden 


Abb.  188.     a  f?irruschlange    auf   einer   babylonischen    Grenz- 
steinurkunde (ca.   12.  Jahrh.  v.  Chr.),  Pari.s,  Louvre. 
h  Schlange  auf  Gl.  1302. 

wurde  (Abb.  187,  links^,  zum  Vergleiche  rechts 
Gl.  1158).  Der  Kopf  der  Sclüange  ist  sowohl  auf 
dem  minäischen  Denkmale  wie  auch  auf  dem 
babylonischen  mehr  zugespitzt.  An  die  Schlange 
auf  Gl.  1302  in  der  Haltung  h)  erinnert,  was 
die  Kopfform  betrifft,  die  Sirruschlange  auf  einer 
l)abylonischen  Grenzsteinurkuude  aus  der  Zeit 
der  Isindynastie  (ca.  12.  Jahrb.  v.  Chr.),  gefunden 


Abb.  187.     a    fjirruschlange    von    einer    Belehnungsurkunde 

Nebukadnezars  I.   (ca.  1125  v.  Chr.)   aus   Nippur  (im   Besitze 

H.  V.  Hilpreclits).     I,  Schlange  von   Gl.  1158. 

die  Schlange  hatten  wir  an  Inschriften  bis  jetzt 
folgendes  Material:  Gl.  1316  (Abb.  130),  1302 
(Abb.  134),  1234  (Abb.  136),  den  Delosaltar  (Abb. 
137)  und  Glaser  1158  (Abb.  138).  Auf  diesen  In- 
schriften erscheint  die  Schlange  in  drei  ver- 
schiedenen Haltungen :  a)  in  großer,  S-förmiger 
Krümmung  (Abb.  130,  138),  den  Kopf  etwas  auf- 
gerichtet; b)  nur  leicht  geschlängelt,  die  Richtung 
von  oben  nach  unten  einiialtend  (Abi).  134,  136), 
und  c)  wie  in  b),  docii  mit  aufgerichtetem  oder 
seitwärts  gedrehtem  Ko}ifc  (Abb.  137).    Alle  drei 


a  h 

Abb.  189.    a  §irruschlange  auf  einer  Bestallungsurkunde  (ca. 
900  V.  Chr.).  Berlin,  kgl.  Museum,     h  Schlange  auf  Gl.  1234. 


Vgl.  M.  Jastrow,  .a.  a.  O.,  Taf.  12,   Nr.  40. 


GöTTERSYMBOLE    DND    SyMBOLTIERE    AUF    SÜDARABISCHEN    DeNKMÄLI 


73 


in  der  Nähe  von  Babylon  (Abb.  188  links'),  für 
die  Haltung-  typischer  jedoch  ist  der  Vergleich 
mit  der  Schlange  auf  einer  Bestallungsurkunde 
(Abb.  189,  links  2  neben  Gl.  1234),  datiert  zu 
Borsippa  im  8.  Jahre  des  Königs  Nebo  Schu- 
mischkun  I.  (ca.  900  r.  Chr.).  Zur  Haltung  c) 
endlich  läßt  sich  die  Sirruschlange  auf  der  unter- 
sten Reihe  der  zu  Susa  gefundenen  Belehnungs- 
urkunde  des  Meli-Schipak  (^ca.  1204—1190  v.  Chr.) 


Abb.  190.  a  girruschlange  auf  der  Belehnungsurkunde  Meli- 

schipaks  (ca.  1204 — 1190  v.  Chr.),   aus  Susa  (Paris,  Louvre). 

h  Schlange  auf  dem  minäischen  Delosaltare. 

vergleichen  (Abb.  190  links  ^,  rechts  die  Schlange 
auf  dem  Delosaltare). 

Neben  diesen  Schlangendarstellungen  auf  Stein 
finden  sich  auch  noch   drei  Bronzeschlansen   im 


Abb.  191.    Fragment   einer   Bronzeschlange    aus   Südarabien. 
(Hofmiis.  136.)  Wien,  k.  k.  Hofmuseum. 

Wiener  Hofmuseum;  Hofm.  136  (Abb.  191)*,  das 
Mittelstück  einer  Schlange  mit  daran  befestigtem 
Henkel;  Hofm.  137,  der  Vorderteil  einer  Bronze- 
schlange mit  durchlochtem  Kopfe  ^  und  endlich 
ein  Bronzestab,  der  ia  eine  Schlange  ausläuft 
(Abb.  192);  das  Stück  wurde  von  der  Südarabischen 
Expedition  der  Wiener  Akademie  mitgebracht. 


Abb.   192.     Bronzestab    mit    Schlangeukopf  aus   Südarabien. 
(Wien,  k.  k.  Hofmuseum.) 

Eine  ähnlich  geschuppte  Bronzeschlange,  wie 
Abb.  191  fand  de  Morgan  in  Susa  (Abb.  1936). 
Zum  dritten  südarabischen  Stücke  (Abi).  192)  wäre 
Abb.  194  zu  vergleichen,  ein  Bronzeszepter  mit 
Schlangenkopf,  aus  demselben  Fundorte';  diese 
elamischen  Bronzen  (Abb.  193  f.)  sind  etwa  um 
1000  V.  Chr.  anzusetzen. 

Die  südarabischen  Stucke  wurden,  wie  der 
daran  angebrachte  Henkel  bzw.  die  Durchlochung 


Abb.  193.    Bronzeschlange  aus  Susa  i^Paris,  Louvre) 


Abb.  194.  Sclilangenstab  aus  Bronze,  aus  Susa.  (Paris,  Louvre.) 

zeigt,  als  Amulette  getragen.  Zu  dieser  Verwen- 
dung eines  Göttersymbols  als  Amulett  zum  Um- 
hängen wolle  man  Abb.  54  vergleichen,  auf  der 
König  Samsi  Adad  das  Blitzbündel  als  Amu- 
lett um  den  Hals  trägt;  erst  in  zweiter  Linie 
wird  man  an  ein  Schutzmittel  speziell  gegen 
Schlangenbiß  denken  dürfen.^ 


>  Vgl.  M.  Jastrow,  a.  a.  O.,  Taf.  13,  Nr.  42.  -  Vgl.  M.  Jastrow,  a.  a.  O.,  Taf.  13,  Nr.  43. 

=  Vgl.  M.  Jastrow,  a.  a.  0.,  Taf.  8.  Nr.  29.  ■*  Nach  D.  H.  Müller,  Südarab.  Altert,   p.  64. 

'  Vgl.  D.  H.  Müller,  Südarab.  Altert.,  p.  65. 

'  Vgl.  E.   de  Morgan,  M6m.  de  la  D616gation   en  Ferse,  tom.  VII,   p.  52. 
'  Vgl.  E.  de  Morgan,  a.  a.  O.,  tom.  VII. 

'  Vgl.  die  Bronzeschlange  von  Gezer  (H.  Gressmann,  Altorientalische  Texte  und  Bilder,    Bd.  II,   S.  94  f.,    Abb.  177)- 
Denkscliriflcn  der  phil.-hist.  Kl.  68   Bd.  1.  Abb.  10 


74 


I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmasn. 


Das  interessanteste  fi^ymboltier  der  südarabi- 
schen  Denkmäler  ist  wohl  der  Draclie.  0.  Weber 
hat  als  erster!  den  Drachen  in  dem  vierten  Sym- 


Abb.  195.     Der  Drache  von  Babylon. 

hole  des  Bulawayosteines  (Abb.  9)  erkannt  und 
dessen  Zusammenhang  mit  dem  babylonischen 
Drachen    bewiesen.    Der   Bedeutung   wegen,    die 


die  beiden  Drachenköpfe  auf  OM.  282  (Abb.  10) 
sowie  den  Drachenkopf  aus  Bronze  (Abb.  186), 
also  einköpfige  Typen  einerseits,  dann  den  zwei- 
köpfigen Drachen  auf  Abb.  112.  Zu  jenen 
verglich  0.  Weber  den  Drachen  von  Babylon 
(Abb.  195)^.  Man  könnte  auch  den  Sirrussu  vom 
Beitempel  zu  Nip]iur  heran  ziehen  (Abb.  196)^,  ein 
Tonrelief,  das  ca.  2300  v.  Chr.  anzusetzen  ist. 
Es  weist  wohl  zum  Teil  ältere  Details  auf  im 
Vergleich  zum  gänzlich  stilisierten  Drachen  von 
Babylon.  So  sitzt  ihm  die  Haarlocke  noch  am 
Nacken,  nicht  wie  beim  Drachen  von  Babylon  in 
stilisierter  Kräuselung  am  Kopfe,  die  Hörner  sind 
noch  in  der  Zweizahl  vorhanden  und  an  ihrer 
richtigen  Stelle,  nicht  über  den  Augen  angebracht. 
Mit   seinem    schlanken  Halse   stellt   sich  aber  der 


Abb.  196.   Der  babylonische  Drache  (.'Jirrussu).  Tonrelief, 
ca.  2H00  V.  Chr.  (Tschinili  Kiöschk,  Konstantinopel.) 


Abb.  197.     Babylonische  Bronzetafel  mit  Beschwörungs.szene. 
(Paris,    Sammlung  de  C'lercq.) 


dieser  Tierfigur  im  Rahmen  der  babylonischen 
und  sabäischen  Symbolik  zukommt,  sei  hier  noch- 
mals auf  das  Gegenständliche  eingegangen.  Wir 
kennen  bis  jetzt  zwei  verschiedenartige  Drachen- 
darstellungen auf  südarabischen  Denkmälern :  neben 
dem   Bulawayosteine    und    Gl.  495   (Abb.  9,   185) 


sabäische  Drache  eher  dem  von  Babylon  (Abb. 
195)  zur  Seite,  der  auch  noch  in  seiner  Leibes- 
bildung mehr  an  die  Entwicklung  aus  der  Haus- 
ziege erinnert.  Er  stellt  so  ungefähr  ein  Mittel- 
glied dar  zwischen  dem  Drachen  von  Babylon 
und    dem  von   Nip])ur   und   gibt  uns  eine  Vorstel- 


'  O.  Weber,   Göttcrsymbole,  p.  271  ff. 

-  Nach  F.  Delitisch,   Im   L,ande  des  einstigen  Paradieses,  Abb.  29. 

'  Nach  H.  V.  Hilprech t,  Die  Ausgrabungen  im  Beitempel  zu  Nippur,  Abb.  50. 


Göttersymbole  und  Symboltiere  auf  südarabischen   Denkmälern. 


75 


lung   von    der   Jlannigfaltigkeit    der    Formen,    die 
dieses  Fabeltier  einst  aufeewiesen  haben  mao- 

Der  sabäische  Drache  Abb.  112  erinnert  in 
seiner  bogenartig  über  zwei  Säulen  das  Bild  ab- 
schließenden Form  und  dem  Kopfe  je  an  einem 
Ende  an  das  Schiff  des  Beschwörungsreliefs  A. 
unterste  Reihe  der  Vorderseite  (Abb.  197)'.  Das 
Schiff  trägt  am  rechten  Bug  einen  Löwenkopf, 
am   linken   einen   Ziegenkopf.    Davon   abgesehen 


ist  im  sabäischen  doppelköpfigen  Drachen  die  Re- 
miniszenz an  den  einköpfigen  Drachen  von  Baby- 
lon und  der  Zusammenhang  mit  ihm  dadurch  ge- 
wahrt, daß  wir  im  schnabelbewehrten  Kopfe  (rechts) 
vielleicht  auch  links  im  Kopfe  eines  Löwen  (?)  noch 
an  die  l^eideu  Tiere  erinnert  werden,  die  an  den 
babylonischen  Drachen  sonst  Züge  abgegeben 
haben;  seine  Yorderfüße  weisen  ja  Löwentatzen 
auf  und  seine  Hinterfüße  Adlerkrallen. 


Der  Adler. 


Ein  Göttersymbül  ist  wohl  auch  im  Adler 
za  erkennen,  den  Abb.  91  zeigt.  D.  Nielsen 
hat  in  ihm  ein  Mondsymbol  gesehen^,  während 
E.  Oslander-'  ihn  für  ein  Sonnensymbol  hielt. 
Auch  dieses  Tier  spielt  in  der  muslimischen 
Tradition  eine  Rolle.  In  seiner  Gestalt  soll  Nasr*, 
angeblich  ein  himyarisches  Idol,  verehrt  worden 
sein.^  Der  Gott  Nasr  ist  in  den  Inschriften  mehr- 
fach l)elegt. 

Die  Inschrift  der  Gemme  Abb.  91  gibt  leider 
für  die  Zuweisung  an  eine  bestimmte  südarabische 
Gottheit  keinen  Anhaltspunkt;  berücksichtigt  man 
die    von    D.  Nielsen    nach    dem   San'äer    Salna- 


meii  erwähnte  Darstellung  auf  einer  Reliefplatte, 
die  einen  Adler  mit  einer  von  ihm  gehaltenen 
Schlange  zeigt,''  so  könnte  man  den  Adler  auch 
als  Sonnensvmbol  auffassen:  diese  Darstellung- 
würde  den  siegreichen  Kampf  der  Sonne  (Adler) 
mit  dem  Monde  (Schlange)  bedeuten.  Doch  sind 
auch  andere  Auslegungen  ebensogut  möglich. 
Auf  der  Gemme  Abb.  91  steht  das  Mondsymbol 
(Sichel  mit  Scheilie)  über  dem  auf  der  Mond- 
sichel ruhenden  Adler ;  das  spricht  eher  für 
Nielsens  Auffassung,  wenn  man  im  Adler  nicht 
lieber  einen  Stellvertreter  der  Scheibe  sehen  will. 


'  Nach  M.  Jastroiv,  15ilderiiiappe,  Tat".  33,  Nr.  100.  Vgl.  K.  Frank,  Babylonische  Beschwörungsreliefs,  Leipziger 
Semitistische  Studien  III,  3,  p.  74  und  Taf.  I. 

''  Altarab.  Mondreligion,    p.  157.      Vgl.    auch   D.   Nielsen,    Neue   katabanische  Inschriften,    S.  13  f,    (MVAG    1906,  4). 

»  ZDMG  7,   p.  475.  *   Vgl.  Robertson-Smith,  a.  a.  O.  209.  ^  ZDMG  7,   p.  473. 

'■  Die  altarabische  Mondreligion,  p.  109.  Eine  ähnliche  Art  der  Komposition  zeigt  das  Wappen  Abb.  28  bei  van 
Bercli  em-Strzygowski,  Amida,  p.  78  ,un  oiseau  de  proie  .  .  .  les  pattes  posees  sur  l'extremit«^  des  cornes  d'une  tete  de 
taureau  qui    tient  dans   sa   gueule   un  gros  anneau  torse  ou  une  guirlande'. 


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Schlußbemerkungen. 


Zum  Gegenständliciien  sei  zusauimenfassend 
im  Vergleiche  mit  den  entsprechenden  babyloni- 
schen Symbolen  und  gleichzeitigem  Ausblicke 
auf  angrenzende  Kulturländer  folgendes  bemerkt: 
Das  Blitzbündel,  der  Doppelgriffel,  Mondsichel 
und  Scheibe  und  die  Vulva  sind  fast  unverändert 
geblieben.  Dem  zweistrahligen  einfachen  Blitz- 
bündel entspricht  vollständig  das  babylonische, 
dem  dreistrahlig  einfachen  das  hetitische,  dem 
dreistrahligen  Doppelblitze  der  babylonisch-assy- 
risclie,  der  hetitische  und  lihyänische.^  Ebenso 
ist  der  sabäische  Doppelgriffel  gleichsam  nur  eine 
Variante  des  babylonischen.  Das  sabäische  Symbol 
Mondsichel  und  Scheibe  kommt  in  seiner 
Form  dem  babylonischen  viel  näher  als  die 
ägyptische  Form,  wie  sie  sich  auf  dem  Haupte 
verschiedener  Götter  findet,^  die  noch  deutlich 
die  Zusammensetzung  aus  der  Neumondsichel  und 
dem  dunklen  Teile  der  Scheibe  verrät.^  Der  Er- 
satz der  Scheibe  durch  den  Stern  ist  nicht  nur 
den  Sabäern  und  Babyloniern  gemeinsam,  er 
findet  sich  auch  auf  elymaidischen  Münzen*  und 
irgendwie  muß  damit  wohl  auch  das  bekannte 
türkische  Wappeuemblem  (Mondsichel  mit  fünf- 
zackigem   Sterne)    zusammenhängen.      Die    Auf- 


fassung des  Symbols,  die  Drouin  vertritt, ^  der 
in  ihm  die  Konjunktion  des  Mondes  mit  dem 
Venussterne  sieht  und  es  als  Emblem  von  Glück 
und  Wohlergehen  auffaßt,  würde  eine  Verwendung 
des  Symbols  als  Wappenzeichen  wohl  nur  begünsti- 
gen. Den  weiteren  Schritt,  den  sabäische  Formen 
des  Symbols  darstellen,  nämlich  den  Stern  oder 
die  Scheibe  nur  mehr  durch  einen  Funkt  anzu- 
deuten, zeigen  nicht  nur  auch  die  oben  genannten 
Münzen, **  sondern  auch  ein  arabisches  Siegel  auf 
einem  Papyrusbillet  vom  1.  Muharram  196  d.  H. 
(=  23.  September  811  n.  Chr.).'  Die  Mondsichel 
mit  sechsstrahligem  Sterne  bildet  ein  beliebtes 
Amulett  gegen  den  bösen  Blick,  das  an  Ketten 
auf  dem  Kopfschmucke  beduinischer  Frauen  in 
Palästina  getragen  wird.^  Der  Totschläger  ist 
in  seiner  wahrscheinlich  ältesten  Form  nur  aus 
zwei  Streifen  zusammengesetzt,  die  durch  je  zwei 
Querbinden  mehrfach  zusammengehalten  werden, 
während  die  entsprechende  sumerische  Waffe  ^  drei 
Streifen  mit  je  vier  Querbinden  zeigt.  Die  Form 
in  Abb.  29  A  könnte  die  Erwägung  nahe  legen,  ob 
nicht  das  ägyptische  Sichelschwert  (|  Laut  wert  Äpsj 
in  der  Hand  des  Amon-Re  ">  und  Harmachis  ^^  damit 
zusammenhängt.  Das  gleiche  gilt  vom  Krummstabe 


'  Zu  den  griecliischen  Parallelen  s.  P.  Jacobsthal,  a.  a.  O.,  p.  49  ff.  Zur  allgemeinen  Orientierung  über  das  Symbol 
Chr.  Blinkenberg-,  The  Thunderweapon  in  Religion  and  Folklore  (Cambridge  1911).  Ein  dreistrahliger  Doppelblitz  scheint 
auch  unter  den  protoelamischen  Schriftzeichen  vorzukommen;  vgl.  de  Morgan,  Dölög.  en  Perse,  Mem.  VI,  p.  96,  Nr.  397. 
Zum  hetitischen  Blitze  vgl.  Ed.  Meyer,  Reich  und  Kultur  der  Chetiter  (1914),  p.  66,  94,   103  f.,   12üf.,    KU. 

'  So  der  Isis,  Hathor,  Thueris,  des  Chonsu  in  Theben,  Thoth  ('I'ljtj),  des  Mondgottes  "I'b,  der  'Jus'Jset  und  Reunut. 
Vgl.  E.  A.  Wallis  Budge,  The  Gods  of  the  Egyptians  (London  1904),  Vol.  11,  Tafeln  zu  p.  202,  206,  208,  Vol.  I,  p.  434, 
Vol.  II,  p.  30,   Vol.  II,  p.  34,  Vol.  I,  p.  402,  Vol.  I,  p.  412,   Vol.  I,  p.  354,  Vol.  II,  p.  214. 

'  Vgl.  G.  Röder,   Das  ägyptische  Pantheon,  Arch.  f.  Religionsvvissensch.  XV  (1912),  p.  84. 

'  Vgl.  de  Morgan,  Döleg.  en  Perse,  Möra.  VIII,  Taf.  XII.  72.  Zu  vergleichen  ist  hier  auch  der  kretische  Stierkopf  mit 
dem  Zeichen  X  zwischen  den  Hörnern  und  die  nach  unten  gekehrte  Mondsichel  mit  T  auf  einer  Vase  aus  Susa,  vgl.  p.  78, 
Note   13.  5  Vgl.  de  Morgan,  a.  a.  O.,   p.  202.  "  Vgl.  de  Morgan,  a.  a.  O.,  Taf  X. 

'  Papyrus  1054  der  Sammlung  Erzh.  Rainer  s.  J.  v.  Karabacok,  Das  arabische  Papier,  Mitt.  Pap.  Erzh.  Kainer, 
II— III,  p.  102. 

"  Vgl.  T.  Canaan,  Aberglaube  und  Volksmedizin  im  Lande  der  Bibel,  Abh.  d.  hamburg.  Kolonialinst.,  Bd.  XX 
(19141,  p.  93. 

'■'  Die  Form  Abb.  29  D  wird  auch  von  hetitischen  Kriegern  getragen,  vgl.  Ed.  Meyer,  a.  a.  O.,   Fig.  79,   p.  101  f. 
'"  Vgl.  Ad.  Erman,    Die  ägyptische  Religion  (1905),  p.  61,   Fig.  55. 

"  Vgl.  E.  A.  Wallis  Budge,  a.  a.  O.,  Vol.  I,  Taf.  zu  p.  470.  Ob  die  Waffe  schon  vor  dem  neuen  Reiche  in  Ägypten 
gebräuchlich  ist,  kann  ich  nicht  ermitteln.  Mithin  vermag  ich  auch  nicht  zu  entscheiden,  ob  sie  etwa  aus  Vorderasien  be- 
kommen ist,  was  festzustellen  für  den  allfälligen  Zusammenhang  mit  dem  sumerischen  Totschläger  von  Bedeutung  wäre. 
s.  auch  Ad.  Erman,  Ägypten  und  ägypt.  Leben  im  Altertum  I,  p.  9."),  II,  p.  695.  An  einer  vergleichenden  und  umfassenden 
Darstellung  von  ägyptischen  Waffen  und  Abzeichen  der  Götter  und  Könige  fehlt  es  bis  jetzt. 


78 


1.  Abhandlung:  Adolf  Grohmakn. 


ij'  hk'>}  in  der  Hand  des  Osiris.i  der  in  kleinen 
Naclibildungen  als  zauberkräftiges  Amulett  ver- 
wendet wird.-  Bemerkenswert  ist,  daß  der  offenen 
sabäisclien  und  minoischen  Form  in  Abb.  12  und 
13  eine  protoelamisclie  gegenübersteht,^  die  durch 
den  durcliiaufeuden  Mittelstrich  zugleich  eine 
Zwischenstellung  zwischen  jener  und  den  sabäi- 
sclien und  minoischen  Formen  in  Abb.  15  u.  19 
einnimmt.  Das  Symbol  des  Sibitti  umfaßt  im 
babylonischen  sieben  Sterne,  das  sabäische  Symbol 
zeigt  deren  nur  sechs,  fünf  oder  drei.  Auch  hier 
gibt  es  eine  protoelamische  Entsjtrechung,  die 
drei,  vier  oder  fünf  Kreise  in  derselben  An- 
ordnung wie  das  sabäische  Symbol  enthält.''  Diese 
beruht  in  Saba,  Elani  und  Babylonieu,  soweit 
svmmetrische  Anordnung  eingehalten  ist,  auf  dem- 
selben Prinzipe.  Man  beachte  übrigens  auch,  daß 
die  Zahlen  der  Kreise  (3,5,7)  heiligen  Zahlen 
entsprechen-^  und  die  drei  Kreise  Verwandtschaft 
mit  dem  Tpür/eXv;;  auf  einem  mykenischen  Gold- 
oniamento''  aufweisen.  Drei  Kreise  in  der  Anord- 
nung so  zeigen  auch  als  Amulette  gegen  den  bösen 
Blick  verwendete  Anhängsel  an  Ketten  auf  der 
Kopfbedeckung  beduinischer  Frauen  in  Palästina.' 
Die  ausgestreckte  Hand,  die  heute  noch  in  Palä- 
stina als  apotropäisches  Mittel  gegen  die  ,böse 
Seele' gilt,*  ist  im  babylonischen  gelegentlich  siebeu- 
statt  fünf  fingerig.  Wie  den  Juden  als  Hand  Gottes, 
den  Muhammedanern  als  Hand  Fätimes,  Muham- 
meds  oder  'Alis  gilt  sie  den  Christen  als  Hand  Marias. 
Grobe   Darstellungen,    mit   denen    sich   Abb.  104 


vero-leichen  läßt,  wurden  in  Palästina  auf  die  Haus- 
türe oder  an  die  Oberschwelle  gemalt.»  Abb.  102 
entspricht  genau  den  heute  in  Palästina  als  Amulett 
■betragenen  Händchen  aus  Metall  als  Anhängsel 
an  Wolf szähnen  1"  oder  der  als  Lampenträger  die- 
nenden jüdischen  Hand."  Eine  fünffingerige  Hand 
erscheint   auch  auf  einem  ägyptischen  Amulett. '- 

Das  Kreuz  ist  im  Sabäischen  und  im  Kata- 
bänischen  schief  gestellt  (Andreaskreuz),  Avie  auf 
dem  Stierkopf  auf  einem  Tonsiegel  aus  Kreta. '^ 
Auch  hier  gibt  es  nicht  nur  protoelamische  Ent- 
sprechungen (allerdings  nur  das  geradestehende 
Kreuz),'*  sondern  auch  kretische,  sumerische  und 
hetitische.'^  Selbst  eine  ägyptische  Parallele  läßt 
sich  nachweisen:  am  Halsschmuck  des  Hohen- 
priesters von  Memphis  erscheinen  sechs  Kreuze.'" 
Gleichsam  als  , Ordenskreuz'  wird  es  von  Sanisi 
Adad  IV  am  Halse  getragen.'' 

Die  Speerspitze,  in  ihrer  Grundform  der 
babylonischen  fast  gleich,'*  erhält  dadurch  eine 
Besonderheit,  daß  um  ihren  Schaft  eine  Schlinge 
gewickelt  ist,  die  dem  babylonischen  Symbole 
fehlt.  Eine  Abb.  117  b  ganz  ähnliche  Form  zeigt 
eine  indische  Münze  des  Königs  Kadfises  H.  (ca. 
50  n.  Chr.)  auf  der  Kehrseite.'»  Dort  steht  neben 
dem  Gotte  Siva,  dem  Nachfolger  des  Sturmgottes 
Rudra,  ein  Dreizack^"  mit  Schlinge.  Da  der  Drei- 
zack ebenso  wie  die  Axt  Symbol  des  Blitzes  ist,^' 
liegt  es  nahe,  auch  in  der  sabäischen  Speerspitze 
mit  Schlinge  (bes.  Abb.  117  b)  eine  Variation  des 
Blitzes  zu  sehen,    was  noch  dadurch   wahrschein- 


'  Vgl.  E.  A.  Walli.s  Budge,  a.  a.  O.,  Vol.  11,  Tat.  zu  p.  130,  13-i.  Außerdem  wird  der  Krununstab  noch  getragen 
von  Ptah  (Budge,  a.  a.  O.,  II,  ]k  136),  Harpokrates  (ebd.  I,  p.  4G8),  Serapis  (ebd.  II,  p.  198i,  Horus  (ebd.  I,  p.  484),  Sokar 
(ebd.  1,  p.  50()},  Tatunen  (ebd.  I,  p.  508)  und  dem  Mondgotte  'I'li  (ebd.  I,  p.  412).  In  der  Hand  des  Königs  erscheint  er,  wie 
mir  mein  Freund  Dr.  v.  Demel  mitteilt,  der  eine  Arbeit  über  Götterzeichen  vorbereitet,  schon  im  alten  Reiche;  vgl.  L.  Bor- 
chardt,  Cat.  G6n.  Statuen  und  Statuetten  von  Königen,  Teil  I,  Bl.  10,  Nr.  40  (V.  Dyn.).  Vgl.  w.  u.  p.  80,  Note  ö.  Man  be- 
achte,  daß  auch  der  hetitische  ,Herr  des  Himmels'  (Sonnengott)  einen  Krummstab  trägt;  vgl.  Ed.  Meyer,  a.  a.  O.,  p.  31. 

'  Vgl.  A.  Wiedemann,  Die  Amulette  der  alten  .Ägypter,  AO.  XII  (1910),  p.  24. 

'  Liste  des  Signes  proto-ölamites  bei   de  Morgan,   D^leg.  en  Perse,  Mem.  VI,  Nr.  15 — 18   (p.  83)  451  f.   (p.  97). 

*  Liste  des  Signes  proto-elamites  bei  de  Morgan,   D61eg.  en  Perse,  Mem.  VI,  Nr.  837   (p.  109),   871,   872  (p.  HO). 

'  Vgl.  T.  Canaan,  a.  a.  O.,  p.  93.      "  Vgl.  W.  Schultz,  a.  a.  O.,  Abb.  5. 

'  Vgl.  T.  Canaan,  a.  a.  O.,  Fig.  10  (p.  58),  Fig.  22  (p.  78).      *■  Vgl.  T.  Canaan,  a.  a.  O.,  p.  61  f. 

'■'  Vgl.  T.  Canaan,  a.  a.  ().,  p.  65.      '»  Vgl.  T.  Canaan,  Fig.  7  g  (p.  55),  Taf.  II,  3—5,  IV,  1  c. 

"  Vgl.  T.  Canaan,  a.  a.  O.,  Taf.  IV,  2b.  "  Vgl.  Ad.  Erman,  Die  ägyptische  Religion,   Fig.  100,  p.  16-2. 

"  Vgl.  \i.  V.  Lichtenberg,  Die  ägäisclie  Kultur  (Wissenschaft  und  Bildung,  Bd.  83),  Abb.  68,  p.  115.  Hieher  gehört 
wohl  auch  die  Mondsichel  mit  T  auf  einer  elamischen  Vase  der  Akropolis  von  Susa,  vgl.  A.  Jeremias,  Handbuch  der  alt- 
orientalischen Geisteskultur  (1913),  Abb.  70. 

'*  Vgl.  de  Morgan,    D616g.  en  Perse,    Mem.  VI,    Liste  des  signes    proto-elamites    Nr.  250 — 272    (p.  91  f.),    835    (p.  109). 

"  Vgl.  A.  Jeremias,  a.  a.  O.,  p.  96—99,  Abb.  58  a— f,  70. 

"  Vgl.  A.  Jeremias,  a.  a.  O.,  p.  6S  und  Ad.  Erman,  Ägypten  II,  p.  403. 

"  Vgl.  A.  Jeremias,  a.  a.  O.,  p.  69  und  oben  Abb.  54. 

'*  Zur  elamischen  Form  vgl,  de  Morgan,   D^leg.  en  Perse,   Mem.  VI,   Liste  des  signes  proto-elamites  Nr.  310 — 316,  p.  93. 

'"  Vgl.  Chr.  Blinkenberg,  a.  a.  0.,  Fig.  28,  p.  56.  .\hnlicli  ebd.  Fig.  29  f,  p.  56  auf  einer  Münze  des  Bazodeo  (ca. 
2.  Jahrhundert  n.  Chr.). 

*°  Die  Form  ist  identisch  mit  dem  min.Hischen  dreistrahligen   Blitze  in  Abb.  46  d. 

"  Chr.  Blinkenberg,  a.  a.  O.,  p.  56. 


Göttersymbole  und  Symboltikre  auf  südarabischen  Denkmälern. 


79 


licher  gemacht  wird,  daß  der  Donnerkeil  im 
Blitzbüudel  von  Abb.  65  eine  speerartige  Form 
aufweist.'  Speerspitze  und Blitzbündel  (beziehungs- 
weise BlitzbUndel  und  Donnerkeil)  können  also 
wohl  als  gleichbedeutend   aufgefaßt  werden.^ 

Auch  die  Federkrone  zeigt  in  ihrer  Form 
eine  leichte  Änderung  gegen  die  babylonische,  be- 
wahrt aber  die  alte  Vierzahl  der  Federn  (Zacken).' 
Dem  mutmaßlich  angenommenen  minäisehen 
Göttertore  fehlen  die  verbindenden  Querbalken  in 
der  Mitte,  die  der  babylonische  Torflügel  auf- 
weist.* 

Keine  babylonische  Entsprechung  haben  vor- 
derhand das  Blitzbündel  mit  dem  Donner- 
keile^ beziehungsweise  Stierkopf  und  Donner- 
keil" und  natürlicherweise  das  'Attarmono- 
gramm.  Von  den  heiligen  Tieren  sind  auch  in 
Babylonien  der  Stier,  der  Löwe,  das  Pferd, 
die  Schlange  und  der  Drache  belegt;  statt  des 
Adlers  haben  wir  dort  den  Geier  und  der 
Steinbock  erscheint  als  Widersacher  Marduks. 
In  Agj-pten  ist  der  Stier  nur  mit  gewissen  Kenn- 
zeichen als  heilig  angesehen,"  als  Apis  entspricht 
er  dem  Mondgotte  Ptah-Sokar-Osiris,  als  Mnevis 
dem  Sonnengotte  Tum  zu  Pa-Tum,**  als  Bakis 
dem  Month,  einer  Lokalgestalt  des  thebanischen 
Sonnengottes  Amon-Re,  als  Onuphis  dem  Osiris." 
Der  Löwe  ist  hier  das  heilige  Tier  des  Sonnen- 


o'ottes.*"  Pferd,  Drache  und  Steinbock  fehlen 
in  Ägypten  unter  den  heiligen  Tieren,  der  Anti- 
lope entspricht  vielleicht  die  der  Isis  heilige 
Gazelle;''  der  Adler  ist  dem  Amon-Re  in  Theben 
heilig,'^  an  seine  Stelle  tritt  aber  meist  der  Falke, 
das  heilige  Tier  des  Sonnengottes.'^  Die  Sphinx 
kommt  in  Ägypten  wie  auch  für  Mesopotamien 
nur  als  Fabelwesen  in  Betracht,'''  doch  ist  auch  sie 
gelegentlich  das  Symljol  des  Sonnengottes.'^  Die 
Schlange  ist  verschiedenen  Göttinnen  heilig,  ja 
ähnlich  der  Sirnischlange  sogar  selbst  Gottheit."' 
Der  gegenständlichen  Verwandtschaft  der  Sym- 
bole steht  aber,  soweit  wir  bis  jetzt  urteilen 
können,  meist  ein  Unterschied  im  Göttercharakter 
ihrer  Träger  gegenüber.  So  ist  nur  der  sabäische 
Totschläger  und  der  ägyptische  Krummstab  (?)  ein 
Symbol  -lunarer  Gottheiten  ('Almakah  —  i'h),'' 
ebenso  wie  ]\Iondsichel  und  Scheibe  in  Babylonien 
und  Ägypten  auch  lunaren  (iöttern  gehören." 
Die  Hand  eignet  wenigstens  in  Ma'in  dem  der 
babvlonischen  Istar  entsprechenden  'Attar  zu,  im 
kombinierten  Symbole  Mondsichel  und  Scheibe 
(^^  Stern)  und  Hand  geben  auch  fürs  Sabäische 
die  Bestandteile  Stern  und  Hand  zu  gunsten 
'Attars  den  Ausschlag,  dem  in  Babylon  Istar 
als  Inhaberin  des  Venussternes  und  der  Hand  ent- 
spricht. A^on  den  Symboltieren  entspricht  nur  der 
Stier    in   Ägypten    und  Südarabien   einer  lunaren 


'  Man  beachte  auch  Jie  entspieclionde  griechische  Darstellung  Abb.  66. 

-  Andere  zusammengehönge  Symbolpa.ire  sind:  Mondsichel  mit  Venusstern  (Scheibe)  und  Mondsichel  mit  der  Hand 
(Vgl.  p.  46.  In  Abb.  102  liegt  eine  Häufung  von  Symbolen  vor:  Mondsichel,  Hand  und  darauf  nochmals  die  mit  ihr  gleich- 
bedeutende Scheibe  =  Venusstern),  Blitzbündel   und  Donnerkeil  und  Stierkopf  und  Donnerkeil  (vgl.  p.  32). 

=>  Zur  Federkrone  der  'Anüket  vgl.  E.  A.Wallis  Budge,  a.  a.  O.,  II,  p.  f)6  f.,  284—288.  Zur  kretischen  K.V.Lichten- 
berg, Einflüsse  der  ägäischen  Kultur  auf  Ägypten  und  Palästina  MVAG  XVI  (1911),  p.  130,  143.  Zum  federkronen- 
geschmückten  Gott  Bes  als   Amulett  A.  Wiedemann,  Die  Amulette  der  alten  Ägypter  (AO.  XII),  p.  10. 

■•  Zum  Tore  auf  dem  Siegelzylinder  aus  Gük-Täpä  und  dem  aus  den  Torflügeln  hervorschreitenden  Sonnengotte  s 
C.  F.  Lehmann-Haupt,  Materialien  zur  älteren  Geschichte  Armeniens  und  Mesopotamiens,  AGWG  NF.  Bd.  IX  (1907), 
Xr.  3,   p.  8  f.  ^  Dafür  hier  griechische  Entsprechungen. 

«  Im  Mykenischen  und  Kretischen  entsiiricht  ihm  der  Stierkopf  mit  der  A.xt  zwischen  den  Hörnern.  Vgl.  R.  v.  Lichten- 
berg, Die  ägäische  Kultur,   ji.  112   und  Abb.  65. 

'  Vgl.  Th.  Hopfner,  Der  Tierkult  der  alten  Ägypter,  Denkschr.  d.  kais.  Akad.  d.  Wissensch.  in  Wien,  phil.-hist.  Kl. 
Bd.  57,  2.  Abh.   (1913),  p.  76  fl'.  "  Vgl.  Th.  Hopfner,  a.  a.  O.,  p.  86  f.  "  Vgl.  Th.  Hopfner,  a.  a.  O.,  p.  88. 

"  Vgl.  Th.  Hopfner,  a.  a.  O.,  p.  40  ff.  und  E.  A.Wallis  Budge,  a.a.O.,  II,  p.  360.  Zum  Löwen  auf  hetitischen 
Denkmälern  vgl.  Ed.  Meyer,  a.  a.  O.,  p.  82,  Note  1,  110  ff.,  161  f.,  164,' zur  hetitischen  löwenköpflgen  Gottheit  p.  lnOf.  Ob 
die  Löwin  im  Relief  auf  einem  Felsen  bei  Aksum  als  Symboltier  gedacht  ist,  ist  schwer  zu  sagen.  Da  vor  ihrem  Rachen 
der  Sonnendiskus  steht,  ist  immerhin  an  die  Möglichkeit  zu  denken,  daß  die  Löwin  hier  als  ein  der  Sonne  heiliges  Tier 
aufzufassen  sein  kann.  Vgl.  Th.  Beut,  The  sacred  city  of  the  Etliiopians  (London  1893),  p.  195  f.  und  die  Abbildung. 
Vermutlich  geht  das  Relief  noch  auf  sabäische  Kolonisten  zurück.  "   Vgl.   Th.  Hopfner,  a.  a.  O.,  p.  101. 

'=  Vgl.  Th.  Hopfner,  a.  a.  O.,  p.  106.  "  Vgl.  Th.  Hopfner,  a.  a.  O.,  p.  107  ff. 

'*  Vgl.  Th.  Hopfner,   a.  a.  ü.,   p.  12  und  Ed.  Meyer,  a.  a.  O.,  y.  17,   24  f.,  49,   77. 

'S  Vgl.   E.  A.  Wallis  Budge,  a.  a.  0.,  II,   p.  361.  '"  Vgl.  Th.  Hopfner,  a.  a.  O.,   p.  1.S6  fl". 

"  Wie  es  diesbezüglich  mit  der  sumerischen  Waffe  steht,  weiß  icli  nicht.  Interessant  ist,  daß  sie  ebenso  Waffe  des 
Herrschers  ist,  wie  der  Ai-',-Stab  (?)  vom  mittleren  Reiche  an  in  Ägypten.  Hiezu  h.alte  man,  daß  der  Totschläger  in  der 
Mukarribzeit  nur  auf  Inschriften,  die  von  Mukarriben  gesetzt  sind,  vorkommt  und  kurz  darauf  auf  der  sehr  alten  Königs- 
inschrift Gl.  485  (vgl.  p.  13). 

'»  Fürs  Sabäische  kommt  hier  auch  die  solare  Dät  Hmi."',  beziehungsweise  äams  in   Betracht. 


«0 


I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmann. 


Gottheit  ('Almakah-yadd-Ptah-Öokar-Osiris)i  das 
Pferd  in  Babylonien  und  Südarabien  einer  solaren 
(Dkt  Ba'dän-Samas).  Ein  Vergleich  der  übrigen 
Symholträger,  z.  B.  des  Adad-Teschup  und  'Alma- 
kah-'Aium-Xru  (^Blitzbüudel),  Du  Smiii  und  Nabu 
(Doppelgriffel),  'Almakah-Nkrh  und  Marduk  (Steru 
beziehungsweise  Ring)  erschwert  die  vorderhand 
noch  mangelhafte  Kenntnis,  die  wir  vom  Charakter 
rler  sabäo-minäischen  Götter  haben.  Ist  so  etwa 
'Almakahauch  Wettergott.  wie  Adad  und  Teschup, 
oder  Du  Smui  der  Schirmherr  des  Ackerbaues 
wie  Nabu?  Ausgesprochene  Verschiedenheit  des 
Charakters  zeigt  sich  bei  den  Trägern  der  Speer- 
spitze ('Attar-Marduk),  der  Federkrone  ('Attar- 
Bes-'Anüket)  und  der  Sterne  (Dät  ITmi^-Si- 
bitti). 

Schon  oben  (]).  15)  wurde  darauf  hingewiesen, 
daß  Stierköpfe  (auch  mit  Donnerkeil)  aus  Zauber- 
gründen auf  sabäischen  Inschriften  angebracht 
wurden  und  dieser  Sitte  eine  analoge  ägyptische 
zur  Seite  gestellt.  Das  gleiche  gilt  auch  von  der 
Schlange.    Zu  den  p.  73  erwähnten,    als  Amulett 


getragenen  Schlangen  kann  nicht  nur  auf  den 
ägj'ptischen  Brauch  hingewiesen  werden,  Stücke 
von  Schlangen  in  kleinen  Kästchen  zu  verwahren 
und  dem  Gegenstande,  für  den  man  den  Schutz 
des  Gottes  ersehnte,  anzubinden,*  sondern  auch 
an  die  Vorstellung  von  der  Schlange  als  Heils- 
träger und  der  Verwendung  ihres  Kopfes,  Schädels 
und  Rückgrats  als  Heilmittel,  wie  sie  sich  noch 
heute  in  Palästina  findet.^  Auf  die  Verwendung 
von  Mondsichel  und  Scheibe  (Stern)  sowie  der 
Hand  als  Amulette  ist  schon  oben  (p-  77  f.)  hinge- 
wiesen worden.  Eine  gleiche  Verwendung  beider 
Symbole  kann  man  wohl  auch  bereits  bei  den 
Sabäern  annehmen.  Wie  ferner  in  Babylon  der 
Blitz  und  das  Kreuz  als  Amulett  dient  (vgl.  Abb.  54), 
so  mag  man  in  Sudarabien  mit  der  Anbringung 
dieser  Symbole  auf  Inschriften  zugleich  auch  apo- 
tropäische  Maßregeln  verfolgt  haben  und  ähnliches 
auch  bei  den  Sternen  (man  beachte  die  heiligen 
Zahlen  3,  5,  7)  und  der  Federkrone*  der  Fall 
gewesen  sein.  Vielleicht  hat  auch  der  Totschläger 
apotropäische  Bedeutung.^ 


'  Die  von  E.  Oslander  vertretene  Zuweisung  des  Löwen  an  die  Sonnengottheit  (s.  p.  70)  würde  auch  darin  einen 
Halt  finden,  daß  In  Ägypten  der  Löwe  das  Symbol  der  Sonne  Ist.  —  Zwar  heißt  auch  der  babylonische  Mondgott  Nannar 
.Stier'  (vgl.  M.  .Tastrow,  Die  Religion  Babyloniens  und  Assyriens,  I,  p.  84,  437),  doch  ist  der  Stier  das  Tier  Marduks 
und  Adads. 

-  Vgl.  A.  Wiedemann,  Die  Amulette  der  alten  Ägypter,  p.  12.  Auch  bei  den  Babyloniern  spielt  die  Schlange  iui 
Zauber  eine  große  Rolle,  s.  M.  Jastrow,  Die  Religion  Babyloniens  und  Assyriens,  II,  p.  771!  fi'. 

'  Vgl.  T.  Canaan,   a.  a.  O.,  p.  83. 

■*  Der  federkronengeschmiickte  Bes  ist  ja  ein  beliebtes  Amulett;  daß  man  nur  das  charakteristische  Merkmal  des  Gottes 
herausgreift,  um  seines  Schutzes  sicher  zu  sein,  ist  auch  in  Ägypten  oft  geübter  Brauch.  Vgl.  A.  Wiedemann,  Die  Amulette 
der  alten  Ägypter,  p.  10. 

'  Erschlossen  aus  der  Verwendung  des  so  ähnliclien  /t/cJ-Stabes  (vgl.  oben  p.  78).  Die  älteste  Form  des  kklStahes, 
wie  iie  bei  G.Möller,  Paläographie  I,  Nr.  453  für  die  dritte  Dynastie  belegt  ist,  kommt  den  Formen  des  Totschlägers  in 
Abb.  27  d,  m  sehr  nahe.  Zur  späteren  Form  ?  vgl.  L.  Borchardt,  Cat.  G^n.  Statuen  und  Statuetten  von  Königen,  Teil  I, 
Bl.  IG,  Nr.  40  (V.  Dyn.);  P.  Lacau,  Sarcophages  anterieurs  au  nouvel  empire,  Cat.  Gdn.  (1903).  Taf.  XLV.  (mittleres  Reich); 
Ad.  Erman.  Ägypten  u.  ägypt.  Leben  im  Altertum,  Bd.  I,  p.  75,  Taf.  zu  p.  78,  95,  99,  100,  II,  p.  384,  465;  Ägyptische 
Religion,  p.  18,  217,  231;  G.  Steindorff,  Die  Blütezeit  des  Pharaonenreiches  (Monographien  zur  Weltgeschichte  X,  1900), 
Abb.  62  (p.  61),  57  (p.  66),  67  (p.  78),  Taf.  zu  p.  144;  Ed.  Meyer,  Geschichte  des  alten  Ägyptens  (Sammlung  W.  Oncken, 
Allgem.  Gesch.  in  Einzeldarstellungen  I,  1887),  Einleitung,  p.  87;  Gesch.  d.  alten  Ägyptens,  Taf.  zu  p.  296,  300  (neues  Reich), 
vgl.  auch  p.  7H,  Note  1. 


GöTTERSYJIBOLE    UND    SyMBOLTIERE    AUF    SÜDARABISCHEX    DeNKMÄLERX. 


81 


Transkriptionstabelle 

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.    .    d 

l]    .   .   .    n 

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■    ? 

Verzeichnis  der  Abkürzungen. 


ABAW  =  Abhandl.    d.    k.  Akademie    d.  Wissen-  .1.  A.  = 

Schäften   zu  Berlin.  Mars.  = 

AGWG  =  Abhandl.  d.  k.  Gesellschaft  d.  Wissen- 
schaften  zu  Göttingen. 
AO  =  Der  alte  Orient.  ilDOG  = 

Arn.  =  Inschriften,  gesammelt  von  A.  Arnaud, 

pnbl.  von  F.  Fresnel,  J.  A.  4.  ser.  Mordtmann  = 

tom.  VI,  p.  169  ff. 
Berlin  =  Himjar.  Inschriften  u.  Altertümer,  publ. 

von  J.  H.  Mordtmann,  s.  HIA.  MVAG  = 

Bibl.  Nat.  =  Bibliotheque  Nationale,  deren  Inschrif- 
ten publ.  von  H.  Derenbourg,  Les  OLZ  = 
monuments  Sabeens  et  Himyarites  de  OM  = 
la  Bibliotheque   Nationale,  Paris. 
Bird  =  Inschriften  gesammelt  von  Dr.  Mackell.  Os.  = 
publ.   von  J.  Bird,    Journal    of   the 
Bombay  Brauch  of  the  Koy.   Asiatic                       Prid.  = 
Society  Oct.  1844,  p.  30—40. 
CIH  =  Corpus       Inscriptionum       Semiticarum 

Pars   IV. 
eis  =:  Corpus   Inscriptionum  Semiticarum.  liev.  Arch.  = 

Derenbourg  =  Inschriften  publ.  von  H.  Derenbourg  URAL  = 

in    den  Etudes    sur    l'epigraphie    du 
Yemen   I — IV.     J.  A.   7.  ser.  tom.         Sab.  Denkm.  = 
XIX,  p.  361  ff. 
Gl.  =  Inschriften     der     Sammlung    Eduard 
Glaser. 
Hai.  =  publ.  von  J.  Halevy,  Kapport  sur  une  WZKM  = 

mission  archcologique  dans  le  Yemen, 
J.A.  6.  ser.  tom.  XIX,  p.  129— 266.  ZA  = 

HIA  =  J.  H.  Mordtmann,  Himjarisohe  In- 
schriften u.  Altertümer  in  den  kgl.  ZDMG  = 
Museen  zu  Berlin.  (Berlin  1893.) 
Hofm.  =  Inschriften  des  k.  k.  Kunsthist.  Hof-  n.  d.  = 
museums  in  Wien,  publ.  von  D.  H.  n.  g.  = 
Müller,  Südarabische  Altertümer  im  n.  1.  = 
Kunsthist.  Hofmuseum   in  Wien.                              n.  pr.  = 


Journal   Asiatique. 

Inschriften  im  Museum  in  Marseille, 
publ.  von  H.  Derenbourg,  Eev. 
Archeologique  III.  ser.  tom.  35,  p.  1  ff. 

Mitteilungen  d.  deutschen  Orient-Ge- 
sellschaft. 

J.  H.  Mordtmann,  Unedierte  himjari- 
sohe Inschriften  ZDMG  XXX,  p. 
288  ft'. 

Mitteilungen  der  Vorderasiatischen  Ge- 
sellschaft. 

Orientalistische  Literaturzeitung. 

Osmanisehes  Museum,  im  Tschinili 
Kiösehk  in   Konstantinopel. 

die  von  Oslander,  ZDMG.  XIX.  p. 
159  ff.   edierten   Inschriften. 

die  von  W.  F.  Prideaux  edierten 
Inschriften  in  Transactions  of  the 
Society  of  Biblical  .Vrcheologie  Vol. 
11,   p.  19  ff. 

Revue  Archeologique. 

Rendiconti  della  E.  .-Vccademia  dei 
Lincei. 

J.  H.  Mordtmann  u.  D.  11.  Müller. 
Sabäische  Denkmäler  (Denkschr.  d. 
kais.  Akad.  d.  Wissensch.  in  Wien, 
phil.-hist.  Kl.,  Bd.  XXXIII). 

Wiener  Zeitschrift  für  die  Kunde  des 
Morgenlandes. 

Zeitschrift  für  Assyriologie  u.  ver- 
wandte Gebiete. 

Zeitschrift  der  deutschen  morgenländi- 
schen Gesellschaft. 

nomen   dei   (deac). 

nomen  gontis. 

nomen  loci. 

nomen   proprium   (personale). 


Denkschriften  der  phil.-hist.  Kl,  5H.  Bd.  1.  Abh. 


11 


82 


I.  Abhändlcng:  Adolf  Grohmann. 


Verzeiclmis  der  zitierten  Inschriften. 


Arn.  14  =  Gl.  513  =  514  =  Hai.  673,  674. 
,  19  =  Gl.  524. 

„  20   22  b,  23  b,  24,  30  b,  31a. 
„  26  =  Gl.  552. 
„  28  =  44  =  Gl.  563  =  565. 

33  =  Gl.  545  =  Hai.  671. 
„  36  =  Gl.  477  =  563. 
„  44  =  28. 
„  46  =  Gl.  696. 
^  47  =  Gl.  695. 

54  =  Gl.  482  -  484  =  CIH  373. 

55  =  Gl.  485  =  CIH  374. 
„  56  =  Gl.  481  =  CIH  375. 

Berlin   8   41a. 

,  2618   46  a. 

„  2624   46  b. 

„  2635   46b. 

Bibl.  Nat..  20   65  a,  67  a. 

„  22,  24   67  a. 
Bird  2  (=  Mackell  2)   7  a,  14  b. 
Bulawayostein   5  b.  9  b,  14  b,  15,  16  Note  1,  33  a, 

34  Note  3,  48  b,  71a,  74  a. 
CIH  4  =  Gl.  4  =  Hai.  10. 

„   30   41a. 

„   33    41a. 

„   43  =  Gl.  374. 

„72   67a   68  Note  1. 

„   73  =  Os.  1   14,  15a,  24b,  68b. 

„   76  =  Os.  12   44  b,  46  b. 

„   79   38  b,  44  b,  46  b. 

„   86  =  Os.  17    7  a,  14  b,  15  a. 

„   97    41a. 

„  102   33a,  34b. 

„  106  =  Hai.  686   41a. 

„  124  =  Gl.  103. 

„  139  =  Gl.  118. 

„  155  =  Gl.  138. 

„  226  =  Gl.  210. 

„  285  =  Gl.  262. 

„  290  =  Gl.  862. 

„  293  =  Sab.  Denkm.  18   41  a. 

„  306  =  Gl.  863. 

„  338   46  a. 

„  362   38b,  43b. 

„  366  =  Gl.  901  =  1531  =  Hai.  50. 

„  373  =  Gl.  483. 

„  374  =  Gl.  485  =  Arn.  55. 

„  375  =  Gl.  481  =  Arn.  56. 

„  378  =  Prid  XI   8  b. 

„  380  =  Sab.  Denkm.  21    10b,  IIb,  15a. 


CIH  389  =  Os.  34    5  Note  2,  9b,  14b,  15a. 

„   393    9a,  I5a. 

„   394  =  Landberg  4    IIa,  15a. 

„   395    9b,  15a. 

„   397  =  Reh.  6   9b,  IIa,  15a,  63b. 

„   398  =  Gl.  891. 

,   403  =  Hai.  172   7  a.  14  b,  15  a. 

„   407  =  Mars.  I   9  b,  15  a. 

„   409  =  Hofm.  5  =  Gl.  623  =  1546. 

„   410    9  b,  15a. 
Delosaltar  23  a,  28  a,  54  a,  55,  72  a,  73  a. 
Derenbourg  I   39  a,  43  b,  62  b,  63  b. 

XX   65  a,  67  a. 
Ganneaustele    30  a,  46  a. 
Gl.   4  =  CIH  4  =  Hai.  10   8b,  14b. 
„   29  =  279  =  1209    6  b,  46  a.  47  b. 
„  103  =  CIH  124    62  a. 
„  118  =  CIH  139   35  b,  37  a. 
„136   43  Note  7. 
„  137   43  Note  7. 
„  138  =  CIH  155   40  b. 
„  210  =  CIH  226    37  a,  43  b. 
„  230    43  b,  63  a. 
„  262  =  CIH  285   39  a,  43  b. 
„  279  =  29  =  1209. 
„  301  =  Hai.  370,  371   6b,  67  a. 
„  302   33,  34  a. 
„  323   39  Note  6. 
„  325    66  a,  67  a. 
„  358   64  a. 

„  374  =  CIH  43   43  Note  9. 
„  397   67b. 
„  425    6,  14b,  15a. 
„  472   19  a,  23  b. 

„  477  =  563  =  Arn.  36    19  a,  23  b,  24  a. 
„  481  =  Arn.  56  =  CIH  375   IIa,  13b,  14b, 

19  a,  23  b,  24  a. 
„  482  =  Arn.  54   7  a,  9  Note  4,  14  b. 
„  483  =  Arn.  54  =  CIH  3  73   7  Note  2,  9  a,  14  b. 
„  485  =  Arn.  55  =  CIH  374    13a,  14b,  19a, 
22  b,  23  b,  24a  79  Note  17. 
„  487    6  b,  10  a,  14  b. 
„  488    10  a,  14  b. 
„  491    14  b. 

„  495  =  0.  M.  304   71a,  74  a. 
„  499   10a,  14b,  15b. 
„  502    19  a,  23  b,  24  a. 
„  503   19,  22  b,  23  b. 

,  513  =  514  =  Arn.  14  =  Hai.  673  f.    19  b,  23  b. 
„  522   5  Note  3,  19  b,  23  b. 


Göttersymbole  und  Symboltiere 


AUF    SÜDARABISCHBN    DeNKMÄLERN. 


83 


671    19b,  23b. 


20  a,  24  a. 


Gl.  523    23  b. 
„   524  =  Arn.  19    14  b. 
„   525   23  b. 
„   545  =  Arn.  33  =  Hai. 
„   549   23  b. 
„   552  =  Arn.  26    48  b. 
„   558    19  b,  23  b. 
„   563  =  565  =  Arn.  28  =  44 
„   573    20  a,  23  b,  24a. 

„   591    23b,  24a.        Gl.  596    20a,  23b. 
„   610  =  796   20,  22b,  23b. 
„   623  =  1546  =  Hofm.  5    9  b  und  Note  7,  14  b, 

15  a,  40  b. 
,   654   10a,  13a,  14b. 
„   655    9a,  14b. 

„   691  =  1728  =  Müncb.  74    6  b,  35,  36  b,  37  a. 
„   695  =  Arn.  47    35  a. 
„   696  =  Arn.  46    20  a,  23  b. 

„   712    IIa,  Üb.  Gl.  715    62a. 

„   717    14b,  15a,  16b,  17a,  65b. 
„   731    20  a,  23  b,  24  a. 
„   737   38b,  41,  43b  u.  Note  10. 
„   743   20  b,  23  b. 
„   755    35a,  36b. 
„   781    23  b,  28  a,  29  b. 
„   796  =  610. 

„   797    20b,  23b,  24,  31a. 
„   801    38  b,  54  b. 
,   804    38  b,  44  a,  45  b. 
„   862  =  CIH  290    54  b. 
„   863  =  CIH  306    70  Note  5. 
„   891  =  CIH  398   40b,  63b. 
„   892  =  1527   6b,  2la,  23b. 
„   899  =  924  =  940  =  1139  =  Hai.  43   6  b,  30  b. 
„   901  =  1531  =  Hai.  50  =  CIH  366   5  b,  6  b, 

19  a,  21a,  22  a,  23  b,  24  a. 
„   902  =  903    21a,  23  b. 
„   910  =  1676    21a,  23  b. 
„   916   21a,  23  b. 

„   924  =  899  =  940  =  1139  =  Hai.  43. 
^   940  =  899  =  924  =  1139  =  Hai.  43. 

„  1000  AB    6  b,  21a,  23  b,  24  a. 

„  1049  =  Hofm.  23   7  a,  14  b. 

„  1050  =  Hofm.  4    54  a,  65  b. 

„  1083  =  Hai.  187  -f-  188  -+■  191   6b,  53a. 

„  1090  =  1153  =  Hai.  243   6b,  53a,  55a. 

„  1091  =  Hai.  257    45,  53a,  55  a. 

„  1095    24b. 

„  1108/9    6  b,  21a,  24  a. 

„  1111    6b,  39b,  41b,  43b. 

„  1121    46a. 

„  1139  =  899  =  924  =  940  =  Hai.  43. 

„  1147  =  Hofm.  14   16  Note  1,  21b,  24a,  30a. 


Gl. 


1153  = 
1155  = 
1158 
1162  = 
1209  = 
1234  = 
1302 
1316  = 
1343 
1422  = 

1424 
1425 
1426 
1427 
1434 
1467 
1468  = 
1471  = 
1527  = 
1529  = 
1530 
1531  = 
1533 
1535  = 
1546  = 
1550 

1551 

1552 

1558  — 

1565 

1572 

1603/6 

1620  = 

1641 

1647 

1649 

1652 
1664  = 

1675  = 

1676  = 
1698  = 
1724  = 
1728  = 
1747  f. 
1752  = 

1755  = 

1756  = 

1757  = 
1759  = 
1762  = 


6  b.  25  a, 


22  a. 
51  Note 


=  1090  =  Hai.  243. 

=  Hai.  535  +  578   52  b,  55  a. 

6  b,  23a,  35  b,  37  b,  54a,  55,  72. 
=  Hai.  255    53  b,  55. 
=  29  =  279. 
=  Hai.  478    6  b,  53  b,  55,  72  a,  73  a. 

6  b,  23  a,  53  b,  55  a,  72. 
=  Hai.  532    6  b,  52  a,  72  a. 

23  b,  28  a. 
=  1620  =  Südarab.  Exped.  90 
66  b.  67  Note  3. 

41a. 

41a. 

6  b,  40  a,  41a,  65a. 

70  b. 

23  b,  28  a. 

22  b,  23  b. 
=  Hai.  339 
=  Hofm.  40 
=  892. 

=  Hai.  52;  6b,  22a,  23b,  35b,  37b,  55b. 

23  b. 
=  901. 

6  b,  10  a,  14  b. 
=  Hofm.  24    15b,  32b,  33a,  34,  40a. 
=  623  =  Hofm.  5. 

6  b,  21a,  22  a,  24  a,  32  a,  34  b,  35  b, 

37  b,  55  b. 

6b,  7,  14b,  15a. 

6  b,  35b,  36a,  37a. 
60    6  b,  22  a,  24a. 

7  a,  14  b. 

6b,  IIa,  14b,  15a,  63b. 
41a. 
=  1422  =  Südarab.  Exped.  90. 

6  b,  22  a,  23  b. 

22  b,  23  b. 

6b,  IIb,  12a,  14b,  15,  16a,  24a,  33b, 

34b,  65b. 

6  b,   39  a. 
--  Müncb.  1 
=  Münch.  14 
=  910. 

:  Münch.  44 
=  Münch.  70 


22  b,   23  b,   24  a. 
22  b,   23  b. 


6  b,   22  b,   23  b. 

6  b,   38  b,   44,   45  b,   46  a. 
691  =  Münch.  74. 
=  Münch.  93  f.        6  b,   39  b,    43  b. 
Münch.  98        51b   und   Note   6. 
Münch.  101        51    Note   6. 
Münch.  102        51   Note  6. 
Münch.  98        51  b  Note  2. 
Münch.  105 — 6        51    Note   6. 
Münch.  109        51    Note   6. 

11* 


84 


I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmann. 


Gl.  17G5  =  112  51  Note  6. 
„  1766  =  113  51  Note  6. 
,  1767  =  114  51  Note  6. 
,  1769  =  116  51  Note  6. 
,  1790  =  Hofmus.  9  30  b. 
Hai.  10  =  Gl.  4  =  CIH  4. 

43  =  Gl.  899  =  924  =  940  =  1139. 
"      50  =  Gl.  901  =  1531  =  CIH  366. 
52  =  Gl.  1529. 
144        50   und   Note   4. 
„    148        50  Note  4. 
„150        50  Note  4. 

155/6        49  a,   50  b  und   Note   4. 
158        50   Note   4.  Hai.  159        50   Note   4. 

,   160/1        49  a,   50  b. 
„    172  =  CIH  403. 
„    187  +  188  4-  191  =  Gl.  1083. 
,    243  =  Gl.  1153. 
„    255  =  Gl.  1162. 
„   257  =  Gl.  1091. 
„    280 — 331        24  b. 
„   280—86        22  b,  23  b. 

283 — 86        22   und   Note   2,   23  b. 
„    289        22  b,   23  b. 
„    292        22  b. 
„   303—5        22  b,  23  b. 
„    326        22  b,   24  a. 
„    331        22  b,   24 11. 
„   239  =  Gl.  1468. 
„   370/1  Gl.  301. 
„   478  =  Gl.  1234. 
„    480       23  a,   28  a,   53,   55. 
„    486        53a,   55a. 
„    532  =  Gl.  1316. 
„   535  +  578  =  Gl.  1155. 
„    620        22  b,   24  a. 
„    623        47  a. 
,    647        35b,   36b. 
„    671  =  Gl.  545  =  Arn.  53. 
„    673  +  674  =  Gl.  513  =  514  =  Arn.  14. 
„   682  =  Levy  II        30  a. 
Hofmus.  4  =  GL  1050. 

5  =  Gl.  623  =  1546  =  CIH  409. 
9  =  Gl.  1790. 
„       14  =  61.1147. 
„       23  =  Gl.  1049. 
„       24  =  Gl.  1535. 
„       40  =  Gl.  1471. 
„       41—4        41a. 
„       48        68  Note  5. 
,     123        62  a,   63,   64  Note   6. 
„     125        60b,   61b.  Hofmus.  136         73  a. 

„     132        70a.  „        137        73a. 


lohainsehriften   (Littmann   27)        6b,   12a,   15a,  41b, 

43  Note   10,   51a. 
(Littmann   32)        41b,   43  b,   51a. 
Landberg  4  =  CIH  394. 
Levy  II  =  Hai.  682. 
Mars.    I  =  CIH  407. 

„    III        38  Note   5,   39  a,   43  b,   63  a. 
„       X        23  b,    28  a,   29  b. 
,,  XII        35  b,    36  b,    37  a. 
Mordtmann   6         10  b. 

8  9  a. 
München  1  =  Gl.  1664. 
14  =  Gl.  1675. 
44  =  Gl.  1698. 
70  =  Gl.  1724. 
74  =  Gl.  1728. 
93—94  =  Gl.  1747—48. 
98  =  Gl.  1752. 

98— 117  =  Gl.  1752— 70        51b. 
.,      101—2  =  Gl.  1755—6. 
„      105  =  Gl.  1759. 
„      106  =  Gl.  1759. 
„      109  =  Gl.  1762. 
„      112  =  Gl.  1765. 
,      113  =  Gl.  1766. 
„      114  =  Gl.  1767. 
„      116  =  Gl.  1769. 
0.  M.     3  =  Sab.  Denkm.  23        62  b,  66  Note  2,  64  b. 
„      32        10  b. 
„      34        66  a. 
„      84        68b,   69. 
„    118         70b,    71b. 
„    135        66  a. 
„    138        66  a. 
,    157        38  a,   63. 
„    282         10a,    32b,    71a,   74b. 
„    304  =  Gl.  495. 
Os.     1  =  CIH  73. 
„    12  =  CIH  76. 
„    17  =  CIH  86. 
„30        33  a  und   Note   2,   34. 
,    34  =  CIH  389. 
Prid.  XI  =  CIH  378.  Prid.  XIII   6   Note  2. 

Reh.  6  =  CIH  397. 
Kihab   32        64  a. 

Sab.  Denkm.  1        30  a,    70  Note  5. 
„       18  =  CIH  293. 
„       20        8a,    15a. 
„       21  =  CIH  380. 
„       23  =  0.  M.  3. 
232—35        62  b. 

40        50b.  Sab.  Denkm.  46         62a. 

Südarab.  Exped.  90  =  Gl.  1422  =  1620. 


Göttersymbole  und  Symboltiere  auf  sCdarabischen  Denkmälern. 


85 


Eigennamen-  und  Sachregister.' 


A. 


Abbreviatiii'en  58  b. 

Abessinien  14b,  41b,  43  Note  10,  51a. 

Abulfarag-  (n.  pr.)  43  b. 

'Abyän  (n.  1.)  33  a. 

Achämenidische  Kunst  59  Note  3. 

Adad  (n.  d.)  26  b,  28  b,  29  a,  49  b,  65  a,  80  a  und 

Note  1. 
Adler  3  b,  35  Note  1,  75,   79. 
Ägypten  15  b,  79  und  Note  17,  80  Note  1,  4. 
Agänr  XVI,  48.  so,  71b. 
Akropolis  von  Athen   12  b. 

—  von  Susa  78  Note  13. 
Aksum  (n.  1.)  79  Note   10. 
'Ali  (n.  pr.)  45  Note  4. 
'Alkama  (n.  pr.)'81a. 

'Almakah  (n.  d.)  (Y<l'I]1h  u.  «Y'i'fllhi  3b,  5b, 
6  b,  7  a,  8  b,  9  b,  10,  11,  13  b,  14  b,  15,  16  a, 
17  a,  19  a,  20  a,  21,  24,  30  b,  31b,  33  a,  34  b, 
35  a,  37,  40  b,  41a,  44b,  48  b.  55,  58  b,  64  a, 
65  b,  69  b,  70  a,  79  b,  80  a. 

—  Heiligtum  (i]>Ti])  des  —  63  b. 

—  Herr  von  Hrn"'  (,!]  H  >  T  11  °  Fl)  6  b.    - 

—  Herr  von  Mdr  (^>[>|i]  |1on)  '^a. 

—  Herr  von  V  (Höh  I1°n)  9b,  IIa. 

—  Herr  der  Steinbocke  v.  Sirwäh  (T®)X1°®h1°n) 
9b,  IIa,  63b,  64a. 

—  von  Hirran  (H>V|=j)  7a,  14a. 

—  Priester  (<D^)j  des  —  22  b. 

—  Thuän  (HcDyg)  9  b. 

—  tur  ba'l"  (^1oni>®?)  40b. 
'Almakahtempel    (Y'i' ^1h  IXTFI)    "<  ^.    14b,    15a, 

22  und  Note  3,  23  b,  24  a. 

—  Weihungen  an  'Almakah  6  b,  7  a,  9  b,  10  b, 
IIa,   13b,   15a,   19a,  21a,  24a,  44b,  70a. 

Altäre  6b,  7a,  9a,  10,  12a,  14b,  15a,  20b,  21b, 

23  a,  24  a,  33  a,  38,  39,  41b,  43  b  und  Note  10, 
44  b,  51a,  62  b,  63  a,  64  b,  65  Note  3,  66  a. 

Altes  Testament  47  b. 
altlihyänisch  58  a  (Siegelzylinder), 
altsabäische  Inschriften  21b,  44  a. 
'Amm   (n.  d.  l]o)   24  b,  39  b,  40,  41a,  43  b,  64  b, 
67  Note  3,  80  a. 

—  Weihungen  an  —  39  b,  40  a. 

—  von  Ökr  (><!>^H)  <^ö'j- 
'Ammi-ilu  (n.  pr.  (1htl°,'  5^b. 
Amon  (n.  d.)  58  a. 
Amon-Re  (n.  d.)  77  b,  79. 


'Amran  (n.  1.)  7  a,  14,  41a,  44  b,  68  Note   1. 

Amulett  26b,  41a,  45b.  73b,  77  b,  78,  80  und 
Note  4. 

Antilope  3  b,  64 f.,  79  b. 

Antilopenkopf  66  Note   1,  67  a. 

Anu-Adadtempel  29  a. 

'Anüket  (n.  d.)  49  b,  79  Note  3,  80a. 

Apisstier  79  a. 

Araber  —  vorislamische  43  b. 

'Arhab  (n.  g.)  40  b. 

el-'Asül.iil  (n.  1.)  7a,  14b,  22a. 

Aschurnasirpal  III  (n.  pr.)  s.  Assurnasirpal. 

Assarhaddon  (n.  pr.)  28  b. 

Assurnasirpal  lü,  29. 

Astar  (n.  d.  J>XrS°)  41b,  axumitische  Schreibung 
des  Gottesnamens  'Attar  (>X?°*  ätli-  htlC^'C' 
htl'l'Ctl'  'itl'tCh'  Ijei  A.  Dillmann,  Sirach 
31,  8  u.  p.  117. 

Astarte  (n.  d.)  45  b. 

'Äthan  19  a  (Bauwerk). 

'Attar  (n.  d.  >X§o)  3b,  5b,  9b,  12a,  14b,  15a 
und  Note  1,  20,  21,  24,  31a,  33  a,  35  a,  38  b, 
41b,  43  b  und  Note  10,  44,  45  b,  46  a,  48,  50  b 
(=  Mtbntin),  51b  und  Note  6,  52,  55  b,  56  b, 
58b,  64a,  65  undNote  3,  66a,  67,  72a,  79b.  80a. 

—  Kif  des,  38  b. 

—  Dil  Dibän  bal  bhr  IJtb""  (Hon  |  hflHN 
anfflT  OTFI)  öl  Note  6,  54a,  65b,  67a 
Weihungen  an  —  54  a,  64  a,  66  a. 

—  Du  Ihrk  (<i'>V?N)  5b,  53,  54a. 

—  Du  Kbd»  (aSri'l'N)  ob.  52b,  53,  54a,  55a. 
Weihungen  —  53. 

—  Du  Rhbh  (VnT>N)  65a. 

—  Du  Rsf»  (t]OI>N)  67b. 

—  Srkn  33  a,  53,  54  a;  vgl.  Särik. 

—  Widmungen  an  'Attar  55  a,  64  a. 
'Attarmonogramm  23a,  48a,  52a,  53,54a,  55,  79a. 
'Attarwild   20  b. 

Au  dl  s.  wa  il. 
Axt  (Symbol  des  Blitzes)  78  b. 

B. 

Bab  el-'Akir  (n.  1.)   14  b. 

Babylon  61b,  71a,  73a,  74b,  79b,  80b. 

Babylonien  42  b,  47  b,  48  b,  78  a.  79  b,  80  a. 

Babylonier  80  Note  2. 

Bahr  (n.  pr.)  39  a. 

Bahrein  71a. 


'  Zu  den  südaiabische.n  Göttern  und  Symbolen  wolle  man  .lueh  die  Übersichtstafel,  p.  76,  verglciclien. 


86 


I.  Abhandlung:  Adolf  Gkohmann. 


el-BaicJä  (n.  1.)  21b,  22,  23  b. 

Bain  s.  Jath'i-amar. 

Bakis  79  a. 

banü  Kinäna  (n.  g.)  43  b. 

Baräkis  (n.  1.)  23  a,  52,  53,  54  a. 

Bata'   37  a,  43  b  (Sippenname  ^). 

Bäumchen  50  b. 

Bauinschriften  8  b,  I9b,  20  a,  21a,  22,  23  a,  24  a, 

35  a,  38  b,  43  Note  9,  44  a.  46  a,  52,  53. 
Bauwerk   10  a. 
Bavian  {n.  1.)  36  a. 
Bavianrelief  3(5  b. 
Bazodeo  (n.  pr.)  78  Note  19. 
Beil  (zwischen  Ochsenhürnern)  34  Note  4. 
Belädorl  71  a. 
Beled  Hamdän  (n.  1.)  40  b. 
Belehnungsurkunden,  babylonische  26  b,  72  b. 
Beltempel  zu  Nippur  74  b. 
Bes  (Gott)  58  Note  4,  79  Note  3,  80  a. 

—  als  Amulett  79  Note  3,  80  Note  4. 
Beschwörungsrelief  74  f. 

Beyt  el-'Aswal  (n.  1.)  67  a. 

Bin  (n.  1.  h?n)  s.  Du  Smui.   Auch  Appellativ  von 

Königsnameii  (Bain),  s.  Id'l,  It"mr. 
Billds  (n.  pr.)   14  b  s.  auch  Haram. 
bkr"-  s.  Du  Smui. 
Blitzbündel  (V)  3  a,  5  b,  6  b,  17  a,  19  a,  24,  25  a, 

30  b,  32  a,  51a,  53,  .54,  55,  77  a,  78  Note  20, 

79  a,  80  a. 

—  babylonisches  25  fF.,  77  a. 

—  hetitisches  28,  77  a,  77  Note  1. 

—  als  Amulett  26  b,  80  b. 

Blitzbündel  und  Donnerkeil  32 — 34,  79  a  u.  Note  2. 

—  und  Doppelgriffel  {%)  3,  5,  6b,  7b,   13b,  16a, 
19    32. 

Blitzstrahl  und  Regen  34  Note  6. 

bnu  tur"  (l]>a>g  |  q^D)  ß?  a  (Sippenname). 

Bock  58  a. 

Borsippa  (n.  l.)  36  a,  73  a. 

Brisams  (',^a^|?>n  n.  pr.)  39a. 

—  ni  (11°?lrM]^?>n  n.  pr.)  38b. 
Bronzelampe  60  a. 

Bronzen,  elamische  73. 
Bronzepferde  70,  7la. 
Bronzeschlangen  73. 

—  von  Gezer  73  Note  8. 
Bronzestab  73  a. 
Bronzeszepter  73  b. 

Bukranion   8b.    10a,   IIb,   15b,   16a,  24a,  33b, 

34  a,  48  b. 
Bulawayo  'Jh. 
Bulawayostein  (Abb.  9)  5  b,  9  b,  14  b,  15,  16  Note  1, 

33  a,  34  Note  3,  48  b,  71a,  74  a. 


Bumerang  71b,   18  a. 

Büschel  67  a;  s.  auch  Frucht. 

Bustän  es-Suhän  ( Ortlichkeit  in  San'ä)  21  b. 

Bustrophedoninschriften  7 a,  IIa,  16b,   19b,  20b, 

21b,    23  b,    28  a,    29  b,    33  a,    35,   36  b,    38  b, 

44  a,  51,  62  a. 

c. 

CMB  (Caspar,  Melchior,  Balthasar)  41b. 
Chonsu  (n.  d.)  77  Note  2. 
Chorsabad  (n.  l.j  63  b. 

D. 

dabi  64  a  und  Note  5,  65  Note  3. 
Paff  (n.  1.)  43  Note  9. 
Damm  bei  Märib  22  b. 
Dareius  HystaspLs  69  a. 

Dät  Badän  (HtHon  IXH  »•  d.)  70b  und  Note  7, 
71a,  80  a. 

—  Hmi-"  (HTCIT  IXH  n.  d.)  20a,  21,  35,  37  und 
Note  1,  38  b,  43  b,  48  b,  79  Note  18,  80  a. 

—  Weihung  an  Dät  Hmi"  35  b. 

—  Nsk"  (n^^hlXN  11- d.)  53a. 
Delos  23  a,  54  a,  55. 

—  nordminäischer  Altar  von  D.  23  a,  28  a,  72  a, 
73a. 

Domar  (n.  l.j  38  b. 

Donnerkeil  66  Note  4,  67  b,  79a;  s.  auch  Blitz- 
bündel, Stierkopf. 

Doppelblitz  28  f,  77  a. 

Doppelgriffel  (H)  5  b,  6  b,  16  b,  17  a,  19  b,  20,  22  b, 
24,  30,  31,  32  a,  34  Note  6,  46  b,  47  a,  52, 
67b,  77,  80a. 

Doppelstab  (=  Totschläger)  8  b,  24  a. 

Drache  3,  15  Note  1,  69  b,  71—75,  79. 

—  babylonischer  74. 

—  doppelköpfiger  75. 
Drachenhälse  9  b. 
Drachenköpfe  74  b. 

Dreizack  (Symbol  des  Blitzes)  78  b. 
Du  Dibän  s.  'Attar. 

—  Gmm»  (fltltiriM  n.  pr.)  6b,   10a. 

—  Hirrän  s.  'Almakah. 

—  Hrf"  (n.  pr.)  (Auflösung  von  n  n)  5  Note  3. 

—  Htbn  s.  Uadd. 

—  Ihrk  s.  'Attar. 

—  ijn  (Ho§?M  n.  pr.)  6b. 

—  KbcJ"  s.  'Attar. 

—  Raidän  (H  t>|  f  >  t=j)  54  a,  Beiname  der  späteren 
Könige  von  Saba. 

—  Rhbh  s.  'Attar. 

—  Smui  (Smi  '^(oj]^^  n.  d.)  22b,  24,  30,  31,  34 
Note  6  (^  Regenspender),  47  Note  8,  80  a. 


GöTTERSVMBOLE    UND    SyMBOLTIERE    AUF    SÜDARABISCHEN    DeNKMÄLERN. 


87 


Dü  Smi,  Herr  von  bkr"  (l]>^n  lloll)  30 a. 

—  in  Bin  (l/|?n)  30. 

—  mkf  des  —  22  b. 

—  Weiliung  an  —  30. 
Du  Sahar  (n.  pr.)  72  a. 
ed-Duraib  (n.  1.)  22  a,  24  a. 
ed-Duwair  (n.  1.)  40a. 

E. 

Ea  (Göttin)  56  a. 
Eannadn  (n.  pr.)  50  a. 
Elam  78a;  s.  auch  protoelamisch. 
Elamiten  47  b. 
Epigraphik,  arabische  24  b. 
Euphrat  loa. 

Expedition,    südarabische    58b,    60b,    64a,-  66b, 
68a,  72a,  73a. 

F. 

Fahnenstange,  persische  45. 

Falke  79  b. 

Familienwappeu   36  a. 

Federkrone  3  b,  49,  50,  58  Note  4,  79  a,  80. 

■ —  als  Amulett  80  b. 

—  der  'Anüket  49  b,  79  Note  3. 

—  babylonische  49  f. 

—  kretische  49,  79  Note  3. 

—  lihyänische  49  a. 

—  sumerische  50  a. 

Feleg  (bei  Märib,  n.  1.)  14  b. 

Frucht  (=  Büschel,  Pinienzapfen)  33,  34  a. 

Gabhat  (HXVni)  70b. 

Gailan  (H1?T1  n-  pr.)  38  b. 

Ganneaustele  (Abb.  112)  30a,  46a. 

Gauf  rn.  1.)  7  a,  21b,  40  a. 

Gazellen  65  Note  3,   79  b., 

Gazellenköjjfe  67  a. 

Gebel  Bälak  el-'Ausat  (n.  1.)  38  b. 

el-Gedida  (n.  L)  21b,  39b,  46a. 

Geier  79  a. 

Gewichtslöwe  68  Note  5. 

Gezer  (n.  1.)  73  Note  8. 

Gir'än  (n.  1.)  39  a. 

Götteranrufung  20a,  21b,  35a,  48b,  53b. 

Gök-Täpä,  Siegelzylinder  aus  —  79  Note  4. 

Göttertrias  21b,  37a,  55a,  58b. 

Grabstelen  (phönizische)  42  a. 

Graffiti  23  b,  51,  64  a. 

Greife  62  Note  3,  69  a. 

el-Güba  (n.  1.)  21b,  23  b,  39  b. 

Gumdän  (Schloß  in  San'ä)  70  b. 


H. 

Hadakäninschrift  (Gl.  302)  33,  34  a. 

Hadramaut  54  a. 

hadramautisch  41b,  43  b. 

Hagar  Zahra  (n.  1.)  46  a. 

Halilier  (Sippe)  5  a. 

Hamdän  (Stamm)  43b;  s.  auch  Beled,  IJäz,  Hazm. 

Hammurabi  (n.  pr.)  46  a. 

Hand  44 — 46,  55  a. 

—  als  Mittel  gegen  die  böse  Seele  und  den  bösen 
Blick  46  b,  78,  80  b. 

—  'Ah's  45  Note  4,  78  a. 

—  bronzerne  44  b,  45. 

—  Fätimas  45  b,  78  a. 

—  Gottes  78  a. 

—  jüdische  78  b. 

—  Marias  78  a. 

• —  Muhammeds  45  b,  78  a. 
Handsymbol,  babylonisches  45. 

—  phönizisches  45  b. 
Haram  Medinet  (n.  1.)  49  a. 

—  Bilkts  (n.  1.)  6b,  7a,  9a,   10a,  Hb,  13b,  14b, 
23  b. 

Härim  (n.  1.)  30  b,  66  a. 
Harmachis  (n.  d.)  77  b. 
Harpokrates  (n.  d.)  78  Note  1. 
harränisches  Mondsymbol  42  a. 
Hathor  (n.  d.)  77  Note  2. 
Haubas  (r^fl^V  n.  d.)   14b,  20a. 
Hausziege  74  b. 

el-Hauta  (Lahag,  n.  1.)  9  b,   14  b. 
Häz  in  Hamdän  (n.  1.)  37  a. 
el-Hazm  Hamdän  (n.  1.)  7a,   14b. 
Heiligtum  (I])Ttl)  des  'Almakah  63  b. 

—  des  Herrn  der  Steinböcke  63  b. 

—  der  öams  43  Note  9. 

Henu  ez-Zireir  (n.  1.)  40  a,  41a,  70  b. 

Herr  des  Himmels  —  'Attar  31a,  43  Note  10,  67  b. 

—  der  safateni.sche  (-öD^iya  ,]üDh::n)  31a. 

—  Du  Smui  31. 

—  hetitischer  78  Note   1. 
Himmelskönigin  (Tanit)  67  b. 
Hieb  31  sr,       74  b. 

Hirrän  s.  'Almakah. 

hkl  s.  Krummstab. 

Hlkrb     Sdk     bn    -Abid'    (|  HR  I  "^HI  I  n)rn  IX 

o^Trih)  n-  Pi'-  ö3a. 
Horus  (n.  d.)  78  Note  1. 
hpS  s.  Sichelschwert, 
^rn"  8.  'Almakah. 
^usn  äl-Q-erädän  (n.  1.)  35  b. 
^usn  bei  Märib  35  b. 

—  unteres  bei  Märib  20  a. 


I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmann. 


Jafriit  (Götze)  70  b  und  Note  3. 

Jahwezeichen  4Tb. 

Jath'i  amar  Bain  (n.  p.)  20  b  (22). 

latil  ng?)  53,  54  a  (n.  1.). 

Ja'ük  (Götze)  70  b. 

Ibn  al-Kalbi  (n.  pr.)  71  Note  4. 

Ihn  Sidah  (n.  pr.)  70  b. 

lcV'\  Bin  (HTn  llhoN?)  n.  pr.  22  Note  2. 

id"l  Drh  (T>HI1h°N?)  n.  pr.  21b. 

Id"l  Watar  OX®  I1h°^?)  "■  pi'-  19>  20a. 

Jeha  (n.  1.)  12  a,  41b,  43  b  und  Note  10. 

—  Altarinscbriften  aus  6b,   12a,  15a,  41b.  43b 

und  Note  10,  51  a. 
Jerusalem  71  a. 
'I'h  (Mondgott)  77  Note  2,  78  Note  1,  79b,  Thtj 

(=  Thoth). 
Iklil  43  a. 
Imnt  (n.  1.)  54  a. 
Inauguration  für  'Almakah  8  b. 
Inschriften  werk  Glasers  20  b. 
Josiah  (n.  pr.)  71a. 
Isindynastie  72  b. 
Isis  (n.  d.)  77  Note  2,  79  b. 
Istar  (n.  d.)  36  a,  45  b,  46  a,  5lb,  57  a,  79  b. 
Istartor  (in  Babylon)  61  b. 
It'mr  (n.  p.)  19  b. 

iV'mr  Bin  (HTfl  DUh^H  n.  pr.)  (20b)  22. 
it'n  (H°??H)  Sippe  6b. 
'Jus'5set  (n.  d.)  77  Note  2. 

K. 

Kadfises  II  (n.  pr.)  78  b. 

Kamele,  schwarze  71b. 

Kampf  der  Einheitsgestirne  56  b  f. 

Kampfszene  56 — 59. 

Karn  el-^Mureitih  (n.  1.)  30  b. 

Karthago  67  b. 

Kaskase  (n.  1.)  51  a. 

Kassitenzeit  47  a,  57  a,  61  a. 

ICaswini  (n.  pr.)  70  b. 

Katabän  (n.  g.)  3  b. 

Katabänische    Inschriften    23  b,    28  a,    38    Note   5, 

39b, 40a,  41  und  Note4,  46a, 64, 66b,  67  Note  3. 
Kaukabän  (n.  1.)  41a. 
Kera'  (n.  1.)  IIa. 
Kf  (Of)  8.  Kif. 
lijf  (0?'!')  Opferaltar   9  b,  20  b,  21b  undj  Note  5, 

38  b  nach  Glaser  =  Räucheraltar;  s.  auch  mkf. 
Kingu  (Gott)  57  a. 
Kitab  al-'asnäm  71  Note  4. 
Knossos  47  a. 


Konjunktion  des  Mondes  mit  dem  Venussterne  77  b. 

Kor 'an  (Sure  17  Vers  108)  43  b. 

Kreis  22  a,  23  a,  35—37.  44  a,  54  a,  55  b. 

Kreta  78  b. 

Kreuz  46 f,  78a.  als  Amulett  80b. 

—  ägyptisches  78  b. 

—  hetitisches  78  b. 

—  kretisches  77  Note  4,  78b. 

—  minoisches  47  a. 

—  sumerisches  78  b. 

Krummstab  (hJcl)  77  b,  78  Note  1,  79b  und  Note  17, 
80  Note  5,  als  Amulett  78  a,  80  Note  5. 

L. 

Lagasch  (n.  1.)   17  b. 

Lanzenspitze  s.  Speerspitze. 

Lebensbaum  47  b. 

Lihaj'att  (n.  pr.)  (X2o?T1)  ''Ob. 

lihyänisch  (Siegelzylinder)  49,  Doppelblitz  77a. 

Lisän  el-'Arab  70  b. 

Löwe  3  b  (17  a),  39  und  Note  6,  58,  67—70,  75  b, 

79  a,  80  Note  1. 

—  ägyptischer  79,  80  Note  1. 

—  aksumitischer  79  Note    10. 

—  babylonischer  68,  70  a. 

—  hetitischer  79  Note  10. 

—  persischer  70  a. 
Löwenkopf  75  a. 
Löwenköpfige  Gottheit  79  Note  10. 

M. 

Mahmud  Bey,  Exz.  59  a,  64  a. 
Main  (Hol])  n.  1.  3b,  45a,  48,  53,  54a,  55b,  79b. 
Malatia  (n.  1.)  71  Note  2. 
Marbat  ed-Dimm  (n.  1.)  14  b,  19  b,  48  b. 
Marduk  (n.  d.)  5  b,  18  b  und  Note  3,  4,  28  b,  32  a, 
37  b,    48  a,    49,   49  b,    57  a,'    59  a,    69  b,    79  a, 

80  a  und  Note   1. 
Mardukkampf  63  a. 
Marduknadiusum  (n.  pr.)   18  Note  4. 
Mardukpaliddin  I  (n.  pr.)  26  b. 
Märib  (Dorf)  6  b,  20  b. 

Märib  (Stadt)  6a,  7a,  8a,  9,   10a,  13b,  14b,  15h, 

19,  20,  21  b,  23  b,  35  a,  38  b,  62  a,  71  a. 
Manb  (n.  1.)  20  b. 

Marokko,  Hand  als  Amulett  in  46  b. 
Martu  (n.  d.)  42  a. 
Matarä  (n.  1.)  41  b. 

mdbht  (XTflNl])  Opferaltar  6b,  10 b. 
M'dkrb  Izd  (n.  pr.)  (o|X?  in)rnl>l°I])  64a. 
Mebnä  el-Hairag  (n.  1.)   10  a,   19  a. 
Medinet  Haram  (n.  1.)  49  a. 
Medr  ()i>|r])  n.  1.  7a,  43a;  s.  'Almakah. 


Cjöttersymboi.e  und  Symboltiere  alf  südarabischen  Denkmälern. 


89 


Meli-Schipak  (n.  pr.)   18  Note  3. 

Memphis  (n.  1.)  78  b. 

Mensäh  (Wasserkiosk)  35  a. 

el-Mesäg-id  (n.  1.)  21b,  23b,  24a. 

Mesopotamien   79  b. 

mhfd  (tHOTH)  Turm  53  b. 

mhrm  s.  Heiligtum. 

mkf  (O-j-t])  Opferaltar  22  b,  24a;  s.  Dvi  Smui. 

Mikräb  in  Ma'in  (n.  1.)  53  a. 

Miniler  56  b. 

minäische    Inschriften    23  a,     35  b,    45,    48,    62  b, 

64  b. 

—  Symbole  50  b,  51—56. 

minoische   Zeichen    8a,    9a,    10b,    12a,   47a,    49, 

65  Note  5,  78  a. 
Mnevis  79  a. 

Monde,  beide  im  Monat  69  b. 

Mondgottheiten  s.  'Almakah,  'Amm,  Sin,  Uadd. 

Mondhymne  34  Note  6. 

Mondsichel  34  b,  35  Note  1,  36  b,  44  a,  45  b,  46  a, 

mit  +   77  Note  4,  78  Note  13. 
mondsichelartige  Hörner  34  b,  -lOa. 
Mondsichel  und   Hand  45  a. 
Mondsichel  und  Scheibe  12a,    15a,  37 — 44,  51a, 

63,   65   Note  3,   67  b,   71b,  75b,  77,  79b,  79 

Note  2. 

—  als  Amulett  77  f.,  80 b. 

—  babylonische  42. 

—  phönizische  42  a. 

—  in  der  Tradition  43. 

Mondsichel,  Scheibe  und  Hand  44 — 46,   79  b  und 

Note  2. 
Mondsymbol   s.  harränisch. 
Monogramm    5  a,    6  a,   7  b,    10  a,    24  b,    48  a,    49  a, 

53b,  56  b,   57  b,  58b,  66b;  s.  auch  'Attarmono- 

gramm. 
Month  (n.  d.)  79  a. 
Mtbntin   (HTfflHnXl])   n.  d.   50b   (= 'Attar)   und 

Note  4,  66  a.  Weihungen  an  — ,  50  b. 
Mukarrib  (Priesterfürst)  19  b,  20  b,  21b,  30  a,  79 

Note  17. 
Mukarribperiode  (und  Inschriften  aus  der  — )  6  a, 

14b,  16,  19a,  20a,  21,  22,  23b,  24,  29b,  41a, 

60b.  62a,  79  Note  17. 
Münzen,  elymaidische  77  a. 

—  himjarische  7  b,  8  b,  10a,  IIb,  16a,  22b,  23  a, 
24,  "30  a,  33  b,  34,  39  b,  47  a,  48. 

—  indische  78  b. 

—  ptolemäische  34  a. 

—  römische  (aus  Sizilien)  49. 
Muräd  (n.  g.  i  46  a. 
Mykenisches  Goldornament  78  a. 

Denkschriften  der  pliil.-hist.  Kl.   lii.  Bd.    1.  Abh. 


N. 

Nal)ü  (n.  d.)  32a,  80a. 

Naharaim   13  a. 

Nähr  Ibrahim  59  a. 

Nannar  (n.  d.)  80  Note  1. 

Nasr  (Götze)  65  Note  3,  75  a. 

Nask  {if^li)  n.  1.  s.  Dät  Naslj. 

Naw.äm'»  (n.  1.)  20  b. 

Nazi-Maruttasch  (n.  pr.)   17  a,  26  b. 

Nel)0  (n.  d.)  s.  Nabu. 

Nebopaliddin  in.  pr.)  32a. 

Neboschumisclikun  I  (n.  pr.)  36  a,  73  a. 

Nebukadnezar  I  (n.  pr.)  42  b,  72  b. 

Negä  (n.  1.)  46  a. 

Negrän  (n.  1.)  47  a,  70  Note  3. 

Nergal  (n.  d.)  36  a,  37  Note  1. 

Netanyahu  (n.  pr.)  57  b. 

Nina  (n.  d.)   13  a. 

Ninive  61  b. 

Nippur  [n.  1.)  72  b,  74  b. 

Nkrh  (T)rnH)  n-  d.  5  b,  53,  54  a,  55,  80  a. 

—  Weihungen  an  — ,  53  b. 

N'mn  (m]  o  l/|  =  ^^(..»JÜ  ?)  n.  pr.  70  b. 

Nordjemeu  70  Note  3. 

Nru  ((d)H)  n.  d.  12a,   15a,  41b,  80a. 

0. 

Onuphis  79  a. 

Opferaltar  6b,  (9b),  10b,  (20b,  21b  und  Note  5, 

22  b,  24  a,  38  b),  41b. 
Opfertisch,  ägyptischer  44,  45  a,  55  a. 
Ordenskreuz  78  b. 
Ornament  (^  Symbol)  5  a. 
Osiris  (n.  d.)  78  a,  79  a. 
ostarabische  Kunst  63  b. 

P. 

Palästina,   Zauberbräuche  in  46  b,  77  b,  78,  80b. 

Papyrusbillet,  arabisches  77  b. 

Pa-Tum  (n.  1.)  79  a. 

Personaldedikation  35  b,  46  a. 

Pferd  3  b,  39  b  und  Note  6,  70  f.,  79,  80  a. 

—  schwarze  Pferde  71. 
Pferdekult  71a. 
Phallen  58  a. 
Phallusdienst  58. 
Phönizier  24  b. 
Pinienzapfen  s.  Frucht. 
Porosarchitektur   1 2  b. 
protoelainische  Zeichen  77  Note   1,   78. 
Priesterfürst  (=  Mukarrib)  20  b;  s.  Mukarrib. 
■::psayM'ir,G{q  43  Note  4. 

12 


90 


I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmann. 


Ptah  (n.  d.)  78  Note  1. 
Ptah-Sokar-Osiris  (n.  d.)  79  a,  80  a. 
panische  Inschriften  45  b. 

R. 

Rabbsams  (n.  pr.)  43  Note  7. 

Raowän    ed-Duraib    (n.  1.)    7a.    14b,  35b;    s.  ed- 

Duraib. 
Raidän  (n.  1.)  54  a:  s.  Dii  Raidan. 
Ramman  (n.  d.)  29  a. 
Räucheraltar  38  a,  63  a;  s.  auch  kif. 
TT  Weg.  23,  11  —  71a. 
Reiter  (rii^))  mit  seinem  Pferd  70  Note  5. 
Rennut  (n.  d.)  77  Note  2. 
Ribb'il  (n.  pr.)  39  a. 
Riemenzeug  70  Note  5. 
Rihäb  (n.  1.)  64  a. 
Rinder,  schwarze  40. 
Hing  Marduks  37  b. 
Riyäm  (n.  1.)  43  a;  s.  Ta'lab. 
rkb    (rifn))    Sattelgeschirr,    Reiter,    Riemenzeug, 

70  Note  5. 
Rsf"  (dOD)  [Tempel]  53a,  67  b;  s. 'Attar. 
rsu  (Priester)  22  b,  24  a. 
Rudra  (n.  d.)  78  b. 

S. 

Saba  (hHr^)  n.  g.  3  b,  19  b,  20  b,  48  b,  54  a,   64  a, 

69  b,  71a,  78  a. 
Sabäer  17  a,  41a,  51a,  71a,  80  b. 
Sa'd  (Horh)  n.  pr.  39  a. 

Sa'dsams  (r^I]^>|of^  n.  pr.)  39a,  43  Note  7. 
Sahar  (n.  d.)  3b,  9b,  15  Note  1,  71,  72a. 
Samah'alaj  (nach  Glaser)  n.  pr.  20b.  = 

=  Smh'li  (n°Vl]W  21b,  22  b. 
Smh'li  IJrh  (HJ>H  ITIoVnW  n-  pr.  22b. 
Samsi-Adad  IV.  26  b,  73  b. 
Sana  (n.  1.)  8b,  14b,  20b,   21b,  24a,  38a,  41a, 

59  b,  63  a,  64  a,  68  b,  75  a. 
Sanherib  (Senacherib  n.  pr.)  36  a. 
Sardus  I^ater  (n.  d.)  47  b. 
Sattelgeschirr  s.  rkb, 
Saturn  47  b. 
es-Sauda  (n.  1.)  67  b. 
Säwwana  (n.  1.)  20  a. 
Sbk  in  Nebtynis  (n.  d.)  5  b  (2:o-/.v£ßTJvt;). 
—  Herr  der  Insel  (n.  d.)  5  b  (lov.ww.o^). 
Schaf  39  b  und  Note  6. 
Schala  (n.  d.)  42  b. 
Öammar  Juhar'is  (n.  pr.)  54  a. 
Samas  (n.  d.)  56  b,  61a,  71a  und  Note  2,  80  a. 
Schams  fr^l]^)  "■  d.  43b,  58b,  79  Note  18. 


Schams,  Heiligtum  der  —  43  Note  9. 

Schamsi-Adad  IV.  s.  Samsi-Adad. 

.^ärik  (H  <i>  >  ^)  =  'Attar  39  a,  44  b,  65  Note  3  (=  der 

Glänzende  nach  Fell,  44  Note  3). 
Sekir  0^^)  n.  1.  25  a,  66  b. 
Öibäm  (n.  1.)  35  b,  62  a. 
Schlaggegenstände,  elastische  17  a. 
Schlange  3  b,  5  b,  23  a,  52  a,  53  b,  54  a.  55,  56  a, 

71—73,  75  b,  79,  80  b. 

—  als  Heilsträger  80  b. 

—  babylonische  72 f.;  s.  auch  Sirru. 

—  ägyptische  79  b. 

—  im  Zauber  als  Amulett  80  b  und  Note  2. 
Schlangengottheit  47  a. 

Schlußmarke  (X)  47  b. 

Schutzgott  gegen  Beschädigung  von  Monumenten 

53  a. 
Schwarze  Kamele  71b. 

—  Rinder  40. 

—  Pferde  71. 
Semsera  67  b. 

Serapis  (n.  d.)  78  Note  1. 
Sibitti  (n.  d.)  36  a,  78  a,  80  a. 
Sichelschwert,  ägyptisches  77  b. 
Siegel,  arabisches  77  b. 
Silyäm  (n.  1.)  22  b,  24  b,  47  a. 
Sin  (H[^)  n.  d.  41b,  43  b.  65  a. 
Sirru  (n.  d.)  56  a. 
Sirruschlange  72  f.,  79b. 

Sirrussu  74  b;  s.  auch  Drache  (babylonischer). 
Sirwäh  (if<D)Xn.  1.)  9b,  10a,  IIa,  14b,  15a,  21, 
22,  23  b,  24,  39  a,  51b  und  Note  2,  63  b,  65  b. 
Siva  (n.  d.)  78  b. 
SiziHen  49  b. 

Sm'  (oilr^n)  n.  d.  38  b,  43  b. 
Smh'^ali  s.  Samah  alaj. 
Sokar  (n.  d.)  78  Note  1. 
loy.vcß-uvi;  (n.  d.)  5b;  vgl.  Sbk. 
iloy.vuvaio;  (n.  d.)  5b;  vgl.  Sbk. 
Sonne  44a,  57  a,  75b,  79  Note  10;  s.  auch  Schams. 

—  Kult  der,  43  b. 
Sonnendienst  43  b  und  Note  9. 
Sonnengottheit,  ägyptische  79. 
Sonnengöttin  37  b. 
Sonnenrosse  71  a. 

Speerspitze    3,    5b,    15   Note    1,    48,    51b, '78b, 
79  a,  81a. 

—  babylonische  31,  48,  78  b. 

—  elamische  78  Note  18. 
Sphinx  3  b,  68"b— 70,  79  b. 
Spiegelfoi-men  24  b. 

Spiegelstellung  7  b  und  Note  5,  8  b,  9  a,  10  b,  11, 
12  a,  13  b,   19,  20,  21,  22,  24  b. 


Göttersymbole  und  Symboltiere  auf  südarabischen  Denkmälern. 


91 


Statue,  goldene  67  a. 

Steinbock  3  b,  38  a,  56—64,  79. 

—  Herr  der  Steinböcke  s.  'Almakah. 

Sterne   35—37,    42  b,   44  a,    54,    78  a,    79  b,    80  a; 

s.  auch  Kreis. 
• —  auf  Amuletten  78  a,  80  b. 
Stier  3  b,  (17  a),  40  b,  57  b,  65—67,  79,  80  Note  1. 

—  Beiname    des   Mondgottes    Nannar  80   Note   1. 
Stierbild  (ganzes)  40. 

Stierkopf  3  a,  15  a,  16  a,  24,  31  Note  4,  .32  b,  33 
und  Note  2,  34  b,  40  b,  65  a  und  Note  5,  66, 
67  und  Note  3,  80  a. 

—  kretischer  mit  X  '^'^  Note  4,  78b. 

— •  mykenischer  und  kretischer  mit  Axt  79  Note  6. 
Stierkopf  und   Donnerkeil   32 — 34,    65,   79  a  und 

Note  2. 
Stierkult  40,  71a. 
Stufensymuietrie  24  b. 
Südarabien  80. 
Sumerer  49  b,  50  a. 
Sumer  und  Akkad  (n.  1.)  26  b. 
Susa  (n.  1.)  73,  77  Note  4,  78  Note  13. 
Symbolpaare  79  Note  2. 
Symboltiere  5  a,  56  ff. 
Syrien  59  a. 

T. 

Ta'lab  (nihX)  n.  d.  33a,  43  Note  7. 

Ta'lab  Kiyam  (t]a?>  inihX)  n.  d.  46a,  47b,   70 

Note  5. 
Tanit  (Astarte)  45  b,  67  b. 
Tatunen  (n.  d.)  78  Note  1. 
Tau  (in)  47  b. 

Tell6(n.l.)6a,  12b,  17aundNote6,  18  b,  19a,  57  a. 
Tempel  des  'Almakah  7a,  14b,  15a,  21  und  Note  3; 

231),  24  a,  63  b;  s.  auch  Heiligtum. 

—  des  'Attar  Du  Kbd"»  53  a. 

—  der  Sams  43  Note  9. 
— •  des  Uadd  52  a. 
Tempelinschriften  21  a. 
Teschup  (n.  d.)  28  b,  29  b,  80  a. 
Tetradrachme  34  a. 

Theben  (n.  1.)  77  Note  2,  79. 

Thoth  (l'htj)  77  Note  2. 

Thueris  (n.  d.)  77  Note  2. 

Thun  s.  'Almakah. 

Tiämat  (n.  d.)  57  a. 

Tiere,  heilige  79. 

Tierdienst  71  Note  4. 

Tierfiguren  5  a. 

Tierkult,  ägyptischer  71  b. 

Tiersymbole  5  a. 

Tigris  13  a. 


Toconda  (n.  1.)  51  a. 

Torsymbol   (K)   3,   5  b,   23  a,   52,  53—56,  79  und 

Note  4. 
Totschläger  {\)  3,  5,  6—19,  22b,  23  Note  5,  24, 

34b,  48b,  65b,  77  b,  79b,  80b. 

—  hetitischer  77   Note  9. 

—  sumerischer  17  f,  77  b  und  Note  11,  79  Note  17. 
Traditionen  (muslimische)  40  b  70  b,'  71a,  75  a. 
-:ptr/.£Ar,;    78  a. 

Tum  (n.  d.)  79  a. 
Tur  ba'l"'  s.  'Almakah  u.  bnu. 
Türflügel  (hinter  der  Gottheit)  56  a. 
Turm  53;  s.  auch  ml.ifd. 

U. 

Uadd  (iHo))  n.  d.  5  b,  381),  39  a,  40,  41  und  Note  4, 
43b,  52a,  53,  54a,  55,  65a  und  Note  3,  71a,  80a. 

—  Tempel  des  —  52  a. 

—  Weihungen  an  —  39  a,  41a,  53  h. 
Uadd 'ab  (ühN®  und  0(1  h  I  fllHo'^  40 f. 
Uadd  Du  Htb™  (Hfl  [DTN  IHN  <»]  41a. 
'u"  (n.  1.)  9b,   IIa;   s.  auch  'Almakah. 
'Umm  el-I<:is  (n.  1.)   14  b. 

Ur,  Dynastie  von  —  42  b. 
Ur  Nina  (n.  pr.)    17  a  und  Note  6. 
utf  (OX«!»)  -texte   10  b,   15  a. 
'Uzzä  (Götze)  71a. 


Venusstern   42,   46  a,   56  b,    67  b,   79  b  (= 'Attar, 

beziehungsweise  Istar). 
Vulva  49,  51,  57a,  77. 

W. 

Wädi'Abida  22  b,  23  b. 

—  Pahr  40  b. 

—  Denne  20  b,  21b. 
Wahab-Sams  (n.  pr.)  37  a. 

wa'il  64  b  Note  4,  5.  PI.  'aual  Hoofiii  ,Kdle- 
63  Note  4,  Ortsname  ebd.;  s.  auch  'Almakah, 
Herr  der  Steinböcke  von  Sirwäh. 

Wappen  75  Note  6. 

Wappenemblem,  türkisches  77  a. 

AVappenstil  24  b,  59  Note  3. 

Wappenzeicben  12  Note  1,  77  b. 

Wasser,    als   Symbol   der  Fruchtbarkeit    12  b,   13. 

Wasserlinie   12  b,   13  b. 

Weihgeschonke  59  b. 

Weihungen  an  'Almakah  6b,  7a,  9b,  10b,  IIa, 
I.Hb,  15a,  21a,  24a,  44b,  70a. 

—  'Attar  Dil  Dibän  54  a. 

—  'Attar  Dil  Kbd'"  53. 

—  Du  Smui  30. 

12* 


92 


I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmans. 


Weihungen  an  Mtbntin  50  b. 

—  Kkrli  53  b. 

-  Uadd  41a,  53  b. 
Widder  58a. 
Wurfliolz   17  b,   läa. 

Z. 

Zafär  (n.  1.^  33  a,  59  b,  (Ua,  67  b. 
Ziililen,  heilige  78a. 
Zaid  al-bail  (n.  pr.)  70  b,  71b. 
Zalma  (n.  1.)   14  b,  62  a. 
Zauber  46  b,  80  und  Note  2. 


Zauberschutz   15  b,  65  a. 

Zauberzeichen  15  b. 

Zeichen  s.  minoische. 

—  zu    Anfang    der    Inschriften    5  a    und    Note    3, 

35  b,  36  a. 
Zemzembrunnen  65  Note  3. 
Ziege  39  und  Note  6. 
Ziegenhörner  58  Note  4. 
Ziegenkopf  75  a. 

Zwillingsdämonen  3  a,   16  b,   17  a. 
Zwillingssymbol  5  b. 


Sabäisches  Wortregister. 


"HTnh  (n-pr.) 

TWTirih   Hai.  159,  50  Note  4. 


irih 


HVHinh®  I  HHIA   Sab.  Denkm.  1,  70  Note  5. 


I  ^a)h  I  Vn  I  Y^Ülh   CIH  394,  IIa;  CIH  395,  9b. 
I  ^a)h1on  I  Y-^Ülhl   Os.  34,  9b;  CIH  394,  IIa. 
^<Dh1°nH<:'Y?Y^fl1^   Mars.  I,  9b. 


[nun  I  xNni> 


Y<i>aih   (n.  d.) 

Y^mh  Gl.  477,  19a;  Gl.  563,  20a;  Gl.  573,  20a:  Gl.  591, 
20a;  Gl.  654,  10b,  58b. 
Y^mhl  I  SNTV   Prid.  11,  8b. 

Y-l-mh  I  TH<!'V   CIH383,  7a;  Gl. 485, 13b;  Gl. 502, 19a;  Gl.  1551,7a. 
Y^ÜIhn   Gl-  1724,  44b. 
I  I]a)h  I  >n  I  Y^mh  I  0-^  CIH  395,  9b. 
nQhVnho'YgY^aih  l  TH-^V  Mars.  1,  9b. 

I  i]H>T  I  >n  I  Y^mhn  gl 425, 6b. 

I  )IHI]  I  1°n   I  Y-^mh  Hai.  172,   7a. 

H>(Dt^  I  1°n  I  Y-^mh  Gl.  1572,   IIa,  64a. 

Y]'D)JL1o<Dh1onY^i]1h  Reh.  6,  9b,  IIa,  63b. 

«Y'l'tllh  Gl.  499,  10a. 

I  h)YN  I  »Y^mh  I  »TH-^V  Os.  17,  7a, 

I  Y<^S]1h<i>  I  r^Cn^V   Gl.  717,   14a, 

^n<»v  I  n<i>  1  )x?[°n] 

Y^mh  I  n«'  I  )x?°n  gl  «91, 35a;  gl  1109, 211.. 
Y^mh  I  n«»  I  )x?°n  gi.hos,  21b;  os. 30, 33a. 


Gl.  731,  20a. 


GÖTTKRSYMKOLE    UND    SyMBOLTIKRE    AUF    SÜDARABISCHEN    DeNKMÄI.ERN.  93 

Y<^I]1h  I  X?n  Gl.  1108/9,  21  Note  3. 
<»Y!l1h  I  0?^  I  ?Hn   Gl.  1147,  21b. 
Y-^aih  I  ®^)  Gl.  1664,  22b. 

)"äh 

)*^H  I  Üo  I  )I]hn   Gl.  1422,  66b. 

n  s.  Y^fllh^  i]?i]T  I  XH,  )X?°- 


)Tn  s.)Tnion. 


x?n 


I  Y^HIh  I  X?n   Gl.  1108/9,  21  Notes. 
H^®  I  X?n  I  ?Hn   Gl    1316,  52a. 


1] )  CD  g  I  o  H  n   Bibl.  Nat.  22,  67  a. 


,  ,  Gl.  374,  43  Note  9. 

■  ■■IM^  I  t]>Ti]  I  h>^^V  I 

I  <i>Yraaih  I  o?<^  I  ?Hn  gl  1147, 21b. 

^I>|<D(D  I  ^?^^  I  XN®  I  °^^<i>  I  >X?°  I  0?'^  I  ?hn   Gl.  737,  38b. 

I  a^®  I  x?n  I  ?Hn  gi.  1316, 52a. 

I  HHOTa  1  ?Hn<i'  I  h1^    Hai.  480,  53b. 
I  ?H^h<i>  I  ?hn®  I  h1^   GL  1155,  52b. 


>n 

I  t]®h  I  1°n  I  Y^Ülh  CIH  394,  IIa;  CIH  395,  9b;  Os.  34,  9b. 

I](Dh1°nH<»VSY<^!]1h  Mars.  I,  9b. 

I  flH)T  I  i°n  I  Y^aihn  G1.425, 6b. 

!]H)T  I  >n  I  (i'IlVh)!]  1  -i-O^  Gl.  425,  6b. 

I  )HI]  I  1°n  I  Y^aih  Hai.  172,  7a. 

hV-^h  I  1°n  I  Y^aih  Gl.  1.572,  IIa,  64a. 

Y]'^>Al°<^h  I  1on  I  Y^HIh  Reh.  6,  9b,  IIa,  63b. 

)]n[IlT)Tn  I  1°n  gi.  1050,  54a  (='Attar  Dil  Dibän). 

fl>^n  I  1°n  I  ?^r^N  Sab.  Denkm.  1,  30a. 


l])^n  I  1°n  I  ?f]i^N   Sab.  Denkm.  1,  30a. 


?>n 

rhH^  I  ?>n   "■  P'-.  iMar-s.  III,  39a. 
1>?  I  r^I]^?>n  n.  pr.  CIH'362,  38b. 


94  I.  Ahhandlung:  Adolf  Grohmann. 


xvni 

X2WTT1  I  XTH^V  I  HiH°n  I  XN  I  XVni  O.  M.  118,  70  Note  7. 

fii[n<DV   (n-  d.)  Gl.  717,   14b. 

iXHin<i>iV'^5]ihin<='ir^n<i>v  i  n<^  i  )x?[°n]  i^,  ^„^  2^^ 


I  h)VM  I  O'Y'^Illh  I  ®?H^V   Os.  17,  7a. 
I>|(D    (n.  d.) 

ÖiH'i'«!)  I  n?t]TiXH<E|°i]rh<^  DXMOT^IThn  Gl- ^^3^,  38b. 

I  m<!>  I  x?n  I  THn  gl  isig,  52a. 

I  HtH®  I  ?h'!'V  Derenb.  I,  39  a. 

I  HflOlTN  I  I]>l®  Sab.  Denkm.  18,  41a. 

nhH®  40b,  41a  (Hai.  686,  CIH  33,  97,  Gl.  1424,  1425). 

I  flrih  I  OH®  41a  (Hofm.  41—44,  Berl.  8). 


loa)   PI.  loa) h 
T]®);f.1°®h>nY^aih    Rel^-ß.  9^,   na,  63b. 
I  h^o^h  I  1°n  I  Y^mh   gl  1572,  Ha,  64a. 

"^0)1 1  locDh  [i  i°n  I  iDTan]  gl  soi,  esb. 

OX®   Sab.  Denkm.  21,   10b,   15a. 

TX^  3.1h°I^?- 


hga) 

I  i]<Dhi°n  I  Y-^mhi  1  hH?<i>  I  ?xa^  os.  34, 9b. 

.]  rhfl^  I  a)Tl]  I  h)OV<i'  I  H)S«'Va'  I  »Thn   GL  374,  43  Note  9. 


H)YH  s-ojY'^aih- 


HPHN  s.  )X?°- 


HnOlTW  I  l]H<i>   cm  293,  41a. 


ai]flTlN1  I  H°??H  1  XTnNt]  GL  487,  6b. 


agHTlN   Gl.  488,  10a. 
aOÜTlNI   s.o.  GL  487,  6b. 


Göttersymbole  und  Symboltiere  auf  südakabischen  Denkmälern.  95 


To'Ilr^N  30  b,  31,  47  Note  8. 
I  ?®I]r^M  I  O^Ü  Arn.  20,  22b. 
Ü>^[]  I  Vn  I  TD^H  I  «»Th^V   Sab.  Denkm.  1,  30a. 


vnT)t=i 

VnT)N  I  >X?°   0.  M.  3.  65a. 


I  ÜWf  I  XH 

I  I]?aT  I  XN  37  Notel. 

I  I]?I]T  I  XN  I  n<i>  I  Y^ÖIh  I  n®  I  >X?°n  G1.  552,  48b;  gl  691,35a;  gl  llOy,  21b. 

XH I  na>  I  Y^tnh  I  n<^  I  ^ni>v  1  n»  1  >x?[on  i  ^,  „„,  ,,„ 

!]?r]T  I  ^'•'^^'^^^• 

I  t]?aT  I  XN  I  ^TH-^V  GL  1552,  35b. 

I  I]?r]T  I  XNn  Mars.  XII,  35b. 

HH'ixi'IIlTllT  IXH^hllr^®  i  >X?°IO?^l?Lin  GL  737,  38b. 


)^^N    s.  ^o. 


Hn°n  I XH  s.xvnn- 


Y^aihl  I  SHTV   Prid.  XI,  8b. 


hN)T 

hr^1  I  Kl>l)T   Littmann  32,  41b. 


h)T  in-l-) 
I  I]H)T  I  >n  I  Y^tUhn   Gl- 425,  6b. 


I  H?n  1  1h°l>l?  n-  pr.  HaL  280ff.  22  Note  2. 

I  >X®  I  1h°>l?  n-  pi--  CIL  503,  19a;  Gl.  545,  19b;  GL  610,  20a. 

?^ 
I  hriNM  I  )X?°  I  ®^)  I  H®?  Münch.  98,   113,  51  Note  6. 


HXY   s.n)rtt>|oI]. 


hTn  I  )I]h°?T   GL  558,  19b;  Gl.  1558,  1559,  1560,  22a;  GL  1675.  22b. 
oO?1   HaL  620,  22b. 


X?WTT1  m-pi-O 
X?HTT1  I  X?H^Y  I  h^°n  I  XN  I  XVH"!  OM.  118,  70  Note  7. 


96  I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmann. 


)tH^    (n.  ].) 
I  )N^  I  1°n  I  Y^fllh  I  ?H^V   Hai.  172,  7a. 


x^nNa 

X^nNl]  0.  M.  32,  10b. 

HaHTlHI  I  H°??N  I  XTnNH  Gl.  487,  6b. 

Y-^mh  I  VN?)<ß.-..  I  XTnNt]  Gl.  654,  10b. 


Gl.  891,  63  b. 

h1°i>h1on  I  t])Tf]  ) 


HHOTÖ  I  ?hn^  I  h1^   Hai.  480,  53b. 


NX?  I  n)l^N°I]   ßihäb  32,  64a. 

I  r]H)T  I  1°n  1  -i-IlV^)?]  I  ^0^  Gl.  425,  6b. 
IT]<=5)A><i>h>nY^r]1hl  o'lIVLh)!]  I  <i>]?H<^V  Reh.  6,  9b. 


HTfflHnXl]   (n.  d.)  Hai.  155 f,  160 f,  50b;  Gl.  325,  66a. 


H[]o|/|  Gl.  1427,  70b. 


0))^  (n.  d.) 
<D)H<i>  I  >Xr^W   Littmann  27,  41b. 


?1°Ynr^  (n.  pr.)  Gl.  1558,  1559,  1560,  22a. 


oHr^   (n.  d.) 

i]N®<D|i]?i]TIXN<i'l°i]^<i'  I  >XMOT^I?hn  Gl.  737,  38b. 

h^  (n.  d.) 
I  Mr^1  I  H>I)T   Littmann  32,  41b. 


)XI°  I  T-l-rh®  Münch.  106,  109.  51  Note  6. 


h1^ 

I  flSn^H  I  )X?°  I  h15^  Gl.  1083,  53a. 

H>IOTt]  I  ?Hn<D  I  h1^  Hai.  480,  53b. 

?H^r^<^  I  Thn«  I  M^  Gl.  1155,  52b. 

I  Ü°  1  TH-It^  Gl.  Uli,  39b;  Gl.  1747/8,  40a. 

I  )n^  I  I]°  I  )ahn  Gl.  1422,  66b. 


Göttersymbole  und  Symboltiere  auf  südarabischen  Denkmälern.  97 


1hl]°  58b. 


a')h®  I  >Xr^H   Littm.  27,  41b. 


>X?°   (n.  d.)  50b,  51  und  Note  6,  58b. 

m^<^  I  i]?i]T  I  XH»  I  °a^®  I  )x?°  I OT^  I  ?hn  gl  737,  ssb. 

[OTfiiT  I  XNn<i>  I  Y<^nih  1  n-i- 1  )xs°n  gl 69i,  35a;  1109, 21b. 
XNin^i  Y^mhin»  1  ^ni>v  1  n<»  1  )xs[°n  1  ^,,  ^3^  ^^^ 

I  i]?r]T      1  "■     '  ^   ■ 

)X§°n   GL  717,    14b;    als    Name    Münch.  101  f,    105,    51 
Note  6. 
I  Y^UI^  I  n<^  1  )XS°n   Os.  30,  33a;  GL  1108,  21b. 
I  )XM  I  ?H*V   GL  358,  64a. 
I  )XS°[1  X]Th^V   OM.34,  66a. 
I  hflNN  I  )X§°  I   Münch.  98,  113,  51  Note  6. 
I  aSn-^N  I  )X?°   GL  1155,  52b. 
I  flSn^H  I  )X?»  1  M^   GL  1083,  53a. 


hVHin^®  I  HniA   Sab.  Denkm.  1,  70  Note  5. 


T]<i>)A  100.^  1on  Y^ait^  Reh.  6,  9b,  IIa,  63b. 


1  I]<i'h>nH'DY?Y'^t]1h  I  TM-^V   Mars.  I,  9b. 
)lHf]  I  1°n  I  Y<^l]1h  I  ?H^V   HaL  172,  7a. 

I  Y'i'Illh  I  TH'i'V   cm  383,  7a;  GL  1551,  7a. 
I  Y^fllh  I  ?H^V   GL  485,  13b;  GL  502,  19a. 
i]a>^  I  1°n[l  Y-^mh  I  ?H-^V]  cm  394,  IIa. 
>XM  I  ?H^V   GL  358,  64a. 
I  I]iHa)  I  fH'i'V    Derenbg.  I,  39a. 
I  H)YN  I  <i>Y^^1h  I  <">?h^V  08.17,  7a. 
T]<i')A1°»h1°nY^^1Mi>flV[h)^  I  a>]?H^V  Reh.  6,  9b. 

I  l])^n  I  1°n  I  ?I][^H  1  '^Ih'fW  Sab.  Denkm.   1,  30a. 

I  a?I]T  I  XH  I  <»?h^V  GL  1552,  35b. 

I  TH^r^®  I  ?Hn<ß  I  M^  GL  1155,  52b. 

I  1]°  I  TH'l'rt  GL  IUI,  39a:  GL  1747/48,  40a. 

X?[°]?T1  I  XTH^V  OM.  118,  70  Note  7. 

I  >X?°[I  X]TH<^V  0.  M.  34,  66a. 

1  ^H)T  I  1°n  I  «"^VN)^  I  ®0^   GL  425,  6b. 

Denkschriften  der  phil  -hist.  Kl.  58    Bd.    1.  Abh.  '" 


98  I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmann. 

Qa)^  I  Vn  I  Y-^ai^  I  0^   cm  395,  9b. 

I  <>?'{'  Gl.  797,  20b,  21  Note  5. 
I  a>Y[^]!]1h  I  Of^  I  Thn   Gl.  1147.  21b. 
NtHa)a)|l]?i]T  I  XNa'loa^i'  l>XMO?^lthn   Gl.  737,  3Hb. 

?®I]HiN  I  O-l-fl   Arn.  20,  22b,  24a. 


1|i,ffig)  n.  pr.  Hai.  486,  53  a. 


rifn)  Gl.  863,  70  Note  5. 


Y<^I]1^  I  <D^)  Gl.  1664,  22b. 
l^riNH  I  >X?°  I  ®^)  I  ^®T   Müneh.  98,  113,  51  Note  6. 

;|g")  Gl.  717,  14b. 

I  Y'^I]1^  I  VH?)<i'---XTnHi]  Gl.  654,  10b. 

in 

l-Kh^n  I  Y<^i]1h1  I  hhS»  1  ?X^^  Os.34,  9b. 

)^^N  I  ^°  I  )I]^n   (n.l.)  Gl.  1422,  66b. 


r^^^  (n.  d.)58b. 
.]nl]^  I  ^)T^  I  H)<^^V«  I  h)S<i'T<i'  I  «»Thn   Gl.  374,  43  Note  9. 


H^)<:  (n.  d.  =-)Xg°) 
H«^1   39a. 


I  ai]?>  I  nihX  (n-d.j  Gl.  1209,  46a. 


h«Y?  (n.  1.)- 
n(Dh1°nHa'YSY'^I]1h  Mars.  I,  9b. 

r]1°n  I  >i  Gl.  138,  891,  40b. 
I  i])(Dg  I  ®Hn  Bibl.  Nat.  22,  67a. 


Göttersymbole  und  Symboltiere  auf  südarabischen  Denkmälern. 


99 


Verzeichnis  der  Abbildungen/ 


6b 


7a 
7b 


8a 


Seite 
Abb.  1.   Totsohlägersymbol   auf  Gl.  425    ...        6  a 
2.   Totschlägersymbole    auf   sabäisehen   In- 
schriften: a  Gl.  487,  6  Os.  17,  c  Gl. 
1049,    d  Maekell  Nr.  2,   e  Hai.  172, 
/  CIH  383,  g  Gl.  1551       .... 
,,      3.   Symbole     auf    sabäisehen    Münzen:     a 
Schlumberger  13  (Paris),   h  Head   15 

(London,   Brit.  Mus.) 

„      4.  Totschlägersymbole  auf  sab.  Münzen     . 

„      5.   Minoische    Hieroglyphe 8  a 

„  6.  a — e  Totschlägersymbole  auf  sabäisehen 
Inschriften  und  Münzen:  a  Gl.  491, 
b  Gl.  4,  c  CIH  378,  d  auf  der  Münze 
Hofmus.  V  1  —  2,  e  von  den  Münzen 
Berlin  195,  220,  221,  /,  g  minoische 
Zeichen  auf  Tontäfelchen  .... 
„  7.  TotBchlägersymbole  auf  sabäisehen  In- 
schriften und  Münzen:  a  sab.  Denkm. 
20,  b  Berlin  196,  c  Berlin  219,  d  Gl. 
655,    e  Gl.  483,  /Berliner  Münze,    g 

Mordtmann  8 

„      8.   Totschlägersymbole  auf  sab. Inschriften: 
a  CIH  393,  6  0s.  34,  c  CIH  397      . 
„      9.  Sabäisches  Kelief  in  Bulawayo  . 
„    10.  Sabäisches  Eelief  (0.  M.  282).  Konstan- 
tinopel,  Tschinili   Kiöschk   .... 
„    11.   Totschlägersymbole  auf  sabäisehen  Mün- 
zen:   a    Schlumberger    53    fParis),     b 

Hofmus.  V.  5  (Wien) 10  a 

„    12.   Totschlägersymbole:    a    auf  Gl.  488,    b 

auf  Gl.  654 10  b 

„    13.   Minoische   Hieroglyphe 10  b 

„  14.  Totschlägersymbole  auf  sabäisehen  In- 
schriften und  Münzen:  a  Gl.  499,  6 
Gl.  1533,  c  Gl.  1572,  d  Münze  Hof- 
mus. V.  1—2  (Wien),  e  Gl.  1572  .  IIa 
„  15.  Totschlägersymbole  auf  sabäisehen  In- 
schriften:  a  CIH  394,   b  Gl.  481,    c 

Gl.  712 IIa 

„  16.  Gl.  1649,  sabäisches  Relief  aus' Sirwäh 
(nach  der  Rückseite  des  Abklatsches 
photographiert) Hb 


9  a 

9  a 
9b 

10 


Abb. 


17. 

18. 

19. 

20. 

21. 

22. 
23. 

24. 

25. 
26. 
27. 


28. 
29. 
30. 

31, 
32. 

33. 

34, 


35. 


36 


Totschlägersymbol  auf  einem  sabäi- 
sehen Altare  aus  Jeha  .  ... 

Zeichnung  eines  assyrischen  Tempel- 
sehülers 

Minoische  Hieroglyphe  auf  der  Phae- 
stusscheibe 

Wassersymbol  von  derPorosarchitektur 
der  Akropolis   in   Athen     .... 

Chaldäisehe  Göttin  auf  einem  Relief 
aus  Tello  (Paris,  Louvre) 

Totschläger  auf:  a  Gl.  481,  6  Gl.  485 

TotscLlägersymbol  auf  Os.  1       .      .      . 

Sabäischer  Altar  aus  Zalma,  Gl.  717: 
a  Vorderseite,   b  Totalansicht  . 

Ol.  524 

Hofmus.  24,  sabäisches  Relief  (Wien) 

Typenübersieht  zum  Totschlägersym- 
bole: a  Gl.  487,  b  CIH  383,  c  Gl. 
491,  d  CIH  378,  e  Sab.  Denkm.  20, 
/  Bulawayostein,  g  Gl.  488,  h  Gl. 
1572,  i  Gl.  712,  j  Gl.  1649,  k  Gl. 
485,   l  Os.  1,   m   Gl.  717    ...      . 

Totschlägersymbol  auf  Gl.  717 

Sumerische   Totschläger 

Musoheltäfelchen  aus  Tello  (Paris, 
Louvre) 

Kalksteinrelief  aus  Tello  (Paris,  Louvre) 

Gott  Marduk;  Lazurstange  aus  Babylon 
(ca.  850  v.Chr.).  (Berlin, Kgl. Museen) 

Assyrische  Götterprozessiou  aus  Malatia 

Blitzbündel  und  Doppelgriffel  auf  sa- 
bäisehen Inschriften:  a  Gl.  472,  b  Gl. 
477,  c  Gl.  481,  d  Gl.  485,  e  Gl.  502 

Blitzbündel  und  Doppelgriffel  auf  sa- 
bäisehen Inschriften:  a  Gl.  503,  b  Gl. 
514,  c  Gl.  522,  d  Gl.  525,  e  Gl.  545, 
/Gl.  558,  ^  Gl.  549 

Blitzbündel  und  Doppelgriffel  auf  sa- 
bäisehen Inschriften:  a  Gl.  565,  b 
Gl.  573,  c  Gl.  591,  d  Gl.  596,  e  Gl. 
610,  /  Gl.  696,  g  Gl.  731     ..      . 


Seite 

12a 

12  a 

12b 
12b 

13  a 

13  a 
14a 

14  a 
14b 
15b 


16  a 

17  a 
17b 

17b 
18a 

18b 
18 


19  a 


19b 


20  a 


'  Durch  die  freundliche  Überlassung  von  Klischees  haben  mich  die  Herren  Professoren  Fr.  Delitzscli  (zu  .\bb.  60, 
157,  178,  19.^),  P.  Handcock  (zu  Abb.  29),  H.  V.  Ililprecht  (zu  Abb.  18,  196),  P.  Jaeobsthal  (zu  Abb.  66,  71  f.), 
M.  Jastrow  (zu  \bb.  32,  33,  51,  52,  .54,  62,  182,  197),  A.  Jeremias  (zu  Abb.  57,  106,  142,  143,  159)  sowie  ihre  Herren 
Verleger  vorptiichtet.  Die  Photog-raphien  zu  Abb.  83,  169,  170,  180  danke  ich  der  Güte  Sr.  Exz.  Halil  Edheni,  jene  zu 
Abb.  88,  166  der  Direktion  des  Museums  in  Marseille,  die  Pliotographie  von  Abb.  20  Herrn  Prof.  Dr.  Hans  Schrader. 
Zu  Abb.  21  hat  mir  Herr  L.  Heuzey  einen  Lichtdruck  überlassen,  zu  Abb.  173  Herr  Dr.  E.  A.  Wallis  Budge  den  Ab- 
klatsch. Herrn  Dr.  V.  Christian  danke  ich  die  Photographie  zu  Abb.  107.  Herrn  A.  J.  Evans  verdanke  ich  die  Erlaubnis 
zur  Reproduktion  der  Abb.  5,  Cfg,  13,  19,  113.  Herr  Ij.  Oelaporte  gestattete  mir  die  Reproduktion  der  von  ihm  ver- 
öffentlichten Siegelzyliuder. 

13* 


100 


I  Abhandlung:  Adolf  Grohmann. 


41. 


42. 


Abb.  37.  Blitzbündel  und  Doppelgriffel  auf  s;i- 
bäischen    Inschriften:    a    Gl.  743,    h 

Gl.  796,  c  Gl.  797 

„      38.  Blitzbündelu.DoppelgrifFelaufGl.1527 

39.  Blitzbündel  und  Doppelgriffel  auf  Gl. 

1531 

40.  Blitzbündel  und   Doppelgriffel  auf  sa- 

bäischen  Inschriften:  a  Gl.  910,  b 
Gl.  916,    c  Gl.  lOOOB,    d   Gl.  1109 

]51itzbündel  und  Doppelgriffel  auf 
Hofmus.  14 

Blitzbündel  und  Doppelgriffel  auf  sa- 
bäischen  Inschriften:  a  Gl.  1467,  h 
Gl.  1468,  c  Gl.  1529,  d  Gl.  1550   . 

43.  Blitzbündel  und  Doppelgriffel  auf  sa- 
bäiachen  Inschriften:  a  Gl.  1558,  h 
Gl.  1559,  c  Gl.  1560 

44.  Blitzbündel  und  Doppelgriffel  auf  sa- 
bäischen  Inschriften:  a  Gl.  1641,  h 
Gl.  1647,  c  Gl.  1675,  d  Gl.  1698, 
e  Gl.  1664 

45.  Göttersymbole  auf  sabäischen  Münzen 

46.  Blitzbündel  auf  rainäischen Inschriften: 
a  Gl.  1158,  b  Gl.  1302,  c  Hai.  480, 
d  Delosaltar 

47.  Blitzbündel  auf  sabäischen  und  kata- 
bänischen  Inschriften:  a  Mars.  X, 
b  Gl.  781,    c  Gl.  1343,    d  Gl.  1434 

48.  Monogramm   auf  Gl.  1095    .... 

49.  Monogramm   auf  Gl.  1422    .... 
Übersicht    über    die    sabäo-minäischen 

und  babylonischen  Formen  des  ein- 
fachen Blitzbündelsymboles  von:  a 
Hofm.  14,  b  Gl.  591,  6'  Gl.  1698, 
c  Gl.  1158,  c  Gl.  1664,  d  Münze 
Hofm.  Ii2,  d'  GL  472,  e  Hai.  480; 
a  von  der  Nazi-Maruttaschstele  (vgl. 
Abb.  5l),  a'  von  einer  Belehnungs- 
urkunde  Nebukadnezars  I.  (ca.  1130 
V.  Chr.),  ß  vom  babylonischen  Siegel- 
zylinder Delapcrte  181,  /5' vom  ba- 
bylonischen Sicgeizylinder  Delaporte 
148  (ca,  2200 — 2100  v.  Chr.),  y  von 
der  Alabastertafel  Schamschi  Adads 
IV.  (ca.  823—811  v.  Chr.,  vgl.  Abb. 
54),  y  von  der  Belehnungsurkunde 
Meli  Schipaks  (ca.  1204-1 190  v.Chr.) 

Grenzstein  des  Nazi-Maruttasch,  ca. 
1322  — 1297  V.  Chr.  (Paris,  Louvre) 

Seite  D  einer  Urkunde  aus  der  Zeit 
Meli  Schipaks  (ca.  1204—1190  v. 
Chr.,  Paris,  Lonvrc) 


20  a 
20b 

20  b 


21  a 


21  b 


21b 


22  a 


22  a 

23  a 


23  a 


23  b 
25  a 
25b 


50. 


51. 


52. 


25 
26  a 

27 


Seite 
Abb.  53.   Ochse    mit   Blitzbündel,    vom    babylo- 
nischen Siegelzylinder  Delaporte  204 
(Paris,   Bibliotheque   nationale)     .      .      26  b 

54.  Alabastertafel    Schamschi    Adads    IV. 

(ca.  823 — 811  v.  Chr.,  London, 
British   Museum) 27 

55.  Das   dreistrahlige  Blitzbündel:   a  vom 

Delosaltare,  b  von  Gl.  1343;  a  vom 
Bilde  Teschups  (aus  Babylon,  s. 
Abb.  57) 28  a 

„      56.    Blitzbündel    in   der  Hand   Adads,    auf 

einer  Lazurstange  aus  Babylon  .      .      28  a 

„      57.   Bild    des    hetitischen   Gottes  Teschup, 

aus  Babylon 28  b 

„  58.  Das  zwei-  und  dreistrahlige  Blitz- 
bündel: a  von  Mars.  X,  b  von  Gl. 
781;  a  von  der  Alabasterskulptur 
Aschurnasirpals  III.  (Abb.  60)    ..28a 

„      59.  Gemme     mit     lihyänischer    Inschrift 

(London,   British   Mn'seum)      .      .      .      28  b 

„  60.  Alabasterskulptur  Aschurnasirpals  III. 
(ca.  883 — 859  v.  Chr.)  aus  Nimrud 
(London,   British   Museum)     .      .      .      29  a 

„      61.   Goldblitz    aus    dem    Anu-Adadtempel 

in   .4.ssur 29  b 

„  62.  Götterprozession  aus  dem  Nordwest- 
palaste Aschurnasirpals  III.  (883  — 
859  V.  Chr.)  in  Nimrud  (London, 
British  Museum) 29 

„  63.  Das  Doppelgriffelsymbol:  a  von  der 
Ganneaustele  (Abb.  112),  b  von  sab. 
Denkm.  1,  c  von  Levy  2,  d  von 
Hofm.  9,   e  von   Gl.  1139        .      .      .      30  a 

„  64.  Übersicht  über  das  Doppelgriffelsym- 
bol: Act  von  Gl.  472,  Ab  von  der 
Münze  Hofm.  Ii2,  Ba  von  Hofm.  14, 
Bb  von  sab.  Denkm.  1,  Bc  von  Hofm. 
9,  C  von  der  Ganneaustele,  cc  von 
einer  Belehnung.surkunde  Nebopa- 
liddins  (ca.  868  v.  Chr.,  British  Mu- 
seum), ß  vom  babylon.  Siegelzylinder 
Delaporte  592  (Paris,  Bibliotheque 
nationale),  y  vom  babylon.  Siegel- 
zylinder Delaporte  602  (Paris,  Bi- 
bliotheque nationale) 31 

„      65.   Symbole  auf  Gl.  1550 32  a 

66.  Zweistrahliger  Blitz  auf  einem   etrus- 

kisohen   Spiegel 32  b 

67.  Stierkopf  von   der  Inschrift  CHI  102 

(Paris,    Aeademie) 33  a 

„      68.  Die  Hadakaninschrift,  Gl.  302  (Berlin, 

Kgl.  Museen) 33 


Göttersymbole  und  Symboltiere  auf  südaräbischen  Denkmälern. 


101 


Seite 

Abb.  69.   Stierkopf  vom  Altar  von  'Abyan  (Os. 

30).  (London,  British  Museum)  .  33  a 
„      70.   Sabäische  Münzen   im  Hofmuseum   zu 

Wien 33  b 

„      71.   Goldener  Ring  mit  Blitz  aus  Bolsena 

(Dresden) 34  a 

72.   Tefradrachme  des  PtolemäusEpiphanes 

(Berlin) 34  a 

„  73.  Sternsymbol  auf  Gl.  1728  ....  35  a 
„      74.   Sternsymbol:    a    von    Gl.   755,    b  von 

Mars.  XII 35  a 

,  75.  Sternsymbol  auf  Gl.  1552  .  .  .  .  35  b 
„      76.  Symbol  des  Sibitti  und  lätarstern  von 

einer     babylon.     Bestallungsurkunde 

Nebo-Schumisobkun    I.   (ca.  900    v. 

Chr.,  Kgl.  Museen,  Berlin)  .  .  .  35  b 
„      77.   Bavianrelief  (ca.  705 — 681   v.  Chr.)  .      3G  a 

78.  Assyrischer  Siegelzylinder  (Paris,  Bi- 

bliotheque   nationale) 36  b 

79.  Assyrischer  Siegelzylinder  (Paris,  Bi- 

bliotheque   nationale) 36  b 

„      80.  Symbole  auf  einem babyl.  Siegelzylinder 

(Sammlung  Pierpont-Morgan)       .      .  36  b 

,      81.   Sabäisches   Eelief  aus  Häz   (Gl.  210)  37  a 

,  82.  Sabäisches  Relief  aus  'Erren  (Gl.  230)  37  b 
„      83.  Sabäischer  Altar  (0.  M.  157,   Tschi- 

nili-Kiöschk,   Konstantinopel)       .      .  38  a 

„      84.   Sabäischer  Altar  aus  Marib  (Gl.  737)  38  a 

„      85.   Sabäisches  Relief  aus  Domär  (Gl.  801)  38  a 

„  86.  Sabäische  Inschrift  aus  Domär(Gl.  804)  38  b 
.      87.  Sabäischer    Altar,    CIH    362    (Paris, 

Louvre) 38  b 

88.  Sabäischer     Altar,     Mars.     III     (Mus. 

Marseille) 39a 

89.  Sabäischer   Altar    aus   Gir'an,   Gl.  262 

(Berlin,   Kgl.  Museen) 39  b 

90.  Oberteil   eines  sabäischen  Altares  aus 

Sirwäh   (Gl.  1652) 40  a 

„      91.   Sabäische  Gemme  (London,  Brit.  Mus.)  40  a 

„      92.   Sabäische  Gemme   (Berlin,  Kgl.  Mus.)  40  a 
93.   Katabänischer  Altar    aus    Gedida   (Gl. 

1111) 40b 

„      94.   Katabänischer    Altar    aus     dem    Gauf 

(Gl.  1747/8) 40  b 

„      95.  Katabänisches   Felsenrelief  aus  Henu 

ez-Zireir  (Gl.  1426) 41 

„      96.   Altarfragment  aus  leha 41b 

„      97.   Babylonischer  Siegelzylinder   (.1.  Pier- 
pont-Morgan  library) 42  a 

98.   Phönizische    Grabstele    aus    Karthago 

(Mus.  du  Bardo) 42  a 

„      99.  Babyl.  Siegelzylinder  (Paris,  Bibl.nat.)  42  b 


Seite 
Abb,  100.   Mondsichel  mit  Stern  auf  einem  Grenz- 
steine aus  Susa   (Paris,   Louvre)       .      42  b 
„      101.    Mondsichel    und   Scheibe    von    einem 
babylonischen    Siegelzylinder   (Brit. 

Mus.,   London) 42  b 

„     102.   Handsymbol   von   Gl.  1724       ...      44  a 
r.      103.   Sabäische     Bronzetafel     aus    'Amran 

(London,   Brit.  Mus.) 44  a 

„      104.   Symbol  auf  Hai.  257 44  b 

„     105.   Opfertisch     auf    einem     ägyptischen 
Grabsteine     des     mittleren     Reiches 

(Genf) 44  b 

„     106.   Mondsichel    und    Hand,    Amulett  im 

Besitze  von   A.  Jeremias  ....      45  a 
„     107.    Messinghand     von     einer     persischen 
Fahnenstange    im    k.  k.  Naturhist. 
Hofmuseum,  Wien  (Invent.  25551)      45  a 
„      108.   Handsymbol  auf  einer  punischen  Stele 

aus  Karthago 45  b 

„     109.   Handsymbol  auf  einem  babylonischen 

Siegelzylinder 45  b 

„      110.   Kreuzsymbol  auf  Gl.  1209       .      .      .      46  a 
„     111.   Sabäische  Siegel  (Berlin.   Kgl.  Mus.)      46  a 

,     112.  Sabäische  Stele 46  b 

„      113.   Minoisches   Kreuz 47  a 

,     114.  BabylonischerSiegelzylinder  (ca.  1700 
— 1200    V.    Chr.),     Delaporte     297 

(Paris,   Bibl.nat.) 47b 

„     115.  Neubabylonischer  Siegelzylinder,  De- 
laporte  385   (Paris,   Bibl.  nat.)    .      .      47  b 
„     116.   Speerspitzensymbol  auf  Gl.  552    .      .      48  a 
„     117.   Speerspitzensymbol     auf     sabäischen 

Münzen 48  b 

„      118.   Speerspitzensymbol  auf  Hai.  236       .      48  a 
„      119.   Babylonisches  Siegel,    Delaporte   603 

(Paris,   Bibl.  nat.) 48  b 

„     120.   Federkrone   auf  Hai.  155    ....      49  u 
„     121.   Federkrone    auf    dem    Haupte    eines 
geflügelten  Genius    auf    einem    alt- 
lihjanischen   Siegelzylinder     .      .      .      49  a 
„     122  o.  Minoische     Hieroglyphe     auf     der 

Phästusscheibe 49  u 

„     122  6.  Revers  einer  sardischen  Münze      .      49  a 
„      123.   Federkrone  auf  dem   Haupte   Adads, 
von  einer  Lazurstange  aus  Babylon 

(MDOG,   Nr.  5) 49  b 

„     124.   Achämenidischer  Siegelzylinder  (De- 
laporte  399,   Paris,   Bibl.  nat.)    .      .      49  b 
„     125.   Fragment    der    Geierstele    (ca.   3000 

V.  Chr.,  Paris,  Louvre)     .      .      .      .      00  a 
„     126.  (Sab.  Denkm.  40.)  Sabäische  Inschrift 

im  Tschinili-Kiöschk  Konstantinopel,      50  b 


102 


I.  Abhandlung:  Adolf  Grohmann. 


Seite 

Abb.  127.  Gl.  1757  =  München  103  (aus Sirwali)      51  a 
„     128.  Sabäischer   Terrakottastein    im   k.  k. 

Hofmnseum   zu   ^Vien 51a 

129.  Sabäisclie  Inschrift  aus  Kaskase  .      .      51b 

130.  Schlange     auf     der     minäischen     In- 

schrift Gl.  1316   (aus  Baräiiiä)  .      .      52  a 

131.  Torsymbol    auf   der   minäischen    In- 

schrift  vom   Mikrab    in   Ma'in   (Gl. 
1153) 52  a 

132.  Anfang   der  minäischen  Inschrift  Gl. 

1083  (aus  Ma'in) 52  b 

.,  133.  '.^ttarmonogramra  und  Blitzbündel  auf 
der  minäischen  Inschrift  Hai.  480 
(aus   Baräkiis) 53  a 

„  134.  'Attarmonogranini,  Blitzbündel  und 
Schlange  auf  der  minäischen  In- 
schrift Gl.  1302   (aus  Baräkiä)  .      .      53  b 

,      135.   Blitzbündel  und   Tor  auf   der  minäi- 
schen Inschrift  Gl.  1162  (aus  Ma'in)      53  b 
136.   Tor  und  Schlange  auf  der  minäischen 

Inschrift  Gl.  1234   (aus  Baräkis)     .      54  a 

„     137.  Blitzbündel,    Schlange    und    Tor    auf 

dem  Delosaltare 54  a 

138.  'Attarmonogramm, Blitzbündel,  Schlan- 
ge, Stern  und  Tor  auf  der  mi- 
näischen Inschrift  Gl.  1158  (aus 
Baräki.^) 54  b 

„     139.  Schluß  Ton  Hofmuseum  4  (aus  Mdrib)      54  b 

,  140.  Schlangengott  mit  Torflügel  auf  einem 
vorsargonischen  Siegelzylinder  des 
British  Museum 55b 

„     141.  Sabäische  Gemme  im  British  Museum 

(London) 56  a 

„     142.   Achämenidischer     (?)     Siegelzylinder 

(London,   British   Museiim)     .      .      .      56  b 

,,     143.   Achämenidischer     (?)     Siegelzylinder 

(London,   British   Museum)     .      .      .      57  a 

,  144.  Muscheltäfelchen  aus  Tello  (voraga- 
deische  Periode  vor  3800  v.  Chr., 
Paris,  Louvre) 57  a 

„     145.  Siegel   Netan-yähü's    (Paris,  Louvre)      57  b 

,     146.   Assyrischer  Siegelzylinder  (Delaporte 

378,   Paris,   Bibl.  nat.)       .      .      .      .      57  b 

„     147.   Syro-kappadokischer      Siegelzylinder 

(Delaporte  473,  Paris,  Bibl.  nat.)   .      57  b 

,     148.  Altiihyanischer  Siegelzylinder      .      .      58  a 

,     149.   Sabäische  Bronzeschnalle  (Wien,  k.  k. 

Hofmuseum) 58  b 

,     150.  Babylonisoher    Siegelzylinder    (Dela- 
porte 301,  Paris,  Bibl.  nat.)       .     .      59  a 
„     151.  Phönizisches   Chalzodonsiegel    (Paris, 

Louvre?) 59  a 


Seite 


Abb. 


152. 
153. 
1Ö4. 
155. 
156. 

157. 

158. 

159. 
160. 
161. 
162. 

163. 
164. 

165. 

166. 

167. 
168. 
169. 

170. 


171. 

172, 
173. 


174. 
175. 

176. 

177. 

178, 
179 


Steinbock  aus  Zafär  (Besitz  Sr.  Exz. 
Mahmud   Bey) 

Sabäisches  Relief  aus  Zafär  (Wien, 
Hofbibliothek) 

Sabäische  Bronzelampe  (Wien,  k.  k. 
Hofmuseum)        ...... 

Sabäisches  Relief  (Hofmus.  125, 
Wien,  k.  k.  Hofmuseum)        .     .      . 

Babylonischer  Siegelzylinder,  Dela- 
porte 294  (ca.  1700—1200  v.  Chr., 
Paris,   Bibl.  nat.) 

Mit  Drachen-  und  Stierreliefs  ge- 
schmückter Turm   des  lätartores 

Syro  -  kappadokischer  Siegelzylinder, 
Delaporte  467   (Paris,  Bibl.  nat.)    . 

Reliefplatte  aus  Ninive       .... 

Sabäisches  Relief  aus  Zalraa  (Gl.  715) 

Sabäisches  Relief  aus   Mdrib    . 

Sabäisches  Relief  (Sab.  Denkm.  46) 
im  Tschinili-Kiöschk  in  Konstan- 
tinopel        

Sabäisches  Relief  aus  Sibäm  (Gl.  103) 

Kappadokischer  Siegelzylinder  (Dela- 
porte  418,   Paris,   Bibl.  nat.)      .      . 

Sabäisches  Architekturstück  (Hofmus. 
123,   Wien,   k.  k.  Hofmuseum)    .      . 

Sabäischer  .'Vltar  (Seite),  Mars.  III 
(Marseille) 

Sabäische  Bronze   aus   Zafär     . 

Anlilopenkopf  aus  Zafär      .... 

Sabäischer  Altar  (0.  M.  34)  im  Tschi- 
nili-Kiöschk, Konstantinopel . 

Stierköpfe  als  Ornament  auf  sabäi- 
schen  Altären:  a  von  0.  M.  135, 
b  von  0.  M.  138  (Konstantinopel, 
Tschinili-Kiöschk) 

Stierkopf  mit  Inschrift  (Gl.  325)  von 
einem   sabäischen  Bronzegefäße  . 

Stierkopf  u.  Monogramm  von  Gl.  1422 

Vorderfront  des  Altares  Gl.  301 
(London,  Brit.  Mus.)  nach  dem  Ab- 
klatsche      

Tierkopf  auf  Bibl.  nat.  22  ...      . 

Göttersymbole  auf  einer  phönizischen 
Terrakottaplakette  aus  Karthago 

Sabäische  Bronzetafel  aus  Amrän 
(CIH   72,   London,  Brit.  Mus.)   .      . 

Sabäisches  Relief  aus  Beyt  el-Aswal 
(Gl.  397) 

Der  Löwe  von   Babylon       .... 

Sabäische  Bronze  aus  dem  k.  k.  Hof- 
museum  zu    Wien 


59b 

59  b 

60  a 
60  a 

60  b 
60b 

61  a 
61  a 
61  a 
61b 

61  b 

62  a 

62  a 

62b 

62  b 
64  a 

64  b 

65  a 


65  b 

66  a 
66  a 

66  b 
6Gb 

67  a 
68a 

68  a 
68  b 

68  b 


Göttersymbole  und  Symboltiere  auf  sOdarabischen  Denkmälern. 


103 


Abb.  180.   Sabäiscbes  Kulief  (0.  M.  84),   Mordt- 
mann    7  7,    im    Tscbinili-Kiöscbk    in 

Konstantinopel 

181.   Sabäische     Brouzetafel     aus    'Amrän 
CIH    73   (London,   Brit.  Mus.)     .      . 

„  182.  Muster  eines  ass3-rischen  Gewandes 
(London,  Brit.  Mus.) 

,     183.  Sabäisches  Bronzepferd  (Hofmus.  132, 

Wien,   k.  k.  Hofmuseum) 
,     184.   Sabäisches  Bronzepferd   im   Tschinili- 
Kiöscbk,  Konstantinopel    .... 

„      185.  Drachenkopf  von  Gl.  495  (aus  Marib), 
Tschinili-Kiösebk,   Konstantinopel    . 
186.   Drachenkopf  aus  Bronze,  Höhe  6"5  cm 
(Wien,  k.  k.  Hofmuseum) 

„  187.  a  Sirruschlange  von  einer  Beleh- 
nungsurkunde  Nebukadnezars  I.  (ca. 
1125  V.  Chr.)  aus  Nippur  (im  Be- 
sitze H.  V.  Hilprechts),  b  Schlange 
von  Gl.  1158 

„  188.  a  Sirruschlange  auf  einer  babyloni- 
schen Grenzsteinurkunde  (ca.  12. 
Jahrb.  v.  Chr.),  Paris,  Louvre,  6 
Schlange  auf  Gl.  1302       .... 


Seite 


69  a 


69 


69b 


70  a 


70b 


flb 


72  a 


72a 


r2b 


Seite 

Abb.  189.  a  Sirruschlange  auf  einer  Bestallungs- 
urkunde (ca.  900  V.  Chr.),  Berlin, 
Kgl.  Museum,  /;  Schlange  auf  Gl.  1234      72  b 

„  190.  a  Sirruschlange  auf  der  Belehnungs- 
urkunde  Melischipaks  (ca.  1204 — 
1190  V.  Chr.)  aus  Susa  (Paris, 
Louvre),  b  Schlange  auf  dem  mi- 
näischen  Delosaltare 73  a 

„  191.  Fragment  einer  Bronzeschlange  aus 
Südarabien  (Hofmus.  136),  Wien, 
k.  k.  Hofmuseum 73  a 

„     192.   Bronzestab     mit     Schlangenkopf    aus 

Südarabien  (Wien,  k.  k.  Hofmuseum)      73  b 

„     193.   Bronzeschlange      aus      Susa      (Paris, 

Louvre) 73  b 

„     194.   Schlangenstab    aus  Bronze,    aus    Susa 

(Paris,   Louvre)^ 73b 

„     195.   Der  Drache  von  Babylon   ....      74  a 

„  196.  Der  babylonische  Drache  (Sirrusäu), 
Tonrelief,  ca.  2300  v.  Chr.  (Tschi- 
nili-Kiöschk,   Konstantinopel)       .      .      74  a 

„  197.  Babylonische  Bronzetafel  mit  Be- 
schwörungsszene (Paris,  Sammlung 
de   Clerq) 74  b 


Corrigenda. 


Seite  3  b,  Zeile  38 

lies 

Tagen. 

Seite  29  b,  Zeile  2 

lies 

hetitischen. 

;» 

5  oben 

n 

A.  statt  A). 

„      33  a,  Zeile  14 

77 

Zafär. 

,, 

5  oben 

katabänische. 

„      35  a,  Abb.  73 

ist 

umzudrehen. 

, 

5b,  Zeile  7,  11 

» 

Uadd. 

„      38  b,  Zeile  7 

lies 

Gailäu. 

,. 

6  b,  Zeile  2,  17 

n 

Pause. 

„      40  b,  Zeile  2 

77 

Fragment. 

?? 

6  b,  Zeile  7 

n 

durchgepaust. 

„      51  a,  Zeile  6 

Abessinien. 

•1 

8  a,  Zeile  17 

;i 

Olstein. 

„      51  unten 

., 

b)  statt  b. 

:t 

12  b,  Zeile  VJ 

•7 

babylonischen. 

„      53  a,  Zeile  oO 

bn  statt  beil. 

,- 

13  a,  Abb.  21 

•1 

Babylonische. 

„      56  a,  Zeile  8 

77 

Sirru. 

n 

23  b,  Abb.  47 

., 

katabanischen. 

,,      58,  Note  4 

77 

Bes. 

77 

27  b,  Zeile  2 

., 

hetitischen. 

„      59  b,  Zeile  2 

77 

gepaust. 

!) 

28  b,  Zeile  15,  27 

77 

hetitische. 

„      67  a,  Abb.  175 

Terrakottaplaq  uette 

H 

28  b,  Abb.  57 
28  b,  Abb.  59 

77 
»7 

hetitischen. 
lil.iyanischer. 

„      67  b,  Zeile  6 

77 

Terrakottaplaquette 

*  Nähere  Angaben  über  die  Stelle  im  Bd.  VII  von  de  Morgans  Publikation  Icann  ich  zurzeit  nicht  geben,  da  der 
Band  in  Wien  nicht  zu  haben  ist.  Die  I'hotograpliie  verdanke  ich  Herrn  Dozenten  Dr.  G.  Hüsing.  Aus  dem  gleichen  Grunde 
bin  ich  jetzt  auch   außerstande,  die  Literaturangabe  zu  Abb.  l',)3  nochmals  nachzuprüfen. 


INHALT. 


Seite 

Vorwort 3  —  4 

A.  Göttersymbole 5 — 56 

a)  Sabäische  und  katabänische  Symbole ....  5 — 51 

Der  Totschläger 6 — 19 

Das   Blitzbündel   und   der  Doppelgriffel     ....  19 — 32 

Blitzbündel  und   Donnerkeil   (Stierkopf) 32 — 34 

Das   Sternsymbol 35  —  37 

Mondsichel  und   Scheibe 37 — 44 

Die   Hand 44-46 

Das  Kreuz 46 — 47 

Die  Speerspitze 48 

Die   Federkrone  und    die   "Vulva 49 — 51 

h)  Die  minäischen  Symbole  ('Attarmonogramm,  Blitzbündel,  Schlange,  Stern,  Tor)  51 — 56 

B.  Symboltiere 56  —  75 

Der  Steinbock 56—64 

Die  Antilope 64 — 65 

Der  Stier  (Stierkopf) 65  —  67 

Löwe  und   Sphinx 67  —  70 

Das   Pferd ' 70—71 

Schlange  und   Drache 71  —  75 

Der   Adler 75 

Zusammenfassung 76 

Schlußbemerkungen 7  7  —  80 

Transkriptionstabelle 81 

Verzeichnis   der   Abkürzungen 81 

Verzeichnis  der  zitierten   Inschriften 82 — 84 

Eigennamen-   und   Sachregister 85 — 92 

Sabäisches  Wortregister 92 — 98 

Verzeichnis   der   Abbildungen 99  — 103 

Corrigenda 103 


DENKSCHRIFTEN 


DEU 


KAISERLICHEN  AKADEMIE   DER  WISSENSCHAFTEN    IN   WIEN. 

PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE  KLASSE. 


58.  BAND,    2.  ABHANDLUNG. 


STAAT  UND  GESELLSCHAFT 


IM 


MITTELALTERLICHEN  SERBIEN. 


STUDIEN  ZUR  KULTURGESCHICHTE  DES  13.-15.  JAHRHUNDERTS. 


VON 


CONST ANTIN  JIRECEK, 

WIKKL.  5IITGL1EDE  DER  KMS   AKADEMIE  DKK  WISSENSCHAFTEN. 


DRITTER  TEIL. 


VORGELEGT  IN  DER  SITZUNG   AM   17.  DEZEMBER   1913. 


WIEN,    1914. 

IN  KOMMISSION   BEI   ALFRED   HOLDER 

K.  U.  K,  HOF-  UND  UNIVERSITATS-BUCHHÄNDLER 
BUCHHÄNDLER  DER  KilS.   AKADEMIE  DER  WISSENSCIIAFTKN. 


Druck  von  ADOLF  HOLZHAUSEN  in  Wien, 

K.  UND  K.  HOF-  UND  UNFVERSITÄTS-BUCHDRUCKER. 


12.  Materielle  Kultur:  Bauten,  Volkstrachten,  Nahrung  usw. 


Die  Bauwerke:  Kirchen  und  Kloster;  Burgen  und  Landhäuser  des  Königs,  des  Adels  und  Klerus;  das  Stadthaus  und  das 
Bauernhaus.  Die  innere  Einrichtung  des  Hauses.  Physischer  Typus  der  Bevölkerung.  Stellung  zu  anderen  Völkern. 
Die    Verbreitung    fremder   Kultixreinflüsse.     Haar-    und   Barttracht.     Kleidung    und  Kopfbedeckung.     Schmuck    und  Waffen. 

Nahrungsmittel   und  Getriinke. 


Es  ist  nicht  leicht,  das  gesellschaftliche  und 
geistige  Leben  der  Serben  im  Zeitalter  der  Ne- 
manjiden  in  einem  genauen  Bild  vorzuführen. 
Die  erhaltenen  historischen  Denkmäler  sind 
meist  kirchlicher  Art.  Es  fehlt  an  gleichzeitigen 
Dichtungen,  in  denen  sich  der  Geist  der  Ge- 
sellschaft so  spiegeln  würde  wie  in  der  welt- 
lichen Poesie  des  Nordens  und  Westens  von 
Europa,  z.  B.  in  den  skandinavischen  Sagas, 
in  den  Liedern  der  provengalischen  Trouba- 
dours, in  dem  französischen  Eitterroman  oder 
in  den  Werken  der  deutschen  Minnesänger.  Es 
gibt  auch  keine  Erzählungen  in  Prosa,  wie  sie 
auf  italienischem  Boden  Florenz  im  14.  Jahr- 
hundert aufzuweisen  hat,  voran  die  von  Boc- 
caccio und  Sacchetti.  Aus  dem  mittelalterlichen 
Serbien  hat  sich  nichts  erhalten  in  der  Art  des 
byzantinischen  Epos  Digenis  Akritas  oder  der 
russischen  Sage  von  der  Heerschar  Igors  (1185). 
Handschriftliche  Aufzeichnungen  der  Helden- 
lieder beginnen  erst  in  der  Neuzeit.  Das  alt- 
serbische archivali.sche  Material  beschränkt  sich 
meist  auf  Schenkungen  an  Kirchen  und  auf 
Handelsakten.  Es  fehlen  Gerichtsprotokolle, 
Eechnungsbücher,  Privatbriefe  u.  dgl.  Einen 
gewissen  Ersatz  für  diese  Lücken  bietet  das 
reiche  Detail  der   ragusanischen   Kanzlei-  und 


Gerichtsbücher,  mit  vielen  Nachrichten  aiis  dem 
Innern  der  Halbinsel.  Die  bildlichen  Dar- 
stellungen auf  den  Fresken  der  alten  serbischen 
Kirchen  und  Klöster  sind  bisher  wenig  studiert 
und  liegen  nur  selten  in  Abbildungen  vor.^) 

Das  sichtbarste  Denkmal  einer  jeden  ver- 
gangenen Kulturperiode  sind  die  Bauwerke. 
Die  Serbenländer  besitzen  aus  den  letzten  Jahr- 
hunderten des  Mittelalters  eine  nicht  unbe- 
deutende Zahl  großer  und  schöner  Kirchen,  ein 
beredtes  Zeugnis  für  den  einstigen  Reichtum 
des  Landes  und  den  kunstliebenden  Sinn  der 
Herrscher  und  der  Nation.^)  Der  serbische 
Archäologe  Professor  Valtrovic  hat  diese  Bau- 
ten in  zwei  Perioden  eingeteilt.  Die  erste  um- 
faßt die  Zeiten  der  Nemanjiden,  mit  einer 
großen  Mannigfaltigkeit  im  Grundriß  und  Auf- 
bau, indem  ein  jeder  Herrscher  nach  seinem 
Wunsch  oder  Geschmack  unter  dem  Einfluß 
privater  und  politischer  Verhältnisse  bauen  ließ. 
Stark  bemerkbar  sei,  besonders  in  der  älteren 
Zeit,  der  Einfluß  dalmatinischer  Meister.  Die 
Bauten  der  zweiten  Periode,  seit  dem  Fürsten 
Lazar  (f  1389),  haben  dagegen  einen  nationalen 
Typus,  mehr  Einheit  und  Originalität.  Der 
russische  Architekt  Pokryskin  schaltet  in  der 
Mitte  eine  dritte  Periode  ein,  mehr  byzantini- 


')  Vgl.  das  ältere  slavische  Material,  besonders  aus  den  nordslavischen  Ländern,  bei  L.  Niederle  Zivot  star<xh 
Slovaniiv  (Leben  der  alten  Slaven),  Bd.  1  (in  zwei  Teilen),  Prag  1911 — 1913,  897  S.,  reich  illustriert. 

')  Literatur:  F.  Kanitz,  Serbiens  byzantinische  Monumente,  AVien  1862.  Reiseberichte  der  Architekten  D.  S.  Milu- 
tinovid  und  M.  Valtrovi6  1872 — 1885  an  die  ,Serbische  gelehrte  Gesellschaft',  gedruckt  im  Glasnik  Bd.  36  41  44  4fi 
47,  48,  .02,  53,  64.  Ihre  Zeichnungen  wurden  1872  in  Moskau  ausgestellt,  aber  nicht  publiziert  (vgl.  Kond.-ikov,  Makedonien 
65).  Waltrovits,  '()  riodopofio;,  Mitteilungen  über  neuere  Forschungen  auf  dem  Gebiete  serbischer  Kirchenl)aukuust 
Wien  1878,  4°  mit  I  Tafel.  M.  Valtrovii,  Blicke  auf  die  aite  serbische  Architektur  (Pogled  na  staru  srpsku  architekturu) 
Glas  17.  P.  Pokryskin,  Die  orthodoxe  Kircheuarchitektur  (Pravoslavnaja  cerkovnaja  architektura)  des  12. — 18.  Jahrh.  im 
jetzigen  Königreich  Serbien,  russ.,  Ausgabe  der  kais.  Akademie  der  Künste,  Petersburg  1906,  76  S.  und  106  Tafeln  in  ^r.-S" 
(mir  unzugänglich,  da  nicht  im  Handel;  Referate  von  Valtrovifi  im  Starinar,  N.  S.  1,  1906,  Beilage  S.  34—43  und 
Strzygow.ski  in  der  Byz.  Z.  16  (1907)  729  f.  A.  Stevanovi6,  O  zavetnoj  raisli  sv.  Save  (über  den  traditionellen  (Jedankon 
des  hl.  Sava),  Belgrad  1908  (vgl.  Letopis  249,  1908,  98-99).  Dr.  Vladimir  A.  Petkovic!,  2ica,  in  Starinar,  N.  S.  1  (1907), 
2  (1908),  4  (1909).  N.  P.  Kondakov,  Makedonien  (Makodonia),  eine  archäologische  Reise,  russ.,  Petersburg,  Kais.  russ. 
Akademie  der  Wissenschaften  1909,  308  S.  mit  194  Textbildern  und  13  Tafeln.  Ch.  Diehl,  Manuel  de  l'art  byzantin,  Paris 
1910  (über  Serbien  p.  706  ff.).  G.  Bai?,  Une  visite  ä.  quoliiues  eglises  de  Serbie,  Bucarest  1911,  44  S.  4"  mit  70  Textab- 
bildungen, mir  bekannt  aus  dem  Referat  von  Strzygowski,  Byz.  Z.  21  (1912)  647 — 648. 

1* 


II.  Abhandlung:  Constantin  Jirecek. 


scher  Art,  seit  König  Stephan  Uros  II.  (1282 — 
1321).  Auch  nach  dem  russischen  Kunsthistori- 
ker Professor  Kondakov  war  die  zweite  Hälfte 
des  13.  und  die  erste  des  14.  Jahrhunderts  die 
Ghanzperiode  der  serbischen  Architektur,  unter 
byzantinischem  Einfluß.  Der  rumänische  Archi- 
tekt Bai?  unterscheidet  vier  Perioden:  eine 
byzantinische  bis  1191,  eine  mit  romanischem 
Einschlag  1191—1280,  eine  Erneuerung  des 
byzantinischen  Einflusses  1280—1360  und  eine 
nationaler  Art  1360 — 1450.  Hie  fremden  archi- 
tektonischen Einflüsse,  einerseits  aus  dem  by- 
zantinischen Eeich,  andererseits  aus  Dalmatien, 
lassen  sich  im  Detail  klar  verfolgen. 

In  der  byzantinischen  Kunst  gab  es  zuerst 
seit  dem  Ende  des  9.  und  wieder  seit  dem 
12.  Jahrhundert  eine  Eenaissance,  nach  Konda- 
kov ein  neues  goldenes  Zeitalter.  Im  Plan  der 
Kirche  verschwindet  die  Basilika;  auch  das 
Oktogon  und  der  Trikonchos  werden  selten. 
Herrschend  bleibt  seit  dem  10.  Jahrhundert  die 
Form  des  griechischen  Kreuzes  mit  bleige- 
deckter Kuppel.  Ein  neues  Element  ist  seit  dem 
11.  Jahrhundert  die  glänzende  Dekoration  der 
Außen.seite,  die  Polychromie  der  Fassade,  her- 
gestellt durch  wechselnde  Lagen  von  Stein  und 
färbigen  Ziegeln  in  Reihen  oder  in  geometri- 
schen Figuren,  Zacken,  Ehomben,  Kreuzen,  Mä- 
andern usw.,  nicht  selten  wie  ein  bunter  Teppich 
stilisiert  und  auch  von  den  Serben  trefflich 
nachgeahmt.  Das  Innere  der  Kirche,  im  Hinter- 
grund abgeschlossen  von  der  vergoldeten  Ikono- 
stasis,  welche  den  Altar  verdeckt,  wurde  nach 
dem  Rückgang  der  alten  Mosaik  vom  Boden  bis 
zur  Kuppel  ganz  geschmückt  mit  Fresken.  Der 
Fußboden  war  meist  aus  farbigen  Steinen  in 
verschiedenen   Figuren    zusammengestellt.^) 

Es  war  nicht  der  unmittelbare  Einfluß  von 
Konstantinopel,  welcher  das  geistige  Leben  des 
Westens    der    Halbinsel    beeinflußte,     sondern 


nähere  Muster  in  den  Provinzen  von  Byzanz. 
Seit  dem  11.  Jahrhundert  waren  es  besonders 
die  Klöster  des  Athos,  die  selbst  spätmittel- 
alterlich sind.  Ein  älteres  Zentrum  war  Thes- 
salonich mit  seinen  prachtvollen  Kirchenbauten 
aus  dem  6. — 14.  Jahrhundert,  vor  allem  mit  der 
alten  Kirche  des  hl.  Demetrios,  einer  Basilika 
mit  fünf  Schiffen,  der  Rundkirehe  des  hl.  Georg 
und  der  von  außen  mit  wundervollen  Ornamen- 
ten aus  färbigen  Ziegeln  gezierten  Apostelkirche. 
Im  Innern  Makedoniens  haben  die  Kirchen  von 
Ochrid  und  Prespa  aus  der  Zeit  des  Zaren 
Samuel  noch  die  alte  Basilikenform,  die  jünge- 
ren, wie  die  Klemenskirche  von  Ochrid  (1295), 
die  Kreuzesform  mit  Kuppel.-)  Ein  schönes 
Denkmal  der  Komnenenzeit  (1164)  ist  die  Ruine 
der  St.  Panteleimonskirche  in  dem  jetzt  von 
mohammedanischen  Albanesen  bewohnten  Dorf 
N^erezi  bei  Skopje,  mit  fünf  Kuppeln  und  Resten 
von  Fresken  des  12.  Jahrhunderts.^)  Die  Ruine 
der  Muttergotteskirche  von  Matejic  auf  den 
Höhen  der  Crna  Gora  westlich  von  Kumanovo, 
mit  griechischen  Inschriften  aus  der  Zeit  des 
Kaisers  Isaak  Komnenos  (1057 — 1059)  ist  nach 
Evans  ,eines  der  edelsten  Monumente  von 
Ostrom  in  diesen  Landschaften'.'*) 

Die  Städte  Dalmatiens  haben  große  Bauten 
verschiedener  Perioden  aufzuweisen.  Sie  be- 
ginnen mit  dem  in  den  Räumen  einer  römischen 
Kaiserresidenz,  des  Palastes  Diokletians  ein- 
gerichteten Dom  von  Spalato  und  mit  den  von 
den  Mustern  von  Ravenna  und  der  Langobarden- 
zeit Italiens  beeinflußten  Bauwerken  des  frühe- 
ren Mittelalters  und  reichen  bis  zu  den  prächti- 
gen romanischen  und  gotischen  Kathedralen 
der  späteren  Jahrhunderte.  Die  Kirchen  von 
Arbe,  Zara,  Trau,  Spalato  usw.  sind  ein  Denk- 
mal des  wachsenden  Reichtums  dieser  Ge- 
meinden.'^) Neben  einheimischen  Meistern  wer- 
den   urkundlich    zahlreiche    Italiener    genannt. 


')  Diehl,  Manuel  365  f. 

«)  Miljukov,  Izvr.fltija  russ.  arcli.  inst.  4,   1  (189'.>)   139  f. 

»)  Kvans,  Illyricum  III— IV  (Archaeolo<;ia  vol.  49)  95—97.  Miljukov  a.  a.  O.  136  und  Tafel  Nr.  ö.  Kondakov,  Ma- 
kedonia  174.  Nerezi  war  um  1300  Besitz  des  St.  Georgsklosters  von  Skopje,  zugleich  mit  dem  Dorf  Voduo,  mit  dem  Kloster 
der  Mutter  Gottes  ,Eleusa' ,  dem  hl.  Theodor  und  dem  hl.  Panteleimon ;  Novakovii,  Zakonski  Spoinenici  613,  615, 
Nr.  XXVIII,  XXXV. 

■•)  ,One  of  the  neblest  monuments  of  Eastein  Korne  in  this  region,  far  advanced  on  the  road  to  total  ruin'.  Evans 
a.  a.  O.  154—156. 

')  11.  Eitelherger  von  Edelberg,  Die  mittelalterlichen  Kunstdenkmale  Dalmatiens  iu  Arbe.  Zara,  Nona,  Sebenico, 
Trau,  Spalato  und  Kagusa,  Wien  1884,  mit  11.')  Illustrationen  und  26  Tafeln  (Gesammelte  kunsthistorische  Schriften 
Bd.  4).  F.  G.  .Jackson,  Dalm.itia,  the  (iuarnoro  and  Istria,  Oxford  1887,  3  Bde.  G.  T.  Rivoira,  Le  origini  del'  architettura 
lombarda  e  delle  sue  principali  derivazioni  nei  paesi  d'oltre  Alpi,  vol.  I,  Rom  1901,  371  pp.  gr.-4°;  vgl.  die  Besprechung 
von  E.  Bulic,  BuUettino  di  archeologia  e  storia  dalmata  28  (1905)  98—109.  Dr.  L.  .lelii',  Contributo  alla  storia  d'arte  in 
Dalmazia,  Supplement  /.um  BuUettino  35  (1912),  118  S.  über  die  neuere  Literatur. 


Staat  und  Gesellschaft  im  mittelalterlichen  Serbien  III. 


Im  Süden  sind  die  alten  Kirchen  von  Skutari, 
Dulcigno  und  Antivari  heute  in  ihren  Ruinen 
kaum  kenntlich.  In  Cattaro  war  die  Kathedrale 
des  hl.  Tryphon  in  der  Zeit  des  Kaisers  Konstan- 
tin Porphyrogennetos  (um  950)  eine  Rundkirche. 
Der  jetzige  dreischiffige  romanische  Dom  wurde 
im  11.  und  12.  Jahrhundert  aufgeführt,  1166 
seine  drei  Altäre  eingeweiht.  Aber  noch  um 
1330  werden  in  dem  ältesten  erhaltenen  Notarial- 
buch der  Stadt  zwei  ,officiales  supra  laborerio 
ecclesie  S.  Triphonis'  erwähnt,  welche  mit 
einem  Magister  Johannes  de  la  Vechia  (oder 
Vetula)  und  dessen  Sohn  einen  Vertrag  schlös- 
sen, vor  allem  zur  Herstellung  eines  Bleidaches 
der  beiden  Glockentürme  (campanaria).  Die 
Kirche  ist  später  nach  den  Erdstößen  des 
16. — 17.  Jahrhundei-ts  zu  wiederholten  Malen 
restauriert  worden.  In  Cattaro  steht  außerdem 
die  1195  erbaute' kleine  St.  Lukaskirche  und  die 
1221  eingeweihte  S.  Maria  de  Flumine  (La 
CoUegiata),  ein  schönes  Bauwerk  romanischen 
Stiles.^)  In  Ragusa  sind  die  monumentalen 
Kirchen  des  Mittelalters  nach  dem  Erdbeben 
1667  alle  durch  moderne  Neubauten  ersetzt 
worden.  Eine  einzige  ältere  Kirche  steht  heute 
als  Ruine  ohne  Dach,  die  von  Kaiser  Konstantin 
Porphyrogennetos  erwähnte  älteste  Kathedrale 
des  hl.  Stephan;  der  kleine  Bau  wurde  noch 
1324:  von  Michael  von  Bologna  mit  30  neuen 
Figuren  ausgemalt.-)  Viele  Generationen  haben 
im  12. — 14.  Jahrhundert  an  der  großen  neuen 
Domkirche  S.  Mariae  Maioris  gearbeitet.  An 
der  Spitze  der  dabei  liesehäftigten  Magistri 
stand  ein  mit  verschiedenen,  auch  in  das  Statut 
1272  aufgenommenen  Privilegien  ausgestatteter 
Protomagister,  welcher  auch  Privatleuten  bei 
ihren  Bauten  Ratschläge  erteilen  durfte.  Einer 
der  ersten  soll  nach  der  Chronik  des  Gondola 
aus  Bari  in  Apulien  berufen  worden  sein.  Ur- 
kundlich genannt  werden  Protomagister  Eusta- 
sius,  Sohn  des  Protomagisters  Bernardus  (1199), 
Protomagister  Pasqua,  Sohn  des  Protomagisters 
Petrus  (um  1255—1261)^)  und  Protomagister 
Corvus  aus  Venedig  (um  1326—1336).    Philip- 


pus  de  Diversis  aus  Lucca  (1440)  schildert  den 
Dom  von  Ragusa  als  ein  herrliches  Gebäude 
aus  Quadern,  gepflastert  mit  Steinen  von  ver- 
schiedener Farbe  und  durch  gemalte  Glas- 
fenster vom  Tageslicht  erhellt.  Die  durch 
Reihen  großer,  starker  Säulen  getrennten 
Seitenschiffe  waren  dem  weiblichen  Geschlechte 
angewiesen.  Von  außen  umgab  die  ganze  Kirche 
ein  mit  einem  Bleidach  gedeckter  Säulengang.'*) 
Davon  ist  heute  nichts  mehr  zu  sehen,  denn  an 
derselben  Stelle  wurde  nach  1667  ein  großer 
Neubau  aufgeführt.  Hinter  der  Apsis  stand 
auf  einem  kleinen  Platze  ein  achteckiges  Bap- 
tisterium,  ,S.  Johannes  Baptista  de  Campanili', 
welches  das  Erdbeben  1667  glücklich  über- 
standen hat,  aber  leider  durch  den  LTnverstand 
des  19.  Jahrhunderts  bis  auf  die  Grundfesten 
weggeräumt  wurde.  Von  der  nahen  Kirche  des 
heiligen  Petrus  de  Castello  sagt  Philippus  de 
Diversis,  sie  sei  in  Kreuzform  ,ad  morem  anti- 
quorum  fidelium  Graecorum'  erbaut  gewesen; 
1497  mußte  sie  der  neuen,  seitdem  auch  wieder 
verschwundenen  Apostelkirche  Platz  machen. 
Die  1347  gestiftete  St.  Blasiuskirche  bauten 
zahlreiche  Protomagister.  Es  waren  1347 — 1393 
nacheinander:  Angelus  filius  Laurentii  petrarii, 
seit  1376  ein  Slave  Michael  Petrojevic,  1381  der 
Südfranzose  Magister  Johannes  de  Vienna,  1383 
Leonardus  quondam  Stephani  aus  Florenz,  der 
auch  den  Kreuzgang  der  Franziskaner  baute, 
1388  Johannes  von  Siena,  zuletzt  Johannes  von 
Pistoja.  Italiener  waren  auch  Magister  Nico- 
laus von  Padua,  der  1349  die  Andreaskirche 
restaurierte,  und  Magister  Cecchus  aus  Mono- 
poli  in  Apulien,  der  1387  das  Campanile  des 
Dominikanerklosters  in  Angriff  nahm.  Dalma- 
tinische Steinmetze  aus  Gravosa,  Curzola  oder 
Antivari  bauten  in  derselben  Zeit  die  Privat- 
häuser der  Stadt  sowie  kleine  Kirchen  des 
Territoriums  von  Ragusa. 

In  Serbien  werden  ausdrücklich  sowohl 
griechische  als  dalmatinische  Baumeister  ge- 
nannt; es  fehlte  aber  daneben  nicht  an  ser- 
bischen Architekten.    IMan   unterschied,  wie  in 


')  über  die  alten  Kirchen  von  Cattiiro  G.  von  Stratimirovic  im  Si)omcnik  der  serb.  Akademie  28,  S.  20  f.  luui  .Iflir 
a.  a.  O.  105. 

^)  Am  20.  September  1324  verpflichtet  sich  Jlagister  Michael  pintor  (.sie)  de  Bononia  dem  Marchus  de  Lncaro  um 
tiO  Perper  zu  malen  ,cappellam  S.  Stephani  usciuo  XXX  li^uris  de  talibus  coloribus,  sicut  sunt  ille  S.  Mario',  IHversa  Notarie 
1:524  Arch.  Rao-.     Seit   1318   arbeitete  derselbe  Meister  an  der  Vollendung   der  Fresken  der  Domkircho   S.  Mariae  Maioris 

»)    Urk.   119;»,   1255,   12ül   Smiciklas,  Codex  dipl.  2,  320—321;  4,  611;  ö,  193. 

*)  Philippi  de  Diversis  de  Quartigianis  Lucensis,  artium  doctoris  e.ximii  et  oratoris,  Situs  aediticiorum,  politiao  et 
laudabilium  consuetudinum  inclytae  civitatis  Ragusii,  ed.  V.  Brunelli,  Zara  1882,  p.  29—30,  36  (S.-A.  aus  den  Gymn.-Progr. 
von  Zara   1880—1882). 


II.  ABIIA^•l)Ll-^-G:  Coxstaxtin  Jikecek. 


Dalmatien,  majstori  und  deren  Oberhaupt,  den 
protomajstor.  Vom  Erzbischof  Sava  wird  aus- 
drücklich   berichtet,    daß    er   zu    dem    Bau    des 
Klosters    Zica     Maurer,    Marmorarbeiter    und 
Maler  aus  Koustantinopel  und  den  griechischen 
Liindorn    mitgebraclit    habe.^)     Abendländische 
Einflüsse  sind  in  dieser   Periode  auch  im  by- 
zantinischen Eeiohe  bemerkbar,  nach   Diehl  in 
Trapezunt     an    den    Skulpturen    der    Sophien- 
kirche,  in    Griechenland    an    den    Kirchen   von 
Dai)hne,    Athen    und    Mistra,    ebenso    in    den 
Palästen    von    Mistra.")      Dalmatinische    Bau- 
meister werden  in  Serbien  urkundlich  erwähnt. 
Der  Edelmann  Obrad  Vojihnic  nahm  1326  zum 
Bau  einer  Kirche,  die  er  in  Trebinje  stiftete, 
zuerst    einen    Ragusaner    auf,    den    Steinmetz 
(petrer)    Vlachus,   Sohn   des   Kalenda,    auf   ein 
,lalir  oder  mehr,  um  40  Perper  jährlich  nebst 
Kost  und  Eeisegeld,  dann  den  Zaratiner  Lipsa, 
Sohn  des  Prvoslav,  auf  ein  Jahr  um  45  Perper.^) 
Eine  serbische  Inschrift  vom  Jahre  1334 — 1335 
im   Kloster  vom  Decani  nennt  als  Baumeister 
des    großen    Gotteshauses    einen    Franziskaner 
oder  vielleicht  nur  Tertiarier,  Mitglied  des  welt- 
lichen   .dritten    Ordens'*)    aus    Cattaro:    ,Frad 
Vita,    der    kleine    Bruder    (mali    brat),    Proto- 
majstor aus  Gattaro,  der  Stadt  des  Königs,  hat 
diese   Kirche   des   hl.    Pandokrator    dem   Herrn 
König  Stephan  Uros  III.  und  dessen  Sohn,  dem 
erlauchten  und  überaus  großen  und  beridimten 
Herrn   König  Stephan   erbaut,   in   acht   Jahren, 
und  vollendet  wurde  sie  im  Jahre  6843.'^)    Auch 
Camblak  weiß  von  den    ,Leitern  des  Baues  aus 
den    Küstenstädten'.")     Aus    den    Stiftungsur- 
kunden   des   Klosters   von   Decani   kennen  wir 
die  serbischen  Architekten.    Es  war  der  Proto- 
majstor Georg   mit   seinen   Brüdern   Dobroslav 
und    Nikola,   welche   schon   zahlreiche   Kirchen 
im  Lande  der   Serben  gebaut  und  geschmückt 


hatten,    vielleicht    auch    die   von    Banjska    und 
GraPanica.    Sie  erbauten  in  Decani  den  großen 
Turm,   die   Trapezaria    (das   Refektorium),   die 
Ringmauer  und  arbeiteten  auch  an  der  Kirche 
mit.    Schon  von  König  Uros  IL  Milutin  hatten 
sie  das  Dorf  Manastiric  als  erblichen  Besitz  er- 
halten.    König   Uros   III.    schenkte    ihnen    das 
Dorf  Viahin  ja  und  ein  Haus  bei  Decani.    Sie 
wurden  freiwillig  Untertanen  dieses  Klosters.'') 
Die  Terminologie  ist   aus  den   Denkmälern 
wohlbekannt.    Die  Kirche   (hram,  crkva),  deren 
Mauern   (stjena)   aus  verschiedenfarbigen  Qua- 
dern oder  aus  wechselnden  Lagen  von  Bruch- 
und   Backsteinen   aufgeführt  waren,  hatte   eine 
mit  Blei  gedeckte  Kuppel,  gestützt  auf  Säulen 
(stlbp)  mit  Kapitalen  (nadstblpije),  Wölbungen 
(kamara)  und  Zwischenmauern  (j^regrada).  Den 
Fußboden     (patos,    griechisch  o  ::a-cc)     bildeten 
färbige  Steine  in  kunstvoller  Gruppierung.  By- 
zantinischen Ursprunges  war  der  Narthex,  die 
große  geschlossene  Vorhalle  mit  Fenstern,   oft 
ein   neuerer   Zubau.     Manchmal   befanden   sich 
zwei    solche   Vorräume    hintereinander     (v^pfir,; 
und     £^(i)vapfJr,5).       Serbisch    hießen    diese   Vor- 
hallen priprata,  praprata,  paprt    (wohl  aus 
TOpi-ÄToc),  selten  mit  dem  in  Rußland  üblichen 
Ausdruck  pritvor.®)    In  den  Athosklöstern  ist 
der    Narthex   mitunter    größer    als    die    Kirche 
selbst;   in  den  byzantinischen  Kirchen  gibt  es 
auch  Vorhallen  auf  beiden  Seiten  oder  von  drei 
Seiten,  wie  bei  der  Apostelkirche  von   Thessa- 
lonich.  Der  Narthex  hatte,  wie  aus  den  Typika 
zu   sehen   ist,     seine   Bedeutung   bei    dem   viel- 
gestaltigen   Klostergottesdienst,    für    die    Pro- 
zessionen und  die  Taufzeremonieu.®)     In   Gra- 
canica  ist  im  Innern   der   Kirche  eine   kleine 
Gallerie    auf    zwei    Pfeilern    angebracht,    auf 
welche  Treppen  hinaufführen;    die  große  Vor- 
halle mit  niedriger  Kuppel  ist  dort  erst  1570 


')  Theodosij  bei  Pavlovic,  Doma^i  izvori  za  srpsku  istoriju  (Bel|jrad  1877)  83.  107  (zbdbc  i  mramoniik ;  iiiramorniki 
i  pisustih). 

")  Diehl  a.  a.  O.  720. 

')  Verträge  vom  20.  April  und  30.  .Juni  1326:  .Vlaclms  tilius  Kaiende  petrer  facit  manifestum,  quod  posuit  se  et 
opera  sua  cum  Obrat  Voychinich  de  Tribina'  zum  ,opus  ecclesie  dicti  Obrat',  ebenso  , Lipsa  filius  Pervoslavi  de  Jadra'  bei 
denjselben    ,Obrat  Voyi'binidi    de  Tribigna',    ,ad    faciendum  unam   ecclesiam'.     Diversa  Cancellariae  im  Archiv    von   Ragusa. 

*)  ^'S^-  J'^'''^  Micheln  Porcello,  il  (juale  era  chianiato  Fra  Michele,  non  perche  fosse  frate,  ma  era  di  quelli  che  hanno 
il   terzo  ordine    di  Santo  Francesco,    e    avea    moglie'.     Sacchetti,   Novella  Nr.  86,   ed.  Ottavio  G\g\\  (Fircnze  1860)   1,  212. 

')  Mon.  serb.  109.    Jastrebov,  Spomenik  41,  S.  21.     Stojanovid,  Zapisi  1,  Nr.  63. 

°)  ,0t  pomorskyh  gradov  nacelniky  zdanija',  Glasnik  11,  69. 

')  Urk.  von  Dec.ani  (Glasnik,  II.  Serie,  Dd.  12)  58—59,  128—129. 

")  Paprt  im  Typikon  von  Studenica,  pra|)rata  im  Tj-pikon  des  Erzbischofs  Nikodim:  vg-l.  Murko,  Das  Grab  als 
Tisch  (Wörter  und  Sachen,  13d.  2,  1910)  128.  Über  pritvor  als  Laube,  gedeckter  Eingang  des  slavisclien  Wohnhauses, 
besonders  bei  den  Nordslaven,  vgl.  Nioderle  a.  a.  O.  1,  716  f. 

')  über   den   Narthex    ausführlich   Diehl   a.  a.  O.  717  f.   vind   Dr.  Vlad.  Petkovi.:',    Zica  im  Starinar,  N.  S.  1    (1906)   177  f. 


Staat  tjxd  Gesellschaft  im  mittelalterlichen  Serbien  III. 


erbaut  worden. i)  Diese  Gallerie  ist  wohl  die 
Urform  der  Katechumene,  welche  in  Zica  und 
Pec  in  der  Höhe  des  Narthex  errichtet  war  und 
von  welcher  z.  B.  der  hl.  Sava  als  Erzbischof 
die  Mönche  von  Zica  beim  Gottesdienste  beauf- 
sichtigte.^) In  den  lateinischen  Kirchen  des 
Küstenlandes  ist  der  Vorraum  bei  den  romani- 
schen Bauten  sehr  verbreitet,  aber  viel  kleiner, 
eine  offene  Säulenhalle,  in  Ragusa  praeambu- 
lum,  volta  genannt,  slavisch  einst  klobuci- 
ua,^)  jetzt  podtrijemak.  Die  inneren  Wände 
der  Kirchen  waren  ganz  mit  Fresken  bemalt 
(pisati,  zografisati  von  ^ui'fpaaiu)) .  Die  Zellen 
(kelija  aus  /.s/.Aiov)  der  Mönche  befanden  sich 
in  hölzernen  oder  steinernen  Häusern,  die  an 
die  äußere  Eingmauer  (grad)  des  Klosters  an- 
gebaut waren.  In  einem  eigenen  Gebäude  war 
die  mit  Fresken  geschmückte  Speisehalle  (tra- 
pezarija)  untergebracht.  Ihierläßlich  war  ein 
bleigedeckter  Turm  (pirg  von  ™pY°?  oc^ßi'  stlbp) 
mit  den  Glocken  (zvono)  und  einer  Kapelle  im 
oberen  Stockwerk,  nach  dem  Muster  der  festen 
Türme  der  Athosklöster.'*)  Er  stand  über  dem 
Klostertor  (porta,  vrata),  wie  in  Decani,  oder 
vor  der  Kirche,  wie  der  vom  Erzbischof 
Daniel  IT.  mit  einer  Kapelle  des  hl.  Daniel  des 
Styliten  erbaute  Turm  in  Pec,  oder  über  der 
Eingangstür  des  Narthex,  wie  in  Zica.  Zwei 
Türme  (dva  stlbpa),  rechts  und  links  von  dem 
Tor  der  Kirche,  in  der  Art  wie  bei  den  Kathe- 
dralen des  Abendlandes,  hatten  nur  die  Bauten 
des  Nemanja  und  seiner  Brüder  in  Gradac 
(Cacak),  in  Bjelopolje  und  bei  Kursumlje.  Zur 
Ausschmückung  gehörten  steinerne  Skulpturen, 
Darstellungen  von  Löwen,  Vögeln,  Blattorna- 
menten usw.  Statuen  blieben  in  der  orientali- 
schen Kirche  seit  den  Zeiten  des  Kampfes  um 
die  Bilder  im  8. — 9.  Jahrhundert  streng  ver- 
pönt. Eeicli  war  die  innere  Einrichtung:  ver- 
goldete Kreuze  mit  Perlen  und  Edelsteinen,  auf 
Holz  gemalte  Heiligenbilder  (ikona)  mit  Silber- 
und Goldverkleidung,   dann  verschiedene    Kir- 


chengefäße, Leuchter,  Weihrauchfässer,  Vor- 
hänge, überdies  eine  Auswahl  geistlicher  Ge- 
wänder (riza)  und  eine  Menge  gottesdienstlicher 
Bücher.  Die  vielen  kostspieligen  Kirchenbauten 
des  Landes  bewogen  die  Einwohner,  sie  unter- 
einander und  mit  fremden  Bauwerken  zu  ver- 
gleichen. Ein  anonymer  serbischer  Annalist 
aus  der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts 
meint,  daß  die  Vorhalle  von  Pec,  der  Gold- 
schmuck von  Banjska,  der  Kirchenbau  von 
Decani,  der  Fußboden  von  Prizren  und  die 
Malerei  von  Resava  nirgends  ihresgleichen 
haben. ^) 

Von  den  einzelnen  Bauten  gehört  die  bi- 
schöÜiche  Kirche  der  hl.  Peter  und  Paul  von 
Ras  einer  älteren  Periode  an.  Die  von  Nemanja 
(noch  vor  1171)  gestiftete  Muttergotteskirche 
an  der  Toplica  bei  Kursumlje  hat  den  Eingang 
in  die  Vorhalle  zwischen  zwei  Türmen,  Mauern 
aus  Stein  und  Ziegeln  und  den  Grundriß  eines 
Trikonchos  mit  drei  Altären  und  einer  Kuppel ; 
die  Fassade  erinnert  an  die  St.  Triphonskirche 
von  Cattaro.^)  Eine  zweite  Gründung  Nemanjas 
war  das  Kloster  des  hl.  Georg  bei  Ras,  ungefähr 
eine  halbe  Stunde  nordwestlich  von  Novipazar 
auf  einer  von  weitem  sichtbaren  Anhöhe  mit 
großer  Aussicht  erbaut,  beim  Volke  bekannt  als 
die  jGeorgstürme',  Gjurgjevi  Stupovi.  Ein 
neuer  Stifter  dieses  Klosters  wurde  Stephan 
Dragutin,  der  sich  auch  hier  begraben  ließ;  noch 
1597  wird  sein  Grab  hier  erwähnt,  daneben  in 
dem  Reliquienschatz  der  Kirche  eine  Hand  des 
hl.  Johannes  von  Damaskus.')  Ein  Evangelium- 
kodex wurde  dem  ,hl.  Georg  in  Ras,  nahe  bei 
Novipazar',  noch  1656  geschenkt,  aber  in  dem 
stürmischen  Kriegsjahr  1689  wurde  das  Kloster 
von  den  Türken  zerstört  und  blieb  seitdem  ver- 
ödet.*) Die  Ruinen  werden  im  19.  Jahrhundert 
in  den  Reisebeschreibungen  von  Boue,  Hilfer- 
ding, Mackenzie  und  Irby  und  Evans  be- 
schrieben. Hilferding  (1858)  sah  hier  noch  ein 
Bild   des   Königs   Stephan   Dragutin,   mit   dem 


')  über  Gracanica  Nusii,  Kosovo  2  (Neusatz  190B)  88—46  mit  BilJ  und  Plänen.  Ausfiilirlicli  Koii(i;ikov,  Mak(s(ionia 
202  f.  mit  Plan   von  Pokryskin  und  Abbildung'en. 

-)  Daniel  244,  371. 

')  In  Ragusa  eine  Kirclie  S.  Petrus  de  Clobu(;ina,  Cons.  minus  1.  Juni  1403.  Kloburina  =  volta,  die  Arkaden  auch 
eines  Privathauses  öfters  in  den  Archivbüchern  der  Lamenta  von  Ragusa  14.30 — 1482. 

*)  Die  Glocken  für  die  Apostelkirche  von  Pe<5  hatte  Erzbischof  Daniel  II.  ini  Küsteiilande  (Prirnorjo)  bestellt;  man 
brachte  sie  von   dort  mit  großer  Mühe  über  ilas  Gebirge.     Daniel  371. 

^)  Serb.  Annalen,  Äu.sgaben   von  ftafafik,   Paniätky   61   und   Lj.  Stojanovii'-  im  Glasnik  53  (1883)  38. 

«)  Valtrovic  und  Milutinovi(f;  im  Glasnik  48  (1880)  459—460.  Petkovid  im  8tarinar  N.  S.  1  (11106)  152  Anm.  Strati- 
mirovii  im  Spomenik  28,  S.  33. 

')  Daniel  52.  Urk.  1597  Glasnik  bos.  21   (1909)  56—57. 

«)  Stojanovii,  Zapisi  Nr.  805,  1535,  1918. 


8 


II.  Abhakdu-xg:  Coxstaxtix  Jieec-eic. 


Modell  der  Kirche  in  der  Hand  und  las  zahl- 
reiche Inschriften  bei  den  alten  Porträts  des 
Nemanja,  des  Ste])lian  Uros  I.  nnd  seiner  Gattin, 
der  Königin  Helena,  des  ,Stei)han  kralj'  (Dragu- 
tin)  als  neuen  ,ktitor'  und  seiner  Gemahlin  Ka- 
tharina (Katelina,  dbsti  velikago  kralja  ugrska- 
go  Stefana),  ebenso  des  Stephan  Uros  11.^) 
Ippen  fand  von  der  Kirche  nur  das  Querschiff 
mit  der  Kuppel  erhalten;  die  Ruine  war  von  den 
Türken  zu  einer  Batterie  hergerichtet,  wobei 
eine  Menge  Steine  des  alten  Baues  zur  Her- 
stellung einer  Umfasungsmauer  weggenommen 
worden  war.^)  Die  neuesten  Schicksale  der 
Ruine  schildert  Ljubomir  Stojanovic,  der  am 
letzten  Feldzug  gegen  die  Türken  im  Stab  der 
Ibararmee  teilgenommen  hat,  in  einem  Brief 
an  mich  vom  9.  (22.)  November  1012.  Die  Tür- 
ken hatten  die  Ruine  zu  einem  strategischen 
Punkt  ersten  Ranges  eingerichtet  und  mit 
Artillerie  gut  ausgerüstet,  welche  dem  Vor- 
marsch der  Serben  sehr  hinderlich  war.  Die 
Serben  mußten  die  alte  Stiftung  Nemanjas  mit 
Granaten  und  Shrapnells  beschießen,  wodurch 
der  Bau  stark  gelitten  hat.  Im  Innern  fand  man 
nach  der  Eroberung  Reste  einer  sehr  schönen 
jVIalerei,  aber  von  den  Inschriften  nur  mehr 
ein  Fragment  mit  den  Namen  des  ,svety  Simeon 
Nemanja'.  Nemanjas  größte  Stiftung,  die 
Kirche  des  Klosters  Studenica,  hat  durch  ihren 
einfachen  Grundriß,  die  Bescheidenheit  der 
Ausführimg  und  den  Glanz  des  weißen  Marmors 
auf  alle  Besucher  einen  tiefen  Eindruck  ge- 
macht. Kanitz  schreibt,  es  sei  ,das  lehrreichste 
Beispiel  occidentalischer  Einwirkung  auf  die 
altserbische  Kirchenbaukunst,  ein  Bau  von 
edler  organischer  Anlage  und  reizvoller  Durch- 
bildung'.^) Kondakov  meint,  in  der  Architektvir 
erscheine  Studenica  als  ein  Denkmal  des  lango- 
bardischen  Stiles  von  Dalmatien,  die  Malerei 
sei  aber  von  rein  byzantinischem  Charakter.'') 
Die  Kirche  von  Zica,  aus  wechselnden  Lagen 
von  Tuff  und  Ziegeln  in  Kreuzesform  solid 
erbaut,    mit    zwei    Seitenkapellen,    erinnert    in 


manchen  Details  an  die  Klosterkirche  von  Laura 
auf  dem  Athos.  Aus  schlechterem  Material  auf- 
geführt ist  ihre  große  Vorhalle,  mit  einem  zwei 
Stockwerke  hohen  Turm  über  dem  Eingang.  In 
den  Fenstern  dieses  Narthex  ist  ein  gotischer 
Sjjitzbogen  auffällig,  während  an  den  Fen- 
stern des  Turmes  romanische  Elemente  be- 
merkbar sind.^)  Die  Klosterkirche  von  Mileseva 
ist  laug  und  eng,  mit  zwei  Vorhallen,  wie  Chi- 
landar,  und  zwei  Kuppeln.")  Die  1252  erbaute 
Klosterkirche  von  Moraca  im  Osten  von  Monte- 
negro, in  einem  Waldtal  über  einem  20  Meter 
hohen  Wasserfall  gelegen,  ist  in  Kreuzesform 
angelegt,  jetzt  überragt  von  einer  kegelförmi- 
gen, an  armenische  und  georgische  Kirchen 
mahnenden  Kujjpel  aus  neueren  Zeiten.  Das 
Portal  ist  nach  der  Abbildimg  bei  Rovinskij 
romanisch,  mit  Pfeilerbündeln  beiderseits  und 
einem  Rundbogen.  Die  j^rimitiven  alten  Skul- 
pturen aiif  dem  Fries,  rechts  eine  gekrönte 
Mutter  Gottes  mit  Kind  über  einem  Drachen, 
links  ein  Mann  mit  Krone  auf  dem  Haupt, 
sind  nur  aus  den  kurzen  Notizen  des  Rovinskij 
bekannt.") 

Ein  ganzer  Komplex  von  kleinen  Kirchen 
umgibt  die  mit  ihren  Fresken,  Grabsteinen  und 
anderen  Denkmälern  bisher  archäologisch  nicht 
untersuchte  große  dreischiffige,  mit  Blei  ge- 
deckte Patriarchialkirche  der  hl.  Apostel  in  Pec 
(Ipek).  Drei  dieser  kleinen  Kirchen  standen 
schon  im  14.  Jahrhundert:  die  St.  Demetrius- 
kirche  und  die  zwei  vom  Erzbischof  Daniel  IL 
erbauten  Kirchen,  die  kleinere  des  hl.  Nikolaus 
und  die  größere  der  Mutter  Gottes  (der  'Oä-(;Yr|-pia 
von  Konstantinopel),  die  letztere  mit  zwei 
Seitenkapellen  des  hl.  Johannes  und  des  heiligen 
Arsenij,  des  zweiten  Erzbischof  es  von  Serbien. 
In  diesem  Bau  befindet  sich  heute  noch  Daniels 
Grab.  Erzbischof  Daniel  IL  hat  überdies  eine 
mit  Fresken  geschmückte  Vorhalle  erbaut,  zwi- 
schen der  Apostelkirche,  der  Demetri.iiskirche 
und  der  Nikolauskirche;  eine  neue  Vorhalle  mit 
Fresken  stammt  aus  der  Zeit  des  Patriarchen 


')  Hilferding,  Bosnia,  Hercegovina  i  Staraja  Serbia  (Petersburg  1859)  138.  Die  Inschriften  auch  bei  Stojanovid,  Za- 
pisi  Nr.  :)058,  5059,  5079,  5082,  5083,  5087,  5089,  5090. 

')  (Ippen)  Novlbazar  und  Kossovo,  Wien   1892,  127. 

')   Kanitz,  Serbion   (Leipzig   1868)     79. 

*)  Kondakov,  Makedonia  05 

')  Dr.  Petkovic,  Zica  a.  a.  O. 

•)  Nach  der  Beschreibung  des  Areliimandriten  Kikifor  Ducid,  Mileseva  im  Kalendar  Srbobran  1900,  88 — 92  (Bild 
S.  133.) 

')  Rovinskij,  Sbornik  der  russ.  Akademie  Bd  86  (1909)  92  —  110  mit  Plänen  und  Bildern.  Das  Portal  ist  S.  108  ab- 
gebildet und  S.  107  beschrieben. 


Staat  und  Gesellschaft  im  mittelalterlichex  Sebbien  III. 


Makarij  von  1562. i)  Die  Kirche  der  Königin 
Helena,  Witwe  des  Königs  Stephan  Uros  I.,  in 
Gradac  bei  Easka  ist  eine  malerische  Euine  in 
der  Form  eines  griechischen  Kreuzes  mit  doppel- 
tem Querbalken,  an  deren  Fenstern  und  Türen 
man  neben  byzantinischen  auch  romanische  und 
gotische  Elemente  gefunden  hat.  Altertümlich 
ist  auch  die  Bischofskirche  von  Arilje,  dem 
hl.  Achilleus  von  Larissa  geweiht,  mit  dem 
Bilde  des  Königs  Stephan  Dragutin.  Ein  streng 
byzantinischer  Kuppelbau  ist  die  kleine,  von 
König  Stephan  Uros  IL  Milutin  1314  errichtete 
Kirche  der  Heiligen  Joachim  und  Anna  im 
Kloster  Studenica.  Von  demselben  Herrscher 
und  seiner  jungen  Gattin  Simonida  Palaiolo- 
gina  ist  erbaut  die  prächtige  Klosterkirche  von 
Gracanica  in  Kreuzesform  mit  fünf  Kuppeln  und 
drei  Apsiden,  mit  gut  erhaltenen  Fresken  dieser 
Zeit ;  darunter  befinden  sich  auch  die  Porträts  der 
Stifter.  Kondakov  spendet  dieser  Kirche  das 
größte  Lob  und  meint,  in  Serbien  sei  ihr  keine 
zweite  gleich;  er  rühmt  die  glänzende  Anlage 
des  Baues,  der  allerdings  durch  einige  spätere 
Zutaten  verdorben  sei,  die  wunderbare  Zu- 
sammenstellung von  Stein  und  Ziegel  und  die 
schöne  Ornamentik  der  lumten  Ziegelreihen  in 
den  Fensterarkaden.^)  Ein  vorzüglich  ausge- 
schmückter Bau  mit  fünf  Kuppeln  aus  der  Zeit 
der  größten  Blüte  der  altserbischen  Architektur 
ist  nach  Kondakov  die  Kirche  des  hl.  Georg  im 
Kloster  von  Nagoricino,  gleichfalls  aus  der  Zeit 
des  Königs  Uros  IL  (1313),  vollständig  mit 
Fresken  ausgemalt.^)  Die  Kirche  des  Klosters 
Banjska,  gleichfalls  unter  Uros  IL  nach  dem 
Muster  von  Studenica  vom  Grund  aus  neu  ge- 
baut, jetzt  eine  klägliche  Euine,  war  angelegt 
in  Kreuzesform  mit  einer  Kuppel,  zwei  Seiten- 
kapellen und  einer  Vorhalle,  von  außen  ver- 
kleidet mit  wechselnden  Lagen  weißer,  roter 
und  l)lauer  Steine,  im  Innern  bis  zum  Marrnor- 
boden  herab  bedeckt  mit  Malerei  und  reichem 
Goldschmuck.*) 


Die  Stiftung  des  Königs  Stephan  Uros  IL, 
das  Kloster  Deeani,  bezeichnet  Evans  als  ,den 
edelsten  Kirchenbau  im  Innern  der  Halbinsel' 
und  als  ein  Kompromiß  zwischen  italienischem 
und  byzantinischem  Stil,  erbaut  aus  einer  Art 
Marmor  mit  roten  Adern  aus  denselben  Stein- 
brüchen in  den  Schluchten  des  östlichen  Sar- 
gebirges, welche  auch  das  Baumaterial  für  die 
Eömerstadt  Ulpiana  (jetzt  Lipljan)  geliefert 
haben.  Die  Schilderungen  des  Daniel  ixnd  Cam- 
blak sind  voll  des  Lobes  der  herrlichen  Lage 
dieses  noch  unlängst  so  unzugänglichen  Klosters. 
Die  Kirche,  nach  M.  Milovanovic  80  Fuß  lang 
und  74  breit,  ist  in  Kreuzesform  angelegt,  mit 
fünf  Apsiden  und  zwei  Seitenkapellen  des 
hl.  Nikolaus  und  hl.  Demetrius,  überragt  von 
einer  hohen,  von  vier  Säulen  getragenen,  mit 
Blei  gedeckten  Kuppel;  die  Mauern  bestehen, 
^'on  außen  gesehen,  aus  horizontalen  Lagen 
roter,  blauer  und  weißer  Marmorsteine.  Das 
runde  Fenster  über  der  Mitte  des  Altars  öffnet 
sich  zwischen  zwei  achteckigen  Säulen  mit 
gotischen  Kapitalen,  welche  sich  auf  den 
Eücken  zweier  männlicher  Figuren  stützen. 
Aus  dem  Mund  eines  menschlichen  Kopfes  über 
dem  Fenster  wachsen  Weinreben  heraus,  welche 
das  Fenster  von  rechts  und  links  umschlingen; 
zwischen  dem  Weinlaub  dieser  Skulptur  sind 
Vögel  und  verschiedene  phantastische  Tiere  zu 
sehen.  Kunstvoll  sind  die  Marmorsäulen  bei 
den  drei  Toren  der  Kirche,  viereckig,  achteckig, 
rund,  teilweise  von  Weinranken  umschlungen, 
mit  korinthischen  Kapitalen;  darüber  stehen 
Löwen,  über  einer  ein  Adler,  über  einer  anderen 
ein  menschlicher  Kopf.  Die  Decke  des  Narthex 
vor  dem  Eingang,  40  Fuß  lang  und  50  breit, 
tragen  vier  schlanke,  achteckige  Marmorsäulen; 
ihre  Basis  bilden  Ornamente  mit  Köpfen  von 
Löwen,  Wölfen,  Hunden  und  Schafen,  während 
über  den  Kapitalen  wieder  Löwen  und  Adler 
sichtbar  sind.  Das  Innere  der  Kirche,  hell  er- 
leuchtet  durch   Doppelfenster   mit   Eundbogen, 


■)  Daniel  ed.  Danicii  .S6S  — 371.  Neuere  Besclireiliun<jen:  Hilferding,  Bosnien,  Herco<rovina  und  Altserbien  (russ. 
Petersburg  1859)  171  f.;  Pop  Milos  Velimirovic,  Godiinjica  18  (1898)  118  f.,  1-45  f.;  eine  Photographie  bei  einer  Abh.  im 
M.  Uimitrijevid,  Revue  slave  1  (Paris  1906)  40.  Ein  Bericht  des  Malers  M.  Milovanovid  im  Godisnjak  der  serb.  Akademie 
23  (1909)  240  f.:  die  Fresken  der  Hauptkirche  (jetzt  sveti  8pas  genannt,  die  Heilandskirche)  sind  aus  dem  13.,  der  Mutter- 
gotteskirche und  der  Demetrioskirehe  aus  dem  14.  Jahrhundert.  A.  Basmakov,  Cerez  Cernogorijn  v  stranu  dikich  Gegov 
(Durch  Montenegro  in  das  Land  der  wilden  Gegen),  russ.,  Petersburg   1913,  58 — 07,  mit  Photographien. 

-)  Kondakov,  Makedonia  202—210.     Über  die  Malerei  M.  Milovanovid  im  Godisnjak  23  (1907)  238. 

')  Kondakov,  Makedonia  195—199.  Die  Inschriften  besser  bei  Jagic  im  Arch.  slav.  Phil.  31  (1910)  300—305,  mit 
zwei  Ansichten  nach  Photographien  von  Baron  P.  Salis-Soglio.  Bei  Daniel  138,  181,  189  in  adjektivischer  Form:  sveti 
Georgy  Nagoricbskij.     Die  alte  Form  lautete  Nagoricino;  vgl.  Ejecnik  der  südslav.  Akademie  unter  diesem  Namen. 

*)  Daniel  150  f.  Serb.  Annalen,  Ausg.  von  Lj.  Stojanovic'-,  Glasnik  53,  7  —  8.  Novakovii',  Manastir  Banjska,  Glas  32 
(1892)   mit  Plan. 

Denkschriften  der  phil.-hist.  Kl.  .'is   Hü.  2,  Abli.  2 


10 


TT.  AnHAxnT,r^-G:  Co^-sTA^•TIx  Jieecek. 


die  in  der  Mitte  durch  eiue  ornamentierte  Säule 
geteilt  sind,  ist  ganz  ausgemalt  mit  wohlerlialte- 
nen  Fresken.  Eeelits  steht  noch  der  Thron,  auf 
dem  einst  die  I^önige  beim  Gottesdienste  saßen, 
aus  weißem  Marmor.^) 

Das  wenigste  wissen  wir  von  denKuincn  des 
Ivlosters  der  Erzengel  bei  Prizren,  der  Stiftung 
des  Stephan  Dusan,  die  in  der  Türkenzeit  am 
ärgsten  verwüstet  und  demoliert  wurde.^)  Aus 
derselben  Zeit  stammen  die  zahlreichen  schönen 
Kirchen  der  Crna  Gera  (türk.  Ivaradag),  zwi- 
schen zwei  der  damaligen  politischen  und  ökono- 
mischen ]\[ittclpunkte  gelegen,  zwischen  Skopje 
und  Novo  Brdo.  Besonders  hervorragend  ist 
dort  die  1337  von  der  Edelfrau  Danica  erbaute 
Kirche  des  hl.  Nikolaus  von  Ljuboten,  jetzt  eine 
Ruine  mit  Fresken  und  Porträts  des  Stephan 
DuSan,  seiner  Gattin  Helena  und  seines  Sohnes 
Uros.^)  Die  Eroberung  des  kulturell  höher 
stehenden  Makedoniens  stärkte  die  Vorherr- 
schaft des  byzantinischen  Einflusses  in  Serbien. 
Bauten  aus  der  letzten  Zeit  der  Nemanjiden,  der 
Garen  Stephan  und  Uros,  reichen  weit  südwärts, 
bis  in  die  Landschaften  von  Ochrid  und  Prespa, 
Prilep  und  Lesnovo,  ^Melnik  und  Serrai  (serb. 
Ser).  Hervorragend  ist  z.  B.  die  Stiftung  des 
Kesar  Gregor  (1361)  in  Zaum  am  See  von 
Ochrid,  ein  kleiner  Kuppelbau  aus  wechselnden 
Stein-  und  Ziegellagen,  mit  netzartigen  Ziegel- 
ornamenten auf  der  Fassade,  heute  eine  Euine.*) 

Groß  war  die  Anzahl  der  kleinen  Dorf- 
kirchen (crkvica),  erbaut  von  Sava  I.  und  seinen 
Nachfolgern.    Wo  die  Mittel  zu  einem  Steinbau 


nicht  ausreichten,  wurden,  wie  von  Sava  I.  und 
Daniel  II.  berichtet  wird,  hölzerne  Kirchen  er- 
richtet.^) Wo  auch  dies  nicht  möglich  war,  ließ 
Sava  wenigstens  ein  Kreuz  aufstellen.") 

Weniger  bekannt  sind  die  weltlichen  Bauten. 
Erzbischof  Guillaume  Adam  sehreibt  (1332) : 
,Die  Häuser  und  Höfe  sowohl  des  Königs  als 
der  übrigen  Adeligen  sind  aus  Pfahlwerk  und 
Holz  gebaut;  nirgends  habe  ich  dort  einen  Hof 
oder  ein  Haus  aus  Stein  oder  Ziegeln  gesehen, 
außer  in  den  lateinischen  Städten  an  der 
Küste.''')  Diese  altserbische  Holzarchitektur 
ist  heute  vergessen.  Sie  war  aber  nicht  so  vor- 
herrschend, wie  es  der  französische  Prälat 
meinte.  Schon  die  von  Niketas  Akominatos  er- 
wähnte Pfalz  des  Neman  ja  war  aus  Holz  und 
Stein  erbaut,  mit  einem  hölzernen  Palissaden- 
zaun  ringsherum;  sie  lag  wohl  im  Tal  der  To- 
plica  und  wurde  1190  von  Kaiser  Isaak  An- 
gelos niedergebrannt.*)  Die  einheimischen  Quel- 
len unterscheiden  die  festen  ,Paläste'  (polata) 
von  den  einfachen  Häusern  (kuca)  und  Hütten 
(kljet,  kljetka).")  Kantakuzenos  erzählt,  daß 
man  in  der  königlichen  Pfalz  von  Pristina 
durch  das  Tor  (■r:J/.T,)  einen  großen  Hof  (aÜAr,) 
betrat,  in  welchem  die  Gäste  vom  Pferde  ab- 
saßen; dann  folgten  äußere  und  innere  Ge- 
mächer, darunter  wohl  auch  größere  Räume  für 
die  Landtage,  Gerichtstage,  Beratungen,  Feier- 
lichkeiten und  Gastmähler.^")  Abseits  standen 
die  Stallungen  für  die  Pferde,  Räume  für  die 
Hunde  und  Jagdfalken  und  Wohnungen  für  die 
zahlreiche   Dienerschaft.     In    der   als   Inschrift 


')  Evans,  Antiquai-ian  researches  in  Illyricum  III— IV,  Gl,  67,  155  Anm.  Jastreliov,  Spoiiienik  41,  20  f.  Eine  aus- 
luhrliche  Beschreibung  von  Decani  in  dem  Reisebenclit  des  Malers  M.  Milovanovii  im  Godisnjak  der  serb.  Akademie  23 
(1909)  242—255.     Basmakov  a.  a.  O.  76—104  mit  Abbildun<^en. 

')  Der  russ.  Generalkonsul  Ivan  S.  Jastrebov  im  Spomenik  41,  S.  47.  Noch  1418  wurde  auf  Befehl  des  Igumen 
Paul  des  Erzengelklosters  oberhalb  Prizren  (vise  Prizrena)  ein  Kodex  mit  Reden  des  hl.  Grigorij  Bogoslov  kopiert,  Stojanovid, 
Zapisi    1,  Nr.  223.     Damit  hören  die  Nachricliten  auf. 

')  Evans  a,  a.  0.  84,  113.  Miljukov  a.a.O.  128—132  und  Tafel  Nr.  8.  -Stojanovii,  Zapisi  1  Nr.  66.  Kondakov,  Ma- 
kedonia  177  f.     Ein  Verzeichnis  der  Kirchen  und  Klöster  der  Crna  Gora  von  Skopje  bei  Tomi6,  Naselja  3,  .')03— 507. 

*)  .Miljukov  a.  a.  O.  83—86  und  Tafel  Nr.  9,  10. 

')  Theodosij  bei  Pavlovid  83  (crkvy  dreveny).  Daniel  376.  Eine  Holzkirclie  (drevena  crkbvh)  in  Korisa  bei  Prizren: 
Urk.  des  Prizrener  Klosters,  Glasnik  15,  274.  Eine  hölzerne  Kirche  des  hl.  Lukas  stand  im  12.  Jalirhundert  in  der  Stadt 
Sofia:  mein  Fürstentum  Bulgarien  361. 

")  Domentian  205. 

')  ,Edificia  et  palacia  tarn  regis,  iiuam  aliorum  nobilium  sunt  de  paleis  et  de  lignis.  Nunquam  vidi  ibi  aliquod 
palacium  sive  domum  de  lapide  nee  de  terra,  nisi  in  civitatibus  maritimis  Latinorum".  Guillaume  Adam  p.  478 — 479  (Re- 
cueil  des  historiens  des  eroisades.  Documents  armöniens,  t.  II.  Paris  1906).  tibersetzt  (als  Brocardus)  von  Novakovid,  Go- 
disujica  14  (1894)  31—32. 

*)  Kaiser  Isaak  Eiar)XOsv  et;  tov  oi/.ov  des  Neinauja  zal  ouveteXessv  aJtöv  z/.l  ta  ^i\x  aOrou  y.xi  toü;  ).'!0o'j5  aüxoü.  tö  ycip  nj[i.- 
tfxfo'i  nup,  ö  /.arä  Ttöv  lÄZlaz  OLxonlSiuv  ßXTjOfjvai  ÄpooET£Täj(£i;,  oü  (j.dvov  tüv  SpacfaxTuiv  Xa[iojj.£vov  Et;  /.oviv  OEpivijv  5)  xarafpaYov  aütb 
äiteXInTuvEv,  aXXä  y.a\  tou;  X(6ou;  auTou;  ouveteXeiev.  Rede  des  Niketas  an  den  Kaiser,  Recueil  des  historiens  des  eroisades, 
Hist.  grecs  2  p.  738  C. 

'-')  Kljetka  =  sta<;on,  Kauüaden  in  Kudnik  1422  Lam.  Rag. 

'")  Kantakuzenos  III  cap.  43,  4ü. 


Staat  und  Gesellschaft  ni  mittelalterlichen  Serbien  III. 


11 


erlialtenen  Urkunde  des  Königs  Stephan  Uros  II. 
für  das  Kloster  Gracanica  wird  in  dem  könig- 
liciien  Schloß  Pauni  eine  Kirche  erwähnt,  zu- 
geteilt dem  Bischof  von  Lipljan,  ein  Absteig- 
quartier für  den  Erzbischof  (arhijepiskupovo 
staniste)  und  ein  ,sokalnik',  d.  h.  ein  Haus  mit 
Küche  und  Backofen  des  Hofes.i)  Im  nahen 
Schlosse  Svrcin  befand  sich  eine  Kirche  des 
hl.  Johannes  des  Täufers.-) 

Fester  gebaut  waren  die  allerdings  oft  sehr 
engen  Behausungen  in  den  königlichen  Burgen. 
Zu  den  Euinen  des  auf  einem  steilen,  kegel- 
förmigen Felsen  erbauten  Schlosses  von  Zvecan 
am  Ufer  des  Ibar  führt  ein  mühsamer  Aufstieg 
von  der  Westseite.  Oben  sahen  Boue  und  Hilfer- 
ding innerhalb  der  Mauer  mit  runden  und  vier- 
eckigen Türmen  gut  erhaltene  Reste  der  alt- 
serbischen Gebäude.  Hilferding  fand  auf  der 
Nordseite  die  Trümmer  eines  in  zwei  Stock- 
werken aus  guten  Ziegeln  erbauten  königlichen 
Palastes,  mit  halbrunden  Fenstern  und  Türen 
und  mit  Pesten  von  Fresken  in  den  kleinen 
Räumen ;  im  Erdgeschoß  war  noch  der  Haupt- 
saal zu  erkennen.  Unmittelbar  daneben  stand 
die  Ruine  der  aus  der  Biographie  des  Nemanja 
von  König  Stephan  dem  Erstgekrönten  bekann- 
ten Georgskirche,  nach  Boue  30  Schritte  lang, 
10  breit,  mit  halbkreisförmiger  Ai:)sis  und  Spu- 
ren der  Wandgemälde.  Daneben  gab  es  zwei 
gewölbte  Zisternen.  Ippeii  schreibt:  ,fürwahr 
eine  fürstliche  Residenz,  würdig  der  Herrscher 
aus  dem  kräftigen  Geschlecht  der  Nemanjic". 
Nach  seiner  Beschreibung  bildet  den  Eingang 
von  der  Westseite  ein  Riesenportal,  gedeckt 
durch  einen  Turm.  Die  Umwallung  in  oblonger 
Gestalt  besteht  aus  einer  den  ganzen  Gipfel 
einschließenden  mächtigen  Bruchsteinmauer, 
mit  Resten  von  drei  Türmen.  Im  Innern  be- 
finden sich  die  Grundmauern  eines  langen, 
rechteckigen  Gebäudes,  wie  Ippen  meint,  viel- 
leicht eines  Vorhofes  für  Gefolge  und  Diener- 
schaft. An  der  Nordfront  stehen  die  Trümmer 
eines  großen  Gebäudes  mit  Resten  von  Wölbun- 


gen, gedeckt  durch  einen  Turm,  jedenfalls  die 
Ruine  des  eigentlichen  Palastes.  Es  gibt  keine 
Inschriften,  Skulpturen  oder  Wappen.  Prächtig 
ist  die  Rundsicht  von  diesem  Schloßberg  von 
Zvecan.  Unten  liegen  Mitrovica,  Yucitrn  und 
im  Süden  das  Amselfeld  (Pri.stina  bleibt  ver- 
borgen), im  Westen  sieht  man  das  gebirgige 
obere  Ibartal,  im  Norden  seine  untere  Fort- 
setzung, in  weiter  Ferne  die  gezackten  Kämme 
des  Rogozno  und  die  hohe,  gewaltige  Masse  des 
Kopaonik.'') 

Paläste  gab  es  auch  in  den  ehemals  byzanti- 
nischen Städten  Makedoniens.  Auf  dem  Boden 
des  einstigen  christlichen  Kaisertums  von  Kon- 
stantinopel sind  Reste  mittelalterlicher  Palast- 
baiiten  nur  an  wenigen  Orten  erhalten.  Es  ge- 
hört dazu  die  Ruine  eines  Teiles  der  Blacher- 
nen  in  Konstantinopel,  aus  dem  11. — 12.  .Tahr- 
hundert,  jetzt  Tekfur-Serai  genannt.  Ein  Ar- 
chontenhaus  in  Melnik  aus  derselben  Periode 
hat  ein  Erdgeschoß  und  zwei  Stockwerke, 
flankiert  von  einem  viereckigen  Turm.  Die 
Fassade  bilden,  wie  in  Tekfur-Serai,  geometri- 
sche Figuren  aus  weißen  Steinen  und  roten 
Ziegeln.  Im  Innern  befindet  sich  ein  großer 
Saal,  eigentlich  ein  gedeckter  Hof ;  neben  diesem 
großen  Raum  hat  jedes  Stockwerk  fünf  Zim- 
mer.'*) Ähnlich  waren  wohl  einmal  die  Herren- 
häuser von  Skopje,  Prilep,  Serrai  und  Ochrid 
eingerichtet.  Jünger  sind  die  byzantinischen 
Paläste  von  IMistra,  nahe  bei  dem  antiken 
Sparta. 

Von  den  Grundbesitzern  hatte  die  besten 
Landhäuser  die  Kirche.  Erzbischof  Daniel  IL 
(f  1337)  erbaute  in  Jelasci  einen  prächtigen 
Hof  (dvor)  mit  schönen  und  hohen  , Palästen' 
und  einer  mit  Wandmalereien  gezierten  Kirche 
des  Erzengels  Michael.  Auf  dem  Gute  Lizica 
ließ  er  die  von  seinem  Vorgänger,  dem  Erz- 
bischof Nikodim  (f  132-4),  errichtete  Kirche  des 
hl.  Sava,  des  ersten  serbischen  Erzbischofs,  er- 
weitern und  mit  neuen  Malereien  schmücken, 
den  Turm  vor  der  Kirche  erhöhen.®)    Auch  in 


')  Mon.  serb.  563,  erläutert  von  Novakovic,  l'restonice  23,  44. 

-)  Daniel  219. 

')  Bono,  Turquiö  d'Europe  2  (1840)  373,  deutsehu  Übersetzung  1,  ö67.  Hilferding,  Bosnien  usw.  (russ.,  Petersburg 
1859)  295  f.  (Th.  Ippen),  Novibasar  und  Kossovo  (Das  alte  Kaecien),  Wien  1892,  137—138.  Nach  Nusid,  Kossovo  2  (1903) 
112  sollen  jetzt  keine  Gebäude  mehr  zu  erkennen  sein;  alles  sei  von  den  Türken  aufgewülilt  worden,  um  Baumaterial  zu 
gewinnen  und  Schätze  zu  suchen.  Nach  der  Besetzung  dieser  Landschaften  durch  die  Serben  im  Herbst  1912  wäre  eine 
genaue   Untersuchung  und  Beschreibung  der  Ruinen  von   Zvecan  sein-  wünschenswert. 

*)  Uielil,  Manuel  de  l'art  byz.  397  f.  (Tokfur-Serai),  400  (Melnik). 

'-)  Jelasci  wird  im  Rjecnik  der  Südslav.  Akademie  mit  Eltsci  in  der  Urk.  1395  im  Glasnik  24  (1868)  272  zusammen- 
gestellt, dort  genannt  neben  dem  Markt  (trg)  Koporici,  doch  heißt  dieser  Ort  nach  Avrani  Popovic,  Godisnjica  25,  173,  192 

heute  Jelakce.     Lizica  ist  sonst  nicht  bekannt. 

•2* 


12 


II.  Abhandlung:  Constanto  Jieecek. 


der  Burg  Jklaglic  (von  magla,  Nebel),  deren  Ge- 
mäuer noch  im  unteren  Ibartale  neben  dem  Weg 
von  Stndenica  nach  Zic-a  hoch  über  dem  Fluß 
sichtbar  ist,  erbaute  Daniel  schöne  .Paläste'  und 
Zellen  (kelija)  und  stattete  die  dortige  St.  Ge- 
orgskirche mit  Büchern  und  anderen  Bedürf- 
nissen aus.  Nach  der  Beschreibung  von  Aleksic 
ist  die  Burg  Maglic,  mehr  als  200  Meter  über 
dem  Ibar  gelegen,  sehr  schwer  zugänglich;  von 
drei  Seiten  decken  sie  tiefe  Abstürze  zu  den 
Windungen  des  Flusses,  von  der  Ostseite  eine 
künstlich  ausgegrabene  Schlucht.  Es  ist  ein 
kleines  Viereck  mit  gut  erhaltenen  neun  Tür- 
men; im  Innern  sind  die  Euinen  einer  Kirche 
mit  Kesten  von  Fresken  (Heiligenbildern)  und 
eines  viereckigen  Gebäudes  zu  sehen.  Außerhalb 
der  Mauer  liegen  auf  der  Südseite  Gräber  mit 
Steinplatten.^) 

Die  besseren  Adelshöfe  waren  mit  Mauern 
und  Türmen  zur  Verteidigung  eingerichtet, 
ebenso  wie  in  Eavenna  und  anderen  Städten 
Italiens.  In  der  Nähe  des  Dorfes  Zaton  in  der 
Küstenlandschaft  von  Stagno  erwähnt  eine  ra- 
gusanische  Grenzbeschreibuug  (1399)  ,den  Turm 
des  Ivoje'.^)  Solche  Türme  gab  es  auch  bei  den 
Landhäusern  der  Edelleute  von  Kagusa.  Mari- 
nus  Lucari  de  Bona  ließ  sich  1343  zwei  Türme 
bauen,  einen  hinter  den  ,drei  Kirchen'  auf  dem 
Weg  nach  Gravosa,  6  ,passus'  hoch,  umgeben 
von  einer  30  ,passus'  langen  und  2^2  hohen 
Mauer,  einen  zweiten  in  seinem  Weingarten  am 
Ufer  der  Ombla,  5  ,passus'  hoch  und  3  breit.*) 
Im  Kriege  mit  den  Serben  1361  mußten  aber 
zahlreiche  ragusanische  Nobiles  ihre  ,castra'  in 
der  Umgebung  der  Stadt  niederreißen,  damit  sie 
dem  Feind  nicht  zur  Stütze  dienen;  dafür  erhiel- 
ten die  Besitzer  von  der  Gemeinde  eine  Entschä- 
digung.*) Zum  Landhaus  gehörten  Stallungen 
für  die  Pferde  und  Remisen  für  die  Fuhrwerke 
fkola,  kolesnica).  Diese  Gebäude  dienten  zum 
Aufenthalt  besonders  im  Winter  und  während 


der  Eegentage.  Sonst  war  die  Gesellschaft  mehr 
an  die  freie  Luft  gewöhnt.  Auf  Eeisen  wohnte 
man  meist  in  Zelten,  wie  Kaiser  Johannes 
Kantakuzenos  als  Gast  bei  Stephan  Dusan  oder 
die  ragusanischen  Gesandten,  denen  man  noch 
in  der  Despotenzeit  ein  Zelt  (pavilionum  sive 
tentorium)  von  der  Eepublik  auf  die  Eeise  mit- 
zugeben pflegte.  In  den  Küstenstädten  ver- 
sammelten sich  die  Bürger  zu  ihren  Tagungen 
unter  freiem  Himmel  auf  dem  Platze  (platea). 
Das  Gericht  hatte  dort,  wenigstens  im  Sommer, 
seinen  Sitz  unter  der  Loggia,  der  Wölbung  einer 
offenen  Laube,  in  welcher  auch  die  Kanzler  ihre 
Urkunden  schrieben. 

Die  Märkte  hatten  selbst  bei  den  Berg- 
werken, wie  schon  erwähnt,  wenige  bessere 
Häuser.  Mehr  städtisches  Wesen  gab  es  im  ehe- 
mals byzantinischen  Gebiet  und  im  Küstenlande. 
Aber  auch  im  Konstantiopler  Kaisertum  waren 
die  Städte  nicht  gleich.  ]\Ianche  alte  Stadt  be- 
saß fest  gemauerte  zwei-  oder  dreistöckige 
Häuser  (ouüpioi;,  Tpiwpoio;).^)  Dagegen  waren  in 
Thrakien  und  Makedonien  im  13.  und  14.  Jahr- 
hundert viele  größere  Orte  nur  primitiv  be- 
festigte Dörfer.  Nach  Kantakuzenos  hatte  z.  B. 
die  Burg  Sakkon  bei  Selymbria  westlich  von 
Konstantinopel,  von  Ackerbauern  bewohnt,  hin- 
ter ihren  schwachen  Mauern  nur  Häuser  mit 
Strohdach.^)  Ebenso  plünderten  die  Türken 
Omurs  1343  bei  Thessalonich  zwei  ummauerte, 
von  Bauern  bewohnte  Dörfer,  die  auch  Türme 
besaßen.'') 

In  Dalmatien  waren  die  Stadthäuser  aus 
Stein  und  Ziegeln  drei  bis  vier  Stockwerke 
(palmenta,  solaria)  hoch,  dicht  aneinander  ge- 
drängt zu  beiden  Seiten  der  engen  Gäßchen 
(via,  ruga,  serb.  ulica).  Der  Bau  von  Holz- 
häusern wurde  in  Eagusa  erst  1370  von  der 
Gemeinde  verboten,  die  Beste  derselben  bis  1413 
weggeräumt.  Übrigens  gab  es  selbst  in  Venedig 
im     14.     Jahrhundert    hölzerne    Häuser    oder 


1)  Daniel  ,^73— 375.  A.  Aleksic,  Ib.-!!  od  Kaske  do  Karanovca,  Godisnjica  3  (1879)  60  —  62,  mit  Plan  und  Ansicht 
von  Maglic. 

')  .Sdrielo  (zdrijelo  Engpaß)  sovra  la  torre  de  Ivoie.'     Liber  decenorum  Terrarum   Novarum   13'.t9  Arch.  Rag. 

")  Vortrag  11.  November  1343  Div.  Canc.  (Arch.  Rag.).  Die  Größe  des  ragusanischen  .passus'  des  14.  Jahrhunderts 
ist  nicht  bekannt.  Resetar  meint,  es  sei  wohl  immer  so  viel  gewesen,  als  ein  Maun  mit  beiden  ausgestreckten  Händen 
reichen  kann,  also  ungefähr  190  Zentimeter.  In  der  letzten  Zeit  galt  der  päs  in  Ragusa,  z.B.  bei  Angaben  der  Meeres- 
tiefe, als  identisch  mit  der  österreichischen  Klafter,    die  amtlich  bis  1875  im  Gebrauch  war  (gleich  1-8965  Meter). 

*)  Mon.  Rag.  3,  60,  65,  67,  76. 

^)  Serbisch  wörtlich  .als  mit  2—3  .Dächern'  (krov)  übersetzt.  Klostergebäude  auf  dem  Athos  als  ,polaty  dvokrovnyje 
i  trikrovnyje',  Theodosij  bei  Pavlovid  55. 

*)  Kantakuzenos  I  cap.  30. 

')  Derselbe  III  cap.  64:  ojo  /.üjfia;  T£T£iyia(j.£va;  -/m  Tijpyouj  l/olaa;. 


Staat  und  Gesellschaft  im  mittelalteelichex  Seebiex  III. 


13 


wenigstens  Dächer  aus  Holz,  gedeckt  mit  Schilf- 
rohr oder  Stroh,  sogar  in  den  Klöstern.^) 
Steinerne  Gebäude  des  14.  oder  15.  Jahr- 
hunderts, mit  Wappen  und  Inschriften  über 
dem  Tor,  kann  man  noch  in  den  Euinen  der 
Altstadt  von  Dulcigno  und  Antivari,  in  den 
engen  Gassen  von  Cattaro  und  in  Eagusa  in  den 
vom  Erdbeben  1667  verschonten  Vierteln  Pri- 
jeko  und  Pustjerna  sehen.  In  Kagusa  diente 
das  oft  gewölbte  Erdgeschoß  als  Wein-,  Holz- 
oder Warenlager  (canipa,  subterraneura,  abge- 
kürzt zu  stranium  1282  f.,  stragno,  jetzt  stranj). 
Darüber  lag  die  Küche  (coquina).  In  die  Stock- 
werke führten  Treppen  (scala)  aus  Holz  oder 
Stein  hinauf,  eingesäumt  von  einem  Geländer 
mit  kleinen  Säulen.  Auf  der  Außenseite  befand 
sich  auf  der  Fassade  im  oberen  Stockwerk  oft 
eine  überdachte  Galerie,  bis  sie  spätere  Bau- 
gesetze abschaii'ten ;  das  war  das  hölzerne  oder 
steinerne,  mit  Ziegeln  gedeckte  gaifum  in  Ea- 
gusa, bekannt  auch  in  den  Städten  Apuliens, 
das  hölzerne  vadrile  in  Cattaro^)  oder  die  ein- 
fache offene  altana,  in  welcher  man  auch 
Blumen  aufzustellen  pflegte.  Ein  Erker  war 
die  balconata  der  Eagusaner,  gestützt  auf 
steinerne  , Sporne'  (calcaria)  oder  , Zähne'  (den- 
tes),  mit  zwei  oder  drei  Säulen  und  einem  Spitz- 
bogenfenster nach  der  auch  in  Venedig  be- 
liebten ,sarazenischen'  Art.^)  In  großen  Ge- 
bäuden umgab  eine  Galerie  (andaviene  1388) 
auch  den  Haushof  (curia  domus),  mit  einer 
Brüstung  aus  niederen  Säulen  (parapetum  cum 
colonellis).  Die  Fenster  waren  teils  viereckig, 
teils  Bogenfenster;  eine  Art  kleiner  Öffnungen 
mit  ,Ohren'  (cum  auriculis)  nannte  man  in  Ea- 
gusa slavisch  grbavica,  das  , Buckelfenster' 
(gerbaviga  1372  f.).  Die  verschließbaren  Fenster- 
läden waren  meist  aus  Holz;  im  15.  Jahrhundert 
begann  man  Fensterglas  in  Eagusa  selbst  zu 
machen.  Im  Hauptsaal,  mit  Bänken  längs  der 
Wand  ringsherum  umgeben,  war  die  Decke  oft 
als  blauer  Himmelsgrund  gemalt,  besetzt  mit 
vergoldeten  Sternen.  Der  Abort  (privatum) 
mußte  unter  der  Erde  angebracht  sein.'')  Früher 
war  er  mitunter  in  einem  hölzernen  Balkon 
(gaifum)  an  der  Vorderseite  des  Hauses  unter- 
gebracht.    Noch   1321    wurflen   zwei   Mitglieder 


der  Familie  Gondola  vom  Comes  und  den  Eich- 
tern  von  Eagusa  ermahnt,  ihre  ,privatos'  inner- 
halb der  Häuser  anzubringen,  damit  der  Unrat 
nicht  auf  die  Straße  herausfließe. 

Die  Gassen  von  Eagusa  waren  unrein,  voll 
Steine,  eingeengt  durch  die  vielen  frei  auf- 
steigenden Stein-  und  Holzstufen  vor  den  Häu- 
sern, die  man  seit  1330  zu  entfernen  begann. 
Erst  im  14.  Jahrhundert  ging  man  daran,  alle 
Straßen,  wie  in  Venedig,  mit  Ziegeln  oder 
Steinen  zu  pflastern.  Die  Unreinlichkeit  wurde 
durch  die  vielen  frei  herumlaufenden  Haustiere 
vermehrt.  In  Venedig  hat  man  diesen  Unfug 
1409  durch  rücksichtslose  Konfiskation  der  die 
Gassen  unsicher  machenden  Schweine  abge- 
schaft't.  In  Eagusa  wurde  1418  öff'entlich  ver- 
kündet, daß  die  Schweine  daheim  eingesperrt 
werden  sollen ;  die  im  Freien  sich  herumtreiben- 
den dürfe  fortan  jedermann  ungestraft  töten 
und  wegtragen.  Die  Verbindungen  innerhalb 
der  Stadt  erleichterten  die  vielen,  wie  heute 
noch  in  Amalfi,  unter  den  Häusern  durch- 
gehenden Bogengänge  (archivoltus,  volta,  porti- 
cale,  slav.  klobucina),  in  deren  geheimnisvollem 
Dunkel  sich  bei  Tag  und  Nacht  nicht  selten 
Szenen  von  Liebe  oder  Haß  abspielten. 

Das  wenigste  wissen  wir  über  das  Bauern- 
haus. Im  Gebiete  von  Eagusa  standen  die  Häu- 
ser, wie  aus  den  Gerichtsbüehern  zu  sehen  ist, 
zwischen  ^^'ein-  und  Obstgärten  weit  voneinan- 
der zerstreut.  Holzhäuser  mit  Strohdach  werden 
noch  1306  in  den  Weingärten  des  Tales  von 
Zonchetto  erwähnt.  Aus  militärischen  Eück- 
sichten  war  der  Baii  von  festgemauerten  Dorf- 
häusern nicht  gestattet.  Nach  der  Besitznahme 
von  Canali  durch  die  Eagusaner  durfte  dort 
jedermann  ein  Haus  aus  unbehauenen,  ohne 
Verputz  zusammengelegten  Steinen  (domus  de 
macerie)  mit  Ziegeldach,  nur  inwendig  mit  Kalk 
gestrichen  bauen,  Häuser  aus  Mauerwerk  mit 
Kalk  (domus  de  muro  et  calce)  aber  nur  die 
Eepublik  allein.  Der  Grundriß  war,  wie  an  den 
Euinen  zu  sehen  ist,  stets  quadratisch. 

Den  Mittelpunkt  des  Hauses  bildete,  be- 
sonders im  Winter,  der  Herd  (ogniste).^)  In 
der  Krankenstube  des  Klosters  von  Studenica 
wird  im  Typikon  eine?  große  tragharc  kupferne 


1)  Cecchetti,  La  vita  dei  Veneziani   nel   i;H)0,  Ardiivio  veneto  21   (1884)  21  f. 

2)  Vgl.  meine  Rom.  Dalm.  1,  03. 

=)  Fenestra  saracinescha  cum  listis  et  balcon(;elli»   1.334.   balconata  saracenica  1371    usw.     Div.  Ka^. 

*)  Statut    von    Raguea   VIII  cap.  57,   §17:    ,et  illos    privatus  faciant  sulj   terra,  ita  (luod   inmundicia  non   discurrat  in 

predictis  viis'. 

^)  trber  das  altslav.  Haue  ausführlich  Niederlo  a.  a.  O.  1,  705  f. 


14 


II.  Abhandlung:  Constaktin  Jieecek. 


Wärmepfanne  erwähnt  (arula),  wahrscheinlich 
mit  Holzkohlen  gefüllt,  von  einer  Art,  deren 
Nachkommen  in  ganz  Südenropa  noch  fortleben. 
Am  Herd  hing  der  meist  kupferne  Kessel  (kotbl, 
lat.  caldaria),  befestigt  auf  eisernen  Ketten,  den 
jcamastre'  der  Dalmatiner.^)  Dabei  stand  das 
Küchengeschirr:  Töpfe  und  Pfannen,  Gefäße 
aus  Stein,  Ton,  Bronze  und  Kupfer,  hölzerne 
Eimer  mit  eisernen  Keifen  (vjedra,  vjedrica, 
lat.  galeta)  usw.-)  Von  der  Hauseinrichtung 
waren  in  den  Häusern  der  vornehmen  Eagu- 
saner  und  Cattarenser  des  14.  Jahrhunderts  die 
Schränke  (armarinm)  und  die  Bettstelle  (lec- 
tica)  sclion  bei  dem  Bau  errichtet  und  wahr- 
scheinlich unbeweglich,  die  Schränke  in  die 
Wand  eingelassen,  das  Bett  in  einer  Art  Alkove 
aufgestellt.  Beweglich  waren  die  Tische,  an 
denen  man  bei  den  Gastmählern  des  Königs, 
den  Kirchweihfesten  der  Klöster  oder  im  Speise- 
saal der  Mönche  speiste,  die  trapeza  oder  trpe- 
za  (Tpa^C«)  der  Serben.  In  Eagusa  gehörte  der 
Tisch  (mensa)  im  13.  Jahrhundert  zur  Mitgift 
der  Frau.  Er  fehlte  auch  nicht  im  ragusanischen 
Dorfhause  (,tabula  pro  comedendo'  1451  an  der 
Ombla).  Dabei  saß  man  auf  Stühlen  (stol, 
■/.aOsopa)  verschiedener  Größe,  wobei  Stephan  Du- 
san  dem  Kantakuzenos  als  seinem  Gast  die 
höchsten  zuwies,  oder  auf  Dreifüßen  (tripedes) 
und  Bänken  (banca,  scamna).  Die  Tafel  war 
mit  Tischtüchern  bedeckt  (tovalia,  niensalia), 
welche  z.  B.  in  dem  Deposit  der  Bjeloslava, 
Witwe  des  Königs  Vladislav  und  ihres  Sohnes 
Desa  genannt  werden  (toalie  pro  tabulis).'*)  In 
Eagusa  waren  sie  mitunter  bunt  gestickt.  Es 
gab  auch  Servietten  (tovalia  parva  de  manu). 
Das  Tafelgeschirr  war  von  sehr  verschiede- 
ner Art.  Einfach  war  im  13.  Jahrhundert  das 
des  Königs  Vladislav,  wenn  wir  es  mit  den  In- 
ventaren  der  Schätze  vergleichen,  welche  im 
15.  Jahrhundert  die  Fürstin  Kugina  von  Va- 
lona,  der  serbische  Despot  Georg  und  die  bosni- 
schen Magnaten,  der  Großvojvode  Sandalj  und 


sein  Neife  Herzog  Stephan  in  Eagusa  deponier- 
ten.'*) Das  gewöhnliche  Geschirr  war  aus  Holz. 
In  Eagusa  gab  es  bemalte  Holzschüsseln  (ligneas 
lances  pictas)  und  hölzerne  Teller  (taglerios), 
die  auch  der  Comes  von  Canali  1422  in  seinem 
Haushalt  hatte.  Daneben  besaß  man  Schüsseln 
und  Schalen  aus  Zinn  (stagnum).  Das  vor- 
nehmste war  aber  Silbergeschirr  aller  Größen, 
das  seltenste  ein  Service  aus  Gold.  In  Gold- 
und  Silbergefäßen  erhielt,  wie  Metochites  er- 
zählt, die  byzantinische  Gesandtschaft  bei  König 
Uros  IL  täglich  Speisen  nud  Getränke  von  der 
königlichen  Tafel.  Auch  die  Salzfässer  (slanica, 
salserii)  waren  bei  den  ärmeren  Leuten  aus 
Zinn,  bei  den  Eeichen  aus  Silber.  Man  aß  mit 
Löifelh  (iLzica,  ozica,  zlica)  aus  Holz  oder 
Silber,  mitunter  vergoldet,  und  mit  Gabeln 
(pirun,  von  grieeh.  r.v.zo'jr.z-i) ,  die  im  Hause  des 
Herzogs  Stej^han  Vukcic  aus  Korallen  mit 
Silber  oder  aus  Kristall  waren.  Die  Messer 
mit  beinernen  Griffen  waren  bei  den  Vornehmen 
auch  versilbert  oder  vergoldet. 

Die  Trinkgefäße  waren  aus  Glas  (cBkljeni- 
ca),  aus  Holz,  wie  ein  hölzerner  roter  Becher 
(casa)  des  Herzogs  Stephan  mit  Silberschmuck, 
aus  Zinn,  wie  ein  Pokal  (bocale  de  stagno)  des 
Königs  Vladislav,  im  14.  Jahrhundert  aber  bei 
den  serbischen  Edelleuten  und  den  ragusani- 
schen Kaufherren  meist  aus  Silber.  Die  besseren 
Stücke  waren  vergoldet  oder  ganz  aus  Gold,  wie 
bei  Vlk  Brankovic,^)  Despot  Georg  oder  dem 
Vojvoden  Sandalj,  mitunter  mit  Edelsteinen 
besetzt.  Im  Kloster  Moraca  in  Montenegro  wird 
in  unseren  Tagen  der  Becher  des  Stifters  (1252), 
des  Knez  Stephan,  eines  Sohnes  des  Königs 
Vlkan  und  Enkels  des  Nemanja,  gezeigt.  Es 
ist  ein  großes  Ochsenhorn,  kunstvoll  herge- 
richtet und  mit  Silber  beschlagen.  Am  Feier- 
tage (slava)  des  Klosters  trinkt  man  noch  all- 
jährlich daraus  zur  Ehre  Gottes  (u  slavu 
boziju).")  Die  Formen  der  Trinkbecher  waren 
sehr   verschieden,   auf  einem   ,Fuß'   oder   einer 


')  Camastrae  Ketton  des  Kessels  über  dam  Feuer,  belegt  seit  099  in  Dalmatien  und  Apulien,  jeizt  in  Dalinatien 
komostre,  bekannt  auch  in  Albanien  und  Untcritalien.  Miklüsich  dachte  au  zpijjLiiTpsc,  Bartoli  erwähnt  das  Wort  aber 
als  , dunklen  Ursprungs'.  Jirecek,  Die  Romanen  Dahii.  1,  89  (Denkschr.  W.  Ak.  Bd.  48);  Hartoli,  Das  Dalmatische  (Wien 
1900,  Balkankommission)   1,  235,  272;  2,  242,  251,  26G. 

')  Ein  irdener  Topf  mit  Silbermünzen  Stephan  Dusans,  gefunden  bei  Pozarevac:  Starinar.  N.  S.  1   (1906)   55  mit  Abb. 

')  Urk.  1281:  Rad  1  (1867)   137   und  Smiciklas,  Cod.  dipl.  6,  391. 

*)   Vgl.  E.  Lilek,  Die  Schatzkammer  der  Familie  Hranici  (Kosai-a'l,   Wiss.  Mitt.  aus  Bosnien  2   (IS'.U)    125 — 151. 

')  Am  23.  Jänner  1395  deponiert  Celnik  Smil  als  Gesandter  des  dominus  Volchus  Brauchovich  ,unum  naffum  de 
auro,  ((ui  ponderat  libras  ([uinque  et  unrias  quatuor  cum  dimidia',  Div.  Rag.  1391  — 139G  Arch.  Rag.  In  dem  Brief  der 
Ragusaner  an  Vlk  Brankovic  und  seine  Familie  heiI3t  es  ,jednu  ea.su  zlatu,  koja  tezi  pet  littr  i  cetiri  ungije  i  pol',  Spo- 
menik  II,  40—41. 

•)  Archimandrit  Dni\{:  im   Glasnik  43   (1876)  Gl.     Rovinskij  im   Sboriiik  russ.  Akademie  86  (19091   105. 


Staat  und  Gesellschaft  ni  mittelalterlichex  Serbien  III. 


15 


, Säule"  stehend  oder  mit  breitem  Griind,  mit 
oder  ohne  Henkel  (rucica,  drzei)  und  Deckel  (po- 
krivac,  poklopac).  Man  nannte  sie  casa,  kupa, 
in  Bosnien  pehar  (aus  dem  deutschen  Becher), 
lat.  cuppa,  naffus,  ciffus,  tacia.  Einheimischem 
Geschmack  entsprachen  eine  ,nappa  sclavica'' 
(1417)  oder  ,pechari  (tacie)  ad  modum  Bos- 
nensium'  (14GT).  Dazu  gehörten  große  silberne 
oder  vergoldete  Kannen  (kondijer)  und  Krüge 
(krugla)  mit  Deckeln,  bekannt  aus  den  Inven- 
taren  des  15.  Jahrhunderts.  Zum  Eeisegeschirr 
gehörte  wohl  die  ,slavische  eiserne  Flasche' 
(uno  fiascho  de  ferro  schiavonescho),  die  1451:  in 
Ragusa  erwähnt  wird. 

Wände,  Türen  und  Fußboden  des  vornehmen 
Hauses  waren  mit  farbigen  Teppichen  bedeckt. 
Im  Deposit  der  Familie  des  Königs  Vladislav 
gab  es  zwei  Gardinen  von  Leinwand,  geziert 
mit  Seidenstickerei  (cortine  due  de  drapo  lineo, 
operate  cum  seta)  und  einen  Vorhang  gegen  die 
Sonne  aus  weißer  Baumwolle  (copertura  pro 
facienda  umbra).^)  Metochites  fand  das  Haus 
des  Königs  Stephan  Uros  IL  mit  seidenen  und 
goldgestickten  Teppichen  glänzend  eingerich- 
tet.-) Im  Bauernhause  traten  an  ihre  Stelle 
einfache  grobe  Decken.  Der  kostbare  Hausrat 
wurde  in  Truhen  und  Säcken  verwahrt.  Die 
Frau  eines  byzantinischen  Protovestiars  in  Ma- 
kedonien hatte  ihre  Habe  in  zwei  Truhen 
(■/.;|i(ö-:ia)  verborgen:  goldene  Gefäße  und  Gürtel, 
Frauenschmuck  und  ein  Bronzegefäß  mit  12.000 
Goldmünzen.^)  Das  Deposit  der  Familie  des 
Königs  Vladislav  war  in  fünf  Truhen  (capsae, 
capsellae)  verschlossen.  In  Serbien  verwahrte 
man  im  Hause  des  Königs  ebenso  gut  wie  in 
dem  des  Bauern  und  Hirten  das  meiste  in 
Säcken  (sakul,  lat.  sachus,  saeeus).  Erwähnt 
werden  Säcke  nach  bulgarischer  Art  (sachus 
bolgareschus  1354)  und  große  bunte  wlachische 
Säcke   (saccus  Vlacorum  magnus  pictus  1416). 

Beleuchtet  wurde  das  vornehme  Haus  durch 
Wachskerzen,  aufgestellt  in  Leuchtern  (svjest- 
nik,  svjecnik)  aus  Eisen  oder  Silber  oder,  wie 
es  in  Eagusa  erwähnt  wird,  in  Laternen  aus 
Bronze  oder  Eisen  (lucerna  in  camara).  Das  ge- 
wöhnlichste Beleuchtungsmittel  war  aber  der 
Kienspan  (lue,  lat.  taeda),  niclit  nur  im  Bauern- 


hause, sondern  auch  in  den  Klöstern  und  sogar 
in  den  vornehmen  Häusern  von  Eagusa,  wo 
noch  im  15.  Jahrhundert  Edelfrauen  und  Dienst- 
boten abends  mit  dem  brennenden  Span  in  der 
Hand  die  Treppen  auf-  und  abstiegen.  In  Ea- 
gusa durfte  niemand  bei  Nacht  ohne  Licht  auf 
die  Gasse;  dazu  dienten  kleine  Laternen  (lan- 
terna,  ferale,  noch  jetzt  ferao.  Gen.  ferala,  oder 
Diminutiv  feralic).  Im  Dorfe  vertrat  sie  neben 
dem  Kienspan  mitunter  auch  eine  Handvoll 
brennendes  Heu   (fenum  accensum). 

Ein  Bett  (odar)  wird  in  dem  Hause  des 
Königs,  der  Adeligen,  der  Bauern  stets  ge- 
nannt, mit  weichem  Bettzeug  (postelja),  welches 
aber  oft  nur  für  die  Nacht  auf  dem  Boden  aus- 
gebreitet wurde,  wie  noch  jetzt  im  serbischen 
oder  bulgarischen  Bauernhause.  Dlugosz  er- 
wähnt, daß  die  alten  Polen  auf  dem  Boden 
schliefen.-*)  Einst  schlief  auch  der  Kaiser 
Nikephoros  Phokas  im  Palast  von  Konstanti- 
nopel auf  dem  Fußboden,  nur  auf  einem 
Pardelfell  und  einer  Purpurdecke.^)  Johannes 
von  Eavenna,  welcher  1384 — 1387  Kanzler  von 
Eagusa  war,  erzählt  in  einem  seiner  Briefe, 
daß  die  Eagusaner  nachts  in  Kleidern  (dormi- 
tant  ac  vestiti  quidem)  auf  dem  Boden  schlafen 
(solo  passim  cubant),  auf  Teppichen  oder  Filz- 
decken, die  mit  wenigen  Leintüchern  bedeckt 
und  mit  Tierhäuten  unterlegt  waren;  der 
empfindliche  Schüler  Petrarcas  vermißte  für 
seine  müden  Glieder  besonders  den  Strohsack 
(palearum  usus).^)  Indessen  wird  bei  den  No- 
biles  der  Stadt  schon  1283  ein  Holzbett  er- 
wähnt (lectum  de  ligno),  seit  1340  verschieden- 
artige Bettgestelle:  umgeben  von  Bänken  (cum 
banchetis),  oder  überragt  von  einem  gemalten, 
teilweise  vergoldeten  Himmelbett  (celum  a  lecto, 
celum  lectice),  oder  eingerichtet  als  ein  , Bett- 
käfig' (chabia  oder  ghaiba  lecti),  davor  als  Vor- 
hang weiße  Gardinen  (cortina  a  lecto)  mit  roten 
Tressen.  Alt  war  der  Gebrauch  von  Feder- 
pölstern  aus  Seide  oder  anderen  weißen  oder 
grünen  Stoffen  (uzglavica,  lat.  capitale,  plunia- 
sium,  guan(jale,  tugulela).  l\[an  ruhte  auch  auf 
einem  Unterbett  mit  Federn  (perni^a,  cultra, 
coltreta  de  perinis,  culcitra  de  ])('nnis),  oft  von 
blauer  Baumwolle,  bedeckt  mit  einem   Lciutucii 


')  Urk.  1281:  Rad   1,   137   =   Smicikla.s,  Cod.  di]il.  (>  p.  3'.ll. 

')  'Ero'nXot;  t£  Sjtoc;  6  Sojjlo;  asTpaxrtüv  o/jpizo";  t£  /a\  •/cjaiTraiTov;.     Satlias,   liibl.  graeca   1,   17.1. 

')  Kantakuzeiios  I  cap.  55. 

*)  Niederle  1,  87-2. 

')  Leon   Diakonos   V  cap.  tj. 

«)  Abgedruckt  bei  Racki,  Rad  7-1  (1885)  170. 


16 


II.  Abhandlung:  Constantin  Jirecek. 


(leugolum).  Die  Bettdecken  (copertorium)  aus 
blauer  oder  gelber  Leinwand  oder  aus  Tuch 
waren  für  den  Winter  mit  Pelz  gefüttert,  mit 
Lammfell,  Marder-  oder  Fuchspelz.  Erst  im 
15.  Jahrhundert  liest  man  in  Ragusa  von  einem 
Strohsack  (slamnica)  oder  von  Matratzen  (ma- 
taracium).  Waschbecken  (rukomija,  bacin)  wa- 
ren im  Hause  der  Fürsten  aus  Silber.^)  Spiegel 
(specula)  zur  Toilette  erseheinen  im  Deposit  des 
Königs  Vladislav.  Die  Kämme  fgreben)  wai-en 
aus  Holz,  wie  ,unum  pecten  de  ligno  novum',  das 
1285  die  Leute  des  Zupan  Tvrtko  von  Popovo 
einem  Ragusaner  wegnahmen,  oder  aus  Bein, 
im  besten  Falle  aus  Elfenbein  (de  elefanto 
1450).^) 

Wie  das  Innere  des  Bauernhauses  aussah, 
wird  nicht  näher  beschrieben.  Die  Inventare 
bei  Räubereien  und  Bränden  in  der  Landschaft 
von  Ragusa  aus  dem  13. — 14.  Jahrhundert  zählen 
den  Hausrat  auf:  Vorräte  von  Getreide,  Mehl, 
Früchten,  Käse,  Butter  und  Honig,  daneben 
Waffen,  Kleider,  Küchengeschirr,  Handmühlen, 
landwirtschaftliche  Geräte  wie  Karste,  Schau- 
feln, Äxte  oder  Winzermesser  (kosijer),  Holz- 
eimer, Fässer,  endlich  Säcke  und  Schläuche  aus 
Bockshäuten  zur  Aiifbewahrung  von  Wein, 
Honig.  Butter  oder  Milch. 

Alte  Fresken  und  Beschreibungen  zeigen 
uns  die  Serben  und  Serbinnen  als  schöne,  hoch- 
gewachsene Leute  mit  regelmäßigen  Gesichts- 
zügen. Im  Gegensatz  zu  den  Bulgaren,  welche 
eine  Mischung  von  Slaven  mit  alttürkischen 
Völkern,  den  ürbulgaren  und  Kumanen  waren, 
blieben  die  Serben  ein  indogermanisches  Volk, 
Slaven,  vermengt  mit  lUyriern  und  Romanen. 
An  physischem  Wuchs  ist  heute  noch  der  Bos- 
nier höher  als  der  Serbe.  Ein  Florentiner  be- 
zeichnet die  bosnischen  Edelleute,  welche  1403 


den  König  Ladislaus  von  Neapel  in  Zara  be- 
grüßten, voran  den  Magnaten  Hrvoje,  als 
Männer,  welche  durch  körperlichen  Wuchs  alle 
anderen  Menschen  überragten.^)  Über  Haar- 
und  Hautfarbe  wissen  wir  aus  dem  Mittelalter 
nur  wenig.  Neben  dem  überwiegenden  braunen 
und  schwarzen  Haar  gibt  es  heute  noch  blonde 
I,eute,  auch  an  der  adriati sehen  Küste  und  in 
Albanien  und  Makedonien.  Die  slavischen  Ein- 
wanderer waren  im  6.  und  7.  Jahrhundert  nach 
dem  Zeugnis  der  griechischen  Schriftsteller  vor- 
wiegend von  heller  Komplexion,  während  jetzt 
nach  zwölf  Jahrhunderten,  wahrscheinlich  in- 
folge der  anhaltenden  Mischung  mit  fremden 
Elementen,  die  Serben  meist  dunkler  Kom- 
plexion sind.**)  Ein  alter  Bericht  schildert  den 
hl.  Erzbischof  Sava  in  der  Jugend  als  Jüngling 
mit  ,goldschimmerndem'  Haar.^)  Das  dichteri- 
sche Ideal  war  goldblond,  wie  im  klassischen 
Altertum.  In  Ragusa  besangen  die  Lyriker 
Drzic  und  Mencetic  am  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderts das  blonde  Haar  (rusa  kosa)  und  die 
goldenen  Haarflechten  (dva  prama  od  zlata,  dva 
tanka  pramena  zlatom  su  predena)  der  schönen 
Ragusanerinnen  mit  weißem  Antlitz,  rosigen 
Wrangen  und  , überaus  weißen'  Händen.  Auch 
der  Held  und  die  Heldin  des  byzantinischen 
Epos  Digenis  Akritas  haben  blondes  Haar 
(^av6i:),  das  seltener  war  und  deshalb  mehr  An- 
sehen genoß. 

Aber  nicht  alle  Le^^te  waren  schön.  Opfer 
der  Justiz  waren  Männer  ohne  Hand,  ohne 
Nase,  ohne  Ohr,  mit  geblendetem  Auge,  mit 
Brandmalen  im  Gesicht  oder  mit  abgesengtem 
Haar  und  Bart.  Andere  waren  entstellt  durch 
Krankheiten.  Ein  weit  verbreitetes  Übel  war 
die  unheilbare  Lepra  (altserb.  prokaza).  Kaiser 
Johannes  Tzimiskes  ließ  vor  seinem  Tode  (9T6) 


')  In  den  Küstenstädten  liat  sich  aus  dem  klassischen  Altertum  der  Gebrauch  der  Nachtgeschirre  erhalten,  deren 
Inhalt  von  den  schönen  Dalmatinerinnen  oft  auf  unbequeme  NachtAvandler  aus  den  Fenstern  ausgegossen  wurde.  Schon 
1285  klagten  vor  dem  Gericht  von  Ragusa  ein  Kleriker  und  ein  Faßbindermeister  (botarius),  eine  Bürgersfrau  habe  aus 
einem  .urceus  plenus  pisacjo'  ihre  Kleider  mit  einem  Guß  von  der  Höhe  .gebadet'.  Ein  Zeuge  stand  entfernt,  , tarnen  sensi 
pu<;am  et  inveni  guarnavonum  magistri  Pascali-s  balneatum  pisacjo'.     Jetzt  in  Ragusa  vre  (aus  urceus). 

')  Über  altslavische  Kämme  Niederle,  Zivot  1,  143  f.  mit  Tafel  III  (Funde  aus  dem  früheren  Mittelalter). 

")  .Chervoia,  magnus  dominus  potentia,  corpore  non  minor  ...  et  nobiles  plures,  qui  omnes  de  regno  Bosne  sunt, 
homines  supra  quoscumque  viderim  corpore  excellentes."  Brief  des  Kanzlers  Matheus  de  Sancto  Miniato  bei  Racki,  Rad  i 
(18G8)  60  Anm.  und  M.akusev,  Monumenta  historica  .'<lavorum  meridi(in:ilium  e  tabulariis  et  bibliothecis  italicis  1  (Varso- 
viae  1874)  429. 

*)  Darüber  Dr.  N.  Zupanii,  .Sistem  istorijske  antropologije  balkanskih  naroda  (Sj-stem  der  historischen  Anthropologie 
der  Balkanvölker),  Starinar,  N.  S.  3  (1908)  b:i,  6ij.  Nach  seiner  Ansicht  waren  auch  die  antiken  Illyrier  und  Hellenen  von 
heller  Farbe.  Über  diese  anthropologischen  Streitfragen  Niederle,  Zivot  starych  Slovanviv  (Leben  der  alten  Slaven)  1,  1 
(Prag  1911)  55 — 58.  Eine  kartographische  Darstellung  der  dunkeln,  hellen  und  gemischten  Rasse  unter  den  Albanesen  im 
Vilajet  Ton  Skutari  gibt  Dr.  Franz  Baron  Nopcsa  in  den  Wiss.  Mitt.  aus  Bosnien  12  (1912)  252;  vgl.  eb.  240  f. 

')  Zlatozarnyje  vlasy,  Theodosij   bei   l'avlovic  28. 


Staat  und  Gesellschaft  ni  mittelalteklichex  Serbien  III. 


17 


die  Leprosen  in  Konstantinopel  vor  allen 
anderen  Armen  beschenken.^)  Während  der 
Kreuzzüge  verbreitete  sich  die  Krankheit  in 
ganz  Europa.  In  den  Balkanländern  gab  es  im 
späteren  Mittelalter  Leprosen  (prokazeni)  über- 
all, sowohl  an  der  Küste,  als  im  Binnenlande. 
Der  französische  Bischof  Louis  de  Rochechouart 
sah  1461  in  Zara  , infinites  leprosos'.^)  In  Ea- 
gusa  wohnten  die  Leprosen,  von  weitem  an 
ihren  weißen  Kleidern  kenntlich,  ganz  isoliert 
in  Hütten  auf  dem  Abhang  vor  dem  östlichen 
Tor  und  durften  nicht  in  die  Stadt  kommen. 
Noch  im  15.  Jahrhundert  errichtete  man  eigene 
Behausungen  für  .solche  Kranke  in  Stagno  und 
Canali.  In  Cattaro  befanden  sich  ihre  Häuser 
vor  der  Porta  Surana,  unter  der  Obsorge  der 
,procuratores  leprosorum'.  In  Serbien  hat  schon 
Nemanja  die  Aussätzigen  reich  beschenkt.  Spä- 
ter sammelten  sich  bei  König  Stephan  LTros  II". 
Milutin  Krüppel  und  Aussätzige  aus  ganz 
Serbien  und  den  umliegenden  Ländern,  um  die 
Wohltaten  des  Königs  zu  genießen.  König 
Uros  III.  errichtete  in  der  Umgebung  des 
Klosters  Decani  ein  von  einem  königlichen  Ver- 
walter geleitetes  Asyl,  in  welchem  er  die  Kran- 
ken mit  jverfaultem  Antlitz'  und  abfallendem 
Fleisch  sammelte,  verpflegte  und  persönlich  be- 
suchte. Auch  der  Despot  Stephan  Lazarevic 
unterstüzte  die  Aussätzigen ;  als  dies  bekannt 
wurde,  kamen  selbst  aus  dem  Küstenland  und 
aus  Bulgarien  große  Scharen  dieser  Unglück- 
lichen nach  Serbien,  ließen  sich  aber  solche 
Übergriffe  zu  Schulden  kommen,  daß  man  sie 
aus  dem  Lande  vertreiben  mußte.^)  Die  Herr- 
scherfamilien blieben  von  dem  furchtbaren  Übel 
nicht  frei.  Bekannt  ist  die  Geschichte  des  un- 
glücklichen Königs  Balduin  IV.  von  Jerusalem 
(t  1184).  An  Elephantiasis  litt  nach  Chalkondy- 
les  der  letzte  griechische  Dynast  von  Thessalo- 
nich, der  Despot  Andronikos  Palaiologos,  der 
dann  im  Kloster  als  Mönch  Akakios  starb 
(t  1429).  Die  Fürsten  Serbiens,  insgesamt 
kräftige  und  schöne  Leute,  hatten  das  Glück, 
von  solchen  Heimsuchtingen  verschont  zu 
bleiben. 

Nationale  Gegensätze  gab  es  im  mittelalter- 
lichen   Serbien    nicht.     Die    albanesischen   und 


wlachischen  Hirtengemeinden,  die  romanischen 
und  griechischen  Stadtbürger  und  die  sächsi- 
schen Bergleute  vertrugen  sich  untereinander 
ganz  gut.  Auch  unter  den  Vlastelinen  und 
Vlastelicici  gab  es  Nichtserben,  griechische 
Archonten  und  Edelleute  romanischen  (dalma- 
tinischen), wlachischen  (rumänischen),  und  al- 
banesischen Ursprunges.  Eher  gab  es  einen 
kirchlichen  Gegensatz  zwischen  den  Orthodoxen 
und  den  Lateinern.  Der  verschiedene  Charakter 
der  Völker  wird  aber  in  der  Literatur  be- 
sprochen. Eine  einheimische  Völkertafel  teilt 
die  72  Nationen  der  Welt  nach  den  Religionen 
in  drei  Gruppen:  die  , rechtgläubigen'  (pravo- 
verni),  zu  denen  die  Griechen,  die  Slaven  der 
orientalischen  Kirche,  die  Georgier  und  die 
Syrer  gerechnet  werden,  die  ,halbgläubigen' 
(poluverni),  zu  denen  die  Armenier,  Ungarn, 
Franken  (Fruzi),  Deutsche  (Nemci),  Sachsen 
(Sasi),  Kroaten  (Chrovati),  Cechen  (Cesi)  und 
Polen  (Lesi)  gehören,  und  die  ,Ungläubigen' 
(neverni),  die  Juden,  Türken  und  Sarazenen."*) 
Naiv  ist  eine  Völkertafel,  welche  die  einzelnen 
Nationen  mit  Tieren  vergleicht.  Der  Grieche 
ist  ein  Fuchs,  der  Bulgare  ein  Stier  (byk),  der 
Russe  eine  Fischotter,  der  Litauer  ein  Auer- 
ochs  (tur),  der  Ungar  ein  Luchs,  der  Wlache 
eine  Katze  (kotka),  der  Albanese  ein  Biber,  der 
Chunavier  (aus  der  Landschaft  Chunavia  bei 
Durazzo)  ein  Hase,  der  Serbe  ein  Wolf,  der 
Kroate  eine  Eule,  der  Sachse  ein  Hengst  (pa- 
stuch),  der  ,Alamanne'  (Deutsche)  ein  Adler,  der 
Franke  ein  Löwe.  Von  ferneren  Völkern  ist  der 
Jude  ein  Dachs,  der  Armenier  eine  Eidechse, 
der  Georgier  (Iberer)  ein  Widder,  der  Ossete 
(Jasin)  ein  Hirsch,  der  Tscherkesse  (Cerkes) 
ein  Büffel,  der  Tatare  ein  Windhimd,  der  Ku- 
mane  ein  Leopard  (pardus),  der  Türke  eine 
Schlange  (zmija),  der  Sarazene  ein  Eber.^) 

Nachklänge  der  feindlichen  Stimmung 
gegen  das  byzantinische  Kaisertum,  welche  in 
der  Biographie  des  Neman  ja,  verfaßt  von  seinem 
Sohne  König  Stephan,  klar  hervortritt,  trifft 
man  noch  bei  Daniel;  er  berichtet,  wie  Kaiser 
Michael  Palaiologos  den  König  Uros  IL  zu 
seinem  .gehorsamen  Knecht'  haben  wollte.®)  Die 
Griechen    schreiben   von    den    Serben    mit    An- 


')  MäXioTot  Tor;  XeXwßTjjjLEVoi;  xai  ßsßptofAEva  i^  Ujsä  vo'-ji.)  -zx  atüfiira  jcEpi9Epouinv.     Leou  Diakonos  X,  cap.  II. 
')  Reise  des  Rochechouart  in  der  Revue  de  l'Orient  latin  1  (1893)  228. 

')  Domentian  29.    Daniel  139.    Camblak  über  Decani  Glasnik  11,  75.     Konstantin  der  Philosoph  ib.  42,  310. 
*)  Safafik.  Sebrane  spisy  2,  733.     Ljubomir  Stojanovi6  im  Glasnik  63  (1885)  8,  61. 

^)  Safarik  a.  a.  O.    Über  die  Handschrift  in  Karlowitz  (aus  den   16.  Jahrhundert)  DaniCic,  Starine  2,  261.     Eine  neue 
Ausgabe  mit  Benützung  zalilreicher  Handschriften  wird  vorbereitet  von  Jaeimirskij  in  Petersburg.  °)  Daniel  107. 

Denkschriften  der  pbil.-hist.  Kl.  58.  Hd.  2.  Alih.  3 


18 


II.  Abhandlung:  Constantin  Jirecek. 


erkennimg  ihrer  Frömmigkeit  und  Tapferkeit, 
aber  auch  mit  Hervorhebung  ihrer  Habsucht 
und  Wankelmütigkeit.  Ein  Haß  gegen  die 
Serben  ist  erst  nach  den  Eroberungen  des 
Stephan  Dusan  in  der  Stadtchronik  von  -Tanina 
von  Proklos  und  Komnenos  zu  bemerken. 
Italien  jind  ganz  Westeuropa  war  den  Serben 
das  Land  ,jenseits  des  Meeres',  das  zamorje. 
Pie  ,Lateiner'  von  Dalmatien  und  Italien  galten 
bei  ihnen  als  schlaue,  aber  kenntnisreiche  Leute, 
bewandert  in  Schiffahrt  und  Handel.  Von  den 
Abendländern  ist  den  Serben  freundlich  der 
dem  Bosone  da  Gubbio  zugeschriebene  italieni- 
sche Ritterroman  ,Fortunatus  Siculus'  (s.  oben  1, 
80),  die  venezianischen  Chronisten,  voran  der 
spätere  Doge  Andreas  Dandolo,  und  im  15.  Jahr- 
hundert der  burgundische  Kitter  Bertrandon  de 
la  Brocquiere ;  unfreundlich,  teilweise  unter  dem 
Einfluß  des  kirchlichen  Gegensatzes,  schreiben 
über  Serbien  im  14.  Jahrhundert  der  Erzbischof 
Guillaume  Adam,  Philipp  de  Mezieres  und 
Johannes  von  Eavenna. 

Fremde  Einflüsse  sind  besonders  an  den 
Fremdwörtern  zu  bemerken.  Diese  scheiden 
sich  in  zwei  große  Gruppen:  die  durch  den 
Handelsverkehr  verbreiteten  romanischen  (ita- 
lienischen und  dalmatinischen)  und  die  beson- 
ders durch  kirchliche  Verhältnisse  eingebürger- 
ten griechischen  Wörter.  Der  Glanz  der  alten 
bj'zantinischen  Kultur  wirkte  im  13. — 15.  Jahr- 
hundert trotz  des  politischen  Verfalles  des 
Konstantinopler  Kaisertums  unvermindert  auf 
die  Völker  der  Halbinsel.  Die  geistige  Über- 
legenheit der  Griechen  wurde  gerne  anerkannt. 
In  der  serbischen  Übersetzung  des  Nomokanon 
aus  dem  13.  Jahrhundert  heißt  es,  das  Buch  sei 
bisher  ,verdunkelt  gewesen  durch  die  Wolke  der 
Weisheit  der  hellenischen  Sprache'.*)  In  der 
von  Erzbischof  Daniel  IL  an  die  Kathedrale 
von  Pee  angebauten  Muttergotteskirche  hielten 
von  ihm  berufene  griechische  Mönche  den 
Gottesdienst  nach  dem  Wunsche  des  Stifters 
in  griechischer  Sprache  ab.^)  Verstärkt  wurde 
der  griechische  Einfluß  durch  die  großen  Er- 
oberungen im  Süden  seit  1282.    Dabei  wirkten 


verschiedne  Faktoren  zusammen :  der  Ruhm  des 
altehrwürdigen  Konstantinopler  Reiches,  dessen 
Krone  Stephan  Dusan  sich  aufs  Haupt  setzen 
ließ,  die  vielen  von  den  Serben  übernommenen 
Institutionen  des  byzantinischen  Staates  und 
die  zahlreichen  Heiraten  mit  Griechinnen.  Die 
serbische  Regierungsgesellschaft  war  im  Süden 
unter  Stephan  Dusan  schon  in  der  ersten 
Generation  auf  dem  besten  Wege,  sich  zu  gräzi- 
sieren.  Der  Despot  Johannes  von  Valona,  ein 
Bulgare,  Schwager  des  Stephan  Dusan,  unter- 
sckrieb  sich  (1350)  auf  zwei  serbischen  Urkunden 
nur  griechisch.  Von  Dusans  Halbbruder  Symeon, 
der  später  in  Thessalien  residierte,  gibt  es  bloß 
griechische  Urkunden.  In  Makedonien  fand 
man  in  unseren  Tagen  neben  slavischen  aiich 
zahlreiche  griechische  Inschriften  der  serbi- 
schen Edelleute  dieser  Zeit:  des  Bojko  und 
seiner  Frau  Eudokia  auf  einer  Insel  des  Sees 
von  Prespa  (1345),  des  Despoten  Johannes 
Oliver  in  Lesnovo  (1349),  des  Kesar  Gregor 
Brankovic  an  den  Ufern  des  Sees  von  Ochrid 
(1301),  des  Kesar  Novak  und  seiner  Frau  Kali 
(Ka/.r,)  in  Prespa  (1369).^)  Ähnliche  Erschei- 
nungen sind  bei  den  Franken  in  Hellas  zu  be- 
merken, z.  B.  bei  den  venezianischen  Nobili  auf 
Kreta.  Die  Orsini  von  Kephallenia,  italienische 
Dynasten,  haben  sich  als  Despoten  von  Epirus 
rasch  in  Griechen  verwandelt.  Heute  noch  gibt 
es  Spuren  des  mittelgriechischen  Einflusses  in 
der  lebenden  serbischen  Sprache.'*) 

Im  Äußeren  sah  der  Mann  bei  den  Orien- 
talen und  Occidentalen  ganz  verschieden  aus. 
Die  Abendländer  waren  glatt  rasiert  und  ge- 
schoren; die  Orientalen  trugen  lange  Barte  und 
Haare,  nicht  nur  die  Griechen,  die  Serben,  die 
Rumänen  der  Walachei,  wie  sie  Schiltberger 
schildert,  sondern  auch  die  Ragusaner,  wie  es 
Johannes  von  Ravenna  mit  Verwunderung  ver- 
zeichnet. Aufsehen  erregte  es  in  Konstantinopel, 
als  Theodor,  Sohn  des  Kaisers  Andronikos  IL, 
sich  als  Erbe  der  Markgrafschaft  von  Mont- 
ferrat  in  Piemont  (1305)  nach  lateinischer  Art 
den  Bart  abnehmen  ließ.^)  Ebenso  war  langes 
Haar    und    Bart    im    mittelalterlichen    Rußland 


•)  StojanoTi(5,  Zapisi  Nr.  19,  38,  5543. 

2)  Daniel  36'.i. 

')  Vgl.  meine  Hemerkungen  in  der  Byz.  Z.  13  (1904)   196. 

*)  Z.  15.  seit  dem  Gesetzbucli  des  Stejilian  Dusan  jjedevsati,  pedepsati  strafen  (neuserb.  sich  plagen)  aus  dem  Aorist 
£-aiS£j3a  von  KaiOEJto.  Über  das  Vorherrschen  der  Aoristformen  in  den  griechischen  Fremdwörtern  des  Serbischen.  Bul- 
garischen, Rumiinischen,  Albanesischen  vgl.  Miklosich,  Albanische  For.schungen  III  (Denkschr.  W.  Akad.  Bd.  20)  317  f.  So 
noch  neuserbisch  telegrafisati  telegraphieren. 

°)  Nikephoros  Grogoras  VII  cap.  5,  §  10. 


Staat  und  Gesellscuaft  im  mittelalterlichen  Seebien  IIT. 


19 


und  in  Böhmen  landesüblich.  Eine  Folge  dieser 
Sitte  ist  es,  daß  im  altserbischen  Gesetzbuch, 
ebenso  wie  in  den  Gerichtsbüchern  von  Kagusa 
bei  allen  Schlägereien  so  viel  vom  Ausraufen 
des  Bartes  die  Eede  ist.  Der  Mann,  dem  der 
Bartwuchs  von  Natur  aus  versagt  war,  wurde 
bei  Griechen  und  Serben  verspottet  und  gering- 
geschätzt, der  weiberähnliche  span  (czavi;). 
Von  der  Aufnahme  in  die  Athosklöster  waren 
schon  973  Kinder,  Bartlose  und  Eunuchen  aus- 
geschlossen. Bei  einer  Verfolgung  der  ,Spani' 
um  1263  mußte  auch  ein  bartloser  Serbe,  Theo- 
dor der  Grammatiker,  ein  fleißiger  Abschreiber 
von  Handschriften,  den  Heiligen  Berg  ver- 
lassen.^) In  Verbindung  damit  steht  der  tiefe 
Haß  aller  nördlichen  Völker  gegen  die  bart- 
losen Eunuchen  des  byzantinischen  Eeiches, 
denen  man  bodenlose  Bosheit  zuschrieb.  Schon 
in  der  Periode  der  Völkerwanderungen  liest 
man  in  den  lateinischen  Chroniken  feindselige 
Bemerkungen  über  die  ,spadones'  des  kaiser- 
lichen Hofes.  Symeon  von  Bulgarien  beschul- 
digte in  seinen  Briefen  an  den  Patriarchen 
Nikolaos  ]\tystikos  die  Eunuchen  des  Konstanti- 
nopler  Hofes  als  Urheber  aller  Feindschaft 
zwischen  Bulgarien  und  Byzanz.^)  Im  10.  und 
11.  .Tahiliundert  gab  es  .viele  einflußreiche  Eunu- 
chen nicht  nur  unter  den  Staatsmännern  von 
Byzanz,  sondern  auch  unter  den  Feldherren, 
wie  z.  B.  Georgios  Provatäs,  welcher  von  dem 
serbischen  Fürsten  Stephan  Vojslav  (1040)  in 
den  Bergen  von  Montenegro  geschlagen  wurde. 
Noch  Pachymeres  erzählt,  wie  sich  der  serbische 
König  Stephan  Uros  I.  über  die  Eunuchen  im 
Gefolge  der  byzantinischen  Prinzessinnen  lustig 
machte. 

In  der  Kleidung  waren  vorherrschend  Trach- 
ten einheimischer  Art,  von  denen  manche  gegen- 
wärtig unverändert  fortleben.  Den  konservati- 
ven Sinn  der  Eagusaner,  welche  bei  ihrer  alten 
Tracht  bleiben,  obwohl  sie  so  viel  in  der  Welt 
herumreisen,  schildert  Johannes  von  Eavenna. 


Doch  haben  in  Eagusa  bald  nach  der  Zeit  des 
Johannes  neue  Moden  aus  Italien  in  großem 
Umfang  Eingang  gefunden.  Viel  konservativer 
waren  die  Bergbewohner  des  Westens.  Von 
fremden  Kleidern  hatte  sich  am  serbischen  Hofe 
und  unter  dem  Adel  Serbiens  das  byzantinische 
Paradegewand  eingebürgert,  die  lange,  kaftan- 
artige,  oft  goldgestickte  und  mit  Perlen  ge- 
schmückte svita. 

Die  großen  Herren  waren  gekleidet  in  teuere 
griechische,  italienische  oder  flandrische  Ge- 
webe, in  Scharlach  (skrlat),  Samt  und  Seide, 
entweder  leichte  Seidenzeuge  (gendato)  oder  mit 
Gold  durchwirkte  damaszierte  schwere  Seiden- 
stoffe orientalischer  Art  (camocato).  Von 
Kleiderordnungen  oder  Luxusgesetzen  ist  in 
Serbien  keine  Si:)ur  vorhanden;  auch  in  den 
Küstenstädten  liest  man  in  dieser  Periode 
höchstens  von  einer  Beschränkung  der  Mitgift. 
Die  kleinen  Leute  trugen,  wie  heute  noch,  grobe 
haarige  Wollstoffe,  Erzeugnisse  der  einheimi- 
schen Hausindustrie.  Es  war  das  weiße  oder 
graue  sukno  (lat.  sochena),  im  Küstenlande 
rassia  (rascia)  genannt.^)  Abarten  davon 
waren  die  schwarze,  für  Kleider  und  Mäntel 
bestimmte  mrcina  (mergina)  und  die  im 
Küstenlande  im  14.  — 1.5.  Jahrhundert  zu 
Frauenkleidern  verwendete  blaue  modrina,*) 
beide  heute  noch  bekannt.  Eine  kotzenartige 
weißgraue  Art,  die  sclavina  der  Eagusaner 
(sclavina  j^ilosa),  auch  als  Mantel  getragen  und 
zur  Einhüllung  der  Tuchballen  bei  Warentrans- 
porten verwendet,  wurde  auch  in  Westeuropa 
als  slavisches  Erzeugnis  bekannt.  Mäntel  aus 
gi-oben  Wollstoffen  hießen  im  Mittelalter  deutsch 
slavenie,  französisch  esclavine,  wie  denn 
italienisch  schiavina  noch  immer  eine  grobe 
Decke  oder  ein  Eremitengewand  bedeutet."^)  In 
Eagusa  unterschied  man  eine  wlachische,  grie- 
chische und  ungarische  Art:  schiavina  moro- 
vlascha,  vlachesca,  greca,  hongara. 

Die  Farbe  der  Kleider  war  vorwiegend  die 


')  Typikoii  des  Kaisers  Johannes  Tzimiskes  bei  Pli.  Meyer,  Die  Ilaupturkuiiden  für  die  Geschichte  der  Athosklöster 
(Leipzig  1894)  .S3,  147.  Epilog-  Theodors  bei  Stojanovic,  Zapisi  1  Nr.  21;  vgl.  Vulovii,  Godisnjica  7  (1885)  95.  Die  byzan- 
tinische Satire  ,Die  Messe  des  Bartlosen';  vgl.  Kriimbaclier,  Byz.  Literaturgeschichte  2  A.,  809  und  A.  Heisenberg  in  dor 
Byz.  Z.  14,  661. 

^)  Ilspt  TüJv  HÜvouytov,  tö;  izsfDEv  r)  tojv  y.x/.wi  ait!«.    Migne,  Patrologia  graeca,   vol.  111,  col.  124. 

=)  Sukno  Vilo  =  rassia  biancha,  Urk.  aus  Stagno  1458,  Arch.  slav.  Phil.  21  (1899)  621— .522.  In  Kagusa  rasa  jetzt 
ein  blaues  Tuch  für  Bauernhosen,  nicht  zu  verwechseln  mit  der  schwarzen  rasa  der  Mönche.  Nach  Miklosich,  Ktym. 
Wörterbuch,  ist  rasa  ein  Stoffname  von  der  .Stadt  Arras  in   Frankruicli. 

*)  Nach  den  Wörterbüchern  von  Mikalja,  Stiilli,  Vuk  Karadzii  und  dem  Kjecnik  der  Südslav.  Akademie  ist  nio- 
drina  oder  modraca  (von  raodar  blau)  noch  jetzt  in  Dalmatien,  z.  B.  in  Canali,  eine  Art  blauer  Frauenrock.  Ebenso  ist 
nach  Vuk  und  dem  Rjecnik  mrcina  (von  rark  schwarz,  braun,  dunkel)  in  Kroatien  und  der  Hercegovina  eine  .-Vrt  schwarzes 
Frauenkleid.  =)  Vgl.  Niederle  a.  a.  O.  I,  472. 

3* 


20 


II.  Abhandlung:  Constantin  Jikecek. 


natürliche  Farbe  von  Wolle  oder  Leinen,  weiß 
oder  grau ;  seltener  waren  blau  oder  schwarz 
gefärbte  Wollstoffe.  Ganz  weiß  war  die  Mehr- 
zahl der  Bauernkleider  bei  Kagusa  um  1400. 
Schwarze  Wollkleider  trugen  die  mit  Lanzen, 
Äxten  und  Pfeilen  bewaffneten  Wächter  der 
byzantinischen  Straße  zwischen  dem  Strymon 
und  Strumica;^)  heute  noch  trägt  der  Mann  der 
Gebirge  im  Osten  Makedoniens  schwarze  Klei- 
der aus  Schafwolle.  Die  Paradekleider  waren 
meist  rot,  seltener  grün;  Leute  in  grünen  Män- 
teln sind  auf  den  Miniaturen  des  Evangeliums 
des  Miroslav  zu  sehen.  Bei  einer  Versammlung 
glänzte  alles  in  schöner  Farbenpracht.  Bunt 
wie  die  ,Blumen  des  Feldes',  allen  Zuschauern 
zur  Bewunderung,  waren  nach  Daniels  Worten 
die  Gewänder  der  Königin  Simonida  und  ihres 
Gefolges  von  Edelleuten  und  Edelfrauen,  ge- 
kleidet in  glänzenden  Purpur  mit  goldenen 
Gürteln,  geschmückt  mit  Perlen  und  Edel- 
steinen, als  sie  ihren  Schwager  König  Stephan 
Dragutin  und  dessen  Gattin  Katharina  von 
Ungarn  in  Belgrad  ,am  Ufer  der  Flüsse  Donau 
und  Save'  besuchte.^)  Im  15.  Jahrhundert  wur- 
den die  Kleider  noch  bunter.  Da  war  bei  Ea- 
gusa  der  Bauernrock  z.  B.  in  Breno  oft  weiß, 
die  Ärmel  rot,  in  Eagusa  selbst  der  Eock 
schwarz,  die  Ärmel  grün.  Auch  die  Schuhe 
waren  damals  schwarz  und  rot  gestreift,  ebenso- 
gut die  des  ragusanischen  Comes  von  Canali, 
wie  die  einer  Bäuerin  von  Zonclietto.  Über  die 
Tracht  der  Weltgeistlichen  haben  wir  keine 
Kenntnis.  Die  Mönche  waren  ganz  schwarz  ge- 
kleidet, in  einem  Talar  aus  schwarzer  rasa, 
daher  slavisch  seit  altersher  als  , Schwarzröcke' 
(crnorizbc)  oder  , Schwarze'  (crnBc)  bezeichnet.^) 
Unentbehrlich  waren  Felle  und  Pelze,  wel- 
che eigentlich  den  ältesten  Stoff  für  die  Klei- 
dung bildeten.  Männer-  und  Frauenkleider 
waren  gefüttert  mit  schwarzem  oder  weißem 
Lammfell  oder  mit  Hasen-,  Fuchs-,  Marder-  und 
Wolfspelz.    Jede   Patrizierin  von   Cattaro  oder 


Eagusa  erhielt  im  13.  und  14.  Jahrhundert  in 
ihrer  Mitgift  einige  mit  Pelz  gefütterte  Klei- 
dungsstücke. Hermeline  (armelini)  werden  erst 
im  15.  Jahrhundert  erwähnt.  Helena,  die  Witwe 
des  Großvojvoden  Sandalj,  deponierte  1440  in 
Cattaro  zwei  ,vestes  veluti  rubel',  beide  .sufl'ul- 
tas  armelinis',  die  eine  mit  goldgestickten 
Ärmeln,  die  andere  ohne  Ärmel,  besetzt  mit 
Perlen.*)  Als  Geschenk  für  die  Schwieger- 
tochter des  Despoten  Georg,  für  Helena,  die 
Frau  des  Despoten  Lazar,  bestellten  die  Eagu- 
saner  1446  in  Venedig  20  Ellen  roten  Samt 
(velluto  de  cremixi)  und  ,pelle  de  armelini'  bis 
zum  Preise  von  300  Dukaten,  soviel  als  zum 
Futter  eines  Paradekleides  notwendig  war.^) 
Pelzmäntel  waren  überhaupt  ein  bei  serbischen, 
bosnischen  und  albanesischen  Fürsten  sehr  be- 
liebtes Geschenk.  Den  Mantel  schloß  man  noch 
um  1225  mit  einer  Fibel  (zapon).  Ein  merk- 
würdiger Fund  ist  eine  runde  goldene  Spange 
des  Knez  Peter  von  Chelmo  mit  serbischer  und 
lateinischer  Inschrift:  .f  Zapon  velijega  kneza 
lilbmskoga  Petra.  Pretende  comiti  Pet(ro)'. 
Auf  der  Kückseite  sieht  man  in  romanischen 
Ornamenten  Adler,  Hasen  und  Hunde,  die 
durch  eine  Eeihe  Blätter  durchschlüpfen.'') 
Später  gehörten  zum  alltäglichen  Prunk  Silber- 
knöpfe (putbc,  lat.  maspilus,  ombreta,  lambreta, 
bottoni),  bei  den  Männern,  wie  auf  den  Fresken 
zu  sehen  ist,  ebensogut  wie  bei  den  Frauen.  In 
Eagusa  trugen  sowohl  die  reichen  Bürgers- 
frauen als  auch  Bäuerinnen  der  Umgebung  auf 
ihren  Jacken,  besonders  auf  den  Ärmeln  6  bis 
22  Paare  solcher  Knöpfe,  die  mitunter  ver- 
goldet waren. 

Das  wertvollste  Stück  war  bei  Mann  und 
Weib  der  Gürtel  (pojas,  centura,  Zw-rr,)-  Er  war 
verfertigt  aus  schwarz  oder  rot  gefärbtem  Leder 
oder  aus  schwarzer,  blutroter,  grüner  oder  blauer 
Seide  oder  Samt,  geschlossen  mit  einer  silljer- 
nen  Spange  und  geziert  mit  reichem  Metall- 
schmuck   aus    Zinn,    vergoldetem    Kupfer,    ein- 


')  Nikephoros  Gregoras  VIII  cap.  14,  §  5  ([isXaiva;  ioOrj-ca;). 

')  Daniel  ed.  Danicii  p.  96 — 97:  jako  i  polBscii  cveti  mnogorazlicnymi  dobrotami  ispbstreni'. 

')  Griech.  piaov,  lat.  Ursprungs  (rasum).    Spitzname  der  Münche  rasoder,  ungefähr  der  ,Schwarzrockschinder". 

')  Notarialbücher   13.  Mai   1440  im  Gerichtsarchiv  von  Cattaro. 

^)  Consilium  Rogatorum  1.  Oktober  1446  Arch.  Rag.  Im  15.  Jahrhundert  wird  der  rote  Pelzmantel  des  Herzogs 
Stephan  als  suba  (Schaube)  bezeichnet,  der  kleine  rote  goldgestickte  Pelzrock  der  Helena,  Sandaljs  Witwe,  mit  einem  in 
Polen  und  Ungarn  bekannten  Wort  als  kontus.  Vgl.  Lilek,  Wiss.  Mitt.  aus  Bosnien  2,  147  f.  Suba  aus  arab.  al  dzubbah, 
Niederle  a.  a.  O.  1,  462. 

")  Beschrieben  von  Ljubomir  Kovacevic  im  Starinar  1  (1884)  110—118  mit  Abbildungen.  Im  Nachlaß  des  Königs 
Vladislav  war  .bocla  una  de  argento  deaurata'  vielleicht  eine  Fibel,  Rad  1  (1867)  138.  Niederle  a.a.O.  1,  530  f.  über 
die  seit  dem  8.  Jahrhundert  verfallenden  Fibeln,  mit  Abbildungen  nach  den  Funden,  besonders  aus  Rußland. 


Staat  und  Gesellschaft  im  inTTELALTEELicHEx  Serbiex  III. 


21 


fächern  oder  vergoldetem  Silber  oder,  wie  bei 
den  Byzantinern,  aus  reinem  Gold.^)  In  den 
Sammlungen  der  kaiserlichen  Archäologischen 
Kommission  in  Petersburg  befindet  sich  ein 
goldgestickter  Gürtel,  auf  welchem  dreimal  der 
Name  eines  Branko  zu  lesen  ist,  nach  Novakovic 
des  Sevastokrators  Branko  unter  Stephan  Dusan, 
des  Vaters  des  Vlk  Brankovic.  Ani  den  Sticke- 
reien dieses  Stückes  ist  ein  Falke,  ein  Bär  mit 
erhobenen  Vorderfüßen,  ein  allegorisches  Tier 
mit  Eberkopf  und  Schlangenleib  zu  sehen  und 
daneben  noch  acht  Löwenköpfe.^)  Es  gab  auch 
Gürtel  aus  Silbergeflecht  mit  vergoldeten  Buk- 
keln  (centura  de  filo  de  argento  de  opere  levato 
inaurato),  wie  der  elf  Pfund  ,ad  subtilem' 
schwere,  um  113  Perper  gekaufte  des  Comes 
von  Popovo  Muzbrat  Slavomiric  (1313).  Im 
15.  Jahrhundert  unterschied  man  eine  breite 
bosnische  Art  (centura  larga  bosignana)  und 
eine  ungarische  Art  (cingulum  ungaricum,  cen- 
tura ongarescha).  Das  Tragen  dieser  schweren 
Leibesumfassung  erforderte  eine  gewisse  Übung. 
Ein  Goldgürtel  im  Besitze  der  Adelsfamilie 
Bona  in  Eagusa,  1376  abgeschätzt  auf  425  Du- 
katen, wog  neun  Pfund,  ein  silberner  Frauen- 
gürtel, der  1436  einem  ragusanischen  Kauf- 
mann in  Novo  Brdo  gestohlen  wurde,  8  Pfund 
und  7  Unzen.  Ebenso  besaß  der  Großvojvode 
Sandalj  einen  Gürtel  aus  rotem  Leder  mit  ver- 
goldetem Silberschmuck,  11  Pfund  und  2  Unzen 
schwer,  und  einen  zweiten  Gürtel  in  der  Form 
einer  vergoldeten  Kette,  welcher  gar  22  Pfund 
und  10  Unzen  wog.  Gürtel  mit  Silberschmuck 
trugen  nicht  nur  vornehme  Leute,  sondern  auch 
Baiiern  bei  Ragusa  und  Stagno.  Am  Gürtel 
hing  das  Messer  und  der  Geldbeutel  (tobolac, 
lat.  bursa,  marsupium,  pera,  scarsella)  von  ver- 
schiedener Art,  oft  aus  rotem  Samt,  mit  Sillier- 
schmuck  benäht  oder  mit  Goldfäden  gestickt, 
mit  Perlen  oder  Goldknöpfen  geziert  und  an 
Silberkettchen  befestigt.  Aus  den  Gerichts- 
büchern von  Eagusa  wissen  wir,  daß  es  schon 
damals  böse  Menschenkinder  gab,  welche  im 
Gedränge  des  Marktes  die  schönen   Beutel  ge- 


wandt abschnitten  (incidere  bursam).  Deshalb 
trugen  viele  Leute  das  Geld  nur  in  einem  ein- 
fachen oder  goldgestickten  Tüchlein  geborgen 
im  Gürtel  oder  im  Ärmel  oder  versteckt  im 
Busen. ^) 

Die  Fußbekleidung  der  Bauern  und  Hirten 
waren  einfache  Bundschuhe  (opinze,  paria 
opancharum),  ein  mit  Eiemen  befestigtes  Stück 
Schweins-  oder  Ochsenleder,  in  den  Balkan- 
ländern heute  noch  allgemein  bekannt.  Mehr 
städtischer  Art  waren  Lederschuhe  (crevija, 
crevlja)  oder  Tuchschuhe,  schwarz,  grün,  blau, 
rot,  mitunter  auch  bunt  gestreift.  Der  Kriegs- 
mann trug  hohe  Lederstiefel  mit  Sporen.*)  Im 
Winter  legte  man  bunt  gestickte,  mit  Marder- 
fell oder  anderem  Pelz  gefütterte  Handschuhe 
an  (cyrothecae,  guanti). 

Die  Details  sind  wegen  der  schwierigen 
Deutung  der  oft  für  beide  Geschlechter  gleichen 
Termini  und  bei  dem  Mangel  an  Bildern  nicht 
leicht  darzustellen. ■')  Der  Eock  des  Mannes, 
mit  oder  ohne  Ärmel,  oft  mit  Pelz  gefüttert 
und  bis  in  die  Mitte  des  Schienbeines  herab- 
reichend, war  aus  verschiedenartigen  Stoffen 
gearbeitet,  von  weißer,  schwarzer,  grauer, 
blauer  oder  grüner  Farbe,  die  suknja,  suknji- 
ca  (lat.  tunica,  guarnachia,  zuppa,  zubbetum).'') 
Es  gab  auch  feine  Eöcke  aus  grüner  oder  blauer 
Seide  mit  Pelz  (zuponum).  Weniger  wissen  wir 
über  die  Farbe  der  Hosen  (gace,  lat.  braeeae, 
serabulae,  mutandae,  femuralia).  Auf  den  Skul- 
pturen der  bosnischen  Steingräber  sieht  man 
Männer  in  einem  knapp  anliegenden  Eock,  der 
bis  zu  den  Schenkeln  herabreicht  und  oft  falten- 
reich und  mit  Schnüren  geziert  ist,  und  in 
engen  Beinkleidern.^)  In  der  Umgebung  des 
Klosters  von  Banjska  trug  man  lederne  Gama- 
schen (skornje),  anderswo  hohe  Wollstrümpfe 
aus  Ziegenhaar  (klainje),  während  der  Fuß 
selbst  durch  kleine  Strümpfe  (bjecve)  geschützt 
war.  Der  Mantel,  plast,  gunj,  später  kaba- 
nica  (lat.  mantellum,  clamis,  soccha  oder  zocha) 
war  bei  Eagusa  meist  aus  schwarzem  haarigen 
Stoff  hergestellt,  selten  weiß,  lirnini,   blau  oder 


»)  Vgl.  Niederle  a.  a.  O.  1,  577  f. 

^)  Novakovic,  Glas  78  (1908)  249. 

')  Über  die  nordslav.  Gürtel  Niederle  a.  a.  O.  1,  466  f. 

*)  Vgl.  Niederle  a.  a.  O.  1,  486  f.  mit  Ahljilduiifren. 

')  Suknja,  gonella,  tunica  usw.  gelten  für  Manns-  und  Frauenkleider.     Vgl.  Niederle  a.  a.  O.   1,  437  f. 
»)  Aus  släv.  suknja  auch  deutsch  suckenie,  engl,  suckeney,  neugr.  50j/.(.v(a  usw.:  vgl.  Niederle  1,  448. 
')  Dr.  C.  Truhelka,  Wiss.  Mitt.  3  (1895)  418.     Vgl.  das  Bild  eines  Bosniers  in  einem   Kode.\  der  Arokalypso,  mitge- 
teilt von  Jagic,  Arch.  slav.  Phil.  25  (1903)  S.  25. 


22 


II.  A^i^A^-I>LrxG:  Coxstaxtix  Jikecek. 


grün,  oft  mit  schwarzem  Lammfell  ausgefüttert 
und  mit  Silberknöpfen  geziert.^)  Es  gab  lokale 
Formen  der  Mäntel,  ,more  Sclavorum',  ,ad  mo- 
dum  bosnensem'.  Die  Parademäntel  der  Serben 
waren  im  13.— 15.  Jahrhundert  in  der  Eegel 
aus  rotem  Tuch  mit  Pelzfutter  (mantellum 
sclavonescum  coloris  rubei),  um  1300  ebensogut, 
•wie  z.  B.  der  Mantel  eines  Kanzlers  des  Despo- 
ten Georg. 

Dunkel    ist    die    Bedeutung    der    einzelnen 
Namen    der    Kopfbedeckungen:-)    kapuc    (ca- 
puciuni,  caputeum)  im  Gesetzbuch  des  Stephan' 
Dusan  und  bei  Eagusa,  wahrscheinlich  kapuzen- 
artig aus  schwarzem,  blauem  oder  rotem  Tuch; 
die  wohl  schwarze  k  a  p  a  der  Popen ;  die  schwarze, 
blaue,    grüne   oder    rote,    mit    Lammfell,    Mar- 
der-   oder    Wolfspelz,    in    Bosnien    mit    Eich- 
hörnchenfell  (veverica)    verbrämte  bireta,  ba- 
reta,    serbisch    auch    klobuk,    in    Ragusa    im 
15.  Jahrhundert  vuljanica  genannt,  eine  Mütze 
aus  Wolle  oder  Samt  von  verschiedener  Größe. 
Steife   Hüte   waren    wohl    die   schwarzen   oder 
roten  pilei   aus  Wollp,   Tuch  oder   Kamelhaar 
und  die  verschiedenartigen  capelli,  weiß  oder 
rot  aus  Wolle  oder  Samt:  capelli  sclavones- 
chi,  albanenses,  ongareschi  mit  Goldschnü- 
ren   (im    15.    Jahrhundert),    tartareschi    mit 
Perlen.     Es    gab    auch    hohe    Stücke,    wie    die 
500  ,cappelli  de  tallia  magna',  welche  1372  dem 
Eagusaner  Junius  Bisti  de  Bona  auf  dem  Wege 
von  Thessalonich  nach  Novo  Brdo  im  Gebiete 
des  Despoten  Dragas  weggenommen   wurden,^) 
oder   das   ,capellum  magnum   de  lana',  welches 
man  1402  einem  albanesischen  Geistlichen   aus 
Polato    in    Eagusa    gestohlen    hat.     Eine    ganz 
kleine  Mütze  (zOJStov  öa!yov)  nach  serbischer  Art, 
welche  den  Hinterkopf  ganz  schutzlos  ließ,  trug 
der  Gesandte  des  Königs  Uros  IL,  mit  welchem 
Metochites  (1299)  aus  Konstantinopel  nach  Ser- 
bien reiste."*)    Es  war  etwas  in  der  Art  der  heute 
noch     üblichen    ,kapa'    der    Montenegriner    und 
Hercegoviner.    Kalpakartige  Kopfbedeckungen, 
eine  Art  phrygischer  Mütze  mit  nach  rückwärts 
gedrehter   Spitze,  haben   die   Eeiter   vmd    Fuß- 


gänger auf  dem  Bild  eines  Steindenkmales  in 
Borje  im  Tal  des  Trebizat  in  der  Hercego- 
vina.*) 

Das   Frauenkleid    ist   nur   aus    Nachrichten 
über  die  Fürstinnen  und  aus  den  Eintragungen 
der  ragusanischen  Amtsbücher  bekannt.    Hem- 
den  (kosulja,  lat.  camisia,  interula)  gab  es  bei 
Eagusa    auch    ,slavischer    Art',    wahrscheinlich 
mit  bunter   Stickerei   geziert    (camisias  ad  mo- 
dum  sclavonescum).    Natürlich  war  das  Frauen- 
hemd länger  als  das  Männerhemd;  drei  ,cami- 
sie  magne  pro  femina'  gab  es  im  Deposit  der 
Familie  des  Königs  Vladislav.  Vornehme  Frauen 
trugen  auch  Hemden  von  Seide.   Das  Frauen- 
kleid   (suknja,   gunj,   lat.   gonella,   tunica)    war 
aus  weißem  oder  blauem,  seltener  aus  braunem, 
grünem    oder    rotem    Stoff    gemacht,    auf    den 
Ärmeln   und   auf  der  Brust  besetzt  mit  Silber- 
oder Goldknöpfen.    Es  gab  Eöcke   nach  ,slavi- 
scher  Art'  aus  Seide  (gonella  sclavonesca  1313). 
Außerhalb  des  Hauses  trug  man  in  den  Küsten- 
städten ein  langes  färbiges  Oberkleid    (guarna- 
chia)  oder  einen  mit  Pelz  gefütterten,  scharlach- 
roten oder  grünen  Mantel.    Als  Paradegewand 
der  Eagusanerinnen  kennt  Philippus  de  Diver- 
sis   ein   Schleppkleid    (guarnazonum,mit   ,cauda 
longa').     Auf    den    Skulpturen    der   bosnischen 
Steingräber    erscheinen    die    Frauen    in    einem 
weiten,   bis   zur   Erde   reichenden   Eock   unter- 
halb der   schlanken,  wohl  von  dem  Gürtel  zu- 
sammengehaltenen   Taille.      Mädchen,    Frauen, 
Witwen,     Patrizierinnen     und     Bürgersfrauen 
von  Eagusa  unterscheiden  sich  durch  ihre  Kopf- 
bedeckung.    Das   einfachste   war   ein    Kopftuch 
oder   Schleier   (ubrus,  pokrivaca,  lat.   orale,  to- 
valia    a    capite,    velum,    fagolum    de    muliere), 
groß  oder  klein,  aus  Leinwand  oder  aus  Seide, 
mitunter  mit  Goldstickereien  reich  geziert.    Es 
gab  eine  eigene  Art  serbischer  Kopftücher  (fa- 
zolum    sclavonescum    14-±6,    faciola    illorum    de 
Servia  1455).    Aus  feinem  Tuch  war  die  kapa 
(lat.  capa),  oft  mit  Seide  gefüttert,  welche  von 
den    Edelfrauen   von    Eagusa   getragen    wurde. 
In  den  Archivbüchern  wird  eine  ,cappa  duplex 


')  über  den  punj,  den  schwarzen  von  verschiedener  Länge,  der  in  Serbien  ohne  Gürtel  und  oft  ohne  Ärmel  ge- 
tragen wird,  und  den  durch  den  Gürtel  zusammengehaltenen  weißen  mit  Ärmeln  der  Montenegriner  vgl.  Vuk  Karadzid, 
Lexikon.  Bulg.  günja,  bekannt  auch  in  allen  slav.  Sprachen.  M.  Vasmer,  Byz.  Z.  16  (1907)  553 — 554  leitet  lat  gunna, 
für  welches  Waldo  keltischen  Ursprung  annimmt,  und  nüttelgriech.  youva  Pelz  vom  slav.  guna  ab,  ,welclies  ursprünglich 
etwa  „Kuhfell"  bedeutete'.  Dr.  St.  Komansky,  Leluiwürter  lateinischen  Ursprungs  im  Bulgarischen  (XV.  .Jahresbericht  des 
Institutes  für  rumänische  Sprache,  Leipzig  1909)  106 — 107  meint  aber,  das  Wort  sei  in  die  slav.  Sprachen  aus  dem  Latein, 
ins  Bulgarische  durch  Vermittlung  des  Griechischen  gekommen.     Vgl.  Niederle  a.  a.  O.  1,  473  A.  2. 

')  Vgl.  Niederle  a.  a.  O.   1,  499  f.  mit  Tafel  S.  501  (20  Typen  nordslav.  Kopfbedeckungen  des  11.  — l.i.  Jahrhunderts). 

»)  Klage  15.  Juni   1373  Lam.  Rag.  ■*)  Sathas,  Bibl.  graeca  1,  161. 

*)  M.  Hoernes,  Altertümer  der  Hercegovina,  S.-Ber.  W.  Akad.  97  (1880)  542  Fig.  12. 


Staat  und  Gesellschaft  im  mittelalterliches'  Sekbiex  III. 


£3 


coloris  viridis,  gialli  et  rubei'  (1329)  und  eine 
,  ,fapa  muliebris  sclavica  panni  viridis'  (1372) 
erwähnt.  Noch  im  16.  Jahrhundert  sah  Busbeck 
1553)  auf  seiner  Eeise  nach  Konstantinopel  eine 
rote  Mütze  (pileolum  purpureum),  welche  die 
adeligen  Jungfrauen  der  Serben  zu  tragen 
pflegten,  und  bemerkt,  er  habe  in  Jagodina  ein 
Mädchen,  dessen  Kopf  eine  Mütze  mit  Pfauen- 
federn zierte,  gesehen.  Im  15.  Jahrhundert  trug 
man  in  Eagusa  den  kosmac  aus  langhaariger 
Wolle  (tovaglia  pilosa)  und  die  kupliea  aus 
Tuch,  die  mit  Perlen  geschmückt  auch  kleine 
Knaben  als  Kopfbedeckung  erhielten.^)  Im 
15.  Jahrhundert  werden  Taschentücher  (nasi- 
tergia)  bei  den  Bauern  vor  den  Toren  von  Ea- 
gusa erwähnt,  z.  B.  in  Zonchetto;  man  fand  sie 
auch  im  Besitze  der  Trebinjer,  wenn  sie  ragu- 
sanische  Kaufleute  ausgeplündert  hatten. 

Den  vorzüglichsten  Frauenschmuck  bildeten 
Ohrringe  (obotbci,  lat.  cercelli),  aus  Silber,  ein- 
fach oder  vergoldet,  oder  aus  Gold,  mitunter 
besetzt  mit  Perlen  und  Edelsteinen.  Wegen  des 
großen  Gewichtes  wurden  sie  vielfach  nicht  im 
Ohr,  sondern  an  der  Kopfbedeckung  befestigt, 
was  auch  auf  den  alten  Wandgemälden  ersicht- 
lich ist.  Es  gab  eine  slavische  und  eine  lateini- 
sche Art.  Die  slavische  Art  (cercelli  sclavonici, 
sclavoneschi)  war  rund.  Der  Edelmann  Ninac 
Cihoric  in  der  Nachbarschaft  von  Eagusa  besaß 
ein  Paar  ,cercellorum  auri  rotundorum  sclavi- 
coruni',  mit  Saphiren,  blassen  Eubinen  (balasii) 
und  großen  Perlen  (1375).^)  Ein  Paar  ,cercelli 
a  domina  sclavi  de  auro''  in  Novo  Brdo  1436  wog 
ein  Pfund.  Leichter,  nur  etwas  über  zwei  Un- 
zen schwer,  aber  wertvoller  waren  die  Ohrge- 
hänge der  Helena,  Frau  des  Großvojvoden 
Sandalj,  mit  in  Gold  gefaßten  Perlen  und 
roten  und  blauen  Steinen ;  ein  Paar  hatte  aus 


kleinen  Perlen  gebildete  Nackenkettchen  (griv- 
nica).')  Silberkettchen  waren  das  Merkmal  der 
,lateinischen'  Ohrgehänge  (cercelli  latini  cum 
catenuciis).  Frater  Jakob  von  Verona  sah  auf 
seiner  Pilgerfahrt  nach  Palästina  1335  in 
Otrantü,  daß  dort  alle  Frauen  in  den  durch- 
stochenen Ohren  je  nach  der  Größe  ein  bis  drei 
Einge  tragen,  verbunden  mit  Silberkettchen, 
und  bemerkt,  daß  dies  Sitte  sei  in  ganz  ,Scla- 
vonia  et  Albania  et  Eomania'.*)  Philippus  de 
Diversis  erzählt,  das  Abzeichen  verheirateter 
Frauen  in  Eagusa  seien  silberne  oder  goldene 
Ohrringe,  befestigt  nicht  an  den  Ohren,  sondern 
am  Kopftuch  durch  ein  Silberkettchen  (argeh- 
tea  catenula),  welches  man  klicak,  lat.  rigule- 
tum  nannte.'')  Armbänder  (narukvice)  pflegte 
man  im  Berglande  des  Westens  bei  der  Hoch- 
zeit den  Brautleuten  zu  schenken;  in  Eagusa 
wurde  dies  1515  als  eine  überflüssige,  aus  der 
,Morlachia'  stammende  Sitte  verboten.®) 

Ein  Stirnschmuck  war  im  14.  Jahrhundert 
ein  Diadem  (precellum,  pregelech,  lat.  frontale, 
courellum)  aus  Silber  oder  Gold,  mitunter  ver- 
ziert mit  Perlen,  in  einem  Falle  zusammenge- 
setzt aus  29  silbernen  Täf eichen.")  Eine  Art 
dieser  silbernen  Kopfbedeckungen,  die  in  Ca- 
nali  1365  erwähnt  wird,  hatte  die  Form  eines 
Hornes  (cornua  sclavica  argenti).*)  In  Eagusa 
war  es  üblich,  daß  die  Braut  (noviza)  auf  dem 
Gang  zum  Hause  des  Mannes  Hörner  trug 
(portare  corna,  var.  cornua),  bis  dieser  alte 
Brauch  durch  ein  Gesetz  1314  unter  einer  Geld- 
buße verboten  wurde. ^)  Ein  italienisches  Ge- 
dicht aus  dem  14.  Jahrhundert  über  die  .Schia- 
voni',  welches  dem  Florentiner  Franco  Sacchetti 
zugeschrieben  wird,  findet  die  Frauen  des  Lan- 
des nicht  schöner  als  die  Männer,  mit  Hörnern 
wie  der  Teufel.^")    Der  letzte  Eest  dieser  alten 


')  Vgl.  Arch.  slav.  Phil.  21  (1899)  504  und  Rjecnik  der  Südslav.  Akademie.  Kosniar  im  14.  Jahrhundert  auch  in 
Böhmen  ein  haariges  Tuch,  nach  Zibrt,  Dcje  kroje  v  zemich  ceskfch  (Geschichte  der  Tracht  in  <!on  biihmischon  Ländern) 
1   fPrag  1892)  224.     Gehört  zu  kirchenslav  kosmi  (neben  kosa)  Haar. 

")  Vgl.  meine  Abh,  über  die  Edelleute  von  Zachlumien  auf  der  Inschrift  von  Velicani,  Glasnik  bos.  4  (1892)  281  = 
Wiss.  Mitt.  3  (1895)  476.  Über  den  altslav.  Schmuck,  der  neben  dem  Ohr  oder  im  Haar  getragen  wurde  (/.äusnice),  Xiederle 
1,  588  f.,  mit  Abbildungen. 

')  Mon.  serb.  386.  *)  Ausg.  von  E.  Röhricht,  Revue  de  l'Oriont  latin  3  (1895)   173. 

^)  Philippus  de  Diversis  ed.  Brunelli  92.  Klicak  1398  f.  oft  erwähnt  in  den  Archivbüchern  von  Ragiisa.  Heute  be- 
deutet klicak   —  Kinderdreck;  vgl.   das  Lexikon   von   Vuk  Karadzic  und  den  Rjecnik  der  Südslav.  Akademie. 

«)  Arch.  slav.  Phil.  21   (1899)  423. 

')  Dame  filius  Nicole  de  Stilo  hatte  im  Deposit  ,unum  frontale  de  tabulis  XXVIIII  de  argento'.  R.igusa  2G.  .hili 
1319,  Diversa  Notarie  im  Archiv  von  Ragusa.     Ober  die  altruss.  Diademe  Niedorle  1,  582  f. 

')  Crayssa,  Cephalia  von  Canali,  übergab  der  Kagusanerin  Marussa  de  Babalio  einige  Waffen  und  .coverlo  I  sive 
cornua  sclavica  argenti',  welche  er  ihrem  Schuldner  Liuboe  Silegovich  abgenommen  hatte,  II.  August  1365  Div.  Rag. 

')  Mon.  Rag.  5,  74.     Statut  von  Ragusa  VIH  cap.  57  §  20. 

'")  ,Tosto  veder  potrebbo  |  Femina  che  sare\)be  |  A  par  col  diavol  con  suo'  alti  corni,  |  Nere,  scontorte,  fuor  di  hello 
inizio'.    I  sermoni  evano-elici,  le  lettere  etc.  di  Franco  Sacchetti,  pubbl.  per  Ottavio  Giglio,  Fironze  1857,  p.  XXIH. 


24 


II.  ABHA^^)LUNG:  Constanti>-  Jikecek. 


Tracht  war  die  roga,  die  einer  pliryschen  Mütze 
ähnliche  Hornkappe,  ein  aus  getrocknetem  Lein- 
geflecht verfertigtes,  vorwärts  gebogenes  Hern, 
bedeckt  mit  einem  Tuch,  wie  es  die  Frauen  im 
Drinagebiet  bei  Srebrnica  noch  zu  Menschen- 
gedenken zu  tragen  pflegten.*)  Auch  die  hon- 
delj  genannte  Haube  der  verheirateten  Frauen 
in  Canali,  die  um  1870  aus  dem  Gebrauch  ver- 
schwunden ist,  scheint  eine  späte  Entwicklungs- 
stufe dieser  Hornkappen  gewesen  zu  sein.^) 
Anderer  Art  als  diese  Hörner  war  wohl  der  mit 
Edelsteinen  und  Perlen  geschmückte  Kopf- 
schmuck, das  oglavje  der  Jelena  Sandaljevi- 
ca.*)  Dazu  kommen  die  im  Besitz  der  Eagu- 
saner  Adelsfamilien  erwähnten  silbernen  und 
vergoldeten  Kronen  (corona),  welche  noch  um 
1440  Philipi)us  de  Diversis  bei  jedem  Hochzeits- 
zug in  den  Patrizierhäusern  die  Braut  als 
jsignum  virginitatis'  tragen  sah.  Eine  solche 
Silberkrone  (corona  de  argento)  hatte  1319  in 
Kagusa  auch  ein  serbischer  Edelmann  ver- 
pfändet, Eadoslav,  der  Sohn  des  Zupan  Vratis- 
lav.'*)  Eine  ,corona  auri'  besaß  neben  vier  Paar 
(Mirgehängen  mit  Perlen  in  ihrer  Mitgift  Voj- 
slava,  Schwester  des  Vlk  Brankovic  und  Frau 
des  albanesischen  Fürsten  Georg  Topia.^)  Auf 
den  Wandgemälden,  welche  Despot  Dejan  und 
seine  Frau  Doja  im  14.  Jahrhundert  in  der  Kirche 
des  hl.  Johannes  Bogoslov  (Theologos)  bei  Be- 
lovo  an  der  Struma  zwischen  Eadomir  und 
Küstendil  am  oberen  Ende  des  Engpasses  von 
Zemen  malen  ließen,  ist  Doja  mit  einer  Art 
Krone  abgebildet.  Es  ist  ein  Diadem  über  der 
Stirn,  umsponnen  von  goldenen  Ornamenten  in 
Form  von  Sternen:  darüber  erhebt  sich  ein 
breiter    und    hoher    Zylinder    wohl    aus    gelber 


Seide,  horizontal  abgeteilt  in  Felder  und  über- 
ragt von  kleinen,  runden  Ornamenten ;  oben 
liegt  eine  Decke  aus  weißem  Stoff,  welcher  nach 
rückwärts  herabfällt,  auf  dem  abfallenden  Teil 
geziert  mit  roten  Parallellinien. ")  Kränze  (vje- 
nac)  aus  rotem  Gewebe,  besetzt  mit  in  Gold  ge- 
faßten Edelsteinen  und  Perlen,  ebenso  wie 
silberne  Kronen  (kruna)  mit  Steinen  und  Per- 
len gab  es  in  der  Schatzkammer  der  Familie 
Sandaljs.'^)  Der  gewöhnliche  Halsschmuck  war 
ein  Kreuz  an  einer  Kette.*)  In  der  Hand  trug 
die  Frau  im  Küstenland  einen  Rosenkranz 
(kraljes,  lat.  coronella,  paternoster)  von  Koral- 
len oder  Silber,  an  welchem  oft  ein  vergoldetes 
Kreuz  angehängt  war. 

Ringe  (prsten)  für  beide  Geschlechter  gab 
es  aus  Kupfer  (anuli  de  rame),  Silber  und  Gold, 
oft  besetzt  mit  Edelsteinen  und  Perlen.^)  Bei 
Siegelringen  waren  sehr  beliebt  antike  Gemmen 
mit  Bildern  von  Göttern,  Kaisern  oder  Tieren, 
ebenso  wie  einst  im  Westen  bei  den  Karolingern. 
Ein  Ringsiegel  des  Ban  Ninoslav  von  Bosnien 
zeigt  das  Bild  eines  Adlers,  der  sich  zum  Fluge 
erhebt.  Eine  antike  Gemme  mit  dem  Bild  eines 
Löwen  war,  wie  es  scheint,  das  Ringsiegel  des 
Garen  Uro!  in  der  Zeit,  wo  er  vom  Thron  ver- 
drängt war ;  ein  Abdruck  ist  nicht  erhalten, 
aber  die  Ragusaner  erwähnen  es  als  ,bulla 
leonis'  oder  ,verum  sigillum  cum  figura  leonis'. 
Georg  Kastriota  (Skanderbeg)  siegelte  mit 
einem  antiken  geschnittenen  Stein,  auf  wel- 
chem eine  von  rückwärts  gesehene  nackte  Leda 
mit  dem  Schwan  zur  Seite  abgebildet  war. 
Solche  antike  Steine  haben  auch  ragusanische 
Kaufleute  und  Zollpächter  in  Serbien  und  Bos- 
nien im  15.  Jahrhundert  zum  Siegeln  benutzt. 


')  Dr.  C.  Truhelka,  Die  phrygische  Mütze  in  Bosnien.  Wiss.  Mitt.  4  (1896)  509—515  mit  Bildern.  Abbildung  aucli 
im  Werke:  Die  österr.-ungar.  Monarchie  in  Wort  und  Bild,  Bosnien  S.  331. 

')  Vgl.  das  Profilbild  einer  Canalesin  bei  Äppendini,  Notizie  istoricho-critiche  Bd.  1  (Ragusa  1802).  Nach  Budmani 
im  Rjecnik  der  südslav.  Akademie  untp.r  hondelj  war  es  ein  mit  bunten  Tüchern  überzogenes  Holzgestell,  vorne  mit 
goldenen  und  silbernen  Nadeln  geschmückt  und  oben  bedeckt  mit  einem  weißen  Tuch  Bei  meinem  ersten  Aufenthalt  in 
Ragusa  1878  hörte  ich  nur  mehr  mündliche  Beschreibungen  dieser  alten  Tracht,  ohne  ein  Exemplar  zu  Gesichte  zu  be- 
kommen. 

')  Urk.  1442  Mon.  serb.  415.  Was  der  um  1370  in  Ragusa  erwähnte  silberne  oder  vergoldete  prjevoj  war,  ist  aus 
den  Texten  nicht  klar. 

*)  jRadasclavus  filius  de  Jupan  Vratisclavo'  verpflichtet  sich  vor  dem  Comes,  dem  Nale  de  Cereva  binnen  zwei 
Monaten  ,unam  coronam  de  argento'  und  andere  Sachen  für  19  Perper  auszulösen,  .alias  vendantur',  24.  August  1319, 
Diversa  Notarie  1318—1320  Arch.  Rag. 

')  Ljubic,  Listine  4,  319,  '427  (1393):  .unam  coronam  auream  et  paria  quatuor  cereellorum  perlarum'. 

')   Jordan   Ivanov,     Izvestija   der  bulg.    archäologischen   Gesellschaft  3   (1912)    63 — 64    mit  Abbildungen  Nr.  55 — 56. 

')  Vgl.  Lilek,  Wiss.  Mitt.  2,  145. 

')  Die  mannigfaltigen  Halsketten  aus  Glas,  Muscheln,  Steinen,  Tierziihnen,  Metallen  und  die  festen  Halsringe  (grivna) 
der  Nordslaven  schildert  Niederle  1,  627  f.  mit  Abbildungen. 

')  Vgl.  Niederle  1,  670  f. 


Staat  und  Gesellschaft  ui  mittelaltkklk'hex  Seeeiex  III. 


25 


Sie  sind  in  den  Balkanländern  heute  noch  im 
Gebrauch  geblieben.^) 

Die  Herrscher  und  Fürsten  trugen  in  voller 
Eüstung  stets  ein  Kreuz  (krst)  am  Halse,  Ne- 
man ja  eines  mit  einer  Partikel  des  wahren 
Kreuzes  des  Herrn,  dessen  Schutz  er  alle  seine 
Erfolge  zuschrieb.  Gar  Michael  von  Bulgarien 
sendete  als  Geschenk  an  Kaiser  Andronikos  III. 
ein  einfaches  ehernes  Kreuz,  das  seinem  Vater 
und  ihm  oft  in  wunderbarer  Weise  geholfen 
haben  soll.  Bei  Orbini  erscheint  der  serbische 
Fürst  Lazar  mit  einem  goldenen  Kreuz  am 
Hals.  Auch  der  spätere  Erzbischof  Daniel  IL 
widerstand  nach  der  Erzählung  seines  Bio- 
graphen als  Athosmönch  den  Versuchungen  des 
l'eufels,  weil  er  ein  Kreuz  aus  ,Dämonenstein' 
(demonolit)  stets  am  Halse  trug.^) 

Das  alltägliche  Waffentragen,  welches  Thu- 
kydides  in  der  Blütezeit  der  hellenischen  Staa- 
ten bei  den  Einwohnern  des  Nordwestens  von 
Griechenland  als  einen  Überrest  des  alten 
Eäuberlebens  betrachtet,^)  ist  in  den  Bergen 
des  alten  Illyricums  nie  aus  der  Übung  ge- 
kommen. Es  lebt  z.  B.  in  Montenegro  und  Al- 
banien ununterbrochen  fort,  bis  auf  unsere  Tage. 
Nur  der  Geistliche  oder  Mönch  durfte  keine 
Waffen  mit  sich  führen.  Bei  Eagusa  gingen  die 
Bauern  selten  aus  dem  Hause  ohne  Bogen  und 
mindestens  zehn  Pfeile  im  Köcher.  Auch  der 
Handwerker  oder  Kaufmann  ritt  mit  Schwert 
und  Bogen  aus  der  Stadt  hinaus,  in  die  Um- 
gebung oder  in  die  Ferne,  nach  Serbien  und 
Bosnien,  manchmal  noch  mit  einem  Schild  aus- 
gerüstet. Edelleute,  Kaufleute  und  Bauern 
trugen  unter  dem  Mantel  am  Gürtel  einen 
Dolch  von  verschiedener  Größe  (cultellum  feri- 
torium,  cultelessa,  daga),  oft  an  einer  silbernen 
Kette  befestigt,  mit  Griff  aus  Bein  oder  Silber. 
Aber  im  Innern  der  Städte,  wie  Eagusa  oder 
Spalato,  war  das  Waffentragen  gänzlich  ver- 
boten. Fremde  mußten  ihre  Waffen  im  Stadttor 
ablegen  und  bei  der  Torwache  deponieren. 

Von  den  Nahrungsmitteln  war  die  Pflanzen- 


kost selbst  in  dem  an  Vieh  so  reichen  Westen 
des  Landes  stets  imentbehrlich ;  in  schlechten 
Jahren  hatte  dort  der  Mangel  an  Feldfrüchten, 
wie  wir  schon  früher  erwähnt  haben  (2,  26), 
öfters  eine  Hungersnot  zur  Folge.*)  Neben  dem 
Brot  (hljeb)  liest  man  von  Zwieback  für  die 
Schiffe  (biscottus,  serb.  kolac:  panes  colacios 
1371),  von  Kuchen  (pogaca,  lat.  foeacia),  welche 
die  Kolonen  im  Küstenlande  an  Festtagen  dem 
Grundherrn  als  Geschenk  darbrachten,  und  von 
Brei,  der  in  der  Küche  sowohl  der  Mönche  von 
Chilandar  als  der  Ragusaner  zubereitet  wurde 
(kasa,  ital.  farinata).  Ein  Mann  der  Kirche  des 
hl.  Nikolaus  von  Vranja  auf  den  Gütern  von 
Chilandar  führt  in  einer  Urkunde  des  Stephan 
Dusan  den  Spitznamen  Eubi-pogaca,  , schneide 
den  Kuchen'.®)  Ein  höheres  Produkt  der  Koch- 
kunst war  die  heute  noch  wohlbekannte  pita, 
ein  mit  Fleisch  oder  Käse  gefüllter  Kuchen, 
unter  demselben  Namen  auch  den  Neugriechen 
-q'oc),  Eumänen  und  Magyaren  bekannt.  Ein 
Nachbar  des  Klosters  Treskavec  bei  Prilep 
führt  in  einer  Urkunde  des  Stephan  Dusan  den 
Spitznamen  Pozri-pita,  ,verschlinge  den  gefüll- 
ten Kuchen'.^)  Schaffleisch  und  Sehweine- 
fleisch waren  neben  Käse  verschiedener  Form 
die  wichtigsten  Nahrungsmittel  animalischen 
Ursprunges.  Gesalzenes  Schweinefleisch  (porci 
saliti)  bildete  eine  wichtige  Ausfuhrware  der 
westlichen  Bergländer,  von  der  Narenta  bis 
Cattaro,  unentbehrlich  zur  Versorgung  der  See- 
schifl"e.  Man  liest  von  Speck  und  bereits  auch 
von  Schinken.")  Bei  der  Hoftafel  des  Königs 
LTros  IL  aß  die  byzantinische  Gesandtschaft, 
wie  Metochites  berichtet,  Wildbret,  Wild- 
schweine, Hirsche  und  Vögel,  an  Fasttagen 
Obst,  eingesalzene  und  frische  Fische,  besonders 
die  großen  und  dicken  Fische  aus  der  Donau, 
welche  in  Konstantinopel  als  ein  seltener  Lecker- 
bissen sehr  geschätzt  waren.  Der  Abt  des 
Klosters  Studenica  war  verpflichtet,  vor  dem 
Feiertag  des  Stifters,  des  Nemanja,  rechtzeitig 
Fische  von  der  Donau  und  aus  der  Zeta  kommen 


')  Dr.  Aleksa  Ivic,  Stari  srpski  pecati  (altserb.  Siegel),  Neusatz  1910,  Abbildung  Nr.  2  (Ninoslnv),  Nr.  65  (Kastriota). 
Vgl.  meine  Besprechung  des  Werkes  im  Arcli.  slav.  Phil.  33  (1912)  289— -i'JO. 

-)  König  Stephan  cap.  12.    Kautakuzenos  I  cap.  ij8.    Orbini  283.    Daniel  35". 

■')  Iior,fo9op-ta9ai    bei  den    ozolischen  Lokrern,    den  Aitülern    und  Akarnauiern    a-o    xi;;    nxXai»;    Xr,<sziix;,    Thukydides 
I  cap.  5. 

^'l  Gegen  die  Ansiclit,  daß  die  alten  Slaven  nur  Pflanzenkost  aßen,  wendet  sich  Niederlo  a.a.O.  I,  177  f. 

')  Novakovic,  Zakonski  spomenici  415. 

'')  Glasnik  13,  375.     Vgl.  den  Namen  Pozrikobila,  ,versclilinge  die  Stute',  in  der  Prizrener  UrU.,  ib.  15,  276. 

')  Ein   Ragusaner   wurde  1371   beraubt,    wobei   ihm   eine  I<aduiig  Wachs,    Felle,    Pelze  und  eine  salma  .de  lardo  et 
persutis'  (ital.  prosciutto)  weggenommen  wurde.  Lam.  Rag. 

Denkschriften  der  phil -bist.  Kl.  SS.  Ed.  2.  Abb  + 


26 


II.  Abhandlung:  Constantin  Jikecek. 


zu  lassen,  da  man  den  Landesherrn  einzuladen 
pflegte.^)  Zu  bestimmten  Zeiten  kamen  zum 
serbischen  König  Sendboten  der  Stadt  Cattaro 
mit  einer  Ladung  Seefische.  Auch  im  15.  Jahr- 
hundert erfreuten  die  Ragusaner  ihre  Nach- 
barn, den  König  von  Bosnien,  den  Vojvoden 
Sandalj  und  den  Herzog  Stephan,  später  auch 
die  türkischen  Statthalter  durch  Fässer  mit 
ausgesuchten  Fischen  des  Meeres. 

Unter  den  Getränken  war  das  vornehmste 
der  Wein,  den  man  im  Sommer  in  Eiskellern 
(ledenica)  lagerte,  um  ihn  einzukühlen.  Die 
Legenden  erzählen  in  ganz  naiver  Art,  wie  der 
hl.  Sava  als  Gesandter  seines  Bruders  Stephan 
des  Erstgekrönten  zu  König  Andreas  IL  von 
Ungarn  kam,  in  einem  sehr  heißen  Sommer, 
als  das  Eis  am  ungarischen  Hofe  zu  Ende  war. 
Dei  serbische  Fürstensohn  im  Mönchsgewande 
klagte,  in  seinem  Lande  sei  er  gewohnt  stets 
kühlen  Wein  zu  trinken,  doch  der  König  konnte 
ihm  kein  Eis  verschaffen.  Da  kam  infolge  der 
Gebete  des  Heiligen  plötzlich   ein  Hagelwetter 


und  Sava  sendete  dem  erstaunten  König  ein 
großes  Silbergefäß  voll  Eis  als  Geschenk 
Gottes.^)  Orbini  berichtet,  Eadivoj,  der  Sohn 
des  bosnischen  Königs  Ostoja,  sei  an  Wechsel- 
fieber gestorben,  infolge  übermäßigen  Genusses 
von  Wein  mit  Eis.^)  Der  aus  Honig  bereitete 
]\Iet,  altserbisch  ebenso  wie  der  Honig  med  ge- 
nannt (s.  oben  2,  51),  war  das  Getränk  der  wein- 
armen Bergländer,  sowohl  in  Serbien,  als  in 
Bulgarien,  ebenso  auch  im  slavischen  Norden.'^) 
Als  Kaiser  Friedrich  I.  mit  den  Kreuzfahrern 
des  dritten  Zuges  1189  in  Nis  eintraf,  wurde  er 
mit  seinen  Edelleuten  vom  Serbenfürsten  Ne- 
manja  mit  Wein  und  Met  bewirtet.^)  Daß  auch 
eine  Art  Bier  gebraut  wurde,  bezeugen  die 
Lieferungen  von  Hopfen  (hmelj)  und  Malz 
(slad)  an  die  Klöster,  zu  welchen  die  Bauern 
von  Bistrica,  Banjska,  Gracaniea  und  Decani 
besonders  vor  Weihnachten  verpflichtet  waren. 
Ein  Überrest  davon  ist  die  sauere  alovina 
(olavina)  bei  Pirot,  ein  Getränk  aus  Hafer  oder 
Gerste.") 


13.  Geistiges  und  gesellschaftliches  Leben. 

Die  Sprache  und  ihre  historische  Entwicklung.  Personen-  und  Familiennamen.  Das  Familienleben.  Der  Hof  nach  ein- 
heimischen und  fremden  Berichten.  Charakter  der  Könige  und  Königinnen.  Geist  und  Lebensweise  des  Adels.  Die  Geist- 
lichkeit; Bischöfe,  Weltgeistliche,  Mönche  und  Eremiten.  Etikette  im  mündlichen  und  schriftlichen  Verkehr.  Vorliebe 
für  den  Krieg.  Vorschule  dazu  die  Räuberei.  Die  hohe  und  niedere  .Jagd.  Vergnügungen:  Bogenschießen,  Schwerttiinze, 
Reiterspiele.  Gastmähler  und  Triuksprüche.  Tänze,  Masken,  Würfelspiel.  Musiker  und  Musikinstrumente.  Lied  und  Gesang, 
Entwicklung  des  serbischen  Epos.  Die  Schrift  und  ihre  Abarten.  Literatur:  byzantinische  und  abendländische  Belletristik, 
Apokryphen,  theologische  und  didaktische  Werke;  Pflege  der  einheimischen  Geschichte.  Die  altserbische  Kunst,  besonders 
die  kirchliche  Malerei.  Frömmigkeit,  gute  Werke  und  Armenpflege;  Wallfahrten  und  Wunderglaube.  Verbannung  und 
Gefangenschaft.     Medizinbücher  und  Ärzte.     Der  Tod:   Gräber  und   Grabdenkmäler. 


Wenn  wir  uns  von  der  i^hysischen  Seite  des 
Lebens  zur  geistigen  wenden,  betrifft  die  erste 
Frage  die  Sjarache.  Wie  erwähnt  (1,  1),  wurden 
die  Serben  und  Kroaten  noch  lange  von  den 
Fremden  als  l7./,2,'ir,v;i,  Sclavi  oder  Schiavoni  be- 


zeichnet, aber  die  Fortdauer  des  alten  slavi- 
schen Gesamtnamens  deckte  keineswegs  ein  un- 
^'erändertes  Fortleben  der  ursprünglichen  Spra- 
che. Das  Serbokroatische  hatte  schon  bei  der 
Einwanderung    seine    Eigentümlichkeiten    und 


')  Sathas,  Bibliotheca  graeca   1,   172,   174.     Typikon  von  Studenica  im   Glasnik  40,   172. 

'')  Domentian  249  f.    Theodosij   bei  Pavlovii   115  f. 

')  ,Morl  giovane  di  febre  terzana,  acquistata  col  bevere  troppo  vino  con  ghiaccic'     Orbini  368. 

*)  Eine  Menge  Wein  und  :io[j.äT(üv  ex  [jieXito;  erbeuteten  in  Bulgarien  die  Petscheuegen  im  11.  Jahrhundert,  Kedrenos 
ed.  Bonn.  2,  582.  Kantakuzenos  III  cap.  49:  die  Serben,  jxsXito;  yap  J|ji(popoü(i£vot  xai  zpEcüv,  erkrankten  scharenweise,  als  sie 
bei  Serrai  (1342)  frischen  Weinmost  unmäßig  tranken.     Vgl.  Niederle  a.  a.  O.  I,  208. 

'■)  ,Similiter  et  omnes  principes  a  predicto  comite  (d.  h.  dem  comes  Serviae)  in  viuo  et  medone  et  animalibus  mul- 
tum  honorati  fuerunt.'     Brief  des  Bischofs  Dietpold  von   Passau  im  Chroiiieon  Magni   presbiteri,   Mon.  Germ.  17,  509. 

')  Novakovid,  Bier  in  Serbien  (Pivo  u  Srbiji)  im  13.  und  14.  Jahrhundert,  Glas  86  (1911)  151  —  166.  Trojanovii, 
Altertümliche  serbische  Speisen  und  Getränke  (Starinska  srpska  jela  i  pi(5,a),  Srpski  etnografski  zbornik  2  (1896)  113  —  120. 
Vgl.  Niederle  a.  a.  O.  1,  210. 


Staat  und  Gesellschaft  iir  mittelalteelichex  Seebien  IIT. 


27 


hat  sich  im  Laufe  des  Mittehilters,  besonders 
seit  dem  Ende  des  14.  Jahrhunderts,  stark  ge- 
ändert. 

Die  jetzige  Schriftsprache  enthält  im  Vokalis- 
mus keine  Eeste  der  Nasale,  welche  einst  im 
Kirchenslavischen  und  Polabischen  bestanden 
haben  und  heute  noch  im  Polnischen  anzu- 
treffen sind.  Eigennamen  in  griechischen  und 
lateinischen  Denknüllern  des  9. — 11.  Jahr- 
hunderts liefern  aber  den  Beweis,  daß  die 
Nasallaute  auf  serbokroatischem  Boden  einmal 
gar  nicht  selten  waren. i)  In  den  Dialekten  der 
dalmatinischen  Inseln  sind  einige  fortlebende 
SjDuren  neuerdings  konstatiert  worden.^)  Halb- 
laute, in  der  heutigen  Schriftsprache  durch 
sonores  a  ersetzt,  hört  man  noch  in  Montenegro 
und  in  einigen  Landschaften  am  Golf  von 
Cattaro.^)  Aus  den  Formen  in  altserbischen 
Urkunden,  besonders  aber  aus  der  lateinischen 
Transkription  der  Eagusaner  sieht  man,  daß  sie 
im  13. — 14.  Jahrhundert  allgemein  verbreitet 
waren  und  einem  c  näher  standen.*)  Das  heu- 
tige a  kommt  dafür  erst  seit  1370  vor,  in  wach- 
sender Menge  seit  1410.^)  Das  kirchenslavi- 
sche  e  (-k)  wird  in  den  gegenwärtigen  Dialekten 
durch  e  (in  Teilen  Bosniens,  in  Slavonien,  im 
Banat,  im  Osten  Serbiens  und  in  Altserbien), 
je  oder  gedehnt  ijc  (in  der  Hercegovina,  dem 
Südwesten  Serbiens,  Montenegro,  Süddalma- 
tien)  oder  i  (in  Norddalmatien,  Teilen  Bosniens 
und  Kroatiens,  in  Istrien,  aber  auch  in  Podgo- 
rica  und  Antivari)  ersetzt,  z.  B.  der  Großvater 
oder  Greis:  ded,  djed,  did,  der  Glaube  oder  die 
Treue:  vera,  vijera,  vira.  Davon  ist  c  und  i 
alt.  In  Ragusa  war  ursjn'ünglich  e  vorherr- 
schend (suesda,  jetzt  zvijezda,  Stern),  wurde 
aber    seit    der    zweiten    Hälfte    des    14.    Jahr- 


hunderts durch  das  jüngere  je  verdrängt.  Ein 
ja,  ea,  wie  in  Bulgarien  und  im  mittelalter- 
lichen Makedonien  (djad,  vjära),  gab  es  im 
Serbischen  nicht. 

Im  Konsonantismus  ist  für  das  Serbokroa- 
tische seit  den  ältesten  Sprachproben  typisch  c 
für  kirchenslavisch  st  (noc,  Nacht,  für  nost)  und 
dj,  im  Westen  j,  für  kirchenslavisch  zd  (medja 
oder  meja,  Grenze,  für  mezda.**)  Die  auf- 
fallendste, in  den  Namen  sehr  bemerkbare 
Änderung  ist  die  Entwicklung  des  silbenbil- 
denden l  seit  1400  (nach  einigen  Übergangs- 
stufen) zu  u ;  z.  B.  der  Personenname  Vlk 
wurde  zu  Vuk,  Vlkasin  zu  Vukasin,  der  Volks- 
name Blgarin  zu  Bugarin  (der  Bulgare),  der 
Landschaftsname  Hlm  (lat.  Chelmo,  Chulmia) 
zu  Hum.'')  Das  die  Silben  schließende  l,  das 
noch  im  14.  Jahrhundert  z.  B.  in  den  Personen- 
namen Milbrat,  Milman,  Milsa  vorkommt,  geht 
seit  1400  im  Osten  und  Süden  (im  cakavischen 
und  kajkavischen  Dialekt  bleibt  es)  in  o  über: 
I\Iiobrat,  Mioman,  Miosa;  ebenso  im  Auslaut, 
wo  z.  B.  für  den  Burgnamen  Sokol  (der  Falke) 
oder  das  in  Ortsnamen  häufige  dol  (Tal)  seit 
derselben  Zeit  die  heutigen  Formen  Soko,  do  zu 
lesen  sind. 

Es  gibt  gewisse  Erscheinungen,  welche  in 
unserer  Zeit  den  Sprachen  der  Balkanländer 
ohne  LTnterschied  ihres  Ursprunges  gemeinsam 
sind.  Das  Serbokroatische  und  Bulgarische,, 
ebenso  wie  das  Rumänische,  Albanesische  und 
Neugriechische  umschreiben  das  Futurum  mit 
dem  Verbum  des  Wollens,  was  auch  sporadisch 
im  Kirchenslavischen  und  Altrussischen  vor- 
kommt. Ebenso  ist  allen  diesen  Sprachen  der 
Halbinsel  gemeinsam  der  Schwund  der  Infini- 
tivs;   in   Bulgarien   ist  er  gegenwärtig  bis   auf 


')  Jagid,  Arch.  slav.  Phil.  17  (1895)  79  verweist  auf  Muncimir,  Mouvtijx^po;,  TJevtivo,  C'entena  (jetzt  Cetina),  Diimbroa 
(jetzt  Dubrava).  Der  Übergang  von  lateinischem  <in,  on  in  urprünglicli  .a,  später  o,  u  vollzielit  sich  sonst  regelmäßig; 
vgl.  Miklosich,  Vgl.  Grammatik  der  slav.  Sprachen  1  (1879)  396.  Vgl.  Monte  Cras.so  bei  Spalato  Mutogras,  Pancratius  in 
Ragusa  Pokrat  ustp. 

^)  Miklosich  a.  a.  O.  kennt  dumbok  (für  dubok,  tief)  und  dumbrov  (für  dubrava  Hain).  Dunibrovnik  (für  Dubrovnik, 
Eagusa)  verzeichnete  auf  der  Insel  Zlarin  l)ei  Sebenico  Dr.  Aranza,  Vorläufige  Berichte  der  Halkankommission,  Heft  1 
(Wien,  Akademie  1900)  20,  22. 

')  Miklosich  a.  a.  0.  1,  ;^88.  In  Montenegro  heißt  z.  B.  die  Stadt  Skutari  heute  noch  Skbdhr,  wie  in  altserb.  t^rkunden, 
sonst  bei  den  Serbokroaten  Skadar  ausgesprochen. 

■*)  Z.  B.  casnec;  (kaznbc,  jetzt  kaznac),  stanec  (jetzt  stanak),  die  Ortsnamen  Orassec;  (jetzt  Orasac),  Graden  (Gradac), 
die  Personennamen  Pribec;  (Pribac),  Gruben  (Grubac). 

')  Vgl.  Kesetar,  Arch.  slav.  Phil.  16  (1894)  347. 

")  MsyupETOu;  Medjurei'-Jo,  Boua£ßoorf»)5  Vysevii  liei  Koust.  Porpb.  .'-iafai'ik,  Sorb.  Lesokörner  (Pest  1833)  .'if)  f  -lagic', 
Arch.  slav.  Phil.  22  (1900)   'Ab. 

')  In  der  slav.  Schrift  nacli  kirchenslav.  Mustor  durch  1|>  wiedergegeben:  vli.k  Wolf.  In  lat.  L'rk.  im  13.  Jahrhundert 
Velcanus  (Vlkan),  Velcoslauus  (Vlkoslav),  im  13. — H.  Volchassinus  (griech.  BEX/jKaaivo;,  Izvestija  des  russ.  arch.  Inst.  4,  1, 
69),  Volchus,  zuletzt  auch  Vulchus.  Übergangsformen:  Voch,  Vuoch.  Nach  1410  Vuch,  Vuchassin,  seit  1470  allein  vor- 
herrschend. 

4* 


28 


II.  Abhaxdlukg:  Constantin  Jieecek. 


kleine  Reste  ausgestorben,  in  Serbien  behauptet 
er  sieh  neben  der  umschriebenen  Form,  während 
die  westlichen  serbokroatischen  Dialekte  von  die- 
sem Prozeß  noch  unberührt  sind.^)  Dagegen 
fehlt  dem  Serbokroatischen  der  im  Bulgari- 
schen, Rumänischen  und  Albanesischen  vor- 
herrschende postponierte  Artikel;  er  kommt 
übrigens  auch  im  Großrussischen  vor,  sowohl  in 
alten  Denkmälern,  besonders  in  Moskauer  Ak- 
ten des  17.  Jahrhunderts,  als  auch  in  heutigen 
Dialekten.-)  Im  Serbischen  hat  sich  die  Dekli- 
nation, im  Gegensatz  zum  Bulgarischen,  stets 
behauptet,  nur  mit  kleineu  Änderungen  in  den 
I-'ormen.^)  Die  Akzentformen  sind  ungleich; 
der  ältere  Typus  lebt  in  Montenegro  und  Um- 
gebung. Von  den  heutigen  serbokroatischen 
Dialekten  reiwäsentiert  das  jetzt  in  der  Litera- 
tur nerrschende  Stokavische  im  Osten  und 
Süden  eine  neuere  Entwicklungsstufe,  während 
das  Öakavische  im  adriatischen  Küstengebiet 
von  Stagno  bis  Istrieu  diese  jüngere  Evolution 
nieiit  mitgemacht  hat.  Diese  beiden  Dialekte 
sind  schon  im  12. — 13.  Jahrhundert  von  einan- 
der verschieden  gewesen,  Avie  ein  Vergleich  der 
glagolitischen  Urkunden  aus  dem  küstenländi- 
schen Kroatien  mit  den  bosnischen  und  serbi- 
schen zeigt ;  ihre  Differenz  ist  seit  dem  14.  Jahr- 
hundert fortwährend  im  Wachsen.  Nach  Re- 
setar  ist  die  neue  Betonung  mit  anderen  Eigen- 
tümlichkeiten zuerst  im  Zentrum  des  Sprach- 
gebietes, in  der  südlichen  Hercegovina,  im 
östlichen  Bosnien  und  westlichen  Serbien  auf- 
getreten und  hat  sich  von  dort  seit  1400  in  allen 
Richtungen  ausgebreitet.'*) 

In  den  Personennamen  war  in  Serbien  eine 
überaus  mannigfaltige  nationale  Namensgebung 
herrschend,  mit  sehr  spärlichen  christlichen 
Elementen.  Auf  diesem  Gebiete  sind  die  Ser- 
ben bis  zum  heutigen  Tage  sehr  konservativ 
geblieben.  Die  vollen,  aus  zwei  Nomina  be- 
stehenden altertümlichen  Namen  waren  zu  Ende 
des  Mittelalters  gar  nicht  selten.  Edelleute  und 
Bauern  in  der  Nachbarschaft  von  Ragusa  heißen 
im     13. — 14.     Jahrhundert    Borislav,    Budimir, 


Dobrovoj,  Radogost,  Stanislav,  Vlkoslav  usw., 
ebenso  im  Innern  z.  B.  die  Bauern  in  den 
Dörfern  des  Klosters  von  Decani :  Dobrogost, 
Hvalislav,  Jaroslav,  Radobrat,  Slavoniir,  Skoro- 
voj  usw.  Viel  zahlreicher  sind  aber  die  Kurz- 
formen, in  denen  das  zweite  Nomen  durch  einen 
Suffix  ersetzt  wird,  wie  z.  B.  Bogisa,  Boroje, 
Gradoje,  Hranisa,  Rajko,  Tvrtko  u.  a.  Nationale 
Namen  führen  auch  die  adeligen  Frauen:  Bjela, 
Milica,  Miroslava,  Radaca,  Velislava  u.  a.  Die- 
selben Namen  sind  durch  Heiraten  auch  unter 
den  Frauen  des  Stadtadels  von  Dulcigno,  Anti- 
vari,  Cattaro  und  Ragusa  vertreten.^)  Diese 
einheimische  Nomenklatur  war  auch  in  Bos- 
nien herrschend.  Eine  eigene  Gruppe  bilden 
Völkernamen  als  Personennamen :  Bugarin, 
Grk  (auch  als  Frauenname  Grkinja),  Hrvatin, 
Kumanin,  Rusin,  Sarakin,  Sasin,  Turcin, 
Ugrin.  Neben  den  schon  oben  (1,  24)  erwähn- 
ten albanesischen  und  rumänischen  Namen 
kommen  auch  griechische  vor,  wie  Andronik, 
Staver  (cTaupoc  das  Kreuz),  Sinadin.  Abend- 
ländischen Ursprunges  sind  die  aus  der  Karls- 
sage stammenden  Namen  Oliver,  den  ein  Großer 
der  Zeit  Stephan  Dusans  führt,  und  Orlanda, 
als  Maunsname  zweimal  in  der  Stiftungsur- 
kunde des  Klosters  von  Prizren  erwähnt.  Ein 
Königsname  der  Kreuzfahrerzeit  war  Balduin, 
in  Cattaro  bei  der  Adelsfamilie  Drago  beliebt 
und  (in  der  Form  Baldovin)  weit  ins  Binnen- 
land unter  den  Bauern  und  Hirten  verbreitet, 
wie  aus  den  Klosterurkunden  von  Decani  und 
Prizren  zu  sehen  ist. 

Dagegen  sind  Bauernnamen  christlichen  Ur- 
sprungs z.  B.  in  der  Urkunde  von  Decani  eine 
Seltenheit,  ein  Dmitr,  Georg,  Hija,  Ivan  (Johan- 
nes), Lazar,  Marin,  Nikola,  Stjepko  (Stephan), 
Tiidor  u.  a.  Viel  häufiger  waren  sie  auf  ehemals 
byzantinischem  Gebiet  in  Makedonien  und  bei 
den  Albanesen ;  ebenso  war  es  bei  den  Kroaten, 
wo  die  Adeligen  des  Küstenlandes  meist  nur 
christliche  Namen  führten.  Im  13.  Jahrhundert 
finden  wir  auch  bei  den  Fürsten  von  Zachlumien 
und  bei  den  Nachkommen  des  Königs  Vlkan  in 


')  Miklosich,  Vgl.  Grammatik  4,  863,  873. 

')  Mileti?,  Clenxt  v  bi,lo:arskija  i  v  niskija  jezik  (Der  Artikel  in  der  bulg.  und  russ.  Sprache),  Sboniik  bulg.  18 
(1901)  4—67. 

')  Z.  B.  der  altserb.  ln.strumental  Sing,  auf  -ov  (pravov  verov)  war  sclion  im  Anfang  des  13.  .Jahrhunderts  im  Ab- 
sterben gegoniibor  dem  heutigen  -mn  (jiravom  verom).  Über  die  historische  Formenlelire  Hauptwerk:  Gj.  Danicic,  Istorija 
oblika  srpskoga  ili  hrvatskoga  jezika  do  svrsetka  XVIII  vijeka,  Belgrad  1874,  398  S. 

')  lleset.ar,  Die  serbokroatische  Betonung  südwestlicher  Mundarten,  Wien  lyOO  (Balkankomniission  der  Kais.  Aka- 
demie, linguist.  Abt.  I)  S.  23.     Derselbe,  Der  stokavi.sche  Dialekt,  Wien  1907  (ib.  VIII)  mit  2  Karten,  S.  30 f. 

'i  Vgl.  meine  Rom.  Dalm.  2,  65  f. 


Staat  und  Gesellschaft  iji  xiittelalterlichex  Seebiex  III. 


29 


Dioklitien  vorwiegend  Heiligennamen.  Seit  der 
Mitte  des  14.  Jahrhunderts  läßt  sich  ein  Vor- 
dringen der  christlichen  Namen  gegen  die  alte 
nationale  Nomenklatur  bei  dem  Adel  im  Innern 
Serbiens  beobachten,  wo  uns  unter  den  Großen 
bald  ein  Nikola,  Lazar,  Gregor  u.  a.  begegnen. 
Klar  wird  dies  in  der  Genealogie  der  jüngeren 
Fürstengeschlechter.  Die  Nachkommen  des 
Königs  Vlkasin,  des  Sevastokrators  Branko 
Mladenovic,  des  Logotheten  Pribac,  ebenso  die 
Crnojevici  in  der  Zeta  führen  im  Gegensatz  zu 
ihren  Vorvätern  größtenteils  christliche  Ka- 
lendernameu.  Schon  früher  hatten  einige 
christliche  Frauennamen,  wie  Jelena  oder  Jela 
(Helena),  Anna  oder  Theodora  bei  den  vor- 
nehmen Geschlechtern  der  Serben  eine  große 
Verbreitung  gefunden. 

Merkwürdig  ist  es,  daß  die  Dorfpopen  z.  B. 
in  der  Urkunde  von  Decani  vorwiegend  nur 
nationale,  nicht  kirchliche  Namen  führen:  Pop 
Bogdan,  Borislav,  Dobroslav,  Gradislav,  Mirko, 
Obrad,  Smil  usw.  Bloß  in  den  Epilogen  der 
Handschriften  erscheint  daneben  der  christliche 
Taufname  des  Geistlichen,  z.  B.  Presbyter 
Vasilije,  genannnt  Pop  Dragolj,  oder  Presbyter 
Georg,  genannt  Pop  Eadoslav.^)  Im  15.  Jahr- 
hundert war  es  nicht  viel  anders ;  von  10  Popen 
von  Novo  Brdo  in  einer  Urkunde  1434  führen 
sieben  nationale,  drei  kirchliche  Namen. ^)  Auch 
unter  den  lateinischen  Klerikern  des  Küsten- 
landes hatten  Diakone  und  Priester  zum  Teil 
slavische  und  albanesische  Vornamen,  in  Dul- 
cigno  z.  B.  1242  ein  Presbyter  Velcmirus  (Vlk- 
mir)  und  ein  Subdiaconus  Zupanus,  in  Antivari 
1290  ein  Archipresbyter  Tanusius.^)  Auch  in 
Deutschland  heißen  bekanntlieh  die  Geistliehen 
des  Mittelalters  meist  Albert,  Friedrich,  Ul- 
rich usw.  Anders  war  es  bei  den  Mönchen.  Im 
byzantinischen  und  ebenso  im  serbischen 
Kloster  sind  vom  Anfang  an  die  Namen  des 
Alten  und  Neuen  Testamentes  und  die  Heiligen- 
namen des  Kalenders  in  einer  bestimmten  Aus- 
wahl allein  herrschend,  mit  Ausschluß  aller 
nationalen  Elemente.  Die  Mönche  heißen  Ar- 
senij,     Barlaam,    Benjamin.     David,    Dorothej, 


Gerasim,  Isaia,  Jefrem,  Makarij,  Methodij, 
Neofyt,  Theodul  usw.  Dasselbe  gilt  von  den 
Klosterfrauen:  Elisabeth,  Eugenia,  Euphemia, 
Euphrosyne,  Eupraxia,  Martha,  Polychronia, 
Xenia  usw. 

Einen  Ersatz  für  die  Familiennamen  bilden 
Beinamen  (altserb.  jjoreklo,  prozviste,  pridje- 
vak),  unter  denen  dieVatersnamen  vorherrschen. 
Die  Familien  der  Bauern  auf  der  Bastina  des 
Protopopen  Prochor  heißen  Savcici,  Bogdano- 
vici,  Pobratovici,  Stanici  und  Strjezojevici,  eine 
Popenfamilie  bei  Prizren  die  ,popovi  Dikano- 
vici'.'*)  Bei  Decani  führt  ein  beträchtlicher  Teil 
der  Bauern  neben  den  Personennamen  Patro- 
nymica:  Brajie,  Dobromislovie,  Slavojevic,  Ve- 
seljkovic  u.  a.  Manche  weisen  auf  die  Beschäf- 
tigung der  Väter:  Kovacevic  der  Sohn  des 
Schmiedes  (kovac),  Savcic  der  Sohn  des  Schnei- 
ders (savac),  Popovic  Sohn  des  Popen,  Prachto- 
rovic  Sohn  des  Steuereinnehmers  (prachtor). 
Auf  Väter,  die  später  Mönche  wurden  und  als 
solche  hohe  kirchliche  Würden  erlangen  konn- 
ten, beziehen  sich  einige  Vatersnamen  in  der 
Prizrener  Urkunde:  ein  Schneider  Dragomir 
Kalugjerovic  (Mönchssohn)  und  ein  Pope  Hra- 
nislav  Episkopovic  (Bischofssohn).  Eine  zweite 
Serie  bilden  die  in  dieser  Zeit  in  allen  Län- 
dern Europas  verbreiteten  Si)itznamen:  Lisica 
(Fuchs),  Muha  (Fliege),  Jez  (Igel),  Kozoder 
(Ziegenschinder),  Svinoglav  (Schweinskopf), 
Lojeoca  (Unschlittauge),  Zlobradic  (schlechter 
Bart),  Oparitul  (verbrüh'  den  Köcher),  Muti- 
voda  (trüb'  das  Wasser),  Golozlo  (das  nackte 
Übel),  Golklas  (die  nackte  Ähre)  usw.^)  Manch- 
mal vertritt  der  Spitzname  den  Eigennamen 
ganz,  wie  in  der  Urkunde  von  Decani :  ,Milos 
und  sein  Sohn  Eadoslav  und  sein  Bruder  Modra 
Gora  (,der  blaue  Berg')'-")  Dagegen  fehlen  in 
den  meist  unter  dem  Einfluß  der  Kirche  redi- 
gierten serbischen  Urkunden  Beinamen  derber, 
obszöner  Art,  wie  sie  in  den  Städten  Dalmatiens 
sowohl  in  romanischer  als  slavischer  Sprache 
nicht  selten  waren, ^)  in  zahlreichen  Variationen 
bekannt  in  ganz  Westeuropa. 

Es   ist   merkwürdig,   daß   die   Patrizier   der 


')  Stojanovid,  Zapisi  1,  Nr.  aö,  '2  Nr.  4167.  -)  Sporaeiük  3,  öl. 

')  Vgl.  meine  Rom.  Dalm.  "2,  20 f.     (Bei  Smiciklas,  Cod.  diel.  4,  156  statt  Velcmirus  gedruckt  Vacmirus.) 

*)   Urk.   von   Decani  67,   130,  von  Prizren  Glasnik   15,  •282. 

^)  Altertümliche  Personennamen  nationaler  Art  und  eine  reiche  Auswahl  von  Siützuamen  sind  besonders  vertreten 
unter  den  Namen  der  djed,  der  Vorväter  einzelner  liauernfamilion  in  der  Urkunde  von  Decani.  f^ber  Golozlo  vgl. 
Mazuranif,  Prinosi  za  hrvatski  pravno-povjesni  rjecnik  325:  Golozlo v,  Golozlo vi<!,  Golozlic  auch  in  Agram  1386 f.  (ebenda 
auch  eine  kleine  Sammlung  .anderer  Spitznamen). 

^)   Urk.  von  Decani  18.  ')  Beispiele  in   meinen   Rom.  Dalm.  1,  78. 


30 


II.  Abhandlung:  Constantipt  Jirecek. 


Küstenstädte  im  Binnenlande  nicht  nur  mit 
ihren  heimischen  Familiennamen  in  romani- 
pcher  und  slaviselier  Form,  sondern  anch  mit 
eigenen  Namen  bezeichnet  wurden,  die  zum 
Teil  Spitznamen  waren.  Die  Bolizza  (Bivolji- 
cic,  von  bivolj  Büffel)  von  Cattaro  heißen  bei 
den  Montenegrinern  im  15. — 18.  Jahrhundert 
Grbicic  (grba  Buckel).  Einen  der  Gradi  (slav. 
Gradic)  von  Bagusa  nannte  man  in  Serbien  im 
15.  Jahrhundert  Cinculovic,  von  rum.  cinci, 
aromun.  tsints  fünf.  Einer  der  Luca  (slav.  Lu- 
cio) von  Kagusa  hieß  1405  Trentacevic  (ital. 
trenta  dreißig).  Die  Cerva  (slav.  Crijevici) 
nannte  man  auch  Tamarici  (metronymisch,  von 
einer  Frau  Tamara),  eine  Linie  der  Bagnina 
Grubetici.  Einer  der  Crosio  (slav.  Krusic),  Ser 
Stephanus  de  Croxi  erscheint  in  Serbien  1426 
als  Stjepko   Murzic.^) 

Die  Ortsnamen  reichen  in  das  frühere 
Mittelalter  zurück,  in  die  Periode  der  slavischen 
Einwanderung,  mit  vorslavischen  und  slavi- 
schen Elementen.  Die  späteren  Jahrhunderte 
haben  nur  wenige  Veränderungen  in  diese 
Nomenklatur  gebracht. 

Die  großen  Verwandtschaftsbände,  die  mäch- 
tigen Sippschaften  und  Bruderschaften  (s.  oben 
1,  26  f.),  verliehen  ihren  Angehörigen  einen 
starken  Eückhalt.  Aber  daneben  gab  es  auch 
kleine  Familien  und  einzelne  Leute  ohne  Ver- 
wandtenkreis, Unfreie,  Freigelassene,  Arme, 
Obdachlose  und  Verstoßene,  wie  die  Leprosen. 
Mit  der  Familienorganisation  steht  in  Verbin- 
dung das  Wort  brat  in  seiner  vielgestaltigen 
Bedeutung;  es  bedeutete  nicht  nur  Bruder, 
sondern  auch  Vetter,  Schwager,  Mitglied  der- 
selben Bruderschaft,  Milchbruder,  Klosterbru- 
der, Freund  auf  Grund  der  eingeschworenen 
künstlichen  Bruderschaft  (s.  oben  1,  15).  Die 
Eivalitäten  in  der  Ilerrseherfamilie,  KämiDfe 
zwischen  Brüdern  oder  gar  zwischen  Vätern  und 
Söhnen  zeigen  aber,  daß  der  Familienverband 
doch  nur  eine  schwache  moralische  Grundlage 


bot.  Auffällig  ist  in  den  Predigten  des  Erz- 
bischofs Sava  I.  die  Mahnung,  nicht  nur  Arme 
zu  beschenken,  Obdachlose  aufzunehmen.  Nackte 
zu  bekleiden,  sondern  auch  die  eigenen  Bluts- 
verwandten nicht  zu  verachten.^) 

Das  Fundament  der  Familie,  die  Ehe,  ging 
seit  der  Zeit  des  ersten  Erzbischofs  Sava  aus 
dem  Gebiet  des  Volksrechtes  in  das  des  Kirchen- 
rechtes über,  doch  mußte  noch  das  Gesetzbuch 
des  Stephan  Dusan  den  Einfluß  der  Kirche  auf 
die  Eheschließung  ausdrücklich  wahren,  durch 
Androhung  der  Auflösung  der  ohne  kirchlichen 
Segen  geschlossenen  Ehe.^)  Bei  den  Lehr- 
meistern der  Serben,  bei  den  Byzantinern,  war 
das  Eherecht  seit  1204  arg  im  Verfall.  Die 
Zeiten  des  10.  Jahrhunderts,  wo  man  um  die 
Zahl  der  erlaubten  Ehen,  die  Trigamie  und 
Tetragamie,  in  Byzanz  erbitterte  Parteifehden 
führte,  waren  längst  vergangen.  Ein  Zeitge- 
nosse Savas  L,  der  letzte  hervorragende  Kano- 
nist der  Griechen,  der  Erzbischof  Demetrios 
Chomatianos  klagt  über  die  vielen  Gesetzlosig- 
keiten in  der  Eheschließung,  besonders  über 
die  Unbotmäßigkeit  der  Mächtigen.  Im  13.  und 
14.  Jahrhundert  führte  bei  den  Griechen,  ebenso 
wie  bei  den  Bulgaren  und  Serben  die  gegen 
alle  Regeln  des  Kirchenrechtes  eingeführte 
Leichtigkeit  der  Ehescheidung  zu  einem  wenig 
erfreulichen  Wechsel  der  Fratien,  aus  i^oliti- 
schen  und  ijersönlichen  Gründen.  Schon  die 
verstoßene  byzantinische  Frau  Stephan  des 
Erstgekrönten,  Eudokia,  des  Kaisers  Alexios  III. 
Tochter,  ging  in  ihrem  Vaterland  bald  neue 
Ehen  ein,  mit  Kaiser  Alexios  V.  und  später  mit 
dem  iDelojDonnesischen  Archonten  Leon  Sguros, 
ebensowie  ihr  Gatte  in  Serbien.'')  Auch  ihr 
Zeitgenosse  Kaiser  Theodoros  I.  Laskaris  von 
Nikaia  (1204 — 1222)  hatte  drei  Frauen  nach- 
einander: Anna,  Tochter  des  Alexios  III.,  die 
Armenierin  Philippa,  die  er  bald  verstieß,  und 
Maria,  die  Schwester  des  lateinischen  Kaisers 
Eobert.^)    Die  vier  vom  Standpunkte  des  kano- 


')  Vgl.  meine   Vorrede  zu  Spomenik  II,  S.  7 — 8  und  meine  Rom.  Dalm.,  .3.  Teil  (Denkschr.  W.  Akad.,  Bd.  49). 

^)  Tlieodosij  bei  Pavlovii  1.33  (ot  krve  svojili  ne  prezreti). 

')  tJber  den   Gegensatz  zwischen   dem   n.ationalen  und  kirchlichen   Eherecht  vgl.  meine  Geschichte  der  Serben   1,  142. 

■*)  Stephan  und  Eudokia  vgl.  ebenda  1,  287.  Die  Verwechslungen  und  Irrtümer  über  diese  Eudokia  in  der  Literatur 
des  17.— 19.  Jahrhunderts  behandelt  Nikola  Radojcii,  Prva  zenidba  Stefana  Prvovencanog,  Glas  90  (1912)  268—292.  Die 
meisten  Historiker,  selbst  Du  Gange,  bis  auf  Hertzberg  behaupteten,  Nemanja  habe  als  Greis  die  Eudokia  geheiratet  und 
nach  seiner  Abdankung  habe  «ein  Sohn  Stephan  die  junge  Stiefmutter  zur  Frau  genommen,  mit  ihr  Kinder  gehabt  und  sie 
verstoßen.  Diese  Verwechslung  des  Nemanja  und  seines  Sohnes  Stephan  stammt  aus  der  lateinisclien  Übersetzung  des 
Niketas  Akomin.-itos  von  Ilieronymus  Wolf  (1557).  in  welcher  der  Sinn  des  Originals  ganz  unrichtig  wiedergegeben  ist. 
Das  von  Akominatos  und  Akropolites  erwähnte  Leiden  der  Eudokia  hält  Radojcii  für  Krätze  (Scabies.  Psora). 

')  Antonios  Meliarakes,  'hzop'.x  xoü  pasiXtioj  tJ);  Ni/.aiac,  Athen  1898,  131  —  132,  135. 


Staat  und  Gesellschaft  im  mittelalterlichen  Serbien  III. 


31 


nischen  Eechtes  zum  Teil  sehr  anfechtbaren 
Ehen  des  Stephan  Uros  II.  Milntin  waren  kein 
Hindernis,  diesen  König  unter  die  Heiligen  der 
serbischen  Kirche  aufzunehmen. i)  Charakteri- 
stisch ist  es,  daß  wir  über  diese  Familienverhält- 
nisse meist  nur  aus  den  griechischen  Quellen 
unterrichtet  sind;  die  serbischen  Biographen 
der  Landesfiirsten,  sämtlich  i\r;inner  der  Kirche, 
haben  ihren  Lesern  den  Einblick  in  die  Ge- 
heimnisse der  Frauengemächer  sorgsam  ver- 
hüllt. Erst  seit  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts 
gewinnt  die  Ehe  unter  den  Christen  der  Halb- 
insel wieder  an  Stabilität  und  Legitimität.  Die 
größte  Freiheit  in  der  Ehescheidung  behielten 
die  bosnischen  Patarener. 

Die  regelrechte  Ehe  wurde  formell  durch 
Werbung,  Verlobung,  Vertrag  und  Zeremonien 
geschlossen.  Aber  die  heidnische  Ehe  durch 
Frauenraub  ist  nie  außer  Gebrauch  gekommen, 
obwohl  sie  durch  die  Gesetze  streng  verfolgt 
wurde.  Sie  war  auch  bei  den  Byzantinern  in 
Kleinasien  üblich,  wie  eine  farbenreiche  Epi- 
sode des  Epos  vom  Digenis  Akritas  zeigt,  in 
welcher  der  Held  die  schöne  Eudokia  aus  dem 
Geschlecht  der  Dukas  entführt.  Stephan  Dusan 
wollte  den  Brauch  streng  unterdrücken.  Der 
Edelmann,  der  eineEdelfrau  ,mitGewalt  nimmt", 
ebenso  der  Nichtadelige,  der  eine  Frau  seines 
Standes  entführt,  verlieren  nach  dem  Gesetz- 
buch beide  Hände  und  obendrein  die  Nase;  der 
Sehr,  der  es  wagt,  eine  Edelfrau  zu  rauben, 
wird  gehängt.  Prozesse  über  die  Entführung 
einer  Edelfrau  gehören  zur  persönlichen  Ge- 
richtsbarkeit des  Landesherrn.-)  Auch  die  Ea- 
gusaner  duldeten  die  Sitte  nicht.  Ein  Bauer  von 
Podimoc  bei  Stagno,  Radoje  Bogulinovic,  klagte 
1446,  seine  Tochter  Zivka  sei  mit  Gewalt  ent- 
führt worden  von  Padut  Bozickovic  aus  Smo- 
kovljane,  der  dabei  von  acht  anderen  Bauern 
aus  demselben  Dorfe,  aus  Visocane  und  aus  Li- 
sac  begleitet  war.  Der  ragusanische  Comes  von 
Slano  sendete  Bewaffnete  nach  Smokovljane, 
welche  die  Zivka  im  Hause  eines  der  Eäuber  ge- 
fesselt vorfanden  und   dem  Vater  zurückbrach- 


ten. Eadut  wurde  vom  Gericht  von  Eagusa  zu 
einem  Jahr,  seine  Helfershelfer  zu  je  einem 
halben  Jahr  Kerker  verurteilt,  doch  waren  alle 
längst  über  die  Grenze  geflohen.*) 

Die  Gattin  wird  in  LTrkunden  und  In- 
schriften als  ,Hausfrau',  kucnica  (von  kuca 
Haus)  bezeichnet.  Bei  den  Königinnen  hing 
ihr  Einfluß  von  der  persönlichen  Begabung  ab. 
Auch  die  großen  und  kleinen  Edelfrauen  traten 
selbständig  auf.  Die  Witwe  des  Knez  Vojislav, 
die  ,comitissa'  übernahm  von  den  Eagusanern 
Gelder  für  den  Caren  Uros.  Ebenso  leisteten 
die  Vorsteherinnen  eines  ,Katun'  der  Hirten, 
wie  Jelena,  die  ,Katunara'  der  Vragovici,  mit- 
unter einen  Eid  in  Eechtsfragen  für  ihre  Unter- 
tanen.'') In  Bosnien  war  es  üblich,  daß  die 
Frauen  der  Großen  bei  Vertragsurkunden  Eide 
wie  die  Männer  ablegten.  Als  der  Vojvode 
Sandalj  1405  von  den  Eagusanern  verlangte, 
daß  auch  die  Frauen  der  Patrizier  der  Stadt 
schwören  sollen,  wiesen  es  die  Senatoren  ab, 
denn  die  Eagusanerinnen  seien  keine  .baronesse', 
Landesfürstinnen. °)  Die  Stellung  der  Frau  war 
in  den  Küstenstädten  überhaupt  sehr  verschie- 
den von  den  Verhältnissen  im  Innern.  Das 
Eecht  von  Cattaro  erklärt  das  Zeugnis  einer 
Frau  ausdrücklich  als  wertlos,  während  das 
Eecht  von  Eagusa  in  gewissen  kriminellen 
Fällen  den  Wert  der  Zeugenschaft  einer  Frau 
sehr  einschränkt. 

Nicht  jeder  König  oder  Edelmann  war  ein 
solches  Muster  der  Keuschheit,  wie  Daniel  den 
Stephan  Dragntin  schildert.*)  Der  Mönch  Theo- 
dosij  schreibt,  der  hl.  Erzbischof  Sava  habe  bei 
seineu  Predigten  jedermann  mit  Tränen  ge- 
beten, vor  Liebeleien  (IjubodGjanija),  Ehebruch 
(preljubodejstvo),  Päderastie  (mnzeneistovstvo), 
Umgang  mit  Tieren  fskotolozbstvo)  und  jeder 
Unzucht  die  Flucht  zu  ergreifen.'')  Er  wird  es 
nicht  ohne  Grund  getan  haben.  Schon  Eudokia, 
die  Tochter  Alexios  III.,  warf  ihrem  serbischen 
Gatten,  dem  damaligen  Großzupan  Stephan,  ge- 
heime Liebschaften  vor,  aber  ebenso  auch  er 
der   griechischen    Kaiserstochter.*)     Neben    den 


')  Meine  Geschichte  der  Serben  1,  332. 

')  Zalionik  Art.  53. 

')  Lamenta  de  foris   144(>f.   110' ff.  Ardi.  Ka^. 

<)  Spomeiiik   11,  84   (1443). 

')  jSalvo  delle  donne  nostre,  noii  fo  may  uxan(;.a  che  lo  zureno,  perclie  neu  son  baronesse  et  le  lor  son  baronesse., 
Die  Kagusaner  an  Nicoiao  de  Gozze,  ihren  Gesandten  bei  .Sandalj,  30.  Jlai  1405  Lett.  Kat^.  Vgl.  .lorira,  Notices  et  oxtraits 
■2,    108. 

^)  Daniel  52:  der  König  hatte  mehr  als  ÜB  .laliro  keinen  Verkehr  mit  seiner  Gattin:  sie  lebten  wie  liruder  nnd 
Schwester.  ')  Theodosij   bei  PavIovic5   133.  ")   Niketas  Akominatos  ed.   Bonn.  p.  704. 


32 


II.    AliUANDLUXG:    CONSTANTIN    JlEECEK. 


Ehel'raiien  fehlte  es  nicht  an  Buhlerinnen. 
Sava  ermahnte  in  seinen  Eeden  die  kleinen  Edel-_ 
leute  oder  Kriegsleute  (vojiny),  sich  mit  ihren 
Gattinnen  (supruznica)  zu  begnügen.  Bei  dem 
Verfall  des  Reiches  notiert  Djak  Dobre  in  seiner 
Abschrift  eines  kirchlichen  Menäons  ganz  treu- 
herzig, das  Buch  sei  geschrieben  worden,  als  der 
,fromnie  K(>nig  Marko'  die  Theodor a,  Frau  des 
Gregor,  offenbar  eine  Geliebte,  dem  Dynasten 
Hlapen  aiislieferte  und  als  seine  ,erstangetraute 
Frau'  Hlapens  Tochter  Jelena  heiratete.^)  Die 
fremden  Ivaufleute  und  die  deutschen  Bergleute 
in  Serbien  und  Bosnien  lebten  mit  Konkubinen, 
die  mit  ihren  Kindern  nicht  selten  in  den  Testa- 
menten der  Ragusaner  erwähnt  werden.^) 
Ebenso  gab  es  in  den  Städten  der  Kreuzfahrer- 
staaten im  13.  Jahrhundert  viele  Klagen  der 
Kirche  gegen  die  Konkubinenwirtschaft  der 
dort  weilenden  Kaufleute.  In  Ragusa  waren 
außereheliche  zeitweilige  Bündnisse  nichts  Sel- 
tenes. Junge  Nobiles  gingen  schon  um  1280 
abends  vom  Festgelage  zu  den  Freundinnen 
schlafen  (ire  dormitum  ad  domum  aniice  sue). 
Aus  Prozes.sen  ist  seit  Ende  des  13.  Jahrhunderts 
zu  sehen,  wie  sich  dabei  die  Begriffe  von 
Freundin  und  Sklavin,  ,amica'  und  ,ancilla'  oft 
in  bedenklicher  Weise  kreuzten.^)  Ob  es  in  der 
serbischen  Dynastie  Neman  jas  Bastarde  ge- 
geben  hat,   wie  bei    den   Despoten   von   Epirus 


oder  bei  denPalaiologen,  welche  ihre  natürlichen 
Töchter  z.  B.  an  die  Tatarenchane  zu  verheira- 
ten pflegten,  wird  in  den  bisher  bekannten 
Quellen  nicht  berichtet.'*)  In  den  Küstenstädten 
gab  es  ihrer  eine  Menge,  eine  Folge  der  großen 
Zahl  der  Sklavinnen  und  Dienerinnen  im  Hause. 
In  einer  um  1430  verfaßten  Statistik  von 
Cattaro  wird  in  den  Häusern  vieler  Adeligen 
und  Bürger  nach  den  Familienmitgliedern  zum 
Schluß  ein  ,flogl  natural'  oder  eine  ,fiogla  na- 
turala'  genannt.^)  In  Ragusa  führten  die  Ba- 
starde der  Edelleute  deren  Familiennamen  vin- 
gehiudert  fort;  so  sind  die  bürgerlichen  Dersa 
(Drzic)  des  15. — 17.  Jahrhunderts  eine  Bastard- 
linie der  ausgestorbenen  adeligen  Dersa  des 
13. — 14.  Jahrhunderts.*^)  In  den  Küstenstädten 
gab  es,  wie  im  byzantinischen  Reich  und  in 
Italien,  überall  Frauenhäuser.')  In  Budua 
mußten  die  ,puttane'  eine  eigene  Kopfbedeckung 
tragen  und  durften  nicht  in  der  Nachbarschaft 
von  Edelfrauen  oder  Nonnen  (gentildonne  o 
monache)  wohnen.^)  In  Ragusa  war  ihnen  in 
einem  hochgelegenen  Gäßchen  der  Altstadt  ein 
eigenes  Haus  angewiesen,  welches  man,  wie  in 
Venedig,  euphemistisch  das  , Schlößchen'  (castel- 
letum)  nannte;  die  Vorsteherin  dieser  Ge- 
meinde hieß  die  ,Äbtissin'  der  Sünderinnen.^) 
Sie  wurden  auch  von  den  nach  Jerusalem 
fahrenden  Pilgern  besucht.^") 


1)  Stojanovid,  Zapisi  1,  Nr.  189. 

')  Über  die  Beischläferinnen  der  .Latini  et  alii  Theotonici'  in  Bosnien  klag-t  137ö  ein  Vilcar  der  Franziskaner  dem 
Papst,  Eacki,  Rad  8  (1869)   134. 

')  Das  VerliUltnis  im  ragusanisclien  Hause  zwischen  dem  Herrn  (cfospar,  gospodar),  der  Frau  (gospodja)  und  den 
■n-eiblichen  Dienstboten,  die  von  dem  Herrn  insgeheim  liebkost  werden,  beleuchten  im  16.  .Jahrhundert  ganz  anschaulich 
die  Komödien  des  Nikola  Na!jeskovi6,  herausgegeben  in  den  Stari  pisci  der  Südslav.  Akademie  Bd.  5,  247  ff. 

*)  Der  Tatarenchan  Nogaj  hatte  in  seinem  Harem  Irene,  Tochter  h.  voöei«;  des  Kaisers  Michael  Palaiologos,  Nike- 
phoros  Gregoras  V  cap.  7  §  2.  Kaiser  Androuikos  H.  gab  dem  Tatarenchan  seine  vdöo;  Boyairip  Maria  zur  Frau;  Pachymeres, 
Andronikos,  Buch  HI  cap.  27.  Aber  nach  Kantakuzenos  I  cap.  39  täuschte  man  die  Tataren  und  gab  ihnen  als  angebliche 
Kaisertöchter  schöne  Jungfrauen   oft  aus  bedeutungslosen  Geschlechtern   (1?  ä(ji](j.tov  yevüjv),   welche  im  Palast  erzogen   waren. 

')  Gase  e  persone  di  Cattaro  (c.  1430),  Fragment,  17  BI.  eines  Papierkodex,  im  Statth,alterei-Archiv  von  Zara.  Z.  B 
im  Hau.se  des  Ser  Urban  de  Drago  13  Personen,  darunter  ,Stiepan  suo  tiogl  natural',  im  Hause  des  Ser  Dobruscho  de 
Margoi;  11  Personen,  darunter  ,Nichola  suo  fiogl  natural,  Lucia  sua  tiogla  naturala'  usw. 

«)  Vgl.  meine  Bemerkungen  im  Arch.  slav.  Phil.  19  (1897)  75  und  meine  Rom.  Dalm.  3,  23.  Nichtadelige  Menze, 
Bodaza,  Luccari  usw.:  Arch.  .slav.  Phil.  21  (1899)  462. 

')  Über  die  ;j.i|j.e<fia  >[toi  jcopvizi  zaTa-c'öyia  in  Konstantinopel  die  Vita  S.  Andreae  Sali,  cap.  3,  §  20f.,  bei  Migne,  Pa- 
trologia  graeca,  vol.  111   col.  C.'jliT. 

")  Statut  von  Budua  Art.  66  .delle  puttane',  welche  kein  ,ombrano  in  testa'  tragen  dürfen,  nur  ein  .faciol'  usw.  Mon. 
bist.  jur.  Slavorum  merid.  3,  18. 

")  Abatissa,  batessa  postribuli,  batessa  di  bordello  1400  f.  als  das  Oberhaupt  der  ,pGocatrices' oder  ,meretrices'  in  den 
Gericlitsbüchern  von  Ragusa. 

'")  In  der  Pilgerfahrt  des  Ritters  Arnold  von  H.arff  aus  dem  Herzogtum  Jülich  am  Niederrhein  1496 — 1499,  heraus- 
gegeben von  Dr.  E.  von  Groote,  Köln  18C0,  S.  64  ein  in  Ragusa  niedergeschriebenes  Glossar  der  ,slavennyske  Sprache', 
worin  die  Frage  nicht  fehlt:  ,Frau,  soll  ich  bei  euch  schlafen?'  mit  dem  Verbum  ,frauweren'  (coitum  facere).  In  Durazzo 
hat  sicli  der  junge  Ritter  in  den  Proben  der  albanischen  Spraclie  etwas  solches  nicht  notiert  iS.  65).  wohl  aber  noch  genauere 
Fragen  dieser  Art  griechiscli.  ebenso  arabisch  und  bei  der  Reise  zum  lil.  Jakob  von  Conipostella  sogar  baskisch  (S.  75, 
112,  227). 


Staat  und  Gesellschaft  im  mittelalteelichex  Seebiex  III. 


33 


Fleischesvergehen,  welche,  wenn  der  Übel- 
täter die  Überfallene  Jungfrau  nicht  heiraten 
wollte,  in  den  Gesetzen  aller  dieser  Länder  ur- 
sprünglich streng  bestraft  wurden,  z.  B.  im  by- 
zantinischen Eechte  durch  Verlust  der  iSTase, 
waren  in  den  letzten  Jahrhunderten  des  Mittel- 
alters den  Vermögenden  durch  Geldstrafen  sehr 
erleichtert.  Auch  im  serbischen  Eechte  werden 
in  Urkunden  auf  den  Dörfern  Geldbußen  für 
den  Überfall  eines  Mädchens  (devic  razboj)  ei'- 
wähnt,  neben  dem  Blutgeld  und  anderen  Bußen, 
und  zwar  wird  diese  Einnahme  den  Klöstern 
geschenkt.  Allerdings  beschränken  sich  diese 
Angaben  auf  drei  Stiftungen  in  den  vor  1282 
byzantinischen  Provinzen  in  Makedonien,  das 
Kloster  des  hl.  Georg  bei  Skopje,  das  Kloster 
von  Htetovo  im  obersten  Tal  des  Vardar  und 
das  von  Treskavec  bei  Prilep.^)  Dieselbe  Geld- 
buße ist  als  xapÖsvoaOcpi'a  neben  dem  ccvs;  (Blut- 
geld) genannt  in  zahlreichen  byzantinischen  Ur- 
kunden des  14.  Jahrhunderts.  Schon  in  dem 
älteren  byzantinischen  Eecht  wurde  dieses  Ver- 
brechen neben  dem  Verlust  der  Nase  durch 
Konfiskation  des  Besitzes  des  Täters  verfolgt.-) 
In  Cattaro  zahlte  der  Schuldige  je  nach  dem 
Stand  des  weiblichen  Teiles,  der  eine  Sklavin, 
eine  freie  Dienerin,  ein  Mädchen  ,de  bono  po- 
pulo'  oder  eine  Adelige  sein  konnte,  50  bis  100 
Perper.  Wenn  er  nicht  zahlen  konnte,  wurde  er 
durch  eine  Mutilation  gestraft,  von  dem  Ver- 
lust eines  Fingers  bis  zu  dem  der  ganzen  rechten 
Hand.  Nach  dem  Eecht  von  Eagusa  zahlte  der 
Täter,  falls  er  nicht  heiraten  wollte,  die  kleine 
Summe  von  50  Perper;  nur  wenn  er  sie  nicht 
erlegen  konnte,  verlor  er  beide  Augen. ^)  Nach 
dem  Eecht  von  Poljica  bei  Spalato  hat  der 
Schuldige    Blutgeld    wie    bei    einem    ]\Iord    zu 


zahlen,  bei  einer  verheitrateten  Frau  (zena  mu- 
zata)  oder  einer  verlobten  Jungfrau  aber  doppel- 
tes Blutgeld ;  ist  er  unvermählt  und  das  Mädchen 
nicht  verlobt,  muß  er  sie  heiraten.  Nach  dem 
Statut  von  Vinodol  (1288)  zahlt  der  Schuldige 
dem  Comes  30  und  der  angegriffenen  Frau 
ebenfalls  30  ,Libre'.-*) 

In  der  Zusammensetzung  der  Gesellschaft 
wird  in  den  Zeiten  der  Nemanjiden  eine  wach- 
sende Scheidung  der  Stände  immer  mehr  be- 
merkbar. Voran  steht  der  königliche  Hof,  dessen 
Mitglieder  wohl  bekannt  sind. 

Die  einheimische  Dynastie  des  Nemanja 
oder  wie  er  nach  seinem  Tode  im  Kloster  hieß, 
des  hl.  Symeon  hatte  im  Lande  einen  festen 
Halt,  durch  vielfache  Verwandtschaft  mit  dem 
Adel  und  durch  zahlreiche  kirchliche  Stiftun- 
gen. Unter  den  Fresken  der  Klöster  gibt  es  an 
drei  Stellen  eine  bildliche  Darstellung  der  Ge- 
nealogie der  Nemanjiden.')  Nach  M.  Milovanovic 
ist  das  Original  das  Bild  im  Kloster  Decani,  mit 
charakteristischem  individuellen  Ausdruck  einer 
jeden  Physiognomie,  gut  erhalten,  bis  auf  das 
Gesicht  des  Nemanja,  welches  durch  die  Jata- 
gans  der  Mohammedaner  beschädigt  wurde. 
Das  Wandgemälde  stammt  aus  der  Zeit  des 
Stephan  Dusan  als  Garen  (1346 — 1355).  Eine 
Kopie  aus  dem  16.  Jahrhundert  gibt  es  im  Nar- 
thex  der  Patriarchalkirche  von  Pec.  Eine  zweite 
viel  schwächere  Kopie,  mit  einförmigen  Ge- 
sichtszügen aller  Herrscher,  befindet  sich  in  der 
Klosterkirche  von  Gracanica.  Von  dem  Bild 
von  Decani  ist  in  Belgrad  eine  Lithographie 
erschienen,  ausgeführt  auf  Grund  einer  photo- 
graphischen Aufnahme.®)  Der  Stammbaum, 
umsponnen  von  Guirlanden  und  Blumen,  breitet 
sich  VI  in  unten  nach  oben  aus.    Die  regierenden 


')  Novakovid,  Zakonski  spomenici  filT,  059,  <)71. 

')  Die  xapOHvoyOopia  wurde  von  Heuzey  in  den  Anmerkungen  zu  einer  thessalisclien  Urkunde  von  1342  erklärt  als 
,un  impot  sur  les  raariages'.  Zacliariae  von  Lingentl)al,  Geschiclite  des  griecli.  röm.  Reclites,  2  A.  (1877),  sah  darin  ein  .jus 
primae  noctis',  aber  in  der  3.  A.  (1892)  395  erklärt  er  es  als  ,eine  an  den  Fiskus  zu  leistende  Geldstrafe.'  Sp.  Lanipros, 
Tb  oi/.aicüjjia  ttJ;  TtpoiTr,;  vuzTo;  im  Mio;  'EXXrjvofivr^fAcüv  4  (1907)  14—19  meint,  es  sei  eine  Heiratsabgabe,  ein  yaiiwov  dXo;  der 
Bauern  gewesen,  vielleicht  unter  der  lateinischen  Herrschaft  eingeführt.  Nikes  Bees,  Titi-pj^s  jus  primae  noctis  ::apa  Bu- 
Joivxioi;;  Byz.  Z.  21  (1912)  169 — 186,  mit  einer  großen  Sammlung  von  urkundlichen  Belegen,  zeigt,  daß  es  eine  Vermögens- 
strafe war. 

')  Statut  von  Cattaro  Art.  100.  Statut  von  Ragusa  VI.  cap.  6.  In  den  Gerichtsbücliern  von  Ragusa  ist  oft  die  Rede 
von  Angriffen  besonders  auf  ,famulae',  unternommen  von  jungen  Nobiles,  die  sich  nie  durch  übertriebene  Schüchternheit 
auszeichneten,  oder  von  Handwerkern  im  Dunkel  der  Lauben,  bei  den  Brunnen,  in  den  Kaufläden  oder  außerhalb  der 
Stadt    in    den  Weingärten.     Dasselbe    kam    unter    den  Bauern    der  Inseln    oder    der    benachbarten  Täler  vor,    meist  beim 

Viehhüten. 

*)   Mon.  hist.  jur.  Slav.  merid.  4  p.  19  (Statut  von  Vinodol,  Art.  56)   und   109  (Statut  von  Poljica,  Art.  110). 

')  Darüber  der  akademische  Maler  M.   Milovanovi(-   im   Godisnjak  iJ.ahrbuch)  der  kgl.  serb.  Akademie  23  (1909)  238, 

240,  250—251. 

«)  Ein  Exemplar    besitze    ich    als  Geschenk    von   Ljubomir   Stojanovic.     Sehr    wünschenswert    wäre    eine    kolorierte 

Photographie. 

Denkschriften  des  pUil.-bist.  Kl,  .i8.  Bei,  2.  Alih.  " 


34 


II.  Abhandlung:  Constantin  Jirecek. 


Fürsten  sind  in  ganzer  Figur  dargestellt,  mit 
einem  byzantinischen  Kreuz  als  Zepter  in  der 
Hand,  die  übrigen  Familienmitglieder  nur  als 
Brustbild;  die  weniger  bedeutenden  Personen 
hat  der  Maler  als  kleine  Figürchen  zwischen 
den  Blüten  und  Ranken  des  Baumes  halb  ver- 
steckt. Aufgenommen  sind  in  diese  Stammtafel 
nur  die  männlichen  Nemanjiden  mit  ihren 
Kindern  beiderlei  Geschlechtes,  keineswegs  die 
Frauen,  wohl  um  die  vielen  Gattinnen  einiger 
Männer  nicht  einzeln  vorzuführen.  Unten  steht 
Neman  ja.  der  hl.  Symeon,  im  Heiligenschein, 
die  Hände  zum  Segen  ausgebreitet.  Rechts  und 
links  von  iiim  sieht  mau  seine  Söhne,  den 
hl.  Sava  mit  langem  Bart  und  Glatze  und  König 
Stephan  den  Erstgekrönteu  (Stefan  prvovencani 
kralj)  in  königlichem  Gewände.  Kleine  Figuren 
sind  Neman jas  Sohn  ,Vlk'  (Vlkan)  mit  seinem 
Sohn  Knez  Stephan,  und  die  drei  Söhne  Stephan 
des  Erstgekrönten,  König  Radoslav,  König  Vla- 
dislav  und  der  Erzbischof  Sava  IL,  sämtlich 
bärtige  Männer.  Es  folgen  dann  etwas  höher 
in  einer  Reihe  die  drei  Könige  Uros  I.  und 
üros  IL,  beide  dargestellt  als  Greise  mit  weißem 
Bart,  der  in  zwei  Spitzen  endigt,  und  König 
Stephan  (Dragutin)  in  schwarzem  Mönchskleid. 
Neben  Stephan  stehen  als  kleine  Gestalten  seine 
Söhne  Vladislav  (bärtig)  und  Urosic  (bartlos). 
An  der  Seite  des  Königs  Uros  IL  sind  zwei 
Töchter  abgebildet,  ,Carica  dbsti  kralja  Urosa', 
die  er  1308  an  den  jungen  Karl  von  Valois  ver- 
heiraten wollte,^)  und  die  sonst  unbekannte 
,BrI>nca'.^)  König  K(mstantin,  ein  Sohn  Uros  IL 
(1321  bis  132-2),  ist  in  Graeanica  abgebildet;  in 
Decani  scheint  er  zu  fehlen,  wenigstens  auf  der 
mir  vorliegenden  Zeichnung.  Im  obersten  Felde 
steht  rechts  der  langbärtige  König  Uros  III.,  in 
der  Mitte  Stephan  Dusan  mit  schwarzem  Schnurr- 
bart und  kurzem  Vollbart  im  kaiserlichen  Ge- 
wände (Stefan  car),  links  dessen  bartloser  Sohn 
Uros  als  König  (Uros  kralj)  mit  der  Krone  auf 
dem  Haupt  und  einer  Rolle  in  der  Hand.  Ganz 
klein  erscheinen  daneben,  in  den  Blüten  des 
Baumes  sitzend,  einige  kindliche  Köpfe,  Du.?ans 
Geschwister:  der  frühzeitig  gestorbene  Dusica, 
Symeon,  noch  ganz  bartlos,  Jelena,  später  die 


Frau  des  kroatischen  Magnaten  Mladen  Subic 
von  Clissa  und  Scardona,  und  Todora,  nachher 
Frau  des  serbischen  Edelmannes  Dejan. 

Bemerkenswert  sind  in  den  Fresken  der 
Kirchen  die  Bildnisse  der  einzelnen  Stifter 
mit  ihren  Gattinnen  imd  Kindern.  In  schrift- 
lichen Zeugnissen  wird  die  kräftige,  hochge- 
wachsene und  schöne  Gestalt  einzelner  Herr- 
scher beschrieben:  des  Nemanja  bei  Eustathios 
und  Konstantinos  Manasses,  des  Stephan 
Uros  IL  bei  Erzbischof  Daniel,  des  Stephan 
Dusan  in  einer  Reihe  von  Berichten,  ebenso  des 
Garen  Uros.^)  Persönlich  waren  die  Herrscher, 
wie  in  jeder  Dynastie,  voneinander  sehr  ver- 
schieden. Große  Talente  waren  ohne  Zweifel 
Nemanja,  der  Begründer  des  serbischen  Reiches 
im  späteren  Mittelalter,  der  kluge  Stephan  der 
Erstgekrönte,  der  kriegerische  Stephan  L^ros  IL 
und  besonders  Stephan  Dusan,  dessen  weit- 
greifende Pläne  bei  den  Historikern  unserer 
Zeit  aber  aiich  eine  ungünstige  Beurteilung 
fanden.'*)  Stephan  Uros  I.  war  nicht  unbegabt, 
aber  unvorsichtig.  Talentlos  und  unselbständig 
waren  der  schwache  und  eingebildete  Stephan 
Radoslav  und  besonders  Dusans  Sohn,  der  un- 
fähige  Car  Uros. 

Von  den  Frauen  treten  nur  wenige  in  der 
Geschichte  mehr  hervor.  Die  serbische  Ge- 
schichte hat  keine  Typen  in  der  Art  der  mächti- 
gen byzantinischen  Kaiserinnen  Irene  und 
Theodora,  der  Mutter  Michaels  III.,  aufzu- 
weisen. Die  Königinnen  waren  aus  verschiede- 
nen Ländern  gebürtig.  Ans  dem  benachbarten 
Bulgarien  stammte  die  Frau  des  Königs  Ste- 
phan Vladislav,  Tochter  des  Caren  Johannes 
Äsen  IL,  über  die  nichts  Näheres  berichtet  wird, 
ferner  die  dritte  Frau  desKönigs  Stephan  LTros  IL, 
Anna  (128-4),  eine  Tochter  des  Caren  Georg  Ter- 
terij  L,  eines  Kumanen  von  Geburt,  die  nach 
15  Jahren  von  ihrem  Gatten  verstoßen  wurde 
(1299)  und  in  Konstantinopel  den  epirotischen 
Prinzen  Michael  Kutrules  heiratete,  endlich  die 
Frau  des  Königs  Stephan  Uros  III.,  Theodora, 
eine  Tochter  des  Caren  Smilec,  die  mit  ihrem 
Manne  viele  trübe  Tage,  auch  das  Exil  in  Kon- 
stantinopel mitmachte,  aber  noch  seine  Thronbe- 


')  In  der  Urk.  \'M)H  ,uni(!am  Hliani  .suani  nomine  Zarizam,  quani  ex  Elizabet  uxore  sua  legitima  procreavit',  Glasnik 
27,  322.  Die  richtige  Xaniensform  Carica  kannte  aus  Hilferdings  Bericlit  über  die  Fresken  von  Graeanica  schon  Ilarion 
Ruvarac,  Kraljice  i  carico  srpsko  (Serb.  Königinnen  und  Zarinnen)  in  der  Zeitschrift  Matica  3  (Neusatz  I8()8)  412.  In 
meiner  Geschichte  der  Serben   1,  31'>  i.st  demnach  Zorica  als  Carica  zu  berichtigen. 

'j  In  Graeanica  las  Hilferding  Ptrbnecej.     Stojanovid,  Zapisi  3  Nr.  5U97. 

•)  Vgl.  meine  Geschichte  der  Serben  1,  262,  332,  368,  414. 

«)  Novakovid  im   Arch.  sIbt.  Phil.  34   (1913)  231  f. 


Staat  und  Gesellschaft  im  mittelalterlichen  Serbien  III. 


35 


Steigung  erlebte  (f  1323),  die  Mutter  des  Ste- 
lAvdu  Dusan.i)  Im  öffentlichen  Leben  trat  am 
meisten  Helena,  eine  Schwester  des  bulgarischen 
Garen  Johannes  Alexander,  hervor,  seit  1332 
Frau  des  Stephan  Dusan.  Eine  Vorlage,  die 
Orbini  benutzt  hat,  schilderte  sie  als  eine  böse 
Frau,  Feindin  der  Katholiken,  ,donna  perversa', 
,veramente  disposta  a  fare  ogni  male'.  Ihre  Teil- 
nahme an  den  Beratungen  bei  Hofe  schildert 
Johannes  Kantakuzenos,  der  1342  als  Flücht- 
ling am  Hofe  Dusans  verweilte.  Sie  begleitete 
ihren  Gemahl  auch  auf  den  Feldzügen  in  der 
Umgebung  von  Thessalonich  und  gegen  Bos- 
nien, wobei  sie  auch  Eagusa  (1350)  besuchte. 
Nach  dem  Tode  ihres  Gatten  residierte  sie  mit 
dem  Klosternamen  Elisabeth  in  Serrai,  erlebte 
aber  noch  den  Zusammenbruch  des  neuen  Kaiser- 
tums und  überlebte  sogar  ihren  einzigen  Sohn, 
den  Garen  Uros  (f  1371).-)  Aus  den  rumäni- 
schen Fürstentümern  stammte  Anna,  Tochter 
des  walachischen  Fürsten  Alexander,  Frau 
(1360)  des  Garen  Uros.^)  In  Bosnien  war  keine 
der  bekannten  Königinnen  zu  Hause;  dafür  war 
Elisabeth,  eine  Tochter  des  Königs  Stephan 
Dragutin,  Gattin  des  bosnischen  Bans  Ste- 
phan I. 

Die  Griechinnen  waren  nicht  beliebt.  Eu- 
dokia,  die  Tochter  des  Kaisers  Alexios  III., 
Frau  des  Großzupans  Stephan,  des  späteren 
erstgekrönten  Königs,  mußte  Serbien  (um  1202) 
verlassen  (s.  oben  3,  30).  Anna,  die  Tochter  des 
epirotischen  Kaisers  Theodoros,  war  Ursache 
der  Vertreibung  ihres  Gatten,  des  Königs  Ste- 
phan Eadoslav  (1231).^)  Von  der  ersten  Frau 
Uros  IL,  einer  Tochter  des  Sevastokrators  Jo- 


hannes von  Thessalien,  wissen  wir  nicht  einmal 
den  Namen.  Die  vierte  Gattin  Uros  IL  (1299) 
war  bis  zu  seinem  Tode  Simonis,  Tochter  des 
Kaisers  Andronikos  IL  und  der  Irene  von 
Montferrat,  vermählt  noch  in  sehr  jugendlichem 
Alter.  Diese  Heirat  war  Ursache  der  Kämpfe 
zwischen  den  Brüdern  König  Uros  IL  und 
König  Stephan  (Dragutin).  Nikephoros  Gre- 
goras  erzählt,  wie  Simonis  zuletzt  unter  der 
Eifersucht  ihres  Gatten  viel  gelitten  hat,  so 
daß  sie  ins  Kloster  gehen  wollte;  dies  tat  sie 
erst  nach  Uros  IL  Tod,  worauf  sie  im  Kloster- 
gewand bei  ihrem  Vater  und  Neffen,  Androni- 
kos IL  und  III.  in  Konstantinopel  lebte.^)  Der 
späte  Gamblak  (um  1400)  beschuldigte  Simonis 
den  Uros  IL  zur  Blendung  seines  Sohnes  aus 
der  dritten  Ehe,  des  späteren  Uros  III.,  listig 
,mit  Tränen'  überredet  zu  haben.^)  Die  zweite 
Gattin  Uros  III.  war  Maria  Palaiologina  (1326), 
Tochter  eines  Neffen  des  Kaisers  Andronikos  IL 
Diese  Stiefmutter  des  Stephan  Dusan  blieb  in 
Serbien.  Nach  der  Ansicht  des  Dr.  Eadonic 
ist  sie  die  , herzliebste'  Mutter  Despotissa  des  Ga- 
ren Stephan  in  einer  Urkunde  von  1340  (vbse- 
srbdbcnaja  i  istinnaja  inater  kraljevst\-ii  rni  des- 
jiotica)  und  die  .vasilissaMaria'  (1348), die  zweite 
Gattin  des  einflußreichen  Magnaten  Oliver.'') 
Vieles  bleibt  in  diesen  Genealogien  dunkel.*) 
Aus  dem  Abendlande  stammte  Anna,  Enke- 
lin des  Dogen  Enrico  Dandolo  von  Venedig, 
Gattin  (wie  es  scheint,  die  dritte)  Stephans  des 
Erstgekrönten;  sie  hat  bei  der  Erwerbung  der 
Königskrone  aus  Eom  (1217)  einen  Einfluß 
gehabt  und  wurde  zugleich  mit  ihrem  Gemahl 
feierlich  gekrönt.^) 


')  Anna:  vorl.  meine  Geschichte  der  Serben  I,  .341.  Urkunde  des  Garen  Stephan  mit  einer  Stiftung  für  das  Grab 
seiner  Mutter  Tlieodora  (l:^46)  im  Kloster  Banjska,  herausgegeben  von  Xovakovic,  Spomonik  il,  1 — 7  und  Zakonski  spo- 
menici  631—632.  ')  Meine  Geschichte  der  Serben   1,  370,  414,  426,  432. 

=)   Ebenda  414  A.  4.  *)   Ebenda  1.  301,  303—305. 

^}  Ebenda  1,  340,  353,  354.  Nikephoros  Gregoras  hat  den  Klosternamen  der  Simonis  nicht  verzeicluiet.  Eine  Per- 
gamenthandschrift mit  der  patristischen  Kompilation  des  Paulos,  jetzt  in  der  Bibliothek  des  Meteorenklosters  des  hl.  Bar- 
laam  in  Thessalien,  schließt  mit  Versen,  welche  als  Besitzerin  die  eliemalige  .tüv  TpißaXwv  zpaXaiva'  nennen,  die  Nonne 
Engenia.  Dr.  Nikos  Bees  in  Arch.  slav.  Phil.  34  (1913)  2il8 — 304  meint,  daß  sie  im  weltlichen  Stande  Helena  hieß.  Er 
identifiziert  sie  mit  Milica,  Frau  des  Knez  Lazar  (f  138y),  die  als  Nonne  wirklich  Eugenia  oder  Euphroayne  (I)anicii',  Rjee- 
nik  unter  .Jefrosini)  hieß,  aber  nie  Königin  war  und  nur  Kneginja,  lat.  C'omitissa  tituliert  wird.  Man  könnte  elier  an 
die  zpaXaiva  Simonie  denken. 

")  Camblak,  Leben  Uros  III,  herausgegeben  von  Dr.  J.  Safarik,  Glasnik  11   (1859)  45,  47  f. 

')  Urk.  1340  bei  Novakovi6,  Zakonski  spomenici  409.  In  der  Geschichte  der  Serben  1,  388  A.  2  hielt  icli  diese 
ßaoiXiooa  Mxpta  für  eine  Halbschwester  Dusans.     Radonid  in  Glas  94  (1914). 

'")  Dr.  Euo-en  Kozak,  Professor  an  der  Universität  Czeruowitz,  teilt  mir  mit,  daß  im  Kliister  l'utna  in  der  liukovina 
eine  gestickte  Inschrift  zu  lesen  ist:  TÖiv  SouXwv  aou  zaioapiai^  (für  -rj;)  -£pßt«;  'E9r)|j.ta?  (iovcty(fj;)  oliv  Ou^atpl  fSaocXsiar);  Xspßi«; 
EÜTcpx;!«;  [j.ovct-/(ri;).  Euphemia  hieß  als  Nonne  die  Witwe  des  Despoten  Ugljesa,  eine  Tochter  des  Kjesar  Vojihna.  Die 
ßaoiXioua  Xep[j(«?  (also  carica)  Eupraxia  ist  sonst  unbekannt. 

^)  Geschichte  der  Serben  ),  295,  297.  Die  verwandtschaftliclien  Beziehungen  der  serbischen  Fürsten  zu  den  vor- 
nehmen Geschlechtern  Venedigs,  die  schon  unter  dem  Großzupan  Dosa  im  12.  Jahrhundert  beginnen  (vgl.  meine  Geschichte 

5* 


36 


II.  Abhandlung:  Constaxtin  Jikecek. 


Eine  berühnitL'  Königin  abendländischen 
Ursprungs  war  Helena,  seit  ungefähr  1250  Frau 
des  Königs  Uros  I.,  wir  wissen  nicht  ob  die 
erste,  zweite  oder  gar  dritte,  die  Mutter  der 
Könige  Stephan  (Dragutin)  und  Uros  IL  (Milu- 
tin).  Erzbischof  Daniel,  der  sie  noch  persönlich 
kannte,  schreibt,  sie  sei  fränkischen  Ursprungs 
(ot  roda  fruzbska)  aus  einem  kaiserlichen  oder 
königlichen  Geschlechte  gewesen  (ot  plemena 
carska),  eine  Tochter  berühmter  und  reicher 
Eltern,  welche  sie  dem  König  Uros  zur  Frau 
gegeben  haben.^)  Er  lobt  ihre  scharfsinnige 
Eedeweise,  ihre  Güte,  Freigebigkeit,  Frömmig- 
keit und  ihren  tadellosen  Lebenswandel.  Sie 
erreichte  ein  sehr  hohes  Alter  (f  1314),  gleich 
populär  bei  den  Serben,  als  bei  den  Lateinern 
des  Küstenlandes,  gleich  geehrt  von  der  serbi- 
.«cheu  und  lateinischen  Kirche.  Besonders  im 
dioklitischen  Gebiet  hat  sie  ein  bleibendes  An- 
denken hinterlassen,  in  den  Sagen  der  ]\Iontene- 
griner  unvergessen  als  die  fromme  ,kraljica 
Jelena'.  Nach  Barletius  wurde  Urivasto  mit 
anderen  Städten,  welche  bei  der  Invasion  der 
Mongolen  zerstört  worden  waren,  von  ihr  er- 
neuert. In  Cattaro,  Antivari,  Dulcigno  und 
Skutari  stiftete  sie  katholische  Kirchen  und 
Klöster  des  Franziskanerordens,  im  Binnen- 
lande das  serbische  Kloster  Gradae  am  Ibar. 
Sie  beschenkte  auch  das  katholische  Kloster  von 
Katac  bei  Antivari  und  das  serbische  von  Vran- 
jina  auf  einer  Insel  des  Sees  von  Skutari.  Per- 
sönlich war  sie  der  römischen  Kirche  treu,  wie 
aus  den  zahlreichen  Schutzbriefen,  die  sie  von 
den  Päpsten  erhielt,  klar  zu  sehen  ist.")  Dunkel 
bleibt  ihre  Abstammung.  Es  ist  keine  Phrase, 
wenn  sie,  ebenso  wie  ihre  Schwester  in  den  Ur- 
kunden der  Könige  von  Neapel  Karl  I.  und  IL 
A'on  Anjou  als  Verwandte  (consanguinea  nostra 


carissima,  cognata  nostra,  affinis  nostra  caris- 
sima)  bezeichnet  wird.^)  Die  Urkunden,  In- 
schriften und  Biographien  geben  keine  be- 
stimmte Antwort  auf  diese  Frage.  Von  neue- 
ren Historikern  erklärten  seit  dem  17.  Jahr- 
hundert die  einen  die  serbische  Königin  Helena 
als  Tochter  des  Kaisers  Balduin  IL,  die  anderen 
als  Tochter  des  Königs  Ludwig  IX.  (des  Heili- 
gen) von  Frankreich;  doch  sind  beide  Hypo- 
thesen ganz  haltlos,  weil  die  Genealogien  dieser 
Häuser  in  allen  Details  genau  bekannt  sind. 
Eine  neue  Kombination  von  Mijatovic  suchte 
den  Ursprung  in  dem  Haiise  Conrteuay  (lat.  de 
(^orteniaco)  entweder  unter  den  Töchtern  des 
Raoul  de  Courtenay,  eines  Neffen  des  lateini- 
schen Kaisers  Robert,  der  von  König  Karl  I. 
von  Anjoii  die  Grafschaft  von  Chieti  in  den 
Abruzzen  erhalten  hatte  (f  1271),  oder  unter 
den  Töchtern  der  Elisabeth  de  Courtenay, 
Schwester  Balduins  IL  und  Gattin  des  Odo  de 
Montagu  aus  der  Familie  der  Herzoge  von  Bur- 
gund.*)  Man  könnte  auch  an  die  zahlreichen, 
meist  aus  der  Champagne  uud  aus  Burgund 
stammenden  französischen  Herrengeschlechter 
Griechenlands  denken.  Eine  wichtige  Quelle 
ist  bis  jetzt  nicht  befragt  worden,  die  voluminö- 
sen Archivbücher  der  französischen  Könige  die- 
ser Zeit. 

Bekannter  ist  die  Familie  des  Gatten  der 
Maria,  der  Schwester  der  serbischen  Königin 
Helena.  Gemahl  dieser  Maria  war  Anselm  oder 
Anselin  de  Chau,  Chaurs  oder  Chaus,  einer  der 
französischen  Ritter,  welche  mit  den  Anjous 
nach  Neapel  gekommen  waren,  seit  Mai  1273 
Generalkapitän  Karls  I.  in  Albanien  und  Statt- 
halter in  Durazzo,  gestorben  vor  April  1274.^) 
Mehrere  Verwandte  des  Anselm  waren  ebenfalls 
Höflinge  Karls  L,  während  andere  Angehörige 


iler  Serben  1,  251),  werden  sich  nicht  auf  wenige  Fülle  beschränkt  haben.  Nach  einer  Anmerkung  des  Cicogna  im  Archivio 
storico  italiano  Bd.  8  (Firenze  1845)  p.  754  soll  die  zweite  Frau  des  Dogen  Lorenzo  Tiepolo  (1268—1275)  eine  .figliuola 
del  re  di  Kascia'  gewesen  sein. 

')  Daniel  8,  f>S,  vgl.  60  —  61.  Die  Urkunden  siehe  in  den  Acta  et  diplomata  res  Albaniae  mediae  aetatis  illustrantia, 
von  Thallöczy,  .Tirecek  und   t>ufrtay,   Bd.  1   (1913);  vgl.  die  Indices  unter  Helena,  Chau   und  Chaurs. 

')  Eine  einzige  abendländische  Quelle  ist  der  Helena  ungünstig  gesinnt.  Der  französische  Bischof  Bernardus  Guidouis 
(t  13,31)  berichtet  in  seinen  ,Flore8  chronicorum'  (Recueil  des  historiens  des  Gaules  et  de  la  France,  vol.  21,  p.  718),  wie 
päpstliche  Gesandte  1308  zum  König  Uros  H.  reiston,  um  ihn  zur  Union  zu  bewegen  (vgl.  meine  Geschichte  der  Serben  1, 
345).  Vom  ,re.\  Raciae'  wurden  sie  ,debito  cum  honore'  begrüßt,  aber  der  Erfolg  blieb  aus,  weil  der  König  ,matris  suae 
et  fratris  metu  retractus  penitus  nichil  egit.' 

')  , Cousins'  des  französischen  Königs  waren  z.  B.  auch  die  Toucy  (de  Tociaco)  im  lateinischen  Kaisertum,  durch  Ver- 
wandtschaft in  weiblicher  Linie.  Du  Bouchet,  Histoire  genealogique  de  la  niaison  royale  de  Courtenay  (Paris  1661)  165; 
Du  Cange,  Familles  d'outremer  487. 

■*)  Mijatovid,  Ko  je  kraljica  JelenaV  (Wer  ist  die  Königin  Jelena),  Letopis  217  (l'.t03)  1  —  30. 

')  Vielleicht  identisch  mit  ,nobilis  vir  Anselmus  dominus  de  Keu  et  Maria  uxor  eins',  denen  Papst  Alexander  IV.  in 
Neapel  am  15.  Jänner  1255  die  Ehedispens  bestätigte,  da  sie  im  dritten  oder  vierten  ,con8anguineitatis  gradu'  miteinander 
verwandt  waren:  Les  registres  d'Alexandre  IV,  par  M.  Hourol  de  la  Ronciere  (Paris  1895,  Bibl.  des  ecoles  fram;.,  2"  serie  XV, 


Staat  und  Gesellschaft  iji  mittelalterlichem  Sekbiex  III. 


37 


desselben  Geschlechtes  zu  dem  vornehaien  Adel 
Frankreichs  gehörten,  darunter  Philipp  de 
Chaours,  Bischof  von  Evreux  (f  1281).^)  Das 
Geschlecht  führte  seinen  Namen  von  dem 
Schlosse  Chaource  in  der  Champagne,  jetzt  im 
Departement  Aube,  Arrondissement  Bar  sur 
Seine,  südlich  von  Troyes.^)  Die  Schwester  der 
serbischen  Königin,  in  neapolitanischen  und 
ragusanischen  Urkunden  Maria  de  Chaurs  oder 
Chan  (Cau)  genannt,  hatte  einen  Sohn,  der 
gleichfalls  Anselm  hieß.  Im  Juni  1280  reiste 
sie  mit  diesem  Sohn,  zahlreicher  Dienerschaft 
und  20  Pferden  über  Apulien  nach  Serbien  zu 
ihrer  Schwester  (domina  regina  Servie,  soror 
sua) ;  1281  kehrte  sie  mit  einer  serbischen  Ge- 
sandtschaft wieder  zurück  zu  Karl  I.  nach 
Viterbo,  blieb  aber  dann  in  Serbien,  wo  ihr  eine 
Residenz  in  Dulcigno  (s.  oben  1,  61)  eingeräumt 
wurde.*)  Die  ragusanischen  Amtsbücher  er- 
erwähnen die  , domina  Maria  de  Chau,  soror  do- 
mine regine,  domina  Ulcinii'  1383 — 1285  oft 
in  Dulcigno  bei  Fragen  über  Zollpächter,  Kauf- 
leute, Ankauf  von  Schiffen  usw.*)  Ihr  Sohn 
Anselm  de  Chaurs  schloß  sich  später  dem  Flo- 
renz von  Hennegau  (Florent  d'Avesnes-Hai- 
nault,  t  1297)  an,  welcher  als  zweiter  Gatte 
der  Isabella  von  Villehardouin  1289  Fürst 
von  Achaja  geworden  war.  Die  Barone  von 
Aehaja  klagten  bei  dem  Oberlehensherrn,  dem 
König  von  Neapel,  Fürst  Florenz  habe  will- 
kürlich Ländereien  der  eingeborenen  Franken 
entrissen  und  seinen  Leuten  gegeben,  wie  die 
Güter  des  verstorbenen   Magister  Ventura   Ar- 


meris  dem  Eitter  Anselm  de  Chaurs  (um  1292).^) 
Das  Grab  der  Maria  und  ihres  Sohnes  Anselm 
mit  lateinischer  Inschrift  sah  man  noch  im 
IG.  Jahrhundert  im  Pflaster  vor  dem  Hochaltar 
der  Marien-  oder  Markuskirche  von  Dulcigno, 
welches  bis  1571  den  Venetianern  gehörte.") 
Verwandte  der  Maria  gab  es  in  Serbien  auch 
später.  König  Karl  IL  von  Neapel  befahl  1302 
dem  Fürsten  von  Achaja,  Philipp  von  Savoyen, 
dem  dritten  Gatten  der  Isabella,  er  möge  ge- 
wisse der  Königin  von  Serbien  und  dem  Edel- 
mann Georg  von  Chau  gehörige  Tücher  und 
Schmucksachen  ausfindig  machen,  welche  von 
Piraten  aus  Ciarencia  in  Achaja  in  den  Ge- 
wässern von  Durazzo  (in  mari  Duracii)  geraubt 
worden  waren. '^) 

Aus  der  Dynastie  der  Arpaden  stammte 
Katharina,  eine  Tochter  des  Königs  Stephan  V. 
von  LTngarn  und  seiner  Gattin  Elisabeth,  der 
Tochter  des  letzten  kumanischen  Chans  Kuthen, 
die  Gemahlin  des  Königs  Stephan  Dragutin, 
vom  Erzbischof  Daniel  stets  mit  großem  Lobe 
erwähnt.  Ihre  Schwester  Elisabeth  war  eine 
Zeitlang  die  zweite  Gattin  des  Bruders  Ste- 
phans, des  Königs  Stephan  Uros  IL  Milutin. 
Sie  war  Nonne  im  Kloster  auf  der  Haseninsel, 
der  heutigen  Margaretheninsel  bei  Pest,  wes- 
halb die  Ehe  mit  dem  König  in  Serbien  auf 
großem  Widerstand  stieß,  abgesehen  von  der 
nahen  Verschwägerung,  die  an  und  für  sich  ein 
kirchliches  Ehehindernis  bildete.  Deshalb 
trennte  sich  König  LTros  IL  bald  (vor  1284)  von 
dieser   zweiten    Frau,   die   wieder    Äbtissin    auf 


1)  p.  13  A.,  Nr.  48.  Wenn  beide  Eheleute  vielleicht  aus  verschiedenen  Linien  des  Hauses  Cliaurs  stammten,  hätte  Hopf 
nicht  Unrecht  mit  der  Bezeichnung  der  serbischen  Königin  als  Helena  de  Chaurs.  Urkunden  über  Anselm  als  Statthalter 
von  Durazzo  in  den  Acta  Albaniae  Bd.  I ;  sein  Tod   1274  ib.  p.  89. 

•)  .Chevaliers  de  l'Hotel'  waren  Geoflfroy  de  Chaurs,  Kastellan  von  Lucera  (1271)  und  l'atricius  de  Chaurs  oder 
Cliaursio,  Justiciarius  der  Terra  d'Otranto  (1277— 1282);  daneben  werden  erwähnt  Herve  de  Chaors  und  Guillaume  de  Chaus, 
vgl.  Paul  Durrieu,  Les  archives  angevines  de  Naples  (Paris  188C)  2,  804,  vgl.  209,  225,  227,  231,  Acta  Albaniae  a.a.O. 
Adam  de  Chaurce,  Ritter  des  Templerordens  in  Jerusalem  1184  bei  Kühricht,  Regesta  regni  Hierosolymitani,  Additamenta 
(Innsbruck  1904)  Nr.  637  a,  p.  41.  Bischof  Philipp  von  Evreux  (f  1281)  und  Patriz  de  Chaourses  (Patricias  de  Chaorciis) 
unter  den  ,barons  et  grans  Chevaliers  du  roi'  1304  in  einer  Lehensliste  im  Kecueil  des  historiens  des  Gaulos  et  de  la 
France,   Bd.  23  (1876). 

')  Lateinisch  Chaursia,  Chaursa,  Cliaorsa,  Cliaorsia,  Chaorcia  gesclirieben,  französisch  C'haorse,  (.^uaourse.  Kaourse: 
Recueil  des  historiens  des  Gaules  Bd.  20,  p.  204,  314,  315,  Bd.  21,  p.  Iü2,  502.  Nicht  zu  verwechseln  mit  den  Chaurs  ist  die 
Familie  de  Cayeux  aus  der  Normandie,  aus  dem  jetzigen  Cayeux-sur-Mer ;  Anselm  de  Cayeux  (\W{k  o;  Kii  des  Akropolites) 
war  1206 — 1247  einer  der  vornehmsten  Franken  von  Kon9tantino])el,  Gatte  einer  Tochter  des  Kaisers  Tlieodor  I 
Laskaris. 

■')  Rad  18  (1872)  218. 

*)   Diversa,   Bände   1282  und   1284  Arch.  Hag.  Acta  Albaniae   1,  Nr.  470,  498. 

')  Hopf,  Gesch.  Griechenlands,  Ersch-Ciruber  Bd.  85,  339. 

^)  Farlati,  Illyricum  sacrum  4,  440;  6,  429;  7,  59.  An  der  letzten  .Stelle  ist  die  Grabinschrift  von  Dulcigno  aus 
einer  Handschrift  der  Adelsfamilie  de  Pasnualibus  von  Cattaro  mitgeteilt.  Der  Name  auf  der  Inschrift  ist  dort  wiederge- 
geben als  ,Maria  de   domo  Chiutiz  (var.  Chieriz)   de  Francia*.     Vgl.  Sufflay   in  den  Acta  Albaniae  1,  p.  151  —  152,  Nr.  509. 

')  Makusev,  Zapiski  19  (1871)  3,  33  =  Racki,  Rad  18  (1872)  225;  Acta  Albaniae  I,  p.  159,  Nr.  544.  Vgl.  Hopf 
a.  a.  O.  353  A. 


38 


IL  Abiiaxdluxg:  Coxstantin  Jieecek. 


der  Haseninsel  wurde,  aber  schon  1287  den 
böhmischen  Edelmann  Zävis  heiratete;  nach 
der  Hinrichtung  dieses  Magnaten  1290  auf  Be- 
fehl des  Königs  Wenzel  11.  kehrte  sie  wieder 
auf  die  Hascninsel  zurück.^)  Costanza  ans  dem 
Hause  der  Morosini  von  Venedig  wurde  (1293) 
Gattin  des  Vladislav,  des  Sohnes  des  Stephan 
Dragutin,  welcher  aber  den  Thron  von  Serbien, 
der  ihm  bestimmt  war,  nicht  behaupten  konnte. 
Wir  haben  außerdem  Nachrichten  über  einige 
nicht  ausgeführte  Heiratspläne  im  Westen. 
Uros  III.  dachte  daran,  Bianca,  die  Tochter  des 
lateinischen  Titulkaisers  Philipp  von  Tarent 
(f  1331)  aus  einer  Sokundogenitur  der  Anjous 
als  zweite  Frau  zu  heiraten.  Au|ch  Stephan 
Dusan  wollte,  als  er  von  Helena  lange  keinen 
Sohn  hatte,  sich  von  ihr  trennen  und  Elisabeth, 
die  Tochter  des  deutschen  Königs  Friedrich  des 
Schönen,  eines  Habsburgers,  heiraten  (1336) ; 
über  diese  Verhandlungen  hat  der  Abt  Johann 
\on  Viktring  in  Kärnten  in  seiner  Chronik  eine 
Nachricht  erhalten.^) 

Ein  altserbischer  Fürstenspiegel  hat  sich 
nicht  erhalten.  Byzantinische  Arbeiten  dieser 
Art  gibt  es  mehrere,  wie  der  merkwürdige  Brief 
des  Patriarchen  Photios  an  den  neugetauften 
Bulgarenfürsten  Michael  Boris.  Als  Ideal  eines 
Herrschers  ist  bei  Daniel  der  gottesfürchtige 
König  Stephan  Dragutin  geschildert;  unter 
seiner  Regierung  habe  es  keine  Ungerechtig- 
keit, Stolz  oder  Wucher  gegeben.^)  Feldzüge, 
Eeisen,  Gerichtsverhandlungen,  Eeichstage, 
Empfänge  von  Gesandten,  kirchliche  und  welt- 
liche Festlichkeiten,  Jagden,  Tafeln  und  wohl- 
tätige Werke  füllten  die  Tage  der  Herrscher 
aus.  Die  Rivalitäten  innerhalb  der  Familie 
verfolgten  sie  aber  oft  mit  schweren  Sorgen. 
Der  König  mußte  nicht  selten  zur  Flucht  bereit 
sein.  Als  bestes  Asyl  galt  Eagusa,  das  im  13.  bis 
15.  Jalirhundert  sehr  oft  ein  unfreiwilliger 
Aufentlialtsort  vertriebener  Fürsten  und  Für- 
stinnen war.  In  den  Verträgen  mit  Nemanjas 
Bruder  ]\Iiroslav  und  mit  den  Königen  Vladis- 
lav und  Ui'os  I.  versprachen  die  Eagusaner  aus- 
drücklich den  serbischen  Herrschern  für  den 
Fall,  daß  ihnen  ein  , Kummer'  widerfährt,  eine 
ehrenvolle  Aufnahme  und  freundschaftlichen 
Empfang    in    der  Stadt,    in    welcher    sie    mit 


Familie  und  Gefolge  so  lange  bleiben  können, 
als  es  ihnen  beliebt.  Eine  hervorragende  Pflicht 
des  Landesherrn  war  freigebige  Gastfreund- 
schaft. Als  Nemanja.  seine  Abdankung  ver- 
kündete, sagte  er  den  versammelten  Serben,  er 
habe  mit  ihnen  genug  Vergnügen  und  Freuden 
genossen,  genug  der  irdischen  Geschäfte  und 
Kriegszüge,  genug  der  ,Ergötzungen  der  reichen 
Tafeln'  (trapeza).  Es  folgte  dann  das  letzte 
glänzende,  reich  mit  Fleischspeisen  ausgestattete 
Gastmahl  vor  der  Einkleidung  des  Großzupans 
als  Mönch.  Nemanjas  Sohn  Stephan,  ein  er- 
fahrener und  tapferer  Kriegsmann,  hat  nach 
der  Erzählung  des  Mönches  Theodosij  oft  die 
Adeligen  bei  Tisch  durch  Musik  mit  Trommeln 
(timpani)  und  Geigen  (gusli)  erfreut.  Bei  der 
Krönung  dieses  Herrschers  mit  der  neuen 
Königskrone  wird  auch  das  ,sehr  große  Fest- 
mahl'  (pir)   verzeichnet.*) 

Die  byzantinischen  Berichte  über  den  serbi- 
schen Hof  eröffnet  Pachymeres.  Kaiser  Michael 
Palaiologos  wollte  den  König  Stephan  LTros  I. 
durch  die  Vermählung  des  jüngeren  Sohnes 
Milutin  (Uros  IL)  mit  seiner  Tochter  Anna  ge- 
winnen (1268).  Die  Kaiserstochter,  begleitet 
vom  Patriarchen  Joseph,  begab  sich  mit  großem 
Gefolge  bereits  nach  Westen.  Von  Berrhoea  in 
Makedonien  reisten  der  Chartophylax  Johannes 
Bekkos,  der  spätere  (seit  1275)  Patriarch,  und 
Kudumenos,  der  Bischof  von  Traianopolis,  vor- 
aus nach  Serbien,  um  die  Sitten  des  Landes 
kennen  zu  lernen.  Sie  waren  durch  den  primi- 
tiven Charakter  des  Hofes  sehr  enttäuscht, 
ebenso  aber  auch  die  Serben  durch  den  nach 
ihrer  Ansieht  überflüssigen  Prunk  der  Byzan- 
tiner. Besonders  mißfielen  dem  serbischen  König 
die  schon  mitgebrachten  Eunuchen,  welche  zum 
Hofstaat  der  Kaisertochter  gehören  sollten.  Die 
Gattin  des  älteren  Sohnes  Dragutin,  Katharina 
von  Ungarn,  war  ärmlich  gekleidet  und  zum 
Erstaunen  der  Byzantiner,  deren  Fürstinnen 
nichts  arbeiteten,  am  Spinnrocken  beschäftigt. 
Trotz  des  ungünstigen  Berichtes  der  Sendboten 
reiste  die  byzantinische  Prinzessin  weiter  west- 
wärts nach  Ochrid,  wo  sie  abermals  abwartete. 
Der  Patriarch  begab  sich  indessen  mit  den  ande- 
ren Gesandten  von  dort  über  Polog  nach  Lip- 
Ijan,  wo  sie  mit  dem  ihnen  entgegengesendeten 


')  Meine  Geschichte  der  Serben   1,  332. 

')  Ebeiui:i   1.  337,  359,  375—376. 

')  Daniel  23. 

*)  Theodosij  bei  Pavlovi^  42,  47,  95,   111,  113. 


Staat  uxd  Gesellschaft  im  jiittelalteelichen  Serbien  III. 


39 


serbischen  Hofbeamten  Georg  zusammentrafen. 
Es  war  klar,  daß  die  Serben  einen  Abbruch  der 
Verhandlungen  herbeizuführen  wünschen.  Georg 
erzählte,  er  sei  kurz  zuvor  von  Eäubern  über- 
fallen worden,  was  die  Byzantiner  in  große 
.\ngst  versetzte,  da  ihnen  auch  die  scharenweise 
sichtbaren  Einwohner  nicht  geheuer  vorkamen. 
In  einer  Nacht  wurden  die  Pferde  der  Gesandt- 
schaft gestohlen.  Als  Ersatz  konnten  die  serbi- 
schen Beamten  nur  schlechte  Pferde  des  Landes 
l>ieten.  Da  entschlossen  sich  die  griechischen  Ge- 
sandten sofort  zur  Umkehr  nach  Ochrid,  von 
wo  sie  die  Prinzessin  wieder  zum  Kaiser  zurück- 
führten. Man  sieht,  daß  Pachymores  in  den  ihm 
vorliegenden  Aufzeichnungen  nicht  die  wahre 
Ursache  des  Bruches  vorfand.  Wir  wissen  aus 
anderen  Berichten,  daß  König  Uros  I.  damals 
im  Vertrauen  auf  die  Verbindung  mit  den  By- 
zantinern einen  Angriff  gegen  die  Ungarn 
unternahm,  aber  in  der  Macva  nicht  nur  ge- 
schlagen, sondern  auch  gefangen  wurde.^) 

Als  Gesandter  des  Sohnes  des  Kaisers  Mi- 
chael, des  Kaisers  Andronikos  IL,  weilte  der 
spätere  Großlogothet  Theodoros  Metochites  bei 
dem  Sohn  Uros  L,  dem  König  Stephan  Uros  IL 
]\rilutin,  bis  endlich  zwischen  den  Byzantinern 
und  Serben  ein  Frieden  geschlossen  wurde,  ver- 
bunden mit  einer  Heirat  (1299).  Erhalten  hat  sich 
ein  sehr  wortreicher,  auf  dieser  Reise  geschrie- 
bener Brief  des  byzantinischen  Diplomaten.  Am 
serbischen  Hofe,  ohne  Zweifel  in  Skopje,  fand 
Metochites  viel  Nachahmung  des  byzantinischen 
Prunkes.  Zur  feierlichen  ersten  Audienz  wurde 
er  von  einer  großen  Schar  edler  Jünglinge  ab- 
geholt und  vom  König,  der  in  Paradekleidern 
voll  Edelsteine  und  Perlen  ganz  in  Gold  strahlte, 
freundlich  begrüßt.  Täglich  wurde  dem  Ge- 
sandten reichliches  Essen  ins  Haus  gesendet, 
zweimal  mehr  als  nötig  war.  Bei  den  Hoftafeln 
trank  der  König  mit  seinen  Großen  oft  den 
Byzantinern  zu  (TCpo::(v£iv),  was  sie  ihrerseits  er- 
wiederten  (ävTrcivstv,  altserb.  otpijati).  Doch  die 
Verhandlungen  zogen  sich  durch  viele  Monate 
in  die  Länge,  infolge  der  Intriguen  der  den 
(Triechen  feindlichen  Hötiinge  und  der  byzanti- 
nischen Überläufer.-)    Später  kam  der  bekannte 


Geschichtschreiber  Nikephoros  Gregoras  mit 
einer  Gesandtschaft  an  den  Hof  des  Stephan 
Uros  III.  (1327).  Mit  den  Manieren  des  Königs 
und  der  Serben  war  der  gelehrte  Byzantiner 
nicht  zufrieden.  ,Die  Affen  verrichten,  wie  man 
sagt,  ihre  Werke  nach  Affenart,  die  Ameisen 
nach  Art  der  Ameisen' ;  was  Adlern  und  Löwen 
gewohnt  ist,  können  sie  nicht  tun,  glücklich  sei 
daher  derjenige,  der  als  Hellene,  nicht  als  Bar- 
bare zur  W^elt  kommt.ä)  Bei  Stephan  Dusan  noch 
als  König  hat  der  Gegenkaiser  Johannes  Kan- 
takuzenos  als  Flüchtling  geweilt  (1342)  und  in 
seinem  Buche  manches  Detail  verzeichnet  über 
den  König,  die  Königin,  die  Katgeber  des 
Herrschers  und  die  Sitten  des  Hofes.'*)  Zu  Ste- 
phan Dusan  als  Kaiser  kam  (1355)  als  päpst- 
licher Gesandter  ein  Franzose  aus  Perigord,  der 
Bischof  Peter  Thomas  von  Patti  und  Li]>ari  in 
Sizilien.  Nach  dem  Bericht  des  Philij^p  de 
Mezieres  empfing  ihn  der  Gar  stolz,  inmitten 
seiner  Barone  und  Truppen.  Das  byzantinische 
Zeremoniell  erforderte  viele  erniedrigende  Ver- 
beugungen, welche  der  Legat  verweigerte,  ohne 
aber  deswegen  Schaden  zu  erleiden.^)  Sympa- 
thisch behandelt  den  Serbenkönig  ein  italieni- 
scher Eitterronian  aus  der  Mitte  des  14.  Jahr- 
hunderts, dessen  Inhalt  wir  schon  oben  (1,  80  f.) 
bei  der  Besprechung  des  Kriegswesens  und  der 
fremden   Söldner   wiedergegeben   haben. 

Der  große  Adel  der  Vlasteline,  die  meist 
Verwandte  des  Herrscherhauses,  mitunter  auch 
Nachkommen  von  Seitenlinien  desselben  waren 
(s.  oben  1,  43)  und  der  sehr  zahlreiche  niedere 
Adel  der  Vlastelicici  oder  ursprünglich  Vojnici 
beschäftigte  sich  mit  dem  Kriegsdienst,  mit  der 
Verwaltung  verschiedener  Ämter  und  mit  der 
Bewirtschaftung  des  aus  Viehherden  und  Acker- 
gründen bestehenden  Besitzes.  Unterhaltungen 
gab  es  bei  Jagden,  Spielen  und  Gastmählern. 
Die  Prunkliebe  führte  zu  großen  Auslagen  auf 
schöne  Pferde  und  gute  Waffen,  auf  kostbare 
Gewänder  und  teuere  Crürtel.  Das  Ansehen  des 
Mannes  hing  von  der  Zahl  seines  berittenen 
Gefolges  ab.  Die  Mittel  verschaffte  man  sich 
mitunter  ganz  in  derselben  Art,  wie  es  die 
Raubritter   Westeuropas   taten.     Neben   braven, 


')   Pachymeres,  Michael  Palaiologos  V  cap.  6.     Vji;l.  meine  Geschiclito  der  Serben   ],  321 — 322. 

')  Brief  des  Metochites  an  Nikephoros  Chumnos  bei  Sathas,  Bibliotlieca  graeca  I,  154 — 193;  serb.  Übersetzung 
von   Apostülovid  im  Letopis  216   (1902). 

')  Nikephoros  Gregoras  VIII  cap.  14,  §  8. 

*)  Kantakuzenos  IV  cap.  41  f. 

')  Acta  Sanctonim  zum  'J9.  Jänner;  abgedruckt  von  Danicic  im  Glasnik  21  (1807).  Nie.  Jorga,  Pliilippe  de  Mezieres, 
Paris   1896,   135  f.,  344. 


40 


II.    AliHANDLUNG:    CoNSTANTISr    JlEECEK. 


tapferen  und  frommen  Männern  gab  es  viele 
übermütige  und  gewalttätige  Edelleute.  Schon 
der  erste  Erzbischof  Sava  predigte  den  Großen 
und  Reichen,  sie  sollen  nicht  stolz  sein  und  sich 
nicht  besser  als  andere  dünken,  denn  es  gebe 
keinen  Verlaß  auf  den  irdischen  Reichtum, 
sondern  nur  auf  Gott  allein.^)  Metochites 
schildert  den  serbischen  Gesandten,  mit  dem  er 
die  Reise  von  Konstantinopel  zu  König  Uros  II. 
antrat.  Dieser  Serbe  protzte  mit  seiner  Leibes- 
kraft, raufte  sich  mit  den  griechischen  Bauern, 
weil  er  bei  ihnen  das  in  Serbien  übliche,  aber 
in  Byzanz  unbekannte  Quartierrecht  bean- 
spruchte, erzählte  viel  von  seineu  schwierigen 
Reisen  in  Ungarn,  Bulgarien  und  im  Tataren- 
liinde  und  trug  trotz  der  grimmigen  Winter- 
kälte nur  eine  kleine  Mütze,  die  er  beim  Ab- 
sitzen vom  Pferde  sofort  abnahm,  um  barhaupt 
,wie  eine  von  Schnee  und  Regen  umbrauste 
Statue'  den  Elementen  zu  trotzen.  Endlich 
blieb  er  ganz  verkühlt  in  einem  thrakischen 
Dorfe  krank,  liegen.-)  Einen  Teil  der 
Höflinge  des  Serbenkönigs  beschreibt  Metochi- 
tes sehr  ungünstig,  als  beschränkte  Barbaren, 
Leute  ohne  Rechtsgefühl  und  Gottesfurcht,  ge- 
wohnt an  den  Krieg,  an  den  Raub  von  Ochsen  und 
Schafen  und  an  die  Plünderung  von  Reisenden 
in  den  Bergen  und  Einöden  des  Grenzgebietes.^) 
Den  Übermut  der  Großen  hatten  die  Schwachen 
zu  fühlen,  die  Kirche,  die  Bauern  und  die 
fremden  Kaufleute.  Die  Okkupation  der  Güter 
des  Bistums  von  Prizren  durch  die  Einwohner 
der  Landschaft  Polog  und  die  gewaltsame 
Restauration  des  alten  Besitzstandes  durch 
König  Uros  II.  haben  wir  schon  erwähnt  (2, 
25).  Auf  die  Gemeinden  der  Kaufleute  und 
Seefahrer  sahen  auch  die  Männer  der  byzanti- 
nischen Regierungsgesellschaft  stolz  herab. 
Kaiser  Johannes  Kantakuzenos  machte  dem 
Stephan  Dusan  bei  der  Zusammenkunft  vor 
Thessalonich  (1350)  Vorwürfe  wegen  der  An- 
nahme des  venetianischen  Bürgerrechtes;  für 
einen  Kaiser  sei  es  nicht  geziemend,  den  Rats- 
herren   von    Venedig    beigezählt    zu    werden.*) 


Voll  Spott  und  Stolz  gegen  die  Nichtadeligen, 
die  Sebri,  sind  die  Sprichwörter  der  altragusa- 
nischen  Sammlungen.^)  Bei  alledem  war  der 
Adel  wankelmütig  und  unverläßlich,  und  suchte 
aus  jedem  Zwist  zwischen  den  Mitgliedern  der 
Dynastie  Vorteile  für  sich  zu  gewinnen:  zwi- 
schen den  Söhnen  Nemanjas,  Stephan  und 
Vlkan,  zwischen  den  Brüdern  Stephan  Rados- 
lav,  Stephan  Vladislav  und  Stephan  Uros  L, 
ebenso  bei  dem  Sturze  LTros  I.  durch  seinen 
Sohn  Stephan  Dragutin  und  bei  dem  Zer- 
würfnis zwischen  den  Brüdern  Stephan 
Dragutin  und  Stephan  Uros  IL  Milutin. 
Uros  IL  wurde  im  Kampfe  gegen  seinen  Bruder 
in  einem  kritischen  Augenblick  fast  von  allen 
verlassen,  aber  nach  einem  Erfolg  waren  wieder 
alle  bei  ihm.  Ebenso  war  der  Adel  beteiligt  bei 
den  Differenzen  zwischen  Uros  IL  und  seinem 
Sohn  Stephan  (dem  späteren  Stifter  des  Klosters 
Decani),  bei  dem  Kampf  um  die  Nachfolge  nach 
Uros  IL  zwischen  den  drei  Bewerbern  um  den 
Thron,  den  Königen  Konstantin,  Vladislav  und 
und  Uros  III.  und  bei  dem  Zusammenstoß  zwi- 
schen Uros  III.  und  seinem  Sohn  Stephan  Du- 
san. Die  Eigenmächtigkeiten  der  Branivojevici, 
welche  den  Verlust  von  Zachhimien  herbei- 
führten, der  Abfall  des  Feldherrn  Hrelja  zu 
den  Byzantinern  und  die  geheimen  Verbindun- 
gen vieler  Edelleute  mit  Kantakuzenos  nach 
dem  Fall  von  Berrhoea  (1350)  geben  Zeugnis 
von  der  Selbstsucht  und  dem  Mangel  an  Patrio- 
tismus bei  diesem  Magnaten.  Nach  dem  Tode  des 
Stephan  Dusan  haben  die  Großen  das  Reich 
vollständig  untergraben.  Aus  diesen  trüben  Zei- 
ten stammt  ein  Urteil  derRagusaner,  welchel371 
dem  König  Ludwig  I.  von  Ungarn  durch  ihre  Ge- 
sandten sagen  ließen,  die  ,baroni  di  Rassa'  seien 
alle  falsch  und  ungerecht,  ,tuti  falsi  et  iniqui'.'') 
Die  Nobiles,  welche  in  den  Küstenstädten 
die  Verwaltung  in  den  Händen  hatten  und  da- 
neben die  reichsten  Kapitalisten  und  Grund- 
besitzer ihrer  Heimat  waren,  ahmten  die  Bei- 
spiele von  Italien  und  Serbien  nach.  Verpönt 
war    die    Beschäftigung    mit    dem    Handwerk. 


'j   Theodosij  bei  Pavlovi6   132— ITi. 

')  Cvijic,  Viol(»ntni  tip  dinarskih  Srba  (violenter  Typus  der  dinarischen  Serben)  im  Pregled  1912,  S.  Ä.  auf  8  S. 
Bei  den  Serben  von  Ras  bi.s  Skutari  findet  man  im  Gegensatz  zu  denen  an  der  Morava  einen  Typus  mit  schnellen,  un- 
überlegten, eigensinnig-en  und  gewalttäti<ren  Entsclilüssen,  besonders  in  Montenei;ro.  Cvijic  verweist  auf  den  serbischen 
Gesandten  in  der  Schilderung  des  Metochites.  auf  das  merkwürdige  Volkslied  von  Maxim,  den  Sohn  des  Ivan  Crnojevii, 
und  auf  den  Charakter  des  Karagjorgje.    Dasselbe  Temperament  findet  man  bei  den  Albanesen. 

»)  Sathas,  Bibl.  graeca  1.  156  f.,  166,  186  f. 

*)  Kantakuzenos  IV,  cap.  21. 

')  Belege:  Arch.  slav.  Phil.  22  (1900)  212. 

")  Starine  1,  174.     Mon.  Rag.  4,  115. 


Staat  und  Gesellschaft  im  mittelalteelichen  Serbien  III. 


41 


Eagusanische  Gesetze  wiederholen  seit  1325 
öfters  das  Verbot,  kein  Mitglied  des  großen 
Eates  dürfe  Metzgerei  (beecaria)  betreiben.  Die 
jungen  ISTobiles  von  Ragusa  waren  nicht  immer 
fleißig  bei  der  Arbeit  in  den  Ämtern  oder  auf 
Handelsreisen  zu  Land  und  zur  See.  Im 
1-i.  Jahrhundert  spielten  sie  in  den  Tabernen 
ihrer  Stadt  Würfel  um  Wein,  beschimpften  dabei 
einander  ganz  schmählich  und  schlugen  schließ- 
lich einer  auf  den  andern  los,  nicht  selten  mit 
schweren  Verwundungen.  Dabei  stellten  sie 
Frauenzinuuern  nach,  verübten  nachts  ,sine  lu- 
mine'  mancherlei  Unfug  in  den  unbeleuchteten 
Gassen  und  läuteten  z.B.  morgens  vor  der  Zeit  die 
Kirchenglocken,  um  die  Priester  zu  täuschen. 
Nicht  anderswar  es  in  Konstantinopel, woüberdie 
tollen  Streiche  des  jungen  Kaisers  Michael  III. 
viel  Wunderbares  überliefert  wird  und  wo  Nike- 
phoros  Gregoras  über  die  nächtlichen  Ausflüge 
eines  kaiserlichen  Prinzen,  des  späteren  Kaisers 
AndronikosIII.  manches  Detail  zu  erzählen  weiß. 

Groß,  aber  zeitweise  manchen  Schwankungen 
unterworfen  war  der  Einfluß  der  Kirche.  Die 
Bischöfe  hatten  eine  feste  moralische  Autorität, 
so  lange  das  Beispiel  des  hl.  Sava  lebendig  war. 
Später  wurde  der  wachsende  irdische  Besitz  für 
die  Kirche  gefährlich.  Man  sieht  dies  an  einigen 
Bestimmungen  des  Gesetzbuches  des  Stej^han 
Dusan.  Diejenigen  Bischöfe  und  Äbte,  welche 
die  Armenpflege  bei  ihren  Kirchen  vernach- 
lässigen, wurden  mit  der  Absetzung  bedroht. 
Einem  Bannfluch  unterliegt  der  Metropolit,  Bi- 
schof oder  Igumen,  welcher  durch  Simonie  (mite) 
eingesetzt  worden  ist.  Die  Fortsetzung  der  Bio- 
graphien Daniels  erzählt,  daß  sich  bei  dem  Zer- 
fall des  Reiches  nach  Dusans  Tod  das  Streben 
zeigte,  die  höchsten  geistlichen  Würden  durch 
Geld  zu  kaufen  oder  gar  nach  Räuberart  (raz- 
bojnicBsky)  zu  erobern  (1375).  Andererseits  war 
die  Geistlichkeit  durch  die  Gesetze  sehr  ge- 
schützt; wer  einen  Bischof,  Mönch  oder  Popen 
beschimpft,  zahlt  100  Perper  Buße;  wer  ihn 
tötet,  wird  gehängt.^) 

Die  Weltgeistlichen,  die  schon  als  schrift- 
kundige Leute  unter  ihren  Dorf  genossen  ein 
großes  Ansehen  hatten,  beschäftigten  sich  neben 
ihrem  geistlichen  Amte  mit  Landwirtschaft, 
Transportgeschäften      mit    Saumtieren,     Vieh- 


zucht und  Bienenzucht  (s.  oben  2,  30).  Ob  sie 
im  mittelalterlichen  Serbien  auch  Handwerke 
betrieben,  wie  dies  Schi]tl)erger  von  den  gi-ie 
ehischen  Priestern  erzählt,  ist  nicht  bekannt. 
Das  Gesetzbuch  sucht  sie  gegen  die  Übergriffe 
zu  schützen,  sowohl  des  Adels,  als  der  Bischöfe, 
denen  z.  B.  verboten  wurde,  ihre  Pferde  zur 
Fütterung  bei  den  Popen  herumführen  zu  lassen. 
Ihr  Amt  war  mehr  oder  weniger  erblich.  Ver- 
loren wurde  es  durch  Beteiligung  an  heidnischen 
Zaubereien.^) 

Stark  bewohnt  waren  die  großen  und  reichen 
Klöster.  Die  Serben  nannten  die  Mönche  teils 
mit  Fremdwörtern,  wie  m  o  n  a  h  ((j.ovaxöq)  oder 
k  a  1  u  g  j  e  r  (7.c/X6'(ripoz) ,  teils  mit  altslavischen 
Ausdrücken:  inok  ,der  Einsame',  crtnbc 
oder  c  r  b  n  o  r  i  z  L  c  nach  dem  schwarzen  Ge- 
wand. Chilandar  auf  dem  Athos  war  für  200  Brü- 
der eingerichtet.  Nach  dem  Gesetzbuch  des  Ste- 
phan Dusan  sollten  in  den  Klöstern  auf  je 
1000  Häuser  der  Güter  50  Mönche  kommen ; 
demnach  hatten  je  20  Dorfhäuser  einen  Kloster- 
bruder zu  erhalten.  Nach  diesem  Maßstab  hätte 
das  Kloster  Decani,  auf  dessen  Gütern  die 
Häuserzahl  bekannt  ist,  122  Mönche  haben 
sollen.^)  Für  die  frommen  Gemüter  der  Zeit 
besaß  das  Klosterleben  eine  gewaltige  Anzie- 
hungskraft. Mit  Begeisterung  schildert  der  ser- 
bische Mönch  Theodosij  die  dem  lärmenden  Ge- 
triebe der  Welt  entrückten  Eremiten  des  Berges 
Athos.  Sie  wohnen  in  engen  Hütten  in  würziger 
Bergluft,  iimtönt  nur  von  dem  Rauschen  des 
Waldes,  in  welchem  Hirsche  hausen,  und  den 
Stimmen  der  Vögel,  allein  mit  Gebeten  und  Ge- 
danken an  Gott  beschäftigt,  ohne  Ackerbau, 
Weingartenarbeit  und  Handelsgeschäfte,  ohne 
Besitz  außer  dem  härenen  Gewände;  Pflanzen, 
Obst  und  Brot  sind  ihre  Nahrung,  frisches  Quell- 
wasser ihr  Getränk.  Der  junge  Sava  besuchte 
alle  Klöster  und  Eremitendörfer  des  Athos  voll 
Bewunderung,  barfüßig  von  einem  Heiligtum 
zum  andern  wandernd;  erst  als  sein  Vater  Ne- 
man ja  ihm  nachkam,  legte  er  wieder  Schuhe 
an  und  bestieg  ein  Pferd.  Den  Nemanja  be- 
gleitete auf  der  Reise  zu  den  Klöstern  des  Athos 
eine  Schar  seiner  Großen  und  Kriegsleute,  die 
nach  seinem  Beispiel  auch  Mönche  wurden.'*) 
Der  spätere  Erzbischof  Daniel  IL,  der  als  ade- 


')  Zakoiiik  Art.  13,  28,  95.     Daniel  384. 

')  Zakonik  Art.  20,  37,  65. 

')  Domentian   168.     Zakonik  Art.  16. 

')  Theodosij  bei  Pavlovi6  30—31,  33-34,  50-.52. 

Denkschriften  der  phil.-hist.  Kl.  5S,  Rd    2,  Ahh. 


42 


II.  Abhandlung:  Constantin  Jieecek. 


liger  Jüngling  :an  Hofe  Uros  II.  diente,  ver- 
beugte sich  \()r  jedem  Mönch  und  umarmte  ihn 
voll  innerer  Begeisterung.  Nach  einem  Besuch 
des  Königs  im  Kloster  Sopocani  verschwand  er 
in  einer  Nacht  insgeheim  vom  Hoflager  und 
ließ  sich  im  Kloster  Koncul  am  Ibar  einkleiden.^) 
Das  Gesetzbuch  des  Stephan  Dusan  schränkt  in 
seinem  letzten  Teil  diese  Freiheit  ein;  nur  mit 
Erlaubnis  ihres  Bischofs  durften  fortan  Männer 
oder  Frauen  in  ein  Kloster  eintreten.-) 

Die  Klosterverfassung  ist  aus  den  altserbi- 
schen Typika  von  Studenica  und  Chilandar  be- 
kannt, die  aus  den  Zeiten  der  Sava  stammen  und 
größtenteils  wörtlich  gleich  lauten.  Nach  den 
Untersuchungen  von  Dmitrijevskij  und  Jagic 
sind  sie  eine  Bearbeitung  des  Typikons  des 
Muttergottesklosters  -f,i  EuepYeitScc  in  Konstanti- 
nopel.^)  Mit  der  Aufnahme  ins  Kloster  und  der 
Einkleidung  in  das  schwarze  jEng^l^S'^wand' 
änderte  jeder  seinen  Namen,  verließ  seine 
Familie  und  ,alle  Schönheit  dieses  Lebens'  und 
entsagte  allem  Privatbesitz.  Die  Klöster  dieser 
Periode  kannten  nur  das  Gemeinschaftsleben, 
die  kinovija  (y.otvoßtov,  kirchenslavisch  ob- 
stezitie) ;  das  Aufkommen  der  ,idiorrhytmischen' 
Klöster  mit  Privateigentum  der  Mönche  gehört 
in  die  Zeit  um  1400.  Die  Würdenträger  der 
Klostergemeinde  waren :  der  i  g  u  m  e  n  ('Öyou- 
;;.£vi;)  als  Oberhaupt,  der  i  k  o  n  o  m  (  oiy.ovöixo;) 
als  sein  Vertreter,  der  aus  Chilandar  und  dem 
Prizrener  Kloster  bekannte  basta  (Vater), 
der  k  1  i  s  i  j  a  r  c  h  (i7:/.Ar,G:dpyjr,;) ,  der  d  o  e  h  i  a  r 
(Kellermeister),  der  trapezar  (Tischauf- 
seher), der  p  a  r  a  m  o  n  a  r  (■ÄapaiJ.ovipio?,  Kirchen- 
aufseher) u.  a.  Gegenüber  der  großen  Zahl  der 
Laienbrüder  war  die  Zahl  der  Priestermönche 
(jeromonah)  nur  klein,  wie  heute  noch  auf  dem 
Athos.  Schweigen,  Demut,  Mäßigkeit,  Fasten 
und  Schlaflosigkeit  waren  Pflichten  der  ,Bürger 
des  himmlischen  Jerusalem'.  Gottesdienst  gab 
es  mit  kleinen  Unterbrechungen  den  ganzen 
Tag  und  die  ganze  Nacht,  mit  Gebeten,  Psalmen- 
gesang und  vielen  Kniebeugungen,  geradeso  wie 


in  den  abendländischen  Klöstern  eingeteilt  nach 
den  Stunden  i&py,  cas).^)  Feierliches  Glocken- 
geläute rief  morgens  zur  Liturgie  (Messe), 
ITammerschläge  auf  ein  längliches  Brett  oder 
eine  kupferne  oder  eiserne,  große  oder  kleine 
Platte  (bilo,  klepalo,  Diminutiv  bilce,  klepalce, 
auvay.vi^p'.ov,  c6i/ßoAov,  ar,|jiavT-<jpiov)  zu  den  Offizien. 
Es  gab  einen  doppelten  Abendgottesdienst  (ve- 
c-ernja  und  pavecernica),  einen  Mitternachts- 
dienst (polunostnica,  [i.i(jorjv.ilou  ay.oXoMa),  zu 
welchem  die  Mönche,  durch  das  Anschlagen  auf 
das  Weckholz  aufgeweckt,  feierlich  mit  Kerzen 
in  die  Kirche  zogen,  endlich  im  Anschluß  daran 
im  Zwielicht  des  Tagesanbruchs  einen  Morgen- 
gottesdienst (utrnica).  Diese  Offizien  in  der 
zweiten  Hälfte  der  Nacht  dauern  heute  noch 
auf  dem  Athos  oder  im  Kloster  von  Eila  in  Bul- 
garien 2 — 3  Stunden,  die  Liturgie  am  Morgen 
1^/2  Stunden,  an  Feiertagen  noch  länger.  An 
einigen  Festtagen  gab  es  Gottesdienst  ununter- 
brochen die  ganze  Nacht  hindurch  (bdenije, 
ä"cpu7cv(a).  An  der  gemeinsamen  Tafel,  zu  welcher 
die  Brüder  ebenfalls  durch  das  Anschlagen  eines 
eigenen  Holzes  (trapeznoje  bilo)  gerufen  wurden, 
nahmen  die  Mönche  die  Mahlzeit  ein  unter  Ge- 
beten und  dem  Vorlesen  kirchlicher  Texte.  Im 
Kloster  gab  es  nur  Fisch-  und  Pflanzenkost, 
ohne  Fleisch,  mit  wenig  Wein;  in  den  Fasten 
aß  man  Vegetabilien  allein,  zubereitet  ohne  Öl 
oder  Butter.  Bei  der  Tafel  durfte  niemand  mit 
seinem  Nachbarn  schwätzen  oder  ihm  Speise 
oder  Trank  reichen.  In  den  Zellen  (kelija),  in 
denen  je  zwei  Mönche  wohnten,  war  es  strenge 
verboten,  eine  Speise,  auch  nur  Früchte,  insge- 
heim zu  verwahren.  In  den  Urkunden  für  die 
Klöster  von  Banjska  und  Prizren  wird  das  De- 
putat (mertik)  der  ^Mönche  an  Wein,  Brot  und 
Kleidern  genau  bestimmt.^)  In  den  Athos- 
klöstern  wurden  Präbenden  für  einzelne  Mönche, 
nach  dem  byzantinischen  äSeXoS-iov  serbisch  a  d  r- 
f  a  t  o  genannt,  durch  Stiftungen  errichtet  oder 
angekauft ;  so  hat  im  Kloster  Chilandar  König 
Uros  IL    (1318)   drei,  Despot  Stephan  Lazare- 


')  Daniel  333—335. 

■)  Z.-ikonik  Art.  19(;. 

')  Aleksej  Dmitrijevskij  über  die  Typika  des  Ostens,  russ.,  Kiev  1894.  Jagi6  im  Spomeuik  der  serb.  Akademie  34 
(1898)  1 — 66.  Über  Verfassung,  Gottesdienst  usw.  in  den  jetzigen  Athosklöstern,  im  Vergleich  zu  den  Klosterregeln  des 
Abendlandes,  gibt  einen  genauen  Bericht  ein  belgischer  Benediktiner:  D.  Placide  de  Meester,  O.  S.  B.,  Voyage  de  deux 
Benedictins  aux  monasteres  du  Mont-Athos,  Paris  1908,  174  ff. 

*)  Sich  niederwerfen  in  drei  Tempi,  auf  die  Knie,  die  Arme  und  die  Stirne,  griech.  ßctXXav  [i^Tivoiav,  eeibisch  in  den 
Typika  metanija,  womit  auch  die  paOeia  YovuzÄaaia  des  Originals  übersetzt  wird. 

')  Nach  M.  Vasmer,  Griech.-slav.  Studien,  in  den  Izvestija  der  Abteilung  für  russ.  Sprache  der  kais.  Akademie  in 
Petersburg  12  (1907)  256  mertik  Maß,  Anteil  aus  liEpitizov ;  neugr.  in  Kreta,  Zypern  usw.  heute  noch  |iEpti/.d. 


Staat  und  Gesellschaft  im  mittelalteeliciiex  Serbien  III. 


43 


vic  sechs  solche  Adelphate  gekauft.^)  Die  klöster- 
liche Demut  (smirenije,  -a::£.vivr;;)  äußert  sieh 
auch  in  den  Schlußworten  der  in  den  Klöstern 
geschriebenen  Handschriften.  Da  liest  man,  das 
Buch  habe  ein  sündhafter,  schlechter  und  un- 
würdiger Mönch  geschrieben;  sein  Reichtum  be- 
stehe in  seinen  Sünden,  sein  Haus  sei  seinGrab.^) 

Das  Mönchsgewand  durfte  man  nicht  mehr 
ablegen.  Ohne  Erlaubnis  oder  Befehl  des  Igu- 
men  (des  Abtes)  war  es  dem  Klosterbruder  ver- 
boten, aus  dem  Klostergebäude  hinausgehen.  Das 
Gesetzbuch  des  Garen  Stephan  befiehlt,  daß 
Mönche  und  Nonnen  nicht  in  ihren  Häusern 
leben  dürfen,  sondern  in  ihr  Kloster  zurück- 
kehren müssen;  der  Mönch,  der  sein  Gewand  ab- 
gelegt hat,  ist  bis  zu  seiner  Besserung  ins  Ge- 
fängnis zu  setzen.  Aus  einem  Kloster  konnte 
man  aber  auch  ausgestoßen  werden.  Die  Stif- 
tungsurkunde des  Erzengelklosters  von  Prizren 
bestimmt,  der  ungehorsame  Mönch  soll  ,zum  Tor 
hinausgeführt  werden'  (da  se  izvede  iz  porte), 
ebenso  derjenige,  der  Wucher  betreibt,  Getreide 
oder  Wein  aufkauft  und  Geld  auf  Zinsen  gibt.^) 

Die  Einrichtungen  der  sehr  wenig  bekannten 
Frauenklöster  Serbiens  waren  wahrscheinlich 
dieselben.  Das  Typikon  des  von  der  Kaiserin 
Irene  in  Konstantinopel  1118  gestifteten  Non- 
nenklosters der  Theotokos  Ke/api-wiAevr,  entspricht 
fast  ganz  den  Typika  der  männlichen  Klöster ; 
allerdings  mußten  die  zwei  Priestermönche 
dieses  Frauenklosters  Eunuchen  sein.'')  Für- 
stinnen, die  sich  einkleiden  ließen,  lebten  da- 
gegen am  Hofe  ihrer  Söhne. 

Im  Küstenlande  waren  die  Abteien  der 
lateinischen  Kirche  viel  schwächer  bewohnt,  als 
die  Klöster  des  orientalischen  Bekenntnisses  im 
Innern.  In  den  Benediktinerklöstern  finden  wir 
z.  B.  auf  der  Insel  Lacroma  bei  Eagusa  1283 
den  Abt  mit  vier  Brüdern,  auf  der  Insel  Meleda 
im  14.  Jahrhundert  in  der  Eegel  den  Abt  mit 
drei  Mönchen.  Nur  die  jüngeren  Franziskaner- 
und  Dominikanerklöster  waren  etwas  stärker 
besetzt.  Viele  kleine  ,monasteria''  in  Eagusa  und 
Cattaro  waren  übrigens  nur  eine  Kaj^elle  mit 
einer  Pfründe  für  einen  Diakon  als  ,abbas  et 
rector',  verliehen  von  den  Familien  der  Stifter 


(der  ,hereditarii').  Bei  dem  großen  Aufschwung 
der  Seefahrt  und  des  Handels  gingen  die  Ea- 
gusaner  im  14.  Jahrhundert  nur  selten  ins 
Kloster  und  überließen  die  Freuden  des  Mönchs- 
lebens meist  fremden,  armen  Geistlichen  aus 
dem  Erzbistum  von  Antivari  oder  aus  dem 
ferneren  Albanien.  In  Meleda  stammte  1345 
einer  der  Mönche  aus  Antivari,  der  andere  aus 
Skutari,  1393  alle  drei  aus  Albanien.  In  La- 
croma war  1352  der  Abt  ein  Antibarenser.  Im 
Dominikanerkloster  von  Eagusa  stammten  1376 
der  Prior  und  Subprior  aus  Durazzo;  die  übrigen 
Brüder  waren  Albanesen  und  Norddalmatiner. 
Die  Eagusaner,  beeinflußt  vom  Sprachgebrauche 
der  Nachbarländer,  nannten  die  lateinischen 
Mönche  mitunter  auch  c  a  1  o  g  e  r  i,  die  Nonnen 
k  o  1  u  d  r  i  c  a    (oder   d  u  m  n  a,   aus  domina). 

In  den  Frauenklöstern  der  Küstenstädte  gab 
es  eine  Scheidung  nach  den  Ständen;  z.  B.  das 
Kloster  S.  Clara  in  Eagusa  (monasterium  pul- 
cellarum)  war  den  Patriziertöchtern  reserviert. 
In  gewisse  Klöster  von  Eagusa  wurden  fremde 
Nonnen,  selbst  aus  den  dalmatinischen  Städten, 
nur  mit  ausdrücklicher  Bewilligung  der  Ee- 
publik  aufgenommen.  Bei  der  Sitte,  die  Töchter, 
die  keinen  Mann  bekamen,  ins  Kloster  zu 
stecken,  war  die  Zahl  der  Nonnen  nicht  gering, 
bis  60.  Da  sie  meist  nur  gezwungen  in  den 
Klostermauern  lebten,  mußte  man  sie  im 
15.  Jahrhundert  strenger  absperren,  wobei 
z.B.  einmal  eine  adelige  Schwester  dennoch  nach 
Venedig  durchging.  Die  Nonnen  von  S.  Clara  in 
Eagusa  waren  gegen  die  Befehle  der  Eepublik 
so  ungehorsam,  daß  ihnen  der  Senat  1518  eine 
Wache  vor  das  Tor  stellte  und  ihre  Einkünfte 
einzog;  schließlich  wurden  sie  durch  die  Dro- 
hung, man  werde  sie  durch  Demolierung  ihrer 
Hof  treppe  ganz  von  der  Außenwelt  absperren, 
mürbe  gemacht.^)  In  Cattaro  führten  die  Non- 
nen des  dortigen  Klosters  S.  Clara  ein  so  un- 
gebundenes und  unverbesserliches  Leben,  daß 
der  Papst  1540  die  Aufnahme  neuer  Schwestern 
verbot,  worauf  das  Kloster  unter  dem  Bischof 
Paul  de  Bisantiis  (1565 — 1578)  ganz  geräumt 
und  den  Franziskanern  übergeben  wurde,  die 
es    heute    noch    besitzen.")     Die    Klosterfrauen 


■)  Urk.:  Siioraenik  3,  15,  Mon.  serb.  570.   Byz.  Gebrauch:  Byz.  Z.  10  (1901)  237. 

')  Stojauovic,  Zapisi  1  z.  B.  Nr.  7,  21,  50,  54,  183,  189.     Über  den  Einfluß  griechischer  Mustor  auf  die  Formeln  der 
serbischen  Epiloge  (zapisi)  und  Inschriften  eine  Alili.  von  Vlad.  Corovii-  in  Glas  84  (1910'»  1—60. 
')  Glasnik  15,  307. 
■*)  Acta  graeca  5,  346. 
')  Arch.  slav.  Phil.  21  (1899)  418. 
")  Farlati,  lUyricum  sacrum  6,  488  f. 

6* 


44 


II.  Abhandlung:  Constajjtin  Jikecek. 


führten  in  allen  Städten  Daluiatiens  oft  nur 
nationale,  slavisclie  Namen ;  so  erscheint  in 
Cattaro  um  1330  eine  Eade,  abbatissa  S.  Bene- 
dicti,  in  Ragusa  1255  eine  Goja,  abbatissa  S.  Si- 
meonis,  1284  eine  Pervoslava,  abbatissa  S.  Ni- 
colai, um  1530  sogar  eine  .reverenda  domina 
Venus  (oder  Venera),  abbatissa  nionasterii 
S.  Mariae  de  Castello'.^) 

Neben  den  Klöstern  gab  es  in  Serbien  auch 
Eremiten.  Der  berühmteste  war  der  hl.  Peter 
von  Korisa,  gebürtig  aus  dem  Dorf  Ünjemir 
in  der  Landschaft  Hvostno.-)  Fromm  von 
Jugend  an,  begann  er  nach  dem  Tode  seiner 
Mutter  gemeinsam  mit  seiner  Schwester,  die 
nicht  heiraten  wollte,  ein  Klausnerleben  zu 
führen,  in  zwei  Hütten  in  der  Nähe  seiner 
Heimat.  Als  jedoch  Besuche  von  Verwandten 
und  Bekannten  die  Seelenruhe  der  Einsiedler 
störten,  zog  das  Geschwisterpaar  weg,  um  sich 
eine  andere  Stätte  zu  suchen.  Unterwegs,  als 
die  Schwester  ermüdet  in  der  Einöde  einge- 
.schlafen  war,  floh  Peter,  um  fortan  ganz  allein 
zu  bleiben.  Die  Schwester,  als  sie  sich  verlassen 
sah,  weinte  und  klagte  viel  um  ihren  Bruder, 
den  sie  nie  mehr  sah;  sie  fand  sich  ein  Ere- 
mitenheim unter  fremden  Leuten,  wo  sie  starb. 
Diese  Flucht  vor  dem  Weibe  erinnert  an  die 
Legenden  der  alten  Eremiten  Asiens.^)  Peter 
schlug  indessen  seinen  Wohnsitz  in  der  Sar 
Planina  auf,  in  einem  Engtal  zwischen  steilen 
Felsen  mit  vielen  Höhlen,  bei  dem  Dorf  Korisa 
östlich  von  Prizren.  Eine  hochgelegene  Höhle 
war  seine  Wohnung,  Buchein,  Eicheln  und  wilde 
Kräuter  seine  Nahrung.  Eigentümlich  ist  die 
legendarische  Schilderung  seiner  Kämpfe  mit 
eingebildeten  Feinden.  Ein  großer  Drache 
(zmij)  hauste  in  einer  tiefer  gelegenen  Höhle 
und  schnaubte  Tag  und  Nacht  aus  Zorn  über 
den  frommen   Eindringling,   der   ihn   aber   mit 


Hilfe  des  Erzengels  Michael  vertrieb.  Dämonen 
(bjesi),  geführt  von  ihren  Oberhäuptern,  be- 
lästigten den  Eremiten  in  großen  Scharen,  zahl- 
reich wie  die  Bienen;  sie  trugen  als  Helme 
Bären-  und  Eberköpfe,  waren  mit  Lanzen  und 
Schwertern  bewatlnet  und  bellten  wie  Hunde. 
Aber  auch  sie  wurden  mit  Hilfe  der  Engel  be- 
siegt. Zuletzt  sammelten  sieh  um  den  Höhlen- 
bewohner einige  Mönche  als  Schüler.  Von  ihnen 
wurde  Peter,  als  ihn  der  Tod  in  seiner  kalten 
Klause  ereilte,  in  einem  Steingrab  beigesetzt. 
Die  Legende,  verfaßt  von  Theodosij,  vielleicht 
demselben,  der  eine  Vita  des  hl.  Sava  geschrie- 
ben hat,  läßt  uns  über  die  Zeit  im  Unklaren."") 
Es  war  jedenfalls  vor  der  Eegierung  des  Garen 
Stephan,  denn  in  der  Urkunde  des  Prizrener 
Klosters  erscheint  als  Gutsnachbar  dieser 
Stiftung  Dusans  das  Gebiet  des  hl.  Peter  von 
Korisa.  In  den  Pesten  der  Felsenkirche  hat 
Hilferding  Spuren  von  Fresken  und  Inschrif- 
ten gesehen;  andere  Reste  verzeichnete  der 
russische  Generalkonsul  Jastrebov.  In  der  Nähe 
steht,  l-^/a  Stunden  von  Prizren,  das  kleine,  an- 
geblich um  1467  gegründete  Kloster  des  heiligen 
Marko,  einst  ,metoh'  des  Klosters  von  Korisa. 
Die  Reliquien  des  hl.  Peter  wurden  1840  in  das 
kleine  Felsenkloster  Crna  Reka  in  der  Land- 
schaft Stari  Kolasin  im  obersten  Ibartal  auf 
dem  Wege  von  Novipazar  nach  Pec  übertragen ; 
sie  ruhen  dort  heute  noch  in  einem  Holz- 
sarg.^) 

Andere  Anachoreten  hausten  in  der  Nach- 
barschaft der  großen  Klöster.  Bei  Pec  hatte 
Erzbischof  Jakob  (1286—1292)  zwei  griechi- 
schen Mönchen  die  Höhle  Kotrulica  an  der 
Bistriea  angewiesen,  die  mit  Mauerwerk  ab- 
geschlossen wurde.  Sie  wohnten  darin  viele 
Jahre  und  stiegen  nur  an  Feiertagen  herab  zur 
Apostelkirche    von    Pec.     Plötzlich    wurde    der 


')  Der  Anklang  an  die  heidnische  Venus  ist  nur  scheinbar.  Mit  Venera  (nach  venerdl  Freitag)  wurde  italienisch  die 
hl.  üapaszEur,  (griech.  Freitag)  übersetzt,  die  Petka  der  Slaven.  Auch  rumänisch  nannte  man  sie  Vinere.  Meine  Rom. 
Dalm.  1,  56—57;  3,  74. 

')  Unjemir  (der  Name  ist  ein  altertümlicher  slavischer  Personenname)  wird  auch  in  der  Urkunde  von  Decani  ge- 
nannt.    Jetzt  Dorf  Unemir  mit  15  Häusern  Albanesen,  e'/s  Stunden  südöstlich  von  Pec,  nach  Jastrebov  im  Spomenik  41,  110. 

')  Vgl.  die  von  Leontios  im  7.  Jahrhundert  verfaßte  Vita  des  hl.  Symeon,  des  ,Narren  um  Christi  Willen'  aus  Syrien. 
Symeon  und  Johannes  pilgerten  nach  Jerusalem,  der  erste  mit  seiner  greisen  Mutter,  der  zweite  mit  seiner  jungen  Frau. 
Bei  Jericho  verließen  sie  heimlich  die  Frauen  und  floheu  in  die  Jordanklöster,  um  dann  als  Eremiten  am  Toten  Meer  zu 
leben.     Geizer,  Ausgewählte  kleine  Schriften  (Leipzig,  Teubner,  1907)  42  f. 

<)  Vita  des  hl.  Peter  von  Korisa,  herausg.  von  NovakoviÄ  im  Glasnik  29  (1871)  308  f.  und  aus  einer  anderen  Hand- 
schrift in  den  Starine  1(5,  9  f.  In  einer  Untersuchung  über  Theodosij  hält  S.  P.  Rozauov  in  den  Izvestija  der  Petersburger 
Akademie,  Abteilung  für  russ.  Sprache  16  (1911),  1,  172  f.  ihn  identisch  mit  dem  Biographen  des  hl.  Sava  und  verlegt  die 
Abfassung  in  die  Zeit  des  Garen  Stephau. 

'■)  Hilferding,  Bosnia,  Hercegovina  i  Staraja  Serbia,  Petersburg  1859,  102.  Jastrebov  im  Spomenik  41  (1904)  IOC  f, 
P.  Kostid,  Manastir  sv.  Marka,  Godiänjica  30  (1911)  209—234  mit  Nachrichten  über  das  Grab  des  hl.  Peter  in  Crna  Reha. 
Traditionen  und  Sagen  über  sein  Leben  usw. 


Staat  und  Gesellschaft  im  MITTELALTERLICHE^f  Serbien  III. 


45 


jüngere  der  beiden  Einsiedler  verrückt  und 
floh  in  die  Berge;  sein  Genosse  hat  ihn  einge- 
holt, gefangen  und  gebunden  in  die  erzbischöf- 
liche Kirche  gebracht,  wo  er  am  Grabe  des 
hl.  Erzbischofs  Arsenij  eine  wunderbare  Hei- 
lung fand.^)  In  der  Zeit  des  Garen  Stei^han 
lebte  in  einer  Einöde  bei  dem  Kloster  Decani 
der  fromme  Eremite  Jefrem  aus  Bulgarien.  Die 
stürmischen  Zeiten  nach  Dusans  Tod  zwangen 
ihn,  in  die  Umgebung  von  Pec  zu  übersiedeln, 
wo  er  viele  Jahre  in  einer  Höhle  der  Enge  von 
Zdrelo  hauste.  Später  wurde  er  (1375)  zum 
Patriarchen  gewählt,  dankte  aber  bald  ab,  um 
in  seine  Höhle  zurückzukehren,  die  er  bis  zu 
seinem  Tode  (f  1399)  bewohnte.-) 

Die  Einsiedler  beiderlei  Geschlechtes  bei 
den  Lateinern  des  Küstengebietes  waren  zum 
Teil  nur  Kirchendiener.  Die  Männer  (remeta, 
aus  eremita)  besorgteil  auch  weltliche  Geschäfte, 
wie  z.  B.  einer  auf  der  Insel  Lagosta  Kalk- 
handel betrieb.  Die  weiblichen  Eremiten  der 
Dorfkirchen  bei  Eagusa  (prisadnica,  lat.  re- 
clausa,  i^izochara)  waren  arme,  alte  Frauen, 
welche  sich  durch  Handarbeit,  meist  Siiinnerei, 
ernährten.^)  Echte  Eremiten  waren  die  Bene- 
diktiner auf  den  einsamen  Felsinseln  der 
Küste,  wie  in  dem  kleinen  Klösterlein  St.  An- 
dreas de  Pelago,  dessen  Stelle  heute  ein  Leucht- 
turm einnimmt,  vor  der  Einfahrt  in  den  Hafen 
von  Gravosa.  Zu  Ende  des  Mittelalters  wurden 
der  St.  Andreasfelsen  und  die  nahe  größere 
Insel  Isola  di  Mezzo  (Lopud)  der  Schauplatz 
einer  Art  Hero-  und  Leandersage,  in  welcher 
der  weibliche  Leander  bei  Nacht  in  der  Rich- 
tung eines  vom  Einsiedler  aufgestellten  Lichtes 
schwimmt,  um  den  einsamen  Weltüberwinder 
zu  besuchen.  Zuletzt  erfahren  es  die  Brüder 
der  Schwimmerin.  Sie  locken  ihre  Schwester 
durch  ein  falsches  Licht  auf  die  hohe  See  und 
die  Wellen  spielen  auf  die  Mönchsinsel  nur  ihre 
Leiche.  Zuerst  berichtet  von  der  Sage  der 
böhmische    Edelmann    .Toliann    von    Lobkovitz, 


der  1493  auf  einer  Pilgerfahrt  nach  Palästina 
hier  vorüberfuhr.  Ausführlich  erzählt  sie  Stra- 
parola  di  Caravaggio  in  seinem  ,Piacevoli 
notti'  (1550).  Die  Geschichte  hat  eine  histori- 
sche Grundlage.  Ein  Prior  von  St.  Andreas, 
der  ragusanische  Edelmann  Jacobus  Andree  de 
Crieva,  hat  sich  die  Langweile  der  Einsamkeit 
durch  geheime  AusÜüge  nach  Isola  di  Mezzo 
versüßt,  um  dort  eine  verheiratete  Frau  Marusa 
zu  besuchen.  Doch  die  Sache  kam  auf,  die  Insu- 
laner führten  Klage  und  der  verliebte  Eremite 
wurde  1483  zu  zehn  Jahren  Hausarrest  auf  der 
Felseninsel  verurteilt.^)  Daneben  besitzen  wir 
in  der  ragusanischen  Literatur  eine  anmutige 
Schilderung  dieser  einsamen,  von  Falken  und 
Möwen  umflatterten,  im  Winter  von  berges- 
hohen Wellen  umstürmten  Klippe  des  hl.  An- 
dreas, verfaßt  ein  halbes  Jahrhundert  später 
von  einem  poetischen  Klausner,  dem  Benedik- 
tiner Maurus  Vetranic  (um  1534)  in  seinem 
Gedichte  ,Der  Eremit'   (Remeta).^) 

Unsere  Darstellung  wäre  unvollständig, 
wenn  wir  nicht  auch  die  Priester  der  bosnischen 
Sekte,  der  ,fede  bossignana'  erwähnen  würden. 
Diese  Geistlichen  wurden  von  den  Bosniern  als 
, Christen'  (krstjani),  von  den  Dalmatinern  als 
,Patarini'  im  engeren  Sinne  bezeichnet.  p]s 
waren  Mönche;  ihre  Klöster  waren  nach  Orbini 
in  Tälern  und  abgelegenen  Orten  verborgen. •*) 
Ihr  Oberhaupt  oder  , Ältester',  der  d  j  e  d,  ,lo 
diedo,  che  e  signor  e  padre  spirituale  de  la  glesia 
di  Bosna'  nach  einer  Bemerkung  der  Ragu- 
saner,")  in  Briefen  und  bosnischen  Handschrif- 
ten als  , Bischof  der  bosnischen  Kirche'  (episkup 
crkve  bosanske)  bezeichnet,  lebte  in  der  Nähe 
des  Landesherrn,  des  Bans  und  später  des 
Königs.  Die  Mönche  (strojnici)  waren  in  zwei 
Klassen  geschieden,  die  höhere  der  ,Gäste' 
(gost)  und  die  niedere  der  ,Greise'  (starac).*) 
Die  Kleidung  wird  nirgends  beschrieben,  scheint 
aber  nach  einer  erhaltenen  Zeichnung  im 
Gegensatz    zu    den    langen    und    faltigen    Ge- 


')  Daniel  269. 

-)  Leben  Jefrems,  herausg.   von   Novakovi6,  Starine   10,  37  —  40. 

')  Remeta  heißt  bei  Eagusa  jetzt  der  Kirchendiener,  welcher  die  Kirche  reinigt  und  die  Lichter  anzündet,  ebenso 
wie  der  ,Klausner'  bei  manchen  Bergkapellen  in  den  Salzburger  Alpen,  welcher  daneben  Wallf.ihrern  und  Touristen  Er- 
frischungen und  Andenken  verkauft. 

«)   Vgl.  meiuii  Abhandlung  im   Arch.  slav.  Phil,  l'.l  (1897)  45. 

^)  Stari  pisci  der  südslav.  Akademie  3,   12 — '26. 

")  „Patarinos  seu  reguUantes  sette  Bosne",  Cousilium  Rogatnrum  von  Hagusa,  27.  .Juni  1403.  „Habitavano  no'  mo- 
nasteri,  jiosti  nelle  valli  e  altri  luoghi  rimoti',  Orbini  354   (beruft  sich  auf  Volaterranus  und  S.ibellicus^. 

')  Jorga,  Notes  et  extraits  2,  107  (1405). 

')  In  einer  Urkunde  um  1323  mit  dem  Zusatz  ,der  große':  djed  veliki,  gost  voliki;  Glasnik  bos.  18  (1906)  405.  Dia 
Stufenreihe  der  Orade  in  einem  Brief  der  Ragusaner  an  den  Kardinal  .Johannes  de  Ragusio   1433  bei  Jorga  a.  a.  O.  2,  318. 


46 


II.  Abhaxdlukg:  Co>-staxtix  Jieecek. 


wändc'iu  der  oc-cidcntalischen  und  orientalischen 
Kleriker  ans  einem  knrzen  Rdck  und  eng  an- 
liegenden Hosen  bestanden  zu  haben. ^)  Sie 
unternahmen,  ebenso  wie  orientalische  nnd  oc- 
cidentalische  Geistliche,  Gesandtschaftsreisen 
für  die  Landesherren,  zum  Beispiel  der  in 
Eagusa  1437 — 1466  oft  erwähnte  Eadin  (,sta- 
rac',  später  ,gost'),  Diplomat  des  Herzogs  Ste- 
phan.2)  Sie  waren  Schiedsrichter  nnd  Friedens- 
vermittler in  allen  inneren  Fehden.  Ihr  Haus 
war  ein  Asyl  für  die  Verfolgten,  sogar  für 
Thronprätendenten. ^)  Deshalb  war  ihre  Freund- 
schaft auch  für  die  fremden  Kaufleute  sehr 
wertvoll.  Sie  besorgten  auch  weltliche  Geschäfte. 
,Goysavus  gost  Patarinus'  stellte  1441  an  der 
Nordgrenze  des  Gebietes  des  Stephan  Vukcic 
Geleitsbriefe  für  Karawanen  aus  und  konfis- 
zieite  die  Waren  von  Handelsleuten,  die  ohne 
Dokumente  eintrafen.*)  Bei  feierlichen  Akten 
erschienen  die  Patarener  in  der  SiebenzahP) 
oder  in  der  Zwölfzahl.")  Die  "Wohnsitze  der 
Patarener  sind  nur  aus  einigen  Daten  des 
15.    Jahrhunderts   bekannt.     Der    Djed    schrieb 


1404  eine  Urkunde  im  Dorfe  Janjici  bei  Zenica 
im  Bosnatale.  Im  Drinagebiet  werden  Pata- 
rener erwähnt  in  Gorazda  und  im  .locus  Pa- 
tarenorum'  in  dem  nicht  näher  bekannten 
Ljubskovo.")  Eine  andere  Gesellschaft  (socie- 
tas)  der  Patarener  wohnte  an  der  oberen  Xa- 
renta  im  Gebiete  der  Adelsfamilie  der  Pastro- 
vici  bei  einer  Bjelgrad  genannten  Burg,  ,in 
Neretba  partium  Bosne',  ,sub  Belgrado'  oder  in 
Subtus-Belgrad.*)  Geschenke  nahmen  sie  von  den 
Ragusanern  gerne  an,  die  z.  B.  1430  dem  Djed 
und  den  Gosti  Schachteln  mit  Konfekten  über- 
sendeten.^) Ebenso  wurde  Padin  als  Gesandter 
und  Vertreter  des  Herzogs  .Stephan  oft  mit 
Tüchern,  Salz  und  Getreide  beschenkt.  Orbini 
berichtet,  daß  die  bosnischen  Matronen,  welche 
in  Krankheiten  ein  Gelübde  abgelegt  hatten, 
sich  in  die  Klöster  der  Patarener  begaben  und 
bei  diesen  Mönchen  eine  Zeitlang  wohnten.^'') 
In  den  Nachbarländern  wurde  dies  mit  Spott 
besprochen.  In  Eagusa  galt  die  Bezeichnung 
.Amine  der  Patarener'  (babiza  de  Patarinis) 
als  eine  schwere  Verbalinjurie.") 


')   Faksimile  aus  der  Apokalypse  des  Kadosav  ,krstjanin'   bei  Jagic  im  Arch.  slav.  Phil.  25  (1903)  S.  -'b. 

')  Vgl.  Dr.  Ciro  Truhelka,  Testamenat  gosta  Radina,  Glasnik  bos.  23  (1911)  355-376.  Das  Testament  vom  5.  Jäuner  1466 
ist  mit  cyrillischer  Schrift  in  die  ,Testanienta  Notarie'  in  Ragusa  eingetragen. 

=)  Pucic  1,  Beilagen  S.V. 

»)  Am  8.  Jänner  1441  klagen  Andreas  Pribiuid  und  JlilaS  Pribilovid  gegen  die  Brüder  Pribisav  und  Radosav  und 
gegen  BoziÄko  (Bosigcus),  deren  .socius'.  .Existentes  subtus  Borar.  miserunt  unum  eorum  nuncium  ad  Goysavum  gost 
Patarinum  ad  impetrandum  et  petendum  salvum  conductum,  quod  ipsi  possent  cum  rebus  suis  secure  transire  per  ems 
contratam  sine  impedimento.  Et  ipse  Patarinus  cum  valioso  vayvode  Stiepan  fecit  sibi  dictum  salvum  conductum'.  Bozidko 
behielt  die  Urkunde  bei  sich  und  reiste  voraus.  ,Et  cum  fuerunt  ad  dictum  Patarinum,  ipse  Patarinus  intromisit  ipsos 
cum  omnibus  rebus  in  presenti  cedula  descriptis,  quia  non  habebant  penes  se  dictum  salvum  conductum'.  Die  Waren 
hatten  den  Wert  von  mehr  als  758  Perper.     Lamentationes  de  foris  1440  Arch.  Rag. 

*)  Dem  Prätendenten  Paul  Klesi6  bringen  2  Starci  und  5  Krstjani  Geleitsbriefe  des  Königs  Ostoja  und  des  Djed 
nach  Ragusa  1404,  Pucic  1,  50 — 51. 

»)  Der  Djed  ,der  bosnischen  Kirche'  mit  12  .Strojnici'  (oder  .hervorragenden  Christen',  poglaviti  krstjani)  und  12  Vla- 
Btelinen  als  Schiedsrichter  zwischen  Herzog  Stephan  und  seinen  Verwandten  1453,  Mon.  serb.  459,  461. 

')  Warentransporte  ragusanischer  Kaufleute  mit  Pferden  der  Wlachen  ,ad  locum  dictum  Ruxin  Patarino  ad  Glupscovo', 
ad  locum  Patarenorum  in  Glubscovo',  ,U8que  Glubscovo  ad  Patarenos',  ,ad  Glupscovo  ad  Patarinorum  contratas'  1407—1416 
Div.  Rag.;  1407  neben  Likodra  genannt,  das  vielleicht  identisch  war  mit  Likodra  im  heutigen  Serbien,  Srez  von  Radjevina, 
an   der  Drina.     Gorazda:  Lam.  Rag.  1442. 

«)  Ein  Ragusaner  Milassinus  Giurassevich  klagt  gegen  ,Radii;.  Pastrovich,  nobilem  chercechi  Stephan!,  et  Jelenam 
eius  uxorem',  daß  sie  .homines  suos'  gesendet  haben,  um  ihm  2  ,pecias  pannorum'  zu  stehlen,  ,de  uocte  in  domo  de  Obizen 
Patarino,  in  loco  vocato  Eretva  sab  Belgrado',  19  Juni  1449  Lam.  Rag.  .Radissavus  Patharenus,  unus  de  societate  Biellosavi 
Pathareni  in  Neretba  partium  Bosne  citra  flumen  de  Subtus-Belgrad'  klagt  den  Ragusaner  Ruschus  Tudrovich  wegen  eines 
Deposits  von  20  Perper,  doch  Ruschus  wird  freigesprochen,  weil  der  einzige  Zeuge  Radisavs,  ,Zivetchus  suus  socius,  simlliter 
Patharenus  ex  su])ra  nominata  societate',  unter  Eid  (cum  sacramento  eis  solito,  ut  moris  est)  nichts  davon  weiß;  Eintragung 
vom  17.  Oktober  1466  in  ,Liber  diversarum  actionum,  que  aguntur  per  Sclavos  contra  Raguseos  1466 — 1467',  Arch.  Rag.  (mit 
Aufschrift:  Div.  Canc.  1466).  Bjelgrad  an  der  Narenta  kann  mit  Bjela  südlich  von  Konjic  identisch  sein,  mit  Burgruinen 
und  Steingräbern,  vgl.  Hoernes,  Altertümer  der  Hercegovina,  SB.  W.  Akad.  97  (1880)  599.  Dieses  Bjela  gehörte  1419  dem 
Edelmann  Alexa  Pastrovii,  Pucid  1,  147.     Vgl.  Radonid  im  Arch.  slav.  Phil.  19  (1897)  436  Anm. 

")  Jorga  a.  a.  O.  2,  280. 

'")  ,Le  matrone,  che  di  qualche  infermita  guarrivauo,  solevano  andare  come  per  voto  a  servire  un  certo  tenipo  pre- 
fisso,  et  cosi  stavano  con  detti  monaci  u  per  dir  nieglio  heretici.'     Orbini  354. 

")  Ser  Nicola  Mar.  de  Gozis  hat  im  Tale  der  Ombla  die  domina  Anucla,  Frau  des  Ser  Nicola  Alvisii  de  Goze  be- 
schimpft: ,putana  de  bordello,  batessa  di  bordelln,  babiza  de  Patarinis,'  5.  Fel)riiar  1457  Lam.  Rag.  Baliiza  als  nutrix 
schon  im  Statut  von  Ragusa. 


Staat  uxd  Gesellschaft  im  mittelalteelichen  Serbien  III. 


47 


Pie    Zusammensetzung    und    der    Geist    der 
Gesellschaft   wird   am   besten   illustriert   durch 
die  Etiquette.    Ein  kleiner   Edelmann    (vojin), 
der   dem   Nemanja   Mitteilungen   über    die   ge- 
heimen Umtriebe  der   Häretiker   macht,   beugt 
vor    ihm    zuerst    die    Knie;    die    Tochter    eines 
Großen    (velmoza),    die    dem    Großzupan    über 
ihren  häretischen  Gatten  Klage  führt,  fällt  ihm 
zu  Füßen. 1)    Später  änderte  sich  das  Verhältnis 
zwischen  dem  Landesherrn  und  seinen  Großen. 
In  Paniels  Zeit  erscheinen   die  Vlasteline  des 
Königs  Uros  IL   wie  seine  ,geliebten   Brüder' 
(suste    jemu    jako    vtzljubljena    bratija).     Der 
junge  Stephan  Dusan,  verfolgt  von  seinem  Vater, 
redet  seine  Anhänger  an  als   ,meine  geliebten 
Brüder  und  Freunde'   (bratije  moja  vbzljublje- 
naja  i  druzi).^)    Von  besonderem  Interesse  sind 
die  Erzählungen  des  Kantakuzenos.    Eine  alte 
Sitte  der  Serben  sei  es,  wenn  einer  der  Edlen 
und   Mächtigen   nach   längerer  Zeit  den   Herr- 
scher besucht,  daß  beide,  sowohl  der  König  als 
der    Große,    bei    ihrer    ersten    Begegnung    vom 
Pferde    steigen,    worauf    der    Edelmann     den 
König    auf    Brust    und    Mund    küßt.     Bei    der 
zweiten  Begegnung    begrüßen    einander  König 
und  Edelmann  beide  zu  Pferde,  ohne  aljznsitzen. 
Kaiser  Kantakuzenos  wurde  als  Gast  des  Ste- 
phan Dusan,  damals  noch  König,  nach  byzanti- 
nischer   Art    begrüßt;    vor    dem    griechischen 
Kaiser,  der  im  Sattel  blieb,  saßen  alle  Serben 
vom  Pferde  ab  und  küßten  sein  Knie  (1342). 
Als  Kaiser  führte  Stephan  Dusan  die  byzanti- 
nische  Art   der    Ehrenbezeigung   ein   und   ver- 
langte, wie  Philipp  de  Mezieres  erzählt,  bei  der 
Audienz  den  Fußkuß  (pedem  osculari).  Kanta- 
kuzenos berichtet  auch  über  das  Zeremoniell  bei 
dem  Empfang  des  serbischen  Erzbischofs  beim 
König.     Als    der    Erzbischof   Loanikije    IL    in 
Pristina  zu  Pferde  eintraf,  ging  ihm  Stephan 
Dusan  bis  in  die  Mitte  des  Hofes  zu  Fuß  ent- 
gegen,   nahm    die    Zügel    in    seine    Hand    und 
führte  das  Reittier  bis  zur  Stelle,  wo  der  ehr- 
würdige Gast  abstieg;   beim  Absteigen  erteilte 
der  Kirehenfürst  dem  König  den  Segen. ^)    In 
Eagusa   entblößten   die  Bauern   vor   den    Edel- 
leuten,    die    Parteien    vor    den    Richtern    das 
Haupt ;     Kniebeugungen   machte  nur,   wer   die 
Behörde  um  Gnade  bat.    Bei  dem  Empfang  von 
Gesandten   beim    Oberhaupt   der   Republik   von 
Eagusa  reichte  man  sich  die  Hände.  Umarmung 


und  Kuß  spielten,  wie  liei  den  Byzantinern,  eine 
große  Rolle.  Rastko,  der  spätere  hl.  Sava,  be- 
grüßt nach  der  Erzählung  des  Theodosij  so  den 
ihm  nachgesendeten  serbischen  Vojvoden,  der 
Befehlshaber  von  Skopje  den  byzantinischen 
Gesandten  Metochites,  jeder  Adelige  nach  der 
Erzählung  des  Kantakuzenos  den  König.  Nach 
dem  Statut  von  Eagusa  müssen  bei  dem  Grenz- 
tag (stanak)  mit  den  Zachlumiern  die  Comites 
von  Chelmo  und  von  Ragusa  diejenigen  Edel- 
leute,  welche  als  ihre  Vertreter  den  Eid  leisten, 
vor  dem  Schwur  auf  dem  Mund  küssen.  Der 
,brüderliche  Friedenskuß'  gehörte,  wie  wir  ge- 
sehen haben,  zum  Zeremoniell  der  Sühne  der 
Blutrache  (s.  oben  2,  17). 

Unzertrennlich  von  jedem  bedeuteuderen 
Mann  war  sein  Gefolge;  das  Ansehen  des  Vor- 
nehmen hing  von  der  Zahl  und  Ausrüstung 
seiner  Begleiter  ab,  welche  ihn  zu  Fuß  oder  zu 
Pferde  umgaben.  Zur  Repräsentation  mußte 
auch  der  Gesandte  mindestens  drei  berittene 
Diener  mitbringen,  so  der  serbische  Gesandte 
nach  Konstantinopel  nach  dem  Bericht  des 
Metochites,  ebenso  die  ragusanischen  Gesandten 
nach  Serbien.  In  der  Zeit  des  Stephan  Du.san 
wurden  in  Ragusa  auf  jeden  der  zwei  bis  drei 
Gesandten  drei  Diener  zu  Pferde  und  zwei  zu 
Fuß  gerechnet.  Auch  der  ragusanische  Konsul 
in  Serbien  (1325)  war  verpflichtet,  vier  Pferde 
und  drei  Diener  zu  halten.  Die  berittenen 
Diener  der  ragusanischen  Gesandtschaft  zur 
Hochzeit  des  Stephan  Dusan  (1332)  erhielten 
ebenso  wie  der  gleichfalls  berittene  Zahlmeister 
(expenditor)  eine  Art  LTniform,  gleichfarbige 
Kleider  aus  demselben  Stoff.'') 

Es  gab  keine  Begegnung  der  Fürsten,  keine 
Gesandtschaft,  keine  Festlichkeit  ohne  Ge- 
schenke. Der  Großzupan  Stephan  erhielt  vom 
ungarischen  König  Andreas  IL  bei  der  Zu- 
sammenkunft in  Eavno  Purpurkleider,  ge- 
schmückt mit  Edelsteinen  und  Perlen,  Becher 
mit  vielfai'bigen  Steinen  geziert,  AVunderbare 
Pferde  mit  goldenen  Zügeln  und  andere  Tiere; 
derselbe  als  erstgekrönter  König  bekam  durch 
seinen  Bruder  Sava  als  Gesandtoit  aberuuils 
auserwählte  Pferde  und  die  eigenen  ^^'alTen  des 
Andreas  IL  zum  Geschenk.  Ebenso  w.ir  die 
Zusanunenkunft  des  Stc])han  Dusan  mit  ivaiscr 
Andronikos  III.  (1334)  mit  cineni  Austausch 
von    Geschenken    verbunden.'')    Die    Geschenke 


")  Köni^  Stephan  cap.  6. 
')  Mon.  Rag.  5,  344. 


•)  Daniel  'JC,  211.  ")  Kantakuzonos  111  cap.  43,  45. 

^)  König'  Stephan  cap.  '20.     Tlieodosij  hei  Pavlovid  11  tj.     Daniel  225. 


48 


II.    ABIIAXDLrXG:    COXSTAXTIX    JlKECEK. 


der  Ragusaner  an  den  König  und  an  die  Edel- 
leute  bestanden  aus  Kleiderstoffen  (drappi), 
süßen  Konfekten,  Südfrücliten  und  Spezereien.^) 
Nocli  1422  sendeten  sie  dem  König  Tvrtko  II. 
von  Bosnien  27  Fässer  gesalzene  Fische,  vier 
Fässer  Zitronen  (lemoni),  48  Scliacliteln  ,con- 
fetti'  und  überdies  Zucker,  Pfeffer  und  Ge- 
würze. Als  der  König  und  einige  seiner  Höf- 
linge (cortigiani  e  baroni)  bald  darauf  neuer- 
dings Fische,  Orangen  und  verschiedene 
Früchte  verlangten,  wurde  dies  von  den  Eagu- 
sanern  durch  ihre  Gesandten  als  unschicklich 
(grau  nianchamento  de  honore)  zurückgewiesen.^) 
Feierlichere  Anredeformeln  gab  es  nur  beim 
König  und  Erzbischof;  der  erstere  wurde  in 
der  Eegel  als  ,Dein  Königtum',  der  letztere  als 
,Deine  Heiligkeit'  angesprochen.  In  Eagusa 
war  es  üblich,  selbst  die  Richter,  Ärzte  und 
Geistlichen  bloß  mit  dem  Taufnamen  ohne  Titel 
anzureden,  was  dem  Johannes  von  Eavenna  gar 
zu  bauernhaft  schien.  Untereinander  sprachen 
sich  auch  fremde  Leute,  Adelige,  Bürger  und 
Bauern  als  .Gevatter'  an  (kum,  fem.  kuma,  lat. 
compater,  coramater).  Die  Königin  -  Mutter 
Helena  adressiert  1304  einen  Brief  ,an  meinen 
geliebten  Sohn  und  an  den  Gevatter  meines 
Königtums,  den  Comes  von  Eagusa  Marinus 
Baduarius'.^)  Ebenso  schreibt  der  bosnische 
Vojvode  R^doslav  Pavlovic  1434  an  die  Ragu- 
saner als  an  die  weisen,  edlen,  sehr  geehrten, 
alten  und  neuen  Freunde  und  .aufrichtigen  Ge- 
vatter' (srcanijem  kumovom).'*)  Alltäglich  war 
die  Anrede  als  .Bruder'  (brat) ;  man  fand  es 
gar  nicht  anstößig,  wenn  z.  B.  ein  Wlache  des 
Gebirges  einen  Patrizier  von  Eagusa  als  , Bru- 
der' anrief.  Eine  beschworene  Freundschaft 
stand  unter  dem  Schutz  des  hl.  Johannes,  des 
Schutzpatrons  der  Bruderschaft  und  Gevatter- 
schaft, was  an  das  in  Italien,  besonders  in  Sar- 
dinien übliche  ,comparatico  di  San  Giovanni' 
erinnert  und  heute  noch  in  dem  südslavischen 
Zeremoniell    bei    der    Sühnung    der    Blutrache 


wiederklingt.  Als  es  sich  1285  um  die  Sicher- 
heit der  Weingärten  der  Eagusaner  auf  serbi- 
schem Boden  bei  den  Euinen  von  Epidaur 
handelte,  wurde  gemeldet,  eine  Patrizierin  der 
Stadt  aus  der  Familie  Bucignolo  sei  bei  der 
Königin-Mutter  Helena  gewesen  und  habe  mit 
ihr  die  Johannesbruderschaft  geschlossen.^)  Als 
1297  ein  Diener  der  Patrizierfamilie  Pozza 
Lammfelle  in  einem  von  Aviswanderern  aus  der 
Zeta  bewohnten  Hause  des  Tales  von  Zonchetto 
versteckte,  sagte  er  den  Einwohnern,  sie  mögen 
ihn  als  ,Brüder  in  St.  Johannes'  nicht  verra- 
ten.") Der  bosnische  Herzog  Hrvoje,  als  er 
aller  Würden  entkleidet  und  verfolgt  war, 
schrieb  (1413)  der  ungarischen  Königin  Bar- 
bara, der  Gattin  des  Königs  Sigismund:  ,Erin- 
nert  Euch  dem  hl.  Johannes  zu  Liebe,  daß  ich 
Euer  Gevatter  bin.'^) 

Die  Konversation  war  voll  poetischer  Wen- 
dungen. Beliebt  waren  Vergleiche  mit  der 
Sonne,  bekannt  auch  aus  der  poetischen  Litera- 
tur, wo  in  den  lyrischen  Gedichten  z.  B.  des 
Mencetic  und  Drzic  in  Eagusa  die  Geliebte  als 
.kleine  Sonne''  (sunacce)  angerufen  wird.  Die 
von  König  Andreas  IL  dem  Sohne  Neman jas 
Stephan  geschenkten  Pferde  glänzten  nach  den 
eigenen  Worten  Stephans  wie  die  Sonne.  Nach 
Domentian  beleuchtete  der  junge  Sava  alle  Hö- 
hen des  Athos  wie  die  Sonne,  als  er  die  Klöster 
und  Eremitenklausen  des  heiligen  Berges  be- 
suchte. Bei  Daniel  wird  König  Stephan  Uros  IL 
Milutin  mit  der  ,stark  leuchtenden  Sonne'  ver- 
glichen. Die  Edelleute  reden  den  todkranken 
König  Stephan  Dragutin  als  imtergehenden 
Sonnenschein  (zarja  slbntenaja)  an.  Die  Ea- 
gusaner schreiben  schmeichelnd  dem  Despoten 
Stephan,  Gott  habe  ihn  mit  hohem  und  schönem 
Verstand  geziert,  der  volles  Licht  und  Sonnen- 
strahlen über  die  ganze  Erde  aussende.  Byzan- 
tinischen Ursprunges  ist  bei  Theodosij  die  Be- 
zeichnung der  Söhne  Stephans  des  Erstgekrön- 
ten als  ,Adler  mit  goldenen  Flügeln'.*) 


*)  In  der  Regel  wird  in  den  Senatsprotokollen  von  Ragusa  nur  der  Geldwert  der  Geschenke  angewiesen,  ohne  ge- 
nauere Aufzählung. 

2)  l'uci6  1,  Beilagen  S.  XXIX.     Jorga,  Notes  et  extraits  2,  210,  214. 

')  Spomenik  11,  23,  Nr.  5. 

*)  l'ucii  2,  91,  Nr.  111.  tJber  die  Urkuudenformeln  St.  Stanojevii,  Studije  o  srpskoj  diplomatici,  Gl;is  90  (1912)  und 
92  (1913),  besonders  im  Kapitel  über  die  Inskription,  ib.  92,   163 f. 

')  ,Dicebatur  a  Sclavis  in  Civitate  Veteri,  i)uod  soror  Damiaui  de  Bocignolo  iverat  usiiue  ad  dominam  reginam  et 
domina  regina  fecerat  se  .sanctum  Johannom  dicto  sorori  Damiani',  28.  August  (1285),  Div.  Rag.  1284  Arch.  Rag. 

'')  Braicus  de  Luboe  sagte:  .et  scitis,  nii  fratres  de  S.  .lobanni,  non  dicatis  aliciuid  de  istis  schilatis  illis  de  Poija'. 
Div.  Canc.  1295  Arch,  Rag. 

')  Klaid-Bojnieid,  Geschichte  Bosniens  318. 

')  Domentian   134.     Theodosij  bei   Pavlovic   105.     Daniel   48,   156.     Pucii^  2,  H!l. 


Staat  und  Gesellschaft  im  mittelalterlichen  Serbien  III. 


49 


Doch  nicht  alle  Eedensarten  waren  schön, 
brüderlich  und  poetisch.  Das  Flickwort  ,Teufel!' 
(jetzt  jvraga!')  wird  schon  1285  erwähnt.^)  Die 
Schimpfwörter  sind  in  den  Gerichtsbüchern 
von  Eagusa  zu  lesen.  Die  Leute  nannten  einan- 
der Lügner,  Verräter,  Aussätzige  (leprose!), 
Sklaven;  die  Frauen  beschimpften  sie  als 
,meretrix  vetus',  ,putana  puzolenta',  ,rufiana'. 
Nicht  selten  war  die  Bezeichnung  als  Sohn 
eines  Esels  (oslovie),  Hundes,  Schweines,  eines 
Eäubers,  als  ,filius  meretricis',  wenn  nicht  als- 
.maritus  meretricis',  oder  als  toter  Esel  (asine 
mortue!).  Dazu  kamen  Drohungen  den  Bart 
auszuraufen,  die  Nase  abzuschneiden  oder  an- 
dere Liebenswürdigkeiten,  wie  z.  B.  1442  einer 
rief:  ,ich  werde  es  durchsetzen,  daß  dir  in  der 
Mitte  von  Novo  Brdo  die  Haut  wie  einem 
Hammel  abgezogen  wird'  (scorticaberis  tam- 
quam  unus   castronus). 

Die  Schriftstücke  des  serbischen  Mittel- 
alters sind  ferne  von  barbarischer  Formlosig- 
keit, stets  höflich  abgefaßt,  auch  unter  Parteien, 
die  kurz  zuvor  miteinander  im  Kriege  waren. 
Offenkundig  ist  der  Einfluß  ■  byzantinischer 
Eedensarten.  Wie  im  Eechtsleben,  ist  auch  im 
Urkundenwesen  ein  zähes  Festhalten  an  einem 
traditionellen  Zeremoniell  bemerkbar.  Allge- 
mein gilt  das  einfache  ,du'.  Der  Plural  für  die 
Fürsten  ist  eine  späte,  unter  dem  Einfluß  la- 
teinischer Formeln  eingeführte  Neuerung  des 
15.  Jahrhunderts,  zugleich  mit  ,Euer  Herr- 
schaft' (gospodstvo  Vi,  Dominatio  Vestra)  und 
jEuere  Hoheit'  (velikost  Vi,  magnitudo  Vestra). 
König  Uros  IL  schreibt  einen  Befehl  seinem 
,geliebten  Zupan  Tvrtko'  (Ijubovnomu  zupanu 
Tvrtku)  nach  Popovo  und  beschwört  ihn  ,bei 
meinem  Leben  und  meiner  Liebe'  (tako  ti  mo- 
jega  zivota  i  moje  Ijubve)  alles  genau  auszu- 
führen. Car  Stephan  Dusan  nennt  den  Despo- 
ten Oliver  den  , allgeliebten  und  aufrichtigen 
Edelmann',  den  Sevastokrator  Dejan,  seinen 
Schwager,  ,den  glaubwürdigen,  sehr  geliebten 
und  vertraulichen  Bruder  meines  Kaisertums'. 
Ebenso  bezeichnet  Car  Uros  zwei  Edelleute  von 
Cattaro  als  glaubwürdig,  wohlgefällig  und  ge- 
liebt, mit  Erwähnung  ihrer  treuen  und  allauf- 
richtigen Dienste.-)  In  der  Despotenzeit  aber 
ist  z.  B.  der  Celnik  Eadic  in  den  Urkunden  des 


Despoten  Georg  nur  ,der  geehrte  und  getreue 
Edelmann'  (poctenij  i  vernyj  vlastelin).^)  An 
den  Comes  der  Eagusaner  schreiben  LTros  II. 
und  III.,  ebenso  wie  Stephan  Dusan  als  an  ,den 
teuern  und  geliebten  Verwandten  (surodnik) 
meines  Königtums',  später  Kaisertums.  Als 
«teuersten  Verwandten'  (affinis  carissimus)  be- 
zeichnet Car  Stephan  auch  den  Dogen  Andreas 
Dandolo  von  Venedig.')  In  der  späteren  Zeit 
schreibt  Despot  Stephan  Lazarevie  ,den  weisen 
und  geehrten  und  guten  Freunden'  von  Eagusa, 
Mara,  des  Despoten  Georgs  Mutter,  ,den  edlen 
und  sehr  geehrten  Herren  und  unseren  Brü- 
dern und  Freunden,  der  Gemeinde  von  Eagusa'. 
Als  ,teueren  Freund'  (dragi  mi  prijatelj)  reden 
den  Comes  von  Eagusa  selbst  in  Kriegszeiten 
die  serbischen  Edelleute  Crnomir  und  Vojislav 
an.  Diejenigen  Fürsten,  die  Bürger  von  Eagusa 
waren,  wenden  sich  an  die  Eagusaner  stets  als 
an  liebe  oder  teuere  ,Brüder',  z.  B.  die  Baliici. 

Die  Briefe  der  Bosnier  an  die  Eagusaner 
sind  ebenso  freundschaftlich,  wie  die  der  Ser- 
ben. Tvrtko  als  Ban  nennt  sie  ,Brüder  und 
Freunde'  (nasa  bratija  i  nasi  prijatelji),  als 
König  ,die  teueren  und  geliebten  Brüder  meines 
Königturas'  (kraljevstva  mi  dragim  i  Ijubovnim 
prijateljem).®)  Die  Eagusaner  schreiben  dem 
bosnischen  König  im  15.  Jahrhundert  als  dem 
,sehr  durchlauchtigen  und  sehr  hohen  Herrn' 
(presvetlomu  i  previsökomu  gospodinu),  den 
Edelleuten  Bosniens,  ebenso  wie  dem  serbischen 
Despoten  als  ,dem  berühmten  und  mächtigen 
Herrn'  (slavnomu  i  velmoznomu  gospodinu), 
was  die  Bosnier  ihrerseits  in  ihren  Briefen  in 
gleicher  Weise  erwidern.  In  einem  zufällig 
erhaltenen  Brief  eines  Edelmannes  an  einen 
Standesgenossen,  des  Zupan  Dragisa  Dinjicic 
in  Srebrnica  an  den  Knez  Vukasin  Zlatouosovic 
in  Zvonik,  dem  heutigen  Zvornik  an  der  Drina 
(1424)  lautet  die  Anrede:  ,Dem  sehr  geehrten 
und  uns  teuern  und  lieben  älteren  Bruder'.®) 
Der  Gruß  (pozdravljenjo)  wird  in  den  Briefen 
stets  mit  einem  Epithet  bezeichnet,  als  sehr 
herzlich,  sehr  lieb,  sehr  ehrend  oder  , demütig' 
(smiren). 

Die  Terminologie  der  internationalen  Kor- 
respondenz wird  zum  Schlüsse  des  Mittelalters 
trotz   der   Verwilderung  der   damaligen   Gesell- 


')   Ein  Weingartenhütor  ruft  an   der  ragusanisclißii  Greir/.o:  ,(Jai(l,  iliabole.  feeistis  ciuod  robaatis  isto3  honiines!'   1285 

Div.  Rag. 

')  Mon.  serb.  53,  143,  156.     Glasnik  27.  288.  »)  Spomenik  3,  3. 

«)  Ljubid  2.  278.  ')  M»"-  s"''-  l^**-     P""^'*^  -'  -'*>  ^^-  •'•'• 

^)  Spomenik   11,  75. 
Dcnkscbriften  der  phil.-hist.  Kl.  58.  Bd.  2.  AWi.  "  T 


50 


II.  Abhandlung:  Constantin  Jieecek. 


Schaft  ganz  zierlich  und  süßlich.  Die  bosnische 
Königin  Helena,  Witwe  des  Dabisa,  schreibt 
1397  den  Eagusanern  über  die  Aufhebung  eines 
Zollamtes:  ,Xachdem  wir  die  geziemenden  und 
in  allem  ehrbaren  Bitten  und  Gesuche  der  Edel- 
leute  der  Stadt  Eagusa  gehört  haben'.  Der  Voj- 
vode  Eadic  Sankovic  sagt  1399  in  der  Urkunde, 
durch  welche  er  das  Dorf  Lisac  den  Eagusanern 
abtritt,  daß  sie  dem  bosnischen  König  ,Gesandte 
mit  süßen  und  sehr  ehrenden  Worten  und  mit 
ehrenvollen  Geschenken  gesendet  haben'.^)  Dem 
Despoten  Stephan  von  Serbien  schreiben  die 
Eagusaner  (1423)  über  die  Durchreise  seines 
Gesandten,  ,des  edlen  und  verständigen  Edel- 
mannes' (plemeniti  i  ra/.iiiuui  vlastelin)  Vitko 
nach  Venedig,  wie  er  ihnen  .weise  und  ehren- 
voll von  Seite  Euerer  Herrschaft'  gesprochen 
hat.  In  einem  folgenden  Briefe  teilen  sie  mit, 
daß  sie  ,das  berühmte  und  sehr  süße  Schreiben' 
(slavno  i  mnogo  slatko  pisanije)  des  Despoten 
mit  den  ,süßen  und  sehr  gnädigen  Worten  und 
Versprechungen'  (slatke  i  mnogo  milosrdne  reci 
i  obetovanija)  in  Angelegenheiten  einiger  Ea- 
gusaner, die  in  Serbien  eingekerkert  waren, 
wohl  verstanden   haben.-) 

Die  Schreiber  selbst  sind  in  den  serbischen 
Urkunden  erst  nach  1300  genannt,  stets  sehr 
bescheiden.  Zum  ernsten  Stil  der  Urkunde  un- 
passende Naivetäten  kommen  in  Bosnien  vor. 
Tvrtkos  Schreiber  Drazeslav  Bojic  sagt  zum 
Schlüsse  einer  langen  Urkunde  an  einen  Adeli- 
gen: ,Und  als  ich  dies  schrieb,  da  ließ  der  Herr 
Ban  Tvrtko  einen  großen  Becher  Wein  vor  mich 
stellen,  zum  Austrinken  in  guter  Laune'  (velik 
pehar  vina  popiti  u  dobru  volju).  Derselbe 
schreibt  einen  Vertrag  mit  Eagusa  mit  seiner 
,wenig  nützlichen  Hanrl'  und  schließt  nach 
Mönchsart:  ,Die  Erde  ist  meine  Mutter,  mein 
Vaterland  das  Grab,  wir  sind  von  der  Erde  und 
werden  wieder  in  die  Erde  hineingehen'.^) 

Der  größte  Teil  der  serbischen  Urkunden 
des  13.  Jahrhunderts  ist  undatiert,  wie  die  ad- 
ministrativen Mandate  der  byzantinischen  imd 
epirotischen  Herrscher.    Erst  im  14.   Jahrhun- 


dert wird  die  Datierung  häufiger,  und  zwar 
wie  bei  den  Eulgaren  und  Eumänen  stets  nach 
der  Konstantinopler  Ära  .nach  der  Erschaffung 
der  Welt',  die  mit  dem  Jahre  5508 — 5509  vor 
Christo  beginnt. "*)  In  Dalmatien  und  in  Bos- 
nien war  die  abendländische  Zeitrechnung  nach 
Christi  Geburt  üblich,  weshalb  z.  B.  ein  Ver- 
trag des  Königs  Uros  III.  mit  Eagusa,  geschrie- 
ben 1326  auf  der  Burg  Danj  bei  Skutari,  und 
die  meisten  Urkunden  der  Balsici  in  dieser  Art 
datiert  sind.  Das  byzantinische  Jahr  begann 
am  1.  September,  das  occidentalische  in  Eagusa 
am  Weihnachtstag,  25.  Dezember,  aber  mitunter 
am  1.  Jänner,  in  Venedig  am  1.  März.  Die 
hohen  Ziffern  der  byzantinischen  Jahre  waren 
nicht  allgemein  bekannt;  z.  B.  ein  Abschreiber 
von  Handschriften  in  der  Landschaft  von  Zegli- 
govo  (bei  Kumanovo)  um  1300  hat  nur  6800  an- 
gegeben, da  er  nicht  die  ganze  Jahreszahl  er- 
fahren konnte.^)  Auch  die  Jahre  des  fünf- 
zehnjährigen Zyklus  der  Indiktionen  werden 
vielfach  unrichtig  angegeben,  weil  diese  Eech- 
nung  in  Serbien  nicht  so  innig  mit  dem  Wirt- 
schaftsleben und  Steuerwesen  verbunden  war, 
wie  in  ihrer  Heimat,  im  byzantinischen  Kaiser- 
tum. Die  Monatsnamen  der  Urkunden  sind  die 
griechisch  -  lateinischen  (januarij,  fevruarij, 
mart  usw.),  mit  einfacher  Zählung  vom  ersten 
]\Ionatstag  bis  zum  letzten,  wie  bei  den  Grie- 
chen. Eine  seltene  Ausnahme  ist  die  in  West- 
europa so  gewöhnliche  Datierung  nach  Feier- 
tagen. Ein  nationaler  Monatsname  kommt  nur 
in  einer  serbisch  geschriebenen  Urkunde  des 
Skanderbeg  vor:  der  Juni  als  , Kirschen- 
monat', c  e  r  e  s  n  j  a  r.")  Dagegen  sind  diese 
einheimischen  Monatsnamen  in  kirchlichen 
Handschriften  neben  denen  des  Kalenders 
mitunter  angemerkt  und  noch  jetzt  unter 
dem  Volke  ziemlich  bekannt.  Sie  kommen 
bei  allen  slavischen  Völkern  vor,  aber  ver- 
schieden angepaßt :  1  i  s  t  o  p  a  d,  , Laubfall' 
ist  bei  den  Südslaven  der  Oktober,  bei  den 
Nordslaven  der  November.'')  Die  Stunden  (ur- 
sprünglich  godina,   später  cas)    kommen    schon 


')  Mon.  sorb.  230,  '242.  ')  PuciÄ   1,   1R3,   165. 

")  Ulasnik  bos.  18  (1906)  410  (um  1353)  =  Wiss.  Mitt.  aus  Bo.snien  11   (1909)  247.     Mon.  serb.  176  (1367). 

*)  Im  16.  Jahrhundert  kommt  in  serb.  Handschriften  auch  die  Alexandrinische  Ära  vor,  die  5501  vor  Chr.  beginnt. 
Vgl.  Ljubomir  StojanoTi6,  .Aloksandrijska  era  u  staroj  srpskqj  hronologiji,'  Sbornik  zu  Ehren  des  V.  .1.  Lamanskij,  2.  Bd., 
Petersburg  1908,  828—835. 

^)  Stojanovii;,  Zapisi  1,  Nr.  34. 

")  Mon.  Borb.  442   (c.  1450) 

')  Miklosich,  Die  slavischen  Monatsnamen,  Wien  1867  (Denkschr.  W.  Akad.  Bd.  17).  Vesalinovid.  Narodni  nazivi 
meseca  u  Srba  (Nationale  Namen  der  Monate  bei  den  Serben),  Godisnjica  26  (1907)  229  —  238. 


Staat  uxd  Gesellschaft  im  jiittelalteelichex  Seebiex  III. 


51 


im  Typikou  des  Klosters  Studenica  vor,  welches 
auch  das  Schlagen  einer  Uhr  (casovnik)  er- 
wähnt, wohl  mit  Eäderwerk,  wie  bei  den  damals 
in  den  Klöstern  des  Abendlandes  vorhandenen 
Schlaguhren.  Bekannt  waren  auch  Sonnen- 
uhren.^) Tag  und  Nacht  waren  in  je  12  Stun- 
den eingeteilt;  z.  B.  mittags  war  die  sechste 
Stunde  des  Tages.  Eine  öffentliche  Uhr  (horo- 
logium)  wurde  1389  in  Kagusa  errichtet,  re- 
guliert vom  ,magister  balistarius' ;  man  rechnete 
dort  nach  italienischer  Art  24  Stunden,  vom 
Sonnenuntergang  angefangen.  Ein  Serbe,  der 
Athosmönch  Lazar  hat  in  Moskau  1404  im  i 
Schlosse  des  Großfürsten  die  erste  Uhr  aufge- 
stellt, welche  die  Stunden  durch  Hammer- 
sehläge  auf  eine  Glocke  anzeigte.^) 

Aus  den  Worten  Daniels  über  die  Freude 
der  Einwohner,  daß  unter  König  Uros  III.  ,der 
Friede  Gottes  und  unsagbare  Ruhe'  im  Lande 
herrschte,  ist  zu  sehen,  daß  man  die  Segnungen 
des  Friedens  zu  würdigen  wußte.^)  Doch  vielen 
war  der  Krieg  ein  Bedürfnis  und  eine  Freude. 
Der  Fortsetzer  Daniels,  ein  Klosterbruder, 
schildert  ganz  begeistert  die  Schlacht  mit  den 
Bulgaren  bei  Velbuzd  (1330) :  von  beiden  Sei- 
ten ertönten  die  Kriegstrompeten,  die  Pferde 
wieherten,  ein  großes  Geschrei  erhob  sich  und 
die  Jünglinge  des  Königs  schössen  mit  beiden 
Händen  ihre  Pfeile  ab  und  fehlten  nicht  das 
Ziel,  tapfer  kämpfend,  ohne  sich  voneinander 
zu  trennen.^)  Bei  der  geringen  Zahl  der  er- 
haltenen Urkunden  der  Herrscher  an  Edelleute 
Massen  wir  nicht,  ob  es  in  Serbien  üblich  war 
die  tapfereii  Taten  in  Schenkungsurkunden  so 
ausführlich  zu  schildern,  wie  man  es  in  Ungarn 
und  in  Bosnien  zu  tun  pflegte.  In  Bosnien 
feiert  eine  Urkunde  des  Ban  Stephan  IL  die 
Tapferkeit  des  Vlk  Vlkoslavie  (aus  der  Familie 
des  Hrvoje),  der  in  einer  Schlacht  mit  den  Ser- 
ben unter  Stephan  Dusan  dem  Ban  im  Kampfes- 
getümmel mit  Lebensgefahr  sein  eigenes  Pferd  j 
untergestellt  und  dabei  tötliche  Wunden  davon- 


getragen habe.^)  König  Dabisa  schildert  1392 
die  Zurückweisung  eines  türkischen  Einfalles 
nach  Bosnien:  ,Das  genannte  türkische  Heer 
haben  wir  durch  die  aufrichtigen  Bemühungen 
unserer  Getreuen  geschlagen  und  unter  das 
Schwert  gewendet,  und  wir  haben  mit  eigenen 
Allgen  gesehen,  wie  unsere  Getreuen  ihre  glän- 
zenden Waffen  unter  den  Schwertstreichen 
ihrer  kräftigen  Rechten  mit  Türkenblut  netz- 
ten, sich  nicht  schonend,  um  uns  zu  dienen  und 
ihre  Muskel  am  Heidenblut  zu  erfreuen;  und 
in  diesem  Kampfe  und  Eingen  hat  mir  ritter- 
lich, treu  und  aufrichtig  gedient  meines  König- 
tums allaufrichtiger  und  mächtiger  Ritter  (vi- 
tez),  unser  getreuer  Vojvode  Hrvoje,  Sohn  des 
Vojvoden  Vlkac'.*)  Ebenso  rühmt  derselbe 
König  1395  die  Verdienste  des  Zupan  Vlkmir 
Semkovic  und  seiner  Brüder,  welche  in  den 
Türkenkriegen  ,ihre  Köpfe  für  uns  nicht  schon- 
ten'.') 

Eine  Vorschule  des  Krieges  war  der  Straßen- 
raub, der  seit  dem  Altertum  in  diesen  Ländern 
nie  ausgestorben  ist.  Schon  in  der  Biographie 
des  Nemanja  erzählt  König  Stephan  von  einem 
Mann,  dessen  Adern  am  Knie  von  ,bösen  Räu- 
bern' verbrannt  waren.  Sava  brachte  den  Un- 
glücklichen, der  nur  mühselig  kriechen  konnte, 
in  einem  Sack  in  das  Kloster  Studenica  zum 
Grab  des  Nemanja  und  siehe,  der  Lahme  wurde 
geheilt  und  , sprang  ganz  auf  seinen  Füßen'.*) 
Bei  den  Byzantinern  galt  Serbien  als  ein  Räu- 
berland, wie  aus  den  Schilderungen  des  Pachy- 
meres  und  Metochites  zu  sehen  ist.  Räuberfurcht 
plagte  auch  den  gelehrten  Gregoras  auf  seiner 
Reise  zum  Hofe  Uros  III.  W^ie  große  Dimen- 
sionen das  Übel  angenommen  hatte,  erhellt  aus 
dem  zweiten  Teil  des  Gesetzbuches  des  Stephan 
L)usan,  welcher  die  Räuber  mit  Stum]if  und 
Stiel  ausrotten  wollte.  Wo  sich  solche  Übeltäter 
vorfinden,  verfällt  das  Dorf  der  Konfiskation, 
der  Räuber  (gusar)  wird  mit  dem  Kopf  abwärts 
(strmoglav)  aufgehängt,  der  Dieb  (tat)  geblen- 


')  Übersicht  der  Länge  des  Schattens  nach  Monaten  und  Tsjifesstunden  aus  einer  serb.  Handschrift,  Starino  16 
53-54. 

*)  ,Tog-o  ze  leta  casy  postavieny  v  Moskve,  na  velikogo  knjazja  dvore,  za  cerkoviju  Blagovesi'eniem,  a  d«lal  ich 
Lazar  äernec  Serbin,  ize  novo  prisel  iz  Serbskija  zerali'.  Patrijarsaja  ili  Nikonovskaja  letopis  zum  Jahr  6912  =  1403— 
1404.     Polnoje  sobranie  russ.  letopisej  Bd.  11  (Petersburg  1897)  190.     Vgl.  Safafik,  Geschichte  der  südslav.  Literatur  3,  92. 

')  Daniel  177,  2U7. 

*)  Derselbe  184. 

5)  Glasnik  bes.  18  (1906)  408  =  Wiss.  Mitt.  11  (1909)  244.  L.  von  Tliallöczy.  Studien  zur  Geschichte  Bosniens 
und  Serbiens  im  Mittelalter,  übersetzt  von  Kckhart.  München  und  Leipzig  1913  S.  18. 

•)  Mon.  bist.  jur.  6,  96;  vgl.  Arch.  slav.  Phil.  21  (1899)  620. 

')  Mon.  serb.  226. 

')  König  Stephan,  cap.  15. 

7* 


52 


II.  Abhandlung:  Constantin  Jikecek. 


det  und  der  Herr  des  Dorfes  (gospodar  sela)  ge- 
fesselt zum  Garen  gebracht;  dort  muß  er  allen 
Schaden  ersetzen  und  erleidet  dieselbe  Strafe 
wie  die  Räuber  und  Diebe.  Auch  die  mitschul- 
digen Vorsteher  der  Dörfer  und  Hirtenansied- 
lungen  (katuni)  werden  in  derselben  Art  be- 
straft, ebenso  die  Herren  (gospodari),  denen 
ihre  Beamten  (vladalei)  die  Sache  angezeigt 
haben  und  die  dennoch  nichts  zur  Verhinderung 
der  Eäuberei  getan  haben.  Zum  Schadenersatz 
an  die  beraubten  Wanderer  ist  überdies  auch 
der  Kefalija  (Statthalter)  mit  den  Straßen- 
wäclitern  verpflichtet.^)  Einen  Einblick  in  die 
Sachlage  bietet  eine  Stelle  einer  etwas  späteren 
Urkunde,  ausgestellt  1375—1376  unter  Despot 
Dragas  und  dessen  Bruder  Konstantin.  Unter 
dem  Caren  Stephan  überfiel  eine  Eäuberschar 
(gusa)  die  kaiserlichen  Pferde  (konje  careve) 
bei  Strumica  und  schlug  die  Leute  (i  Ijudi  iz- 
bise).  Der  Car  legte  der  Umgebung  Geldstrafen 
auf,  aber  da  erschienen  die  Edelleute  und  Land- 
leute (vlastele  i  chora)  vor  dem  Caren  und 
wiesen  nach,  daß  der  Ort  des  Eaubes  nicht 
ihnen  gehört,  sondern  dem  Athoskloster  von 
Chilandar,  als  eine  Schenkung  des  einstigen 
Kjesar  Hrelja.  Da  mußten  die  Mönche  von 
Chilandar  Wehrgeld  (vrazda)  und  andere 
Bußen  zahlen.^)  Die  Wirren  nach  Dusans  Tod 
waren  mit  einem  neuen  Aufschwung  des 
Eäuberunwesens  verbunden.  Damals  überfielen 
Eäuber  auch  die  einsame  Zelle  des  Eremiten 
Jefrem,  des  späteren  Patriarchen,  bei  dem 
Kloster  von  Decani  und  bedrohten  den  beten- 
den Klausner  mit  dem  Schwerte,  unter  dem 
Eufe:  ,Gib  her  deinen  Reichtum!'  (daj  bogat- 
stvo).') 

Ein  beliebter  Aufenthaltsort  von  großen 
Eäuberscharen  waren  die  öden  Grenzgebiete. 
So  war  es  einst  in  Kleinasien  an  der  Grenze 
zwischen  dem  Kaisertum  von  Konstantinopel 
und  dem  Kalifat  der  Araber,  wo  sich  die  ,Ape- 
laten'  des  Digenis  Akritas  herumtrieben.  Ähn- 
liche Verhältnisse  bestanden  an  der  Grenze 
zwischen    den    Byzantinern    und    den    Serben, 


ebenso  zwischen  Byzanz  und  den  Bulgaren. 
Die  wüste  Grenzlandschaft  (epv;[^.o;  zü-i  IJapoptwv) 
zwischen  Adrianopel  und  Sozopolis  war  im 
14.  Jahrhundert  nur  von  Eäubern  und  Ere- 
miten bewohnt.  Als  der  berühmte  Gregorios 
Sinaites  sich  zum  ersten  Male  (um  1330)  in 
dieser  Einöde  niederlassen  wollte,  ließ  ihn  ein 
eifersüchtiger  älterer  Eremit  durch  eine  Eäu- 
berbande  vertreiben.**)  Die  Bandenführer  wa- 
ren populäre  Leute  und  sammelten  mit  Leichtig- 
keit große  Scharen  von  Freibeutern.  Pachy- 
meres  erzählt  von  einem  Bulgaren  Johannes 
dem  ,Schweinehirten'  (Choiroboskos)  oder 
, Keulenträger'  (Matzukatos),  der  mit  einigen 
hundert  rasch  versammelter  Bogenschützen 
und  Streitkolbenträger  (-/.opuvv-ror)  nach  Klein- 
asien hinüberging  (um  1300),  um  in  der  Land- 
schaft von  Troja  gegen  die  Türken  zu  kämpfen, 
später  aber  die  LTmgebung  von  Thessalonich 
unsicher  machte.^)  Der  berühmteste  Eäuber- 
hauptmann  des  14.  Jahrhunderts  war  aber  ein 
Zeitgenosse  des  Stephan  Dusan,  Momcilo,  der 
Herr  der  Ehodope  (f  1345),  heute  noch  un- 
vergessen in  den  südslavischen  Sagen  und 
Volksliedern.") 

Die  Praxis  der  Eäuberei  ist  genau  bekannt 
aus  ragusanischen  Nachrichten.  Aus  einem 
Archivbuche  von  1335  sieht  man,  daß  die  heim- 
liche Wegtreibung  oder  der  gewaltsame  Eaub 
von  Vieh  an  der  Grenze  von  Eagusa  damals  ein 
alltägliches  Ereignis  war.')  Den  Bauern  von 
Eagusa  wurden  von  den  serbischen  Nachbarn 
Kühe,  Schafe,  Ziegen,  Pferde,  Schweine,  Hüh- 
ner weggenommen  und  nicht  selten  auch  die 
Bienenkörbe  weggetragen.  Die  Saumpferde  hat 
man  natürlich  samt  Ladung  geraubt.  Oft  wur- 
den im  Tale  von  Breno  Häuser  bei  Nacht  über- 
fallen, die  Bauern  geschlagen  und  Wein,  Fei- 
gen, Getreide,  Kleider  und  Ohrgehänge  erbeu- 
tet. Im  Februar  1336  klagte  der  Prior  des 
Klosters  des  hl.  Jakob  von  Visnjica,  welches 
ganz  nahe  vor  dem  Südtore  von  Ragusa  lag, 
daß  in  der  vergangenen  Nacht  sein  Tor  er- 
brochen und  acht  Kühe,  ein  Kalb  und  ein  Schaf 


')   Zakonik  Art.  14;")  — 147,   149. 

'•')  Urk.  1375—1376,  Sammlung  von  Kovacevii  im  Spomeuik  Bd.  44  (noch  nicht  erschienen). 

3)  Starine  IG,  37—38. 

*)  Vita  des  Gregorios  Sinaites,  cap.  15—16  ed.  Pomjalovskij,  Petersburg  1894  S.  3äf.  Vgl.  meine  Geschichte  der 
Serben  1,  381. 

')  Pachymeres,  Andronikos  Palaiologos  V  cap.  27. 

'■')  Meine  Geschichte  der  Serben  1,  389  f. 

')  ,Capitulum  lamentatiouum'  unter  dem  Comes  Nicolaus  Falletro,  4.  November  1334  f.,  als  jDiversa  Cancellarie  1334' 
im  Archiv  von  Kagusa. 


Staat  und  Gesellschaft  ni  jiittelalterlichen  Serbiex  III. 


53 


gestohlen  worden  seien.  Im  Juli  desselben 
Jahres  beschwerte  er  sich  wieder,  daß  zwei 
Edelleute  des  Nachbarlandes,  Muten  und  En- 
gerius,  mit  einer  Anzahl  Ifeiter  sein  Kloster  be- 
sucht und  dabei  die  Wein-  und  Obstgärten, 
besonders  die  Melonen  arg  geplündert  haben. 
Unter  den  Eäubern  aus  Canali,  Trebinje  und 
Popovo  wiederholen  sich  oft  dieselben  Namen; 
es  waren  in  dieser  Zeit  meist  Leute  aus  den 
Dörfern  des  Adelsgeschlechtes  der  Drugovici. 
Dazu  kommen  Klagen  über  Ausplünderungen 
von  einzelnen  Eeisenden  nahe  jenseits  der  ra- 
gusanischeu  Grenze,  in  Canali,  Trebinje  und 
weiter  landeinwärts.  Gefahrlos  war  die  Eän- 
berei  keineswegs.  Als  1348  vier  Eäuber  aus 
Popovo  nachts  im  Dorfe  Bergatto  (Brgat)  neun 
Kühe  und  einiges  Kleinvieh  weggeführt  hatten, 
wurde  einer,  der  schon  von  früher  her  manche 
Beutezüge  am  Gewissen  hatte,  gefangen  genom- 
men. Das  Gericht  von  Eagusa  verurteilte  ihn 
zu  298  Perper  Buße;  als  er  sie  am  folgenden 
Tage  nicht  erlegen  konnte,  wurde  er  gehängt.') 
Wie  es  auf  den  Wegen  weiter  landeinwärts 
aussah,  zeigt  der  Brief  eines  Eagusaners  Peter 
der  Berco  an  den  Comes  der  Stadt  1305  über 
den  Zug  einer  Karawane  ins  Gebirge.  Zweimal 
wurden  die  Angreifer  zurückgeschlagen,  zum 
zweiten  Male  in  einer  , Schlacht'  (batall a)  bei 
Gacko  ein  Edelmann  Gradislav  mit  seinen  Leu- 
ten ;  ein  drittesmal  mußten  die  Kaufleute,  um 
durchzukommen,  den  Leuten  eines  Vladislav 
einige  Stücke  teueres  Tuch  geben.-)  Mitunter 
ereignete  sich  an  der  Grenze  ein  unerwarteter 
Friedensbruch.  Die  Edelleute  Prodasa,  Vladi- 
mir und  Vitomir  brachen  1323  an  der  Spitze 
von  Kriegsvolk  aus  Canali,  Trebinje  und  Dra- 
cevica  mit  Fahnen  (cum  gonfalonibus)  in  die 
ragusanischen  Täler  von  Ombla  und  IMalfi  ein 
und  zogen  an  demselben  Tage  mit  großer  Beute 
an  Vieh,  Tuch  und  anderen  Sachen  wieder 
zurück.  Doch  der  König  ITros  III.  und  der 
Vojvode  Mladen  zwangen  die  drei  edlen  Herren 
rasch  zum  Schadenersatz.^)  Die  Adeligen  des 
Gebirges  hatten  an  solchen  Streichen  ihre 
Freude.  Im  Juli  1372  beraubte  Zupan  Gra- 
doje,  der  Bruder  des  Kaznac  Sanko,  mit  sieben 
seiner  Höflinge  (homines  curiales)  den  Eagu- 
saner  Priiice  Hrankovic  ,in  campo  Ncvessigne' 
und  nahm  ihm  selbst  Mantel,   Schuhe,  Gürtel, 


Hemd,  einen  Geldbeutel  mit  vier  Perper  und 
einen  Goldring  mit  drei  Perlen.  Im  August 
1373  führte  in  Eagusa  Georg  Eadoslavic  Klage 
gegen  zwölf  Diener  desselben  Zupan  Gradoje. 
Er  sei  vor  sieben  Tagen  mit  seinem  Bruder  Milos 
imd  anderen  Eagusanern  von  ihnen  überfallen, 
geschlagen  und  beraubt  worden.  Die  Beute, 
205  Hammel,  3  Ochsen,  3  Pferde,  Wachs,  Geld, 
W\'itfen  usw.  brachten  diese  ,famuli'  zu  ihrer 
jdomina'  Kujaca,  Frau  des  Gradoje.  Diese 
Frau  ließ  dann  einen  Teil  der  Waren  dem  Ea- 
doslavic zurückgeben,  aber  nicht  alles.  Des 
Klägers  Bruder  ist  an  den  im  Kampfe  erhaltenen 
Wunden  gestorben.  Überhaupt  wurden  damals 
bei  Nevesinje  oft  ganze  Karawanen  zersprengt 
und  beraubt  (fregerunt  totam  turmam).'*)  Bald 
kam  die  Sitte  auf,  daß  sich  die  Eäuber  mas- 
kierten, um  nicht  erkannt  zu  werden,  was  bei 
Trebinje  seit  1382  erwähnt  wird  (,qui  se  vela- 
bant  et  transformabant,  ut  non  cognoscerentur', 
oder  ,se  transfiguraverant').  Die  einzeln  rei- 
tenden oder  gehenden  Eeisenden  wurden  nicht 
nur  des  Gepäcks,  des  Geldes  und  der  Watten 
beraubt,  sondern  man  zog  ihnen  auch  Kleider 
und  Wäsche  bis  auf  die  Haut  aus.  Das  kam 
damals  auch  in  Italien  vor,  wo  man  diese  Pro- 
zedur mit  dem  aus  den  Novellen  des  Sacchetti 
bekannten  Ausdruck  .scaniiciare'  bezeichnete. 
Im  15.  Jahrhundert  geschah  es  im  Lande  des 
Herzogs  Stephan,  daß  z.  B.  1456  ein  ragusani- 
scher  Bauer  mit  seiner  Frau  von  den  Berg- 
hirten ganz  nackt  ausgezogen  wurden.  Die  Ge- 
fangenen wurden  von  den  Eäubern  mitunter 
übel  behandelt.  Zwei  Bauern  aus  Eozat  im 
Omblatale  klagten  1335,  daß  sie  im  Gebirge  bei 
Zacula  von  den  Leuten  des  Edelmannes  Vitomir 
von  Trebinje  ausgeplündert  und  einige  Tage 
gebunden  in  einer  Grube  (fovea)  gefangen  ge- 
halten wurden.  Bald  darauf  wurde  ein  Kurier 
von  den  Leuten  der  Drugovici  in  Canali  beraubt 
und  nackt  einen  Tag  gefesselt  gehalten  (ipsuni 
tenuerunt  ligatum  nudum  una  die).  Es  kam 
auch  später  nicht  selten  vor,  daß  Kuriere  der 
Eagusaner  ohne  Hemd  und  Hosen  nach  Hause 
zurückkehrten.  Ein  Eagusaner  klagte  im  ^[ärz 
1371,  er  sei  von  Eäubern  in  Easmuci  Doli  ge- 
fangen und  auf  den  I"'üBen  aufgehängt  worden 
(sus])<'nd(nites  per  pedes),  um  ihm  30  Perper 
abzunehmen;  es  war  wohl  im  Tale  Eazmuco  in 


M  Liber  de  maleficiis  1348  Arcli.  Kag. 

')  Mon.  Rag.  5,  90. 

')  Ebenda  1,  92  f. 

')  Lamenta  de  foiis  1370—1373  Arch.  Kag. 


Ö4 


II.  Abhandlung:  Constantin  Jikecek. 


Montenegro,  nordöstlich  von  Grahovo.^)  Die 
Eagusaner  Bogoslav  Drazislavie  und  Srjedan 
Dobrenovic  wurden  1372  von  einem  bosnischen 
Edelnuxnn  Mrkoje  Stjepkovic  und  dessen  Ge- 
folge bei  Borac  in  einem  Hause  übei'fallen  und 
beraubt.  Einer  der  Leute  des  Edelmannes,  Gojak 
Dobroslavic  mit  Namen,  riß  dabei  dem  Eagu- 
saner Srjedan  zuerst  den  Geldbeutel  vom  Gür- 
tel ab  und  nahm  ihm  14  zum  Verkaufe  be- 
stimmte Jagdfalken  weg.  Dann  stach  er  dem 
Srjedan  mit  scharfen  Hölzern  unter  die  Finger- 
nägel und  rief:  ,Gib  die  Dukaten  her!'  (des 
ducatos).  Gojak  war  sechs  Jahre  später  so  naiv 
nach  Eagusa  zu  kommen,  wo  man  ihn  gleich 
erkannte  und  ins  Gefängnis  setzte.  Obwohl  er 
behauptete  nur  auf  Befehl  seines  .patronus'  ge- 
handelt zu  haben,  wurde  er  erst  nach  zwei  Mo- 
naten freigelassen,  nachdem  er  50  Perper  dem 
Srjedan  gezahlt  hatte.-)  Bei  alledem  ist  im 
14.  Jahrhundert  nie  zu  lesen,  daß  jemand  von 
den  Eäubern  getötet  worden  wäre. 

Eine  edlere  Vorübung  für  den  Krieg  war 
die  Jagd.  In  Serbien  gab  es  in  dieser  Zeit  kein 
seltenes  Hochwild  mehr,  wie  in  Eußland,  wo 
der  Großfürst  Vladimir  Monomach  (f  1125) 
zweimal  samt  seinem  Pferd  von  Auerochsen 
(tur)  auf  die  Hörner  genommen  und  zweimal 
von  Elchen  mit  dem  Geweih  gestoßen  und  mit 
den  Hufen  getreten  wurde.^)  Es  gab  aber 
Hirsche  (jelen),  welche  nach  der  Schilderung 
des  Theodosij  in  Nemanjas  Zeit  von  Treibern 
durch  den  Wald  herabgetrieben  wurden,  zu  den 
Jägern,  welche  am  Fuße  des  Gebirges  aufge- 
stellt waren.*)  Auf  den  bosnischen  Steingräbern 
ist  die  Hirschjagd  abgebildet,  zu  Pferde  mit 
der  Lanze  oder  zu  Fuß  mit  Bogen  und  Pfeil, 
stets  in  Begleitung  von  Hunden.^)  Man  jagte 
auch  Bären,  Wölfe,  Wildschweine,  Eehe,  Gem- 
sen, Hasen,  Marder  und  Füchse.  Hunde,  be- 
sonders Windhunde  (hrt)  und  Falken  waren 
unzertrennlich  vom  Hofstaat,  wie  aus  den  Be- 
freiungen   von    der    unentgeltlichen    Beherber- 


gung der  königlichen  Hundewärter  und  Falk- 
ner in  den  Urkunden  zu  sehen  ist.  Hielt  sich 
ja  in  dieser  Zeit  um  1325  ein  byzantinischer 
Prinz,  der  spätere  Kaiser  Andronikos  III., 
1000  Hunde  und  1000  Falken  zur  Jagd  in  den 
kaiserlichen  Eevieren  bei  Konstantinopel.'') 
Von  den  byzantinischen  Kaisern  fanden  drei 
den  Tod  auf  der  Jagd,  Theodosios  IL  durch 
Sturz  vom  Pferde,  Basilios  I.  von  einem  Hirsch 
aus  dem  Sattel  gerissen,  Johannes  Komnenos 
durch  ein  Pfeilgift  auf  der  Wildschweinjagd. 
In  Serbien  ereilte  den  Despoten  Stej^han  La- 
zarevic  der  Tod  auf  der  Falkenbeize  (1427). 
Eifrige  Jäger  waren  Adelige  und  Bauern,  im 
Westen  auch  lateinische  Kleriker,  wie  1247  ein 
Archidiaconus  von  Antivari.'')  Mitunter  gehörte 
die  Jagd  zu  dem  Herrendienst  der  Untertanen. 
Auf  den  Gütern  des  Klosters  Gracanica  waren 
alle  Einwohner,  mit  Ausnahme  der  Boj^en,  ver- 
pflichtet drei  Tage  im  Jahre  Hasen  zu  jagen.*) 
Bei  Eagusa  fing  man  Füchse  in  Fallen  (stupica) 
oder  Schlingen  (lat.  laqueus),  Hasen  und  Eeb- 
hühner  in  Netzen.  Vögel  fingen  die  Serben  auch 
mit  Leimruten.®)  Kaninchen  (lat.  conilli)  wur- 
,  den  auf  Lagosta  so  reichlich  gefangen,  daß  zu 
den  Einkünften  des  ragusanischen  Comes  der 
Insel  (1284)  auch  das  Fleisch  von  200  Stück 
im  Jahre  gehörte. 

Die  vornehmste  Jagd  war  aber,  ebenso  wie 
bei  den  Byzantinern,  die  Beize  auf  Wachteln, 
Eebhühner,  Wildtauben,  Enten,  Eeiher,  Schwäne, 
Kraniche  usw.  Eine  farbenprächtige  Schilde- 
rung der  Kranich jagd  am  Hofe  des  Kaisers 
Manuel  Komnenos,  voran  der  Kaiser  zu  Pferde 
mit  einem  alten  großen  georgischen  Falken 
(Upa;  tßr;pi7.c!:)  auf  dem  schweren  Lederhandschuh 
der  linken  Hand,  unter  den  Klängen  der  Jagd- 
trommel (xuv>)7£Tixbv  TÜfji.xavov),  ist  erhalten  in 
einer  Eede  des  Konstantin  Manasses.^")  In  Ser- 
bien werden  als  Beizvögel  erwähnt :  j  a  s  t  r  e  b 
(Habicht),  kraguj  oder  kragujac  (Sper- 
ber), am  meisten  aber  s  o  k  o  1  (Falke),  in  Eagusa 


')  In  der  epirofiBcheii  Zeit  ließ  so^ar  ein  Beamter  des  Kaisers  Theodoros  (122^—1230)  bei  Drama  einen  Diakon  von 
einem   Baum   kopfabwärts  häng-en  und  sclilagen,  um  ihn  Geld  abzupressen.     Demetrios  Chomatianos  Nr.  96. 

')   Klage  vom  S.August  1372   mit  Zusatz  von   1377:  Lamenta  de  foris   1370—1373. 

')  Nestor  ed.  Miklosich  p.  15.5. 

')  Tlieodosij   bei  l'avlovic  18. 

»)  Hoernes,  Altertümer  der  Hercegovina,  S.  Ber.  der  W.  Akad.  Bd.  97  (1880)  S.  526,  554  Fi?.  4,  20,  21;  dazu  S.  555 
Fig.  22  ein   Lanzenreiter  auf  der  Bärenjagd.  Hirsclij.igden   auch  auf  den  Grabsteinen  bei  Nikäiii,  derselbe  eb.  99  (1881)  811. 

*)   Nikephoros  Gregoras  IX  cap.  3  §  2. 

')  .Archidiaconus  ierat  ad   venanduni',   Smiciklas,  Cod.  dipl.  4,  318. 

')  Mon.  serb.  565. 

»)  Imelnik  (von  imela  Mistel,  Viscum  album)  bei  Daniel  73  (fehlt  im  Rjecnik  der  Südslav.  Akademie). 

'")  Herausgegeben  von  E.  Kurtz  im   Viz.  Vremennik  12  (1906)  79—88. 


Staat  und  Gesellschaft  iii  mittelalterlichen  Seebien  III. 


55 


lat. :  accipiter  sive  sparaverius,  austur,  terciolus, 
faleo.i)  An  der  Küste  fing  man  sie  mit  Netzen 
auf  den  Bergen  von  Canali  und  auf  den  felsigen 
Inseln  des  Meeres.  Besonders  geübt  waren  darin 
die  Lagostaner,  welche  jährlich  eine  Anzahl  Fal- 
ken ihrem  Comes  abzuliefern  hatten ;  sie  suchten 
sie  auf  der  ganzen  Küste,  südwärts  bis  Valona. 
Mühselig  war  die  Abrichtung  des  Tieres,  schwie- 
rig und  verwickelt  die  Prozesse  wegen  der  Eigen- 
tumsrechte.-) Bei  den  Patriziern  von  Eagusa 
hatte  der  Jagdfalke  vergoldete  Schellen  auf  den 
Füßen  (sonagiie,  campanelle  in  pedibus).  Schon 
in  einem  der  ältesten  Denkmäler  der  slavischen 
Literatur,  in  der  Vita  des  Slavenapostels  Kon- 
statin  (Kyrill)  ist  die  Eede  von  der  Falkenjagd. 
Dem  jungen  Konstantin  entriß  der  Wind  auf 
der  Jagd  vor  den  Toren  von  Thessalonich  seinen 
Falken  und  dieser  Verlust  führte  ihn  zur  Fröm- 
migkeit und  zu  ernsten  Studien.^)  Abgebildet 
sind  die  Jagdfalken  auf  den  mittelalterlichen 
Grabsteinen  in  Bosnien.^)  Die  Beize  wird  auch 
im  Volkslied  oft  erwähnt.  Die  Helden  führen 
dort  mit  den  Falken  Gespräche  wie  mit  treuen, 
alten  Freunden.  Ein  handschriftlich  erhaltenes 
altes  Lied  in  Langzeilen  erzählt,  wie  Herzog 
Stephan  einen  schönen,  grauen,  drei  Jähre  alten 
Falken,  den  er  auf  seiner  rechten  Hand  zu  tragen 
])flegte,  mit  einer  Botschaft  zu  Knez  Dabisa\' 
auf  die  von  den  Türken  bedrängte  Burg  Samobor 
sendete.  Doch  der  , treue  Vogel'  (vjerna  ptica) 
brachte  bitter  weinend  nur  die  Trauernachricht 
zurück,  Dabisav  habe  die  Burg  an  die  Türken 
verraten.^)  Heute,  wo  kaum  in  einigen  ent- 
legenen Gegenden  Bosniens  und  Albaniens  Eeste 
dieser  altertümlichen  Jagd  vorkommen,  lebt  sie 
im  Gedächtnis  in  Sagen  und  Liedern  fort.^) 

Bei  der  Freude  an  der  Jagd  hatte  man  auch 
Interesse  für  gefangene  oder  gezähmte  Tiere. 
Der  Großzupan  Nemanja  brachte  in  Nis  1189 


dem  Kaiser  Friedrich  I.  als  Geschenk  sechs  See- 
hunde (boves  marines  seu  focas),  einen  gezähm- 
ten Eber  und  drei  zahme  Hirsche.  Sein  Sohn 
Stephan,  der  spätere  erstgekrönte  König,  erhielt 
vom  ungarischen  König  Andreas  IL  auf  der  Zu- 
sammenkunft in  Eavno  (Öuprija,  um  1215)  ge- 
fesselte Auerochsen  beiderlei  Geschlechtes  (turi 
i  turice)  und  ,saracenische  Einder'.'')  Der  Groß- 
vojvode  Sandalj  und  der  Herzog  Stephan  pfleg- 
ten den  Eagusanern  als  Neujahrsgeschenke 
Hirsche  zu  senden.  Als  ein  Bosnier  1445  dem 
Patrizier  Marinus  Junii  de  Georgio  einen  Bären 
als  Geschenk  vom  Comes  Vukasin  brachte,  kamen 
ihm  in  Gravosa  zwei  junge  Nobiles  entgegen, 
welche  ihre  Dolche  zückten  und  das  Tier  aus 
Übermut  niederstachen.*) 

Viele  Unterhaltungen  waren  nur  eine 
Waffenübung.  An  Festtagen  übte  man  sich 
in  den  Ländern  der  Halbinsel  überall,  in  den 
Städten  ebenso  wie  im  Hirtendorf,  im  Bogen- 
schießen. Dabei  geschah  es  einmal  bei  der 
Burg  Prosek  am  Vardar,  daß  ein  kleiner  Knnlie 
plötzlich  zum  Ziel  lief  und  durch  den  Pfeil 
seines  ahnungslosen  Vaters,  des  Hirten  Dragan, 
getroffen  tot  niedersank.®)  In  Novo  Brdo  pfleg- 
ten die  dort  wohnenden  Eagusaner  vor  der 
Stadt  Übungen  mit  Bogen  und  Armbrust  abzu- 
halten (pro  ludendo  ad  arcum  et  balistam  1413). 
In  Eagusa  heißt  noch  gegenwärtig  der  Platz 
am  Meere  vor  der  Porta  Pile  ,Bersalia'  (ital. 
bersaglio  Scheibe,  Sehießhaus) ;  dort  war  schon 
im  14.  Jahrhundert  die  Schießstätte  für  Bogen 
und  Armbrust  (bersalia  balistariorum.) 

Schwerttänze  gehörten  zu  dem  Spiel  der 
Eusalien  (Eusalije,  'PoucaXia),  welches  von 
dem  spätrömischen  Eosenfeste  der  Eosalia 
stammte  und  von  der  Kirche  am  VI.  Konzil 
(680)  als  heidnisch  verboten  wurde.'")  Etwas 
Ahnliches  war  das  gotische  S]iiel  {~o  Fo-O'.y.bv)  im 


')  Jastreb  bei  Daniel  145,  Gundulid  u.a.  Kraguj,  kragujac  in  der  Vita  des  hl.  Kon.stantin  (Cyrill)  von  Tliessa- 
lonich,  in  Bulgarien,  in  Ragusa,  bei  Konstantin  dem  Philosophen,  bei  Marulii  usw.  Vgl.  Rjecnik.  Kraguj,  in  allen  sla- 
vischen Sprachen  bekannt,  ist  alttürkischen  Ursprungs,  TOn  karagu  der  Sperber;  vgl.  von  Kraelitz-Greifenhorst,  Corollarien 
zu  Miklüsich,  S.  Ber.  W.  Akad.  IGt;,  Abh.  i  (1911)  30. 

')  In  Ragusa  verkaufte  man  16i'i  ,austures'  oder  ,falcones',  .conipletos  pennis  et  sanos'  um  1 — 2'/»  Golddukaten. 
Div.  Rag.  ')  Vita  des  Konstantin  (Cyrill)  nach   der  Einteilung  von  Safai^ik  cap.  III. 

*)  Hoerne»,  Altertümer  der  Hercegovina,  S.  Ber.  W.  Akad.  99  (1881)  820  Fig.  3. 

^)  Bügisii,  Nar.  pjesme  132  (Nr.  51). 

^)  Hahn,  Reise  durch  die  Gebiete  des  Drin  und  Wardar,  Wien  1867  (Abdruck  aus  den  Denkschr.  W.  Akad.  Bd.  16)  91 
(DibraV     Hörmann,  Die  Falkenbeize  in  Bosnien  und  der  Hercegovina,  Wiss.  Mitt.  2  (1894)  501— .505  mit  4  Abb.     (Bosnien). 

')   Ansbert,  Fontes  reruui   austriacaruni  5,  22.     König  Stephan  cap.  20. 

*)  Lamenta  de  foris  1445  f.   82  v. 

')  Demetrios  Chomatianos  Nr.  131  an  den  Bischof  von  Strumica. 

'")  Vgl.  Murko,  Das  Grab  als  Tisch  142  f.  Die  röm.  Rosalia  waren  ein  Ahnenfest  im  Frühling,  bei  welchem  man 
Rosen  aufs  Grab  legte.  Murko  leitet  davon  die  serbische  Totenfeier  am  zweiten  Montag  nach  Ostern  ali,  das  dru/.icalo 
oder  ruzicalo. 


56 


II.  Abhandlung:  Constantix  Jirecek. 


Konstantiuopler  Kaiserpalast;  am  neunten  Tag 
nach  (lern  Christfest  führten  zwei  Abteilungen 
aus  den  Demen  der  Hauptstadt  vor  dem  Kaiser 
Tänze  auf,  indem  sie  mit  Stöcken  auf  ihre 
Schilde  schlugen  und  unter  dem  Klang  der 
::av3o6pat  lateinische  Lieder  sangen.  Der  Erz- 
bischof Demetriüs  Chomatianos  schildert  die 
,Rnsalia'  ('PouaäAia)  in  Makedonien  in  seiner 
Zeit  (um  1230).  In  der  Woche  vor  Pfingsten 
zog  eine  Schar  Jünglinge  mit  Spielen,  Tänzen 
und  Sprüngen  durch  die  Dörfer  und  Hirten- 
lager und  sammelte  Geschenke.  In  der  Pro- 
vinz von  Moliskos  wollte  der  Häuptling  eines 
Hirtenlagers  (t^;  (^-avspac  •nipiiaxänsvo; )  keinen 
Käse  schenken;  als  es  deswegen  zu  einer  Prüge- 
lei kam,  geschah  es,  daß  ein  Hirt  einen  der 
Tänzer  mit  einem  Schwerte  niedermachte.  Dies 
beweg  den  Erzbischof  zur  Erneuerung  der  alten 
kirchlichen  Verbote  dieser  heidnischen  Ge- 
bräuche. Nach  der  Beschreibung  von  Sapkarev 
zogen  noch  in  unserer  Zeit  im  südlichen  Make- 
donien bei  Jenidze-Vardar,  Avret-Hissar  und 
Knkus  zwölf  Tage  nach  Weihnachten  die  ,Ru- 
salienscharen'  (Rusalijski  druzini)  herum,  zehn 
bis  dreii^ig  Paare  junger  Männer  in  bunten 
Kleidern,  mit  Trommeln  und  Sackpfeifen.  Der 
Anführer  trägt  eine  Axt,  seine  Genossen 
Schwerter.  Niemand  von  ihnen  darf  ein  Wort 
sprechen.  Schweigend  führen  sie  unterwegs  auf 
Kreuzwegen,  bei  Quellen,  unter  Baumgruppen, 
vor  alten  Kirchen  und  Gräbern  ihre  Tänze  aus. 
In  den  Dörfern  werden  sie  von  den  Bauern  be- 
Avirtet  und  mit  Getreide  oder  Geld  beschenkt. 
Wenn  aber  zwei  solche  Gesellschaften  zusam- 
mentreffen, gibt  es  eine  Schlägerei,  oft  mit  "Ver- 
wundeten oder  gar  Toten.  Den  Schluß  bildet 
ein  Gottesdienst.  Wie  weit  diese  Sitte  im 
Mittelalter  nordwärts  in  das  Innere  der  Halb- 
insel verbreitet  war,  ist  nicht  bekannt.  Die 
kanonischen  Bestimmungen  gegen  die  ,Eusa- 
lije'  sind  auch  in  altserbischen  Übersetzungen 


zu  lesen.^)  Sonst  beschränkt  sich  die  Erinne- 
rung daran  nur  auf  einen  Flurnamen  Eusalije 
in  der  Urkunde  von  Decani.^)  In  Bulgarien 
ist  dieser  Name  in  Ortsbezeichnungen  heute 
noch  wohl  bekannt ;  er  erscheint  dort  stets  in 
Verbindung  mit  den  Elfen  (samodivi),  bei  ein- 
samen Gräbern  und  Hainen.  In  vielen  Ländern 
hat  man  die  heidnischen  Eosalia  auf  das  christ- 
liche Pfingstfest  übertragen:  im  mittelalterli- 
chen Latein  (pascha  rosarum,  in  Eagusa  um 
1320  ,pasqua  de  rosalia',  ,pasca  rosaliarum'),  in 
kirchenslavischen  Denkmälern,  bei  den  Eagu- 
sanern  und  Cattarensern  (rusalje),  Albanesen, 
Eumänen  und  Bussen.^)  Die  im  byzantinischen 
Nomokanon  gleichfalls  verbotenen  Feste  der 
K  a  1  e  n  d  e  n  des  Januars  sind  auch  den  Sla- 
ven  bekannt  geworden;  die  Eagusaner  nannten 
das  Neujahrsfest,  das  mit  eigenen  Liedern  und 
Austausch  von  Geschenken  gefeiert  wurde,  K  o- 
1  e  n  d  e  (donum  pro  cholendis)."*) 

Eine  Vorübung  zum  Kriege  waren  auch  die 
Eeiterspiele.  Im  Hippodrom  von  Konstantino- 
pel sind  sie  bis  zur  türkischen  Eroberung  nicht 
verschwunden.  Kaiser  Manuel  Komnenos  ließ  die 
Eeiterspiele  mit  großen  Schilden  und  langen 
Lanzen  ohne  Spitzen  aufführen  (auTÖ^uXa  oopaT«).^) 
Ein  von  Lampros  herausgegebener  Text  be- 
schreibt eine  Malerei,  welche  die  Eeiterspiele 
(;u>,o-/.ov-:ap:ai  ,  ital.  giostra)  darstellte,  mit 
weißen,  schwarzen,  braunen  und  scheckigen 
Pferden,  die  Eeiter  in  goldgestickten  Purpur- 
kleidern mit  Schilden.")  Kaiser  Isaak  Angelos 
veranstaltete  nach  den  bulgarischen  Feldzügen 
Wettkämpfe  zu  Pferde  {'Ixtmv  äpitAXai)-'')  Es  ist 
merkwürdig,  daß  in  den  slavischen  Übersetzun- 
gen die  Bestimmungen  des  byzantinischen 
Kirchenrechtes  über  das  Wettrennen  (uriska- 
nije,  &[j.CKka)  zu  Pferde  und  zu  Wagen  (koles- 
nica)  stets  genau  mit  eigenen  Termini  übersetzt 
sind.  Altserbisch  hieß  der  Eennplatz  p  o  t  i- 
ciste.*)     In  Pristina   gab  es   alljährlich  eine 


')  Konstantill  Porph.  ed.  Bonn.  1,  381  f.;  2,  360  f.  Demetrios  Chomatianos  ep.  Nr.  120.  Mattiiaios  Blastares,  serb. 
Cbersetzunsr,  lieraus?.  von  Xovakoviä  S.  256  (E,  3).  Miklosicli,  Die  Rusalien,  Wien  1864  (S.  Her.  W.  Akad.  46).  K.  A. 
Sapkarev,  Kusalii,  bulg.,  Philippopel  1884.  A.  N.  Veselovskij,  Die  Jänner-Rusalien  und  die  gotischen  Spiele  in  Byzanz: 
Zuriial  des  rusB.  Unterrichtsministeriums  1886  Sept.  (vgl.  Jagi6  in  Arch.  slav.  Phil.  10,  244).  Carl  Kraus.  Das  gotische 
Weihnachtsspiel,  Beiträge  zur  Geschichte  der  deutsclieu  Sprache  20  (1895)  224—257  (über  die  lat.  Texte  bei  Konstantin 
Porph.).     Vgl.  Krumbacher,  Gesch.  der  byz.  Literatur,  2  A.,  256.  ")  Mon.  serb.  92. 

')  Miklosich,  Die  christliche  Terminologie  der  slav.  Sprachen  (Denkschr.  W.  Akad.  Bd.  24,  1875)  S.  25. 

*)  Auch  im  Statut  von  Eagusa  (1272)  I,  cap.  7—10,  17,  27—29  (dare  pro  Kallendis). 

')  Kinnamos  III  cap.  16  ^)  Lampros  im  Mo;  'EXXrivo|j.vr][jL(i>v  5  (1908)   1  ff. 

')  Niketas  Akominatos  ed.  Bonn.  p.  520. 

')  Übersetzung  der  Alexandreis,  herausg.  von  V.  Jagii,  Starine  3,  215,  229—230:  po  srbskomu  jeziku  narecet  se  po- 
teCisde;  potecenje;  na  konskom  teku  tedati.  Meine  Abb.:  Reiterspiele  im  mittelalt.  Serbien,  Arch.  slav.  Phil.  14  (1892)  73 — 76, 
Nachtrag  ib.  15  (1893)  457—459  (poti(;isto,  potizista).  Novakovid,  Kalugjer  i  liajduk  (Belgrad  1913)  53  f.  hat  die  Form  poteciste. 


Staat  und  Gesellschaft  im  jiittelalterlichen  Sekbien  III. 


57 


Art  Eingstecben  auf  einem  von  wenigen  Stroh- 
hütten  umgebenen  Platz  außerhalb  des  Ortes. 
Die  Reiter  kamen  in  voller  Eüstung,  mit  Streit- 
kolben, Schwert,  Bogen  und  Pfeil  und  rannten 
mit  eingelegten  Lanzen,  um  einen  auf  einer 
Stange  aufgesteckten  Handschuh  zu  heben.  Am 
Weihnachtstage  1-435  beteiligten  sich  dabei  No- 
biles  (Gondola,  Calich,  Lucari)  und  Poindane 
aus  Pagusa  mit  ihren  Dienern  und  ein  Patrizier 
(Tani)  aus  Dulcigno.  Ein  Ringstechen  gab  es 
nach  der  Schilderung  des  Philippus  de  Diversis 
in  Ragusa  selbst  am  Festtage  des  Stadtpatrons, 
des  hl.  Blasius  (3.  Februar).  Sieger  war  der- 
jenige Reiter,  welcher  den  silbernen  Ring  (cir- 
culus  argenteus)  dreimal  herabnahm,  und  zwar 
wurden  drei  solche  Ringe  nacheinander  aufge- 
hängt.^) Ein  Eeiterspiel  (giostra)  mit  Ring- 
steehen  gab  es  auch  in  Zara  in  der  , Galle  Car- 
riera'  die  ganze  veuetianische  Zeit  hindurch, 
seit  1409.  Selbst  in  Venedig,  wo  man  heutzutage 
kein  Pferd  erblickt,  schildert  Martino  da  Canal 
im  13.  Jahrhundert  ein  feierliches  Turnier  auf 
dem  Markusplatz;  Venetianer  und  fremde  Ritter 
brachen  die  Lanzen  vor  dem  Dogen  und  vor  den 
in  den  Fenstern  der  l'aläste  und  in  eigenen 
Logen,  die  aus  Seidentüchern  hergestellt  waren, 
versammelten  Edelleuten  und  ihren  Frauen.-) 
Ein  Turnier,  zwei  mit  Lanzen  bewaffnete  Reiter 
einander  gegenüber,  zwei  zwischen  ihnen  ste- 
hende Pagen  und  im  Kreis  herum  die  Zuschauer, 
ist  auf  einem  hercegovinischen  Grabdenkmal 
im  Tale  des  Trebizat  abgebildet.'')  Orbini  er- 
zählt nach  einer  ihm  vorliegenden  Quelle,  daß 
Stephan  Dusan  seinen  Höflingen  oft  Pferde, 
Geld,  goldene  und  silberne  Gürtel,  Seiden-  und 
Tuchkleider  schenkte;  er  wünschte,  daß  sie  gut 
gekleidet  seien  und  sich  in  den  Waffen  üben, 
wobei  er  oft  Reiterspiele  (giostre)  und  Turniere 
(bagordi)   aufführen  ließ  und  den  Siegern  GfC- 


schenke  machte.*)  Der  letzte  Überrest  dieser 
alten  Spiele  ist  das  Ringstechen  (alka)  am 
Kaisertage  in  Sinj  in  Dalmatien.  Reiter  in  alter 
Tracht,  in  hohen  Otter-  und  Marderfellmützen 
mit  weißen  Sehwanfedern  suchen  einen  eisernen 
Ring,  der  auf  einem  Seil  zwischen  zwei  Masten 
aufgehängt  ist,  in  voller  Carriere  mit  der  Lanze 
her  abzu  nehmen .  ^ ) 

Jede  Feierlichkeit  war  mit  Gastmählern  (pir 
von  piti)  und  reichlichem  Essen  und  Trinken 
verbunden.  Dabei  wurde  in  ausgedehntem  Maße 
Gastfreundschaft  geübt.  Trinksprüche,  die  man 
z  d  r  a  v  i  c  a  (von  zdrav  gesund,  zdravlje  Gesund- 
heit) nannte,  durften  nicht  fehlen,  ganz  wie  in 
unseren  Tagen.  Der  Ausdruck  ,zdravica',  wel- 
cher mitunter  auch  einen  Glückwunsch  bedeu- 
tete, war  auch  den  Venetianern  so  geläufig,  daß 
ihn  Ambrosio  Contarini  1473  auf  die  Trink- 
sprüche am  Hofe  des  Königs  von  Georgien  im 
Kaukasus  anwendet.^) 

Bei  allen  Festen  im  Hause  und  außer  dem 
Hause,  besonders  bei  den  Hochzeiten,  wurde  ge- 
tanzt (igrati,  plesati,  lat.  ballare,  chorizare,  tri- 
pudiare),  im  Dorfe  auf  einem  bestimmten  Platz 
(igriste).  Herrschend  ist  auf  der  ganzen  Halb- 
insel der  feierliche,  der  provenzalischen  Faran- 
dola  ähnliche  Tanz  in  langen  Reihen,  abgebildet 
auf  den  bosnischen  Steingräbern. ^)  Man  nannte 
ihn  im  Mittelalter,  wie  heute,  kolo  (Kreis). 
In  Ragusa  war  es  üblich,  daß  ein  fröhlich  durch 
die  Straßen  hüpfendes  ,kolo'  der  Dienstmädchen 
oder  junger  Männer  den  Bräutigam  zur  Hoch- 
zeit abholte,  bis  der  Senat  1515  die  Sitte  verbot.*) 
In  dem  illustrierten,  altserbischen  Psalter  liest 
man  für  diesen  Tanz  auch  den  griechischen  Aus- 
druck horo  (igrati  choro),  der  jetzt  in  Bul- 
garien und  Rumänien  allgemein  bekannt  ist.^) 
Das  sind  die  Tänze  (-/ipsb)  von  Männern,  Jüng- 
lingen  und   Knaben,   die  Nikephoros   Gregoras 


')  Philippus  de  Diversis  ed.  Brunnelli  p.  95. 

')  Martino  da  Canal,  Archivio  storico  italiano  8  (Firenze  1845)  420 — 4'_'4.  Noch  im  14.  Jahrhundert:  Cocchetti,  Arch. 
veneto  27  (1884)  41. 

')  Hoernes  a.  a.  O.  542   Fig.  12.     Truhelka,  Wiss.  Mitt.  3  (1895)  417. 

*)   Orbini  260. 

^)  t)ber  die  Alka,  die  ich  am  18.  August  1891  gesehen  habe,  und  die  dabei  üblichen  Gebräuche  meine  Bemerkungen 
im  Archiv  slav.  Phil.  15,  458. 

^)  Zdravica  als  Glückwunsch:  am  28.  Dezember  1363  ein  Geschenk  des  Senates  von  Ragusa  im  Werte  von  10  Perper 
.pro  sdravii;a'  an  den  Edelmann  Povrsko,  Mon.  Rag.  3,  294.  Ambrosio  Contarini  1473  über  den  Hof  des  Königs  von 
Georgien:  ,Mangiato  che  si  hebbe,  si  misero  a  far  sdraviza',  Viaggi  t'atti  da  Viuetia  alla  Tana  etc.,  Venedig  1545  p.  76B. 
In  Dalmatien   (Cattaro,  Arbe  usw.)  im   16.  Jahrhundert:   Ljubii'-,  Rad  40  (1877)   140—141. 

')  Truhelka,  Wiss.  Mitt.  3   (1895)  417. 

»)  ,Collo'   1515,  Arch.  Slav.  Phil.  21  (1899)  423. 

')  Strzygowski  und  Jagid,  Die  Miniaturen  des  serbischen  Psalters  in  München,  Denkschr.  W.  Akad.  52  (1906) 
S.  XLI. 

Deiikscbriftcn  i]pr  phil.-liist.  Kl.  68.  Bd.  2-  Anfi.  8 


58 


II.  Auhaxdixng:  Constantin  Jikecek. 


auf  der  Heise  nach  Serbien  am  Ostertage  in 
Strumica  (1328)  gesehen  liat-^)  Trotz  aller  Ver- 
bote alter  Konzilien  war  es  bei  den  Lateinern 
des  Kiistcnlantles  iihlieh  am  Vorabend  großer 
Festtage  im  Innern  der  Kirchen  zu  tanzen.  In 
Eagusa  tanzten  vor  dem  Fest  des  hl.  Blasius 
Männer  und  Frauen,  begleitet  von  dem  S]nol  der 
Flötenbläser  (fistulatores),  in  der  Domkirche,  im 
Hofe  der  Peterskirche  und  im  Freien  auf  dem 
Stadtplatz  (platea).  Erst  1425  wurden  Tänze  und 
Gesänge  im  Innern  des  Domes  verboten.^)  Außer- 
halb der  Kirche  tanzten  dann  am  Nachmittag 
des  Blasiusfestes  junge  Nobiles  beider  Geschlech- 
ter bei  den  Klängen  von  Flöten  und  Schal- 
meien.^) Die  Hrant  des  Despoten  Lazar, 
Schwiegertochter  des  Desiioten  Georg,  wurde  bei 
der  Durchreise  144(1  eingeladen  nach  dem  Essen 
mit  den  E(K'lf rancn  von  Ragusa  in  dem  Saal  des 
Kegierungspalastes  zu  tanzen.*)  Ein  Überrest 
dieser  alten  Sitten  ist  heute  in  Cattaro  ,il  ballo 
di  San  Trifone',  ein  feierlicher  Eeihentanz  am 
Vorabend  des  Festes  des  Stadtpatrons  (3.  Feb- 
ruar) aiif  dem  Platz  vor  der  Domkirche,  in  An- 
wesenheit des  Bischofs  ausgeführt  von  der  alten 
Matrosenzunft  der  Stadt,  der  ,Marinerezza'  in 
alten  Waffen  und  Kostümen.  Im  Erzbistum  von 
Antivari  wurden  Tänze  und  Gesänge  in  den 
Kirchen  l^ei  Hochzeiten  noch  im  17.  Jahrhundert 
verboten.'') 

Die  Masken  des  Karnevals  waren  meist  Tier- 
masken. In  Eagusa  zog  im  Karneval  noch  in 
den  letzten  Jahren  der  Eepublik  eine  ]\Iasken- 
gruppe  durch  die  Stadt,  darunter  eine  Vila 
(Bergnymphe)  mit  langem  Haar  und  die  Turica 
(Aueröchsin)  mit  Pferdekopf  auf  langem,  zot- 
tigem Halse.*')  Am  0.  Februar  1412  beschloß  das 
Consilium  minus  ein  Geschenk  von  4  Perper 
den    ,ioculatoribus    Turi(;e'   zu    geben.     Dies   er- 


innert an  den  Umgang  des  ,Aueröchsleins'  (tu- 
ronek)  in  Galizien,  bei  welchem  zwei  Jünglinge 
einen  dritten  in  einer  Holzmaske  mit  langer 
Zunge  aus  rotem  Tuch  herumführen.  Miklosich 
leitet  die  Bezeichnung  der  Pfingsten  bei  den 
Slovaken  als  Auerochsenfest  (turice)  von  solchen 
Maskenzügen  ab.')  Am  1.  Mai  zog  in  Ragusa 
die  Schusterzunft  durch  die  Stadt  mit  fröhlichem 
Tanz,  in  ihrer  IMitte  der  B  e  m  b  e  1  j,  ein  mit 
grünen  Blättern  und  verschiedenen  Blumen  ganz 
bekleideter  Jüngling,  welcher  in  der  Hand  eine 
lebende,  nicht  giftige  Schlange  trug.*) 

Leute,  die  sich  langweilten,  gingen  in  die 
Weinschenke  (krcma,  gostinnica,  in  Eagusa 
tovjerna  aus  taberna),  deren  Betreten  den  Prie- 
stern, Mönchen  und  Eremiten  vom  byzantini- 
schen Kirchenrecht  ganz  verboten  war,  ausge- 
nommen im  Notfalle  auf  Eeisen.  Im  serbischen 
Volkslied  pflegt  auch  König  ^fai-ko  in  der  kühlen 
Schenke  Wein  zu  trinken.  In  Ragusa  waren  die 
Weinverkäuferinnen  oder  Kellnerinnen  meist 
Frauen  (tovjernarica  aus  lat.  tabernaria  oder 
krcmarica).  Im  14.  Jahrhundert  wurde  in  diesen 
Weinkellern  mit  Würfeln  (ad  taxillos)  um  Wein 
gespielt  und  natürlich  auch  gerauft.  Würfel 
waren  auch  in  Serbien  wohlbekannt,  unter  den 
Namen  t  a  v  1  i  j  a  oder  z  a  r  (vom  ludus  azari, 
franz.  hasard).^)  Spielkarten  (ludere  ad  cartas 
1438),  die  in  Italien  erst  im  14.  Jahrhundert 
auftauchen,  und  das  Schachspiel  (scacchi  1422) 
werden  in  Eagusa  spät  erw^ähnt. 

Von  den  Musikinstrumenten  ertönte  die  na- 
tiimale  Geige,  die  g  u  s  1  i  (Plural),  deren  Saiten 
mit  einem  ,kleinen  Bogen'  (lucbc)  gestrichen 
wurden,  wie  erwähnt,  schon  bei  der  Tafel  des 
Königs  Stephan  des  Erstgekrönten  (s.  oben 
3,  38).^")  Sei-bische  (Tciger  werden  1415  am 
Hofe  des  polnischen  Königs  Wladislaw  Jagiello 


')  Nikoplioros  Gregoras  VIII  cap.  14  §  6. 

')  ,Ballaro  vel  coreas  tlucere  aut  cantilenas  facere  vel  canere  in  maiori  ecclesia  S.  Marie'  verboten  1425.  Gesetzbncli 
Liber  Viridis  cap.  I'.t4  (bisher  ungedruckt). 

")  Philippus  de  Diversis  p.  94. 

*)  Jorga,  Notes  et  extraits  2,  416. 

')  Jjjubii,  Rad  40  (1877)  144.  Von  Interesse  sind  die  zahlreichen  au  die  lateinischen  Kleriker  Dnlmatiens  erlassenen 
Verbote  sich  an  Tänzen,  Schauspielen,  Maskenzügen  zu  Ijeteiligen;  vgl.  Jagii,  Rad  37  (1876)  44  f.  und  Ljubic.  eb.  40,  139f. 

•)  Abbildungen  dieser  Maskon  bei  Appendini,  Notizie,  Bd.  1  (1802).  Über  altslavische  Spiele  und  Masken  bei  den 
Hochzeiten  Niederle  a.  a.  O.  1,  107  f. 

')  Miklosich,  Die  christliche  Terminologie  der  slav.  Sprachen,  Wien  1875  (Denkschr.  W.  Akad.  Bd.  24)  S.  26. 

")  Wie  mich  Resetar  aufmerksam  macht,  wird  dieser  Bembelj  schon  im  Lied  der  ,Schusterbruderschal't',  der  ,fratilja 
od  crevljara'  von  Antun  Sasin  (16.  Jahrhundert)  erwähnt,  Stari  pisci  IC,  172.  Abbildung  bei  Appendini  a.  a.  O.  Beschrieben 
auch  von  Vuk,  Lexicon  unter  liembelj. 

*)  Tavlija  in  der  Übersetzung  des  Blastares.   Über  zar  vgl.  Jagic,   Starine  ö,  20   und   10,  94. 

'°)  Im  Mittelalter  stets  gusli  (Plur.),  in  der  Neuzeit  gusle  (Plur.)  oder  gusla  (Sing.),  vgl.  Rjecnik.  KiOipa  wird  in 
kirchlichen  Texton   mit  gusli,   selten    mit  pregudnica  wiedergegeben  (Psalterium  Bononiense  ed.  Jagio   1907  p.  2),  Xupa 


Staat  und  Gesellschaft  im  mittelalterlichen  Serbien  IIT. 


59 


genannt.')  Ebenso  kennt  die  serbischen  Geigen 
(serbskie  skrzypki),  welche  den  melancholi- 
schen Vortrag  epischer  Lieder  begleiten,  der 
polnische  Dichter  ^Miaskowski  (11622).^)  Vom 
Hirtenleben  unzertrennlich  war  die  Ilirten- 
pfeife,  wie  denn  Pfeifer  (svirLc)  schon  in  der 
Zeit  des  Stephan  Dusan  urkundlich  vorkom- 
men,^) und  der  Dudelsack  (mjeh,  mjesina),  in 
Eagusa  im  14. — 15.  Jahrhundert  in  den  lateini- 
schen Archivbüchern  als  c  o  r  n  a  m  u  s  u  er- 
wähnt. Ebenso  war  es  den  Hirten  leicht,  ein 
Hörn  zum  Blasen  herzurichten  (rog,  lat.  cornu 
ad   pulsanduin). 

Neben  serbischen  Musikern  gab  es  auch 
fremde  Künstler.  Im  13.  Jahrhundert  war  in 
Serbien  in  der  Zeit  des  Erzbischofs  Sava  I. 
neben  dem  einheimischen  Possenreißer  (glumBc) 
der  deutsche  , Spielmann'  bekannt;  im  serbi- 
schen Te.xt  des  Xomokanon  liest  man  vom 
i  p  i  1  m  a  n  an  der  Stelle  über  den  [iv^oc  des 
Originals."*)  Deutsche  Musiker  standen  zeit- 
weilig in  den  Diensten  der  Stadt  Eagusa:  der 
Dudelsackpfeifer  Kunz  (Ohuncius  cornamusa 
Theotonicus)  und  die  Trompeter  (sonatores) 
Elias  und  Johannes,  alle  drei  1379,  der  Flöten- 
bläser (fistulator)  Hans  1383,  die  Pfeifer  (pi- 
farus)  Petrus  de  Colonia  1416  und  Matheus 
Theotonicus  1444.  Noch  der  dichtende  Bene- 
diktiner ]\Iaurus  Vetranic  erwähnt  im  16.  Jahr- 
hundert in  einem  Maskenlied  die  ,trumbetari' 
und  ,pifari'  aus  ,Alamannien',  welche  Wein  ohne 
Wasser  wacker  zu  trinken  (trinkati)  verstanden 
und  von  ihren  ,liebeii  Frauen'  dort  weit  im 
Westen  zu  sprechen  pflegten,  denen  sie  nach 
ihrer  Heimkehr  in  die  Heimat  die  berühmte 
Stadt  Eagusa  loben  werden.^)  Deutschen  Ur- 
sprungs sind  auch  die  Worte  frava  (Frau), 
zweimal  in  den  lyrischen  Gedichten  des  Mence- 
tic  (Ende  des  15.  Jahrhunderts)  zu  lesen,  und 
1  i  m  f  r  a  (Liebfrau,  im  Ejecnik  unrichtig  als 
Nymphe  oder  Jungfrau  gedeutet)  in  dem  soeben 
erwähnten  Gedicht  des  Vetranic.'^)  Andere 
Musiker  waren  Griechen.  Die  Trompeter  (tu- 
betae)  der  Stadt  Eagusa  stammten  1424 — 1456 


aus  Arta  und  Kreta;  die  Brüder  Theodor  und 
Johannes  erhielten  1426  Urlaub  auf  vier  Mo- 
nate zum  serbischen  Despoten  Stephan,  1428 
zum  bosnischen  Großvojvoden  Sandalj,  um  sie 
mit  ihrem  Spiel  zu  erfreuen.  Andere  Künstler 
waren  in  Eagusa  Serben,  wie  der  ,trumbeta' 
Dragan  aus  Prizren  1335,  Italiener,  Kroaten 
aus  Zengg  oder  Agram,  wie  der  ,tubicen'  Nico- 
laus de  Zagabria  1411 — 1414,  Albanesen  aus 
Durazzo  oder  Drivasto  usw.  Bei  den  Hoch- 
zeiten der  Fürsten  wurden  sie  von  der  Ge- 
meinde  zu    den   benachbarten   Höfen   gesendet. 

Die  Musiker  der  einheimischen  Fürsten- 
höfe werden  im  15.  Jahrhundert  oft  erwähnt, 
weil  sie  in  Paaren  oder  in  ganzen  Gesellschaf- 
ten (societas,  brigata)  an  Feiertagen,  besonders 
zum  Feste  des  hl.  Blasius  nach  Eagusa  kamen 
und  dort  von  der  Eegierung  beschenkt  wurden. 
Im  April  1408  erhielten  zwei  Trompeter  (tu- 
batores)  des  ,dominus  dispotus  Sclavonie'  ein 
Geschenk  von  60  Perper  in  Tüchern.  Oft  ge- 
nannt werden  die  Pfeifer  (piffari)  des  bosni- 
schen Königs,  des  Großvojvoden  Sandalj  und 
des  Herzog  Stephan,  der  Adelsfamilien  der 
Pavlovici  und  Zlatonosovici,  die  Trompeter 
(sonatores,  tubete)  der  Balsici.  des  bosnischen 
Königs  u.  a.,  die  Dudelsackpfeifer  (gampogna- 
tores  1454)  des  Herzogs  Stephan,  die  Trommler 
(gnacharini,  von  nachari,  altfranz.  naquaires, 
einer  Art  Trommel)  des  Sandalj  und  der  Pavlo- 
vici, die  Lautenschläger  (lautarii  1450  f.)  des 
Königs  von  Bosnien.  Daneben  kamen  seit  1399 
auch  Spaßmacher  oder  Jongleure  (ioculatores, 
zugularii,  histriones,  buflones)  des  bosnischen 
Königs  und  seiner  Edelleute;  z.  B.  1455  erhielt 
ein  ,butfonus'  des  Herzogs  Stephan,  namens 
Mrvac,  ein  Geschenk  in  Kleidern. 

Gesungen  wurde  viel  von  Leuten  jeden 
Standes,  bei  jeder  Gelegenheit,  bei  Hochzeiten 
und  anderen  Festen,  bei  der  Feldarbeit,  beim 
Viehhüten  oder  z.  B.  bei  dem  Auspressen  der 
Früchte  in  der  Olivenmühle,'')  ebenso  auf  den 
langweiligen  Märschen  der  Karawanen  durch 
Wald    und    Gebirge.     Eigener    Art    waren    die 


mit  cevnica  (cev  Röhre),  womit  Neuere  eine  Orgel  bezeichneten.  Über  die  Musikinstrumente:  Fr.  S.  KuhaO.  Beiträge  zur 
Geschichte  der  südslav.  Musik,  Kad  38  (1877)  1  f .  (Abbildungen  der  gusli  S.  3,  alte  Zeugnisse  S.  52  f.,  59  f.};  Vlad.  Kara- 
kasevi6,  Gusle  i  guslari,  Letopis  195  (1898)  1  f.  (mit  Abbildungen). 

')   Tersako\ec,  Arch.  slav.  Phil.  29  (1907)  237. 

')  Jagid,  Rad  37   (1876)   118. 

')  Urk.  1353  an  der  Psina:  Florinskij,  Pamjatniky  148  A. 

*)  Jagid,  Starine  6,  81  und  Kad  37  (187G)  73. 

")  Stari  pisci  3,  248—250. 

«)  Jagii  a.  a.  O.  und  Marko,  Arch.  slav.  Phil.  28  (1906)  383. 

')  In  Sebenico  1487  nach  Sisgoreus,  Gradja  2  (1899)  11. 

8* 


60 


IL  AiiiiAXDi-rNo:  Constaktix  Jikecek. 


Klagegesänge  bei  den  Begräbnissen.')  Sogar 
die  Gebete  wurden  im  Küstenland  in  Gesangs- 
form rezitiert,  in  Eagusa  sogar  das  Vater- 
unser.-) 

Es  unterliegt  wohl  keinem  Zweifel,  daß  ein 
großer  Teil  der  Geschichte  des  Presbyters  Dio- 
cleas  aus  epischen  Volksliedern  zusammenge- 
stellt ist.  Ausdrücklich  werden  Lieder  (pjesni) 
seit  dem  Ende  des  12.  Jahrhunderts  erwähnt. 
Lyrisch  und  erotisch  waren  ohne  Zweifel  die 
,unreinen  und  schädlichen  Lieder',  welche 
Eastko,  der  spätere  hl.  Sava,  als  Jüngling 
haßte  und  verabscheute.  Als  dieser  Sohn  Ne- 
manjas, statt  zu  heiraten,  auf  den  Athos  ent- 
floh (um  1192),  um  Mönch  zu  werden,  hat  man 
darüber  ,Lieder  ausgedacht  und  gesungen'; 
eine  allerdings  stark  veränderte  Version  hat 
sich  sogar  bis  heute  erhalten.^)  Nikephoros 
Gregoras  schildert  in  der  Erzählung  über  seine 
Gesandtschaftsreise  nach  Serbien  (1328)  den 
nächtlichen  Marsch  durch  einen  dichten  Wald 
zwischen  den  Flüssen  Strymon  und  Strumica. 
Die  Begleiter  hatten  in  der  Finsternis  keine 
Furcht  und  sangen  den  Kuhm  von  Männern 
(•/.Asa  ävSpwv),  von  denen  der  klassisch  gebildete 
Byzantiner  nie  etwas  gehört  oder  gesehen  hatte, 
mit  trauriger  Melodie  und  lauter  Stimme,  so 
daß  die  Abhänge  und  Schluchten  mächtig 
wiederhallten.**)  Diesen  nächtlichen  Marsch- 
gesang kennt  heute  noch  jedermann,  der  in 
Serbien  und  Bulgarien  herumgewandert  ist. 
Auch  die  epischen  Lieder  der  alten  Türken 
wurden,  wie  Bertrandon  de  la  Broquiere  er- 
zählt, nachts  zu  Pferde  gesungen.^)  Bei  Cam- 
blak wird  König  Uros  III.  nach  dem  Sieg  über 
die   Bulgaren    (1330)    vom   Volke   mit    ,Sieges- 


liedern'  (pobednyjmi  pesnmi)  begrüßt.'')  Auch 
die  Erzählungen  des  Michael  Konstantinovic 
von  Ostrvica  aus  dem  15.  Jahrhundert  über 
die  ältere  serbische  Geschichte  sind  wahrschein- 
lich meist  aus  Liedern  geschöpft,  die  er  in 
seiner  Jugend  gehört  hatte.  Der  Vortrag  epi- 
scher Lieder  gehörte  in  Osteuropa  aber  nicht 
nur  zum  nächtlichen  Marschgesang,  sondern 
auch  zur  Unterhaltung  der  Gäste  bei  den 
Tafeln,  wie  es  schon  Priscus  über  den  Hof  des 
Hunnenkönigs  Attila  berichtet.  Der  Venetia- 
ner  Ambrosio  Contarini  war  1473  auf  der  Reise 
aus  Polen  nach  Kaffa  in  der  Krim  unterwegs 
Gast  des  Gouverneurs  von  Kiev,  in  der  Gesell- 
schaft zahlreicher  Edelleute,  und  erzählt,  daß 
dort  während  des  Essens  einige  Sänger  Lieder 
sangen.')  Krizanic  verzeichnet  im  1".  Jahr- 
hundert, daß  bei  den  Kroaten  und  Serben  in 
den  Häusern  der  Adeligen  und  Kriegsleute 
während  der  Gastmähler  hinter  dem  Eücken 
der  Gäste  Krieger  standen,  welche  Lieder  über 
die  Taten  alter  Helden  sangen.^)  Von  den  epi- 
schen Gesängen  der  Serben  hat  sich  keine 
Niederschrift  aus  dem  Mittelalter  erhalten. 
Erst  mit  dem  16.  Jahrhundert  beginnen  Auf- 
zeichnungen von  Texten.  Doch  darf  man  des- 
wegen die  Entstehung  der  serbischen  Helden- 
lieder nicht  gar  zu  spät  ansetzen,  denn  der 
Mangel  älterer  Überlieferung  ist  nur  ein  Zu- 
fall.^) Im  Laufe  der  Zeit  haben  sie  allerdings, 
wie  die  Volkslieder  aller  Völker,  in  Form  und 
Inhalt  manche  Wandlungen  durchgemacht. 
Man  kann  z.  B.  nach  dem  Inhalt  nicht  be- 
zweifeln, daß  das  mittelgriechische  Epos  über 
Digenis  Akritas  um  die  Mitte  des  10.  Jahr- 
hunderts an  der  damaligen  byzantinisch-arabi- 


•)  Die  Klageweiber  der  Ragusaner  schildert  Philippus  de  Diversis  p.  129.  Das  Consilium  Minus  Ton  Ragusa  hat  am 
U.April  1498  verboten  ,chiamar  feniiue  de  fora  de  la  casa  del  morto  ad  cantar.'  Busbeck  und  Gerlach  im  16.  Jahrhundert 
über  Totenklagen  bei  Smederevo  und  Jagodina;  vgl.  Jagid  im  Rad  37,  116f.  Vgl.  Niederle,  Zivot  star^ch  Slovaniiv  1, 
247  A.  2. 

»)  Kine  Frau  Stanula  singt  in  Ragusa  1407  abends  im  Haushof  das  Vaterunser:  ,ibat  per  aulam  cantando  Pater 
noBter.'     Liber  maleficiorum  1407 — 1410  Arch.  Rag. 

=>)  Theodosij  bei  Pavlovi6  16,  29.  Domentian  27.  Novakovid  im  Arch.  .slav.  Pliil.  4  (1880)  317—323;  V.  Corovid 
eb.  28  (1906)  629—633. 

*)  Nikephoros  Gregoras  VIII  cap.  14  §  4. 

')  Vgl.  Jorga,  Geschichte  des  osmanischen  Reiches  1,  463. 

•)  Glasnik  11  (1859)  75. 

')  jllavevano  alcuni  cantori,  i  (juali  mentre  desinammo  cantavano.'  Viaggi  fatti  da  Vinetia  alla  Tana  etc.,  Venedig 
1545  p.  Ol  13. 

")  Vgl.  Jagid  im  Rad  37  (1876)  119  und  Bogisid,  Narodne  pjeemo,  Vorrede  83  A.  1.  Gegenüber  den  epischen  Marsch- 
liedern und  Tafelliedorn  der  Slaven  vgl.  die  Hypothese  des  Gaston  Paris,  daß  die  altfrauzösischen  epischen  Lieder  ursprüng- 
lich Tanzlieder  waren. 

")  Andra  Gavrilovid  im  Rad  153  (1903)  •209—226  und  Glas  72  (1907)  127—168  verlegt  die  Entstehung  des  serbischen 
Epoe  HUB  kurzen  episch-lyrischen  Gedichten  erst  in  das  Ende  des  16.  oder  in  den  Anfang  des  17.  Jahrhunderts.  Dagegen 
spricht  sich  aus  Jov.  Tomic,  t)bor  die  serbischen  epischen  Volkslieder  (O  srpskim  narodnim  ejiskim  pesmama),  Belgrad  1907. 


Staat  unu  Gesellschaft  im  mittelalterlichen  Sekbiex  III. 


Öl 


sehen  Grenze  in  Kappadokien  und  am  oberen 
Euphrat  entstanden  ist;  die  Handschriften  der 
bisher  bekannten  fünf  Bearbeitungen  gehen 
aber  nach  Krumbacher  nicht  über  das  15.  Jahr- 
hundert zurück. 1)  Ebenso  ist  im  russischen 
Volksepos  der  Zyklus  des  Fürsten  Vladimir 
Monomach  (1113 — 1125)  alt,  mögen  die  Nieder- 
schriften erst  mit  der  Neuzeit  beginnen. 

Es  ist  merkwürdig,  wie  im  serbischen 
Volksepos,  soweit  es  aus  Aufzeichnungen  der 
letzten  dreihundert  Jahre  bekannt  ist,  die  Zei- 
ten vor  Nemanja  der  Vergessenheit  verfallen 
sind.  Von  historischen  Personen  erscheinen 
Nemanja,  sein  Sohn  der  hl.  Sava,  nur  trüb  der 
ICönig  Milutin,  etwas  besser  Uros  III.,  der 
Gründer  von  Decani,  ebenso  die  Feldherrn  des 
14.  Jahrhunderts  Hrelja  und  Momcilo,  dagegen 
sehr  klar  ,Car  Stephan',  unzertrennlich  von 
seiner  Eesidenz  Prizren,  sein  Sohn  Carevic 
Uro.?,  endlich  König  Vlkasin  mit  seinem  Bru- 
der, dem  Despoten  ügljesa.  Reichhaltiger  ver- 
treten ist  der  Schluß  des  Mittelalters  durch  die 
zwei  großen  Liederkreise  über  Marko  ,den 
Königssohn'  (Kraljevic),  den  König  JMarko 
(1371—1394)  der  Geschichte,^)  und  über  die 
Schlacht  auf  dem  Amselfelde  (Kosovo  polje) 
im  Jahre  1389.')  Besungen  wird  auch  das  Zeit- 
alter der  Despoten,  Herzog  Stephan,  der  Grün- 
der der  Herzegovina,  die  Crnojevici  von  Monte- 
negro usw.*) 

Die  erhaltenen  Lieder  teilen  sich  nach  dem 
Versmaß  in  zwei  GrujDpen.  Alter  sind  die  heute 
ausgestorbenen,  nur  handschriftlich  erhaltenen 
Lieder  in  Fünfzehnsilbern  oder  Sechszehn- 
silbern.  Diese,  wie  Jagic  sagt,  ,feierliche  Lang- 
;^eile'  erinnert  äußerlich  an  den  fünfzehnsilbi- 
gen  ,politischen'  Vers  der  byzantinischen  Dich- 
tung. Eine  Eigentümlichkeit  sind  zeitweilig 
eingeschaltete    Sechszeiler,    die    eine    Wieder- 


holung oder  einen  Ausruf  enthalten.  Jünger 
und  lebhafter  ist  der  Zehnsilber  (deseterac), 
den  man  bei  den  Serben  heute  noch  überall  in 
den  von  den  Klangen  der  Gusla  begleiteten 
Heldenliedern  hören  kann. 

Die  Fünfzehnsilber  nannte  man  im  10.  und 
17.  Jahrhundert  Lieder  ,nacli  serbischer  Art'; 
das  liest  man  bei  Hektorovic  (srbski  nacin)  und 
bei  Krizanic  (modi  et  styli  sarbiaci).^)  Da- 
neben bezeichnete  man  diese  Lieder  in  derselben 
Zeit  auch  als  B  u  g  a  r  k  i  n  j  a,  wörtlich  ,die 
Bulgarin',  oder  Bugarscica;  ,bugariti' 
bedeutete  damals  ein  episches  Lied  vortragen, 
während  man  jetzt  darunter  das  Singen  eines 
Klageliedes  versteht.  Die  Lieder  enthalten  in 
Stoff  und  Sprache  nichts  Bulgarisches;  die  Be- 
zeichnung dürfte  sich  auf  die  Art  des  Vortrages 
beziehen.  Bogisic  dachte  an  die  b  u  1  g  a  r  i  n  a 
(türk.  tambura),  eine  Art  Guitarre,  auf  deren 
vier  Saiten  mit  einem  Gänsekiel  gespielt  wird, 
als  Begleitinstrument.  Jagic  verweist  auf  die 
bei  den  Byzantinern  erwähnte  Melodie  [j.e/.cc 
ßouXfapixcv.  Die  ältesten  erhaltenen  zwei  Texte 
bilden  Episoden  in  dem  1556  von  Hektorovic 
aus  Lesina  verfaßten  Gedicht  über  den  Fisch- 
fang (Ribanje) ;  eines  dieser  Lieder  Ijetrifft 
den  serbischen  König  Marko  und  seinen  Bruder 
Andreas.  Ein  Lied  ist  in  der  ,Slavischen  Vila' 
(Vila  Slovinka)  des  Zaratiners  Barakovic  ein- 
geschaltet (gedruckt  1613). <')  Ungleich  reich- 
haltiger ist  eine  handschriftliche  Sammlung 
aus  Eagusa,  begonnen  um  1700  von  Mattei, 
fortgesetzt  von  Betondic  (t  1764).  Dazu  kommt 
eine  Sammlung  aus  Perasto  (um  1700)  und  zwei 
Sammlungen  aus  den  Bocche  di  Cattaro  aus 
dem  Anfang  des  18.  Jahrhunderts.  Nachdem 
Hilferding  und  Miklosich  einige  Proben  mit- 
geteilt hatten,  erschien  die  Ausgabe  von  Bogisic 
(1878),  welche  76  Stücke  enthält,  davon  je  36 


')  Krumbacher,  Eine  neue  Handschrift  des  Digenis  Akritas  (im  Escurial),  S.  Ber.  der  Isgl.  bayer.  Alcademio  19UI, 
Heft  II,  347. 

-J  Ein  veiietianischer  Bericht  über  die  in  Spalato  ir)47  allgemein  bekannte  ,canzone',  .cantando  in  schiarone  del  re 
Marco'  bei  Ljubii,  Rad.  10  (1877)  141. 

')  Chalanskij  (f  1910),  Juznoslavjanskija  skazanija  o  Kralevici'  Markt",  hat  über  König  Marko  ein  russi.sches  Werk 
von  fast  über  1000  Seiten  veröÖ"entlicht  (Warschau  1893),  mit  Parallelen  aus  dem  russischen  Epos  und  anderen  Volksdich- 
tungen; vgl.  darüber  Maretid  im  Rad  132  (1897)  1—47;  Iljinskij  in  den  Izvestija  der  russ.  Akademie,  Abteilung  für  russ. 
Sprache  und  Literatur  15,  4  (1910)  226  f.;  Nekrolog  im  Arch.  slav.  I'hil.  32  (1911)  317.  Jovan  N.  Tomi6,  Istorija  u  narod- 
nim  epskim  pesmama  o  Marku  Kraljevicu,  Belgrad  (Akademie)  1909  findet  in  den  Liedern  über  Marko  auch  Nachklänge 
später  Ereignisse,  sogar  aus  dem  Ende  des   17.  .Jahrhunderts. 

*)  Andra  Gayrilovic,  Istorija  srpske  i  hrvatske  knjizevnosti  usmenoga  postanja  (Geschichte  der  serbokroat.  Literatur 
mündlichen  Ursprungs),  Belgrad  1912,  8°,  225  S.  Pavle  Popoyic,  Pregled  srpske  knji/.eTuosti.  2.  A.  Belgrad  1913  S.  03—122. 

^)  Hektorovi6,  Stari  pisci  G,  17,  49.     Krizanic,  Starine  18,  228. 

")  Stari  pisci  17,  128  f.;  vgl.  Valjavac  in  der  Vorrede  eb.  VIII f. 


62 


II.  Abiiandlitsg:  Constaxtix  Jirecek. 


aus  den  Laudschaften  von  Cattaro  und  Ea- 
gusa.*)  ydion  im  17.  Jahrhundert  war  diese  Art 
der  Dichtung  im  Verfall;  sie  vegetierte  damals 
nur  im  Küstengebiet,  besonders  in  Tcrasto  bei 
Cattaro.  Aber  noch  1655  hat  der  Kroate  Kri- 
zanic  (Crisanius)  in  einer  in  Eom  zu  Ehren  des 
Kaisers  Ferdinand  III.  gedruckten  Polyglotta 
drei  Gedichte  gedruckt,  ein  kirchenslavisches, 
ein  kroatisches  (illirice  moderne)  und  ein  serbi- 
sches (sarbski),  das  letztere  in  diesem  alter- 
tümlichen Versmaß.-)  Einige  Episoden  aus  dem 
in  gereimten  Achtsilbern  verfaßten  ,Osman'  des 
Kagusaners  Gundulic  (f  1638)  hat  ein  Geist- 
licher aus  Perasto  in  diese  alten  Langzeilen 
umgearbeitet,  der  spätere  Erzbischof  von  Anti- 
vari  Andreas  Zmajevic  (t  169-i).  Ausgestorben 
ist  diese  Dichtung  in  der  zweiten  Hälfte  des 
18.  Jahrhunderts.  Die  letzten  Nachklänge  hat 
noch  Ljubisa  (t  1878)  unter  den  Hochzeits- 
liedern der  Pastrovici  bei  Budua  gehört.^)  Was 
den  historischen  Inhalt  anbetrifft,  beginnt  er 
mit  Car  Stephan  Dusan  und  reicht  bis  zur  Er- 
oberung von  Castelnuovo  durch  die  Venetianer 
1687.  Die  Lieder  der  Sammlung  von  Bogisic 
sind  altertümlich,  mit  einer  Fülle  nationaler 
Epitheta  und  mit  wenigen  türkischen  Fremd- 
wörtern. Als  Waffen  erscheinen  Bogen,  Pfeil, 
Schild  und  Lanze,  keine  Feuerwaffen,  außer  in 
den  jüngsten  Stücken  aus  Perasto.  Auch  die 
Kleider  führen  alte  Namen.  Eigentümlich  sind 
die  Nachklänge  der  mittelalterlichen  HöÜich- 
keitsformeln ;  z.  B.  die  sprechenden  Personen 
,verneigen  sich  schön'  vor  einander.  Die  reli- 
giösen Anschauungen  mit  dem  Lob  der  ,kalug- 
jeri'  und  des  ,schönen  Heiligen  Berges'  Athos 
(lijepa  Sveta  Gera)  weisen  klar  in  Gebiete  der 
orientalischen  Kirche.  Die  metrischen  Eigen- 
tümliclikeiten  erinnern  mitunter  mehr  an  das 
russische  Volkslied,  als  an  die  jüngeren  süd- 
slavischen  Formen.  Der  Inhalt  ist,  wie  Bogisic 
bemerkt,  schon  entstellt  überliefert,  planlos, 
fragmentarisch  und  greisenhaft  verwelkt,  wie 
denn    die    Niederschrift    bereits    in    der    Zeit 


des    vollen    Verfalls    der    älteren    Dichtung    er- 
folgte. 

Der  jüngere  Zehnsilber  erseheint  schon  in 
zahlreichen  Liedern  der  erwähnten  Handschrif- 
ten des  18.  Jahrhunderts  aus  Eagusa  und  der 
Umgebung  von  Cattaro.  Der  gewaltige  Schatz 
der  Texte,  welche  Vuk  Karadzic  und  andere 
Serben  im  19.  Jahrhundert  gesammelt  haben, 
veröffentlicht  in  vielen  Bänden,  bietet  histori- 
sche Erinnerungen  von  ,Car'  Nemanja  angefan- 
gen bis  zur  Geschichte  unserer  Zeiten.  Mit 
merkwürdiger  Kraft  und  Frische  spiegelt  sich 
darin  ein  farbenreicher  Abglanz  des  mittelalter- 
lichen Serbiens,  die  Zeit  vor  den  trüben  Jahr- 
hunderten der  Türkenherrschaft.  Aber  näher 
betrachtet  ist  die  Darstellung  voll  Anachronis- 
men und  voll  türkischer  Ausdrücke  und  Vor- 
stellungen ;  z.  B.  Car  Stephan  regiert  mit  seinen 
,neun  Wesieren'  und  neben  den  Feuerwaffen 
werden  kaum  noch  Lanze  und  Säbel  erwähnt. 
Ein  Stützpunkt  des  nationalen  Gedächtnisses 
waren  die  alten  Klöster,  die  in  diesen  Liedern 
oft  in  ganzen  Eeihen  aufgezählt  werden.  Die 
Lieder  in  Zehnsilbern  sind  viel  länger  als  die 
der  Langzeile;  es  gibt  solche  von  800,  ja  sogar 
1200  Versen,  die  aber  nur  individuelles  Eigen- 
tum einzelner  Sänger  sind.  Nach  Murko  wieder- 
holt derselbe  Sänger  nie  ein  Lied  ganz  gleich, 
so  daß  alle  gedruckt  vorliegenden  Lieder  nur  ein 
einziges  Mal  wirklieh  so  gesungen  wurden.*) 

In  den  geschriebenen  Denkmälern  des  Mittel- 
alters ist  die  cyrillische  Schrift  nicht  gleich.  In 
den  Kirchenbüchern  und  auf  Inschriften  domi- 
niert stets  die  altertümliche,  mit  ihren  dicken 
Strichen  schwerfällige  Unciale,  welche  an  die 
gleichfalls  aus  dem  griechischen  Alphabet  ent- 
standene Schrift  der  Kopten  erinnert.  Im  prak- 
tischen Leben  entwickelte  sich  daraus  seit  dem 
13.  Jahrhundert  eine  Kursivschrift,  in  welcher 
die  Buchstaben  durch  starke  Verlängerung  be- 
sonders nach  abwärts  und  durch  feinere  Züge 
mehr  Individualität  erhielten.  Es  ist  derselbe 
Unterschied,  wie  zwischen  der  I'ncialschrift  und 


')  Bogisii,  Narodne  pjesme  iz  starijih,  najviiie  primorskih  zapisa  (Volkslieder  aus  älteren  Aufzeichnungen,  besonders 
des  Küstenlandes)  Bd.  1,  serb.,  Belgrad  1878  (Glasnik  II  Abt.,  Bd.  10);  der  versprochene  zweite  Band  ist  leider  nicht  er- 
schienen. Einige  Texte  auch  bei  Novakovic,  Ein  Beitrag  zur  Literatur  der  serb.  Volkspoesie,  Arch.  slav.  Phil.  3  (1870) 
640—653.  JagiiS,  Die  südslavische  Vulksepik  vor  Jahrhunderten,  eb.  4  (1880)  192—242.  Über  den  Versbau  W.  Wollner 
eb.  9  (1886)  177  f.  Asrnus  Soerensen,  Beitrag  zur  Geschichte  der  Entwickelung  der  serb.  Heldendichtung,  eb.  14  (1892)— 17 
(1895).  Derselbe,  Entstehung  der  kurzzeiligen  serbo-kroat.  Liederdichtung  im  Küstenland,  Berlin  1895  (vgl.  Resetar,  Arch. 
slav.  Phil.  18,  297).     Neuere  Studien  über  die  Metrik  von  Maretii,  Rad  170  (1907)  und  Ivan  Scherzer  eb.  182  (1910). 

')  Triumphus  Caesareus  Polyglottus.  Romae  1655.     Abgedruckt  von  Fermendzin,  Starine  18,  226—229. 

')  Bogisic  a.  a.  O.,  Vorrede  S.  69  A.  2. 

*)  M.  Murko,  Reisebericht  über  die  Volksepik  der  bosnischen  Mohammedaner,  S    Ber.  W.  Akad.  173  (1913),  3.  Abb.,  S.  24. 


Staat  u\d  Gesellschaft  im  mittelaltekluhex  Sekbiex  III. 


63 


der  Kui-siva  der  Armenier.  Die  cyrillische  Kur- 
siva  der  Südslaven  zu  Ende  des  Mittelalters  ist 
von  zweifacher  Art.  Eine  Steilschrift  war  in 
Serbien,  Bulgarien  und  der  Walachei  üblich. 
Nach  rechts  geneigt  ist  die  in  Bosnien  übliche 
Abart,  wobei  sich  durch  Umformung  einzelner 
Zeichen  lokale  Eigentümlichkeiten  herausge- 
bildet haben,  die  bosnische  b  u  k  v  i  c  a.  Für  die 
Zahlen  verwendeten  die  Südslaven  nach  dem 
Vorbild  der  Griechen  bis  in  die  Neuzeit  nur 
Buchstaben.  Die  arabischen  Ziffern  haben  sich 
selbst  bei  den  ,Lateinern'  des  Küstenlandes  erst 
spät  eingebürgert;  im  Archiv  von  Ragusa  fand 
ich  die  erste  Spur  1346.  Das  zweite  slavische 
Alphabet,  die  glagolitische  Schrift  war  in  Ser- 
bien im  14.  .Jahrhundert,  wie  aus  den  Glossen 
und  Marginalien  einzelner  Handschriften  zu 
sehen  ist,  noch  bekannt,  alier  nur  mehr  als  Ge- 
heimsichrift,  neben  den  verschiedenen  cyrilli- 
schen Geheimschriften,  welche  nach  griechischem 
Muster  auf  Umsetzung  der  Buchstaben,  dem 
Zahlwert  derselben  und  dergleichen  beruhen.^) 
Mehr  bekannt  Avar  die  Glagolica  in  Bosnien,  wo 
cyrillische  Codices  noch  im  15.  Jahrhundert  gla- 
golitische Glossen  haben  und  wo  noch  für  den 
Vojvoden  Hrvoje  ein  glagolitisches  Missal  ge- 
schrieben wurde.  Herrschend  in  der  Kirche  und 
im  ürkundenwesen  war  die  glagolitische  Schrift 
im  kroatischen  Küstenlande,  von  Spalato  bis 
nach  Istrien  und  Agram;  dort  entwickelte  sich 
neben  der  kirchlichen  ünciale  auch  eine  glago- 
litische Kursiva  für  praktische  Zwecke.  In  den 
Küstenstädten  Dalmatiens  schrieb  man  lateinisch 
und  italienisch  mit  lateinischen  Buchstaben, 
wobei  sich  bis  zum  Anfang  des  14.  Jahrhunderts 
Spuren  der  sogenannten  laugobardischen  oder 
beneA'entanischen  Schrift  bemerkbar  machen. 
Slavische  Texte  wurden  damals  auch  an  der 
Küste  nur  in  cyrillischer  oder  glagolitischer 
Schrift  niedergeschrieben.  Südslavische  Urkun- 
den in  lateinischer  Schrift  gibt  es  aus  dem 
Mittelalter  keine.  Sie  beginnen  selbst  in  Ragusa 
und  Kroatien  erst  im  16.   Jahrhundert;   etwas 


früher,  kurz  vor  1500,  versuchte  man  in  Dal- 
matien  vorerst  slavische  geistliche  Erbauungs- 
schriften und  weltliche  Gedichte  mit  lateinischen 
Buchstaben  aufzuzeichnen.^) 

Als  Schreibmaterial  hat  sich  neben  dem  Per- 
gament frühzeitig  auch  das  Papier  verbreitet. 
Die  bulgarischen  Urkunden  des  13.  Jahrhun- 
derts, ebenso  viele  serbische  des  14.,  sogar  Chry- 
sobuUe  der  Garen  Stephan  und  Uros  sind  auf 
Papier  geschrieben,  ebenso  die  Briefe  und  Kanz- 
leibücher der  Ragusaner  seit  dem  13.  Jahrhun- 
dert. Im  15.  Jahrhundert  wird  in  Urkunden  und 
Amtsbüchern  eine  Rückkehr  zu  dem  mehr  dauer- 
haften Pergament  bemerkbar.  In  den  Handschrif- 
ten ist  die  Tinte  schwarz,  in  den  Titeln  rot;  blau 
schrieb  man  Briefe  und  kleinere  Urkunden. 

Der  Unterricht  befand  sich  in  Serbien  meist 
in  der  Hand  der  Geistlichkeit,  wobei  man  gleich 
an  die  Lektüre  der  heiligen  Bücher  ging.  So 
war  es  nach  den  Biographen  bei  Nemanjas  Sohn 
Rastko  (dem  hl.  Sava)  und  l)ei  König  Stephan 
Dragutin.  Es  gab  aiich  Privatlehrer  (ucitelj). 
Den  späteren  Erzbischof  Daniel  IL,  den  einzigen 
Sohn,  wollten  die  Eltern  nicht  ,die  Bücher  lernen 
lassen' ;  er  fand  aber  insgeheim  einen  Lehrer. 
]\Iehr  weltlich  war  der  Schuhmterricht  in  den 
Märkten  und  Städten,  zu  i)raktischen  Zwecken. 
Der  Gegensatz  beider  Schulen  spiegelt  sich  auch 
in  der  Sprache.  Briefe,  Urkunden,  weltliche 
Gesetze  kommen  den  gesprochenen  Dialekten 
sehr  nahe;  die  literarischen  Arbeiten  bieten  da- 
gegen ein  unter  dem  Einfluß  des  serbischen  Yo- 
kalismus  mäßig  verändertes  Kirchenslavisch 
, serbischer  Rezension',  welches  sich  im  14.  Jahr- 
hundert auch  nach  Makedonien  verbreitete.'^)  Cy- 
rillisch schrieb  man  auch  in  den  Küstenstädten. 
In  Ragusa,  wo  die  jungen  Edelmanns-  und  Bür- 
gerssöhne bei  den  von  der  Gemeinde  besoldeten 
Lehrern  rechnen,  Handelsbriefe  und  Rechnungs- 
bücher italienisch  und  Obligationen  lateinisch 
schreiben  lernten,  wird  einmal  (1390 — 1392)  ein 
eigener  ,magister  litterarum  sclavicarum'  in  den 
Diensten  der  Stadt  erwähnt,  ein  Bulgare  Niko- 


')  Emil  Kahizniacld,  Beiträge  zur  älteren  Geheimschrift  der  Slavcn,  S.  Ber.  W.  Akaci.  102  (188.S).  Über  die  serbischen 
Geheimschriften;  Vladimir  Kraslc  in  Letopis  löT  (1889).  Ljubomir  Kovaeevic  im  Glasnik  5G  (1884)  340,  Tihomir  Ostqjic  im 
Arch.  slav.  Phil.  14  (1892)  478,  Dragutin  Kostic  im  Glas  53  (1898)  137  f.  und  92  (1913)  1  f. 

^)  Über  diese  Fragen  vgl.  meine  Bemerkungen   im  Arch.  slav.  Phil.  26  (1904)  161  f. 

')  In  Makedonien  wurde  unter  der  byzantinischen  und  in  der  ersten  Zeit  der  serbischen  Herrschaft  mit  Vokalismus  der 
bulg.  Rezension  geschrieben,  mit  Nasallauten,  z.  B.  die  Inschrift  von  Nagoricin  1313  und  zahlreiche  Codices  aus  dem  Kloster 
von  Lesnovo  1313  —  1353:  Stojanovic,  Zapisi  Nr.  41,  43,  44,  5G,  102;  vgl.  auch  Danicic,  Kad  1  (18G7)  174.  Es  ist  aber  cha- 
rakteristisch, wie  derselbe  Stanislav  von  Lesnovo  1330  (Stojanovic  Nr.  5G)  in  bulg.  Rezension  schrieb,  1342  aber  schon  in 
serbischer  (eb.  Nr.  73 — 76).  Seit  1350  wii-d  der  serbische  Typus  vorherrschend,  nicht  nur  in  Makedonien,  sondern  im  15.  Jahr- 
hundert teilweise  auch  im  Westen  Donaubulgariens.  Vgl.  .Jordan  Ivanov,  Izvestija  der  bnlg.  archaeol.  Gesellschaft  3  (1912)  62. 


64 


II.  Abiiandiaixc;:  Consta2;tin  Jieecek. 


laus.^)  Die  Sclireibekuust  war  in  weite  Kreise 
verbreitet;  zufällig  hat  sich  ein  cyrillischer  Brief 
erhalten,  den  1445  bei  den  Mühlen  von  Breno 
ein  Diener  an  seinen  Herrn,  einem  ragusani- 
schen  Patrizier  aus  der  Familie  Bucignolo  ge- 
schrieben hat.2)  Da  die  Fürsten  die  Urkunden 
nach  byzantinischer  Art  eigenhändig  unter- 
schrieben, mußten  sie  der  Schrift  kundig  sein. 
Mrksa  2arkovie,  Herr  von  Valona,  einer  der 
serbischen  Teilfürsten  nach  Dusans  Zeit,  scheint 
aber  über  das  Kreuzeszeichen  nicht  hinausge- 
kommen zu  sein  (1401  f.)-^)  Übrigens  wird  in 
Trau  in  einer  Urkunde  1286  sogar  ein  katholi- 
scher Domherr  erwähnt,  welcher  des  Schreibens 
unkundig  war  (nesciens  scribere).  In  Eagusa 
hat  man  1455  die  Adeligen,  die  nicht  lesen  und 
schreiben  konnten,  aus  den  Eatskollegien  ausge- 
schlossen.'*) 

Bibliotheken  gab  es  nicht  nur  in  den  Klö- 
stern, sondern  auch  im  Privathause.  Im  Besitz 
der  Familie  des  Königs  Vladislav  werden  1281 
nicht  weniger  als  30  Handschriften  erwähnt, 
darunter  einige  Evangelien  in  schweren  Leder- 
einbänden, beschlagen  mit  Silberschmuck  (ta- 
bulae)  voll  Skulpturen,  teilweise  besetzt  mit 
Edelsteinen.^)  Die  Königin  Jelena,  Witwe 
Uros  L,  ließ  in  ihrem  Hause  Kirchenbücher  zu 
Geschenken  abschreiben.") 

In  den  Details  ist  auf  die  neueren  Bearbei- 
tungen der  Literaturgeschichte  zu  verweisen; 
wir  müssen  uns  hier  nur  auf  die  wichtigsten 
Daten  beschränken.')  Die  belletristischen 
Werke,  deren  Kenntnis  sich  durch  Schrift  und 
noch  mehr  durch  mündliche  Wiedergabe  in  den 
weitesten  Kreisen  verbreitete,  waren  indischen, 
arabischen,  griechischen  und  abendländischen 
Ursprungs.  Die  orientalischen  Stoffe  wurden 
den  Südslaven  durch  byzantinische  und  viel- 
leicht auch  armenische  Vermittlung  bekannt. 
Einen  indischen  Erzählungsstoff  aus  dem  Kreis 


der  ,Pancatantra'  enthält  das  Volksbuch  ,Ste- 
fanit  und  Ichnilat',  mit  Gesprächen  zwischen 
Tieren,  z.  B.  zwischen  der  Schildkröte  und  dem 
x\ffen,  der  naiven  Schilderung  der  Schicksale 
des  Ochsen  am  Hofe  des  Löwen  usw.  Aus  dem 
buddhistischen  Indien  stammt  die  in  christli- 
chem Sinn  umgeformte,  in  ganz  Europa  be- 
liebte Erzählung  vom  Eremiten  Barlaam  und 
dem  Prinzen  Joasaf.  Eine  Erzählung  handelt 
über  den  biblischen  König  Salomo  und  seine 
Frauen.  In  den  Stoffen  der  ,Tausend  und  einen 
Nacht'  hat  ihren  Ursprung  die  auf  einer  alten 
jüdischen  Sage  beruhende  Geschichte  vom  as- 
syrischen König  Sinagrip  und  seinem  Minister, 
dem  weisen  Akyrios.  Aus  dem  Sagenkreise  des 
hellenischen  Altertums  hat  sich  bei  allen  euro- 
päischen Völkern  stets  der  größten  Beliebtheit 
erfreut  die  Geschichte  von  Troja.  Bei  den  Süd- 
slaven stammt  der  ältere  Text  aus  der  griechi- 
schen Chronik  des  Malalas.  Der  jüngere  Text 
ist  abendländischen  Ursprungs,  zuerst  bei  den 
Kroaten  an  der  Adria  um  1300  nachweisbar, 
um  1345  auch  in  Bulgarien  bekannt,  bezeichnet 
als  die  ,Eomanze  von  Troja'  (rumanac  troj- 
ski).**)  Die  Namen  der  Helden  sind  darin  mit- 
unter arg  entstellt,  in  einem  glagolitischen 
Codex  z.  B.  Patroklos  gar  zu  einem  —  Proto- 
kolus.  Sehr  viel  gelesen  wurde  bei  Bulgaren, 
Serben  und  Kroaten  die  Geschichte  Alexander 
des  Großen,  auch  in  doppelter  Fassung.  Der 
ältere  Text  stammt  aus  dem  Eoman  des  Pseudo- 
Kallisthenes.  Jünger  ist  die  serbische  ,Aleksan- 
drija',  wo  Alexander  der  Große  unter  dem  Ein- 
fluß des  abendländischen  Eomantismus  zu 
einem  christlichen  Eitter  umgeformt  ist.^)  Das 
Echo  dieser  Lektüre  hört  man  auch  in  Daniels 
Biographien,  in  den  Vergleichen  mit  Alexan- 
der, Dareios  und  dem  .indischen  Caren  Por'. 
Wie  bekannt  diese  Stoße  in  weitesten  Kreisen 
waren,  sieht  man  daran,  daß  ein  Zaratiner  1283 


')   Arch.  slav.  Phil.  26  (1904)   179  f. 

=1)  Sponienik   11,  8.i   (Nr.  90). 

=  )  Als  Unterschrift  ein  oder  zwei  Kreuze  mit  den  Worten:  ,t  Sam  gospodin  Mrksa  ueini',  ,+  Gospodin  Mrksa  ucini 
t'  (Herr  Mrksa  hat  es  selbst  g-emacht).     Spomenik   11,  47,  49  (nur  in  Abschrift  erhalten). 

*)  Arch.  slav.  Phil.  26,  174  A.  1. 

5)  Rad  1  (1867)  136  f.  Smiciklas,  Codex  dipl.  6,  390. 

•)  Daniel  68. 

')  Handbücher:  M.  Murko,  Geschichte  der  älteren  südslavischen  Literaturen,  Leipzig  1908.  In  serb.  Sprache:  Pavle 
Popovic,  Übersicht  der  serb.  Literatur  (Pregled  srpske  knjizevnosti)  Belgrad  1909,  2.  A.  1913  (mit  reicher  Bibliographie); 
Andra  Gavrilovici,  Geschichte  der  serb.  u.  kroat.  Literatur  (Istorija  srpske  i  hrvatske  knjizevnosti),  Belgrad  1910,  2  Bde.  Eine 
Anthologie  mit  Texten  aus  der  altserb.  Literatur:  Novakovit',  Primeri  knjizevnosti  i  jezika  staroga  i  srpako-slovenskoga,  3  A  , 
Belgrad  1904,  673  S. 

«)  Vgl.  Murko  95,  131,  181. 

")  Murko  95  f.,  182. 


Staat  und  Gesellschaft  im  mittelalterlichen  Serbien  III. 


65 


und  ein  Kroate  aus  Novi  im  Küstenland  1422 
Bucifala  heißen,  nach  dem  Streitroß  Alexander 
des  Großen.^)  Die  südslavische  Übersetzung 
des  Digenis  Akritas  ist  bisher  nicht  zum  Vor- 
schein gekommen ;  aus  ihr  stammen  aber,  nach 
sprachlichen  Spuren  zu  urteilen,  die  russischen 
Bearbeitungen  dieses  byzantinischen  Stoffes. 
Leser  fand  auch  das  von  einem  gewandten 
Übersetzer  bearbeitete  inittelgriechische  Obst- 
buch ,Porikologos'.  Der  Kaiser  Quitte  (car 
Gdunije),  umgeben  von  anderen  Früchten  als 
Hofwürdenträgern,  sitzt  zu  Gericht  über  dem 
,seligen  Weintraube'  (Grozdije)  und  läßt  den 
Mann  pressen  und  martern;  das  Blut  des  Ver- 
urteilten wird  von  den  Menschen  getrunken. 
Aus  den  dalmatinischen  Städten  verbreitete  sich 
mündlich  der  Inhalt  abendländischer  Helden- 
lieder. Eine  Kenntnis  der  Karlssage  ist  in  Ser- 
bien bemerkbar  an  den  Personennamen  Oliver 
und  Orlanda  (s.  oben  3,  28),  in  Dalmatien  an 
den  Namen  Orlandus,  Paladinus  und  ebenso 
Oliverius.  Tristanus  hieß  1485  ein  Metzger- 
meister von  Eagusa.  Die  Geschichten  des  Artus- 
kreises kannte  man  selbst  in  den  Bergen  Nord- 
albaniens; 1402  wird  in  Ragusa  ein  Dominchus 
Bozizi  dictus  Merlinus  aus  Drivasto  erwähnt.^) 
Der  Wißbegier  der  frommen  Leute  des 
Mittelalters  genügten  die  kirchlich  anerkannten 
Bücher  des  Alten  und  Neuen  Testamentes  ganz 
und  gar  nicht.  Über  die  Details  der  Schöpfungs- 
geschichte, über  die  hervorragenden  Persönlich- 
keiten der  beiden  Testamente,  über  Himmel 
und  Hölle  und  die  Geheimnisse  der  Zukunft 
wollte  man  weit  mehr  lesen  oder  hören.  Da 
fand  man  reichliche  Belehrung  in  den  zahl- 
reichen Apokry^Dhen,  teilweise  sehr  alten  Ur- 
sprungs, die  mit  ihrer  populären  und  phan- 
tastischen Darstellung  nicht  selten  eine  Mittel- 
stellung zwischen  Theologie  und  Dichtung  ein- 
nehmen. Nach  Serbien  kamen  sie,  ebenso  wie 
nach  Rußland,  meist  aus  Bulgarien.  Es  sind 
fast  sämtlich  Übersetzungen  aus  griechischen 
Originalen.^)  Zum  Alten  Testament  gehören 
die  Bücher  über  Adam  und  Eva,  die  Biographie 
der    Asenet,    Tochter    der    Pentefrij    (Putifar) 


und  Frau  des  schönen  Joseph,  der  Bericht  des 
Jeremias  über  den  Fall  von  Jerusalem,  die  Vi- 
sionen des  Daniel  und  Isaias,  die  Apokalypse 
des  Baruch  mit  der  Schilderung  der  sieben 
Himmel,  das  Buch  des  Enoch,  die  apokryphe 
Erzählung  von  Job.  Das  Neue  Testament  be- 
treffen die  Berichte  über  den  Tod  der  Mutter 
Gottes,  über  den  Rundgang  der  Mutter  Gottes 
durch  die  Hölle,  der  Bericht  des  Persers 
Afroditian  über  die  Geburt  Christi,  die  apo- 
kryphen Evangelien  des  Jakob  und  Thomas, 
die  Vision  des  Apostels  Paulus,  eine  apokryphe 
Apokalypse  des  Apostels  Johannes  usw.  Dazu 
kommen  unechte  Heiligenlegenden,  über  die 
Marter  des  hl.  Georg,  das  Leben  des  hl.  Vasilij 
des  Neuen  mit  ausführlicher  Schilderung  von 
Himmel  und  Hölle,  die  Fragen  und  Antworten 
des  hl.  Vaters  Efrem,  das  Gespräch  der  drei 
Kirchenväter  Grigorij,  Vasilij  und  Johannes, 
die  Erzählung  von  den  zwölf  Freitagen,  welche 
mit  einer  Disputation  zwischen  Franken  und 
Juden  in  Durazzo  endigt  u.  a.  Als  bogomilisch 
galten  in  unseren  Zeiten  die  Schriften  eines 
Popen  Jeremias  über  das  Holz  des  Kreuzes,  wie 
Christus  Pope  wurde,  wie  Christus  ackerte  usw., 
bis  die  neuen  Untersuchungen  von  Sokolov, 
Jagic  und  Radcenko  ihren  Zusammenhang  mit 
dieser  Sekte  sehr  in  Frage  stellten.'') 

Zur  Ergründung  der  Zukunft  dienten  die 
vielen  Zauberbücher:  das  Geburtsbuch  (Roz- 
danik)  mit  Horoskop  je  nach  dem  Tag  der  Ge- 
burt, das  Kaiendenbuch  (Koleda)  mit  Wahr- 
sagungen über  Ernte,  Wein,  Honig,  Viehstand, 
Überschwemmungen,  Kriege  usw.  je  nach  dem 
Wochentag,  auf  welchen  das  Weihnachtsfest 
fällt,  das  Mondbuch  (Lunuik),  nach  welchem  es 
z.  B.  am  ersten  Monatstag  gut  ist  zu  kaufen 
und  zu  verkaufen  oder  zu  heiraten,  am  zweiten 
gut  mit  den  Vlastelinen  zu  sprechen,  während 
z.  B.  der  aiü  zwölften  gekaufte  Sklave  (rab) 
seinem  Herrn  davonlaufen  wird.  Hieher  ge- 
hört das  Donnerbuch  (Gromovnik,  BpovToXöftov) 
mit  Wahrsagungen  aus  dem  Donner  nach  den 
Jahreszeiten,  dessen  griechisches  Original  nach 
neueren    Forschungen    auf    ein    babylonisches 


')  Meine  Rom.  Dalra.  3,   11. 

')  Meine  Roti.  Dalm.  1,  68;  .3.  42.     Vgl.  ein  Handscliriftenverzeichnis  aus  Zara  1389  Arch.  slav.  Pliil.  25  (1903)   157. 

')  Ausgaben  von  DaniiSic,  Jagic,  Novakovic  und  Poh'vka  in  den  .Starine.  Vgl.  die  russ.  literatnrhi-storischen  Arbeiten 
von  TichonravoT,  Pypin,  Veselovskij  und  Speranskij.  Serbische  Kataloge  der  echten  und  unechten' Bücher  herausgegeben  von 
Jagic,  Starine  9,  91  f.  Nach  M.  Speranskij,  Serbskije  spiski  knig  istinnych  i  loznych  in  den  Ctenija  der  Moskauer  bist.  Ge- 
sellschaft 1908,  III.  Beilage  41—45  stanamen  sie  jedoch  aus  den  russischen  Verzeichnissen  des  16.  Jahrhunderts  und  sind 
nicht  älter. 

*)  Vgl.  Dr.  Miloä  'Weingart,  Pocätky  bogomilstvi,  Prag   1913,  S.  A.  aus  dem  Slovansk;^  Sborni'k   I5d.  IG. 
Denkschriften  der  phil.-hist.  Kl.  58.  Bd.  2.  Abh.  0 


66 


II.  Abhandt,tjnCt:  Constantin  Jirecek. 


Donnerbuch  zurückgeht,^)  (his  Zitterbuch  (Tre- 
petnik,::cisi«/.5-i-'.sv)  mit  Deutungen  der  Gefühle 
in  den  Fingern  und  anderen  Gliedern,  das 
Sternbuch  (ZvC-zdocLtbc)  und  das  Traumbuch 
(Sanovnik,  'Ov£ipc;y.?!-:f/.Jv).  Der  Einfluß  dieser 
Literatur  reicht  vom  Mittelalter  bis  in  unsere 
Tage.  Handschriften  der  Apokryphen  gibt  es 
noch  aus  dem  19.  Jahrhundert.  Auch  in  der 
Volksdichtung  sind  Nachklänge  dieser  Lektüre 
vorhanden. 

Gewaltig-  ist  die  Zahl  der  Übersetzungen  der 
kirchlich  anerkannten  theologischen  Bücher, 
eine  ganze  Bibliothek  von  liturgischen,  hagio- 
graphischen,  patristischen  und  kanonistischen 
Werken.  Die  Übersetzungsarbeit  hat  in  Bul- 
garien im  Zeitalter  des  Garen  Symeon  (f  927) 
begonnen.  In  Serbien  wurden  diese  Über- 
setzungen revidiert,  berichtigt  und  durch  neue 
vermehrt.  Originalarbeit  sind  die  Biographien 
(zitije)  und  Officia  (sluzba)  der  serbischen 
Heiligen. 

Hellenische  Weisheit  enthalten  die  didakti- 
schen Sammlungen,  vor  allem  eine  Übersetzung 
der  Menandersentenzen^)  und  Bruchstücke  der 
Florilegien,  mit  Aussprüchen  der  weisen 
Männer  von  Salomo,  Sokrates,  Diogenes  und 
Plutarch  bis  zu  den  Kirchenvätern.  Byzantini- 
sche Elemente  sind  in  den  lebenden  serbokroa- 
tischen Sprichwörtern  noch  klar  bemerkbar.^) 
Auf  der  antiken  Wissenschaft  beruht  eine 
kleine  Kosmographie  mit  Nachrichten  über  die 
Welt,  von  Sinae  (China)  im  fernen  Osten  bis 
zur  Straße  von  ,Gadira',  der  Insel  Thule  und 
den  ,Inseln  der  Seligen'  im  Westen,  begleitet 
von  Bemerkungen  über  Erdbeben,  Winde,  Wol- 
ken, Blitz  und  Donner,  Sterne,  die  Sonne  usw.*) 
Die  Tierwelt,  den  Löwen,  Elephanten,  Wisent 
(zubr),  Adler  usw.  behandelt  der  Physiologus. 

In  der  Prosa  ist  das  Originellste  das  Gesetz- 
buch des  Garen  Stephan  Dusan:  Historische 
Studien  halien  im  mittelalterlichen  Serbien 
keinen    rechten    Boden    gefunden.     Wenig    ge- 


lesen wurden  selbst  die  älteren  slavischen  Über- 
setzungen byzantinischer  Chroniken,  wie  des 
Malalas  und  des  Georgios  Hamartolos,  nach 
(leren  Muster  die  große  russische  Annalen- 
literatur  seit  dem  11.  Jahrhundert  entstanden 
ist.  Dabei  ist  nicht  zu  vergessen,  daß  die 
Klöster  des  Athos,  welche  den  Serben  die 
wichtigsten  Quellen  literarischer  Bildung  bo- 
ten, im  Gegensatz  zu  den  Abteien  Westeuropas 
kein  Sitz  lokaler  Geschichtsschreibung  waren. 
Annalen  des  Athos  gibt  es  nicht.  Mehr  gefielen 
den  Serben  die  wortreichen  und  inhaltsarmen 
Reden  zur  Verherrlichung  der  Heiligen,  z.  B. 
über  die  Wunder  des  hl.  Demetrios  von  Thessa- 
lonich, und  die  höfische  Beredsamkeit  der  Kom- 
nenenzeit.  Das  hatte  zur  Folge,  daß  in  Serbien 
an  Stelle  der  Geschichtsschreibung  die  panegy- 
rische Biographie  trat,  abgefaßt  als  Eede.  So- 
wohl König  Stephan  als  Erzbischof  Daniel  reden 
ihre  Hörer  oder  Leser  an  als  Bischöfe,  Priester 
und  Mönche,  als  Väter,  Brüder  und  Kinder, 
als  Christusliebende  und  Geliebte  (Ijubimici, 
äYaTCOTci)-  Diese  Literatur  beginnt  mit  zwei  Bio- 
graphien des  Nemanja,  verfaßt  von  seinen  beiden 
Söhnen,  dem  König  Stephan  dem  Erstgekrönten 
(noch  als  Großzupan,  um  1215)  und  dem  späteren 
Erzbischof  Sava.  Diese  Brüder  waren  aber  unter 
den  Schriftstellern  auch  die  ersten  und  letzten 
Mitglieder  des  Hauses  der  Nemanjiden.  Der  um 
sein  Vaterland  hoch  verdiente  König  Stephan 
selbst  hat  keinen  Biographen  oder  Lobredner  ge- 
funden. Das  Leben  Savas  schildert  in  einer 
ermüdend  wortreichen  Schrift  der  Hieromonach 
von  Chilander  Domentian  (1254),  der  in  phrasen- 
reichen Umrissen  auch  eine  Vita  des  hl.  Symeon 
(Nemanja)  verfaßt  hat  (1264).  Lebhaft  und 
klar  stilisiert  ist  die  mehr  historische,  aber 
stellenweise  lyrisch  angehauchte  Biographie  des 
Sava  vom  Mönch  Theodosij ;  der  aufmerksame 
Leser  bemerkt  jedoch  bald,  daß  der  Verfasser 
kein  Zeitgenosse  ist.®)  Eozanov  versetzt  die 
Abfassung  dieses  Werkes  in  die  Jahre  1322— 


1)  Vgl.  Byz.  Z.  21  (1913)  568. 

«)  .^agn■,  Die  Menandersentenzen  in  altkirchenslav.  Übersetzung,  S.  Ber.  W.  Akad.  126  (1892).  M.  N.  Speranskij,  Uber- 
setzungssammlunsren  von  Si)rüclien  in  dem  slav.  riiss.  Schrifttum  (Perevodnyje  sborniki  izrecenij  v  slav.  russ.  pismennosti), 
Moskau   1904,   677    und    215   S.,   besonders    über  die  slavisclie   Gnomen-  und  Sprucliliteratur;    vgl.    Kl  riimbacher),    Byz.  Z.  16 

(1907)  330. 

')  Eine  Vergleichung  der  serbo-kroat.  Sprichwörter  mit  den  lat.  u.  griech.  von  Kasumovii.-  in  Kad  189  (1911)  und  191 
(1912),  in  975  Nummern;  vgl.  die  Referate  von  Jsgic,  Arch.  slav.  Phil.  35  (1913)  280—284  und  Paul  Marc,  Byz.  Z.  21  (1913) 
567—568.  R.  Altenkirch,  Die  Beziehungen  zwischen  Slaven  und  Griechen  in  ihren  Sprichwörtern,  Arch.  slav.  Phil.  30  (1908) 
1—47,  321-364. 

*)  Herausgegeben  von  Novakovic,  Starine  16,  41 — 56. 

6)  Älteste  Handschrift  des  Theodosij  von  1336.  Wie  fern  ihm  die  Ereignisse  vor  1250  waren,  sieht  man  an  der  Ver- 
wechslung  des   Kaisers   Theodoros    von    Epirus    mit   Kaiser   Theodoros    Laskaris  I  von  Nikaia;   sie   kommt  übrigens  auch  bei 


Htaät  und  Gesellschaft  im  mittelaltehlichen  Serbien  III. 


67 


1336. M  Das  größte  altserbische  Werk  dieser  Art 
sind  die  Biographien  der  Könige  (bis  1335)  und 
der  Erzbischöfe,  später  Patriarchen  (bis  1376), 
bekannt  unter  dem  Namen  Daniels.  Der  Erz- 
bischof Daniel  IL  (f  1338)  ist  aber  nur  der 
Verfasser  des  älteren  Teiles.  Anonyme  Schüler 
und  Fortsetzer  haben  das  Werk  fortgeführt, 
wobei  sie  aber  bei  den  Königen  nach  den  ersten 
drei  Jahren  Dnsans  aufhörten  und  die  kirch- 
lichen Würdenträger  nach  Daniel  IL  nur  kurz 
behandelten.  Stephan  Dusans  Zeit  ist  uns  des- 
halb aus  einheimischen  Darstellungen  nicht  be- 
kannt. Eussische  Historiker  unserer  Tage,  wie 
Hilferding  und  Golubinskij^),  haben  die  Schmei- 
chelei der  Biographien  der  Schule  Daniels  hart 
getadelt.  Wenn  der  , sündhafte  und  unwürdige 
Diener  Christi,  der  demütige  Daniel'  sich  außer 
Stande  fühlt  die  , wunderbaren  und  unsagbaren 
Werke'  Uros  IL  aufzuzählen,  zahlreich  wie  die 
Sterne  des  Himmels  oder  der  Sand  des  Meeres, 
kann  man  die  Phrase  noch  annehmen.  Aber  mit 
Staunen  liest  man  z.  B.  die  Stelle,  wie  , dieser 
fromme  König  Uros  (IL)  seinen  geliebten  Sohn 
Stephan  geblendet  hat'  (semu  bo  blagocbstivomu 
kralju  Ürosu  oslepivsu  syna  svojego  vbzljublje- 
naago  Stefana).^) 

Aus  dem  Ende  des  14.  Jahrhunderts,  als  noch 
die  Kinder  von  Dusans  Halbbruder  Symeon 
lebten,  stammt  der  ,Eodoslov',  eine  kurzgefaßte 
genealogische  Schrift  über  das  Haus  JSTemanjas, 
welche  meist  über  Klostergründungen  berichtet 
und  sich  als  Anhang  an  eine  Darstellung  der 
Weltgeschichte  einführt.  Jünger  sind  die  An- 
nalen,  die  ,Letopisi',  deren  Daten  zwar  1139  be- 
ginnen, aber  vor  1389  äußerst  dürftig  und  un- 
vollständig sind,  abgesehen  von  chronologischen 


Fehlern.*)   Erst  die  Despotenzeit  hat  bessere  Ge- 
schichtswerke hervorgebracht. 

In  der  Kunst  ist,  ebenso  wie  wir  es  schon  bei 
der  Architektur  bemerkt  haben,  ein  doppelter 
Einfluß  zu  bemerken,  aber  in  der  Malerei  über- 
wiegt bald  das  Muster  von  Byzanz.  Die  abend- 
ländischen Elemente  gehören  der  älteren  Zeit  an. 
In  dem  ältesten  serbischen  Kodex,  dem  Evan- 
gelienbuch des  Fürsten  Miroslav  von  Zachlu- 
mien,  des  Bruders  Nemanjas,  geschrieben  am 
Ende  des  12.  Jahrhunderts  im  Küstenlande, 
wird  bei  einer  Miniatur  der  hl.  Johannes  der 
Täufer,  serb.  Joan  Predteca  ('Iwawr;;  ö  lIp:sp:|;.oc'i 
ganz  nach  italienischer  Art  ,Zvan  Batista'  (Gio- 
vanni Battista)  genannt.^)  Occidentalischer  Art 
sind  auch  die  Skulpturen  der  älteren  Kirchen 
(s.  oben  3,  8  f.).  Später  treten  diese  dalmatini- 
schen Einflüsse  zurück.  Nach  Pokryskin  sind 
die  Freskenbilder  der  serbischen  Kirchen  aus 
dem  12.  und  13.  Jahrhundert  rein  byzantinisch, 
während  sich  im  14.  Jahrhundert  ein  Einfluß 
der  italienischen  Frührenaissance  bemerkbar 
macht.  Kondakov  verlegt  in  dem  Werke  über 
die  cliristlichen  Kunstdenkmäler  des  Athos  die 
Entstehung  einer  serbischen  Kunst  in  das 
13.  Jahrhundert,  ihre  Glanzepoche  in  die  Zeiten 
des  Königs  Stephan  Uros  IL  Milutin  und  des 
Garen  Stephan  Dusan.'')  Schriftliche  Zeugnisse 
gibt  es  nur  sehr  wenige,  vor  allem  die  Nachricht, 
daß  Erzbischof  Sava  I.  griechische  Maler  nach 
Serbien  mitgebracht  habe  (s.  oben  3,  ß).  In 
Studenica  und  2ica  ist  der  Einfluß  der  älteren 
byzantinischen  Schule  des  13.  Jahrhunderts  zu 
bemerken ;  in  beiden  Kirchen  schließen  sich 
daran  jüngere  Malereien  des  16.  Jahrhunderts.'') 
Tiefgreifend  war  der  Widerhall  der  Eenaissance 


Gregorovius  vor,  Geschichte  der  Stadt  Rom  im  Mittelalter  5  (Stuttgart  1860)  119  (Kaiser  Peter  von  Courtenay  wurde  Ge- 
fangener ,des  Despoten  Theodor  Laskaris  von  Epirus').  Theodoiij  verlegt  die  Frankenherrscliaft  in  Durazzo  (1259  f.)  schon 
in  die  Zeit  um  12.34,  als  dort  König  Radoslav  von  Serbien  als  Flüchtling  verweilte;  damals  gehörte  aber  die  Stadt  noch  den 
Griechen  von  Epirus. 

')  S.  P.  Kozanov,  Istocuiki,  vremja  sostavlenija  i  licnost  sostavitelja  Theodosijevskoj  redakcii  2itia  Savvy  Serbskago 
(Quellen,  Zeit  der  Abfassung  und  Persönlichkeit  des  Verfassers  der  Theodosiauischen  Redaktion  der  Vita  des  Sava  von 
Serbien),  Izvestija  der  Klasse  für  russ.  Sprache  und  Literatur  der  russ.  Akademie   16  (1911),   Heft   1,   136 — 209. 

')  Golubinskij,  Kratkij  ocerk  istorii  pravoslavnych  cerkvej  bolgarskoj,  serbskoj  i  rumynskoj  (Kurze  Übersicht  der  Ge- 
schichte der  orthodo.\en  Kirchen,  der  bulgarischen,  serbischen  und  rumänischen),  Moskau  1871  S.  506  bemerkt  bei  der  Er- 
wähnung der  schrecklichen  Rhetorik  und  der  maßlosen  Lobpreisungen  Daniels,  es  wäre  für  die  Serben  unvorteilhaft,  wenn 
man  den  Cliarakter  eines  ganzen   Volkes  nach  diesem  einen  Buche  beurteilen   würde. 

3)  Daniel  ed.  Danicid  127—128,   163. 

*)  Ljubomir  Stojanovic,  Zur  Entstehung  der  serbischen  Annalistik.  Arch.  slav.  Pliil.  23  (1901)  630— 634;  entstanden  aus 
den  Typika  mit  Notizen  über  die  Todestage  der  Herrscher,  Erzbischüfe  und  Patriarchen,  mit  einigen  Daten  aus  der  poli- 
tischen Geschichte. 

5)  Vgl.  meine  Geschichte  der  Serben  1,  226.     Kondakov,  Arch.  slav.  Phil.  21  (1899)  307. 

'^)  N.  P.  Kondakov,  Pamjatniki  christianskago  iskusstva  na  Athonu,  Petersburg  (Akademie  der  Wissenschafton)  1902.  193. 

')   Dr.  Petkovic  im  Godisnjak  23   (1909)  201. 

9* 


68 


II.  Abhandlung:  Constantin  Jieecek. 


der  griechischen  Ikonographie  des  14.  Jahr- 
hunderts, mit  wachsendem  Naturalismus.  Kon- 
dakov  und  Millet  halten  die  Fresken  von  Nago- 
ricin  (1313)  in  Koinposition,  Art  der  Zeich- 
nung und  Ausführung  in  Farben  vielleicht  für 
die  besten  der  serbischen  Kunst.  Die  aus  der- 
selben Zeit  stammenden  Bilder  von  Gracanica 
sind  weniger  gelungen,  auch  die  der  Kirchen 
der  Landschaft  von  Skopje  meist  schwerfällig; 
die  von  Lesnovo  und  Zaum  am  See  von  Ochrid 
gehören  aber  zu  den  hervorragenden  Leistungen 
griechischer  Meister.^)  Nach  Kondakov  ist  in 
den  serbischen  Fresken  im  Gegensatz  zu  den 
byzantinischen  Mustern  die  Belebung  der  Pose 
merkwürdig,  eine  Art  Nervosität.^)  Kealistisch 
sind  die  serbischen  Porträts  der  Herrscher  und 
Edelleute,  welche  nach  Uiehl  durch  Wahrhaftig- 
keit des  Ausdruckes  an  die  byzantinischen  Bild- 
nisse dieser  Zeit  in  Konstantinopel,  Mistra  und 
Trapezunt  erinnern.*)  Das  Studium  dieser 
Denkmäler  ist  aber  auch  mit  vielen  Schwierig- 
keiten verbunden,  infolge  der  vielen  Erneue- 
rungen der  Fresken  in  der  Türkenzeit.  In  der 
von  König  Uros  IL  1314  erbauten  Kirche  der 
hl.  Joachim  und  Anna  in  Studenica  sehen  die 
schönen  Fresken  nach  Strzygowski  aus  wie  Ko- 
pien der  Mosaiken  des  eben  in  derselben  Zeit 
von  dem  Kanzler  des  Kaisers  Andronikos  IL, 
von  Theodoros  Metochites  restaurierten  Klosters 
Chora  (jetzt  Kachrie-Dschami)  in  Konstanti- 
nopel.'') Dr.  Petkovic  fand  aber  bei  diesen  Fres- 
ken ein  spätes  Datum,  das  Jahr  1609.^)  In 
einem  Psalter  aus  der  Zeit  des  Despoten  Georg 
wollte  Strzygowski  in  den  Miniaturen  Spuren 
der  Nachahmung  syrischer  Vorlagen  finden, 
doch  hat  seine  Ansicht  nicht  überall  Anklang 
gefunden.®) 

Auch  in  Dalmatien  sind  orientalische  und 
occidentalische  Einflüsse  nebeneinander  be- 
merkbar. In  Cattaro  besaß  um  1330  Haus  und 
Weingärten  die  Familie  eines  griechischen  Ma- 
lers, .quondam  Nicole  pictoris  Greci'.^)    In  Ea- 


gusa  gab  es  griechische  ,pictores',  die  von  der 
Gemeinde  einen  Beitrag  zur  Miete  eines  Ge- 
schäftslokales (stacio  pro  arte  sua)  bezogen;  es 
war  1367  ,Hemanuel  Grecus  pictor',  1384  ,ma- 
gister  Georgius  Grecus  pictor'.*)  Dagegen  waren 
die  in  Eagusa  erwähnten  ,Benne  pictor'  1278, 
, Nicolaus  pictor'  1285  und  ,magister  Yvan  pictor' 
1296  wahrscheinlich  Einheimische.  Ein  italie- 
nischer Maler,  Magister  Michael  aus  Bologna 
malte  1318 — 1324  die  Fresken  in  der  Domkirche 
S.  Mariae  Maioris,  zuletzt  in  der  alten  St.  Ste- 
phanskirche (s.  oben  3,  5),  worauf  er  auch  ein 
Antiphonale  der  Marienkirche  mit  Miniaturen 
zierte.  Kleine  Heiligenbilder  malte  1347  Misiole 
aus  Zara.  Diese  Bilder  (s^wv)  auf  Holz,  in  Ser- 
bien i  k  o  n  a,  in  Eagusa  a  u  c  o  n  a  (auch  ,alta- 
riolum  sive  ancona')  genannt,  waren  oft  reich 
verziert  mit  Schnitzwerk,  Silber  und  Gold.  Sie 
bildeten,  Avie  bei  den  Byzantinern,  nicht  nur  den 
Schmuck  der  Kirchen,  sondern  auch  des  Privat- 
hauses, besonders  des  Schlafgemaches.  An  20 
,ycone'  werden  im  Deposit  der  Familie  des 
Königs  Vladislav  aufgezählt;  es  waren  Bilder 
Christi,  der  Mutter  Gottes,  des  Erzengels  Mi- 
chael, Johannes  des  Täufers,  der  Apostel  Peter 
und  Paul,  der  Heiligen  Simeon,  Georg,  Theodor, 
Nikolaus,  meist  mit  Silberschmuck,  Perlen  und 
Steinen.  Zwei  Christusbilder  werden  dabei  als 
alt  (ycona  vetus)  bezeichnet ;  ein  Marienbild  war 
auf  Elfenbein  gemalt  (ycona  de  ossa).^) 

Goldstickereien  für  die  Kirchen  wurden  am 
Hofe  frommer  Fürstinnen  gearbeitet.  Im  De- 
posit des  Königs  Vladislav  gab  es  ein  Seidentueh, 
dessen  Goldstickerei  Christus  mit  den  Jüngern 
darstellte.  Altardecken  aus  Samt,  Kelchdecken, 
Kirchengewänder  usw.,  daneben  ein  vergoldetes 
Eauchfaß  aus  Kupfer,  einen  aus  Kokosnuß  ge- 
schnitzten, versilberten  Kelch  (calix  de  nuce 
Pharaonis)  usw.")  Nach  den  Erzählungen  des 
Daniel  hatte  König  Stephan  Dragutin  in  seinem 
Hause  eine  ganze  Werkstätte  für  Geschenke  an 
Kirchen   und   Klöster,   in  welcher  goldene  und 


')  Diehl,  Manuel  755. 
'-)  Kondakov,  Makedonia  66. 
»)  Diehl  a.  a.  O. 

*)  Strzygowski,  Byz.  Z.  16  (1907)  731,  738. 
'^)  Godisnjlca  2-1  (1910)  289. 

»)  Strzygowski    über   den  Münchener   Psalter,    Denkschr.  W.  Akad.  52    (1906).     Dagegen   Diehl,   Manuel   795.     Anders 
Bertaux,  Journal  des  SavanU  1911;  vgl.  Byz.  Z.  21   (1913)   661—662, 
')  Not.  Cat.  1326—1334  p.  120. 

")  Mon.  Rag.  4,  96.     Cons.  malus  28.  MUrz  1381  Arch.  Rag. 
»)  Urk.  1281  Rad   1,   136—138  =  Sniiciklas,  Codex  dipl.  6,  390  —  391. 
'")   Urk.  1281   a.  a.  O.     Ein  Kelch  aus  Kokosnuß  jetzt  im   Kloster  Beäenovo  in  Süduugarn:   Starinar  ."!   (1886)  94. 


Staat  und  Gesellschaft  im  mittelalterlichen  Serbien  III. 


69 


silberne,  mit  Perlen  und  Edelsteinen  ge- 
schmückte Kircliengefäße  gemacht  wurden, 
Kelche,  Weihrauchfässer,  Leuchter,  ebenso  aus- 
gesuchte Kirchengewänder. ^)  Zum  Zeremoniell 
des  byzantinischen,  serbischen  und  russischen 
Hofes  gehörte  zum  Schluß  der  Tafel  der  Genuß 
geweihten  Brodes,  ganz  nach  Vorbild  der 
Klöster,  aus  eigenen  dachen  Kirchenbechern, 
die  man  altserbisch  panagiar  {-xt-jL^iipic-i) 
nannte.  Als  Daniel,  damals  Igumen  von  Chi- 
landar,  zu  Stephan  Dragutin  kam,  nahm  der 
König  ,von  seiner  Tafel  (trapeza)  goldene 
Panagiare,  geschmückt  mit  Perlen  und  edlen 
Steinen'  und  schenkte  sie  ihm  zum  Andenken.^) 
Wohl  zur  Herstellung  kirchlicher  und  welt- 
licher Gefäße  hat  der  Edelmann  Tripe  de 
Buchia  aus  Cattaro  den  Goldschmied  Petrus 
aus  Venedig  1313  in  Ragusa  auf  ein  Jahr  in 
die  Dienste  des  Königs  Uros  IL  aufgenommen, 
mit  der  Verpflichtung  ,laborare  fideliter  de 
arte  sua  dicto  domino  regi',  gegen  Versprechen 
eines  Lohnes  von  8  ,libre  venetorum  grossorum' 
jährlich  und  einer  geziemenden  Kost  (bibere  et 
comedere  convenieuter),  doch  der  Vertrag 
wurde  wieder  aufgelöst  und  im  Buche  gestri- 
chen.^) Erhaltene  Stücke  mit  Inschriften  aus 
der  Neman jidenzeit  gibt  es  sehr  wenige.  Ein 
jetzt  verschollenes  Kästchen  für  das  Holz  des 
heiligen  Kreuzes  mit  Bild  und  Widmung  des 
Königs  Vladislav  gab  es  noch  im  18.  Jahr- 
hundert im  Kloster  des  hl.  Paul  auf  dem  Athos. 
Ein  Kreuz  mit  Widmung  des  Königs  Stephan 
Uros  IL  an  die  bischöfliche  Kirche  von  Ras 
wird  jetzt  im  Dominikanerkloster  von  Ragusa 
verwahrt.  Ein  kostbares  Kreuz,  Geschenk  der 
Königin  Helena  für  das  Kloster  Sopocani,  war 
noch  im  18.  Jahrhundert  vorhanden.  Das 
Kloster  Decani  besitzt  ein  Kreuz  mit  der  In- 
schrift des  Stifters,  des  Königs  ITros  III. "") 

Intensiv  war  der  soziale  Einfluß  des 
Christentums.  Vom  alten  Heidentum  hat  sich, 
besonders  in  abgelegenen  Landschaften,  als 
Rest    nur    verschiedener    Aberglaube    erhalten. 


Die  heidnischen  Götter  sind  der  Vergessenheit 
anheimgefallen;  behauptet  haben  sich  die  kleine- 
ren Geister  bis  auf  den  heutigen  Tag,  vor  allem 
die  Vilen  (Elfen),  die  Vorstellungen  über  den 
Werwolf  (vukodlak)  und  die  Vampyre  usw.^) 
Daniel  erzählt,  wie  König  Stephan  Dragutin 
die  Leute  in  der  Macva,  welche  in  ,Dunkelheit 
und  Finsternis'  lebten,  durch  Belehrung  zum 
Licht  des  Heiles  gebracht  hat.")  Die  Bemühun- 
gen der  Herrscher  haben  auch  von  griechischer 
Seite  volles  Lob  gefunden.  Der  Erzbischof  De- 
metrios  Chomatianos  von  Ochrid  schreibt  an 
den  Patriarchen  Germanos  in  Nikaia,  Serbien 
sei  ,geziert  durch  Frömmigkeit,  durch  evangeli- 
schen Lebenswandel  und  die  Würde  guter  Sitte 
von  jeder  Art',  und  lobt  in  einem  Briefe  den 
König  Stephan  Radoslav,  er  habe  frommen 
Sinn  und  Liebe  zu  Gott  von  seinen  Vorfahren 
geerbt.')  Wie  stark  das  Interesse  für  theolo- 
gische Fragen  am  serbischen  Hofe  war,  sieht 
man  eben  an  dieser  Korrespondenz  zwischen 
König  Radoslav  und  Erzbischof  Demetrios, 
ebenso  noch  im  15.  Jahrhundert  an  der  zwischen 
Despot  Georg  und  dem  Konstantinopler  Patri- 
archen Gennadios  Sehnjarios.*)  Fromm  waren, 
auch  die  lateinischen  Städter  des  Küstenge- 
bietes. Philippus  de  Diversis  rühmt  den  fleißi- 
gen Kirchgang  und  die  Freigebigkeit  der  Ra- 
gusaner  und  der  Ragusanerinnen.")  Bei  aller 
Frömmigkeit  blieben  aber  die  Serben  ferne  von 
mystischer  Grübelei,  wie  sie  im  mittelalterli- 
chen Bulgarien  und  im  modernen  Rußland  vor- 
kam. Nur  in  den  Küstenstädten  machte  sich 
der  Einfluß  der  italienischen  Flagellanten  be- 
merkbar; in  Cattaro,  Ragusa  und  Stagno  wer- 
den im  14.  und  15.  Jahrhundert  Büßergesell- 
schaften der  Geißelbrüder  erwähnt  (fratilia 
verberatorum,  fuschatorum,  ital.  schola  di 
fustadori,  slav.  fruskaturi).^") 

Ihre  Frömmigkeit  betätigten  die  Fürsten 
durch  die  Sitten  des  täglichen  Lebens.  Unter 
den  Schätzen  des  Königs  Vladislav  gab  es  Säck- 
chen mit  Reliquien  zum  Tragen  am  LIalse.  Auf 


1)  Daniel  36  f.,  39,  44. 

')  Über  Panagiare  zuerst  Kondakov  in  dem  Buche  über  deu   Athos  222  f.   mit  Bildern.    Daniel  45. 
')  Div.  Canc.  1313,  7.  Juni,  im  Ärch.  Rag. 
*)  Stojanovic,  Zapisi  Nr.  4930,  Nr.  39,  45,  61.  Mon.  seib.  70. 

*)  Vgl.  meine  Geschichte  der  Serben   1,   160 — 171   im  Kapitel   über  Heidentum   und  Christentum. 
«)  Daniel  2b. 

')  Demetrios  Chomatianos  ed.  Pitra  col.  495  (Nr.  114)  und   685. 

')  E.  V.  Dobschütz,    Ein  Schreiben   des  Patriarchen  Gennadios  Scholarios   an   den  Fürsten  Georg   von  Serbien,   Areli 
slav.  Phil.  27  (1905)  246—267. 

')   Philippus  de  Diversis  ed.  Brunelli  p.  92. 

'")  Fruskaturi  in  Stagno,  Arch.  slav.  Phil.  21  (1899)  521. 


70 


II.  Abhaxdluxg:  CoNSTA^•TI^^  Jieecek. 


Eeisen  ging  man  nach  der  Ankunft  zuerst  in 
die  Kirche  des  Ortes.  Die  Königin  Simonida 
verbeugte  sieh  in  Belgrad  in  der  Metropolitan- 
kirche  vor  dem  wundertätigen  Bilde  der  :\lutter 
Gottes  und  begab  sich  dann  erst  zu  ihrem 
Schwager  und  ihrer  Schwägerin,  dem  König 
Stephan  Dragutin  und  der  Königin  Katharina. 
König  Stephan  Uros  II.  Milutin  empfing  vor 
dem  Ausmarsch  gegen  die  Griechen  (1282)  den 
Segen  des  Bischofs  und  der  Geistlichkeit.  Er 
betete  in  den  Stunden  der  Gefahr  von  Seite  der 
Byzantiner  und  Tataren  inbrünstig  zu  seinen 
,heiligcn  Herren',  seinen  Vorfahren,  den  Heili- 
gen S.ymeon  (Nemanja)  und  Sava.')  Von  den 
guten  Werken  standen  in  erster  Eeihe  Kirchen- 
bauten und  Schenkungen  an  Klöster,  in  Gold 
und  Silber,  in  Schafen,  Ochsen  und  Pferden, 
in  Kirchengewändern  und  fruchtbaren  Grund- 
stücken. Ergreifend  ist  die  Schilderung  Da- 
niels, wie  die  Königinwitwe  Helena  die 
Klosterkirche  von  Gradao  baute.  Während 
des  Baues  hatte  sie  Tag  und  Nacht  keine  Euhe, 
versorgte  die  Handwerker  und  Arbeiter  mit 
reichlichem  Lohn  und  Nahrung  und  verfolgte 
mit  freudigem  Herzen  das  Emporwachsen  der 
Mauern.  Wie  ein  Ki-iegsmann,  der  einen  Sieg 
erfochten  hat,  pries  sie  den  Allmächtigen,  als 
sie  die  feierliche  Kirehenweihe  erlebte.")  Dem 
Beispiele  der  Landesherren  folgten  die  Adeli- 
gen. Als  Daniel  IL  Erzbischof  war,  brachten 
sie  silberne  und  goldene  Gefäße  und  andere 
Eeichtümer,  ohne  zu  sparen,  in  die  Kirche  von 
2ica,  um  Befreiung  von  den  Sünden  zu  er- 
langen.^) 

Eine  Pflicht  der  Fürsten  und  der  Geistlich- 
keit war  die  Armenpflege.  Nemanja  wird  von 
den  Biographen  gefeiert  als  Beschützer  der 
Armen,  der  Blinden,  Lahmen,  Stummen  und 
Waisen;  er  kaufte  Schuldner  los  und  ließ  Skla- 
ven frei.  Sava  lehrte  in  seinen  Predigten  die 
Hungrigen  zu  speisen,  Obdachlose  in  das  Haus 
aufzunehmen,  Nackte  zu  kleiden,  Witwen  und 
Waisen  zu  schützen,  Sklaven  loszukaufen  und 
freizulassen.*)  Die  Königin  Helena  sammelte 
bei   sich   in   ihrem  Hause  stets  Töchter   armer 


Leute,  die  sie  erzog  und  als  sie  herangewachsen 
waren,  reich  beschenkt  vermählte.  Eigenhändig 
beteilte  sie  die  Armen  mit  Speise  und  Kleidern. 
Am  Hofe  des  Königs  Stephan  Dragutin  sam- 
melten sich  Arme,  Blinde  und  Lahme  nicht  nur 
aus  Serbien,  sondern  auch  aus  fernen  Ländern. 
Ebenso  sah  man  in  der  Eesidenz  des  Königs 
Stephan  TJros  IL  Milutin  armes  Volk  aus  Ser- 
bien, aus  .überseeischen  Ländern',  von  den 
.Inseln  des  Meeres'  und  selbst  aus  Jerusalem. 
Unbeschenkt  ging  niemand  weg.  Bei  Nacht 
legte  der  König  oft  seine  schönen  Gewänder  ab 
und  ging  in  einem  schlechten,  alten  Kleid,  mit 
verhülltem  Antlitz,  nur  von  zwei  oder  drei  Ge- 
treuen begleitet,  ans  seinem  Hof  hinaus  zu  den 
Lagerstätten  der  schlafenden  Armen,  um  sie 
mit  Geld,  Nahrungsmitteln  und  Kleidern  zu 
beschenken.®)  Verpflichtet  waren  zur  Beteilung 
der  Armen  die  Klöster,  an  deren  Pforten  sich 
stets  viele  Hilfsbedürftige  sammelten.  In  Stu- 
denica  z.  B.  erhielten  sie  vom  Igumen  Brod, 
Wein,  Gemüse,  sowie  abgetragene  Kleider  und 
Schuhe  der  Mönche.  Es  gab  für  sie  beim 
Kloster  ein  Gastgebäude  (gostinnica)  und  eine 
eigene  Grabstätte    (grobnica).*^) 

Schwere  Kasteiungen  legte  sich  König  Ste- 
phan Dragutin  auf.  Nachts  schlief  er  in  einem 
mit  Dornen  und  spitzigen  Steinen  gefüllten 
Grabe.  Erst  nach  seinem  Tode  fand  man,  daß 
er  insgeheim  am  bloßen  Leibe  ein  härenes  Buß- 
gewand getragen  hat.^)  Pilgerfahrten  ins 
Heilige  Land  werden  in  den  Biographien  der 
Erzbischöfe  oft  erwähnt.  Erhalten  ist  eine  la- 
teinische Urkunde,  auf  der  Eeise  zum  Grabe 
des  Herrn  ausgestellt  in  Akkon  1286  von  einem 
Enkel  des  Nemanja,  dem  Mönch  David,  früher 
genannt  Zupan  Demetrius,  einem  Sohn  des 
Königs  Vlkan.*)  Ein  näheres  Ziel  hatten  Wall- 
fahrten auf  den  Athos,  dessen  Abteien  auch  Gar 
Stephan  Dusan  mit  der  Carica  Helena  besucht 
hat,  oder  in  die  verschiedenen  Klöster  der 
Heimat.  In  Eagusa  wurden  Wallfahrten  im 
14.  Jahrhundert  oft  in  den  Testamenten  ange- 
ordnet, ausgeführt  ,pro  anima'  des  Erblassers 
meist    von     Geistlichen     aus     Albanien:     nach 


')  Daniel  97,  108,  111,  121. 

«)  Derselbe  75—79. 

')  Derselbe  3G7. 

*)  Theodosij   bei   Pavlovic   133. 

»)  Daniel  42,  69,  131,  139—140. 

°)  Typikon  von  Studenica  cap.  38,  Glasnik  40,  176. 

')  Daniel  .S2— 33,  39,  51. 

")  Spomenik   11,  21. 


Staat  und  Gesellschaft  iji  mittelalterlichen  Serbien  III. 


71 


S.  Maria  von  Eatac  bei  Antivari,  zum  hl.  Ni- 
kolaus von  Bari  iu  Apulien,  zur  Erzengelkirche 
auf  dem  Monte  Gargano  (S.  Angelus  de  Apulia, 
S.  Michael  de  Monte),  nach  Assisi,  nach  Eom, 
Jerusalem  oder  zum  hl.  Jakob  von  Galicia 
(Compostella)   nach  Spanien.^) 

Mächtig  war  der  Wunderglaube.  Auf  ihm 
beruht  die  Verehrung  einheimischer  Fürsten 
und  Erzbischöfe,  die  nach  ihrem  Tode  als  Hei- 
lige betrachtet  vrurden,  seitdem  der  Grabstein 
Nemanjas  heilkräftige  Myrrha  von  sich  gab, 
wie  der  Sarg  des  Myrrhenspenders  von  Thessa- 
lonich (t;.'jpoßXutYit;,  mirotocBc),  des  hl.  Demetrios. 
Diese  Stimmung  der  Geister  sah  man  bei  der 
Thronbesteigung  des  Stephan  Uros  III.  Die 
Nachricht,  dieser  geblendete  Prinz  habe  plötz- 
lich das  Augenlicht  wiedererlangt,  verschaffte 
ihm  sofort  einen  weiten  Vorsprung  vor  allen 
übrigen  Thronprätendenten.")  Daniels  Bio- 
graphien erzählen  neben  den  zahlreichen  Bei- 
spielen der  Pleilkraft  der  hl.  Gräber  auch  ganz 
wunderbare  Geschichten  aus  den  Klöstern  des 
Landes.  Den  Erzbischof  Arsenije  I.  (f  1263), 
der  in  den  letzten  drei  Jahren  seines  Lebens  im 
Kloster  von  Pec  gelähmt  im  Bette  lag  und  von 
seinen  Leuten  auf  den  Händen  in  die  Kirche 
getragen  wurde,  besuchten  in  seiner  Zelle  kurz 
vor  der  Todesstunde  drei  rätselhafte  Jünglinge. 
Nach  einem  frommen  Gespräch  empfahlen  sie 
sich  geziemend  und  verschwanden.  ]\Ian  konnte 
sie  nicht  mehr  finden.  Arsenije  erkannte,  daß 
es  drei  Engel  Gottes  (angeli  boziji)  waren. 
Einige  Jahre  später  wurde  in  Pec  in  einer 
stillen,  sternenklaren  Nacht  um  Mitternacht 
aus  der  Kirche  ein  Donnerschlag  (grom  velik) 
gehört,  als  ob  das  Gebäude  bis  in  die  Grund- 
festen eingestürzt  wäre.  Der  Klerus  zog  mit  bren- 
nenden Kerzen  in  die  Kirche  und  fand  den  Stein- 
sarg des  Arsenije  zersprungen,  wobei  aus  dem 
Inneren  ein  angenehmer  Geruch  ausströmte.  Da- 
mit begann  die  Heiligenverehrung  dieses  Schü- 
lers des  hl.  Sava.  Auch  am  Marmorsarg  des  Erz- 
bischofs Jevstatije  I  (f  1286)  im  Kloster  Zica 
sah  man  bei  Nacht  flackernde  Lichter  oder 
hörte  Stimmen,  wie  von  tausend  Leuten,  bis 
endlich,  wie  der  Biograjih  behauptet,  auf  dem 
trockenen  und  kalten  Stein  drei  Blumen  a)if- 
blühten.^) 


Der  Mönch  Grigorije  Camblak  beschreibt 
zahlreiche  Wunder  am  Grabe  des  Stephan 
Uros  III.  im  Kloster  von  Decani.  In  den  stür- 
mischen Zeiten  nach  dem  Tode  des  Garen  Ste- 
phan habe  der  Stifter  sein  Kloster  mit  strenger 
Hand  beschirmt.  Ein  Celnik  der  Witwe  Du- 
sans,  der  Carica  Helena,  namens  Ivoje,  be- 
raubte das  Kloster  wie  ein  echter  Wolf  im 
Schafspelz.  Als  er  eines  Tages  gerade  während 
des  Mittagsgebetes  der  Brüder  stolz  zu  Pferde 
mit  vielen  Begleitern,  die  vor  ihm  und  nach 
ihm  sich  scharten,  dem  Tore  des  Klosters  nahte, 
soll  er  plötzlich  zusammengesunken  sein,  von 
dem  unsichtbaren  , Krieger  Christi'  tief  in 
die  Brust  getroffen.  Später  haben  die  Für- 
sten einen  Kriegsmann  Junac  zum  Schutze  des 
Klosters  entsendet,  doch  auch  dieser  bedrängte 
die  Mönche  mit  Willkür  und  Bosheit.  Den  Igu- 
nieii,  den  er  wie  einen  Gefangenen  bei  schmaler 
Kost  hielt,  drohte  er  mit  seinem  eisernen 
Streitkolben  (zelezna  palica)  eigenhändig  zu 
erschlagen.  Bald  erschien  ihm  auf  einem  Feld- 
zuge während  der  Belagerung  einer  Burg  im 
Traume  Uros  III.  in  königlichem  Gewände 
und  mit  langem,  ergrautem  Bart.  Junac  er- 
wachte aus  dem  Schlafe,  wie  ein  wildes  Tier 
brüllend,  und  war  seitdem  ein  verlorener  Mann ; 
krank  ließ  er  sich  ins  Kloster  tragen,  wo  er 
in  sieben  Wochen  bei  lebendigem  Leibe  unter 
furchtbarem  Gestank  verfaulte.*) 

Bittere  Schicksalsschläge  ertrugen  die  from- 
men, stets  auf  Wunder  gefaßten  Leute  mit  Ge- 
duld. Es  gab  auch  Könige,  die  sich  ins  Aus- 
land flüchten  mußten,  wie  Stephan  Eadoslav 
oder  Dragutins  Sohn  Vladislav  IL  Gefangene 
hielt  man  in  Serbien,  ebenso  wie  in  Bosnien 
und  Ragusa,  in  finsteren  Gewölben,  belastet 
mit  schweren  eisernen  Fußketten.  Bei  den  By- 
zantinern war  es  nicht  anders.  Im  Kriege  zwi- 
schen Andronikos  II  und  III.  wurde  der  Des- 
pot Konstantin,  der  zweite  Sohn  Andronikos  IL, 
von  den  Leuten  des  jüngeren  Kaisers  in  Dimo- 
tika  in  einer  Zisterne  eingekerkert.  Mitunter 
wurden  außerordentliche  Vorsichtsmaßregeln 
ergriffen.  Für  den  in  Ketten  geschlossenen 
serbischen  Edelmann  Brajko  Branivojevic 
stellten  die  Ragusaner  1326  iu  einem  Stadt- 
turm  einen   eigens   für    ihn    verfertigten    Holz- 


')  Eine  Ausnahme   ist    in  dem  Testament  des  i-agusanischen   Kaufmannes  Maroe  de  Sisa   1.SG3  eine  Pilgerfahrt  zur  hl. 
Petka  (Paraskeva)  im  Trnov  in  Bulgarien,  ,a  Sca  Venera  in  Tornova';  vgl.  meine  Rom.  Dalm.  2,  12. 
-)  Vgl.  meine  Geschichte  der  Serben  1,  355. 
")  Daniel  261,  263,  315,  317. 
♦)  Camblak,  Glasnik  11  (1859)  82,  87—92. 


72 


II.  Abhandlung:  Constäntin  Jirecek. 


käfig  auf  (cabia  de  lignamme).i)  Erlaubt  war 
den  Gefangenen  überall  die  Beschäftigung  mit 
Büchern.  In  der  Gefangenschaft  der  Araber 
schrieb  der  byzantinische  Admiral  Niketas 
nach  einer  mißlungenen  Expedition  nach  Sizi- 
lien 967  eine  heute  in  der  Pariser  National- 
bibliothek befindliehe  schöne  Pergamenthand- 
schrift mit  Homilien  der  Kirchenväter.^)  In 
einer  serbischen  Handschrift,  welche  gleich- 
falls Reden  der  Kirchenväter  enthält,  liest  man 
den  Stoßseufzer  eines  Rajcin  Sudic  und  eines 
Kijevac  (um  1360).  Der  Kesar  (wahrschein- 
lich Vojihna)  hält  sie  (wohl  in  Serrai)  wegen 
Hochverrat  schon  fünf  Monate  in  einem  Turm, 
in  Enge  und  Gestank,  wie  in  einem  tiefen  Grab. 
Sie  fühlen  sich  unschuldig  und  wenden  sich 
hoffnungsvoll  zu  Gott,  dem  Schöpfer  des  Him- 
mels, der  Erde  und  des  Meeres,  und  zur  Mutter 
Gottes  des  nahen  Klosters  Kosenica.  Eine 
Inschrift  in  der  Burg  Blagaj  bei  Mostar  im 
Narentatale  schrieb  ,ein  Gefangener,  der  sich 
nicht  freut'  (suzanj,  koji  se  ne  raduje).^)  Auch 
in  Eagusa  war  es  gestattet,  im  Gefängnis 
Heiligenlegenden  zu  lesen.  Bei  der  Gemütsart 
dpr  Leute  war  ein  Selbstmord  eine  Seltenheit; 
in  den  langen  Eeihen  der  Amtsbücher  von  Ra- 
gusa fand  ich  einen  einzigen  Fall  verzeichnet.'*) 
Die  altserbischen  Medizinbücher  sind  meist 
Übersetzungen  griechischer  Schriften.^)  Hippo- 
krates  und  Galenus  werden  darin  ausdrücklich 
erwähnt.  Die  heutige  Volksmedizin  der  Süd- 
slaven hat  traditionell  manches  aus  dieser  ärzt- 
lichen Literatur  des  Mittelalters  bewahrt.  Die 
Bücher  geben  Vorschriften  zur  Behandlung 
von  Fieber,  Zahnschmerzen,  Ohrensausen  und 
Schwerhörigkeit,  Nasenbluten,  Sonnenstich, 
Schlaflosigkeit,  Husten  und  Halsschmerzen, 
Hautausschlägen,  Gelbsucht,  Darmkatarrh,  be- 
sonders nach  dem  Durchschwimmen  eines 
Flusses,  Gicht,  Herzübel,  Steinkrankheit  u.  dgl. 
Dazu  kommen  Schwerthiebe,  Knochenbrüche, 
Brandwunden,  Hunde-  und  Schlangenbiß.    Der 


größte  Teil  der  Heilmittel  ist  vegetabilisch: 
Quitten,  Feigen,  Datteln,  Zwiebel,  Kürbis, 
Pfeffer,  Mandeln,  verschiedene  Wurzeln,  Sa- 
men imd  Rinden,  Aloe,  Eosenwasser  (rodosta- 
ma),  Pech,  Öl,  Moos  usw.  Wunden  von  Schwert- 
hieben wurden  z.  B.  mit  Pech  und  Öl  behan- 
delt. Gegen  Husten  dienten  Quitten,  in  Kuh- 
butter gebraten,  oder  weißer  mit  Honig  gedün- 
steter Zwiebel,  oder  Feigen,  in  gutem  Wein 
aufgelöst,  nebst  Einreibungen  der  Brust  mit 
Schafbutter.  Wein,  besonders  alter  Wein,  Essig 
und  Honig  werden  oft  erwähnt.  Animalische 
Heilmittel  waren:  Eier,  Schafmilch  und  Esels- 
milch, Gans-  und  Hirschfett,  Hirschhorn,  Esels- 
huf, Gehirn  von  Hirsch  oder  Fuchs,  Ziegenun- 
schlitt  und  Ziegenlunge,  Igelhaut,  Schnecken 
und  Krebse,  Schweinekot  (svinje  lajno,  gegen 
Hundebiß)  und  Schwalbenmist.  Minerale,  wie 
Schwefel  und  Salz,  hat  man  seltener  verwendet. 
Sehr  gebräuchlich  waren  Aderlässe  und  Bäder. 
Diese  Eezeptsammlungen  enthalten  auch  kos- 
metische Mittel.  Nächtliche  Umschläge  mit 
Bohnenmehl  machen  das  Antlitz  jung,  ein  Pul- 
ver aus  Hirschhorn  erhält  die  Zähne  weiß,  wäh- 
rend Einreibungen  mit  gebranntem  Eselshuf 
das  Haar  wachsen  lassen.  Gegen  die  Folgen  des 
Weingenusses  soll  man  Essig  trinken,  gegen  den 
Kopfschmerz  nach  dem  Wein  sich  Umschläge  von 
Epheublättern  oder  von  Kraut  auf  die  Stirne 
legen.  Zwei  Rezepte  betreffen  Fußschmerzen, 
verursacht  von  engen  Schuhen.*^)  Impotenz  und 
Unfruchtbarkeit  sind  natürlich  nicht  verges- 
sen.'') Ein  Besen,  getaucht  in  das  Blut  eines 
schwarzen  Ziegenbocks,  vertreibt  die  Flöhe,  Nuß- 
blüten und  wilde  Gurken  die  Wanzen  (stenica). 
Neben  Medizinen  wurden  auch  viel  Zaubermittel 
verwendet.  Ein  Teil  davon  sind  Gebete  oder 
Sprüche,  gegen  Schlangenbiß,  Nasenbluten, 
Zahnschmerzen,  Rheuma,  Fieber,  Geschwüre, 
sowie  gegen  alle  Feinde  der  Kulturen,  Raupen, 
Heuschrecken,  Würmer,  Schnecken  usw.  Ein 
anderer  Teil   sind  Zauberschriften    (zapis),  oft 


»)  Mon.  Rag.  5,  205,  209. 

')  Anm.  des  Hase  zu  Leon  Diakonos  IV  cap.  8.    Schlumberger,  Nicdphore  Phocas  (Paris  1890)  462. 

')  Stojanovic,  Zapisi  Nr.  118,  4664. 

*)  Im  Dezember  1414  fand  der  Küster  eines  Abends  in  der  Vorhalle  der  St.  Martinskirche  von  Zonchetto  zu  seinem 
Schrecken  eine  .mulier  ancilla,  suepensa  ad  trabem',  bekleidet  mit  einem  weißen  Pelz,  .gugnum  album  et  super  gugnum 
habebat  vestem  antiquam  ad  modum  Sclaborura.'  Zeugen  bestätigten,  daß  sie  sich  nach  dieser  Kirche  erkundigt  hatte  und 
vor  ihr  gesessen  sei.  Aufzeichnung  vom  (3.  Dezember  1414  auf  einem  Blatt,  eingelegt  in  Liber  maleficiorum  1-112—1415 
Arch.  Rag. 

*)  Texte  bei  Novakovid,  Primeri,  3.  A.,  590—605  und  Jagii,  Starine  10,  81  —  115. 

«)  Starine  10,  107  Nr.  46. 

')  Ein  Gürtel  aus  dem  Bast  der  Pappel,  mit  einem  Gebet  beschrieben  und  am  bloßem  Leibe  getragen,  verleiht  Kraft 
dem  Manne.     Eb.  10,  110  Nr.  72. 


Staat  und  Gesellschaft  im  mittelalterlichen  Sekbien  III. 


73 


ganz  unverständliche,  meist  griechische  Worte, 
auf  ein  Blatt  Papier  geschrieben,  gegen  Nasen- 
bluten, Tollwut  (bes),  Schlangenbiß,  oder  auf 
eine  Brotrinde  gezeichnet  gegen  Zahnschmerzen 
und  zur  Auffindung  der  Diebe,  oder  geschrieben 
auf  einem  Apfel,  den  man  aufißt,  gegen  Fieber. 
Eine  Bleitafel  mit  einer  griechischen  und  slavi- 
schen  Beschwörungsformel  ^vnrde  in  unseren 
Jahren  in  der  Umgebung  von  Mostar  gefun- 
den.^) In  einem  der  Bücher  liest  man  ein  ,Gebet, 
wenn  man  zu  Gericht  geht' ;  Gott  möge  vor  allem 
den  Gegnern  die  Zunge  absperren  und  sie  sprach- 
los machen.  Ein  geschriebener  Zauberspruch 
wendet  sich  an  die  Erzengel  Michael  und  Ea- 
phael  und  den  Patriarchen  Isaak  um  Hilfe,  um 
den  flüchtigen  Sklaven  (rab)  rasch  zurückzu- 
bringen. Zu  animalischen  Zaubermitteln  gehört 
Kopf,  Blut  und  Herz  der  Fledermaus  (lilbk). 
Wer  das  Herz  eines  Raben  bei  sich  trägt,  ge- 
winnt beim  Würfelspiel.^) 

Von  Ärzten  (vrac)  ist  in  einheimischen  Quel- 
len, wie  bei  Daniel  und  Camblak,  oft  die  Eede, 
aber  auch  davon,  wie  die  Leute  ihr  Vermögen 
ihnen  vergeblich  geopfert  haben  und  endlich 
Heilung  anderswo  fanden,  bei  den  heiligen 
Gräbern  von  Zica  und  Decani.^)  Namen  altser- 
bischer Heilkünstler  sind  aus  den  Ämtsbüchern 
von  Eagusa  bekannt,  z.  B.  ein  ,Pervosclavus 
(Prvoslav)  medicus'  1298  und  ein  , Menge  Änti- 
baranus  medicus'  1330.'')  ,Milcinus  de  Presarin 
(Prizren),  homo  domini  imperatoris',  schloß  in 
Eagusa  im  November  1349  einen  Vertrag  wegen 
der  Heilung  eines  Sohnes  des  Schuhmachers 
Medoje  von  einem  Steinleiden  (morbus  lapidis, 
qui  dicitur  malum  de  petra),  um  ein  Honorar 
von  20  Perper.^)  Ein  Spezialist  für  Bruchleiden 
(serb.  kiloreza,  wörtlich  Bruchschneider)  war 
Obercho,  der  1382  in  der  Kanzlei  von  Eagusa 
einen  Vertrag  mit  dem  Wlachen  Stojislav  Po- 


povic  abschloß,  mit  einem  Honorar  von  60  Per- 
per.  Stojislav  gibt  sich  ,wie  tot'  (posuit  se  pro 
mortuo)  in  die  Hände  des  Obercho;  wenn  er  bei 
der  Behandlung  stirbt,  darf  keiner  seiner  Ver- 
wandten dem  Operateur  deshalb  etwas  böses  tun. 
Doch  ist  am  Eande  bemerkt,  daß  beide  Parteien 
vom  Vertrage  zurückgetreten  seien. ^)  Einen 
Magister  Novak  aus  der  Landschaft  Lustica  bei 
Cattaro  nahmen  die  Eagusaner  1425  als  ,medicus 
et  barberius'  in  den  Gemeindedienst  auf;  ebenso 
beschloß  man  1446  den  Magister  Georgius  Äl- 
banensis  ,pro  physico  et  cyrogico'  (Arzt  und 
Chirurg)  der  Stadt  anzustellen. 

Die  besoldeten  Stadtärzte  von  Ragusa  waren 
seit  dem  13.  Jahrhundert  meist  Italiener  von  den 
altberühmten  Universitäten  von  Salerno  und 
Bologna,  aus  Padua,  Eavenna  usw.,  seltener 
Juden  aus  Italien  oder  Griechen.  Sehr  oft  ge- 
schah es,  daß  man  sie  aus  Gefälligkeit  zu  den 
Nachbarfürsten  beurlaubte.  So  wurde  1326  Ma- 
gister Egidius  infolge  der  Bitten  des  Königs 
Stephan  Uros  III.  auf  zwei  Monate  zu  ihm  ent- 
sendet, ebenso  wieder  1327.'')  Bald  finden  wir 
italienische  Ärzte  in  den  Diensten  der  einheimi- 
schen Fürsten  selbst.  Ein  berühmter  medizini- 
scher Schriftsteller,  Gulielmus  de  Varignana, 
ein  Sohn  des  Professors  der  Medizin  Bartholo- 
maeus  de  Varignana  in  Bologna,  war  Leibarzt 
des  Bau  Mladen  Subic  von  Kroatien  und  Bos- 
nien. Von  seinen  in  Basel  im  16.  Jahrhundert 
gedruckten  Werken  sind  die  ,Secreta  sublimia 
medicinae'  1319  über  Auftrag  des  Ban  Mladen 
verfaßt  und  ihm  gewidmet,  worauf  Varignana 
1320  als  Gesandter  jNIladens  nach  Venedig 
kam.*)  In  den  Diensten  des  Stephan  Dusan 
stand  1333  der  ,magister  Antonius,  physichus 
salariatus  ipsius  domini  regis',  ein  Freund  des 
deutschen  Eitters  Palmanus,  des  Befehlshabers 
der    Söldner   des   Königs.")     Im    Oktober    1408 


')  Beschrieben  von  Resetar,  Arch.  slav.  Phil.  27   (1905)  258—264. 

')  Starine   10,  p.  93,  94,  105,  114.      Gebete  bei  Jacimirskij,  Izvüstija  d.  Abt.  f.  russ.  Spr.  18  (1913),  4,   Ifi  f. 

')  Daniel  315.     Camblak,  Glasnik  11  (1859)  82. 

')  Pervi(;a,  uxor  quondam  Pervoslavi  medici,  18.  Februar  1298  Div.  Canc.  1295.  Jlenoe  Antibaraiius  medicus,  17.  April 
1330  Div.  Canc.  1328—1330  Arch.  Rag. 

5)  Diversa  Cancellariae  1349  —  1356,  Fragmente  eingenäht  im  Buche  Distributiones  testamentorum  1349 — 1357,  im 
Archiv  von  Ragusa. 

«)  Obercho  Chiloresa,  29.  Januar   1382.    Div.  Canc.  1.381   Arch,  Rag. 

')  Mon.  Rag.  5,  225,  240. 

')  Über  Varignana  (f  1330  in  Bologna)  vgl.  L.  von  Tlialloczy,  Glasnik  hos.  5  (1893)  G— 10  =  Wiss.  Mitt.  3  (1895) 
300 — 303  mit  Abbildung.  Das  merkwürdige  Dedikationsbild  eines  Miinchener  Kodex  zeigt  den  Arzt  Varignana  vor  Mladen, 
wie  er  dem   Ban  kniend  ein   Buch   überreicht. 

^)  , Dominus  Palmanus  Teutonicus,  stipendiarius  domini  regis   Raxic'  verpflichtet  sich  in   Ragusa  am  20.  Oktober   1333 

die   Panzer,    Helme   und    andere   Rüstungen,    Pfänder    eines   ungenannten    .stipendiarius  ipsius  domini   regis,'  welche  er  vom 

Pauluccius   ypothecarius   erhalten    hatte,    binnen    15  Tagen    dem    Arzt   Antonius   zu    übergeben.      Div.  Canc.  1334  Arch.   Rag 

Dcnischriften  der  phü.-hist.  Kl.  58.  Bd.  2.  Abb. 


10 


74 


II.  Abhandlung:  Constantix  Jieecek. 


■wurde  der  Stadtarzt  von  Ragusa,  Magister  Da- 
niel de  Pasinis  de  Verona  zum  Despoten  Stephan 
Lazarevic  beurlaubt;  mit  den  Vertretern  des 
.illustris  dominus  dispotus  Sclavonie',  zwei  Ea- 
gusanern  aus  der  Familie  Gradi,  schloß  er  einen 
Vertrag  auf  vier  Monate,  mit  einem  Honorar 
von  80  Golddukateu  oder  11  Pfund  ,boni  argcnti 
mercadanteschi'  monatlich.^)  Stephans  Nach- 
folger Despot  Georg  hatte  dagegen  (1439)  wieder 
selbst  einen  Italiener,  den  Magister  Angelo 
Muado  als  Leibarzt  in  Diensten.^)  In  dieser  Zeit 
lebte  in  Serbien  auch  ein  Arzt  aus  Florenz,  Ma- 
gister Hieronymus  medicus,  Sohn  des  Magister 
Johannes  de  Sancto  TMiniato;  nach  seinem  Tode 
reiste  sein  Bruder  Ser  Jacobus  mit  einem 
Empfehlungsschreiben  der  Stadt  Florenz  vom 
27.  April  1434  an  den  Despoten  nach  Serbien, 
um  den  Nachlaß  abzuholen.^)  Die  vornehmen 
Bosnier  des  15.  Jahrhunderts  vertrauten  immer 
auf  die  Hilfe  der  Ragusaner.  Die  Arzte  der 
Republik,  Italiener  und  Griechen,  reisten  damals 
oft  zum  König  oder  der  Königin  von  Bosnien, 
zum  Großvojvoden  Sandalj.  zum  Herzog  SteiAän 
Vukcic  und  zu  seinen  Söhnen,  oder  zu  den  Zlato- 
nosovici,  Nikoliei  und  Vojislavici.  Zu  Stephan 
Crnojevic  von  IMontenegro  wurde  14ß0  durch 
einstimmigen  Beschluß  des  Senates  von  Eagusa 
der  jbarberius'  Cherach  zur  Behandlung  eines 
Fußleidens  gesendet.  Die  Ratschläge  wurden 
auch  brieflich  mitgeteilt.  So  schrieben  die  Ra- 
gusaner z.  B.  dem  Sandalj  1430  durch  ihren 
Gesandten  Benedetto  de  Gondola,  sein  Leiden, 
Magenschmerzen  mit  Seitenstechen,  könnte  nach 
dem  Urteil  der  Ärzte  mit  der  Zeit  zu  einer  Stein- 
krankheit ausarten ;  er  solle  deshalb  strenge  Diät 
halten  und  bloß  Weißwein,  keinen  Rotwein 
trinken.*) 

Kleine  Krankenhäuser  (bolnica)  gab  es  in 
den  Klöstern,  wie  schon  in  Studenica.  Im 
Kloster  von  Prizren  waren  es  nur  12  Betten, 
mit  der  Bestimmung,  daß  Lahme  und  Blinde 
ausgeschlossen  seien.  Die  Heilung  von  Schwer- 
kranken förderte  stets  das  Ansehen  des  Klosters 
und   der   Kirche. 

Bei  Fürsten  und  Adeligen  war  es  nach  by- 


zantinischer Art  üblich  vor  dem  Eintritt  des 
Todes  das  Mönchsgewand  anzulegen  und  einen 
Klosternamen  zu  erhalten.  So  war  es  bei  den 
Königen  Stephan  dem  Erstgekrönten  und  Ste- 
phan Dragutin,  bei  der  Königin  Helena,  dem 
Feldherrn  Hrelja.  Bei  den  Griechen  ließen 
.sich  Schwerkranke  nicht  selten  zu  Mönchen 
scheren ;  als  sie  aber  gesund  wurden,  wollten  sie 
nichts  davon  wissen.  Vom  Erzbischof  wurden 
sie  dann  oft  vom  Gelübde  befreit,  jedoch  ihr 
Leben  lang  zur  Enthaltung  vom  Fleisch  und 
zum  Tragen  schwarzer  Kleider  verpflichtet.^) 
Bei  jedem  Verluste  legte  der  Hof  schwarze 
Trauerkleider  an;  so  tat  es  Nemanja  mit  Frau 
und  Dienerschaft  nach  der  Flucht  seines  Sohnes, 
des  Rastko  (Sava)  auf  den  Athos.")  Fürsten, 
Adelige  und  Bischöfe  wurden  stets  im  Innern 
der  Kii'che  begraben.  Eine  gemeinsame  Grabes- 
kirche der  Landesfürsten,  etwa  in  der  Art  der 
Apostelkirche  von  Konstantinopel  mit  den  by- 
zantinischen Kaisergräbern,  der  Benediktiner- 
abtei St.  Denis  bei  Paris  oder  des  Domes  von 
S]3eyer  in  Deutschland,  gab  es  in  Serbien  nicht. 
Die  Gründer  von  Klöstern  hat  man  stets  in 
ihren  eigenen  Stiftungen  zur  ewigen  Ruhe  be- 
stattet. Der  Steinsarg  war  oft  bei  Lebzeiten 
vorbereitet,  z.  B.  in  Zica  oder  Pec  für  die  Erz- 
bischöfe. Daniel  schildert  das  Begräbnis  der 
Königin  Helena,  der  Witwe  des  Königs  Uros  I. 
(t  8  Februar  1314).  Im  strengen  Winter  führte 
der  Erzbischof  Sava  III.  mit  den  Bischöfen 
die  Leiche  unter  Psalmengesang  aus  dem  Schloß 
von  Brnjaci  durch  das  Ibartal  in  das  von  ihr 
gestiftete  Kloster  von  Gradac.  Dort  traf  König 
Stephan  Uros  IL  Milutin  mit  seinem  Hofe  ein ; 
er  raufte  sein  Haar,  schlug  sein  Antlitz  und 
vergoß  Ströme  von  Tränen  vor  der  Leiche  sei- 
ner Mutter,  worauf  er  sie  mit  den  Bischöfen 
imd  Igumenen  eigenhändig  ins  Grab  legte.  Sein 
Bruder  Stephan  Dragutin  kam  erst  später, 
ebenso  die  beiden  Schwiegertöchter  der  Ver- 
storbenen, die  Königinnen  Simonida  und  Ka- 
tharina, welche  das  Grab  mit  goldgestickten 
Tüchern  bedeckten.')  Oft  gab  es  Übertragun- 
gen.   Stephan  der  Erstgekrönte,  neben  seinem 


')  Piicid  1,  Beilagen  S.  X.   Vertrag  vom   14.  Oktober  1408:  Div.  Canc.  1408,  II,  Arch.  Kag. 

^)  ,Egi-egius  vir  magister  Angelus  Muado,  pliisicus  domini  Georgii  Volchi,  magnifici  domini  ducis  Rassie  et  Albanie,' 
klagt  in  Ragusa  am  10.  l'ebruar  1429,  sein  Diener  Nikolaus,  ein  Ragusaner  Bauer,  habe  ihm  im  August  v.  J.  in  Belgrad 
zwei  gesattelte  Pferde,  Kleider  und  WaÖ'en  gestohlen.  Lam.  Rag. 

')  Makusev,  Mouunienta  historica  Slavorum  meridionaliuni,  vol.  1    (Warschau   1874)  p.  411,  531. 

*)  Jorga,  Kotices  et  extraits  2,  277. 

')  Dcmetrios  Chomalianos  Nr.  79,  128,   138. 

0)  Domentian  27.  ')  Daniel  90—98. 


Staat  und  Gesellschaft  im  mittelalteklichen  Serbien  III. 


75 


Vater  Neman  ja  im  Kloster  Studenica  begra- 
ben, wurde  bald  darauf  von  seinem  Bruder  Erz- 
bischof  Sava  in  seine  eigene  Stiftung  2ica 
überführt.^)  König  Stephan  Dragutin  war  in 
der  Georgskirche  von  Eas  bestattet;  seine  Grab- 
inschrift ist  aber  heute  in  Studenica  zu  lesen. ^) 
Infolge  von  Visionen  wurden  die  Leichen  aus 
dem  Grabe  herausgenommen  und  in  einem 
Holzsarg  (kovceg  oder  kivot  von  •/.•f^üziov)  vor 
der  Ikonostasis  nebeft  der  Altartür  aufgestellt ;  so 
war  es  bei  Helena  in  Gradac  und  bei  üros  II. 
in  Banjska.^) 

Grabinschriften  sind  in  Serbien  seltener  als 
in  Bosnien,  wenige  aus  dem  13.,  mehr  aus  dem 
14.  und  15.  Jahrhundert.*)  Die  Formeln  erin- 
nern oft  an  die  bosnischen,  besonders  im  Westen 
Serbiens  an  der  Drina.  Der  Hauptunterschied 
ist  darin,  daß  die  bosnischen  Grabsteine  meist 
in  großen  Gruppen  im  Freien  liegen,  die  serbi- 
schen sich  in  Kirchen  und  Klöstern  befinden.^) 
Man  nannte  sie  in  Bosnien  , Stein'  (kami)  oder 
, Zeichen'  (bilig).  Die  Inschriften  und  Orna- 
mente arl>eitete  dort  der  kovac,  wörtlich 
Schmied.  Der  Tote  spricht  in  der  Inschrift  in 
der  Eegel  in  der  ersten  Person;  oft  hat  er  bei 
Lebzeiten  sein  , ewiges  Haus'  errichtet.  Der 
Adelsstolz  liegt  in  der  Betonung,  er  ruhe  auf 
seinem  eigenen  Boden,  seinem  adeligen  Erbgut 
(bastina,  plemenito),  was  auch  in  Serbien  an 
der  Drina  vorkommt.  Der  Grundgedanke  der 
Formel  ist  in  Bosnien  und  Serbien  bis  nach 
Makedonien  derselbe:  erinnert  euch,  daß  auch 
ihr  sterben  werdet;  ihr  werdet  sein,  wie  ich,  aber 
ich  werde  nie  mehr  sein,  wie  ihr.'')  Stolz  klingt 
die  Inschrift  eines  Knez  Kadivoj  Vlatkovic  in 
der  Herzegovina:  ,in  dieser  Zeit  war  ich  der 
beste  Mann  in  Dubrave'  (u  toj  vreme  najbolji 
muz  u  l'nbravah  bih).")  Auf  dem  Gralie  eines 
Obren  Milatovic  aus  dem  Drinagebiet,  jetzt  im 
Belgrader  Museum,  heißt  es:  ,gut  hat  er  ge- 
lebt und  gut  ist  er  gestorben'  (i  dobri  zi,  a  dobri 


uinre).*)  Trauriger  gestimmt  ist  ein  Bosnier: 
,Gott,  lange  ist  es  schon  her,  daß  ich  mich 
niedergelegt  habe  und  noch  viel  habe  ich  zu 
liegen'  (Boze,  davno  ti  sam  legao  i  vele  ti  mi  je 
lezati).^)  Oft  sind  auf  den  bosnischen  Steinen 
historische  und  biographische  Daten  oder  ganze 
Genealogien  zu  lesen,  wie  die  des  Adelsgeschlech- 
tes der  Cihorici  oder  Drugovici  im  14.  Jahrhun- 
dert auf  einem  Stein  bei  Velicani  gegenüber 
dem  Kloster  Zavala  auf  dem  Popovo  polje.^") 
Es  gibt  auch  Gräber  patarenischer  Geistlicher 
(krstjani),  aber  daneben,  besonders  in  der 
Herzegovina,  auch  Inschriften  mit  Kreuzes- 
zeichen und  anderen  klaren  Merkmalen 
der  Zugehörigkeit  zur  serbischen  Kirche.  Die 
Verwandten  oder  Freunde,  die  den  Stein  auf- 
gestellt hatten,  werden  ausdrücklich  genannt. 
An  antike  Formeln  erinnert  der  Fluch  gegen 
jeden,  der  das  Grab  zerstören  sollte. 

In  den  Küstenstädten  befanden  sich  die 
Gräber  der  Patrizier  und  Bürger  meist  inner- 
halb der  Stadtmauern  in  den  Klöstern,  in  Ea- 
gusa  besonders  bei  den  Franziskanern  und 
Dominikanern,  deren  Kirchen  heute  noch  voll 
alter  Denkmäler  sind. 

Der  mittelalterliche  serbische  Dorffriedhof 
in  den  Tälern  und  Wäldern  des  Ostens  mit 
seinen  Holzkreuzen  ist  nicht  näher  bekannt. 
Besser  kennen  wir  in  den  Bergländern  des 
Westens  die  verlassenen  Gräber  in  der  Einöde 
mit  ihren  inschriftlosen,  ornamentierten  Stein- 
platten. Aus  sehr  alter  Zeit  stammten  die  in 
Urkunden  erwähnten  Grabhügel  (gomila),  be- 
zeichnet mit  Personennamen,  als  Grabhügel  des 
Pribidrug,  des  Ljubko  usw. ;  sie  kommen  noch 
im  14.  Jahrhundert  auf  den  Besitzungen  der 
Klöster  von  Banjska  und  Prizren  vor.  In  an- 
deren Urkunden  wurden  im  13. — 1.5.  Jahr- 
hundert einzelne,  außerhalb  der  Dörfer  ge- 
legene Gräber  oder  Grabfelder  (grob,  groblje) 
bei     Grenzbeschreibungen    genannt,    stets    mit 


')  Theodosij   bei  Pavlovii-   132. 

-)  Kovacevic,   Starine  10,   '258;    vgl.    Daniel  52.     Vgl.    eine  Urk.  von    1597  im  Glasnik  bos.  21   (1909)  5G— 57,    wo  das 
Grab  Dragutins  noch  im  St.  Georgskloster  erwähnt  wird. 
=>)   Daniel   100,   160. 
*)  Gesammelt  bei  Stojanovie,  Zapisi. 

^)  Vgl.  Dr.  C.  Truhelka,  Die  bosnischen  Grabdenkmäler,  Glasnik  bos.  3  (1891)  368—387  =  Wiss.  Mitt.  3  (1895)  403— 
Über  die  Sprache  der  Inschriften  Jagic  in  Glasnik  bos.  2  (1890)  1—9   =  Wiss.  Mitt.  3  (1895)  396—402. 
0)  Z.  B.:  ,Molju  bratiju  i  strine  i  neviste:  pristupite  i  zalite  me  i  nepopirajte  me  nogama,  jere  cete  biti  vi,  kakov  jesm 
a  ja  necu  biti,  kakovi  jeste  vi.'    Grab  des  Radojica  Bilic;  in  Staro  Selo  bei  Jajce,  Wiss.  Mitt.  3,  489. 
"  'i   Wiss.  Mitt.  3  (189:.)  437;  5  (1897)  277  f. 
')  Stojanovie,  Zapisi  Nr.  4731. 

°)   Grab  des  Stipko  Radosalio  in  Premilovo  polje  bei  Ljubinje,   Wiss.  Mitt.  3,  497. 
1»)   Meine  Abb    über  die  Inschrift  von  Velicani,  Glasnik  bos.  4  (1892)  279  f.   =   Wiss.  Mitt.  3  (1895)  474  f. 

lü* 


480. 


ja: 


76 


II.  Abhaitolung:  Constaxtix  Jirecek. 


serbischen  Personennamen,  des  Bolesta,  des  Dru- 
zeta,  des  Obugan.^)  Genauere  Nachrichten  stam- 
men erst  aus  der  Xeuzeit.  Busbeck  (1533)  schil- 
dert einen  Friedhof  bei  Jagodina.  Auf  Pfählen 
oder  Stangen  sah  man  dort  hölzerne  Figuren  von 
Hirschen,  Echen  und  anderen  Tieren,  bei  wel- 
chen Frauenhaar  zum  Zeichen  der  Trauer  aufge- 
hängt war.  Gerlach  (1578)  beobachtete  in  Ser- 
bien, wie  bei  dem  Kopf  der  Toten  Holzkreuze 
aufgestellt  wurden.  Heute  noch  sind  auf  den 
mit  einer  Hecke  umgebenen  oder  ganz  frei 
stehenden  Friedhöfen  im  Innern  Serbiens 
charakteristisch    die   sehr   hohen,   oft   kunstvoll 


geschnitzten  Holzkreuze;  auf  ihnen  sind  Tü- 
cher, bei  Frauen  unvollendete  Handarbeiten, 
sowie  Blumen  und  Früchte  befestigt.  In  wald- 
armen Landschaften  deckt  das  Grab  eine  Stein- 
platte und  beim  Kopf  steht  ein  steinernes  Kreuz, 
mitunter  mit  Inschrift  und  primitiven  Skul- 
pturen.'^) Über  den  dörflichen  Totenkultus,  die 
Totenmahle,  Allerseelentage  und  Ahnenfeste 
fehlt  es  an  schriftlichen  Nachrichten  aus  dem 
Mittelalter.  Dafür  haben  die  Ethnographen 
unserer  Zeit  noch  ein  reiches  und  merk- 
würdiges Material  über  diese  Sitten  sammeln 
können.^) 


')  Vgl.   meine  Geschichte  der  Serben   1,   170. 

')  Milicevic,  Zivot  Srba  seljalsa   (Leben  der  serbischen  Bauern),  Srpski  etnografski  zbornik   1   (1S94)  350  f. 
^)  Niederle,  2ivot  1,  279  fif.  M.  Murko,  Das  Grab  als  Tisch,  in  der  kulturhistorischen  Zeitschrift  , Wörter  und    Sachen' 
2  (1910)  79—160;   vgl.  die  Besprechung  von  AnickoT,  Arch,  slav.  Phil.  34  (1913)  578—588. 


INHALT. 


I.  Die  Periode  der  Nemanjiden  (1171—1371).  Schluß. 

12.  Materielle  Kultur:  Bauten,   Volkstrachten,  Nahrung-  iisvr 3 

13.  Geistige.s  und  gesellschaftliches  Leben       26 


Anm.:  Ein  vierter  Teil  wird  den  Sohlnß  der  Abhandlung  mit  Darstellung  der  VerLUltnisse  wiihrend  der 
Kämpfe  der  Serben  mit  den  Türken  (1371 — 1459)  enthalten,  sowie  die  Beilagen  und  Eegistcr. 


SEINEM 
HOCHVEREHRTEN  KOLLEGEN  UND  FREUNDE 

MAURICE  BLOOMFIELD 

PROFESSOR  AN  DER  JOHNS  HOPKINS  UNIVERSITY 
IN  BALTIMORE,  MD. 

m  AUFRICHTIGER  ERGEBENHEIT 
GEWIDMET 

Xim  VERFASSER. 


DENKSCHRIFTEN 

DER 

KAISERLICHEN   AKADEMIE   DER  WISSENSCHAFTEN    IN  WIEN. 

PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE  KLASSE. 


58.  BAND,    3.  ABHANDLUNG. 


HERAKLE8  UND  INDRA. 


EINE  ]MYTHENVEKGLEICHENDE  UNTERSUCHUNG 


VON 


L.  VON  SCHROEDER, 


WIUKL.  MITULIEDE  DER  KAIS.  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


VORGELEGT    IN    DER    SITZUNG    AM    6.   MAI    1914. 


WIEI,    1914. 

IN   K  0  M  .M  1  S  S  I  0  X    I!  Kl    ALFRED   HOLDER 

K.   U.  K.  nOF-  UND  UNIVEBSlTATS-liUCHHÄNDLER 
BUCRIIANULEK  DER  KAIS.  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


Druck  von   Adolf  Holzhauseri, 
Hof-  nnil  UniveraitÄts-Bnchdriicker 


Vorbemerkung. 


-Uer  Schwerpunkt  der  liier  vorgelegten  Unter- 
suchung liegt  in  dem  nach  Möglichkeit  eingehend 
geführten  Nachweise  der  Übereinstimmung  in  der 
Person,  den  Heldentaten  und  Abenteuern  des 
Herakles  und  des  Indra,  welche  Übereinstimmuns 
sich  als  so  groß  herausstellt,  daß  an  der  ursprüng- 
lichen Identität  beider  Göttergestalten  und  der 
mit  ihnen  zusammenhängenden  Mythen  darnach 
wohl  nicht  mehr  wird  gezweifelt  werden  können. 
Einzelne  Mythen,  bei  denen  solche  Übereinstim- 
mung bald  in  die  Augen  fiel,  sind  bekanntlich 
auch  früher  schon  verglichen  worden.  Die  Er- 
zählung von  Herakles  und  Geryones  (respektive 
auch  Cacus),  die  durch  Herakles  vollführte  Be- 
freiung der  Rinder  aus  der  Gewalt  dieses  drei- 
köpfigen Riesen,  seines  Hirten  und  seines  Hundes 
Orthros,  stimmten  in  auffallender  Weise  mit  In- 
dras  Befreiung  der  himmlischen  Rinder  aus  der 
Gewalt  der  bösen  Dämonen  Yiitra.  Yala,  Tväshtra 
Vicvarüpa,  oder  wie  sie  sonst  hießen,  überein. 
Auch  erinnerte  die  riesische  Kraftnatur  des  einen 
Gottes  alsbald  an  die  des  andern.  Doch  das  ge- 
nügte nicht,  um  diejenigen  zu  überzeugen,  die 
solchen  und  ähnlichen  Vergleichungen  a  priori 
skeptisch  gegenüberstanden,  und  in  der  Tat  ist 
der  Umfang  der  mit  der  Gestalt  beider  Götter 
verbundenen  Mythen  und  Sagen  ein  so  großer, 
daß  nur  eine  ebenso  ausgebreitete  wie  tiefer  ins 
einzelne  eindringende  Untersuchung  das  Ziel  er- 
reichen konnte,  die  Frage  endgültig  zu  entschei- 
den und  auch  die  Gegner  zu  überzeugen.  Eine 
solche  zu  liefern  ist  der  Zweck  dieser  Arbeit. 

Eine  andere  und  wohl  noch  schwierigere, 
gegenwärtig  vielleicht  noch  nicht  mit  völliger 
Sicherheit  zu  beantwortende  Frage  ist  die  nach 
der  ursprünglichen  Naturbedeutung  des  indischen 
und  des  griechischen  Gottes.  Die  Ansicht,  die 
ich  mir  im  Laufe  der  Jahre  darüber  gebildet 
habe,  soll  unumwunden  zum  Ausdruck  gelangen. 
Doch  bitte  ich  alle  diejenigen,  die  mit  dieser  An- 
sicht nicht  übereinstimmen  sollten,  sich  dadurcii 
von  dem  Studium  der  vorliegenden  Arbeit  nicht 
abschrecken  zu  lassen.  Es  wäre  vielleicht  das 
Richtigste,  alle  Spekulationen  über  die  Urbedeu- 
tung  beider  Göttergestalten   zunächst   nach  Mög- 


lichkeit in  den  Hintergrund  zu  drängen.  Ganz 
durchführen  läßt  sich  das  freilich  nicht.  Doch 
wie  man  darüber  auch  denken  mag,  es  wird  auf 
jeden  Fall  schon  ein  beträclitlicher  Gewinn  sein, 
wenn  eine  möglichst  gründliche  und  eingehende 
Vergleichung  uns  zu  dem  Ergebnis  hinführt,  daß 
Herakles  und  Indra  schlechterdings  nicht  vonein- 
ander getrennt  werden  können,  sondern  als  un- 
zweifelhaft zusammengehörige,  ursprünglich  identi- 
sche Göttergestalten  anzusehen  sind. 

Ich  lasse  dabei  den  Thörr  beiseite,  so  wenig 
ich  auch  daran  zweifeln  kann,  daß  er  als  die 
dritte  verwandte  Göttergestalt  neben  Indra  und 
Herakles  zu  stellen  ist.  Seine  Verwandtschaft  mit 
Indra  tritt  jedenfalls  deutlich  hervor.  Beide  sind, 
wie  ich  glaube,  zu  großen  Göttern  herangewachsene 
alte  Gewitterriesen,  die  einen  älteren  Gewittergott 
—  hier  Farjanya.  da  Fjörgynn  —  im  Laufe  der 
Zeit  ganz  verdrängt  und  sich  an  seine  Stelle  ge- 
setzt haben.  Mit  dem  Donnerkeil  bewaffnet, 
kämpfen  sie  fort  und  fort  gegen  böse  Dämonen, 
Riesen  und  Ungeheuer  aller  Art,  die  sie  zum 
Heile  der  Menschen  und  Götter  kraftvoll  besie- 
gen. Die  Übereinstimmung  in  der  sehr  stark 
eigenartig  ausgeprägten  Persönlichkeit  beider 
Götter  fällt  in  die  Augen  und  wird  wohl  kaum 
bezweifelt.  Beide  die  gewaltigsten  und  unermüd- 
lichsten Kämpfer  in  ihrem  Götterkreise,  von  eigen- 
tümlich plumper  und  ungeschlachter,  riesischer 
Natur,  gewaltige  Esser  und  Trinker,  dabei  von 
einem  derben,  volkstümlichen  Humor,  der  sie 
immer  besonders  beliebt  und  populär  machte. 
Thorr  mit  großem  roten  Bart,  den  er  in  der  Er- 
regung schüttelt;  Indra  mit  blondem  Haar  und 
Bart,  den  er  ebenfalls  schüttelt.  Von  der  Waffe, 
die  sie  schleudern,  heißt  es  hier  wie  dort  ge- 
legentlich, daß  sie  in  die  Hand  des  Kämpfers 
zurückkehrt,  einem  Bumerang  ähnlich,  nur  daß 
dieser  bloß  zurückkehrt,  wenn  er  nicht  getroffen 
hat.  Das  alles  fällt  in  die  Augen  und  wird  kaum 
bestritten.  AVeniger  Klarheit  herrscht  über  die 
Natur  der  dämonischen  und  riesischen  Gegner. 
Man  war  lange  gewoimt,  die  Gegner  des  Indra 
als  A\'olkendämonen  zu  bezeichnen,  ihre  Burgen 
als  Wolkenburgen,  während  die  Gegner  des  Thorr 

1» 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoedee. 


als  Berg-  und  Felsriesen,  Eis-  und  Frostriesen 
gelten,  vor  allem  winterliche  Mächte.  Heutzutage 
machen  viele  Forscher  bei  den  Wolkendämonen 
des  Indrakampfes  ein  großes  Fragezeichen.  01- 
denberg  glaubte  —  jedenfalls  zu  weit  gehend  — , 
daß  bei  den  von  Indra  entfesselten  Wassern  nur 
an  irdische  FlU.sse  zu  denken  sei;')  und  Hille- 
b  ran  dt  machte  es  wahrscheinlich,  daß  es  sich  bei 
den  Kämpfen  des  Indra  zu  einem  guten  Teil  um 
Kämpfe  gegen  Dämonen  des  Winters,  des  Frostes 
und  Eises  handelte,  daß  die  gefesselten,  gebannten 
Wasser  nicht  seltentdeutlich  als  gefrorene  Wasser 
charakterisiert  sind  (Vedische  Mythologie,  Bd.  III 
p.  157  fg.).  Dadurch  rückte  die  Gestalt  des  Indra 
nur  noch  näher  an  Tliörr  heran.  E.  Siecke  und 
die  ihm  folgenden  Mondmythologeu  sehen  da- 
gegen in  dem  Kampfe  des  Indra  gegen  seine 
dämonischen  Gegner  das  Ringen  des  Lichtmonds 
mit  dem  Schwarzmonde.  Ist  dieser  Kampf  auch 
gar  seltsam  geräuschlos,  langsam  und  undramatiseli 
im  Vergleich  mit  dem  Gewittervorgang,  so  sprang 
doch  als  Doppelgewinn  desselben  sehr  schön  das 
Licht  —  wenn  auch  nur  Mondlicht  —  und  der 
himmlische  Trank  hervor,  der  himmlische  Soma 
im  lichten  Gefäße  des  Mondes,  der  nach  uraltem 
Glauben  auch  als  Urquell  des  Regenwassers  galt. 
Das  Resultat  von  Indras  Kämpfen  aber  ist  ja 
1.  die  Gewinnung  des  Lichtes  —  wenn  auch  vor 
allem  der  Sonne  —  und  2.  die  Gewinnung  des 
himmlischen  Rauschtrankes  Soma  und  der  \A'asser- 


ströme;  also  Licht  und  Wasser,  beide  oftmals  im 
Bilde  von  Rinderlieerden  gefaßt. 

Diese  verschiedenen,  miteinander  streitenden 
Ansichten  darf  man  gegenwärtig  wohl  noch  nicht 
als  geklärt  betrachten.  Sie  haben,  wie  ich  glaube, 
alle  ihre  relative  Berechtigung  und  sind  vielleicht 
nicht  unvereinbar,  zum  mindesten  insofern  es  sich 
um  zeitlich  einander  ablösende  Auffassungen  des- 
selben alten  Mythus  handelt.  Ohne  auf  dieses 
Problem  näher  einzugehen,  ohne  abschließend 
oder  absprechend  urteilen  zu  wollen,  setze  ich  mir 
in  der  ^vorliegenden  Untersuchung  eine  begrenztere 
Aufgabe,  die  schon  eingangs  angedeutet  wurde. 

Herakles  und  Indra  —  wie  ist  es  möglich, 
beide  zusammenzubringen,  wenn  man  in  Indra 
einen  alten  Gewitterriesen  sieht?  Ist  doch  Hera- 
kles anscheinend  ein  Sonnenheld,  der  mit  dem 
Gewitter  nichts  zu  tun  hat.  Doch  auch  Indra 
befreit  das  Sonnenlicht,  verhilft  ihm  durch  seine 
Taten  zum  Siege;  auch  er  ist  ein  Lichtheld,  ein 
Sonnenheld,  wenn  auch  nicht  ausschließlich.  Wenn 
aus  irgendwelchen  Gründen  bei  dem  riesischen 
Helden  im  Laufe  der  Zeit  die  Gewitternatur  ver- 
dunkelt wurde,  seine  Taten  im  Dienste  des  Sonnen- 
lichts beherrschend  in  den  Vordergrund  traten, 
dann  konnte  doch  vielleicht  der  Gewitterheld  ganz 
zum  Sonnenhelden  werden. 

Doch  sehen  wir  lieber  ab  von  solchen  Spe- 
kulationen und  wenden  wir  uns  zur  Betrachtung 
der  Tatsachen. 


')  Vg\.  meine  Bemerkung-en  darüber  WZKM.  Bd.  IX   p.  230—23.3. 


Herakles  und  Indra. 


Herakles. 


r  assen  wir  Gestalt  und  Mythus  des  Herakles 
etwas  näher  ins  Auge. 

Zunächst  ist  es  wichtig  hervorzuheben,  daß 
der  Herakles-Mythus  nach  einer  verbreiteten,  noch 
näher  zu  prüfenden  Anschauung  kein  einheitlicher 
ist,  daß  die  verschiedensten  Sagenströme  zu  seiner 
Ausbildung  beigetragen  haben.  Orientalische, 
phönikische,  assyrische,  ägyptische  und  vielleicht 
noch  andere  Einflüsse  scheinen  sich  hier  bemerk- 
bar zu  machen,  wenn  es  auch  für  wahrscheinlich 
gelten   darf,    daß    die    Griechen   die   Gestalt   des 


riesischen  Helden  und  mancherlei  Mythen,  die  von 
ihm  erzählt  wurden,  schon  aus  der  arischen  Ur- 
zeit mitgebracht  haben.  Dieser  ursprüngliche  Kern 
der  Sage,  um  den  sich  alles  Weitere  später  herum- 
gelagert hat,  ist  für  uns  hier  natürlich  allein  von 
Bedeutung.  Versuchen  wir  es,  ihn  aus  der  Um- 
hüllung fremdländischer  Schlinggewächse  loszu- 
lösen, seine  Umrißlinien  festzustellen  und  zugleich 
zu  prüfen,  wie  weit  er  sich  fUi'  die  Yergleichung 
verwerten  läßt. 


Verhältnis  des  Herakles  zu  Hera. 


Absolut  fest  steht  das  nahe  Verhältnis  des 
Herakles  zu  Hera,  das  schon  der  Name  des  Hel- 
den andeutet.  Es  bildet  geradezu  die  Grundlage 
seines  Lebens,  seiner  Taten  sowohl  wie  auch 
seiner  Leiden.  Es  besteht  aber  auch  längst  schon 
kein  Zweifel  darüber,  daß  die  Motivierung  der 
großen,  dem  Herakles  auferlegten  Aufgaben  durch 
die  eifersüchtige  Leidenschaft  der  Göttin,  die  in 
ihm  den  unrechtmäßig,  außerehelich  gezeugten 
Sohn  ihres  Gatten  Zeus  haßt  und  verfolgt  und 
ihm  nicht  Schweres  genug  aufbürden  kann,  nicht 
alt,  nicht  ursprünglich  sein  kann  und  zur  Erklä- 
rung dieses  ungeheueren  Lebensdramas  in  keiner 
Weise  ausreicht.  Die  Eifersucht  der  gekränkten 
Ehefrau  Hera,  als  Ergänzung  zu  den  zahlreichen 
Liebesabenteuern  ihres  Gatten,  hat  sich  über- 
haupt allzu  stark  in  dem  Mythus  der  herrlichen 
Göttin  vorgedrängt,  hat  ihre  von  Haus  aus  große, 
leuchtende  Gestalt  durch  häßliche  Schatten  ent- 
stellt und  verdunkelt,  den  wundervollen  Mythus 
von  der  heiligen  Hochzeit  des  himmlischen  Götter- 
paares geschädigt  und  so  auch  die  Heraklessage 
in  gewisser  Weise  gefälscht.  Bis  zum  Possen- 
haften herabgewürdigt  erscheinen  die  Taten  des 
größten  hellenischen  Helden,  wenn  er  sie  in- 
folge der  listigen  Machenschaften  der  Hera  im 
Dienste  des  elenden  Eurystheus  ausführen  muß,  der 
sich  feige  verkriecht,   wenn  Herakles  den   furcht- 


baren erymanthischen  Eber  lebendig  herbeibringt. 
Das  sind  Spiele  des  Volkswitzes,  eine  ergiebige 
Quelle  der  Belustigung  niederer  Art.  Es  ist  spätere 
Mache,  ebenso  wie  die  pikanten  Liebesgeschichten 
des  Zeus.  Schon  vom  speziell  griechischen  Staud- 
punkt aus  hat  man  erkannt,  daß  das  Verhältnis 
des  Herakles  zur  Hera  ursprünglich  ein  wesent- 
lich anderes  gewesen  sein  muß,  daß  der  Held  als 
der  eifrigste  Verehrer  und  Diener  der  himmlischen 
Lichtgöttin  —  die  wir  als  Göttin  der  jungen  Sonne 
erkannt  haben  —  in  ihren  Diensten  und  zu  ihrem 
Nutz  und  Frommen  seine  großen  Taten  tut.^)  Und 
die  Vergleichung  bestätigt  solche  Auffassung.  Das 
mutmaßliche  indische  Gegenbild  des  Herakles, 
der  gewaltige  Keulenträger  Indra,  arbeitet  im 
Dienste  der  Sonne  und  ihres  Lichtes,  er  erschlägt 
die  bösen  Wolkendämonen,  er  drückt  den  Wolken- 
berg herunter,  läßt  die  Sonne  wieder  erscheinen, 
verhilft  ihr  zum  Siege.  Er  gewinnt  durch  seine 
Taten  das  Sonnenlicht  - —  nicht  um  es  für  sich 
zu  behalten,  sondern  um  es  zu  befreien,  um  es 
aufs  neue  der  Welt  zu  schenken  und  mit  ihm  all 
den  Segen,  der  damit  verbunden  ist  —  weshalb 
er  denn  auch  als  der  größte  und  herrlichste  Held 
gepriesen  wird,  und  das  um  so  mehr  als  er  es 
ist,  der  auch  den  gefangenen  Regen  befreit,  — 
ein  Zug,  der  dem  Herakles  scheinbar  fehlt.  Mit 
seinem  Sieg  über  die   bösen   Dämonen,  mit    ihrer 


')  Vgl.  Preller,  Griech.  Mythol.  3.  Aufl.  II  p.  158.  Den  eingehenden  Nachweis  über  Hera  als  Göttin  der  jungen  .Sonne 
bringt  Bd.  II  meiner  im  Druck  begriflfenen  , Arischen  Religion'. 


ITI.  Abhandlung:  Leopold  v.  Schkoedek. 


Vernichtung:  wirkt  Indra  ein  doppeltes  Heil:  er 
läßt  die  befruchtenden  Wasser  frei  in  Strömen 
laufen  und  er  macht  auch  die  Sonne  frei,  setzt 
sie  wieder  an  den  Himmel,  weithin  zu  schauen,  bringt 
sie  den  frommen  Sterblichen  wieder.*)  Er  ist  kein 
Lichtgott,  kein  Sonnengott,  aber  er  ist  der  große 
aktive  Gott,  der  in  wirksamster  Weise  durch  seine 
Heldentaten  dem  großen  Tagesgestirn  dient.  Und 
ebenso  ist,  wie  icli  glaube  (und  wie  aus  dem  Fol- 


genden mehr  und  mehr  erhellen  wird),  Herakles 
nicht  etwa  von  Haus  aus  ein  Sonnengott,  sondern 
nur  der  gewaltige  riesische  Helfer  und  Diener 
der  Sonne,  der  göttlichen  Hera.  Erst  ein  späterer 
Prozeß,  erst  die  Übertragung  orientalischer  Sonnen- 
gottmjthen  auf  den  griechischen  Heros,  seine 
Identifizierung  mit  Göttern  dieser  Art,  hat  ihm 
etwas  vom  Wesen  des  Sonnengottes  verliehen,  das 
ihm  ursprünglich  fremd  ist. 


Verhältnis  des  Herakles  zu  Athene,  Hermes,  Apollon. 


Selir  charakteristisch  für  den  ältesten,  echt 
griechischen  Heraklesmythus  ist  aber  auch  das 
innige  Verhältnis  des  Helden  zur  Göttin  Athene, 
die  ihn  helfend,  schützend  und  schirmend  bei 
seinen  Abenteuern  begleitet,  in  der  Gefahr  ihm 
beisteht,  beim  Ausruhen  ihn  erquickt  oder  ihm 
den  Siegespreis  reicht.  Sie  greift  gelegentlich  auch 
handelnd  ein  bei  seinen  Abenteuern,  so  z.  B.  wenn 
sie  beim  Kampfe  vor  Ilios,  zur  Rettung  der  He- 
sione  vor  dem  Seeungeheuer,  mit  den  Troern 
zusammen  einen  Damm  baut,  unter  dessen  Schutz 
Herakles  den  Kampf  besteht  (cf.  Preller,  Griech. 
Myth.  3.  Aufl.  II  p.  234).  Ein  anderer  göttlicher 
Begleiter  und  Helfer  des  Helden  ist  Hermes, 
wenn  auch  wohl  nicht  ganz  von  der  gleichen  Be- 
deutung für  ihn  wie  Athene.  Neben  der  Dichtung 
und  Sage  sind  es  namentlich  die  älteren  Vasen- 
bilder, die  ein  reiches  Material  zur  Erkenntnis 
dieser  Beziehungen  liefern  und,  wie  es  scheint, 
die  ältere  epische  Überlieferung  noch  treuer 
wiederspiegeln  als  die  gewöhnliche  Tradition.  All 
die  zahlreichen  Kämpfe  und  Abenteuer  des  Hera- 
kles liegen  hier  in  einer  langen  Reihe  lebendiger 
Bilder  vor,  und  immer  erscheint  er  begleitet  und 
umgeben  von  Athene  und  Hermes,  den  göttlichen 
Schützern  des  Helden.^) 

Höchst  merkwürdig  ist  es,  was  die  Verglei- 
chunff  über  diese  beiden  Götter  und  ihre  Bezie- 
huug  zu  Herakles -Indra  zutage  gefördert  hat. 
Diese  Dinge  sind  zum  Teil  so  seltsam,  daß  man 
sich  nicht  wundern  kann,  wenn  die  moderne 
Skepsis  sie  am  liebsten  ganz  beiseite  schieben 
möchte.  Und  doch  hat  der  Scharfblick  der  älteren 
vergleichenden  Mythologen  hier  wertvolle  Adern 
edlen  Erzes  aufgesjiürt,  deren  Verfolgung  sich 
als  sehr  lohnend  erweisen  dürfte. 


Wir  müssen  hier  etwas  weiter  ausholen. 

In  Verbindung  mit  Indra  erscheint  im  Rigveda 
vielfach  ein  merkwürdiger  alter  Gott,  dessen  Gestalt 
in  mancher  Hinsicht  verdunkelt,  widerspruchsvoll, 
fragmentarisch,  in  ihren  Umrissen  dennoch  deutlich 
erkennbar,  mit  ihren  Wurzeln  ohne  Zweifel  in  eine 
uralte  Vorzeit  zurückreicht,  eine  größere,  nur  noch 
zu  ahnende  Rolle  in  vorvedischer  Zeit  gespielt 
haben  dürfte.  Es  ist  Trita,  der  auch  den  Bei- 
namen äptya  trägt,  d.  h.  der  zu  den  Wassern  Ge- 
hörige oder  aus  den  Wassern  Stammende,  womit 
ohne  Zweifel  die  himmlischen  Wasser  gemeint 
sind,  denn  zu  diesen  hat  er,  ein  dem  Indra  ver- 
wandter, dem  Indra  befreundeter  Gott  des  Blitzes 
und  Gewitters,  unzweifelhaft  deutliche  Beziehungen. 
Er  erscheint  mehrfach  wie  eine  Art  Vorläufer  des 
Indra,  der  gleich  diesem  letzteren  und  früher 
schon  als  er  die  bösen  Dämonen  erschlagen  und 
die  Wasserströme  befreit  hat.  Diesen  Eindruck 
gewinnt  man,  wenn  es  z.  B.  (RV  1,  52,  51  heißt, 
daß  Indra,  der  Donnerkeilträger,  des  Vala  Wehren 
spaltete  wie  Trita!  Da  erscheint  Trita  doch  als 
das  schon  vor  dem  Indra  bekannte  Vorbild  solcher 
Heldentaten.  An  anderen  Stellen  der  vedischen 
Lieder  sehen  wir  aber  den  Trita  vielmehr  in  In- 
dras  Auftrag  handeln,  oder  durch  Indras  Kraft 
gestärkt,  als  sein  Diener  und  Helfer;  oder  Indra 
begünstigt  den  Trita  bei  seinem  Werk  und  hilft 
ihm  zum  Siege.  Durch  Indras  Kraft  gestärkt 
tötet  Trita  den  Eber  —  d.  h.  den  Dämon  in  Eber- 
gestalt —  mit  dem  eisenspitzigen  Pfeil  (RV  10, 
99,  6).  Indra  verschafft  dem  Trita  die  Kühe  vom 
Ahi,  dem  Schlangendämon  (RV  10,  48,  2).  Oder 
es  heißt:  ,Für  uns  (]\Ienschen,  in  unserem  Inter- 
esse) hast  du  (o  Indra)  dem  Trita  den  (Dämon) 
VifvarupaTväshtra  ausgeliefert,  d.h.  den  allgestal- 


\  _'l.  A.  Kaegi,  Der  Rigveda  2.  Aufl.  Leipzig  1»81  p.  5S.  ö'J. 
Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  160.   161. 


^ERÄKLES  UND   IxDEA. 


tigen  (dämonisclien)  Sohn  des  Tvashtar.  Und  in 
merkwürdigem  Widerspruch  hören  wir  RV  10, 
8,  H,  daß  Trita  Aptya,  von  Indra  gesandt,  den 
dreiköpfigen  Dämon,  den  Sohn  des  Tvashtar  ge- 
tötet und  die  Kühe  befreit  habe,  während  in  dem 
darauffolgenden  Verse  (9)  vielmehr  Indra  selbst 
als  derjenige  genannt  wird,  der,  die  Kühe  sich 
verschaffend,  dem  allgestaltigen  Sohn  des  Tvashtar 
seine  drei  Köpfe  abriß.  Der  Widerspruch  löst 
sich  aber  violleicht,  wenn  man  annimmt,  daß  Indra 
und  Trita  vereint  den  Dämon  bezwingen,  Trita 
als  Helfershelfer  des  Indra  dabei  mitwirkt. 

So  wechselnde,  scheinbar  widersjirechende  Bil- 
der sind  es  auch,  wenn  es  einmal  heißt,  daß  der 
brüllende  Trita  die  Maruts  mit  dem  Blitze  be- 
schenkt (RV  5,  54,  2),  an  einer  anderen  Stelle  aber 
A'ielmehr  die  Maruts  dem  kämpfenden  Trita 
Kraft  und  Mut  stärken.  Es  sind  offenbar  ver- 
wandte, befreundete  Mächte  der  Luftregion,  die 
sich  abwechselnd  bei  dem  gewaltigen  Blitz-  und 
Gewitterkampf  helfen  und  fördern. 

Dem  Indra  verwandt  erweist  sich  Trita  auch 
darin,  daß  er  zum  Soma  in  nächster  Beziehung 
steht.  Ebenso  wie  Indra  verdankt  auch  Trita  die 
Kraft  bei  seiner  Heldentat,  der  Zerschmetterung 
des  Vritra,  dem  Somatrank  —  nach  RV  1,  1^7,  1. 
Der  Soma  kommt  dem  Trita  zu,  ebenso  wie  dem 
Indra,  nach  RV  9,  34,  4.  Trita  erscheint  aber 
auch  selbst  als  Bereiter  oder  doch  als  Besitzer 
des  Soma,  und  das  ist  ein  eigenartiger  Zug  an 
ihm.  Die  Somasteine  sind  des  Trita  Steine 
(RV  9,  102,  2);  die  den  Soma  reinigenden  Finger 
werden  des  Trita  Jungfrauen  genannt  (RV  9, 
32,  2).  Bei  Trita  Aptj'a  trinkt  Indra  den  Soma, 
wie  übrigens  auch  bei  Vishnu  und  den  Maruts 
(vgl.  RV  8,  12,  16);  und  nel)en  dem  Soma  wird 
ihm  dort  auch  Gesang  zuteil,  denn  es  beißt,  daß 
Indra  sich  bei  Trita  an  dem  Liede  erfreue 
(Väl.  4,  1=RV  1021,  IIV) 

Trita  ist  ein  weiser,  ein  wissender  Gott.  Von 
ihm,  der  an  der  betreffenden  Stelle  gar  mit  Varuna 
identifiziert  erscheint,  heißt  es  einmal:  alle  Weis- 


heit ist  in  ihm,  wie  in  dem  Rad  die  Nabe  steckt 
(RV  8,  41,  6),  ,Das  weiß  Trita  Äptva!'  ruft  der 
Sänger   an   einer   anderen  Stelle  (RV  1,  lOö,  9). 

Auch  zum  Feuer  erscheint  Trita  in  merk- 
würdiger Beziehung.  Er  bläst  in  der  Himmels- 
hühe  das  Feuer  an,  den  Agni  (RV  5,  9,  5),  bei 
einem  Blitz-  und  Gewittergott  ein  wohl  verständ- 
licher Zug.  Oder  es  heißt  auch  in  dunklerer 
Wendung  (RV  10,  46,  3),  Trita  habe  den  Agni 
am  Kopfe  der  Milchkuh  gefunden,  und  nun  wird 
Agni  der  Mittelpunkt  in  den  Häusern  der  Men- 
schen. Die  Milchkuh  ist  vielleicht  die  Wolke. 
Auf  jeden  Fall  erscheint  Trita  hier  als  ein  gött- 
licher Vermittler  des  Feuers. 

Trita  Aptya  wohnt  in  weiter,  weiter  Ferne. 
Alles,  was  von  den  Menschen  Übles  getan  ist,  wie 
auch  alle  bösen  Träume,  werden  die  Götter  ge- 
beten, zu  Trita  Aptya  fortzuschaffen  (vgl.  RV  8, 
47,  13.   15).=) 

Einmal  erscheint  im  Rigveda  (1,  158,  5j  auch 
ein  dem  Trita  offenbar  verwandter  Gott  Träitana, 
von  dem  es  heißt,  daß  er  dem  Dämon  —  Dasa  — 
den  Kopf  spalten  wolle,  doch  verzehrt  ihm  dieser 
selbst  Brust  und  Schultern.  Träitana  ist  offenbar 
ein  Fatronymikum  zu  einem  vorauszusetzenden 
Namen  Tritan,  der  als  Nebenform  zu  Trita  gelten 
darf.  Er  wäre  also  etwa  soviel  wie  ein  Trita-Sobn. 

Solch  ein  Trita-Sohn  spielt  aber  auch  in 
Avesta  und  weiter  in  der  persischen  Heldensage 
eine  wichtige  Rolle,  und  überhaupt  sind  hier  die 
verwandten  Mythen  und  Sagen  des  persischen 
Brudervolkes  höchst  interessant  und  bedeutsam 
zur  Vergleichung. 

Wir  finden  im  Avesta  den  Thrita  und  den 
Athwya  als  zwei  Heroen  der  Vorzeit  erwähnt, 
die  zu  den  ersten  Haomabereitern  und  Haoma- 
verehrern  gehörten  und  durch  solches  Verdienst 
sich  die  besondere  Gnade  des  göttlichen  Haoma 
erworben  und  dafür  von  ihm  als  Belohmnig  herr- 
liche Söhne  erhalten  haben  sollen.  Thrita  stimmt 
mit  dem  vedischen  Trita,  Athwya  mit  dem  vedi- 
schen  Aptya  Uberoin.'l  nur  daß  im  Avesta  'l'lirita 


")  Merkwürdi?  und  iiirht  ganz  verständlich  lieißt  es  RV  9,  '.».'),  4  von  Trita,  daß  er  den  Varuna  zum  Meere  (des 
Soma)  traofe. 

■-')  Ein  dunkler  Mythus  liegt  wohl  dem  Verse  RV  1,  105,  17  zugrunde,  wo  wir  von  Trita  luiren,  daß  er  im  Brunnen 
die  Götter  um  Hilfe  anrufe.  Wenn  ich  auch  keine  Erklärung  für  diese  Stelle  habe,  so  leuchtet  es  mir  doch  nicht  ein, 
daß  hier  von  einem  anderen  Trita  die  Rede  sein  soll,  wie  einige  meinen  (vgl.  Grassmanns  \VI5  s,  v.  Trita).  Ebensowenig 
halte  ich  es  für  irgendwie  motiviert,  den  dem  Indra  helfenden  und  dienendon,  oder  den  Soma  bereitenden  und  darbie- 
tenden Trita  von  dem   unzweifelhaft  alten  Gotte  dieses  Namens,   dorn  Vorläufer  dos  Indra,  als  bes<indere  l'erson  abzutrennen. 

•■')  Daß  die  Namen  athwya  und  äptya  ursprünglich  identiscli  sind,  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  nur  über  die 
Art  der  lautlichen  Vermittelung  sind  Meinungsverschiedenheiten  unter  den  Forschern  vorhanden.  Man  pflegte  früher  von 
der  Form  äptya  auszugehen  und  daran  halten  auch  jetzt  wohl  noch  die  meisten  fest;  äptya  würde  ,zu  den  Wassern  ge- 
hörig' oder  ,aus  den  W,issern  stammend'  bedeuten,  von  ap  ,Wa8ser'  (vgl.  z.  B.  Pischel,  Ved.  Studien  I  p.  186).  Es  stimmt 
diese   Bedeutuno-   vortrefflich    zum  Wesen    des  Trita.     Indessen    hat  Bartholomae   in    seinen  Arischen  Forschungen  I  p.  8  fg. 


8 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoedee. 


und  Atlnvya  zwei  Personen  sind  gegenüber  dem 
einheitliclien  vedisclieii  Trita  Äptya,  der  in  Persien 
somit  in  zwei  gleiciiartige  Heroen  gespalten  er- 
scheint. Der  Beiname  des  alten  mythischen  We- 
sens ist  hier,  wie  aucli  sonst  ja  öfters,  von  dem 
Träger  desselben  losgelöst,  zur  selbständigen  my- 
thischen Person  geworden.  Haoma  aber  ist  nichts 
anderes  als  der  vedische  Soma,  der  himmlische 
Rauschtrank,  der  die  Heldengötter  zu  ihren  Taten 
stärkt  und  begeistert,  dann  aber  auch  selbst  zu 
einer  göttlichen  Person  geworden  ist  und  als 
solche  verehrt  wird._ 

In  der  Reihe  der  vorzeitlichen  Haomabereiter 
und  Haomaverehrer  erscheint  Thrita  als  der  dritte. 
Er  erhält  dafür  als  Lohn  durch  die  Gnade  des 
Gottes  die  beiden  Söhne  Urväkshaya  und  Ke- 
refafpa,  welch  letzterer  die  böse,  Menschen  und 
Vieh  verschlingenjle  Schlange  —  azhi  =  vedischem 
ahi  —  erschlägt,  die  den  Beinamen  crvara  trägt, 
etwa  die  ,gehörnte'  oder  ,hörnene'.')  Der  Sohn 
verrichtet  hier  also  die  Heldentat,  die  im  Veda 
dem  Gegenbilde  des  Vaters,  dem  vedischen  Trita, 
nachgerühmt  wird,  wie  auch  dem  Indra.  Athwya 
wieder  soll  der  zweite  jener  mythischen  Haoma- 
verehrer gewesen  sein  und  sein  Sohn  hat  eine 
ähnliehe  Heldentat  wie  der  Sohn  des  Thrita  ver- 
richtet, ja  er  ist  ein  noch  weit  mehr  gefeierter 
Held  der  persischen  Sage  geworden.  Sein  Name 
lautet  Thraetaona  Athwyäna,  eine  Art  Doppel- 
patronymikum,  dessen  erste  Form  unzweifelhaft 
deutlich  mit  Thrita  zusammenhängt  und  an  das 
vedische  Träitana  anklingt,  während  die  zweite 
offenbar  von  Athwya  abgeleitet  ist.  Er  vereinigt 
also  in  diesem  Doiipelnamen  die  Ableitungen  jener 
beiden  Namen,  die  der  vedische  Gott  Trita  Aptya 
trägt,  und  das  bestätigt  i;ns  die  Annahme,  daß 
der  Doppelname  alt,  die  Trennung  in  die  zwei 
Personen  Thrita  und  Athwya  unursprünglich,  erst 
später  eingetreten  ist.^) 

Die  vielgerühmte  Heldentat  des  Thraetaona 
Athwyäna  ist  die  Bezwingung  der  furchtbaren 
Schlange  azhi  dahaka.  Das  erste  der  beiden 
Worte  (azhi  =  ved.  ahi)  heißt  .die  Schlange',  das 
zweite   (dahaka)    ,die   verderbliche'.     Es    ist    ein 


fürchterliches  Ungeheuer  mit  drei  Rachen,  drei 
Schwänzen,  sechs  Augen  und  tausend  Kräften, 
von  Ahriman  zum  Verderben  dieser  Welt  geschaffen. 
,Dies  ist  die  Tat,  auf  welche  der  Ruhm  Thrae- 
tonas  gegründet  ist;  sie  bildet  den  Mittelpunkt 
seiner  Geschichte,  sie  ist  seine  ganze  Geschichte.'^) 
Es  ist  dieselbe  Heldentat,  die  im  Veda  vor  allem 
dem  Indra,  aber  auch  dem  Trita  Aptya  nach- 
gerühmt wird,  als  dessen  Gegenbild  im  Avcsta 
nun  Thraetaona  Athwyäna  erscheint,  mit  dem 
Doppelgänger  Kerepäfpa  zur  Seite,  der  ähnliches 
vollbracht  hat,  während  die  Gestalt  des  Indra 
bekanntlich  fast  spurlos  aus  der  persischen  My- 
thenwelt verschwunden  ist.  In  den  persischen 
Heldensagen  ist  später  aus  Kerefäcpa  der  Held 
Gershasp  geworden,  aus  Thraetaona  der  noch  be- 
rühmtere Feridun,  der  den  furchtbaren  Tyrannen 
Zohäk  (=  azhi  dahaka)  vernichtet,  aus  dessen 
Schultern  durch  einen  Kuß  des  Teufels  Schlangen 
hervorgewachsen  sein  sollen.  Auf  ihn  in  erster 
Linie  hat  sich  in  Persien  jener  Ruhm  des  Scblan- 
gentöters  konzentriert,  als  dessen  Träger  in  In- 
dien vor  allem  Indra  erscheint,  neben  dem  und 
vor  dem  im  Veda  aber  auch  Trita  Aptya  auf- 
taucht. 

Es  ist  kein  Zweifel,  wir  haben  hier  uralte 
Mythen  vor  uns,  von  Blitz-  und  Gewittergöttern, 
die  die  bösen  dämonischen  Schlangen  der  Him- 
melsregion vernichten,  —  eng  verbunden  mit  Soma 
—  Haoma,  dem  himmlischen  Meth,  in  Indien  auch 
eng  verbunden  mit  Indra. 

In  merkwürdiger  Weise  klingt  nun  aber  der 
Name  des  persischen  Thraetaona  Athwyäna,*)  der 
dem  indischen  Trita  ^Vptya  so  unzweifelhaft  nahe 
verwandt  ist,  an  den  Namen  der  griechischen 
Göttin  Athene,  der  Triton-Tochter,  an:  Tritonis 
Athana,  Athene  Tritogeneia.  Dieser  überraschende 
Zusammenklang  hat  schon  die  älteren  verglei- 
chenden Mythologen  dazu  geführt,  den  persischen 
Heros  und  die  griechische  Göttin  zu  identifizieren, 
respektive  sie  beide  und  selbstverständlich  auch 
den  indischen  Trita  Aptya  für  urverwandt  zu  er- 
klären. Diese  Zusammenstellung,  wie  seltsam  sie 
auch  auf  den   ersten  Blick  erscheinen  mag,    wie- 


aus  lautlichen  Gründen  athwya  und  äptya  vielmehr  in  der  Weise  vermittelt,  daß  er  von  einer  Form  ätpia  ausgeht  und. 
annimmt,  das  vedische  äptya  verdanke  seine  Entstehung  einer  volksetymologischen  Anlehnung  an  ap,  äp  ,Wasser'.  In 
diesem  Sinne  spricht  er  sich  auch  Indog.  Forschungen  I  p.  180  fg.  aus  und  wendet  sich  dabei  speziell  gegen  Pischel,  a.  a.  O. 
Wir  können  auf  die  schwierige  Frage  hier  nicht  naher  eingehen.  Uns  muß  es  genügen,  daß  die  Zusammenstellung  der 
beiden  Namen  allgemein  als  unzweifelhaft  richtig  fjilt. 

')  Vgl.  Roth  in  seinem  schönen  Aufsatz  ,I)ie  Sage  von  Feridun  in  Indien  und  Iran",  Zeitschr.  d.  Deutschen  Morg. 
Ges.  Bd.  II  p.  218;  Benfey  in  den  Nachrichten  der  K.  Ges.  d.  Wissensch.  zu  Göttingen  1868  p.  39  ;  Justi,  Handbuch  d. 
Zendsprachc  s.  v.  <;rvara. 

')  Vgl.  Benfey,  a.  a.  O.  p.  40. 

')  Vgl.  Roth,  a.  a.  O.  p,  218.  219.  ■•)  Vgl.  Roth,  a.  a.  O.  p.  217. 


Herakles  und  Indea. 


viel  Anstoß  sie  auch  der  modernen  sprachwissen- 
scli.aftliclieii  Skepsis  bietet,  sie  erweist  sich  den- 
nocli,  je  gründlicher  wir  den  Gegenstand  prüfen, 
je  tiefer  wir  die  uralten  Wurzeln  im  "Wesen  jener 
drei  mythologischen  Gestalten  aufdecken  und  er- 
fassen, immer  mehr  als  unzweifelhaft  richtig,  ja 
geradezu  unabweisbar.  Und  wenn  es  ursprüng- 
lich der  merkwürdige  Zusammenklang  der  Namen 
war,  der  bedeutende  Forscher  dazu  führte,  Athene 
Tritogeneia,  Tritouis  Athana  mit  Thraetaona 
Athwyäna  und  weiter  mit  Trita  Aptya  zusammen- 
zustellen, so  sind  es  jetzt  vielmehr  die  sach- 
lichen Gründe,  die  immer  mehr  sich  heraus- 
stellende ursprüngliche  Identität  des  Wesens,  die 
uns  gegenüber  den  Einwendungen  der  sprach- 
wissenschaftlichen Kritik  sicher  macht  und  ihre 
Bedeutung  abschwächt.') 

Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  wir 
in  Athene  ihrem  ursprünglichen  Wesen  nach  eine 
Blitz-  und  Gewittergottheit  zu  erkennen  haben, 
oder  —  wie  Röscher  es  formuliert  —  eine  Göttin 
der  Wetterwolken  und  des  Blitzes. ^j  Von  diesem 
Ausgangspunkt  weiter  entwickelt,  läßt  sich  der 
Charakter  der  herrlichen  Göttin  in  allen  wesent- 
lichen Zügen  durchaus  befriedigend  begreifen, 
wie  schon  Benfey  und  Röscher    ganz   richtig    er- 


kannt haben. ^)  Es  ist  derselbe  Ausgangspunkt, 
den  wir  für  den  persischen  Helden  Feridun,  Thrae- 
taona Athwyäna,  festgestellt  haben,  dieselbe  Sphäre, 
in  welcher  sich  der  vedische  Trita  Aptya  noch 
in  recht  primitiver  Form  bewegt.  Das  weibliche 
Geschleciit  kommt  bei  Athene  wahrscheinlich  auf 
die  Rechnung  der  speziell  griechischen  Entwick- 
lung.^) Jedenfalls  darf  uns  die  Verschiedenheit 
des  Geschlechts  hier  ebensowenig  stören  wie  etwa 
bei  den  Sonnengottlieiteu. 

Als  die  streitbai-e  Blitz-  und  Gewittergöttin 
zeigt  sich  uns  Pallas  Athene  seit  der  ältesten 
Zeit  in  der  tj'pischen  Ausrüstung  mit  Aegis  und 
Lanze.  Kein  Zweifel,  daß  wir  in  der  Aegis  die 
dunkle  Wetterwolke  zu  erkennen  haben  oder,  wie 
Preller  (a.  a.  0.  p.  157)  sich  ausdrückt,  das  fun- 
kelnde Sturmschild  der  von  Bützen  umleuchteten 
Donnerwolke.  Eben  darum  kommt  dieselbe  auch 
Zeus,  dem  großen  Gewittergotte  zu,  der  mit  einem 
Teile  seines  Wesens  in  Athene,  seiner  Tochter, 
sich  gleichsam  in  weiblicher  Form  selbst  wieder- 
geboren findet  und  darum  mit  ihr  in  der  denkbar 
innigsten  Beziehung  steht.  Von  Zeus  empfängt 
nach  der  Tlias  Athene  die  Aegis. ^)  Die  Lanze, 
die  die  Göttin  schleudert,  ist  deutlich  genug  der 
Blitz,    sie   ist   in    der  bildlichen  Darstellung  auch 


')  Mau  vgl.  namentüch  den  grundlegenden,  wenn  auch  jetzt  in  vielen  Einzelheiten  schon  veralteten  Aufsatz  von 
Th.  Benfey,  in  den  Nachrichten  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  und  der  G.  A.  Universität  zu  Güttingen,  Jahr- 
gang 1868  p.  36 — 60:  Tpj-ccuviS  'A6ava  Femininum  des  zendischen  Maskulinum  Thraetäna  Athwyäna.  Ein  Beitrag  zur  ver- 
gleichenden Mythologie.  Die  Zusammenstellung  vom  persischen  Thraetaona,  Thrita,  indischem  Träitaiia,  Trita,  und  grie- 
chischem Tritonis,  Triton,  Tritogeneia  wird  sich  kaum  ernstlich  beanstanden  lassen.  Weit  schwieriger  ist  die  Vermittlung 
von  Athene,  Athana  mit  Athwyäna,  Athwya,  Aptya.  Wir  sahen  bereits,  daß  auch  die  Vermittlung  von  Athwya  und  Aptya 
schon  ihre  Schwierigkeiten  hat.  Nichtsdestoweniger  wird  man  an  der  Identität  beider  Namen  nicht  zweifeln  können  und 
es  ist  wohl  auch  heute  noch  wahrscheinlich,  daß  Aptya  für  die  ältere  Form  zu  gelten  hat,  wie  Benfey  schon  seinerzeit 
annahm.  Daß  Bartholomae  anderer  Meinung  ist  und  vielmehr  von  einer  Form  ätpia  ausgehen  möchte,  wurde  von  mir 
schon  früher  erwähnt,  doch  halte  ich  mit  Fischöl  seine  Gründe  nicht  für  überzeugend.  Aptya,  respektive  eine  Form 
Aptyäna  oder  Aptyäna  mit  Athana  zu  vermitteln,  ist  nun  aber  freilicli  eine  schwierige  .Sache  und  es  darf  den  Sprach- 
forschern nicht  verübelt  werden,  die  sicli  dem  gegenüber  ablehnend  verhalten.  Dennoch  dürfte  Benfey  mit  der  Identifikation 
der  Formen  Recht  gehabt  haben  und  mit  Recht  vergleicht  er  Tritonis  Athana  =  Thraetaona  Athwyäna  mit  einer  formelhaften 
Verbindung  wie  Dyäuspitar  =  Zeus  pater  =  Juppiter  (a.  a.  O.  p.  46).  Es  scheint  hier  aus  altem  ty  ein  0  hervorgegangen 
zu  sein,  wie  y  wohl  bisweilen  Aspirierung  bewirkt.  Es  müßte  sich  aber  auch  das  p  dem  0  assimiliert  haben  und  endlich 
ganz  geschwunden  sein.  Assimilation  von  ttt  zu  tr  kommt  vor  und  der  Name  'A-cOi;  spräche  nacli  Benfey  im  vorliegenden 
Falle  für  diese  Annahme,  da  er  mit  Athene  insoferne  wecliselt,  als  F.richthonios  bald  Solui  des  Hephästos  und  der  Atthis, 
bald  des  Hephästos  und  der  Athene  genannt  wird  (a.  a.  O.  p.  48.  50).  Indessen  ist  die  .Sache  damit  doch  noch  keineswegs 
in  ausreichender  Weise  erledigt.  Man  wird  zugeben  müssen,  daß  die  formelle  Identitikation  der  Namen  Athana-Athene 
mit  pers.  Athwyäna,  theor.  Aptyä,na,  zunächst  sich  noch  nicht  auf  übei'zeugendo  Analogien  gründen  läßt  und  in  den  bis 
jetzt  bekannten  Lautgesetzen  arge  Hindernisse  findet.  Doch  sind  wir  auch  noch  weit  davon  entfernt,  alle  Lautgesetze 
des  Griechischen  zu  kennen,  weit  davon  entfernt  aucti,  die  Geschichte  dieses  speziollen  Wortes  uml  alle  Faktoren,  die 
eventuell  eine  unregelmäßige  Lantentwicklung  beeinllusseu  und  l)Owirken  konnten,  überblicken  und  beurteilen  zu  können. 
Es  gibt  auch  sonst  noch  liüclist  ;iuffallende,  ganz  singulare  Unregelmäßigkeiten  lautlicher  Art,  die  wir  niclit  durch  Ana- 
logien stützen  und  doch  auch  nicht  abweisen  können.  Die  lautliche  Geschichte  des  Wortes  Athana-Athene  aufzuhellen, 
muß  der  Zukunft  überlassen  bleiben.  Das  sachliche  Material  drängt  auf  jeden  Fall  dahin,  dasselbe  mit  .\thwyäna,  Athwya, 
Aptya  zusammenzustellen. 

')   Vgl.  Röscher  in  seinem  mythol.  Lex.  Bd.  I  075  fg.   (s.  v.  Athene). 

')   Vgl.  Benfey,  a.  a.  O.  p.  56  fg.;   Röscher,  a.  a.  O.  p.  687. 

*)  Vgl.  Benfey,  a.  a.  O.  ]>.  55. 

»)  Vgl.  Ilias  5,  736  fg. ;  l'reller,  a.  a.  0.  I  p.  I.'i7. 
Denkschriften  der  phil.-hist.  Kl.  68.  Bd.  3.  Abb.  2 


10 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Schkoedek. 


vielfach  durch  den  Bhtzstiahl,  respektive  ein  BUtz- 
bündel  ersetzt.')  Darum  darf  sich  Athene  auch 
rühmen,  sie  allein  kenne  den  Zugang  zu  dem  Ge- 
mach, wo  der  Blitz  verschlossen  sei.^)  Der  Bei- 
name Pallas  bezeichnet  AtJieue  wohl  als  die 
Schwingerin  der  Lanze,  respektive  die  blitzschleu- 
dernde Göttin,  und  die  geschwungene  Lanze  ist 
auch  dementsprechend  für  die  sogenannten  Palladien 
seit  den  ältesten  Zeiten  charakteristisch.') 

Ihr  streitbares  AVesen  hat  die  Athene  mit  den 
anderen  arischen  Blitz-  und  Gewittergottheiten 
gemein,  gemäß  der  uralten  Vorstellung  dieser 
Völker,  die  im  Gewitter  den  Kampf  einer  guten 
Gottheit  mit  bösen  Dämonen  zu  sehen  glaubten. 
Athene  erscheint  bald  selbst  als  kühne  Bekämpferin 
und  Besiegerin  solch  dämonischer  Wesen,  insbeson- 
dere der  Gorgo  und  der  Giganten,  bald  begleitet 
sie  schützend  und  helfend  ihre  auserwählten  Hel- 
den —  Herakles,  Perseus,  Bellerophon  —  in 
solchem  Kampfe.  Dies  Streitbare  ihres  Wesens 
läßt  Athene  ganz  naturgemäß  zu  einer  Göttin 
des  Krieges  überhaupt  werden,*)  wie  der  Gewitter- 
gott Indra  zum  Schlachtengott  der  vedischen  In- 
der geworden  ist.  Das  ist  die  Athene  Promachos, 
Alalkomene,  auch  Ilias,  wie  sie  in  der  Gegend 
des  alten  Troja  genannt  wird.  Ebendarum  gilt 
die  Göttin  wohl  auch  als  Erfinderin  der  Trom- 
pete und  des  Waffentanzes  Pyrrhiehe. 

Doch  nicht  nur  ilir  Kampf,  auch  ilir  Ur- 
sprung schon  weist  Athene  in  die  liimnilische 
Wolkenregion,  in  das  Gewitterdrama  hinein.  Sie 
gehört  zu  den  Wassern,  sie  stammt  aus  denselben, 
und  zwar  ursprünglich  zweifellos  aus  den  himm- 
lischen Wolkenwassern,  wie  Bergk  überzeugend 
dargelegt  hat.  Darum  heißt  sie  ja  die  Triton- 
tochter, Tritonis,  Tritogeneia,  aus  dem  See  oder 
Fluß  Triton  stammend,  den  die  Alten  in  verschie- 
denen Gegenden  suchten,  zuletzt  namentlich  in 
dem  Triton-See  Libyens  gefunden  zu  haben 
glaubten,  während  es  sich  ursprünglich  gewiß  um 
die  Wolkenwasser  handelte.-'')  Aber  auch  die  an- 
dere wohlbekannte  Sage  von  der  Gehurt  der 
Athene  aus  dem  Haupte  des  Zeus  ist  nichts  als 
eine  andere  Form  des  uralten  Mythus  von  der 
Gebui-t    der    Blitz-    und    Gewittergöttin    aus    der 


Wolke.  Der  Himmelsgott  Zeus  soll  die  von  ilmi 
schwangere  Metis ,  seine  erste  Gemahlin,  eine 
Tochter  des  Okeanos,  aus  Furcht  vor  der  Geburt 
eines  Sohnes  verschlungen  und  dann  aus  seinem 
Haupte  heraus  die  Athene  geboren  haben.  He- 
2)haestos  oder  auch  Prometheus  (oder  Hermes) 
spalten  ihm  dabei  mit  einem  Beile  das  Haupt. 
Athene  aber  springt  in  leuchtender  Rüstung  her- 
vor, mit  hochgeschwungenem  Speer,  mit  der  Aegis 
angetan,  lauten  Schlachtruf  erschallen  lassend.  Das 
sind  offenbar  mythische  Bilder,  die  auf  Gewitter- 
erscheinungen heruhen.  Die  Blitz-  und  Gewitter- 
göttin springt  unter  Donner  und  Blitz  aus  dem 
himmlischen  Gewölk  hervor,  hier  als  das  Locken- 
haupt des  Himmelsvaters  Zeus  gefaßt,  das  der 
Donnergott  Hejihaestos  oder  auch  Prometheus  spal- 
tet. Die  naheliegende  Deutung  wird  noch  bestimmter 
gestützt  durch  eine  andere  Version  der  Sage,  nach 
welcher  Athene  in  einer  Wolke  verborgen  war 
und  infolge  eines  Blitzschlages  des  Zeus  plötzlich 
aus  derselben  hervortrat.") 

Nichts  ist  natürlicher,  als  daß  eine  alte  Ge- 
wittergottheit in  nächster  Beziehung  zum  Gedeihen 
der  Vegetation,  zu  Ackerbau  und  Baumwuchs  ge- 
dacht wird,  wie  das  bei  Athene  namentlich  in 
Attika,  in  ihrem  Verhältnis  zu  Erechtheus-Erich- 
thonios,  zum  Ölbaum  u.  a.  m.  kräftig  hervortritt. 
Man  braucht  kaum  an  Thörr,  den  nordischen  Pa- 
tron des  Ackerbaues,  zu  erinnern.  Wenn  wir  ge- 
neigt sind,  dabei  zunächst  an  die  positive  Förderung 
des  Pflanzenwuchses  durch  den  im  Gewitter  sich 
entladenden  Regen  zu  denken,  so  kommt  hier  viel- 
leicht noch  eine  andere,  mehr  negative,  abwehrende 
und  schützende  Funktion  in  Betracht.  Es  ist  wohl 
möglich,  daß  Röscher  Recht  hat,  wenn  er  an- 
nimmt, ,daß  Athene  in  der  Erechtheussage  die 
Rolle  einer  gütigen,  allen  Wetterschaden  vom  Ge- 
treide abwehrenden  Wolkengöttin  spielt'.  Die 
bösen  Wetter,  die  dem  Getreide  schaden  können, 
scheinen  unter  dem  Bilde  der  Gorgonen  und  Gi- 
ganten vorgestellt  zu  sein.')  Wir  erinnern  uns 
dabei,  wie  stark  diese  schützende,  Wetterschaden 
abwehrende  Tätigkeit  beim  Kultus  der  Gewitter- 
götter, bei  den  altarischen  Sonnen-,  Feuer-  und 
Lebensfesten  hervortritt. 


')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  I  p.  157;  Roecher,  a.  a.  O.  p.  677.  Namentlich  makedonische  Münzen  zeigen  die  Göttin  den 
Blitz  mit  der  Rechten  schwingend,  den  Schild  mit  der  Linken  erhebend;  ähnliches  in  Athen,  in  Syrakns  und  auf  den 
MOnzen  der  gräko-indischen  Könige. 

*)  Vgl.  I'reller,  a.  a.  O.  1  p.  157;  Koscher,  a.  a.  ü.  p.  677. 

=)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  I  p.  156.  157. 

*)  Vgl.  Rüscher,  a.  a.  O.  p.  078  fg. ;  Pieller,  a.  a.  O.  I  p.  175  fg. 

')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  1  p.  152. 

•)  Vgl.  Röscher,  a.  a.  O.  I  p.  676;  auch  I'reller,  a.  a.  O.  p.  164  fg. 

')  Vgl.  Röscher,  a.  a.  <).  p.  684. 


Herakles  und  Ixdra. 


11 


Wenn  Athene  zugleich  in  hervorragendem 
Maße  als  Giittiu  der  Klugheit,  der  erleuchteten 
lütelligeuz  gefeiert  wird,  dann  dürfte  schon  Ben fey 
recht  gehabt  haben,  der  die  Göttin  der  Weisheit 
direkt  aus  der  Blitzgöttin  ableitet  und  erklärt, 
insofern  der  Blitz  alles,  auch  das  tiefste  Dunkel 
erhellt.  Es  spricht  dafür  besonders  auch  der  Um- 
stand, daß  die  Griechen  den  Blitz  mit  einem  treffen- 
den oder  zündenden  Gedanken  verglichen  haben.') 
Man  wird  dabei  an  die  merkwürdige  Tatsache 
erinnert,  daß  auch  Trita  Äptya  ein  weiser,  wissen- 
der Gott  zu  sein  scheint,  daß  es  von  ihm  heißt, 
alle  Weisheit  stecke  in  ihm,  wie  die  Nabe  im 
Rad  (RV  8,  41,  6).  Und  wenn  er  an  dieser  Stelle 
mit  Varuna  geradezu  identifiziert  zu  sein  scheint, 
dem  großen  Himmelsgotte,  der  nicht  dem  Namen 
nach,  wohl  aber  mit  einem  großen  Teil  seines 
Wesens  dem  Zeus  entspricht;  wenn  er  auch  sonst 
noch  zu  Varuna  in  einem  ücäheren,  noch  nicht 
ganz  aufgeklärten  Verhältnis  steht,  dann  darf  viel- 
leicht zum  Vergleich  an  das  nahe  Verhältnis  der 
Athene  zum  Zeus  erinnert  werden.^) 

Wenn  endlich  Athene  noch  in  besonderem 
Maße  als  Göttin  des  Spinnens  und  Webens  her- 
vortritt, wenn  sogar  bei  den  alten  Palladien  neben 
der  geschwungenen  Lanze  bisweilen  auch  der 
Spinnrocken  noch  als  Attribut  hinzukommt,^)  dann 
dürfte  auch  diese  Eigenschaft  bereits  richtig  aus 
der  Natur  der  Wolken-  und  Wettergöttin  abge- 
leitet worden  sein.  Wolke  und  Nebel  erscheinen 
nach  einer  verbreiteten  Vorstellung  als  eine  Art 
Gespinst  oder  Kleid,  die  sogenannten  Lämmer- 
wölkchen werden  von  Griechen  und  Römern  als 
Wollflocken  gefaßt  und  bezeichnet  (Tiiy.st  spiwv, 
vellera  lanae).  So  dürfte  es  wohl  begreiflich  sein, 
wenn  die  Göttin  der  Gewitterwolke  als  Spinnerin 
und  Weberin  erscheint,  ähnlich  den  germanischen 
Wolkengöttinen,  den  Valkyren.*)  Sie  wirkt  am 
Himmel,  spinnt  und  webt  Wolken  und  Nebel. 
So  mag  sie  wohl  leicht  auch  auf  Erden  zur  gött- 
lichen   Patronin    dieser    alten    Frauenkünste,    des 


Spinnens  und  Webens,  geworden  sein.  Wie  weit 
ihr  Schutz  und  ihre  Förderung  auch  anderer 
menschlicher  Fertigkeiten  hiervon  abgeleitet,^)  wie 
weit  er  ihr  als  Göttin  der  Klugheit  eignet,  darf 
wohl  dahingestellt  bleiben. 

Wenn  die  Blitz-  und  Gewittergöttin  Athene 
in  dem  alten  Heiligtum  der  Akademie  zu  Athen 
neben  den  Feuergöttern  Hephaestos  und  Prome- 
theus verehrt  wurde, '^)  dann  dürfte  das  dem  Ver- 
ständis  wohl  keinerlei  Schwierigkeiten  bereiten. 
In  ganz  anderer  Richtung  geht  die  Frage,  ob  wir 
auch  Athene  zum  Sonnenlicht  und  seiner  Gewinnune- 

o 

in  Beziehung  finden,  wie  andere  Gewittergötter, 
wie  namentlich  Indra  und  Herakles;  ob  auch  bei 
ihr  der  Sieg  im  Gewitterkampfe  allendlich  als  ein 
Sieg  des  Sonnenlichtes,  eine  Neugeburt  desselben 
sich  darstellt.  Es  ist  zwar  nicht  viel,  aber  viel- 
leicht doch  einiges,  was  auch  bei  Athene  in  dieser 
Richtung  hin  deutet.  Wenn  im  homerischen  Hj'mnus 
der  Aufruhr  der  Natur  nur  so  lange  dauert,  bis 
Athene  die  Waffen  ablegt,  .worauf  Zeus  sich  der 
Tochter  erfreut,  d.  h.  der  Himmel  sich  wieder 
aufheitert"),  dann  haben  wir  etwas  derart  vor 
uns.  Mehr  vielleicht  noch  liegt  in  dem  örtliciien 
Kult  der  Athene  Alea  iu  Arkadien,  der  zu  den 
ältesten  und  heiligsten  der  ganzen  Halbinsel  ge- 
hörte; denn  Alea  (äAsa)  ist  die  milde  gedeihliche 
Sonnenwärme.*)  Endlich  erscheint  es  uns  doch 
sehr  bedeutsam,  daß  Athene  bei  der  Argonauten- 
fahrt eine  wichtige  Rolle  spielt,  insofern  sie  als 
die  Erfinderin  der  vielbesungenen  Argo  gilt.") 
Darüber  aber  kann,  wie  mich  dünkt,  kein  Zweifel 
sein,  daß  die  Argonauten  fahrt  die  Fahrt  nach 
dem  Sonnenlicht  und  d'e  Wiedergewinnung  des- 
selben bedeutet.^")  Weit  stärker  tritt  indessen  stets 
Athene  als  die  gewaltige  Kämpferin  und  Siegerin 
hervor,  die  die  furchtbare  Gorgo  in  der  Giganten- 
schlacht tötet.  Gorgotöterin  ist  daher  ihr  Beiwort 
("i'cpvioiv;;)  und  nie  fehlt  an  ihrer  Brust  das 
Goi'goneion,  das  Entsetzen  erregende  Haupt  des 
getöteten   Ungetüms.     Weit    häufiger  jedoch    als 


')  Vgl.  Benfey,  a.  a.  O.  p.  57;  Röscher,  a.  a.  O   p.  087  Anm. 

')  Über  dieses  letztere  sagt  Preller  sehr  schön  a.  a.  O.  p.  154:  ,Schoii  die  Ilias  kennt  Athona  als  die  Lieblingstochter 
des  Zeus,  welche  er  selbst  geboren  habe,  die  'Oßpiaojiirpr),  d.  i.  die  starke  Tochter  de.s  starken  Vaters,  welclie  zu  diesem  iu 
einem  so  eigentümlich  innigen,  spezitischen  Verhältnis  der  Vertrautlieit  steht,  daß  sie  sozusagen  sein  anderes  Ich  bildet. 
Zeus  redet  zu  ihr  wie  zu  seinem  eigenen  (femüte,  erteilt  ihr  die  schwierigsten  .-Vufg.aben;  Athena  und  Zeus  worden  sogar 
gelegentlich  fllr  die  höchste  und  mächtigste  Gottheit  schlechthin  erklärt:  eine  Vorstellung,  welche  die  folgenden  Dichter 
in  vielen  Wendungen  zu  wiederholen  pflegen.' 

=)  Vgl.  Röscher,  a.  a.  O.  p.  681;  l'reller,  a.  a.  O.  I.  p.  171.  176.  184. 

')  Vgl.  Röscher,  a.  a.  O.  p.  681.  °)  Vgl.  Roschor,  a.  a.  O.  p.  682. 

«)  Vgl.  l'reller,  a.  a.  O.  p.  168.  ')  Vgl.  Preller.  a.  a.  O.  p.  156. 

«)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  p.  1.50,  161  (Anm.  4). 

9)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  I.  p.  178. 
'")  Näheres  darüber  in  Hand  II  meiner  , Arischen  Religion.' 


12 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoeder. 


selbst  Ungeheuer  bekäiupfeud  und  tötend  erscheint 
die  Göttin  als  Begleiterin  und  Schützerin  der  großen 
Helden,  die  solche  Taten  tun. 

Damit  sind  wir  wieder  beim  Herakles  an- 
ffelanfft,  denn  er  ist  es  vornehmlich,  den  sie  be- 
gleitet  und  schützt,  labt  und  erheitert.  Und  jetzt 
dürfen  wir  dies  Verhältnis  wohl  schon  mit  jenem 
andern  Verhältnis  des  Indra  zum  Trita  Aptya  ver- 
gleichen, welch  letzterer  nicht  bloß  als  Vorgänger 
und  Vorbild,  sondern  auch  als  ein  Helfer  und 
Kampfgeuoß  des  Indra  erscheint,  der  den  riesi- 
schen Helden  und  Dämonentöter  wohl  auch  in 
seinem  Hause  mit  Soma  bewirtet  und  mit  Liedern 
erfreut.  Beides  Gottheiten  der  gleichen  Sphäre, 
Gewitterwesen,  die  freundschaftlich  miteinander 
verbunden  sich  im  Kampf  gegen  die  bösen 
Dämonen  helfen  —  das  indische  wie  das  griechi- 
sche Paar.  Und  wenn  Athene,  die  Blitz-  oder 
Gewittergöttin,  dem  Herakles  bei  seinen  Helden- 
taten zum  Nutzen  der  Sonne  oder  zu  ihrer  Ge- 
winnung beisteht,  dann  i-epräsentiert  dieses  Paar 
damit  jene  Doiipelbeziehung  zum  Gewitter  und 
zur  Gewinnung  des  Sonnenlichtes,  die  in  Indien 
der  große  Held  Indra  in  sich  vereinigt. 

Die  hauptsächlichste  vergleichbare  Tat,  bei 
der  Indra-Trita  und  Herakles-Athene  hilfreich 
verbunden  erscheinen,  soll  weiter  unten  erörtert 
werden,  wenn  wir  die  ganze  Reihe  der  Abenteuer 
des  Herakles  durchgehen.  Zuvor  muß  noch  ein 
anderer  göttlicher  Helfer  des  Helden  kurz  be- 
sprochen werden. 

Neben  Athene  erscheint  als  solcher  Helfer 
und  Begleiter  des  Herakles  häufig  auch  Hermes, 
der  Götterbote,  ein  alter  Windgott,  wie  Röscher 
gezeigt  hat  und  wie  wir  weiterhin  ebenfalls  sehen 
werden.*)  Zu  Hermes  aber  zeigt  sich  in  Indien 
ein  merkwürdiges  Gegenbild,  das  zweifellos  mit 
ihm  urverwandt  ist:  Saramä,,  die  Botin  des  Indra, 
die  Götterhüudin,  ihrem  Namen  nach  die.  Wandelnde' 
(von  Wurzel  sar  wandeln,  gehen),  eine  tlieriomor- 
phische  Windgottheit,  die  dem  Gewittergott  Indra 
vorauseilt,  sein  Kommen  verkündend.  Die  Namen 
Hermes  und  Saramä  stimmen  durchaus  zusammen. 
Die  Verschiedenheit  des  Geschlechtes  kann  uns 
hier  ebensowenig  stören,  wie  bei  Athene  Tritonis 
und  Trita  Aptya,  Thraetaona  Athwyäna.  In  diesem 
Falle  ist  die  indische  Gottheit  weiblich,  die  griechi- 
sche männlich,  also  umgekehrt  wie  in  dem  oben 
erörterten.     Aber  auch  die  theriomorphische  Ge- 


stalt der  Saramä  kann  uns  für  die  Vergleichung 
kein  Hindernis  bilden.  Es  ist  eine  ältere  primi- 
tivere Gestalt  der  Windgottheit,  die  sich  zu  dem 
männlichen  Gott  ähnlich  verhält  wie  der  Fenris- 
Wolf  zu  Loki. 

Für  gewöhnlich  hat  man  bisher  den  anderen 
Namen  des  griechischen  Gottes,  Hermeias,  mit  dem 
vedischen  Särameya  zusammengestellt,  dem  Sohne 
der  Saramä,  dem  Hunde  des  Totengottes  Yama, 
dem  Totenhund.  Diese  Zusammenstellung,  ob  auch 
öfters  angefochten,  ist  in  der  Hauptsache  dennoch 
gewiß  i-ichtig.  Der  Seelenführer  Hermes-Hermeias 
und  der  Seelenhuud  Särameya,  der  den  Weg  zum 
Totenreich  bewacht,  sie  gehören  gewiß  ursprüng- 
lich zusammen,  trotzdem  auf  der  einen  Seite  ein 
Gott,  auf  der  andern  ein  mythisches  Tier  steht 
und  ihre  Funktionen  sich  keineswegs  einfach 
decken.  Ein  jedes  hat  seine  selbständige  Entwick- 
lung gehabt,  doch  die  Wurzel  ist  dieselbe  :  das 
zuerst  theriomorphisch,  dann  göttlich  gedachte 
mythische  Windwesen,  das  die  Toten  führt,  aber 
auch  zu  ihrem  Wächter  werden  kann. 

Saramä  und  Särameya,  die  Götterhündin  und 
ihr  Sohn,  der  Seelenhund,  sie  sind  als  zwei  Ge- 
stalten auseinander  getreten,  während  der  griechi- 
sche Gott  Hermes-Hermeias  ungeteilt  ihnen  beiden 
entspricht,  respektive  beide  primitive  mythische 
Wesen  und  ihre  Funktionen  in  seiner  Person  ver- 
einigt zeigt.  Uns  interessiert  er  hier  nicht  als 
Psj'chopompos,  sondern  nur  als  der  geflügelte 
Götterbote,  der  den  riesischen  Sonnenhelden  Hera- 
kles als  Helfer,  Genosse  und  Schützer  begleitet. 
Als  solcher  entspricht  er  der  Saramä,  deren 
Namen,  vom  Geschlecht  abgesehen,  mit  dem  Namen 
Hermes  identisch  ist. 

Es  ist  etwa  ein  halbes  Dutzend  Rigveda- 
Lieder,  in  welchen  Saramä  auftritt,  und  die  Rolle, 
die  sie  in  denselben  spielt,  ist  recht  typisch  die 
gleiche.  Auf  Indras  und  der  Angirasen  Geheiß 
geht  Saramä  aus  und  findet  den  festen  Kuhstall 
auf,  in  dem  die  Kühe  verborgen  sind.  Sie  geht 
voran,  sie  ist  gut  zu  Fuß  (supadi),  sie  findet  den 
Spalt  des  Felsens,  sie  erkennt  das  Gebrüll  der 
unversieglicheu  Kühe.  Als  Indra  den  Fels  der 
Wasser  erbrach,  da  zeigte  zuerst  sich  seine  Saramä. 
Auf  dem  Pfade  des  Rechtes  gehend  fand  Saramä 
die  brüllenden  Kühe  auf,  und  damit  für  das  Menschen- 
volk wie  auch  für  ihre  (der  Saramä)  Nachkommen- 
schaft Nahrung  und  Labung.^) 


*)  In  Band  III  meiner  ,Ari8chei>  Religion'  behandelt. 

')  Vgl.  RV  1,  62,  3:  auf  Indras  und  der  Aiigirasen  Geheiß  fand  Saramä  Nahrung  für  ihre  Naclikoninienseliaft; 
Brihaspati  spaltete  den  Fels  und  fand  die  Kühe;  RV  ),  72,  8:  iSaramä  fand  den  festen  Kulistall  auf,  durch  den  das 
Menechenvolk  sich  nährt;  UV  3,  31,  5 — 8;  die  Weisen,  die  sieben  Sänger,  bahnten  die  Bahn  zu  den  im  festen  Fels  (viläu) 


Heeakles  und  Indea. 


13 


Es  ist  die  unendlich  oft  im  Veda  variierte 
Geschiclite  von  der  Befreiung-  und  Gewinnung  der 
im  liimmlisclien  Fels  verschlossenen  Kühe,  die  bald 
als  die  "Wasser  des  Regens,  hald  auch  als  die 
rötlichen  Strahlen  des  Lichtes  erscheinen.  Böse 
Dämonen  halten  Wasser  und  Licht  verborgen.  Die 
Gewinnung  beider  ist  die  große  Heldentat,  die 
vor  allem  dem  Indra  nachgerühmt  wird.  Aber 
aucii  andere  Götter  und  Halbgötter  erscheinen 
bei  dem  Werke  beteiligt.  Wo  Saramä  in  dem 
himmlischen  Drama  auf  tritt,  finden  wir  neben  Indra 
namentlich  noch  die  Angirasen  und  andere  Weise 
und  Seher  der  Vorzeit,  heihge  und  mächtige 
Ahnengeister,  als  Helfer  und  Förderer  des  Werkes 
in  Tätigkeit.  Sarama  aber,  die  findige  Götter- 
hündin, die  Götterbotin,  eilt  raschen  Fußes  voran, 
findet    den  Weg,    führt  zum  Versteck  der  Kühe. 

Besonders  lebendig,  dramatisch  bewegt  ist 
die  Schilderung  des  Liedes  RV  10,  108,  das  ganz 
diesem  Abenteuer  gewidmet  ist  und  Saramä  als 
Botin  des  Indra,  als  Hauptperson  in  dem  Vor.spiel 
des  oft  geschilderten  Dramas  zeigt. 

Einen  weiten  Weg  ist  Saramä  gegangen,  sie 
hat  den  Rasä-Strom,  den  vedischen  Okeanos  über- 
sehritten, alle  Gefahren  überstanden  und  trifft  nun 
die  Panis,  die  bösen  Dämonen,  die  die  Kühe  ge- 
fangen halten.  Verwundert  fragen  diese  sie,  wie 
ihr  das  gelungen  sei  und  was  sie  suche.  Saramä, 
erwidert,  sie  komme  als  Indras  Botin,  von  ihm 
gesandt,  um  der  Panis  Schätze  zu  suchen.  Er 
habe  ihr  auch  über  die  Rasa  herüber  geholfen. 
,Wer  ist  denn  dieser  Indra,  dessen  Botin  du  bist?' 
fragen  die  Panis  geringschätzig.  ,Laß  ihn  nur  kom- 
men, er  mag  der  Hüter  unserer  Kühe  werden.' 
Doch  Saramä  warnt  sie  und  rät  ihnen,  solchen 
Spott  zu  lassen.  Indra  werde  kommen  und  sie 
alle  bald  ersciilagen.  Die  Panis  rühmen  sich  ihrer 
scharfen  Waffen  und  erklären,  die  Kühe  auf  keinen 


Fall  herauszugeben.  Rinder,  Roße  und  Schätze 
ruhen  wohl  geborgen  im  Schoß  des  Berges.  Saramä 
warnt,  auch  Brihaspati  werde  kommen,  der  Helfer 
und  Genosse  des  Indra,  die  vom  Somatrunk  be- 
geisterten Rishis  alle,  Ayäsya,  die  Angirasen,  die 
Navagvas.  Sie  werden  die  Herde  unter  sich  teilen, 
die  Panis  werde  ihr  Wort  noch  gereuen.  Nun 
ziehen  sie  andere  Seiten  auf,  bitten  und  schmeicheln, 
Saramä  solle  bei  ihnen  bleiben,  sie  wollen  sie  zu 
ihrer  Schwester  machen,  ihr  auch  von  den  Kühen 
was  abgeben.  Doch  Saramä  will  nichts  davon 
hören.  Sie  droht  aufs  neue  mit  Indra  und  den 
furchtbaren  Angirasen,  die  bald  erscheinen  werden, 
nach  den  Kühen  begehrend.  Die  Panis  sollen  nur 
sich  davonmachen  und  den  Platz  räumen.  Ein 
Schlußwort  deutet  kurz  die  Gewinnung  der  Kühe 
durch  die  göttlichen  Streiter,  die  Niederlage  der 
bösen  Panis  an. 

Das  ist  das  indische  Gegenbild  des  herrlichen 
Götterbüten  Hermes,  der  den  Herakles  auf  seinen 
Fahrten  begleitet  und  ihm  auch  bei  der  berühmten 
Gewinnung  der  Rinder  des  Geryones  beisteht.  So 
groß  die  Verschiedenheit  beider  Gestalten  auch 
ist,  wir  werden  doch  nicht  daran  zweifeln  können, 
daß  sie  ursprünglich  identisch,  auf  dieselbe  mythi- 
sche Wurzel  der  arischen  Urzeit  zurückgehen. 
Die  bald  theriomorphisch,  bald  menschlich,  bald 
männlich,  bald  weiblicli  gedachte  Windgottheit, 
die  dem  Donnerkeilträger  als  Bote  vorauseilt  und 
ihm   hilft,    ist   das  Ursprüngliche,    Gemeinsame.') 

Herakles  steht  auch  mit  Apollon  in  naher 
Beziehung,  wenn  diese  auch  eine  wesentlich  andere 
ist  als  die  Beziehung  zu  Athene  und  Hermes. 
Mit  Apollon  streitet  Herakles  um  den  Dreifuß, 
er  erseheint  aber  docli  auch  deutlich  genug  als 
Freund  und  Verehrer  dieses  Gottes,^)  ja  als  der 
heroische  Vorkämpfer  des  apollinischen  Dienstes. 
Da  wir  den  Lichtgott  Apollon  als  alten  Feuergott 


befindlichen  Kühen;  den  Weg  kennend  drang  er  (Indra)  zu  ihnen  ein;  als  Saramä  den  Spalt  des  Felsens  auffand,  da 
machte  sie  den  gx-oßen,  alten,  auf  ein  Ziel  gerichteten  Pfad;  sie  führte  an,  »ie,  die  gut  zu  Fuß  ist  (supadij;  sie  ging  zuerst 
heran,  erkennend  das  Gebrüll  der  uuversieglichen  (Kühe);  der  Weiseste  kam,  ihr  sich  gesellend  —  er  gewann  —  er  tötet 
den  Cushiia  etc.  RV  4,  16,  8.  Als  du  (o  Indra)  den  Fels  des  Wassers  erbrachst,  da  zeigte  sich  zuerst  deine  Sarama;  er- 
schließe uns  als  Führer  reiche  Labung,  von  den  Angirasen  gepriesen  etc.  RV  n,  4ri,  7.  8:  Recht  gehend  fand  Saramä  die 
Kühe.  Als  bei  dieser  großen  (Göttin)  Aufleuchten  die  Angirasen  alle  samt  den  Kühen  brüllten,  bei  ihrem  Quell,  am  höchsten 
Sitz  fand  Saramä   auf  dem  Pfade  des  Rechtes  die  Kühe  etc. 

')  Roth  nimmt  an,  daß  in  dem  Liede  RV  10,  108  Saram.ü  nicht  tierisch,  sondern  menschlich  gestaltet  gedacht  sein 
müsse,  wohl  weisen  der  angetragenen  Geschwisterschaft  von  Seiten  der  Pani».  Ich  halte  das  nicht  für  zwingend.  Doch 
kommt  allerdino'S  in  diesem  wie  auch  in  den  anderen  Liedern  des  Rigveda  kein  Hinweis  auf  die  Hundegestalt  der  Saramä 
vor.  Die  indischen  Erklärer  sind  es,  die  sie  als  Götterhündin  bezeichnen,  und  der  Hund  des  Yama  ist  ihr  Sohn.  Denkbar 
wäre  es,  daß  sie  bald  tierisch,  bald  menschlich  gestaltet  gedacht  wurde.  Vgl.  Siebenzig  Lieder  des  Rigveda  von  Geldner- 
Kaegi-Roth,  p.  SO.  Anm. 

^)  Vgl.  Preller,  Griech.  Mythol.  .'<.  AuÜ.  II,  p.  H'i'i.  163.  Wenn  es  auffällt,  daß  Herakles,  der  Apollonverehrer,  auch 
mit  Apollon  streitend  erscheint,  dann  darf  auch  an  die  merkwürdige  Mythe  des  Rigveda  erinnert  worden,  die  uns  Indra, 
den  Schützer  und  Helfer  der  Sonne,  den  Sonnenhelden,  mehrfach  in  einem  noch  nicht  recht  aufgehellten  Streit  mit  Ushas, 
der  jungen,  neuaufsteigenden  Sonne  vorführt.     Er  zerschlägt  mit  seinem  Donnerkeil  den  Wagen  der  Ushas. 


14 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoedek. 


erkannt  liaben,  darf  damit  ^volil  die  nahe  Be- 
ziehung des  Indra  zu  Agni  verglichen  -werden, 
die  oft  als  ein  Paar,  dualisch  verbunden,  in  den 
vedisclien  Liedern  erscheinen,  als  Indrägni  oder 
Indrä-agui.  Ja.  Indra  und  Agni  werden  Zwillings- 
brüder genannt,  obwohl  sie  von  verschiedenen 
Müttern  stammen  (RV  G,  59,  2).  Mit  Agni  ist 
Indra  häufiger  als  mit  irgendeinem  andern  Gott 
dualiscli  A-erbunden  (cf.  Macdonell,  Yedic  Mytho- 
logj',  p.  57).  Indra  soll  den  Agni  zwischen  zwei 
Steinen  erzeugt  oder  in  dem  Wasser  aufgefunden 
haben  (cf.  RV  2,  12,  3;  10,  o2,  6;  Macdonell, 
Vedic  Mythology,  p.  57).  Mau  darf  und  muß  auch 
daran  erinnern,  daß  das  typische  Somafest  des 
Jyotiragnishtoma,  der  Lichtfeuerlobgesang, 
bei  dem  der  Gewittergott  Indra,  der  Gewinner 
der  Kühe,  der  "Wasser  und  des  Sonnenlichtes  vor- 


nehmlich gefeiert  wird,  ein  Feuerfest  ist,  wie 
schon  der  Name  kräftig  genug  andeutet.  Es  ist 
der  typische  Vertreter  der  alten  Sonnenfeuerfeste, 
der  Lebensfeste,  bei  denen  die  sonnensymbolischen 
Feuer  flammen,  Sonnenschein  und  Gewitterregen 
magisch-kultlich  gewirkt  werden. 

Auch  daran  muß  in  diesem  Zusammenhange 
erinnert  werden,  daß  Trita  Aptya,  der  mythische 
Vorfahre,  aber  auch  Diener  und  Helfer  des  Indra, 
wie  wir  gesehen  haben,  den  Agni  am  Himmel  auf- 
fludet,  den  Agni  in  der  Himmelshöhe  anbläst. 
Dann  wird  Agni  der  Mittelpunkt  in  den  Häusern 
der  Menschen.  Trita  ist  also  ein  Förderer  der 
Agniverehrung,  wie  Hei'akles  ein  Vorkämpfer  und 
Förderer  des  Apollondienstes.  Bei  der  nahen  Ver- 
wandtschaft des  Indra  mit  Trita  ist  auch  dieser 
Zug  bedeutsam. 


Persönliche  Züge, 


Bevor  wir  die  Taten  und  Abenteuer  des  Herakles 
kennen  lernen  und  mit  denen  des  Indra  vergleichen, 
erseheint  eine  Betrachtung  seiner  Persönlichkeit 
angezeigt,  die  in  ihrer  gewaltigen  Eigenart  kraft- 
voll charakterisiert  in  der  ganzen  griechischen 
Mythologie  einzig  dasteht  und  die  auffallendsten 
Vergleichungen  mit  der  Gestalt  des  Indra  aufweist, 
die  ebenso  eigenartig  in  der  Götterwelt  Indiens 
hervortritt. 

Herakles  ist  das  Vorljüd  männlicher  Kraft, 
groß  und  stämmig,  vierschrötig  gedacht.  Seine 
ganze  Natur  ist  mehr  auf  Derbheit  angelegt,  auf 
überragende  Körperkraft,  als  auf  Geist  und  Seele. 
Eben  darum  erscheint  er  auch  als  der  Schutz- 
patron der  Athleten.  1)  All  die  gewaltigen  Taten, 
die  man  von  ihm  erzählt,  zeigen  ihn  immer  wieder 
von  dieser  Seite,  ob  er  nun  den  nemeischen  Löwen 
im  gewaltigen  Ringen  erwürgt,  die  lernäische 
Hydra  bezwingt,  den  erymanthischen  Eber  oder 
den  Kerberos  lebendig  herbeischafft  oder  Burgen 


bricht  und  riesische  oder  menschliche  Feinde  aller 
Art  vernichtet.  Wie  das  Ideal  des  Athleten,  so 
ist  er  auch  das  Ideal  des  Kämpfers  in  der  Schlacht, 
löwenmutig,  kühn  und  stark.-)  Seine  gewaltige 
Kraft  offenbart  sich  schon  gleich  nach  seiner  Ge- 
burt, da  das  neugeborene  Heldenkind  den  von 
Hera  zu  seiner  Vernichtung  gesendeten  Schlangen 
mutig  entgegentritt  und  sie  mit  seineu  Händen  er- 
würgt, ä)  Als  Jüngling  von  18  Jahren  tötet  er  dann 
den  Löwen  auf  dem  Gebirge  Kithaeron,  in  dessen 
Fell  er  sich  kleidet,*)  und  schreitet  dann  zu  immer 
größeren  Heldentaten  vor. 

Auch  für  Indra  ist  nichts  so  charakteristisch 
wie  die  ungeheuere,  alles  überragende  Körper- 
kraft und  Größe,  der  entsprechende  seelische  oder 
geistige  Qualitäten  nicht  zur  Seite  stehen  und  die 
bei  ihm  naturgemäß  noch  in  ganz  anderen  Dimen- 
sionen geschildert  werden  wie  bei  Herakles,  da 
der  letztere  doch  nur  lialbgöttlicher  Heros  ist, 
der    sich    zur  Götterwürde    emporringt,    während 


')  Vgl.  Preller,  Griech.  Mythol.  3.  AuH.  II,  p.   185.  259.  261. 

=j  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  p.  262. 

)  ^'g'-  Preller,  a.  a.  O.  II,  p.  178.  In  merkwürdigem  Kontrast  zu  diesem  feindseligen  Vore;ehen  der  Hera  gegen  den 
neugeborenen  Herakles  steht  ein  anderer  Zug  der  Sage,  nach  welchem  Hermes  das  Kind  Herakles  zum  Olymp  hinauf- 
getragen und  an  die  Brust  der  Hera  gelegt  haben  soll.  Vasenbilder  spiegeln  den  Vorgang  wieder,  in  der  Nähe  von  Theben 
wurde  sogar  der  Ort  gezeigt,  wo  Hera  den  Herakles  gestillt  habe,  nach  anderen  soll  dies  in  der  Nähe  von  Argos,  auf 
Veranlassung  der  Athene  geschehen  sein.  Man  erklärte  sich  später  sogar  die  Milchstraße  durch  die  bei  dieser  Gelegenheit 
vergossene  Milch  (vgl.  Preller,  a.  a.  O.  H,  p.  178.  179).  Das  deutet  alles  auf  das  ursprünglich  nahe  und  freundliche  Verhältnis 
zwischen  Hera  und  Herakles  hin,  dessen  wir  oben  Erwähnung  getan  haben.  Daß  die  Schlangen,  die  der  neugeborene 
Herakles  erwürgt,  gerade  von  Hera  gesandt  waren,  dürfte  ein  späterer  Zug  der  Sage  sein. 

*)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  11,  p.  180. 


Herakles  und  Indra. 


15 


Indra  schon  im  Rigveda  als  Gott,  ja  als  der  stärkste 
und  mächtigste  aller  Götter  vor  uns  steht.  Auf 
diese  letztere  Differenz,  die  weit  davon  entfernt 
ist,  einen  radikalen  Unterschied  beider  Ge- 
stalten zu  begründen,  kommen  wir  weiter  unten 
zurück. 

Indra  üljerragt  in  seiner  riesigen,  derben  und 
ungeschlachten  Größe  Himmel,  Erde  und  Luft- 
raum. Beide  Welten  sind  höchstens  halb  so  groß 
wie  er.  Seine  wilde,  ungestüme  Kraft  findet  nirgends 
ihresgleichen.  Kein  Erdgeborener,  aber  auch  kein 
Gott  kann  ihm  widerstehen,  kann  mit  ihm  sieh 
messen  oder  gar  es  wagen,  ihn  zu  übertreffen, 
keiner  von  allen,  die  geboren  sind  oder  noch  ffe- 
boren  werden  sollen. i)  Er  ist  der  gewaltige  Dä- 
monentöter,  der  unvergleichlich  größte  Held,  der 
unbesiegte  Sieger  und  Burgenbrecher,  das  Ideal 
aller  tapferen  Krieger  und  daher  naturgemäß  auclx 
der  mächtige  göttliche  Helfer  in  der  Schlacht, 
der  Schlachtengott.^)  Seine  ungeheuere  Kraft  zeigt 
sich  gleich  bei  seiner  Geburt.  Als  Kriegsmann 
kommt  er  auf  die  Welt,  kaum  geboren  ist  er 
unwiderstehlich  an  Kraft,  Furcht  einflößend.  Bei 
seiner  Geburt  schon  zittern  aus  Furcht  vor  ihm 
und  seinem  Zorn  die  festen  Berge,  Himmel  und 
Erde,  ja  alle  Götter  fürchten  sich  da  schon  vor 
ihm.^)  Das  ist  Vorspiel  und  Ankündigung  seiner 
gewaltigen  Taten,  denen  nichts  auf  Erden  und  im 
Himmel  gleichkommt. 

Zu  dem  Helden  und  Krieger  gehören  seine 
Waffen.  Die  charakteristische  Bewaffnung  des 
Herakles  bildet  seine  Keule,  wie  auch  Bogen  und 
Pfeil.  Das  letztere  hält  Preller  für  das  ältere, 
während  er  den  mit  Keule  und  Löwenhaut  be- 
waffneten Herakles,  der  sich  namentlich  seit  Pi- 
sander  und  Stesichoros  überwiegend  geltend  macht, 
auf  orientalische  Vorbilder  zurückführen  möchte.*) 
Keule  und  Löwenhaut  sind  indes  nicht  genetisch 
von  Hause  aus  untrennbar  verbunden  und  ich 
glaube  kaum,  daß  wir  Ursache  haben,  die  Keule 
beim  Herakles  als  fremdländisches  Lehngut  zu 
betrachten.  Sie  stimmt  durchaus  zu  dem  als  Keule 
gedachten  Vajra,  dem  Donnerkeil  des  Indra,  wie 
zur  clava  des  Thörr  und  dürfte  demnach  wohl 
urarisch  sein. 


Die  Keule  des  Herakles  war  der  Wurzelstock 
eines  wilden  Ölbaumes,  wie  andere  Keulen,  welche 
man  in  den  Händen  der  griechischen  Recken  und 
Riesen  nicht  selten  sieht.  Nach  einigen  war  sie 
künstlich  geschweißt  und  mit  Erz  beschlagen, 
also  ein  Werk  des  Daedalos  oder  Hepbaestos.^) 
Diese  letztere  Vorstellung  dürfte  die  jüngere  sein. 
Die  Keule  aus  dem  Wurzelstock  irgendeines 
wilden  Baumes  darf  neben  dem  von  der  Erde 
aufgegriffenen  Stein,  dann  dem  primitiven  Stein- 
hammer, wohl  als  älteste  Bewaffnung  des  Menschen- 
geschlechtes gelten.  Sie  ist  das  charakteristische 
Attribut  der  wilden  Stämme  und  eignet  auch  an- 
deren griechischen  Riesen  und  Recken,  außer 
Herakles,  daher  um  so  weniger  Grund  ist,  die 
Keule  des  Herakles  speziell  aus  dem  Orient  ab- 
zuleiten. Daß  wir  uns  auch  die  Keule  des  Indra, 
den  Vajra  oder  Donnerkeil,  ursprünglich  ähnlich 
zu  denken  haben,  als  Wurzelstock  eines  Baumes, 
wenn  auch  nicht  gerade  eines  Öll)aumes,  darauf 
deutet  vielleicht  der  Umstand  hin,  daß  derselbe 
als  mit  vielen  Spitzen,  Zacken,  Ecken  versehen 
gedacht  wird.'')  Dies  dürfte  eine  uralte  Vorstel- 
lung sein.  Für  jünger  werden  wir  dagegen  wohl 
die  im  Veda  nicht  seltene  Bezeichnung  des  Donner- 
keils als  ehern  oder  eisern  (äyasa)  halten  müssen, 
da  dieselbe  die  Kenntnis  der  Metalle  voraussetzt. 
Daneben  erscheint  aber  auch  noch  im  Veda  die 
Bezeichnung  der  Waffe  des  Indra  als  eines  Steines 
oder  eines  Felsens,')  die  wohl  auch  auf  höchstes 
Altertum  Anspruch  machen  dürfte.  Einmal  wird 
dieser  Stein,  den  Indra  schleudert,  als  der  eherne 
oder  eiserne  bezeichnet,*)  avo  verschiedene  Vor- 
stellungen miteinander  vermischt  scheinen.  Wenn 
wir  noch  den  Hammer  des  Thörr  zur  Vergleichung 
mit  heranziehen,  der  bei  Saxo  wiederum  als  Keule 
(clava)  olme  Griff  erscheint,  auch  beachten,  daß 
der  deutsche  Donar  eigentlich  keilförmige  Steine 
vom  Himmel  herabwirft,'')  dann  ergibt  sich  die 
Vermutung,  daß  der  vorauszusetzende  urarische 
Gewitterriese  mit  den  schweren  Waffen  der  Keule, 
des  Steines  oder  Steinliammers  abwechselnd  be- 
wehrt gedacht  wurde,  denen  die  Phantasie  in 
späteren  Zeiten  dann  noch  irgendwie  etwas  Metal- 
lisches, respektive  Ehernes    hinzuzufügen    suchte. 


')   Vgl.  Macdonell,  Vedic  Mytliology  p.  57.  58.  64.  -)  Vgl.   Macdonell,  Vedic  Mytliology  p.  6i.  64. 

=>)  Vgl.  Macdonell,  a.  a.  O.  p.  iC.  *)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  187.   188. 

»)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II,  p.  189. 

«)   Vgl.  die  Epitheta  sahasrabhrshti  ,taU86nd  Zacken  habend';    (;atri<;ri  .mit   hundert  Ecken  oder  Kanton';  auch   die   mit 
Zacken  versehene  Waflfe  des  Indra  RV   1,  52,   15  (bhishtiniätä  vadh^Mia)   ist  natürlich  seine   Keule. 
')  acjman,  parvata.  Vgl.  Macdonell,  a.  a.  O.  p.  55. 
')  RV  1,  121,  9,  tvära  äyaeäm  pr.iti  vartayo  gör  divö  ä(;mänam. 
»)  Vgl.  Grimm,  Deutsche  Myth.  4.  Aufl.  p.  149.   150. 


16 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoedek. 


Daß  außerdem  nocli  etwas  wie  eine  alte  Bumerang- 
vorstellung  mit  liiueinspielt,  haben  wir  früher 
gesehen  —  das  Zurückkehren  des  Geschosses  in 
die  Hand  des  Schleudernden  —  doch  ist  davon 
bei  der  Waffe  des  Herakles  nichts  zu  bemerken. 
Herakles  ist  aber  nicht  nur  der  Keulenträger, 
er  erscheint  schon  in  ältester  Zeit  unzweifelhaft 
deutlich  als  gewaltiger  Pfeilschütz,  und  da  ist  es 
interessant,  daß  auch  Indra  im  Rigveda  als  solcher 
hervortritt.  Freilich,  die  eigentlich  charakteristische, 
die  spezifische  Waffe  des  Indra  ist  und  bleibt  der 
Donnerkeil  Vajra,  aber  daneben  sehen  wir  ihn 
doch  auch  mit  Pfeil  und  Bogen  hantieren,  die 
Feinde  mit  seinen  Pfeilen  töten.  So  heißt  es  von 
ihm,  RV  2,  12,  10,  daß  er  die  großen  Feinde  alle, 
eh  sie  es  vermuten,  mit  dem  Pfeile  töte  (färvä 
jaghäna);  so  RV  10,  27,  6,  daß  die  Indrafeinde 
seinem  Pfeile  (färave)  verfallen.  Es  heißt,  daß 
Indra  hoch  aufgerichtet  gegen  den  arglistigen 
Menschen  seinen  Pfeil  geschleudert  (färum,  RV 
10,  99,  7).  Er  hat  mit  seinem  Pfeil  (färvä)  die 
Dasyus  und  die  (^imyus  auf  der  Erde,  sie  tötend, 
niedergestreckt  (RV  1,  100,  18).  Die  letztere  Stelle 
ist  darum  besonders  interessant,  weil  Indra  in 
derselben  zugleich  das  Epitheton  suvajra  erhält, 
das  heißt  ,der  trefflich  mit  dem  Donnerkeil  Be- 
wehrte'. Beide  Waffen  werden  also  nebeneinander 
erwähnt.  Viele  Tausende  hat  Indra  mit  seinem 
Pfeile  zu  Boden  gestreckt  (färvä,  RV  4,  28,  3). 
Seinem  Pfeile  verfällt  die  Dämonenschaar  der 
Vi'lcivantas  (^ärave  RV  6,  27,  6).  Indra  und 
Varuna  treten  vereint  mit  dem  Pfeile  tötend  auf 


(RV  7,  85,  2:  färvä).  Es  heißt  von  dem  Pfeile 
(ishu),  den  Indra  sich  zum  Genossen  macht,  daß 
er  hundert  leuchtende  Metallspitzen,  tausend 
Federn  habe  (RV  8,  66,  7).  Aus  den  Wolken- 
bergen hervor  schoß  Indra  den  wohlgezielten  Pfeil 
(bundäm  svätatam,  RV  8,  66,  6).  Dieser  Pfeil 
(bundä)  wird  als  golden  bezeichnet  (RV  8,  66,  11). 
Eben  geboren  greift  schon  der  Vritratöter  nach 
dem  Pfeil  (bundä)  und  fragt  die  Mutter:  ,Wer  ist 
gewaltig?  wer  berühmt?'  (RV  8,  45,  4).  Indra  er- 
hält die  Epitheta  ishuhasta  und  ugradhanvan, 
das  heißt  ,der  Pfeile  in  den  Händen  Haltende' 
und  ,der  Träger  des  furchtbaren  Bogens.'  Auch 
ein  indisches  Gemälde  im  Museo  Borgiano  zeigt 
uns  Gott  Indra  mit  Bogen  und  Pfeil  in  den  Händen 
(vgl.  Tab.  XXIV  der  Kupfertafeln  zur  , Darstel- 
lung der  brahmanisch-indischen  Götterlehre,  nach 
dem  lateinischen  Werke  des  Pater  Paullinus  a 
St.  Bartholomaeo  bearbeitet',  Gotha  1797).  Man 
sieht  aus  alledem,  daß  wir  neben  das  Bild  des 
Donnerkeilträgers  Indra  auch  dasjenige  des  ge- 
waltigen Pfeilschützen  zu  setzen  haben,  das  zu 
demjenigen  des  Pfeilschützen  Herakles  unzweifel- 
haft deutlich  stimmt.  Spielen  Bogen  und  Pfeil  bei 
Herakles  eine  verhältnismäßig  größere  Rolle,  so 
kann  dieser  Umstand  selbstverständlich  keine 
wesentliche  oder  gar  wurzelhafte  Differenz  be- 
gründen.') 

Als  Ergänzung  mag  noch  hinzugefügt  werden, 
daß  auch  der  dem  Indra  wesensverwandte  Trita 
Aptya  mit  eisenspitzigem  PfeiF)  den  bösen  Dämon 
Varäha  tötet. 


1 


Überaus  charakteristisch  für  Herakles  —  wie 
auch  für  Indra  und  Thorr  —  ist  sein  gewaltiges 
Essen  und  Trinken,  die  Neigung  und  Fähig- 
keit, ungeheure  Massen  von  Speise  und  Trank 
mit  Behagen  und  gutem  Humor  zu  sich  zu  nehmen. 
Sage  und  Dichtung  verweilen  gern  bei  diesem 
Zuge,  er  macht  sich  auch  in  der  Kunst  und  so- 
gar in  dem  Kultus  geltend,  und  namentlich  bildet 


bei  den  komischen  Schilderungen  des  Herakles 
das  Essen  und  Trinken  immer  eine  Hauptsache.') 
Er  ist  ein  Trinker  und  Esser  wie  wenige  und 
wir  sehen  ihn  namentlich  nach  getaner  Arbeit  sich 
gütlich  tun,  weidlich  schmausen  und  zechen.*) 

Seine  Eßlust  offenbart  sich  schon  früh,  denn 
bereits  als  Knabe  soll  Herakles  Fleisch  und  Brot 
in  geAvaltigeu  Mengen    genossen  haben. ^)     Später 


')  Mit  Pfeil  und  Bogen  schoß  man  schon  in  der  arischen  Urzeit,  Pfeil  und  Bogen  brauchte  auch  wohl  schon  der 
Gewitterriege  neben  Keule,  Stein  und  Hammer,  ähnlich  wie  auch  der  estnische  Donnergott  mit  seinem  Bogen  Donner- 
pfeile (pikse  noled)  schießt.  Vgl.  Wiedemanu,  Aus  dem  inneren  und  äußeren  Leben  der  Esten  [i.  427.  Donuerstrahlen, 
Donnerpfeile  kommen  auch  beim  germanischen  Donnergotte  vor  und  es  ist  nicht  unbedingt  notwendig,  daß  dieselben,  wie 
Grimm  vermutet,  den  y.r^Xoi;  Aw5,  teils  Jovis  nachgeahmt  seien  (Grimm  a.  a.  O.  p.  14a).  Der  aite  lapis,  der  Flintstein  des 
Jupiter  auf  dem  Kapitol,  macht  auch  wohl  eher  den  Eindruck  eines  Pfeiles  als  eines  Hammers  oder  einer  Axt.  Es  scheint, 
daß  die  Phantasie  schon  in  ältester  Zeit  sich  die  Dunnerwaffe  wechselnd,  bald  so  bald  so,  vorstellte  —  bald  als  Keule, 
Stein,  Steinhammer,  Axt,  bald  auch  als  Pfeil. 

')  äyoagrayä  vipä'  RV  10,  99,  G. 

')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  p.  219.  220. 

*)   Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  228.  264.  265. 

»)  Vgl.  Preller,  a.  a.  ü.  U  p.  179. 


Heeakles  und  Indea. 


17 


zeichnet  er  sich  insbesondere  dadurch  aus,  daß  er 
gelegentlich  einen  ganzen  Stier  samt  den  Knochea 
verzehrt.^)  Darum  heißt  er  Buphagos,  der  Rinder- 
fresser, ja  diese  Bezeichnung,  die  ihn  als  beson- 
ders gearteten  Vielfraß  charakterisiert,  erscheint 
sogar  als  ein  alter  Kultname  des  riesischen 
Helden.  2) 

Es  ist  unmöglich,  sich  dabei  nicht  dessen  zu 
erinnern,  daß  Indra  gerade  als  Stier-,  Ochsen-  und 
Büffelesser  hervortritt.  , Einen  feisten  Stier  will 
ich  dir  kochen',  kündigt  der  Sänger  dem  Gotte 
an  (RV  10,  27,  2).  ,Man  kocht  dir  Stiere,  du 
issest  von  ihnen',  heißt  es  an  einer  andern  Stelle 
(RV  10,  28,  3).  , Zwanzig  Ochsen  kochen  sie  mir 
und  ich  esse  das  Fett,  sie  füllen  mir  den  Bauch' 
(RV  10,  86,  14).  Hundert  Büffel  werden  dem 
Indra  bereitet  (RV  6,  17,  11;  8,  66,  10).  Ja,  an 
einer  Stelle  (RV  5,  29,  7.  8)  heißt  es  sogar,  daß 
Agni  dem  befreundeten  Tudra  300  Büffel  gekocht 
oder  gebraten  habe;  Indra  aber  aß  das  Fleisch 
der  300  Büffel  und  trank  drei  Seen  Soma  dazu, 
zur  Vritratötung  sich  zu  stärken.  Der  gewaltige 
indische  Gott  übertrifft  also  hierin  noch  den  grie- 
chischen Heros  in  ähnlicher  Weise  wie  in  seiner 
Körpergröße  und  Stärke.  Er  verdiente  nicht 
minder  wie  Herakles  das  Epitheton  Buphagos,  der 
Riuderesser,  und  beiden  zur  Seite  stellt  sich  Thorr, 
wenn  er  einmal  einen  ganzen  Ochsen,  ein  anderes 
Mal  gar  zwei  verspeist.  Herakles,  Indra  und  Thorr, 
die  wir  für  urverwandt  halten,  stimmen  gerade 
in  diesem  Funkte  merkwürdig  zusammen.  Sie 
sind  alle  drei  Buphagoi,  ohne  daß  sie  darum 
andre  Speise  verschmähten.  Sie  sind  alle  drei 
gewaltige  Esser  überhaupt,  aber  Stiere  und  Ochsen 
(respektive  auch  Büffel)  bilden  doch  ihre  Vor- 
zugsspeise. 

Nicht  weniger  als  die  massige  Speise  liebt 
aber  Herakles  einen  kräftigen  Trunk.  Er  erquickt 
sich  nach  seinen  Heldentaten  am  Weingenuß  und 
ist  weit  davon  entfernt,  bei  solchen  Freuden  sich 
irgendwelche  Beschränkung  aufzuerlegen.  Wie  er 
sich's  beim  Weinkönige  Oeneus  wohl  sein  läßt, 
so  zecht  er  urkräftig  beim  Kentauren  Pholos,  ist 
im  Freundeskreise  ein  lustiger  Trinkkumpan,  im 
Rausche  aber  auch  allzusehr  zur  Wildheit  und  zu 
Gewalttätigkeiten  aller  Art  geneigt.')  Die  Herakles- 


sage kennt  davon  manches  Beispiel.  Dennoch 
ist  das  Bild  des  gewaltigen  Zechers  Herakles  in 
Griechenland  sehr  populär  gewesen.  Das  grie- 
chische Volk  hatte  ursprünglich  an  den  Kraft- 
leistungen seines  gewaltigsten  Helden  auch  in 
dieser  Richtung  seine  helle  Freude  und  die  grie- 
chische Kunst  verschmähte  es  nicht,  den  derb 
angezechten,  ja  den  betrunkenen  Herakles  darzu- 
stellen.*) 

Es  hieße  Eulen  nach  Athen  tragen,  wenn 
wir  Indra  als  den  großen  Trinker  noch  besonders 
erweisen  wollten.  Er  ist  der  Somatriuker  -/.«t' 
s?sy;/;v.  Der  Veda  ist  voll  von  den  Schilderungen, 
wie  Indra  am  Soma  sich  berauscht.  Er  trinkt 
ihn  beim  Opfermahle  der  Menschen,  er  trinkt 
ihn  im  Hause  von  Göttern  und  Halbgöttern,  i» 
Tvaslitars  Hause,  bei  Manu,  bei  Mätariyvan  u.  a.  m. 
Er  trinkt  ihn  mit  Behagen  und  massenweis,  ganze 
Kufen;  ganze  Seen  gießt  er  sich  in  den  Leib,  ja 
einmal  heißt  es,  er  habe  auf  einen  Zug  dreißig 
Seen  des  Soma  getrunken  (RV  8,  66,  4).  Über- 
mütig betrunken,  umhertaumelnd,  mit  seiner  Größe 
renommierend,  führt  ihn  uns  ein  bekanntes  Lied 
des  Rigveda  vor  (10,  119).  Indra  und  Herakles 
stimmen  in  diesem  Zuge  auffallend  zusammen  und 
es  begründet  selbstverständlich  keinen  Unterschied, 
wenn  Indra  den  Soma,  Herakles  dagegen  Wein 
trinkt.  In  der  Urzeit  war  es  zweifellos  weder  das 
eine  noch  das  andere,  was  der  mythische  Ahnherr 
der  beiden  Recken  zu  trinken  pflegte,  sondern 
der  damals  übliche  Meth,  den  wir  den  nordischen 
Sprößling  desselben,  den  gewaltigen  Thorr,  noch 
trinken  sehen.  Mit  dem  alten  Namen  des  Meth 
wird  ja  auch  oft  genug  noch  der  Soma  als  ,madhu' 
bezeichnet,  ebenso  wie  die  Griechen  ihren  Wein 
auch  noch  ,methy'  (.'j.sOu)  nennen.  So  sind  Indra- 
Herakles-Thörr  deutlich  alle  drei  gewaltige  Trinker 
berauschenden  ,Methes',  respektive  sie  deuten 
alle  drei  zurück  auf  einen  urarischen  Vorfahren 
solchen  Charakters.*) 

Eine  Abweichung  mehr  sekundärer  Art  läßt 
sich  zwischen  Indra  und  Herakles  darin  finden,  daß 
Indra  vor  allem  gern  durch  den  Somatrank  sich  vor 
seinen  Heldentaten  stärkt  und  für  sie  begeistert, 
im  Somarauseh  den  Viitra  erschlägt,  während  wir 
Herakles  namentlich  nach  seinen   Taten,  sich   er- 


')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  '247.  252    265.  266. 

«)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  239.  265.  266. 

'j  Vgl.  Preller,  .a.  a.  O.  II.  p.  171.  179.   194.  195.  266—269. 

*)   Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  268. 

')  Auf  einen  anderen,  sehr  primitiven  Kauschtrank  der  arischen  Urzeit,  der  durch  Kauen  und  Speichelgährung  ge- 
wonnen wurde,  deuten  gewisse  merkwürdige  Sagenzüge.  Vgl.  meine  Ahhandlung  über  das  Apälä-Lied,  WZ  KM  Bd.  22, 
p.  223  fg. ;  insbesondere  p.  238  fg. 

Dcnkschrifton  der  phil.-hi3t.  Kl.  58.  Bd.  3.  Abb.  3 


18 


III.   ABHAXDLtTN^G:   LeOPOLD  V.    ScHEOEDEK. 


holend  uud  ausruheiul,  lustig  zeelieu  und  sclimauseu 
sehen.  Doch  ist  das  selbstverständlich  hei  beiden 
nicht  irgend-wie  eine  feste  Regel,  sondern  nur  die 
vorherrschende  Gewohnheit.  ludra  wird  auch  nach 
seiner  Heldentat  zum  Somatrunk  geladen  und 
beim  Somafest  um  desselben  willen  gepriesen. 
Seinen  niächtigston  Trunk  —  30  Seen  des  Soma  — 
nimmt  er  zu  sich,  nachdem  er  die  Spinnenbrut,  den 
Schlangenschweller,  Aurnaväbha  Ahifuva,  zusam- 
mengeschlagen (RV  8,  66,  2—4).  Um  seiner  Hel- 
dentaten willen  gestehen  ihm  alle  Götter  willig 
den  Somatrunk  zu  (RV  5,  29,  4).  Er  hat  sich  nach 
der  Tötung  des  Vritra  den  Soma  erwählt,  heißt 
es  RV  3,  3ö,  8.  Und  ähnhch  RV  7,  98,  5:  ,Als  er 
der  Gottlosen  Listen  besiegte,  da  ward  der  Soma 
ffanz  sein  eijren.'  Der  Somatrunk  ist  demnach 
ebenso  der  Preis  und  Lohn  der  großen  Taten 
des  streitbaren  Gottes,  wie  auch  ein  immer  neuer 
Reiz  und  Ansporn  zu  immer  neuen  Taten  und 
Siegen. 

Der  fröhliche  Zecher  Herakles,  der  sich  in 
ausgiehigstem  Maße  dem  Weingenuß  hingibt,  ist 
ganz  naturgemäß  auch  in  den  dionysischen  Kreis 
hineingeraten,  und  so  zeigt  ihn  uns  die  bildende 
Kunst  öfters  unter  Satyrn  und  Nymphen,  mit 
dem  Gotte  des  Weines  um  die  Wette  trinkend, 
den  mächtigen  Humpen,  den  Skjq^hos,  in  der  Hand, 
während  Dionysos  sich  des  zierlicheren  Kautharos 
bedient.^)  Ebenso  geht  er  aber  auch,  wie  wir 
schon  sahen,  mit  dem  Kentauren  Pholos  in  dessen 
Behausung  und  berauscht  sich  am  köstlichen 
Wein  aus  dem  großen  Faß,  das  ein  Gemeingut 
aller  Kentauren  ist,  bis  die  ganze  Schar  derselben, 
vom  Dufte  des  Weines  angelockt,  zusammen- 
strömt und  nun  ein  wütender  Kampf  beginnt,  in 
welchem  Herakles  natürlich  Sieger  bleibt,  außer 
andern  Kentauren  leider  aber  auch  der  freund- 
liche Gastgeber  Pholos  umkommt.-)  Dies  Milieu 
erinnert  uns  daran,  daß  Indra  in  der  epischen 
Zeit  als  Götterkönig  in  seinem  Himmel  ständig 
von  A])sarasen  und  Gandharven  umgeben  haust, 
jenen  halbgöttlichen,  elbischen  Wesen  der  Inder, 
die  ohne  Zweifel  den  griechischen  Nymphen, 
Satyrn,  Silenen  und  Kentauren  entsprechen,  wie 
ich  früher  schon  zu  zeigen  gesucht  habe.  (Grie- 
chische Götter  und  Heroen,  I  p.  62  fg.) 

In  den  Zeiten  der  Ruhe  und  Erholung  er- 
götzt sich  der  griechische  Held  gern  auch  an  der 
Musik,  am  Gesang  und  Saitenspiel. ^)  Von  Indra 


')  Vgl.  Preller,  a.  a.  0.  II  p.  266.  267.  274. 

■•')  Vgl.  Preller,  a   a.  O.  II  p.  194.  19,i. 

')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  270.  271. 

*)  Vgl.  Väl.  1,  1  yäth.i  tritö  chända  indra  ji'ijoshasi. 


aber  heißt  es  schon  im  Rigveda  (Väl.  4,  1),  daß 
er  bei  Trita  Aptya  schmausend  sich  des  Liedes 
erfreue ;■*)  und  die  Schar  der  Gandharven,  die 
ihn  sj)äter  umgibt,  erfreut  ihn  mit  Musik  und 
Gesang.  Sind  doch  gerade  die  Gandharven  die 
speziellen  Vertreter  der  musischen  Kunst  im 
Olymp  der  Inder. 

Herakles  pflegt,  namentlich  in  der  Zeit  der 
Erholung,  gern  auch  der  Liebe  uud  leistet,  seiner 
riesigen  Körperkraft  entsprechend,  auch  auf  diesem 
Gebiete  Erkleckliches.  Schon  als  achtzehnjähriger 
Jüngling,  bei  seinem  ersten  großen  Abenteuer 
mit  dem  Löwen  des  Kithaerongebirges,  beschläft 
er  in  einer  Nacht  die  50  Töchter  des  Königs 
Thespios  und  der  Megamede.^)  Auch  weiterhin 
spielen  Liebesverhältnisse  in  seinem  Leben  eine 
Rolle,  wenn  sie  auch  im  ganzen  nicht  gerade  als 
bestimmende  und  leitende  Momente  desselben  her- 
vortreten, sondern  mehr  als  die  naturgemäße  Be- 
friedigung der  Bedürfnisse  eines  starken  männ- 
lichen I\örpers  erscheinen.  Immerhin  hängt  auch 
der  tragische  Tod  des  Helden  mit  diesen  Be- 
ziehungen zusammen,  da  Deianeira  aus  Eifersucht, 
der  schönen  Jole  wegen,  in  dem  Wunsch,  den 
Herakles  an  sich  zu  fesseln,  ihm  das  todbringende 
Gewand  des  Nessus  sendet.  Dies  aphrodisische 
Moment  tritt  bei  Indra,  zumal  in  der  Zeit  des 
Rigveda,  ganz  zurück.'')  Er  ist  kein  Mönch  und 
kein  Heiliger,  er  hat  seine  Frau  ludräni  und 
scherzt  mit  ihr  gelegentlich  in  einer  nichts  weniger 
als  jirüden  Weise.  Im  übrigen  aber  kümmert  er 
sich  nicht  viel  um  Weiber,  sondern  mehr  um 
Kampf  und  Somatrimk.  Späterhin,  in  der  Zeit  des 
Epos,  erscheint  Indra  weichlicher,  nach  Art  der 
Könige  des  indischen  Mittelalters,  umgeben  von 
einem  großen  Hofstaat,  in  dem  nehen  den  Gan- 
dharven vor  allem  die  schönen  Apsarasen,  die 
verführerischen  Nymphen  des  Indrahimmels,  her- 
vortreten. Sie  werden  die  Mädchen  des  Indra 
genannt,  leben  in  Liebesgemeinschaft  mit  den 
himmlischen  Musikern,  den  Gandharven,  beglücken 
die  abgeschiedenen  Helden  und  verführen  gelegent- 
lich auf  Befehl  des  Indra  fromme  Büßer,  sind 
überhaupt  frei  von  jeglicher  Sprödigkeit  und  stets 
zum  Liebesspiel  bereit.  Hier  hat  also  Indra  den 
idealsten  Harem  um  sich  herum,  doch  bleibt  es 
charakteristisch  für  ihn,  daß  Liebesabenteuer  in 
seinem  Leben  keine  wesentliche  Rolle  spielen. 
Darin    unterscheidet    er    sich    stark  von  Vishnu, 

')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  180.  1S9. 
^)  Vgl.  Macdonell,  a.  a.  0.  p.  65. 


Hekakles  uiS'D  Indea. 


19 


der  im  Rigveda  oftmals  als  sein  Genosse  im 
Vritrakampfe  auftritt  und  spcäter  als  Yishnu-Krishna 
eine  so  große  Bedeutung  erlangt.  Von  ihm  weiß 
zwar  der  Veda  noch  nichts  Erotisches  zu  berich- 
ten, um  so  mehr  aber  eine  spätere  Zeit,  die  sein 
üppiges  Liebeslehen  unter  den  Hirtinnen  des  Gan- 
geslandes schildert.  Da  Vishnu  im  Veda  den  Indra 
in  gewisser  Weise  ergänzt  und  später  als  Yishnu- 
Krishna  von  den  Griechen  mit  Herakles  identifi- 
ziert wird,  müssen  wir  auf  ihn  weiter  unten  ein- 
gehender zurückkommen. 

Indra  ist  ebensowenig  wie  Herakles  von 
Hause  aus  ein  moralischer  Held,  ein  Muster  kor- 
rekter Lebensführung.  Übersprudelnde  Fülle  der 
Kraft  ist  für  beide  das  Charakteristische  und  da- 
mit ist  schon  mehr  oder  minder  ein  Über-die- 
Schnur-Hauen  fast  unvermeidlich  verbunden.  Wir 
wissen,  wie  gern. sich  Indra  am  Soma  berauscht. 
Diese  Exzesse  aber  haben  bisweilen  üble  Folgen. 
Um  Indra  von  dem  Unwohlsein  zu  heilen,  das 
ihn  infolge  seiner  Unmäßigkeit  quält,  erfinden 
die  Götter  eine  besondere  Zeremonie,  genannt 
Säuträmaniji)  und  die  befreit  ihn  von  seinem  Lei- 
den. Doch  Indra  hat  Schlimmeres  auf  dem  Ge- 
wissen. Er  hat  nicht  nur  den  Soma  seinem  Vater 
Tvashtar  gestohlen,  er  macht  auch  die  eigene 
Mutter  zur  Witwe,  indem  er  den  Vater  am  Fuße 
packt  und  zerschmettert.^)  So  wilde,  gewalttätige, 
ja  frevlerische  Handlungen  bilden  die  Kehrseite 
zu  den  vielgerühmten  machtvollen  Kampf-  und 
Siegestaten  des  göttlichen  Helden.  Wer  die  Lebens- 
und Leidensbahn  des  Herakles  kennt,  erinnert 
sich  dabei  alsbald  so  mancher  böser  Dinge,  Ro- 
heiten und  Gewalttaten,  die  der  griechische  Heros 
im  Rausch,  im  Zorn,  in  übermütiger  Kraftent- 
faltung begangen.  Mehr  als  einmal  muß  er  für 
schwere  Verbrechen  Sühnung  suchen,  für  den 
Mord  seiner  Kinder  von  der  thebanischen  Megara, 
für  den  Mord  seines  ihm  arglos  vertrauenden 
Gastfreundes  Iphitos,  dessen  schon  Homer  (Od.  21, 
22  fg.)  mit  ernstem  Tadel  gedenkt,  u.  a.  m.^)  Oft 
von  der  Leidenschaft  verfinstert,  sinnenberaubt, 
sich  Schuld  aufladend,  in  unermüdlichem  Ringen 
wiederum  sich  läuternd,  aufwärts  strebend,  erreicht 


der  Held  das  höchste  Ziel.  Erst  eine  spätere  Zeit 
macht  aus  ihm  ein  moralisches  Vorbild,  dichtet 
den  Herakles  am  Scheidewege,  der  zu  Anbeginn 
seiner  Laufbahn  schon  sich  für  die  Tugend  ent- 
scheidet.*) Von  Hause  aus  ist  er  seinem  ganzen 
Wesen  nach  durchaus  nur  gewaltige  Kraftnatur, 
ohne  spezifisch  moralischen  Beigeschmack,  ein 
Kämpfer  und  Bekämpfer  unzähliger  Feinde,  Riesen 
und  Ungeheuer,  ähnlich  wie  Indra.  Auch  dem 
Indra  wird  später  etwas  von  ethischer  Größe  an- 
gedichtet,^) und  wie  Herakles  durch  rastlose 
Mühen,  durch  Heldentaten,  durch  Schuld  und 
Sühne  hindurch,  aufwärts  gelangt  zum  Götter- 
dasein im  Olj'mp,  so  heißt  es  von  Indra  in  einem 
späteren  Hymnus  des  Rigveda,  er  habe  den  Him- 
mel oder  das  Himmelslicht  durch  scharfe  Bußen 
erlangt.")  Dies  sind  beiderseits  sekundäre,  jün- 
gere Züge,  sie  erscheinen  aber  doch  bemerkens- 
wert, weil  in  analoger  Weise  aus  der  gleichen 
uralten  Wurzel  verwandten  Wesens  hervor- 
gewachsen. 

Den  Unterschied  zwischen  Herakles  und  Indra, 
dem  Heros  und  dem  Gotte,  wollen  wir  in  keiner 
Weise  verwischen.  Herakles  ist  deutlich  genug 
von  Hause  aus  kein  Gott,  sondern  ein  Heros,  ein 
Halbgott,  ein  riesischer  Held,  der  dann  erst  durch 
seine  Verdienste  ein  Gott  und  als  solcher  verehrt 
wird.")  Es  liegt  darin  aber  für  die  Vergleichung 
nicht  die  geringste  Schwierigkeit.  Im  Gegenteil. 
Ist  Herakles,  wie  wir  vermuten,  mit  Indra  ur- 
sprünglich identisch,  dann  spricht  die  Gestalt  des 
griechischen  Heros  nur  noch  deutlicher  für  die 
Richtigkeit  unserer  Annahme,  daß  Indra  und 
Thorr  beide  nicht  von  Hause  aus  Götter,  sondern 
mächtige  Gewitterriesen  waren ,  halbgöttliche 
Wesen,  die  erst  in  späterer  Zeit  zum  Range  grol.Ser 
Götter  emporstiegen,  als  in  Indien  Parjanya,  in 
Skandinavien  Fjörgynn,  die  alten  Hypostasen  des 
Himmelsgottes  als  des  Gewitterers,  verblaßten  und 
den  Platz  räumten. 

In  Griechenland  konnte  derselbe  Prozeß,  der 
in  Indien  und  Skandinavien  aus  Gewitterriesen 
große  Götter  werden  ließ,  aus  dem  einfachen 
Grunde  nicht  statthaben,  weil  hier  der  alte  Him- 


')  Vgl.  Macdonell,  a.  a..  O.  p.  50;  Zimmer,  Altind.  Leben  p.  27.'5. 

')  Vgl.  RV  3,  48,  4;  I,  18,  12;  Macdonell,  a.  a.  0.  p.  .")7;  Geldner-Kaegi,  Siebenzig  Lieder  p.  U4.  G5.  Hier  erscheint 
als  Indras  Vater  der  Götterkünstler  Tvashtar,  der  Bildner,  der  Schöpfer,  ursprünglich  wohl  eine  Hypostase  des  als  Schöpfer 
gedachten  Himraelsgottes  (Dyaus-Varuna,  cf.  Daksha,  Dhätar).  Für  gewöhnlich  wird  als  Vater  des  Indra  der  Hiiumelsgott 
Dyäus  genannt,  wie  Zeus  als  der  Vater  des  Herakles  gilt. 

')  Vgl.  Prellor,  a.  a.  O.  II  p.  1G3.  164.  ■•)  Vgl.  Preller,  a.  .1.  O.  II  p.  276.  277. 

^)  Vgl.  Macdonell,  a.  a.  O.  p.  65. 

'^)  Vgl.  RV  10,  167,   1   tvani  täpalj  paritipya  ajayah  svah;  Macdonell,  a.  a.  O.  p.  65. 

')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  258  Anm. 

3* 


20 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoedee. 


melsgott  sich  niclit  wie  bei  ludern  und  Germanen 
in  verschiedene  Hypostasen  spaltete  und  vfeil  er 
vor  allem  fort  und  fort  der  große  Gewittergott 
blieb  und  als  solcher  nie  den  Platz  räumte.  Unter 
solchen  Umständen  war  es  auch  durchaus  natür- 
lich und  fast  selbstverständlich,  daß  der  alte  Ge- 
witterriese, der  die  Sonne  aus  der  Gewalt  der 
bösen  Dämonen  des  Dunkels,  der  Wolken,  des 
Winters  befreite,  immer  mehr  in  dieser  Richtung 
wuchs,  immer  mehr  zum  Sonnenhelden,  zum  Ge- 
winner des  Sonnenlichtes  wurde,  während  seine 
alte  Eigenschaft  als  Gewitterer  mehr  und  mehr 
in  Vergessenheit  geriet,  verblaßte,  verdorrte,  von 
ihm  abfiel  und  endlich  fast  —  bis  auf  wenige 
Spuren  —  verloren  ging.  Der  Gewittergott  Zeus 
hatte  neben  sich  keinen  anderen  Gewitterer  nötig, 
ja  er  duldete  nicht  einmal  einen  solchen,  konnte 
höchstens  untergeordnete  Helfershelfer  l)rauchen, 
wie  die  Riesen  Brontes,  Steropes  und  Arges,  die  ihm 
Blitz  und  Donner  schmiedeten.  Für  einen  größeren 
gab  es  da  keinen  Raum.  So  mußte  Herakles  mehr 
und  mehr  zum  Sonnonhelden,  zum  Sonnenheros 
werden,  schon  auf  Grund  des  rein  griechischen 
Mythenschatzes,  ganz  abgesehen  noch  von  dem 
später  etwa  hinzukommenden  Einfluß  orientalischer 
Sagen,  Mythen  und  Kulte  von  Sonnenhelden  und 
Sonnengöttern  verschiedener  Art.  Es  steckt  aber  in 
dem  griechischen  Helden  von  Hause  aus  schon  der 
Sonuenheld  drin,  wie  so  viele  rein  griechische  Sagen 
uns  zeigen,  die  wir  bald  näher  kennen  lernen  wer- 


den. 


und  das  Besondere  in  der  Entwicklung  dieser 


mythischen  Gestalt  auf  griechischem  Boden  liegt 
bloß  darin,  daß  sie  einseitig  in  dieser  Richtung 
hin  stattfindet,  während  die  Beziehung  zum  Ge- 
witter verloren  geht;  obwohl  gerade  sie  es  ist,  die 
ursprünglich  den  Kern  der  Gestalt  gebildet  haben 
muß,  wenn  wir  rechthaben,  sie  mit  Indra-Thörr 
zu  vergleichen. 

Daß  der  große  Gewitterriese  sehr  wohl  zu- 
gleich seit  alters  ein  großer  Sonnenheld  sein 
konnte,  das  zeigt  uns  gerade  die  Gestalt  des  Indra 
sehr  deutlich.  Er  ist  unfraglich  der  große  Ge- 
wittergott, der  alte  Gewitterriese,  und  doch  ebenso 
unfraglich  der  Sonneuheld,  der  fort  und  fort  in 
gewaltigem  Kampfe  das  Sonnenlicht  gewinnt,  er- 
kämpft, ersiegt,  erbeutet,  der  die  Sonne  und  ihre 
Strahlen,  die  rötlichen  Kühe  des  Lichts,  immer 
wieder  aus  der  Gewalt  der  bösen  Mächte  des 
Dunkels,  der  finsteren  Wolken,  des  Winters  mit 
seinen  Nebeln  und  Frösten  befreit.  Er  schlägt 
den  Vi'itra  und  gewinnt  das  Licht,  die  Sonne,  die 
Morgenröte.  Er  findet  die  Sonne  im  Dunkel  auf, 
er  setzt  sie  an  den  Himmel,  er  läßt  sie  wieder 
scheinen.  Ja,  es  heißt,  daß  er,  der  Dämouen- 
töter,  die  Sonne  und  die  Morgenröte  erzeugt  habe.^) 
Und  endlich  wird  Indra  au  mehreren  Stellen  des 
Veda  mit  der  Sonne,  dem  Sonnengott  Sürya  ge- 
radezu identifiziert.^)  Ihn  deswegen  zu  einem  alten 
Sonuengotte  zu  machen,  wie  Hillebraudt  dies  tut, 
liegt  kein  ausreichender  Grund  vor. 


Indra  und  Yishnu. 


In  merkwürdiger  Weise  sehen  wir  die  Gestalt 
des  Indra  durcli  die  seines  Gefährten  im  Vritra- 
kampfe,  des  Vishnu,  ergänzt  und  die  weitere  Ent- 
wicklung dieser  Göttergestalt  läßt  sich  in  gewisser 
Weise  mit  derjenigen  des  Herakles  vergleichen, 
daher  ein  Blick  auf  ihn  lehrreich  sein  dürfte. 

Yishnu,  später  ein  so  großer  Gott  und  un- 
zweifelhaft ein  Sonnengott,  tritt  im  Veda  nur  wenig 
hervor  und  offenbart  seineu  Charakter  als  Sonnen- 
gott hauptsächlich  nur  in  seinen  berühmten  drei 
Schritten,  mit  denen  er  von  der  Erde  durch  den 
Luftraum  zum  höchsten  Punkte  des  Himmels  auf- 
steigt.') Wir  kennen  bereits  seine  oberste  Fuß- 
stapfe als  einen  Brunnquell  himmlischen  Metlis  oder 


Honigs  (RV  1,  154,  5  madhva  ütsah).  Dort  freuen 
sich  die  Seligen  und  die  Götter,  dort  wohnen  Indra 
und  Vishnu,  dorthin  sehnen  sich  auch  die  Sänger 
(RV  1,  154,  6). 

Es  ist  nach  späterer  Auffassung  der  höchste 
Punkt  über  uns  am  Himmel,  der  Zenith.*)  Im 
übrigen  kennt  der  Veda  Gott  Vishnu  vor  allem 
als  Freund  und  Begleiter  des  Indra,  als  seinen  Ge- 
nossen und  Helfer  im  Vntrakamjife.  Ja,  man 
könnte  —  wenn  die  drei  Schritte  nicht  wären  — 
sogar  geneigt  sein,  den  Vishnu  als  eine  Art  Doppel- 
gänger, eine  Hypostase  des  Indra  zu  betrachten. 
Scheint  doch  an  einer  Stelle  des  Veda  das  Wort 
vishnu    als    Epitheton    im    Sinne    , wirksam,    tätig' 


M  Vgl.  Macdonell,  a.  a.  0.  p.  61. 
')  Vgl.  Macdonell,  a.  a.  O.  p.  38. 


2)  Vgl.  Macdonell,  a.  a.  O.  p.  57. 
*)  Vgl.  Macdonell,  a.  a.  0.  p.  38.  .39. 


Heeakles  und  Indea. 


21 


dem  Indra  beigegeben  zu  sein,i)  und  gerade  ein 
selbständig,  gewordenes  Epitheton  steckt  ja  niclit 
selten  in  der  Hypostase. 

Indessen  diese  Auffassung  der  betreffenden 
Stelle  steht  nicht  durchaus  fest,  wohl  aber  die 
enge  Beziehung  des  Yishnu  zu  Indra.  Diese  tritt 
auch  darin  hervor,  daß  Indra,  ungefähr  ebenso 
oft  wie  mit  Soma,  mit  Vishnu  dualisch  verbunden 
auftritt,  als  indrävishnü.   Wie  eng  die  Beziehune: 

o 

des  Vishnu  zu  Indra  ist,  geht  unter  andrem  auch 
daraus  hervor,  daß  in  den  wenigen  Hjmnen, 
welche  den  Vishnu  speziell  feiern,  Indra  die  ein- 
zige Gottheit  ist,  die  mit  ihm  verbunden  ersclieint.-) 
Ja,  selbst  die  drei  berühmten  Schritte  des  Vishnu 
sind  in  besondere  Beziehung  zu  Indra  gebracht. 
Es  heißt  (Väl.  4,  3),  daß  Vishnu  jene  drei  Schritte 
für  Indra  getan  habe;  nach  einer  anderen  Stelle 
(RV  8,  12,  27)  abez-  hätte  er  sie  durch  die  Kraft 
des  Indra  ausgeführt,  von  dem  in  dem  unmittel- 
bar vorausgehenden  Verse  (8, 12, 26)  gerühmt  wird, 
daß  er  den  stromverschließenden  Vritra  mit  Macht 
getötet  habe.  Die  Tötung  des  Vritra  und  die  drei 
Schritte  des  Vishnu  scheinen  damit  nahe  auein- 
ander  zu  rücken,  und  dieser  Eindruck  wird  noch 
verstärkt  durch  den  Umstand,  daß  Indra  in  einem 
anderen  Liede  des  Rigveda  (4,  18,  11),  während 
er  im  Begriffe  ist,  den  Vritra  zu  töten,  ausruft: 
.Freund  Vishnu,  schreite  weiter  aus!'^)  Und  ähn- 
lich ruft  Indra  am  Schluß  eines  anderen  Liedes: 
, Freund  Vishnu,  schreite  weiter  aus !  Himmel,  gib 
Raum  dem  Donnerkeil,  zum  Auseinanderstemmen! 
Wir  beide  wollen  den  Vritra  töten,  wollen  die 
Ströme  befreien!  auf  ludras  Antrieb  sollen  sie 
losgelassen  laufen !'  *)  Mit  Vishnu  vereint  tötete 
Indra  den  Aiii,  den  Vritra  (RV  6,  20,  2).  Indra 
und  Vishnu  vereint  vernichten  die  Listen  des 
bösen  Dämons,  sie  brechen  die  99  festen  Burgen 
des  Cambara,  sie  schlagen  die  hundertundtausend 
Mannen  des  Asura  Varcin,  sie  schaffen  dem  Opfer 
weiten  Raum,  erzeugen  die  Sonne,  die  Morgen- 
röte, das  Feuer  (RV  7,  99,  4.  5).  Mit  Indra  ver- 
eint berauscht  sich  auch  Vishnu  am  Somatrunk, 
nimmt  Massen  zu'  sich,  füllt  sich  den  Bauch, 
schafft  weiten  Raum  (RV  6,  ü9),  mit  Indra  teilt 
er  Kampf  und  Sieg,  wii'd  als  ein  Brecher  aller 
Burgen  gepriesen  (RV  6,  20,  3),  aber  umgekehrt 
erscheint  auch  Indra  dem  Vishnu  angeglichen, 
indem  er  wie  dieser  als  , weitausschreitend'  (uru- 


kramä,  urugäyä)  bezeichnet  wird.=)  Gerade  wenn 
Vishnu  von  Hause  aus  ein  Sonnengott  oder  ein 
Sonnengenius,  ein  Sonnenheld  ist,  dann  begreift 
man  leicht  diese  enge  Verbindung  mit  Indra,  der 
ja  nicht  nur  die  Wasser,  sondern  auch  das  Sonnen- 
licht befreit  und  gewinnt  und  der  Welt  wieder 
schenkt,  und  wenn  Vishnu  seine  berühmten  drei 
Schritte,  von  der  Erde  empor  bis  zur  höchsten 
Höhe  des  Himmels,  ursprünglich  gerade  beim 
glorreichen,  siegreichen  Kampfe  des  Indra  aus- 
führt, von  diesem  dazu  gestärkt  und  ermuntert, 
dann  ist  auch  dies  durchaus  verständlich,  sobald 
wir  den  Mythus  im  großen  als  Jahreszeitenmythus 
fassen,  als  die  Erzählung  davon,  wie  der  Ge- 
wittergott mit  gewaltiger  Hand  die  Mächte  des 
Dunkels,  der  Nacht  und  des  Winters  gebändigt 
und  der  Sonne  zu  einem  neuen  herrlichen  Auf- 
stieg verhelfen.  Er  bekämpft  vereint  mit  dem 
Sonnenhelden  die  bösen  Dämonen,  macht  frei  die 
Bahn,  stärkt  die  Sonne  und  ermuntert  sie,  mit 
mächtigen  Schritten  aufwärts  zu  steigen.  Das 
liegt  in  der  Sonne  eigenem  Interesse,  aber  es  ge- 
schieht insoferne  doch  auch  für  Indra,  als  damit 
dessen  glorreicher  Kampf  gegen  die  feindlichen 
Dämonen  seine  herrlichste  Krönung  findet. 

In  einem  merkwürdigen  Verse  des  Veda 
(RV  1,  155,  6)  heißt  es  von  Vishnu,  daß  er  je 
90  Renner  mit  vier  Namen  wie  ein  gerolltes  Rad 
in  Bewegung  gesetzt  habe.  Man  sieht  darin  wohl 
mit  Recht  die  360  Tage  des  Sonnenjaiires,  in  vier 
Jahreszeiten  eingeteilt,  und  es  ist  kaum  möglich, 
eine  passendere  Deutung  zu  finden.")  Hierin 
scheint  sicli  also  Vishnu  wiederum  als  Sonnensrott 
oder  Sonneugenius  zu  offenbaren,  und  in  dieselbe 
Richtung  deutet  wohl  die  Legende  der  Brähmanas, 
nach  welcher  das  abgehauene  Haupt  des  Vishnu 
zur  Sonne  geworden  sei.')  In  der  späteren  Zeit 
führt  Vishnu  als  ständiges  Attribut  den  Diskus, 
das  rollende  Rad  mit  Flammenspitzen,  das  ihn 
wohl  unzweifelhaft  deutlich  als  Sonnengott  charak- 
terisiert. Auch  seiu  auf  der  Brust  (am  Halse) 
getragenes  Juwel  (kaustubha),  das  bei  der  Quir- 
lung des  Ozeans  zum  Vorschein  gekommen  sein 
soll,  ist  augenscheinlich  ebenso  zu  deuten.  Es 
vergleiclit  sich  dem  Brisingnmen.  dem  feurigen 
leuchtenden  Kleinod,  das  die  nordische  Hinimels- 
göttin  Freya  am  Halse  trägt  und  das  wir  schon 
als  die  sciiöne  Meerniere  kennen.    Es  kann  nichts 


')  Vgl.  RV  ],  61,  7;  dazu  Grassmanns  Wörterbuch  s   v.  vishnu. 

^)  Vgl.  RV  1,  154.  155;  7,  99;  Macdoiiell,  a.  a.  O.  p.  39. 

')  RV  4,   18,  11:  äthäbravid  vritram   iudro  hanishyänt  säkhe  vishno   vitaraiii   vi  kramasva! 

*)  RV  S,  89,  !•-'.  ')  Macdonell,  a.  a.  O.  p.  40. 

«)  Vgl.  Macdonell,  a.  a.  O.  p.  38.  39.  ')  Vgl.  Macdonell,  a.  a.  O.  p.  39. 


22 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoedee. 


andres  sein   als    die  Sonne.     Der  Vogel   Garuda, 
auf  -n-elcliem  Vishnu  im  Epos  und  in  der  klassi- 
schen Dichtung   des   indischen  Mittelalters   reitet, 
ist  unzweifelhaft  deutlich    der   Sonnenvogel,    den 
schon  der  Rigreda  kennt,  die  Sonne  als  strahlend 
leuchtender  Vogel,   im  Himmelsraum  schwebend, 
gedacht.')  Als  Attribut  führt  dieser  spätere  Vishiju 
aber  auch  die  Keule,-)  und  es  scheint,  daß  er  diese 
von  Indra  geerbt  hat,  seinem  alten  Genossen   im 
Vritrakam])fe.  Als  Vajra  wird  dieselbe  im  Bhägavata 
Puräna   (10,  59,  20)    bezeichnet,    häufiger    freilich 
als  Gada  oder  Käumodaki.  Sie  könnte  auf  ihn  nach 
demselben  Gesetz  der  Assimilation  übergegangen 
sein,  das  wir  auch  sonst  zwischen  Indra  und  Vishnu 
waltend  gesehen  haben.  Sehr  möglich  aber  ist  es  frei- 
lich, daß  er  sie  auf  andrem  Wege  erhalten,  nämlich 
durch    seine    Identifizierung    mit    Krishna,    dem 
fiToßen  Helden  und  Religionsstifter   des  Stammes 
der  Yädava  im    Gangeslande,    den   auch    die  be- 
nachbarten Cürasena  und  Cibi  verehrten,    und  der 
endlich    zu    einem    der    größten    und    gefeiertsten 
Götter  Indiens  emporwuchs.  Es  scheint,  daß  Held 
Krishna  von  Hause  aus  mit  der  Keule  bewaffnet 
war,  wie  Megasthenes  noch  von  dem  A^olke  der 
Cibi  berichtet,   daß  sie  Tierfelle  und  Keulen  wie 
Herakles    trugen    und    ihren   Rindern    und    Maul- 
tieren   das  Zeichen    der    Keule    einbrannten.     Es 
scheint,    daß    dieser  Eindruck    nicht    wenig    dazu 
beitrug,  daß  Megasthenes  in  dem  indischen  Helden 
und  Gotte   Krishna -A'^ishnu  den  Herakles   wieder- 
zufinden glaubte,  einen  indischen  Herakles  in  ihm 
erkennen  wollte.^)  Es  ist  nicht  ganz  leicht,  in   der 
Gestalt     des     Krishna -Vishnu     den    vergötterten 
Heros  des  Gangeslandes  und  den  alten  Sonnengott 
und   Sonnenhelden,    den    gefeierten    Freund    und 
Kampfgenossen   des   Indra   in   so  manchem  vedi- 
schen  Liede,  scharf  und  klar  auseinander  zu  hal- 
ten.    Doch    erscheint    es    interessant    und   merk- 
würdig,   daß    der   scharfsichtige   griechische  Be- 
obachter gerade  in  diesem  Gotte,   der  dem  Indra 
in  vedischer  Zeit  so  nahesteht,  daß  man  fast  ver- 
sucht sein  könnte,    eine   Hypostase    desselben    in 
ihm  zu  vermuten,  den  Herakles  wieder  erkannte. 
An  Indra  selbst  konnte  er  unmöglich  denken,  da 
dieser  sich  ja  klar  und  deutlich  als  Gott  des  Ge- 


witters präsentierte,  also  naturgemäß  und  ganz 
mit  Recht  von  dem  Griechen  vielmehr  dem  regen- 
briugenden  Zeus  gleichgesetzt  wurde.*)  Herakles 
aber  war  ja  nicht  mehr  als  der  alte  Gewitterriese 
erkennbar,  den  wir  iu  ihm  als  ursprünglichen 
Kern  und  Ausgangspunkt  suchen.  Er  war  ganz 
Sonnenheld  und  Kulturheros,  ja  sogar  Sonnengott 
geworden,  in  sekundärer  Entwicklung,  —  und  es 
erscheint  daher  sehr  verständlich,  daß  ihn  die 
Griechen  in  dem  streitbaren  Sonnenhelden  und 
Kulturheros,  dem  Sonnengotte  und  vergöttlichten 
Heros  Vishnu-Krishna  suchten. 

Oldenberg  ist  der  Meinung,  daß  der  vedische 
Vishnu  durch  nichts  sich  als  Sonnengott  offenbare. 
Er  sieht  in  ihm  nur  einen  Gott,  der  den  weiten 
Raum  durchschreitet,  ihn  dadurch  gewissermaßen 
ordnet  und  für  den  Menschen  erwirbt.^)  Ich 
erlaube  kaum,  daß  eine  solche  Idee  den  Anlaß  zur 
Schöpfung  einer  Göttergestalt  hätte  abgeben  kön- 
nen, —  noch  dazu  einer  Gestalt,  aus  der  im  Laufe 
der  Zeit  einer  der  größten  Götter  Indiens  erwachsen 
sollte.  So  viel  aber  wird  man  zugeben  müssen,  daß 
das  AVesen  des  A'^ishnu  als  eines  ursprünglichen 
Sonnengottes  im  A^eda  nicht  irgendwie  deutlich 
hervortritt.  Die  drei  Schritte  allein  reichen  da 
doch  nicht  aus.  Sie  zeigen  ihn  uns  vielleicht  nur 
als  befreienden  Helden,  der  der  Sonne  —  wie 
übrigens  auch  den  Menschen  und  den  AVassern  — 
freien  Raum  und  Bahn  schafft.  So  bleibt  doch 
schließlich  die  Möglichkeit  bestehen,  daß  der  Gott 
ursprünglich  nur  eine  Hypostase  des  großen  Be- 
freiers Indra  ist,  des  Befreiers  der  AA^asser  und 
der  Sonne,  der  in  A^ishnu  einen  immer  mehr  nach 
der  Richtung  des  Sonnenhelden  sich  entwickeln- 
den Doppelgänger  von  sich  abgespalten  hätte.  Auf 
jeden  Fall  können  wir  so  viel  sagen:  Im  A'^eda  ist 
Vishnu  Genosse  des  Indra,  trinkt  mit  ihm  den 
Soma,  befreit  mit  ihm  die  AA^asser  wie  die  Sonne, 
tut  im  Vritrakampf  seine  gewaltigen  Schritte  und 
schafft  damit  Raum  und  freie  Bahn.  AA^eiterliin 
prägte  er  sich  immer  deutlicher  als  Sonnengott 
aus  (vielleicht  nicht  zum  geringsten  Teil  durch 
die  A^erschmelzung  mit  andren  volksmäßigen 
Göttergestalten),  ähnlich  wie  Herakles  mehr  und 
mehr  sich  in  dieser  Richtung  entwickelt. 


')  Vgl.  Macdonell,  a.  a.  O.  p.  39;  L.  v.  Schröder,  Indiens  Lit.  u.  Kultur  p.  340. 

-)  Vgl.  Sonnerat,  Reise  nach  Ostindien  und  CliinaBd.  I  (1783),  Taf.  Nr.  50.  S.  auch  Tab.  IX  der  Bilder  zur  ,Dar- 
stellung  der  brahmauisch-iudischen  (jotterlohre,  nach  dem  lateinischen  Werke  des  Vater  Paullinus  a.  St.  Bartholomaeo  be- 
arbeitet'. Gotha  1797. 

^)  Vgl.  L.  V.  Schroeder,  Indiens  Literatur  und  Kultur  p.  361  ff. 

*)  Vgl.  L.  V.  Schroeder,  a.  a.  O.  p.  360.  °)  Vgl.  Oldenberg,  Religion  des  Veda  p.  228  fl". 


Herakles  u^•D  Indra. 


23 


Die  Taten  des  Herakles. 


"Wir  wenden  uns  nun  zu  den  Taten  und 
Abenteuern  des  Herakles  und  wollen  festzustellen 
suchen,  ob  und  inwieweit  dieselben  mit  den 
Taten  und  Abenteuern  des  Indra  übereinstimmen 
und  eine  Vergleicbung-  rechtfertigen  können,  die 
sich  nicht  mit  va^-en  Allü-emeinheiten  bejrnüo-en 
will,  sondern  durch  den  Nachweis  einer  beträcht- 
lichen Anzahl  ähnlicher  oder  gar  identischer  Züge 
im  großen  wie  auch  im  Detail  die  Urverwandt- 
schaft der  beiden  Helden  wahrscheinlich  zu  macheu 
sucht.  Es  ist  dies  der  wesenthchste  Teil  un- 
serer Untersuchung.  Sind  docii  Herakles  und  Indra, 
zum  Unterschied  von  andren  Göttern  und  Heroen, 
aktive  Naturen  •  im  höchsten  und  eigentlichsten 
Verstände  des  Wortes,  übermenschliche  Wesen, 
die  nicht  durch  ihr  Sein,  sondern  durch  ihr  Han- 
deln, ihre  Taten  und  Siege,  groß  und  verehrungs- 
würdig dastehen,  gerade  um  dieser  Taten  willen, 
wegen  ihres  unaufhörlichen,  unermüdlichen,  sieg- 
gekrönten Ringens  und  Mühens.  fort  und  fort  ge- 
priesen, verherrlicht  und  verehrt  werden.  Es 
gibt  größere  und  heiligere  Götter  in  Griechenland 
und  in  Indien  als  Herakles  und  Indra,  aber  fragen 
wir,  von  wem  die  Mythologie  der  Griechen  und 
der  Inder  am  meisten  Taten  und  Abenteuer  zu 
berichten  weiß,  von  wem  sie  am  meisten  (und 
liebsten)  ihre  Geschichten  erzählt,  dann  wird  mau 
doch  wohl  hier  den  Herakles,  dort  den  Indra 
nennen  müssen.  An  eigentlicli  religiöser  Bedeu- 
tung, an  göttlicher  Würde  und  Heiligkeit  ist  Va- 
runa,  sind  die  Adityas,  ist  auch  Agni  dem  Indra 
weit  überlegen,  wie  dürftig  aber  erscheint  die 
Summe  der  eigentlichen  Mythen,  der  Taten,  die 
als  lebendige  Geschichten  von  diesen  Göttern  er- 
zählt werden  und  sich  anschaulich  erzählen  lassen, 
wenn  man  die  Überfülle  von  Taten  und  Siegen 
des  Indra  vergleicht,  von  welchen  die  vedischen 
Dichter  immer  wieder  zu  erzählen  nicht  müde  wer- 
den. Vielleicht  ist  das  Verhältnis  in  Griechen- 
land nicht  ganz  das  gleiche,  und  vor  allem  wohl 
darum,  weil  Zeus  —  wie  wir  schon  sahen  —  die 
Sphäre  des  Gewitters  sich  vorbehalten  und  sich 
nicht,  wie  der  alte  Himmelsgott  in  Indien  und 
Germanien,  aus  derselben  durch  den  alten  Ge- 
witterriesen hat  verdrängen  lassen,  diesen  viel- 
mehr seinerseits  beschränkt  und  verdrängt  hat. 
Doch    man    schlage    nur    irgendeine   griechische 


Mythologie,  etwa  diejenige  von  Preller,  auf  und 
vergleiche,  wie  viel  von  Zeus  —  und  andern  Göt- 
tern — ,  wie  viel  von  Herakles  berichtet  wird, 
und  man  wird  durch  den  Abstand  überrascht 
sein,  man  wird  sich  leicht  davon  überzeugen,  daß 
—  auch  nach  möglichster  Ausscheidung  fremd- 
ländischen orientalischen  Sagengutes  —  Herak- 
les in  der  gesamten  griechischen  Mythologie  ge- 
rade durch  die  Überfülle  der  von  ihm  berichteten 
Taten  und  Abenteuer  mehr  als  irgendeine  andre 
Gestalt  hervortritt.  Vielleicht  war  selbst  eine 
Gestalt  wie  Hestia  für  das  religiöse  Gemütsleben 
der  Griechen  von  größerer  Bedeutung  als  Herak- 
les, zu  erzählen  aber  wissen  wir  fast  nichts  von 
ihr,  einen  Mythus  der  Hestia  gibt  es  kaum.  Ihre 
Bedeutung  liegt  ganz  und  ausschließlich  in  ihrem 
Sein,  diejenige  des  Herakles  in  seinem  Handeln. 

Bei  solchen  ausgesprochenen  Helden  der  Ak- 
tion, wie  Herakles  und  Indra  es  sind,  müssen 
naturgemäß  aucli  für  die  Vergleichung  ihre  Ta- 
ten die  erste  und  wichtigste  Rolle  spielen,  sie 
müssen  noch  mehr  ins  Gewicht  fallen  als  alle  jene 
Züge,  die  wir  schon  als  übereinstimmend  erken- 
nen konnten. 

Bevor  wir  darangehen,  die  Taten  des  Herak- 
les der  Reihe  nach  zu  betrachten  und  mit  denen 
des  Indra  zu  vergleichen,  muß  ein  großer  Zug, 
der  viele  derselben  charakterisiert,  ja  der  fast 
durch  das  ganze  Wirken  des  Helden  hindurch- 
geht, hervorgehoben  und  festgestellt  werden.  He- 
rakles ist  der  Menschenfreund,  der  Helfer, 
der  Bekämpfer  und  Vernichter  böser,  furchtbarer 
Mächte,  der  Kulturheros,  der  .Entwilderer', 
wie  ihn  Preller  nennt,^)  der  durch  Besiegung  und 
Tötung  aller  möglichen  Ungeheuer,  Schlangen, 
Riesen,  Räuber  und  AVegelagerer  die  Menschen 
von  Furcht  und  Gefahr  l)efreit,  ihnen  die  Mög- 
lichkeit freier  Bewegung  und  ruhiger  Entwicklung 
verschafft.  Er  ist  nicht  Kulturhcros  in  jenem 
andern,  eigentlichen,  positiven  Sinne,  wie  so 
manche  andre  Heroen  und  Götter,  die  dem  Men- 
schen bestimmte  Gaben  iiöherer  Gesittung  und 
geistigen  Fortschritts  geschenkt,  sie  allerlei  nütz- 
liche Tätigkeiten,  Gewerbe,  Künste  u.  dgl.  m.  gelehrt, 
sondern  in  dem  mehr  primitiven,  negativen  Sinne 
der  ,Entwilderung',  d.h.  der  Beseitigung  störender, 
das  Leben,  die  freie  Bewegung  und  Entwiclvelung 


Vgl.  Preller.  a.  a.  O.  p.  188;  auch  p.  193.  27-_'.  27:i. 


24 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoedee. 


hindernder  Gewalten.  Er  ist  kein  Lehrer,  kein 
Weiser,  durcli  keine  geistigen  Vorzüge  .ausge- 
zeichnet, sondern  durchweg  Kämpfer  und  sieg- 
reicher Held,  Alexikakos  und  Soter,  Abwehrer 
des  Bösen,  Helfer  und  Ketter.  Als  solcher  wird 
er  gefeiert  und  verehrt.  Er  ist  es  und  wird 
es  vermöge  seiner  übcrgewaltigen  physischen  Kraft, 
seines  Mutes,  seiner  Beharrlichkeit  und  Festigkeit, 
die  ihn  zum  Typus  des  siegreichen  Helden,  zum 
Kallinikos  machen.  Zwar  verschafft  er  auch  große 
positive  Güter,  denn  er  bezwingt  nicht  nur  den 
nemeischen  Löwen,  die  lernäische  Hydra,  den  ery- 
mauthischen  Eber,  die  styniphalischen  Vögel,  den 
Riesen  Geryones,  den  Kerberos  u.  a.  m.,  sondern 
bringt  auch  die  Äpfel  der  Hesperiden,  den  kreti- 
sciien  Stier,  die  herrlichen  Rinder  des  Geryones 
herbei,  doch  das  positive  Gut,  die  Sonne  und  ihr 
Licht,  ist  hier  ganz  im  mystischen  Bilde  ver- 
schleiert und  auch  hier  handelt  es  sich  um  Be- 
freiung aus  der  Gewalt  böser,  tückischer  Mächte, 
—  und  zwar  um  die  Befreiung  der  größten  Natur- 
macht, des  lebenweckenden  Tagesgestirns,  nicht 
eines  eigentlichen  Kulturguts.  Er  hilft  auch  seinen 
spezielleren  Landsleuten  im  Kamjife  gegen  feind- 
liche Menschenstämme,  hilft  den  Orchomeniern, 
bricht  die  Burgen  von  Ilion,  Elis,  Pylos.  ,Die 
Philosophen  sahen  in  ihm  das  Ideal  des  Men- 
schenfreundes und  der  Aufopferung.") 

Er  hilft  aber  auch  den  Göttern,  wo  sie  ohne 
ihn  sich  nicht  mehr  zu  helfen  wissen  —  in  dem 
ungeheuren  Kampfe  gegen  die  Giganten,  die  nur 
mit  Hilfe  des  Herakles  bezwungen  werden  kön- 
nen. Zeus  hat  diesen  großen  Sohn  gezeugt,  ,um 
Göttern  und  Menschen  eine  Hilfe  in  der  Not  zu 
gewähren.'  Er  ist  ein  , Heros  des  Lichts,  der 
alles  Finstere  und  Wüste  und  Ungeheure  vertilgt,' 
eines  der  wichtigsten  Resultate  seiner  vielen 
Mühen    und  Arbeiten    aber  bleibt  .das  Wohl  der 


Menschheit    und    die    Befreiung    und 


Veredelung 


der  ganzen 

Solch    ein 


Natur  der  Dinge.'-) 
Menschenfreund 


und    Helfer    im 


großen  Stil  ist  aber  auch  der  gewaltige  nordische 


Thorr,  der  Menschen  und  Göttern  in  unzähligen 
Nöten  und  Drangsalen  hilft,  Riesen  und  Unge- 
heuer mit  starker  Hand  bekämpft  und  bezwingt. 
Speziell  erinnert  Herakles  noch  dadurch  an  diesen, 
,Aveil  seine  Hilfe  sehr  po])ulär  im  Kreise  der 
Bauern,  der  Winzer,  der  Hirten'  ist,^)  und  auch 
Thörr   bekanntlich   als    ein  spezieller  Helfer  und 


Schützer  der  Bauern  gilt  und  mit  seiner  ganzen 
derben  und  doch  gutmütig  hilfreichen  Eigenart 
bei  diesen  stets  besonders  beliebt  und  populär 
war,  während  Odhin  mehr  ein  Gott  der  Krieger, 
der  Fürsten  und  der  Dichter  war. 

Weit  näher  aber  noch  als  mit  Thorr  ist  die 
Übereinstimmung  des  Herakles  mit  dem  Indra, 
und  sie  tritt  auch  in  dem  soeben  besprochenen 
allgemeinen  Zuge  unzweifelhaft  deutlich  zutage. 
Auch  Indra  ist  ein  Menschenfreund  und  Helfer 
im  großen  Stile,  ein  Helfer  der  ^Menschen  und 
der  Götter,  ein  Bekämpfer  und  Vernichter  un- 
zähliger böser,  gefährlicher,  tückischer  Mächte, 
ein  Befreier,  der  die  Menschen  im  großen  und 
speziell  seine  indischen  Arier  fördert.  Was  er  ihnen 
an  Gütern  und  Gaben  schenkt,  ist  —  hier  ebenso 
charakteristisch  wie  bei  Herakles  —  stets  zuerst 
von  ihm  selbst  durch  gewaltigen  Kampf  und  Sieg 
errungen. 

Indra  ist  der  Menschenfreund,  im  Gegensatz 
zu  den  bösen  Dämonen,  die  als  Feinde  der  Men- 
schen bezeichnet  werden.  ,Es  dröhnte  des  Starken 
Donnerkeil,  als  er,  der  Menschenfreund,  den 
Menschenfeind  niederbrannte,'*)  • —  heißt  es  RV 
2,  11,  10.  Auch  sonst  wird  Indra  als  der  Men- 
schenfreund bezeichnet  (mänuslia,  RV  1,  84,  20) 
oder  in  seinem  Tun  als  solcher  geschildei-t,  und 
oftmals,  wenn  die  Großtaten  des  Indra,  die  Be- 
freiung der  Wasser,  die  Gewinnung  des  Sonnen- 
lichtes gerühmt  werden,  heben  die  Sänger  aus- 
drücklich hervor,  daß  solches  für  den  Men- 
schen geschehen  sei  (mänave,  mänushe). 

Für  den  Menschen  ließ  Indra  die  Wasser 
strömen,  tötete  den  Ahi,  entfesselte  die  sieben  Strö- 
me, öffnete  die  verschlossenen  Quellen,  —  heißt 
es  RV  4.  28,  1.  Lustig  machtest  Du,  o  Indra, 
die  Flüsse  los,  daß  sie  laufen  zum  Meer,  —  wie 
Milchkühe,  die  dem  Menschen  alles  Gut  zuströmen, 
dem  Menschen volk  alles  Gut  zuströmen  (RV  1, 
130,  5).  Indra  ersiegt  für  den  Menschen  die 
Wasser  (RV  5,  31,  6).  Er  rühmt  sich  selbst 
(RV  1,165,8):  ,Ich  schlug  den  Vritra,  —  ich 
habe  dem  Menschen  diese  herrlichen  Wasser  zu- 
gänglich gemacht,  den  Donnerkeil  im  Arme  tra- 
gend. Für  Wohnung  und  Wasser  hat  der  Mensch 
ihm  zu  danken:  ,Der  Vntratöter  Indra,  der  Bur- 
genbrecher, trieb  fort  die  Dämonen  mit  schwar- 
zem Schoß,  er  schuf  dem  Jlenschen  Wohnung 
und  Wasser'  (RV  2,  20,  7),  —  und  im  unmittelbar 


')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  273.  ^)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  272. 

»)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  274. 

*)  iraänushaiii  yan   mänusho  nijurvit.     Er  brennt  den  Gegner  natürlich  durch  das  Feuer  des  Blitzes  nieder. 


Herakles  und  Indra. 


26 


vorausg-ehenden  Verse  (6)  wird  Indra  bezeichnet 
,als  viel  Wuuder  tuend  für  den  Menschen'  (mä- 
nushe  dasmätamah).  Nicht  die  Wasser  allein,  auch 
das  Licht  der  Sonne  schenkt  er  dem  Menschen: 
,Als  du,  o  Indra,  den  Vritra  getötet,  für  den 
Menschen  die  Wasser  befreiend,  da  trugst  du  in 
den  Armen  den  ehernen  Donnerkeil,  setztest  an 
den  Himmel  die  Sunne,  zum  Schauen'  (RV  1, 
52,  8).  Für  den  Sterblichen  hat  Indra  die  Sonne 
befreit  (RV  4,  30,  6).i)  ,Indra,  der  Gewinner  des 
Himmelslichts,  der  Erzeuger  der  Tage  —  er  ließ 
dem  Menschen  leuchten  die  Helle  der  Tage,  er 
fand  das  Licht  zu  großer  Freude'  (RV  3,  34,  4). 
,Wie  ein  wütender  Stier  flog  Indra  durch  die 
Lüfte,  der  sich  diese  Wasser  zu  Ehefrauen 
machte,  er  fand  das  Lieht  für  den  opfernden 
Menschen'  (KV  10,  43,  8).  Indra  schafft  dem 
Menschen  auch  freie  Bahn  und  damit  Wohlfahrt: ^J 
Er  ließ  das  Haupt  des  Dämons  Namuci  rollen, 
dem  Menschen  freie  Bahn  (Wohlfahrt)  suchend 
(RV  5,  30,  1).  Er  rühmt  sich:  , durch  Kam])f 
verschaffte  ich  dem  Menschen  freie  Bahn'  (RV  10, 
49,  9).  Er  schafft  den  Menschen  auch  bequeme 
Pfade,  auf  denen  sie  leicht  zu  den  Göttern  ge- 
langen (RV  10,  73,  7). 

Unter  den  Menschen  aber  sind  es  die  Arier, 
die  Indras  besondere  Gunst  genießen.  Ihnen  vor 
allem  verschafft  er  all  die  gerühmten  Güter,  ihnen 
hilft  er  auch  noch  dazu  zum  Siege  über  die  Bar- 
baren, gibt  ihnen  zum  Sonnenlicht  und  Wasser 
auch  noch  das  Land  und  die  Herrschaft  über  die 
,scliwarze  Haut'. 

jlcli  habe  das  Land  dem  Arier  gegeben  — 
rühmt  Indra  sich  selbst  —  ich  den  Regen  dem 
sterblichen  Bewohner,  ich  leitete  die  brausenden 
Wasser,  meinem  Willen  folgten  die  Göttei-'  (RV  4, 
26,  2).  Und  der  Sänger  ruft:  .Nimm  an  die  Kraft, 
mit  welcher  du  den  Dämon  Vritra  zers])altetest, 
den  Spinnensohn!  Du  hast  dem  Arier  das  Licht 
erschlossen,  o  Indra!  zur  Linken  sitzen  blieb  der 
Barbar'  (Dasyu:  RV  2,  11,  18).3)  Und  an  einer 
andern  Stelle:  ,Du  hast  ja  die  Barbaren  über- 
wunden, du  allein  hast  dem  Arier  die  Menschen- 
stämme unterworfen'  (RV  0,   18,  3).     Der  Arier, 


und  vor  allem  natürlich  der  opferspendende  Arier, 
steht  dem  Herzen  des  Gottes  am  nächsten.  ,Den 
Arier,  der  Opfer  veranstaltet,*)  hat  Indra  in  den 
Schlachten  gefördert,  —  die  Gottlosen  strafend 
lieferte  er  dem  Menschen  (mänave)  die  schwarze 
Haut  aus'  (RV  1,  130,  8).  Der  Mensch  /.olz 
i;o/-/iv,  der  eigentliche  Mensch  —  das  sehen  wir 
hier  deutlich  —  ist  der  Arier. 

Aber  nicht  nur  die  Menschen,  auch  die  Götter 
haben  Teil  au  den  Früchten  der  Siege  des  Indra, 
auch  ihnen  verschafft  er  freie  Bahn  und  Wohl- 
fahrt. ,Du  hast  die  99  fließenden  Ströme,  den 
Göttern  und  den  Menschen  freie  Bahn  (Wohlfahrt) 
gefunden  (verschafft)',  rühmt  der  Sänger  von  Indra 
(RV  10,  104,  8).  Und  au  einer  anderen  Stelle: 
.Durch  Kampf  hast  du,  o  Indra,  den  Göttern 
freien  Raum  geschaffen'  (RV  7,  98,  3).  5)  Aber 
Indra  verteidigt  auch  siegreich  den  Himmel,  den 
Wohnsitz  der  Götter,  gegen  die  anstürmenden 
feindlichen  Dämonen,  die  ihn  erklimmen  wollen. 
Indra,  den  Donnerkeil  im  Arme  tragend,  stieß 
den  Räuhina  zurück,  als  er  zum  Himmel  hinauf- 
stieg (RV  2,  12,  12).  Und  der  Sänger  rühmt: 
,Mit  Wunderkraft  hast  du,  o  Indra,  die  liinauf- 
klimmenden.  den  Himmel  ersteigen  wollenden  Dä- 
monen herabgeschüttolt'  (RV  8,  14,  14).  Das  sind 
Szenen,  die  an  den  Kampf  der  griechischen  Götter 
gegen  Titanen  und  Giganten  erinnern.  Herakles 
ist  es,  der  die  Giganten  bändigt,  die  Felsblöcke 
und  lodernde  Baumstämme  gegen  den  Himmel 
schleudern.'')  Er  allein  ist  dazu  imstande.  Einem 
dieser  götterfeindlichen  Riesen,  dem  Alkyoneus, 
werden  wir  noch  in  andrem  Zusammenhang  als 
Gegner  des  Herakles  begegnen.  Im  Kampfe  gegen 
die  Titanen  ist  Zeus  der  Hauptheld,  der  große 
Gewittergott  der  Griechen,  und  es  helfen  ihm 
dabei  in  entscheidender  Weise  die  Kyklopen 
Brontes,  Steropes  und  .\rges,  die  Gewitterriesen, 
wie  auch  die  hundertftrmigen  Hekatoncheireu.') 
Dieser  Kampf  findet  lang  vor  der  Geburt  des 
Herakles  statt,  die  Gewitterriesen  aber  sind  es 
ja,  zu  denen  er  nach  unserer  Vermutung  von 
Hause  aus  gehört,  und  der  gewitternde  llimmels- 
gott  ist  es,  in  dessen  alte  Stelle  der  alte  Gewitter- 


')  respektive  frei  laufen  lassen,  märtyäya  kam  ärii.iä  indra  sfiryam. 

-)  Das  Wort  yätu.  um  welclies  es  sicli  hier  liauptsäclilicli  hanilolt,  bedeutet  eigentlich  ,(5ang',  Weg-,  Hahn,  freie  Hahn', 
dann  .Fortgang,  g'iter  Fortgang,  Wohlfahrt,  Gedeilien'.  Der  Sin.i  .freie  Hahn'  und  .Wolilfahrt'  ist  oft  wohl  zugleich  darin 
enthalten.  —  Bei  dem  Indra,  der  dem  Monschou  freie  Hahn  und  lieiineme  l'fade  vorschaft't,  darf  wohl  .auch  an  Herakles  in 
seiner  Eigenschaft  als  Geleitsgott,  .als  %ö|jlovio;  ,auf  Wegen  und  Stegen,  hei  Reisen  und  Märschon'  erinnert  worden.  Auch 
der  Durchbruch  beim  Olymp   und  Ossa  wird  von   manchen  ihm   zugesehrieben.    Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  274. 

')  Ähnliches  von  Agni  RV   7,  ö,  6. 

*)  yäjamänam   äryani.  ^)   varivac;  cakartha. 

«)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  I  p.  5ti— 61.  ')  Vgl.  Preller,  a.  a.  ().  I  p.  4<J. 

üenksrbriften  rter  phil.-hist.  Kl.  58.  Bd.  ;l.  Abb.  "t 


26 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Schboedek. 


riese  Indra  eiugerüekt  ist,  wie  wir  bereits  wissen. 
Titauoinacliic  und  Gigantomacliie  sind  sich  in 
mancher  Hinsicht  verwandt  und  ähnlich,  ein 
Kampf  gewaltiger  Urinäclite,  die  den  Göttern  den 
Himmel  streitig  machen. 

Die  griecliischen  und  indischen  Mythen  weisen 
zurück  auf  uralte  Sagen  von  himmelstürmenden, 
den  Himmel  bedrohenden  und  angreifenden  dä- 
monischen Götterfeinden,  die  der  Gewittergott 
und  die  Gewitterriesen  bezwingen  und  von  der 
Höhe  hinabstürzen.  Die  Rolle,  die  Indra  in  jenen 
vedischen  Kämpfen  spielt,  erinnert  sowohl  an  die 
des  Herakles  wie  an  die  des  Zeus  und  der  Ky- 
klopen  und  Hekatoncheiren.  Und  es  kann  uns 
das  ja  nicht  wundernehmen,  denn  Indra  ist  ja 
der  alte  Gewitterriese,  zugleich  aber  auch  der  In- 
haber der  Stelle  des  alten  gewitternden  Himmels- 
gottes, er  ist  ja  zum  Gewittergott  geworden.  Seine 
ursprüngliche  Identität  mit  Herakles  leuchtet  auch 
in  diesem  Punkte  hervor. 

Der  Menschenfreund  Indra,  der  in  gewalti- 
gen Kämpfen  und  Siegen  dem  Menschen  die 
Wasser,  das  Himmelslicht,  freie  Bahn  nnd  Wohl- 
fahrt spendet,  insbesondere  aber  die  Arier  fördert 
und  ihnen  zum  Sieg  über  die  Feinde  verhilft,  der 
gewaltige  Verteidiger  des  Götterhimmels  gegen 
die  hinimelstürmenden  Dämonen,  —  er  vergleicht 
sich  deutlich  genug  dem  Menschenfreunde  Hera- 
kles, dem  Entwilderer,  dem  Helfer  und  Befreier, 
der  für  die  Menschheit  im  ganzen,  speziell  aber 
auch  für  seine  Freunde  unter  den  Menschen 
kämpft  und  den  bedrohten  Himmel  der  Götter 
gegen  böse  dämonische  Wesen  verteidigt.  Die 
große,    gewaltige    und    mannigfaltige    Aktion    ist 


1  beiden  gemeinsam,  aber  auch  der  Zweck  solcher 
i  Aktion,  das  Heil  der  Menschen  wie  der  Götterwelt. 
Bei  Betrachtung  der  Taten  des  Herakles  können 
wir  wohl  die  übliche  Reihenfolge  ohne  Schaden  bei- 
behalten, indem  wir  die  Arbeiten  im  Dienste  des 
Eurystheus,  die  Herakles  eigentlich  als  Verehrer 
und  Diener  der  Hera  ausführt,  vorangehen  lassen, 
und  uns  später  erst  seinen  Taten  und  Abenteuern 
als  Kriegsheld  und  in  nationalen  Sagen  zuwenden. 
Die  ersteren  sind  es,  die  ohne  Zweifel  den  größeren, 
eigentlich  mythischen  Gehalt  bergen,  obwohl  auch 
die  letzteren  einen  solchen  vielfach  deutlich  er- 
kennen lassen  und  nur  zum  Teil  aus  historisch- 
sagenhaften Elementen  zusammengesetzt  sind. 
Eine  feste  Grenze  gibt  es  da  nicht. 

Die  Zahl  und  die  Reihenfolge  der  Arbeiten 
vmd  Kämpfe  sind  im  allgemeinen  nicht  von  großem 
Belang,  sie  stehen  auch  keineswegs  fest.  Wir 
finden  da  ein  vielfaches  Schwanken  in  den  An- 
gaben und  wenn  schließlich  die  Zahl  12  für  die 
Kämpfe  im  Dienste  des  Eurystheus  durchdringt, 
so  ist  dieselbe  doch  rein  konventionell,  später  fest- 
gestellt, lind  daher  für  uns  von  keiner  Bedeutung. 
Es  kann  aber  auch  weiter  nichts  schaden,  wenn 
wir  uns  im  allgemeinen  bei  der  Betrachtung  der 
Taten  und  Abenteuer  des  Herakles  an  die  her- 
kömmliche Reihenfolge  halten,  wenn  wir  uns  nur 
stets  dessen  bewußt  bleiben,  daß  es  sich  hier  von 
Hause  aus  um  eine  Überfülle  von  verschiedenen 
mythischen  Erzählungen  handelt,  die  er.st  eine 
spätere  Zeit  in  gewisse  Ordnung  gebracht  hat. 
Ursprünglich  waren  sie  gewiß  ebensowenig  ge- 
ordnet und  abgegrenzt  wie  die  verschiedenen  Ge- 
schichten von  Indras  Heldentaten. 


Die  Arbeiten  im  Dienste  des  Eurystheus. 
Der  nemeische  höwe. 


Gewiß  mit  Hecht  sagt  Preller  von  den  Ar- 
beiten im  Dienste  des  Eurystheus,  respektive  der 
Hera,  daß  der  zugrunde  liegende  Charakter  des 
Herakles  bei  den  meisten  derselben  derjenige  des 
siegreichen  und  triumphierenden  Helden  der 
Sonne  und  des  Lichtes  sei.-*)  Durchweg  aber 
läßt  sich  das  wohl  kaum  behaupten  und  so  scheint 
mir  auch  bei  der  Deutung  und  Erklärung  des 
Abenteuers    mit   dem    nemeischen    Löwen    dieser 


Gesiclitspunkt    nicht    zum    Ziele    zu    führen,    re- 
spektive nicht  zutreffend. 

Der  nemeische  Löwe  ist  ein  Ungeheuer,  das 
als  Sprößling  des  Typhou  und  der  Echidna,  zu- 
gleich aber  als  Zögling  der  Hera  gilt.  , Diese 
Göttin  setzt  das  Untier  in  die  Schluchten  von 
Nemea,  wo  es  nun  in  dem  Tretosgebirge  und 
am  Apesas  haust,  welche  den  fruchtbaren,  dem 
t    Zeus  geheiligten  Talgrund  von  Nemea   von    zwei 


')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O  TI  p.  187. 


Heeakles  und  Indba. 


27 


Wort  kuyava  bedeutet  eigentlich  die  Mißernte  der 
Gerste,  des  Getreides  überhaupt  (yava  =  Gerste, 
Getreide),  dann  den  Dämon  solcher  Mißernte 
(KV  1,  103,  8;  104,  8).  Noch  häufiger  erscheint 
es  in  der  adjektivischen  Bedeutung  .Mißernte 
bringend'  als  ein  Beiwort  des  öfter  erwähnten  und 
stärker  individuell  ausgeprägten  Cushna,  des  Dä- 
mons der  Dürre,  der  sonimerliclien  Hitze  und 
Trockenheit.  Diesen  Qushna  müssen  wir  uns 
etwas  näher  ansehen. 

Wenn  Grassmanns  Etymologie  das  Richtige 
trifft  —  und  sie  ist  eigentlich  die  nächstliegende 
— ,  dann  wäre  (Jushna  schon  durch  seinen  Nameu 
als  ein  Dämon  der  Dürre  und  Trockenheit  be- 
zeichnet, denn  die  Wurzel  tush  bedeutet  ,aus- 
trocknen,  verdorren'.  Und  es  ist  gewiß  selir  be- 
deutsam, daß  diese  Etymologie  die  Autorität  der 
Inder,  des  Säyana  für  sich  hat.  Säyana  erklärt 
Cushna  in  der  Regel  durch  90sliaka,  respektive 
(,:oshayitar,  d.  h.  ,Ausd()rrer'.^)  Es  läßt  sich  das 
Wort  aber  freilich  auch  von  einem  anderen  vush 
ableiten,  einer  mit  fvas  zusammenhängenden,  re- 
s])ektive  daraus  gekürzten  Wurzel,  die  , schnaufen, 
schnauben,  zischen,  pfeifen'  bedeutet.  Der  Dämon 
wäre  dann  als  der  Schnaufende  oder  Zischende, 
der  Zischer  oder  Pfeifer  bezeichnet,  eine  Ety- 
mologie, die  Roth  im  Petersburger  Wörterbuch 
vertritt,  die  auch  Uhlenbeek  in  seinem  etymologi- 
schen Wörterbuch  der  althidischen  Sprache  an- 
genommen hat,  die  ich  jedoch  für  weniger  waiir- 
scheinlich  halte.  Daß  Gusliua  die  Mißernte  des 
Getreides  bewirkt,  wissen  wir  bereits  aus  seinem 
Beinamen  kuyava.  Er  wird  außerdem  nicht  selten 
als  afüsha  bezeichnet,  d.  h.  der  Verzehrende,  Ge- 
fräßige, von  der  A^^irzel  af  essen,  verzelireu,  viel- 
leicht in  spielendem  Gegensatz  zu  seinem  Namen, 
denn  (J^üshna  af üsha  heißt  zwar  der  gefräßige  Ver- 
trockner,  man  kann  es  aber  auch  als  den  ,nic!it 
verdorrenden  Verdorrer'  (oder  den  ,uic]it  zisciien- 
den  Zischer')  auffassen,  ein  Spiel  des  Witzes,  wie 
es  schon  früh  bei  den  Indern  beliebt  war.  Daß 
der  Dämon,  der  die  Ernte  vernichtet,  als  ,ge- 
fräßig'  bezeichnet  wird,  erscheint  durchaus  passend 
und   wolil   aiigi'hi'acht.") 


Seiten  einschließen,  ein  Schrecken  für  die  ganze 
Umgegend.  Andere  Dichter  sagen  mit  bedeut- 
samer Anspielung,  daß  er  das  Heiligtum  des  Ziäus 
verwüstet  habe,  worunter  eigentlich  der  Himmel 
zu  versteheu  ist.  Denn  es  leidet  wohl  keinen 
Zweifel,  daß  die  .symbolische  Bedeutung  dieses 
Löwen  die  der  Gluthitze  war',^)  und  wir  hätten 
liier,  wie  auch  sonst  so  häufig,  himmlische  Mächte 
und  Vorgänge  auf  die  Erde  versetzt  und  an  be- 
stimmte ürtlichkeiten  geknüpft  vor  uns,  ohne  daß 
diese  unveränderlich  feststünden,  denn  aucli  in 
Höotien  und  in  Lesbos  wurde  von  einem  Kampfe 
des  Herakles  mit  dem  Löwen  erzählt.")  Diese 
Deutung  des  Löwen  auf  die  Gluthitze  des  Som- 
mers erscheint  sehr  plausibel,')  als  Bezwinger  und 
Vernicliter  des  Löwen  der  Sonneuglut  dürfte  aber 
wohl  kaum  der  Sonnenheld  oder  Sonnengott  am 
rechten  Platze  sein,  da  ja  doch  die  Sonne  selbst 
diese  Glut  verursacht.  Prell  er  sieht  hier  in 
Hera  die  dem  milden  Zeus  der  guten  Jahreszeit 
widerstrebende  Himmelskönigin,  die  im  Winter 
Sturm  und  Regen,  im  Sommer  die  schreckliche 
Gluthitze  sendet,  in  Herakles  aber  den  siegreichen 
Sonnenhelden,  ,der  durcli  alle  Schrecknisse  des 
Jahres  unbehindert  seine  Laufbahn  vollendet  und 
den  Plan  für  sich  und  seineu  Vater  reinigt,  ein 
Sinnbild  des  triumphierenden  Lichtes  im  physi- 
schen und  im  ethischen  Sinne.'*)  Aber  diese  Er- 
klärung ist  sehr  gezwungen.  Der  Sonnenheld, 
der  gewaltige  Streiter,  als  Bekämpfer  und  Ver- 
nichter der  Sonnenglut  will  durchaus  nicht  ein- 
leuchten und  läßt  sich  kaum  wahrscheinlich  ma- 
chen. Dagegen  ist  Herakles  hier  ganz  am  Platze, 
sobald  wir  annehmen,  daß  dieser  Mythus  noch 
sein  ursprüngliches  Wesen  als  Gewitterriese  wieder- 
spiegelt. Nicht  der  Sonneniield,  sondern  der  Ge- 
witterheld bezwingt  die  Hitze  und  Trockenheit 
des  Sommers,  die  gefährlichen  bösen  Mächte,  die 
das  Land  ausdörren  und  die  Ernte  zu  vernichten 
drohen,  die  fruchtbaren  Täler  verwüstend.  Und 
damit  sind  wir  auch  wieder  bei  Indra  angelangt, 
der  hier  die  deutlichste  Parallele  bietet.  Indra, 
der  große  Gewittergott,  bezwingt  und  vernichtet 
die  bösen  Dämonen  der  Dürre  und  des  Mißwachses, 
der  Mißernte,  den  (^ushna  und  den  Kuyava.    Das 

')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  190.  -)  Vgl.  Preller  a.  a.  O.  II  p.  l«!t. 

')  Dazu  stimmt  auch  die  von  späteren  Dichter,,  erzählte  Kpisode  von  Molorchos,  .len  se.n  Name  ab  ^^,nze^  und 
Baumzüchter  kennzeichnet;  cf.  ITeller,  a.  a.  O.  II  p.  UM.  Bursians  Dcutun,.  des  Löwen  auf  einen  (iieübach  hat  kaum  etwa» 
für  sich;  s.  a.  a.  O.  p.  11)0,  Auni.  3. 

')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  ISH). 

6)  Vgl.  Ilillol.randt,  Ved.  Mythol.  m  p.  289. 

4  So  heißt  es  z  B  RV  1,  101,  2  von  Indra,  daß  er  den  gefräßigen  ^^ushna  zu  Boden  wart;  K\  -.  U,  o.  daß  er 
den  gefräßigen  gu.hna  getütet  habe  (,üshnau,  avu.ha.n  jaghü'na,;  vgl.  auch  UV  2.  lU.  0;  4,  10,  12;  <i,  M,  3;  «,  20,  4; 
7,   19,  2.  ,, 


28 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Schroedee. 


Ein  bedeutsames  Beiwort  des  (,!ushna  ist 
ferner  amärman,  unverwuudbar,  eigentlich  ohne 
märman,  d.  h.  .ohne  ver-ivundl)are  Stelle'.  Wir  er- 
innern uns  alsbald,  daß  auch  beim  nemeischen 
Löwen  seine  Unverwundbarkeit  als  eine  Haupt- 
sache bedeutsam  hervortritt.  Sie  ist  der  Grund, 
warum  Herakles  ihn  nicht  mit  seinen  gewöhn- 
lichen AVaffen,  mit  Pfeil  und  Bogen,  oder  mit  der 
Keule  tötet,  nicht  so  töten  kann.  Er  dringt  da- 
her in  seine  Höhle  hinein  und  erwürgt  das  Untier 
mit  den  Armen,  wie  unzählige  Bildwerke  uns 
vorführen.')  Etwas  anders  geht  es  mit  dem  un- 
verwundbaren Cushna,  denn  der  göttliche  Held 
Indra  weiß  an  ihm  schließlich  doch  eine  verwund- 
bare Stelle  zu  finden,  er  tötet  ihn  mit  dem 
Donnerkeil,  schläg-t  ihm  den  Kopf  ab:  Mit  dem 
Donnerkeil  schlug  Indra  den  Cushna  nieder,  er 
fand  des  Unverwundbaren  verwundbare  Stelle  auf 
(RY  5,  32,  4  und  5),  oder  , obgleich  er  ((,'ushna) 
unverwundbar  war,  fand  er  (Indra)  doch  seine 
verwundbare  Stelle  auf  (amarmäno  vidäd  id  asya 
märma).  Ein  anderes  Mal  heißt  es  (RV  6,  26,  3) 
von  Indra:  ,Du  fördertest  den  Weisen  bei  der 
Gewinnung  des  Sonnenlichtes,  für  den  Verehrer 
Kutsa  warfst  du  den  Cushna  hin,  schlugst  dem 
Unverwundbaren  den  Kopf  ab,  da  du  für  Ati- 
thigva  ein  preiswürdiges  Werk  zu  tun  begehrtest.' 

RV  3,  32,  3  hören  wir,  daß  Indra.  von  den 
Maruts  angetrieben,  die  verwundbare  Stelle  des 
sicli  unverwundbar  dünkenden  Vritra  auffand  ( vive- 
dämarmano  mänyamänasya  marma).  Da  Vritra 
mehr  ein  allgemeiner  Name  für  die  bösen,  von 
Indra  bek.ämpften  Dämonen  ist,  werden  wir  wohl 
auch  diese  Stelle  auf  (Jushiia  beziehen  dürfen, 
dessen  Unverwundbarkeit  demnach  nicht  ganz  so 
streng  zu  nehmen  ist,  wie  die  des  nemeischen 
Löwen.  Für  den  gewaltigen  Gott  Indra  wenigstens 
war  auch  dieser  Unverwundbare  schließlich  doch 
nicht  unverwundbar.  Trotz  dieser  Differenz  ist 
das  Übereinstimmende  in  der  Qualifikation  der 
Unverwundbarkeit  bei  Cushna  und  beim  nemei- 
schen Löwen  wohl  zu  beachten. 

Einmal  wird  Cushna  als  gehörnt  (criiigin)  be- 
zeichnet, einmal  als  fauchend,  schnaubend  oder 
zischend  (fvasanä),^)  öfters  als  listig,  listreich,  mit 


Zaubei-kräften  oder  wunderbaren  Kräften  begabt 
(mäyin).  Einmal  wird  der  listige  oder  zauber- 
kräftige Cushna  in  Fesseln  geschlagen  (RV  1,  50,  3). 
Seine  Listen  oder  Zauberkräfte  helfen  ihm  nichts, 
sie  sinken  dahin  durch  die  Hiebe  des  Indra. ^) 

Ein  merkwürdiges  Epithon  erhält  der  Dämon 
in  dem  Verse  RV  10,  61,  13.  Er  wird  da  als 
jiuruprajäta,  d.  h.  ,als  vielfach  sich  erzeugend,  sich 
erneuernd'  bezeichnet,  wobei  wir  mehr  an  die 
lernäische  Hydra  als  an  den  nemeischen  Löwen 
erinnert  werden:  Der  Unangreifbare  (d.  h.  Indra) 
fand  das  zusammengefügte  verborgene  Gut  des 
vielfach  sich  erzeugenden  (erneuernden)  (^ushna. 
Auffallend  häufig  wird  die  Besiegung  und 
Vernichtung  des  fjushna  durch  Indra  als  eine 
Heldentat  gepriesen,  die  der  Gott  einem  sterb- 
lichen Verehrer,  dem  Kutsa  Arjuneya  zuliebe 
ausgeführt  habe.  Mit  diesem  Kutsa  ist  Indra  so- 
gar in  gewisser  Weise  intim,  fährt  mit  ihm  zu- 
sammen auf  einem  Wagen,*)  doch  seheint  er  ihm 
seine  Gunst  nicht  dauernd  geschenkt  zu  haben, 
da  an  mehreren  Stellen  des  Rigveda  davon  die 
Rede  ist,  daß  Indra  den  Kutsa,  Ayu  und  Atithigva 
zersprengt  (Val.  5,  2),  sie  dem  jungen  König 
Sufravas  Türvayäna  ausgeliefert  (RV  1,  53,  10), 
ihre  Mannen  zu  Boden  geworfen  habe  (RV2,  14,  7). 
Einmal  sagt  Indra  von  sich  selbst  (RV  4,  26,  1): 
,Ich  strecke  den  Kutsa  Arjuneya  nieder.'  Meisten- 
teils erscheint  er  jedoch  als  Gönner  dieses  Kutsa, 
und  namentlich  ist  es  die  Vernichtung  des  Qushna, 
die  er  ihm  zuliebe  ausführt. 

So  heißt  es  z.  B.  von  Indra  (RV  2,  19,  6): 
Er  lieferte  dem  Wagengefährten  Kutsa  den  (^'ushna 
aus,  den  gefräßigen,  Mißernte  bewirkenden. 
Ferner  (RV  4,  16,  12):  Für  den  Kutsa  hast  du 
den  gefräßigen  (^'ushna  zu  Boden  geworfen,  den 
Mißernte  bewirkenden,  zu  Beginn  des  Tages.  Der 
Säuger  ruft  wohl  auch  den  Gott  an,  als  handle 
es  sich  um  eine  erst  noch  zu  vollbringende  Hel- 
dentat: , Schlage  du,  o  Indra,  mit  Kutsa  vereint 
im  Kampfe  den  gefräßigen  Cushna,  den  Mißernte 
bewirkenden!'  (RV  6,  31,  .3)  oder:  , Raube  die 
Sonne,  o  Weiser,  das  Rad,  herrschend  mit  Macht, 
führe  gegen  den  Cushna  den  Hieb,  fahre  den 
Kutsa   mit   Rossen    des  Windes'  (RV  1,   175,  4). 


')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  190.  191. 

')  RV  I,  33,  12:  den  gehörnten  ^'ushna  hat  Indra  zerspellt;  RV  1,  54,  5  wirft  Indra  seine  Speere  auf  des  schnau- 
benden ^ushiia  Haupt. 

^)  Vgl.  KV  6,  20,  4. 

')  Kutsa  heißt  des  Indra  Wagengenoese  (särathi);  sie  erscheinen  einmal  sof^ar  beide  in  einem  Dvandva  vereinigt  als 
indräUutsä  (KV  5,  31,  9),  zusammen  auf  dem  Wagen  fahrend  (vähamänä  räthena) ;  auch  im  unmittelbar  voihergehenden 
Verse  8  ist  von  Indras  Fahren  mit  Kutsa  die  Rede,  wahrend  Vers  7  berichtet,  daß  Indra  des  ^'ushna  Listen  (Zauberkünste) 
beraeistert  habe;  auch  hier  also  die  Bezwingung  des  ^'ushi.ia  in  Verbindung  mit  Kutsa. 


Heeakles  und  Indea. 


29 


In  der  Regel  aber  erzählt  er  die  Tat  als  eine 
rühmliclist  vollbrachte:  ,Du,  o  Indra,  hast  dem 
Kutsa  geholfen,  als  du  den  Dämon  Qushna,  den 
Mißernte  bewirkenden,  ihm  ausliefertest'  (RV  7, 
19,  2);  oder  an  einer  anderen  Stelle  fRY  6,  20,  5): 
,Des  gro(3en  Unholds  ganze  Lebenskraft  ward  ab- 
getan, als  (^usbna  fiel  beim  Wurf  des  Donnerkeils; 
weiten  Raum  hat  Indra,  auf  gleichem  Wagen 
fahrend,  dem  Wagengenosseu  Kutsa  geschaffen, 
beim  Gewinn  der  Sonne.' 

,Du  schlugst  im  Felstal  auf  belad'nem  Wagen 
Den  (^'ushna  für  den  sclioneu  Jüngling  Kutsa' 

heißt  es  RY  1.  63,  3  in  Grassmanns  Übersetzune-. 
Bei  dem  Felstal  (vrijcäua)  könnte  man  versucht 
sein,  an  das  Tal  und  die  Schluchten  von  Nemea 
zu  erinnern,  in  denen  der  Lowe  der  Heraklessage 
haust,  doch  ist  es  natürlich  sehr  fraglich,  ob  da 
ein  Zusammenhang  vorliegt.  Denn  auf  jeden  Fall 
ist  jFelstal'  eine  sehr  freie,  respektive  kühne 
Wiedergabe  von  vrijana.  Weiter  rUlimen  die  Sän- 
ger: ,Dem  Kutsa  hast  du  (Indra)  beim  Cuslina- 
kampfe  geholfen'  (RY  1,  51  6);  ,du  fuhrst  mit 
Kutsa  und  den  Göttern  auf  dem  gleichen  Y^agen, 
besiegtest  den  (,'ushna'  (RY  5, 2'J,  9) ;  ,Du  schleuder- 
test den  ehernen  Stein  des  Himmels  aus  dem  Riemen, 
als  du,  0  vielgerufener  (Indra),  dem  Kutsahelfend,  den 
Cushija  mit  endlosen  Hieben  umschrittest'  (RV  1, 121, 
9);  ,Dem  Kutsa  zuliebe  bat  er  (Indra)  den  (^/ushna 
ins  Elend  dahingegeben'  (RV  10,  99,  9). 

Sciion  aus  den  angeführten  Stellen  geht  her- 
vor, daß  es  sich  bei  Cushna  nicht  um  einen  eigent- 
lichen Dämon  der  Sounenglut  handeln  kann,  sonst 
würde  ja  wohl  kaum  bei  seiner  Bändigung  und  Ver- 
nichtung vom  Gewinn  der  Sonne  oder  des  Sonnen- 
lichtes geredet  werden.  Die  Natur  dieses  Dämons 
der  Dürre  wird  uns  noch  deutlicher  werden,  wenn 
wir    einige   weitere  Stellen  des  Veda  vergleichen. 

Da  heißt  es  z.  B.  (RY  8,  1,  28)  von  Indra: 
,Du  hast  die  wandernde  Burg  des  Cushna  mit 
Hieben  zerschmettert.")  Es  kann  wohl  kein  Zwei- 
fel darüber  bestehen,  daß  in  dieser  , wandernden 
Burg'  des  (,'iislina  die  Y'olke  zu  erkennen  ist. 
Wolkenburgen  sind  es  daher  wohl  auch,  wenn  es 
-an  einer  anderen  Stelle  heißt  (RY  1,  51,  11):  ,Des  j 
Qushna  gefestigte  Burgen  schlug  er  auseinander.' 
Noch  deutlicher  wird  die  Situation  des  (,'ushna- 
kampfes  durch  die  folgenden  Stellen  (Yäl.  3,  8): 
,Er,  der  mit  Macht  den  Wasserbehälter  (die 
Wolke)  erreichte,  mit  seinen  Hieben  den  ^ushna 
niederschmetfernd,  als  er  ausbreitend  diesen  Him- 


mel stützte,  da  ward  der  Erdbewohner  geboren'; 
und  weiter  (RY  1,  121,  10):  ,Bevor  das  Dunkel 
die  Sonne  erreicht,  schleudere  das  Gesclioß,  du 
Steinträger,  gegen  dieWolke (den  Wasserbehälter); 
des  Cushna  rings  umhüllte  Kraft  zerschmettertest 
du  vom  Himmel  herunter.'  Die  Beute  des  Kampfes 
wird  ebenfalls  angedeutet  (RV  4,  30,  13): 

,Und  auch  des  (j'uslina  Eigentum 
Ergriffest  du  mit  kühnem  Mut, 
Als  seine  Burgen  du  zerbrachst.' 

(Grassmann.) 

Und  ferner  (RY  8,  40,  10):  ,Er,  der  mit  Macht 
des  (,'ushna  Eier  spaltet,  er  soll  die  ^Yasser  samt 
dem  Himmelslicht  gewinnen.'  Ähnlich  Vers  11. 

Der  Mißernte  bewirkende,  böse,  gefräßige 
Dämon,  seine  ^Yolkenburg,  sein  Eigentum,  der 
Y'urf  des  Donnerkeils,  die  Gewinnung  der  Sonne, 
des  Sonnenlichts,  Gewinnung  der  Y'asser  samt 
dem  Ilimmelslicht,  —  es  ist  kein  positiver  Dämon 
der  Sounenglut,  sondern  ein  negativer,  neidischer, 
geiziger  Wolkendämon,  den  Gott  Indra  samt 
seiner  Burg  zerschmettert,  um  AYasser  und  Licht 
zugleich  zu  gewinnen.  Ein  Dämon  der  Dürre 
und  des  Mißwachses  also  nur  insofern  er  die 
befruchtenden  ^Yasser  und  das  Himmelslicht  vor- 
enthält, —  der  neidische  AYolkendämon,  den  wir 
auch  sonst  als  den  gewöhnlichen  Gegner  des  Ge- 
wittergottes Indra  kennen  —  nur  speziell  in  seiner 
Eigenschaft  als  der  Mißwaclis  bewirkende,  aus- 
dörrende böse  Dämon  gefaßt.  Vielleicht  in  An- 
lehnung an  bestimmte  Ereignisse  so  fixiert  — 
darauf  deutet  die  häufige  Erwähnung  des  Kutsa, 
zu  dessen  Vorteil  die  Tat  geschehen  sein  soll  — 
gewiß  aber  dann  auch  ganz  allgemein  gefaßt  und 
verstanden,  sonst  könnte  der  Sänger  nicht  mehr- 
fach den  Gott  zur  Ausführung  dieser  Heldentat 
auffordern.  Im  Grunde  ist  Cushna  nichts  anderes 
als  Yritra  ,der  Verschließer'  und  Ahi  ,die  Schlange', 
die  bösen  Wolkendämonen,  und  doch  etwas  Be- 
sonderes, insofern  dieser  Dämon  hier  in  seiner 
Eigenschaft  als  der  Mißernte  bewirkende,  ge- 
hässige, ausdörrende  gefaßt,  individualisiert,  hjpo- 
stasiert  ist. 

In  Zeiten  der  Dürre  und  Trockenheit,  wo 
die  Vegetation  zugrunde  zu  gehen  drohte,  fabelte 
man  wohl  schon  früh,  daß  es  einen  bösen  Dämon 
gebe,  der  die  Schätze  des  Himmels  der  Erde  vorent- 
halte. Nun  erschien  die  dunkle  Wolke,  die  das  Re- 
gennaß barg  (und  die  Sonne  verhüllte).    Das  war 


')  RV  8.   ],    28    tväiri    i)rir!iiii    carishi.iTaiu    vacUiiVib   i,-üslinas}-a  sänipii.iak,  tv;uii    bhä'  .■'iiui    caro 
hävyo  bhüvab- 


■•'ullia    dvitä'   v;'i(l   indra 


30 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoedee. 


die  Burg,  die  wandernde  Burg  dieses  Dämons.  Als- 
bald war  der  Gowitterheld  zur  Stelle.  Er  schleu- 
derte den  Donnerkeil,  den  Blitz,  und  siehe  da, 
die  befruchtenden  A\\asser  rauschten  hernieder,  er- 
quickten die  Erde,  und  wohltuend,  freundlich  lä- 
chelte nun  die  Sonne  herab,  nicht  mehr  sengend 
und  l)rennend,  sondern  segnend,  belebend.  Der  dop- 
pelte Gewinn  war  die  Großtat  des  Gewitterhelden. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  aus  solch  einem  Dä- 
mon, den  der  Gewittergott  -^-erniehtet,  außer  an- 
dern Gestalten  und  Bildern  auch  der  nemeische 
Löwe,  den  Herakles  erwürgt,  hervorgehen  konnte. 
Ich  halte  das  für  durchaus  möglich,  ja  wahr- 
scheinlich. Wenn  der  böse,  gefräßige,  die  Vege- 
tation schwer  schädigende  Dämon  in  Griechenland 
die  Gestalt  des  furchtbaren,  von  der  Himmels- 
göttin gesandten,  die  Gegend  verwüstenden  Löwen 
angenommen  hat,  so  erklärt  sich  das  sehr  wohl 
aus  der  griechischen  Sonderentwicklung.  Sehr 
natürlich  ist  hier  das  Bild  des  Löwen  eingetreten, 
, welcher  im  Orient  und  von  daher  auch  bei  den 
Griechen  des  Mittolmeeres  seit  alter  Zeit  ein 
Sj-mbol  der  verzehrenden  Hitze  und  der  heißesten 
Jahreszeit  war,  wie  er  als  solches  auch  auf  den 
Münzen  von  Cypern,  Kyrene,  Rhodos,  Knidos, 
Samos  und  ihren  Kolonien  oft  zu  sehen  ist,  ge- 
wöhnlich mit  aufgesperrtem  Rachen,  also  brüllend 
oder  verschlingend.  Mit  der  Zeit  ist  daraus  das  Stern- 
bild des  Löwen  geworden,  in  welchem  die  Sonne 
so  lange  verweilt,  als  die  Huudstage  dauern.'  Der 
Löwe  und  der  Hund,  der  Seirios,  sind  bei  den 
Alten  zu  Sinnbildern  des  Sonnenbrandes  der 
heißesten  Jahreszeit  geworden,  die  als  solche  dann 
namentlich  bei  den  lateinischen  Dichtern  noch 
oft  nebeneinander  genannt  werden,  i)  Den  Griechen 
ist  das  Bild  des  Löwen  in  diesem  Sinne  zweifellos 
geläufig  und  mit  Recht  hat  man  daher  daraus  die 
Gestalt  des  nemeischen  Löwen  erklärt. 

Eine  speziellere  Bestätigung  dieser  Auffassung 
von  dem  Löwen  bietet  die  Episode  von  Molorchos, 
dem  Winzer  oder  Baumzüchter  in  der  Gegend  von 
Nemea,  bei  dem  Herakles  einkehrt  und  der  dreißig 
Tage  lang  auf  die  Rückkehr  des  Helden  warten 
soll.  Kommt  Herakles  dann  nicht  zurück,  dann 
soll  er  ihm  als  einem  Verstorbenen  opfern.  Doch 
gerade  nach  dreißig  Tagen  ist  Herakles  wieder 
da,  als  Sieger  über  den  Löwen.  Es  sind  die 
dreißig  Tage  der  sommerlichen  Gluthitze.''') 

Daß  ältere  Vorstellungen  sich  in  solcher  oder 
ähnlicher  Weise  Avandeln,  sich  späteren  Begriffen 


anpassen  und  assimilieren,  ist  sehr  natürlich  und 
kann  uns  nicht  wundernehmen.  Übrigens  muß  aber 
doch  auch  daran  noch  erinnert  werden,  daß  der 
nemeische  Löwe  von  Typhon  und  der  Echidna 
stammt,  also  doch  etwas  wie  ein  Schlangensohn  oder 
Drachensohn  ist.^)  Die  Idee  der  Unverwundbarkeit 
des  Ungetüms  scheint  alt  zu  sein.  Das  Problem,  wie 
der  Held  dies  scheinbar  unübersteigliche  Hindernis 
überwindet,  finden  wir  bei  Indern  und  Griechen  ver- 
schieden gelöst.  Indra  findet  an  dem  scheinbar  Un- 
verwundbaren dennoch  eine  verwundbare  Stelle  auf. 
Bei  Herakles  ist  die  Unverwundbarkeit  des  Löwen 
die  Veranlassung  dafür,  daß  er  ihn  in  seinen  Ar- 
men erwürgt,  nicht  mit  Bogen  und  Pfeil  oder 
mit  der  Keule  tötet.  Varianten  dieser  Art  haben 
durchaus  nichts  Auffallendes  an  sich. 

Noch  einmal  aber  möchte  ich  hervorheben 
daß  wir  diesen  Kampf  nur  dann  recht  verstehen, 
wenn  wir  Iferakles  —  wie  Indra  —  als  alten  Ge- 
witterriesen fassen.  Ein  Held,  der  die  Sonne  selbst 
repräsentiert,  ein  Sonnengenius  oder  Sonnengott, 
kann  nicht  wohl  als  Bekämpfer  der  Sonnenglut 
und  Dürre  fungieren.  Nur  ein  Sonnenheld  im 
Sinne  des  Indra  ist  hier  am  Platze,  der  ja  ge- 
rade auch  lieim  ^'ushnakampfe,  wie  wir  gesehen 
haben,  als  solcher  gepriesen  wird.  Aber  er  ist 
darum  doch  kein  Sonnengott,  sondern  der  große 
Gewitterheld,  der  den  neidischen  Dämon  der  Dürre 
und  seine  Wolkenburg  vernichtet,  dadurch  nicht 
nur  die  Wasser,  sondern  auch  das  Sonnenlicht  neu 
gewinnend.  Das  Burgenbrechen,  Wasserleiten, 
Sonnenlichtgewinnen  wird  uns  bei  Herakles  weiter- 
hin in  mancherlei  Variationen  entgegentreten.  Im 
Kampfe  gegen  den  nemeischen  Löwen  ist  nur  die  Ver- 
nichtung des  Dämons  der  ausdörrenden  Gluthitze 
gefaßt  und  dargestellt.  Ihn  sucht  der  Held  in  seiner 
Höhle  auf  und  erwürgt  ihn  in  seinen  Armen. 
Damit   ist    das   Untier    unschädlich    gemacht. 

Die  Situation  ist  vom  Himmel  auf  die  Erde 
versetzt.  Das  , Felstal',  in  dem  Indra  den  C^'ushna 
schlägt  (nach  RV  1,  63,  3),  eigentlich  die  Um- 
hegung, den  umschlossenen,  eingeschlossenen  Ort 
(vrijäna),  finden  wir  in  den  Schluchten  von  Nemea 
wieder,  in  denen  der  Löwe  haust.  Dem  Tretos- 
Gebirge  und  Apesas,  die  das  Tal  von  Nemea  um- 
schließen,'^) stehen  im  indischen  Mythos  Wolken- 
berge und  Wülkental  gegenüber.  Haben  wir  auch 
allen  Grund,  uns  zu  hüten,  auf  Übereinstimmun- 
gen solcher  Art  viel  Gewicht  zu  legen,  so  ist  es 
doch  andrerseits   sehr  wohl  möglich,    daß  hier  in 


')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  I  p.  372.  373; 
»)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  191. 
*)  Vgl.  Prfiller,  a.  a.  O.  II  p.  1!)0. 


II  p.  190.  191. 

■')  Vgl.  Preller,  a.  a.  ().  11  p.  19U. 


Heeakles  und  Indea. 


31 


■der  Tat  ein  Zusammenliang,  eine  himmlisch-irdi- 
sche Eutspreehung  vorliegt.  Wie  die  Wolken- 
insel, aus  der  Agni  entspringt,  bei  den  Griechen 
zur  Insel  Delos,  der  Geburtsstcätte  des  Apollon,  ge- 
worden ist,  wie  der  Tritonsee,  aus  dem  Athene 
liervorgeht,  ursprünglich  in  der  Himmelsregion  zu 
suchen  ist,  so  ist  es  sehr  möglich  und  gut  denk- 
har,  daß  der  griechische  Mythos  die  Wolkenberge 
und  die  von  ihnen  umschlossenen  Täler,  in  denen 
der  alte  Dämon  der  Dürre  einst  hauste,  in  be- 
stimmten Bergen  und  Tälern  des  Griechenlaudes 
suchte  und  wiedererkennen  wollte. 

Wenn  Gruppe  Recht  liat  mit  seiner  An- 
nahme, das  Heiligtum  von  Xemea  sei  nach 
dem  rächenden  Zeus  genannt,  dessen  Zorn  man 
bei  anhaltender  Dürre  zu  versöhnen  suchte,  wenn 
dieser  Zeus,  wie  er  vermutete,  als  Regenspender 
auch  Apesas,  Aphesas  hieß,')  dann  wird  es  gewiß 
noch  wahrscheiuUcher,  daß  die  Heldentat  des  He- 
rakles in  Nemea  darin  bestand,  daß  er  einen  Dä- 
mon der  ausdörrenden  Gluthitze  bezwang:  und 
Regen  verschaffte.  Der  geliebte  Sohn  des  großen 
ge^ntternden  Himmelsgottes,  sein  mutmalJlicher 
einstiger  Helfer  beim  Gewitterwerk,  der  alte  Ge- 
witterriese, wäre  da  gewiß  ganz  an  seinem  Platze. 
Aber  auch  die  Namen  der  Berge  Apesas  und  Tre- 
tos  erscheinen  nunmehr  bedeutsam.  Wird  Apesas 
richtig  zu  äcptr,[j.t  in  Beziehung  gebracht,  dann 
bedeutetes  wohl  den  , Loslassenden';  Tretos  oder 
Treten  kann  aber  nichts  anderes  bedeuten,  als  der 
Durchlöcherte,  Durchbohrte  (ypr,-6-  vonipäü)).  Beide 
Berge  aber  gemahnen  uns  dann  auch  durch  ihre 
Namen  sehr  lebendig  an  jene  Berge,  respektive 
Wolkenberge,  die  Indra  in  den  vedischen  Liedern 
so  oft  durchbohrt  oder  anbohrt  und  dazu  zwingt, 
die  verborgenen  Wasser  freizugeben,  loszulassen, 
zur  Erde  hinabströmen  zu  lassen.  Diese  Berge 
samt  der  noch  jetzt  gezeigten  Höhle  des  Löwen 
bei  Nemea  spiegeln  deutlich  die  Situation  der 
bekannten  Kämpfe    des  Indra  wieder. 

A.  Hillebrandt  hat  es  wahrscheinlich  ge- 
macht, daß  es  sich  bei  den  Kämpfen  des  Indra 
zu  einem  guten  Teil  um  Kämpfe  gegen  Dämonen 
des  Winters,  des  Frostes  und  Eises  handelt:  daß 
die  gefesselten,  gebannten  Wasser  nicht  selten 
deutlich  als  gefrorene  Wasser  charakterisiert  sind 
(Ved.  Mythol.  III.  p.  157  ff.).     Docii  geht  er  mei- 


nes Erachtens  zu  weit,  wenn  er  die  Wolken- 
dämonen damit  ganz  wegschaffen  will.  Kein  Zwei- 
fel, daß  der  große  Donnerkeilträger  und  -schleu- 
derer Indra  ein  Gewittergott  ist,  daß  er  Wolken- 
berge zerschlägt  und  Regen  zur  Erde  strömen 
läßt.  Er  befreit  so  die  himmlischen  Wasser,  wie 
er  auch  die  Wasser  der  irdischen  Berge  in  Be- 
wegung setzt,  die  gefrorenen  Quellen  und  Flüsse 
laufen  macht.  So  ist  er  Wasserspender  im  wei- 
testen Umfang  und  damit  der  geborene  Gegner 
aller  bösen  Dämonen,  die  —  sei  es  im  Winter 
oder  im  Sommer  —  das  Wasser  zurückhalten, 
bannen,  die  dürstende  Erde  austrocknen  und  aus- 
dörren. 

Die  Entwicklung  des  bösen  Dämons,  der  die 
Wasser  versteckt  und  vorentiiält  und  dadurch  das 
Land  ausdörrt,  die  Ernte  auffrißt  oder  verdirbt, 
zu  einem  Dämon  der  Sonnengluthitze,  wie  wir  ihn 
im  nemeischen  Löwen  vor  uns  haben,  ist  so  na- 
türlich und  fast  notwendig,  daß  dieselbe  auch  in 
Indien  stattgefunden  hat.  So  deutlich  sich  in  den 
Liedern  des  Rigveda  der  Dämon  C'ashna  noch  als 
eine  Spielart  des  (Wolkendämons)  Yritra  oder 
Abi  erkennen  läßt,  so  bemerkenswert  ist  doch 
auch  wiederum  die  Tatsache,  daß  dieser  (Jushna 
der  ausdörrende,  Mißernte  bewirkende,  gefräßige 
Dämon,  schon  von  Yäska  (5, 16)  und  auch  späterhin 
von  Säyana  durch  Aditya  urasciirieben  und  dem- 
nach als  die  Sonne  gefaßt  wird,-)  —  die  Sonne  in 
ihrer  sengenden,  dörrenden,  Verderben  bringenden 
Eigenschaft.  Mit  Recht  sagt  Roth  in  der  An- 
merkung zu  jener  Stelle  des  Yäska,  daß  Cushna 
nicht  die  Sonne  sei,  sondern  der  Dämon  der 
Wolke,  den  Indra  bekäm))ft,  und  auch  Kuhn 
lehnt  für  die  vedischen  Lieder  jene  Deutung  ab, 
wenn  auch  weniger  schroff,  sie  ist  aber  sehr  na- 
türlich und  begreiflich,  —  sie  macht  uns  den  ne- 
meischen Löwen  in  seinem  Zusammenhang  mit 
dem  vedischen  Dämon  (^'ushna  noch  besser  ver- 
ständlich und  kann  nur  zur  Bekräftigung  der  oben 
vertretenen  Auffassung  dienen. 

Wenn  griechische  Münzen  den  Herakles 
gelegentlich  auf  einem  schreitenden  Löwen, 
mit  dem  Blitz  in  der  Hand  darstellen,  so  kann 
auch  das  nur  diese  unsere  Auffassung  bekräfti- 
gen.^) Es  ist  der  alte  Gewitterriose,  der  den 
Dämon    der  Dürre,  der  Glutiiitzo  bezwingt. 


')  Vgl.  Otto  Gruppe,  Griechische  Mytholog-io  und  Religionsgeschichto,  Hd.  1  (München  l'JOs),    p.  187.188. 

')  Vgl.  Kuhn,  Herabkunft  des  Feuers  und  Göttertranks,  2.  Aufl.  p.  52  (Mythol.  Studien  von  A.  Kuhn,  15d.  1);  1.  Au9.  p.  55. 

")  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  190,  Anm.  4.  —  Es  ist  selbstver-^tändlich,  daß  wir  auf  einige  vereinxelto  Münzen  kein  großes 
Gewicht  legen  dürfen,  doch  verdient  die  originelle  Kombination  im  Zusammenhang  unserer  Betrachtung  wohl  erwähnt  zu 
werden.      Er  ist  immerhin  ganz  wohl   denkbar,  daß  sie  alte  Erinnerungen  enthält. 


32 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoeder. 


Die  lernäische  Hydra. 


Auf  das  Abenteuer  mit  dem  nemeischen  Lö- 
wen folgt  in  der  Heraklessage  dasjenige  mit  der 
leruäischen  Hydra.  Eine  offenbar  schon  alte  Tra- 
dition .setzt  übereinstimmend  diese  beiden  großen 
Heldentaten  an  den  Anfang  der  eigentlichen 
Heldenlaufbahn  des  an  Taten  und  Abenteuern  so 
überreichen  Heros.*)  Auch  landschaftlich  gehören 
diese  beiden  Abenteuer  eng  zusammen,  da  Lerna 
ebenso  wie  Nemea  in  Argolis  gelegen  ist.  Die  Hy- 
dra ist  ehenso  wie  der  Löwe  ein  Kind  des  Tyi>hon 
und  der  Echidna,  also  ein  stammverwandtes  Uu- 
£-eheuer.  Ihr  Wesen  wird  näher  durch  den  Na- 
nien  bezeichnet,  denn  Hydra  heißt  ohne  Zweifel 
die  ^^"asserschlange.  Die  Sage  stattet  sie  mit 
neun  Köpfen  aus,  von  denen  einer  unsterblich 
ist,  während  die  andern  acht  sterblich  sind.  Das 
Ungeheuer  haust  auf  einem  Hügel,  unter  einer 
Platane,  beim  Quell  Amymoue.  Von  dort  geht 
es  auf  Rauh  aus  und  ist  besonders  gefährlich 
durch  sein  scharfes  Gift,  das  beim  bloßen  An- 
hauch schon  tötlich  wirkt.  Der  Held  bezwingt 
die  fabelhafte  Wasserschlange  unter  dem  Beistande 
der  Athena  und  des  Jolaos,  welch  letzterer  ihn 
zu  Wagen  bis  an  den  Hügel  heraufährt.  Mit 
glühenden  Pfeilen  zwingt  Herakles  das  Ungetüm, 
aus  seinem  Schlupfwinkel  herauszukommen,  und 
haut  ihm  nun  einen  Kopf  nach  dem  andern  ab, 
doch  für  jeden  abgehauenen  Kopf  schießen  zwei 
neue  hervor  und  zugleich  kommt  ein  riesiger  See- 
krebs der  Hydra  zu  Hilfe,  der  den  Helden  in  den 
Fuß  beißt.  Herakles  zertritt  denselben  und  sein 
Freund  Jolaos  brennt  mit  Feuerbränden  die  ab- 
gehauenen Köpfe  aus.  Endlich  fällt  auch  der  an- 
sterbliche Kopf  und  das  Ungeheuer  ist  vernichtet. -j 

Der  hilfreiche  Seekrebs  erscheint  schon  auf 
den  alten  Vasenbildern,  welche  dies  Abenteuer 
darstellen,  und  gehört  offenbar  wesentlich  zu  der 
Fabel,  schon  in  ihrer  ältesten  Form.^)  Dagegen 
dürfte  die  Erzählung,  wie  Hei-akles  seine  Pfeile 
mit  dem  Gifte  der  Hydra  tränkt,  nach  dem  Ur- 
teil der  Spezialforscher  jüngeren  Datums  sein.'') 
Auch  Avurde  die  Zahl  der  Köpfe  des  Ungeheuers 
späterhin  von  der  Dichtung  immer  höher  liinauf- 
getrieben,^)  —  ein  Umstand,  der  offenbar  ohne 
wesentliche     Bedeutung     ist.       Ein     vielköpfiges 


Schlangenungetüm,  das  im  Kampfe  sich  vielfach 
erneuert,  ist  deutlich  die  zugrunde  liegende  Vor- 
stellung. 

So  viel  ist  klar,  daß  sich  Herakles  in  dieser 
Sage  mit  keinem  Zuge  als  der  Sonnenheld  er- 
weist, den  man  gewöhnlich  in  ihm  sieht  und  den 
auch  wir  in  mancher  seiner  Taten  deutlich  er- 
kennen und  anerkennen.  Preller  sieht  in  ihm 
liier  den  Kulturheros  und  findet  in  der  Hydra- 
Fabel  den  Beweis,  ,daß  auch  der  argivische  Glaube 
den  Helden  in  der  doppelten  Bedeutung  des  Son- 
nenhelden und  des  Helfers  und  Heilands  im  wei- 
teren Sinne  des  Wortes  kannte.'")  Speziell  pflegt 
man  die  giftige  Wasserschlange  auf  den  feuchten 
Grund  von  Lerna  zu  deuten,  dessen  stagnierende 
Gewässer  schädliche  Miasmen  erzeugt  hätten,  bis 
der  Kulturheros  dem  ein  Ende  machte.')  Doch 
hat  Gruppe  wohl  unzweifelhaft  Recht,  wenn  er 
auf  Grund  des  in  Lerna  geübten  Rituals  einer  an- 
deren Deutung  den  Vorzug  gibt:  ,Wie  die  Ze- 
remonien von  Lerna  sich  großenteils  als  Regen- 
zauber charakterisieren,  so  scheint  auch  die  Be- 
sieg'ung  der  Hydra  aus  einem  Zauberritual  zu 
stammen,  bei  welchem  man  eine  Schlange  tötete, 
die  als  Verschluckerin  des  Wassers,  als  Ur- 
heberin der  herrschenden  Dürre  und  insofern 
auch  der  durch  sie  verursachten  Pestilenzen  be- 
trachtet wurde. '^) 

Der  Kult  von  Lerna,  offenbar  ein  uralter. 
Regen  bewirkender  Zauberkult,  führt  hier  zu  einer 
Deutung  der  Sage,  die  mit  der  meistgerühmten 
Heldentat  des  Indra  in  den  Liedern  des  Rigveda 
fast  zusammenfällt,  ihr  jedenfalls  so  ähnlich  sieht, 
wie  ein  Zwilling  dem  andern.  Eine  Schlange 
wird  getötet,  die  als  Urheberin  der  Dürre,  als 
Verschluckerin  der  Wasser  gilt,  —  sie  wird  ge- 
tötet, damit  es  Regen  gebe.  Spiegelt  ein  Ritus 
dieser  Art  die  Heldentat  des  Herakles  an  der  1er- 
näischen  Hydra  wieder,  dann  ist  diese  letztere 
kaum  zu  unterscheiden  von  der  so  unendlich  oft 
besungenen  Heldentat  des  Indra,  der  den  Ahi  er- 
schlägt, die  böse  Schlange,  die  Wasserschlange, 
—  könnte  man  auch  hier  sagen  —  die  am  Wol- 
kenberg, vielleicht  auch  am  irdischen  Berg  mit 
winterlich  gefrorenen  (Quellen   und  Bächen  lagert 


»)  Vjjl.  Preller,  a.  a.  O.  11  p.  189.  =)  Vgl.  Preller,  a.  a.  ().  II  j..  192.  193. 

')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  193;  Gruppe,  a.  a.  O.  I  p.  46.H. 

*)  Vgl.  Gruppe,  a.  a.  O.  1  p.  464.  *)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II   p.  19:1 

")  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  193.  ')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II   p.  193;  Gruppe,  a.  a.  O.  I  p.  463. 

")  Vgl.  Gruppe  a.  a.  O.  I  p.  4G3;   die  S]ierrungeu   rühreu  von   mir   her. 


Heeäkles  und  Tndra. 


33 


und  die  Wasser  gefangen  liält,  welclie  erst  nacli 
dem  Tode  dieses  neidischen  Sehlangendämons  wie- 
der befreit  zur  Erde  strömen  und  das  dürre  Land 
erquicken.  Alii,  dessen  Name  schon  , Schlange' 
bedeutet,  mitdemgriechischenEeliis  undEchidnaur- 
verwaudt,  —  Ahi,  von  dem  es  heißt,  daß  er  die 
Wasserströme  verschluckt  habe,  die  erst  ludras 
Heldentat  wieder  befreit  —  ,Du,  o  Indra,  hast 
mit  Maciit  den  Vritra  getötet,  hast  die  Ströme 
losgelassen,  die  von  Ahi  verschlungen  waren"): 
dieser  Ahi,  der  mit  Vritra,  dem  Verhüller,  we- 
sentlich eins  ist,  dieser  die  himmlischen  Wasser 
verschlingende  oder  verschluckende  Ahi  ents])richt 
der  von  Gruppe  erwähnten  Schlange  des  leruäi- 
schen  Rituals,  der  Verscliluckerin  des  Wassers, 
der  Urlieberin  der  Dürre,  deren  fabelhaftes  Ur- 
bild die  Hydra  des  Herakles  darstellt.  Eine 
Schlange  dieser  Art,  eine  Regenwasserschlange, 
die  das  himmlische  Wasser  verschluckt  und  dann 
wieder  herzugeben  gezwungen  wird,  kann  ur- 
sprünglich nur  in  der  Wolkenregion  hausend  ge- 
dacht worden  sein,  wie  uns  das  im  indischen 
Mythus  deutlich  entgegentritt.  In  der  griecliischen 
Sage  ist  hier,  wie  so  oft,  ein  himmlisclier  Vor- 
gang auf  der  Erde  lokalisiert,  und  damit  mag  es 
wohl  auch  zusammenhängen,  daß  die  lernäische 
Hydra  die  Beziehung  zum  Regen  verloren  hat, 
welche  nur  noch  im  Ritual  sich  erhalten  hätte. 
Aber  dies  letztere  ist  sehr  wichtig,  denn  gerade 
im  Ritual  pflegt  sich  Uraltes  zäh  zu  erhalten. 
Am  Hügel,  beim  Quell,  unter  der  Platane,  da 
haust  die  furchtbare  Hvdra,  die  Herakles  bezwingt. 
Am  Hügel,  an  der  Halde,  am  Abhang,  oder  rich- 
tiger an  den  Abhängen  (])ravätas),  lagert  auch 
Alii,  bis  ihn  Indra  zei'schmettert,  zerspaltet,-)  — 
nur  daß  hier  die  Halden  oder  Abhänge  des  Wol- 
keubergs  gemeint  sind.  Dort  lagert  er  lauernd 
beim  Wasser,^)    umschließt    und  hütet  die  Flut.*) 

Ob  auch  die  Platane  der  griechischen  Sage 
den  alten  mythischen  ^Volken-  und  Wetterbaum 
wiedersj)iegelt,  mag  dahingestellt  bleiben.^) 

Wie  Herakles  bei  der  Tötung  der  Hydra  an 
Jülaos  einen  befreundeten  Helfer  hat,  so  steht  dem 
Indra  bei  der  Tötung  des  Ahi  Freund  Vishnu 
helfend    bei.'')       An    die  Feuerbrände,    mit  denen 


Jolaos  die  Köpfe  der  Hydra  ausbrennt,  au  die 
feurigen  Pfeile,  mit  denen  Herakles  das  Untier 
angreift,  werden  wir  erinnert,  wenn  es  im  Rig- 
veda  (2,  11,  10)  von  der  Tötung  des  Ahi- Vritra 
heißt:  ,Es  krachte  des  Starken  Donnerkeil,  als 
der  Menschenfreund  den  jMenschenfeind  nieder- 
brannte.") Daß  hier  vom  Feuer  des  Blitzes 
die  Rede  ist,  kann  nicht  wohl  bezweifelt  werden. 
In  der  griechischen  Sage  ist  dieser  Ursprung  der 
feurigen  Waffen,  mit  denen  die  Hydra  bezwungen 
wird,  längst  in  Vergessenheit  geraten,  dem  Be- 
wußtsein entrückt,  doch  verdient  ihr  Fortleben 
bemerkt  zu  werden. 

Ahi,  die  Schlange,  und  Vritra,  der  Verhüller, 
ist  wesentlich  eins  und  dasselbe,  —  aber  auch 
Qushna,  der  Dämon  der  Dürre  und  des  Miß- 
wachses, ist  im  Grunde  das  gleiche  dämonische 
Wesen.  Es  sind  alles  drei  von  Hause  aus  nur 
verschiedene  Bezeichnungen  derselben  mythischen 
Vorstellung,  von  verschiedenen  Seiten  betrachtet 
und  unter  den  verschiedenen  Namen  allmählich 
sich  sondernd  und  selbständig  werdend.  Eine 
scharfe  individuelle  Scheidung  liegt  eigentlich  aber 
nicht  vor.  Die  Gestalten  verschwimmen  nicht 
selten  und  gehen  eine  in  die  andere  über.  Wenn 
daher  eine  Eigenschaft  etwa  nur  einmal  von  einer 
derselben  erwähnt  wird,  nicht  gerade  ein  ihr  allein 
konstant  beigelegtes  und  also  unterscheidendes 
Merkmal  bildet,  dann  mag  dieselbe  so  oder  ähnlich 
auch  den  andern  innewohnend  gedacht  worden 
sein  oder  ließ  sich  zum  mindesten  leicht  von  einer 
auf  die  andre  übertragen.  Tushua  wird  nun 
einmal  (RV  10,  GO,  13)  puruprajätä  genannt,  d.  h. 
vielfach  sich  erzeugend,  sich  erneuernd,  und  wenn 
wir  diese  Eigenschaft  der  Wolkenschlange  des 
Veda  beilegen  dürfen,  dann  müssen  wir  alsbald 
der  lernäischen  Hydra  gedenken,  die  im  verzwei- 
felten Kampfe  mit  Herakles  sich  immerfort  er- 
neuert, indem  an  der  Stelle  eines  abgehauenen 
Kopfes  alsbald  zwei  neue  Köpfe  erwachsen.  Die 
Neunzahl  der  Köi)fe  bei  der  lernäischen  Hydra 
ist  vielleicht  ursprünglich  nur  eine  Multiplikation 
der  älteren  Dreizahl,  die  wir  bei  einem  anderen 
nah  verwandten  Dämon  antreffen,  von  welchem 
später    zu    handeln    sein    wird,    dem    dreiköpfigen 


')  RV  4,  17,  1;  wesentlich  ebenso  KV  10,  111,9. 

')   Vgl.  RV  4,  17,  7  tväm  pr.äti  praväta  äcjäyänam  ähim  väjrei.ia  maghavan  v{  vn<;cal.i ;  dazu  vgl.  RV  4,  19,3  sajit.'i  pr.-'iti 
praväta  äijäyänam  ;ihim  väjrena  vi  rinä  aparvän,  also  au  den  sieben  Hügeln  oder  Halden   lagert  Abi. 
")  Vgl.  RV  5,  30,  6  aliim  ohänäm  apa  äi;äyänani  pril  sakshad  indralj. 

*)  Vgl.  RV  3,  32,  11 ;  4,  19,  2;  0,  30,  4:  ähim  parii;äyanam  ärnah;   RV  2,  19,  2  äbini  ludro  an.iovritani   vivii^cat. 
5)   Vgl.  Kuhn,  llerabkiinft,  2.  Aufl.  p.  20  fg. 

^)   Vgl.  RV  6,  20,  2  ,al.s  Du   den   Ahi,  den   Vritra,  der  die   Wasser  verschloß,  im   Verein   mit  Vishnu   tütetest.' 
')  äroravid  vrishno  asya  väjro  ämänusliam  yän  mä'nuslio  nijurvit. 
Denkfchrilten  der  phil.-hist.  Kl.  58.  Bd.  3.  Alili.  5 


34 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Schkoedek. 


Tvashtar-Sülni  Vivvaru])a,  dem  der  griechische  Ge- 
ryones  entspricht.  Der  furchtbare  Schlangendämon 
der  Perser,  Azhidahaka.  der  dem  yedischeu  Ahi 
entspricht  und  von  Thraetaona  Athwj-äna  be- 
zwungen wird,  hat  drei  Rachen,  drei  Schwänze, 
sechs  Augen,  und  von  dem  aus  ihm  erwachsenen 
Zohak  der  späteren  persischen  Sage  wird  erzählt, 
daß  aus  seinen  Schultern  durch  einen  Kuß  des 
Teufels  Schlangen  hervorgewachsen  sein  sollen.^) 
Man  kann  bei  dieser  Gestalt  des  Dämons  nicht 
umhin,  auch  daran  zu  erinnern,  daß  die  spätere 
griechische  Kunst  die  Hj-dra  als  Schlange  mit 
einem  Frauenkopf  darstellt,  aus  welchem  eine 
Reihe  andrer  Schlangen  hervorkommen,  ein  Ty- 
pus, den  Dragendorff  direkt  aus  der  altern  Hydra- 
vorstellung ableitet,  nachdem  schon  Urlichs  aus 
dem  Echidnatypus  das  Alter  dieser  Darstellungs- 
form erschlossen  hatte. ^)  Ein  Schlaugendämon, 
aus  dem  Schlangen  und  wieder  Schlaugen  hervor- 
wachsen,  hervorquellen  und  -schwellen,  scheint  die 
ursprüngliche  Vorstellung  zu  sein,  auf  welche  all 
diese  mythischen  Gestalten  der  Griechen,  Perser 
und  Inder  zurückgehen.  Im  Rigveda  aber  scheint 
sich  diese  abenteuerliche  Vorstellung  noch  in  einer 
andern  nahe  \'erwandten  mythischen  Gestalt, 
einer  anderen  Hypostase  des  von  Indra  A'ernich- 
teten  bösen  Wolkendämons,  spezieller  individua- 
lisiert zu  haben,  und  zwar  im  Ahi(,-uva. 

Der  Name  des  Ahifuva,  der  uns  im  Rigveda 
viermal  in  bemerkenswertem  Zusammenhang  ent- 
ffeeentritt,  kann  nichts  andres  bedeutet  haben 
als  ,Schlangenschweller'  oder  , Schlangenschwall' 
—  von  ahi  , Schlange'  und  der  Wurzel  eü  , schwellen, 
anschwellen',  —  es  liegt  hier  also  offenbar  ein  Dä- 
mon vor,  aus  dem  Schlangen  hervorschwellen,  der 
in  oder  mit  Schlangen  schwillt,  der  gleichsam 
einen  ganzen  Schlangenschwall  bildet.  Eine  schwel- 
lende, anschwellende,  d.  h.  nur  sich  vergrößernde, 
anwachsende  Schlange  kann  der  Name,  wie  er 
vorliegt,  nicht  wohl  bedeuten,')  sondern  nur  etwa 
,Schlangensch weller'  oder  , Schlangenschwall,'  was 


am  besten  sich  erklärt,  wenn  wir  an  den  sich 
vielfach  erneuernden,  neu  sich  erzeugenden 
Schlangendämon  Cushna,  an  deH  persischen  Zo- 
hak, an  die  lernäische  Hydra  erinnern,  —  ein  dä- 
monisches Wesen,  aus  dem  Schlangen  und  wieder 
Schlangen  hervorwachsen,  -quellen  und  -schwellen. 

Somit  scheint  Ahifuva  diejenige  Hypostase 
der  hypostasenreichen  vedischen  Himmelschlange 
zu  bilden,  welche  der  lernäischen  Hydra  am  näch- 
sten verwandt  ist.  Es  dürfte  daher  wohl  der 
Mühe  wert  sein,  diejenigen  Stellen  des  Rigveda 
etwas  näher  ins  Auge  zu  fassen,  in  welchen  dieser 
Ahifuva,  der  Schlangenschweller,  erwähnt  wird. 
Vielleicht  bieten  uns  dieselben  neben  der  allge- 
meinen Vorstellung  von  der  Wolkenschlange  Ahi- 
Vritra  ein  spezieller  individualisiertes  Bild,  dessen 
Vergleichung  mit  dem  Hydra-Abenteuer  des  He- 
rakles von  Bedeutung  und  Wichtigkeit  wäre. 

Hier  kommt  in  erster  Linie  das  merkwürdige, 
an  werti'ollen,  originellen  mythologischen  Zügen 
reiche  Lied  RV  8,  66  in  Betracht,  aus  dem  deut- 
lich hervorgeht,  daß  die  Tötung  des  Ahifuva  in 
den  Anfang  der  Heldenlaufbahn  Indras  fällt,  daß 
sie  dem  ersten  ungestümen  Tatendrang  entspringt, 
der  den  Gott  gleich  nach  seiner  Geburt  schon 
erfüllt.    Die  ersten  drei  Verse   des  Liedes  lauten: 

1.  Eben  geboren  fragte  der  Hundertfachkräf- 
tige so  die  Mutter:  Welche  sind  die  Gewaltigen? 
welche  sind  berühmt';' 

2.  Da  nannte  ihm  die  Starke  den  Spinnen- 
sohn, den  Schlangenschweller:^)  Diese,  o  Sohn, 
sollen  Überwinder  sein!") 

i5.  Da  klopfte  der  Vritratöter  sie  zusammen 
wie  die  Speichen  in  der  Nabe  mit  dem  Schlägel; 
erwachsen  war  der  Dämonentöter ! 

Daß  Indra  gleich  nach  seiner  Geburt  jene 
merkwürdige  Frage  an  die  Mutter  richtet:  , Welche 
sind  die  Gewaltigen?  welche  sind  berühmt?'  wird 
uns  übereinstimmend  noch  einmal  (RV  8,  45,  4)*'') 
berichtet,  doch  antwortet  ,die  Starke'  (fävasi. 
d.  h.  die  Mutter)  dort  nur  mit  dem  allgemein  ge- 


')  Vgl.  oben  p.  8.  -)   Vgl.  Grupiie.  ;i.  a.  O.  I  p.  4G3,  Anm.  4. 

')  Das  Verhältnis  der  Kompositionsglieder  müßte  sonst  das  umgekehrte  sein,  die  , Schlange,'  ahi,  das  Schluß- 
glied bilden. 

')  äurnaväbhäm  ahic^üvani;  über  den  ,öpinnensohn'  vgl.  weiter  unten. 

'•)  te  putra  santu  uishtiirah.  Es  kommt  für  unsere  Zwecke  nicht  viel  darauf  an,  ob  wir  nishtiir  mit  dem  Petersburger 
Wörterbuch  von  nis  und  tur  ableiten  und  .unüberwindlich'  übersetzen  oder  es  vorziehen,  mit  Grassman  an  ni-star  ,zu  Boden 
strecken'  zu  denken  (vgl.  änishtrita),  wo  dann  das  Wort  etwa  der  Fällende,  zu  Boden  Streckende,  der  tJberwinder  bedeuten 
würde.  Dem  Sinne  nach  kommt  das  ja  ziemlich  auf  eins  heraus.  Die  Mutter  bezeichnet  damit  dem  jungen  Indra  jene 
berühmten  Gewaltigen,  nach  denen  er  forscht  und  mit  denen  er  .sich  messen  möchte.  Er  selbst  wird  dann  nachher  mit 
dienen  Epithetis  als  der  Gewaltige,  der  tJberwinder  gefeiert,  der  unüberwindliche  Sieger,  KV8,  32,  27  t  pra  va  ngräya  nish- 
türe  'shädhäya  prasakshine  devättam  brähnia  gäyata. 

")  Der  Vritratöter  nahm  den  Pfeil,  geboren  fragte  er  die  Mutter:  .Welche  sind  die  Gewaltigen?  welche  sind  berühmt?' 


Herakles  und  Indea. 


35 


haltenen  Hinweis  darauf,  daß  kein  Feind  e-effen 
diesen  Neugebornen  werde  aufkommen  können. 
Unser  Lied  bietet  mehr,  —  eine  gedrängt  kurze, 
aber  höchst  inhaltreiche  Schilderung  der  ersten 
Heldentaten  des  Indra,  die  er  am  Spinnensolm. 
am  Schlangenschweller,  am  Gandharven,  am  Eber 
verriciitet,  schon  hier  seine  gewaltige  Trinklust 
bekundend,  da  er  gleicli  nacli  dem  Sieg  über 
Spiunensohn  und  SclilangenscJnveller  nicht  weni- 
ger als  dreißig  Seen  des  Soma  zugleich  auf 
einen  Zug  austrinkt.  Wii-  werden  auf  die  wei- 
teren Schilderungen  des  Liedes  später  zurück- 
kommen müssen  und  bleiben  zunächst  bei  den  oben 
angeführten  Anfangsversen  stehen,  für  die  Situa- 
tion im  allgemeinen  nur  noch  bemerkend,  daß  dem 
zehnten  Yerse  zufolge  Vishnu  als  freundlicli  hel- 
fender Begleiter  hinzuzudenken  sein  dürfte.  We- 
nigstens heißt  es  da,  daß  Visiinu,  von  Indra  an- 
getrieben, ,alles'  herbeigebracht  liabe,  —  hundert 
Büffel  und  den  garen  Brei  — .  offenbar  zu  einem 
Erquickungsschmause. 

Man  pflegt  die  Bezeicimung  , Spinnensolm'^) 
als  einen  Beinamen  des  ,Sciilangenschwellers'  Ahi- 
Vuva  aufzufassen,  doch,  wie  ich  glaube,  mit  Un- 
recht und  direkt  gegen  die  bestimmte  Aussage 
unseres  Liedes.  Indra  fragt  die  Mutter  im  Plural: 
.Welche  sind  die  Gewaltigen?  welche  sind  be- 
rühmt?' Sie  nennt  ihm  darauf  jene  beiden  Na- 
men, Aurnaväbhi  und  Ahi^uva,  und  setzt  ihrerseits 
im  Plural  hinzu:  .Diese  sollen  die  Überwinder 
sein'.  Ebenso  pluralisch  fährt  dann  der  Text  fort: 
.Diese  (tan)  klopfte  der  Vritratöter  zusammen 
wie  Speiclien  in  der  Nabe  mit  dem  Schlägel.' 
iVußer  dem  deutlichen  Plural  tan  setzt  aucii  das 
Bild  von  den  Speichen  in  der  Radnabe  eine 
Pluralität  \oraus,  die  man  freilich  gerade  bei 
unsrer  Auffassung  auf  die  schwellenden  Schlangen 
des  Ahicuva  lieziehen  konnte.  Docli  der  Sclilangen- 
schweller  ist  im  Singular,  grammatisch  betrachtet, 
während  die  Frage  des  Indra,  die  Antwort  der 
Mutter,  die  Erzählung  des  Sängers  durchweg  eine 
Mehrheit  von  Gegnern  erwähnen,  für  welche  uns 
schon  jene  beiden  fast  zu  wenig  erscheinen.  Die 
beiden  andern  Stelleu  des  Rigveda,  au  welchen 
der  , Spinnensolm'  sonst  noch  erwähnt  wird  (RV 
2,  11,  18;  8,  32,  26),  zwingen  keineswegs  dazu, 
dies  Wort  als  Beiname  des  Ahi^'uva  zu  fassen, 
und  so  werden  wir  uns  jedenfalls  dafür  entscliei- 


den,  in  dem  Spinnensohn  ein  verwandtes  dämoni- 
sches AVesen  neben  dem  Ahifuva  zu  erkennen. 
Der  Spinnensohn,  —  nach  diesem  Namen  wohl 
mit  einer  Mehrheit  von  Beinen  oder  Armen  aus- 
gestattet —  tritt  liier  liei  der  ersten  Heldentat 
des  Indra  neben  dem  Schlangenschweller  auf,  aus 
dem  wir  uns  Schlangen  hervorschwellend  denken, 
—  sehr  ähnlich,  möchte  ich  schon  liier  bemerken, 
wie  in  der  Heraklessage  neben  der  Hydra  der 
Seekrebs  auftritt,  den  Herakles  mit  dem  Fuße 
zertritt,  —  ein  gefährliches,  spinnenähnliches  We- 
sen, das  im  Meere  haust  und  aus  demselben 
hervorkommt,  um  den  mit  der  Hydra  ringenden 
Helden  anzugreifen.  Docli  beide  werden  endlicl» 
glücklich  überwunden,  wie  im  vedisclien  Liede 
Spinnensohn  und  Schlangenschweller  vom  jungen 
Indra  erschlagen  werden.  Das  bemerkenswerte 
Bild  vom  Zusammenklopfen  oder  Zusammen- 
schlagen") der  Speichen  in  der  Nabe  oder  Rad- 
büchse ist  gerade  dann  und  nur  dann  selir  passend 
und  treffend,  wenn  wir  uns  den  einen  Dämon  mit 
einer  Menge  von  Extremitäten,  den  andern  mit 
her\'orsch wellenden,  -quellenden  Schlangenlei beru 
zu  denken  haben. 

Noch  in  einem  anderen  Liede  des  Rigveda 
werden  der  Spinnensohn  und  der  Schlangen- 
schweller nebeneinander  genannt  als  besiegte 
Feinde  des  Indra.  Es  ist  ein  Lied,  das  eben- 
falls dem  8.  Buche  angehört  und  also  der  Familie 
der  Kanvas  entstammt,  ebenso  wie  das  zuerst  be- 
handelte. Zu  Anfang  wird  Ahifuva  neben  andern 
dämoniselien  Gegnern  dos  Indra  genannt,  dann 
erscheint  er  im  Schlußteil  des  Liedes  nochmals 
neben  Vritra,  Aurnaväbha  und  Arbuda. 

Das  Lied  (RV  8,  32j  beginnt  folgender- 
maßen : 

1.  Preiset,  ihr  Kanvas,  mit  .Gesang  beim 
Rauschtrank  des  Soma  die  Taten  des  rascii  vor- 
dringenden Indra, 

2.  Der  den  Sribind;i.  den  Anarcnni,  den  Dä- 
mon Pipru,  den  Ahicuva  geschlagen,  der  (iiowal- 
tige,  der  die  Wasser  rinnen  ließ; 

3.  Das  Oberste  des  Arbuda,  den  Gipfel  des 
Großen  drück  herab!  du,  Indra,  tust  ja  diese 
Mannestat. 

4.  Keck  rufe  ich  den  Schönlijipigen  zur 
Hilfe  herbei,  wie  einen  Wassersturz  vom 
Berge  — 


')  äurnaväbhä  von  ürnaväbhi   heißt  .dei'  von  der  Spiiiiio  Eiitsiirossoiie,   von   ihr  Stammumle,  der  .S)iiniiun3uhn.' 

-1   Wurzel  khid  mit  saiii  (säm-akhidat)  hahe  ich  liier  mit    ./.usammuiiUlopteu    oder    -schlagen'    übersetzt,    man  könnte 

wohl  auch,  zusammenhämmern'  sagen,  wie  das  Bild  und  der  Beisatz  khüdayü  ,mit  dem  Schlägel'   zeigt;  khid  heißt  .drücken, 

stoßen,  schlagen'. 

.1* 


36 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Schroeder. 


5.  Des  Riudes  uud  des  Rosses  Stall  sollst 
fröhlich  du  den  Somabereiteru  aufbrechen,  Held, 
wie  eine  Burg  usw. 

Geg-en  den  Schluß  des  Liedes  heißt  es  dann 
weiter: 

25.  Der  des  Wassers  Behälter  (die  Wolke) 
spaltend  die  Ströme  abwärts,  hinunter  fließen  ließ, 
der  die  gare  Milcli  in  den  Kühen  erhält; 

26.  Den  Yritra  schlug  der  Strahlende,  den 
Spinnensohn,  den  Schlangenschweller,  mit  Wiiiter- 
frost  Versehrte  er  den  Arbuda; 

27.  Eurem  Gewaltigen,  dem  Uberwinder,  dem 
unbesiegbaren  Sieger  singet  das  gottgeschenkte 
Gebet. 

Hier  könnte  (v.  26)  der  .Spinnensolin'  frei- 
lich ganz  gut  ein  Beiname  des  Ahifuva  sein,  wie 
das  in  der  Regel  angenommen  wird,  doch  ist  das 
auch  nicht  gerade  notwendig.    Es  kann  sich  auch 


um  nebeneinander  genannte  Dämonen  handeln, 
und  nach  dem  erst  behandelten  Liede  halte  ich 
dies  auch  für  das  Richtige.  Etwas  Näheres  über 
das  Wesen  des  Spinneusohns,  des  Schlangen- 
schwellers  erfahren  wir  hier  nicht,  dagegen  tritt 
an  beiden  Stellen,  wo  Ahi^"uva  erwähnt  wird,  be- 
deutsam neben  iiun  ein  Dämon  Arbuda  hervor. 
Er  ist  offenbar  groß,  reicht  hoch  hinauf,  sein 
Oberstes,  sein  Gij)feP)  wird  von  Indra  herab- 
gedrUckt.  Er  wird  von  hidra  durch  Winterkälte, 
respektive  Frost,  Eis  oder  Schnee  bewältigt 
( bimena),  worunter  hier  wohl  Hagel  oder  Schlössen 
gemeint  sind,  die  dem  Gewittergott  zur  Verfügung 
stehen.  Die  Größe  des  Arbuda  wird  auch  sonst 
noch  erwähnt  (RY  1,  51,  6;  10,  67,  12)  und  da- 
mit dürfte  es  zusammenhängen,  daß  eine  sehr 
hohe  Zahl  in  späterer  Zeit  , Arbuda'  genannt  wird 
(die  Zahl  100,000.000).  Arbuda  gilt  als  ein  dä- 
monisches Schlangenwesen,  sein  Volk  sind  nach 
Brähmana-Angaben  die  Schlangen  (sarpa).  In 
der  späteren  Sprache  heißt  das  Wort  arbuda  auch 
, länglichrunde  (schlangenförmige)  Masse'  und  — 
speziell  in  der  Medizin  —  , Geschwulst,  Knoten, 
Polyp'.-)  Ein  fabeliiafter  Schlangendämon,  groß,  viel- 
leicht hoch  aufgerichtet,  vielleicht  ungeheuer  an- 


schwellend, vielleicht  auch  polypenartig  Arme 
hoch  aufreckend,  wie  wir  das  gleich  bei  Uraiia 
sehen  werden,  das  scheint  ungefähr  die  Gestalt 
des  vedischen  Arbuda,  die  wir  natürlich  nicht  be- 
stimmter zu  prüfen  vermögen. 

Ahicuva,  der  Schlangenschweller,  wird  nur 
noch  einmal  im  Rigveda  erwähnt,  an  einer  etwas 
dunklen  Stelle  (10,  144,  3),  aus  der  indes  hervor- 
zugehen scheint,  daß  er  dem  somaraubenden  Fal- 
ken oder  Adler  auflauert,  iim  beobachtet  (äva 
didhet).  Das  stimmt  zu  seinem  Wesen.  Ist  er 
doch  der  das  himmlische  Naß  neidisch  hütende 
und  verschließende  Schlangendämon.  Ihn  deswegen 
mit  dem  Gandharven  Kri^änu,  dem  Somawächter, 
zu  identifizieren,  wie  das  wohl  geschehen  ist, 
liegt  kein  Grund  vor.  Die  Gandharven  sind 
Wesen  ganz  andrer  Art. 

Ist  das  Material  für  den  , Schlangenschweller' 
damit  abgeschlossen,  so  werden  doch  der  , Spin- 
nensohn' und  Arbuda  noch  einmal  zusammen  er- 
wähnt, respektive  in  demselben  Indraliede,  nicht 
weit  voneinander.  Es  ist  das  Lied  RV  2,  11, 
also  der  Familie  des  Gritsamadas  entstammend, 
ebenso  wie  das  gleich  nacliher  zu  behandelnde 
Lied  (2,  14).  Die  Erwähnung  geschieht  im 
Schlußteil  des  Liedes,  wie  eine  höchste  Steigerung 
im  Preise  des  Gottes.  Die  vorausgehenden  Verse 
enthalten  unter  anderem  auch  jene  schon  an- 
geführte Stelle  vom  Niederbrennen  des  menschen- 
feindlichen dämonischen  Gegners  (v.  10).  Ich 
deute  kurz  nur  einiges  aus  dem  Gedankengange 
des  Liedes  an : 

Höre  unsere  Anrufung,  o  Indra!  (1).  Du  be- 
freitest die  Ströme,  die  Alii  (die  Schlange)  um- 
stellt hatte,  du  zerspelltest  den  sich  unsterblich 
dUnkenden  Dämon  (2).  Den  Verborgenen,  der  in 
den  Wassern  versteckt  war,  in  ihnen  hausend, 
den  Ahi,  der  die  Wasser  und  den  Himmel  fest- 
hielt, den  hast  du  getötet,  o  Held,  mit  Helden- 
kraft (5).  Ich  will  preisen,  o  Indra,  deine  alten 
Großtaten,  wie  auch  die  neuen,  den  verlangen- 
den Blitz  in  deinem  Arme,  die  beiden  Falben,  die 
Leuchten    der    Sonne    (6).      Indra    hat    den    am 


')  vishtäp  I.  das  Oberste,  varshmän  m.  die  Höhe,  der  Gipfel.  Ich  kann  micli  nicht  davon  überzeugen,  daß  diese 
beiden  Wörter  hier  —  wie  die  meisten  Erklärer  wollen  —  die  höchste  Stätte,  einen  sehr  hohen  Standort  des  Arbuda  be- 
zeichnen. Das  Herabdrücken  eines  solchen  hohen  Standortes  scheint  mir  wenig  Sinn  zu  haben.  Arbuda  selbst  ist  es,  der 
der  hohe,  der  große  genannt  wird,  er  selbst  wird  deutlich  an  anderen  Stellen  herabgedrückt.  Entweder  richtet  der  Dämon 
sich  hoch  auf,  oder  er  schwillt  in  ungeheurer  Weise  an,  oder  er  hat  hoch  hinaufreichende  Extremitäten,  Glieder,  Fang- 
arme,  polypenartig  oder  dergleichen,  wie  wir  das  gleich  bei  Urana  sehen  werden. 

')  Vgl.  Petersburger  WH.  s  v.  arbuda.  Der  Name  des  Dämons  wird  im  Rigveda  zweimal  arbuda,  öfters  arbuda  be- 
tont, ohne  daß  dies  einen  Unterschied  des  Wesens  begründete.  Ersteres  geschieht  in  Buch  1  und  10,  den  jüngeren  Samm- 
lungen, übereinstimmend  mit  der  späteren  Akzentuation.  Im  zweiten  und  im  achten  Buche,  den  Familienbüchern  der 
Gfitsaniada  und  Kanva,  wo  A.  sonst  allein  noch  vorkommt,  tinden  wir  dagegen  die  Betonung  arbuda.  Diese  dürfte  daher 
entweder  die  ältere  schlechthin  odor  die  speziell  in  jenen  Familien  übliche  gewesen  sein. 


Herakles  und  Indea. 


37 


großen  Strome  lag-orndeii  Vritra  fortgestoßen  (9). 
Es  krachte  des  Starken  Donnerkeil,  als  der  Men- 
schenfreund den  Menschenfeind  niederhrannte;  er 
brachte  des  zauberkundigen  Dämons  Künste  zu 
Fall,  nachdem  er  vom  Keltertrank  getrunken  (10). 
Trink,  Indra,  trink,  o  Held,  den  Soma!  Es  sollen 
dich  die  berauschenden  Tränke  erfreuen  (11). 
Den  Schnurrbart  schüttelnd  trink  den  Soma,  In- 
dra! (17). 

Nun  folgen  die  für  uns  Avichtigen  Verse: 

18.  Nimm  an  die  Kraft,  o  Held,  mit  der  du 
den  Vritra,  den  Dämon,  den  Spinnensohn  zer- 
spelltest!  Du  hast  das  Licht  dem  Arier  erschlossen, 
zur  Linken  sitzen  blieb   der  Barbar. 

19.  Gewinnen  möchten  wir,  durch  deine  Hilfe 
alle  Feinde  besiegend,  die  Barbaren  mit  dem 
Arier.  Für  uns  geschah's,  daß  du  den  Tvashtar- 
sohn  Vi^'varüpa  (den  Allgestaltigen)  dem  Trita 
deiner  Freundschaft  ausgeliefert. 

20.  An  dieses  Trita  berauschendem  Soma 
gekräftigt  warf  er  den  Arbuda  zu  Boden;  er 
rollte  ihn,  wie  die  Sonne  ihr  Rad,  spaltete  die 
Höhle  (den  Vala),  der  von  den  Angirasen  um- 
gebene Indra. 

Zwischen  dem  Spinnensohn,  der  hier  die  all- 
gemeinen Bezeichnungen  Vritra  und  Dämon  zu  er- 
halten scheint,  und  dem  Arbuda,  der  siegreich  zu 
Boden  gestreckt  wird,  erscheint  hier  noch  der 
Tvashtarsohn  Vifvarüpa,  der  Allgestaltige,  der 
sich  uns  später  als  eine  wichtige  Gestalt  unter 
den  dämonischen  Gegnern  des  Indra  erweisen 
wird,  der  dreiköpfige  Vit'varüpa,  der  brüllende 
Dämon,  der  dem  Geryones  zu  entsprechen  scheint. 
Wer  den  , Spinnensohn'  für  einen  bloßen  Bei- 
namen des  Allifuva  hält,  der  findet  hier  wieder 
den  Schlangenschweller  mit  Arbuda  zusammen 
genannt.  AVir  verzichten  darauf  und  begnügen 
uns  damit,  den  Spinnensohn,  den  dreiköpfigen 
Vifvarüpa  imd  Arbuda  nebeneinander  zu  finden. 
Der  letztere  aber  erscheint  bald  darauf  in  einem 
andern  Liede  der  Familie  Gritsamada  (RV  2,  14), 
neben    dem    nur   hier    genannten    Dämon    Urana, 


dessen  Gestalt  durch  die  emporgereckten  99  Arme 
von  besonderem  Interesse  ist.  Es  ist  ein  Lied, 
das  in  gedrängter  Form  eine  Menge  von  Taten 
des  Indra  verherrlicht.  Ich  hebe  nur  den  hier  in 
Betracht  kommenden  Vors  4  heraus: 

2,  14,  4:  Ihr  Priester,  ihn,  der  den  Urana  er- 
schlagen, welcher  99  Arme  emporreckte ;i)  der  den 
Arbuda  hinab-,  hinunterdrückte,  diesen  Indra 
spornet  an  bei  der  Darbringung  des  Soma. 

Der  große  Schlangendämon  Arbuda  wird  also 
auch  hier  von  Indra  hinab-,  hinuntergedrückt  (äva 
nicä  babädhe),  daneben  al)er  taucht  die  phantasti- 
sche Gestalt  des  Urana  auf,  der  99  Arme  aus- 
streckt, also  wohl  ein  pol}^)enartig  gedachtes 
Wesen,  das  Indra  ebenfalls  tötet. 

Was  Indra  von  Arbuda  erbeutet,  sagt  ein 
Vers  des  achten  Buchs  des  Rigveda,  also  wieder 
der  Kanva-Familie  gehörig: 

RV  8,  3,  19:  Du,  Indra,  hast  von  den  hohen 
A\^olkendünen  den  Vritra  fortgeschnellt;  des 
listigen  Untiers  Arbuda,  des  Berges  Kühe  hast 
du  herausgetrieben. 

Nach  einer  Stelle  des  zehnten  Buchs  wird 
dem  Arbuda  das  Haupt  gespalten: 

RV  10,  67,  12:  Indra  .spaltete  mit  Macht 
das  Haupt  des  großen  Flutendämons-')  Arbuda; 
er  tötete  den  Ahi  (die  Sehlange),  ließ  die  sieben 
Ströme  rinnen;  —  o  Erd  und  Himmel,  samt  den 
Göttern,  helft  uns! 

Charakteristischer  für  Arbuda  ist  indessen, 
daß  er,  der  Große,  herabgeholt,  zu  Boden  ge- 
worfen, hinab-,  hinuntergedrückt  wird,')  ja  ein 
Vers  des  ersten  Buchs  sagt  endlich  sogar,  daß 
Indra  den  Arbuda  mit  dem  Fuß  zertreten 
habe,  wie  in  der  griechischen  Sage  Herakles  den 
ihn  angreifenden  Seekrebs  zertritt!  Es  heißt: 

RV  1,  51,  6:  Du  hast  dem  Kutsa  in  den 
Kämpfen  mit  Gushna  geiiolfen;  den  (,'ambara  lie- 
fertest du  dem  Atithigva  aus;  sogar  den  großen 
Arbuda  tratst  du  mit  dem  Fuße  nieder!*) 
—  seit  alters  bist  du  so  zur  Dämonentötung  ge- 
boren. 


1)  Das  Partizip  cakhvains  übersetzt  Böhtlingk  in  seinem  WB.  diucli  ,aiis.streckend';  (irassmann  in  seinem  WB.  , aus- 
streckend' oder  ,auseinauderlialtend';  in  der  Übersetzung  sagt  Grassniann:  ,0  Priester,  ihn,  der  Urana  erschlagen,  als  neun- 
undneunzig Arme  er  emporhielt'  etc.  Ludwig  tibersetzt:  ,adhvaryu's,  der  den  Urana  getötet  hat,  der  doch  (seine)  neun- 
undneunzig Arme  gezeigt  hatte'  etc. 

-)  arnavä  scheint  mir  hier  —  und  wohl  auch  KV  10,  111,  4  —  ein  Beiname  des  Arbuda,  der  zur  Flut,  zum  Wolkpn- 
meer  Gehörige,  in  oder  an  der  Flut  Hausende,  der  Flutendämon  —  wie  auch  .'Vhi  sich  in  den  Wassern  vorsteckt,  in  ihnen 
haust  (cf.  KV  "2,  11,5)  —  Ahi,  die  Schlange,  dio  gerade  im  oben  angoführton  Verse  kaum  von  Arbuda  unterschieden  ist. 
Roth  und  Grassmann  sehen  hier  einen  besonderen  Dämon  Arnava,  eine  Art  Personifikation  des  Wolkennieeres,  neben  Ar- 
buda. Ganz  abweichend  und  kaum  haltbar  übersetzt  Ludwig:  ,Iu  der  (iröße  des  wogenden  Meeres  hieb  Indra  ab  das 
Haupt  des  Arbuda'. 

')   Vgl.  die  Verba  KV  S,  :i-2,   3  ni   tira;   2,    11,  20  ni  astar;    2,   14,  4  äva  nieä  babädhe. 

*)    niahantain    cid  arbuddip   ni  kramih  padä. 


38 


III.  Abhandluk-g:  Leopold  v.  Scheoedee. 


Mag-  das  Spalten  des  Hauptes  eine  Variante 
sein  oder  ergänzend  hinzukommen,  jedenfalls  ist 
für  den  großen  Arhiida  das  Heruntcrliolen,  Nie- 
derwerfen, Niederdrücken  durch  Indra  das  Charak- 
teristische, und  hier  wird  er  gar  mit  dem  Fuße 
niedergetreten,  was  so  merkwürdig  an  das  Zer- 
treten des  Seekrebses  durch  Herakles  erinnert. 

Die  angeführten  Stellen  des  Rigveda  sind 
sämtliche,  in  welchen  der  Schlangenschweller,  der 
S]>inncnsohn,  der  polypenartige  Urana  und  der 
"•roße  Arbuda  erwähnt  werden.  Sie  finden  sich 
größtenteils  im  2.  und  S.  Buch  des  Rigveda.  den 
Familienbüchern  der  Gj-itsamada  und  der  Kanva. 
namentlich  alle  jene  Stellen,  wo  diese  Wesen, 
respektive  einige  derselben,  nebeneinander  als 
Gegner  des  Indra  auftreten.  Sonst  wird  Ahifuva 
nur  noch  einmal  im  10.  Buche  erwähnt  (10,  144,  3), 
Arbuda  einmal  im  1.,  einmal  im  10.  Buche  (1,  51,  6; 
10,  67,  12),  doch  ohne  jene  andern  seltsamen 
Gestalten.  In  den  Büchern  der  Kanvas  und  der 
Gritsamadas  aber  finden  wir  einmal  den  Spinnen- 
sohn und  den  Schlangenschweller,  ein  anderes  Mal 
den  Spinnensohn,  den  Schlangenschweller  und 
Arbuda  zusammen  genannt;  einmal  den  S]unnen- 
sohn  und  Arbuda,  ein  anderes  Mal  Arbuda  und 
den  polyi'enartigen  Urana  zusammen.  Da  die 
andern  Familienbücher  keinen  dieser  vier  Namen 
erwähnen,  möchte  ich  meinen,  daß  hier  eigenartig 
individualisierte  Indrakämjtfe  vorliegen  und  das 
besondere  Bild  dieser  Ivnmpfe,  die  noch  durch 
ein  paar  Stellen  der  Sammelbücher  1  und  10  er- 
gänzt werden,  erinnert  mehr  als  die  allgemeiner 
gehaltenen  Schilderungen  vom  Kampf  des  Indra 
mit  der  Wolkeuschlange  Abi  oder  Vritra  an  das 
berühmte  Abenteuer  des  Herakles  mit  der  lernäi- 
schen  Hydra,  neben  der  als  zweiter  Gegner  jener 
seltsame  Seekrebs  aviftaucht.  Der  Schlangen- 
schweller, der  Spinnensohn,  der  polypenartige 
Urana  mit  seinen  99  Armen,  der  große  Schlan- 
gendämon und  Flutdämon  Arbuda,  dessen  Gipfel 
Indra  herunterholt,  den  er  niederdrückt,  mit  dem 
Fuße  zertritt  —  in  verschiedener  Weise  kombiniert 
auftretend,  geben  sie  uns  doch  ein  besonderes 
Bild,  das  nicht  einfach  mit  all  den  anderen  Dä- 
monenkämpfen des  Indra  unterschiedslos  zusam- 
menfließt. Daß  das  Niederbrennen  des  Wolken- 
dämons —  sonst  keine  gewöhnliche  Wendung  — 
gerade  in  einem  dieser  Lieder  (2,  11,  10)  erwähnt 
wird,  scheint  mir  auch  nicht  bedeutungslos  und 
erinnert  an  die  Art,  wie  Herakles  und  Jolaos  die 
lernäische  Hydra  bemeistern.  Vishnu,  der  ja  auch 
sonst  dem  Indra  —  wie  Jolaos  dem  Herakles  — 


helfend  beim  Yritrakampfe  beisteht,  scheint 
wenigstens  nach  einem  Liede  (8,  06,  10)  bei  der 
Heldentat  anwesend  gedacht  zu  sein.  Eben  dieses 
Lied  preist  sehr  bestimmt  Indras  Bezwingung  des 
Spinuensohns,  des  Schlangensehwellers,  die  Indra 
wie  die  Speichen  in  der  Radnabe  zusammen- 
klopft, als  die  erste  Heldentat  des  gewaltigen 
Gottes,  wie  das  Abenteuer  mit  der  lernäischen 
Hydra  im  Anfang  der  Heldenlaufbahn  des  Hera- 
kles steht,  unmittelbar  auf  dasjenige  mit  dem 
nem eischen  Löwen  folgend. 

Es  liegen  hier  selbstverständlich  nicht  scharf 
umrissene  Bilder  von  Kämpfen  vor,  die  sich  über- 
einstimmend wiederholen  imd  einfach  mit  dem 
Hydrakampf  des  Herakles  zu  identifizieren  sind. 
Die  Phantasie  hat  ihre  Freiheit,  sie  schwankt,  sie 
variiert,  sie  wechselt.  Und  doch  tritt  uns  aus 
allen  Variationen  ein  mythisches  Bild  mit  typi- 
schen Zügen  entgegen,  und  das  Bild  läßt  uns  immer 
wieder  an  den  Hydrakampf  des  Herakles  denken. 

Ein  Schlangendämon,  eine  riesige  Schlange, 
sich  vielfach  erneuernd,  in  oder  mit  Schlangen 
schwellend,  an  der  Flut  oder  in  der  Flut,  am 
Wolkenberge,  an  der  Halde  liausend,  daneben  ein 
spinnenartiges  Ungetüm  oder  ein  Polyp  mit 
99  Armen;  der  Held  diese  Ungeheuer  nieder- 
zwingend, zusammenklopfend,  niederbrennend,  mit 
dem  Fuße  zertretend;  sein  Freund  in  der  Nähe. 
Das  ist  ungefähr  das  Bild,  dem  auch  der  Kampf 
des  Herakles  mit  Hydra  und  Seekrebs  ganz  wohl 
entsprechen  dürfte.  Es  liegt  nahe,  zu  beiden  ein 
Urbild  zu  suchen.  Unzweifelhaft  verwandt  tritt 
uns  l)ei  den  Persern  der  Kampf  des  Thraetaona 
mit  Azliidahäka  entgegen,  dem  noch  als  Zohak 
die  Schlangen  aus  den  Schultern  liervorwachsen. 
Doch  Inder  und  Griechen  haben  mehr  individuelle 
Züge  dieses  mythischen  Kampfbildes  bewahrt. 

Erinnert  man  endlich  nochmals  daran,  daß 
Indras  Heldentat  an  jenen  mythischen  Ungeheuern 
den  Regen  vom  Himmel  herabrauschen  läßt,  ,die 
sieben  Ströme'  herabrinneu  macht,  und  ebenso 
daran,  daß  der  lernäische  Kult  in  uraltem  Regen- 
zauber, mit  einer  Schlange  geübt,  zu  gipfeln 
scheint,  daß  wir  dadurcli  gedrängt  werden,  des 
Herakles  Kampf  mit  der  Hydra,  der  Wasser- 
schlange, ursprünglich  mit  der  Regengewinnung 
zusammenzubringen,  dann  rücken  die  Mythen  der 
Inder  und  Griechen  noch  näher  zusammen  und 
deuten  zurück  auf  altarische  Zeiten,  wo  die  Phan- 
tasie unserer  Väter  wohl  schon  verwandte  Ge- 
danken und  Bilder  erschuf. 


Heeakxes  und  Indka. 


39 


Der  erymanthische  Eber  und  die  Kentaurenschlacht  auf  der  Pholoe. 


Der  böse  Dämon,  den  Indra  bezwingt,  wird 
vor  allem  als  große  Schlange  gedacht.  Doch  es 
ist  dies  nicht  das  einzige  Bild,  unter  dem  der 
Wasser  und  Sonne  neidisch  hütende  und  verber- 
gende Gegner  des  großen  Gottes  den  Indern  er- 
scheint, auch  handelt  es  sich  ja  nicht  um  ein  ein- 
zelnes Wesen  dieser  Art,  sondern  um  eine  Mehr- 
zahl, die  oft  neben-  und  nacheinander  genannt 
■wird,  wenngleich  nicht  selten  eines  in  das  andere 
übergeht,  in  den  Umrissen  wechselnd  verschwimmt. 
Spinnen-  und  polypenartige  Fabelgestalten  sahen 
wir  bereits  neben  der  Schlange  auftauchen.  Aber 
auch  als  Eber,  als  wilder,  verderblicher  Eber 
ward  der  dämonische  Indrafeind  gedacht,  und  das 
Abenteuer  des  Gottes  mit  diesem  Eber  drängt 
sich  uns  unabweislicb  zum  Vergleiche  mit  dem 
bekannten  Abenteuer  des  Herakles  mit  dem  ery- 
manthischen  Eljer  auf.  Ja,  es  scheint  ihm  in  den 
Liedern  der  Kanvas  geradeso  ein  Gandharveu- 
kampf  vorausgegangen,  respektive  eng  mit  ihm  ver- 
bunden gewesen  zu  sein,  wie  in  Griechenland  dem 
Kampf  mit  dem  erymanthischen  Eber  die  Ken- 
tauromachie  des  Herakles  auf  der  Pholoe  voraus- 
geht, respektive  seit  alters  eng  mit  ihm  verljun- 
deu  erscheint.') 

Prüfen  wir  zunächst  die  nicht  sehr  zahlreichen 
Stellen  des  Rigveda,  die  uns  den  Indra  als  Be- 
zwinger des  Ebers  vorführen.  Dahin  gehört  ein 
Vers  des  ersten  Buches: 

R V  1 ,  121,  11:  Die  beiden  großen,  glänzenden 
Flächen,  die  radlosen,  Himmel  und  Erde,  jubelten 
Dir,  o  Indra,  zu  bei  Deinem  Werk.  Du  hast  den 
Vritra,  der  an  den  Strömen  lagerte,  hast  kräftig 
mit  dem  Donnerkeil  den  Eber^)  in  Schlaf 
versenkt. 

Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  hier 
der  an    den  Strömen    (sirasu)  lagernde  Vritra  als 


,der  Eber'  bezeichnet  wird,  daß  der  Eber  nur  als 
ein  Bild,  ein  Name,  respektive  eine  Hypostase  des 
Vritra  zu  gelten  hat.  Der  Eber  ist  Vritra,  wie 
denn  auch  Ludwig  ganz  richtig  übersetzt:  , Vritra, 
den  Eber,  der  an  die  Flüsse  sich  gelegt,  den  hast 
Du  mit  mächtigem  Keil  in  Schlaf  versenkt;'  und 
ähnlich  Grassmann: 

Den  Eber  Vritra,  der  die  Ström'  bewacht  hielt, 
Hast,  großer  Indra,   mit  dem  Blitz  erlegt  Du. 

Nur  von  einem  , Erlegen'  ist  streng  genommen 
nicht  die  Rede.  Es  heißt  vielmehr,  Indra  habe 
den  Eber  mit  dem  Donnerkeil  in  Schlaf  versenkt 
(väjrena  sishvapo  varähum),  ein  merkwürdiger 
Ausdruck,  den  man  wohl  geneigt  sein  könnte  auf 
den  Todesschlaf  zu  beziehen,  der  aber  doch  nicht 
einfach  für  , Töten'  oder  , Erlegen'  genommen  wer- 
den darf.  Wir  kommen  auf  denselben  später  in 
andrem  Zusammenhang  zurück.  Hier  sei  nur 
noch  bemerkt,  daß  das  seltsame  Epitheton  , räder- 
los' oder  , radlos'  von  Himmel  und  Erde  wohl  so 
zu  verstehen  ist,  daß  ihnen  das  Sonnenrad  fehlte, 
bis  Held  Indra  es  ihnen  durch  seinen  bejubelten 
Sang  wieder  verschafft. 

Das  erste  Buch  des  Rigveda  bietet  uns  noch 
eine  andere  merkwürdige  Schilderung  von  Indras 
Kampfe  gegen  den  Eber,  und  zwar  in  dem  Liede 
RV  1,  61;  da  heißt  es  von  Indra: 

6.  Ihm  liat  Tvashtar  für  den  Kam})f  den 
Donnerkeil  gezimmert,  den  kunstvollen,  hinini- 
lischen,^J  mit  welchem  er  sogar  des  Vritra  A'er- 
wundbare  Stelle  auffand,  schlagend  mit  dem 
schlagenden,  der  Vielen  spendende  Herrscher. 

7.  Nachdem  er  bei  seiner  Mutter  Kelterun- 
gen alsbald  lustig  den  Trank  geschlürft,  die  liebe 
Speise,    da    raubte    der    Rührige*)    das    gar   Ge- 


'■)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  193:  ,Diese  beiden  Kämpfe  gehören  notwendig  zusammen,  sowohl  aus  örtlichen  Kück- 
sichten  als  wegen  des  Zusammenhanges  der  Erzählung.' 

-)  Das  Wort,  welches  den  Eber  bezeichnet,  lautet  hier  varähu,  sonst  fast  durchweg  varähä.  Heide  Formen  sind 
offenbar  nah  verwandt.  Die  Form  varähu  findet  sich  nur  noch  einmal  im  Rigveda  vor,  und  zwar  1,  88,  5  als  ein  Bei- 
wort der  Maruts,  die  als  Eber  mit  ehernen  Zähnen  bezeichnet  werden.  Mit  Vritra  oder  mit  Indra  hat  es  dort  nichts  zu  tun. 

^)  svaryara,  was  Ludwig  durch  ,den  sounenartigen'   wiedergibt. 

*)  So  gebe  ich  hier  im  Anschluß  an  Grassmann  das  vishnuli  des  Textes  wieder,  als  ein  Beiwort  des  Indra,  der 
vorher  wie  nachher  zweifellos  Subjekt  des  Satzes  ist.  Ludwig,  der  bei  dem  Gott  Vishiui  bleibt,  kommt  mit  der  Über- 
setzung ins  Gedränge  und  muß  die  schwer  mögliche  Einschaltung  ,aber,  Indra'  vor  ,verwundote  den  Eber'  machen.  Für 
diese  Auffassung  spricht  freilicli  RV  8,  66,  10,  wo  bei  demselben  Abenteuer  Vishuu,  von  Indra  entsandt,  100  Büffel  und 
init  Milch  gekochte  Speise  herbeibringt,  aber  vorher  in  Vers  6  ist  es  doch  wiederum  Indra,  der  die  gare  Speise,  respektive 
den  garen  Brei  (pakvam  odanäm)  bewahrt  oder  festhält  (dhäräjat).  Auch  das  Petersburger  \VB  findet  den  Gott  Vishnu  in 
«nsrer  Stelle,  ohne  jedoch  eine  Übersetzung  zu  bieten. 


40 


III.  An^A^'DLtrNG:  Leopold  v.  Scheoedee. 


kochto,  der  Siegreiclie,  er  verwundete  den 
Eber,  durch  den  Berg  schießend.^) 

8.  llim.  Indr.i,  webten  die  Götterfrauen  ein 
J>oblied  bei  der  Tütung  des  Alii  usw. 

Der  ,Eber'  ist  wohl  auch  hier  der  im  %'oraus- 
gelienden  Verse  erwähnte  Vritra,  respektive  eine 
Hj'postase  desselben,  eine  der  verschiedenen  For- 
men des  Vritra.  Wenn  Indra  diese  Heldentat  hier, 
unmittelbar  von  ,der  Mutter  Kelterungen'  kom- 
mend, ausführt,  nachdem  soeben  die  Bereitung 
seines  Donnerkeils  durcli  Tvashtar  erwähnt  wor- 
den, dann  deutet  dies  vielleicht  darauf  hin,  daß 
wir  dieselbe  uns  zu  Anfang  seiner  Heldenlauf- 
bahn zu  denken  haben,  ähnlich  wie  die  Bezwin- 
gung des  Spinnensohnes  und  des  Schlangen- 
schwellers  in  dem  Liede  RV  8,  66,  das  uns  früher 
beschäftigt  hat.  In  diesem  merkwürdigen  Liede, 
das  den  Indra  gleich  nacli  seiner  Geburt  den 
Spinnensohn,  den  Schlangensch weller  wie  Speichen 
in  der  Radbüchse  zusammenschlagen  läßt,  wird 
zum  Schluß  auch  die  Bewältigung  des  Ebers  er- 
wähnt, nachdem  noch  der  Kampf  mit  dem  Gan- 
dharven  vorausgegangen.  Dadurcli  wird,  wie  ich 
glaube,  die  Vermutung  bestätigt,  daß  wir  es  hier 
mit  einer  der  ersten  Heldentaten  Indras  zu  tun 
haben.  Die  merkwürdigen  Schlußverse  des  Lie- 
des (RV  8,  66)  lauten: 

10.  Alles  fürwahr  braclite,  von  dir  gesandt, 
der  weitschreitende  Vislinu  herbei,  hundert  Büffel, 
den  in  Milch  gekochten  Brei;  Indra-)  (brachte) 
den  verderblichen  Eber. 

n.  Viel  vernichtend  ist  dein  wohlbereiteter, 
trefflicher  Bogen,  richtig  treffend  dein  goldener 
Pfeil;    deine   beiden   Arme   sind   streitbar,    wolil- 


den  Berg  schießend  den  Eber 
Tötung  des  Ebers  durch 


gerüstet;    die  beiden  Süßigkeitstrinker')  erfreuen 
sich  an  der  Süßigkeit. 

Die  rühmende  Erwähnung  des  viel  vernichten- 
den Bogens  in  diesem  letzten  Verse  des  Liedes, 
gleich  nach  der  Nennung  des  Ebers,  könnte  auf 
die  Vermutung  führen,  daß  nach  der  Meinung 
des  Sängers  der  Eber  dem  Pfeile  des  Indra  zum 
Opfer  gefallen.  Doch  ist  das,  genau  genommen, 
nicht  gesagt.  Es  heißt  nur,  daß  Indra  den  ver- 
derblichen Eber  herbeigebracht  habe,  wie  es  in 
den  erstangeführten  Liedern  hieß,  daß  Indra  den 
Eber,  der  nichts  andres  ist  als  der  an  den  Strömen 
lagernde  Vritra,  in  Schlaf  versenkt,  daß  er  durch 

verwundet.  Eine 
Indra  ist  also  eigentlicli 
nirgends  direkt  ausgesprochen,  wenn  man  nicht 
das  ,in  Schlaf  Versenken'  so  deuten  will.  Dagegen 
gibt  es  noch  eine  Stelle  im  Rigveda  (10,  99,  6), 
wo  dieser  Eber  erwähnt  wird  und  wo  es  heißt, 
daß  er  von  Trita  mit  dem  eisenspitzigen  Pfeile 
getötet  worden  sei.  Hier  erscheint  also  nicht  Indra 
als  der  Bezwinger  des  Ebers,  sondern  Trita,  den 
wir 

kennen  gelernt  haben,    Trita,    der 
sonst    noch    als  Indras  Freund   und  Helfershelfer 
im  Dämonenkampfe  erscheint. 

Die  Stelle  (RV  10,  99,  6)  lautet:  , Durcli  seine 
(d.  li.  Indras)  Kraft  gestärkt,  hat  Trita  mit  dem 
eisenpitzigen  Pfeil  den  Eber  getötet.'*) 

Daß  es  sich  hier  um  den  bösen  Wolken- 
dämon handelt,  ist  nach  dem  Zusammenhang  nicht 
zweifelhaft.  Trita  erscheint  als  sein  Besieger  und 
Töter  und  zeigt  sich  auch  in  diesem  Punkte  als 
der   ältere    Doppelgänger,    respektive    Vorgänger 


schon    als    Indras  Vorgänger    und   alter    ego 

hier  wie  auch 


')  mushäyäd  vishnüh  pacatäin  sähiyän  ridhyad  varähäm  tinl  ädriiu  astä;  —  pacatä,  das  gar  Gekochte,  bedeutet  nach 
den  späteren  Lexikographen  auch  das  Feuer  und  die  Sonne,  soll  auch  ein  Name  Indras  sein  (?).  Vielleicht  handelt  es 
sich  hier  in  der  Tat  um  die  Gewinnung  der  Sonne,  die  als  ein  gargekochter  gelber  Brei  erscheint,  wie  sonst  wohl  auch  als 
ein  Gefäß  mit  goldigem  Methtrank.  Vgl.  8,  66,  C,  wo  es  vor  der  Bewältigung  des  Ebers  von  Indra  heißt,  daß  er  den 
garen  Brei  festgehalten  habe.  Für  die  Vorstellung  der  Sonne  als  eines  warmen  gar  gekochten  Breis  spricht  vielleicht  auch 
die  bekannte  seltsame  Idee,  der  Sonnengott  Pushan  sei  ein  Breiesser  (kararabhäd);  vgl.  RV  6,  56  und  57. 

')  varähäm  fndra  emusliäm.  Der  Pada  liest  indrah  und  es  kanii  kein  Zweifel  sein,  daß  das  Wort  Nominativ  ist,  zu 
welchem  sich  das  Verbum  Abliarat  ,er  brachte  herbei'  aus  dem  vorausgehenden  Satze  selbstverständlich  ergänzt.  So  über- 
setzt es  ganz  richtig  A.  Ludwig,  während  Urassmanu  irrig  ,o  Indra'  sagt  und  also  gegen  den  klaren  Wortlaut  des  Verses 
auch  den  Eher  von  Vishiiu  herbeibringen  läßt,  wälirend  vielmehr  Indra  die  Tat  ausführt. 

')  Die  beiden  Süßigkeitstrinker  wären  nach  Grassmanns  Obersetzung  Indras  Lippen;  nach  dem  Petersburger  WB 
und  nach  (irassmanns  WB  bedeutet  das  Wort  , Biene'  oder  ein  anderes  Süßigkeit  liebendes  Tier.  Sollten  die  beiden  Süßig- 
keitstrinker hier  nicht  am  Ende  Indra  und  Vishnu  sein?  Allerdings  müßte  dann  ridüpäu  gelesen  werden.  Ludwig  faßt 
das  Wort  (ridüpe)  als  Dativ  und  übersetzt  ~  kaum  selir  überzeugend  —  ,dem  Süßes  Trinkenden  (der  süßes  Wasser  hat?) 
sogar  mehrend  die  Süßigkeit'. 

')  asyä  trit/)  nv  <5jasä  vridhän<5  vipa  varähäm  äyoagrayä  han.  —  Das  Wort  varähä  ,Eber'  kommt  außerdem  noch 
viermal  im  Rigveda  vor,  doch  ohne  Beziehung  zu  Vritra  odar  Indra;  RV  1,  114,  5  wird  Rudra  ,des  Himmels  Eber'  ge- 
nannt (divi)  varähä);  9,  97,  7  heißt  es  vom  Soma  ,8ingend  geht  der  Eber  dahin';  10,  67,  7  ist  es  Beiwort  der  Genossen 
des  Brahman.-ispati  bei  der  Gewinnung  des  Schatzes;  10,  28,  4  haben  wir  ein  allgemeines  Bild:  ,Der  Schakal  stürzt  aus 
dem  Versteck  auf  den  Eber'.  Das  Wort  varähayn  ,nach  dem  Eber  begehrend,  den  Eber  jagend'  ist  RV  10,  86,  4  ein  Bei- 
wort de»  Hundes. 


Heeakles  und  Indba. 


41 


des  Indra,  der,  ihm  -n-eseusgleich,   später  als  sein 
Freund  und  Helfer   fungiert. 

Sehen  ■^^•ir  A'on  dieser  jedenfalls  alten  Vari- 
ante des  Abenteuers  ab,  so  hören  wir  im  Rigveda, 
daß  Indra  den  verderblichen  Eber  bezwuneen 
—  daß  er  ihn  mit  dem  Donnerlceil  in  Schlaf  ver- 
senkt, daß  er  ilm  durch  den  Berg  schießend  ver- 
wundet, daß  er  ihn  herbeigebraeht  habe  —  ob 
tot  oder  lebendig,  wird  nicht  deutlich  gesagt.  Das 
Abenteuer  .spielt  sicli  im  Gebirge  ab,  d.  h.  wohl  in 
den  Wolkenbergen,  durch  den  Berg  schießend 
trifft  ja  Indra  den  Eber.  Dort  haust  der  Eber 
Vritra,  der  verderbliche,  dort  lagert  er  an  den 
Strömen,  bis  ihn  Indra  bezwingt.  Es  ist  ein  my- 
thischer Vorgang,  dem  sich  nun  leicht  und  fast 
selbstverständlich  das  Abenteuer  des  Herakles 
mit  dem  erymanthischen  Eber  zur  Vergleichung 
an  die  Seite  stellt.  Auch  hier  sind  nur  wieder 
die  Vorgänge  in  der  Luftregion  auf  die  Erde 
versetzt,  an  bestimmten  Orten  lokalisiert  und  da- 
durch gleichsam  ins  Konkretere  der  Heldensage 
verdichtet. 

Erymanthos  hieß  sowolil  das  hohe  Gebirge  an 
der  nördlichen  Grenze  Arkadiens  wie  auch  ein 
Fluß,  der  dem  schneebedeckten  Gipfel  desselben 
entspringt.  Dort  haust  der  verderbliche  Eber, 
von  dort  aus  verwüstet  er  das  Land.  Herakles 
hetzt  ihn  bis  hoch  hinauf  zu  den  Quellen  des 
Erymanthos,  fängt  das  ermattete  Tier  zuletzt  mit 
der  Schlinge  und  bringt  es  lebendig  nach  Myke- 
nae,  zum  Eurystheus   hin.^) 

Wir  erkennen  den  verderblichen  Eber  des 
indischen  llythus  wieder,  den  Berg,  die  Ströme, 
an  denen  er  haust,  den  gewaltigen  Helden,  der 
ihn  bezwingt  und  herbeibringt.  Der  griechische 
Mythus  könnte  geradezu  für  eine  Variante  des  in- 
dischen gelten,  der  uns  selbst  schon  mehrfache 
Varianten  bietet,  —  das  Verwunden,  das  In- 
Schlaf-Versenken,  das  Herbeibringen  des  Ebers 
durch  Indra,  die  Tötung  desselben  durch  seinen 
Doppelgänger  Trita  u.  a.  m. 

Es  ist  naturgemäß  und  hat  seine  volle  Be- 
rechtigung, wenn  vom  speziell  griechischen  Stand- 
punkt aus  der  wilde  Eber  vom  Erymanthos  mit 
dem  Bergstrom  selbst  identifiziert,  respektive  auf 
ihn  gedeutet  wird,  der  im  Winter  und  Frühling 
wild  und  stürmisch  zu  Tal  braust.^)  Das  ficht 
unsre  zeitlich  weit  hoher  hinaufreichende,  den 
Ursprung  des  Mythus  suchende  Deutung  in  keiner 
Weise  an.  Mythen  wandeln  sich  und  zugleich  auch 


der  Sinn,  den  die  Menschen  in  ihnen  suchen,  der 
oft  genug  erheblich  von  jenem  Sinn  abweicht, 
welciien  der  ursprüngliche  Schöpfer  des  Mythus 
in  ilm  hineinlegen  wollte.  War  man  in  Griechen- 
land schon  dabei  angelangt,  die  einst  in  der  Luft- 
region gefabelten  Abenteuer  des  alten  Gewitter- 
riesen auf  der  Erde  in  verschiedenen  Gegenden 
des  Landes  sich  geschehen  zu  denken,  dann  mußte 
naturgemäß  manches  sich  ändern.  Die  vedische 
Sage  von  Indra  und  dem  Eber  ist  der  griechi- 
schen Sage  von  Herakles  und  dem  erymanthischen 
Eber  noch  immer  so  ähnlich,  daß  die  wesentlichen 
Züge  sich  leicht  als  ursprünglich  identisch  er- 
kennen lassen.  Auf  den  alten  Sinn  des  Mythus, 
der  mit  dem  Gewinn  der  Regenströme  zusammen- 
hing, scheint  aber  noch  jener  andre  Mythus  zu 
deuten,  der  mit  der  Sage  vom  erymanthischen 
Eber  in  der  griechischen  Überlieferung  seit  alters 
verbunden  auftritt,  —  die  Kentauromachie  auf 
der  Pholoe.  Ihr  müssen  wir  jetzt  unsre  Auf- 
merksamkeit zuwenden. 

Auf  dem  Wege  zur  Eberjagd  kommt  Hera- 
kles über  die  Pholoe,  das  rauhe,  waldige  Grenz- 
gebirge gegen  Elis  hin.  Es  hat  seinen  Namen 
vom  Kentauren  Pholos,  der  dort  in  seiner  Höhle 
haust.  Bei  ihm  kehrt  Herakles  ein  und  wird 
gastlich  bewirtet.  Er  verlangt  nach  einem  Trünke 
und  Pholos  sticht  für  ihn  ein  Faß  des  herrlich- 
sten Weines  an,  das  Dionysos  selber  den  Ken- 
tauren geschenkt  hat.  Sie  zechen  zusammen  aus 
gewaltigen  Humpen,  doch  der  starke  Duft  des 
Weins  lockt  die  anderen  Kentauren  herbei,  die  nun 
Avie  rasend  den  Herakles  angreifen,  der  sich  an 
ihrem  Weine  gütlich  tut.  Er  treibt  mit  Feuer- 
bränden die  in  die  Höhle  Eingedrungenen  zurück 
und  richtet  im  Walde  mit  seinen  Pfeilen  ein  Blut- 
bad unter  ihnen  au.  Ihre  Mutter  Nephele,  die 
Wolke,  kommt  den  Kontauren  zu  Hilfe,  mit  ge- 
waltigen Regengüssen,  deren  sich  Herakles  kaum 
zu  erwehren  vermag.  Endlich  aber  ist  er  doch 
siegreich.  Es  fallen  die  Besten,  die  andern  fliehen. 
Leider  hat  nur  auch  der  gastliche  Pholos  den 
Tod  gefunden,  durch  eigene  L^nvorsicht.  Er  ließ 
im  Versehen  einen  der  Pfeile  des  Herakles  sich 
auf  den  Fuß  fallen.  Der  Held  bestattet  ihn  in 
dem  Gebirge,  das  nun  nach  ihm  benannt  wird. 
,Dle  große  Popularität  dieser  Fabel  bezeugen 
viele  Vasenbilder. '^) 

Es  scheint,  daß  diese  Geschichte  auf  dem 
Grunde    uralter    ]Mythen    und    Bräuche    ruht,    die 


')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  193.  194. 
=■)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  194.  195. 
Peiiksilirifton  dor  phiL-lii-;«,  Kl.  08.  liil.  3.  Al)h. 


')  Vgl.  I'reller,  a.  a.  O.  II  p.  101. 


42 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Sohkoedee. 


^ 


mit  Regen  und  Regeugewinnung  zusammenhängen. 
Pholos  ist,  wie  Gruppe  bemerkt,^)  ,wohl  ur- 
sprünglich ein  freuudliclier  Ilöhlendämon,-)  den 
mau,  wie  Chiron,  um  Regen  anrief.'  Die  Regen- 
gUsse,  mit  denen  Nephele,  die  Kentaurenmutter, 
den  Herakles  ins  Gedränge  bringt,  deuten  wohl 
in  dieselbe  Richtung.  Docli  wie  verhält  .sich  der 
indische  Mythus  zu  dieser  Fabel?  Bietet  er  eiue 
Analogie  und  welcher  Art  ist  dann  dieselbe? 

In  dem  schon  mehrfach  von  uns  erwähnten 
Liede  der  Kanva-Familie,  RV  8,  66,  das  zu  An- 
fang jene  merkwürdige  Frage  des  neugebornen 
Indra  an  seine  Mutter  und  seine  Heldentat  im 
Kampfe  gegen  den  Sj)innensohu,  den  Schlangen- 
schweller  berichtet,  gegen  das  Ende  hin  aber  da- 
von erzählt,  daß  Indra  den  verderblichen  Eber 
herbeigebracht  habe,  findet  sich  als  Mittelstück 
in  kurzen,  aber  kräftigen  Zügen  die  Schilderung 
eines  großen  Somatrinkens,  au  dem  sich  der  sieg- 
reiche Held  ergötzt,  und  seine  Kämpfe  mit  Pfeil  und 
Boffen  ffcjien  den  Gandharven  im  bodenlosen  Luft- 

O  Do 

räume,  in  den  Bergen,  die  natürlich  wieder  nur 
die  Wolkenberge  sein  können.  Die  betreffenden 
Verse  (4—7),  die  sich  unmittelbar  an  die  Bezwin- 
gung des  Spinneusohns,  des  Schlangenschwellers 
(v.  3)  anschließen,  lauten  folgendermaßen: 

4.  In  einem  Zuge  trank  er  da  zugleich  dreißig 
Seen  aus,  Indra,  des  Soma  Kufen.*) 

5.  Er  durchbohrte  den  Gandharven  in  den 
bodenlosen  Lufträumen,  Indra,  den  Frommen  zur 
Freude. 

6.  Er  schoß  aus  den  Bergen,  wahrte  den 
garen  Brei,  Indra  (schoß)  den  wolilgezielten  Pfeil. 

7.  Hundert  Spitzen  hat  Dein  Pfeil,  tausend 
Federn  er  allein,  den  Du,  o  Indra,  Dir  zum  Ge- 
fährten gemacht  hast. 

8.  Mit  dem  bring  den  Lobsängern,  Männern 
und  Frauen,  zu  essen  herbei,  eben  geboren.  Du 
tüchtig  Starker. 


9.  Diese  Taten  sind  von  Dir  getan,  die  höch- 
sten in  Fülle;  das  Feste  hieltest  Du  mit  Lust. 

Und  nun  folgt  der  schon  früher  angeführte 
Vers,  der  uns  erzählt,  daß  Vishnu,  von  Indra  ent- 
sandt, hundert  Büffel  und  den  milchgekochten  Brei, 
Indra  aber  den  verderblichen  Eber  herbeigebracht 
habe. 

Der  im  achten  Verse  erwähnte  Nutzen  für 
die  Menschen,  für  Männer  und  Frauen,  die  durch 
Indra  zu  essen  bekommen,  ist  uns  hier  Nebensache, 
wenn  im  übrigen  auch  sehr  interessant.  Wichtig  für 
unsere  Sagenverglcichung  und  deutlich  genug  ist 
aber  vor  allem  das  große  Somatrinken  des  Indra, 
das  Durchbohren  des  Gandharven  im  bodenlosen 
Luftraum,  das  Pfeilschießen  des  Helden  in  den 
Bergen  oder  aus  den  Bergen  heraus.  Gerade  als 
Pfeilschütze  wird  Indra  hier  besonders  gepriesen, 
seine  Pfeile  werden  gerühmt.  Bogen  und  Pfeil 
auch  im  letzten  Verse  des  Liedes  (11)  nochmals 
gefeiert.  Diese  Dinge  gehen  dem  Herbeibriugen 
des  Ebers  durch  Indra  unmittelbar  voraus,  und 
es  ist  ganz  unmöglich,  dabei  nicht  an  das  große 
Weiutrinken  des  Herakles  bei  Pholos  zu  denken, 
die  Tötung  der  Kentauren,  das  große  Blutbad,  das 
der  Held  mit  seinen  Pfeilen  unter  den  ihm  ihren 
Wein  mißgönnenden  wilden  Angreifern  im  Ge- 
birge anrichtet.  Es  führt  uns  das  mit  Notwen- 
digkeit zu  der  Frage  nach  dem  Wesen  der  Gan- 
dharven und  ihrem  mythologischen  Gegenbilde  bei 
den  Griechen. 

Wir  können  die  schwierige  und  komplizierte 
Frage  hier  freilich  nicht  im  Detail  behandeln. 
Doch  soweit  es  für  das  Verständnis  unseres 
Liedes,  für  Zusammenhang  und  Deutung  der 
Heldentaten  des  alten  Gewitterriesen  notwendig 
ist,  können  wir  ihr  auch  hier  nicht  aus  dem  AVege 
gehen. 

Es  ist  allbekannt,  daß  Adalbert  Kuhn  be- 
reits im  ersten  Bande  seiner  , Zeitschrift  für  ver- 


')  Vgl.  O.  Gruppe,  a.  a.  O.  Bd.  I  p.  46.5. 

^)  Es  liegt  nahe  und  hat  gewiß  viel  Wahrscheinlichkeit  für  sich,  den  Namen  des  Pholos  Cl'dXo;),  des  in  einer  Höhle 
hausenden  ICentauren,  wie  Gruppe  das  a.  a.  O.  Bd.  I  p.  46i  tut,  mit  dem  Worte  tpiuXeo';  ,Lager,  Schlupfwinkel,  Höhle'  zu- 
sammenzubringen. Vielleicht  hängen  diese  Worte  etymologisch  mit  den  altindischen  Worten  phäla  , Frucht',  phäla  ,Pflug- 
schar,'  phaligä  , Behälter,  Wasserbehälter,  Wolke'  zusammen,  denen  eine  mit  unserem  Verbum  , spalten'  zusammengehörige 
Wurzel  plial  ,bersten,  platzen,  spalten'  zugrunde  zu  liegen  scheint.  Die  Frucht  wäre  als  die  bei  der  Reife  berstende,  auf- 
springende, die  Pflugschar  als  die  (das  Erdreich)  spaltende,  aufreißende'  bezeichnet;  die  Wolke  als  der  sich  auftuende, 
respektive  der  gespaltene,  das  Wasser  von  sich  gebende  Wasserbehälter,  der  Spalt,  die  Höhle,  —  eine  Bezeichnung,  die 
der  bekannten  Bezeichnung  der  Wolke  als  vala  ,die  Höhle'  recht  nahe  läge.  Das  seltene  phaligä  wäre  also  ein  Synonym 
von  vala,  die  WolUenhöhlo.  An  den  wenigen  Stollen,  wo  phaligä  erscheint,  ist  meist  von  einem  Spalten  oder  Aufbrechen 
dieser  Wolkenhöhle  die  Rede  (ruroja,  bhinat,  darayas).  Ist  die  Zusammenstellung  richtig,  dann  trifft  Pholos,  der  Wein  bietende 
griechische  Höhlendämon,  bei  dorn  llerakles  schmaust,  auch  etymologisch  mit  der  das  himmlische  Naß  bergenden  Wolken- 
höhle zusammen,  welche  Indra  erbricht,  um  den  Soma  zu  gewinnen  (vgl.  RV  1,  C'2,  4;  1,   121,  10;  4,  fiO,  ö;  8,  .S'2,  '25). 

")  Das  Wort  känuka,  das  ich  hier  versuchsweise  durch  Kufe  übersetzt  habe,  ist  ein  ganz  dunkles  Wort  und  war  es 
schon  dem  alten  Yäska.  Für  uns  i.st  das  hier  nicht  so  wesentlich,  da  die  Hauptsache,  das  große  Soniagelage  des  Indra, 
deutlich  genug  im  To.xt  hervortritt. 


Herakles  und  Indea. 


43 


gleichende  Sprachforschung'  die  altindischen 
Gandharven  niit  den  griechischen  Kentanren  zu- 
sammengebraclit  hat,')  —  ebenso  bekannt  freilich, 
daß  die  Folgezeit  sich  mit  immer  wachsender 
Skepsis  dieser  berülimten  mythologischen  Gleichung 
gegenübergestellt  bat.  Ich  gehöre  zu  denen,  die 
auch  heute  noch,  allen  kritischen  Einwendungen 
zum  Trotz,  jene  Kuhnsche  Zusammenstellung  für 
einen  genialen  Griff,  einen  Fund  halten,  dessen 
richtiger  und  höchst  wichtiger  Kern  noch  immer 
nicht  nur  fest  bestehen  bleibt,  sondern  sich  auch 
fort  und  fort  noch  als  fruchtbar  und  weitere  Er- 
kenntnis fördernd  erweist,  —  das  deutliche  Zei- 
chen der  Lebensfähigkeit.  Es  ist  geradezu  sell)st- 
rerständlieh,  daß  wir  heutzutage  die  ganze  Frage 
in  vieler  Beziehung  aiiders  ansehen  und  beurtei- 
len müssen,  als  Kuhn  dieselbe  vor  mehr  als  einem 
halben  Jahrhundert  ansah.  Unsere  Erkenntnis  ist 
heute  nicht  nur  in  sprachlichen  Dingen,  sondern 
namentlich  auch  im  Verständnis  des  Veda  und 
seiner  Götterwelt  gegenüber  der  Kuhnschen  Zeit 
um  vieles  fortgeschritten,  verändert,  vertieft.  So 
ist  es  selbstverständlich,  daß  wir  eine  Menge  von 
Korrekturen  bei  den  Kuhnschen  Darlegungen  an- 
bringen müssen.  Um  so  mehr  aber  will  es  im 
Grunde  bedeuten,  wenn  wir  uns  immer  wieder 
gezwungen  fühlen,  zu  den  Kuhnschen  Gedanken 
als  richtigem  Ausgangspunkt  zurückzukehren. 

Für  die  Gleichung  Gandharven — Kentauren 
bin  ich  schon  früher  eingetreten,*)  glaube  aber 
nicht,  daß  wir  bei  Beurteilung  der  erstgenannten 
mythischen  Wesen,  wie  Kuhn  es  tut,  von  dem 
Rigveda  und  seiner  Auffassung  als  dem  durchaus 
Ältesten  auszugehen  haben,  bin  vielmehr  der  Mei- 
nung, daß  der  Atharvaveda  und  andre  vedische, 
ja  sogar  nachvedische  Texte,  wie  sonst  so  auch 
hier,  uns  vielfach  ältere,  ja  uralt  volkstümliche 
Vorstellungen  bieten.  Der  eine  Gandharve,  der 
im  Rigveda  vorherrscht,  gegenüber  einer  seltener 
erwähnten  Pluralität  dieser  Wesen,  scheint  mir 
nicht  das  Ursprüngliche  oder  gar  von  Hause  aus 
etwas  so  Großes  wie  Sonnengott  oder  Fouergott, 
sondern  vielmehr  eher  eine  Art  Idealisierung 
einer  älteren,  primitiveren  Anschauung,  die  uns 
treuer  noch  in  jenen  andren  Texten  entgegentritt. 
Ich  glaube  nicht,  daß  jeuer  eine  große  Gan- 
dharve, wie  Kuhn  annimmt,  sich  späterhin  zu  den 
Scharen  von  Gandharven  vervielfältigen  konnte, 
wie  sie  uns  im  Atharvaveda,  im  Yajurveda,  im 
Epos,    aber  auch  an  einigen  Stellen  des  Rigveda 


entgegentreten,  bin  vielmehr  der  Meinung,  daß 
von  der  Pluralität,  den  Gandharven-Scharen  aus- 
gegangen werden  muß,  aus  denen  dann  ganz  wohl 
eine  einzelne  Gestalt  in  besonderer  "\A"eise  hervor- 
gehoben, als  Tj'pus  idealisiert,  mit  höheren  Wesen 
identifiziert  und  verherrlicht  werden  konnte.  So 
sehen  wir  im  Rigveda  den  Gandharven  hoch  an 
des  Himmels  Wölbung  stehen,  des  Sonnenrosses 
Zügel  ergreifen,  die  ^Veiten  erleuchten,  glänzende 
Waffen,  einen  duftigen  Mantel  tragend.  Er  wird 
mit  der  Sonne  in  nächste  Beziehung  gesetzt,  mit 
den  Sonnengöttern  Savitar  und  Püshan,  mit  dem 
Feuergott  Agni.  Die  Dichter  des  Rigveda  haben 
hier  etwas  Altes,  Volkstümliches,  das  ihnen  in 
der  alten  Form  zu  gering,  zu  roh,  nicht  ver- 
ehrungswürdig erschien,  in  ihrer  Art  erhöht  und 
umgestaltet,  mit  dem  Glanz  eines  höheren  We- 
sens umkleidet,  ohne  die  iirsprüngliche  Vorstellung- 
ganz  abzustreifen,  ohne  eigentliche  Göttlichkeit 
zu  erreichen,  so  daß  ein  schwankendes  Bild,  ein 
Zwitterding  als  Resultat  herauskommt.  Von 
Hause  aus  sind  die  GandharA'en  die  Eiben  der  In- 
der, verwandt  den  germanischen  wie  auch  den 
griechischen  Eiben,  welch  letztere  wir  namentlich 
als  Satyrn,  Silene  und  Kentauren  kennen.  Das 
Roßgestaltige  der  letzteren  findet  sich  nur 
bei  einem  Teil  der  indischen  Gandharven  wieder 
und  stellen  die  Gandharven  als  , Eiben'  überhaupt 
den  allgemeinen  Begriff  dar,  von  dem  die  Ken- 
tauren nur  einen  Teil,  einen  Ausschnitt  bilden, 
daher  sie  auch  nicht  einfach  zu  identifizieren  sind, 
wenigstens  nur  cum  grano  salis.  Ursjirünglich 
sind  die  Gandharven,  wie  die  Eiben  überhaupt, 
abgeschiedene  Seelen,  die  man  sieh  im  Winde 
umherfahrend  oder  auch  sonstwo  in  seligem  Zu- 
stand hausend  und  wirkend  denkt,  in  engstem 
Verein  mit  ihren  schönen  weiblichen  Genossinnen, 
den  i\.psarasen.  den  Wolkenwasserfrauen,  denen 
die  griechischen  Nymphen  entsprechen.  AVenn 
sie  auch  mit  der  Welt  der  himmlischen  Gestirne 
in  Zusammenhang  erscheinen,  dann  beruht  das 
wohl  darauf,  daß  man  sich  diese,  insbesondere 
den  Mond  (aber  wohl  auch  die  Sonne),  auch  als 
einen  seligen  Wohnort  der  Abgeschiedenen 
dachte;  und  zugleich  ist  ja  der  Mond  der  himm- 
lische Soma,  enthält  den  Göttertrank.  Die  Gan- 
dharven sind  weiberlUstern,  oft  in  recht  frecher, 
faunischer  Weise.  Sie  singen,  spielen  und  lieben 
gern.  Sie  sind  aber  auch  sehr  lüstern  nach  süßem, 
berauschendem  Getränk.     Daher    ist  es  ganz  ua- 


1)  Zeitschrift  f.  vg'l.  Sprachf.  15(1.  I  (1RÜ2),  p.  5 LS— 542,  Gandh.irven  uii.l  Kentauren. 

2)  Vgl.  meine  Arbeit  .Griechisclie  Götter  und  Heroen',  Heft  I,  Berün  1887  (Aphrodite,   Eros  und  Hephästos)  p.  CO  fl'. 

6* 


44 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoeder. 


türlich,  da(J  sie  schon  seit  der  ältesten  Zeit  als 
Hüter  uud  Wächter  des  himmlischen  Trankes, 
des  himmlischen  Mcths  oder  Soma  fungieren.  In 
dieser  Eigenschaft  geraten  sie  naturgemäß  mit 
Indra  in  Konflikt,  der  den  himmlischen  Soma 
trinken  will  und  die  Kraft  besitzt,  ihn  sich  zu 
rauben.  Ebenso  naturgemäß  erscheinen  sie  da- 
durch gleichsam  an  der  Stelle,  wo  wir  sonst  den 
A'^ritra  und  alle  die  ihm  verwandten  fabelhaften 
Wolkenschlangen  und  Dämonen  sehen,  die  das 
himmlische  Naß  neidisch  hüten,  bis  Indra  ihre 
Burgen  bricht  und  die  Ströme  des  Himmels  be- 
freit. Sie  sind  darum  aber  noch  nicht  mit  Vritra 
identisch,  sondern  von  Hause  aus  ganz  verschie- 
dene Wesen.  Die  Wolkenschlange  und  der  Gan- 
dharve  sind  keineswegs  eins  und  dasselbe,  wenn 
sie  sich  auch  darin  deutlich  berühren,  daß  beide 
den  himmlischen  Trank  hüten  uud  bewahren.  Es 
sind  Mythen  verschiedener  Art,  die  nur  um  das 
gleiche  Objekt  sich  drehen. 

So  ist  es  allerdings  nicht  ganz  zutreffend, 
wenn  Kuhn  zu  dem  Schluß  kommt,  der  Kampf 
zwischen  Herakles  und  den  Kentauren  sei  der 
Kampf  zwischen  Indra  und  (J!ushna  {=  Vritra), 
nur  in  etwas  anderer  Form.^)  Indessen,  er  hat 
doch  darin  vollkommen  recht,  daß  unter  jenem 
Weinfaß,  dem  rdO-oq  der  Kentauren  in  der  Höhle 
des  Pholos,  nichts  andres  zu  verstehen  sei  als 
die  mit  dem  liimmlischen  Naß  gefüllte  Wolke,") 
die  bald  als  Höhle,  bald  als  Wasserbehälter  oder 
Tonne,  Kufe,  Schlauch  u.  dgl.  gefaßt  wird  (valä, 
phaligä,  kävandha,  kofa,  väna,  driti).  Wenn  die 
Wolke,  der  himmlische  Wasserbehälter,  den  In- 
dra aufbricht,  spaltet,  öffnet,  im  Veda  auch  als 
phaligä  bezeichnet  wird,  dann  trägt  vielleicht  so- 
gar dieses  Wort  schon  eine  nähere  Beziehung 
etymologischer,  wurzelhafter  Art  in  sich  zu  Pho- 
los, dem  griechischen  Höhiondämon,  der  dem  He- 
rakles das  Weinfaß  öffnet.')  Auf  jeden  Fall  han- 
delt es  sich  beim  Kentaurenkampfe  des  Herakles 
um  dasselbe  Objekt,  um  das  Indra  so  oft  siegreich 


kämpft  —  gegen  Vjitra,  (^'ushna,  Alii,  uud  wie 
die  fabelhaften  Schlangendämonen  sonst  etwa  noch 
heißen.  Daß  Indra  aber  auch  mit  dem  Gandhar- 
ven  kämpft  und  ihn  mit  seinen  Pfeilen  durch- 
bohrt, lehrt  uns  gerade  die  oben  angeführte  Stelle 
unseres  Liedes  (RV  8,  66,  5.  6),  und  wir  haben 
alle  Ursache  anzunehmen,  daß  dieser  Kampf  um 
des  Soma  willen  stattfindet,  den  Lidra  so  gerne 
trinkt  und  den  der  Gaudharve  als  Wächter  hütet, 
—  den  auch  er  zu  trinken  liebt  uud  darum  an- 
dern nicht  gönnen  mag. 

Es  kann  wohl  kaum  einem  Zweifel  unter- 
liegen, daß  der  den  himmlischen  Soma  eifersüch- 
tig hütende  Gandharve  ein  mythisches  Bild  ist, 
welches  schon  in  der  indopersischen  Einheits- 
pcriode  lebendig  war.  Im  Avesta  begegnet  uns 
der  schon  nach  Ausweis  des  Namens  mit  den 
indischen  Gandharven  ursprünglich  identische 
Gaiädarewa,  ein  mythisches  Wesen  mit  goldenen 
Klauen,  das  am  See  Vourukasha  haust,  seine  Ufer 
besetzt  hält.  In  diesem  See  aber  wächst  der 
weiße  Haoma,  der  dem  himmlischen  Soma  der 
Inder  entspricht.  Der  Gaiidarewa  wird  von  Ke- 
repäfpa  überwunden,  dem  Sohne  des  Tlirita,  den 
wir  bereits  kennen,  der  mit  dem  indischen  Trita, 
dem  Vorläufer  des  Indra,  unzweifelhaft  identisch 
ist.  Kerepäfpa  also  ist  ein  Indra  ähnliches,  ihm 
verwandtes  mythisches  Wesen  und  seine  Über- 
windung des  Haoma  hütenden  Gandarewa  ist  eine 
unzweifelhafte  mythische  Parallele  zu  Indra  in 
seiner  Eigenschaft  als  Überwinder  des  den  himm- 
lischen Soma  hütenden  Gandharven.  Diese  Ver- 
wandtschaft wird  noch  deutlicher,  wenn  wir  hören, 
daß  Kerefäfpa  den  Drachen  Qrvara,  den  Gaii- 
darewa getötet  habe,  denn  dieser  gehörnte  oder 
hörnene  Drache  (azhi)  ist  zweifellos  mit  dem  vedi- 
schen  Alii  identisch,  den  Indra  bezwingt  und  tötet. 
Nebeneinander  erscheinen  diese  beiden  dämonischen 
Feinde  des  Keref  äppa-Indra  sogar  noch  im  Schah- 
name, wo  schon  Roth  einen  Kundrav  (=  Gafidarewa) 
als  Gesellen  des  Zohäk  (=  Azhi  daliäka)  nachwies.'*) 


')  Vjjl.  Kuhn,  Herabkunft,  2.  Aufl.  p.  15-1.  —  In  dem  Aufsatz  , Gandharven  und  Kentauren,'  Zeitschr.  f.  vgl.  Spr.  I  p.  538, 
vergleicht  Kuhn  mit  diesem  Kampfe  des  Herakles  den  Kampf  des  Arjuna  mit  dem  (iandharven  Citraratha,  der  ihm  den 
Zutritt  zur  heiligen  Flut  der  Gaiigä  wehren  will,  ,wi6  überhaupt  Arjuna,  der  ursprünglich  Indra  selbst  ist,  was  auch  das 
^atap.  Brähmana  (2,  1,  2,   11)  sagt,  sich  vielfach  mit  dem  Herakles  vergleicht'. 

')  Vgl.  Kuhn,  Herabkunft,  2.  Aufl.  p.  154. 

')  Vgl.  oben  p.  42  Anm.  2.  —  Das  Faß  der  Kentauren  heißt  m^oq.  Das  AVort  bedeutet  eigentlich  wohl  eine  Art  großer 
irdener  Krüge,  mit  weiter  öft'nung,  um  daraus  schöpfen  zu  können.  Etymologisch  hängt  es  vielleicht  mit  dem  indischen 
pitha  zusammen  in  somapitha,  dem  Somatrunk,  nach  dem  Indra  gar  so  begierig  ist,  von  der  Wurzel  pA,  pi  ,trinken',  die 
im  griech.  mvu,  moficxi  vorliegt.  Die  Bedeutung  Trunk  und  Behälter  des  Getränkes  liegen  sich  am  Ende  nicht  so  ferne. 
Ist  diese  Vermutung  richtig,  dann  würden  die  Tormini  der' griechischen  und  der  indischen  Fabel  noch  näher  zusammen- 
rücken. 

*)  Vgl.  Kuhn,  Gandharven  und  Kentauren,  Zeitschr.  f.  vgl.  Spr.  I  p.  541;  Jiisti,  Handbuch  der  Zendsprache  s.v. 
gafidarewa,  haoma,  kerei;äi;pa,  i;rvara,   vourukasha;  Macdonell,  a   a.  Ü.  p.  137;  Kuhn,   Herabkunft,  2.  Aull.   p.  111. 


Herakles  und  Iitoea. 


45 


Über  die  Identität  des  persischea  und  des  indi- 
schen Mythus  kann  damiach  gar  kein  Zweifel  sein. 

Nach  dem  Rigveda  pflegen  die  Gaudharven 
den  Soma  und  lassen  ihn  gedeihen:  ,Den  Büffel, 
den  Parjanya  wachsen  ließ,  ihn  nahmen  die  Gau- 
dharven auf,  sie  legten  den  Saft  in  den  Soma' 
(RV  9,  113,  3).  Das  ist  die  Pflanze  Soma,  danu 
aber  halten  sie  den  gleichnamigen  Trank  in  ihrer 
Hut.  Es  scheint,  daß  die  abgeschiedenen  Weisen 
der  Vorzeit  sich  dieses  himmlischen  Trankes  er- 
freuen dürfen.  Das  besagt  wohl  die  Stelle  RV 
1,  22,  14:  ,Der  beiden  (Welten)  butterreiches  Naß 
lecken  die  AVeisen  mit  Andacht  an  des  Gaudhar- 
ven fester  Stätte.'  Und  denselben  Gedanken  fin- 
den wir  wohl  im  Athar^aveda  ausgesprochen, 
wenn  es  dort  (4,  34,  3)  von  dem  seligen  Abge- 
schiedenen heißt:  ,Er  sitzt  bei  Yama,  er  geht  zu 
den  Göttern,  er  erfreut  (respektive  berauscht) 
sich  zusammen  mit  den  somaliebenden  Gan- 
dharven.'i)  Dies  ist  um  so  verständlicher,  wenn 
wir  recht  haben  mit  der  Annahme,  daß  die  Gau- 
dharven selbst  ursprünglich  abgeschiedene  Seelen 
sind,  die  man  sich  in  einem  Zustand  primitiver, 
sinnlicher  Seligkeit  lebend  dachte. 

Sehr  charakteristisch  aber  ist  sonst  für  den 
Gandharven  das  eifei-süchtige  Hüten  und  Bewa- 
chen des  Soma.  AA^enn  der  Gaiidarewa  im  Avesta 
mit  dem  Haoma  selbst  in  Konflikt  gerät  und  ihn 
zu  verderben  sucht,  so  beruht  das  im  letzten 
Grunde  wohl  auf  demselben  Zuge.  Der  gefan- 
gene, streng  behütete  Soma-Haoma  sucht  sich  zu 
befreien,  sucht  zu  entfliehen  —  das  scheint  eine 
alte  Variante  des.  Mythus  von  der  ,  Herabkunft 
des  Göttertranks,'  die  wenigstens  in  Indien  deut- 
lich hervortritt.  Während  sonst  der  Falke,  der 
Adler  den  Soma  raubt,  ist  es  nach  TS  1,  2,  9,  1 
Soma  selbst,  der  in  Gestalt  eines  Adlers  der  Hut 
des  Gandharven  Vi fvävasu  entflieht.^)  Der  Raub  des 
himmlischen  Tranks  durch  einen  Vogel  ist  im 
übrigen  wohl  unzweifelhaft  ein  uralter  Mythus,  der 
dem  Mythus  vom  Raube  des  himmlischen  Feuers 
durch  ein  ähnliches  Wesen  parallel  läuft.  Kuhn  sah 
in  dem  somaraubendeu  Adler  oder  Falken  des 
Rigveda  Gott  Indra  selbst  und  verglich  ihn  dem  nor- 


dischen Odhin,  der  ebenfalls  in  Adlergestalt  den 
himmlischen  Meth  raubt.')  Er  konnte  dafür 
anführen,  daß  im  Käthaka  sich  Indra  tatsächlich  in 
einen  Falken  verwandelt  und  das  Amvitam  aus 
dem  Munde  des  C'ushna  raubt. ^)  Aber  auch  die  Gä- 
yatri  erscheint  in  der  Yajus-,  respektive  Brähmana- 
zeit  als  Somaräuber  in  Vogelgestalt  und  es  fragt 
sich,  oh  diese  Fassungen  des  Mythus  nicht  viel- 
mehr sekundärer  Deutung  und  Umwandlung  ent- 
sprungen sind,  die  für  Indra  um  so  begreiflicher 
wäre,  als  er  ja  oft  genug  als  Gewinner  des  himm- 
lischen Trankes  hervortritt.  Nach  dem  Rijrveda 
ist  es  kaum  wahrscheinlich,  daß  der  somarauhende 
Vogel  von  Hause  aus  Gott  Indra  selbst  gewesen 
sei,  vielmehr  scheint  dies  ein  selbständiger,  ur- 
sprünglich A'on  Indra  ganz  unabhängiger  Mythus 
gewesen  zu  sein,  der  erst  später  mit  dem  wohl- 
bekannten Raube  des  Soma  durch  Indra  kombi- 
niert worden  sein  dürfte. 

Der  Gandharve  bewacht  den  Ort  des  Soma, 
—  nach  RV  9,  83,  4.  Der  Gandharve  steht  auf- 
recht am  Firmament,  alle  Gestalten  des  Soma  be- 
trachtend (RV  9,  85,  12).  ,Als  den  Adler  am 
Firmament  fliegen  sahen  die  im  Herzen  Verlan- 
genden, Dich,  den  goldgeflügelten  Boten  des  Va- 
runa,  den  Vogel  eilend  zu  Yamas  Stätte,  da  stand 
der  Gandharve  aufrecht  am  Firmament,  entsresren- 
gewandt,  seine  strahlenden  Waffen  tragend,  ge- 
kleidet in  ein  duftiges  Gewand'  —  heißt  es  RV 
10,  123,  6  und  7.  Auch  hier  erscheint  er  wohl 
als  der  Wächter,  der  dem  enteilenden  Räuber, 
respektive  dem  Flüchtling  drohend  nachschaut. 
Kricänu,  der  himmlische  Schütze,  der  auf  den 
somaraubendeu  Falken  schießt,^)  ist  zweifellos  ein 
Gandharve,  der  den  himmlischen  Trank  bewacht. 
DerYajurveda  nennt  uns  sieben  Gandharven  als 
Wächter  des  Soma  und  darunter  Kricänu,  den 
auch  schon  der  Rigveda  kennt,  während  die  an- 
dern erst  später  auftreten.  Die  Namen  der  Sie- 
ben lauten  gewöhnlich:  Sväna,  Bhräja,  Aüghäri, 
Bambhäri,  Hasta,  Suhasta  und  Kricänu.  Die  Be- 
wachung des  Soma  durch  den  Gandharven  be- 
stätigt auch,  wie  schon  Kuhn  bemerkte,  der  Kom- 
mentator   Mahidhara,    der    zu    Väj.   S.  2,    3    eine 


')  säm  gaudharväir  madate  soinyebhil.i.  —  DieseSeligkeit  wird  au  der  betrefteuden  Stolle  speziell  demjenigen  verheißen, 
der  einen  bestimmten  Brei  (odanä),  genannt  vishtärin,  darbringt.  Die  Art  der  Seligkeit  dort,  im  Verein  mit  den  Gau- 
dharven, wird  außer  durch  die  folgenden  Verse,  die  von  Strömen  an  Hutter,  Honig,  Branntwein,  Milch  u.  dgl.  m.  reden,  na- 
mentlich noch  durch  den  vorausgehenden  Vers  2  charaliterisiert,  wo  es  heißt,  daß  Agni  das  niäiiiilicho  Glied  dieser  Aus- 
erwählteu  nicht  verbrennt  und  daß  es  in  der  Himmelswelt  viel  Weibervolk  für  sie  gibt. 

')  Vgl.  Macdonell,  Vedic  Mythology  p.  137.  Der  Soma  wird  auch  schon  im  Rigveda,  im  neunten  Buche,  dem  Adler 
oder  Falken  verglichen.     S.  Grassmanns  \VB  s.  v.  i;yen;i. 

»)  Vgl.  Kuhn,  Herabkunft,  i.  Aufl.  p.  123— 140.  ■•)   Vgl.  Kuhn,  a.  a.  O.  p.  128. 

S)  Vgl.  namentlich  KV  4,  27,  3;  9,   77,    2. 


46 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoedek. 


Vedeiistelle  aiifülirt:  ,Den  im  Himmel  stehenden 
Soma  zu  bewachen,  -weilte  ihm  stets  ein  Gan- 
dharve  zur  Seite'  ^).  Die  Tatsache  dieser  Be- 
waciiung   steht  fest  und  ist  offenbar  uralt. 

Indra  ist  nun  freilich  nach  dem  Rigveda 
nicht  selbst  jeuer  Vogel,  der  den  Soma  raubt.  Das 
Lied  RV  4,  21  unterscheidet  .sie  l)eide  sogar  ziem- 
lich deutlich^).  Doch  auch  Indra  gewinnt  oder 
raubt  den  Soma,  er  ist  der  gewaltige  Soma-Trin- 
ker,  und  Soma  ist  offenbar  der  Grund  seines  an 
zwei  Rigvedastellcn  erwähnten  Konfliktes  mit  den 
Gandharveu.  Die  eine  ist  die  uns  bereits  be- 
kannte, von  der  wir  ausgegangen  sind  (8,  66,  5). 
Die  andre  findet  sich  in  demselben  Buche  der 
Kanva-Familie,  RV  8,  1,  IL 

Als  er  (Indra)  der  Sonne  Roß  antrieb,  die 
beiden  rührigen  Vögel  des  Windes,  da  fuhr  der 
hundertfach  kräftige  den  Kutsa  Arjuneya,  er 
besclilicli  den  unbesiegten  Gandharveu').  Wir  ken- 
neu den  Kutsa  bereits  als  jenen  Heros,  den  In- 
dra beim  Kampf  gegen  den  Qushna  auf  seinem 
\A'agen  mit  sicli  führt.  Das  Beschleichen  des 
Gandharven,  offenbar  zum  Zwecke  der  Bewälti- 
gung, wird  hier  also  unmittelbar  nach  und  neben 
der  kurzen  Erinnerung  an  jene  große  Heldentat  er- 
wähnt. Obgleich  (^'ushna  nicht  genannt  wird,  steht 
er  hier  doch  durch  die  Erwähnung  der  Fahrt  des 
Indra  mit  Kutsa  deutlich  genug  neben  dem  Gan- 
dharven, so  daß  man  sich  versuclit  fühlt,  daran 
zu  erinnern,  wie  in  der  persischen  Heldensage, 
im  Schahname,  Zohak  und  Kundrav,  d.  i.  also 
Azhi  Dahaka  und  der  Gaüdarewa,  Ahi  und  der 
Gandharve  nebeneinander  erscheinen.  Noch  in 
einem  anderen,  leider  nicht  sehr  klaren  Liede 
scheinen  der  Gandharve  und  die  Wolkenschlangen 
—  ahi,  hier  in  der  Mehrzahl  —  dem  Indra  beide 
zusammen  als  Gegner  gegenüber  zu  stehen.  Es 
handelt  sieh  auch  hier  wieder  um  die  Gewinnung 
der  himmlischen  Wasser  und  der  Sonne  durch  In- 

doch  ist   die  Situation  nicht  gerade  deutlich 


dra. 


gezeichnet.  Ich 


meine   das   kleine   Lied,   das  die 
von    RV  10,  139  bildet  (v.  4—6). 


zweite   Hälfte 
Ich  übersetze: 

4.  Den  Vifvavasu,  den  Somagandharven*)  er 
blickend,  gingen  die  Wasser  da  fort  in  rechter  Art 


da  ging  ihnen  Indra  eilends  nach,  er  sali  ringsum 
die  Umhegungen  der  Sonne.  6.  Den  Gewinner  fand 
er  auf  der  Bahn  der  Ströme,  er  öffnete  die  Tore 
der  Felseuställe ;  der  Gandharve  2*'''ßs  ihren 
(d.  h.  der  Ströme)  Nektar ;  Indra  lernte  die  Kraft 
der  Drachen  kennen. 

Es  ist  manches  hier  unklar,  doch  so  viel  scheint 
deutlich,  daß  Indra  am  Werk  ist,  die  Wasser  und 
die  Sonne  zu  gewinnen,  und  daß  ihm  der  Gan- 
dharve Vifvävasu  und  die  Drachen  gegenüber- 
stehen, deren  Kraft  er  im  Kampfe  kennen  lernt. 

In  dem  merkwürdigen,  leider  auch  ziemlich 
dunklen  Liede  RV  10,  144  ist  es  der  Drache  Alii- 
puva,  der  Schlangenschweller,  welcher  dem  soma- 
raubenden  Falken  oder  Adler  auflauert,  also  ganz 
in  der  Eigenschaft  auftritt,  die  dem  somahüten- 
den  Gandharven  charakteristisch  ist.^)  Grass- 
mann hat  daher  auch  in  seiner  Übersetzung  des 
Rigveda  (Bd.  II,  p.  499)  den  Aliifuva  geradezu 
mit  dem  Schützen  Krifänu  identisch  erklärt,  den 
wir  schon  als  somahütenden  Gandharven  kennen. 
Doch  Avir  kennen  den  Ahifuva  bereits  deutlich 
genug  als  eine  der  vielen  Formen  des  Ahi-Vrtra. 
Man  könnte  auf  Grund  dieser  Stellen  frei- 
lich geneigt  sein,  die  Grenze  zwischen  Drachen  und 
Gandharven  ganz  zu  verwischen,  die  letzteren  ge- 
radezu den  ersteren  zurechnen,  doch  es  stehen 
dem  gewichtige  Gründe  entgegen.  Die  Gestalt 
der  Gandharven,  wie  wir  sie  sonst  aus  Rigveda, 
Atharvareda  und  den  späteren  Denkmälern  kennen, 
ist  keineswegs  dazu  angetan,  mit  den  Wolken- 
schlangen identifiziert  zu  werden,  und  die  obigen 
Berührungspunkte  lassen  sich  sehr  wohl  anders 
erklären.  Da  Gandharven  und  Drachen  beide  die 
Hüter  des  himmlischen  Trankes  sind,  ist  es 
eigentlich  nicht  zu  verwundern,  daß  wir  den 
einen  gelegentlich  dort  stehen  sehen,  wo  für  ge- 
wöhnlich der  andre  steht,  daß  der  somaraubende 
Falke,  dem  gewöhnlich  der  Gandharve,  der 
Schütze  Kj'icänu  auflauert,  einmal  in  einer  Variante 
vielmehr  von  dem  Drachen  Ahifuva  bei  seinem 
Raube  belauert  wird;  daß  Indra  später  in  Fal- 
kengestalt dem  Drachen  (^'ushna  den  Unsterb- 
lichkeitstrank aus  dem  Munde  raubt ;  oder  daß 
wir  Drachen  und  Gandharven  nebeneinander  und 


1)  Vgl.  Kuhn,  a.  a.  0.  p.  523.  524. 

*)  Kach  RV  1,  155,  2  schützen  Indra  und  Vi.shiiu  vereint  den  Sterblichen  vor  dem  Pfeil  des  Schützen  Kri<,'änu. 

")  tsarad  gaiidharvam  ästritam. 

*)  Ich  fasse  somagandharvam  als  ein  Wort,  wie  es  übrigens  schon  Kuhn  (a.  a.  0.  p.  523)  gefaßt  hat,  —  gegen  die 
Überlieferung.  Der  A'^okativ  soma  scheint  mir  hier  allzu  unmotiviert.  Als  Somawächter  haben  wir  den  Gandharven  Vicjvä- 
vaau  ja  auch  bereits  kennen  gelernt  (TS  1,  2,  9,  1,  vgl.  oben  p.  45). 

*)  RV  10,  144,  ?,  der  ein  ausgelassener  Stier  ist  unter  diesen  seinen  (Frauen,  d.  i.  den  Wassern)  Ahifuva  lauerte  dem  rüh- 
rigen Falken  auf;  4.  den  der  Vogel,  des  Falken  Sohn  aus  der  Ferne  brachte ;  5.  den  der  Falke  dir  mit  der  Klaue  brachte,  den 

lieben  ungefährdeten,  roten,  das  Erzeugnis  des  Krautes,  durch  den  ward  Jugend  und  Lebenskraft  verlängert,  zum  Leben  etc. 


Heeaexes  und  Indra. 


47 


iiaclieiiiander  den  himmlischen  Trank  verteidi- 
gensehen. Es  liegt  auch  auf  der  Hand,  daß  hier  man- 
cherlei Variationen  und  Komhinationen  möglich 
waren,in  denen  sich  die  Fabulierlust  der  alten  My  tlien- 
erzähler  gefallen  mochte  undg-ewiß  auch  gefallen  hat. 

Wenn  der  Falke  gewöhnlich  dem  pfeilschie- 
ßenden Gandharven,  gelegentlich  aber  auch  dem 
Drachen  den  Trank  raubte,  dann  konnte  Indra, 
der  gewöhulich  den  Drachen  erschlägt,  um  den 
Trank  zu  gewinnen,  wohl  auch  gelegentlich  mit  dem 
Gandharven  um  desselben  köstlichen  Gutes  willen 
in  Streit  geraten.  Eine  solche  Variante  liaben  wir 
offenbar  anzunehmen,  wenn  es  heißt,  daß  Indra 
den  Gandharven  beschlichen  habe  (RV  8,  1,11),  — 
ebenso  aber  auch  in  unserem  Ausgangsliede  (8,  G6), 
das  demselben  Fainilienbuche  augehört,  daher 
wohl  die  Vermutung  berechtigt  sein  dürfte,  daß 
diese  Variante  gerade  der  Familie  der  Kanvas 
bekannt  (vielleicht  sogar  geläufig)  war. 

Nach  der  Bezwingung  des  Spinnensohnes,  des 
Schlangenschwellers  hält  Indra  hier  ein  großes 
Somagelage.  Das  bleibt  es  auch,  wenn  man  die 
30  Seen  des  Soma  als  ebensoviele  große  Kufen 
faßt.  Dann  heißt  es  sogleich,  er  habe  den 
Gandharven  im  bodenlosen  Luftraum  durchbohrt, 
habe  aus  den  Bergen  heraus  seinen  wohlgezielten 
Pfeil  geschossen,  den  garen  Brei  festgehalten.  Sein 
Pfeil  und  Bogen  werden  weiter  noch  als  etwas 
ganz  Besonderes  gerühmt  und  gepriesen.  Es  liegt 
nahe  anzunehmen,  daß  sich  Indra  irgendwie  des 
himmlischen  Rauschtrankes  bemächtigt  hat,  daß 
der  Gandharve  ihn  im  Genuß  desselben  stört, 
ihm  den  himmlischen  Trank  nicht  gönnen  will, 
auf  den  er  selbst  Anspruch  zu  haben  glaubt,  und 
daß  eben  daraus  der  Kampf  sich  entspinnt,  in  dem 
Indra  kraft  seiner  herrliciien  Pfeile  siegreich  ist. 
Auf  jeden  Fall  aber  kämpft  Indra  mit  dem  Gan- 
dharven auch  um  den  garen  Brei,  d.  i.  die  Sonne. 
Wenn  auch  A'on  dem  letzten  Zuge  in  der  Pholos- 
geschichte  nichts  zu  bemerken  ist,  so  liegt 
es  doch  auf  der  Hand,  daß  dieser  Mythus 
der  Kentau romacbie   des  Plerakles  in  der  Pholoe 


aufs  nächste  vei-wandt  ist.  Herakles  schwelgt  hier 
im  herrlichen  "Wein,  der  den  Kentauren  gehört, 
und  ihm  nicht  gegönnt,  nicht  gutwillig  überlassen 
wird,  wenn  auch  einer  von  ihnen  selbst  dem  Helden 
dazu  verhelfen  hat.  Sie  greifen  ihn  an^)  und  He- 
rakles richtet  nun  im  erbitterten  Kampf,  in  den 
Bergen  der  Pholoe,  mit  seinen  Pfeilen  ein  furcht- 
bares Blutbad  unter  ihnen  an,  bei  welchem  auch 
Pholos  selber  umkommt.  Die  Übereinstimmung  ist 
aber  um  so  größer  und  deutlicher,  als  dieser 
Kampf  des  Herakles  dem  Abenteuer  mit  dem  ery- 
manthischen  Eber  unmittelbar  vorausgeht,  im  Rig- 
veda-Liede  aber  nach  dem  Gandiiarvenkampfe  von 
Indra  weiter  kurz  berichtet  wird,  er  habe  den 
verderblichen  Eber  herbeigebracht,  eine  Hel- 
dentat, die  wir  bereits  vorher  als  offenbar  dem 
Eber-Abenteuer  des  Herakles  entsprechend  er- 
kannt haben. 

Natürlich  fehlt  es  auch  nicht  an  abweichenden 
Zügen,  die  jedoch  den  Kern  der  Sache  nicht 
berühren.  Im  Rigveda  ist  es  der  eine  Gardharve, 
der  hier  ja  überhaupt  vorherrscht,  während  im  grie- 
chischen Mythus  ganze  Scharen  von  Kentauren 
den  Helden  angreifen  und  von  ihm  vernichtet 
werden.  Ich  halte  dies  letztere  für  das  Ältere, 
doch  kann  es  sich  nur  um  uralte  Varianten  han- 
deln. Im  Rigveda  heißt  es  ferner,  daß  Indra  den 
garen  Brei  festgehalten  habe.  Wenn  darunter, 
wie  ich  vermuten  möchte,  die  Sonne,  als  großer 
Topf  mit  warmem  gelben  Brei  gefaßt,  zu  ver- 
stehen ist,  dann  würde  Indra  hier  wieder,  wie  so 
oft,  das  himmlische  Naß  und  die  Sonne  zugleich 
erbeuten  und  verteidigen,  während  es  sich  im 
Herakles-Mythus  nur  um  den  köstlichen  Rausch- 
trank handelt.  Der  Kentaurenmutter  Ne])hele,  die 
ihrem  Sohn  zu  Hilfe  kommt,  steht  im  vedischen 
Liede  nichts  Entsprechendes  gegenüber,  während 
einmal  im  Kampfe  Indras  gegen  Vritra  eine 
Mutter  des  Drachen  erscheint,  die  mitsamt  dem 
Sohne  zugrunde  geht  (RV  1,  32,  9)  ^).  Doch  das 
sind  alles  nicht  wesentliche  Unterschiede,  Vari- 
anten, wie  sie  auf  diesem  Gebiet  selbstverständlich 


')  Die  Kentauren  werden  nach  der  griechisclien  Sage  durch  den  starken  Duft  des  Weines  herbeigelockt.  Viel- 
leicht darf  man  dabei  daran  erinnern,  daß  der  Name  der  Gandharven  mit  gandha,  Duft,  zusammenzuhängen  scheint.  Sie  sind 
durch  denselben  möglicherweise  als  Liebhaber  des  Duftes,  respektive  des  duftigen  Rauschtranks,  charakterisiert.  Nach  dem 
Mahäbhärata  wohnen  die  Gandharven  und  die  zu  ihnen  gehörigen  Kimpuruslia  oder  Kinnara,  wie  schon  Kuhn  bemerkte, 
(Zeitschr.  f.  d.  Spr.  I  p.  533),  im  Gebirge  Gandhamädana,  d.  h.  dem  durch  seinen  Duft  berauschenden.  Die  Duftliebe  des 
Gandharven  tritt  schon  im  Rigveda  darin  hervor,  daß  er  in  ein  duftiges  Gewand  gekleidet  erscheint  (väsäno  ätkaiii  bu- 
rabhim   RV  10,  l'iS,  7). 

'')  Eine  merkwürdige  Parallele  zu  der  Episode  von  der  Kentaurenmutter  findet  sich  im  Mythus  von  Thorr.  Ich  werde 
darauf  weiter  unten  zu  sprechen  kommen.  Übrigens  wird  auch  der  Gandharve  im  Rigveda  als  Wolkonsolni,  Sohn  des  Ge- 
wölks, Nebel  oder  Dunstes  bezeichnet  —  nabhoj,i!  (RV  10,  123,  2);  d.is  Gewölk,  nabhas,  dessen  Sohn  er  ist,  gehört  mit  grie- 
chischem VEtpo5,  ve^jeXt)  auch  etymologisch  zusammen. 


48 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoedee. 


wuchern.  Audi  die  Art,  wie  Herakles  sich  mit 
Hilfe  des  Pholos  in  den  Besitz  des  ^^'eins  der  Ken- 
tauren setzt,  wird  ihnen  zuzurechen  sein.  Im  üb- 
rigen erinnert  dies  Trinken  des  Herakles  in  der 
Behausung  des  Pholos  lebhaft  an  die  mancherlei 
Berichte,  wie  Indra  bei  diesem  oder  jenem  Gotte 
oder  auch  Weisen  der  Vorzeit  —  bei  Trita,  bei 
Manu,  bei  j\Iätarifvau,  bei  Tvashtar  u.  a.  m.  — 
den  Somag-etrunken  habe,  olnie  daß  Avir  diese  Gestal- 
ten irgendwie  mit  Pholos  zusammenbringen  AvoUen. 
A^ielleicht  ist  mit  dem  Trinken  bei  Pholos  auch 
nur  das  Trinken  in  der  Wolkenhölilo,  in  dem 
großen,  oft  ja  als  Höhle  gedachten  Behälter  des 
himmlischen  Rauschtranks,  der  Wolke  (phaligä) 
S'emeint,  avo  dann  der  freundliche  Höhlendämon 
sich  leicht  hinzugesollen  konnte. 

tJberblicken  Avir  kurz  noch  einmal  die  ersten 
Heldentaten  des  Indra,  AA'ie  das  Lied  RY  8,  6G 
sie  uns  schildert,  und  stellen  ihnen  die  ersten  Aben- 
teuer des  Herakles  gegenüber: 

Kaum  geboren  zieht  Indra  hinaus  in  den 
Kampf  gegen  den  Spinnensohn,  den  Schlan- 
genscliAveller,  die  er  mit  dem  AA^uchtigen  Schlä- 
gel oder  Hammer  zusammenschlägt  wie  Speichen 
der  Radnabe.    Dann  liält    er   ein 


in 


geAA'altiges 


Somatrinken  ab.  Es  folgt  der  Kampf  gegen 
den  GandharA'en,  das  Pfeilschießen  in  den 
Bergen,  das  Herbeibringen  des  Ebers.  Neben 
dem  Helden  taucht  die  Gestalt  seines  Freun- 
des und  Helfers  Yishnu  auf. 

Des  Herakles  erstes  Abenteuer  ist  der  Kampf 
gegen  Hydra  und  Seekrebs;  dann  folgt  das 
große  Weintrinken  in  der  Höhle  des  Pholos, 
der  Angriff  der  Kentauren,  das  Blutliad, 
das  Herakles  unter  ihnen  in  den  Bergen 
anrichtet,  endlich  die  Bewältigung  und  Her- 
beibringung des  eryman  tbischen  Ebers.  Als 
Freund  und  Helfer  erscheint  Jolaos  wenig- 
stens bei  der  ersten  dieser  Taten. 

Die  Übereinstimmung  ist  so  groß,  wie  sie  bei 
dem  Abstand  der  Völker  und  Zeiten  irgend  er- 
Avartet  Av^erden  konnte.  Wir  haben  sie  nicht  nur 
bei  jedem  einzelnen  dieser  Abenteuer  aufgefunden, 
—  sie  liegt,  wenigstens  in  dem  einen  RigA^edaliede, 
auch  in  der  Reihenfolge  der  drei  Heldentaten 
A^or:  Hydrakampf,  Kentauromacliie,  Bezwingung 
des  Ebers.  Sie  liegt  endlich  auch  darin,  daß  diese 
Taten  als  die  zeitlich  ersten  und  ältesten  bei  Indra 
wie  bei  Herakles  gefeiert  AA^erden. 


Der  Augeiasstall  und  die  Wasserleitung. 


Bei  der  großen  Menge  A^on  Fabeln  und  Aben- 
teuern aller  Art,  die  A'on  Herakles  und  Indra  er- 
zählt Averden,  ist  es  selbstverständlich  unmöglich 
zu  A-erlangen,  daß  für  jede  Erzählung  direkt  ein 
entsprechendes  Gegenstück  bei  dem  A^erAA-andten 
Heros  nachgewiesen  werde.  Vielmehr  AA^erden  wir 
naturgemäß  A^oraussetzen  müssen,  daß  bei  beiden 
Völkern,  ludern  aaüb  Gi'iechen,  A-iele  Geschichten 
neu  entstanden,  Ariele  alte  A'erloren  gegangen  sind, 
so  daß  nur  ein  Teil  sich  decken  und  gegenseitig 
entsprechen  kann.  So  Averden  AA-ir,  die  Abenteuer 
des  Herakles  in    der  üblichen  Reihenfolge  AA'eiter 


A'erfolgend,  unbedingt  zugeben  müssen,  daß  Aveder 
für  die  keryuitiscbe  Hirschkuh  noch  für  die 
stymphalischen  Vögel  sich  bei  Indra  doiitlich  Ent- 
sprechendes nacliAveisen  läßt.') 

Die  Deutung  der  Avunderbaren  Hirschkuh, 
mit  goldenen  Hörnern  und  ehernen  Läufen,  die 
Herakles  ein  Jahr  lang  A-erfolgt,  bis  er  sie  end- 
lich dem  Eurystheus  bringen  kann,  scheint  mir 
A^orderhaud  noch  zweifelhaft  zu  sein  und  ich  lasse 
es  dahingestellt,  ob  Preller  recht  hat,  wenn  er  mit 
Bestimmtheit  in  ihr  den  Mond  zu  erkennen 
glaubt.-)    Ziemlich  AA'ahrseheinlich    ist    seine    An- 


')  Von  einer  Hir.schkuli  i.st  mehrmals  im  Uigveda  die  Rede  und  ilir  Name  sclieint  .sie  gerade  als  schimmernde  oder 
bunte  zu  charaliteri.sieren  (eni,  fem.  zu  eta  Hirsch);  sie  er-scheint  aber  nicht  in  A'^erbindung  mit  Indra,  sondern  mit  Agni, 
auch  ist  sonst  manches  unklar  dabei.  Es  heißt  KV  10,3,2  von  Agni:  „AVenu  er  mit  Glanz  die  schwarze  Hirschkuh  be- 
siegt",—und  hier  scheint  damit  die  Nacht  gemeint  zu  sein.  In  dem  Agniliod  RV  10,  12  losen  wir  v.  3:  „Alle  Götter  gehen 
zu  diesem  deinem  Opfer,  wenn  die  Hirschkuh  himmlisches  Fett  und  Naß  Strumen  läßt."  Ludwig  übersetzt  das  AVort  hier  durch 
„bunte  Kuh"  und  es  ist  nicht  sicher,  von  wem  die  Rede  ist.  Das  Wort  öni  finden  wir  in  A'erbindung  mit  Indra  RV  B,  :-iS,  6; 
doch  da  ist  es  wohl  nur  Adjektiv  zu  rayi  „Reichtum";  der  Gott  wird  gebeten,  „schimmernden  Reichtum"  zu  spenden. 

')  Vgl.  übrigens  jetzt  die  von  Hüsing  gegebene  Anregung  zur  Deutung  dieses  Mythos  in  seinem  Aufsatz  „Zur  Binde 
mit  der  Atlasdecke"   im   Mitra,  Hoit  2,  p.  42  fg.  Sehr  möglich,  daß  wir  in   dieser  Hirschkuh    den    gehörnt  gedachten  Licht- 


Herakles  und  Ixdka. 


49 


sieht,  daß  die  stymphalischen  Vögel  .Sturm  und 
Ungewitter,  die  Merkmale  des  Winters'  bedeuten. 
Doch  auch  hier  bleibt  einige  Unklarheit  übrisr. 
Es  sind  wilde,  ,mensclienfressende  A^ögel  mit 
eisernen  Schwingen,  mit  Federn,  die  so  spitz  und 
scharf  wie  Pfeile  waren.")  Herakles  scheucht  sie 
durch  Lärm  auf,  tötet  einen  Teil  und  vertreibt  die 
anderen.  Obwohl  ich  nun  eine  deutliche  Parallele 
zu  dieser  Sage  bei  Indra  nicht  nachzuweisen  im- 
stande bin,  möchte  ich  doch  auf  einen  merkwür- 
digen Vers  des  Rigveda  hinweisen,  der  uns  In- 
dra ebenfalls  in  Verbindung  mit  seltsamen  men- 
schenfressenden Vögeln  zeigt.  Leider  ist  die  Stelle 
wie  das  ganze  Lied,  in  dem  sie  sich  findet,  recht 
dunkel,  ich  meine  RV  10, 27,  22:  .An  jedem  Baume 
angebunden  brüllt  die  Kuh;  von  dort  sollen  (oder 
werden)  vorwärts  fliegen  die  menschenfressenden 
Vögel  (vayah  purusliadah) ;  da  fürchte  sich  diese 
ganze  Welt:  man  keltere  dem  Indra  und  helfe  dem  Ri- 
slii.'  —  Weder  über  diese  Kuh,  noch  über  diese 
bösartigen  Vögel  läßt  sich  irgend  etwas  Bestinuutes 
sagen.  Doch  scheint  es  aus  dem  Verse  hervorzu- 
gehen, daß  Indra,  richtig  verehrt,  die  Welt  vor  diesen 
Vögeln  zu  schützen  vermag.  An  einer  andern  Stelle 
des  Rigveda  wird  Indra  angefleht,  seltsame  vogelge- 
staltige  Dämonen  zu  vernichten,  vor  ihnen  zu 
schützen.  Es  heißt  RV  7,  104,  22:  ,Den  Eulen- 
dämon, den  üliudämon,  töte  du,  den  Hundedämon 
und  den  Kuckuckdämon  !  Den  Adlerdämon  und  den 
G-eierdämon  zermalme  du  wie  mit  einem  Mühl- 
stein, schütze,  o  Indra  I'  —  Es  ist  gewiß  n  ich 
unmöglich,  daß  zwischen  diesen  vogelgestaltigen 
Dämonen,  den  menschenfressenden  Vögeln  des 
Riin-eda,  vor  denen  Indra  schützt,  und  den  stym- 
phalisclien  menschenfressenden  Vögeln,  die  He- 
rakles tötet  oder  vertreibt,  ein  Zusammenhang 
besteht,  doch  gelangen  wir  hier  zu  keiner  vollen 
Sicherheit. 

Wesentlich  anders  steht  die  Sache  denn  doch 
bei  der  Geschichte  vom  Stalle  des  Augeias  und 
seiner  Reinigung  durch  Herakles.  Sie  verdient  da- 
her eine  nähere  Betrachtung. 

Augeias  ist  ein  m^^thischer  Fürst  in  Elis, 
dessen  Name  ihn  als  den  Strahlenden  zu  be- 
zeichnen scheint.  Er  wird  ein  Sohn  des  Helios 
fi-enannt  und   es   heißt,  daß  Strahlen   von  seinem 


Auge  ausgingen.  Sein  Schatzhaus  war  so  be- 
rühmt wie  dasjenige  des  Minyas  und  vor  allem 
soll  er  einen  fabelhaften  Reichtum  an  Herden 
besessen  haben.  ,Es  sind  Lämmer  und  Rinder, 
zahllos  wie  die  Wolken  am  Himmel,  darunter 
zwölf  dem  Helios  geweihte  Stiere,  die  so  weiß 
wie  schimmernde  Schwäne  sind,  einer  heißt  Phae- 
ton,  der  wie  ein  Stern  funkelt.  Das  Gehöfte  lag 
am  Flusse  Menios.  Die  Aufgabe  des  Herakles 
war.  die  unendlichen  Stallunsren  an  einem  Tage 
und  ganz  allein  auszumisten.  Er  erreicht  es  da- 
durch, daß  er  eine  Öffnung  in  der  Grundmauer 
macht  und  darauf  jenen  Fluß  so  abgräbt,  daß  er 
hindurchströmt.  Es  wird  noch  erzählt,  daß  Au- 
geias ihm  vorher  den  zehnten  Teil  versprochen, 
sich  aber  hernach,  weil  er  sein  Werk  doch  nur 
als  Dieustmann  des  Eurystheus  getan,  dessen  ge- 
weigert.' Dadurch  wird  der  spätere  Krieg  des 
Herakles  gegen  Elis  motiviert.^). 

Preller  fügt  noch  hinzu:  ,Jene  Herden  des 
Augeias  mögen  ursprünglich  wie  die  des  Minos 
auf  Kreta  die  himmlischen  Heerscharen  der  Ge- 
stirne, ihr  Mist  den  Unrat  des  Winters  bedeutet 
haben,  dessen  Gewölk  und  Nebel  das  schöne  Ge- 
höft des  Himmels  ganz  bedeckt  und  entstellt. 
Herakles  schafft  eine  Öffnung  dadurch,  daß  er 
eine  Rinne  macht  und  mit  einer  reißenden  Strö- 
mung hindurchfährt;  vgl.  Hiob  38,  25  :  Wer  hat 
dem  AVasserguß  die  Rinne  geöffnet  und  dem  don- 
nernden Blitze  den  Weg?' 

Wir  können  diese  Deutung  zunächst  auf  sich 
beruhen  lassen,  sehr  bemerkenswert  aber  erscheint, 
daß  das  Graben  der  Wasserrinne,  des  Kanals, 
der  hier  aus  dem  Flusse  Menios  in  den  Kulistall 
des  Augeias  führt,  durch  eine  anderweitige  ähn- 
liche Tätigkeit  des  Herakles  in  interessanter  Weise 
beleuchtet  und  gleichsam  ins  Allgemeine  erho- 
ben wird.  Vor  allem  wurde  Herakles  in  der  arkadi- 
schen Stadt  Pheneos  als  Held  und  Wohltäter  der 
Gegend  gefeiert.  Man  nannte  ihn  ,den  Urheber 
jener  unterirdischen  Abzüge,  die  diesen  tiefen 
Talkesseln  anstatt  eines  regelmäßigen  Abzuges 
der  leicht  stagnierenden  Gewässer  dienen  muß- 
ten'.^) Man  rühmte  sich  an  jenem  Orte  .eines 
längeren  Aufenthalts  und  verschiedener  Arbeiten 
und  Stiftungen  des  argivischen  Helden,  namentlich 


raond  zu  erkennen  haben.  Es  wird  dann  nur  die  ursprüngliche  Zeit  des  Jagens  sich  auf  einen  Monat  bescliränkt  haben  müssen 
und  erst  später  auf  ein  Jahr  verlängert  sein,  als  Sonne  und  Sonnenjahr  sich  in  den  Vordergrund  drängten,  und  dem- 
entsprechende  Übertragungen  auch  im  Mythus  stattfanden.  Dann  wäre  aus  dem  alten  Mondhirsch  später  ein  Sonnenhirgch 
geworden. 

')  Vgl.  Preller.  a.  a.  O.  II  p.   197. 

»)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  p.  199. 

»)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  198. 
Denkschriften  der  phil.-hist.  Kl.  58   Bd.  3.  Abb. 


50 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoedee. 


der  Anlage  der  für  die  Kultur  seines  eng  ver- 
schlossenen Tales  überaus  wichtigen  Katabothrou'.i) 
Das  Wort  bedeutet  , Grube,  Graben,  Brunnen, 
Höhlung"  und  bezeichnet  hier  jene  unterirdischen 
Abzüge,  die  das  angestaute  Wasser  ableiteten. 
Das  Graben  von  Wasserrinnen  und  Abzugskanälea 
ist  also  eine  dem  Herakles  zugeschriebene,  von  ihm 
als  Kulturheros  gerühmte  Tätigkeit,  die  er  bei 
längerem  Aufenthalt,  namentlich  in  der  Gegend 
von  PheucüS,  geübt  haben  soll.  Diese  Gegend  ist 
aber  nicht  nur  Elis,  dem  Lande  des  Augeias  be- 
nachbart, sie  wird  mit  der  Augeiassage  noch 
dadurch  enger  verbunden,  daß  Herakles  angeb- 
lich seinen  Rachekrieg  gegen  Elis  und  König 
Augeias,  wegen  der  ihm  widerrechtlich  vorent- 
haltenen Rinder,  des  seinerzeit  ausbedungenen 
Lohnes  für  die  große  Stallreinigung,  von  der 
Stadt  Pheneos  aus  geführt  haben  soll.-)  Der  ge- 
feierte Kanalgräber  wollte  seinen  Lohn  für  den 
in  Augeias'  Stall  geleiteten  Wasserkanal  nicht 
gutwillig  fahren  lassen. 

Wenn  manche  auch  ,den  Durchbruch  beim 
Olymp  und  Ossa,  die  erste  Bedingung  der  Kultur 
von  Thessalien,  welche  sonst  dem  Zeus  zuge- 
schrieben wurde,  ein  Werk  des  Herakles  nannten 
und  wenn  dieser,  in  verschiedenen  Gegenden  auch 
als  Quellengott,  d.  h.  als  ^^^uffinder  süßer  und  befruch- 
tender Quellen  und  als  Freund  der  Nymphen  verehrt 
wurde', ^)  dann  scheint  auch  hierin  ein  verwandtes 
Wirken  vorzuliegen.  Vor  allem  aber  charakteristisch 
ist  für  Herakles  das  eben  erwähnte  Graben  von 
Wasserrinnen  und  Kanälen. 

Wohl  mit  Recht  hat  Preller  jene  Hiobstelle 
(s.  oben  p.  49)  als  Parallele  zum  Vergleich  her- 
angezogen und  damit  auf  den  Wasserguß  und 
-fluß  heim  Gewitter  hingewiesen.  Weit  näher 
aber  liegt  hier  der  Vergleich  mit  der  so  oft  ge- 
rühmten Heldentat  des  Gewittergottes  Indra,  und 
hier  beschränkt  sich  die  Parallele  nicht  bloß  auf 
das  Graben  der  AVasserriimen. 

Die  Arbeit,  welche  Herakles  im  Interesse 
des  Augeias  leistet,  zerfällt  im  wesentlichen  in 
zwei  Teile:  1.  Er  bricht  den  Stall  des  Augeias  auf, 
macht  eine  Öffnung  in  die  Grundmauern  desselben; 
2.  er  gräbt  eine  Wasserrinne  und  leitet  durch  die- 
selbe das  Wasser  in  den  Stall,  um  den  Mist  der 
Herden  fortzuschwemmen.  Beide  Teile  dieser  Tä- 
tigkeit, das  Erbrechen  des  Stalles  wie  das  Gra- 
ben der  Wasserrinne,  sind  höchst  charakteristische 
und  oft  gerühmte  Taten  des  Indra.    Ein  wesent- 


licher Unterschied  besteht  nur  darin,  daß  He- 
rakles den  Wasserkanal  in  den  Stall  iiineinleitet, 
während  Indra  den  Stall  erbricht,  um  das  Wasser 
aus  demselben  herauszuleiten,  einen  Abzug  des 
in  dem  Stall  angestauten  Wassers  zu  schaffen, 
wie  Herakles  solche  Abzüge  in  den  Katabothren 
von  Pheneos  hergestellt  haben  soll.  Wie  die 
Sage  in  Griechenland  dazu  kam,  diese  Differenz 
zu  entwickeln,  wie  die  letztere  ganz  leicht  und 
natürlich,  ja  fast  mit  Notwendigkeit  sich  eut- 
vv'ickeln  mußte,  ^xill  ich  gleich  weiter  imten  zu 
zeigen  suchen.  Vorerst  sei  es  mir  nur  noch  ge- 
stattet, jene  doppelte  Tätigkeit,  das  Erbrechen 
des  Stalles  und  das  Leiten  des  Wassers,  das  Gra- 
ben der  Wasserrinnen  im  Indramythus  durch  einige 
Belege    zu  erhärten    und  anschaulich  zu  machen. 

Das  Öffnen  oder  Aufbrechen  eines  in  der  Him- 
mels-, respektive  Wolkenregion  befindlichen  Stalles 
ist  eine  wohlbekannte,  gerüiimte,  typische  Heldentat 
des  Indra.  Kein  Zweifel,  daß  dieser  , Stall'  nichts 
anderes  ist  als  der  sonst  oft  genug  genannte  Wol- 
kenberg (pärvata)  oder  die  Höhle  (väla),  die  Burg 
(pur),  die  Indra  aufbricht  oder  spaltet,  um  die 
darin  gefangen  gehaltenen  Rinder  zu  befreien. 
Diese  Rinder  erscheinen  bald  als  die  Wolken- 
wasser, respektive  als  mythische  Wesen,  deren 
Milch  die  Regenwasser  sind,  bald  wieder  als  die 
Sonnenstrahlen,  das  Himmels-  oder  Sonnenlicht, 
also  Sonnenrinder,  ähnlich  denen,  die  sich  im 
Stall  des  Augeias  befunden  haben  sollen.  Diese 
doppelte  Auffassung  der  respektiven  mythischen 
Tiere  steht  ganz  im  Zusammenhang  mit  der  schon  oft 
erwähnten  doppelten  Heldentat  des  Indra,  die  sich 
als  Gewinnung  des  Regens  und  des  Sonnenlichtes 
zugleich  charakterisiert.*)  Die  Tiere  des  Stalles, 
den  Indra  erbricht,  sind  meist  als  Rinder  be- 
zeichnet, neben  den  Rindern  aber  erscheinen  mehr- 
fach auch  Rosse.  Von  Lämmern,  wie  sie  der  Au- 
geiasstall  neben  den  Rindern  enthält,  selieint  liier 
nicht  geredet  zu  werden. 

, Öffne  den  Stall  der  Rinder,  o  Indra!'  fleht 
der  Sänger;  ,ersiege  du  die  Wasser  samt  dem 
Himmelslicht,  schüttle  du  uns  die  Rinder  zu!- 
(RV  1,  10,  7.  8).  Ich  tötete  den  Vritra  mit  dem 
Donnerkeil,  ich  erschloß  mit  Macht  den  Stall  für 
den  Verehrer',  —  rühmt  sich  Indra  (RV  10, 
28,  7).  ,Du  bist  der  Eröffner  des  Stalles  der  Rin- 
der', ruft  der  Sänger  (RV  4,  20,  8).  Und  an  einer 
andern  Stelle:  ,Das  ist  seit  alters  deine  prei- 
senswerte  Tat,  daß  du,  o  Indra,  für  die  Aiigiras 


')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  238. 
=>)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  11  p.  274. 


ä)  Vgl.  Preller.  a.  a.  0.  11  p.  238. 

*)  Vgl.  Macdonell,  a.  a.  O.  p.  59.  Gl.   Audi  Mitra,  Heft  1,  p.  21.  22. 


Herakles  und  Indra. 


51 


den  Stall  geöffnet,  helfend  den  Stall  g-eöffnet  hast' 
(RV  1,  132,  4).  Bald  ist  es  Bitte  —  denn  die  Tat 
wiederholt  sich  fort  und  fort  — ,  bald  ist  es 
Preis  der  vollbrachten  Tat:  ,Den  Stall  des  Rin- 
des und  des  Rosses  sollst  du,  o  Held,  erbrechen 
(aufbrechen,  spalten)  wie  eine'  Burg!'  (püram 
nä  füra  darshasi  RV  8,  32,  5).  „Zum  rinderrei- 
chen Stall  soll  der  Dämonentöter  gehen,  mit 
seiner  Kraft  ihn  uns  eröffnen'  (RV  6,  45,  24). 
.Mit  Liedern  klug  des  Himmels  Fels  eröffnend 
—  erschloß  er  die  im  Stall  befindlichen  (Kühe), 
es  ging  hervor  das  Himmelslicht,  der  Gott  er- 
schloß die  menschenfreundlichen  Türen,  als  Sonnen- 
glanz tat  auf  die  Sonne  iiire  Schönheit,  es  kam 
aus  dem  Stall  die  kundige  Mutter  der  Kühe,  die 
Flüsse  wogen  über  die  Flächen,  — ,  wie  eine 
wohlerrichtete  Sänle  ward  der  Himmel  fest" 
(RV  5,  45,  1.  2).  ,Mit  Indra  als  Genossen  haben 
die  Boten  (die  Angirasen)  den  Rinder  und 
Rosse  enthaltenden  Stall  entleert'  (RV  10, 
62,7).^) 

,Nicht  hinderte  dich,  du  vielgerufener,  der  tiefe 
Strom,  nicht  die  Felsen  rund  herum,  als  du,  o 
Indra,  den  festen  Kuhstall  erbrächest'  (RV  3,  32, 
16).^)  ..Den  Fels  zerblitztest  du  mit  Macht,  fan- 
dest auf  den  Stall  der  rötlichen  Kühe"  (RV  5, 
30,  4).  , Trink  den  Soma,  den  du,  Gewaltiger, 
erbohrtest,  den  Stall  der  Rinder,  o  Indra,  der  du 
hoch  gepriesen  bist"  (RV  6,  17,  1).  ^)  Er,  der 
Vritratöter  Indra,  erschüttert  den  Verschluß  des 
Stalles  der  Rinder  (RV  8,  55,  3).  ,Die  Menschen 
rühmen  das  von  dir,  o  Indra,  die  sich  den  rin- 
derreichon  Stall  erbohren  wollen.'*)  (RV  10, 
74,4). 

Ebenso  typisch,  ebenso  sicher  bezeugt  für  In- 
dra wie  das  Aufbrechen,  Öffnen,  Erbohren  des 
Kuhstalls  ist  das  Leiten  der  Wasserströme,  das 
Fließenmachen,  Bahnnincheu,  das  Ritzen,  Auf- 
reißen, Aufgraben  von  Rinnen  oder  Kanälen  für 
den  Fluß  der  Gewässer,  die  er  aus  ihrem  Ge- 
fängnis, ihrem  Verschluß  oder  Versteck  befreit. 
Diese  Wasserströme  sind  ohne  Zweifel  ursprüng- 


lich und  an  den  meisten  Stellen  des  Veda  die 
himmlischen  Gewässer,  die  der  Gewittergott  rinnen 
läßt,  aber  es  sind  auch  ebenso  gewiß  gelegentlich 
irdische  Flüsse  damit  gemeint.  Oldenberg  ist  so 
weit  gegangen,  diese  Tat  des  Indra  überhaupt  auf 
irdische  Ströme  beschränken  zu  wollen,  jedenfalls 
mit  Unrecht,  doch  darf  man  für  manche  Stellen 
des  Veda  solche  Bedeutungais  gesichert  betrachten.^) 
^A'ir  sehen  da  in  partieller  Weise  denselben  Pro- 
zeß durchgeführt,  respektive  sich  anbahnen,  der 
in  Griechenland  in  so  ausgedehntem  Maß  statt- 
gefunden hat  und  auch  für  das  Anlegen  von 
Wasserleitungen  und  Kanalbauten  bei  Herakles 
gilt:  die  Versetzung  ursj)rünglich  im  Himmels- 
raume  gedachter  Vorgänge  auf  die  Erde,  ihre 
Lokalisierung  an  bestimmten  Oi'ten  und  Gegen- 
den, die  dazu  einen  passenden  Anhaltspunkt 
bieten. 

Mehrfach  wird  bei  der  Schilderung  dieser 
Tätigkeit  des  Indra  die  W^urzel  rad  angewendet, 
die  so  viel  bedeutet  wie  Vertiefungen  machen 
durch  Ritzen,  Kratzen,  Beißen.  Aufreißen,  Hacken, 
Graben ;  eine  Bahn  schürfen,  insbesondere  für 
Ströme  die  Bahn  machen,  eigentlich  also  auf- 
reißen, wie  man  Rinnen  oder  Gräben  reißt  (vgl. 
lat.  rädere  und  rodere,  rastrum  u.  a.  m.).  So  ist 
RV  7,  47,  4  von  den  Wassern  die  Rede,  denen 
Indra  die  Bahn  riß  (yäbhya  indro  i'iradat  gätum), 
ähnlich  RV  7,  49,  1  von  den  göttlichen  oder  himm- 
lischen Wassern,  denen  der  Donnerkeilträger  In- 
dra die  Bahn  riß  (indro  yä  raräda).  ,Jetzt  ist 
und  bleibt  nur  dieses  Werk  der  Ströme,  daß  du, 
olndra,  ihnen  die  Bahn  gerissen', heißtesRV6, 30,3, 
und  weiter,  die  gewaltige  Bedeutung  des  Werkes 
schildernd  (v.  5) :  ,Du  hast  des  Wassers  Tore 
nach  allen  Seiten  hin,  hast,  o  Indra,  des  Berges 
Feste  gebrochen ;  so  wurdest  du  König  der 
Welt  und  der  Menschen,  erzeugtest  zugleich  die 
Sonne,  den  Himmel,  die  Morgenröte.'  Etwas  an- 
ders RV  4,  19,  2:  ,Du  schlugst  den  Drachen,  der 
die  Flut  umlagerte,  rissest  die  Bahnen  für  alle 
die    Kühe',    —    wo    unter    den    Kühen    natürlich 


')  Auch  .Soma,  der  ja  den  Indra  zu  seiner  Tat  stiirkt  und  begeistert,  wird  als  Erbreclier  des  Stalles  der  Rinder 
und  Rosse  gepriesen,  respektive  dazu  aufgefordert ;  auch  er  hat  die  rötlichen,  die  Wasser-Kühe  aus  dem  Fels  gespalten 
(RV  9,  108,  6). 

')  driijhärn  cid  arujo  gävyara  firräm;  in  den  zuerst  angeführten  Stellen  wird  der  Stall  als  vrajä,  in  dieser  und  den 
folgenden  als  iirvA  bezeichnet. 

')  Das  Erbohren  des  himmlischen  Soma  und  des  lv\ihst;\lls  fallt  offenbar  zusammen,  da  dieser  Souia  und  die  Milch 
der  WolUenkühe  eins  und  dasselbe  ist. 

*)  abh{  —  titritsän.  —  Der  Kuhstall  öffnet  sich  wohl  auch  gelegentlich  schon  aus  Furcht  vor  Indras  Schlag,  vgl. 
RV  3,  30,  10  alätrinö  valä  indra  vrajö  göh  purä  häntor  bhi'iyamäno  vyära. 

*J  Vgl.  Oldenberg,  Religion  des  Veda  p.  140  fg.;  Maodonell  a.a.O.  p.  59.  60;  und  früher  schon  meine  .Bemerkungen 
zu  Oldenbergs  Religion  des  Veda',  WZKM  Bd.  IX,  p.  2.30—233. 


52 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoedek. 


auch  wieder  die  Wasser  zu  verstehen  sind.  Deut- 
lich aber  haben  wir  es  mit  irdischen  Strömen  zu  tun, 
wenn  in  dem  berühmten  Liede  RY  3,  33  die  bei- 
den Flüsse  Yipa?  und  Outudri  mit  dem  Sänger 
reden  und  zu  ihm  sagen  (v.  6) :  ,Den  Blitz  im  Arm 
riß  Indra  uns  die  Bahn,  erschlug-  den  Vritra, 
der  die  Strome  einschloß'  (s.  auch  10,  89,  7). 

Die  Rinnen  oder  Betten,  in  denen  Indra 
die  Wasser  laufen  läßt,  die  er  für  sie  bereitet, 
werden  öfters  mit  dem  Ausdruck  kha,  plur. 
khani  bezeichnet.  Dies  Wort  kommt  von  der 
Wurzel  klian  ,graben'  und  bedeutet  soviel  wie 
Loch,  Rinne,  Röhre,  Kanal,  —  eigentlich  offen- 
bar der  durch  Graben  gewonneiae  freie  Raum 
innerhalb  eines  festen  Körpers.  Indra  erbohrt,  er- 
bricht, eröffnet  mit  seinem  Donnerkeil  solche 
Rinnen  für  die  Wasser  in  dem  Wolkenberg,  der 
zugleich  in  dem  Bilde  eines  Kuhstalls  vorge- 
stellt wird,  aljer  auch  in  irdischen  Bergen.  Er 
hat  mit  dem  Donnerkeil  die  Rinnen  der  Ströme 
erbohrt,  heißt  es  in  dem  Indraliede  RV  2,  15,  3.^) 
Dabei  ist  auch  das  hier  und  öfters  in  diesem  Zu- 
sammenhang gebrauchte  Verbum  ,erboliren'  (tard, 
trid)  charakteristisch,  da  es  schon  an  sich  das 
Herstellen  einer  Öffnung,  Rinne  oder  Röhre  an- 
deutet. Es  heißt  auch  von  Indra  und  Varuna,  die 
ja  oft  zusammen  genannt  werden,  sie  hätten  die 
Löcher,  die  Rinnen  oder  Kanäle  der  Wasser  er- 
bohrt (RV  7,  82,  3).")  Aber  auch,  wenn  einfacher 
von  Indra  gesagt  wird,  er  habe  die  Ströme  er- 
bohrt (atrinat  siräh  RV  4,  19,  8),  liegt  diese  Vor- 
stellung zugrunde.  Ebenso  wenn  der  Sänger 
von  den  Rindern  spricht,  mit  denen  er  die 
Wasser  meint:  , Erbohre  die  Rinder,  o  Indra!' 
(RV  6,  17,  3).^)  Oder  wenn  es  heißt,  Indra  habe 
die  Öffnungen,  Rinnen  oder  Kanäle  ,, geöffnet" 
oder  jfließen  gemacht'.  So  z.  B.  RV  4,  28,  1 :  ,In- 
dra  machte  die  Wasser  fließen  zum  Besten  des 
Menschen,  er  tötete  den  ^Uii,  er  ließ  die  sieben 
Ströme  rinnen,  er  öffnete  die  verborgenen  Löcher 
(Rinnen  oder  Kanäle).'-*)  Oder  RV  5  32,  1:  ,Du 
hast  den  Quell  erbrochen,  machtest  fließen  die 
Rinnen,  als  du,  o  Indra,  den  großen  Berg  eröff- 
netest und  fließen  machtest  die  Ströme.'^) 

Man  wird  daher  Macdon  oll  nur  recht  geben 
können,  wenn  er  von  Indra  sagt:  he,  dug  out 
Channels  for  the  streams  with  his  bolt'  oder  ,made 
a  Channel  for  the  rivers,  pierced  the  mountain'  etc.^) 


Es  liegt  aber  auch  auf  der  Hand,  wie  deutlich  sich 
diese  Tätigkeit  des  Indra  mit  derjenigen  des  He- 
rakles deckt,  der  die  Katabotliren  bei  Pheneos 
hergestellt  und  den  Wasserkanal  zum  Stalle  des 
Augeias  gegraben  haben  soll.  Und  dies  noch  um 
so  deutlicher,  wenn  es  sich  auch  bei  Indra  bis- 
weilen, vielleicht  öfters  um  das  Leiten  irdischer 
Wassermassen  in  ihren  Betten  handelt. 

Für  die  Katabothren  von  Pheneos  liegt  die 
Verwandtschaft  klar  am  Tage.  Sie  springt  aber 
bei  der  Geschichte  vom  Stalle  des  Augeias  inso- 
fern noch  mehr  in  die  Augen,  als  sich  hier  jene 
beiden,  für  Indra  so  charakteristischen,  zusammen- 
gehörigen Taten  —  das  Aufbrechen  des  Kuh- 
stalls und  das  Herstellen  der  Wasserleitung  — 
miteinander  organisch  verbunden  zeigen.  Sie 
tritt  auch  in  dem  LTmstande  hervor,  daß  die  Ar- 
beit des  Herakles  im  Interesse  des  Augeias  ge- 
schieht. Denn  Augeias,  der  Strahlende,  aus  dessen 
Augeu  Strahlen  hervorgehen,  der  ein  Sohn  des 
Helios  genannt  wird,  kann  kaum  etwas  andres 
sein  als  eine  Hypostase  des  Sonnengottes,  zumal 
dies  noch  durch  seine  zwölf  dem  Helios  geweihten 
Stiere,  unter  denen  sich  der  glänzende  Stier  Pliae- 
ton  befindet,  zur  Genüge  weiter  bestätigt  wird. 
Indra  aber  tut  ja  seine  große  Heldentat  nicht 
nur  zur  Befreiung  der  himmlischen  Wasser,  son- 
dern ebenso  im  Interesse  des  himmlischen  Lichts, 
das  er  befreit,  gewinnt,  erobert,  den  Menschen 
schenkt.  Die  große  und  wesentliche  Differenz  des 
indischen  und  des  griechischen  Mythus  liegt  nur 
in  dem  Umstände,  daß  die  Arbeit  des  Herakles 
zur  Reinigung  der  StäUe  des  Augeias  geschieht 
und  daß  er  zu  diesem  Zwecke  das  Wasser  in 
den  Stall  hineinleitet,  wovon  bei  Indra  nicht  die 
Rede  ist,  der  vielmehr  die  Wasser  aus  dem  Stalle 
herausleitet,  die  Wasser  und  die  Kühe  aus  dem 
Stalle  befreit,  —  die  Kühe,  die  bald  selbst  als 
die  Wasser,  bald  als  himmliche  Lichterscheinungen 
sich  bekunden.  Diese  Differenz,  die  wir  durchaus 
nicht  kleiner  machen  wollen,  als  sie  tatsächlich 
ist,  erklärt  sich,  wie  ich  glaube,  in  durchaus  be- 
friedigender Weise  durch  den  mehrfach  erwähnten 
Umstand,  daß  in  Griechenland  die  Vorgänge  der 
Wolkenregion  auf  der  Erde  lokalisiert  worden 
sind,  daß  aus  dem  himmlischen  Stall  ein  irdischer, 
der  Stall  eines  Königs  von  Elis  geworden  war. 
Hier  konnte    nun    nicht    weiter    von    Gräben  und 


')  väjrena   khäny   atrinan  uadinam. 

')  RV  6,  17,  3:  ablii  gä  indra  trindhi. 

')  RV  5,  32,  1:  ddardar  ütsam  asrijo  vi  kliAiii  usw. 

';  Vgl.  Macdonell,  a.  a.  O.  ]..  59.   60. 


'')  RV  7  8-2,  3:  änv  apäm  khäny  atyiiitam  öjasä. 
■■j  RV  4,  28,  1 :  äpävrinod  äpüiiteva  khani. 


Heeakles  und  Ikdea. 


53 


Kanälen  erzählt  werden,  durch  welche  befruch- 
tendes AA'asser  aus  dem  Stalle  herausgeleitet  wurde. 
Eine  solche  Erzählung  mußte  notwendigerweise 
bei  der  Lokalisierung  des  Mythus  auf  Erden  zur 
handgreiflichen  Absurdität  werden.  Doch  das  Auf- 
brechen des  Stalles  und  das  Graben  der  Wasser- 
rinne in  Verbindung  mit  dieser  gewaltsam  ge- 
wonnenen Öffnung  waren  uralte  Elemente  des 
Mythus,  die  weiter  lebten,  obwohl  sie  nun  nicht 
mehr  wie  in  Indien  einen  unmittelbar  verständ- 
lichen Sinn  hatten. 

Es  muLke  hier  ganz  naturgemäß  und  fast  not- 
wendigerweise beim  Weiterleben  der  Sage  vom 
Stall  und  vom  Wasserkanal  ein  andrer,  einleuch- 
tender, jedermann  begreiflicher  Sinn  hineingebracht 
werden,  es  mußte  ein  Motiv  für  die  überlieferte 
Großtat  des  Helden  sich  finden.  Und  da  lag  es 
sicherlich  gar  nicht  so  ferne,  das  Wasser  des 
Kanals  nicht  mehr  aus  dem  Stalle,  sondern  in  den 
Stall  hineinfließen  zu  lassen  und  als  Zweck  dieser 
Handlung  die  Reinigung  des  Stalles  von  dem  Mist 
seiner  massenhaften  Herden  anzunehmen.  So 
war  dies  zwar  eine  des  großen  Helden  nicht 
sehr  würdige,  dafür  aber  ganz  wohl  verständliche 
Tat  geworden,  die  an  ihrem  Teil  wohl  dazu  bei- 
tragen mochte,  jene  griechische  Vorstellung  schaffen 
zu  helfen,  nach  welcher  Herakles  einen  so  her- 
vorragenden Teil  seiner  Taten  im  Banne  einer 
unwürdigen  Dienstbarkeit  auszuführen  gezwun- 
gen ist. 

Eine  kosmische  Deutung  des  Mistes  der 
Augeias-Kiuder  und  seiner  Wegsehaffung  durch 
Herakles,  wie  Preller  sie  versucht,  bedürfen  wir 
unter  diesen  Umständen  natürlich  gar  nicht.  Dieser 
Mist  und  die  Reinigung  des  Stalles  haben  sich 
uns  ja  bereits  als  ätiologische  Erfindung  einer 
Zeit  enthüllt,  in  welcher  der  alte  Mythus  seinen 
ursprünglichen  kosmischen  Boden  bereits  endgültig 
verlassen  und  verloren  hatte,  zur  griechischen 
Lokalsage  geworden  war. 

Es  scheint,  daß  die  Gegenden  von  Pheneos 
und  Elis,  durch  die  Sage  selbst  enger  verbunden, 
speziell  die  alte  mythische  Vorstellung  vom  Kanal- 
graben und  Wasserleiten  des  Herakles  aufbewahr- 


ten, während  in  Argolis  namentlich  die  Tötung 
von  Ungeheuern,  des  Löwen,  der  Hydra,  mit 
Regenzauber  verbunden,  sich  erhalten  und  lokali- 
siert hatte.  Andre  Gegenden  bevorzugten  andre 
Züge  der  überreichen  Heraklessage.  Der  Kuh- 
stall begegnet  uns  außer  in  Elis  auch  sonst  noch 
vielfach,  wenn  auch  in  ganz  anderer  Wendung 
des  Mythus,  als  ein  Herausholen  der  Rinder  aus 
ihrem  Stall,  respektive  der  Höhle,  in  der  ihr  Be- 
sitzer sie  hält,  ein  Gewinnen  und  Erobern  dieses 
kostbaren  Besitzes.  Ein  Nachklang  dieses  dem 
Indramythus  so  sehr  charakteristischen  Zuges  ist 
trotz  der  totalen  Motivenänderung  vielleicht  auch 
noch  in  der  Augeiasgesehichte  zu  erkennen.  Hera- 
kles hatte  sich  als  Lohn  für  seine  Arbeit  den 
zehnten  Teil  der  Herden  ausbedungen,  aber  An- 
gelas weigert  ihm  später  die  Erfüllung  dieser  Be- 
dingung, mit  der  schimpflichen  Begründung,  er 
habe  das  Werk  doch  nur  als  Dienstmann  des 
Eurystheus  getan. ^)  Dies  ist  die  Veranlassung  zu 
dem  Kriege,  den  Herakles  sj>äter  von  Pheneos 
aus  gegen  Elis  und  Angelas  führt,  wo  er  zuerst 
durch  die  heldenhaften  Aktorionen  geschlagen 
wird,  dann  aber  doch  siegreich  ist  und  diese 
Gegner  wie  auch  den  Augeias  selbst  tötet.-)  Er 
erreicht  also  schließlich  seinen  Zweck  in  weitestem 
Maße.  In  dieser  zweiten  Sage  von  Herakles  in 
Elis  hat  sich  augenscheinlich  jener  uralte  Zug  des 
Mythus  erhalten,  der  in  der  Gescliichte  der  Stall- 
reinigung untergehen  mußte,  —  der  Kampf  gegen 
den  Besitzer  des  Stalles,  zum  Zwecke  der  Rinder- 
gewinnung. Dabei  ist  Augeias  zum  Feinde  des 
Herakles  geworden  und  steht  an  der  Stelle,  wo 
bei  Indra  der  böse  Dämon  Ahi-Vritra  steht,  wäh- 
rend er  in  der  Geschichte  von  der  Stallreinigung 
vielmehr  als  der  Sonnengott  erscheint,  in  dessen 
Interesse  der  Held  seine  Tat  ausführt.  So  erhielt 
sich  die  Geschichte  vom  Kampfe  trotz  der  Mo- 
tivenänderung, durch  eine  Spaltung  und  Ver- 
doppelung des  Dramas,  und  sie  war  unter  diesen 
Umständen  auch  kaum  auf  andre  Weise  zu  er- 
halten.-') 

Wenn  auch  das  Herstellen  A'on  Wasserkanälen 
bei  Herakles   auf   die  Gegend    von  Piieneos    und 


')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  199. 

^)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  p.  i31-->39. 

=)  Die  merkwürdige  Gestalt  der  beiden  Aktürionen  oder  Molioiiideu,  die  den  Kulim  haben,  daß  selbst  Herakles  ihnen 
zuerst  weichen  mußte,  würde  es  wohl  verdienen,  besonders  untersucht  zu  werden.  Sie  waren  Zwillinge  und  werden  sogar 
zusammengewachsen  gedacht.  , Immer  .sind  sie  die  Einheit  von  zwei  Personen,  daher  stets  im  Dual  benannt,  "Aztopiow;  und 
MoAiovc  oder  zugleich  'A/.topioivs  MoX'lo/;'  (Preller,  a.  a.  ü.  II  p.  -237).  Diese  sonst  im  Griechischen  nicht  übliche  Art  der  Be- 
zeichnung erinnert  merkwürdig  an  die  bekannten  dualisclien  Dvandvabildungen  von  Götternamen  im  Veda,  von  denen 
jeder  einzelne  im  Dual  steht  und  auch  einzeln  .,rel)raucht  beide  Gestalten  bezeichnet,  z.  B.  miträvarunä,  aber  auch  miträ 
allein 


54 


III.  Abhandluis'g:  Leopold  v.  Scheoedee. 


Elis  beschränkt  erscheint,  so  ^-erden  wir  doch 
Tvohl,  wie  schon  erwähnt,  auch  das  Durchbrechen 
von  Bergen  und  Auffinden  süßer,  befruchtender 
Quellen  als  eine  verwandte  Tätigkeit  hier  ein- 
reihen dürfen,  zu  welcher  sich  reichliche  Parallelen 
im  Indramythus  vorfinden. 

Der  Durchbruch  beim  Olymp  und  Ossa  wird 
für  gewöhnlich  dem  Zeus  zugeschrieben,  von 
manchen  aber  auch  ein  Werk  des  Herakles  ge- 
nannt. ^^'as  in  der  Regel  als  Werk  des  großen 
Gewittergottes  gilt,  wird  also  gelegentlich  auch 
dem  alten  Gewitterriesen  zugeschrieben.  Bei  Indra, 
dem  alten  Gewitterriesen,  der  ganz  zum  großen 
Gewittergott  geworden  ist,  wird  das  Aufbrechen, 
Öffnen,  Spalten  von  Bergen  oft  genug  erwähnt  und 
gepriesen,  es  unterliegt  auch  keinem  Zweifel,  daß 
damit  zunächst  und  in  erster  Linie  Wolkenberge 
gemeint  sind,  wenn  es  sich  wohl  auch  gelegent- 
lich schon  um  irdische  Berge  handeln  mag,  wie 
wir  das  entsprechend  schon  bei  den  Flüssen  wahr- 
genommen haben. 

,Er  spaltete  den  Berg  wie  einen  neuen  Krug', 
heißt  es  von  Indra  (RV  10,  89,  7).i)  ,Er  spaltete 
den  Berg,  mit  Macht  den  Donnerkeil  schleudernd' 
(RV  4,  17,  3).2)  Er  hat  den  breiten,  eine  Höhlung 
enthaltenden  Berg  gespalten,  für  die  Kühe  eine 
Bahn  hinauszugehen.^)  Indra  öffnete  den  großen 
Berg,    ließ    die  Ströme    fließen.*)     Oder   es    heißt. 


auch,  der  Berg  habe  sich  vor  ihm  aufgetan  '') 
u.  dgl.  m. 

Beim  Spalten  des  Berges  aber  findet  und  er- 
schließt Indra  die  befruchtenden  Quellen.  .Du 
erbrachst  den  Quell,  ließest  fließen  die  Rinnen', 
heißt  es  in  einem  oben  angeführten  Verse  (RV  5, 
32,  1),  ,als  du,  0  Indra,  den  großen  Berg  eröffnetest.' 
Und  weiter  (v.  21:  ,Du  ließest  strömen  die  zeit- 
weise eingezwängten  Quellen,  das  Euter  des  Ber- 
ges, du  Donnerkeilträger!'  Es  heißt  von  Indra, 
daß  er  den  Quell  erkämpfe  (RV  1,  121,  8)'') 
u.  dgl.  m. 

Die  Übereinstimmungen  sind  hier  so  deiit- 
lich,  daß  wir  nichts  hinzuzufügen  brauchen. 

Wenn  Herakles  aber  auch  mit  den  Nymphen, 
den  schönen  Quell-  und  Wassergöttinnen  in  Zu- 
sammenhang gebracht  und  als  ihr  Freund  ver- 
ehrt wird,')  dann  werden  wir  wohl  darauf  hin- 
weisen dürfen,  wie  eng  in  der  Mythologie  des 
indischen  Mittelalters  Indra  mit  den  Apsarasen 
zusammengehört,  jenen  schönen  himmlischen 
Wasserfrauen,  die  zweifellos  den  griechischen 
Nymphen  entsprechen. 

Die  Apsarasen  bilden  den  Glanzpunkt  im 
Hofstaat  des  Götterkönigs  Indra.  der  sich  ihrer 
bekanntlich  gern  zu  delikaten  Missionen  bedient. 
Im  Veda  tritt  diese  Beziehung  nicht  hervor,  doch 
kann  sie  nichtsdestoweni£:er  alt  sein. 


Es  folgen  drei  Taten  des  Herakles,  die  wir 
kurz  abmachen  können  und  müssen,  da  ihnen  nur 
wenig  oder  nichts  deutlich  Entsprechendes  bei 
Indra  gegenübersteht. 

Der  kretische  Stier,  den  Herakles  bändigt 
und  nach  Mykenae  bringt,  wird  allgemein  und 
wohl  mit  Recht  als  der  Sonnenstier  gedeutet,  — 
die  Sonne  also  im  Bilde  eines  Stieres  gefaßt.  Man 
könnte   diese    Tat   gewissermaßen    als    Spezialfall 


zu    der    Erbeutung     der 


als    Herden    gedachten 


Sonnenrinder  betrachten,  wie  sie  in  der  Sage  von 
Geryones  und  ihren  zahlreichen  Parallelen,  viel- 
leicht ursprünglich  auch  in  der  Augeiassage,  sich 
ausprägten    und    deutlich    der    Erbeutung    jener 


Rinderscharen  bei  Indra  entsj>rechen,  die  sich  als 
Repräsentanten  des  Sonnenlichts  erweisen.  Man 
könnte  ebenso  im  allgemeinen  die  oft  gerühmte 
Gewinnung  der  Sonne,  des  Himmels-  oder  Sonnen- 
lichts, bei  Indra.  dieser  Tat  des  Herakles  gegen- 
überstellen, und  etwa  zugleich  darauf  hinweisen, 
daß  kaum  ein  Bild  für  große  Göttergestalten 
im  Veda  geläufiger  ist  als  dasjenige  eines  Stieres. 
Allein  dies  alles  darf  die  Tatsache  nicht  ver- 
schleiern, daß  ein  Mythus  von  der  Bändigung 
und  Herbeiholung  des  Sonnenstieres  bei  Indra 
nicht  nachzuweisen  ist.  Nicht  einmal  die  Auf- 
fassung speziell  der  Sonne  als  eines  Stieres  darf 
als    eine    dem  Veda  o'eläufijre  bezeichnet  werden. 


')  EV  10,  89,  7  bibheda  giriin  nävam  fn  nä  kumbhära. 

*)  RV  4,  17,  3  bhinäd  girim   fävasä  väjram  ishi'ian. 

")  RV  8,  45,  .30  yäh  kviiitad  id  ti  yonyäiii   triiji'ikäya  girim   prilhüm,   göbhyo  gätüiii  niretave. 

*)  RV  5,  32,  1   maliaiitam   indra  pärvataip   vi  yäd  Tah,  srijo  vi   dhära  äva  dänaväm  han. 

°)  RV  5,  45,  3  vi  pärvato  jüiita;  dazu  v.  1   divö  vishyänn  ädrim. 

")  RV  1,  121,  8  abhi  yodhäna  ütsam. 

')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  274. 


Herakles  und  Indra. 


55 


wenn  sich  auch  Anklänge  daran  finden  lassen  *) 
und  das  Bild  des  Stieres  hei  vedischen  Gottheiten 
überhaupt  sehr  häufig  ist,  so  daß  es  oft  kaum 
mehr  zu  bedeuten  scheint  als  ein  sehr  starkes 
männliches  Wesen.  Indra  speziell  wird  oft  genug 
als  ein  starker  Stier  gefeiert,  auch  sein  Vorgänger 
Parjanya  als  solcher  geschildert.  Gerade  der 
Sonnenstier,  respektive  die  Sonne  unter  diesem 
Bilde  gedacht,  ist  weniger  bestimmt  erweisbar, 
und  von  einer  Bezwingung  solchen  Stieres  durch 
Indra  hören  wir  vollends  nichts.  Das  einzig  Rich- 
tige erscheint  daher  unter  diesen  Umständen,  die 
Tatsache  festzustellen,  daß  zwar  Elemente,  aus 
denen  ein  solcher  Mythus  sich  bilden  konnte,  dem 
Veda  nicht  fehlen,  desgleichen  Parallelen  all- 
gemeiner Art,  daß  aber  der  Mythus  selbst,  den 
die  griechische  Sage  uns  in  scharfumrissenen  Bil- 
dern vorführt,  in  der  indischen,  speziell  der  ve- 
dischen Mythologie  nicht  zu  finden  ist. 

Da  die  gi-iechische  Sage  hier  mit  großer  Be- 
stimmtheit auf  Kreta  hinweist,  wäre  wohl  auch  die 
Frage  noch  aufzuwerfen,  oh  wir  es  nicht  vielleicht  mit 
einem  ursprünglich  ungriechischen  Mythus  zu  tun 
haben,  wie  solche  doch  vielfach  in  die  griechische 
Mythologie,  speziell  auch  in  die  Heraklessage  ein- 
gedrungen sind  und  sich  wohl  auch  in  der  kreti- 
schen Zeussage  geltend  machen.  Kreta  besaß  ja 
wohl  schon  höhere  Kultur,  ehe  arische  Griechen 
dort  landeten.  Indessen  sind  wir  außerstande, 
diese  Frage  hier  zu  erörtern.  Für  unsere  Zwecke 
genügt  ja  wohl  auch  die  obige  negative  Feststellung. 

Einigermaßen  anders  steht  es  mit  der  merk- 
würdigen Fabel  von  den  menschenfressenden 
Rossen  desDiomedes,  des  thrakischen  Königs, 
dem  Herakles  im  Auftrage  des  Eurystheus  die 
furchtbaren  wilden  Tiere  abgewinnt,  wobei  Dio- 
medes  selbst  umkommt  und  von  Herakles  seinen 
eigenen  Rossen  zum  Fraß  vorgeworfen  wird.^)  Der 
Mythus  weist  uns  nach  Thrakien,  zu  einem  zwar 
barbarischen,  aber  doch  arischen  Völkerstamm.  Hier 
liegt  der  Gedanke  an  etwaige  orientalische  Ein- 
flüsse fern.  Der  Mythus  hat  auch  etwas  selt- 
sam Rohes,  Barbarisches  an  sich.  Einem  nörd- 
lichen   Barbarenfürsten,    einem    Thrax,    gewinnt 


Herakles  die  furchtbaren  Rosse  ab,  deren  schrecken- 
erregende Wildheit  ihrem  Besitzer  wohl  im  Kampfe 
gegen  seine  Feinde  hilfreich  sein  mochte,  denn 
ganz  gegen  die  sonstige  Natur  der  Pferde  stürzten 
sich  ja  diese  unholden  Geschöpfe  auf  Menschen 
und  verschlangen  das  Fleisch  derselben.  Speziell 
wird  als  ihre  Nahrung  das  Fleisch  der  au  die 
thrakische  Küste  Verschlagenen  angegeben. 

Es  mag  dahingestellt  bleiben,  welche  Natur- 
vorgänge der  Vorstellung  von  diesen  seltsamen 
Rossen  des  Diomedes  zugrunde  liegen.  Vielleicht 
hat  Preller  recht,  wenn  er  als  ihre  allegorische 
Bedeutung  die  des  Sturms  und  der  Wogen  ver- 
mutet, wenn  er  in  Diomedes  selbst  einen  Sturm- 
und Winterkönig,  in  seinen  Rossen  die  Sturmrosse 
der  thrakischen  Küste  sehen  will. 3)  Interessant 
ist  hier  für  die  Vergleichung  vor  allem  der  Um- 
stand, daß  wir  im  Rigveda  einen  schönen,  klaren 
und  kräftigen  Hymnus  finden  (RV  6,  46),  in  wel- 
chem Indra  angefleht  wird,  seine  Getreuen  im 
Kampfe  zu  schützen  und  zu  unterstützen,  ihnen 
alle  Kraft,  alle  männliche  Stärke  und  Tüchtigkeit 
von  den  Nachbarvölkern  herbeizuschaffen  und  zu 
schenken,  damit  sie  die  Feinde  im  Kampf  be- 
siegen mögen  usw.  Zum  Schluß  aber  wird  dann 
Indra  selbst  geschildert,  wie  er  bei  solcher  Ge- 
legenheit in  der  großen  Schlacht  die  Renner  an- 
treibt, die  Falken  oder  Adlern  gleich  über  Stock 
und  Stein  dahinjagen,  wie  Ströme  auf  abschüssi- 
ger Bahn  dahineilend,  wie  Vögel  sich  stürzen 
auf  das  Fleisch,  von  dem  Lenker  am  Zügel 
gehalten. 

Das  Lied  ist  wie  aus  einem  Guß,  kraftvoll, 
lebendig,  schön  gedichtet,  bricht  zuletzt  nur  etwas 
unerwartet,  abrupt  ab.  Ich  will  nur  einige  der  vier- 
zehn Verse  und  den  oben  geschilderten  Schluß  an- 
führen: 

1.  Dich  rufen  ja  wir  Sänger  bei  der  Beute- 
gewinnung, dich,  0  Indra.  den  Herrn,  die  Männer 
im  Kampfe  und  auf  der  Rennbahn. 

7.  Was,  o  Indra.  bei  den  Nachbarvölkern  an 
Kraft  und  Stärke  sich  findet,  was  an  Macht  unter 
den  fünf  Menschenstämmen,  all  die  Manneskraft 
zusammen  l)ring  herbei! 


>)  In  einem  Vishuu-Liede,  EV  I,  lö4,  heißt  es  im  letzten  (6.)  Verse:  .Wir  verlangen  zu  euer  beider  Wohnungen  zu 
wehen  wo  vielhöniio-e  unermüdliche  Rinder  wandeln;  dort  strahlt  des  woitschreitenden  Stieres  höchste  Stapfe.'  Von  Sonnen- 
rindern dürfte  hier  wohl  die  Rede  sein.  Der  Stier  (vrishan),  der  sich  aber  auch  als  ,Heng:st'  oder  ,Mann'  übersetzen  läßt, 
dürfte  indessen  Vishi.m  selber  sein,  wie  die  Eigenschaft  des  Weithinschreitens  und  die  Fußstapfe  wolil  beweisen.  —  Vishnu, 
vielleicht  hier  schon  als  Sonnengott  gefaßt.  Der  andre  von  den  beiden  in  jenen  Wolinungen  scheint  Indra  zu  sein  und 
von  Stierbündigung  ist.  wie  man  sieht,  keine  Rede. 

»)  Vgl.  Preller,  a.  a.  0.  II  p.  201. 

»)   Vgl.  Preller,  a.  a.  O   II  p.  201. 


56 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoeder. 


8.  Was  beim  Trikshi,')  du  Gabenreicher,  beim 
Druhyu-Volk,  was  beim  Püru  sich  irgend  an 
mannhafter  Stärke  findet,  das  schenke  du  uns  in 
der  Mänuersclilacht,  die  Feinde  in  den  Kämpfen 
zu  überwinden. 

11.  Sei  uns  zum  Heil,  o  Tndra,  fördre  du  den 
Führer  in  der  Schlacht,  wenn  in  der  Luft  die  ge- 
fiederten Geschosse  mit  scharfer  Spitze  fliegen ; 

12.  Wo  die  Helden  ihre  Leiber  recken,  die 
liebe  Schutzwehr  der  Väter,  da  verleih  du  uns 
selbst  und  unsren  Kindern  Schutz,  ungesehen, 
verscheuche  den  Feind; 

13.  Wenn  du,  o  Indra,  in  rascher  Fahrt  die 
Rosse  antreibst  in  der  großen  Schlacht,  sie,  die 
auf  unebenem  Weg.  auf  krummem  Pfad,  wie  Adler 
dahinschießen; 

14.  Sie,  die  wie  Ströme  auf  abschüssiger  Bahn 
sich  schnell  bewegen,  wenn's  rauschet  nach  dem 
Zuruf  her;  sie,  die  wie  Vögel  sich  stürzen  auf  das 
Fleisch,  gehalten  in  den  Armen  am  Riemen. 

Was  die  Schilderung  der  Rosse  hier  merk- 
würdig macht,  ist  vor  allem  die  AVendung  am 
Schluß:  ,sie,  die  wie  Vögel  sich  stürzen  auf  das 
Fleisch.'  -)  Dem  sprachlichen  Ausdruck  nach 
sind  die  Rosse  hier  nicht  etwa  bloß  mit  Vögeln 
verglichen,  die  sich  auf  ein  Stück  Fleisch  stürzen, 
sondern  die  Worte  besagen  deutlich,  daß  die  Rosse 
hier  wie  Vögel  —  bei  denen  das  ja  wohl  bekannt 
ist  —  sich  auf  das  Fleisch  stürzen,  wobei  unter 
dem  Fleisch,  auf  das  die  Rosse  sich  stürzen,  doch 
wohl  nur  die  feindlichen  Reihen  verstanden  sein 
können. 

Grassmann  übersetzt  ganz  richtig: 

Sie,  die  wie  Vögel  auf  das  Fleisch  sich  stürzen  hin. 
Gefaßt  am  Zügel  mit  dem  Arm. 

Das  ist  ganz  korrekt,  wenn  auch  der  Aus- 
druck es  zuläßt,  das  Fleisch  bloß  auf  die  Vögel 
zu  beziehen.  Dagegen  muß  ich  Ludwigs  Über- 
setzung beanstanden.  Er  sagt:  ,Die  wie  Vögel 
zum  Lockfleisch  angezogen  kommen,  gehalten  im 
Zügel  in  beiden  Armen.'  Das  Wort  ämis  heißt 
nicht  Lockfleisch,  sondern  einfach  Fleisch;  und 
das  Verbum  värvritati,  eine  kräftige  Intensivbil- 
dung, kann  nur  eine  rasche  kräftige  Bewegung 
bezeichnen,  und  wird  hier  wohl  am  besten  durch 
.sich  stürzen'  übersetzt. 


Auf  diese  merkwürdige  Stelle,  wo  wir  Indr.i 
in  der  Schlacht  die  pfeilschnell,  adlergleich  und 
wassersturzgleich  dahinjagenden  Rosse  antreiben 
sehen,  die  sich  wie  Vögel  auf  das  Fleisch  stürzen, 
habe  ich  geglaubt  hinweisen  zu  müssen,  wenn 
von  den  seltsamen  menschenfressenden  Rossen  des 
Diomedes  die  Rede  ist,  die  Herakles  in  Thrakien 
erbeutet.  Doch  bin  ich  weit  davon  entfernt,  den 
Wert  dieser  Parallele  zu  überschätzen  und  einen 
wirklichen  historischen  Zusammenhang  behaupten 
zu  wollen.  Und  die  Möglichkeit  bleibt  ja  doch 
wohl  offen,  bei  der  immerhin  horriblen  Vorstellung 
fleischfressender  Pferde,  daß  der  sprachliche  Aus- 
druck nicht  gar  zu  sehr  auf  die  Goldwage  zu 
legen  ist  und  die  Rosse  vielleicht  doch  nur  wegen 
ihres  pfeilschnellen  Laufes  und  vehementen  Sich- 
stürzens  in  die  Reihen  der  Feinde,  mit  Vögeln 
verolichen  werden,  die  sich  so  auf  ein  erblicktes 
Stück  Fleisch  stürzen. 

Ganz  ohne  Parallele  bei  Indra  ist  ohne  Zweifel 
das  nun  folgende  Abenteuer  des  Herakles:  die 
Gewinnung  des  kraftverleihenden  Gürtels  der 
Amazoneukönigin  Hippolyte.^)  Vielleicht  aber 
ist  auch  dieser  Gürtel  und  seine  Verbindung  mit 
dem  Gewitterriesen  eine  altarische  Vorstellung. 
Es  ist  auf  jeden  Fall  bemerkenswert,  daß  das 
germanische  Gegenbild  des  Indra,  der  Gott  Thorr, 
im  Besitz  eines  ähnlichen  Gürtels  ist,  wie  er 
übrigens  ja  auch  bei  Ares  sich  findet.*)  Von  Thurr 
sagt  Mogk:  ,Um  seine  Lenden  hat  er  den  Kraft- 
gürtel, die  megingjardhar;  durch  ihn  wächst  seine 
Kraft.'  Diesen  Gürtel  erhält  Thörr  auf  der  Fahrt 
zu  dem  gefährlichen  Abenteuer  bei  Geirrödhr  von 
Gridh,  der  Mutter  des  Äsen  Vidhar,  die  ihn  außer- 
dem noch  mit  Eisenhandschuh  und  Zauberstab 
ausgestattet  haben  soU.^) 

Es  scheint,  daß  manche  Lücken,  die  bei  der 
Vergleichung  von  Herakles  und  Indra  unleugbar 
übrigbleiben,  durch  das  Bild  des  nordischen  Thurr 
in  erwünschtester  Weise  ergänzt  werden,  der  als 
ein  dritter  Repräsentant  des  altarischen  Gewitter- 
riesen manches  erhalten  hat,  was  einem  oder  dem 
andern  der  erstgenannten  verloren  gegangen  ist. 
Dazu  mag  auch  der  merkwürdige  Gürtel  gehören, 
der  bei  Indra  fehlt  und  den  auch  Herakles  nicht 
trägt,  den  die  Sage  ihn  aber  doch  der  Königin 
Hippolyte  abgewinnen  läßt. 


')  Merkwürdig  klingt  dieser  Völkern<ime  Trikshi  an  die  Tliraker  an,  den  Thrax,  welchem  Herakles  die  menscben- 
fressenden  Rosse  abgewinnt.  Einen  Zusammenhang  wage  ich  nicht  zu  behaupten,  mache  vielmehr  nur  auf  den  auffallen- 
den Zusammenklang  aufmerksam,  ohne  eine  Erkl.Krung  desselben  geben  zu  wollen.  Der  Name  Trikshi  kommt  nur  einmal 
noch  im  Kigveda,  und  zwar  in  einem  Liedo  an   die  Ai;vinen  vor  (KV  ö,  22,  7). 

"-)  i  ye  väyo  na  värvritaty  amishi.  =)  Vgl.  Preller,  a   a.  O.  II  p.  202.  233—235. 

*)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  I  p.  264  Anm.  4 ;  II  p.  202.  ^)  Vgl.  E.  Mogk,  a,  a.  0.  p.  128.  133. 


Herakles  und  Ixdra. 


57 


Geryones  und  seine  Rinder. 


Eines  der  wichtigsten,  wenn  nicht  geradezu 
das  wichtigste  und  am  meisten  charakteristische 
Abenteuer  des  Herakles  ist  die  Bezwingung  des 
dreiköjjfigen  Riesen  Geryones  und  die  Erbeutung 
der  von  ihm  in  einer  dunklen,  schwer  zueäno-. 
liehen  Höhle  gehaltenen  Rinderherden.  Die  her- 
vorragende Bedeutung  dieses  Mythus  für  das  Ge- 
dankenleben des  griechischen  Volkes  ergibt  sich 
schon  daraus,  daß  derselhe  sich  nicht  an  einem, 
sondern  an  verschiedenen  Orten  des  Landes  lo- 
kalisiert findet,  auch  in  Italien  seinen  Reflex  er- 
halten hat.  Nicht  minder  aus  den  mancherlei 
Varianten  und  mehr  oder  minder  verwandten 
Parallelbildungen  der  Sage,  die  die  weite  Ver- 
breitung, Bekanntheit  und  Beliebtheit  des  zu- 
grunde liegenden  Stoffes  beweisen.  Wir  halten 
uns  zunächst  an  die  Betrachtung  der  geläufigsten 
Form,  in  welcher  diese  Sage  bei  den  Griechen 
erzählt  wurde.  ^) 

Der  Riese  Geryon,  Geryones  oder  Geryoneus, 
dessen  Name  ihn  als  den  Schreier  oder  Brüller 
kennzeichnet,  haust  auf  dem  okeanischen  Eilande 
Erytheia,  dem  , Rotlande',  wie  es  sich  füglich  über- 
setzen läßt.  Er  ist  Herr  von  großen  Rinderher- 
den, üppig  strotzenden  Kühen  und  Ochsen  von 
purpurroter  Farbe,  die  sich  dadurch  schon  als 
Sonnenrinder  erkennen  lassen,  gleich  den  be- 
kannten Herden  des  Helios.  Der  Name  des 
Eilands  deutet  in  gleicher  Richtung.  Diese  Her- 
den finden  in  Erytheia  reichliche  Weide,  sie  wer- 
den aber  von  dem  Hirten  Eurytion,  d.  h.  dem 
Strömer,  und  dem  zweiköpfigen  Hunde  Orthros 
streng  bewacht  und  in  einer  dunklen  Höhle,  die 
ihren  Stall  bildet,  vor  etwaigen  räuberischen  An- 
griffen versteckt  und  geborgen. 

Geryones  wird  als  ein  furchtbares  Ungetüm 
geschildert,  mit  drei  Leibern,  drei  Köpfen,  riesig 
groß  und  stark,  gewappnet  und  mit  Flügeln  ver- 
sehen. Seine  Abstammung  von  Chrysaor,  d.  h. 
wohl  dem  Blitz,  und  der  Okeanine  Kallirrhoe, 
d.  h.  der  Schönströmenden,  scheint  in  meteorische 
Regionen  zu  deuten.  Das  Rotlaud  Erytheia  gilt 
als  ein  Eiland  im  großen  Weltmeere  gegen  Westen 
hin,  außerhalb  der  Säulen  des  Herakles,")  also 
am  oder  im  erdumgürtenden  Okeanos  gelegen.  Man 


wollte  es  später  in  der  Gegend  von  Gades,  in 
Tartessos,  oder  in  der  sogenannten  Baetica  wieder- 
finden, doch  gab  es,  wie  schon  erwähnt,  auch 
andre  Lokalisationen  in  Griechenland  selbst.  Die 
Lage  im  äußersten  Westen  deutet  natürlich  auf 
Sonnenuntergang;  und  man  begreift,  daß  gerade 
dort  der  schlimme  Riese  gedacht  wurde,  der  die 
Sonnenrinder  gefangen  hält. 

Je  nachdem  man  sich  nun  Erytheia  als  Insel 
im  Okeanos  dachte  oder  es  in  Tartessos  suchen 
wollte,  wird  die  Hinfahrt  des  Herakles  verschie- 
den geschildert.  Er  schifft  entweder  im  Sonnen- 
becher durch  die  Flut  dos  Okeanos  oder  er  zieht 
zu  Lande  durch  Libyen,  richtet  bei  der  Meer- 
enge von  Gades  seine  Säulen  auf  und  gelangt  dann 
nach  Erytheia.  ^)  Nun  folgt  der  Kampf.  Der 
Hund  des  Riesen  springt  auf  den  Helden  los,  wird 
aber  von  Herakles  mit  der  Keule  niedergeschmettert, 
ebenso  der  Hirt  Eurytion,  der  dem  Hunde  zu 
Hilfe  eilen  will.  Schon  treibt  Herakles  die  herr- 
lichen Herden  längs  der  fetten  Wiesen  am  Strome 
der  Insel  fort,  da  erscheint  der  furchtbare  Riese, 
dem  inzwischen  die  Gewalttat  gemeldet  worden.  In 
dem  heißen  Kampfe,  der  nun  zwischen  Herakles 
und  dem  dreiköpfigen  Ungeheuer  entbrennt,  muß 
Geryones  zuletzt  unterliegen,  von  den  Pfeilen  des 
Helden  durchbohrt,  der  alsdann  den  weiten  Heim- 
weg antritt.  Was  die  üppig  wuchernde  Sage  ihn 
auf  diesem  Wege  noch  alles  erleben  läßt  —  zum 
Teil  Variationen  der  Hau])tfabel  — ,  davon 
können  wir  vorläufig  absehen.  Sein  Ziel  ist 
wiederum  Mykenae,  wo  Eurystheus  die  Rinder 
der  argivischen  Hera  opfert.*) 

Die  Deutung  der  Sage  sucht  Preller  vom 
speziell  griechischen  Standpunkt  aus  in  dem  Siege 
des  Sonnenbelden  über  den  Winter  und  seine 
Macht. ^)  ,Was  kann  dieser  dreileibige,  brüllende, 
gewappnete  und  geflügelte  Riese,  der  Sohn  des 
Blitzes  und  der  Flut,  mit  seinen  fetten  Herden 
auf  der  üppig  getränkten  Flur  des  abendlichen 
Okeanos,  woher  die  Wolken  kommen,  der  Nach- 
har  des  Sonnenuntergangs  und  des  Todes,  wohl 
anders  bedeuten  als  den  Sturmriesen  des  Winters, 
wie  dieser  in  südlichen  Ländern  aufzutreten  pflegt, 
mit  heftigen  Stürmen  und  Gewittern  und  Regen- 


')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  202  f. 
»)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  209.  210. 
'')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  U  p.  203-205 

Denksehriften  der  phil.-hist.  Kl.  58.  Bd.  3.  Abb. 


*)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  208. 

*)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  205.  216. 


58 


III.  AsHAmiLUNG:  Leopold  v.  Scheoedee. 


güssen,  welche  letztern  die  durch  den  heißen 
Sommer  erschöpfte  Natur  zugleich  erquicken  und 
befruchten.  Daher  diese  zugleich  furchtbar  dro- 
hende und  üppig  fruchtbare  Gestalt,  eine  riesige, 
da  der  Winter  als  furchtbar  starke  und  wilde 
Naturmacht  auch  sonst  als  solche  personifiziert 
wird.  Seine  eigentlich  mit  den  Herden  des  He- 
lios identischen  und  in  örtlichen  Überlieferungen 
gewöhnlich  neben  ihnen  genannten  Rinder,  das 
sind  die  Tage  des  Jahres,  wie  in  jener  Fabel  von 
den  Herden  des  Helios  auf  der  Insel  Dreispitz 
und  in  der  von  den  Rindern  des  Apollo,  die  Her- 
mes entführt.  Nur  daß  in  dieser  Fabel  nicht  von 
dem  täglichen  Wechsel  von  Licht  und  Dunkel  die 
Rede  ist,  sondern  von  dem  jährlichen  des  Som- 
mers und  des  Winters,  der  langen  und  kurzen 
Tage:  Daher  Gerjons  Stallungen  in  der  Gegend 
der  Nacht  und  des  finstern  Aides  sich  befinden, 
in  einer  dunklen  und  schwer  zugänglichen  Höhle, 
deren  schon  die  ältesten  Dichter  gedenken,  sein 
Gegner  aber  Herakles  ist,  der  stärkere  Held  des 
lichten  Tages  und  der  lichten  Jahreszeit,  welcher 
trotz  aller  Schrecknisse  in  seine  Höhle  dringt, 
wie  Perseus  in  die  der  Gorgonen,  und  die  ent- 
führten Rinder  befreit.  Darauf  treibt  er  sie  aus 
der  nächtlichen  Gegend  zurück  gegen  Morgen, 
ein  Segen  und  eine  große  Lust  für  alle  Völker 
und  Länder,  durch  die  ihn  der  Weg  führt,  ihn 
und  die  Herde  des  Geryon,  aber  auch  ein  Ge- 
genstand vieler  Nachstellungen  von  bösen  Riesen 
und  gefährlichen  Recken,  so  daß  er  eine  ganze 
Kette  von  Abenteuern  zu  bestehen  hatte.  Zuletzt 
werden  die  Tiere  der  argivischen  Hera,  der 
hehren  Königin  des  Himmels,  als  Opfer  darge- 
bracht.' 

Es  lag  sehr  nahe,  bei  diesem  Mythus  an  die 
oft  und  in  unendlichen  Variationen  erzählte 
Heldentat  des  Indra  zu  denken,  der  die  himmli- 
schen Rinder  aus  der  Wolkenhöhle,  ihrem  Stalle, 
befreit,  und  ihren  Segen  der  Menschenwelt  wieder- 
schenkt. So  bemerkt  denn  auch  Prell  er  schon 
mit  Berufung  auf  Kuhn:  ,Auch  die  Vedas  kennen 
dieses  Bild  von  der  Höhle,  in  welcher  die  ge- 
stohlenen Himmelskühe  versteckt  werden,  bis 
Indra  sie  wieder  befreit,  doch  wird  es  gewöhnlich 
anders  gedeutet.")  Es  ist  gewiß  wahrscheinlich, 
daß   hier  zunächst   und  in  erster  Linie  das  Bild 


des   Wolkenbergs    mit   seiner    Wolkenhöhle   vor- 
schwebt,   die    der    Gewittergott    Indra    mit    dem 
Donnerkeil    spaltet,    um    die  Kühe  daraus  zu  be- 
freien, die  bald  als  befruchtende  Regengüsse,  bald 
als    Sonnenrinder  erscheinen,  in    oft   sich  wieder- 
holenden,   wechselnden   Bildern.    Es  ist  aber  auch 
längst    schon   bemerkt  worden,    daß  mit  dem  Ge- 
witterbilde  sich   vielfach  das  Bild  der  Befreiung 
des    Sonnenlichtes    aus    dem    Dunkel    der    Nacht 
mischt  und  verbindet,   und  zwar  in  einer  Weise, 
daß  es  nicht  selten  unmöglich  ist,  zwischen  diesen 
beiden    Bildern     scharf    zu    unterscheiden.     Das 
Wiedererscheinen    der  Sonne  nach  dem  Gewitter 
und    ihr  Wiedererscheinen    in    der   Morgenfrühe, 
obwohl  beide  in  der  Natur  nicht   zu  verwechseln 
sind,  scheint  doch  in  der  mythischen  Vorstellung 
von    der  großen  Befreiungs-  und  Rettuugstat  des 
Indra  an  der  Sonne  und  ihrem  Licht  fast  wie  in 
Eins  verschmolzen  zu  sein.    Das  ist  früher  schon 
bemerkt  und  neuerdings  wieder  von  Macdonell 
festgestellt  werden.^)     Ich  glaube  aber,    daß  hier 
noch  eine  dritte,  höchst  wichtige  Vorstellung  hin- 
zukommt,  —    die   alte  Vorstellung    von    der    am 
Jahresanfang,    der    mit    dem  Frühlingsanfang  zu- 
sammenfiel, wieder  erscheinenden,  neu  aufsteigen- 
den   jungen  Sonne,      der  Morgenröte    des    neuen 
Jahres,    —    der  Sonne,    die    aus    der    Gewalt    des 
Winters  gerettet  ihren  Siegeslauf  neu  beginnt.  Und 
diese  Vorstellung  ist  hier  um  so  mehr  berechtigt, 
nachdem  Hillebrandt  —  wie  früher  erwähnt  — 
es  wahrscheinlich   gemacht  hat,    daß    es    sich  bei 
den  Kämpfen  des  Indra  zu  einem  guten  Teil  um 
den  Kampf  gegen  die  Dämonen  des  Winters,  des 
Frostes    und  Eises    handelt;    daß  die  gefesselten, 
gebannten  Wasser   nicht   selten   deutlich   als   ge- 
frorene Wasser  charakterisiert  sind  (s.  oben  p.  31). 
So  kann  auch  der  parallel  damit  laufende  Gewinn 
der  Sonne   oder   des  Himmelslichts   die  Befreiung 
der  Sonne  aus  Wintersgewalt  bedeutet  haben,  — 
wenigstens  ursprünglich.    Wenn    die  Morgenröte, 
die  neu  aufsteigende  junge  Sonne  nach  den  Veda- 
liedern  ihr  Erscheinen  der  Heldentat  Indras  ver- 
dankt,   dann    braucht    damit    nicht  notwendig  die 
Morgenröte    des    einzelnen  Tages,    es    kann    auch 
die  des  Jahres  darunter  verstanden  sein,  und  ich 
zweifle  nicht  daran,  daß  dies  die  noch  ältere  und 
weit  wichtigere  Vorstellung    ist,   die   aus  der  Ur- 


')  Vgl.  Preller,  a.  a.  0.  II  p.  201,  Anm.  3,  mit  Berufung  auf  A.  Kuhn  iu  Haupts  Zeitschrift  für  Deutsch.  Altertum, 
Bd.  VI.,  p.  119  ff. 

»)  Vgl.  Macdonell,  Vedic  Mythology  p.  61,  wo  er  zu  dem  Schluß  gelangt:  ,Thus  there  appears  to  be  a  confusion 
between  the  notion  of  the  restoration  of  the  sun  after  the  darknoss  of  the  thunderstorm  and  the  recovery  of  the  sun  from 
the  darkness  of  night  at  dawn.' 


Heeakles  und  Indka. 


59 


zeit  stammend  in  Indien  nur  darum  etwas  aLf^e- 
blaßt  sein  mag,  weil  in  Indien  nicht  mehr,  wie  in 
der  europäischen  Heimat  der  Arier,  der  Friihlings- 
und  Jahresanfang  so  eindrucksvoll  sich  als  ein 
herrlicher  Sieg  des  Sonnenlichts  über  die  trüben, 
kalten,  stürmischen  bösen  Mächte  des  Winters 
darstellte.  Aber  trotzdem  lebt  die  alte  Vorstellunff 
fort.  Die  Lieder  an  Ushas,  die  Morgenröte,  ha- 
ben im  Ritual,  wie  Hillebrandt  gezeigt  hat, 
ihre  Stelle  nur  am  Jahresanfang,  —  und  so  er- 
scheint Ushas  in  erster  Linie  nicht  als  die  Mor- 
genröte des  neuen  Tages,  sondern  als  die  Mor- 
genröte des  jungen  Jahres,  als  die  neu  aufsteigende 
junge  Sonne  des  neuen  Jahres.  Und  wenn  es 
beim  Preis  der  Heldentat  Indras  oftmals  heißt, 
er  habe  die  Sonne,  die  Morgenröte  erzeugt,  ge- 
schaffen, dann  unterliegt  es  für  mich  keinem  Zwei- 
fel, daß  es  sich  dabei  in  erster  Linie  um  jene  ur- 
alte, bei  so  vielen  primitiven  Völkern  lebendige 
Vorstellung  handelt,  die  Sonne  müsse  einmal  des 
Jahres,  und  zwar  zu  Anfang  desselben,  neu  er- 
zeugt, neu  geschaffen  werden,  womit  der  Ritus 
des  Neufeuers  eng  verbunden  ist,  als  der  prä- 
sumptive  rituelle  Zeugungsakt.  Erst  ein  starkes 
und  allzu  üppiges  \Yuchern  ritueller  Bräuche  ließ 
in  späterer  Zeit  diesen  Zeugungsakt  sich  jeden 
Morgen  neu  wiederholen;  ursprünglich  haben  wir 
ihn  uns  wohl  nur  als  einen  jährlich  wieder- 
holten zu  denken. 

Und  so  ist  die  Heldentat  der  Sonnenlicht- 
gewinnung bei  Indra  neben  dem  Gewitter  ur- 
sprünglich wohl  vor  allem  als  eine  Früidingstat 
zu  denken  und  auch  in  den  Liedern  noch  so  zu 
fassen.  Daß  damit  die  Vorstellung  der  täglichen 
Morgenröte  mehr  und  mehr  verschmolz,  soll  da- 
rum nicht  geleugnet  werden.  Jene  ursprüngliche 
Vorstellung  aber   fällt  im  wesentlichen  mit  Prel- 


lers Deutung  des  Geryonesmythus  zusammen.  Es 
ist  der  Sieg  des  alten  Gewitterriesen  und  Sonnen- 
helden über  den  bösen,  feindlichen  Winter,  die 
Befreiung  der  lichten  Sonnenrinder  aus  seiner  Ge- 
walt, der  Neubeginn  des  Fi-ühlings  und  zugleich 
des  Jahres,  wenigstens  nach  der  ältesten 
Anschauung.') 

Wir  haben  damit  die  Vergleichung  nur  im 
allgemeinsten  Umriß  angedeutet.  Der  Veda  aber 
bietet  uns  weit  mehr  und  hilft  uns  weiter.  Wir 
finden  in  ihm  so  merkwürdige  Entsprechungen 
zu  dem  Kampfe  des  Herakles  mit  Geryones,  daß 
jeder  Zweifel  an  der  Urverwandtschaft  dieser 
Mythen  ausgeschlossen  sein  dürfte.  Auch  Indra 
bezwingt  einen  furchtbaren,  laut  brüllenden,  drei- 
köpfigen Dämon,  der  als  der  allgestaltige  Sohn 
des  Tvashtar,  Tväshtra  Vifvarüpa,  bezeichnet 
wird.  Er  reißt  ihm  seine  drei  Köpfe  ab  und  er- 
beutet die  Kühe.  Daß  der  Mythus  gerade  in  die- 
ser Form  besonders  alt  sein  dürfte,  dafür  spricht 
der  Umstand,  dass  dieselbe  Tat  auch  dem  mythi- 
schen Vorgänger  des  Indra,  dem  Trita  Aptya  zu- 
geschrieben wird,  der  dabei  zu  einem  Helfers- 
helfer, ja  zu  einem  Sohne  des  Indra  gemacht 
wird,  —  wie  etwa  auch  der  mythische  Vorgänger 
des  Loki,  der  Fenriswolf,  in  der  nordischen  Sage 
zu  dessen  Sohne  gemacht  worden  ist  und  ähnli- 
ches ja  auch  sonst  noch  vorkommt.  Es  spricht 
dafür  fast  in  noch  höherem  Grade  der  Umstand, 
daß  wir  auch  im  Avesta  eine  deutliche  Parallele 
antreffen,  die  Tat  eines  der  größten  mythischen 
Helden  Persiens,  dessen  Name  schon  seine  Ver- 
wandtschaft mit  Trita  Aptya  und  weiter  darum 
auch  mit  Indra  außer  Zweifel  stellt.  Es  ist  der 
früher  schon  von  uns  besprochene  Thractaona 
Athwyäna,  der  die  verderbliche  Schlange,  azhi 
dahäka,    bezwingt,    das    furchtbare  Ungetüm  mit 


')  Die  wichtige  Vorstellung',  daß  Indra  die  Sonne,  resp.  auch  die  Morgenröte  bei  seinem  großen  Siege  geradezu  er- 
zeugt, sei  hier  durch  einige  charakteristische  Stellen  belegt.  So  heißt  es  KV  2,  19,  3  ,der  große  Indra,  der  Ahitöter,  setzte 
die  Flut  der  Wasser  in  Bewegung,  zum  Meere  hin;  er  erzeugte  die  Sonne,  er  fand  die  Kühe  auf  (äjanayat  süryam 
vidäd  gal.i).  Die  Erzeugung  der  Sonne  und  Auffindung  der  Kühe,  d.  h.  doch  wohl  der  Strahlen  des  Lichts,  ist  augenschein- 
lich eins  und  dasselbe,  d.  h.  die  oft  gerühmte  ,Gewinnung  des  Himraelsliclits'  (svarshäti  cf.  unten).  Ferner  RV  1,  32,  4 
,Als  du,  0  Indra,  den  Erstgeborenen  der  Drachen  (ahi)  tötetest,  —  da  erzeugtest  du  Sonne,  Himmel  und  Morgen- 
röte und  fandest  nun  keinen  Gegner  mehr'  (ät  suryam  janäyan  dyäm  ushäsam);  RV  6,  30,  5:  ,Du,  Indra,  hast  die  Tore  des 
Wassers,  die  Feste  des  Berges  erbrochen,  du  wardst  der  König  der  Welt  und  der  Menschen,  zugleich  die  Sonne  er- 
zeugend, den  Himmel,  die  Morgenröte.'  RV  3,  49,  4  wird  Indra  der,  Erzeuger  der  Sonne'  genannt  (janitä  süryasya); 
RV2,  12,  7:  ,Der  die  Sonne,  der  die  Morgenröte  erzeugte,  der  die  Wai^ser  leitet  (lenkt,  führt),  das,  ihr  Leute,  ist  Indra!' 
(yäh  süryaiii  yä  ushäsam  jajäna  yö  apäm  netä  sä  jan.üsa  indrah).  RV2,  21,4  ,Indra,  dem  gut  geopfert  wird,  erzeugte  die 
Morgenröte,  das  Himmelslicht'  (indral.i  suyajnä  ushäsaU  svär  janat).  RV  3,  31,  15:  , Indra  mit  seinen  Mannen  vereint  er- 
zeugte strahlend  zugleich  die  Sonne,  die  Morgenröte,  Wohlfahrt,  das  Feuer'  (indro  nribhir  ajanad  didyänalj  sakäip  süryam 
ushäsam  gätüm  agnlm).  RV  3,  32,  8  ,Er,  der  die  Erde  und  den  Himmel  dort  festmachte,  er  erzeugte  die  Sonne,  die  Mor- 
genröte, der  wunderkräftigo'  fjajäna  süryam  ushäsani  sudän.isäl.i).  —  Man  sieht,  wie  oft  hier  neben  der  Sonne  die  Morgen- 
röte genannt  wird.  Beim  Gewittervorgang  aber  gibt  es  keine  Morgenröte.  Es  kann  nur  von  der  Morgenfrühe  oder  vom 
Früliling,  dem  Neubeginn  des  Jahres,  die  Rede  sein.  Die  letztere  Vorstellung  halte  ich  für  die  ältere,  wichtigere,  ohne 
die  erstere  rigoros  ausschließen  zu  wollen. 

8»    , 


60 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoedee. 


drei  Rachen,  drei  Schwänzen,  sechs  Augen  und 
tausend  Kräften. ^)  "Wir  sehen  also  die  ganze 
Reihe  verwandter  mythischer  Helden  —  Herakles, 
Indra,  Trita  Aptya,  Thraetaona  Athwyäna —  solch 
ein  Ungeheuer  mit  drei  Köpfen  bekämpfen  und 
umbringen.  Auch  Feridun,  der  in  der  persischen 
Heldensage  den  Tyrannen  Zohak  (=  azhi  dahäka) 
vernichtet,  ist  noch  ein  Reflex  desselben  Mythus. 

Die  Wichtigkeit  des  Gegenstandes  erfordert 
vor  allem  eine  Prüfung  jener  Stellen  des  Veda, 
in  denen  die  erwähnte  Heldentat  des  Indra,  re- 
spektive auch  des  Trita  Aptya  geschildert  wird. 
Da  sie  nicht  zahlreich  sind,  lassen  sie  sich  leicht 
überblicken. 

In  einem  merkwürdigen  Indra-Liede  des  Rig- 
veda,  das  auch  von  der  Tötung  des  Eherdämons 
berichtet  und  das  uns  noch  um  andrer  Angaben 
willen  weiterhin  bedeutungsvoll  werden  dürfte, 
finden  wir  die  Bezwingung  des  dreiköpfigen  Brül- 
lers in  folgenden  Worten  kurz  erwähnt: 

RV  10,  99,  6:    ,Er,    der  Hausherr,    hat    den 


laut  brüllenden  Dämon, 
köpfigen  bewältigt.^) 
Das  Wichtigste     in 


den  sechsäugigen,    drei- 

der  äußeren  Charakte- 
ristik des  Dämons,  seine  Dreiköpfigkeit  und  sein 
lautes  Brüllen,  ist  hier  deutlich  hervorgehoben. 
Der  dreiköpfige  Brüller  (tuviräva)  stimmt  auf- 
fallend zu  dem  dreiköpfigen  Brüller  Geryones. 
Die  Sechsäugigkeit  scheint  sich  schon  aus  der 
Dreiköpfigkeit  zu  ergeben,  wenn  auch  natürlich 
bei  solchen  Fabelwesen  nicht  mit  Notwendigkeit. 


Und  so  mag  es  immerhin  noch  besonders  bemerkt 
werden,  daß  auch  der  von  Thraetaona  Athwyäna 
l)ezwungene  Drache  (azhi  dahäka)  ausdrücklich 
als  sechsäugig  bezeichnet  wird.  Der  folgende 
Halbvers  erwähnt  die  Tötung  des  Ebers  durch 
Trita  Aptya,  der  dabei  durch  Indras  Kraft  ge- 
stärkt worden  sei,  und  so  hat  man  den  Eindruck, 
daß  Trita  wohl  auch  bei  der  Bezwingung  des 
dreiköpfigen  Brüllers  dem  Helden  zur  Seite  ge- 
standen habe.  Ein  derartiges  Bild  der  Situation 
gewinnt  man  aber  noch  deutlicher  aus  einer  an- 
dern Stelle  des  Rigveda,  die  zugleich  den  Namen 
des  dreiköpfigen  Dämons  nennt  und  von  der  Er- 
beutung seiner  Kühe  berichtet.  Ich  meine  die 
drei  letzten  Verse  des  Liedes  RV  10,  8,  die  ich 
folgendermaßen  übersetze: 

RV  10,  8,  7:  , Durch  seine  (d.  h.  Agnis)  Weis- 
heit in  der  Höhle  den  Trunk  suchend,  nach  Art 
des  höchsten  Vaters,  strebend  in  der  Eltern  Schoß, 
geht  Trita  auf  die  Waffen  los,  als  verwandt  (und 
daher  ihm  zukommend)  sie  beanspruchend.^) 

8.  Die  väterlichen  Waffen  kennend  kämpfte 
Aptya,  von  Indra  angetrieben,  und  nachdem 
er  den  dreiköpfigen,  siehenstrahligen^)  getötet 
hatte,  trieb  Trita  des  Tvashtarsohnes  Kühe 
heraus ; 

9.  Den  nach  großer  Kraft  emporstrebenden 
(Dämon)  hat  der  Herrscher  Indra  herabgeschmet- 
tert, den  sich  dünkenden !  Indem  er  sich  die  Kühe 
des  Tväshtra  Vicvarüpa  aneignete,  riß  er  ihm  die 
drei  Häupter  ab.'^) 


')  Vgl.  oben   p.  8. 

-)  aä  id  däsam  tuvirävam  pätir  dän  shalakshäm  triijirshänaiu  damanyat.  Es  dürfte  des  Metrums  wegen  adamanyat 
zu  lesen  sein.  In  der  Übersetzung  von  pätir  dän  habe  icli  micli  Roth  und  Grassmann  angeschlossen,  aus  formellen  Gründen. 
Sehr  einleuchtend  und  befriedigend  ist  aber  die  Bezeichnung  des  Indra  als  , Hausherr'  freilich  nicht. 

')  Ich  lese  pitim  ,Trunk'  statt  dhitim  ,Andacht,  Andachtslied,  Gebet'  oder  allenfalls  , Absicht',  womit  ich  hier  nichts 
anzufangen  weiß.  Das  Wort  vavrä  heißt  , Höhle',  wie  Ludwig  auch  ganz  richtig  übersetzt,  während  es  Grassmann  durch 
, Brunnen'  wiedergibt:  , Durch  seine  Kraft  kommt  Trita,  der  im  Brunnen  Gebet  erstrebt  nach  Art  des  höchsten  Vaters,  nach 
Huld  verlangend  zu  dem  Sitz  der  Eltern,  verbrüdert  nennend  seine  scharfen  Waffen.'  Er  sieht  also  hier  in  Trita  den- 
selben Mann  oder  niederen  Gott,  von  dem  KV  1,  105,  17  und  darnach  auch  die  spätere  Legende  berichtet,  daß  er  in  einen 
Brunnen  oder  eine  Grube  (küpa)  geworfen  oder  gefallen  die  Götter  um  Hilfe  angerufen  habe.  Nach  dem  Mahäbhärata  9, 
•J094  soll  er  im  Brunnen  Soma  bereitet  haben  (vgl.  BR  s.  v.  trit.i).  Wie  auch  diese  Geschichte  zu  erklären  sein  mag,  an 
unserer  Stelle  ist  zweifellos  von  dem  alten  Gotte  Trita  Aptya  die  Rede,  der  ein  Vorgänger  und  dann  —  wie  hier  —  ein 
Helfer  des  Indra  bei  .seineu  Heldentaten  ist,  —  hier  augenscheinlich  als  sein  Sohn  bezeichnet,  der  sich  der  Wallen  des 
Vaters  bedient.  Er  sucht  in  der  Höhle  den  Trunk,  d.  h.  den  Soma  in  der  Wolkenhöhle,  wie  Indra  das  zu  tun  pflegt,  er- 
greift die  Waffen  des  Vaters  und  erschlägt  mit  ihnen,  von  Indra  dazu  veranlaßt,  den  dreiköpfigen  Dämon. 

*)  saptära(;mi,  von  Grassmann  wohl  unrichtig  durch  ,mit  sieben  Zungen'  übersetzt. 

')  Daß  die  Kühe,  die  Indra  dem  Dämon  abgewinnt,  nicht  immer  die  Wasser,  sondern  wechselnd  mit  dieser  Vor- 
stellung nicht  selten  l^ichtkühe,  Sonnenkühe,  die  Strahlen  der  Sonne  oder  Morgenröte,  kurz  Lichteischeiiiuugen  sind,  ist 
oft  genug  bemerkt  worden  (cf.  Macdouell  a.  a.  O.  p.  Ol).  Oft  ist  nur  von  den  Kühen  oder  Rindern  die  Rede,  ohne  daß  man 
weiß,  ob  Wasser  oder  Licht  oder  auch  beides  gemeint  ist.  Bisweilen  aber  sind  spezielle  Hinweise  auf  eines  oder  das 
andre  vorhanden.  So  dürfte  doch  wohl,  wenigstens  in  der  Regel,  das  Licht  gemeint  sein,  wenn  die  Kühe  ausdrücklich 
als  rote  oder  rötliche  bezeichnet  werden  (usriyä,  usrä),  in  welchem  Bilde  auch  die  Morgenröte  selbst  erscheint.  So  heißt 
es  z.  B.  RV  6,  17,  5,  daß  Indra,  durch  den  Soma  gestärkt,  die  Sonne  und  die  Morgenröte  aufleucliten  ließ,  die  Festen  bre- 
chend, daß  er  den  großen  unerschütterlichen  Fels  von  seinem  Sitze  stieß,  der  die  Kühe  umschloß;  und  v.  0  hören  wir:  Du 
öffnetest  die  Tore  den  roten  Kühen  (usriyäbhyo),  aus  dem  festen  Stall  ließest  Du  die  Kühe  heraus'  (ich  lese  dricjhäd). 


Herakles  und  Indka. 


61 


Man  sieht  hier  deuthch:  Die  Besieg'uuir  und 
Tötung  des  dreiköpfigen  Dämons,  des  allgestahi- 
gen  Tvashtarsohnes,  Tväshtra  Vifvarüpa,  den  der 
früher  besprochene  Vers  als  den  BrUUer  bezeich- 
nete, wird  ebenso  wie  die  Erbeutung  seiner  Kühe 
sowohl  dem  Trita  Aptya  wie  dem  Indra  zuge- 
scliriel)en.  Im  achten  Verse  heißt  es,  Trita  Ap- 
tya habe,  von  Indra  angetrieben,  mit  den  väter- 
lichen Waffen  die  Tat  vollbracht,  im  neunten 
Verse,  Indra  habe  dieselbe  ausgeführt.  Der  un- 
leugbare Widerspruch  löst  oder  richtiger  erklärt 
sich  durch  die  historische  Betrachtung  des  Ver- 
hältnisses der  beiden  Götter.  Trita  ist  ursprüng- 
lich der  Vorgänger  des  Indra,  der  ältere  Gott, 
von  dem  dieselben  Heldentaten  berichtet  wurden 
wie  von  Indra,  eine  alte,  schon  verblassende 
Parallelgestalt  des  letzteren,  die  ihm  so  ähnlich 
sieht,  daß  die  indischen  Vedenerklärer  ihn  gar 
nicht  als  selbständige  Person  anerkennen  wollen 
und  seinen  Namen  nur  als  ein  Beiwort  des  Indra 
(respektive  auch  des  Väyu)  betrachten.^)  Gewiß 
mit  Unrecht,  aber  doch  auch  nicht  ganz  ohne 
Grund,  nicht  ohne  jede  Berechtigung,  da  solche 
Parallelgestalten  gleichen  Wesens  sich  leicht  als 
im  Grunde  eins  und  dasselbe  fassen  lassen.  Die 
alte,  verblassende  Parallelgestalt  des  Indra  und 
ihre  Heldentat  lebt  noch  fort  im  Gedächtnis  der 
Sänger,  wenn  sie  auch  nicht  mehr  viel  bedeutet. 
Sie  wird  zum  Helfer,  ja  zum  Sohne  des  Indra 
gemacht,  soll  die  Tat  auf  Indras  Geheiß  getan 
haben.  Der  Sänger  kann  aber  doch  nicht  anders, 
als  gleicii  darauf  energisch  betonen,  Indra  selbst 
habe  die  Tat  vollbracht.  Es  ist  ein  Versuch,  den 
Widerspruch  auszugleichen,  der  darin  liegt,  daß 
dieselbe  Tat  beiden  Göttern  zugeschrieben  wird. 
Die  Ausgleichung  aber  bleibt  eine  unvollkommene, 
nicht  wirklich  durchgeführte.  In  Griechenland 
ist  sie  weit  befriedigender  erreicht,  wo  die  Triton- 
tochter   Athene,    die    wir    als    Entsprechung    des 


Trita  Aptya  bereits  kennen,  den  Herakles  nur 
noch  als  göttliche  Schützerin  und  Helferin  bei 
seinen  Abenteuern  begleitet,  die  eigentliche  Aktion 
aber  ihm  überläßt.  Wir  haben  aber,  vom  Stand- 
punkt des  Mythenforschers  aus,  alle  Ursache, 
dem  vedischen  Sänger  dafür  dankbar  zu  sein,  daß 
er  den  alten  Widerspruch  nur  unvollkommen  aus- 
geglichen hat  und  im  wesentlichen  bestehen  läßt. 
Denn  wir  sehen  daraus  mit  aller  Bestimmtheit, 
daß  die  Bezwingung  des  dreiköpfigen  Dämons 
sowohl  dem  Trita  Aptya  wie  dem  Indra,  nach- 
einander und  nebeneinander,  zugeschrieben  wurde. 

Eine  andre  Art,  beide  Mythen  zu  verbinden 
und  den  Widerspruch  auszugleichen,  Indra  und 
Trita  beide  an  dem  Sieg  über  Tväshtra  Vifvarüpa 
zu  beteiligen,  findet  sich  in  dem  Liede  RV  2,  11, 
an  einer  Stelle,  wo  auch  von  dem  uns  schon  be- 
kannten Spinnensohn,  dem  Aurnaväbha,  und  dem 
Dämon  Arbuda  die  Rede  ist.     Die  Verse  lauten: 

RV  2,  11,  18:  ,Ximm  an  die  Kraft,  o  Held, 
mit  welcher  du  den  Vritra,  den  Dämon  Aurna- 
väbha zerspellt  hast;  du  erschlössest  das  Licht 
dem  Arier;  links  sitzen  blieb,  o  ludra,  der  Barbar. 

19.  Gewinn  möchten  wir  erlangen,  die  wir 
durch  deine  Hilfe  alle  Feinde  besiegen,  mit  dem 
Arier  die  Barbaren.  Für  uns  hast  du  damals  den 
Tväshtra  Vifvarüpa  dem  Trita  deiner  Freund- 
schaft^) ausgeliefert. 

20.  An  dem  berauschenden  Keltertrank  die- 
ses Trita  sich  stärkend  hat  er  den  Arbuda  zu  Bo- 
den gestreckt;  er  rollte  ihn  wie  das  Rad  der 
Sonne,*)  spaltete  die  Höhle,  der  von  den  Angiras 
begleitete  Indra.' 

Hier  heißt  es  also,  daß  Indra  den  Tväshtra 
Vi^'varüpa  dem  Trita  ausgeliefert  oder  über- 
antwortet habe,  —  eine  Wendung,  die  mehrfach 
in  den  Liedern  vorkommt,  wenn  die  Bezwingung 
des  Dämons  diesem  oder  jenem  zuliebe  ge- 
schieht.    ,Für    uns',    d.  h.  zu  unsrem  Nutzen,    in 


Oder  RV  6,  32,2:  ,Er machte  hell  durch  die  Sonne  die  Eltern  der  Weisen  (d.  h.  beide  Welten),  er  erbrach  den  Fels,  —  er 
machte  los  die  Fessel  der  roten  Kühe'  (üd  usrlyänrim  asrijan  nidänam).  Ferner  KV  10,  138,  2:  , Du  ließest  los  die  Mütter, 
beugtest  die  Berge,  triebst  heraus  die  roten  Kühe,  trankst  den  lieben  Meth;  du  ließest  wachsen  die  Bäume  durch  seine 
Kraft,  es  strahlte  die  Sonne  durch  das  rechterzeugte  Lied'  (lid  äja  usrä  apibo  mädhu  priyäin).  Wasser  und  Licht  sind 
hier  nebeneinander  genannt,  wie  im  vorausgehenden  Verse  Morgenröte  und  Wasser  bei  der  Züctitigung  der  Drachen.  Die 
Morgenröten  selbst  erscheinen  als  die  Kühe  UV  3,  31,  4:  ,Ihn  erkennend  gingen  die  Morgenröten  heraus,  ihm  entgegen, 
Indra  ward  da  der  alleinige  Herr  der  Kühe.'  Sehr  deutlich  ist  die  Bedeutung  der  Kühe  oder  Kinder  als  Lichtorscheinungen 
oder  -Strahlen  auch  KV  I,  Gi,  b:  ,Du  hast  das  Dunkel  enthüllt  durch  Morgenröte,  Sonne,  Kühe,'  wo  Gra.ssmann  in  der 
Übersetzung  für  Kühe  oder  Rinder  geradezu  .Strahlen'  sagt  (vi  var  ushäsä  süryena  göbhir  ändhab).  Rinderscharen  dieser 
Art  spiegeln  auf  griechischem  Boden  die  Herden  des  Geryones  wieder. 

')  Vgl.  das  Petersburger  Wörterbuch  s.  v.  tritä. 

'j  RV  10,  99,  G  verteilt  der  Dichter  die  Taten  so,  daß  er  Indra  die  Bezwingung  des  dreiköpfigen  Brüllers,  Trita  die- 
jenige des  Ebers   zusclireibt. 

')  säkhyäsya  tiatäya,  dem  Trita  der  Freundschaft,  eine  eigontüniliche  Wendung,  die  nicht  ganz  deutlich  ist,  aber 
doch  wohl  den  Trita  als  zu  Indras  Freunden  gehörig  kennzeichnen  soll. 

*)  Ich   lese   süryasya,  wodurch  der  mangelhafte  Vers  gebessert  wird. 


62 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoedek. 


unsrem    Interesse 
der  Sänger  von  Indra 


sagt 


last    Du    die  Tat   getan, 

und  doch  den  Dämon  dem 
Trita  überliefert.  Und  gleich  darauf  ist  davon  die 
Rede,  daß  Indra  sich  an  dem  Somatrank  des 
Trita  gekräftigt  habe,  ehe  er  den  Arbuda  zu  Bo- 
den streckte.  So  erscheint  denn  Trita  hier  wie 
einer  jener  mythischen  Verehrer  des  Gottes,  denen 
zuUebe  er  seine  Taten  tut,  —  ähnlich  etwa  wie 
Kutsa,  für  den  Indra  den  f'ushna  bezwingt  u.a.  m. 
Es  ist  das  eine  Variante  des  Mythus,  die  jünger 
sein  dürfte  als  die  ersterwähnte  Darstellung,  nach 
welcher  Trita  dem  Indra  bei  seiner  Tat  behilflich 
ist,  auf  sein  Geheiß  selbst  handelnd  vorgeht.  Also 
Indra  tut  die  Tat,  —  er  tut  sie  mit  und  neben 
Trita,  er  tut  sie  für  diesen,  —  das  sind  die  ver- 
schiedenen Fassungen,  in  denen  die  Geschichte 
im  Rigveda  erzählt  wird.') 

Für  unsere  Vergleichung  mit  dem  Herakles- 
mythus ist  vor  allem  die  Tatsache  wichtig,  daß 
Indra  den  dreiköpfigen,  laut  brüllenden  Dämon 
erschlägt  und  ihm  seine  Rinder  abgewinnt.  Das 
ist  der  Kern  der  Geryonesgeschichte.  Doch  zu 
manchem  Detail  dieser  letzteren  bietet  der  Veda 
noch  weitere  Entsprechungen. 

Die  Herde  des  Geryones  wird  von  dem 
Hunde  Orthros  und  dem  Hirten  Eurytion  bewacht, 
die  Herakles  beide  bezwingt,  bevor  er  noch  mit 
dem  dreiköpfigen  Riesen  in  Kampf  gerät.  In  dem 
Hunde  Orthros  hat  mau  schon  längst  den  vedi- 
schen  Dämon  Vritra  zu  erkennen  geglaubt,  — 
wie  ich  meine,  mit  Recht.  Die  Namensform  Or- 
thros ist  gut  bezeugt,  neben  der  gleichfalls  er- 
scheinenden Form  Orthos.-)  Sie  läßt  sich  ohne 
große  lautliche  Schwierigkeiten  mit  dem  Namen 
Vritra  vermitteln,  und  diese  Gleichsetzung  ergibt 
einen  weit  besseren  Sinn,  als  wenn  man  den  Na- 
men Orthros  mit  dem  gleichlautenden  Worte 
(jpO-po;)  zusammenbringt,  das  den  Morgen,  die 
frühe  ^lorgenzeit  bedeutet.  Die  Morgenfrühe  als 
Wächterhund  des  Riesen  erscheint  kaum  sehr 
überzeugend,   und  ob  man  den  Namen  als  ,den  mit 


dem  frühen  Morgen  Wachen'  deuten  darf,  ist  wohl 
sehr  fraglich,  da  das  Wachsein,  also  die  Haupt- 
sache, doch  eigentlich  gar  nicht  in  dem  Worte 
licgt.^)  Dagegen  liegt  es  sehr  nahe,  in  dem 
Wächterhunde  des  dreiköpfigen  Ungeheuers  eine 
jeuer  Dämonengestalteu  zu  vermuten,  die  der  Hel- 
dentat des  Indra  feindselig  und  hindernd  entgegen- 
stehen. Die  häufigste  Bezeichnung  derselben  ist 
Vritra,  ein  Wort,  das  ursprünglich  der  ,Verhüller' 
oder  der  , Abwehrer,  Hinderer'  bedeutet  haben 
mag,  dann  aber  geradezu  die  allgemeine  Bedeutung 
, Feind'  gewinnt,  weil  Vritra  gewissermaßen  als  der 
typische  Götterfeind,  der  Feind  des  großen  gött- 
lichen Helden  Indra  erscheint.  Dieser  letztere 
heißt  bekanntlich  —  häufiger  als  irgend  welche 
andre  Götter  —  der  Vritratöter,  Vritralian,  und 
wie  alt  diese  Bezeichnung  ist,  sehen  wir  daraus, 
daß  das  Wort  auch  im  Avesta  lebendig  ist,  in  der 
Form  verethrajan,  was  die  allgemeine  Bedeutung 
, siegreich  schlagend,  sieghaft'  angenommen  hat, 
während  die  nahverwandte  Form  verethraghna 
,Sieg,  Sieghaftigkeit'  oder  auch  einen  , Genius  des 
Siemes'  bezeichnet.  Es  ist  immerhin  bemerkens- 
wert,  daß  dieser  Verethraghna,  der  im  Avesta  als 
kriegerischer  Eber  vor  Mithra  hergeht,  von  den 
Griechen  mit  Herakles  identifiziert  wurde.  In 
den  griechisch-römischen  Skulpturen  jener  Zeit, 
wo  der  Mithras-Dienst  sich  über  die  altklassische 
Welt  ausgebreitet  hatte,  erscheint  die  bekannte 
Gestalt  des  Herakles-Herkules  als  Darstellung  des 
Verethraghna,  respektive  Artagnes,  wie  der  Name 
hier  umgestaltet  wird.*) 

In  den  vedischen  Schilderungen  der  Helden- 
tat des  Indra  treten  nicht  selten  mehrere  Dämonen 
nebeneinander  auf,  wie  wir  das  bereits  an  einigen 
Beispielen  früher  gesehen  haben.  Auch  zeigte 
sich  uns  bereits  ein  Gegenbild  dazu  in  der  Herakles- 
sage, wo  neben  der  lernäischen  Hydra  der 
Seekrebs  auftaucht  und  den  Helden  angreift.  Es 
hat  daher  von  vornherein  durchaus  nichts  Un- 
wahrscheinliches,  wenn  wir  in  dem  zweiköpfigen 


')  Von  einem  Tvashtarsolin  ist  noch  einm.il  im  Veda  die  Rede,  doch  trägt  er  da  nicht  den  Beinamen  Vi<;.varüpa  und 
hat  ursprünglich  mit  dem  bösen  dreiköpfigen  Dämon  gar  nichts  gemein.  Nach  RV  10,  76,  3  wurden  bei  dem  an  Rindern 
und  Rossen'reichen  Tväshtra  Opfer  an  Opfer  angereiht.      Es  scheint  darnach  eher  ein  Frommer  der  Vorzeit  als  ein  böser 

Dämon  gemeint. 

»)  Vgl.  Proller  a.  a.  O.  II  p.  203  Anm.;  Gruppe  a.  a.  O.  I  p.  469  Anm.  3.  Gruppe  hält  die  Form  "OpOpo:  für  das  Ur- 
sprüngliche und  bemerkt  dazu:  ,Von  dieser  Seite  her  wäre  also  die  aus  anderen  Gründen  sehr  anfechtbare  Zusammen- 
stellung des  Namens  "OpOpo;  mit  Vritra  immerhin   möglich.' 

»)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  202. 

*)  Vgl.  Roschers  Lexicon  der  griech.  und  röm.  Mythologie,  s.  v.  Slithras,  p.  3043.  3032.  —  In  dem  Kultus,  den 
König  Antiochus  von  Kommagene  (69—34  vor  Chr.),  getreu  den  Überlieferungen  seiner  persischen  und  griechischen  Vor- 
fahren, begründete,  finden  wir  neben  Zeus-Oromazdes  und  ApoUon-Mithras  .ils  dritten  den  Artagnes  (Verethraghnaj-Herakles; 
a.  a.  O.  p.  3031.  3032 


Hekakles  und  Indeä. 


63 


Hunde  und  dem  Hirten  des  Gervones  ähnliche 
alte  dämonische  Wesen  in  entsprechender  Um- 
wandlung vermuten.  Der  Name  A'ritra,  den  wir 
im  Orthros  wiedererkennen,  erscheint  da  als  die 
allgemeinste  und  häufigste  Bezeichnung  aller 
dieser  ^A'esen  durchaus  passend  und  angemessen. 
Es  kann  uns  auch  in  keiner  Weise  wundernehmen, 
wenn  er  hier  gerade  die  Hundegestalt  zeigt. 

Für  einen  Wäcliter  der  Herden  und  Ab- 
wehrer etwaiger  Angriffe  auf  dieselben  war  wohl 
keine  Gestalt  passender  und  natürlicher  als  gerade 
die  des  Hundes.  Das  Ungewöhnliche  und  Dä- 
monische gerade  dieses  speziellen  Hundes  wird 
dabei  durch  seine  Zweiköpfigkeit  wohl  hinreichend 
angedeutet.  Aber  auch  der  Hirt  Eurjtion  ist 
möglicherweise  ähnlichen  Ursprungs.  Sein  Name 
bezeichnet  ihn  als  den  Strömer,  den  recht  Strö- 
menden oder  Fließenden.  Da  darf  wolil  daran 
erinnert  werden,  daß  unter  den  von  Indra  be- 
siegten Dämonen  der  Wolkenregion  auch  ein 
Arnava  auftaucht,  dessen  Name  sich  am  besten 
durch  der  ,AVallende,  Wogende  oder  Strömende' 
wiedergeben  läßt,  von  arna  ,Woge,  Flut',  respek- 
tive auch  arnas  .die  wallende,  wogende,  strömende 
Flut'  der  Gewässer,  —  ein  Wort,  das  gerade  von 
der  Entlassung  der  Wasserfluten  im  Indramythus 
gern  gebraucht  wird.  Arnava  scheint  einmal  Bei- 
name des  uns  schon  bekannten  Dämons  Arbuda 
zu  sein  (RY  10,  67,  12),  wir  finden  das  Wort  aber 
auch  an  einer  andern  Stelle  selbständig  als  Be- 
zeichnung des  von  Indra  getöteten  Dämons,  und 
zwar  RV  10,  111,  4:  ,Indra  hat  mit  Macht  des 
großen  Arnava  Ordnungen  vernichtet',  —  wobei 
es  ziemlich  gleichgültig  bleibt,  ob  wir  etwa  in 
diesem  Arnava  wiederum  den  Arbuda  sehen  wollen 
oder  nicht.  Ebenso  erscheint  einmal  ein  Arna, 
der  , Wogende,  Wallende,  Strömende'  als  von  Indra 
besiegter  Gegner,  der  wohl  auch  ursprünglich  dä- 
monischen  Charakter  hatte.') 

Eurytion  würde  seinem  begrifflichen  Inhalt 
nach  dasselbe  bedeuten  wie  diese  Gegner  des 
Indra,  Arnava  und  Arna.  Er  könnte  darnach  ganz 
wohl   in    die  gleiche  Reihe   von  Wesen   gehören, 


ohne  daß  wir  eine  speziellere  Identifikation  wagen 
wollen.  Ein  Orthros  und  ein  Eurytion  neben  dem 
dreiköpfigen  Riesen  Geryones  bedeutet  aber  ohne 
Zweifel  ungefähr  dasselbe  wie  ein  Vritra  und  ein 
Arnava  neben  dem  dreiköpfigen  BrüUcr  im  Veda, 
—  und  daß  diese  Kombination  ganz  im  Geiste  des 
vedischen  Mythus  wäre,  scheint  mir  keinem  Zwei- 
fel zu  unterliegen.  Aus  den  alten  Dämonen  sind 
Hirt  und  Hund  der  Rinderherden  des  Geryones 
geworden,  eine  Wandlung,  die  ganz  der  künst- 
lerischen Gestaltungskraft  der  Griechen  ent- 
spricht. 

Was  die  Situation  des  Mythus  im  allgemeinen 
betrifft,  läßt  sich  noch  hinzufügen,  daß  das  my- 
thische Eiland  Erytheia  in  den  Fluten  des  fernen, 
fabelhaften  Okeanos  ganz  wolil  der  Wolkeninsel 
im  Luftmeer  entsprechen  dürfte,  wo  Indra  seine 
Taten  tut.  Höchst  merkwürdig  aber  fällt  auch 
noch  der  Name  des  Okeanos  selbst  mit  einem 
Beiwort  zusammen,  das  im  Veda  nicht  selten  die 
Wolkenschlange  oder  der  Wolkendrache  Ahi- Vj'itra 
erhält,  —  äfäyana,  der  Umlagernde  oder  der  da- 
bei, daneben  Lagernde,  denn  an  den  himmlischen 
W^assern,  dem  himmlischen  Strom  oder  den  Wol- 
kenhügeln lagert  er  ja 
ist  noch  nicht  recht  aufgeklärt 
unerwähnt  bleiben.") 

Wir  werden  weiterhin  sehen,  daß  auch  Indra 
im  Pani-Mythus,  einer  eigentümliclien  Fassung 
seiner  rettenden  Heldentat,  die  Rasa,  eine  Art 
indischen  Okeanos  überschreiten  muß,  um  an  den 
Ort  seines  Kampfes  und  Sieges  zu  gelangen.  Hier 
scheint  mir  eine  deutliche  Parallele  zu  der  grie- 
chischen Vorstellung  von  des  Herakles  Fahrt  über 
den  Okeanos  vorzuliegen. 

Im  übrigen  haben  wir  bereits  früher  bemerkt, 
daß  die  Geryonessage  nicht  stets  und  ausschließ- 
lich im  äußersten  Westen  auf  der  Okeanosinsel 
lokalisiert  wird,  sondern  daß  sich  noch  gar  manche 
andere  Lokalisationen  finden,  wenn  auch  jene 
Fassung  des  Mythus  besonders  geläufig  und  ver- 
breitet war.  Selbst  in  Mykenae  glaubt  Preller 
eine  ähnliche  Überlieferung   erkennen    zu  sollen. 


Diese  Übereinstimmun£r 
darf    aber    nicht 


')  RV  4,  30,  18.  Neben  Arna  wird  hier  Citraratha  genannt,  —  ein  Name,  den  später  bekanntlich  der  König  der 
Gandharven  trägt.     Schon  RV  8,  10,  27  ist  es  Name  eines  (Jandharvon, 

')  Bemerkenswert  ist  wohl  noch  der  Umstand,  daß  Herakles  auf  seiner  Fahrt  nach  Erytheia  .durch  eine  drohende 
Erscheinung  des  Okeanos  und  eine  heftige  Wallung  der  Urflut  beunruhigt'  wird,  ,worauf  er  seinen  Bogen  spannt  und  gleich 
gibt  Okeanos  sich  zur  Rulie'.  Preller  bezeichnet  gerade  diesen  Zug  als  einen  altertümlichen,  der  an  die  Sagen  von  Apollo 
Delphinius  und  von  den  Dioskuron  erinnere  (vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  210).  Liegt  vielleicht  in  demselben  eine  Erinnerung 
daran  verborgen,  daß  dieses  große  Flutwesen  selbst  ursprünglich  dem  Herakles  feindlieh  ist,  die  Insel  —  ursprünglich  die 
Wolkeninsel  —  umlagert,  die  die  von  dem  Helden  begehrten  Rinder  birgt?  Und  der  Held  bezwingt  den  Widerstand  durch 
das  bloße  Spannen  seines  Bogens,  wie  der  Wolkenfels  sich  gelegentlich  schon  durch  die  bloße  Furcht  vor  Indra  auftut. 
Ich  halte  diesen  Zusammenhang  nicht  für  unwahrscheinlich. 


64 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoedee. 


jBestiinmter  sind  die  Andeutungen  der  Fabel  in 
Akarnanien,  Epiros  und  lUyrien,  in  denen  aus- 
drücklicii  von  Ger3'on  und  seinen  Herden  und 
von  Erytheia  und  den  Herden  des  Helios  die 
Rede  ist.  So  namentlich  in  der  Gegend  von 
ApoUonia  und  Orikos  am  jouischen  Meerbusen, 
■wo  es  ein  Gefilde  namens  Erytheia  gab,  auf  wel- 
chem Geryones  der  Sage  nach  seine  Herde  ge- 
weidet hatte  und  zugleich  ein  Dienst  des  Helios 
mit  heiligen  Herden  bestand,  welche  unter  Auf- 
sicht der  angesehensten  Bürger  von  ApoUonia  des 
Tages  auf  den  Weiden  des  Flusses  Aoos  geweidet 
wurden,  nachts  aber  in  einer  Höhle  fern  von  der 
Stadt  ihre  Stallung  hatten.  Also  werden  wir  ähn- 
liche Verhältnisse  in  anderen  Gegenden  voraus- 
setzen dürfen,  wie  zu  Ambrakia  und  in  dem  Lande 
der  Aniphilochen,  wo  nach  der  Behauptung  des 
alten  Geographen  Hekataeos  Erytheia  und  das 
Reich  des  Geryon  zu  suchen  wäre,  nicht  in 
dem  fernen  Westen  außerhalb  der  Heraklessäulen, 
wohin  es  der  gewöhnliche  Glaube  versetze,  ferner 
in  Epirus  und  Chaonien,  wo  eine  ausgezeichnete 
Riadviehzucht  sich  gleichfalls  auf  den  Vorgang 
des  Geryones  berief,  so  steif  und  fest  glaubte 
man  an  die  historische  Wirklichkeit  seiner  be- 
rühmten Herde.  Und  so  hat  es  offenbar  noch 
manche  andre  örtliche  Tradition  von  diesen 
bedeutungsvollen  Herden,  den  Räubern,  die  sich 
an  ihnen  vergriffen,  der  Strafe  des  Herakles 
gegeben,  welche  später  sämtlich  mit  den  übrigen 
Erzählungen  von  der  Geryonsfahrt  zu  einem  Gan- 
zen verarbeitet  worden  sind.'  ^) 

Auf  dem  Rückweg  aus  Erytheia  nach  My- 
kenae  gerät  Herakles  in  Rom  mit  dem  räuberi- 
schen, feuerspeienden  Ungetüm  Cacus  in  Streit. 
Dieser  Cacus  haust  in  einer  Höhle  des  Aventin 
am  Tiber,  macht  die  ganze  Umgegend  unsicher 
und  vergreift  sich  auch  an  den  Herden  des 
Herakles,  indem  er  einige  der  Rinder  heimlich 
am  Scliwanze  in  seine  Höhle  hineinzieht.  Das 
Gebrüll  der  Rinder  verrät  den  Raub,  aber  der 
Räuber  will  sie  nicht  herausgeben.  Als  Herakles 
ihn  angreift,  speit  er  dem  Helden  dicken  Rauch 
und  Flammen  entgegen,  wird  aber  dann  von 
diesem  mit  seiner  Keule  ^)  erschlagen.  Diese  Ge- 
schichte ist  offenbar  ursprünglich  nichts  als  eine 
Variante  derselben  Heldentat,  die  in  Erytlieia  ge- 
schehen   sein    soll    und    die   auch  in  Indien  in  so 


mancherlei  Variationen  von  Indra  erzählt  wird. 
Sie  ist  wohl  aus  griechischer  Tradition  in  die 
Sage  Italiens  geflossen,  wo  es  möglicherweise  aber 
auch  früher  schon  verwandte  Fabeln  gegeben 
haben  mag. 

Eine  andre  Variante  finden  wir  in  Sizilien 
lokalisiert,  beim  Berge  Eryx.  Dort  haust  ein  Riese 
gleichen  Namens,  ein  Sohn  des  Butes,  d.  h.  des 
Rinderhirten,  der  sich  einen  verlaufenen  Stier 
der  Herde  des  Herakles  aneignet.  Er  steckt 
denselben  in  seine  Herde  und  will  ihn  nicht 
herausgeben.  Auch  er  wird  natürlich  dann 
von  Herakles  bezwungen.^)  Wieder  haben 
wir  hier  den  Kampf  des  Helden  mit  einem  räu- 
berischen, riesig  gedachten  Besitzer  von  Rinder- 
herden. 

Origineller  und  wichtiger,  für  die  Verglei- 
chung  in  besonderer  AVeise  fruchtbar  ist  eine 
andre  Variante  oder  verwandte  Sageubildung,  das 
Abenteuer  des  Herakles  mit  dem  Riesen  Alkyo- 
neus,  der  ebenfalls  als  Rinderhirt  und  räuberi- 
scher Entführer  der  Sonnenrinder  gedacht  wird. 
Sein  Name,  der  auch  in  der  Gigantoma chie  ge- 
nannt wird,  deutet  ,auf  Frost  und  Eis  und  auf 
die  Zeit  der  kürzesten  Tage',  daher  Preller  wohl 
mit  Recht  in  ihm  ,eine  andre  Personifikation  des 
Winters'  sieht.  Es  heißt  auch  ausdrücklich  von 
ihm,  ,er  habe  die  Kühe  des  Sonnengottes  aus 
Erytheia  hinweggetrieben',  und  der  Sonnenheld 
Herakles  erscheint  bei  ihm  ebenso  wie  bei  Gery- 
ones als  der  siegreiche  Gegner.*)  Es  sind  nament- 
lich verschiedene  merkwürdige  Vasenbilder,  welche 
uns  diesen  Mythus  lebendig  und  anschaulich  vor- 
führen. ,Alkyoneus  wird  auf  diesen  Bildern  immer 
als  ein  Riese  von  kolossaler  Größe  dargestellt, 
und  zwar  entweder  in  einen  tiefen  Schlaf  ver- 
sunken oder  sich  mit  Mühe  aus  demselben  auf- 
richtend, übrigens  nach  Art  der  Riesen  ungeschlacht 
und  mit  einer  Keule  bewaffnet.  Herakles  über- 
fällt ihn  mit  dem  gewöhnlichen  Beistande  der 
Athena  und  des  Hermes,  auch  des  erstarren- 
den Todessclilafs,  wie  es  scheint,  welcher  in 
Gestalt  einer  kleinen  Flügelfigur  nach  Art 
der  Keren  zur  Bezwingung  des  Riesen  bei- 
trägt. Also  eigentlich  ein  Abenteuer  für  sich, 
wie  es  denn  auch  von  Pindar  bei  wiederholter 
Erwähnung  in  diesem  Sinne  erzählt  wird  und  die 
Taten  und  Abenteuer  des  Herakles  überhaupt  erst 


1863. 


')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  205.  206. 

»)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  U.S;    Preller,   Komische  Mythologie,   3.  Aufl.  p.  287.  288.  —  M.  Breal,  Hercule  et  Cacus, 


'j  Vgl.  Preller,  a.  a.  0.  II  p.  211.  215. 


*J   Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  206. 


Herakles  und  Indka. 


65 


dureli  die  kombinierende  Sagendichtung  in  einen 
fortlaufenden  Zusammenhang  verwebt  worden  sind. 
So  ist  auch  Alkyoneus  später  zu  einer  Episode 
geworden,  bald  der  Gigantomachie  von  Phlegra, 
bald  der  Sage  von  der  Heimkehr  des  Herakles 
mit  den  Rindern  des  Geryon,  auf  welche  der 
Riese  nun  auf  demselben  thrakischen  Isthmos  von 
Pallene,  wo  jene  Gigantomachie  spielt,  einen  An- 
griff macht,  einen  so  gewaltigen  Felsen  schleu- 
dernd (man  zeigte  ihn  an  Ort  und  Stelle),  daß 
zwölf  AVagen  und  vierundzwanzig  Mann  darunter 
begraben  wurden.  Immer  fällt  er  den  Herakles: 
doch  sieht  mau  leicht,  daß  in  der  älteren  und 
unabhängigen  Erzählung  der  erstarrende 
Schlaf,  der  ihn  seiner  Wehrkraft  beraubte, 
eine  Hauptsache  gewesen  sein  muß.  Es  ist 
der  Schlaf  des  Winters,  in  welchem  ihm  die  Augen 
fest  zufallen,  wie  jene  Bilder  es  zeigen;  wie  es 
in  deutschen  Liedern,  die  von  dem  Kampfe  zwi- 
schen Sommer  und  Winter  singen,  heißt,  daß  dem 
Winter,  wenn  der  Sommer  über  ihn  kommt,  die 
Augen  ausgehen,  daß  er  gefangen  daliege,  seine 
Sache  ganz  verloren  habe  usw.' ') 

Der  reichen  und  vollen  Sagengestaltung  Grie- 
chenlands, mit  Herakles  als  dem  Helden  des 
Sommers,  Alkyoneus  oder  Gerj'ones  als  Personi- 
fikationen des  Winters,  stehen  im  deutschen  Liede, 
wie  Preller  richtig  dazu  bemerkt,  nur  .die  ver- 
kümmerten Nachklänge  einer  Vergangenheit,  wel- 
cher durch  das  Christentum  die  Wurzeln  ihres 
Lebens  abgeschnitten  wurden',  gegenüber.  Der 
Rigveda  aber  bietet  uns  in  ganz  andrer  Weise 
deutlich  entsprechende  mythische  Bilder,  die  mit 
dem  Alkyoneus-Abenteuer  des  Herakles  gerade 
in  dem  meist  charakteristischen  Punkt,  dem  tiefen, 
festen  Schlafe  des  dämonischen  Gegners,  ganz 
auffallend  übereinstimmen.  Wir  können  dabei  von 
der  Deutung  auf  den  Kampf  zwischen  Sommer 
und  Winter  zunächst  ganz  absehen.  Das  Wesent- 
liche ist  die  Übereinstimmung  des  mythischen 
Bildes. 

Auch  Indra  trifft  nach  ein  paar  Liedern  des 
Rigveda  den  bösen  Wolkendämon  Ahi-Vritra 
entweder  schlafend,  unerweckbar  schlafend,  an 
oder  versetzt  denselben  in  Schlaf,  —  und  wenn 
es  heißt,  daß  er  dies  mit  seinem  Donnerkeil  ge- 
tan habe,  dann  kann  allerdings  kaum  daran  ge- 
zweifelt werden,  welcii  ein  Sehhaf  das  war. 

So  hören  wir  in  einem  kraftvollen  Indra- 
Liede  (RV  4,  19)  zu  Anfang,  alle  Götter,  Erd 
und    Himmel    hätten    ihn,    den    erhabenen    Iiulra 


allein  zur  Vritratötung  erwählt,  die  Götter  hätten 
abgedankt  wie  Greise,  Lidra  wäre  der  Herr  ge- 
worden, habe  den  flutumlagernden  Drachen  ge- 
tötet, für  alle  die  (himmlischen)  Kühe  die  Bahnen 
gerissen.  Und  dann  folgt  die  merkwürdige  Schil- 
derung: 

RV4,  19,  3:  ,Den  unersättlichen,  ausgestreckt 
liegenden,  den  unerweckbaren,  nicht  erwachenden, 
schlafenden,  den  Abi,  der  an  den  sieben  Hügeln 
lagerte,  hast  du,  o  Lidra,  mit  dem  Donnerkeil 
entzwei  geschnitten,  an  der  Stelle,  wo  es  kein 
Gelenk  gab.' 

Schlafend,  unerweckbar,  nicht  erwachend 
trifft  Indra  den  bösen  riesigen  Drachen,  dem  er 
all  die  Kühe  entreißen  will,  von  denen  es  im 
Verse  zuvor  heißt,  er  habe  ihnen  die  Bahnen  ge- 
schaffen. Schlafend,  unerweckbar,  nicht  erwa- 
chend —  man  glaubt  eines  jener  altgriechischen 
Bilder,  die  das  Alkyoneus-Abenteuer  darstellen, 
in  das  Indische  übersetzt  vor  sich  zu  sehen,  in 
der  Sprache  des  vedischen  Mythus  geschildert. 

An  einer  andern  Stelle,  die  wir  schon  früher 
anzuführen  Veranlassung  hatten,  ist  es  deutlich 
gesagt,  daß  Indra  mit  seinem  Donnerkeil  den 
Vritra  in  Schlaf  versetzt  habe: 

RV  1,  121,  11:  ,Du  hast  den  an  den  Strömen 
lagernden  Vritra  mit  Macht  durch  deinen  Donner- 
keil in  Schlaf  versetzt,  den  Eher.' 

Es  kann  kein  Zweifel  sein,  daß  hier  von  dem 
erstarrenden  Todesschlaf  die  Rede  ist,  denn  andern 
Schlaf  wird  der  Donnerkeil  schwerlich  bewirken. 
Man  muß  dabei  aber  wieder  an  jene  griecliischen 
Vasenbilder  denken,  an  die  Flügelfigur  nacli  Art 
der  Keren,  die  den  Herakles  begleitet  und  den 
von  ihm  bewirkten  erstarrenden  Todesschlaf  an- 
deutet. Wir  sehen  Indra  einmal  den  Abi  uner- 
weckbar schlafend  antreffen  und  mit  dem  Donner- 
keil spalten,  das  andere  Mal  versetzt  er  mit  Hilfe 
des  Donnerkeils  den  Vritra  in  Schlaf  —  und  beide 
Varianten  lassen  sich  aus  den  griechischen  Bildern 
herauslesen:  Heraklos  trifft  den  Alkyoneus  schla- 
fend; er  kommt  in  Begleitung  der  Ker,  die  den 
Riesen  in  Todesschlaf  versenkt.  Es  ist  kaum 
möjrlich,  größere  Ul)ereinstimmung  im  IMvthus 
zweier  so  lange  schon  getrennter  Brüdervölker  zu 
verlangen. 

Doch  der  Veda  bietet  uns  noch  eine  andre 
merkwürdige  \'ariante  dieses  Mythus.  Unter  den 
vielen  dämonischen  Gegnern  des  Indra  erscheint 


Dluini  und  Cumuri  genannt. 


auch  ein  Paar 

Name  des   Dhuui   bedeutet  offenb.Tr    den 


Der 

ärmen- 


')  Vcl.   Preller,  a.  a.  0.  II   p.  206.  207.     Die  Sperrungen  rühren   von   mir  her. 

Denkschriften  der  pliil.-hlst.  Kl.  .'i8.  ßd    .1.  Abh. 


66 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Schkoedee. 


deu  oder  Tosendeu  und  criuiiert  also  deutlich  an 
den  gewaltig  brüllenden  dreiköpfigen  Dämon 
Tväshtra  Vi^-varüpa,  der  dem  griechischen  Gery- 
ones  entspricht,  —  während  der  Name  des  Cumuri 
dunkel  bleibt.  Von  diesem  Dämonenpaar,  das  ein- 
mal auch  im  Dvandva- Kompositum  A-erbunden 
erscheint,  heißt  es  nun  ebenfalls,  Indra  habe  das- 
selbe in  Schlaf  versetzt,  —  und  zwar  scheint  es 
sich  hier  um  das  Einschläfern  zu  handeln,  das 
dem  Todesstreich  vorausgeht.  Die  Tat  wird  nach 
den  Liedern  zu  Gunsten  des  Dabhiti  getan,  wohl 
eines  mythischen  Verehrers  des  Gottes.  Es  heißt: 

RV  2,  15,  9:  ,Mit  Schlaf  bedeckend  i)  den  Cu- 
muri und  Dhuni,  hast  du  den  Dämon  getötet,  dem 
Dabhiti  geholfen.' 

All  einer  andern  Stelle  hören  wir: 

RV  7,  19,  4:  ,Du  hast  den  Dämon  Cumuri 
und  Dhuni  für  Dabhiti  in  Schlaf  versetzt,  so  daß 
teide  sich  leicht  töten  ließen.'-) 

Ferner  haben  wir  noch  zwei  Stellen  im 
sechsten  Buche  des  Rigveda: 

6,  26,  6:  ,Am  Glauben  dich  freuend  und  am 
Somatrunk  hast  du,  o  Indra,  den  Cumuri  in 
Schlaf  versetzt',  —  wo  einmal  ausnahmsweise 
Cumuri  allein  genannt  ist.  Dagegen  hören  wir 
wieder  von  beiden  Dämonen,  wie  auch  von  Dabhiti : 

6,  20,  13:  ,dies  alles  ist  Dein  (Work),  o  In- 
dra, im  Kampfe!  Es  schlafen  Dhuni  und  Cumuri, 
die  beiden,  welche  du  in  Schlaf  versetztest.  Da 
glänzte  vor  dir  Dabhiti  mit  seinem  Soma,  kelternd, 
Brennholz  bringend  und  kochend.'  —  Hier  scheint 
der  Schlaf  denn  doch  wiederum  als  Todesschlaf 
gedacht  zu  sein,  in  den  der  Gott  die  Dämonen 
versetzte,  —  oder  es  ist  auch  bei  der  Wieder- 
holung des  Verbums  an  ein  Doppeltes  gedacht, 
das  vorausgehende  Einschläfern  und  die  Tötung: 
Sie  schlafen  Ijeide  nun  für  immer,  die  du  damals 
einschläfertest!^) 

Noch  zweimal  wird  im  Rigveda  die  Bezwin- 
gung des  Dhuni  und  Cumuri  durch  Indra  er- 
wähnt, ohne  daß  des  Einschläferns  dabei  aus- 
drücklich gedacht  würde  (RV  6,  18,  8;  10,  113,  9). 
Doch  lehren  uns  die  angeführten  Stellen  deutlich 
genug,  daß  gerade  dieser  Zug  der  Sage  von  Dhuni 
und  Cumuri  besonders  charakteristisch  ist  und  sie 
von  der  großen  Menge  der  sonstigen  Kämpfe  und 
Siege  des  Indra  über  böse  Dämonen  deutlich  ab- 


hebt. Daß  wir  hier  zwei  dämonische  Gegner  ver- 
eint dem  Indra  gegenüber  finden,  ist  in  keiner 
Weise  auffallend  und  nur  allenfalls  die  ständige 
Verbindung  gerade  dieser  zwei  bemerkenswert. 
Ihrem  Wesen  nach  sind  Dhuni  und  Cumuri  von 
Abi  oder  Vritra,  von  T^-äshtra  Vifvarüpa,  dem 
BrUller,  Arnava  u.  a.  m.  nicht  irgendwie  scharf 
zu  unterscheiden.  Es  sind  zwei  dämonische  Ge- 
stalten desselben  Gebietes,  bei  denen  sich  nur  der 
Zug  der  Einschläferung  durch  Indra  als  speziell 
charakteristischer  festgesetzt  hat,  ähnlich  wie  unter 
allen  Geryones-Parallelen  speziell  dem  Alkvoneus 
der  Schlaf,  respektive  die  Einschläferung  charak- 
teristisch ist.  Wir  wollen  aber  nicht  vergessen, 
daß  auch  bei  Ahi  und  Vritra  dieser  Zug  an  den 
beiden  früher  angeführten  Vedastellen  unzweifel- 
haft deutlich  hervortritt,  —  bei  diesen  als  eine 
Variante  der  gewöhnlichen  Schilderung,  in  ihrer 
klaren  und  kräftigen  Ausprägung  aber  höchst  be- 
merkenswert. 

Was  die  Deutung  des  mythischen  Kampfes 
anbetrifft,  in  welchem  der  dreiköpfige  Brüller,  Ahi 
und  Vritra,  Dhuni  und  Cumuri  dem  siegreichen 
Indra  unterliegen,  geben  uns  die  angeführten 
Liedertexte  des  Veda  keine  Veranlassung  dazu, 
speziell  an  den  Kampf  des  Sommers  und  Winters 
zu  denken.  Es  ist  der  typische,  in  fast  unend- 
lichen Variationen  geschilderte  Kampf  des  Ge- 
wittergottes gegen  die  bösen  Dämonen,  bei  dem 
man  in  erster  Linie  immer  an  den  Gewittervor- 
gang denken  möchte,  bei  welchem  ebensowohl  die 
Wolkenwasser  wie  das  Sonnenlicht  aus  der  Gewalt 
tückischer  böser  Mächte  befreit  und  den  Men- 
schen neu  geschenkt  werden.  Daß  ))ei  der  Hel- 
dentat Indras  hiervon  auszugehen  ist,  scheint  mir 
keinem  Zweifel  zu  unterliegen.  Doch  wir  haben 
auch  bereits  bemerkt,  daß  bestimmte  Anzeichen 
dafür  sprechen,  dieser  Kampf  sei  erweitert  und 
verallgemeinert  nicht  nur  auf  den  Kampf  des  liinim- 
lischen  Helden  gegen  die  Mächte  der  Nacht  und  des 
Dunkels,  sondern  auch  gegen  die  einer  winter- 
lichen, kalten,  dunkleren  und  unfreundlicheren 
Jahreszeit  bezogen  und  übertragen  worden.  Hille- 
brandt  hat  uns  den  Ahi- Vritra  in  seiner  Eigen- 
schaft als  Winterdämon  erkennen  lassen,  der  durch 
Frost  und  Eis  die  Wasser  bannt  und  fesselt. 
Auch  die  öfters  erwähnte  Erzeugung  der  Sonne 
und    der  Morgenröte,    d.  i.   der  jungen,    neu   auf- 


*)  STÄpnenäbhyiipyä  cümuriiii  dlii'nüin  ca  j.-ig'lKiiitha  däsyum  i)r;'i  daljlätini  ävalj;  .il)hi-vap  liedeutet  eigentlich  ,bostreuen', 
alBo  ,mit  Sclilaf  bestreuend',  d.  h.  natürlich  in  Schlaf  versenkend. 

')  Tväin  ni  däsyuiii  cümurin.i  dhünini  eä.svapayo  dabhitaye  .suli;uitM;  das  Wort  suh.-'intu  ist  eine  uuregehniißige  Uual- 
form  für  suhäntü   ,die   beiden   leicht  zu  tötenden'.     OtTenl)ar  wird  dunh  das  Einschläfern   hier  die  Tötung  leicht  gemacht. 

")  sastö  dliünicüniuri  yä  ha  sishvap. 


Heeakles  und  Indra. 


67 


steigenden  Sonne  erlangt  nur  so  einen  befriedi- 
genden Sinn,  und  das  Ritual  drängt  darauf  hin, 
diese  Morgenröte  in  erster  Linie  als  die  junge 
Sonne  des  neuen  Jahres  zu  fassen.  Es  ist  wahr- 
scheinlich, daß  der  Mythus  in  der  arischen  Urzeit 
schon  diese  Wendung  und  Deutung  erhielt,  die 
bei  Griechen  und  Germanen  fortlebt,  ebenso 
wahrscheinlich  und  begreiflich,  daß  sich  dieselbe 
in  Indien,  unter  ganz  anderen  klimatischen  Be- 
dingungen, abschwächen  mußte,  da  hier  überhaupt 
kein  so  starker  Gegensatz  einer  kalten,  finstern, 
stürmischen,  unfreundlichen  und  unfruchtbaren 
Jahreszeit  zu  einer  warmen,  freundlichen,  frucht- 
baren mehr  vorlag.  Dennoch  lebte  der  alte  Glaube 
fort,  daß  der  kampfesfrohe,  siegreiche  alte  Ge- 
witterriese die  junge  Sonne  des  neuen  Jahres  neu 
mache,    neu  schaffe,   wie  er  auch  die  befruchten- 


den Himmelswasser  befreit  und  schenkt,  daß  er 
daher  durch  seinen  unendlich  oft  besungenen 
Kampf  gegen  die  bösen  neidischen  Dämonen  alle 
Fruchtbarkeit  des  neuen  Jahres  in  Regen  und 
Sonnenschein  schaffe  und  spende.  Er  wurde  um 
dieser  Großtat  willen  fort  und  fort,  insbesondere 
aber  an  den  großen  Wendepunkten  des  Jahres, 
Frühlings-  und  Jahresanfang,  Sonnenwende,  ge- 
priesen, gefeiert,  mit  Soma  gelabt. 

Wir  werden  auf  diesen  Punkt  noch  weiterhin 
zurückzukommen  Veranlassung  haben.  Hier  war 
es  zunächst  unsre  Aufgabe,  den  Nachweis  zu 
liefern,  daß  den  Abenteuern  des  Herakles  mit 
Geryones  und  Alkyoneus  in  den  Indramythen  des 
Veda  unzweifelhaft  deutliche  Entsprechungen 
gegenüberstehen.  Und  diesen  Nachweis  dürfen 
wir  wohl  als  erbracht  ansehen. 


Die  Äpfel  der  Hesperiden  und  Atlas. 


Zwei  Leistungen  sind  es  vor  allem,  welche 
—  wie  wir  bereits  gesehen  haben  —  dem  Indra 
fort  und  fort  nachgerühmt  werden:  die  Befreiung 
der  Wasser  und  die  Gewinnung  des  Himmelslichts. 
Beides  erreicht  er  durch  die  Besieirunjr  und  Tötung: 
des  bösen  Wolkendämons  und  Winterdämons, 
respektive  mehrerer  solcher  Dämonen.  Bald  wird 
beides  zusammen  erwähnt,  bald  wohl  auch  eins 
oder  das  andre  für  sich.  Es  fehlt  nicht  an  an- 
dern Heldentaten  und  andern  Errungenschaften 
des  großen  Sieges;  dies  beides  aber  steht  doch 
fast  immer  ganz  typisch  im  Vordergrunde  der 
Schilderungen. 

Von  den  Heldentaten  des  Herakles  hängen 
die  zuerst  von  uns  Ijesprocheuen  und  verglichenen, 
die  ja  auch  zeitlich  als  die  ersten  gelten,  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  mit  der  Regengewinnung 
und  uraltem  Regeuzauber  zusammen:  die  Tötung 
des  nemeischen  Löwen,  des  Repräsentanten  der 
heißen,  dürren  Zeit,  und  die  Tötung  der  Hydra, 
der  Schlange,  die  ursprünglich  wohl  die  Wasser 
verschluckt  hatte  und  nicht  herau!?geben  will.  Mit 
dem  Eber,  der  am  Erymanthosflusse  haust,  mag 
es  sich  von  Hause  aus  ähnlieh  verhalten  liahen, 
doch  hat  die  Sage  auf  griechischem  Boden  eine 
andre  Wendung  erhalten  und  läßt  sich  am  leich- 
testen auf  den  verheerenden  Bergstrom  deuten. 
Die  fest  damit  verbundene  Kentauromachie  mit 
ihren   Regengüssen   und   dem  Schwelgen   im    be- 


rauschenden Trank    deutet  aber  doch  wieder  auf 
die  himmlischen  Wasserströme. 

A^on  der  Sonne  ist  hier  jedenfalls  keine  Rede. 
Dagegen  finden  wir  in  der  Augeiasgeschichte  die 
Sonnenrinder  in  ihrem  Stall,  das  Aufbrechen  dieses 
Stalles  und  das  Leiten  der  Wasserströme,  —  also 
die  beiden  charakteristischen  Hauptmomente  der 
Indrasage,  wenn  auch  unter  neuen  Verhältnissen 
in  ganz  neue  Beziehung  zueinander  gebracht.  Im 
Geryones- Abenteuer  aber  haben  wir  es  wohl  le- 
diglich mit  der  Befreiung,  respektive  Erbeutung 
der  Sonnenrinder  zu  tun.  die  in  der  Wolkenhöhle 
als  ihrem  Stall  gefangen  gehalten  werden.  Von 
der  Gewinnung  der  Sonne  und  des  himmlischen 
Lichtes  handeln,  wie  ich  glaube,  auch  die  letzten 
noch  zu  besprechenden  Arbeiten  des  Herakles,  — 
das  Herbeibringen  der  Ilesperidenäpfel  und  des 
Kerberos.  Wir  betrachten  zunächst  das  erst- 
genannte Abenteuer. 

Die  Sage  vom  Garten  der  Hesperiden  und 
seinen  goldenen  Äpfeln  ist  eine  überaus  reizende. 
Fern  im  äußersten  Westen,  von  den  Fluten  des 
Okeanos  umspült,  liegt  ein  seliges  Eiland,  zu  dem 
nie  ein  Schiffer  hingelangt.  Dort  fließen  Quellen 
von  Nektar  und  Ambrosia,  und  die  sogensprossende 
Erde  spendet  den  Göttern  ihre  herrlichsten  Gaben. 
Dort  findet  sich  der  Göttergarten,  den  die  Hespe- 
riden, die  abendlichen  Nymphen,  hüten,  sein 
schönster  Schmuck  aber  ist  der  Wunderbaum  mit 

9* 


68 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Schkoedee. 


den  goldenen  Äpfeln,  die  als  Symbole  des  Segens 
der  schaffenden  Naturkraft,  der  Liebe  und  der 
Fruchtbarkeit  gelten.  Diesen  Baum  des  Lebens 
mit  den  goldenen  Ifesperidenäpfeln,  wie  sie  ge- 
wöhnlich genannt  werden,  ließ  die  Erde  zur 
Hochzeit  der  Hera  erwachsen,  die  dort  ihr  erstes 
hräutliches  Beilager  mit  dem  Göttervater  Zeus 
ffehalten  haben  soll.  Hera  aber  vertraut  den  wun- 
derbaren  Baum  der  Hut  des  Drachen  Ladon  und 
der  hesperischen  Nymphen  an,  d.  i.  der  Hesperiden, 
deren  gewöhnlich  drei  genannt  werden:  Aigle, 
Erytheia  und  Hesperia,  die  Strahlende,  die  Röt- 
liche, die  Abendliche.  Es  sind  Namen,  die  den 
rötlichen  Glanz  der  abendlichen  Sonne  wider- 
spiegeln, —  ähnlich  wie  jenes  Eiland  Erytheia, 
das  die  Rinder  des  Geryones  barg  und  ebenfalls 
dort  im  fernsten  Westen  im  Okeanos  gelegen  sein 
soll.')  Diese  Lage  des  Gartens  der  Hesperiden 
darf  unbedingt  als  die  ursprüngliche  und  eigent- 
liche gelten,  denn  die  Nymphen  des  Abends,  wie 
ihr  Name  sie  kennzeichnet,  sind  naturgemäß  dort 
zu  suchen,  wo  die  untergehende,  die  abendliche 
Sonne  strahlt.  Doch  findet  sich  daneben  bei  man- 
chen Dichtern  auch  eine  andre  Auffassung,  der 
gemäß  die  Hesperiden  und  der  stets  ihnen  ver- 
bundene Atlas  im  äußersten  Norden  zu  suchen 
seien,  in  der  Gegend  der  Hyperboreer,  in  jenem 
Teile  des  erdumgürtenden  Okeanos,  der  nordwärts 
von  dem  fabelhaften  Gebirge  der  Rhipaeen  sich 
breitet.")  Welche  Wertung  man  dieser  Variante 
auch  zuschreiben  mag,  —  wichtig  vor  allem  ist 
für  uns  die  Frage  nach  der  ursprünglichen  Be- 
deutung der  Avunderbaren  goldenen  Apfel. 

Es  scheint  mir  keinem  Zweifel  zu  unterliegen, 
daß  uns  hier,  wie  auch  sonst  noch  öfters,  die  un- 
gemein primitiv -mythologische  Vorstellung  der 
lettischen  Lieder  den  richtigen  Weg  weist  und  uns 
die  an  sich  schon  naheliegende  Deutung  mit  voller 
Sicherheit  erkennen  läßt.  Nach  diesen  Liedern 
wohnt  die  Sonne,  oder  weilt  doch  zeitweilig,  in 
einem  Apfelgarten,  dort  zieht  sie  ein,  dort  schlum- 
mert und  schläft  sie.  Des  Morgens  früh  erhebt 
sich  die  Sonnentochter,  die  junge,  neu  aufstei- 
gende Sonne,  und  die  Gottessöhne,  ihre  glück- 
lichen Freier,  kommen  und  rollen  den  goldenen 
Apfel: 

Stehe  früh  auf,  Sonnentochter, 
Wasche  weiß  den  Lindentisch, 


Morgen  früh  kommen  Gottes  Söhne, 
Den  goldenen  Apfel  zu  wirbeln  (rollen). 

Wenn  aber  der  Apfel  vom  Baume  fällt,  dann 
weint  die  Sonne: 

Bitterlich  weint  das  Sonnchen 

Im  Apfelgarten. 

Vom  Apfelbaum  ist  gefallen 

Der  goldene  Apfel. 

Weine  nicht.  Sonnchen, 

Gott  macht  einen  andern, 

Von  Gold,  von  Erz, 

Von  Silberchen. 

Das  ist,  in  naivster  Form  ausgedrückt,  offen- 
bar nichts  anderes  als  Sonnenuntergang  und  Trost 
beim  Entschwinden  des  goldig  glänzenden  Ge- 
stirns. Der  goldene  Apfel  ist  der  Sonnenball 
selbst.  Ihn  wirbeln  oder  rollen  die  Gottessöhne 
am  Morgen  früh,  und  abends  weint  die  Sonne, 
weil  er  vom  Baume  gefallen  ist.  Ist  das  Bild 
des  Apfels  einmal  da,  dann  stellt  sich  ganz  natür- 
lich dazu  auch  der  Apfelbaum  ein,  an  dem  er 
gewachsen,  und  die  täglich  wiederkehrende  Er- 
scheinung des  Sonnenballs  läßt  sich  leicht  als 
eine  lange  Reihe  solcher  Apfel  fassen.  Die  Sonne 
aber  schläft  in  dem  Apfelgarten: 

Einfuhr  die  Sonne  zum  Apfelgarten, 
Neun  Wagen  zogen  wohl  hundert  Rosse. 
Schlummre,   o  Sonne,   im  Apfelgarten, 
Die  Augenlider  voll  Aj)felblüten. 

Ähnlich,  fast  noch  hübscher,  singt  ein  an- 
dres Lied: 

Schlafe,  schlafe.  Sonnchen, 
Im  Apfelgarten, 
Voll  sind  deine  Äuglein, 
Mit  Apfelbaumblüten. ^1 

Der  Apfelbaum  und  seine  Blüten  existieren 
nur  in  der  Phantasie  der  Sänger,  aber  es  ist  ein 
reizendes  mythisches  Bild,  wie  von  selbst  aus  der 
Vorstellung  des  Sonnenballs  als  eines  Apfels,  re- 
spektive eines  goldenen  Apfels  erwachsen. 

Dort,  wo  die  Sonne  untergeht,  wo  sie  ein- 
fährt mit  ihrem  Wagen,  ist  ein  Apfelgarten,  in 
dem  goldene  Apfel  wachsen.  Da  ruht  und  schläft 
die  Sonne,  die  Augen  voll  Apfelblüten.  Ihre 
Liebsten,  die  Gottessöhne,  aber  rollen  am  Morgen 


1)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  I  p.  31-33.  131.  461  %.;  II  p.  216  fg. 

«)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  216. 

")  Vgl.  Mannhardt,  Lettische  Sonnenmythen,  die  Lieder  Nr.  28—31. 


Hekakles  und  Indea. 


69 


früh  den  goldenen  Apfel,  den  Sonnenball.  Das 
ist  in  der  naiven  Sprache  des  lettischen  Mythus 
wesentlich  dieselbe  Vorstellung,  die  wir  im  Hes- 
peridengarten  der  Griechen  zu  höchster  Schönheit 
entwickelt  und  vollendet  sehen:  der  wunderbare 
Garten  mit  dem  wunderbaren  Baum,  an  dem  die 
goldenen  Apfel  wachsen,  —  wo  Hera,  die  Königin 
des  Himmels,  die  Sonnengüttin,  die  junge  bräut- 
liche Sonne  an  der  Seite  ihres  geliebten,  neuver- 
mählten Gatten  schlummert. 

Aus  dem  goldenen  Apfel  als  Sonuensymbol 
konnte  natürlich  leicht  ein  Symbol  der  Frucht- 
barkeit und  des  Segens,  der  schaffenden  Naturkraft 
überhaupt  sich  entwickeln,  wie  es  in  den  Hespe- 
ridenäpfeln  der  Griechen  tatsächlich  vorliegt.  Die- 
selbe Bedeutung  ist  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
in  der  nordischen  Mythologie  den  wunderbaren, 
viel  begehrten  Äpfeln  der  Idun  zuzuschreiben,  die 
ursprünglich  wohl  auch  nichts  anderes  waren  als 
Sonnenäpfel.  Und  wenn  in  der  Edda  Skirner,  der 
Diener  des  Himmelsgottes  Freyr,  bei  der  Wer- 
bung um  Gerdhr  im  Namen  seines  Herrn  der 
schönen  Riesentochter  elf  ganz  goldene  Apfel  zum 
Geschenke  bietet, i)  dann  handelt  es  sich  offenbar 
um  lockende  Kleinode  ähnlicher  Art,  Symbole  der 
Fruchtbarkeit,  wie  sie  dem  großen  Gotte  der 
himmlischen  Fruchtbarkeit  mehr  als  jedem  andern 
zustehen,  im  Grunde  aber  doch  wiederum  Sonnen- 
äpfel. Bei  den  Skandinaviern  scheint  das  Symbol 
ungefähr  auf  der  gleichen  Stufe  der  Entwicklung 
zu  stehen  wie  bei  den  Griechen,  während  es  sich 
bei  den  Letten  ganz  einfach  und  primitiv  als  ein 
Abbild  des  Sonnenballs  erhalten  hat.  In  dieser 
einfachen  Form  scheint  es  auch  bei  den  Slawen 
noch  fortzuleben,  in  dem  montenegrinischen  Ge- 
dicht von  dem  Pascha,  der  um  die  schone  Sonnen-  | 
Schwester  wirbt  und  dabei  umkommt.  Mit  den 
drei  goldenen  Äpfeln,  die  die  Jungfrau  zum  Him- 
mel emporwirft  \ind  fangen  heißt,  vernichtet  sie 
den  kühnen  Freier  samt  seinem  Gefolge.") 

Es  ist  sehr  möglich,  daß  das  Bild  der  Sonne 
als  eines  Apfels  neben  vielen  andern  Sonnenbildern 
den  Ariern  schon  in  der  Urzeit  geläufig  war  und 
daß  sie  auch  schon  von  dem  Baume  fabelten,  an 
welchem  diese  wunderbaren  Früchte  wuchsen. 
War  ihnen  das  Gold  damals  noch  unbekannt,  dann 


bezeichneten  sie  diese  Äpfel  eben  noch  nicht  als  gol- 
dene, vielleicht  als  gelbe.  Das  Epitheton  ,golden' 
gesellte  sich  später  fast  mit  Notwendigkeit  hinzu. 
Doch,  wie  man  sich  das  auch  denken  mag,  auf 
jeden  Fall  liegt  nichts  näher,  als  die  Apfel  der 
Hesperideu,  ähnlich  den  lettischen  Sonnenäpfeln, 
als  alte  Sinnbilder  der  Sonne  zu  fassen,  die  der 
Sonnenheld  Herakles  gewinnen  muß. 

Er  hat  einen  weiten  Weg  bis  zum  Garten 
der  Hesperiden  zurückzulegen,  ob  man  sich  diesen 
nun  im  äußersten  Westen  oder  im  höchsten  Nor- 
den gelegen  denkt.  Auf  einige  Abenteuer  dieses 
Weges  werden  wir  später  zu  spreclien  kommen. 
An  Ort  und  Stelle  angelangt,  muß  der  Held  noch 
zuerst  den  Drachen  Ladon  bezwingen,  der  den 
Baum  mit  den  goldenen  Äpfeln  hütet.  Er  tötet 
den  Drachen  und  pflückt  die  Apfel  vom  Wunder- 
baume. Dies  ist  offenbar  die  älteste  Fassung  der 
Sage.^j  Nach  einer  andern,  später  besonders  ge- 
läufig gewordenen  Form  der  Erzählung  tut  He- 
rakles die  Tat  nicht  selbst,  er  bewegt  vielmehr 
den  Atlas  dazu,  den  Riesen,  der  das  Himmels- 
gewölbe auf  seinem  Nacken  trägt.  Inzwischen 
nimmt  Herakles  selbst  die  gewaltige  Last  auf  sich. 
Als  der  Riese  mit  den  erbeuteten  Äpfeln  zurück- 
kommt, will  er  diese  nun  selbst  nach  Mykenae 
bringen  und  Herakles  das  Tragen  des  Himmels 
ganz  überlassen.  Aber  der  Held  überlistet  den 
plumpen  Patron,  indem  er  sich  scheinbar  dazu 
bereit  erklärt,  nur  zuvor  sich  noch  ein  Kissen  auf 
den  Ko]>f  legen  will.  Als  Atlas  die  Last  wieder 
auf  den  Schultern  hat,  wird  er  sie  nicht  mehr  los, 
und  auch  die  Apfel,  die  er  noch  in  der  Hand 
hält,  zwingt  ihm  Herakles  mit  dem  Schwerte  ab, 
wie  schon  auf  dem  Kypseloskasten  und  andern 
alten  Denkmälern  im  Bilde  zu  sehen  war.*)  Ist 
auch  diese  Erzählung  augenscheinlich  später  er- 
funden, so  scheint  doch  die  Verbindung  des  Atlas 
mit  der  Sage  von  den  Hesperidenäpfeln  und  ihrer 
Gewinnung  durch  Herakles  eine  alte  und  feste  zu 
sein,  wenn  auch  andersartig.^)  Wir  werden  einen 
merkwürdigen  Beweis  dafür  bald  aus  den  Liedern 
des  Rigveda  gewinnen. 

Der  wesentliche  Inhalt  des  ursprünglichen 
Mythus  besteht  offenbar  in  der  Gewinnung  des 
himmlischen  Lichts   und  des    damit    verbundenen 


*)  .Skirnetinäl  19:  eple  alüfo  her  hefk  algollen,  )ian  moiik  ]>iT,  Genlr.  gef.-i  etc. 

'■*)   Vgl.  Maiuiliardt,    Lottisclio  Sonnenmythen   p.  21 -J. 

3)  Vgl.  Gruppe  a.  a.  O.  I  p.  471.  *)  Vgl.  Treller,  a.  a.  O.  11  p.  220.  221. 

^)  Vgl.  Gruppe  a.  a.  O.  1  p.  171.  Nach  Grupi)0  hätte  in  einer  älteren  Fassung  der  Sago  Atlas  ilie  Äpfel  nicht  selbst 
geholt,  ,sondern  eher  dem  Helden  freundliche  Auskunft  erteilt,  wozu  er,  der  ja  alle  Meerostiefen  kennt,  besonders  befähigt 
ist.  Erst  die  argivische  oder  eine  noch  jüngere  Dichtung  wird  das  gegebene  Motiv  der  Zusaninienkunft  mit  Atlas  durch 
die  Erfindung  überboten  haben,  daß  der  Held  die  Hinimelslast  auf  sich  nahm.' 


70 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoedee. 


Segens,  im  Bilde  der  Sounenäpfel,  uuter  voraus- 
gehender Tötuno-  des  diese  Schätze  hütenden 
Drachens. 

Das  Bild  von  den  Sonnenäpfelii  ist  nun  frei- 
lich im  indischen  Mythus  nicht  vorhanden.  Nimmt 
man  an.  daß  dasselbe  der  Urzeit  angehörte,  dann 
müßten  die  Inder  dasselbe  im  Laufe  ihrer  Souder- 
entwieklung,  in  einem  Lande,  wo  der  Apfelbaum 
fehlte  oder  keine  hervortretende  Rolle  spielte,  ver- 
loren haben.  Glaubt  man  nicht  an  die  Urzeit- 
lichkeit  des  Bildes,  dann  hätten  die  europäischen 
Arier  dasselbe  nach  der  Abtrennung  der  Indo- 
perser  erst  entwickelt  und  den  letzteren  wäre 
dasselbe  überhaupt  fremd  geblieben.')  Wie  dem 
auch  sei,  im  Indramythus  hören  wir  jedenfalls 
nicht  von  derartigen  Äpfeln.  Sehr  geläufig  aber 
ist  ihm  die  allgemeine  Vorstellung,  Indra  habe 
das  Himmelslicht,  die  Sonne,  die  Morgenröte  ge- 
wonnen, gefunden,  ersiegt,  erbeutet,  er  habe  es 
den  Menschen  geschenkt,  habe  die  Sonne  am  Him- 
mel aufsteigen,  leuchten  lassen,  und  wie  die  Wen- 
dungen sonst  lauten  mögen.  Dieser  typischen 
Heldentat  geht  die  ebenso  typische  Tötung  des 
bösen  Drachen  voraus.  Der  Grundgedanke  der 
Gewinnung  der  Sonne  und  ihres  Segens,  nach 
Tötung  eines  bösen  Drachens,  iväre  also  dem  in- 
dischen und  dem  griechischen  Mythus  gemein,  es 
fehlt  nur  das  Bild  von  den  Äpfeln  in  Indien. 

Um  die  Art,  wie  die  vedischen  Texte  von 
dieser  Tat  des  Indra  reden,  ein  wenig  zu  veran- 
schaulichen, will  ich  einige  charakteristische  Stel- 
len hier  mitteilen. 

Kurz  und  bündig  heißt  es  z.  B.  RV  1,  51,  4. 

,Als  du,  o  Indra,  mit  Macht  den  Vritra,  den 
Drachen,  tötetest,  da  ließest  du  am  Himmel  die 
Sonne  aufsteigen,  zum  Schauen.'  Die  Wendung 
,du  ließest  die  Sonne  am  Himmel  aufsteigen'-) 
findet  sich  auch  RV  8,  78,  7  gebraucht,  nachdem 
zuvor  von  der  Tötung  des  Vritra,  Ausbreitung  der 


Erde    und  Stützung 
wesen. 


des  Himmels   die   Rede 


Im  Vers  4  desselben  Liedes  ist  der  Vorgang 


stattfindender  gefaßt 


sehr 
da  es  sich  in  der  Tat  um  Dinge* 


wie    ein    erst    noch 
charakteristisch 
handelt,  die  sich  wiederholen,  sei  es  nun  beim  Ge- 
witter oder  beim  Jahreszeiten  Wechsel.  Da  heißt  es: 

,Die  mütterlichen  Wasser  sollen  eilig  strömen ! 
Töte  du  den  Vritra,   ersiege  das  Himmelslicht !'^) 

Auch  RV  1,  7,  3  heißt  es:  , Indra  ließ  zu  lan- 
gem Schauen  die  Sonne  am  Himmel  aufsteigen; 
er  spaltete  den  Fels  um  der  Kühe  willen.' 

, Indra  hat  die  Sonne  aufgefunden,  die  im 
Dunkel  weilte,'  rühmt  der  Sänger  (RV  3,  39,  5).^) 
,Als  das  Himmelslicht  gefunden  ward,  schön  zu 
schauen  mit  seinen  Strahlen,  da  ließen  sie  —  d.  h. 
Indra  mit  seineu  Helfern  —  das  große  Licht  er- 
strahlen beim  Aufleuchten;^)  das  blinde,  verwor- 
rene Dunkel  hat  der  stärkste  Mann  den  Män- 
nern sichtbar  gemacht'  heißt  es  RV  4,  16,  4;  und 
im  9.  Verse  desselben  Liedes  hören  wir  den  Sän- 
ger den  Gott  anflehen  um  die  Gewinnung  des 
Himmelslichts'. ^) 

Das  Wort,  das  ich  hier  bereits  mehrmals 
durch  , Himmelslicht'  übersetzt  habe  —  svär  — , 
hat  ohne  Zweifel  diese  Bedeutung.  Es  ist  ein 
Nomen,  identisch  mit  jener  Wurzel,  aus  der  so 
viele  Bezeichnungen  der  Sonne  in  den  arischen 
Sprachen  entsprossen  sind.  Es  bezeichnet  die 
Sonne,  das  Sonnenlicht,  den  sonnenerhellten  Licht- 
himmel, wird  aber  auch  oft  allgemeiner  durch 
, Licht,  Glanz,  Herrlichkeit,  Seligkeit,  Glück'  wieder- 
gegeben. Und  in  der  Tat  scheint  es  diese  allge- 
meine Bedeutung  gewonnen  zu  haben,  ähnlich  wie 
die  alten  mythischen  Soimenäpfel  bei  Griechen 
und  Germauen  zu  einem  Symbol  des  Glückes  und 
der  Seligkeit  überhaupt  geworden  sind,  alles  Glück, 
alle  Herrlichkeit  bedeuten.')  Doch  ist  den  Indern 
niemals  die  eigentliche  Bedeutung  des  Wortes  svär 


')  Wie  Herr  Professor  R.  v.  Wettsteiii  mich  belehrt,  ist  der  Apfel  nach  seiner  Überzeugung  ein  ur.-ilt  einheimisch 
europäischer  Baum,  während  derselbe  in  Indien  erst  verhältnismäßig  spät  importiert  wurde.  Darnach  möchte  ich  die  erste 
Möglichkeit  für  die  wahrscheinlichere  halten:  Existenz  des  Bildes  in  der  Urzeit  und  Verlust  dessell)en  bei  den  Indern, 
nachdem  sie  in  "ein  apfelloses  Land  gezogen  waren. 

-)  yäd  indra  (jävasävadhir  ähim  ad  it  süryani   divy  ärohayo   dricfe. 

')  RV8,  78,  4:  häno  vriträiii  jiiyä  svalj.  *)  suryani  viveda  tämasi  kshiyäntam. 

*)  västolj;  das  , Aufleuchten' wird  gewöhnlich  auf  die  Morgenfrühe  bezogen;  ich  halte  es  für  sehr  wahrscheinlich,  daß 
es  ebenso,  und  ursprünglich  wohl  in  erster  Linie,  auf  die  im  Frühling  neu  aufleuchtende  Sonne  sich  bezog. 

«)  cf.  auch  RV  6,  ;i;i,  4. 

')  Namentlich  .sind  sie  den  Griechen  ,i^ymbole  der  Liebe  und  Fruchtbarkeit'.  ,Sie  sind  das  ideale  Vorbild  der  Liebe 
und  Liebessegeu  bedeutenden  Apfel,  wie  sie  den  Orieclien  aus  dem  Dienste  der  Aphrodite  und  aus  dem  gewühiiliclien  Hochzeits- 
brauche bekannt  waren.'  Vgl.  Freller  a.  a.  O.  I  p.  461.  4ö2.  Die  Äpfel  der  Iduna  hatten  die  Kraft,  denjenigen  zu  verjüngen, 
der  von  ihnen  aß.  , Abergläubische  Gebräuche  der  Gegenwart,  die  namentlich  während  der  Rauhnächte  in  Übung  sind, 
Zeigen,  daß  man  noch  heute  den  Apfel  als  vorbedeutend  für  Fruchtbarkeit,  Liebe  und  Heirat,  für  Leben  und  Tod  be- 
trachtet.    Liebende  beißen  Äpfel  an  und   senden   sich   diese   als  ,Lieboszeichen'.     Vgl.  Brockhaus,  Konvers.-Lex.  s.  v.  Apfel. 


Herakles  und  Indba. 


71 


ligkeit 
große 


aus  dem  Bewußtsein  geschwunden.  ,Hiiiimelsliclit.,' 
—  das  ist  ihnen  eben  Glück  und  Glanz,  alle  Se- 
und  Herrlichkeit  des  Lebens,  die  der 
treitbare  Gott  durch  seinen  Sieg  ihnen 
schenkt. 

,Iudra  ließ  die  Sonne  leuchten',  rühmt  der 
Sänger  (RY  8,  3,  6);  .du  Indra  bist  übez-mächtig, 
du  ließest  die  Sonne  leuchten,'  heißt  es  an  einer 
andern  Stelle  (8,  87,  2).i)  .Nachdem  du,  o  Indra, 
den  Yritra  getötet,  für  den  Menschen  die  Wasser 
in  Bewegung  bringend,  da  hieltst  du  den  ehernen 
Donnerkeil  in  den  Armen,  da  setztest  du  die 
Sonne  am  Himmel  fest,  daß  man  sie  schaue.^) 

Indra  hat,  von  seinen  Maruts  begleitet,  die 
Sonne  gewonnen  oder  erbeutet  (süryam  sanat), 
wird  RV  1.  100,  6  gerühmt;  und  in  vollerem  Bilde 
heißt  es  im  18.  Verse  desselben  Liedes:  ,Die  Dä- 
monen und  Bedränger  hat  er,  der  Vielgerufene, 
nach  seiner  Ai-t  mit  dem  Pfeile  sie  tötend,  auf 
der  Erde  hingestreckt;  er  hat  das  Land  gewonnen 
mit  den  lichten  Freunden,  er  hat  die  Sonne  ge- 
wonnen, hat  die  Wasser  gewonnen,  der  gut  mit 
dem   Donnerkeil  Bewehrte.^) 

Indra  ist  ,der  Gewinner  des  Himmels- 
lichts, der  die  Tage  erzeugt,'*)  nach  RV  3,  34,  4; 
,er  ließ  dem  Menschen  hervorleuchten  den  Glanz 
der  Tage,  er  fand  das  Licht  zu  großer 
Freude.'  Und  weiter  heißt  es  in  demselben 
Liede  (v.  8.  9):  ,Ihm,  der  das  Himmelslicht 
und  die  göttlichen  Wasser  gewonnen,  der 
die  Erde  und  den  Himmel  dort  gewonnen  hat, 
dem  Indra  jauchzen  zu  die  Andachtsfreudigen. 
Er  hat  die  Rosse  gewonnen  und  er  hat  die 
Sonne  gewonnen,  Indra  hat  das  viel  ernährende 
Rind  gewonnen'  etc.") 

Indra,  der  Töter  des  Ahi,  hat  die  Sonne 
erzeugt,  hat  die  Kühe  gefunden;  er  tötet  den 
Vritra  für  den  frommen  Verehrer,  er  ist  anzu- 
flehen  um   die    Gewinnung   der   Sonne.     Gott 


wegt. 
aus 


Indra  hat  dem  kelternden  Sterblichen  die  Sonne 
geschenkt^)  (RV  2,  19,  3— 5).  Die  , Gewinnung 
der  Sonne'  —  süryasya  säti  —  wird  auch  bei 
der  Tötung  des  Qushna  für  Kutsa  erwähnt  (RV 
6,  20,  5).  Um  , Gewinnung  der  Sonne'  wird  Indra 
angerufen  (RV  7,  30,  2). 

Durch  den  Soma  erfreut  ließ  Indra  die  Sonne, 
die  Morgenröte  aufleuchten,  das  Feste  spaltend; 
den  großen  Fels,  der  die  Kühe  umschloß,  den 
unerschütterlichen,  bat  er  von  seiner  Stätte  be- 
Er   öffnete    die   Tore    den   roten  (Kühen), 

dem  festen  Stall  ließ  er  die  Rinder  heraus. 
Er  breitete  die  Erde  aus,  er  stützte  den  Himmel, 
festigte  beide  Welten,  deren  Söhne  die  Götter 
sind.  Alle  die  Götter  haben  den  starken  Indra 
allein  vorangestellt  für  den  Kampf,  als  der  Un- 
gott  den  Göttern  auflauerte,  da  erwählen  sie  den 
Indra  zur  Gewinnung  des  Himmelslichts') 
(RV  6,  17,  5-8). 

Indra  wird  der  ,Ersieger  des  Himmels- 
lichtes' genannt  (svarjit),  wie  er  auch  der  Er- 
sieger  der  Wasser  heißt  (abjit),  auch  Ersieger  der 
Rinder  und  Rosse  und  aller  möglichen  Güter  (RV 

2,  21,  ly) 

,Du  hast  das  Himmelslicht  ersiegt,' 
rühmt  der  Sänger  RV  10,  167,  1  und  nennt  ihn 
im  folgenden  Verse  wieder  ,den  Ersieger  des 
Himmelslichtes. '^) 

Dies  Gewinnen,  Erbeuten  oder  Ersiegen  der 
Sonne  oder  des  Himmelslichts  besagt  offenbar  das- 
selbe wie  das  früher  erwähnte  Auffinden,  Leuchten- 
lassen oder  Aufsteigenlassen  der  Sonne,  respektive 
des  Lichtes  oder  der  Morgenröte.  L^nd  ebenso 
handelt  es  sich  augenscheinlich  um  denselben 
Vorgang  bei  dem  schon  früher  durch  eine  größere 
Reihe  von  Beispielen  belegten  , Erzeugen'  der  Sonne 
oder  der  Morgenröte.  Immer  geht  der  Sieg  über 
den  bösen  Dämon  oder  eine  Mehrheit  solcher,  des 
Ahi,  Vritra,  oder  wie  sie  sonst  heißen,  diesem  Vor- 


•)  8,3,6:  indral.i  süryam  arocayat;  8,87,2:  tvAm   indräbhibhür   asi  tväiu  süryam  arocayal.i. 

')  RV  1,  52,  8:  jaghaiivän ädhärayo  divy  ;i  süryain  driije;  vj^l.  auch  8,  12,  30. 

')  KV  1,  100,  18:  sänat  süryam  säiiad  apab  suviijral.i.  Da  Indra  durch  den  Suma  gestärkt  die  Tat  ausführt,  wird 
dieselbe  auch  dem  Soma  direkt  zutjeschrieben,  ßV  9,  4,  2  s;inä  jy^tib  säiui  svj'il.i! 

*)  RV  3,  34,  4  indral.i  .srarshi  janäyann  .nhäni.  Auch  der  Donnerkeil  des  Indra,  mit  dem  or  den  Sieg;  gewinnt,  erhält 
dies  Epitheton  svarshä  .Himmelslicht  gewinnend'  RV  1,  100,  13;  ebenso  der  Soma  KV  1,  91,  21;  9,  96,  18.  ^    ^ 

s)  sasavä'msan.i  svAr  apagca  devi'h,  sasäna  yäb  prithivi'm  dy.irn  utemäm  indram  madanty  änu  dhiranäsab;  sasänäty.in 
Uta  süryam  sasäna  nsw. 

'^)  eig.  eingeräumt  oder  freigemacht:   süryam   ä  devii  rinan  märtyäya. 

')  KV  6,  ]  7,  8  svärshätä  vrinata  indram  atra. 

«)  vi(;vajit6  dhanajite  svarjite  saträjito  nnjita  urvaräjite,  aijvajite  gojite  abjite  bharondr.nya  söm.im. 

»)  tväm  täpal.1  paiitäpyäjayab  svab  und  dann  svarjftam  —  havämahe  etc.  Außer  dem  Indra  wird  nur  noch  Soma 
svarjit  und  abjit.  Ersieger  des  Himmelslichts  und  Krsieger  des  Wassers  genannt;  cf.  RV  9,  27,  2;  9,  78,  4.  Soma,  der  den 
Indra  zu  der  Tat  stärkt"  wird  dann  geradezu  auch  als  deren  Vollbringer  gepriesen.  -  Das  Epitheton  svarvid  Himmelslicht, 
respektive  Glanz.  Glück  u.  dgl.  verschaffend  wird  außer  Indra  und  Soma  auch  noch  andern  Göttern  beigelegt. 


72 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoedee. 


raris'  A-oraus.  Man  denkt  zunächst  an  das  Ge- 
witter,  dann  aber  —  zumal  wenn  die  Morgenröte 
erwähnt  wird  —  an  den  Morg:en  oder  den  Jahres- 
anfang. Die  Tat  ersclieint  bisweilen  als  eine  in 
grauer  Vorzeit  geschehene,  zumal  wenn  es  heißt, 
Indra  habe  diesell)e  gleich  nach  seiner  Geburt 
auso-eführt.  Dann  aber  haben  wir  wieder  den 
Eindruck,  daß  es  sich  um  einen  wiederholt,  viel- 
leicht regelmäßig  wiederkehrenden  Vorgang  han- 
delt. Die  Sänger  stärken  ja  den  Gott  durch  Soma 
zu  diesem  Kampf  und  Sieg,  sie  flehen  ihn  an: 
,Töte  den  Vritra,  ersiege  das  Himmelslicht'. 

Besonders  merkwürdig  aber  erscheint  mir  bei 
der  mannigfach  wechselnden  und  variierenden 
Schilderung  der  Heldentat  des  Indra  die  nicht 
seltene,  damit  verbundene  Erwähnung,  Indra  habe 
den  Himmel  oder  auch  Himmel  und  Erde  fest- 
gemacht, er  habe  den  Himmel  gestützt,  mit  einer 
Stütze  oder  einem  Pfeiler,  er  habe  die  beiden 
Welten,  d.  h.  wiederum  Himmel  und  Erde  aus- 
einander gestemmt  oder  gestützt,  d.  h.  gesondert 
befestigt  u.  dgl.  m.  Diese  gewissermaßen  akzesso- 
rische, oft  so  nebenher  erwähnte  Leistung  ist  offen- 
bar eine  höchst  bedeutsame  und  verdient  in  hohem 
Grade  eine  nähere  Betrachtung.  Auch  darum  schon, 
weil  sie  so  oft,  ja  fast  typisch  mit  der  Gewinnung 
der  Sonne  und  des  Lichtes   verbunden  erscheint. 

Eine  Stelle  dieser  Art  haben  wir  kürzlich 
oben  mitgeteilt  (p.  71).  Nachdem  zuerst  gesagt 
war,  Indra  habe  Sonne  und  Morgenröte  aufleuch- 
ten lassen,  habe  den  roten  Kühen  die  Tore  ge- 
öffnet, die  Kühe  aus  dem  Stall  gelassen,  heißt  es 
weiter,  er  habe  die  Erde,  das  große  Wunderwerk, 
angefüllt,  er  habe  den  Himmel  gestützt, 
beide  Welten  festgemacht.*)  Nach  der  oben 
weiter  angeführten  Stelle,  in  der  Indra  aufge- 
fordert wird:  ,Töte  den  ^'!•itra,  ersiege  das 
Ilimmelslicht!'  (RV  8,  78,  4),  heißt  es  gleich  wei- 
ter (v.  5):  ,Als  du  geboren  wardst  zur  Vritra- 
tötung,  du  Unvergleichlicher, Gabenreicher,  dabrei- 
tetest  du  die  Erde  aus,  da  stütztest  du  auch 
den  Himmel.'-)     Niciit    selten   finden  wir  neben 


dem  Stützen  des  Himmels  auch  dies  Ausbreiten 
der  Erde  erwähnt. 

In  dem  Verse  RV  3,  49,  4,  wo  Indra  der  Er- 
zeuger der  Sonne  genannt  wird,  der  die  Nächte 
erhellt,  heißt  er  zugleich,  und  zwar  noch  vorher 
,der  Stützer  des  Himmels'  (dharta  divah).  Wir 
sahen  früher  in  ein  paar  Stellen,  daß  Indra  neben 
der  Sonne  und  Morgenröte  auch  den  Himmel 
erzeugt  (RV  1,  32,  4;  6,  50,  3).  Man  könnte 
zweifeln,  ob  da  vielleicht  statt  Himmel  ,Tag'  zu 
setzen  wäre,  da  dasselbe  Wort  (div,  dyu)  ja  so- 
wohl den  Himmel  wie  den  Tag  bezeichnet.  So 
viel  ist  gewiß,  daß  in  der  Regel  neben  dem  Er- 
zeugen oder  Aufleuchtenlassen  der  Sonne  und  der 
Morgenröte  vielmehr  das  Stützen,  Feststellen, 
Festmachen  des  Himmels  und  eventuell  auch 
der  Erde,  respektive  auch  das  Auseinanderstemmen, 
das  gesonderte  Befestigen  von  Himmel  und  Erde 
gerühmt  wird.') 

So  hieß  es  z.  B.  RV  3,  32,  8:  ,Er,  der  die 
Erde  und  den  Himmel  dort  befestigte,  er  erzeugte 
die  Sonne,  die  Morgenröte,  der  Wunderkräftige.'*) 
In  dem  Liede  RV  3,  44  hieß  es  Vers  2,  daß  In- 
dra liebend  die  Morgenröte  strahlen,  liebend  die 
Sonne  leuchten  ließ;  dann  aber  folgt  Vers  3  die 
Angabe,  daß  er  den  Himmel  und  die  Erde  fest- 
gemacht oder  gestützt  habe.^) 

In  origineller  Wendung  heißt  es  RV  1,  62,  5: 
,Du  hast  mit  der  Morgenröte,  mit  der  Sonne,  mit 
den  Kühen  (d.  h.  natürlich  den  LichtkUhen)  das 
Dunkel  aufgeschlossen;  du,  Indra,  hast  der  Erde 
Rücken  ausgebreitet,  du  hast  des  Himmels 
untern  Lichtraum  gestützt."') 

RV  10,  113  wird  in  den  ersten  Versen  der 
Sieg  des  Indra  über  den  Vritra  gefeiert.  Vishnu, 
sein  Freund  und  Kampfgenosse,  stärkt  ihn  dazu 
mit  dem  himmlischen  Meth  (mädhu).  Dann  heißt 
es  Vers  4:  Eben  geboren,  stieß  er  die  Feinde  fort, 
sah  sich  um  der. Held  nach  Mannestat  und  Kampf; 
er  spaltete  den  Fels,  ließ  frei  die  strömenden 
(Wasser),  er  stützte  mit  Kunst  das  breite 
Firmament.'') 


')  RV6,  17,  7:  paprätha  ushäin  niähi  Jümso  vy  urviin  üpa  dvAm  rishvo  brihad  indra  stabh.ayali  |  ädhärayo  rödasi  de- 
väputre  etc. 

')  RV  8,  78,  5  yaj  jäyathä  apürvya  mäghavan  vritrahätyaya,  tat  prithivira  aprathayas  täd  astabhnä  utä  dyäm. 

')  Die  Liederdichter  bedienen  sich  bei  diesen  .Schilderunfren  namentlicli  der  Wurzel  .stabh  oder  skabh  .stützen' 
auch  .stemmen';  vi-skabh  ,auseinanderstemmen,  gesondert  befestigen';  dhar  .festmachen,  stützen,  lialteu'.  Namentlich  be- 
gegnen die  Formen:  ast.abhn.at,  astabhnis;  astabhäyat,  stabhäyas;  stambhit,  astatnbhit;  cÄskambha;  vi-shk.ibhayati;  vi-slikabbä- 
yat;  dädhära;  adhärayat  u.  dgl.  ra. 

*)  dädhära  yäl.i  prithivim  dyäm  utemän.i  jajäna  sfiryam   ushäsaiii  .«udämsäh. 

')  dyäm  indro  häridh.äyasam  prithiviin  härivarpasam  adhärayat  etc. 

')  Ti  bhümyä  aprathaya  indra  .sänu  divo  räja  i'iparam  astabhäyah. 

')  jistabhnän  näkarp  svapasyäyä  prithüm. 


Herakles  und  Indra. 


73 


Es  ist  iu  der  Tat  eine  Kunst,  ein  göttliches 
Wunder,  dies  Stützen  und  Festmacheu  des  hohen 
Himmels,  denn  der  Gott  vollbringt  ja  das  Werk 
in  dem  weiten  Raum,  wo  es  keine  Balken  gibt, 
wie  der  Zimmermann  sie  braucht,  wenn  er  das 
Dach  über  einem  Hause  errichtet.  Solches  Wun- 
der  feiert  ein  Sänger  RV  2,  15,  2: 

.Im  balkenlosen  (Räume)  hat  er  den  hohen 
Himmel  gestützt,  er  erfüllte  die  beiden  Welten, 
den  Luftraum,  er  festigte  die  Erde  und  breitete 
sie  aus;  im  Rausch  des  Soma  hat  Indra  das  getan.") 

Er  hat  es  getan  zum  Besten  der  Jlenschen, 
aber  auch  des  Viehs,  der  vierfüßigen  Tiere: 

RV  1,  121,  2:, Er  stützte  den  Himmel 

2.  Er  bildete  den  Donnerkeil  und  sein  Gefährt, 
er  stützte  den  Himmel  für  den  Vierfüßler  und 
für  das  zweifüßige  Volk  der  Menschen.'-) 

Mit  der  Hesiegung  und  Tötung  des  bösen 
AVolkendämons  ist  auch  dieses  -wichtige  Werk 
typisch  verbunden: 

Väl.  i),  8:  ,Er,  der  durch  seine  Kraft  den 
Wasserbehälter  erlangte,  mit  Hieben  den  (^'ushna 
niederschmetternd,  als  er  den  Himmel  dort 
ausbreitend  stützte,''')  da  ward  geboren  der 
Erdbewohner." 

Von  Indra  gestützt  steht  der  Himmel  fest, 
wie  eine  wohlgesetzte,  gut  errichtete  Säule.  Ich 
gebe  die  folgende  Stelle  (RV  5,  45,  1  und  2)  in 
Grassmanns  Übersetzung: 

1.  Durch  Sprüche  lösend  klug  des  Himmels  Felsen 
Befreite    er   die  Kuh  im  Stall  und  Licht  kam; 
Der  nahnden  Morgenröte  Strahlen  kamen; 
Der  Gott  schloß  auf  die  Türen ,  die  der  Mensch  liebt. 

2.  Wie  Glanz  erschloß  die  Sonne  ihre  Schönheit; 
Vom  Stall   her    kam  der  Kühe  Mutter  kundig, 
Die  Ströme  wogten  über  Fels   und  Ufer; 
Der  Himmel  stand  gleich  wolilgesetzter  Säule.*) 

Genauer  noch  ließe  sich  übersetzen:  ,Wie 
eine  ffut  errichtete  Säule  ward  der  Himmel  fest.' 

Wird  der  Himmel  hier  selbst  einer  Säule 
verglichen,    so    liegt    das    Tertium    comparationis, 


wie  schon  der  Wortlaut  zeigt,  doch  offenbar  nur 
in  der  Festigkeit  und  Wohlgegrüudetheit,  mit 
welcher  er  nun  an  seiner  Stätte  steht.  An  andern 
Stellen  hören  wir  deutlich  von  einer  Stütze,  einer 
großen  Stütze  oder  einem  großen  Pfeiler,  mit  dem 
Gott  Indra  den  Himmel  gestützt  hat. 

RV  10,  111,  5:  .Indra  ist  Himmel  und  Erde 
gewachsen,  er  kennt  alle  Kelterungen,  er  tötet 
den  (^!ushna;  er  hat  den  großen  Himmel  sogar 
mit  der  Sonne  durchwoben  (oder  durclizogen,  d.  h. 
erhellt;  ätanot);  er  stützte  (ihn)  mit  einer 
Stütze,  der  beste  Stützer. '^^ 

Zu  Anfang  des  Liedes  RV  6,  47  ist  von  Soma 
die  Rede,  wie  Indra  sich  an  ihm  lierauscht  und 
durch  ihn  gestärkt  die  99  Wälle  des  C'ambara 
zerschmettert  usw.  Dann  heißt  es  Vers  4:  ,Er 
ist  es,  der  die  Weite  der  Erde,  die  Höhe  des 
Himmels  geschaffen  hat  — 

ö.  Er  hat  die  strahlend  schimmernde  Flut 
gefunden,  die  im  Lichte  wohnende,  im  Angesicht 
der  Morgenröten;  dieser  Große  hat  mit  einer 
großen  Stütze  den  Himmel  gestützt,  der  von 
den  Maruts   begleitete  Stier.'") 

Diese  große  Stütze,  Pfeiler  oder  Säule  (skäm- 
bhana,  kämbhana),  kann  natürlich  unsichtbar  ge- 
dacht sein,  für  INIeuschenaugen  nicht  erreichbar. 
Es  ist  aber  auch  möglich,  daß  sichtbare  Dinge 
hier  mit  in  Frage  kommen.  So  scheint  es  fast  — 
ohne  dem  Wortlaute  nach  ganz  sicher  zu  stehen, 

—  als  wenn  RV  4,  13,  5  die  Sonne  als  des  Him- 
mels Stutze  oder  Pfeiler  bezeichnet  wird  (diväh 
skambhah).  Auch  in  dem  Anfangsverse  des  be- 
rühmten Hoclizeitsliedes  (RV  10,  85)  sieht  es  fast 
so  aus,  als  wäre  die  Sonne  als  die  Stütze  des 
Himmels  gefaßt:  , Durch  Wahrheit  ist  die  Erde 
gestützt,  durch  die  Sonne  ist  der  Himmel  gestützt," 

—  doch  es  hält  schwer,  die  am  Himmel  wandelnde, 
auf-  und  untergehende  Sonne  sich  wirklich  als 
Stütze  des  Himmels  zu  denken,  und  vielleicht 
handelt  es  sich  nur  um  eine  metaphorische  Aus- 
drucksweise, zumal  die  AVahrheit  als  Stütze  der 
Erde  ja  auch  keine  materielle  Vorstellung  ist. 
Weit  häutiger  und  sehr  bestimmt   wird  Soma  als 


•)  avaiiiije  dyäm  astabliäyad  brihäntam  ä  rödasi  aprinad  antäriksliam/sä  ciluirayad  pritliivini  pnpratliac  ca  sömasya  tä 
maäa  indrap  cakära, 

^)  stänibiiid   ha    dyäm   —   — ;  takshad  väjrai|i  iiiyiitam  tastämbliad  dyäin   cätushpade  naryäya  dvipäde. 

')  yaded  ästambhit  pratliäyanu  amüin  divam. 

■*)  sthüneva  sümitä  driinhata  dyäub. 

')  cäskämbha  cit  kämblianena  sk.'ibhtyän.  Grassmann  übersetzt  ahulicli  wie  ich:  .aiit's  beste  stützend  stützt  er  ihn 
mit  Stützen,'  wo  nur  der  Plural  nicht  iu  dem  Texte  lie^t.  Ludwig:  ,Den  großen  Himmel  soj^ar  hat  er  mit  der  Sonne 
bezogen,  emporgestützt  mit  dem  .Strebepfeiler,  er  selber  die  bessere  Stütze.' 

')  ayäm   m.iliän  mahatä  skämbhanoni'id  dyäm  astabtinäd  vfishabho  manitvän. 
Denkschriften  der  phil.-hist.  Kl.  58.  Bd.  S.  Abb.  10 


74 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoedeb. 


des  Himmels  Stütze  bezeichnet,')  doch  kann  der 
berauschende  Trank,  der  Indra  zu  seinen  Taten 
begeistert,  wohl  nur  in  übertragenem,  metapliori- 
schem,  bildlichem  Sinne  als  solche  in  Betracht 
kommen.  Und  auch,  wenn  man  Hillebrandts  An- 
sicht folgend,  in  Soma  den  Mond  sehen  will,  wird 
für  die  Anschauung  kaum  etwas  gewonnen,  denn 
noch  weit  weniger  als  die  Sonne  läßt  sich  der 
wechselnde  Mond  als  materielle  Stütze  des  Him- 
mels wirklich  vorstellen.  Näher  liegt  es,  wenn 
schon  wirkliche  Naturobjekte  in  Frage  kommen 
sollen,  an  hohe  Berge  zu  denken,  auf  denen  der 
Himmel  ruht,  —  eine  Vorstellung,  die  den  Grie- 
chen geläufig  war,  und  zwar  nicht  nur  mit  Bezug 
auf  den  Atlas.  Es  läge  sehr  nahe,  dieselbe  auch 
bei  den  Indern  zu  vermuten,  die  angesichts  des 
höchsten  Gebirges  der  Erde  lebten.  Das  ist  nun 
freilich  in  den  Liedern  des  Rigveda  nicht  irgend- 
wie deutlich  ausgesprochen,  wohl  aber  finden  wir 
in  der  Schilderung  der  großen  Heldentat  des 
Indra  auch  den  merkwürdigen  Zug,  der  Gott 
habe  die  wankenden,  schwankenden  Berge  fest- 
gemacht, —  und  es  liegt  nicht  gerade  fern,  dies 
Festmachen  der  Berge  mit  der  Festigung  und 
Stützung  des  Himmels  in  Zusammenhang  zu  brin- 
gen. Im  Yajurveda,  wie  auch  in  späteren  Texten, 
wird  die  seltsame  Geschichte  erzählt,  die  Berge 
hätten  früher  Flügel  gehabt  und  wären  nach  Be- 
lieben umhergeflogen.  Da  sei  denn  auch  die  Erde 
schwankend  gewesen  (^ithirä).  Indra  aber  habe 
den  Bergen  die  Flügel  abgeschnitten  und  durch 
dieselben  (d.  h.  die  Berge)  die  Erde  festgemacht. 
Die  Flügel  aber,  das  sind  die  Wolken!  Die  ziehen 
daher  immer  za  den  Bergen  hin,  denn  dort  ist 
eigentlich  ihr  Platz. ^) 

Das  Festmachen  der  Erde  wird  hier  also 
geradezu  durch  die  ihrer  Flügel  beraubten  Berge 
zustande    gebracht.     Das  Festmachen    der    Erde 


und  das  Festmachen  oder  Stützen  des  Himmels 
aber  gehören  eng  zusammen.  Wir  werden  gleich 
sehen,  daß  Indra  Himmel  und  Erde  auseinander- 
stemmt, gesondert  befestigt,  wie  zwei  Räder,  die 
durch  die  Achse  auseinandergehalten  werden.  Und 
das  Festmachen  der  Berge  wird  auch  im  Rigveda 
schon  im  Zusammerüiang  mit  dem  Festmachen  von 
Erde  und  Himmel  berichtet.  Immerhin  wird  es 
eine  Vermutung  bleiben  müssen  —  wenn  auch 
eine  recht  nahe  liegende  — ,  daß  die  Sänger  des 
Veda  sich  den  Himmel  geradezu  auf  den  Bergen 
als  einer  festen  Stütze  ruhend  gedacht  haben 
dürften. 

RV  2,  17,  5  hören  wir  von  Indra:  ,Er  hat 
die  überhangenden  Berge  festgemaciit  mit 
Kraft,  hat  die  abwärtsgehende  Tätigkeit  der  Wasser 
geschaffen;  er  festigte  die  allnährende  Erde, 
er  stutzte  den  Himmel  mit  Wunderkraft  vor 
dem  Herabfallen.'^) 

Noch  lebendiger  ist  die  Schilderung  RV  2,  12: 

2.  ,Der  die  schwankende  Erde  fest- 
machte, der  die  bebenden  Berge  zur  Ruhe 
brachte,  der  den  weiten  Luftraum  durchmaß, 
der  den  Himmel  stützte,  das,  ihr  Leute,  ist 
Indra!-*) 

3.  ,Der  nach  Tötung  des  Abi  die  sieben 
Ströme  rinnen  ließ,  der  die  Kühe  heraustrieb  aus 
dem  Versteck  der  Höhle,  der  zwischen  den  zwei 
Steinen  Feuer  erzeugte,*)  Beute  machend  in  den 
Schlachten,   das,  ihr  Leute,  ist  Indra!' 

Nicht  minder  lebhaft  heißt  es  von  Indra 
RV  10,44,  8: 

,Die  bebenden  Berge  und  Fluren  hat  er  fest- 
gemacht (adhärayat);  der  Himmel  dröhnte,  die 
Lufträume  machte  er  erzittern;  die  beiden 
zusammengehörigen  Schalen  (d.  h.  Hinmiel 
und  Erde)  stützt  (oder  stemmt)  er  auseinan- 
der (befestigt  sie  gesondert,  vi  shkabhäyati) ;  nach- 


')  Vgl.  KV  9,  74,  2  (divö  yälj  »kambh6  dhariiiiah  svätata  äpürno  amcjüli  paryäti  Tii;vätali);  9,  86,  46  (äsarji  skamblid 
divä  üdyatab);  9,  86,  8  (dhari'ino  niahö  diväb);  9,  «7,  2  und  9,  8»,  6  (vishtambhö  divö  dhaniiiab  prithivyäb);  9,  2,  5  (vishlambliö 
dhanino  div,äh);  9,  86,  3.')  (iudrfiya  mädvä  mädyo  mädab  .sutö  divö  vishtambbä  upamö  vicakshanäli);  9,  108,  16  (divö  visbtam- 
bhä  uttamäb).     Die  Bezeichnung  vishtambbä  .Stütze'  wird  im  Rigveda  ausschließlich   von  Sonia  gebraucht. 

')  Vgl.  Mäitr.  S.  I,  10,  13  a.  A.  pnyäpator  vä  et;ij  jyeshthäm  tokäni  yat  parvatäs,  te  paksbiiia  äsanis  te  paräp.ätam 
äsata  yätra  y.aträk.'unayantätha  vä  iyäni  tärhi  (■itbiräsit  teshäm  fndrab  paksbän  acbinat  täir  imäm  adrimbat  etc.  ,Die  Berge 
sind  l'r.ijäpatis  älteste  Brut.  Die  waren  geflügelt,  sie  tlogeu  umher  und  setzten  sich  bin,  wo  immer  sie  wallten.  Da  war 
diese  Krde  damals  schwankend.  Indra  schnitt  ihre  Flügel  ab.  Er  machte  mit  ihnen  (oder  durch  sie,  d.  h.  die  Berge)  diese 
Erde  fest  etc.  —  Piscbels  ZurUckführung  dieser  Vor.stellung  auf  RV  4,  54,  5  ist  mir  nicht  sehr  wabrscbeiulicb  (vgl.  Vediäcbe 
Studien  1,  174).  —  Der  Gedanke  von  der  ursprünglichen  Geflügeltheit  der  Berge  dürfte  wohl  ein  jüngerer  sein.  Eng  zu- 
sammen aber  gebort  schon  im  Rigveda  das  Festmaclion  der  Berge  und  das  Festmacben  der  Erde  und  des  Himmels,  re- 
spektive auch  lias  .Stützen   des  Himmels  durch  I:idr.a. 

')  sä  präcinän  pärvatän  driipbad  öj.asä  —  adhärayat  prithiviin  vi(;vädhäya3am  astabhnän  mäyäyä  dyäm  avasräsah. 

*)  yäh  prithiviin  vyätham.inäm  ädfiipbad  yäh   pärvatän  präkupitän  ärainnät  —  yö  dyäm  ästabhnät.   — 

')  D.  h.  wohl  in  den  Wolken,  in  dem  gespaltenen  Wolkenfels.  Ich  habe  diesen  Vers  noch  angefügt,  um  die  allge- 
meine .Situation  des   Vorgangs  in  seiner  typisclien   Hedeutiiug  noch   dentlicber  zum   Bewußtsein  zn   hriiigen. 


Herakles  und  Indka. 


75 


dem  er  vom  starken  (8oma)  getrunken,  rezitiert 
er  Lieder  im  Rausch.' 

Hier  begegnet  uns  zuerst  die  merkwürdige, 
aber  ganz  wohl  verständliche  Vorstellung  des 
,Auseiuanderstützens'  von  Himmel  und  Erde,  wie 
der  Ausdruck  (vi-sk,ibh)  am  genauesten  übersetzt 
lautet.  Man  gibt  ilm  meist  und  ganz  zutreffend 
durch  ,gesondert  befestigen'  wieder,  doch  ist  , aus- 
einanderstützen' insofern  noch  mehr  bedeutend, 
als  darin  offenbar  noch  die  Vorstellung  enthalten 
liegt,  Himmel  und  Erde  seien  ursprünglich  zu- 
sammen gewesen  und  durch  den  Akt  des  Stutzens 
auseinandergebracht  worden,  etwa  wie  ein  paar 
Holzplatten,  zwischen  die  man  eine  Stütze,  einen 
Stock  oder  Pfeiler  schiebt,  der  oben  und  unten 
befestigt  nun  beide  auseinanderhält.  In  der  vor- 
liegenden Stelle  sind  Himmel  und  Erde  in  dem 
Bilde  zweier  Schalen  gedacht,  die  in  solcher 
Weise  gesondert  durch  Indra  befestigt  werden. 
Ein  andres,  reclit  anschauliches,  dem  Leben  ent- 
nommenes Bild  ist  dasjenige  zweier  Wagenräder, 
welclie  durch  die  Achse  auseinandergehalten  wer- 
den. Wir  finden  es  angewendet  RV  10,  89,  4, 
wo  es  von  Lidra  heißt,  daß  er  , wie  zwei  Räder 
durch  die  Achse  mit  Kraft  auseiuander- 
stützte  die    Erde   und   den   Himmel."  ') 

Ohne  ein  derartiges  Bild  begegnet  uns  dies 
Auseinanderstützen.  Auseinanderstemmen,  Geson- 
dertbefestigen von  Himmel  und  Erde  durch  Indra 
auch  noch  RV  5,  29,  4.  Im  zweiten  und  dritten 
Verse  des  Liedes  wird  erzählt,  wie  Indra  im 
Rausch  des  Soma  den  Alu  getötet,  die  Wasser  in 
Bewegung  gesetzt,  die  Kühe  gefunden  habe.  Dann 
heißt  es  weiter  Vers  4: 

,Da  stützte  er  die  beiden  Welten  weit 
auseinander;  veriiülltauch  setzte  er  das  Ungeheuer 
in  Schrecken ;  den  Verschlinger  verschlingend  schlug 
er   den    entgegensclaiaubendeu  Drachen  nieder.'-) 

Es  ist  hier  in  diesem  Verse  manches  un- 
deutlich, doch  scheint  so  viel  klar  zu  sein,  daß  das 


Ungeheuer,  der  schnaubende  Drache,  den  Indra 
bei  seinem  Werk  des  Auseinauderstützens  der 
beiden  Welten  behindern  will,  von  ihm  aber 
niedergeschlagen  wird.  Deutlicher  ist  dies  in  einer 
andern  Stelle: 

RV  8,  6,  16.  17  ,Der  dir,  o  Indra,  hemmend 
an  den  großen  Wassern  lag,  den  hast  du  unter 
Fußtritten  zerschmettert.  Der  diese  beiden 
großen  Welten  fest  zusammenhielt,  den  hast 
du,  0  Indra,  mit  Finsternis  bedeckt.'^) 

Der  böse  Drache  hält  also  Himmel  und  Erde 
fest  zusammen,  während  Indra  sie  auseinander- 
bringt, sie  gesondert  l)efestigt  und  so  die  Ordnung 
schafft,  die  das  Leben  in  der  Welt,  zwischen 
Himmel  und  Erde,  möglich  macht. 

Hier  liegt  ein  uralter  Mythus  zugrunde,  den 
wir  bei  verschiedenen  andern,  nichtarischen  Völ- 
kern in  mancherlei  Formen  wiederfinden:  Der 
Mythus  von  einem  ursprünglichen  Zusammensein, 
einer  engen  Vereinigung  des  Himmels  und  der 
Erde  und  einer  nachfolgenden  Trennung  derselben. 
Derselbe  ist  namentlich  in  Polynesien  wohlbekannt 
und  weit  verbreitet.  Er  ruht  auf  der  fast  allge- 
mein zu  nennenden  Vorstellung  einer  uralten 
Gatteuschaft  von  Himmel  und  Erde  als  den  Ur- 
eltern  der  Götter  und  Menschen  und  alles  Seins. 
Das  , führte  ganz  naturgemäß  zu  der  Sage,  daß 
sie  in  alter  Zeit  zusammen  gewohnt  haben,  seither 
aber  voneinander  getreimt  seien'.  Auch  in  Cliina 
begegnet  uns  derselbe  Mythus:  , Manche  Leute 
sagen,  ein  Wesen  namens  Puang-Ku  habe  den 
Himmel  und  die  Erde  geöffnet  oder  getrennt, 
während  sie  früher  fest  aneinandergedrängt 
waren.'*)  Ebenso  findet  sicli  in  Japan,  und  zwar 
gleich  zu  Anfang  des  ,Nihongi'.  die  Vorstellung, 
daß  Himmel  und  Erde  vor  alters  nicht  getrennt 
waren.'')  Ob  wir  einen  solchen  Mytlius  für  die 
LTrzeit  der  Arier  annehmen  dürfen,  läßt  sicli  nicht 
mit  Bestimmtheit  behaupten.  Den  Indern  aber  ist 
er  offenbar  in  ihrer  ältesten  Zeit  schon  eisen  sre- 


')  yö  äksheneva  cakriyü  c;'icibhir  vishvak   tasti'imbha    prithiviin    utä  Jyäin. 

')  äd  rödasi  vitaraiii   vi  shkabliäyat. 

')  Unter  den  Fußtritten  (pädyäsu)  scheinen  die  Huftritte  der  Rosse  des  Indra  gemeint  zu  sein.  Der  Satz  yä  ime 
rödasi  mahi  samici  samajagrabhit  läßt  keinen  Zweifel,  daß  de--  Böse  Krde  und  Himmel  zusammenhielt,  die  damals  auch 
—  infolge  dieses  Tuns  —  zusammen  waren  (samici).  —  stabhüyämäna,  das  ich  durch  ,hemmend'  übersetzt  habe,  läßt  sich 
auch  durch  , feststehend,  sich  stemmend,  nicht  vom  Platze  gehend'  übersetzen.  —  Ein  andersartiger  merkwürdiger  Wider- 
stand des  Drachen  gegenüber  dem  Indra  ist  RV  2,  11,  ,5  geschildert:  ,Don  im  Verborgenen  bofmdlichen,  verljiirgenen,  ver- 
steckt, in  den  Wassern  verhüllt  hausenden,  zaubermaclitigen,  der  die  Wasser  und  den  Himmel  festhielt  (tastabhvänisam!), 
den  Ahi  hast  du,  Held,  mit  Manneskraft  getötet.'  —  Merkwürdig  ist  die  Stelle  darum,  weil  die  Tätigkeit  des  Drachen  hier 
durch  dieselbe  Wurzel  bezeichnet  ist,  die  sonst  von  Indras  Stützen  des  Himmels  gebraucht  wird  (stabh).  Sie  kann  hier 
kaum  dasselbe  bedeuten.  Ich  habe  , festhielt'  gesagt,  mau  könnte  vielleicht  auch  ,stemmte'  sagen.  Grassmann  übersetzt: 
Der  die  Wasser  fesselt  und  den  Himmel';   Ludwig:  ,Der  den  Himmel  und  die  Wasser  hatte  zu  Stehen  gebracht'. 

*)   Vgl.  E.  B.  Tylor,  Anfänge  der  Kultur,   I  p.  3'20.  317  fg. 

■*)  Vgl.  K.  Florenz,  .lapanisclje  Mythologie  (Tokyo  1901)  p.  1.  '2  Anm. 

10* 


76 


III.   ABHAJfDLUNG:   LeOPOLD   V.    ScHROEDEE. 


■\vesen,  und  die  Idee  der  Gattenschaft  vou  Him- 
mel und  Erde  ist  zweifellos  urarisch.  Älelir  können 
wir  darüber  vorderhand  niclit  sagen. 

Da  Indra  seine  Heldentat  im  Rausch  des 
Soma,  durch  ihn  dafür  gekräftigt  ausführt,  und 
da  der  Soma  selbst  eine  große  Gottheit  ist,  er- 
seheint es  ganz  naturgemäß,  daß  auch  dem  Götter- 
paar Indra-Soma,  d.  Ii.  Indra  und  Soma,  das 
Stützen  des  Himmels  samt  den  übrigen  Indrataten 
zugeschrieben  wird.     So  hören  wir  RV  6,  72: 

1.  .Indra  und  Soma,  groß  ist  diese  eure  Macht! 
ihr  beide  tatet  die  ersten  Großtaten.  Ihr  beide 
fandet  die  Sonne  auf,  ihr  das  Himmelslicht,  ihr 
schlugt    alle    Finsternis    nieder    und    die   Spötter. 

2.  Indra  und  Soma,  ihr  lasset  die  Morgen- 
röte aufleuchten,  ihr  führet  die  Sonne  hervor  mit 
ihrem  Glanz:  den  Himmel  habt  ihr  beide  ge- 
stützt mit  einer  Stütze,  ihr  habt  die  Mutter 
Erde  ausgebreitet. i) 

3,.  Indra  und  Soma,  ihr  tötet  den  Ahi,  der 
die  Wasser  eiuschlieLU,  den  Vritra;  euch  jauchzte 
der  Himmel  zu ;  ihr  setztet  die  Fluten  der  Ströme 
in  Bewegung,  viele  Meere  habt  ihr  ausgebreitet.' 

Indra  hat  aber  auch  sonst  noch  öfters  andre 
Helfer  bei  seinem  Werk.  So  schildert  z.  B.  RV 
3.  31,  wie  Indra  mit  Hilfe  der  Angirasen  und  der 
Sarnmä  seine  große  Tat  tut.  Vers  11  berichtet, 
wie  der  ^'!•it^atöter  Indra  die  roten  Kühe  befreit 
und  in  Vers  12  hören  wir  dann  weiter,  daß  sie 
(d.  ii.  Indra  mit  seinen  Helfern)  das  Elternpaar 
(d.  h.  Himmel  und  Erde)  mit  der  Stütze  (dem 
Pfeiler)  auseinanderstützten,  respektive  ge- 
sondert befestigten.^) 

Bei  der  eigentümlichen  Größe  und  selbstän- 
digen Bedeutung,  zu  welcher  Soma  schon  im  Rig- 
veda  herangewachsen  ist,  dessen  neuntes  umfang- 
reiches Buch  ausschließlich  dem  Preise  dieses 
Gottes  gewidmet  ist,  bei  der  Tendenz,  die  Taten 
des  Indra  diesem  seinem  wirksamsten  Helfer  direkt 


zuzuschreiben,  kann  es  nicht  Wunder  nehmen, 
wenn  wir  in  den  Liedern  Soma  nicht  nur  als 
Halt  und  Stütze  von  Himmel  und  Erde  feiern 
hören  (vgl.  oben  p.  7o),  sondern  wenn  es  gelegent- 
lich geradezu  heißt,  Soma  sei  es  gewesen,  der  die 
beiden  Welten,  d.  h.  Himmel  und  Erde,  auseinander- 
stemmte.^)  Dasselbe  wird  aber  einmal  auch  von 
dem  schon  oft  genannten  Freunde  und  Helfer  des 
Indra,  Gott  Vishnu,  ein  andres  j\Ial  von  Agni  und 
ebenso  auch  einmal  von  den  Mnruts  ausgesagt, 
den  Sturmgöttern,  Begleitern  und  Kampfgenossen 
des  Indra.'')  Kaum  auffallend  ist  es,  daß  auch 
dem  alten  großen  Ilimmelsgotte  und  Weltenordner 
Varuna  gelegentlich  dies  Auseinanderstemmen  von 
Himmel  und  Erde  nachgerühmt  wird.^)  Himmel 
und  Erde  sind  nach  Varunas  Ordnung  auseinander- 
gestützt, gesondert  befestigt.")  Teils  waltet  bei 
diesen  und  ähnlichen  Aussagen  die  nahe  Beziehung 
der  betreffenden  Götter  zum  Indra  vor,  teils  der 
bekannte  henotheistische  Zug  der  vedischen  Re- 
ligion und  Mythologie.  Es  heißt  auch  von  Xa.- 
runa,  er  habe  durch  eine  Stütze  die  beiden 
Welten  voneinander  geschieden,  er  habe  den  Him- 
mel festgemacht,  gestützt')  u.  dgl.  m. 

Es  ließen  sich  nocli  andre  ähnliche  Aussagen 
der  Liederdichter  anführen,  doch  ich  denke,  daß 
sie  alle  nicht  dazu  angetan  sind,  die  große  Grund- 
anschauung wesentlich  zu  alterieren,  von  welcher 
wir  ausgegangen  sind:  die  Vorstellung,  daß  es 
Indra  war,  der  in  gewaltiger  Aktion  die  bösen 
Dämonen  getötet,  die  Wasser  und  das  Himmels- 
licht erobert  und  zugleich  Himmel  und  Erde  fest- 
gemacht, dem  Himmel  eine  Stütze  gegeben,  beide 
Welten  durch  solche  Stütze  voneinander  getrennt, 
auseinandergestützt,  gesondert  befestigt  habe. 

Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  jenen  merkwürdi- 
gen, weit  und  tief  greifenden  Charakterzug  der 
vedischen  Mythologie  zu  erörtern,  der  fast  alle 
die  großen  Leistungen  des  Indra  gelegentlicli  auch 


')  üpa  dyä'm  skambliatliub  skämbhanenäprathatam  pritliivim  niätärain  vi.  —  t}brigeiis  heißt  es  auch,  daß  Indra  beide 
Welten,  also  Himmel  und  Erde,  ausgebreitet  habe.  So  z.  B.  RV  S,  3,  6:  indro  mahnä  rodasi  paprathat.  Er  soll  aber  auch 
Himmel  und  Erde  wie  ein   Fell  zusammengerollt  haben,  RV  8,  6,  5  ubhe  yät  samävartayat,  indracj  carmeva  rödasi.  — 

')  vishkabhnäntab  skämbhanenä  jänitri.  =)  RV  9,  101,  15  von  Soma:  vi  yäs  tastämbha  rodasi. 

*)  RV  7.  99,  .S  von  Vishnu:  vy  ästabhnä  rödasi  vishnav  ete  dädhärtha  prithivim  abhito  mayükhäib  ,<iu,  o  Vishnu, 
hast  diese  beiden  Welten  auseinandergestemmt,  du  festigtest  die  Erde  ringsum  mit  Pflöcken';  RV  6,  8,  3  von  Agni,  der 
hier  Mitra,  der  Freund,  genannt  wird:  vy  astablinäd  rödasi  etc;  RV  8,  83,  11  von  den  Marutas:  tyän  nu  ye  vi  rödasi  ta- 
stabhür  marüto  huve. 

')  RV  7,  8ü,  1  von  Varuna:  vi  yäs  tastämbha  rödasi  cid  urvi.  —  Etwas  andres  ist  wohl  das  dem  Brihaspati  RV  4, 
50,  1  nachgerühmte  Auseinanderstemmen  der  Enden  der  Erde:  yäs  tastämbha  sähasä  vi  jmö  äntän;  dunkel  das  Auseinander- 
stemmen der  sechs  Lufträume  oder  Dunstkreise  RV  1,  1B4,  6:  vi  yäs  tastämbha  shäf}  imä  räjäipsi.  —  Ohne  irgendwelche 
Schlüsse  daraus  ziehen  zu  wollen,  mache  ich  nur  noch  darauf  aufmerksam,  daß  das  Äuseinanderstemmen  von  Himmel  und 
Erde  bei  andern  Göttern  als  Indra  meist  durch   vi-stabh,  bei  Indra  durch  vi-skabh  ausgedrückt  wird. 

*)  RV  6,  70,  1   dyäväpvithivi  värunasya  dhj'irmanä   vishkabhite. 

'■)  RV  8,  41,  10  sä  dhama  purvyäm  mame  yäl.i  skambhena  vi  rödasi  ajö  nä  dyäm  ädhärayat;  RV  8,  42,  1  ästablniäd 
dyäm  äsuro  vi(;vävedäh. 


Herakles  und  Indra. 


77 


andern  Göttern  nachrülimt,  —  Soma,  Vishnu, 
Bi-ihaspati,  Agni,  den  Maruts.   den  Afigirasen  usw., 

—  die  ganze,  nicht  ganz  leichte  Frage  des  so- 
genannten Henotheismus  aufzurollen.  Abgesehen 
davon,  daß  dazu  eine  besondre  Abhandlung,  ja 
ein  ganzes  Buch  erforderlich  wäre,  sind  wir  ge- 
rade bei  Indra  mein-  als  bei  den  meisten  andern 
Göttern  in  der  verhältnismäßig  günstigen  Lage, 
von  dieser  die  Grenzen  und  Tätigkeitsgebiete  der 
verschiedenen  Götter  verwischenden  und  ver- 
mischenden Eigentümlichkeit  der  vedischen  Lieder- 
dichtung absehen  zu  können.  Gerade  seine  Ge- 
stalt steht  kräftiger  geprägt  als  irgendeine  andre 
vor  uns,  und  so  viel  auch  von  ihm  auf  andre 
übertragen  sein  mag  und   übertragen  worden  ist, 

—  der  umgekehrte  Prozeß  dürfte  relativ  selten 
stattgefunden  haben  und  kommt  jedenfalls  bei 
seinem  großen  Hauptwerk,  um  das  es  sich  hier 
handelt,  gar  nicht  in  Betracht. i) 

Unsre  Aufgabe  erfordert  die  Fortsetzung 
der  vergleichenden  Betrachtung,  und  hier  drängt 
sie  sich  fast  von  selbst  auf. 

Mit  der  Gewinnung  der  Sonne  oder  des 
Himmelslichts  sehen  wir  bei  Ladra  eine  andre 
hoch))edeutsarae  Heldentat  typisch  fest  verbunden: 
Das  Stützen  oder  Festmaclien  des  Himmels,  das 
Auseinanderstützen  oder  Gesondertbefestigen  von 
Himmel  imd  Erde,  der  beiden  Welten,  die  bald 
zwei  zusammengehörigen  Schalen,  bald  zwei  Wa- 
genrädern verglichen  werden,  welche  die  Achse 
auseinanderhält.  AVie  die  beiden  Räder  durch  die 
zwischen  befindliche  Achse,  so  hat  Indra  Himmel 
und  Erde  auseinandergestemmt  und  durch  eine 
mehrfach  erwähnte  Stütze,  einen  Pfeiler  oder  eine 
Säule,  festgemacht,  gesondert  befestigt.  Er  hat 
aber  auch  die  schwankenden,  sich  bewegenden 
Berge  zur  Ruhe  gebracht  und  der  Erde  damit 
einen  festen  Halt  gegeben.  Nicht  das  Licht  allein 
ist  gewonnen,  es  ist  auch  zugleich  der  ruhige, 
feste  Zusammenhalt  von  Himmel  und  Erde  ge- 
sichert. 

Fest  verbunden  aber  mit  der  Gewinnung  der 
Hesperidenäpfel,  die  sich  der  indischen  Gewinnung 
des  Himmelslichts,  der  Svarshäti,  vergleicht,  sehen 
wir  in  der  griechischen  Sage  das  Abenteuer  des 
Herakles  mit  dem  Atlas,  dem  mythischen  Träger 


und  Stützer  des  Himmels,  der  Himmel  und  PIrde 
auseinanderhält,  dem  Herakles  in  einer  Form  der 
Erzählung  die  Himmelslast  zeitweilig  abnimmt, 
um  sie  ihm  dann  wieder  für  immer  auf  die  Schul- 
tern zu  laden.  Wir  werden  uns  diesen  riesigen 
Stutzer  des  Himmels  und  die  Beziehung  des  Hera- 
kles zu  demselben  etwas  näher  ansehen  müssen, 
um  Klarheit  darüber  zu  gewinnen,  ob  und  inwie- 
weit indische  und  griechische  Sage  hier  zusammen- 
stimmen, —  auf  welche  Urform  des  Mythus  beide 
gegebenenfalls  zurückdeuten  dürften. 

Über  die  merkwüi'dige,  enge  Verbindung  des 
Atlas  mit  den  Hesperiden  äußerte  sclion  Preller: 
.Atlas  pflegt  immer  mit  den  Hesperiden  zusammen 
genannt  zu  werden,  wie  sie  denn  auch  beide  in 
der  Vorstellung  eng  zusammengehören  und  örtlich 
immer  in  jene  westlichen  und  nächtlichen  Gegen- 
den des  großen  Weltmeers  und  des  Ursprungs 
und  Abgrunds  von  Himmel  und  Erde  verlegt 
werden.'  -)  Das  ist  sehr  bemerkenswert.  Die 
Vorstellung  von  Atlas  selbst  i.st  aber  nicht  immer 
und  überall  dieselbe.  Sie  hat  im  Laufe  der  Zeit 
unzweifelhaft  manchen  und  wichtigen  Wandel  er- 
fahren, es  mag  aber  auch  schon  in  ältester  Zeit 
Varianten  in  der  Auffassung  dieser  mj'thischen 
Gestalt  gegeben  haben.  Die  später  geläufig  ge- 
wordene Vorstellung  bringt  Atlas  in  nächste  Be- 
ziehung zu  dem  gleichnamigen  Gebirge  im  äußer- 
sten Nordwesten  Afrikas  oder  identifiziert  ihn 
geradezu  mit  demselben,  sieht  in  ihm  eine  my- 
tiiische  Personifikation  des  Atlasgebirges.  Ganz 
anders  aber  ist  das  Bild,  das  wir  aus  Homer,  der 
ältesten  Quelle,  gewinnen.  Da  erscheint  uns  Atlas, 
der  Vater  der  Kalypso,  als  ein  tückischer  Meeres- 
riese, der  die  Tiefen  des  ganzen  Meeres  kennt 
und  die  hohen  Säulen  hält  oder  hütet,  die  die 
Erde  und  den  Himmel  auseinanderhalten.  Es  ist 
das  eindrucksvolle  Bild  Od.  1,  52 — 54,  wo  Athene 
von  Kalypso  redend  sagt: 

"A-'hxw-.ii  {)-uYaTr,p  ÖAoiopsvo?,  ca-üs  ■O-aXaccr;? 
■Äacr,;  ßsvOsa  oläsv,    'iyv.  oi  is  v.io-zxc  ahi'o^ 
[j.ay.pac,  at  yalav  -i  •/.«!  oupxvbv  xij.flc  s'/sjciv. 

Fern  im  Weltmeer,  so  scheint  es,  stehen  die 
ragenden  Säulen.  Atlas  hält  sie,  sagt  uns  der 
Text,    —  er   hütet   sie,    fügt   der  Scholiast  erläu- 


')  Speziell  zwischen  Varuiia  und  Indra  könnte  ni.-in  sich  das  Verhältnis,  wenig'stens  das  ursprünglich!!,  etwa  so  kon- 
.struieren,  daß  Varuna  es  ist,  nach  dessen  ewiger  Satzung  die  Welt  geordnet  ist  und  daß  Indra  als  der  spozilisch  aktive 
Gott  die  eigentliche  Aktion  leistet.  Man  kommt  auf  diese  Idee,  wenn  es  RV  6,  70,  1  heißt,  Himmel  und  Erde  seien  nach 
Varunas  Satzung  auseiuandergestützt.  Da  könnte  immerhin  noch  Indra  die  Tat  getan  haben.  Allein  reinlich  durchführen 
läßt  sich  eine  solche  Scheidung  doch  nicht.  Es  wird  zu  deutlich  an  anderer  Stelle  gesagt,  Varuna  habe  diese  Tat  getan. 
—  ohne  daß  der  Sänger  dabei  irgendwie  an   eine  Mitwirkung  [ndras  zu  denken  scheint. 

')  Vgl.  Preller,  a.  a.  0.  I  p.  -iW. 


78 


III.  ÄBHA^^)LUNG:  Leopold  v.  Schkoedee. 


ternd  dazu  (o-jKi-.-v.,  l:r'.;*£>.eT-:a'.).  Und  darum  wohl 
kennt  er  die  Tiefen  des  Meeres,  denn  der  Fuß 
dieser  Säulen  ruht  offenhar  tief  unten  auf  dem 
Meeresgrunde,  während  sie  oben  den  Himmel  be- 
rühren und  tragen.  Noch  genauer:  Die  hohen 
Säulen  halten  Erde  und  Himmel  auseinander 
(ä;j.5:;  'iyojzv/),  wie  der  Text  ganz  deutlich  sagt. 
Ich  vermag  hier  Preller  nicht  zu  folgen,  Avenn  er 
—  im  Gegensatz  zu  anderen  Gelehrten  —  meint, 
daß  bei  dieser  Übersetzung  die  bildliche  V^or- 
stellung  an  Unklarkeit  leide  und  wenn  er  daher 
statt  , auseinander'  vielmehr  sagen  möchte,  ,von 
mehr  als  einer  Seite,  wie  bei  einer  Stütze,  die  ein 
Gewölbe  trägt,  auf  ganz  feste,  unerscliütterliche 
Weise'.  ^)  Die  bildliche  Vorstellung  ist  vielmehr 
so  klar  wie  möglich,  wenn  man  den  Text  so  ül)er- 
setzt,  wie  es  dem  Wortlaute  nach  am  nächsten 
liegt.  Die  Säulen  lialten  Himmel  und  Erde  ,aus- 
einander'.  Wie  das  gemeint  ist  und  welche  Vor- 
stellung wir  damit  zu  verbinden  haben,  das  zeigt 
uns  aufs  Schönste  eine  Iliasstelle.  in  welcher  das 
hier  in  Frage  kommende  Wort  , auseinander'  (ä;j.5!c) 
ebenfalls  gebraucht  wird.  Es  ist  die  schöne  Schil- 
derung der  beiden  Aias,  des  Telamoniers  und  des 
Lokrers,  in  der  Schlacht.  Nah  beieinander  stehen 
sie  da,  nebeneinander,  wie  zwei  dunkle  Stiere,  die 
gleichgesinnt  den  Pflug  im  Brachlande  ziehen. 
Nur  das  wohlgeglättete  Joch  hält  oder  drängt  die 
beiden  auseinander  (xij.cI~  iiffi'.),  hält  sie  gesondert, 
während  sie  sich  bemühen,  die  Furche  zu  ziehen 
bis  zum  Ende  des  Ackers.-)  Das  Bild  ist  so  klar 
und  so  anschaulich,  wie  nur  irgend  möglich,  und 
es  erinnert  uns  zugleich  an  jenes  andre  Bild,  in 
welchem  der  Rigveda  das  Auseinanderstützen  von 
Himmel  und  Erde  durch  Indra  zu  veranschauli- 
chen sucht.  Er  stemmt  sie  auseinander  und  be- 
festigt sie  gesondert  wie  zwei  Räder  durch  die 
Wagenachse.  Ganz  ähnlich  können'  und  müssen 
wir  uns  die  Art  denken,  wie  nach  der  homeri- 
schen Vorstellung  Himmel  und  Erde  durch  die 
von  Atlas  gehüteten  Säulen  zugleich  auseinander- 
gehalten und  gestützt  wurden.  Daß  diese  Säulen 
niclit  den  Himmel  allein,  daß  sie  beide.  Himmel 
und  Erde,  stützen,  hebt  Preller  mit  Recht  nach- 
drücklich hervor  und  beruft  sich  dabei  auf  , andre 
Dichterstellen  und  sonstige  Zeugnisse". ^j  Ganz 
ebenso  werden  durch  die  Tat  des  Indra  beide, 
Himmel  und  Erde,  gestutzt  und  festgemacht. 


Zwei  Stiere,  die  dasselbe  Joch  zugleich  trennt 
und  festhält,  zwei  Räder,  an  derselben  Achse  ge- 
trennt befestigt,  —  so  haben  wir  uns  das  Verhält- 
nis von  Himmel  und  Erde  mit  den  sie  zugleich 
trennenden  und  festhaltenden  Säulen  zu  denken,  — 
nach  der  vedischen  wie  nach  der  aus  Homer  zu 
ersciiließenden  altgriecliischen  Vorstellung,  welche 
beide  vereint  auf  eine  äimliche,  noch  ältere,  viel- 
leicht urarische  Vorstellung  schließen  lassen. 

Auch  Ibykus  spricht  von  den  schlanken 
Säulen,  die  den  Himmel  tragen.  Bei  Aeschylus 
(Prometheus  348 — 350)  ,stützt  Atlas  im  Westen 
die  Säule  zwischen  dem  Himmel  und  der  Erde 
mit  den  Schultern,  er  trägt  das  Himmelsgewölbe 
auf  seinem  Rücken'.  Hesiod  hat  die  Säulen  ganz 
weggelassen:  Atlas  steht  im  äußersten  Westen  am 
Rande  der  Erde,  vor  den  Hesperiden,  den  Him- 
mel mit  dem  Haupte  und  den  Händen  tragend. 
,Bei  späteren  Dichtern  trägt  und  dreht  Atlas  die 
Himmelskugel  oder  ihre  Achse.'  Die  Pliysiologen 
erklärten  ihn  ,als  die  unsichtbare  Himmelsachse 
und  als  eine  lebendige  Kraft,  welche  die  Last  des 
ehernen  Himmels  abhalte,  auf  die  Erde  zu  fallen.'*) 
So  wandelt  sicli  die  alte  Vorstellung  in  mannig- 
facher Weise  im  Laufe  der  Zeiten.  Atlas  tritt 
zu  den  Säulen  hinzu,  um  sie  endlich  ganz  ver- 
schwinden zu  machen,  ja  selbst  in  einer  Abstraktion 
I  verflüchtigt  zu  werden.  Die  ursprüngliche  Vor- 
stellung aber,  der  die  homerische  noch  sehr  nahe 
liegt,  dürfte  darin  bestanden  haben,  daß  Himmel 
und  Erde  durch  hohe  Säulen  auseinandergehalten 
wurden. 

Atlas  hält  oder  hütet  bei  Homer  diese  ragen- 
den Säulen.  Daß  er  sie  auch  selbst  gesetzt  habe, 
wird  nirgends  gesagt  und  ist  auch  an  sich  nicht 
wahrscheinlich,  zumal  seine  Tätigkeit  stets  viel- 
mehr in  dem  Lichte  eines  erdrückend  schweren 
Amtes  oder  gar  einer  Strafe  erscheint.  Ein 
Größerer  muß  es  gewesen  sein,  der  diese  Säulen 
setzte  und  Atlas  zu  ihrem  Hüter  bestellte.  Docli 
wer  es  gewesen,  das  wird  uns  nicht  berichtet. 
Es  begreift  sich  das,  wenn  man  bedenkt,  daß  die 
von  Atlas  gehüteten  Säulen  so  früh  sclion  iiire 
Bedeutung  mehr  und  mehr  verlieren,  daß  Hesiod 
sie  bereits  ganz  eliminiert,  daß  Atlas  als  mythi- 
scher Träger  des  Himmels  oder  als  liimmeltra- 
gender  Berg  die  Vorstellung  von  den  himmeltra- 
genden,    Himmel    und  Erde  auseinanderiialtenden 


')  Vgl.  Prftller,  a.  a.  O.  I  p.  460  Anm. 

')  Vgl.  Ilias  XIII,  701 — 7u7,  namentlich  Vers  706  tu  [iiv  te  X'j't'o'^  o'o''  Jiioov  iayU  iet,'-'- 
')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  I  p..400.     Er  verweist  auf  Aescbyl.  Prom.  349;  Paus.  5,  11,  ■>;  18,  1. 
*)  Vgl.  Röscher,  Mythol.  Le.xikon  I  p.  705. 


Herakles  und  Indka. 


79 


Säulen  ganz  verdrängt.  So  kümmerte  man  sich 
denn  niclit  allzuviel  um  jene,  fast  nur  au  einer 
Homerstelle  klar  und  bedeutsam  hervortretenden 
Säulen  des  Atlas.  Sie  mußten  dem  Gedächtnis 
und  damit  auch  dem  Interesse  um  so  mehr  ent- 
schwinden, als  eine  andre  Vorstellung  von  der 
Rolle  des  Atlas  beim  Tragen  des  Himmels  frühe 
schon  platzgriff. 

Doch  unabhängig  von  Atlas  und  in  ihrer 
Bedeutung  recht  dunkel  und  unverständlich,  lebt 
eine  andre  Sage  fort  und  erhält  sich  mit  großer 
Hartnäckigkeit:  Herakles,  der  gewaltige  Held, 
habe  fern  im  äußersten  Westen  —  dort,  wo  die 
Hesperiden  und  Atlas  hausen  —  bei  der  Meer- 
enge von  Gades  oder  darüber  hinaus  im  Welt- 
meer, wo  die  Schiffahrt  ein  Ende  hat,  Säulen 
gesetzt,  die  berühmten  Säulen  des  Herakles, 
deren  eigentliche  Bestimmung  und  Bedeutung  aber 
in  keiner  Weise  klar  hervortritt. 

Die  Sage  pflegt  die  Aufrichtung  dieser  Säulen 
durch  Herakles  mit  dem  Geryones-Abenteuer  zu 
verbinden,  das  insofern  dem  Hesperiden-Abenteuer 
analog  ist,  als  es  sich  dabei  ebenfalls  um  die  Ge- 
winnung des  Ilimmelslichts,  nur  in  einem  andern 
Bilde,  handelt,  —  im  Bilde  der  roten  Rinder,  der 
Sonneurinder,  gegenüber  dem  Bilde  der  goldenen 
Äpfel,  der  Sonnenäpfel.  Auf  der  Reise  nach 
Erytheia  soll  Herakles  die  Säulen  bei  der  Meeres- 
enge von  Gades  aufgerichtet  haben.  Im  übrigen 
waren  über  diese  oft  erwähnten  Säulen,  wie 
Prell  er  bemerkt,  .die  verschiedensten  Vorstellun- 
gen verbreitet,  indem  man  sie  bald  für  Inseln 
hielt,  bald  für  künstliche  Aufschüttungen,  bald 
für  die  Vorgebirge  der  beiden  hier  in  ihren 
äußersten  Spitzen  zusammentreffenden  Erdteile, 
bald  für  Säulen,  welche  sich  in  dem  Tempel  des 
gaditanischen  Herakles  befänden.  Ja  nicht  ein- 
mal die  Zahl  dieser  Säulen  stand  fest  und  ebenso- 
wenig ihr  Ursprung  durch  Herakles,  da  andre  den 
Kronos  oder  den  Meeresriesen  Briareos  als  ihren 
Urheber  nannten,  wie  denn  auch  von  dem  Kampfe 
zwischen  Zeus  \md  den  Titanen  oder  Giganten 
in  diesen  Gegenden  erzählt  wurde.")  Für  die 
Griechen  bestand  das  Wesentliche  in  der  Vorstel- 
lung von  den  Säulen  des  Herakles  in  dem  Glau- 
ben, ,daß  da.  wo  sie  ständen,  das  westliche  Ende 
der  Welt,  also  auch  das  der  Schiffahrt  und  über- 
haujjt    jedes    vernünftigen    Strebens    sei.     Daher 


man  in  späteren  Zeiten,  als  die  Erfahrung  diesen 
Glauben  längst  widerlegt  hatte,  auch  wohl  von 
Säulen  des  Herakles  in  andern  Gegenden  erzählte, 
z.  B.  in  den  Gewässern  der  Frisen  oder  im 
Schwarzen  Meere.'  ^) 

Daß  die  Vorstellung  von  diesen  Säulen  des 
Herakles  phönikischen  Ursprungs  sei,  wie  Preller 
mit  Bestimmtheit  annimmt,  das  erscheint  mir  doch 
mehr  als  zweifeUiaft.  Weder  die  Säulen  im  Tem- 
pel des  Herakles  zu  Tyrus,  deren  Herodot  ge- 
denkt (2,  44),  noch  gar  die  beiden  Säulen  vor 
dem  Salomonischen  Tempel  ^)  scheinen  mir  in 
dieser  Richtung  irgendwie  beweisend  zu  sein. 
Säulen,  Pfeiler  oder  Pfähle  spielen  im  Kult  der 
verschiedensten  Götter,  bei  den  verschiedensten 
Völkern,  von  den  primitiven  Zeiten  an  eine  so 
bedeutende  Rolle,  daß  hier  nichts  den  phöniki- 
schen Herakles  speziell  Kennzeichnendes  liegen 
könnte,  wie  denn  auch  der  Hinweis  auf  die  beiden 
Säulen  vor  dem  Tempel  des  Salomo  nur  geeignet 
wäre,  einen  Beweis  in  dieser  Richtung  abzuschwä- 
chen. Bei  den  Säulen,  die  Herakles  im  fernen 
Westen  errichtet,  handelt  es  sich  aber  auch  durch- 
aus nicht  um  Kultobjekte.  Es  sind  mythische 
Vorstellungen,  die  unseres  Wissens  nichts  mit  dem 
Kultus  zu  schaffen  haben.  Daß  aber  die  Säulen 
im  Tempel  des  tyrischen  Herakles  oder  gar  jene 
vor  dem  Salomonischen  Tempel  als  ein  Abbild 
jener  mythischen  Vorstellung  zu  gelten  hätten, 
wird  sich  kaum  wahrsclieinlich  machen  lassen. 
Sehr  viel  wahrscheinlicher  dürfte  die  Ansicht  der- 
jenigen Forscher  sein,  welche  diese  Säulen  des 
Herakles  mit  den  von  Homer  erwähnten  Säulen 
des  Atlas  in  Zusammenhang  bringen,  respektive 
von  den  letzteren  ableiten  wollen,  wie  z.  B.  das 
Passowsche  Wörterbuch  ganz  direkt  sagt,  aus  den 
hohen  Säulen  des  Atlas  seien  später  die  sogenannten 
Heraklessäulen  geworden.^)  Es  ist  durchaus  nicht 
notwendig,  daß  mau  darum  der  Ansicht  von 
Völcker  beistimmt,  die  auch  0.  Müller,  G.  Herr- 
mann und  Nägelsbach  billigen,  wonach  Atlas  als 
eine  Personifikation  kühner  Schiffahrt,  der  Be- 
wältigung des  Meeres  durch  menschliche  Kunst, 
zu  deuten  wäre.  Noch  weniger  brauchen  wir  ihn 
S]>eziell  mit  Nägelsbach  für  den  Repräsentanten 
der  phönikischen  Schiffahrt  speziell  zu  halten.  In 
der  Tat  hat  Atlas  mit  Scbiffahrt  nichts  zu  tun. 
Aber      dennoch      stimme     ich     Nägelsbach     bei. 


>)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  |'-  -'10.  211.  ')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  211. 

')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II   p.  Jll   und  Anin.  3. 

')   Vgl.  Franz  Passovvs  Handwörterbuch  der  griecliisclien  Sprache  s.  v.  zituv,  ovo;    ,0d.  1,53    hält  Atlas    durch    hohe 
Säulen,  woraus  später  die  sogenannten  Herkulossäulen  wurden,  Himmel  und  Erde  auseinander.' 


80 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Schroedee. 


wenn  er  in  den  S.äulen  des  Atlas  geradezu  die  des 
Herakles  sehen  zu  müssen  glaubt,  i)  Ein  richtiger 
Instinkt  hat  ihn  zu  dieser  Identifikation    geleitet. 

Säulen  im  fernsten  Westen,  im  Weltmeer,  in 
der  Gegend  der  Geryonesinsel  Erytheia,  in  der 
Gegend  der  Hesperiden  —  das  sind  sie  beide, 
die  Säulen  des  Atlas  wie  die  des  Herakles.  Was 
die  Säulen  des  Atlas  bedeuten,  ist  klar  gesagt. 
Sie  stützen  Himmel  und  Erde,  sie  halten  sie  aus- 
einander. Von  den  Säulen  des  Herakles  wird  uns 
nichts  derart  gesagt.  Ihre  Bestimmung  ist  dunkel. 
Sie  erscheinen  als  mythische  Bilder,  deren  Sinn 
nicht  mehr  verstanden  wird,  die  aber  dennoch 
hartnäckig  im  Gedächtnis  des  Volkes  fortleben. 
Sobald  wir  die  Annaiime  wagen,  die  Bestimmung 
dieser  Säulen,  ihr  uralter  Sinn,  möge  dieselbe  ge- 
wesen sein  wie  diejenige  der  Säulen  des  Atlas, 
fällt  sogleich  ein  helles  Licht  in  den  bisher  dunklen 
Mythus,  und  er  stimmt  in  überraschender  W^eise 
zu  den  A^oraussetzungen,  die  wir  vom  indischen 
Mythus  aus  notwendig  zu  machen  gezwungen  sind. 

Atlas  ist  nichts  als  ein  Wächter  der  Säulen, 
der  sie  hält  und  liütet.  Herakles  ist  es.  der  die 
Säulen  setzt,  wie  Indra  im  A'eda  mit  dem  Pfeiler 
Himmel  und  Erde  auseinanderstemmt  und  stützt. 
Und  auch  die  Variante  stört  uns  nicht,  daß  andern 
Göttern  oder  Heroen,  wie  dem  Kronos  oder  Bria- 
reos,  die  gleiche  Heldentat  gelegentlich  zugeschrie- 
ben wird,  denn  wir  finden  entsprechende  Vari- 
anten auch  in  den  Liedern  des  Veda,  die  auch 
Varuna,  Vishnu  und  andre  Götter  oder  Heroen 
die  große  Säule  setzen,  Himmel  und  Erde  aus- 
einanderstemmen und  stutzen  lassen.  Herakles  aber 
ist  es,  den   dieser   Mythus  am  häufigsten  und  am 


hartnäckigsten 


als    den    Vollbringer    der    großen 


Tat  nennt,  wie  der  entsprechende  Mythus  im  Veda 
den  Indra.  Herakles  zieht  aus,  um  die  Sonnenrinder 
des  Geryones  zu  erbeuten,  und  dort  im  fernsten 
Westen,  in  der  Gegend  von  Erytheia,  pflanzt  er 
seine  Säulen  auf.  Zeitlicli  wie  räumlich  gehören 
die  beiden  Taten  zusammen.  Es  ist  dasselbe  Bild, 
M'enn  im  Veda  Gott  Indra  das  Himmelslicht,  die 
rötlichen  Rinder,  aus  der  Holde  des  Wolkendämons 
gewinnt  und  zugleich  Himmel  und  Erde  festmacht, 
die  Säule  setzt,  welche  beide  auseinanderhält,  wie 
die  Achse  die  beiden  Wagenräder.  Beide  Bilder 
stimmen  zusammen,  sie  gehen  auf  das  gleiche  Ur- 
bild zurück  —  den  Gewitterriesen,  der  die  Sonne 
im  Frühling  neu  gewinnt  und  Himmel  und  Erde 
neu  befestigt,  indem  er  die  Säule  setzt,  die  beide 
auseinanderhält. 


Atlas  ist  bei  den  Säulen  im  Grunde  nicht 
von  wesentlicher  Bedeutung.  Er  fehlt  darum  aucli 
durchweg  in  der  Geschichte  von  den  Säulen  des 
Herakles.  Vielleicht  galj  es  schon  früii  neben  dem 
Mythus  von  den  Säulen  einen  andern  Mythus  von 
einem  Riesen,  der  Himmel  und  Erde  auseinander- 
hält. Dieser  Riese  wäre  in  der  homerischen  Schil- 
derung mit  den  himmeltragenden  Säulen  kom- 
biniert als  ihr  Halter  und  Hüter.  Aber  das  war 
im  Grunde  ein  Pleonasmus.  Hatte  man  die  Säulen, 
dann  brauchte  man  den  sie  haltenden  Riesen  nicht 
notwendig  und  umgekehrt.  Darum  verschwanden 
beim  Atlas  bald  die  Säulen  und  er  selbst  erschien 
als  der  duldende  Träger  und  Stützer  des  Himmels- 
gewölbes. In  der  Fabel  von  den  Hesperidenäpfeln 
hören  wir  nichts  mehr  von  den  Säulen.  Hier 
spielt  Atlas  eine  wesentlich  andre,  eine  wesentlich 
selbständigere  Rolle.  Aber  die  Korrespondenz 
zur  Geryonesfabel  ist  darum  doch  eine  vollstän- 
dige. Wie  der  Gewinn  der  Sonnenrinder 
und  das  Setzen  der  Säulen  zusammen- 
gehören, so  der  Gewinn  der  Hesperiden- 
äpfel  und  das  Abenteuer  mit  Atlas,  dem 
Himmelsträger. 

Es  ist  ein  anderes  Bild,  das  hier  erscheint. 
Nicht  mehr  die  Säulen,  sondern  das  ragende  Ge- 
birge, das  den  Namen  des  Atlas  trägt.  Die  Person 
des  Atlas  aber  tut  man  gut,  nicht  ohne  weiteres 
mit  dem  gleichnamigen  Gebirge  zusammenzu- 
werfen oder  einfach  als  eine  Personifikation  dieses 
letzteren  anzusehen. 

, Homer  und  die  älteren  Dichter  fassen  den 
Atlas  durchaus  als  Pei'son  und  gel)en  keine  Ver- 
anlassung, seine  Entstellung,  wie  viele  tun,  aus 
der  Vorstellung  eines  den  Himmel  stützenden  Ber- 
ges abzuleiten.  Erst  sjiätere  Deutung  machte  den 
Atlas  zu  einem  Berg,  wohl  nicht  lange  vor  Herodot. 
Dieser  spricht  4,  1S4  von  einem  schmalen,  ganz 
runden,  über  die  Wolken  ragenden  Berge  in  dem 
nordwestlichen  Afrika,  welclier  bei  den  Einwohnern 
(Atlantes)  Atlas  und  Säule  des  Himmels  heiße. 
Eine  Erfindung  griechischer  Geographen.  Audi 
Euripides  soll  einen  Berg  Atlas  erwähnt  halben: 
doch  hielt  er  die  Person  und  den  Berg  bestinnnt 
auseinander.  Im  nordwestlichen  Afrika  nun  fixierte 
man  seitdem  den  Standpunkt  des  Atlas  und  be- 
nannte nach  ihm  das  Atlantische  Meer  und  die 
fal)elhafte  Insel  Atlantis.  Man  erzählte,  wie  der  my- 
thische Atlas,  ein  reicher  König,  Besitzer  großer  Her- 
den und  der  schönen  Hesperidengärten,  von  Pei'seus 
mit  dem  Medusenhaupte  in  einen  Berg  verwandelt 


')  Vgl.  Koscher,  Mythol.  Lexikon  I  p.  706.     N  ägel  sliacli,  Homerische  Theologie  p.  81  fg. 


HeeaivLes  und  Indea. 


81 


worden  sei,  der  den  Himmel  mit  den  Sternen 
trägt.  Nach  dem  Ditliyrambendichter  Polyidos 
war  Atlas  ein  libyscher  Hirt,  der  von  Perseus 
durch  die  Gorgo  versteinert  ward.  Die  euhemeri- 
stische  Auffassung,  die  den  Atlas  zum  König  oder 
Hirten  machte,  ging  noch  weiter  und  erkicärte  den 
klugen  Himmelsträger  für  einen  Astronomen,  der 
die  erste  Himmelskugel  verfertigt  haben  sollte,  für 
einen  jMathematiker,  einen  Philosophen,  einen 
weisen  Sänger,  von  dem  Homer  und  Hesiod  stam- 
men sollen,  für  einen  Weissager.'^) 

Diese  Worte  eines  Kenners  des  Gegenstandes 
begründen  hinreichend  das  oben  Gesagte.  Die 
merkwürdige  Doppelbeziehung  des  Atlas  zu  den 
Himmel  und  Erde  auseinanderhaltenden  Säulen 
bei  Homer,  zu  dem  gleichnamigen  Gebirge  in 
späterer  Zeit,  erklärt  sich  wohl  am  besten  durch 
die  oben  schon  geäußerte  Vermutung,  es  möchte 
neben  der  uralten  Vorstellung  von  jenen  Säulen 
und  der  parallelen  Vorstellung  von  himmeltra- 
genden Bergen,  vor  alters  ein  Mythus  lebendig 
gewesen  sein,  der  von  einem  Riesen  erzählte, 
welcher  Himmel  und  Erde  auseinanderzuhalten 
gezwungen  ward,  nachdem  ein  Gott  oder  mehrere 
Götter  die  beiden  voneinander  geti-ennt  iiatten. 
Diesen  Riesen  kombinierte  der  Mythus  bei  Homer 
ganz  naturgemäl5  mit  jenen  Säulen  und  machte 
ihn  zum  Halter  und  AVächter  derselben,  wälirend  er 
später  mit  dem  Gebirge  Atlas  zusammengebracht 
und  endlich  geradezu  mit  ihm  identifiziert  wurde. 
Daß  Atlas  ursprünglicii  nicht  bloß  den  Himmel 
trägt,  sondern  Himmel  und  Erde  hält  und  stützt, 
also  dieselbe  Funktion  hat  wie  die  Säulen  bei 
Homer,  der  Pfeiler  im  Veda,  das  geht  aus  den 
Worten  des  Pausanias  und  anderen  Zeugnissen 
deutlich  hervor.')  Dal3  er  es  gezwungen  tut, 
hinter  dem  Druck  einer  harten  Notwendigkeit, 
bezeugen  die  Worte  des  Hesiod.') 

Im  übrigen  mag  man  über  diese  Vermutung 
denken,  wie  man  will,  —  die  Hauptsache  bleibt 
für  uns  die  nahe  Beziehung  des  Herakles  einer- 
seits zu  den  Säulen  im  fernen  Westen,  andrer- 
seits zu  dem  als  Träger  des  Himmelsgewölbes 
gedachten  Atlas.  Daneben  mag  es  vielleicht  auch 
als  bedeutsam  gelten,  wenn  die  Sage  von  Perseus 
erzählt,  er  habe  den  Atlas  durch  das  Haupt  der 


Meduse  oder  Gorgo  in  einen  Berg  verwandelt, 
versteinert.  Denn  Per.seus  i-st.  wie  längst  bekannt, 
eine  Art  mythischer  IXippelgänger  des  Herakles, 
daher  wir  später  von  ihm  noch  mehr  zu  sagen 
haben  werden.  Wenn  er  den  Atlas  zum  Berge 
macht,  der  den  Himmel  trägt,  dann  bewirkt  er 
damit  die  dauernde  Feststellung  und  Stützung  des 
Himmelsgewölbes.  Und  ich  möchte  es  für  wahr- 
scheinlich halten,  daß  auch  die  Fabel  von  Hera- 
kles und  Atlas  ursprünglich  diese  Bedeutung  hatte, 
wenn  auch  wesentlich  anders  gewandt  wie  bei 
Perseus. 

Es  scheint  mir  keinem  Zweifel  zu  unterliegen, 
daß  Herakles  nach  der  ursprünglichen  Sage  die 
Apfel  der  Hesperiden  selbst  erbeutet,  nachdem  er 
den  Drachen  Laden  getötet.  Diese  tatsächlich 
vorliegende  Fassung  des  Abenteuers  verdient  ohne 
Zweifel  den  Vorzug  vor  der  nachmals  poj)ulärer 
gewordenen  Fabel,  nach  welcher  Atlas  im  Auf- 
trage des  Herakles  die  Äpfel  diesem  gebracht 
habe,  während  der  Held  inzwischen  die  Last  des 
Himmelsgewölbes  auf  sich  genommen.*)  Der  große 
Held,  der  größte  von  allen,  muß  die  große  Hel- 
dentat selbst  vollbringen,  sonst  wäre  er  eben  nicht 
der  Held.  Und  so  werden  wir  das  Eintreten  des 
Atlas  bei  der  Ausführung  der  Tat.  in  welcher  die 
spätere  Sage  das  letzte  und  entscheidende  Aben- 
teuer des  Herakles  sah,")  wohl  für  jüngere  Er- 
findung halten  dürfen.  Auch  die  später  erfolgende 
possenhafte  Überlistung  des  Atlas  durch  Herakles 
gibt  sich  wohl  als  solche  zu  erkennen.  Dennoch 
steht  in  der  Erzählung  des  Hesperidenabenteuers 
die  Berührung  des  Herakles  mit  Atlas  als  ein 
alter  Zug  der  Sage  fest.  Es  fragt  sich  imr.  wel- 
cher Art  dieselbe  gewesen  sein  mag.  Gruppe 
meint,  in  der  alten  Sage  dürfte  sich  Atlas  darauf 
beschränkt  haben,  dem  Herakles  den  We^  zu  den 
Hesperiden  zu  weisen.")  Es  ist  möglicli,  daß  er 
dies  tat,  doch  das  Wesentlichste  der  Berührung 
scheint  mir  in  etwas  andrem  zu  liegen.  Ich  glaube 
kaum,  daß  die  Sage  jene  Erzählung  vom  Ab- 
nehmen und  Wiederaufsetzen  des  Himmelsgewölbes 
durch  Herakles  erfunden  hätte,  wenn  nicht  ein 
alter  Kern  gerade  darin  enthalten  wäre.  Aber 
die  Wondung,  daß  Herakles  dies  getan  habe,  um 
inzwischen    die    iiim   allein  gebührende  Heldentat 


')  Vgl.  Stoü  in  Roschers  Mythol.  Lexikon  I  p.  707. 

')  oOjsavov  zat  Y^jv  avexwv  nennt  ihn  Pausanias;   Vf^l.  Paus.  .'>,  11,  '2;    IS,  1,    Preller,  a.  a.  O.  I   p.  460:    Roschers  Mytholog. 
Lexikon  p.  706;  die  Inschrift  des  Kypseloskastens  entkräftet  diese  An^'atie  nicht. 

')  "ArXa;  3"  oupavbv  EÜpüv  e'^ei  zparsp^;  ure"  mifxrfi,  Hesiod,  Theog.  517.   Roschers  Lex.  p.  700.  707.   Preller  a.  a.  O.  p.  461. 
♦)  Vgl.  Gruppe,  a.  a.  O.  I  p.  471. 

*)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  216.    S.  auch  Gruppe,  a.  a.  0.  I  p.  472;  und  hierselbst  unten 
«)  Vgl.  oben  p.  69;  Gruppe,  a.  a.  O.  I  p.  471. 
Denkschriften  der  phil.-hist.  Kl,  58.  Bd.  3.  Abb.  11 


82 


III.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoedee. 


durch  den  Atlas  verrichten  zu  lassen,  schädigt  den 
ursprünglichen  Sinn  der  Sage,  schädigt  die  Ge- 
stalt des  Herakles,  des  großen  Helden,  der  un- 
möglich auf  solchem  Wege  —  wie  Günther  durch 
Siegfried  —  sein  hohes  Ziel  erreicht  haben  kann. 
Was  bleibt  aber  noch,  wenn  wir  diesen  Zug  der 
Sage  als  nicht  echt  und  ursprünglich  fallen  lassen, 
ebenso  wie  die  nachfolgende  possenhafte  Über- 
listung? Es  bleibt  das  Abnehmen  und  Wieder- 
aufsetzen des  Himmelsgewölbes  durch  Herakles, 
dessen  gewaltige  Kraft  sich  auch  darin  bewährt, 
daß  er  die  ungeheure  Last  selbst  tragen  kann, 
der  sie  aber  doch  zu  dauernder  Stützung  und 
Feststellung  des  Himmels  wieder  dem  Atlas  auf 
den  Nacken  setzt.  Es  liegt  darin,  wie  ich  glaube, 
ursprünglich  nichts  andres  als  eine  erneute  Festi- 
o-une-  und  Stützung  des  Himmels,  —  also  wesent- 
lieh  dasselbe,  was  die  vedischen  Lieder  so  oft  vom 
Indra  rühmen,  und  zwar  gerade  im  engen  Zu- 
sammeniiaug  mit  der  Gewinnung  des  Himmels- 
lichts, der  die  Erbeutung  der  Hesperidenäpfel 
samt  Drachentötung  entspricht. 

Wenn  die  Tat  bei  den  Hyperboreern  ge- 
schah, im  höchsten  Norden,  dann  kann  vom  Atlas- 
£-ebire:e  dabei  nicht  die  Rede  sein.  Wohl  aber, 
wenn  man  sich  dieselbe  im  fernen  Westen  voll- 
bracht dachte.  Dort  ragte  ja  im  äußersten  Nord- 
westen Afrikas  das  mächtige  Atlasgebirge  zum 
Himmel  empor,  ganz  nahe  der  Gegend,  wo  man 
sich  die  Säulen  des  Herakles,  Erytheia  und  die 
Hesperiden  dachte,  seitdem  für  diese  alten  Fabel- 
diuge    geographische  Bestimmung   gesucht    ward. 

Wir  können  es  dahingestellt  sein  lassen,  ob 
Herodot  im  Recht  ist,  wenn  er  meint,  die  Grie- 
chen hätten  sich  das  Bild  vom  Atlas  als  himmel- 
tragender Säule  von  den  Eingeborenen  jener  Ge- 
gend angeeignet.^)  Auf  jeden  Fall  war  ihnen  auch 
sonst  das  Bild  von  Bergen,  welche  den  Himmel 
wie  Säulen  stützen,  ein  geläufiges.^)  So  nennt 
Pindar  den  schneereichen  Ätna  als  solch  eine 
Himmelssäule.')  Und  es  scheint,  daß  sich  auch 
mit  dem  Kaukasus  ähnliche  Vorstellungen  ver- 
banden. Jlan  versetzte  den  Atlas  auch  bisweilen 
nach  (jriechenland.  z.  B.  nach  Arkadien  und  nach 
Boeotien  in  die  Gegend  von  Tanagra.*)  War  dies 
Bild  aber  den  Griechen  von  Hause  aus  nicht 
fremd,  dann  war  es  sehr  natürlich,  ja  fast  selbst- 
verständlich,   daß    sich    dasselbe    mit    dem   Atlas- 


gebirge verbinden  mußte,  sobald  als  die  Meer- 
enge von  Gades  und  iiire  Umgebung,  als  fernster 
Westen,  zum  Schauplatz  jener  Taten  des  Hera- 
kles geworden  war,  die  sich  als  Eroberung  des 
Himmelslichtes  charakterisieren.  Denn  mit  diesen 
war  ja  wohl  seit  alters,  wie  der  indische  Mjthus 
vermuten  läßt,  das  Stützen  des  Himmels,  das  Fest- 
machen der  Erde  und  des  Himmels  verbunden. 
Es  erscheint  daher  sehr  möglich,  daß  die  Grie- 
chen selbst,  ohne  Beeinflussung  durch  die  Ein- 
wohner jener  Gegend,  auf  den  Gedanken  kamen, 
gerade  im  Atlasgebirge  die  Stütze  des  Himmels 
zu  suchen.  Wenn  die  Leute  dort  aber  in  der  Tat 
ähnliche  Gedanken  hegten,  dann  kamen  ihnen  die 
griechischen  Vorstellungen  auf  jeden  Fall  ent- 
gegen und  erhielten  dadurch  nur  noch  festeren 
Halt. 

Wie  dem  auch  sei,  —  jedenfalls  sind  es 
griechische  Mythen,  die  davon  erzählen,  daß 
Perseus  den  König  oder  Hirten  Atlas  in  einen 
Berg  verwandelt  habe,  der  nun  den  Himmel  stützt; 
oder  daß  Herakles  dem  Atlas  die  Himmelslast 
abgenommen  und  dann  wieder  aufgesetzt  habe. 
Wie  die  Tat  des  Herakles  mit  der  Tötung  des 
Drachen  Ladon  und  Gewinn  der  Hesperidenäpfel 
verbunden  ist,  so  steht  diejenige  des  Perseus  in 
deutlicher  Verbindung  mit  der  Tötung  der  Gorgo- 
Medusa,  denn  mit  dem  abgehauenen  Haupte  der- 
selben bewirkt  der  Held  die  Versteinerung.  Die 
Gorgo-Medusa  aber  haust  eben  dort  in  jenem 
fernen  Westen,  wo  der  Drache  Ladon  undGeryones 
hausen,  wo  die  Quellen  des  Okeanos,  die  Hesperi- 
den und  Atlas  zu  finden  sind.  Sie  ist  nur  eine 
der  vielen  Formen  des  bösen  Dämons,  den  der 
Sonnenheld,  der  Gewitterriese  töten  muß,  —  jenes 
Dämons,  der  trotz  der  verschiedensten  Namen  und 
Gestalten  bei  Indra  früher  in  der  Regel  als  Wol- 
kendämon gefaßt  wurde,  neuerdings  vielfach  als 
Schwarzmond  gedeutet  wird,  während  er  bei  He- 
rakles in  den  Sagen  von  der  Lichtgewinnung  — 
der  Geryones-  und  der  Hesperidensage  —  als  ein 
Ungeheuer  im  fernen  Westen,  im  Sonnenunter- 
sansslande  charakterisiert  ist.  So  auch  bei  Perseus, 
dem  Herakles  verwandten  Helden.  Wenn  es  aber 
von  Indra  heißt,  daß  er  bei  jener  großen  Helden- 
tat die  wankenden  oder  gar  beliebig  sich  umher- 
bewegenden Berge  festgemacht,  sie  zur  Ruhe  ge- 
bracht  und   dadurch   erst   der  Erde  ihren  festen 


')  Herodot  4,  184  Toütov  ziova  tou  ojpavoü  li-fou-ji  o:  Inij^üpioi  elvai. 

»)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  I  p.  463. 

')  Pindar,  Pyth.  1,  19  (37)  xiov  B' oupavia  umiynn  vi<pd£ao*  Aava;  vg\.  Preller,  a.  a.  O.  I  p.  463. 

*)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  I  p.  463.  464,  Anm.  1. 


Heeakles  und  Indea. 


83 


Halt  gegeben  habe,  dann  scheinen  mir  damit  jene 
Taten  des  Perseus  und  des  Herakles  zu  korre- 
spondieren: die  Versteinerung  des  Atlas  zum 
himmeltragenden  Berge  wie  das  Neuaufsetzen  der 
Himmelslast  auf  die  Schultern  des  Atlas  durch 
Herakles.  Denn  daß  Atlas  Himmel  und  Erde 
festhält,  ist  deutlich  bezeugt,  und  ebenso,  daß 
Indra  Himmel  und  Erde  festmacht.  Alle  diese 
Mythen  weisen,  wie  mir  scheint,  auf  einen 
Urmythus  zurück,  der  davon  erzählt,  daß 
der  Sonnenheld,  der  Gewitterriese,  als  er 
den  bösen  Dämon  tötete  und  das  Himmels- 
licht gewann,  die  schwankenden  Berge  fest- 
machte und  durch  sie  erst  dem  Himmel 
und  der  Erde  den  dauernden  festen  Halt 
gab. 

Dämonentötung,  Lichtgewinnung  und 
Festigung  von  Himmel  und  Erde,  die  im 
Indramythus  so  oft  in  mancherlei  Variationen  ver- 
bunden erscheinen,  hätten  im  Heraklesmythus 
nacli  alledem  zwei  Formen  angenommen: 

1 .  Tötung  des  Geryones,  Gewinn  seiner  Sonnen- 
rinder und  Setzung  der  Säulen,  die  gewiß  einst 
als    Stützen    von    Himmel    und    Erde    gleich    den 


Säulen  des  Atlas  galten  und  mit  diesen  ursprüng- 
lich identisch  waren; 

2.  Tötuug  des  Drachen  Ladon,  Gewinn  der 
Hesperidenäpfel  und  endgültiges  Setzen  des  Him- 
melsg:ewölbes  auf  die  Schultern  des  Atlas. 

Dazu  käme  als  weitere  Parallele  nocli  aus  der 
später  noch  speziell  zu  behandelnden  Perseussage: 

3.  die  Tötung  der  Gorgo-Medusa  und  Ver- 
steinerung des  Atlas  zum  himmeltragenden  Berge. 

Die  Tötung  des  Ungeheuers,  Gewinn 
der  Sonnenrinder,  Gewinn  des  Himmels- 
lichtes, Setzung  der  Säule,  die  Himmel  und 
Erde  auseinanderhält,  das  Festmachen  der 
Berge,  das  Stützen  und  Festmachen  von 
Himmel  und  Erde  —  das  alles  bietet  uns 
der  Indramythus  in  mancherlei  Varia- 
tionen. Nur  die  Gestalt  des  persönlich  gedachten 
Atlas  fehlt  und  ebenso  das  Bild  der  Apfel  für 
Sonne  und  Himmelslicht.  Dies  Manko  aber  kann 
uns  nicht  daran  hindern,  die  Urverwandtschaft 
der  in  Rede  stehenden  Mythenkomplexe 
zu  erkennen.  Ich  denke,  daß  dieselbe  nach 
den  obigen  Darlegungen  als  erwiesen  gel- 
ten darf. 


(Schluß  folgt.) 


11« 


DENKSCHRIFTEN 


DEE 


KAISERLICHEN  AKADEMIE   DER  WISSENSCHAFTEN    IN  WIEN. 

PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE  KLASSE. 


58.  BAND,   4.  ABHANDLUNG. 


HERAKLES  UND  INDRA. 


EINE  MYTHENVERGLEICHEKDE  UNTEESl  CHUNG 


VON 


LEOPOLD  VON  SCHROEDER, 


WIEKL.  MITGLIEDE  DER  KAIS.  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


ZWEITER  TEIL. 


VORGELEGT    IN    DER    SITZUNG    AM    6.   MAI    l'J14. 


WIEN,    1914. 

IN   KOMMISSION   BEI   ALFRED   HOLDER 

K.  U.  K.  HOF-  UND  ÜNIVEKSITATS-BUCIIHANDLEE 
BUCHHÄNDLER  DER  KAIS.  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


Druck  von  Adolf  Holzhausen, 
k  und  k.  Hof-  und  Universitiits-Bui.hdrQcker  in  Wii 


Kerberos. 


Die  Herbeiljriugung-  des  Höllenhundes  Ker- 
beros wird  in  der  Regel  als  die  letzte  der  im 
Dienste  des  Eurjstheus  voUbrachteu  Taten  des 
Herakles  aufgeführt.')  Daü  es  die  sclnvierigste 
war,  sagt  schou  Homer,  der  den  Scliatten  des 
Herakles  selbst  davon  zu  Odysseus  reden  läßt 
(Od.  11,  623— 62G).,  Den  Namen  des  Kerberos 
nennt  er  nicht,  sondern  spricht  nur  von  ,dem 
Hunde',  den  Herakles  unter  dem  Beistande  der 
Athene  und  des  Hermes  aus  dem  Hades  herauf- 
geholt habe  (Od.  a.  a.  0.;  II.  8,  366— oG'J).  Auch 
erzählt  er,  Herakles  habe  mit  Hades  selbst  am 
Tor  der  Unterwelt  gekämpft  und  ihm  seinen  Pfeil 
in  die  Schulter  geschossen  (II.  5,  395  —  402). 
Gruppe  findet,  daß  diese  Hadesfahrt  des  Helden 
in  einem  gewissen  Parallelismus  mit  dem  Geryones- 
abenteuer  stehe,-)  und  er  dürfte  damit  nicht  un- 
recht haben.  Preller  meint,  daß  der  Sinn,  in 
welchem  Herakles  das  Ungetüm  von  den  Pforten 
des  Hades  ans  Licht  heraufführt,  kein  andrer 
sein  könne,  ,als  daß  er  auch  in  dieses  ewige 
Dunkel  siegreich  hin  eingedrungen  und  jenen  Pfoi'- 
ten  ihre  unüberwindlichen  Schrecken  genommen 
hat,  ein  Bild  der  Auferstehung  wie  das  der 
täglichen  Sonne. '^)  In  ein  ganz  neues  Licht 
hat  Maurice  Blöomfield  die  Sage  gerückt 
durch  seine  tiefgründige  und  geistvolle  Unter- 
suchung über  das  urspi-iüigliche  Wesen  des  Ker- 
beros.*) So  überraschend  das  Resultat  auch  ist, 
zu  welchem  er  gelangt,  es  wird  doch  auch  den 
Gegnern  der  vergleichenden  Mytiiologie  schwer 
sein,  sicli  der  unerbittlichen  Logik  in  der  Beweis- 
führung  des    ausgezeichneten  amerikanischen  In- 


dülogen  zu  verschließen.  Ich  kann  mich  hier  darauf 
beschränken,  den  durchaus  überzeugenden  Ge- 
dankengang Bloomfields  in  der  Hauptsache  wieder- 
zugeben. Die  Schlußfolgerung  ergibt  sich  dann 
ganz  von  selbst. 

Kerberos,  ein  Sprößling  des  T}'j)lion  und  der 
Echidna,  wird  von  den  Griechen  als  ein  mehr- 
köpfiges  Ungetüm  gedaciit.  Meist  erscheint  er 
zweiköpfig  in  der  griechischen  Kunst  gebildet,  oft 
aber  auch  dreiköpfig,  und  diese  letztere  Gestalt 
ist  es,  die  sich  insbesondere  bei  den  römischen 
Dichtern  endgültig  festgestellt  hat  und  dadurch 
auch  uns  die  geläufige  geworden  ist.  Diesem 
mehrköpfigen  Ungeheuer  entsprechen  im  Veda, 
wie  längst  schon  erkannt  ist,  die  beiden  Hunde 
des  Yama,  des  Königs  im  Reiche  der  Abgeschie- 
denen, der  in  späterer  Zeit  ähnlich  dem  Hades 
als  ein  furchtbarer  Todesgott  und  Höllenfürst  ge- 
dacht wird.  Im  Veda  aber  erscheint  er  noch 
ganz  anders,  als  der  Erste  der  Abgeschiedenen, 
der  als  ihr  König  mit  den  Seligen  zusammen  in 
einem  lichten,  herrlichen,  himmlischen  Reiche 
unter  einem  schönbelaubten  Baum  zecht.  Es  wird 
als  ein  Reich  der  ^Vonne  iu  himmlischen  Höhen 
geschildert.  Doch  zwei  Hunde  bewachen  den 
Pfad  dorthin,  zwei  breitnasige,  braune,  A-ieräugige 
Hunde.  Der  eine  heißt  CJabala,  der  Sclieckige 
oder  der  Bunte,  der  andre  Cyäma,  der  Dunkle. 
Dem  Toten  wird  im  Rigveda  bei  der  Bestattung 
zugerufen:  ,Lauf  vorbei  an  den  beiden  vieräugigen 
bimten    Hunden,     den  Sprößlingen    der    Sarama, 


auf   geradem  Wege! 


Dann   geh    zu  den  freund- 


liciien    Vätern     iiin,     die    mit     Yama     zusammen 


')  Wir  haben  im  übrigen  schon  früher  bemerkt,  daß  weder  die  Zahl  noch  die  Reihenfolge  dieser  Taten  seit  alters 
feststand.  Vielfacli  wurde  das  Abenteuer  mit  den  HeR))eridenäpfeln  al.s  das  letzte  und  entscheidende  angesehen.  .Herakles 
bringt  diese  Äpfel  wahrscheinlich  nicht  nach  Argos  als  Geschenk  der  großen  Göttin,  —  sondern  wie  in  der  altlukrischeu 
Sage  in  den  Göttergarten  auf  dem  Oiteberg.  Hier  auf  dorn  (Hjjfel  des  Berges  scheint  er  dann  von  Athena  und  Hermes 
im  feurigen  Wagen  zum  Himmel  gefahren  zu  sein,  wo  die  Göttin,  der  er  so  treu  gedient,  Hera,  ihn  aufnimmt  und  ihn  mit 
ihrer  Tochter  und  Dienerin  Hebe  vermählt.'     Gruppe,  a.  a.  O.  I  p.  172. 

■^)  Vgl.  Gruppe,  a.  a.  O.  I  p.  469. 

■*)  Vgl.  Preller  a.  a.  O.  II  p.  222.  In  der  Anmerkung  vergleicht  PruUer  noch  die  .Stelle  aus  dem  Turiner  Totenbuche; 
,Ich   lebe   wiederum   auf  nach   dem  Tode   wie  die  tägliche  Sonne.' 

')  Maurice  Blöomfield,  Cerberus,  the  dog  of  Hades,  the  history  of  an  idea.     Chicago-London   1905. 

1* 


86 


IV.  Abhaxdluis'g  :  Leopold  v.  Scheoedek. 


schmauseu."')  Ein  s)i;ttorer  Text  —  Acvaläyanas 
Grihyasütra  —  erwülmt  einen  Kuchen,  den  der 
Tote  den  beiden  Hunden  des  Yama  gibt,  offenbar, 
um  sie  freundlich  zu  .stimmen.")  Er  erinnert  uns 
an  die  Honigkuchen,  mit  denen  die  griechischen 
Abgeschiedenen  A'ersorgt  werden,  als  Gabe  für 
den  Kerberos. ^)  Furchtbare,  zu  begütigende 
Wächterhunde  vor  dem  Totenreiche,  liier  wie  dort, 
—  offenbar  eine  nah  verAvandte  Vorstellung.  In 
demselben  Liede  des  Rigveda,  dem  der  oben  an- 
geführte Vers  entnommen  ist,  finden  wir  gleich 
darauf  eine  scheinbar  wesentlich  andre  Vorstellung 
von  den  beiden  Hunden  des  Yama:  .Die  beiden 
breitnasigen,  am  Leben  (der  Menschen)  sich  gütlich 
tuenden,  braunen  Boten  des  Yama  Avandern  unter 
den  JMenschen  umher;  sie  mögen  uns  lieute  hier 
das  schone  Leben  Avieder  schenken,  damit  Avir  die 
Sonne  schauen.'*)  —  Da  erscheinen  sie  also  nicht 
als  Wächterhunde,  die  eifersüchtig  die  Pfade  ins 
Reich  der  Seligen  hüten,  sondern  als  Todesboten, 
die  das  Leben  der  Menschen  aufzehren  und  an- 
gefleht Averdeu,  die  Überlebenden  noch  möglichst 
lange  zu  A'erschonen.  Man  hat  gemeint,  diese 
beiden  so  Avesentlich  A'erschiedenen  Vorstellungen 
A-on  den  Hunden  des  Yama  nicht  miteinander  A'er- 
einen  zu  können,  doch  Avir  Averden  sehen,  daß 
dies  bei  Bloomiields  Auffassung  A^on  dem  ursprüng- 
lichen Wesen  dieser  Hunde  sehr  avoIiI  möglich  ist. 
Als  Todesboten,  Verkürzer  des  Lebens  und 
Geleiter  der  Toten,  A'or  denen  man  die  Lebendi- 
gen zu  schützen  sucht,  erscheinen  die  beiden 
Hunde  auch  im  AtharA'aA^eda.  .Die  beiden  pfad- 
hutenden  Hunde  des  Yama,  die  ausgesandten,  der 
dunkle  und  der  scheckige,  nicht  sollen  sie  dich 
(fassen)!'  heißt  es  in  einer  BescliAA'örung  (AV  8, 
1,  9).  .Bleib  hier,  o  ]Menscb.  mit  deinem  ganzen 
Sinn!  Folge  nicht  den  beiden  Boteu  des  Yama 
nach!  Komm  zu  den  Wohnungen  der  Lebendigen!' 
lautet  ein  andrer  Vers  (AV  5,  30,  6),  der  offenbar 
ein  bedrohtes  Leben  erhalten  aa-üI.  Erst  Avenn  der 


Mensch  gestorben  ist,  bittet  man  Yama,  ihn  der 
Hut  der  beiden  Hunde  anzuvertrauen.^) 

YajurA'eda  und  Brahmanatexte  zeigen  nun 
deutlich,  Avelche  Naturerscheinung  der  Vorstellung 
A^on  diesen  beiden  Hunden  des  Yama  zugrunde 
lag,  respektiA'e  die  Anregung  zu  dieser  Konzeption 
der  Phantasie  gegeben  hat.  Wir  sehen,  daß  man 
sich  die  beiden  Hunde  des  Yama,  die  Avachenden 
und  Avandelnden,  am  Himmel  denkt,  daß  die  Be- 
zeichnung ,die  beiden  himmlischen  Hunde'  gerade- 
zu gleichbedeutend  gebraucht  Avird  für  ,die  beiden 
Hunde  des  Yama,'  —  und  da  das  Reich  des  Yama 
im  Veda  noch  durchaus  in  den  himmlischen 
Höhen  gesucht  Avird,  ist  das  auch  nicht  zu  ver- 
wundern. Es  Avird  uns  in  mehreren  Texten  eine 
merkwürdige  Legende  erzählt,  AA'ie  die  bösen  Dä- 
monen, genannt  Kälakäiija,  den  Himmel  erobern 
AvoUten  und  zu  diesem  ZAveck  einen  Feueraltar 
bauten.  Indra  mischt  sich  in  Gestalt  eines  Brah- 
manen  unter  die  Himmelsstürmer  und  fügt  auch 
seinerseits  einen  Backstein  in  den  Bau.  Als  der- 
selbe den  Himmel  erreicht,  zieht  Indra  seinen 
Stein  heraus  und  nun  stürzt  alles  zusammen.  Die 
Dämonen  fallen  herunter,  nur  die  beiden  obersten 
bleiben  oben.  ,Das  Avurden  die  beiden  himmlischen 
Hunde',  sagt  der  eine  Text;  ,das  wurden  die  bei- 
den Hunde  des  Yama',  sagt  der  andre.'')  Der 
xVtharvaveda  redet  mit  offenbarer  Ehrfurcht  a'ou 
der  Majestät  des  himmlischen  Hundes',  und  er 
Aveiß  sogar  A'on  drei  Kalakaiijas,  die  am  Himmel 
als  Götter  ihren  Platz  gefunden  hätten.")  In  der 
Regel  aber  Averden  deren  nur  zaacI  erAvähnt,  Avie 
ja  auch  nur  A'on  zaa-oI  Hunden  des  Yama  geredet 
wird.  Von  ihnen  sagt  das  Grihyasütra  des  Hira- 
nyakeyin:  ,Die  Brut  der  Saramä,  dunkel  und 
braun,  läuft  dahin,  herabschauend  auf  die  See.'^) 
Auch  hier  sind  also  die  beiden  Hunde  offenbar 
am  Himmel  gedacht. 

Der  älteste  Yajur\'eda,  das  sogenannte  Ka- 
thakam,  sagt:  ,FürAvahr,  diese   beiden   Hunde  des 


')  RV  10,  14,  10.  Die  Iluncle  sind  hier  beide  als  luint,  g'escheckt  oder  gefleckt  (ijabala)  bezeichnet,  da  aber  sonst 
der  gescheckte  und  der  dunkle  unterschieden  werden,  hat  Bloomtield  wohl  recht,  wenn  er  hier  dieselbe  eigentümliche 
vedische  Ausdrucksweise  annimmt,  nach  der  z.  B.  pitaräu  ,die  beiden  Väter'  so  viel  bedeuten  wie  Vater  und  Mutter,  die 
beiden  Mitras  so  viel  wie  Jlitra  und  Varuna  u.  dgl.  ni.  —  Die  Hündin  Saramä  ist  die  Götterbotin,  daher  wohl  die  [iriides- 
tinierte  Mutter  von  mythischen  Hunden,  die  zugleich  als  Boten  fungieren,  wie  die  Hunde  des  Yama. 

')  Vgl.  Bloorafield  a.  a.  O.  p.  13.  14.  ")  Vgl;  Bloomfield  a.  a.  O.  p.  2. 

*)  RV  10,  14,  12. 

*)  Vgl.  RV  10,  14,  11:  .Welches  deine  beiden  Wilchterhunde  sind,  o  Yama,  die  vieriiugigen,  pfadbehütenden,  mjinner- 
beschauenden,  diesen  beiden  vertraue  ihn  an.  o  König,  und  verleih  ilmi  Heil  und  Freiheit  von  Beschwerde.'  Es  ist  von 
dem  Toten  bei  der  Bestattung  die  Rede. 

")  Das  erste  Täitt.  Br.  1,  1,  2;  das  zweite  Mäitr.  S.  1,  6,  9;  vgl.  Bloomfield  a.  a.  O.  p.  17;  auch  Käth.  8.  1. 

')  Atharvaveda  6,  80.  Über  den  dritten  am  Himmel  gebliebeneu  Kälakäfija,  den  Bloomfield  nicht  weiter  berück- 
sichtigt, werde  ich  weiter  unten  eine  Vermutung  wagen. 

")  Hir.  Grihy.  2,   7,  2;   Bloomfield  a.  a.  O.  p.  IB. 


Heeakles  und  Indra. 


87 


Yania  sind  Tag  und  Nacht.' i)  Ein  andrer  Bräli- 
mana-Text  bezeichnet  nocli  näiier  den  scheckigen 
oder  bunten  Hund,  ('al)ala,  als  den  Tag,  den 
dunklen  als  die  Nacht.  2)  Wie  das  zu  verstehen 
ist,  lehren  uns  andre  Stellen,  aus  denen  unzweifel- 
haft deutlich  hervorgeht,  daß  mit  den  beiden 
himmlischen  Hunden,  so  überraschend  das  auch 
auf  den  ersten  Anblick  erscheint,  Sonne  und 
Mond  gemeint  sind,  die  großen  Gestirne  von  Tag 
und  Nacht,  die  als  Hauptrepräsentanten  von  Tag 
und  Nacht  diesen  geradezu  gleichgesetzt  werden. 
Das  Catapatha-Brähmana  sagt  von  dem  einen  der 
beiden  ganz  deutlich:  ,Der  Mond  fürwahr  ist  der 
himmlische  Hund;  er  schaut  herab  auf  das  Vieh 
des  Opferers.'  Und  in  demselben  Sinne  spricht 
die  Kaschmir -Version  des  Atharvaveda  von  dem 
vieräugigen  Hunde  (d.  h.  dem  Monde),  welcher 
,surveys  by  night  tlie  sphere  of  the  night'.') 

Zu  dieser  Auffassung  stimmen  auch  die  Ideen 
der  Upanishaden,  in  denen  Mond  und  Sonne  bei 
dem  Übergang  der  Seele  in  die  Himmelswelt  als 
Stationen  erscheinen.  Da  gehen  die  Abgeschie- 
denen zuerst  zum  Monde,  oder  es  heißt,  daß  sie 
durcli  die  konzentrischen  Kreise  von  Sonne  und 
Mond  liindurch  müssen.  Auch  wird  einmal  ge- 
schildert, wie  die  Seele  auf  dem  Weg  in  die  Welt 
des  Brahman  zuerst  von  dem  dunklen  zu  dem 
scheckigen  Hunde,  von  dem  scheckigen  zu  dem 
dunklen  geht  u.  dgl.  m.'') 

Hält  man  Bloomfields  Deutung  fest,  dann  be- 
greift man  erst,  wie  der  Atharvaveda  von  der 
.Majestät  des  himmlischen  Hundes'  reden  kann. 
Ob  der  Dichter  in  diesem  Falle  die  Sonne  oder 
den  ilond  meint,  in  jedem  Fall  ist  der  Ausdruck 
ein  treffender.  Man  l)egreift  nun  aber  auch  die 
scheinljare  Diskrepanz  in  der  Auffassung  der  bei- 
den Hunde  des  A'ama,  die  das  früher  erwähnte 
berühmte  Totenlied  (RV  10,  14)  uns  zu  bieten 
scheint.  Sonne  und  Mond,  das  himmlische  Paar, 
als  Wächterhunde  am  Himmel,  auf  dem  Wege 
ins  selige  Jenseits  gedacht  — ,  das  ist  die  eine 
unzweifelhaft  deutlich  vorliegende  Anschauung. 
Aber  Sonne  und  Mond  sind  auch  die  Repräsen- 
tanten von  Tag  und  Nacht,  von  der  in  ewigem 
Wechsel  vorwärts  wandelnden  Zeit.  —  und  so  er- 
scheinen sie  auch  als  furchtbare  Mächte,  die  das 
Leben  der  Menschen  unerbittlich  aufzehren,  als 
Boten  des  Königs  im  Totenreich,  als  solche  unter 


den  Menschen  wandelnd,  den  .>renschen  sichtbar, 
die  Menschen  beschauend,  über  sie  hin  am  Him- 
mel sich  bewegend.  Das  ist  eine  Anschauung, 
die  durchaus  zu  verwandten  Ideen  im  Veda 
stimiut,  wo  auch  die  sonst  so  lieblich  schön  und 
reizvoll  geschilderte  Mongenröte,  von  einer  andern 
Seite  betrachtet,  als  ernste  himmlische  Macht  er- 
scheint, die  das  Leben  der  Menschen  aufreibt  und 
vernichtet.  Denn  auch  sie  repräsentiert  in  ewiger 
Wiederkehr  die  Zeit,  die  alles  Leben  hinschwin- 
den läßt.  ,Tag  und  Nacht  sind  die  umschließenden 
Arme  des  Todes',  sagt  das  Brähmana  der  Käu- 
shitakins.^)  Tag  und  Nacht  werden  in  einem  an- 
dern Texte  gebeten,  langes  Leben  zu  schenken, 
wie  man  die  Hunde  des  Yama  um  die  gleiche 
Gnade  bittet.  ,Das  Jahr  ist  der  Tod;  mit  Hilfe 
von  Tag  und  Nacht  zerstört  es  das  Leben  der 
Sterblichen',  sagt  das  (^'atapatha  Brähmana.  Um 
sich  vor  dem  grimmigen  Griff  von  Tag  und  Nacht 
zu  schützen,  muß  man  weißen  und  schwarzen 
Reis  opfern  und  dazu  sprechen:  ,Heil  dem  Tage! 
Heil  der  Nacht!'«)  Mit  Recht  erinnert  Bloomfield 
dabei  auch  an  die  bekannte  Parabel  von  dem 
,Manu  im  Brunnen,"  die  nach  E.  Kuhns  über- 
zeugenden Darlegungen  wohl  aus  Indien  stammen 
dürfte.  Da  erscheinen  Tag  und  Nacht  als  weiße 
und  schwarze  Maus,  die  den  Baum  oder  Strauch 
zernagen,  an  welchem  der  Mann  hängt,  und  ihn 
so  dem  Tode  weihen.')  Sie  gleichen  darin  den 
Hunden  des  Yama,  die  am  Leben  der  Menschen 
sich  gütlich  tun  (asutripau),  wie  der  Rigveda  sagt. 
LTnd  auch  diese  Hunde  sind  ja  Tag  und  Nacht, 
wie  wir  bereits  wissen,  sind  Sonne  und  Mond  in 
dem  ursprünglicheren,  konkreten  Bilde. 

Auch  der  Avesta  weiß  vini  Hunden,  die  die 
Brücke  ins  Jenseits  innehaben  und  der  Seele  bei 
dem  Übergang  helfen  oder  auch  nicht  helfen 
können.  Ein  ,vieräugiger  Hund'  sj)ielt  im  Toten- 
ritual der  alten  Perser  eine  Rolle.  Man  läßt  ihn 
den  Leichnam  anschauen,  um  den  Bösen  zu  ver- 
treiben. Dieser  vieräugige  Hund  wird  als  ein 
Hund  mit  Flecken  über  den  Augen  erklärt.  Eben- 
soich ein  Hund  erscheint  auch  im  vedischon  Ri- 
tual beim  Roßcipfer.  Da  es  sich  liii-r  um  wirk- 
liche Hunde  handelt,  ist  an  der  Richtigkeit  dieser 
Angaben  kaum  zu  zweifeln.^)  Eine  uralte  Be- 
ziehung zu  den  vieräugigen  mythischen  HundiMi 
des  '^'ania  dürfte  da  zweifellos  vorliegen,  wie  man 


')  Käth.  37,   14  et.äu  vai  yamacjvri  ahacjca  rätrl  ca.  ^)  Vgl.  Bloomfield  a.  a.  0.  ji.  1?.  2ü. 

")  Vgl.  Bloomfield  a.  a.  O.  p.  -JO.  *)  Vgl.  Bloomfield  a.  a.  O.  p.  21— 2;l. 

^)  Käush.  Br.  2,  9;  Bloomfield  a.  a.  O.  p.  2r,.  »)  Qat.  Br.  10,  4,  .S,  1 ;  Taitt.  Br.  3.  I,  G,  2;  Bloomfield  a.  a.  U.  p.  26. 

')  Bloomfield  a.  a.  O.  p.  20;  E.  Kuhn,  Kestgruß  .-ui  ().  v.  Böhtlingk  p.  (iS  ff. 

»)  Vgl.  Bloomfield  a.  a.  O.  p.  28— :^ü. 


1\.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoedeb. 


auch  die  Vieräugigkeit  der  letzteren  deuten  und 
fassen  mag.^)  Der  Avesta  zeigt  uns  nur  Reste 
einer  Vorstellung,  welche  im  Yeda  um  vieles 
deutlicher  erhalten  ist. 

Daß    der   griechische  zwei-  oder  dreiköiifige 
Kerberos   mit   dem  Hunde  des  Yama  zusaninien- 
o-ehört,  daß  beide  Vorstellungen  auf  dieselbe  ältere 
Vorstellung   zurückgehen,    liegt   nahe  genug  und 
ist  denn  auch  schon  oftmals  seit  mehr  als  hundert 
Jahren  behau])tet  worden.  Und  diese  Behauptung 
fand    von    Anfang    an    eine    nicht    unwesentliche 
Stütze  in  dem  Umstände,  daß  der  Name  des  einen 
der  beiden  Hunde  des  Yama,   der  RV  10,  14,  10 
nach  vedischer  Art  auch  im  Dual  zur  Bezeichnung 
beider  Hunde  dient,   —  daß    der  Name    (,'abala, 
der  Scheckige,  der  Gefleckte  oder  Bunte,  etymo- 
logisch mit  dem  Namen  des  Kerberos  zusammen- 
zuhängen und  mit  diesem  auf  die  gleiche  Grund- 
form zurückzugehen  scheint.   Schon  "Wilford  kam 
—    vor    mehr    als    100    Jahren    —    zu  der  Über- 
zeugung, daß  (,'abala  und  Kerberos  ursprünglich 
identisch   sein  müßten,    als   sein  indischer  Pandit 
ilim  den  Namen  Cabala  durch  das  gleichbedeutende 
Sanskritwort    karbura    ,gefleckt,    gesprenkelt'    er- 
läuterte, das  so  auffallend  mit  Kerberos  zusammen- 
stimmt.') Wir  werden  noch  mehr  darin  bestärkt, 
daß    diese    Zusammenstellung    eine    richtige   sein 
dürfte,  wenn  wir  die  ganze  Serie  wesentlich  gleich- 
bedeutender   Formen   ins    Auge   fassen,    die   sich 
kaum  von  C^'abala  trennen  lassen  und  mit  diesem 
Namen  auf  eine  gleiche  Grundform  zurückdeuten, 
aus    welcher    sie    sämtlich    entsprungen    zu    sein 
scheinen,  —  die  Formen  karbura,  karvura;    kar- 
vara,  karbara;  farvara,  fabara.^)  Die  Grundform 
karbara  oder  karvara  aber,  auf  die  uns  all  diese 
Formen  zurückführen    und  die  in  der  Bedeutung 
,gesprenkelt'   wie  auch  in  der  Bedeutung   , Tiger', 
d.  h.  offenbar  ,das  gesprenkelte  Tier',  bei  den  in- 
dischen   Lexikographen    tatsächlich   erhalten   ist, 
fällt   geradezu    mit  dem  Namen  des  griechischen 
Kerberos    zusammen.     Die    offenbar   verwandten 
gleichbedeutenden  Formen,  die  die  indische  Sprache 
selbst  erhalten  hat,    scheinen  mir  die  Zusammen- 
gehörigkeit doi-  Namen  Cabala  und  Kerberos  ganz 
sicherzustellen. 

Auf  jeden  Fall   hat   Bloomfield  recht,    wenn 
er  an  der  Urverwandtschaft  des  Kerberos  und  der 


Hunde  des  Yama  aufs  bestimmteste  festhält,  denen 
sich  auch  die  Rudimente  einer  ähnlichen  Vor- 
stellung bei  den  Persern  noch  an  die  Seite  stellen. 
Mit  der  Versetzung  des  Reiches  der  Abgeschie- 
denen aus  himmlischen  Höhen  in  die  Tiefen  der 
Erde  mußte  die  alte  Vorstellung  eine  wesentliche 
Veränderung  erfaiiren,  ähnlich  wie  wir  in  Indien 
die  Vorstellung  vom  Yama  selljst  sich  im  I^auf 
der  Jahrhunderte  wandeln  sehen,  aus  dem  Könige 
in  einem  seligen,  himmlischen  Reich,  zum  furcht- 
baren Todesgott  und  gräulich  gestalteten  Höllen- 
fürsten späterer  Zeiten.  Die  Gestalt  des  Kerberos 
würde  uns  nie  und  nimmer  dazu  gebracht  haben, 
einen  solchen  Ursprung  dieser  Vorstellung  zu  ver- 
muten, wie  er  durch  die  indischen  Texte  uns  un- 
abweisbar aufgedrängt  wird,  —  eine  organische 
Entwicklung  aus  den  himmlischen  \A"äehtern,  den 
himmlischen  Hunden:  Sonne  und  Mond! 

Den  beiden  Hunden  des  Yama  steht  bei  den 
Griechen  der  eine  Hund  Kerberos  gegenüber,  doch 
die  altbezeugte  Zweiköpfigkeit  dieses  Ungetüms 
macht  es  so  gut  wie  gewiß,  zum  mindesten  im 
höchsten  Grade  wahrscheinlich,  daß  dieser  eine 
Doppelhund  aus  einem  älteren  Hundepaar  zu- 
sammengewachsen, daß  in  ihm  die  beiden  Hunde 
des  Y^ama  in  eins  verschmolzen  sind,  nachdem 
ihre  ursprüngliche  Bedeutung  längst  vergessen 
war.  Neben  dem  zweiköpfigen  Kerberos  erscheint 
aber  früh  auch  schon  ein  dreiköpfiger,  —  und 
da  eine  merkwürdige  Stelle  des  Atharvaveda  von 
drei  Kälakcäfijas  berichtet,  die  als  Götter  am  Him- 
mel ihre  Stelle  gefunden  hätten,*)  während  sonst 
immer  nur  von  zweien  die  Rede  ist,  die  als  himm- 
lisclie  Hunde,  als  Hunde  des  Yama  droben  fort- 
leben, werden  wir  zu  der  Vermutung  gedrängt, 
es  möchte  eine  Variante  der  gewölmlichen  Vor- 
stellung gegeben  haben,  nach  welcher  statt  zweier 
vielmehr  drei  himmhsche  Hunde  angenommen 
wurden.  Und  fragt  man  weiter,  welches  Gestirn 
neben  Sonne  und  Mond  als  dritter  himmlischer 
Hund  gegolten  haben  könnte,  dann  muß  einem 
sofort  die  wohll)ekaimte  griechische  Vorstellung 
von  dem  Sirius  als  einem  himmlischen  Hunde  ein- 
fallen, —  dem  Hundsstern,  dessen  schon  Homer 
gedenkt  und  der  in  den  mythologischen  Vor- 
stellungen der  Griechen  eine  bemerkenswerte 
Rolle  spielt. 


')  Vgl.  darüber  IMooinfields  Vermutungen  a.  a.  O.  ]>.  31.  *)  Vgl.  Bloomfield  .i.  a.  O.  p.  3'. 

')  Karbura,  karvura  ,gefleckt,  gesprenkelt,'  die  regelmäßige  Glo.s.se  der  Hindu-Scholiasten  für  d;is  vediscbe  faljala; 
karvara  oder  karbara  gesprenkelt  AK;  Tiger  Un.  Med;  9arvara,  fem.  i,  Bezeichnung  der  bunten  Tiere  der  Maruts  im 
Rigveda;  das  Femininum  ebendort  Bezeichnung  der  Nacht  als  der  bunten,  sternengesclimiiekten ;  die  Grundbedeutung  auch  dieser 
Form  ist  offenbar  ,bunt,  gesprenkelt';  <;abara=(;abala  Hatnam. 

♦)  Vgl.  oben  p.  86;  AV  6,  80,  2. 


Herakles  und  Indra. 


89 


Es  ist  freilich  eine  kühne  Idee,  diesen  drit- 
ten liimniliselien  Hund  in  die  Vorzeit  zu  projizie- 
ren, sei  es  aucli  nur  als  Variante  neben  den  bei- 
den andern  liimmlischen  Hunden,  die  uns  die  ve- 
dische  Literatur  kenneu  gelehrt.  Allein  eine  sol- 
che Vermutung  würde  uns  zugleich  die  drei  am 
Himmel  zu  Göttern  gewordenen  Kalakäiijas  im 
Atharvaveda,  —  neben  den  sonst  erwähnten  zwei, 
die  unzweifelhaft  Sonne  und  Mond  sind,  —  und 
den  dreiköpfigen  Kerberos  als  Variante  des  zwei- 
köpfigen erklären.  Sie  würde  zugleich  der  ganzen 
Bloomfieldsehen  Theorie  zu  einer  weiteren  Stütze 
dienen,  denn  es  wäre  dann  von  drei  himmlischen 
Hunden  der  Vorzeit  in  Griechenland  wenigstens 
einer  als  solcher  erhalten,  während  in  Indien  die 
beiden  anderen  und  wichtigeren  noch  deutlich 
liervortreten,  der  dritte  nur  noch  in  schwacher 
Erinnerung  fortlebt.  Eine  gewisse  Berechtigung 
wird  man  der  Hypothese  als  Hypothese  darum 
wohl  nicht  absprechen   können. 

Der  Sirius  oder  Hundsstern  ist  der  hellste 
von  allen  Fixsternen  und  wird  von  dern  Griechen 
in  der  Weise  mit  dem  als  Jäger  gedachten  Stern- 
bilde des  Orion  oder  Oarion  verbunden,  daß  man 
ihn  den  Hund  des  Orion  nennt,  eine  Bezeichnung, 
die  wir  schon  bei  Homer  (Ilias  22,  29)  autreffen. 
Es  ist  der  Stern  der  sogenannten  Hundstage,  die 
nach  ihm  ihren  Namen  tragen,  der  dies  caniculares, 
der  heißesten  Zeit  des  Jahres,  des  die  Früchte 
reifenlassenden  Spätsommers,  weil  diese  Zeit  dann 
einsetzt,  wenn  der  Sirius  zuerst  von  allen  Sternen 
in  der  Morgendämmerung  sichtbar  wird.  Er  ist 
ein  Symbol  der  verzehrenden  Hitze  der  heißesten 
Jahreszeit  und  berührt  sich  darin  mit  dem  Bilde 
des  Löwen.  Speziell  wird  immer  die  Hundswut 
als  eine  Wirkung  dieser  heißesten  Zeit  betrachtet.^) 
Hat  sie  auch  ihren  Segen  in  sich  als  eine  Zeit 
des  Reifens  der  Früchte,  so  tritt  sie  doch  stärker 
noch,  und  zwar  schon  im  höchsten  Altertum,  als 
eine  gefährliclie,  Verderben  bringende  Zeit  her- 
vor. Homer  nennt  ihn  daher  zwar  den  Stern  der 
Reifezeit,  des  Spätsommers,^)  aber  auch  den  Ver- 
derben bringenden  Stern,')  wie  auch  sonst  die 
klassischen  Dichter  darin  wetteifern,  die  schlim- 
men Wirkungen  dieses  Gestirns  zu  schildern, 
Griechen  sowohl  wie  auch  Römer,^)  Pallas  Athene 
läßt  in  der  Ilias  von  Helm  und  Schild  des  ge- 
waltigen Diomedes  Feuer  strahlen  gleich  dem  hell 
leuchtenden  Feuer    dieses  Sternes  (Ilias  5,   1 — 8) 


und  so  ihn  sich  in  die  Reihen  des  Feindes  stürzen,  — 
offenbar  ein  schreckendes,  Verderben  drohendes 
Feuer.  Ilektor  wird  im  Kampf  diesem  verderb- 
lichen, liell  leuchtenden  Sterne  verglichen  (IL  11, 
61  —  66).  Noch  eindrucksvoller  aber  schildert  Ho- 
mer den  Achilleus,  wie  er  Verderben  drohend  den 
Feinden  nalit,  und  wieder  vergleicht  er  ihn  die- 
sem Sterne: 

Priamos  aber,  der  Greis,  ersclmut'  ihn  zuerst  mit 

den  Augen. 

Sah  durchs  Gefild    ihn    eilen,    hellstrahlend,    dem 

Sterne  vergleichbar. 

Der  zur  Reifezeit  aufgeht,  —  sehr  deutlich  leuch- 
ten die  Strahlen 

Dieses  Sterns  unter  vielen  hervor  in  dem  nächt- 
lichen Dunkel; 

Der  ist's,  den  man  den  Hund  des  Oarion  benennet; 

Freilich    ist    er    sehr    heil,    doch    er    ist   auch  ein 

Zeichen  des  L'nheils, 

Bringt  die  brennende  Glut  des  Fiebers  den  elen- 
den Menschen. 

Also  strahlte    das  Erz    um  die  Brust  ihm,   als  er 

daherlief.^) 

Auf  die  verschiedenen  Sagen,  die  an  diesen 
Stern  sich  knüpfen,  die  Sagen  von  Aktaeon,  Ari- 
staeos  u.  a.  m.  können  wir  hier  nicht  eingehen.'') 
Durchweg  tritt  in  denselben  das  gefährliche,  Ver- 
derl)en,  Wahnsinn,  Tod  bringende  Wesen  des 
Hundssternes  hervor.  Kurz  erwähnt  sei  nur  noch 
der  Riese  Orion  oder  Oarion,  dem  die  griechische 
Sage  den  Hundsstern  als  Jagdhund  beigesellt.  Er 
ist,  wie  Preller  bemerkt,  ,der  wilde  Jäger  des 
griechischen  Himmels,  den  sich  das  Volk  hin  und 
wieder  in  den  Bergen  und  AVäldern  jagend  dachte'.') 
Die  Vorstellung  vom  wilden  Jäger  ist  uralt  arisch 
und  zeigt  sich  in  mancherlei  Formen.  Der  wilde 
Jäger  aber  ist  nichts  andres  als  der  Führer  der 
Toten,  des  Seelenheeres,  der  im  Laufe  der  Zeit 
sich  zum  Todesgotte  entwickelt  oder  entwickeln 
kann.  Es  ist  Yama,  von  seiner  furchtbaren  Seite 
betrachtet,  die  im  Rigveda  nur  wenig,  später  so 
stark  hervortritt.  Sein  Hund  muß  der  Toteniiund 
sein,  Todesbote  und  Todbringer,  gleich  den  Hun- 
den des  Yama  im  Rigveda.*) 

Es  liegt  auf  der  Hand,  wie  alles  dies  zu  der 
Annahme  stimmt,  der  Hundsstern  habe  vor  alters 
als  dritter  zu  den  beiden  himmlischen  Hunden, 
den    Todesboten    und    Wächterhunden    der    Welt 


')  Vgl.  Preller  a.  a.  O.  I  372,  373.  -)  Den  Stern  der  Opore  (öjrwpr;),  den  örtopivo;  äan;i;;  cf.  II.  5,  5;  2'2,  '.'7. 

=■)  oiXio;  iar/,p  II.  11,  62.  ■•)  Vgl.  Preller  a.  a.  O.  I  p.  372.  ')  Vgl.  Ilias  22,  25-32. 

"]  Vgl.  diese  Sage  bei  Preller  a.  a.  O.  I  p.  373  ff.  ")  Vgl.  Preller  a.  a.  O.  I  p.  307. 

")  Die  altarisclie  Vorstellung  vom  wilden  .Jiiger  soll  im  dritten  Bande  meiner  Arischen  Religion  näher  behandelt  werden. 


90 


IV.  ÄBHAXDLrxG:  Leopold  v.  Scheoedek. 


der  Abgeschiedeueu,  geliört,  in  denen  uns  Bloom- 
field  Sonne  und  Mond  erkennen  gelehrt  bat,  — 
wenigstens  in  einer  Variante  der  merkwürdigen 
Vorstellung  sich  diesen  größeren  Hunden  als  dritter 
hinzugesellend. 

Bemerkenswert  scheint  mir  noch  der  Umstand, 
daß  der  griechische  Name  des  Hundssternes,  Sei- 
rios,  von  einigen  Dichtern  wie  z.  B.  Archiloehos 
auch  geradezu  als  Bezeichnung  der  Sonne  ge- 
braucht wird,  während  H)ykos  ihn  verallgemeinert 
von  allen  Sternen  gebraucht  haben  soll.^)  Das 
Wort  ist  aufs  nächste  verwandt  mit  dem  von 
Suidas  überlieferten  Worte  cdp,  das  Sonne  be- 
deutet haben  soll,  und  geht  wie  dieses  auf  die 
alte  Wurzel  svar  ,leuchten,  Himmelslicht,  Sonne' 
zurück.  Es  hat  den  Anschein,  als  ob  der  Sirios 
dadurch  noch  näher  an  die  Sonne  herangerückt 
wird,  wie  ein  ganz  naher  Verwandter.  Die  Ab- 
leitungen des  Wortes  deuten  alle  auf  Sonnenglnt 
und  Sonnenhitze.^) 

Doch  wir  müssen  von  dieser  weiten  Ab- 
schweifung zu  Herakles  und  Indra  zurückkehren, 
die  wir  inzwischen   fast  aus  den  Augen  verloren 


haben.     Was 


ergibt 


sich   aus  der  obigen  Darle- 


euns'  zunächst  für  Herakles  und  seine  letzte  große 
Tat  im  Dienste  des  Eurystheus? 

A^oii  dem  Eingang  in  jene  Welt,  wo  die  Ab- 
geschiedenen hausen,  bringt  Herakles  den  Kerbe- 
ros herbei.  Wenn  Kerberos,  wie  wir  kaum  zwei- 
feln können,  den  beiden  Hunden  des  Yania  ent- 
spricht, wenn  das  mehrköpfige  Ungetüm  durch 
Zusammenschweißung  in  eins  aus  diesen  Hunden 
entstanden  ist;  wenn  es  ferner  wahr  ist,  was  Bloom- 
field  uns  Schritt  für  Schritt  in  überzeugender 
Weise  nachgewiesen  hat,  daß  die  Hunde  des  Yama, 
die  himmlischen  Hunde,  ursprünglich  nichts  an- 
deres waren  als  Sonne  und  Mond,  die  Wächter 
im  Himmelsraum,  die  im  ewigen  Wechsel  von 
Tag  und  Nacht  das  Leben  der  Menschen  hin- 
schwinden lassen,  —  dann  ergibt  sich  daraus,  so 
überraschend  das  auch  auf  den  ersten  Anblick 
scheinen  mag,  mit  Notwendigkeit  der  Schluß,  daß 
der  zweiköpfige  Kerberos  im  letzten  Grunde  auf 
Sonne  und  Mond  zurückgeht,  —  während  wir 
weiter  zu  vermuten  wagten,  daß  vielleicht  die 
Variante  des  dreiköpfigen  Kerberos  auf  der  Drei- 
heit    von    Sonne,    Mond    und    Hundsstern    beruht. 


welche  Vermutung    wir    jedoch    nicht    weiter    ur- 
gieren  wollen. 

So  sehr  sich  die  Gestalt  des  Kerberos  auch 
im  Lauf  der  Zeit  verändert  hat,  so  wenig  man 
auch  vom  speziell  griechischen  Standpunkt  aus 
darauf  verfallen  könnte,  in  ihm  das  iiimnilische 
Paar  Sonne  und  Mond  zu  suchen,  die  Vergleichung 
des  indischen  Mythus  führt  uns  dennoch  zu  der 
Annahme  dieses  Ursprungs.  Die  Herbeibringung 
des  Kerberos  aus  der  Welt  der  Abgeschiedenen 
war  demnach  im  letzten  Grunde  die  Herbeischaf- 
fung der  Himmelslichter  Sonne  und  JMond,  — 
nahe  verwandt  somit  den  Abenteuern  mit  Gery- 
ones  und  mit  den  Hesperiden,  in  denen  die  Her- 
beischaffung der  Sonnenrinder  und  der  goldenen 
Äpfel,  d.  h.  der  Sonne  und  ihres  Lichtes,  gefeiert 
wird.  War  es  auch  vom  griechischen  Boden  aus 
unmöglich,  die  Gestalt  des  Kerberos  so  zu  ver- 
stehen, wie  Bloomfield  sie  uns  verstehen  gelehrt 
hat,  so  haben  wir  doch  liereits  gesehen,  daß  der 
Sinn  der  Sage  auch  von  diesem  Boden  aus  min- 
destens schon  geahnt  worden  ist;  desgleichen 
der  Parallelismus  2u  dem  Geryonesabenteuer,  wenn 
auch  natürlich  nicht  eigentlich  in  dem  von  uns 
angenommenen  Sinn.  Von  solchem  Parallelismus 
spricht  Gruppe,  während  Preller  in  dem  Kerberos- 
abenteuer den  Sieg  über  das  ewige  Dunkel  und 
seine  Schrecken,  ein  ,Bild  der  Auferstehung  wie 
das  der  täglichen  Sonne'  sah.  Natürlich  war  für 
ihn  Kerberos  der  Repräsentant  des  Dunkels  und 
des  Schreckens,  während  Bloomfield  in  ihm  eine 
merkwürdige  Umbildung  der  großen  Himmels- 
lichter erkannt  hat.  Aber  trotz  dieser  ungeheuren 
Wandlung  und  völligen  Umkehruug  im  Wesen 
des  Kerberos  wird  der  tiefere  Sinn,  der  Kern 
des  Mythus  dennoch  von  Preller  geahnt,  wenn 
uns  seine  uranfängliche  Bedeutung  auch  erst  durch 
Bloomfields  Untersuchung  aufgegangen  ist. 

Diese  uranfängliche  Bedeutung  aber  fällt  im 
Grunde  mit  der  oft  schon  erwähnten  großen 
Heldentat  des  Lidra  zusammen,  die  sich  in  Kürze 
als  Svarshäti,  als  Gewinnung  des  himmlischen 
Lichtes,  charakterisieren  läßt.  Lidra  gewinnt  die 
Sonne  und  die  Morgenröte,  er  gewinnt  auch  den 
Soma,  in  dem  wir  nicht  nur  und  nicht  immer  den 
himmlischen  Wolkenmeth,  sondern  auch  mit  Hille- 
brandt  den   Mond  zu   verstehen  haben,    der  diese 


')  Vgl.  Passows  Wörterbuch  s.  v.  <j£(pio;;  Preller  a.  a.  O.  I  p.  .372  Anm.  2. 

*)  Vgl.  aetpidsi;  voll  Glut  und  Hitze,  wie  der  Sirios  (»jiXio?,  äT|id;);  o£tpidzauTo;  von  der  Hitze  der  Sonne  oder  de.s  Hunds- 
sternes verbrannt;  sapiiw  glühen,  auch  von  der  Hitze  der  Entzündung  gebraucht;  Ucipiaai;  durch  Sonnenbrand  oder  Er- 
hitzung entstandene  Krankheit,  Sonnenstich;  oHipivo;  heiß,  hitzig,  brennend,  besonders  von  der  Sonnen-  und  Sommerhitze; 
■ci  asipivot  leichte  Sommerkleider  usw. 


Heeakles  und  Indea. 


91 


Bezeichnung-  später  trägt  und  als  ein  Gefäß  voll 
himmlischen  Trankes  gedacht  ward.  Er  findet, 
versciiafft  oder  schafft  auch  die  Gestirne  oder  die 
Himmelslichtor,  |duralisch  ausgedrückt  (jyotiiiishi), 
worunter  mau  sich  außer  Sonne  und  Mond  auch 
beliebig  noch  Sterne  denken  darf.')  Das  Bild  von 
den  himmlischen  Hunden  begegnet  in  diesem 
Zusammenhang  nicht,  ebensowenig  wie  früher  das 
Bild  von  den  Äpfeln.  Doch  die  Sache  ist  dieselbe. 
Indra  steht  mit  unzweifelhafter  Deutlichkeit  in  den 
Liedern  des  Rigveda  als  der  große  Gewinner  des 
himmlischen  Lichtes  da,  wie  Herakles  in  den  herr- 
lichen griechischen  Mythen  von  dem  siegreichen 
Kampf  mit  Geryones  um  die  Sonnenrinder,  von 
den  goldenen  Äpfeln  der  Hesperiden  und  von  der 
Heraufholung  des  Kerberos. 

Ein  schönes,  lebendiges  Yasenbild  ist  dem 
Bloomfieldschen  Buche  an  die  Spitze  gestellt 
und  schmückt  seinen  Titel:  Herakles,  der  den 
zweiköpfigen  Kerberos  aus  dem  Tore  des  Hades 
herauszerrt ;  neben  ihm  seine  hilfreichen  göttlichen 
Begleiter  Hermes  und  Athene.^)  Li  das  Yedische 
übersetzt,  könnten  wir  sagen:  Indra  findet  und 
gewinnt  das  Himmelslicht  oder  die  Himmelslichter; 
als  Helfer  stehen  ihm  zur  Seite  Saramä  und  Trita 
Aptya.  Diesen  Mythus  in  allerlei  Formen.  Bil- 
dern und  Variationen  lehren  uns  die  vedischen 
Texte  in  der  Tat  zur  Genüge  kennen. 

Und  daß  es  vielleicht  einst  sogar  eine  Form 
des  Mythus  gab,  in  welcher  es  hieß,   Indra  habe 


die  beiden  himmlischen  Hunde,  die  Hunde  des 
Yama  an  den  Himmel  gesetzt,  darauf  leitet  uns 
jene  seltsame,  früher  besprochene  Legende  der 
Brähmanas  von  den  Kälakänjas,  die  den  Himmel 
ersteigen  wollen,  durch  Indras  List  und  Gewalt- 
tat aber  daran  gehindert  werden.  Es  bleiben  nur 
zwei  am  Himmel  droben  als  die  himmlischen 
Hunde,  die  Hunde  des  Yama,  —  nach  der  Vari- 
ante des  Atharvaveda  drei  —  die  Legende  trägt 
in  dieser  Form  ganz  den  Charakter  der  unzähligen 
Priestergeschichten  der  Brähmanas.  Der  zum  Him- 
mel herauf  gehaute  Feueraltar,  Indra  in  Gestalt 
eines  Brahmanen  —  zeigen  das  deutlich  genug. 
Doch  wie  in  so  manchen  derartigen  Geschichten 
trotz  alledem  ein  alter  mythischer  Kern  steckt, 
so  könnte  es  auch  hier  der  Fall  sein.  Den  einen 
Hauptzug  des  Mythus  kennen  wir  bereits  aus  den 
Liedern  des  Rigveda:  Die  himmelstürmenden  Dä- 
monen, die  Indra  hinabstößt.  Der  andre  Zug,  der 
uns  meines  Wissens  nicht  weiter  überliefert  ist, 
darf  vielleicht  so  formuliert  werden:  Indras 
Heldentat  hat  es  bewirkt,  daß  die  himmlischen 
Hunde,  die  Hunde  des  Yama  da  droben  stehen, 
wandeln  und  leuchten.  Es  sind  für  gewöhnlich 
zwei  Kälakänjas.  die  himmlischen  Hunde  Sonne 
und  Mond;  in  der  Variante  des  Atharvaveda  aber 
drei  —  vielleicht  Sonne,  Mond  und  Hundsstern. 
Ins  Griechische  übersetzt:  der  zweiköpfige  und 
der  dreiköpfige  Kerberos. 


Herakles  und  Troja. 


Indra  ist  der  Burgenbrecher,  der  pürbhid 
unter  den  vedischen  Göttern.  Dies  Epitheton 
kommt  ihm  speziell  zu.  Er  ist  der  beste  Burgen- 
brecher, der  Superlativ  eines  solchen  i  pürbhittama). 


Wesentlich  dasselbe  besagen  auch  andre  Ejiitheta 
des  Gottes.^)  Unendlich  oft  wird  dies  Brechen  der 
Burgen  seiner  dämonischen  Gegner  in  den  Indra- 
liedern  geschildert.   Ja.  er  bricht  an  einem  Tage 


■)  Vgl.  RV  8,  15,  5,  wo  es  heißt,  daß  Indr.a  im  Rausch  die  Himmelslichter  dem  Menschen  und  Menschenvolke  ver- 
schafft habe  (yena  jyötimshy  äyäve  manave  ca  viveditha);  ferner  RV  1,  55,  6  ,die  freundlichen  Gestirne  (Himnielslichter) 
schaffend  für  den  Opferer  hat  der  Starke  die  Wasser  befreit,  daß  sie  strömen'  (jyötimshi  krinvänu  avrikäni  yäjyave  äva 
sukrätuh  sArtava  apal.i  siijat).  Vgl.  auch  RV  8,  51,  12.  —  Entsprechend  wird  auch  Soma  angefleht,  er  möge  die  Gestirne 
leuchten  lassen  oder  mijge  sie  den  Menschen  schenken.  Dieses  Werk  ist  von  Hause  aus  ludras  Werk,  denn  der  Rausch- 
trank Soma  wirkt  ja  durch  des  Indra  Arm.  Vgl.  RV  9,  m,  3  von  Soma:  .laß  die  Gestirne  für  uns  aufleuchten^  (sä  no 
jyötimshi  pürvyi  pavamäna  vi  rocaya).  Noch  vielsagender  ist  die  Bitte  an  Soma  RV  9,  91,  6:  ,So  schenke,  Du,  der  lautre, 
uns  die  Wasser,  den  Himmelsglanz,  die  Kühe,  viel  Kinder  und  Nachkommenschaft,  Heil,  weites  Land,  die  Himmels- 
lichter, o  Soma,  die  Sonne,  damit  wir  lange  noch  sie  schauen'  (eva'  punänö  apäh  svär  gfi  asmäbhyan.i  tokä  tänayäni 
bhiiri  |  ijäin   nah  kshetrani   uni  jyötimshi  soma  jyön   nah  suryan.i   driijäye  ririhi. 

•')   Das    Bild    ist    eine   Reproduktion    nach    Baumeisters   Denkmälern    des  klassischen   Altertums.    Bd.  I,  Figur  730 

(Text  auf  p.  dfy'i). 

')   So    purä'm  bhettär,  bhindii,  dartiir,  darmän.   darmä.  dartnii   u.  a.  m. 
Denkschriften  der  iibll.-hist.  Kl.  58.  Bd    4.  Al>h. 


92 


iV.  Abhandlung:  Leopold  v.   Schkoeder. 


99    Burgen     uud     am    Abeud     noch     dazu     die 
hundertste.^) 

Öfters  werden  die  99  oder  100  Burgen  des 
(,'ambara  erwähnt,  die  Indra  zerstört  liaben  soll, 
obwohl  sie  als  unangreifbar  bezeichnet  werden.'') 
Auch  eine  hunderttorige  Burg  fällt  seinem  An- 
sturm zum  Opfer')  u.  dgl.  m.  Es  ist  im  Grunde 
dasselbe,  wenn  es  heißt,  daß  Indra  den  Fels,  den 
Berg-,  die  Höhle  gespalten  habe,  aber  das  Bild  ist 
doch  ein  andres. 

Auch  Herakles  ist  ein  gewaltiger  Burgen- 
brecher, und  speziell  wird  er  mit  der  berühmtesten 
Burgenbrechung  der  griechischen  Sage,  der  Zer- 
störung Trojas,  bestimmt  ia  Zusammenhang  ge- 
bracht. Eh  noch  die  Atrideu  das  große  griechi- 
sche Heer  gegen  die  Burg  von  Ilios,  Pergamos 
oder  Troja  führen,  hat  Herakles  schon  diese  Burg 
bestürmt  und  genommen.  So  berichtet  die  Sage, 
so  erzählt  die  Ilias  selber.  Aber  der  gigantische 
Schatten  des  Herakles  fällt  auch  noch  auf  jene 
spätere,  berühmter  gewordene  Eroberung  Trojas, 
denn  der  Sage  nach  konnte  nur  durch  den  Bogen 
des  Herakles  der  Frevler  Paris  bestraft  und  Troja 
bezwungen  werden,  daher  die  Beschaffung  dieses 
Bogens  für  die  Belagerer  von  entscheidender 
^A'ichtigkeit  ist.'*)  Fast  hat  man  von  diesem  Zug 
der  Sage  den  Eindruck:  Der  eigentliche,  der  ge- 
borene Bezwinger  der  Veste  von  Ilios,  der  Troja- 
burg,  ist  doch  Herakles.  Und  dieser  Eindruck 
wird  bestätigt  und  verstärkt.,  je  tiefer  wir  in  den 
Sinn  der  alten  Sage  eindringen,  je  mehr  wir  das 
Typische  ihres  Wesens  erkennen. 

Daß  die  in  verschiedenen  Formen  erzählte, 
am  gewaltigsten  von  Homer  l)esungene  Eroberung 
Trojas  einen  mythischen  Hintergrund  hat,  dürfte 
kaum  zweifelhaft  sein  und  ist  jetzt  wohl  längst 
sciion  die  Ansicht  der  meisten  kompetenten  For- 
sciier.  Dem  widerspricht  es  nicht,  wenn  andrer- 
seits auch  unzweifelhaft  historische  Ereignisse  sich 
in  derselben  wider.spiegeln  und  die  einstige,  in 
graues  Altertum  zurückreichende  Existenz  der 
Stadt  Ilios-Troja  durch  Schliemanns  Entdeckungen 
uns  gegenständlich  bewiesen  ist.  Noch  unzweifel- 
hafter sind  historische  Ereignisse  der  Völker- 
wanderungszeit im  Nibelungenlied  verwebt,  und  doch 


fehlt  auch  dort  der  mythische  Hintergrund  nicht. 
Gerade  diese  mehr  oder  minder  freie  Verbindung 
des  Mythischen  mit  dem  Historischen  ist  ja  für 
die  Sage  charakteristisch.  Für  die  Trojasage 
wird  das  Mythische  schon  durch  die  Gestalt  der 
Helena  deutlich,  die  den  Mittelpunkt  des  großen 
Kamjjfes  der  Ilias  bildet  und  unzweifelhaft  als 
eine  altgriechische  Göttin  bezeichnet  werden  darf. 
Aber  gerade  die  herkömmliche  Deutung  dieser 
Gestalt  als  Mondgöttin  und  die  Zusammenstellung 
ihres  Namens  mit  dem  der  Selene  stand  der 
wichtigeren  Erkenntnis  des  zugrunde  liegenden 
Mythus  lange  hindernd  im  Wege. 

Helena  ist  vielmehr  als  weil)liche  Sonnengott- 
heit zu  fassen,  der  Helle  und  dem  Helios  verwandt, 
—  die  Sonuenjungfrau,  die,  in  die  Gewalt  feind- 
licher Mächte  geraten,  in  gewaltigem  Kampfe 
wiedergewonnen  wird.  Mit  Recht  hat  schon  Prel- 
ler neben  der  Deutung  auf  den  JMond  bei  Helena 
auch  an  die  Morgenröte  gedacht,  ,iu  welchem 
Falle  sie  mit  der  Eos  und  der  Jlater  Matuta  Ita- 
liens sich  vergleichen  ließe.  Denn  wie  die  letztere 
wurde  sie  in  Sparta  von  Mädchen  und  Frauen 
als  eine  Göttin  der  Kinderpilege  und  des  weib- 
lichen Reizes  verehrt'.  ,Iu  Argos  galt  sie  als  die 
Stifterin  eines  Tempels  der  Geburtsgöttin  Eilei- 
thyia',  und  gerade  der  Zusammenhang  der  neu 
aufgehenden,  jungen  Sonne  mit  der  Geburt  tritt 
vielfach,  wie  auch  in  der  Gestalt  der  Mater  Ma- 
tuta, deutlich  hervor.  ,Auch  in  Rhodos  wurde 
sie  verehrt,  und  zwar  hier  vorzugsweise  von  den 
Mägden  und  unter  dem  Beinamen  oäväpai;:,  d.  h. 
der  am  Baume  hängenden,  was  an  die  attische 
Fabel  von  der  Erigone  erinnert  und  wahrschein- 
lich wie  dort  und  in  anderen  Fällen  mit  dem  alter- 
tümlichen Gebrauche  sogenannter  Aeora  zusammen- 
hängt'.^) Erigone,  die  Frühgeborene,  ist  zweifel- 
los nur  eine  besondere  Form,  in  welcher  die 
Morgenröte,  respekti\'e  die  neu  aufgehende  junge 
Sonne  verehrt  wurde,  —  und  zwar  speziell  die 
junge  Sonne  des  neuen  Jahres,  die  Frühlingssonne. 
Wie  eng  der  Schaukelbraucii  der  Aiora  mit  dem 
Kult  dieser  jungen  Sonne  des  neuen  Jahres  zu- 
sanunenhäugt,  habe  ich  eingehend  dargetan,  wie 
auch  die  Identität  der  Morgenröte  mit  dieser  jun- 


')  Vgl.  RV  7,  19,  5;  auch  KV  4,  26,  3  heißt  es,  Indra  habe  die  99  Burgen  des  ^'ambara  gebrochen  und  nocli  ,ein 
hundertstes  Gehöft'. 

*)  Vgl.  RV  2,  14,  G;  2,  19,  6;  6,  31,  4;  6,  47,  2;  7,  99,  5.  Als  unangreifbar  (aprati'ni)  werden  die  100  Burgen  des 
fambara  RV  6,  31,  4  bezeichnet.  In  RV  6,  47,  2  wird  von  den  99  Wällen  oder  Mauern  des  C'aniliara  gesprochen  (dehyas). 
und  vielleicht  haben  wir  bei  den  99  oder  100  Burgen  des  Dämons  an  eine  durch  soviel  Wälle  oder  Mauern  geschützte 
Burg  zu  denken. 

")  Vgl.  RV  10,  99,  3. 

*)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  420.  '^)  Vgl.  IVeller,  a.  a.  O.  II  p.  109.   110. 


Herakles  und  Iadea. 


93 


gen  Sonne  des  neuen  Jahi-es.^)  Fassen  wir  He- 
lena ebenso  als  die  Morgenröte,  die  Frühlingssonue, 
die  junge  Sonne  des  neuen  Jahres  auf,  dann  wird 
ihre  Beziehung  zur  Geburt  und  Kinderpflege 
ebenso  einleuchtend  deutlicli  wie  diejenige  zur 
uralten  Scliaukelsitte,  die  gerade  ursprünglich  im 
Schaukehl  an  den  Asten  oder  in  den  Wipfeln  der 
Bäume  geübt  ward,  —  iliro  Verwandtschaft  eben- 
sowohl mit  der  Mater  Matuta  wie  mit  der  Erigone. 
Audi  die  nahe  Verwandtschaft  der  Helena  mit 
den  Dioskuren,  die  als  Morgen-  und  Abendstern 
zu  deuten  sind,  ergibt  sich  dabei  fast  von  selbst. 
Ist  aber  Helena  von  Hause  aus  die  Morgenröte, 
die  junge  Sonne  des  neuen  Jahres,  dann  werden 
wir  ilire  Befreiung  auch  ohne  Zweifel  als  die  Be- 
freiung der  jungen  Sonne  aus  den  Banden  der 
kalten,  dunklen,  winterlichen  Mächte  zu  deuten 
haben.  Auch  das  ergibt  sich  wie  etwas  Selbst- 
verständliches, und  wir  sind  damit  zu  einer  Auf- 
fassung gelangt,  die  mit  viel  Energie  und  Geist, 
wenn  auch  leider  ohne  die  erforderlichen  Sprach- 
kenntnisse, bereits  jahrelang  von  Ernst  Krause 
(Carus  Sterne)  behauptet  und  verteidigt  worden  ist.^) 
Der  Gegensatz  zwischen  der  winterlichen  und 
der  sommerlichen  Jahreszeit  ist  nun  freilich  in 
Südeuropa,  in  Italien,  Griechenland  und  Kleiuasien, 
nicht  derart,  daß  von  einer  Gefangenschaft,  einem 
Weggeraubtsein  der  Sonne  geredet  werden  könnte, 
daher  denn  auch  Krause  mit  Recht  das  Ursprungs- 
land dieser  Mythen  weiter  im  Norden  Europas 
sucht.  Indessen  vermag  ich  ihm  nicht  zu  folgen, 
wenn  er  in  weiterem  Umfang  die  ^Vanderuug  ger- 
manischer ]\Iythen  nach  Süden  hin  annehmen  zu 
müssen  glaubt.  Es  handelt  sich,  wie  ich  meine, 
vielmehr  um  altarisches  Erbgut,  das  nicht  speziell 
germanisch,  sondern  allgemein  arisch  war  und 
seinen  Ursprung  dort  hatte,  wo  die  noch  unge- 
teilten Arier  saßen,  d.  h.  in  Mittel-  und  Nord- 
europa, wo  der  Gegensatz  von  Winter  mid  Som- 
mer erheblich  genug  ist  und  in  jenen  Zeiten  ge- 
ringer Kultur  noch  stärker  als  späterhin  empfun- 
den   werden    mußte,    weil    der   Mensch    sich   nur 


warmen  Zeit    entffeffen- 


unvollkommen 


die    Unbilden    der    kalten 


Jahreszeit    zu    schützen    vermochte    und    mit   viel 

stärkerer  Sehnsucht    der 

harrte. 

Es  ist  wahrscheinlich,  daß  Krause  ganz  recht 
hat,  von  einer  Lenzbefreiung  der  entführten  und 
gefangenen  Sonnenfrau  zu  reden  und  darin  den 
Kern  einer  ganzen  Reihe  altarischer  Mythen  und 
Sagen  su  suchen.^)  Eine  Göttin  des  Mondes  oder 
der  Erde  wäre  weit  weniger  gut  am  Platze.  Den 
Befreier  spielt  in  der  Regel  der  Gewittergott  oder 
ein  aus  ihm  erwachsener,  wesensverwandter  Held. 
Sagen  dieser  Art  hatten  in  den  Ursitzen  der  Arier, 
in  Nord-  und  Mitteleuropa  einen  guten,  allgemein 
verständlichen  Sinn.  Bei  einer  Wanderung  in 
südlichere  Gegenden  ging  ihnen  mehr  und  mehr 
jene  natürliche  Unterlage  verloren.  Es  mußten 
daher  bei  einem  Weiterleben  der  alten  Sagen  man- 
cherlei Unklarheiten  eintreten  oder  Verschiebun- 
gen stattfinden,  durch  welche  sich  die  alte  Sage 
der  neuen  Heimat  besser  anpaßte.  Die  Möglich- 
keit zum  letzteren  Prozeß  war  gerade  in  vorlie- 
gendem Falle  deutlich  gegeben. 

Zunächst  war  es  wohl  natürlich,  daß  die  Vor- 
stellung von  der  Lenzbefreiung  der  Sonne  sich 
mit  der  nahe  verwandten  Vorstellung  von  der  Be- 
freiung der  Sonne  aus  dem  Dunkel  der  Naclit 
vielfach  verband  und  vermischte.  Aber  auch  eine 
dritte  Vorstellung  gehörte  dazu  und  spielte  wohl 
von  vornherein  eine  wichtige  Rolle,  —  die  Vorstel- 
lung von  der  im  Gewitter  verborgenen,  verdunkel- 
ten, verschwundenen,  von  den  Wolkendämonen 
geraubten  Sonne,  die  nach  der  Beendigung  des 
großen  himmlischen  Dramas  strahlend  wieder 
erschien.  Sie  lag  um  so  näher,  als  der  Gewitter- 
gott hier  ja  sichtlich  der  eigentliche  Held  ist. 
Eine  Verschmelzung  des  Gewitterdramas  mit  dem 
Drama  der  Lenzbefreiung  der  Sonne  mag  schon 
in  der  Urzeit  stattgefunden  haben  und  das  Ge- 
witterdrama hat  wohl  in  erster  Linie  mitgewirkt, 
den  Gewittergott  als  den  Befreier  der  Sonne  er- 
scheinen zu  lassen.  Bei  der  Befreiung  der  Sonne 
aus  dem  Dunkel  der  Nacht  in  der  Morgenfrühe 
spielt  der  Gewittergott  tatsächlicii  keine  Rolle  und 


')  In  Bd.  U  meiner  , Arischen  Religion'  (nocli  ungedrucict). 

^)  Vgl.  Ernst  Krause  (Carus  Sterne),  Tuiskoland,  dor  arischen  Stäranio  und  Gütter  Urheimat,  Glogau  1891, 
Kap.  55.  56;  und  nanientlicli  Ernst  Krause,  Die  Trojaburgen  Nordeuropas,  ihr  Znsammenhang  mit  der  indogermanischen 
Trojasage  von  der  entführten  und  gefangenen  Sonnenfrau,  den  Trojaspielen,  Schwert  und  Labyrinthtänzen  zur  Feier  ilirer 
Lenzbefreiung,  Glogau  1893. 

')  Krause,  Trojaburgen,  p.  So  zählt  7  liauptsaclilicli  wichtige  Gestaltungen  der  Sage  auf,  unter  denen  dos  Herakles 
Besie^ung  des  Meerungeheuens  vor  den  Toren  Trojas  und  Befreiung  der  Hesione  an  erster  Stelle  genannt  ist;  ferner  die 
Perseus-Andromeda-Sage,  die  Jason-Medea-Sage,  die  Theseus-Ariadne-Sage,  die  Siegfried-Brunhild-Sage,  die  Sage  von  Ragnar 
Lodbrok  und  die  bulgarische  Sage  von  St.  Georg,  der  den  Drachen  vor  den  Toren  Trojas  erschlägt  und  die  Tochter  des 
Königs  von  Troja  betreit.  Schon  der  Titel  des  Buches  nennt  aber  auch  die  Helena-Sage,  der  sicli  noch  viele  verwandte 
Sagen  anschließen. 


94 


IV.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoedee. 


vrenn  er  —  wie  das  in  Indieu  der  Fall  ist  — 
auch  mit  dieser  Morg'enbefreiung  in  Zusammen- 
hang gebracht  wird.')  so  kann  das  nur  durch 
einen  Prozeß  der  Übertragung  geschehen  sein. 
Mit  den  europäischen  Mythen  und  Sagen  ver- 
glichen, sind  die  indischen,  respektive  vedischen 
Vorstellungen  hauptsächlich  durch  zwei  Momente 
charakterisiert: 

1.  Von  einer  Lenzbefreiung  ist  hier  nicht  die 
Rede;  das  Gewitterdrama  steht  ganz  im  Vorder- 
grunde.   Der  Gewittergott  Lidra  bricht  die  Bur- 

,  gen  der  verschiedenen  Dämonen  nnd  gewinnt  die 
Sonne,  das  Himmelslicht,  respektive  auch  die 
Morgenröte. 

2.  Die  Gewinnung  der  Wasser  spielt  bei  die- 
sem Drama  eine  mindestens  ebenso  große,  wenn 
nicht  noch  größere  Rolle  als  die  Gewinnung  des 
Himmelslichts. 

Beide  Momente  erklären  sich  durchaus  be- 
friedigend durch  die  Natur,  respektive  das  Klima 
des  Landes,  welches  den  indischen  Ariern  zu 
einer  neuen  Heimat  geworden  war.  Hier  gab  es 
keine  winterliche  Entrücktheit  der  Sonne,  keine 
Sehnsucht  aus  Winterkälte  nach  Sommerwärme. 
Eine  um  so  größere  Rolle  aber  spielte  das  Ge- 
witter, insbesondere  in  der  sogenannten  Regenzeit. 
Die  Befreiung,  der  Gewinn  der  himmlischen 
Wasser  nach  langer  Dürre  erschien  dabei  natur- 
gemäß als  das  wichtigste  Moment.  Daneben  aber 
wurde  auch  von  dem  Gewinn  der  Sonne,  des 
himmlischen  Lichtes  oft  genug  gesungen,  ja  auch 
Gewinn  der  Morgenröte,  bei  deren  Erwähnung 
man  bisher  nur  an  die  Morgenröte  des  neuen 
Tages  gedacht  hat,  obwohl  der  Gewittergott  mit 
dieser  ja  eigentlich  in  gar  keiner  organischen 
Beziehung  steht.  Es  ist  aber  schon  durch  die 
Stellung  der  Ushaslieder  im  Ritual,  auf  die  Hille- 
brandt  zuerst  hingewiesen  hat,  entschieden  wahr- 
scheinlich, daß  unter  der  Morgenröte  der  Lidra- 
lieder  ursprünglich  in  erster  Linie  die  IMorgen- 
röte  des  neuen  Jahres  verstanden  wurde,  die  neu- 
aufsteigende junge  Sonne  der  Frühlingszeit.  Dann 
aber  ist  es  weiter  ebenso  wahrscheinlich,  daß 
diese  Verehrung  und  Verherrlichung  der  jungen 
Sonne  des  neuen  Jahres,  als  ein  Rest,  ein  Rudi- 
ment früherer  Zeiten,  eine  Erinnerung  an  die 
alten,  einstigen,  nördlicheren  Sitze  des  Volkes  auf- 
zufassen ist.  Und  dasselbe  hat  dann  ohne  Zwei- 
fel auch  von  der  Rolle  des  Gewittergottes  zu  gel- 
ten, die  er  als  Gewinner  oder  gar  Erzeuger  die- 
.ser  Jlorgenröte  des  neuen  Jahres   spielt.     Dieser 


Sinn  des  Mythus  scheint  den  Indern  selbst  so  gut 
wie  ganz  entschwunden  zu  sein,  und  das  begreift 
sich  vollauf  bei  dem  Klima  ihres  Landes.  Den- 
noch lebten  die  alten  Vorstellungen,  Mythen  und 
Kultbräuche  fort,  die  Sänger  und  Dichter  aber 
sahen  in  der  Ushas  nur  die  jMorgenröte  des  neuen 
Tages  und  schilderten  sie  demgemäß,  während 
der  Kultbrauch  wie  der  mythische  Zusammen- 
hang mit  Gott  Indra  weiter  zurück  auf  die  Mor- 
genröte des  neuen  Jahres,  die  den  winterli- 
chen Mächten  abgerungene  junge  FrUhlings- 
sonne  deuten. 

Fassen  wir  nun  die  Sage  von  Helena  und 
ihrer  Befreiung  aus  der  Burg  von  Troja  näher 
ins  Auge,  dann  möchte  ich  den  Umstand  für  be- 
sonders bemerkenswert  halten,  daß  es  die  Atri- 
den,  Agamemnon  und  Menelaos,  sind,  die  diesen 
Befreiungszug  leiten,  der  dem  einen  von  beiden 
zu  dem  geraubten  Kleinod,  der  Gattin  Helena, 
verhelfen  soll.  Im  Rigveda  wie  auch  in  späteren 
Denkmälern  der  altindischen  Literatur  wird  öfters 
ein  Sänger  Atri  und  seine  Familie  erwähnt.  Ja 
das  fünfte  Mandala  des  RigA^eda  ist  der  Tradition 
o'emäß  «rößteuteils  im  Schöße  dieser  altberühm- 
ten  Sängerfamilie,  der  Atris  oder  Atreyas,  ent- 
standen, die  ihr  Name  gleichsam  als  die  indischen 
Atriden  keunzeiclmete.  In  diesem  fünften  Buche, 
im  zweiten  Teil  des  40.  Hymnus^)  wird  nun 
von  Atri  und  den  Seinigen  ein  merkwürdiger 
Mythus  erzählt.  Der  böse  Dämon  Svarbhänu 
hatte  die  Sonne  mit  Finsternis  geschlagen,  so  daß 
die  Wesen  sich  nicht  mehr  zurechtzufinden  wuß- 
ten. Indra  schlug  die  vom  Himmel  herab  sich 
bewegenden  Zauberkünste  des  Svarbhänu  nieder, 
Atri  aber  fand  ,mit  dem  vierten  Gebete'  die  vom 
widergöttlichen  Dunkel  verhüllte  Sonne.  Diese 
wendet  sich  selbst  im  Vers  7  hilfeflehend  an  den 
Sänger  Atri,  indem  sie  sagt:  ,Nicht  soll  mich,  der 
ich  Dir,  0  Atri,  angehöre,  im  Zorn  der  Böse 
schreckensvoll  verschlingen!  Du  bist  der  Freund 
(Mitra),  der  die  rechten  Gaben  spendet.  Du  und 
König  Varuna,  ihr  beide  sollt  mir  hier  helfen!' 
Und  Atri  hilft  ihr  in  der  Tat.  Er  scliirrt  die 
somapresseuden  Steine  an,  er  verehrt  die  Götter, 
er  huldigt  ihnen  mit  Lobgesang,  —  Atri  hat  das 
Auge  der  Sonne  an  den  Himmel  hingesetzt,  die 
Zauberkünste  des  Svarbhänu  beseitigt.  Der  Schluß- 
vers des  Liedes  faßt  zusammen:  ,Die  Sonne,  die 
der  Dämon  Svarbhänu  mit  Finsternis  geschlagen, 


die  haben  die  Atris  aufgefunden, 
das  andre  vermocht.' 


nicht  haben 


';   \'|,'l.  Macdonell,   Vedic  Mythology  p.  61. 


»)  RV  h,  40,   5-9. 


Herakles  und  Indea. 


95 


Also  eine  Rettung  der  Sonne  (sürya)  durch 
Atri  und  die  Seinigen,  unter  Beihilfe  des  Indra, 
aus  der  Gewalt  eines  Dämons  der  Finsternis,  der 
sie  zu  verschlingen  droht.  Der  Held  erscheint 
als  Beter,  als  besclnvörender  Priester  oder  Sänger, 
kann  aber  selir  wohl  in  diesem  Falle  wie  in  so 
manchen  anderen  Fällen  aus  einem  mehr  heroisch 
agierenden  mythischen  Helden  sich  in  diesen  Cha- 
rakter liineinentwickelt  haben.  Werden  in  der 
Brahmanazeit  doch  sogar  die  Götter  zu  Priestern 
und  operieren  mit  jiriesterlichen  Mitteln.  Auch 
der  AtharA-aveda  erwähnt  die  Tat  des  Atri,  der 
die  Sonne  am  Himmel  herauf  geführt,  sie  befestigt, 
das  unvergängliche  Licht  aufgefunden  habe.^) 
Auch  die  Brähmanas  und  andre  Texte  erzählen 
davon,  besonders  lehrreich  aber  sind  einige  bud- 
dhistische Verse,  aus  denen  deutlich  hervorgeht, 
daß  unter  dem  Dämon  Svarbhänu  der  wohl- 
bekannte Rähu  verstanden  wird,  der  Verschliuger 
der  Sonne,  der  ganze  Vorgang  demnach  als 
Sonnenfinsternis  erscheint,  die  der  zauberkundige 
Held  wirksam  beschwort  — ,  für  gewöhnlich  Atri, 
im  buddhistischen  Texte  Buddha  selbst.-) 

Neben  der  griechischen  Sage  von  der  Be- 
freiung der  Sonnengöttin  Helena  durch  die  Atri- 
den  hätten  wir  also  hier  in  Indien  eine  Sage  von 
der  Befreiung  der  Sonne  durch  Atri  oder  die 
Atris  aus  der  Gewalt  eines  Dämons  der  Finster- 
nis, der  sie  zu  verschlingen  droht  und  zum  min- 
desten später  mit  Rähu  gleichgesetzt  wird.  In 
dem  indischen  Mythus,  der  sonst  dem  griechischen 
unleugbar  verwandt  scheint,  tritt  eine  vierte  Form 
von  Raub  und  Befreiung  der  Sonne  hervor:  neben 
den  früher  erwähnten  dämonischen  Mächten  von 
Gewitter,  Nacht  und  Wiuterzeit  nun  auch  die- 
jenigen einer  Sonnenfinsternis.  Alle  vier  aber, 
so  verschieden  sie  im  übrigen  auch  sind,  haben 
doch  dies  miteinander  gemein,  daß  es  sich  immer 
um  zeitweiligen  Raub  und  Befreiung  der  Sonne 
handelt,  datier  es  sich  wohl  begreifen  läßt,  daß 
die  darauf  gegründeten  Sagen  und  Mythen  sich 
mischen,  verschieben,  gegenseitig  vertreten 
konnten. 

Und  denken  wir  an  die  wahrscheinlich  ältere 
Trojasage,  in  welcher  Herakles  als  der  Held  er- 
scheint, dann  erkennen  Avir  in  ihr  eine  dem  in- 
dischen Mythus  weit  näher  liegende  Form  der 
Erzählung.  Die  Heldin,  die  hier  der  Helena  in 
der  Iliassage  entspricht,  ist  Hcsione,   die  liebüche 


Tochter  des  Königs  Laomedon  von  Troja.  Lao- 
medon  hatte  die  Götter  Poseidon  und  ApoUon, 
die  für  ihn  die  Mauer  seiner  Burg  gebaut,  um 
ihren  Lohn  schmählich  betrogen.  Dafür  sendet 
ApoUon  eine  Pest,  Poseidon  ein  Seeungebeuer, 
das  Menschen  und  Herden  verschlingt,  bis  der 
König  ihm  seine  Tochter  Hesione  zum  Opfer  dar- 
bringt. Die  Jungfrau  wird  am  Meeresstrande  an 
einen  Felsen  angebunden,  doch  als  das  Ungeheuer 
erscheint,  um  sie  zu  verschlingen,  ist  auch  der 
Retter  schon  zur  Stelle,  —  Herakles,  der  unter 
dem  Schutz  eines  hohen  Dammes  den  Drachen 
angreift  und  endlich  tötet.  Nach  der  späteren 
Erzählung  springt  der  Held  gerüstet  in  den  Schlund 
des  Drachen  und  schlitzt  ihm  von  innen  den  Bauch 
auf.')  Die  Jungfrau  ist  gerettet,  doch  der  törichte 
König  verweigert  ihrem  Retter  den  ausbedungenen 
Lohn,  die  wunderbar  schnellen  Rosse,  die  er  einst 
von  Zeus  als  Ersatz  für  den  geraubten  Knaben 
Ganymed  zum  Geschenk  erhalten.  Das  wird  zum 
Verhängnis  für  die  Stadt,  denn  Herakles  kehrt 
nach  einiger  Zeit  in  Begleitung  andrer  Helden 
wieder,  erstürmt  die  Veste,  bringt  Laomedon 
mit  fast  allen  seinen  Söhnen  um  und  gibt  die  zum 
zweiten  Mal  errungene  Hesione  seinem  Begleiter 
und  Helfer  Telamon  zum  Weibe. 

Die  Erzählung  von  dem  Ungeheuer,  das  die 
schöne  Hesione  verschlingen  will,  von  Herakles 
aber  getötet  wird,  nachdem  er  selbst  in  den  ge- 
waltigen Schlund  des  Drachens  gesjiruugen,  erin- 
nert weniger  an  die  Art,  wie  Helena  später  be- 
freit wird,  als  vielmehr  an  die  bei  so  vielen  Völ- 
kern erzählten  Sagen  von  dem  Ungeheuer,  das 
die  Sonne  oder  auch  den  Jlond  verschlingen  will. 
Mit  diesem  ist  dieselbe  denn  auch  schon  längst 
verglichen  worden.*)  In  Indien  entspricht  die 
bekannte  Sage  von  dem  Ungeheuer  Rahu,  die 
noch  immer  fortlebt,  als  ein  Erbteil  primitivster 
Zeiten.  Die  Geschichte  von  Atri,  der  die  schon 
mit  Finsternis  geschlagene  Sonne  dem  bösen  Dä- 
mon Svarbhänu,  der  sie  verschlingen  will,  abringt, 
hat  sich  nun  aber  als  eine  alte  Version  der  Rähu- 
sage  herausgestellt  und  vergleicht  sich  somit  der 
griechischen  Sage  von  der  Rettung  der  Hesione 
durch  Herakles  vor  dem  Seeungeheuer,  während 
die  Sage  von  der  Wiedergewinnung  Helenas  durch 
den  trojanischen  Krieg  mehr  Ähnlichkeit  mit  dem 
zweiten  Zuge  des  Herakles  nach  Ilios  hat,  wo  er 
die  Stadt  erstürmt  und  Hesione  zum  zweiten  Male 


M   Vgl.  AV  i;s,  2,  4.   VI.  3G. 

")  \g\.  Charles  K.  Lanman  im  ,Festgruß  an  Roth',  p.  187—190  (ItV  5,  40  and  its  Bud<lhUt   parallel). 

')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  234.  *)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  234;  aut-h  Anni.  3. 


96 


IV.  Abhandlung:  Leopold  v.  Schkoedeb. 


erringt,  wenn  aucli  die  Jlotivieruug  —  durch 
Rache  wegen  des  nicht  ausgefolgten  Lohnes  —  im 
letzteren  Falle  eine  -n-esentlich  andre  ist.  Die  indi- 
sche Atrideusage  findet  also  in  der  ersten  Helden- 
tat des  Herakles  vor  Troja  ihr  Gegenstück, 
während  die  griechische  Atridensage  A'ielmehr  in 
der  zweiten  Heldentat  des  Herakles  daselbst  ihr 
Vorhild  und  älteres  Gegenstück  zu  haben  scheint. 
Ein  Held  Atri  oder  ein  Atrisohn,  ein  Held  ähn- 
lichen Namens,  der  ähnlich  dem  Gewitterriesen 
Taten  der  Sonnenrettuug  vollbringt,  darf  demnach 
wohl  schon  für  jene  uralte  Zeit  vermutet  werden, 
wo  Lider  und  Griechen  noch  nicht  getrennt 
waren. 

Doch  wie  dem  auch  sei,  in  der  indischen 
Atrisage  läßt  sich  vielleicht  noch  eine  nähere  Ver- 
wandtschaft mit  der  Sage  von  der  Rettung  der 
Hesione  durch  Herakles  nachweisen,  —  in  einem 
bisher     noch     recht     unverständlich 


merkwürdigen  Zuge  derselben, 
der   Rettung 


gebliebenen 
Häufiger  als  von 


der  Sonne  durch  Atri  ist  in  den 
Liedern  des  Veda  davon  die  Rede,  daß  Atri  einst 
in  einen  glühend  heißen  Schlund  oder  eine  Spalte 
(ribisa)  hinabgestiegen  oder  hinabgeführt  sei,  daß 
die  beiden  Acvinen,  die  rettenden  Dioskuren  der 
Inder,  ihm  dort  zu  Hilfe  gekommen  seien,  die 
Glut  von  ihm  abgewehrt,  ihm  Labung  und  Er- 
quickung gebracht,  ihn  aus  dem  heißen  Schlünde, 
aus  dem  Dunkel,  aus  der  großen  Finsternis  be- 
freit hätten,  —  ihn  samt  seinen  Gefährten,  die 
einige  Male  mit  erwähnt  werden.^)  Einmal  heißt 
es  auch,  Agni  habe  den  Atri  in  der  Glut  gerettet,-) 
in  der  Regel  aber  sind  es  die  Apvinen,  die  ihm 
helfen. 


Bei  diesem  niclit  hinreichend  aufgeklärten 
Abenteuer  des  Atri  kann  ich  nicht  umhin,  wieder 
daran  zu  erinnern,  wie  Herakles  bei  der  Rettung 
der  Hesione  in  den  Schlund  des  Drachens  hinein- 
springt: ,Ja,  er  soll  drei  Tage  darin  verweilt  und 
durch  die  Glut  der  Eingeweide  alle  Haare  seines 
Hauptes  verloren  haben.  Ein  Märchen,  welches 
auch  in  bildlichen  Darstellungen  überliefert  ist 
und  in  den  Erzählungen  andrer  Völker  von  dem 
Monde  oder  der  Sonne,  welche  ein  Drache  zu 
verschlingen  droht,  seine  natürliche  Erklärung 
findet.'») 

In  den  vedischen  Liedern  wird  freilich  das 
Hinabfahren  des  Atri  in  den  heißen,  finstern 
Schlund  unabhängig  von  der  Sonnenrettung  als 
ein  selbständiges  Abenteuer,  erzählt,  es  könnte 
aber  doch  beides  ursprünglich  zusammengehört 
haben,  wie  in  der  Heraklessage  das  Hineinspringen 
in  den  Schlund  des  Drachens  mit  der  Rettung 
der  Hesione.  Vielleicht  trat  die  Trennung  ein, 
als  aus  dem  Helden  der  priesterliche  Beter 
wurde,  den  wir  RV  5,  40  vor  uns  sehen.  Im 
übrigen  scheint  sowohl  in  der  griechischen  wie 
in  der  altindischen  Sage  der  Sonnenheld  und 
Sonnen  retter  bis  zu  einem  gewissen  Grade  in  die 
Rolle  der  gefährdeten  Sonne  selbst  hineingeraten 
zu  sein.*)  Auf  jeden  Fall  handelt  es  sich  hier 
bei  Indern  und  Griechen  um  mehr  oder  minder 
verwandte  Sagenformen,  wenigstens  was  den  Ur- 
sprung anbetrifft.^) 

Zwischen  der  Burg  von  Troja-Ilios  und  jenen 
von  Indra  und  anderen  Göttern  erstürmten  Wol- 
kenburgen des  Veda  bat  man  längst  schon  Be- 
ziehungen   nachzuweisen    gesucht,    die    allerdings 


')  Vgl.  RV  5,  78,  4:  Als  Atri,  in  den  Schlund  hinabsteigend  (avarohau)  euch  beide  anrief  wie  eine  hilfesuchende 
Frau,  da  kämet  ihr  Acjvinen  herbei  mit  des  Adlers  Schnelle,  der  neuesten,  heil  vollsten;  RV  1,  116,  8:  durch  Kulte  (Frost, 
Schnee)  habt  ihr  das  Feuer,  die  Glut  (agnim,  ghramsam)  abgewehrt,  habt  ihm  erquickende  Labung  geboten,  habt  den  in 
den  Schlund  hinabgeführten  (avanitam)  Atri  heraufgeführt,  samt  der  ganzen  Schar,  zun  Heile;  RV  10,  39,  ü:  Ihr  beide  habt 
den  glühenden  Schlund  dem  Atri  labungreich  gemacht,  dem  Saptavadhri  (respektive  dem  von  7  Verschnittenen  begleiteten)! 
RV  1,  118,  7:  Ihr  habt  dem  in  die  Glut  (taptam)  hinabgeführten  Atri  Labung,  Erquickung  (Hilfe)  gespendet,  ihr  Aijvineu; 
RV  I,  119,  6  durch  Kälte  (wehrt  ihr  ab)  dem  Atri  die  heiße  Glut  (o  Ai;vinen) ;  RV  8,  62,  ;^:  ,Die  Kühlung  streutet,  Kitter 
ihr,  beide  dem  Atri  in  die  heiße  Glut';  7:  , Erquickend.  Ritter,  machtet  ihr  dem  Atri  seines  Hauses  Sitz';  8:  , Des  Feuers 
Gluten  wehret  ihr  dem  Atri  ab,  der  lieblich  singt'  (Grassmann).  Vgl.  auch  RV  10,  143,  1 — 3,  wo  Atri  verjüngt  aus  dem 
Schlünde  hervorzugehen  scheint;  RV  7,  71,  5:  ,Aus  der  Kot,  aus  dem  Dunkel  befreitet  ihr  beide  den  Atri';  RV  6,  50,  10:,  Wie 
ihr  beide  den  Atri  aus  großer  Finsternis  erlöstet'  — .  Eines  bösen  Dämons  Zauber  wird  dabei  vernichtet  nach  RV  1,  117,  3: 
,Den  Weisen  Atri  samt  seiner  Schar  befreiet  Ihr,  beide  Männer,  aus  dem  .Schlund,  des  bösen  Dämons  Zauber  vernichtend.' 

=  )  Vgl.  RV  10,  80,  3.  »)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  234. 

■•)  Darauf  scheint  namentlich  die  RV  10,  143,  1—3  angedeutete  Verjüngung  des  Atri  bei  diesem  Abenteuer  zu 
deuten.  Vgl.  übrigens  Sonne,  in  Kuhns  Zeitschr.  10,  331 ;  er  faßt  das  Abenteuer  als  einen  Sonnenuntergang  unter  Obhut 
der  Acfvinen,  die  ,als  Vermittler  zwischen  Finsternis  und  Licht  den  Helios  beschützen'.  Das  glühende  Feuer  glaubt  er 
in  der  Abendröte,  die  Erquickung  in  der  Kühle  und  dem  Tau  des  Abends  zu  finden.  Eine  Kontamination  dieser  Vorstel- 
lungen mit  denen  von  der  Rettung  der  Sonne  bei  der  Sonnenfinsternis  scheint  mir  nicht  ausgeschlossen. 

°)  Bemerkenswert  ist  vielleicht  noch,  daß  nach  der  griechischen  Sage  Atreus,  der  Vater  der  Atriden,  einen  Widder 
mit  goldenem  Vließ  besessen  haben  soll,  den  ihm  Thyestes  entwendet.  Zeus  schreitet  zugunsten  des  Atreus  ein.  Da  der 
Widder  mit  goldenem  Vließ  ein  bekanntes  Sonnensymbol  ist,  handelt  es  sich  auch  hier  wohl  ursprünglich  um  Sonneiiraub 
und  Restitution.     Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  387.  388. 


Herakles  und  Indra. 


97 


niclitunangefocliteu  geblieben  sind.  Den  Namen  der 
troisclien  Veste  Ilios,  aus  älterem  Vilios  {FC/m;),  hat 
mau  mit  dem  selbständig  gewordenen  Epitheton  der 
indischen  Wolkenburg,  vicju,  viUi, das  Feste' oder.die 
Veste',  sehr  anmutend  zusammengestellt.  Wir  sehen 
den  Indra  diese  Veste  erobern.  So  heißt  es  z.B.: 

KV  8,  45,  41.  Was  in  der  Veste  (vil.äu),  was 
am  festen  Ort,  was  im  Abgrund  vei-borgen  ist, 
0  Indra,  dies  begehrenswerte  Gut  bring  Du  herbei! 

RV  1,6,  5.  Mit  den  zerbrechenden,  reisigen 
(Maruts)  zusammen  hast  Du,  o  Indra,  sogar  das 
Feste  (oder  die  Veste,  vilu),  hast  im  Verborgenen 
sogar  die  rötlichen  (Kühe)   aufgefunden. 

Mit  den  rötlichen  oder  roten  (Kühen),  den 
usriyäs,  sind  die  Moi-genroten  gemeint. 

Das  wird  noch  deutlicher  durch  die  folgende 
Stelle,  in  welcher  Indra  mit  den  Weisen,  den 
Sängern  der  Vorzeit,  und  der  Götterhündin  Saramä 
zusammen  in  Aktion  erscheint: 

RV  S,  31,  4.  Ihn  erkennend,  gingen  die 
Morgenröten  (nshäsah)  ihm  entgegen;  der  Herr 
der  Kühe  ward  Indra  allein. 

5.  Die  in  der  A'^este  befindlichen  (Kühe,  re- 
spektive Morgenröten)  haben  die  Weisen  durch 
Bohrung  gewonnen.'). 

In  den  folgenden  Versen  wird  weiter  erzählt, 
wie  Sai-amä  den  Spalt  des  Felsens  auffand,  wie 
sie  leichtfüßig  voraneilte,  dem  Gebrüll  der  un- 
versieglichen  Kühe  nachgehend,  das  sie  zuerst  er- 
kannte (6).  Ihr  gesellte  sich  Indra  in  begeistertster 
Erregung  (vipratamah),  ihm  erschloß  der  Fels 
sein  Innerstes.  Mit  den  Jünglingen  zusammen 
kämpfend,  gewann  er,  der  Mann,  die  Beute 
(7j.  Alles  Seienden  Maß  übertreffend,  tötet  er 
den  Gushna  (8).  Der  Vritratöter  Indra  ließ 
die  roten  (Kühe)  heraus  (11);  mit  seineu  Mannen 
zusammen  schuf  er  die  Sonne,  Morgenröte,  AA^ohl- 
fahrt,  Feuer  (15). 


Dies  Lied  enthält  manche  Dunkelheiten, 
scheint  aber  doch  deutlich  bestimmt  zu  sein  für 
das  große  Somafest  des  Lichtfeuerlobgesangs,  die 
indische  Form  der  altarischeu  Sonnenfeuerfeste. 
Es  beginnt  mit  der  Erzeugung  des  Feuers  und  besingt 
sodann  die  Gewinnung  der  IMorgenröten,  der  Kühe 
aus  dem  Fels  der  A^este,  durch  Indra,  Saramä,  die 
AA'eisen  der  A^orzeit.  Der  somabegeisterte  Indra 
tötet  den  (J'ushna,  erzeugt  das  Feuer,  die  Morgen- 
röte, die  Sonne,   läßt    die  AA^asser   strömen  etc.^) 

Als  Gegner  des  Indra  und  neidische  Hüter 
der  Schätze,  die  er  zum  Heile  der  AA''elt  gewin- 
nen soll  und  Avirklich  gewinnt,  erscheinen  im 
A^eda  mehrfach  die  Panis,  dämonische  Wesen, 
deren  Name  sie  als  Krämer,  Knicker  und  Knau- 
ser zu  charakterisieren  scheint.^)  In  dem  appel- 
lativen  Sinne  , Knauser,  Geizhals'  wird  das  AA^ort 
nicht  selten  im  Veda  gebraucht,  namentlich  zur 
Bezeichnung  derer,  die  den  Göttern  die  ihnen 
gebührenden  Opfer  vorenthalten.  Aber  auch  die 
übermenschlichen,  dämonischen  Panis  treten  in 
den  Liedern  deutlich  hervor.  Insbesondere  be- 
kannt und  eindrucksvoll  ist  das  Lied  RV  10,  108, 
das  ein  Zwiegespräch  der  Götterhündiu  Saramä 
mit  den  Panis  enthält.  Als  Botin  des  Indra  ist 
Saramä  über  den  mythischen  Strom  Rasa,  der 
Erde  und  Luft  umfließt  —  den  indischen  Okea- 
nos  —  zur  Behausung  der  Panis  vorgedrungen 
und  fordert  von  ihnen  die  Herausgabe  der  Schätze, 
der  Kühe,  Rosse  und  sonstigen  Güter,  die  sie  im 
Berge  eingeschlossen  halten.  Die  Panis  wagen 
es  zuerst,  des  Indra  zu  spotten,  dann  versuchen 
sie  es,  die  Saramä  zu  überreden,  als  Schwester 
bei  ihnen  zu  hleiben  und  somit  ihrer  Sendung 
untreu  zu  werden.  Aber  Saramä  läßt  sich  durch 
nichts  irremachen,  kündigt  den  Panis  das  Kom- 
men des  Indra  und  der  I;lishis,  den  Verlust  der 
Schätze,  das  nahende   ^'(^rderben  an. 


')  EV  3,  31,  5  viläu  satir  .nblii  dhirä  atnudaii;  das  Fem.  viläu  satir  kann  sieh  nur  auf  dio  im  vorausgelieuden  Verse 
erwäliuten  ushäsab,  die  Morgenrüten,  die  aber  auch  als  Kühe  gedaclit  werden,  beziehen.  Indra  und  seine  Genossen  er- 
bohren  den  Fels,  öffnen  ihn  und  befreien  die  Kühe,  die  Wasser  und  die  Morgenröten,   das  neue  Sonnenlicht. 

')  Die  Zusammenstellung  des  selbständig  gewordenen  Epithetons  vilu  ,das  Feste',  als  Bezeichnung  der  Wolkunburg, 
mit  dem  Namen  von  Ilios  (piXio?)  halte  ich  trotz  einiger  lautlicher  liedenken  doch  noch  für  möglich  und  vielleicht  sogar 
wahrscheinlich.  Dagegen  liißt  sich  das  gleichbedeutende  Epitheton  driilha  schwerlich,  wie  man  gewollt  hat,  mit  Dardanos 
und  Dardania  zusammenstellen. (cf.  Oscar  Meyer,  Quaestiones  Ilomericae.  Dies.  Bonn.  1867  p.  10  ff.).  Das  Wort  dricjha  ist 
Participium  Perf.  Pass.  von  Wurzel  drih  .festmachen',  die  ursprünglich  etwa  dergh  gelautet  haben  dürfte  und  sich  mit  dem 
angeführten  homerischen  Namen  lautlich  schlechterdings  nicht  vermitteln  läßt  (vgl.  Uhlenbeck,  Etymolog.  Wörterbuch  der 
altindischen  Sjirache,  s.  v.  drihyati).  —  Die  Epitheta  vilu  und  diiijha  finden  wir  mehrfach  nebeneinander  als  Bezeichnung 
der  vedischen  Wolkenburgen,  z.  B.  RV  1,  72,  ü  und  8,  40,  1.  Es  wäre  hübsch,  wenn  jene  lautliche  Zusammenstellung 
möglich  wäre  und  wir  also  hier  gleichsam  die  Urkeime  der  Burgen  von  Ilios  und  Dardania  nebeneinander  im  Veda  vor 
uns  hätten;  allein  die  Sache  hat  kaum  eine  Wahrscheinlichkeit  für  sich. 

')  Das  Wort  pani  hängt  offenbar  mit  dem  Verbum  pan,  panate  ,handeln,  eintauschen,  kaufen'  zusammen.  Aus  dem 
Begriff'  des  Händlers,  Krämers  hat  sich  der  des  Knickers  und  Knausers  entwickelt;  panate  geht  wahrscheinlich  auf  älteres 
parnate  zurück  und  dürfte  mit  griech.  KEpvr(ij.i  , verkaufe'  zusammenhängen.  Andre  bringen  es  mit  grioch.  zioXiio  , vorkaufe', 
»law.  ])ljenn,  Beute'  u.  a.  m.  zusammen. 


98 


IV.  Abhandluno  :  Leopold  v.  Scheoedee. 


In  aiuleni  Liedern  wird  die  A'üUbraelite  Tat 
gefeiert.  So  heißt  es  z.  B.  RV  10.  67,  6:  Indra 
hat  die  Höhle,  die  Hüterin  der  Milchkülie,  wie  mit 

der  Hand  gespalten  mit  Gehrüll, er  brachte 

den   Pani    zum  Weinen,    raubte   die   Kühe!' 

Diesen  Panis,  welche  von  Indra  und  andern 
o-öttlichen  und  halbs'öttlichen  Helden  im  Yeda  he- 
kämpft,  besiegt  und  zur  Herausgabe  ihrer  Schätze 
gezwungen  werden,  hat  mau  schon  mehrfach  — 
wie  ich  glaube,  mit  Recht  —  die  Bewohner  von 
Ilios  oder  Troja  verglichen.  Merkwürdig  stimmt 
zum  Charakter  der  krämerhaften,  knickrigen  Pa- 
nis der  Mythus  von  Laomedon,  dem  König  von 
Troja,  der  zuerst  den  Göttern  Poseidon  und  Apol- 
lon  den  Lohn  für  die  Erbauung  der  Burgmauer 
vorenthält,  später  ganz  ebenso  ungerecht,  knickrig 
und  knausrig  dem  Herakles  gegenüber  verfährt, 
der  die  schöne  Hesione  vor  dem  JMeerungeheuer 
rettet,  die  dafür  versprochenen  schnellen  Rosse 
des  Zeus  aber  nicht  erhält.^)  Das  bringt  dem 
Geizhals  freilich  selbst  den  größten  Schaden,  denn 
eben  darum  kommt  Herakles  mit  andern  Helden 
ein  zweites  Mal  wieder,  belagert  und  zerstört  die 
Stadt.  Laomedon  fällt  mit  all  seinen  Söhnen,  bis 
auf  einen,  den  Priaraos,  der  hei  der  nachmaligen 
Belagerung  Trojas  durch  die  Atriden  dort  Herr- 
scher ist.  Sein  Name  hängt  offenbar  mit  dem 
Verbum  r.plix[j.ai  zusammen,  welches  .kaufen'  he- 
deutet.  Schon  die  Alten  waren  dieser  Meinung 
und  gaben  an.  seine  Schwester  Hesione  habe  ihm 
durch  einen  Scheinkauf  zur  Freiheit  verholfen.^) 
Das  sieht  wie  eine  ätiologische  Legende  aus.  Ich 
möchte  es  für  wahrscheinlicher  halten,  daß  der 
Name  des  Priamos  ihn  einfach  als  den  Händler 
oder  Krämer  bezeichnet  haben  dürfte,  so  daß  sich 
derselbe  dem  Sinne  nach  mit  dem  Namen  der 
Panis  berühren  würde.  Auch  in  dem  Namen 
seines  Sohnes  Paris,  der  die  Helena  raubt,  steckt 
vielleicht  eine  verwandte  Wurzel,  die  diesen  Na- 
men in  entfernterer  Weise  auch  dem  Namen  der 
Panis  anzunähern  scheint.^) 

In  diesen  hervorragend  wichtigen  Namen  der 
Trojasage  würde  dann  ebenso   wie  in  den  Hand- 


lungen der  Trojaner  eine  Verwandtschaft  mit  den 
vedischen  Panis  kaum  zu  verkennen  sein.  Berech- 
tigter, aushedungener  Lohn  wird  von  den  geizi- 
gen Krämerseelen  der  Trojaner  vorenthalten,  frem- 
des Eigentum  —  die  strahlend  schöne  Lichtgöttin 
Helena  —  wird  von  ihnen  geraul)t  und  nicht  heraus- 
gegeben, bis  die  Gewalt  sie  dazu  zwingt  und  Bui-g 
wie  Burgbewohner  vernichtet. 

Noch  eine  Übereinstimmung  sehr  merkwür- 
diger Art  hestätigt  die  Richtigkeit  der  Zusammen- 
stellung der  Panis  mit  den  Trojanern.  Der  Veda 
bringt  mit  der  Bezwingung  und  Beraubung  der 
Panis,  der  Gewinnung  des  Lichtes  zugleich  die 
Besiegung  der  Nachkommenschaft  des  Brisaya 
zusammen. 

RV  1,  93,  4  ,0  Agni  und  Soma,  bekannt  ist 
diese  eure  Mannestat,  daß  ihr  dem  Pani  die  La- 
bung, die  Kühe  geraubt  habt;  ihr  besiegtet  die 
Nachkommenschaft  des  Brisaya,  fandet  das  eine 
Licht  für  Viele.' 

Sonst  wird  Brisaya  nur  noch  einmal  genannt 
und  scheint  an  dieser  zweiten  Stelle  mehr  appel- 
lativeinen zauberkundigen,  götterfeindlichen  Mann 
zu  bezeichnen.*)  Auch  hier  wird  von  der  Nach- 
kommenschaft des  Brisaya -geredet. 

Schon  früh  hat  man  bemerkt,  daß  dieser  Zug 
des  vedischen  Mythus  an  einen  wohlbekannten 
Zug  der  Trojasage  in  der  Ilias  anklingt.  Die 
Griechen  erobern  dort  in  der  Troas  unter  an- 
derem auch  die  Stadt  Lyrnessos,  deren  Priester 
den  Namen  Briseus  führt.  Die  Tochter  dieses 
Briseus,  die  schöne  Briseis,  fällt  bekanntlich  zu- 
erst dem  Achilleus  als  Beute  zu,  wird  ihm  aber 
dann  durch  Agamemnon  entrissen,  und  das  ist  die 
Ursache  des  furchtbaren  Zorns  des  Peliden,  der 
den  eigentlichen  Inhalt  der  Ilias  bildet.  Die  Toch- 
ter  des  Briseus  spielt  also,  wenn  auch  selbst  kaum 
hervortretend,  als  Streitobjekt  der  mächtigsten 
Griechenführer  eine  ganz  hervorragende  Rolle.  Es 
ist  unmöglich,  bei  dem  zauberkundigen  Brisaya. 
dessen  Nachkommenschaft  neben  dem  Paris  be- 
siegt wird,  nicht  an  den  Priester  Briseus  in  der 
Troas  zu  denken,  dem  die  Griechen  bei  Eroberung 


')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  2.S2  ff.  ')  Vgl,  Preller,   a.  a.  O.  II  p.  230. 

")  Die  Wurzel  par  in  IHpi;  scheint  mit  per,  pra,  pri  in  jcEpäcü  .verkaufen',  jt£pvr;|j.i,  Ttixpäizto  ,verkaufen',  xpiafxai  ,kaufeni 
zusammenzuhängen;  dieselbe  Wurzel  par  liegt  wahrscheinlich  der  indischen  Wurzel  pan  zugrunde,  welche  auf  eine  Form 
parn  zurückzugehen  scheint,  wie  das  cerebrale  n  wahrscheinlicli  macht.  Vgl.  dazu  Curtius.  (iriech.  Etymol.  4.  Aufl.  p.  27n. 
274;  M.  Müller,  Vorlesungen  über  die  Wiss.  der  Sprache  II  p.  43(3.  Daß  ich  Müllers  Identifikation  von  Saramü  und  Helena 
nicht  beistimme,  brauche  ich  kaum  besonders  zu  bemerken. 

*)  RV  6,  61,  1  heißt  es  von  Sarasvati,  daß  sie  jeden  Pani  und  seine  Labung  verzehrt  habe;  weiter  dann  Vers  3: 
,0  Sarasvati,  wirf  die  Götterhasser  nieder,  die  Nachkommenschaft  jedes  listenreichen  Brisaya,'  Grassmann  gibt  das  Wort 
hier  durch  ,Zauberer'  wieder;  da^  Petersburger  Wr.rterbuch  bemerkt:  .nach  der  letzten  .Stelle  ohne  Appellativum',  Vgl. 
auch  M,  Müller,  Vorlesungen  II  p,  436,  Kulin,  Ilerabkunft,  2,  AuH.  p.  143;  Krause,  Tuiskoland  p,  4',>4.  —  Zu  bemerken 
bleibt,    daß  auch  an   dieser  .Stelle  Pani   und  Brisaya  zusammen  genannt  werden,  und  zwar  als  bezwungen  duch  Göttermacht. 


Heeakxes  und  Indea. 


99 


der  von  ilim  bewohnten  Stadt  seine  Tochter  rau- 
hen. Diese  Tochter  Briseis  und  die  an  beiden 
vedischen  Stellen  erwähnte  ,Nachkommenscha£t' 
des  Brisaya  sind  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
uralt  verwandte  mythische  Gestalten,  —  bei  den 
Griechen  mit  der  Sage  vom  trojanischen  Krieg, 
bei  den  Indern  mit  der  Pani-Sage  verbunden.  Das 
deutet  unfraglich  auf  eine  Verwandtschaft  dieser 
beiden  Sagenkreise  hin. 

Max  Müller  bemerkt  über  den  natursymboli- 
schen Sinn  der  Sage:')  ,Die  Belagerung  Trojas 
ist  nur  eine  Wiederholung  der  täglichen  Belage- 
rung des  Ostens  durch  die  Streitkräfte  der  Sonne, 
die  jeden  Abend  im  Westen  ihrer  glänzendsten 
Schätze  beraubt  wird.  Diese  Belagerung  ist  in 
ihrer  ursprünglichen  Form  das  konstante  Thema 
der  Veda-Hymnen.' 

Wir  werden  dieser  Bestimmung  noch  heute 
ihre  Berechtigung  zuerkennen  dürfen,  voraus- 
gesetzt, daß  sie  jene  Erweiterung  des  Inhalts  er- 
fährt, die  sich  uns  schon  bei  früheren  Betrach- 
tungen der  verwandten  Sagen  aufgedrängt  hat  und 
die  für  die  Trojasage  bereits  mit  großer  Ent- 
schiedenheit von  Ernst  Krause  gefordert  worden 
ist.  Der  Morgenmythus  und  der  Frühlingsmythus 
sind  nicht  zu  trennen,  sie  sind  offenbar  schon  in 
der  Urzeit  verschmolzen,  zufolge  ihrer  nahen  na- 
türlichen Verwandtschaft.  Die  zu  befreiende,  zu 
gewinnende  junge  Sonne,  die  Frühlingssonne,  die 
Morgenröte  des  jungen  Jahres  und  die  Morgen- 
röte   des    jungen    Tages    sind    eins   und    dasselbe, 


sie  verschwimmen  ineinander.  Gewiß  aber  knüpft 
sich  an  die  Frühlingssonne  das  eindrucksvollere 
Drama  der  Natur,  gewiß  spielte  dies  in  der  Phan- 
tasie der  Urarier  die  größte  Rolle,  und  ebendarum 
tritt  der  Gewitterriese  so  stark  in  demselben  her- 
yor,  der  mit  dem  Morgendrama  doch  nichts  zu 
tun    hat.-) 

Es  ist  aber  auch  Kuhns  Bemerkung  wold  zu 
beachten,  zu  der  er  gerade  bei  der  Betrachtung 
jenes  Liedes  (RV  1,  93)  gelangt,  das  die  Besie- 
gung der  Pani  und  Brisaya  durch  Agni  und  Soma, 
den  Feuer-  und  den  Trankgott,  besingt.  Er  be- 
tont, daß  hier  nicht  nur  von  Gewinnung  des  Lich- 
tes die  Rede  sei.  Agni  und  Soma  haben  nach 
diesem  Liede  (v.  5.  6)  nicht  nur  die  Leuchten  an 
den  Himmel  gesetzt,  sondern  auch  die  gefangenen 
Ströme  aus  Schmach  und  Schande  befreit.  Den 
einen  —  Agni,  das  Feuer  —  habe  Mätaricvan 
vom  Himmel  hergebracht,  den  andern  —  Soma, 
den  himmlischen  Trank  —  habe  der  Falke  aus 
dem  Felsen  (d.  h.  der  Wolke)  geraubt.  Neben 
der  Gewinnung  des  Lichtes,  der  himmlischen 
Leuchten  und  des  Feuers  wird  also  auch  hier  — 
sehr  charakteristisch  —  der  Gewinnung  des  himm- 
lischen Trankes  gedacht.-^)  Beide  sind  —  wie  so 
oft,  ja,  wie  gewöhnlich  —  eng  verbunden.  Das 
Frühlings-  und  Morgendrama,  mit  Erzeugung  des 
Neufeuers  und  Erscheinen  der  jungen  Sonne,  wird 
deutlich  durch  das  Gewitterdrama  ergänzt,  durch 
welches  die  iiimmlischen  Ströme  befreit  und  der 
dürstenden  Erde  geschenkt  werden. 


')  M.  Müller,  Vorlesung-en   über  die  Wiss.  der  Sprache  II  p.  436. 

-)  Noch  eine  Bemerkung  d.izu.  Hesioiie,  durch  Herakles  aus  der  Gew,-ilt  des  Drachen  befreit,  ist  unzweifelhaft  Pa- 
rallelg:estalt  zu  Helena,  der  Lichtg-ittin,  die  die  Atriden  mit  Achilleus  und  anderer  Hilfe  befreien.  Wenn  llesione  al.<i  Toch- 
ter des  Troerkönigs  Laomedon  erscheint,  die  durch  dessen  wortbrüchigen  Geiz  der  Gewalt  des  Drachen  hat  überliefert  wer- 
den müssen,  so  liegt  hier  gewiß  eine  Verschiebung  vor.  Der  Geiz  des  Trojaners,  das  Verweilen  der  Hesione  in  Troja,  ihre 
Befreiung  vom  Drachen  sind  zweifellos  uralte  echte  Sagenzüge.  Sie  kann  aber  nicht  ursprünglich  Tochter  des  Troorkönigs 
gewesen  sein,  sondern  muß  von  ihm  geraubt,  von  ihm  der  Hut  des  Drachen  überantwortet  sein.  Auf  diese  Fassung  als 
die  ursprüngliche  deuten  alle  verwandten  Sagen.  Vielleicht  hat  die  Baumeistersage  die  Verschiebung  zur  Folge  gehabt. 
Doch  liißt  sich   das  nicht  bestimmt  behaupten.     Die  Verschiebung  aber  halte  ich  für  eine  kaum  bezweifelbare  Tatsache. 

^)  In  der  Trojasage  gibt  es  einen  Zug,  der  neben  der  Gewinnung  der  Liclitgöttin ,  der  jungen  Sonne  —  Helena, 
Hesione  —  die  Gewinnung  des  himmlischen  Trankes  von  Troja  her  zu  bedeuten  scheint.  Es  ist  der  Raub  des  Ganymedes, 
des  schönen  Schenken  himmlischen  Trankes,  der  wohl  diesen  Trank  selbst  symbolisiert  und  für  ihn  eingetreten  sein 
dürfte.  Zeus  oder  der  Adler  des  Zeus,  auch  Zeus  in  Adlergestalt  soll  den  schönen  Ganymedes,  einen  Sohn  des  Tros,  aus 
Troja  entführt  haben,  damit  er  ihm  den  himmlischen  Trank  kredenze.  (Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  I  p.  412.  413;  Kuhn  a.  a.  O. 
p.  155  f.)  Die  Sage  klingt  deutlich  genug  an  die  vedische  Sage  vom  Raub  des  Soma  aus  dem  Felsen  durch  den  F.alken 
oder  Adler,  re.sp,  durch  Indra,  an.  Wenn  das  Lied  RV  1,  93  neben  der  Lichtgewinnung,  der  Besiogung  von  P.ini  und  Bri- 
sayas  Geschlecht,  auch  den  Raub  des  Soma  durch  den  Falken  erwähnt,  dann  rückt  es  .ilso  damit  an  die  Trojasage  noch 
näher  heran. 


Denkschriften  der  phil-hist.  Kl,  5S.  Bd.  4.  Abb. 


100 


IV.  Abha^'dlung:  Leopold  v.   Schroedee. 


Kyknos-Cuslnia? 


Unter  den  Ge.ffuern,  die  Herakles  bekämpft 
und  besiegt,  erscheint  auch  der  wilde  Wegelagerer 
Kyknos,  ein  gewalttätiger,  räuberischer  Sohn  des 
Ares,  der  die  Straße  nach  Delphi  unsicher  macht 
und  den  dortliin  ziehenden  Prozessionen  auflauert; 
Der  Kampf  wird  an  verschiedenen  Orten  Grie- 
clienlands  lokalisiert,  endet  aber  stets  mit  dem 
Tode  des  Kykuos.i)  Yqjj  einem  Kyknos  weiß 
aber  auch  die  Trojasage  in  den  Kyprien  zu  be- 
richten, wo  er  als  Sohn  des  Poseidon  erscheint, 
.eigentlich  wohl  —  wie  Preller  sagt  — ein  Meeres- 
dämon, der  unter  dem  Bilde  des  SchM'ans  A-er- 
gegenwärtigt  und  mit  blutigen  Opfern  verehrt 
wurde,  jedenfalls  ein  dem  Kyknos  der  Herakles- 
sage entsprechendes  "Wesen.  Nach  Hesiod  war 
er  weiß  am  Kopfe,  nach  Hellauikos  weiß  am 
ganzen  Leibe,  dabei  riesig  groß  und  stark,  eisen- 
fest und  unverwundbar,  so  daß  er  den  Griechen 
die  Landung  wohl  verwehren  mochte'.  Der  junge 
Achill  tritt  ihm  entgegen,  und  da  er  ihn  nicht 
verwunden  kann,  erwürgt  er  ihn  in  seinem  eigenen 
Helmbande.") 

Es  liegt  nahe,  die  Frage  aufzuwerfen,  ob 
diese  seltsame,  offenbar  uralte  Sagengestalt,  die 
bald  als  Gegner  des  Herakles  an  verschiedenen 
Orten,  bald  als  Gegner  der  gegen  Troja  ziehen- 
den Griechen  auftaucht,  nicht  am  Ende  mit  dem 
altindischen  (^!ushna  zusammenhängen  könnte, 
dessen  Name  an  den  seiuigen  anklingt,      (^^ushna 


ist  uns  als  Gegner  des  Indra  wohlbekannt.  Er 
ist  unverwundbar  wie  Kyknos.  Von  seiner  Tötung 
berichtet  auch  das  früher  erwähnte  Lied  RV  3, 
31  (v.  8),  das  die  Erbeutung  der  in  den  Festen 
oder  der  Feste  (vilu)  befindlichen  Kühe,  der  Mor- 
genröten, durch  die  Weisen  der  Vorzeit  schilderte, 
wobei  auch  Lidra  imd  Saramä  eine  wichtige  Rolle 
spielen.^)  Es  war  dies  eine  jener  Schilderungen 
des  Veda,  die  sieh  als  mythisches  Gegenstück  der 
Trojasage  betrachten  lassen.  Aus  dem  Wolken- 
dämon konnte  bei  den  Griechen  ganz  wohl  ein 
Dämon  der  Flut  oder  ein  Meeresdämon  werden. 
Der  Vergleichung  steht  nur  ein  formelles  Mo- 
ment hindernd  im  Wege.  Der  Name  Cushna  läßt 
sich  eines  Lautes  wegen  nicht  unmittelbar  mit 
Kyknos  gleichs,etzen.  Dem  indischen  sh  kann 
griechisches  k  nach  den  Lautgesetzen  nicht  ent- 
sprechen. Vielleicht  läßt  sich  diese  Schwierigkeit 
durch  die  Annahme  wegräumen,  daß  im  Griechi- 
schen eine  volksetymologische  Anlehnung  des  Na- 
mens an  das  Wort  .kyknos'  der  Schwan  stattge- 
funden haben  möchte.  Der  Schwan  wird  denn 
auch  seit  alters  zur  Erklärung  der  seltsamen 
Sagengestalt  des  Kyknos  herangezogen.*)  Indes- 
sen wollen  wir  die  obwaltende  Schwierigkeit  nicht 
verhüllen  und  stellen  hier  die  Gleichung  zunächst 
nur  als  Frage  auf,  die  zu  weiterer  Diskussion 
anregen  möge.  Vorderhand  darf  die  Identität  von 
K'j/.vi;  und  (,'ushna  jedenfalls  nicht  Ijehauptet  werden. 


Periklymenos  -Vamra. 


Unter  den  Burgen,  die  Herakles  berennt  und 
zerstört,  tritt  Pylos  bedeutsam  hervor,  und  der 
iiervorragende  Held  der  älteren  Form  dieser  Sage 
scheint  Periklymenos  gewesen  zu  sein.  Ihn  kennt 
die  Odyssee  als  den  Bruder  des  Nestor,  das  My- 
thische und  Märchenhafte  seines  Wesens  läßt  sich 
aber  schon  daraus  erkennen,  daß  er  der  Sage  nach 
von  Poseidon,  dem  Stammgotte  der  Neliden,  sei- 
nem Stammvater,  .die  allen  Dämonen  des  Äleeres 
eigentümliche  Gabe  der  Verwandlung  bekommen 
hatte,  so  daß  er  bald  als  Adler,  dann  wieder  als 
Ameise,    als   Biene,   als    Schlange,    als    Löwe   er- 


schien'.^) Dadurch  macht  er  dem  Herakles  viel 
zu  schaffen,  wird  aber  schließlich  von  ihm  unter 
dem  Beistande  der  Athena  in  der  Bienengestalt 
ffetötet.  Nach  andern  soll  ilm  Herakles  erschla- 
sen  haben,  als  er  sich  in  eine  Mücke  verwandelt 
hatte.  Nach  Euphorien  wäre  er  so  wandelbar  wie 
Proteus  gewesen.  Die  gleiche  Eigenschaft  der 
Wandelbarkeit,  der  Fälligkeit,  alle  möglichen  Ge- 
stalten anzunehmen,  scheint  aber  auch  dem  indi- 
schen Dämon  charakteristisch  zu  sein,  dessen 
Burg  Gott  Indra  bricht  und  erobert.  Wir  kennen 
ihn  schon  als  den  dreiköpfigen  Tvashtarsohn  Vii,- 


')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  250.  251. 
«)  Vgl.  Proller,  a.  a.  O.  II  p.  250,  421. 


')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  p.  421.  422. 
5)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  239. 


»)  Vgl.  oben  p.  97. 


Herakles  und  Indra. 


101 


varüpa,  —  der  Xame  Vicvanipa  ,der  AUgestal- 
tige'  aber  besagt  doch  nichts  andres,  als  daß  er 
alle  Gestalten  anzunehmen  fähig  ist.  Als  die  o-e- 
wöhnlichste  Gestalt  dieses  Dämons  ist  uns  die  der 
Schlange  oder  des  Drachen  bekannt,  -n-ir  lernten 
ihn  aber  auch  schon  als  Eber  kennen,  als  Polyp, 
als  Spinne.  Besonders  merkwürdig  erscheint  es 
mir  nun  aber,  daß  er  auch  in  der  deöi  Perikly- 
menos  zugeschriebenen  Gestalt  der  Ameise  auf- 
tritt. Es  handelt  sich  dabei  freilich  nur  um  ein 
paar  und  gerade  etwas  schwierige  Stellen  des 
Yeda,  die  mir  aber  doch  mit  Notwendigkeit  zu 
diesem  Schluß  hinzuführen  scheinen. 

In  demselben  hochwichtigen  Liede  RV  10, 
99,  dessen  6.  Vers  uns  den  bösen  Wolkendämon 
als  dreiköpfigen  Brüller  und  als  Eber  vorführt, 
hören  wir  unmittelbar  vorher  im  5.  Verse.  In- 
dra  habe  des  Vamra  Speise  angegriffen  und  habe 
ihn  zum  Weinen  gebracht,  indem  er  sie  ihm 
rauhte.  Vamra  aber .  heißt  die  Ameise,  und  ich 
zweifle  nicht  daran,  daß  Grassmann  Recht  hat, 
wenn  er  .Ameise'  hier  direkt  für  die  Bezeichnung- 
des  Dämons  ansieht,  der  in  seiner  Höhle  die 
Xahrung  versteckt  hält.M 

Der  Dämon  heißt  hier  Ameise,  wie  er  sonst 
auch  Eber,  Spinnensohn,  am  häufigsten  Schlange 
genannt  wird,  weil  man  ihn  sich  in  solcher  Tier- 
gestalt denkt.  Es  sind  eine  ganze  Reihe  solcher 
Wesen,  die  auch  nebeneinander  erscheinen,  im 
Grunde  aber  sind  es  doch  nur  wechselnde  Ge- 
stalten des  oft  genannten  bösen  Dämons  Vritra, 
den  man  als  Einen  fassen  kann,  der  aber  doch 
auch  wieder  eine  ganze  Gattung  repräsentiert. 

Im  dritten  Verse  unseres  Liedes  heißt  es, 
daß  der  unangreifbare  (Indra)  des  Hunderttorigen 


Besitz  in  seine  Gewalt  bekommen  habe.^)  Viel- 
leicht schwebt  dem  Dichter  bei  diesem  Bilde  einer 
hunderttorigen  Burg  schon  das  Bild  des  Ameisen- 
dämonS  vor,  dessen  feste  Wohnstätte  er  sich  wohl 
in  der  Art  eines  Termitenhaues  mit  vielen  Ein- 
gängen denken  mochte. 

Aber  noch  in  einem  andern  Liede  wird,  wie 
ich  glaube,  der  von  Indra  bekämpfte  und  besiegte 
Dämon  als  , Ameise,'  Vamra,  bezeichnet.  Aller- 
dings handelt  es  sich  wieder  um  eine  schwierige 
Stelle,  die  erst  bei  entsprechender  Korrektur  zu 
diesem  Ausdruck  gebracht  wird.  Ohne  Korrektur 
aber  ist  die  Stelle  einfach  unmöglich,  und  es 
scheint  mir,  daß  der  Zusammenhang  zum  mindesten 
das  Wesentliche  der  von  mir  vermuteten  Ände- 
rung gebieterisch  fordert. 

Es  handelt  sich  um  den  9.  Vers  des  Lie- 
des RV  ],  öl  —  ein  Lied,  das  von  Anfang  bis 
zu  Ende  dem  Preise  des  Indra  und  seiner  Taten 
geweiht  ist.  Nur  im  9.  Verse  erscheint  nach 
dem  Überlieferten  ganz  unerwartet  und  ganz  un- 
verständlich ein  Vamra  als  Held,  der  die  Wälle 
eines  Großen,  Starken  zerschlägt,  um  dann  wieder 
spurlos  zu  verschwinden  und  dem  Preise  des  In- 
dra Platz  zu  machen.  Es  scheint  mir  keinem 
Zweifel  zu  unterliegen,  daß  auch  in  diesem  Verse 
notwendigerweise  nur  Indra  der  Held  sein  kann, 
der  die  Burgwälle  bricht,  und  in  diesem  Sinne 
habe  ich  geglaubt,  den  Vers  ändern  zu  müssen. 
Er  lautet  nun  in  deutscher  Ühersetzung :  ,Des 
Großen,  der  noch  wächst,  zum  Himmel  strebt, 
des  Vamra  Wälle  hat  der  Gepriesene  (Indra)  zer- 
schlagen.'^) Vamra  aber  ist,  wie  wir  wissen,  die 
Ameise,  und  so  erscheint  nun  auch  hier  Gott  Indra 
als  Brecher  der  Burg  eines  Dämons,  der  Ameise 


')  Vgl.  Grassmanng  Übersetzung  des  Eigveda,  Bd.  II  p.  490.  —  Der  Vers  ist  schwierig.  Das  sinnlose  eingeflickte 
manye  ,ich  meine'  und  der  ganz  unverständliche  Dual  mithunä  vivavri  scheinen  mir  für  starke  Verderbtheit  der  Stelle  zu 
zeugen.  Ich  wage  eine  - —  freilich  recht  kühne  —  Verbesserung,  indem  ich  lesen  möchte:  vamrasya  manvamänasj-a  vi- 
vavri  ännam  abhityärodayan  mushäyän  ,des  sich  dünkenden  (d.  h.  hochmütigen)  Vamra  (der  Ameise)  aus  der  Hohle  ge- 
brachte (der  Hülle  beraubte,  aufgedeckte)  .Speise  angreifend  brachte  er  ihn  zum  Weinen,  indem  er  sie  raubte'.  —  Daß 
mänyamänasya  diese  Bedeutung,  ohne  weitere  Qualifikation,  haben  kann,  scheint  mir  RV  10,  8,  'J  klar  zu  beweisen,  neben 
2,  11,  2;  3,  32,  4;  6,  19,  12.  Das  sinnlose  Paar  fällt  weg  und  vivavri  erhält  einen  guten  Sinn  als  Beiwort  der  Speise,  die 
der  Gott  aus  dem  Versteck  hervorholt,  in  welchem  der  Dämon  sie  geborgen  hatte.  Das  Wort  vavri  heißt  .Versteck,  Hülle', 
daher  kann   vivarri  gut  ,des  Verstecks,   der  Hülle  beraubt'  bedeuten. 

')  Es  ist  nicht  von  wesentlicher  Bedeutung,  ob  man  (jatadurasya  vedo  wiedergibt  als  den  , Besitz  des  Hunderttorigen', 
d.  h.  des  Dämons,  der  eine  Behausung  mit  hundert  Toren  innehat,  —  oder  als  den  ,Schatz  der  hunderttorigen  Veste',  wie 
Grassmann  übersetzt.  Über  die  Cirnadevas,  welche  bei  dieser  Gelegenheit  von  Indra  getötet  werden  —  unheilige  Phallus- 
diener,  wie  ich  glaube  —  handeln  wir  im  nächsten  Abschnitt. 

')  Statt  stäväno  vamrö  lese  icb  stavän  vamräsj'a.  Ich  setze  damit  jene  eigentümliche  Kurzform  stavän  ein,  welche 
für  staväna  —  resp.  auch  andre  Kasus  dieser  Partizipi.albildung  (vgl.  Pischel,  Ved.  Studien  I  p.  44)  —  sicher  nachgewiesen 
ist.  Man  vergleiche  die  Stellen  RV  2,  19,  5;  2,  20,  5;  H,  24,  8.  An  allen  drei  Stellen  finden  wir  diese  Form,  stets  von  Indra  ge- 
braucht und  von  Säyana  durch  stüyamäna  ,der  Gepriesene',  eigentlich  ,der  gepriesen  Werdende'  ganz  zutreffend  wieder- 
gegeben. Die  abweichenden  Erklärungsversuche  des  Petersburger  Wörterbuchs  und  Grassmanns  .lind  entschieden  verfehlt. 
Das  dreimal  sicher  von  Indra  gebrauchte  stavän  werden  wir  wohl  auch  ein  viertes  Mal  bei  ihm  .ansetzen  dürfen.  Geschieht 
das  aber  in  unserer  Stelle,  dann  gewinnen  wir  die  Möglichkeit,  vamrö  in  vamräsya  zu  ändern  und  damit  den  passendsten 

3* 


102 


IV.  Abhandlung:  Leopold  v.  Schroedee. 


heißt  und  offenbar  in  Ameisengestalt  gedacht 
wurde.  Diese  Heldentat  reiht  sich  um  so  hesser 
in  die  andern  Heldentaten  Indras  ein,  als  dieselbe 
iu  dem  zuerst  besprochenen  Liede  RV  10,  99  eine 
vollkommene  Analogie  hat.') 

Noch  einmal  ist  in  einem  Indraliede  von 
Ameisen  die  Rede,  und  zwar  diesmal  von  weib- 
lichen (RV  4,  19,  9).  Das  Lied  feiert  die  be- 
kannten Taten  des  Indra,  den  Vritrakanipf,  die 
Befreiung  der  Ströme,  —  dann  heißt  es  weiter: 
,Deu  von  den  weiblichen  Ameisen  (vamribhih)  an- 
gefressenen Sohn  der  Jungfrau,  hast  Du,  o  Herr 
der  Falben,  aus  dem  Versteck  herausgeholt;  der 
Blinde  sali,  die  Schlange  erfassend,  der  Topfzer- 
hrecher  kam  heraus;  es  fügten  sich  die  Gelenke 
zusammen.' 

Von  der  Heilung  eines  Blinden  und  Lahmen 
durch  Indra  ist  in  ähnhchem  Zusammenhang  noch 
ein  paarmal  die  Rede  (RV  2,  15,  7;  2,  13,  12); 
von  den  Ameisen  aber  hören  wir  da  nichts,  nur 
einmal  vom  Versteck  der  Mädchen  (2,  15,  7). 
"Wir  wollen  es  dahingestellt  sein  lassen,  wer  der 
Befreite,  der  Blinde,  Lahme,  Angefressene  sein 
soll,  ob  vielleicht  die  Sonne  darunter  zu  verstehen 
ist,  die  Indra  aus  der  Gewalt  des  Dämons  rettet, 
oder  etwas  andres.  Soviel  aber  scheint  mir  be- 
stimmt aus  dem  Zusammenhange  hervorzugehen, 
daß  weibliche  Ameisen  in  dem  Versteck  hausen, 
den  Indra  erbricht.  Es  liegt  nichts  näher,  als 
auch  hier  die  Burg  des  Dämons  als  Termitenhau, 
den  Dämon  als  Ameise,  als  Vamra,  sich  zu  denken, 
wo  dann  seine  Weiber  oder  Mädchen  die  weibli- 
chen Ameisen  wären,  die  den  Gefangenen  benagen.^) 


Das  Bild  des  indischen  Wolkendämons  als 
Ameise  im  Termitenbau  scheint  mir  nach  alledem 
einigermaßen  gesichert,  —  neben  dem  viel  häufi- 
geren Bilde  der  Schlange,  neben  dem  Bilde  des 
Ebers,  des  Polypen,  des  Spinnensohnes,  und  der 
ins  allgemeinere  gehenden  Behauptung  seiner  AU- 
e-estaltiskeit.  Man  wird  kaum  bestreiten  können, 
daß  die  griechische  Vorstellung  von  dem  in  seiner 
Burg  IMos  hausenden,  alle  möglichen  Gestalten 
—  auch  die  der  Schlange  und  Ameise  —  anneh- 
menden Periklymenos,  den  Herakles  bezwingt, 
mit  diesen  indischen  Vorstellungen  einigermaßen 
verwandt  ist,  denen  sich  die  Gestalt  des  Indra  als 
des  großen  Besiegers  verbindet. 

Die  mythische  Bedeutung  der  Burg  Pylos, 
die  Periklymenos  verteidigt,  tritt  aber  dadurch 
noch  stärker  hervor,  daß  sie  in  der  Sage  mit  je- 
nem andern  Pylos,  im  Totenreich,  dem  Tor  des 
Hades,  zusammenschmilzt,  von  welchem  schon 
Homer  zu  erzählen  weiß,  daß  Herakles  dort 
kämpfend  den  Hades  verwundet  habe.^)  Und  wenn 
wir  uns  erinnern,  wie  gern  der  Eingang  ins  Toten- 
reich  im  äußersten  Westen,  im  Lande  des  Sonnen- 
untergangs gesucht  wird,  dann  fällt  uns  zugleich 
ein,  daß  Herakles  dort  auch  die  Äpfel  der  He- 
speriden,  dort  die  Rinder  des  Geryones  gewonnen, 
dort  seine  Säulen  aufgerichtet  hat.  Über  den 
Okeanos  schifft  er  dorthin,  und  über  den  indischen 
Okeanos,  die  Rasa,  muß  Saramä  hinübersetzen, 
um  zu  den  Panis  zu  gelangen.  Sind  die  Trojaner 
tatsächlich  mit  diesen  identisch,  dann  muß  auch 
Ilios-Troja  ursprünglich  dort  gedacht  sein.  Der 
Sonnenheld  kämpft  im  Sonnenuntergangslande. 


Sinn  für  unseren  Vers,  der  nun  aufs  beste  in  das  Lied  hineinpaßt.  —  Ich  glaube,  daß  sich  auch  die  Entstehung  der  Kor- 
ruptel  gut  begreifen  läßt.  Für  die  immerhin  ungewöhnliche,  seltene  Kurzform  stavän  wurde  zunächst  stävano  gesetzt. 
Dieser  Nomina°tiv  aber  hatte  die  Angleichung  des  folgenden  Wortes,  die  Änderung  von  vamräsya  in  vamrö  zur  Folge,  das 
man  fälschlich  mit  stävAuo  verband.  Die  Änderung  ist  um  so  mehr  begreiflidi,  als  dadurch  eine  überschüssig  gewordene 
Silbe  beseitigt  und  der  Vers  richtig  gemacht  wurde. 

1)  Wenn  die  Burgwälle  des  Ameisendämons  an  der  vorliegenden  Stelle  RV  1,  51,  9  mit  dem  sonst  nicht  vorkom- 
menden Ausdruck  san.idihah  bezeichnet  werden,  von  der  Wurzel  dih  c.  sam  =  zusammenschmieren,  zusammenkleben,  dann 
dürfte  dies  gerade  für  die  Vorstellung  eines  großen  Termitenbaues  besonders  passend  erscheinen. 

')  Das  Wort  vamrä  findet  sich  in  dem  appellativeu  Sinn  .Ameise'  RV  8,  91,  22  vor,  neben  upajihvika,  das  die  weib- 
liche Ameise  bedeuten   soll,   eigentlich  , Zünglein'.     Als   Eigenname   eines  Mannes,   dem   die   A^vinen   helfen,   begegnet   es 

KV  1,   112,   15. 

»)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  239.  240.     Homer,  llias  5,  395—397  (iv  kj'/m.  h  v3/.j;3c;i  an  der  Pforte  im  Totenland,). 


Herakles  und  Indkä. 


103 


Phallische  Wesen  oder  Phallusverehrer. 

(Qignadeva-Kerkopen.) 


lu  dem  Liede  RV  10,  'J9  wird  erzählt,  daß 
Indra  bei  Bezwingung  'der  liunderttorigen  Veste 
die  f,'i9nadevas  tötete.  Dies  Wort,  das  Nir.  4,  19 
durcli  ,iinkeuscli,  buhlerisch'  erklärt  wird,')  will 
das  Petersburger  Wörterbuch  eher  von  Dämonen 
oder  falschen  Göttern  verstanden  wissen,  und 
Grass; mann  übersetzt  es  auch  dementsprechend 
durcli  , Schwanzgötter'  oder  , geschwänzte  Dämo- 
nen'. Die  beiden  Teile  des  Kompositums  sind 
ganz  deutlich:  fifna  , Schwanz',  meist  vom  männ- 
lichen Gliede  gebraucht,  und  deva  ,Gott'.  Es  drängt 
sich  also  die  Vorstellung  phallischer  Dämonen  auf, 
die  Gott  Indra  bei  Verrichtung  seiner  Heldentat 
umbringt.  Der  Akzent  des  Wortes  fifnädeva 
siiricht  indessen  eher  dafür,  daß  wir  es  hier  mit 
einem  Bahuvrihi-Kompositum  zu  tun  haben.  So 
liat  es  auch  Garbe  gefaßt  und  auf  Phallusverehrer 
gedeutet.^)  So  übersetzte  vorher  schon  Ludwig 
das  Wort  an  den  beiden  Stellen  des  Rigveda,  an 
denen  es  überhaupt  vorkommt  (RV  7,  21,  5;  10, 
99,  3).  Beide  Auffassungen  sind  möglich.  Die 
Form  spricht  mehr  für  Garbe-Ludwig,  der  Zu- 
sammenhang der  beiden  Stellen,  wie  mir  scheint, 
mehr  für  Roth-Grassmann  (ohne  daß  die  andre 
ausgeschlossen  wäre).  An  der  schoii  behandelten 
Stelle  RV  10,  99,  3  erscheinen  die  f'i^nadevas  als 
Gee'ner,  die  Indra  bei  Eroberung  der  mvthischen 
hunderttorigen  Veste  tötet.  Es  kann  sich  da  nur 
um  Dämonen,  nicht  etwa  um  Menschen  handeln. 
Die  Dämonen  aber  werden  wir  uns  eher  als  phal- 
lische Buhlgeister  denken,  wie  der  Atharvaveda 
sie  kennt  und  zu  den  Gandharven  rechnet,  denn 
als  Anhänger  eines  Phallusdienstes.  Doch  ist  auch 
das  letztere  denkbar.  Es  könnten  perhorreszierte 
menschliche  Phallusverehrer  in  die  dämoni- 
sche Sphäre    erhoben,    zu  einer  Art  von  Teufeln 


geworden  sein.  Auch  die  andere  Stelle  ist  in 
dieser  Beziehung  nicht  absolut  entscheidend.  Es 
ist  RV  7,  21,  5  von  Hexen  und  Dämonen  und 
allerlei  ,wechselndem'  —  wohl  die  Gestalt  wech- 
selndem —  Gesindel  die  Rede,  vor  welchem  Gott 
Indra  seine  Verehrer  schützen  soll.  Dann  heißt 
es  weiter:  , Nicht  sollen  die  (^'i^-nadevas  sich  zu 
unserem  Opfer  nahen!'  Auch  hier  wären,  wie  man 
leicht  sieht,  phallische  Dämonen  sehr  passend, 
ohne  daß  dem  Frommen  ärgerliche  Phallusverehrer 
geradezu  ausgeschlossen  wären. 

Diese  Vorstellungen  werden  vielleicht  noch 
durch  einen  andern  Dämonennamen  des  Veda 
ergänzt,  respektive  bestätigt.  In  dem  letzten 
Verse  des  Indraliedes  RV  1,  29  wird  der  Gott 
angerufen:  , Erschlage  jeden  Parikroja,  zermalme 
den  Krikadäfu!'  Der  erste  dieser  Namen,  die  of- 
fenbar böse  Dämonen  oder  sonst  dem  Indra  feind- 
liche Wesen  bezeichnen,  bedeutet  soviel  wie  ,der 
ringsherum  schreiende  oder  schmähende'.  Was 
aber  bedeutet  krikadafu?  Der  Schlußteil  dieses 
Kompositums  ist  offenbar  von  der  Wurzel  däf, 
, verehren'  abgeleitet  und  heißt  soviel  wie  ,ver- 
ehrend'.^)  Schwieriger  ist  es  über  den  ersten  Teil, 
das  Wort  krika,  zu  urteilen.  Im  Veda  kommt 
dasselbe  als  selbständiges  Wort  nicht  vor,  ist  auch 
aus  der  späteren  Sprache  nur  einmal,  inid  zwar 
in  der  Bedeutung  , Kehlkopf  im  Petersburger 
Wörterbuche  verzeiclmet  (H.  587).  Damit  ist  für 
den  vedischen  Xamen  schwerlich  etwas  anzufan- 
gen. Vielleicht  aber  gibt  uns  in  diesem  Falle  die 
Vergleichung  einen  brauchbaren  Fingerzeig.  Das 
Wort  krika  ließe  sich  mit  dem  griechischen  y.spxsc 
zusammenstellen,  v.ip/.oq  aber  bedeutet  Schwanz 
des  Tieres,  Sterz,  auch  -6c{>t;  =  männlichos  Glied.*) 
Dürfen     wir     diese     Bedeutung     für    krika     an- 


•)  Nir.  4,  19  erklärt  (;.iijnadevälj  durch  .abrahniiicaryüh;  es  ist  eine  Erl.Uiiteninrf  der  Stelle  KV  7,  21,  ü. 

-)  Eigentlich  also  .den  Schwauz  zum  Gotte  habend'.  —  Vgl.  K.Garbe,  Das  Akzentuationssystem  des  altindischen 
Nominalkompositums,  Ztschr.  f.  vgl.  Sprachforschung-  N.  F.  III  p.  498. 

')  Vgl.  das  vedische  Wort  adäc^u  , nicht  verehrend',  d.  h.  den  Göttern  nicht  huldigend,  gottlos;  nali  verwandt  ist  das 
gleichbedeutende  adäijuri  und  ädä<;väms;  vgl.  auch  däijuri  und  dä(jüadhvara. 

■■)  y.ip/.oi  bedeutet  nach  Hesychius  auch  ,Halin'  oder  , Feldmaus'.  Die  Bedeutung  llahu  wird  durch  mehrere  verwandte 
Sprachen  l)estätigt,  durch  avestische.s  kalirka,  irisches  cerc,  aucli  wohl  altindisches  krikaväku  .Hahn.'  Oh  und  wie  dieses 
Wort  mit  dem  gleichlautenden  Worte  für  ,Schvvanz'  zusammenhängt,  darf  hier  unerörtert  bleiben.  — 

Das  Petersburger  Wörterbuch  vermutet,  vedisches  krikadäiju  könnte  ursprünglich  identisch  sein  mit  kiikaläsa  .Eidechse, 
Chamäleon',  das  im  Yajurveda,  im  §atap.  Brähniana  und  in  der  späteren  Literatur  vorkommt.  Die  Identität  beider  Worte 
halte  ich  schon  aus  lautlichen  Gründen  für  ausgeschlossen.    Sehr  möglich  aber  scheint  es  mir,  daß  auch  in  kfikaläsa  jenes 


104 


IV.  Abhandlung:  Leopold  v.  Scheoedee. 


nehmen,    dann   würde  krkadafü  .Pliallusverehrei- 
bedeuten. 

Mit  dem  genannten  griechischen  Worte  dürfte 
aber  aucli  der  Name  der  seltsamen  Kerkopen 
zusammenhängen,  die  von  Herakles  bekäni])ft  und 
erschlagen  werden,  wie  die  Cifnadevas  und  Krika- 
däfu  von  Indra.  Die  Kerkopen  gelten  als  ein 
betrügerischer,  verschmitzter  Menschenschlag  der 
griecliischcn  Fabelzeit.  Herakles  soll  bei  Ephesos 
und  in  Lydien  Kerkopen  erschlagen  haben.  Nach 
andern  hätte  er  sie  auch  in  seinem  Gefolge  ge- 
habt. Es  sind  Schelme  und  Vagabunden,  die  den 
Herakles  gelegentlich  bestehlen,  ihn  aber  auch 
durch  ihr  drolliges  Wesen  zum  Lachen  bringen, 
so  daß  er  sie  mit  Humor  behandelt.  Später  wer- 
den überhaupt  schlaue,  mutwillige  oder  grobe 
Menschen  als  Kerkopen  bezeichnet.  Auch  trägt 
eine  langschwänzige  Affenart  diesen  Namen,  und 
mau    erzählte    sich    auf    den  Pithekusen    von    der 


Verwandluug  der  Kerkopen  in  Affen.  Die  Ab- 
leitung von  dem  Worte  kerkos  , Schwanz'  ist  da- 
durch so  nahegelegt  wie  irgend  möglich.  Die 
Kerkopen  sind  , Geschwänzte,'  wie  schon  Preller 
bemerkt,  ,geschwänzte  Dämonen,  etwa  Silene'.^) 
Wir  dürfen  sie  als  phallische  freche  Wesen  der 
Fabelzeit  betrachten;  ebendarum  werden  später 
mutwillige  und  geile  Menschen  ebenso  bezeichnet. 
Schwieriger  wäre  es,  sie  als  Phallusverehrer  zu 
erweisen,  obwohl  der  Abstand  vom  phallischen 
Wesen  zum  Phallusdienst  nicht  gerade  ein  weiter 
sein  dürfte. 

Soviel  aber  scheint  mir  auf  jeden  Fall  klar 
zu  sein:  Wenn  Iiidra  die  Cicnadevas  und  den 
Krikadafu  bekämpft  und  erschlägt,  Herakles  die 
Kerkopen,  dann  werden  damit  diesen  beiden  Hel- 
den nahe  verwandte  Abenteuer  zugeschrieben. 
Und  somit  wäre  auch  hier  wiederum  ein  weiterer 
Vergleicbungspuukt  gewonnen. 


Herakles  und  Omphale. 


Das  Käthakam  erzählt  eine  seltsame  Ge- 
schichte von  Indra.  Er  soll  sich  einstmals  in  die 
Dämoueufrau  Vilisteng;i  verliebt  haben.  Lifolge- 
dessen  begab  er  sich  unter  die  Asuras,  d.  h.  die 
Dämonen,  und  war  dort  ,Weib  unter  Weiliern, 
Mann  unter  Männern'.  Da  merkte  er,  daß  das 
Verderben  ihn  ergriff,  aber  es  gelang  ihm  noch 
glücklich,  sich  herauszuhelfen.") 

Diese  Geschichte  klingt  an  die  bekannte  Er- 
zählung von  Herakles   und  Omphale  an,    wo  der 


Held  als  Magd  und  in  der  Kleidung  einer  solchen 
Weiberarbeit  tut.  am  Rocken  spinnt.  Wolle  krem- 
pelt u.  dgl.  m.  Allerdings  wird  hier  auch  von 
einem  Austausch  der  Attribute  und  der  Kleidung 
zwischen  Herakles  und  Omphale  erzählt.^)  Es 
liest  somit  ein  merkwürdiger  Anklang  vor.  ohne 
daß  diese  Sagen  sich  unmittelbar  identifizieren 
ließen.  Ich  will  daher  nur  diesen  Hinweis  getan 
haben,  ohne  auf  die  Sache  weiter  viel  Gewicht 
zu  legen. 


Orientalische  Elemente  der  Heraklessage. 


Wir  sind  durcii  die  vorausgehende  Betrach- 
tung zu  dem  Ergebnis  gelangt,  daß  der  Grund- 
stock und  die  große  Masse  der  Mythen  und  Sa- 
gen v(im  Herakles  sich  mit  entsprechenden  Lidra- 
mythen  decken,  und  zwar  in  einer  Form,  die  un- 
zweifelhaft auf  Verwandtschaft,  nicht  etwa  auf 
eine  Entlehnung   von  Lidien    her    in    historischer 


Zeit  deutet.  Dadurch  wird  die  früher  verbreitete 
Annahme  einer  großen  Menge  orientalischer  Ele- 
mente in  der  Heraklessage  an  vielen  Punkten  er- 
heblich eingeschränkt,  und  es  stellt  sich  der  we- 
sentliche Inhalt  derselben  durchaus  als  altarisch 
dar.  Dazu  stimmt  auch  das  hohe  Alter  von  Sage 
und  Kult    des  Herakles   in  Hellas,  die  gleich  ge- 


Wort krika  =  griechisch  xepzo;  ,Scliw.anz'  tlriii  stecken  dürfte.  Eideciise  und  Chamäleon  wären  dann  als  .geschwänztes  Tier' 
bezeichnet,  was  durchaus  p.assend  erscheint.  Hier  würde  krika  den  Scliwanz  des  Tieres  bedeuten,  in  krikadäc;u  das  niätmliche 
Glied,  wie  ja  aucli  griechisch  zEpzo;  beide  Bedeutungen  in  sich  vereinigt. 

')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  230.  231.     Passows   Lex.  s.  v.  Kspzwi,  -wtioc. 

-)  Kath.  13,  5  indro  vai  vilisteiigäip  dänavim  akämayata,  so  a  sureshv  acarat  stry  eva  stiishv  abhavat  ]nimäu  punisu; 
sa  nirritignhita  ivämanyata  sa  etam  aindränäirritan.i  vipumeaUaui  apai,yat  etc.   Vgl.  a\ieh  Macdonell  a.  a.  O.  p.  57. 

»)  Vgl.  Treller,  a.  a.  O.  II  p.  226  f. 


Herakles  und  Indka. 


105 


■\valtigem  Urgestein  iu  die  historische  Zeit  hinein- 
ragen und  sj)äterhin,  wo  die  Bei-üliruiig  mit  dem 
Ausland  starker  wird,  eher  zurücktreten  als  sich 
stärker  geltend  machen.  Mit  alledem  soll  aber 
durchaus  nicht  gesagt  sein,  daß  die  Heraklessage 
nicht  tatsächlich  auch  fremdländische  orientalische 
Elemente  enthält,  sondern  nur,  daß  man  Umfang 
und  Bedeutung  derselben  früher  überschätzt  hat. 
Bei  der  Neigung  der  Griechen,  fremdländische 
Sagen  und  Kulte  den  eigenen  zu  assimilieren, 
war  dies  sogar  geradezu  unvermeidlich,  zumal  bei 
einer  so  gewaltig  hervortretenden  Heroeugestalt, 
von  der  so  viel  und  so  gern  gefabelt  wurde.  Es 
ist  hier  nicht  meine  Aufgabe,  den  orientalischen 
Elementen  der  Heraklessage  im  einzelnen  nach- 
zugehen, vielmehr  werden  ein  paar  allgemeine  An- 
deutungen genügen  müssen. 

Es  lag  nahe,  daß  gerade  bei  den  weiten  Fahr- 
ten, die  man  Herakles  machen  ließ,  Fremdländi- 
sches leicht  an  die  alte  Sage  sich  angliedern 
konnte,  —  Sagenelemente  jener  Länder,  durcli 
welche  man  den  Helden  reisen  ließ.  So  ist  die 
unnötig  weit  und  kompliziert  angelegte  Reise  des 
Herakles  zu  dem  Garten  der  Hesperiden  zweifel- 
los mit  Elementen  dieser  Art  durchsetzt.  Der 
Kampf,  den  der  Held  in  Libyen  mit  dem  Riesen 
Antaeos  besteht,  scheint  auf  einem  alten  libyschen 
Märchen  zu  beruhen  und  wurde  trotzdem  zu  einer 
der  beliebtosten  Episoden  der  griechischen  He- 
raklesdichtung.') Unzweifelhaft  ägyptisch  ist  das 
Abenteuer  des  Helden  mit  dem  Busiris,  in  wel- 
chem man  längst  den  ägyptischen  Gott  Osiris  mit 
vorgesetztem  Artikel  erkannt  hat.  Die  Fabeln 
vom  indischen  Herakles,  die  hier  anzuknüpfen 
pflegen,  sind  ebenso  unzweifelhaft  indischen  Ur- 
sprungs. Der  indische  Herakles  soll  nach  Hesy- 
chius  den  Namen  Dorsauas  getragen  haben,  und 
es  kann  kaum  bezweifelt  werden,  daß  wir  in  ihm 
den  gefeierten  Helden  Krishna,  den  Sonnengott 
und  Sonnenhelden  Krishna-Vishnu  wieder  zu  er- 
kennen haben.^)  Diese  Identifizierung  war  um  so 
eher  möglich,  als  lierakles,  wie  wir  gesehen  ha- 
ben, den  Charakter  als  alter  Gewitterriese  längst 
so  g-ut  wie  ffanz  verloren  hatte  und  im  wesentlichen 
Sonnenheld  geworden  war.  Der  Keulenträger  Vishnu- 
Krishna,  der  so  viele  Heldentaten  vollführt,  erschien 
den  Griechen    als    eine   Form  ihres  Herakles. 

Vielleicht  ist  auch  die  Sage  von  Herakles 
und  Omphale  ähnlich  zu  beui-teilen,  d.  h.  orientali- 


schen Ursprungs,  beeinflußt  durch  die  Erzählungen 
von  dem  lydisch-assyrischen  Herakles  Sandes  oder 
Sandon,  der  auch  mit  Sardanapal  in  Zusammen- 
hang gebracht  wird.^)  Wir  haben  bei  Indra  nur 
eine  fragliche  Parallele  aufweisen  können.  Li- 
dessen wird  man  hier  wohl  im  Auge  halten  müs- 
sen, daß  gerade  der  in  dieser  Sage  so  charakteristische 
Geschlechtswechsel  in  der  Kleidung  eigentümliche 
Parallelen  in  gewissen  Erntebräuchen  europäischer 
Arier  findet  und  ist  es  nicht  durchaus  notwendig, 
mit  Preller  dabei  an  gewisse  Gebräuche  des  asia- 
tischen Apliroditedienstes  zu  denken.  So  möchte  ich 
denn  diese  Frage  zunächst  noch  in  suspenso  lassen. 
Nicht  unmöglich  erscheint  es,  ja  einigermaßen 
wahrscheinlich,  daß  die  Selbstverbrennung  des 
Herakles  auf  dem  Oeta  durch  orientalische,  assy- 
rische oder  phönikische  Vorbilder  beeinflußt  sein 
dürfte.*)  In  Tarsos  soll  alljährlich  die  Selbst- 
verbrennung des  assyrischen  Herakles  gefeiert 
worden  sein  durch  Errichtung  und  Verbrennung 
eines  Scheiterhaufens  mit  seinem  Bilde,  ,ein  Fest 
der  Wiederkehr  und  Auferstehung  der  Sonne 
aus  dem  Tode  und  der  Finsternis  des  Winters, 
welches  vermutlich  auch  in  dem  alten  Sardes  be- 
2'ausren  wurde'. ^)  Eine  ähnliclie  Feier  scheint  die 
Pyra  zu  Hierapolis  am  Frühlingsanfang  gewesen 
zu  sein.  Der  phönikische  Herakles  (Melkart),  der 
mit  dem  assyrischen  nahe  verwandt  war  und  vor- 
nehmlich in  Tyros  verehrt  wurde,  hatte  sein  Fest 
der  Auferweckung  um  die  Zeit  des  kürzesten 
Tages,  und  auch  dieses  wurde  mit  einer  Pyra, 
einem  großen  Feuer  oder  Scheiterhaufen,  began- 
gen.^) Es  liegt  auf  der  Hand,  daß  es  sich  hier 
um  alte  Sonnenfeste,  Feste  der  Sonnenerneuerung 
handelt.  Dafür  sprechen  schon  die  Termine  der- 
selben, wie  auch  der  weitverbreitete  Glaube  an 
eine  alljährliche  Erneuerung  der  Sonne,  der  sich 
bei  vielen  Naturvölkern  findet,  aber  auch  den 
alten  Ariern  nicht  gefehlt  hat.  Mit  Recht  hat 
schon  Preller  diese  vorderasiatischen,  wesentlich 
semitischen  Pyrafeste  unsern  Weihnachts-,  Oster= 
und  Johannisfeuern  verglichen.  Die  einen  wie 
die  andern  sind  unzweifelhaft  uralte  Sonnenfeuer- 
feste, die  gewiß  weder  die  Arier  von  den  Semi- 
ten, noch  die  Semiten  von  den  Ariern  entlehnt 
haben.  Sie  gehören  zu  jener  primitiven  Schicht 
religiöser  oder  magisch-kultlicher  Bräuche,  die 
sich  ebenso  wie  Steinbeile  und  Feuer.steinpfeilspitzen 
über  den  größten  Teil   der  Erde  verbreitet  linden. 


')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  i>.  '217  f. 

')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  166. 

')  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  166.  167. 


3)  Vgl.  Preller,  a.  a.  ().  II  p.  ilO.  ->20. 
*)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  166—168. 
'•■)  Vgl.  Preller,  a.  a.  O.  II  p.  167. 


106 


IV.  Abhaxdluxg  :  Leopold  v.  Scheoedee. 


Wenn  ich  es  derauacli  für  wahrscheinlich 
halte,  daß  in  diesem  Punkte  die  griechische  Hera- 
klessage vom  Orient  her.  durch  die  erwähnten 
Vorbilder,  beeinflußt  sein  möchte,  so  fühle  ich  mich 
zu  dieser  Annahme  durch  den  Umstand  bewogen, 
daß  Herakles  meines  Erachtens  von  Hause  aus 
kein  Sonnengott,  sondern  vielmehr  ein  Gewitter- 
riese war,  wie  Indra  und  wie  der  nordische  Thorr. 
Bei  diesen  gab  es  keine  Selbstverbrennung  und 
konnte  auch  keine  geben.  Um  einen  altarischen 
Heraklesmythus  kann  es  sich  daher,  wie  ich 
glaube,  in  diesem  Falle  nicht  handeln.  Wir  sahen 
aber  andrerseits  deutlich  genug,  wie  der  große 
Gewitterriese  als  Helfer  und  Erretter  der  Sonne 
in  Griechenland  mehr  und  mehr  zum  Sonnen- 
helden wird,  ein  Charakter,  der  sich  bei  ihm  aus 
dem  Grunde  immer  ausschließlicher  ausprägt, 
weil  ihm  auf  griechischem  Boden  jene  Entwick- 
lung zum  großen  Gewittergotte  versagt  bleibt,  die 
Indra  und  Thorr  bei  Indern  und  Germanen  er- 
leben durfte.  Die  große  Gestalt  des  Gewitterers 
Zeus   stand  ihm  im  Wege.     Je  mehr  aber  Hera- 


kles speziell  als  Sonnenheld  empfunden  wurde, 
um  so  leichter  konnte  er  mit  eigentlichen  Sonnen- 
göttern konfundiert  werden.  So  auch  mit  jenen 
des  semitischen  Vorderasiens,  von  denen  wir  soeben 
geredet,  deren  Selbstverbrennung  und  darauf  fol- 
gende glorreiche  Erneuerung  die  Feste  mit  der 
Pyra  zur  Zeit  der  Sonnenwende  oder  zu  Anfang 
des  Frühlings  feierten.  Diese  Feste  waren  an 
sich  nicht  etwas,  was  niciit  auch  bei  den  Ariern 
seine  Analogie  gefunden  hätte,  nur  die  Verschmel- 
zung ilires  Helden  mit  dem  Herakles  der  Grie- 
chen möchte  icli  für  eine  jüngere  Entwicklung 
halten,  die  erst  durch  die  Berührung  von  Orient 
und  Okzident  eintrat. 

So  mag  noch  manches  andre  Element  der 
griechischen  Heraklessage  orientalischen,  respek- 
tive semitischen  Ursprungs  sein,  die  große  Gestalt 
des  riesischen  Helden  und  Gottes,  wie  auch  die 
überwiegende  Mehrzahl  der  von  ihm  erzählten 
Mythen  und  Sagen,  sind  dennocli  unzweifelhaft 
urarischen  Ursprungs. 


Herakles  und  Indra. 


107 


Schlußbetrachtung, 


Zum  Schluß  doch  uoch  ein  paar  Worte  von 
der  Naturbedeutung  der  Kämpfe  und  Heldentaten, 
die  uns  von  Herakles,  Indra  und  Thorr  herichtet 
werden. 

Bei  Indra  tritt  dieselbe  am  deutlichsten  her- 
A'or.  Licht  und  Wasser,  Sonne  und  Regen  ge- 
winnt er  durch  seine  siegreichen  Kämpfe,  der 
Welt,  den  Menschen,  den  Ariern  insbesondere. 
Immer  wieder  schleudert  er  den  Donnerkeil,  seinen 
A'ajra.  Das  kann  nur  ein  Gewittergott  tun.  Aber 
er  löst  auch  —  das  scheint  doch  deutlich  — 
winterlich  gefesselte,  d.  i.  gefrorene  Flüsse  aus 
ihrem  Bann  und  erscheint  somit  als  befreiender 
Frühlingsgott.  Er  gewinnt  ebenso  gewiß  im  Hel- 
denkampfe den  himmlischen  Soma,  den  köstlichen 
Rauschtrank,  der  —  wie  wir  durch  Hillebrandt 
wissen  —  eins  .  ist  mit  dem  Monde,  dem  unauf- 
liörlich  neu  sich  füllenden  Lichtgefäß  droben  in 
den  himmlischen  Höhen.  Lichtstrahlen  und  Wasser- 
ströme, diese  beiden  Hauptfaktoren,  die.  die  Vege- 
tation wachsen  und  dadurch  alles  Leben  auf  Er- 
den gedeihen  lassen.  —  auch  das  tierische,  das 
von  dem  jjflanzlichen  abhängt  — ,  sie  werden  beide 
im  Bilde  von  Kühen,  rötlichen  Rinderherden  ge- 
dacht, die  der  göttliche  Held  erbeutet,  dämoni- 
schen Feinden  abgewinnt.  Schimmernde  Kühe, 
deren  Euter  reichlich  Milch  gibt  —  der  Haupt- 
besitz des  Ariers,  Stolz  und  Freude  des  vedischen 
luders  — ,  sie  waren  wohl  dazu  geeignet,  das 
Doppelhild  für  Licht  und  Wasser,  die  Leben  und 
Fruchtbarkeit  weckenden  Segensmächte  abzu- 
srebeu.    Doch  wo  2,-ewinnt  der  Held  diese  Kühe? 

Kein  Zweifel,  daß  er  im  Gewittersturm,  wenn 
der  Donnerkeil  fällt,  den  Regen,  die  himmlischen 
Flüsse  erbeutet,  —  den  himmlischen  Met,  nach 
dem  allein  die  Pflanzenwelt,  die^  ausgetrocknete 
Erde  dürstet.  Daß  damit  zugleich  auch  die  Sonne 
wieder  erscheint,  wie  neu  erbeutet,  kann  mau 
sich  allenfalls  noch  gefallen  lassen,  obwohl  ihre 
kurze  Verdunkelung  und  Entrückung  durch  Ge- 
witterwolken wohl  von  keinem  Menschen  und 
Volk  als  schwerer  Verlust  und  gefährliches  Übel 
empfunden  wird.  Sichtlich  neu  wird  nach  ur- 
altem Glauben  vieler  Völker,  und  so  auch  der 
Arier,  die  Sonne  im  Frühling  gewonnen,  ja 
neu  erzeugt,  —  das  siegende  Licht,  die  junge 
Sonne,  die  bald  ihr  Hochzeitsfest  feiern  soll.  Und 
wenn  dann  Strom  und  Bäche  vom  Eise  befreit 
sind,  wenn  es  —  insbesondre  in  nördlicheren  Ge- 

Denkscliiiften  der  phil.-hist.  Kl.  58.  lU.  4.  Abh. 


genden,  der  alten  Heimat  der  Arier  —  zur  Zeit 
der  Schneeschmelze  überall  rieselt  und  fließt,  dann 
ist  offenbar  auch  die  andre  große  Lebensmacht, 
das  Wasser,'  neu  gewonnen,  neu  belebt.  Weniger 
deutlich  ist  es,  waruni  der  Gewittergott  solches 
Werk  vollbracht  haben  soll,  der  keineswegs  er- 
sichtlich den  Frühling  bringt.  Richten  wir  end- 
lich den  Blick  auf  den  Wandel  des  Mondes,  in 
dem  neuere  Theorien  alle  die  altberühmten  Dra- 
chenkämpfe wieder  entdeckt,  wieder  erschaut  zu 
haben  glauben,  als  Kämpfe  des  Lichtmondes  mit 
dem  Dunkelmonde,  dann  fällt  es  in  die  Augen, 
daß  hier  ein  ganz  passender  Stall  jener  mythischen 
Rinder  sich  bietet,  die  zugleich  als  Lichtstrahlen 
und  als  Wasserwogen  sich  darstellen.  Denn  wir 
wissen  ja  jetzt,  daß  nach  altem  Glauben  der 
Mond  nicht  nur  Lichterscheinung,  sondern  zu- 
gleich Behälter  eines  wunderbaren  himmlischen 
Tranks,  ja  Herr  über  alles  himmlische  Naß, 
Herr  und  Urquell  der  Wolken  und  des  Regens 
ist.  Das  Bild  der  himmlischen  Kühe,  die  Licht 
und  Wasser  zugleich  sind,  versteht  man  am  besten, 
wenn  man  an  den  Mond  denkt,  der  zugleich  Licht 
und  Wasser  von  sich  ausgehen  läßt,  Wolkenwasser, 
die  aus  dem  wunderbar  leuchtenden  Gefäß  des 
himmlischen  Soma  hervorquellen.  Aber  hier  er- 
scheint wieder  •  aus  andern  Gründen  nicht  alles 
ausreichend.  Sonne,  Sonnenlicht,  Morgenröte,  die 
Indra  zweifellos  gewinnt,  kann  er  nicht  im  Monde 
erbeuten:  nur  das  Mondlicht,  —  also  ein  andres, 
wenn  auch  mildes  und  schönes,  doch  für  Leben 
und  Fruchtbarkeit  nicht  ebenso  wichtiges  Licht. 
Ebensowenig  gewahren  wir  in  den  langsam  sich 
entwickelnden  Mondphasen  etwas  von  der  gewalti- 
gen dramatischen  Aktion,  die  uns  die  Lieder  von 
Indra  vorführend  Auch  der  Sonnenaufgang,  wenn 
auch  rascher  sich  vollziehend  und  gewiß  als  ein 
Sieg  des  Lichts  über  die  Finsternis  sich  dar- 
stellend, kann  sich  an  dramatischer  Kraft  mit 
dem  Gewittervorgang  nicht  messen,  ganz  abgesehen 
davon,  daß  bei  ihm  doch  nur  von  Gewinnung 
der  Sonne,  der  JMorgenröte  sich  reden  läßt;  nicht 
zugleich  von  Erbeutung  der  lebenschaffenden 
Wasser,  denn  Tau  und  Nebel  wäre  wiederum  un- 
zureichend als  renlos  Substrat  jener  mythischen 
Wasser. 

In  dunklem  Hintergrunde  mögen  noch  ältere 
Mythen  stehen,  die  sich  den  Himmel  als  steinerne 
Wölbung    dachten,    wo  der  Gott  erst  durch  Zer- 


108 


IV.  Abhandlung:  Leopold  v.   Scheoeder. 


trümmeni  des  steiuerueu  Himmels  die  Wasser  uud 
das  Licht  gewann.^) 

Überall  fehlt  etwas,  nirgends  will  alles  in  den 
Naturvorgängen  ganz  zu  den  mythischen  Bildern 
stimmen,  die  uns  die  vedischen  Lieder,  die  Mythen 
und  Sagen  von  ludra  vorführen. 

Die  Mondraythologen,  die  für  andre  Vor- 
ffänsre  in  der  Natur  ungefähr  ebenso  blind  sind 
wie  eine  frühere  Generation  von  Sonnenmytholo- 
gen  und  Gewittermythologen  für  die  bedeutsamen 
Erscheinungen,  die  der  Wandel  des  Mondlichtes 
dem  Betrachter  darbietet,  —  die  Mondmythologen 
halten  diese  letzteren  Erscheinungen  für  den  Aus- 
gangspunkt aller  jener  Mythen  und  geben  höchstens 
eine  spätere  Übertragung  auf  Sonne  und  Morgen- 
röte zu.  Das  mag  in  einzelnen  Fällen  zutreffend 
sein.  Aber  ich  kann  mich  durchaus  nicht  davon 
überzeugen,  daß  die  so  kraftvoll  ausgeprägten, 
dramatisch  geschilderten  Kämpfe  des  Indra  mit 
seinen  dämonischen  Gegnern  sich  befriedigend 
erklären,  wenn  man  den  stumm  dahinwandelnden 
Mond  mit  seinem  geräuschlos  und  langsam  sich 
vollziehenden  Phasenwechsel  als  das  vollwertige 
natürliche  Substrat  derselben  ansieht.  Damit  aber 
will  ich  auch  nicht  der  alten  Anschauung  das 
Wort  reden,  die  in  Indras  Gegnern  immer  nur  Wol- 
kendämone,  in  Wolkenburgen  verschanzt,  er- 
blicken wollte. 

Gerade  der  Umstand,  daß  keine  der  er- 
wähnten Naturerscheinungen  zur  Erklärung  der 
Mythen  ganz  ausreicht,  jede  aber  wiederum  eini- 
germaßen zu  passen  scheint  und  bei  einiger  Ge- 
waltsamkeit für  die  Deutung  benützt  werden  kann, 
so  daß  wir  einerseits  zu  viel  Möglichkeiten  der 
Deutung  und  doch  andrerseits  keine  allseitig  be- 
friedigende Deutung  gewinnen,  scheint  mir  auf 
eine  andre  Art  der  Erklärung  hinzuführen. 

Kämjjfe  mancher  Art  beobachteten  unsere 
Vorfahren  in  der  Natur.  Der  gewaltigste  Kampf, 
das  gewaltigste  Drama  schien  sich  im  Gewitter 
abzuspielen.  Der  Regenguß  war  sein  wohltätiger 
Abschluß,  dem  das  Wiedererscheinen  der  Sonne 
folgte.  Aber  auch  Licht  und  Finsternis  rangen 
miteinander,  Tag  und  Nacht,  sommerliche  Wärme 
mit  winterlicher  Kälte  und  Erstarrung,  —  Leben 
und  Tod.  Im  Frühling  gab  es  einen  gewaltigen 
Sieg  der  Mächte  des  Lichts  und  des  Lebens  über 
ihre  bösen  Gegner. 

Sinnende  Gemüter,  Philosophen  und  Dichter 
der  Urzeit  aber  mocliten  wohl    in    der  Stille  der 


Nacht  den  Mond  beobachten,  den  stillen,  sich 
immer  wiederholenden  Kampf  des  Lichten  mit 
dem  Dunkeln;  sie  mochten  die  Tage  und  Nächte 
zählen  und  von  dem  immer  erneuten  Raube  und 
der  AViedergewinnung  des  himmlischen  Lichts  und 
des  himmlischen  Rauschtranks  fabeln.  Vom  Monde 
ausgehend  und  von  ihm  abhängig  dachte  man 
sich  die  Wasser  des  Himmels,  die  Wolken,  und 
diese  strömten  infolge  des  Gewitterkampfes  be- 
fruchtend  zur  Erde.     Ln  Frühlino-   aber   e^ab    es 

o  o 

wieder  eine  große  Neugewiunung  des  Lichtes 
und  Wassers,  der  Sonne  und  der  vom  winter- 
lichen Frost  gebannten,  gefi-orenen  Flüsse  und 
Bäche. 

Von  alledem  mociite  viel  geredet  und  ge- 
fabelt werden;  aus  alledem  mochte  schließlich  eine 
ganze  Reihe  von  Erzählungen  sich  entwickeln, 
von  einem  großen  und  starken  riesischen  oder 
göttlichen  Helden,  der  immer  wieder  und  wieder, 
zu  Nutz  uud  Frommen  der  Menschen,  die  bösen 
Mächte  der  Finsternis,  der  Dürre,  der  Kälte  und 
des  Frostes  siegreich  bekämpfte  und  Licht,  Him- 
melslicht, Sonne,  Morgenröte,  die  befruchtenden 
Wasser  wieder  gewann  und  den  Menschen  schenkte, 
nachdem  er  sie  aus  der  Gewalt  der  verschiedensten 
dämonischen  Gegner  befreit. 

Die  verschiedenen  Naturerscheinungen,  mit- 
einander verschmolzen,  mochten  wohl  die  Grund- 
lage eines  großen  Erzählungszyklus  bilden  von 
jenem  wunderbaren  streitbaren  Helden,  der  bei 
den  Lidern  dann  den  Namen  Indra  trug  und  in 
immer  neuem  Kampfe  Licht  und  Wasser  eroberte. 
LTnd  alle  jene  Erscheinungen  der  Natur  steuerten 
in  ihrer  Weise  zu  dem  großen  Zyklus  der 
Heldentaten  bei,  jede  mit  den  für  sie  cha- 
rakteristischen Zügen.  Der  Gewitterkampf  bot 
das  eindrucksvollste  Drama,  mit  dunklen,  phan- 
tastisch sich  aufbauenden  Burgen  (den  Wetter- 
wolken), mit  Getöse  und  Gebrüll  der  Kämpfenden, 
mit  Donnerkeilschleudern  und  dem  Niederrinnen 
der  befreiten  befruchtenden  Wasser.  Der  Kampf 
von  Tag  und  Nacht  bot  die  rötlichen  Kühe  der 
Morgenwolken,  bot  Morgenröte  und  junge  Sonne, 
die  dann  wiederum  mit  erhöhter  Bedeutung  im 
Frühlingsanfang,  der  mit  Jahresanfang  zusammen- 
fiel, als  die  neugeborene  junge  Sonne,  die  IMorgen- 
röte  des  jungen  Jahres  sich  darstellte.  Nun  aber 
gedacht  als  neu  gewonnen  und  glücklich  befreit 
aus  den  schlimmen  Fesseln  und  Banden  der  win- 
terlichen Mächte  des  Dunkels  und  der  Kälte,  die 


')  Vgl.  die  wertvolle  Abhandlung  von  H.  Reichelt,  Der  steinerne  Himmel,  Indogermanische  Forschungen,  Bd.  XXXII, 
Heft  1  und  2,  S.  23—57  (Jahrgang  1913). 


Herakles  und  I:^dka. 


109 


gleichzeitig  auch  gezwungen  wurden,  die  von 
ihnen  gefangenen,  durcli  Frost  gebannten  und  ge- 
fesselten Wasser  wieder  frei  zu  gehen.  Das  Drama 
des  Kampfes  von  Lichtmond  und  Dunkelmond 
aber  steuerte  außer  der  organischen  Verbindung 
von  Himmelslicht  und  Himmelswasser  auch  noch 
den  rechten  himmlischen  Rauschtrank  bei,  der  im 
Monde  gedacht  ward  und  den  sich  der  Gott  dort 
erbeuten  mochte,  als  würdigen,  sein  Herz  erfreuen- 
den Trank,  da  die  Regenwasser  wohl  der  Erde 
und  den  Pflanzen,  doch  kaum  dem  streitbaren 
Helden  behagen  konnten.  Das  Monddrama  steuerte 
weiter  jene  mannigfachen  Zahlenreihen  l)ei,  die 
aus  seiner  Beohachtung  gewonnen  und  in  man- 
cherlei Form  in  der  Erzählung  verwertet  wurden, 
—  ein  Hauptbeweis  dafür,  daß  tatsächUch  der 
Mond  und  seine  Phasen  eine  so  grundlegend 
wichtige  Rolle  in  der  Entstehung  und  Entwick- 
lung des  Mythus  gespielt  hahen. 

Je  mehr  nun  aher  im  Laufe  der  Zeit  die 
einzelnen  Züge  aus  den  verschiedenen  Gebieten 
der  Natur  und  der  in  ihr  beobachteten  Kampf- 
vorsäne-e  miteinander  verschmolzen,  je  mehr  sie 
zu  einer  Einheit  zusammenwuchsen,  um  so  mehr 
mußten  sie  sich  von  ihrer  natürlichen  Grundlage 
entfernen,  denn  in  solcher  Weise  vereinigt,  fand 
sich  das  nirgends  in  der  Natur.  Freies  Spiel  der 
dichterischen  Phantasie  tat  wohl  auch  noch  das 
Seinige  hinzu,  und  das  Ergebnis  war  endlich  ein 
großer  Zyklus  von  mehr  oder  weniger  dramati- 
schen Erzählungen,  die  in  allen  möghchen  Zügen 


auf  die  Naturvorgänge  hindeuteten,  aus  ihnen  er- 
wachsen und  aufgebaut  waren,  die  aber  in  toto 
doch  nirgends  in  der  Natur  sich  entsprechend 
finden  ließen,  —  so  wenig  man  Ilias  und  Odyssee 
in  der  Natur  wiederfinden  kann,  wenn  es  auch 
wahrscheinlich  genug  ist,  daß  auch  das  Gerüst 
dieser  großen  Epen,  zum  mindesten  wichtige  Be- 
standteile derselben  auf  alte  Naturmythen  zurück- 
gehen und  aus  solchen  in  langer  und  folgenreicher 
Entwicklung  erwachsen  sind,  —  neugeboren  aus 
dem  Geiste  begnadeter  Dichter. 

Es  kann  wohl  keinem  Zweifel  unterliegen, 
daß  die  Mythen  und  Sagen  von  Herakles  sich 
bedeutend  mehr  noch  von  den  zugrunde  liegen- 
den Naturvorgängen  entfernt  und  von  ihnen  frei 
gemacht,  sich  über  sie  erhoben  haben,  als  dies 
bei  Indra  der  Fall  ist.  Thorr  dürfte  in  dieser 
Beziehung  zwischen  Lidra  und  Herakles  stehen. 
Auf  jeden  Fall  sind  die  Naturvorgänge  bei  Indra 
noch  viel  deutlicher  erkennbar  als  bei  den  beiden 
andern  Göttern,  daher  bei  der  Vergleichung  von 
ihm  ein  sehr  wertvolles  Licht  ausgeht. 

Diese  hier  als  Schlußhetrachtung  gebotenen 
Gedanken  können  nicht  mehr  sein  als  eine  Au- 
die  weiter  verfolgt  werden  sollte.  Im 
zufrieden,  wenn  es  mir  gelungen 
ist,  durch  die  vorausgehenden  Vergleichungen 
den  Leser  davou  zu  überzeugen,  daß  Indra  und 
Herakles  zweifellos  zusammengehören,  urver- 
wandte Göttergestalten  sind,  die  nicht  voneinan- 
der getrennt  werden  können. 


regung, 
ührigen  bin  ich 


4* 


INHALT. 


Seite 

Vorbemerkung 3 

Herakles 5 

Verhältnis  des  Herakles  zu  Hera 5 

Verhältnis  des  Herakles  zu  Athene,  Hermes,  Apollon 6 

Persönliche  Züge 14 

Indra  und  Vishnu 20 

Die  Taten  des  Herakles 23 

Die  Arbeiten  im  Dienste  des  Eurystheus.     Der  nemeische  Löwe 26 

Die  lernäische  Hydra        32 

Der  erymanthische  Eber  und  die  Kentaurenschlacht  au£  der  Pholoe 39 

Der  Augeiasstall  und  die  Wasserleitung 48 

Geryones  und  seine  Rinder 57 

Die  Apfel  der  Hesperiden  und  Atlas 67 


Kerberos 85 

Herakles  und  Troja 91 

Kyknos-^ushna 100 

Periklymenos-Vamra 100 

Phallische  Wesen  oder  Phallusverehrer  (Qi(?nadeva-Kerkopen) 103 

Herakles  und  Omphale 104 

Orientalische  Elemente  der  Heraklessage 104 

Schlußbetrachtung 107 


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1^2  Vienna.     Philo sophisch- 

A5  Historische  Klasse 
Bd.  58  Denkschriften  |  j2_ 


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