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PURCHASED BY THE TRUSTEES
OF THE
BRAITHWAITE-BATTY FUND.
r
■m. . «'«
WALD- UND FELDKÜLTE.
VON
WILHELM MANNHARDT.
Erster Teil.
DER BAÜMKÜI.TÜ8 DER GERMANEN UND IHRER NACHBARSTÄMME.
BERLIN, 1875.
GEBRUDER BORNTRAEGER
BD. EGOBBS.
DER BAÜMKULTUS
DER
GEEMANEN UND IHßEß NACHBAESTÄMME.
MYTHOLOGISCHE UNTERSUCHUNGEN
VON
WILHELM MANNHARDT.
BERLIN, 1875.
GEBRÜDER BORNTRAEGER
ED. EGGEBB.
» «
KARL MÜLLENHOFF
ALS ZEICHEN DER UEBE UND DANKBARKEIT
ZUGEEIGNET.
Vorwort
Das vorliegende Buch , welchem demnächBt ein zweiter Band
\/ „griechische und römische Agrarkulte ans nordeuropäischen Ueber-
lieferungen erläutert" folgen wird, beginnt die Veröffentlichung
einer Reihe von Vorarbeiten, die sich dem Verfasser als erforder-
lich ergeben hatten, um zur Klarheit und Sicherheit über das
Fachwerk zu gelangen, in welches die einzelnen Stücke der von
ihm unternommenen „Sammlung der Acker gebrauche" einzuordnen
seien. Es ist hier der Versuch gemacht worden , die wichtigsten
Sagen, Frühlings- und Sommergebräuche, welche zu den Emte-
gebräuchen in unverkennbarer Analogie stehen, einzig und allein
aus sich selbst heraus einer methodischen Untersuchung auf
ihren Inhalt und dessen Bedeutung zu unterwerfen, soweit es
der Hauptsache nach auf Grund des in der Literatur vorhande-
nen Materiales schon jetzt geschehen konnte. Doch sind ^
vielen Orten bisher ungedruckte Ueberlieferungen eingestreut.
In größerem Umfange ist dies bei Gelegenheit des Emtemai
geschehen; die rheinländischen Sitten und die zu Kuhns Auf-
zeichnungen hinzugekommenen westfälischen verdanke ich schrift-
lichen Mittheilungen, so auch alle übrigen, dagegen sind die
S. 203 ff. verzeichneten französischen einer größeren Sammlung
entnommen, welche mir im Jahre 1870 persönlich aus der Unter-
haltung mit Kriegsgefangenen zu schöpfen vergönnt war. Den
mannigfachen neuen Stoff, welchen ich in dem Abschnitte über
die schwedischen Waldgeister verwenden konnte, schulde ich
vm Vorwori
dem gütigen and liebreichen Entgegenkommen der Herren
D. D. Hildebrand (Vater und Sohn) in Stockholm , Propst E. Rietz
in Tygelsjö bei Malmö (inzwischen verstorben), und Baron Djurklou
auf Sörby bei Orebro, welche bei meinem ersten Aufenthalt in
Schweden im Herbste 1867 mir die im Besitze des Reichsanti-
quariums, des Schonischen Altertumsvereins und ihrer selbst
befindlichen handschriftlichen Aufzeichnungen von Volksttberlie-
ferungen mit außerordentlicher Liberalität zugänglich machten
und deren Benutzung erleichterten. Meinem verehrten Freunde
Professor H. Weiß, Custos des Kupferstichkabinets in Berlin, bin
ich für den Nachweis mehrerer der auf S. 339 — 340 erwähnten
Kunstwerke, den Vorständen und Beamten der königlichen und
Universitätsbibliothek zu Berlin für freundlichen, unermüdlichen
Beistand verpflichtet. Vor allem aber fühle ich mich gedrungen,
dem hohen Unterrichtsministerium meinen ehrerbietigsten Dank
für die fortgesetzte hochgeneigte Förderung und Unterstützung
meiner Bestrebungen auszusprechen. Eine eingehendere Erörte-
rung über die Grundsätze, das Rüstzeug und die Methode, sowie
über die allgemeinen Ergebnisse meiner Arbeit wird den zweiten
Band einleiten, der durch treffende Belege die Wahrheit der
aufgestellten Sätze zu bestärken Gelegenheit giebt. Im übrigen
bilden die in diesem Bande vereinigten Untersuchungen ein abge-
schlossenes Ganzes für sich. Mögen sie sich Freunde erwerben
und als ein nicht unbrauchbarer Beitrag zur Lösung der großen
Aufgaben erfunden werden, welche der Kulturgeschichte heut-
zutage im Zusammenwirken der Wissenschaften zugefallen sind.
Dan zig, den 13. October 1874.
Wilhelm Hannhardt.
Inhalt.
Onmdaiisehaiiniigr. Aus der Beobachtang des Wachstums schloß der
Urmensch auf Wescnsgleichheit zwischen sich und der Pflanze; er maß ihr
eine der seinigen ähnliche Seele bei. Auf dieser Grundvorstellung beruht
der Baumkultus nordeuropäischer Völker S. 1 —4.
Ersteg Kapitel.
Die Baumseele.
§ 1. • Gleichsetz ung des Menschen und der Pflanze, Verschiedcfie Formet^
dieses Glatibens S. 5.
§ 2. Mensch und Baum, Gleichniß im Hävamdl S. 6.
§ 3. Änthropogonischer Mythus von Äskr und Etiibla S. 7.
§ 4. Der Baum als Person behandelt S. 9.
§ 5. Die HolundermuUer, die Eschen fr au mid i/ire Sippe» Verehrung des
Baumgeistes , dem das Vermögen zu schaden beigemessen wird , durch
Opfer und Gebet S. 10. Vgl. S. 615.
§ 6. Niederlitauische Baumgeister. Verbot des Bauroschälens ; zwischen
Stamm und Rinde sitzende Geister schaden den Haustieren S. 12.
§ 7. Baum, Menschefdeib und Krankheitsdänwnen. Die unter der Borke
weilenden Insekten mit den wurmgestaltigen Erankheitsgeistem (Eiben,
bösen Dingern, Holdichen) identifiziert,^ führen zu dem Volksglauben,
daß der Baum Krankheiten entsenden, oder entfernen (zurückrufen)
1) Vgl. auch noch den franz. Aberglauben: daa Haar eines verwundt^ten
Menschen, oder Tiers unter die Binde einer Zitterespe gesteckt, macht die Wür-
mer aus der Wunde herausfallen, oder sterben. Thiers bei Liebrecht, Gerva-
sius S. 2d8, 227.
X Inhalt.
köDne S. 12—16. Hierans entspringende sympathetische Euren, um
den Erankheitsgeist in den Baum oder Wald zurfickzubannen S. 16 —
22. Sproßform , Verpflockung der Maus in den Baum S. 23. Hiebei
ist der Baum selbst mit dem Menschenleibe in Parallelismus gedacht
S. 25.
§ 8. Strafe für Baumschäler nach dem Grundsatz Auge um Auge» Zahn
um Zahn setzt den Glauben an Persönlichkeit des Baumes voraus
S. 26. Vgl. S. 603. Historische Zeugnisse für die Ausübung des
Brauchs als religiöse Handlung S. 28 — 31.
§ 9. Miteinanderwucha des Baumes und des Menschenleibes, Eranke mit
Leibessch&den verknüpfen ihr Leben auf mystische Weise mit einem
Baume , indem sie durch einen Spalt desselben kriechen S. 32.
§ 10. Verletzte Bäume bluten. Die Beseelung des Baumes gedeiht bis zur
Annahme menschlicher Eörperllchkeit unter der Binde. Die magische
Wechselwirkung mit dem Menschen spricht sich in dem Glauben aus,
daß der Baumschädiger sich selbst die gleiche Wunde beibringe, wie
dem Baume S. 34— 38.
§ 11. Freibäume y die nicht gehauen werden durften, von einem Geiste
beseelt S. 38.
§ 12. Baum zeitweilige Hülle einer abgeschiedenen Seele. Die Vorstellung
von der Baumseele kleidet sich auch in die Gestalt, daß Bäume aus
dem Leichnam Todter hervorsprießen, oder daß die Seelen Verstor-
bener im Baume verkörpert sind, oder im Baume Wohnung haben
und zeitweilig außerhalb desselben im Winde umfahren S. 39 — 44.
§13. Baum, Aufenthalt des Hausgeistes, Abart der zuletztgenannten Vor-
stellung S. 44.
§ 14. BAu/ni, Schuizgeist oder Sitz des Schutzgeistes. Der ideale Doppel-
gänger, der Genius einer Menschenseele oder der Seele eines ganzen
Geschlechtes mit der Seele eines bestimmten Baumes identifiziert
S.44.
§ 14*. Baum = Lebensbaum. Brautleute sehen das Abbild ihrer Person,
ihres Lebens in einem grünen Baume; ein solcher wird ihnen aufs
oder vors Haus gesetzt S. 45 — 48.
§ 14*». Fortreisende verknüpfen ihr Leben mit einem Baume S. 48—49.
§ 14^ Schicksals' und Geburtsbaum von Einzelnen und Familien S. 49 — 51.
§ 14"*. Värdträd, der vom Schutzgeist bewohnte Schicksalsbaum hinter dem
Hofe in Schweden, Dänemark, den Alpen S. 51 — 54.
«
§ 15. Der Weltbaum Yggdrasil! aus dem Värdträd entstanden S. 54—- 58.
§ 16. Erläuternde Begegnisse aus dem täglichen Leben S 58 — 59.
§ 17. Boträ. Der Baum am Hause , beziehungsweise dessen Wurzel statt
des einen Schutzgeistes von vielen Hauskobdlden , Elfen , Hollen u. s. w.
Inhalt XI
bewohnt Der altprenfiische Puschkaitis S. 59 — 60. Baumzweige
nachte des Elfenkönigs Soldaten. [Das GöttergeschoB , ösa gescot in
der Banm und Mensch gleichstellenden Sagenfarailie vom Axthieb
der wilden Jäger, Hexen n. s. w. S. 66 — 67.] Estnische Sage vom
Baumelf als Beherrscher der Baumgeister S. 68. Baumclfen als Diebe
S. 68. Die Baumnymphe tritt, mit ihrem Leben an den Baum geknüpft,
aus demselben zeitweise heraus und lebt mit Menschen in Ehegemein-
schaft S. 69.
§ 18. Chronologische Zeugnisse S. 70—71.
Zweites Kapitel.
■ Die Waldgeister und ihre Sippe.
§ 1. lieber sieht. Aus der Mehrheit der Baumgeister entstehen als ihre
collective Repräsentanten die Waldgeister; freiwaltende Persönlich-
keiten, deren Leben jedoch an das Schicksal der Bäume gebunden
ist, äußern sie ihr Dasein im Winde, erweitem sich zu Dämonen der
Vegetation. Baummänner im Hävamal S. 72.
§ 2. HcHZ' und Moosfrätüein. Gestalt; geben Verbote aus Trieb der Selbst-
erhaltung S. 74 — 76. Ihre Garnknäuel S. 76. Wirksamkeit im gesamm-
ten Wachstum. Opfer f&r sie bei der Flachs - , Heu - , Korn - Obsternte
S. 76 — 79. Verbindung mit Menschen. Hilfe bei der Erntearbeit.
Haussegen S. 79 — 80. Entfernen als Wachstumsgeister Krankheit
S. 81 — 82. Fabren im Winde vom wilden Jäger verfolgt. Drei
Kreuze in die Bäume gehauen S. 82 — 86.
§ 3. WilcUetUe in Böhmen S. 86.
§ 4. Wildleute in Hessen y Eheinland, Baden S. 87—88.
§ 5. Die Wüdleute in Tirols Fanggen. Kiesige Waldgeister, an das
Leben des Waldes geknüpft, fahren im Wirbelwinde, werden Haus-
geister, Sage vom Tode der Hochrinde S. 88 — 92.
§ 6. Wildleute in Graubünden j Waldf&nken, gehen in Zwerge (Fenggen)
und Hauskobolde über S. 93 — 94 (Scitenstück zur Polyphemsage
S. 94 — 95), hüten die Kühe in den Alpen, werden durch Wein
berauscht und gefangen S. 96 — 99.
■
§ 7. Wüdleute in Tirol. Selige Fräulein in Tirol , Wilde Frauen in Salz-
burg, eine andere Form der Tiroler Waldgeister in Berg- und Feld-
geister übergehend. Wobnen in Berggrotten. Gemsen ihr Getier.
Verlockender Gesang S. 102. Ihre Garnknäuel und sonstigen Geschenke.
Dienen als Hausgeister. Ehe mit Menschen S. 104. Spuren ehemaliger
Geltung als Baumgeister. S. 104. Ihr Gatte der riesige wilde Mann,
der sie im Sturme verfolgt S. 105. 106. Heilkundig S. 106. Kinder-
raub. Lange Brüste S. 108.
§ 8. Wüdleute. Die rauhe Else der Wolfdietrichssage S. 108—110.
XII Inhalt.
§ 9. Wüde Leute. Norggen, d. h. zwerghafte Wildmannl sagen die Wit-
terung voraus 8. 110—112.
§10. Wilde Leide. Bümon, Salvadegh, Salvanel in Wälschtirol; gente
salvatica um Mantua den Faunen ähnlich S. 112 — 114.
§11. Wilde Leute. Pilostis, Schrat, Schrätlein S. 114—115.
§ 12. Wüdleute, DeUe Vivane, Enguane in Wälschtirol S. 115.
§ 13. Wilde Leute der keltischen Sage S. 117.
§14. Dames vertes in Frankreich S. 117 — 120.
§ 15. Wildfrauen in Steiermark. Hohl wie ein Baumstamm S. 120.
§ 16. St. Walpurgü S. 121.
§17. Weiße Weiber, Ellepiger, Meerfrauen in Niederdentschland und Däne-
mark. Beziehungen zur Pflanzenwelt. Vom wilden Jäger gejagt.
Hohler Rücken S. 122 — 126.
§ 18. Die schwedischen Waldgeister. Skongmann (Hulte) und Skogsnufva.
Wirbelwind ihr Element Kuhschwanz, lang^ Brüste, hohler Bücken
S. 127 — 128. Lachen. Irreleiten S. 129. Opfer auf einem Steine
S. 130. Skogsfru Herrin der Waldtiere und der Jagd S. 131 - 132.
(vgl. S. 615.) Liebschaft und Ehe mit Menschen S. 133—136. Von
König Oden verfolgt S. 137 — 138.
§19. Die russischen Waldgeister, Ljeschje sind oft bocksgestaltig. Ihre
Größe dem Pflanzenwuchs gleich S. 138 (vgl. S. 610 Anm. 2.); haben
ein Auge; walten in Orkan und Wirbelwind S. 139 ff. ; leiten den
Wanderer irre S. 140. Behüten die Heerde, Opfer für sie auf einem
Baumstumpf S. 141. Zauberspruch, sie herbeizurufen S. 141. Machen
Kohlen zu Gold S. 142 vgl. S. 616. Hochzeit im Wirbelwind. Kin-
derraub S. 143.
§20. Peruanische und brasilianische Waldgeister den nordeuropäischen
ähnlich S. 143 — 145.
§21. Bückblicke imd Ergebnisse. Waldgeister, Verschmelzung von Baum-
geistem und Windgeistern S. 145 — 146. Ihre Gestalt S. 146. Ihr
Zusammenhang mit der Baum weit S. 147 — 149. Ihre Lebensäußerung
in Wind und Wetter S. 149- -153. Geschlechtliche Verbindung mit
Menschen S. 152 — 153. Raub von Kindern und Wöchnerinnen S. 153.
Uebergang in Hausgeister S. 153, in Feldgeister S. 154.
Drittes Kapitel.
Die Baumseele als Vegetationsdämon.
§ 1. Genius des Wachstums. Die Baumseele, der Doppelgänger und
Schützer menschlichen Lebens, wird in Gebr|luchen zum allgemeinen
Vegetationsgeist und geht in eine Personification der schönen Jahres-
zeit über S. 154.
Inhalt. xm
§ 2. BaufMeele, Wciehstumsgeiat =» Somtner in den Lataregebräuchen
S. 155 — 157.
§ 3. Mussische Tfingstgcbräuche. Als Mensch aasgekleidete Birke verehrt,
ans dem Walde geholt S. 157 — 159.
§ 4. Mittsommersta-ßge in Schweden S. 159 — 160.
§ 5. Maibawn. Feierliche Einholung des Maibamns aus dem Walde, Auf-
pflanzung auf oder vor Stall und Haus fSr Tiere und Menschen
S. 161— 163; Maienßtecken fär das geliebte Mädchen S. 163 — 165,
f&r die Autorit&ten der Gemeinde 166 — 167; für das gesammte Dorf
(Stadtteil u. s. w.). Großer Maibaum mit Bändern und Eßwaaren
geschmückt; erklettert 168 — 170. Bemerkenswerte Formen des Brau-
ches. Maibanm mit 3 Aehren zu Lucca S. 171, mit Darstellung der
Passion in Oberbaiem S. 172. Eronenbaum und Kreuzbaum der Wen-
den 173 — 174. Die Qaestenberger Eiche S. 175. Die ursprüngliche
Gestalt des Maibaums S. 176 — 177. Maibaum im Maifeuer oder Johan-
nisfeuer verbrannt S. 17 7 — 180. Erläuterung der vorstehenden Bräuche.
Maibaum = Sommer S. 181, Lebensbaum, Sohutzgeist, alter ego der
Tiere, geliebten Mädchen, der Gemeinde S. 182-186; seine Verbren-
nung, Darstellung des Durchgangs der Vegetation durch die Sommer-
wärme S. 186 — 187. Die Dorf linde oder Burglinde» ersetzt den Mai-
baum S. 187 — 190.
§ 6. Emteimai. Auf dem letzten Erntewagen wird ein Maibaum aufge-
steckt und auf das Scheunendach befestigt S. 190—194. Der Harkel-
mai in Westfalen S. 194—199. Der Erntemai im Rheinland S. 199 —
202; in Elsaß und Lothringen S. 202 — 203; in Frankreich S. 203—
208. Zusammengehörigkeit des Maibaums und des Erntemais [drei
Aehren im Emtebraach] S. 208 — 211. Deutung der gemeinsamen
Züge S. 212 — 221. Maibaum anthropopatisch S. 212 ist die personifizierte
Wachstumskraft S. 213 ; daher mit Wasser begossen als Begenzauber
S. 214 — 216; daher Beziehung zum weiblichen Geschlecht S. 216 und
Aufpflanzung auf ein Jahr an Haus, Stall, Scheuer S. 217 — 218.
§ 7. Ricktmai. Lebensbaum der Bewohner des neaerbauten Hauses S. 218 —
221.
§ 8. Brautvhaie. Lebensbaum der neugegründeten Familie S. 221 — 223.
§ 9. Christbhck xn/nd Weihnachtsbaum. Junge Bäume Weihnachten ins
Getreide gesteckt S. 224, oder mit Getreide beschüttet und ins Feuer
1) Auf älter(;n Gemälden sieht man häufig «Utten im Burghof einen einzigen
Baam stehen, der offenbar eine symbolische Bedeutung hatte. Statt vieler Bei-
spiele erwähne ich den „ridderlyk Hof van Hollaecken in Brabantia illustrata
und ein Aquarell von Hans Bol a. d. J. 1589.*'
XIV Inhalt.
gelegt S. 225 ; Banmzweige, Baumklötze im Weihnachtsfener ver-
brannt haben Zanberwirkung für Menschen, Tiere, Pflanzen S. 226 —
230. Nächstliegende Deutung dieser Bräuche aus christlicher Symbo-
lik. Christus = Gerte Aarons, Wurzel Aarons, Weizen auf Marien -
Acker. Auf letzterem Bilde beruhende Sitten und Sagen S. 230 — 231.
Die Empfängnis durch Aehren auf dem Mantel der Madonna darge-
stellt S. 231—232. Vgl. S. 616. Christus der himmlische Weizen in
weiteren kirchlichen Sitten und Yolksgebräuchen S. 232—235. Christ-
block «: virga e radice Jesse? S. 235. Diese christlichen Deutungen
lösen nicht alle Zöge; der Christblock mit dem Maibaum verwandt
S. 236—237, ist christlich umgedeutet S. 238. Ebenso Verhaltes sich
mit dem Weihnachtsbaum. Derselbe ist erst seit einem Jahrhundert
allmählich verbreitet S. 238 — 241; ging möglicherweise aus demPara-
diesesbaum hervor S. 242 — 243 [Versinnlichung des „de fructu" in
der Kirche S. 243]. Doch ist ebensowenig Uebereinstimmung mit dem
Mai bäum zu verkennen. Maibäume mit Kerzen, Wepelrot, Somnier-
umtragung zur Weihnachtszeit machen den Maibaum als Figur des
Mittwinterfestes und seine Umdeutung in christlichem Sinne wahr-
scheinlich S. 243 ^ 249. Er bedeutet den Lebensbaum der idealen
Menschheit S. 250. Gesetz derartiger Umdeutungen S. 250. Umdeu-
tung des Maibaums in das Kreuz, der Wodansjagd in die Jagd des
Engels Gabriel S. 250—251.
§ 10. Der Schlcuf mit der Lehensrute. Menschen, Tiere, Pflanzen zu gewis-
sen Zeiten mit einem grünen Zweige (resp. Stock) geschlagen, um
gesund, kräftig^ fruchtbar zu werden S. 251; zu Lichtmesse und Fast-
nacht (Pudeln) S. 252— 256; am Palmsonntag 256— 257, zu Ostern
(Schmackostern) S. 258, auf Maitag S. 264; zu Weihnachten (Frische-
grünstreichen, fitzeln, pfeffern) 265 — 268. Flöhausklappen S. 268.
Hudlerlauf S. 269. Menschen und Tiere gepeitscht S. 269—270. Tiere
(Kälberquieken) S. 270 — 275; Bäume und Pflanzen, Krautköpfe, die
letzte Garbe geschlagen S. 275 — 278. Erläuterungen. Die schlagende
Rute (Lebensrute) soll Saft , Wachstumskraft mitteilen , die Geister der
Krankheit und des Mißwachses aus dem Körper vertreiben S. 278 — 281.
Dem ersten Anschein nach sind diese Sitten voA Palmsonntag ausge-
gangen S. 281. Die Palmweihe S. 282— 294. Auf den Palmbüschel
sind in Griechenland nachweisbar vorchristliche Vorstellungen über-
tragen, welche mit dem Maibaum übereinstimmen, den die Eiresione
als nicht kirchlich bewährt S. 294 — 299. Auch die Peitschung des
Brautpaars oder junger Eheleute S. 299 — 301, wozu Parallelen bei
Naturvölkern S. 302—303, soll wol die der Befruchtung hindernden
Dämonen vertreiben S. 302—303,
§ 11. Auslauf über die Irmensmde. Neben dem Maibaum als Lebensbaum
der Gemeinde war die Irmensul vielleicht Lebensbaum des Volkes
S. 303 — 306, doch erlauben die historischen Zeugnisse keine sichere
Entscheidung der Frage S. 307 — 310. Vgl. S. 389.
Inhalt. XV
Vierte« Kipitel.
A nthropomorphische Wald- und Baumgeister
als Yegetationsdäiuonen.
§ 1. Persönlick dargestellte Wald- wnd Baumgeister als Vegetationsdä-
monen, Die dem Maibaum innewohnende Seele durch eine daran-
gehängte Pappe oder einen nebenher gehenden offc in grünes Laub
gehüllten Menschen veranschaulicht S. 311.
§ 2. Doppelte Darstellung des VegetaUonsdämons dwrdt Baum und Men-
schen im Elsaß (Pfingstquak , Mairesele) Franken (Walber) S. 312,
Litauen (Maja), Kämthen (Grün«r Georg) 313, Prankreich (Pere May),
Elsaß (Herbstschmudel) S. 314, England (Maylady) S. 315. Der Um-
zug mit diesen Stellvertretern des Vegetationsnumens eine sakramen-
tale Handlang S. 316.
§ 3. Laübeinkleidung, Umgang zu Fuß, Häufig fallt der Maibaum fort
und der in Laub Gehüllte allein stellt den Wachsturosgeist dar (Grü-
ner Georg, Pfingstblume , Pappel) S. 316 — 318; derselbe wird in feier-
licher Prozession zu Fuß aus dem Walde geholt, zuweilen mit Was-
ser begossen. Laubmännchen, Pfingstl, Pfingstschläfer , Pfingstlüm-
roel, Jack in thegreen, Pfingsthütte, Schak, Füstge Mai, Eudemest,
Latzmann S. 318—325. Erläuterung der aufgeführten Sitten S. 325 —
327.
§ 4. LaubdnkleidiMg, Begenmädchen. Auch bei Dürre ein den Wachs-
tumsgeist darstellender, in Laub gehüllter Mensch behufs Begen-
zaubers mit Wasser begossen S. 327 — 31. Weitere Fälle des Regen-
zaubers S. 332 — 333 vgL S. 356.
§ 5. Laubeinkleidung; der wilde Mann. Spielart dos Jjanbmännchens
S. 333 — 337. Darstellung des wilden Mannes als Laubmann oder als
behaarter Waldschrat bei Hoffesten, und in Kunst, Heraldik und
Numismatik des Mittelalters S. 337 — 341.
§ 6. Matkoriig, Pfingstkönig, Maikönigin. Der Vegetationsgeist als Herr-
scher aufgefaßt wird zum Maikönig, Pfingstkönig , . Lattichkönig,
Graskönig, Maikönigin, Reine de Printemps, Reine de Mai S. 341 —
347.
§ 7. Das Madewreiten. Der Umzug zu Fuß wird in Folge dessen zum
ritterlichen Einritt S. 347 — 350, bei dem sich die Figur des Laub-
manns, Pflngstlümmels, in mehrere spaltet S. 351—352. Das böhmische
Pfingstkönigsspiel S. 353— 354.
§ 8. Der Mairitt, Erläuterung. Der zu Roß aus dem Walde geholte Pfingst-
lümmel unterliegt als Wachstumsgeist dem Regenzauber S. 355— 356.
[Regenzauber bei entlegenen Naturvölkern S. 356]. Ihm wird der
Maibaum zur Seite getragen; seine Laubhülle Amulet 8. 357. Der
PfingstkÖnig geköpft. Bedeatong dieses ßraucks eatweder unbehilf-
liche Darstellung des voranfgegangenen Todes der Vegetation nm
das Auftreten im Frühling als Wiederaufleben zu bezeichnen S. 357 —
360 oder nach Analogie vieler Bräuche bei wilden Völkern (S. 360 —
363). üeberlebsel einer uralten barbarischen Sitte, mit dem Blute
der geopferten Bepräsentanten des Vegetationsgeistes den Aeckern
Wachstumskr&fte zu geben 8. 363—365. Differenzierungen des Piingst-
lünmiels S. 365. Analogien zum Schlag mit der Lebensrute S. 365 —
366. Aemter des berittenen Gefolges S. 366 — 367. Der Mairitt an
fürstlichen Höfen S. 368.
§ 9. Der Maigraf, ein stadtischer Sprosse des ländlichen Pfingstlümmels.
Die Bräuche des Festes S. 369—376. Nachweis der Abzweigung vom
Mairitt des Pfingstlings S. 376— 377. Zeit derselben das dreizehnte
Jahrhundert S. 377 — 378. Weitere Erläuterung der Bräuche S. 378 —
382.
§10. Pfingstwettlauf und Wettritt. Wettlauf oder Wettritt nach dem
Maibaum S. 382 — 387.
§11. Pfingstwettritt f das Kranzstechen, Buftchstechen , die letzteren SproR-
formen des ersten S. 387 - 389.
§ 12. WeUaustrieh der Weidetiere S. 389 — 391.
§ 13. WetÜauf und Wettritt , Erläuterungen. Vermutlich liegt als Gedanke
der wetteifernde Einzug der Vegetationsdämonen und rechtliche Besitz-
nahme des Maikönigtums zu Grunde S. 391 — 396.
§ 14. Wettlauf nach der letssten Garbe S. 396.
§ 15. Eschprozemon , Flurumritt. Umritt um die Gemarkung zum Gedeihen
der Saaten , zumeist kirchlicher Brauch S. 397 — 402.
§ 16. Steffansritt. Ausritt, oder Wettrennen der Pferde am 26. Dezember
S. 402 — 404. Erläuterung der Eschprozession (und des Steffansrittes)
als mutmaßliche Teile der Feierlichkeit beim Einzüge des Pfingst-
königs S. 404—406.
§ 17. Hinaustragung des Vegetationsgeistes. Darstellung des im Frühjahr
wieder zum Walde kommenden Wachstumsdämons durch eine Puppe.
Hetzmann in Schwaben S. 406 , Metziko in Estiand S. 407 - 409, vgl.
grand mondard in Orleannais S. 409 , Waldmann bei Eisenach S. 410.
§ 18. Hinaustragung uftd Eingrdbung des Vegetationsgeistes. Todaustragen
auf Fastnacht S. 410 - 414.
§ 19. Hinaustragung und Eingrabu/ng des Vegetationsdämons um Mitsom-
mer S. 414— 416. Jarilo 415.
§ 20 Hinaustragung und Begräbniß des Vegetaiionsdämons , Erläuterungen.
S. 416 — 421.
Inhalt. XVII
FlifteB Kipitel.
Vegetationsgeister: Maibrautschaft.
§ 1. Dm Maikönigspaar, An Stelle des einen männlichen oder weiblichen
Vegetationsdämons , Laubmanns, Pfingstkönigs n. s. w. erscheint oft
ein Paar. König und Königin S. 422—424 vgl. S. 3S6.
§ 2. Malier und Maifrau. Lord und Lady of the May in England S. 424 —
426; andere Formen des Brauchs. S. 426—429.
§ 3. Maipaare : Haml tmd Gretl. S. 429 — 481.
§ 4. Maxbraut, Pfings&yraut. Das Maipaar als Brautpaar dargestellt,
wird im Walde gesucht 8. 481. Darstellung des Hochzeitzuges (Pfingst-
braut, Blumenbraut, Metzgerbraut) S. 482 — 488. Braut erweckt den
schlafenden Laubmann S. 484—485 vgl. S. 617. Verlassene Braut
S. 435. Wiederkehrende Braut S. 486. Metzgerbraut in Münster;
Aschenbraut S. 487. Umzug der Maibraut in Niederdeutschland und
Frankreich S. 488—440.
§ 5. Huren, Feien. Ln Thürbger Brauche wandelt sich der Laubmann»
Schoßmeier in die mit Weiberkleidem geschmückte „Hurej" Symbol
der WerdefüUe des Sommers. Vgl. die Feien der Altmark S. 440—
448.
§ 6. Bedeutung des Maibrautpaars. Der Vegetationsdämon rerlftßt oder
verliert im Winter seine Liebste (Gattin), im Lenze neue Vermählung
S. 448— 445. Egarthansel S. 445 — 446. Kommt christliche Symbo-
lik in Frage? S. 446 — 447.
§ 7. NachcJimungen des Maibrauipactrs durch menschliche Liebespaare.
Am 1. Mai Hochzeitritt, wobei je eine Dame en Croupe hinter dem
Reiter sitzt. Das Brautnennen am Drömling. Brautmarkt zu Kind-
leben S. 447— 449.
§ 8. Mailehen, Valentine. Am 1. Mai bei Maibaum und Maifeuer die
Mädchen der Gemeinde versteigert (Mailehen) S. 449 — 452. Desglei-
chen am ersten Fastensonntage und 1. März S. 455. Ausruf der Lie-
bespaare (Valentins und Valentines) beim Lenzfeuer S. 456—458.
Erlösung der Geliebten am Valentinstage S. 458—462. Compadre,
Weiberdingete , Vielliebchen S. 462.
§ ^. Das Maipaar und die Sonnwendfeuer. Beziehung des jüngst ver-
heirateten Ehepaars und der Brautpaare zum Frühlings- und Sonn-
wendfeuer S. 462 — 466. Suchen des Weib^ oder des Liebchens beim
polnischen und lettischen S. 466 — 468, das „Beilager" beim estni-
schen Johannisfeuer S. 469. Priapen beim keltischen Frühlings- und
Notfeuer S. 469—470. Wahrsagende Braut beim griechischen Johan-
nisfeuer S. 470— 471. ♦
§ 10. Der Brawtbäll. Den Neuvermählten zu Ostern der Brautball abge-
fordert, und im grünen Tannenwalde zerschlagen S. 471 — 478. Ball-
Mannhardt h
znn Inhalt
spiel za Ostern, Fastnacht, Liefatmesse, Weihnachten S. 473 — 477,
sogar in der Kirche S. 477 — 478. Erläutenmgen ; Verwandtschaft die-
ses Brauchs mit den Branchen heim Sonnwendfener S. 478 — 480.
§11. Srautlager auf dem Ackerfelde. Mann nnd Weih yerhnnden wftl-
zen sich anf dem Acker, damit das Eom wachse S. 480 — 482.
Das Wälzen anf dem Saatfelde hezweckt Mitteilung von Wachstums-
kraft an das Erdreich S. 482—487, die Yerhindung der Geschlechter
drückt symbolisch den Augenblick der Vermählung des dämonischen
Maibrautpaars aus 487—488.
§12. Netwermählte als Abbilder des Maipaars. Die jungen Ehemänner
(Bräutlinge) werden zu Fastnacht ins Wasser getaucht (Begenzauber,
Lustration). Uebertragung dieses Brauches auf Hochzeiten 8. 488 —
492.
§13. Ergebnisse der Untersuchung über das Maibrautpaar S. 492 — 496.
Sechstes Kipitel.
Vegetationsgeister: Sonnenzauber.
§ 1. Verbrennung in den Faschings- und Lätaregebräuehen an einer
Puppe, dem Fasching, Tode u. s. w. geübt, stellt sinnbildlich das
Hindurchgehen der im Winter erstorbenen, zum Wiederaufleben
bestimmten Vegetation durch das von den Erankheits- und Mißwachs-
geistern reinigende Sonnenfeuer dar. Eine menschliche Gestalt nebst
einem Baume (dem Maibaum) auch in andern Frühlings- und Sonn-
wendfeuem verbrannt, zu deren Zubehör auflerdem Scheibenschlagen,
Hindurchgang von Menschen und Tieren, Fackellauf über die Korn-
felder, und ein Scheinkampf auf denselben gehören S. 497 — 500.
2. Feuer am Funkensonntage S. 500—502.
§ 3. Oster feuer S. 502—508.
§ 4. Mai feuer, Johannisfeuer S. 508 — 514. * Menschliche Figuren aus
WeidengeiSecht verbrannt 514.
§ 5. Tiere im Sonnwendfeuer verbrannt, z. B. Katzen, Füchse, Hähne.
Südfranzösische Verbrennung von Schlangen in weidengeflochtener
Säule S. 515 — 516. Michaelis und Martinsfeuer S. 516.
§ 6. Frühlings ' und Sonnwendfeuer. Erlauterwngen. Alle jene Feuer
Nachkommen eines älteren iRitus, der ursprünglich heidnisch von der
Kirche in ihren Bereich zu ziehen versucht wurde S. 516 — 518.
§ 7. Notfeuer. Zum BeVeise dient die Uebereinstimmung aller wesent-
lichen Züge beim Notfeuer S. 518—521.
§ 8. Schlußfolgerungen über die Bedeutung des FrUhUngs- iMd Mittsom-
merfeuers. Dasselbe übt einerseits durch Vernichtung der Mißwachs-
und Krankheitsgeister, anderseits durch Mitteilung zeugender Kraft
EinfluB anf Wachstum und Gesundheit der Menschen , des Viehes,
lahiOt.
der Gewäohse. Die yeibraimte MenscheBgestalt nrBprünglich Darstel-
lung der TOD den Krankheitsgeistem zu reinigenden personifizierten
Vegetation, die noch znweilen ein neben dem Johanuisfener hergehen-
der Lauibmann veranschaulicht S. 521 — 525.
§ 9. Ein aligallisches Jahres fetter von pentaeterischer Wiederkehr, in
welchem mit lebenden Mensehen geffillte Menschengestalten aus Banm-
zweigen der Fmchtbarkeit halber verbrannt wurden, von Fosidonius
beobachtet, dessen bei Cäsar, Strabo und Diodor erhaltener Bericht
kritiach antersnoht wird S. 525— 533. Beispiele f&r den Uebergang
eines j&hrlichen Naturfestes in ein nach regelmäßigem Zwischenraum
mehrerer Jahre gefeiertes S. 533.
§10. Fackeilauf über die Kornfelder , („Samenzünden,'' „Saatleuchten,*')
ein Zubehör der Jahresfeuer S. 534 — 540.
§11. Komaufweöken, Perchtdspringen ^ Faschingsumläufe j Abarten des
Fackellaufs S. 540— 548.
§12. Scheinkampf heim Mittsommerfeuer und von diesem losgelöst im
Frühling und Mittsommer auf den Aeckem, damit das Eom besser
wachse. Asiatische Parallelen S. 548 — 552.
§ 13. Bas Pfiugumziehen, Zu Fastnacht, Weihnachten und bei Dürre ein
Pflug in Brand gesteckt und ins Wasser gezogen, Begen- und Son-
nenzauber S. 553—554. Fastnachtbrauch, ;Magde vor den Pflug oder
die Egge zu spannen S. 554 — 557. Foolplongh am Montag nach
Epiphanias S. 557, Pfluggang zu Neujahr S. 558. Die Sitte ein zau-
berisches Vorpflügungsfest vor Beginn der Ackerarbeit, als solches
noch in Böhmen erhalten S. 559 — 561,* sowie in daraus abgeleiteten
russischen Pfluggängen bei Epidemien 3.561—563. Weitere Erläu-
terungen S. 563. Das Ordale der glühenden Pflugscharen S. 564.
§ 14. Feuerdurchgang Hochzeitbrauch S. 565.
§15. Verbrennwng des Maibaums nach Jahresfrist S. 566.
Siebentes KapiteL
Vegetationsdämonen: Nerthus.
§ 1. Tacibus über die Nerihusumfahrt 8. 567 — 568.
§ 2. Der Schauplatz des Festes S. 568.
§ 3. Glaubwürdigkeit der Nachricht S. 568—570.
§ 4. Der Name Nerthus S. 570—571.
§ 5. Bedeutung der Interpretatio Terra mcOer S. 571 — 574.
1) Nach Plinius, bist, natur. XYII, 5 wurde in Byzacium (Africa pro-
pria) ein alte« Weib neben einem Esel vor den Pflug gespannt ,. nach Dureau de
la Malle in der Limagne (Auvergne) die Fntu des Bauern neben einer Enh.
Inhalt.
§ 6. Tatsäehlicher InhaU des taciteischen Berichtes S. 574—581.
§ 7. Die Nerthusumfahrt den FrOhlingsgehräuchen verwandt, zumal der
Einholung des Maibaums 8.581 — 587.
§ 8. TT. Müller, Müllenhoff, Simrock über Nerthus S. 587—588.
§ 9. Nerthusy Njördhr und Freyja S. 588—592. '
§10. Die Umfahrt. Gewährt der SchifTsnmziig des Jahres 1133 eine Ana-
logie? Erl&utemng desselben durch asiatische Analogien und histo-
rische Verhfiltnisse S. 592 — 598. Das Nerthusfest yermutUch locale
Vergrößerung eines allgemeinen Frühlingsfestes 598 — 599. Unmög-
lichkeit der Umfahrt bei allen sieben Stämmen; der wahrscheinliche
Sachverhalt S. 599—602.
ScUnßwtrt.
Baumgeist und Eorndämon.
Zusammenfassende Darstellung der hauptsächlichsten Resultate. Ein
Hauptergebniß , der Nachweis des in verschiedenen Formen und Zügen aus-
geprägten Glaubens an die Baumseele , den Baumgeist S. 603 - 608, findet
vollständige Bestätigung durch den in allen Einzelheiten Entsprechenden
Parallelismus des Glaubens vom Eorndämon S. 611 — 614.
Itehtrige S. 615—617.
Grnndansclianiingen.
In dem ewigen Kreislauf, der die Atome aller irdischen
Dinge umhertreibt und in welchem jeder, auch der festeste Kör-
per, nichts anderes darstellt, als eine zeitweilige Form der unauf-
haltsamen Bewegung, einen Strudel im Strome, ist trügendem
Augenscheine nach dem Steine ein ruhiges Verharren gegeben.
Von seiner Starrheit hebt sich unterscheidend der verhältnißmäßig
schnelle und in regelmäßiger Wiederkehr nachweisbare Verlauf
in der Veränderung organischer Bildungen ab. Alle lebenden
Wesen vom Menschen bis zur Pflanze haben Geborenwerden,
Wachstum und Tod miteinander gemein und diese Gemeinsamkeit
des Schicksals mag in einer fernen Kindheitsperiode unsers Ge-
schlechtes so überwältigend auf die noch ungeübte Beobachtung
unserer Voreltern eingedrungen' sein, daß sie darüber die Unter-
schiede übersahen, welche jene Schöpfungsstufen von einander
trennen. ^
Die Anerkennung der Gleichartigkeit ging so weit, daß
manche Völker die ersten Menschen aus Bäumen oder Pflanzen
gewachsen oder geschaflFen annahmen; noch in historischer Zeit
verfügt die Sprache und naturwüchsige Dichtung der meisten
Nationen über einen mannigfaltigen Vorrat von schönen Verglei-
chen des animalischen und des vegetabilischen Lebens, welche
teils als zerbröckelte Trümmer uralter, auf das naive Bewußtsein
der Identität gegründeter Mythen anzusehen sind, teils die
ursprünglichen ästhetischen, in Anschauung umgesetzten Einpfin-
düngen conservieren oder aus der Tiefe des Menschengeistes. neu
erzeugen, die auch jenen das Dasein gaben. Am häufigsten fin-
1) Daß der Natannensch den Unterschied von Geist nnd Körper noch
w^nig beachtet, sich mit seinen Nebengeschöpfen anf gleichem Nircan ran-
giert, nicht nur Menschen, Tieren, Pflanzen, sondern 'aach Steinen and
Hansgeraten Seele nnd Wfederanfstehen im Jenseits znschreibt , auf Tiere
mit Stolz seine Ahnenreihe zurückleitet n. s.w. setzt A.Bastian in Stcin-
thals ZeitBchr. f. Volkerpsychol. V, 153 gut auseinander.
Mannhardt 1
2 GrnndanschauQngen.
den wir auf Zustände in der Entwickelnng des Menschen die
entsprechenden Erscheinungen des vegetabilischen Daseins in
bildlicher Redeweise tibertragen. Der Mensch blüht, wächst und
welkt; in seiner Vergänglichkeit gleicht er dem Grase des Fel-
des; der Mann in seiner Kraft erinnert an die starke Eiche, das
hingebende, anmutige Weib an den umrankenden Epheu, die
duftende Blume. Der Liebende aller Zeiten und Länder weiß
die Schönheit der Geliebten nicht treffender zu schildern, als
wenn er das Mädchen als seine Rose, Lilie, als Myrte oder
Granatblüte feiert. Die reiche Lese verwandter Wendungen,
Beiwörter und Kosenamen, welche J. Grimm in seinem feinsinni-
gen Aufsatze „Frauennamen aus Blumen ^^ zusammengebracht hat,
ließe sich . von allen Feldern der Weltliteratur mit Leichtigkeit
ins Unübersehbare vermehren. Andererseits machep Sprache und
Dichtung umgekehrt die Pflanze zum Spiegel animalischen Lebens.
Der junge Pflanzenschoß im Frühlinge wird dem jungen Tiere
verglichen. Dem Römer erschien er wie ein Kind, Füllen oder
Küchlein (puUus), dem Griechen wie ein Kälbchen {f-ux^yog)] die
Berechtigung dieser Auffassung werden die nachfolgenden Unter-
suchungen hoffentlich dartun.. Unsere Palmkätzchen gehören
'einer andern Vorstellungsgruppe an, sie tragen ihren Namen von
dem silbergrauen, sammetweichen Fell; aber im skandinavischen
Norden war kälfr Kalb vom neuen Pflanzensproß im Gebrauch,
z. B. hvannarkalfr Fomaldars. I, 472 r. 1 = üng hvönn Engelwurz-
schößlein, angelica tenella. Die weibliche und männliche Blüte
des Hanfs wird als Hahn und Henne unterschieden, wie das
Männchen und Weibchen mancher Singvögel; und nicht unerwähnt
bleibe die auf dem Gebiete der Pflanzennamen reichlich und
schon seit alters hervortretende Neigung, die Gestalt der Kräuter
einzelnen Gliedmaßen der Tiere zu gleichen (Wolfsfuß, Gansfuß,
Storchschnabel, Löwenzahn u. s. w.). Auch diesmal bietet die
Menschengestalt, welche zwar übrigens im weitesten Abstände
von der am Boden haftenden Pflanze befindlich , durch ihren auf-
i'echten Wuchs derselben sich wiederum am meisten nähert, die
ausgiebigste Veranlassung zu personifizierenden Gleichnissen. Wir
legen den Gewächsen im Schmuck der poetischen Darstellung
gerne Fuß und Arm, Kopf und Augen, Brust, Busen, Haar und
Kleidung u. dergl. bei. Reichliche Beispiele für diesen Sprach-
gebrauch bei neueren deutschen Dichtern, Shakefpeare und den
Grnndanschaunngen. 8
Autoren des klassischen Altertums ließen sich aus der reichhal-
tigen und lehrreichen Schrift von G. Hense „ Personificationen in
griechischen Dichtungen, Thl. I. Halle 1868" zusammenstellen.
Schon diese so zu sagen teilweise und vortlbergehende Art von
Personification setzt Beseelung voraus; der Mensch leiht dem
bewußtlosen Gewächse Empfindung und weil wir in demselben
gewisse Eigenschaften wahrzunehmen glauben, die an verwandte
Saiten in unserm Innern anklingen, sucht unsere Phantasie in
ihm ein Leben wie das unsrige, Geist von unserm Geiste. Diese
Vorstellung steigerte sich in früher Vorzeit ohne Zweifel zu dem
wirklichen Glauben, daß die Pflanze ein dem Menschen gleich-
artiges, mit Denken und Gesinnung begabtes Wesen, Mann oder
Weib sei. Als später im primitiven Bewußtsein ein Bruch ein-
trat und eine Art von botanischem Begriff aufzukommen begann,
suchte jener Glaube in veränderten Formen sein Dasein zu retten.
Zunächst mußte er sich von Tag zu Tage fortschreitend eine
Einschränkung auf einzelne Individuen gefallen lassen , an denen
das Wunder noch haftete , während die große Mehrzahl der Ge-
wächse der nüchternen Betrachtung und dem noch mehr ernüch-
ternden Gebrauche des wirtschaftlichen Lebens verfiel. Sodann
hieß es nun entweder, die Pflanze sei der zeitweilige Sitz, das
Kleid , die Hülle einer durch den Tod aus dem leiblichen Dasein
entrückten Menschenseele. Kobersteins treffliche Abhandlung ^
ist noch immer das Beste, was bisher über diesen Gegenstand
veröffentlicht wurde. Nach anderer Auffassung sind gewisse
Pflanzen verwandelte Menschen oder Halbgötter, deren Bewußt-
sein durch Zauber oder Schicksalsspruch in ihnen noch fortlebt.
Hieraas erklärt sich in weit größerem Umfange, als man bisher
zu wissen scheint, eme Anzahl der vielen Volkssagen, in wel-
chen von einer Metamorphose in Pflanzen die Rede ist.* End-
•
1) Koberstein, A., üb. d. Vorstellung v. d. Portleben menschlicher See-
len in der Pflanzenwelt. Nanmburg 1849; wieder abgedruckt Weimar. Jahr-
buch I, 72—100. Vgl. den Nachtrag Reinhold Köhlers ebd. 479-483,
Herrig, Archiv f. d. Stud. der n. Spr. XVII, 444. Sitzungsberichte der Wie-
ner Akad. 1856. XX, 94. Slavische Beispiele bei Grohmann,* Abergl. a.
Böhmen 193, 1361. 93, 648.
2) Gute und richtige Bemerkungen über diesen Gegenstand machte
B. Schmidt in s. hübschen Aufsatz übor Calderons Behandlung antiker Mj--
then im Bhein. Museum X, 1856, p. 341: „Jener Glaube (an Verwandlungen
Ton Menschen in Pflanzen) wurzelt durchaus in einem Gefühle der alten Völ-
1*
4 GrundanBchanimgeii.
lieh eine dritte Ansehauungsweise weiß von einem geister-
haften Wesen, einem Dämon, dessen Leben an das
Leben der Pflanze gebunden ist. Mit ihr wird er
geboren, mit ihr stirbt er. In ihr hat er seinen ge-
wöhnliehen Aufenthalt, sie ist gleiehsam sein Kör-
per und doeh erscheint er vielfach auch außer ihr in
Tier- oder Menschengestalt und bewegt sich in
Freiheit neben ihr.
Eine Abart dieser Vorstellung tritt uns entgegen in Form
der Annahme, daß der Dämon nicht der einzelnen Pflanze, son-
dern einer Vielheit derselben, oder der gesammten Vegetation
einwohne und darum auch nicht im Herbste mit den einzelnen
Gewächsen vergehe, sondern irgendwo überwintere und im neuen
Jahre sein Leben in der Natur weiterfllhre. Einmal aus der
Pflanze herausgetreten, wird der Dämon endlich zuweilen im
Fortschritte der Entwickelung zum Geber oder Schöpfer ihres
Lebens, er ist und webt nun nicht sowohl in der Vegetation, er
bringt dieselbe hervor.
Die auf vorstehenden Blättern nach verschiedenen Stufen
gesonderten Anschauungen gehen in der Wirklichkeit meistens
in einander über. Das Volksgedächtniß bewahrt sie neben ein-
ander oder verbindet sie oder ihre Spielarten in mannigfaltigster
Weise zu neuen Gebilden. Der Verfasser meint dartun zu kön-
nen, daß auf der Entwickelung dieser Grundanschauungen ein
nicht geringer Teil des Glaubens und Brauches der europäischen
Menschheit und zwar sowohl der nordeuropäischen Stämme, als
der Hellenen und Italer beruhte. Das vorliegende Buch ist
bestimmt, dem Erweise dieses Satzes zunächst in Bezug auf die
nordeuropäischen Baum- und Waldgeister zu dienen.
ker, das der neueren Zeit völlig fremd ist , in ihrer religiösen Sympathie mit
der Natar. Vermöge dieser empfanden sie die Pflanze wie den Stein nnd
das Gewfisser als individuell begeistet, dagegen den Menschen auch in seinem
geistigen nnd sittliehen Dasein als eine Gestalt der Natnr, brachten also für
ihre Betrachtung das Naturleben und das Leben der Menschen in ein Ver-
hältnis innerer Gleichartigkeit und gemütlicher Nähe und sahen darum auch
die Schranken zwischen dem einen und dem andern als leicht uberschreitbar an."
Kapitel I.
Die Baumseele.
§. 1. Gflcichsetznng des Menschen^ und der Pflanze.
Verschiedene Fonnen dieses Cflanbens. 'Wir wenden uns zu-
nächst der Betrachtung einer Reihe germanischer, lettoslavischer
und keltisch - romanischer Anschauungen und Bräuehe zu, welche
nns dartiber belehren, wie und in welcher Weise der Gedanke,
daß die Pflanze beseelt sei, in Bezug auf die Bäume weiter
und in mannigfachen Fonnen bis zu so völliger Gleichstellung
mit den Menschen hinausgesponnen und entwickelt wurde, daß
die einen so zu sagen als vollendete Doppelgänger der andern
auftreten. Schon im anthropogonischen Mythus nehmen wir eine
Art solcher Gleichsetzung wahr; eine andere äußert sich in der
Behandlung des Baumes als persönliches Wesen. Die Identifi-
zierung erstreckt sich zuweilen sogar auf eine imaginäre Ver-
schmelzung der Körperlichkeit von Mensch (oder Tier) und
Pflanze , und . fllhrt zu der Annahme , daß der Baum der Körper
einer durch den Tod dem Menschenleibe entrückten Seele, der
Wohnsitz mehrerer Elfen oder eines Schutzgeistes sei, der wieder-
um kaum von einem alter egö des Menschen zu unterscheiden
sein möchte. Zuweilen führt die Baumseele oder der Baumgenius
auch schon ein Leben außer dem Baumleibe in Sturm und Un-
wetter, in Wald und Feld.. Da wir die in diesen Ueberlieferungen
sehr scharf und deutlich zu Tage tretenden Verhältnisse später
einmal vorzugsweise zum Verständniß von Komgeistem ver-
gleichend zu nutzen gedenken, gestatten wir uns hier bereits
gelegentlieh von selbst aufstoßende Uebereinstimmungen der
Baumsage mit dem an das Getreide geknüpften Volksglauben
vorzumerken. Und auch das möge den Leser nicht stören , wenn
er (da sich ein anderer Platz dazu nicht eignete) in die Darlegung
des Baumglaubens nordeuropäischer Stämme nicht ganz selten
auch einzelne Analogien aus fernen Ländern und Weltteilen ein-
6 Kapitel I. Die Baamseele:
geflochten findet. Es geschähe gegen unseren Willen^ wenn
durch Schuld dieser Einschaltungen das Bild des nordischen
Baumcultus sich in einen verschwimmenden Allerweltsnebel auf-
lösen würde. Wir stimmen vollkommen den goldenen Worten
Th. Mommsens zu (Rom. Chronologie): „das über die Kluft der
Nationen hinweggerichtete Auge erfaßt nur allzuleicht der Schwin-
del und man vergißt den wahren und hauptsächlichsten Grund-
satz aller historischen Kritik, daß die einzelne historische
Erscheinung zunächst im Kreise der Nation, der sie angehört,
geprüft und erklärt werden soll und erst das Resultat 4ieser
Forschung als Grun<Uage der internationalen dienen 4ar£'' Inso-
fern es sich aber bei unseren Zusammenstellungen zunächst noch
nicht um die Darlegung irgend welcher historischen Verwandt-
schaft, sondern um die Beschreibung von Typen handelt, so
bedienen wir uns desselben Vorteils, den etwa der Botaniker
genießt, wenn er die Coniferen Europas und Amerikas mitein-
ander vergleichen kann. Die Beobachtung gewisser gleicher
Eigenschaften bei beiden macht klar, daß dieselben zum Wesen
der Gattung gehören. Gleichartigkeit der Vorstellungen über den
nämlichen Gegenstand in zwei verschiedenen Zonen läßt zumeist
auf eine gewisse psychologische Notwendigkeit derselben schließen
und die eine erläutert die andere. Nur als ein solches die Natur
und den Sinn der nordeuropäischen Traditionen durch Analogie
erläuterndes Material wünscht der Verfasser Einschiebsel aus der
Fremde betrachtet zu sehen.
§. 2. Mensch und Baum. Glelchni£ Im Hävamäl. Die
germanische Welt hat die Gleichung Mensch und Pflanze zur
mannigfachsten Entfaltung gebracht. Auch abgesehen von jeder
mythisQhen Verkörperung war dieselbe in unserer Poesie von
alters her lebendig. Wie neuerdings , Schiller den von seinen
Anhängern verlassenen Wallenstein einen entlaubten Stamm nennt,
hatte z. B. schon ein altnorwegischer Gnomendichter, dessen Sinn-
spruch man später dem Odhinn in den Mund legte, gesagt: der
Baum, der einsam im Dorfe steht, stirbt ab und nicht Laub noch
Rinde halten ihn ftirder warm; so ist der Mann, den niemand
liebt, was soll er länger leben?*)
*) Hävam. 50. Vgl. Egilson, lex. poet. 8. 915, der übrigens j&orpt d
abweichend in coili verstanden wissen will.
Anthropogonifloher Mythus von Askr und Embla. 7
§. 3. Anthropogoniseher Mythus ron Askr und Embla.
Jahrhunderte bevor dieses Stückchen Yolksweisheit sein poeti-
sches Gewand erhielt, mag der bekannte anthropogonische Mythus
von Askr und Embla entstanden sein. Derselbe ist jedoch — ich
folgere dies aus psychologischen Grttnden — unmöglich in der
uns vorliegenden Form zuerst entsprungen, sondern wir besitzen
ihn in einer Gestalt , welche erst das Ergebniß mehrfacher Um-
wandlungen im Munde der Dichter gewesen zu sein scheint. Wie
die Urform lautete, werden wir verstehen, wenn wir die noch
einfachere Gestalt entsprechender Sagen bei anderen Völkern in
Vei^leich ziehen.
Bekanntlich läßt eine der eranischen Schöpfungssagen, aus
denen die Cosmogonie des Bundehesch zusammengesetzt ist, das
erste Menschenpaar Maschia und MascMäna in Gestalt einer
Reivaspflanle (rheum ribes) aus der Erde emporwachsen. Sie
machten ursprünglich ein ungetrenntes Ganze aus und trieben
Blätter; in der Mitte bildeten sie einen Stamm, oben aber umarm-
ten sie sich dergestalt, daß die Hände (Zweige, Aeste) des einen
sich um die Ohren des andern schlangen. Erst später wurden
sie von einander getreniil In diesen Körper goß Ahuramazda
die zuvor bereitete Seele und sie. wuchsen zur Menschengestalt,
indem Jener Glanz geistiger Weise zum Durchbruch kam, der
die Seele kundgiebt. ^ Diese weder dem Avesta, noch den
alten von Firdosi benutzten Quellen bekannte Anthropogonie ^
macht gleichwol auf hohes Altertum Anspruch, insofern sie noch
ziemlich unverändert jene früheste Anschauungsstufe vor Augen
stellt, wonach Mensch und Pflanze gleiches Wesens waren, und
unmittelbar in einander übergingen. Eine ganz ähnliche Vorstel-
lung begegnet bei den den Eraniem allem Anscheine nach nah-
verwandten Phrygerri im Stromgebiete des Sangarios. Ihnen gal-
ten die Korybanten als die ersten Menschen ; die Sonne beschien
sie zuerst, als sie baumartig (derÖQOffraU) emporsproßten. ^ Wir
wissen nicht, wie sich der Kationalismus einer späteren Zeit den
in der Mythe ausgesprochenen Uebergang des Baumes in die
Menschengestalt in diesem Falle zurechtlegte. Nach den Sioux,
die gleich den Karaiben und Antillenindianem ebenfalls die
1) S. Bandehesch Cap. 15. Windischraann , Zoroastr Studien S. 213.
2) S. Spiegel, Eranische Altertumskunle I, 457. 473 fgg.
3) Pindar bei Hippolyt, Philos. p. 96. Miller.
8 Kapitel L Die Baamseele:
Stammeltern im Anfange als zwei Bäume entstehen ließen, stan-
den diese viele Menschenalter hindurch mit den Füßen im Boden
haftend, bis eine große Schlange sie an den Wurzeln benagte,
worauf sie als Menschen weggehen konnten. ^ Diesen Beispielen
entsprechend wird auch der germanische Mythus die Urahnen
aniUnglich nicht aus todten Hölzern, sondern aus lebendigen
aus der Erde aufsprießenden Bäumen (einem mit einem
männlichen Namen und einem mit weiblicher Benennung) haben
hervorgehen lassen; später hat er dann zur Motivierung der
freien Beweglichkeit des Menschen eine Umänderung dahin
erfahren, daß drei kräftige und liebreiche Götter am Strande
zwei über Meer von den Wellen ans Land getriebene Bäume
(Askr und Elmja (?), Esche und Ulme (?) fanden und den
noch Schicksalslosen Geist, Sprache, Blut und blühende Farbe
einflößten. Die belebten Bäume Askr und Elmja (? fem. zu almr
Ulmbaum) waren die Stammeltern aller Menschen. Uns ist diese
Erzählung nur in einer zweiten Umformung bewahrt, in welcher
der schwer über die Zunge gleitende Name der Stammmutter
durch Metathesis mundrecht gemacht und so in den geläufigeren
Embla (aus Emla ^ amlja die arbeifäme) verändert ist. ' Auf
den von uns für die Grundform dieser Schöpfungssage voraus-
gesetzten primitiven Standpunkt d. h. bis nahezu an die Sohwelle
wirklichen Glaubens an die Identität von Mensch und Pflanze
würden uns gewisse der Skaldenpoesie geläufige Metaphern
zurückweisen , falls nicht deren unmittelbarer Zusanmienhang mit
der Naturpoesie sehr zweifelhaft wäre.*
1) Catlin, lettroB and notes ou the manners cnstoms and conditions of
the North - America Indiana, 2. ed. ü, 289. Andere Stammsagen der India-
ner, z.B. diejenige der Tamanaken in Gayana, welche die Ureltem aas den
Kernen der Maoritiaspalme entsprießen läßt (Ausland 1872, S. 372), scheinen
über die Art und Weise , wie die Trennung der als Bäume geborenen Pro-
toplasten vom Mutterschoß der Erde erfolgte, sich ebensowenig auszuspre-
chen^ als die phrygische Sage bei Pindar.
2) Völuspä Str. 17 fgg. Vgl. Uhland, Schriften z. Gesch. d. Dichtung
und Sage VI, 189.
3) In der altnorwegischen und altisländischen Skaldenpoesie werden
nämlich der Mann durch alle männlichen Baumnamen (vidr, meidr Baum,
hlynr, Platane, askr Esche, reynir Vogelbeerbaum, das Weib durch alle
weiblichen Baumnamen björk, lind, eik, Birke, Linde, Eiche u. s. w. bezeich-
net und durch Hinzufügung eines Kennworts näher determiniert. Ausdrücke
/
Der Banin als Person behandelt 9
§. 4. Der Baum als Person behandelt. Beruht der
aathropogonische Mythus der Nordgermanen auf der Anschauung
yyder Mensch ist wie ein Baum^', so haftet der umgekehrte Ver*
gleich yy der Baum ist wie ein Mensch '^ nicht minder tief in dem
Volksglauben sowol der skandinavischen als der deutschen Stämme,
denen sich slavische und finnische Nachbarn anschließen. Schon
auf den untersten Stufen zeigt sich diese Vorstellung in yerschie-
denen Formen, fast überall jedoch — wo sie auftritt — hat sie
den Standpunkt der reinen Identität bereits yerlassen und als
Beimischung die Annahme eines dem Menschen zwar ähnlichen,
aber geheimnißvoUen und ttbemattirlichen Wesens erhalten. Am
nächsten kommt es jenem ursprünglichen Standpunkt, daß der
Mensch den Baum selbst ganz als eine ihm gleich stehende oder
Übergeordnete, mit individuell bestimmtem Character, mit mensch-
lichem Ethos begabte Persönlichkeit behandelt und anredet. Man
kündigt in Westfalen den Bäumen den Tod des Hausherrn an,
indem man sie schüttelt und gypricht: „der Wirt ist todt'^^ Die
mährische Bäuerin streichelt den Obstbaum mit den von Berei-
tung des Weihnachtsteiges klebrigen Händen und sagt: „Bäum-
chen bringe viele Früchte '^> Man springt und tanzt in derSyl-
vestemafht um die Obstbäume und ruft:
Freue ju Börne
Nüjär is körnen!
Dit Jar ne Kare vnll,
Up et Jar en Wagen vuU ! ^
Zwischen Eslöf und Sallerup im Haragers Härad in Schwe-
den befand sich noch 1624 ein Hain, den eine Riesenjungfrau
gesät haben sollte; darin gab es eine Eiche, die Gyldeeiche,
worin in alten Tagen viel Spukerei gespürt war. Wer irgend
wie elmeiär fetüpelar Baum des Schwerterstnrms d. i. Held könnten sehr
wohl von dem Bilde des im Sturme Stand haltenden Baumes hergenommen
and zu anderen Umschreibungen Anlaß geworden sein. Nach Snorris mit
dem künstlichen Character jener Dichtergattung übereinstimmender Erklä-
rsmg (Skaldskaparm. 31. 47.) soll jedoch der in Bede stehende Sprachge-
brauch statt ursprünglich in einfacher Naturpoesie zu wurzeln, das Froduct
einer technischen Spielerei sein. Nur eine chronologische Untersuchung der
erhaltenen Beste der Skaldenpoesie könnte die Frage möglicherweise zur
Entscheidung bringen. ^
1) Vgl. A. Kuhn, Westfäl. Sagen II, 52,
2) y. G rohmann , Aberglaube aus Böhmen S. 87.
3) E. Seifart, Hildesheim. Sag. U , 137.
10 Kap. I. Baumseele:
vorbeiging, grüßte den Banm mit Ehrerbietung ,, Guten Morgen
Gylde!" „Guten Abend Gylde!'f>^ Allem Anscheine nach auf
einstigem Gebrauche ruht, was der Tiroler vom Holunder sagt:
„der Holer ist ein so edler Baum, daß man vor ihm den Hut
abnehmen [soll." ^ Die Holzarbeiter in der Oberpfalz reden von
den Waldbäumen wie von Personen; zieht der Wind durch die
Baumkrone, so „neigt sie sich und beginnt zu sprechen"; die
Bäume „verstehen sich". Der Baum „singt", wenn die
Luft durch seinen Wipfel streicht; nur ungern „läßt er sein
Leben"; unter dem Axtschlag „seufzt", zu Boden fallend
„stöhnt" er. Ein Förster stritt mit dem Herrn des Waldes,
welche von den zwei schönen Buchen vor ihnen gefällt werden
solle. Da beugten sich beide Bäume seufzend hin und wieder.
„Wer hat geseufet?" rief der Herr. Es war aber niemand da,
der Antwort gab. Furcht trieb sie von dannen und die herrlichen
Bäume blieben verschont. Noch jetzt bitten die Holzfäller
den schönen gesunden Baum um Verzeihung, ehe sie
ihm „das Leben abtun".*
§. 5. Die Holunderinutter 9 die Esehenfrau und Uire
Sippe. Trogill Amkiel , ein gebomer Nordschleswiger und Pastor
zu Apenrade erzählt 1703, daß in seiner Jugendzeit (wieder öfters
gehört und gesehen) niemand es wagte, frischweg einen Elhom-
baum (Holunder) zu unterhauen , sondern wo sie denselben unter-
hauen (d. i. die Aeste stutzen) mußten, so pflegten sie vorher mit
gebeugten Knien, entblößtem Haupte und gefalteten Händen dies
Gebet zu tun: „Frau Elhorn gib mir was von deinem»
Holtze, denn will ich dir von meinem auch was geben,
wann es wächst im Walde."*
Die Wahrheit dieser Erzählung erhärtet eine Aufzeichnung
aus Däaemark v. J. 1722: Paganismo ortum debet super-
1) Hyltän - Cavallius, Värend och Virdarne. Stockholm 1863. I, 36.
2) Zingerle, Sitten, Bräuche und Meinungen des Tiroler Volkes. Aufl. 2.
S. 105, 897. Vgl. : Vörm höUerkenstrük maut men 'n haut afniämen. Kuhn,
Westf. Sag. II, 189, 533.
3) Schönwerth, aus der Oberpfalz U, 335. Bavaria II, 234. Es fragt
sich nur, ob Schön werths aus Neuenhammer stammender Bericht durch-
aus ungefärbt sei. Vergl. die übrigen mit Neuenhammer bezeichneten Stücke
in der verdienstlichen Sammlung.
4) Trog. Arnkiel, außführliche EröfiEaung u. s. w. B. I. Cimbrißche Hey-
denreligion. Hamburg 1703. S. 179.
Die Holandenantter, die Eschenfrau und ihre Sippe. 11
I
stitia, sambacum non esse exBcindendam^ nisiprias
rogata permissione hisverbis: mater sambnci, mater
sambaci permitte mihi tuam caedere silvam/'^ Der
dänische Name des angerufenen Wesens lautet Hyldemoer, es
wird auch sonst erwähnt , daß man dreimal hinter einander eine
der Amkielschen fast wörtlich entsprechende Formel aussprechen
müsse y ehe .man etwas vom Holunderbaum breche.' In Schonen
spricht man ebenso yon der Hyllefroa (Holunderfrau), in
Ljunitshärad ebendaselbst von der Askafroa (Eschenfrau). Am
Aschermittwochsmorgen [askons dags morgon, diese Zeit ist nur
wegen des zufälligen Gleichklangs mit ask Esche gewählt] opfer-
ten die Alten der Askafroa, indem sie yor Sonnenaufgang (denn
dann sind die Geister rege) Wasser über die Wurzeln
des Baumes ausgössen mit den Worten: nu offrar jag,
sä gör du oss ingen skada. Nun opfere ich, tue uns
keinen Schaden! Wer einen Holunderbaum beschädigte oder
yerunreinigte, bekam eine Krankheit, Hylleskäl genannt, dagegen
bötete man, indem man Milch über die Wurzeln des
Baumes ausgoß,^ d.h. durch ehrerbietige Speisung des im
Baume verkörperten Namens den begangenen .Fehler wieder gut
machte. Den Dänen ist auch eme Ellefru (Ellerfrau} bekannt,
die im Erlenbaum (eile) lebt^ In der Smäländischen Landschaft
Värend heißt das der Holunderfrau und Eschenfrau entsprechende
Wesen in gewissen Laubbäumen Löfviska.^
In der Mehrzahl dieser Beispiele erscheint der mit reli-
giöser Scheu geehrte Dämon auch als der mit Denkkraft und
Sinnen ausgerüstete Baum selbst; nicht anders verschieden steht
der Baumgeist dem Holze gegenüber, als der menschliche Geist
dem menschlichen Körper. Auch da noch bilden Baum und
Banmgeist eine geschlossene Einheit, wo von dem Holunderbaum
1) Thiele, Danake Polkesagn. Aufl. 1. III, 119 — 120. Danach Grimm,
Myth.» CXVI.
2) J. Boesens, Beskriv. over Helsingöer S. 23. Bei Thiele, Danmarks
Folkesagn. Aufl. 2. II, 283.
3) Hylten - Cavallius , Värend och Virdarne I, 310. Vgl. noch Pehr
LoT^n, Dissert. de Gothungia. Londini Gothonim 1745, p. 20: Hyllfraen,
quam eflfuso lacte placavit incolarum vesania.
4) Sy. Grundtvig, Gamle Danske Minder i Folkemunde I, 1854, S. 15.
5) Hylten - CaralUns a. a. 0.
12 Kapitel I. Die Banmsdele:
auf einem dänischen Pachthofe erzählt wird, der oft in der
Dämmerung spatzieren gehe und durch das Fenster gncke,
wenn die Kinder allein im Zimmer sind. ^ Diese Erzählung ist
der einfache Widerschein der tiefen Furcht, welchen abergläu-
big erzogene Kinder vor jenem Baume als einem gespenstigen
Wesen hegten.
§. 6. Niederlltanlsche Waldgeister« Der Glaube, daß
der von seinem Geiste erfüllte Baum schaden könne (s. o. die
Askafroa) kehrt auch sonst wieder. Zwischen 1563 — 1570
bemtthte sich der Revisor von Niederlitauen, Jacub Laszkowski,
die noch stark in heidnischen Anschauungen befangenen Zemaiten
von ihrem Aberglauben abzubringen. „Jussi autem a Lascovio
arbores exscindere , invitissimi id , nee prius quam ipsemet inchoar
ret fecerunt. Deos enim nemora incolere persuasum habent. Tum
unus inter alios percontari, num etiam decorticare arbo-
res liceret. Annuente praefecto aliquot magno nisu haec
repetens decorticavit: Vos me meis anseribus, gallis-
que gallinaceis spoliastis; proinde et ego nudas vos
faciam. Gredebat enim demens deos rei suae familiari
perniciosos intra arbores et cortices latere.*
§. 7.- Baum, Menschenlelb und EranklioltsdSinonen.
Ein merkwürdiger französischer Brauch aus der Nähe der Pyre-
näen schließt uns das Verständniß dieses litauischen Glaubens
auf. Lorsque les habitants du canton de Labruguiere (Montagne
noire) ont un animal malade de quelque plaie envahie par les
vers, ils se rendent dans la campagne aupr^s d'un pied dey^ble,
Sambucus ebulus, et tordant une poign^e de cette plante
dans leurs mains , ils lui fönt un grand salut et lui adressent les
paroles suivantes en patois: „Adiü si^s, mousu Taofissier,
s6 n6 trases pas lous bers de moun berbenier, vous
coupi la cambo, maY lou pey." Ce qui veut dire: „Bon-
jour monsieur le yeble, si vous ne sortez pas les vers de Tendroit
oü ils sont, je vous coupe la jambe et le pied." Cette menace
effectude, la guerison est assuree ou peu s'en laut* So weit
de Nore*s Mitteilung. Der Askafroa, den niederlitauischen Baum-
1) J. M. Thiele, Danmarks Folkesagn. Kjöbenbavn 1843. D.IT. S.283.
2) Laszkowski bei Job. Lasitins de diis Samagitaram 46 (p. 10 Mann-
hudt).
3) De Nore, coatames mytbes et traditions des provinces de France p.l02.
Baum, MenBohenleib und Krankheitsd&monen. 18
dämonen, dem Monsieur le y^ble wurde die Macht zugeschriebeB,
Menschen und Tieren zu schaden. Dies geschah — wie der franzö-
sische Bericht in Verbindung mit dem litauischen lehrt — dem Volks-
glauben nach vermittelst der Insekten von mancherlei Gestalt und
Farbe, welche in und unter Rinde, Stamm und Wurzeln der Bäume
und Kräuter ihren Aufenthalt haben. Man warf dieses Gewürm näm-
lich mit den bösen Geistern in Wurmgestalt zusammen, welche
nach einer uralten schon bei den Indem in dem Atharvareda und
in den Grihyasutras ganz ähnlich wie unter den Germanen ent-
wickelten Vorstellung sich als Schmetterlinge, Raupen, Ringel-
wtbrmer, Kröten u. s. w. in den menschlichen oder tierischen Kör-
per einschleichen und darin als Parasiten verweilend die
verschiedensten Krankheiten (z. B. Schwindsucht, Kopfweh,
Magenkrampf, Zahnweh, besonders nagende, bohrende und ste-
chende Schmerzen u. s. w.) hervorbringen sollten. ^ Der Glaube
1) Vgl. Myth.« 1109. M15. 1122. 1184. Kuhn, Ztechr. f. vgl. Sprachf.
Xm, 63— 74. 135 — 151. Toppen, Abergl. a. Masuren« 22—28, Grob-
mann,, Abergl. aus Böhmen I, 147 fgg. 153. Wnttke, Abergl.« §. 231, S. 161.
Wie von Motten und Baupen im Kopfe , spricht man vom Fingerwurm, Herz-
wurm, Fleischwurm, Bein wurm, Markwurm, Haarwurm (Gicht) u. s. w. In
einem altsächsischen Segen wird der Wurm nesso (nhd. Nösch, laufende
Gicht) mit seinen 9 Jungen beschworen, aus Fleisch und Haut des spad-
lahmen Bosses zu entweichen; eine Pferdekrankheit heifit der blasende Wurm
u. s. w. (Myth.* 1115. Müllenhoff u. Scherer, Denkm. IV. 5. S. 8. 267). Auch
in Fal&stina und wahrscheinlich in ganz Vorderasien schrieb der Volksglaube
Unterleibskrankheiten verzehrenden Würmern (S. Ewald, Gesch. d. Volkes
Israel, 2. Ausg. 1858. B. VII, S. 332), wie überhaupt die Krankheiten bösen
Geistern zu, die den Körper als Schmarotzer in Besitz nehmen. Vgl. z. B.
die 7 Teufel, von denen Maria Magdalena besessen war (Marc. 16, 9). Ueber
Aegypten s. Zs. f. d. Myth. IV\ 254 fgg. Nicht minder wiederholt sich die
VorsteUung bei Terschiedenen wilden Völkerschaften. Nach der Behauptung
der Medicinmftnner bei den Mundurucus in Brasilien entstehen die mei^n
Krankheiten durch einen Wurm, den der Medicinmann entfernt, indem er
die leidende SteUe mit Tabacksrauch dampft und sie dann saugt. Nachher
zieht er einen Wurm aus dem Munde, der aber nichts anderes ist, als die
weifie Luftwurzel einer Pflanze. Globus, 1871^ XX, S. 201. Auch die Häupt-
linge der Chiquitos in Oberperu , die zugleich Aerzte sind , heilen die Krank-
heiten durch Aussaugen des leidenden Teiles, weil man denkt, daß sie durch'
Tiergeiater entstehen, die in den Leib des Kranken* ihren Weg gefunden
haben und ihn von innen zernagen. Waitz, Anthropologie der Naturvölker,
ni, S. 531. Die Tahitier schreiben ihre innerlichen Schmerzen Dämonen ;ni,
die in ihnen sind und ihre Eingeweide in Knoten binden. In Folge ahn-
: TT " "(1 1
Banm, Menschenleib und Krankbeitsdämonen. 15
Der eine ist gran,
Der andere ist blan,
Der dritte ist rot,
Ich wollte wünschen , sie wären alle drei todt.
Diese Ceremonie nennt man den Baum „ anklagen ". ^ Auch
andere Pflanzen, als Bäume, stehen im Verdacht, durch ihren
Willen die Würmer im tierischen Organismus festzuhalten. So
sehreibt z. B. der böhmische Aberglaube vor, auf dem Felde eine
Distel zu suchen, einen Stein und eine Ackerkrume darauf
zu legen und zu' sagen:
Distelchen, Distelcben
Ich lass' nicht eher dein Köpfchen los.
So lang du nicht frei läßt die Würmer der Knh
(des Pferdes u. dgl.).*
Die einmal vorhandene Vorstellung von dem Verweilen der
Erankheitsgeister im Baume haftete so sehr, daß man sie auch
da beibehielt, wo diese Dämonen nicht in Wurmgestalt, sondern
in anderer Tier- oder Menschengestalt gedacht wurden. Auch
da ist es häufig der Baum, der durch ihre Entsendung Epidemien
hervorruft, durch ihre Zurückbemfung die Gesundheit wiederher-
stellt. Lehrreich in dieser Beziehung ist ein Lied, welches bei
einer Seuche die russischen Weiber singen, indem sie mit einem
Pflug um das Dorf die die bösen Geister abwehrende Furche
ziehen :
Vom Ocean, von der tiefen See
Sind zwölf Mädchen gekommen;
Sie nahmen ihren Weg — kein kleiner war's —
Zn den steilen Höh'n, zu den Bergen empor,
Z^ den drei alten Holanderhänmen.
1) Priedrichshagen bei Köpenick. Kuhn, Nordd. Sag. S. 441, Nr. 328.
Vgl. „Tannenhanm ich klage dir, die Gicht plagt mich schier." Spricht man
dies drei Freitage hintereinander nach Sonnenuntergang, so dörrt der Tan-
nenbaum und die Gicht hört auf. Myth.' 1122. Mit einem ähnlichen Spruche
klagt man bei Wchlau die neunundneunzigerlei Gicht, indem man vor der
Fichte auf die Knie fällt und sie dreimal umkriecht. Frisch-
bier, Hexenspruch S. 63, 1. Der Fieberkranke macht einen Knoten (s. o.
S. 13) in die Zweige einer Weide un4 sagt diese Worte: Liebe Weide ich
klage dir, slebennndsiebenzig Fieber plagen mir. Frischbier, a. a. 0. 54, 5.
2) Grohmann a.a.O. 153, 1107. Vgl. aus Ostpreußen: hat ein Vieh
Würmer in Wunden, so knickt man vor Tage vier rotblühende Disteln um
die vier Köpfe nach den vier Himmelsgegenden und legt einen Stein in die
Mitte. Wuttkea 409, §. 686. Toppen, Abergl. a. Masuren S. 99.
16 Kapitel I. Bauroseele:
Diese zwölf Mädchen, die in vielen gegen sie gerichteten
Beschwörungsformehl „die bösen Schütteier", oder „Töch-
ter des Herodes" oder einzeln mit den Namen besonderer Krank-
heiten genannt werden, mithin Personificationen-der Krankheits-
ursachen sind,^ werden nun redend eingeführt:
Macht fertig die weißen Eichentische,
Schärfet die Messer von Stahl,
Macht heiß die siedenden Kessel, *
Spaltet-, durchbohrt bis zum Tode
Jedes Leben unter dem Himmel.
Die Holunder geben ihre Zustimmung zu dem Wunsche der
zwölf Schwestern ; alle lebenden Wesen sind dem Tode geweiht.
In diesen siedenden Kesseln
Brennt mit unauslöschlichem Feuer
Jedes Leben unter dem Himmel.
Doch die drei Holunder erfaßt mitleidige Rtihnmg:
Bund um die siedenden Kessel
Stehen die alten Holunder.
Die alten Holunder singen,
Sie singen von Leben, sie singen von Tod,
Sie singen vom ganzen Menschengeschlecht.
Die alten Holunder verleihen
Der ganzen Welt langes Leben;
Doch dem andern, dem Übeln Tode,
Bestimmen die alten Holunder
Eine weite und große Reise.
Die alten Holunder versprechen
Ein beständiges Leben
Dem ganzen Geschlechte der Menschen. ^
Rief der Baumgeist die Krankheit verursachenden Eiben
nicht freiwillig zurück, so bediente man sich zauberischer Worte
und symbolischer Handlungen, der unter uns sogenannten sym-
pathetischen Euren, welche darauf hinausgingen, die schäd-
lichen Geister unter einen Stein, in die Wüstenei zu verweisen,
einem Vogel zum Mitnehmen zu empfehlen, oder sonst zu ver-
bannen, vorzüglich aber sie auf einen Baum oder ein Kraut zu
1) Vgl. in G5tzes russ. Volksliedern S. 62, Myth. « 1107 die 9 Schwe-
stern , welche das Menschengeschlecht mit Fiebern plagen , wenn sie aus der
Erdhöle, in der sie gefesselt liegen, losgelassen werden.
2) Orcst. Miller, Opuit istoriczeskago obozrjonija Russkoi slovenosti.
St. Petersburg 1866. I, 10.
Banzn, Menschenleib and Eranheitsdämonen. 17
tibertragen, da sie ja zu solchen gehören, von solchen ausgingen; ^
oder wo diese letztere Vorstellung nicht mehr obwaltete, bewog
die in der Menschheit ewig rege Selbstsucht die Schmerzen des
eigenen Leibes auf einen fremden (den des Pflanzendämons) abzu-
leiten. Eine von Räucherung geweihter Kräuter und Rosenblät-
ter begleitete Beschwörung in Böhmen lautet:
Ich verwünsche euch Gliederweh,
Brandweh, Beinweh
^ In den tiefen Wald,
In die hohe Eiche,
In das stehende Holz
Und in das liegende.
Dort schlagt ench herum und stoßet
Und gehet dieser Person (Name) Ruhe.*
In Mecklenburg' spricht der Kranke bei abnehmendem Monde,
die Würmer anredend:
Ji sölt mit mi führen to Holt,
Dä^ steit en Bömken köl un stolt,
Darin will ik ju versenken,
Ertränken !>
In Böhmen hält der Besegner behufs Entfernung der „fres-
senden Würmer in den Augen" ein Büschel von 29 Sommer-
komähren an das kranke Auge und sagt : „ Du N. N. hast fres-
sende Würmer in den Augen. Ich laß sie nicht dort, ich
bespreche sie heraus. Kommt ihr Würmer in diese Aehren."*
Uebereinstimmend ist der mit mehriachen Modificationen weit
verbreitete Brauch, das Fieber in Getreidekörner (Gerste, Buch-
weizen u. 8. w.) durch Berührung mit dem Körper des Kranken
übergehen zu lassen, und dieselben dann auszusäen; verfaulen
1) Sehr h&ufig findet sich für diesen Gedanken nur der allgemeine
Ausdruck, daß die Krankheiten, die Elhe in den wilden Wald, unter
den Busch verwiesen werden. Birlinger Volkst. a. Schwaben I, S. 209 u.
317 und Myth.» CXUn. aus Voigt, Quedlinb. Hexenacten: „Du Eiben
und du Elbinne, mir ist gesagt, du kannst den König von der Königin
bringen und den Vogel von dem Nest, du sollst nicht ruhen noch lasten,
da kommest denn unter den Busch, dafi du den Menschen keinen Scha-
den tust.
2) Grohmann, Abergl. a. Böhmen, S. 158, 1137.
3) Struck, Sympathien, S. 27, 14. Wol Vermischung mit einem andern
Segen, wonach die Würmer in einen Brunnen verwiesen werden.
4) Grohmann, ÄbergL a. Böhmen, I, 185, 1301.
Mannhardt. 2
18 Kapitel I. Baumseele:
sie in der Erde, so starb der Quälgeist mit, gehen sie auf und
schießen in Halmen empor, so steckt er in diesen und sie zittern
bei ruhiger Luft beständig in Fieberschauem. ^ Wer an Schwin-
del leidet, läuft nach Sonnenuntergang dreimal nackt um ein
Flachsfeld, dann bekommt der Flachs den Schwindel.^
Wenn jemandem in Masuren die krazno lutki (Fettleute),
kleine rote Würmer, in den Eingeweiden an der Lunge zehren,
so schneidet man etwa 40 Paar Hölzchen von neunerlei Holz
(Kaddik, Erle, Birke u. s. w.) — dieselben müssen jedoch unter
einem Aestchen abgeschnitten sein, so daß sie mit die-
sem die Gestalt eines Häckchens bilden ~ übergießt den Kran-
ken mit einem Kübel warmen, bei abnehmendem Licht aus flie-
ßendem Rinnsal geschöpften Wassers und wirft die Hölzchen
paarweise hftein. Dann wäscht man den Leidenden (besonders
die Ohren, Nasenlöcher, Achselgruben und Kniekehlen) und sieht
nun nach, wie viele Hölzchen oben im Wasser schwimmen, und
wie viele zu Boden gesunken sind. Die ersteren zeigen die An-
zahl der krazno lutki an, welche den Körper des Patienten
bereits verlassen haben (d. h. in die Baumzweige übergegangen
sind), die letzteren entsprechen der Anzahl der noch im Fleisch
und Gebein des Unglücklichen verweilenden Plagegeister.* An
drei Donnerstagen wird die Procedur wiederholt, bis alle Fett-
leute aus dem Körper heraus sind, oder die Unheilbarkeit sich
herausstellte. Ein ganz ähnliches Verfahren wendet man mit drei
in 81 kleine Stäbchen zerlegten Zweigen des Kirschbaums
an, um zuerkennen, ob jemand mit „weißen Leuten'^ (bia2e
ludzie) in Haut, Blut, Adern und Gelenken behaftet sei. Bleiben
alle Stäbchen schwimmen , so ist der Besegnete von weißen Leu-
1) Wuttke , a. a. 0. §. 493.
2) Wuttke , a. a. 0. § 489.
3) Als lehrreiches Analogen beachte man das Verbot bei Burchard
T. Worms (Myth. ^ XXXVIl) : Fecisti quod quidam faciunt , dam visitant ali-
qnem infirmom, cum appropinquaTerint domoi, ubi infirmos decnmbit, si
invenerint aliquem lapidem jozta jacentem, revolvunt lapidem et
requimnt in loco ubi jacebat lapis, si ibi sit a liquid subtus qnod
vivat, et si invenerint ibi Inmbricam aut muscam ant formicam
aut all q nid quod se moveat, tunc affirmant aegrotam convalesoere; si
autem nihil ibi invenerint quod se moveat, dicunt esse moriturum. Sie sehen
zu, ob die insektenförmigen Erankheitsgeister schon aus dem Körper des
Leidenden unter den Stein zurückgekehrt seien.
Banm, Menschenleib nnd Erankheitsdämonen. 19
ten frei, geht ein Teil anter, so ist er mit ihnen in dem Grade
behaftet /als das Verhältniß zu den seh winmienden Zweigteilchen
angiebt. ^
Hiezu stellt sich u. a. der Brauch aus Vorarlberg, die Tschüta-
läose (d.4. Flechten, herpes) einem kranken Tier zu vertreiben,
selbst wenn das Stück entfernt ist. Man bricht bei Sonnenunter-
gang von der Holunderstaude 4rei Schossen ab unter Ver-
wahrung für das namentlich genannte Tier, dem man zu helfen
verlangt (dadurch gehen, wie man sich offenbar vorstellte, die
Plagegeister in die Schößlinge über), hernach bindet man sie
zusanmien und henkt sie in den Kamin oder sonst in den Rauch;
so geschwind die Schosse dürr werden , werden auch die Tschüta-
läuse weg sein. ' Aus diesen und ähnlichen Bräuchen darf wol
gefolgert werden, daß die Vorstellung von den gespenstigen Wür-
merii im kranken Menschenkörper wieder rückwärts gewirkt
habe auf die Vorstellung von dem den Baum- oder sonstigen
Pflanzenkörper bewohnenden Gewürm. Nicht allein unter dem
Baume, oder zwischen dessen Borke, sondern (trichinenartig) in
seinem Innern dachte man sich nun wol derartig die Eiben ver-
teilt, daß im Holze jedes Zweiges mehrere ihren Sitz hatten, wie
sonst in Fleisch und Gliedern des Menschen. In einen solchen
Zweig sollten die vorstehenden Zauberformeln sie zttrücklocken.
Möglich ist, daß die Knoten der Ästansätze ftlr Anzeichen des
Daseins je eines Eiben oder eines Eibenpaares (Elb und Eibin,
wie Wurm und Wttrmin) gehalten wurden ; wenigstens die Unfor-
men und auffallenden Ejiorren sollen von alten Eiben herrühren,
die sich im Baum verkriechen und dann verwachsen. ^ Bei Pots-
dam heißen sie Alfloddem und verursachen, wenn man unter
ihnen durchgeht, einen schlimmen Kopf. * (Der Alb springt von
ihnen herab in den Kopf des Menschen.) Im menschlichen Kör-
1) Toppen , Abergl. a. Masuren, S. 24. So die Berichte. Aber werden
die Hölzchen nicht unter allen Umständen auf dein Wasser schwimmen?
Vergl. Priflchbier, Hexenspruch, S. 74 — 78.
2) Vonbun, Beitrage z. D. Mythologie gea. in Churrhätien. Churl862.
S. 128.
3) £. M. Arndt, M&rchen nnd Jagenderinnerangen bei Mannhardt,
Genn. Mythenforsch. 476.
4) Kuhn , Westflü. Sag. II , 55, 158. Vgl. : In Strohseilknpten, die man
auf dem Acker findet, sitzen arme Seelen; sie werden erlöst, wenn man den-
selben auflöst. Wuttke, Abergl. §.767.
2*
20 Kapitel I. Baumseele:
per entsprechen diesen Knorren und Auswüchsen vorzugsweise
die G-eschwuIste, Warzen und Leichdörner, weil diese das Dasein
eines Geistes verraten; auch sie sind angeblich durch Uebertra-
gung auf einen andern Menschen, auf Tiere und Bäume, durch
Regen Wasser, das auf einem Leichensteine gesammelt wurde,
u. s. w. zu heilen. ^
Den vorstehenden Auseinandersetzungen entspricht es, daß
der Beschwörer den krankheitverursachenden Geist bald auf den
Ast des Baumes sich setzen heißt, bald leibhaftig mitten in das
Innere des Baumkörpers hineinzuversetzen sucht: „Zweig ich
biege dich, Fieber nun meide mich!" (Myth.i CXL, XXVl),
oder „Holunderast- hebe dich auf, Rotlauf setze dich
drauf!" (Myth. * 1122), oder den Holanderbaiim , während man
Fieber hat, schüttelnd: „Holunder! Holunder! Holunder! Auf
mich kriecht die Kälte; wenn sie mich verlassen wird, kriecht
sie dann auf dich! (Wuttke, §. 488. Grohmann, Abergl. 164, 1153)
oder: „Goden Abend Herr Fleder! hier bring ick min
Feber!" oder frühmorgens drei Knoten in den Ast eines alten
Weidenbaumes knüpfend: „Gon morgen, Olde, ickgefu
de Kolde; g6n morgen, Olde! (Myth.** 1123). Schon etwas
TJomplizierter, mithin auf ältere einfachere Formen zurückweisend
ist das von Plinius Valerianus (oder Siberius, einem Gallier des
4/ J^^hrh.) gemeldete Heilmittel fttr das viertägige Fieber: Panem
et sälem in linteo de lyco (lies: deliculo) liget et circa arborem
licio alliget et juret ter per panem et salem: „Grastino mihi
1) Wnttke a. a. 0. §. 513. Perger, Pflanzensagen 348. Frischbier, He-
zensprucli 93. Jetzt wird auch die Vorschrift verstandlich, welche schon
. im 4. Jahrh. der gallische Arzt Marcellas von Bordeaux verzeichnet: ne inguen
ex ulcere aliqno ant vulnere intumescat, surculnm anethi in cingolo ant
in fascia habeto ligatam in sparto vel quoconqne vincnlo, quo holns aut
obsoninm faerit innexnm, Septem nodos fades et per singulos nectens nomi-
nabis singnlas anus viduas et singnlas feras et in cruce vel brachio,
cujus pars vulnerata fuerit alligabis. Quae si prius faeias ante quam na-
scantur inguina omnem inguinum vel glapdularum molestiam prohibebis, sl
postea dolorem tumoremque sedabis. Inguinibus potenter medebere, si de
licio Septem nodos faeias et ad singulos viduas nomines'et supra talum
ejus pedis alliges , in cujus parte erunt inguina. Marcell. Burdigal. ed. Cor-
nar. cap. 32, p. 225. J. Grimm üb. Marcellus p. 24, 90. El. Sehr. 11, 141.
Die beim Knotenmachen als Zauberinnen und Untiere genannten alten Wei-
ber sind. die Geschwulst verursachenden Erankheitsgeister (vgl. o. S. 16ff. die
12 li&dchen in dem russischen Zauberspruch).
Banm, Menschenleib und Krankheitsd&monen. 21
hospites ventari sunt, sngcipite illos/^ Hoc ter dicat. Plin. Valer.
III. 6. p. 191^. Die Gäste sind die Plagegeister; der Kranke,
der sie nicht haben will, bringt sie dem Baum zugleich mit Brod
und Salz, damit dieser sie bewirte. Dazu vgl. Frischbier, Hexen-
spruch S. 53 , 3 , wo der Fieberkranke ein Geldstück und ein
StiLck Brod in einem Lappen jenseits neun Grenzen unter einen
Stein (vgl. o. S. 18 Anm. 3) trägt und spricht:
„Grenze, Grenze, ich klage dir
Kalt und Heiß plaget mir.
Der erste Vogel, der rüher fliegt
Nehm* es unter seine Flucht'."
und dazu wieder den Spruch ebds. 4. welcher lehrt, daß auch
dem Baume der Erankheitsgeist zuweilen nur übergeben wird,
damit er denselben einem Vogel zum Hinwegtragen in weite
Feme überliefere:
Born, Bora öck schödder di,
Dät kolo Feher hring öck di.
De. Erseht Vagel, der räwerflücht,
Dat de dat Feber kriege mücht.
lieber die ganze Vorstellung s. Kuhn, Zs. f. vgl. Sprachf.
Xin. 73, der nicht allein Analoga aus den Veden und der Edda
anführt, sondern auch an den Gebrauch in der Altmark erinnert,
daß Eopfwehkranke einen Faden zuerst dreimal um ihr Haupt
binden, dann in Form einer Schlinge an einen Baum hängen.
Fliegt ein Vogel hindurch, so nimmt er das Kopfweh mit. Ein
Gichtkranker soll sich vor Tagesanbruch im Walde einfinden,,
dort dreiTropfen seines (von den unsichtbaren Plagegeistern
erfüllten) Blutes in den Spalt einer jungen Fichte ver-
senken und nachdem die Oeffhung mit Wachs von Jungfem-
honig verschlossen ist, laut rufen: Gut morgen, Frau Fichte,
da bring i dir die Gichte! was ich getragen hab' Jahr und
Tag, das sollst du tragen dein Lebetag!* Wer jemanden von
Zahnschmerzen befreien will geht rücklings aus der Stube zu
einem Holunderstrauch und spricht dreimal
Liehe Hölter
Leiht mir einen Spalter
'' Den hring ich ench wieder !
1) Ernst Wagner, --ABC eines Henneherg. Fiebelschützen Tübing. 1810,
p. 229. Myth. » CXLV, XLIV.
22 Kapitel I. Baumseele:
Unterdessen macht er, sich umdrehend, zwei neben einander lie-
gende Einschnitte and schält die Rinde anf eines Zolls Länge,
doch so daß sie möglichst angerissen anten mit dem Aste ver-
einigt bleibt, schneidet aus dem bloßgelegten Holz einen Splitter
and trägt den wieder rücklings gehend in die Stabe. Der Lei-
dende ritzt dort mit dem grünen Splitter sein Zahnfleisch bis
derselbe blutig wird, (mit dem Blute den das Zahnweh verur-
sachenden Geist in sich aufninunt). Dann bringt ihn der Be-
schwörer immer rückwärts gehend wieder zu dem Holderbaum,
drückt ihn in den Splint, legt die Rinde, wie sie gewesen und
befestigt sie mit einem Bindfaden, damit der Einschnitt desto
eher verwachse. Dann noch einiges Gemurmel unverständlicher
Worte und der Zahnschmerz ist fort.^ In Dänemark nimmt man
bei Zahnweh einen Holunderzweig in den Mund und steckt ihn
dann in die Wand mit den Worten: „Weiche böser Geist."^
Es ist nun wol deutlich, wie alle vielfachen Kuren, welche
sonst noch auf ein Verpflöcken der Krankheit in den Baum,
(sogar die Pest wird als Schmetterling in den Baum verkeilt),
oder auf ein Einknoten oder Einbinden in Zweige hinausgehen
sammt und sonders auf eine und dieselbe Grandvorstellung zurück-
zufahren sind.^
1) Westfalen. Montanas, Volksfeste S. 149.
2) Myth. 1 CXVI. 162.
3) Wer eine lebendige Auschanung gewinnen will von der heidni eben
Vorstellung über die Herkunft der Erankbeitsdämonen , unterlasse nicbt das
finniscbe Epos Kalevala übers, v. Scbiefoer. Helsingfors 1852. ß XVII.
S. 88—95 nachzulesen. Auch der Finne hält die Krankheiten für lebende
Geister von böser Natur z. Teil in Tiergestalt. (Fingerwunn, Zahnwurm,
Hund u. s. w.) Castren , Finn Mythol. S. 173. Schröter , finn. Runen S. 48 ff.
Vgl. Myth.^ 1113. Sie kommen teilweise aus des bösen Hiisi Waldhürden,
aus der holen Föhre Wipfel , aus der morschen Tanne , der sausenden Fichte
Kalevala XVII. V. 206 ff.) Der Wald mit seinen Waldgeist em, der Wacholder
insbesondere, werden angefleht sie zum Weichen zu bringen. (V. 270.) Der
Beschwörer bannt sie in Piru's (des Teufels) Eberesche (Zs. f. vgl. Sprachf.
Xm, 151) und, wenn sie dorther kamen, in des Hiisiwaldes Schluchten, in
die Wohnung des Föhrenhains, in den Winkel des Tannendickichts. (V. 384 ff.)
Daneben aber giebt es noch tausenderlei andere Krankheitsdämonen, die aus
dem Fuchsloch, der Löwenhöle, aus der Erde Schoß, aus sandiger Wüste,
aus Sümpfen und Quellen, aus Schlachtfeldern und Gräbern, vom kahlen
Kupferberge und öden Meeresrücken, vom Pfad der Winde, vom Band der
Wolken, aus der Umgebung der Zauberer, aus dem Beiche des Todtengottes
Baun, Menschenleib and Krankheitsdamonen. 23
Von den unzähligen individuellen AuBgestaltungen und Sproß-
formen der dargelegten Ideen will ich nur noch eine hier erwähnen^
welche aufs neue recht deutlich den im Volksglauben feststehen-
den ParallelismuB des Baumes und des Menschenkörpers zeigt
Offenbar um seiner Form willen heißt ein schwellend hervor-
springender Fleischten bei Menschen , der Muskel , unter Hellenen,
Römern und Deutschen Maus, Mäuslein, Mäuschen, ahd. müs,
griech. fwg, lat. musculuB. Auch von Tieren gilt dasselbe Wort.
aufsteigen nnd jeder mit Anruf ang der über die genannten Elemente gebie-
tenden gottUchen Wesen an ihren Ort verwiesen werden. Ganz dieselbe An-
schauung , wie dieser Gesang aus Kalevala, sprechen namentlich auch böhmische
Begegnungen unumwunden aus. Die Strily (stechende Schmerzen) flogen
daher vereinigt mit dem Rotlauf und hielten sich im Kopfe, den Ohren ^ den
Zähnen. Sie werden verwünscht. Sind sie aus dem Winde, so sollen sie
wieder in den Wald (var.Wind) gehen, um dort Holz in den größten Dickich-
ten zu brechen ; sind sie aus dem Wasser , so sollen sie wieder ins Wasser
zurückkehren und in den größten Tiefen Sand binden ; sind sie aus den Felsen,
so sollen sie wieder in die Felsen gehen und Steine brechen; aber Kopf,
Ohren nnd Zähne soUen sie in Ruhe lassen und nicht mehr martern. Man
bannt sie in eine Hand voll Haferkömer. S. Grohmann, Abergl. a. Böhmen
S. 158—162. N<». 1138. 1143. 1144. — Aehnlich sind auch die deutschen im
Baum lebenden Elbe nur so zu sagen eine Abteilung einer größeren Genossen-
schaft. Lehrreich ist es auch manche analoge Vorstellungen anderer fremder
Naturvölker zu vergleichen. Der Karen in Hinterindien, der seine malaria-
schwangeren Wälder bereisend sich vom Fieberfrost geschüttelt fühlt, glaubt
in seinem Körper das Wüten des boshaften Phi zu fühlen und beeilt sich
Opfergaben an den Stamm des Baumes zu stellen, unter dem er zuletzt geruht
hat , denn aus dessen schwankenden Wipfeln ist dieser zwischen den Blättern
lauernde Martergeist auf ihn herabgefallen. Bastian in Zs. f. Yölkerps. Y, 287.
Man vgl. was eben derselbe Gelehrte (Völker des Östl. Asiens VI. Vorw. VII.)
über den nämUchen Gegenstand äußert: „daß sein Nebenmensch ihn in ein
Fieber zu schütteln vermöchte, darüber besitzt der Wilde keine Erfahrung
und fühlt er sich also von demselben gepackt, so bat er seinen geschlossenen
Ideenkreis durch Aufnahme eines Hilfsgliedes zu erweitem und pflegt er in
dem Fieber einen von menschlicher Existenz abgelösten, aber immerhin (weil
am nächsten liegend) in menschlicher Form erscheinenden Dämon zu erkennen,
der auf den Bäumen der Malariawälder lauert'* Deutlich ist hier das
Zittern des vom Fieberfrost geschüttelten Menschenkörpers
mit dem Zittern des vom Winde bewegten BaumkÖrpers in
der Idee der Wilden combiniert, und es darf wol gefragt werden, ob
neben den Insekten (o. S. 13) nicht auch diese Vorstellung zu den psy-
chologischen Factoren unserer sympathetischen Kuren gehört
habe?
24 Kapitel I. Banuiseele:
So heißt in Augsburg ein besonders geschätzter Teil des Rind-
fleisches Herrenmaus. Man hat aber sicherlich diese Stelle einst
auch wirklich von einem geisterhaften Wesen in Mausgestalt
erfl^Ut gedacht. In vielen Sag.en schlüpft die den Menschenleib
bewohnende Seele in Mausgestalt aus dem Munde und verläßt
zeitweilig oder fllr immer den Körper.^ Auch Hexen, Hausgeister,
Waldgeister und andere Dämonen nehmen Mausgestalt an.'
Caspar Peucer, Melanchthons Schwiegeröohn war doch wol durch
eine allgemeine Anschauungsweise seiner Zeit zu der Ueberzeu-
gung und Behauptung verleitet, er selbst habe bei einer beses-
senen Weibsperson den Teufel in Gestalt einer Maus unter der
Haut hin und herlaufen sehen. ^ Wenn daher der Aberglaube
versicherte, gewisse unerklärliche und krankhafte Anschwellungen
des Körpers bei Menschen und Vieh rührten daher, weil eine
Feldmaus darüber hingelaufen sei, so wird diese Vorstellung
ursprünglich ein Hineinschlüpfen gemeint haben und nichts anderes
besagen, als daß diese Geschwülste ähnlich den Warzen und
anderen Auswüchsen durch einen gespenstigen Parasiten und zwar
einen mausgestaltigen erzeugt würden. Unter dieser Voraus-
setzung wird es dann vollkommen erklärbar, weshalb man, um
jene Krankheit zu heben , eine lebendige Feldmaus in eine Eiche,
Ulme oder Esche, (poUardash, shrewash) verpflöckte und der
Ansicht war, mit einem Zweige dieses Baumes berührt, werde
die Geschwulst sofort aufhören.^ Natürlich, die gespenstige
Maus wurde als in den Baum zurückgegangen gedacht. Man
gewahrt hier aber deutlich, wie durch Analogie und Wechsel-
wirkung der Vorstellungen, nachdem zuerst die im Baume hau-
senden Insekten mit den vermeintlichen schmerzerregenden
1) Myth.« 1036. Mannhardt, Germ. Myth. 79 Zs. f. D. Myth. IV. 449.
Grohmann , Apollo Smiutbeas S. 21 ff.
2) Vernaleken, Mythen und Gebr. 239. Enhn und Schwarz Nordd.
Sag. 411.
3) De praecip. gener. divinat. Yiteb. 1580 S. 10 bei Grohmann a. a. 0.
S. 24.
4) Gil. White, the natural history and antiqnities of Selbome. London
1789, 4. p. 202—204 bei Grimm Myth.« 1120 vgl. K. Studleys Bericht ans
Devonshire y. J. 1806 Brand, Populär antiquities of Great Britain. ed. Ellia.
London 1855. III. S. 293. Rob. Plot, natural history of Staffordshire Oxford
1686 S. 222. Mytb.8 1120.
Baam, Menschenleib und Erankheitsdamonen. .25
Würmern identifiziert worden waren, non anch andererseits die
auf Gewürm oder Ungeziefer anderer Art erweiterte Vorstellmig
Yon den Krankheitsgeistem rückwärts auf den Baum als ursprüng-
lichen Wohnsitz derselben übertragen worden und daher der
Glaube an die Heilung durch eingepflöckte Feldmäuse entstanden
ist. Fast überall wird bei derartigen Heilversuchen der Baum-
geist angeredet, und von den Krankheit bringenden Geistern, den
Eiben, unterschieden. Nicht also das bewußtlose Gewächs, son-
dern der empfindend und denkend gedachte, der vollen Anthro-
pomorphose sich annähernde Baum beherbergt, entsendet und
nimmt wieder auf die schädlichen geisterhaften . Würmer. ^ Jene
Aussage Laszkowskis über den Glauben der Niederlitauer wirft,
wie es scheint, die Baumgeister und die Eiben in eins. Erstere
wollte der erzürnte Neubekehrte tödten oder schädigen, indem
er von den Bäumen die Binde abschälte (ego vos nudas
faciam); aber unter den dem Viehstand schädlichen Götterchen,
Welche „intra arbores et.cortices" verborgen seien, sind sowol die
den Baum als ihren Körper erfüllende unter der Binde als unter
ihrer Haut sich bergende Baumseele, welche die Plagegeister auf
Tiere und Menschen entläßt, als die in Holz und Borke umher-
kriechenden den Leib des Baumgeistes bevölkernden „ bösen
Dinger" von dem in die Einzelheiten der Vorstellung schwerlich
genauer eingeweihten Berichterstatter zusammengefaßt.^ Die
1) Zuweilen verwendet der aberglfinbische Branch freilich auch leblose
Dinge als Vertreter lebender Wesen, wie wenn z. B. das zerbrochene Bein
eines Schafes oder Schweines dadarch geheilt werden soll, daß man das
entsprechende Bein eines Stuhles von gesundem Holze schient und verbindet
and den Stuhl dann unangerührt stehen läßt. Panzer Beitr. IT. 302. Der
vierbeinige Stuhl ist um seiner Gestalt willen zum Substituten des geschä-
digten Tieres gewählt. Solche Analogien erhärten aber nur unsere Behauptung,
daß der Baum als alter ego des Menschen aufgefaßt wurde, zu dem sein
aufrechter Wnehs und die Eigenschaft des Wachstums ihn in Parallelismus
setzte.
2) Oder nahm der Zemaite etwa mehrere Seelen in einem Baume zu-
gleich an und identifizierte diese mit den Eiben? Aehnlich lebt ja der
Caraibe des Glaubens, daß der Mensch so viele Seelen habe, als er
Adern in sich schlagen fühle. Die vornehmste Seele habe im Herzen
ihren Sitz; sie gehe nach dem Tode zum Himmel und lebe dort in Gesell-
schaft der Götter auf die gewohnte Art. Die andern Seelen, die nicht im
Herzen ihren Sitz hatten, begeben sich teils zur Seeseite und sind Ursache,
26 Kapitel I. Baomseele:
Richtigkeit dieser Behauptung werden die auf den nachfolgenden
Seiten anzustellenden Untersuchungen dartun, welche nachzu-
weisen bestimmt sind, wie detailliert sich der Volksglaube die
Analogie des Baumleibcs mit dem Menschenköi-per weiterhin
ausmalte.
§. 8. Strafe für BaumschSIer. Von allem anderen abge-
sehen beweist Laszkowkis Mitteilung, daß bei einem Volke
lettischen Stanames es für einen Frevel galt heilige Bäume
der Rinde zu berauben, weil dadurch innewohnende Dämo-
nen geschädigt würden; wer dies dennoch tat, erwartete tür sich
einen unerhörten Nachteil. Hiermit stimmt nun genau das Ver-
bot des Baumschälens in dem uralten Gewohnheitsrechte der
deutschen Markgenossenschaften zusammen, welches furchtbare
Stj^fen flir solchen Forstfrevel androhte: Aus den Weistümem
hat J. Grimm R. A. 519 ff. viele Beispiele zusammengestellt, ihrer
noch weit mehrere sind hie und dort in seiner großen Weisttfmer-
sammlung veröffentlicht; sie gleichen sich und es genügt das eine
oder das andere herauszuheben.* „Item es soll niemand Bäume
in der Mark schälen, wer das täte, dem soll man sein Nabel
aus seinem Bauch schneiden und ihn mit demselben an den
Baum negeln und denselben Baumschäler um den Baum ftihren,
so lang bis sein . Gedärm alle aus dem Bauch auf den Baum
gewunden seien. (Oberurseier Weistum.) Wenn jemand eine
Weide abschält, soll man ihn mit seinem Gedärme den Schaden
bedecken lassen; kann er das verwinden, kann es der Baum
auch verwinden. (Wendhager Bauemrecht.) Der en fruchtbaren
Baum truttelde, soll mit seinen Dermen nach ufgeschnittenem
Bauche umb den Schaden gebunden und damit zugehelen werden.
Wenn jemand einen fruchtbaren Baum abhauete und den
Stamm verdeckte dieblicher Weise, dem soll seine rechte Hand
uf den Rucken gebunden und sein Gemechte uf den Stammen
genegelt werden und in die linke Hand eine Axe geben sich
damit zu lösen. (Schaumburger altes Landrecht.) Wir haben
meines Wissens keinen Beweis dafür, daß dieses barbarische Recht
in Deutschland zu historischer Zeit jemals in Anwendung gebracht
daß die Schiffe nntergeben, teils gehen sie in die Wälder nnd heißen
Mabosos.. Davies , history of the Caribes 288 ff. Klemm , Allgem. Kalturgesch.
n, 165.
Strafe f&r Baamschftler. 27
I
sei. Der Schuldige konnte Hals und Glied mit einer geringen
Geldsumme lösen. ^
Ein um so bemerkenswerteres Zeugniß für die Wahrheit des
Dichterwortes, daß „Rechte und Gesetze" sieh längst überlebt
wie eine ewige Krankheit fortpflanzen, bietet daher u. Ä. das
Protokoll des Holt-tings zum Harenberg' unweit Blumenau und
Limmer bei Hannover am 13. Nov. 1720. Noch damals erklär-
ten die Beisitzer des unter dem Herrn von Holle als Erben und
Holzgrafen zusammengetretenen Holzgerichts: Frage 22: Wenn
einer befunden würde „ der einen Heister (ndd. hßster junger
Eich- oder Bucbbaum) witjede (von witjen weiß machen, schälen),
wie hoch derselbe soll gestraft werden? Antw.: Man solle dem
Täter das Eingeweide aus dem Leibe schneiden und daran
knüpfen und ihn so lange umb den Heister herumjagen, bis er
wieder bewunden wird. Fr. 23: So einer befunden, der einem
fruchtbaren Heister den Poll (Wipfel, Kopf*) abhauete, wie
hoch derselbe soll gestrafet werden ? Antw. : Wenn der Heister
fruchtbar sei , solle dem Täter der Kopf wider abgehauen werden.
Fr. 24: Wenn einer einen Schnatbaum (Grenzbaum) abhauet, wie
hoch derselbe solle gestrafet werden? Antw.: Man soll dem
Täter den Kopf auf dem Stamm wider abhauen.' Augenschein-
1) S. J. Grimm R. A. S. 520. 739 ff. G. L. v. Maurer, Geschichte der
MarkenverfassuDg 1856. S. 371. F. Thudichum,. die Gau- und Marlcenver-
&88ung in Deutschland 1860. S. 276. Noch mehrere Beispiele aus Grimms
Weist&mem sind zusammengestellt bei Maurer a. a. 0. 370.
2) Vgl. bi de poUe krigen beim Kopf fassen, jemandem In die Haare
fallen; de polle lüsen die Haare raufen.
3) Grimm Weistümer III. 283. Grenzbäume hatten besondere Heiligkeit,
S. J. Grimm Grenzaltert. 128. Kl. Sehr. U. 56. Vgl. noch als höchst bezeich-
nend: Wer eine Eiche yerstümmelt hat, „den soll man bringen bei den
Stämmen und hauen jhme seinen Kopf ab und setzen denselbigen so
lange darauf, bis das er wieder wächst." (Beberer Mark. Grimm
Weist, in. S. 305 Nr. 16.) „Wenn einer einen Baum köpfete, derselbe
soll wiederum geköpfet werden." (Gümmer Holzmark. Weist. HI. 288. Nr. 26).
„Wann einer einer Eiche den Poll abhauete, dem soll man den
Kopf abhauen und in die Stelle setzen. (HtLlseder Mark. Weist
ni. B02, Nr. 25.) Wer Blumholz (eine Bloemware) zur Nachtzeit (s. o.
S. 11) gehauen hatte, sollte mit dem Stamm vor Gericht gebracht und
ihm daselbst auf dem Stamm mit einem Blaser d. h. mit einem Hiebe
der Kopf abgesclilagen werden, (Speller Mark. Weist. lU. 183), d. h. so, daß
sein Geist aus dem Haupte in den Baumrumpf übergehen könnte.
28 Kapitel I. Baamseele:
lieh hatten diese furchtbaren Strafandrohungen nur' dann Sinn,
wenn man zur Zeit, als sie zuerst ausgesprochen wurden, annahm,
daß der Wipfel den Kopf, die deckende Rinde die Haut, der
umwickelnde Bast die Eingeweide des Baumes als eines beseelten,
mensehcnartig empfindenden Wesens darstellten. Wer die Krone
haut, Borke und Bast »des lebenden Baumes reißt, beraubt den
Baumgeist der zum Leben notwendigsten Glieder. Vgl. oben den
Zemaiten Lazskowskis und unten in Kap. II. die Moosweibchen
im Orlagau. Nach dem Grundsatze Auge um Auge, Zahn um
Zahn sollte der frevelnde Mensch mit dem entsprechenden Teile
seines Körpers gut machen, was er an jenem gesündigt; er sollte
die entfremdeten Glieder mit seinen eigenen gleichsam ersetzen.
Zu einer gewissen Zeit muß es mit solchen Strafandrohungen
auch in Deutschland bitterer Ernst gewesen sein, mag diese
Periode auch vielleicht hinter der Zeit der Bekehrung zum Christen-
tum weit zurückliegen. In abgelegenen Strichen des Westens
z. B. in Irland dauerte sie aber im elften Jahrhundert, in den
heidnischen Ländern des Ostens im dreizehnten Jahrhundert noch
fort. Was in unsem Weistümern nur als eine durch die Tradition
fortgepflanzte, in der Praxis schwerlich ausgeführte Rechtsformel
uns entgegentritt, war dort noch ein Stück lebendiger Sitte.
Als die deutschen Ordensritter die Eroberung Preußens kaum
begonnen hatten, wurde, ihnen im J. 1231 von seinem eigenen
Oheim einer ihrer hartnäckigsten Gegner, der Häuptling Pipin
in die Hand geliefert. „Quem deleto Castro suo totaliter pere-
merunt. Ventrem namque ipsius circa umbilicum aperire fecerunt
et umbilicum arbori affixerunt et per circuitum arboris currere vi
praeceperunt, quousque penitus evisceratus fuit et sie qui multos
Ghristianos impie necaverat crudeliter fuit interemptus. So erzählt
nach einer den Ereignissen fast gleichzeitigen Quelle die ältere
Chronik von Oliva p. 21. (Script. Rer. Prussic, edd. Hirsch
Strehlke, Toppen L 677.) Obwohl das wirkliche Verhalten der
deutschen Ordensritter keineswegs durchaus dem idealen Bilde
entsprach, an welches J. Voigts berühmte Darstellung die Lese-
welt gewöhnt hat, müßte uns ein so barbarisches Verfahren von
ihrer Seite unbegreiflich erscheinen, wenn dasselbe nicht eine
ganz besondere Veranlassung hatte ; die Verwunderung schwindet,
sobald wir der naheliegenden Vermutung Raum gebeil, daß die
Deutschherren ihrem Gegner diejenige Todesart zuerkannteil,
Strafe für Baumschäler. 29
welche er zuvor einem oder mehreren ihrer Untergebenen mochte
angetan haben. Wenn man sich erinnert, daß heilige Bämne
und Haine, denen kein Christ nahen durfte (Adam. Brem. IV. 18)
bei den Völkern lettischen Stammes den Fremden als die augen-
fälligste Aeußerung ihres Cultus immer zuerst bemerkbar gewor-
den sind , daß mithin grade diese die nächsten Opfer des frommen
Bekehrungseifers der Christen sein mußten, so ist leicht einzu-
sehen, wie der preußische Häuptling seinerseits freche Eindring-
linge f)ir ein an heiligen Bäumen begangenes Sacrileg strafen zu
müssen geglaubt hat. Wenn die Deutschen dies dann wieder fdr
nichts anderes, als einen rohen Ausbruch blutdürstigen Hasses
ansahen und demgemäß behandelten, so gewährt uns diese Bloß-
legung der wahren Motive nur einen weiteren Beleg fttr die
traurige Wahrheit, daß viele unserem Gefühle Schauder erregende
Taten der beiderseitigen Unfähigkeit entspringen sich in die Ge-
dankenwelt des Gegners zu versetzen. Uebrigens darf' uns der
barbarische Character der Strafe nicht verleiten den Culturzustand
der alten Preußen allzuniedrig anzunehmen^, sie standen (2umal
in wirtschaftlicher Beziehung, wie das Neumannsche Vocabular
lehrt) kaum niedriger als ihre christlichen Nachbarn in Polen und
wenn der obige Bericht Laszkowski's die Entdärmung auch in
lettopreußischer Sitte als' anfängliche Vergeltung för Baum-
schälen begreiflich macht, so läßt mich der Umstand, daß die
Bekehrer heilige Bäume eher mit .der Axt umzuhauen pflegten,
daran denken, daß wol schon 1231 jenes Verfahren für jede Art
Verletzung der geweihten Haine und der mit religiöser Ehrfurcht
behandelten Stämme in Anwendung gebracht sein mag, und im
späteren Verlauf des zweihundertjährigen feeligionskrieges , der
mit der Ankunft der Deutschen anhub, wird es bei steigender
Erbitterung auch in solchen Fällen auf Christen ausgedehnt sein,
wenn sie kein specielles Baumheiligtum geschädigt hatten.^ So
1) Aach anderswo muß das arsprünglich f&r BaumbeschadigUDg oder
Markfrevel giltige Strafverfahren des Ausdärmens später rerallgemeinert sein.
Grimm BA. 520. Anm. füQirt ^as der Nialasaga S. 158 p. 275 die. ich nicht
znr Hand habe, an^ daß es im Juhre 1014 in Irland und nicht wegen Mark-
frevels an einem Gefangenen zur Anwendnng gebracht worde. „Man ritzte
ihm dem Unterleib, fährte ihn um die Eiche und wickelte so die Gedärme
aus ihm, und nicht eher starb er, bis sie alle aus ihm herausgewickelt
waren."
* \
30 Kapitel I. Banmseele:
wird der folgende Vorgang yerständlich. Im Januar 1345 erschien
der heidnische Litauerkönig mit seinem Heere vor Riga. Festi-
nans ad transitum (Dtinabrücke ^ die zur Stadt flihrte) occurrit
ei juvenis mercator nihil sciens de guerris; quem apprehenderunt
et ligaverunt pagani, ventrem ejus sciderunt et circumducunt
cum arbori^ donec-intestina ejus omnia extraheret^ deposuerunt-
que eum de trunco, sanguinem ejus sacrificando in quo
delectabantur exultantes. (Wigand Marburg, cap. 32. Lat. Ausz.
Scr. Rer. Prussic. U. 505.) Auch dieses Zeugniß bewährt, daß
wir es mit einer religiösen Handlung, nicht mit einer profanen
Strafe oder leeren Grausamkeit zu tun haben ^ und auf eben den-
selben Punkt trifft noch ein weiterer Beweis, den ein Ereigniß
aus der Zeit um 1236 darbietet. Papst Gregor IX. spricht sich
nämlich 1238 in einer Bulle über die Verfolgung der Neubekehr-
ten in TawasÜand durch die finnischen Heiden folgendermaßen
aus: Letztere tödten die getauften Kindlein, quosdam adultos
extractis ab eis primo visceribus daemonibus immolant et
alios usque ad amissionem Spiritus arborem circuire
compellunt.^ Eine so blutige Ceremonie durfte wol von den
Christen als ein den Dämonen dargebrachtes Opfer bezeichnet
werden, wenn sie auch nach Anschauung der Heiden eine Stlhne
für ihre beleidigten Götter war. Unter den letzteren werden
wir auch in diesem Falle zunächst an jene der Hyldemoer, Aska
froa u. s. w. zu yergleichenden Baumnymphen denken, welche
der Finne unter dem Name)i Kati, puiden emuu (Eati? Baum-
mutter) Tuometar (von tuomi Traubenkirsche) Katajatar, (von
kataja Wacholder), Hongatar (von honka Tanne), Fihlajatar (von
pihlaja Eberesche) als Pflegerinnen und Schtttzerinnen der Wald-
bäume verehrte,^ und deren ja in jedem heiligen Haine eine
oder mehrere zur Stelle waren. Es ftlhrt uns tief in das frische
Waldleben der Vorzeit ein, wenn diese Gottheiten — die nach
S. 22 Anm. 3 unzweifelhaft auch als Menschen und Tieren
gefährlich gedacht worden sind — anderseits angerufen werden,
sich der auf der Waldweide gehenden Viehheerden anzunehmen
1) Raynald, annal. eccles. Tom XIII. p. 457. Liljegren, Diplom. Succ.
1. 290. Nr. 298. Script. Rer. Livon. I. 389.
2) Castr^n, finn. Mythologie übers, y. Schiefner S. 105.
Strafe für Baumscbäler. 31
nnd ihnen in reichlichem Maße Lanb zum Futter zu spenden.^
Wie durch die vorhergehenden Zeugnisse bei Finnen und Litauern,
lernen mi die Sitte der Entdärmung durch Helmold auch als
Brauch der heidnischen Slaven des 1 2. Jahrhunderts in Wagrien,
Polabien und Obotritenland kennen. Er schildert deren Blut-
durst und fügt hinzu: ,;Wie viele Todesarten sie den Christen
schon zugefügt haben ist schwer zu erzählen, da sie den
einen die Eingeweide aus dem Leibe rissen, und sie
um einen Pfahl wickelten (his viscera extorserint palo
circumducentes), die andern ans Kreuz schlugen, um das Zeichen
nnserer Erlösung zu verhöhnen." * Bei den Wagriem lag das
ChriBtentum damals bereits seit mehreren Jahrhunderten mit dem
Heidentum im Kampf und dieser war zu großer Erbitterung
gediehen. Da wir aber von ihnen ebenfalls wissen, daß Land
und Städte an heiligen Hainen und Hausgöttern (luci et penates)
Ueberfluß hatten (redundabant),^ so ist leicht zu erraten, daß
auch hier jene Marterart gegen die Christen ursprünglich mit
dem Auftreten der Missionare in Zusammenhang gestanden haben
wird.*
1) Kalevala B. XXXII. Sollte es gar zu befremdlich scheinen , daß
jemals der Glaube entstehen konnte, das Leben des Baumes werde gefordert,
wenn man eine entsprechende Ceremonie am Körper des Menschen vornehme,
80 stellt sich u. A ein anderer barbarischer Brauch im fernen Orient in
ParaUele , den uns das Buch über die nabatftische Landwirtschaft überliefert.
Das Pfropfen der Bäume ließen die Nabataer durch ein schönes Mädchen vor-
nehmen, dem während dieser Operation ein Man.n auf unnatürliche Weise
beiwohnte. Hier bietet, wenn ich mich mit Thümmel so ausdrücken darf,
die Inoculation der Liebe das animalische Seitenstück zur Oculierung des
Baumes und soU als solches den Erfolg desselben fordern. S. Bastian, der
Mensch in der Geschichte ni, 319. Vgl. das ekelhafte Zaubermittel in einer
Bußordnung bei Waschersieben, Bußordnungen der abendländischen Kirche.
Halle 1851. S. 576. Ein Weib wird unfruchtbar „si semen yiri sui neglexerit
aut in arborem putridam ponit." Es ist klar, daß in diesem Brauche der
Baum ein Doppelgänger des Weibes sein soll.
2) Helmold, chronicon Slavor. L c. 52.
3) Helmold a. a. 0. I, 52. cf. 83. Vgl. unten die schwediscütien Y&rdtr&d
and die Haine des mahjas kungs bei den Letten.
4) Noch Helmold selbst war im J. 1155 Augenzeuge einer fanatischen
Vernichtung heüiger Bäume und als dann Priester Bruno nach Aldenburg in
Wagrien berufen wurde „ trat er das Werk Gottes mit großem Eifer an,
indem er die Haine niederhieb.^' Helmold a. a. 0. I. 83. So aber
war es sicher schon seit Jahrhunderten bei jedem neuen Siege der Christen
32 Kapitel I. Bamnseele:
§. 9. HltelnanderwuehB des Baumes und des Menschen«
leibes. Das Gegenstück aber za dem durch die Strafe iUr
Baumschäler geforderten Ersatz zerstörter Baumglieder liefert der
Volksglaube ; daß umgekehrt Gebrechen des Menschen durch den
Baum ausgeglichen werden könnten. Bekommt ein neugeborenes
Kind einen Leibesschaden , so schlitzt man am nächsten Char-
freitag ein Weidenstämmchen auf , zieht das Kind hindurch und
verbindet den Spalt wieder, sobald er verwächst wird das Kind
gesund.^ Meistens ist es eine in der Mitte gespaltene mit großen
Keilen auf eine Weile auseinander gesperrte später wieder fest
verbundene und verklebte junge Eiche oder ein Obstbaum, wo-
durch man das lahme, oder an Nabelbruch oder an zurückblei-
bendem Wachstum (englischer Krankheit) leidende Kind vor
Sonnenaufgang schweigend und nackt kriechen läßt.^ Acker-
mann sah um 1790 in dem Eichenschlage eines gewissen Dorfes
viele junge Eichen, an denen dieser Vereuch gemacht war.*
Rückgratsverkrümmungen heilt man, indem man den kranken
Kleinen dreimal durch den aus der Erde hervorragenden Bogen
einer Wurzel zieht; kann er nicht gehen lernen, so heißt man
ihn durch die in die Erde gewachsenen Ranken des Brombeer-
strauchs kriephen. Wenn der Bruch des Baumes verwächst, ver-
wächst der Bruch des Menschenleibes, wenn der Baifm, der
Brombeerstrauch von der Wurzel aus grade und gesund in die
Höhe wächst und Fortgang nimmt, so der darunter durchkriechende
Mensch. Derselbe hat sein Schicksal, sein Leben mit demjeni-
gen der Pflanze gleichsam auf mystische Weise verknüpft, sich
selbst mit ihr so zu sagen für eins erklärt.* Dies geht noch
getrieben worden und die Strafe für sacrilegiscbe Schändung oder Ver^
nichtung der Banmheiligtümer konnte längst traditionelle Weise des Menschen-
opfers aus christlichen Gefangenen geworden sein.
1) Oberpfalz, Bavaria II, 255.
2) Wuttke a. a. 0. §. 503. Grimm Myth.« 1118. 1119. Schiller z.
Tier- nnd Eräuterbuch des Mecklenburger Volkes III, 30.
3) Deutsche Monatsschr. 1791. S. 439.
4) Auf dieselbe Weise identifizierte man das menschliche Leben mit
demjenigen von Tieren. Baker, Nilznflüsse in Abyssinien I, 251 berichtet
als Aberglaube der arabischen Weiber, daß Frauen, welche sich in interres-
santen Umständen befinden, einem recht starken Kameel zwischen Vorder-
und Hinterbeinen durchkriechen in der Meinung, daß diese Handlung dem
Kinde die Stärke des Tieres mitteilen werde.
Miteinanderwnohs des Baumes und des Menschenleibes. 38
deutlicher aus dem Umstände hervor ^ daß es fortan flir den so
Geheilten sehr gefahrvoll sein soll^ wenn der mit ihm in Sym-
pathie gebrachte Baum abgehauen wird.^ Sein Leben geht mit
dem des Baumes zu Ende. Und mngekehrt stirbt der Mensch
zuerst, so geht — nach Bügischem Glauben — sein Geist in den
betreffenden Baum über und ynxi der letztere nach Jahren zum
Schiffsbau tauglich nnd dazu benutzt , so entsteht aus dem im
Holze weilenden Geiste der Klabautermann, d. h. der Kobold
oder Schutzgeist des Schiffes und der Schiffsmannschaft.^ Uebri-
gens lehrte schon unter Theodosius MarceUn^ von Bordeaux die
in Bede stehende Kur: Si puero ramex descenderit, cerasum
novellam radicibns suis stantem mediam findito, ita at per plagam
puer trajici possit , ac rursus arbosculam conjunge et fimo bubolo
alüsque fomentis obline, quo facilius in se quae scissa sunt coeant.
quanto autem celerius arbuscula coaluerit et cicatricem duxerit,
tanto citius ramex pueri sanabitur.^
Es liegt von meinem gegenwärtigen Zwecke ab auszuMiren,
wie dieses Durchkriechen durch einen gespaltenen Baum sich
umgesetzt hat in das Durchkrie6hen durch die natürliche Höhlung,
welche durch zwei unten sich trennende oben wieder in eins
zusammen wachsende Aeste gebildet wird, oder durch alle mög-
lichen anderen Spalten und Höhlungen z. B. in Steinen, in der
aufgegrabenen Erde (Friedberg, Bnßbtlcher S. 99) u. s. w. Was
wir jedoch vom Baume geglaubt sehen, findet auch auf das Ge-
treide Anwendung. Hat ein Kind kein Gedeihen, so legt man
es am Johannismorgen nackt in den Rasen und sät Leinsamen
tlber dasselbe, oder man übersät es im Frühjahr mit Sommer-
gerste, wenn die Saat aufgeht, zu „laufen'^ anfängt, fängt auch
das EJnd an zu laufen.^ Der aufsprießende Halm ist hier der
Doppelgänger des jungen Menschen und sein Wachstum verbürgt
das Emporschießen und die Gesundheit desselben. Und anderer-
1) D. Monatschr. 1791. a. a. 0. Bei entlegenen Naturvölkern begegnen
Analogien. Nach Bastian, Zs. f. Völkerpsych. Y, 297 knüpfen z. B. die Eüsten-
bewohner im Camerongebirge^ (Guinea) ihr Leben geheimnißvoll an einen
Baum.
2) Zs. f. D. Myth. ü, 141.
3) MarceUus Burdigalensis Cap. 38, p. 229. Grimm, Marcellus p. 24, 91.
KL Sehr, n, 141. »
4) Wuttke a. a. 0. §. 548.
Mannhardt 3
34 Kapitel I. Baumseele :
seits trat an die Stelle des Menschen auch wol das Tier; im
7. Jahrhundert predigt der h. Eligins im Frankenreiche ^^Nullns
praesumat pecora per cavam arborem transire (Myth. * XXX.).
Es ist also anch das Tier mit dem Banme gewissermaßen iden-
tifiziert worden.
§. 10« Yerletaste Bäame bluten. Die Verschmelzung von
Mensch (oder Tier) und Pflanze in der Phantasie, die magische
Wechselwirkung zwischen beiden, welche in dem bisher bespro-
chenen Volksglauben uns entgegentrat, steigerte sich zuletzt zu
der noch mehr anthropomorphischen Vorstellung, daß heilige
Bäume und andere Pflanzen bei Verletzungen bluten, als wären
sie leibhafte Menschen und nur dem äußeren Scheine nach Vege-
tabilien. Loccenius im 17. Jahrhundert erzählt,^ daß ein Ejiecht
auf dem Gute Vendel im Kirchspiel Osterhanning in Södermann-
land einen schönen schattenreichen Wachholder hauen wollte,
der von andern Bäumen umgeben auf einem ebenen, runden
Platze stand. Da hörte er eine Stimme „Haue den Wachholder
nicht I ^ und als er sich dennoch anschickte zuzuschlagen, ertönte
die Stimme abermals: „Ich sage dir haue den Wachholder
nicht.^' Afzelius' berichtet damit ttbereinstimmend nach einer
älteren Schrift, als ein Mann einen Baum im Walde habe ab-
hauen woUen, habe aus der Erde eine Stimme gerufen „Lieber,
haue nicht!^^ und aus den Baumwurzeln sei Blut geflos-
sen. Eine der ersten schwedischen ähnliche Sage erzählt man
in Baden von einem Eirschbäumchen bei der Barbarakirche zu
Herrenalb , aus dem sich ein Bauer eine Flegelrute machen wollte.
Da rief es beim ersten Schnitte hinein „Au weh! und ebenso
beim zweiten, worauf der Bauer sich mit Grauen davon machte.
Am andern Tage war das Bänmchen verschwunden. Ein ander
Mal, als ein Küfer dort eine Birke abschneiden wollte, rief es
bei jedem der drei Schnitte aus ihr „ o Jesus ! '' Auf dieses ließ
der Küfer die Birke stehen, die er später nicht wiederfinden
konnte.^ Doch auch der von Afzelius berichtete Zug findet unter
deutschredenden Stämmen Analogien. Man vergleiche nur was
Schiller Walter Teil zu seinem Vater sägen läßt (Act. lH. Sc. 3):
1) LocceniuB, antiqnitat. Sneogoth. 3 bei Amkiel a. a. 0. p. 179.
2) Volkssagen und Volkslieder Schwedens, übers, v. Ungewitter II, 308.
3) Baader, Volkssagen ans Baden. I, 172, 185.
Verletzte BSnme bluten. 85
Vater ists wahr, daß auf dem Berge dort
Die Bäume bluten, wenn man einen Streich
Drauf führe mit der Axt?
Teil: Wer' sagt das Knabe?
Walter: Der Meister Hirt erzählte. Die Bäume seien
Gebannt, sagt er, und wer sie schadige
Dem wachse seine Hand heraus zum Grabe.
Grimm Myth.« 619 fllhrt aus Meinerts Kuhländchen S. 122,
das mir nicht zur Hand ist, an, daß die Erle anhebe zu bluten,
zu weinen und zu reden, wenn einer sie haue. Nach Schön-
werth soll es auch oberpfälzische Sagen geben, daß der Baum
blute, wenn er umgehauen wird.^ Derselbe Glaube herrscht noch
in österr. Schlesien.^ In jeder Hinsicht beglaubigt ist femer die
wichtige Aufzeichnung von J. V. Zingerle über den erst 1855
niedergehauenen „heiligen Baum'^ bei Nauders in Tirol. Es
war ein uralter zwieseliger Lärchbaum, aus dessen Nähe das
Volk aus heiliger Scheu selbst bei öffentlichen Holzyerteilungen
kein Brenn- oder Bauholz nehmen mochte.^ Lärmen und Schreien
bei diesem Baume galt für den größten Unfug, Fluchen und
Schelten flbr einen himmelschreienden Frevel, der auf der Stelle
1) Aus der Oberpfalz ü, 335.
2) A. Peter, Volkstümliches aus Oesterr. Schlesien. Troppau 1867 U,
S. 30 teilt dftrm>er Folgendes mit: In Waldbäumen wohnt, wie noch jetzt alte
Leute glauben , ein höheres Wesen. Nicht jeder Landmann gestattet es, daß
man ohne besondere Veranlassung in die Binde eines Waldbaumes
hineinschneide. Er hat von seinem Vater und Großvater gebort, der
angeschnittene Baum blute und die ihm zugefügte Wunde ver-
ursache ihm nicht geringere Schmerzen, als einem verwunde-
ten Menschen. Wenn man einen bejahrten Holzhacker im Walde belauscht,
80 kann man hören, wie er dem Baume, den er eben fällen will,
Abbitte leistet. Fragt man ihn nach der Ursache dieses sonderbaren
Vorgangs, so antwortet er, er müsse das tun; in jedem Baume wohne
eine arme Seele, der er dadurch, daß er ihr Abbitte leiste,
Erlösung bringe, während sie leiden und im Baumstrunke fortleben
mfisse, wenn er das zu tun unterlasse.
3) Hieztt vgl. was Laur. Blumenau im Jahre 1457 in s. historia de
ordine cmciferorum doch wol nach den Üeberresten des Heidentums in seiner
Zeit von den heüigen Wäldern der alten Preußen berichtet: „Nonnullas Silvas
adeo sacras esse arbitrabantur, ut nee ligna incidere, nee vetustate
quidem dejectas arbores inibi abducere permittebant. (Cf. Script.
Ber. Prussic. I, 53). Vom Värdtrad (unten § U^) durfte kein windbrüchiges
Holz genommen werden.
3*
36 Kapitel L Banmseele:
geahndet werde. Oft hörte man die Warnung: ,,Tn nicht so,
hier ist der heilige Baum und dem Zorne wurde sofort Einhalt
geboten. Allgemein herrscht der Glaube, der Baum Hute, wenn
man hineinha^ und der Hieh gehe in den Baum und in den
Leib des Frevlers zugleich. Der Hieb dringe in beide gleich weit
ein und Baum und Leibumnde bluten gleich stark, ja die Wunde
am Leibe heile nicht frOher, als der Hieb am Baume vernarbe.
Ein frecher Knecht nahm sich vor — so ' erzählt man — den
heiligen Baum zu fällen^ um den Volksglauben zu Schanden zu
machen. Schon schwang er die Axt zum zweiten Hiebe ^ als
Blut aus dem Stamm quoll und Blutstropfen von den
Aesten niederträufelten. Der Holzknecht ließ die Axt vor
Schrecken fallen und lief davon, fiel aber bald ohnmächtig zur
Erde nieder und kam erst Tags darauf zur Besinnung. Die Blut-
spuren blieben noch lange Zeit am Baume sichtbar. Die Narbe,
die von jenem Streiche herrühren sollte, sah man noch vor eini-
gen Jahren. ^ Zur Stütze dieses Berichtes aus neuester Zeit dient,
was der (wol zwischen 1409 — 1418) in Niederlitai^en unter den
noch halbheidnischen Zemaiten missionierende Calmaldolenser-
mönch Hieronymus aus Prag im Jahre 1431 zu Basel dem dama-
ligen Secretär Enea i^ilvio Piccolomini, späteren Papste Rus H.
über seine Erfahrungen mitteilte, und was dieser der Nachwelt
in seiner „ Europa '^ aufbewahrt hat: Postremo alios populos adiit
(Hieronymus kam zu den Leuten eines anderen Gaus), qui sylvas
daemonibus consecratas venerabantur et inter alias unam cnltn
digniorem putavere. Praedicavit huic genti pluribus diebus fidei
nostrae aperiens sacramenta, denique ut sylvam succideret impe-
ravit. Ubi populus cum securibus affuit, nemo erat, qui sacrum
lignum ferro contingere änderet Prior itaque Hieronymus
assumpta bipenni excellentem quandam arborem detruncavit.
Tum secuta multitudo alacri certamine alii serris, alii dolabris,
alii securibus sylvam dejiciebant. Ventum erat ad medium nemo-
riS; ubi quercum vetustissimam et ante omnes arbores religione
sacram et quam potissime sedem esse putabant percutere aliquam
diu nullus praesumpsit. Postremo ut est alter altero audacior
increpans quidam socios, qui lignum rem insensatam percutere
1) Zingerle, Sagen, Märchen und Gebranche aus Tirol. Innsbruck
1859. 109 ff., 176.
Verletzte Bäume blaten. 37
formidarent , elevata bipenni magno, ictn cum arborem
caedere arbitraretur tibiam suam percussit (er traf sein
Schienbein) atqne in terram semianimis cecidit. Atto-
nita circum torba flere conqneri, Hieronymum aecusare, qni
sacram dei domnm yiolari snasisBet. Neque jam quisquam
erat, qni ferrum exercere änderet. Tnm Hieronymns illosiones
daemonnm esse affirmans , quae deceptae plebis ocnlos fascinarent^
snrgere quem cecidisse vulneratum diximns imperavit
et nnlla in parte laesnm ostendit et mox ad arborem
adacto ferro adjuvante mnltitudine ingens onns cum magno fragore
prostravit, totnm nemus succidit. Erant in ea regione plures
sylvae pari religione sacrae. Ad qüas dum Hieronymns ampn-
tandas pergit, mulieram ingens nameras plorans atqne ejalans
Vitoldum (den Litanerberzog Vitautas) adit, sacram lacam sacci-
som queritur et domum dei ademptam, in qua diyinam opem
petere consnevissent; inde pluyias, inde soles obtinnisse; nescire
jam quo in loco denm quaerant^ cui domicilinm abstalerint. Esse
aUqnos minores lacos, in queis dii coli soleant, eos qnoque delere
Hieronymnm velle.^ Hier ist von demselben Lande die Rede, in
welchem noch 150 Jahre später Laszkowski heilige Bäume um-
hieb, (o. S. 12). So tief wurzelte der Glaube an die geheim-
nißvoUe Sympathie zwischen dem heiligen, von einem fbr göttlich
erachteten Geiste erfüllten Baume und dem beschädigenden Men-
schen, daß den bereits zu der rationellen Erkenntniß Vorgedrun-
genen, die Eiche sei ja nur ein lebloses Stück Holz, im Augen-
blicke als er den Streich ausführt, jene ältere ihm anerzogene
Vorstellung mit Macht wieder überkommt und er unwillkürlich
das Beil auf seinen eigenen Fuß lenkt. Ueberzeugt, daß er ver-
wundet sei, so tief, als er vermutlich in den Baum gehauen,
fällt er hin und bleibt liegen, bis ihn der Mönch au&tehen heißt
und zeigt, daß er keine Wunde davon getragen.^ Schön ist die
1) S. Aeneae S^lvü Europa, c XXVI. Cf. Script rer. Prassic. lY,
238—239.
2) Auch bei niederen Pflanzen läßt sich diese Art von Anthropomorphose
belegen, falls in der von J. W. Wolf Beitr. U, 241 dem Thomas v. Chantimpr^
nacherzählten Geschichte die hastnla regia = asphodelos, nicht ein kleiner
Baumzweig gemeint ist. Zu Mftnchengrätz in Böhmen sagt man, daß Blut
ans dem Grase fließe, welches an Maria Namen gemäht wird. Grohmann^
Abergl. a* Böhmen S. 90 , 632.
88 ' Kapitel I. Baamseele:
Anwendtmg, welche eine Sage aus Millstadt in Kärnten vom
Glauben an das Bluten der Waldbäume macht. Ein vaterloses
Mädchen liebt einen Soldaten und wird deshalb durch den Fluch
seiner Mutter in einen Ahombaum yerwttnscht; sein Leib wird
zäh; seine Brust knorrig, seine Haut Rinde ; die Hände ästig
und die Haare Laub. Ein Spielmann will sich von dem Baume
einen Zweig zum Bogen schneiden , da quillt Blut heraus. Eine
Stimme aber spricht: Mein Blut ist yersöhnt, schneide dir einen
Bogen und spiele mir mit demselben ein Grablied; dann gehe
zum Bleicherhause und siehst du meine Mutter, so geige ihr ein
Sttlcklein und sage, daß der Bogen von ihrem Kinde sei. Als
die Mutter das Spiel des Bogens hörte, der noch nie solche Töne
hervorgebracht hatte, vrie dies mal, ward sie blaß und versöhnt
und reuevoll rief sie aus: „Fürwahr, ein gefallenes Kind ist
besser, als keines.^ Hier ist die Baumnymphe, deren Blut dem
verletzten Stami)cie entströmt, durch rationsdistische Deutung zur
Metamorphose einer menschlichen Jungfrau geworden ; die ttbrigen
Zttge der Sage gehören größtenteils einer zart empAmdenen freien
Erdichtung zur Motivierung dieser Verwandlungsgeschichte an,
welche auf ihre wahre Meinung und ursprünglichste Grundform
zurttckgeftlhrt deutlicher als die vorhergehenden Beispiele die
Baumgöttin mit der Verschmelzung menschenartiger und vegeta-
bilischer Leiblichkeit vor Augen fbhrt.
§.11. FrelbSome. Derartiger Glaube konnte der Erfahrung
des praktischen Lebens gegenüber natürlich in Bezug auf wenige
Baumexemplare sich halten. In heidnischer Zeit werden dajs
1) Th. Yemaleken , Alpeosagen 289, 207. Hier findet sich denn
auob wol der naturgemäße Anschluß ffir Yorstellungen nnd Sagen, wie die
eines serbiBchen Liedes (Yak 296. Talvj , Yolksl. d. Serben. Anfl. 1. 1825.
p. 35. Handb. der slay. Sprache und Literatur 329):
Fleht zu Gott ein junger Knabe:
„Gieb 0 Gott mir goldne Homer,
Gieb mir silbernes Geweihe,
Daß ich dieser Kiefer Rinde
Spaltend sehe was darinnen."
Gab ihm Gott die goldnen Hörner,
Gab das silbeme Geweihe;
und er spaltete die Binde.
Saß ein junges Mädchen drinnen.
Das gleich einer Sonne strahlte.
Freibänme. 38
vorzugsweise die Bäume geheiligter Haine gewesen seiU; welche
dem wirtschaftlichen Gebrauche durchaus entzogen waren. Aber
auch später noch finden wir, daß in den Marken oder Gemein-
waldungen gewisse Bäume davor geschützt waren, von jedem
Markgenossen geschlagen zu werden. Sie umzuhauen war bei
Kapitalstrafe verboten. Dazu gehörten vorzugsweise die ,,frucht-
baren/^ d. h. zur Mast dienenden Harthölzer Eiche und Buche,
(das Blumholz , die Blumware) wogegen es in alter Zeit jeder-
mann freistand, das „unfruchtbare^^ weiche Taub- oder Dust-
holz nach Belieben fitr semen Gebrauch zu hauen ;^ femer die
zur Bezeichnung der Grenze dienenden Bäume. In manchen
Gebirgstälern der Schweiz z. B. im Urserental waren Arven und
Taimen gebannt d. h. vor dem Axthieb gefreit. Auf dem Um-
hauen gewisser Grenzarven stand der Tod.' Unzweifelhaft blieben
einzelne Exemplare stäts unbertlhrt stehen, während andere zu Bau-
holz angewiesen wurden. Solche Schutz - oder Freibäume scheinen
vielfach die Träger der alten mythischen Anschauung geworden
zu sein (vgl. o. S: 35). In Schweden spricht man von gewissen
friträd (Freibäumen) welche nicht gehauen werden mögen „denn
die Bewohnerin des Baumes (hon som bor i trädet) will nicht
gehauen sein^^^
§. 12. Baum, zeitweilige Hflile einer abgeseUedeiieii
Seele. In weiterer Entwickelui^g nehmen nun die bisher behan-
delten Vorstellungen von einem Baumgeiste mannigfach andere
Formen an, von denen wir jedoch nur einige der einfacheren
und von fremder Beimischung frei gebliebenen, teils erwähnen,
teils näher darlegen wollen. Aus dem Glauben, daß die
Pflanze eine Seele habe, erwuchs die Ansicht, daß
dieselbe der zeitweilige Körper einer Menschenseele sei. Die Seelen
Liebenider oder unschuldig Gemordeter wandehi sich in weiße *
Lilien und andere Blumen, welche aus dem Grabe, oder aus
dem hinströmenden Blute hervorsprießen (S. die o. S. 3 Anm. 1
angefahrten Schriften). Die 70 Fuß hohe sogenannte „schöne
Eiche ^ im Walde bei LtU^how soll aus dem Munde eines in der
1) Vgl. Lex Bargnnd. XXVIII. 1—2. Es ist jedermann die Erlanbniß
gew&hrt „inddendi ligna ad usas snos de jacentivis et sine frnctu arbori-
bns in cnjuslibet siLva. Vgl Boscher, System der Volkswirtschaft II, 523.
2) Rochholz, Aargan. Sagen I, 72. Ders. Alemann. Einderlied 287.
3) Hyltdn-CavaUius a. a. 0. S. 310.
40 Kapitel T. Banmseele:
Schlacht gefallenen Königs hervorgewachsen sein.^ Ebenso giebt
es viele Sagen von sogenannten Blutbäumen, die aus dem Blute
schuldlos Gerichteter entstanden; mit dem Blute ging die Seele
in sie über. Zu Camem waren das 7 Eichen, die sich wunder-
bar zu einem Stamme vereinigten, und als man einst eine der-
selben fällte, schwitzte der Stumpf blutige Tränen, bis ein neuer
Baum aus demselben hervorwuchs.' Zu MöSrufell im Eyjai^ördr
auf Island ist es ein Vogelbeerbaum (reynir) , der aus dem Blute
zweier wegen vermeintlicher Blutschande unschuldig hingerichteter
Geschwister entsteht.' In der Höll (Oberpfalz) hängt man an dem
Orte, wo jemand gewaltsamen Todes starb, eine Tafel mit einer
Gedächtnißinschrift an einen Baum. Bei Tag soll dann die arme
Seele des Getödteten im Baume hausen. Nachts aber entbunden
sein und in einem gewissen Umkreise frei schalten dürfen.*
Doch nicht bloß reine und selige Menschengeister, auch die
Seelen Verdammter nehmen nach dem Tode Pflanzenleib an. In
einem Laubwalde zwischen Altstrelitz und Neubrandenburg, an
einer Stelle, wo einst ein Meuchelmord begangen wurde,
stieg täglich mit dem ersten Schlage der Mittagsstunde eine
distelähnliche Pflanze aus dem . Boden, deren Stamm zwei
mit Stacheln besetzte Arme mit in einander gerungenen Hän-
den bildeten, unten am Stiel zwei über und über mit Stacheln
oder Domen besetzte M'enschenköpfe. Sobald es zwölf aus-
geschlagen hatte, war das Gewächs spurlos verschvmnden.
Einem !Pastor, der mit seinem Stocke darüber hinfuhr, verkohlte
1) N. Vaterl. Archiv I, Ml, Harrys, Volkssagen Niedersachsens 184:0
I, 88, 55.
2) Euhii , nordd. Sagen 107, 122'.
3) Maurer, Island. Sag. 177.
4) Schönwerth, ans der Oberpfalz I, 291. Näheres über diese Sitte in
anderen Bairischen Landschaften liest man in Lndw. Stenbs Bairischem Hoch-
land S. 60. Man legt den Verstorbenen sogleich nach dem Tode auf ein
Brett, das Behbrett, (d. i. Leichenbrett, vgl. mhd. re, ahd. hreo, goth.
faraivs Leichnam, vorzugsweise wol der blutige, getödtete Leib = (skr. kra-
vis, kravjam rohes Fleisch, gr. »(tittg, lat. caro und cmor, lit. kranjas Blnt,
altsl. kmvi Blnt). Auf dem Behbrett bleibt er bis zum Begrftbniß liegen.
Dann giebt man es dem Maler, der es blan anstreicht, den Namen des Ver-
storbenen , eine Bitte nm ein Vaterunser und ein R. i. p. (requiescat in pace)
darauf setzt. Diese Andenken werden dann auf der Flur oder im ViTalde,
wo die Fußsteige vorübergehen, an Feldkreuzen oder Baumstämmen
festgemacht und bleiben dort, bis sie verwittern.
Baiun zeitweilige HiUle einer abgeschiedenen Seele. 41
der Stock und yerlahmte der Arm.^ Diese Mecklenburger Sage
zeigt eine wunderliche Zutat mittelalterlichen Fegefeuerglaubeng.
Beiner ist die bairische yon den drei verfluchten Jungfern, die in
einem Waldschlosse bei Nürnberg ein gottloses Leben fährten,
Fremde anlockten, ausplünderten und tödteten. Gottes Blitz-
strahl erschlug sie und verbrannte ihr Haus; ihre
Seelen aber fuhren in drei große Bäume und so oft
einer davon gefällt wird, geht die Seele in einen
andern. Nach Gebetläuten hört der Vorübergehende von den
Wipfeln dieser Bäume herab lockende Stimmen oder schaden-
frohes Gekicher und nicht undeutlich glaubt er zwischen den
Aesten eine Gestalt zu sehen, die ihn zu sich winkt. ^ Breithut,
der Geist eines berüchtigten Baubritters im Geißenthäle läßt sich
bie und da als Baumklotz oder gradezu als Baum blicken. ^ Ein
Pfleger, der Waisengelder angegriffen hat, spukt im Walde. Er
sieht ans, wie in Baumrinde gekleidet, lehnt sich an einen
Baumstamm und schaut die Holzarbeiter starr an, bis sie ent-
setzt fliehen.^ An der Pfaffenhaide am Hallwiler See stand bis
vor kurzem ein sehr alter Kirschbaum. Dahinter sah jeder, der
Nachts vorüber ging, einen Mann stehen, der die Hand vor-
streckte, dann rasch hervorsprang und verschwand. Wer sich
nach ihm umsah, dem blieb der Hals verdreht. Eioem Weib
hing er sich als Dom in die Jüppe und als sie diesen entfernen
wollte, schwoll ihr der Kopf an. Mau hieb den Birnbaum um.
Seitdem ist auch jene Stelle frei, aber ebenso lange sitzt im
Keller des nächstgelegenen Hauses ein schwarzer Hund auf einer
Kiste . und heißt wie der längst verstorbene Ahnherr dieses Hauses
Snchelis.^ Im Buchenwalde auf dem Kestenberg zwischen den
Schlössern Wildegg und Brunegg hat sich ein Jäger an einer
Eiche erhängt. Als der Schloßherr ihn fand, vom Wiude in den
Zweigen hin und her geschaukelt, befahl derselbe die Eiche zu
fällen; aber Blut quoU unter den Axthieben hervor und rote
1) Niederhöffer, Mecklenbnrgs Yolkssagen III, 193.
2) Panzer, Beitr. z. D. Myth. n. 197, 342.
3) Birlinger, Yolkstüml. a. Schwaben I, 10, 8.
4) Seh5nwerth, ans der Oberpfalz III, 131. Vgl. den Geist inüer hohlen
Esche hei Genlungen, der vorübergehende Menschen mit in den Banm zu
nehmen sucht. E. Meier, Schwab. Sagen 251, 280.
5) BochholZy Schweizersagen ans dem Aargan B. I. Aaran 1856. S. 80, 68.
49 Kapitel I. Baamseele:
Adern durchzogen den Stamm. Da verbrannten die Leute Stamm
nnd Leichnam. Seitdem pirscht aber der Todte als Wildhans
von Wildegg mit gespenstigen Hunden durch den Wald, oft hört
man dieselben winseln, wenn er sie an die Bäume hängt, um
sie mit Riemen zu hauen. ^ Eine Variante dieser Sage knttpft
sieh unweit davon an einen Holzbimbaum zwischen Wildegg
und Lupfig. Der krumme Jäger; der an diesem Baume seine
Hunde aufzuhängen pflegte, sich an ihm erhängt hatte und unter
demselben begraben war, ließ sich da noch immer sehen z. B. '
als dreibemiger Hase mit Augen so groß wie ein Pflugrad. Wer
ihm nachschaute, dem schwoll der Kopf. Oder er stand als
schwarzer Mann hinter dem Baume. Einer der ihn an-
redete, büßte mit gedunsenem Mund und geschwollenen Augen.
Die Gemeinde beschloß nun den Baum umhauen zu lassen. Aber
während das Gebüsche ringsum unbewegt in der ruhigen Luft
stand, schüttelte ein Brausen die Aeste des Holzbimbaums. Den
Arbeitem sprang die große Waldsäge ab , und wo man mit der
Axt hintraf, war das Beil stumpf und ein blutroter Saft quoll
nach.' Diese Sagen sind in mancher Hinsicht lehrreich. Die
Seele des Verstorbenen geht in den Baum über, erfüllt
ihn gleichsam mit menschlichem Leben, so daß Blut
in seinem Geäder umläuft. Zugleich aber läßt sie
sich als Schatten in Tier- oder Menschengestalt außer-
halb des Baumes aber in dessen Nähe sehen, und ihr
Anschauen verursacht jene Krankheiten, mit welchen
der unverhüllte Anblick von Geistern auch sonst be-
straft wird. Durch die Vernichtung des Baumes frei geworden,
vereinigt sie sich mit dem Winde und tobt in der wilden Jagd
daher.' Es wird nun auch wol verständlich sein, weshalb auch
Gespenster und Elopfgeister in hohle Bäume, Weidenbäume
u. dgl. gebannt werden.^ Man giebt ihnen, um sie los zu werden^
1) Rochholz a. a. 0. I, 73, 57.
2) Rochholz a. a. 0. I, 69, 56.
3) Vgl. Mannhardt , Götterwelt. S. 107 ff.
4) Vgl. H. Frohle, Harzaagen S. 166 ff., I — IV. Den ZoBammeuhang
oder die üebergänge der dargelegten Anschauungen zeigt u. A. auch' die
Mitteilung! Panzers (Beitr. II, 302) daß der Sägeschmied zu Esohenfelden
in der Oherpfalz, wenn er Fieber hatte, gradezu nach dem Manne . schickte,
der sich mit Geistjerbannen abgab. Dieser hob die Tfiischwelle aus, bannte
den Geist und keilte ihn in einen Weidenbanm ein.
•
Banin zeitweilige Hülle einer abgeschiedenen Seele. 43
den Baum zum Leibe. Der im Weinkeller spukende Geist eines
bösen Wirts ist in die Suckfelder Linde bei Zurzach gebannt
worden. Dort hauste er in einem Astloch. Nachts saß er oft
auf einem Aste und geigte und je schärfer im Winter die Schnee-
flocken über BuckfeU stöberten, desto schöner und schärfer
geigte er drauf los. Ein Bauer, der nach diesen Tönen tanzte,
bis er umfiel, ist von Stund an der beste Tänzer im Lande
geworden. Dieses zauberische Geigenspiel ist die Musik des
Waldes , das Lied des Sturmes , welches alles bewegt und tanzen
macht ^ Die breite Eiche auf dem Ble£ bei Salzungen war die
mächtigste des ganzen Forstes. Als sie hohl wurde trugen die
Jesuiten manchen Poltergeist in dieselbe. Leute, die rorbei-
giDgen , hörten die Geister darinnen rumoren. In die dicht belaub-
ten steilen Wände der wilden Löcher einer Schlucht in der Nähe
dieser Eiche sind ebenfalls Poltergeister getragen und festgebannt
Noch heute guckt fast aus jeder Ecke und aus jedem Baum-
stumpf ein Spukgesicht heraus und erschreckt die armen Leute,
die dort Leseholz suchen. Ein Tagelöhner aus Salzungen hatte
hier Baumstubben gerodet und spaltete dieselben unter seinem
Fenster vor dem neuen Tore; da sah er, als er so eben einen
Keil eintrieb , aus dem Stubben ein kleines graues Männlein her-
aus und durch die Tttre in das Haus schlüpfen und ehe der
Tagelöhner sich noch von seinem Schrecken erholt hatte , guckte
der kleine Mann auch schon durch die runden Scheiben der
Wohnstube, schnitt allerlei Gesichter und trieb so lange Unfug,
bis er ihn durch einen Geisterbanner fangen und wieder ban-
nen ließ.'
Noch ein Beispiel sei angefüirtj welches wieder erinnern
mag, daß auch diese Vorstellungsweise die Bäume und niederen
Pflanzen gemeinsam umfaßt Man soll die Schmelber (Schmeicher
oder Schmielen) eine hohe schlanke Grasart nicht abreißen, oder
damit die Zähne ausstochern, damit man nicht von den bösen
Geistern oder Teufeln besessen werde, welche oft dahinein
gebannt, oder darauf gespießt sind.^ Zu vergleichen steht die
1) Bochholz a. a. 0. 310. Mannhardt, Götterwelt, S. 113. 114. 123.
Die NatnrerscheiaiiDg selbst ist beschrieben in Auerbachs Volkskaleader 1860,
S. 129.
3) S. L. Wucke, Sagen der mittleren Werra U, 48.
3) Schönwerth, aus der Oberpfalz HI, 115. Meier, Schw&b. Sag. 247,271.
44 Kapitel I. Banmseele:
von J. W. Wolf, Beitr. II, 242 ans Jacob a Voragine angeflihrte
Legende yon einem bösen Geist, der in oder zwischen den Blät-
tern einer Salatstaude saß.
§. 13. Baum, Aufenthalt des Hausgeistes. Mit den znletzt
behandelten Sagen bertlhrt sich, was wir schon oben S. 33 wahr-
nahmen , daß die Seele eines durch sympathetische Kur mit dem
Baume yerbundenen Menschen nach dem Tode in ersteren über-
geht, nach dem Abholzen des Baumes in dem daraus gezimmer-
ten Balken yerbleibt und Klabautermann d. h. Schutzgeist des
Schiffes wird. Ebenso weilt nach manchen Sagen der Hausgeist
im Hausbalken und bleibt wo dieser verbleibt^ Er war wol
auch Yorher Geist des zum Balken verarbeiteten Baumstammes.
W. Menzel' bezieht auf die Herkunft des Hauskobolds aus dem
Baume vielleicht nicht mit Unrecht auch die folgende Sage. Ein
Hausgeist zu Sachsenheim, der sogenannte Klopferle, schenkte
der Magd, so oft sie in den Keller kam, ein Geldsttick. Als
ihm aber der Ritter befahl mehr zu bringen, erschien der Geist
vor dem Ritter mit einem Eichenblatte im Munde, woran drei
Eicheln hingen und verbrannte ihn sammt dem Schlosse.^ Sollte
das Eichenblatt andeuten, daß der Schutzgeist des Hauses in
den Wald zurückkehren wolle?
§. 14. Baum, Sehntzgetst oder Sitz des Schutzgelstes.
Jedenfalls gehört es in den Kreis dieser Vorstellungen, daß der
1) Müllenhoff, Schleswigholst. Sagen 371, 451. Bochholz, Schweizer-
sagen a. d. Aargau I, 75, 59. Vgl.: Die Siamesen bringen nach Vollendung
eines Bootes dem Dämon oder Kukkhathevada des Baumes, woraus es gezim-
mert wurde , Opfergaben , um ihn zu bewegen in Schlangengestalt fortan als
Schutzgeist im Kiele des Fahrzeugs zu verbleiben. Auch beim Häuserbau
opfern sie den aus dem Walde herbeigebrachten und jetzt in der Wohnung
aufgerichteten Pfosten, um die einwohnende Geisterkraft als schützenden
Dämon dem Hause zu bewahren. Einige solcher in Bäumen lebenden Phum-
mathevada oder Kukkhathevada yerlassen willig den unter dem Axthieb fal-
lenden Stamm, und suchen einen andern , andere werden böse und rächen
sich. A. Bastian , Zs. f. Völkerpsych. V, 288. 296.
2) Literaturgeschichte I, 109.
3) Magenau , Schwab. Sagen 145. Im Zabergau heißt es , dafi der ruch-
lose Bitter auf Blankenhom den Hausgeist durch einen Pfaffen beschwören
ließ, um mehr Geld zu erpressen. Da erschien dieser als ungeheuer eine
«Eichel und ein Eichenblatt im Maul und hinter ihm brach Feuer in den Saal
und veischlang die Burg sammt allen Bewohnern. Klunzinger, Geschichte
des Zabergaus II, 133.
Baum BS Lebendbaum. 45
ideale Doppelgänger der Menschenseele, der Schntzgeist (genias
tatelaris) der einzelnen Persönlichkeit (oder ganzer Geschlechter)
die Py^a, wie der Altnorweger sagte (Myth.* 828 ff. Mann-
hardt, germ. Mythen 306 ff.) in einem Baume Wohnung haben
soll. Um jedoch diese letztere Anschauung vollständig ver-
ständlich zu machen, gehen wir, ehe wir ihren Bestand auffüh-
ren , noch einmal auf eine schon vorhin von einem andern Punkte
aus angeschlagene Gedankenreihe ein.
§. 14*. Baum = Lebensbaum. Die unter uns ganz geläufige
Redeweise „der Baum meines, deines, seines u. s. w. Lebens
grönt, welkt, stirbt ab^^ zeigt uns den Vergleich menschlichen
und vegetabilischen Wachstums in persönlichster Anwendung zu
einem stätig dem Bewußtsein vorschwebenden Bilde gediehen.
Während wir uns aber darüber klar sind, daß das uns immar
nente Leben, die Gesammtheit der Zustände und Veränderungen
unseres Seins durch dieses Bild ausgedrückt werde , tritt dasselbe
ftir das Bewußtsein mancher Menschen auf niederen Stufen durch
Hypostase als etwas Reales und Selbständiges, gleichsam als
ihr Doppelgänger, der alle ihre Schicksale mitmacht, anzeigt,
oder gar bestimmt, aus ihrer Persönlichkeit heraus und neben
dieselbe. Man sehe nur, wie in einem von Orest Miller^ mit-
geteilten schönen russischen Hochzeitliede aus dem Permschen
Gouvernement das Mädchen sein Verhältniß zu dem künftigen
Ehegatten schildert:
Nnr wenig schlief ich Junge,
Wenig die ganze Nacht.
Doch in dem Schlummer hatt' ich
Einen schönen Traum.
Ich sa^ in Hofes Mitten
Wuchs ein Cypressenbaum
Und ihm zur Seit' ein andrer,
Ein zuckersüßer Baum.
Und auf dem Baudie waren
Goldener Zweige viel,
Zweige von Gold und Silber.
Da sprach das Haupt des Hauses,
Der Meister „liebes Herz,
Soll ich den Traum dir deuten?
Sieh der Oypressenstamm
Bin ich, der ich dein eigen.
1) Ehristomatija P. I. Petersburg 1866 I. S. 28.
46 Kapitel L Baomseele:
Der znekenfiSe Baun
Bist dD, und du bist mein.
Und auf dem Baum die Aeste
Sind nnsre Kleinen ja.
Die lieben teuren Kinder."
Obgleich Hunderte yon Meflen von Perm entfernt, liefert
das Saterland den nächsten Verwandten dieses Volksliedes in
einem Hochzeitbranche.^ In die eine Ecke der Bettlaken, welche
ein Bräntigam mitbekommt, wenn er aas dem elterlichen Hanse
in eiaen fremden Hof hineinheiratet (nnd nnr dann) stickt man mit
bunten Fäden emige Blamen nnd einen Baum, auf dessen
Wipfel und reich belaubten Aesten Hähne (eine leicht yer-
ständliche Symbolik) sitzen. Zu beiden Seiten des Stammes
stehen die Anfangsbuchstaben seines Tauf- und Familiennamens.
Elbenso sticken die Mädchen in ihre Aussteuerhemden am Halse
auf jede Seite der Spange je einen Baum und die Buch-
staben ihres Namens. Es ist der Schicksals- oder
Lebensbaum der jungen Leute selber gemeint, der aus dem
heimatlichen Boden yerpflanzt klinftig auch in dem neuen Wohn-
sitze grtinen, wachsen und Frttchte bringen soU. Auf der glei-
chen Anschauung beruht eine Reihe schöner Hochzeitsitten, die
sich durch viele deutsche, slavische und lettische Landschaften
verfolgen lassen. Dem jungen Paare werden bei der Hochzeit
grttne Bäume vorangetragen, ein grttner Baum prangt auf dem
Wagen, der die Aussteuer der Braut in die neue Heimat fthrt,
auf dem Dach oder vor der Tttr des Hochzeithauses. Im Dröm-
ling tragen die Braut- und Bräutigamsjungfem auf dem Wege
zur Kirche dem Brautpaar brennende Lichter auf jungen Tan-
nen oder mit Buchsbaum umwundenen Gestellen voran.' Im
Hannoverschen Wendlande tragen die Kranzjungfem während der
Ehrentänze der Brautftthrer und des jungen Ehemanns mit der
Neuvermählten mit brennenden Lichtern besteckte grüne
Tannenbäumchen vorauf; indem die jungen Eheleute diese
Lichter mit Tüchern ausschlagen (sie wollen ihren Lebensbaum
für sich behalten) , geben sie das Zeichen zum Beginne des allge-
meinen Tanzes.' In den wendischen Dörfern bei Batzeburg
1) L. Strackerjan, Aberglaube und Sage aus Oldenburg II, 124, 437.
2) Kuhn, M&rk. Sagen 357.
3) K. Müldener , aus allen Welttheüen 1873 8. 200.
Banm « Lebensbaum. 47
dagegen hatte ein grttner Baum auf dem Brantwagen Platz.^
In der Oberpfalz steckt ebenso vorn auf der äußersten Spitze des
Kammerwagens, der die Aussteuer der Braut trägt , ein verzier-
tes Fichtenstämmchen^' nicht minder schmtlcken den schwä-
bischen Brautwagen um Ehingen, der die Kunkel und das Ehe-
bett fbbrt, sechs mit seidenen Bändern, Goldflittem und Bhimen
gezierte Tannenbäume.' Auf den lettischen Bauerhochzeiten in
Kurland wurde, sobald das neue Paar aus der Brautkammer
trat, nachgeforscht, ob der junge Ehemann die Liebesprobe kräf-
tiglich bestanden. Befand es sich so, so wurde große Fröhlich-
keit geübt und ein großer grtlner Baum oder Kranz oben
auf das Haus gestellt.^ Der Lebensbaum des Bräutigams,
oder des neubegrttndeten Stanunes steht gut, wenn Aussicht auf
Nachkommenschaft da ist. In Schweden nimmt man als Braut-
stnhl, auf dem das Hochzeitpaar während der Trauung sitzt, einen
Chorstuhl, pflanzt zwei Tannen mit Blumen und Goldpa-
pier vor dessen Türen, spannt oben eine weiße Decke aus und
verziert es auffallend. Zu Väßbo werden am Vorabend der
Hochzeit an allen Türen , Pforten und Gattertoren Tannen gesetzt,
eine zu jeder Seite. ^ Im Zwodtagrunde im Voigtlande werden,
wie auch in Thüringen Fichten^ vor das Hochzeithaus gesetzt.^
Im Weimarischen pflanzen die Bursche und Mädchen des Ortes
am Vorabend der Hochzeit grüne Tannen vor das Branthaus
und verbinden sie mit Blumengewinden, Kränzen, bunten Bän-
dern und einer Citrone, worauf die Namen der Brautleute ein-
gestochen sind.' Dies geht schon über in eine andere Form der
nämlichen Sitte, welche wir später nach Erörterung des Mai-
baums und Emtemais betrachten werden.
Nicht selten geschah es, daß unwillkürlich oder mit Absicht
ein bestimmter lebender Baum zum Träger des zweiten Gliedes der
Gleichung und dadurch gleichsam dauernd zum alter ego eines
1) Jahrbücher f. Schleswigholst. Landesknnde.
2) Schönwerth, aus der Oberpfalz I, 67.
3) BirHnger, II, 358.
4) T. Brand, Reisen durch die Mark Brandenburg u. s. w. Wesel
1702. 78.
5) Heinsberg -Düringsfeld, Hochzeitbuch S. 5.
6) Köhler, Volksbrauch im Voigtlande 1867, S. 236.
7) P. Schmidt, Sitten und Gebr&uche bei Hochzeiten in Thüringen, S. 33.
48 Kapitel I. Baumseele: <
beBtimmten Menschen gemacht wurde. In IJochheim, Einzuigen
and. anderen Orten in der Nähe von Gotha z. B. besteht der
Brauch, daß das Brautpaar zur Hochzeit oder kurz danach zwei
junge Bäumchen auf Gemeindeeigentum pflanzen muß. An sie
knüpft sich der Glaube y wann das eine oder das andere eingehe,
müsse auch das eine oder andere der Eheleute bald sterben.^
Auf ähnliche Anschauung, vermöge deren der Liebhaber einen
Baum mit sich selbst identifiziert, gründet sich u. A. auch der
preußische Aberglaube, wenn man die L^ebe eines Mädchens
begehrt, drei Haare desselben in eine Baumspalte einzuklemmen,
so daß sie mit dem Baume verwachsen müssen. Das Mädchen
kann dann nicht mehr von einem lassen.'
§. 14^. Fortrelsende verknfipfen Ihr Leben mit einem
Banme, Sehr deutlich springt diese Vorstellung vom Schick-
sals- oder Lebensbaum in einer Reihe weitverbreiteter Traditio-
nen hervor, wonach ein Fortreisender sein Leben sympathetisch
mit einer daheimbleibenden Pflanze verknüpft. Im Märchen von
den zwei Brüdern (K. H. M. Nr. 60) z. B, stößt der Fortziehende
sein Messer in den Baum vor der Tür des Vaterhauses. So
lange es nicht roste, sei das ein Zeichen, daß er selbst gesund
sei, wie der Baum. Im Märchen von den Goldkindem (Nr. 85)
lassen die beiden Jünglinge, als sie ausziehen, um die Welt zu
sehen, ihrem Vater ihre beiden Goldlilien zurück. „An ihnen
kannst du sehen, wie es uns ergeht Wenn sie frisch sind,
befinden wir uns wohl; wenn sie welken, sind wir krank, wenn
sie abfallen sind wir todt.^^ Ob diese Märchen, denen sich ver-
wandte Züge nicht allein aus Indien, sondern selbst aus Mexiko
und Aegypten an die Seite stellen lassen,' einheimische Gewächse
1) In Weimar ist der Brauch abgelöst; es wird ein sogenanntes Bfium-
chengeld (2 Bthlr. 1 gr. 8 Pf.) an die ^tadtkasse zur Pflege der Obstbaum-
ziicht bezahlt. Schmidt, Sitten tmd Bräuche bei Hochzeiten in Thüringen,
S. 46. Vgl.: Wenn in British -Guyana zwei kleine Kinder mit einander ver-
lobt werden, pflanzen die betreffenden Parteien als Zeugen für den Con-
tract zwei Bäume und wenn einer von diesen Bäumen verdorren sollte , stirbt
das Kind, dem es angehört, sicherlich. Tyler, Forschungen über Urgeschichte
der Menschheit, S. 168 nach Bev. J. H. Bernau, Missionary labours in Bri-
tish-Guiana, London 1847, S. 59.
2) Frischbier, Hexenspruch S. 160.
3) In einem von W. Grimm nachgewiesenen indischen Volksliede
(Broughton, selections from the populär ^oetry of the Hindoos, London 1814,
Schicksals- und Gebartsbaam von Einzelnen und Familien. 49
seien ist lüehr als zweifelhaft; ganz nahe aber ihrem Inhalt liegt
der Gedanke in der fein empfundenen dritten Strophe des Volks-
liedes: „Morgen muß ich fort von hier." Der in Abschiedsweh
fast vergehende Liebhaber erklärt sein Leben mit der zurück-
bleibenden Geliebten, die wie ein Baum auf grüner Aue sprießt,
der Art eins und verwachsen, daß es (wenn er mit dem Körper
davonziehe) gleichsam dableiben und sein Wiederbild in der
Feme absterben werde:
Dort auf jener grünen Au,
Steht mein junges Leben.
Soll ich denn mein Lebelang
In der Fremde schweben? .
Hab* ich dir was L^s getan
Hajt ich um Verzeihung an;
Denn es geht zu £nde.^
§. l4^ Sehleksals- und C^eburtsbaum von Einzelnen
und Familien. Jedesfalis kann nunmehr kein Zweifel sein über
die richtige Auffassung des folgenden von Geyler von Kaisers-
berg als wirkliche Geaofaichte aus dem 15. Jahrhundert berich-
teten Vorgangs. Als Molber, ein Schuhmacher zu Basel, ein ,
neues Haus bezog, wählte jedes seiner drei Eonder sich im Gar-
ten einen Baum. Die Bäume der beiden Mädchen, Katharina
und Adelheid brachten, „als der Glentz (Lenz) hereinstach,'' weiAe
«I
S. 107) pflanzt ein junger Ehemann , der die neuveimählte Qattin verlassen
muß eine Lavendelstaude in den Garten und heißt sie darauf achten. So
lange sie grtine und hlühe gehe es ihm wohl, welke sie aber und sterbe, so
sei ihm ein Ungltiek begegnet. Brasseur im Popul Yuh (S. 141) teilt eine
central -amerikanische Erzählung von zwei Brüdern mit, die yor dem Beginn
ihrer gefährlichen Reise in das. Land Xibalba, wo ihr Vater umkam, jeder
ein Bohr in die Mittendes Hauses ihrer Großmutter pflanzen, damit dieselbe
an dessen Blühen oder Welken erkennen möge, ob sie lebendig oder todt
seien. (Vgl. Tyler, Urgeschichte S. 168. Max Müller, Essays 11, 241). Wie
uralt aber in der Menschheit der Glaube an diese Art Sympathie zwischen
Menschenleben und Pflanzenleben sein müsse , dürfte das bekannte ägyptische
Märchen von Satu und Anepu ^us der Zeit des Mose im Papyrus d'Orbiney
I erweisen. Satu verbirgt sein Herz d. h. den Sitz des Lebens (s. Zeitschr. f.
D. Mythologie IV, 238) in die Blüte eines Baumes. An diesen Baum ist
fortan sein Leben geknüpft. Als derselbe umgehanen wird , stirbt er und im
nämlichen Augenblicke wird sein in weiter Entfernung lebender Bruder Anepu
seines Todes inne.
I
I 1) Des KniCben Wunderhorn III, 32.
I
Mannhardt. 4
I
50 Kapitel I. Banmseele:
Blüten hervor; die deuteten auf ihren künftigen Beruf als Non-
nen. Der des Bruders Johannes trug eine rote Rose; er ward
Predigermönch in Prag und fand als Märtyrer durch die Hussiten
seinen Tod.^ Die reinste und folgerichtigste Ausgestaltung der
hier zu Grunde liegenden Anschauung war die schöne Sitte, schon
in der Geburtstunde eines Kindes ein Bänmchen zu setzen. Im
Aargau geschieht das noch jetzt ziemlich allgemein und maoi
meint dort, der Neugebome gedeihe oder serbe (verkümmere)
wie dieses Bäumchen. Für Knaben setzt man Apfelbäume, für
Mädchen Birnbäume. Noch in der letzten Generation kam der
Fall vor^ daß ein Aargauer Vater im Zorne über einen misrate-
nen Sohil, der eben in der Fremde und also der väterlichen
Züchtigung unerreichbar war, aufs Feld ging und den dort
gepflanzten Geburtsbaum wieder umhieb.* Zuweilen sieht
der Bauer auch ohne ausdrückliche Anpflanzung fUr eine bestimmte
Person das Schicksal seiner FamiliengHeder mit dem Schicksal
der Bäume am Hause verbunden. Der Voigtländer fllrchtet,
jemand aus der Familie werde sterben , wenn ein Baum im Garten,
oder ein einzelner Ast plötzlich dürr wird,* auch in Baiem bedeu-
tet ein Baum am Hause, der verdirbt, einen Todten vom Hause*
und dem Siebenbirger Sachsen verkündigt es einen Todesfall,
wenn ihm im Traume ein umstürzender Baum zu Gesichte kommt. "^
Genau hiezu passt es, daß in Siebenbirgen (Sächsisch Regen)
auch der poetische Glaube herrscht, dem Kinde nahe der Tod
nicht mit der Sense, sondern er breche im Garten eine Blume
vom Stengel, im nämlichen Augenblicke sterbe das Kind.*
1) Geyler v. Eaysersberg, Emeis (1508 gehaltener Predigtcyclus). S.
A. Stober, znr Geschietite des Volksaberglanbens im Anfimge des 16. Jahrb.,
Basel 1856, S. 7.
2) Bocbholz, alemann. Kinderlied, S. 284. 286. So pflanzte man auch in
Polynesien bei der Geburt eines Kindes einen Eokosbaum, dessen Knoten
gleich zum Zählen der Jahre dienten und die Papuas verknfipfen das Leben
des Neugebomen mystisch mit einem Baumstämme, unter dessen Binde sie
einen Kiesel einfQgen und glauben mit dem Umhauen würde der Mensdi
zugleich sterben. A. Bastian, der Mensch in der Geschichte III, 193.
3) Köhler, Volksbrauch im Voigtlande S. 392. ,
4) Panzer I, 266, 165.
5) G. Schnller, Volkst&ml. Glaube und Brauch bei Tod und BegrabniB
im Siebenbirger Sachscnlande. I. Kronstadt 1863. S. 37, 115.
6) G. Schuller a. a. 0. S. 10.
Värdtrad. 51
Wie ein Einzelner kann aber auch eine Vereinigimg mehrerer
Menschen y eine Familie, eine Dorfschaft in einem Banme das
reale Abbild ihres gemeinsamen Lebens empfinden. In Schweden
sind nachweislich die Namen mehrerer Familien von einem heili.
gen Baume bei ihrem Stammhofe hergenommen; so der des Ge-
schlechts Almen von einer großen Ulme, die ehemals am Hofe
Bjellermäla im Sockn Almundsryd stand. Die drei Familien
Linnaeus (Linne) Lindelius und Tiliander hießen angeblich nach
einem und demselben Baume, einer großen Linde mit drei
Stämmen, welche zu Jonsboda Lindegärd in Hvitarydssockcin
Landschaft Finveden wuclis. Als die Familie Lindelius ausstarb,
vertrocknete einer der Hauptäste der alten Linde ; nach dem Tode
der Tochter des großen Botanikea's Linnd hörte der zweite Ast
auf Blätter zu treiben und als der Letzte der Familie Tiliander
starb, war die Kraft des Baumes erschöpft, aber der erstorbene
Stamm der Linde steht noch und wird hoch in Ehren gehalten-^
§. 14^. y&rdträd. Diese Linde und ähnliche Bäume werden
als Värd-träd, Schutzbäume, bezeichnet. Värd (von värda warten,
bewachen, hüten) bezeichnet Fürsorge, Obhut, Schutz; värdtrad
ist also der Baum, der die Fürsorge, die Obhut ausübt; oder
vielmehr der die Fürsorge persönlich ist Der Värd wird näm-
lich als ein persönliches Wesen gedacht, also ein Geist der dem
Menschen folgt, wohin derselbe geht; er offenbart sich zuweilen^
sei es als Lichtlein, (das Licht ist eine Form der Seele, vgl.
Lebenslicht), sei es als des Menschen Scbeinbild. Es giebt
noch heute unweit der Gehöfte manche flir heilig gehaltene
Bäume, welche Yärdträd genaimt sind, offenbar als Wohnstätten
der Värdar oder persönlichen Schutzgeister der Hofleute, oder
der Familie, die den Hof bewohnt. Vor wenigen Menschenaltem
gab es in der Smäländischen Landschaft Yärend einen Värdtrad
noch in der Nähe jedes Hofes. Es war eine alte Linde, Esche
oder Ulme. Niemand brach davon auch nur ein Blatt und ihre
Beschädigung rächte sich sicher durch Unglück, oder Siechtum.
In Hänger erlaubte die Volkssitte nicht einmal windbrüchigea
Holz davon weg zu nehmen und zu Hause zu verbrennen^ son-
dern man häufte es zu einem Reiserhaufen oder Holzstoß („bäl")
am Fuße des heiligen Baumes auf. Schwangere umfaßten sowol
1) Hylten-Cavallius^.VHrend I, 144. Passarge, Schweden S. 217.
4*
52 Kapitel I.' Baamseele:
in Vä/rend als in Vesfbo in ihrer Not den Värdträd, um eine
leichte Entbindung eu erhaltend
Der Värd entspricht genau demjenigen Begriffe, den der Alt-
norweger und Isländer mit dem Namen Fylgja verband und wir
sind somit hier auf dem Punkte angelangt, von dem aus mit
vollem Verständniß die o. S. 45 angekündigte Vorstellungsreihe
zu verfolgen möglich ist. Die Fylgja* (d. h. Folgegeist) ist das
Leben, der Genius des Menschen selbst als ein besonderer Dämon
personifiziert und als solcher zum Begleiter, Schicksalsverkünder
und Schicksalsurheber geworden. Von. da war es nur ein un-
merklicher Schritt und die Fylgja wurde ein warnender oder
helfender Schutzgeist, der ittr den ihm zugeteilten Menschen
liebreich sorgte. Die als Abbild oder Doppelgänger eines
menschlichen Einzellebens oder des Lebens einer menschlichen
Gemeinschaft gedachte Baumseele in derselben Weise mit Baum
und Menschen zugleich verbunden und zugleich von beiden '
als selbständig hypostasiert , sodann als schützender, helfender
Genius aufgefaßt ist der Värd. Die Sitte einen Värdträd hinter
dem Hause zu haben, hatte in Dänemark ein unverkennbares
Seitenstück. Noch H. Steffens (Gebirgssagen) konnte davon
erzählen. In einer entlegenen Vorstadt von Kopenhagen — sagt
er — innerhalb der Wälle, bewohnen die Matrosen der dänischen
Marine ein Quartier, welches fast eine eigene Stadt bildet. In
einem jeden Hof ihrer kleinen Häuser sieht man über die Planken
hervorragend einen Holunderbaum , der mit einem religiösen Eifer
unterhalten und gepflegt wird. Der Geist dieses Baumes ist
Schutzgeist des Hauses. Er hilft in Krankheit, steht den Frauen
in Kindesnöten bei, beschützt die Kinder, aber verschwindet auch,
wenn der Baum abstirbt. Sicher aber war dieser Glaube sehr
alt und in die heidnische Vorzeit hinaufreichend. Dies möchte
ich aus der Uebereinstimmung mit der Sitte eines andern auch
am Ostseerande wohnenden Volkes, der Letten nämlich, schließen,
bei denen ehedem hinter jedem Hause unweit der Hofstatt ein
kleiner Hain von mehreren Bäumen gefunden wurde , in welchem
der „Mahjas kungs" (Herr der Heimat, Wohnung, Behausung)
1) Hylt^n-CavaUius, Värend I, p. 367 §.92. 143 ff, §.32. H, Till&g
zu §. 32. Vgl. den h. Baum bei Nanders (o. S. 35).
2) Vgl. außer den o. S. 45 angeführten Citaten N. M. Petersen, Nordisk
Mythologi S. 143.
Vardtrftd. 53
also der Schatzgeist des Hofes wohnen soUte , dem man von Zeit
zu Zeit kleine blutige und unblutige Opfergaben hineinwarf. Es
mangelt uns nicht an älteren Zeugnissen über die Sache, aber
noch 1836 u. a. zerstörte Pastor Garlbom in dem einen Kirchspiel
Ermes in Livland innerhalb 14 Tagen etwa 80 solcher Götzen-
haine. ^ Wer den Hain umhieb, sah den Mahjas Eungs in Gestalt
eines Vogels unter Sturmwind entweichen und mußte des Aus-
sterbens seiner Familie und des Verlustes seines gesammten Vieh-
standes gewärtig sein.^ Das Leben also der Menschen und der
Tiere in der gesammten Wirtschaft war an das Wolbefinden der
Bäume, resp. des Mahjas Kungs geknüpft, der andererseits ihr
Heil ftirsorglich in Schutz nahm.
Ob und wieweit auch in Deutschland vor alters Haus und
Familie ihren Schutzbaum hatten und pflegten, darüber kann ich
nichts Ausreichendes mitteilen. Einzehie Spuren scheinen daftlr
zu reden. Der Aelpler im AUgäu und Bregenzer Walde hat noch
einen Familienbaum, unter dem er mit den Seinen sein Abend-
gebet verrichtet Viele reservieren sich solche Bäume, wenn sie
auch sonst Hab und Gut verkaufen und sind bei ihrem Absterben
ängstlich um junge Stämme und Aeste bemüht^ Manche Namen
deutscher Familien (wie Linde , Eichbaum , Buchheister, Holunder,
Kirschbaum, Birnbaum, Eschenmayer, Birkmayer, Pirkmayer,
u. s. w.)^ könnten wenigstens mittelbar auf unsem Ideenkreis
zorttdweisen, falls die Bauerhöfe, von denen sie herstammten
nach besonders hochgehaltenen Bäumen in ihrer Umgebung genannt
waren. ^ Und wenn es Familienbäume gab, sollte vermöge natur-
gemäßer Erweiterung nicht auch die Dor&chaft in einem Baume
ein Gegenbüd und Symbol ihres Lebens, ihren Schutzgeist
gesucht haben? Bewahren nicht etwa unsere deutschen Dorf-
Unden eine Erinnerung, einen Anklang daran ? Es verlohnte sich
1) Inland 1836.
2) mündl. Hitteilung.
3) Vonbnn, Beitr&ge z. D. Mythologie 124. Wanderer im Allgäa.
Kempten 1847. p. 102 bei Bochholz, Alemann Kinderlied S. 286.
4) S. Andresen, die deutschen Familiennamen 1862 S. 17. Pott^ Per-
sonennamen Lpzg. 1853. S. 53. 676.
5) Namen von Lehnshöfen nach Bänmen führt Birlinger, Volkstnml. a.
Schwaben 11» 184, 182 auf, die jedoch schwerlich sehr alt sind nnd willkür-
lich gegeben zn sein acheinen«
54 Kapitel I. Baumseele :
woly, diesen Gegenstand einmal ernstlich zur Frage tmd Unter-
suchung zn stellen.
§.15. Weltbanm TggdrasUl. Falls sich Schutzbäame der
Dorfschaft erweisen ließen (und ich bitte den Leser darüber nach-
2SQsehen was ich weiter unten Kap. m. hinsichtlich der Maibäume
anmerken werde) so wäre damit ein wichtiges Mittelglied ' aufge-
lunden, um einer Hypothese zu großer Wahrscheinlichkeit zu
verhelfen , welche sich auch ohnedem unabweislich mir aufdräiigen
will. Ich vermute nämlich , daß auch der tiefsinnigen Eddamythe
vom Weltbaum Yggdrasill in ihrer ältesten Gestalt nichts anderes
als eine ins Große malende Anwendung der Vorstellung vom
Yärdträd auf das allgemeine Menschenheim zu Grunde gelegen
habe. Schon diejenige Form, in welcher der Yggdrasilmythus
in der Yöluspä uns entgegentritt, noch mehr diejenige des
Grimnismdl enthält spekulative Gedanken durch Allegorie aus-
gedrückt, und so einheitlich und harmonisch das aus allen Vor-
stufen als j^chließliches Ergebniß hervorgegangene großartige und
allumfassende, die Einheit des gesammten Universums, wie es
sich in Raum und Zeit darstellt, vergegenwärtigende Bild auch
zu sein scheint,^ schon der Name Yggdrasill (Odhins Boß),^ die
Vorstellung, daß Götter und Nomen als Richter und Urteiler
unter dem Baume Ding halten^ und die andere, daß die drei
Schicksalsfrauen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit
Fluten aus dem Brunnen der Vei^angenheit die Erde begießen
und frisch erhalten, stellen ebenso viele verschiedene Entwicke-
lungsphasen der Sage dar, die ohne Zweifel vor Abfassung der
Völuspd schon längere Zeit von den Dichtem bearbeitet und
unter >stäts neuen und andern Gesichtspunkten dargestellt . war ;
auch später noch, wie Grimnismäl lehrt, der Gegenstand er^n-
zender oder umgestaltender Darstellungen bUeb. Eine mehrfach
abweichende Variante zur Auffassung des Weltbaums neben der-
jenigen in Völuspd gewährt das Lied Fjölsvinnsmil 19 — 24.* Der
1) Vgl. Lfining, Edda S. 46 N. M. Petersen , Nordisk Mythologi S. 127 flF.
2) Petersen a. a. 0. S. 129. Uhland, Schriften VI, 206.
3) Vgl. Mannhardt, öerman. Mythenf. S. 594— 60i.
4) Diese meine Beobachtungen stimmen gut liberein mit den neueren
Ergehnissen der Eddabitik , znmal mit den glänzenden Forschnngen E. Jessens
über die Eddalieder in Zachers Zeitschrift f. D. Philologie B. HI, 1871,
S. 71 fif. 68. 69. 74., wonach die Völospä eine im 10. Jahrh. auf Island mit
WeLtbAom YggdiaaUl 55
Kemstoff der Compositioiiy In welchen alle anderen speculativen
Bestige erst hineingebildet wurden, war danach deutlich erkenn*
bar ein koBmologisches Philoeophem in Gestalt einer lebendigen
mythischen YorBtellang, -die Anschauung des Weltalls selbst als
immeiigrttner vom Himmel bis in die Tiefep der Unterwelt rei-
chender Baum 9 der beim Weltuntergang zittert, sich entzündet.'
Die erweiternde Spekulation zeigt ihn vom Wipfel bis zum Fuße
vom regsten Leben erfüllt, an der Wurzel aber fortwährend von
schädlichem Gewürme benagt So ist es wohl klar, weshalb
jede der neun Welten einen solchen Weltbaum besitzt, ein Gegen-
bild ihrer selbst.' Es ist aber kaum denkbar, daß jemand darauf
gekommen sein sollte den Doppelgähger des GesammÜebens
zugleich zum Schicksalsbaum zu machen, wenn nicht diese Idee
gleich von Anfang an mit dem Bilde verbunden gewesen wäre.
War dies aber der Fall, galt mit der Esche das Geschick der
Welt von Anfang an verknüpft, war der Genius des Baumes,
6<^er waren die in oder unter ihm wohnenden Genien zugleich
schützende und schicksalbestinmiende Mächte der Menschheit, so
teilweiaer wörtlicher BenntzuBg älterer epischer Lieder verfaßte Uebersicht
der Götterlehre war , Grimnismäl eine von eüiem Christen vollgepfropfte Vor-
ratskammer mythologischer Specialitäten ans saec. XI. Sollten hier nicht
die Angaben mehrerer Lieder über Yggdrasill in eins gezogen sein?
1) Schon Sknlo Thorlaeins erklärte die Esche Yggdrasill fUr ein Sinn-
bild der gesammten Natur (Antiqa. bor. IIL Ö4. YII. 184) ; und Finn Magnaa-
sen sagte (lex. myth. 588) ,, der Weltbanm oder nnsere Welt nnter dem Sym-
bol oder Bilde der Esche dargestellt." Dieser Dentung folgten die meisten
skand. Forscher. Vgl. darüber und gegen die von A. Kuhn zuerst aufgestellte
und dann von Andern (z. B. seiner Zeit mir selbst) geteilte Zusammenstellung
Ton Yggdrasill mit dem Wetterbaum auch M. Hüllers schlagende und über«
zeugende Auseinandersetzung, Essays Lpzg. 1869. Bd. ü, 184.
2) Niu man ek heima, ninlvidi. Völuspä 2. Neun Welten: Yafthrudnism.
48. Gylfjug. 34 (dagegen Alvism. 9 nach Bugge Neudichtung eines Interpola»
tors) IviAr arbor maxima. S. Weinhold, Biesen^ Sitzungsberiehte d. Wien.
Akad. 1868 S. 289 Anm. 4. üeber die 9 Welten s. Werner Hahn im Archiv
f. neoere Sprachen XXXIY. S. 440— 452. Die Hauksbök liest in Yol. 2 statt
ivipi iviüQur (Bugge Edda S. 1. 19). Aus dieser von Bugge mit Becht ver-
worfenen Lesart in Verbindung mit einer Zeile im Gedichte Hrafnagaldr
OdiBS (Str. 1 elr ivijija) hat man ehedem auf einen altnorwegisehen Baumgeist,
eine Dryas Ividja (quae in arbore habitat) geschlossen. Seit Bugge a. a. 0.
XLVI. LXIX. jedoch dargetan,' daß Odhins Babengesaog ein gelehrtes Mach»
werk des 17. Jahrh. sei, ist jeder Beweis für die Existenz der Ividien aus der
Edda geschwunden.
56 Kapitel I. Baomseele:
ist in allen Teilen die Aehnlichkeit des Grandgedankens so groß^
daß man kaum umhin kann den Värdträd, den Schntzbaam,
falls dieser — wie doch wol schwerlich zweifelhaft sein kann —
wirklich bis in die heidnische Zeit hinaafreicht, als das ursprüng-
liche und einfache Urbild des Weltbaums in Ansprach zu nehmen.
Ein ünyerwerfliches Beweisstück ftlr diese Behauptung wird aus
Fjölsvinnsm 20 ff. Bugge entnommen werden dürfen ; wo (was auch
immer die Beziehung zum Zusammenhange der Dichtang sei) der
Mimirsbaum (Mimameidr), der über alle Lande seine Zweige
breitet, dessen Wurzel niemand kennt und den kein Feuer noch
Eisen schädigt, unwiderleglich als der sonst Yggdrasill benannte
Weltbanm zu verstehen ist.^ Von ihm heißt es, man solle van
seiner Frucht ins Feuer tragen, dann würden Kindbetterinnen
ihrer Büi/rde ledig (utar hverfa paz l)3er inna skyli). Dieser Zug .
ist so realistisch, daß er schwerlich aus dem bloßen poetischen
Bilde des Weltalls als eines Baumes entstanden sein kann, son-
dem als Vorbild einen Brauch in der Wirklichkeit voraassetzt,
mit den Früchten eines Baumes bei Entbindungen zu räuchern.
Diese Form der Sitte weiß ich nun zwar nicht nachzuweisen,
wol aber stellt sich aufs nächste dazu, daß in Schweden
Schwangere in ihrer Wot den Värdträd umfassen und in
Dänemark der Holunder neben dem Hause den Kreißen-
den hilfreich sein soll. (S. o. S. 52.) Was also ist wahr-
scheinlicher, als daß von dem Schutzbaume die Idee von Yggdrar
sill ausging?
Vom Standpunkte der so gewonnenen Erkenntnisse aus ver-
lohnt es sich, Nyerups* bekannte und mit so großem Beifall
angenommene Gonjectur, daß der vor dem Göttertempel in
1) Mimirs Baum heifit er nach Mimira Brunnen» der nach Sn. £. I, 68
unter einer Wurzel von Yggdrasill quillt. Au(kr den oben angeführten
üebereinstinimungen vgl. noch die Ausdrücke: i enum häya vidi, ins maera
vidar, med mönnum mjötadr F. M. 23. 21. 22. von Mimameidr; bar badmr.
mjötvid maeran, mjötudr Vol. 19. 2. 46 von YggdniBill, welche wol auf eine
von den Dichtem beider Lieder mittelbar oder unmittelbar benutzte ältere
IMchtnng, zurückweisen, die eine der ursprünglichen Vorstellung verhaltniß-
madig noch nahe stehende Fassung des Mythus enthielt. Schlagen unsere
obigen Auseinandersetzungen ein , so war hier der Weltbaum noch ein Frueht-
baum (etwa Buche) und erst der Verfasser von Völuspä mag dafür die Esche
eingeführt haben, die dann dichterisches Gemeingut wurde.
2) Wörterbuch der nord. Mythologie S. 128. 129.
Weltbaum Yggdrasill 57
Upsala an einer QueUe stehende , Sommer nnd Winter grünende
Baum unbekannten Geschlechts ein irdisches Abbild von Yggdra-
sill mit dem Urdharbrannen war,^ noch einmal zn erwägen. Von
diesem Banme wissen wir aus dem wahrscheinlich vom Verfasser
selbst herrührenden , ans einer Mitteilung des Dänenkönigs Syend
Estrithson oder seiner Hoileute nm 1070 stammenden Scholion
134' zu des Adam Yon Bremen Schüdemng des Göttertempels
in Upsala. Ist die Notiz tatsächlich begründet , wofUr ein gleich-
zeitiges Analogen aas Pommern spricht)^ so ist damit noch nicht
bewiesen, wenn gleich sehr glaublich; daß der Baum religiöse
Bedeutung hatte. In diesem Falle scheint es jedoch weit näher
zu liegen ; in ihm den Värdträd des Upsalahofs als ^in Abbild
des Universums zu vermuten. Nyerups Hypothese ist umzukehren.
Es läge also nach unserer Auslegung bei Meister Adam ein
1) Adam Brem. de sitn Dan. IV, 26 Sohol. 1S4 : Prope templum est arbor
maiima late ramos eztendens aeatate et hyeme semper vireos. Cujus illa
generis sit, nemo seit. Ibi etiam est fons, ubi sacrificia paganoram solent
exerceri etc.
2) Wattenbach, D. Geschicht^quelleu Aufl. 1. S. 253. 255.
3) Als Bischof Otto von Bamberg i. J. 1124 auf seiner Missions-
reise nach Stettin kam, fand er neben einem der zu gott es dienst-
lichem Gebrauche dienenden Geb&ude (Continen) einen heiligen
Baum mit einer Quelle: Erat praeterea ibi quercus ingens et
frondosa' et fons subter eam amoenissimus, quam plebs simples
numinis alicujus inhabitatione sacram ezistimans magna vene-
ratione colebat. Hanc etiam episcopus quum post destructas continas incidere
vellet , rogatus est a populo ne faceret. Promittebant enim nunquam se ulte-
rius sub nomine religionis nee arborem illam colituros , nee locum , sed solius
ombrae atque amoenitatis gratia, quia hoc peccatum non sit; salvare iOam
potius, quam salvari ab illa se velle (der Baum war also ein Schutz-
baum). Qua suscepta promissione: Acquiesco, inquit episcopus, de arbore.
Herbordi vitt^Ottonis ep. Babenb. 1. IL c. 31. Mon. Germ. Scr. XII, 794.
Ein weit älteres Zeugniß für den heiligen vom Schutzgeist (?) bewohnten Ba^m
neben dem Tempel gewfthrt des Sulpicius Severus vita Sti Martini, oap. X. ap.
Surium de probatis saActomm historiis T. VI. Colon. 1575 p. 254 : Item dum
in Tico quodam t^nplum antiquissimum diruisset et arborem pinum, quae
fano eratprozima, esset aggressus excidere, tum vero antistes loci illiu?
ceteraqu^ gentilium turba coepit obsistere. Et cum ijdem Uli , dum templum
evertitur imperante domino, acquievissent, succidi arborem non patie-
bantur. Üle quidem eos sedule conomonere, nihil esse religionis in stipite,
Dominum potius oni sorviret ipse sequerentor, arborem illam exoidi
pportere quia esset daemoni dedicata.
58 Kapitel I. Banmseele:
flngereeig vor, daB im 11. Jahrfa. neben dem Hause der Gat-
ter (ebenso wie neben dem Privathanse) ein Vlrdtrüd stand, wo-
möglich neben einem Quell, in den man Gaben ftlr die Gottheit
versenkte, * Solche Bäume aber waren nicht Nachbildungen , son-
dern Vorbilder des in norrönen und isltodisoben Liedern des
10. und 11. Jahtii.'uns entgegentretenden Weltbaums.
§. 16. ErUnterade Begegni^se aus dem tlgll^hen Leben,
Sollte übrigens noch jemand vorhanden sein , dem die Entstehung
der Vorstellungen vom Schutzbaum ein psychologisches Rätsel
darböte , so dürfen wir ihn glücklicherweise einladen in den Sohlt*
derungen neuerer, aus der Fülle wirklicher Erlebnisse schöpfender
Dichter Schritt fUr Schritt noch heute so zu sagen die Genesis
derselben zu belauschen. Mit feiner Beobachtmigsgabe hat z. B.
Göthe im Werther das Anwachsen gemütlicher Beziehung^ zwi-
schen Mensch und Baum veranschaulicht Werther trifft den
alten Pfarrer zu St. auf seinem von Nußbäumen besdiatteten
Pfarrhof. Der Alte wurde ganz munter , und da ich nicht umhin
konnte, die schönen* Nußbäume zu loben, die uns so lieblich
beschatteten, fing er an, wiewohl mit einiger Beschwerlichkeit die
Geschichte davon zu geben. „Den alten, sagte er, wissen wfr
nicht, wer den gepflanzt hat. Einige sagen dieser, andere jener
Pfarrer. Der jüngere aber dahinten ist so alt als meine Frau,
im October ftlnizig Jahre. Ihr Vater pflanzte ihn des Morgens,
als sie gegen Abend geboren wurde. Es war mein Vorfahr im
Amte und wie lieb ihm der Baum war, ^ist nicht zu sagen; mir
ist ers gewiß nicht weniger. Meine Frau saß darunter, da ich
vor sieben und zwanzig Jahren als ein armer Student zum ersten
male hier auf den Hof kam.'' Auch Werthem wachsen diese
Bäume ans Herz und als später eine neue P£arrerin dieselben
umhauen läßt, weil sie ihr unbequem sind, möchte er rasend
werden, daß es Menschen geben soll ohne Sinn und Geftlhl an
dein wenigen, was noch auf Erden Wert hat Er könnte ,^den
Hund ermorden, der den ersten Hieb daran tat'' Aber auch
das ganze Dorf murrt und die Frau Pfarrerin soll es an Butter und
Eiern und übrigem Zutrauen spüren, was für eine Wunde sie
ihrem Orte gegeben hat. Hören wir außer Göthe noch einen
neueren Kenner des Volkslebens. P. K. Bosegger schildert in
seinen „Gestalte aus dem Volke der österr. Alpenwelt" S. 280 ff.
den reichen Bauer Hagenzweig in der Eben, der so nach semem
Erl&nternde Begegnisse aas dem täglichen Leben. 59
Gehöfte benannt ist, aber auch wol als der Lmdenbaner bezeich-
net wird, da ein mächtiger Lindenbanm an der Ecke seiner Stal*
lungen steht Nach diesem Baume kennzeichnet man dem fragen-
den Wanderer, Holz- oder ViehbSndler das Grundstttek, „der
Hof, über den die alte linde schaut/^ Unter ihm rersammelt
der Herr Pfarrer die Kinder des Dorfes zuweilen zur Christen-
lehre, nnter ihm anf dem Bänkchen, das mnd nm den Stanun
länfl, sitzt der Bauer oft abends mit seiner Familie. Schon den^
Vätern war der Baum wert, und der Bauer ehrt ihn mit fast
reli^öser Scheu. Tee von seinen Bltlten trinkt er als unfehlbares
Universalmittel in allen Krankheiten, und sterbend verweist er
den Sohn fllr die Zeit der Not im Alter anf die alte Linde. 'Der
Sohn erbt die Ehrfurcht vor dem Baume, trinkt auch seinerseits
getreulich Lindenblütentee und als er durch Mißernten verarmt,
kann er sich nicht entschließen, den stattlichen Stamm um den
ihm angebotenen Preis von 45 Dukaten zu verkaufen, während
er doch kurz vorher den vergoldeten Wetterhahn vom Dach ohne
Bedenken veräußert hat. Als bald hernach ein Wetter den Baum
stürzt, daß er über Haus und Stall morsch in sich zusammen-
bricht , ist es dem Lindenbaucr, als sei es mit ihm selbst zu Ende
und auch er bricht zusammen mit dem Bufe: Jetzt bin ich der
HagenzWeig nicht mehr und jetzt kann ich nicht bleiben im Hof
auf der Eben. Aber im hohlen Stamme der gefallenen Linde
findet sich ein Topf Geld, den der Vater dort versteckte, und
so hilft der Baum dem heruntergekommenen Lindenbauer wieder
zu Kraft *und Vermögen. Wieviel fehlte denn noch daran, daß
der Oesterreicher Hagenzweig von seiner Linde dieselbe Vor-
stellung hegte, wie der Schwede vom Värdträd?
§. 17. BotrS. Zuweilen erhält der Värdträd den Namen
Bosträd oder Boträ (Wohnsitzbaum) d. h. entweder Baum, der
zur Wohnung des Menschen gehört, oder der der Wohnsitz gewis-
ser Wesen ist. In letzterem Falle bezeichnet dieser Ausdnick
den Baum nicht mehr als den Körper oder als das Gewand,
sondern als die vertauschbare Wohnung eines mythischen Natur-
geistes, der außerhalb des Baumes seine Wirksamkeit übt, und
bei dessen Untergang heimatlos wird. Vor solchen Bäumen hat
man Gebete und Opfer zumal an Donnerstagsabenden und an den
Vorabenden der großen Feste dai^gebraicht , um Siechtum, Unglück
und Unheil von Menschen und Vieh abzuwehren. Das Opfer
60 Kapitel I. Baamaeele:
bestand gemeinbin in Milcb oder Bier, das man über die Wurzeln
des Baumes sprengte. Nocb im Jahre 1744 vmrde ein Mann
im Fosspastorat in Bohnslän, der von einem Boträd einen
Zweig abgehauen, dann aber Yor dem Baume einen Knie-
fall getan und um Verzeihung gebeten hatte, in der Beichte zu
einer Buße yerurteilt. Man denkt sich aber häufig nicht einen
einzelnen Geist, sondern eine ganze Gesellschaft als Bewohner
des Baumes. Als einmal ein Bauer im Värend einen solchen
Wohnsitzbaum umhieb, hörte er es Abends im Stubben singen
hnsvilla ä' vi
husTÜla ä' vi
, husvill skal du ocksä bli.
d. h. wir verloren unser Haus, wir verloren unser Haus, auch
du sollst das deine verlieren. Tags darauf brannte das ganze
Gehöft nieder.^ Diese mythischen Baumbewohner werden Tomte-
gubbar benannt, sie sind Vervielfältigungen des einen Värd,
den wir vorhin im Baume walten sahen (o. S. 51) und in ihnen
erscheint uns der Baumgeist, der, nach vorhin behandelten Sagen
erst nach der Einfügung des getUllten Baumes als Balken in
Haus und Schiff zum Hausgeist wurde, schon bei Leben der
Pflanze als solcher tätig. Ihre Behausung wird bald in den
Stamm selbst, bald unter die Wurzeln des Baumes ver-
legt. In Bohuslän wohnen die Tomtegubbar (die „Alten im Ge-
höfte'') d. h. Hauskobolde, welche ungesehen dem Bauer hilf-
reich m der Wirtschaft zur Seite stehn z. B. des Viehs sich
annehmen, Aehren vom fremden Kornboden auf den seinigen
tragen, das Haus mit Wolstand begaben, und vor Brandschaden
(eld och brand) schützen (weshalb bei ihrem Fortgange Feuer
ausbricht s. o. S. 44), im Baume nahe dem Hofe; man hütet
sich Donnerstag Abends etwas zu hauen oder zu spinnen, damit
sie nicht erztUnt werden und mit ihrem Segen entweichen.' In
Norwegen soll der Tomtegubbe unter Bäumen bei den Wohn-
1) Hylt^n - CaYallins a. a. 0. 143. 311. Odman, Bohnsläns Beskrifning
Stockh. 1746. p. 75. Mytli.i CXII. 110.
2) Odman a. a. 0. Auch- Törner hörto um 1700 in Sm&land , daß man
alte Bäume, welche lange Zeit beim Hofe standen, nicht gerne abhaut, weil
nach dem Volksglauben einige Genien darin ihre Wohnung haben, nach
denen man sie auch Tomtetr&d nennt De reliquüs paganismi in Smalan-
dia bei Hylten-Cavallius, Värend och Virdame I. Tilläg JX.
, Boträ. . 61
hfiasern seinen Sitz haben und deshalb darf man diese nip ganz
ftllen.* Aber auch Zwerge, Unteijordiske (Unterirdische, Unner
erdsken) wohnen wie unter Httgehi und Häusern, so zuweilen
unter gewissen Bäumen, die man deshalb nicht fällen darf.'
Doch — das ist der Unterschied — diese Bäume sind nicht
mehr immer beim Hause, sondern in Feld und Wald zu suchen^^
Auf einer Haide zwischen Falsterbro und Skanör in Schonen steht
ein uralter Apfelbaum, unter dem kleine Leutchen (et Pysslinge-
folk) wohnten, eiife Schuhmacherfamilie. Oft sieht mau sie
noch hei schönem Wetter ihr kleines Leinenzeug im
Baume aufhängen und trocknen. Als ein gewisser Jons
Pählsson einen grttnen Zweig zum Hirtenstabe abhieb,
bekam er Schmerzen in den Eingeweiden , welche erst aufhörten,
als er um Vergebung bat. Ein Seemann in Palsterbro, der
schnelle^ Aufbruchsordre empfing und sein Schuhzeug nicht in
Ordnung hatte, rief im Vorbeifahren spottend, der Schuhmacher
unter dem Apfelbaum solle ihm die Stiefel flicken. . Als er abends
wieder an jene Stelle kam, wurde er irre und fuhr die
ganze Nacht um den Baum herum, die Wagenräder ließen
eine bleibende Spur zurück.* Auch in deutschen Sagen liegt der
Eingang zu den Wohnungen der Unterirdischen (d. h. der Zwerge)
unter einem Apfelbaume, einer Rttster, in der EUemkuhle
u. 8. w.* In Verwirrung geraten scheint die folgende Sage. Zu
Menzingen im Kanton Zug stand mitten im Dorf ein hoher Baum,
so hoch, daß er vom Sturme gebrochen alle Wohnungen zer-
schlagen hätte. Da .niemand ihn zu fällen wagte, gewann man
1) Vgl. J. N. Wilse, Beskrivelse'over Spydebergs Pra,e8tegjeld. Christiania
1779 p. 418.
2) S. Hans Ström , Beskrivelse over Fogderict Söndmör i Bergens Stift
i Norge Soröe 1762. I. p. 537.
B) Nach Myth.i OXII. jedoch wohnen die UnterirdiBchen (undeijordisk
folk) nti boträ. lü Dänemark weiß man von einzelnen Bäumen , welche die
Ünterjordiske nicht umhauen lassen , dasGlück des Gehöftes sinkt dahin,
wenn ihnen Gewalt geschieht. Ein solcher Baum stand auf einem Felde hei
Eakildstrup Amt Sorö; der Eigner hielt ihn hoch in Ehren und sagte, es
hätten da früher zwei gleiche Bäume gestanden , als aber ein Mann den einen
umhauen ließ , sei alles Unglück Über ihn und sein Haus gekommen. Thiele,
Danmarks, Folkesagu 1843. 11, S. 52 fr.
4) Nicolovius , Folkelifvet i Skyttshärad i Skine S. 185.
5) Kuhn , Nordd. Sagen S. 262, 292. 105, 120, 1. 166, 189, 6.
62 Kapitel I. Banmseele:
eijQ Berffmämiobeii« Das kappte den Baum und yerscbwaBd dBjm
im hohlen Baum auf immer. Der Berggeist hauste wol auch vor-
her schon im Baume. * Der Schwede nennt als Bewohner solcher
Bäume auch jene. Elfen (elfvor), welche wie klejne Puppen gestal-
tet auf den Wiesen tanzen. Unsichtbar fahren sie mit gleicher
Leichtigkeit durch Luft, Feuer, Erde, Wasser, Berge und Bäume.
Sichtbar erscheinen sie in mancherlei Gestalt, oft sah man sie
als Eulen zwischen den Baumästen herumhtlpfen.
Aufwiesen gewahrt man oftBinge von grUnerem und frischerem
Gras, das ist der sogenannte „Elfdans^^, da schwangen sich
die Elfen während lichter Sommernächte in luftigem Beigen und
unter ihren Füßen wuchs das Kraut üppiger.^ Am liebsten üben
sie ihre Spiele unter Lmden und andern Laubbäumen. Sie haben *
allerlei Aufenthaltsorte in der Erde, in Steinen, wie in Bäumen,
Wer solchen Bäumen irgend wie schadet, wer durch ein Astloch
nach den Elfen sieht , oder wer das Gras der Elfenringe nieder-
tritt, der erblindet, oder er wird von den Geistern angehaucht
und bekommt ein Geschwulst oder eine Wunde am Kopf ^ eine
Krankheit, die alfild (Elfenfeuer) oder alfgast und elfbläst (Elfen-
anhauch) heißt, gradeso wie in Schottland und Irland schon der
bloße Anblick der Elfen Tod, Fieber oder Verlust des Verstandes,
ihr Anhauch Beulen und Krankheiten zur Folge hat. Doch sau-
gen die Elfen auch behexten Kindern an Fingern und Zehen , so
daß sie klein und schwach bleiben. Als Gegenmittel gegen diese
Krankheiten bindet man den Kindern entweder Donnerkeile
um den Hals oder man schmiert die Löcher oder Vertiefungen in
gewissen großen tief in den Wäldern liegenden Steine^i oder
Riesenbetten mit Butter aus und setzt Puppen von Zeuglappen
gemacht in Gestalt der Elfen hinein. Oder ein kluger Mann räu-
chert das kranke Kind mit Vendelört (Valeriana officinalis) ; dann
sieht man die Elfen in Gestalt kleiner Puppen über den Fußboden
gehen und bitten, man möge ihnen nur erlauben eine andere
Stelle aufzusuchen. In Skinnersäla in Vesterrumsockn ging eine
Bäuerin in den Wald, um sich Kien zu hauen. Sie hieb einen
1) Rochholz , Aargausagen I. 89, 78.
2) Die Pflanze sesleria caerulea beißt elfdansar , elfgräs, elfaxing (kleine
Aehre) dieses Gras breitet sieb kreisförmig vom Mittelpunkte nacb aUen Seiten
aus und stirbt nacbber in der Mitte ab ; daher die Ringe. Buna 1845. S. 50.
ßoträ. 63
Banmstnmpf mit der Wurzel heraus und wurde sofort
so siech, daft sie kaam heimgehen koomte. Niemand wa£te waj3
ihr fehle, bis ein kluger Mann erkannte, daß sie einem Elfen
geschadet haben müsse. Und erholt sich (kommer sig) der Elfe,
sagt er, so erholt sich die Bäuerin auch, stirbt aber der Elf, so
stirbt die Bäueiin ebenfalls» Die Frau sah nun ein, daß ein Elf
ioai Baumstamm gewohnt haben mttsse und starb bald nachher,
denn der Elf konnte nicht leben, da der Stnbb^ mit den Wur^
zeln ausgenommen war. ^ Diese Elfen sind offenbar den deutschen
krankheiterzeugenden Eiben, von denen wir oben sprachen, aufs
nächste verwandt Befalle^ sie einen Menschen, so werdeai si^
in efiBgi^ (aus Zettglaiq;>en) zum Walde zurttcl^etragfai. Eine
dänische Ueberlieferung von 1722 bezeichnet die in oder bei deqi
Wurzeln des Baumes wohnenden Geister ganz aflgemein als
Yaetter : Yidemus quoque rusticos orsuros caesionem arboris. tff
exspuere, quasi hac excretioife yettas aliosque latentes ad
radicem arboris noxios genios abacturos(Mjth.^GXyL 162.)
Den schwedischen Erzählungen von äßn Hausgeistern unter dem,
Boträd gleichen wieder mehr die Angaben in einer Denksehrifl^
welche zwischen den Jahren 1526 — 1530 über den heidenartigen
Aberglauben der noch ihr^ alten ^ dem lettischen Stamme ange^
hörigen, Dialekt sprechenden Bewohijer des nordwestlichen Wi4-
kels im preußischen Ssmlande verfaßt, aber erst n^h 1&60 unter
dem Titel ,,yon der Bockheiligung der Sudauer^' gedruckt ist.
Der Verfasser (wahrscheinlieh ein evangelischer Geistlidber) bezeichr
net die Personificationen des Volksglaubens als heidnische Götter.
Naeh Herstellung des Textes ai^f Grand der älteisten Handschriftep
ergiebt die Denkschrift über die Verehrung des Holunderbaumes
Folgendes. Sein Holz gelte für großwürdig und heilig. . Unter
ihm wohne in der Erde der Erdengott Puschkaitis. Di^esen bitte
man , indem man Brod , Bier und andere Speisen unter den Baum
trage, er wolle seine Markopolen d. h. die Erdleutchen und seine
Parstucken d. h. kleine Männlein in die Scheune schicken , um
Getreide dahinein zu tragen und wol 2;u behüten. In der Nacht
setzen die Bauern Speisen in die Scheune und rufen jene zn
1) Anfsseichnongen des Herrn M. H. Haltin im Jahre 1852 gemacht.
Handfleb)-. des Beicfaaantiqu^nttins zn Stockholm. Vgl, Hylt^n - Carallius 255
§. 64. 146, §. 34. Püttmann , Nord. Elfenmärchen S. 66. Myth.» 430.
64 ' Kapitel I. Banmsoele :
Gaste. Wenn sie morgens viel verzehrt finden, hoffen sie auf
Vermehrung ihres Getreides. Da die Namen Puschkaitis und
Markopole etymologisch noch unaufgeklärt sind, läßt sich nicht
sagen, ob der Verfasser mit seiner Angabe „der Erden Gott*'
recht habe. Sei Puschkait jedoch eine Personification wessen er
wolle, jedesfalls geht soviel .daraus hervor, daß nach altpreußi-
schem Volksglauben unter dem Holunder ein Dämon wohnt,
welcher sowol über Zwerge (Markopole) , als Kobolde (Parstucken.
Fingerlinge?) Macht hat und dieselben zu Gunsten oder Schaden
der Menschen aufbietet. Nach den gleichzeitigen Mitteilungen
des Lucas David war anderswo in Preußen der Glaube verbreitet,
daß wenn man die Erde unter dem Holunderstrauch verunreinige,
der Gast, so unsichtbar unter dem Baume wohne, das Auge ver-
unstalte; verbrenne man den Busch, so nehme man ihm seine
Herberge.
Ueberschlagen wir alle diese Ueberlieferangen , so wird es
klar, daß in denselben eine Verschmelzung verschiedener Vor-
.Stellungen statt hatte. Der Hausgeist (Tomtegnbbe u. s. w.)
im Boträd tritt uns entgegen gleichsam als der Baumgeist, der
personifizierte Baum selbst. Neben anderm wajs wir schon bei-
brachten, stimmt hieztt aufs beste, daß der Kobold in den Nie-
derlanden, Holstein, Thüringen, Hessen und Baden zuweilen
grünes Gewand trägt, daß er in Holland ein grünes Gesicht
und grüne Hände, in Belgien ein Antlitz verschrumpelt
wie die Rinde eines Baumes'^ haben soll, und daß er in der
Mark der grüne Junge heißt.^ Diesen Hausgeist, der der
Baumdämon selber, sehen wir nun nach Analogie der „Elbe^^
mitunter zu einer ganzen Schaar vervielfältigt, die in oder unter
dem Baume Wohnung nimmt und mit Attributen ausgerüstet,
welche diesen als Krankheitsgeistem zukonmien. Andererseits
gewahren wir die Elfen ein Stück von dem Wesen des Baum-
geistes selbst annehmen. Konnten sie dem KOrper des Menschen
und der Tiere schaden, so mochten sie besänftigt auch woltätig
wirkend gedacht sein und so auch von dieser Seite her mit der
Idee des Schutzgeistes zusammenfließen. Daher erklärt sich das
im Eichsfelde gebräuchliche Verbot Holunderholz zu verbrennen,
1) J. W. Wolf hat Beitr. z. d. Myth. II, 332. 33. eine Anzahreinschlä-
giger Beispiele gesammelt
Botr&. 65
weil sonst im ganzen Hanse die Hühner sterben.^ Das Leben
der Htthner ist mit dem des Banmes so zu sagen iden-
tisch geworden. Hiemit stimmt die Sage vom Stodderstnbben
bei Bönsvig (Prsestoe auf Seeland). Es ist ein Weißdomstnmpf,
der als Seemarke dient. Wer Hand daran legt, dem widerfährt
Unglück. Einem Bauer , der ihn zum Pflughaupt abhauen wollte,
fuhr die Axt ins Bein (vgl. ob. S. 36). Als er zum zweitenmale
Hand anlegte, starb ihm eine Kuh. Stodderstubben (Bettlerstnmpf)
heißt der Baum, weil da ein Bettler begfaben ist (vgl. ob. S. 39).*
Endlich treten sogar auch die Zwerge an die Stelle der Eiben.
Vielleicht wird es weise getan sein zu erinnern , daß die von uns
zur Besprechung gebrachten Gharacterzüge das Wesen weder der
Kobolde und Hausgeister, noch der Elbe und Zwerge erschöpfen.
Die Kobolde namentlich gehen fast durchgängig in Personifica-
tionen feuriger Lufterscheinungen (Drachen) über, so daß die
Bezeichnung als Baumgeister eine viel zu enge wäre. Und auch
von den Eiben (Elfen) hat man festzuhalten, da:ß ihr Aufent-
halt im Baume und ihre Eigenschaft als Krankheit verursachende
Geister nur eine einzelne unter ihren mannigfachen Erschei-
nungsformen sind, wenn auch eine nicht ungewöhnliche, wie ich
durch noch einige weitere Metamorphosen dieser Vorstellung
erhärten möchte. Im Waldeckischen versteht man unter den
„Hollen" kleine schwarze Leute, welche Züge der Zwergsage
und der Koboldsage vereinigen. Sie wohnen im Hollenstein,
vertauschen Kinder, backen dem Ackerer Kuchen, tragen ihren
Lieblingen Korn von eines andern Boden zu.' Doch auch im
Baume wähnt man sie gegenwärtig. Wenn kleine Kinder krän-
keln, müssen die Eltern Wolle und Brod in den Wachholder-
busch einer andern Feldflur bringen und dabei sprechen:
Ihr Hollen und Ilollinnen,
Hier bring' ich euch was zu spinnen
Und was zu essen.
Ihr sollt spinnen und essen
Und meines Kindes vergessen.^
1) Seifart , Hildesheim. Sagen 11, 166.
2) Thiele , Danmarks Folkesagn 1S4S, II, 54. nach Repholtzs Beskr. over
Baroniet Staropenborg 118.
3) Curtze, Yolksüberlieferungen aus Waldeck S. 219. 225.
4) Curtze a. a. 0. 373. Vgl. ob. S. 20 nebst dem Fiebersegen ans Pli-
nius Valerianus und S. 14 die guten Holdichen.
Mftnahardt 5
66 Kapitel L BanmBeele:
Auf dem Kirchhofe yon Storeheddinge auf der Insel Seeland
finden aich Ueberbleibsel eines Eichenwaldes. Das sind — sagt
der gemeine Mann — des Elfenkönigs Soldaten, bei Tage
BänmC; bei Nacht tapfere Krieger. Aus einem Baume im
Walde zu Bugaard auf derselben Insel wird Nachts ein ganzes
^enyolk und läuft lebendig herum. ^ Das sind die neben dem
eigentlichen Baumgeist die Zweige des Baumes bewohnenden
Elbe. Die Auffassung der krankheitverursachenden Elbe als
Wtirmer war die eine uralt indoeuropäische Vorstellung, welche
vielfach bis auf die neueste Zeit maßgebend geblieben ist In
den Soldaten der soeben angeführten seeländischen Sage erkenne
ich dagegen einen Ausfluß einer andern daneben herlaufenden
und, wie das Beispiel des durch seine Pfeile Pest hervorrufenden
Apollo zeigt, nicht minder alten Auffassung, wonach die Schmer-
zen als unsichtbare Verwundungen durch kleine Speere oder
Pfeile von 65tterhand oder aus der Hand der Elfen betrachtet
werden. Vgl. die englischen und schottischen Vorstellungen vom
elfbolt, elfarrow ^ und den ags. Segen in der Hs. der Harlejaa
Samml. N. 585, gegen Stiche,' wo es heißt, daß Hexen gellende
Speere (gyUende gäras) Göttergeschoß, Elfengeschoß, Hexen-
geschoß (6sa gescot, ylfa gescot, hägtessan gescot) in Haut, Fleisch,
Blut oder Glied entstandten „heraus kleiner Speer (ut lytel spere)/'
So sprechen wir noch heute von Hexenschuß, und dem Schweden
heißt älfbläst atich elfskudt. Die Zusammenstellung esa gescot,
ylfa gescot aber, welche in der stehenden formelhaften Miteinan-
demennung von Äsen und Alfen in Liedern der älteren Edda^
1) Jonge, Nordsiell- Landalm y S. dOl. Thiele, Danmarks Folkesagn^
Ebhvn 1843, H. 190. 53.
j) Grimm, irische Elfenmärchen S. CIL CXIII. XLV. Myth.« 429.
3) Myth.* 1192. J. M. Eemble, die Sachsen in England I, 438.
4) Z. B. Hvat er med äsum , hvat er med älfnm? Thrymsq. 7. In anzwei-
felhaftem ZoBanmienhange mit der oben dargelegten Anschauung steht eine
Sagenfamilie , welche die Geister der wilden Jagd , Hexen , Zwerge oder Frau
Perchta gewissermaßen als die ins Groteske vergrößerten Elbe erscheinen
läßt. Sie yergegenwärtigt uns einigermaßen was der Angelsachse unter £sa
gescot verstanden haben wird, and bestätigt zugleich, daß der Parellelismus
des Menschen mit dem Baume auch dieser Anschauung zu Grunde liegt
Eine Hexe haut einem Manne im Vorbeireiten während der Walpurgisnacht
ein Beil in die Lende, indem sie spricht: „hier steht ein Baumstumpf
(stttke) , da will ich mein Beil hineinhauen." Kein Arzt vermag es , das Beil
Boträ. 67
flu* Seitenstflck hat y spricht dafUr j dafi . diese Ausdrücke auf ger-
manischem Boden in eine dem Heidentum angehörige Angelsach-
heransznzielieD. In der Walpurgisnacht des nächsten Jahres stellt sich der
Mann an denselben Platz. Dieselbe Hexe kommt wieder vorbei nnd sagt:
„Der Stumpf steht hier noch, ich wiU mein Beil herausnehmen; aber ein
andermal stehe der Stumpf nicht wieder da.'< (Wulften, Schambach u. Mül-
ler, Nieders. Sag. 179, 195.) Einem Manne in Mainzholzen steckte eine yor-
beifahrende Hexe eine Stecknadel in's Knie und zog sie nach Jahres&ist
wieder heraus mit den Worten: „Vor einem Jahre habe ich eine
Stecknadel in eine alte Buche gesteckt, ich will doch einmal
sehen, ob sie noch da ist.'' (Schambach -Müller a.a.O. S. Anm. 359,'
195.) Die Berchtl. an der Spitze der wilden Fahrt schlug eine Hacke in
das Knie eines Mannes mit dem Ausruf: „Wartet'! da unten ist ein
Stock (Baumstumpf), in den muß ich dieses Hackl hineinhauen."
Nach einem Jahre zog sie es wieder heraus (Zingerle, Sagen, Märch. und
Gebr. a. Tirol 1859, Nr. 23. S. 17). Ein Knecht legt einen Baumstamm quer
über den Weg, den die wilde Fahrt daherkommt. Als er Nachts im Bette
liegt, hört,er eine Stimme: In diesen Baum schlage ich eine Hacke
hinein.'' Alsbald empfindet er große Schmerzen am Fuße, bis
nach Jahresfrist die wilde Fahrt ihm diese wieder abnimmt. (Zingerle a. a. 0.
Nr. 24. S. 18.) Ein Spiel mann rersteckt sich vor der wilden Jagd hinter '
einer Eiche. Einer der wilden Jäger stürzt auf den Baum zu und ruft:
Hier will ich mein Beil hineinhauen. Im Augenblicke empfindet der Spiel-
mann einen großen Schlag auf dem Bücken und von Stunde an hat er einen
großen Buckel (vgl. S. 20 die durch Elbe erzeugten Auswüchse). Nach
Jahresfrist steht er hinter derselben Eiche. Die wilde Jagd kommt und der-
selbe J&gcr stürzt wieder auf den Baum zu: „hier hieb ich vor einem Jahre
mein Beil hinein, hier will ich's wieder herausziehen." Ein gewaltiger Ruck
im Bücken des Spielmanns und der Buckel ist fort. (Templin. Kuhn , Nordd.
I Sag. Nr. 69. S. 65 ff.) Weitere Beispiele sind zusammengestellt bei Scham-
i bach und Müller a.a. 0. S. 359, und Bochholz, Sagen a. d. Aargau II, 147.
! Eine Abart dieser Sagenfamilie ist eine andere, nach welcher ein zauberkun-
I diger Wüddieb sich vor dem nahenden Forstwart in einen daliegenden Baum-
I stamm verwandelt. Der Förster aber setzt sich gelassen auf den Stamm,
I putzt seine Tabackspfeife mit dem Messer oder Pfriem aus und l&ßt dieses
I dann wie aus Vergessenheit tief im Stamme stecken. Der Wildschütz erzählt
nachher von den Schmerzen, den ihm das tief in seinem Kopfe steckende
Messer oder nadelformige Instrument verursache. Bochholz , Aargaus. Tl, 147,
371 u. Anm. Wie die Vorstellung, daß die krankheiterzeugenden Elbe in
Wurmgestalt im Baume verkörpert sind und von dfi aus zur Qual des Men-
schen ausfliegen, nur die Kehrseite der Anschauung ist, daß gleich den den
Baumstamm anbohrenden Würmern bohrende und nagende Schmerlen den
menschlichen Körper pöinigen, steht neben der durch die Sage von Storehed-
dinge vertretenen Vorstellung, daß durch Schuß verwundende Elbe vom
5*
68 Kapitel I. Baumseele:
gen und Skandinayen gemeinsame Kultarepoche zarückreichen.
Sehr deutlich zeigt uns den Baumgeist als Beherrscher der in
den Baumgliedem lebenden Elfen die estnische Tradition. Der
Este erzählt nämlich von Baumelfen puu-halijad, welche im
Baume wohnen und bei aufsteigendem Gewitter sich aus Angst
vor der Verfolgung des Donners mehrere Fuß tief
unter des Baumes Wurzeln verkriechen. Ein Bauersmann
findet einst bei aufsteigendem Gewitter einen fremden Mann unter
einem Baume schlafen und weckt ihn. Der Fremde sagt ihm
seine Gegendienste zu. Wenn er einst fem vom Vaterlande ein-
.mal Heimweh bekomme, werde er eine krumme Birke gewahren.
Er solle anklopfen und fragen: Ist der Krumme zu Hause? Pies
geschieht, als er nach Jahren als Kriegsmann im fernen Finn-
land dient. Er sieht die Birke, er fragt nach dem Krummen,
der Fremde steht vor ihm, und ruft sogleich in den Baum hin-
ein nach den schnellsten von seinen Jungen. Wetteifernd drängen
sie sich, endlich erhält einer, schneller als der Gedanke, Befehl
den Kriegsmann mit einem guten Geldsack in seine Heimat zu
tragen. Der . Krumme war der Baumelf (puuhalijas) gewesen. ^
Insofern die Elbe dem Menschen und Tiere seine Kraft,
sein Fleisch oder die Nahrung rauben (vgl. den Ausdruck Mit-
esser) konnten sie wol Diebe genannt werden. Indem man aber
misverständlich „was von ihnen gesagt wurde, auch auf mensch-
liche Stehler übertrug, kam man dahin zu glauben, Frau Wach-
holder könne Diebe zwingen, gestohlenes Gut zurückzubringen.
Man geht zu diesem Zwecke vor Sonnenaufgang zum Wachhol-
derbusch, beugt einen Zweig mit der Linken nach Osten bis auf
die Erde herab und legt einen Stein darauf, damit er nicht
emporschnellen kann, und spricht: Wachholderstrauch , ich tue
dich bücken und drücken, bis der Dieb dem N. N. sein gestohlen
Gut wiederbracht hai" Der Dieb wird kommen. Sobald er
aber das Gestohlene gebracht hat, muß man den Zweig lösen
Baume aasgehen, wol als üeberbleibsel einer Siteren Stufe unsere Sagen-
familie. Ihre Grundyorstellung l&ßt sich so ausdrücken, daß wie der Baum
von den Geschossen, oder der Waffe im Sturme umfahrender mächtiger Dä-
monen (dem Blitz?) getroffen wird, ganz ähnlich der erkrankende Menschen-
leib den' Schlag oder Stich der dämonischen Waffe empfindet
1) Böcler-Ereutzwald, der Ehsten abergläubische Gebräuche, Peters-
burg 1854, S. 111 ff. 146.
Boträ. 69
und den Stein genau an seine vorige Stelle legen. ^ Man merke
wohl, wie genau diese Beschwörung der ob. S. 15 mitgeteilten
gleicht 9 welche den Baum bewegen soU^ den Erankheitsdämon
zurückzurufen. Dort wurde nämlich ein Stein auf eine Distel
gelegt. Ganz dasselbe geschieht in Estland, sobald das erste
Korn der neuen Ernte zum Dörren aufgestellt wird. Man legt
auf jedes Fensterloch eine große Distel und auf diese
einen Stein. Dann kann der Kobold während des
Dreschens das Korn nicht fortschleppen. Der korn-
stehlende Kobold oder fliegende Drache wird hier deutlich
in die Distel (als einen seinem Wesen entsprechenden Wohnsitz)
gebannt^ Nun erklärt sich auch, weshalb in der schon erwähn-
ten Denkschrill; von der Sudaner Bockheiligung Puschkait (s. ob.
S. 63) bei Diebstählen ermahnt wird, den Dieb nicht über die
Grenze zu lassen.^
Unbemerkt gelangten wir der Entwickelung des Baumkultus
folgend bereits an diejenige Stufe, welche wir in der Einleitung
als die dritte bezeichneten, d. h. zu solchen mythischen Gestal-
ten, welche scheinbar mit Freiheit außerhalb der Pflanze sich
bewegen , mit ihrem Leben aber an das Geschick derselben gebun-
den sind. So kann die Baumnymphe zuweilen der Art von ihrem
Baume sich lösen, daß sie mit Menschen in ehelicher Gemein-
schaft lebt In Böhmen gab es im Bidschower Kreise einmal
eine Familie, deren Mutter Nacht itir Nacht ihren Körper ver-
ließ, um in eine Weide am Bache zu gehen. Als ihr Mann davon
erfuhr, fällte er die Weide, aber im nächsten Augenblick starb
auch sein Weib wie von einer Sichel abgehauen. Nur die Liebe
zu den Kindern überdauerte die Verstorbene. Die aus der Weide
gemachte Wiege schläferte die zurückgebliebene Waise ein und
als diese heranwuchs und aus dem WeidengebUsch, das aus dem
1) J. W. Wolf, hess. Sag. Nr. 22. Vgl. Zingerle , Sitten , Aufl. 2.
8. 73, 620.
2) Böcler-Erentzwald, der Ehsten abergl. Gebräuche, S. 142.
3) Aus Toppen, Abergl. a. Masuren", S. 59 ist zu lernen, wie diese Vor-
stellungen sich weiter verzweigten. Ein Teil von dem geretteten Gut in
einen Baum (Birkenbanin , Pflaumenbaum) verkeilt, zieht ^ sobald es verdirbt,
den Tod des Diebes nach sich. Ist der Baum eine Espe, so muß delr Dieb
zittern wie Espenlaub.
70 Kapitel L Banrnseele:
Baumstampfe hervorwnchs , . sich Pfeifen verfertigte ; sprach wäh-
rend des Pfeifens die Matter mit ihr.^
§. 18. ' Ckronologlsehe Zengnisse. Hiemit schließen wir
den schon breit genug ausgelaufenen Nachweis, daß und in wie
mannigfachen Gestalten der Volksglaube ein enges und magisches
Band zwischen dem Baume (resp. der Pflanze) und dem Men-
schen als vorhanden setzt. Wir trafen die Baumverehrung und
damit zusanmienhangende Gebräuche und Anschauungen wesent-
lich in denselben Formen aus Skandinavien, Deutschland, Eng-
land, Litauen, Bußland, Böhmen und Frankreich bezeugt Bei
mehreren derselben fehlt es außer den inneren Anzeichen auch
an den äußeren Zeugnissen jfUr ein hohes Altertum nicht.
Wenn unsere Auseinandersetzungen über Yggdrasill richtig sind,
muß der Glaube an den Värdträd mindestens ins 8. — 10. Jahr-
hundert zurückreichen. Die ins Strafrecht der Holzgenossenschaf-
ten übergegangene Identifizierung des Baum - und Menschenleibes
ist älter als das 11. Jahrhundert (ob. S. 29); Herzog Bretis-
law n. von Böhmen (1092 — 1100) ließ Haine und heidnische
Bäume (lucos et arbores gentiles) umhauen (Cosmas Prägens,
lib. m). König Knut der Große (1014 — 1035) verbietet in Eng-
land die Verehrung jeder Art von Waldbäumen (seniges cynnes
wudutreöwa), König Eddgdr (959 — 975) die eiteln Gebräuche
mit Holunder und manchen andern Bäumen (on ellenum
and eic on odmm mislicum treowum), S. Kemble, Sachsen in
England I, 433. 436. Schmidt, Gesetze der Angelsachsen , Lpz.
1858. S. 272. Heilige Haine waren auch den Sachsenstämmen
des Festlandes gemeinsam. Noch Erzbischof Unwan von Bremen
(1013 — 1029) „ließ die Haine, welche die Marschbewohner sei-
nes Sprengeis in törichter Verblendung besuchten, niederhauen
und davon die Kirchen neu bauen '' (Adam - Brem 1. H, c. 46) und
als Vicelin um das Jahr 1129 zu den Holtsaten in iPaldera (Neu-
münster) kam , fand er , daß sie nichts weiter als den Namen von
Christen hatten, denn die Verehrung von Hainen und Quellen
und sonst noch mancherlei Aberglaube herrschte bei ihnen (Hel-
mold chronic Slavor. I. Cap. 47). Schon der Landtag zu Pader-
born im Jahre 785, wenige Jahre nach Christianisierung der
Sachsen bedrohte unter andern Besten des Heidentums mit Strafe
1) Grohmaim, Abergl. a. Böhmen, S. 87.
Chronologische Zeugnisse. 71
,;Si qais ad fontes aut arbores vel lucos yotum fecerit >nt
aliquit more gentilium obtulerit." Monum. Cren». III, 49. Wenn
das Concil zu Nantes im Jahre 895 den Bischöfen die Aosrot-
tang der arbores daemonibus cönsecratae quas volgas colit et in
tanta yeneratione habet, ut nee ramum vel surculum audeat am-
pntare znr Pflicht macht, so brauchen daronter keine andere als
die vom Banmgeist bewohnten verstanden zu werden (Myth.^
XXXV); ebenso wie der Baum, den der'h. Amandus (t 671)
unter Nordfranken verehrt fand ,,idolum sdlicet arborem, quae
erat daemoni dedicata^' (Myth.^ 68), keine andere Interpretation
verlangt. Auch die so oft von den Bußbüchem erwähnten obla-
tiones ad arbores finden durch S. 11 hinreichende Erklärung.
Wahrscheinlich schon im 7. Jahrhundert (Concil v. Ronen 650.
c. 4) übten Hirten und Fischer den Brauch vermittelst eines an
den leidenden Teil angebundenen Brodsttlcks oder Krautes Yieh-
krankheiten in einen Baum zu verkeilen (S. £. Friedberg, aus
deutschen Bußbüchem 26 ff. 66. 84 ff). In noch frühere Zeit
weisen die S. 20. 34 beigebrachten Zeugnisse aus dem h. EUgius,
Marcellus von Bordeaux und Plinius Yalerianus. Wenn die Decrete
und Bußbücher der chrii^chen Kirche des Mittelalters in den
vorhingenannten Ländern bald nach der Bekehrung noch andere
Arten der Baum - und Hainverehrung als im ^eidentum gewöhnlich
und aus diesem noch später übrig bezeugen z.B. Opfer, Gelübde,
Fackelanzttndung an Bäumen, so erklären sich auch diese teil- ,
weise aus den von uns dargelegten Formen des Kultus, teilweise
schließen sie sich an andere Seiten desselben an, welche weiter
zu verfolgen unserm gegenwärtigen Zwecke femer liegt.
Kapitel 0.
Die Waldgeister und ihre Sippe.
§. 1. Ueber sieht. Der Erörterong der Baomseelen lassen
wir die Besprechung der Waldgeister folgen. War der einzelne
Baum beseelt, so mußte man sich den Wald von eiper Vielheit
dämonischer Wesen erfttllt denken. Dieselben erschemen jedoch
nicht mehr als die. immanenten Psychen der Baumleiber, sondern
als selbständige freiwaltende Persönlichkeiten, deren Leben an
dasjenige der Bäume gebunden ist, und deren Verrichtungen zum
Teile aus der Vorstellung des anthropomorphisierten Baumes
geflossen sind, die aber gemeinhin außerhalb der Bäume wohnen
und handeln. Man könnte es gewissermaßen als ein abgekürztes
Verfahren von Seiten der Phantasie bezeichnen, wird es aber
natürlich finden, wenn schon einige wenige dieser Barnngeister
ausreichen, um coUectivisch den ganzen Wald zu vertreten und
wenn in die Vorstellung und den Glauben, die man von ihnen
hegt, Züge übergehen, welche in plastischer Anschaulichkeit den
Eindruck yerkörpem, den nicht sowol der einzelne Baum als die
Gesanuntheit der Bäume mit ihren Lebensäußerungen auf die
menschliche Seele ausübt. So gelten nicht allein die mannig-
fachen Stimmen und Töne, die im Walde laut werden, sondern
auch die Bewegungen der Aeste ftar Anzeichen von dem Dasein
der Waldgeister, für Formen ihrer Lebenstätigkeit. Was wir oben
S. 42 wahrnahmen , bestätigt sich hier ; im Rauschen der Blätter,
im Sausen und Brausen der erregten Luft macht sich die Baum-
seele, die Seele des Waldes selbst bemerkbar,, es schweben die
Waldgenien im Wirbelwinde und Sturme dahin, und ziehen als
Jäger oder Gejagte in der wilden Jagd einher. Der grüne Wald
ist die großartigste üppigste und augenfälligste Entfaltung von
Pflanzenwuchs; deshalb wird der Waldgeist, indem er in aber-
maliger Begriffserweiterung generellen Character annimmt, zum
ÜeberBidit. 73
Dämon der Vegetation ; so daB er sogar in dem Leben der Kultur-
pflanzen waltend, Korn und Flachs hervorbringend gedacht wurde.
Und sei es nun, daß von hier aus eine Uebertragung stattfand,
oder daB aus dem Pflanzenwuchs in Feld und Alpenwiese sich
ganz gleichmäßig ebenfalls die Gestalten von Vegetationsdämonen
entwickelten , genug auch außerhalb der Wälder kennt der Volks-
glaube Berg- und Feldgeister, welche mit geringer Abweichung*
den geisterhaften Waldleuten zum Verwechseln ähnlich sehen.
Der gemütliche und geistige Reflex localer Naturverhältnisse allein
scheint alle diese Wesen durch individuelle Besonderheiten unter-
schieden zu haben. Die Holz- und Moosleute in Mitteldeutsch-
land, Franken und Baiem, die wilden Leute in der Eifel, Hessen,
Salzburg, Tirol, die Waldfrauen und Waldmänner in Böhmen,
die Tiroler Fanggen, Fänken, Nörgel und selige Fräulein, die
romanischen Orken, Enguane, Dialen, die dänischen Ellekoner,
die schwedischen Skogsnufvar, endlich die russischen Ljeschie
bilden auf diese Weise eine einzige Sippe mythischer Gestalten.
Es wird unsere Aufgabe sein, im Folgenden die Zusammengehö-
rigkeit dieser Gestalten darzutun, um zugleich an ihnen die
characteristischen Eigentümlichkeiten in Eigenschaften und Ver-
richtungen zu beobachten und uns zum Bewußtsein zu bringen,
welche die Tradition diesen Wald- und Feldgeistem zuschreibt.
Etwas ausführlicher werden wir in dieser Auseinandersetzung bei
einigen Sagen verweilen müssen, denen wir q)äter im grauen
Altertnme bei Faunen, Satyrn, Panen und SUenen wiederbegeg-
nen und einen wesentlichen Beitrag zum Verständniß der Natur
dieser Wesen verdanken werden.
Wir beginnen mit einem an eine Volkssage oder Volksvor-
steUung angelehnten altnorwegischen Sinnspruch, der wirksamer
den nämlichen Gedanken ausdrückt, wie unser Sprichwort „Klei-
der machen Leute '^ Das nordische Epigramm lautet: „Meine
Kleider gab ich auf dem Felde zweien Baummännern. Sie
dttnkten sich Helden, als sie Gewände hatten; der Schmähung aus-
gesetzt ist der nackende Mann^^^ Der einsame laub- und rinden-
lose Baum (o. S. 6) ist hier deutlich zu einem freibeweglichen
koboldartigen Wesen geworden ; wie denn von hilfreichen Zwergen,
1) Vadir minar gaf ec velli at.tveim trcmonnum; reccar pat |>ottuz,
er I>eir rift hofSo, ueiss er neycquidr halr. Hävam 49 Bugge.
74 Kapitel Ü. Die Waldgeister nnd ilire Sippe:
Hausgeistern und Kobolden in Deutschland vielfach die Sage
vorkommt, daß man zum Lohn ihrer Dienste und aus Mitleid
mit ihrer Nacktheit ihnen Kleider schenkt , sobald sie das sehen,
dünken sie sich zu vornehm zu arbeiten und verschwinden.
Diesen aus der Baumseele hervorgegangenen nordischen Baum-
männem stehen deutsche Waldgeister ganz parallel.
§. 2. Holz- und MooslMnleiii. Wolbekannt ist in Mittel-
deutschland eine Klasse geisterhafter Wesen , ^ welche im Riesen-
gebirge als Rüttelweiber, im Böhmerwalde und der Oberpfalz als
Holzfräulein, Waldfräulein, Waldweiblein, im Orlagau und
Harz als Moosweiblein, Holzweibel, um Halle als Lohjungfem
(von loch =lucus Gebüsch) bekannt sind und denen sich entspre-
chende männliche Gestalten Waldmännlein , Moosmännlein zugesel-
len.* Die letzteren sind seltener, als die Moosweibchen und ganz
in Grün gekleidet. In der Gegend von Saalfeld bilden Hand-
werker, besonders Drechsler diese Wesen als Püppchen nach und
1) Die Ueberlieferung von diesen Wesen zeichnete unter Nenern zuerst
der Leipziger Magister Job. Prätorius (f 1680) ans dem Saalfeldischen and
dem Biesengebirge anf in seiner Weltbeschreibung I, 691 — 94. Daemonologia
RübenzahUi II, 134—136. Daraus Grimm D. Sag. I, 59-61. 360. N, 47.
48. 270. Mit ihm gleichzeitig sammelte in der Zwickauer Gegend Christian
Lehmann , der 1638—1688 Pastor zu Scheibenberg* war. Seine hiehergehörigen
Mitteilungen in s. „Histor. Schauplatz der Merkwürdigkeiten des meißnischen
Erzgebirges. Aufl. 3. Leipzig ^699. S. 78. 188. 757 sind, wie es scheint,
bisher unbeachtet geblieben. Später erwarb sich das größte Verdienst darum
Pastor W. Bömer zu findschütz im Voigtland , der in s. Volkssagen aus dem
Orlagau Altenburg 1838 S. 188 — 235 8 Sagen mitteilte und noch mehrere
weitere Aufzeichnungen handschriftlich im Archiv des voigtländ. Vereins zu
Hohenleuben hinterließ Daraus schöpfte dann mit Hinzufügung einiges neu
gewonnenen Materials B. Eisel, Sagenbuch des Voigtlandes Gera^l871; vor
Bömer hatte bereits Schmidt, Topographie der Pflege Beichenfels 1827, mit
Sorgfalt und Glück gesammelt. Neben den Genannten sind wegen einiges
neuen Materiales zu vergleichen A. Witschel, Sagen a. Thüringen Wien 1866 '*
J. A. E. Köhler, Volksbrauch im Voigtlande. Lpzg. 1867; sodann E. Sommer,
Sagen a. Sachsen u. Thüringen S. 7, 3. Die fränkische und oberpf&lzische
Tradition verzeichnen die bekannten Bücher von Panzer und Schönwerth;
die Lausitzer Haupt, Sagenb. d. Lausitz I, 40 — 43. N. 36 — 41 und Gräve,
Volkss. d. Lausitz S. 56.
2) Auch in Franz Flandern kennt man moswyfjes, femmes de mousse.
Ich weiß über sie jedoch nichts anderes mitzuteilen, als was De Nore p. 339
von ihnen angiebt, daß sie zuweilen den Holzarbeitern im Walde sichtbar
werden.
Holz- und MoosfrSülein. 75
sMIen sie zu Verkauf; zumal zu Wegmachten stellt man in
Beichenbach noch kleine Moosmänner auf den Tisch. Als Ober-
haupt der Moosfräulein wird an der Saale die Buschgroßmutter
genannt. Die Moosleute beiderlei Geschlechts haben einen behaar-
ten Körper, jedoch ein altes runzeliges Gesicht, das an mehreren
Stellen gleich alten Baumstämmen ganz mit Moos bewachsen ist.
Eine Oberpfälzer Sage sagt , das Holzfralerl sah ganz mosig aus,
wie Wickelwerg, klein und ohne bestimmte Gestalt; eine Harzer
aus Wüdemann beschreibt die Moosweiblein als ganz in Moos
gekleidet, das sie wie eine Decke, oder ein Fell umgab. ^ Ihr
Leben ist an das Leben der Waldbäume gebunden. So
oft ein Mensch ein Bäumchen auf dem Stamme driebt,
d. h. so lange umdreht, bis Rinde und Bast abspringen,
mufi eines yon den 'Waldleuten sterben. Es ist mithin der
Trieb der Selbsterhaltung, der sie veranlaßt den Menschen, mit
welchen sie zusammen kommen, als gute Lehre einzuschärfen:
„Schär keinen Baum''* oder „reiß nicht aus einen
1) Eisel-, Sagenbuch des Voigtlandes S. 22 ' Anm. ** nach einer Anf-
zeichnimg Bornen. Schönwerth II , 359 — 368. Pröhle , dentsohe Sagen 37, 8.
2) Börner a. d. Orlagaa S. 190. Der vollständige Sprach der Waldweib-
chen lautet: „Pip" keinBrod, sch&T- keinen Baum, erz&h'r keinen
Tranm, back' keinen Kümmel ins Brod, so hilft dir Gott in aller Nof
Alle diese Verbote tun die Waldgenien um ihrer selbst willen. Dieselben
pflegen nämlich gerne von den frisch gebackenen Broden aus
dem Backofen zu stehlen. Gepiptes, d. h. durch Eindrücke mit den
Fingerspitzen bekreuztes Brod aber dürfen sie als heidnische Wesen nicht
anrühren. Der Kümmel scheint die Wirkung zu haben, an die Stätte fest
zu bannen , so daß die Diebe mit ihrem Baube nicht fortkommen würden. (?)
Vgl. Witschel , Sagen aus Thüringen S. 241, 243. Wir werden später anders-
wo die Vermutung begrflnden^ daß die Sage vom Brod -Mehl - u. s. w. -Diebstahl
der Wald - und Feldgeister , Hausgeister u. s. w. nur eine andere Form jenes
Komdäm. S. 8. 32 besprochenen Glaubens sei, daß die Vegetationsgeister,
unter Umständen aus Haus- und Vorratskammern die ihnen im Herbst ent-
wendete Frucht stehlen, den Kornboden u. s. w. leerfressen. Das Verbot einen
Traum zu erzählen erläutert sich trefflich durch den folgenden irischen
Aberglauben: Erzähle nie einem lebenden Menschen nüchtern einen Traum.
Gehst du neun Morgen nüchtern an einen Baum voll Laub und
sagst ihm einen Traum, so wird nach Verfluß dieser Zeit kein
Blättchen mehr am Baum, er wird ganz vertrocknet und ver-
welkt sein (K. v. K. Erin VI, 446). Bei Panzer warnt die Holzfrau gradezu:
,, erzähl* keinen nüchternen Traum."
76 K^ntel IL Die Waldgeirter nd ihn ffippe:
fruchtbaren BaunL^^ Unter dem fimdiUMien Baum ist hier
noch ganz altertflmlieh (s, o. S. 39) nicht der Obatbanm zn ver-
gtehen^ sondern der Waldbaom^ weldier Eckern (d. h. Fracht,
gotL aknm *) tiiLgt; Eidie oder Bache. Daa Verbot des Baam-
schälen« gewinnt dareh die vorhin besprochenen Strafen (o. S. 26
— 32) ebensowol einen tiefen and realen Hinteigrand , als es
anserer Aaseinandersetzang darüber zar Bestaligang gereicht
Wenn es zaweilen heiftt, daA die Holzfräolein lange gelbe Haare
haben,' so darf vergleichsweise daranf hingewiesen werden, daA
in dichterisdber Sprache nicht selten das Laab der Bänme als
deren Haar bezeichnet wird.^ Lassen diese Angaben noch die
Ansicht durchblicken, als wenn die Waldleate den Binmen des
Waldes als deren Elementai^eister immanent seien, so zeigen
andere Aassagen sie in freier Tätigkdt, so jedoch, dai noch
mehr als ein Characterzag eine fortwährende Erinnening an ihr
Baomleben bewahrt Sie wohnen in hohlen Bäomen , nach andern
in Mooshtttten , betten ihre Kinder anf Moos oder in Wiegen von
Baamrinde, schenken grünes Lanb, das sich in Gold verwandelt
and spinnen das zarte Miesmoos, das oft viele Schabe lang von
einem Baome zam andern gleich einem Seile hängt Denn davon
haben sie ihr Gewand. Daher sollen sie anch wanderbare nie
endende Gamknänel an ihre Lieblinge vergaben.^ Anderes Tun
• von ihrer Seite characterislert sie — wie es scheint — als Genien
eines gröfiem Vegetationsgebiets, oder der Vegetation überhaupt
1) Panzer Beitr. z. d. Myth. II, 161, 260.
2) Vgl. Müllenhoff, zur Bonenlehre S. 29.
3) Beschreibung von Königshain 1752. S. 61. Hanpt, Sagenbach der
Lausitz I, 40, 37.
4) Hense , poetiflche Personification S. 6 ff.
5) Es ist lehrreich, wie schon anf kleinem Gebiete dorch Differenzierang
und Verdunkelung der ursprünglichen Beziehungen die Vorstellung ausein-
andergeht. Zu Mttnchberg am Fichtelgebirge spinnen die Holzfräulein das-
Muusmoos von den Bäumen. Schönwerth II, 378. Ebenso lautet die
Beschreibung von Naab: Ihre Kleidchen waren von Baummoos, das sie
von den Bäumen mit einer Spindel spannen. Ders. a. a. 0. 366, 10
von Windischeschenbach in der Oberpfalz. Dagegen berichtet Panzer II,
160, 255 noch das Ursprünglichere. Holzfräuleingarn nennt man die
Moosfäden (meisfadn.) , welche die Holzfräulein aus Moos (meis) spinnen und
um die Baumäste wie um einen Haspel winden. Solche Aeste
wurden von den Alten abgehauen, die Fäden sorgfältig aufbewahrt. Denn
das Holzfräuleingam bringt dem Hause Glftck und Segen.
Holz- nnd Moosfr&xilein. 77
Denn me anders wäre der Zug zu deaten, daß man z. B. in der
Oberpfalz beim Leinsäen einige Kömer fttr das Holziränlein in
die Bttsche des nahen Waldes warf? War die Leinsaat anfge-
gamgen, so verfertigte man bei Gelegenheit des Jätens aus den
Restchen von Fiachsstengehi ein Httttchen und rief:
Hnlzfral! dan is daii Dal!
Gib an Flachs an kräftinga Flaug,
Nan hob i un dn gnang.^
Auch bei der Ernte läßt man im Frankenwalde drei Hände
voll Flachs für die Holzweibel auf dem Felde liegen.* Zu Neuen- >
hammer in der Oberpfalz bindet man beim Ausraufen des Flachses
vom Felde 5 — 6 Halme , die man stehen läßt^ oben in einen
Knoten zusammen , damit das Hulzfral sich darunter setze und
Schutz finde. Auch kleidet sich das Hulzfral in Flachs-
halme.^ Man traf einst ein solches zur Erntezeit ganz
infFlachshalme eingewickelt auf einem Baumstumpf im Walde
sitzen; Emtearbeiter nahmen es mit nach Hause. Es sprach eine
unverständliche Sprache und winselte so lange ^ bis man es
wieder an seinen Ort brachte.^
Jener Flachsbüschel, welcher vielfach (z. B. Pilsen in
Böhmen) auf dem Acker stehen bleibt,^ wird mitunter
(z. B. Kttps bei Kronach in Oberfr&nken) in Gestalt eines .
Zopfes geflochten und jubelnd umtanzt, wobei die jungen
Leute rufen:
Holzfrala, Holzfrala!
Flocht ich dir a Zöpfla
Auf dei nackets Eöpfla.^
Panzer bringt aus dem Goburgischen eine Variante bei,
welche besagt, daß man schamhaft bemüht sei, dem durch das
Abernten des Flachsfeldes entblößten Mutterschoße der Holzfrau
eine Hülle zu bereiten.^ Aber nicht allein bei der Flachsernte,
1) Schönwerth , a. d. Oberpfalz n, 369 ff.
2) Schmidt, Topographie der Pflege Reichenfels S. 147. Myth.« 403.
3) Schönwerth, U, 360.
4) Schönwerth, II, 362.
5) Panzer II, 160, 254.
6) Das Flechten des Zopfes ist eine ältere Emtesitte, üher welche ich
einstweilen anf m. Komdamonen S. 23 verweise.
7) Panzer H, 161, 267. 551.
78 Kapitel Ü. Die Waldgeister und ihre Sippe:
auch bei der^Hen'- und Kornernte bedenkt fromme Einfalt
die Holzweibchen. Im Amte Sonneberg bei Meiningen , überhaupt
im Meininger Oberland , bei Culmbach in Oberfranken u. b. w. ^
läßt man, wenn das Grummet eingefahren wird^ ein kleines Häuf-
chen Heu auf der Wiese liegen und sagt^ das gehöre den Holz-
fräulein, oder dem Hulzfräle fllr den gebrachten Segen. End-
lich ist aus dem Böhmerwald^, der Oberpfalz und Oberfranken
auch die Sitte bezeugt auf dem Fruchtacker einige reife Aehren
der Ernte, einen Btischel, als dem Holzfräulein, der Holzfrau,
dem Waldfräulein zugehörig stehen zu lassen,^ dann soll man
im nächsten Jahr desto mehr Segen in ihre Komscheuem ein-
heimsen. Und nicht minder bleibt zu Guttenberg B. A. Stadt-
steinach in Oberfranken auf jedem Obstbaum etwas von
der Frucht fttr das Holzfräulein hangen.^
Deutlich erkennt man in ' diesen Gebräuchen die folgenden
Anschauungen: Wie wir oben dieselben Geister bald den Baum,
bald niedere Pflanzen bewohnen, von ihnen ausgehen und zu
ihnen zurückkehren sahen, so zeigt das nämliche Wesen, wel-
ches in der Vegetation des Waldes wirksam ist, sich auch in
dem Leben des Korn- und Flachsfeldes und der Graswiese reg-
sam. Es lebt in ihnen und lebt ihr Leben mit Daher sind die
Flachshahne die Hülle seines Leibes, darum entblößt ihm das
Ausraufen der Hahne Kopf und Schoß. Aber daneben her läuft
wieder die andere Wendung dieser Vorstellung, daß es im Felde
wohne und den Halmen guten Schutz zum Wachstum gebe.
Daher bereitet ihm fronmie Sorgfalt ein Hflttchen. Man darf
1) Mündlich y anfierdem Witschel, Sitten nnd Gebr. a. d. Umgegend von
Eisenach. 1866. S. 16. Panzer II, 161,259. In der Oberpfalz taten die
Leute beim Henmachen "stets einen Teil unter einen kleinen Busch , drückten
mit der Hand segnend drei Kreuze drauf und beteten drei Vaterunser, daß
das wilde Heer den Holzweiblein nicht ankomme. Schönwerth U, 378. In
Ahomberg bei Münchberg in Oberfranken reißt man von jeder Fuhre Heu
etwas ab und wirfts auf die Erde, damit das Holzfrala sich darauf setzen
könne, wenn sie von dem Bösen umgetrieben wird.
2) Panzer n, 160, 254—55. 161, 259. Außerdem z. B. Warmen steinach
B. A. Baireuth, Pressek, L. G. Stadtsteinach.
3) Mündlich. Zu Pommersfelden , Bez. A. Hochstädt in Oberfranken
tritt fax das Holzfräulein „das Wetterfräulein'' ein, dem der letzte
Apfel, die letzte Birne auf dem Baume zugeeignet und ungepflückt belas-
sen wird.
Holz- nnd Moosfraulein. 79
alle diese Bilder und mythischen Vergleiche nicht bis ins Ein-
zebie aasmalen; zu ihrem Wesen gehört eine reizvolle Unbe-
stimmtheit Der geistige Eindruck, den die Natur macht, hat
sich in ihnen zu lebendigen Gestalten verkörpert, welche ein-
zelne Züge der bildlich angeschauten Wirklichkeit entlehnen, mit
den übrigen aber durch eine freie Schöpfung der ergänzenden
Phantasie beschenkt sind. Die einmal gewordene Gestalt lebt,
da sie im Volksglauben eine erträumte Realität besitzt, weiter
nnd entwickelt, verändert sich in den Köpfen der Gläubigen.
Es klann daher uns nicht aufifallend sein, neben den dargelegten
Anschauungen der andern Auffassung zu begegnen , daß das Holz-
weibchen Eigentümerin des Flachses, Getreides, Grases sei und
deshalb ihm wenigstens ein Anteil, ein Büschel, eine Handvoll
gelassen werden müsse, während der Mensch das Uebrige in
seinem Nutzen verwendet. Ueber diese in analogen Emtege-
bränchen vielfach hervortretende Meinung verweise ich einstweilen
auf Komdämonen S. 7. 8. 22.
Mehrfach wird erzählt, daß die Holzfräulein mit Menschen
Verbindungen schlössen. ^ Das ist vielleicht ein Reflex des tiefen
unwiderstehlichen Eindrucks, den die Waldnatnr auf das Gemüt
ausübt. Auf einer jungem Entwickelungsstufe zeigt sich der
Glaube an die Moosweibchen (Holzfräulein) in der Angabe, daß
sie zur Erntezeit aus ihrem Walde hervorkommen , um die Mähen-
den zu necken, oder beim Heumachen allerlei Mutwillen zu trei-
ben, oder um den Menschen beim Heuen und Komschneiden als
rüstige Arbeiter zu helfen.' Dachte man sich ehedem einmal die
Gaben der Ernte als ihr Werk, so war es ein Schritt zu der
Annahme, daß sie auch der Emtearbeit Segen verliehen und so
mochte sich die Vorstellung von persönlicher Mithilfe dabei her-
1) Der Bitter findet nach Jahren seinen mit der Waldfran eneagten
Knaben auf der Jagd verlassen unter einem Baume sitzen, nimmt ihn uner-
kannt auf und erzieht ihn ; er wird eine Art starker Hans und soll einst als
Kraftprobe einen mächtigen Holzstoß kleinhauen; aus dem dann das Holz-
fräulein hervorkommt und ihn dem Vater zu erkennen giebt. Schonwerth
n, 371, 17. Bech'stein, Thüring. Sagenbuch nach Bömer im Yoigüänd.
Archiv. S. Eisel, Sagenb. d. Yoigtlandes, 23, 41. Grohmann, Sagen a.
Böhmen, S. 130. 131.
3) Voigtländ. Altertumsarchiv 13 bei Eisel, Sagenb. d. VoigtL, 25, 45.
Bomer , Sagen d. Orlagaus, S. 189, 227. Grohmann , Sagen a. Böhmen, S. 127.
80 Kapitel ü. Die Waldgeister and ihre Sippe:
vorbilden. Immerhin kann dieser Zng trotz relativ jungem Alters
in sehr frühe Zeit hinaufreichen. Ihm schließt sich aber eine
ganze Reihe von andern Erzählungen an, nach welchen unsere
Waldleutchen in den Dienst der Bauern treten, fleißig das Vieh
im Stalle besorgen und füttern, auf der Mühle mahlen und Brod
backen/ wogegen man ihnen die Ueberbleibsel der Mahlzeiten
hinstellt. So lange sie im Hause weilen, ist Glück
und Segen bei den Bewohnern. Man darf sie aber nicht
mit einem neuen Kleide für die nur ärmlich und dürftig verhüllte
oder ganz unbedeckte Blöße ihres haarigen Leibes beschenken,
denn dann verschwinden sie augenblicklich.^ Ebenso verschwin-.
1) Verschiedene Male kehrt die Sage wieder, wie jemand (zumeist ein
auf dem Acker pflügender oder das reife Eom schneidender Knecht) hörte,
daß die Holzweibchen backen wollten. Er rief ihnen zu , sie möchten doch
für ihn mitbacken. Da stieg ein schöner Kuchen aus dem Boden auf. Aehn-
liches aber wird von den ünnererdsken und den Zwergen erzählt. Aus der
Furche des Ackers lassen sie ein Brod, einen Kuchen, ein mit einer leckem
Mahlzeit besetztes Tuch, ein „Tischchen deck dich'' emporsteigen. Darf die-«
ses Mahl auf die Tafel gedeutet werden, welche die Eiementargeister durch
das reife Kornfeld und die Baumfrucht dem Menschen, und den Tieren all-
jährlich decken? Mich dünkt diese Bedeutung sei noch ziemlich durchsichtig
in der Mitteilung von Chambers, populär rhymes p. 33: It was tili lately
believed by the ploughmen of Clydesdale , that if they repeated the rhyme :
Fairy, fairy, bake me a bannok and roast me a coUop,
And ril gie ye a spurtle off my gad end
three several times, on tuming their cattle at the terminations of ridges,
they would find the said fare* prepared for them on reaching the end of the
fourth furrow. (Vergl. Kuhn, Nordd. Sag. Nr. 189, Anm.) Andererseits g^ebt
es in der Oberpfalz noch manche Häuser, in welchen man beim Brodbacken
für die Holzfräulein ein oder zwei Kuchen mitbackt und auf dem Heerde
läßt. Schönwerth II, 377.
2) Eine interessante Sage bei Schönwerth 11, 379, 21 aus Pfaffenreuth
bei Eschenbach sagt uns, daß die Zeit dieser Arbeit in Haus «und Viehstall
des Bauern der Winter war. War das Fräulein nicht bei den Tieren, so
saß es Tag und Nacht auf dem Ofenmäurl; es sah blaß aus und trug einen
zerrissenen Bock von Leinwand. Die Leute mußten ihm dreimal des Tages
ein weniges von ihrem Essen hinstellen. Gegen das Frühjahr, als man das
Vieh austrieb, ging sie in das Gehölz des Hofbesitzers hinaus. Die Leute
'stellten ihr dann das Essen auf einen Stock, worauf sie herkam und es
holte. Das leere Geschirr stellte sie wieder dar. Als ihr die Bäuerin ein
Kleid machen ließ, jammerte sie und sagte, jetzt müsse sie auf's neue
so lange leiden, bis dieses Kleid zerrissen sei. Auch andere
Kobolde und Hausgeister ziehen fort sobald sie ein neues Gewand erhalten,
Holz- trnd Mooafräolein. 81
den sie, wenn man in ihrer Gegenwart einen Fluch ausstößt.
Alle diese Züge, die Pflege der Haustiere , die Mitarbeit bei den
häusfichen Verrichtungen, das Verschwinden bei Empfang eines
neuen Grewandes und die Entgegennahme von Speiseresten als
ÜLgliches Opfer sind Züge, welche in deutscher Sage allen Kobol-
den und Hausgeistern gemein sind. Wir entnehmen aus dieser
Tatsache einstweilen nichts anderes , als die unbestreitbare Wahr-
heit, daß auch die Waldfrauen (Moosweibchen, Holzfränlein,
Holzmännlein u. s. w.) in Hausgeister übergehen, wie der Baum-
geist, von welchem oben S. 44 die Rede war. Auf die Kräuter
des Waldes verstehen sich diese Wesen gut und helfen damit
den Menschen bei Krankheiten. Zur Zeit der Pest kamen
die Holzfräulein aus dem Walde ^nd riefen: Eßt Bi-
mellen und Baldrian, so geht euch die Pest nicht an.
Und einem Tagelöhnerweibe hilft eine Waldfrau in
der Kindesnot mit der schönen blauen Blume Nim-
mer weh. ^ Auch die Moosweiblein von Wildemann teilten Wan-
derern Wurzeln und Kräuter zur Nahrung und Gesund-
heit mit.^ Nicht minder lehrt das Moderwitzer Moosweiblein
Heilmittel gegen Krankheiten der Schafe.^ Aus diesen
Dür daß der Beweggrund ihres Verschwindens yerschieden angegeben wird,
z. B. als kindischer Stolz wegen der Kleidung. Da aber schon Korndänionen
S. 19. 41, Anm. 54. 6. 7 das Zusammenfallen der Hausgeister und Kobolde
mit Komdämonen wahrscheinlich gemacht ist, welche in Haus und Hof des
Ackerwirts überwintern , und da diese Annahme durch unsere weiteren Unter-
suchungen vielfache Bestätigung finden wird, darf gefragt werden, ob obige
Sage nicht etwa den Schlüssel zu jenem seltsamen Sagenzuge liefere. Der
Dämon der Vegetation erweitert sich zum Genius des Wachstums überhaupt
und zieht sich im Herbst, wenn der Sturm das Moos- und Blätterkleid der
Baume zerreiBt, in Hof und Haus des Landmanns zurück, um hier als seg-
nender Hausgeist fßr Gedeihen und Wachstum zu wirken; er kehrt zu Wald
und Flur zurück, sobald er im Frühlinge ein neues Gewand bekomn^t nnd
seine Pfleglinge die Tiere wieder im Freien ihren Aufenthalt nehmen. Daß
die Holzfrau |sich beklagt wiederum leiden zu müssen, bis auch dieses neue
Kleid zerrissen sei, verrät diejenige Anschauung, wonach die Baumnymphe
eine arme Seele sei, welche in den Körper der Pflanze gebannt mit deren
Tode erlöst, frei wird.
1) Panzer H, 161, 258. 205, 857. Vgl. Schönwerth H, 380, 24. Hier
ruft das Holzfräulein: Eßt grüne Kramelbir und Binmaln, so wird die Pest
niederfalln.
2) Pröhle, D. Sag. 37, 8.
3) Thuringia 1842, S. 271. Witschel, Sagen a. Thüringen, 284,235.
Haanhardt. 6
92 Kftpitel IL Die Waldgeuler nd um
Beispielen geht henror, d^ die Moodeute und tiolzfräuleiii
ab krankbeitabwebreDde, geaandheit^erieiheiide Wesen gedacht
wurden. Im Verein mit dem Ohiaben an deren Rolle als segen-
bringende Hansgeister gebt dieser Zng — wie später klar wer*
den wird — anf die Ornndvorstellung znrfiek, dafl sie Gdster
des Wachstums seien, mitbin aof die nSmliehe AngpJi^niii^^
welche sie aueb im Leben des Aekers wirksam sein lieft.
Der Glanbe von den HolzfiiUdein nimmt jedoch vermöge des
ob. S. 39 entwickelten Gedankenprozesses zuweilen die Wendong,
daß diese Genien ftür arme Seelen erklärt werden. Auf diese
Eigenschaft bezieht sich der Brauch , für die Holzfiränlein die bei
den Mahlzeiten ttbrig gebliebenen Brosamen in den Ofen zu wer-
fen, die beim Heraasschöpfen am Rande der Schtlssel hangen
gebliebenen Tropfen, das am Kttbelreifen sitzen gebliebene Mehl
ihnen zuzueignen.^ Wenigstens die erstere Sitte ist ein auch
sonst in Norddentschland wie Sttddentschland den armen Seelen
dargebrachtes Opfer.'
Der Moosweibchen und zugleich der armen Seelen erbitterte
Feinde sind die Geister der wilden Jagd, in der Oberpfalz auch
die Holzhetzer genannt. Dieselben fahren bekanntlieh im Sturm-
winde und Ungewitter durch die Wipfel des Waldes daher Prä-
torius zeichnete vor 200 Jahren aus der Umgegend von Saalfeld
die Sage auf, wie der wilde Jäger unsichtbar mit seinen Hunden
die Moosleute jagte. Der Schall seines Hernes und das Gebell
der Hunde war weithin hörbar. Ein Bauer, dem sein Vorwitz
eingab in den Jägerruf einzustimmen, fand am andern Morgen
an seinem Pferdestall das Viertel eines grünen Moosweibchens
aufgehängt' So jagt schon der Stnrmriese Väsolt nach dem
Eckenlied ein wildes Fräulein im Walde ^ üi Schlesien der Nacht-
jäger die mit Moos bekleideten Rttttelweiber.^ Um Halle hetzt
der wilde Jäger, der ohne Kopf auf seinem Schimmel durch die
Luft fährt, mit vielen Hunden die Lohjungfem; im Voigtlande,
1) Panzer 11, 69, 92. Schönwertd 11, 360, § 33, 1. § 34, 4. 365, § 3i, 9.
2) Vgl. Wuttke* 275 §430.
3) Prätorius, Wcltbeschreibiuig I, 693. Grimm, d. Sag. L 60, 48.
4) Eckenliet Str. 161 — 201. Zupitza. Vgl. Myth.» CXXXII, MytL«
1231. Vgl. 304. Simrock, Handbuch d. d. Myth.« 441. Mannhardt, Götter-
welt, S. 119 Anra. *.
5) Prätorius, B&bezahl II, 134—136. Grimm, D. Sag. 360, 270.
HoIe- und Moofifräalein. 83
Orlagau, Frankep und Oberpfalz jagt der wilde Jäger die Holz-
weibchen oder Holzfräalein und ihre Männchen. Bald fällt der
halbe Leib eines dieser Wesen, bald ein Fuß mit grünem Schuh
bekleidet dem nachrufenden Spötter gleichsam als sein Jagdanteil
aus den Wolken herab. ^ Nur dann haben die kleinen Wald-
leute Ruhe, wenn sie sich auf einen Baumstumpf retten können,
anf welchen der Holzhauer während der Baum fiel „bevor
er im Sturz mit der Spitze den Erdboden erreichte" oder „wäh-
rend der Zeit, daß der Schall des fallenden Baumes
noch hörbar war," mit scharfer Axt drei Kreuze in einem
Zwickel oder keilförmigen Dreieck einhieb. Deshalb
unterlassen die Holzhauer es selten in der angegebenen Weise
die Stöcke zu kreuzen und man sah deren in der ersten Hälfte
des Jahrhunderts noch viele in den Wäldern; Bömer erwähnt
namentlich die Waldungen des Saalufers, vornehmlich bei
Hungers- oder Hunnenburg; Schwanthaler sah dasselbe in den
Nadelwaldungen bei Bamberg. Es müssen aber jedesmal 2 Arbei-
ter dabei beschäftigt sein, weil einer es nicht so schnell fertig
bringt Durch jeden so gekreuzten Stock soll ein Holzweibel
erlöst werden. Es setzt sich darauf und dann kann ihm die
wilde Jagd nichts anhaben;' nach andern werden die Holzträu-
lein durch drei Kreuze auf den Stöcken unschädlich, ' na^ch
noch andern können sie dann ihre Wohnung, die sie
bis dahin im Baume gehabt hatten, behaltein.^ Um
den Holzweibein vor ihrem Feinde noch mehr Schutz zu bieten,
sind „über Mittag" auch auf allen Ackergerätschaften (Eggen
and Pflügen) dergleichen Kreuze angebracht worden.^ Auch
zwischen den beim Schluß der Ernte auf dem Acker stehen
gelaserenen Flachshalmen sucht und findet die Holzfrau Sicherung
1) Sommer, S&g, a. Sachsen u. Thüringen, S. 7 Nr. 3., cf. S. 167.
Bomer a. a. 0. 212. 222. Schönwerth U, 162. Enhn und Schwartz, Nordd.
Sag. S. 478. S. A. 76. Panzer II, 70 ff.
2) Bömer, Sagen des Orlagaas, S. 220. Eisel, Sagenbuch des Voigt-
landes 28, 56. Panzer n» S. 69—71. Schönwerth II, 162. 360. 378. Köh-
ler, Yolksbranch 4M.
3) Eisel a. a. 0. 28 , 56.
4) Schmidt, Topographie der Pflege Reichen fels bei Köhler, Yolks-
branch im Voigtlande n, 45.
5) Bömer, Orlagan S.213. Eisel a. a. 0. 28, 56.
84 Eapitel n. Die Waldgeister nnd ihre Sippe:
vor dem wflden Jäger. ^ Waldmännleiii nnd Waldweiblein Ter-
^elten den Holzhacl&eni ihren Liebesdienst damit, daß sie die-
selben zur Nachtzeit ohne Irrgang ans dem Forste
geleiten, anch manchmal abgeworfene Hirsch- and
Rehgeweihe finden lassen.' Es scheint mir unverkennbar,
daß die Bekrenzimg der Banmstttmpfe — selbst wenn sie etwa
ursprünglich den nüchtern praktischen Zweck gehabt haben sollte,
die abgehauenen Stämme als rechtmäßig nach Anweisung durch
den Bannwart gefällte zu bezeichnen — nur deswegen in der
kurzen Zeit geschehen sollte, während der Baum fällt, damit die
Baumseele nicht entweiche, sondern noch rechtzeitig der geöfifhete
Baumleib durch ein magisches Siegel gleichsam wieder geschlos-
sen und zugleich gegen Eindringlinge von außen her geschützt
werde. Nach vorhin mitgeteilten Sagen soll man ja den vom
Tomtegubbe bewohnten .Baum nie ganz umhauen; der Elf stirbt,
wenn der Baum mit den Wurzeln ausgerissen wird; unter Um-
ständen lebt der Dämon also auch noch im Baumstumpfe fort
Es ist mithin wol begreiflich, weshalb im bekreuzten Stocke
(truncus) die Moosleute ihre Wohnung behalten können. Die
wilde Jagd ist eine Personification des baumerschüttemden Sturm-
windes. Wie nun der estnische Baumelf (ob. S. 68) vor dem
Gewitter erschreckt in die tiefsten Wurzeln zurückweicht, ist
auch der Sturm, der manchen Stamm damiederstreckt, den
Baumgeistem gefährlich und veranlaßt sie , sich m ihre Pflanzen-
httlle zurückzuziehen. Der unberührte Baumstamm ist keinen
Augenblick davor sicher , der Wut des Sturmriesen zum Opfer zu
fallen, aber dem abgehauenen Baumstumpf kann derselbe nichts
mehr anhaben. Dieses muß der anfängliche Gedankenkreis sein,
aus welchem nach mehrfachen Mittelgliedern die Vorstellung
erwachsen ist, daß die Moos - und Holzleute auf bekreuzten Stöcken
vor dem wilden Jäger Schutz fänden , und von da aus vollzog sich
in Folge der Identifizierung der Holzfrau mit dem Getreidedämon
die weitere Uebertragung des Schutzortes auf Ackergerätschaften,
während das Flüchten in die letzten Flachshalme wol nur wie-
derum besagt, daß der Genius der Pflanze sich beim Sturm in
seine eigene Haut zurückziehe, wie die Schnecke in ihr Häuschen .
1) Schönwerth 11 , 360.
2) Panzer II, 70, 93.
Holz- und Moo^ftulein. 85
Doch es erübrigt die HoMente noch von einer neuen Seite
kennen zn lernen. Einem Waldweibchen war der Schiebkarren
gebrochen. Sie bat einen Vorübergehenden ihr denselben aaszn-
bessern. Während dies geschah , steckte sie ihrem Helfer eifrig
die herabfallenden Späne in die Tasche. Der warf sie verächt-
lich heraus, einige wenige aber, welche er nicht beachtet , hatten
sich am andern Tage in harte Taler verwandelt^ Die .nämliche
Sage erzählt man in allen wesentlichen Stücken 41bereinstimmend
von Frau Gauden (Gdde) Holla und Perchta, sie lassen sich ihr
zerbrochenes Gefährt (Wagen oder Pflug) zimmern, oder einen
Pfahl zuspitzen, oder arbeiten selbst daran, so daft die Späne
fliegen. Diese herabfallenden Splitter werden schieres rotes Gold.^
Gode, Holla und Perchta fahren im Sturme daher. Während
aber die Waldleute nach den vorhin angeführten Sagen der wil-
den Jagd als Jagdobject dienen, sind diese mythischen Frauen
solche Wesen, welche in übereinstimmenden Ueberlieferungen' als
Anführerinnen der wilden Jagd an der Spitze derselben auftreten
und ein gespenstiges Wild verfolgen, auch wol Menschenfuß und
Menschenlende dem Spötter aus den Wolken zuwerfen.^ Auf im
Sturme waltende Wesen passt — wie es scheint — sehr wol die
Deutung, welche W. Schwarz den goldenen Spänen des zerbro-
chenen Gefährtes gegeben hat, indem er an die Aehnlichkeit des
rollenden Donners mit dem Getöse rollender Wagen und an jene
ditmarsische Auffassung des Gewitters erinnerte, wonach „ der Alte
da oben am Himmel wieder einmal fährt, und mit der Axt an
die Bäder schlägt/^ * Danach wären also jene Sagen der Nieder-
schlag eines großartigen Naturbildes. Im tobenden Gewittersturm
wird der zerbrochene Wagen der wilden Jägerin verkeilt und die
1) Börner, Sagen des Orlagaus S. 205.
2) Frau Gauden: Myth.* 878 ff. Gode: Kuhn, Nordd. Sag. 2, 1. Holle:
Grimm, D. Sag. 1, 10, 8. Frau Perchta: Börner, Sagen d. Orlagaus S. 118.
126. 173. 182. •
3) Frau Gauden: Myth.» 877. Kuhn, Nordd, Sag. 3, 2, 4. Frau
Holle: Mannhardt, Mythenforsch. 262. Perchta: J. V. Zingerle, Sagen,
Märchen , Gebräuche. Innsbruck 1859. S. 16 N. 22. Landsteiner, Beste des
Heidenglaubens in Sagen und Gebräuchen des niederösterreich. Volkes. Krems
1869. S. 34—35.
4) Müllenhoff, Schleswigholst. Sag. S. 358.
86 Kapitel n. Die Waldgeister und ihre Sippe:
goldgelben Blitze sind die herabfallenden Späne. ^ Sei nnn diese
Deutung richtig oder nicht, jedenfalls nötigt uns die Ueberein-
stunmung der beigebrachten Ueberlieferungen mit der Sage vom
Schubkärrchen des Moosweibleins entweder in letzterer eine nur
fälschliche Uebertragung eines ursprünglich fremden Mythenzuges
anzunehmen y oder zuzugestehen , daß auch die Mooswdbchen im
Sturme durch die Luft fahrend gedacht wurden. Dabei kann es
uns zunächst gi(pz gleichgiltig sein, ob sie als Jagdobjeot dienten,
oder selbst als Jägerinneh auftreten , falls in der Tat die fliegen-
den Späne nur ein bildlicher Ausdruck für gewisse Vorgänge
beim Gewittersturme sind. Nun haben wir nicht allein schon
oben S. 42 gesehen , daß Geister , welche man im Baume hausend,
dem Baum einwohnend sich vorstellte, gleichwol «neb im Sturme
daherzogen, sondern es giebt auch sonst noch Spuren, welche
yerraten, daß man im Winde die Umfahrt der Waldfrauen ver-
nahm. In Westfalen sagt man beim Wirbelwinde „da fliegen
die Buschjnngfern.^^' Die Leute um Warmsdorf ün nördlichen
Böhmen glauben fest an das Dasein des Buschweibchens; es
erscheint als steinaltes Mütterchen , mit schneeweißen wild herab-
hängenden Haaren und moosbewachsenen Füßen, auf einen Enoten-
stock gestützt, und beschenkt mit gelben Blättern, die zu Gold
werden. Wenn im Frtthlinge und Herbste zerrissenes' Nebel-
gewölk vom>Gebirge aufsteigt, wenn „der Wald raucht^', so
pflegt man zu sagen „das Buschweibchen kocht'' Jene
Nebelstreifen werden als der Bauch von seinem Heerde bezeichnet.
"Naht im April ein Hagelschauer, so ruft man „das Buschweib-
;chen steigt über das Gebirge.''^
§. 3. Wlldleute in BOhmen. Bei den Czechen entsprechen
unseren Waldweibem die^ lesni panny Waldjungfem oder div6
ieny wilde Weiber; sie lieben Musik (das Sturmlied) ^ und
Tanz (den drehenden Wirbel des Wirbelwindes) der von ihnen
bei einem heftigen Sturme mit der ausgelassensten
1) W.'SchwartZi der heutige Volksglaube und das Heidentum. Aufl. 2.
Berlin 1862. S. 32. 37. 42.
2) Montanus, die deutschen Volksfeste. Iserlohn 1854. TI, S. 103.
3) Vernaleken , Mythen und Bräuche des Volkes in Oesterreich 242, 51.
4) Mannhardt, Götterwelt S. 113. 114. 117. Vgl. B. Ansbachs Volks-
kalender 1860 S. 129.
Wfldlente in Hessen, Rheinland, Baden. 87
Wildheit in der Luft ausgeführt wird.^ Ihnen stehen Wald-
männer znr Seite lesni mniove, welche Mädchen ranben
und sie zwingen mit ihnen in Ehe zu leben.' Ein tanz-
lustiges Mftdchen hfttete m einem Birkenwalde die Ziegen und
spann dabei Flachs. Mittags erschien so die Waldfran in weißem
Gewände , dtlnn wie Spinngewebe y mit einem Ejranze von Wald-
blmnen m den bis zum Gttrtel hinabfließenden Goldlocken. Sie
erfaßte das Mädchen nnd tanzte mit ihr bis Sonnenuntergang
schön nnd so leicht, daß sich das Gras unter ihren Füßen nicht
bog, wozu die Vögel lieblich sangen. So geschah es drei Tage
hinter einander. Um die Versäumniß zu ersetzen, spann die
Waldfran dem Mädchen den Rocken voll, und gab dem Garne
die Eigenschaft nicht abzunehmen, so lange man auch
weifte und sie Mite ihm die Taschen mit Birkenlaub, das sich
in Gold verwandelte (die nämlichen Züge begegneten uns o. S. 76
bei den Moosweibchen). Wäre das Mädchen aber ein Knabe
gewesen, so hätte die Waldfrau ihn zu Tode getanzt oder
zu Tode gekitzelt.^
§. 4. Wildlente in Hessen, Bheinland, Baden. In Hessen
entsprechen den Waldfrauen und Waldmännem, nur ins Riesen-
hafte übersetzt, die wilden Leute, welche im Walde zwischen
den Basaltfelsen an der Einzig ihr Wesen treiben. Die gewalti-
gen Steinmassen, welche im Bemhardswalde bei Schlüchtern
niederstarren, heißen nach ihnen wilde Häuser. Schon vor
dem 11. Jahrhundert nennt eine hessische Urkunde bei Dronke,
Traditiones Fuldenses p. 544 in jener Gegend einen Ort „ wilderö
wib6 hfls" „ad domum wilderö wlbö. Vgl. Roth, Kl. Beiträge
zur Sprach- Orts- und Namensforschung 1850 I, 231. Landau,
Gau Wetareiba. 1855. S. 128 in der Nähe von Salmtinster, wo
mehrere Wildfi*auenhäuser vorkommen. Förstemann, Altd. Namenb.
n, 1534. Die wilden Männer sind am vergnügtesten,
wenn der Sturmwind tobt und der Blitz aus den Wolken
fährt. Dann gehen sie hoch oben über die Berge und rütteln
1) Grohmann , Sagen ans Böhmen I, S. 123. Grohmann , Aberglauben
ans Böhmen I, 14. 16. Vemaleken a. a. 0. 249. N. 55.
2) Grohmann, Abergl. 15, 68. Grohmann, Sagen 8. 120.
3) Nach Erbens (Jitanka S. 29. Wenzig westalav. MSrchenschatz S. 198.
Grohmann, Sagen ans Böhmen I, S. 124.
88 Kapitel ü. Die WfddgeiBter und ihre Sippe :
an. den Wipfeln d^r Bäume; aber sie freuen sich auch, wenn
die Aronspflanze gedeihlich emporwächst, und wenn sie zwisch^
den Schachtelhalmen dahergehen können/ Ihre großen schönen
Frauen steigen in den Mondnächten in die Lüfte, ihre
Kinder schützen die Kinder der Menschen, weün sie im Walde
Beeren suchen.^ Auf dem Hohenberg in Hessen sieht man die
Spuren, wo sie saften und wo sie Hände und Füße liegen hatten.
Ihre Kleidung ist grün und rauh, gleichsam zottig, ihr
Haar lang und aufgelöst. Das giebt ihrem Aussehen etwas
schauerlich Wildes, so daß sich jedermann vor ihnen fürchtet.
Dabei sind sie ganz zutraulich gegen die Menschen, raten und
helfen ihnen , wo sie nur können. Oft werden sie von den rohen
Bauern Tcrfolgt, auch gefangen, aber sie rä^^hen sich nie.
In einer Höhle am Bodenstein wohnten zwei wilde Weiber. Die
eine war sehr schön. In sie verliebte sich ein Jäger und
sie gebar ihm bald ein Kind. Sie sind in die Zukunft einge-
weiht Wenn in der Gegei^d von Fulda jemand sterben sollte,
dann kam eines aus dem Wildfrauenloch heraus und zeigte sich
wehklagend in der Nähe des Sterbehauses. Auch die Kunde der
geheimen Naturkräfte wohnt ihnen bei. Sie wissen, wozu die
wilden weißen Haiden und die wilden weißen Selben (Salbei) gut
sind; und wenn die Bauern das wtlßten, würden sie mit silbernen
Karsten hacken.' In der Eifel wohnten die wilden Frauen eben-
falls in Fels^rotten, die das vulkanische Gestein gebildet hat.
Dergleichen Grotten heißen zuweilen „das Wildfräuleinhaus.^'
Darin saßen sie und boten jedem ihre Brüste, die sie iiber die
Schultern uHtrfen, zum Trinken da/r.^ Auch im Badischen haben
wilde Leute im Wildeleutloch in einer Höhle des Eichelber-
ges bei Oberflockenbach gewohnt, sie waren ganz haarig und
fast unbekleidet Sie halfen den Einwohnern der benach-
barten Dörfer bei den Feldgeschäften, grade so wie die
Holzfräulöin. Der Felsen über ihrer Höhle hieß Wildeleutstein
und auf ihm befand sich ein Trog, aus dem sie zu essen pflegten,
die Wildeleutschttssel genannt^
1) Lynker, Hessische Sagen. Gassel 1854. S. 59, 91.
2) Wolf, Hessische Sagen 53 £
3) Schmitz, Sitten und Branche des Eifler Volkes II» 14.
4) Baader, Bad. Sagen I, 313, 346.
Die Wildleute in Tirol: Fanggen. 89
§. 5. Die WUflleate In Tirol, Fanggen. In d^n Alpen-
landern haben sich die wilden Leute in yerschiedene Gestalten
gespalten. Als riesige Waldgeister erscheinen die Wildfrauen im
Patznaun-y Stanzer und Oberinnthale in Tirol unter dem Namen
Fanggen (Sing. Fangga, Fanggin) Wildfanggen , wilde Weiber;
ungeheure Gestalten y am ganzen Körper behaart und beborstet ;
ihr Antlitz ist verzerrt y ihr Mund ist yon einem Ohre zum andern
gezogen. Ihr schwarzes Haupthaar hängt Voll Baumbart
(liehen barbatus) und reicht rauh und struppig über den Blicken.
Ihre Stimme ist rauhe Mannesstimme , ihre dunklen Augen sprühen
zu Zeiten Blitze. Joppen yon Baumrinden und Schürzen yon
Wildkatzenpelzen bilden ihre Kleidung. Sie leben in GeseU-
schaft in Wäldern, vorzüglich nannte man als ihren Aufenthalt
einen groBen Urwald im Urgthal zwischen Landeck und Ladis
und einen andern Urwald, den ,,Bannwald'' (vgl. o. S. 39) am
Pillerberg im Oberinnthal. Die in ein und demselben Walde
hausenden Fanggen waren an diesen Wald gebunden; wurde der
Wald gesehlagen, so schwanden sie; starb ein Baum, oder wurde
er gefätUy van dem eine Fa/ngga den Namen trug, so war auch
ihr Dasein dahin. Sie hatten nämlich noch jede ihren besondem
Namen als Hochrinta (hohe Rinde) Stutzforche (Stutzfbhre) Bohrinta
(Rauhrinde) Stutzemutze (Stutzkatze). Der im Sturm den Wald
durchfahrende Riese, der wilde Mann, wird als der Gemahl der
Fangga genannt. ^ Gleich ihm hat sie menschenfresserische Neigun-
gen. Wenn die Fangga im Walde von Naßereit , welche von der
GrOfte eines mittelmäßigen Baumes war, kleine Buben zu
fassen bekam, so schnupfte sie dieselben wie Schnupf-
taback in ihre Nase, oder rieb sie an alten dürren
Bäumen, die von stechenden Aesten starrten, bis sie
zu Staub geraspelt waren.' Wer erkennt in diesem Zuge
nicht jenes Zutodekitzeln wieder, das von der böhmischen Wald-
firau ausgesagt wurde, mithin eine Naturauffassung des Wirbel-
windes ? (s. 0. S. 87). Andererseits sind die Fanggen unverkennbar
eine Belebung der mächtigen Bäume des Urwaldes im Hochgebirge
und ihre Grausamkeit ist Ausdruck des furchtbaren und unge-
heuerlichen Eindrucks, den diese gewaltige Waldnatur auf das
1) Alpesbaig, Mythen imd Sagen Tirols S. 51« 52.
2) Alpenbnrg a. a. 0. 52.
90 Kapitel II. Die Waldgeister und ihre Sippe:
Gemttt macht. ^ So bestätigt es sich auch in diesem Falle, daß
die Baumgeister als Verkörperungen von meteori-
schen Erscheinungen oder wenigstens als in diesen
einen Teil ihrer Lebensäußerungen betätigend gedacht
wurden. Doch auch noch andere uns schon bekannte Wahr-
nehmungen erhärtet die Fanggensage durch neue Beläge. Auch
die Fanggen spielen die Rolle von Hausgeistern. Wie
die Holzweibchen (o. S. 80) treten sie freiwillig bei
Menschen in Dienst und arbeiten itlr diese, bis plötzlich das
Bekanntwerden ihrer Herkunft und ihres Namens sie verschwin-
den macht. Eine fUr unsere weiteren Untersuchungen wichtige
Sage, die darauf Bezug hat, wollen wir mitteilen. Bei einem
Bauer zu Flies stand eine unbekannte Dirne im
Dienst, welche riesenstark war und mehr arbeitete, als
zehn andere zusammen, aber nichts vom Christentum wußte und
wollte. Es war ein Fanggenmädchen. Einst kam der Bauer
vom Imster Markt ttb^r den Pillerberg nach Hause.
Wie er nun durch den Bannwald kommt, die Joche
der verkauften Oechslein ttber die Schulter gehängt,
hört er mit einmal aus der Mitte des Waldes eine
unbekannte sehr laute Stimme: Jochträger, Joch-
träger, sag' der Stutzkatze (Stutzamutza) die Hoch-
rinde (Hoachrinta) sei todt. Drauf wird alles wieder
still. Von Angstschweiß triefend kommt der Bauer
nach Hause und erzählt das im Bannwalde erlebte Aben-
teuer seiner Frau und' der Dirne, die grade beim
Mußessen sitzen. Als er die Worte erwähnt: „Sag
der Stutzkatze die Hochrinde sei todt^', springt die
Magd mit dem hellen Geschrei „die Mutter! die Mut-
ter!'' empor, läßt alles stehn und liegen und läuft dem
Bannwalde zu. Niemals wurde sie mehr gesellen; aber
bald verbreitete sich die Nachricht, daß Stutzkatze
nun im Walde hause und das Geschäft ihrer Mutter,
Kinder stehlen und fressen fleißig fortsetze.' Mit
1) Vergl. Weinhold, die Riesen. Sitzungsberichte der Wien. Akad.
XXVI. 1858 S.290.
2) Alpenburg, Mythen und Sagen S. 67. Uebereinstimmendes wird im
Pratigau von einer Waldfankin erzählt Der aus dem Berge heimkehrende
Die WiMleate in Tirol: Fanggen. 91
onweseniliohen Varianten ist diese Erzählung in Bezng auf Fang-
gen nnd verwandte Wesen, Holzweibchen und Bnschmännchen,
Salige Fräulein, Nörkel, Zwe^e, katzengestaltige oder bock-
gestaltige Kobolde weit bis in den Korden verbreitet.^ Mit
Dienstherr hört hier die Worte: „Jochträger sag' der Rüchrinden, GiM-
6äki sei todt auf Hnrgerhorn." Die Magd wirft den Ldffel weg und jammert
im Verschwinden, ihr Vater sei gestorben. Yonbun, Beiträge S. 48. Vgl.
Panzer II, S. 197, 340. l341. wo ein Wichtelweiblein oder Ndrkelweibchen
Stuze-müze^ die täglich den Bauerhof besucht und alle Arbeiten macht, die
Empföngerin der Nachricht Yom Tode der Bauche Binte ist, worauf das
Wichtelweiblein ausruft: „Meine Tochter ist gestorben." Vgl. femer die
Variante bei Baader, Volkssagen a. Baden I, 1851, 20, 26. Bei einem Bauer
in Holl dient ein unbekanntes Mädchen, das sehr fleißig ist, aber durch-
aus nicht sagt, wie sie heiße. Als einst der Mann ein Joch tragend
Yom Felde heimging , rief ihm die Stimme eines Unsichtbaren mehrmals nach :
Jochträger, sage der Gloria, der Eanzelmann sei gestorben. Beim Nachtessen
erinnert sich der Bauer des Vorfalls und erzählt ihn dem Mädchen mit dem
Hinzufagen, nun wisse er, da0 sie Gloria heUe. Da sprang das Madchen
über Hals und Kopif dayon und liefi sich nie wieder sehen. Vgl. Alpenburg,
Alpensagen 209, 212., wo das als Magd dienende Fangenkind, dessen Namen
niemand kennt, einst auf der Alp in großer Gesellschaft vom Gebirge her
eine weibliche Stimme rufen hört: Sag zur Struzzi-Buzzi, Bauhrinde sei
todt. Schönwerth^ a. d. Oberpfalz II, 366. Der Fischmatz zu Naab hat ein
Holzweiblein gefangen. Anderes Tages geht er wieder ins Holz , ein Ochsen*
joeh über der Schulter. Da schreit ein anderes Holzweiblein vom Baum
herunter „He Mann, Jochträger, ist die Staunzen Maunzen zu Hause?"
Alle diese Varianten, mit den characteristischen Namen „Bauhrinde und Joch-
trager'* gehen oftenbar auf eine noch nicht fem zurückliegende gemeinsame
Urform zurück, von der die Erzählung bei Zingerle, Sagen, Märchen und
Gebr. 25, 30 aus dem Vintschgau bereits eine Verschlechterung darstellt.
Danach war die Dienstmagd ein Salgfräulein, zu dem der wUde Mann kam
und sagte: „Stutza-Mutza, du sollst heim gehen, der Monn Jochtrftger hat
gesagt, deine Mutter sei gestorben.'* Auf diese Worte eilt sie davon, bald
bort man wimmern und heulen. Das Fräulein kam nicht wieder zum Vor-
schein. Cf. auch Alpenburg, Alpens. 104, 167.
1) Wichtig, wenn alt und durchweg echt, ist die Aufzeichnung Alpen-
burgs, Mythen und Sagen 68, 6. In dem von Fanggen bewohnten Urwald
Urgenthal waren einst einige Bäume gefällt. Zwei Männer aus Urgen gingen
an der Grenze des Waldes durch den Gebirgssteig hin. Da tönte aus dem
Tannendickicht eine gebieterische Stimme an ihre Ohren : „ Saget SttUzfärche
(Fähre) j die Rohrinde sei gefället tmd todt,'^ Sie erzählten diese Geschichte
daheim einem Bauer , der einst ein ganz behaartes weibliches Kind gefunden
und aufgezogen hat, das später als Magd bei ihm diente, am liebsten aber
im Walde war. Dieses Mädchen hört in der Nebenkammer die Erzählung
92 Kapitel U. Die Waldgeister und ihre Sippe:
eisiger Sicherheit ist daraas zu schließen , daß sie in dem Wesen
der Wald- resp. Erdgeister begründet sei.^ ,
des unbekannten , fängt an lant zn jammern , läuit in die Wildnifl und ist
für immer verschwunden.
1) Ohne iD eine Deutung der Sage einzutreten, wollen wir in Kürze
die Hauptabweichungen anderer Fassungen von der in vorletzter Anmerkung
zusammengestellten Abteilung unserer Sagenfamilie angeben. Nicht inmier
ist der abgerufene Dämon Dienstmagd. Auf dem Heideberge bei Königshain
i. d. Oberlausitz ist das ein Holzweiblein gewesen , welches sich den Winter
über zu dem Besitzer des Berges in die Stube geflüchtet Im Frühjahr kam
ein anderes Holzweiblein ans Fenster und rief ,, deuto!" worauf sie jammernd
verschwand. Haupt, Sagenb. d. Lausitz 1, 40, 87. Beim letzten Bauern am Ende
von Königshain lebten die zwei letzten Buschmännchen und zeigten sich zuwei-
len. £inst erschien das eine Männchen und wehklagte: Hipelpipel ist todti
worauf es verschwand Haupt a. a. 0. 40, 36. Ein wildes Weibchen kommt
7 Jahre hintereinander zu einer Familie im Oberinnthal zu Besuch und setzt
sich schweigend auf den Heerd. Als der Bauer einst auf einem Berge
Holz hackt, steht ein wilder Mann vor ihm und spricht: „du Holzhacker,
sag zum Stizl zumWizl, derThorizl sei gestorben.'* Der Bauer teilt abends
heimgekommen dem Weiblein die Botschaft mit, das weinend mit den Wor-
ten davongeht: „hättet ihr mich mehr gefragt, hätte ich euch mehr gesagt.''
Zingerle, Sagen, Märchen und Gebräuche 38, 48. Zuweilen ist der Heim-
berufene ein Zwerg der sich beim Bauern Milch holt oder der sich unsicht-
bar zum edeln Geschäfte des Milch- oder Broddiebstahls (vgl. ob. S. 75) im
Hause befindet und nun aus Schreck seine silberne Kanne oder den Krug ver-
gißt (Müllen hoff , Schleswigholst. Sag. 291, 398—399) oder das Gestohlene
fahren läßt. Als einst ein Bauer auf der Fahrt von Halberstadt nach Bor-
neke nahe den Quergeshöhlen von Westerhausen am Tekenberge vorbeikommt»
schreit ihm einer nach: „Kielkropf, sage doch Torke, er soll nach Hause
kommen , sein Kind sei todt.** Zu Hause erzählt er den Vorfall seiner Frau,
da rufts in der Stube: „So! dann muB ich machen, daß ich komme," und
indem f&llt ein Beutel mit Teig, der aus ihrem Backofen gefüllt war, aus
der Luft zu Boden. Kuhn, Nordd. Sag. 162, 189, 1. Vgl. 189, 2. Ein
Amtmann auf der Schaumburg hat es mit dem Mäumken (der Zwergmutter)
in dem Mäumkenloch (Zwerghöhle) auf der Pasohenburg gehalten. Seine Frau
findet ihn bei dem Mäumken sitzen und führt ihn heraus. Bald hernach
erschien ein Zwerg auf der Spitze des Berges und rief nach der Schaumburg
hinunter: „Die Mäume ist todt!" Lynker, Hess. Sag. 55)88. Vgl. Kuhn,
Westfäl. Sag. I, 246, 282. Eine Zwergenhochzeit wird dadurch gestört, daß
ein Zwerg hereinstürzt und ruft: „0 große Not, die Mutter Pumpe ist todt!"
worauf das kleine Volk wehklagend die Flucht nimmt. Bnsching, wöchentL
Nachrichten I, 97 ff. Die Erzählung wiederholt sich anderswo mit der Aen-
derung, daß der Klageruf lautet: Urban ist todt! oder „der König ist
todt." Davon eilend lassen die Zwerge dem Hause, in welchem sie die
Hochzeit feiern , ein gl&okbiingendes Kleinod zurück, B&sching a. a. 0. 99— r 101,
Wildlente in Granbflnden : Waldftnk«]i. 9S
§. 6. Wlldiente in ftranbflnden : WaMfKnkm. Den
Tiroler Fanggen entspreehen die Graabttndner Waldfänken, die
besonders in den deutschen Tälern , im Prätigän , Schalfik , Chur-
waldental nnd Sayien bekannt sind. Sie werden nicht ganz so
unhold geschildert, als die Tiroler Fanggen, und treten öfter
paarweise auf. Auch den Waldfdnken mißt die Sage gewaltige
Stärke, Körpergewandtheit, daneben Witz, genaue Wetter- und
Kränterkenntnisse und den Besitz von Geheimnissen der Vieh-
zucht bei. Ihre Weiber, welche häufig auch Waldmutem (Wald-
mtltter) genannt, werden, sind in umgeworfene Felle gekleidet,
die männlichen Waldfänken, oder „wilden Männer,'^ ttber und über
am ganzen Körper behaart und mit Eichenlaub bekränzt. Ihre
Behausung ist der Wald. Auch sie tragen einzelne Personen-
namen (weibL Rüchrinden u. s. w., männl. Giki, Gäki u. s. w.)
In den beiden Vorarlbergischen Tälern Montavon und Klostertal
endlich heißen die männlichen Wesen Fenggen und unter ihnen
begegnen wieder weiblich^ Eigennamen wie Jochrumpia, Joch-
ringgla, Muggastntz, Bohrinda, männliche wie Urhans. Sie wer-
den zwar auch häufig als riesige Wildmänner und WildArauen
wie nach jenen andern Sagen (s. ob. 92) die Milchkanne. Auch in Varianten
der letzteren anf Aramm nnd Alsen in Schleswig begegnet die Klage „der
Eonig8eitodt(Noi8 Pippe Eong dod!) MDUenhoff a. a. 0. 291 ff. Nach
Kahn , Nordd. Sag. 289, 323 lassen sich Zwerge (Oelken) ttber die Ems setzen,
um das Land ffir immer zu veriassen, indem sie klagen: „der Ednig ist
todt!" Eine englische Erzählung lautet: In einem verfallenen Hause ist
Eatzenversammlung, die ein Mann belauscht. Da springt die eine Katze auf
die Mauer und ruft: Sage Dildrum, daß Boldrum todt sei. Der Mann
erzählt dies beim Abendessen seiner Frau, da springt seine Lieblingskatze
(also ein Hausgeist) auf und auf nimmer Wiedersehen in den Eamin mit den
Worten „M(Mrd und Doldrum ist todt?'' Eine deutsche Variante laBt die
Katze mit den Worten aufspringen: ,,So bin ich König der Katzen!''
Es verdient doch wol bemerkt zu werden, daß die obigen oberdeutschen
Sagen mehrfach den Namen : Stuze - muze Stutzkatze gewähren. Mit unrecht
zählt Simrock, Handbuch d. Myth.' 453 die Rede: „Konig Knoblauch ist todt"
zu den Klagerufen um den Tod des Zwergkönigs. Grimm , d« Sag. II , 185,
485. Grimms Myth.* 422 Anm. * gab die unschuldige Veranlassung zu die-
sem Mißverständnis. Noeh eine andere Wendung nehmen Sagenformen, wie
Zingerle, Sagen, Märchen S. 32, 42. Aus der Wildfräuleinhöle in der Gams-
leeke hörten die Talbewohner, ehe die wilden Fräulein für immer ver-
sehwanden, am Vorabend des Walpurgistages den Klagegesang: „die Runa
und der Tuit sind gestorben, uns trifft*s morgen."
94 Kapitel 11. üie Waldgeister und ihre Sippe:
beschrieben, am ganzen K(^er mit strnppigen Haaren bedeckt,
so daA nur an den Wangen die Fleiscbfarbe kümmerlich durch-
schimmerte, oft aber schreibt man ihnen — wie zuweilen sdion
den Waldfänken in Granbttnden — zwergbaften Wachs zn nnd
sie gehen dann ganz in Zwerge and Haasgeister über, so zwar,
daß sie nan zwar in Höhlen und Felslöchem (Fenggalöcher, Feng*
gatöbler, 's wild Mannlis Balma), zuweilen hoch über dem Wald-
wuchs auf hohen AlpenrcTieren ihre Wohnung anfecfalagen, im
übrigen aber dieselben Verrichtungen haben und Gegenstand der-
selben Erzählungen sind, wie ihre riesenhaften Namensver-
wandten.^ Auch sie verraten noch deutlich Beziehungen zum
Leben des Waldes. Sie sind so alt, als der und der Wald, ja
ein Fangg im Kilknerwald in Gkischum kommt herzugelaufen,
als man eine Tanne fallt und bittet , den Baum stehen zu lassen ;
er sei bo viel Jahr alt, als derselbe Nadeln habe, und könne
wenn er falle sein Alter nicht mehr zählen.'
Es. geht daraus hervor, daß die Größe der Gestalt keinen
wesentlichen Unterschied zwischen diesen Geistern bezeichnet
Als besonders bemerkenswert aus dem Kreise der Sagen , welche
sich an diese wilden Leute knüpfen , will ich nur zwei besonders
hervorheben. Die eine ist ein Seitenstück zu der bekannten Er-
zählung von Odysseus Ueberlistung des Polyphem, aus deren
weiter Verbreitung unter Türken, Arabern, Serben, Rumänen^
Esten und Finnen schon W. Grimm ' nachwies , daß sie eine alte
auf Elementargeister bezügliche Volkssage sei, die Homer auf
einen Helden übertrug. Die Uebereinstimmung der Waldfänken-
und Polyphemossage gewinnt an Bedeutung durch den Umstand,
daß ein Waldgeist, und zwar der russische Ljeschi (s. u. §. 19),
gleich den Kyklopen nur ein Auge hat. Zu einem Holzhauer
im Walde gesellt sich ^ ein geschwätziges Fenggaweibchen und
verdrießt ihn durch ihre neugierigen Fragen. Er giebt sich erst
den falschen Kamen Selb,^ während er doch Hannes heißt und
1) S. YonbuD , Beitrfi^e z. D. Mythol. S. 44 ff. 63.
2) Yonbtin, Vorarlberg. Sag. 1858. S. 5. Beiiarfige 8.47.
8) W. Grimm , die Sage von Polyphem. Berlin , 1857.
4) In der entspreehenden eetnischen Sage von Issiteggi lautet die Rede
des geUendeten Tenfels gradeso: ,, Selbst tat's" und die Antwort der pflfigen-
den Leute, denen er sein Leid klagt: „Selbeft getan , selbst liab*s!<* Myth.*
979. W. Grimm, Polyphem S^ 17.
Wildldiite in Granbflnden : Waldfönkes. 95
als dann das Weiblein seinen Aerger noch weiter reizt, dabei
aber im Eifer die Hand in eine Holzspalte bringt, zieht er schnell
Axt und Keil herans nnd klemmt die jämmerlich Schreiende aaf
diese Weise in den Baum ein. Anf ihren ADgstrnf kommt das
wilde Fengmännlein hinzu und fragt, wer ihm das getan habe:
„0 selb t&n!^' Da lacht das wilde Männlein nnd ruft: „Selb
tan , selb hän I Dieselbe Erzählung geht von Waldfänken , sowi^
von Nixen und Zwergen.^ Die zweite Tradition, von der wir
reden zu wollen anktlndigten, wird sich späterhin als besonders
wichtig für das Ganze unserer Untersuchungen herausstellen und
gleichfalls aas dem alten Griechenland und Italien nachweisen
lassen. Sie wird ebensowohl von den wilden Männern fler rie-
sigen Waldfänken, als von den zwei^haften Fänkenmännlein
erzählt. Die Fänkenmännlein in Churrhätien nämUeh über-
nehmen ganz ebenso wie in Mitteldeutschland die Busch- und
Moosmännchen, Holzfräulein u. s. w. sehr gern und häufig die
KoUe der Hausgeister und Kobolde; sie besorgen im Stalle
das Vieh, ftlttem, tränken und striegeln es nach schönster Art
oft ganz ohne Lohn, oft niur um ein paar Käse, um ein Napf-
1) Kuiin, Nordd. Sag. S. 97, 111. Im ünterengadin heißen die den
Saligen Franlein entsprechenden feenhaften Weiber Dialen; sie sind frennd-
lich und gutmütig, auch leidlieh schdn , doch haben sie Ziegenfttße. Einem
BaxLejc in Gnarda, der anf einer Bergwiesa Heu auflnd, gesellte sich «ine
Diale nnd half ihm sein Fuder laden. Als er aber ihre Ziegenfnße gewahrte^
erfaßte ihm ein Granen und er glaubte es mit dem Teufel zu tun zu haben.
Die Diale fragte nach seinem Namen. Er antwortete: ,,ich selbst (eug suess).
Als das Fader geladen war, stieß d«r Mann der Diale die eiserne Heugabel
durch den Leib und floh. Bald sammelte sich eine unabsehbare Menge
Dialen nnd fragte: Wer hat das getan? Sie gab sterbend zur Antwort:
„ich selbst" Da sagten die andern: „was man selbst tut, genießt man
selbst'* (chi suess fa, suess giauda") Vemaleken, Alpens. S. 220, 151. Die
Erzählung vom EinkTcmmen in den Spalt ist ebenfalls ein uralter, weitver-
breiteter in Märchen ftbergegangener Zug. Hier sei nur aus E. B. Tylor,
die Anfänge der Cultor I, 875 die folgende Notiz ausgehoben. „Im Hito-
padesa steht eine bekannte hinduische Fabel, welche als Warnung fttr ein*
fältige Nachahmer das Schicksal des Affen erzählt, der dem Zimmermann
nachahmte und in der Spalte gefangen war, als er den Keil horausstieß.
Diese Fabel wird auf Sumatra als eine wahre Geschichte von einem der 'ein-
gebomen Wilden der Insel erzählt'' (Marsden^ Sumatra p. 41). In unseren Mär-
chen heftet sieh die Sage an den Bären oder den Teufel, cf. Qrimm, K. H. M.
n, n. 114 und dazu E. H. M. UI, S. 195. Eisel, Sagenb. d. Voigtl. 127, 330.
96 Kapitel II. Die Waldgeister imd ihre Sippe:
chen Milch oder am den Schaam der Milch. Am liebsten jedoch
verstehen sie sich znr Hi\t der Heerden anf den Alpen und in
den Maisessen nnd werden daher öfters wilde Ktther oder
wilde Geißler genannt Schenkt man ihnen aber Kleider. oder
Schabe zam Lohn, so werden sie, wie im gleichen Falle die
mitteldeatschen Waldleate (s. o. S. 80) verscheacht. Solch ein
wilder Mann (Oeißler oder Ktther) wird regelmäßig beschrieben
als von großer Körperstärke, behaarten Leibes and nar mit
einem Scharz von Fellen bekleidet. In der Hand führt er
eine mit den Warzeln aasgerissene Tanne.^ Man trieb
ihm die Geiße oder Ktthe der Ortschaft gemeinhein vor das Dorf
entgegen bis za einem großen Steine, solche Felsblöcke
werden noch gezeigt and heißen gern „der Geißlerstein. ^''
Dort nahm er schweigend die Tiere in Empfang and trieb sie
weiter, man wußte nicht wohin. Abends waren sie alle zar
bestimmten Zeit wieder mit strotzendem Eater beim Steine, so
daß sie kaam gehen konnten. Offenbar sind diese wilden Männer
nicht Personificationen einzelner Bäume, sondern des gesammten
Waldes mit dem Uebergang in Geister der gesammten Vegetation
der Alpe. Dem wilden Geißler gleicht sich die finnische Wald-
Jungfrau, welche in der Kalevala angerufen wird, da% Vieh vor
Schaden zu hüten, resp. abends nach Hause zu treiben (vgl. o.
S. 30 und Kalev. übers, von Schiefner 1852 XXXH. v. 60 — 100);
andererseits' ließe er sich füglich als ein Spiritus familiaris der
Dorfschaft auffassen. Auf den Stein legte man ihm den ausbe-
dungenen Lohn an Milch oder Käse. Da er auf diese Weise
mit den Leuten in keinen mündlichen Verkehr trat, und niemals
zu den Wohnungen ka^l, suchte man ^n zu fangen und zur
Mitteilung seiner Geheimnisse zu bewegen. Es geschah dies, in-
dem man ihn in Wein oder Branntwein berauschte. Die nähern
Umstände dieser Begebenheit werden mit kleinen Abweichungen
erzählt, zu deren Characteristik die folgenden Varianten neben-
einander erwähnt werden mögen.- Zu Monbiel stellte man dem
die Heimkühe leitenden Männlein einen Schoppen Veltliner
•• •
1) Bochholz, A^rgausagen I, 319, 228. (47). Vonbnn, Beiträge S. 47.
Zingerle Sagen , Märchen S. 83, 131.
2) Yonbnn a. a. 0. ö5. 61. Bochhola a. a. 0. Vemaleken, Alpensagen
8. 212.
Wildlente in Granbünden: Waldfanken. 97
auf den Stein. Es betrachtete den Wein lange and besann
sieh, ob es trinken solle. Endlich setzte es ganz yorsichtig die
Lippen an. Da mundete ihm das Getränk änfterst wol nnd es
trank den ganzen Schoppen.^ Zar Zeit, als die Pest in Graabün-
den anzählige Opfer forderte , starben keine wilde Weiblein und
Männlein and man kam zn dem Schiasse, daß sie ein Geheim-
mittel besitzen mtlssen. Ein Bauer wußte mit List dasselbe einem
Fänkenmännlein zu entlocken, welches sich oft auf einem Steine
zeigte, der eine bedeutende Höhlung hatte. Ihm war das Lieb-
lingsplätzchen des wilden Männchens wolbekannt, er ging hin,
füllte die Höhlung des Steines mit gutem Veltlinerwein und ver-
barg sich in der Nähe. Das Männchen war verdutzt, als es die
Höhlung seines Lieblingssteines mit funkelndem Naß geftlllt sah.
Es beagte sich mehrmals mit dem Naschen tlber den Wein, winkte
mit dem Zeigefinger und rief „Nein du ttberkommst nüch nicht !^^
Endlich kostete es doch und immer mehr und wurde lustig und
lastiger und fing an allerlei 2ieuges zu schwatzen. Da trat der
Bauer aus seinem Verstecke hervor und fragte, was gut sei gegen
die Pest „Ich weiß es wol, sagte das Männchen, Eberwurz
and Bibemell; aber das sage ich dir noch lange nicht! ^^ Jetzt
war der Bauer zufrieden und nach dem Gebrauche von Eber-
würz und Bibemell starb niemand mehr an der Seuche.' Vgl.
o. S. 81. Ein Waldfänke bei Conters hütete einst einen Sommer
hindurch die Ziegen des Dorfes, sein Hirtenstab war ein
Tannenbaum. Hatte er die Geißen Abends bis zu einer gewis-
sen SteUe zurückgeftlhrt, kehrte er in den Wald heim. Vergeb-
lich sachten ihn die Söhne von Conters zu fangen. Endlich ftUlten
sie cwei Brunnentröge, aus denen er zu trinken pflegte, den
einen mit rotem Weine, und den andern mit Branntwein. Der
wüde Geißler sah zuelrst den roten Wein und rief „Röteli du
verführst mi net!^' und labte sich dann mit Branntwein, da dieser
die Farbe des Wassers trug. In der darauf folgenden Be-
rauschung wurde er gebunden und, da die Sage ging, die
Fänken wtLßten aus Milchschotten Gold zu bereiten und ähn-
liches, so wollten ihn seine Peiniger nicht eher loslassen, bis er
ihnen ein Geheimmittel entdeckt habe. Er versprach, wenn sie
1) Yonbon, Beitr. 60. Yemaleken, Alpens. 212.
2) Yernaleken, Alpensagen S. 214. Yonbnn, Beitr. 55 ff.
M»]inh»rdt. 7
98 ' Kapitel 11. Die Waldgeister und ihre Sippe:
ihn loBbändeD, einen guten Bat. Die Barschen lieBen ihn also
frei. Da sagte er scheknisch:
Ists Wetter gut, so nimm dein Oberwamms mit.
Wirds daim leidig, kamiBt ton wie du willst. >
Nach der Sage von Klosters im Prätigan waren es mehrere
neugierige Barschen, die gern die nähere Bekanntschaft des
Geißlers gemacht hätten. Er hatte die Gewohnheit jeden
Abend ans dem kleinen Brünnlein zu trinken, das zu-
nächst dem Geißlersteine sich befand. Die jungen
Leute sammelten im Dorfe manche Maß Kirschenwasser
und fttllten an einem heißen Sommertage unver-
sehends das ganze Brünnlein damit. Der wilde Mann
schöpfte mit der hohlen Hand. Anfangs misfiel ihm der Trunk^
bald jedoch behagte er ihm ; er trank in vollen Zügen und sank
bald von der Wirkung des berauschenden Wassers bezwungen
machtlos zu Boden. Schnell sprangen die Bursche aus ihrem
Verstecke hervor, banden ihn mit Weiden und Stricken und tru-
gen ihn ins Dorf in eine festverschlossene Kammer, aus der er
um Mittemacht ausbrach, um sich nie wieder sehen zu lassen.
Mit ihm war der Wolstand des Dorfes dahin.* In der
Ueberlieferung von Klausen ist es wiederum ein Brunnentrog, den
man dem riesigen, mit zottigen Haaren überwachsenen
Wildmann mit Branntwein flült. Die Sage von Afing erzählt,
daß der Wilde auf einen ausgerissenen Baum gestützt Tags oder
in stiller Nacht die Holzfäller im Hauserwalde störte und ihnen
das Wasser aus dem Troge des Schleifrads austrank. Um ihm
dies zu verleiden, ftillten sie den Trog mit Branntwein, und als
er berauscht war, hieben sie ihm den Kopf ab.*
Was den Namen der Fanggen , Fänken oder Fenggen betriffi,
so hat ein Kenner der deutschen und romanischen Volksdialekte
1) Yonbim a. a. 0. 47. Vernaleken, Alpens. 213. Vgl. dazu Zingerle
82, 129. Der wilde Mann vom Wildemannstein im Langtauferstal sah die
künftige Witterung yorans und verkündete sie den Bauern. Bei schönem
Wetter und Sonnenschein stand er in seinen Mantel gehüllt und vom breit-
kr&mpigen Hute beschattet da, als zittere er vor Frost, bei Regen und Un-
wetter saß er mit vergnü^m Gesicht ohne Hut und Mantel auf dem Steine.
2) Bochholz a. a. O.
3) Zingerle, Sagen, Mftivhen S. 83, 130. 131. -
Wildlente in Tirol: Selige Fr&nlehi. 99
des Alpengebiets Chr: Schneller die Vermatang ausgesprochen,^
daß er ans der Mnndart der benachbarten ladinischen Gemeinden
entlehnt und zwar ans dem Feminin, zn Salvang d. i. Sylyanns
abgekürzt sei, mit welchem Worte man dort den wilden Mann
zn bezeichnen pflegt Dieser Meinung stehen zwar einige, doch
wie ich glanbe nicht durchschlagende sachliche Oründe entgegen ;
nicht aUza sehr ins Gewicht fallen dürfte, daß bei den Ladinem
das Fem. Salvan^a bereits ausgestorben und daftir eine andere
Bezeichnung der wilden Weiber aufgekommen ist Dagegen
mttßte der Uebei^ang von y in f für jene Dialecte erst nachge-
wiesen sdn, ehe wir uns entschließen können Schnellers Bh*Uä-
mng beizutreten.
§ 7. Wlldlente In Tirol: Selige FrSnleln. Ganz ver-
schieden von den Wildfauggen scheinen auf den ersten Blick,
aber auch nur auf den ersten Blick diejenigen Wesen zu sein,
welche in Deutschtirol , namentlich in Vintschgau und Oberinnthal,
unter dem Namen Selige oder Salige Fräulein Salgfräulein, SaJin-
ger, sonst auch als wilde Frauen oder wilde Fräulein, in Wälsch-
tirol als Enguane oder Belle (resp. Delle) Vivane bekannt
sind, obwol auch in ihnen nach einem Worte Weinholds,' der
die Seligen als die lieblichsten Schöpfungen unserer Mythologie
characterisiert , Wald- und Bergfrauen* nicht verkannt werden
können, milde, schöne Geister des Waldes und Gebirges, die
Aber and unter der Erde segnend wirken , den Menschen hilfreich,
die Tiere schützend. In der Tat haben sie fast alle Züge mit
den Moosleuten und Buschfrauen Mitteldeutschlands gemein, noch
mehr stimmen sie zu den wilden Frauen in Oberbaiem und im
Salzbnrgischen , welche wir als die Vertreterinnen der geogra-
phischen wie sachlichen Mittelglieder zn den Salgfräulein an dieser
Stelle beiläufig in die Betrachtung mit hineinziehen werden, aber
das Kolorit der Sage von den Seligen und die Scenerie , in der
sie auftreten, ist verändert und ihr Wesen verklärt und vergei-
stigt In einzelnen flUlen z. B. im Pusterlhaie ist jedoch ihre
Gestalt noch nicht von diesem so zu sagen ätherischen Hauche
1) AiiBlAnd 1871. N. 41. S. 966.
3) Wemhold , Sitzangvberichte der Wiener Akad. XXVI. 1858. S. 290.
3) Zuweilen heifien sie auch gradezn Waldfranen, Waldweiblein ; so
Zingerle, Märchen und Sagen, 30, 39.
100 Kapitel IL Die Wäldgeister nnd ihre Sippe:
umwöbeiL^ Irre ich nicht, so Bpiegelt sich in ihrer Eigentttikilich-
keit getreu die Empfindung, welche hoch oben in der klaren,
freien und reinen Bergluft zwischen den Oletscherfimen die Seele
des Landeseinwohners ergriff, der mit dieser Empfindung das
anererbte Material der Wildeleutsage durchströmte und so aus
den Tiefen seines vorstellenden und fühlenden Oeistes dämonische
Personificationen zugleich der Vegetation und der sonstigen Natur
auf den höchsten Höhen der Alpenwelt hervorgehen ließ. Sehr
deutlich läßt der Vergleich der Sage von hessischen und bairisch-
salzburgischen Wildfrauen gewahren , wie groß der Einfluß gewe-
sen ist, den die Natur des Landes auf die Umgestaltung der
Sage von den seligen Fräulein ausgeübt hat. Diese wohnen in
den innersten Tälern und Berggegenden ;^ ihre Behausung sind
schimmernde Eis-^ und Erystallgrotten,^ die sich im Schöße der
Berge zu prachtvollen Bäumen erweitem und oftmals talwärts
von einem verborgenen Paradiese beblümter Hügel und grüner
Wiesen umgeben sein sollen. Hier hegen sie als ihr Hausgetier
die Gemsen, schützen dieselben vor den Jägern und bestrafen
deren Verfolgung. Hat ein Gamsjäger eines der Tiere getödtet,
so jammern sie, daß er ihre Kuh erschossen habe, Züge welche
übrigens ebensowol auch an den Fanggen und anderen Wild-
frauen haften.^ Nach den Seligen, die darauf hausen, ist ein
Femer im Sulzauerstock (zwischen den hintersten Alpen des
Stubeitals) Fräulekopf genannt und die Fräulein selbst werden
dort häufig auch als Schneefräulein bezeichnet, weil sie
nicht allein die Alpweiden segnen und den Hirten gutes tun,
sondern auch den letzteren Winke zum frühen Abfahren geben,
wenn große Schneewetter einzufallen drohen.^ Oft sieht man
1) Alpenbiirg, Alpensagen S. 312.
2) Zingerle a. a. 0. 33, 43.
3) Eine solche Grotte heißt »^Salingerloch" (AlpeDburg, Alpens. 312, 330)
gradeso wie die Wohnungen der bairischen nnd Salzburger Wildfranen Wild-
franenloeb. Panzer I, 200, 220. Franenloch, Panzer 1, 15, 16. Franenldcber
Panzer I, 9, 9. Fran^öhle Panzer I, 14, 15. Fränleinhöhle Zingerle, 31, 42.
Vgl. die Höhlen der Fenggen (o. S. 94) nnd das Mänmekenloch (o. S. 92).
4) Alpenbnrg, Alpens. 210, 213. Aipenburg, Mythen 4—9. 17 — 21.
Zingerle 24, 30. 35, 45. 36, 46. 66, 102 mit der Anmerkung. Vgl. Schillers
Gemsenjäger.
5) Alpenburg, Alpensagen S. 282, 298.
Wildlente in Tirol: Sdäge Fräulein. 101
boch oben an den höchsten Gipfeb Wftsche, schneeweiBe Gewän-
der oder KindfltUchel wie . weiüe Wölkchen schweben , oder an
den Sonnenstrahlen, die sich durch dichtes Waldlanb oder Fels-
klaosen stehlen, zum Trocknen aufgehängt. Wenn die Wäsche
an den Felswänden sichtbar wird, giebt es schönes Wetter, deut-
lich also sind es Nebel oder lichte Wölkchen, worin man die
Gewebe der Seligen zu erkennen meinte.^ Blondlockig, blauäugig,
in blendendes Weiß oder Silberzindel gekleidet, wie der Schnee,
der die Berggipfel deckt, und das Eis der Gletscher, und von
Grestalt hiitimljflch schön sitzen diese da oben und lassen einen
wnnderlieblichen Gesang ins Tal hinabschaUto , der manchem
guten Burschen das Herz mit unnennbarer Sehnsucht dehnt, wie
hoch oben auf sonniger schneebeglänzter Höhe , wo man mit sich
undGtott allein ist, dasGrefllhl der Unendlichkeit die Brust weitet
Nur sittlich reine Menschen dürfen den Fräulein nahen. Da
mehrere Berichterstatter z. B. Hammerle und Alpenburg, wie es
scheint, durch sentimentale Auffassung verleitet wurden, diese
Sagen mehr zu idealisieren, als sie es in Wirklichkeit sind, so
wollen wir zur Kennzeichnung derselben dem objectiv berichten-
den Zingerle eine der vielen Geschichten nacherzählen, welche
im Volksmunde von den Saligen in Umlauf gehen. Bei Graun
im Obervintschgau steht ein Mittelgebirg, die „Salge^^, hier soUen
vor alten Zeiten die „ Salgfräulein '^ gehaust haben. Sie wohnten
unter diesen Steinblöcken in weiten prachtvollen
Räumen und waren den Menschen hold und freundlich. Oft
saften sie abends weift gekleidet auf einem groften Stein
unter dem alten Lärchbaum und sangen Lieder. Eines
Abends ging ein Hirt vorüber, der von dem schönen Gesänge so
bezaubert wurde, daft er stille stand, sich auf einen Stein setzte
und bis tief in die Nacht hinein den Salgfräulein zuhörte. Erst
als diese mit untergehendem Monde verschwanden, gedachte er
seiner Heerde und seines jungen Weibes und ging heim. Seit-
dem aber war er einsilbig und schwermütig und, ohne seinem
1) lieber diese Wäsche der Seligen und wilden Frauen s. Alpenbnrg,
Alpens. 20, 21. Panzer, Beitr. I, 11, 14. Alpenburg, Mythen 21. Zingerle
30, 39. Im Tale bei der Trollewitschalm hat man zu Zeiten Sauge erblickt,
welche im Loche Wftsche wuschen , aber schnell enteilten , sobald ein Mensch
sich nahte. Alpenburg, Alpens. 313, 330.
102 Eapüd IL Die WaUgmler ud ihre ISppe:
etwas daYOB za Mgeity ging er mm oft anf die Salg, um
dem Gesänge za lansdieD. Endlidi worden die sehdnen Fiinlein
mii ihm yertranter and fiihrfeen ihn in ilire Grotten, wo ganze
Beihen von Cremsen an Krippen standen. Sein Weib bemerkte,
daft er Öfter des Naehts sieh entfernte and anddieb. Um za
erfahren, wohin er gehe, befestigte sie einst heimlich an einem
seiner Wammskndpfe einen Cramiaden, behidt aber d^i daran
liangenden Knäael ziMxk. Dem leitenden Faden folgend erreidite
sie die Höhle der Saugen, in deren Mitte sie ihren Mann vor-
fand. Da fing sie an za weinm and za klagen and Yer?r11nschte
den Tag ihrer Hochzeit and die Salgfränlein, die sofort anter
den Steinen yerschwanden, am nicht wieder gesehen za werden.^
Von den Waldfiräalein in Falkwand bei Stals and noch aasftLhr-
licher Ton den wilden Weibern im Untersberge bei Salzbai^
wird dieselbe Geschichte etwas abweichend erzählt Eine der
wilden Fraaen, welche oftmals aas dem Unterbei^ gegen das
Dorf Anif herabkam and sich aaf dem Felde in die Erde Löcher
and liegerstatt machte, hatte so schöne lange Haare, daA sie
ihr bis auf die FuAsohlen herabfielen. Ein Baaer verliebte sich
haaptsächlich am dieses Umstandes willen in sie and legte sich
in Einfalt za ihr in ihre Lagerstätte, ohne etwas Ungebtthrliches
za tan. Am zweiten Abend fragte sie ihn, ob er eine Fraa
habe. Er leognete, aber am dritten Abend ging seine Fran ihm
nach, fand ihn and rief, die Wildfran erblickend „0 behüte
Gott deine schönen Haare! Was tat ihr da mit einander?'^
Da Tcrwies die wilde Fraa dem Baaer seine Lüge, schenkte ihr
einen Schah voll Geld and ermahnte ihn seinem Weibe trea za
bleiben.' In der norddeatschen Ebene knüpft sich die noch rohe
Erzählong an solche Zwerge (SchanhoUen a. s. w.), welche nar
mit localer Aenderong entschieden den Waldleuten der oberdeut-
schen Sage entsprechen. Hier schläft der Bauer im Arme der
Zwergin, deren langes Haar bis auf die Erde hinabhängt Behut-
sam hebt seine mit Hilfe des Garnknäuels nachgekommene Gat-
tin es auf und legt es zur schönen Eigentümerin aufis Bett'
1) Zingerle, Sagen, Härchen und Gebräuche S. 28, 30.
2) Grimm, D. Sagen I, 65. Zingerle a. a. 0. Panzer, Beitr. I, 13.
8) Kuhn, Westf&l. Sagen I, 160, 165. vgl. 246, 282. Lynker, HessiBche
Sagen 55, 88. Grimm, D. Sag. I, 89, 70. Stober, Elsftss. Sag. 295, 230.
Cortze, VolkBüberliefer. a. Waldeck 219, 4>1,
Wildlente in Tirol: Selige Frftvlein. 103
INe Deatong dieser Enählnng würdB aa diesem Orte zu Erör-
terungen fahren , welche von unserm gegenwärtigen Zwecke seitab
liegen; mi entnehmen ans ihr nur ein ZengniA von der Ueber-
einstimmnng der Salgfränleinsage mit derjenigen von den wilden
Fronen resp. Waldweibem. Wie die Holzfränlein (ob. S. 76) nie
endende Garnknäuel spenden, schenkt die wilde Frau in der
Felshöhle bei Widreohthausen ein solches dem Widrechthäuser
Bauer, als ihn dessen Frau bei ihr schlaf(»id gefunden und zum
Zeugnift, daß er ihr eine Haarlocke abgeschnitten hatte. ^ Auch
die selige Jungfrau ans der Lecklahne begabt zum Abschied mit
solchem wunderbaren Zwimknäuel , als sie aus dem Dienste eines
Baoem plötzlich scheidet, weil man ihren Namen erfahren.'
Auch ein Brodlaib der , so lange man davon kein Redens macht,
nicht ein Ende nimmt, wird als ihr Geschenk erwähnt.^ Gleich
den Holzfräulein , Fanggentöchtem n. s. w. sind sie , ohne Lohn
und Gabe zu nehmen und ohne Namen und Herkunft zu ver-
raten, hUfreich in der Bauemwirtschaft und, wo sie weilen und
schaffen, stellt sich Segen und Ueberfluß ^in. Alles geddht,
aber sie versehenden und mit ihnen Gedeihen und Beichtum,
sobald man in ihrer Gegenwart flucht (vgl. ob. S. 81), nach ihnen
schlägt , ihnen Speise vorsetzt oder ihren Namen nennt ; oder sie
werden dnrch Ansage eines Todesfalles unter den Ihrigen (s. ob.
S. 90) abberufen.^ Im Stalle sammehi sie die verschüttete MjUch
und trinken daftlr wol — andere Nahrung verschmähen sie —
aus der Milchbutte, in der dann aber die Milch nicht ab, son-
dern zunimmt.^ Fast in jedem Hause wohnte ehedem ein sol-
ches geisterhaftes Wesen. ^ Sie bewähren sich somit voll-
kommen als gute Hausgeister. Zuweilen gehen sie auch
mit irdischen Männern eine Ehe ein und gebären l^der, ver-
schwinden aber, wenn das Geheimniß ihres Namens, oder ihrer
Herkunft verletzt wird. Dann kehren sie jedoch noch immer
1) Alpenbnrg, Alpens. 19, 21.
2) Zingerle a. a. 0. 29, 37. Tgl. Hammerle , Neue Erinnerungen a. d
Bergen Tirols 1B54. S. 15. Weitere Zeugnisse dafür, daB die Seligen end-
lose Garnknäuel yerehren, s. Alpenbnrg, Myth. 33, 10. Zingerle 77, 118.
3) Zingerle a. a. 0. 26, 31.
4) S. Zingerle 25 ff. 32. Alpenbnrg, Alpens. 263, 274 264, 275.
5) Zingerle , Sagen n. M&rchen S. 26. 32.
6) Zingerle, Sagen u. Märchen S. 25, 31.
104 Kapitel IL Die Waldgeister und ihre Sippe:
an gewissen Tagen zurflek, um ihre Kinder zn waschen, za
kämmen und zn kleiden.^
Man erinnere sich, daß wir auch diesem Zage bereits bei
der Bidschower Sage von der Nymphe eines Weidenbanmes
begegnet sind (ob. S. 69) ; er wird sonst auch von Nachtmahren *
und von den Seelen verstorbener Mutter erzählt, welche noch ttber
das Grab hinaus ihre Liebe bewähren.^ Seelen Abgeschiedener
und Pflanzengeister sahen wir ja schon mehrfach in einander
Übergehen (S. 40. 44). Auch noch ein weiterer Zug, daB die
Saugen zuweilen vom Berge niedersteigend in den Spinnstuben
sich sehen lassen, und wundersam spinnen, so wie Spinnen und
Weben lehren,^ wird anderswo unmittelbar von BaumgeisterU
berichtet^ Noch eine weitere Aussage gemahnt unmittelbar an
die (ob. S. 36) entwickelten Baum sagen, nach welchen ver-
möge der ßympathie zwischen Pflanze und Mensch jeder Hieb,
der die Baumnymphe trifft, ebenso tief als ins Holz in Fleisch
und Bein des Frevlers eindringen soll. Wenn das Heu
gemäht wurde, gesellten sich die Fräulein gerne den Menschen
zu 'und halfen bei der Arbeit^ Wenn der Mähder das Bodnerin-
nenlocken übte , d. h. dreimal mit dem Wetzstein ttber die Sense
strich, so kam bei diesem schrillen, weithin hallenden Tone
jedesmal ein Salgfräulein in die Wiese herunter und ierstreute
1) Vernaleken , Mythen 246 , 53. ZiDgerle 29, 36. 34, 43. Alpenburg.
Alpens. 312, 330. 270, 283. verschwindet sammt ihren 13 Kindern: Zingerle
27, 33. Zß. f. D. Myth. I, 292. n, 356. 183.
2) Kuhn. Nordd. Sag. 91, 102. 299, 338. MtOlenhoff 243.
3) GnindTig, Gamle Danske minder i Folkemund I, 18. Sehambach -
Müller, Niedersachs. Sagen 220, 235. Pröhle, Harzsagen 79, 7. Wolf,
Niederl. Sag. 403, 326. Man erkennt die Wiederkehr der verstorbenen Wöch-
nerin daran, daß man morgens das Bett eingedrückt findet Wnttke,
AbergL* § 748.
4) Alpenbnrg, Mythen n. Sagen S. 6. 32, 10.
5) In eine Spinnstabe zu Eonge-Vie bei Foncogney in den Vogesen
pflegten 12 liebliche Jungfrauen mit ihren niedlichen Spindeln zu
kommen. Niemand wagte sie nach ihren Namen und ihrer Abkunft su fra-
gen. Ein Bursche, der ihnen neugierig folgte, sah sie auf der „la planche
aux helles filles'' genannten Bergeshalde einander gute Nacht sagen, worauf
eine jede in einen Baum hineinging. Der Vorwitzige fiel drei Tage
darauf von einer Pichte, und brach den Hals. S. Des. Monnier, Traditions
populaires p. 407.
Wildleate in Tirol: Selige Fr&nleiD. 105
die Mahden. Ein Bauer, dem dies auch «geschah, vergnckte sich
in das unbekannte Mädchen. Als im Herbste die Heuernte zu
Ende ging und die Selige das letzte Fuder faAte, machte der
ungeschickte Liebhaber ein Schlof in das Bindseil und band das
Mädchen am FuAe fest Das Fräulein, in dem Bestreben
sich loszumachen, brach das zarte Bein und verschwand
weinend. Anderen Tages brach das Bäuerlein auch ein
Bein und blieb lebenslänglich lahm. Sein Geschlecht
muß es noch bis heute btlAen^ denn allemal je ein Glied der
Familie muß lahm gehen. ^ Endlich teilt die Ueberlieferung von
den Salgfränlein mit deijenigen von den Busch- und Holzweib-
chen auch noch den Characterzug , daß sie von dem wilden
Jäger gejagt werden, der hier aber der wilde Mann
heißt und ganz wie die uns schon bekannten wilden Männer in
Hessen und in Graubünden (die Fankenmänner) beschrieben wird.
%r ist ein gewaltiger Mann, von weitem gleicht er einer
Fichte, die ganz mit Moos (Baumbart) ttberkleidet
ist Wenn er auf dem Wege eines Stockes benötigt,
so reißt er grade einen Baumstamm aus und der
Wurzelstock dient als Staggel unten dran. Bei schö-
nem Wetter trägt er einen Mantel, um bei schlechtem — wie er
sagt — tun zu können was er wolle. ^ Wer ihm, wenn er wie
die Windsbraut daherstfLrmt , zuruft: „halt und fach (fange)! mir
die Halba und dir die Halba!'^ oder „Jag toU! und bring mer
moarga o a Viartl davonl'^ oder „Wilder Mann hual, nimm dein
Tual!^', dem braust bald der Wind mit fürchterlichem Toben um
seine Htttte , er vernimmt ein herzzerreißendes Wehgeheul in den
Ltiften und die erbetene Hälfte eines seligen Fräuleins hängt
1) Hammerle a. a. 0. 17, 18. Alpenborg, Mythen S. 8. 10.^ Vgl. auch
Yernaleken, Mythen, Branche S. 245, 52.
2) Hammerle a. a. 0. 21. Ganz wie der wilde Mann focht auch Fasolt,
der das wilde Fräulein hetzte im Eckenliede mit Baumästen. Str. 184.
„Her Yäsolt einen ast gevie: den brach er abe eim bou^le hie, der was
groz nnde swsere. der wart im schier zerhouwen gar. er greif nach einem
andern dar: der boun wart este Isre. er geb&rte rehte als er den walt
wolt lonbes äne machen: wan hörte deste mänicvalt ein halbe mile krachen,
er zart die boume dazs sich kluben.*' — Auch Fasolts Sippe bedient sich der-
selben Waffe. Str. 240 üodelgart „ein boun s1 üz der erde brach, der was
grdz. Str. 244: des boumes este brach si dan, zehant lief si den Ber-
ner an.
106 Kapitel U, Die Waldgeigter und ihre Sippe:*
ihm am Türpfosten. Nur wemi sie sich auf einen im Fallen des
Stammes schneU durch 12 Axtschläge mit drei Krenzen bezeich-
neten Baamstronk setzen können, finden die Seligen vor dem
wilden Manne Schatz , alles dieses den thüringischen und frän-
kischen Waldweibchen entsprechend. Im Vintsohgaa giebt es
noch manchen Holzknecht, der nicht yersänmt derartige Krenze
einzuhacken.^ Beziehen sich diese Mythen deutlich aaf Banm-
genien, so weisen andere auf einen Zusammenhang mit der nie-
deren Pflanzenwelt der HochalpentiUer hin. Unter den Saugen
begegnen jene von Fanggen und Fänken uns bekannten Namen
Stutzamutza u. s. w. , in der Hinterdux jedoch nennt man die im
Innern des Daxer Femers haasenden Fräulein ,, Talgilgen/'
d. h. Maiblumen (Lilien des Tales). Sollte das nur ihre frühlings-
frische Schönheit ausdrücken? Ln Kanton Glarus heiftt so ein
Bergfiräulein bei Schwanden Wtdewibli ( Weidenweiblein) , ein
anderes bei Engl Pulsterewibli (Haflattichweiblem).' ImP
Kanton St Gallen ruft man den Kindern ^ am sie vom Pflücken
der anreifen Haselnüsse abzuhalten, zu: ^/s Haselnußfräuli
chumt'^ Das Lictztere ist wol eine Personification engerer Art^
als die vorhergehenden. Und wenn in Montavon eine Art Bal-
drian (Valeriana celtica) Wildfräulekrut heißt,^ so hängt das
deutlich damit zusammen, daß die vrilden Frauen auch als heil-
kundig gedacht wurden , wie die Harzer Moosweiblein und ober-
pfälzischen Holzfräulein (S. 81. 97). Schon ein altes Zeugniß
dafür besitzen wir im Gudrunepos (Str. 529); Wate hat von einem
,, wilden wibe^^ die Heilkunst gelernt und heilt mit guten Wur-
zeln die Wunden auf dem Schlachtfelde. ^ Auch im Ecken liet
gräbt das von Fasolt gejagte ,, wilde yrouwelin^^ eine Wurzel,
1) Alpenburg, Mythen S. 5. 24. 29. 31. Zingerle 24, 30, 78 — 80,
121 — 127. Alpenburg, Alpens. 336,356. 287,303. 288,304. Hammerlo
a. a. 0. Schneller , Märchen uud Sagen ans Wälschtyrol S. 209 ff.
2) Alpenbnrg , Mythen n. Sagen 33, 11. Vernaleken , Alpens. 224, 154.
Hier darf wohl die walachische Waldfrau Mama padura (Waldmntter) ver-
glichen werden, welche in Gestalt eines alten Mütterchens verirrten Kindern
beisteht, aber wie es scheint anch in Gestalt einer Pflanze erscheint. Denn
der Waldmeister (aspernla odorata) heißt ebenfalls mnma padnra. Vgl.
Schott, Walach. Märchen. Stnttg. n. Tübing. 1845, S. 297.
3) Yonbun, Beitr. 131. Vgl. o. S. 62. Valeriana vertreibt Erankheitselbe.
4) Si beten in langer ate da vor wol vemomen, das; Wate aratät waere
von einem wilden wibe. Als ein Bauer in Seefeld (Tirol) das Wichteli, das
Wildleute in Tirol: Selige Frätüein. 107
zerreibt sie in der Hand und bestreicht damit den wunden Diet-
rich von Bern und sein BoA, davon das Weh verschwand und
alle Müdigkeit wich^ N.ach den über die mitteldeutschen Holz-
firänlein gepflogenen Erörterungen darf jedoch das Folgende wol
wieder auf eine unmittelbare Beziehhng der Saligen zur Vege-
tation gedeutet werden. Wenn Alpenburg recht berichtet ist, so
ttberwandeln die Seligen zur Zeit der Flachsblilte unter
Anführung ihrer Königin Hulda die Flachsfelder, richten geknickte
Stengel auf und segnen Kraut und Blüten.' Der Flachsbau^
Spinnen und Weben ist der Gegenstand ihrer besonderen Für-
sorge.^ Vorzüglich aber wenn der Flachs gejätet, das Gras
der Wiese gemäht, das Korn des Feldes geschnitten
wird, stellen die Seligen oder wilden Frauen sich ein, helfen
heuen oder Aehren schneiden, oder eilen vom wilden Mann
gejagt vorüber.^ Den Mähdem auf den Bergwiesen stehlen sie
gerne die Küchlein und Krapfen vom Kohlenfeuer und wenn
das Heu im Winter mit Schlitten von den Alpen
geholt wird) hockt ihrer wohl ein ganzes * Dutzend hintenauf
und fährt mit,^ auch ruhen sie gern in Heuschupfen. ^ In Mar-
tell werden den Arbeitern auf den Bergwiesen immer die soge-
nannten „Mahdküchel" mitgegeben, angeblich für einen zufäl-
ligen Besuch der weißen Fräulem. Auch erscheint jeder Arbeiter
beim Mahle in Feiertagskleidem , was wie das späte Mittagsessen
sonst nicht gebräuchlich ist. Alles dies geschieht, wie die Leute
sagen , „ der Fräulein wegen." ^ So wol die Mitarbeit bei der
Ernte, als das Brod- oder Kuchenstehlen sind uns bereits wol-
bekannte Züge (ob. S. 75). Sollte das S(dilafen im Heuschober
ihm beim Streureohen und anderen Arbeiten zu helfen pflegte/ fing und
band, warf es ihm seine Undankbarkeit Tor und sprach: Ich würde dir Krau-
ter für Menschen und Vieh heilsam gezeigt haben und du w&rest ein großer
Arzt geworden. Panzer II, 100, 151.
1) Ecken liet Str. 174 — 76. Zupitza.
2) Alpenburg , Mythen 3. Hammerle , Neue Erinnerungen a. d. Bergen
Tirohi. Innsbruck 1864, S. 14.
3} Hammerle a. a. 0. S. 8. 14 — 15. 19. Alpenburg a. a. 0. 32 , 10.
4) Alpenburg, Mythen 3. 5. 31. Panzer I, 12. Alpenburg ^ Alpen*
sagen 312, 330. 287, 303. 288, 304. Zingerle, 79, 125. 79, 123.
5) Zingerle 33, 43.
6) Alpenburg, Alpens. 313, 330.
7) Zingerle, Sitten. Aufl. 2. 167, 1394.
108 Kapitel II. Die Waldgeister und ihre Sippe:
und das unsichtbare Mitfahren mit dem von der Alpe heimge-
führten Heu eine Erinnerung daran enthalten, daß die Fräulein
als Vegetationsdämonen an das Oras mehr oder minder gebun-
den seien, oder liegt diesen Erzäh|ungen ein rein menschliches
Motiv zu Grande ? Zur VerVoUständigung der Wildfräuleinmythen
sei noch dieses angeführt, daß sie (resp. die Seligen) Wöch-
n'erinnen, die nicht aufgesegnet sind, mit sich neh-
men;^ daß sie Kinder rauben, die später (grüngekleidet)
in ihrer Gesellschaft gesehen werden.* Diese Eigenschaft teilen
sie mit der mehr riesenhaften wilden Frau, der Fangg. Eine
solche, die des wilden Mannes Gefährtin ist, heißt in Passeier
Langttittin, von ihren langen Brüsten, die sie den
Kindern, ihnen nachlaufend, darbietet. Aus der einen
fließt Milch, Eiter aus der anderen (vgl. ob. S. 88).'
§. 8. Wildleate : die rauhe Else der Wolfdletrlchssagc.
Wir bemerkten (ob. S. 100) , daß die wilden Frauen in baierischer
Ueberlieferung noch eine rohere und ursprünglichere Gestalt
bewahrten, als die Tiroler Salgfräulein. Ein in Baiem um 1221
verfaßtes Stück spielmännischer Poesie , das zweite Lied im Wolf-
dietrich B. gewährt in der Episode von der rauhen Else die Ver-
flechtung einer Wildfrauensage in einer dem Zeitgeschmack hul-
digenden Umdichtung, jedoch mit Bewahrung mancher noch sehr
altertümlicher Züge, in das Epos. Wolfdietrich wacht auf einem
grünen Anger im Walde beim Feuer, indeß seine Gefährten
schlafen. Da kriecht auf allen Vieren, wie ein Bär, ein unge-
schlachtes behaartes Waldweib, die rauhe Else herbei und
fordert ihn auf sie zu minnen. Da er sie entrüstet zurückweist,
verzaubert sie ihn, so daß er in derselben Nacht zwölf
Meilen läuft, bis er unter einem schönen Baunie die rauhe
Else abermals triflft. Sie wiederholt die Frage: „wilt du mich
minnen?" er die Weigerung. Da wirft sie zornig einen stärkeren
Zauber auf den Mann, so daß er schlaftrui±en auf den grünen
Plan niedersinkt und sie ihm zwei Haarlocken vom Kopfe und
die Nagelspitzen von den Fingern schneiden kann. Jetzt ist er
ihr verfallen. Sie macht ihn zu einem Toren , so daß er ein hal-
1) Zingerle 27, 34.
2) Panzer I, 12. Zingerle 32, 42.
3) Zingerle 80,127. 81,128.
Wildleate: die raube Else dor Wolfdietrichssage. 109
bes Jahr ohne Besinnung im Walde ,,wild laufen'^ mnB und
Kräuter von der Erde als Speise aufrafft. Endlich gebietet Gott
dem Weibe durch einen Engel die Verzauberung rttck^bgig zu
machen, widrigenfalls ihr der Donner in dreien Tagen
das Leben nehmen werde (oder dir nimt der donre in diln
tagen dinen Itp). Alsbald stellt sie sich Wolfdietrichen wiederum
dar und jetzt willigt er ein, sobald sie getauft sein werde. Sie
führt ihn zu Schiffe über Meer in ein Land, drin sie als Köni-
gin schaltet (Troja), läßt sich da in einem Jungbrunnen taufen,
legt in demselben ihre rauhe Haut ab und steigt mit dem neuen
Namen Sigeminne aus demselben als die schönste aller Weiber
hervor.^ Nach dem Dichter zog sie schon drei Jahre dem Hel-
den nach, den sie zum Manne wollte, ihr neuer Imperativisch
gebildeter Name soll daher den Triumpf der Liebe ausdrücken
und ist nicht mit J. Grimm Myth.* 405 mit waltminne (lamia)
merminne (sirena) zusammenzustellen.
Unverkennbar sind die Spuren mehrerer Wandlungen , welche
die Erzählung durchgemacht hat, ehe sie in die Hände des letz-
ten Bearbeiters geriet Königswttrde, Königssitz in Troja, Be-
werkstelligung des Zaubers durch ein äuBeres Mittel (Ueber-
werfen), Namengebung sowie eine spätere Entführung der Sige-
minne durch einen Zwergkönig * mögen Erfindungen des Dichters
von WoU'dietrich B. sein, einer früheren Bearbeitung gehört das
Bad im Jungbrunnen an, doch auch dies ist kein ursprünglicher
Bestandteil der Sage, welche unzweifelhaft nur dies
wußte, daß die anfangs in rauher, behaarter Gestalt
auftretende Jungfrau dem Helden endlich in lieb-
reizender Schönheit nahte, falls nicht dies den ursprüng-
lichen Schluß der Erzählung bildete, daß Gott dem Waldweibe, in
dessen Gewalt der Held geraten war, befahl denselben loszulassen.
In der Drohung mit dem Donner bricht, wie J. Grimm (Namen des
Donners 322 Kl. Sehr. H, 425) mit Becht bemerkte, ein alter Sa-
genzng durch; der erste Urheber der Episode wußte noch, daß die
Waldfrauen, deren eine seine Verse verherrlichten, dem Volks-
glauben nach gewöhnlich vjon dem Gewitter verfolgt wer-
1) Wolfdietrich, B. Str. 305 — 342. Jänicke. Heldenbuch UI, Berlin
1871. S. 213-r218. Vgl. des Herausgebers Einleitung.
2) Vgl. Wolfdietrieli, B. Str. 388—455. Heldenbnoh a. a. O.L; LXIII.
110 Kapitel II. Die Waldgeister und ihre Sippe:
den (ygl. den estnischen Baumelf ob. S. 68) wie die Seligen vom
Stannriesen. Weicht schon dieser Zug von den bisher au%e-
ftahrten deutschen Sagenformen ab y so noch mehr , daß das Wald-
weib den Ritter irre laufen läßt (vgl. ob. S. 61 die Sage vom
Apfelbaum bei Falsterbro) und daß dasselbe ron s^er Seite
die geschlechtliche Verbindung mit Menschen sucht
Die Vergleichung der schwedischen Skogsnufear wird uns jedoch
Zug für Zug gewiß machen, daß wir es in diesen aus der dich-
terischen Verarbeitung herausgeschälten Volksanschanungen mit
einer uralten in Deutschland seit Jahrhunderten verschollenen
Form der Ueberliefemng zu tun haben.
§. 9. Wilde Leute: Norggen. Wie in Graubttnden und
Vorarlberg die riesigen Fänkenmänner in die zwerghaften Feag-
geoi ttbergehen, kennt d^r Tiroler Volksglaube neben dem unge-
heuren wilden Mann, der die Seligen verfolgt, ein harmloses
,,Wildmännl.'' Diese „wilden Männlein'' ftQiren häufig
den wfllschen Namen der Norgen ^ (Nöi^lein, Orgen, Orken, oder
Lorgen d. i. ital. il orco, franz. ogre, Fem. it. orca fr. ogresse
aus lat Orcns, in orco, ein Name, der nach der Predigt des
h. Eligius (myth.^ XXX) schon im 7. Jahrhundert unter den
Romanen des Frankenlandes ein Wesen des Volksglaubens
bezeichnete und dem Begriffe nach, wol dem griechischen
^6g x^oViog, dem deutschen „Unner6rdschen" Zwerg u. s. w. ent-
sprechen wird. Es ist aber fast nur der Name von den Wäl-
schen entlehnt, denn der Orco der Ladiner, ein tttckischer Berg-
geist, der den Mensch^i schlimm mitspielt, und sich in alle
Gestalten wandeln kann, wird in vielen und wesentlichen Stücken
verschieden von dem' Ork und Nörkele der Deutschtiroler geschil-
dert.^ Letzterer ist halb Zwerg, halb Kobold und zeigt sich als
soldier gern von der neckischen Seite. Die Neigen sollen vom
Himmel gestürzte Engel sein, weldie im Fall an Bergen und
Bäumen hangen blieben and noch jetzt in hohlen Bäumen und
andern Löchern und Berghöhlen wohnen.^ Sie httten dem Bauer
1) Nach den Korken haben einzelne Fds^itzen den Namen z. B. zwi-
schen dem Matscher and Planailtale. Chr. Schneller vermntet (Ausland 1871
N. 41, S. 9^, daß auch der Ortles eine cima d'orcles Nörkelnspitze sei , da
im Grodnerischen Ü ans cl entsteht.
2) S. Alpenbnrg, Mythen S. 71—74.
3) Zingerle 39, 51.
Wilde Leute: ^orggen. _ 111
auf der Alp oder im Stalle das Vieh, spielen den Mägden man-
chen Possen y gehen davon, sobald man sie mit neuem Gewände
beschenkt, stehlen Kinder, hocken dem Wanderer auf nnd
machen sich so fnrchtbar schwer, daß mancher der Last erlag, oder
Krankheit davon trug. Ihre Töchter, die beim Bauer dienen, wer-
den auf die schon bekannte Art durch Ansage, daß der Vater todt
sei, heim berufen (vgl. ob.S. 90).^ Sie tragen sich gern in Qrün, in
Bergmoos^, grttne Jacke und grüne Hosen^ oder grttne Strümpfe
gekleidet/ Sie sind also, abgesehen davon , daß bei ihnen ^ etwa
von ihrem ladinischen Namensvater dem Orco her , die schalkhafte
Seite des Koboldcharacters mehr herausgebildet ist, den Fenggen
Graubttndens ganz gleich. Oft erwähnt von diesen wilden
Mannein oder Nörgeln ist der folgende Zug, der übrigens auch
von den Seligen berichtet wird.^ Bei herannahendem Begen-
wetter läßt sich das Nörgl jauchzend auf einer Anhöhe sehen
und dient als Wetterprophet. Im Frühling, oder Spätherbst, zur
Zeit der Aussaat erscheint dem Bauer das befreundete wilde
Männlein und bezeichnet ihm die Zeit , wann er das Feld bebauen
solle. Entweder giebt es durch sein persönliches Erscheinen
dieses Zeichen oder indem es einen Pflüg, oder eine Egge auf
den Acker stellt.® Aelter wol und ursprünglicher ist die erstere
Angabe. In Navis erschien immer zur Zeit der Aus-
saat ein wildes Männlein und die Bauern konnten
darauf rechnen, daß sie, sobald es sich zeigte, aus-
säen und eine gute Ernte hoffen durften. Auf den Vol-
dererberg kam alle Frühjahr ein Mannl. Niemand wußte
wie es hieß oder woher es kam; und doch stand es mit
den Bauern auf bestem Fuß, gab ihnen manchen Bat und bestimmte
genau die Tage, an denen sie diese oder jene Arbeit bestellen
sollten. So lange der Bauer dem Winke des wilden Männleins
1) ZiDgerle 38, 49.
2) Zingerle 52, 79.
3) Zingerle 53, 80,
4) Alpenborg, Mythen 119, 33.
5) Zingerle 28, 35: Die Jungfrauen von der Lecklabne gaben dem
Loehersbanem gute B&te, sie sagten ihm, wann er sften und ernten solle.
Vgl. ob. S. 98, daA der riesige wilde Mann den Leuten die Witterang vor-
aossagt
6) Zingerle S. 45, 62. 46, 64. 47, 65. 47, 66. Alpenbarg, Myth. 115, 28.
112 Kapitel n. Die Waldgeister und ihre Sippe :
(Norgleins) folgt, erfreat er sich jedesmal einer reichen Ernte.
Was er einstmals aber, da der Noi^ oder sein Zeichen lange
ausbleibt , auf eigene Hand aussät , oder einheimst , konunt hinter-
her noch ein Unwetter, das die ganze Ernte vernichtet. Der
wilde Mann verschwindet ftlr immer mit den Worten : „ hättet ihr
mich viel gefragt, hätte ich euch viel gesagt.^' ^
§. 10. Wilde Leute: Bllmon, Salvadegh, Salvanel in
WSlsch-TlroL In Wälschtirol zumal um Folgareit sprechen die
Deutschen vom wilden mon, Bilmon oder Bedelmon (wilden
mann), der in Höhlen wohnt als wilder Jäger zur Zeit des
Heumähens jagt und, wenn man von ihm einen Jagdanteil ver-
langt, einen halben Menschenleib an dieHaustttre wirft.^ ^Er
lehrt Holzschläger die Kunst Käse zu machen , als man ihn einst
berauscht und so gefangen hat.^ Wäre er nicht zu frühe
entkommen, so hätte er noch manche schöne Dinge gelehrt^
besonders aus Milch Wachs zu machen. Das von il\m gejagte
Weib heiratet einen Menschen, der sie rettet, verläßt denselben,
well er ihr mit der linken statt der rechten Hand den Schweiß
getrocknet hat, kehrt aber zurück, um ihre Kinder zu waschen
und zu kämmen (vgl. o. S. 104);^ oder sie eilt davon, weil ihr
Mann mit seinem Wagen durch den Wald fahrend plötzlich eine
Stimme hört: „Sag der Mao, daß Mamao gestorben ist'^^
Die Frauen d^r wilden Männer, die wilden Weiber heißen in
Folgareit und Trambileno zuweilen Frauberte, sie führen den
Wanderer gerne in den Wäldern irre, indem sie plötzlich
Stücke Leinwand durch den Wald spinnen und ihm den
Weg sperren (Nebel). Dieser Mrilde Mann wird von den Ladi-
nem in den nämlichen Tälern von Folgareit und Trambileno
Tom salvadegh (=» franz. Fhomme sauvage aus salvage, lat.
homo silvaticus) genannt Die entsprechende weibliche Form läßt
1) Zingerle 46, 64. 47, 65. Alpenbnrg, Mythen 115, 28.
2) Schneller, Märchen nnd Sagen 209, 1. 2. 211, 6. 212, 8.
8) A. a. 0. 200, 2. 210, 3.
4) A. a. 0. 211, G. 210, 5.
5) A. a. 0. 210, 4. 212, 7. Hier noch der Zag , daß sie dem. Baner die
Zeit desPflügens, Sfiens, Mfthens nnd Be^enanf bindens ansagt Jene Namen
Mao, Mamao, Nachahmung des Eatasengescfareis weisen darauf hin, dafi man
sich diese Wesen als zuweilen katzengestaltig, wie die Fangen oben
S. 89 als Wildkatzen gedacht hat.
WUde Leute : Bihnon, Salvadegh, Salvanel in W&lsch - Tirol. 113
sich bereits im 10. Jahrhundert aus des Barchard von Worms
Decretensammimig p. 198* (myth.^ XXXVIII.) erweisen: Credi-
disti qaod qnidam crederesolent, quodsint agrestes feminae,
quas silvaticas vocant, quas dicunt esse corporeas et
qaando volnerint ostendant se suis amatoribus et cum
eis dicnnt se oblectasse et item qaando voluerint abscondant
se et evanescanf Deutlich ist „agrestis femina'' Uebersetzung
des deutschen Ausdrucks „wilde Frau". (Vgl. weiter unten die
Sagen von der schwedischen Skogsnuf^a und. o. S. 1 08 die rauhe
Else.) In Valsugana um Borgo heißt der Salvadegh Salvanel.
Hau erzählt hier von ihm ebenfalls, daß er mitten in Wäldern
Höhlen bewohnt, den Hirten die Milch stiehlt und, als man ihn
einst durch 2 mit Wein gefüllte Milchgefäße fängt
und bindet, die Bereitung von Butter, Käse und Lab lehrt. Er
raubt kleine Kinder, besonders Mädchen. Wenn ein Baum absteht
und auf einer Seite des Stammes an einer schon von der Faul-
niß ei^ffenen Stelle ein wässeriger Saft abfließt, so sagen im
wälschen Etschlande die Bauern, er habe den Salvanel.^
Salvanel entspräche latein. Silvanellus , d. h. doppeltem Diminutiv
von Silvanus. In Fassa Ennebei^ und der Gegend des Kreuz-
kofels führen die wilden Männer den Namen Salvangs (Sing. Sal-
vang Plar. Salvegn) ^ lat Silvani, Silvanü Sie waren stark,
haarig und hatten lange Nägel an den behaarten Fingern. Man
ftrchtete sich vor ihnen, weil sie gerne Kinder abtauschten.
Deshalb trifft man noch jetzt an alten Häusern der dortigen
Gegend nur kleine runde Fenster, die sich bequem mit einem
Schubladen schließen lassen.^ Die wilden Weiber der Salvegn
heißen in Fassa Bregostane , in Enneberg Gannes ^ (über Fangga
8. o. S. 99).
NocU wilder, den Fanggen Deutschtirols ähnlich, denkt sich
das Volk um Mantua die gente salvaitica, Geister halb Menschy
halb Tier mit einem Schwänze hinten y welche Menschen mit sich
in den Wald tragen und. auffressen. Ein ins Saatfeld gesteckter
Popanz aus alten Lumpen, von dem man .den Kindern sagt er
1) Schneller a. a. 0. 213, IV.
2) L. V. Hörmann, Mytholog. Beitrage a. Wälsehtirol, Innsbruck 1870.
8. 8 ff.
S) Staffier, Tirol II. S. 294. L. y. Hörmann a. a.'O. S. 8. 7.
Mannhftrdt. 8
^ I
114 Eapitel IT. Die Waldgeister und ihre Sippe:
werde sie forttragen^ wird ebendaselbst als Salbanello bezeich-
net^ Niemand wird sich hier dem Zageständnift entadehen können,
daß in allmählichen Uebergängen ein grader Weg von den Baom-
genien nnd mitteldeutschen Waldleaten uns bis an den römischen
Silvanns und Fannns herangefllhrt hat Wir werden davon
Act nehmen dürfen, um uns dieses Zugeständnisses an einem
andern Orte zu erinnern, wenn wir von ganz anderer Seite den
nämlichen Endpunkt erreicht' haben werden.
§.11. Wilde Leute: Pilosns, Schrat^ Schrltlein. Fflrs
erste liegt uns jedoch die Pflicht ob die Bedeutung noch eines
andern sehr scheinbaren Zeugnisses tüv die Uebereinstimmung
• unserer Waldgeister mit den Panen und Satyrn auf ihren wahren
Wert hinabznstimmen. Wir sahen , daß die Moosleute und wUden
Männer als am ganzen Leibe behaart geschildert werden. Bei
romanischen, deutschen und slavischen Schriftstellern des M. A.,
namentlich Glossatoren ist die Rede von geisterhaften Wesen
„Pilosi, qni graeee panitae, latine incubi appellantur^^^ von denen
dann verschiedene den Hausgeistern, Kobolden und Zwergen zu-
kommende Geschichten erzählt werden.^ Daraus darf aber keines*
weges etwa ein Zeugniß entnommen werden, daß die Erzähler
dieser Sagen die betreffenden Hausgeister u. s. w., denen sie
den Namen Pilosi, salyri u. s. w. beilegen, als den Faunen oder
Panen in Gestalt oder Verrichtungen genauer entsprechend bezeich-
nen wollen. Vielmehr drflckt dieser Name für sie nur den all-
gemeinen Begriff daifuoviov aus, im Anschluß an Jesaias 13, 21
in der Vulgatattbersetzung. Letztere Stelle liegt allen den erwähn-
ten Glossen zu Grunde, oder schwebt den meist kirchlichen
Schriftstellern vor. Deutlich aber läßt sich an einem einheimi-
schen Namen, der zuweilen zur Verdeutschung von pilosus gebraucht
wird, der schon oft beobachtete Uebergang vom Waldgeist in
den Hflter und Schützer des Hauses aufs neue beobachten.
Althochd. Glossen Myth.* 447 gewährten scratun, pilosi; walt-
schrate satyrus' auch mhd. begegnet „ein wilder walt-
1) mündlich.
2) Grimm, Mytb.« 447. 449. Grimm, Irische Elfenmärchen OIX — CXIV.
3) Nach unserer vorstehenden Bemerkung war Grimm Myth.* 448 also
durch diese Glosse noch nicht berechtigt zu der sachlich yielleicht dennoch
zutreffenden Schilderung: Schrat ein „wilder zottiger*' Waldgeitt
Wildleute: Delle Vivaac, Engaane. 115
geh rat/' Nax^h Eornmann mons Veneria 1644 p. 161 wurde
der rötliche Saft, den die Schmetterlinge an die
Bänme ansetzen, fttr das Blut der vom Teafel Ver-
folgten und verwundeten Schretlein gehalten. Man
glaubte, daß sie jene Blutspuren zurtlcklassen, wenn
sie, um vor dem Bösen sich zu retten, in das Innere
der Bäume hineinschlflpfen. Die Schrate oder Schretel,
Schretlein u. s. w. stellten sich also unsem vom wilden Jäger
gejagten Moosleuten und den estnischen vom Donner verfolgten
Baumelfen (s. o. S. 68) nahe zur Seite. Zu bemerken ist aber,
daß in Niederbaiem Schratl den Wirbelwind bezeich-
net' Schon von alter Zeit her wird den Schraten gleichzeitig
auch die Bolle von Hausgeistern und Kobolden zuSrteilt Vgl.
schretlin penates. Vocab. v. 1482 srate lares mall Sumerl. 10, 66.
Jedes Hans hat ein Schrezlein; wer es hegt, dem giebt es
Gut und Ehre u. s. w. Michel Beham 8, 9; screti penates Intimi
et secretales. Wacehrad mater verhör. Namentlich ist der Skrat
bei den Inselschweden und ebenso durch Entlehnung von diesen
in der Form Krat bei den Esten ein Hausgeist oder Kobold, der
auch mit dem fliegenden Drachen identifiziert wird, welcher
seinem Besitzer Getreide und andere Dinge durch die Luft zuträgt. '
Ob in Eckehards Waltharius die flir den in langer Waldwande-
rung an Aussehen verwilderten Helden gebrauchte Yergleichung
„saltibus assuetus Faunus^', „Silvanus Faunus'^ jenes deutsche
Waltschrate übersetzt, wie Grimm meint, mag dahin gestellt
bleiben. Der Schrat wird gewöhnlich zwerghaft, in Kindesgröße
gedacht; aber das Beispiel des Tii'oler wilden Mannes lehrt, daß
daneben sehr wohl eine riesige Gestaltung desselben Wesens her-
laufen konnte. Wir sahen die gente salvatica vorhin in Tier-
gestalt übergehen ; schon früher begegnete uns ein dem Salgfräu-
lein entsprechendes weibliches Wesen, eine Diale mit Ziegen-
fttßen (o. S. 95).
§. 12. Wildleute: Delle Tivane, Enguane. Im Grödener
Tale heißen die Seligen Belle Vivane, in Fassa Delle Vivane.
Eine solche hockte jedesmal einem Bauer auf den Wagen, wenn
er Holz von der Alpe nach Hause führte, und fuhr bis zu einer
1) Panzer, Beitr. 11, 209.
2) Bnßwnrm, Eibofolke §. 373 ff.
8
116 Kapitel 11. Die Waldgeister und ihre Sippe:
gewissen Brücke mit. Dem Rate einer klugen Alten folgend
wußte der Bauer sie zu fangen und zu bestimmen, sein Weib zu
werden. Sie willigte ein, wenn er sie nie Geiß nennen
wolle. Als er dies nach Jahren in der Leidenschaft eines
Wortwechsels dennoch tat, tanzte plötzlich alles im Zim-
mer, es entstand in dessen Mitte ein Staubwirbel und
darin verschwand sie.^ Im Nonsberg und Valsugana in
Wälsch- Tirol heißen die Seligen Angane (Enguane, E^guane);
Yon ihnen werden die bekannten Wildfrauensagen erzählt, ihr
Verfolger aber ist ein wilder Jäger Namens Beatrik, der zu
Roß und mit vielen kleinen Hündchen, besonders zu Weihnachten
dahersttlrmt. Wir nennen ihn hier besonders, um zu erwähnen,
daß er einslt einem Hirten befiehlt einen Bock von der Spitze
eines Httgels zu holen, zu schlachten, zu kochen und
dann mit zu essen. Nach demEssen warf der Beatrik
die abgezogene Haut des Bockes auf die wohl aufge-
hobenen Beine, da war der Bock lebendig und ging
zur Tttre hinaus, aber er hinkte ein wenig, weil der
Hirte ein Beinchen vom Fuße verschluckt hatte.^ Es
ist dieselbe Mythe, welche in der jungem Edda vom Gewitter-
•
gotte Thorr, in Oberdeutschland von der Wiederbelebung eines
Hasen, einer Gemse, einer Kuh durch das wilde Heer (Nacht-
Volk) Zwerge, wilde Frauen oder Hexen, in den Niederlanden
und England von Erneuerung eines Ochsen, Kalbes oder Schwei-
nes durch die wilde Jägerin Herodias oder durch Heilige berichtet
wird.*
1) L. V. fiörmann a. a. 0. 8.
2) Schneller a. a. 0. 207, 5.
3) S. Mannhardt, German. Myth. 57 — 62. Zingerle, Sagen, Mfcrchen
u. 8. w. 10, 13. 11, 15. 411, 725. Vgl. Rochhok, Aargans. I, S. 384. Dera.
Natnrmythen S. 122. Ders., Deutscher Glaube und Brauch I, S. 222 ff. Kuhn
in Zachers Zeitschr. f. d. Phil. I, 116. Beachtenswert ist die folgende Variante:
Ein Bursch, der auf einem Baume sitzt, sieht Hexen eine aus ihrer Mitte in
Stücke reißen und die Brocken in die Höhe werfen. Der junge Mann erwischt
eine Kippe und behält sie bei sich. Bevor die Hexen abziehen, suchen sie
die Stüdce wieder zusammen und formen daraus den alten Körper. Da sie
die Rippe nicht finden, setzen sie dafür eine andere aus Erlholz ein und
machen dann die Todte wieder lebendig. Zs. f. d. Myth. H, 178, 20.
Zingerle, Sagen 337, 586 vgl. 338, 587. Wem fiele dabei nicht Pelops
elfenbeinerne Schulter ein?
Wilde. Leate der kelÜBchen Sage. Dames yertes. 117
§. 13. Wilde Leute' der keltischen Sage. Haben wir ein-
mal im Verfolg der yerschiedenen Gestalten der Waldgeister die
germanische Grenze nach der romanischen Seite hin überschritten,
so sei gleich des wilden Mannes and des wilden Weibes
in der Artussage gedacht, zweier Figuren , welche wahrscheinlich
ans der keltischen Ueberlieferung der Bretagne ihren Ursprung
ableiten. Es sind Kiesen ron grausiger Gestalt, eUenbreitem
Haupt , ebergleichen Stoßzähnen , roten Augen und ttber die Ohren
hinabhangendem rußfarbenem Haare. Das Weib ist nicht minder
schrecklich, als der Mann. Es zeichnen sie kaum die Länge
ihres Haares und ihre weit herabhangenden Brüste ans
[ir brüste nider hiengen, di siten si beviengen geltch zwein
grdzen taschen da]. Der Mann trägt einen mächtigen Eisenkolben
als Waffe. Sein Geschäft ist, in dem märchenhaften Walde von
Breziliande als Hirte die wilden Tiere des Waldes, Wi-
sende und Auerochsen zu weiden, die ihm bebend als ihrem
Meister gehorchen.^
§. 14. Barnes rertes. Dem ersten Anscheine nach völlig
Tou diesen keltischen Wildleuten verschieden weisen die w e i 6 e n
oder grünen Frauen des Franche Comt6 (Dames blanches,
Dames vertes) doch auch Verwandtschaft mit dem wilden Weibe
in Deutschland auf. Grüne Frauen haben u. a. in einem Walde
bei Belans D^p. du Jura ihren Aufenthalt. An einer gewissen
Eiche (chdne des bras) zünden sie Feuer an, da hört man sie
singen und schreien. Auf engem Waldp&de begegnen sie den
Menschen und locken sie mit unwiderstehlichen Beizen in das
tiefste und entlegenste Dickicht; da schwindet der Zauber; die
holdseligen Liebhaberinnen wandeln sich in erbarmungslose
1) Hartmann, Iwein y. 425 ff. Wimt ▼. Grayenberg, Wigalois ed. Pfeiffer
S. 162 Lady Gnest, Mabinogion I, S. 45— 46. Vgl. Zingerle i. d. Zs. f. d.
Myth. m, 196 ft. und Uhland Schriften III, S. 52 ff. und S. 139 ff., wo weitere
Nachweisungen aus der altfranzösischen und altenglischen Literatur und den
Mabinogion gegeben sind. Vgl. den Zauberer Merlin , der nach dem Gedichte
Galefrids yon Monmouth, Yita Merlini saec. XII. im Dickicht der IJrw&lder
eine Heerde yon Hirschen und Beben yor sich hertreibt. (Uhland a. a. 0.
S. 53. 140.) Uhland yergleicht den Tierkerl im dänischen Liede yon Syend
Vonyed. Derselbe stammt ohne Zweifel mit dem wilden Mann der Iweinsage
aus einer Quelle, da auch die Schicksale Syend Vonyeds denjenigen des Eilhwch
eines Helden der Tafelrunde in yielen Einzelheiten entsprechen. S. Sy. Grundt-
yig , Damnaiks H. Folkeviser I, 239.
118 Kapitel II. Die Waldgeister nnd ihre Sippe:
Furien^ welche ihr Opfer eben bo eifHg verfolgen, als sie es
zuvor angezogen hatten. Die großen und schönen grünen
Frauen in den Wäldern beim Dorfe Vejria sind so mutwillig,
die Vorübergehenden beim Arme zu fassen und sie zu einem
Gange über die Ortsgrenzen hinaus zu verleiten. Da verirren
sie sich mit ihnen vom rechten Wege und dieselben
kommen zum Verdruß der eifersüchtigen Mägdlein von Veyria
erst spät wieder. Im Tale von Salins im Walde von Andelot
bei Pont d'Heiy befindet sich eine Grotte ^^chambre de la
dame verte^' genannt Auf dem großen Wege unfern davon
läßt sich die grüne Dame oft genug sehen. Einst traf sie ein
fünfzigjähriger Mann aus Andelot, Cousin, der den Spitznamen
Badaud (Einfaltspinsel) führte, wie sie grade ihr Strumpfband
befestigte. Er bot ihr seine Dienste an; sie tat als nehme sie
sein Anerbieten an und schlug ihm einen kleinen Spatziergang
in den Schonungen und Wäldern vor. Da er hofi&iungsvoll und
eifrig darauf einging, nahm sie seinen Arm, drückte ihn fest
an sich und schleppte ihn dann atemlos durch Dorn
und Hecken, Brücher und Sümpfe, wobei sie sich an-
stellte, als merke sie nichts. Als der Unglückliche
endlich um Gnade bat, war sie so gefällig ihn über
beackertesLand, oder spitze Felsen laufen zulassen.
Er hätte ein Bündel auf dem Markte gekauften Flachses bei sich
„Laß uns deinen Flachs spinnen, sagte sie, Badaud, laß uns
deinen Flachs spinnen I^' Und dlenthalben wurde hier etwas
Flachs von' den Domen gekämmt, blieb dort etwas an den Baum-
ästen hängen. „Laß uns deinen Flachs spinnen!'^ wiederholte
sie und von seinem Bündel blieb auch kein Faden übrig. In
der Umgegend von Salins erscheint die grüne Frau oft den Ein-
wohnern von Aresches und Th^sy, auch sieht man sie am Quell
von Alon. Einem jungen Vorwitzigen Petit Poulot, der sie um
den schlanken Leib faßte, um mit ihr zu schäckem, gab sie eine
derbe Lection, die ihn für längere Zeit zum Gei^)6tte seiner
Bekannten machte. Die über die Combe-ä-la Dame unweit
Clement vom Jahrmarkt von St. Hippolyte zurückkehrenden Bursche
finden sich plötzlich im wilden Waldesdickicht umringt von einer
Schaar junger neckischer und niedlicher Damen (aussi espiegles
que jolies) ; an ihrer Spitze, die andern um eines Hauptes Länge
überragend die grüne Frau. Sie trieben mit den Burschen ihr
Dames yertea. 119
Spiel, allerlei Koboldstrfeiche , führten sie vom Wege ab and
brachen endlich in helles Gelächter auS; weloheg
als vielfaches Echo spöttisch wiederhallte. Zwischen
Nenfchatßl und Bömondan heißt ein Berg ;,la röche de la Dame
Verte^^ Da verbirgt sich die grüne Frau, wenn es
regnet, in engem Versteck hinter Bachen und einem
dichten Vorhang biegsamer Schlingpflanzen. Auch
auf einer Wiese . an den Ufern der Brahxe zwischen Seillieres und
Vers wird eine grüne Dame sichtbar , die sich auf Kosten der
jungen Leute in diesen Orten lustig zu machen liebt In den
sieben Quellen mmitten eines sehr einsamen Tales bei Greye
sieht man die grünen Frauen fröhlich ihre Wäsche waschen.
Am liebsten läßt sich die grüne Dame in Gebüschen am Bande
der Wiesen, am Abhänge gegen einen Weiher und am Ufer der
Quellen sehen und gerne stöfit sie den Gast, den sie an sich
gelockt hat, ins Wasser. Dr. Gaspard aus Gigny (D^p. du Jura)
weiA noch sehr wol aus seiner Jugend des folgenden Umstandes
sich zu erinnern. Wenn man in der weiten Prairie das Gras
mähte, so behaupteten die Arbeiterinnen, welche
das Heu streuten und umwendeten, fast regelmäBig
die „Dame verte'^ ganz in ihrer Nähe haben vorüber-
gehen zu sehen. Dies geschah zumal auf der sogenannten
Bosenwiese und in der Nähe der „Grotten'', wo sie und ihre
Gefährtinnen sich vereinigen sollen. Schwankten die KrmUer
und Halme (epis) im Winde, so sagte man^ die grimeDame amd
ihre Oefährtinnen seien da^ die mit ihren leichten Füjen da/rüber
hinwandelnd Blumen und Aehren niederbögen. Und bei aller
Tücke in ihrem Wesen leisten doch auch sie dem nahen Dorfe
gewissermaßen den Beistand eines guten Hansgeistes. Zu Mai-
siires im Tale von Loue (D^p. du Doubs) erschien die grüne Frau
am Vorabende eines das Dörfchen verheerenden Brandes durch
die Kornfelder und Baumgärten wandelnd; doch niemand
beachtete ihre stumme Mahnung.^ Vgl. o. S. 108 die rauhe Else,
die feminae agrestes silvaticae o. S. 113, und weiter unten die schwe-
dischen Skogsnuf^ar. Hinsichtiich der Wäsche vgl. S. 101. 112.
Am bemerkenswertesten jedoch ist der Umstand,
1) S.Monnier, Traditions populaires compar^es. Fans 1854. S. 228— 29.
255—260. 759 — 762.
130 Kapitel II. Die Wftldgeister und ihre Sippe:
daß dieselben Frauen, welche das Leben des Waldes
erfüllen, anch im Winde durch oder ttber die Gras-
halme der Wiese, die Kornhalme des Ackerfeldes
(and die Wipfel der Obstbäume) wandeln. Vgl. o. S. 77
die HolsdMulein. Die Promenade durch Dom und Hecken erinnert
sehr an die Stunnnatur anderer Waldgeister. Das Flachsspinnen
gleicht dem Gamspinnen der Holzfrau o. S. 76.
§. 16. Wildfrauen in Steiermark. Von der Abschwei-
fang ins romanische Ausland kehren wir auf deutschen Boden
zurtlck. In Steiermark hetzt eine ganze Genossen-
schaft von wilden Jägern (das wilde Gjaid) in einem
halb pflüg- halb schiffartigen Schlitten fahrend und von den
gleich Rossen vom Schmied beschlagenen Geistern böser Dienst-
mägde^ gezogen die Wildfrauen. Diese sind verwunschene
Menschen, welche von der Rückseite hohl, oder mul-
denartig gestaltet sein sollen. Sie wohnen in einem
bewaldeten Kogel (Bei^gipfel) und. waschen in kleinen Lachen
ihre Wäsche rein und weiß, die man sie zum Trocknen aufhängen
sieht ^ ' Das Verständniß dieser seltsamen Beschreibung der Wild-
frauen liefert vielleicht eine Schilderung der Frau Holle in hes-
sischen Hexenacten ; die an der Spitze des wilden Heeres daheiv
fahrende „Frau Holt were von vorn her wie ein fein
weibsmensch, aber binden her wie ein hohler Baum
von rohen Rinden'^' Sind die Wildfranen Waldgenien, so
liegt es doch wohl am nächsten, daran zu denken, daß (wie bei
der Mekisine das menschengestaltete Oberteil ihr geistiges Wesen,
der fischförmige Unterleib ihre Zugehörigkeit zum feuchten Ele-
mente ausspricht) der hohle Rücken, einem vom Alter morsch-
1) Mit diesen Dienstmägden vgl. die vom wilden Jäger gejagten soge-
nannten Pfaffenköchinnen (Bebelii facetiae Tübing. 1555 S. 11*; Caesarius
V. Heisterbach, Dialog XII, 20. cf. Wolf, Beiträge 11, 143. Myth. 1230) welche
nach andern Berichten des Teufels Pferde sein sollen (Zs. f. d. Myth. III,
314, 60. Wolf, Niederl. Sag. 690 Anm. 258) und daß der Teufel auf Hexen,
die zeitweilig in Roßgestalt verwandelt sind, durch die Luft -reitet und ihnen
Hände und Fftße mit Hufeisen beschlagen läßt. St5ber, Sag. d. Elsaß 281,
218. Baader, Bad. Sag. 275. 294. Tettau u. Temme, Preuß. Yolkss. 193,
198. Vemaleken, Alpens. 283, 203. MüUenhoff, Schleswig - Holst. Sag. 226,
309. 310. Wolf, D. M. S. 248, 141.
2) Zs. f. D. Myth. II, 32, 7.
3) Zs. f D. Myth. 1, 274. Vgl. Mannhardt, Germ. Myth. 258. 673. Anm. l*
St. Watpnrgis. 121
gewordenen Baume entlehnt , ihr Natarelement andeuten sollte.^
Wollte man jedoch dieser Deutung Haum geben, so mtUte erst
erwiesen sein , daß der hohle Bücken ein ursprüngliches Zubehör
der Wildfrauengestalt und nicht etwa ein aus der Beschreibung
anderer Geister hergenommenes Merkmal gewesen sei An die-
ser Stelle kommt es nur erst darauf an, dem Leser ein Material
über Waldgenien vorzuführen, welches ihn später befähigt über
die Natur derselben ein begründetes Urteil herauszubilden.
§. 16. 8t. Walpurgis. In den meisten dieser oberdeutschen
Ueberlieferungen tritt die Beziehung der gejagten Frauen
zur Korn- oder Heuernte, welche wir bei den HolzMulein
und den Seligen beobachteten (ob. S. 77) ganz zurück. In einer
niederöstereichischen Tradition aus der Gegend von Mank kommt
dieselbe wieder zum Vorschein. Die neun Tage* vor dem 1. Mai
heiBen Walpurgisnächte und auch andere Tage, besonders die
Emtetage, sind der h. Walpurga gewidmet In diesen Zeiten wird
die heilige Walpurga , ein weißes Weib mit feurigen Schuhen und
goldener Krone, in der Hand einen Spiegel und eine Spindel
tragend, von bösen Geistern auf weiften Bossen durch die tie-
fen Wiesen und Wälder unaufhörlich verfolgt. Vor ihnen
flüchtet sie sich gerne in die geöffiieten Fenster eines Bauerhau-
haus^ und verbirgt sich hinter dem Fensterkreuz. Einem Bauer,
der bei Nacht sein Getreide heimführte, begegnete die h. Wal-
l^nrga auf ihrer Flucht und b9,t ihn um Schutz. Er band sie
in eine Garbe ein, bis die wilden Verfolger vorübergetost
waren. Beim Ausdreschen ergab diese Garbe Goldkömer.^
1) Es vertr> sich mit dieser Dentnng (nach S 14) ganz wol, daß der
Alb einen Bücken hat, wie ein Teigtrog (Myth.^ OXLIV. Mannhardt, Genn.
Myth. 259) , und daß Caesarius v. Heisterbach einen koboldartigen Teufel
sagen läßt: »,wir nehmen menschliche Gestalt an, haben aber keinen Rücken"
(Caesarius III, 6^ s. Mannhardt a. a. 0. A. Kaufmann, Caesarius v. Heister-
bach 140). Schwieriger ist und nur durch Annahme einer unrichtigen üeber-
tragung damit der Umstand zu vereinigen, daß auch die (übrigens ebenfalls
im Walde umgehenden) feurigen M&nner in der Oberpfalz einen muldenför-
migen Kücken besitzen, aus dessen Höhlung das Feuer schlägt. Um Tiefen -
bacb sehen sie aus , wie zwei zusammengesetzte Metzgermulden , um Ebnat
wie eine Backmulde. Schönwerth II, 90. Oder hat die Volksphantasie bei
Verkörperung dieser verdammten Grenzmark verrücker sich au die phospho-
reszierenden hohlen Baumstämme des Waldes angelehnt?
2) Vemaleken , Alpensagen S. 109 ff. Vgl. Grohmann , Sagen aus Böh-
men 8. 44 ff. offenbar ans derselben Quelle!
122 Kapitel ü. Die Waldgeister nnd ihre Sippe:
Bochbolz (drei Gaagöttiimen , Leipzig 1870) hat . vergeblich ver-
sucht nachzuweisen, daß Walpurgis eine altgennanische Göttin
war, ans deren Sagenkreis u. a. die vorstehende UeberMeierung
als Best geblieben. Aus Tatsachen, die wir im Laufe unserer
Darlegung mitzuteilen , auch fUr die Erklärung der vorliegenden
Sage nutzbar zu machen gedenken, wird vielmehr hervorgehen,
daB der Name Walpurga nur von dem Kalendernamen der Zeit
hergenommen ist, in welche der Volksglaube die Jagd auf das
geisterhafte mit den Holzfräulein, Seligen u. s. w. im übrigen
identische Weib verlegte,
§. 17. Weiße Weiber 9 Ellepiger, Heerfraaen. Im nord-
deutschen Flachland und Dänemark, soviel ich weiß auch in
England, treten die Waldgenien als solche sehr zurtlck. Zwar
fehlt es nicht an- Seitenstiicken zu vielen der von den Holzleuten
und wilden Leuten erzählten Sagen, aber in diesen werden an
Stelle jener Wesen die sogenannten Unterirdischen, oder weißen
Weiber oder Meerfrauen (Haffruer) handelnd oder leidend ange-
führt, oder es ist ein einzelnes weißes Weib (Frau, Jungfrau,
Wetterhexe, Haffru, Ellepige) der Gregenstand der Verfolgung
von Seiten des wilden Jägers (Wode, Frau Wauer, in Däne-
mark Un, d. i. Zusammenziehung aus Oden, Grönjette, Kong
Valdemar) und es wird wol hinzugesetzt , daß es seine Buhle ^
sei, die er sieben Jahre lang verfolgt habe und wenn er sie
heute nicht erreiche, so sei sie erlöst.* Dabei kehren mehrere
1) S. Kuhn, Nordd. Sagen 131, 151. Ebenso jagt in der romanischen
Sage der wilde Jäger seine Geliebte (Myth.* 895) und bei Caesarins der
infemalis venator die Concubina sacerdotis. Wolf, Beiträge z. D. Mytb.
II, 143.
2) Ebd. 145, Tgl. die Sage vom Grönjette aaf Möen. Grimm, Mytb.'
8%. Die Jagd auf ein einzelnes Weib ist auch in der englischen Sage zu
Hause. Zu Dartmoor in Devonshire jagt ein wilder Jäger (wild huntsman)
Kacht für Nacht mit schwarzen Doggen, welche Wushhounds heifien. Ein
altes Weib nahm einat ein weißes Kaninchen schützend in ihren Korb auf,
das sie mit menschlicher Stimme um Hilfe bat. Bald darauf kommt der
wilde Jäger mit seinen feuerspeienden Hunden und fragt nach dem weißen
Kanin. Als die wilde Jagd vorbeigebraust ist, entsteigt dem Korbe eine
weiße Jungfrau. (Mitgeteilt von Mr. S. Baring-Gould). Auch in Nort-
hamptonshire in den Wäldern von WhiÜebury und Bockingham jagt der
wild man mit seinen wildhounds ewig eine Jungfrau, seine Geliebte,
um deren willen er sich den Tod gab. Täglich tödtet er sie und täglich
WeiBe Weiber, Ellepiger, Meerfraaen. 123
uns bereitB bekannte characteristifiehe Züge wieder. Die gejag-
-ten Wesen haben lange fliegende (einmal wird aaeh
gesagt gelbe) Haare.^ Der Wilde hängt sie, wenn er sie
erlegt y mit denselben zusammengeknüpft quer über sein fioß.
Aach die Brüste des verfolgten Weibes werden als lang und groß
heryorgehoben , wovon sie auch Slatte Langpatte heißt.*
Als characteristisGheZügey die vielleicht von Bedeutung sind^
dürfen vielleicht noch die folgenden hervorgehoben werden. Die
verfolgte Frau muß wie auch der wilde Jäger einen Kreuz-
weg passieren, der ihre Fahrt unterbricht; im Laufe auf der
Flacht wird sie kleiner und kleiner^ bis sie zuletzt
nur auf den Knien läuft.'
Was auch ünmer die Bedeutung der Sage von der Jagd
des wilden Jägers auf die einzelne Frau, oder eine Schaar eibi-
scher Wesen sei [beide Formen der Tradition sind im Grunde
nicht verschieden ^] , jedenfalls ist die Verwandlung der Verfolg-
lebt sie auf, um aufs neue sein. Jagdobject zu werden. Sternberg, the dia-
lect and folklore of Northamptonshire 1851, p. 143.
1) MüUenhoff, Schleswig -Holst. Sagen 373, 500. Der Wode jagt In
Lanenburg die Unnererdschen mit den gelben Haaren. Die Mecklenburgische
Sage bei Schwartz, Volksglaube, Aufl. 2. S. 43 bestätigt, daß der wilde
J&ger zwei kleine Männchen mit den Haaren zusammengebun-
den quer Aber dem Pferde liegen hatte. Bei Snckowin Mecklen-
burg hat Frau Wauer zwei weiße Weiber mit den Haaren zusammen-
geknüpft. Niederhöffer, Mecklenburgs Yolkssagen III, 190 ff. Auch die Wet-
terhexe , welche der Jäger Jenn verfolgt , hat fliegende Haare (Nicder-
höffer in, 92 ff.). Und schon in der ältesten Aufzeichnung unserer Sage bei
Caesarius t. Heisterbach werden die Haare hervorgehoben s. J. W. Wolf,
Beitr. U, 143.
2) Der wilde Jäger Un hat die Meerfrauen mit den Brüsten zu-
sammengebunden und über sein Boß geworfen. Sv. Grundtvig,
Gramle Danske Minder i Folkcmunde UI, 58. Eong Vallemand jagt eine Frau
mit langen Brüsten und Brustwarzen, die ihr über den Leib
niederh&ngen (ebd. 60, 6). Bei Ringsted hat das Weib ein Paar
Brüste, welche auf der Erde schleppen. Der Verfolger fragt einen
Mann , ob er die Frau mit den schlaffen langen Brüsten (Slatte Langpatte)
nieht gesehen habe (ebd. 61 , 9 ff.) Auch in Fünen jagt der Palnajäger die
liangpatte. Thiele, Danmarks Folkes. II, 121, 1
3) Kuhn , Nordd. Sag. 99 , 115.
4) Bald ist es eine Concubina, bald eine ganze Schaar Pfaffenköchin-
nen, bald ist ein weißes Weib, bald sind mehrere die Jagdbeute des gespen-
stigen YeErfolgers. J. W. Wolf a. a. 0. 143. 144. Niederhöffer, Mecklenb.
124 Kapitel U. Die Waldgeuter und ihre Sippe:
ten in Meerfrauen ein durch die geographische Lage der dSni-
sehen Insehi veranlaßtes Misverstäa^iu^ ^u^d ebenso scheinen
unter den Unner^rdschen ond weißen Weibern (witte wtwer)
hier Dämonen gedacht zu sein, welche Yor andern
Geistern gleiches Namens durch noch deutlich
erkennbare Beziehungen zur Pflanzenwelt sich her-
vortun. Sie wohnen zwar meistens auf freiem Felde unter
Büschen oder in der Erde, oder in kleinen Erdhligehi (dem
flachländischen Gegenstück der Tiroler Bei^höhlen) und wären
danach wol als' Feldgeister zu bezeichnen, aber zuweilen
hausen sie auch in Waldlichtungen, oder unter den Wur-
zeln alter Bäume. Und wenn man, was doch wol sehr
wahrscheinlich ist, die witte Wtwer in Mecklenburg yon den witte
Wtwer auf dem benachbarten Rügen nicht trennen darf, so bie-
tet die folgende Sage einen directen Belag dafttr, dsS sie teil-
weise mit den Baumseelen zusammen fallen. Bei Mönchgut
stand eine Eiche. Als die Witten Wtwer von dort
vertrieben wurden, vertrocknete die Eiche und sie
sagten, wenn die Eiche wieder ausschlüge, würden
auch sie wieder kommen. Zeitschr. f. d. Myth. 11, 145.
Da es femer nicht ungewöhnlich ist, das Laub der Bäume als
Haar aufzufassen (ob. S. 76), so liegt es nahe mit Müllenhoff
(a. a. 0. und Vorr. XLVI; XLVU) die langen (gelben) Haare
der vetfolgten Wesen auf ein characteristisches Zubehör von Moos-
leuten oder Waldfrauen , mit andern Worten auf das gelb gewor-
dene durch den Sturmriesen im Herbste von den Bäumen gejagte
Blättergrün zu deuten. Hierauf würde auch der Name des Ver-
folgers hinweisen, wenn man den Grönjätte auf Möen als Rie-
sen d. h. entweder den riesigen Dämon oder den Vemichter,
Veffolger des Grüns fassen dürfte.^ Das einzelne gejagte Weib
Yolkss. a. a. 0. Ueber die verechiedenen Formen dieser Sagen and ilffe älte-
sten Anfzeichnnngen beim Helinand nnd Vincentios yon Beanvais, denen
Boccaccio, Hans Sachs und Panli mit ihren Bearbeitongen folgten vgl. W.
Menzel , Odin Stattg. 1855. S. 212 — 214.
1) Vgl. altnord. jötunn van dar gigas arborum i. e. yentos. Nach
J. £. Bietz, ordbog öfycr Syenska allmogespräket. Land 1866 p. 214 ist
in Schonen grön 2 fem =-- grönska , die Grfine. Vgl. das oberdentsche Femin.
grüene, grfine Farbe, Lexer 125. Doch fragt es sich, ob nicht der Name
(}rönjette localen Bezog hat; d. h. yon dem Walde GrönysBld hergenommen
ist, in welchem er jagen soll (Thiele, Danmarks Folkesagn 184B II, 119).
Weiße Weiber, RUepiger, Meerfraiieii. 125
wäre dann wol als eine Persanifieation der ganzen VegetoHofi
zu verstehen, deren üppige Nahrungskraft und Zeu-
gung sf Uli e durch die ungeheure (von der jtingeren Volkssage
Bchliefilich ins Unschöne übertriebene), Entwickelung ihrer Brüste
angedeutet wird. Im Herbste wird sie von Tag zu Tage kleiner
und kleiner. Sie war des sommerlichen Gottes Buhle ; jetzt ent- *
zieht sie sich ihm, vor ihm fliehend, während der sieben Win-
termonate (der 7 Jahre der Sage); als Kreuzweg muß die
Jahreswende (Mittwmter, Wintersolstiz resp. Neujahr) überschrit-
ten werden.^ Wir kommen auf diese Deutung weiterhin noch
einmal zurück.
Zuweilen wird die vom wilden Jäger in Dänemark gejagte
Frau gradezu als EUepige (Elfenmaid) oder Ellefru bezeich-
net.^ Die Elfen (EUeiblket) wohnen im Erlenbruch, der Mann
erscheint als alter Kerl mit breitem Hut; bläst er Menschen an
oder gerät ein Tier auf die Stelle, wo er mit den Seinigen
weilte , so fallen sie in Siechtum. Die Weiber tanzen bei Mond-
schein ihren Reigen im grünen Grase, von vorne jung und
verführerisch schön, sind sie hinten hohl wie ein
Backtrog.^ Der letztere Zug kehrt aber auch in dänischen
Sagen wieder, welche Waldfrauen in einer ganz ähnlidien Weise
schildem, wie die weiterhin zu besprechenden schwedischen
SkogSBufvar. Eines Tages ging ein Kind mit seiner Mutter zu
Walde, da sah es ein großes Weib, das rauchte Taback.
Was ist das für eine? fragte der Junge. Laß du sie nur gehen,
sagte die Mutter; da wandte sich das Weib und zeigte einen
hohlen Rücken.^ Wol nur irrtümlich ist in der folgenden
Sage, die sonst genau den Skogsnufvarsagen entspricht, am
Schlüsse auch ein männlicher Elf eingeführt. Auf der Insel Möen
ging Maigarete Per Mikaeis als kleines Mädchen einmal durch
den Buchenwald bei Stevns, da begegnete ihr ein großes
Weib mit schwarzer Haube und langen Fingern, die wurde
größer und größer. Maigarete lief vor ihr, spürte aber bald
1) Vgl. die im wesentlichsten Übereinstimmende Erklärung A. Kuhns,
Nordd. Sag. S. 481 , Anm. 115.
2) S. Gmndtvig, G. D. Minder i Folkem. I, 11. 12. III, 62.
3) Thiele, Danmarks Folkesagn U, 176.
4) Onmdtvig, G. D. M. i F. I, 188, 220.
t26 Kapitel II. Die Waldgeiflter und ihre Sippe:
ihre langen Finger auf der Schalter, das Laub wirbelte in
den Baamwipfeln, nnd das Eind fiel am and blieb liegen,
bis das anheimliche Wesen sich bei Sonnenantergang in eine
schwarze Knh verwandelte. Margarete war von da an drei
Jahre verstörten Geistes. Einst als die Kirschbäume bltthten,
' pflückte Margaret aUe Blüten ab und lag dann 9 Tage zu Bette,
in der neunten Nacht erschien ein Männchen, das war ein Eis
und wollte das Kind mit sich fortnehmen; da sie aber fest schlief
vermochte er ihr nichts anzuhaben. Ein Eis ist ein Wesen mit
hohlem Bücken, das hat Macht über solche, bei deren Taufe
es nicht ganz richtig zugegangen.^ Margaret blieb immer ver-
stört; im Walde empfand sie stets einen unwiderstehlichen Zug
zu der Stelle, wo jenes Weib ihr begegnet war.*
§. 18. Die schwedischen Waldgeister. Wie die dänische
Inselnatur der überlieferten Sage durch Verwandlung der gejag-
ten Frau in eine Meerfrau ihren Stempel aufdrückte , so auch die
starre Gebirgsformation Skandinaviens. Um die Waldgeister
Schwedens wahrhaft zu verstehen, muß man nach eigener Er-
fahrung den Eindruck sich zum Bewußtsein gebracht haben, den
die unermeßliche Wildniß des schwedischen Urwaldes auf Gemüt
und Phantasie ausübt; man muß den dunkeln, ofi; grausigen Skog
kennen, dieses nieilenweit ununterbrochene chaotische Gemisch
von L^ub- und Nadelholz (meist Fichten, Kiefern, Birken und
Erlen) von Felstrümmem und umgestürzten Baumstämmen und
einem Stein und Stock pilzartig überwuchernden Teppich von
Moos und niederem Fflanzengestrüpp. Da hat man nach wenigen
Minuten P&d und Richtung verloren. Hie und da leitet dich
wol ein vom weidenden Vieh getretoner Gang, immer aber in
die Irre; du brichst durch den Pflanzenpek, der die Untiefen
überzieht, zerreißest deine Kleider, deine Haut an Gestrüpp und
Felskanten und verzichtest auf jedes weitere Vordringen.* Wie
1) Man könnte fast anf den Einfall kommen, daß Rahe -Else (ob.
S. 106) kein Eigenname , sondern ein Appellatiram sei.
2) Grundtvig a. a. 0. I, 181, 217.
3) L. Passarge, Schweden, Lpz. 1867. S. 32. Die Grundlage der nach-
stehenden Schilderung des schwedischen Waldweibes gewährte Hylten-Ca-
vallins, V&rend 1, S. 277— -281. Ich verweise darauf ein für allemal und
föhre nur die außerdem von mir benutzten meist hdschr. Quellen in den fol-
genden Anmerkungen an ihrer Stelle auf.
Die sohwediachen Waldgeister. 127
in Deutschland sind in Schweden männliche nnd weibliche Wald*
geister bekannt Der Mann heißt in Schonen Skonman^
Skongman (Waldmann). Er sieht ans wie ein Mann,
stiert man ihn aber an, so wird er so hoch als der
höchste Baumstamm.^ Fr flihrt die Menschen im Walde in
die Irre und wenn sie vor Furcht weinen, lacht er: Ha ha ha!'
Wenn der Berguhu im Walde sich hören läßt, sagt man, der
Skoogman sei draußen und schreie.' Im übrigen ist er sehr
sinnlich und strebt gerne nach Verbindung mit
christlichen Frauen. In SmUand heißt der Skogman Hulte,
er fährt in Sturm und Unwetter daher und kann
jeden Baum niederwerfen. Die Skogsnufva, Skogs-
fru aber ist das Weib des Skogman oder des Hulte. Die
Skogsnufva^ wird zur Familie der Trolle gerechnet, welche
1) Fdr- diesen Zng Iftfit sich ans l>entscfaUind ein älteres Analogen bei-
bringen. Caesar. Heisterbac., Dial. mirac. D. Y, c. &5 erzahlt ans dem An*
fange des 13. Jahrb.: Der Pfarrer von Rode bei E5ln ging um Pfingsten
durch den Wald. Da faßte ihn plötzlich eine nie empfundene Angst. Er
erblickte einen langen Mann von Überaas häßlichem Aussehen,
der an einen der B&ume gelehnt war. Je länger der Pfarrer den
Mann ansah, desto riesiger wuchs dessen Gestalt empor, bis
sie die höchsten. B&ume überragte. Zugleich erhob sich ein
schrecklicher Wirbelwind und dieser verfolgte den Pfarrer, so schnell
er auch Kode zulief, bis in sein Dorf. (Vgl. Wolf, D. Sag. 203, 91 und
oben S. 41. 87.).
2) Diese Form des Waldgeistes entspricht am nächsten den Sagen vom
Hoimann, oder Hüamann in der Oberpfalz (Schönwerth II , 342—350), vom
HSmann czech. Hejkadlo in Böhmen. Grohmann , Abergl. a. Böhmen 15, 69.
Ders. , Sagen a. Böhmen S. 118 — 19). Vgl. die Hojemannlen im Lechrain
(Leoprechting, aus dem Lechrain S. 32), das Homännchen und Hemann-
chen „in den Büschen" bei Lembeck und Tungerloh, das Heitmännchen
bei Sundwig, den RöpenkM bei Iburg. Kuhn, Westf. Sag. I, S. 111 — 112,
118—119. 146-148, 150—151. U, 27, 72.
8) So heißt die Eule am Lechrain „Holzweibl" und gilt als der
Waldgeist, der jetzt grade die Gestalt dieses Vogels angenommen. Leop«
rechting a. a. 0. 82. Altdeutsche Glossen ergeben wildiu wlp «i ululae,
lamiae, holzmuoja, holzrüna, holzfrowe » lamia, ulula Grimm,
Myth.« 403. 404. Vgl. Müllenhoff, zur Runenlehre 50.
4) Der Name Skogsnufva wird verschieden gedeutet, von Grimm, Myth.*
455 anhelana, von Hylt^n - Cavallius als die „Schnaubende," weil sie
Tag und Nacht „snufvnr"; in der Zeitschr. Buna 1844. S. 44 vom schoni-
Bchen Verbum snua die Einsamkeit suchen.
128 Kapitel IL Die^Waldgeitter und ihre Sippe:
80 ziemlich ungern Unnererdschen entsprechen, dieselben sind zu-
meist klein von Wuchs, gebieten über Wald und Wild, See und
Fische , Wetter und Wind , * yertauschen Kinder mit ihren Wech-
selbälgen; zu ihnen zählen in Schonen auch| die ob. S. 61 erwähn-
ten Pysslingar. Wohnen sie in Berghöhlen, so heißen sie Bei^-
troll. Im Wirbelwinde fahren sie einher und da ein solcher
im Sommer häufig entsteht, bevor ein Gewitter losbricht, heiM:
es, daB der Donner (Gofar) di.e Trolle verfolge.' An die
Stella des Gattungsnamens Troll tritt zuweilen Rä (Neutr.)
Plur. Bade und die Skogsnufva heißt Skogsrä, wie es ebenfalls
ein Sjörä (Seerä) giebt. Die Skogsnufva ist ein bösgesinntes,
leichtfertiges und unheilvolles Wesen. Sie nimmt das Aussehen
aller Tiere, Bäume und anderer Naturdinge an, wdche im
Walde vorkommen. Ihre wahre Gestalt ist diejenige eines in
Tierfelle gekleideten alten Weibes mit fliegendem
Haar und langen Brüsten, die über die Achseln
geschlängt sind. Im Rücken trägt sie einen langen
Kuhschwanz, oder sie ist hohl, wie ein alter fauler
Baumstock oder ein zu Boden geworfener Stamm,
oder Backtrog. Dem Jäger zeigt sie sich gerne als eine
schöne und verführerische Jungfrau , aber tmr vcm vorne ; auf der
Hinterseite kann sie nach den meisten Sagen ihre Ungestalt
1) Die Wirbelwinde entstehen vorzüglich im Sommer kurz vor
einem Gewitter und im Frühlinge zur Zeit der Aussaat. Im ersteren
Fall sagt man in Smäland: Sieh! der Troll eilt nach Hause, gleich kommt
der Donner gefahren (se sa troUen f& brädt om att fara hem; nn börjar
snart Gofar köra); in letzterem Falle „der Troll ist draußen Saat zu
stehlen.'' Man glaubt nämlich, daß das Trollweib vor dem S&mann her-
geht und die Saat in ihrem Kleide auffangt. Nun ist wol sicher verständ-
lich, was der gotländische Volksglaube meint, wenn er von einem Don-
nersmädchen Thors pjäska spricht. Sie ist eine Jungfrau von etwa 20 Jah-
ren, kommt beim Gewitter in die Hauser und bittet um Aufnahme. Von
Tome ist sie schön, 'von hinten wie ein Backtrog hohl. Nimmt
man sie ins Haus auf, so schlägt der Blitz ein. Um dies zu verhin-
dern macht man in alle Fenster Kreuze. (Durch Prof. Säve in TJp-
sala.) Die Thors pjäska ist Personification des vor dem Gewitter entstehen-
dep Wirbelwindes. Pjäske pl. pjäsker (vgl. engl, pixy a fairy) ist ein klei-
ner Troll (sm&troU); Hempjäske sind Hausgeister; der gute Nissen ist ein
Hempjäske. 8. 44. P. Möller ^ Ordbog öfver Halländske landskaponSlet.
Lund 1858 s. v. — Man vgl. die mitgeteilten Züge der Sage v.on St. Wal-
purgisob. S. 1.21
Die schwedischen Waldgeister. 129
nicht verbergen. Schützen pnd andere, welche ihre Wege im
Urwald haben , hören oft die Skogsnufv^a trällern, lachen, wis-
pern und flüstern in Busch und Dickicht, denn sie kann jede
Art Laut annehmen. Spricht sie aber, so geschieht es stäts mifc
heiserer Stimme. Ihre Erscheinung kündigt sie, im vor-
aus mit einem scharfen eigentümlichen Wirbelwinde
an, der die Baumstämme bis zum Zusammenbrechen
schüttelt. Hört man — wie es zuweilen geschieht — am ein-
samen Waldbach einen klatschenden oder schnalzenden Laut,
so sagt das Volk: „da wäscht die Waldfrau" und werden
im Frühlinge schneeweiße Flecken und Stellen tief hinten im
dnnkehi Walde sichtbar, so „ist das die Skogsnufva, welche
ihre Kleider ausbreitet" (vgl. die Wildfrauen in Tirol
S. 101. 112). Wer sich aber tiefer hineinbegiebt in den wilden
Wald mag sich wol vorsehen, denn die Skogsnuftra sucht auf
jede Weise Macht über ihn zu erhalten.
Oft hört man sich laut bei Namen rufen , dann antworte man
bei Leibe nicht „ja", sondern „he!" denn die Waldfrau rief
und mit der Antwort „ja " giebt man sich in ihre Gewalt. Dann
lacht sie laut auf, so daß es im ganzen Walde wiederhallt.
Wer so in ihrer Macht ist, den macht sie irre (förvillar) auf
mehr als eine Weise. Er findet nicht wieder aus dem Walde
heraus , sondern geht und geht und kommt immer wieder auf die
nämliche Stelle. Zuletzt ist er so sinnverwirrt, daß er nicht mehr
sein eigen Haus erkennt. Oder der eine Stunde lang vom rech-
ten Wege ab die Kreuz und Quer durch Hag und -Dom Genarrte
glaubt endlich in tiefem Morast zu waten und schürzt die Kleider
auf. Da hört er plötzlich das Lachen der Skogsnufva im Walde
wiederhallen und sieht sich auf trocknem Boden. ^ Das einzige
Gegenmittel ist, Wamms, Mütze oder Strümpfe umkehren, oder
das Vaterunser rückwärts beten. Milzsüchtige melancholische
Menschen, welche die Einsamkeit suchen, stehen in dem Bufe,
daA die Skogsnufva sie locke, oder Macht über sie bekommen
habe. (Vgl. die Saligen o. S. 101 ff.) Von dieser Verzauberung
kann man nur frei werden, wenn man nach der Anordnung eines
„klugen Mannes" dreimal durch einen Eichenkloben
kriecht, der mit Holzkeilen' und Hokaxt ohne Eisen gespalten
1) Nicolovins, Folkelifvet i Skyttshärad i Skäne S. 101.
Mannhardt. 9
4
130 Kapitel II. Die Waldgeister und ihre Sippe:
ist. Bei Menschengedenken ist noch ein Bursche im Ljuder-
socken, der davon ^^Skogsnisse^' genannt wurde, von der Skog>
snuf^a verwirrt und durch den beschriebenen Act von ihr befreit
worden, der (nach S. 32) die Identification mit einem Baume
bedeutet. Im mittleren Oesterbotten erzählt man , zuweilen werde
das im Walde weidende Vieh, oder werden Menschen in einem
fttr sterbliche Augen unsichtbaren, aber in der Tat dichten und
undurchdringlichen Flor oder Netze gefangen, welches sie wie
ein Dach umhüllt, so daß sie sich — so lange sie unter des
SkogsrS. Einfluß stehen — weder rühren, noch um Hilfe rufen
können. Doch der Eirchenglocken Klang bricht den Zauber
augenblicklich^ und deshalb kann dieser nie länger als eine
Woche währen. Wem dies begegnet, der heißt „skogtagen,
walderfaßt^^ Oft stößt er morgens aufwachend sofort auf das
ersehnte Ziel und sieht, daß es ihm zur SMte lag. Zuweilen
offenbart sich ihm das Skogsrä leibhaftig als altes Weib, großer
Vogel, oder als polternder Greis mit starkem Barte. Man erzählt
manche factische Beispiele von Skogtagning, meistens auf Kühe
und Kinder, zuweilen auch auf ältere Personen bezüglich. Das
Volk pflegt sich dabei allgemein auszudrücken „skoje halder
d. h. der Wald hält fest", wird aber gefragt, ob es der
Wald selbst sei^ der festhalte, so erhält man zur
Antwort „Nein die Skogsrä" („nej skogsräde").* Nur die
Jäger suchen' und gewinnen zuweilen des Waldweibes Freund-
schaft, denn sie ist es, die allem Wilde im weiten Skog gebietet
und wer mit ihr gut steht, kann schießen, so viel er will. Alte
Schützen pflegen deshalb eine Kupfermünze (Slant, Sechsstüber)
oder etwas Speise ftir die Skogsnuf?a (das Skogsrä) auf einen
Baumstubben oder einen Stein als Opfer niederzulegen.
Oder man geht Ostermorgens um Sonnenaufgang auf so viele
1) Vgl. Einem Bauer erscheint am Sonntagsmorgen ein SkogsrS in Ge-
stalt eines schönen Weibes und fragt ihn: ,, hörtest du da des Priesters
Kuhglocken?'^ Als der Bauer das nicht versteht, und „nein" antwortet,
wird jnst das Sonntagsgel&nt hörbar. Da ruft sie zornig: ,»80 hörst du sie
jetzt*' und verschwindet mit Gelächter, nicht ohne ihren hohlen Bücken
and langenSchwanz blicken zu lassen. (Djnrklon Anteckningar.) Aach
die dentsohen Zwerge hassen das Glockengel&ut.
2) S. A. Böhm, Nägra Ord om den Svenska allmogens i meddlerste
Osterbotten öfvertro etc Hs des Riksantiqnarinms in Stockholm.
Die schwediscben Waldgeister. 131
Gnmdstttcke; als man beschicken kann, bricht auf jedem
einen kleinen Baum ab und sagt: Ich opfre dieses fllr mich;
damit ich das Jahr hindurch Glück und Frieden bei der Jagd
babe.^ (Vgl. unten das Zaubermittel den russischen Waldgeist
herbeizurufen.) Geht man drei Donnerstage hintereinander nüch-
tern auf die Jagd, so trifft man wol die Skogsfm selbst und
erhält von ihr das Recht so viel zu treffen , als man Lust hat;
beim Fortgehen dart* man sich aber nicht nach ihr umsehen.^
Dem Schützen ; den sie gern hat, führt sie zuweilen selber das
Wildpret in den Weg. Dem Förster (Skogvaktare) Vestholm in
Fryktdelsherad in Värmeland begegnete einst die Skogsiru wie
sie einen großen Elennochsen (elgoxe) am Hörne führte. Sie
rief „schieß! schieß! (skjut, skjut!)" doch er wagte es nicht*
Wem aber das Waldweib nicht hold ist , den narrt sie in Gestalt
eines Rehbocks oder er jagt bei aller Mühe vergeblich. Ein
Skogsrä untersuchte, da sie schliefen, die Büchsen zweier Jäger,
die ihr Nachtquartier ün Walde genommen hatten. Das eine
Gewehr lobte sie, „gut! gut! gut (bra, bra, bra)." Der Eigen-
tümer schoß am nächsten Tage viele Auerhä^ne. Das andere
tadelte sie: „fi! fi! fi!^^ Derjenige, dem es angehörte, machte
nur Fehlschüsse.^ E. M. Arndt erfuhr von einem seiner Führer,
er sei einmal mit sieben andern aufs Tjäderspiel (Auerhahnjagd)
ausgewesen. Als sie nun da saßen und auf den Vogel lauerten,
fuhr ein Skogsrä aus einem Battme in hellstem Glänze
an ihnen vorbei. Sie sahen so viele Auerhähne, wie noch nie,
aber sie schössen an jedem vorbei, und fingen nicht einen. "Ein
andermal fuhr das Rä mit Sausen aus der Luft herab, mit
gewaltigen breiten Sprüngen auf ihn zu und beschttt-
1) F. L. Bääf bandschr. Sammlnng von Zauberfonneln (Syenska skrak
ok signerier antecknade i Bokstafordning) im Biksantiquarinni zu Stockbolm
7 Bde. 8. V. Vgl. Ihre (Moman) de superstitionibiifi bodiernis e gentilisino
residiiis Upsal. 1750 p. 28: Nee miniis nsitatnm est pecnnias et escalenta
dicare Kympbis [skogsrä] et najadibna [sjörij, nnde piscatores et sagittarii
maximam sibi poUicentor lücnim. Existimant anteiii qnosdant lacns et sylvas
adeo nsqne in eonun geniomm ditione esse, nt nisi boniin favorem sibi con-
eilient, firastranens fatoms sit eormn labor.
2) Bafif a. a. 0.
8) Borgstrimi; Besaber&ttelser nr V&rmeland 1845. Hdscbr. des Riks-»
antiqnariams.
4) Anfzeicbnüng des Baron G. Djurklou ans Nerike.
183 Kapitel ü. Die Waldgeister und ihre Sippe:
tete ihn mit Regen aus einer wirbelnden Wolke, wäh-
rend es sonst allenthalben still und heiter war. Vierzehn
Tage blieb sein Schießen behext, bis er endlich so glücklich
war ein Skogsrä sausend vorbeifahren zu hören und sein Messer
darüber zu werfen; so wurde sein Bann gelöst.^ Einzelne Tiere,
Hirsche, Rehe, Hasen und Auerhühner eignet sich die Skogsfru
ausschließlich zu; sie heißen Freitiere (Pridjur vgl. ob. S. 39 die
Friträd) und niemand kann sie schießen, es sei denn mit einer
besonders bereiteten Ladung. Zielt jemand auf solch ein dem
Skogsrä zugeeignetes Tier, so kommt es ihm nachher immer vors
Gewehr, er kann hundertmal danach schießen und trifft es nie.
Gelingt ihm aber auch auf die angegebene Weise der Schuß, so
verdirbt jedenfalls seine Büchse und ist verhext und unbrauch-
bar. (Vgl. die Gemsen der Seligen ob. S. 100). Nur selten ist
die Begegnung des Waldweibes mit Menschen ganz harmlos.
Kersten Klemens Tochter aus Nykalvatten im Fryktdelshärad
(Värmeland) traf zweimal die Skogsjungfru im Walde. Sie trug
einen blauen Rock, der bfc auf die Knie reichte, ein weißes
Kopflnch und rauhe Hemdsärmel mit schönen Säumen an der
Hand. Sie sah so freundlich aus, daß Kersten sich ärgerte
sie nicht angeredet zu haben und sich dies flir das drittemal
vornahm.
Dem Köhler, der Nachts einsam bei dem schwelenden Mei-
ler wacht, oder dem Jäger, der sich um Mittemacht an einem
Waldfeuer ausruht, naht sich die Skogsfru gerne in liebreizen-
dem Körper und sucht ihn zur Zärtlichkeit zu verlocken. Läßt
er sich von ihr betören, so sehnt er sich fortan Nacht und Tag
danach ihr im Walde zu begegnen und kommt schließlich ganz
1) So macht man den Neck unschädlich durch etwas Metallisches, das
man ins Wasser wirft; Arndt, Beise in Schweden ni, 17. Püttmann, Nord.
Elfenm&rchen 150. Ein Messer in den Wirbel hineinzuwerfen ist in Deutsch-
land ein Mittel, um den in der Windsbraut einherfahrenden Dämon zu
verwunden. Schdnwerth, a. d. Oberpfalz ü, 113. Vgl. Mannhardt, Götter-
welt S. 99. Vgl. die merkwürdige Uebereinstimmung , daB nach dem Glau-*
ben des ägyptischen Fellah auch die Dschinnen großen Respect vor dem
Eisen haben. Sieht er einen Wirbelwind oder eine Sandhose auf sich
zu kommen, so ruft er dem darin sitzenden Geiste zu: „Ohadid ya
maschun. Eisen, o Unseliger!" und glaubt sich gesichert. Grenzboten
1863. S. 127.
Die schwediflchen Waldgeistor. 133
von Sinnen. ^ Oder das tückische Waldweib schreit laut auf und
ruft ihren unholden Gatten, der herbei stürzt und den Liebhaber
zu Boden schlägt^ Dabei ist sie freilich nicht immer im Unrecht
Einen Herbstabend kam ein Skogsrä zu einem Kohlenmeiler und
wärmte sich. Dem rohen Köhler fiel es ein, ihr einen Feuer-
brand in die Kleider zu stecken, worauf sie einen Jammerschrei
ausstieß und ihren Mann rief, so daß der ganze Wald
erbebte und die Baumwipfel über ihr sich zusam-
menbogen. Erschreckt eilte der Köhler heim und konnte
andern Tages kaum den Platz, da sein Meiler stand, finden.'
Wem fiele nicht auf, daß diese Geschichte natürlich mit ver-
änderter Scenerie genau der Erzählung von dem in eine Baum-
spalte eingeklemmten Wildweibe in Tirol (ob. S. 95) entspricht?
In ähnlicher Weise endet die Erzählung auch des Jägers von
seinem Abenteuer fast in allen FäUen. Grade als sie vor dem
Feuer hochmütig dastand und ihre schöne Gestalt zeigte, — so
erzählt er wol — nahm ich einen Brand aus der Flamme und
schlug ihr damit auf die Hand, indem ich ihr zurief: „Fahre hin
in den Wald, du böser Geist!'' Da ftihr sie mit einem lauten
Wimmern dahin und ein furchtbares Unwetter ent-
stand, so daß die Bäume sich mit den Wurzeln aus
der Erde zu heben schienen, und als sie uns den
Bücken zuwendete, war sie anzuschauen, wie ein
hohler Baum, oder wie ein Backtrog.^ E. M. Arndt hörte
von seinem schon erwähnten Führer, als derselbe /einmal auf der
Auerhuhqjagd sich ein Feuer anzündete und aß, trat eine Jung-
frau zu ihm in großem Schmuck, grüßte ihn freundlich, winkte
und lockte. Sie war klein von Wuchs, hatte blonde Locken,
aber — o weh! — Klauen statt der Nägel. Er fragte, ob sie
mit ihm essen, oder am Feuer sich wärmen wollte; sie nickte
freundlich. Da nahm er behutsam das Ende seiner Axt, legte
1) Hylten-Cavalliüs a. a. 0. 14—17. Vgl. ob. S. 108 die ranhe Else in
Oberdentachland.
2) Annerfeldt, framställning af vidskepelige förestallningar i Sydyestra
Skane. Mac. der Sk&nska fomminnes forening.
3) Buna 1844. S. 44.
4) Afzelins, Yolkssagen ans Schwedens älterer und neuerer Zeit tlbers.
von Üngewitter II, 311.
134 Kapitel II. Die Waldgeister aud ihre Sippe:
Speise darauf, und reichte sie ihr/ denn die Hände
wollte er nicht gegen ihre Klauen setzen. Sie nahm es nicht,
sondern lächelte und verschwand grade wie eine Fackel
die man wirft. Ein Waldwärter (Skogsvaktare) trank auf
einem Fichtenstamm sitzend einen Schluck Brantwein. Da setzte
sich die Skogsfru auf die andere Seite des Baumes. Er fragte:
,, Trinkt die Jungfer?'' (Super mamsell?) Sie schüttelte den Kopf
und verschwand.^ Ein Bursche in Finntorp, der eine Braut in
Billing hatte, lud dieselbe zu einem Stelldichein auf den Lad-
backen. Sie blieb aber aus und die Skogsfru des Berges zog
ihre Gestalt (hanm) an, tat mit dem Jttngling schön und bot
ihm eine Bretzel. Er aß mit großem Wohlgeschmack. Kaum
hatte er jedoch den letzten Bissen heruntergeschluckt, so lachte
sie aus vollem Halse, so daß es im Walde krachend
wiederhallte und verschwand zwischen den Felsen;
im Verschwinden sah er den ausgehöhlten Bttcken und
langen Schwanz. In der Meinung, das Mädchen, welches sein
Herz gewonnen hatte, sei ein Skogsrä, vermied er dasselbe
fortan.^ Zuweilen kommt es zu einer engem Verbindung zwi-
schen der Waldfrau und einem Menschen, welcher Kinder von
größerem Wuchs und höherer Kraft als andere Menschen, nach
andern dagegen abscheuliche Mjßgeburten entspringen. Doch
wird der Liebhaber dieses Verhältnisses bald ttberdrflssig und er
sucht dann wol Hilfe bei einem „Klugen.^' Allein er wird das
Skogsrä gemeinhin nur los, wenn er eins ihrer Haupthaare um
seine Btlchse wickeln und sie damit schießen kann. Dann hört
man einen entsetzlichen Aufschrei, ein fiirchtbares Tosen im
Walde und er sieht sie niemals wieder. Ein Jäger tat nie einen
Fehlschuß, weil er mit einem Skogsrä im Bunde stand und sich
von ihr jedesmal die Bttchse laden ließ. Endlich faßte er Wider-
willen gegen sie, bat sie, ihm das Gewehr mit tödtlichem Mei-
sterschuß zu laden und erschoß sie. Seitdem hatte er keine Ruhe
1) Mit der WaiFe (G6r u. s. w.) Gabe reichen , resp. aufnehmen war bei
Begegnung Fremder oder feindlichen Stämmen Angehöriger eine hoch hinauf-
reichende Sitte des deutschen und skandinavischen Altertums. S. J. Grimm»
fiber Schenken und Geben. El. Sehr. II, 199.
2) Yärmeland Fryktdelsharad nach Borgström Besaberättelser 1845. Msc.
3) Djurklou, Anteckningar ur Nerikes folkelif?et. Mso.
Die 8€hw6diachen Waldgeister. 135
mehr, weder im Schlafen noch Wachen.^ In alten Seiten war
ein Baner, ohne ihre Herkunft zu wissen, mit einer Wald-
iran die Ehe eingegangen. Sie lebten manche Jahre glück-
lich und zeugten Söhne und Töchter. Als sie einst gemeinsam
im Walde daran arbeiteten, einen fertig gebrannten Kohlenmeiler
auseinander zu reißen , fand sich , daß sie den Speisesack verges-
sen hatten. Er ging nach Hanse, denselben zu holen. Da sprach
die Hausfrau „Kommst du zurück, so schlage drei Schläge
in den und den Baum da,^' und damit bezeichnete sie eine
Tanne, welche eine gute Strecke von ihnen entfernt stand. Der
Bauer versprach ihrem Wunsche nachzukommen. Ob er das aber
vergaß oder ftlr unnötig hielt, genug bei seiner ZurUckkunft sah
er zu seinem großen Schrecken, wie sie die Kohlen mit bloßen
Händen aus dem Meiler riß und mit ihrem langen Schwänze
auslöschte. Sofort drehte er um und tat drei Schläge mit seinem
Axthammer auf die Tanne (slog tre slag i tauen med yxhamma-
ren), worauf das Weib sich sofort wieder in gewöhnliche und in
allen Teilen gleichartige Menschengestalt verwandelte. [Nur auf
Grund weitem Materials wollte ich es unternehmen zu entschei-
den , ob jene drei Axtschläge nur den Zweck haben die Skogsfru
von der Annäherung ihres rückkehrenden Mannes zu benachrich-
tigen, oder ob sie zu deren Verwandlung in einer inneren Be-
ziehung stehen]. Seitdem dachte der Bauer darauf seine Frau
los zu werden. Endlich gab ihm ein kluges Weib ihren Rat und
zugleich einen großen Zauberbeutel als Amulet um den Hals
zu hängen. Er fährt mit Frau und Ejndem zu Schlitten über
einen See, angeblich um sie auf eine Hochzeit zu fUhren. In
Sees Mitte liest er mehrere Worte, die die Alte ihm au%eschrie-
ben, und sofort kommt eine Menge von Wölfen zum Vorschein.
Eiligst spannt er das Pferd ans und reitet davon, wie ängstlich
auch die Gattin ihm nachruft: Kehre um, wenn nicht um meinet-
willen, so doch um Snorpipas willen, sonst fressen die Wölfe
uns auf! Snorpipa (Schnarrpfeife) hieß ihr jüngstes Töchterchen.
In ihrer Not rief sie dann aus Leibeskräften nach ihrer Schwester
Strässa. * Der Troll in der Grube (Erzgrube ?) Strässa war näm-
lich ihre Schwester. Dieselbe kam daher gefahren, so daß es
1) Anfgez. 1852 von M. H. Hnltiii, Hdschr. des Beichsantiquariams zu
Stockholm.
136 Kapitel II. Die Waldgeister and ihre Sippe:
in der Luft sauste und pfiff und entrückte sie den W^^lfen^
die schon alle Kinder gefressen hatten. Den bösen Bauer ver*
folgte eine Trollkatze, vor deren Wuth ihn das Amulet schützte,
obwol die hinter ihm zuschlagende Tür eines Hauses, in das er
sich rettete, in Stücke sprang. Als er einst badend das Amulet
ablegte, drehte ihm ein Troll den Hals um.^ So fest haftete der
Glaube an Liebschaften von Menschen mit Waldfrauen, daß z. B.
am 22. — 23. Dezember 1691 vom Häradsgericht ein zwei und
zwanzigjähriger Bursch aus dem Markshärad zum Tode verur-
teilt wurde, „wegen unerlaubter Vermischung mit einem
Skogs- oder Bergsrä.^' Und noch am 5. August 1701 wurde
Yolontalr Mäns Malm- angeklagt und vor Gericht gezogen, weil
er solle mit einem Skoügrä zu tun haben. Es verdient hervor-
gehoben zu werden, daß diese schwedischen Traditionen den
besten Gommentar zu des Burkhard v. Worms (ob. S. 113) Aus-
sage über die Waldfrauen liefern. Wie in obiger Sage der Troll
in der Erzgrube der Skogsfru Schwester ist, wird andererseits
der Name Skogsrä auch auf Wesen ausgedehnt, welche auf Al-
men (saetter) ihren Aufenthalt haben. So weiß man in den Wald-
gegenden der Distrikte Asker und Lennäs in Nerike noch viel
von einem Skogsrä zu erzählen, welches von der Bergwiese
Y-S9Btter den Namen Yssetter - Kajsa (Ysaetter-Kätchen) führte.
Als einst diese Alme gemäht wurde, und die Schnitter beim
Abendbrod saßen, rühmte sich ein Bursch, er habe Lust mit der
Ysa3tterkajsa Streit anzufangen, und da wolle er ihr schon auf
den Pelz geben. Kaum sprach er dies, so hörte man hinter ihm
ein Geräusch und er erhielt von unsichtbarer Hand eine so derbe
Ohrfeige, daß er Blut werfen mußte. ^ Statt des Skogsrä d. h.
der Personification des gesammten Waldes wird mitunter auch
das Bä eines einzelnen Baumes genannt und so zu sagen mit
einem andern Geiste identifiziert.
Bei Badelund in Westmannland stand eine Tanne , die Klin-
tatanne (Elintatall) auf kahlem Felsen, unter welchem im Berge
der Tanne Schutzgeist (Rä) wohnte. Das war ein Meerweib,
welches man oft aus einer Bucht des nahen Mälarsees schnee-
weiße Rinder über die Wiesen zum Baume treiben sah, dessen
1) Djiurklou» Anteckningar.
2) Djürklon a. a. 0.
Die schwedischen Waldgeister. 137
Aeste niemand anzurtthren wagte. ^ Ueberhaupt stehen sich die
Bergsrä, Skogsrä und Sjörä (Bergrä, Waldrä lyid Seerä) ein-
ander sehr nahe and sind £ast nnr durch ihren Wohnsitz und
einige damit zusammenhängende Besonderheiten verschieden.
Die weibliehen Skogsrä kehren zuweilen auch in Mühlen,
Ställe y Brennereien u. s. w. ein. Da kündigen sie ihre Gegen-
wart dadurch an, daß die Sachen irgendwie in Unordnung lie-
gen. Dann deckt man an dieser Stelle einen Tisch mit ein wenig
Speiseanrichtung und ruft mehrmals: ,, Findet sieh da irgend ein
Rä, 00 konmie hervor!'' Erweist man dem erscheinenden Geiste
seine liebe mit freundlicher und liebreicher Zuspräche und höf-
licher Begegnung (weitergehender Vertraulichkeit bedarf es
nicht notwendig) so erwiedert derselbe das Wolwollen, indem er
Botschaften verrichtet, dem Hause Glück schafft u. s. w.^ Kurzum
auch die Skogisrä gehen in Hausgeister über (vgl. die Dienst-
leistungen der Seligen ob. S. 90. 103 und Moosleute S. 80).
Wie alle Trolle haben die Skogsrä Furcht vor dem Donner^
der sie verfolgt und erschlägt. Oft hört man im Walde während
des Gewitters den Skogsman und die Skogsfm laut jammern.'
Doch auch der wilden Jagd dienen sie als Verfolgungsziel. Ein
Schneider im Nordmarkshärad in Värmeland liebte leidenschaft-
' lieh die Jagd. Als er einst Nachts auf dem Anstand lag, floh
ein Skogsrä an ihm vorbei mit großen über die Achsehi geschla-
genen Brüsten und das herabwallende Haar flatterte wild hinter
ihr im Winde. Ihr folgte ein Jäger mit zwei pechschwarzen
Hunden. Bald kam er zurück und hatte das Wildpret erlegt«
Die Beine des Skogsrä hatte er über die Schulter geworfen, ihr
Haupt und ihre Brüste schleppten auf dem Boden nach und troffen
von Blut, das die Hunde begierig aufleckten. Der Jäger fragte
den Schneider, wie er dazu komme in seinem Walde zu jagen
und verbot es ihm.^ In Smäland und -andern Gegenden wird
gradezu König Oden als der nächtliche Jäger bezeichnet, der
mit Jagdhorn und Spieß (resp. Büchse) und mit zwei Hunden
1) Afzelins, Volkssagen und Volksl. üben. v. Ungewittcr II, 308.
Mytb.» 619. Püttmann , nord. Elfenmärchen S. 156 ff.
2) RäafB Sammlung a. Berseryd.
3) Annerfeld a. a. 0. S. 92. Djnrkloa , Anteckningar Nr. 71.
4) BorgBtrdm, Besaberättelser.
138 Kapitel U. Die Waldgeister und ihre Sippe:
daherfahrend sich zam Wilde anverttBderlich eine Skogsnu^
oder ein Berg^troU aasersehen hat, die vor ihm durch die Laft
fliehen mit fliegendem Haar und über die Achsefai geschlängten
Brüsten. Die Jagd geht über Wald uid Berg, wie Vogelflag
oder Starmeswehn. Von der nächtigen Fahrt heimkehrend hat
Oden die getödtete Skogsnufva quer über dem Rosse hängen.
Einem Soldaten der ihm einst auf einer Fahrt begegnet, giebt
er sich zu erkennen. „Ich bin König Oden und vom Allmächtigen
dazu gesetzt, alle TroUe und Trollweiber (alla troll och pyskan
s. ob. S. 128) auszurotten.^' Da habt Ihr wol vile rbeit? meinte
der Soldat. König Oden antwortete: „Ja, doch ich habe den
Donner zu Hilfe'' (Ja men jag har äskan til hjelp).^ Statt des
Skogsrä oder Bergtrolls wird zuweilen eine Riesin (jättesa) mit
eimergroßen Brüsten als Jagdstück, in andern Sagen ihr eige-
ner Gatte, oder (entsprechend der ob. S. 135 mitgeteilten lieber-
lieferung) eine Schaar gespenstiger Wölfe als Verfolger genannt
Oefter sucht die Verfolgte in dem Fenster einer Heuscheuer
mitten im Walde (hölada) Schutz und spottet da der Hunde oder
Wölfe , wird aber von einem sie belauschenden Menschen unbarm-
herzig unter sie hinabgestoften.
§. 19. Die russischen Waldgeister. Der russische Wald-
geist Ljeschi (von Ijes, poln. las Wald) wird allgemein in Men- *
schengestalt mit Bockshörnern, Bocksohren und Geiß-
füßen gedacht, die Finger enden in lange Klauen, Kopf
und Körper werden von rauhen und zottigen Haaren
bedeckt, die häufig von grüner Farbe sind. Er kann aber
mancherlei Gestalten annehmen und seine Größe willkürlich ver-
ändern. Geht er im Fdde, so verkleinert er sich Us eur Größe
des Grases; geht er im Walde, so erreicht er die Hohe der
Bäume.* Die Einwohner der Gouvernements Kiew und Tscher-
nigoff teilen deshalb die Ljeschie in zwei Klassen. Die einen,
die eigentlichen Waldljeschie sind graufarbige Biesen, die andern,
welche nicht minder Ljeschie (Waldgeister) heißen, sind Wesen
des Kornfelds, Dämonen des Getreidewuchses selbst. Vor der
1) Anfzeichnung v. M. H. HultiU 1858.
2) Hieraus erklärt sich die yerdnnkelte üeberlieferung aas Hessen ob.
S. 88, daß die wilden Männer bald hoch oben durch die Wipfel der Bäume
fahren , bald sich freuen zwischen den Schachtelhalmen einhergehen zu können.
Die niBsiaohen Waldgeister. 139
Ernte haben sie diesdbe Hohe, wie die noch grünen Halme, nach
der Ernte schrumpfen sie ßusammm, bis sie nicht höher sind, als
dfzs Stoppelfdd. Man darf daraas schlieAen, daß .auch die
eigeDtlichen Waldljeschie als Dämonen der Waldvegetation zu
denken sind.
Häufig aber nehmen die Ljeschie völlig menschliche Gestalt
an^ nur daß sie niemals Augenbrauen und Wimpern und häufig
gleich den Kyklopen nur ein Auge haben. Sie tragen dann das
Gewand eines Bauern aus Schaffell , aber ohne Gtlrtel ; statt des*
sen sind die beiden Sockzipfel in einander geschlungen. Wirbel-
wind und Sturm sind das Element, in welchem der Ljeschi
seine Anwesenheit offenbart. Nach dem Glauben der Bauern
entspringen die Verwüstungen der Orkane dem Kampfe
dieser Waldgeister gegeneinander, wobei sie Baum-
stämme und Felsstttcke schleudern. Hält der Ljeschi Sund-
gang durch sein Reich, so brüllt der Wald und die Bäume zit-
tern. Oder der Waldgeist spnngt spielend von Ast zu Ast und
wiegt sieh selbst in den Zweigen, wovon er an einigen Orten '
Zuibotschnik (vgL Zuibka Wiege) genannt ist In solchen Stun-
den macht er alle Arten von Lärm. Er kreischt und lacht, er
klatscht in die Hände, er wiehert wie ein Pferd, brüllt wie
eine Kuh, bellt wie ein Hund. Sein Lachen kann man meilen-
weit in der Bunde hören. Wenn bei Sturmwetter das Knarren
der Aeste, das Krachen der Stämme wiederhallt, so vernimmt
der russische Bauer kein Echo, sondern den Ruf der Ljeschie,
welche einen unvorsichtigen Jäger oder Holzhauer auf gefähr-
lichen Grund zu verlocken trachten, um ihn zu Tode zu
kitzeln, sobald sie ihn in ihrer Gewalt haben. [Wir begegneten
dem nämlichen Zuge bereits ob. S. 87]. Nachts Schläft der
Ljeschi in ii^nd einer Hütte in der Tiefe der Wälder und findet
er etwa seinen Zufluchtsort von einem verspäteten Wanderer
bereits besetzt, so streicht er als Wirbelwind über die
Hütte, rüttelt an der Tür und hebt das Dach, indeß
ringsum alle Bäume sich biegen und winden und ein furchtbares
Geheul durch den Forst schidlt. Und wenn der ungebetene Gast
alle diese Winke verachtet . und sich nicht entfernt, läuft er
Gefahr am nächsten Tage sich in den Wäldern zu verlieren, oder
in einen Morast zu versinken. Im Gouvernement Archangel
erzählt man, bei einem der erwähnten Kämpfe mit zwei andern
140 Kapitel II. Dio Waldgeister und iiire Sippe:
Geistern seiner Klasse ttber die Rechte aaf einen gewissen Wald
wurde ein Ljeschi einmal überwunden und yon jenen an den
Händen so fest zusammengeschnürt^ daß er sich nicht rühren
konnte. So fand ihn ein reisender Kaufinann und band ihn los.
Zum Dank sendete er seinen Wohltäter in einem Wirbel-
winde heim und tat nachher noch manches andere für ihn (vgl.
ob. S. 68 die (xeschichte des estnischen Banmelfen).
Als ehedem die Wälder noch größer und dichter waren,
denn heutzutage, yerlockte der Ljeschi beständig die Wanderer
und flihrte sie vom rechten Wege ab in die Irre. Bald versetzte
er die Grenzsteine, bald nahm er die Form eines Baumes an,
nach welchem die Nachbarn die Sichtung zu bestimmen pflegten.
Zuweilen veränderte er sich in das Aussehen eines Wanderers
und verflocht den Vorübergehenden in eine Unterhaltung. Der
Verftlhrte plauderte unbefangen, bis er plötzlich gewahr wurde,
daß er sich mitten in einem Sumpf oder Waldbach befinde.
Dann hörte er ein lautes Gelächter und wenige Schritte von sich
sah er den Ljeschi grinsend in seiner wahren Gestalt. Auch
vernimmt der Waldwart mitunter bei Nacht das Weinen eines
IJjndes und Seufeer, welche deutlich von einem Sterbenden her-
zurühren scheinen. Da tut er gut, schleunig nach Hause zu
eilen^ ohne auf diese Stimmen zu achten. Denn folgt er ihnen,
so gerät er wahrscheinlich in einen reißenden Strom, der daher-
rauscht, wo früher kein Wasser war. Wo immer der Ljeschi
geht, läßt er keine Spur hinter sich zurück, er verdeckt den
Abdruck seiner Füße mit Sand, Laub oder Schnee. Tritt aber
jemand zufällig in seine noch frische Fährte, so wird derselbe
irre geführt und findet nicht leicht den rechten Weg wieder. In
dieser Not ist es das beste Mittel , das Futter von Hemd, Schuhen
oder Pelz nach außen zu kehren. Doch auch abgesehen von die-
ser Irreleitung der Wanderer macht sich der Waldgeist noch
in mancherlei anderer Weise auf Kosten derselben lustig; er
bläst ihnen Sand in die Augen, schlägt ihnen die Mütse vom
Kopfe, läßt ihre Schlitten am Boden fest frieren. ,,Geh nicht in
den Wald,'' hört man oft sagen, „der Ljeschi spielt dir da einen
Possen.'' Schlimmer ist, daß er oft Krankheit verursacht, so daß
von jemandem, der nach der Bückkehr aus den Waldungen
unpäßlich wurde , die sprichwörtliche Bedensart gilt : „ er hat den
Pfad der Ljeschie gekreuzt" Um geheilt zu werden, trägt er
Die rnssisehen Waldgeister. 141
Brod und Salz in einen reinlichen Lappen gebunden in den Wald^
und legt es unter Oebet als Opfer für den Ljeschi ins Moos in
der festen Ueberzeogung bei der Nachhausekunft von seiner
Krankheit befreit zu sein. Den Hirten, die im Walde ihre
Heerde weiden , sangt der Ljeschi gerne das Euter der Kühe aus.
Sie müssen deshalb mit ihm in gutes Einyemehmen zu kommen
suchen. Im Gouvernement Olonetz glaubt man, der Hirte müsse
jeden Sommer dem Ljeschi eine Kuh geben, geschehe das nicht,
so zerstöre der Waldgeist die ganze Heerde. Im Gouvernement
Arehangel hält man daflir, wenn man das Glück habe, dem
Ljeschi zu gefallen, so behüte er die ganze Heerde auf
der Weide (vgl. ob. S. 30 die finnischen Baumnymphen).
Andererseits stehen alle Vögel und Tiere. des Waldes unter
dem Schutz des Ljeschi. In Kleinrußland soll er insonderheit
der Schutzherr der Wölfe sein. Gemeinhm gilt als sein Liebling
der Mr, sein Diener, der bei ihm wacht, wenn er zuviel von
dem starken Getränk genommen hat, das er so sehr liebt, und
ihn vor dßn Angriffen der Waldgeister behütet.
Wenn die Eichhörnchen , Feldmäuse und einige andere Tiere
jq Schaaren ihre periodischen Wanderungen antreten , ^erklärt das
Volk, die Waldgeister treiben ihre Heerde von einem Wald in
den andern. Unter solchen Umständen hängt auch der Erfolg
des Waidmanns von seinem Verhältniß zum Ljeschi wesentlich
ab. Er legt, um denselben für sich zu gewinnen, ein Stück-
chen Brod oder Pfannkuchen mit Salz bestreut auf
einen Baumstumpf (vgl. ob. S. 130), wie denn die Ljeschie
zuweilen auch Kuchen von den im Wald arbeitenden Dorf-
leuten fordern (vgl. ob. S. 107) und, nachdem sie solche erhal-
ten, sich mit schrecklich tönender Stimme entfernen. Im Grouver-
nement Perm weihen die Landleute einmal im Jahre dem Ljeschi
ihre Gebete und bringen ihm dabei ein Päckchen Blättertaback
dar, worin er ganz vernarrt ist In einigen Distrikten eignen
ihm die Jäger das erste Tier zu, welches sie fangen, indem sie
dasselbe für ihn in einem Eichwalde zurücklassen. Mn gewisser
Zaubersegen , der von Jägern öfter gebraucht wird , ruft die Teu-
fel und Ljeschie an, ihnen die Hasen in den Schuß zu treibet),
und die magische Gewalt dieses Spruches soll so groß sein, daß
die Waldgeister gehorchen. Wer den Ljeschi selbst her-
beibeschwören will, soll eine Anzahl junger Birken ab-
142 Kapitel ü. Die Waldgeister und ihre Sippe: >
«rhanen nnd mit den Wipfeln nach innen in einen Kreis
legen. Dann maß er im Kreise stehend laut rafen: Großvater!
(djeduschka) ; sofort wird der Waldgeist erscheinen.^ Oder er
soll sich auf einen Baamstumpf stellen, mit dem Gesichte nach
Osten, soll sich niederbtlckend zwischen seinen Beinen durch-
sehen und dabei sagen: ,, Onkel Ljeschi erscheine, nicht als grauer
Wolf, nicht als schwarzer Rabe, nicht als brennendes Feuer,
sondern als meines gleichen!^' Dann fangen die Blätter der
Espe an zu zittern, wie wenn ein sanfter Wiild durch sie hin-
streiche, und der Ljeschi wird sichtbar in Menschengestalt Bei
solchen Gelegenheiten geht er gerne einen Handel mit seinem
Beschwörer ein und ist bereit jede Art von Beistand zu gewähren,
wenn ihm daAir des andern Seele zu Teil wird (aus christlichem
Teufelsglauben entlehnt). Nach diesen Beschwörungs-
formeln wurde der Waldgeist doch wohl aus den
Birkenwipfeln oder dem Baumstumpf hervortretend,
also in diesen weilend gedacht. Während in Deutsch-
land und Skandinavien die Wald fr au die Hauptrolle spielt und
häufig allein auftritt, kennt die russische Sage umgekehrt vor-
zugsweise den männlichen Waldgeist. Zuweilen jedoch findet ma»
demselben auch Weib und Kinder, die Lisunki, gesellt, behaarte
Wesen von abschreckendem Aeußern. Eine kleinrussische Er-
zählung berichtet; daß ein Menschenweib einmal einen neugebor-
nen Ljeschi nackend und kreischend auf der Erde liegen fand.
Sie hob ihn mitleidig auf und deckte ihn mit ihrem warmen
Tuch. Bald darauf kam die Lisunka, die Mutter des Kleinen,
und beschenkte das mitleidige Weib dankbar mit einem Topfe
glühender Kohlen, ^e sich hinterher in Gold verwandelten. Im
wesentlichen dieselbe Greschichte wird in Thüringen von einem
Holzweibchen erzählt' ' Zuweilen entführen die Ljeschi sterbliche
Jungfrauen und machen sie zu ihren Eheweibern. Doch ob sie
nun unter sich eheliche Verbindungen schließen, oder mit Sterb-
1) Vgl. ob. S. 131 deo schwedischen Zauberbranch.
2) Auf dem Hnngerberge bei Wilhelmdorf fand eine Holzleserin das
Kind eines Waldweibes in einer Baumrinde wie in einer Wiege liegen. Sie
reichte ihm mitleidig die Brust. Da» kam die Mutter herzu und beschenkte
sie mit der Wiege des Säuglings ; die Leserin brach von der Binde einen
Splitter ab und warf ihn auf ihre Holzbtlrde. Zu Hause zeigte sichs, daß
er von Gold gewesen Bomer , Sagen des Orlagaus S. 231.
Penxanisehe und brasilianische Waldgeister. 143
Heben j ihre Yermählt&ig ist stäts von lärmenden Festlichkeiten nnd
heftigen Stürmen begleitet Geht der Hochzeitzag durch ein Dorf,
80 wird manches Haus zu Schaden kommen, geht er durch einen
Wald, so kommt mancher Baum zu Falle. Selten wagt es ein
Bauer auf einem Waldpfade sich hinzulegen, denn der Brautzug
des Waldgeistes könnte des. Weges kommen und ihn im Schlafe
zermalmen. Im Gouvernement Archangel gilt der Wir-
belwind als der Tanz des Ljeschi mit seiner Braut.
Den zweiten Tag nach seiner Hochzeit geht der Waldgeist nach
allgemein russischer Sitte mit seinem jungen Weibe zum Bade
und wenn ihnen dann ein Sterblicher begegnet, so bespritzt ihn
das würdige Paar mit Wasser und weicht ihn von Kopf bis zu
Fuß ein. Wie Weiber raubt der Ljeschi Kinder, trägt
sie in seine unterirdische Behausung und läßt sie erst nach Jah-
ren ganz verwildert wieder heraus.^
§. 20. Pemanische und brasilianiselie Waldgeister. Zum
Vergleich mit diesen europäischen Waldgeistem und ehe wir noch
einmal ihre lange Beihe prüfend tiberschauen, setze ich noch ein
Beispiel aus einem entlegenen Weltteil und einer andern Zone her,
an welchem einigermaßen gemessen werden kann, in wie weit
die Apperception ähnlicher Naturverhältnisse zu ähnlichen mythi-
schen Gebilden sich verdichtet. Pöppig' fand in den Wäldern
von Peru den Glauben an ein gespenstiges Wesen lebendig, Na-
mens Uchuclla-chaqui. Wo der Wald am dunkelsten ist, wo die
lichtscheuen Amphibien und Nachtvögel sich aufhalten, wohnt
dieses gefährliche Wesen und versucht in befreundeter
Gestalt erscheinend den Indianer zu verderben. Es
giebt die wohlverstandenen Zeichen, deren sich die geselligen
Jäger zu bedienen pflegen; es lockt den Getäuschten selbst
immer unerreichbar weiter und tiefer in die Oede
und verschwindet mit lautem Hohngelächter, wenn
der Rflckweg verloren ist und die Schrecken der Wildniß durch
die herabsinkenden Schatten der Nacht sich mehren. Bisweilen
1) W. R. S. Ralston, the songs of the Rassian people 153 — 160.
Afanasieff, Poetische Naturanschanungen der Rassen I, 140. 710. 715. II, 235.
243.325—349. 718. 722. IH, 78. 303 -- 313. 803. Cf. Kaysarow, Veranch
e. slavisclieii Myth., 70. Mone, Heidentum im nördlichen Europa I, 143.
Waldbrflhl, Balalaika 229. Earamsin, Gesch d. russ. Volkes I, Kap. III.
2) Reise in ChiU und Peru Bd. II. Lpzg. 1836. S. 358.
144 Kapitel IT. Die Waldgeister und ihre Sippe:
trennt es wohl auch die gemeinsam anf Jagd gezogenen, allein
nie tänscht es den Erfahrenen, der in seinem Mistrauen die Spar
des Feindes untersacht. Raum gewahrt er die ganz ungleiche
GröBe des Abdrucks der Füße, so kehrt er eilig znrttck
und wohl längere Zeit wagt niemand einen Zug in die Wildniß,
denn nur vorübergehend sind die Besuche des Unholds.^' In jener
Fabel, fllgt der Erzähler hinzu, gewahrt man den Einfluß, den
die unbeschreibliche Wildniß und Trauer der sumpfigsten und
unbesuchtesten Urwälder selbst auf die sonst schwer bewegliche
Phantasie des Amerikaners austlbt. Von ihr schaflft sich kein
Europäer ein Bild, denn die einsamsten Forste seines Weltteils
bieten ihm nirgend etwas Aehnliches (?). Allgemein verbreitet ist
der Glaube an jenes gespenstige Wesen, das sogar Nachts
die im Freien schlafenden Reisenden umlauert, um
sie nach halbem Erwachen unter erlogener Gestalt
irre zu leiten. Viele Geschichten, zum Teile der neuesten
Zeit angehörig, werden von solchem Verlieren besonders der
Kinder erzählt und in der Tat ist nichts leichter möglich, als
in solchem Walde nach wenigen Schritten Entfernung das Lager
nicht wieder finden zu können, wenn weder ein Lichtschein noch
rafende Stimmen die Richtung angeben.'^ Ganz ttbereinstinmiende
Erfahrungen machten in neuerer Zeit Bates und nach ihm
R Schlobach in Brasilien.^ Bates schildert den fremdartigen
Eindruck, den die Düsterheit und Stille im brasilianischen Walde
hervorbringt und spricht von dem betäubenden Geheul der AflTen
und dem plötzlichen Todesschrei von Schlangen und Tigern ver-
folgter Tiere , sporadischen Lauten , durch welche das Geftihl der
ungastlichen Einöde, das der Wald hervorruft, nur noch mehr
erhöht wird. Außerdem hört man Töne, die man sich nicht
erklären kann, „und die Eingebomen waren dies — wie ich
fand — noch weniger im Stande , als ich selbst." Zuweilen hört
man Töne, als ob mit einer eisernen Stange an einen
hohlen harten Baum geschlagen würde, oder ein
durchdringender Schrei hallt durch die Luft. Das
darauf folgende Stillschweigen erhöht den unangenehmen Ein-
druck ; den solche einzelne nicht wiederholte Töne auf das Gemüt
1) Bates, Naturforscher am Amazonenstrom. Lptg. 1866. S. 40. Schlo-
bach in d. niastrirten Zeitung v. 25. Mai 1872.
Bückblicke und Ergebnisse. 145
machen. Bei den Eingebornen ist es immer der Ca-
rnpira, der wilde Mann, der Waldgeist, der diese
unerklärlichen Töne hervorbringt. Dieser ist ein sehr
geheinmißvolles Wesen, dessen Attribute sehr ungewiß sind, da
sie nach der Oertlichkeit wechseln. Er hat Weib unä Kind und
konmit zuweilen in die Bo^as (Pflanzungen), um Mandioca zu
stehlen. Ein junger Mameluco in Bates Dienste, dessen Kopf
mit den Sagen und Aberglauben des Landes angefüllt war, zit-
terte am ganzen Leibe, so oft er im Walde die oben erwähnten
Laute hörte, kroch hinter Bates und bat ihn umzukehren. Er
wurde erst wieder ruhig, nachdem er ein Zaubermittel zum
Schutze gegen den Curupira gemacht hatte. Zu diesem Zwecke
nahm er ein junges Palmblatt, welches er zusammenflocht und
einen Bing daraus bildete, den er an einem Aste auf dem Wege
aufhing. Wollte er dadurch den Waldgeist an den Baum fessehi?
Vergleichen wir noch was J. G. Müller von den Waldgeistem
der südamerikanischen Völker meldet.^ Die Gurupira sind necki-
sche, schadenfrohe Waldgeister , die den Indianern unter allen
Formen begegnen, sich auch einmal in ein Gespräch mit
ihnen einlassen, auch Feindschaften zwischen einzelnen Personen
erregen und erhalten. Bei den Botokuden heißen die Waldgei-
ster, welche größer oder kleiner gedacht werden, Janchon; sie
beunruhigen ebenfalls die Leute. Sonst gehört zu den Waldgei-
stem auch Uaiuara, bald ein kleines Männchen, bald ein gewal-
tiger Hund mit langen klappernden Ohren. Er läßt sich,
wie das deutsche wilde Heer, am furchtbarsten um
Mitternacht vernehmen. Ein anderer berühmter Waldgeist
ist der Caypora der Küstenbewohner, der Kinder und
junge Leute raubt, sie in hohle Bäume verbirgt und dort
fättert"
§.21. Mekblieke und Ergebnisse. Blicken wir noch
einmal auf die lange Beihe der besprochenen Wald- und Feld-
geister zurück, so wird das Beispiel der zuletzt aufgeführten
südamerikanischen Dämonen uns hinreichend belehren können,
daß unter ganz verschiedenen Himmelsstrichen, bei Völkern,
deren Lage jeden Gedanken einer Entlehnung von einander aus-
schließt, aus einer Art psychologischer Notwendigkeit sich über-
1) Geschichte der amerikanischen Urreligionen. Basel 1855. S. 259.
UAnnbardt. 10
146 Kapitel ü. Die Waldgeibter und ihre Sippe:
raschend ähnliche Mythengestalten erzengt haben. Die lieber-
einstimmung jener indianischen Vorstellungen vom Waldgeist ist
am größten mit dem Volksglauben in Schweden und Rußland,
zweien europäischen Ländern, deren Wald noch am meisten die
Natur des Urwaldes bewahrte. Sie betrifit vorzugsweise Charac-
terzfige imd Handlungen, welche aus diesem Naturverhalt fließen,
Kufen, Hohngelächter, Irreführen. Eine jedoch weit größere
Familienähnlichkeit mit einander tragen die nordeuropäischen
Waldgeister an sich, sie sind offenbar Varietäten eüi und der-
selben Art, deren verschiedene Abwandlungen wesentlich durch
die Reflexe der localen Naturverhältnisse bedingt werden. Zum
Erweise dieser Behauptung stelle ich in tlbersichüicher Kürze die
übereinstimmenden Züge zusammen. Aus denselben wird hervor-
gehen/ daß wir die Waldleide (mlden LetUe, Skogsnufvar, Ljes-
chie u. 8. w*) anziAsehen hohen als eine Verschmelzung von Bauwr
geistern und Windgeistem; schwerlich spielt eine Erinnerung an
wirkliche Menschen, rohe halbtierische Ureinwohner hinein, die
sich vor unserer Bace in die Wälder zurückgezogen hätten und
im Volksgedächtniß zu Dämonen geworden wären, eine Ansicht,
die neuerdings allerdin^ einige mehr oder minder consequente
Vertreter (Hylt^n - Gavallius , Chr. Schneller u. s. w.) gefunden hat
Die Gestalt der Waldgeister wird bald riesenhaft, bald
zwergisch beschrieben, für gewöhnlich menschenähnlich, aber in
alle möglichen Tier- und Pflanzenformen verwandlungsfähig.
Tiergestalt aui' längere Dauer mißt man der gente salvatica
S. 113, zeitweilige Geißgestalt den Ljeschi^ S. 138, Dialen
S. 95, Delle Vivane S. 116 bei. Die vom wilden Jäger
gejagten ganz in Moos gekleideten Moosweibchen in Wildemann
trugen Gänsefüße.^ Die Skogsnufvra trägt Tierfelle und Kuh^
schwänz S. 128, die ihr entsprechende dänische Waldfrau S. 126
verwandelt sich noch altertümlicher in eine Ruh.^ Wenn die
Fangga sich in Wildkatzenfelle kleidet und Stutzkatze heißt, so
erblicke ich darin einen Fingerzeig , daß dieses Wesen auch Wüd-
1) Pröhle, Deutsche Sagen S. 37.
2) So kennt die Thüringische Sage eine feurige Kuh, die sich in
einen Birnbaum und dann in ein altes Weib verwandelt. Chronicon
monasterii St. Petri , S. Pauliini syntagma p. 314 bei Bechstein , Sagenschatz
des Thüringer Landes I, 126. Witschel, Sagen a. Thüringen 115, 110.
Bückblicke und Ergebnisse. 147
katzengestalt annehineii konnte. Die Holzweiber , wilden Weiber
und der Skongmann sitzen auch wol als Eulen aui' den Bäu-
men S. 127 y der lettische mahjas kungs entweicht in Gestalt
eines Vogels S. 53, auf der unersteiglichen Alpe Morin in
Tirol sollen drei Selige wohnen, die in Geiergestalt die Gemsen
beschützen und den Jägern feind, den Hirten freund sind.^ Das
Aussehen der Waldgeister, wenn sie anthropomorphisch auftre-
ten, enthält manche Züge, welche darauf hindeuten , daß die
Phantasie zu ihrer Ausstattung bei den Bäumen eine
Anleihe machte. Sie tragen einen behaarten moosbewachsenen
Leib 'oder grüne Kleidung;' einen Rttcken hohl wie ein morscher
Baumstamm oder ein Backtrog;' und ihre großen Brtlste dtlrf-
ten als ein sinnlich symbolischer Ausdruck der VegetationsfÜlle
betrachtet werden;^ ihre langen gelben oder sonst weithin im
1) Schaubach, die deutschen Alpen. Jena 1847. 11,42.
2) Moosleute: behaarter Körper , runzeliges moosbewachsenes Gesicht.
Waldf&irken: behaarter Leib, Kopf mit Eichenlaub bekrftnzt. Wild-
lente in Hessen: Kleidung grün und rauh, gleichsam zottig. Nörgele:
in grüne Jacke und Bergmoos gekleidet. Fanggeu: Haar voll Baumbart,
Joppen von Baumrinden. Wilder Mann in Tirol: Aussehen gleich einer
moosbewachsenen Fichte. Skogsnufva: in Tierfelle gekleidet, in Waldtiere
und Bäume verwandlungsf&hig. Ljeschie mit zottigen Haaren bedeckt,
die hAnfig grüne Farbe haben. Dames vertes: grüne E^leidung (?).
3) Hohlen Bücken haben: Frau Hult, Anführerin. der wilden Jagd
8. 12a Teufel S. 121, Feurige Männer 8. 121. Wildfrauen in Steiermark, Ton
der wilden Jagd gejagt S. 120. Dan. Waldfrauen und Ellefruer S. 125. Norweg.
Waldfrau Huldra (Faye S. 42). Skogsnufya von Oden gejagt S. 134. Auch
die als Anführerin des wütenden Heeres (Aasgardreid) in Norwegen umher-
ziehende Guro Bysserofa (s. Mannhardt, Götterwelt S. 155. 304 ff.) und ihr
Gefolge hat Bücken wie hohle zerspaltene Espenbäume, ospeskryte (Land-
stadt Norske Folkeviser p^ 133). Nichts widerspricht der Annahme, daß der
hohle Bücken ursprünglich den Waldgeistem als solchen angehörte und , da
diese als im Sturme umfahrend gedacht wurden, auch auf andere im Sturme
waltende Geister, die im Walde ihr Wesen treiben, ausgedehnt wurde.
4) Lange Brüste: Hessische Waldfrau, Gattin des wilden Mannes;
Fangga Langtüttin, Gesellin des wilden Mannes S. 108; keltisches Waldweib
8. 117; dänische Meerweiber und Ellefruer Jagdobjecte des wilden Jägers
8. 125; SkogsnufTar, Trolle und Biesinnen, die Oden und der Donner jagen
8. 128. Aus einer Notiz des Prof. Schaafhausen, Archiv f. Anthropologie I,
1866. S. 188 ersehe ich, dafi bei den eingebomen Weibern Neuholiands,
mitbin imter einem auf niedrigster Stufe stehenden wilden Volke birnf ör-
mige Brüste, welche nach Belieben über die Schulter gewor-
10*
148 Kapitel II. Die Waldgeister nnd ihre Sippe :
Winde flatternden Haare ^ erinnern an die Auffasanng des (vom
Sturme darch den Wald gejagten) Laubes als Baunihaar. Gn^
dezu als Pflangengeister treten sie auf, wenn ihr Leben und ihre
Größe an das Leben der Bäume und Gräser gekntlpft erscheint*
Hiemit stimmen indireete Zeugnisse tiberein. Das Schrätlein zieht
sich vom Teufel verfolgt in den Baum zurück S. 115; die Ver-
wundung des seligen Fräuleins wird bestraft, wie ein Axthieb in
den Waldbaum S. 105. Um die Holzweibel, Seligen u. s. w. zu
retten, muß man drei Kreuze in den Baum hauen, wäh-
rend er fällt S. 83. 106. Auch die Gamknäul der Holzfräulein,
Seligen, Fanggen und wilden Weiber weisen nach S. 76 viel-
leicht auf Moosfäden zurttck.
Dds Wesen der Waldgeister erweitert sieh aber deutlich von
Baumgeisfem au Genien der gesammten Vegetation, Die Holz^
fräulein walten auch im Gras- und Kernwuchs S. 77ff., die Ljes-
chie sind Waldgeister und zugleich Dämonen der niedem Kultur-
pflanzen S. 138; vgl. dazu die hessischen Wildleute S. 87.
Die nämliche Doppelrolle als Wald- und Komdämonen spielen
die Dames vertes. Auch die wilden Weiber erscheinen als Ge-
fen werden können, in Wirklichkeit vorkommen. Ich halte das für sehr
beachtenswert, wage jedoch nicht ans diesem' einen Umstände die Einwir-
kung einer realen Erinnerung an wilde Ureinwohner auf die von uns besproche-
nen Sagen zu folgern. War denn in Deutschland und Skandina?ien das näm-
liche gleichgestaltige Urvolk waldflüchtig? Oder waren diese Sagen vom
Norden zum Süden oder umgekehrt gewandert?
1) Lange aufgelöste Haare: die gejagte Frau bei Cäsarius y. Heister-
bach S. 128; HolzMulein S. 76; hessische Wildfrauen und Selige S. 88. 102;
Unnererdsche, die der Wode jagt S. 128; wei£e Weiber in Mecklenburg, Ob-
ject der wilden Jagd S. 128; keltisches Waldweib S. 117; Skogsnufra S. 128.
Zupitza macht darauf aufmerksam, daß Väsolt (ob. S. 82. 105) im Ecken-
liede 165, 11 „här alsam ein wip" d.h. wol im Winde flatterndes langes
Haar trägt. Mit langen fliegenden Haaren stattet auch die Phantasie
des Negers am Grambia die Waldgeister aus, die er für mächtige Wesen
von weißer Farbe erklärt, deren Zorn dem Beisenden gefahrlich sein würde.
Um sie zu besänftigen wird ein weißes junges Huhn als Opfer an die Zweige
eines Baumes gebunden. S. Mungo Park, Reise [in das Innere von Afrika.
Hamburg 1799. S. 81. An einen solchen Baum (Neema Taba) befestigte jeder
Beisende ein Stückchen Tuch. Mungo Park a. a. 0. 60.
2) Moosleute S. 75; witte Wiwer S. 124:; Fanggen S. 89. 91 Anm.;
Ljeschie S. 188. 141. Dazu vgl. wilde Männer in Hessen S. 88; Dames
vertes S. 119; BeUes Alles zu Bouge-vie S. 104.
Bückblicke und Ergebnisse. 149
nien von Eräatem S. 106. Die vom wilden Jäger gejagte
Frau läßt sich als Walpurgis in eine Garbe einbinden ob. S. 121.
Vgl. den rassischen und den schwedischen Zaubersegen ^ um die
Waldgeister herbeizurufen S. 142.
Ani&rers^s springt deutlichst als durchstehende VorsteUung
in die Augen, Wirbeiwind, Sturm und Gewitter seien Lebens-
äußerungen des nämlichen Geistes ^ der in ruhigen Momenten —
icie üoir sahen — in Waidbä/umen verkörpert erscJiemt.^ Vom
wilden Jäger oder Teufel^ resp. dem Donner gejagt finden wir
die Moosleute, Holzfräulein, Selige, Schrätlein, Wildfrauen in
Steiermark, Unterirdische und weiAe Weiber in Lauenburg und
Mecklenburg, dänische Meerfranen, Skogsnufvar in Schweden.
Nach verschiedenen z. T. den ältesten bezeugten Varianten
ist die gejagte Frau die Buhle des wilden Jägers S. 125.
Dem Russen gilt der Wirbelwind als der Hochzeitstanz des Wald- ^
geistes mit seiner Braut S. 143. Da nun die Krscheinung der
wilden Jagd meistenteils mit dem Gewitterstnrme zusammen-
fÜIt,^ dem Gewitter aber, das physikalisch betrachtet ja tlber-
haupt nur ein secundäres Product des vom Boden aufsteigenden,
oder von eben her hereinbrechenden und den entgegengesetzten
Passat verdrängenden Luftstromes ist, größtenteils merklich Wir-
belwind vorangeht und heftigerer Wind nachfolgt;' da der Wir-
1) Vgl. Wagen des Waldweibchens =- Gewitter stürm S. 85. Mnsik
der böhmischen Waldweiber S. 86. =» Sturm. Tanz und Kitzeln der böh-
mischen Waldfrau S. 87, des Ljeschi S. 139, Schnupfen der Pangga S. 89
= Wirbelwind. Buschjungfem = Wirbelwind S. 86. Im Sturm fahrt
der hessische S. 87 und Tiroler wilde Mann daher S. 105. Delle Vivane ver-
schwinden im Staubwirbel S. 116. Der wilde Mann in Tirol S. 105, Fän-
kenmännlein S. 96 , Waldweibchen S. 86 fuhren einen (im Sturm) entwurzel-
ten Baumstamm als Spazierstock vgl. Modelgart S. 105. Schjatl==: Wirbel-
winds. 115. Dänische Waldfrau -= Wirbelwind S. 126, Hulte = Sturm
S. 127, Skogsnufva = Wirbelwind S. 129, Regen S. 132, Blitz oder Stern-
schnuppe (Fackel, die man wirft). Vgl. den wie ein feuriger Wiesbaum dahin
ziehenden fliegenden Drachen, der übrigens häufig auch Personification des
Wirbelwindes ist. S. 134. Ljeschi = Wirbelwind S. 134 und Sturm S 139.
. Die Dames vertes gehen im Windeswehen über die wogenden Kornfel-
der S. 119.
2) S. Schwartz , der heutige Volksglaube und das alte Heidentum 1862.
S.15ff. 30-ff.
3) Ygl N. Grfiger , Sonnenschein und Regen. Weimar 1870. S. 164 ff.
J. 8. Gehler, Physikal. Wörterb. IV, 2, 1582 ff.
150 Kapitel ü. Die Waldgeister und ihre Sippe:
beiwind als fahrende Fran,^ Hexe,< Thors pjäska (S. 128)
Windsbraut y' anch sonst in Gestalt eines weiblichen Wesens per-
sonifiziert wird, so halte ich es Air wahrscheinlich, daß anfäng-
lich der im Wirbelwinde sein Dasein bekundende Waldgeist
es war, der vom wilden Jäger (dem nachfolgenden stärkeren
Unwetter) gejagt erschien.^ Es ist auch deutlich, warum inson-
derheit die männlichen Waldgeister (wilder Mann, Hulte, Ljes-
chi) sodann aber auch z. T. eben jene weiblichen Waldgenien
ebensowol für sich allein im Winde daherfahrend , oder als An-
führer der wilden Jagd daherstfirmend dargestellt werden konn-
ten. Die angegebene Deutung trifft auf die Gewitterstürme im
Sommer und die Mehrzahl unserer Sagen vollkommen zu. Wenn
aber daneben nach manchen Sagen der Umzug der wilden Jagd
oder des wütenden Heeres und ebenso der unserer Waldgeister
^zu Weihnachten in der Neujahrsnacht, oder Dreikönigs-
nacht vor sich geht, wenn die Jagd auf das geisterhafte Weib
sieben Jahre (d. h. doch wol die 7 Wintermonate von October
bis Mai) dauern soll, so ist es bei der Seltenheit der Winter-
gewitter in unsem Gegenden allerdings offenbar, daß hier die
Jagd auf das Waldweib die angegebene Bedeutung nicht haben
kann. Vielmehr sprachen wir schon S. 124 unsere Meinung
dahin aus, daß dabei der Gedanke zu Grunde zu liegen scheint,
im Winter sei der weibliche Waldgeist, die Genie des Blät-
t^rgrüns, gleichsam verzaubert und fliehe vor dem im
Sturme ihm nachsetzenden Gefährten, der zum Maitag
(vgl. St. Walpurgis S. 121) sie erreiche, und [nach urtümlichst
roher Weise der Hochzeit durch Frauenraub] quer über sein Eoß
lege.^ Ist diese Deutung richtig, so hat eine Verschiebung,
eine Umdeutung eines ursprüngliphen Gleichnisses in ein ande-
res stattgefunden. Die Probe würde erst gemacht werden kön-
1) S. Mannhardt , Götterwelt S. 98. Wolf, Niederl. Sagen 1843. 616,
518. 519.
2) Mannhardt a. a. 0. S. 99.
3) Panzer II , 208 if. Schönwerth U , 112 ff.
4) S. W. Schwartz a. a. 0. S. 25.
5) Vgl. die bekannten DarsteUongen des Pluton , der die geraubte Per-
sepbone quer über sein Boß geworfen hat. Man muß. dann annehmen, daß
die in einigen Varianten erwähnte Tödtung des Waldweibes nur mißver-
ständliche Fortbildung der Sage sei. Vgl. auch Schwartz a. a. 0. S. 65.
Bückblicke und Ergebnisse. 151
nen durch eine genaue Untersuchung aller sonstigen Jagdobjecte
des wilden Jägers, denn es ist jedenfalls wichtig zuvor zu wis-
sen, ob die Eber, Kosse,^ (Knder?), Hirsche, (Kehe), Kanin-
chen, Hühner, welche je in verschiedenen Landschaften statt der
Waldfrauen den Gegenstand d«r Verfolgung von Seiten der wil-
den Jagd ausmachen, und deren Schenkel dem Spfötter aus den
Wolken zugeworfen werden, wie der Fuß des Waldweibes, ent-
weder sämmtlich, bder doch teilweise nur eine andere Form des-
selben Gedankens sind, den die gejagten "Waldleute ausdrücken.
Wir mtlssen davon abstehen diese schwierige Frage an diesem
•
Orte weiter zu verfolgen.* Es erscheint uns die zuerst ^ von
1) Die Jagd anf Eosse scheint wirklich als die Spur einer Erinnerung
an eine langst verschwundene Knlturphase geltend gemacht werden zu müs-
sen, da neuere Ausgrabungen in den Höhlen des Hohenfels in Wnrtemberg
erwiesen haben, daß das Roß seit grauem Altertum in Süddeutschland ein
Jagdstück war. Ebenso dienten nach den Unterguclmngen Duponts in den
Hohlen Belgiens zur Zeit der Eenntierperiode daselbst Pferde als Jagdtiere,
namentlich die Bewohner der Höhle von Chalen scheinen Pferdefleisch allem
andern vorgezogen zu haben. Es blieb das bis in die späteste Zeit des
Heidentums. Vgl. Gregorii ep. ad. Bonifacium, ep. 28 ed. JaiFi6, Bibl. rer
German. lU, 93 : inter ea agresteni caballum aliquantes adiunxisti come-
dere , plerosque et domesticum. Ep. 80 Jaffe III, 222: Ab esu Christia-
norum . . . lepores et equi silvatici multo amplius vitandi.
2) A. Kuhn hat in Zachers Zeitschr. f. D. Philologie I, 115 ff. nicht
ohne einen gewissen Schein die vom wilden Jäger verfolgten Tiere, Eber,
Roß, Rind als Naturbilder der Sonne nachzuweisen versucht. Der wilde
Jäger, Gott des finsteren Sturmes, gehe, wie sein in Deutschland und Schwe-
den mehrfach bekannter Name Nachtjäger (vgl. das Nachtvolk *=» wütendes
Heer, den Nachtraben als Begleiter des wilden Jägers) bezeuge, mehrfach
in den Begriff eines Dämons der Nacht über. Als solcher stelle er der Sonne
nach^ die er jeden Abend erreiche und tödte. JTnd neben den Vorstellungen und
Sagen von der täglichen Erlegung des Sonnentieres liefen andere Traditionen
her, wonach die Tödtung des später wieder auflebenden Tieres zur Zeit der
Wintersonnenwende statt habe. Also auch Kuhn ist genötigt, gleich uns
oben , eine Verschiebung eines wiederholten sommerlichen Vorgangs auf einen
einmaligen über längeren Zeitraum ausgedehnten im Winter anzunehmen.
Hätte er recht, so würde sich aus dieser Analogie auf das beste erklären,
Sowohl, daß die vom wildman in Northamptonshire gejagte Jungfrau all-
nächtlich getodtet wird und wieder auflebt (S. 122) als auch, daß die
weiße Frau im Havelländischen bei der Verfolgung immer kleiner wurde,
bis sie nur noch auf den Knien lief (S. 123). Ich entscheide mich noch
für nichts endgiltig, bis eine umfassende, die Urformen der Tradition, ihre
' Wandlungen und Verderbnisse aufspürende Untersuchung der Sagen von der
152 Kapitel II. Die Waldgeister and ihre Sippe:
W. Schwartz aufgestellte Deutung, wonach die von der wilden
Jagd herabgeworfene Lende oder Hälfte der Holzfrau, sowie die
in Gold sich wandelnden Geschenke der thüringischen and czechi-
sehen Waldweiber, Lisuilki u. s. w. ursprünglich den Blitz bedeu-
ten, nicht unwahrscheinlich, wenngleich keinesweges gesichert.
Mit der Natur der Waldgeister als Wind- und Wetterwesen
scheint auch der Zug zusammenzuhängen, daß die Waldfrauen
einen Gürtel schenken, welchen sie einen Menschen anlegen
heißen. Der Beschenkte umgürtet damit aber zuvor einen
Baum und derselbe springt augenblicklich zerrissen und zer-
splittert in Stücke.^ Einen ebensolchen Gürtel verleiht näm-
lich auch der in der Windsbraut umfahrende Hexenmei-
ster.* Der den Wald erflillende Nebel oder weiße an den Ber-
gen hangende Wölkchep gelten als die Wäsche der Waldfrauen.
Dergleichen wird erwähnt bezüglich der wilden und seligen Fräu-
lein, der Wildfrauen in Steiermark, der Froberte, Skogsnufvar
und Dames vertes, sowie der Pysslingar unter dem Apfelbaum
zu Falsterbro (ob. S. 61). Da die menschliche Seele als Luft-
hauch (animus, Spiritus) betrachtet wurde,' so steht es auch wol
mit der Windnatur der Waldgeister in Verbindung, daß die Holz-
fräulein in arme Seelen , die Seligen in die Geister todter Mütter
übergehen.
Ihrem Ursprünge nach dunkler, als die bis hieher behan-
delten Eigenschaften, sind diejenigen Aussagen, welche den Wald-
frauen das Strehen nach der Verbindung mit sterhUcJien Man-
wilden Jagd voraufgegangen sein wird. In jedem Falle, meine ich jedoch,
würde nur davon die Rede sein können, daß etwa secundär die Vorstel-
lung und Sage von dem einer Frau nachsetzenden Dämon (Riesen , Gottc)
des Gewittersturmes auf die Nacht und eine Verfolgung der Sonne während
des Tages, endlich in zweiter Linie auf den Winter und das Nachsetzen des
sommerlichen Gottes hinter dem fliehenden, immer schwächer scheinenden
Sonnenwesen umgedeutet wurde und in einigen Sagenformen diese Auffas-
sung Ausdruck fand. Inwieweit dabei etwa die von uns bereits Germ.
Myth. 37 ff. besprochene Uebereinstimmung vieler Naturbilder für Wind,
Wolke, Licht (oder Sonne) und Erde zu solcher Umdeutung mitwirken konnte,
ist erst im einzelnen näher zu erforschen.
1) S. Panzer, Beitrag I, 17, 19. Zingerle, Sagen, Märchen u. Gebr.
34, 44. Vgl. Meier, Schwab. Sag. 69, 4. Panzer I, 71, 88.
2) Panzer a. a. 0. 11, 208, 365. Vgl. Myth.« 907.
3) Mannhardt, German. Mythen 269.
Bückblicke und Ergebnisse. ^ 153
nem, dem Waldmann die Sticht nach christlichen Frauen isu-
schreiben. Die Holzfräulein, die Seligen, Fanggen, die Skog-
snnfirar und Ljeschie gehen eheliche Vereinigungen mit Menschen
em S. 79. 87. 103. 135. i43. Der Gesang und die schöne
Gestalt der Seligen und wilden Weiber lockt Jünglinge und junge
Männer an ihre Seite. Wenn manche Sagen dieses Verhältniß
außerordentlich zart und geistig darstellen (S. 101), so zeigen
andere eine rohere, vermutlich ältere Form S. 102.
Rauhe Else naht, wie die Skogsnufya, dem am nächtigen
Feuer Liegenden und verlangt nach seiner Minne S. 108.
Vgl. die agrestes feminae bei Burkhard v. Worms S. 143.
Das badische Wildweib hat mit dem Jäger ein Kind, S. 88, und
die Dames vertes locken den betörten Liebhaber ins Dickicht
S. 118. Der Hulte stellt christlichen Weibern nach S. 127,
ebenso die lesni muzove in Böhmen S. 87.
Daneben wird behauptet, daß die Waldgeister kleine Kin-
der rauben oder an sich ziehen und tödten. Der Salvanel, die
wilden Weiber am Unterberge, die Fanggen S. 90, die div6
zeny in Böhmen S. 87 stehlen^ kleine Kinder. Oder die böh-
mische Waldfrau lockt sie an sich S. 87. Die Tiroler Lang-
tttttin legt sie an ihre g:roßen unheimlichen Brüste S. 108. Die
Seligen holen s,ogar Wöchnerinnen aus dem Kindbett
weg S. 108. Steht dazu in irgend einem Verhältniß der Zug
des Irreleitens, der von den Froberte, den Dames vertes, der
rauhen Else, der Skogsnufya und ihrem Gemahle, dem Hulte,
den Ljeschi, wie dem peruanischen UchucUa berichtet wird? Bei
unseren Waldweibchen und Moosleuten schlägt dieser Zug gradezu
in sein Gegenteil um. Die Moosweiblein im Wildemann z. B. lei-
teten Fremde, die sich verloren hatten, auf die rechte Straße
und teilten ihnen Wurzeln und Kräuter zur Nahrung und Gesund-
heit mit^
Die Waldgeister zeigen sich auch sonst den Menschen gerne
dienstbar und geJien in Hausgeister über. Die Holzfräulein in
Thüringen und Franken , die wilden Leute in Baden , die Saligen
in Tirol helfen zur Erntezeit den Arbeitern. Aber auch ständig
treten Holzweiber und Waldmännchen , Fanggen , Sauge , zuweilen
1) Vemaleken, Mythen und Bräuche 249, 55.
2) Pröhle, D. Sag. S. 37, 8. Vgl. auch ob. S. 84.
\bi Kapitel IL Die Waldgeister und ihre Sippe:
auch Skogerä in den Dienst des Menschen, besorgen das Vieh
im Stalle und segnen Vieh nnd Vorratskammer; auch die 8chre>
tel spielen die Rolle der Penaten S. 115. Die wilden Geißler
(S. 96 flf.) stellen gewissermaßen Penaten der Dorfschaft vor.
Wie hier in Hausgeister gehen die Wcddgeister cmderswo unmerk-
lich in andere Elbe, namentlich in Höhlen und ebenes Feld bewoh-
nende Zwerge über. Die Fanggen verlieren sich in Fenggen and
Fänken. Die von Fanggen , Holzweiblein and wilden Frauen
erzählte Geschichte von Todansagen (S. 90) wird auch von
Zwergen berichtet Wilde Leute werden local zu Nörgeln and
Norken (S. 110), die Seligen zu Schanhollen (S. 102).^ Und
die Seligen selber, die in fast allen Stttcken den Wald-
und Moosweibchen entsprechen^ verlieren den Gharacter eigent-
licher Waldgenien fast ganz. In der norddeutschen Ebene ver-
treten die UnnerSrdschen und weißen Weiber die Waldgeister
des deutschen Südens und skandinavischen Nordens (S. 124).
Mit einem Worte Wald^ und Feldgeister sind sowenig durch
eine feste ScKrqLnhe geschieden, daß sie vielfach in einander rinnen.
1) Die Identität der Seligen, witte Wiwer und HoHen erweisen die
Mitteilungen von A. Kaufmann und Birlinger in Pfeiffers Germania XI, 411 ff.
und XVII, 78, wonach, in Aufzeichnungen des XVI. Jahrh. von niederrheini-
schen unter schönen Bäumen und krausen Büschen wohnenden Gei-
stern die Rede ist, für welche die Namen „selige frauwen," „holden,"
„wyße frauwen" als Synonyma gehraucht werden.
Kipit«! ni.
Die Baumseele als Vegetationsdämon.
§. 1. Genius des Wachstmns. Die lange Folge der in den
beiden ersten Kapiteln erläuterten Anschauungen wird , wenn ich
nicht irre^ dazu helfen ^ mit einiger Wahrscheinlichkeit auch
die Bedeutong mehrerei" Gebräuche zu erschließen ^ welche wir
an hervorragende Jahresfeste geknüpft sehen. Auch in ihnen hat
die Vorstellung vom Baumgeiste als Doppelgänger und Schützer
menschlichen Lebens mehrseitige Verwertung gefunden, aber in
Verbindung mit einer von uns bisher noch wenig berührten Idee.
Wir gewahren die Baumseele gefaßt als Genius des Wachstums.
Da aber an der jährlichen Verjüngung der Pflanzenwelt im Früh-
ling, ihrem Absterben im Herbste am augenscheinlichsten der
Wechsel der Jahreszeiten offenbar wird, liegt es nahe, daß die
Anschauung von dem im Baume verkörperten Dämon der Vege-
tation in seiner sommerlichen Gestalt leicht umschlägt in eine
gleichgestaltete Personification des Frühlings oder Sommers und
auch wohl mit diesem Namen benannt wird. Der der Abstraction
ungewohnte, für begriffliche Scheidungen ungeschulte Naturmensch
trennt diese verschiedenen Momente nicht, sondern Vegetation,
Frühling (Sommer) schützender (stellvertretender) Baumgeist ver-
schwimmen ihm vielfach in einen einzigen Begriff. Von diesem
Gesichtspunkte aus beleuchtet, werden uns — so scheint es —
mehrere slavische und germanische Lätare-, Mai- und Pfingst-
gebräuche ihr Geheimniß entschleiern.
§. 2. Banmseele : Waehstumgeist^ Sommer in den LBtare-
gebrBnehen. Ich erinnere zunächst an die Sitte des Todaus-
tragens am Lätaresonntag bei den Wenden in der Lausitz, den
Gzechen in Böhmen und bei andern Slaven. Bekanntlich zogen
die Frauen der Lausitz am genannten Tage in Trauerschleiem
aus 9 banden eine Strohpuppe, bekleideten sie mit einem Hemde
156 Kapitel III. Baumseele als Vegetationsdamon:
gaben ihr Sense und Besen in die Hände , tragen sie zur Grenze
des nächsten Dorfes und zerrissen sie dort; sodann hieben
sie im Walde einen schönen Baum, hingen das Hemd
daran und tragen ihn unter Gesängen heim.^ In Böhmen stür-
zen die jungen Leute eine Puppe, den Tod, ins Wasser; hierauf
begeben sich die Mädchen in den Wald, schneiden ein
junges Bäumchen mit einer grünen Krone, an dem sie
unten die Rinde abschälen, oben eine Elle lang Zweige
daran lassen und verzieren dasselbe mit Eierschalen.
Dann hängen sie eine aus Lumpen gemachte Puppe in
Gestalt einer weißgekleideten Frau daran, die sie gleich
den Zweigen mit roten uiüd weißen Bändern schmücken.
Dieses Bäumchen heißt Lito (Sommer), und damit ziehen die
Mädchen in Procession Gaben sanmielnd von Haus zu Haus, Lie-
der singend, in denen sich der Ruf wiederholt:
Smrt neseme ze vsi
Leto nesem do vsi atd.
Den Tod tragen wir aus dem Dorfe,
Den Sommer tragen wir in das Dorf.'
Zuweilen ist dieser böhmische „Sommer" ein mit silber-
nen Gürteln, goldenen Hauben, Perlen, Winterkränzen,
Eartenblättem, bunten Eierschalen, gefärbtem Papier
gezierter Baum; nachdem ihn die Knaben von Haus zu Haus
getragen, pflanzen sie ihn zuletzt einem der vornehmsten ver-
heirateten Weiber vor die Tür.* Auch bei der ursprüng-
lich unzweifelhaft slavischen Sitte des Sommergewinns zu Eise-
nach am Sonntag Lätare* wurde noch im Anfang des 18. Jahr-
hunderts einerseits ein Strohmann, der Tod, verbrannt, anderer-
seits ging man vor das Georgentor hinaus, um die ausge-
hängte und in einer frischen Tanne oder Fichte sitzende
Sommerdocke zu sehen, und sich einen sogenannten Sommer
d. h. Tannen und Fichtenreiser mit daran gehängten
1) Christ. Arnold, Anhang zu Alex. Rossens nntersch. Gh>tte8d. Hei-
delb. 1674 S. 135 bei Grimm , Myth.a 732.
2) S. Roinsberg - Düringsfeld , Festkalender a. Böhmen. S. 86 — 92.
3) Reimann, D. Volksfeste S. 18.
4) S. Witschel, der Sommergewinn in Eisenach 1852. Vgl. Zs. f. D.
Myth. III, 318,
RasBischer Pfingstgebrauch. 157
Bretzelüy Gipstäflein mit biblischen Bildern, Bändern,
kleinen Kuchen, gefärbten Eierschalen, Schneckenhäu-
sern und andern Sachen zu kaufen und heimzutragen. Zu-
weilen holte man auch aus dem Walde bei der Wartburg eine
hohe Tanne, grub sie auf dem Plan fest ein, schmückte sie
mit Bändern und Tttchern und die Mannsleute kletter-
ten nach diesen.^ In Schlesien heißen die mit dem grünen
Bäumchen, dem Idto, umziehenden Kinder Sommerkinder.
Will man, daß die Ktthe gut gedeihen, so soll man ihnen den
Sommer abkaufen und hinter die Türe des Viehstalles
stecken.'
§. 3. Bnssisehe Pflngstgebräaehe. Unmöglich wäre es,
die Verwandtschaft zu verkennen, welche zwischen diesen west-
alayischen Lätaregebräuchen und der russischen Pfingstsitte
obwaltet. Am h. Semiktag d. h. Donnerstag nach Pfingsten gehen
die Bauern und das gemeine Volk der Städter in die Wälder,
flechten Blumengewinde tmd hauen eine junge Birhe, die sie mit
den Kleidern einer Frau scknmeken, oder mit bunten Lappen
und Bändern von allerlei Farben ausputzen. Im Hinansgehen,
während sie zu den Kränzen und Guirlanden Blumen sammeb,
singen die Mädchen welche die Birke einholen sollen:
Freut euch nicht ihr Eichen,
Freut euch nicht ihr grünen Eichen.
Nicht zu euch ja gehen die Madchen,
Euch nicht hriugen sie den Fleischbrei,
Kuchen nicht und Eierspeise.
Hei juchei. Dreifaltigkeit!
Freuet euch ihr Birkenhäume,
Freuet euch ihr grünen hoch!
Denn es gehn zu euch die Ifögdlein,
Bringen euch den Fleischbrei dar,
Kuchen euch und Eierspeise.
Nach diesen Worten ist kein Zweifel, dafi man ehedem die
genannten Speisen als Opfer vor die mit menschlichen Kleidern
zu einer Frauengestalt aufgeputzte Birke stellte, ehe man sie
1) S. Koch, CoUectaneen zur Gesch. v. Eisenach 1704, bei Witachel,
Sitten u. Gebräuche a. Eisenach 1866, S. 12, Cf. Zs. f. D. M^fth. n, 103.
Beimann, D. Volksfeste 1839, S.23>-25.
2) Myth.» CLVm 1097.
158 Kapitel HL Baunseele als Vegetationsdämoli:
abhieb. Ist dieses geschehen , so folgt noch jetzt ein fedüieher
Schmaus hn Angesichte des Baumes, nach dessen Beendigung
die bekleidete Birke unt^r jubelndem Gesänge heimgeftlhrt
und in irgend einem Hause aufgestellt wird, wo sie als hoch-
geehrter Gast zwei Tage bis zum Dreifaltigkeitssonntage ver-
bleibt. Während dieser Tage wird das Haus von Leuten nicht
leer, welche ihrem „Qaste^^ den schuldigen Besuch abzu-
statten kamen. Am dritten Tage aber (am Trinitatissonntage)
tragen sie ihn 8U fließendem Wasser^ werfen ihn hinein und ihre
Semikkränze und Laubgewinde hinterher.^
Die einfachste Ueberlegung ergiebt, daß die nach Menschen-
art bekleidete , ehrfurchtsvoll mit Opferspeisen begrUBte , als Gast
hochgehaltene Birke etwas anderes als das seelenlose Gewächs,
daß sie einen in ihr waltenden, zur Persönlichkeit
gediehenen Geist darstellen soll; und eben denselben Ge-
danken drückt auch das dem lausitzischen Bäumchen übergezogene
Hemd, die in Böhmen und Eisenach angehängte weißgekleidete
Docke aus. Doch der eiue Baum, den man einholt^ ist symbo-
lischer Vertreter von allen; nicht die individuelle Baumseele
meint man, sondern coUectivisch den Dämon der gesammten
Vegetation. Daß die Birke, nicht die Eiche diesen Dämon dar-
stellt ist natürlich, da sie von allen Waldbäumen sich zuerst
belaubt.
Unsere Auffassung bewährt die Ausschmückung des Baumes
mit Eiern, den Sinnbildern des neukeimenden Lebens.
Denn daß diese Bedeutung auszudrücken beabsichtigt war, lehrt
der Vergleich anderer Volkssitten. So wird vielfach in die
erste Garbe der Ernte ein Brod und ein Osterei ein-
gebunden als Gewähr des Wiederaufkeimens und reichlichen
Ertrages der Saat im nächsten Jahre , * der erste Pflug über ein
Brod und Ei in den Acker geführt, • oder beides wird in das
besäte Feld vergraben,^ oder der Sämann ißt mit seiner Familie ein
paar frische Eier auf dem so eben bestellten Lande (Thüringen).*
1) Ralston, songs of the Bnssian people. London 1872. S. 234. 238.
2) Vgl. z. B. Panzer, Beitr. z. D. Myth. JI, 211 — 213.
3) Wntüce , Abergl.« §. 428.
4) Panzer a. a. 0.
5) Wuttke §. 657.
Mittsommerstange in Schweden. 159
Während des Winters war der Vegetationsdämon gleichsam abwe-
send, zn Lätare wiU er kommen , zn Pfingsten ist er da, nnd
zugleich ist er der leibhaftige in Blttten und Blättern webende
Sommer, aber nur wie ein „Gast" kam er, der bald wieder
davongeht Gleich ihm wünscht man auch Tiere und Menschen
verjüngt; wir lernten ja hinreichend die Sympathie zwischen
Menschenleben und Pflauzenleben kennen. So ergab sich die
Ceremonie der Heimholung nach Stadt und Dorf, deren Bewohner
sieh unmittelbar und greifbar der segnenden Nähe ihres Schutz-
geistes vergewissem wollten. Das Hineinwerfen der rus-
sischen Birke in fließendes Wasser am Ende des Festes
ist (glaube ich) zu beurteilen, wie die Wassertaufe vieler in
einem späteren Paragraphen mitzuteilender ydeutscher Pfingst-
gebräuche und Emtesitten als Begenzauber für das weitere Ge-
deihen der Pflanzenwelt. Das mythische Wesen, welches diese
slavischen Latäre- und Semikgebräuche z. T. unter dem Namen
„Sommer" verherrlichen, meinen wir also zwar als Personifica-
tion der schönen Jahreszeit auffassen zu sollen, doch als Dämon
der sommerlichen Vegetation näher bestunmen zu können.
Wer die Gesetze der Mythenbildung einigermaßen kennt, wird
es nicht verwunderlich finden , daß in dem westslavischen Brauche
ein anderer Dämon der Vegetation in ihrem winterlichen Zustande
unter dem Namen Tod, Alter u. s. w. nebenhergeht. Wir werden
bei einem spätem Anlaß noch Gelegenheit finden, diese Auffas-
sung durch Erläuterung der pohlischen Marzana (d. i. Ceres nach
der Conjectur von Dlugosz) zu rechtfertigen.
§. 4. Mittsonmierstaiige in Schweden. Das Mittelglied
zwischen dem russischen Semik-(Pfingst-) gebrauch und dem
deutschen Maienstecken bildet eine schwedische Mitsommersitte.
An St. Johannisabend , wann die Pflanzenwelt iu üppigster Kraft
und Schönheit steht, richtet man bei jedem Hofe oder auf
freiem Felde die sogenannte Mittsommerstange, Maistange oder
Maibaum (Maistang, Maiträ) auf und tanzt um sie herum das
Mittsommerspiel, indeß jedes Zimmer und jede Hausflur in den.
Städten sowol, als auf dem Lande, mit Laub und Blumen
geschmückt sind. In Stockholm wird am 22. Juni ein förmlicher
Markt mit Laubzweigen und kleinen Maistangen für Kinder
abgehalten, wozu die ganze Umgegend die Handelsartikel liefert,
welche reichlichen Absatz finden. Vielfach ist die Maistange nur
160 Kapitel m. Banmseele als Vegetationsdämon :
eine hohe Stange, der gradeste und schlankste Baom, den man
im Walde finden konnte , einfach mit Laub und Blumen bekränzt,
oft auf der Spitze von einem roten Wetterhahn gekrönt,^
den der Wind umtreibt. Zuweilen aber (und zwar ebenfalls in
Smäland) kommt auch noch eine andere Form vor, welche sich
dem geschilderten russischen Brauche enge anschließt. Frau
Flygare- Carlen giebt davon in ihrem Roman Päl Yäming die fol-
gende Beschreibung. Eine hohe Maistange, welche schon einen
langen Zeitraum hindurch Jahr für Jahr auf einer und derselben
grofien Ebene getront hatte, stand heute (am Johannisabend) wieder
festlich geschmttckt in langen Kleidern von Birkenlaub;
die Arme mit bunten Blumenkränzen umwunden neigten
sich in stolzen Halbbogen gegen die schlanke Mitte, in-
deß der sogenannte Hals von Blattgold und großen Perl-
bändern aus Eierschalen leuchtete, eine Krone in gewal-
tigem Maßstabe schmttckte das Haupt und vollendete
die Kleidung. Alles atmete Leben und Freude und in buntem
Beigen bewegten sich nach dem Tone der Violine die frohen
Schaaren um die Braut des Abends, die geschmückte Maistange.*
Auch in Norwegen soll man am Johannisfeste hohe Maistangen
aufrichten, die mit Kränzen und Bändern geschmttckt sind und
um welche die jungen Leute in der Hoffnung auf eine reiche
Ernte singen und tanzen.^
§. 5. Halbanm. Am ersten Maitag, zu Pfingsten, oder am
Abend des 23. Juni findet in deutschen, westslavischen , eng-
lischen, französischen .und andern keltischen und romanischen
Landschaften die Einholung und AuQ)flanzung der Maibänme
statt. Diese Sitte erscheint schon in Urkunden des frtthem
Mittelalters (13. Jahrh.) als traditionell. Vergeblich kämpfen die
geistlichen und weltlichen Besitzer der Waldungen dagegen
1) Hylt^n-CaTallins Yfirend och Virdarne I, S. 298. 328. Westerdahl,
Beskrifiiiiig om Svenska allmogens Seder. Stockholm 1774. S. 7. Cf. FiiiD
Magnussen lex myth 552: „gallnm illum qui ad recentiora nsqne tempora
apud Snecos msticos in culmine majalis arboris coUocari solnit."
2) Flygare -CarWn, Paul Wärning übers, y. C. F, Stuttg. 1845. S.232.
237., vgl. Tiebrecht in PfeifTers Germania IV. 1859. S. 379. Vgl. dazu die
Andeutong fthnlicher Maistangen mit blomenumwundenen Bügeln bei Wester-
dahl a. a. 0.
3) S. Beimann, D. Volksfeste S. 401.
Maibanm. 161
an.^ Sie zer&Ut in mehrere Acte^ oder nimmt verschiedene For-
men an, von. denen die einen hier, die andern dort noch beisam-
men sind. Eine eingehendere Monographie wttrde znr Entschei-
dung bringen mttssen , wie viele von ihnen von Anfang zusammen-
gehörten. Die Schaar der Bfli^er (in späterer Zeit häofig nnr
der Kinder des Ortes) oder der Mitglieder einer zllnfligen
Genossenschaft (z. B. der Schuster^ der Leinweber a. s. w.) zieht
m den Wald hinaas, um den Mai zu suchen (quaerere majmn,
querir le may, fetch in the may) und bringt grttne Büsche und junge
Bäume, vorzugsweise Birken oder Tannen mit heim, welche vor
der Tttr oder auf der First des Hauses' auf die Dttnger-
stätte oder vor dem Viehstall aufgepflanzt werden und zwar
hier gerne fOr jedes Stttck Vieh (Pferde und Ktthe) ein beson-
deres Bäumchen. Die Ktthe sollen dadurch milchreich, die
1) Vgl. die französischen Belege aus saec. XIU: XIV bei Dn Gange,
gloss. med. lat. ed. Henschel s. v. v. majnm et majns, einen Aachener ans
aaec. Xlli bei Oaeearins t. Heisterbach (s. nnten S. 170), die Frankfurter a
saec. XY bei Siiegk, Dentsches Bflrgertom im Mittelalter 1868 8. 451; ans
Köhi bei Hftllmann, Dentsches St&dtewesen IV, S. 171. Vgl. Schmeller IE,
533. Ans den Niederlanden liefert Berichte Westreenen van ThieUandt,
▼aderl. Letteroefen. 1831. Nr 14. , 1832 lY, 162. üeber die jährliche Anf-
pflanzong des Maibanmes im Haag, woranf im Jahre 1734 ein Pfenning
geschlagen wnrde (yan Loon NederL Hist. penn. II, 225) vgL man Tegenw«
Staat van Holland XVI, 100; de Biemer Besohr. van's Gravenhage ete. Li
der Schweiz wnrde das Maienhanen im 17. Jahrh. dnrch zahlreiche Verbote
nnterdrflokt. Der Winterthnrer Bat z. B. liei 1659 den Großweibel in der
Kirche verkünden „dafi bei hoher Strafe die jungen Knaben am Maitag weder
Roth - noch Weifidändli In Mayen hauen soUen als ein schädlich und unnftts
Ding." TroU , G«8ch. von Winterthur UI, 188 bei Bochholz , Alem. Kinderl.
507, 102.
2) Ans Frankreich vgl. Du Gange a. a. 0. Urkunden aus .den Jahren
1207, 1257, 1397, 1400. Aus Italien saec. XVI, s. das Zeugniß des Polydo-
ms Yergilius de invent rer. 5, 2 bei Grimm Myth.* 741. VgL über Neapel,
wo am ersten Mai jedes Haus durch ausgesteckte Büsche zum Wirthshaus
werde, Cortese, Giiülo e Pema 1,2. Liebrecht, Pentamerone des Basile I»
399. Aus England s..die Beschreibung Boumes bei Strutt , Sports and pastimes
of the people of England 1841, 351^358. Brand, populär antiquities e^.
EUis 1853. I, 212—- 247. In Belgien s. Beinsberg -Düringsfeld, Oalendrier
Beige I, 278 £ . In DeutschLind s. Kuhn, Westfäl. Sag. n, 168, 471. 173,
482-^483. 156, 489--441. Kuhn, Nordd. Sag. 386, 70. Alsatia 1851, 139.
Lyneker, hess. Sagen S. 246—248. Of. Beinsberg -Düringsfeld, das festig
Jahr 127 — 130.
ll»iiBh»rdt 11
102 Kapitel HL Baumseele als Vegetationsdämon:
Hexen vertrieben werden.^ Zuweilen werden die mit Sträußen
und Bändern verzierten Maibänmehen zuvor .in feierlichem Um-
züge unter »Gesang gabenheischend von Haus zu Haus getragen,
ehe sie vor denjenigen Häusern, in welchen Gaben an Eiern,
Speck, Wurst u. s. w. verabfolgt wurden, ihren Platz finden.
Die Träger heiBen Maienknechte, Pfingstknechte, Ma^jungen u. s. w.,'
sie werden z. B. in der Grafechaft Mark , wo sie mit dem Gesänge
umziehen „Hi breng'k ink den Mai in't Hfis'^^ mit Wctsser
begossen.^ In der Gegend von Zabern bilden sich ver-
schiedene Compagnien, deren jede mit einem Maib^um
und einem verkleideten Butz, dem Pfingstnickdy d, h.
einem Burschen in weißem Hemde umzieht, der ein
geschtpäretes Gesicht und mit Stroh ausgestopften Bauch
hat. Einer aus der Gesellschaft trägt einen riesigen
Korb, worin sie Eiec, Speck u. d. gl. sammeln. Außer
dem größeren Maien, den man dem Pfing&tnickel voran
trägt, führen die ttbrigen Mitglieder der Gompagnie
jeder einen kleineren. Oft begegnen sich drei bis vier
Compagnien und es kommt zu einem Kampfe, nach wel-
chem dem unterlegenen Teile der große Mai abgebro-
1) S. Meier, Schwab. Sagen 397, 76. Grater, Biagnr VI, 1798 S. 121.
Peter, VoUcBtümliches a. Oesterr. Schlesien II , 286. Beinsberg -Düringsfeld,
Festkalender a. Böhmen S. 210. Cf. „ They fancj a green hojigh of a tree,
fastened on May-Day against the honse, will prodnce plenty of milk that
Stimmer. Camden, antient and modern manners of the Irish bei Brand
a. a. 0. 227. Weitere Nachweisongen aus Dänemark nnd Norwegen giebt
Mannhardt, Germ. Myth. 17 ff.
2) Alsatia 1851 S. 144. Enhn, Nordd. Sagen 887,70. Pöter, YoUdb-
tümliches aus Oesterr. Schlesien II, 280. I, 88. Schmitz, Sitten nndBrfiache
des Eifler Volkes k. Trier 1856 I, 3d. Beinsberg -]!)&ring8feld, das festliche
Jahr 130.
3) Fr. Woeste, Yolksüberl. a. d. Grafschaft Mark 26. Im Ifittel-
alter gestaltete dieses „den Mai ins Hans bringen'* sich mehrfach su
einem berittenen £inzag. Vgl. Le Fövre de Saint- Bemy bei Göltet,
FÖtes religienses p. 158 vom Jahre 1414: Messire Hector, b&tard de Bourbon,
manda a cenz de Compiägne, qne le premier jour de may 11 les irait
esmayer; la quelle chose il fit, monta a cheyal, ayant en sa oompagnie
d'eox Cents hommes d'armes des plns vaülants avec une belle oompagnie de
gens de pied et toos ensemble, chacnn nn chapean de mai snr lenra har-
nais de fdte, all^rent a la porte de Compiägne et avec enz portaient
une grande brauche de mai poar les esmayer.
Maibanm. 163
eben wird (mündl). Oder ein Kind, das Mairesde (Maienrös-
lein) j trägt einen mit Blumensträußen und Bändern geschmückten
Maien, ein anderes einen Korb, um die Gaben für die kleinen
Sänger in Empfang zu nehmen , die dem Mairöslein folgen (Thann
un Oberelsaß). Wo nicht vor jedem Hause ein Maibaum aufge-
pflanzt wird , beschränkt die Sitte diese Handlung größtenteils auf
diejenigen Wohnstätten , in denen heiratsfähige Mädchen sich
befinden, oder die Häupter der Gemeinde (Stadt, Dorfschaft
u. s. w.) ihren Sitz haben.
Das Maienstecken für die jungen Mädchen geschieht
entweder als Zeichen der Achtung von sämmtlichen Burschen der
geflammten Gemeinde zusammen (oft erhält jede mannbare Jung-
frau im Hause ihren besondem Baum, die ältere eine größere,
die jüngere eine kleinere Maie), oder als Ausdruck inniger Liebe,
als symbolischer Heiratsantrag von Seiten des Liebhabers allein,
und in diesem Falle schneidet der letztere wol auch seinen
Namen in die Binde des Baumes ein.^ Nur den ehrenwerten
1) In ItaUen heißt majo der Zweig (von Birken oder Eichen) der der
Geliebten vor die Türe gesetzt wird. Man hat daher das Sprichwort „ap-
piccare U majo ad ogni nscio" fär ,, inamorarsi per tntto." Nach T. Bar-
cinlli im Diritto. Borna 1873. n. 108 ist es ein mit woldnftenden ginster-
artigen Blüten in Tranbenform bedeckter Baum (Akazie?), den ^ man als
Maggie oder Majella bezeichnet und dessen blütenschwere Zweige die
liebenden Jünglinge in der Nacht vom letzten April bis znm ersten Mai ihren
Mftdchen vor die Türe setzen. Man nennt das „plantar Maggie.*'
Schon Lorenzo von Medici in einer seiner Eanzonen sagt:
Se tu vuo' appiccare an majo
A qualcuna che tu ami ,
und Michel Angelo Bonaroti in der Tancia spielt darauf an:
^ Cosi gettat' ho via ciö, che fei mai^
Per lei e doni, e feste e serenate:
In vano al Maggie io le ho ataccati i maj.
Auch in Spanien ist majo = arbole de enamorado. Bei den Bum&nen setzen
die Barsche am Himmelfahrtstage den stattlichen Maibaum vor die Fenster
der mannbaren Mädchen. W. Schmidt, das Jahr der Eomänen Siebenbürgens.
Hermannstadt 1866. p. 12. In Frankreich vgl. Du Gange a. a. 0., der z. B.
flg. Urkunde v. läSO beibringt. ^, Bobin d'Ambert fast allez avec
certains compaignons de la ville de Crecy sur Sere par esbatement cueil-
lir da may ou aatre veidore pour porter devant les hotelz des
jeanes filles, si comme il est acoustome de faire en ceUe nuit. Die
Sitte Ueß enmayoler oder esmayer (verschieden von esmayer d. i. smagare
erschrecken). Urk. t. 1375: La searveille du premier jour de may ioeulx
11*
164 Kapitel III. Banmseele als Vegetationsdamon:
sittlich unbescholtenen Jungfrauen oder jungen Wittwen wird
diese Ehre zu Teil; denjenigen , welche sich Unkeuschheit oder
snpplians yonlantaier enmaioler les dittes filles, comme il est de coos-
tame. In der Niederbretagne steckt man einen mit einer Blnmenkrone
geschmückten Maibaum an die Tür der Geliebten. Cf.DeNore, mythes
p. 207. Im Dep. da Nord bringt man am 1. Mai Birkenzweige an Fenster
nnd Dach der Wittwen und Jnngfranen an. ,De Nore 339. In der Bretagne
(Loire inferienre) heftet der Liebhaber seiner Schönen ein Rosenbonqnet
über die Tür. Im Niyemais sind es Kirschen- oder Pfirsichzweige,
die man dem Schätzchen in der Mainacht oben zur Seite der Haustür
anbringt (mündl.) Im Jura befestigen sie den imt Blumen ^ Bändern, Kucken
nnd Weinflaschen gezierten Maien heimlich am Eammerfenster oder oben
am Schornstein des Hauses der Geliebten, fi. Cortet, fStes reügieuses.
Paris 1867, p. 164. üeber die Allgemeinheit der Sitte in Frankreich s. Mon-
nier, traditiohs populaires. Paris 1857, p. 307. In der Provence hat man in
Bezug darauf folgendes liedchen:
Yeci lou djoli mb de mai,
Que lou galans plantan lou mal:
N'en planterai ion a ma mio ;
Sara plus hiaut que sa tiolino.
d. i.
Voici le joii mois de mai,
Que les amoureux plantent le mai:
Ten planterai un a ma mie;
n sera plus haut que son toit.
Monnier a. a. 0. 295 — 6. Im Elsaß stellen die jungen Bursche ihren Mfid-
chen in der Walpurgisnacht eine schlanke Tanne mit Blumen und Bin-
dern vor das Fenster, indeß die Kinder den in der Mitte des Dorfes stehen-
den großen Maabaum singend umtanzen (Alsatia 1851 , 141 ff.). In der Gegend
von Zabern setzen die jungen Leute ihrer Liebsten einen Maibusch vor die
Tür oder auf das Dach. Letzteres ist ein Zeichen brennender Liebe
(mündl.). In Limburg und Brabant, sowie in den angrenzenden belgischen
Provinzen, zieren hohe belaubte Stämmchen oder grüne Zweige von Lorbeern,
Tannen oder Birken (oft auch nur Buchsbaumzweige, Meipalmen) mit Bin-
dern, buntem Papier und Flittergold geschmückt die Dächer, das Schlaf-
stnbenfenster oder die Haustür der geliebten und tugendhaften Mfidohen.
Zs. f. d. Myth. 1, 175. Beinsberg -Düringsfeld, Calendrier Beige I, 279 —280.
Zuweilen sind dem Maibaum Verse angehängt, wie „Mai de chSne, je toub
ar^ne (aime)'^ oder: „Mai de core (nojer), je vous adore" Beinsberg -Dü-
ringsfeld, CaL Belg. 280. Solche Devisen und Bilder' pflegten auch die
Frankfurter Patriziersöhne den Maien anzuhängen, die sie verehrten Frauen
oder Jungfrauen steckten; so Johann Knoblauch i. J. 1464 den Spruch: „Fal-
scher Grund ist meinem Herzen unkund" Lersner bei Eriegk a. a. 0. 452.
Im Harz, in Sachsen, Thüringen nnd im Voigtlande ist ea die P fingst-
Maibanm. 165
Wankelmut in der Liebe zu Schulden kommen ließen oder durch
ihr sonstiges Betragen Haß und Verachtung auf sich geladen
haben , setzt man einen dttrren Baum y oder auch einen Baum von
besonderer Art (Holunder, Hasel, Pappel, Vogelbeerbaum, Dom,
u. s. w.) oder endlich man verfertigt einen Strohmann und steckt
ihnen den vor die Tür, das Kammerfenster oder auf das Dach
und bestreut den Weg zwischen ihnen und ihrem unrechtmäßigen
Liebhaber mit Spreu. ^
nacht^ in der die sämmtlichen jungen Barsche den Mädchen, die sie ehren
nnd lieb haben, Maien vor die Tür setzen. E. Sommer, Sag. n. Märchen
S. 151. Prohle, Kirchl. Sitten S. 261. Kuhn, Westf. Sag. II, 169, 474.
Köhler , Yolksbrauch im Yoigtlande 1867, S. 175. In der Nacht yom ersten
zum zweiten Pfingsttag erhält im Wittgensteinschen jedes unverheiratete
Weib von den unverheirateten Männern seinen Maistrauch. Kuhn, Westf.
Sagen 11, 168, 470. In Schwaben stecken die Bursche gemeinhin nur ihren
Schätzen die Maitanne oder Maibirke vors Haus; im Oberamt Welzheim aber
wird zu Ehren der Mag^ oder Tochter vor den Stall oder auf den Mist
jedes Hauses ein grüner Zweig gesetzt; daran je nach der Schätzung des
Mädchens mehr oder minder flotte Bänder hangen. Gilt es mehreren Mäd-
chen, so wird flir jede ein besonderer Baumzweig gesteckt. Meier, 397, 76.
Ebenso in TrSmiö in Böhmen; jedes erwachsene Mädchen im Hause erhält
seinen Baum; das älteste den größten, das jüngste den kleinsten Maien.
Reinsberg-Düringsfeld, Festkalender a. Böhmen S. 214. In der Eifel befestigt
jeder Bursch seiner bei der Mädchenversteigerung zu Lehne erhaltenen Maifrau
einen schönen Maien auf den Giebel, oder das Dach der Wohnung (Schmitz
a. a. O. S. 32) , während im Bergischen bei der Maisprache die jungen Bursche
der Landgemeinde ausmachen, welchem der ausgeteilten Mädchen der Mai-
banm (eine schöne mit vergoldeten, weißen und bunten Eiern,
Blumen und Bändern gezierte Linc{e oder ein Maibuchenast) al& beson-
dere Ehre vor die Türe gestellt werden solle. Montanus, die deutschen
Volksfeste S. 30. Im Prager Kreise schälen viele Bursche die Rinde unter
der Krone des Maibaumes ab und schneiden ihren Namen hinein, damit
das Mädchen wisse, wer ihr den Maien gesetzt hat, und sie zur Frau
begehrt Beinsberg -DÜringsfeld, Festkalender S. 214. In Bheinhesscn
und einigen nassauischen Orten haben die Bäume, welche die Bursche ihren
Schätzen am Abend vor 1. Mai vors Haus setzen, keine weitere Verzierung,
als oben unter den ersten Aesten drei durch Ablösen des
Bastes hergestellte Binge. Aber wehe dem Burschen, der diese Auf-
merksamkeit unterließe. Seine Schöne machte ihm Tage lang ein böses Ge-
sicht Denn „wem mr gut is, dem sticht mrn mai'' heißt es. Kehrein,
Volksspr. u. Volkssitte in Nassau S. 155.
1) Alles in der vorigen Anmerkung Beigebrachte gilt aber nur jungen
und unbescholtenen Frauen, haftet auf einer ein sittlicher Makel, oder hat
166 Kapitel III. Banmseele als Vegetationsdämon :
Anßer den Wohnungen geehrter Mädchen wird sodann das-
jenige Hans darch einen Maien ausgezeichnet , in welchem die
sie sich eine Untreue gegen den Liebsten zu Schulden kommen lassen, so
tritt an die Stelle des grünen Maibanmes ein blätterloser Banm oder ein
Strohmann, oder irgend ein Banm besonderer Art, zuweilen gilt dies auch
solchen, die sich sonst durch ihr Wesen und Betragen unleidlich gemacht
habetL. Auf dem Lechrain steckten zuweilen die Liebhaber allein ihren
Sch&tzen, zuweilen alle Buben der Gemeinde sämmtliohen brayen Dirnen
fünfzehn bis zwanzig Fuß hohe grüne Tannenbäume mit farbigen Bän-
dern, Marschanzkem (d. i. Borstorfer Aepfeln) £ipferln (Backwerk) und
voUen Bosoliflasehen geziert auf den First ihres Hauses, oder yor die
Eammertür; schlechten Weibsbildern aber statt dessen dürre Bäume mityer-
schmierten Hadern statt der Bänder %md einen Strohmann mit zerrissener
Jacke und Hut, Tattermann genannt yon tattern d. i. erschrecken. Leo-
prechting , aus dem Lechrain S. 177. Erwarb sich das Mädchen durch Rein-
lichkeit und Geschicklichkeit die Anerkennung des Orts , so steckten ihr die
Bursche eine „gestämmte junge Tanne," an deren Gipfelästen die Ge-
schenke des Liebhabers hangen. Im andern Falle sieht sie am Kammer-
fenster Teile ihres eigenen schmutzigen Anzugs. Ihr Bub darf
sie nicht wieder öffentlich zeigeii , die Spinnstuben sind ihr yerschlossen , sie
muß auswärts in Dienst treten und darf erst nach Jahresfrist mit guten
Zeugnissen sich wieder zu Hause sehen lassen. Birlinger, Yolkst. a. Schwa-
ben II, 95, 125. In ähnlicher Weise bildet überall die Bestrafung der nichts-
nutzigen Dirne den Gegensatz zum frischen grünen Maien, der der jungen
und ehrenhaften Jungfrau gepflanzt wird. Bei Aerschot (Südbrabant) gilt ein
yertrockneter Baumstamm als Spott für alte und verhaßte Mädchen ; bei
Campine setzt man den ungetreuen oder zu Fall gekommenen vollständig
bekleidete Strohmänner (voddeventen Lumpenkerle) rittlings aufs Dach oder
auf einen Baum vors Schlafstubenfenster. In franz. Flandern heißt
solcher Strohmann marmousin (Meerkatze), woraus in Ostflandern mahomet
wurde. In Limburg heftet man den unehrenhaften Mädchen einen Strauß
Petersilien an die Tür (Beinsberg - Düringsfeld , Calendr. Belg. I,
279 — 280). Zu Pont TEv^que in der Normandie fanden gute Gesellen i. J.
1393 vor dem Hause eines jungen Mädchens einen Hasel st rauch als Mai
aufgepflanzt, es schien ihnen „ qu'il n'estoit pas bien honneste pour le mettre
devant Tostel d'une bonne Alle; le quel may ilz osterent.*' Im Jahre 1367
beklagte sich die Tochter eines bekannten Mannes, Johanna, daß ein gewisser
Oaronchel ihr einen Maien gesteckt habe (il Tavait esmayöe) und zwar habe
er ihr einen Holunderzweig auf's Haus gesetzt, sie sei aber keine
Frau, der man dergleichen esmayements und Verspottungen bieten dürfe,
noch sei sie so anrüchig (puante) als der Holunder anzeige. S. Du Gange
a. a. 0. In Schmallenberg in Westfalen pflanzt man unordentlichen Mädchen
statt der Birken Yogelbeerbäume (quaken) vor's Haus; auch in Thüringen
drückt die Eberesche vor der Tür des Mädchens Spott oder Abneigung aus.
Kuhn, Westf. Sag. 156, 442. Köhler, Volksbrauch S. 175. In Thüringen,
Maibanm. 167
böehgte Antorität der Gremeinde tront, die Wohnung des Bürger-
meisters, das GeriobtshaoB n. dgl.,^ seltener die Eirehe und das
am Harz nnd Elm stecken sie ÜDkenschen Holander, Fappelzweige,
oder DornWasen yor die Fenster (Enhn, Nordd. Sag. 389, 76); im Ber-
gischen Kirschbanmzweige (Montanas S. 30), in Böhmen alte abge-
kehrte Besen (Schmalfaß, d. Deutschen in Böhmen S. 71). Häafig aber
vertritt die Stelle des dürren Baames ein Strohmatz. Schwangeren Mädchen
oder sonst in übelm Gerüche stehenden Personen wird ein hölzerner mit
Lampen and Fetzen bekleideter Mann oder ein Strohmann vor das Eammer-
fenster, anf den Mist, anf einen Baum, oder gar aaf den First des Haases
befestigt and der Weg za ihrem Liebhaber mit Sprea oder Heckerling
bestreut S. Birlinger, Yolkst. a. Schwabenil, 94, 124. Kahn, Nordd. Sag.
389, 76. Ders. Westf. Sag. 156, 442. Mülhause, ürreligion S. 212 (Hessen).
Bemerkenswert ist die Sitte in der Gegend von Zabem , der falschen Geliebten
einen mit mehreren Strohseilen amwundenen und mit Herings-
and Katzenköpfen behangenen Maibnsch za bringen; in derCote d'or and
im Nivemais ihr einen Tierschädel (Pferdekopf, Ochsenkopf) über der
Türe aafzahängen. Aach in England fehlen die beschriebenen Sitten nicht.
In Cheshire setzen die jungen Leute am Maitag Birkenzweige Aber die Türe
ihrer Liebsten, die Wohnung einer Zänkerin aber bezeichnen sie dorch eine
£rle, diejenige einer Schlampe durch einen Nußbaumast (Hone, Everj
day-book 1866, II, 299). In Hitchin (Herefordshire) binden die Mayers aus
dem. Walde zurückkommend grüne Maizweige an die Klopfer der Türen , je
länger der Mai, desto größere Ehre für das Haus, hat aber einer der Dienst-
boten ' dieses Hauses den Mayers während des Jahres Anstoß (offence) gege-
ben, so heften sie einen Erlenzweig mit einem Bunde Nesseln an die Tür
und das ist eine große Schande (Hone a. a. 0. I, 283).
1) In der Jurakette von Belley (D^p. de TAin) bis Porentray stellt man
einen belaubten Maibaum vor die Wohnung des neuerwählten Mairo. Mon-
nier, trad. pop. p. 307. In Paris bestand noch im 17. Jahrb. die Sitte, daß
die Clercs der Bazoche in dem Cour de mai benannten Hofe des Justiz-
palastes jährlich den geschmückten Maibaum aufrichteten. Gortet, fetes reli-
gieuses p. 158. In Frankfurt a. M. schmückte man im 16. Jahrhundert die
Ratsstube zu der am 1. Mai stattfindenden Bürgermeisterwahl mit Maien aus,
pflanzte sodann vor dem Bömer, sovrie vor den Häusern der ab- und
angehenden Bürgermeister und Forstmeist((ir (d. h. der dem Forstamte vor-
stehenden Batsglieder) Maibäume auf. Da der Misbrauch einriß, das auch
außer am 1. Mai zu andern Jahreszeiten zu tun, wurde 1597 verordnet^ daß
vor dem Bömer, den Häusern der Bürgermeister und Forstmeister jährlich
nur einmal ein Maibaum gesetzt werde. Kriegk a. a. 0. 452. In manchen
Gegenden Schwabens wird am 1. Mai den Herren d. h. dem Pfarrer, dem
Wirten, zu andern Zeiten auch wol einem neuen Schultheißen zu Ehren ein
Maibaum gesteckt Meier, Schw. Sagen 397, 75. In der Bretagne pflanzt
man den Maibaum in der Mainacht vor die Tür der Oberhäupter größerer
Familien. De Nore 207.
168 Kapitel III. Baomseele als Vegetationsdämoii:
SchnlhaiiB. Alle diese vor den Häusern angepflanzten Maien
müssen nnterschieden werden von dem größeren Maibanm oder
der Maistange (engl maypole) welche in der Mitte des Dorfes;
aof dem Markte der Stadt unter der Teilnahme der ganzen Ge-
meinde, aufgerichtet wird. Einstimmigkeit alier Bauern dazu ist
erforderlich, um diesen Baum feierlich aus dem Walde zu holen.
Im Mittelpunkt der Ortschaft, der Straße, oder des Stadtviertels
eingegraben, wird er mit Eifersucht bewacht; gelingt es trotz-
dem einer fremden Ortschaft ihn zu stehlen, so wird er von der
Bauerschaft ausgelöst und mit grofiem Pompe zurückgebracht.^
1) Die hohen aofgezierten Maibäome werden anter Teilnahme der gan-
zen Gemeinde mit fröhlichem Tanz nnd Gesang gesetzt. Leoprechting,
Lechiain S. 177. Die ganze Gemeinde muß einig sein, den Maibanm
einzuholen. Meier, Schwab. Sagen 396, £K. 74. Ein schöner Maibanm ist
im Yoigtland der Stolz des Dorfes. Köhler a. a. 0. S. 177, 9. Im Stad-
und Budjadingerlande (Oldenburg) werden bei den einzelnen Höfen Maibäume
errichtet, viele Bauerschaften aber haben einen gemeinsamen
Mai bäum, den der Bauer voigt oder der Wirt das Jahr über aufbewahrt,
eine möglichst hohe Stange, deren Höhe mitunter noch durch Stangenwerk
vergrößert wird. Tags vor Pfingsten wird sie mit grünem Mai, Büschen
und Kränzen , auch wol mit Flaggen geziert und die Nacht hindurch sorgsam
bewacht, wobei nicht wenig gezecht wird. Sie bleibt bis zum Trinita-
tissonntage stehen. Während der Maibaum steht, ist es andern Dorf-
schaften erlaubt, ihn zu stehlen, doch dürfen sie keinen der Stricke, die ihn
halten, durchschneiden. Gelang der Diebstahl, so muß die unachtsame Bauer-
Schaft ihren Baum mit einer Tonne Bier lösen. Auch in Jeverland setzt
man Maibäume und es gilt für sehr ehrenvoll einen solchen zu stehlen. Der
gestohlene wird mit großem Pompe zurückgebracht. Hinter einem Wagen
mit Musikanten folgt auf zweien Wagen der Maibaum, dann auf meh-
reren Fahrzeugen die üntführer des Baumes mit ihren Mädchen. Pferde,
Menschen und Wagen sind reichlich mit Grün und Blumen geschmückt. In
dem Orte , woher der Maibaum stammt , empfängt den unter Musikbegleitung
nahenden Zug eine filirenpforte; hinter derselben steigen die Gäste ab, und
werden, nachdem der Baum wieder aufgerichtet ist, reichlich mit Speise und
Trank bewirtet; man macht ein paar Tänze und der Zug kehrt zurücL
Strackeijan, Abergl. u. Sagen a. Oldenburg II, 47. §. 317. Hiemit stimmt
was Owen in s. Welsh dictionary s. v. bedwen (Birke) aus Wales mitteilt:
Bedwen a maypole, because it is always made of birch. It was oustomary
to have games of various sorts round the bedwen, but the chief aim, and
of which the fame of the village depended, was to preserve it
from being stolen away, as parties from other places were continuaUy
on the watch for an opportunity, who if suocessfull, had their feats recor-
ded in songs on the occasion. Brand, pop. antiqu. ed EUis 1,238. In Bor-
Maibanm. 169
Von EiöBtem und groften Gmndbesitzem war zuweilen die jähr-
liche Liefenmg des Maibanma als emphyteatische Last einem
Erbpäehter auferlegt. Der in Bede stehende Maibanm ist eine
große Birke oder Tanne, oder ein anderer sehr großer Banm,
dessen Stamm häufig bis unter die Krone von Zweigen entblößt
und ganz glatt abgeschält ist, die obersten Zweige des Wipfels
läßt man in vollem Laube stehen. Die Abschälung der Binde
geschieht yielfach in sckUmgenförtnigen Windungen y oder der
abgeschalte Stamm wird auf dieselbe Art in bunten Farben bemalt
und mit Bauschgold und Bändern geschmttckt. Zuweilen aber
vertritt (ursprtlnglich geschah dies ohne Zweifel aus ökonomischen
Bücksichten) den Maibaum eine große Stange , welche oben mit
Laub und Blumen umwunden wird, und nicht selten so rie-
sig ist, daß sie aus mehreren Stämmen zusammen ge-
fügt werden mußte. In diesem Falle wird der Baum
nicht jedes Jahr erneut, sondern er behauptet seinen
Platz und wird nur alljährlich mit frischem Grttn beklei-
det. Den Wipfel zieren häufig Eier, (am Pfingstbaum im Olden-
bnigischen sind sie vei^ldet) Wttrste, Kuchen, sonstige Ess-
waaren darunter zuweilen volle Flaschen mit Getränk,
bunte Bänder, aber auchTttcher und andere begehrens-
werte Dinge. Um den Maibaum wird ein festlicher Beigen
getanzt ; die Bursche klettern danach und suchen wetteifernd die
guten Gaben herunterzuholen, nach denen der Baum in Wälsch-
tirol albero della cuccagna Baum des Ueberflusses heißt. ^ Die
deanx errichteten die Bewohner jeder Strafie ihren hesondem Maibanm, nm
den sie Lieder im Patois singend tanzten. De Nore a. a. 0. 187. In Nürn-
berg heißt das Maiengäßlein nadi dem bis 1561 errichteten ,,8tadtmayen,^''
1) Im VoigtUinde werden auf dem Dorfplatz am Pfingstfeiertag grflne,
zuweilen mit bnnten B&ndem geschmückte B&nme aufgestellt. Köhler, Yollcs-
brauch S. 175 , 8. Oberhalb Thale im Gebirge findet zu Pfingsten der soge-
nannte Birkentanz statt; mit Musik holt man eine Birke jubelnd ins
Dorf und richtet sie dort auf; um dieselbe wird dann getanzt. In Hasse-
rode und andern Orten hat man statt der Birke eine Tanne. Kuhn, Nordd.
Sag. 387, 70. In der Eifel zwischen Aachen und Trier föllten die Bursche
des Ortes in der Pfingstnacht eine junge, schnacke Buche, richteten sie auf
dem Dorfplatze auf und umgaben den Gipfel mit einem Kranze von
Eierschalen und Bändern. So lange der Baum stand, tanzte das
Jungvolk allabendlich singend einen Reihen um denselben; das hieß: „um
die Krone tanzen,'* sp&ter wurde der BauA versteigert und das soge-
nannte Kronengdag gehalten. Schmitz 1, 38. Für diesen heutigen Eifler
170 Kapitel III. Banmseele als Vegetationsdfimoii:
altertümlichste Form der Ausschmtlckung des Baumes mit Speisen
n. d. gl. ist ohne Zweifel in dem Brauche erhalten, von dem
Brauch besitzen wii bereits ein altes Zengniß in einem Vorfall, der L J.
1225 zu Aachen statt hatte. Da der Pfarrer Johannes in geistlichem Eifer
den mit Kränzen geschmückten Baum, welchen das Volk umtanzte, umhieb
(cum Corona fuit erecta et Johannes ^ arborem succidisset et alias Coronas)
leisteten die Bürger ihm Widerstand und verwundeten den Priester. Der
Vogt Wilhehn aber befahl demselben zum Trotze einen höheren Baum zu
errichten (altiorem arborem erigere)« Caesarius Heisterbac. mirac. lib.
I, cap. 17. Vgl. A. Kaufmann, Caesarius y. Heisterbach, Cöln 1862, p. 190.
121. Anm. 2). Die loccUe Form des Maibaumsetzens war also in der näm-
licheji Gegend schon vor 650 Jakren die nämliche, wie heute; es muß weit
langer her sein, daß sie sich von der allgemeinen Sitte ablöste. Für diese
selbst reicht man mithin durch dieses Zeugniß schon naher an die Zeit des
4ö0 Jahre früher erloschenen Heidentums in Westfalen hinan. Im Weidenauer
Bezirk (Oesterr. Schlesien) wird bei frühestem Morgen den 1. Mai eine
schlanke, schon vorher abgeschälte Tanne, deren Gipfeläste man stehen
läßt, auf einem freien Platze des Dorfes so aufgerichtet, daß
sie im ganzen Orte gesehen werden kann. Die Aeste sind mit
Bändern und Schnupftüchern behangen, welche derjenige erhält,
der den Baum bis zum Wipfel erklettert. Der Baum bleibt 8—14 Tage
stehen. Peter , Yolkstüml. i. Schlesien II, 286. In Beichenbach im Yoigt-
lande stellte man am Johannisabend einen Maibaum mit allerlei Gegenstän-
den behangen auf dem Anger auf, man t-anzte umher und die jungen Bursche
holten sich die daran hangenden Sachen. Zum Schlüsse warf man den
Matbaum ins Wasser, vorher aber noch eine Person, welche man Johannes
nannte. Das Spiel hieß Firlefanz. Köhler S. 176, 9. In Oestreich (Innvier-
tel) wählt man zu den am ersten Sonntag im Mai gesetzten Maibäumen
hohe schlanke Stämme; man schält sie völlig ab, den Wipfel aus-
genommen, dem Ein de und Zweige verbleiben; der Wipfel wird mit bunten
flatternden Seidenbändem , mit Bauschgold und mit Preisen behangen, letz-
tere so gereiht, daß das Beste den Wipfel selbst krönt. Der Stamm ist
bemalt. Nach den Preisen wird geklettert. Baurogarteu, das Jahr u. s.
Tage , Linz 1860, S. 24. Am Harz wird die aufgerichtete Maie gewöhnlich
bis zur Krone geschält und nachher mit der Binde schlangen-
förmig umwunden. Kuhn, Nordd. Sag. 387, 70. In den wendischen
Dörfern der Lausitz holen die Burschen am Pfingstfeiertag einen Baum,
schälen den Stamm ab, so daß er ganz weiß aussieht, und die
Mädchen schmücken den Gipfel mit Tüchern. Nachher werden die Tücher
von den Burschen geholt. Köhler, Voigtland S. 177, 9. Der Maie luden
katholischen Dörfern um Ellwangen in Würtenberg ist eine hohe geschälte
Pichte, an deren obere Spitze noch ein jüngerer mit Bändern geschmückter
Fichtenbaum als Wipfel angeschmiedet ist. (Uebrigens werden in Schwaben
zuweilen auch die Bäumchen, welche man geliebten Mädchen oder andern
geehrten Personen z.B. dem Pfarrer „steckt,** abgeschält, bis an die
Maibaum. 171
un& eine Urkunde ans Italien Kunde giebt: Prima die maß cm-
dam emphyteusin ab orphanis Lueensibus JuibenH id ofms incwmr
Krone geringelt und dann mit Bftndem nnd Kränzen geschmückt (Bir-
linger a. a 0. 94, 124). In der Umgegend von EllwaDgen, wird am 1. Mai
ein großer, oft aas mehreren Stämmen zusammengesetzter Mai
gesteckt; die Krone ist mit Tpchem^und Bändern behangen, die als Preis
die besten Kletterer erhalten. Unter Musik und Jubel tanzt man nm den
Baum. Meier S. 896, 74. In Oberbaiem und dem Salzkammergut* ist der
Maibaum häufig oberhalb des grünen Wipfels mit einer Flagge, unter-
halb desselben mit mehreren besteckt, etwas weiter unten sind mehrere
Kränze wagrecht angebracht, so daß der Schaft des Baumes das
Centrum bildet. Auch in Frankreich und England wurde der Maibaum vom
Dorfe oder Kirchspiel (village, parish, paroisse) gemeinsam errichtet* und es
ist deswegen oft von dem viUage-maypole die Bede. In einem alten fran-
zosischen Druck (a Paris chez Mariette) der die 4 Jahreszeiten darstellt
(wiederholt bei Hone, Every-Daybook 1866 II, 297) ist die Aufrichtung des
französischen Maibaumes auf dem Dorfplatz mit Hilfe von Stricken und
Hebeln dargestellt. Nur die obem Aeste stehen in vollem Laube , alle untern
Zweige und Aeste sind abgehauen. Flatternde Bänder, Bandschleifen, ein
über einen Ast geworfener Kranz, Backwerk und Weinflaschen
schmücken die Krone und den obem Teil desStanunes; Trommler und Trom-
peter erwarten die Vollendung des Werkes, um ihr Spiel zu beginnen. Den
englischen Maibaum schildert sehr anschaulich Stubbs in s. anatomie of ab-
uses 1585 p. 94. Nachdem er erwähnt, daß jede Pfarre, Dorf oder Stadt,
alt und jung in der Mainacht zusammen oder in Gesellschaften (com-
panies) geteilt in die Wälder und Berge gingen, erwähnt er, daß
sie junge Birkenzweige und Aeste zugleich mitbrachten. Ihr Hanptkleinod
jedoch war der Maibaum (maiepole), den sie mit großer Ehrerbietung (vene-
ration) aus dem Walde holten zwanzig oder vierzig Joch Ochsen mit blu-
menumwundenen Hörnern zagen den mit verschiedenen Färben bemalten von
der Krone bis zum Fuß mit Laüby Blumen j Kräutern und Bändern um'
wundenen Stamm unter dem Geleite von 200 bis 300 Menschen (Männern,
Weibern, Kindern) nach Hause, wo man Banner, Schnupftücher, Fahnen an
seinen Wipfel band und Lauben daneben errichtete und ringsumher Tänze
aufführte, die den Verfasser an die Tänze der Heiden zu Ehren ihrer Göt-
ter erinnerten. Die Ausgelassenheit sei so groß, daß von den zu Walde
mitgehenden Mädchen der dritte Teil die Ehre verliere. S. Brand ed Ellis
I, 235. Strutt a. a. 0. 352. Aehnlichen Eindruck empfing ein anderer Schrift-
steller jener Zeit (im Jahre 1577). In^Northbrookes Treatise etc. wird erzählt,
daß die jungen Leute in der Mainacht auf fremdem Grunde einen Maibaum
stehlen und unter Musikbegleitung in ihr Kirchspiel bringen; wann sie ihn
aufgestellt haben, bedecken sie ihn mit Blumen und Blumengewinden und
tanzen umher, wie die Kinder Israel um das goldene Kalb. Brand a.a. 0.
237. VgL Stevenson in the Twelf moneths 1661: Te tall young oak is
cut down for a maypole and thc frolick fiy of the town prevent the
172 Kapitel lU. Baamseele als Vegetatiposdämon:
hü, ut ad eos arborem majidem defercU, non pcmds tcteniis omor
tarn annexis tribt^ frumenti spicis] si istae abessent emphyteuia
a benefidi possessione staHm dedderet (Maratori antiqoit. m, 187
bei Grimm B. A. 361). Doch wir wollen noch ein paar besonders
groteske Beispiele von Bäumen der geschilderten Art im Einzelnen
namhaft machen. Ich ftlhre zunächst eine oberbairische Form
der Sitte auf: „Noch immer hält durch das ganze oberbairische
Land ein ehrlich Dorf viel auf einen schönen in feierlichem Zage
aus dem Walde geholten Maibaum für die gesammte Gemeinde;
namentlich im Ampergrund, aber auch im Innthal und im Ghiem-
gau sieht man sie reich und schön verziert und alle drei bis
fünf Jahre erneut Neben den bloßen Zierraten (Fahnen,
Wappen, Kränzen, Inschriften) hat der Maibaum auch wesent-
liche unerläßliche Bestandteile, so den „ Maibüschel, '^ den grünen
rising of the sxm and with joy in their faces and bwighs in their handSy
they march before it to the place of erection. Brand a. a. 0. 236. Daß die
ein för allemal stehen bleibende Maistange nur eine Ersparnis für den jähr-
lich aas dem Walde zu holenden lebendigen Maibanm sein sollte, erhellt
deutlich aus Beschreibungen wie die folgende des Maibaumes in Wewerham
(Cheshire): ,,8ideB are hung with garlands and the top terminated by a
birch or other tall slender tree with its leaves on; the bark
beeing peeled and the stem spliced to the pole, so as to give
the appearence of o-ne tree from the summit. Hone every day-book
II, 299. Die Puritaner des 17. Jahrhunderts verfolgten die Maibäume. Sehn-
süchtig, gedenkt Pasquils palinodia i. J. 1634 der guten alten Zeit: „when
every village did a maypole raisc.'' Brand a. a. 0. 239. Auch in
England kannte man maypoles: „painted yellow and black in spiral
lines" und „painted in various colours." Brand a.a.O. 237. Vgl.
Borlase von dem Maibaum in Comwales: From town the make incursions
on may-eve into the country, cut down a tall elm, bring it into the town
with rejoicing and having fitted a straight taper pole to the end of it and
painted it, erect in the most public part and upon holidays and
festivals dress it with garlands and flowers or ensigns and streamers.
In Wälschtirol ist es eine Volksbelustigung an Kirchweihen, einen hohen ent-
ästeten und entrindeten wol geglätteten und mit Seife eingeriebenen Baum
aufzustellen, den Baum des Ueberflusses (Palbero della cuccagna) an dessen
Spitze Geld, Kleider, Weinflaschen, Würste aufgehängt sind. Nach die-
sen Gegenständen wird barfuß wetteifernd geklettert, Schneller, Märchen und
Sagen aus Wälschtirol, Innsbruck 1867, S. 237. Aehnlich ist auch in Deutsch-
land die Sitte des Maibaumes vielfach zur bloßen Aufpflanzung einer mit
Preisen behängten Kletterstange am St. Johannisabend und bei verschiedenen
Volksfesten geworden. ,
Maibaum. 173
Tannenwipfel hoch oben, der erinnern soll, daß wir nicht vor
einer todten Stange stehen, sondern vor einem lebenden Baum
ans dem frischen Wald, dann das Leiden Christi, d. h. alle Werk- *
zeuge seines Leidens (Säule, Geißel, Rate, Leiter, Hahn, Säbel,
Laterne, Hammer, Zange, Nägel, Würfel, Speer, Schwamm und
Krag). Dann Kirche und Bauerhaas, Bauer und Bäaerin, die
Zeichen der Gewerke und zu unterst vier Armbrüste gegen die
4 Winde gespannt, das drohende Symbol bäurischer Wehrhaftig-
keit gegen den Feind aus der Zeit des Mittelalters vererbt Ein
Freitrank und Freitanz des Wirtes, vor dessen Hause der Baum
errichtet ist, belohnt die Bursche ftlr ihre Beihilfe bei Aufrich-
tung desselben.'^ ^ Der Ausputz des oberbairischen Maibaums
ist mannigfach. In manchen Orten sind darauf Vögel, Hirsche,
Hirschjagden angebracht , zuweilen auch große in Tuch und Lein-
wand gekleidete Holzpuppen (Mann und Frau) , welche mit Hand
und Knien den Stamm zu erklettern scheinen. Dieser ganze
Ausputz bleibt auf dem Baume, bis er von Wind und Wetter
zerstört wird, oder im nächsten Mai einem neuen Platz macht*
Bei den Wenden nördlich von Salzwedel richteten die
Weiber (und zwar sie allein) alljährlich am St Johannistage
eine Birke, der sämmtliche Zweige bis unter den Gipfel abge-
hauen waren, den sogenannten Kronenbaum auf, den sie unter
Gesängen aus dem Walde holten, indem sie sich statt der Pferde
an den Wagen spannten, (lieber den Namen Kronenbaum vgl.
den Kronentanz und das Kronengelag i. d. Eifel ob. S. 170.)
Im Dorfe angekommen, hieben sie den alten Kronenbaum um, den
ein Kossater (Häusling) um 2 Schillinge zu Brantwein ftlr die Frauen
kaufen mußte , und richtete^ firohlockend den neuen auf, behingen
ihn mit Kränzen und Blumen und segneten ihn auf ihre
Art mit zwölf Kannen Bier ein.' Diese Sitte erinnert leb-
haft daran, daß in Schwaben und an der Mosel die Weiber
1) Bavaria I, 1860 S. 372. Die AnsBehmfielning des Maibanms mit den
Marterwerkzeugen bemht auf der unten §. 9 zu bespreohenden Vergleichang
des Kreuzes mit dem Maibaum.
2) B. Chambers, The Book of Days I, 576 giebt die Abbildung eines
solchen Baumes aus St. Egidien bei Salzburg.
3) Visitationsbericht des herzogl. zellischen Obersuperintendenten D. Eil-
debmnd y. Jahre 1672 zuerst ediert von J. G-. Eeyßler in dessen „Neuesten
Beisen'' B. II, S. 1377 ff. Vgl. auch Kuhn, M&rk. Sag. S. 331 ff.
174 Kapitel HI. BanniBeele als YegetationBdämon:
das Becht hatten alljährlich am Fastnacht den schtosten Banm
im Gtemeindewalde zu fällen, ins Dorf zu bringen, zu verkaufen
und den Erlös zu vertrinken.^ Ist der letztere Brauch vielleicht
nur ein verstümmelter Ueberrest des vorigen? — Bei den näm-
lichen Eibwenden richtete man auf einem runden Hügel mitten
im Dorfe eine zwanzig oder mehr Ellen hohe Eiche, den soge-
nannten Kreuzbaum oder Hahnbaum auf, der so lange stehen
blieb, bis er von selbst umfiel. Die Aufrichtung des neuen Bau-
mes geschah nie anders als an Maria Himmelfahrt (2. Juli).
Dann tat jeder Hauswirt einen Hieb in den zuvor erwählten
Baum im Walde, bis er gefällt war, und nun mit Jubelgeschrei
auf einem mit Ochsen bespannten Wagen, mit den Röcken der
Hauswirte bedeckt, so daß er nicht zu seihen toar^ an seinen Be-
stimnmngsort gefahren wurde. Hier wurde er viereckig gehauen,
und auf beiden Seiten Pflöcke angebracht, so daß man hinauf-
steigen konnte. War er nun eingegraben , so kletterte der Schulze
hinauf und brachte ein hölzernes Kreuz mit einem darüber fest-
stehenden eisernen Hahn [vgl. ob. S. 160 die schwedische Mitt-
sommerstange] auf der Spitze an. Der Hahn war dabei das
wesentlichste; denn in manchen Dörfern war das Kreuz auf den
Bäumen weggelassen, der Vogel aber beibehalten. Dann tanzte
man (der Schulze in Sonntagskleidern und weifier Leibbinde
voran) mit vollen Sprüngen um den Baum und segnete mit Bier
jeden Baum in Haus und Hof, .sowie zu besserem Gedeihen das
Vieh ein , das man ringumher jagte. Auch außerdem wurde alles
Vieh jedes Jahr an einem bestimmten Tage um den Baum getrie-
ben. Jede junge Frau, die aus einem andern Orte durch Heirat
in ein solches wendisches Dorf kam, mußte einen Tanz um den
Kreuzbaum tun, und etwas Geld hineinstecken; ein alter Mann
kniete täglich vor demselben nieder und hielt seine besondere
Andacht Wer eine Wunde hatte, steckte ebenfalls Geld in den
Baum und rieb sich an demselben; so glaubte er geheilt zu wer-
den. Die Wenden sagten, daß sich an der Stätte des Baumes
ein Genius aufhalte, von dem sie nicht sicher wußten, ob er
männlichen oder weiblichen Geschlechtes sei; dieser G^ist leide
es nicht, daß jemand mit garstigen Füßen über den Platz
1) Mei4)r, Schwab. Sag. 379, 20. Zs. f. d. Myth. I, 89. Schmitz, Sitten
and Gebräuche des £if ler Volkes I. S. 13 £
Maibaum. 175
gehe.^ Ist in diesem wendischen Brauche die Zeit der Bamn-
Pflanzung bis über Mittsommer vorgerückt ^ so trifft wieder in den
Frühling die bekannte Sitte der Qaestenberger am Harz. In
Questenberg (unweit Stolberg- Boßla) suchten am Tage vor Pfing-
sten die Bursche alljährlich vor Sonnenaufgang die schönste und
größte Eiche im Forste^ kappten ihr die Aeste und brachten sie
am dritte^ Ffingsttag auf den die Gegend beherrschenden ,, Que-
stenberg /^ ' befestigten einen von Birkenzweigen geflochtenen mit
bunten Blumen durchwobenen Kranz in der Größe und Gestalt
eines Wagenrades daran , an dessen beiden Seiten große Quasten
Ton eben solchen Zweigen hingen^ und riefen: ^^Die Queste (der
so geschmückte Kranz) hängt I'^ Dann wurde um den Baum
getanzt, Baum und Kranz aber jährlich erneuert .Später nahm
man jedoch nur alle sieben Jahre einen neuen Baum, heut-
zutage wird nur dann ein neuer geholt , wenn der alte umfällt;
die Aufhängung des Kranzes geschieht noch jährlich. Der Baum
darf aber nicht herangefahren werden , sondern die Questen-
berger müssen ihn selbst auf den Schultern herbei-
tragen.'
Städtische Maibäume , vorzüglich in England hatten vielfach
eine Form angenommen, welche die einüeushe Grundgestalt kaum
noch erkennen läßt. Der Vergleich datierbarer Abbildungen von
englischen, französischen, niederländischen und deutschen Mai-
bäumen, deren Chambers the Book of Days 1864 I, 572.
575 — 76, HoneEveiy-Daybook 1866 11, 297. 336, Brand popu-
lär antiquities ed. Ellis 1853 I (Titelkupfer) eine ansehnliche
Anzahl reproduziert haben, läßt» aber deutlieh die allmähliche
1) Hildebrands Visitation a. a. 0. Damach anszfiglich Kuhn a. a. 0.
333 £L Vgl. Bodemeyer, HanDöyersohe Bechtsaltert&mer S. 57.
2) Der Berg hat seinen Namen augenscheinlich von dem Gebrauch,
nach dem Berge heißt wiederum das Dorf, das früher Vynsterberg genannt
wurde, angeblich nrkxmdlioh seit dem 13. Jahrhundert Questenberg. Min-
dflstens ebenso alt muß also auch die Sitte sein. Vgl. Gottochalk, Bitter-
bnrgen und Bergschlosser Deutschlands II, 38; daraus Beimann d. Volksfeste
244—253.
3) Otmars (Nachtigalls) Volkssagen S. 128. 129. Grimm, Myth.« 51.
Kuhn, Nordd. Sag., 226, 250. Auch in Wolfshagen in Hessen trugen die
„Maijangen" die Maibäumchen ehedem auf den Schultern vom Walde in
die Stadt. Lynker, Hess. Sag. 247.
176 Kapitel III. Baumseele ^ als Vegetationsd&moii :
Entwickelung aus einer Urform und ihren Spielarten von Stufe
zu Stufe verfolgen. Danach ergiebt sich als der den meisten
Sproßformen zu Grunde liegende Haupttypus der folgende.. Der
Schaft des Maibaumes erhob sich auf einem ktlnstlichen mit Gras
bewachsenen Erdhügel^ auf den^ der Beigen statt hatte. Dieser
Erdhttgel ward denn vielfach durch eine Umzäunung gegen Be-
schädigung (Hone a. a. 0. 336 , Johannisfeststange in Jäschkental
bei Danzig), oder durch Zimjnerwerk oder Steine an den Seiten
gegen das Zusammensinken gesichert, und bekam dadurch mehr-
fach eine polygone Form; auch ließ man ihn wohl in mehreren
Terrassen emporsteigen. Vgl. den Maypole auf einem Fenster-
gemälde ans Heinrichs YHI. Zeit in Betley in Staffordshire,
abgebildet im Yariorum Shakespeare und Chambers a. a. 0. 575
und den im Msc. der ,,Horae'' von 1499 (Chambers a. a. 0.), so
. wie den von St. Andrew Undershaft (Brand a. a. 0.). Die Spitze
der unten abgeästeten Maistange bildete ursprünglich die leben-
dige Krone des Baumes selbst (vgl. den Salzburger Chambers I^
576, den schottischen Hone H, 305, den englischen Chambers
572, den französischen Hone H, 297), später vielfach em ange-
bundenes Bäumchen, oder ein Blumentopf, in den ein lebendes
Bäumchen gepflanzt war. (Vgl. das niederländ. GtemSlde von
1625. Chambers 576). Unterhalb des Wipfels waren Banner
und Flaggen angebracht (St Georgs rotes Kreu2banner auf dem
Fenster von Betley u. s. w.) , sodann viele bunte Bänder ; schließ-
lich ein Kranz oder mehrere Ejränze über die Aeste der Krone
gehängt (Hone H, 297), oder lotrecht an Nägeln am Schafte
herabhangend (Hone H, 288), oder endUch in horizontaler Lage
den Baum umgebend. In diesem Falle pflegte der unterste Kianz
der größte und breiteste, jeder nach oben hin folgende kleiner
und schmaler zu sein. Die Zahl dieser Kiiüize oder blumen-
bewundenen Reifen , die an oberhalb am Stamm zusammenlaufen-
den, den Speichen eines Rades gleichenden Schnüren befestigt
waren, machte 2 — 3 aus (Chambers 572. 575. 576), zuweilen
wutden sie stark z. B. zu Necton in Norfolk Pfingsten 1817 bis
auf 20 vermehrt, so daß sie bis auf Mannshöhe vom Boden
herunter filnf Sechstel des ganzen Schaftes umspannten (Hone
a. a. 0. 336.) Anderswo aber ist aus dem wagrecht befestigten
Kranze ein hölzernes (wahrscheinlich ehedem jedes Jahr mit
frischen Blumen umwundenes) Rad geworden. Vgl. z.B. die
Maibaum. itt
St Johannisstange auf der Jäschkentaler Wiese bei Danzig. Von
diesen Kränzen hingen ursprünglich vergoldete Eier als Sinn-
bilder des neuerwachenden Lebens herab (vgl. S. 165. 169 die Berg,
n. Oldenb. Sitte), später wurden dieselben unverständlich gewor-
den durch vergoldete Bälle von Holz oder Metall ersetzt (Cham-
bers 575. 576). Unterhalb der großen Kränze setzte sich die
spiralförmige Umwindung des Stammes mit einer eng an densel-
ben angeschlossenen Guirlande bis ani' den Erdboden fort. (Vgl.
Chambers 572. Hone H, 288). Hieraus entwickelte sich meines
Erachtens die bunte spiralförmige Bemalung oder Beschä-
lung vieler deutscher und englischer Maibäume (vgl. die Abbil-
dungen Chambers 575. 576. Brand a. a. 0.).
Wie in Schweden wird auch in Deutschland in germanisier-
ten Slavenländem, sowie in Frankreich (Gironde) die Aufrichtung
des Baumes zuweilen um Mittsommer vorgenommen, um die bis
zur Krone geschälte Tanne oder Birke (resp. Stange) getanzt^
nach den angehängten Tüchern geklettert.^ Wir haben bereits
vorhin einige Beispiele namhaft gemacht In Oestreich bewahrt
man den am 1. Mai gesetzten Maibaum zur Nahrung des Johan-
nisfeuers.' Im Departement des hautes Pyr^n^es wird am 1. Mai
der höchste und schlankste Baum (Tanne, Fichte oder Pappel)
umgehauen, man schlägt, wie beim wend. Kreuzbaum S. 174
cf. HoneH, 288), eine Anzahl fußlanger Keile hinein und bewahrt
ihn bis zum 23. Juni auf. Dann wälzt man ihn auf einen Hügel,
rammelt ihn in die Erde, und setzt ihn in Flammen.' Auch in
andern französischen Gegenden bildete den Mittelpunkt des
St Johannisfeuers ein belaubter Baum , wenn auch häufig nur ein
kleinerer. Die schon (o. S. 171) erwähnten Kupferstiche von Ma-
riette stellen so den Sommer dar auf der Tafel „le feu de
St. Jean." * In AngoulSme , z. B. im Kirchspiel St. Martial , findet
diese Verbrennung am 29. Juni (St. Peter) statt. Schon am Mor-
gen wird eine hohe und schöne Pappel voll grünen Laub-
1) Kuhn , Nordd. Sag. 390, 80. 391 , 82. Zs. f. d. Myth. I, 81, 4. Kuhn,
Westf. Sag. 177, 490. von der Hagen, Germania IX, 289. De Nore a a. 0.
149. Vgl. femer o. S. 170. 173 die Beispiele aus dem Voigtland , der Mark
u. 8. w.
2) Baumgarten, das Jahr u. s. Tage, Linz 1860, S. 27.
3) M^moires des antiquitös celtiques V, 387. Myth.« 589.
4) Wiederabgebildet bei Hone a. a. 0. 1 , 412.
Mannhardt. 12
178 Kapitel m. Baumseele als Vegetationsdämon:
Schmucks anf dem Markte aufgepflanzt und mit vielen Bündeln
trockenen Wachholders umschichtet. Abends zündet der Dorf-
pfarrer selbst mit seinen Vicaren diesen Scheiterhaufen an.^ Zu
Thann im Elsaß holten in der Nacht vom 30. Juni, dem Vor-
abend des St. Theobaldfestes, der Pfarrer mit seinen Vicaren,
der Maire, der übrige Ortsvorstand und eine unzählige Menschen-
menge brennende Kerzen aus dem Münster, und zündeten damit
auf dem Kirchplatze nach und nach drei vom Stadtpfarrer
geweihte große Tannenbäume an , die von oben bis unten geschlitzt
und mit Holzspänen ausgeftillt waren. Jeder suchte einen herab-
fallenden Hölzspan als Heilmittel gegen Fieber zu erobern. Man
bezog diesen Brauch sehr gezwungen auf die Legende des
h. Theobald, des Schutzheiligen des Münsters.^ Aus England
ist zunächst zu vergleichen was Hutchinson im J. 1795 in der
Umgegend von Launceston in Comwall erfuhr: „there was for-
merly a great bonfire on Midsummer eye, a large summer pole
was fixed in the centre, round which the fuel was heaped up.
It had a large bush on the top of it Bound this were parties
of wrestlers contending for small prizes.^ Ganz ähnlich ging
es bei der Maifeier in Dublin und Umgegend zu. Die jungen
Leute holten in der Mainacht einen 4 — 5 Fuß hohen Busch
(may-bush), einen Weißdom, aus dem Walde, pflanzten ihn anf
dem Marktplatz auf, besteckten die Zweige mit Kerzen
und häuften einen Scheiterhaufen ringsum, wofür sie im Orte
Haus bei Haus Geld einsammelten. Auf den Scheiterhaufen
gehörte auch noch ein Pferdeschädel und verschiedene andere
Knochen. Dann steckten sie die Lichter an, und tanzten mit
lautem Hurrah um den Maibaum. Nach einer Stunde entflanmite
man den Holzstoß, und waren die Kerzen niedergebrannt, so
stieß man den ganzen Maibaum in die Flammen.^
In Trier hieben schon am ersten Sonntage in der Fasten
(Invocavit) die Metzger und Weber eine am Donnerstage vorher
auf dem Marxberge aufgepflanzte Eiche um , und rollten sie nebst
1) Eine Abbildung ist in der Illustration, Journal uniTersel. Paria 1872.
Vol. LX. Nr. 1534 gegeben.
2) A. Stöber, Sagen des Elsasses S. 40.
3) History of Northumberland U, 15 bei Brand a. a. O. I, 318.
4) Hone a. a. O. II , 298.
Maibanm. 179
einem Feuerrade ins Tal der Mosel. Die erste Erwähnung die-
ser Feier findet sich im Jahre 1550.^ An demselben Sonntage
hänien die Bursche von Echtemach 14^ Großherzogtum Luxemburg
Btroh um einen Baum an und entloben es. Das heißt die Hexe
verbrennen.* Ebenso in der Eifel, wo die Sitte das Burgbrennen
genannt wird,^ und gleichfalls in Vorarlberg.* In den Bergstädten
des Harzes ward das Osterfeuer am Ghai-samstag auch um einen
Baum aufgeschichtet; zu- Delmenhorst (Oldenburg) lieferte der
Förster zu dem der ganzen Stadt gemeinsamen Osterfeuer zwei
Bäume, welche neben einander in die Erde gerammt, oben mit
12 übereinandergestellten Teertonnen besetzt, unten mit Beisig
umhäuft und schließlich mit brennenden Strohwiepen augezündet
wurden,^ und nicht minder bildet in Hessen den Mittelpunkt des
Osterfeuers eine in den Boden gegrabene, bis zur Spitze mit
Stroh beworfene, oben mit einer Teertonne besetzte Tanne. ^
Nicht minder schichtet man den Scheiterhaufen des Johan-
nisfeuers im Riesengebirge gern um einen hohen Baum auf. Im
Egerlande pflegte man dazu eine hohe und grade, recht harz-
reiche Tanne oder Fichte zu nehmen, mit Blumensträußen,
Bändern und Kränzen zu behängen, um sie herum Brenn-
materialien zu häufen und dieselben bei Dunkelheit anzuzünden.
Während das Beisig brannte, kletterten die Bursche auf den
Johannisbaum, um die von den Mädchen daran befestigten Kränze
und Bänder herabzuholen. "^ Auf der Halbinsel Heia bei Danzig
tanzen die jungen Leute am Johannisabend ebenfalls den Reigen
um eine auf einem Hügel aufgepflanzte Fichte, die man später
mit Stroh und Reisig umhüllt und verbrennt; daneben leuchten
Teertonnen. Offenbar haben die Esten diese Weise des Johan-
nisfeners von slavischen oder germanischen Nachbarn gelernt.
Auch sie zünden dabei nämlich einen Baum an , der von der Erde
1) N. Hocker, des Mosellacdcs Geschicbtcn , Sagen und Legenden.
Trier 1852, S. 415. Kahn, Herabkanft des Feaers S. 96.
2) Zs. f. D. Myth. 1 , 89 , 6.
3) Schmitz^ Sitten n. Branche des Eifler Volkes I, 21.
4) Vonbnn, Beitr. 2. D. Myth. Chnr 1862, S. 20.
5) Kuhn, Noidd. Sag. 373, 19. Strackerjan, Abergl. u. Sag. a, Olden-
burg n, 43, 313.
6) Lyncker, Hessische Sagen S. 241.
7) Beinsberg -Düringsfeld, Festkalender a. Böhmen. S. 307 if.
12"
180 ICapitel IQ. Baumseele als Vegetationsdämon t
bis zum Wipfel mit brennbaren Stoffen umgeben und auf der
Spitze mit einem Fähnlein versehen wird, das die Bursche mit
einem Ejoittel herabzuweri'en suchen, ehe es zu brennen anfängt
Wem dies gelisgt , hat Glück zu erwarten. Man wirft Holzreiser
in die Flammen mit den Worten: ,,das Unkraut ins Feuer, den
Flachs aufs Feld."i In Oberfranken (Hallstadt) und Mittelfran-
ken (Ansbach) verbrannte man zwar nicht mehr einen Baum im
Johannisfeuer, aber dem Knabenhaufen, der von Haus zu Haus
das Holz zu demselben zusammenbettelte, trug einer in feierlicher
Prozession noch einen geschmückten Maibaum voran, indes
man sang:
Maja, Maja, mia mö;
Wöll mä Holz zusamma tragn
üebers Kannesfeuer.^
Als im J. 1489 auf dem Markte vor dem Rathause zu Frank-
furt vornehme Herren in Gegenwart des Königs den Beigen um
das Johannisfeuer tanzten, prangte auf dem Scheiterhaufen zwa'r
kein größerer Maibaum, wol aber die Fahne des Königs nebst
anderen Fahnen umgeben von grünen Zweigen (circa ligna rami
virentes positi).* Durch diese Zeugnisse erweist sich die Ver-
brennung eines mit den Attributen des Maibaums ausgerüsteten
und vielfach unmittelbar als solcher kenntlichen Baumes den
Fastnacht-, Oster-, Mai- und Johannisfeuem als wesentlich. In
Perigord hatte dagegen zur Sonmiersonnenwende ein ganz eigen-
tümlicher Brauch statt. Man reinigte die Zähne mit Knoblauch
und zog dann eip Goldstück durch dieselben. Hieraufpflanzte
man feierlich einen Maibaum und aß vom frischen Brode.^
Diejenigen Leser, welche so geduldig waren, meinem Ge-
dankengange während der ersten Darlegungen dieses Kapitels
zu folgen , werden mit mir einverstanden sein , daß es keine allzu-
große Schwierigkeit mache, aus den ziemlich ausführlich mitge-
teilten Tatsachen Antwort auf die Frage herauszuschälen, was
der Maibaum ursprünglich war und was er zu bedeuten hatte.
1) Verhandlungen der ehstnischen Gesellschaft zu Dorpat B. VII. 1872.
H. 2. S. 62—64.
2) Panaer, Beitr. z. D. Myth. 1,217,245. 219,249.
3) Petr. Herb., Annal. Francofurt bei Grimm Myth.« 586.
4) De Nore , Coutumes mythes et traditions S. 149.
Maibaum. 181
Offenbar ist er nur eine andere Form jenes slavischcn Leto
(o. S. 156), wie der Vergleich des russischen Semikfestes erweist,
mithin der Geist des Frühlings oder des Sommers, die personifi-
zierte schöne Jahreszeit, als Dämon der Vegetation in Baumge-
stalt aufgefaßt (s. o. S. 158). Sehr deutlich wird die Identität
des Leto und des Maibaums durch den Lätarebrauch zu Lacza
bei Räuden (Obersehlesien). Sobald nämlich die Puppe Marzanka
ins Wasser geworfen ist, versehen sich ihre Trägerinnen mit
Fichten- oder Tannenzweigen und einem besonders geschmückten
Bäumchen und kehren ins Dorf zurück unter Einsammlung von
Geld und Eiern singend:
Wir trugen die Pest ans dem Dorfe,
Den Sproß (latorösl) bringen wir ins Dorf;
unser Bäumchen ist grftn,
Schön aufgeputzt.
Auf nnserm Maibäumchen (na nftszym maiku)
Sind gemalte Eierchen,
Welche gemalt hat
Unsere Frau Krtigerin.
Unser Maibanm (maik) ist grftn,
Schön aufgeputzt.
Auf unscrm Maibäumchen
Sind lauter goldene Schärpen,
Die wir anhingen
In diesen allerteuersten Zeiten.*
Hier heißt der Sommer gradezu Sproß (Vegetationsgeist) und
Maibaum. Zu benennen aber weiß das Volk den Vegetations-
geist gemeinhin nicht anders , als mit dem Namen der Jahreszeit
selbst. Deshalb steht neben dem englischen Maypole vielfach
nach alten und guten Zeugnissen eine Lady of the May, neben
dem elsässischen Maibaum ein Pfingstnickel, neben dem Voigt-
ländischen Johannisbaum ein Johannes genannter Mensch (s. o.
S. 170). Diese Figuren stellen den im Baume waltenden Geist,
aber aus diesem herausgetreten, neben ihn hingestellt dar. Im
Harz drehen die Mädchen am 23. Juni die mit bunten Eiern und
Blumen geschmückten Tannenbäume, um welche sie tanzen, von
der Linken zur Rechten um, wie die Sonne geht, und smgen
dabei: „die Jungfer hat sich umgedreht u. s. w."* . Das ist
1) J. Roger, Piesni ludu polskiego o görnym Szlaska.
2) S. J. Prohle , Zs. für D. Myth. 1 , 81.
182 Kapitel III. BauDoseele als Yegetationsdämon :
deutlich eine Anspielung auf die Sonnenwende. Gleichwohl
möchte ich nicht annehmen ^ daß der Baum eine Darstellung der
Sonnengöttin sein sollte (vgl. etwa engl, sunbeam Sonnenstrahl),^
sondern daß die Uebersetzung der mythischen Personification in
einen uns geläufigen Begriff allgemeiner das Jahr, die Jahreszeit,
die Zeit zu lauten hätte , und zwar in Gestalt der Vegetation ver-
körpert. Sei dem, wie ihm sei, unverkennbar tritt in dem Mai-
baum (resp. Johannisbaum) außer der Identifizierung des Vege-
tationsdämons mit dem Geiste der Jahreszeit zugleich derjenige
Gedankenkreis hervor, den wir o. S. 51ff. bei Gelegenheit des
Värdträd erläuterten. Der Genius des Wachstums gilt als der
Schutzgeist der Menschen und Tiere, zugleich als ihr alter ego,
ihr mythischer Doppelgänger. Der große Maibaum, den die
gesammte Dorfschaft feierlich einholt, auf freiem Platze in ihrer
Mitte aufpflanzt und wie ihren Augapfel bewacht, damit ihn nicht
neidisch eine fremde Dorfschaft entwende , stellt den Lebensbaum,
den genius tutelaris, das zweite Ich der ganzen Gemeinde vor.
Ihm zu nahen ist fUr jedes Glied derselben ein Hciltum ; deshalb
wird er in feierlichem Reigen umtanzt; man kniet auch wol vor
ihm betend nieder und opfert Geld, wie einer Gottheit (S. 174).
Bunte Bänder schmücken seinen Wipfel, wie Taenien im alten
Griechenland die heiligen Bäume, wie Lappen und Zeugstücke
die Fetischbäume bei noch lebenden Naturvölkern und wiederum
auch in Litauen bunte Bänder die heiligen vom Baunigeist belebt
gedachten Stämme, namentlich solche, welche zwieselartig ver-
ästet oben wieder zusanunenwuchsen und nun dazu dienen ver-
krüppelte Kinder der Heilung wegen hindurchzuziehen.* Bei
den Wenden mußte jede aus der Fremde ins Dorf heiratende
Frau den gemeinsamen Lebensbaum ihrer neuen Heimat (den
Kreuzbaum), der Wunden heilt und auch dem Vieh die Lebens-
kraft stärkt, durch Verehrung zu ihrem eigenen machen (vgl. o.
S. 174 u. 161). Dieser -nämliche Baum wurde auf einem mit
Ochsen bespannten Wageti aus dem Walde geJiolt, mit den Röckefi
der Hauswirte bedeckt „so daß er nicht zu sehen war. (o. S. 174.)
1) Cf. Noch bemane ic u mere by den zonnen boom en by der manen.
WiUems Belg. Mus. 1,326; cf. W. Wolf, Wodana I1,XXVU. - ^
2) Vgl. eiustweileij Pr&torius, Preuß. Schanbähne ed Pierson. Berlin
1871. S. 16.
Maibanm. 183
Das stimmt wörtlich zu dem Berichte des Tacitus über die Ver-
ehrung einer norddeutschen Gottheit, die er Nerthus oder Terra
mater nennt. Est in insula oceani castum nemus dicatumque in
eo vehictdum veste contectum. Den heiligen Wagen ziehen Kühe.
(Germania cap. 40) Hier oflfenbaren sich uns einzelne Züge eines
uralten Kultus. Der Dämon des Wachstums krönt sich mit
Früchten (deshalb sehen wir den Wipfel des Maibaums mit
Aehren, mit Eiern den Sinnbildern des tierischen Werdens und
Wachsens, mit allerlei guten Gaben geziert); daran haben alle
Teil, aber ein Wetteifer regt sich, das Beste für sich herunter-
zuholen. Auch der Hahn auf dem schwedischen und wendischen
Johannisbaum könnte vielleicht nur das bedeuten , was der Hahn
auf dem Lebensbaum des saterländischen Bräutigams, ein Symbol
der ZeugungsfÜlle (o. S. 46), wenn nicht etwa hier« schon an die
später nachzuweisende Gestalt des Vegetationshahns , Getreide-
hahns zu denken ist. Bedeutsam darf sein, daß auch auf Mima-
meidr (o. S. 56) ein Hahn (Vidofnir) sitzt. Wie Mimirs Baum
und der Värdträd gebärenden Frauen helfen , seilen wir mehrfach
die Weiher mit dem ausschließlichen Rechte begabt, den als Mai-
baum etc. dienendem Baum aus dem Walde zu holen; es muß
ihm wol ein besonderer Einfluß auch auf die animalische Frucht-
barkeit beigemessen sein. (s. o. S. 174.)^
Im wesentlichen derselbe Gedankeninhalt verkörpert sich in
den kleineren Maibäumen, oder Maibüschen , welche dazu dienen,
jedem einzelnen Hause die Segnungen de^ Ganzen noch beson-
ders anzueignen oder zu sichern. Der baumgestaltige Schutz-
geist der Gemeinde in verkleinertem Maßstabe prangt vor den
Gebäuden, wo die majestas populi tront. Den Tieren im Stalle,
der treuerfundenen Jungfrau setzen den einen Eigennutz, der
anderen Liebe deren eigenen Lebensbaum vor die Tür oder auf
1) Auf den alsbald zu beßprechenden Parallelismus der Jungfrau (Frau)
mit dem Baume, der gleichsam ihr alter ego ist, weist die eigentümliche
Form der Sitte bei den Slovenen in Kärnthen. Am Frohnleichnamsfeste
werden Hunderte von hohen mit Bändern, Blumen, Rauschgold und Fähn-
chen geschmückte Maibäumen (maja) in den Dörfern aufgepflanzt. Nachbar-
orte wettöifem den schönsten und höchsten Maibaum zu haben , wobei die
Dorfmädchen alles aufbieten den Baum prächtig zu schmücken, denn
„schöner Maibaum schöne Mädchen" heißt es unter der slovenischen
Jugend. Ausland 1872, 473.
1H4 Kapitel III. Banmseele als Vegetationsdämon :
das Dachy der daxam je nach dem Alter des Menschen oder
Tieres größer oder kleiner ist. Sittlich verwahrloste Mädchen
erblicken statt dessen in dürren Bäumchen, ^ in abgekehrten ganz
entblätterten Strauchbesen , in den mit verschmierten Lumpen ihres
eigenen Anzuges bekleideten Stämmen sich selbst ^ das Doppelbild
ihres Wesens, die Gestalt ihres Fervers lebhaft vor sich. Nüsse
knacken war ein Euphemismus für Zeugung; wenn's viele Nüsse
giebt, heißt es, giebt es viele Kinder der Liebe; und Volklieder
feiern die Tanne im Gegensatz zur Hasel als Symbol der Be-
ständigkeit, treuer Minne.' Es ist also wol klar, weshalb die
Haselstaude als Maibaum ein unverheiratetes Weib anrüchig
macht; eine ähnliche Beziehung muß wenigstens einem Teile
auch der andern Bäume, Sträuche oder angehängten Pflanzen
1) Vgl. die Warnung der Nachtigall im Volksliede (Uhland, Volksl.
N. 17 A. cf. Uhland, Schriften III. 90. 427): Und wann die Lind' ihr Lanb
verliert , behält sie nur dieAeste, daran gedenkt ihr Mägdlein jung nnd
haltet eu'r Kr&nzlein feste! Anch dem kirchlichen Sprachgebrauch
des Mittelalters war nach Luc. 23, 31 die Bezeichnung „grünes Holz"
fBr sittenreine, zur Hervorbringung guter Fruchte tüchtige Menschen geläu-
fig, während man unter dürrem Holze dem Göttlichen abgestorbene, ver-
stockte (zum dürren Stock gewordene) Menschen verstand. Vgl. Eychmans
vocab. pred. viridis , ein grünender, der da on sunde ist, grün. Weigand
D. Wörterb. Art. Gründonnerstag.
2) S. meine Nachweise Zs. f. d. Myth. UI, 95 S., die sich überreichlich
vermehren ließen. Man vgl. nur z. B. bei Nithard das Lied vom Bimmost,
zu dem die Wirtin mit dem Sänger braune Nüsse knackt. Eine kinderlose
Herzogin geht im Nußwalde spatzieren, da begegnen ihr drei Nomen und
versprechen ihr ein Kind. Maurer, Island. Volkss. S. 284. Eine doppelte oder
mehrfache Nuß vergräbt man im Schafstalle, damit die Schafe gedeihen und
Zwillingslämmer gebären. Bußwurm, Eibofolke §. 355. Quitzuann, Religion
der Baiwaren 1860 S. 90 führt ein bair. Volkslied „ des Klausners Abschied "
an: „Pfiati Gott Schatzerl! — I muß a Klausna wem; — hast a's letzt
Schmatzerl, Haslnußkeml — Wer woaß wer d* Nuß aufbeißt, — wer
woaß wer's Kuterl (feminal) z'reißt ; — alli Leut essen gern — schoni Hasl-
nußkem.'' Im Hannoverschen Wendlande verlangt die Dorfjugend bei Hoch-
zeiten mit lautem Geschrei Nüsse (not! not!) die auf dem Wagen des Braut-
vaters bei den Mobilien der Braut sitzende Korbmuhme (Korfmöm') wirft
dann zwar nicht wirkliche Nüsse , aber ganz kleine Brödchen an deren Stelle
herab. Am Morgen des dritten Hochzeittages steigt endlich die junge Frau
mit Hilfe einer Leiter auf ihren neuen Kleiderschrank und wirft von dort
aus Nüsse unter die unten stehenden Hochzeitsgäste. B. Müldener in Aus
allen Weltteilen 1873. S. 200.^
Maibaam. 185
beiwohnen, dnrch die man bescholtene Frauenzimmer kennzeich-
net.^ Mit der Vorstellang, daß der Maibaum das Ebenbild der
beehrten Frau sei, scheint jedoch die andere abzuwechseki , daß
er den Vegetationsdämon und zugleich Lebensbaum des getreuen
Liebhabers darstelle, der darum durch die Aufpflanzung vor
der Tttr des Mädchens einen Heiratsantrag stellt, oder durch
seinen eingeschnittenen Namen sich selber kenntlich macht In
der Cote d'or (Gegend von Dijon) setzt man der treugebliebenen
Liebsten einen Strohmann, der im Walde mit grtlnen Blät-
tern bekleidet wurde, vor die Tür, während die ungetreue
einen Pferdeschädel erhält. Wo nun diese Anschauung maß-
gebend ist, sagt der dürre Strohmann vor dem Kammerfenster
der wetterwendischen oder unwürdigen Braut das Gegenteil aus.
Dajs der fortpflanzenden Getreidekömer beraubte leere Stroh ist
ein Sinnbild der freiwilligen oder erzwungenen Ehelosigkeit,
geschlechtlichen Ohnmacht , oder Wertlosigkeit ; ein Kränzlein von
dürrem Stroh auf dem Haupte der Jungfrau galt in unserer
1) Die Nessel (s. o. S. 167) ist Sinnbild einer im ÜebermaB heißen,
schmerzlich brennenden Liebeswunde, daher häufig einer vergeblichen, ho£f-
nangslosen Liebe. Vgl. die beiden Liebeszanber „Bedeutung der Blumen
N. 29 bei Perger, Pflanzensagen S. 155 und Anzeiger für Kunde d. D.Vorzeit
1854 S. 190, sowie das Volkslied bei Uhland Volksl. N. 252: „das Nessel-
kraut ist bitter und sauer und brennet mich , verloren hab' ich mein schönes
Lieb, das reuet mich." Entweder also ist am Maibaum das Symbol über-
mäßigen Liebesfeuers zum Ausdruck unrechtmäßiger Gluten geworden, oder
es soll gesagt werden , daß der bisherige getreue Ajibcter die Gefallene nicht
mehr lieben kann und ihr daher hoffnungslose Sehnsucht als Anteil zuspricht.
Von der Petersilie (o. S. 166) vermag ich nur erotische Beziehungen über-
haupt aufzuweisen: Vgl. das Einderlied: Petersilje Soppenkrüt, wasst in
üsem Garen, üse Antjen is de Brut; schall nibh lang mer waren, dat se
na der Karken geit un de Bock cn Polen sleit. (Schmidt) Bremen ser Kinder
und Ammenreime 1836, 19, 20. Cf. das Schaumburger Martinilied. Keimann,
D: Volksfeste S. 286. — Baben wänt de rike mann, de let üs allens wassen,
göd Hawer un göd Gassen (Gerste), godet Petersiljenkrüt; tokum jS>r is üse
Dochter Brut. Aus dem Kinderleben , Oldenburg 1851. S. 87. Süse de brüse,
wo wänt Peter Kruse, in de Peter siljensträt (Var: Bosmarinsträt)
war de wakkern meisjcs gät. (Südschleswig; Oldenburg.) Liebende
säen ihren Namen mit Petersilie und schließen von dem Wachstum auf das
Leben in der Ehe. — Wenn die Braut zur Trauung geht, soll sie Petersilie
und Brod unter dem Arme tragen, damit ihr die bösen Geister nichts an-
•
haben. Mcdnianski, Abergl. Meinungen 71 bei Hanusch, Slav. Myth. 284.
186 Kapitel III. Baumseeie als Yegetationsdämon:
älteren Poesie als Zeichen der Abweisung y die sie dem Freier
zu Teil werden läßt, oder als Ausdruck der Klage, daß sie ein-
sam ihr Leben vertrauern müsse. ^ Der Strohmann soll mithin
ebenso entweder eine Abweisung ausdrücken; der ihn anpflan-
zende Bursche will sich seiner bisherigen Geliebten gegenüber
fortan als Hagestolz verhalten, oder der Strohmatz soll als
Doppelgänger desjenigen gefaßt werden, und sie zu demjenigen
hinweisen , der sie zur Untreue verleitete und dem die Eilersucht
und Entrüstung des Gekränkten Unfruchtbarkeit wünscht, oder
dessen sittlichen oder persönlichen Wert derselbe der entkörnten
Aehre vergleicht. Hierauf deutet die bis zu jenem Hause aus-
gestreute Spreu (in jüngerer Form Heckerling) hin (s. o. S. 167.)
Soviel ich sehe, Ihätte ich nur noch die Frage zu berühren,
was die mehrfach bezeugte Verbrennung des Baumes im Mai-
oder ♦ Johannisfeuer bedeuten soll. Darüber habe ich mir die
folgende Meinung gebildet. Da die Scheiben oder Kader, welche
bei dieser Gelegenheit verbrannt oder geschwungen werden
(Myth,2 586 ff. Kuhn, Herabkunft des Feuers S. 48 — 51) un-
verkennbar erweisen, daß eine Nachbildung des Sonnenfeuers
gemeint war, so vermag ich in der Verbrennung des Maibaumes
nichts anderes zu erblicken, als eine symbolische Darstellung
des Vorganges, daß die Vegetation durch das Sonnenlicht und
die Sonnenwärme des Sommers zur Entfaltung und zur Keife
gebracht wird, also gleichsam das Sonnenfeuer passieren muß
und zwar stellen die Oster- und Maifeuer dieses Geschehen pro-
leptisch, das Johannisfeuer als auf der Höhe stehend dar. Inso-
fern der Sonnenschein flir das Gedeihen der zu unserm Bestehen
unentbehrlichen Pflanzenwelt notwendig ist, sucht der Mensch
sich denselben und seinen Segen im Frühjahr für dieses Jahr,
um Mittsommer fllr das nächste Jahr durch nachbildende Dar-
stellung zu sichern. Wir kommen darauf noch öfter zurück.
Doch schon jetzt darf darauf aufmerksam gemacht werden, daß
der hinreichend dargelegte Glaube an die Sympathie zwischen
animalischem und vegetabilischem Wachstum es erklärt, weshalb
auch Tiere und Menschen durch diese Feuer gehen oder getrie-
ben werden, um Gesundheit und Wachstumsfiille zu erlangen.
Meiner Meinung zu Hilfe kommt der Umstand, daß nicht bloß
1) S. UWand Schriften IE, 417.
Maibaom. 187
der Maibaam n. s. w. im Mai- oder Johannisfener yerbraniit wird;
sondern daß auch die Menschen mit belaubten Banmzweigen
(Nußbaumästen," Tannenzweigen) durch das Feuer springen, welche
man dann über der Türe des Yiehstalles befestigt, oder in die
Aecker steckt, um sie fruchtbar zu machen, und daß Hinein-
werfung von Kräutern zu den stehenden Bestandteilen der Johan-
nisfener gehört (ygl. Myth.^ 588. 585). Bezeichnend ist auch die
0. S. 180 aus Perigord mitgeteilte Sitte. Denn das Goldstück,
welches man vor Aufrichtung des Maibaums am Sonnwendabend
sich durch den Mund zieht, bildet die runde goldene Sonnen-
scheibe ab, wie deutlich aus dem Vergleiche des schwäbischen
Aberglaubens erhellt^ das Sonnenkraut (Sonnenwende, Sponsa
Solis,^ d. h. weißblühende- Wegewarte) um die Mittagszeit mit
einem Goldstück abzuschneiden.^ Das Auf|)flanzen des Mai-
banmes am 1. Mai, zu Pfingsten oder St Johannis ging allmäh-
lich über in die freiere Sitte, bei Kirchweihen, Schützenfesten
und andern Festen , welche übrigens meistenteils in die genannten
Jahreszeiten fallen, als Kletterstange oder Mittelpunkt des Fest-
reigens den Baum zu errichten. Im Frankftirter Eidbuch der
Beamten, wo diese Sitte 1445 als ein altes Herkommen erscheint,
wird der Preis für einen Maibaum verschieden bestimmt, je nach-
dem dieser ein aus dem Walde zu fahrender oder ein tragbarer
ist; doch wird hinzugefügt, wenn der Maie zum Heiltum (tUr eine
Prozession) oder zu einer Kirchweihe dienen solle, so sei durch
die Forstmeister ein geringerer Preis zu fordern. Bei Schützen-
festen und Tanzfesten pflegte man im Freien neben dem Mai-
baum eine Hütte mit Laub auszuschmücken , welche unzweifelhaft
ursprünglich nichts anderes als das Zelt des Pfingstkönigs oder
Schützenkönigs bedeutet hatte. ^ Für Tanzhütten wurde (in Frank-
furt) das Anpflanzen eines solchen Baumes untersagt, und statt
dessen empfohlen, auf den Tanzplatz ein für alle-
mal eine Linde zu setzen.^ Dies stimmt dazu, daß in Mit-
1) K. V. Megenberg , Buch der Natur V, 28. S. 394. Pfeiffer.
2) E. Meier, Schwab. Sagen S. 238, 264.
3) Eine solche Hütte oder Laube (arbour) stand auch neben dem eng-
lischen Maypole; darin saß die Queen. of May, Lady of the May. Im böh-
mischen Frühlingfibrauch dient sie dazu während des Gerichts den Maikönig
oder Pfingstkönig aufzunehmen.
4) Kriegk a. a. 0. 452.
188 Kapitel IQ. Banmseele als Vegetationsdämon:
telfranken bei der Kirchweib auf dem freien Platze des Dorfes
entweder um die im Boden wurzelnde Linde, oder,
falls diese fehlt, um einen am Samstag vorher aus dem
Walde geholten Maibaum der feierliche Blontanz aufge-
flihrt, d. h. ein schwarzer mit Blumen und Bändern geschmtlck-
ter Filzhut nebst Halstttchem und bebänderten Pretzeln, die
am Baum hangen, ausgetanzt wird..^ Die Linden vor oder
neben dem Dorfeingang, oder in Mitten des DorQ)latzes, um
welche, sobald die Vögel singen und der Baum laubt, das
Mädchen „den Sommer kiest (erspäht, gewahr wird), den Maien
empfängt,^' indem sie an der Hand des Knaben zur Handtrom-
mel in jenen ländlichen Tänzen jubelnd springt, welche Nithard
(t um 1237) und einige andere mit dem Volke verkehrende Min-
nesänger wol nach altem volkstümlichen Vorbildern* so vielfach
schildern , diese Dorf linden erscheinen danach wie stehend gewor-
dene Maibaume. Unter ihnen findet im Bergischen, in der Eifel,
um Gotha u. s. w. die (später zu besprechende) Mädchenver-
steigerung (Mailehen) statt und auch die Beziehung auf die weib-
liche Beinheit fehlt nicht. Ergiebt es sich, daß ein Mädchen bei
der letzten Kirchweihe den Vortanz um die Dorflinde mithielt,
ohne dessen noch wtlrdig zu sein, so wird die Linde „gescheuert"
d. h. der Rasen oder das Pflaster um dieselbe aufgegraben und
neu gemacht.* Ebenso wird der Maibaum, um welchen der Blon-
tanz geschieht, in einem solchen Falle heimlich umgesägt. Denn
mit Verlust der jungfräulichen Ehre auch nur einer Teilhaberin
1) Panzer, Bcitr. z. D. Myth. 11, 242 ff. cf. oben S. 170 das Zengniß
des Caesarins vom J. 1225.
2) S. Uhland Schriften ITI, S. 391. Vgl. S. 502 Anm. 152. Noch Goethe:
Und wenn ich bei der Linde das junge Völkchen finde, sogleich erreg' ich
sie. Und im Faust: Der Schäfer putzte sich zum Tanz, schon um die Linde
war es voll, und Alles tanzte schon wie toll! Juche! Juche! Eine Abbil-
dung s. bei P. Lacroix, Moeurs, usages et coutumes au moyen age. Paris
1871, S. 259 nach einer Miniature des 15. Jahrb. Auf einem freien Platze
tanzen Frauen und Männer, darunter ein Mönch, in bunter Reihe mit Krän-
zen und Zweigen geschmückt um einen belaubten, in der Mitte
stehenden Baum den Hingelreigen; auf einem Hügel spielt jemand den
Dudelsack ; auf hoehliegenden Wiesen ringsumher weiden Hirten ihre Schafe.
Im Hintergrunde sieht man die Türme einer Stadt.
3) Schmitz, Sitten und Bräuche des Eifler Volkes S. 32. Monta-
nus S. 30.
Maibamii. 189
ist der Lebensbaum des ganzen Dorfes selbst verunebrt und der
ihn darstellende Maibaum darf nicht bis zum. nächsten Kirch-
weihabend stehen bleiben, wie sein ehrlicher Vorgänger, der erst
nach vollendeter «[ahresdienstzeit ausgegraben und zu den Vätern
versammelt wurde. ^ Ob aber die Dorf linden in der Tat nur ein
in verhältnißmäßig jüngerer Zeit .entstandener bleibender Ersatz
fbr die jährlich wechselnden Maibäume waren, oder ob sie
ursprünglich mit den neben Burgen und Dörfern gepflanzten Mai-
bäumen (Linden, Eichen, seltener Nußbäumen, Tannen, Birken,
Birnbäumen, Holunder) unter denen Volksversammlung oder Ge-
richt gehalten wurde,* zusammen fielen, und diese mit den
Värdträd Skandinaviens eine engere Sippe bilden , diese und ähn-
liche Fragen, müssen monographischer Forschung überlassen
bleiben.^
Wiewol ich mir die beherzigenswerte Mahnung Doves ver-
gegenwärtige, daß „die Wissenschaft wenig Gewinn davon habe,
wenn die bekannten Tatsachen nach geringerer oder größe-
rer Analogie sofort jeder neuen Entdeckung angepaßt werden,
welche in ihrem noch unentwickelten Auftreten alles was bisher
dunkel gewesen aufzuhellen verspricht ,'^ kann ich die Vermutung
nicht abweisen, daß auch die Irmensäulen mit dem Maibaum ver-
wandt, daß sie die Idee eines Lebensbaumes der Volksgesammt-
heit auszudrücken bestimmt sein mochten. Die breitere Erör-
terung dieses Gegenstandes bleibt jedoch einem dem Schlüsse
dieses Kapitels hinzugefügten Auslauf vorbehalten, da die Ver-
folgung der einmal betretenen graden Straße uns noch weiter
1) Bavaria, Mittelfranken S. 972.
2) Grimm R. A. 795 ff. Keysler, Antiqn. select. septentr. 1720 p. 584.
VgL besonders die im 13. Jahrb. (A. 1220. 1248) bezeugten ostfriesischen
Dingeichen, Üppstallsbäame , Staleke (arborcs erectae?) bei Aurich und
Bramstede. Keysler a. a. 0. p. 77 — 78.
3) Auch auf Analogien des Maibaums bei fremden und z. T. entlegenen
Völkern kann hier nicht eingegangen werden. Doch diene als Beispiel, daß
die jungen Mäi^ner und Mädchen .des hundohrigon oder Drachenclans im
wilden Volke der Miaotsze auf dem Hochplateau zwischen den chinesischen
Provinzen Jünnan und Ewei-Tch^u im Frühling einen Teufelsstab, zu
deutsch Maibaum errichten und zum Tone der Castagnetten herumtanzen,
welche die M&nner schlagen , während die mit hellfarbigen Bändern geschmück-
ten Mädchen mit Füßen und vStimme den Tact dazu geben. Ausland 1872,
Nr. 5. S. 116.
19^0 Kapitel III. Baumseele als Vegetationsdamon :
den Maibaum selbst begleiten heißt, der außer den Frühlings -
und Mittsommergebräuchen auch zur Erntezeit eine bedeutsame
Rolle spielt
§. 6. Erntemai. Auf dem letzten Emtefuder wird nämlich
am Mittel - und Kiederrhein und in Frankreich ein grtiner Baum-
zweig, oder ein ganzer großer Baum, meist mit Aebren und bun-
ten Bändern , zuweilen auch mit andern guten Sachen geschmtlekt,
heimgeführt und auf dem Dach oder am Schornstein des
Herrenhauses oder der Kornscheuer auf ein Jahr befestigt
Nur ganz vereinzelt sind mir Spuren dieser Sitte im Osten
begegnet und zwar mehrfach in colonisierten Gegenden, deren
deutsche Bevölkerung nachweislich oder wahrscheinlich im 12.
oder 13. Jahrhundert vom Niederrhein her eingewandert ist
Bekanntlich ist die Hauptmasse der Siebenbirger Sachsen zwi-
schen Broos und Keps um die Mitte des 12. Jahrb. von KOnig
Geysa U. berufen worden ; die ältesten Urkunden (z. B. diejenige
des Legaten Gregorius de S. Apostolo im J. 1189) nennen sie
Flandrenses.^ In der Gegend von Schäßburg bringen die Schnit-
ter nach Beendigung der Ernte einen künstlichen aus Aehren
geflochtenen Kornbaum "nach Hause (Bodendorf) oder über-
reichen solchen dem Pfarrer (Gossten). Auch die Festmahlzeit
am Schlüsse der Emtearbeiten heißt danach ebenfalls Korn-
baum. Nach Beendigung des Emtemahls wünscht der Altknecht
dem Pfarrer: „Herr gäf af det Jor en gesangden Kührenbuhm,
derao kun mir weder.'^ Herr gieb auf das Jahr einen gesun-
den Kombaum, dann kommen wir wieder (Deutsch Pien).
Die Insel Fehmem soll zwar um die Mitte des 15. Jahr-
hunderts hauptsächlich aus Ditmarschen ihre jetzigen Einwohner
empfangen haben, indessen ist das nur eine nicht beglaubigte
Conjectur * und es muß vielmehr für wahrscheinlich gehalten wer-
den, daß dieses noch im 12. Jahrb. rein slavische Land, ehe es
an Dänemark kam, von dem durch die Holstcn eroberten Wagrien
aus mit jenen sogenannten „niederländischen Kolonisten'^ bald
1) S. Eder, de initiis Sazonum Transsilyauoram. Viennae 1792 p. 169.
Archiv des Yereins f. Siebenbirg. Landesk. I, 2, 113 ff. Wattenbaoh im
Archiv d. Vereins f. Siebenb. Landesk. N. F. 1, 1. p. 80. I. E. Schnller, zur
Frage über die Herkunft der Sachsen in Siebenbürgen. Hermannstadt 1856
S. 5. 7. 9.
2) G. Waitz, Schleswigholst. Geschichte* I, 345.
Erntemai. 191
aus Westfalen , bald ans Holland oder Friesland besiedelt wurde,
welche im 12. 13. Jahrb. sich in den entvölkerten SlavenländeiD
eine neue Heimat schufen.* Im Wester- und Norderkircbspiel
der Insel wird das letzte Emtefuder mit Baumzweigen geschmückt
und Maienföder genannt; die Arbeiter fahren darauf nach dem
Hofe und jauchzen, wonach die Fuhre auch wol Juchfoder
getaufk wird. Von jener Sitte heißt das Emtebier ebenfalls
Schöttelmay.* Bei Zempelburg Kr. Flatow Rgbz. Marienwerder
wird der aus der letzten Garbe verfertigten Puppe in Menschen-
gestalt, dem Alten, ein Baumzweig, oder ein Baum der Art
in den Kopf gesteckt, daß er daraus gewachsen zu sein den
Anschein hat Und ebenso pflanzt man in die Mitte des letzten
Gebundes, des Alten, zu Wolfshals bei Bromberg einen grünen
Zweig. Beide Orte sind deutsche Kolonien auf slavischem Boden;
ich habe jedoch trotz Schmitt und Behaim-Schwartzbach nichts
Näheres über die frühere Heimat ihrer jetzigen Bewohner fest-
stellen können. Auch in Schlesien wird zuweilen in die mit
Blumen geschmückte letzte Garbe, die „Muttergarbe," ein grü-
nes Seis gesteckt und auf dem letzten Fuder heimgefahren
(Ruppersdorf Kr. Strehlen Bgbz. Breslau).
In Mitteldeutschland begegnet mehrfach die Sitte beim allge-
meinen Erntefest,' einen Wettlauf nach einem mit bunten Tüchern
bebangenen Birkenbusch oder Fichtenbaum anzustellen, den der
Gutsherr oder die Gemeinde "aufs Feld gesteckt hat (z. B. Ober-
grauschwitz A. H. Grinmia Krd. Leipzig; Ilsenburg Grafsch. Wer-
nigerode). Um Fürstenwalde wird nach der Ernte eine Fichte
sras der Haide geholt, glatt geschält, mitten im Dorfe aufgerich-
tet und mit Tüchern und andern Preisen behangen, nach denen
geklettert wird.^ Erst in Franken finde ich den Maibaum auf
dem Erntewagen selbst wieder. Zu Ochsenfurt setzt man auf die
letzte Fuhre das mit bunten Tüchern geschmückte Tannenbäum-
1) Waitz a. a. 0. I, 56. Um Segeberg ließen sich nach 1142 Westfalen,
um Eutin und später um Oldenburg Holländer, um SOßel Friesen nieder
(Helmold I, c. 57). In Kiel, das nicht lange vor 1242 entstand, bezeugt der
Straßenname platea Flamingorum die Fortdauer der Einwanderung vom Nie*
derland nach Holstein im 13. Jahrb. S. Schleswig Holst Lauenb. Jahrb. IX,
1866 S. 12 ff.
2) Mündl. Vgl. Schlesw. Holst. Lauenb. Jahrb. IV. 1861. 183, 94.
3) Kuhn, Nordd. Sag. 398, 106.
Id^ Kapitel Ul. ßanrnseele als Vegetationsdämon:
chen (Unterfranken). Bei DinkelsbUhl (Mittelfranken) ist es dage-
gen die erste Fuhre, auf welche die bebänderte und bekränzte
Fichte zu stehen kommt, die an der Scheune mit Jauchzen em-
pfangen und feierlich vom Wagen herabgeworfen wird; im Fallen
sucht ein jeder Schnitter ein Band oder einen Kranz als segen-
bringend zu erhaschen. Gleicherweise wird auch zu Hofdorf in
Niederbaiem die letzte Fuhre Dünger, die zu Acker fährt, der
letzte Wagen Getreide, der vom Felde kommt, mit einem drei-
fachen Busche von Stauden, Fichten- oder Tannenbäumchen
geschmückt.
Auf alemannischem und rheinfränkischem Gebiete dagegen
wird der Brauch häufiger. Im Bezirk Tobel (Kanton Thurgau)
zierte man ehedem das letzte Fuder Getreide mit einer 12-15 F.
hohen, mit Bändern, Blumen und Nastüchem behangenen Palme,
die zu Hause in die Stube gebracht und dort zu einem Kreuz-
stock hinausgesteckt wurdet Zu Hofingen im Aargau wird die
letzte Heu führe mit einem durch Kränze und bunte Papier-
streifen ausgezeichneten Tannenbäumchen, oder einem bloßen
Baumast geziert. Oft sitzt ein verkleideter Knecht zuvör-
derst auf dem Fuder und schwingt den Tannenbaum.
In Würtemberg ninmit die Sitte gemeinhin eine andere Ge-
stalt an. Auf dem letzten Acker der Winterfrucht bleibt
jedesmal eine Hand voll Aehren stehen, die man vorher
bezeichnet und umkreiset hat. In diese Aehren steckt man
eineil geschmückten „Maien," eine kleine Birke oder Pappel,
befestigt die Halme daran und bekränzt sie.^ Dieses mit dem
Maibaum zu einem Körper verbundene Gebund, oder den Maien
selbst nennt man vielfach Mo ekel, Kuh. Wir worden später
sehen, daß ein theriomorphischer Vegetationsdämon damit gemeint
ist Ist der Maie „gesteckt," so knien die Schnitter nieder
und beten fünf Vaterunser und den Glauben. Das nach Beschluß
der ganzen Ernte folgende Erntefest heißt „Niederfall." Der Mai
bleibt entweder stehen und die Vögel fressen die Aehren aus,
oder er wird zuletzt herausgenonmien und auf dem letzten Wagen
heimgeführt. Im 0. A. Künzelsau im Jaxtkreis hält ein Arbeiter
auf dem letzten Fuder einen großen Tannenbaum, der mit
1) Bemsthal, Burchholz, Zimmern, GejOfend vob Gmünd /Ulm, Wester-
stetten. Vgl. Meier , D. Sag. a. Schwaben S. 439 , 149.
Erntemai. Idd
kleinen Kränzen, farbigen Bändern und Taschentüchern
geschmückt ist. Auch Peitsche und Hut des Fährmanns sind
bekränzt. Im 0. A. Waiblingen (Neckarkr.) steht eine junge mit
Bändern und seidenen Tüchern geputzte Birke auf den Garben
der letzten Fuhre. Hier sind nicht allein der Fuhrmann; sondern
selbst die Pferde und die Peitsche bebändert und blumenge-
schmückt Nach E. Meier geschah diese Ausschmückung des letzten
Eoinwagenfi mit dem durch allerlei Kleidungsstücke, Tücher
und Bänder gezierten Baum in Bietigheim und andern Orten des
Neckarkreises bei Einholung des Zehnten.^ Die Zehnknechte teil-
ten diese Sachen unter sich.' Auch in Baden wird auf dem letzten
Wagen ein Maibaum eingebracht (z. B. Achem, Ei. Baden).
In Hessen bleibt der Maibaum nur vereinzelt Um Gems-
heim (Prov. Starkenburg) ziert ein Weidenzweig mit Blumen den
Fmchtwagen,^ um Exter und Rinteln (Prov. Kurhessen) ein grür
ner Strauch y an den mehrere Äehren von verschiedenen Fruohk-
arten gebunden sind.
Das Gebiet, auf welchem unter den Emtesitten das Auf-
stecken des Maibaumes der Art vorhersehend wird, daß man es
fast ausnahmslos von Dorf zu Dorf verfolgen kann, beginnt mit
den preuBischen Provinzen Westfalen ^ und Bheinland. Vereinzelt
reicht die Sitte von hier nördlich des Münsterlandes in die firie-
sische Bevölkerung des Saterlandes hinein, wo man vor alten
Zeiten beim Boggenmähen ein Stück des letzten Endes in runder
Form stehen ließ, einen Maibaum hineinsetzte und rund herum
tanzte, trank, sang und jubelte.^ Auf niederländischem Boden
folgt der Brauch dem Laufe des Rheins und der Maaß ; ich kann
ihn aus Gelderland, z. B. Apeldoom und Veluwe, und der Insel
Walcheren, aus Limburg und Lüttich belegen.^ Südlich davon
ist er wiederum fast ausnahmlos von Ort zu Ort in Lothringen
und Elsaß, sodann in der Mehrzahl der zu Frankreich gehörigen
1) Hohenstanfen , Ellwangen. Tgl. Meier , Deutsche Sagen a. Schwaben.
&. 440, 152.
2) Meier a. a. 0. 441, 154.
3) Myth.» CV,897.
4) Vgl. auch Kuhn, Westf. Sag. II, S. 179 ff.
5) Scharrel. S. Strackerjan, Abergl. a. Oldenburg II, 8. 78, 362.
6) Mftndl. Tgl. Heinsberg -Dfiringsfeld, Calendr. Beige 1862 11,187.
Grenson, Bulletin de la societe Li^geoise. T. VII. Liege 1866. p. 21, 8.
Mannhardt. 13
191 Kapitel lU. Baumaeele als Vegetationsdämon:
Länder erbalten , d. h. franz. Flandern , Picardie , Normandie, Isle
de France, Champagne, Angoumais, Limousin, Ljonnaig, Bour-
bonnais, Bonrgogne, Franche Comt^, Orlöannäis, NivemaiS; Berry,
Maine, Touraine, Anjoa.
Im Westen und Süden der Bretagne , Poitou , Guyenne , Lau-
gaed'oc, Danpbin^ and Provence ist der Gebraacb merklieb sel-
tener und bort zuletzt teils ganz auf, teils gebt er völlig in die
Aufsteckung eines Holz- oder Aebrenkreuzes auf dem letzten
Wagen , oder dem letzten Getreidescbober (la croix de la moisson)
resp. auf dem Dacbe der Scheune über, das auch vereinzelt in
nördlicheren Provinzen z. B. Isle de France, Nivemais, Orl^annais
u. s. w. vorkommt, aber in der Gascogne, Navarra, Böam, Döp.
du Tarn , ^ de TArdeche , Dep. du Gard , Dep. Haute Loire , Pro-
vence so zu sagen allgemein vorhersehend wird und in gleicher
Geltung in Venetien, Corsika, Rumänien, Ungarn sich wieder-
findet. Dagegen konnte aus Savoien (Annecy) die Sitte verzeich-
net werden, auf dem letzten Fruchtwagen ein Tannenbäum-
eben, dessen Zweige mit Bändern aller Farben geschmückt
sind, heimzufahren, dort mit Wein zu besprengen und auf
dem großen Schober vor dem Hause aufzupflanzen. Fast scheint
es so, als ob die Grenzen des Gebrauches so weit reichen, als
sich an Ortsnamen der Einfluß von Franken und Burgunden auf
romanischem Boden verfolgen läßt
In Westfalen (Rgbz. Arnsberg) wird dieser grüne Baum oder
Zweig im letzten Korne Härkelmai, im Münsterlande, Rhein-
land, Holland, Belgien, Picardie und französisch Flandern Mai,
Meie, im Elsaß Mai oder £mmai (Emtemai) benannt, in Frank-
reich ist meistens, da derselbe mit Blumen und Aehren geschmückt
wird, der Ausdruck bouquet, bouquet de la moisson neben
andern noch zu erwähnenden Sondemamen (chien de la moisson,
coq d'Aoüt u. s. w.) dafür im Gebrauche.
In dem umschriebenen Gebiete hebt sich als eigenartig der-
jenige Landstrich hervor, welcher den Namen Härkelmai
(mundartl. Hörkelmai, Hackelmai, Hakelmai, Heckelmai, Häkel-
mai, Harkemai, Hackemai) kennt. Er umfaßt die Kreise Altena,
Dortmund, Hagen, Hamm, Iserlohn, Meschede, Olpe und Soest
des Regierungsbezirks Arnsberg und reicht einerseits in das Mün-
sterland, andererseits in den Kr. Lennep Rgbz. Düsseldorf hinein.
Wenn alles Getreide geschnitten und in Garben gebunden auf
Erntemai. 195
die Wagen geladen ist, werden mit einer großen Ziehharke
(Treckharke) die zerstreut liegenden einzelnen Halme zusammen
gerecht Dieses ,, Harkelse/' wird mit den letzten Garben zusam-
men auf da|i letzte Emtefuder geladen, hicTon erhält der grttne
Zweig oder Baum, der dieses Fuder ziert, die Benennung Har-
kelmai. Dieser Name geht sodann auf den Act des Abmähens
der letzten Frucht, auf diese selbst („den Hackelmai mähen 'Q
und auf das letzte Emtefuder oder auf das letzte abzumähende
FruohtsttLck über. Der Emteschmaus am Ende des Schnitts,
oder an einem Sonntage nach Beendigung aller Emtearbeiten,
oder nach Beendigung des Dreschens gegen Fastnacht heißt
„den Harkelmai yertSren," „den Hörkelmai fim (feiern)" oder
auch einfach „Harkelmai," die letzte Garbe „Harkelmaigarw,"
das letzte Fuder „Harkelmaiwagen;" (vgl. S. 191 das Fehma-
rische Schöttehnei) und die übertragenen Anwendungen des Wor-
tes werden so vorwiegend, daß nun wiederum der Busch oder
Baum davon meistenteils „Harkelmaisbusk" oder „Harkelmai-
b6m" benannt ist. In den Kreisen Hamm, Dortmund^ Soest und
Iserlohn gestaltet sich die Harkelmaisitte folgendermaßen: Nach-
dem der Fruchtschnitt auf dem letzten Acker des zuletzt geem-
teten Getreides zu Ende ist^ oder, obwol seltener, soeben ehe
man an das Abmähen des Letzten geht, graben die Mäher
unter lautem Jubel und Trinken den Harkelmaibom,
einen starken grünen Ast oder Baum tief in das Stop-
pelfeld. Es ist das eine junge Buche (Gegend von Herringen,
Unna Kr. Hamm), Birke (Herringen, Kr. Hanun; Werl, Para-
diese Kr. Soest), zuweilen auch Weide (Werl). Der Harkelmai
hat bisweilen eine recht ansehnliche Größe, im allgemeinen pflegt
er 3 — 4 Zoll dick und über der Erde 15 — 25 Fuß hoch zu
sein.- Mehrere (4 — 5) Fuß tief wird er in den Boden getrieben
und darin fest gekeilt und eingepfählt. Wie der Maibaum im
Frühlinge wird er gerne seiner untern Zweige beraubt,
so daß die oberen eine schöne Krone bilden (Hilbeck,
Haren, Untrup, Schmelhausen Kr. Hamm; Paradiese Kr. Soest).
Dieser WipCel wird mit einem Aehrenkranze aus dem
letzten Getreide (Herringen, Hilbeck, Haren Kr. Hamm) oder
mit einzelnen Aehrenbüscheln geziert (Friedrichshöhe bei
Unna); es werden an mehreren Stellen in der Mitte des Stam-
mes oud oben hie und da an den Zweigen der Länge nach
13*
196 Kapitel in. Banmseele als Yegetationsdämon:
Halmbtindel, zusammen etwa eine Masse wie ron 3 — 4 Garben
befestigt (Heil bei Herringen, Unna, Kr. Hamm; Menden Kr.
Iserlohn) oder der Hackelmaibusch wird an der Spitze gradezu
mit der geschnittenen Frucht durch flochten (DBttchelte). In
der Gegend von Soest bindet jeder anwesende Schnitter und jede
Schnitterin einen Aehrenkranz oder eine Handvoll Halme an den
im Felde steckenden Harkelmaibaum oder an eine denselben ver-
tretende Stange , so daß an der Anzahl dieser Strohbänder jeder-
mann die Anzahl der Mäher erkennen kann (Borgein, Soest,
Cörbefce Kr. Soest). Im Kreise Dortmund (z. B. Wickede,
Brackel, Kerßebtthren) und z. Tl. Kr. Soest (Paradiese) wird
unten um den Fuß des oben und in der Mitte mit Aehren-
büscheln geschmückten Harkelmaibaums eine volle Garbe
d.h. wol die letzte, Harkelmeigarw^ gebunden, wodurch
dieser dem schwäbischen in die letzten unabgeschnittenen Halme
gestellten Maien sehr ähnlich wird. Die Garbe rückt nach oben,
wenn sie bei Unna Kr. Hamm und zu Messerscheidt bei Hemer
an dem Baum aufgehängt wird. In diesem Falle stellt
die Garbe zuweilen ein persönliches Wesen vor und erhält den
Namen „de Olle" '(der Alte). Allen diesen sehr verschiedenen
Weisen der Zurüstung des Baumes ist doch unverkennbar das
Bestreben gemeinsam, in ihm die Vegetationskrafl des Feldes zu
personifizieren; die vollen Aehren sollen als seine Frucht, oder
er aus der Garbe heraussprießend d. i. als deren dui'aftig oi'f»?-
TiTCT^ dargestellt werden. Der Harkelmaibaum bleibt auf dem
Felde stehen, bis alle Garben gebunden sind, i;esp. bis es ans
Aufladen des letzten Fuders geht. Dann müssen die Mädchen
ihn umwerfen oder herausziehen, dürfen dabei aber nur ihre
Hände, niemals Spaten oder andere Gerätschaften zum Aus-
graben gebrauchen. Können sie das nicht, so müssen sie die
Knechte tractieren (Herringen, Heil, Fröndenberg, Haren, Hil-
beck, Friedrichshöhe, Unna u. s. w. Kr. Hamm; Bertingloh bei
Menden Kr. Iserlohn; Werl, Schwefe Kr. Soest). Er prangt
sodann im Vorderteile oder inmitten des letzten Wagens (Här-
kelmeiwagen) , der ringsui\i mit grünem Buschwevk besteckt ist.
(Soest, Paradiese, Schwefe, Borgein Kr. Soest; Friedrichshöhe
bei Unna, Lünem Kr. Hamm u. s. w.) Die Mägde setzen
sich mit dem Erntekranz zu dem Härkelmeib6m auf den
Wagen, indeß der festlich geschmückte Baumeister vorne auf
Erntemai. . 197
dem ersten Pferde reitet (Haren, Uentmp/ Schmehaasen Kr.
Hamm; Paradiese Kr. Soest.) Entweder schon auf dem Felde
wird Getränk um den Busch oder Baum ausgegossen (Brockhau-
sen bei Deilinghoyen Kr. Iserlohn) oder, sowie der Herkelmei-
wagen auf den Hof fährt, werden der grüne Baum und die
ihn einbringenden Erntearbeiter mit ganzen Eimern
Wasser begossen (Bttderich bei Werl Kr. Soest) ,,de hörkel-
mai draf net dröj inkommen^' (Brockhausen). Selten bleibt der
ährengeschmtlckte Baum auf dem Acker stehen und darf, wenn
die letzte Garbe (der Alte) abgeholt ist, von jedem Beliebigen
geholt werden, der ihn haben will (Messerscheidt bei Hamm,
Borgein Kr. Soest). Ebenso selten wird er hinten am letzten
Wagen angebunden und muß hinten nachschleifen
(Werl Kr. Soest), oder man läßt ihn, mit einem Kranze
geschmückt, dem Wagen vorauftragen (Brockhausen).
Dem Fader gehen 5 — 6 Knechte peitschenknallend voran. Naht
sich der Wagen^ dem Hofe , so muß ihm der Bauer ehrerbietig
entgegenkommen und den Schnittern einen Trunk entgegenbringen,
widrigenfalls sie das Becht haben, ihm die Kohlköpfe ün Garten
abzuschneiden. Ist das Fuder eingescheuert, so wird der Harhelr
maibom an der Einführt der Scheune oder des Hauses festge-
nagelt und verbleibt da, bis der Emtefestschmaus „der Harkemai^'
oder „Bauthahn^' vorüber ist Dieser findet statt, sobald im
October die erste fette Kuh geschlachtet wurde (Heil bei Her-
ringen Kr. Hamm). Der Ausstattung des Baumes entsprechend
war außer dem grünen Harkelmaibusch auch wol noch ein Ernte-
kranz an das Scheunentor genagelt (Düingsen Kr. fserlohn),
anderswo der aus Aehren, Blumen und wildem Hopfen verfer-
tigte Erntekranz allein über der Haustür befestigt und bis zur
Ernte des nächsten Jahres hängen gelassen (Hilbeck, Ostbühren
Kr. Hamm). Manchmal aber vertritt eine mit Blumen, Halmen
und grünen Zweigen umflochtene Harke die Stelle entweder des
Baumes oder des Kranzes. Auf dem letzten Fuder (Herkelmai)
sieht man die in Laubwerk gehüllte, mit Aehren und Blumen
geschmückte oder oben mit einem grünen Kranze versehene
Harke in der letzten durch Größe und besondere Form ausge-
zeichneten Garbe, dem „Alten" oder „dicken Jungen," oder
daneben stecken (Apricke, Hemer), oder sie schmückt in Gesell-
schaft des Erntekranzes , der später seinen Platz über der Niendör
198 Kapitel III. Banmseele als VegetatLonsdämon:
(Niedertttr) erhSlt , den Harkelmeiwagen (MesserBcheid) oder end-
lich sie wird von einer Magd dem Herkelmeiwagen Toraofgetra-
gen. Es mnß nun der Oberknecht versuchen das ,,Herkelse^'
trocken auf die D61e (Scheundiele) zu bringen, die Magd die
bunte oder ,, grüne Harke'' gleichfalls trocken unter die Herd>
kappe (Bausem), resp. auf den Herd selbst zu schaffen.
Die Haus- oder Etlchenmagd, auch wol die Bäuerin selbst, ver-
sucht das durch Begießen zu hindern, wird aber, wenn ihr
dies nicht gelingt, selbst tüchtig eingeweicht (Friedrichshöhe bei
Unna, Brockhausen bei Iserlohn, Bertingloh bei Menden). Dringen
dagegen die Emtemägde gegen die Wirtin mit der Harke bis
zur Heerdkappe vor und vermögen sie namentlich ihr den grü-
nen Kranz überzuwerfen, so dürfen sie ihr fnü der Harke das
Haar kämmen (Werl bei Soest). Die Harke wird später aus-
wendig an das Haus resp. über die Haustür gehängt
(Friedrichshöhe, Froendenberg bei Unna). Das Erntefest (Har-
kelmeifest, den Hackelmei verzehren) folgt dann sogleich zu
Martini oder gegen das Frühjahr; von allem Letzten aber, was
auf die Neige geht, hat man die Redensart „Jetzt geht's auf den
JHakelmei" (Werl).
Noch ist zu bemerken, daß der Harkelmei in sehr vielen
Fällen mit dem Herhsthahn oder Emtehahn vermischt oder ver-
bunden ist. Auf dem Harkelmeiwagen wird nämlich nicht sel-
ten statt des Harkelmeibaums ein aus Holz oder aus buntem
Papier gefertigter oder ein lebender Hahn mitgeftthrt, der mei-
stens ii^ oder auf dem Erntekranz befestigt ist (Soest, Bergehi,
Schwefe Kr. Soest; Schmallenberg Kr. Meschede) oder auf dem
grünen Hackelmaibusch seinen Sitz hat (Velmede Kr.
Meschede); ja dieser grüne Zweig selbst heißt Bauhahn d.i.
Emtehahn v. Bau, Baut alts. bewod Ernte (Sproekhövel Kr. Ha-
gen; Witten Ei. Bochum). Ebenso wird das Hackelmeifest als
Bauthahn oder Stoppelhahn bezeichnet, man sagt „es wird der
Baudehahne verzehrt^' (Herringen Kr. Hamm; Brackel Kr. Dort-
mund) und vielerorts fehlt unter den Gerichten der Emtemahl-
zeit ein Hahn nicht (Lünem, Unna, Kerßebühren Kr. Hamm;
Schwefe Kr. Soest).
Auch ohne den Namen Harkelmai bleibt die Form der Sitte
in der nähern Umgebung des beschriebenen Gebiets zunächst
sehr ähnlich. Im Münsterlande sind es bald Birkenbttsche , die
ErntemaL 199
man auf dem ^ Fader heimfährt, uid über der NiendOr aufsteckt
(z B. Heiden bei Borken) , bald setzt man auf das letzte Ernte-
fader nach Einheimsung aUer Arten Feldfrucht einen Nußbaum-
Strauch, der voll von Nüssen hängt, oder irgend einen
Baumzweig, an den Nüsse und kleine Bündel von jeder
Getreidesorte (Roggen,' Weizen, Hafer, Gerste, Erbsen,
Wicken) gebunden sind. Zuweilen heißt dieser Nußbaum-
ast Stoppelhahn (Gegend von Darfeld und Nordwalde). So
nehmen auch im Bgbz. Trier Kr. Bemkastel die Schnitter einen
ästigen Tannenbaum mit aufs Feld, binden nach beendigtem
Komschnitt Blumen, Streifen färbigen Papiers und Aeh-
ren verschiedener Fruchtarten daran, dann tragen sie ihn
anter Gesang, wobei sie oft die Hähne nachahmen, bis ans
Herrenhaus. Die Ntlsse , die Symbole der Fruchtbarkeit (s. o.
S. 184) und das Anbinden von Halmen aller Fruchtarten erhärten
und erweitem unsere vorherige Behauptung dahin, daß der Har-
kelmaibaum die gesammte Vegetation der angebauten Feldflur in
einer sinnbildlichen Gestalt zusammenfassen sollte.
Im allgemeinen nimmt unsere Sitte im Rheinlande in Bezug
aaf mehrere Stücke jedoch eine etwas andere Gestalt an. Der
„Mai,^^ „Maistrauß," eine Tanne oder ein dichtbelaubter arms-
dicker Ast von Eiche, Buche, Birke oder Weide, zuweilen auch
Ssohe (Bedburdyk Kr. Grevenbroich) wird nicht in das Ackerfeld
eingegraben, sondern in die letzte während der Weizenemte
gebundene und durch Größe wie Blumenschmuck ausgezeichnete
Garbe gesteckt. Man sagt daher „den Maien binden" statt die
letzte Garbe binden. Sie findet auf der Spitze eines zum Trock-
nen aufgesetzten Haufens Platz, um den Schnitter und Binderin-
nen jauchzend herumspringen und tanzen (Nörvenick Kr. Düren;
Brttl Kr. Mühlheim a. Rh.). Dieser Haufen wird ipit besonderer
Feierlichkeit jedesmal zuletzt in die Scheune gebracht (Weiden
Kr. Köln; Sechtum Kr. Bonn). Dann prangt auf dem letzten
Wagen ein ähnlicher, oder derselbe Maistrauß und man sagt: *
„der mei wiet enngefahre." Häufig aber wird erst beim „Maien-
einfahren" der Baum herzugebracht und ausgeschmückt. Cliarac-
teristisch fwr den Act des Aufsteckens ist ein lautes Jauchzen
oder Jüchen von Seiten der Emtearbeiter (vgl. das Juchfoder auf
Fehmam S. 191). Die Ausrüstung des Maien besteht meisten-
teils aus bunten Bändern, Tüchern und noch andern Zutaten.
900 EMfiUl UL Btamaede ab TcseiatioMdimn:
In Kfinkom Kr. Erkeleu Bgln. Ajusben, wiid W der Flad»-
ifMe anf den letztai Karrrai resp. in das Feld ein Hai gesteckt,
der mU fofügm Bändern^ Bingen, Nadeln und üeinem Baek-
werk behangen ist Aach der letzte Wagen der Winterfrneht
ist mü einem grünen Zweige besetzt, an den Binder, TOdier
Schurzen, Fähnchen von bontem Piqiier n. dgL (Pesch, Hnne-
laA, Letzerath n. s. w. Kr. Erkelenz; Spenrath Kr. Greyenbroieh;
Bddingen Kr. Jfilich; Glidin, Karst Kr. Neos; Oberpleis Kr. Si^;
Kr. Mettmann; Kr. Gladbach; Kr. Grerenbroich; Be^ Kr. Dfl-
ren; Mahlten Kr. K9bi) oder Blnmen, Bänder, Taschen-
tttcher, Tabacksrollen nnd Paqnete (Berknm Kr. Bonn),
zuweilen auch Eüwaaren vom Gonditor (Erkelenz Kr. Erke-
lenz), mitunter sogar Bierhrüge (Langenbei^g ^. Mettmann) befe-
stigt smd. Diese schönen Sachen werden als Geschenke den
Emtearbeitem za Teil, wenn sie den Hof erreidit haben. Von
ihnen erhielt der grfine Zweig den Namen „der honte Maie^
(Birgden Kr. Geilenkirchen). Eine unzweifelhaft sehr alte Form
der Sitte hat sich in Kamp bei Menrs erhalten. Wird der letzte
weifte Halm (so bezeichnet man alle reifen HalmMchte mit £m-
schlnft des Hafers) eingebracht , so richtet man ein Bäumeken in
der Weise eUy daß es einem Menschen, resp, einer Puppe sehr
ähnlich sieht, schmttckt es mit Blnmen nnd Bändern nnd führt
es anf dem letzten Erntewagen heim (ygL o. S. 156 n. o. S. 158.
Das „Maienfnder^^ ist gewöhnlich sehr hoch geladen nnd wird
Mindestens von vier bis sechs Pferden, oft von acht, oder viel-
mehr von sämmütchen Pferden gezogen, wdche die Wirtschaft
aufzuweisen hat (allgemein Kreis Grevenbroich ; Kr. Jülich ; Wei-
den Kr. Köln; Bnir Kr. Bei^heim; Sechtnm Kr. Bonn), selbst
dann wenn ihrer zwanzig Rosse sein sollten (Krabe Kr. Jülich).
Der Wagen sowohl, als die Pferde sind ebenfalls mit Laub nnd
bnnten Bändern gezibrt. Um den bnnten Maien herum sitzen auf
dem Wagen die Mägde ^ die das Getreide gebunden haben; eine
Küchenmagd (Bi^m^s) reitet das vorderste Pferd, Hinter dem
Wagen geht der erste Schnitter nnd trägt das Faß, in welchem
sich das sogenannte Benbier befand (Kr. Dttren; Ej*. Erkelenz;
Kr. Grevenbroich; Sechtnm Kr. Bonn; Bergheim Kr. Bergheim;
Malnten Kr. Köhi). Oder die Mägde übernehmen gänzlich
das Fahren, nachdem sie den Knechten tüchtig in Bier nnd
Brantwein Bescheid getan haben. Bei der Abfahrt nach dem
Erntemai. 201
Felde, am die letzte Karre Fracht za holen, besteigt ein Teil
Ton ihnen die mit Blnmen and grünen Beisem geschmückten
Pferde. Sie ziehen za diesem Behufe zar Hälfte Mannskleidong
(Hat and blaae Kittel) an. Aaf der Karre selbst befinden sich
die Männer trinkend and singend, oder das übrige Dienstper-
sonal beider Geschlechter, womöglich mit 1 — 2 Masikapten. Der
Arbeiter, welcher das Getreide aaf den Wagen hinaaf reichte,
trägt seine Gabel hoch emporgerichtet and an dieser einen Krag
Brantwein hangend. Im Kreise Saarloais wird bei Been-
digung der Kartoffelernte, wenn man den letzten Sack vom
Felde holt, ein Arbeiter als Weib verkleidet, er faßt
einen mit banten Papierschnitzeln behangenen Tannen-
baum mit der Hand and setzt sich aaf eins der Piferde; die
übrigen Arbeiter nehmen aaf dem Wagen Platz and krähen
aus Yollem Halse. Aach im benachbarten Kr. Bemkastel wird
der Baam in der Hand getragen und der Hahnkrat nachge-
ahmt (o. S. 199). Spielen hier die Fraaen eine active Rolle,
wenn schon eine andere als in Westfalen, so anderswo eine ans
schon ans den Frtthlingsgebräuchen bekannte passive. Fährt in
Wankam Kr. Geldern der Knecht die letzte Karre Flachs zar
Wiese, aaf der geröstet wird, so schmückt er dieselbe
mit einem grünen Bnsch, außerdem aber überreicht er
auch jedem Mädchen resp. jeder Frau einen grünen
Zweig. ^ Seltener als in Westfalen taucht die Erinnerung an
den Emtehahn auf. Zwei Beispiele aus dem Südwesten des
Rheinlandes (Kr. Bemkastel und Saarlouis Regbz. Trier) sind
soeben u. S. 199 namhaft; gemacht, im Nordosten wird die
letzte mit grünem Eichenzweig gezierte vierfach dicke Roggen-
garbe der Herrschaft mit den Worten: „hier ist der Hahn,"
„der Bauhahn" ins Haus gebracht (Httnxe a. d. untern Lippe,
Brttnen Kr. Rees, Rgbz. Düsseldorf). Im Trierschen wird der
Mai häufig nicht in die Korngarben des letzten Fuders gesteckt.
1) Vgl. in Hochfllzen in Tirol schmückt die Oberdim beim Flachs-
breoheln einen Tannenwipfel mit Aepfeln und buntfarbigen Bändern and
stellt ihn nahe der Brechlstnbe anf. Ihr Geliebter hat nnn die Pflicht ihn
jenen zu rauben , was ihm jedoch sehr erschwert wird, da alle Brechlerinnen
dagegen auf der Hut stehen. Gelingt ihm dennoch sein Wagestück [bemäch-
tigt er sich nach S. 183 des Lebensbaumes seiner Verehrten] so gilt er fortan
als znrerlässiger Liebhaber. Zingerle, Sitten Aufl. 2. 175, 1459.
202 Kapitel III. Baumseele als VegetationBdämon :
sondern diesem Yoranfgetragen (ygl. o. S. 192 Hofingen im
Aargau). Uebrigens wird nicht allein das Getreide, sondern auch
beim Grasschnitt der letzte Heuwagen mit dem grflnen bebän-
derten Eichenaste ausgezeichnet (Brtinen Kr. Bees). Der Ernte-
wagen mit dem Mai nimmt absichtlich den Weg durch das Dorf,
wenn es sein kann, durch mehrere Dörfer (Pier Kr. Düren , Neu-
kirchen Kr. Grevenbroich). Vor dem Hoftor macht er halt, und
sein Führer knallt so lange mit der Peitsche, oder stellt sich
als mtlsse er stecken bleiben, bis der Bauer oder die Bäuerin
mit dem üblichen Willkommstrunke entgegenkommen. Sodann
wird der Mai auf dem Hofe aufgepflanzt und um denselben
getanzt, gesprungen und gesungen (Dormagen Kr. Neuß); die
Arbeiter haschen . nach den daran angehängten Geschenken.
(Erkelenz, Berkum Kr. Bonn; Glehn Kr. Neuß.) Ebenso laufen
die Mägde , sobald sie beim Flachsrösten des Mais ansichtig wer-
den, jauchzend auf ihn zu und berauben ihn seiner schönen
sieben Sachen (Klinkum Kr. Erkelenz). Endlich wird der ent^
leerte Baumzweig, „der bunte Maie^', an der First des Hauses
(Berkum Kr. Bonn) oder an der Wand über dem Scheunen-
tor (Bedburdyk Kr. Grevenbroich; Vluge Kr. Geldern; Gohr Kr.
Neuß) befestigt und wird dort bis zur nächstjährigen
Ernte aufbewahrt. (Birgden Kr. Geilenkirchen). So wird auch
in Holland der grüne Zweig des letzten Emtefuders (Mai) gemein-
hin an das Stallgebäude angenagelt.
Bheinaufwärts im Elsaß und Lothringen treffen wir die Haupt-
formen der niederrheinischen Gebräuche wieder. Auf den letzten
Erntewagen wird allgemein ein grüner Baumzweig gesteckt,
ebenso bei der Beendigung des Dreschens (Zinsweiler) sowie
zum Schluß der Weinlese (in manchen Döriem z. B. um Schlett-
stadt bei dieser Gelegenheit ausschließlich) und beim Einbringen
des letzten Heus (Zinsweiler). Es ist gröstenteils eine Tanne
oder Föhre, zuweilen (Zabem) eine Birke. Dieser Busoh heißt
der firenmeie (Emtemai), wie der Sonntag, an welchem das
Erntefest stattfindet, £msonntag, das Festmahl £rengans. In
der Gegend von Metz wird bei der Heuernte, Kornernte und
Weinlese ein ,^ Herbstmai" gemacht. Der firenmei (Herbstmei),
häufig mit Blumen zu einem Strauß verbunden (Saargemttnd,
Finstingen), ist mit bunten Bändern (Obersulz), außerdem mit
Blumen, Kuchen, Würsten, Schinken (Gegend v. Straß-
Erntemai. 208
barg, Schl^ttstadt, MUhlhansen) resp. mit Tranben (Metz) behangen.
Sehr häufig wird noch das Bfld eines Hahnes oder andern Vogels
hinzagefbgt. Bei Zabem schmückt den letzten Wagen ein Birken-
zweig mit roten Bändern, Blumen, Würsten, Aepfeln
und Birnen, oben auf ein Adler von rotem Papier; der Zweig
wird schließlich auf dem Giebel der Scheune aufgepflanzt/
Um Mühlhausen ist der Emmaie beim Emteschlnß eine Tanne
mit Würsten , Eiern und Bretzeln behangen , auf der Spitze sitzt
ein Hahn von Gold- und Silberpapier; bei der Weinlese giebt
es auch einen Maien mit vielen Trauben und bunten Bändern
geziert, aber ohne Hahn. Bei Schlettstadt dagegen trägt der
Mai (Tanne) bei der Weinlese einen goldpapiemen Adler, zu-
weilen auch eine Flasche Botwein. Um Metz wird ein leben-
der Hahn an den Emtestrauß (Mai) gebunden. Um Wesser-
lingen wird der auf dem letzten Wagen heimgefahrene Baum-
zweig nach einem andern Tiere Hase genannt, später an die
Scheune genagelt und verbleibt da bis nach vollbrachter
Emtemahlzeit. In manchen Dörfern um Mühlhausen ist der
„Eremnaie^^ (Tanne oder Föhre) auf dem letzten Fruchtfuder von
dem Strauß unterschieden. Es knien nämlich alle Schnitter auf
dem Felde nieder und beten 5 Vaterunser und den Glauben.
Dann schneidet eine Jungfrau die letzten Halme, die sie mit
Blumen zu dem Strauße verbindet, der auf das Dach der
Scheune gesteckt und dort bis zum nächsten Jahre
belassen wird. Am Herbstsonntag d. h. dem Winzerfest
verkleidet sich ein Mann als Weibsbild und heißt Her1)st-
schmndl und ein Weib als Mannsbild. Der verkleidete Mann
sitzt auf dem Wagen, der die letzten Trauben einbringt, vorne
und hält einen großen Maibaum in der Hand; das Weib
sitzt nüt dem Bücken gegen ihn und trägt einen Korb mit
Blumen.
Betreten wir nunmehr das romanische Gebiet, so treten uns
in Belgien und Frankreich manche alte Bekannte entgegen.
Während jedoch gewisse Züge, die in Rheinland oder Westfalen
u. B. w. breiter ausgebildet sind, hier nur vereinzelt vorkommen,
sind andere, welche dort seltener aufstoßen, zu größerer Entfaltung
gelangt. An die rheinländische Sitte rührt z. B. der normannische
Brauch in St. Martin de Gaillard, Seine infSrieurc. Die letzte
Garbe (la gerbe de la mattresse) wird von dem Gutsherrn selber
204 Kapitel in. Baumseele als Yegetationsdämon :
gebondeiiy gleich der ersten Garbe größer als alle andere gemacht»
mit Blumen und Bändern geschmtlckt und auf den letzten Wagen
gesetzt, wo sie von der Bourgeoise selbst gehalten wird. In der
gerbe de la mattresse, steht ein Kreuz von grünen Baumzweigen
(croix de la moisson) und außerdem ist auf den Wagen ein grüner
Baumzweig gepflanzt (brauche de la hioisson). Der Bauer
spannt vor diesen Wagen alle seine Pferde (6 — 7),
die mit Bändern und Blumen geschmückt sind (vgl. o. S. 200).
Wie im Bheinlande und Elsaß ist das Bouquet de la moisson
zuweilen mit Eßwaaren geschmückt. In Latour du Pin (Isere
Departement, Dauphin^) wird auf den letzten Wagen ein Lorbeer
oder womöglich Stechpalmenzweig (boux) mit Bändern und
Kucken behangen heimgeftihrt ; er bleibt in der Scheuer für die
Hatten. In der Bretagne (Gregend von Bennes) formt man beim
Emtebeginn einige Aehren zu einem Strauß in Gestalt eines
Kreuzes; dieser Strauß wird über der Tür der Scheune
befestigt und bleibt da das ganze Jahr; beim Emte-
schluß nimmt man einen grünen Aßt, der sich in drei Zweige
' spaltet, behängt ihn mit den schönsten Äepfeln, die man hat,
fügt künstliche Blumen hinzu und bildet so ein Bouquet, das man
auf dem letzten Fuder einführt Ganz ähnlich geschieht es in
der Gegend von Montauban (Guyenne). Wenn die Ernte eröffnet
wird, schneidet der Aelteste die ersten Hahne und macht von
Aehren, Buchsbaum und künstlichen Blumen einen Strauß, dessen
Stiel von Binsen zusammengehalten sich in drei Zweige verästelt
Dieser Strauß wird dem Gutseigentümer überbracht, der ihm
unter dem Bauch fang (sous la chemin^e) seine Stelle giebt
Ist die Ernte beendigt, so wird von allen Arbeitern ein neuer
Strauß überreicht, so groß, daß ein Stock als Stiel dient Dieses
Bouquet bekommt seinen Platz auf demjenigen Schober (meule
de bie), der zuletzt gedroschen werden soll. — Eine eigentüm-
liche Ausschmückung findet zuweilen in der Bourgogne statt.
In der Gegend von Auxerre steht auf dem letzten Wagen ein
Eichenzweig, den man mit Mäusen und Maulwürfen, soviel
man deren bekommen kann, beschwert und über der Pforte des
Hoftors anbringt. Weit gewöhnlicher, als in Deutschland (s. o.
S. 200 ff.) , begegnet in Frankreich die Ausriistung des Zweiges mit
einer oder mehreren Fleuchen Getränk, Bei St Quentin (Picardie)
ist der Mai auf dem letzten Wagen ein an den Aesten mit
Erntemai. 205
A ehren und Blumen geschmückter und teilweise mit vollen
Weinflaschen beschwerter Baumzweig. Im D^p. du Jura (Franche
Comt^) setzt man einen Ast vom Kirschbaum (cerisier), geschmUckt
mit Blumen und bunten Bändern und behängt mit 4 Flaschen
Wein auf das letzte Fuder. Bei Nancy macht man fttr die letzte
Fuhre einen Strauß von Rosen, steckt einen grünen Zweig hinein
und fllgt im Vorderteile des Wagens soviel Flaschen Wein hinzu,
als Arbeiter da sind. Das Bouquet wird bei der Heimkunft aufs
Dach des Hauses gepflanzt. Im Nivemais knüpft man an einen
Baumzweig (meist Eiche) farbige Bäi^der, Aehren, Rosen und
andere Blumen und bindet eine Flasche Wein daran. Die Tochter
des Hauses selbst hebt diesen Strauß (le bouquet de la poil^e)
vom Wagen und schenkt ihn als Auszeichnung wem sie will, oder
das Bouquet wird über der Pforte der Scheune aufgehängt. In
anderen Communen derselben Landschaft pflanzt man in die vom
Patron der Farm selbst gefertigte und größer als 4 andere ge-
machte letzte Garbe (la gerbe ä la galette) ein Kreuz bestehend
aus zwei armsdicken noch belaubten Eichenästen. Auf der Spitze
und an jedem Arme des Kreuzes ist eine Flasche Wein befestigt.
Auch das vorderste der drei Pferde vor dem letzten Wagen trägt
an jeder Seite des Kopfes eine Flasche Wein und auf dem Kopfe
auch eine nebst einem Baumzweige. Höchst beachtenswert ist
die Sitte in La Palisse (D6p. de TAllier, Bourbonnais). An die im
letzten Getreidefuder aufgepflanzte Tanne hängt man mehrere
Boufeillen Wein und an die Spitee einen Mawn aus Brodteig.
Baum und Brodmann werden auf die Mairie gebracht und hier
his zur Beendigung der Weinlese bewahrt. Dann veranstaltet
man das allgemeine Fest des Emieschlusses , wobei der Maire
den Kerl zerstuckt und unter das Volk zum Essen verteilt Sehr
häufig gehört, wie in Westfalen, die Anhindung mehrerer Aehren
zum Schmucke des • Emtezweiges. In einigen Gemeinden des
Bourbonnais ist es ein ganzer Rosenstock (rosier d'aoüt), der mit
den Wurzeln ausgegraben, mit Aehren und Blumen ausgeschmückt
und dem Herrn überbracht wird, der ihn ein Jahr hindurch auf-
bewahrt. Im Orl^annais (Loiret) wird ein Lorbeer mit Aehren,
Blumen und Bändern ausgeputzt, auf der letzten Fuhre einge-
fahren und an der Spitze des Scheunendaches angebracht; oder
man macht die letzte Garbe jeder Fmchtart sehr dick (la gerbe
grosse) und steckt einen grünen Lorbeerzweig hinein, an den
206 Kapitel III. Banmseele als Vegetattonsd&mon :
Frachthalme und künstliche Blumen der Art angebunden sind,
daß sie mit ihm ein Kreuz bilden. Vom letzten Wagen herab-
genommen kommt dieser StrauB auf die Spitze des Garben-
haufens (gerbier) zu stehen, wo er bleibt , bis die Einbringung
aller Fruchtarten geschehen ist (Loire et Cher, Romorantin). Auch
in der Bourgogne (D^p. de la Yonne und D^p. de VAin) ist es yiel-
fach ein mit farbigen Bändern, Blumen und Komhalmen gezierter
Lorbeerast.
Auch in Frankreich läßt sich vielfach eine enge Zusammen-
gehörigkeit des Emtezweiges mit dem Emtehahn beobachten.
Um Clermont (Auvergne) tödtet man eine Henne (oder Ente) und
bindet sie an den Wipfel des Baumastes, der das letzte Fuder
ziert. In der Gegend von Lyon bindet man einen Hahn (oder
eine Taube) an die Tanne, oder den Lorbeer auf dem letzten
Wagen; zu Hause tödtet man das Tier, der Baum wird vor der
Farm oder Scheuer aufgesteckt und bleibt da das ganze Jahr.
In der Commune Orthez unweit Pau erhält die letzte Garbe ein
Kreuz von Stroh, dessen Spitze eine Blumenkrone ziert Der
Patron selbst hebt sie auf den letzten Wagen und stellt neben
sie einen mit Bändern und Blumen behangenen Eichenzweig.
Beides Garbe und Zweig werden auf den Kornboden gesteckt
und yerbleiben da, bis sie beim Ausdrusch des letzten Kornes
auf die Dreschdiele geholt werden. Hier stellt man den Eichenast
in der Mitte auf und bindet eine kalekutische Henne daran, lebend,
jedoch so, daß ihr Kopf nach unten hängt. Ist alles abgedroschen,
so tödtet man sie zur Abendmahlzeit. In Isle de France steht
auf dem Fuder, das derjenige Arbeiter fahren darf, der keinen
Erntewagen umwarf, der geschmückte Emtezweig (bouquet de la
moisson) und neben ihm sitzt eine Person, die einen lebendigen
Hahn in der Hand hält, den man beim Festmahl verzehrt; oder
ein eben getödteter Hahn hängt an einem. Stocke inmitten des
Fuders (Laon). Bei Mezi^res (Champagne) trägt das letzte iTeu-
fuder das Bouquet aus einem Gartenbaum mit grünen Zweigen
und Bändern gebildet, zu jeder Seite ein Hahn und eine
Flasche Wein. Wer vom ganzen Dorfe in der Gegend von
Lüttich zuerst mit der Ernte fertig wird, bringt auf der Spitze
des letzten Wagens einen bebänderten jungen Baum im Triumpf
zur Farm. Das nennt man „poirter l'maie^' (porter le mai) oder
„fer Tcoq" (faire le coq).
/
' Erntefmai. 207
Sehr häafigwird das Bouquet de la moisson in
die letzte 6arbe hineingesteckt (vgl. o. S. 199). Bei Cher-
bonrg (Normandie) heißt dieselbe la gerbe flenne^ weil die darin
aufgepflanzte Tanne mit Bändern und Blumen geputzt ist. In
G6te du Nord (Bretagne) wird ein Lorbeer oder grüner Eichen-
zweig in der letzten Garbe (la gerbe de la flauere) dem Patron
gebracht; den Eichenzweig verwahrt man im Hause bis zum
Dreschen (Ble et Vilaine). Im D^p. de lä Yonne (Bourgogne) steckt
Nußbaum oder Eiche mit Blumen in der grosse gerbe, bei Macon
(Saöne et Loire) Lorbeer mit 3 — 4 Bändern; im Franche Comt^
in der letzten Oarbe (la gerbe de la passion) ein geweihtes Holz-
kreuz und daneben ein mit Blumen bewundener Lorbeerzweig;
bei Besan^on Lorbeer, Buche (hStre) oder Tanne. Im Canton de
Tillot (D^p. des Vosges) sitzt der Bauerwirt selbst auf dem letzten
Wagen neben der mit dem geschmückten Baumzweige ausge-
rüsteten Garbe; den Zweig stellt er auf die Tafel des
Festmahls und besprengt seine Leute und Kinder
unter dieses ausdrückender Anrede mit Wein. Im
Angonmais wird die letzte Garbe mit Lorbeerzweig auf den
Schober gestellt; ebenso im D^p. de la Dordogne in Guyenne, wäh-
rend die mir zugänglichen Zeugen aus der Gironde einen bloßen
Blumenstrauß , aus Aveyron gar kein Bouquet bekundeten.
Unter den Bäumen^ welche für das Bouquet de la moisson
zur Verwendung kommen, nimmt den ersten Platz der Lorbeer
ein, sodann Tanne und Eiche, aber auch andere Bäume kann ich
belegen und zwar Bosenbaum (Champagne, Bourbonnais), Kirsche
(Franche Comt^), Nußbaum (D^p. de la Yonne, Bourgogne), Ka-
stanie (Touraine), Weide (Lyonnais), Buche (Franche Comt^),
Pq)pel (auf dem letzten Heuwagen in ]^pinal; auf 1. Komfuder
Montpellier Langued'oc), Erle (a. Heuwagen fepinal), Dom (a.
Heuwagen, l^pinal), Bnchsbaum (Guyenne, Limousin, Basses
Alpes, Provence), Stechpalme (D^p. de llsere), Ahorn (may de
la moisson, schmucklos Gegend v. Oambray; Brie Isle de France).
Wie vielfach in Deutschland der Träger der letzten Garbe, wird
auch in Frankreich häufig der letzte Erntewagen beim Eintritt
in die Scheune mit einem Wasserguß überschüttet (z. B. Franche
Comt^). Auch englische Landschaften haben die Anwendung des
Haibanms bei ' der Ernte bewahrt. Eine Dame schilderte im
Jahre 1826 in einer Zuschrift an W. Hone (Every day book 1866
206 Kapitel III. Banrnseele als Vegetaüonsd&moii.
n, 578) nach ihrem Tagebuch was sie im. September 1824 aof
einer Heise zu Hawksbnry auf dem Cotswold in Gloacester beob-
achtete : yyAß vre approached the isolated hamlet, we were aware
of a Maypole, and as we drew near, saw that it was deco-
rated with ilowers and ribands flattering in the evening breeze.
Under it stood a waggon with its Aill complements of men, wo-
men , children , flowers and com^ and a handsome team of horses
tranqnilly enjoying tiieir share of the finery and reyelrj of the
scene; for scarlet bows and sunflowers had been lavished on their
Winkers with no niggard band. On the first horse sat a
dam sei, no donbt intending to represent Ceres; she had on of
course a white dress and straw bonnet; for coald Ceres or any
other goddess appear in a mral English festival in any other
costame? A broad yellow sash encompassed a wsust^ that evinced
a glorious and enormous contempt for classical proportion and
modern folly in its elaborate dimensions/' Das ist wieder ganz
übereinstimmend mit der rheinländischen Sitte (o. S. 200). Schließ-
lich kann ich auch noch lettischen Brauch namhaft machen. Ist
das letzte Heufuder aufgeladen^ so wird eine y,Maie mit Blättern^'
in die Wiese (zumeist an der Stelle, wo der letzte Heuhaufen
stand) gesteckt , damit im nächsten Jahre das Gras gut wachse.
Nach Beendigung des Zeugenverhöres halten wir über die
Ergebnisse desselben eine kurze Rückschau. Es kann den Tat-
sachen gegenüber niemandem einfallen zu zweifeln, daß der Mai-
hawM im Frühling und der Erntemai im Hochsommer zusammen-
gehören, eine und dieselbe Idee ausdrücken, eine und dieselbe
mythische Gestalt sind. Das beweist schon der Name „Mai^^ fiir
den letztem, ebensosehr aber die Uebereinstimmung in den an
beide geknüpften Gebräuchen. Beide werden umtanzt; Eßwaaren,
Bänder, Tücher und andere Geschenke werden an beide gebun-
den; auch Weinflaschen, Rosoliflaschen , Bierkrüge u. dgl. fehlen
als Schmuck weder dem Maibaum (Jura, Lechrain o. S. 169),
noch dem Emtemai (Westfalen , Frankreich S. 200. 203, 205). Der
Haibaum war mit Guirlanden spiralförmig umwunden (woher in
Deutschland und England Bemalung in schlangenfönniger Um-
windung rührte); auf seinen Aesten hing ein Kranz; nur der
Wipfel blieb belaubt, die untern Aeste waren gekappt; auch
der Hackelmai ist im Kreise Hamm unterhalb der Krone der
Zweige^ beraubt (o. S. 195) und hie und da schmückt auch noch
Entemai. S09
der Kranz seine Aeste (S. 195. 197). Die Gaben des Maibaums
(mit diesem Aosdrncke wollen wir fortan zur Unterscheidung
xcff' ^^oxt}v den Frtthlingsbaum , gleichviel ob er zu Lätare,
Fastnacht y Maitag oder Pfingsten aufgerichtet wird, bezeichnen)
werden erklettert, die des Emtemai gemeinhin ausgeteilt, oder
durch Wettlauf gewönnen ; das ist der ganze, teilweise aus prak-
tischen Rücksichten hervorgegangene Unterschied. Auch dieser
Unterschied gleicht sich aus, wenn wir zuweilen auch nach dem
Maibusch emen Wettlauf angestellt (S. Kuhn, Nordd. Sag. 380, 57.
cf. 53 — 61), oder den Emtemai erklettert sehen. Die Aus-
schmückung des Emtemai's durch bunte Bänder und an die
Zweige geknüpfte emzelne Aehren oder Halmbüschel (S. 193 ff.
205) findet beim Maibaum ein Seitenstflck im arbor majalis
non paucis taeuiis omata annexis trilms frumenti spicis zu Lucca
(o. S. Hl).* Hiezu stimmt auf das beste die savoyische Sitte
1) Grade diese Fonn der Sitte ist sehr altertftmlich und wolbegrfindet,
insofern drei Aehren vielfach die sonst besonders ansgezeichnete erste, oder
leiste Garbe der Ernte vertreten. Drei stehende Halme band die Fran von
Donnersberg zu Oberigling (Oberbaiem) auf jedem Felde, wo Roggeh, Weizen
oder Fesen geschnitten werden sollte, unter den Aehren zusammen und sagte,
das gebore den (mythischen) drei Jungfrauen auf dem Jungfembüchel, oder
sie ließ drei mit weißen Seidenßlden gebundene Kornähren durch ein Kind
unter 7 Jahren hinlegen. Panzer I, 60, 66. Drei Aehren wirft man, bevor
die erste Fuhre vom Felde abgeht, in üieOendes Wasser oder Ofenfener; drei
Halme läßt man hernach fQr den OswaJdn auf dem Acker unabgeroäht stehen
(Niederaltaich a. d. Donau ; Panzer II, 213, 385). Drei Aehren oben in einen
Knoten verschlungen, zuweilen mit Kränzchen aus allen Blumen zusammen-
gebunden, ja sogar mit einem Brock chen Brod oder einer Nudel besteckt,
bleiben auch in Niederbaiem, Mittelfranken und Schwaben f&r den Aswald
(Panzer II, 215, 389. 216, 393. 214, 387. 21ö, 389). In Oberrottal in Ober-
baiem werden beim Schneiden die letzten drei Halme an einen Stock
geknüpft nnd in einen Strauß Blumen gesteckt, dazu beten alle mit-
sammt drei Vaterunser. Wenn in der Gegend von Schlettstadt ( Elsaß )
beim Heumähen jemand unsauber gearbeitet hat, knftpfen ihm zum Spott die
andern Mäher drei Grashalme oben in einem Knoten zusammen,
lassen sie stehen und nennen das einen Zopf. Wenn die Ernte beginnt,
schneidet der Bauer drei Aehren, legt sie übers Kreuz auf den Acker und
nagelt sie nach Beschluß der ganzen Ernte an die Haustür
(Oberpfalz. Panzer U, 216, 391). Am ersten Tage der Weizenemte flicht
in Karst Kr. NeuU Bgbz. Düsseldorf jede Binderin drei Aehren zusammen,
und Überreicht sie dem Gutsherrn im Namen der h. Dreifaltigkeit. Man steckt
drei Kornähren über den Spiegel, um eine reiche Ernte zu erzielen (Wetterao,
Mannhardt. 14
910 Kapitel III. Baumseele als Vegetationsdämon :
aus der Gegend von St. Eustache bei Aimecy; von der ersten
Handvoll Getreide, welche währaid der Ernte geschnitten wird,
soviele Halme mit den Aehren aufzubewahren ^ als man f^elder
im nächsten Jahre zu besäen hat Am ersten Mai schneidet man
ebensoviele Holünderschößlinge , und zwar die jüngsten Triebe
des Baumes, läßt sie am 3. Mai kirchlich weihen, bindet an diese
Zweige jene Fruchthalme an und pflanzt sie ins Saatfeld. Wie
die schwedische Johannisstange und der russische Semikbaum
ncich Art einer MenschengesUxU aufgeptdat wird (o. S. 157), der
Leto den Genius der Vegetation in Form einer Puppe zwischen
seinen Zweigen trägt (o. S. 156), sahen wir auch den Erntemaien
(S. 200) bei Meurs zu einer Menschenfigur heranbilden , im Bour-
bonnais mit einem Brodmann (S. 205) , in Westfalen mit einer
menschlich benannten Garbe (dem Alten) behängen. Die Weiber
Schlesien, Wattke Volksabergl.^ §. 660). Nach der Ernte legt man in
Franken 3 Kornähren in die Erde, nach deren Wachstum man den AnsfaU
der nftchsten Ernte prophezeit. Panzer II, 207, 863. Aiich in Schweden
knftpft man bei der Ernte drei Halme oben in einen Knoten zu-
sammen und legt einen Stein darauf ,,ftlr die GIobo" (Hjltön-Cayallius,
y&rend S. 242. Mannhardt, Korndämonen S. 8, nach persönlicher Ansehauung).
Ein Gürtel aus drei Halmen um den Leib gebunden, schützt yor Verwundung
mit der Sichel und gegen Kreuzweh bei der Emtearbeit (Panzer 11^ 214,
386. 217, 396). Drei Halme nach Beendiguhg des Komschnittes um die
Sichel gebunden bewirken, daß im Winter die Schafe nicht [d. h. wol vor
Hunger nicht] blöken (Kreuzwald -BÖcler, der Esten Abergl. Gebr. S. 142).
Die ersten drei blühenden Aehren durch den Mund gezogen schützen vor
tollen Hunden und Otterbiß, und schaffen im allgemeinen körperliches Wohl-
sein (Curtze, Yolksüberl. a. Waldeck S. 402. M. Spieß, Abergl. a. d. S&chs.
Obererzgebirge. Dresden 1862 No. 398. 436. 445). Der Bilmesschneider in der
Oberpfalz schneidet drei Aehren von der letzten Ecke eines fremden Feldes
und die ganze Ernte fliegt in seine Scheuer (Schönwerth I, 428). Hiemit
hängt wol zusammen , daß die Letten in Kurland vor dem Boggenschnitt je
drei Aehren rings um das Feld mit rotem Garn zusammenbinden, damit
der Jods (der Schwarze, der Teufel) den Segen nicht nehme (Grenzhof in
Kurland). Auch auf St. Walpurgis als Schützerin des Getreidewuehses (wegen
der Kalenderzeit ihres Tages) gingen 3 Aehren als Attribut Über, sowie
weiterhin auf Maria , die in Frankreich als notre Dame de trois öpis verdbürt
wird und im Elsaß und Pinzgau ihre Kirche gebaut haben wiU, wo drei
Aehren aus dem Boden aufsprießen (Panzer E, 8 — 10. Menzel christl. Sym-
bolik S. 36). Hier beruht die Beziehung auf christlioher Symbolik ; Christus
hieß der alten Kirche der Weizen, der auf Marien Acker wuchs ; die Dreizahl
der Aehren ist aber ans dem Yolksgebrauch herübergenommen. J. Grimm,
B. A. 128. 205 gehören wol nicht hieher.
Erntamai fill
hoUen bei den RiisBen den mit menschlichen Kleidern geBchmttck-
toi Pfingstbanm ans dem Walde (S. 157), bei den Wenden den
Kronenbanm ein (S. 173), brachten in Wttrtemberg nnd der Eifel
m Fastnacht den schönsten Baum aas dem Bosch (S. 174). Wei-
ber werfen in Westfalen den Hörkelmai nm (S. 196) and fahren
im Rheinlande and Gloacestershire (S. 200 a. S. 208) den bnnten
Maien nach Hanse; ein Arbeiter als Weib verkleidet trägt im
Kreise Saarlonis den geputzten Tannenbaum in der Hand (S. 201).
Die Maibäamchen werden den Mädchen (S. 163 ff.), der Sommer
(S. 156) einem Tomehm verheirateten Weibe vor die Tttre ge-
pflanzt , der Emtemai in Geldern jeder Fran nnd jedem Mädchen
überreicht (o. S. 201). Alles dieses erweist eine tief-
begründete Beziehnng des Maibanms zum weiblichen
Geschlechte. Wenn in England der Majpole von 20 — 40
Joch Ochsen eingeholt warde (o. S. 171), spannt der rheinlän-
dische nnd normannische Bauer alle seine Pferde vor den Emte-
mai (o. S. 200. 204). In Dorfes Mitte anf dem Giebel, Dach
oder über der Tür der geehrten Personen erhält der Maibaum
seinen Ehrenplatz; an der First, auf dem Dach, über der Tür
der Scheuer oder des Herrenhauses wird der Emtemai angenagelt
und verbleibt da das ganze Jahr hindurch bis zur nächsten Ernte.
Die schwedische Malstange und den wendischen Kreuzbaum
schmückt ein Hahn (S. 160. 174) ein Hahn begegnete uns bereits
in dem saterländischen Brauch, den Lebensbaum auf die Braut-
hemden zu sticken (o. S. 46), so wie auf dem Wipfel von Mimar
meidr im Fjölsvinsmdl o. S. 56. 183) auch der Emtemai zeigt
sich so häufig in Gesellschaft dieses Vogels, daß wir darin mehr
als einen bloßen Zufall erkennen müssen.
Wenn nach allen solchen Uebereinstimmungen die Zusammen-
gehörigkeit des Maibaumes und Emtemais außer Frage steht, so
ergeben sich ihre Unterschiede mit Leichtigkeit aus dem ver-
schiedenen Character der Jahreszeit ^ in welcher sie zur Verwen-
dung kommen. Der aus dem ergrttnenden Walde feierlich ein-
geholte Maibaum stellt den Genius der im Frühling erwachenden
Vegetation überhaupt dar, als solcher ist er u. a. mit Eiern
behangen, den Sinnbildem des keimenden, sich entwickelnde
Lebens; er hat gewissermaßen einen allgemeinem Character^
deshalb eignet er sich sowohl zum Repräsentanten des Lebens*
baums der ganzen Dorfschaft, als einzelner Personen, wie wir
14*
»3 Kapitd DL BamiMde ab TegetetumadioMB:*
oben anteiiuaidergesetzt baben. Der EmtcBai yeig^peDwirtigt
dagegen den Geist des Wachstams znnäehst in der ganz
bestimmten Bezidumg auf die Knltoifrncht Daß wir in der Tal
em begeistetes persönüdies Wesen anter dem Maien yentebea
sollen, Idiren nieht allein jene Anssehmfidningoi desselben als
Mensdienfigor and mit einer Mensehenigar, scmdern aneh der
Umstand, daß sehr häufig der grttne Erntezweig den Naanen eines
Tieres Bantfaahn (Emtehahn), Hase, eUen de la moisson, Moekel
(d. i Kuh o. S. 192) a. s. w. erhält Wir werden nämlieh später
dnrch die anzweideatigsten Beweise ans davon fibeneogen können,
daß der Dämon der Vegetation bald in Mensdiengestalty bald in
ISergestalt gedacht wurde, and daß der y,Hahn, Hase, Hund,
Ruh^ n. s. w. genannte Maizweig als VerkOrpernng dieses Wesens
gedacht sein mfisse. Es entspricht wieder genau dem o. S. 4. 69
geschilderten Yerhältniß, daß der dem Baom innewohnende
Ctenius häufig aas demselben heraustretend, sieh neben ihn hin-
stellend Yoi^estellt wird, wenn dem Maibaum eine Lady of the
majr, ein Pfingstnickel, ein Johannes genannter Mensch (vgl. o.
8. 181), dem Emtemai ein Herbstschmadl zur Seite tritt, oder
wenn zuweilen an den Baum der innewohnende Komgeist als
aus dem neuen Getreide hergestellter Brodmann, oder leben-
der Hahn (Henne) angehängt erscheint Der im Baume zur
Erscheinung kommende Dämon sollte aber zugleich als die leben-
gebende Kraft der Baugewächse bezeichnet werden. Um dies
auszudrucken wird der Emtemai in die auf dem Acker stehen
gelassenen letzten Halme hineingebunden (Schwaben), in das
Kornfeld gepflanzt, und unten am Stamm mit der letzten Garbe
oder an den Zweigen mit einzehien Aehren derselben bewickelt
(Westfalen, Hessen, Frankreich) endlich in das letzte Fader
gesteckt (Tgl. o. S. 209). Der Sachse in Siebenbirgen hat noch
den Ausdruck „Kombanm^^ bewahrt, nur stellt er denselben
nicht mehr durch einen belaubten Ast, sondern durch ein Aehren-
geflecht dar (S. 190). Aus späteren Erörterungen wird mit Sicher-
heit hervorgehen, daß man die. Anschauung hatte, der Dämon
der Vegetation ziehe sich beim Schneiden des Ackerfeldes inmier
tiefer in dasselbe zurück und komme schließlich in den letzten
Hahnen, die geschnitten werden, resp. der letzten Garbe, die
gebunden wird, zum Vorschein. Aus diesem Grunde wird diese
Oarbe als die wichtigste der ganzen Ernte betrachtet; sie heißt
Erntemai. 2ia
daher Erntegarbe Aastgarw, Anstebimd (Rgbz. Stettin ^ Stral-
wmdy Priegnitz, Uckermark, Prov. Sachsen) Avreneeg, Anrneeg
(Falster), £mgarWy Emtebund (Kr. Wanrieben Prov. Sachsen,
Gregend zw. Selke and Wipper); Bantgarwe, Baugarw (Umgegend
y. Dortmund). Sie gilt als der Stamm oder Grandstock, von
welchem die neue Aassaat, der neue Eomwachstum des nächsten
Jahres ausgehen soll, in welchem die dirafug av^rjrix/] des neuen
Kornes so zu sagen verborgen ruht, und sie erhält daher auch
die Namen Stamm (Kr. Berend Bgbz. Danzig), Grundgarbe,
Stockgarbe (Kr. Simmem, Kr. Zell ßgbz. Coblenz; Kr. St Wen-
del, Kr. Bittburg Bgbz. Trier). Im Kirchspiel St. Lanrentii auf
Westerland - Föhr (Schleswig) werden beim Einfahren des Korns
2 — 3 Garben zu einem Gebunde zusammengebunden, welche^
skuf (d. h. Schof , ags. skeäf, engl, sheaf) genannt wird. Von
dieser Garbe erwartet man Glück und Reichtum in der nächste
Elmte. Dafbr zeugt der Ausdruck Glücksgarbe (Loslau Kr.
Rybnik Rgbz. Oppeln), oder Glückshämpfeli, Glttckskorn
fttr die letzten Halme, um welche vor dem Abscheren das ganze
Greschnitt niederkniet und 5 Vaterunser betet, worauf sie zum
Kranz verflochten zu Hause in der Nähe des Kruzifixes auf-
gehängt werden (Kanton Zürich und Thurgau). Weil die mensch-
Uehe Begehrlichkeit den nächstjährigen Ertrag in jedem Falle
noch größer wünscht, als den diesjährigen, schilt sie die letzte
Garbe Lttgengarbe, Lögengarw (südwesfl. Mecklenburg), Heuchel-
garbe (Kr. Mayen und Kochem Bgbz. Coblenz; Eifel), indem sie
auf listige Weise durch den Vorwurf, heuer die gerechte Erwar-
tung getäuscht zu haben, den Dämon der Vegetation bei der
Ehre fassen und zu noch größerer Anstrengung in Zukunft ver-
anlassen wiU. Diesen Namen und Auffassungen entspricht tätlich
die vielfach durch ganz Deutschland und Skandinavien bewährte
Sitte, die Kömer der letzten Garbe, oder des Erntekranzes ge-
sondert aufi&ubewahren und unter das erste Saatgetreide zu
mischen. Es ist hienach wol unverkennbar, was der Erntemai
in der letzten Garbe zu bedeuten hat Er ist die Gewähr
eines guten Gedeihens der neuen Aussaat. Sehr deutlich läßt
diesen Gedanken die savoyische Sitte aus St. Eustache erkennen,
die Aehren des ersten Emteschnitts an einen in das Saatfeld
gesetzten Baumzweig zu binden (o. S. 210). Unter dieser Vor-
aussetzung erklärt sich auch der vom Maibaum ans England
214 Kapitel HI. Baumseele als Vegetationsd&mon :
(o. S. 171); Yom Erntemai ans dem Rheinland und der Normandie
belegte Umstand, daA 40 — 50 Joch Ochsen, resp. alle Bosse
oder Zugtiere des Gutsbesitzers vorgespannt werden, um den
Maien einzuholen, auf befriedigende Weise. Nach der Absicht
seiner Veranstalter sollte dieser Brauch symbolisch das GewicM
des Vegetationsgeistes ausdrücken, den alle verftlgbare Zugkraft
kaum von der Stelle bewege; so wünscht und erwartet man,
werde er sich in der Schwere und Fülle der Garben bei der
nächst folgenden Ernte bewähren. Gradeso wird der hahngestal-
tige Eomdämon, der Emtehahn, auf einem leeren mit 4 Pferden
bespannten Leiterwagen zur Stätte des Hahnköpfens gefahren,
um seine Schwere und diejenige der erwünschten Zukunftsemte
zu bezeichnen.^ Mit einem Worte, die Sitte ist ein Zauber,
welchem sich ein zweiter ganz ähnlicher Zauberbrauch anreiht
Der Ernte mai oder die letzte Garbe, der Erntekranz, oder der
diese einbringende Arbeiter (Arbeiterin) wird mit manchem
Kübel Wasser begossen „de Hörkelmai draf net dröj inkom-
men.^^ Diese in Deutschland, Frankreich, England bekannte
Sitte erstreckt sich über ein weites Gebiet, auch wo kein Ernte-
mai bekannt ist, und vielfach (z. B. allgemein in Ungarn, Sieben-
birgen, Bumänien, Masuren u. s. w.) sind sich die Ausüber dabei
noch ganz klar und bestinmit der Absicht bewußt und sprechen
sie aus , auf diese Weise hinreichenden Begen auf die Saat des
nächsten Jahres heräbisulocJcen ; geschähe das nicht, so werde nach
ihrer Meinung die FddfrucM an Dürre zu Grunde gehen, * Bei
1) Mannhardt, Komdämonen S. 16.
2) Ich will statt vieler anderen zwei schon gednickte Zeugnisse her-
setzen. Wer bei den Walaohen der Magd begegnet, welche das ans den
letzten Aehren gefertigte Erenz eintragt, eilt herbei sie mit Wasser zn
begießen; an der Türe des Grundbesitzers sind eigens zwei Knechte zu die-
sem Behufe aufgestellt. Würde sie nicht begossen, so müßten im
folgenden Jahre die Früchte an Dürre zu Grunde gehen. Schuster,
Woden. Hermannstadt 1856 S. 40. Matthaeus Praetorius , Pfarrer zu Nie-
budzen bei Gumbinnen zeichnete zwischen 1670—1680 aus der Volkssitte
der dortigen Litauer auf: Wenn beim Säen die Arbeitsleute Abends barfuß
mit ihren Ochsen, Pflügen und Pflugeisen nach Hause kommen, passen ihnen
die Wirtin, die Magd und anderes Gesinde mit einem Stüppel Wasser an
der Türe auf und begießen die Arbeiter pfutzennass. Die Arbeitsleute , auch
nicht faul, &ssen ihre Begießer ohne alles Ansehen der Person an, werfen
sie in den Teich, tauchen sie auch gar unter das Wasser und spülen sie also
Erntemai. 215
Udyarhely in Siebenbürgen geechieht dies so, daß eine vorher
dazu bestimmte Person (Mann oder Mädehen) einen Kranz von
den letzten Aehren auf dem Kopfe , den Leib mit den Kom-
baUnen nmwnnden trSgt Ins Dorf geführt, wird sie bei
der Ankunft über und über mit Wasser begossen. Durch
sie ist der Komdämon persönlich dargestellt An einzelnen
andern- Orten (z. B. Eckamp Kr. Düsseldorf) wird der Kegenzauber
wieder in der Form geübt, daß nach Beendigung der Ernte die
Binderin von den Mähern ins Wasser, einen Teich
oder Bach geworfen wird;^ freilich erlosch hier die Erinne-
rung an die ursprüngliche Meinung des Brauches, man giebt als
Zweck an ,,den Bau (die Ernte) abzuwaschen.^^ Noch andere
schon verblassende Gestalten der Sitte sind die Begiefiung oder
Besprengung des Emtemais oder der letzten Hi^e auf dem Felde
mit Weihwasser, Bier oder Wein (vgl. S. 204. 207). Auf die
nämliche Absicht möchte ich die vielfach belegbare Sitte zurück-
fahren, in die letzte Qarbe eine Flasche mit Getränk ein-
zubinden, die beim Dreschen zum Vorschein kommt, und mit
vielem Jubel verzehrt wird (Kr. Labiau und Stalupönen Rgbz.
Gnmbinnen); oder der Bauer versteckt eine Flasche Brantwein
in diejenige Ecke des Ackerfeldes, welche voraussichtlich zuletzt
geschnitten werden wird (Quimper D^p. Finist^re; Gegend von
Dieppe).^ Auch in Schweden legt man in die erste Garbe beim
Schneiden eine Bouteille Brantwem, um die Gunst des Tomte-
gubbe zu gewinnen (Langtora - Säteri in Upland), oder man
bindet in die erste Garbe beim Dreschen eine Bier- oder
Brantweinflasche und emen harten Kuchen (Sm&land). In Katz-
dangen bei Hasenpoth in Kurland vergräbt man ins Flachsfeld
eine Flasche mit reinem Wasser, dann soll der Flachs rein von
rein ab , wiewol sich auch die Wirtin mit einer Gabe loBmacben kann, znmal
wenn sie schwanger ist. Dies bedeutet, daß Gott zu rechter Zeit
der Saat genug Wasser geben wolle. Und bei der Ernte steht wie-
derum, wenn der Komschneider mit dem Kranze aus den letzten Aehren nach
Hanse kommt, die Wirtin mit ihrem Stüppel Wasser da und begpleßt ihn,
dabei wtknsehend, wie vom Wasser das Getreidig gequollen und sich yor-
mehret, so quelle und mehre es sich in meiner Scheune und Speicher.
M. Praetorius, Deliciae Prussicae oder Preußische Schaubühne ed. Pierson
Berlin 1871 p.55— 60.
1) Vgl. aus Hasuren, Toppen, Aberglauben aus Masuren* S. 95.
2) Vgl. Strackerjan , Aberglaube und Sagen a. Oldenburg II, S. 78, 362.
216 Kapitel IH. Banniseele als Vegetationadamon:
Unkraut anfgehen. Bei Teresiopol in der Gegend von Temes-
war in Oberongam stellen die serbischen Schnitter die letzte
Garbe auf einen Stock und hängen eine Flasche Was-
ser daran, damit Gott im nächsten Jahre Regen
gebe. In der Umgegend yon Spalatro in Dahnatien wird bei
der Ernte ein Kranz geflochten und nebst einer Flasche
voll Wasser an einem Olivenbaum aufgehängt Ist
die ganze Ernte beendigt, so wird das Wasser im Weingarten
ausgegossen. Hier sieht man die Mittelglieder, welche deutlich
machen, weshalb die Ausschmückung mit Flaschen oder Krügen
voll Flüssigkeit [auch hier smd Bier und Wein deutlich jttngere
Formen für Wasser] ein aus der Idee desselben entsprießendes
Zubehör des Maibaums sowohl, als des Emtemais bildet (o. S.
208). Die speziellere Beziehung des Emtemais auf die Kultur-
frucht zeigt sich auch darin, daß ihm gemeinhin ein Verbleib an
oder tlberdem Tor oder auf dem Giebel der Kornscheuer
angewiesen wird. Gradeso wird oftmals auch da, wo der Em-
temai unbekannt ist, die letzte Korngarbe auf das Dach der
Scheune gebunden (z. B. Heddesdorf Kr. Neuwied), oder von
den Dreschern an das Schennentor genagelt (Kr. Schäßbni^ Sie-
benbirgen) , ebenso der auf dem letzten Fuder heimgebrachte mit
bunten Bändern und Bildern gezierte Erntekranz, allgemein im
Odenwalde, sowie vielfach im übrigen Hessen -Darmstadt und
Kurhessen an der Türe der Scheune mit Nägeln oder Bändern
befestigt. Nach der vorhin S. 213 auseinandergesetzten Bedeu-
tung der letzten Garbe kann hiedurch kein anderer Gedanke aus-
gedrückt sein, als der Wunsch, daß das Numen der Vegetation
auch über der Weiterfortpflanzung der in der Scheune gebor-
genen Nährfrucht segnend wachen und walten möge. Von dem
Boden dieser Anschauungen aus erklärt sich auch das ungewöhn-
liche Hervortreten der -FVawew iö den Bräuchen des Emtemai.
Vertritt derselbe nämlich das lebengebende Princip des Kom-
wachstums, so muß, um diesen vollständig darzustellen, auch
noch das empfangende, hervorbringende zur symbolischen
Abbildung gelangen. Der im Acker grünende Lebensbaum stirbt
mit der Ernte ab, aber aufs neue soll er gepflanzt werden in
der Erde Schoß, und daraus Früchte hervortreiben. Darum
gehört er den Frauen zu eigen , darum dürfen nur diese ihn aus
dem Boden reißen und nach Hause fahren, resp. im Frühjahr
Enitemai. 217
ans dem Walde ins Dorf holen (o. S. 174).^ Diese ihre Tätig-
keit schien den Alten eine (rewähr, daß die ins Feld gestreute
neue Saat anch die hervorbringende Muttererde, den großen
Lebenschoß, günstig finden werde. Hier sind also die Frauen
rein sinnbildliche Vertreterinnen einer allgemeinen Idee, weshalb
ohne Anstoß anch Jungfrauen an dem Brauche sich beteiligen.
Es ist aber nun klar, wie in Folge des schon mehrfach von uns
bemerkten Olaubens an Sympathie zwischen Menschenwachstum
und Pflanzenwachstum verheiratete Frauen , gleichsam das Frucht-
feld darstellend, dazu kommen konnten, von dem Maibaum
'(Krenzbaum) und Y&rdträd (vgl. Mimameidr) o. S. 52. 56. 174 als
den Repräsentanten der Zeugungskraft, Kindersegen resp. leichte
Entbindung zu erwarten. Aehnlich ist es ja, wenn der vor das
Fenster dA Mädchens gesetzte Maibaum mit dem Lebensbaume
ihres geliebten Burschen identifiziert wird (o. S. 184). Ganz aber
beschränkt sich auch der Emtemai auf die engere Beziehung zu
den Gerealien nicht In seiner Ausschmückung mit Früchten
jeder Gattung, mit Nüssen, den Sinnbildern der Fruchtbarkeit
und Zeugung (o. S. 184 u. S. 199), mit Kuchen und mancherlei
Speisen bricht das Bewußtsein durch, daß er zusammenfassend
die Vegetationsenergie des gesammten Anbaues, die große Nah-
mng8q>enderin der Menschheit darstelle; ein weiteres Gebiet
weist ihm sein Gebranch bei der Weinernte und auf dem letz-
ten Heufuder an; also auch im Graswuchs erkannte man das
nämliche Numen wirksam, das im Kernwuchs und Baumwuchs
waltete [der Baum als Verkörperung des Vegetationsgeistes im
letzten Heufuder und der letzten Getreidegarbe entspricht den
über die letzte Korngarbe und Heubündel gebietenden Holzfräu-
lein o. S. 77 ff.]. Und so fehlt die schon vielfach, namentlich
beim Maibaum nachgewiesene sympathische Verknüpfung des
Pflanzenlebens mit dem animalischen Leben auch insofern nicht'
ganz, als zuweilen der Emtemai statt auf der Getreidescheune
auf oder an dem Stallgebäude, oder an der Wand
oder über der Tür, resp. auf dem Dach, oder an dem
Schornstein (zuweilen unter der Heerdkappe) des Her-
renhauses bis zur nächsten Aussaat, oder bis zur
1) An einzelnen Orten treten doch männliche Einholer hiefür ein.
8. nnten $. 8.
^18 Kapitel III. Banmseele als Yegetationsdämon :
nächsten Ernte seinen Platz findet. Denn hier kann
nnr die Meinung obwalten, daß das Numen der Vegetation
die l^re und Menschen frisch und gesund und bei zunehmen-
dem Gedeihen erhalte. Es läuft ganz parallel, dafi die Baum-
seele zum Hausgeist, Klabautermann und Schutzgeist der Familie
und des Hofes (Yärd, V&rdträd) wird (o. S. 44. 51) und daß die
Holzleute , Fanggen , Schrate und ihre ganze Sippschaft die Rolle
von Penaten spielen (o. S. 153). Recht deutlich als den Genius
des Wachstums bewährt den Emtemai die o. S. 205 aus dem Bour-
bonnais mitgeteilte Sitte, den den Dämon darstellenden, aus der
neuen Frucht verfertigten , an den Baum gehängten Brodmann zu
zerstückeln und stückweise zum Essen unter das Volk zu vertei-
len. Denn nur böswilliges Nichtsehenwollen könnte in diesem
Brauche dieselbe Absicht verkennen, welche beispiilsweise auf
der Kingsmillgruppe der EaroUneninseln die Einwohner leitet,
wenn sie (die doch im übrigen keine Kannibalen sind) die Kör-
per der im Kampf erschlagenen berühmten Krieger kochen, zer-
stückeln und zum Genüsse unter sich verteilen, in dem Wahne,
daß auf diese Weise in einen jeden von der Tapferkeit des gefal-
lenen Helden etwas übergehen werde. So erwartete man von
dem Genüsse des Vegetationsdämons einen Zusatz von Stärke,
Kraft und Gesundheit. Endlich giebt sich der Emtemai als ein
Gegenstand wahrhaft religiöser Beehrung, als Verkörperung eines
Numen dadurch kund, daß die Schnitter um ihn (wie das Glttcks-
hämpfeli o. S. 213) niederknien und ein Gebet verrichten (o. S.
192 u. S. 203) denn diese Sitte sieht nicht wie ein christlicher
Zusatz zum alten Brauche aus.
§. 7. Bichtmai. Noch in verschiedenen andern Formen und
Anwendungen tritt uns das bisher als Maibaum und Emtemai
betrachtete Gebilde in der Volkssitte entgegen. Es liegt nahe
hier zunächst diejenige Gestaltung anzuschließen, welche dasselbe
bei der Haushebung oder Hausrichte annimmt Ich wähle nur
ein paar prägnante Berichte aus dem deutschen Norden und Süden
aus , um die wesentlichen Züge des Brauches deuüich zu machen.
Wenn in der Rheinprovinz das Holzgerüste eines neugebauten
Hauses fertig gezimmert war, so wurde die Gemeinde zum fest-
lichen „Maienaufstecken^^ geladen. Eine stattliche Maibuche
wurde unter fröhlichen Liedern mit Blumen, bunten Bändern,
Eierschnttren und anderm Flitter geschmückt und unter feier-
BichtmaL 219
liehera Crepränge auf dem Gipfel des Hauses als Zeichen der
Vollei|flp0g befestigt. An der Spitze des Maibaames prangte die
Krone y der Eirmeskrone ähnlich, von den Mädchen des Dorfes
aus Blnmen und buntem Flitter gestaltet. Sie wurde von den
Barschen mit Musik abgeholt und die Mädchen trugen sie
in festlichem Zuge. Der SSumnermeister oder einer seiner
redegewandesten Gesellen bestieg das dazu auf der First eigens
verfertigte Gerüst und hielt die sogenannte Baupredigt , wobei er
in herkömmlicher schwnlstreicher Rede das ehrsame Zimmerhand-
werk pries, mit frommen, oft sinnigen Worten Gottes und aller
Himmelsmächte Schutz flir das Gebäude und seine kthiftigen
Bewohner erflehte und das fertige Gerippe der Maurerarbeit ttber-
gab. In der Krone des Maibaums aber war ein fei-
nes seidenes Halstuch befestigt, auch wol ein Geldstück
in die Ecke eingebunden, das nestelte der Prediger los als sei-
nen herkömmlichen Lohn. Die ganze Dorfschaft, ja die ganze
Umgegend lief zu dieser Baupredigt zusammen und ein festliches
Gelage und Tanz schloft diese Feier. ^ Ganz ähnlich schildert
H. Hartmann aus dem Fürstentum Osnabrtlck den Hergang.*
Wenn der Hausgiebel aufgerichtet ist, folgt die feierliche Umher-
ftlhrung des Kranzes , die Befestigung am Giebel und der Meister-
spruch (Sermonie). Die Gesellen haben nämlich den Nach-
barstöchtejn und Mägden einen hübschen Tannen-
baum ttbergeben und diese ihn mit Schnüren von bunten Eiern,
Bändern und Fähnchen stattlich ausgeschmückt. Seine
Hauptzierde bildet ein Kranz, der auf 4 kreuzweise gebun-
denen und im Baume befestigten Stäben ruht. Wenn nun die
Haushebung vollendet, und dieses durch weithin schallendes Ket-
tengerassel von dem Boden des neuen Hauses der Gesellschaft
angezeigt ist, gehen die Gesellen hin, fordern den Kranz
von den Mädchen und einein mit dem Trinkgelde geftiUten
Krug von dem Bauherrn. Nachdem die Mädchen die Mützen der
Zimmei^esellen ebenfalls mit grünen TannensträuBen (Prull)
geschmückt haben, bewegt sich der festliche Zug mit einem
Mnsikcorps und dem von den Kranzjungfem getragenen Kranze
voran, welchem zunächst der Zimmermeister mit voller
1) Montanns, die deutschen Volksfeste. Bd. U. Iserlohn 1858. S. 98.
2) H. Hartmann, Bilder aus Westfalen. Osnabrftek 1871. S.85ff.
220 Kapitel III. BaumBeele aU Vegetationsdamon
Flasche in der Hand und znletzt alle bei der Hanshebimg
beschäftigten Personen folgen, über die Straße des DoridP Der
Zimmermeister teilt fleißig den Umstehenden von dem Inhalt sei-
ner Flasche mit. Sobald der lärmende Zog nach dem neuen
Hause zurückgekehrt ist, wird der Kranz oben am vordem Gie-
bel desselben befestigt und der Meisterknecht (Altgesell) steigt
mit dem mit Geld und Bier geflUlten Kruge hinan und hält die
,, Sermonie.^' Hiemit veigleiche man ^ den Bericht von Rochholz
aus dem Aargau. ^ Bei dem Fest der \, Aufrichte^' des neugebau-
ten Hanges bringt man ein Tannenbäumchen voll Gold-
papier und Blumen herbei und trägt es jubelnd dreimal
ums Haus. Bereits steht der Zimmermeister droben auf dem
Firstbalken, hält die Kranzrede und ermahnt die Hausfrau, ihm
diesen Baum zum allerschwersten zu machen. Letz-
teres ist nach Möglichkeit geschehen. Die Kinder haben das
Bäumchen mit einem schwebenden Blumenreifen um-
geben, der Hausherr hat große und kleine Geldstücke drange-
hängt, die Hausfrau dazu ein nagelneues Hemd und bunte
Tücher, an deren Zipfel abermals Trinkgeld geknüpft ist Nun
wird er am Seil aufgezogen, auf die First gesteckt und in
des Meisters Schlußwort beschworen, alle Blüee und Stßrme
ferne, das Haus aber auf KindesMnd grünend und blähend gu
erhalten. Mit geringen Abänderungen (es trat z. B. mehrfach die
alleinige Krone an die Stelle des mit ihr geschmückten Baumes)
reicht die besprochene Sitte durch ganz Deutschlland ; sie ist
z.B. in Oldenburg und Holstein ebensowohl, als in Hessen, im
Hennebei^schen, in Ost- und Westpreußen u. s. w. zu Hanse.'
Ein Gedicht aus saec. XVni „Augsburgisches Jahr einmal''^ zeigt
uns eine eigenttlmliche Form der Sitte. Im Maimonat wird
vor dem Neubau ein das Dach desselben überragender Baum
aufgepflanzt.
Sobald als nur ankommt der Maien
Sich Zimmerlent' und Manrer frenen
Und stecken vor des J^anherrn Hans
Ein Tanoenbaum, der drüber 'nans
W^it gehet.
1) Deutscher Glaube und Brauch. Bd. II. Berlin 1867. S. 92.
2) S. Spieß , Volkstümliches a. d. Frank. Henneberg. Wien 1869. S. 148.
Mülhanse, Urreligion. Cassel 1860. S. 236.
3) Biriinger in Bartaeh» Germania XYII, 8. 87.
Brantmaie. 221
Aas unseren bisherigen Anseinandersetzmigen ergiebt sich
von selbst ihre Beden tnng, welche auch der fromme Richir
sprach des aargauischen Zimmermeisiers hinreichend klar erken-
nen läftt. Wie der auf dem Dache angebrachte Emtemai,
stellt der Richtemai den Genius des Wachstums dar, der als
guter Hausgeist allezeit über der neuen Wohnstätte walten
soll. Wie Maibaum und Emtemai ist er darum mit Eierta,
Blumen, Bändern und Tüchern [wovon Hemd und Taschen-
tücher nur durch praktische Verwendung bedingte Modemisie-
nmgen sind] mit einem Kranze (der zur Krone wurde , da er
zuweilen wie auch beim Maibaum o. S. 176 den Stamm als Reif
umschwebte o. S. 220) geziert, von den Frauen geschmückt
und geleitet; wie jene wird er vor der Aufrichtung in feierlicher
Prozession durch's Dorf, um das Haus geführt. Eigentümlich ist
die Beschwerung des Baumes mit Geld ; sie entspricht dem Wun-
sche, daß es den Bewohnern des neuen Hauses nie an großer
und kleiner Münze fehlen möge. Hiemach dürfte auch der halb
mit Geld , halb mit Bier gefiülte Krug darauf hinweisen , dafr das
m so bedeutungsvoller Weise den Richtemai oder die Richtekrone
begleitende Getränk m(^licherweise eine SproBform jenes früher
(o. S. 215) besprochenen Regenzaubers sei, und die Idee enthalte,
dem gedeihlichen Wachstum der hier ansässigen Familie solle
der himmlische Regen, die Feuchtigkeit nicht fehlen.
§.8. Brautmaie. Als Lebensbäume, als Gegenbilder der Braut-
leate wurden, wie wir o. S. 46 gewahrten , auf dem Brautwagen oder
Yor dem Hochzeithause grüne Bäume aufgepflanzt. Nahverwandte
Ideen fanden wir im Sommer, Maibaum und Emtemai verkörpert
Der nach Austragung des Todes eingebrachte mit Gold- und Silber-
papier und bunten Bändern geschmückte , grüne Baum , der Som-
mer, wird in Böhmen mehrfach als Vorzeichen glücklicher Ehe,
vor dem Hause der vornehmsten Neuvermählten aufgesteckt
Zur Bestätigung dieser Nachweisungen gereicht es, daß wiederum
der bei der Hochzeit angepflanzte Lebensbaum gradezu die beim
Maibaum und Emtemai hergebrachte Ausrüstung annimmt In
Leipzig überbrachten die Jungfrauen der Braut einen mit Kinder-
klappem , kleinen Schüsseln und bunten Bändern gezierten Baum
unter Absingung eines Liedes, welches das Lob der Neuver-
mählten und einen Glückwunsch enthielt und mit den Worten
begann:
9S2 Kapitel m. Baumieeld als Ve^^etatlonBd&mon:
Wir bringen der Brant eine Heye,
Der Blttmlein sind mancherleye.'
DeüÜich vergleicht sich der nachstehende Brauch der mehrfach
erwähnten Anbüidang von Hahn oder Gans an das Bouqnet de
la moisson (o. S. 206). Wenn in Camac (Bretagne) die junge
Fran nach der Tranang ans der Kirche kommt, überreicht
man ihr einen angeheuren Lorbeerzweig, an dessen
Ende (extr^mit^) ein Vogel angebunden ist, dem man
nun die Freiheit giebt^ Dem mit Aehren geschmückten Mai-
baum S. 193 ff. und Emtemai o. S. 171 entspricht die Sitte der
Klein russen in Wolhynien. Wenn der von der Trauung heim-
kehrende Hochzeitzug dem Hause des Bräutigams naht, so
schmückt man daselbst einen Laib Brod und einen Tannen-
oder Fichtenast mit Waldholunder, weißen Blüten
und Aehren von Korn und Hafer. Der Bojarin (Hoch-
zeitführer) trägt die Tanne mit den darangebundenen Aehren, ein
Starost das Brod und so ziehen beide ins Haus der Braut Beim
Erscheinen der Tanne muß die Braut schamhaft ihr
Gesicht auf den Tisch legen und es sorgfältig ver-
berge n. Der Bräutigam geht dann dreimal um den Tisch,
nimmt ein Tuch, richtet den Kopf der Braut gewaltsam auf,
küßt sie und setzt sich wieder neben sie. Der Bojarin stellt die
Tanne, der Starost das Brod auf die Mitte des Tisches dem
Brautpaar gegenüber. Die Brautmutter beschüttet ihren Schwie-
gersohn mit Nüssen (o. S. 184) und Hafer und besprengt ihn mit
Weihwasser. Auch der erste Strauß Kornähren gehört ihm,
worauf die Brau^ungfem allen Anwesenden dei^leichen Sträuße
anstecken.^ Bei den Eleinrussen in der Ukraine wird am Tage
1) P. Ch. Hil scher, de ritu Dominicae Laetare, quem vulgo appellant
den Tod anBtreiben. Lips. 1690. §.17. Der Liedauf ang ist entlehnt dem
Gesänge bei der Einbringung des Sommers. Cf. Bflsching, wöchentl. Nach-
riehten h 1S16. S. 183:
Nnn haben wir den Tod hinansgetrieben
und bringen den lieben Sommer wieder.
Den Sommer und den Meyen;
Der Blümlein sind mancherleyen.
2) De Nore, Coutnmes mythes et traditions 193.
3) J. ▼. Dflringsfeld und O. v. Beinsberg -Düringsfeld, Hochzeitsbach.
Leipzig 1871. S. 39.
Braatmaie. 228
Yor der Hochzeit der Korowaj oder HochzeitkHchen von den
Frauen aus der Verwandtschaft des Bräutigams in dessen Hause
unter Absingung bestimmter Lieder gebacken und zwar schicht-
weise aus Weizen - und Roggenmehl. Tannenzapfen [wegen ihrer
vielen Samen Symbole der Fruchtbarkeit] bilden seine äußere
Zierde 9 vier ganze Eier (s. o. S. 158) in der Schale und eine
Münze sind hineinverbacken. Während des Backens schmückt
die Braut mit ihren Brautjungfern die Yom Bräutigam gefällte
und in ein großes Brod auf dem Tisch hineinge-
pflanzte ,,Maie^' (Fichte oder Tanne), indem sie dieselbe mit
Gewinden oder Sträußen vom SinngrtLn, Waldholunder oder
gemachten Blumenkränzen behängen, auch wol brennende
Lichtchen auf die Aeste kleben. Eine gleiche Maie wird
im Brauthause verziert. Ueber den Korowaj wird der Braut-
schleier gebreitet Am Hochzeittage selbst wird der Korowaj
neben die Maie auf den Tisch gesetzt, sodann der erstere zer-
schnitten und derart verteilt, daß jede anwesende Person ein
Stück erhält und auch die abwesenden Verwandten bedacht wer-
den.^ Die Protestanten im Oömörer Komitat (Ungarn) richten
am Vorabende der Hochzeit vor dem Brauthanse den Tüchel-
ba um auf, einen graden jungen Stamm, an dessen Spitze ein
Tuch nebst Bändern und Bretzeln befestigt wird. Da die Hoch-
zeiten ziemlich zu gleicher Zeit gefeiert werden, so kann von
der Zahl der Tttchelbäume auf die Zahl der Bräute im Dorfe
geschlossen werden. Sobald der beladene Brautwagen sich mit
der Braut in Bewegung setzt, haut ihr Kutscher vorher den
Tttchelbaum nieder und ninmit was an der Spitze hängt für sich,
dann erhält jeder andere Kutscher auch ein Tuch.^ Bei den
Serben bringt die Frau des Kum (Gevatters) am zweiten Hoch-
zeittage einen Holunderzweig „das grüne Berglein ^^ genannt,-
woran Aepfel, Pflaumen, Haselnüsse, Puppen, Tauben und Ket-
ten aus vergoldetem Papier befestigt sind. Der „grüne Berg''
wird am Balken über dem Eßtisch des jungen Paares aufgehängt,
am letzten Tage der Hochzeit aber versteigert, oft um 200 — 300
Dukaten, die der Braut zufallen.'
1) Beinaberg-Dfiring^eld, Hochzeitsbncb 8.33.36.
2) Beinsberg -DUringsfeld, Hochzeitsbucb S. 46.
3) Beinsberg -Düringsfeld, Hocbzeitsbncb S. 80.
224 Kapitel lü. Baumfleele als Vegetationadämon:
§. 9. ChriBfbloek und Weilmaehtsbauiu. Auch mehrere
Weihnachtflgebränche itlgen sich in die Reiiie von Sitten ein,
deren Hauptglied wir in dem Maibaum und Emtemai kennen
gelernt haben; zugleich aber bieten sie uns interessante Belege
ftlr den Zusammenfluß vorchristlicher und christlicher Ideen. Die
erste dieser Sitten findet sich noch anx vollständigsten auf slavi-
schem Boden erhalten; aus den dort bewahrten Formen wird
auch die schon mehr abgeschliffene Gestalt des nämlichen Brau-
ches bei Romanen und Germanen verständlich.
In Masuren bricht der Gemeindehirt am zweiten Weihnachts-
feiertage schöne grade Birkenreiser und geht damit von Haus
zu HauS; um seine Ealende einzusammeln. Dann zieht die Haus-
frau bei Leibe nicht mit der bloßen Hand, sondern achtungsvoll
mit den von der Schürze umwickelten Fingern eine der
Ruten unter seinem Arm hervor , legt sie auf den Eßtisch (ja
nicht anders wohin), bringt sie auf den Boden und steckt sie
endlich in das vorrätig gedroschene Getreide, die Aeste
nach oben d. h. in der Stellung eines wachsenden Schößlings*
und läßt sie dort bis zum 25^ März (matka boza Maria Yerkttnd.).
Dann wird die erste Furche mit dem Pfluge gezogen, weshalb
die Jungfrau Maria matka otwoma d. i. die öffnende heißt An
diesem Tage zieht die Bäuerin die Rute heraus , geht T>hne zu
sprechen und sich aufzuhalten nach dem Stalle und treibt damit
das Vieh zum erstenmale auf die Weide hinaus, das fortan stäts
. grade nach Hause kommen und unterwegs nicht stehen bleiben
und brüllen wird.^ Hiemit vergleiche man die südslavische Sitte.
Bei den Serben und Exoaten heißt der Christabend badi\ji dan
oder badnji ved(er); an diesem Abend werden für jedes Haus,
zwei bis drei junge Eichen gefällt, die abgeästet den Na-
men badnjaci (Sing, badnjak) führen, und bei eintretender Däm-
merung ins Haus gebracht und aufs Feuer gelegt werden. Das
Fällen geschieht in einigen Gegenden vor Sonnenaufgang und
zwar, indem die Bäume mit Getreide unter den Worten „dobro
jutro i öestit ti badnji dan, guten morgen Weihnachtstag^^
beschüttet werden. In Risano und andern Orten von Niederdal-
1) So steht die Wünschelrute ,,üfrecht<* Myth.« 926. Kuhn, Herab-
kanft des Feuers S. 234.
2) W. Toppen , Abergl. a. Masuren. Aufl. 2. S. 96 vgl. 68.
Christblock and Weilinacbtsbaiim. ^5
matien umwinden die Frauen und Mädchen die Eichenstämme
mit roter Seide, Zwirn und Golddraht, schmücken sie mit Lor-
beerblättern und verschiedenen Blumen. Während die badnjaci
ins Haus getragen werden, werden auf beiden Seiten der Türe
Kerzen angezündet. I^ der Hausvater bei eintretender Dämme-
rung mit dem ersten Baumstamme über die Schwelle getreten,
so spricht er den oben erwähnten Spruch, und wird dann von
einem Hausgenossen mit Getreide beschüttet.
Statt des Beschüttens mit Getreide hat man an einigen Orten
das Begießen mit Wein und in Risano wacht stäts jemand
beim Feuer, um den badnjak, wenn er durchbrennen will, mit
dem Weine zu begießen. Den ersten^Besuch am Weihnachtstage
hält man für wichtig, weswegen man hlezu jemanden bestimmt.
Um sich vor jedem Unberufenen zu schützen, geht an diesem
Tage in der Regel niemand als ein solcher polaznik in ein frem-
des Haus; er erscheint am frühen Morgen, fllhrt im Handschuh
Getreide mit sich und schüttet dasselbe vor der Türschwelle mit
den Worten aus: Hristos- se rodi (Christ ist geboren), worauf
einer von den Hausgenossen ihn ebenfalls mit Getreide beschüt-
tend erwiedert: va istina rodi (er ist wahrhaftig geboren). Da-
nach begiebt sich der polaznik unter Beglückwünschungen zu den
badnjaci, nimmt die Feuerschaufel und schlägt damit auf den
brennenden badnjak , daß die Funken stark umherfallen und
spricht dabei einen Wunsch fllr das Gedeihen der Kühe, Pferde,
Ziegen, Schafe und der ganzen Wirtschaft, worauf er die Asche
auseinanderschürt und einige Münzen hinein, oder auf den
badnjak wirft. Denselben läßt man übrigens nicht ganz verbren-
nen, sondern nimmt die letzten Enden vom Feuer,
löscht sie aus und legt sie zwischen dieAeste junger
Obstbäume, was döten Wachstum befördern soll.*
Die Albanesen der Riga verbringen die Nacht vom 23. — 24. De-
zember wachend am Feuer, welches die ganze Nacht unterhalten
1) Stephan Ynk^ Montenegro nnd die Montenegriner. Beisen nnd Lan-
derbeschreibuDgen der altem nnd neuesten Zeit Lf. XI. Stnttg. nnd Tü-
bingen 1837. S. 103 a Gr. Erek , über die Wichtigkeit der slav. traditio-
nellen Literatur. Wien 1869. S. 24. Ueber Badnjak Ygl. auch Snegireff,
Volkstümliche Festtage nnd aberglänbische Gebr&nche der Bussen. 4 Bde.,
Moskau 1837. Bd. II, S.7ff. (russ.).
Mannhardt. - ^ 15
226 Kapitel III. Baumseele als VegetatioDsdämon:
wird und legt an dasselbe drei Kirschbaamzweige , welche, nach-
dem sie eine Weile gebrannt haben , zurückgezogen und aufbe-
wahrt werden. Diese Operation wird mit denselben Zweigen am
1. Januar (8t Basilius) und am 6. Januar (Theophania) wieder-
holt. Endlieh werden diese Zweige zugleich mit der in den drei
Nächten ; in denen dieselben brannten, gesammelten Asche zur
Fruchtbarmachung in den Wemberg geworfen.^ Die südfranzö-
sische Sitte, wie sie in Perigord heimisch ist, lasse ich deNore^
schildern: La souche de NoSl joue un grand role ä la fete
du solstice d'hiver. L'habitant de la campagne croit qu'elle doit
etre principalement de prunier, de oerisier ou de chSne, et que
plus eile est grosse mieu» eile vaut Si eile brfile bien c'est
d'un bon augure, le ciel la bänit. Les charbons et les cendres,
qu'on recueille avec grand soin, sont excellents pour guerir les
g^ndes engorg^es ; la partie du tronc que le feu n'a pas consum6e
sert aux bouyiera pour faire le töcoin ou cale de leurs
charrues, parce qu'ils pretendent que cela fait mieux
reussir lei;rs semenc^s; et les femmes en conaervent
quelques morceaux jusqu'au jour des Bois pour la prosp^ritö des
poalets. Cependant, si Ton s'assied sur cette souche,
on devient sujet aux furoncles; il faut allors passer
neuf fois sous. une tige de ronce que le basard aura
plaot^e par les denx bouts. In der Dauphin6 heißt dieser Weih-
nofQhtsklotz chalendal, in der Provence calignaou (d. i. calendeau,
las calendalis von Weihnachten, prov. calendas)*, oder trefoir, ina
Dep. de TOme tröfouet. Nach Thiers zieht die Familie, sobald
siie sich am Weihnachtsabend vollzählig in der großen Stube des
Hfkuses versammelt hat, feierlich hinaus, um den Ghristblock
l^ereinzuholen und bringt ihn in ^ie Küche oder in das Zinoimer
des Hausherrn. Bei diesem Umzüge singen sie ein provenza-
lisches Liedchen, dessei) Uebersetzung lautet:
Freue dich Klotz,
Morgen ist der Tag des Brodes.
Mag alles wol einkommen,
Die Franen gebärcD,
1) J. G. V. Hahn, albanes. Studien. Wien 1853. S. 154.
2) De Nore, Coutumes mythes et traditions des provinoes de. France
p. 151 ff.
3) Vgl. Myth.« 594.
Christblock and Weihnachtsbaum. 227
Die Ziegen zickeln,
Die Sohafmütter lammen;
Viel £orn gebe es und Mehl
Und des Weins eine volle Kufe.
Dann gießt das kleinste und jüngste Kind des Hauses über den
Ghristklotz ein Glas mit Wein in den höchsten Namen aus und
man wirft denselben ins Feuer. Die Kohlen werden als Heil-
mittel das Jahr hindurch aufbewahrt^ Um Marseille besprengt
man den caUgneau, eiuen eichenen Klotz mit Wein oder Oel, in
der Dauphinö begießt man ihn mit Wein.' Nach andern Auf-
zeichnungen bei Thiers wird der Tröfoir oder tison de No^l in
den dreizehn Nächten täglich im Feuer angekohlt. Unters Bett
gel^ schtltzt er Haus und Hof das Jahr hindurch vor dem
Donner; seine Berührung schützt die Menschen vor Frostbeu-
len an den Füßen, die Tiere vor vielen Krankheiten; im Fut*
ter eingegeben läßt er die Kühe kalben, seine Kohle ins Feld
geworfen bewahrt das Getreide vor fiost' Nach de Nore
ist der Calignaou vom Oliven- oder einem andern Fruchtbaum
genommen; das jüngste Kind gießt drei Libationen von Wein
darüber aus mit den Worten ,,Gochofu^ ven, tout ben ven d. i.
le feu cachö vient, tout bien vient/' Dann tragender Aelteste
der Familie und der Jüngste, jeder an einem Ende anfas-
send, den Klotz zum Feuer; das jüngste Familienglied weiht,
wie vorher den Ghristblock, so nachher die Tafel, die mit Früch-
ten und Kuchän reich besetzt ist. Zu diesem Feste (Calenos
oder Cal^ne) kommen die verheirateten Kinder und Verwandten
mit ihrer Nachkommenschaft oft von weit her beim Familien-
hanpte zusammea Vor Schlafengehen wird der Klotz aus dem
Feuer genommen und bis Neujahr aufbewahrt.^ In Vienne
besprengt der Hausvater inmitten eines großen, in tiefem Schwei-
gen versammelten Zuschauerkreises den tison de Noäl mit Salz
und Wasser, zündet ihn während der drei Feste an und bewahrt
ein Stückchen , um es als Mittel der Abwehr beim Gewitter anzu-
1) J. R Thiers, Trait^ dea snperstitiona hei Liebrecht, Gervaeios v. Til-
bury p. 231, 152. Cheruel bei E. Cortet, fötes religieuses. Paris 18G7.
p. 266 cf. Thitfft a. a. 0. 288, 281.
2) Millin a. GhanipoUioii-Figeac bei Grimm Myth.« 594.
3) ThiefB' a. a^ 0. 238, 281.
4) De Nore a. a. 0. 23 if.
16*
2S8 Kapitel m. Baojnseele als Vegetation sd&mon:
zünden.^ Zu Commercy and überhaupt in Lothringen legte man
einen EJotz von 4 Faß Länge in dieser ganzen Länge anf den
Heerd. Dann brannte man das eine Ende an, das andere bot
eine Art Yon Sitz dar, den die Kinder gern benatzten. Man
hinderte sie aber daran sich darauf zu setzen, „weil sie sonst die
Erätze bekommen würden."* Der Christblock ist auch in Ober-
italien bekannt, wo die Sitte arder il ceppo heißt. * In Deutsch-
land wird schon 11 84 von dem Pfarrer zu Ahlen im Mflnsterland
berichtet „et arborem in nativitate domini ad festiyum
ignem suum adducendam esse dicebat.^ Von der Unter-
mosel und Obermosel ftlhrt Grimm die Weistümer (II, 302. 264)
von Biol, Velle und Tavem als ältere Zeugnisse ftlr den Weih-
nachtsblock an. Das Detail der Sitte lernen wir im heutigen
Brauche der Eifel kennen. Am Weihnachtsabend legte man einen
Holzstamm an den Feuerheerd, Ghristbrand genannt. Was
davon bis heil. Dreikönig nicht verbrannt, sondern bloß verkohlt
war, davon wurden Kohlen in den Eornbahr gelegt, damit die
Mäuse das Korn nicht beschädigen oföchten.^ Im Berleburgischen
band man ehedem den Ghristbrand in die letzte Garbe, offen-
bar um die Ernte des nächsten Jahres ergiebig zu machen.^
Verwandt ist jedenfalls die von Montanus aus der Gegend der
Sieg und Lahn geschilderte westfälische Sitte der Neuanlage des
Grundblockes am Feuerheerde. Ein schwerer Klotz aus Eichen-
holz, gewöhnlich ein Erdstummel wird entweder im Feuer-
heerde eingegraben, oder in einer dafttr bestimmten Mauernische
unterhalb des Kesselhakens angebracht. Wenn das Heerdfeuer
in Glut kommt, glimmt dieser Klotz mit, doch ist er so ange-
bracht, daß er kaum in Jahresfrist völlig verkohlt. Sein Rest wird
bei der Neuanlage sorgfältig herausgenommen, zu Staub gestoßen
und während der dreizehn Nächte zwischen Weihnachten
und h. Dreikönig auf die Felder gestreut Dies, so wähnte
man, befördere die Fruchtbarkeit der Jahresernte.'
1) De Nore p. 152.
2) Leronze in den Mömoires de Tacad^mie oehiqQe 180B III, 441.
3) Liebrecht, Gervasins v. Tilbnry S. 60.
4) Eindlinger, MüDstersch. Beitr. 11 , ürk. 34. Grimm Myth.«594.
5) Schmitz . Sitten n. Br&nche des Eifler Volkes 1866. S. 4.
6) Kuhn, Westf. Sag. H, 187, 523. Vgl. ebda. S. 104—106.
7) Montanna , die deatschen Volksfeste S. 12.
Ghristblock UDd Weihnachtsbaam. 229
Hiezn stellt sieh, was J. W. Wolf als Brauch am Christabend
(Kersmisavond) za Geerardsbergen in Belgien beibringt, daß man
das Wurzelende einer Tanne oder eines Buchenbaumes
in das Feuer legt und verbrennen läßt, alles übrige Licht im
Hause wird ausgel(techt. Man singt dabei und trinkt G^never
und entjQammt, wenn der Baumstumpf ausgebrannt ist, den Rest
des Getränkes. ^ Der Christbrand wird nur ein wenig angebrannt
und beim Gewitter wieder ins Feuer gelegt, well dann der Blitz
nioht einschlagen soll; selbst ein Splitter von ihm unters Bett
gelegt schützt vor dem Einschlagen des Wetters, seine Kohle in
Wasser gegeben heilt die Auszehrung.^ Die englischen Zeug-
nisse ftir den Christmasblock oder Yule clog bieten nichts
besonder^ Bemerkenwertes dar, sie lassen sich großenteils mit
den Worten Herricks umschreiben:
. Eindle the Christnias-brand, and then
Till sanneset let it burne,
Which quencbt, then laj it up agen,
Till Christmaa next retnme.
Part must be kept wherewith to teend
The ChristiTias log nert yeare,
And where *ti8 safely kept, fihe flend
Can do no mischiefe there.°
Das schwedische Julfeuer (julabrasa von brasa angezündetes^
Scheitholz), welches früher in einer Grube am Fußboden mitten
im Hause brannte, wie jetzt noch auf dem Heerde,* sowie der
Blukkis (Block), den die Letten noch im 17. Jahrh. am Weih-
nachtsabend mit großem Geschrei herumzogen und hernach ver-
brannten, und ihre Freude daran hatten, so daß sie danach den
Weihnachtsabend Bluckwakar, Blocksabend nannten,* gehören
ebenfalls hieher, ohne daß ich nähere Einzelheiten über sie mit-
zuteilen vermöchte.
1) Wodana S. 105. Cf. Reinsberg-Düringsfeld, Calendr. Beige II, 326.
Man berichtige das Misverstandniß von Kuhn , der a. a. 0. S. 105 den Kers-
misayond (Christmesscnabend) als Kirmes (Kirchmesse) auffaßt.
2) Westfalen, Niederland. Kahn a.a.O. 103,319. Reinsberg-Dürings-
feld, Calendrier Beige II, 327.
3) S. Hone, Every day-book 1. 1866 p. 102. Brand -EUis, Populär anti-
quities I, 1853. S. 467 ff.
4) Hylten - Cavallius , Vfo'end och Virdarne 1 , 175.
5) P. Einhorn , Reformatio gentis Letticae. Riga 1636. Cap. lY. p. 11^.
230 Kapitel III. Baomseeie ala Yegetationsdämon:
Die in diesem Paragraphen zasammengesteUten Sitten sind
so entschieden an das Weihnachtsfest gekntlpft, daA man ver-
sucht werden muß, dieselben zunächst aus dem Ideenkreise des
Christentums zu begründen. Läßt sich aus diesem heraus eine
ausreichende Erklärung finden , so wäre es unmethodisch sich
nach einer andern umzusehen. Auf emen christlichen Ursprung
aber weisen scheinbar ganz besonders die slayischen Formen der
Sitte, der masurische sowol als der sttdslavische Brauch hin,
wonach der Gemeindehirt ein Beis bringt, das die Hausfrau mit
heiliger Scheu auf den Tisch legt, dann bis Maria Verkündigung
in den Getreidehaufen steckt, oder wonach die Badnjaci sowie
der polaznik unter dem Rufe „Christ i^t geboren'' mit Getreide
beschüttet werden.
Es liegt nahe in dieser Sitte die Wirkung eines christlichen
Bilderkreises zu erkennen, der sich zu gutem Teile aus vermeint-
lichen oder wirklichen messianischen Sprüchen des alten Testa-
ments und aus einigen neutestamentlichen Reden und Erzählungen
gebildet hat. Es war an vielen Orten Sitte, daß der Dorfhirte
am Weihnachtsabend von Haus zu Haus zog und sein Hom
blies, um an die Hirten zu erionem, welchen der Engel auf dem
Felde zu Betlehem die Geburt des Weltheilandes verkündigte.^
Christus wurde in der geistlichen Poesie des Mittelalters als
die Gerte (virga) aus der Wurzel Isais oder als die Frucht,
der Apfel auf der Gerte (Maria), nach Anleitung der BibeP
bezeichnet. Mit anderm Bilde hieß Christus der Weisen, der
auf Marien Acker oder in der Garbe Maria wuchs, des Kor-
nes und des Weines unscheinbare Blüte, das sättigende Korn,
das Weizenkom, das Himmelsbrod. ^ Außer dem Mysterium des
Brodes im Abendmahl hatte dazu namentlich eine Bibelstelle im
Ev. Joh. 12, 23. 24 mitwirken können, wo Jesus sich selbst mit
1)'S. W. Mannhardt, Weihnachtsblüten in Sitte und Sage. Berlin 1864.
S. 118 if. Vgl. noch Peter, Volkstümliches aus Oesterreioh. Schlesien II, 275.
Reinsberg-Düringsfeld; Festkalender a. Böhmen S. 548. 549. 551. 554.
2) S. Jes. 11, 1 Et egredietiir virga de radice Jesse et flos de radiee
ejus ascendet. £t reqniescet super eum spiritus Domini cf. 11, 10. Rom. 15,
12. Cf. Venantius Fortunatus, hymuus de nativitate 4 (Wackernagel Kirchen-
lied 1864 B. I p. 60) : Badiz Jesse floruit et virga fructum cdidit Ein Lied
saec. XV. (Wackem. I, 238): Jessaea stirps effloruit, eleota fructum praehuit
3) Hagen Ms. II, 340^. Keinhot v. Dom, heil Georg. 4048. 4084. u. s. w.
$. Eonrad von Würzburg , Goldene Schmiede ed. Wilh. Grimm XLIX.
Chrifitblock und WeihnachtBbanm. 231
dem Wekenkonte vergleicht, das in die Erde fal)en und ersterbe
müsse, um viele Frttchte zu bringeli. Die dirtstliche Poesie hat
diesen (bedanken ei^riffen and weiter ausgeitlhrt. Christas ist
das Korn, das Utthete, zur Garbe heranwuchs, gemäht, gebunden,
geschlagen (gemartert), gemahlen (gekreuzigt), in den Ofen getan
(begraben), nach dreien Tagen herausgenommen ward, und als
Speise Tausende s&ttigte. ^ Wie tief diese Idee sich in das Volk
hinein gelebt hat, so daß sie nun rückwärts vei^eichsweise
wieder auf das wirkliche Getreide ttbertragen wurde, ersehe ich
aus dem französischem Brauch in der Franche Gomt^ (Gantoiü
de Lure, Gegend von Vesoul), wo die letete Garbe der Ernte
la gerbe de la passion genannt mit einem am Palmsonntage
geweihten hölzernen Kreuz und einem mit Blumen gezierten Lor-
beerzweig geschmttckt und so auf dem letzten Wagen heimgeftlhrt
wird. Legende und Brauch des christlichen Altertums sind pla-
stischer Verkörperungen der angeftlhrten Vergleiche Christi mit
dem Weizen voll. Wenn Gregor von Tours erzählt, daß Maria
in einem Kloster in Jerusalem in einer Naeht alle Scheuem mit
Weizen füllte, ' so ist das nur eine mißverständliche Vei^röberung
des Wunders 9 daß sie in der Weihnacht den Weizen, Christum,
gebar. Das WaUfahrtbild der Maria zu Bogen bei: Straubing
(Niederbaiem) trägt lange goldgelbe Haare und läßt unter dem
Heizen eine strahlenumgebene Oeffhung des Leibes sehen, in
welcher das aufrecht stehende Jesuskind die Vorstellung des
gesegneten Leibes gewährt; der Mantel aber ist rot und mit
Weizenähren durchwirkt. • Dergleichen Darstellungen waren
nicht ungewöhnlich. Im Altertumsmuseum zu Breslau befinden
sich unter den Katalognummem 4420 und 4431 zwei Gemälde
des 16. Jahrb. aus der Pfarrkirche zu Neumarkt und dem ehe>
maligen Jakobskloster zu Breslau. No. 4481 zeigt die Jahreszahl
1491; das andere Bild zeichnet sich durch die Lieblichkeit und
vorzügliche Malerei des Antlitzes aus. Auf beiden wandelt Maria,
eine noch kaum aus der Knospe der Kindheit enti'altete Jungfrau,
mit gesenktem Blick und betend zusammengetilgten Händen, über
ein t>lumiges Gefilde ; ihr Fuß berührt kaum schwebend den Erd-
1) Ueinr. v. Krolewitz, Vaterunser ed. Lisch 2973. ;K)78.
2) De gloria martyrum L. IX c. 41. p. 474. Kuinard.
3) Bayaria I. Abtb. 2, 1000.
282 • Kapitel HL Baumseele ab Y^getationsdanioii:
boden, nur ihr flberlanges Grewandy das in suihlloBen Falten her-
abhängt, streift denselben. Dasselbe ist von dunkler Farbe und
übersät mü Weizenähren. Ihren Hals und beide Hände umgiebt
eui goldenes Band in Form von lodernden Flammen. Wer könnte
verkennen y daB hier das GeheimniB der Empfängnis durch den
heiligen (jeist^ ui feiner und sinniger Symbolik dargestellt sei.
Das Muttergottesbild in der steinernen Ki^Ue zu Kirchenthal in
Pinzgau trägt B Aehren in der Hand; sie soll 1693 auf einem
Platze erbaut sein^ den Maria selbst anzeigte, indem sie mitten
im Winter drei Kornähren ans dem tiefen Schnee her-
Yorwachsen lieB, deren eine man noch in der Schatzkammer
bewahrt' Hier ist, wie in jener Erzählung des Gregor von
Tours, die symbolisch ausgedrückte Geschichte, daß Marien -
Acker im Winter (24. Dez.) das himmlische Korn (Jesus) hervor-
sprießen ließ,^ localisiert Aehnliche Legenden, wonach ein Mutter-
gottesbild mit Roggen und Weizen umwuchs, oder der Acker
Weizenähren höher als je seit Menschengedenken ertrug, in deren
Mitte U« 1. Frau einem armen Weibe erschien und die Errichtung
einer Kapelle forderte, vnederholen sich z. B. zu Kaltenbrnnn in
Tirol und Maria Schnee in Kämthen.^ Christus das Weizenkom,
dieser Gedanke findet auch in dem in Schlesien, Oesterreich,
Schwaben (vgl. z. B. Meier S. 250, 278) u. s. w. verbreiteten
Glauben Ausdruck, daß in oder auf jedem Weizen- oder Spelt-
kom die Mutter Gottes mit dem Kinde wahrnehmbar sei. War
aber das Christkind selbst die Himmelsspeise, der Weizen, der
vom Himmel kam, so lag es dem praktischen Bedttrfiaisse des
das Geistige versinnlichenden Volkes nahe genug, auch den
irdischen Menschen- und Tierleib, und das irdische Getreide
durch dasselbe oder durch Berührung, Genuß, Zumengung von
einem Abbilde desselben gesegnet zu wähnen. Wie Maria an
1) Cf. Apoatelg. IL, 3: super quolibet eomm flammala consedit.
2) J. Ealtenb&ck, die MarieDsagen in Oesterreich. Wien 1845. p. 261, 122.
3) Zu vergleichen ist, daß nach deutschem Yolksaberglanben während
der Christmesse der Hopfen fingerlange Schossen unter dem tiefsten Schnee
heiTortreiben, ein Zweig, den man in der St. Andreasnacht am Anfange des
Advents in Wasser setzt, in der Weihnacht blühen soll. Siehe den Zweig
(yirga) und die Blüte (flos) aus der Wurzel Jesse (Jes. 11, 1) aus dem
Winterschnee hervorschiefiend (ascendens, etsurgens Rom. 15, 12). cf. Mann-
hardt, Weihnachtsblüten S. 169.
4) Kaltenbäck a. a. 0. S. 61, 26. 122, 54.
Ohristblook und Weibnachtsbanm. 233
Maria VerkUndigang (25. März) das himmlische Weizenkom Chri-
stas empfing, soll die Erde sieh an diesem Tage ftlr den Empfang
des irdischen Kornes öfihen, dann werde die Ernte reichlich
sein (s. o. S. 224). In manchen Kirchen des Inntals (Tirol) schtittet
man am Charfreitag (vgl. die gerbe de la passion o. S. 231) ttber
das zar Verehrung gestellte Cruzifix türkischen Weizen nnd
anderes Getreide. Dieses Getreide gehört dem Kttster. Im Unter-
innthal legt man einige Hände davon in den Getreidekasten,
dadurch werde der ganze Vorrat gesegnet Die Getreideart, von
welcher das meiste auf dem ttberschtttteten Crozifix liegen bleibt,
gedeiht am besten. ^ Zu Gyperath in der Eifel, zu Wahn Kr. Mül-
heim u. s. w. kehrt man am h. Weihnachtsabend den Feuerheerd,
indem man glaubt, es regne in dieser Nacht [wenn sie hell sei]
Korn vom Himmel, und von welcher Frucht am meisten falle,
die gedeihe am besten.' Nach Franz Wessels Schilderung des
katholischen Gottesdienstes zu Stralsund bis z. Jahre 1523 S. 4:
fasteten die Bauerleute den Christabend, bis sie die Sterne am
Hunmel sahen „so drögen s6 garwen in de koppele efte sus en
de lucht, dat se de wint sn§ ilp efte sus de lucht beschinen
konte, dat hStede men des morgens kindesYÖt, dat dMde men
des morgens allem [v^he] üt, slöch ene garwe 2 efte 3 dt unt
gaf den swtnen koien enten gensen dat se alle des kindesvötes
genSten scheiden.''^ Kindsvöt (KindsiuB) hieß das Leckerwerk,
das man den Geschwistern eines nengebomen Kindes als von
diesem aus dem Hinmiel mitgebracht darreichte. Das dem Vieh
zum Gedeihen ausgeteilte Korn „ Kindsvöt '^ gilt als vom Christ-
kind aus dem Himmel mitgebracht; war nach obigem mithin nur
eme symbolische Wiederholung seiner selbst. In Oesterr. Schle-
sien setzt der Bauer von allen Feldfrüchten je einen Teller,
offenbar mit Beziehung auf den messianischen Psalm 131, 11 voll
auf den Tisch (vgl. unten S. 243 Anm. 4), auf daß das Christ-
kind sie segne und ihm im nächsten Jahr eine reichliche Ernte
1) Zingerle, Sitten Aafl. 2. 148, 1276 — 1278. In manchen Kirchen
schüttete man im 16. Jahrh. zmn Feste der Auffahrt Oblaten von der Höhe
des Gewölbes herab, nm das Himmelsbrod anzadenten. Bartsch Germania
XYII, 83. Sebast Franck, Weltii)ach 1534 CXXXII a.
2) Schmitz , Sitten und Bräuche des Eifler Volks I, 4.
3) Höfer in Bartsch, Germania XVni, 1.
2M Kapitel III. BBwnMele mb
yeiieihe. ^ In der dirigtiiaeht erhält jedeg Stftek Vieh ein Wrära-
kom. ' Weizen und Erbsen am ChriBtobend dem Vieh in die
StiUle geworfen bringen demselben Gedeihen; wenn man an
Weihnachtgtag während des Gottesdienstes Weizen in der Tasehe
trägt nnd dem Geflflgel vorwirft, so wird es fett nnd legt viele
Eier. Erinnern wir nns , daft Joseph als ein vorbildlicher Typns
von Christo aufgefaßt wurde,' so wird nnn mit Beziehni^ auf
Josephs zwiefachen Traom von der Garbe, vor der sich die
andern Garben neigten und von Sonne, Mond nnd Sternen, die
vor ihm sich beugten (1 Mos. 37, 5 — 11) auch das folgende
Weihnaehtslied sich erklären, mit dem polnische Bursche singend
von Hans za Haus ziehen:
Wolsein und Wolstand
Zur Gebort des Heiland!
Weizen und Erbsen gedeihen heuery
Und der Himmel fälle
Schoppen und Scheuer.
Auf dem Felde stehe,
Garbe an Garbe,
Schober ar^ Schober;
Und zwiscJien den Schobern stehe der Herr,
Wie der Mond zwischen dein Sternenheer.
Wagen an Wagen mag zur Scheuer fahren,
Wie Bienen zum Bienenstöcke sich schaaren>
Ob mit dieser Vorstellung der Aberglaube zusammenhängt, so
viele Sterne in der Christnacht am Himmel sichtbar sind, so
viele Mandeln Korn wird es auf dem Felde geben,* ist der
Himmel wolkenlos, also sternenklar, so giebt es eine gute Ernte?*
Oder spielt hier eine andere messianisch gedeutete Stelle des
alten Testaments mit (1 Mos. 15, 5. 2 Mos. 32, 13. 1 Mos. 22, 18),
wonach Abrahams Same (der Gal. 3, 16 auf Christus gedeutet
wird) einmal alle Geschlechter der Erden segnen, sodann wie
1) Peter, Volkstümliches II, S. 274.
2) Zingerle, Sitten Aufl. 2 p. 196, 1599.
3) Luther u. a. sagte „In Josephs Person hat Gott auf das allerfeinste
Christum und sein ganzes Reich leiblich abgemalet.'* S. Herzog, Realencyclop.
der Protest. Theol. B. Vn, p. 22.
4) C. Wurzhach, die Sprichwörter der Polen Aufl. 2 Wien 1862 p. 148.
5) Glienick l>ei Zossen; Bömicke im Havellande; Beelitz i. d. Zauche
U. 8. W.
6) Stulpe Kr. Jüterbogk; Oberschlesion u, s. Wt
CboBtUock und Weihnachtsbaiim. 295
die Sterne am Himmel sein soll ? ^ Beim Zastondekommen aller
dieser Volksgebräache mid Ycriksanschaaungen werden ym uns
die Predigt mid populäre Exegese der aus der Yulgata schöpfen-
den Priester des Mittelalters am stärksten beteiligt vorstellen
mllssen. Wird es aber nach den aa%eftlhrt^ Analogien eines
Beweises bedürfen , daß die weihnachtliehe Beschttttang dea
Bfdnjak und der Menschen mit Weizen unter dem Rufe ^^ Christ
ist' geboren'' das Geschenk des himmlischen Weizens vergegen-
wärtigen sollte? Und schlieBt sich an diese Deutung nicht ganz
ungezwungen die weitere jener in Masuren vom Hirten umher-
getragenen, mit heiligem Schauer empfangenen, sodann im Ge-
treidehaufen angesteckten Birkenrute auf die vitga e radice Jesse
egrediens? ließe sich nun nicht auch der Weihnachtsblock, der
am liebsten ein Wurjsdende ist, als radix Jesse, das Feuer,
welches kein anders Lichte im Hause neben sich duldet, als
Beziehung auf die himmlische Klarheit auffassen, welche die
Hirten auf dem Felde in der h. Geburtsnacht umleuchtete, oder
auf das licht aus der Höhe, welches vom Christkinde ausstrahlte.
Der Messias wird im alten Testament, Christus im neuen, zumal
im Johannisevangelium , ja so oft das Licht der Heiden, das
licht in der Finstemiß, das wahrhaftige Licht, die Sonne der
Gerechtigkeit, der Aufgang aus der Höhe genannt (Jes. 9, 2.
Matth. 4, 16. Jes. 42, 6. 60, 1. Luc, 2, 32. Ev. Joh. 1, 4 — 10.
3, 19. 20. 8, 12. 12, 35. 36. Luc. 1, 78), daß eine Versinnlichung
dieses Bildes der Gemeinde nicht fernliegen konnte.^ Daß dann
Menschen, Tiere und Getreide durch den Christblock und seine
Ueberbleibsel gesund gemacht und vermehrt werden sollen,
wtirde aus der abergläubigen Vorstellung, daß der von diesem
Lichte, welches nach Joh. 1, 3. 10. das Leben und die schöpte-
1) Cf. den Hynmns de natiyitate domini saec. XIY. bei Ph. Wackernagel,
das d. Kirchenlied I, 164 : De semine Abrahae ex regali genere oritnr de
sidere virgine Maria. — Caspar Löner bei Wackernagel, a. a. 0. III, 619:
Der sam ist anfijpegangen des vaters Abrahe, in den Got bat verheyssen zn
»egetk ewigs wee. Schwerlich liegt hier eine poetische Natnranschanung zu
Oninde, wie in dem lettischen Rätsel für den Himmel mit den Sternen:
t^am kaschäks rSgn pilns d. i. der Vater hat einen Pelz, der yoll Aehren
ist. Oder : Sils del^kis (firma willaine) r5gu pilns (pilna balta rogn) d. i.
eine blane Decke (graue Wolldecke) voll weißer Aehren (resp. Erbsen). ^
2) Cf. den Hymnus des h. Ambrosius: Nox atra jam depellitur mundi
nitor renascitur.
236 Kapitel III. Banmseele als Yegetatioiiadfimoii:
iiBche Ursache aller Dinge in der Welt war nnd ist, aasstrahlende
geistliche Segen auch leiblichen Segen nach sich ziehe (Luc. 12,
31) erklärt werden k({nnen. ^ Es mrd, glanbe ich, kein Zweifel
bleiben können, daß die angegebenen Ideen wirklich einmal mit
dem Weihnachtsklotze, resp. der Weihnachtsgerte yerbonden
worden sind. Bei alledem aber möchte es schwer halten nach*
zuweisen, daß nnd weshalb diese sinnvolle Symbolik grade die
hergebrachte Form annehmen mußte, und immer bleiben yer-
schiedene Stücke ttbrig, welche bei Annahme eines christlichen
Ursprungs schwer zu begreifen sind. Dagegen lösen sich, wie
es scheint, diese Schwierigkeiten, sobald wir den Badnjak, Ghrist-
block, Calignaou, Yule dog, die masurische Weihnachtsgerte,
jene albanesischen Eirschbaumzweige u. s. w. filr Gestalten erklär
ren, welche dem Maibaum und Emtemai parallel gehen, mit dem-
selben in einen Ideenkreis gehören. Sehr richtig nämlich scheint
mir das Urteil, das schon Brand* auf Grund der englischen
Bräuche aussprach: „I am pretty confident, that the Yule dog
will be found in its first use to haye been only a counterpart of
the midsummer-fires made within doors because of the cold
weather at this winter solstice, as those in the hot season, at
the Summer one, are kindled in the open air.^' Sahen wir frtther
(o. S. 177 ff.) daß im Feuer der Sommersonnenwende ein Maibaum
verbrannt wurde, als Darstellung der durch die Glut der Hoch-
sommersonne passierenden Vegetation, so war beim Wintersolstiz
dieselbe Symbolik wol angebracht als zauberwirksame Veran-
schaulichung der durch Wiederkehr der Sonne neu beginnenden
Belebung der Pflanzenwelt. Waren demnach jene albanesischen
Kirschbaumzweige, die noch unzerschnittenen (wie die Maibäume
mit Blumen und bunten Fäden geschmückten) Eichbänmchen
(Badnjaci) in Dalmatien, oder der dickere aus praktischer Not-
wendigkeit zersägte Baumstamm in Frankreich, Deutschland,
England eine Verkörperung des Vegetationsdämons, so erläutern
sich viele bisher undeutbare Zttge. Wie der Richtmai (o. S. 218)
hält der Christblock Blitzschaden von dem Hause fem, er vrird
1) Man vgl. das flämische Weihnachtslied; ^.Heerderkes van hniten
spoedt n op de heen, met trommelkes en metflaiten regt naer Betlehem, want
daer is geboren ten god van al, die ons het leven heeft gegeven, in
den stal. Beinsberg -Düringsfeld, Calendr. Beige 11^ 340.
2) Popalar antiquities ed EUis I, 471.
Chrittblock und Weihnachtsbaum. 287
als Andentiing, daß dem SonneuBchein der begleitende Regen
nicht fehlen solle mit Wasser und Salz^ mit Oel; Wein oder
Bier begossen, vde der Emtemai (o. S. 2 14 ff.) und der wendische
Kreazbaom (o. S. 173). Seine Bertthrung verarsacht Furunkel-
ge schwüre, Krätze, und diese Uebel werden mittelst Hindurch-
kriechen durch die Wurzeln eines Brombeerstrauches
geheilt, Züge die wir hinlänglich als Zubehör der Vorstellung
von einem dem Baume innewohnenden Dämon kennen gelernt
haben (o. S. 20 Z. 1 ff. 32). Daß der Gteist des Wachstums die Aus-
zehrung heile, Menschen und Tiere gebären, das Getreide
wachsen mache, ist eine schon in den früheren Abschnitten reich-
lieh belegte Anschauung. Ich mache somit nur noch darauf auf-
merksam, daß der im Johannisfeuer entlohte Baum ganz verbrannt, '
der Baum im Weihnachtsfeuer dagegen nur angekohlt und in
Frachtfeld, Weinberg, Obstgarten ausgetan wird, weil ersteres
die versengende, Laub und Gras verzehrende Glut des Hoch-
sommers, dieses die mit Mitwinter beginnende langsam Blätter,
Bittten und Frttchte hervortreibende Sonnenkraft nachbilden soll.
Wenn wirklich darauf Ge^wicht zu legen ist, daß der Ghristblock
an manchen Orten ein Wurzelende sein mußte, so könnte dies auf die
Vorstellung hindeuten, daß der Baum der Vegetation im Herbste
gleichsam abgehauen werde (vgl. daß die Mädchen den Harkel-
maibaum umwerfen); nur der Stumpf mit dem noch inne woh-
nenden Dämon [vgL die Moosweibchen o. S. 83], die Wurzel bleibt
ttbrig, aus der er im nächsten Jahre neu hervorsprießen soll.
Ftlr die Bichtigkeit dieser Hypothese dürfte die folgende Fast^
nachtsitte aus Nauders in Tirol sprechen. Vor dem Fastnacht-
pfinztag gehen die Bursche in den Wald, suchen den größten
Block aus und richten ihn schön her, indem sie ein Loch hinein-
bohren und ein Bäumchen hineinstecken, das sie mit Bttschehi,
Kränzen und farbigen Bändern nach Art des Maibaums verzieren.
Am Fastnachtpfinztag vermunmien sie sich, meistens in weiße
Kleider, und ziehen den Block auf einem Schlitten unter großem
Jubel im Dorf herum. Alles freut sich, wenn es heißt: „heuer
ziehen die Buben den Block.'' Der Bloek wird einem ange-
sehenen Mann der Gemeinde (Landrichter, Pfarrer, Kaplan u. s. w.)
verehrt , dann eine Mahlzeit gehalten. ^ Wer erkennt nicht die
1) Panxer II, 246, 451. Bine lehrreiche Variante dieses Branches aus
dem Oberinnthal s. Zingerle, Sitten* 134 , 1194. Danach ist es der größte
238 Kapitel HI. Banmseele als. Vegetatioiisdämon:
Verwandtschaft dieses Brauches mit der Einholung des schönsten
Banmes durch die Weiber (o. S. 174)? Es ist doch wol die Ein-
bringung des ans dem verstümmelten Vegetationsbaum hervor-
sprießenden neuen Wachstnmsdämons. Doch dies bleibe dahin-
gestellt. Daß der Emtemai auf dem Giebel des Hauses als
Penat befestigt wird, findet somit sein richtiges Seitenstttck in
der Eingrabnng des Christklotzes als Grundblock der heiligen
Feuerstelle. Unsere Beobachtungen, falls sie richtig sind, lassen
sich nur durch den unausweichlichen Schluß miteinander vereini-
gen, daß hinsichtlich des Weihnachtsblockes eine Schicht äUerer
Volksgehräuche und Vorstdlungen eine Umdeutung im Sinne
gewisser christlicher Ideen erfahren hat, welche es doch nicht
vermochten alle früheren ihnen widerstrebenden Züge ganz aus-
zutilgen.
Zu ganz demselben Ergebniß scheint uns die Betrachtung
des Weihnachtsbaums zu ftthren, obwol ftlr diesen das Material
noch kaum in hinreichender Vollständigkeit vorliegt, um die
"Frage spruchreif zu machen. Der schönste Schmuck des deut-
schen Christfestes, seit Monaten vorher die Sehnsucht der seligen
Kinderschaar, der grüne Tannenbaum mit den vergoldeten Äepfeln
und Nüssen, Zuckerpuppen, bunten Papiemetzen und den viden
brennenden Lichtem ist erst seit verhältnißniäßig kurzer Zeit so
zu sagen Nationaleigentum geworden. Heutzutage ein Abzeichen
deutscher Abstammung und Gesinnung begleitet er unsere Volks-
genossen über Gebirge und Meere und zeugt in fernen Weltteilen
von deutschem Gemüt und deutscher Geistestiefe. Im Anfange
des 19. Jiahrhunderts war er erst wenigen Deutschen bekannt;
erst die gegen die nüchterne Verständigkeit des Rationalismus
reagierende Vertiefung des religiösen Lebens nach den Freiheits-
nnd Behönste Baam des Gemeuidewaldea, abgeästet^ mit Blumen«
Krünzen, Bändern geschmückt, den die Bursche paarweise vorgespannt
am Donnerstag yor Fastnacht auf dem Schlitten ins Dorf ziehen. Die den
Schlitten ziehenden*" Bnrsche tragen grüne HosentrSger. ihnen geht der
ält'este Junggeselle vorauf; auf dem'Banme Hlnft ein „Heirold" auf
nndiab; der alle Begegnenden, yorzüglich. dieM&dchen in Reimen Ter*
apottet Allerlei MAsken begleiten den Zog, dar sich unter beständigem
Jauchzen nnd Schreien durch das ganze Dorf bewegt. Auf niedrigen
Scheunendächern werden Pfötschen (Zwergföhren) aufge-
steckt. Nach Vollendung des Zuges versteigert man den Baum, und ver-
zehrt, den l^rloi im WlriahitnBe^
CSiristiilodc und WeUmacbtsbaQm. 289
kriogoa beförderte seine Ansbreitang, welche derjenigen der deat-
sehen Sdkflftsprache ähnlieh vor sich ging, mit dem Waehstam der
natioBalen Idee gleiehlanfend Fortschritte machte und mit dem Wer-
den des Beaehes den Particnlarismas ttberwand. Es fehlt noch an
UntersQchangen ttber sein erstes Auftreten und seine ältere Ver-
breitung. Ja Schweden unbekannt, war er doch bei den Insel-
sebweden an der russischen Kttste auf Dago und Worms im
Anfange unseres Jahrhunderts häufiger als jetat im Gebrauch; an
der mit Nttssen und Aepfeln behangenen Tanne standen je 5
kleine Wachslichter auf einem Zweige.^ Auch in Norwegen und
Dänemark ist er in den Städten mindestens ebenso lange ver-
breilei' Das protestantische Norddeutsehland hegt ihn seit gerau-
mer Zeit in seinen Städten (nach Oldenbuig soll er gegen das
Ende des 18. Jahrhunderts gekommen sein),^ aber dem nieder-
deotochen Bauer in der Provinz PreuBen, in Pommern, Mecklen-
burg j Holstein u. s. w. war er noch in den ersten Jahrzehnten
unseres Jahrhunderts fast unbekannt Schleiermacher in seiner
1805 zuerst erschi^aenen ^^Weihnaditfeier^' und Tieck (Noyelle
Weihnachtabend) erwähnen ihn noch nicht als Bestandteil der
Festfeier in Berlin. Aehnlich verhält es sich wol ia IkUtteldeutseb-
land; so im Sächsischen Erzgebirge^ und im Voigtlande ^ der
Baum ist hier keineswegs allgemein.'^ äoetbes Freund Schwerdt-
geburt in Weimar aber verwandte den Weihnachtsbaum auf sei-
nem berühmten Lutberbilde und schon 1765 fand der junge
Student Goethe , alp er damals im elterlichen Hanse von Ki^mers
Mutter ) Minna Stocks in Leipzig Weihnacht feierte, dn Christr
bäumchen angestellt mit allerlei Süß^keitea behangen , darunter
Lamm und Krippe mit zuckeraem Christkind, Mutter Maria und
Joseph nebsti Ochs und Eselein; davor aber em Tisehchen mit
bnmnen Pfefferkuchen fbr die .Kinder. (Vgl. Kunst und Leben
ans Friedr. Försters Nachlaß 1873.). Dem antapreohend bescihreibt
auch Ktlgelgen (Jugenderinnerungen 1870 S. 79) die mit glitzern-
dem Banschgoldy bunten Papifursehmt^i^elR' nnd. goldenen Früchten
1) K. Bußwnrm, Eibofolke H, p. 96. §. 296.
2) Of. Andersen, M&rchen.
8) Strackerjan H. S. 26,^4,
4) M. Spieß, Abergl. Sitten n. Gebr. im säclu^ Erag^bixge. Dresden
1862. p. 4ß. §,.50,
5) E. Köhler , Vol^br^\ich. i«i Voigtlande a 166 ff.
240 Kapitel DI. Banmseele als VegetatioDsdfimon:
versehenen Weihnachtsbäume aaf dem Christmarkt zn Dresden im
J. 1807, und ihren Kerzenschmnck. Nach Danzig brachten den
Weihnachtsbaum nach dem Jahre 1815 die preußischen Offiziere
und Beamten; gleichzeitig gewann er im Mttnsterland durch die
gröf^re Anzahl Protestanten, welche mit der preußischen Herr-
schaft ins Land kamen, an Ausbreitung. In Wttrtemberg soll er
zwar nach £. Meier ziemlich aUgemein sein, doch ttbte noch vor
10 Jahren der Tttbinger Bürger den Brauch nur spftilich;^ im
Fränkisch - Hennebergischen sieht man selbst bei dem Landvolk
hie und da ein Chrisibäumchen, an welchem ein paar Stückchen
Suhler Zucker (Marzipan), Aepfel und Nüsse hangen, in den
Häusern, aber es fehlt der Lichterschmuck.* Im Elsaß eiferte
schon im 17. Jahrhundert Dannhauer, Professor in Straßburg,
gegen den Tannenbaum oder Weihnachtsbaum , den man zu Hanse
aufrichtet, mit Puppen und Zucker behängt und hernach schüt-
teln und abblümen läßt^ Er erwähnt der Lichter nicht, welche
jedodi die heutige Sitte im Elsaß anwendet^ In der Schweiz
hängt man nach Stalder schon am Niklasabend (5. Dezbr.) die
Gaben fiir die Kinder an ein mit Flittei^old und kleinen Wachs-
lichtchen verziertes Bäumchea^ Auch in vielen czechischen
Familien in Böhmen bildet der Baum (Tanne oder Fichte) mit
Obst, Backwerk, Papierguirlanden und Kleidungsstücken behangen,
sowie mit Lichtem besteckt, den Schmuck des mit glänzend
weißem Tischtuch bedeckten Ehrentisches im Winkel der Stube,
an welchem man das Abendessen einnimmt,, und der Hausherr
mit dem Gesmde kniend und stehend vor und nach dem Essen
betet und Weihnachtslieder (Kolendalieder) singt* In Ungarn
piegen deutsche Bürgerfamilien und hohe magyarische Häuser
etwa seit dem Jahre 1830 den Christbaum; ganz neuerdings fand
er durch den Prinzen Albert auch in England, unter Louis
Philipp durch die Herzogin Helene von Orleans in Frankreich
1) E. Meier, Schwab. Sagen 462, 205.
2) L. Spieß, Volktüml. aus dem Fränkisch -Hennebergis^en. Wien
1869. S. 102.
3) GatechiBmiu- Milch V, 649.
4) Alsatia 1851. S. 164 ff. 1852. p. 146.
5) Idiotikon H, 299.
6) Reinsberg-Düringsfeld, Festkalender a. B5hmen S. 552 nach Krol-
niQg staroceske povästi: V. Präze 1845—1851. p. 476.
Ckristblock and Weihnachtsbaum. 241
Eingang y das ihn ebensowenig, wie die Niederlande, Italien,
Bunänien u. s. w. ursprünglich kannte.^ In manchen Gegenden
Westfalens, wo die Christbäume nicht in Gebrauch sind, setzen
die Leute am Christabend Tannenzweige vor ihre Haustüre;^
ebenso schildert Finn Magnussen im Jahre 1828 als unter-
scheidende Sitte der Schweden „Sueci virides arbores (pinus
yel abietes) sub dio ad oppida vel aedes erigunt, at Dani Nor-
vegi et Gennani in ipsis aedibus.'^ ® Auf einen ähnlichen Brauch
auf Island deutet yieUeicht die Sage zu Mödrufell im Ejjaigördr,
daß der aus dem Blute zweier unschuldig Hingerichteten enir
sjMrossene Yogelbeerbaum (o. S. 40) früher in der Weihnachts-
nacht mit Lichtem aoi' allen Zweigen besetzt gefunden wurde,
welche selbst beim stärksten Winde nicht erloschen/ In einigen
Dörfern des £ls^, zumal in den franzüsischen Ortschaften der
Yc^esen hat sich die sehr verbreitelte Sitte erhalten, zu Neujahr
den Brunnen mit einem Mai zu schmücken, der mit dem Weib-
nachtsbaum die größte AehnJichkeit hat. Die jungen Madchefn^
welche den Brunnen besuchen, verschaffen sich nämlich einen
kleinen Tannen- oder Siechpaimenbaum , zieren ihn mit Bän-
dern, Eierschalen j Meinen Figuren, die einen Hirten oder einen
Mann Torstellen, der seine Frau schlägt, und stecken den so
geschmückten Baum in der Neujahrsnacht auf den Brünnen.
Während des Neujahrstages besucht man die Brunnen, in deren
Schmuck sich die Mädchen zu überbieten suchen , und sobald der
Abend anbricht, wird ^der Schnee um den Brunnen sorgfältig
weggekehrt und die jungen Mädchen tanzen singend einen Reigen,
an dem sich die jungen Bursche nur mit ihrer ErlaubniB betei-
ligen dürfen. Die Lieder, welche dabei gesungen werden, sind
meistens gewöhnliche Bundtanzlieder ohne Beziehung zu dem
Baum, der das Jahr hindurch als schützendes Symbol fUr
diejenigen stehen bleibt, die ihn errichtet haben. In Italien hatte
Papst Martiauus verboten: „non licet iniquas observationes agere
Galendarum et otüs yacare neqt^ lauro aut mriditaie arborum
1) Vgl. 0. Schade , Klopfan S. 61.
2) Montanna 1, 11.
3) Lorio. mythol. 779.
4) Mohr, Forsög til en Islandsk Natarhistorie. Kjöbenhavn 1786 p. 187.
Maurer , Island. Sagen. Lpzg. 1860. S. 178.
Mftiiiih»rdt. 16
242 Kapitel III. BMUoseele als Vegetationadämoii:
dngere domos; onmis haec observatio paganorntii est/'^ In
England wurden der Boden der Kirche mit Lorbeensweigen nnd
immergrünem Rosmarin bestreu^^ und grüne Zweige von
Orangenbäumen (Pomeranzen) an den Kirchen herumgesteckt, die
bis Ostern daran blieben.^
Auch den Weihnachtsbaum wird man geneigt sein, sich
zunädist aus christlichen 'Anschauungen zu erkULren. Der
24. Dezember ist der Tag Adami und Evae. Die Kirche hatte
durch die Wahl dieses Namens die Idee ausdrücken wollen , daft
Christus als der zweite Adam den Verlust des ersten wieder ein-
bringe. Denselben Gedanken drückte die Legende so aus, daft
Adam einen Apfel oder Ableger des Baumes der Erkenntnis aus
dem Paradiese mit sich nahm, und einpflanzte, daraus sproß ein
Baum, aus dessai Holze das Kreuz gemadit wurde, an dem der
Erlöser hing. Oder man sagte , daB auf Adams Grabe ein Beis
▼om Baume des Lebens wuchs, von dem Christus die Frucht
der Erlösung brach.^ Demnach wird das Kreuz in der altehrist-
lieh^Q Vorstellung und Poesie als der neugepflanzte , frucht-
tragende , himmlisch nährende Paradiesesbaum inmitten der erlös-
ten Mensdiheit gefaftt^ In den in Folge dieses Gredankenganges
an die dramatischen Weihnachtsspiele des Mittelalters angeschlos-
seneil Paradiesspielen (seit d. 12. Jahrh. nachweisbar), in welchen
man den Sttnd^'all als der durch Christi Geburt beginn^iden
Erlösung vorangehend yeranschaulichte ^ wurde dieser Paradies-
baum,' der zum Lebensbaum gewordene Erkenntnifibanm , dem
Volke zuweilen dargestellt , in Oberufer bei Preftburg ab dn sechs
Schuh hoher schöner Kränewit (Wachholder), der mit groften
flatternden Bändern geschmückt und ganz mit Aepfeln behangen
ist* In Kunstdarstellungen wprde das Kreuz als Baum des
1) Burcli. V. Worms X, 15. myth.» XXXV.
2) Cassel , Weihnachten S. 136.
8) Gervacrius v. Tilbaiy ed. Liebrecht. Hannover 1856. LIV. S. 25.
Vgl. p. 125. E. Weinhold, Weihnachtspiele. 1853. S. 328; K. J. Schröer,
deutsche Weihnachtsspiele a. Ungarn. Wien 1858. S. 36. Anm. * ; Fried-
reich, Symbolik der Mythologie nnd Natur. 1869. S. 178 — 179; Piper; evan-
gel. Kalender 1863 p. 52 ff. 74. Mannhardt, Weihnaehtsbltten S. 170.
4) P. Cassel, Weihnachten S. 143.
5) Weinhold a. a. 0.
6) Schröer a.a. 0. 9 — 10. 36.
Ckruttblock a^ Wettm«clitsUiitn. *- 243
LebeoB mehrfach wie ein Stamm mit Wnrzehi, Blättern imd
Fruchten gebildet. Doch auch diese Wendung nahm der Gedanke,
daß Christofi selber als der wiedererbrachte Lebensbaum geprie-
sen wurde, der einst im Paradiese gestanden. Der Baum des
Lebens, sagt ein Offieinm der griechischen Kirche znr Vorfeier
def Weihnacht, erblühte in der Höhle (dem (kte der Gebnrt) Von
der Jungfrau. ,,Denn es zeigte sieh ihr Ldb als das geistliche
Paradies, worin die götttidie Pflamee geboren wird, welehe Leb^
giebt, wenn wir uns von ihr nähren.^^ Hogo Ton 8t Victor
(t 1146) sagt: Christas steht in der Mitte der Kir^e als der
Baum des Paradieses. Und anderswo wird Maria gesclnldert als
der bltlhende und unvergängliche Garten, in welchem der Baum
des Lebens gepflanzt sei, der Allen ungehindert die Frucht der
Unsterblichkeit mitteile.^ Gassei hat treffend gezeigt, da£ die
viel verbreitete Sage von ApfelUtomen , welche in der Weih-
nachtszeit mitten im Schnee Knospen treiben, Blflten und Früchte
bringen, auf diese allegorische Aufi'assung Christi als Lebensbanai
sich grttnde.' Wir haben hier einen der mittelalterlichen Kirche
aoBerordentlibh geläiifigen Ideenkreis , aus welchem der Ursprung
des Weihnachtsbaulns sammt seinen Aepfefai und seinem Lichter-
schmnck als Diurstellung des zum Lebensbaume gewordesien
ErkeantniBbaumes und Christi selbst als Baum des Lebens und
Lidit der Welt sich höchst wahrseheinlich machen liefte.' Die
VervoUständiguiig der Aepfel durch andere Frtichte, Zuekerbrod
und sonstige Eßwaaren wäre aus einer Vervollständigui^ der
attegorisdben Beziehungen durch Christi Benennung afe Brod
des Lebens und Frucht der Lenden Davids sehr begreiflich.^
1) S. im allgemeineD über alle diese Vorstellungen die ansfiÜirUchen
und gründlichen Naehweisnngen von Piper a. a. 0. 17 — 94.
2) P. Cassel, Weihnachten S. 140—142.
8) Vgl. besonders Piper a. a. 0. 74^76.
4) Von Yifl vielen Ssiten die messianischen Allegorien den Festbranch
bereicherten, beweise n. a. eine kirchliche Sitte, die zn Monthe (D^.
de Donbe) geübt wurde. As einem der Weihnaehtstage trug man in die
Kirche Pasteten, Sohinken, Kuchen, Zaekerwerk und andere Eßwaaaren und
voiD besten Wein, den man hatte. Man stellte diese sieben Sachen in einem
besondem Winkel der Kirche auf und nannte das Ganze „de fructu.*'
Sobald mf» wählend der Vesper zn dem Verse „De fructu yentris tui
p»nam svper sadem tuam Ps. 131, 11 gekommen war, machten sich alle
Umstehenden mit Eifer darüber her md eigneten sich die Leckerbissen unter
16*
2i4 Kapitel III. Baamaeele «k Vegetationsdämon :
Znmal die Nüsse gehören in den Kreis der weihnachtiioheii
Symbolik.'
Gleichwohl darf und moB die Frage erhobt werden, ob
nicht trotz alledem der W^hnachtsbaum die christliche Umden-
tong einer älteren dem Kreise der Naturfeste angehOiigen Sitte
war. Weinhoki hat schon mit Becht auf die Aehnlichkeit des-
selben mit dem schlesischen Sommer am Lätaresonntag (o. S. 156)
hingewiesra«' In einigen andern Gegenden (z. B. Speier) ist der
y, Sommer^' wie der y^Weihnachtsbaom'^ mit Bretzeln und ähnliehen
Dingen behangen. Viel augenscheinlicher noch ist die Ueberein-
stuamong mit dem bunt bebänderten , mit Eßwaren, veigoldeten
Eiejii u. s. w. gezierten Maibanm, Johannisbaum und Brntemai.
Auch bei diesen fehlt der scheinbar eigenttlm]i<äie Sdbmuck des
Weihnachtsbaums, der Liehterglanz nidit immer. Im Ober-
erzgebirge tanzt man zur Sommersonnenwende um den „Johan-
msbaom'^; das ist eine ans 4 Stäben bestehende mit Kränzen
und Blumen verzierte Pyramide, welche in der Stube oder auf
der Strate auf ein Tischchen gestellt wurd. Abends wird dieselbe
mit läehtem besteckt Die Tänzer sind dabei weiB gekleidet
und singen yersehiedjNiie Liedchen (Zwickau.)' In Gelderland
pflanzte man Maiabends Bäume auf, die geschmttekt und mit
Kerzen besteckt wurden/ Auch zu Yenloo in Limburg, wo die
Ausschmückung des Maibaums ein Gegenstand des Wetteifers
und der Ekersudit zwischen den Einwohnern der versdiiedenen
Stadtviertel ist, trägt am Maiabend jedes junge Mädchen eine
Kerze herbei. Bei einbrechender Dunkelheit steckt man sie auf
den Baum, zllndet sie an und tanzt um denselb^.^ Aucih der
bei der Maifeier in Dublin verbrannte Maibusch ist mit Lichtem
heiligen Gesangen untermischt von Schreien , oft auch Streitreden und
Beschimpfungen zu. Für den Bestand dieser Sitte sorgte eine Stiftung,
welche die Geschwomen des Orts venralteten. Berne de la Franche Comte
hei Cortet, fdtes religieuses p. 265.
1) Vgl. das Melker Marienhüd (MüUenhoff o. Scherer, Denkmäler XXXIX
S. 115): Jll leit in erde Aardn ^ne gerte: diu gehar nflsze, mandalon also
edile. diu süezze hast dH fftre hräht, muoter ine mannes rat, Saneta Maria.
2) WeUmaohtspiele 1853. S. 16.
3) M. Spieß, Aherglauhen des sächsisehen Oherensgebirges S. 14, 148.
4) Geldersche Yolksalmanach Toor 1835. 10— 18. bei Grimm Myth.« 738.
5) Beinsberg -Dfiringsfeld, Caleadrier Beige I, 285.
Chrisiblock and Weihnaehtsbaum. 245
befletst (o. S. 178). Bei den Lttnebuiiger Wenden werden Mf
Hochzeiten mit Lichtem besetzte Maien dem Brantpaar voran-
getragen (o. S. 46), in der Ukraine vor das Brautpaar auf den
Tisch gesetzt (o. S. 223). Der uns schon von S. t2 bekannte
Jaeab Laszkowski , Revisor von Niederlitauen mn 1570, bezeugte
von dem Abei^lanben der Zemaiten redend: ,,Kimi8 caerasos
arcis alicnjus (wie aus ^ einer späteren Stelle hervorgeht ist Ploteli
gemeint) secandum lacum sitae curat, in quos placandi ejus causa
gallos mactatoB injiciunt , caereosqne accensos in eis figunt.^
Sehen wir ab von dem Namen des Dämons der Bäume oder des
Ortes, Kimis, der augenscheinlich verderbt ist, jedenfalls ist hier
von einem nicht christlichen Gebrauche zu Ehren eines dämoni-
schen Wesens die Rede. Da Kimis nachher „(smgnlaris) deus
agri Plotelscä^' genannt wird, ist vielleicht an den von Kirsch-
bämnen gebildeten h. Hain des Schutzgeistes (vgl. o. S. 53.) der
Burg Ploteli zu denken, den man zu gewissen Zeiten mit geschlach-
teten Hähnen^ und angezündeten Lichtern ehrte. Dieser im
Haine oder Baum wohnefnde Schutzgeist des Hauses, Hofes und
seiner Bewohner steht aber dem schwed. Värdträd, deutschen
Maibaum so nahe, daB auch die Sitte, Kerzen auf diesem anzu-
zünden, sieh dem litauischen Brauche vergleichen und iHr nicht
christiieh erklären läßt^ Femer ist z. B. der von den kleinen
Mädchen im Kuhländchen (Kr. Troppau) beim Maiengehen umher-
getragene Tannenbaum aufter mit Eiem und bunten Bändern auch
mit vergoldeten Nttssen geziert Auch wird bei der Darstellung
des bekannten Wettstreits zwischen Sammer und Winter (Uhland
Sehriften HI, 18 ff.) der Sommer in Baiera stäts als ein Mann
mit grttnem Zweige in der Hand, in der Schweiz einen Baum
1) S. J. Lasicii de dies Samagitanun libellas p. 47 ed. Manubardt.
Mitau 1868. p. 11. Cf. Haupt, Zs. f. d. A. I, 139.
2) So warf der Lette das frische nnd blutige Fleisch geschlachteter
Tiere, vorzugsweise von Hähnen in den hinter dem Hause, häufig in einer
Ecke des Gfurtena stehenden Harn des mahjas Enngs »,des Herrn d«8 Gehöf-
tes/' der Este in den Schutzhain u. s. w.
« 3) Vgl. auch das Verbot heidnischer Sitte in den Poenitentiaricn an
heiligen Quellen, auf Felsen und an heilig gehaltenen Bäumen keine Lichter
oder Fackeln „pro yeneratione *' anzuzünden, noch Brod oder andere Opfer-
gaben niederzulegen, Begino II. Cap. 5. N. 48. Poenitent. Merseburg. Vgl.
Priedberg, Bußbücher S. 24. 61. 86.
246 Kapitel HL Baani«eeU als VegetatUmfd&moii :
mit Aepfeln und Birnen in Flittergold gehttllten Nttssen and flat-
ternden Bftndem in der Hand haltend dargestellt;^ in Oestreidi
trägt die schlacke Gestalt des Sommers ein weiAes wallendes
Kleid 9 von breitem Goldgttrtel zusammen gehalten mid einen mit
grttnen Bändern geschmttekten Strohhat; seinen Stab krönt ein
Tannenwipfel mit ktinstlichen Blättern und yom Herbst her
bewahrten Fruchten. Der Anftag findet am Frühlingsanfang
statt' Es ist aber dieser Yon einer „Sommer^' boiannten Person
in der Hand getragene Baam onverkennbar nichts anderes, als
jener aafgepflanzte oder in Prozession einhergetragene Baum, der
selbst Sommer, Leto u. s. w. heiSt Von letzterem bildet dann
wiederam nur eine Spielart der nach kirchlichen Ansehaaongen
wol nor benannte Adamsbaam, der im Saulgaa (Wttrtembei^) am
Sonntag nach Lichtmesse durch einen in Schafspelz gehüllten
Mann, unter Voraustritt eines Fahnenträgers, eines Pfeiffers, eines
Trommlers and eines Latemenknechts von den Mitgliedern der
Feaerlöschmannschaft umhergetragen wird. Es ist ein mäßiges
Bäamchen, woran lauter Aepfel und essige Dinge steck-
ten, die an die zugespitzten und abgeschälten Aestchen au^e*
spießt sind. Der Zug nmschreitet dreimal jeden Brunnen; tot
der Herberge angelangt wirft man plötzlich den Adamsbaom in
die Jugend hinein, die darüber herfällt und sich darum sdilägt'
Eine^andere Spielart des lito ist der Palmenstrauß , der in man-
chen katholischen G^enden am Palmensonntage ttUieh ist (s.
Beinsberg -Dttringsfeld, Das festliche Jahr S. 94 — 98). Inder
Umgebung Yon Basel besteht er aus einem Tannenbaom von
zwölf' oder mehr Fuß Höhe, der geschält und seiner Zweige
beraubt ist, so daß nur eine zierliche Ejrone übrig bleibt In diese
werden mit gespaltenen, oben und .unten mit Buchsbaum und
Sävenbaum verzierten Weidenbändem Stechpalmenzweige hinein-
gebunden. Diese ganze mit Palmzweigen geschmückte Krone
umgeben aber schützend 4 aus den Hecken geholte Haselzweige,
welche unterhalb der Krone im spitzen Winkel vom Stamme des
Tannenbaumes abwärts stehend über dem Wipfel nach innen
zusammengebogen und mit einem flatternden , buntfarbigen Seiden-
1) Vgl. ühland a. a. 0. S. 41. Vernalekeii , Alpensagen S. 359.
2) A. Baumgarten, das Jahr und seine Tage. Linz 1660. S. 35.
3) Birlinger, Volkstttml. a. Schwaben II, S. 50, 65.
ChriBtblock und Weihnaohtsbaiim. 247
bände zosamineiigebimdeii sisd^ nachdem man auf jede 8 — 4
der schöBfiten rotbackigen Aepfel in gleichmäßigem Abstände
gesteckt hat Jedes Hans läßt einen soldien Palmstrauft in der
Kirche weihen und pflana^ ihn dann bis Ostern im Garten auf.
Dann wird er feierlich ins Haus getragen ; und in einer Kammer
verwahrt; bei Gewittern verbr^nt man Zweige dayen auf dem
Heerde, die Haselruten werden in den Viehställen angesteckt
Genau zu diesem Baseler PaJmstrauß stimmt die im Saterlande
gebräuchliche Wepelröt oder Werpelrot. Fräher bestand die-
selbe einfach aus einem astreichen Baumzweige (zumeist Wach-
"holder oder Stechpalme ilex aquifolium) von iVt — 2 F. Höhe,
mit Bändern und Blumen geschmückt, dessen Spitzen mit Aepfeln
und Kuchen besteckt waren. Im Amte Kloppenburg ist es noch
jetzt ein geschälter, geraspelter, mit A.epfeln und Neujahrskuchen
versehener, mit Flittergold und Band verzierter Weidenstock.
Gewöhnlich jedoch erhält die Wepelröt heutzutage im Saterlande
eine kunstvollere Gestalt, indem die mehrzinkige Gabel der Aeste
die regelmäßige Form eines aufrecht stehenden Bades angenom*
men hat; dessen Speichen über die Felge hervorragen und mit
Aepfehi und Kuchen besteckt sind, indeß die Nabe durch ein
Herz aus vergoldetem Holze dargestellt wird. Am Nei^gahrs-
abende schleichen sich die verliebten Burschen, welche freien
wollen, zu den Häusern ihrer Freundinnen und suchen die Wepel-
röt heimlich zur Türe hineinzuwerfen, worauf sie durch einen
Spruch und einen Pistolenschuß ihre Gegenwart ankündigen. Die
Hausbewohner verfolgen den eilig Davonlaufenden. Wird er
erwischt, so muß er auf dem Kesselhaken reiten und Wasser
mit Kaminruß trinken; dann wird er festlich bewirtet Die
Beschenkte, welche die Gabe nicht zurückweist, muß dieselbe
am h. Dreikönigstage auf die nämliche Art mit der „Tünschär
oder Tfinskör'^ erwiedem, welche gegenwärtig der Wepelröt an
Gestalt gleich ist, ehedem aber in einem IV2 F. langen Kohl-
stamme bestand, der in einen Torfsoden gesteckt war, an der
Spitze eine Papierlateme und an dem Stamm mehrere fußlange
dünne Stäbchen trug, an denen Kuchen und Aepfel u. s. w.
hifigen. Ehedem diente die Wepelröt auch zur Erforschung der
Zukunft. Der Hausherr setzte sich in der Neujahrsnacht an das
Heerdfeuer, Gebete sprechend, auf dem Haupte das Zeichen der
Freiheit, den Hut, in der Hand die Bute, und schleuderte die-
248 Kapitel III. Baamaeele als Vegetationsdämon :
selbe, sobald er den richtigen Augenblick gekommen wähnte,
über den Kopf nach dem Dielenranm. Wohin die Spitze der
Wepelrot zeigte, dorther kam im Laafe des Jahres die Braut
seines großjährigen Sohnes, oder dahin zog seine erwachsene
Tochter als Fraa.^ Die nrsprttngliche Form der Wepelrot stimmt
fast ganz genau mit der am 2. Sonntag des März umhergetrage-
nen Sommergabel in Speier (s. u. S. 262). Daß sie den Gelieb-
ten gebracht wird, ist eine Eigenschaft, die sie mit dem Maibaum
teilt, die Art ihrer Ueberbringnng ist genau dieselbe, welche nach
Beendigung der Ernte bei der Ueberbringnng der den Getreide-
dämon darstellenden Komfigur von einem Nachbar zum andern
beobachtet wird. Der Ueberbringer stellt den aus der Pflanze
heraus und neben sie hingetretenen Vegetationsgeist selber yor.
Das sind drei auf den nämlichen Punkt weisende Fingerzeige,
welche uns bestimmen mttssen, die saterländische Wepelrot ftr
eine eigentflmliche Form der Darstellung des Lebensbaumes oder
baumgestaltigen Vegetationsdämons , tVr den bei Beginn des neuen
Lichtes in der Wintersonnenwende auftretenden Doppel^nger
des Maibaums zu erklären , der mit dem Maibaum auch die Eigen-
schaft teilt, den liebenden Burschen als Symbol ihres eigenen,
der begehrten Jungfrau entgegengebrachten Lebensbaumes zu
dienen. Die als Gegengeschenk dargebrachte Torfsode mit dem
grttnen Eohlstamme bedeutet, daß die Jungfrau sich dem wer-
benden Geliebten als Eigentum hinzugeben bereit sei. Denn
Torf und Zweig, oder grüner Torf d. h. ein ausgeschnittenes
Erd- oder Rasenstück mit einem grttnen Aste darin war nach
altdeutschem Rechte das Symbol, mittelst dessen ein Grundstttck
aufgelassen d. h. aus dem rechtiichen Besitze des seitherigen
Inhabers gesetzt und dem neuen Herrn zu Pfand oder Eigentum
übertragen wurde (R. A. 110. 115). Hier aber mag wol noch
die tiefere Beziehung hinzukommen, daß die Jungfrau nun auch
Jhren Lebensbaum aus dem Täterlichen Boden gelöst dem Bi^u-
tigam zum Eigentum entgegenbringt. Doch dem sei, wie ihm
wolle, unsere Schlußfolgerung aus den vorstehenden Ausftihmngen
1) S. Kiüm, Noidd. Sag. 406, 142. Strackerjan I, 88, 115. II, 32, 298.
Das goldene Herz inmitten der Wepelrot ist ein durch die Verwendung bei
der Freierei hervorgerufener Zierrat. Kuhn a. a. 0. 518, J. W.Wolf, Beitr.
I, 114 u. Simrock, Handb. Aufl. 2. S. 570 haben Unrecht in der modernen
Form des Wepelrot ein Bild der Sonne zu suchen.
Ohristblook und Weihnachtsbaum. 249
geht darauf hinaus ^ daß der fruchibeladeney lichtererheJUe Weih-
nachtsbaum flieht dUein äußerlich gewissen Formen des Mai-
baums, Johannisbawn u. s. w. lAto, entspreche , sondern daß auch
in der Neujahrs - oder Weihneuhtzeit gawf unmittelbar das Auf-
treten des den Sommer, d. h. den Vegetationsdämon darstellenden
Baumes in mehreren Formen nachgewiesen werden kann. Auch
jene westnUische^ aehwedische und italische Sitte (o. S.241), vor
den Häusern die grttnen Tannenbäume^ oder Lorbeerzweige auf-
eustecken, die eisässisdie zu Neujahr den Brunnen mit einem
Mai zu sehmttcken, sehen nicht aus wie ein Ausfluß des
christlichen Ideenkreises und sind von der Ausschmttckmig
der englischen Kirchen mit Orangenzweigen vielleicht ebenso
zu trennen y wie von der Ausschmückung der englischen Häu-
ser mit dem Mistelzweig, die möglicherweise wiederum mes-
sianisches Symbol waren ;^ faUs nicht auch diese erst allmäh-
lich ans profaner, auf die Jahreswende bezüglichen Anwendung
in christlichen Anschauungen umgedeutet und in kirchlichen
Gebrauch gezogen sind. Will man nicht den Sommer im Lätare-
brauch, den Maibaum und Emtemai yom Paradiesesbaum oder
,Ghristbaum ableiten (was, wie wir später sehen werden, die
griechische Eiresione auf das bestimmteste verbietet), so bleibt
auch hier nichts anderes übrig, als die Annahme, daß parallel
dem Mittsommeifeste ein heidnisches Mittwinterfest gefeiert wurde,
an welchem man in einzelnen Orten oder Gegenden den baum-
gestaltigen Dämon der Vegetation proleptisch ganz nach Art des
Maibanms darstellte ; und daß* dann im Mittelalter irgendwo diese
ältere jetzt nur in seltenen Resten noch erhaltene Sitte des Land-
Yolkes aufgenommen, im Sinne der christlichen Weihnachtsmytho-
logie umgedeutet und soweit es nötig war, umgestaltet ist. So
entstand unser Weihnachtsbaum. Es ist kein Zufall, daß dieser
im Laufe unseres Jahrhunderts sein Herrschaftsgebiet allmählich
auf und über die ganze deutsche Nation erweitert hat. Ist der
frische, immergrüne Baum doch ein Symbol, das, so lange er
1) Die anf einem andern Baume wachsende; vermeintlich vom Himmel
gefaUene, von den Druiden zur Winterszeit mit goldener Sichel abgeschnit-
tene Mistel galt als Sinnbild des vom Himmel stammenden auf dem Kreu-
zesholze Frucht bringenden Erlösers. Seb. Bouillard, Parthenie ou histoire
de la tres auguste - et tres devote eglise de Chartres. Paris 1609 p. 51.
LftBt sich diese Auffassung schon aus Uterer Zeit nachweisen?
250 Kapitel III. Banmseele als Vegetationsdämon:
nicht dnrcb Ueberladimg yerunstaltet wird, niemals veralten and
den Schönheitssinn beleidigen, oder zur Verwechselung yoQ Bild
und Sache Anlaß geben kann , ein Symbol und treffendes Gleich-
nifi für das Leben der nach Licht (Erkenntnis) und Widirheit
strebenden, Frttchte der Liebe treibenden reinen Menschheit, des
Gattnngsideales, das wir zu yerwirklichen streben, dessen Beprä-
sentant uns Christus ist Und ein froher Gedanke darf es uns
sein, daß unser Volk, indem es dieses Symbol in gewissem
Sinne zum* Kennzeichen seiner Nationalität gemacht hat, den
Lebensbaum der rdnen Menschheit, wie sie sein soll, als iden-
tisch erklärte mit seinem eigenen Leben.
Nicht ein bloßer Namentausch ging hier vor sich, sondern
die alteinheimische Natursymbolik und die christliche Poesie
trafen in mehreren Punkten zusammen, in der Idee des Lebens-
baums und in der Zeit seiner Darstellung (Wintersonnenwende,
Weihnachten). Diese gleichen Elemente zogen sich an, flössen
'irusammen und führten damit zugleich die Vereinigung auch der
übrigen widerstrebenden Glieder der beiderseitigen Ideenkreise
mit sich. Der Nachweis eines derartigen Herganges, wie wir ihn
hier am Ohristblock und Christbaum beobachtet haben, wird fllr
unsere ganzen weitem Untersuchungen fruchtbar und von Wichtige
keit werden. Festigen wir deshalb unsere Beobachtung zum Schlüsse
dieses Abschnittes durch zwei naheliegende sichere Analogiea
Die allegorische Auffassung des Kreuzes, des Erlösers und
der Madonna als Lebensbaum führte dahin, diesdben auch mit
dem Maibaum zu yergleichen; dergleichen Vergleiche finden sieh
häufig bei dem Mystiker Heinr. Suso und in holländischen Volks-
liedern ^ z. B.
Die meie, die is al bi den weoh gheset
Op eenen beroh, die staet also hoghe,
Ora dat een jeghelyc soude, sonder let,.
Den soeten cruicen mei aenscbonwen moghen.
Nu staen des meien tacken uitghespreit.
Ende bloeyen schoon gbelyc rode rosen.
So wie syn senden bier bescbreit,
Onder desen boem eal hi hem verposen.
Diese Vorstellung des Kreuzes als Maibaum ist auch in tien Volks-
gebrauch übergegangen. Vgl. o. S. 173 die Ausschmückung des
1) HofFmann yon Fallersieben, Holl. Yolksl. 24t» 25.
Der Schlag imt 4er Lebensrüt«. 861
MaibamiiB mit den Marterwerkseugen CäiriBti. Lehrreicher noch
ist die Umdentimg, welche die Yoratelluig vom wilden Jlkg&t
(Wode), der xnn die Wintersonnenwende mit seinen Hunden darch
die Laft tährt^ durch fromme Geistliche des Mittelalters erfuhr,
welche daraus den Engel Gabriel machten^ der mit seinen
Bracken (Wahrheit, Gerechtigkeit, Friede! und Erbarmen) das
Eiohom (Christas) üi den Schoß der Maria jagt. ^ Diese den
BatschluA der Erlösung verbildlichende Scene, die den likigel als
Jäger mit dem Hifthorn zeigt, war während des 14. und 15.
Jahrhunderts häufig Gegenstand der -Darstellung auf kirchlichen
Kunstwerken.' Aus dieser Zeit wird daher auch der nach-
stehende Volki^laube stammen. In Staffordhire nennt man die
wilde Jagd „Gabriel hounds'^ und zuLembeck in Westfalen „de
engelske Jagd^ d. L Jagd des Engels.^ Hier trafen wieder die
Begriffe Jagd, Hunde und Zeit der Jagd von beiden Seiten
zusammen und bewirkten die Verschmelzung der Vorstellungen.
§. 9. Der Sehlas mit der Lebensrute. Die südslavische
Weihnachtsgerte und der Christiblock sollten, wie wir sahen,
sowol das Oetreide vermehren, als das Wohlsein der Menschen
und sämmtlicher verschiedener Tiergattungen befördern. Wir
faMen sie sammt dem Christbaum als christlich umgedeutete
wioterliche Formen des Maibaums, somit als Verkörperungen des
Vegetationsdämons auf. Nahe Verwandte begegnen uns in einer
Reihe von Sitten, welche man unter dem gememsamen Namen
„Schlag mit der Lebensrute^' zusammenfassen könnte; Menschen,
Tiere, Pflanzen werden zu verschiedenen Zeiten des Jahres mit
einem grünen Zweige (resp. Stock) geschlagen oder gepeitscht,
um gesund und kiMig zu werden. In Böhmen ist es der
0. S. 155ff. besprochene „Sommer,'' der zu diesen Gebräuchen
verwandt wird. In einigen Orten des Königsgi^tzer Kreises
verstecken die Mädchen am Lätaretage ihren Sommer, der aus
mehreren mit bunten Bändern durchöochtenen Weidengerten
best^t, unter der Schürze und warten hinter irgend einer Tür,
1) S. Mannhardt, Weihnachtsblüten S. 161.
2) Piper, eraBgl. Kalender 1859 S. 38 ff. R. Bergan, Altprenfi. Monatschr.
IV, 723 — 27. Erans in Jahrbfloher des Vereins der Altertnmsfrennde im
Sheinlande XLIX. 1870. S. 128—134.
3) Choicenotes from notes and qneries. Folklore London 1859 S. 247. --
Kühn, Westf. Sagen II, 13, 83.
252 Kapitel DI. Baomsede ala Vegetatioiisdämoii:
oder einem Torweg auf die jongen Bnrsche, um sie imYersefa^idfl
damit zu schlagen; anderswo in Böhmen schlagen die Fraaen mit
dem Sommer ihre Männer, indem sie rafen: ;,gieb was, gieb was,
gieb was ! ^ Jeder Barsehe oder Mann trSgt Aepfel bei sich, um
sich Yon weitem Schlägen loszukaufen. ^ Auch die Knaben gehen
an diesem Tage mit ihrem bebänderten und eierbehan-
genen Bäumchen umher, indem sie zugleich Peitschen f&hren,
die ans Weidenzweigen mit jungen Trieben (Pabnkätzchen)
geflochten sind. Damit schlagen sie die begegnenden Mädchen
und fordern Yon denselben' unter eigenen Benennungen ein Geld-
geschenk.* Dieselbe Sitte hat mit geringer Abänderung am Mai-
tag mit den Maibäumchen statt In der Umgegend yon Prag
ziehen am ersten Mai die Musikanten auf den Dörfern herum.
Ihnen folgen im Laufe alle erwachsene jui^en Bursche mit
Maienzweigen in der Hand und schlagen einander damit gegen-
seitig unter den Worten: „da hast du Glttck!^^ Wer es ver*
gißt, den bittet der andere darum, indem er sagt: „Gieb mir
Glttck^' und er erwiedert mit dem Schlage: „da hast du's.'^^ Auch
in andern Landschaften begegnet, wenn gleich nur noch in ver-
blaßter Spur das Schlagen von Seiten der Sommerkinder.
Am zweiten Sonntage im Monat März, dem sogenannten Sommer-
tag fand in Speier (wie vielerorten am Main, Unter- und Mittel*
rhein) ein Kampf zwischen dem in Stroh gehüllten Winter und
dem bekränzten Sommer statt; am nämlichen Tage zogen und
ziehen noch die Kinder mit .der Sommergabel einher, einer
fußlangen Holzrute, die sich oben gabelförmig teilt, geschält und
bandförmig bemalt ist [wie der Maibaum o. S. 177j, in Zwi-
schenräumen sind ans abgeschältem Holze, wie bei den bekannten
Fliegenwedeln, wulstige Ringe gebildet. In die Gabel ist eine
Bretzel von mttrbem Teige gesteckt, auf die Gabelspitzen unmer-
grttne Buchsbaumsträußchen und auf ein Aestchen unter der Gabel
ein Apfel; einige von oben herabhangende bunte Bänder vollen-
den die Ausstattung der Sommergabel. Die Knaben singen von
Haus zu Haus gehend und Geld, Obst, Backobst einsammelnd:
1) Krolmus, Staroc^eske poveati II, 19 — 20. Reinaberg - Döringsfeld,
Festkalender a, Böhmen. Wien and Prag 1861. S. 92.
2) Panorama des Universums Prag 1834. S. 347. Beinsberg -IMiriiigs-
feld a. a. 0. 93.
3) Krolmus a. a. 0. U, 249. Beinsberg -Düringsfeld 206.
Der SchlAg mit der Lebensmte. 253
Trariro,
Der Sommer der ist do.
Zum Biere^ zum Biere!
Der Winter liegt gefangen.
Und wer nicht dazu kömmt,
Den schlagen wir mit Stangen.
Audenwo in dereelben Gegend:
Trariro, der Sommer ist do. ^
Wir wollen hinaus in den Garten,
Und wollen des Sommers warten.
Wir wollen hinter die Hecken
Und wollen den Sommer wecken.
Der Winter hats verloren,
Der Winter liegt gefangen.
Und wer nicht dazu kommt [wer säumig im Hause oder
Bette weilt?]
Den schlagen wir mit Stangen. '
Wir werden dasselbe Weseli, wie den Maibaum und Lito, den
baamgestaltigen Geist des Wachstnms erkennen, auch wo wir
diesen Znsammenhang nicht mehr so unmittelbar vor Augen sehen,
wie in den namhaft gemachten Beispielen. Wir folgen bei Dar-
stellung der einschlägigen Sitten zunächst dem Laufe des Jahres.
An Maria Lichtmesse (2. Februar) peitschen die ICnechte und
Mägde um Halle a. d. S. einander mit Ruten aus dem Bette;
diese Ceremonie heißt das Lerckenwecken , mit andern Worten
also den Frtthling herbeiftthren. ' In Westfalen schrieb man f tl r
das Gedeihen des Flachses vor,^ daß die Weiber am
Ldchtmesstage im Freien (auf dem Acker) tanzten. Bei diesem
Tanze trugen sie Holundergerten in Händen, mit denen sie
auf die Männer losschlugen, die sich der Tanzstelle näherten. '
In Niedersachsen (Mecklenburg, Holstein, Hannover, Schaumburg -
Lippe) ist Fastnacht der begünstigte Tag ftlr die Ausübung dieser
Brtluche. An diesem Tage backt man dreieckige oder runde
Fladen, heiße Wecken (hStweggen^ hetwigen) genannt, mit denen
sieh die Geschlageneu loskaufen oder bedanken müssen. Davon
erhält der ganze Gebrauch vielfach den Namen H&tweggen ütstü-
pen, hStweggenstäupung (Mecklenburg, Holstein). Man treibt die
1) Beimann, D. Volksfeste S. 30. Myth.» 725. Vgl. weiter unten, dafi
anch Tiere tob den Todaastrügem nü Stecken gesohla^en werden.
2) £. Sommer S 147.
3) Montanus, die deataohea Volksfeste S, 2L
254 Kapitel m. Banmseele als Vegetationsdamon :
Langschläfer mit Birkenruten aus den Betten; die Barsche ton«
dies den Mädchen an; oder man schlägt die Entgegenkommenden
des andern Geschlechts. In einigen Städten stäupt man nur die
Finger. Sodann beschenkt man sich gegenseitig mit ^en Fastel-
abendsruten. Statt der grünen , vom lebenden Banme genom-
menen Gerten benutzte man dazu mehrfach auch zarte aus
Silberdraht gewundene Ruten, an welche Wickel-
kinder, schnäbelnde Täubchen und dergleichen Spiel-
werk angebunden waren. ^ Im Hannoverschen, Hildesheimi-
schen, Schaumburgischen ist der Brauch unter dem Namen fuen
(ehedem fudeln, oder futtehi) bekannt. In Hannover beginnt schon
einige Zeit vor Fastnacht das Hedwigenbacken aus Weizenmehl
und Konnten und 'die' Lehijungen der Bäcker und Böttcher
besorgen sich Zweige der immergrünen stachlichen Stechpalme
(Stecheiche, Hülsenstrauch, ilex aquifoUum). Daraus verfertigen
sie Fu^bttsdie, indem sie sie mit Knittergold und bunten Bändern
schmücken und bebinden. Hiemi^ versehen erbetteln sie aa den
Häusern der Kunden Trinkgeld,* von den Mägden bunte Bänder;
im Weigerungsfalle werden letztere atrf Hände und Arme mit
den stachlichen Hülsen tüchtig geschlagen. Das nennt man „fn^n.^'
Am Fastnachttage wird der Brauch allgemeiner und spielt auch
namentlich auf den Dörfern eine größere Bolle, wo sich das
Jungvolk wochenlang vorher auf den muntern Scherz freut ' Im
Hildesheixoischen wird statt der Stechpalme mit einem bänder-
geschmückten kleinen Tannenbäumchen oder mit einem
Rosmarinstengel ,ygefuhef Die Kinder und Bursche schla-
gen die Frauen und Mädchen damit an die Knöchel und rufen
dabei ^vmtte gSm gäwen? (willst du gern geben?) Am Tage
4arauf fuhen die Frauen und Mädchen. Die Geschlagenen mtlssen
sich mit kleinen Geschenken lösen. ^ In der Grafschaft Schaum-
1) J. P. Schmidt, Fastelabendgebräuche 2. Anfi. Rostock 1752 p. Sd.
Jahrfoftcher für Landeskunde von Schleswig- Holstein -Laaenburg Bd. VI.
Kiel 1868 S. S96, 18. Köhis faraejal, ,wie er war, ist nnd sein wird. S.IS.
14. In Holstein singt man beim Utstdpen: „Stup üt, sttLp üt min Hede-
weck — tot Osten tot westen, — de fettsten sünd de besten: — Sund se
denn to kl6n, — so gifffc et tw6 for 6n; — sünd se denn to gröt, — so het
et 6k k^n nM;/'
2) B. Seemann, HannoTorscfae Sitten nnd Gebr&nehe in ihrer Beriekong
zur Pflanzenwelt Leipzig 1862. S. 24.
3) K. Seifart, Hildesbekn. Sagm H. 1860. S. 188.
Der Schlag mit der Jiebensrute. 265
bnig binden die Kneehte dagegen wieder aus Stechpalmen Httlsen
oder Fnesträache zosammen; mit denen sie am Fastnachtabend
sogar in die Häuser dringen nnd den Mädchen und Franen
die Waden so derbe peitschen ^ daß oft Blut fließt. Dabei
singen sie:
Fq«, fvä Fafilahmt (Fastelabend)!
Wenn du geren geben wntt,
Schast da sau langen Flass hebben!
Sie machen hiezu eine Geberde, um anzuzeigen, wie hoch der
Flachs werden soll. Sind die Weiber tüchtig gefugt, so muß
Branntwein und Wurst angetragen werden. Am zweiten Fast-
nachtstag haben auch die Mädchen das Becht des Fuens, wobei
die Männer nicht ohne blutige Hände davon kommen; in gan?
fremde Häuser wird eingedrungen, weder der Püarrer noch die
Gutsherrschaft bleibt verschont. ^ Ehedem machte nicht einmal
die Landesherrschaft eine Ausnahme, alte Bechnungen des Fürstl.
Gesammtarchivs zu BUckeburg weisen noch die Trinkgelder nach,
mit welchen der Fürst sich loskaufte. Landau im Archiv f. Hess.
Gesch. U, 278 liefert folgende Belege: 1584 am 3. März zu Haus-
beigen: daselbat aas S. G. beueUch den Megten im Neuen Haus,
als sie S. G. Im Fastelabent steupen wollen, Vt Taler;
1685 am 23. Februar (FaBtnachtabend war der 21. Febr.) M. g.
Hern zum Haus Berge bei (durch) s. G. Jungen gesandt^ so die
Megte zum Fudelgelde bekommen 12 Groschen. 1586 am
14. Febr. : daselbst den Megten zu Arnssburg, so m. g. Here Ihnen
zu Futelgeld geben, 1 silbern Dicker. Wie roh es übrigens
in der guten alten Zeit bei solcher Gelegenheit herging, kann
der nachstehende Bericht zeigen : nee minus poena aliqua arbitra-
ria severiori animadverti posse videtur in eos, qui uti in locis
aüquibns praesertim inferioris Germaniae vulgo ac plebejis mos
est, tempore quadragesimali im Fachtnacht mulieres sibi obviam
factas inhonesto ioco interdum denudatis posterioribus
virgis vel etiam herba aliqua pungente feriunt, cum non
solum foeminis, quae saepius hunc iocum male ferunt, haud
levem iniuriam infligant, sed scandalum etiam praebeant, vel
ipsa turpi hac detectione, vel quod sanctisshnas Christi piagas
CO tempore ob peccata nostra tolerataa deludere ac in iocum con-
1) Lynker, Hessische Sagen 8.237.
Sft6 Kapitel III. Banmseele als Vegetationsdämon:
yertere ab alüs videri possint ^ Eine ältere noch rohere Form
des Gebrauchs VSM die längst vergessene Grondbedentang der
Worte fuSn d. i. faden , Fiidelgeld, Fnttelgeld erraten , welche,
da nhd. fiiden faden, ahd. fao^an alere, in semer niederd. Form
föden^ fben absteht, schwerlich anders, denn als Denominativa
zu vnt, ynd in dem Sinne von moliebria virga contingere erklärt
werden können. Die Stänpnng der Frauen wäre danach ursprüng-
lich der wichtigste Teil der Ceremonie gewesen. In der Alt-
mark ziehen Fastnachtabend die Knechte mit Musik von Hof
zu Hof, und stäupen mit Birkenreisern fein nach der Ord-
nung zuerst die Hausfrau, dann die Töchter, zuletzt die Mägde;
die Hausfrau giebt Schnaps, Eier- und Mettwurst, die Mädchen
einen bebänderten Strauß yon Buchsbaum oder anderm Grün auf
den Hut der Knechte. * Zwischen Halberatadt und Braunschweig
peitscht man sich am Aschermittwoch gegenseitig mit Tannen-
reisem und nennt das nach dem Tage „äschern, Asch abkehren/^'
Der Carmelitergeneral Jo. Bapt. Mantuanus (Spagnoli f 1518)
schildert uns in seinem dem Ovid nachgeahmten Festkalender
(Fasti) den itaUänischen Festgebrauch^ seiner Zeit. Sein Bericht
fiberbietet nocl^ die Notiz Tilemanns. Nachdem er an das römi-
sche Luperealienfest erinnert, bei welchem umlaufende Jünglinge
die Hände der Frauen mit Riemen aus Boekshäuten schlagen,
fthrt er fort:
Ista BuperstitiOy levis haec insania nostros
Transllf in mores
Per fora , per vicos it personata libido
Et censore carens snbit omnia tecta volnptas,
Nee numum palmas, sed membra recondita pulsat.
Perque douios remanent foedi vestigia capri.
Bei den Letten in Kurland gehen zu Fastnacht die buddeli, in
umgekehrte Pelze gehüllte Personen herum, welche komische
Tänze aufiftthren und Groß und Klein mit langen Ruten schla-
gen, bis sie tractiert werden.
Der Paimsonntagj oder, wie er in der Ukraine heißt , der
Weidensonntag, gilt dem Russen als das Vörfest yon Ostern.
1) Tilemanni commentatio histor. moralis von dem Becht der nackigen
Haupter, Brüste, Bäuche, Scbaam und Füße. Cap. DI. §. 2.
2) Kuhn, Mark. Sag. 307.
3) Sommer S. 147.
Der Schlag mit der Lebensrate. 257
An diesem Tage drängen sich Tausende am die Kirche, um dort-
hin in Prozession Weidenzweige mit Palmkätzohen znr Weihnng
«1 tragen. Kaum hat das Volk nach Beendigung der heiligen
Handlang die Eirchtür hinter sieh, so werden yomehmlich von
den jungen Barschen die Weidenraten geschwnngen and anter
dem Bafe: „die Weide schlägt, nicht ich, in einer Woche ist
Ostern!'^ ansanfk- aaf den Bttcken der Zonächststehenden, mit
Vorliebe aber der Fraaen and Mädchen fallen gelassen. Am
nächsten Moigen jagt das jnnge Volk bei der Bttckkehr aas der
Frühmesse alle die Langschläfer, welche die Kirche versäumt
haben, mit seinen Buten aus den Betten, iodem man spricht:
Nicht ich schlage, *die Weide schlägt;
In einer Woche der große Tag;
Werde groß, wie die Weide,
Uftd gesund, wie das Wasser,
Und reich, wie die Erde.
Auch in Großrudland ist es bei den niederen Ständen Üblich
mit dem Ausruf: „nicht ich schlage, die Weide schlägt,^' dieje-
nigen, welche die Frtüimesse verschliefen, zu schlagen; während
m Botroßland die aus der Kirche kommenden Andächtigen ihre
zu Hause gebliebenen Kinder und Dienstboten mit den Palmen-
zweigen schlagen, indem sie sagen:
Nicht ich schlage,
Die Weide schlägt;
In einer Woche ist Ostertag.
Krankheit in den Wald!
Gesundheit in die Geheine!
Diesem Wunsche entsprechend essen arme Leute häufig am
Palmsonntag die Kätzchen def Weide zu Brei gekocht. Die
Zweige selbst bewahrt man das Jahr hindurch mit vieler Ehr-
furcht auf ^ In Würtemberg schlagen die Knaben am Palmsonn-
tag nach der Kirche mit den geweihten Palmen auf einander ein,
welche aus Bnchsbaum, Seven, Wachholder, Tannenzweigen,
Holunderkreuzen, Aepfeln, vergoldeten Eiern und Nüssen zusam-
mengesetzt sind (vgl. 0. S. 246) , ans Scheunentor oder an die
1) Magazin f. Literatur des Auslandes 1855. Mai 15. N. 58. Beins-
berg-Dilringsfeld, Illnstr. Zeitung 1874. N. 1605. Derselbe^ Nationalzeitung
1874. N. 187.
Mannhardt 17
358 Kapitel III. Banmseele als Vegetationsdamon:
Stall- resp. Hanstttr genagelt werden und dort verbleiben,
bis sie von selbst herunterfallen , oder nach Jahresfrist ver-
brannt werden. In Ellwangen prügeln die städtischen Jnngen
damit die Buben der Filialdörfer und diese geben die Hiebe derb
genug zurück. Ebenso in Saulgau, wo zuerst nach den Aepfeln
an den Palmen der Gegner gestupft und geschlagen wird, wo
aufierdem nach der Palmsonntagsprozession sogar der Pfarrer vor
dem Kornhaus auf dem Markte sich nieder legte und von
einem andern Geistlichen mit einer Sevenbaumrute gestri-
chen wurde. In Oberbettringen klopfen die Buben zuerst
beharrlich mit ihren Palmbesenstielen auf den Boden / dann den
andern mit den Besen an die. Köpfe. ^ ,,Auff diß kumpt der
Palmtag, da tragen die Christen den tempel voll großer bttschel
Palmbeum und angebunden äst, die weihet man fiir alles
vngewitter an das feür gelegt. Vod fitrett ein httltzin Esel auff
einem wägelin mit einem darauff gemachten bild yhres Gots in
der statt herumb, singen, werffen palmen für yhn und treiben vil
abgötterei mit disem yhrem httltzinen Gott Der Pfarrer legt
sich vor diesem bild nider, den schlecht ein ander
Pfaff. Die schttler singen und deuten mit fingern darauff.
Zwen Bachanten legen sich auch mit seltzamer Ceremoni vnd
gesang vpr dem bild nider, da wirffl; jedermann mit palmen zu,
der den ersten erwisch treibt vil Zauberei damif '
Es sind meist slavische oder ehedem slavische und erst
durch Germanisierung deutsch gewordene Landschaften, in denen
sich unser Brauch am Osterfeste abspielt, Westpreußen, Ost-
preußen (Masuren, Samland, Litauen), Neumark, Uckermark,
Voigtland, Schlesien, Oesterr. Schlesien, Mähren, Böhmen, Ober-
hessen.' Im Voigtlande heißt er „aufhauen" oder „aulpeitschen,"
1) Birlinger, Volkstüml a. Schwaben II, 72 — 75. N. 86—92.
2) Sebast Praock, Weltbuch. 1534 f. CXXXP.
3) Wuttke, Abergl. §.83. Peter, Volkstural. a. Oesterr. Schlesien U,
285. Vemaleken, Mythen u. Gebr. in Oestr. 300 if. Krolmus a. a. 0. II, 33.
Beinsberg -Dflringsfeld, Böhm. -Festkai. 163. Hinz, die gute alte Sitte in
Altprenßen. Kgbg. 1862. S. 51. N. Pr. Provinzialbl. B. VI. Kgbg. 1848.
227, 94. Toppen, Abergl. a. Masuren, Aufl. 2. S. 69. A. Englienu. W. Lahn,
der Volksmund in Brandenburg. Berlin 1868. S. 232, 13. 231, 9. Kuhn,
Nordd. Sag. 373, 17. Köhler, Yolksbrauch im VoigtUnde. Lpz. 1867. 8.173.
Estor, Oberhess. Idiotikon s. y. smakustem.
Der Sohlag mit der Lcbensrute. 259
in der Neumark und Uckermark „stäupen/' „stiepen/' sonst
überall „schmacköstem/^ ,,8chnieck5stem/' „schmagÖBtem'^ (Schie-
nen) ; ,, schmaknstem '^ (Oberhessen). Die Gzechen nennen das
Schlagen mit der Ostergerte vymrskati auspeitschen, bei Policka
im Kreise Ghrudim gmerkust. Schmackoster, Schmagoster, Oster-
sehmflck (Kreis Saatz) heißt dann in Ostpreußen , Schlesien und
Nordböhmen auch die Gerte, oder das Geflecht, mit welchem die
Schläge erteilt werden. Die Gzechen sagen dafür pomlazka.
Dem deutschen Ausdruck ,, stäupen/' ,,8tiepen'' entspricht der
slaviscfae smagac, peitschen (verwandt mit smacke, smicke,
Peitsche), den die Kassuben bei Dauzig ftlr den Gebrauch rer-
wenden. Der polnische Name für Schmackostem lautet smignst
Yon der Nebenform smigad peitschen , stäupen, prügeln. Hieraus
ist das deutsche Schmeckostem (das mit dem Imperativ schmecke
zusammengesetzte Hauptwort Ostern) volksetymologische Umdeu-
tung.^ Sonst ist im Kassubischen für die Handlung gewöhnlich
das Verbum dyggowac gebräuchlich, das eigentlich auf die
gegenseitige Wasserbespritzung geht, welche in diesen
Landschaften vielfach das Schmackostem zu begleiten pflegt,
wogegen den Wasserpolacken in Oberschlesien und noch sonst
bei Polen umgekehrt smigurst, smigust die gewaltsame Taufe
der Mägde am zweiten Ostertage bedeutet.' In Masuren gilt es
1) Vgl. Hennig, Preuß. Wb. Kgbg. 1785. S. 175. Grimm, Myth.«
557. Zeitschr. f. vgl. Sprachf. 1.255. 11,52. Mrongovins, poln. Wb.486.
2) Vgl. Myth.* 557. Amn. *: „In Polen, Schlesien werden am zweiten
Ostertage die Mädchen, welche die Frühmesse verschlafen haben,
von den Burschen gewaltsam mit Wasser he gössen und mit Birken-
rnten geschlagen; oft reißt man sie hei Nacht ans den Betten, schleppt
sie in einen Fluß oder Röhrtrog, in eine wassergefüllte Krippe und läßt
sie das Bad aushalten. Die Schlesier nennen das Schmackostem.*' — Im
Komitat Kolos Bezirk Teckcndorf (Siebenbirgen) begießt man zu Ostern die
Frauen und Mfidehen, damit der Hanf im Laufe des Sommers gut wachse.
In Ungarn (namentlich im Presburger , Neutraer und Bacser Comitat) werden
die Madchen am Ostermontage von den Burschen mit ganzen Eimern Wasser
blossen, wo sie sich nur hlicken lassen. Beim Adel ist diese Sitte zum
Besprengen aus Fläschchen voll Rosenwasser verfeinert. I^afÜr rächen sich
die Mädchen am Osterdienstag mit Fitzelruten an allem Mannsvolk, oft selbst
an den geistliehen Herrn. Diese Ruten „schibäks" von slovak. schibät fitzeln
sind sechs- bis achtfach geflochtene Weidenruten mit bunten Bändern und
farbigen Zeugstreifen umwunden. S. O. Schade, Klopfan. S. 59ft. Uebrigens
ist diese Sitte seihst von Geistlichen geübt worden. Das Concil zu Nantes
17*
260 Kapitel LEI. Banmseele als Vegetationsdämon :
als eine besondere Aufmerksamkeit , wenn ein junger Mann ein
junges Mädchen, oder umgekehrt eine Jungfrau den Jüngling
am Ostermontag (resp. Ostersonntag) schmackostert oder begießt
Sehr häufig sind heutzutage nur die Kinder die Träger der alten
Sitte y vielfach aber noch die erwachsene Jugend des LandTolks,
Bursche und Jungfrauen , wie junge Eheleute. So schlagen z. B.
im Kreise Chrudim vom frühen Morgen an die Männer ihre
Frauen y die Bursche die Mädchen , die Knechte die Mägde und
die kleinen Knaben die kleinen Mädchen. Meistentdls gehen die
Knaben oder jungen Bursche am Ostermontag truppweise im
Dorfe von Haus zu Haus, oder einzeln in die Häuser ihrer
Bekannten und schlagen jedes begegnende Mädchen oder Weib,
treffen sie sie ^ noch im Bette , so peitschen sie sie buchstäblich
hinaus mit dem Rufe: „Schmeck Ostern (Darkehmen), oder:
Steh auf, Ostern ist da!^^ (Schlesien). Im böhmischen Oberlande
(Komotau, Saaz) begiebt sich der Knabe im Festgewand — ein
Tüchlein an den Zipfeln haltend — zu Paten, Vettern und
etwa auch andern reichen Leuten, tritt vor die Zimmertflr und
ruft: „rote Eier heraus, oder ich peitsche die Mädeln aus!'^
Am Osterdienstage rächen sich dann oft, aber' nicht immer in
gleicher Weise die Mädchen, nur daß sie meistenteils nicht auf
der Straße von Hof zu Hof umherziehen, sondern sich damit
begnügen die im eigenen Hause befindlichen Mannsleute aus den
Betten zu treiben. Kinder schmackostem auch wohl ohne Unter-
schied des Geschlechts Eltern und Verwandte und Bekannte und
jeden Begegnenden. Seltener findet das Schlagen schon am
Ostersonntag statt und zwar entweder vor der Frühmesse, oder
nach dem Nachmittagsgottesdieuste ; die Heiligkeit des ersten
Festtages tat, so scheint es, gegen den weltlichen Brauch Ein-
1431 verbot als ünfng: In crastino Paschae clerici ecdesiarum et alii
ad domos adjacentes accedunt, cameras intrant, jacentes in lectis
' capiunt et nodos dncnnt per vicos et plateas et ad ipsas ecdesias
non sine magno clamore et super altare et alibi aqnam super ipsos
projiciunt: ex quibus sequitur diyini officii turbatio, oorporam laesio et
inembrorum quandoqae mutilatio. Insuper quideui alii tarn olerioi qnam laici
prima die Maji de mane ad domos aliomm accedunt et capiunt et oagunt
per captionem vestium et aliorum bonorum et se redimere oportet. Aehn-
liebes wurde im Concil. Andegav. ann. 1448 verboten. Mercur. Fran9.
1735. p. 897. Du Gange s. v. prisio.
Der Schlag mit der Lebensrute. 261
gpraeh. Im Voigtlande, wo die Knaben in der Frtthe des ersten
Ostertages aufhauen, üben die Mädchen erst am ersten Pfingst-
tage das Veigeltungsrecht. Vielfach beschränkt sich die
Sitte darauf; die Frauen zu schmackostern. Zuweilen
Bchmackostem schon am Ostermontag die beiden Geschlechter
sich gegenseitig. Ein altes Zeugniß f&r das Schmackostern
gewährt schon um 1160 Job. Beleth in seinem Rationale divino-
mm offieiorüm: Notandum quoque est in plerisque regionibus
secundo die post pascha mulieres maritos snos verberare ac
vicissim viros eas tertia die: quod ob eam rem faciunt, ut osten-
dant sc mutuo debere eorrigere, ne tempore illo alter ab alter-
ntro thori debitum exigat. Durch solche Deutung suchte die Geist-
lichkeit die Volkssitte christlich zu rechtfertigen. Das Werkzeug,
mit welchem die Schläge erteilt werden, ist oft noch ein mit
jungen BläMem grün ausgescMagenes Birkenreis (Litauen, Sam-
land, Neumark, Obererzgebirge). Haben die Birken im Freien
noch keine Knospen, so werden die Ruten einige Tage, ja selbst
wochenlang vorher in warmes Wasser gestellt und, hilft auch
das nicht, die Abende vorher in die aus dem geheizten Ofen
in den Schornstein mtlndeude Röhre gehalten. Gemeinhin nimmt
man statt der Birkenreiser Weidenzweige mit Palmkätzchen, die
erforderlichenfalls ebenfalls durch Wasser und Ofenwärme her-
vorgetrieben werden. Mit Vorliebe werden mehrere solcher Bir-
ken- oder Weidenzweige zu einer, Rute verbunden, die in Böh-
men, Mähren, Schlesien durch weitem Schmuck eigentümliche
Formen annimmt^ und den Namen pomlazka, pomlaska oder
pomrhoda ft[hrt. Die pomlazka ist zwar zuweilen eine einzelne
mit ^Bändern und Flittern geschmückte Gerte, gewöhnlich jedoch
eine Peitsche, welche von 3, 6 oder 9 (zuweilen auch 4 oder 8),
mitunter bis gegen die Spitze hin geschälten Weidenruten zusam-
men gedreht und mit bunten Bändern, so viel umwunden oder
mit bunten Papierschnitzeln so dicht durchflochten wurde, daß
sie wie ein farbiger und knospenreicher Blumenstengel aussieht,
in Nordböhmen bilden auch noch wirkliche Frühlingsblumen den
Aasputz. In der Gegend von Komotau und Saaz sind die Palm-
zweige mit Streifen von buntem Seidenzeuge oder Kattun an der
Spitze und am Handende zusammengebunden und von oben bis
unten mit ähnlichen Streifen verziert. Statt der Weidenruten
(Mähren) oder mit denselben zusammen (Oesterr. Schlesien) ver-
262 Kapitel m. Banmseele als Vegetationsdftroon:
wendet man auch wol Süßholz oder Süßholm/ourzdn ^ in der
Weingegend B(>hmen8 abgebrochene Weinrehen (dann heiftt
die Schmackoster yinoyacka)^ oder man bedient sieh sogar einer
kttnstlieh aus bunten Lederriemen hergestellten Osterpeitsche (Mäh-
ren, Oesterr. Schlesien). Das Hauen mit der Schmackoster oder
pomlazka wählt sich vorzugsweise die FUfie (OstpreuBen) und
Händey resp. Fingerspitzen (Elbing) der Begegnenden zum Ziel.
Geben die Knaben um Deutschbrod den Frauen nur leichte
Schläge ; so peitschen sie um Mährisch Trttbau die Mädchen ganz
ernstlich an den Füßen. Bei den Kassuben ging es noch vor
30 Jahren in der rohen Weise her , welche Tilemann (o. S. 255)
beschreibt. Wie aber die in Oesterr. Schlesien beim Schmack-
ostem gesungenen Lieder lehren, erforderte ehedem der vollstän-
dige Brauch y daß von oben herab [aUe Glieder^ Kopf, Rttcken,
Arme, Hand, Beine, Fttße schmackostert wurden. Hier eins aus
Zuckmantel, aus dem dialektischen Original in die Schriftsprache
übertragen:
Heut ist Ostern;
Da geht man sohmackostern,
Um den Bfioken, um den Band,
Da kommen die Fliegen rausgerannt.
Wenn sie werden nicht weichen,
Werden wir sie runterstreichen.
Meine Schmackoster ist süßei
Da han ich dich nm die FttSe.
Laßt euch nicht lange pnffen
Um ein Stücklein Kuchen.
Ein anderer Gesang aus Hotzenplotz:
Jetzt kommen wir zum liehen Ostem,
Laß das Töchterlein ein wenig schmackostenL
Dann, dann am den Kopf,
Daß du denkst, es ist ein Klösetopf;
Dann, dann um den Bücken,
Daß dich nicht die Bürden drücken;
Dann, dann um die Arme,
Daß dn dich lernst der Lent erbarmen;
Dann, dann um die Hand,
Daß die Leute werden erkannt;
Dann, dann um die Beine,
Pafi du immer bleibst daheime;
Dann, dann um die Füße,
Daß du lernst die Alten grüßen;
Der Schlag mit der Lebensrate. 263
Dann, dann daheram.
Die Fliegen lanfen dort hinum;
Dann, dann dorthinum,
Die Fliegen laufen dahemm.i
Das in diesen Liedern erwähnte Austreiben der Fliegen
bezieht sich auf den Volksglauben, daß die mit der Osterrute
Gepeitschten den Sommer hindurch nicht vom Ungeziefer (zumal
Fliegen 9 Flöhen und Mücken) zu leiden haben sollen.' Sonst
beißt es auch, wer scÜage bringe Glück. Der Schmackosterte
wird nach dem Hotzenplotzer Gesang das Jahr hindurch keine
Rückenschmerzen empfinden; im Erzgebirge sollen demjenigeui
der am 2. Ostertage sich peitschen läßt, oder selbst peitscht, im
nächsten Jahr die Beine nicht weh tun;^ in Böhmen empfiehlt
man das Prügeln mit frischen Weidenruten als Mittel gegen die
fallende Sucht (Epilepsie).^ Meistenteils jedoch sind diese von
der Ceremonie des Schmackostems erwarteten Wirkungen ver-
gessen und der Brauch wird nur noch des Spaßes halber und
um des Geschenkes willen geübt , mit dem die Geschlagenen sich
bedanken, resp. von weitern Schlägen loskaufen müssen. Dieses
Geschenk besteht der Hauptsache nach aus rohen oder gekochten
weißen, oder buntgefärbten (bemalten, mit Inschriften versehenen)
Eiern y dazu konunt auch wol ein Kuchen (Fladen), gelbes (mit
Safran gefärbtes) Osterbrod; ältere Verwandte und Junggesellen
geben auch wol etwas Geld. Die Frauen und Mädchen werden
80 lange auf Hände und Füße geschlagen, bis sie mit ihren
Eiern herausrücken. Bald ist das nur ein buntbemaltes Ei, so
im Bunzlauer Kreise, das giebt £e Jungfrau dem Burschen, der
sie geschlagen hat mit den Worten:
Wem das Ei icb schenken werde,
Den lieb ich aus vollem Herzen;
Wem das Eichen schenke ich,
Den hab von Herzen lieb ich.
Anderswo (Melnik) lösen sich die Wirtin und die kleinen
Mädchen mit je drei, die erwachsenen Mädchen und Mägde mit
1) Peter, Volkstümliches ans Oesterr. Schlesien. Troppan 1855 I» 87—88.
2) Beinsberg -Diiringsfeld 8. 167.
3) M. Spidfi, Abergl. ans dem Obererzgebirge 8. 11.
4) W. Grohmann, Abergl. a. Böhmen 176» 1253.
264 Kapitel UI. Baumseele als YegetationsdämoD:
je sieben bis vierzehn Eiem. Von dieser Gegengabe der Geprügel-
ten heißt der ganze Umzug ün Kreise Saaz, nm Komotan und
Erzgebirge das „Eierlaufen," das „Eierpeitschen." Die jungen
Leute verschenken als Gegengabe ihre „Schmtlckosterruten"
(Grüneberg Schlesien), oder sie finden sich, wenn sie am Oster-
dienstag von den Weibern gestäupt werden, mit Marzipan und
Pfefferkuchen ab; endlich führen sie das Mädchen, welches am
meisten Eier giebt, den nächsten Sonntag am fleißigsten zum
Tanz bei dem Festmahl, das von den gesammelten Eiem ange-
stellt wird. In der Uckermark müssen die am ersten Ostertage
gestiepten Mägde am 2. Festtag den Knechten Fische und Kar-
toffeln im Wirtshause auftischen, die Knechte aber die Musik
zum Tanz besorgen.
Daß auf den Maitag im wesentlichen dieselbe Sitte geübt
wurde, ist schon o. S. 252 nachgewiesen. In Sttdirland ist es
allgemeiner Brauch der Schulbuben an diesem Tage mit einem
Bunde Nesseln (bunch of nettles) wie wild umherzulaufen und
Gesicht und Hände ihrer Mitschüler und so vieler anderer
Personen damit zu schlagen, als sie ungestraft wagen zu kön-
nen glauben.^ Zu Eichicht und Bergen im Voigtlande werden
die Mädchen zu Pfingsten von den Burschen mit Blumen-
sträußen gepeitscht.* Zu Holzheim in Schwaben und Neuburg
gehen an den drei Sonntagen vor Pfingsten neun Knaben mit
Haselruten von Haus zu Haus und sagen ein Sprüchlein.' Aus
Frankreich ist der Brauch zu Pfingsten schon ani Ende des
14. Jahrh. nachweisbar.*
Dem niedersächsischen Fastnachtsbrauche und der slavischen
Ostersitte gegenüber steht in Mittel - und Südwestdeutschland die
1) HoDe, every daj-book I. London 1866. p. 297.
2) Köhler, Yolksbranch im Voigtlande S. 176.
3) Panzer, Beitr. II, 85, 129.
4) Liter, remiss. ann. 1400 bei Dn Cange t. Pentecoste: Comme le
lendemain de la Pentecoasto, au qnel jonr Ten a aconstam^ dualer
gaiger par maniere d^esbatement ceulx, qui ne sont pas levez ponr aler boire
BOT le diz gaiges, Estenart acompaigni^ de la femme Jehan Paon ala en
Fostel de Jehan Daquief de la ville et prist des gaiges en sa maison par
bonne amonr et esbatement ponr ce que le dit Dnqnief de la Tille n'estoit
pas yestn et ce fait alerent en Tostel de Jehan Lenrenz portenr des pardons
et y entrerent par Tnys de derriere et ponrce qu'il n'estoit pas ler^
J
Der Schlag mit der Lebensrate. 265
ioeihfMchÜiche Gewohnheü des ;,FrischgrtinstreicheDs/^ Fitzelns
oder Pfeffems. In mehreren Thüringischen Waldorten z. B. Hohen-
felden bei Weimar schwärmen die Kinder am Tage der anschul-
digen EJndlein (28. Dez.) auf den Gassen nnd schlagen die
VorObei^henden mit Birkenreisern am die Beine, wofbr sie
Aepfel, Ntlsse; Pfefferscheiben und Schnittchen bekommen. In
Weida im Weimarischen gehen sie mit Tannenzweigen , oft sehr
großen 9 umher und schlagen auf der Strafte alle Begegnenden
nnd in den Häusern die Dienstmägde. ^ Im Voigtlande und am
ganzen sächsischen Erzgebirge peitschen die Bursche die Frauen
und Jungfrauen am zweiten Weihnachtstag, wo möglich wenn sie
noch im Bette liegen, mit ausgeschlagen en Birkenruten, die
mit rotem Bande zusammengebunden sind , oder mit irgend etwas
Grttnem (Kosmarinstengeln oder Wachholderruten). Dazu
singen die Schlagenden:
Frische Grün, hübsch und fein,
Pfefferknchen und Branntwein!
Im Orlagau, wo die confirmierten und nicht confirmierten
Mädchen am zweiten, die Knaben und jungen Bursche am drit-
ten Weihnachtsfeiertage ihre Eltern und Paten mit grttnen Tan-
nenreisem, Dienstboten ihre Herrschaften mit Rosmarinstengeln
prügelten, lautete der Spruch:
Frisdies Grün! Langes Lehen!
Ihr sollt mir*n blanken Taler (Nüsse n. s. w.) geben.*
Dann erhalten sie eine Bewirtung mit Stollen, oder Pfeffer-
kuchen und Branntwein. Am dritten Feiertage zahlen die Frauen
den Männern die Schläge zurück.^ In der Gegend von Hof
peitschen oder „fitzeln^^ (d. h. mit Ruten streichen: Grimm, W. B.
III, 1696, 3) die Bursche am 3. Feiertage Nachts 12 Uhr, die
Mädchen zu Neujahr. In gleicher Weise peitschen (Böhmen) die
prindrent semblableroent des gaiges en sa maison par'bonne amonr et esba-
tement; et qnant vins a heare de disner le dlt Estenart apella ou envoya
querir le dit Dvqnief de la Tille ' ponr venir disner en Tostel du dlt des
Man» snr les diz gaiges.
1) 0. Schade, Klopfan S. 57.
2) O. Schade a. a. 0.
3) Spiefi, Abergl. d. sachs. Erzgeb. 8. 9. 11. Köhler, Yolksbranch im
Yoigtlande S. 174.
» •
366 Kapitel III. Banraseele als Vegetationsdämon:
Burschen mit Bflscheln von Weidenzweigen, die bereits am
4. Dezember (Barbara) gebrochen und seitdem klinstlich getrieben
sind (Barbarakätzchen) am Tage der onschnldigen Kinder
(28. Dezbr.) ans; an dem nämlichen Tage flbt den Brauch in
Untersteiermark die erwachsene Jugend. Im Coburgischen pfef-
fern^ oder „dengeln" (d.i. hämmern Grimm, Wb. 11,926)
Knaben die Frauenzimmer am ersten Weihnachtstage, die Mäd-
chen die Mannspersonen am Neujahrstage mit einem grünen
Strauß eben, wie es grade zu haben ist (Bnchsbaum u. dgl.);
auch im Wasser durch Zimmerwärme getriebene blühende Flie-
der-, Kirschbaum- oder Lindenäste dienen ebensowohl zu
Weihnachtsbäumen, als zum Pfeffern. Mi Vorliebe wählt
man dazu 2 Rosmarinstengel. Neuerdings sind auch bel^nderte
Ruten in Uebung gekommen. Die Knaben, welche Pfefferkuchen,
Aepfel und Nüsse, heutzutage auch wol als Lohn erbitten, haben
dabei bestimmte Sprüche, wie sie in Oesterr. Schlesien beim
Schmackostem , im Voigtlande beim Frischegrünstreichen üblich
sind. Z. B.
1. Stöhne (kräana), stöhne, stöhne!
Dn wirst mich hent noch lohnen (lUna)
Mit Pfefiferkuchen und Brantewein n. s. w.
2. Ich pfeif er' euch von oben herein (nnten heran),
Drei Batzen nehm' ich ein (nehm* ich an);
Weniger nehm' ich nicht,
Mag's recht sein oder nicht.
3. Ich pfeifer' Sie von nnten 'ran.
In der Mitt' ein GÖckelhahn,
Obendrauf die Krone,
Sie werden mir gern noch l'ohnen
Mit Pfefferkuchen dameben;
Das Pfeffern ist mein Leben.
1) Dieser Name rührt her von den Pfefferkuchen, Pfefferzelten, d. L
Gewftrzkuchen , Lebkuchen, welche als „Lohn'* von den (beschlagenen den
Schlägern gegeben wurden. Schon eine Mfinchener Yirgilhandsehrift aus
saec. X— XI gewährt „liba pfehorceltun." Schmeller, Bair. W. B. 1,306 ff
Vgl. das Papistenbuch saec. XVI: Den nechsten Tag darnach an der unschul-
digen kindlen tag gehen die jungen Gesellen herumb mit einer Buten , schla-
gen die Junckfrawen um den Lebkuchen und difi nennen etlich den Pfeffer-
tag. Pfeiffers Germania XVII^dO Tgl. 90.
Der Schlag mit der Lebensrate. 267
Ein Mädchenspraoh :
4. Ich pfeffer' einen schönen Herrn,
Ich weiß er hat das Pfeffern (die Jungfern) gern,
Ich pfeffer' ihn aus Herzensgrand.
Gott erhalt* den schönen Herrn gesund.^
Eine ehemals im Plassenbnrger Archiv befindliche Polizeiver-
Ordnung der Herrschaft Lauenstein vom Jahre 1599 verbietet
das Kindlen oder Dingein das zu Weyhnachten getrieben wird,
da die großen y starken knecht den Leuten in die Hensser laufen,
die Mägde und Weiber entblösen und mit Gerten oder
Ruten hauen.' In Schwaben gehen am unschuldigen Kindertag
die Buben in den Häusern herum und bestreichen mit Btltlein
jeden, den sie treffen, besonders aber die Weiber. Dabei rufen
sie in der EUwanger Gegend Zelten räß! (scharfe Fladen d. i
Pfefferkuchen).^ In Wurmlingen „pfeffern" die Kinder die Haus*
mutter mit den Worten:
Pfeffer, Nüssen, Kuchen raus!
Oder ich laß den Mader (Marder) ins Hühnerhaas!*
In Augsburg verbot der Rat 1538 das „Lebzeltenstreichen."*
Auch in Baiern, Franken, Oestreich kennt man am Tage der
unschuldigen Kinder, oder am St. Stephanstage (27. Dezbr.) das
Pfeffern mit Wachholderstauden. Die pfeffernden Jungen sagen
un Schwabachgrunde (Mittelfranken) das Sprüchlein:
Schraeckts Pfefferle gut?
Ists gesalzen, ists g'schmalzen , schmeckts noch mal so gut.^
In der Gegend von Tübingen und Eßlingen heißt dagegen der
Weihnachtsdienstag Pfeffertag. Dann sammeln die Knaben, mit
Ruten von „Weckholder" oder Tannen umziehend Nüsse, Aepfel,
Brod ein , nur guten Bekannten schlagen sie mit der Wachholder-
1) A. Schleicher, Volkstümliches a'. Sonnenberg. Weimar 1858. S.91— 92.
2) SpioB, Archivalische Nebenstanden ni, 89. Haltans-Soheffer, Jahr-
xeitbnch 167i Lichtenfels unweit Coburg. Vgl. Sehade a. a. 0.
3) S. A. Birlinger, Wörterbtichlein zum Volkstümlichen in Schwaben.
Preiburg i. Breisgau 1862. S. 75. ^chmeller, Wb. HI, 126.
4) A. Birlinger, Volkstümliches a. Schwaben 11,12,24.
5) Birlinger a. a. 0. H, 453.
6) Bavaria, Mittelfranken S. 957. Vgl. auch noch Weiteres bei Schmel-
1er W. B. I, 580 8 v. fitzen, 306 ff. s. v. pfeffern.
\
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268 Kapitel III. Baumseele als Yegetationsdftmon:
auf die Hand,^ wie denn überhaupt in Schwaben , der Ober-
pfalz, Franken teils die Finger teils die Füße gepfeffert wer-
den. ' In der nördlichen Schweiz war es zu Hospinians . 21eit
(t 1626) Sitte, daß die Eltern am Morgen des Kindertages mit
Buten aus den Betten trieben.^ Auch in Frankreich empfingen
die Kinder , welche sich in der Frühe jenes Tages noch im Bette
antrefien ließen , einige Schläge auf ihre Hinterseite , wenn sie es
verdienten auch wol noch etwas mehr; in der Normandie aber
taten die Frühaufsteher unter den jungen Leuten selbst diese
Ehre den Langschläfern an, man nannte das „bailler les Inno-
cents k quelqu'un/^^ oder innocenter. In Belgien wurden alle,
welche man am Allerkinderentag im Bette überraschen konnte,
vorzugsweise aber die im Laufe des Jahres verheirateten junger^
Eheleute mit Ruten gestrichen.^ In England war die Sitte nicht
unbekannt „to whip up the children upon Innocents Day.^'^
Endlich heißt auch bei den Südslaven in Krain tepeshkati die
Rute geben am Tage der unschuldigen Kinder.
Noch zweier eigentümlicher Formen des Brauches will ich
gedenken. Wenn im Schaumburgischen das „erste Spann getan,*'
d. h. in dem Jahre zuerst uneder gepflügt ist, schleichen sich die
Knechte zu den Mägden und peitschen sie, an manchen Orten das
ganze weibliche Personal des Hofes, unter dem Ruf: „teuf (wehrte)
ek unll dek de Fleie (Flöhe) ütklappen!'* so lange, bis sie unter
lautem Holloh vom Hofe entfliehen, worauf denn die Knechte
noch eine Zeit lang mit der Peitsche hinter dreinlaufen.^ In der
Umgegend von Hall im nördlichen Tirol findet am unsinnigen
oder schmutzigen Donnerstage (dem Donnerstag vor Fastnacht)
das Hudellaufen statt. Ein mit buntscheckiger Kleidung und
emer Larve verkleideter (gewöhnlich reicher und angesehener)
1) Meier S. 467, 219. II, 12, 24.
2) 0. Schade, Elopfan S. 57.
3) Hospinian , do Origine festorum OhriBtianorum. Genevae 1674 f. 172.
4) Dnfressus zu Clement Marots Epigram 135. Les Origines des
quelques coutames anciennes. Caen. 12^ 1672 p. 141. Cf. Brand pop. antiqa.
I, 536. 537. De Fnreti^re Dictionnaire, n. Trevoox Dictionaire' s. v. innocenter.
5) Schayes, essai historiqae sur les nsages des Beiges. Louvain. 1834.
p. 139.
6) Brand, pop. antiqa. 1,536.
7) Lyncker , hess. Sagen. S. 257, 341 ; mündl.
Der Sehlag mit der Lebensrute. 369
Bauer springt von den Buben herausgefordert aus dem Wirts-
hause hervor ^ um die Lenden einen mit Semmeln besteckten GuKt
und in der Hand eine lange Peitsche, an welcher mehr als 50
Bretzdn hängen. Er wirft die Schnur mit den Bretzehi unter
die Buben aus, die sich sofort um die Bretzehi balgen, bei die-
ser Gelegenheit aber mit der Peitsche tüchtig durchgegerbt wer-
den. Sodann durchzieht der Hudler die Reihen der Bauern,
welche sich inzwischen in einer langen Gasse gelagert haben,
und sucht sich einen aus, der ihm vorlaufen soll. Während
dieser sich dazu anschickt, eilt er ihm nach und schlägt ihn
ununterbrochen so lange unter die Füße, bis er ihn eingeholt
h(ü. Dann führt er den Ereilten in die Schenke, bewirtet ihn
liebreich mit einer Semmel und einem Glase Wein, und beginnt
von neuem seinen Lauf mit einem andern Bauern. Dieses Hudel-
laufen dauert immer bis Sonnenuntergaiig, dann entlarvt sich
der Hudler und fahrt im Wirtshaus den Tanzreigen auf.^ Das
Hudler- (oder Hutler)laufen hat den Zweck, dem Flachs und
Mais ein schönes Gedeihen zu sichern. Diesem Tiroler Fastnachts-
brauch schließt sich der schwäbische an, in der Faschingszeit einen
Schulknaben in Stroh einzubinden, der mit einer Hasel-
gerte in der Hand als „Butzenmann^^ empfangen unter die
Dorfjugend hervortritt, und wen er erwischt, Buben ader Mäd-
chen, mit seiner Rute züchtigt.'
Doch nicht bloß auf die Menschen erstreckt sich die Sitte
des Auspeitschens, sondern auch Tiere und Pflanzen werden
geschlagen. Die Albanesen der Riga schlagen Menschen und
Vieh am Morgen des l. März mit einem Komelkirschzweig, was
der Gesundheit sehr zuträglich sein soll.^ Die vom Tod-
austragen Heimkehrenden am Lätaresonntag schlagen begegnen-
des Vieh mit Stäben im Glauben, daß es dadurch fruchtbar
werde. ^ Im lettischen Orte Samiten (Kurland) werden von den
Raten, mit denen man Fastnachtscherz getrieben, einige Zweige
verwahrt und damit beim ersten Austreiben die Kühe geschla-
1) J. Gebhard , Oesterr. Sagenbuch. Pest 1862. S. 471 ff. Zingerle,
Sitten* 139, 1211 — 1212.
2) Birlinger, YolkstOml. a; Schwaben 11^23,50.
3) Hahn, albanes. Stadien S. 15ö.
4) Myth.> 728.
270 Kapitel III. Bftainseele als Vegetationsdämon:
I
gen^ die dann im Sommer nicht von den Bremsen leiden sollen
(mttndl.). , Bei Gumbinnen nimmt der Hansherr am Ostermorgen
Palmzweige y die, damit sie ausschlagen sollten, einige Tage im
Schafstall oder unter Schafdtinger gelegen haben, und erteät
jedem Stück Vieh (Pferd,-' Bind , Sehtoein, Gans, Huhn) einige
Sehl-äge damit auf den Rücken , dann tut er dassdbe mit Frau,
Kindern und Gesinde (mfindL). In Qilgenburg (Ostpreußen)
nimmt man dem Kinde, das schmeckostem geht, fein ehrfurchts-
voll mit einem Handtuch eine belidbige Rute aus der Hand,
bewahrt sie auf und treibt damit das Vieh zum erstenmale ans.^
In lichten (Oesterr. Schlesien) schmeckostert am Ostermontag
auch der Hirt seine Schafe, damit sie das ganze Jahr gut folgen.*
Vieh mit der Ostermte (pomlaska) geschlagen soll stäts munter
bleiben.' Auch in GroßruBland steckt das Volk einige der am
Palmsonntag geweihteu Weidenzweige in die Winkel der Schup-
pen und Viehställe, damit die Hexen den Ktthen nicht schaden.
Manche schlagen auch ihr Vieh leicht mit einer geweihten Palme
und ziemlich allgemein ist es Sitte am St. Georgstag (23. Apr.)
die Tiere mit den geweihten Weidenzweigen auf das Feld zu
treiben, um sie yor Krankheit und Unglücksfällen zu behüten.^
Bei den Gzechen läßt die Hausfrau am Palmsonntag Birken-
und Pimpernußzweige weihen, um damit am Kuhfest die Kühe
rückwärts aus dem Stalle zu treiben.^ In Mecklenburg steckte
man Quitzensträuche (d. h. Zweige des Quitschenböm, Vogelbeer-
baum (sorbus aucnparia) am Walpurgisabend (1. Mai) über der
Stalltüre auf, um die Hexen abzuhalten, und „strich^' oder
„quitzte^^ damit am andern Morgen die Kühe, damit sie reich-
lich Milch gäben; aber auch Menschen (der Bruder, von der
Schwester, die Eltern yon den Kindern) wurden damit gequitzt
und mußten dagegen ein kleines Geldgeschenk geben. Diese
Sitte, schon 1670 nachweisbar, erlosch im Schwerinschen im
Laufe unseres Jahrhunderts.^ Bei Iserlohn (Westfalen) werdai
1) Toppen , Abergl. a. Masuren. S. 69 vgl. Wuttke §. 83.
2) Peter, Volktttml. a. Oesterr. Schlesien II. S. 285.
3) Grohmann, Abei^l. a. Böhmen. S. 137, 1001.
4) Beinsberg-Düringsfeld, Nationalzeitung 1874. Nr. 187.
5) Reinsberg-Düringsfeld, Festkal. a. Böhmen S. 110.
6) Schiller, zum Tier- und Eräuterbnobe des Mecklenbiirg. Volkes.
Schwerin 1861. I. S. 28.
Der Scblag mit der Lebensrnte. 271
noch heute am ersten Maitage die Kälber ^^gequiekf Mit einem
Ratz schneidet auf einem Berge der Hirte bei Sonnenaufgang das-
jenige Vogelbeerbäumchen (quike) ab, auf welches die ersten
Strahlen der Sonne fallen , versammelt auf dem Hofe die Hans-
leate und Nachbarn und schlägt mit drei Schlägen die Stärke
(junge Kuh, die noch nicht gekalbt hat) auf dem Dttngerplatz
mit einem Zweige des Yogelbeerbaums auf das Kreuz, auf
die Hüfte und auf das Euter unter Sprüchen, von denen der
erste lautet:
Qnlk, qnik, qü!k,
brenk miälke in den strik (Zitze des Euters);
de säp es in den biärken,
En namen kritt de stiärken.
quik^ qnik, qnik
brenk miälke in den strlk!
Der zweite den Schlag auf Hüften und Euter begleitende Spruch
besagt, wie der Saft in die Buchen, das Laub in die Eichen
konune, möge der Vogelbeerzweig der Kuh Milch in das Euter
bringen. Unter dem dritten Schlag auf das Euter erhält das
iTer einen Namen (Goldblume u. dgl.). In Hemer lautet der
Spruch: „Saft in die Eiche, Honig in die Buche! Den Namen
sollst du geneußen, Kohlhenne sollst du heißen/^
Nachdem dann die Hausfrau ihre Stärke besehen hat , nimmt
sie den Hirten mit ins Haus und beschenkt ihn mit Eiern. Die
Gabe fallt aus, je nachdem das Tier gut geweidet worden ist.
Mit den Schalen der verzehrten Eier, bunten Bändern und But-
terblumen wird das aufgeflammte Bäumchen (Quekris) verziert
und an manchen Orten über der StalUiir aufgehängt. In Schtir-
feld erhält der Hirt einen Eierkuchen, in welchen so manches
£i geschlagen, als Blätter an dem Queckenzweige, womit das
Kalb geweiht wurde, hangen blieben.^ In Dalsland (Schweden)
treibt der Hirt sein Vieh an einem dem Himmelfahrtstag vorher-
gehenden oder nachfolgenden Tage schon um Mittag heim , nach-
dem er die Homer der Tiere mit Blumen bekränzt hat. Der
Heerde vorauf trägt er mit beiden Händen einest ebenfalls mit
1) Fr. Wöste, Volksüberlieferangen in der Grafschaft Mark. Iserlohn '
1848. S. 25. Wöste bei Knhn, Herabknnffc des Feners nnd Göttertrankes.
Berlin 1859. S. 185. Wöste , Zs. f. d. Myth. II , 85.
272 Kapitel ITT. Batunüeele als Yegetationsd&mon :
einem den Wipfel schmückenden Blumenkrane verzierten Vogd-
beerbaum (rönn). Wenn das Vieh auf dem Viehhof seinen Stand-
ort eingenommen hat, geht er durch die Gieheltür hinaus und
pflanzt den bekränzten Baum auf dem Schober auf^ wo
derselbe die ganze Weidezeit hindurch stehen bleibt. Die Schel-
lenkfihe erhalten jetzt ihre Schellen , das Jungvieh wird benannt,
indem es unter Ausrufung des ihm erteilten Namens dreimal mit
einer Rute des Vogelbeerbaums auf den Rücken geschlagen wird.^
Von den Schweden ist der Brauch zu den Esten ttbergegamgen.*
Im Böhmerwalde tragen die Dorfbewohner, welche das Vieh
beaufsichtigen, am 1. Mai, wann dasselbe zum erstenmal ausge-
trieben wird, geweihte Ruten in der Hand, d. h. Birkengerten,
welche gegen das Ende mit einem Strauß von geweihten Palm-
zweigen, wilden Staudenfrüchten und Blumen geschmückt sind.
Sie sollen eine wunderbare Macht zur Trennung des kämpfenden
Hornviehs austtben. Ein Schlag mit dieser Rute schützt
ein Haustier das ganze Jahr vor tödtlicher Verwundung.*
Auch bei den Rutenen findet das Kälberquiken mit Birkenruten
und Haferhalmen statt. In der Normandie schlägt man die Kühe,
um sie milchreich zu machen, dreimal mit einer Haselrute auf
die Seite.* Eine Hexe bekannte in Hessen 1596: „Wenn sie auf
Walburgstag eines Nachbarn Kue mit einem Rüdtlin in Teufels
Namen geschlagen, habe sie das ganze Jar über obige Kue mel-
ken können. Solches Rüdtlin habe sie in ihrem Stall stehen
gehabt.* Um sich Milch von fremden Kühen zu verschaffen,
bricht eine Hexe zu Gfrees in der Oberpfalz Zweige von einem
Elsenbaum und versetzt den Tieren damit drei Streiche unter
gewissen Zauberworten. • Will eine Kuh keine Milch geben, so
nehme man stillschweigend und unberufen eines Bettelmanns
Stock (einen Haselstecken) und schlage sie dreimal damit. Hiezu
stimmt der folgende bairische Brauch. Am Lechrain streicht
man beim erstmaligen Austrieb des Viehes der Kuh mit einem
1) S. R. Dybeck, Runa 1844 Maiheft S. 9. bei Kuhn, Herabkunft S. 185.
Vgl. Dybeck, Runa 1845 p. 63. bei Mannhardt, German. Myth. 19.
2) Vgl. Mannhardt, Germ. Mythen S. 20.
3) J. Rank, aus dem Böhmerwalde S. 127.
4) De Nore, Coutumes, mythes et traditions p. 270.
5) Zs. f. D. Myth. 11,72.
6) Schönwerth 1 , 335.
Der Sehlag mit der Lebensrate. 273
Haselstecken über den Rücken, um andern Kühen zn Gunsten
der seinigen die Milch zu nehmen. Zweige der Palmweide mit
ihren jungen Mudeln, Mistel, Sävling, Kranewit und Stechpal-
men sind an diesen Haselstecken angebunden, der bis auf die
Handhabe geschält ist, damit die Hexen nicht zwischen Busch
und Binde (vgl. o. S. 12. 25) schliefen. Palmsonntag kirchlich
geweiht und beim Wetter teilweise ins Heerdfeuer geworfen, schützt
dieser Palmbusch vor Blitz ^ (vgl. o. S. 247). In Niederbaiem,
Oberpfalz, Oestreich werden die Kühe am Martiniabend 10. Nov.
zum letztenmale .ausgetrieben. Dann verfertigt der Hirte die
sogenannte Martinigerte (österr. Mirtcsgard'n).* In der Gegend
von Landau a. Isar ist das ein Birkenreis, dessen Blätter und
Zweige bis an den Gipfel, wo einige stehen bleiben,
abgestreift sind (vgl. den Maibaum S. 169). Die stehen geblie-
benen Zweige werden mit Eichenlaub und Wachholderzweigen
durch eine Weidengerte zu einem Busch gebunden. In der Ober-
pfalz besteht die Mirtesgard'n aus Palmzweigen mit den Kätzchen,
Kranewitspitzen , spitzen Blättern vom Segelbaum und Eichen-
blättem. Diese Gerten bewahrt der Rinderhirte in der Oberpfalz
bei sich, läßt sie am h. Dreikönigstage kirchlich weihen und sein
Weib trägt sie am Walbemabend (1. Mai) gegen ein Geschenk
in die Häuser, damit am folgenden Tage damit das Vieh zum
erstenmäle wieder ausgetrieben werde. In Baiern und Oestreich
überreicht der Hirt die Gerten schon am Martiniabend, und zwar
in den einzelnen Häusern ein bis zwei Gerten. Die Bauern
stecken sie hinter den Kühbarn (Raufe), auf das Dach oder
über die Tür des Stalles (vgl. o. S. l6l. 20Ji) und nehmen sie
im Frühling wieder herab, damit die Dirnen damit vor dem ersten
Weidegang die Kühe aus dem Stalle treiben. Sie bedienen sich
dabei altertümlicher Sprüche , welche die Fruchtbarkeit der Heerde,
der Wiese , des Ackers fllr das folgende Jahr anwünschen ; z. B.
in Etaendorf in Niederbaiem:
Kommt der lieilig St. Märten (Mirte)
Mit seiner Gerten.
1) Leoprechtingt ans dem Lechndn S. 169. 170.
2) Die folgenden Gebräuche sind verzeichnet Panzer II, 40 — 42.
Nr. 45—48. Zeitschr. f. D. Myth. IV, 27. Schönwerth, a. d. Oberpfalz
1,321, 11. et. Mannbardt, Germ. Myth. 15 Anm. 3. Enhn, Herabkonft
S. 188—189.
Mannhardt 18
274 Kapitel III. Baniiiseele alt Yeipetatioiisdämoii
Soviel KraDewitbeeren»
Soviel Ochsen und Stiere.
Soviel Zweige, soviel Fuder Heu!
Steckt sie hinter den Eübbam,
So wird aufs Jahr keine Kuh verloren,
und steckt sie hinter die Stalltftr,
Treibt sie anf 8 Jahr mit Freuden herffir.
In Niederöflterreicli :
In Gottes Namen trett ich herein,
Ein Unglück hinaus, und Glück herein!
Gott behtlt eure Rind und Schweine,
Eure Lämmer und Schaaf,
Euer Haus und Hof.
Kommt der Sanct Mirt mit seiner Ruten;
Soviel als die Rute Zweige hat,
Soviel soll auch der Bauer Vieh haben.
Nehmt ihr die Ruten in eure Hand.
Steekt ihr^s wol auf ober der Wand,
Wol hinter das Dach
Am Sankt Gregoriustag (12. März, Tag des ersten Austreibens)
Treibt das arme Vieh aus,
Durch alle Engeln aus.
Ins Gehölz und auf die Heid\
Damit das Vieh alle Tag find' sein Weid,
Damit es mit Gesund ißt und trinkt,
Mit Gesund zu Haus und Hof heimkimmt.
Ist der heiige Petrus auch dabei
Mit seinem Himmelsschlfissel;
Er sperrt wol dem wilden Wolf
Seinen Schlund und seinen Rüssel u. s. w.^*
A. Kuhns Forschung verdanken wir die Kenntniß einer offen-
bar verwandten Sitte, welche im fernen Osten , in Indien en
Hause war. Im Yajurveda und den dazu gehörigen Commen-
taren wird nämlich die Geremonie besehrieben , welche angewandt
wurde, um reine Opfermilch von frisohmilchenden Etlhen zu
1) Dieses Lied Zs. f. D. Myth. IV, 27. TgL Panzer II, 41, 45. findet
sich bereits in einer Fassung aus saee. XY. Myth.* CXXXVII 14. Myth.> 1189;
offenbar ist es noch viel älter. Bruchstücke desselben in einer Fassung des
10. Jahrh. sind in dem Wiener HundesQgen (MUllenhoff und SoJierer, Denkm.
IV 3. S. 7.) erhalten.
Der Schlag mit der Jiebensrute. 275
erhalten. Der Opferpriester schneidet im Neumond einen nach
Osten oder Norden gewachsenen Zweig des Palä^a-Fama- oder
des Qamibanmes mit den Worten ^^zur Kraft (schneide ich) dich^^
aby streift mit den Worten ,,zum Saft dich/^ die Blätter herun-
ter, 80 daß nur eitw recht UMterreiche Krone stehen bleibt (vgl.
S. 169. 184). Hierauf stellt er etwa 6 Kühe mit ihren Kälbern
zusammen j treibt letztere mit dem Palä^azweige unter feierlichen
Sprüchen von den Müttern fort, damit sie dieselben nicht mehr
absaugen und jagt sie allein zur Weide. Jetzt berührt er auch
eine der Kühe statt aller mit dem Zweige, indem er den Segens-
wunsch über sie ausspricht, sie möchten dem Indra (Donnergott)
sein Teil an Opfermilch mehren, kälberreich, kraI]^kheits-
und seuchelos keinem Räuber oder Bösen zur Beute werden,
dauernd und zahlreich bei ihrem Herrn verweilen. Unter den
Worten: „schütze des Opfernden Rinder" (vgl. o. S. 30. 141) wird
hierauf der Zweig an erhöhter Stätte mit der Krone aufrecht
nach oben und ostwärts gerichtet vor dem Opferfeuer oder vor
dem Hausfeuer aufgepflanzt Er soll die Wirkung haben, die
im Walde gehenden Rinder vor Dieben und wilden Tieren zu
schützen und sie Abends ohne Unfall nach Hause kommen zu
lassen. Je buschiger, blätterreicher der Zweig oben ist,
desto rinderreieher wird der Hans'herr; ist er an der Spitze
trocken (vgl. o. S. 166. 184), so wird derselbe rinderlos. Nach
den Brahmanas wird der Zweig persönlich gedacht, er gilt als die
Verkörperung eines Qottes, und hieraus erklärt sich, weshalb er
(wie die finnischen Walc^ungfrauen) seine Wirkung zum Schutze
des Viehes auch in die Feme hin übt Nach einer Mythe ist der
Pama aus einem Flügel der den himmlischen Soma (Unsterblich-
keitstrank, das Wolkennaß) herabtragenden Gayatri entstanden
and was vom Soma in das Parnablatt eindrangt soll in die Kühe
oder Kälber übergehen.^
Wir erwähnten bereits, daß auch den Bäumen und Pflanzen
in der Oster-, Faschings-, Maien- und Weihnachtszeit die näm-
lichen Schläge zu Teil werden, wie Menschen und Tieren. Im
Rhöngebirge peitscht man auf Unschuldigenkindertag jeden Er-
wachsenen mit einer Rute, um ihn dadurch zu verbinden ein
1) A. Kahn, Herabkunft des Feuers und des Göttertranks S. 148.
180—183.
18»
276 Kapitel HL Banmseele als Y egetationsdämon :
^ Neues Jahr^' herzugeben , und gleichzeitig erweist man dieselbe
Ehre den Bäumen anf dem Felde , damit sie im folgenden Jahre
viele Frucht bringen.^ Der nämliche Brauch wird in yielen
Oegenden geübt In Kurland schlägt man am ersten Weihnachts-
feiertag mit einem Stock an die Apfelbäume , dann giebts gutes
Obst^Autz). Im Thuigau schlug man in gleicher Absicht mit
Stangen an die Nußbäume. Meistens jedoch werden sämmtliche
Obstbäume geprügelt oder gepeitscht (Mecklenburg ^ Oldenburg,
Tirol). Man sagt dabei in Rangen (Tirol).
Bam, wach und trag,
heint ist der heilige Tag.*
In England (Sussex, Devonshire u. s. w.) liefen Knaben am
Sylvesterabend truppweise durch die Obstgärten, schlössen um
die Apfelbäume einen Kreis und riefen, indem sie dieselben mit
Stocken schlugen:
Stand fest root, bear well top,
Pray 6od send us a good howling crop;
Every twig applea big,
Every bongh apples enou;
Hats fall, Caps fall
Füll qnarter sacks füll!
Dann jauchzen sie im Chorus, indeA einer sie auf dem Kuh-
hom begleitete.'
In Westflandem schlug man zu Fastnacht die Apfelbäume
mit einer Peitsche und sang während dessen:
appelboomtje wilt niet klagen,
al kriegt gy na wat klagen,
gy moet van dit jaer dragen
appeltjes zeer frisch en rood
van meer dan een pond groot,
op jeder tak
een moatzak.'*
Ebenso schlug man in Wälschtirol am letzten Faschingstage
hie und da an die Bäume der Fruchtbarmachung halber.'^ Während
1) Jäger, Briefe ftber die Bh6n 1803. HI, 6. Panzer U, 206, 364.
2) Vgl. Wattke §. 668. Zingerle, Sitten« 190, 1568. 1569..
3) Brand, pop. Antiqa. ed. Ellis I, 9. 10.
4) Zs. f. D. Myth. DI, 164.
5) Schneller, M&rchen n. Sagen a. W&lschtirol, Innsbraok 1867. 284, 12.
Der Sehlag mit der Lebensmte. 277
man im Lechthal (Tirol) am Gharfreitag frühe mit einem Schlä-
gel die Bäume schlägt, gehen die Gzechen an diesem Tage in
den Baumhof y fallen vor irgend einem Baume auf die Ejiie und
sagen: Ich bete o Baum, daß Gott dich gut mache! und in der
folg^Qiden Nacht laufen sie rund um den Garten und rufen:
Treibt Knospen ihr Bäume, oder ich werde euch mit
Buten schlagen! ^ In Westprenßen streicht man die Obstbtome
Ostern mit Ruten. Als Anton Prätorius 1697 zu Büdingen ver*
weilte, zogen die Bürger in der Walpurgisnacht (1. — 2. Mai)
scharenweise mit Büchsen aus, schössen über die Aecker und
sehlugen gegen die Bäume, um die Hexen m verjagen.^ Am
Feste Peter und Paul (29. Juni) schlagen die Jungen in Rumä-
nien mit Keulen das Obst von den Bäumea' In Schwaben glaubt
man den unfruchtbaren Nußbaum zu reichlichem Ertrage im
nächsten Jahre zwingen zu können , wenn man zur Zeit der Nuß-
ernte hinaufsteigt, so tut als ob er ganz voll säße, und in den
Zweigen herumschlägt, daß das Laub davon fliegt.* In Nas-
sau schlägt man am Jacobstage (25. Juli) mit einem Stecken die
Krautpflanzen und ruft: „Jacob Dickkopp! Dann sollen die
Krautköpfe groß und stark werden.^ Jener schwäbischen Sitte,
bei der Ernte den Nußbaum zu prügeln, tritt ein rheinischer Em-
tebraueh an die Seite. Zu Buir Kr. Bergh^im Bgbz. Köln wird
die letzte Garbe in Gestalt einer Frau geformt und mit
Kleidern ausgeputzt. Auf dem letzten Erntewagen zur Scheune
geführt, wird sie dort von den Schnittern mit einem Stecken
begrüßt und geprügelt, indem sie irgend welche lächerliche
Beschuldigung ihr entgegenrufen: „du hast mir den Taback ver-
steckt,'' „du bist bei meinem Kruge Bier gewesen,'' oder „du
hast mir die Suppe gegessen.'^ Ohne Zweifel beruhen diese
scherzhaften Vorwürfe auf Mißverständniß des ursprünglichen
1) Zingerle a. a. 0. 148, 1274. Orest Miller, Opuit etc. Petersburg 1869.
1,48. Ralston, the songs of the Eussian people. London 1872 p. 219.
2) A. Prfitorins, Bericht von Zauberei und Zauberern. 2. Aufl. 1613, 114.
3) W. Schmidt, das Jahr und seine Tage bei den Rumänen Sieben-
birgens. Herm^nstadt 1866. S. 18.
4) Meier, Deutsche Sagen, Sitten u. Gebr. a. Schwaben S. 250,2.
5) Im Waldeckschen föllt das Prügeln fort; man nimmt Jacobi Mittags
11 — 12 von jeder Kohlpflanze ein Blatt und spricht: „Jakob Dickkopp,
werd' so dick, wie mein Kopp!" dann werden die Kohlköpfe recht dick. Der
Jacobs tag ist also gewählt wegen der Namens&hnlichkeit mit Kopp (Kopf).
278 Kapitel III. Bannaeele sJb VegetatiaBsdimon:
Sinnes der Ceremonie, die kaum etwas anderes bezweckte , als
Frachtbarkeit des Getreides im kommenden Jahre. Und in der
Tat, zur rollen Gewißheit wird diese Vermatang durch den Em-
tebraach der Rossen bei Smolensk. Die in Gestalt eines Weibes
mit Kleidern geschmttckte letzte Garbe wird Ton zwei Mädchen
auf den Herrenhof getragen, wo sie in Gegenwart des beglttck-
wünschten Gntsherm von allen Schnittern mit einem Birkenbesen
geschlagen urird in der Meinung, daß dadurch die dem Gedeihen
der Fddfrucht schädlichen Tiere vernichtet werden.
Noch schwieriger, als t>ei den Weihnachtsgebräachen erscheint
es, in den yorstehenden Sitten die Bestandteile yon einander zu
sondern, welche das Christentum und die christliche Kirche einer-
seits und andererseits das von diesen noch unberührte Volksleben
dazu geliefert haben. Weder der Breite, noch der Tiefe nach
ist das Torliegende Material schon ausreichend, den Verlauf und
die Wege des Ver^chmelzungsprozesses in seinen Einzelheiten
erikennen zu lassen, aber als feststehende Ausgangspunkte, von
denen aus die Assimilation vor sich ging, sind einerseits die
Palmweihe am Sonntage vor Ostern und andererseits der~ Mai-
bäum wahrnehmbar. Vergegenwärtigen wir uns zuerst einmal
den gemeinschaftlichen Inhalt der Sitte. In der Zeit, wenn die
Natur aus ihrem Winterschlafe sich erhebt (Fastnacht, Ostern,
Mattag) oder die Wiederkehr des Lichtes die gewisse Zukunft
des Frühlings ankflndigt (Weihnachten) — wir lassen es zunächst
dahingestellt, ob die Kirchenfeste , oder die Jahreszeit das bedeut-
same und bestimmende Element waren — , werden Menschen^
Haustiere, Obstbäume mit einem oder mehreren Baumsfweigen
geschlagen, welche durch frisch ausgebrochene Knospen oder grü-
nen Blätterschmuck der gleichzeitigen Pflanzenwelt voraus sind,
überdies häufig -durch bunte Bänder oder Papierstreifen gleich
mit Tänien behängten heiligen Bäumen als etwas Besonderes hoch
und heilig gehaltenes gekennzeichnet werden; Blumenstengel,
oder Nachahmungen von Blumenstengeln aus dem dauerhafteren
Material von Lederriemen, zuweilen auch Holzstöcke ersetzen in
einzelnen Fällen die grünen Gerten. Die Tanne dient als immer-
grüner Baum zu gleicher Symbolik; die immergrüne Stechpalme
(ilex aquifolium), die wir o. S. 207 als Vertreterin des Emtemai
kennen lernten , desgleichen ; vorzugsweise jedoch wird die Weide
mit ihren ersten Knospen, den Palmkätzchen, verwandt Noch
Der Schlag mit der Lebensrate. 279
ftthlt man die unendliche Elirftiroht der Alten vor dieser Gerte
in der eigenen Brost nachzittem, wenn man erfährt, wie bei
Gilgenbnrg nicht mit bloßer Hand, sondern in heiliger Scheu
nur mittels eines reinen Tuches der Vorgänger des Pflanzen-
Wachstums, der Zweig berührt wird (S. S70 vgl. die Weihnaohts-
rate S. 224); anderswo in Böhmen blieb von diesem Brauche
wenigstens soviel, daft noch ein reines Tuch neben ihm in der
Hand getragen ist (o. S. 260).^ Das ist ganz der Zartheit christ-
licher Frönmiigfceit gemäß; doch berichtet auch Plinins bist,
natur. 16,44, von d§m Abschneiden des heiligen Mistelzweiges
dareh die Druiden „candido id excipitur sago/'
In Westfalen wird die „Qnike^^ (o. S. 270) wie der Sommer
(S. 155 ff.) und der Maibaum (S. 160 ff.) mit Bändern und Eiern,
in Schweden (o. S. 272) wie letzterer (o. S. 176) mit einem Kranze
aufgeputzt; wie beide werden die Qnitsche in Mecklenburg
(S. 270) und die Mirtisgardn in Baiem und Oestreich (S. 273)
über der Stalltür, die Quike in Westfalen auf dem Dünger-
haufen vor dem Stalle (S. 271), der schwedische rönn auf dem
Schober (S. 272) aufgesteckt Wie der Maibaum ist die Mir-
tesgardn bis zur Krone der Zweige beraubt (o. S. 273). In Böh-
men ist die Identität, resp. Zusammengehörigkeit des Sommers
und des Maibaums, mit unserer Schlagrute teilweise noch unmit-
telbar erhalten (S. 251). Wenn wir auf die von derselben erwar-
teten Wirkungen sehen, werden wir nicht unrecht tun, ihre ver-
schiedenen Formen hinfort unter dem Namen Lebensrute zusam-
menzufassen. Der Name Quike, Quitsche engl, quickbeam,
den der hiezu in Norddeutschland und Skandinavien verwandte
Vogelbeerbaum und der Name Weckholder, ahd. qu^kholter ags.
oviebe^^ den der in Sttddeutschland vielfach gebrauchte Wach-
holder führt, bedeuten Lebensbaum; quiken ist stark, kräftig,
jung und frisch machen vgl. nhd. erquicken, neues Leben ein-
hauchen, goth. quius, ahd. qußk, quik; mhd. qu^k, k^, lat.
vivus aus guigvus. Es soll Lebens- und Wachstumskraft durch
die Bute mitgeteilt, jedes dem entgegenwirkende feindliche
Gespenst vertrieben werden.^ Wer mit ihr am Maitag oder
1) So wird in manchen Gemeinden das h. Abendmahlsbrod oder die
Oblate nach der Austeilung bis zum gemeinsamen Qenuß in einem reinen
weiBen Tuche aufgenommen und gehalten.
2) Vgl. Kuiuip Hexabkunft S. 191.
280 Kapitel III. Baomseele als Vegetationsdfiinon:
OBtern schlaf, giebt Glflck (o. S. 252 a. S. 263). Das Sehlagen
mit der Holanderrate za Liehtmessen , das Fo6n und Hadellanfen
za Fastnaeht verleiht dem Flachse (und tttrk. Weizen) Wachstum
and Gedeihen (o. S. 253 n. S. 269). Soviel Zweige die Martinsgerte
hat, so viele Fuder Heu soll es geben. Im Rhi^ngebi^e schlägt
man mit derselben Rute, mit der Menschen gepfeffert werden,
die Obstbäume, um sie fruchtbar zu machen; man erkennt leicht,
daB das Peitschen und Stockprtlgeln der Bäume und Krautpflan-
zen an andern Orten nur jüngere abgeleitete Formen derselben
Sitte sind. Die letzte Garbe wird geprttgelt, um fUrs nächste
Jahr Fruchtbarkeit des Korns zu erzielen und das das Wachs*
tum hindernde Ungeziefer zu vertreiben. Befördert soodt die
Lebensrute zunächst v^etabilische Fruchtbarkeit, so verleiht sie
gleicherweise dem animalischen Körper Gesundheit, Lebenskraft,
Nachkommenschaft. Das Vieh bleibt stäts munter (S. 270), Hexen
(die Krankheitsgeister) bleiben ihm ferne (S. 270 n. S. 273); es ist
vor tödtlicher Verwundung (S. 272) resp. vor wundenbringenden
Kämpfen unter einander (S. 272) geschützt. Die Schafe folgen
dem Hirten gut, der ftir sie die beste Nahrung aussucht (S. 272).
Die Ktthe kalben und werden milchreich (S. 271). Es giebt soviel
junges Vieh, als die« Rute Beeren, oder Zweige hat Auch den
Menschen wird Gesundheit zu teil (Albanesen S. 269 „Gott erhalte
den Herrn gesund^' S. 267); die Krankheit weicht von ihnen in
den Wald (vgl. o. S. 17), die Gesundheit zieht in ihr Gebein ein
o. S. 257; sie bekommen keinen Rückenschmerz (S. 263), ihnen
tun die Beine nicht weh (S. 263); heißt das, sie können in Fttlle
der Lebenskraft Lasten tragen und laufen ohne zu ermüden?
Daß vorzugsweise Hände (Fingerspitzen) und Fuße (Beine, Waden)
geschlagen werden, mag sich darauf beziehen, daß Hand und
Fuß, die zur Arbeit unentbehrlichsten Glieder des Menschen vor-
zugsweise ihr ihre Verrichtungen ki^tig und tttehtig gemacht
werden sollten. Vor dem Schlag der Lebensruten entweichen
Mücken, Fliegen (S. 262) und Flöhe (S. 268), d. h. die insekten-
fönnigen Geister der Krankheit (vgl. S. 13. 18) aus dem Körper
des Menschen. Mit dem ersten Pflügen wird ja der Vege-
tationsdämon wieder zu Lande ins Feld, in den Acker einziehend
gedacht, ihn tragen die vom Pfluge zurückkehrenden Ejiechte in
ihrer Peitsche (ursprünglich wol auch einer grünausgekeimten
Gerte) heim. Die Gabe, welche dem Sohmackostemden oder.
Der Schlag mit der Lebensrnte. 281
Pfeffernden gereicht wird, fassen die Geber meistens als eine
Art Ablösung auf, doch bleiben noch genug Spuren davon übrig,
daß sie ursprünglich einen ganz andern Gharacter, den des Ent-
geltes oder Dankes für die durch den Schlag mit der Lebens-
rute empfangene Wohltat trug;^ sehr angemessen werden darum
namentlich von Seiten der Frauen Eier (die Symbole des neuent-
stehenden Lebens (o. S. 158) als Gegengabe gespendet.
Man fue't, schmackostert, pfeffert zwar jedermann; beide
Geschlechter schlagen sich gegenseitig, kein Stand und Alter ist
ausgeschlossen; vorzugsweise jedoch wird auf das Peitschen der
erwachsenen Mädchen und Frauen durch die Männer Gewicht
gelegt , und unverkennbar knüpfen sich auch die Ideen der Liebe
nnd Zeugung an den Brauch. Bei Bunzlau schenkt die Jungfrau
dem Schmackostemden ein Ei mit der Versicherung herzinniger
liebe (o. S. 263). An die Ruten sind Wickelkinder, schnäbelnde
Täubchen u. s. w. gebunden (S. 254). Häufig werden Rosmarin-
zweige als Ruten verwandt.' Wenn unsere Deutung des Wortes
fudeln, fnden, fu& (o. S. 256) richtig war, so muß geschlossen
werden, daß man in Vorzeiten den Schoß der Ehefrau^ mit der
Fastnachtgerte berührte, um ihnen Kindersegen zu sichern, und
daß dieses Stück der Ceremonie' mindestens örtlich für das Haupt-
stück, flir so wichtig angesehen wurde, um allen andern Teilen,
dem Gepeitschtwerden der Männer und Mädchen auf Rücken,
Hand, IHlße seinen Namen mitzuteilen.
Wenden wir nunmehr der Frage unsere Aufinerksamkeit zu,
woher diese Sitten ihren Ursprung nahmen, so bleibt unser Blick
zuvörderst auf dem kirchlichen Brauche der Palm Segnung haf-
ten, dem wir um der .Wichtigkeit der Sache willen eine etwas
eingehendere Betrachtung widmen müssen. Schon seit dem
4. Jahrhundert ist in der orientalischen Kirche eine Ged'ächtniß-
ieier des letzten Einzuges Christi in Jerusalem (Math. 21, l — 16)
1) So heißen in Franken die Geschenke an Geld, Spielsachen und
and ESwaaren , welche die mit Zweigen von Waebholder , Bnchsbanm , Lorheer
oder Rosmarin geschlagenen Eltern den Kindern geben, Fitzellohn, in
Schwaben Pfefferleinelohn. Haltaas -Scheffer, Jahrzeitbach S. 166.
2) Der Rosmarin schmückt in Hessen die Braat beim Kirchgänge, in
der Mark das Brautpaar. „In Mägdeflecken giebt es anterschiedliche
Gassen als die lange, die breite, die enge, die rechte, die krumme, die
^osmarinstraße'* A. Gryphias, Peter Squenz. Vgl. o. S. 185 Anm. 1.
282 Kapitel III. Baamseele als Veg^tationsdämon :
nnter dem Namen Ij^uga ttov ßatcov nachweisbar. Epiphanias,
Bischof zu Salamis auf Cypem (geb. 310 f 403) sagt in einer
seiner beiden Homilien jr^Qi ßatcov (de palmis):^ „Hier sind wir
heute, wir die ganze junge Mannschaft (vsoXala), wir sdbst einem
fruchttragenden Oelbaum (Uaia) gleich, den Odzweig tragend
uud den Erbarmer Christas anrufend. Wir, gepflanzt im Hause
des Herrn und in seinen Yorhöfen wie Frühlingsblumen auf-
blühend, feiern dieses Fest, da wir sehen, daß der Winter des
Gesetzes vorübergegangen ist.'' Der Redner hebt sodann mehr-
fach nachdrücklich hervor, daß (Math. 21, 15. 16) Kinder es
waren, welche Fahnen schwingend Hosianna sangen, und nach
Anleitung von Math. 21,9»Ps. 18, 26 bezieht er die Auffor-
derung in Ps. 118, 27: „Schmücket das Fest mit Mayen bis an
die Homer des Altars'' auf den Palmsonntag. Ob er aber nur
von einer geistlichen Feier redet, oder bereits auf eine mit wirk-
lichen Baumzweigen veranstaltete Prozession anspielt, ist nieht
deutlich ersichtlich. Jedesfalls setzte sich bloße Verlesung des
Festevangeliums allmählich in eine solche um und es ist in hohem
Grade wahrscheinlich, daß, als dieses geschah, bei Darstellung
der Hosianna rufenden Menge die jüdische Yolksitte der „Palm-
tragung" (ßaiofpoQia) zum Vorbild genommen ist, welche beim
Feste der Tempelweihe, am Passah (?), besonders aber am Laab-
hüttenfest geübt ^ und an letzterem am 7. Tage (21. Tisdiri) unter
dem Namen „das große Hosannah" besonders feierlich beäu-
gen wurde. Das Laubhttttenfest verschmolz die Bedeutung des
alten Erntefestes im Herbst nach Emsammlung aller Früchte
(2 Mos. 23, 16. 3 Mos. 23, 39. 5 Mos. 16, 13) mit der Erinnerung
an die historische Tatsache der Wüsten Wanderung Israels; es ist
deutlich, daß diese letztere Beziehung erst hineingetragen wurde,
als die jenisalemitische Priesterschaft das gesammte Volksleben
in ihre theokratischen Ordnungen hineinzog.^ Somit stammt aus
1) Epiph. Opp. ed. Petav. Paris. 1622. T. II , 251 - 58. 300 - 308.
Augusti, Denkwürdigk. a. d. christl. Archäologie 1818. U. 8.59—73. Vgl.
besonders 64. 68. 70. 71.
2) 1 Makk. 13, 51. 2 Makk. 10, 6. 7. Joseph. Antiq. XIII, 13, 6. Augu-
sti, Denkw. 11,47. Herzog, Realencycl. d. protest. Theol. XVIII, 223.
3) Vgl. Pfieiderer , die Religion , ihr Wesen und ihre Geschichte 1869.
n, 297.
Der Sehlag mit der Lebensrnte. 288
dem alten Erntefeste das biblische Gebot (3 Mos. 23, 40 ^) 4 yer-
scUedeDe Gewächse, Früchte von schönen Bäumen, Pahnen-
zweige, Zweige von dichtem Gebüsch nnd Bachweiden zu ver-
wenden. Zur Zeit des zweiten Tempels wnrde ein Myrtenzweig,
ein Weidenzweig and ein Palmzweig (lulabh) durch drei Binge
Yon dünnen Palmblättem zu einem Büschel von 16 Querfinger
liüage verbunden, den man die sieben Festtage in der Rechten
trog, während die Linke eine Art Citronenapfel (Paradiesapfel,
Adamsapfel, Meerapfel) hielt. Mit dem Feststranft zog man täg-
lich in den TempeP und umwandelte den Altar, indem man die
Zweige dreimal vorwärts, dreimal nach der rechten und dreimal
nach der linken Seite, dreimal aufwärts und dreimal abwärts
schüttelte. Am 7. Tage, dem groBen Hosanna, nahm man zu
den übrigen Gewächsen noch ein Bündel von 4 Bachweidenzwei-
gen hinzu, nnd umging siebenmal den Brandopferaltar. Nach
dem Gebet schlug man mit jenem aus 4 Bachweiden
bestehenden Bündel so lange auf die Erde, bis alles
Laub abgefallen war. Während des ganzen Festes wurde
täglich Wasser vom Brunnen Siloah mit Trankopferwein ver-
mischt ausgegossen, man hatte die Tradition, daß diese Cere-
numie auf das ersehnte Eintreten der RegeneeU bei bevorstehen^
der Aussaat und auf ein fruditbares kommendes Jah/r bezüglich
seiy wogegen andere Rabbinen, der historischen Auslegung treu,
dieselbe als eine Erinnerung an den in der Wüste aus dem Fel-
sen geschlagenen Wasserquell deuteten. Nach Zerstörung des
Tempels blieben im wesentlichen dieselben Bräuche bestehen,
nur daß man mit den Lulabhtn statt des Altars den Platz um-
wandelt,' von wo aus die h. Schrifl verlesen wird. Das aus-
geklopfte Weidenbüschel wird in dem Beutel, der die Gebeta-
1) Die Ritaalgesetze des 2. u. 3. B. Mose verdanken ja allem Anscheine
nach sammt der „ Grundschrift " 'der ersten Bücher des Pentateuch der ange-
gebenen Periode ihre Entstehung. Vgl. Th. Nöldecke, alttestamentl. Litera-
tur. Lp£g. 1868. S. 27. T Westen y die religi&Ben politiBchen and socialen
Ideen der asiatischen Culturvölker IL 1872. S. 611.
2) Plutarch Symp. I V 6 , 2.
B) SaalschQtz, das mosaische Becht 1853. S. 420. Herzog, Realencl.
Vm. 218. 221. Schröder, Satzangen n. Gebr. des rabb. Jadentams 1851.
8. 140. Bon. Mayer, d. Judentom in s. Gebeten, Qtebr. a. s. w. Regensborg
184B. S. 195 iL
284 Kapitel III. Bamnseele als YegetatioiiBdäinoii :
riemen enthält, aufbewahrt , die Myrthe in das Sabbatbflchslein
getan y den Stiel des Paradiesapfels ließ man noch unlängst von
Schwangeren abbeißen. Daß ans diesen jüdischen Bräuchen
das Vorbild für die christliche Palmsonntagsfeier entlehnt wurde,
wird mir aus der Uebereinstimmnng in mehreren Einzelheiten
wahrscheinlich. Die Pahnsonntagspalmen bestehen meistenteils
gleich dem Laubhttttenstrauße aus mehreren Zweigen eines und
desselben Gewächsea^ die zu einem Strauß oder Bündel vereinigt
sind; die Bachweide spielt unter diesen Pflanzen die Hauptrolle,
so daß häufig der Name Palme auf ihre Frühlingsgestalt über-
geht; [wie bei den Juden der siebente >Tag als „der Weiden -
tag/^ wird in Rußland der Palmsonntag als Weidensonntag
bezeichnet]. Im russischen Brauche erinnert auch der mit Früch-
ten behangene Citronenbaum an den Citronapfel (Paradiesapfel)
des Laubhüttenfestes. Wie der Jude mit den 4 Weidenzweigen
am 7. Tage auf den Boden (resp. Tür oder Fenster) schlägt,
klopfen die Buben in Ellwangen vor der Palmweihe mit ihren
Palmbesen beharrlich auf die Erde (vgl. o. S. 258). Und in Eng-
land steckt man die Palmweide in die Geldbörse, wie in jüdi-
schen Hanshaltungen den Weidenzweig in den GebetsbeuteL
Immerhin waren es nur gewisse Aeußerlichkeiten , welche man
dem israelitischen Kultus entlehnte, die Entwickelnng des christr-
lichen Situs nahm, sobald dies geschehen war, ihren eigenen
Weg. ' Die Palmen und Baumzweige wurden bei der Umwand-
lung des Altars zuerst nur durch Verlesung des Evangeliums,
später durch eine besondere Benedictionsformel geweiht; endlich
erweiterte sich die Prozession zu einer bildlich -dramatischen
Darstellung, wobei der erste Priester das AUerheiligste tragend
auf einem Esel ritt, oder ein Ghristusbild auf einem hölzernen
Esel dabergezogen wurde. Priester und Laien warfen Blumen
und geweihte Baumzweige ihm zu Füßen. Es verlohnt sich einige
der Formen zu vergleichen, welche dieser Ritus in verschiedenen
Ländern angenommen hat, und den Volksglauben, der sich daran
knüpft. In Konstantinopel trug man Palmzweige und Kreuze.^
1) Vgl. Vita St. Andr. Sal. (BoUand. T. VI. append. p. 70) bei Binterim,
Denkwtirdigk. der christkath. Kirche V. 1, 176. ad finem aliquando vergebat
diernm qnadraginta jejtminm et nrbis Constantinopolitanae habitatores ramis
palmaram sacrisque hyniniB Jesam Chr. venerabantar, com virom senem
Der Schlag mit der Lebensrute. 285
Als der Umritt des Patriarchen aaf dem Palmesel aufkam, hielt
der griechische Kaiser diesem bei der Prozession die Zügel. In
Moskau trag man im 17^ Jahrh. aus der Himmelfabrtskirche
einen mächtig großen Baum heraus, der mit verschiedenen Früch-
ten und Gonfect behangen war, stellte ihn auf zwei zusammen-
gebundene Schlitten und fuhr ihn langsam fort. Unter dem
Baume standen fünf Knaben in weißen Gewändeili und sangen
fromme Lieder. Hinter dem Schlitten gingen viele junge Leute
mit brennenden Wachskerzen und mächtigen Laternen, dann folg-
ten Kirchenfahnen, WeihrauchiUsser , Heiligenbilder, Pagen,
Würdenträger, endlich der Metropolit auf dem Esel, das Eran-
gelienbuch tragend, ihm zur Seite der Czar, mit einer Hand den
Zfigel des Tieres, mit der andern einen echten von Pilgern aus
Palästina mitgebrachten Palmzweig haltend. Seit 1700 stellte
Peter der Große die Beteiligung des Monarchen bei dem Umgang
ab; der trotzdem wenig von seiner Großartigkeit verlor. Das
Volk strömt hier und in allen übrigen Kirchen schon Mhmorgens
mit seinen „Palmzweigen'' zusammen und läßt dieselben weihen,
bevor der Umgang beginnt. Es sind das Weiden, den Tag vor-
her eigenhändig am Ufer der Neglina gebrochen, oder auf dem
reichlich damit geiUUten Markte, der zur Erinnerung an das
Hosiannarufen der jüdischen Kinder auch hunderterlei
Kindergeschenke enthält, gekauft; statt der natürlichen Wei-
denzweige nimmt man auch künstliche Orangen- und Citro-
nenzweige, welche mit Blüten und Früchten und an der Spitze
mit Cherubim aus buntfarbigem Papier geziert sind. Nach dem
Gottesdienst werden diese „Palmen'' über den Heiligen-
bildern in der Stube, oder über der Haustür aufgesteckt,
nicht minder im Kuhstall und auf dem Acker. Auch schlägt
man sich damit gegenseitig (vgl. o. S. 257).* Die erste Spur der
Palmprozession und Palmbenediction begegnet in Italien im Anti-
phonarium Gregors des Großen; die Prozession bewegte sich nach
dem Lateran.? Jetzt segnet der Papst in der Sixtinischen Kapelle
conspicit Andreas in Sacro D. Sophiae templo, comitante turba innn-
merabili, palmaram ramos et cruces fulgnris in modum corus-
cantea tenente.
1) Tgl. Beinaberg-Daringsfeld, Nationalseitang 1874. Nr. 187. u. o.
S. 257.
2) Opp. 8. Gregorii M. T. XIL p. 66. Nr. 2. Binterim a. a. 0. 174.
286 Kapitel. III. Bauiuseele als VegeiatioiiBdämoD :
zuerst zwei große Pabnen von 7 - > 8 F. Länge , sodann kleinere
Palmzweige von 5 — 6 F. ^r die Kardinäle ein^ sie sind kunst-
reich geflochten aus Stroh und Scbili'blättem und an der
Spitze einigen wirklichen Palmblättem^ die von auswärts einge-
sandt wurden; ein kleines Kreuz ist darangehängt. Der niedere
Klerus erhält Olivenzweige und die Menge Oliven - oder Lorbeer-
zweige, ebenfalls mit einem Kreuz behängt. Nach der Weihung
kflßt ein jeder der Kardinäle die Hand des Papstes und seine
ihm dargereichte Palme; die Erzbischöfe nehmen die ihrige mit
einem Kuß auf Hand und Fuß des h. Vaters auf, die übrigen
küssen dabei nur den Pantoffel. Aehnlich geht es bei der Palm-
weihe in den Landkirchen zu. Man steckt die geweihten Baum-
zweige ins Haus, um den Blitz abzuwenden und in die
Fruchtfelder, um sie vor Hagelschlossen zu schtttzen.^
Im 12. Jahrh. faßte mau, wie es seheint, in Frankreich
Baumzweige, Blumen und Palmen in ein Bttndel (?) zusammen.
Bischof Hildebert von Tours (f 1136) in einer seiner Predigten:
,,Gi\jus triumphi gloriam hodie sancta recolens ecclesia, in signo
crucis et vexillo celebrat solemnem proc^ssion^m , virentes
arborum ramos ac flores cum palmis post vexillum
sanetae crucis in manibus gestans^^ etc.' Heute verwendet man
in den meisten französischen Landschaften Buchsbaum an Stelle
der Palmzweige. Di^ Kinder schmücken, ihren Buchshcmmzweig
mit btmten Bändern, Kuchen, Äepfeln, welche am Palmsonntag-
abend von der Familie verspeist werden. Dann bringt man
den grünen Busch über dem Kopfkissen, oder unter
dem Kruzifix des Familienzimmers an, wo er als
Gewitterschutz bis zum nächsten Jahre verbleibt,
er müßte denn ein^n verstorbenen Familiengliede in d^[i~Sarg
mitgegeben werden. Dann soll — wie man in der Provence und
Nordspanien glaubt — die Leiche nicht verwesen, ja mehrfach
ist ein solcher Zweig als grüner Baum aus dem Grabe hervor-
gewachsen und die Vögel haben in seiner Krofte gesungea In
1) J. J. Blunt, ünproog religiöser Ceremonien und Crebr&uche der
römisch-katholischen Kirche, besonders in Italien und Sieilien. Lpzg. u.
Darmstadt 1826. S. 186. Opinione 1852. Apr. 11. Zs. t D. Myth. UI , 50.
Hone II, 1%.
2) Serm. 4 in Dominic. Palmar, p. 385. Binterim a. a. 0. 175.
Der Schlag mit der Lebensrate. 287
der Bretagne dient Lorbeer , an der Provence M7i:te und Lorbeer
zu gleichem Zwecke.^ — In Spanien trägt die Geifitlichkeit bei
ihrem feierlichen Umznge am Palmsonntage eine Anzahl von
Zweigen der Dattelpalme zu einem Strauß aufein-
andergebunden, welche noch über die Köpfe der andächtigen
Menge emporragend bei jedem Schritte sich neigen ; sie sind vor
der Prozession vom ministrierenden Priester feierlich geweiht und
werden nachher vom Klerus seinen guten Freunden ins Haus
geschickt, um als Schutzmittel gegen Blitz aufs Eisen-
geländer der Balkone gebunden zu werden.^ In Belgien
trug (zu Tirlemont) das in der Palmsonntagsprocession auf dem
Esel umgefllhrte Bild Christi einen Palmisweig in der Hand, mit
Trauben und Kuchen behangen, welche die Kinder während des
Umzugs herabzureißen suchten.^ Vor dem Beginn der M6sse
segnet der Priester die am Fuß des Altars niedergelegten Baum-
zweige; die herzuströmenden Bauern lassen große Büschel Buchs-
baum, die sie „ Palmtakken ^^ nennen, mitweihen, um sie nachher
in kleinen Bündeln als Blitzableiter unter das Hausdach und in
alle Räume des Wohnhauses, der Viehställe und Komscheuem
zu verteilen; ein Sträußchen stecken sie in das Hutband, emeu
Zweig als Sprengwedel ins Weihwassertaß , um damit bei heran-
nahendem Sturm die Hausräume, bei Todesfällen die im Sarge
liegende Leiche zu besprengen. Auch in den Ecken der Saat-
felder befestigt man geweihte Zweige, um sie vor Hagelwetter
und Yerhexung der Früchte zu schützen und reichen Ernteertrag
zu bewirken; ins Viehfutter gelegt vernichten die geweih-
ten Buchsbaumzweige die Würmer, welche dasselbe
verderben; fünf Blätter werden Palmsonntags ins Getränk der
Kühe getan, um diese zu reinigen (purger).^
Aus Deutschland berichtet Thom. Naogeorgus (Kirchmayr), geb.
1511 zu Straubingen, in seinem Gedicht über die Gebräuche der
katholischen Kircke (Regnum papisticum Bas. 1553. Ausg. 2. 1559),
daß das Volk vor dem auf hölzernem Esel in die Kirche gefahrenen
1) Gortet, Fdtes reÜgienses. S. 117.
2) Doblado bei Hone n, 197.
3) Beinsberg -Düringsfeld, Galendrier Beige I, 212.
4) Beinsberg - Düringsfeld a. a. 0. 213—215. Tbiers, Trait^ desSaper-
Btitions bei Liebrecbt, Gerrasins v. Tilbnry S. 227, 94. 229, 126. 239, 244.
288 Kapitel III. Baumseele als Vegetationsdämon:
Christasbilde die geweihten aus grünen Banmzweigen und
Bachweiden bestehenden Palmen aul den Weg streute, und
dieselben nachher wetteifernd auflas in dem Glauben, daß
dieselben große Kraft gegen Stürme und Donnerschlag
hätten. Daß ein Priester sich vor dem Bilde zu Boden warf
und von einem andern mit der Baumrute geschlagen wurde,
haben wir schon o. S. 258 aus einem deutschen Vorgänger des
Naogeorgus mitgeteilt.* Jener Aberglaube dauert noch heute in
weiter Verbreitung fort. Beim Gewitter werden 3 am Palm-
sonntag geweihte Palmkätzchen (Weiden), oder Zweige ins Feuer,
oder kreuzweise auf den Tisch gelegt* So lange der Ranch
solcher Zweige aufsteigt, schlägt der Blitz nicht ein.' Auch bei
Hagelschauer verbrennt man Palmen.* Als Schutzmittel gegen
das Gewitter werden 3 Palmkätzchen verschluckt.* Die Palme
besteht aus einem Bündel verschiedener grüner Zweige (Weiden,
Elsen, Pappeln), die schon seit vier Wochen zum Grünwerden
und Blühen im Wasser standen,^ oder aus einem größeren oder
längeren Stiel, an welchen mehrere Zweige oder Bündel gebun-
den sind. So um Basel ans einem Tannenbänmchen von oft
12 F. Höhe, das bis auf die Krone geschält und mit Hasel-
ruten, Buchsbaum, Sävenbaum und Aepfeln künstlich bebunden
ist. (o. S. 246.) Die Palmen in Nordtirol sind ein Busch blühen-
der Weiden an der Spitze einer sehr langen Stange befestigt
und mit Seidenbändern, oft auch 'Bretzeln verziert, während in
Südtirol dieser bunte Flitter fehlt und nur Oelzweige mit Palm-
1) — — — popnlns venit omnis
ArboreoB portans ramos, salicesque virentes,
Quos tempeatatis contra coeliqae fragorem
Adjavat pastor multo grandique precata.
Mox querno sese coram prostemit aseUo
SacrificuB longa quem virga percutit alter.
2) ZiDgerle, Sitten« 109, 939. 115, 1018. Schönwerth II, 116 ff. Meier,
Sagen ans Schwaben, 385, 33. Leoprechting,' Lechrain 170. Reins^erg-
Düringsfeld, Festkai. a. Böhmen 110. Zs. f. D. Myth. III, 338. Strackerjan
Sag. u. Abergl. a. Oldenb. II, 40, 308. Wnttke« § 449.
3) Strackerjan I, 63, 67.
4) Zingerle 116, 1023. Landsteiner, Reste des Heidengl. S. 43.
5) Zingerle a. a. 0. 109, 940.
6) Meier 385. 33.
Der Schlag mit der Lebensnit«. 289
kätzchen geweiht und herumgetragen werden.^ Id Baiem und
Oestreich bilden Zweigbüscbel von Bachweiden , Stechpalmen.
Ktranewit, Sävenbaum und Mistel die Krone des Palmstabes.'
In Ertingen sind die Palmen geschälte Haselruten mit gekreuzten
Holunderstäbchen, zwischen denen je ein vergoldetes Ei und ein
Apfel prangt,^ in Oldenburg wird auf ein fingerdickes von der Rinde
entblößtes Weidenstäbchen ein Büschel von Buchsbaum, Bickbeere
oder Tannenzweigen gebunden.* Vielfach besteht der Palmbesen
aus einem Stiel mit sovielen an einander gebundenen Palmbttn*
dein, als man Gelasse in Haus, Scheuer und Stallung
hat. Nach der kirchlichen Weihe werden diese Bündel ausein-
ander genommen und in die verschiedenen Räume verteilt, in
Stube und Kammer vom Hausvater selbst hinter das Kruzifix
gesteckt. Anderswo wird „der Palmen" an die Stall- oder
Hau«türe oder ans Scheuertor genagelt und verbleibt
daselbst, bis er herunterfällt.'^ Zuweilen wird der Palmbesen
vor dem Hause autgestellt und bleibt dort, bis es zum ersten-
mal donnert; dann setzt man ihn in den Yiehstall, wo er seinen
Platz behauptet, bis ihn im nächsten Frühjahr ein neuer ersetzt.
Dann wird er verbrannt* Auch in Westfalen pflegt man auf
Stuben und Bienenkörben Zweige von am Palmsonntag geweihtem
Buchsbaum anzubringen.'' Das Wohnhaus, und den Viehstall
soll der Palmzweig vor Blitzschlag und vor dem Eintritt feind-
licher dem Leben und der Gesundheit schädlicher Mächte
bewahren. Durch ein Fenster, in dem ein Palmzweig steckt^
kann keine Hexe (d. h. Elbe, Krankheitsgeist) hereinkommen.®
Derselbe Gedanke liegt dem Glauben zu Grunde, daß man. mit
einem Pahnsonntag geweihten Zweige (vom Pimpemußbaum) den
Wassermann bewältigen (erschlagen) könne. ^ Ein Vieh, das
1) Zingerle a. a. 0. 146, 1268.
2) Schmeller I, 281. Ausg. 2 I, 387. Leoprechting 169. Baumgartcn,
das Jahr und s. Tage 21.
8) ßirlinger, Volkst a. Schwab. II, 75, 91.
4) Strackeijan ü, 40, 308.
* 5) BirliDger I, 74. 88.
6) Birlinger ü, 74. 89.
7) Kuhn, Westf. Sag. 145, 418.
8) Zingerle 109, 938.
9) Grohmann, Abergl. a. Böhmen 18, 52. 54.
MAnnhardt. 19
290 Kapitel ÜI. Baumseele als Vegetationsdamon:
Schrätelesz^pfe (Wichtelzöpfe) hat, sehlage man dreimal mit drei
Palmzweigen, dann flieht das Schrätel in Gestalt einer Katze.*
Als Dämonenvertreiber hält der am Palmsonntag geweihte Zweig,
sofort nach dem Gottesdienst im Knhstall hinter einem Balken
verborgen, die Rinderpest fem.* Auch die Pest wurde ja als
persönliches Wesen, Viehschelm u. s. w. gedacht. In den Kör-
per hinein kriechend, oder in Insektengestalt ihn abweidend
bewirken die Krankheitsgeister Abzehrung, trockenes Euter u. s. w.
Hiemach ist zu beurteilen, daß man den Pferden und Rindern
3 Palmen zu fressen giebt;^ die Kühe geben dann gute Milch.
Schon eine Handschrift in St Florian aus Saec. XIV. (Myth.*
XLVII. 10 — 13) sagt „So man die palm haimtrait von Kirchen,
so legent sy sew ee in die chue chrip, ee das sy sew vnder
das tach tragent. so gent die chue des iars gern haim. item die
pursten die man zu den palm stekcht, do pursten sy das viech
mit, so wemt sie nicht lausig, item palm legent sy under das
chrawt hefen, so vallent nicht fl engen in das chrawt item sy
tragent umb das haws , ee si sew hie in tragent , so essent di
luchs der huner nicht.* {Ueber die Insekten als vermeintlich
dämofiische Wesen , die die Pflanze und den Tierkörper abzehren
oder ausfressen, vgl. o. S. 13 u. 280.) Mit dem „Palmzweig
schlägt man beim ersten Austrieb die Kühe ^ und in Tirol betritt
kein Hirte die Alme ohne ihn. -Wenn die Kühe sich mit den
Köpfen so enge verketten, daß sie nur mit Mühe auseinanderzu-
bringen sind, löst ein geweihter Palmzweig den schlimmen Zustand.*
Wie dem Tierleibe bringt der Palmzweig durch Entfernung der
dem Wachstum feindliehen Geister dem menschlichen Körper
Wolsein und Gedeihen. Man ißt Palmkätzchen als Präservativ
1) Panzer II, 189, 320.
2) Reinsberg-Dtiriogsfeld Pestkai. a. Böhmen 111.
3) Banmgarten, das Jahr S. 21
4) Vgl. Flohe vertreibt man so: man wickelt in der Charwocbe ein
Bündel geweihter Palmzweige in ein Tuch und steckt es hinter ein Mntter-
gottesbild; wenn dann Ostern die Glocken zur Auferstehung läuten, schwingt
man das Bündel dreimal und ruft: „fort mit allen Tieren, die keine Knochen
haben", so sind die Flöhe für das ganze Jahr vertrieben. Grohmann, Abergl.
a. Böhmen 85, 618.
5) Leoprechting 170.
6) Alpenburg, Mythen 396.
Der Schlag mit der LebeDsrate. 291
gegen Fieber,^ Zahnweh oder Halsweh.* Wie in Frankreich der
Pahnzweig demTodten in denSai^ mitgegeben wird, steckt man
ihn in Böhmen und Oldenburg als Lebensrute auf das Grab.*
Auch die dem Wachstum der Pflanzen feindlichen Dämonen
sollen durch die Palmen verscheucht werden. In Baiem tut
man dieselben sammt den am Gharfreitag gebrannten Holzstäbchen
und Asche des Osterfeuers aufs Feld, um dasselbe gegen Hagel-
schlag zu sichern,* in Oberbaiem sind es Palmkreuze, die neben
geweihten Eiern in jede Ecke des Ackers gesteckt werden.*
Dadurch yermeint man die Raupen, Komwtirmer, Mäuse und
Maulwürfe zu vertreiben.* Steckt man Palmen in die Wintersaat,
so wächst diese so hoch, als die Palmen sind.^ Man wirft auch
nur einige PalmblUten in die grüne Saat, um diese zu segnen.®
Vielfach werden Ostern, zuweilen Maitag die Felder gepalmt*
In Ostpreußen steckt man in die Ecke des Misthaufens Palmen,
dann wird er sehr fruchtbar.*^
In Schottland (Lanark) hielten auch 1795 die Schulknaben
am Tage vor Palmsonntag einen feierlichen Umzug mit einem
langen Weidenbaum , woran Affodill , Seidelbast und Buchsbaum
befestigt waren. ^* In England setzte man am Palmsonntag
geweihte Palmkreuze über die Türen und tat sie in die
- 1) Birlinger, U, 74, 89. Reinsberg-Düringsf. S. 111.
2) Zingerle« 147, 1264. 109, 942. 943.
3) Beinsberg - Düringsfeld , Festkalender a. Böhmen 116. Strackerjan
a. a. 0. Vgl. daß nach der Legende der Baum des Lebens aof Adams Grabe
wSchst. Piper, evang. KaL 1863. 8. 52. 60.
4) Panzer II, 79, 114.
5) Panzer 11, 212, 380. VgL ebda. S. 534. „ In Bering ist der mitt-
lere aufrechtstehende Teil des Kreuzes ein Palnizweig, welcher am Palm-
sonntage geweiht worden ist. Dieser Zweig wird oben gespalten, um einen
Zweig des Lebensbaumes und einen Weidenzweig mit den Kätzchen (Palm-
mudeln) befestigen zu können, welche beide Zweige die Anne des Kreuzes
bilden. Am Oatertag gebt jeder Bauer mit seinen Dienstleuten um jeden
seiner Aeoker , steckt auf jedes Eck ein solches Kreuz und Stück eines geweih-
ten Ostereis, in die Mitte des Feldes ein ganzes rotgefärbtes Ei, das Kreaz
und ein am Gharfreitag angebranntes spitzes Holzstück.''
6) Grohmann 61, 449. Wuttke« § 647.
7) Beinsberg -Düringsfeld^ Festkalender a. Böhmen. 110.
8) Ebds. S 111.
9) Kuhn, Westf. Sag. H, 145, 418. 155, 437.
10) Wuttke« § 650
11) Brand, pop. antiqa. ed. EUis I, 121.
19*
2d2 Kapitel III. Banmseele als Vegetationsdämon:
Geldbeutel, (vgl. o. S. 283), um den Teufel zu verjagen.
Asche des geweihten Buchsbaums galt mit Weihwasser vermischt
als wirksames Heilmittel gegen das kalte Fieber und sollte die
Würmer tödten.*
Die ausgehobenen Belege sind in vollstftndigs^m Maße, aus-
reichend, um darzutun, daß die wichtigsten Stttcke des an den
Schlag mit der „Lebensrute" gehefteten Volksglaubens den
Palmbüscheln auch ohnehin schon (zukommen, vornehmlich die
Kraft^ Dämonen, dem Körper schädliche Geister zu vertreiben und
dadurch Menschen, Tieren, Pflanzen Wachstum und Gedeihen zu
sichern. Wie der Maibaum, Emtemai, Richtmai werden sie zu
solchem Behufe aufs Dach gesetzt, in den Wohnräumen ange-
bracht, wie der Richtmai schützen sie vor Blitz und Stürmen.
Ja sie sind ein Symbol des aus dem Grabe wieder erblühenden
Lebens (S. 286. 287. 291). Es erhellt, daß der Schlag mit dem
Palmbündel besonders nachdrücklich die Heilswirkungen übertragen
und vermittehi sollte, welche den vereinigten Zweigen an sich
beiwohnten. Um so weniger werden wir uns der VennutUng
entziehen können, daß die Schmackosterrute (o. S. 258 ff.) die
Kindelrute (o. S. 265 ff.), der Fuöstrauch (Fastelabendrute) zu Ostern,
Weihnachten, Fastnacht durch Uebertragung auf ein anderes
Kirchenfest aus dem Palmsonntagsbrauch entstanden und mit der
Kirche und ihrer Ausbreitung gewandert seien. Die Uebertragung
auf Ostern vorwärts und auf Fastnacht rückwärts lag nahe. Auch
spricht ftlr dieselbe deutlich der Umstand, daß die Schmackoster
gemeinhin aus einem Bündel von mehreren Weidenzweigen
besteht. Eben dasselbe ist zuweilen bei dem zu Weihnaehten
oder am Tage der unschuldigen Kinder gebrauchten Schlaginstru-
mente der Fall. Auf den letztem Tag (28. Dez.) an welchem
die kirchlichen Geremonien durch Kinder nachgeahmt wurden,
wollte man um so eher die Darstellung der dem Palmsonntag
identischen Festgeschichte des 1. Advent übertragen, da die
Beteiligung der Kinder am festlichen Empfange des Heilandes in
Jerusalem in älterer Zeit mit besonderer Betonung hervorgehoben
wurde, (o. S. 282. 285. 291.) Vom 28. Dez. aus ergab sich sehr
einfach die Verschiebung auf den 3. Weihnachtstag. So nahe
1) Dialoge betwene two Neigbonrs 1554 bei Brand' a a. 0. 127. New-
ton, Herball to the Bible p. 207. Brand a. a. 0. 126.
Der Sehlag mit der Lebensrate. 293
«
nun diese Yermutungen liegen , sind dagegen doch die beiden
Umstände in Erwägung zu ziehen, daft einmal eine dramatische
Veranschaulichong des Einzugs Jesu in der Adventszeit (so yiel
ich mich erinnere) nicht bekannt ist,^ dann daß meistenteils nicht
Weidenbtlndel , sondern einzelne grün ausgeschlagene Aeste
anderer Bäume zum Frischegrünpeitschen, Fitzeln u. s. w. ver-
wandt werden, die Weiden somit erst durch Analogie mit dem
Palmsonntags - und Osterbrauch von diesem her in die schon fest-
stehende Weihnachtssitte vereinzelt herttbergenommen sein könnten.
Wieder auf einen kirchlichen Brauch und zwar auf einen der
zunächst vom Osterfest entlehnt sein möchte, scheint auch der
Umstand zu weisen, daß in Frankreich saec. XV. die durch die
Rutenschlagung unzweifelhaft zu er^zende Sitte, Leute früh-
morgens aus den Betten gerissen mit Wasser zu begießen (o. S. 260)
am Altar der Kirche und von Klerikern geübt wurde. Denn zu
Ostern findet sich, auch außerhalb des Gotteshauses der nämliche
Brauch (o. S. 259), zu dessen Erklärung sich zunächst die aus der
Eigenschaft des Osterfestes als vorzüglichste Taufzeit entsprun-
gene Heiligkeit des Osterwassers darbietet.
Nahm die Schmackoster - Fastnachts - Kindelrute vom Palm-
busch ihren Ausgang, so muß auch das Schlagen aus dem Ideen-
kreise des letzteren erklärt werden. Die dem Heiland zu Füßen
geworfenen, von ihm beschrittenen Baumzweige, deren gleich-
wirksame Stellvertreter die vom Priester geweihten Ruten waren,
konnten .als seiner Kraft, seines Wesens teilhaftig geworden
betrachtet werden.
So gut man von Maria dichtete:
„dt bist sam der c^derbonm,
den da flluhet der wurm",*
mochte die das Geistige vergröbernde und in den Bann des Sinn-
lichen herabziehende Phantasie des christlichen Volkes mithin die
„Fahnen'^ in materiellerer Auffassung als Dämonenvertilger, Wurm-
vertreiber bezeichnen. Die schnelle, schüttelnde Bewegung des jüdi-
schen Weidenbüschels am großen Hosanna wäre der Ausgangspunkt
gewesen , von welchem aus die christliche Festsitte zur Uebertra-
1) Dafi in Tirol der Schinimclrciter Anldöpflesel genannt wird, Zs. f. D.
Mjth. in, 387, darf doch schwerlich dafür angesehen werden.
2) Melker Marienlied. MüUenhoff n. Scherer, Denkmäler deutscher Poesie
und Prosa 1864 XXXIX S. 117.
2d4 Kapitel DL Bauzuseele als Yegetatipnfid&mon:
gang der dem Zweige einwolmendeii Kräfte auf MensoheB, Tiere,
Pflanzen durch Berührung , durch Schläge mit demselben sich
fortbildete. Als Dämonenvertreiber hätte derselbe zugleich seinen
Platz auf dem Dache des Wohnhauses oder Viehstalles gefunden,
um die Wetterhexen und Krankheitsgeister abzuhalten. Mit einem
Worte, mit den Kräften Jesu, des LebensfUrsten erfüllt hätte der
Baumzweig, oder Zweigbündel dadurch alle jene Eigenschaften
der Lebensrute überkommen, welche wir o. S. 278—281 zusammen-
gestellt haben.
Enthielten diese Ausführungen den wirklichen Sachyerhall^
so würde die Consequenz erfordern auch das Schlagen mit dem
Sommer- und Maibusch (S. 252. 264) das Kälberquieken (o. S. 270)
für Uebertragungen der Palmrute auf einen anderen Jahrestag zu
erklären. Und in der Tat weist die Gestalt des in Böhmen zum
Schlagen verwandten Sommers „Bündel von Weiden, mit bunten
Bändern durchflochten, statt des sonst zu diesem Behufe dienen-
den Bäumchens auf eine Vermischung vonLätare- und Palmarum-
gebräuehen hin ; und auch sonst ist eine derartige Uebertragung
nicht selten nachweisbar. In Oberschlesien z. B. heiBt der
„Sommer^', das am Lätaresonntag einhergetragene gesclmittckte
Bäumchen, durchstehend „Mai^V ^^^ ^^ ^^^ ^^^ ^^^ Sache
nach nächstverwandten Brauche 4^^ Namen empfangen. Da wir
in der Palmsonntagsprozession sowohl in Moskau o. S. 285, als
in Frankreich o. S. 286 und Belgien S. 287 einen, wie der Mai-
baum und Sommer , mit bunten Bändern , Früchten , Kuchen aus-
gerüsteten Baum entweder als Palmbusch verwandt oder dem
Umgange vorausgefahren, oder endlich in der Hand des Christus-
bildes befindlich sehen; wobei wieder der erste Gedanke auf
einen Ausfluß christlicher Symbolik (o. S. 242 ff.) sich richten muß,'
so werden wir sogar der Frage nicht ausweichen dürfen , ob nicht
der Maibaum, weit entfernt als Verkörperung des Vegetations-
dämons „Lebensbaum'^ zu sein, vielmehr ursprünglich aus dem
Palmsonntagbrauche abstammend der (Baum des Lebens in christ-
1) S. o. S. 181. Vgl. „den Maien Bingen** am Maiensonntag (L&tare)-
za Brieg. Koch (Gierth), Denkwürdigkeiten der Herzogin Dorothea SibyUa
S. 42 if. In Oesterr. Schlesien „Sommer oder Mai" Peter, Volkstüml. II, 280.
2) Vgl. Pipers Nachweis über den in Fasten predigten der griech. Kirche
gewöhnlichen Vergleich des in die Mitte der Fasten aufgenommenen Kreuzes
mit dem Baume des Lebens mitten im Paradiese. £v. Kai. 1863. S. 72.
Der Schlaft mit der Lebensrute. 2d5
Uchem Sinne gewesen und sammt Bichtmai und Brautanaie aus
rein kirchlichen Ideen entsprungen sei. Selbst die o. S. 182 nach-
gewiesene Eigenschaft desselben als tnythischer Doppelgänger
des Menschen würde sich dieser Erklärung fügen, da (ygl. o. S. 282)
der grüne Fruohtbaum auch ein Bild des wahren Christen war.
Solcher Annahme stehen jedoch die gewichtigsten Tateachen
widerspruchsvoll gegenüber. Der Maibaum kann von dem Som-
mer, dem Emtemai, dem Richtmai und der Brantmaie nicht
getrennt werden. Der „Sommer^' als Gegensatz des ,, Todes '^
im Frühimg hat augenscheinlich reine Naturbedeutung. Der
Erntemai aber entspricht in allen Stücken, Ausrüstung mit
Bändern, Früchten, Backwerk und Gefäßen mit Flüssigkeit,
Anpflanzung vor dem Hause (oder Tempel), Verbleib an diesem
Orte bis zur nächsten Ernte, Verbrennung nach Jahresfrist so
genau mit der griechischen, schon von Aristophanes bezeugten
Eiresione, daß man an dessen vorchristlicher Entstehung nicht
zweifeln dari'.^ Die dem Maibaum und Palmsonntagsstrauß
gemeinsamen Züge begegnen ebenfalls schon im italischen und
hellenischen Altertum. In Rom besteckte man (zur Abwehr von
Mißwachs und Krankheit der Gewächse, Tiere und Menschen)
bei den Palilien am 21. April den Schaistall mit einem grün
belaubten Zweige, die Tür mit einem Kranze*, Weißdomruten
und Wegedom wurden (am ersten Juni) über Tür und Fenster
angebracht, um alles Unheil (noxas) davon hinwegzutreiben und
vor allem die gespenstischen, eulengestaltigen Strigen, Geister
der Krankheit und Auszehrang, welche den Wiegenkindem die
Eingeweide ausfressen, fernzuhalten.^ Am ersten März pflanzte
man junge Lorbeerbäume je einen vor die Türe der Regia, der
Curien und die Hänser der Flamines , nachdem man die vorjähri-
gen entfemt hatte (laureae veteres novis laureis mutabantur).
Zugleich wurde neues Feuer im Vestatempel angezündet.^ In
1) Da ich Über die Eiresione demnächst an einem anderen Orte aus-
föhrlicher handeln werde, verweise ich einstweilen auf Bötticher, Banrnknl-
tus der Hellenen S. 893 Ä. A. Mommsen Heortologie S. 194. 271. 275. Prel-
ler, Griech. Myth. Aufl. 2. I. S. 203.
2) Ovid, fast. IV, 737.
3) Ovid, fast. VI,129ir.^
4) Macrob. Saturn , 1 , 12.* Cf. Ovid , fast. III , 137 fif. :
Laurea flaminibus, quae toto perstitit anno,
ToUitur: et frondes sunt in honore novae.
296 Kapitel III. Baauiseele als Vegetationsdämon.
Hellas pflanzte man Lorbeerreiser vor dem Hanse auf, oder lieft
Lorbeer und Wegedom (^aftvog) über der Haustüre aushängen.'
Wie der Maibaum das Dach der beliebten Jungfrau oder des
Hochzeithauses schmückt; so stattete man in Rom die Türen des
Brauthauses mit Lorbeer aus* und die athenischen Eupatriden-
familien steckten sowol bei den Hochzeiten als bei dem Feste
der Mannbarkeitserklärung ihrer Söhne und Töchter mit Binden
gezierte Lorbeerzweige vor den Türen auf. Dies geschah einer-
seits zum Schutz vor Gewitter, denn wo Lorbeer ist, schlägt nie
der Blitz ein;" andererseits zur Abwehr feindlicher Dämonen.
Wo sich Lorbeer befindet — heißt es — stellt sich ebensowenig
die Epilepsie ein, als der Blitz dahin komme, wo er, oder ein
Feigenbaum stehe-/ er halte die Dämonen ab und zerstreue
^en Zauber.^ Der Lustration wegen, zur Abwehr von Zauber
wird Lorbeer auf dem Heerde verbrannt,* nach Hesiod 0. e. D.
433 ist er nicht dem Wurmfraß ausgesetzt (axicjiMiog). Das
Haus und seine Bewohner aber gelten durch die Aufhängung oder
Einpflanzung von Lorbeerzweigen oder Lorbeerbäumen vor den
Krankheiten des Gemütes , wie des Leibes bewahrt. '' Zur Hei-
lung von Irrsinn wurden Lorbeerkränze um den Hals gelegt.
Janaa nnnc regis posita viret arbore Phoebi:
Ante tuas fit idem, curia prisca, fores.
Yesta quoqne nt folio niteat velata recenti,
Cedit ab IliaoiB laurea cana focis.
1) Diog. La6rt. 4, 57: ^afivov t€ xal xliiSov ^dtpvrjg vnkQ &vQav ^&fjx(r,
Hesych.: xotfivd-a* Satp'tiv r\v laräai ttqo t^v nvliov. Cf. Dioscorid. I, 119.
2) Javenal. Sat. 6, 80: Omentor postes et grandi janna lanro. Sohol.
vel frondiboB et ramis laureis ad celebritatem nuptiarom omato* postes et
janoam.
3) Non. morb. curat c. 259 p- 294: ra cf^ (fvlaaaovra an 6 x^Qavvtav
€tai ravra , iv filv roTg (pvroTg cTa^^i} xal ai'xrj. Cf. Botticher S. 363.
4) Etym. M. xoQVxf-dkrj , rj n^b t(ov 0-v^iov Jithe/ii^vrj Jdffyjj , ^ßriadinraiv
yuQ risiv vioiV xu\ d-vyaT^QCüy , ddtpvae nQoeTlbovv itprißCoi^g xal ydfiotg tig
To SCxQov. Hesych.: xoQv&aUa ddifvti larefifÄiprj, Cf. B5tticher S. 373.
5) Boissonad. Anecd. Gr. 1, 1. p. 425: ov^k yäo l((>a voaog ^ dtti/iav
na^svo^lii rß Jontp h tp ^dtpvij (ailv, SanfQ oM^ xiqawbg Snov avx^,
dXXa xal axtdaarixfj (paQfddxatv i(n(v. Geop. 11, 0.2: o^-ev xal dm^S-dvitai
dal/dotxiry xal ^v&a av ^ Sdipvri ixno^ioy datjuov fs. Cf. Bötticher S. 360.
6) Bötticher S. 365.
7) Bötticher S. 360.
Der Schlag mit der Lebensrute. 297
Mit Binden geschmückte Lorbeerzweige dienten als Sprengwedel,
mit denen sich der Gottesftlrchtige beim Eintritt in den Tempel
mid beim Ausgange ans demselben aus dem Weihwasserbecken
besprengte (vgl. o. S. 287) und von welchem er beim Herausgehen
ein Blatt za sich nahm und möglichst lange bei sich trug (vgl. ^
0. S. 291 die gegen Fieber genossenen Palmkätzchen), um die
empfangene Reinheit dauernder zu machen. Solches Besprengen
befreite angeblich von der Pest.* Auch ins Saatfeld wurde ein
Lorbeerzweig gesteckt, um das Getreide vor Rost und Brand zu
behüten.* Uebrigens war der Lorbeer ursprünglich, wie der
Maibaum, als beseeltes Wesen gedacht. Diese Tatsache ist der
sichere Gewinn, den die Mythenanalyse aus der Sage von der
durch Apoll verfolgten und in den Baum verwandelten NympKe
Daphne ziehen kann. Denn Apollos Liebschaft ergab sich ein-
fach aus der Stellung, welche die Pflanze in seinem Kultus ein-
nahm , und die Metamorphose mit allen ihren näheren Umständen
war nichts als ein Versuch , die im Glauben ihren Platz . behaup-
tende Baumseele mit der Botanik in Einklang zu bringen.
Es zeigt sich also, daß die Mehrzahl derjenigen abergläu-
bischen Sätze und Bräuche, welche der Volksglaube gleicher-
weise an den Maibaum wie an den Palmbttschel heftete, schon
vor der Entstehung des Christentums vorhanden waren. Wir
dürfen daraus mit Sicherheit schließen, daß sie nicht erst aus
den Anschauungen des letzteren heraus entwickelt, sondern aus
älterer Tradition so zu sagen fertig aufgenommen, mit äußerlich
ähnlichen Stücken seines Kultus verbunden, und in seinem Sinne
umgedeutet sind. Somit hat zwar wahrscheinlich eine Ueber-
tragung der Palmrute vom Sonntage Palmarum auf andere christ-
liche Festtage stattgefunden, aber die daran gehefteten Vorstel-
lungen und Bräuche, welche den Palmbttschel als Lebensrute
characterisieren , sind durch unbewußte oder bewußte Verschmel-
zung mit älteren Bräuchen hinsichtlich eines Baumzweiges ent-
standen, der in Italien und Hellas im'Lorbeer (Eiresione u. s. w.)
1) Theophrast. Char. 16. Clemens Alex. Strom. YIIL §. 49. Bötticher 370.
2) Plin. bist. nat. XYIII. 45: Bnbigo quidem, maidma segetnm pestis,
lanri ramis in arvo defixia transit in ea folia ex arvis. Geopon. V, 33, 4.:
(pjal Sk Anovlr^iogy iay ^dffvrjs Iv Tj aQOVQtf xXddovs ßdXrjig, fiiTaßatvuv
efs avtövs rriv ßXufiriv irjg i(ßva{ßrjg, Bötticher 362.
2d8 Kapitel HL Baumseele ab Vegetationsdamon:
im Norden im Maibaum (Sommer) Beinen Hauptrepräsentanten
hat DaB Hereindringen des abergläubischen, der Naturreligion
aagehörigen Elements in den Falmsonntagsbrauch war um so
leichter möglich , als derselbe in letzter Grundlage ja auf einen
Emtebrauch zurückging (o. S. 282), und somit von Hause aus
unserm Emtemai und der griechischen Eiresione verwandt war.
Wann und wo. aber die christliche Sitte die superstitiosen Zutaten
in sich aufnahm, ob der Hauptsache nach schon vor ihrer Wan-
derung in den Occident, oder ob dies an verschiedenen Punkten
mehrmals selbständig und auf zwar ähnliche, aber doch im ein-
zelnen abweichende Weise und in verschiedenem Maße geschah,
darüber erlaubt das bis jetzt vorliegende historische Material
noch keine Entscheidung.
Sind die übrigen Bräuche , das Aufstecken des Palmbfischels
auf Haus und Viehstall, und ins Saatfeld, seine Anwendung als
Dämonenvertreiber gegen Krankheit, Ungeziefer u. s. w. heid-
nischen Sitten nachgebildet, so wird die Vermutung berechtigt
sein, daß auch der Schlag mit demselben, wie mit der Schmack-
oster-, Fastelabend -^, Fitzelrute seine Entstehung der Ueber-
tragung einer vorchristlichen Begehung auf die kirchlich geseg-
nete Palmrute und ihre Sproßformen verdanke. Hieftlr spricht
der Umstand, daß d^ gegenseitige Schlagen der beiden Geschlech-
ter, der Schlag auf Fuß und Hand, so viel ich sehe, aus christ-
lichen Ideen kaum eine Erklärung gestattet, dagegen bei ver-
gleichender Betrachtung der römischen Luperealienbräuche uralte
Analogien findet Und in der Tat, wenn der für Menschen und
Tiere als mythischer alter ego auf Häuser und Ställe gepfianzte,
im Saati'eld als Emtemai die Bolle des Wachstumsgeistes aus-
flillende, häufig (gleich dem Palmbusch zu Ostern) am ersten
Mai in Form eines Birkenzweiges, Holunderbusches, Vogelbeer-
baumes y in den Acker gesteckte Maibaum , wie die Eiresione und
der griechische Lorbeer, einer anderen, beziehungsweise älteren
Schicht des Volkslebens seinem Ursprünge nach angehört, als das
Palmarumfest, so wird das Kälberquieken (o. S. 270) nicht davon
getrennt werden dürfen ; und grade dieses findet sein Gegenstück
in einem schon in den Veden erwähnten indischen Brauche (o.
S. 275). Wir stoßen hier mithin auf eine anscheinend sichere
Spur davon, daß das Schlagen mit grünem Zweige der Befruch-
tung halber unabhängig von christlichen Ideen entbtanden ist und
Der Schlag mit der Lebensrate. 2d9
geübt Würde. Eine zweite solehe Spur ist der aus Rheinland
und Rußland nachgewiesene Erntebrauch (o. S. 277). In Rom
schlug man , um die Strigen zu verscheuchen und das Gedeihen
des Kindes zu bewirken ^ Tür und SchweUe der Kinderstube drei
mal mit belaubtem Erdbeerbaumzweige. ^ In diesen Fällen kann
unmöglich der doppelte Gedanke verkannt werden, daß der
Schlag mit dem grünen saftreichen (vom Vegetationsdämon beseel-
ten) Gewächse die Miswachsgeister vertreibe , und zugleich ande-
rerseits positiv mit Saft und Lebenskraft und Wachstumsver-
mögen begäbe. Vgl. ^^Frisches Grün, langes Leben! ^^ o. S. 265.
Auf dieselbe Vorstellung, die Austreibung der das Wachs-
tum hindernden Dämonen, scheint mir eine Reihe von Hochzeit-
sitten zurückzuführen, welche längst die Aufmerksamkeit der
Forscher auf sich gezogen haben, bisher aber anders gedeutet
smd. Am fleißigsten hat Friedberg in seinem trefflichen Buche
„Das Recht der Eheschließung^^ das Material zusammengestellt,
dem ein Teil der folgenden Beispielsammking entnommen ist.
Um Roding in der Oberpfalz treibt der Hochzeitlader vor
der Trauung die Braut mit einem weißen abgeschabten
Birkenrütlein unter beständigem Schlagen von der
Kirchtüre bis in den Stuhl, welchem gegenüber der Bräutigam
seinen Platz einnimmt. ^ Bei den Katholiken des polnischen Erm-
landes pflegt man gleich nach der Hochzeit die Braut aus dem
Hause zu schicken und mit fichtenen Stöcken nach den beiden
sich entiemenden jungen Ehegatten zu schlagen.^ Wir reihen
hier gleich die Form des Brauches bei verschiedenen lettischen
Stämmen an. Die Sudauer im westlichen Samlande fahrten um
1526 bei der Hochzeit die Braut feierlich zu Bette und schlu-
gen sie. Bei den Litauern peitschte um 1690 der Führer
des Brautwagens die Braut in die Klete (das Schlafgemach).
Bei den Letten in Kurland wurden die jungen Eheleute um 1700
bei der Ankunft in des Bräutigams Hause sofort in die Klete
ins Bett geworfen, und bei zwei Stunden eingeschlossen. Dann
kamen die Verwandten mit Stöcken, öflheten leise die Tür
und prügelten den jungen Ehemann, wenn er nicht schnellep
1) Ovid. fas^. VI, 155: ProtiDUs arbutea postes ter in ordine tangit
fronde: ter arbutea limliia fronde notat.
2) Schönwerth 1,87.
3) Toppen, Abergl. a. Masaren. Aufl. 2. S. 89.
300 Kapitel III. Baomseele als Vegetationsdämon:
Sprunges entwischte. Besondere Prügel erhielt er, sobald es sich
zeigte, daß er sich bei seiner ehelichen Obliegenheit lässig oder
nntttchtig benommen.^ Sehr ergötzlich beschreibt bekanntlich.
Immermann im Münchhs^usen , wie bei einer westfälischen Hoch-
zeit während der Traurede Männer, Frauen, Mädchen und Bur-
schen dicke Knittel aus Sacktüchern hervorziehen; kaum ist die
Feierlichkeit vorbei, so stürzen sie in wildem Tumult auf den
Bräutigam zu und lassen ihre Knittel auf seinen Rücken, seinen
Schultern und überhaupt aller Orten, wo Platz ist, tanzen. Der
Brauch existiert noch in der Soester Börde, wo man irrtümlich
als Grund angiebt, der Bräutigam solle fühlen, wie Schläge
schmecken und seine Frau damit verschonen.^ Im Saterlande
schlugen die Jünglinge den jungen Ehemann, wenn er aus der
Kirche kam , mit Hüten und Schnupftüchern , weil er ein Abtrün-
niger sei.^ Gegen diesen Brauch erließ der Erzbischof von Köln
1607, andere Kirchenflirsten und Concile schon früher Verord-
nungen.* Schon im 15. Jahrhundert tritt er uns im Schwanke
von Mayr Betzen Hochzeit 106 — 113 in einer offenbar verderb-
ten und abgeschliffenen Form' entgegen:
Für die kirchen man in (den Bräutigam) fürt,
Manig ackerknab da nach im türt.
Seit still! sprach der mesner.
Die törpel namen Betzen her,
Sy erwüsten in bi dem bar
Und rauften in zwar
So grimmeclich vnd hart,
Das er ser schreyen wart,
Als dann ist der pawren sit.
Von der Kirchen hiemit
Giengen si wider hain.*
Im Hannoverschen schlug man sich nach der Copulation mit
Fäusten.* Gradeso geschah es nach Rabelais in Frankreich: Les
1) Lepner, der prenß. Litauer. Danzig 1744. p. 41. Von Brand, Bei-
Ben durch die Mark u. s. w. Wesel 1702. p. 78.
2) Kuhn, Westföl. Sag. 11,42,112.
3) Globus XXn, 1872. S. 199.
4) Cf. Köln 1536 bei Harzheim , Concil. Germ. VI , 289.
5) Klara Hätzlerin, Liederbuch ed. Haltaus 260 — 61. Noch andere
Beispiele sind bei Weinhold, die deutschen Frauen S. 2(^2 und bei Friedberg,
das Recht der Eheschließung Lpzg. 1865 S. 86. 96. angef&hrt.
6) Hoyasche Kirchenordnung v. 1577 bei Richter evang. Kirchenordn.
Weimar 1846 H, 357.
Der Schlag mit der Lebensrate. 301
parolles dictes et la marine baisee au sou da tabour voub toiis
baillerez Yung ä Taultre du Bonbvenir des nopces: ce sont petitz
coapz de poing. Tels coups seront donnez en riant selon la
contame observ^e en toates fian^ailles.^ In der Gegend von
Chartres schlugen die Nächststehenden die jungen Eheleute wäh-
rend Erhebung der Monstranz dreimal mit einem Messerstiel zwi-
schen die Achseln, damit sie nicht eifersüchtig würden.' Nach
einem von Wackemagel mitgeteilten Trauibrmular aus saec. XV.
soll der Priester selbst dem Bräutigam einen Schlag auf die
Schulter geben. ,,Et sie percute cum supra scapulas.^'^ Bei Olaus
Magnus L. XIV. c. 9 wird von den schwedischen Hochzeiten
erwähnt y daß sich die Jungen gegenseitig prügeln ,,dorso tenus
pngno se astantes impetunt, ut actum corroborent.'^
Offenbar ist von den vorstehenden Bräuchen der russische
nicht zu trennen, obgleich derselbe noch scheinbarer als diese
wenn auch ebenso mißverständlich durch ein den heutigen Ver-
hältnissen entnommenes Motiv gedeutet wurde. Am ersten Tage
nach der Trauung steckte der Mann in einen seiner Stiefel eine
Peitsche. Die junge Frau, welcher die Verpflichtung oblag ihm
die Stiefel auszuziehen, konnte wählen, mit welchem sie begin-
nen wollte. Erwischte sie den mit dem Strafinstrument zuerst,
so versetzte ihr der Mann einen Schlag über den Rücken. Die-
ses schlagende Beispiel sollte ihr beweisen, daß der Gemahl voll-
ständige Gewalt über sie besitze. In andern Gegenden heißt der
Vater, der eine Tochter vermählt, am Morgen vor der Hochzeit
dieselbe ein Bündel Ruten hereintragen, und versetzt ihr damit
einige leichte Hiebe, indem er bemerkt, daß er sein Züchtigungs-
recht von nun an ihren zukünftigen Mann abtrete.^ Doch es
bleibe dahingestellt, ob hier wirklich eine Symbolik der väter-
lichen Rechte der Ausgangspunkt oder nur eine Ursache der
Umdeutung des Brauches war. Um so unzweideutiger ist die
Uebereinstimmung, welche ein asiatischer Brauch mit dem deut-
1) Pantagruel IV. A. 2. Cf. die Synoden von Wladislaw 1568 und
Besan^on 1669, bei Thiers, SaperstitLons aDciennes et modernes. AmBterd.
1736 IV, 460. 464.
2) M^oires de Tacad. celt. IV, 242, Myth.» CXVni, 19.
3) Haupt, Zs. f. D. Alt. ü, 556.
4) Heiraten und Hochzeiten aller Völker der Erde. Lpzg. sa. S. 34—35.
302 Kapitel ITI. Banmsccle als Yegetatioiisdämon:
sehen zeigt. Bei den Koriaks auf Kamschatka wird der Bräu-
tigam, wenn er seine Braut empfängt, von seinen zukünftigen
Verwandten und Nachbarn mit Stöcken geschlagen, üebersteht
er dies mannhaft, so erweist er sich als fähig „die Mühen des
Lebens zu ertragen," und wird ohne weitere Umstände in das
Gemach seiner Verlobten geführt.* Auch in Abyssinien hat der
Bräutigam von Seiten der Verwandten seiner Braut eine Prüfung
zu bestehen. Sie peitschen ihn aus, um zu sehen, ob er Mut
hat. Zuweilen fällt die Strafe übertrieben hart aus, denn man
vollzieht sie kräftigst mit der Kurbatsch oder Peitsche von Nil-
pferdhaut. Will der Liebende für einen Mann gelten , so muß er
die Züchtigung mit freudigen Mienen hinnehmen und in diesem
Falle wird er vom Schwaime der Weiber bewundert und mit
einem schrillen Geschrei belohnt* Daß nach diesem Zeugen ver-
hör die von W. Wackemagel und Friedberg vertretene Ansicht
festgehalten werden müsse, die den jungen Eheleuten erteilten
Schläge seien lediglich ein symbolisches Hilfsmittel gewesen, um
dem Gedächtnisse an ihren Treuschwur nachzuhelfen, wage ich
riiit ziemlicher Sicherheit zu verneinen. Sollen wir diese juri-
dische Absicht auch den Koriaken und Abyssiniem dabei zuschrei-
ben? Viel zusagender ist dem Standpunkte der Naturvölker
der Wunsch, aus den jungen Eheleuten, die die Befruchtung und
Geburt zurückhaltenden Dämfonen auszutreiben und die Ent-
fernung des die Entbindung hindernden bösen Geistes wird auch
die Absicht in dem folgenden neugriechischen Brauche sein.
Denn nicht nur bei der Hochzeit machen die Eheleute mit Schlä-
gen Bekanntschaft. In Griechenland kommt der Ehemann seiner
in Kindesnöten kreißenden Ehehälfte zu Hilfe, indem er ihr mit
den Quasten seines Gürtels auf die Schulter schlägt und sagt:
Ich habe dich beladen und Gott soll dich wieder eqtladen (fyci
a' ffpoQTtoaa, x/' 6 d-aog ai ^eq^oQTcoorjl) Dann wird sie leicht
gebären.*
Bei verschiedenen, ganz fernen Naturvölkern wiederholen
sich noch andere Begehungen, welche in entschiedener Ideen-
1) A. S. Bickiuore, the AIdos or hairy men, American Journal of
science, May 1868 p. 12 bei M Müller Essays. Lpzg. 1869 II, p.331.
2) Baker ) Nilznfl&sse in Abyssinien I, 117.
3) Bybilakis, neugriechisches Leben S. 4.
' Anslanf über die Irmensäule. 803
Verwandtschaft zn den erläuterten Branchen stehen. In Nen-
califomien wird das Mädchen beim Eintritt der Pnbertät in
die Erde gegraben nnd diese mit Raten geschlagen ^^ offenbar,
nm das jnnge Weib durch Verjagung der Unfruchtbarkeitsdämo-
nen der großen Gebärerin Erde gleich zur Erfüllung der Mutter-
pflichten tauglich zn machen. Ganz ähnlich dem Schaumburgi-
schen Flöhausklappen (o. S. 268) wird von den Salivas (Süd-
amerika) erwähnt; daß sie vor Beginn der Feldarbeit die jungen
Leute auszupeitschen pflegten, um ihnen, wie sie sagten, die
Faulheit auszutreiben.' Bei den Mandurucas (Brasilien) und Aro-
waken (Britisch Guyana) sollen beim Tanz zu Ehren eines Todten
die Waden blutig gepeitscht werden.^ Dies geschieht, um die
Seele des Todten zu verscheuchen. Dieser Tanz gesellt sich zu
dem indianischen Brauche, der von der Bestattung des Gatten
heimkehrenden Wittwe mit einer Hand voll grüner Zweige wie
mit einer Fliegenklatsche um den Kopf zu fächeln , um den Geist
des Verstorbenen von ihr zn treiben , ^damit sie wieder Freiheit
habe zu heiraten.^ In Mexico wurde am Feste der Göttin des
Greisenalters , d. b. der Göttin , welche den Menschen Gesundheit
und langes Leben verlieh, Ilmateuctli, eine Weibsperson, die die
Göttin darstellte, geopfert. Sodann liefen die Priester durch die
Gassen und sehlugen die ihnen begegnenden Personen weiblichen
Geschlechtes mit Heubündeln. ^
Aus diesen Parallelen wird der Sinn des alten Brauches
mit welchem vermutlich christlicher Ritus zur Palmsonntags-,
Schmackoster-,^ Kindeltagssitte in eins verschmolz, deutlich her-
vorgehen. Es war die Baumseele, der Wachstumgeist, der durch
schlagende Berührung mit dem grünen, saftigen Zweige mitgeteilt
die Gespenster des Mißwachses und der Krankheit vertrieb und
Gedeihen und Fruchtbarkeit hervorrief.
§. 10. Auslauf Aber die IrmcnsSule. Es handelt sich um
die Frage, ob auch die Irmensäulen, welche viele Forscher mit
Yggdrasill zusammenstellen, in den Kreis der im Kapitel I. und
1) Waitz, Anthropologie der Naturvölker IV, 243 nach Schoolcraft.
2) Waitz a. a. 0. Ul , 394 nach Alcedo.
3) Waitz m , 393.
4) Tylor, die Anftnge der Cultnr. Lpz. 1873 I, p. 447.
5) Müller, Geschichte der amerik. ÜTreligionen S. 572.
304 Kapitel III. BaumBeele als Yegetationsdämon:
m. behandelten Gebilde sich einreiben. Es könnte wol so schei-
nen. Das Wort Irmensül bedeutet Säule der Volksgesanmdheit
resp. des Gesammtvolkes , Sätde die von Allen verehrt wird, oder
die fwr Alle ein Heütum ist.^ Wenn wir dem Abte Rudolf von
Fulda, der 70 — 80 Jahre nach der Bekehrung der Sachsen
schrieb und mit des Sachsenherzogs Wittekind Enkel bekannt war,
glauben wollen,^ so bestand die Irmensäule aus einem unter
freiem Himmel in die Höhe gerichteten, in die Erde
gegrabenen Baumstamm von bedeutender Größe.' Wie
1) Vgl. Gramm, II, 448— 449. Vilmar, Altertümer im Heljand. Aufl. 2.
1862. S. 62— 64. Mit feinem Sinne führte Vilmar aus, daß der Stamm
alth. irmin— , ags. eormen — , altn. jörmun — zwar allgemein (univer-
salis) bedeute, jedoeh mit verschwindenden Ausnahmen stäts in Beziehung
auf Völker und auf den von ihnen bewohnten Boden gebraucht werde. So
bedeutet, um aller anderen Beispiele zu geschweigen , irmin -thjod, irmindeot
(Hildebrandl.) die Volksgesammtheit als organische Einheit der verschiedenen
Stamme und St&nde, die Nation; aus vielen solcher irmin -tbjodi setzt sieh
die Universalmonarohie (Helj. 10, 20 Schmeller), aus noch mehreren die
Menschheit zusammen (Helj. 102, 3); goth. Airraana - reiks (Name oder Titel?)
Herrscher, der über solche irminthjodi gebietet; vgl. ags. Eorraenraed. Wie
aber der Begriff thjod ein relativer ist und auf engere oder weitere Gemein-
schaften angewandt werden kann, konnte auch irmin -thjod im Sinne des
Altertums ebensowol eine größere Stammgcmeinschaft , wie etwa die Sach-
sen , als eine größere Stammabteilung , z. B. Westfalen oder Engem gegen-
über den Gauen, in welche diese zerfielen, bezeichnen. Vgl. Helj. 87, 13,
wo die 12 Stämme Israels irminthioda genannt sind. Irminsül vergleicht
sich zunächst dem Ausdruck irmingot Hildebrl. 30. d.h. Gott, der von Allen,
von der Volksgesammtheit, dem irminthjod, (resp. der Menschheit!) ver-
ehrt wird, der für Alle wirksam ist, im Gegensätze zu den Göttern der
einzelnen Stämme oder Gaue und den Schiftzgöttem und Fetischen Einzel-
ner. Der Ausdruck thjod -god konnte den umständen nach einen engeren
Kreis umfassen als irmingod, oder aber mit letzterem zusammenfallen. Die
Sprache erlaubt schwerlich an die Bildsäule des Gottes Irmin zu denken , der
aus den Herminones in Tacitus Germ. II. und der unbelegten Glosse irmi-
neswagen für den großen Bären gefolgert wird. J. Grimm , der Myth.* 326
dieae schon von Leibnitz und Grupen vertretene Gombination aufnimmt,
sagt Myth.* 104 ganz correct: „daß sie (die Irmensäule) einem einzelnen
Gotte geweiht war, liegt nicht in dem Ausdrucke.*'
2) Die Zuverlässigkeit seiner Angabe betont unter Neueren u. A. Sig.
Abel, Jahrbücher des Frank. Reichs I. 1866 S. 105. 106.
3) Transl. S. Alexandr. Pertz, Mon. Germ. II, 676: Frondosis
arboribus f ontibusque venerationem exhibebant : truncum quoque ligni
non parvae magnitudinis in altum erectum sub divo colebant, patria eum
Ansknif über die Irmeiis&iile. 805
wenn wir uns danuiter n«ßh Art unserer Maibäiime , der Qaesten-
berger Eiche , des wendischen Kreuz- nnd Kroneobaumes , der
englischen Maypoles einen etwa bis hinauf zur Krone, oder ganz
und gar der Zweige beraubten , nnr zu festliehen Zeiten mit Laub
geschmückten Baum vorzusteUen hätten, der als Lebens- nnd
Schicksalsbaum der gröfieren Gemeinschaft des Stam-
mes oder Volkes betrachtet wurde im Unterschiede von den
entsprechenden LebenslAumen der Ehüzelnen nnd der Gemeinde?
Säule konnte ein solcher Baumstamm wol genannt werden , zumal
wenn er wie der Maibaum im Innthal (Oberiystreioh) die Höhe
von 40 F. erreichte, oder wie der 20 — 25 F. hohe Krenzbaum der
Eibwenden einen Hahn gleichsam als Statue auf der Spitze trug.
Noch passender ließen sich die Londoner Maibäume yon St. An-
drews Undershaft und auf dem Strande vergleicfaen.^ Aus dem
lingua Irminsul appellantes , qnod latine dicitur universalis columna. Seibertz,
Landes- nnd Rechtsgeschichte des Herzogturas Westfalen. Arnsberg 1861 L
8. 185 legt sich Rudolfs Werte so zu recht, daß er damit einen Baumstamm
bezeichnen wollte, der mit seinen kräftigen Zweigen eine fthnliche Idee wie
der himmeltragende Atlas auszudrücken bestimmt war. Vgl. J. Grimms Aenfte-
rung Myth.* 107: ,, Unter truocus ligni dachte sich Ruodolf wahrscheinlicher
einen auserlesenen, heiliggehaltenen Baumstamm, als eine von Menschen-
hand gezimmerte Säule." »»Der westfälischen Irmens&ule liegt die Vorstel-
lung von der hessischen Donnereiche sicher ganz nahe." Und ehenders.
Mjth.< 64: „von dem heiligen Baume der altsächsischen Irmensul wird das
sechste Oap. handeln.'* Beide, Grimm und Seibertz, scheinen einen leben-
den , an Ort und Stelle gewachsenen Baum im Sinne zu haben. Wenngleich
dieser metonymische Gebranch für tmncus zuweilen vorkommt , zeigt doch die
Verbindung truncum erectum, daß hier nur von einem künstlich aufgerich-
teten, mitiiin am Fuß verstümmelten, über der Wurzel abgehauenen Baume,
einem mastbaumartigen , hölzernen Schaft die Rede sein könne.
1) Von der St. Andreaskirche an der Nordwestecke von Aldgate wurde
während des 15. Jahrb. alljährlich ein Maibaum aufgerichtet, der die
Spitze des Kirchturms überragte. Nach ihm hieß die Kirche
8t Andrews Undershaft, und eine Allee, an deren einer Häuserreihe
er unter den Vordächern auf großen eisernen Haken den größten Teil des
Jahres aufbewahrt wurde, Shaftalley. Seit einem Aufstände im J. 1517
wurde er nicht mehr aufgerichtet und 1552 ganz zerstört (Stow bei Hone,
Every daybook I, 278). Die Puritaner eröffneten einen Feldzug gegen alle
Ifaibäume und setzten 1644 ein Verbot derselben durch Parlamentsbeschluß
durch. Schon 1634 Wird der Untergang des Maibaums auf dem Strande
(Bcke der Katharinenstraßc) beklagt , der so hoch war wie der Turm von
Clarkenwell nnd schöner, als irgend eine Stadt, Gemeinde oder Straße im
IfAnnbArdt 20
d06 Kapitel IIL BamnBeele «Is YegeiBtionsdämon :
nämlicheii Gedanken wie die Mai- und J(4iaimisbäanie herror-
gegangen konnte der den Stammesbaiun darstellende Baamstamm
entsprechend der GröBe der in ibm znr Ersehdanng gebrachten
Idee and in Folge der dadurch gebotenoi reicheren Aus-
schmückung bedeut^de Umwandlungen in Form und MaSen,
möglicherweise selbst im Material erlitten haben; es konnte ans
der einfachen Logik der Veiiiättnisse schon damals geschehen
sem, was sich später an unseren Pfingst- nnd Maibäumen viel-
fach wiederholte. Die kolosside Dimension nötigte den Banm
ständig zu machen und auf die lebende Blätteikrone zu yendch-
ten; die Säulenform stellte sich von selbst ein und in der Fülle
ethischer und politischer Ideen , welche sich an den Stamm knüpf-
ten, ward das einfache poetische Bild nnkenntUch, das nraprttng-
lich zu Grunde lag.' Ein treffendes ZeugniA für die Umwandlang
in Säulenform gewähren uns die bei Panzer I^ 237, 262. 11, 82,
125 verzeichneten Branche des Boschenstechens in Niederbaiem.
Hier tritt der Maibaum auf in Gestalt einer sechs Fuß hohen
eichenen Säule , die in den Boden gepflanzt allezeit stehen bleibt
Um ihren oberen Teil ist ein hölzernes Faß mit Seifen herum-
gelegt mid mit Steinen geftfllt Ganz oben an der Säule ist em
Loch, in welches alljährlich am Pfingstmontag ein .Fichtenbänm-
Lande einen hatte „Ml the parish did in one combine to mount the road
of peace — and all the Insty yonkers i a rout with merry lasses danncd
the rod about" Als die Eestauration unter Karl II. auch die Maibaome
wieder einführte, wurde aaf Kosten des Kirchspiels 1. J. 1661 auch der „ma^f-
pole in the Strand" auf dem alten Platze, aber größer und prachtvoller
wieder errichtet. Er war 134 Fuß hoch, wurde mit tfusikbegleitnng unter
Voraustragung eines wehenden Banners in 2 St&cken an Ort and Stelle
geführt und da die Landzimmerleute damit nicht fertig wurden , von 12 See-
leuten mit allem Werkzeug in die Höhe gebracht, zusammengefügt und mit
Eisenb&ndem und 6 Ankern verfestigt. Auf der Spitee war ein purpurnes
Bauner mit dem Wappen des Königs angebracht. Zuerst hielten Morris-
tänzer, dann die Menge den Tanz um den Baum. Dieser blieb über ein
halbes Jahrhundert auf demselben Platze stehen und wurde bei allen fest-
lichen Gelegenheiten mit Fahnen , Flaggen, Guirlanden und Blumen geschmückt,
bis er i. J. 1717 dem großen Astronomen Newton geschenkt wurde, um zu
Wanstead in Essex als Stütze für das damals größte Telescop der Welt zu
dienen. Hone a.a. 0. I, 279—280. H, 330.
1) Wie nahe uns heute noch immer die Beproduction des nämlicheii
poetischen Bildes liegt, zeigen unsere neueren Dichter zur Genüge. Ygl.
z.B. „Wachse du deutsches Reich, grüne der Eiche gleich. (Geibel.)
Anslauf über die Irmenaftole. 807
dbea out Tttohem, Spiehseng u. g. w. behängen eingepflanzt wird.
Naeti einem Umritt nm den Landbezirk wird dieser Maibnsoh
von den Beitem herabgeetochen , das dem ganzen Bezirke Segen
verleihende HeUtam aof diese Weise angeeignet. Wäre nnsere
Erwägung richtig , so wäre zwischen dem schwedischen and däni-
schen Schutzbaum des Hasses nnd der Familie, dem skandina-
visch-deutschen^ englischen und französischen Banme der Dorf-
schaft und Stadtgemeinde, and dem altnorwegischen Weltbaom
das einzige noch fehlende Mittelglied, der Lebensbanm des Vol-
kes oder Stammes in der Innensnl anfgewiesen. ^ Wie anlockend
diese Vermatang immer sein möge, die Armnt unserer Qaellen
Über die tnnensäalen reicht zwar aas, um dieselbe in mancten
wesentlichen Stücken zu ontersttftzen , nicht jedoch nm eine ent^
scheidende Bestätigung zu gewähren. Das wichtigste Zeugnift
bleibt der ofiSziöse Bericht der annales Laurissenses über den
Feldzug Karls des Großen gegen die Sachsen im Jahre 772,
Karl habe die Eresburg eingenommen, sei von da aus bis zur
Ermensäule gelangt (ad Ermensfll nsque pervenit) habe das Heilig-
tum (fannm) zerstört, das Gold und Silber, welches sich dort
vorfond, we^enommen und drei Tage am Orte verweilt, um die
Zerstörung vollständig zu machen. Alle übrigen Annalen sind
abgeleitete Qaellen. Aus jenem authentischen Berichte aber geht
Folgendes hervor. Eine geraume Strecke von der Eresbarg^
entfernt lag der heilige Bezirk (fanum,' w!h, hamg), der nach
1) Noch, an den aus dem Maibaum entstandenen Freiheitsbänmen des
repnbliluiBischen Frankreich sieht man, wie tief die Anlage zn politischen
Ideen in der Ghnmdidee steckte.
2) £resbnrg oder mons Martis, erst seit saec. XIV. Stadtbergen a. d.
Dieme] genannt. S. die urkundlichen Belege bei Seibertz a. a. 0. 1, 188.
Ebenders. Urknndenbnch I, N. 1. 3. 3. 4. 51. 70 ~ 105 n. s. w. Ftbr den Stand-
ort der Irmensänle in der Gegend des BuUerboms bei lippspringe sind die
von Fürstenberg (Monnjnenta Paderborn. 241) aufgebrachten Beweise aner-
kanntermaßen durchschlagend. Sie stand also in Engem, in der Mitte des
Sachsenlandes. S. Zeuss , die Deutschen und ihre Nachbarstftmme S. 890.
3) So beseichnet der Sprachgebrauch jener Zeit die Eultusstätten der
Sachsen. In der 785 erlassenen Capitulatio de partibus Saxoniae (Pertz
III , 48) werden der Verleihung des Asjlreehts < an die christiichen Kirchen
die Worte yorangeschickt: Placuit omnibus, ut ecclesiae Christi quo modo
(1.: quaennodo) consträuntur in Sazonia et Deo sacratae sunt non min<>rem
habeaat honorem sed majorem et excellentiorem , quam vana (1. fana) babuis-
sent idolorunL Of. Abel a. a. 0. 408.
20*
508 \ Kapitel III. Baumseele als VegeiationsdfimoD :
der IrmeBSäule als seinem wiehtigsten Heiltum benannt war,
übrigens aber Anlagen von ziemlich bedeutendem Umfange nm-
faBt baben mnft, wonmter auch Gebäude und Bdöglicherweise die^
Kultusstätten mehrerer Götter sich befanden^ da das Heer drei
Tage zu deren Zerstörung brandite. Daß Karl dies^ Heiligtum
zum Zielpunkte seines ersten planmäßigen Erobemngszuges nach
Sachsen wähUe und eine so lange Zeit darauf verwandte, um es
¥om Erdboden zu yertilgen; zeigt, daß er ihm eine hervorragende
politische Bedeutung beimaß, macht wahrscheinlich, daß es ein
Nationalheiligtum in besonderem Sinne war. Hiezu stimmt
sowol die Größe des heiligen Schatises, als der Name des Heilig-
tums „Säule der Gesammtheit, Säule fttr AUe/^ Hier hört nun
zwar das Tatsächliche auf, aber es liegt die Hypothese sehr
nahe, daß diese Irminsul der nationale Mittelpunkt des Engem-
Stammes, das Symbol der Stammesgemeinschaft aUer Engemgane
gewesen sei.^
1) Yilnar a. a. 0. meint des ganzen großen Sachsenstammes. Nnn ist
freilich dies g6infi, daß wol sohon im Heldentum sieh die Saohsen als
nationale Gemeinschaft gefiüilt haben. Denn zwar yexsch&rft und gereift
unter der Herrschaft der Karolinger, im Gegensatz zu ihr, kann die Idee sein,
welche im 10. Jahrhundert bei dem Mönche Widnkind die herrschende ist,
dem sich die gens Saxonica, der populus Saxonicus als die oberste Einheit
darstellen, in der (abgesehen ton der christlichen Kirche) sich alle Verschie-
denheiten und Gegens&tae des Blutes und der Stellung, der Yolksstämme,
Stande und Individuen aufheben und zu einem lebensvollen Organismus an
einander sdiHeSen, (S. R. Köpke, Widnkind r. Correy. Berlin 1867. S.78ff.),
aber entstanden sein mu& diese Idee bereits in der Zeit der volklieben Selb-
ständigkeit, lieber das Bewußtsein gleicher Stammeigentftmliohkeit und
gleicher Lebensinteressen hinaus gedieh jedoch vor der Einrichtung eines
sftchsischen Herzogtums das G«meingef&hl kaum; mindestens eine geeohlos-
sene politische Einheit bildete der Sachsenstamm nicht; nicht einmal die
größeren Abteilungen (Westfalen, Engem, Oetfalen, Nordleute) schlössen
sich zu einer solchen zusammen; nur im Kriege nnd auch da nicht regel-
mftßig einten sich die yerschiedenen Gaue der einzelnen Abteilungen zu
gemeinsohaftlichem Angriff, oder Widerstand unter einem Fflhrer. (S.
Waitz, D. VerfaBsnngsgesch. Ausg. 1. HI, 112 ff.) Aus diesem Grunde wird
die im 10. Jahrb. (Hucbaldi Tita Lebuini) auftauchende Nachricht von einer
jährlichen Landesversammlnng Gesammtsachsens zu Marklo mit gutem Recht
fnr aprokryph oder ungenau gehalten (Waitz a. a. 0. IH, 114. Nr. B. Sehan-
mann, Gesch. des Niedersächs. Volks. S. 73.) Hienach möge man beurtei-
len^ ob es wahrscheinlich sei, daß die Irmensul eine weitere GemeinsehBft»
als die der Stammabteilung vertreten habe.
AwUuf Ober die Irmens&Qle. 300
Dag ist Alks 9 was wir über die vob Ki^rl dem Groften aer-
störte Säule mit Sicherheit wissen. Widukind von Korvey, der
bekanDtlich um 967 die Vorzeit seines Stammes naeh dem soebeA
verkliBgenden Heldenepos (S. Wattenbach a. a. 0. 1 68. Köpke,
Widukind S. 3) schilderte , berichtet noch von einer andern Irmen-
soI, welche die Sadbisen im Jahre 532 nach der Eroberung von
Scheidungen a. Unstrut vor dem östlichen Stadttor als göttlich
geehrtes Siegesmal (ara viotoriae) errichtet hätten.^ Ist diese
Tatsache auch unhistorisch;' so dürfen wir aus der Dichtung
doch abnehmen, daß die Irmensäulen eine ni^ht auf einen Ort
beschränkte, gelegentlich auf JBöhepunkten des nationalen Lebens
Bur Anwendung gebrachte Institution waren. In diesen beiden
historischen Zeugnissen der annales Laurissenses und Widnkinds
ist nichts enthalten was unserer Hypothese von der Irmensäule
als Lebensbaum der Volksgesammtheit widerspräche. Daß der
„Stammesbaum^^ inmitten eines sonst schon mit Heiligtllmem
geschmückten Ortes aufgepflanzt wurde, oder daß um ihn her
andere Heiligtümer entstanden^ wie am BuUerbom wäre natür-
lich. Und daß an einem eroberten Platze als Siegeszeichen der
Lebensbaum des siegreichen Volkes (sigefolc) aufgerichtet sei^
wäre nicht unwahrscheinlich. Der Deutung auf eine einfache
Trophäe als Entlehnung von den Denksäulen der Römer wider-
spricht der Name Irmin-sfil. Doch bei allem dem bleibt immer
die Möglichkeit lUr diese oder jene andere Erklärung der Irmen-
sul offen, so lange nicht die Form und der Baustoff derselben
uns authentisch und genauer bekannt ist. Die epische lieber-
1) Pertsfi Scr. lU, 423. vgl. Grimm Myth.a 100. Man wird sich Widu-
kinds Vorlage etwa bo vorstellen müssen: /Sigebökan 9ettun endi wilidaa»
trminsüi ,fora östardomn. Was Widukind noch sonst hinzufügt ist ein Ans-
flnß seiner ,,Dbel angewandten Schulgelehrsamkeit.'' £r entnimmt nämlich
aus dem Worte Irmensul, das er vermöge falscher Etymologie in einen Eigen-
namen und ein Appellativum zerlegt, und der Lage vor dem Ostertor einen
dreifachen Vergleich 1) des Namens Irmin mit Hermes, den er wegen des
,, SiegcsdenkmaLs " für Mars hält, 2) der Säule mit Herkules, dem die Säu-
len heilig sind , 3) der Lage mit dem Sonnengotte Apollo. Von einem Gotte,
dem die Irmensul geweiht war ' und von deren Aussehen stand augenschein-
lich in seiner Quelle , dem Heldenliede, nichts. Vgl. a. S. Abel a. a. 0. 105 — 106.
Dagegen bleibt Müllenhoffs in verschiedenen Stücken abweichende Auffassung
(A. Schmidt, allg. Zs. f. Geschichte VIII, 3 p. 209 ff.) ernstlich zu erwägen.
2) S. Glo^l, in den Forschungen z. D. Geschichte IV, 189.
dlO Kapitel III. BaniDseele als V egetationedämoTi :
liefenmg bei Widakind nnd der liistoriscbe Bericht in den Annar
len gewähren darüber gar nichts; die Aussage des späteren
Rudolf von Fnlda aber , welche scheinbar uns zu Gunsten spricht,
erweist sich zwar nicht als unglaubhaft/ aber doch als zu
unsicher, um darauf als einem festen Fundamente zu bauen.
Hiemit sei der Betrachtung eines Oegenstandes genug getan, dem
ein wissenschaftlicher Brauch seit Jahrhunderten einen breiteren
Platz in der Behandlung unserer Altertümer gesichert hat.
1) So viel ich«vreiß, Utt Rudolfs ZengDiß noch niemals einer eingehen-
deren Wdrdignng nnteisogen worden. Woher entnahm derselbe 70 Jahre
nach dem Erlöschen des sächsischen Heidentums seine Angabe? Auffallen
mnß, daß er den Worten „truncnm — snb divo colebant" hinzofagt „patria
eum lingua Irminsül appellantes, quod latine dicitar columna universalis
quasi sustinens omnia. Sollen die letzten beiden Worte eine tJebersetzung
von irmin (omnia) sül (sustinens) sein, denkt sich also Rudolf unter einer
Säule einen Gebalk tragenden Pfeiler, so begreift man nicht, wie derselbe
Mann auf den Einfall kam , die Lrminsul zu einem unter freiem Himmel ein-
gegrabenen Baumstamm zu machen. Hatte er mithin eine wirkliche üeber-
lieferung, die er nicht ganz verstand? Da das Andenken an die Irmensäu-
len im Liede fortlebte, konnte er eben dort, wo er die sächsische Stamm-
sage hernahm (vgl, Wattenbach a. a. 0. 180), auch davon etwas erfahren
haben. Eine einfache Ueberlegung führt auf eine andere Ffthrte. Die Irmen-
sfiule ist der einzige Gegenstand altsächsisohen Kultus, von dem die Anna-
len etwas wissen , ganz natürlich weil das Ereigniß des Jahres 772 die Kunde
davon im Frankenreiche verbreiten mußte. Ist nun aber nicht bedenklich,
daß Rudolf (abgesehen von dem aus der Germania entnommenen Stoffe) von
dem unzweifelhaft reichen und mannigfaltigen Götterdienst der Altsachsen
(cf. die abrenuntiatio) , nichts zu nennen weiß als Baum- und Quellendienst
und wieder die Irmensul? Liegt da nicht der Schluß nahe, daß er eben-
falls einem Bericht über die Geschichte des Feldzugs von 772, oder den Anna-
len selbst seine Kunde verdanke? In ersterem Falle müßte er etwa gelegent-
lich in seiner Jugend irgendwo , oder später am kaiserlichen Hofe mit einem
der wenigen bejahrten Augenzeugen, oder einem Nachkommen von Augen-
zeugen zusammengetroffen seift und aus deren Munde eine Erz&hlung jenes
Ereignisses vomommen haben, unmöglich war das nicht, aber fast ein zu
großer Zufall, um wahrscheinlich gefunden zu werden. Dennoch sehe ich
keinen andern Ausweg, als diesen Fall anzunehmen. Denn noch unwahr-
scheinlicher ist es, daß außerhalb der uns bekannten Annalen eine verein-
zelte schriftliche Notiz darüber aufgezeichnet war, die Rudolf zu Händen
kam, oder daß er den kurzen Bericht der Annales Fuldenses oder der Lau-
rissenses min. (fanum et lucum eorum famosum lrminsul subvertit) durch
Conjectur interpretierte.
Eapitel IV.
Anthropomorphische Baum- und Waldgeister als
Vegetationsdämonen.
§ 1. PersSnIlch dargestellte Baum- und Waldgeister
als Tegetatiens ' DBmonen« Den Uebergang der Baumseele in
den allgemeinen Begriff des Vegetationsgeistes haben wir in den
innerhalb des vorigen Kapitels besprochenen Gebräuchen beob-
achtet Wir gewahrten dabei mehrere Beispiele, in denen das
dem Gewächse innewohnende dämonische Wesen noch besonders
durch eine menschliche Persönlichkeit dargestellt wurde, welche
neben dem in Prozession umhergetragenen, oder feierlich aufge-
pflanzten Baume auftritt (z. B. Pfingstbutz und Johannes neben
dem Maibaum, Herbstschmudl neben dem Emtemai o. S. 162.
170. 203. 212) und ließe es sich vielleicht vermuten, dafi der die
Wepelröt werfende Bursche (o. S. 247) sowie die mit der
Schmackosterrute Schlagenden und Geschlagenen ebenfalls Reprä-
sentanten von Vegetationsdämonen seien, eine Art dramatisieren-
der Darstellung, welche z. B. den die heiligen Dreikönige der
geistlichen Legende nachbildenden Sternsingern zu vergleichen
wäre. Daneben wurden wir andere Fälle gewahr, in denen der
dem Maibaum innewohnende Dämon durch eine demselben ange-
hängte Puppe veranschaulicht wurde. Wir werden diese Bei-
spiele einer zwiefachen Verbildlichung des Vegetationsgeistes durch
Baum und Mensch (resp. Baum und Menschenfigur) mit einigen
weitem voti besonderm Interesse vermehren, um sodann eine
Reihe solcher Fälle zu verfolgen , in denen der Baum hinwegfällt
und der Genius des Wachstums nur durch eine menschliche Per-
sönlichkeit zur Darstellung kommt, deren Gestalt und Auffassung
teils den Waldgeistem sich anschließt, teils in eine Personifica-
tion d^r Jahreszeit übergeht Ruhte mithin bei den dem vorigen
312 Kapitel lY. BaumgeiBtcr als V egetationsd&monen :
Hauptstttck einverleibten Gebräuchen unserem ersten ILapitel ent-
sprechend der Nachdruck auf dem Nachweise, daß in dem Baume
oder Baumzweig ein dämonisches Wesen verkörpert gedacht
werde, so haben es die nachstehenden Blätter analog dem zwei-
ten Kapitel mit der anthropomorphischen Personwerdung des
Dämons der Pflanzenwelt, insofern sie in Gebräuchen hervortritt,
zu tun.
§ 2. Doppelte Darstellung des TegetatlonsdlmoBS durch
Baum und Menschen. Die den Mai bäum in Prozession um-
hertragenden Knaben in Zabem itibren einen in Stroh gehtillten
Kameraden mit sich, den Pfingstnickel ; in Buchsweiler dagegen
wurde ein mit Laub und Blumen von Kopf bis zu den Füßen
bedeckter Knabe umhergeflhrt , der Pfingklötzel genannt^ noch
anderswo in Elsaß der Pfingstquack, in Thann das Maien*
röslein (Mairesele) ein Mädchen in weißem Kleide, das emen
mit Blumenkränzen und Bändern verzierten Mai^ibaum trägt
Seine Begleiter singen , indem sie an den Tttren Gaben sammeln,
ein Lied, dessen Anfang lautet:
Maienröslein kehr dioh dreimal eram,
Jiaß dich beschauen 'rom and ^rum!
Maienröslein, komm in grünen Wald hinein»
Wir alle wollen lustig sein.
So fahren wir vom Maien in die Rosen.
Im Verlaufe des Liedes, sagt Uhland, wird den Leuten, die
nicht Eier, Wein, Oel, Brod spenden wollen, angewtinscht, daß
der Marder die Hühner nehme, der Stock keine Trauben, der
Baum keine Nüsse, der Acker keine Frucht mehr gebe: das
Erträgniß des Jahres hängt von dem kleinen Frühlingsopfer ab.'
Hiezu will ich zunächst ^inen fränkischen Brauch, sodann zwei
Zeugnisse aus dem lettischen und slaviscben Osten stellen. Im
bairischen Frankenlande tanzt am Walburgistag (2 Mai) um den
vor dem Wirtshause aufgepflanzten Walberbaum ein vom Scheitel
bis zur Zehe in Stroh gewickelter Mann, dem die Äehren in
Form einer Krone über dem Kopfe zusammengebundei% sind, der
Walber. Früher wurde diese Figur in den kleinen Städten die-
ser Gebend in feierlichem Zuge durch die mit Birkenreisem
1) A. Stober, Alsatia 1851 p. 147.
2) Aug. Stöber, Elsfiss. Volksbttchlein , Strafiburg 1842. S. 56. Alsatia
Vibl S, 140. Uhknd in Pfeiffers Germania V, 275. Ders. Sehr, m, 30. 46.
Doppelte Daratell. d. Vegetationsdämons dnroh Baum n. Menschen. 318
geschiDttdcten Straßen geführt Alle Gewerksleute mit dem Emblemen
ihres Handwerks begleiteten ihn.^ In mss. Litauen stellte man
ehedem am 1. Maitag einen grtlnansgeschlagenen bunt bebänder»
ten Baum auf einer Wiese vor dem Dorfe auf. Dann wählte
die DorQogend aus ihrer Mitte das schönste Mädchen,
setzte ihr einen Kranz auf den Kopf, umwand ihre
Gestalt mit Birkenzweigen und führte sie so auf den
Spielplatz neben dem Maibaum, wo der vergnQgte Haute Tänze
und Gesänge begann, welche tou dem fortwährenden Ausruf
0 Maja! O Maja! unterbrochen werden.* Das am Tage des
h. Georg (24. April) begangene Frühlingsfest der Slovenen in
Kämthen und Krain wird folgendermaßen geschildert. Nach
Beendigung des Nachmittagsgottesdienstes strömt die freudig
bewegte Jugend durcheinander dem Orte zu, wo der am Vor-
abend gefällte und entrindete Baum (Pappel oder Tanne) liegt,
und schmückt ihn unter Gesäugen mit Blumen und Kränzen.
Auf die am Baume angebrachten Querhölzer werden von den
Mädchen verschiedenartige Tticher aus Seiden- und Baumwollen-
stoff gebunden. Drei Bauerbursche tragen den großen Baum
der Art, daß zwei zu beiden Seiten des Hauptträgers mit Unter-
sttttzungsstangen das Gleichgewicht erhalten. Langsam bewegt
sich der Zug, voran Pfeiffer und Hornbläser, deren Instrumente
zumeist ans Kirschbaumrinde gemacht sind , mit wilder Musik die
sanften Melodien der Mädchen begleitend, indeß die zuschauende
Jugend begeisterte Jubelrufe ertönen läßt. Die Hauptperson im
Zuge ist der grüne Georg (zelene Juri), ein Bursche von
Kopf bis zu Fuß in grüne Birkenzweige eingehüllt
Auf dem Festplatze wird der Maibaum an eines der höchsten
Häuser angelehnt, und nachdem Musikanten, Sängerinnen und
Spaßmacher ihr Bestes geleistet haben , lösen die an den Fenstern
harrenden Mädchen Tücher und Kränze, zerbrechen die bunten
Querhölzer und ein Blumenregen auf die jubelnde Menge beschließt
das Fest. Während des allgemeinen Jubels wird der grüne Georg
(d. h. eine ihn darstellende Puppe) ins Wasser geworfen.
Besondere Anerkennung findet ein Buri^che, welcher die Ver-
wechselung so flink zu bewerkstelligen weiß, daß sie nicht
1) Bavaria III. 1, 357.
2) Tereschtschenko , Bait Kaskago naroda. Petersburg 18i8. VI. 212.
814 Kapital lY. Banmgeister als Vegetationsdamoiien:
bemerkt wird. In maneben Gegenden badet man aber den
lebenden grünen Georg selbst in einem Flusse oder Teiche
und zwar in der ausgesprochenen Absicht , damit er durch Regen-
gflsse während des Sommes Felder und Fluren grttnen lasse.
An einigen Orten treibt man auch das Vieh bekriUizt aus
dem Stalle und singt: •
Zelenigo Jorja vodimo, den grünen Georg führen wir,
Zeleniga Jurje spramano, den grünen Georg begleiten wir,
naj nade ^de pasel bo, die Heerden er uns weide wohl.
^Ce nö ga w' Todo sünemo. Wenn nicht, er in das Wasser solL^
Diesen beiden slavischen Bräuchen reihen wir noch einen
französischen, einen elsässischen und einen englischen an. Bei
Brie (Isle de France) wird am Maitag ein Maibaum d. h. ein mit
einer Blumenkrone am Wipfel geschmückter; weiter unten mit
Laub und kleinen Zweigen umwundener, unten mit großen grünen
Aesten umsteckter Baumstamm in der Mitte des Dorfes aufge-
pflanzt und die Mädchen tanzen umher. Zugleich aber wird ein
in Laub gehüllter Bursch, le pere May umhergeftlhrt.
In Mels (Elsaß) veranstaltet man bei Beendigung der Weinlese
ein Erntefest, den „Herbstsonntag" bei welchem sich ein
Mann als Weibsbild, ein Weib als Mann verkleidet
Der verkleidete Mann sitzt vorne im Wagen, der die letzten
Trauben nach Hanse iUhrt; er heißt HerbstschmudI und hält
einen großen Maibaum in der Hand, das Weib sitzt mit
dem Rücken gegen ihn und trägt einen Korb Blumen. Bei
Mühlhausen im Elsaß trilgt das angebliche Weib eine m()glichst
kostbare altmodische Bauertracht (Weiberrock mit goldenen
Schaumünzen behangen), der Mann ein mit Ruß geschwärztes
Gesicht. Sie herzen, küssen und drücken einander und machen
allerlei Unsinn. In manchen Orten (z. B. um Schlettstadt) sitst
auf der letzten Karre mit Trauben neben den schmucklosen Maien
nur ein ganz russiger HerbstschmudI, der alle Begegnenden mit
seinen russigen Händen schwarz zu machen sucht. Den Wagen
umgeben' die übrigen Arbeiter, welche im Weinberge sich in
altfränkischer Tracht, die Weiber als Männer die Männer
als Weiber ausgeputzt haben. Erwähnt sei endlich der .
1) Ausland 1872. S. 471.
Doppelte Bantell. d. VegetationedämoiM durch Baam n. Menschen. 815
en^iflohe Braueh eine ^^May Lady, Lady of the May,
Qneen of the May d. h. entweder eine sobenannte lebende
Person in ^e Laube neben den Maibanm za setzen, oder eine
Pappe dieses Namens an denselben zu hSngen. Browne in
seinen „Britania pastorals 1626. II, 122 beschreibt das Maifest
folgendennaBen :
As J. have seene the Lady of the May
Set in an arbonr (on a boly-day)
Bnilt by the Mai -pole, where the jocond swaines
Dance with the maideRs to the bagpipes straines.
In Gentlemans magazine Octob. 1793 p. 188 wird von
Dr. Geddes erzählt, er sei ein großer Liebhaber unschuldiger
Festlichkeiten gewesen, „He was seen in the snmmer of that
year mounted on the poles behind the Qneen of May
at Marsden Fair in Oxfordshire.^' ^ In einigen abgelegenen
Orten tragen die Kinder noch jetzt eine ganz in grttnbelaubte
Banmzweige gehüllte Puppe und mehrere kleine mit
Kränzen geschmückte Nachbildungen des größeren May pol es
einher und bitten die Vorübergehenden um einen halfpenny.'
Die angezogenen Bräuche reichen aus, um die Gewißheit
zu begründen, daß in den Frühlings- (res^. Ernte) aufzügen
der Dämon der Vegetation häufig außer dem Maibaum durch
einen in junges grünes Laub oder Blumen gehüllten Bur-
schen, oder ein ebenso. geschmücktes Mädchen dargestellt wird.
Es ist derselbe Genius, der den Baum beseelt und in der nie-
dem Pflanze wirksam ist, und den wir schon des genauem in
dem Abschnitte über den Maibaum und Emtemai kennen lemten.
Es ist ganz folgerichtig, daß er auch in der ersten Blume des
Frühlings sein Dasein offenbarend gedacht und durch ein das
Mairöslein repräsentierendes Mägdlein, nicht minder aber in
Gestalt des Walber (o. S.- 313) als Bringer der Getreideernte
yeranschaulicht wird. Der Umzug dieser Nachbildung des gött-
lichen Wesens brachte vermeintlich die nämlichen Wirkungen iHr
das Gedeihen des Federviehes, der Obstbäume, der
Ackerfrucht hervor, als die Gegenwart der Gottheit selbst Mit
1) Brand, pop. Antiqu. I. S. 221. 258.
2) B. Chambers , The book of Days 1864 I, 573 , wo aaeh eine Ahbil-
dnng des Brauches gegeben ist.
316 Kapitel lY. Baanigeister als Vegetattousdamonön:
andarti Worten, nicht aU ein Abbild, sondern als eine wirkliche
Stellvertreterin des Vegetationsnnmens galt die Maske; deshalb
wänseht die mit dem Maienröslein nnd dem Maibanm umziehende
Compagnie demjenigen Häusern, welche 4^ Gabe von Mem und
Schinken u. s. w. verweigern, daB ftlr sie die Segnungen der
dem einhergeflihrten Dämon innewohnenden Kräfte nicht wirksam
werden mögen. Wir werden schließen dürfen, daß überall jene
Bittgänge mit dem Maibaum (Maizweig) von Tür zu Tür (o. S. 1 62),
„den Mai, den Sommer bringen", auch wenn der Dämon nicht
noch besonders durch einen Menschen verbildlicht tmrd, ursprüng-
lich eine ernst gemeinte, so zusagen sakramentale Handlung
waren; man glaubte ja wirklich -in dem Zweige unsichtbar die
Gottheit des Wachstums gegenwärtig; die durch die Prozession
jedem Hause zur Heilspendung nahe gebracht wurde. Benannt
ist auch der menschlich dargestellte Vegetationsdämon sehr häufig
analog den Bezeichnungen „Sommer, Mai, Harkelmai" für den
Maibaum und Emtebaum als Maja, Pere May, May-Lady, Qneen
of the may, er verschmilzt mithin mit einer Personification der-
jenigen Jahreszeit, in welcher er seine augenfälligste Wirksam-
keit übt. Noch deutlicher ist dieser Vorgang bei dem fränkischen
Walber (o. S. 313) zu beobachten. So enthält auch der Name
„grüne Georg" eine Personification desjenigen Tages, der den
Ostslaven als Tag des Frühlingsanfangs gilt,^ indeß der Begriff
unverkennbar der weit ältere des Wachstumsgeistes ist Im
Emtegebrauch des elsässiscben Herbstschmudl sehen wir statt
des einen weiblichen oder männlichen Dämons ein Paar, Mann
und Weib, auftreten und es wird sich weiterhin ausweisen, daß
auch diese Variation Grund nnd Verbreitung hat.
§ 3. Lanbcinkleidnng. Umgang zn Faß. Diese Beob-
achtungen an die Spitze unserer Erörterungen in diesem Kapitel
gesetzt müssen, sich als entschieden hinreichend erzeigen, um die
fieihenfolge der im Nachfolgenden zur Besprechung kommenden
1) Die rassischen Bauern in vielen Gegenden beginnen am St. Georgstage
die Landarbeit. Der h. Jnri (Georg), sagt man, Öffne die Erde, führe den
Tan herab. Ein serbisches Land sagt, daß bei Teilung der Erde St Georg
Frühlingsblumen bekam. . Nach bulgarischen Gedichten umgeht Georg die
Ackerplätze und sieht, ob das Getreide gut wachse u. s. w. Afanaaieff I,
705. Vgl. o. S. 313 u. S. 317.
Lanbeinkleidnng. Umgang zu Ftiß. 817
mjrthologischen Figuren als eine einheitliche sofort und zweifellos
erkennen zu lassen.
Zunächst ist wohl soTiel klar, dai^ der in«grttne Zweige
gehüllte Mensch am FrtlhUngsfeste auch dann den im Maibanm
verkörperten Dämon darstellt , wenn dieser nicht besonders durch
ein einzelnes individuell hervorgehobenes Baumexemplar, sondern
durch eine Menge in Prozession eingebrachter grtlner Aeste, oder
auch gar nicht vertreten ist Zum Erweise hebe ich vorläufig die
folgenden Brt&uche hervor. Nach Henr. Lubbart, Pastor zu Boh-
lendorf bei Ltlbeok (f 1703) wurden im März von den Kindern
lange, mit grttnem Laub bewundene Stecken von Haus
zu Haus getragen, während die Knechte mit einem Dudel-
sack umherziehend einen mit sich führten, der mit einem
grünen Weiberrock behängen war.* Diese in grünes Zeug, geklei-
dete Weibermaske neben den Maienstecken steht der litauischen
Maie neben dem Maibaum gleich. Wie in Kämthen wird in ver-
schiedenen Gegenden Rußlands zum Georgstage ein schöner
junger Mann ausgesucht und ganz und gar in Grün geklei-
de t. Man legt ihm einen großen , runden mit Blumen geschmflck-
teB Kuchen auf den Kopf. Er trägt, in der Hand eine Fackel
schwingend, diesen Kuchen ins Feld und die ihm nachfolgenclen
Mädchen singen zu Ehren St Georg's hergebrachte Gesänge.
So umwandeln sie dreimal in der Runde die besäten Fluren.
Dann bilden sie einen Kreis und legen inmitten desselben den
Kuchen in eine Yertieiung der Erde. Jetzt wird ein Feuer ange-
macht, ein Schmaus bereitet und bei diesem der wieder aufge-
nommene Kuchen verteilt, und verzehrt, so daß jeder ein Stück
erhält^ Dieser russische Jüngling ist doch offenbar identisch
mit dem grünen Georg der Slovenen; der bekränzte Kuchen, den
er auf dem Kopfe ins Ackerfeld trägt und dort niederlegt, ist
eins mit dem Brode, das man in Deutschland beim Beginn der
Ackerarbeit unter den Pflug legt, oder bei der Ernte in die letzte
Garbe bindet (o. S. 158) sowie mit den Semmeln, welche der
Hadler an seinem Leibe trägt (o. S. 269) ein Symbol der Nah-
rongsfillle der ktlnftigen Ernte, an der jeder sein Teil haben
goll. Die Fackel werden wir später nocjj verstehen lernen. Der
1) Fastnaebtsteofel p. 6. Myth.^ 7B0.
2) Afanasieff I, 706.
318 Kapitel IV. Baangeüater als Yegetatioiisd&inoDeii :
PWesaion des pdre Maj in Brie (a S. 314) entsprieht es, daft
im D^p. de TAin (Bonrgogne) am ersten Mai 8 — 10 Knaben su
einer Compagnie zusammentreten ^ einen ihrer Genossen in Laub
kleiden und von Haus zu Haus gebend Gaben einsammebi. Der
Umhergefllhrte heißt le fouUl^ (» le fenül^?). Hier fehlt der
Maibaum aber die im übrigen vWige Uebereinstiamiang mit dem
Umgang des elsässischen Pfingstniekel ; Pfingstklötzel bewährt
diesen Umzug als denjenigen des Vegetationsgeistes.
Dem Mairöslein im Elsaß entspricht in niederdeutschen Land*
Schäften die „ PfingsMume.'* In Flandern sang im 17. Jahrh.
zu Pfingsten ein ganz junges weiß gekleidetes Mädchen mit
Blumen und Bändern geschmflckt ^^die Pinxterbloeme^^, die Straße
hin geistliche Lieder und sammelte Ahnosen.^ In Holland soll
nach Grimm noch in neuerer Zeit zur Pfingstzeit von armen
Weibern die Pinxterbloem ^ ein kleines blumengeschmflcktes
Mädchen, auf einem Wagen sitzend umgeftlhrt worden sein,
um Greld zu erbetteln;^ in Nordbrabant umtanzt man dann eine
mit der Pfingstblume (pinxterbloem, uiyersbloem d. i. Iris pseud-
aeorus nach Buddingh, oder wahrschdnlicher noch Oonvallaria
bifolia, die in Oldenburg Pinxterblome heißt ^), gekränzte Jung-
frau und singt ein Lied, dessen Anfang lautet:
Pmxterbloni PfingstUaune
Keer on rets om Kehrt eaeh einmal am.^
Ganz ähnlich ist der Zuruf ans Mairesele ,,dreh dich dreimal
um!^'* In der Grafschaft; Teklenburg (Westphalen) ziehen die
1) Willems, oude vlaemsche liiederen. Inleid. VIII.
2) Myth.« 748.
3) Strackerjan , Abergl. a. Sag. a. Oldenburg U, 52, 319.
4) Dr. Hermalis Aardb. 381. Buddiogh, VerhaDdeling orer bet West-
land. . Leyden 1844 p. 210 — 211. 351.
5) Zu vergleicben steht auch die folgende an den Maibanm gekn&pfte
Sitte. • In Elgersburg bei Ilmenau ward am ersten Pfingsttage eine bis zur
Krone abgeschälte Tanne, an der ein Kranz aufgehängt ist, in feierlicher
Ph)zes8ion eiDgeboK, anf gerichtet und von den Kindern am swdten Pfingst-
tage nmt4Q2t. Dabei büden sie einen großen Kreis um den Baum. Zwei
aber von ihnen drehen sich , mit einer Hand den JBaum erfassend um den-
selben bald rechts, bald link^, bis eines das andere wegstoßt. Dieses treibt
wieder eins ans dem Kreise zum Baume und der Vorgang wiederholt sich.
Dabei singen sie: Der Summer, der Summer iat ane sehene Zait, Dos mer
sollen lustig sain alle junge Lait. Sehen's &U af mich und tuen's all af
LavbduiUeidimir. Umgai^^ za FuS. 819
Kinder am Pfingstnadumttage einher, indem sie mit Enitteln
bewaffiiet einen Knaben , der ganz mit grttnen Beisem und Pf ne-
menkrant (Ginster) bedeckt ist, und eine Biumenkrone aaf
dem Kopfe trägt vor sieh her treiben. Man hat daza offen-
bar denjenigen ausersehen, der moi^ens zuletzt aus dem Bette
kam. Denn die Verfolger singen:
Pingsterblome
fftle süge (San)!
harstu Sr uppestann
harr et di ken leid edannP
Gleicherweise nennt man zu Wittmund in Ostfriesland das
zuletzt aufgestandene Mädchen Pingsterbloeme. ^ Man erinnere
sich, dafi mit der Schmackostej - und sonstigen LfCbensrute die
Langschläfer aus dem Bette getrieben wurden (o. S. 257 ff.) und dafi
diese Sitte auch die Lerchen, also den Frühling wecken hiefi
(o. S. 253). Lag diesem Zuge yielleicht ursprtIngliGh die Bedeu-
tung einer Darstellung der Ueberlieferung der TrieU:raft des
alten Jahres an die aus dem Winterschlate geweckten Vegeta-
tionsdämonen des neuen Jahres zu Grunde V Dann dürfte auch
hier die Pfingstblume den zuletzt erwachten, jüngsten Pflan-
zengeist des Frühlings veranschaulichen. Der Identifizierung des
Waehstumsgepius mit einer Blume entspricht es, wenn der ihn
repräsentierende Mensfdi nach einem Baume benannt ist Im
Gouvernement Woronesch hidt man am Trinitatissonntage einen
Umgang mit einem Mädchen, welches „Pappd" genannt wurde
und hellglänzende Blumen in ihren Haaren trug.'
Erscheint hier der Dämon in einer (alle übrigen mit vertre«
tenden) Pflanze verkörpert, so lassen andere Formen desselben
Gebrauches deutlicher den Gedanken an das gesammte Pflanzen-
grün hervortreten. Unter diesen Bräueben kann man zwei Haupt-
formen unterscheiden; nach der einen wird die in Laub einge-
kleidete Person zu Fuße ins Dorf geftlhrt, nach der andern in
einem berittenen Zuge aus dem Walde geholt
mich — Dreh dich mal Um nnd noch emal um und wieder
mal rümro. Kuhn, Mark. Sag. 325. Cf. auch o. S. 181.
1) Kuhn, WestfaL Sag. 11,160,400. Firmenioh, Germ. Völkerstim-
men I, 359.
2) Kuhn, Nordd. Sag. 388, 72.
3) Balaton S. 234.
380 Kapitel lY. Baumgeuter als YegetatioiMdainanen:
In der Rohla ziehen die Kinder y sobald die Bäume an&ngra
grttn zu werden, in den wiederbelaabten Wald^ wählen eines
ans ihrer Mitte zum Laubmännchen, dieses binden sie vom
Kopf zum FuBe in grüne Banmzweige, so dafi nur seine Schuhe
sichtbar bleiben. Wo die Augen sind, bat man kleine Oefihungen
gelassen und über dem Kopfe sind die Zweige zu einer Art Krone
geformt. Bunte Bänder, wollene und seidene Tücher,
die von den Mädchen zu diesem Zwecke hergeliehen
sind, hängen zu allen Seiten des Laubmännchens herab, ^
welches seine Gespielen tanzend und singend durchs Dorf führen.
Ebenso geschah es^in dem benachbarten Ettenhausen bei Mark-
suhl und in Allendorf bei Salzungen (Meininger Oberland). Die
Begleiter des Laubmännchens begehrten und erhielten bei ihrem
Umzüge von Haus zu Haus Victnalien (Eier, Speck, Würste,
Kuchen). Zuletzt besprengten sie den Laubmann mit
Wasser und hielten von den gesammelten Oabai einen gemein-
sehaiUichen Schmauß.^
In der Gegend von Usingen (Nassau) ist „Laubpuppe^'
der Name des eingehüllten Knaben.^ In Niederbaiem hieß das
Laubmännchen Pfingstl. Er trug eine sehr hohe, spitzig aus-
laufende, auf den Schultern ruhende Kappe aus Wasserblumen
(caltha palustris?) und ihren langen Stengeln gemacht, ihre Spitze
zierte ein Kranz von Pfingstrosen. Nur zwei Oeffiiungen für die
Augen waren gelassen, über denen zwei Kränze von Wicken -
und Feldblumen angebracht waren. Aus Wasserpflanzen bestan-
den auch die Aermel der Kleider. Was Kappe und Aermel nicht
deckten , wurde mit Erlen - und Haselnußlaub bekleidet. So war
der Pfingstl ganz in Laub und Blumen eingehüllt. Zu beiden
Seiten gingen die Weiser, welche dem Pfingstl die ausgestreck-
ten Arme trugen. Sie und alle Knaben, welche den Pfingstl
von Haus zu Hause begleiteten, trugen entblößte Schwer-
ter, nur die Träger der eingesammelten Geschenke nicht. Die
Leute erwarteten den Pfingstl im Verborgenen und übersohüt-
1) Also genau so wie beim Maibanm geschieht.
2) Rcimann, D. Volksfeste S. 159— GO. A. Witschel, Sitten u. Gebr&uche
a. d. Umgegend v. Eisenach 1866. S. 13.
3) Kehrein, Volkssprache und Yolkssitte im Herzogt. Nassau. Volks-
Sitte S. 156» 3. /
Lanbeinkleidung. Umgang zu Faß. 321
teten ihn mit Wasser, soviel sie konnten. Alle
jubelten und freuten sich, wenn der Pfingstl tUch-
tig begossen wurde. Während des Beschttttens
gingen einige Knaben in das Haus und erhielten eine
Gabe. War so der Zug durch das ganze Dorf gewandert, so
wurde der Pfingstl in den Bach hineingeftthrt, wo er bis
zur Bütte des Leibes im Wasser stand. Dann ging einer der
Weiser auf den Steg und haute dem Pfingstl den Kopf
ab. Den Schluil bildete ein fröhliches Mahl, wol^i die gesam-
melten Oaben verzehrt wurden.' In Schwaben vermummen
die Viehhirten oder sonstige Bursche vielfach einen ihrer Kame-
raden in bltthende Pfriemen (ein Strauch mit gelben scho-
tenartigen Blumen), überziehen sein Gesicht mit Baum-
rinde, setzen ihm eine grttne spitze Laubmtttze auf den Kopf,
und behängen ihn von vorne und hinten mit Kuhschellen
und Kuhglocken. In manchen Oegenden besteht die Ver-
mummung aus Tannenreisem. Der Vermummte heißt P fing st -
Itlmmel, oder Pfingstbutz. Er wird Gaben heischend durchs
Dorf geibhrt, zuletzt wol auch unter Stroh und Mist
vergraben**
Im Erzgebirge* wird der am ersten Pfingsttag zuletzt aus-
treibende IBrte verlacht und Pfingstlttmmel gescholten, so
auch in jedem Haus der zuletzt im Bette Angetrof-
fene. In mehreren Tfaflringisehen Orten wird schon am ersten
Pfingattage der Knecht , der sein Vieh am spätesten auf die Weide
treibt, in Tannen- und Birkenzweige gehüllt und unter
dem lauten Geschrei: „Pfingstschläfer! Pfingstschläfer!^'
durch das Dorf gepeitscht.' Dieses Peitschen des Lang-
sohläfers erinnert an das aus dem Bette Peitschen mit der Schmack-
osterrute.
Abweichend ist die Ausrüstung des Pfingstlümmels im
Ansbachischen. Da verkleiden die Buben einen aus ihrer Mitte
mit alten zerrissenen Kleidern, schwärzen ihm das Gesicht
mit Kufi, umflechten ihn mit Strohbändem und fahren ihn mit
Eile und großem Lärm auf einem von 2 Pfluggestellen zusam-
1) Pftnzer 1,235,261.
2) £. Meier S. 403, 94. 9ö.
3) Myth.* 746.
MannhardL 21
dS2 Kapitel lY; Baomgeister als VegetatioiMdämoneii:
mengesetzten Wagen von Hans zn Hans.^ Die Sehwärznng des
Oesiehts trafen wir schon beim H^bstsclunndl an, wir werden
ihr in den Emtegebränchen bei Darstellung der KomdämoneB
yielüach wiederbegegnen. Sie ist mithin keineswegs bedentnngs-
los und zwar scheint sie mir in roher Weise ausdrücken m sol-
len, daß der dargestellte Dämon ein nicht sichtbares, für mensch-
liche Augen dunkles unheimliches Wesen, ein Schatten, ein
Gespenst sei.' Mit dieser Art Darstellung mag es Ytelleicfat
zusammenhangen., da^ in London die Kaminfeger am ersten Mai
sich gleichsam sämmtlich als Vertreter dieser unsichtbaren Vege-
tationsdämonen constituieren , und in Compagnien geteilt
unter närrischen VerUeidangen von Goldpapier u. s. w. die Straften
durchziehen, indem sie zum Tacte ihrer Schaufeln und^ttisten
tanzen. Gr^Were Compagnien haben einen Fiedler bei sich und
einen Hans in Grün (Jack in the green), d.h. einen
Burschen, der in einer zuckerhutf^rmigen Pyramide
von Reiserwerk steckt, welche mitBlumen und grü-
nem Laube (oft Stechpalmen undEpheu) bedeckt ist,
und oben in eine Krone von Blumen und Bändern aus-
läuft, welche von einem Fähnchen überragt wird. Dieses Gestell
über den Kopf gestülpt, tanzt er seinen GefAhrten zum großen
Vergnügen der Zuschauer vor. Zuweilen gesellen sich auch noch
ein Lord und eine Lady of the may hinzu. Von diesen später.^
Doch auch andere Leute aus dem andern Volk putzten „Jacks
o the green'' aus, welche in den Vorstädten Londons tanzten,
und auch die benachbart» Orte und kleinan Städte besuchten.
Sie trugen oft nur die stattliche Livree eines Lordmayorsdieners^
dabei aber einen mit Bändern und Blumen geschmückten Hot
und einen in Blumen gehüllten Stab, deutlieh eine Abschwäohung
der Laubeinhüllung. ^
1) Panzer 11,90, 138. Geschwärztes Gesicht auch o. S. 162. 314.
2) Tgl. die Darstellung des Todes als langer schwarzer JBfohr.
Q. ScfavlUr, Volkstttml. Glanbe nnd Brauoh bei Tod m»d Begrfibnie in Sie-
-benbtUige« I, S. 5. Ba0swmnn, Eibofolke II, §395»ö: Schwärt wird aiMh
der Teufel gedacht als nächtiges Wesen. Myth.* 945,
3) S. Strutt f the Sports and pastimes of the people of England. Lon-
don 1841. p. 358, XX. Hone, Every Daybook 1866'. 1, 292 ff. Daselbst
befindet sich eine Abbildung des Aufzuges aus deui Jahre 1825. Brand,
populär, antiqn. ed. Ellis 1 , 231 — 232.
4) Hone, Every Daybook 11,289.
La^beiBkl^idnng. Umgang zu FnfL d28
Aach iii migeu G^geaden FraDkraicha z. B. (Moni de Mar«^
san D^p. des Laades) wird ein BeisergeBtell nüt Laub bekleidet^
ein Bursche hineingesteckt und durchs Dorf gefUhrt (mtlftdl.)
Im Frickthal (Aargau) bezeichnet man ein ganz ähnUcdies Kofb^
gefiecht mit dem Ausdruck Pfeisthutte (Pfingstkorb). Auf
einem lange yorher, sobald die Bliume ergrflnen, aaserseheien
Platze y wird es im Walde in aller Heimliokkeit verfertigt , damit
andere mit gleichem Vorhaben den Veranataltem nicht etwa
zuvorkommen. Lange Laubzweige sind pyramidal um zwei Bei-
fen zuisammengefloohten y die^ in Mannsh($he paridlel ttber einan*
der gestellt sind und von der Spitze herab muß eki groBer Blu^
menstrauft nicken. Dem hineingeachlttpften Knaben sitzt der
Oberreif auf der Schulter auf und erleichtert die Tracht; der
untere hilft die Waden dediien ; wo das Gesicht zu stehen kommt;
macht- der Träger sich etwas Luft zum Atme» und Durchblicken;
die gan^e Gestalt erscheint wie ein wandelnder^ rauschender
Busch. Während des Bo^enkrirnzgebetes am Abend um ftlof
erscheint diese Pfingsthtttte plötdich im Dorfe. Drei Knaben
marschieren vorauf und blasen auf dem aus Weidenrinde geschnitr
tenen Pfing^thoru» Von Pfarrer und Wirt erhält der Umzug ein
Glas Wein. Dajrum ist es aber den Veranstaltern weniger zu
tun, als um das Recht, ihre Pfingsthutte zum Schluß auf
den Hauptbrunnen des Dorfes zu pflanzen nnd hier
behaupten zu können. Denn gleich sind dann auch die
Buben des obern oder untern Dorfes bei der Hand, um
die Hütte hier abzunehmen, zu erobern und im Triumphe
auf dem Brunnenatocke ihres eigenen Dorfteile« auf-
zupflanzen. Daß es dabei schließlich zum Handgemenge
kommt, bedarf keiner Versicherung. Dieser Brauch, der
im Badischen das Pfingsthüttel heißt, ^ berührt sich auf das nächste
mit dem o. S. 241 beigebrachten Brauch der Elsässer, zu Neujahr
einen Maibanm auf den Brunnenrand zu pflapzen , und lehrt wieder
die mythologische Identität des Bamnes und des lanbeingehüUten
Menschen. In Hessen wurde derjenige Hirt, welcher zuletzt auf
der Pfingst;9^.eid^^ ankam, an Armen unfl Beinen gefaßt , und. ^it
der Kehrseite gegen einen Baum gerannt. Hierauf spielte
man allerlei heitere Spiele, z.B. bewand man in Rauschen-
1) Bochholz, Alemannisches Kinderlied 507 --8, 102.
21*
824 Kapitel lY. Baumgeistdr als Vegetationsd&monen:
berg einen Mann vom Kopf bis zu Fttßen ganz dicht mit
gelben Wiesenblumen.^ Zu Lanfenfelden b. Langenschwal-
baeh in Nassau mrd am 2. Pfingsttag der Schnak gemacht
Die Buben des Ortes bewickeln in einer Scheune einen dazu aus-
ersehenen Kameraden an Händen , Fttfien und am ganzen Körper
mit Farrenkraut (Schnakenkraut). Auf den Kopf wird ein Kreuz
gebunden y das mit Herrgottsschttckelchen (Schotenklee, lotus
comiculatus) geziert ist. An das rechte Bein wird eine
Schelle gebunden^ in die rechte Hand bekommt er einen
dicken Knotenstock. Nach beendigter Nachmittagskirche wird
der Schnak zur Schau im Ort hcFumgetrieben. Seine Begleiter,
deren jeder von einem Mädchen einen SchnakensCraufr erhält^
teils mit langen Buten, teils mit Sftbehi, Geldbücdisen u. s. w.
versehen, laufen von Haus zu Hans und sammehi Eier, Kreuzer,
Speck u. 8. w.* Am Drömling (Altmark) wird am 2. Pfiifgsttag
von den Hirtenjungen einer der Art verkleidet, daß man ihm
zwei Weiberröcke anzieht, deren einer Über den Kopf genom-
men und zugebunden wird. Dann htlllt man ihn in Maien ein,
hängt ihm Blum^ikränze um Hals und Arme und setzt ihm eine
Blumenkrone auf den Kopf. Er beißt „der füstge Mai.''
Die mit ihm umziehenden Knaben singen vor den Häusern: t
Göden Dag, gdden Dag!
Wat gebet j^cb (ihr) den Füstge Mai? ^
Qehet jQch tsch (uns) Schock Eier nistt»
So weren (gewährleisten? schützen?) wi Wischen (Wiesen)
und Koren (Korn) nist'
Bei. Oebesfelde (Kr. Gardelegen) lautet der Spruch beim
Umzöge des Fttstje Maier:
g&wen se ans de eier nich,
so legen de höner upt j&r 6k nich.
80 weren wi wischen nn kören 6k nick
Dem Füstge Maien stehen (zuweilen) ein König und mehrere
Beamte zur Seite, ein Führer (Leier), ein Korbträger (zur An-
nahme der Eier), ein TabeltrSIger (für den Speck), ein Hunde-
schläger und Katzenschläger, um Hunde und Katzen abzu-
1) Mülhanse , ürreligion S. 216.
2) Kehrein, Volkssitte S. 157, 4.
3) Knhn, Mark. Sag. d21 ff.
Laabnnihülliing. Der Umgang zn Fafi. 325
wehren.^ Um Fttrstenwalde heifit der von den Ochse^jungen am
zweiten Pfingsttage nmliergeflihrte Knabe, der in Maibnsch
gehOUt, eine Blamenkrone anf dem Kopfe nnd in jeder
Hand eine Glopke trägt, Kadernest oder Kandemest In
dem Bettelliede heifit es:
^ Eüdemest» kudernest
hippel nf de Straße,
hat in'n jdlen strük gelSjen,
is janz jrün und jSl jeworden.*
In der Gegend von Ertingen (Wttrtemberg) lüBt man am
Vormittage des Johannistages den Latzmann im Dorfe
sehen. Dieser Latzmann (der faule Mann von ahd. laz träge/
weil wahrscheinlich ehedem derjenige den Latzman spielen mußte,
der zuletzt aus dem Bette gekommen war) ist ein Knabe, der
unsichtbar aus einem aus Stangen und Latten zusammengenagel-
ten^ Gestell, welches völlig mit Tannenreisem verkleidet ist,
herumgeht Er hat eine Glocke bei sich drin nnd schellt,
während er geht. Sein Gefolge besteht aus einer ganzen Anzahl
charaeteristisch herausgeputzter Personen, einem Läufer mit rot-
bebänderter Peitsche, einem Oberst mit GfGziershut und Säbel,
dazu kommen der Trabant, der Hanswurstl, der Metzgerbnrsch,
der Schmalzhaf, der Mehlsack, der Eierkrätt, der Engel, der
Teufel, die Hexe, das Bäuerlein, das Bttntelein und zuletzt der
Doctor. Jede dieser Personen sagt vor den einzelnen Häusern
einen Spruch her. In Sauggart geht der Latzmann schon am
zweiten Pfingsttag mit seinem Gefolge umher. Hier ist es aber
ein vom Kopf bis zu den Füßen in Stroh gehüllter Bursche , den
Schulbuben mit Strohseilen hoben und drüben fahren.^
Wir machen eine kurze Rast, um schon jetzt wieder aus
den mitgeteilten Traditionen die bedeutsamen Züge hervorzuheben
und, soweit es bis dahin schon geschehen kann, zu erläutern.
Die Figur, welche unter dem Namen grüner Georg, le fouilW,
Laabmännchen , Laubpuppe, Pfingstl, Pfingstnickel , Pfingstlüm-
1) Kahn , Nordd. Sag. 382 , 63.
2) Kuhn a. a. 0. 385 , 67.
3) Birlinger^ Wörterbüchlein znm Volkstümlichen ans Schwaben. Frei-
bnrg i. Br. 1862. S. 57.
4) Birlinger, Yolkstüml. a. Schwaben II. S. 114, 144 ff. 120, 145.
^26 Kapitel IV. Batungeister als VogetationBdtoonen :
inel; Pfingstbutz, Küdemest, Schnak, Latzmann n. s. w. zn
St. Georg, Maitag, Pfingsten oder St. Johannis von Haus zu
Haas geftlhrt wird, ist entweder in ein mit Laub and Blumen
umwickeltes Reisei^stell (Jack in green, Pfinggthütte, Latzmann)
versteckt, oder unmittelbar in Baumzweige, Wald- und Wiesen-
blumen gehüllt. Sein Gesicht deckt zuweilen (Pfingstlümmel in
Schwaben) eine Maske aus Baumrinden. Er soll also den
im Baume hausenden Geist darstellen ; denselben Gedanken drückt
die hessische Ceremonie aus, den letzten, der auf der Pfingst-
weide ankam, mit der Kehrseite gegen einen Baum zu rennen;
er wird, als mit dem Baomgeiste identisch bezeichnet Diese
Identität drückt auch noch ein anderer Umstand aus. In Wahr-
stedt bei Oebisfelde wird zu Pfingsten gelost, wer Füstge Maier
(o. S. 324) sein soll. Das den Füstge Maier anzeigende Loos ist
dadurch. besonders kenntlich, daß derStab geschält
und die Rinde nachher in Schlangenlinien darum
gewickelt ist^' gradeso,wie der Maibaum in Ringeln
geschält ist.' Oft bilden nur Feldblumen (Pfriemkraut), Kraut
(Farrenkraut) oder Stroh die UmhtUlung; danach heißt der
Pfingstl im Nassauischen Schnak, in der Altmark zuweilen
der bunte Junge.® Diese Verkleidung und die noch häufigere
Mischung von Laub und Blumen erweisen deutlich, daß nicht
allein der in den Bäumen, sondern auch der in Wald und Feld-
kräutem lebendige Genius gemeint sei. Einen Versuch, die
geisterhafte Natur dieses Wesens anzudeuten, iianden wir in der
Schwärzung mit Ruß, welche einige Beispiele aufweisen (o. S. 822)
Pfitngstlümmel , Kudemest, Schnak und Latzmaim sind sämmtlich
mit einer oder mehreren Glocken oder Sohellen ausgerüstet,
welche ans Bein gebunden, in der Hand getragen, um den gan-
zen Körper gehängt werden. Ich halte dazu, daß in den
Weihnachtsgebräuchen der bescheerende heil. Christ darch ein
geheimnißvoUes Geklingel mit feinem Glöokchen seine Ankunft
verrät und daher Klinggeest (der klingende Geist) benannt
1) Kuhn, Nordd. Sag. 383,63.
2) Vgl. 0. S. 169. 172. 177 und vielfach sonst Z.B. in Belgien, „tont
autour de Tarbre une longue raie, qui de loin ressemble a un bean et large
ruban" Coremans, Fannee Belgique p. 137.
3) Kahn , m&rk. Sagen S. 317.
LaabeiBkleidiiDg. Regentn&dchen. 327
wurde. ^ und daft St l^iklaB, Knecht Ruprecht; Pekmärte u. s. w.
mit Schellen behängen auftreten.' Wir werden später auch in
dieser bald Klas, bald Ruprecht, oder Märten benannten Figur
eine besondere Form des Yegetationsdämons kennen lernen. Auch
im deutschen und englischen Fastnachtbrauch trägt der den
hahngestaltigen Dämon des Getreides darstellende Mensch eine
0 locke auf dem Rttcken. Ich schlief daher, daß Glocke oder
Schelle zur ursprünglichen Darstellung des Wachstumsgeistes
gehörten und eine notwendige Seite seines Wesens andeuten
soUten. Zur £ri:lärung kommt mir die feine Beobachtung Edw.
Tylors in den Simi, daß Naturvölker den Abgeschiedenen oder
Gespenstern, Summen, Schwirren, Pfeifen, Qniken oder Zirpen
gleichsam den Geist einer Stinmie als Sprache zuschreiben ^ und
ebendahin schlägt ein, daß die Erscheinung der Gespenster sich
so häufig durch Kettengerassel anktlndigt. Sollte nicht die Glocke
die geisterhafte Stimme des Vegetationsdämons auszudrtlcken
bestimmt gewesen sein? Die Umfahrt des Pfingstltimmels auf 2
Pfluggestellen und die Drohung mit der Uni'ruchtbarkeit der Htlh-
ner , der "Wiesen und des Komackers ttber die Verächter des
Kudemestes bewährt; daß man von dem Umgange ganz ernstlich
eine segnende Einwirkung auf Haustiere, Heuertrag und
Ackerfrucht erwartete (vgl. S. 312).
§. 4. LanbumUeldiuig. Regenmädehen. Eine besondere
Betrachtung verdient die Wasserbegießung oder die Eintauchung
in Bach oder Teich , welcher wir das Laubmännchen , den Pfingstl
1) S. Handelmann, Weihnachten in Schleswig- Holstein S. 19. Schätze,
IdiotUcon I, 10. II, 17. In Hamburg hing ein großer Junge ein Bettlaken
um und strich die Treppen auf und nieder mit feinen Gldckohen und Schel»
kn klingelud. — Nicht hieher zu wichen ist der Schellenmoritz des Lette*
witzer Pfingsturogangs , denn dieser heißt nach dem h. Mauritius, dessen
1411 verfertigtes Steinbild in der Moritzkirche zu Halle nach der Sitte jener
Zeit am Gürtel mit Schellen und Kettchen behangen steht.
2) Vgl. den Beim aus Friedrichstadt a. Eider: St. Niklasäwen, denn geit
wi na haben, denn klingelt de'klokken, denn danzen de poppen u. s. w.
Im Danziger Werder: Heiige Krist du göde mann, treck diu besten tab-
bertan, komm vcer onse deer, kling er ons wat veer. — Im Bemsthal in
Würtemberg hält in der Adventezeit, sonst in Schwaben am Weihnachtsabend
der Pelzmärte seinen Umzug; er trägt eine alte Schelle (und einen Koch-
hafen) Meier, Sagen S.460, 1%. 465, 214.
3) Urgeschichte der Menschheit I, 446.
328 Kapitel IV. Baomgeister als yegetattonsdamonen:
unterworfen sahen. Denn dies stimmt genau dazu, daA jener
mit weiblichen Gewändern bekleidete Baum bei den Russen (o.
S. 157) am Trinitatisfeste; im Voigtlande zu St J(diannis der
Maibaom und der Johannes (o. S. 170), in Kämthen am Maitag
der grflne Georg (o. S. 313) ins Wasser geworfen, in der
Grafschaft Mark die mit dem Mai umgehende Compagnie der
Pfingstknechte oder Maienknechte mit Wasser besprengt (o. S. 162),
in Polen, Schlesien und Siebenbirgen das Mädchen, welches zu
Ostern die Frtthmette verschlafen hat [d. h. zuletzt erwacht ist,
wie der Pfingstlfimmel, Pfingstschlftfer u. s. w. o. S. 321] gewalt-
sam gebadet, resp., damit der Hanf gut wachse, benetzt,
bei der Ernte der Träger des Emtemais , resp. dieser selbst oder
die letzte Garbe begossen wird (o. S. 214). Wir wissen bereits,
daß diese Ceremonie ein Regenzauber war , woftir sttdeuropäische
Bräuche, die schon J. Grimm teilweise angezogen hat (myth.*
561) den vollständigen Beweis liefern. Wir vermögen von dem
gewonnenen Standpunkte aus etwas tiefer in ihre Bedeutung ein-
zudringen. Nach Dr. Theod. Kind, in seiner Sammlung nei^rie-
chischer Volkslieder. Lpz. 1833 S. 13 wählen die Kinder auf
Dörfern und in kleinen Städten in Griechenland, wenn über
vierzehn bis zwanzig Tage anhaltende Dürre und Trockenheit
herrschte, unter sich eines, am liebsten ein Waisenkind, weil
Gk>tt die Bitten der Armen und Waisen besonders erhöre. Dieses
Kind wird mit Kräutern und Blumen des Feldes vom Kopfe bis
zu den Fußen geschmückt und verhüiU, ncLchdem es vorher bis
auf die bloße Haut entkleidet worden ist; man nennt es llvQ/rrp
Qovva, Die andern Kinder dehen mit ihm von Haus zu Haas
und singen das nachfolgende Lied. Je^er Hausherr und jede
Hausfrau müssen der UvqnrjQnvva einen Para (Vj Pfenning) geben,
und ein Fäßehen Wasser über ihr Haupt ausgießen. Das Lied
lautet :
PyrpüruDa geht umher,
Betet, fleht zu Gott dem Herrn ;
Einen Regen gieb' nne, Gott,
Einen Regen, fmohtbar sanft.
Daß da keimen, daß da bltlhen
Und anf daß die Welt bereichem
Des Getreides grüne Saaten
Und der Baumwoll' teure Pflanzen,
und die frischen duftgen Kräuter!
Laabeittkleidang. RegcDmädcben. 329
Wasser PÜMzen, Pföteen hoch,
ÜDd ein Haufen, Haufen Frucht I
Bring' ein Malter jede Aehr';
Jeder Weinstock eine Last,
Trauben eine Wanne voll!*
Die Kumänen in der Gegend von Mediasch (Siebenbirgen)
ziehen bei Begenmangel einem kleinen unter zehn Jahren stehen-
den Mädchen ein aus Kräutern und Blumen zusammengesetztes
Hemde an und alle Altersgenossen folgen der kleinen yermum-
ten^ Papaluga genannten Person, tanzend und singend:
Papaluga steig in den Himmel»
Oeffne seine Türen»
Sende von oben Begen herab,
Daß gut wachse der Hoggen.
Dem Zuge wird, wohin er kommt, von den Weibern kaltes
Wasser über die Köpfe gegossen,* Die Bulgaren kleiden bei
Dtlrre ein Mädchen in Nußbaumzweige, Blumen, Bohnen-, Kar-
toffel- und Zwiebelkraut und geben ihr in die Hände einen Blu-
menstrauß. Sie nennen sie Djuldjul oder Peperuga; mit letz-
terem Worte bezeichnen sie nicht allein das Mädchen, sondern
auch den ihr angeblich inne wohnenden Geist, ähnlich wie serb.
vieätiza zugleich die Hexe und ihre in Gestalt des Schmetter-
lings zuweilen den Körper verlassende Seele bezeichnet. Die
Peperuga geht in Begleitung eines großen Gefolges zu den Häu-
sern umher; der Hauswirt empfängt sie mit einem Kessel voll
Wasser, auf dessen Oberfläche hineingeworfene Blu-
men schwimmen, und begießt den erwünschten Gast damit
beim Gesänge folgenden Liedes:
Es flog die Peperuga;
Gieb Gott Regen,
Daß gedeihen möge das Korn, die Hirse, der Weizen.
(Var. Flachs bis zum GOrtel)." In Dalmatien tritt an die Stelle
des Mädchens ein junger unverheirateter Mann, der im Laub-
1) Cf. auch Firmenicb TQcyonhu Pwfjimxa. Tbl. II, S. 163 und Grimm
Myth.« 561.
,^ 2) W. Schmidt, das Jahr und seine Tage in Meinung und Brauch der
Bomftnen Siebenbirgens. Hermannstadt 1866. S. 17. Anton, Versuch ttber
die Slaven I, 73.
3) Afanafiie£f, poet. Naturanschauungen II, S. 176.
390 Kapitel lY. Baomgeifiter als Vegetatioiifid&moneii:
schmuck tanzt, er heiflt Pripats und seine (refährten Prpo-
rushe. Potebnia und Afanasieff erkennen wol mit Recht in den
Namen sttdsl. PrporuSa, prprruäa^ bulg. peperuga, preperuga,
griech. rivQni^Qovra, wal. papaluga durch den Uebergang von r
zu 1 vermittelte Varianten einer und derselben reduplizierten
Form, ob aber in russ. priskat spritzen, czech. prSeti regnen das
Etymon stecke,* mögen die Slavisten entscheiden. Dem bulga-
rischen Djuldjul entspricht der serbische Name Dodola fttr das
nackt ausgezogene, vom Scheitel bis zur Zehe, sogar im
Gesichte mit Gras, Kräutern, Blumen verhüllte Mädchen,
das inmitten eines Reigens von anderen Jungfrauen stehend vor
jedem Hause in einem fort sich umdreht und tanzt, indeß der
Ring eines der sogenannten Dodolalieder singt und die Hausfrau
eine Mulde Wasser über es ausschttttet Jeder Zeile des
Liedes wird der Ausruf: „Oj dodo! oj dodo!" eingeschaltet
Zu dem von Grimm Myth.' 561 angeftlhrten Liede ftlge ich hier
ein zweites:
Wir gehen d;urch das Dorf,
Die Wolken gehen am Himmel;
Wir gehen schneller,
Schneller gehen die Wolken;
Sie haben uns überholt
Und das Korn benetzt and den Weinstock.
oder Wir gehen dnrch das Dorf,
Die Wolken gehen am Himmel;
Aus den Wolken fiel ein Bing,
Ihn ergriff die Ohorfübrerin.
Bei Burkhard von Worms (f 1024) findet sich bei zwanzig
Tagen Kirchenbuße mit Wasser und Brod ein verwandter Regen-
zauber verboten, der, wie es scheint, im Anfange des 11. Jahrh.
aus lebendiger Erfahrung in Hessen oder am Rhein geschöpft
ist.* Bei großer Trockenheit entkleideten Jungfrauen ein kleines
Mädchen, tUhrten sie nackt, wie sie war, vor das Dorf zu einer
Stelle, wo Bilsenkraut (belisa) wuchs, und hießen sie mit dem
kleinen Finger der rechten Hand dasselbe sammt der Wurzel
ausreißen, sodann an den kleinen Zeh ihres rechten Fußes bin-
1) Afanasieff a. a. 0. 177.
2) S. Friedberg, aus deutschen Bußbüchem. Halle 1868. S. 81. 101.
Grimm Myth.' 560.
Lanbeinkleidung. RegenmftdcheH. 331
den. so ^aß es hinter ihr nachsehleppte. Jede Jungfrau hatte
eine Rute in Händen. Sie Aihrten das Regenmädehen in den
nächsten FluB hinein, besprengten sie vermöge der Ruten
mit der Flut desselben und sangen Besehwörungen (inean-
tationes), um Regen zu erlangen. Endlich fllhrten sie jene nach
Art des Krebses rückwärts schreitend vom Flusse zum Dorfe
zurück.' Eine Ueberschau der zusammengestellten slavischen
Brauche; im Vergleich mit den deutschen vom Pfingstl u. s. w.
begründet die Ueberzeugung, daß die Pyrpiruna, (Papaluga,
Pepemga^ Dodola) eine Darstellung des als weiblich vorgestell-
ten Vegetationsgenius, eine möglichst concret gedachte Personi-
fication des Pflanzenwuchses selbst sein sollte , auf die man durch
die Wasserbegießung oder Wassereintauchung den Regen herab-,
locken wollte. Als derartige Darstellung eines Geistes charsfete-
risiert sie auch die Anrufung des rumänischen und bulgarischen
Liedes, daß Papaluga in den Himmel steigen möge, seine Pfor-
ten zu öffnen , Peperuga fliege. Daß die Darstellerin jeder Klei-
dung sich entäußert, bevor an ihren Leib sich eng und dicht die
Laubhülle anschließt, sollte ausdrücken, daß letztere nicht nur
ein vertauschbares Gewand, sondern ein Zubehör ihres Wesens,
gleichsam ihre Haut ausmache; so nur mochte die Maske geeig-
net erscheinen die im Innern der Pflanzenwelt wirksame Seele
zu vergegenwärtigen. Fein ist der Zug des bulgarischen
Brauches, in das zum Begießen gebrauchte Wasser Blumen zu
mischen, denn solche sollen ja der Erfolg des durch die Gere-
monie herbeizuzaubemden Regens sein. In Rußland, im Gouver-
nement Kursk ergreifen bei langer Dürre die Weiber einen Vor-
übergehenden und werfen ihn in den Fluß, oder begießen ihn
von Kopf bis zu Füßen, ^ und in Tirol (Bui^eis) werden in glei-
cher Weise am ersten Mai Mädchen, die sich auf dem Wege
zeigen, von den Burschen eingefangen und begossen oder ins
Nasser gestellt.* Wir werden später aus unwiderleglichen Bewei-
sen ersehen, daß am Erntefelde, dem Orte des Maitestes u. s. w.
1) Burchard. Worm. Cannon. LXIX Col. 1548 S. 201»» Grimm myth.»
XL. Bibl. patr. ed. Migne CXL. Paris 1853. p. 974.
2) Afanasieff II, 174. In einigen Dörfern hielt man es nach den Gebe*
ten gegen die Dürre für nötige den Popen ausznbaden.
8) Zingerle, Tiroler Sitten: Aufl. 2. .S. 154, 1309. Zs. f. D. Myth.
n, 360.
332 Kapitel IV. Bamngeiater als VegctatioDsdämoneii:
vorttbergehende unbekannte Fremde fllr Ersoheintingen des Vege-
iationsdämons angesehen und als solche behandelt wurden. Ver-
blauter ist die Sitte dort, wo der erste ans dem Felde znrttok-
kehrende Pflug sammt dem Zugvieh und dem Ackersmaim von
den Frauen and Mädehen, die dies als ein Beoht in Anspruch
nehmen, mit einem tttchtigen WasserguB durchnäBt wird.^ Wie
Schmackostem und WasserguA (o. S. 259) gehört dieses Begießen
des Pfluges und das hessische Auspeitschen der Mädchen (Flöh-
ausklopfen 0. S. 268) zusammen. Ebenso wird aber von den
Weibern der Hirte, der zum erstenmale im Frtlhjahr auf die
Weide treibt, von den Männern die Magd, welche zum ersten-
male im Garten gegraben, oder die erste Last Gras nach Hause
getragen hat, besprengt, begossen, oder in einen Bach gefllhrt
und gebadet Alles dieses geschieht , damit das Kraut im Garten,
das Gras auf der Weide , das Korn auf dem Acker gut wachse
und gedeihe, im Sommer kein Ungeziefer (Mttcken, Flöhe u.dgl.)
die Begossenen plage , d. h. nach unserer o. S. 280 gegebenen
Erklärung die Krankheitsgeister von ihnen weichen. In West-,
fftlen (Wittgenstein), beschütteten noch vor 50 Jahren Knechte
und Mägde am Fastnaehttage , ja sogar die Schulkinder sich
gegenseitig eimerweise mit Wasser;' in Schlesien schleppte man
dann die Mädchen Nachts aus dem Bette an den Brunnen.
Ich erwähne diese in Deutschland weit verbreiteten Gebräuche
nur, ohne hier ihre Verbreitung und ihre mannigfachen Spiel-
arten im einzelnen darzulegen. In der Mehrzahl der Fälle ver-
knüpfen sie die Erinnerung an den persönlichen Vegetations-
dämon mit derjenigen Person, welche durch ihre Arbeit im Früh-
jahr zuerst mit der Vegetation in Acker und Wiese in Berührung
kommt, den Geist derselben gleichsam an sich genommen hat'
Die zuletzt erwähnte westfälische und schlesische Form des
Brauches erklärt sich, wie das Schmackostem, aus dem sym-
1) In ganz Hessen (Mülhause S. 130); in Westfalen (Kuhn, W. Sag.
II, 153, 428); Henneberg (Zs. f. D. A. IH, 361, 9).
2) Kuhn , Westf. Sag. II, 129, 389.
3) Grade so wird bei der Ernte der mit dem Schneiden der
letzten Halme oder mit demBinden der letzten Garbe beschäf-
tigte Arbeiter (resp. Arbeiterin) mit dem im Korne hausenden
Yegetationsdämon identifiziert und deshalb, wie dieser der
die) Alte, Wolf, Hahn u. s. w. genannt
LanbeinkleiduDg. Der wilde Mann. 333
padiiflchen ParallelismuB des Menschen - and Pflanzenlebens. Das
Alter dieser Sitten erweist u. a. schon die ans Burkhard ausge-
hobene Stelle; auch in einem Erfurter Zuchtbriefe v. Jahre 1351
findet sich die folgende Bestimmung: Das niemant den
andern in das waszer trage. Unser bem verbieten auch^
das niemant ^xl Ostern, zu Pfingsten, noch zu einer
andern zeit den andern in das waszer tragen oder
werffen soll, als dicke sei er X Schillinge geben, vermag er
des geldes nicht, so sal er seyn buess leyden in dem stocke/^ ^
Daß die Aufpflanznng des Maibaums, oder der Pfingsthtltte (o.
S. 323) auf dem Brunnenrande nur eine abgeschwächte Form der
WasserbegieBung ist, wird jedem Leser klar sein.
§.'5. LanbeinUeldung. Der wilde Mann. Doch genug
der Abschweifang , zu der uns die Betrachtung einer einzelnen
traditionellen Handlung in dem Umgange des Laubmanns oder
Pfingstlttmmels am Maitag oder Pfingsttag Veranlassung gab.
Wir nehmen jetzt den durch die Begengebräuche unterbrochenen
Faden wieder auf. Dem aufmerksamen Beobachter kann es
schwerlich entgangen sein, wie sehr der durch Laubeinkleidnng
dargestellte Vegetationsdämon des Volksbrauchs den in einem
früheren Abschnitt behandelten Gestalten der Volkssage, den
Moosleuten und dem wilden Manne (Körglein u. s. w.) entspreche,
der im Frtthlinge oder Herbste erscheinen und den Bauern die
Zeit der Aussaat verkündigen soll o. S. 111. Noch schlagender
tritt diese Ueberelnstimmung in einer bestimmten Spielart der
behandelten Gebräudie hervor, in denen auch der Name des
Pfingsd u. s. w. mit demjenigen des vrilden Mannes vertauscht
ist Im Etschlande, Ulten und Vintschgau wurde im vorigen
Jahrhundert noch allgemein an jedem Donnerstage vor Fastnacht
von den Schulkindern das Wildemannspiel aufgeiUhrt.'
Zingerle hat nach der Erzählung einer alten Magd den Hergang
dieses Spieles zu Marling bei Meran verzeichnet Festlich geklei-
det und mit weißen Schürzen angetan gingen die Schulmädchen
in den Wald gegen St Felix , wo eine Höhle war , und suchten
nach dem wilden Mann , bis sie ihn fanden. Es war ein Bursche,
1) Mittheil, des thüring. - sächs. Altertamsvereins VII, H. 2, 125.
2) Zingerle, Sitten, Branche n. Meinungen.- Anfl. 2. Innsbruck 1871.
S. 134, 1192.
334 Kapitel IV. B&QmgeiBter als Vegetationsdämonen :
d-essen Kleid nur ans Baumbart und Haaren bestand;
sein Gesicht schien mit Bart und Moos so ttberwaebsen, daß
man nur die Augen sah. Als Schmuck führte er Ketten yon
Sohneekenschalen y die laut rasselten, wenn er aufsprang, oder
sich sonst bewegte (vgl. o. S. 326). In seiner Rechten führte
er einen jungen Baum statt eines Stockes (o. S. 97).
Der wilde Mann hatte immer zwei Junge bei sich, die ebenso
wie ihr Vater gekleidet waren, und aus der Höhle herausgeholt
werden mußten. Sie waren gar munter und sahen wie Aeffch^
aus. Wenn man aller drei habhaft war, wurden sie von den
singenden Mädchen mit roten Seidenbändem gebunden und ins
Dorf geführt , wct der wilde Mann allerlei Spaße machte. Sehließ-
lich wurden sämmtUche Kinder und die drei Wilden mit Wein,
Brod, Käse und Obst bewirtet. In Folge der rationalistischen
Richtung wurde dieses Spiel unter Kaiser Joseph abgestellt; ia
einzelnen Gegenden ist es später erneut, aber in modernisierter
Fassung. Ein ergötzliches Beispiel einer solchen allegorischen
Umdeutung bietet ein von Zingerle aufgefundener Text der Auf-
fllhrung des Wildemannspiels zu Burgeis im Vintschgan aus dem
Jahre 1829.^ Erkennen wir im Wildemannspiel mit Recht eine
Darstellung des Frühlingseinzuges, so wtirde dandt nicht im
Widerspruche stehen, daß zur nämlichen Jahreszeit, d. h. am
Fastnachttage zu NtLmberg in dem das Frtthlingsfest feiern-
den Aufzüge der Metzger, dem sogenannten Schönbartlaufen'
unter andern Mummereien auch ein wilder Mann und ein
wildes Weib auftraten.' Zwar, in der ältesten Zeit yon
1350 — 1464^ wird noch kein wilder Mann erwähnt. Dagegen
kommen der wilde Mann und die wilde Frau in den Jahren
1521, 1524 und beim letzten Sohönbart 1539 vor. „Bei diesem
Schönbartlaufen (1539) fanden sich auch schöne und wolgezierte
Holzmannlein und Holzfräulein, deren Führer warw^lbert
Scheury Bei dem wilden Manne liest man in den
Scfaönbartbttchem folgende Reimen:
1) Zisfi^erle in Zeitschr. f. D. Myth. u. Sittenk. UI, 200ff.
2) S. MüUenhoff über den Schwerttanz S. 11. 36.
3) Vgl. Kleine Geschichte des Nürnberger Schönbartlanfens. Altdorf
1761. S. 10. Panaer, Beitr. 11,248.
4) Vgl. Maxim. Mayer, Nürnberg. Schembartbach. Erstes Heft. Nürn-
berg 1803. .
LaabeiDkleidnng. Der wilde Mann. 385
In eines wilden Mannes Qstalt ifih
Bei dem Schönbart ließ finden mich.
Bei dem wilden Weibe:
Die weil mein Mann sich macht auf d' Straßen
Will ich ihm folgen gleichermaßen.^
Gehörten hiernach die beiden Figuren wol nicht ursprünglicb
und notwendig zum Nttmberger Fastnachtaufznge , so mögen sie
aus dem Fastnachtbrauche ein^s anders Ortes hergeholt und dem
Tanze der Metzger nachträglich einverleibt sein. So tanzt z. B.
am ersten Fastnachtsonntag (Invocavit) in Basel bei dem soge-
nannten Morgenstreich neben andern Masken ein wilder Mann
mit einem entwurzelten Baume in der Hand^ und Laub um
Haupt und Lenden gewunden. Zu B^ziers in Langued'oc fand
vor 1793 alljährlich am Himmelfahrtstage die promenade du
chameau statt. Ein künstliches Eameel, das ein in~^der Maske
steckender Mann bewegte, wurde durch die Stadt geführt Die
städtischen Behörden und die ZUnile schritten dem Zuge vorauf^
dem Kameele folgte ein mit grtlnen Büschen zu einer Laube
gestalteter Wagen, den mit blauen Bändern geschmückte Mäuler
zogen. Eine Anzahl wilder Männer, d. h. in Blumen und
grüne Baumzweige gehüllte Personen schlössen die Pro-
zession, die nach Beendigung des Umzuges durch die Stadt vor
der Kathedrale vom Domkapitel empfangen an der Kapelle der
blauen Büßer mit einer Brodspende an die Armen endigte.'
Näher zu der Tiroler Sitte stellt sich der Pfingstbrauch thürin-
gischer Orte. Mit mannichfachen Abweichungen, sagt Sommer,
erscheint zu PlSngsten das Spiel: „den wilden Mann aus dem
Busche jagen,^' oder, den wilden Mann aus dem Holze
holen. Die gewöhnlichste Form ist folgende: Ein Bursphe wird
in Laub und Moos gehüllt und heißt: „der wilde Mann.'' „Er
yersteckt sich im Walde.'' Die übrigen Burschen des Dorfes
ziehen ans ihn zu suchen, finden ihn, tlihren ihn als Gefangenen
aus dem Walde und schießen draußen mit blindgeladenen Geweh-
ren nach ihm. Er fällt wie todt zu Boden, wird aber
wieder ins Leben gebracht. Dann jubeln die andern, setzen
1) Ntkniberg. Schönbaft-Bnch und Gesellen -Siechen. Aus einem alten
Mannacript zum Dmck befördert 1764. S. 47.
2) S. die Beschreibnng von M. Pfaunptre in Hones Every Daybook IJ,
921. Vgl. De Nore, eoatnmes, mythes et traditiona p. 74.
3d6 Kapitel IV. Baumgeister als Yegetationsdämonen :
ihn auf den Wagen , binden ihn fest nnd nun fahren sie ins Dorf
und erzählen der versammelten Gemeinde^ wie sie den wilden
Mann gefangen haben and vor jedem Hanse erhalten sie ein
Geschenk. Offenbar eine jüngere Form dieser Sitte ist diejenige,
wonach der wilde Mann nicht in Laub und Moos gekleidet^ son-
dern mit Farben bunt bemalt wird. An einigen Orten heißt
das Spiel: ,,den Teufel aus dem Busch holen/' Dann ist der
Gesuchte von oben bis unten mit Ruß geschwärzt [der
Name Teufel entstand nur aus dem rußigen Aussehen des wil-
den Mannes. Vgl. o. S. 322.] Zuweilen erscheint er in einer
beliebigen Bekleidung und dann verkleiden sich auch die , welche
ausziehen ihn zu suchen.^ Aus dem Erzgebirge schildert Christian
Lehmann, Pastor zu Scheibenberg, Kr. Dir. Zwickau (1638 — 88)
die Sitte ; wie sie im Anfange des siebenzehnten Jahrhunderts
bestand. „In unserm Gebirge trägt man sich mit einer alten
Tradition, daß wilde Waldleutc bißweilen an die Waldhäuser
und zu den Weibern in Waldräumen kommen. Solcher wilden
gebirgischen Satyren erinnerten sich von Alters die Einwohner
und Bergleute bei irem ^nass und Fastnachtspiel, bei welchem
sie jährlich 2 wilde Männer verkleidet, den einen in Reisig in
MooS; den andern in Stro, solche auf den Gassen umgeitlret,
endlich aber auf dem Markt herumgejagt und niedergeschossen
und gestochen, welche dann mit herumtaumeln und seltsame
Geberden Gelächter machten und mit angefüllten Blutblasen
unter die Leute sprUtzten, ehe sie gar niederfielen. Da fas-
seten sie die Jäger als tot auf Bretter und tragen sie
ins Wirtshaus. Die Bergleut gingen dameben her, bliesen eines
durch ire I^echpfeifen und Grubenleden auf, als hätten sie statt-
lich WiWpret gefangen. Dergleichen Aufzüge hielt man vor dem
30jahrigen Kriege, aber nun sind sie abgekommen."* Ganz
ähnlich ist heute noch der Brauch in der Gegend von Schlucke-
nau (Kr. Leitmeritz in Böhmen). Hier verfolgte die Volksmenge
zu Fastnacht einen Mann, der so vermummt ist, daß er das Aus-
sehen eines Wilden erhält, durch mehrere Straßen, bis ein vor-
1) Sommer, Sftgen^ Märchen und Gebrävcfae Ans BftcbieB und Tbfi-
ringen S. 154.
2) HiBtorisc^er Schauplatz der natürlichen Merkwürdigkeiten in dem
meiBnischen ober Erzgebirge. 3. Anfl. Leipzig 1699. 40. S. 757.
, Lanbeinkleidniig. Der wilde Mann. 337
gezogener Striek ihn aafhält. Er wird gefangen; der Scharf-
richter dnrohbohrt die blutgefflllte Blase^ welche der
Wilde- um den Leib gebunden hat, mit seinem Schwert^
and der Wilde stirbt, indem ein Strom von Bhit die Erde rötet.
Nmi wird er anf einen Schlitten (oder Bahre) gelegt und fort-
getragen. Am nächsten Tage wird eine ihm (dem Wilden) ähn-
liche Strohpuppe unter zahlreicher Begleitung zu einem
Teiche getragen und ertränkt Man nennt das den
Fasching begraben. ^ Im Harz tritt alljährlich am Freischießen,
das man um Johannis hält, ein wilder Mann mit
einer Tanne in der Hand und ganz in Moos gekleidet auf.'
In Westmannland in Schweden spielen die jungen Bursche an
Sonntagsabenden Olaf im Versteck (Ole i skrymta). Einer ron
ihnen kehrt sein rauhes Wollenwamms um, einige laubreiche
Büschel Adlerfarnkraut (nägra jfrige ormbunkar, d. i. pteris
aquiKna) werden auf seine Mütze gesetzt,^ ein gewaltiger
Stab wird in seine Hand gegeben. Im übrigen so schrecklieh
als m^lich ausstaffiert wird er unter überlautem Gelächter der
Gesellschaft in ein dichtes Gebüsch geleitet, wo er auf
einem Steine Platz nimmt. Nach gewissen Rufen und Ge-
längen kommt er sodann mit furchtbarer Miepe aus seinem Ver-
stecke in den Wald heraus und sucht einen von der Gesellschaft
zu fangen. Wen er zuerst mit seinem Stabe berührt, muß, wie
er gekleidet, und unter großen Freudenbezeügungen ins Gebüsch
geifthrt seine Stelle einnehmen.^
Der Znsammenhang dieser Wildemannspiele im Frühling mit
iea Bräuchen des Pfingstlümmels , Laubmanns u. s. w. steht außer
Frage; stellen die meisten die Frühlingseinholung des wilden
Mannes als Vegetationsdämons dar, so macht das zuletzt
erwähnte schwedische den Eindruck, als ob es die Redensart:
„der Wald hält" (skoje halder) o. S. 130 verköi-pem solle. Das
mir bis heute zustehende Material reicht nicht aus, um die Frage
— . %
1) Krolmus» Staro^ke povesty 1,410. Beinsberg- Düringsfeld , Böhm.
Festkalender 8. 61. ^
2) Kuhn, Nordd. Sagen 188, 211.
3) Diese Pflanze soll dem Volksglauben nach nnr in der Mittsom-
mernaeht blühen , Glück verleihen nnd nn sichtbar machen. S. Hylten -
Catallias, Yfirend och Virdame IT, Anh. XXI. Cf. den Sohnak o. S. 3^.
4) Dybeck, Runa 1842. S. 20.
Mannhardt 22
338 Kapitel IV. Bauingeister als VegetaüoBsdämonen:
ZU lösen, die ich fttr's erste nur anfVrerfen kann, in welohem
YerhältniB zu diesen DarsteHnngen des wilden Mannes dorch
laabbekleidete Bursche andere Repräsentationen desselben als
durchweg behaarter Waldsehrat (Pilosus) o. S. 114 stehen. Ein
Beispiel dieser Art Darstellungen gewährt ein unter dem Nam^
ballet des ardents bekanntes Ereigniß der franzi^scben Geschichte.
König Karl VI. gab am 29. Jan. 1393 im Hotel royal de Saint
Paul ein Fest zu Ehren der zweiten Heirat einer Hofdame der
Königin Isabella yon Baiem. Ein normannischer Edelmann kam
deshalb auf den Gedanken eines Gharivari. Der König und 4
Herren vom Hofe führten einen Tanz als wilde Männer auf,
vom Kopf bis zu Fuß in eng anschließende Leinwand ein-
genäht, auf welche mittelst Harzpech Werg in Form von zot-
tigen Haaren aufgelegt war. Der Herzog von Orleans kam einem
dieser Cavaliere mit einer Fackel zu nahe, derselbe fing Feuer
und alle verbrannten mit Ausnahme des Königs, über den seine
Tante, die Herzogin von Berry, ihn erkennend, schnell ihre
Bobe warf.^ Sollten diese Schaustellungen einer romanischen
Form des fraglichen Frühlingsbrauches ihren Ursprung verdan-
ken? Wenigstens gab es auch in Spanien neben den Darstel-
lungen der Maifrau (Maja -s. unten) auch solche des wilden Man»
nes orco (o. S. 110). So wird in einer Bußordnung der spani-
schen Kirche, dem wahrscheinlich im 8. Jahrh. verfaßten zum
Teil aus fränkischen Quellen excerpierten Poenitentiale Vigilar
num cap. 84 verboten: Qui in saltatione femineum habitum
gestiunt et monstruose se fingunt et majas et orcum et pelam
et bis similia exercent I ann. poen.^ Es seheinen bereits im
1) Froissart lY, 52. Paris 1574 lY 157 ff. nennt als Tag des Ereigus*
ses mardi devant la chandelenr 1393. Nach ihm ließ HatI anfertigen „m
cottes de teile connertes de deli^ lin en forme et conlenr de cheveax." „ Ils
furent Testns de ces cottes , qni estoient faites a leur point et ils forent dedans
consus et ils se monstroient estre hommes saanages, ils estoient tons
chargez de poil depuis le chef jnsqnes a la plante dn pi4. Eine Abbildung
des Tanzes nach einer Miniatur in einer Handsohrift des/ Froiasart ans
saec. XV. s. bei P. Lacroix , moenrs usages et costnmes dn moyen age. Pftris
1871 p.263. Fig. 185.
2) V^asohersleben, Bnflordn. der abendl. £irche. Halle 1851.^ S. 533.
Cf. p. 71. Ueber die Maja wird spater nooh die Bede sein ; pelo bedeutet
im Spanischen einen reichgekleideten Knaben, der auf den Sohult^m eines
Mannes am Frohnleichnamfeste dahergetragen wird.
Lanlrainkleidung. Der wilde Mann. 339
14. Jahrhundert y vielleicht noch früher, diese Darstellungen ans
dem Volke in den Festbranch der Fürstenhöfe übergegangen und
hier vielfech verändert als sinnbildliche Vergegenwärtigungen der
rohen y ungezügelten Naturkraft und Sinnlichkeit anfge&ßt zu sein.
In dieser Anffassung zeigen uns den wilden Mann mehrere Kunst-
werke des 14. Jahrb., von denen ich das Kuppelgemälde eines
abendländischen Künsflers in der Gerichtshalle der Alhambra und
einen in braunem Holze geschnitzten Dolchgriff des historischen
Museums zu Dresden erwähnen will.^ Im Laufe des flinfzehnten
Jahrhunderts ging dann diese Verbildliehung des wilden Mannes
in' den Gebrauch der Heraldik als Wappenhalter über, ver-
mutlich als Darstellung der durch Geist und Herrscherwillen des
Menschen gebändigten und unterworfenen rohen Natur und der
von ihr aus entstehenden Hindemisse des Lebens. Ein Beispiel
1) Bas Gemälde zeigt eine gras- a. blumenreiche mit Bäumen und
Vögeln belebte Flur, in deren Mitte sich ein Schloß mit Türmen und Zinnen
erhebt. Aub dem Obergeschoß schauen eine Dame und ihre Zofe. Zur Rech-
ten des Schlosses (vom Beschauer) sieht man ein Turnier zwischen einem
christlichen Ritter und einem Mauren. Letzterer durchbohrt seinen Gegner.
Zur Linken ist eine reichgekleidete christliche Frau dargestellt , welche einen
rahenden Löwen an der Kette hält. Ein wildrer Mann mit Ausnahme
Ton Händen und Fttßen TÖUig behaart, mit fliegendem Haar,
langem zweiteiligen Bart , bekleidet mit einer von den Hüften bis etwas über
die Knie reichenden faltigen weißen Hose , faßt mit seinen Händen die bei-
den Arme der Dame , während er selbst Ton einem christlichen Bitter durch
dessen Lanze in die Brust getroffen wird. Unter den zur Rechten turnieren-
den Rittern yrird ein Eber Ton Hunden gehetzt. Gänzlich, ähnlich ibt die
Daratefllung auf dem wenig älteren (1840 — 1350?) Dolche , von dem sich bei
G. Klemm Werkzeuge und Waffen. Lpzg. 1854. S. 174 und P. A. Prenzel,
Führer , durch das historische Museum zu Dresden. Lpz. 1850. S. 98 Abbil-
dungen finden. Auf der einen Seite sitzt unter einer gothischen torf5rmigen
mit Türmen gekrönten Architectur eine geflügelte weibliche Figur , einen Hund
unter dem Anne auf zwei zottig behaarten männlichen Gestalten,
wovon man nur Kopf und Brust mit vorgestreckten Händen zu beiden Seiten
bemerkt Auf der entgegengesetzten Seite sind ein Weib und der ganz
behaarte wilde Mann zu sehen, letzterer mit einem Ringe um den
Hals und zusammengelegten , mit einer Kette gefesselten Händen. Das Weib
hat mit der Rechten den Ring, mit der Linken das Ende der Kette ergrif-
fen. Heber beiden ein ruhender Hirsch und darüber der wilde Mann, sitzend,
mit der Linken eine Kette haltend, daran ein Affe gefesselt ist, der sich
im Spiegel sieht. Offenbar doch sollte hier die Macht des Weibes, der Sieg
der Weiblichkeit, der Lieb6 Über die rohe Kraft dargestellt Werden.
22*
B40 Kapitel lY. Baiungeister als Vegetationsdftmoneii:
gewährt ein in Silber getriebener Pokal ans den Jahren 1450 —
1500.^ Anf deutschen Münzen und Wappenbildem wird im
16^ Jahrhundert der wilde Mann nackt oder behaart mit Schilf-
oder Laubkrone auf dem Kopf und LaubumhttUung um die Len-
den, in der Hand einen entwurzelten Baumstamm trag^id abge-
bildet. Ich nenne beispielsweise die braunschweigisch-lttnebur-
gischen Wildemannsmttnzen (Thaler, vergoldete Euftfenntlnzen,
Dukaten, Gulden),' sowie ein Wappenschild der Familie Holz-
hausen. ^ Auch auf den großem Volksfesten deutscher und eng-
lischer Städte , bei besondem fbrstiichen Hoffesten , Vermählungen
Feuerwerken u. dgl. spielten im 16. und 17. Jahrhundert der
wilde Mann und die wilde Frau in dem beschriebenen Au&uge
äne fioUe^ in England heißt er Wildman, Woodhouse (Wald-
haus), oder green man, er wurde entweder mit Moos bedeckt,
oder in bäuerlichem Anzug mit einem einfachen Laub- oder
Sctülfkranze um den Kopf, oder in einer aus zottigen Tierfellen
bestehenden, den ganzen Körper mit Ausnahme der freibleiben-
den Hände und Füße bedeckenden Kleidung mit grüner Laubum-
1) J. V. Hefner-Alteneok, Ger&the des christl. Mittelalters. Bd. III.
Taf. 50. Der Pokal ruht auf drei wilden MäBnero, welche auf dem
rechten ßeine kniend in der Linken ein Wappenschild halten. Ihr Körper
ist durchaus hehaart, vergoldet» nur H&nde und Kopf sind von reinem Silber.
Schon der Kupferstecher Martin Schongauer (1420? — 1488) verwandte den
wilden Mann als Wappenhalter. Vgl. Bartsch, Peintres gravenrs. Schon-
gauer N. 103. 104. 105.
2) Z. B. Thaler Heinrichs IV. v. Wolfenbüttel 1554. Der wüde Mann
mit unbedeckten j>udendis , in der rechten Hand einen Baum , in der Linken
eine Bergistufe haltend. — Goldgulden Heinrichs IV. 1558. Wilder Mann
mit Baum in der Bechten. Der Thaler desselben Fürsten v. 1541 wird nur
als Brustbild eines wilden Mannes mit bloBen Pudendis beschrieben. Vgl.
J. T. Köhler, voUstand. Ducatenkabinet II 1760. S. 550. Nr. 1755. Madai,
Thalerkabinet. B. IH Königsberg 1767. S. 242— 44. Dritte Fortsetzung 1774.
S. 205. Nr. 6549.
3) Dasselbe stellt als Schildhalter einep nackten wilden Mann dar mit
langem auf die Hüften hinabhangendem Bart, Lenden und Haupt mit Blät-
tern und Zweigen umkränzt, als Stab einen entwurzelten Baum tragend.
Jost Amanns (Ammons) Wappenbnch 1579. Cf. C. Bitter von Mayer, heral-
disches A. B.C. -Buch. München 1857. Taf. LIV. 1. Vgl. Jost Ammons
Kunstbüchlein. Frankf. 1599. Zur Bechten eines leeren Wappenschildes steht
ein wildes Weib eine Frucht tragend , zur Linken der wüde Mann , jeder von
ihnen hält einen entwurzelten grünen Baumstamm.
Maikönig, Pfingstkönig, Maikönigin.- 341
kiHnzang yon Hanpt und Lenden dargestellt, oder er war ganz
mid gar in Ekhenblätter oder Epheu gehttllt. In der Hand trug
er einen noeh grünen Baumstamm. ' In den Zwölften (twelfe
nights) 1515 ftlhrte man vor König Heinrich VIII. in der Halle
von Greenwich ein Pageant auf. Ein goldenes Zelt ward herein-
gebracht ^ vor dem reich armierte Ritter standen. Sodainlay came
out of a place lyke a wood 8 wyldemen, all apparayled
in grene mosse made with sleved sylke with uggly
weapons and terrible visages and there foughte with the knyghtes
8 to 8 and after long fighting the armed knightes draue the
wylde men out of their places and foUowed the chace out of
the hall; and when they were departed, the tent opened and
there came out 6 lordes and 6 ladyes rychely apparayled and
dauneed a great iyme.^ Im Jahre 1575 wurde Königin Elisa-
beth in Kenilworth mit verschiedenen Schaustellungen empfangen.
Unter anderem kam der Dichter Thomas Gascoyne, als sie am
10. JnH Abends 9 Uhr von der Jagd heimkehrte, plötzlich aus
dem Walde ganz in Epheu gehttllt, ein mit den Wurzeln aus-
gerissenes Eichenbäumchen vor sich hertragend, und sprach
einige selbst erfundene Verse zu ihrem Lobe. Abbildungen des
wilden Mannes nach Ütem. Kupferstichen liefert Strutt.^ Es ver-
dient näher untersucht zu werden, ob die höfischen und städti-
schen Darstellungen des wilden Mannes in den englischen
pageants und firewarks und in den deutschen Schaustellungen
sieh unabhängig von jenen französisch -spanischen Darstellungen
aus dem Frühlingsbrauche der Dörfer entwickelt haben, in wel-
chem historischen Verhältniß sie selbst zu einander stehen, und
wann zuerst, wie und auf welchem Wege jene Figuren in den
Apparat der bilden4en Kunst übergegangen sind. Wir dttrfen
hier diese Probleme nur andeuten, ohne ihre Lösung zu ver-
suchen, die doch dazu ertbrderlich sein wird, um den von uns
behandelten mythologischen Volksbranch nach allen Seiten hin
klar abzugrenzen und die gewonnene Bedeutung zu sichern.
§ 6. MaikSnlg, PflngstkSnig, MaikOnlgin. Statt des Na-
mens Laubmann , PfingstlOmmel n. s. w. begegnet mehrfach der
1) Thom. HaUs Ohroniele (ed. princ. 1548). London 1809 p. 580.
2) S. Strutt, the sports ad pastimes of the people of England. Lon-
don 1841 p. 377 — 78. cf. 376. 253. XLL
342 Kapitel IV. Bmngeütor als Y^fetationsdimoneii :
Name Maikönig, Pfingstkönig und an Stelle des p^ May tritt
in Frankreich ebenso nicht selten eine reine de may, reine de
print^npgy in England eine Maylady, Qneen of May, in Böhmen
eine Kraloyna (Königin) ein. Diese Baiennangen setzen die
Anschaming yoraas, daft der in der V^etation verkörperte
Dämon ein Herrscher sei, dessen schöpferische Gewalt ttber
Höhen und Tal, über weite Lande sich erstrecke. „König Mai, '
König hduz" dind übrigens so naheliegende Personifieationen, daA
die Dichter des Mittelalters und der Nenseit sie hnndertmal wie-
derholt oder neugeschaffen haben. Es ist nicht bedentongslos,
daß der englische Jack in the green (o. S. 322) anf dem Koph
eine Blnmenkrone, der Walber (o. S. 312) eine Aehrenkrone trägt.
Die Herrschematar des Dämons sollte angedeutet werden. In
KL Scheppenstedt , Cremlingen and andern Braonschweigischen
Orten wnrde ein ganz in Maibttsche eingehüllter Maikimig
gemacht, zu Molmerswende am Harz ein Pßngstkonig. In der
goldenen Aue ist es wieder ein MaUcönig. Man baut ein Holz-
gesteil von Mannesgröße, umwickelt es mit Birkenzweigen und
$et0t der so gebildeten Figur (wie dem Jack in the green) eine
Krone von Birken und Blumen ou/*, m welcher zugleich eine
Klingel (o. S. 324 ff.) befestigt wird. Im nahen Gehölz wiid
dann jemand hineingesteckt und noo versteckt man ihn im
Busch. Die Uebrigen ziehen hinaus und suchen ihn. Mit dem
Gefundenen geht es ins Dorf zum Amtmann , Prediger und ande-
ren Wtlrdenträgem. Sie müssen raten, wer drin sei. Baten sie
falsch, so schüttelt der König seine Klingel und man zieht wei-
ter ; sie aber müssen fttr's Nichtraten einen Eimer Bier als Strafe
geben. Bei Apolda wird der Maikönig in Stroh statt in Laub
eingekleidet (vgl. den Walber o. S. 312).^ Auch in Oestreich
wählen die DorQungen einen Pßngstkönig, kleiden ihn mit grü-
nen Zweigen , schubsten ihm das Angesicht (o. S. 322) und wer-
fen ihn in den Bach.* Im Kreise Budweis stecken sich die Bur-
sche am Pfingstmontag in Anzüge ans Fichtenripde und setzen
Mützen aul\ welche gleichfalls aus Binde gemacht und mit
Büschen von Knabenkraut und andern Wiesenblumen versehen
sind. Emer wird als König gekleidet auf einer Art Schlitten
1) Kuhn, Nordd. Sag. 383— 84, 64. 65.
2) Denis, Lesefrüchte 1, 130. Myth.> 562.
Maikönig, Püngstkönig, Maikönigin. ' 348
zum Dor^mts gefahren and unterwegs mit lautem Hailoh in
einen Wasserpfuhl geworfen. Sein Gefolge besteht aas
Pfeiffem mit Flöten aas Weidenrinde ^ von denen einige Larven
tragen y andere nur das Gesicht geschwärzt haben. Aofdem
Dorfjriatz scblieAen sie feierlich um den König einen Kreis und
ein Aosrnfer springt auf einen Stein und ruft ttber jedes Hans
emige Spott- oder Lobverse aus. Wird die Gesellschaft
nicht mit Prttgeln davon gejagt , oder hat der König noch kein
Bad empfangen, so wird dann ein Strohmann ins Wasser
geworfen. Nach Ablegung der Rindenhttlle ziehen dann die
jongen Leute mit Musik und einem Maibäumchen, das in
einem hölzernen Teller steckt, durchs Dort* und sammeln Gaben
ein.^ In Semic wird der König geköpft. Ein ziemlich starker
Trupp junger Leute bewaffnet sich mit emem Holzsäbel, einem
Gürtel aus Baumrinde und einer Trompete aus Weidenrinde.
Der König trägt einen mit Blumen verzierten Ornat aus Baum-
rinde, eine mit Blumen und Zweigen ausgeschmückte Rinden-
krone auf dem Haupt, die Fttße mit Farrenkraut umwunden,
eine Papierlarve vor dem Gesieht und skett des Zepters eine
lange HagedomrtUe in der Hand. Einer von den Barschen ftlhrt
ihn an einem Sdl, das ihm an den FuB gebunden ist, durch
das Dorf, indeß die andern herumspringen , trompeten und pfeüen.
In jedem Gehöft wird der König in der Stube im Kreise umher^
gßfogt und unter Lärmen schlägt ihm einer mit dem Säbel auf
den Ornat, so daß es schallt Dann fordert man Geschenke.'
Anderswo in der Mark, Thttringen, Böhmen, Baiem, Ungarn
wird der Pfingstkönig, Oraskönig oder LaUichkönig beritten dar-
gestellt Davon soll im nächsten Abschnitte die Bede sein. In
Frankreich (Dauphin^ , Döp. de Tlsöre) feiern die Kinder in den
ersten Tagen des Mai ein Fest (nude) wobei sie einen unter sich
auiputzen und König (roi) nennen.' Dem Maikönig oder Pfingst-
könig entspricht eine Königin. Sie wird gememhin von den
Mädchen dargestellt und zum Gegenstande einer besondem Pro-
zession gemacht In Deutsch - Ungam halten die Bursche am
1) Das Panorama des Universums. Prag 1834 — 48. V, 309. Beinsberg -
Düringsfeld, bohm. Festkalender S. 261.
2) Heinsberg -Düringsfeld a. a. 0. 263.
3) Champollion, recherehes nur le Fatois p. 183.
344 Kapitel IV. Banmgeinter als Vegetations^imonen:
roten Pfingsttag einen Wettritt Der Sieger wird Pfinggtkönig.
Die Mädchen dagegen y^Ien fttr sich beeonders die schönste
Maid zur Pfingstkönigin, schlingen einen großartig auf-
getürmten Kranz um ihre Stirne und freien sie singend
durch die Straften des Dorfes. Vor jedem Hause halten
sie stille, schließen einen Kreis um sie^ singen altheigebrachte
Volkslieder von großer Schönheit und nehmen Gaben in Empfang.^
In der Gegend von Libchowic a. d. Eger in Böhmen führen am
fünften Fastensonntag die MädcheS in weißen Kleidern ^ mit roten
Bändern und vergoldeten Sternchen im Haare und mü dm ersten
FrüMingsblfWien (Veilchen) und Maßlieben geschmückt eine soge-
nannte Königin (Kr&loyna), die mü Blmnen bekränsst istj im Dorf
umher. Während des Umzuges, der sehr feierUch vor sid^
geht, darf keines der Mädchen stille stehen, sondern
alle müssen sich fortwährend singend drehen (vgl. das
Mairöslein o. S. 312. u.S. 318, das B^enmädehen o. S. 330 und
die Johannisfeier o. S. 181). Die Königin verktbidet in jedem
Hause die Ankunft des FrtthUngs und wünscht den Bewohnern
Glück und Segen-, wofür sie dann emige Geschenke erhält' Aus
den Niederlanden bringt Grimm myth.' 1225 schon ein altes
Zeugniß fUr die Pfingstkönigin. Der Gisterziensermöndi Aegidius
im 13. Jahrb., der eine Geschichte der Lütticher Bischöfe ver-
faßte, erzählt Yon einem Ereigniß unter Bischof Albero (f 1155):
„sacerdotes ceteraeque ecclesiasticae personae cum universo
populo in solemnitatibus paschae et pentecostes aüquam
ex sacerdotum concubinis purpuratam ac diademate renitentem
in eminentiori solio constitutam et cortinis velatam r^nam crech
bant et coram ea assistentes in choreis iympanis et aUis musiea-
libus instrumentis tota die psallebant et quasi idolatrae effecti
ipsam tanquam idolum - coMxmt" Chapeaville U, 98. Diese
Sitte nähert sich der alsbald darzulegenden provenzalischen Weise.
In Frankreich ist die Maikönigin fast im ganzen Süden bekannt.
Am ersten Mai wird in der Oöte d'or (Bourgogne) Reine de prin-
temps, in Weiß gekleidet, mit einer Blumenkrone auf dem Kopfe
in einem Wagen dem Zuge vorangefahren, welcher in Pro-
1) Gebhard , Oesterr. Sagenbuch. Pest 1862. S. 488.
2) Hanuä , Bäjeslovny Ealendar slovansky. Y. Pra2e 1860. S. 98. Beins-
berg-Düringsfeld, Festkalender a. Böhmen S. d3.
Haikdiiig, Pfingstkönig, Mailronigiii. 345
Zession folgt (mttndl.). Im Departement - da Jnra heißt das von
den Hirten umhergefblirte ganz in Blnmen nnd Bänder gehttllte
Mädchen la Bdle de mai, la Beine de Mai.^ Im Jahre 1466
ttbemahm der Prior yon Saint -Claude (D6p. da Jura) in den
damals aofgestellten Klosterregefai aaf seine Präbende die jähr-
Hebe AoszaUang von Gaben an die Königin (Reine) und die
kleinen Mädchen anter nenn Jahren, welche ihre
Begleitang bildeten. Dieselben sollten aber niemals in den
Sebla&aal • oder das Kapitel kommen dürfen , und der ehrwür-
dige Vater sollte ihnen geben, so viel ihm beliebe ;,sans y estre
tena nollement fear [d. i. si non] qae par bonne coastame et de
gr&ce/'^ Za Lons-Ie-Saanier and Saint Amoar im Jura wnrde
die Schönste mit Blamen geschmückt and von den jungen
Leuten auf ihren Armen von Haus zu Haus getragen
(vgl. 0. die Ungar. Pfingstkönigin S. 344), wo man Eier und
amdere Eßwaaren einsammelte, indeß die Hirten auf Weiden-
flöten spielten.^ Herr Balleydier^ erzählt, daß er dicht vdr
St Peray (D^p. de TArdeche, Langnedoc) auf dem Wege nach
Valence ein junges Mädchen auf einem erhöhten mit Guirlanden
geschmückten Sitze gewahrte. Sie trug einen Kranz. von weißen
Rosen, einen Zepter von Blumen und war umgeben von Gefähr-
tinnen , welche den Hof dieser ländlichen Königin , oder wie man
sagte, der „MaYa,^' der Maischönen bildeten. Ehedem mußte
jeder Vorübergehende der MaYa einen Kuß geben, bis
man aaf den guten Einfall kam sich durch ein kleines Geldstück
von diesem erzwungenen Tribut los zu kaufen; jetzt ist nur das
Geldgeschenk übrig geblieben. So lautete die Auskunft, welche
Herr Balleydier auf sein Befragen von diesen Dingen erhielt.
Monnier glaubt wohl mit Recht, daß die Vorübergehenden den
Kuß von der Maikönigin, dem schönsten und blühendsten Mäd-
chen der Ortschaft schwerlich als eine aufgezwungene Last
betrachtet, noch denselben durch eine Geldgabe abgelöst haben
würden; vielmehr daß diese Sitte den Hochzeitfesten nachgebil-
det sei, bei welchen die Braut alle diejenigen küsse, welche ihr
1) Monnier, Traditions popnlaires p. 285.
2) Monnier a. a. 0. ^4.
3) Corelt, Fdtes religienses etc. S. 161.
4) Guide des voyagenrs sar les rives da Rhone bei Monnier S. 296.
346 Kapitel IT. BaomgeiBtor ak Vegetatioa«dlimoneii:
ein Geldstttck zur Alissfeener darbringien. Der KqB der Beaie
de Mai sei eine Dankbeaeugung für die ihr daiig;ebrachte Gabe,
welche nicht erst bei Aufhören desselben eingeführt wurde,
gewesen. In Ntmes führen am eraten Maitag die Kuoder ein
junges Mädchen umher, du sie 2a Beine Mma nennen. Man
setet sie an einem Krenzwege in eine Art blomengesehmlickter
Nische und ihre Begleiter bitten die Vorübergehenden am eine
Gabe zum Brantsohatz (dot) für sie.^ In der ganzen Provence
sieht man diese Majas auf blamengeschmttckten Estraden oder
auf Bittgängen durch den Ort.^ Neuerdings sind an die Stelle
der lebenden Personen yielfaoh kleine mit weißen Rosen bekränzte
Madonnenbilder getreten, welche die Kinder in den Straften anf
weißgedeckten Tischchen aufstellen , indem sie die Vorfiber^hen-
den anbetteln: „an sous pour ma vieige!^ Man sieht sehr viele
solcher Schaustellungen in einem und demselben Orte. Aus Spa-
nien haben wir schon oben S. 338 ein Zeogniß des 8. Jahrh. für
die Maikönigin (Maja) beigebracht. Es ist zu bemerken, daß
von dem überladenen Aufpatz dieser Majas im Spanischen die
Phrase Maja (resp. majo) ttbrig geblieben ist, womit junge Leute
auf dem Lande bezeichnet werden , welche durch eine affeotierte
und übertriebene Eleganz der Kleidung und eine gewisse Frech-
heit und Bflcksichtslosigkeit des Betragens sich auszeichnen und
den Ton bei allen Festlichkeiten angeben. Nach Audley' klei*
deten auch die englischen Kinder zu Cambridge eine Puppe in
grotesker Manier aus, nannten sie May -Lady, setzten sie auf
einen Tisch, auf dem Wein u. dgl. stand, und sprachen die
Vorübergehenden um eine Gabe mit den Worten an: „Pray
remember the poor May -Lady!" an. Aus andern englisehen
Gegenden berichtet üouce , daß die Lady of the May zaweilen
auf den Schultern der Männer in Prozession dahergetragen
wurde, und Stephen Batman sagt, daß der Papst in derselben
Weise auf dem Rücken von 4 Diakonen umhergefbhrt werde,
wie die Eierkäseköniginnen (Whytepot queenes) in den Maispie-
len der englischen Hebriden. Ohne Zweifel, fUgt er hinzu, sei
1) Miliin , snr le midi de la France bei Üonnier p. 297.
2) De Nore, contomes S. 17.
3) Companion to the Almanaok 1802 p. 21 bei Brand , pop. anüqa. ed.
EUis I» 221.
Da« MAienraten. 347
die, „Queen of May'^ eine DarateUung der Flora. ^ Von der
Mayqneen igt bereits o.,S. 31 5 die Rede gewesen. Auf der Insel Man
kämpfte eine Queen of May mit einer Queen of winter und naban
sie gefangen.^ Weiter unten werden wir auf den Maikönig und
die Maikönigin zurücksukommen dureb eine Reihe von Gebräu-
chen Gelegenheit finden , in welchen beide als Gatten vereint mit
einander auftreten. In Ungarn, im Jura, in England sahen wir
die Maiköaigin beim feierlichen Umgange getragen. Dieser Um*
stand ist somit weder zufällig noch bedeutungslos. Batmans
Vergleich desselben mit dem Umzüge des Papstes hat insofern
guten Grund, tds in beiden Fällen das nämliche Motiv der Ehr-
furcht der Ceremonie den Ursprung gab. So trägt man seit
grauem Altertum Götterbilder und Gegenstände von religiöser
Heiligkeit; nur entfernter darf an die Schilderhebung deutscher
Könige (R. A. 234 ff.) erinnert werden.
§ 7, Das MJaienreiten. Einen großartigeren Character nimmt
die EinholuD^ des Laubmanns an, wo er selbst und sein Gefolge
beritten sind; das Geleite wird häufig sehr groß; mehrere typi-
sche Figuren treten auf, eine Art dramatischer Rede und Wech-
selrede, Fahnen- und Wafienschmuek machen dieses Schauspiel
in seinen entwickelteren Formen farbenreich; im wesentlichen
weicht es nicht von der Grundlage ab , welche aus dem Umgange
des Laubmännchens zu'Fuß uns bereits bekannt ist. In den mei-*
sten FäUeu aber hat sieh die Gabe, welche in Empfang genom-
men wird und ihr Maß zu einem festen Gewohnheitsrecht aus-
gebildet, welches unter dem Namen Pfingstrecht durch die
Berittenen als Schuldigkeit in Anspruch genommen wird. Sehr
einfach war noch der Umritt des Graskönigs zu Großvargula bei
Langensalza am dritten Pfingstfeiertage , wie er uns aus dem
vorigen Jahrhundert geschildert wird. Derselbe steckte in d^
uns schon bekannten Pyramide aus Pappekweigen , deren Spitze
eine aus Zweigen und Blumen geschickt geflochtene Kaiserkrone
mit einem Fähnlein schmückte (vgl. o. S. 342). Der Graskönig
ward auf ein lediges Pferd gesetzt und die Pyramide über ihn
gesttüpt, deren untere Endzweige bis auf die Erde hinabreichten,
bloß ftir sein Gesicht blieb eine OeShung. Die anderen berit-
1) Brand I, 258.
2) Waldron, Description of the Isle of Man. Works p. 154. Brand 1,257.
348 Kapitel IV. Batungeister als VegetationadfimoBen:
tenen Bursche nahmen ihn in ihre Mitte; zwei der Ange-
sehensten in stattlichem Anzüge mit weißen Stäben
fthrten den Zag. Dann folgten die Mnsiker. Nachdem die An-
ftlhrer gefragt hatten, ob es ihnen erlaubt sei, nach alter Sitte
den GraskOnig antzaftlhren , ging der Zug vor das Amtshaus,
die Pfarrwohnung, das Lntterodische Gut zu den Ober-Gemejnde-
Heimbtirgen^ endlich zu den beiden Kämmerern. Dort erhielten
sie jedesmal sämmtlich einen Trunk Bier; die vier letzten mußten
jeder einen Kuchen geben. Unter den sieben Linden des nahen
Sommerberges wird dann der GraskOnig seiner Httlle entkleidet,
die Krone dem AmtmamT überreicht; die Büsche' steckte man
gerne auf den Leinacker ^ um langen Flachs dadurch zu bekommen.^
Die männliche Jugend von Deuna reitet am zweiten Pfingsttage
im Festgewande auf geschmückten Rossen im schnellsten Trabe
vor den nahen Wald. Hier findet sie einen armen Knaben,
den der Flurdiener vorher so mit Zweigen von Birken,
Saalweiden und andern Bäumen bedeckt hat, daß ihn
niemand mehr erkennen kann. Mit diesem kehrt der Zug
ins Dorf zurück, indem der Verhüllte zwischen zwei andern rei-
tet, die ihn, wenn es nötig ist, halten; man sagt: „der Schoß'
meier wird eingeführt,*' Man reitet zuerst auf die beiden adeligen
Güter, deren Besitzer den Schoßmeier erraten und jeder dem
Festzuge zwei Eimer Bier geben muß ; sodann vor das Wirtshaus,
wo der Orts vorstand den Zug erwartet. Sobald dieser, dem eine
Tonne Bier beizusteuern obliegt, den Schoßmeier erraten hat,
wird derselbe entkleidet, seme Hülle in ihre einzelnen Zweige
aufgelöst und diese an alle Gegenwärtigen, Fremde und Ein-
heimische, besonders aber an junge Mädchen verteilt , welche sie
an ihre Fenster stechen,^ In der Voigtei Dorla bei Mülhausen
wird der hoch zu Roß in stattlichem Laub- und Blnmenkleide
eingeführte Schoßmeier nach dem Umzüge in^s Wasser gestürzt.^
Zu Hinterweidental in der Pfalz, wo der Pßngstquack ganz in
1) Gnädigst priTÜegirte thöring. Vaterlandskunde 1801 — 1802. Bei*
mann, D. Volksfeste S. 157 — 59.
2) Waldmann, Eichsfeldsche Gebräuche und Sagen, Heiligenstadt 1864.
S. 8, 3.
3) A. Witzscbel , Sitten and Gebräuche aus der Umgegend von Eisenaeh
1866 S. 13, 53.
Das Maienreiten. 349
farbiges Ooldpapier eingehüllt im Galopp zwiBchen 4 Reitern mit
geschwärzten Gesichtern, hohen spitzigen Kappen und hölzer-
nem Schwertern, reitet, indeß die Pferde mit Brttmelbeerblüten
geziert sind, lautet der vor jedem Hause angebrachte Spruch:
Da kommen die armen Pfingfitknecht !
Sie hätten gern das Pfingstrecht;
Ein Stückel Speck, oder drei Eier,
Oder ein Händel voll Mehl,
Baß es ein Simrä Knöpf gieht.
Sind die Gaben eingesammelt, so reiten sie auf einen freien
Platz und bilden um den Pfingstquack einen Kreis. Dieser sieht
zu entkommen. Wird er erreicht ^ so reißt man ihm sein schö-
nes Gewand txm Leib imd jeder sudd ein Stück zu erhaschen.^
Ausgebildeter und zu einem förmlichen Spiele geworden ist der
Pfingstritt in Schwaben. Die Wurmlinger Sitte möge als Beispiel
dienen. Zwanzig ledige Bursche oder mehr kleiden sich in feine
weiße Hemden und weifte Beinkleider mit scheinen Hosenträgem.
Mit roten Schärpen und Säbeln reiten sie auf buntbebänderten
Pferden unter Anführung zweier Trompeter in den Wald und
hflllen den Pfingstbutz von Kopf bis Ftiden in belaubte Eichen-
zweige^ jedoch jedes Bein besonders, so daß er sich
auf's Pferd setzen kana Man macht ihm einen langen
kflnstlichen Hals und steckt einen TLoigS mit einer Maske drauf.
Aus den Worten, die er nachher zu sagen hat, geht hervor, daß
Pfingstbutis derjenige sein mußte, weicher beim Ausreiten ^ der
allerletzte war. Außerdem schneiden die Buben einen etwa zehn
Fuß langen Buchen - oder Espenstamm als „Maien,^^ schmücken
ihn mit gemeinsam gekauften bunten Maitttchem und seidenen
Bändern und übergeben ihn einem besondem „Maienführer.^'
Jetzt reiten sie ins Dorf, ein Platemeister voran; im Zuge befin-
det sich noch ein Korpoiral mit einem Stock; ein Mohrenkönig
mit russigem Gesicht, goldpapiemer Krone, wdßem Ueberhemde
und goldener Schärpe, der weiße Mann mü weißem Haar,
1) Panzer 1,238,264. Öradeso lautet der Spruch beim tJmzoge ded
Elsässer Pfingstquack: ,,Da kommen die Maienknecht; sie haben gern
ihr Pfingstrecht. Drei Eier und ein Stück Speck von der der mohre
Seit erweck, ein ^b Maß Wein in den Kübel hinein, da wolPn die Main-
knecht zufrieden sein."
350 Kapitel IV. Banmgeister als Vegetationsdämoneii:
f/omßer Kappe, weißem Ueberhemd and roter Sehfirpe, der Koch
mit dem Kochlöffel, der Kellermeister mit zwei Kamien voll
Bier and Wein, der Doctor Eisenbart, endlich der Hen-
ker. Anf einem freien Platze machen sie halt und ein jeder
hält eine gereimte Anrede. Zoletzt erklärt der Henker, 'dem
Pfingstbatz sei das Todesurteil gesprochen und haut ihm
den falschen Kopf ab. Dann beginnt ein Wettritt tMch dem
einige BüehsmiscMisse vom Sammelplätze aufgepflanzten Maien;
wer ihn im Vorbeijagen ans dem Boden ziehen kann, hat ihn
aammt allen Bändern gewonnen. So wird dieser Pfingst-
ritt gewöhnlich alle zwei, drei Jahre in Wurmlingea
aufgeführt^ AehnKch geht es vielfach in Schwaben zu. Zu
Friedingen a. d. Donau besteht die zwölf oder mehr Reiter starke
Gesellschaft aus dem in Tannenrinde und Lanb gehüllten Pfingst-
butz, dem Platzmeister, Oberst, Rittmeister, Fähndrich mit der
Fahne, Maienftlhrer mit dem Maien u. s. w. Vor dem
Pfiarrhaose antwortet anf die Frage des zur Räumung des Platzes
vorausgeeilten Platzmeisters: „woher treibt euch der Wind, daß
eure Sehnh und Strümpfe so staubig sind?^ der Rittmeister: „ah
alle Wiesen und Aedoer^ Maienflibrer and Oberst schwenken den
Degen und versprechen tapfer mit dem Türken fechten zu wol-
len. Dann reiten alle dreimal um den Dorfbrunnen
und' baden den Pfingstbutz darin, worauf sie mit ihm
zum Betteln ausreiten, zuerst vor das Pfarrhaus. Einer sagt
einen Spruch her, wonach sie hier den armen Mann
bringen, der sieben Jahre im Waide gelebt hat, von
allen Doctors and Balbierers beschaut ist , sie rieten - ihn za baden
lieber in Wein, als in Wasser.* Birlinger (Volkst. a. Schw. H,
S. 122 — 160 Nr. 148 — 154) teilt eine ganze Reihe solcher Spiel-
weisen und Spieltexto aus Schwaben mit,, wir wollen uns begnü-
gen einige characteristiscbe Züge daraus hervorzuheben. Der
berittene Eingebrachte heißt Pfingstlttmmel, Pfingsthagen, Pfingst-
botz , oder Hatzeler (vgl. Hatzer , Hezer vettnnmmte G^talt). Er
ist in Blumen, grünes Reisig oder auch bloß ins Stroh ein-
gebunden, so daß er unkenntlich wird und ganz dick aussieht
Er reitet zwischen zwei Mitkameraden, z. B. zwischen 2 Maien-
1) Meior, 8ohw. 8agr. 409, 101 ff.
2) Meier a.a.O. 404,98.
Das Haienreiteii. 361
flihrern oder zwei Trabanten u. b. w. , die ihn faäafig wie eindn
Gefangenen an eineni Beile halten. Hiemit stimmt die Auf-
fassung des PfingstlttBunels als armer oder alter Mann ; die noch
mehrfaeh z. K zn Fnlgenstadt/zn Zimmern und Bettringen (Bir-
linger S. 129. 138. 155) wiederkehrt Zn Hohenstadt ist nicht
der Pfingstlümmel ) sondern der Maienftibrer in Laub gekleidet^
in Zimmern bei Rottweil der grüne Pfingstbagen, der ungeratene
Sohn des Mohrenkönigs. Mitunter (Fnlgenstadt ^ Nusplingen)
giebt sich der Pfingstbutz oder Hatzeler durch seine Reden als
eine Person mit fuchsrotem Haar und als derjenige zn erken-
nen, welcher der allerletzte bei dem Wettritt geworden,
der ttber die Verteilung der Rollen im Anfinge entschieden hat.
In Hohenstadt ist der Pfingstlflmmel jedesmal der Zweitstärkste
im Wettringen, das zu gleichem Zwecke angestellt wurde; aber
anter ihm , dem laubbekleideten Maienftlhrer u. s. w. nimmt n. a.
auch derjenige am Zuge Teil, der bei dem Weidetreiben des
Viehs in der Frühe des Pfingstsonntags der Letzte war. Die*
sem wird ein Dornenbttschel auf den Rücken gebun-
den. Wenn nach dem Schluß des Gottesdienstes der Wetter*
segen geläutet wurde, kam der Pfingstritt in den Flecken hinein,
umritt dreimal die Httle vor der Kirche (die zistemenar-
tige Regenwassergrube); man nahm jenem das Domenbüsohlein
vom Rücken und warf es ins Wasser; dagegen wird zn
Nusplingen und Bettringen wiederum der Pfingstibutz selbst ins
Wasser geworfen. Dem weißen Ma/nn in Wurmlingen (o.
S. 349) entspricht in Nusplingen der schneeweiß GemaM , der von
Kopf bis zu Fttften weiß gekleidet ist Die Pfingstbuben oder
Pfingstreiter insgemein sind in ihre Festkleider gehüllt, darüber
tragen sie ein weißes Hemd , das mit roten Bändern und Maschen
geziert ist, und um die Lenden einen Gürtel; ihr Kopf ist zu
Bettringen mit einem Kranz von gelben Butterblumen (caltfaa
palustris) &st ganz bedeckt Auoh die Köpfe der wohlgenährten
Bosse sind mit diesen gdben Blumen verziert Zuweilen aber
(Fiilgenstadt) trägt nur der erste Reiter diesen Blumensohmuck.
Die Zahl der stehenden Figuren des Ffingstritts^ zu denen jedes^
mal ein oder zwei Maienfiihrer mU ihrem veraierten Maien
(Birke, Buche oder Tanne) gehören, wächst zuweilen ansehnliek
an. In Zimmern bei Rottweil besteht der Pfingstritt aus dem
Mobrenkönig und seinem Sohn dem Pfingsthagen, zweien'
d52 Kapitel IV. Baumgeiater als Vegetationsdamonen:
Maienführern eu dessen Seiten, Goliath and König David,
Vorreiter y Hauptmann, Offizier, dem ersten nnd zweiten Hnsa*
ren^ dem Oberjäger and Unterjäger, dem armen Bauer nnd
dem Koch. In NuspUngen treten auf der Platzmeister, der
Quartienneister, Franziskas römischer Kaiser, Ludwig XVI.
König Yon Frankreich, der türkische Kaiser oder Sultan, die
rassische Kaiserin, ihr General, der Maien fflhrer, der
Fähndrieh, der Pfingstbutz, der schneeweiße Gemahl,
der Koch.
Aus Oberbaiem, wo der Pfingstling, wie wir sogleich sehen
werden, Wasservogel heißt, wird uns vom Jahr 1840 eine noch
viel buntere Zusammensetzung der Pfingslprozession zu Sauerlach
geschildert Im berittenen Zuge befanden sich folgende Personen
resp. Gruppen: 1. der Nachtwächter, 2. Feldmesser, 3. Trom-
peter, 4. Trommelschläger, 5. Fähndriah, 6. vierzig Mann
Reiterei, 7. berußter Kaminfeger, S.Hanswurst, S.Schlei-
fer, 10. Doctor, 11. Hansgrobian, 12. Krügelmann, 13. der
Vater der Hochzeiterin , 14. die Hauptperson, der im belaub-
ten Reisergestell steckende Wasservogel zu Pferd,
16. der Landrichter, 16. Bauer, 17. Stadtherr und Bauermäd-
chen, 18. der Klausner, 19. ein Weibsbild mit Kindern, 20. ein
Tiroler, 21. Bacchus auf einem Faß sitzend, 22. der Pfarrer,
23. der schwarze Teufel, auf welchen öfter geschos-
sen wurde, 24. der bairisehe Hiesel, 26. Hansel und Gre-
tele von Stroh auf einem Schleifrad, 26. der Küchen-
wagen mit zerbrochenen Hansgeräten, 27. die Hexe auf einer
Eggenschleife mit einer Flachsschwinge, 28. Martin Luther mid
Kätehen, 29. ein Scluifer mit seinem Hund, 30. Hoohzeit-
leute mit Braut und Bräutigam, 31. Jäger, 32. Roßdieb,
33. Gensdarmen. Jede dieser Masken sagt einige ihrem Character
entsprechende Verse her. In der bair. Provinz Schwaben und
Neuburg, in Niederbaiem, Oberbaiem ist der Brauch im alige-
meinen noch einfacher, häufig nur von 7 oder 9 Knaben oder
erwachsenen Burschen geübt, oder wenn von mehreren, ohne
die vielfachen, in bunten Mummenschanz auslaufenden Aem-
ter. Der feierlich Eingebrachte heißt Pfingsflümmel, Pfingst-
hansl, Pfingstling oder Pfingstl, gemeinhin aber Wasservogel,
weil er fast durchgehend vor jedem Hause, von der Schwelle
der Haustttr aus oder vom oberen Stock herab mit Kübeln Was-
Das Maienreiten. 853
8er beschüttet wird; der yorausreitende Bube fordert dazu mit
den Worten auf:
Pfingstl he! Püngstl he! der Pfingstl is da;
Nehmts en KiDgl voU Wasser und schütt's 'n hrav al
oder man wirft ihn von der Brücke hinab in den Bach
oder Fluß, taucht ihn dreimal in den Brunnentrog, oder
läßt ihn in den Bach hineinreiten, zieht ihn dort vom Pferde
und steckt ihn ins Wasser. Woher die Bezeichnung als Vogel
rührt, wird bei einer anderen Gelegenheit zu erörteni sein. Zur
Laubeinkleidung des Wasservogels dienen je nach GrUtdtlnken
Birke, Eiche, Linde, Wassenrogelblumen , Schilf, oft nur Stroh;
auf seinem Kopf trägt er oft eine Blumenkrone; mitunter besteht
seine ganze Ausrüstung aus einem um den Hals geworfenen
Kranz von Laub und Blumen (Abensberg Niederbaiern). Zu-
weilen wird beim Pfingstreiten oder Wasservogelreiten (man sagt;
„wir reiten den Wasservogel") kein lebender Mensch eingeführt,
sondern eine Puppe mit einem vom Schreiner geschnitzten und
bemalten, mit dreieckigem Hute bedeckten Kopf, ausgezacktem
Papierkoller um den Hals, Bekleidung von Schmalzblumen und
Wasservogelblumen um Arme und Leib; dreifachem Oürtel
aus ausgeblasenen Eiern (o. S. 158) um die Lenden (Holz>
heim in Schwaben). Wasservogel wird , wer am Pfingsttag beim
Weidetreiben oder beim Wettrennen der Letzte war.
Der Umritt, der nach einem Liede zu Holzheim in Schwa-
ben ehedem auch rund um das Kornfeld („wir reiten um das'
Kornfeld" Panzer n,.86)^ gegangen sein muß, läuft stäts in eine
Collecte von Eiern, Schmalz, Butter, Geld aus, wovon eine
gemeinsame Abendmahlzeit mit Musik und Tanz im Wirtshause
bestritten wird.^ Während in Baiern sich das Hauptinteresse um
die Wassertauche des Piingstlings dreht, tritt in Böhmen das
Köpfen desselben entschieden in den Vordergrund. Der präch-
tig herausgeputzte König wie seine Söldner ganz oder teilweise
in Baumrinde gekleidet, mit Blumen und Bändern geschmückt
und mit Säbeln ausgerüstet , sitzen auf Pferden , die gleichfalls
mit grünen Zweigen und Blumen verziert sind. Sie umreiten
dreimal im Kreise eine Laubhütte aus grünen Maien, in der der
1) Panzer I. 234, 259. 235, 260. Tl. 83, 126. 90, 136. Schmeller,
bair. Wörterbuch. Aufl. 2. S. 436.
Mannhardt. 23
864 Kapitel IV. Baumgeister als Yegetationsdämonen:
König Platz nimmt [vgl. die Laube, arbonr, mit derMayqueen in
England o. S. 315]. Nun werden die Hausfrauen, Hauswirte
und Mädchen im Dorfe in Versen kritisiert, während dessen
aber steckt man einen mitgebrachten Frosch in eine
Kneipe und zwackt und sticht ihn, bis er quakt. Aus
der Art seines Geschreis pflegen die Leute zu weissa-
gen. Der König spricht das Todesurteil über ihn ans,
worauf der Henker dem Frosch den Kopf abschlägt,
und den zappelnden blutigen Körper sammt der Kneipe
anter die Umstehenden wirft. Zuletzt wird der König
aus der Hütte gejagt und von den Söldnern verfolgt^
Gelingt es nicht, den mit einigen Schritten Vorsprung in Carriere
Davonreitenden einzuholen, so behält er noch ein Jahr seine Wurde
und die Bursche müssen am Abend im Wirtshause seine Zeche
bezahlen^ wird er aber gefangen, so peitscht nuin ihn entweder
mit Haselruten oder schlägt ihn mit hölzernen Säbeln. Er muß
niederknien und der Scharfrichter , dem auf die Frage : „ Soll ich
diesen König köpfen?" die Antwort „köpfen" zu Teil geworden
ist, schlägt ihm mit geschwungenem Schwert die Krone vom
Kopf, worauf er unter großem Geschrei der Umstehenden zu
Boden fällt, auf eine Tragbahre gelegt und ins nächste Gehöft
getragen wird.* Anderswo werden dem vom Bichter verurteilten
König drei bis vier Hüte übereinander auf den Kopf gesetzt und
die Hinrichtung wird dargestellt, indem man die Hüte herunter-
haut. Dem beschriebenen Character des böhmischen Königs-
spieles gemäß treten die einzelnen Mitglieder gemeinhin in folgen-
den GharacterroUen auf. Der Fähndrich mit geschmücktem Maien
eröfinet den Zug, dann folgen Trompeter und Pfeiffer, nach ihnen
der König, der Kn^z,^ der Bichter, der Henker sammt seinem
Henkersknecht, der Büttel, zuletzt die Soldaten oder Söldner.
Der König trägt häufig ein Bäumchen als Zepter und in
der Linken einen Spieß, an dessen Spitze ein Laub-
frosch angebunden ist. Der Verfolgung und dem Köpfen
des Königs pflegt ein Umgang oder Umritt durch das Dorf, das
1) Krolmus T. III, p. 138—40. Heinsberg - Büringsfeld S. 262. .
2) Krolmas III, 92 — 122. Beinsberg -Düringsfeld, Böhmischer Fest-
kalender S. 264— 65.
3) d. i. Priester.
Der Mairitt, Erläuterung. 355
Oericht über die Dorf leate unter dem Maibaam, oder in der
Maihtttte, sowie das Köpfen der Frösche (wobei oft mehrere
dieser vorher an den Maibäumen aufgehängten Tiere
unter das Volk geworfen werden) fast jedesmal vorauszugehen.
Den König begleitete zum Dorfgericht zuweilen eine Königin.^
§ 8. Der Malritt, ErlSuterung. Doch hier halten wir wie-
der einmal ein. Statt noch weiter das Füllhorn der Ueberliefe-
rung vor dem Leser auszuschütten, machen wir den Versuch,
das Verständnis zu fördern, indem wir die in den einzelnen
Traditionen zerstreuten Züge nach einheitlichen Gesichtspunkten
sammeln, ordnen und beleuchten. Wir verfahren dabei der Art,
daß wir zunächst . einige sämmtlichen Formen der Laubeinklei-
dung gemeinsame Stücke mit Hilfe des vermehrten Materiales
besser ins Licht stellen , sodann den Eigentümlichkeiten des Mai-
reitens unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Zunächst ist es klar,
daß im wesentlichen ein Unterschied zwischen dem zu Fuße em-
gebrachten und dem zu Rosse eingeftihrten Pfingstlümmel nicht
besteht. Die Einhüllung in Baumrinde , Laub , Blumen oder Korn-
stroh (o. S. 353) ebenso wie der Name Graskönig (o. S. 347)
characterisiert ihn als den im Wachstum der Bäume, Blumen, Grä-
ser und Kulturpflanzen waltenden Vegetationsdämon und stellt
ihn der serbischen Dodola und ihrer Sippe zur Seite, gleich der
er, um Regen über die Pflanzenweit herabzulocken, mit Wasser
begossen, oder in Teich, Bach, Brunnen gebadet wird. Dieses
Bad nimmt zuweilen einen sogar gewaltsamen Gharacter an
(Sturz von der Brücke). So notwendig erscheint der Regenzauber
dem Einritte des Pfingstlings zugehörig, daß dieser davon in
Baiern fast allgemein Wasservogel zubenannt ist. Ganz die
nämliche Bedeutung hat das Kneipen oder Köpfen des Frosches
(o. S. 354), denn da die Laubfrösche schreien,, wenn Regen bevor-
steht, so sagt der Volksglaube, wenn man einen Frosch tödte,
gebe es Regen.'
1) Vgl. Reinsberg-Dfiringsfeld a. a. 0. 231 — 34. 253—71.
2) Kuhn, Westfäl. Sag. II, 80, 244. — Der gleiche Aberglaube herrscht
allgemein bei den Walachen. W. Schmidt, das Jahr und seine Tage in
Meinung und Brauch der Romfinen Siebenbirgens , Hermannstadt 1866 S. 17.
Nun erklären sich auch die folgenden Ueberlieferungen als Ueberbleibsel vol-
lerer. Wer von den Httterbuben in Oestreich am St. Johannistag morgens
zu früh mit der Peitsche knallt, wird durch den Morgentau gezogen und
23*
366 Kapitel IV. Banmgeister als Yegetationsdämonen:
Durch eine ganze Reihe übereinstimmender Ztige wird die
Yoi^etragene Ansicht über den PfingstlOmmel bestätigt. Der 6ttr>
tel der ihn darstellenden Poppe besteht ans Eiern , den Symbolen
des Lebens (o. S. 353). Der sogenannte Maienftthrer resp.
Fähndrich tiügt ihm den Maibanm voraus (o. S. 850 ff.) oder er
selbst trägt den Maibaom ^in der Hand (o. S. 354). Es ist also
beifit das Jabr Tanwäscher; wer verschläft und zuletzt austreibt,
ist ,,Fro8cbsehinder.'* Baumgarten, das Jahr und seine Tage, Linz
1860 S. 27. Auch zu Elsdorf bei Teupitz heißt es. wessen Kuh am Pfing-
sten zuletzt hinausgetrieben wird, der müsse Padden schinden. Kuhn«
Nordd. Sag. 389, 74. üebrigens erscheint es nicht öberfläsäig zu S. 314. .127 ft.
nachzutragen , daß ähnlicher Regenzauber sich bei verschiedenen wilden Völ-
kern wiederfindet Die Mexikaner riefen im 6. Monat den Tlaloc, den Gott
des Regens, und Gewitters an, dem sie. als dem duftge^albten , blumenbe-
kränzten Könige des Paradieses bei Dürre klagten, daß die Götter des
Regens s^ch entfernt und die Götter des Ueberflusses mit sich fortgeführt
hätten. Sie stellten ihm den trockenen Mnnd und die verdorrte Pflanze vor,
holten Schilf aiis dem See, um damit die Tempel zu decken und ziileUt
fuhren sie auf den See zu einem Wasüertüirbel und opferteti dort einen
Knaben und ein Mädchen, J. G. Müller, Amerik. ürrelig. 501. — Wenn
die Saat aufging, ver senkte man einen Knaben und ein Mädchen aus ed^^lm
GeacMecJite dem Tlaloc zu Ehren ina Wasser, Torquemada, libros rituales
y monarquia Indiana. Madrid 1723, VII, 21. Wuitz, Anthropologie IV. 159.
In Stkdcarolina wurde bei Gelegenheit eines Festes ein hölzernes Bild im
Acker aufgestellt und verehrt , darauf aber ins Wasser geworfen , angeblich,
um den Gott , von dem man das Gedeihen der Fcldfrüchte erwartete , zu den
übrigen Wassergöttern zurückkehren zu lassen. Herrera, Descripcion de las
Indias occidentales. Madr. 1730, II, 10,6. Waitz, Anthropologie III, 204.
Im nördlichen Africa z. B. im Gebiet von Constantine in Algier besteht die
Gewohnheit , daß jedes Jahr bei langandauernder Trockenheit die Muselman*
ner einen oder mehrere arme Marabuts halb freiwillig halb gezwungen im
Fluß untertauchen , worauf sofort Regen erfolgen soll. J. Grimm , Kl. Sehr.
II , 449. In Joruba (Westafrica) wird bei anhaltender Dürre ein Sklave fest-
lich bekränzt, zum Flusse gefH/irt und, um die Wassergöttin zu versöfinen^
in ihr Element geworfen ^ wo ihn rasch die Krokodile verzehren. Bastian,
geogr. u. ethnogr. Bilder, Jena 1873, S. 183. Wenn der Khonde die Men-
schenopfer m%rtert, die der Erdgöttiu dargebracht werden, so freut er sich,
sie reichlich Trähncn vergießen zu sehen ^ denn das ist ein Zeichen, daß
häufige Regenschauer auf sein Land niederfallen werden. Mac()her80u India
p. 130. 363. Tylor II , 272. Der stideuropäische Landmann taucht eine Bild-
säule der Jungtrau oder St Petrus ins Wasser, um Regen zu erzielen. £s
geht daraus . hervor , daß die Laubeinkleiduug nicht notwendig zum Regen-
Zauber gehört.
Der Mairitt, Erlftntemng. 357
hier dasselbe Yerhältniß eingetreteD , wie beim grünen Georg and
seiner Sippe (o. S. 312 flF.); der Maibaum und der in Laub geklei-
dete Mensch bilden die doppelte Darstellung eines und desselben
Gedankens. Wie der Maibaum wird der Pfingstlümmel Frühjahrs
im Walde gefunden (o. S. 348). Wie der Maibaum auf das Dach
des Herrenhauses oder der Scheune gepflanzt wird, findet auch
das Laub- und Reisergestell des Wasservogels, wie wir sehen
werden, auf dem Giebel des Stadels der Pfingstbrant Platz und
bleibt dort das ganze Jahr bis zum nächsten Pfingsten.^ Oder
wo der aus Stroh gemachte Wasservogel, resp. der als solcher
vermummte Barsche (dem Namen entsprechend) mit einem großen
hölzernen Schnabel ausgerüstet wird [eine theriomorphische Form
des Vegetationsdämons, über die wir später des weiteren ver-
handeln werden], nagelt man den Schnabel, nachdem der Vogel
ins Wasser geworfen wurde , auf den Scheunenfirst als Amulet
gegen Blitz und Feuer, gradeso wie den Emtemai und Richtmai
(o. S. 216. 220).» Die Pfingstreiter ritten „rund am das
Kornfeld" (o. S. 353) und „ab alle Aecker" (o. S. 350); man
erwartete Segen flir die Saat von ihrem Umritt. Die grüne Hülle
des Graskönigs zu Großvargula wird in ihre einzelnen Zweige
aufgelöst an die Dorfgenossen verteilt und in die Leinäcker
gesteckt, um hohen Flachs eu bekommen (o. S. 348); diejenige des
Schoßmeiers wird ebenso verteilt und von den jungen Mädchen
an ihre Fenster gesteckt, (o. S. 348). Dem Pfiögstquack in der
Pfalz reißt man sein schönes goldpapierenes Gewand vom Leibe
und jeder sucht ein Stück davon zu erhaschen (o. S. 349).
Eän verbreiteter u^id jedenfalls uralter Gebrauch muß in der
Hinrichtung des Pfingstbutz erkannt werden. Die wilden Männer
im Erzgebirge wurden scheinbar niedergestoßen und gestochen;
man spritzte mit blutgefttUten Schweinsblasen unter die Leute
(o. S. 336). Ebenso wird in Thüringen der wilde Mann erschos-
sen, so daß er wie todt zu Boden fällt (o. S. 335). In Böhmen
dagegen geschieht die Köpfung allgemein, indem man schallend
mit dem Schwert auf die Laubhülle schlägt, oder den falschen
Reiserkopf, die Königskrone oder einen von mehreren über ein-
ander gesetzten Hüten herunterhaut (o. S. 354). In Niederbaiern
1) Panzer 11,87,129.
2) Bavaria 1,375 ff. 1003.
358 Kapitel IV. Baumgeister als Yegetationsd&moDen :
finden wir Eegenzauber und Tödtung verbanden , insofern der
Pfing8tl ins Wasser geführt and dort geköpft wird, während bei
Leitmeritz der Tödtangsact mit obligatem Durchstechen einer dem
Wilden uqter das Wamms gebundenen Blatblase rorangeht und
das Ertränken einer ähnlichen Strohpuppe im Teiche nachfolgt
In Thüringen bringt ein als Arzt verkleideter Bursche den
getödteten Wilden wieder ins Leben (o. S. 335) und dieser näm-
Uche Zug scheint in den bairischen und schwäbischen Spielfor-
men vorhanden gewesen, zu seln^ da ohne Zweifel daraus das
Auftreten des Wunderdoctors Eisenbart (o. S. 350) odei: schlecht-
hin des Doctors (o. S. 352) zu erklären sein dürfte. Offenbar
eine sehr befremdliche Erscheinung ist der Umstand, daß der
Bepräseiitant des Wachstums und des Lebens in mimischer Nach-
ahmung getödtet wird. Wie kam man auf diesen Gedanken,
welches Motiv liegt ihm zu Grunde? Man müßte doch eher
erwarten, das der Winter im Bilde vernichtet würde, aber die-
sen kann der in Grün und Blumen Gekleidete , feierlich aus dem
Walde Geholte doch keineswegs vertreten? Für die Erklärung
des Rätsels scheinen mir zwei Möglichkeiten sich darzubieten,
d^e vielleicht vereinigt das Richtige ergeben.
a. Falls der in der heutigen Tradition sehr verdunkelte Act
der Wiederbelebung ursprünglich einen unerläßlichen und not-
wendigen Bestandteil des Brauches ausmachte , wäre es denkbar,
daft die Hinrichtungsscene den Tod des Yegetationsdämons durch
den Winter versinnbildlichen sollte und daß die Darstellung die-
ses der Zeit nach um 7 Monate zurückliegenden Vorgangs in den
Frtthlingsgebrauch hineingeschoben sei, und das Erwachen der
Natur aus dem Tode, die Wiederbelebung sichtlich machen
zu können. Denn wie wollte man das Auferstehen anders ver-
bildlichen, als durch vorgängige Darstellung des Todes? Die
Pflanzenwelt, welche der wilde Mann repräsentiert, ist ja die
nämliche, wie die abgestorbene des vorigen Jahres und doch
wieder eine neue. Diesen Gedanken sehen wir anders auch so
aufi^drttckt, daß der so feierlich eingeholte laubbekleidete
Pfingstl ein alter armer Mann genannt wird, der sieben
Jahre im Wald gelebt habe, d. h. der Yegetationsgenius des
vergangenen Jahres ist während der sieben Monate des Winters
verarmt, seiner Schätze beraubt gewesen, alt und schwach gewor-
den (o. S. 350). Folgerechterweise sollte nun eine Veijttngongs-
'~N
Der Mairitt, Erläntoning. 359
soene folgen, diese scheint meistenteils verloren gegangen; doeh
vielleidit sehetnt es nur so. Man beachte die folgenden Bräuche.
In Beideburg bei Halle a. S. hanen die Ffingstbnrsche frühmor-
gens im Walde die Pfingstmaie und ftihren sie unter Musikbeglei-
tung auf einem besonderen Wagen ins Dorf. Nachmittags findet
ein Fest statt , zu welchem die Bewohner der Nachbardörfer feier-
lich eingeladen wurden. Die Maie mit einem Preise, Tuch oder
Westenzeug geschmückt wird aufgepflanzt. Ein Strohmann wird
auf eine Karre gelegt und eine Grube von der Länge eines Men-
schen gegraben. Einer von den Pfingstburschen nach dem andern
sucht mit verbundenen Augen den Strohmann in die Grube zu
karren. Wem es gelingt, die letztere zu treffen, erhält den an
die Maie gebundenen Preis. Der Strohmann bleibt in der Grube,
das Grab wird zugeschüttet; man tanzt um den Maibaum. Das
Spiel nennt man: „den alten Mann ins Loch karren/*^ So
wird nun auch in Wttrtemberg der Fastnachtsbär, eine therio-
morphisehe Figur des Yegetationsdämons , in Böhmen der uns
schon bekannte wilde Mann zu Fastnacht im Strohbilde erst
feierlich geköpft, so daß das Blut aus der verborgenen Blut-
wurst, Spritze oder Schweinsblase hervorspritzt (o. S. 336), sodann
begraben , und wir werden in einem der nachfolgenden Abschnitte
diesen Begräbnißbrauch durch die Fastnachts-, Lätare- und Mitt-
sommersitte zu verfolgen Anlaß haben. So schwierig die Beur-
teilung dieser Sitten auch ist, so erlauben, die Umstände kaum
einen andern Schluß, als daß dieselben das Begriibniß des aus-
gelebten Yegetationsdämons des alten Jahres darstellen sollten,
der in den Boden verscharrt, unter Mist begraben wird, um neu-
geboren aufeuerstehen. Ist das richtig, so stellt der Maibaum
im Reideburger Brauch den auferstandenen Yegetationsdämon,
der in's Loch gekarrte alte Mann den dahingeschiedenen des
alten Jahres dar. Wir werden später sehen, daß auch in den
den nordeuropäischen durchaus verwandten asiatischen Gebräu-
chen des Attis- und Adoniskultus die Darstellung des Todes und
der Wiederbelebung des Yegetationswesens dicht an einanderge-'
rückt in einem Feste verbunden sind. Wie also, wenn wir es
in unsereh Mai-, (Pfingst -)gebräuchen nur mit verderbten und in
1) Sommer, Sagen, Mftrcben a. Qebr. a. Sachsen q. Thttringen. Halle
1846. 8.152.
360 Kapitel IV. Baningeister als Vegetatiousdämoneii:
Verwirrung geratenen Bruchstttcken eines Hrsprflnglich voll-
ständigeren Branches zu tun hatten , dessen Zusammenhang etwa
der folgende war? Auszug nach dem Walde, Tödtung (Köpftmg)
des Pfingstl daselbst (Begräbniß), Wiederbelebung, feierliche
Heimftthrung ins Dorf, Wassertanche.
b. Zwei Umstände freilich bereiten dieser Annahme Schwie-
rigkeit Es ist schwer ersichtlich, wie der Tödtungsact von dem
Anfange des Spieles an das Ende geriet, wenn man nicht etwa
annehmen will, daß dies aus Mißverstand geschah, oder daß er
proleptisch schon das spätere Ende der Vegetation im Hochsom-
mer und Herbste bezeichnen soll. Sodann ist die Darstellung der
Hinrichtung eine so drastische, daß man durch die vielfache
Analogie der Abschwächung alter Gebräuche sich zu der Ver-
mutung veranlaßt finden kann, die gewaltsame Tödtung des in
Grttn gehüllten Menschen sei in einer fernab liegenden barba-
rischen Urzeit, deren Nichtachtung des Menschenlebens uns u. a.
die Strafe für Baumschälen (o. S. 26 ff.) zeigte , nicht nur schein-
bar, sondern der fiegel nach wirklich gettbt worden. Die Mög-
lichkeit einer derartigen Annahme entnehme ich verschiedenen
bei Saat- und Erntefesten in Anwendung gewesenen oder noch
befindlichen Bräuchen wilder oder halbbarbarischer Völker. Bei
den Mexicanem wurde im Sommer zu Ehren der Göttin des
Welschkorns und des Ackerbaues GenteoÜ ein Fest gefeiert, wo-
bei sie nach der weichen Maisähre Xilotl den Beinamen Xilooe
führte. Am letzten Tage des Festes tanzte ein Weib, das die
Göttin darstellte, und dieses wurde nachher geopfert^ Teteio-
nan , die Göttermutter und Mutter des Hauptgottes und Herrn der
Pflanzenwelt Hnitzilöpochtli, eine der Centeotl nahverwandte
Gestalt, hatte in Mexico ebenfalls ein besonderes Fest, bei wei-
chem eine weibliche Person als die Göttin gekleidet imd geopfert
wurde, indem man ihr auf den Schultern eines andern Weibes
den Kopf abschnitt und die Haut abzog, in welche man eioeu
Jtingling hüllte, der so in zahlreicher Begleitung zum Tempel
des Hnitzilöpochtli zog.^ lin Mai d. h. im Beginn der Regen-
zeit, wenn plötzlich alles grün wird, feierte man in Mexico das
Jahresfest des Hnitzilöpochtli selber , das Fest der wiederbelebten
1) Müller, Gesch. der amerik. Urreligionen S.493.
2) MäUer a. a. O. 494. 599. Vgl. 598.
y
Der Mairitt, £rl&ütening. 361
Natar^ dann yerfertigte man ein Bild des Gottes aus einer
eftbaren Pflanze und aus Honig in der Oröfte seines höl-
zernen Tempelbildes. Jünglinge sangen des Gottes Taten und
heilige Gebetslieder um Regen und Fruchtbarkeit. Dann folgten
Wachtelopfer ^ Räucherungen und der bedeutsame Tanz der hei-
ligen Jungfrauen und der Priester. Die Jungfrauen hießen an
diesem Tage Schwestern Huitzilöpochtli's ^ sie trugen auf dem
Haupte Kränze von dttrren Maisblättern, in den Händen
gespaltene Rohre und stellten so die dem Mai vorangegangene
dürre Zeit dar. Ihnen gegenüber versinnbildlichte sich die neu
belebte Natur in den Priestern, deren jeder einen Stab trug, auf
dem eine Blume von Federn steckte nnd deren Lippen mit Honig
bestrichen waren , wie der Kolibri (die Tiergestalt und das Sym-
bol Hnitzilöpochtlis) um diese Zeit ans den Blumen seine Nahrung
zieht und seine Jungen an seiner mit Honigsaft bedeckten Zunge
saugen läßt Zwischen den Priestern befand sich ein seit Jahres-
frist zum Opfer bestimmter Gefangener, „weiser Herr des
Himmels ^^ genannt, der den Gott selbst darstellte - und die
Freiheit hatte, die Stunde der Qpferung selbst zu bestimmen;
er starb nicht wie die übrigen Kriegsgefangenen auf dem Opfer-
stein, sondern auf den Schultern der Priester.^ Zur Zeit der
Wintersonnenwende, wenn in Mexico Schnee die Gebirge deckt,
die Pflanzen keine Nahrung mehr finden, viele Bäume ihr Laub
verlieren , verfertigten die Priester ein großes Bild Huiteilopocht-
li's von allerlei Samen, die mit dem Blute geopferter Kinder
zusammengebacken waren. Ein Priester des QuetzalcoatI, des
Gottes der Fruchtbarkeit, wie sie durch den woltätigen Einfluß
der Luft zu Tage tritt (Müller a. a. 0. 583) durchschoß mit einem
Pfeile dieses aus Feldfrüchten verfertigte Idol und schnitt ihni,
wie den Menschenopfern, das Herz aus, das der König, der
Stellvertreter Gottes auf Erden , zu essen erhielt ; den Leib aber
verteilten sie für die Quartiere der Stadt so, daß jeder Mann
ein Stückchen erhielt, das hieß man Teocnalo, der Gott, den
man ißt' Nach Torquemada u. al wurde zu derselben Zeit
1) Prescott) Eroberung v. Mexico 1, 601. Clavigero 1, 417 ff. Bemal. Diaz,
Entdeckung von Neuspanien übers, v. Kehfueft II , 275. Müller a. a. 0. 603 ff.
2) Clavigero I ; 428. 343. 354. 421 ff. Humboldt Monum , 134. Tor-
quemada Ind. Monvohie VI, 38. Müller a.a.O. 605. Waitz» Anthropolo-
gie IV, 159.
362 Kapitel IV. Baamgeister als Vegetationsdamonen:
(Ende December) dem Tialoc (Gott der Feuchtigkeit and der
Gewässer) oder den Tlalocs ein gleicties Opfer im Tempel dar-
gebracht oder man verfertigte in den Häosern Idole aus Samen,
mit denen man wie mit den Menschenopfern verfuhr, während
im Tempel ^wieder einige wirkliche Menschen geopfert wurden.^
Am 10. Mai, am Ende der dürren Zeit und eben vor Anfang der
Begenmonate nahm der in der Kleidung und mit den Attributen
des höchsten Gottes TetzcatUpoca auftretende , mit seinem Namen
benannte Oberpriest^r Staub von der Erde und yerschluckte ihn,
am 19. Mai trugen dann in den Gott verkleidete Priester das
Bild Tetzcatlipocas auf einem aus gedörrten Maisstengeln ver-
fertigten Sessel daher, der für ein Sinnbild der Dürre erklärt
wurde. Die Tempel - Jttnglinge und -Jungfrauen und viele Vor-
nehme trugen ebenfalls solche Stengel um den Hals und in den
Händen. Neben dem Bilde des (Lottes schritt ein seit Jahres-
frist mit tiefster Devotion und Verehrung für die Rolle des Tets-
oatUpoca vorbereiteter und unterrichteter schöner Sclave, dem
man 20 Tage vor seinem Tode 4 junge Mädchen zur Gesell-
schaft gegeben und seit ö Tagen prächtige Mahlzeiten ausgerich-
tet hatte. Man opferte ihn, bot sein Herz dem Götzenbilde,
dann der Sonne dar, sein Leib wurde von Vornehmen und Prie-
stern verspeist.^ Diesen mexicanischen Cultgebräuchen stehen
noch einfachere Formen bei wilden Indianerstämmen und barba-
rischen Völkern Indiens und Airioas zur Seite. Die Panis auf
der Westseite des Missisippi pflegten dem von ihnen besonders
verehrten großen Sterne, der Venus, alljährlich im Frflhlinge
(zuletzt 1837 oder 38) ein Opfer zur Erlangung einer guten
Ernte zu bringen. Der Gefangene, den man dazu ausersehen
hatte (es war in den letzten und bekanntesten Fällen ein Sioux-
mädchen),/ wurde wol genährt und gepflegt, über sein Schicks^
aber in Unwissenheit gelassen. Man band das Opfer auf einen
Scheiterhaufen und durchschoß es mit Pfeilen , doch ehe es starb,
schnitt man Stücke Fleisch von ihm ab und ließ
das Blut, welches man herauspreßte, auf die junge
Saat fallen.^ Die Khonds in Indien brachten der Erdgöttin
1) Müller a. a. 0. 502. V^Taitz IV, 161.
2) MftUer a. a. 0. S. 617. Waitz IV, 159.
3) De Smet, Mütsions de FOregon et voy. anx montagnes roefaenses 1845,
Gandl848. J. Imng, Indian sketches, London 1835, U, 136. VV^aits HI, 207.
Der Mairitt, Erläatemog. 363
Tan Pennn anter Tänzen, trunkenen Orgien ond einem Myste-
rienspiel y das in dramatiBchem Dialog den Zweek des Bitos dar-
legte, ein Mensehenopfer dar, dessen vom Schmerz ausge-
preßte Trähnen die Regenschauer bedeuteten, welche
ihr Land befruchten sollten. Dann rissen sie denOpfer-
sclaven in Stücke und streuten dieselben ttber die Fel-
der, die sie befruchtet haben wollten.^ In Lagos (Africa)
wurde alljährlich ein Mädchen gepfählt, um ein fruchtbares Jahr
EU erzielen.' So gewiB als jede Vermutung historischer Ver-
wandtschaft zwischen diesen Bräuchen ttberseeischer Völker und
denen des europäischen Landvolks ausgeschlossen ist, bieten
dieselben brauchbare Fingerzeige, um den unter verschiedenen
Himmelsstrichen sich wiederholenden Gedankengang solcher Natur-
menschen , wie auch unsere Vorfahren unzweifelhaft ehedem waren,
verstehen zu lernen. Aus verschiedenen Analogien ist als der
diesen Sitten, zu Grunde liegende Gedanke die Vorstellung ^u
entnehmen, daft der Geist des geopferten Sclaven vermöge des
Blutes oder Fleischpartikels auf den Acker Ubeigehe und darin
als Fruchtbarkeit erzeugender Dämon wirke. Einen ganz ähn-
lichen Grund muß die Opferung der als Centeotl, Teteionan und
als Huitzilöpochtli in seiner Frtthlingsgestalt gekleideten und nach
diesen Göttern benannten Sclaven gehabt haben, welche, (wie
unsere laubeingekleideten Bursche, neben dem Maibaum) neben
den aus grünen Pflanzen^ oder Samen gefertigten Götterbildern
lüs Doppelgänger hei^ehn; das Blut und Fleisch derselben sollte
die Kraft und den Segen der Fruchtbarkeitsgottheiten auf die
Genießenden übertragen. In einigen dieser Gebräuche, welche
kaum Bchari' von den andern unterschieden sind, hat es den An-
sehein , als ob der Tod des Gottes nebenbei die Darstellung eines
Naturvorganges sein solle ; die Durchschießung des Bildes üuitzi-
löpochüis zur Zeit der Wintersonnenwende und die Hinrichtung
des den Tetzcatlipoca darstellenden Sclaven zur Zeit der Dürre
Anfangs Mai, werden von Müller nicht ohne Wahrscheinlichkeit
aufgefaßt als Vergegenwärtigungen des ersehnten und bevor-
1) Macpherson, India oap. VI. Tylor, Anfänge der Coltur I, 117. II,
272. Vgl. Bastian in Zb. f. Völkerpsych. V, 313.
2) J. Adams, Sketches taken during ten voyages to Africa (1786 — 1800)
London s. a. p. 25. Waiti a. a. 0. II, 197.
364 Kapitel IV. Banmgeister als Yegetationsdämoneii :
stehenden Dahinseheideng dieser Götter in ihrer sehädliehen
Naturform, die ja sofort in anderer Gestalt als segnende Jahres*
mächte wieder erscheinen werden, l'rotzdem aber versehen Blut
and Fleisch dieser dahinsterbenden Götter oder ihrer Abbilder
die nämliche Function, die wir dem Gottesleibe in den Torher-
gehenden Beispielen beigelegt sahen. Ich bilde mir ein, daß
diese Analogien die Frage nach der Bedeutung des Köpfens
unserer Laubmänner, wenn auch noch nicht zu lösen, so doch
auf einen zur endlichen Lösung hiniUhrenden Weg zu weisen
wol geeignet sind. Jedenfalls ist die Möglichkeit einer Erklärung
des rätselhaften Tödtungsprocesses der in den Mai- und Pfingst-
brauchen laubomhüllten Personen ohne Widerapruch mit ihrer
anderweitig feststehenden Bedeutung als Repräsentanten der Vege-
tationsdämonen erwiesen. Nicht mehr beispiellos dürfte die An-
nahme genannt werden , daß man in grauer Vorzeit die mit Laub
bedeckten feierlich aus dem Walde geholten Abbilder des Wachs-
tumsgeistes oder des Frühlings einst zu guterletzt tödtete, um
die mit ihrem Blute besprengten Aecker und Personen in gestei-
gertem Grade ihres Lebens, ihrer göttlichen Kraft teilhaftig zu
machen. Und noch eine Möglichkeit scheint mir aus den bei-
gebrachten Analogien hervorzugehen. Für gewisse Fälle dürfte
eine Vereinigung beider in a und b aufgestellter Erklärungsver-
suche das Rechte treffen, insofern es auch Gebräuche giebt,
welche, wie es scheint, zunächst den Tod der winterlichen
Gestalt des Vegetationsdämons darstellen sollen , die Darstellung
in ihren Aeußerlichkeiten aber ganz der Analogie des Brauches
folgen lassen, welcher nichts weiteres als die Mitteilung des
Leb^ssaftes und der Lebenskraft des Numen bezweckte. Da es
uns einstweilen noch unmöglich ist, die im Vorstehenden aas-
gesprochenen Vermutungen durch kritische Vergleichung zu ent-
schiedenem Beweise zu bringen, begnügen wir uns damit, die-
selben als eine eingehenderer späterer Prüfung und Erörterung
bedürftige Hypothese mitgeteilt zu haben, und wenden uns zur
Besprechung weiterer Züge in der Einholung des Pfingstlümmels
und seiner Sippschaft zurück.
In mehreren Spielarten wird der rohere Brauch der Köpfung
des Pfingstlümmels oder Pfingstkönigs durch das Eintreten einer
oder mehrerer neuer Gestalten ersetzt, welche nur durch ihren
Namen an eine derartige Handlung erinnern; so ia Zimmern
Der Mairitt» Erlftntenuig. ' 366
darch Goliath nnd David (o. S. 352)^ in Nugplingen durch König
Ludwig XVI. von Frankreich (o. S. 352). Wie hier der eine Vege-
tationsd'ämon in die Gestalten des PfingsÜ und des enthaup-
teten Franzosenkönigs gespalten ist, so in Nusplingen in die
des Pfingstbutz und des nach S. 322 uns wohlverständlichen
berußten Mohrenkönigs; in Zimmern ist der Pfingsthagen der
ungeratene Sohn des Mohrenkönigs und daneben tritt als dritte
Verkörperung desselben Gedankens Goliath auf (o. S. 351). In
Sanerlach in Oberbaiem erscheinen außer ^em Wasservogel ein
rußiger Kaminfeger und ein schwarzer Teufel (o. S. 3r>2); im
Hinterweidental in der Pfalz wird der Pfingstquack zwischen
4 Reitern mit geschwärzten Gesichtern dahergeftlhrt. Im Kreise
Budweis tragen die Pfeiffer im Gefolge des Pfingstkönigs ein
geschwärztes Antlitz (349. 342). Zu Nusplingen ist der Mohren-
könig zu einem türkischen Kaiser oder Sultan geworden (o. S. 352).
Hier tiberall wird durch diese Gestalten die Unsichtbarkeit, die
geisterhafte Natur des Vegetationsdämons angedeutet, die im
bairischen Brauche ungeschickt genug auch so dargestellt wird,
daß dem Wasservogel die Augen verbunden werden mit naiver
Umkehmng des Sachverhalts; statt zu machen, daß er von den
andern nicht gesehen werde , bewirkt man , daß er sie nicht sehen
kann.^ Was der weiße Mann in Wurmlingen, der schnee-
weiße Gemahl in Nusplingen bedeute, wage ich nicht zu sagen;
die in einem folgenden Abschnitt von der Maibraut aufgeftihrten
Tatsachen leiten darauf hin , auch in ihm eine Gestalt des Vege-
tationsgeistes im Lenze zu erkennen , unwillkürlich lenkt sich der
Gedanke auf den weißen Blütenschuee (o. H. 351).
Der böhmische Maikönig, der eine lange Hagedomrute in
der Hand trägt, wird im Kreise umhergejagt (o. S. 343) oder,
falls er beim Wettritt eingeholt wird, mit Haselruten gepeitscht
(o. S. 354). Im Wurmlinger Pfingstritt ist nur etwas verblaßt
derselbe Zug erhalten. Der mit Ruß geschwärzte Mohrenkönig
wird vom Korporal mit einem Stock geschlagen. Der Korporal
wirft dem Könige vor, daß er zu lange im Bette gelegen habe
und zu spät aufgestanden sei , droht ihn im Wasser zu ertränken
und sagt schließlich: „Den Stock ftthr' ich allezeit mit mir, kann
eins- 'naufschlagen dir.'' Der König, der Land und Leute ver-
1) Panzer U, 89, 134.
S66 Kapitel tV. BftningeiBter als Vegetationsdamonen: ^
loren hat und lieber im Bette, als auf dem Felde schl&ft, da
wegen der kalten Herbst- und Wintermonate es auf dem Felde
nicht gnt wähnen sei, bittet vergeblich: ,, Korporal, laB mich
unkeit'' (ungeschlagen).^ Im Erzgebirge wird der Pfingstlttmmel
durchs Dorf gepeitscht (o. S. 321), die Begleiter des Schnak
tragen lange Rnten (o. S. 324). Nicht minder wird zu Zimmern
im Remstale der Pfingstlttmmel mit „Prttgeln^' bedroht* Auch
in der Grafschaft Teklenbnrg wird der die Pinxterblome darstel-
lende Barsche mit Stecken einhergetrieben (o. S. 319) und nicht
minder tragen die Jungfrauen im Gefolge des Regenmädchens
bei Burkhard von Worms jede eine Rute in der Hand. Diese
Zttge mttssen, da auch der Vorwurf des Zuletztaufstehens gegen
den Pfingstlttmmel mit dem gleichen Vorwurf gegen die Schmack-
osterten hinzukommt (o. S. 253. 257. 259 u. s. w.) auf die Lebens-
rute gedeutet worden. Sie verstärken die o. S. 319 ausgespro-
chene Vermutung, daß die mit dieser Rute Schlagenden und
Geschlagenen mythische Wesen, Vegetationsdämonen (Baum-,
Korn - , Pfianzengeister) nachahmen sollen. Die mehrfach hervor-
tretende Laubeinhttllung , oder Rindenbekleidung auch der Beglei-
ter des Pfingstkönigs (o. S. 343) läßt ebenso wie die Ceremonie
des Wettritts, die Rede vom Zuletztattfstehen (o. S. 351) erken-
nen, daß von einer Mehrheit, einer ganzen Schaar von Vege-
tationsdämonen die Rede war, unter denen der Maikönig nur
als der vorzüglichste hervorragt und daß die ihn festlich aus dem
Walde einholenden Mensehen von diesem Gefolge zu trennen sein
werden.
Im . allgemeinen ist der Pfingstritt nichts anderes , als eine
feierlichere Weise der Einholung des Laubmanns oder Maikönigs.
Dem Könige gebtthrt reisiges und wehrhaftes Gefolge und die
Ehre des Empfangs durch wafienfrohe und berittene Mannschaft;
daher die vielen Namen kriegerischer Aemter im Aufzuge , neben
denen doch noch im Koch, Kellermeister, Krflgelmann (o. S. 350)
nnd ähnlichen Gestalten die Erinnerung an • die zur Annahme
der Victualien ausgerttsteten Beamten des Umgangs (Eierkrätt,
Schmalzhaf (o. S. 325) fortdauert Daß der Maienführer, Fähndrich
oder Oberst auf den Säbel an der Seite pochend sich rtthmte,
1) Meier S. 412.
2) Meier 406 , 100.
Der Mairitt, ErÜiatefiing. d67
mit den Tttrken müsse er streiten, ist wol nur soldatische Prah-
lerei und keinesweges fiest der Darstellung eines Kampfes mit
den Mächten des Winters, der allerdings in vereinzelten Formen
verwandter Gebräuche in das Spiel mit hineingezogen ist In
mehreren Spielformen sehen wir den Pfingstkönig nnd seine
Hypostasen (Mohrenkönig, Teufel, Kaminfeger, schneeweift Gemahl,
Goliath n. s. w.) sammt dem notwendigen Gefolge reisiger Tra-
banten nnd Kttchenbeamten durch fremde Gestalten vermehrt,
welche entweder aus anderen Frflhlingsaufzttgen verwandter Bedeu-
tung hinttbergenommen sind (wie Hansel und Gretel auf dem
Schleifrade , Hochzeitleute mit Braut und Bräutigam) oder welche
für den Gedanken des Festes ganz bedeutungslos nur die Ten-
denz verraten, die bunte Fülle der Masken durch einige auffal-
lende Figuren zu vergrößern (sg. Stadtherr und Bauermädchen,
der bairische Hirsel, Bacchus, Hexe, Martin Luther und Kätchen,
Schäfer und Hund , RoBdieb u. s. w.). Der Sinn der Feier wird
überhaupt nicht mehr verstanden. Dies lehren aufs deutlichste
die sinnlosen oder mindestens großenteils jedes Bezuges auf die
Bedeutung der Prozession entbehrenden , nur aus dem ihnen zuge-
schriebenen Gharacter hervorgehenden Reden, welche den ein-
zelnen Personen der Handlung in den Mund gelegt werden.
Ohne die innere Einheit einer dramatischen Action ist hier doch
ein Ansatz zu einer dramatischen Schaustellung gemacht, deren
Figuren von der starren Natnrgebundenheit sich loslösen und der
Freiheit eines menschlichen Gharacters entgegenstreben. Wo der
Aufzog ganz vollständig ist, reitet ein Platzmeister voraus, der
den Ort der Darstellung fttr die Begehung derselben freimacht
und von dem Zudrange des Publicums säubert. Einer oder meh-
rere bebänderte Maibäume werden dem Zuge vorausgetragen;
der Pfingstl, Pfingstlümmel reitet oder geht in der
Mitte zweier Begleiter,^ deren Fürsorge für ihn nötig war.
I) Der Pfingstl in Niedcrbaiern geht zwischen den zwei Weisern o.
S. 320. Panzer I, 236. Der Wasser vogel in Angshnrg wird von zwei an den
Knahen in der Stadt hemmgef&hrt. Meier 420, 104. Die primitivste Art
des Pfingstreitens ist dem entsprechend die, daß der Pfingstlümmel nur von
2 Reitern im Dorfe umhergeführt wird. So im Remstale. Meier 408, 100;
ferner in Markt - Biberbach in Schwaben. Panzer II, 89,135. Diese Beglei-
tang bleibt in der Regel aach dort, wo das Gefolge des Pfingstbutsen sich
vergrößert. So hat der Pfingstlfimmel zn Hohenstadt 2 Trabanten rechts
368 Kapitel IV. BanmgeiBter ala Vegetationsdämonen:
da er in seiner Laubböhle nichts oder wenig seilen konnte. Der
Pfingstritt in den beschriebenen deutschen Formen ist zunächst
verwandt mit der o. S. 162 Anm. 3 angeführten französischen
Sitte, wonach am 1. Mai 1414 der Bastard von Bourbon mit
200 Rittern und einem stattlichen Gefolge von Faßvolk nach vor-
heriger Ansage den Btlrgem von Gompiegne den Mai brachte; in
festlichen (uicht zam ernsten Kampfe bestimmten) Harnischen
(hamais de föte) zogen sie vor das Tor der Stadt, indem sie
einen groften grünen Zweig mit sich führten ,,poar les esniayer/'
Hier wird also statt des Pfingstbatzes und des Maibaums der
letztere allein beritten eingebracht; die Empfängerin ist eine Stadt
und die geleitenden Reisigen stellen ein kriegerisch geschmücktes
Ehrengefolge dar. Da sehen wir den bäurischen Aufzug der
vorigen Beispiele ins Ritterliche übersetzt. Auch in England
gingen die Mairitte und zwar, schließlich in ein Schützenfest aus-
laufend , ins Hof leben über. König Heinrich VUI. übte den Brauch
fast jährlich. So 1511: The first of maye the kinge accom
paignied with many lusty Batchelers on greate and well doing
horses rode to the wodde to fetch May, where a man might have
Seen many a horse raysed on highe with galope, turne and
stoppe , meruaylous to behold : where he and 3 other . . . whieh
were chalengers with the kyng shyfted them selfes into cotes of
grene satyn, garded with crymosyn veluet 1510: On mayday,
than next folowyng in the 2 yere of bis reygne hys grace beynge
yonge and willyng not to be idell, rose in the momynge very
early to fetche May or grene bowSy hym seife freshe and lychely
appareyled and clothed all bis knyghtes Squyers and Gentlemen in
whyte satyn and all hys garde and yomen of the croune in
white sarcenet : and so went every man with bis bove and arrows
shotyng to the wood and to repaired to the court every man
with a grene bough in his cappe and at bis retumyng many
hearynge of bis gooyng a Maiyng were desirous to se bim
shote, for at that tyme his grace shotte as strong a» any of
his garde. ^
und links Birlinger II » 123 . 148. Zu Fulgenstadt- wird der fiatzeler in Mitte
zweier Mitkameraden , die ilrn an einem Seile halten, dnrchs Dorf geritten.
Birlinger a. a. 0. 136, 150.
1) HaUs Chronicle (1548) London 1809 p. 520. 515.
Der Maigraf. d69
§ 9. Ber 'Mal^af. Eine besondere Spielaxt des Pfingstritts
bildete der mailiche Festbranch mittelalterlicher Schutzgilden^
welcher in den hanseatischen Städten Niederdeutschlands, sowie
in mehreren dänischen und schwedischen Ohen yorzttglich wäh<
rend des 15. und 16. Jahrhunderts in Blttte war, sodann verfiel
und im 17. an einigen Orten erst im 18. Jahrhundert sein Ende
erreichte. Sein hervorstechendstes Merkmal war der Name Mai-
graf, Maigrave flir den Pfingstl. Am ersten Maitag, oder zu
Pfingsten ritten die Brttder der Gilde in blankem Waffenschmuek
mit dem Maigrafen des alten Jahres vor die Stadt hinaus ins
freie Feld; hier wurde der neue Maigraf gekoren; man hing ihm
einen natürlichen oder künstlichen Kranz um den Hals. Dann
hielt er seinen feierlichen Einzug in die Stadt, wo der alte Mai-
graf auf der Gildestube einen «großartigen Festschmauft auszurich-
ten pflegte. Im I^iaufe der nächsten Wochen folgte bisweilen ein
mehrmaliger Ausritt des neuen Maigrafen und kleinere Trink-
gelage. Mit dem Maigrafenfest waren öfters Schützenfeste, Vogel-
schießen (Papageienschießen) verbunden. Dies der allgemeine
Charaeter des Festbrauchs , dessen Einzelheiten wir einer Abhand-
lang entnehmen dürfen, welche jüngeren Fachgenossen als ein
recht vielfacher Nachfolge würdiges Muster monographischer
Behandlung empfohlen zu werden verdient. Nachdem zuerst
Jacob Grimm ^ mehri'ache Zeugnisse ftir den Maigrafen zusam-
mengelesen, sodann Barthold' und Uhland^ denselben bespro-
chen hatten, hat Eduard Pabst ihm eine eigene Schrift: „die
Volksfeste des Maigrai'en^' Berlin 1865. gr. 4. 89 S. gewidmet,
welche eine sehr reichhaltige und sorgfältige Sammlung und kri-
tische Erörterung der Originalnachrichten über diesen Gegenstand
enthält Die älteste Erwähnung bezöge sich auf die Metropole
der Hansastädte, wenn die Angabe Hnitfeldts (f 1j608) histo-
rische Glaubwürdigkeit hätte, daß die Lübecker im Jahre 1'226
das Joch der Dänen am St. Walpurgistag abgeschüttelt hätten,
indem sie den dänischen Voigt unter dem Vorgeben, ihn zum
1) Myth.» 4414 Myth.« 735—38.
2) DentBches Bürgortam in Pommern in Räumers liistor. Taschenbuch
X. 1839. S. 66 ff. Ders. Geschichte der deutschen Städte III. ' Lpz^. 1851.
8. 31 ff.
3) Pfeiffers Germania V, S. 276 -83. Schriften III, 1866 S. 3i— 35.
Hannhsrdt. 24
370 Kapitel IV. Baamgeister als Vegetationsdamonen :
Maigrafen wählen zu wollen Tor die Stadt auf das freie Feld
lockten, indeß die Bflrger seine Zwingburg einnahmen und bra*
eben. Diese Erzählung beruht aber nur auf einer unverbürgten
Sage, und man wird kaum umhin können, Pabst Recht zu geben,
wenn er als wahrscheinlich annimmt, daß hier ein mythisches
Factum, die Niederreißung der Burg des Winters am Maitage, mit
einer geschichtlichen Erinnerung sich verbunden habe. Nur so
viel wird auch dieser Sage zu entnehmen sein, daß in Lübeck
im 16. Jahrhundert das Maigrafenfest nicht unbekannt war. In
Wismar wird dasselbe zuerst um 1400 in den Gesetzen der
Papageiencompagnie, einer seit Mitte des 14. Jahrhunderts
bestehenden reich begüterten Gilde der Brauer und Kaufleate
als eines ihrer Feste erwähnt; in Greifswald 1528, in Stralsund
1474. Dort (in Grei&wald) erscheint der Mairitt als Sache des
Rates, hier als Festlichkeit der auf König ArendshoiT (Artushof)
sich versammelnden Gilden. In Danzig beginnen die Nachrich-
ten über das Fest , das von der St Georgenbrüderschail , die ans
Abkömmlingen ritterbürtiger Geschlechter, sowie dem Schoppen-
und Ratscollegium bestand, und die eine vornehmere Hauptab*
teilung der auf dem Artushofe tagenden Brüdei^schaft bildete,
am Pfingstmontage oder Dienstage in Verbindung mit dem Vogel-
schießen begangen wurde, erst 1486, in Heiligenbeil 1543.^ In
Riga wird des Maigrafen zuerst in gewissen aus Anfang saec. XV.
herrührenden Bestimmungen in der Schra der Kumpanie der
Kaufleute gedacht, welche sich später große GUde nannte and
mit den Schwarzen -Häuptern zusammen im König Artushofe
zusammen kam. Sie hielt zu gleicher Zeit mit dem Maigrafen-
fest ein Schützenfest und Schützentrünke. In Reval tritt der
Maigraf schon etwas früher, Ende saee. XIV., in Verbindung mit
einem Papageienschießen aui'; 1408 ist das erste bestimmt nenn-
bare Jahr. Auch hier war die Groß- oder Kaufmannsgilde,
weldie auch Kindergilde hieß, die Veranstalterin des Festes.
1) Herzog Albrecht von Preußen sagt 1543 in der Anordnung f&r die
Stadt Heiligenbeil. F. D. befinden, daß man jährlich einen Gebrauch in
Kinholung des Meygrebcns hat und denen , die nicht genug dazu haben , den-
noch zum selbigen zwingen thnt; derwegon ist F. Durchlaucht Befehl, daß
man hinfort zu demselbigen Brauch niemand zwinge. Weil aber dieß Jahr
einer um eine Tonne Bier gebüßt seyn soll, soll man ihm diese wieder
erstatten. Katsbuch 115.
Der Maigraf. 371
In Hiidesheim, woher uns eine ausführliche Beschreibung aus
dem 18. Jahrhundert zusteht, welche Nachrichten des 16. Jahr-
hunderts willkommen ergänzt , war E. E. Bat der Stadt der Fest-
geber. Auch zu Bremen wird 1547 auf Befehl des Bates der
Kämmerer Thiele von Gleve am Pfingsttag den 29. Mai zum
Maigrafen gewählt, der dann mit einem stattlichen Grefolge von
Beitem in die Stadt geflihrt, das Gastgebot hielt Zu Aalborg
war es die aus dänischen und deutschen Kaufleuten (mit Aus-
schluß der Handwerker) bestehende, 1441 gestiftete Fapagoien-
gilde (oder Gudlegemslaug), welche am Walpurgistage im Holze
die Maigrevenwahl vornahm, sodann den Papagei von der errich-
teten Stange abschoß und mit ihrem Papageienkönig und Mai-
greyen zur Stadt zog.^ In Malmö und Lund feiern die Kanuts-
gilden ^ (A. 1549. 1586) am Walborgstag den Einritt des Mai-
grafen; in letzterer Stadt giebt es auch ein Papageienschiefien.
In Dänemark finden wir endlich den Einritt des Maigreve mit
darauffolgendem Gelage (Gilde) als Maitagsbelustigung der Dörf-
ler wieder. Die ausitlhrhchsten Nachrichten tlber den Festbrauch
besitzen wir aus Beval, Biga, Danzig und Hildesbeim. In Beval
wurde der Maigraf (1473) wol am Walbuigistag auf freiem Felde
von dem bisherigen oder alten Maigrafen, dem Aeltermann der
GiMe, seinen Beisitzern und den dazu eigens eingeladenen Bür-
germeister und Batmannen gekoren. Er mußte bemittelt sein,
um die kostspielige Pflicht, reiche Pracht zu entfalten und bei
eigenem Buhm. ftlr Anderer Lust und G^nuß zu sorgen, über-
nehmen zu können. Am nämlichen Tage scheint man mit ihm
feierUeh in die Stadt eingeritten zu sein, derselben den Mai
gebracht zu haben. Der neue Maigraf hielt Pfingstmontag und
< Dienstag noch einen Ausritt. Am Frohnleichnamstage nahm er
unter Vortritt zweier Wachskerzenträger an hervorragendem Platze
zwischen den vornehmsten Korporationen der Stadt, dem Sacra-
mente voransohreitend , an der Prozession Teil. Sein Amt behielt
er ein Jahr lang. Am Abend der Wahl des Maigrafen fand ein
kostbares Bankett auf der Gildestube statt; es ist nicht festzu-
stellen, ob der Abtretende, oder Neueintretende es . auszurichten
verpflichtet war. Auch die Bigenser kflren ihren Maigrafen auf
1) Wilda, das Gildenwesen im Mittelalter, Berlin 18B1. S. 286.
2) Ueber diese s. Wilda a. a. 0. 100 fL
24*
372 Kapitel IV. Baumgeister als Vegetationsdamonen:
freiem Felde aus den Gildebrttdern ^ die mit aasgeritten sind; er
wählt sofort seine Amtsieute (d. h. den Marsehall und den Bei*
reiter), weil diese schon bei dem feierlichen Einritt zn ihngieren
haben ; die Schaffer ernennt er erst in der Gildestube mit Bewil-
ligung des Aeltermanns und seiner Weisesten. Am Maitag ist
sein höchster Ehrentag; dann giebt der alte Maigraf seine „rechte
Kost;^^ der neue darf noch mehrere Ausritte halten bis zur Woche
nach Pfingsten. In Danzig war die Karalkade des Mairittes im
Anfange des 16. Jahrhunderts zu besonderer Pracht gediehen.
Nicht allein die Junker der St. Georgenbrttderschafty zu der wol
fast sämmtliche Mitglieder des Bates gehört haben werden j ritten
am Pfingstmontag mit kostbar ausgerüsteter Kavalkade ins Feld,
um daselbst einen Obersten, den sie Maigrafen nannten, zu wäh-
len und ihm einen Kranit von Mai um den Leih eu hängen,
sondern 1515 hatte E. E. Bat, auf daß die Harnische, Spiefte
und Wehren rein und bei der Hand gehalten werden, befohlen,
daß sich die waffenfähige Bürgerschaft mit in den Mai rüsten sollte,
ein jeder nach seiner Gelegenheit zu Fuße und zu Rosse. Im
Jahre 1552 wurde der Maigrefe eingeholt mit 234 Pferden in
vollem Harnisch und Rüstung , 460 Fnß^ngem mit langen Spießen
und Harnischen, 480 andern die mit Hellebarden und Schlacht*
Schwertern bewaffnet waren. Die Uebrigen trugen Feuergewehre
(Röhre). Im Ganzen waren es 1844 in 4 Fähnlein mit Pfeiffen
und Trommeln. Hatten die Junker sodann aus ihrer Mitte den
Maigrafen gekoren , und waren sie mit ihm feierlich eingeritten,
so speisten sie mit ihm auf ihrem besonderen Versammlnngshanse
(am jetzigen Langgasser Tore) ; Nachmittags fand in ihrem Som-
merschießgarten am Hagelsberge das Vogelschießen mit Arm-
brüsten, am Abende das große Banket und Tanz mit Jungfern
und Frauen im Artnshofe statt. In Stralsund war es Sitte, daß
der Maigraf, wenn er bei einem Maireiten abschied, seinen
Kranz dem erwählten Nachfolger überreichte, der nachher des-
selben Jahres auch in den Mai ritt und sein Gelage auf dem
Artushofe gab, aber beim nächsten Mairitt des folgenden Jahres
den Kranz fUr den Nachfolger wieder hinausbrachte. Als 1564
das Maigrafenfest nach einer längeren Unterbrechung, die durch
die großen Unkosten des auszurichtenden Schmauses herbeige-
llihrt war (Herr Johann Hofmeister hatte 200 Fl. aufgewandt),
wieder erneuert wurde, brachte statt des inzwischen gealterten
Der Maigraf. 373
letzten Maigrafen ein Ratsherr den Kranz hinaus. Im Zage
befanden sich ein Bflrgermeister, 4 Ratmanne und ungefähr 200
Mann mit Harnisch gerüstet zu Pferde; nach einer andern Nach-
richt wären es 100 ziemlich gerüstete Pferde gewesen. Wahr-
scheinlich gehörten diese den eigentlichen Festgebem, Mitglie-
dern des Artttshofes an. Es wird ausdrücklich erwähnt, daß sie
das Fest erneuerten , um die Rüstungen und Wehren zu mustern.
In Greifswalde scheint der Brauch darauf hinaus gegangen zu
sein , daß der Maigraf bei seinem Festgelage den Kranz dem
jüngsten Ratsherrn aufsetzte und diesen dadurch zum
Nachfolger weihte. Derselbe ritt dann am Maitag des näch-
sten Jahres in dem Mai aufs Feld und wieder zurück, wobei
ihm ein Knabe aus vornehmer Familie als Schildjunge den Kranz
vorfllhrte , den er wiederum bei seinem Gelage dem nun jüngsten
GoUegen übergab. Der Kranz mag demnach wol ein künstlicher
gewesen sein. — Wenn in Wismar in der Pfingstwoche vor dem
Lttbischen Tore der Vogel abgeschossen werden sollte, setzte
sich die Papageiengesellschaft in folgender Ordnung nach dem
Schießplatze in Bewe^ng. Voran zwei Bürgermeisterdie-
ner, die zwischen sich einen aufs beste geschmückten
Knaben auf einem Pferde führten, sodann der alte Schützen-
könig in Begleitung der Bürgermeister an der Spitze des ganzen
Rats^ drittens der (alte) Maigraf zwischen zwei Schaffern
der Papageiengesellschaft, zum Schluß die gesammten Glie-
der der Gesellschaft. Bei dem Bankett nach beendigtem Schießen
hielten der alte und der neue Schützenkönig, drei verheiratete
und vier unverheiratete Bürger sammt ebenso vielen Frauen und
Jungfrauen den ersten, der Maigraf mit seinem Zuge ordneten
den zweiten Tanz. Einige Tage später gab der neue Schützen-
könig sein Gelage. In einer früheren Stunde dieses Tages wurde
solenniter der neue Maigraf gewählt, der darauf wol seinen Ein-
ritt hielt In Hildesheim wurde ein vom Riedemeisteramte prä-
sentierter und vom Magistrat erwählter junger Bürger zum Mai-
grafen des Jahres bestellt. Am Tage vor Pfingsten erfolgte sein
Ausritt Morgens um sechs Uhr marschierten 24 Stadtsoldaten
mit 2 Unteroffizieren nach Uppen und begleiteten von dort einen
bereitstehenden vierspännigen Maiwagen in den Wald. Daselbst
lag, naßh Anweisung der Holzgeschworenen durch die Holzerben
von sieben Dörfern gehauen, der grüne Mai, den die Stadt zum
374 EApitel IV. Baumgeister als Vegeti^tionsdämonen:
Pfingstfichmnek branehte; was gehauen war, mußte aufgeladen
* werden. Die Holzen begleiteten den beladenen Wagen bis Up-
pen. Hierhin setzte sich etwas später als jenes Gommando der
8tadtsoldaten der aus seinem Hause von den Riedemeistem und
Gefolge abgeholte von seiner Freundschaft begleitete Maigraf in
Bewegung, der an Pracht und Kostbarkeit das möglichste zu
leisten suchte. Voraus ritten der Stallmeister und der Bauver-
Walter nebst Dienern, sodann der Maigraf zwischen den
beiden Riedemeistern, endlich zwei Abteilungen der bewaff-
neten und berittenen ßüi^erschaft unter Vorritt von Trompetern,
drei Msüm hoch. An der Hauptwache und dem Ostertore prä-
sentierte eine Ehrenwache von Stadtsoldaten das Gewehr. Im
Passe zu Uppen begegnete man dem aus dem Walde heraus-
kommenden Maiwagen, den man im Kreise umschloß, worauf
der Bauverwalter im Namen E. E. Rates von Hildesheim die
Holzerben begrüßte, von ihnen den Maikranz empfing und dem
Riedemeister präsentierte. Dieser tibergab den Kranz im Namen
des Bttrgermeisters und Magistrats nach feierlicher Anrede dem
Maigrafen; der Stallmeister hing ihm denselben schräge
ttber die Brust. Hierauf wurde vom Maigrafen in vorher auf-
geschlagenen Zelten den Holzerben, den begleitenden Freunden,
Bttrgem, Fuhrleuten und Stadtsoldaten eine GoUation von Essen
und Trinken dargeboten, bei der es ziemlich unmäßig zuging;
den Holzen mußten Krebse vorgesetzt werden; zu den Gresund-
heiten während der Tafel gab das Militair Salven ab. Um 4^2
Uhr bliesen die Trompeter zum Aufbruch; der Maigraf mit sei-
nem Kranze hielt seinen feierlichen Einzug in die Stadt, alle
Wachen salutierten, die Kanonen wurden gelöst Man ritt ttber
den Markt und (um den) Brunnen der Neustadt, sodann- ttber
den Markt der Altstadt und (um) den Pipenbrunnen, vor die
Tür des regierenden Bttrgermeisters und zuletzt zum Hause des
Maigrafen. Inzwischen ist auch das Maifuder, von einigen Rats-
herren und einer Gompagnie Soldaten empfangen und mit Fiin-
tensalven begrttßt, zur Stadt gekommen und sein Inhalt an den
Maigrafen , die Herren und Verwandten des Rats , an die Kirchen
und Klöster verteilt Am Dienstag nach Pfingsten Itlhrte der Magi-
strat den Maigrafen unter Trompeten und Paukenschlag nach
dem Ratsweinkeller und bewirtete ihn da Namens der Stadt
Der Aufwand, den der Maigraf machen mußte, war bedeutend,
Der Maigraf. 375
im Anfang des 18. Jahrhunderte betrag er jedesmal zwischen
700 — 800 Taler. Schon 1627 erließ der liat dagegen ein Luxus-
gesetz, sodann wurde des Kostenpunktes wegen der Brauch nur
alle 7 Jahre, später nur alle 14 Jahre gettbt; 1782 ist er defini-
tiv abgeschafft. Diese Beispiele gentigen. Nur des ländlichen
Maigrafen in Dänemark will ich noch etwas eingehender geden-
ken. Zwei Schaff er ritten am Walburgestage ihm voran, um
den Zug anzumelden. Zwei alte Männer folgten , deren jeder eine
hohe mit Bändern, Kränzen und seidenen Tüchern geschmückte
Statage [Mai bäum] in der Hand trug. Nach ihnen kam der Mai-
graf zwischen seinen zwei Gesellen; endlich der ganze Zug
paarweise in blauen Böcken , weiße Handtücher von der Schulter
herabhangend. Der Maigraf trug zwei Kränze, einen über
jeder Schulter, jeder der Uebrigen einen Kranz. Auf jeder
Feldmark legten sie einen Kranz auf die Hecktür, jeden Hof
umritten sie nach erbetener Erlaubniß dreimal und , wenn sie bei
den Fenstern vorbei kamen, grüßten sie. Dann stiegen sie von
den Pferden, sangen ein Lied, in dem sie erklärten, den Mai
ins Dorf und ins Haus zu bringen, tanzten eine Weile, stiegen
wieder zu Bosse und ritten weiter. Zur richtigen Beurteilung
des Maigrafen seien noch die Holzfahrt der Kölner und der Wal-
perzug der Erfurter erwähnt, zwei den vorstehenden Bräuchen
der Sache nach eng verwandte Feste, bei denen aber der Name
Maigraf nicht vorkommt. In Köln feierte man den Donnerstag
nach Pfingsten als Hölzgestag. Nachdem schon Tags zuvor ein
großes Vogelschießen gehalten war , wählten sich die Bürger jetzt
zur „Holzfahrt^' einen Anführer, den sie Rittmeister nannten,
der sie nach dem Ostendorfer Busch iUhrte, wo man ihm einen
Kranz aufsetzte, der Sage nach zur Erinnerung an einen Sieg,
den einst ein römischer Statthalter Marsilius durch die Hölzges-
fahrt über die Feinde errungen. Feierlich kehrte der Rittmeister
mit seinem Kranze zur Stadt zurück und beschloß den Tag mit
einer Gasterei in seinem Hause , zu welcher die Vornehmsten der
Stadt geladen waren, indeß die übrigen Bürger und selbst die
Klöster bei sich die Holzfahrt mit Schmausereien feierten.
Der Kranz wurde beim Stadtbanner in einem eigenen
Schreine aufbewahrt, man zeigte ihn der Bürgerschaft,
so oft bei drohender Gefahr oder feierlichen Gelegen-
heiten, oder nach dem Aussterben des halben Banner-
376 Kapitel IV. Baanigeister als Vegetationsdämonen:
rats das Stadtbanner aasgesteckt wurde, um sie gleich-
sam an jenen Hieg des Marsilins zu mahnen. L. Ennen glaubt,
unzweifelhaft mit Recht, schon in dem gleichzeitigen Berichte
des Htadtschreibers Gottfr. Hagen über eine Begebenheit des
Jahres 1257 eine Erwähnung der Holzfahrt, d. h. des Hölzges-
festes nachweisen zu können. Jedesfalls wird dasselbe in den
Htadtrechnungen des 14. Jahrhunderts bei Gelegenheit der dem
Kate daraus erwachsenden Kosten (49 Mark, 4 Schilling u. s. w.)
erwähnt.^ Der Erfurter Walperzug, der urkundlich seit dem
Jahre 1310 nachweislich ist und bis in die erste Hältle des
18. Jahrhunderts in Uebung blieb, bestand darin, daß am Wal-
bnrgstage die Bürger zu Pferd und Fuß nach einent dem Kur-
fürsten von Mainz gehörigen Gehölz, der Wagew^ide auf der
Steigerhöhe zogen, wo sie an diesem Tage 4 Eichen fällen
durften. Fahnenträger, SpieUeute und aus jedem der 4 Stadt^
viertel je ein Walperherr einen bekränzten Stab tragend, gingen
im Zuge. Ein großer Teil der Bevölkerung folgte, lagerte sich
gruppenweise in Zelten unter den Bäumen des Steigerwaldes,
jubelte und zechte und erst abends kehrte der Zug, grttne
Maien, die man im Walde geschnitten, in den Händen
unter Absingung eines bezüglichen Liedes zur Stadt zurück. In
seiner Mitte führte man zwei Knaben mit Goldketten
und anderem Geschmeide ausgeschmückt zu Rosse in
die Stadt ein. Man erzählte sich, der Walperzug sei die Erin-
nerung an die dereinst am 1. Mai 1289 geschehene Eroberung
und Zerstörung des auf der Wageweide belegenen Raubschlosses
Dienstbuig, dessen Burgfrau durch einen Fußfall vom Kaiser
Rudolf die Lebensrettung wenigstens ihrer beiden jungen Söhne
erbeten habe.
Auf Grund dieser um ein weniges vermehrten Auszüge aus
Pabsf s fleißiger Arbeit glauben wir folgende Sätze dem Leser ein-
leuchtend machen zu können. 1. Der Maigrafenritt ist eine Ab-
zweigung der allgemein deutschen Sitte des Mairitts oder Pfingst-
ritts. Der Maigraf entspricht dem Laubkönig , Graskönig, Pfingstl
n. s. w.; seine Darstellung durch einfaches Ueberwerfen eines
' Kranzes statt der vollständigen LaubumhttUung entspricht genau
1) L. Ennen, Geschichte der Stadt Köln. Köln und Neuß 1865, Bd. II,
128. 638.
Der Maigraf. 377
der Weise ; wie in Abensberg in Kiederbaiem der Wasservogel
dargestellt wird (o. S. 353). Wie der PfingsÜ zwischen zwei
Beglciitem zu reiten pflegt (o. S. 367), so der Maigraf in Hildes-
heim zwischen zwei Kiedemeistem, der dänische zwischen zwei
Gesellen ; der Wismarische zwischen zwei Schaffem und der
Danziger zwischen zweien der yomehmsten Männer. In Däne-
mark wird ihm, wie dem schwäbischen und böhmischen Pfingstr
bntz nnd Pfingstkönig (o. 8. 356) noch der geschmückte Maibaum
vorangetragen. Wie der böhmische Maikönig behält er ein Jahr
hüidurch seine Würde. Der stattliche Einritt mit bewaffnetem
Gefolge gleicht hier noch mehr, als in dem bäuerlichen Maibrauch,
dem Gepränge eines einziehenden Fürsten. Bei dem Hildeshei-
mer Maigrafenritt hat sich auch noch eine Spur der Wasser-
tauche in dem Bitt „über den Brunnen^^ sowol der Altstadt,
b\» der Neustadt erhalten. Die Erinnerung an die mythische
Bedeutung des Aufzuges halten die. technischen Benennungen des-
selben noch lange aufrecht: In dat meien rtden, umme dat meien
rtden (Stralsund) , in den Mai reiten , in das Feld reiten , sich in
d^i Mai rüsten (Danzig), at fore sommer i by, at ride somoier
i by, den Mai ins Dorf, in die Stadt einAihren, reiten (Däne-
mark, Biga u. s. w.). 2. Ebensowenig als die Grundlagen des
Maigrafenfestes lassen sich, so viel auch noch dunkel bleibt, die
Hauptumrisse der weiteren Entwiekelung desselben verkennen.
Der Pfingstritt in der Form , daß der Dämon der lenzemeuten
Vegetation durch einen Mann mit übergeworfenem Kranze dar-
gestellt wird, wurde von den Landbesitzern, die sich als Bürger
in niederdeutschen Städten niederlicBen , dorthin mitgebracht und
als Brauch der Bürgerschaft, wie sonst der Dorfschaft geübt.
Der Pfingstl hiefi noch nicht Maigraf, sondern irgendwie anders
(Oberst, Kittmeister, Maikönig, Walburgsherr, Maiherr u. s.w.).
Ein Bild dieser Entwickelungsstnfe des Brauches stellt uns noch,
wenigstens nach einer Seite hin ein in mehr als einer Bücksicht
merkwürdiges Zeugniß aus Lüttichs Umgegend vor Augen. Albe-
ricus trium fontium U, 513 schildert einen Festzug, der sich in
den Pfingsttagen 1224 durch die Straße von Huy bei Lüttich
bewegte : Universitas Hoyensium tum senes quam juvenes mascu-
lini sexus antiqüos ludos vestibus mulierum induti barbis
rasis reducunt ad memoriam : habebant enim praecellentes perso-
nas secundum diversitates locorum Imperatorem viddicet, Regem,
V
378 Kapitel IV. Baamgeister als YogetationsdämoDeB:
DuceMj comitem et abbaiem, Qmdam earum eratU armati loricis
et geUeis fulgentibus , ghidiosque rnidos portantes in tnanibus suis
pellifices habebant pellioea grisea et vulpina deforis pilos hal>eDtia
et omnes alii prout poterant ad modum malieriim erant adornati,
qai qaolibet die festi pentecostes nallo dorn! remanente ibant pro-
cessionaliter bini et bhii per vieos et plateas cantando. ^ In die-
sem Pfingstanfzug gab es yersehiedene Bestandteile , z. B. Tier-
masken ^ Darstellung von Weibern u. dgl. , neben dem Umzüge
oder Einzüge der Be^joaffneten mit ihrem Oberhaupt. Dasselbe
ibhrte damals in den versehiedenen niederländisehen Gegenden
noch verschiedene Namen: Kaiser, König, Herzog, Graf oder
Abt; wahrscheinlich parallel mit der Würde des Landeaherm in
jedem der vielgeteilten Gebiete (Herzogtum Limburg, Abtei Stablo,
Grafschaft Namttr u. s. w.). Ein späteres Beispiel der nämlichen
Vorstufe des Maigraienbrauches gewährt die Sitte in Köln, ebenso
die Erfurter, wo die 4 Walperherren nur eine Vervielfältigung
des einen Maiherm sind und ein jedes Stadtviertel den seinen
flir sich haben wollte. Hieraus, vrie aus der Aufbewahrung des
Kranzes neben dem Stadtbanner zu Köln geht hervor, daß man
den Einritt des Maiherm gradeso wie anderswo die Aufrichtung
des Maibaums als Heiltum ftir die ganze Commune erachtete.
In irgend einer niederdeutschen Stadt vertauschte man im Laufe
des 14. (spätestens im Anfange des 15.) Jahrhunderts den Namen
Maiherr, oder wie er sonst lautete, mit Maigreß (nach Analogie
anderer Amtsnamen, Holtgrefe, Deichgrefe. Of. Grefe, Grebe als
Bezeichnung der sächsischen Dorfobrigkeit und das gravo prae-
ses ahd. Glossen). Es mufi dies eine Stadt gewesen sein, in
welcher die reichsten oder vornehmsten, beziehungsweise die
Altbttrger zu gegenseitigem Schutz, gemeinsamen geselligen Zu-
sammenkünften und gottesdienstlichen Begehungen den Hand-
werkern sowie anderen Neubtirgem gegentiber in einer brüder-
lichen Genossenschaft, Gilde, große Gilde (summum, majus con-
vivium, major gylda') vereinigt waren. Diese ftihlte sich als
die eigentliche Bürgerschaft und stellte darum den Einritt des
Maigrafen zum Besten der Stadt und, was nahezu dann zusam-
menfiel, ihrer eigenen Corporation alljährlich dar.^ Von jenem
1) Cf. Liebrecht in Pfeiffers Germania XVI , 227.
2) Wilda a. a. 0. 73. 170.
3) Cf.Wüda a. a. 0. 77 ff.
j
Der Maigraf. 379
uns unbekannten Entstehnngsorte aus (LttbeckV) hat sieh die Sitte
des Maigrafenfestes sodann in der dort angenommenen Form nnd
zwar als Uebong der ersten Gilde mit unwesentlichen Modifica-
tionen su andern niederdeutschen Städten fortgepflanzt ^ in denen
bereits ähnliche Gilden bestanden ^ oder neue gestiftet wurden.
Vorzüglich scheint es der hanseatische Großhändler gewesen zu
sein, durch den der Brauch bis in die deutschen Kolonien an
der baltischen Süd- und Ostktlste und nach Skandinavien ver-
breitet ist Ein schlagendes Beispiel des Hergangs besitzen wir
an dem Maigrafenfest der o. S. 371 erwähnten Papageien- oder
Frohnleichnamsgilde zu Aalborg. Dieselbe ist 1441 als gemein-
sames Convivium deutscher und dänischer Kaufleute mit Zulas-
sung der hohen Geistlichkeit und adeliger Herren , aber mit Aus-
schluß der Handwerker gegründet worden.^ Die Kanutsgilden
zu Mahnö und Lund sind echt dänische Schöpfungen,* sie haben
ihren Maigrafen unzweifelhaft von den hanseatischen Factoreien
in ihrer nächsten Nähe ttberkommen. Die St. Georgsbruderschaft
in Danzig und ihr Gildehaus, der Artushof ftlhren zwar, wie
Th. Hirsch nachgewiesen hat,^ gleich allen gleichnamigen Insti-
tuten in Preußen auf englische Anregung in saec. XIV. zurück,
aber doch nur die dem Vorbilde der Artnsromane entlehnte Form
einer ihrer jährlichen rittermäßigen Vergnügungen und den Namen,
vielleicht auch die Gestalt der gebauten, nun zugleich als Gilde-
stnbe gebrauchten Halle; die sonstige Einrichtung der Korporation
entsprach durchaus den längst in den deutschen Städten bestehen*
den Schatz- und Kaufmanngilden, von denen mithin auch das
Maigrai'enfest mit herübei^enommen ist Aehnlich wird es sich
in Biga, Beval und Stralsund ^ verhalten haben. Da das Vogel-
schießen in den meisten Fällen mit dem Maigrafenausritt verbun-
den war, scheint dasselbe zu dem ursprünglichen Bestände die-
ses städtischen Festes gehOrt zu haben. Die Bedeutung dessel-
ben können wir jedoch erst an einer späteren Stelle unserer
Untersnchungen klar legen. Rätselhaft ist im Brauche von Wismar
1) Wilda a. a. 0. 284 ff.
2) Wilda a. a. 0. 92. 100 — 101.
3) In dem vortrefflichen Aufsatze über den Ursprung der Preuß. Artus-
höfe. Poß, Zeitschr. f. Preuß. Geschichte und Landeskunde I, 1864. S. 23.
4) Doch Tgl. Hirsch a. a. 0. S. 31. Anm. 25.
380 Kapitel IV. Bauingeister als Yegetationsdamonen :
der wolgeschmttckte Knabe, welcher von zwei Btti^enneisterdie-
nem geflihrt dem Maigrafen voranreitet Er erinnert an die bei-
den mit Goldketten und Geschmeiden behangenen Knaben im
Walperzuge zu Eriiirt, sowie vielleicht an den Schildjangen , der
in Greii'swalde dem Btti^rmeister den Kranz voranftrug. Hatte
aach dieser Knabe symbolische Bedentnng? Personifizierte er
etwa in Gestalt eines Kindes die Anfänge der Vegetation, den
ersten Frühling (wir werden später die mythische Gestalt eines
Yegetationskindes des breiteren kennen lernen) während" der
Maigrat* den yorangeschrittenen Lenz, den Sommeranfang mit
seiner WachstamsfÜUe darstellte ? Doch waroon' findet sich dann
anderswo beim Maigrafenfest keine Spur von jenem Knaben
mehr vor? Man mflftte annehmen, daß nrsprflnglich auch der
städtische Maigrafenbranch noch voller and reichhaltiger war,
als er ans später geschildert wird. So würde es sich erklären,
daß dänische Landgemeinden , nachdem sie von den Städtern den
Maigrafen entlehnten, diesem noch ganz so wie der Baier nnd
Schwabe den Maibaam vorauftmgen , während dieser Zag in den
Festberichten aas den deutschen Städten selbst nicht mehr ei'wähnt
wird, weil sie als Bauern die ursprüngliche Form des überkom-
menen Brauches conservativer bewahrten, als jede dem beweg-
teren Flusse politischen Lebens ausgesetzte Bttrgergemeinde.
Oder wäre der dänische einheimische Maibrauch dem süddeut-
schen Pfingstritt so wunderbar ähnlich gewesen und hätte hier
nur eine Entlehnung des fremden Namens Maigref^e von den
Städten her stattgefunden? Wir wagen darüber noch nicht za
entscheiden, denn für die letzte Ansicht spricht die eigentüm-
liche nirgend in den niederdeutschen Städten nachweisbare Sitte,
welche mit dem Maigref^eritt der dänischen Bauern verbanden war,
daß zugleich die Mädchen den Sommer ins Dorf liefen (lob som*
mer i Bye) mit grünen und weißen Kleidern angetan and Kiilnze
um Kopf und Schaltern. An dem Orte, wo das Gelage statt-
finden sollte, versammelten sie sich; dann gingen sie aafs Feld
hinaus und der Schaffer probierte an jeder einen gewissen Kranz.
Traf er endlich eine, der er paßte, so war diese Maiinde.
Mit ihr liefen sie ins Dorf und zu den einzelnen Häusern. Vor
den Höfen, wo man sie empfangen wollte, war eine bekränzte
S^tange aufgerichtet. Oder der Maigrefve warf, wenn sie vom
Zuge heimkamen, einen Kranz über dasjenige Mädchen, das er
Der Maigraf. 381
zur Maiin de erwäiilen wollte. Jetzt begann ein Wechselgesang
der Barsche und Jungfrauen, in denen die Aasrafe wiederkeh-
ren : Maie J ere velkomne ! Mai ihr seid willkommen ! and : Glsede
jer Gud saa den soede sommer! Letze euch Gott auch so
den sttßen Sommer. Vielleicht sind beide Möglichkeiten in einer
dritten zu vereinigen, wonach ein nationaldänischer Maibrauch
bestand, der nicht allein im Namen, sondern auch im Ritus
durch die damals noch vollständigere Maigrafenceremonie der
Städte einige Abänderung erfuhr. 3. Ursprünglich war der Brauch
auch in den Städten noch durchsichtig und sinnvoll, man ahnte
seine Bedeutung, hatte eine Erinnerung daran, daß er eine heil-
kräftige Wirkung ftür die Gemeinde haben solle. Die ganze
daraus entspringende Herzlichkeit lebte noch spät in dem länd-
lichen Maigrafenbrauch in Dänemark fort und sprach sich in den
dabei gesungenen Liedern aus; ebenso in Rev<al in der offiziellen
Teilnahme des Maigrafen an der gottesdienstlichen Feier des
Frohnleichnamstages. Es war darum eine hohe Ehre, Maigraf
za sein und der Patrizier, dem sie zu Teil wurde, setzte seinen
Stolz darin, diese Rolle würdig ja glanzvoll zu repräsentieren.
Mit der Zeit aber entschwand das Geftihl ftlr die eigentliche
Bedeutung des Aufzugs, derselbe wurde zu einer bloßen schwel-
gerischen Lustbarkeit; Luxusgesetze suchten den Aufwand bei
den Mahlzeiten und den Pomp der Kleider zu beschränken, den
nur die Reichsten und Vornehmsten auf sich nehmen konnten;
man ließ der Kosten wegen zwischen den einzelnen Begehungen
des Festes oft mehrere Jahre ausfallen, bis endlich das Mai-
grafenamt, nachdem es lange Zeit eine gern ttbemommene Leitnr-
gie gewesen war, vollends zu einer Last wurde. Schon 1474
entfloh in Stralsund der Kosten wegen der Junker Krassow, der
in den Mai reiten sollte, nach Rostock und der Rat mußte ihm
bei Strafe gebieten , sich einzustellen. Um inzwischen der unver-
si^ndKch gewordenen Feier einen ostensiblen Zweck zu geben,
wurde im 16. Jahrhundert der Ausritt der vornehmsten Bürger
in Harnisch und blanker Wehre als gute Gelegenheit benutzt,
eine Musterung über den Zustand der Waffen der nach Befehl
des Rates dem Zuge sich anschließenden Bürgerschaft anzustel-
len. So in Danzig 1515, wie 1564 in Stralsund. In letzterem
Orte wird als Grund , warum man das Maireiten iu voller Rüstung
wiederum anrichtete, angegeben, daß das Jahr zuvor 1563 als
382 Kapitel IV. Baumgeister als Vegetationsd&moneii:
Herzog Erich von BrannBchweig durch Pimmiern zog, die BQr-
gersehaft antgeboten sei, nm zu sehen, was an Rüstangen und
Wehren in der Stadt sei; sie sei aber nicht, wie es gev^flnsohet,
gertlstet gewesen, etziiche haben ihre Harnische damals, welche
viel Jahre unter den Betten gelegen, aufgesucht Endlich ging
das Maigratenfest ganz ein, oder wurde mit Abschaffung des
Ausrittes zu einem blofien Schmause der ratsherrlichen Familien
(Greifswald 1560) oder endlich zu einem Feste der Schaljagend
(in Pasewalk schon vor 1563). In Westfalen, Holstein u. s. w.
ist aafterdem mehrfach der Name des städtischen Maigrafen ani'
ländliche Maifeste übertragen, welche nur in weiterer Verwandt-
schaft mit diesem Brauche stehen.
§ 10. PflDggt-WettlaHf nnd -Wettritt. Nicht außer Acht
lassen dürfen wir noch einen Zug, einen Wettlaui' zu Fuß oder
einen Wettritt, der den Frfihlingsgebräachen und zwar vorzugs-
weise den auf Pfingsten getlbten wesentlich zu sein scheint Der
Wettlauf findet in der Mark und Provinz Sachsen zumeist in den
Pfingsttagen auf der zu Ostern oder Pfingsten abgesteckten Pfingst-
weide nach einem Maienbusche statt. Zu Groß - Wiebelitz bei
Saizwedel wird der im Wettlaufe nach dem im Felde aufgestedt-
ten Busche siegende Junge König und erhält einen Blumen-
kranz um den Hals (wie der Maigraf) und einen Maien-
busch in die Hand, mit dem er nachher beim Umzüge den
Tau wegfegt, daher ist er Dauschlöper zabenannt. Der Letzte
heißt Pfingstkäm (wie in andern Orten der in Laub gehttUte
Pfingstlttmmel o. S. 321) und muß das mit Blumen geschmtickte
Rick tragen , an das Speck und Würste gehängt werden. ^ Auch
in manchen Döri'em südlich von Lehnin findet zu Pfingsten ein
Wettlauf nach einem im Felde eingegraben^a Maibusch ^statt,
während in andern Dörfern der mit Geschenken behangene Mai-
baum erklettert wird.' Zu Brunau in der Altmark h^ßt der
Pfingstwettlauf auf der Pfingstweide das Molitzlaufen. Der Letzte
wird nämlich Molitz genannt, muß sich em Strohband ums Kniee
binden und hinken, weil er sich angeblich ins Knie gehauen
habe.^ Hiemit stimmt der Brauch im K^lbeschen Werder überein,
1) KuhTi, Nordd. Sag. 380, 57.
2) Kuhn ; Nordd. Sag. 387, 70.
3) Kuhn a a. O. 380, 56.
Pfingst-WetÜauf und -Wefctritt. 383
WO schon am Charfreitag oder ersten Ostertag die Jungen den
Weitlanf nach einer auf* einem Hügel in der Nähe der so eben
abgesteckten Pfingstweide aufgepflanzten, mit Knochen behänge-
nen, mit einem Pferdesohädel gekrönten Tanne anstellen. Hier
wird der Sieger ebenfalls König, der Letzte stellt sich, als sei
ihm ein Bein gebrochen , und heißt der lahme Zimmermann. ^ In
Haiberstadt läuft am dritten Ffingsttag die männliche Jugend auf
dem Anger um die Wette nach einem mit seidenen Tüchern
geschmückten Maibaum, darauf die weibliche nach einem Mai-
busch , neben dem ein Lamm steht Der letzte Bursche bekommt
den Namen Lämböm oder Lämbö, das letzte Mädchen erhält
einen Klotz (vgl. o. S. 173 ff. 237) und heißt Klotz -Marine. Beide
sammt dem Klotz werden schUeßlich auf eine Tragbahre gesetzt
und unter Spott und Gelächter zur Stadt gebracht.' Der Wett-
lauf geht häufig in einen Wettritt über, oder beide Formen
erscheinen neben einander. So wurde zu Bissingen in Schwaben
auf dem sogenannten oberen Bennwauien bis Anfang dieses Jahr-
hunderts jährlich am Pfingstmontag ein Wettrennen, Wettlauf
gehalten.^ In Stapel (Altmark) fand zu Pfingsten zuerst ein
WetÜauf zu Fuß statt, der Sieger wurde König, der Letzte
trog die Teerlappen zum Schmieren der Pdtschen. Dann folgte
ein Wettrennen zu Pferde, wobei der Läuferkonig den Ehren-
platz als Erster in der Reihe inne hatte/ Eine Uebergangsform
ist das Karrenrennen bei Wangen im AUgäu, wo die Bursche ihre
Geliebten zu Pfingsten im Wettlauf auf Karren nach einem mit
Bändern, Nastüchem und andern Preisstücken behangenen Mai-
baume schieben.^
Das Wettrennen tritt viel häufiger auf, es verhält sich zum
Wettlauf wie die berittene Einholung des Pfingstl zu der zu Fuße
geschehenen. Zu Wallenhausen in Schwaben hat man ehedem
am Pfingstmontag das Dornbüschele ausgeritten. Drei Buben
ritten nach einem Ziel. Die ersten Beiden erhielten Preise, dem
Dritten aber wurde ein Dornbüschele auf den Rücken
1) Xuhn, mark. Sag. 324.
2) Kuhn , Nordd. Sag. 386 , 68.
3) Birlinger II, 160, 154.
4) Kuhn, Nordd. Sag. 379, 55
5) Zö. f. D. Myth. 1,443, 4.
384 Kapitel IV. Bamngeister atti Vegetationsdäinonen :
gebunden^ cf. o. S. 351. In Westfalen wurde die von den Pfer-
dejungen zu Ostern ausgesteckte Pfingstweide am ersten Pfingst-
tage gemeinschaftlich eingeweiht, indem alle Jungen Nachts
12 Uhr zu Pferde saßen und dorthin ritten. Wer zuerst ankam,
wurde Däwestrttch (Taustrauch) genannt, oben auf einem
Berge auf einen Strauch gesetzt und unter allgemeinem
Preudengeschrei bis unten ins Tal^ durch den Tau gezogen.
Alle seine Pferde erhielten Kränze von Maien. Wer zuletzt
ankam, hiej Pßngstmocke und seine Pferde bekamen Kränze von
Blumen.* Wie hier in der Ausschmtlckung des zuerst und des
zuletzt Angekommenen ein Unterschied gemacht wird, so in
einigen Gegenden in der Nähe von Salzwedel, wo der Si^er
im Wettrennen auf dem Pfingstheij mit Maien, rotem Peder-
busch und hölzernem Säbel geschmtlckt und mit drei Vorreitem
zum Einritt in das Dorf beehrt, sein Pferd durch einen Drei-
spinnt^ von Maibusch mit Knittergold auf dem Kopfe
ausgezeichnet wird; während man den Lictzten „smuk mäkt''
d. h. in Blumen hüllt und daher den schmucken Jungen nennt
Im Hause des Schmucken wird getanzt Vergleiche auch noch,
daß in anderen Dörfern der Altmark der Junge, dessen Pferd
Pfingsten zuerst zur Weide kommt zum Tauschlepper , der zuletzt
hinaustreibende zum bunten Jungen ernannt wird. Letzterer
wird von Kopf bis Püßeh mit Peldblumen behangen und Mittags
im Dorfe von Hof zu Hof gefUhrt.^ Bis tief nach Sachsen und
1) Panzer H, 200, 345.
2) Kuhn, Westf. Sag. 1Ö4, 461.
3) Dieser Dreisplant kehrt auch noch in den märkischen Dorfern um
Benzendorf wieder. Wenn die Roggenbjume, Mohn und Rade in Blflte
stehen, wird ein Pferd mit huntbebänderten Kränzen geschmückt, auf- seinem
Kopf ein mit den schönsten Blumen reichumvmndener dreispaUiger Stock
angebracht. Ein mit Blumenguirlanden hehangener Pferdejonge, auf dem
Kopf eine aus Binsen geflochtene Mütze (s. o. S. 321) reitet auf diesem Roß
von der Pfingstweide ins Dorf ein und dreimal um die Kirche, darf aber
dabei nicht lachen, obwol man alles mögliche vornimmt, um ihn dazu zu
verleiten. Kuhn , mark. Sag. 327. Er stellt den (diesmal ohne Gefolge) ein-
reitenden Yegetationsgeist dar. Geister lachen nicht. (S. W. Müller Nie-
ders. Sag. S.380. Mannhardt, Germ. Mythenf. S. 303. 309. 314). Der Drei-
splant muß wol auf Ueberlieferung beruhen, da auch der Erntemai in Frank-
reich mehrfach die Gestalt eines in drei Aeste gespaltenen Zweiges annimmt
S. 0. S. 204.
4) Kuhn, Mark. Sag. S. 317.
Pfingflt- WettUnf und - Wettritt. 385
Thttringen hinein ttbt man den Wettritt Ein Beispiel gewähre
Asendorf bei Sohafstädt, wo man eine Tanne oder Birke ans
dem Walde holt und im Dorfe als Maibaum anfpflanzt, sodann
im' Felde einen Maienbasch aufsteckt und nach diesem reitet.
Der Sieger wird als Maikömg ins Dorf zurtickgeflihrt.* In der
Neumark ist das Ziel des Wettrennens zuweilen kein Maibusch,
sondern ein in gewisser Entfernung aufgestellter Stuhl; wer die-
sen zuerst erreicht und sich auf ihn setzt, wird in Laub ein-
gekleidet als König ins Dorf gebracht.' Zu Weißingen in
Sehwaben halten sieben Bauerbursche Pfingstmontag ein Wett^
rennen' zu Pferde. Der Erste am Ziel erhalt einen reich mit
Bändern gezierten Baum, den die Mädchen schmücken, der
Zweite ein Schwert , der Dritte einen Geldbeutel , der Vierte einen
Eierkorb, der Fttnite einen Schmalzhafen, der Sechste ist der
Wasservogel.* Aehnlich in Dinkelscherben Kr. Schwaben,
wo der Erste als Preis ein Sacktuch u. s. w. erhält, der Letzte
als Wasservogel in Laub eingebunden und ins Wasser
geworfen wird.^ In einzelnen schwäbischen Gegenden findet
der Wettritt nach dem mit Bändern gezierten Maien schon am
Ostennontag statt. ^ Bei dem alle drei Jahre begangenen Pfingst-
ritt zu Wurmlingen wird zuerst dem in Eichenzweige gekleideten
Pfingstl der Kopf abgehauen, darauf der etwa 10 Fuß hohe mit
bunten Nastttchem imd seideneu Bändern geschmückte Maie, den
bis dahin der Maienftthrer trug, drei bis vier Bttchsenschttsse
vom Sammelplatze dicht an der Straße nur leicht in die Erde
gesteckt. Dann steUen sich alle Pfingstreiter in eine Linie und
jagen auf das Gommando „Marsch!^' in gestrecktem Galopp davon.
Wer den Maien zuerst erreicht und aus dem Boden hebt^ hat
ihn sammt seinem Schmucke gewonnen.® In Semic, Kr. Pilsen
in Böhmen dagegen ist die etwas ältere F«rm des Brauches
erhalten, wonach der in Baumrinde, Baumzweige, Blumen und
Farrenkraut gehüllte Pfingstkönig nach geschehenem Umritt und
abgehaltenem Gericht unter dem Maibaum von den in zwei Reihen
1) Kuhn , Mark. Sag. S. 325.
2) Kuhn, Westfal. Sag. 164, 460.
3) Panzer 11,87, 132.
4) Panzer a. a. 0. 87, 131.
5) E. Meier, Schwab. Sag. 394, «9..
6) Meier a. a. O. 418, 101. Vgl. o. S. 349 - 50.
Mannhardt. 25
386 Kapitel lY. BanmgeiBter als Vegetationsd&monen:
angestellten berittenen Barschen in Carri^re verfolgt wird. Gelingt
seine Einholung nicht, so bleibt er noch ein Jahr Könige ein*
geholt wird er geköpft.^ Diese Sitte aas obigem Zusammen-
hange herauszulösen und als proleptische Darstellung einer Ver-
folgung des im Herbste wieder entfliehenden fUr den Winter
sterbenden Vegetationsdämons zu erklären, könnten die o. S. 360 ff.
beigebrachten E^ägungen anraten, zu dem die Analogie des
nachstehenden Silvesterabendbrauchs in Mank (Niederöstreich).
Da wird der Tölpelhafteste aus dem Hausgesinde als Süvester-
könig mit einem Strohkranze gekrönt und ihm ein Strohbflschel
in die Hand gegeben. Die übrigen jagen ihn dann mit einer
aus Stroh geflochtenen Peitsche durch TiMr und Tor. Er mud so
lange vor der Tttr stehen , bis sich die jüngste Dirne seiner
annimmt und ihn hereinführt. Diese Dirne ist nun das Haupt
des Gesindes fttr das kommende Jahr und den ganzen Abend
werden ihr Gltlckwünsche dargebracht. ( Venialeken , Mythen und
Bräuche S. 291, 14.) Hier scheint die Hinausjagung des Sil-
vesterkönigs doch die winterliche Entfernung des sommerlichen
Vegetationsdämons zu bedeuten, bis er zur Vermählung mit dem
jüngsten Mädchen (der Lenzbraut, s. unten Cap. V) wiederkehrt
Die Ceremonie des Hinauspeitschens selbst mag jedoch älteren
and anderen Ursprung und Sinn haben , beziehungsweise mit der
Lebensrute zusanunenhangen (s. o. S. 365 ff.). An eine noch frühere
Stelle d. h. ganz in den Anfang des Pfingstspiels yerweist den
Wettritt die Sitte zu Fulgenstadt (in Würtemberg). Hier werden
nämlich, ähnlich wie in Weißingen o. S. 385 ^ durch denselben
schon 8 Tage vorher die Rollen ausgelost, welche die einzelnen
Buben bei dem feierlichen Einritt des in frisches Laub gehüllten
Hatzelers (o. S. 350) zu spielen haben. ^ Auf Gülzow und andern
Rittergütern in L^uenburg wird um Pfingsten herum alljährlich
ein Knechtereiten veranstaltet. Die Reiter sind mit SträuBen , die
Pferde mit Bändern geschmückt. Der Sieger heißt König und
erhält eine fingierte Braut (cf. unten Cap. V) als Königin an seine
Seite. ^ In Chätillon (Dep. de deux Sevres)* begegnet uns
1) ReinslSerg-Düringsfeld, böhmiacher Festkalender S. 264. 255.
2) Birlinger II, 136,150.
3) Jahrbücher für Landeskunde von Schleswig -Holätein. LaueabuTg-
Kiel 1861. S. 181 , 92.
4) De Nore, (-ontuines, mythes et traditions p. 145.
PfijDgstwettritt, dos Kranzstechen , Buschstechen. 387
8. w. u. der Mairitt gleichfalls. Am letzten Sonnabend im
April findet ein Hammeltanz mit der znletzt verheirateten Ehe-
frau, am Sonntage ein Wettreiten mit dem znletzt^ verheirateten
Ehemann, am 30. April endlich die Aufrichtung des Maibau-
mes statt,
§ 11. Pflngstwettritt, das Eranzsteehen , Bnschsteclieii.
Der mit Bändern und Tüchern geschmückte Maibaum, welcher
so vielfach das Ziel des Wettritts ausmacht, ist im Böhmerwalde
zu einer Fahne geworden, an deren Stange die Preise ilir die
Sieger (Westenzeug, Halstuch, Hosenträger) hangen. ^ Zu ßlumen-
hagen bei Vierraden bildet ein Semmelweck, auf eine Stange
gesteckt das Mal beim Kantenreiten am ersten Pfingsttag.^ Noch
anderswo , z. B. Schiettau bei Halle , Edersleben bei Sangerhau-
sen steckt statt dessen ein Hut auf der Spitze der Stange.^
Mehrfach vertritt den Baum ein Krane auf der Stange.^ So im
Harz. Aus den Dörfern, wo noch das Pfingstreiten herrscht,
kommen die „Pfingstknechte^^ auf die benachbarten Döri'er und
Städtchen, nm Gaben einzusammeln. Dann folgt zu Hause auf
dem Dori'anger das Reiten selber. Die Pferde haben Quasten
(bunte Bänder) an Köpfen und Schwänzen, die Knechte an
Mützen und Schultern. Dem Pferde^ welches das Mal zuerst
erreicht, wird der daselbst aufgehängte Kranz um den
1) S. die lebendige und ausführliche Beschreibung dieses Pfingstrcnnens
bei J. Rank , Aus dem Böhmerwalde , Lpzg. 1843, S. 81 — 86.
2) Kuhn , Nordd. Sag. 381 , 60.
3) Kuhn a. a. 0. 381, 61.
4) Vgl. Im Saterlande bestand der zu Pfingsten aufgerichtete Maibaum,
den König und Königin dreimal umtanzten, aus einer hohen Stange, an der
oben eine grüne Birke befestigt war, unter dieser hing an einer Querstange
an einem Arm ein Kranz, an dem andern ein' hölzerner Schinken.
Strackerjan, Abergl. u. Sag. a. Oldenburg, 11,52,319. Zu Elgersburg bei
Ilmenau besteht die am ersten Pfingsttagc feierlich eingeholte und umtanzte
Tanne aus einem hohen abgesch<en Baume, dem man nur unter der
Spitze einen kleinen Nadelbusch stehen läßt; darunter aber
befestigt man einen großen BlumenkraiTz. Kuhn, Mark. Sag. 325.
Genau so mit nur einem großen Kranze unter dem Wipfel ist der franzö-
sische Maibaum in den Marietteschen Bildern (Hone, every Daybook II, 297)
dargestellt, englische Maypoles bestehen zuweilen einzig aus einer Stange,
an der mehrere Kränze hangen. (S. Beschreibung und Abbildung bei Hone
a.a.O. 11,288). Den deutschen Maibäumen fehlen Kränze als Teile ihrer
Ausschmückung fast niemals. Vgl. o. S. 176 — 177.
25*
388^ Kapitel IV. Banmgeiatdr als Vegetationsdämonen :
Hals gehängt. (Lassfelde. Wülferstadt bei Gr. Oschersleben.^)
In der Nähe von Saizwedel, Perleberg, Harelberg findet em
zweimaliges Wettrennen zu Pferde nach dem an der Stange auf-
gehängten und reich bebänderten Kranze statt. Wer beidemale
den Kranz herunterreißt wird als König begrüßt und gekrönt;
er erhält als Preis ein von den Mägden gekauftes Tuch. Jubelnd
wird er ins Dorf zurückgeftlhrt und hier wird geschmaust und
getanzt.^ Im Wendlande zwischen Salzwedel und Gartow wird
um Johannls nach dem Kranze geritten; der beim dritten Wett-
reiten Siegende wird König, der nächste nach ihm sein Bedien-
ter, der dritte heißt der Pracher.^ In Wunderthausen in West-
falen wird dreimal gerannt, und das Tuch ist gleich am Kranze,
wie sonst am Maibaum befestigt.^ Diese Sitte geht wiederum in
die neue Form tiber, im Keiten den Krcmz herahzustechen und
so die Königswürde zu verdienen.^ Beim Kranzstechen am Nach-
mittage des ersten Pfingsttages muß der Sieger mit allen Mäd-
chen, die zu dem als Preis ausgesetzten seidenen Tuche etwas
gegeben haben, tanzen; am zweiten Pfingsttag zieht man dann
umher und sammelt Gaben ein.^ Aus dem Kranzstecfaen aber
erwuchs in Schleswig- Holstein das Ringreiten, welches in Hol-
stein zu Pfingsten, in Nordschleswig zur Fastenzeit derart geübt
wird, daß die auf blumengeschmückten Pferden selbst bekränzt
Reitenden nach einem Ringe^ stechen, der von einem zwischen
zwei Piählen ausgespannten Seile herabhängt. Der Sieger wird
König und wählt sich seine Königin. Umzug und Gabensamm-
lung im Dorf, Tanz und Gelage beschließen das Fest' Wie
hier der Ring, ist sonst mehrfach der den Maibaum vertretende
Kranz aufgehängt So spannt man zu Yechta auf Pfingsten an
vielen Stellen durch die ganze Stadt Kränze über die Straße;
in der Mitte des Kranzes hängt eine bebänderte Blumenkrone
1) J. Pröhle in Ze. f. d. Myth. I, 80, 3. Pröhle, Harzbilder S. 66.
2) Knbn , Mark. Sug. S. 325.
3) Kuhn, Nordd. Sag. 390,81. Pracher = Bettler.
4) Kuhn , ^Westfäl. Sag. 11 , 166 , 464.
5) Basnm bei Osnabrfick. Kuhn, Nordd. Sag. 400,117. Seeburg bei
Göttingen. Kuhn, Westfal. Sag. 163, 458.
6) Kuhn a.a.O. 163, 459.
7) S. H. Handelmann, Volks- und Kinderspiele der Heraogtnmer
Schleswig- Holstein -Lauenbnrg. Kiel 1862, 8.2—4.
Wettaustrieb der Weidetiere 389
unter der getanzt wird.* Dem Herabstechen des Kranzes geht
in Niederbaiern als offenbar gleich bedeutend noch eine andere
Form des Brauches, das Boschenstechen oder der Was-
servogel zur Seite. Zu Baumgarten umreiten am Pfingst-
montage Mittags 12 Uhr mehrere Reiter unter Anführung
des Patrimonialgerichtsdieners die eine Hälfte des Bezir-
kes^ im nächsten Jahr die andere Hälfte. (Diese Tei-
lung geschah wegen der zu großen Ausdehnung des Bezirks.)
Während des Umritts befestigen die Schloßkttfner auf
einer Säule ein Faß, das ganz mit Keifen belegt ist,
und auf die Säule, einen Fichtenbusch, an welchem
Gewinnste z. B. Halsttlcher, Spielzeug für Kinder u. dgl. ange-
hängt »ind. Bei der Rückkehr hat jeder Reiter eine Stange mit
einem schneidenden Eisen und sucht damit, in schnellem Trabe
vortiberjagend , zuvor einen Reifen vom Faß , dann „ den Boschen "
abzustechen. Derjenige, bei welchem der „Boschen" fällt,
erhält die Gewinnste. ' Zu Baumbach war die 6 Fuß hohe eichene
Säule in den Boden gepflanzt und blieb immer stehen. Oben
in der Säule steckte in einem Loche das Stämmchen eines Fich-
tenboschens, um das Oberende der Säule war ein kleines hölzer-
nes Faß mit hölzernen Reifen herumgelegt und mit Steinen aus-'
gefällt. Bei klingendem Spiel und zahlreicher Versammlung
suchten die Bursche Pfingstmontag im schnellen Laufe der Pferde
die Reifen des Fasses zu durchstoßen, so daß die Steine herab-
fielen , dann den Fichtenbosch herabzustechen , der an der Spitze
des Reiterzuges dreimal um den Schloßhof geführt wurde. ^
§ 12. Wettanstrieb der Weidetiere. An Stelle des Wett-
ritts tritt mehrfach eine andere Form der Wette dort, wo am
Pfingsttage das Vieh zum erstenmal im Jahr auf die Brach weide
getrieben wird. Die Bauermägde oder Bauerbursche beeilen sich
wetteifernd nämlich ihre Kühe (Schafe, Gänse) so frtth als mög-
lich auf die Weide oder dem Hirten zuzutreiben. Niemand will
der Letzte sein. Wenn dann Abends die Tiere heimkehren, so
bindet der Hirt dem zuerst ausgetriebenen einen Kraüz oder
Basch um den Hals oder an den Schweif und giebt ihm einen
1) Strackerjan, Sag. u/ Abergl. a. Oldenb. II, 48, 318. Cf. Kuhn,
Nordd. Sag. 391 , 82.
2) Panzer 1,237,262.
3) Panzer ü, 82, 125. Vgl. o. S. 306.
390 Kapitel IV. Bannigoiäter als VegetatiousdämoneD :
bezüglichen Namen. Vielfach heißt die erstausgetriebene
^Kuh Daufäjer oder Daußchlöpper und erhält einen Mai husch,
die „Dausleipe," an den Schwanz, während die zuletzt
ausgetriebene Kuh, die bunte Kuh genannt, einen Kranz
an den Hörnern trägt, oder mit Tannenreisem allerhand Grün
und Feldblumen aufgeputzt wird. Zu Sprakenhahl bei Wittingen
im Hannoverschen heißt dagegen die letzte Kuh Dauschlöpper
und die erste Pingstkärel; ebenso erhielt in Havelberg die letzte
Kuh die Dausleipe, die erste eine Blumenkrone. In Westfalen
wird die zuletzt auf dem Plan erscheinende Kuh Pingstkau, der
letzte Ochse, wenns ein solcher ist, Kngstoss genannt und unter
großem Jubel mit Blumen und Laub geschmückt (gekrönet);
daher heißt es von einem geschmacklos mit Blumen in den
Haaren geschmückten Mädchen „se is gekrönet as en pingstosse"
und von überladenem Putz überhaupt sagt man : Geputzt wie ein
Pfingstochse. In den Wendendörfem bei Salzwedel (namentlich
Seeben) wird auf die bunte, d. h. die zuletzt ausgetriebene Kuh
eine reich mit Feldblumen geschmückte menschengestaltige Puppe
aus Tannenzweigen, Heu und Stroh in aufrecht sitzender Stel-
lung gebunden. Das Tier wird so lange im Dorfe von Haus zu
Haus getrieben, bis die Puppe herabfällt, oder in Stücke geht.*
Die Dausleipe erläutert ein. czechischer Brauch. Die Czechen
nämlich schmiicken eine von ihren Kühen mit grünen Zweigen^
bedecken sie mit einer reinen Decke und führen sie so aufc
Feld an einen Kreuzweg. Dort nehmen sie nach Gebet die Decke
ab, fangen darin den Tau des Wiesengrases und der Getreide-
saaten auf und legen die Decke wiederum auf die Kuh, die nun
zu Hause geführt und der Decke abermals entkleidet wird. Man
hängt die letztere an einem Türpfosten auf, giebt ihr die Gestalt
eines Kuheuters mit 4 Zitzen und windet sodann den Tau in
ein Gefäß aus. Von dem aaf diese Weise erlangten Tau mischen
sie Einiges in das Getränk der Kühe, wodurch diese gesund
und milchreich werden sollen; mit einem andern Teile waschen
sich die Mädchen, um gesund und schön zu bleiben.* In West-
falen hieß aber, wie wir sahen (o. S. 384) der zuletzt ankom-
1) Kuhn , Nordd. Sag. S. 388 , 72. Kuhn , Mark. Sag.. 315 ff. Kahn,
Westf&l. Sag. 159, 449. 161 , 451—52.
2) Afanasieff U, 492.
Wettlauf und Wettritt, Erl&aterongen. 391
mende Pferdejnnge zuweilen Pßngstmocke^ PcDgestmocke (Pfingst-
kuh; mocke»Kuhy die BrüUerin, vgl. mugire); im Süden des
Rothaargebirges die zuletzt austreibende Magd Pfingstmucker.^
Aueh das zuerst auf der Weide eintreffende Pferd bekommt die
Dausleipe, das letzte wird in Grün gehüllt und das bunte
Pferd genannt (Mark Br.)* Anderswo in Westfalen schilt
man den beim Austreiben des Viehs zuletzt Kommenden (Bur-
schen oder Magd), oder das zuletzt zum Melken auf die Weide
kommende Mädchen Fuchs ^ Pingstfoss. Man singt wol:
Pinkestfoss, da änlenkopp,
staist am niegen €oer op,
waerst en bietken aer npstan,
waersta keinen pinkstfoss warn.
und hat die Kedensart ,,he lachet as'n Pingstfoss/' ;,he lüert
as'n Pingstfoss." * In Silberg a. d. Verse hieß der zuerst aus-
treibende WSxUi Ncichtrawe y der Zweite Dauensliepcr, u. s. w., der
Letzte Pinkestfoss, Der Pinkestfoss wurde, wenn nmn ihn erwi-
schen konnte, in einen Teich gesteckt,^ Im Oldenburgischen heiBt
Pingstfoss y wer am Pfingstmorgen der letzte im Bette ist.* Zu
Theden a. d. Lenne wird derjenige, welcher Pfingsten seine
Kühe zuletzt austreibt Pfingsthammel gescholten.^ Zu Mergers-
heim in Schwaben wirft der Hirt der zuletzt ausgetriebenen Ruh
einen bereit gehaltenen Kranz aus Feldblumen über den Hals
und nennt sie Waidhammel. Ebenso geschieht es beim Austrei-
ben der Gänse. Die letzte Gans heißt der Pßngstlümiml und
erhält einen Feldblumenkranz um den Hals.^
§ 13. Wettlauf und Wettritt, ErlSuterungen. Sobald
wir ins Auge fassen, daß in einigen dieser Ueberliefemngen die
richtige Reihenfolge der Begehungen verschoben sein muß, fällt
es nicht schwer, ihren Sinn und die ihnen zukommende Stellung
im Ganzen der Maitags- (Pfingst-) gebrauche warzunehmen.
1) Kahn, Westföl. Sag. U, 165, 461. 163, 457.
2) Kahn , kärk. Sag. 316.
3) Kuhn, Westfäl. Sagen U, 160, 449. 161, 453. 162, 454. v. d. Ha-
gens Germania IX, 289.
4) Kahn a. a. 0. 162, 455.
5) Straekoijan, Ahergl. a. Sagen a. Oldenburg 11,47,316.
6) Kuhn, Westf. Sag. II. 163,457.
7) Panzer n, 181,303.
3d2 Kapitel IV. Banmgeister als Vegetationsdämonen :
Denn augenscheinlich sind Wettritt und Wettlauf nur durch größe-
ren oder geringeren Aufwand unterschiedene Formen derselben
Geremonie;. diese selbst aber stimmt zusammen sowol mit dem
Zuge, daß zu Ostern der Langschläfer mit grünen Ruten aus
dem Bette getrieben , als daß anderswo der zuletzt aus dem Bette
Aufgestandene zur Pfingsterblume, zum Pfingstlflmmel, Pfingstl
und zu anderen Darstellern des Yegetationsdämons verwandt
werden. Vgl. o. S. 257 ff. 319 ff. 351. 353. Wir suchten schon
früher darin eine Verbildlichung des jüngsten, zuletzt erwachten
Ptfanzengeistes im Frühling. Der Wettlauf nun scheint den wett-
eifernden Einzug der Pflanzengenien in Wald und Feld nachzu-
bilden und es ist davon yielleicht ihre feierliche Einholung ins
Dorf, resp. die Stadt durch die Menschen als zweiter Act des
Dramas zu trennen. Weil die Personen dieses Wettlaufs Pfl^n-
zengeister darstellen/ ist ihr Ziel der Maibusch oder Maibaum,
er ist per Synekdochen der f. Vertreter der Baumwelt, in welche
die vom Winterschlaf erwachenden Vegetationsgenien jetzt wieder
ihren Einzug halten. Die ideelle Identität der Wettläufer (Wett-
reiter) und der Gewächse ist nicht minder dadurch ausgedrückt,
daß der zuerst Ankommende auf einen Strauch gesetzt und durch
den Tau gezogen., oder daß dem zuletzt Angelangten ein Busch
des Dornstrauchs auf den Rücken gebunden wird; daß der Sie-
ger oder der Letzte die Würde des Maikönigs, Pfingstlümmels
davonträgt und in grünes Laub gehüllt oder am Halse mit einem
Blumenkranze geschmückt daherprangt. Der Ritt nach dem auf-
gesteckten Hute (cf. R. A. 148 ff.) oder aufgestellten KönigsstuM
(R. A, 187. 242. 253) bedeuten auch nur die rechtliche Besitz-
nahme des Maikönigtnma. Erstes Geschäft eines Königs war es,
sein Land zu umreiten, oder durch das Land zu reiten, sich den
Untertanen zu zeigen und ihnen Recht und Frieden zu bestätigen.
(R. A. 237 — 38.) Vgl. J. Grimm, Grenzaltertümer 132 (kl. Sehr.
II, 61): „Ein solcher Begang konnte gefordert werden, wenn ein
Grundstück aus einer in die andere Hand übertragen wurde; der
Neuerwerbende ergriff eben dadurch leiblichen Besitz, daß er
sich zu dem Grund und Boden hinbegab , auf einem dreibeinigen
Stuhl in der Mitte desselben niederließ, dann aber auch alle
Enden und Wenden in Augenschein nahm. So hatte selbst der
neue König beim Antritt der Herrschaft sein Reich nach bestimm-
ten Wegen zu durchziehen und von allen Marken feierlichen
Wetüauf und Wettritt, Erlaaterongen. 393
Besitz zu nehmen/' Dem entsprechend ist anch im Plingstspiel^
nrsprthiglieh der Wettritt nach Hut oder Stahl dem feierlichen
Einritt in das Dorf oder um die Grenzen seiner Gemarkung vor-
ausgegangen. Wenn zu Blumenhagen eine auf die Stange
gespiefite Semmel das Mal des Wettritts ist, so will man andeu-
ten^ daß die Kornernte das Ziel der Bewegung der Vegetation
sei. Vgl. den Brodmann am Emtemai in La PaUsse, (o. S. 205.
212) das Brod, über* welches der erste Pflug ins Land geht
(o. S. 168) oder welches in die letzte Garbe eingebunden wird
(o. S. 158), den vom grflnen Georg aufs Feld getragenen Kuchen
0. S. 317; das in England am Dreik^nigsabend dem Ochsen auf
die HOmer gespiefite Gebäck, s. unten Gap. VI, § 10 und den
Kuchenritt zu Sindolfingen.^ Bestätigt wird unsere Ansicht auch
durch den Umstand, dafi der erste und letzte Ankömmling im
Wettritt durch gnv/nen Maihusch und hunte Blumen unterschieden
werden. Denn offenbar stellt ersterer das frühere Stadium des
Ergrttnens, letzterer die spätere Periode der bunten BlüteniWle
in der Natur dar. An dem Maibaum , wenn er unterhalb der
Krone mit einem Blumenkranze geschmückt wird, sind beide
Momente, so scheint es, in eins gezogcJn und zugleich zur Dar-
stellung gebracht. Wo dagegen beim Wettlauf oder Wettritt die
Rollen derartig verteilt werden , dafi der Erste den Maibaum (oder
abgekürzt auch nur einzelne der ehedem daran gehängten Preise)
empfängt, der Letzte (als Wasservogel u. s. w.) in Laub gehüllt
wird, erscheint keine Unterscheidung zwischen zu verschiedener
1) Berittene Burschen , Musik an der Spitze, führten jährlich am
Pflng'stdienstag (früher Pfingstmontag) 4 große hunt bebänderte Kuchen,
welche gewisse Mühlen zu liefern verpflichtet waren , auf Stangen durch den
Ort; sie umzogen dreimal den großen Kloßterhrunnen und endigten mit
Gastmahl und Tanz auf dem Bathause. Meier, 421, 105. In i^ußland ver-
birgt sich der Hausherr zu Weihnachten hinter einem Kuchen und erwartet,
wenn er nicht gesehen wird, ein fruchtbares Jahr. Afanasieff, Poet. Natur-
ansch. d. Russ. III, 745. Das ist noch ganz das Orakel, welches nach Saxo
im 12. Jahrh. der Priester des Swantowit auf Arkona übte: „Placenta quo-
que muUo oonfecta rotnndae formae, g^anditatis vero tantae« utpaene homi-
nis staturam aequaret, sacrificio admovebatur. Quam'sacerdos sibi ac populo
mediam interponens, an a Bugianis cerneretur, percontari solebat. Quibus
illum a se videri respondentibus, ne post annum ab hisdem cerni posset
optabat. Quo precationis modo non suum aut fatum, sed futura messis
inerementa aptabat. Saxo gram. III, 40^. Klotz.
394 Kapitel IV. Baumgeister als Vegetationsdibnonen:
Jahreszeit auftretenden Vegetationsgeistem gemacht, sondern ein
und derselbe Begriff auf doppelte Weise durch Baum und Mensch
dargestellt. Das Wettrennen nimmt mehrfach den Anschein einer
Verfolgung des Pfingstkönigs u. s. w. an.
Der mit Gefolge einziehende Maikönig ist meistens beritten
und mit kriegerischem Schmucke angetan gedacht Er wird bei
dem Wettritt nach den Insignien seiner Würde oder seines Wesens
(dem Maibusch, Bosehen, Kranz) diese mit dem Speer berührt
und so die Erreichung des Zieles bezeichnet haben. Das kann
bei Verdunkelung des ursprünglichen Sinnes leicht zum Wurfe
mit dem Speere nach Baum , Kranz , Ring u. s. w. geworden sein.
Diese Bemerkung läßt mich ein bereits älteres 2^ugniß für unsere
Sitte in einer Nachricht in der saec. IX. geschriebenen, wie man
annimmt auf älteren der Hauptsache nach glaubwürdigen Quellen
beruhenden Vita St. Barbati erkennen. Zur Zeit König Grimualds
(662 — 671) predigte in Benevent der Priester Barbatus gegen
die Ueberreste des Heidentums 'in der Sitte der Langobarden.
U. a. verehrten sie einen Baum, der nicht weit von den Mauern
von Benevent stand, als heilig; sie hingen ein FeU daran auf,
ritten alle zusamunen um die Wette, so daß die Pferde von den
Sporen bluteten, hinweg, warfen mitten im Laufe mit den Spee-
ren rückwärts nach dem Fell und erhielten dann jeder einen
Teil davon zum Verzehren. Dieser Ort hieß noch im 9. Jahr-
hundert Votum. ^ Auf das am Baume hängende Fell, welches
hier das Ziel des Wettritts bildete, wirft ein litauischer Brauch
Licht, den Wilhelm Martini, Pfarrer zu Werden im Amte Memel
um 1645 in dem Dörichen Matemick a. d. Szuhze beobachtete.
Daselbst war zu Anfang des Einsäens der Wintersaaten von den
Bauern eine 2iiege geschlachtet, das Fleisch mit vielen aber-
gläubischen Geremonien und begleitendem Trinkgelage verzehrt,
das FeU aber auf einer sehr hohen Stange aufgerichtet y in der
Nähe einer alten Eiche und eines 5 Schritt davon liegenden
großen Steines. Dort blieb das Fell bis zur Ernte ; sodann wurde
über demselben ein großer Busch von allerlei Getreide und Kraut
angebracht und das Dorf strömte zusammen. Ein alter Mann
faßte eine Schale (Kaußel) mit Bier und dankte Gott, daß er
ihnen Essen, Trinken, Nahrung und Aufenthalt gegeben, worauf
1) S. 0. Abel, Paulus Diakonus. Berlin 18^U. S. 24B.
Wetüaaf und Wetbitt, Erläuterungen. 395
das junge Volk am die Stange and Eiche tanzte. Sobald der
Reigen geendigt, betete der alte Mann wieder, trank das Bier
ans and rührte die Stange an. Alle sprangen hereu, hoben die
Stange at^s und jeder griff nach dem Bloche. Von dem Kraat
and den Aehren auf der Spitze der Stange erhielt jeder durch
den Alten ein spärliches Teil, das Fell der Letztere fttr seine
Mtthe. Em mehrt%iges Trinkgelage folgte. ^ Diese mit Kraut
and (frischen) Aehren geschmttckte Stange entspricht dein Ernte-
mai, ihre Aushebung dem Ausheben desselben durch die Weiber
(o. S. 196). Später zu veröffentlichende Untersuchungen werden
durch unabweisliche Analogien unzweifelhaft erweisen , daß das
hei der Aussaat am Baume aufgehängte Fell ebenso wie jene im
Kalbischen Werder zu Ostern mit Knochen und Pterdeschädel
geschmttckte Tanne (o. S. 383) eine Verbildlichung des theriomar-
phisch gedachten Vegetationsdämons sein sollen, der aus den
Resten, den abgehauenen Gliedern seines bei der letzten Ernte
getödteten Vor^gers im Acker zu neuem Leben aufersteht.
Stellte aber das in Litauen von der Aussaat bis zur Ernte am
Baume hangende Tierfell den tiergestaltigen Wachstumsgeist dar,
so kann das auch bei jenem langobardischen Brauche der Fall
gewesen sein und auf diese Weise stellt sich die von Barbatus
beobachtete Sitte nicht nur als äußerlich ähnlich, sondern auch
als innerlich im wesentlichen gleichbedeutend zu unserm Kranz-
reiten.
Erst die Betrachtung der in den Emtegebräuchen hervortre-
tenden Komdämonen wird dem Leser die tiergestaltigen Vege-
tationsgenien in ihrer Art und Weise völlig klar machen. Wir
müssen jedoch schon hier darauf hinweisen , wie die Namen und
Gestalten der Pingstmocke (Pfingstkuh) oder bunten kuh,^ des
bunten Pferdes, des Pfingsthammels und Pfingstfuchses schon hier
im Bereiche der Frtthlingsgebräuche den Glauben an solche in
der Pflanzenwelt waltende Tierdämonen zu bezeugen scheinen,
die statt der menschlich gedachten Vegetationsgeister noch hie
1) S. Math. Pr&torins, Deliciae Fnusicae oder Prenß. Schauböhne, Buch
IV, § 12. Vgl. einstweilen Piersons Ausgabe der Deliciae Pr., Berlin 1871.
S. 23 — 24.
2) Merkw&rdig ist die in Pommerellen gebräuchliche Redensart: „ Weiß
(rott und die bunte Kuhj** um etwas völlig Rätselhaftes zu bezeichnen.
396 Kapitel ly. Baumg^eister als Vegetationsdämonen :
•
und da im Volksgebraach hervortreten und von denen dann bald
menschliche Personen bald Tiere als Bepräsentanten gelten. Es
fehlt dnrchans nicht an Sparen, welche den Frtthlingseinzug die-
ser Dämonen auch in sonstigen Sitten aufweisen. Dazu rechne
ich den Umzug des Pip-oss zu Ostern in Oldenburg, die Pro-
zessionen der Metzger mit dem geschmückten Fastnachtsochsen
(boeuf gras, boeuf violet) u. s. w., das Auftreten des Schim-
mels (chevalet, hobbyhorse) zu. Fastnacht und Maitag, wie zur
Ernte; den angeblichen Umzug des Fuchses beim Osterfeuer,
das Umtragen eines Fuchses im Frühling u. s. w. Hierher
auch gehört jener Lauf nach dem Lamm oder Hammel und
die Hammeltänze in verschiedener Form sowie manches andere.
Wir werden diese Sitten bei der allgemeinen sowie bei der
speziellen Erörterung der theriomorphischen Komdämonen mit-
besprechen.
§ 14. Wettlauf naeh der letzten Oarbe. Eine Schwierig-
keit An Betre£f meiner Deutung sehe ich in dem Umstände sich
erheben , daß auch bei der Ernte ein Wettlauf nach der letzten
Garbe angestellt wurde, die als der Sitz des Getreidedämons
galt. Um Ghambery heiBt sie la gerbe du jeune boeuf und alle
Schnitter laufen danach um die Wette. In Pommern wird sie
der Alte genannt und erhält die Gestalt eines Mannes. In einer
gewissen Gegend dieser Provinz stellen die Mädchen nach
dem Alten einen Wettlauf an; die Siegerin wird die erste Tän-
zerin am Abend des Erntefestes.^ Zu Ober-Grauschvritz, Amts-
hauptQiaimsch. Grinmia (Kgr. Sachsen) findet am allgemeinen
Erntefest ein Wettlaüf nach einem mit Tüchern behangenen Bir-
kenbusch statt. Zu Besdau bei Luckau stellen am Erntefest
Knechte und Mägde einen Wetüauf nach dem zu dieser Fefer
gebaokenen großen Stollen an (vgl. o. S. 393).* Zu Bei^kirchen
bei Minden hält man zur Ernte das Kranzstechen oder Kranz-
reiten (o. S. 387).^ Wenn der Wettlauf nach dem Maibusch den
Frühlingseinzug der Yegetationsgeister in die Pflanze darstellt,
was soll dann der Wettlauf nach der letzten Garbe im Herbste?
Man sollte doch erwarten, daß jetzt der Abzug, der Davonlauf
1) Kuhn, Mark. Sag. 342.
2) Kuhn , Nordd. Sag. 399 , 109.
3) Kuhn a. a. 0. 400, 117.
Esehprotession , Flurumrltt. 397
der Wachstumsdämonen Yer8mn]i)ildlicht werden müBte? Da aber
die letzte Garbe das Ziel bildet, war unsere Deutung des Frtlh-
lingswettrennens unrichtig? Oder unterliegt dem Herbstrennen
eine von diesem yerschiedene Bedeutung? etwa der Wettlauf
von Menschen um das entweichende Getreidewesen zu fassen, zu
haschen und für den Winter bei sich zu bergen ? Oder sind die
Herbstrennen nach bloßer Analogie zu den Frtlhlingswettritten
entstanden und geformt? Oder endlich war der Wettlauf zur
letzten Garbe vielleicht ursprünglich eine rohe Darstellung des
Entweichens des in der letzten Garbe verborgenen Dämons und
seines Gefolges; sodann übergegangen in die Auffassung als ein
Wettlauf von Menschen, um den fliehenden Genius zu halten;
endlich mehrfällig gemodelt und ungeformt nach Analogie des
lebendiger ausgebildeten Frühlingslaufes ? Es will mich die letz-
tere Erklärung die wahrscheinlichste bedünken.
§ 15. Esehprozession, Flnrumritt. Wie die Sache sich
auch verhalte, wir haben noch schließlich als einen mit dem
Wettlauf oder Wettritt zusanmienhangenden aber davon deutlich
unterschiedenen Umgang oder Umritt, den Umzug um die Gren-
zen des Saatfeldes resp. der Gemarkung zu betrachten. Wir
sahen, daß in Niederbaiem am Pfingstmontage die Grenze des
Gerichtsbezirkes umritten, sodann der Busch (Bosehen) im Wett-
ritt gestochen wurde (o. S. 389). Vermutlich war einstmals die
Ordnung der Ceremonie umgekehrt; man ritt um die Wette und
umritt nun erst mit dem Busch die Gemarkung.^ Für sich allein
tritt die Sitte solches Grenzbeganges oder Grenzumrittes zu
Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten, Maitag in verschiedenen Gegen-
den hervor. Im Erzherzogt. Oestreich reiten die Söhne und
Knechte des Hauses Ostern vor Sonnenaufgang im schnellsten
Laufe um die Felder; oft fanden sich 30 — 40 Bursche ein, und
wo drei Pfarren zusammengränzten , ließ man die Pferde die
junge Saat abgrasen. Es schützte sie gegen den Bost. Im Inn-
viertel ritten schon in der Nacht vorher 12 Bursche aus Raab
und der Bauernschaft nach Maria BrtlndL Hier ließen sie ihre
1) Man vgl. nur, daß in Baiern die von den Knaben bei den Prozes-
sionen getragenen Palmstangen, lange Tannenstangen mit kleinen Fähn-
chen in die Getreidefelder, in Pranken sogar von den Evangelischen die
Birken zweige der Prohnleichnamsprozession in die Flachsäcker gesteckt
werden. Bavaria III, 342.
396 Kapitel IV. Baningeister als - Vegetationsdämonen :
i^erde zur Kirche hineinsehen , trabten um die Kornfelder hemm
und sodann heim.^ Im Wagstädter Bezirk (Oestr. Schlesien)
wird in den einzelnen Höfen das schönste Handpferd (das Pferdy
das rechts eingespannt war), am Ostertage mit Bändern und
Kränzen geschmückt. Nach dem Nachmittagsgottesdienst verlas-
sen die Bursche auf ihren geschmtlckten Pferden das Dorf und
reiten an der Grenze so lange hin, bis sie zu dem Gehöfte
eines Bauers vom benachbarten Dorie kommen. Dort läßt man
sie ein und sie reiten dreimal im Hofe herum unter dem Absingen
heiliger Lieder, die gewöhnlich mit dem klösterlichen Alleluja
beschlossen werden. Der Hausvater bewirtet sie mit einem fri-
schen Trunk Keres oder Weines.^ In Thüringen ist es noch an
verschiedenen Orten um Eisenach Sitte, daß die Bauern und ihre
Knechte in der Ostemacht die Pferde ins Wasser reiten und
dann in ein Saatfeld , damit dieselben etwas von der jungen Saat
fressen. Um Marksuhl reitet man die Pferde ebenfalls ins Oster-
wasser und dann in die grüne Saat, damit dieselbe bes-
ser gedeihe.^ In Reichenbach zogen ehedem „Saatreit^^" am
Ostermorgen mit Gesang und Musik um die Felder der Stadt,
jetzt giebt es nur „Saatgänger,'' welche das feierliche „Freu
dich, Maria Himmelskönigin'' in aller Frühe anstimmen/ In
den böhmischen Döri'em an der sächsischen Grenze versammeb
sich, sobald mit Sonnenaufgang die Glocken zu läuten anfangen,
die „Usterreiter" (Osterreiter) auf dem Anger vor der Kirche
und ziehen, voran ein Fahnenträger unter Glockengeläut, em
Osterlied singend, dreimal um die Kirche, sodann von Haus zu
Haus vor jedem singend und in einer Büchse Gaben ÜLr die
Kirche sammelnd.^ In den katholischen Gemeinden Schwabens
fand ehedem am Himmeliahrtstage die Eschprossession , ^<Qt Esch-
gang (v. esch goth. atisks) oder i^W^an^ zur Segnung der Saatfelder
statt. Ehedem umzog man die gesammte Gemarkung; jetzt geht
man mitten hindurch, so daß man alle Grenzen übersehen kann.
1) Baumgarten, das Jahr und seine Tage, S. 22.
2) Peter, Volkstum!, a. Oestr. Schlesien U, 8.2^5.
3) A. Witzschel, Sitten u. Gebräuche a. d. Umgegend von Eisenach.
S. 13, 51.
4) Reinsberg-Biiringsfeld, Böhm. Pestkalender. S. 140.
5) Ebd. S. 139.
Eschprozession , Fluniinritt. Bd9
An 4 Stellen wird halt gemacht, ein Stttck ans den Evangelien
gelesen, der Wettersegen gesprochen and ein Gracifix umher*
geträgen. Außerdem wurde an diesem Tage das ganze Haus,
Menschen und Tiere, geweiht und mit heiligem Wasser besprengt.^
Von der Benedictinerabtei Weingarten bei Altdorf ans wird am
Himmelfahrtstage der berühmte Blutritt gehalten, bei welchem
in feierlicher Prozession der eingefaßte Tropfen vom heiligen Blut
Christi vom weißgekleideten und auf einem Schimmel sitzenden
Gustos durch die Felder getragen und das Korn gesegnet wird,
damit kein Wetter ihm schade. Seit alter Zeit geht der Zug
durch die Scheuer eines Bauers bei Weingarten. Die meisten
Teilnehmer sind zu Pferde mit Fahnen, Musik u. s. w.; auch den
Pferden bringt der Umzug Gedeihen.^ Eine der großartigsten
Prozessionen dieser Art geht alljährlich auf Himmelfahrt vom
Chorhermstift Beromttnster im Kanton Luzem schon um fttnf Uhr
morgens aus , nachdem an 5 Altären der Stiftskirche Messe gele-
sen ist. Dreißig Dragonern und Trompetern folgt der Stifts-
weibel im Scharlachmantel, der sein Boß mitbedeckt, an einem
Fahnenstabe den h. Michael tragend, von allen Unterbeamten
des Stiffces zu Pferde begleitet; dann Fahnenträger, Kreuzträger,
Latementräger; nach ihnen die Chorherm und Kapläne mit bren-
nenden Wachskerzen, der Abt mit der Monstranz, alle beritten,
zuletzt Batsglieder, Beamte und Btlrger und Bauern des Orts
und der Umgegend; dem Reiterzuge strömt die noch größere
Schaar der übrigen Wallfahrer zu Fuß' nach. Im Jahre 1797
betrug die Zahl der Reiter 200, die der Fußgänger 4000; im
Jahre 1816 stieg die Zahl der ersteren auf 302, die der letz-
teren auf 9460. Die Prozession durchzieht das ganze dem Mün-
ster gehörige Gebiet in einem siebensttlndigen Marsche zum
Schutze gegen Viehseuchen, Mißwachs und Yerhageiung
der Felder. Am Hofe Hasenhausen ist der Batier verpflichtet^
dem Äbte einen schönen BltMnenhranz zu überreichen. Dieser
windet ihn um die Monstranz. Im Hofe Maihausen überreicht
der Hofbauer jedem Reiter eme Ankenschnitte (Butterbrod). Die-
ser stößt sie dem Brauche gemäß seinem Rosse ins Maul. Unter-
ließe der Bauer diese Bewirtung, so würde sein Vieh sterben,
1) Meier S. 400 , «5.
2) Meier S. 399, 84.
400 Kapitel IV. Baumgeister als Tegetationsdamonen:
sein Getreide verhageln. Auf zweien findet Feldpredigt statt. *
Im Dürkheimer Landgericht in Sehwaben ist das ^^Oescht-reiden''
(s. 0. S. 398) am Pfingstmontag gebräuchlich ^ auf welchen Tag
auch sonst meistenteils der Eschgang verlegt wurde. Der Pfar-
rer zu Pferd mit der Kreuzpartikd und hinter ihm alle jungen
Leute gleichfalls zu Roß umreiten die ganze Dorfiflur, begleitet
von zahlreichen Fußgängern. An den 4 Ecken wird das Evan-
gelium gelesen und dctö Wetter gesegnet.^ Zu Kötzting im Baier-
walde nimmt der Pfingstritt die folgende Gestalt an; am Pfingst*
montage flihren berittene Männer und Bursche unter Anftlhrung
des Geistliehen mit dem Allerheiligsten eine Wallfahrt nach dem
im Walde gelegenen Kirchlein St Nikolaus in Steinbtthl aus.
Unterwegs empfängt auf einer freien Wiese ein tugendreicher
Kötztinger Bttrgerssohn aus der Hand des Geistlichen ein aus
Flieder, rotem Band und Silberdfaht geflochtencß Kränzchen um
den linken Arm.^ In östr.. Schlesien reiten am Pfingsmontage
der Dorfrichter und andere aus der Gemeinde auf schönen Pfer-
den ins Feld und umreiten langsam und mit Andacht ihre Aecker,
singen und beten. Sie hoffen dadurch Gattes Segen für ihre
jungen Saaten zu erflehen und Wetterschaden abzuhalten. Wer
das schönste Pferd bei dieser Feierlichkeit hai^ wird als König
anerkannt. Nachmittags . läßt der König ein schwarzes Schaf
braten , von dem jeder andere morgens vor Sonnenaufgang einen
Knochen in seine Saaten steckt.^ Schon vor 300 Jahren wurde
in Franken der Pfingstritt in ganz ähnlicher Weise geflbt
S. Sebast. Franck, Weltbuch 1534 f. CXXXI. „Auff diß fest
(Ostern) kompt die cretttz woch, da g6het die gantz statt mit
dem cretttz wallen auß der statt, ettwan in ein dorff zu eynem
heyligen, das er das treyd wöU bewaren vnd wolfeyle zeit vmb
got erwerben. Das geschieht drei tag an eynander, da isset
man eyer vnd was man guts hat im gtflnen graß auff dem
kirchoff vnd ermeyen sich die leüt wol. — (fronlichnamstag)
Auff diß fest (Pfingsten) kompt vnsers herm fronlichnamstag, da
1) Eochholz, Nattmnythen, S. 17—20.
2) Panzer 11,90,137.
3) Das Königreich Baiern in seinen Schönheiten III^ 7. Schöppner,
Sagenhach der Bair. Lande I, 91 N. 91.
4) Vernaleken , Mythen 306 , 28.
Eschprozession, Flaramritt. 401
tregt man das Sacrament mit' einer pfafifen procession, vnder
einem köstlichen verdeckten hymmel^ den vier mit kemtzen
geziert tragent^ in einer monstantzen herumb. — An diesem tag
folgt man auch an vil orten vmb den fluor, dz ist/ymb das
kom mit vil kertzen Stangen , der Pfaff reyt auch mit, tregt
ynsem hergott leiphafftig am hals in einem seckel, an bestimpten
orten sitzt er ab, singt ein Evangelium ttber das kom, vnd singt
deren vier an vier orten, biß er vmb den fluor reyt. Die junck-
frawen gehn schön geschmückt in einer Procession auch mit,
singen vnd lassen jnen wol sein, vnd geschieht vil hoffart, mut-
will vnd büberey von rennen, schwetzen, singen, sehen vnd
gesehen wollen sein/' Im 15. Jahrhundert hielten die wendischen
Bewohner auf der Gabelhaide a. d. Sude in Mecklenburg noch
alljährlich im Sommer, im Mai einen festliehen Umzug um ihre
Saatfelder; vorauf der Spielmann, der eine mit Hundsfell bezo-
gene Pauke ftthrte, gleich hinter ihm der Yortänzer, dann alle
übrigen. Sie liefen und tanzten mit lautem Gesänge an
den Hufen hin und her und meinten dadurch die grü-
nende Saat vor Schaden durch Regen und Gewitter zu
schützen.^ Ein. günstiges Geschick hat uns ein älteres Zeugniß
aus jener Zeit bewahrt, als die deutsche Earche begann, den
ans dem Heidentum übrig gebliebenen Flurbegang sich selbst
zuzueignen und für ihre Zwecke umzuformen. Es ist dies eine
um 940 erlassene Verordnung de^r Aebtissin Marcsuith im Kloster
Schildesche bei Bielefeld, durch welche, unzweifelhaft nach dem
Vorgange anderer Kirchen, die vermutlich in der nämlichen
Jahreszeit geübte jprofane Sitte fortan in eine geistliche Begehung
verändert wurde: Statuimus, ut annuatim secunda feria pente-
costes patronum ecclesia« in parochiis nostris longo am-
bitu bircumferentes et domos vestros lustrantes et pro genti-
licio ambarvali in lacrymis et varia devotione vos ipsos mac-
tetis et ad refectionem pauperum eleemosynam compor-
tetis et in hac curti pemoctantes super reliquias vigiliis et can-
tibuB solennisetis ; ut praedicto mane determinatum a vobis am-
bitum pia lustratione complentes ad monasterium cum honore
1) Nicolai Marescalci Chronicon I, 14. Nicolai Marescalci annales I, 9.
Die beiden Berichte desselben Verfassers ergänzen sich. S. Giesebrecht,
wendische Geschichten, Berlin 1843, 1,83. cf. Kuhn, Mark. Sag. 335.
Mannhardt. 26
402 Kapitel IV. Baomgeister als Vegetationsdämonen:
debito reportetis: Confido autem de patroni hnjas misericordia,
qaod sie ab eo gyrade terrae semna tAerius provemant et variae
aeris indementiae cessent.^
§ 16. Steffansritt. Außer Ostern ^ Himmelfahrt nnd Pfing-
sten findet der Umritt noch za andern Zeiten z. B. in der Weih-
nachtszeit statt , die wir ja bereits als ideellen Anfang des Früh-
lings, des neuen Jahres kennen. Im Erzherzogtum Oestreich
fand der ^^Pfarritt/' d. h. das Umreiten der Pfarrmarkung von
Seiten der Bauern unter Anftlhmng eines Priesters, wobei man
an den Feldkapellen Stationen machte, und oft mit Einrechnung
mehrerer Raststunden zur Einnahme von Erfrischungen , den gan-
zen Tag zubrachte, bis in die Zeiten der Kaiserin Maria The-
resia alljährlich statt, im Traunviertei bald nach Ostern mit
Beginn des Frühjahrs, in und um Kremsmünster auf Pankratius
(12. Mai), jenseits der Traun am Stephanstage (26. December).*
Anderswo ist nun aber dieser Ausritt um die Gemarkung auf
St. Stephan von der Kirche aufgegeben und daher verblaßt zu
einer Begehung geworden, welche das Gedeihen der Bosse
sichern soll. Zu Backnang in Schwaben reitet man am 26. De-
cember die Pferde aus und zwar so schnell als möglich, um sie
dadurch vor Hexen zu schützen,^ ebenso erhalten dann im Hohen-
lohischen sämmtliche Knechte von ihren Herren Erlaubniß zum
Ritt und ziehen truppweise in die benachbarten Ortschaften, wo
wacker gezecht wird.^ In mehreren schwedischen Provinzen
halten Gesellschaften von Bauerbnrschen am St. Stephanstage
einen Umritt von Dorf zu Dorf und Haus zu Haus, ein gevris-
ses Volkslied (Staffansvisa) singend, woher sie Steffansmän
(Stephansleute) heißen. Zugleich erneut man an diesem Tage
die Streu der Pferde, giebt ihnen besseres Futter und reicht
ihnen Tränke, die sie vor Unglück bewahren sollen. Die ätio-
logische Sage hat sich dieses Brauches bemächtigt und daraus
die Geschichte eines einheimischen Heiligen geformt, der von
Heiden auf der Grenze von Gestrikland und Helsingland im
düsteren Walde erschlagen sein und in Norrala begraben sein
1) Vita Marcsvidis bei Eccard I, 437. Myth.» 1202. cf. Pfannenschroid,
Das Weihwasser S. 113.
2) BauiDgarten, d. Jahr u. s. Tage, S. 25.
3) Meier 466, 216.
4) Birlinger II, 12, 23.
Steffansritt. 403
t
soll. Er war sein Lebtage ein Stallknecht (stalledräng) der all-
morgenUch schon vor Sonnenaufgang bei Stemenlicht Beine 5 Rosse,
zwei rote, zwei weiße, einen Apfelschimmel besorgte, Goldzaum
und Goldsattel auflegte und zur Quelle ritt. Diese Legende
wird in der Staffansvisa mit dem wiederholten Refrain „holt dig
väl folan min'' erzählt; Varianten lassen St. Steffan um Sonnen-
aufgang ausreiten und mit dem Laufe der Sonne Schwedens ver-
schiedene Provinzen durchmessen.^ In der Umgegend von Krempe
(Holstein) begeben sich die jungen Bursche in der Steffansnacht
haufenweise in die Häuser der Hausleute, um deren Pferde zu
putzen, dann besteigen sie dieselben, reiten auf der Haus-
flur umher, machen auch sonst so viel Lärm als möglich und
lassen sieh bewirten. Darum heißt dieser Tag auch der Peerde-
steifen.^ Im Dorfe WaJlsbttU an der sogenannten friesischen
Landstraße von Flensburg nach Leck und Tondem hielten die
Bauerbursche früh am Morgen des Steffanstages ein Wettrennen
vom Dorf bis zu einem kleinen, jetzt niedergerissenen Krug im
nördlichen Teile des Kirchspiels, wer zuerst ankam erhielt den
Ehrennamen Steffen und wurde im Wirtshaus bewirtet. Im Dorfe
Yiöl bei Bredstadt dagegen erhielt dasjenige Kind, welches am
26. December zuletzt aufstand, den Namen Steffen und mußte
zum Nachbarn auf einer Heugabel reiten, erhielt dort zwar
Leckerbissen, wurde dann aber mit den Worten zur Tür hinaus-
gejagt: y,du bist ein fauler Hund und sollst das ganze Jahr
der Faulste sein, du Langschläfer,*^^ In andern deutschen
Gegenden heißt St, Steffanstag „der große Pferdetag;" man
bringt an ihm den Rossen geweihtes Futter, tummdt sie sodann
im schnellsten Laufe auf den Feldern umher, bis sie über und
ttber schwitzen, dann reitet man zur Schmiede und läßt sie zur Ader,
damit sie das Jahr über gesund bleiben; das Blut aber bewahrt
man als bewährtes Heilmittel gegen verschiedene Krankheiten auf.^
1) Qeijer och Afzelius, Svenska folkvisor T. III. Stockholm 1816,
p. 206 — 17. Pinn. Magnussen, lex Mythol. 781. Cf. Lloyd, Svenska allmo-
gens plagseder, öfvers. af Swederns. Stockholm 1871. S. 108 ff.
2) Schütze , Schleswigholst. Idioticon III , 200.
3) Daselbst. Slesvigske Provindsialefterretninger IV, 368. cf. S. 44. Han-
delmann ^ Weihnachten in Schleswigholstein. S. 44.
4) Haltaus -Scheifer, Jahrceitbuch, Erlangen 1797. S. 164. Th. Nao-
georgns, Begnum papisticum (Basileae) 1553 p. 132. Wolf, Beitr. I, 230, 356.
Panzer II, 283, 32.
26*
404 Kapitel IV. Banmgeister als Vegetationsdftmonen :
Ebenso in England^ nnd Estland.^ Die Finnen endlich werfen
am St. SteffanBtag eine Mttnze oder ein Geldstück in den Trog
der Pferde,, und St. Steffan wird von ihnen unter dem Namen
Matka-Teppo (Reise - Steffan) als Gott des Weges (tie-jnmala)
und Beschützer der Keise angerufen.* Gf. noch St Stephanus
in der Zauberformel für kranke ßosse, Myth.^ 1184. So ist
St. Steffan zu einem Beschützer der Pferde geworden , nur des-
halb, weil man auf den nach ihm benannten Kalendertag den
Ausritt der Pferde verlegte, von dem an einzelnen Orten (o.
S. 403) eine entschiedene Verwandtschaft mit dem Pfingstwett-
ritt noch durchbricht^ Trotzdem hier und in einigen zunächst
verwandten Begehungen der Umritt um das Saatfeld und die
Gemarkung nicht mehr oder nur selten und undeutlich erwähnt
wird, meine ich diese Bräuche von den vorherstehenden nicht
trennen und deshalb auch nicht mit üassel ^ auf die altchristliche
Auffassung des Proto^artyr Stephanus als „invictus signifer coe-
lestis militiae^^ und daher als berittener Held zurückführen zu
sollen. Dagegen meine ich die Sitte, in der St Steffans- oder
Weihnachtsnacht den Hafer behufs einer gesegneten Haferemte
durch eine solenne Messe zu weihen,® resp. einen Karren mit
1) ßrand, pop. antiqn. ed. Ellis I, 532. Hone, Every Daybook 1866,
I, 822.
2) Böcler-Kreutzwald, Der Ehsten abergläubische Gebr&ucbe S. 95.
3) Brand a. a. 0. Castr^n finnische Mythologie , übers, v. Schiefner.
S. 118. 328.
4) Im Eichsfelde werden am Sonntage nach einem Marienfeste, in der
Oberpfalz an St. Sebastian (20. Jan.), in Baiem an Georgi (24. Apr.), am
St. Leonhardstage (6. Nov.) die Pferde vor dem Hochamte dreimal um eine
Kirche geritten, damit sie gesund bleiben, und die Kranken genesen. Die
Kirchen, um welche der Umritt gehalten wird, liegen zumeist außerhalb des
Dorfes vereinzelt auf einer Wiese oder schließen durch eine Bingmauer einen
grünen Kasenplatz ein. Auch am Tage der Kirch weih geschieht der Umritt
(Wuttke« § 711. Bavaria I, 384. 1001). Am Tage des h. Wendelin (20. Oct),
dessen Schutz vornehmlich die Pferde genießen, treibt man an der Lauter-
ach das Vieh der ganzen Gemarkung auf einem Wiesenplane zusammen und
läßt es vom Pfarrer aussegnen ; auch bleibt es diesen Tag vom Spanndienste
befreit, während im Begenthale dieser Tag durch einen Flurumgang unter
Anführung des Pfarrers und Umtragen des Kreuzes gefeiert wird. Bava-
ria 11,311.
5) P. Cassel , Weihnachten , S. 217.
6) Knauth, Hist. veter. Cell. P.. VIII. p. 44G bei Haltaus a. a. 0. 164.
Steffansritt. 405
Häcksel oder ein Gefäß mit Hafer oder Gerste ins Freie zu
setzen und den Tau der heiligen Nacht darauffallen zu lassen
damit Pferde und Menschen gesund bleiben;^ nach Cassels Vor-
gänge ftir christlichen Ursprungs ansehen und aus der Versinn-
Hebung des messianisch gedeuteten Spruches ,, Tauet ihr Himmel '^
Jesaia, 45, 4. ableiten zu mttssen.* Wie wir sehen, ist die Um-
wandlung des älteren profanen Brauches nicht tiberall auf gleiche
Weise erfolgt, bald mehr, bald weniger in kirchlichem Sinne
gelungen, bald auf Ostern, bald auf Himmelfahrt, bald auf
Pfingsten, bald auf Weihnachten verlegt. Wie die heidnische
Prozession gestaltet war, wird sich im einzelnen schwer aus-
machen lassen. Eccard und Grimm erinnern mit Recht an das
„simulacrum quod per campos portant,'' das die Synode zu Lesti-
nes im Jahre 743 zugleich mit den „simulacris de pannis factis^'
verbot. Man wird an eine aus Stroh oder Aehren gefertigte,
vielleicht mit grünen Zweigen umhüllte Pappe denken müssen,
welche um die Felder roitgeführt wurde. Nach der Aebtissin
Marksvid hat es den Anschein, als sei auch ein Tier mitgeflihrt
und nachher geschlachtet worden; auf diese Frage kommen wir
bei späterer Gelegenheit wieder zurück. Bei dem Umzüge wur-
den, wie es scheint, in den Dörfern auch die einzelnen Häuser
berührt und bei ihnen Gaben eingesammelt, welche Marksvid
m Almosen für die Armen verwandelt haben wollte. Entweder
nun verstand Marksvid diese Begehung der Häuser mit deip
Ausdruck lustrare , oder sie wollte damit vorschreiben , wie Pfan-
nenschmfd will, und der Brauch bei der schwäbischen Eschpro-
zession als mögUeh erscheinen läftt, dieselben mit Weihwasser
zu besprengen. War das der Fall, so konnte solche Vorschrift
bestimmt sein, die Wasserbeschüttung (Begenzauber) zu ersetzen,
welche in den einzelnen Häusern oder Höfen dem Pfingstl zu
teil wurde. An den ehemaligen profanen Pfingstritt erinnern
auch sonst noch einzelne als Rudimente stehen gebliebene Züge.
Der Blumenkranz, welcher im Luzemischen dem Abte von
Beromünster überreicht (o. S. 399) , im Baierwalde dem tugend-
haftesten Jüngling um den Arm gehängt wird (o. S. 400), ver-
1) Kuhn, Westfal. Sag. II, 101, 313. Nordd. Sag. 404, 131. ' Gerva-
sins V. Tilbury ed. Liebrecht p. 2.
2) P. Cassel, Weihnachten, S. 247 — 50.
406 Kapitel IV. Baumgeister als Vt^getationsdämonen:
gleicht sich dem Kranze, den der Maigraf bei seinem Ein-
ritte trägt (o. -S. 376) und welcher sich zur vollen Laubum-^
kleidang grade so verhält, wie jener Wettritt nach dein Kranze
zum Wettritte nach dem Maibaum (o. S. 387). Andererseits ist
auch hier festzustellen, daß die Kirche vermutlich ihrerseits
bereits eine Flurprozession dem deutschheidnischen Brauche ent-
gegenbrachte. Wenigstens läßt sich bereits aus dem dritten Jahr-
hundert als eine altertümliche christliche Sitte in Mesopotamien
ein jährlicher Gang der Bevölkerung aufs Feld nachweisen, um
daselbst unter Fasten und Wachen von Gott reichlichen Segen
flir die Feldfrttchte zu erbitten.^
Ueberschlage ich alle erläuterten Ueberlieferungen , so tritt
mir das Büd eines vollständigen Brauches vor das innere Äuge,
von welchem die bis heute erhaltenen Sitten nur die zersprengten
und isolierten Ueberreste sind. Die Ceremonie begann 1. mit
dem Wettlauf oder Wettstreit mm Maibusch , 2. sie setzte sich
fort in dem feierlichen Einzug mit dem Maibusch (resp, Mair
bäum) und Pfingstkönig in das Dorf, S. in dem Utnzug von
Haus zu Hause, 4, und schloß mit der Prozession um die Gren-
zen der Aecker und der ganzen Gemarkung,
§17. Hlnanstragmig des Yegetationsgelstes. Stellten
unsere früheren Untersuchungen uns die Einholung des Frühlings-
geistes aus dem Walde in Gestalt des wilden Mannes, Pfingstl,
Maigrafen u. s. w. vor Augen , so lehrt der nachstehende in Gab-
lingen (Schwaben) geübte Brauch , daß man den nämlichen Gedan-
ken, die Erscheinung des Yegetationsdämons auch auf andere
Weise, d. h. durch Hineintragung einer Puppe in den Wald
ausgedrückt hat. Zur Fasten nämlich macht man einen Mann
aus Lumpen und trägt ihn ins Feld hinaus. Hierauf verbindet
man einem Burschen die Augen, der nun auf den Mann
losgeht, ihn erfaßt und in den Wald hineinträgt. Findbt er die
Puppe nicht, so wird auf diese ein Hund losgelassen, wovon sie
Hetzmann heißt. Der Hund bellt die Figur an und zeigt so
dem Burschen den rechten Weg. Am anderen Tage wird der*
Hetzmann wieder aus dem Walde geholt.* Das Verbinden der
Augen drückt die Unsichtbarkeit des dargestellten Dämons aus
1) Piper, Evang. Kai. 1854. S. 62.
2) Panzer U, 8^^123.
Hinanßtragang des Yegetationfgeistes. 407
(cf. o. S. 365), von dem vorausgesetzt wird; daß der Hund ihn
^v^amimmt; denn Hunde gelten als geistersicfatig. ^
Diesem deutschen Brauche entspricht genau ein estnischer
Yon welchem der Chronist Thomas Hiäm (f 1500) die erste
Kunde giebt.^ Sie haben in Estland, sagt er, noch diesen aber-
gläubischen Gebrauch, daß sie. alle neue Jahr einen Götzen von
Stroh in Gestalt eines Mannes machen, den sie Metziko [Mets-ik
Waldmann von mets Wald] nennen. Sie eignen ihm die Kraft
zu , daß er ihr Vieh vor den wilden Tieren bewahren und ihre
Grrenee hüten solle. Diesen begleiten sie alle aus dem Dorf und
setzen ihn auf die Grenzen auf den nächsten Baum. Kreutzwald
hat auf dem Festlande diese Festlichkeit nur noch durch Hören-
sagen kennen gelernt. Sie fand indessen am Ende des ^vorigen
Jahrhunderts noch häufig statt und hieß metsa oder metsika
pide (Wald- oder Waldmannfest). Am Mariäverkündigungstage
wurde eine große Strohpuppe angefertigt, welche bald metsa isa
(Waldvater), ein andermal metsa ema (Waldmutter) benannt
und demgemäß männlich oder weiblich bekleidet wurde. Man
bewahrte sie auf dem Boden des Yiehstalles auf bis zu dem
Tage der feierlichen Prozession in den Wald. Dann steckte man
sie auf eine la/nge Stange, trug sie erst im Dorfe herum und
brachte sie dann in den Wcdd, wo der Metsik (Metsaisa, Met-
saema) auf einen Baum gesetzt wurde. Dann folgte ein Baccha-
nal, bei welchem, wie es scheint, die skandalösesten und unzttch-
tigsten Gebräuche vorkamen, auf die kein Erzähler sich weiter
einlassen wollte. Im Fennerschen Walde wollte man noch vor
wenigen Jahren solche Puppen gefunden haben. ^ Auf der Insel
Oesel ist noch bis heute der Metsik und das im Frühjahr
gefeierte Metsikfest (Metsiko piddo) wolbekannt, zumal in den
Dörfern des Kirchspiels Karmel. Der Metsik gilt (jetzt) für
einen bösen Geist, der über die Herden und über das Gedeihen
des Viehs sowie der Aeeker zu gebieten hat. In jedem Früh-
1) Wnttke-, D. Volksabergl. Aufl. 2. 1 268. Myth.» Abergl. 1111. Myth.«
632. Eine fast wunderbare üebereinstimmung ist es , daß die Fauni , welche
genau uusern Waldgeistem entsprechen, von den Hunden gesehen werden,
w&hrend sie den Menschen unsichtbar bleiben. Plin. bist. nat. YIII. 40, 62.
2) Monum. Livon. antiqn. I, 30. .
3) J. W. Böcler, der Eihsten abergL Gebrftuche beleuchtet von Fr.
B. Kreutzwald, St Petersburg 1854, S. 12. 81.
406 Kapitel IV. BaamgeiBter als Yegetationsdäroonen:
jähr bestimmt der Aelteste des Dorfes einen Tag^ an welchem
sich alle Einwohner desselben versammeln. Dann macht man
ein Bild des Metsik, indem man Kleider voll Stroh stopft; der
Aelteste hebt die Gestalt auf und trägt sie in Begleitung der
ganzen Versammlung auf die Dorfweide ^ wo er sie tmf einen
hohen Baum setzt, der nun einige fncUe lärmend umtanet wird, '
In anderen Dörlem wird der Metsik aus Korngarben verfertigt
und an irgend einer abgelegenen Stelle, an einem Zaunstecken,
am liebsten auf einem hohen Baum im Walde aufgestellt Man
macht vor ihm allerlei Faxen und Figuren (der Berichterstatter
versteht unter diesem Ausdruck unzüchtige und unanständige
Geberden und Bewegungen), damit er das Getreide, das
Vieh und alles andere beschützen solle. Fast an jedem
Tage des Jahres wird er durch Opfer gebeten, das Vieh doch
zu sctitttzen. Da er die Gebete selbstverständlich nicht immer
erhört, gilt er für böse* oder schlecht — und deshalb heiBt der
Zuruf: „Sinna Metsik! d. i. Du Metsik^' soviel als: Du Hallunke!
Das Bild des Metäik verbleibt das Jahr über am betreffenden Orte
und wird im nächsten Jahre erneut. ^ Daß der Waldmann die
Tiere beschützt, kann aus zwei sehr verschiedenen Anlässen ent-
springen; entweder übt er diese Function, weil der Wald ur-
sprünglich die Weidestätte war (cf. den finnischen Tapio, Met-
sän ukko Waldgreis, seine Gemahlin Mielikki metsän emänttt
Waideswirtin und ihr ganzes Gefolge o. S. 80 sowie die russi-
schen Ljeschie o. S. 141 und den Tierkerl o. S. 117), oder er
sorgt iUr das Gedeihen der Herde aus demselben Grunde, wie
ftir das Gedeihen des Getreides; als Vegetationsdämon über-
haupt und als solcher vergleicht er sich dann ziemlich genau den
deutschen Holzfräulein (o. S. 76). Daß er zugleich die Grenzen
schützt ist ein Anzeichen der Ausdehnung seiner Wirksamkeit
auf die Menschen und ihr Gemeinwesen. Die Puppe auf dem
Baume gleicht sich der bekleideten Birke am Semikfeste (S. 157),
dem mit einer Puppe geschmückten Maibaum oder Sommer
iß. 156), dem am Emtemai hangenden Brodkerl im La Palisse
(o. S. 210), der in der Fastenzeit auf dem Baume verbrannten
Figur. Jene Geberden und Bewegungen, deren, Beschreibung
1) VerhandliiDgen der estnischen Gesellschaft zu Dorpat, Bd. VH, H. 2,
S. 10—11. •
Hinanstfagnng des VegetationsgeisteB. 409
das Schamgeftlhl der Berichterstatter uns vorenthält, dienten
angenscheinlioh daza, den Metsik als Dämon der vegetativen
wie tierischei; Fruchtbarkeit zu kennzeichnen und sich seine
Segenswirkung zu sichern.
Mit dem estnischen Brauche stimmt ein französischer voll-
kommen Uberein. In der Beance (Orl^nnais) wird am 24. oder
25. April ein Strohmann gemacht, den bezeichnet man als den
Repräsentanten des „grand mandard,'^ Man sagt, der alte Mon-
dard sei inzwischen verstorben, man müsse ihm eine Statue
setzen. Nachdem sie zu diesem Behufe die Strohpuppe verfer-
tigt haben, tragen sie s^ie in feierlicher Prozession im Dorfe um-
her und setzen sie endlich auf den ältesten Apfelbaum. Da bleibt
sie bis zur Apfelemte. Jetzt holt man den Strohmann herunter^
verbrennt ihn und streut die Asche ins Wasser, oder
wirft ihn selbst ins Wasser. Auf diejenige Person aber,
welche die erste Frucht vom' Apfelbaum nimmt, geht
der Name le grand mondard über. Wir werden bei späterer
Gelegenheit an sehr zahlreichen Beispielen kennen lernen, wie
auf den Arbeiter, welcher bei der Ernte die letzten Halme eines
Ackers schneidet oder bindet, der Name des vermeintlich darin
weilenden K'orndäiüons übertragen wird. Analog muft „le
grand mondard '' auch den im Wüchse der Aepfel waltenden,
resp. den allgemein wirksamen Vegetationsgeist bezeichnen,
womit die Verbrennung oder Wassertauche der Puppe als Son-
nen- und Regenzauber ftlr die nächstjährige Vegetation ttberein^
kommt Mondard scheint mit der Ableitungssylbe -ard (dem
deutschen -hart), welche an Apellativa und Verba gehängt wird,^
von monder, schälen, enthülsen, aushülsen gebildet. (Man sagt
monder fUr nettoyer de Torge, des amandes, en öter la pellioule
vgl. mit. mundilia, ital. mondiglie, Abfälle, Schnitzel, Spreu,
Abgänge beim Sieben. Darf man das Wort „der Aushülsekerl''
in dem Sinne verstehen , daB • darunter der beim Auskernen der
Aepfel zum Vorschein kommende in den Kernen sein Leben und
Wesen habende Geist gemeint sei? Das würde später reichlich
anzuftlhrenden sachlichen Analogien (der Aumsau d. i. Spreusau,
dem Kimbaby u. s. w.) treffend entsprechen. An eine Ableitung
von monde (der große Weltkerl?) ist doch nicht zu denken?
1) Diez, Qram. d. Rom. Sprachen, Bonn 1871, 11,386.
410 Kapitel IV. Bauiiigeifiter als Vegetationsdämoaen:
Doch dies bleibe dahingestellt Deatlich erscheint, daß dieser
Dämon im Winter für gestorben galt, daß die erneute Aufrichr
tung seines Bildes vom Frühling bis zum Herbste sein Wieder-
aufleben, seinen Wiedereinzug in die Natur und sein sommer-
langes Verweilen darin darstellen soll. Hier haben wir eine
Form des Frflhlingsbrauchs , welche (so dünkt mich) die in § 19
gegebenen Erörterungen über das sogenannte Todaustragen in
den Lätaregebräuchen augenfällig bestätigt. In der Zeit der
Feier, in Bezug auf -die Prozession im Dorfe und hinsichtlich
der Aussetzung auf dem Baume berührt sich der Mondard mit
dem Metsik.
Letzterem soll auch noch eine deutsche Sitte verglichen
werden, welche eigentlich schon in den Kreis der in einem spä-
teren Buche zu behandelnden Vorstellungen von den Korndämo-
nen gehört, zu diesen eine Brücke bildet. Um Eisenach und
Marksnhl wird aus der letzten Garbe der Ernte eine Puppe ver-
fertigt, welche Waldmann oder Feldmann genannt wird. In
Unterellen bei Eisenach läßt man den Waldmann als Wächter
des Kornes draußen auf dem Felde bis zur Einfahrt des letzten
Fuders; dann wird er mit einem frischen Kranze geschmückt
und auf dem Komwagen vom Vorschnitter gehalten, während
der Wagen, begleitet von den Schnittern, die Lieder allerle
Inhalts singen , langsam zum Dorfe und auf den Hof des Besitzers
einfährt.^ Es ist unverkennbar, daß der Geist der im Walde
waltenden Vegetation in diesem Gebrauche auch als Hervorbringer
des Korn Segens aufgefaßt erscheint, grade so wie der Metsik und
wie die Holzfräulein.
§ 18. HinaaBtragung Jini Elngrabung des Tegetations-
geistes. Todaustragen. Die Hinaustragung des Hetzmann,
Metsik, Mondard aufs Feld, gewährt uns den Anlaß und die
Möglichkeit, mit Nutzen die o. S. 359 ausgesetzte Untersuchung^
der Sitte, den alten Mann ins Loch zu karren, wieder aufzu-
nehmen. In der Nähe von Tübingen wird zu Fastnacht der
Fastnachtbär, ein aus Stroh gemachter mit einem Paar alter
Hosen bekleideter Mann, in dessen Hals eine frische Blutwurst,
oder mit Blut gefüllte Spritze steckt, nach isinef förmlichen Ver-
1) Cf. Witzschel , Sitten nnd Gebräuche ans der Umgegend von Eisenach
1866, S. 16.
Hinaustragnng n. Eingrabong d. Vegetatiousgeistes, Todanstragen. 411
urteflung geköpft und begraben. Er wird in einen Sarg gelegt
UBil am Aflcbermittwoch nach der Kirche beerdigt ^ gewöhnlich
am Orte selbst Das nennt man die Fastnacht yergraben.^ Zu-
weilen wird die Puppe unter Stroh und Mist eingegraben oder
ins Wasser gestürat Statt des Butzen trug man auch einen
lebendigen Menschen auf einer Bahre oder sonst von Stroh
bedeckt umher und stellte sich so, als welle man ihn begraben;
oder man machte den Fastnachtsnarren trunken und begrub ihn
mit großem Jammergeschrei unter Stroh oder warf ihn unter
Trauermusik ins Wasser. Das hieß die Fastnacht begraben.
In Wurmlingen tanzt ein in Stroh gehüllter Bursche an einem
Seile durchs Dorf geführt am Fastnachtstage als Bär; am
.Aschermittwoch wird ein falscher Strohmann in einen Trog
gelegt^ aufs Feld hinausgefahren und begraben. ' Sehr ausflihrlich
beschreibt Leoprechting das Begraben der Fastnacht in Lechrain.
Ein Mann in schwarzer weiblicher Tracht wird auf einer Reiß-
trage von vier Männern einhergefilhrt, von als Klageweibern
verkleidetenMännern bejammert, vor dem größten Dung-
haufen des Dorfes herantergeworfen, mit Wasser begossen,
in die Mistgrube eingegraben und mit Stroh bedeckt.^ Wie hier,
ein lebender Mensch, wird in Marsberg (Westfalen) die Fast-
nacht als Strohpuppe auf der Düngerstätte, ^ in der Eifel die
Kirmes, ein Strohmann nebst Flasche und Glas, in einer Grube
vor dem Dorfe eingescharrt,^ wogegen in Balwe (Westfalen) die
betreffende, die Fastnacht darstellende Strohpuppe in clen Fluß,
die Rönne geworfen wird.^ Eine andere Form ist es, wenn zu
Fastnacht oder bei der Kirmes statt der Strohpuppe ein Koß-
schädel,^ eine noch andere aber jüngere abgeleitete, wenn eine
Geige, ^ ein Glas mit Schnaps^ oder dergleichen vergraben wird.
Zu Vaihingen an der Enz wurde ehedem am Schluß des Maien-
1) £. Meier, Sagen, Sitten n. Gebräuche a. Schwaben, S. 371, 1.
2) Meier S. 373.
3) Leoprechting , Ans dem Lechrain S. 162 ff.
4) Enhn, Westföl. Sag. n, 131, 394.
5) Schmitz, Sitten n. Branche des Eifler Volkes, I, 50.
6) Kuhn, Westf&l. Sag. 130, 393.
7) Montanns , VoUcsfeste 59. 60.
8) Beinsberg -Düringsfeld, Böhm. Festkalender S. 63.
9) Pröhle, Harzbilder, 54.
412 Kapitel IV. Baumgeister als VegetationsdAmonen:
tages, auch der Maie vergraben, wobei die Burschen Mädchen-
Jdeidqr, die Mädchen MannsMeider anhcUten.^ Ganz außerordent-
lich ähnlich, ja im wesentlichen hiemit identisch sind die
Gebräuche des sogenannten Todaustragens am Lätaresonntag.
In Nürnberg trugen festlich geschmückte Mädchen eine Puppe in
einem offenen kleinen Sarge, von welchem ein weißes Leidien-
tuch herabhing, oder einen grünen Buchenzweig mit in die Höhe
gerichtetem -Stiel, woran ein Apfel statt des Kopfes befestigt war,
in einer Schachtel und sangen dabei: „Wir tragen den Tod ins
Wasser, wol ist das!", oder: „Wir trafen den Tod ins Wasser,
wir trafen Um nein und wieder raus*'^ Das Gemeinsame der
in Franken, Thüringen, Meißen, dem Vogtland, Schlesien, der
Lausitz weitverbreiteten Formen desselben Brauches ist es,
daß eine mit dem Namen Tod bezeichnete weibliche oder männ-
liche Figur aus Stroh oder Holz von jungen Leuten des anderen
Geschlechtes herumgetragen ins Walser, in einen Tümpd gewor-
fen oder verbrannt wurde. Nach dem Austragen des Todes wird
vielfach sofort der Sommer in Gestalt eines grünen Maibaumes
oder eines Baumes mit daran gehängter Puppe eingebracht. Ich
erinnere nur an die schon o. S. 155 angezogene Lausitzer Sitte,
wonach die Frauen, die dabei keine Männer dulden, mit
Trauerschleiern behängt umziehen, eine Strohpuppe mit
einem weißen Hemde bekleiden, mit einer Sense und einem
Besen in der linken und rechten Hand ausrüsten, von
steinwerfenden Buben verfolgt, bis zur Grenze tragen und dort
zerreißen, worauf sie jenes nämliche Hemde an einen schönen
Waldbaum hängen, diesen abhauen und heimtragen. In der
Oberlausitz wird der Tod, eine Figur aus Stroh und Hadern,
1) E. Meier, Schwab. Sag. 398, 80. So tragen die Mägde, welche den
rheinischen Emtemai einführen , Männerkleider (o. S. 201) , bei der Wein-
lese im Elsaß sind die Männer zuweilen als Weiber, die Weiber als Män-
ner angezogen; von den beiden Herbstschmudl ist der eine ein als Weib
verkleideter Mann, der andere ein als Mann maskiertes Weib (o. S. 203. 314).
In Ost - Lancashire ziehen die jungen Barsche in der Woche vor Ostern auf
dem Lande umher, wobei die einen Instrumente spielen, die andern tanzen.
Gelegentlich schließen sich auch junge Frauenzimmer an, die dann Män-
nerkleidung tragen, während die Bursche sich als Weiber kleiden,
Liebrecht in Pfeiifers Germania XYI , 228.
2) Myth.« 727.
Hinaastra^^g n. Eingrabang d. Vegetationsgeistes , Todaustragen. 413
mit dem Hemde des letzten Todten and dem Schleier der
letzten Braut im Dorfe angetan von der stärksten Dirne auf
einer Stange einhergetragen, sodann mit Steinen und Stecken
bewarfen und zuletzt in einem Wasser vor dem Dorfe ersäuft,
worauf alle Teilhaber des Zuges ein grünes Zweiglein brechen
und heimbringen.^ Ganz ähnlich wird in Böhmen und Mähren
unmittelbar nach einander der Tod aus dem Dorf getragen; der
Sommer ins Dorf getragen, wobei die den Tod darstellende
Puppe, die ebenfalls vielfach mit einer Sichel in der Hand aus-
gerttstet ist, zuerst zerschlagen oder zerrissen, resp. im Walde
dreimal an eine Eiche geschlagen und so entzweigemacht^
sodann von einer Brücke oder einem Felsen in die Tiefe eines
Wassers hinuntergestürzt, häufig aber herausgezogen, heimge-
tragen und schließlich verbrannt wird. An vielen andern Orten
aber tritt das feierliche Begräbniß des Todes in einem Garten,
auf einer Wiese , auf dem Acker oder hinter einer Scheuer dafUr
ein.' Die Puppe heißt statt Smrt Tod, auch wol Marena^ bei
anderen Slaven Mamurienda, Muriena, „Wir wollen MamA-
rienda austragen; wir haben Muriena aus dem Dorf und den
jungen Mai ins Dorf getragen.'^ Doch auch in Podlachien
ertränkt man am Todtensonntag den Smierc (Tod), ein aus
Hanf oder Haim geflochtenes Menschenbild nach feierlichem Um-
züge durch die Stadt in einem nahen Sumpf oder Weiher.
Ein älteres Zieugniß flir diese Bräuche gewährt im 15. Jahr-
hundert der Krakauer Domherr Johann Dlugosz, der in seiner
Historia Poloniae 1. U, p. 94, Francof 1711 berichtet, der erste
christliche Herrscher Polens Miesco habe allen Gemeinden und
Dörfern befohlen, an einem und dem nämlichen Tage d. h. am
7. März sämmtliche Götzenbilder zu vernichten, d. h. zu zer-
brechen, in Sümpfe, Seen oder Teiche zu versenken (in paludes
lacus et stagna demergere) und mit Steinen zu ttberschtttten
(saxis obruere). Zur Erinnerung werde dieser Vorgang noch
heute alljährlich in vielen polnischen Ortschaften wiederholt
Quae quidam .... idolorum confractio et immersio tunc facta
apud nonnullas Polonorum villas simulacra Dziewannae et Mar-
zaunae in longo ligno extollentibus et in paludes in Do-
1) Myth.« 731 — 32.
2) Heinsberg - Dttringsfeld , Böhm. Fcstkal. 87 ff .
414 l^pitel IV. Bantiigeister als Vegetationsd&monöni
minica Quadragesimae Laetare projicientibns et demer-
gentibus repraesentatur (et) renovatur in hunc diem. Derselbe
Schriftsteller sagt einige Seiten vorher bei Aufzählung der heid-
nischen Gk)ttheiten des alten Polens: Ceres autem mater et Dea
frugum, quarum satis regio indigebat, Marzana vocata apud eos
in praecipuo cultn et veneratione habita fuit Da des Dlugosz
polnische Gottheiten sammt jenem Gebote Miescos offenbar nichts
anderes sind als RttckschltLsse aus der lebenden Volkssitte, so
muß er die Gleichstellung der Marzana mit Ceres aus irgend
einem dem Lätarebrauch anhaftenden Umstände gefolgert haben;
sei es, daß auch die polnischen Strohpuppen eine Sichel in der
Hand hielten , oder aus unausgedroschenen Getreidehalmen bestan-
den und somit dieselbe Gestalt hatten, wie die Emtepuppen.
§ 19. Hlnaustragung und Eingrabung des Tegetatlons-
dSmons. Doch nicht allein Fastnacht und Lätare (Todtensonn-
tag), Tage des Frühlingsanfangs, geben Gelegenheit zu diesen
Gebräuchen, in Rußland finden wir dieselben auch an St. Peter,
ct. i. 29. Juni, also an Mittsommer oder Frtthlingsende geknttpft.
An diesem oder dem folgenden Tage gehen nämlich Yplksnm-
zttgeim Schwange, welche den Namen Begräbniß der Kostroma
oder des Jarilo tragen. Nach Sacharoff hatte das Begräbniß der
Kostroma in den Gouvernements Simbirsk und Pensa folgenden
Hergang. Nachdem am 28. Juni abends ein Scheiterhaufen
gebrannt hatte, und am Morgen des 29. das Spiel der aufgehen-
den Sonne beobachtet war, wählten die Jungfrauen eine aus ihrer
Mitte, welche die Kostroma darzustellen verpflichtet sein sollte.
Ihre Gespielinnen traten unter tiefen Verbeugungen an sie heran,
legten sie auf ein Brett und trugen sie zum Flusse. Dort began-
nen sie sie zu baden, wobei die älteste Teilnehmerin eine Lischke
(Korb) von Lindenbast machte und darauf wie auf eine Trommel
schlug. Ins Dorf zurückgekehrt, beendigten sie den Tag mit
Umztlgen, Spiel und Tanz. Im Kreise Murom wird statt des-
sen eine Strohpuppe, die mit weiblichen Gewändern und Elu-
men bekleidet ist, in einen Trog gelegt und unter Gesängen, an
da« Ufer eines Sees oder Flusses getragen. Hier teilt sich die
am Ufer harrende Menge in zwei Parteien, deren eine die Puppe
beschützt, während die andere sie zu erobern bemüht ist. Zuletzt
siegen die Angreifer, berauben die Figur des Schmucks und der
Kleider, zerreißen sie, treten das Stroh, woraus sie gemacht
Hinanstragttng und Eingrabmig des Vegetationsd&mond. 415
war, mit Fttßen nnd werfen es in den Strom , indeß die Vertei-
diger das Gesicht mit den Händen bedecken und sich anstellen,
als ob sie den Tod der Eostroma bejammern. Afanasieff ver-
mutet, daß die Pappe ursprünglich nicht ans Stroh sondern ans
Feldkräntem verfertigt war, indem er annimmt, daß kostra,
kostrier, kostiera, Kute, Strauch, Unkraut im Korn das Etymon
von Kostroma sei. Nach Tereschtschenko heißt im Qouv. Sara-
tow kostroma ein Bund Stroh, das zu Neujahr verbrannt wird;
das müßte schon eine abgeleitete Form der Sitte sein. In Klein-
rußland war die am Montag nach dem Peterstage begrabene
Strohpuppe kostrub genannt. Man singt: •
Es starb, es starb, es starb kostrubonko,
Der graae, liebliche, blaue.^
Im Gouvernement Saratow wird am 30. Juni eine Strohpuppe
mit Sarafan und Kokoschka bekleidet im Dorf umhergetragen
und hernach dieser Kleidungsstücke beraubt ins Wasser gewor-
fen. Das nennt man provod VjeSnji, Zug des Frühlings, dem
entsprechend ist in andern Gegenden das Begräbniß des Jarilo.
Jarilo von jar Frühling ist eine in Rußland weit verbreitete
Personification des Lenzes oder der Wachstumskraft im Lenze.
In Weißrußland versammeln sich die Mädchen Ende April ange-
sichts der jungen Saaten und wählen aus ihrer Zahl eine, welche
den Jarilo darstellen soll, so wie sie sich ihn vorstellen. Sie
kleiden sie aus wie einen Mann mit weißem Mantel, der auf
dem Kopfe einen Kranz von Frühlingsblumen trägt, in der Linken
eine Handvoll geschnittener Aehren hält; unbeschuht sind die
Füße. Sie setzen den Jarilo auf ein weißes Boß und führen
ihn, ist das Wetter warm und hell, hinaus ins freie Feld aui*
die besäten Fluren: Hier umschlingt ihn in Gegenwart der
"Greise ein Beigen der bekränzten Gespielinnen, die zu Ehren
des Jarilo ein Lied singen, wie er umherziehe, das Getreide auf
den Fluren wachsen lasse und den Menschen gutes Gedeihen
gebe. „Wo er geht mit bloßen Füßen, heißt es, da ist das
Korn schockweise , und wo er hinblickt , da erblühen die Halme.^' '
In Woronesch kam am 29. Juni eine Menge Volks auf dem
Stadtmarkt zusammen und bestimmte, wer von den Anwesenden
1) Afanasieff, Poetische Nataranschaanngen der Bnssen, 111,724 — 2C.
2) Afanasieff, a. a. 0. I, 441.
416 Kapitel IV. Baumgeister als Vegetationsdämonen:
der Darsteller des Jarilo sein solle. Diesem zogen sie eine
bunte blumige Kleidung an^ die außerdem mit Blumen und
Bändern geschmückt und mit Meinen Glöckchen behängt wo/Tj
setzten ihm einen bemalten Kaipak von Papier mit einer Hahnen-
feder darauf auf den Kopf and gaben ihm in die Hand ein
Stöckchen mit einem Klopfer versehen. So zog er singend,
tanzend und verschiedene komische Bewegungen ausführend unter
Trommelbegleitung' umher, von einer großen Volksmenge beglei-
tet, die nach verschiedenen Tänzen und Spielen sich in zwei
Parteien teilte und das Fest mit einer Art Faustkampf endigte.
An anderen O^n nun wird «am 29. oder 30. Juni das Begräb-
niß des Jarilo aufgefUhrt. Im Kostromskischen Kreise übergab
man einem alten Manne einen kleinen Sarg, der eine den
Jarilo darstellende Puppe mit einem Ungeheuern Priap
enthielt. Der Greis trug denselben vor die Stadt, ihm folgten
die Weiber, Klagelieder singend und durch ihre Geberden
Schmerz und Verzweiflung ausdrückend, bis zum Grabe auf
freiem Felde, wo hinein man unter Weinen und Wehgeschrei
die Gestalt versenkte. Darauf begannen sofort Tänze, welche
an die altslavische Sitte der Kampfspiele (trisna) beim Begräbniß
erinnern konnten. In Kleinrußland wurde die Jarilo benannte
Puppe, die mit allen dem Manne zukommenden Attributen aus-
gerüstet war, auch in einen Sarg gelegt und nach Sonnenunter-
gang auf die Straße getragen. Betrunkene Weiber umringten
den Sarg und wiederholten traurig: „Er ist gestorben! Er ist
gestorben!'^ Die Männer erhoben und schüttelten die
Puppe, als wenn sie sich bemühten, den Todten ins
Leben zurückzurufen und sagten nachher: „He! He! Ihr
Weiber, heult nicht. Ich kenne, was noch ßüßer ist, als Honig.^'
Doch die Weiher fuhren fort zu jammern und zu singen, wie
bei Begräbnissen üblich ist: „Wessen war er schuldig? Er war
so gut. Er wird nicht mehr aufstehen. 0 wie sollen wir uns
von dir trennen? Was ist das Leben ^ wenn du nicht mehr da
bist! Erhebe dich, wenn auch nur auf ein Stündchen; aber er
steht nicht auf, er steht nicht auf!'' Endlich verscharren sie
Jarilo in einer Grube. ^
1) Sacharoff 11,42,91 -93. Tereschtschenko V, 100 — 104. Afanasieflf
111,726 — 27.
Hinaustragang n. Begräbniß d. Vegeiationsd&tnous, Erläaterangen. 417
§ 20. Hlnaustragnng und BegribnLß des Yegetations-
dSmons, ErUutemngcn. Uebrigens besteht eine auffallende
Aehnliehkeit zwischen den Sitten: den alten Mann ins Loch zu
karren, die Fastnacht zu köpfen, zu begraben oder zu erträur
ken, den Tod zu beerdigen oder zu ersäufen und den Jarilo
resp. die Kostroma zu bestatten oder ins Wasser zu werfen.
Untersuchen wir genauer, ob die Uebereinstimmung mehr als
Schein ist Das Begräbniß des Jarilo ist an und für sich klar
und verständlich. Eine ganz ähnliche Gestalt wie der P6re May,
Roi de Maj, Lord of the May, die Maja, stellt er zwar den Lenz,
die Jahreszeit dar, aber nicht abstract als solche, sondern als
die bewegende Ursache und Grundkraft des Pflanzenwuches ;
dies bezeugt sein blumiges Gewand, das wol auf ehemalige
LaubumhtUlung zurückweist, dies die Ausrüstung seines Bildes
mit dem Priap, dies das zu seinen Ehren gesungene Lied. Es
ist schwerlich Zufall, daß seine Kleidung mit Glöckchen besetzt
ist, wie diejenige des Pfingstlümmels (o. S. 326). Im Beginn
der Hundstage, zu Mittsommer, wenn die Aehren gelb werden,
ist der zeugungskräftige Frühling dahin; trauernd wird er zu
Grabe geleitet. In dem Woronescher Brauch dagegen scheint
er als noch bis in den Hochsommer hinein in der Rolle des
Yegetationsdämons fortdauernd wirksam gefeiert zu werden.
Sollte der Tod und die Bestattung des Kostrubonko, der Kostroma
eine andere Auffassung fordern? Schwerlich, außer, daß hier
noch .entschiedener die Bedeutung des Vegetationsgeistes die
Oberhand hat. Schwer aber zu begreifen dürfte es sein, wie
man dazu kam, das Dahinscheiden derselben durch Ertränken
darzustellen. Dasselbe hätte nur Sinn als Ausdruck der Erre-
gung und des Zornes über allzulange Dauer des Frühlings, oder
als Darstellung der Tatsache seines gewaltsam durch das feuchte
Element herbeigeführten Endes. Da aber beides nicht zutrifft,
es müßten denn die Regengüsse des Herbstes gemeint sein , wel-
che Frühling und Sommer vom Wachstum des nächsten Jahres
scheiden, so stehe ich nicht an als meine Vermutung auszu-
sprechen, daß die Wassertauche auch hier denselben Sinn
habe, wie in so vielen anderen auf die~ Vegetationsdämonen
bezüglichen Gebräuchen, daß sie ein Abbild des Regens sein
solle und entweder den bevorstehenden Tod der Pflanzenwelt
durch die Gewässer der Herbstregen darstellen, oder im voraus
Mannhardt 27
418 Kapitel IV. Banmgeister als Vegetationsdämonen:
(wiO' in den Emtegebriluchen o. S. 214, vgl. S. 314 o.) die atmo-
sphärische Feuchtigkeit für die Vegetation des nächsten Jahres
sichern sollte. Bei aller augenscheinlichen Verwandtschaft scheint
obenhin angesehen der Lätaregebrauch ganz das Gegenteil zu
diesen Mittsonunersitten ausdrücken zu sollen; nicht das Leben
sondern der Tod wird begraben , dessen populäre .Personification
als Schnitter mit Sense , Sichel , oder Hippe ^ zur Ausrüstung der
Strohpuppe mit solchen Emtewerkzeugen Anlaß gegeben haben
kann. Aus dem Gegensatze des nach Austragung des Todes
eingebrachten „Sommers'^ ergiebt sich jedoch, daß ursprünglich
nicht sowol die das tierische Leben abschneidende Naturgewalt,
als vielmehr der Winter im Lätaregebrauch unter dem Namen
des Todes gemeint war; wahrscheinlich dürfen wir noch einen
Schritt weiter gehen. Wenn der eingebrachte durch einen grünen
Baum dargestellte Sommer nicht sowol eigentlich die Jahres*
zeit, als den sommerlichen Vegetationsgeist ^ oder die sommer-
liche Vegetationskraft bedeutet, so wird auch sein Gegensatz,
der Tod oder der Winter den Vegetationsdämon in seiner winter-
lichen Gestalt nicht als tödtend, sondern als todt oder getödtet
darstellen. Tod also wäre hier nach unserer Ansicht passiv zu
verstehen als das ertödtete vegetative Leben im Winter; nicht
die 'lebenraubende Naturmacht, nicht die winterliche Jahreszeit
sollte durch Vergraben vernichtet welrden, sondern der erstorbene
Vegetationsdämon wird in die Erde eingescharrt, um im Frtth-
linge aus dem Boden wiedererweckt und neu belebt emporzu-
steigen. Wäre diese Anschauung richtig, so würde die äußer-
liche Uebereinstimmung des Sommer- und des Frühlingsbranches
sich nun auch als eine innerliche, auf gleicher Bedeutung beruhende
erwiesen haben; das Begräbniß des Jarilo, das Vergraben oder
die Wassereinsenkung der Kostroma hätten danach im wesent-
lichen den nämlichen Sinn, wie die Grablegung und Wasser-
tauche des Todes; nur daß die Darstellung desselben Voi^ngs
das einemal an den Anfang der bösen, Leben und Wachstum
tödtenden Zeit verlegt, das anderemal an das Ende derselben
gerückt und mit der Feier der Auferstehung des Pflanzenwuchses
1) Vgl. G. Schuller, Volksttiml. Glaube und Brauch bei Tod und
Begräbniß, Kronstadt 1863, S. 4. 10. Vgl. das Kirchenlied: „Es ist ein
Schnitter, der heißt Tod."
Hinaostragung n. Begr&bniß d. Vegetationsd&mons , ErlftnternDgen. 419
verbunden ist. Die Wassertauche als Regenzauber ftlr die ktinf-
tige Vegetation dem Vertreter der dahingeschiedenen des alten
Jahres gewidmet, ist uns ja bereits aus den Emtegebi^uchen
bekannt, wo die letzte Garbe der alten Ernte gradeso wie der
Maibaum begossen, das in die letzte Garbe eingebundene, den
Komdämon darstellende Mädchen resp. die Binderin gleich dem
in Laub gehtlllten giünen Georg, Pfingstbutz u. s. w in einen
Bach geführt wird (o. S. 214), damit die nächstfolgende Pflan-
zengeneration gute Früchte hervorbringe. Ist es irgendwie wahr-
scheinlich, daß die Wassereintauchung bei der den Tod darstel-
lenden Puppe etwas ganz Entgegengesetztes bedeute, als bei
dem so häufig gleich nachher eingeholten Maien , daß sie in dem
einen Falle ein Symbol des Absehens, der gewtinschten Ver-
nichtung, im andern ein Anzeichen des Wunsches, ja ein Zauber-
mittel sein sollte? Wer die hier aulgestellte Erklärung nicht
zulässig finden wollte, müßte mithin vorher nachweisen, daß
auch die Wassertauche des Maibaums u. s. w. keinen Bezug auf
die atmosphärische Feuchtigkeit habe. Geben wir dagegen
unserer Hypothese Saum, so gewinnt auch der mehrfach und
entschieden bedeutsame Zug der Sieimgung ein anderes Ansehn,
als auf den ersten Augenschein. In einer späteren Untersuchung
wird der Verfasser den Nachweis eines uralten Brauches bei der
Ernte resp. im Frühjahr fähren, daß Bäume und Pflanzen, sowie
die Abbilder der Vegetationsdämonen mit Steinen belegt oder
beworfen unirden, um die Schwere der erhofften FruehtftUle der
nächsten Ernte auszudrücken. So kann auch hier die Steinigung
des sogenannten Todes ein dem Begenzauber ähnliches Zauber-
mittel gewesen sein. Unter solchen Gesichtspunkten erscheint
endlich auch das zuweilen an die Stelle des Begrabens oder Was-
sereintauchens tretende Verbrennen des Todes dem Verbren-
nen des Maibaums im OsCer-,.Mai- oder Johannisfeuer (o.
S. 177 ff.) parallel. Noch andere Umstände gereichen unserer
Hypothese zur Unterstützung. Wenn in jener Lausitzer Sitte
das Hemde der den Tod darstellenden Strohpuppe dem Wald-
baum übergeworfen wird (o. S. 156), so soll dieser doch wol als
Nachfolger, als dasselbe Wesen in verjüngter Gestalt bezeichnet
werden. Der Nürnberger Brauch stellt den Tod, wie den Mai
(Sommer) , darch einen grtlnen Zweig mit einem Apfel dar. Wenn
in Podlachien das den Tod darstellende Menschenbild noch aus
27*
420 Eapitol lY. Bamngeister als Ye^etatioDsdämonen:
Korohalmen g^ochten wird, während es sonst meistenteils ans
leerem Stroh gefertigt ist, giebt es andererseits verschiedene
Sparen, daft die im Hochsommer gereifte abgestorbene Vege-
tation der Kalturfrttchte , welche gewöhnlich niiter der Gestalt
eines alten Mannes oder einer alten Frau {der AUe, die AUe;
so heißt die ans der letzten Garbe gefertigte Menschengestalt)
personifiziert wird, zuweilen als die Todte oder als der Tod auf-
gefaßt wurde. So heißt zu Schwarzwaldau (Kr. Troppau) die
letzte Garbe geradezu die „ Todte '* mortua. Jeder Bauer ver-
gräbt die seinige auf dem Acker in den Boden. Nach etwa
2 Wochen gehen sie an einem verabredeten Tage aufs Feld und
sehen nach, ob die eingegrabenen Garben grttn ausgekeimt sind
Ist dies der Fall, so ist dies ein gutes Zeichen fllr die £mte d^s
nächsten Jahres. Diejenige „Toä^,'' welche am meisten grtln
ausgewachsen ist, wird wieder ausgegraben und ein Hahn [d. L
ein Abbild des hahngestaltigen Vegetationsdämons ^] in sie hin-
eingebunden; je mehr dieser schreit, desto ergiebiger und frucht-
barer wird das nächste Jahr sein. Es wird späterhin aus viel-
fachen Beispielen erhellen, daß man die Kinder vor den im
Korne hausenden Vegetationsdämonen zu warnen pflegt. Im
Kreise Hradisch in Mähren warnt man die Kinder ins Korn zu
gehen , denn da sitze der zahnlose Tod (bezzub4 Smrt) mit einer
Sense drin,* oder der bezhlav^ muS, Mann ohne Kopf. Im Kreise
Gomör in Oberungam heißt es der Tod (Smrt) sitze im Korne
und fresse die Kinder; auch im Komitat Gran sagt man, im
wallenden Kornfeld reite der Tod auf einem Pferde und bespritze
die vorwitzig sich hineinwagenden Kinder mit Feuer. Die Sach-
sen in Siebenbürgen spielen während der Wälschkomemte ein
Kinderspiel, schionpelän d!d, d. i. schampelnder Tod genannt
Einer der Mitspielenden, der Tod, wird ganz mit Maisblättem
bedeckt, die Andern stellen sich im Kreise herum und rufen:
„schämpelän d!d stand äf, es bot iilt (eins) geschlön'^, er ant-
wortet: ach lot mich noch et w€nig schlöfen. Anrede und Ant-
wort wiederholen sich je um eine Stunde vorrtlckend, bis es
heißt: „es höt zwölf geschldn!'^ ^ Da springt der Verhüllte auf
und wen er erhaschen kann, muß an seine Stelle treten.^ Wird
1) S. ManDbardty Korndämonen S. 13 ff.
2) G. Schnller, Volkst. Glanbes n. Brancb I, Kronstadt 1863, S. 11. IffiUer,
8iebenbirg. Sag. 389. Haltrich, Archiv f. Siebenbirg. Landeskunde N. F. DI, 31)9.
Hinaastragung u. Begräbniß des Vegetationsdämons, Erläaternngen. 421
es hiernach kaum zweifelhaft, daB der Yegetationsdämon in der
Zeit der Fruchtreife, der ^mte nicht selten als alter abgelebter
Greis, als Todter oder der Tod aufgefaßt wurde, so mag die
Ausrüstung der Lätarepuppe mit Sichel oder Sense nunmehr
vfclleicht mit besserem Rechte darauf bezogen werden, daß die-
selbe grade so aussah und eben dasselbe bedeuten sollte, als
die aus der letzten Garbe bei der Ernte gefertigte Figur. Auch
diese erhält zuweilen eine Sichel in die Hand. Ein weiteres
Beweisstück für unsere Auffassung liefert die Köpfung und Bestat-
tung oder Verbrennung des Fastnachtsbären (o. S. 410), da die-
ser unzweifelhaft mit dem Erbsenbär, Roggenbär, einer therio-
morphischen Form des Vegetationsdämons identisch ist. Endlich
stimmt auch der Zug, daß die am Todtensonntag verfertigte
Puppe, ist sie männlich, von Weibern, ist sie weiblich, von Man-
nern getragen und ins Wasser geworfen werden muß (o. S. 412)
zu einem Wesen der Fruchtbarkeit. Daß das Ertränken oder
Vergraben der Fastnacht nur eine verhältnißmäßig junge Um-
deutang des nämlichen Frtthlingsbrauches sei, lehrt die einfache
Vergleichung. Eine Personification des Festes ist an die Stelle
des namenlosen Wesens getreten, das im Lätaregebrauch als
Tod bezeichnet wird. Daß hier die Puppe, resp. ein lebender
Mensch wie zuweilen der geköpfte Pfingstbutz (o. S. 321) unter
Mist und Stroh begraben wird (o. S. 411), würde ganz unver-
ständlich sein, wenn es sich wirklich um eine Bestattung des
dahingeschiedenen Festes handelte , da doch wahrlich kein Grund
dazu da war, demselben hinterher einen Fußtritt zu geben, ihm
Verachtung zu bezeugen. Ganz anders stellt sich die Sache,
wenn von dem winterlichen oder verstorbenen und zum Wieder-
aufleben in den Schoß der Erde zu senkenden Vegetationsdämon
die Rede war, da der Dünger die Triebkraft der Pflanzen erhöht.
Kapitel V,
Vegetationsgeister : Maibraulschaft.
§ 1. Das MaikSnigspaar. Unsere bisherigen Untersuchun-
gen zeigten uns den Dämon der Vegetation bald in männlicher,
bald in weiblicher Gestalt verkörpert. An einem und demselben
Orte wurden zuweilen beide, die eine von den Mädchen, der
andere von den Burschen zu gleicher Zeit dargestellt, aber
getrennt umhergeflihrt Ein noch unerwähntes Beispiel aus Ost-
Kent gewährt der Fastnachtsbrauch, daß die Mädchen von
18 — 5 Jahren ein den Burschen gestohlenes Mannsbild, den
Holly-hoy, Stechpalmenknaben, die jungen Leute eine den Mäd-
chen entwendete Frauenfigur Jvy-girl, Epheumädchen , unter
lautem Geschrei umherfllhrten und verbrannten (tlber das Ver-
brennen s. 0. S. 177 ff., 419).* Doch lernten wir bereits einige
Darstellungen kennen, in denen Maikönig und Maikönigin als
ein Ehepaar verbunden auftreten. So beim Königsspiel in Böh-
men (vgl. 0. S. 355). In Wfeskow bei Königsgrätz z. B. gehen
König und Königin in ihrem besten Sonntagsstaat unter einem
Baldachin, die Königin hat einen Kranz auf dem Kopfe; das
jüngste Mädchen trägt ihr zwei Kränze auf einem Teller nach.
Das nächste Gefolge besteht aus Burschen und Mädchen , welche
wie Brautführer und Brautjungfern gekleidet sind. Von Haus
zu Haus werden Gaben eingesammelt und die Kinder mitgenom-
men. Dann folgt das Gericht über die Dorfgenossen und die
Verurteilung des Königes zur Enthauptung. Doch stellt der als
Ausrufer und Henker fungierende Bursche in Aussicht, daß die
Königin ihren Gemahl loskaufen könne und nennt eine fabelhafte
Summe. Sie zögert; nachdem aber der blanke Säbel dreimal
1) (xentlemaD*8 Magazine 1779. Brand, po^. antiqnities I, 68.
Das Maüönigspaar. 423
am den Nacken des Königs geschwungen ist, legt sie ein anstän>
diges Lösegeld (oft bis nenn Zwanziger) auf den Teller, nimmt
ihren Kranz vom Kopf und setzt ihn unter allgemeinem Jubel
über seine Erhaltung und unter Lobpreisungen ihrer Güte dem
Losgekauften auf. Doch wird ihm dieser Kranz wieder abge-
nommen und beiden werden die Blumenkronen aufgesetzt^ welche
das junge Mädchen nachtrug.^ Hiemit vergleiche man den Brauch
in der Gemeinde Wehden , Kr. Lübbeke (Osnabrück). Hier wurde
zu Pfingsten das schönste und beliebteste Mädchen von 12 — 14
Jahren erkoren, ergriffen und festlich geschmückt; ebenso
bemächtigte man sich des beliebtesten Knaben aus demselben
Lebensalter, zierte sein Haupt mit einer hohen aus bunten Bän-
dern und Goldpapier gefertigten Krone und tUhrte beide jubelnd
im Dorf umher. Dieser Umzug hieß Gummanie (d. i. Cumpanie,
Gompagnie).^ Auch in Frankreich erwählt man z. B. in der
Gegend von Grenoble am 1. Mai einen König und eine Königin
(roi et reine) und setzt sie wie sonst die Königin allein (o.
S. 345 ff.) auf einem Trone den Blicken der Vorübergehenden
aus.^ In den englischen Frühlingsgebräuchen begegnet uns gleich-
falls dieses Ehepaar in mehrfachen Formen wieder. Dahin gehört
unzweifelhaft schon das Verbot der Synode zu Worcester a. d. J.
1240, can. 38: Ne intersint ludis inhonestis nee sustineant ludos
fieri de rege et regina, nee arietes levari nee palestras publicas.^
Ans Bechnungen der Kirchenrorsteher zu Kingston upon Thames
Yom Jahre 1604 geht freilich hervor, daß man das Königsspiel
damals auch um die Mitsommerzeit zum besten der Kirchen-
kasse aufführte,^ aber das war wol nur eine locale Verschiebung
des Zeitpunktes der Aufführung. In den Maispielen stellte man
(saec. XVI.) dem Robin Hood als seine Geliebte eine Maid
Marian zur Seite, bräutlich gekleidet oder königlich geschmückt
und eine rote Nelke, die Frühlingsbotin in der Hand. • Wie er
1) Beinsberg-Düringsfeld, Böhmischer Feetjcalender S. 265 — 67.
2) MüUer, Zs. f. Kultorgesch. 1872 I, S. 452.
3) ChAmpoliion-Figeac bei Monnier, Traditiona populaires comp. p. 304.
4) Brand, pop. antiqu. ed. Ellls I, 260.
5) ,,Mem. That the 27 day of Joun a<> 21 kjnk H. 7, thatwe Adam
Bakhous and Harry Nycol^ hath made account for the kenggam, that
8ame tym don Wylm kempe, kenge and Joan Whytebrede, qtien, and aU
costs dedncted ... i^ 4 sh. 5 d. o.'* Brand , pop. ant. 1 , 260.
424 Kapitel V. VegetationsgeiBter: Maibrautschaft
King of May* wurde sie queen of May genannt Darans
geht mindestens so viel hervor, daß in den Maygames ein king
of may neben einer qneen of may aufgetreten wa'r, den man mit
dem Robin Hood und seiner Geliebten identifizierte. Die May-
queen allein haben wir schon oben S. 346 ff. kennen gelernt.
§ 2. Maiherr und Malfrau. Anderswo nannte man das
Paar Lord and Lady of the may. Vom 30. Mai 1557 wird eines
Maigame in Fenchnrehstreet Erwähnung getan mit einem Aus-
ritt der neun Helden („with the nine worthies, who rode") einem
Morristanz und Lord and Lady of the May appearing to make
up the show.* In einem Artikel der Literary - Gazette (May
1847) gab Mr. L. Jewitt als Augenzeuge eine liebliche Schilderung
der Sitte, wie sie damals noch zu Headington, zwei Meilen von
Oxford', geübt wurde. Zwei kleine Mädchen im' Sonntagsstaat,
ganz in Weiß gekleidet, mit langer Schärpe und bunt bebändert,
eine geschmackvoll mit Blumen verzierte Kopfbedeckung aof
dem Haupt, tragen auf einer langen Stange eine große, ans
Tonnenreifen verfertigte, mit Immergrttn und Blumen überzogene
Krone, deren Spitze wieder von einer kleineren Krone oder
einem prächtigen Blumenstrauß überragt wird. Solch eine Krone
heißt garland (Guirlande). Zwei andere Kinder folgen, ein
Knabe und ein Mädchen, der Lord und die Lady, miteinander
durch ein weißes Taschentuch verbunden, von dem jedes einen
Zipfel hält. Sie sind so freundlich als möglich mit Bändern,
Schärpen, Rosetten und Blumen herausgeputzt, und die Lady
trägt eine- möglichst große Geldtasche. Von Haus zu Haus
gehend singen sie nach einer sehr einfachen Melodie:
Gentlemen and Ladies,
We vrish you kappy may!
We come to sbow you a garland
Because it is May-day.
Eine der Trägerinnen der Krone fragt: Please to handsei the
Lords and Ladys purse? Giebt einer eine Münze, so zieht der
Lord den Hut, ergreift mit der Rechten eine Hand der Lady,
umschlingt mit dem linken Arm ihre Hüfte und küßt
I
1) Dalrymple a. 1576 bei Brand I, 261.
2) Strype eccles. Mem. Vol. III, cap. 49 p. 377. Strutt a. a. 0.
a53, XVL
Haiherr und Maifrau. 435
sie, die Mttnze wandelt in die Geldtasche, nnd die Prozession
zieht weiter, um vor dem nächsten Hause die nämliche Ceremo-
nie zu wiederholen. Im Dorfe gab es ein Dutzend solcher Guir-
landen mit ihren Lords und Ladies , die dem Orte ein lustiges und
belebtes Ansehen verliehen.^ Aus dem Berichte eines Augen-
zeugen ttber das Maifest der Londoner Kaminfeger im Jahre
1825 entnehmen wir, daß damals nach alter Sitte dem in der
Lanbpyramide daherschreitenden Jack in the green ein Lord
und eine Lady vortanzten. Der Lord, sagt der Berichterstatter,
war jedesmal der größte Mann in der Gesellschaft. Er trug eine
Kleidung, welche zwischen einer Hofimiform und Gallalivree die
Mitte hielt, auf der Brust einen ungeheuren Blumenstrauß, in
der rechten Hand einen großen Stock mit blinkendem Metall-
knopf, in der Linken ein weißes Taschentuch, an emem Zipfel
gefaßt. Die Lady wurde mitunter von einer drallen Dirne,
gewöhnlich von einem Burschen in Weiberkleidung gespielt; ihr
Anzug entsprach dem des Lord, sie hielt in einer Hand einen
kupfeinen Kochlöffel , in der andern gleich dem Lord ein Taschen-
tuch. So oft der Zug stille stand, entwickelten beide alle ihre
Anmut in einem Menuet de la cour oder einem anderen gehal-
tenen Tanze, bald aber ging derselbe in einen lebhafteren und
komischeren über , wobei sie sich drehend und wendend einander
zuwinkten und lockten , indeß Jack in the Green sich fortwährend
zwischen ihnen im Tanze umdrehte und die tibrigen berußten
Mitglieder der Compagnie mit Kellen und Besen klapperten.
Nach beendigtem Tanz verbeugten sich Lord und Lady gegen-
einander. Der Lord zog seinen Hut und wendete sich mit ein-
dringlichen Blicken und höflichen Bttcklingen zu den Zuschauem
an den Fenstern und auf der Straße. Zu gleicher Zeit streckte
die Lady ihren Löffel aus und die andern hielten ihre Kellen
hin, um auch die kleinsten Gaben dankend zu empfangen.' Es
ist interessant zu beobachten, wie 19 Jahre später laut einem
Artikel der Times v. 2. Mai 1844 der moderne Geschmack diese
Lustbarkeit der Kaminieger fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt
hatte. An Stelle des Lord und der Lady wurden eine Ballet-
1) 8. Brand a. a. 0. I, 233 — 34.
2) Hone, Every day book I,292ff. V^l. Reinsberg-DtSringsfeld, das
/estliche Jahr. S. 134.
426 Kapitel Y. Vegetattonsg^ister : Maibraatschaft
tänzerin , Marmsell Molliowfiki genannt , und ihr Impressario Jem
Crow yorgefbhrt, statt der Menaet ein Polka getanzt.^ £in
Berichterstatter aus Hitohin (Herefordshire) beschreibt in einem
vom 1. May 1823 datierten Briefe an Mr. Hone eine Gruppe von
Mayers, welche an diesem Tage, nachdem sie den Mädchen und
Dienstboten Maibüsohe die Ttbre geheftet, frohlockend durch die
Stadt zogen. Zuerst kamen die toUe Moll und ihr Mann (Mad
Moll and her husband), d. h. 2 Männer mit gesckwäreten Gesich-
tern; der eine von diesen hatte einen künstlichen Buckel und,
trug einen Birkenbesen in der Hand; der andere, ganz in zer-
lumpte Frauenkleidung gehttUt, eine Strohmütze und einen Koch-
l9ffeL Hinter diesem Paare kam ein zweites Paar, „der Lord
und die LadyJ^ Der Lord war phantastisch mit bunten seide-
nen Taschentüchern und Bändern herausgeputzt und trug ein
Schwert; die Lady, ein als feine Dame in weißen Musselin
gekleideter, über und über mit buntem Bandwerk bedeckter
Bursche. Ein Gefolge von 6 — 7 anderen ähnlich ausgeschmück-
ten Paaren schloß sich an, nur fährten die Männer keine Schwer-
ter. Derartiger Compagnien durchziehen mehrere wetteifernd
die Straßen. Hat eine derselben vor einem Hause eine reich-
liche Gabe erhalten, so giebt es davor Musik und Tanz, wobei
das Publicum sich vorzüglich an den possierlichen Geberden and
Mienen von Mad MoUs Mann zu ergötzen pflegt.^ Aus Chep»-
towcastie an der Mündung der Wye in den Bristolcanal (Mon-
mooth) empfing Hone die folgende Beschreibung des Maifestes:
Die Milchmägde hielten einen Umzug, wobei sie im Reigen
singend einen alten Mann umtanzten, dessen graue spärMe
Haare ein Kranz von Feldblumen schmückte; in seiner
rechten Hand trug er einen blühenden Weißdorn (hawthom))
in der Linken einen mit Primeln (Schlüsselblumen) und blauen
Glockenblumen umwundenen Stab. Ueber der Schulter hing ihm
ein iKuhhom, auf dem er vor jedem Hause blies. Der Beigen
bestand aus 30 — 40 jungen Burschen und Mädchen, welche
Arme, Kopf und Hals mit Büschehi von Maiglöckchen und wil-
den Rosen geziert hatten. Dahinter kam eine Dame mit apfet
roten Wangen, mit einer Brille und mit niedrigem, breitkrämpigem
1) Brand ed. EUis I, 231 — 33.
2) Hone a. a. 0. 1 , 283.
Haiherr Qnd Maifrau. 427
Hat, kurzem Book, wollener Schärpe, blauen Strümpfen, hohen
Schuhen. In der einen Hand trug sie einen blankgescheuerten
Kupferkessel voll Sahne, in der andern einen Korb mit Wald-
erdbeeren und jedem, der mit einer Tasse oder Schale zu ihr
kam,. gab sie auf eine artige Weise von ihrer Sahne und Frfich-
ten. Sie war Tante Cornelia (aunt Nelly), und ihr „Zweig-
träger^' (bougbearer) , Onkd Anibrosius (Uncle Ambrose) geheißen.
Den Schluß des Zuges bildeten sechs mit Blumen verzierte Ziegen,
welche Geiiktschaften zum Melken und Buttermachen trugen,
sowie der Milchpächter mit einem Stiere, der gleichfalls mit
Produkten von Feld und Wiese herausgeputzt war.^ Mit dieser
englischen Sitte stimmt eine deutsche aus Schorau bei Zerbst
nahe ttberein. Hier wird das Pfingstgelage durch Aufrichtung
eines Maibaums gefeiert, nachher ist Musik und Tanz, wobei
alljährlich neue Platzmeister gewählt werden; die vorjährigen
wählen ftlr sich allein. Vor dem Tanz erscheint gewöhnlich
ein Paar aus der aUeth Zeit, ein alter Mann und eine alte Frau
(zuweilen zwei Paare), die meistens Larven vor dem Gesichte
haben; die Alte wird dabei immer durch einen Mann dargesteUt^
Nicht minder aber gehört hierher eine Tiroler Faschingssitte.
Am Fastnachtsdienstag gehen zwei Bursche um, von denen der
eine ein zerlufwptes altes Weib darstellt. Der andere trägt einen
Strohhöcker, der durch ein darüber geworfenes Hemd verhtillt
ist, und hat eine hohe Mutze auf dem Kopfe. Dieser heißt der
.Alte (Wetscho), jene die Alte (Wetscha). Die Alte hat einen
Becher und eine Schweinsblase, der Alte trägt eine Stange
(v^L 0. S. 365). Beide sind voll Ruß und suchen andere, beson-
ders Mädchen zu berußen. Sie gehen vor die Häuser, kehren
dort, säen Sägemehl für Rttben und schreien dabei. Daftlr
bekommen sie in jedem Hause Eier, aus deren Erlöse sie eine
Messe lesen lassen.' Nach 6abr. Ruesch wird in der Schweiz
im Hirtenlande das Blockfest (s. o. S. 174. 237 ff., vgl. 306) am
X>oiiata8tage (17. Februar) der Art gefeiert, daß ein mit Tannen-
r eisern, Waldblumen und hänfenen Guirlanden geschmtlckter
1) Hone a..a. 0. II, 781 — 82. Vgl. Reinsberg-Düringsfeld, festl.
Jahr 132.
2) Kuhn, Nordd. Sag. 386, 70.
3) Zingerle Sitten, Aufl. 2. 137, 1205.
428 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibrautschaft.
Baumstamm im Trimnfe durch das Dorf gezogen wird. Ein
Mann und ein Weib in alter SchtoeizertracM mit Glocken (o.
S. 326) behangen Bcfareiten der FrozesBion voraus.^ Der alte
Onkel Ambrosius im Schmucke der Frühlingsblumen kann kaum
etwas anderes bedeuten, als den neuverjttngten Alten der Vege-
tation (s. 0. S. 359), den der Alte in Schorau und Tirol mit ihren
Ehehälften noclT unverjüngt vorftlhren. Und die nämliche Vor-
steUung des winterlichen Yegetationsgeistes als des wieder som-
merlich gewordenen • durch zwei Paare ausgedrtlekt wird man
yielleicht in der tollen Moll und ihrem berußten bucMigen zer-
lumpten Oatten neben der schmucken Lady mit ihrem Lord
annehmen dtlrfen, falls nicht hier eine emfache Verdoppelimg
vorliegt wie in dem Mohrenkönig neben dem PfingsÜ (o. S. 365),
wobei dann die Lumpen, Buckel und possierliche Gebärden nur
in Anknüpfung an das rußige Aussehen aus dem Bedürfnifise
eines komischen Gegengewichtes gegen den Ernst des Aufzuges
hervorgegangen, somit lediglich dem Volkshumor entsprossen
wären. Es darf aber zur Unterstützung der ersten Annahme
angeführt werden , daß nach Wilhelm Müllers leseitswerten Nach-
weisungen in vielen deutschen Volkssagen von mythischem Gehalte
die aus Verbannung in ein fernes Land, d. h. das Todtenreich
oder den Winter zurückkehrenden (sommerlichen) Hßlden m
schlechtem zerlumptem Aufzuge, an Körper und Kleidung ver-
wandelt, jedenfalls unkenntlich, oder von Schmutz. starrend, als
Bettler oder Pilger heimkommen.^ Wie die geschwärzten Gesich-
ter einzelner Mitglieder der Prozession , sowie des Tiroler Alten,
dem rußigen Jack in green, dem Mohrenkönig des Pfingstritta
u. s. w. entsprechen , so begegnet der von der Lady , Mad Mtrfl
oder Tante Nelly geftttirte Kochlöffel resp. Kessel in den deut-
schen Maiomgängen in der Hand des Kochs oder SchmalzhaÜB
wieder; dieses Instrument stammt aus einer Periode, in welcher
es den Umgängern noch wesentlich darum zu tun war, die Steuern
in Form von Naturalien einzusammeln, welche gemeinsam ver-
zehrt wurden. Ursprünglich war dieser zum gemeinsamen
Wirtshausvergnügen herabgesunkene Schmaus ein gemeinschaft-
liches Mahl von religiöser Bedeutung , eine Einigung (Gommunio),
1) Veinal^ken, Alpensagen S. S53, 22.
2) NiedersächB. Sagen, S. 395 ff. Vgl. namentlich S. 388. 405.
Maipaare; Hansl and Gretl. 429
oder nach altgermanischem Begriff eine Gilde gewesen. Die
Maylady wird übrigens zuweilen nicht durch eine lebende Per-
son, sondern durch eine Puppe dargestellt So besteht bei
Kingsthorpe in Northamptonshire die oben bei Headington beschrie-
bene Guirlande, welche am Maimorgen durch die Mädchen auf
einer etwa 5' hohen Stange von Haus zu Haus getragen wird,
aus zwei über einander gekreuzten Tonnenreifen , zwischen deren
4 Abteilungen je eine große hübsch gekleidete weibliche Puppe
angebracht ist. ^ \^ie hier die Maifrau allein , finden wir in bairi
sehen Bräuchen das Maipaar nur in primitiverer Weise der
Ausführung dargestellt.
§ 3. Malpaare; Hansl and €fretl. Hans und Gretd sind
ausgestopfte Figuren, welche an den entgegengesetzten
Enden eines umlaufenden Rades befestigt sich wie zum
Tanze die Hände reichen. Sie werden am Pfingstmontag
unter allerlei Sprüchen von Trüppchen reitender Bauerbnrsche
herumgeführt, um die „Samtrügl^^ genannte GoUecte von Butter,
Schmalz, Eiern und Geld einzusammeln, deren Ertrag dann im
Wirtshause verzehrt wird. So produzierten sie sich ehemals
sogar in der Stadt MfLnchen. Uns begegneten Hansel und Gretel
von Stroh auf dem Schleifrade bereits oben S. 352 in dem Gefolge
des Wasservogels. Auch auf dem Maibaum aieht man
häufig den Hansl mit der Gretl auf einem Windräd-
chen tanzend figurieren. Zuweilen saß nur die eine Puppe
(Gretl) auf dem Rade; sie wurde hinterher in den Brunnen
gestürzt y die männliche Figur hieß dann Wdssermann, wurde
hinter dem Schleifrade hergetragen und schließlich dem Bauer,
der im Jahre etwas verschuldet hat, auf die Haustenne gewor-
fen y wozu stimmt, daß in Miesbach derjenige Arbeiter, welcher
den letzten Drischelschlag beim Komdreschen geführt hat, zum
Dreschermahl einen großen mit der bräutlichen Pflanze Ros-
marin (o. S. 281) bekränzten Kuchen erhält, auf dem Hans
und Gretel, zwei buntgekleidete Puppen, stehen. Mit-
unter aber wurden Hansl und Gretl auch als Hauptpersonen
des Pfingstritts durch lebende Menschen gegeben und Hansl
sagte vor jedem Hause einen Spruch her, in dem es u. a.
hieß, sie seien aus dem rechten Paradies, wo viel Weizen,
1) Hone, Every-day book II, 308.
4dO Kapitel V. Vegetationsgeister! Maibrautschaft.
Korn, Haber und Gerste wachse.^ Ganz ähnlich war in Zürich
neben anderen AafRlhrangen am iHirsmontag (dem ersten Montag
in der Fasten), an welchem abends Feuer angezündet wurden,
der Umzug des aus Stroh und Federn gefertigten Ckridiglade
und seines Weibes Else <mf dem Schleifrad; awcÄ diese beiden
Puppen sollen ins Wasser und zwar in den See geworfen wor-
den ^ein,* Wie Hansl und Gretl im Maibranch wird beim Ernte-
fest ein den Dämon des Getreidewachstums darstellender Hahn
nicht selten auf ein in Umdrehung versetztes Rad gebunden.'
Unverkennbar liegt in diesem Zuge eine Symbolik des rollenden
Jahres (järes umbihring Myth.^ 716), das bei regelmäßiger Um-
drehung das Maipaar wieder zur Stelle bringt. Es ist bemerkens-
wert, wie auch hier der Begenzauber (vgl. o. S. 214 ff., 327 ff.,
S. 355) in Form der Wassertauche nicht ferne blieb. Im Dorfe
BubenS bei Prag beging man frtlher am 5. Mai (St. Godehard)
das Kirchweihfest. Die Andächtigen walliahrteten schon in der
Frühe zu dem Brunnen Sw^tiSka unterhalb der Höhe, worauf
die St. Oodehardskirche liegt und wuschen sich darin , nach dem
Hochamt zogen sie mit einer schön geschmückten Maie in
den Baumgarten, um dort den Rest des Tages vergnüglich zuzu-
bringen. An der Maie, die unweit des Brunnens im Boden der
Wiese befestigt wurde, hing ein mit buntfarbigen Bändern und
grünen Zweigen verzierter weißer Strohsack, auf wdchem zwei
ausgestopfte Figuren , eineti jungen Mann und ein junges Mäd-
chen vorstellend, aufgenäfit waren. Man tanzte und spielte um
die Maie. Später soll diese Lustbarkeit auf den Dienstag nach
Ostern verlegt sein und das sogenannte Strohsackfest veranlaßt
haben. In Redeis Sehenswürdigem, Prag 1728, S. 311 wird in
der Tat gesagt, daß am dritten Ostertag viele tausend Menschen
zu Wagen, Pferde und Fuß nach dem Park von Bubenö (dem
heutigen Baumgarten) hinausgehen, weil sodann die Kirchmesse
dieses Dörfchens und Mayerhoffs ist. Spuren in chronikiiliscben
Nachrichten scheinen zu ergeben, daß ehedem, schon 1501 und
1) Schmeller, Bair. Wörterb. 2. Aufl. I, Sp. 436. 1018. Panier 1,234,
259. 11,81,124.222, 415.
2) Vernaleken, Alpensagen, S. 356, 25. Runge, Quellkultus in der
Schweiz , S. 27. Anm. 6.
3) Of. Mannhardt, Korndänionen S. 18.
Maibrant, Pdngstbraut. 481
noch 1624, der Baumgarten am Ostermontag das Local eines
Volksfestes war, an dem verschiedene 6ewerke teilnamen. Bei
Menschengedenken waren die Prsj^er Schneider die Haaptacteurs
des Festes am Osterdienstag. Die jungen Schneidermeister zer-
schnitten einen Strohsack von weiBer Leinwand, die Gesellen
nnd Lehrbttrschen nähten ihn sauber, verzierten ihn mit Band-
schleifen roter, grüner, blauer und gelber Farbe, brachten die
Figuren des Jünglings und des Mädchens darauf an und hingen
ihn am Maibaume auf, dessen Krone mit den ersten Frühlings-
blumen, in Ermangelung dessen mit einem Strauß von Zweigen
bereits ausgeschlagener Bäume, so wie mit Bändern geschmtickt
war. Unter großem Zudrange von Menschen zog man mit der
Maie nach dem vorhin beschriebenen Platze in der Nähe des
Quells SwStiöka (des heiligen Quells?) und tanzte um sie herum
auf der Wiese, unter den Bäumen, aß, trank, wlirfelte, spielte
bis zum späten Abend. Vor den* Wirtshäusern, an den Ueber-
fähren, auf Buden, Barken u. s. w. fast Überall sah man an die-
sem Tage eine Wiederholung des Strohsacks mit seinen Figuren
an Bäumen, Stangen, Erkern u. s. w. prangen.^ Man sieht, wie
das ehrsame Schneidergewerk sich einen allgemeineren Brauch
znrecht gemacht hat, um iUr seine Gilde sich den Segen dessel-
ben besonders anzueignen.
§4. Maibrant, Pfingstbrant Das paarweise Auftreten
der Wachstnmsgeister hätte keinen Sinn, wenn es nicht die
Annahme verkörpern sollte, daß die jugendliche GeburtenfüDe
des Frühlings gleich menschlichem Kindersegen der Verbindung
zweier Gesohlechter entsprieße. LebhafEer als durch die bloße
Nebeneinanderstellung eines Mannes und einer Frau spricht sich
dieser Gedanke in der Annahme oder Darstellung eines Liebes-
bnndes oder bräutlichen Verhältnisses, oder einer Vermählungs-
feier der Beiden , aus. So verkleiden sich in Volkstädt, Thon-
dorf und manchen anderen sächsischen Dörfern am zweiten Pfingst-
feiertage ein Barsch und ein Mädchen und verstecken mih außer-
halb des Dorfes im Gebüsche oder hohen Chrase. Dann zieht das
ganze Dorf mit Musikanten aus, „das Brautpaar zu suchen/^
Wenn es gefunden ist, wird es von der Gemeinde umringt, die
1) Krolmns, Staroceske provesti, Prag 1845 — 51. II, 89 --93. Reins-
berg - Dörmgsfeld , Festkalender a. Böhmen 174. 225.
482 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibrautschaft.
Musikanten spielen auf , und so erfolgt der jubelnde Einzug ins
Dorf, wo abends ein Tanz stattfindet. Nur zuweilen heiBt das
Brautpaar Prinz und Prinzessin.^ In einigen Holsteinischen Dör-
fern feierte man noch 1802 ein Volksfest Maigrön (Maigrfln)
geheiBen, wobei ein Paar unverehelichte Leute in bestem Hoch-
zeitsschmucke Bf'ßfd und Bräutigam vorstellten. Man nannte
den Bräutigam Maigrewe (Maigraf). Mit Laub und Maigrün
bekränzt begleitete man Beide unter Musik in ein Wirts- oder
anderes Haus, wo gezecht und getanzt wurde. ^ Zwischen Bipen
und Tondem ist es noch jetzt gebräuchlich , daß am Nachmittage
des ersten oder zweiten Pfingsttages die Kinder zusammenkom-
men und aus ihrer Mitte • ein Brautpaar wählen. Die Pßngst-
h'äut (Pindsebrud) wird mit Bändern und Blumen und was man
sonst herbeischaffen kann, ausgeschmückt, ebenso die Braut-
führer in. Hintenan geht einer mit dem Korbe, um Gaben ein-
zusammehi. Ist genug eingekommen, so geht man nach dem
sogenannten Hochzeithause, wo es Speckpfannekuchen, Kaffee,
Kuchen und Met giebt und dann lustig getanzt wird.' Aehnlich
war es in Schweden. Im stldlichen Halland flihrten noch vor
wenigen Jahren Jünglinge und Jungfrauen, wie heutzutage noch
die Kinder, zu Pfingsten einen vollständigen Hochzeitszug auf
mit Brautführern (Brudriddare), Spielmann u. s. w. Eine Jung-
frau, Pfingsibraut genannt, als Brcmt mü der kostbar eti Braut-
kröne geschmückt, nahm die Gaben in Ihnpfang, welche auf den
Herrenhöfen und in den Dörfern gegeben wurden, die der Zug
besuchte, und davon richtete man em Festmahl (Gille) aus.^
In Oestergötland hieß die Pingstbrud Blumenbraut, Blomsterbntd.
Man hatte aber den Aberglauben, wer die Blomsterbrud gespielt
habe, werde nie eine wirkliche Brautkrone tragen.^ Etwa weil
die erstere Begehung einst itlr zu heilig galt, um durch mensch-
liche Wiederholung profaniert werden zu dürfen, oder weil die
1) E. Sommer, Sagen ana Sachsen und Thfiringen, S. 151 — 52.
2) Schütze, Schleawigholst Idiotikon lU. Hamburg 1802 S. 72. Vgl.
Pabst» die Feste des Maigrafen. S. 37. § 41.
3) Grundtvig, Gamle Danske Minder i Folkemunde, III, 169. Cf. Jahr-
bücher f. Schleswigholst Landeskunde. Bd. IV. Kiel 1861. S. 181.
4) P. Möljer, Ordbog öfyer Hallandska landskapsmälet. Land. 1858 s.
Y. Pingstbrud.
5) Törner, Lector in Linkjoping (t 1760) hss. Sämling af Vidskepp.
Maibrant, Pfingstbrant. 4^
Pfingstbraut eioem unsichtbaren Wesen wirklich angetraut galt?
In diesem Falle würde man vermuten mlissen , daß dem Umzüge
ein sichtbarer Bräutigam fehlte. Im Erzherzogtum Oestreich
aber fand dieser Brauch bereits am Faschingssonntage statt.
Junge Bursche ; meist ohne Larven, aber abenteuerlich gekleidet,
stellten eine ganze Hochzeit vor, BratU v/nd Bräutigam , Braut-
führer und Kranisjungfer, den Procnrator, der bei Hochzeiten
alles der Sitte und dem Herkommen gemäß anzuordnen hat, die
Gäste, Musikanten u. s. w., nachdem sie schon vorher das Haus-
geräte der Braut, aus lauter schlechtem Gerumpel bestehend, in
das Haus des Bräutigams gebracht und die Braut feierlich abge-
holt hatten.^ In Zürich hielten die Metzger ehedem jährlich am
Äschermittwoch einen Umzug, angeblich zum Andenken an die
Mordnacht von 1330, in der sie sich durch Tapferkeit ausge-
zeichnet hatten. Dabei wurde ein in eine Bärenhaut einge-
kleideter Mensch an einer Kette umhergeführt und die
vordere Hälfte eines künstlichen Löwen mit klingendem Spiele
dahei'getragen. Statt des Löwen hat man ehedem unzweifelhaft
einmal einen Wolf gehabt, da die Figur noch immer Isegrim
oder Eisengrind hieß. Zu beiden Seiten des Eisengrind gingen
zwei Ejiechte mit großen Schlachtbeilen. Gehamischte mit Spießen
die Stadtfahne (resp. Zunfitfahne) umgebend begannen und schlös-
sen den Zug. Die Hauptfiguren aber waren im 16. Jahrhundert
nach BuUinger (Chronic. Tigur I. 8. cap. 2)»eiwe Braut und ein
Bräutigam: „Sie tragen wohl der Stadt Fähnli um den Leuen-
kopf zwischen den Schlachtbielen herum , nennend aber den stri-
tenden Leuen den Isengrind, und muß denselben tragen, der des
Jahres im viehkauf den hosten kauf gethan hat, denn mengklich
nit anders meint, denn er trage darum den Isengrind herum.
Dazu hat man erst gethan ein unfläthig spiel, ein brut und
ein brtUigam, um welche alles voüauft narren und butzen
(baren u. s. w.) mit schellen, trünklen (Kuhglocken) Kuh-
schwäntzen und allerlei wusts. . Es wird auch somlicher
Umzug anders nüt genennt, denn der Meteger brut; und wirft
man endlich den brütigam mit der brut in den brunnen"*
1) Baumgarten , das Jahr und seine Tage. Linz 1860. S. 18.
2) Venuileken, Alpensagen S. 354 ff. BuDge, Quellcoltas in der
Schweiz. S. 26.
MannbardC 28
434 Kapitel Y. Vegetationggeister: Haibraatschaft
Früher Bcheint (wie Range mit Hecht bemerkt) bei diesem
Zttrefaer Fastnachtaufzuge auch Lanbeinkleidung stattgefimdeii asu
haben, da ein Verbot aus Waldmanns Zeit besagt: AUes Bntzen-
(Böggen-) werk auf den drei Fastnachten in bloßen Hemdem,
Epheu, Laub u. s. w. ist bei zwei Mark Silbers verboten.^
Ganz besonders lehrreich dttrfte der nachstehende Brauch aus
der Umgegend von Briangon im D^p. Hautes Alpes (Dauphin^)
sein, km entei lai hillei 4i6 Jug» LeiU eiiei limhai, ietiei iriit Ua
Liebste ibi Terhuuei, betiekugsweise elioi aiien «[eheirttet bat, ii giiaei Laib eia.
Er legt lieh aif die Erde iid schlift scbeiibar. lau beut eil lidebei, dai ibi
gerne hat ond bereit w&re iba zu beiraten, weebt iba, bebt ibii anf, reiebt iba lei
Ann nnd eine Fabne. So zieht man zum Wirtshause, wo dieses Paar
den ersten Tanz hat. Sie müssen sich aber im nächsten Jahre
heiraten^ sonst gelten sie als Hagestolz und alte Jungfer und
ausgeschieden aus dem Kreise der Jugend. Der Bursche heißt:
„le fiance du mois de May/^ Im Wirtshause legt er die Hülle
ab. Daraus sammelt am Abend seine Tänzerin einen Strauß,
den sie mit Blumen durchwindet und am anderen Tage vor der
Brust trägt, wenn ihr Tänzer sie wieder zum Wirtshause gelei-
tet.* Ganz genau hiezu stimmt der russische Brauch am Semik-
feste (Donnerstag vor Pfingsten, Semik s. o. S. 157) im Kreise
Nerechta. Dort ziehen die Mädchen hinaus in einen Birkenwald,
umwinden eine schöne Hängebirke mit einem Gürtel oder Band,
verflechten ihre unteren Zweige zu einem Kranze und küssen
sich durch denselben hindurch paarweise gegenseitig,' indem sie
sich so zu Gevattern ernennen und reden:
Seid gesund Gevatter und GteyatteEin,
Die ihr die Birke geflochten habt.
Dann verzehren sie unter dem Baume Pflinzen und Kringel.'^
Nun tritt eines der Mädchen in den Kreis steUt einen betrnnkenen lann
Ter, wirft sieb anf den Beden, wälzt sieb im ^Irase, flUt endUcb ur Erde nnd tnt,
1) Füßli, Waldmann S. 89.
2) Mündlich von einem Kriegsgefangenen.
3) Hiezn halte man , daß beim Johannisfener im Egerlande sich Barsche
nnd Mfidchen durch die vom verbrannten Baum herabgeholten Krfinze an-
schauen (u. S. 466).
4) Vgl. damit, daß bei den Rumänen Siebenbirgens im ersten Frühjahr
am Theodorstage die Knaben und Mädchen unter sich Freundschaft schließen,
indem sie die zu diesem Zwecke eigens gebackenen Kuchen, dieses aUge-
meine Symbol des (redeihens und der Fruchtbarkeit an einen Baum hängen
Maibrant, Pfingstbrant. 435
•Is lellafe ik fest ein. IIb dei SeUafeidei geht «ii udera IMchei ii ier MIa
to Fnw heru, erweckt ihi, Ußt iki BBd der gtiie Mgei verllßt den Plnti
und zieht mit andern Liedern in den Wald^ um die Kränze zu
winden , welche entweder noch am Abend oder am Pfingsttag
ins Wasser geworfen werden and die Zukunft verkünden sollen.
Den ganzen Mimus begleitet ein erklärender Gesang , ^ der natür-
lich von der eigentlichen Bedeutung der Geremonie keine Ahnung
mehr hat. Man erkennt noch deutlich, daß dieser Brauch
ursprünglich von Darstellern verschiedener Geschlechter geübt
wurde, ehe ein Mädchen auch die Rolle des Mannes überkam
und ehe die Gevatterschaft nur noch unter Jungfrauen geschlos-
sen wurde. Drei Actionen müssen unterschieden werden, das
Küssen mehrerer Paare durch den Kranz, das Wälzen im Grase,
der Schlaf und das Aufwecken durch ein Weib. Die Trun-
kenheit des Schläfers ist nichts als eine rohe miBverständ-
liche Motivierung des Einschlafens. Spätere Untersuchungen
werden wahrscheinlich machen , daß ursprünglich die Reihenfolge
der Begehungen vielleicht umgekehrt war, als jetzt; Schlaf und
Aufweckung, Wälzen im Grase, Bruder- und Schwesterkuß der
Maipaare. Wie in jener Sitte von Brian^on von einem verlas-
senen Bräutigum die Rede ist, so in der folgenden von einer
verlassenen Braut Die Slovenen in Oberkrain fahren zu
Fastnacht eine Strohpuppe (den Fasching, pust) jauchzend im
Dorfe umher und werfen sie dann ins Wasser oder verbrennen
sie, wobei aus der höheren oder niederen Feuersäule auf die
Ergiebigkeit der nächsten Ernte geschlossen wird. Den lärmen-
den Zug beschließt eine weibliche Maske, die an einem
Stricke ein großes Brett (deno. S.237 erörterten Block?) nach
sich zieht, heult und schreit, sie sei eine verlassene Braut. Vor
jedem Hause, in welchem eine sitzengebliebene Schöne wohnt,
macht der Zug halt und läßt es an derben Witzen nicht fehlen.*
Wenn nicht diese Sitte auf christlicher Symbolik beruht, eine
Frage, die wir weiter unten erörtern werden, und dann der
Anschauung zum Ausdrucke dient, daß die Kirche in der Pas-
nnd, nacfadem sie denselben unter Gesang mehrmals nmkreist nnd amtanzt,
wechselseitig tauschen und verspeisen. W. Schmidt, das Jahr u. s. Tage. S. 6.
1) Heinsberg -Dliringsfeld, lUnstr.- Zeitung 1873. Nr. 1561. S. 414.
Eine Variante aus Weißrußland s. hinten im Nachtrag.
2) Ausland 1872. S. 469.
28».
436 Kapitel V. Yegetstioiugeister: Haihraatschaft
nonffiBeit eine vom Bräatigam verlassene Braat 6ei, wenn es
erlaubt ist Natnrsymbolik in der Begehung zu vermuten ^ so
werden wir die Vorstellung voraussetzen dürfen, daß die bis
dahin 9 d. h. während des Winters, verlassene Braut jetzt einen
neuen BiHutigam finden werde. Gleicherweise werden wir auch,
wo uns sonst in den Frtihlingsgebräuchen die Braut allein begeg-
net, dieselbe zu einem Paare ergäozen und den Glauben ver-
muten dürfen, daß nunmehr die entflohene Braut wiederkehre,
oder daß der verlassene Bräutigam eine neue Geliebte, die ver-
lassene Braut einen andern Bräutigam erhalten werde. Wir
wollen die betreffenden Gebräuche in der Ordnung der Kalender-
tage, an welche sie geknüpft sind, hier aufitlhren, unbeschadet
emer Sonderung verschiedener Fälle, welche künftig unter ihnen
noch vorzunehmen sein dürfte, lif lei MridM Mlwei &■ UchtBeßtage
(1 Mr.) 41« laufrai ud die iiaistk^tei in jeder Puülie elie lifergirk wrf
pitiei lie Hit den Heiden eiies Weiki u eiier Frioeigestalt herais, steUei sie
ii eiiei greßei Eerb, lekiei eiiei hilnrneD Eiittel daran iid leuei das du Bett
der Braut: „Brides kd/' weraif die üusfrai oid die Bieistktei drewal aisnfei:
Brlde is eenie, Iride is weleeae! Bie Braut ist gekeauien, willkaui-
■ei sei die Braut! Bies tut sie ekn fer n Bette gehei, und weil sie Bargen
ufstehei, sehet sie naeh der Iscbe ii der Brwartnig, darii eiaei Eiidriek vas den
Biittel der Braut st iidei. fiesehieht dies, se eraehteu sie es fir elie Verledeatug
eiier gutei Ernte ud eines ginstigen Jahres, das flegenteii halten sie fir ein
schlechtes Zeichen. ^ „Kommt'' die Braut in den ersten Frühlings-
tagen, 80 ist sie zur Winterszeit nicht dagewesen. Ihr Knüttel
■
erinnert an die o. S. 251 ff. erläuterte Lebensrute. Der Metzgerbraut
in Ztlrich entsprach der Fastnachtsumzug der Fleischer in Münster
nach Schilderung einer Chronik des 16. Jahrh. Die Fleischer
ritten und gingen am Fastnachtdienstag abends durch die ganze
Stadt in alle Fieischerhäuser. Hinter den Stadtspielleuten ritten
zwei Gildemeister dem Zuge voraus, deren jeder eine Fahne
ftUirte. Alle Fleischersöhne, so echt und recht geboren waren,
folgten paarweise nach. Die so groß waren, daß sie sich allein
auf den Pferden heli'en konnten, ritten allein; die kleineren
wurden von daneben gehenden Männern festgehalten ; die kleinen
Wiegenkinder hatten andere vor sich auf dem Sattel und waren
alle schön mit Gold und Silber gezieret. Auf sie folgten die
zwei anderen Gildemeister mit der Braut zu Fuße ; hinter diesen
1) Martin, Description on the Western Islanda 1716 p. 119. Brand
ed. Ellifl 1,51.
Maibrant, Pfingstbraut. 437
aber sämmtliche übrige Fleischer Paar bei Paar nach ihrem
Alter. Die Braat, welche sie also nmführteD, war keine
wirkliche Braut, sondern die älteste noch anverhei-
ratete Tochter in der Zunft. Die Zunft verehrte ihr auch
ein Kleid, wenn sie so mit umging. Den Beschluß des Zuges
machten die Knechte und Jungen, zwischen ihnen Fackelträger.
Jeder Fleischer und jeder Knecht trug einen von Zeug (Schnupf-
tuch oder anderem Stoffe) «gemachten Kranz in der Hand. Kamen
sie vor eines Fleischers Haus, so öffnete man die Türen weit,
die Reitenden blieben draußen auf ihren Pferden sitzen, die
Gildemeister aber gingen mit der Braut in einer Reihe
in das Haus, und hinter ihnen, einer in des andern Kranz fas-
send, die übrigen Fleischer und Knechte. Wenn es an die
Klnechte kam, zogen diese den Schwengel, daß der eine hier,
der andere dort lag, wobei es viel zu lachen gab. In jedem
Hause gab es Bewirtung mit Wein und Bier. Zuletzt zogen sie
wieder auf den Markt, die Fußgänger umwandelten die Kränze
anfassend mit der Braut dreimal die Schäme (Fleischbank,
Schrägen) und sangen ein Lied, das niemand verstand und das
sie auch niemand lehrten, als der zu ihnen gehörte.^ In Dentsch-
böhmen ftlhren die Bursche am Aschermittwoche eine Aschen-
hraut von Tür zu Türe.* In den Dörfern am Südrande des
Drömlings (Pr. Altmark) führen die Mädchen, während die Jungen
mit dem in Laub gehüllten und einer Blumenkrone geschmückten
Ftistge Mai umgehen, die Maibraut von Haus zu Hause, welche
wie eine Braut mit Bändern geschmückt ist und namentlich das
hinten bis zur Erde herunterhangende Brautband trägt. Auf
dem Kopfe hat sie einen großen Blumenstrauß. Sie singt:
Maibnit, Maibrüt!
Wat gebet ju de kleine Maibrut?
Gebet ja wat, so het se wat,
So het se't ganze Jär wat.
Gebet ja nist, so bet se nist,
So het se't ganze Jär nist. a. s. w.
In andern Dörfern des Drömlings (z. B. Neu-Ferchau und
Köbbelitz), wo der laubeingehüllte Junge Pmgstkääm heißt,
singen die mit der Maibraut umgehenden Mädchen:
1) Beiblatt za Nr. 1. der Rheinischen Provinzialbl. Köln 18S8. S. 3— 4.
2) Reinsberg-Düringsfeld, Böhm. Festkalender S. 50.
438 Kapitel V. Yegetationsgeister: Maibrantschaft.
Halla tu tat! ün dat is gut!
Dat is unse Maibrüt
Gäwen 86 wat, het se wat^
So het se*t ganze Jar wat n. s. w. ^
Auch in den Dörfern um Braanschweig. erscheint zuweilen
eine mit Blumen bekränzte Maibraut .^ In der Grafschaft Mark
(Westfalen) führen zwei Mädchen ein blumenbekränztes drittes
„de IHngstbrüt/^ Eier heischend von Tür zu Türe, indem
sie singen:
Bütl Büt!
Da kaem wi met der Brut.
De Brut, d& es van Niggeruo'e (Neurode),
Drum mach se game Aierdao*er (Eidotter);
Aierduo'er int Molkenfatt,
Da wärt Brümer (Bräutigam) un Brut van satt.'
In andern westfälischen Gegenden wird Pingsfbrut oder
Pingstjuffer (Pfingstjungfer) dasjenige Mädchen genannt, welches
beim Austreiben des Viehes zuletzt auf dem Felde ankommt.
Sie wird unter großem Jubel ,,gekrönt/' d. h. mit Laub und Blu-
men geschmttckt; an einigen Orten freilich erhält sie nicht Blu-
men , sondern einen Strohkranz oder Kesselkranz als Putz. Beim
Umherftlhren durchs Dorf singt man:
Pingstbrüt, f&le Hut!
Wörst du'n bitken froer upst&n,
WÖr't di'n bitken beater gan.
Zuweilen endlich ist das zuerst erscheinende Mädchen Pfingst-
braut und Königin des Festes.^ Auch in der Oldenburger Marsjch
heißt die Magd, welche zuletzt zum Melken kommt, die Pßngsir
hraut^ Die Langschläferin grüßt uns sofort als alte Bekannte,
ihr Antlitz verleugnet die Familienähnlichkeit mit den schmack-
osterten oder gepfefferten Burschen und Mägdlein, (o. S. 259.
268), der Pfingstblume (o. S. 318), dem Pfingsthagen (o. S. 351)
nicht. Zu Holzheim in Schwaben wird vor dem Festmahle des
Maifestes der Wasservogel (o. S. 352) ausgepascht. Der Grewin-
1) Kuhn, Mark. Sagen 8.319—322.
2) Kuhn, Nordd. Sagen 384, 64.
3) Fr. Woeste, Volksüberl. a. d. Grafschaft Mark 26,5.
4) Kuhn, Westf&l. Sagen n, 160, 449. 161, 451,
5) Strackerjan, Abergl. u. Sagen a. Oldenburg, 1867. 11,47, 316.
Maibraat, Pfiiigstbraut. 439
nende fthrt seine Tochter oder Schwester zum Mahle. Dadurch '
wird sie die Pfingsthraut und erhält einen Ehrenplatz am Tische,
so wie den mit Eiern behangenen Schnürriemen (Leibgürtel) des
Wasservogels. Letzterer wird nach Abnehmung dieses Gürtels
auf das Dach der Pfingstbraut gesetzt, wo er das ganze Jahr
bis zur nächsten Pjfingsten bleibt. * Nicht weniger als in Deutsch-
land ist die Maibraut in Frankreich gefeiert. In der Umgegend
von Grenoble feiert man „la feto du premier mai et de son
epousee," indem ein König und Königin auf einem Trone sich
den Blicken der Vorübergehenden darstellen.* Wir sahen o.
S. 346, wie in Süd -Frankreich z. B. Nimes flir die „Keine
Mala'' öder „Belle de Mai" ein Hocheeitsgeschenh erbeten
wurde. An den Ufern der Seille sangen die Hirten, am Maitage
ein blumengeschmttcktes Mädchen umflihrend:
Etrennez notre Spoiisie;
Voici le mois,
Le joli mois de mai.
£trennez notre epoasäe
En belle etrenne!
Voici le mois,
Le joli mois de mai.
Qu'on vouß amöne.»
In der Bresse heißt die Gefeierte „la Mariee," Ein Baum-
träger (dendrophore) mit grünem Maibaume geht ihr voraus, dann
folgt sie , von einem galanten Burschen geführt und bedeckt mit
Blumen, Bändern, Schmucksachen; nach ihr das übrige Land-
volk, ein Lied in Patois singend, aus dessen französischer Ueber-
setzung wir einige Strophen hersetzen wollen:
Voici venu le joli mois
L'alouette plante le mai.
Voici venu le joli mois;
L'alouette le plante;
Le coq prend sa voläe,
Et la volaille chante.
Voici venu le joli mois,
La cle de ma mie j'ai.
1) Panzer H, 87, 129.
2) E. Cortet , fetes feligieuses. Paris 1867. p. 161.
3) Monnier et Vingtrinier, Traditions populaires compar^es, 283.
440 Kapitel V. Y egetationsgeiBter : Maibrautschaft.
Voici Tenti le joli mois,
Tai la d^ de ma inie;
La cle de ma mie j^ai,
Pendue a ma ceintare.
Voici venu le joli mois;
Notre maitre, le bonsoir!
Voici venu le joli mois ;
Bonsoir donc, notre maitre,
Vous plairait-il de yotib lever
Ponr nons donner a boir?
Voici venu le joli mois,
La MariSe fCa pas soif,
Voici venu le joli mois,
La Mariee est saole;
Non, la mariee n*a pas soif,
Elle a bn ä la fiole.^
Die öpousee de mai ist sprichwörtlich geworden. Wenn eine
Frau oder Jungfrau sich überladen herausgeputzt, mit Schmuck
oder Blumen behangen hat, s^ man spöttisch: „Elle est beUe
comme Vepousee du mois de mai^^ oder man nennt sie: „la Belle
de mai, la Reine de mai.' Nicht allein in Südwesten, auch
südöstlich greift der Brauch , die Frühlingsbraut umzufUhren , weit
über die deutschen Grenzen hinaus. Bei den Albanesen ziehen
am Lazarustage (dem letzten Tage der Osterfasten) Knaben ver-
kleidet und mit Schellen behangen von Dorf zu Dorf. Jeder
Trupp besteht in der Regel aus sechs Köpfen, einer trägt einen
Korb zum Einsammeln, ein anderer trompetet auf einem Destil-
lierhelm, und ein dritter ist als Braut verkleidet,^
§ 5. Euren, Feien. Eine eigentümliche Abart der vor-
stehenden Bräuche fand sich noch im vierten Jahrzehnt unseres
Jahrhunderts im Marktflecken Großen -Göttern, Kr. Langensalza,
Rgbz. Erfurt. Dieser Ort steht unter einer einheitlichen und
gemeinsamen Schulzenverwaltung, umfaßt aber zwei evangelische
Kirchspiele mit besonderen Gotteshäusern, Schulen und Pfarrern.
Am ersten Pfingstfeiertage hüllen einerseits die erwachsenen
Bursche, andererseits die Knaben jedes Kirchspiels für sich, einen
der Ihrigen in Lindenlaub als Schoßnieier (o. S. 348) ein und
1) Monnier a. a. 0. 283—84'.
2) Monnier a. a. 0. 285.
3) Hahn , Albanes. S^dien 3. 156.
Hnren, Feien. 441
setzen ihm womöglich einen Blamenstrauß als Krone auf , so daß
im Ganzen 4 Schoßmeier vorhanden sind. Zwei Fahnenträger,
zwei Platzmeister mit Pritschen, ein Musikcorps voran durch-
ziehen die Bursche beider Kirchspiele mit ihren Schoßmeiem
über Mittag auf den besten und schönsten Pferden gesondert die
beiden Pfarreien; ebenso die Knaben, die größeren auf Gäulen
geringerer Qualität, die jüngeren auf buntbemalten Steckenpfer-
den. Begegnen die Bursche beider Kirchspiele oder die Schul-
knaben einander, so kommt es zu einer Prügelei, bei der es
darauf abgesehen ist, der andern Partei die Fahne zu rauben,
und wobei namentlich der mit einem tüchtigen Stecken (vgl.
0. S. 434. 343) bewaffnete öchoßmeier seine Pflicht zu tun
hat. Die Besiegten müssen ihre Fahne durch eine Geldein-
zahlnng in die Festkasse einlösen. Nach dem Umzüge werden
4 Tanzplätze und Lauben (vgl. o. S. 187) fllr die Musikanten
hergerichtet. Dort findet am 2. Feiertage in den besten Klei-
dern der Tanz statt. Am Pfingstdienstage wiederholt sich der
Umzug, jedoch nur je in dem eigenen Kirchspiele. Dabei spie-
len dieselben Personen, welche Schoßmeier waren, die Haupt-
rolle, aber sie tragen nicht mehr das Laubgewand, sondern zer-
rissene Weiherkleider, Gesichtslarven, Körbe und Kober, und
man nennt sie Huren. Etwas zudringlich sammeln sie zwei Tage
hindurch Eier, Schinken, Würste und eigens t\ir das Fest
gebackene Kuchen ein, welche bei den bis zum Mittwoch Abend
dauernden Tanzgelagen verzehrt werden. Dann ruht die Feier
drei Tage, bis sie am Trinitatissonntage abends mit einer Pro-
zession der vier Gelagstruppen beiderlei Geschlechtes auf die
Felder mit heiterer Musikbegleitung endigt, wo jeder Fahnen-
träger in ein grünes Roggenstück hineingeht und seine Fahne
horizontal über dasselbe schwenkt; indeß alle übrigen einen
Choral „Nun danket alle Gott" oder ein ähnliches Lied singen.
Diese Roggenstücke hält der Volksglaube ttir besonders geseg-
net* Auch in der Altmark ziehen mehrfach am dritten Pfingst-
feiertage die Tänzer und Tänzerinnen von Hof zu Hofe, darun-
1) Möndl. Zn dem letzten Acte des Festes vgl. den Saatgang der
Fuhr- und Ackerleute nach den Niederhöfen zu Langensalza am Nachmit-
tage des Trinitatissonntages. A. Witzschel Sitten u. Gebräuche aus der
Umliegend v. Eisenach. Eisenach 1866. S. 13 , 54,
442 Kapitel Y. Vegetationsgeister: Maibrautschaft.
ter befinden sich mehrere junge Barsche in Yermam-
mung mit Weiberkleidern, und einer trägt einen geitUlten
Bierkrag y den er jedem Hofwirte and seiner Praa reicht, dann
wird einige Minuten aal' der Tenne getanzt, indeß die Wirtin
mit ihren Gaben heraasrlickt^ Man erinnere sich des o. S. 377
erwähnten Lutticher Pfingstamgangs vom Jahre 1224, bei wel-
chem „onmes alii, proat poterant, ad modum mulieram erant
adomati'^ and „tam senes quam javenes masculini sexas antiquos
lados vestibas malieram indati barbis rasis reducant ad memo-
riam.'' Nach Labbert wurde bei Lübeck schon am Sonntage
Quinquagesimä ein mit einem grünen Weiberrocke behange-
ner Knecht umhergeftlhrt (o. S. 317). In der Grafschaft Bap-
pin (Altmark) wiederum gehen in der Woche vor Weihnachten
mit dem Schimmelreiter und Christmann auch die Feien um, als
Weiber gekleidete Bursche mit geschwärzten Gesichtern,^ die sich
allerhand Neckereien und Zudringlichkeiten erlauben, und eben
diese Feien (auch wol einfach Maschkers, Vermummte, genannt,
zuweilen in der Dreizahl) stellen sich auch bei Hochzeiten ein,
während der Zug sich nach der Kirche bewegt und suchen den-
selben durch Possen zu stören und zum Lachen zu bringen,*
oder sie treten am Abend in Begleitung des Erbsenbärs auf und
tanzen mit der Braute
Obgleich in den letzten Beispielen statt der einen Maibrant
mehrere Frauengestalten auftreten, und auch der Bräutigam fehlt,
wird es schwerlich zu bezweifeln sein, daß diese Bräuche nur
mit etwas verschiedener Wendung denselben Gedanken enthalten,
wie diejenigen, in denen ein Brautpaar dargestellt wird. Denn
diese Mai- und Fastnachtsgebräuche sind ja unwillktlrliche Yer-
anschaulichungen des Gedankens, daß die Natur im Begriffe sei
eine neue Generation hervorzubringen. Dieser Gedanke ist
mythisch ausgedrückt durch die Vereinigung eines männlichen
und eines weiblichen dämonischen Wesens, in deren Verhältniß
wiederum die Stimmung sich abspiegelt, welche im Frühjahre
jede noch unverdorbene Menschenseele ergreift, die zarte Sehn-
1) Kuhn , M&rk. Sagen S. 327.
2) Knhn, Mark. Sag. 346. Kuhn, Nordd. Sag. 402, 125.
3) Kuhn, Mark. Sag. 362.
4) Kahn , Nordd. Sag. 433, 2b0.
Bedeataug des Maibrantpaars. 443
sucht, das süße Verlangen , der goldene und reine Traum von
Glück und Liebe , denen das Herz sich öfhet, wenn im Februar
der Saft in die Bäume steigt und im Mai die Knospen springen.
Wo aber der grüne Vegetationsgeist (der Schoßmeier) in die
Hure sich wandelt , liegt der nämliche Grundgedanke der Pro-
creation vor , nur ist die unermeßliche Werdettille des vorgeschrit-
tenen Frühlings und Sommers in den Vordergrund gestellt und
durch ein Uebermaß der Zeugungen symbolisch angedeutet. Daß
auch die Feien nur Vervielfältigungen dieser Figur sind, die
in jener Lübecker Sitte noch einfach auftritt, erweist sowohl ihr
Name , der jauf den. Begriff des Zauberkräftigen , Wunderwirken-
den ausgeht,^ als ihr Auilreten in Begleitung des Schimmelrei-
ters und des Erbsenbärs (wie wir später sehen werden, zweier
Vegetationsdämonen) und auf Hochzeiten, wo sie doch offenbar
die Fruchtbarkeit des neugeschlossenen Ehebundes bewirken soll-
ten. Zur Zeit der Wintersonnenwende erscheinen sie, weil dann
der Frühling vorspukt (vgl. o. S. 236). Jener Lütticher Umgang
erweist, daß ihre Vervielfältigung local schon im 13. Jahrhundert
eingetreten war.
§ 6. Bedeutung des Maibrautpaars. Mit vollem Rechte
wird an uns die Frage gerichtet werden, ob die Bedeutung des
Brautpaares nicht noch näher zu bestimmen sein möchte, als es
I) In diesem Sinne mag das romanische, aus fata entstandene Wort
von städtischen Pfingstgebräuchen, welche Scenen der Artusromane nach-
bildeten, entlehnt, and auf die ländliche Festfeier übertragen sein. Vgl.
Müller -Zamke mhd. Wb. s. v. Feie. So erzählt bekanntlich die Magde-
burger Schöppenchronik zum Jahre 1285 , daß za den Pßngstspielen dieses
Jahres der gelehrte Konstabel Brun von Sconebeke auf Bitte seiner Gollegen
am Stadtregimente ein Festspiel dichtete, dessen Stoff der mit der Artussage
verbundenen Gralssage entlehnt war. Die Hauptsache dabei war ein Lanzen-
rennen, wobei eine fahrende Schöne, Frau Feie genannt, als Siegespreis
aasgesetzt war (se hedden eyne schone vrowen , de het vrow Feye , de scheide
men ghewen den, de se vorwerwen künde mit tnchten und manheyt). Ein
alter Kaufmann aus Goslar gewann sie, der sie mit sich nahm, aber mit
einer guten Mitgift ausgestattet einem ehrlichen Manne zur Ehe gab , so daß
das zuchtlose Weib ihr wildes Leben nicht mehr übte. Magdeburg. Schop-
penchronik ed. Janike B. IL (Chronik der. d. Städte VII. 168 — 169. cf.
Th. Hirsch über die Artushöfe S. 23. 31.) Janikes Vermutung, Feye sei
hier Abkürzung des Namens Sophia, (niederd. Fike, fries. Vye) dünkt mich
wenig wahrscheinlich.
444 Kapital V. Vegetationsgeister: Maibrantschaft.
bis dahin von uns geschehen ist. Wer ist die Braut und wer
ist der Bräutigam? Der in Laub gehüllte Fiance du mois de
may in der Dauphin^, welcher nach Verlust der Braut schläft^
und von einer neuen wieder erweckt wird, ist doch deutlich der
im Winter schlummernde Geist der Pflanzenwelt, und wenn man
die Geliebte mit einer bestimmten Naturerscheinung zu identi-
fizieren genötigt wäre, wtlrde man am ehesten an den Sonnen-
schein, oder die Sonne denken, die in der zweiten Jahreshälfte
80 zu sagen davongeht und dier in der ersten Hälfte des folgen-
den Jahres gleichsam als eine andere wiederkehrt und das Grün
von neuem wachruft; oder an die Erde, welche im Winter, un-
fruchtbar geworden, sich dem Genius des Wachstums entzieht,
im Frühjahr aufs neue ftlr ihn bräutlich sich schmückt. Sehr
leicht ließe sich die Anschauung umkehren, so daß Sonne oder
Erde als die vom Wachstumsgeist verlassenen erscheinen, da
ja das anthropomorphische Bild von der Untreue oder dem Tode
des Gatten oder Verlobten nur die Unterbrechung oder Auf-
hebung der zeugenden und gebärenden Naturgewalt darstellen
soll. Man vergleiche nur, wie Hölderlin I, S. 99 sich ausdrückt:
„Mutter Erde, rief ich, du bist zur Wittwe geworden, dürftig
und kinderlos lebst du in langsamer Zeit." Doch ich meine, daß
von einer rohen Identifi^sierung der Maibraut mit einer solchen
bestimmten Naturerscheinung überhaupt abzusehen sei, daß viel-
mehr das Verhältniß der Brautschaft, Ehe, Vermählung,
den Kern des mythischen Gedankens ausmacht, der an und fttr
sich unbestimmt, verschiedener Anknüpfung und Wendung fähig
war, wie denn z. B. der Dichter Logau denselben Gedanken
anschlägt, wenn er in seinem bekannten Epigramme vom Mai
sagt: Dieser Monat ist ein Kuß, den der Himmel giebt der Erde,
daß sie jetzo seine Braut, künftig aber Mutter werde. Und Gei-
bel: Der Himmel selbst ist tief herabgesunken, daß liebend er
der Erde sich vermähle. Zwei uns wolbekannte Züge , das Lang-
schläfertum , d. h. Aufstehen aus langem Schlafe und der Regen-
zauber sind übrigens untrügliche Merkmale, daß es sich bei
unserem Paare um Vegetationsdämonen handelt. Die Entfernung
des Gatten oder Bräutigams von der mit einem andern buhlen-
den, verlobten oder vermählten Gattin oder Braut, sein vermeint-
licher Tod, sein Verweilen in entlegener Feme (die sich durch
verschiedene symbolische Züge als das Todtenreich characterisiertj
y
Bedeutung des Maibrautpaars. 445
and seine wunderbare Rückkehr aud Wiedervermählang nach
geraumer Zeit (meist nach 7 Jahren) sind ebenfalls ein der ger-
manischen Mythe und Sage ganz geläufiges Bild, um den Wech-
sel der Jahreszeiten zu bezeichnen.^ In gleichem Sinne kennt
die Mythe den umgekehrten Zug der Untreue des den winter-
lichen Ma<5hten verfallenden Bräutigams gegen die erste Verlobte
(Sigufrit). Dem nordischen Mythus von der trähnenschönen Göt-
tin Freyja, die von ihrem Gemahle Odr verlassen suchend ihm
nachzog von Land zu L^de,' steht auf deutscher Seite wie es
scheint gegenüber die (o. S. 122 flf erörterte) Sage vom wilden
Jäger (Gronjette u. s. w.), der sieben Jahre seiner vor ihm fliehen-
den Geliebten nachjagt, bis er sie erlegt und quer über sein
Roß geworfen davon führt. Daß eine Ueberlieferung die Gejagte
St. IjTalpurgis nennt und die Jagd in den Frühlingszwölfien
1. — 12. Mai vor sich gehen läßt (o. S. 121), macht es ziemlich
gewiß, daß letztere nach alter Vorstellung überhaupt im Mai
endigte (mithin, wenn man 7 Jahre ftlr den mythischen Ausdruck
von Monaten gelten läßt) von Anfang October bis Anfangs Mai
dauernd gedacht wurde. Darf diese Jagd auf die Frau mit den
großen Brüsten, in welcher wir das Blättergrün, die Pflanzen-
fUUe erkennen wollten (o. S. 124) mit Kuhn als eine rohe und
sehr altertümliche Form des Brautraubes aufgefaßt werden, so
findet die Vermählung des Paares im Mai statt und wir haben
in jener Wodanssage ein Analogen zu den Gebräuchen von der
Maibraut. Die Uebereinstimmung ist um so augenfälliger, wenn
man sich vergegenwärtigt, daß Verbannung, Flucht, Tod und
Schlaf der Götter nur verschiedene Wandelungen des Mythus
beim Ausdrucke eines und des nämlichen Gedankens sind. Wir
werden nach allem diesem über den Gedankeninhalt der nach-
stehenden Tiroler Sitte nicht mehr im Dunkeln sein können.
Am unsinnigen Pfinztag, d. h. Faschingsdienstag verfertigt man
aus Stroh und alten lumpigen Kleidern einen großen Mann, den
Egerthansel, und trägt ihn auf einer eigens dazu bereiteten
Tragbahre herum. Auf den Plätzen und bei verschiedenen Häu-
sern halten die Träger an und fragen den Strohmann um Neuig-
1) Ich verweise nnr auf W. Müllers Erörterung, Niedersächs. Sag.
396 — 407, der sich Vieles anreihen liefie.
2) Gylfaginning c. 35. Sn. E. Am. 1 , 114.
446 Kapitel V. Yegetationsgeister: Maibrantschaft.
keiten, worauf ein Bursche, im Namen der Puppe antwortend,
alle anstößigen Tagesgeschichten kundmacht. Schliejlich wird
der Egerihansd einer alten ^ aber dennoch heiratslustigen Jung-
frau als Bräutigam beschert und über ihrer Haustüre aufgehängt.
Ein gemeinsamer Tanz im Wirtshause beschließt den Tag.^ Die
Egert, Egärt, Egerten ist eine ehemals gepflügte, Acker gewe-
sene Feldfläche, welche in Folge des Wirtschaftssystems ober-
deutscher Gebirgslandschaften (der sogenannten Egartenwirtschaft)
später ftir eine Zeit lang zu Graswuchs, Holz oder gar keinem
Anbau öde liegen geblieben ist.^ Der Egarthansel darf mithin
yerstanden werden als der Dämon, der ehedem in dem Leben
des Saatfeldes tätig , nun seit geraumer Zeit in der unfruchtbaren
Wildniß oder Oede weilte, sein zerlumptes Aussehen stellt ihn
dem Onkel Ambrosius und anderen Vegetationsalten (o. Sf 427)
zur Seite. Dürfen wir dieses Verweilen in der Wildniß als sei-
nen winterlichen Zustand auffassen, so ist die Symbolik klar,
weshalb er, nun zurückkehrend, einer Braut zu teil wird, welche
lange sehnsüchtig gewartet hat und über dem Warten alt wurde
(vgl. die verlassene Braut jenes kämtischen Fastnachtsaufznges
0. S. 435), aber noch immer mit angetrübter Hoffnung der Ver-
mählung entgegenträumt. Im übrigen hat die Sitte, den Egert-
hansel der heiratelustigen Alten auf den Stadel zu setzen, ihre
nächste Verwandtschaft in jenem bairischen Brauche, der Pfingst-
.braut den Wasservogel aufs Dach zu pflanzen o. S. 439.
Ergiebt sich nach allem diesem ftir jenen Brauch in Kärnten,
auf Fastnacht eine verlassene Braut darzustellen, die Möglichkeit
einer bloßen Variation anderer Frühlingsgebräuche, so schwächt
sich damit die sonst große Wahrscheinlichkeit ftir eine christ-
liche Deutung desselben ab, auf welche eine Aeußerung Beleths
zu ftlhren scheint. „Septuagesima incipit a moerore et finitur
cum gaudio, sicut psalmi poenitentiales utTocant. Septuagesima
vero sonat sexies decem et significat tempus yiduitatis
ecclesiae ac moerorem ejus propter absentiam sponsi.
Licet enim Christus sit nobis praesens, secundum divinitatem juxta
illud: Vobiscum sum usque ad consummationem seculi, tarnen
secundum, quod est homo, in coelo est et sedet ad dexteram
1) Zingerle , Sitten. Aufl. 2. 135, 1195.
2) Scbmeller, Bair. Wb. Aofl. 2. d45.
Nachahmungen des Maibraatpaares. 447
patris, id est, patri est co^qualis.^^ ^ Diese Anffassang beruht
auf dem Aassprach Christi Lac. 5, 35: Es werden Tage kommen,
da der Bräutigam wird von ihnen genommen werden, alsdann
werden sie fasten in denselben Tagen. Schon TertuUian schrieb
(Lib. contr. Psychicos cap. 2) : Certe in Evangelio illos dies jeju-
niis determinatos putant, in qoibus ablatus est sponsus. Der-
selbe a. a. 0. cap.' 13: Ecce convenio vos et praeter pascha jeja-
nantes citra illos dies, qoibus ablatus est sponsus. Es liegt
durchaus nahe, aus diesem Gedankenkreise heraus die Kärntner
Fastnachtbraut (o. S. 435), vielleicht auch die Aschenbraut (S. 437),
als Darstellung der in der Passionszeit verlassenen Braut Christi,
der Kirche, zu deuten; die Pfingstbraut, Maibraut, L'^pousäe
du mois de May; die den in Laub gehtlllten verlassenen Bräu-
tigam aus dem Schlaf erweckende Jungfrau (o. S. 431), die in
Gestalt einer aus Haferähren geformten Figur auftretende, froh
willkommen geheißene Lichtmeßbraut (o. S. 436) sind jedoch un-
strdtig bildlicher Naturanschauung entsprungen, und es wäre wie-
der ein fast wunderbar zu nennendes Zusammentreffen ganz hetero-
gener christlicher und außerchristlicher Ideen in der gleichen Form
eines zu gleicher Jahreszeit geübten Brauches, wenn wir die obigen
Fastenbräuche * von den Darstellungen des Maipaars trennen und
der Kirche als Erzeugnisse ihrer Gedankenarbeit zuweisen mtlßten.
§ 7. Nachahmimgen des Malbrautpaares. Auch dem
MaipcMre (wir bezeichnen mit diesem Ausdrucke der Ktlrze
wegen die beiden dämonischen Wesen, deren Vereinigung im
FrtUgahr , resp. SonMner , sei es zu Fastnacht , zu Walpurgis oder
gar zu Johannis gefeiert wird) entbricht eine Eigenschaft nicht,
welche wir mit fast allen übrigen Gestalten des Wachstumsgeistes
(Baumseele, Waldgeistem, Maibaum, Erntemai, Lebensrute u. s. w.)
verbunden fanden; ich meine jene Fähigkeit und Tendenz als
Vorbild des Menschen zu dienen, der sich selbst mit ihnen, sein
individuelles Geschick mit demjenigen der Natur identifizierte
und dadurch ihrer Kraft , Gesundheit und Fülle teilhaftig zu wer-
den gläubig erwartete. Aus diesen Eigenschaften fließt eine
Reihe von Handlungen, denen zufolge sich die gesanmite männ-
liche Bevölkerung in erwachsenem Alter, resp. die unverheiratete
1) J. Belethi Bationale divinonim officionun cap. 77 (una cum Durando
ecL Com. Lauriman. Lagd. 1605. p. 526).
448 Kapitel V. Vegetationsgeister: MaibrautRchaffc.
Jugend das Gebahren des Maipaares aneignete nnd durch Wahl
einer Maibrant (Fastnachtsbrant) dasselbe darstellend nachbildete.
Wir beginnen unsere Nachweise mit einer französischen Sitte,
welche an die oben (S. 122) erwähnte Sage vom wilden Jäger
erinnert. Zu Mont^limart D^p. de Drome in der Dauphin^ war
es nämlich Brauch, daß die Ackerbürger (laboureurs) mit den
Amtleuten (bayles) am 30. April jedes Jahres auf einem davon
Mai oder des Bouviers (Rinderhirten) benannten Platze den
Maibaum pflanzten. Am 1. Mai bestiegen sodann die Acker-
btlrger und ihre Amtleute (syndics) prachtvoll aufgeschirrte und
mit Bändern geschmückte Mäuler, ein jeder nahm ein Bauerweib,
oder eine Bauertochter hinter sich aufs Tier (en Croupe) und so
ritten sie mit Musik auf den Dörfern der Umgegend von Hof
zu Hofe, teilten geweihtes Brod aus, sangen und ließen die
Bauermädel tanzen, wofür sie überall eine Bewirtung empfingen.
In den Pfingsttagen fand endlich ein früher dreitägiges, in der
Revolutionsepoche abgestelltes , seit seiner Erneuerung im Jahre
1818 auf einen Tag beschränktes Ackerbaufest statt, bei welchem
die jungen Leute einen Aehrenstrauß im Enopfloche trugen und
einen König wählten, der ein mit Aehren gekröntes Zepter
führte. ^ In der englischen Bearbeitung des Romans von Arthurs
Tod ist die nämliche Sitte beschrieben , ob schon das französische
Original sie kennt, habe ich nicht feststellen können. Im lustige^
Monat Mai, heißt es, rief Königin Genever die Ritter der
Tafelrunde und gab ihnen einen Wink, sie werde früh am
Morgen den Mairitt in die Wälder und Felder bei Westminster
halten (ride on maying). Alle Ritter waren dabei in Grün
geMeidet, wol beritten, und jeder haUe eine Lady hinter sichy
ein Schildknappe, zwei Trabanten folgten.^ Daß es sich bei
diesen Sitten in der Tat um die Nachbildung einer Hochzeit
handelt, geht aus der Hochzeitsitte im Yogelsbergischen (Hessen)
hervor. Am Morgen des Hochzeittages begiebt sich der Bräuti-
gam mit berittenem Gefolge zur Braut. Hier finden die Reiter
eine gleiche Anzahl junger Mädchen, deren jedes einen Ej'anz
aus Kunstblumen, Gold- und Silberflittem auf dem Kopfe trägt
1) M. de Groix , Statistiqne da D^p. de Dröme bei Monnier p. 303.
2) Morte Arthur, translated from the French by Sir Thomas Mallory
knigbt, and first printed by Cazton A. D. 1481 bei Stmtt a. a. 0. 357.
Mailehen^ Yalentme. 449
Nach dem Frühstück wird der Rückzag angetreten. Voran ziehen
die Spielleute, hinter ihnen die Brautwerber in schwarzen Män-
teln mit dem Bräutigam in ihrer Mitte. Dann folgt einer der
Brautflihrer, hinter welchem die Braut sitzt ^ und nun der Reihe
nach die übrigen Reiter, jeder ein geschmücktes und bekränztes
Mädchen auf seinem Pferde haltend. Kaum ist der Zug auf
einer Ebene angekomjnen, so verstummt die Musik, die Mädchen
huschen schnell vom Herde und es beginnt ein vollständiges
Wettrennen nach einem Ziele, an das ein seidenes Halstuch, ein
Paar Handschuhe und ein Band als Preise befestigt sind. Wer
sie gewinnt, schmückt sein Pferd damit (Brautlauf).
Im Drömling ziehen die Hirtenjungen am weißen Sonntage
(Judica, 14 Tage vor Ostern) hinaus auf die Weide und stecken
einen Platz ab, auf welchen bis zum Pfingstfeste niemand sein
Vieh treiben darf. Ist dies geschehen, so nennen die Heineren
den größeren ihre Braut und keiner darf den Kamen verraten.
Darauf ziehn sie ins Dorf und sammeln Gaben ein, welche auf
der Weide verzehrt werden. Zu Pfingsten wird die abgesteckte
Weide frei und jeder darf auch die ihm bezeichnete Braut nen-
nen.^ In Kindleben bei Gotha findet am Hinmielfahrtstage eine
Art Br^utmarkt statt, indem sich dort alljährlich die Bursche
und Mädchen der Umgegend zur Brantschau stellen. Die Bursche
kommen in ihrem höchsten Staate und mit vollem Beutel, um
den Naumburger W6in reichlich fließen zu l^en, die Mädchen
mit dreifacher Garderobe, da sie sich dreimal umkleiden müs-
sen. In Kindleben entspinnen sich die meisten ehelichen Verbin-
dungen, welche die Statistik unter den Bauern jener Umgegend
verzeichnet und manche heiße Debatte über Land und Geld fand
dort statt. Der Tanz unter der alten Kindleber Linde, so wie
die gemeinsame Heimfart sind entschiedenere Wahrzeichen ihres
Bundes, als der erste öffentliche Ausgang eines Brautpaars in
der Stadt. Eine ähnliche Bedeutung mag der Tanz auf der
Wiese über der Nebelhöhle in der schwäbischen Alb gehabt
haben, zu dem an jedem Pfingstmontage die jungen Leute
der weiteren Umgegend zusammen strömen.
§ 8. Mallehen, Valentine. In Hessen, Westfalen, Rhein-
land werden am Maitage die Mädchen versteigert oder zu Mai-
1) Kuhn , Mark. Sag. 321.
Mannhardt. 29
460 ICapitel Y. Vegetationsgeister: Maibrantschaft.
leben ausgegeben. In der Scbwalmgegend zieben die beirats-
fäbigen Burscbe, im Ziegenbainiacben nur diejenigen, welcbe
dnreb einen besonderen Act in die junge Mannscbaft au%enom-
men sind, wäbrend der Walpurgisnaebt singend, mit Peitscben
knaUend auf eine Anböbe vor dem Dorfe , wo sie frtlber bei die-
ser Gelegenbeit ein Feuer ansfueimden pflegten (tote in den Krei-
sen Kirchhain und Ziegenhain noch jetist geschieht). Einer stellt
sieb auf einen Stern und ruft:
Hier steh' ich auf der Höhen
Und rnfe ans das Lehen,
Das Lehn, das Lehn,
Das erste (zweite n. s. w.) Lehn,
Daß es die Herren recht verstehn!
Wem soll das sein?
Dann antwortet die Versammlung, indem sie den Namen emes
Burscben und eines Mädcbens nennt, mit dem Zusätze:
In diesem Jahre noch zor Ehe.
Dann beginnt au& neue Gesang und PeitscbengeknaU , bis die
Beihe der Heiratsfähigen durchgegangen ist Dies nennt man
das Maileben. Aus demselben entspringt fbr beide Teile die
Yerpflicbtung, das ganze Jabr mit keinem oder keiner dritten
zu tanzen. Das Mädcben befestigt seinem Burscben einen soge-
nannten Lebnstraut an den Hut Im Kirebbainer und Ziegen-
hainer Xreise wifll angesichts des lodernden Maifeuers
„das Mailehen" zwar auch der Art ausgerufen, daß der Aus-
rufer ein Mädcben und einen Jfingling (und zwar einen solchen,
den sie schon zum Liebsten bat, oder mit dem man sie gern
beglücken möchte) nennt, aber jeder darf auf das Leben, d. h.
auf das ausgerufene Mädcben bieten. Es wird nun geboten und
der Liebhaber darf sich nicht lumpen lassen, um die Seme
davonzutragen. Das erlöste Geld wird im Wirtsbause verzehrt
Mißfällt ein Mädcben, so schweigen aUe, oder man bietet eine
geringftlgige lächerliche Sache. Am nächsten Sonntage finden
die mit einem Liebsten beglückten Mädcben einen Strauß oder
Maibusch auf ihrem Kirchensitze, die Verschmähten einen Dor-
nen- oder vertrockneten Zweig (vgl. o. S. 165. 184). Dem Mäd-
chen steht es frei, seinen Käufer beim ersten Tanze durcb einen
verneinenden Knix abzulehnen (ist wol eine moderne Mildemng
der alten Sitte) oder ihn durch Anbeftung der Blumen an seine
Mailehen, Valentiiid. 451
Mutze als Liebsten anzuerkennen.^ An der Eifel und Ahr und
im Jttlicher Lande yersammeln sich schon am Vorabende des
Mäitags alle Barsche , welche eine Gilde mit gewählten Schalt-
heißen, Schöffen and Schreibern bilden, unter der Linde oder
vor der Kirchtttre; der Schaltheiß oder ein Schöffe bietet die
Mädchen des Dorfes anter Anpreisung ihrer Vorzüge einzeln aas
and tibergiebt jede feierlich dem Meistbietenden, zuerst die
Schönste, die zumeist der Reichste davonträgt, wo nicht beson-
dere Herzensneigung zu größeren Geldopfem anspornt. In abstei-
gender Linie geht er alle Mädchen durch; diejenigen, aufweiche
kein Angebot erfolgte, bilden den Bündel und Kümmel und wer-
den zusammen in Bausch und Bogen einem Burschen angesteigert.
Der Schultheiß hat beim Ansteigen! die Vorhand und führt mit
seiner ErsteigerteiT immer den Tanz an. Die Ersteigerten heißen
Maifrauen oder Maüienen. Der Ansteigerer hat das Recht,
während des ganzen Frühlings und Sommers mit seiner Maifrau
ausschließlich zu tanzen und als ihr Bevorzugter zu gelten. Er
beeilt sich sofort nach der Versteigerung ihr einen schönen
Maien auf den Giebel zu setzen und sie schmückt seinen
Hut mit Blumen. Von dem erworbenen Gelde werden die Musi-
kanten bezahlt und der Ueberschuß verbraucht, um die Maifrauen
mit Wein und Speisen zu bewirten. In der Wetterau überreicht
das zu Lehn angenommene Mädchen seinem Ersteigerer den
„Keim'^ einen Rosmarinstrauß. In anderen Dörfern der
Eifel (z. B. Uelmen) werden die Mädchen 4 — 5 Wochen vor der
Kirmes versteigert, sie werden von da an bis zur Kirmes des
Meistbietenden Tänzerinnen.' In St. Goar fand die Versteigerung
1) Lyncker, Hessische Sagen [235, 317 nach Landan Zeitschr. f. hess.
Gesch. II, 272 ff. Mülhanse, ürreligion S. 177. Nach Soldan (Geschichte der
Hexenprocesse S. 248) hegehen sich die jnngen Barsche in der ersten Mai-
nacht vor das Hans ihrer Geliebten, schießen, knallen mit den Peitschen
nnd rufen:
Ich rafe mir N N zum Lehen ans;
Ein Lehen ist ein Lehen;
Wers nicht will, läßt es gehen.
2) Schmitz, Sitten nnd Branche des Eifler Volkes I, 32.48. Kinkel
die Ahr S. 116 ff. E. Weyden, das Ahrthal. S. 215. Dieffenbach, Urge-
schichte der Wetteran. In Brohl, Meckendorf nnd anderen Dörfern der Eifel
29*
452 Kapitel Y. Vegetationsgeister: Maibrautschaft.
der Mailehen sogar aol' dem Rathanse statt und das erlöste Geld fiel
in die Stadtkasse. ^ Aus dem Herzogtum Berg schildert der Pseudo-
nyme'Montanas den Hergang ganz ähnlich mit geringen Modificatio-
nen. ' Statt der Schultheißen , Schöffen und Schreiber genannten
Beamten wählen die am Maiabende unter der Linde versammelten
Bursche sich einen Maikönig und zwei Maigrafen, die diesem als
Richter zur Seite stehen. Sie heben den Maigesang an, den die
Mädchen fem her vom Dorfe erwiedem. Dann wird die Liste
der unverheirateten und heiratsfähigen JUnglinge und Jungfrauen
neu aufgestellt und der Maikönig wählt siqh eine Maikönigin.
Jetzt ruft der eine Maigrai' nach der Reihe die Namen jedes
Jünglings auf, die Versammlung fragt: Wer soll seine Liebste
sein? und der zweite Maigraf nennt den Namen der Jungfrau,
die ihm zugeteilt wird. Burschen und Mädchen unlauteren Rufes
gingen dieser Ehre verlustig; beliebten Jungfrauen wurde die
Aufpflanzung des ehrenden Maibaums vor ihre Tür zuerkannt
Am Maitage selbst brachte jeder dem bei der Maisprache ihm
zuerteilten Mädchen Spruch und Gruß und empfing Dank und
einen Maiblumenstrauß, dann brachten alle singend der mit Blu-
men gekrönten Maikönigin ihre Huldigung dar. Nachmittags
begann der Maireigen unter der Linde, zu dem jeder Jüngling
an der Hand des ihm zuerteilten Maimädchens trat. Er behielt
es bis zum andern Mkiabend und hatte es zu Kirmes und Johan-
nisreigen, zum Vogelschießieste und zum Schwingtage zu ilihren,
abzuholen und heimzugeleiten. Maikönig und Maikönigin
hatten überall den Vorsitz, die Maigrafen hielten die Ordnung
aufrecht und schlichteten mit dem Könige alle Zwiste in Liebes-
händeln.' Südlicher finden wir die Spuren des Mailehens in
Frankiurt am Main wieder, wo im Anfange des vorigen Jahr-
hunderts Kinder in einem grünen Wägelchen von Haus zu
Hause fuhren und die Verse sangen:
Hente zum I^heD,
Morgen zur Ehe,
Uebers Jahr zu einem Paar.
maß die Maifrau mit ihrem Ansteigerer nicht allein ausschließlich tanzen,
sondern sie darf sich auch mit keinem andern unterhalten, bis man Blüten
an den dicken Bohnen im Freien sieht,
1) Kriegk, deutsches Bürgertum i. Mittelalter. Frankf. a. M. 1868. S. 4^.
2) Montanns, die deutschen Volksfeste 1, 1854. S. 2» ff.
Mailehen, Valentine. 453
Der Berichterstatter ist der Ansicht, es seien das dieselben
Worte, mit denen vor 1232 ehe von Heinrich VII. das Ehezwangs-
recht aufgehoben sei, ein Herold zuweilen einer Bttrgerstochter
angekündigt habe, daß der Kaiser sie der Hofleute einem zur
Ehe verleihe. ^ Um Kirchheimbolanden , Stetten u. s. w. in der
Rheinpfalz werden wiederum heute noch in der ersten Mainacht
die heiratsfähigen Mädchen in öffentlicher Versammlung zur Ver-
steigerung einzeln ausgeboten und dem Höchstbietenden zuge-
schlagen. Der Erlös ist kein unbedeutender.^ Dagegen fand
an der Mosel die Verteilung der mannbaren Mädchen an die
Ortsburschen, das Mailehen, schon am ersten Sonntage in der
Fasten (Invocavit) statt und hieß daselbst der Vcdentinstag, es
wurde 1799 polizeilich verboten.* Hierüber äußert sich Zuccal-
maglio^ folgendermaßen: „Von den witzigsten Burschen werden
am Bhein und weit nach Lothringen hinein alljährlich am ersten
Sonntag in den Fasten die „Liebchen/^ „Vielliebchen ,'* Valeftr-
H^when*^ ausgerufen, deren Namen an der Sprachstelle jedesmal
eingeschaltet wird. Steht einem jungen Manne die zuerteilte
Jungfrau an, so geht er am Sonntag zu ihr, di« Bretzel zu
brechen, ihr auch wol ein kleines Geschenk zu machen; wo
nicht, so wird am zweitfolgenden Sonntag sein Name von den
Ausrufern auf einem Zettel feierlich verbrannt. Daß aus dieser
mutwilligen Verlobung manche ernste folgt, läßt sich denken.**^
Das Beispiel eines betreffenden Ausrufes lautet:
Ich weiß iott! Was weißte denn?
Der Peters Olof en det Dolfes Drückchen det sind zwihn,
Mer machen e Paar dorus recht schün
Zo Ostern geft et em Blomenstrüß,
ün Ufer et Jör die Wegen et Hüs!«
Auch die Knechte zu Dobischwald in Oesterr. Schlesien nehmen
schon am ersten Fastensonntage das Mädchetiverschreiben vor,
indem ein aus ihrer Mitte gewählter Fürsprech jedem nach
Maßgabe seines Angebots ein schOnes oder minder schönes Mäd-
1) Aug. F. V. Lerßner, Chronik der Stadt Frankfurt 1706. I. 59. Grimm,
R. A. 438. Anm. vgi. 436—38.
2) Bavaila IV, 2,364.
3) Hocker, das Moselthal. S. 24 bei Rochholz drei Gaugöttinnen S. 41.
4) Znccalmagllo (Eretschmer) , Deutsche Volkslieder mit ihren Original-
weisen. T. n. Berl. 1840. S. 502.
5) Ebds. Nr. 277. S. 501.
454 Kapitel Y. Yegetatioiisgeister: Maibrantschaft.
eben als ausschlieAliche Tänzerin zuschreibt^ Kriegk erwähnt,
daB es auch deutsche Orte habe, an denen die Versteigerung
am Ostermontage statt hatte. ^ In den meisten der aufgeführten
Fälle ist durch die Gesetze der Gilde streng fbr Ordnung gesorgt,
und jeder Verstoß gegen die SitÜichkeit wird mit Geldbufte oder
Ausstoßung aus dem Vereine der Burschen (der Burschenschaft
oder Enabenschaft) bestraft. Das Mailehen ftihrt oft zu wirk-
licher Brautschaft. Und in Holland ist, me es scheint, dieses
Spiel der Liebe auf die ernste Freischaft übergegangen, indem
die Bewerber eines yielbegehrten Mädchens unter sich das Recht
versteigern und bis 50 Fl. bezahlen, dasselbe zwei bis drei
Monate ausschließlich bei ihren Eltern besuchen und zum Tanze
ftlhren zu dürfen. Gelingt dem Glücklichen während dieser Zeit
seine Liebeswerbung nicht, so tritt ein anderer ein, bis sie end-
lich an den Rechten Herz und Hand vergeben hat.^ Doch auch
ohne ErSteigerung gewann man im Mittelalter ein Weib als Mai-
frau, der man während einer gewissen Zeit seine Ritterdienste
weihen durfte ; der Scherz des Mailehens wurde in der vornehmen
Welt auf zeitweilige gesellige Vereinigungen übertragen. Als im
Frühlinge des Jahres 1474 Hans von Waldheim zu Oberbaden
im Aargau, dem berühmtesten Badeorte seiner Zeit weilte, war
da viel Adel aus der Schweiz, dem Breisgau und Schwaben,
und Hans von Ems, sein guter Freund, gab ihm artig seine
Frau zu einer MaienbuJüe,^ Eine ganz altertümliche Form der
1) A. Peter, Yolkstunil. a. Oesterr. Schlesien 11,280.
2) A. a. 0. 420. Vgl. über die Mailehen noch Giebel nnd Kaufmann in
Falke u. Müller Zeitachr. für die Kultargeschichte 1857. S. 95-105. Mer-
nig, Geschiebte der Bnrgen, Rittergüter, Abteien in den Bheinlanden. Köln
1837. H. 4. S. 8 ff. Pfeiffer , Germania 1 , 65.
3) Wolf Wodana II, 203.
4) Hans von Waldheim, Beise, Msc. in Wolfenbüttel. S. Ebert, Ueber-
liefernngen zur Geschichte der Litteratur nnd Eijiinst 1825. Vgl. daher sogar
in geistlichen Liedern den übertragenen Ausdruck „badenbule." „lyrti
hadenbide sie Die allerschönst Marie.' ' Wackemagel, D. Kirchenl. 641.
ühland, Schriften III, 470. Zuweilen ist von einer im Mai auf Zeit, für
die Sommermonate geschlossenen Knappen -, Pfaffen - oder Meienehe die Bede
(Agricola Sprichwörter Bl. 129). Darauf spielt schon saec. XIII. Nithardt an.
des wil ich disen snmer lanc
sin släfgeselle sin.
Ms. m, 217» 3. ühland a. a, 0. 390. 470.
Mailehen, Valentine. 455
Sitte hat sich zu Nalbach im Kreise Saarlouis erhalten , wo jeder
Baaerbursche am Kirchweihfeste Nachmittags nach der Vesper
(oft sogar noch in der Kirche) dasjenige Mädchen rauht, das er
an diesem Abende und das ganze Jahr zum Tanze illhren will.^
Zu einer breiteren eigentttmlichen Entwickelung ist in Wälsch-
iiioly Frankreich und England jene Wahl des LenebuMen am
letzten Februar, am ersten Fastensonntage oder am Valentins-
tage (14. Februar) gediehen; den Uebergang bildet die Form der
Sitte am Leutschi'elder Berg an der Kyll (Eifel), wo die im
Herbst bei der Kirmes versteigerten Mädchen (o. S. 451),
nur sie, am ersten Fastensonntage, während ihre Lehnsherrn
das große Feuerrad vom Berge rollen, sich im Schulhause
versammeln, um den Herabkommenden Backwerk darzubieten.^
In Wälschtirol zünden die Bursche am Abend des letzten Februar
auf Htigeln oder Bergvorsprttngen die sogenannten Märzfeuer an
und rufen dabei singend Heiraten aus. Ein solcher Reimspruch
bei Pergine lautet:
Entra Marzo e bnonora sia,
I cani air erba e Tom all' ombria,
La pecorella
Giü per la vallicella:
In qnesto Marzo chi h la pin bella
Tra le pntte da inantar?
La pin bella e N. N.
A cbi la Yogliamo dar?
A chi non la Yogliamo dar?
Diamola a N. N.t che Te un bei par!
Zu jeder einzelnen Ausrulimg werden dann Flintenschüsse
abgefeuert und mit Schellen, Hörnern u. s. w. Lärm gemacht.*
Auf dem Berge Sardagna bei Trient versammebi sich die jungen
Bursche am Abend des 1. März und rufen zum Scherz gewählte
Bräute mit Jubelgeschrei aus.* Der Sonntag Invocavit heißt
bekanntlich in Frankreich le dimanche des brandons, Fackel-
sonntag, weil man dann große Feuer anfachte und mit daran
entzündeten Strohbündeln und Tannenreisem durch die Obstgärten
1) Zb. f. D. Myth. 1,89,3.
2) Schmitz a. a. 0. 25.
3) SchneUer , Märchen und Sagen auB Wälschtirol S. 235.
4) V. Pallhausen , Bojoariae Topographia Romano - Celtica. I. München
1810. S. 68,
456 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibrautachaft.
und Saaten lief. Diese Feuer und Fackelzüge werden uns noch
später beschäftigen, hier haben wir nur ihre dem italiänischen
Märzfeuer entsprechende Beziehung auf Liebe und Heirat zu
erwähnen. In Yerges auf der Lheute, einer Nebenkette des
Jura in Franche Comt^ erklimmt man die Spitze des Gebirges,
baut dort um drei Bäume je ein Strohnest und setzt es in Flam-
men. Zu den Aesten der allmählich auch in Brand
geratenen Bäume (cf. o. S. 177 ff.) springen die Umstehenden
in die Höhe, um daran trockene Lindenzweige anzuzünden.
Diese hoch in der Luft schwingend, steigt man in Prozession
herab, fordert Haus bei Haus geröstete Erbsen und zwingt die
im letfsten Jahre Neuverheiratekn ^ einen Tanz anzustellen.^ In
ganz Westfrankreich waren diese Feuer Sitte, und man sagte,
wer durch die Flamme springe, ohne die brennenden Holzscheite
zu berühren, werde sich im nächsten Jahre verheiraten.* In dem
nördlichen Teile der Vogesen (Gegend von Saarburg, Heming,
u. s. w.) findet am Anfange der Fastenzeit das Scheibentreiben
(schibe-tribe) statt. Abends neun Uhr wird auf einer der Schi-
beberg (la röche des Ghib^s) benannten Felskuppe , der höchsten
der Gegend , von den Burschen ein Feuer aus Brombeergesträuch
und Haidekraut angezündet, indeß die mannbaren Mädchen neu-
gierig in den Büschen sich verstecken. Plötzlich tritt der Dorf-
hirte auf, eine ktlnstliche Bocklarve auf dem Haupte (?), einen
langen spitzen Bart unter dem Kinne, ein wollenes Fließ über
die Schulter geworfen und proklamiert, je den Namen eines
Burschen und einer Jungfrau mit der Stimme eines Stiers in die
Nacht hinausbrüllend, die sämmüichen heimlichen Liebschaflen
und Jcünfligen Ehebündnisse der Gemeinde, im nämlichen Augen-
blicke aber werden runde, in Flammen gesetzte Holzscheiben mit
Hilfe eines Stockes in die Luft geschleudert.^ In den südlichen
Vogesen, zumal in der Gegend von j^pinal, errichtete man an
mehreren Stellen der Stadt und an den Ufern der Mosel Holz-
stöße »in pyramidaler Form, zu welchen die jungen Leute, die
1) Monnier a. a. 0. 191.
2) Monnier a. a. 0. 203. In der Bretagne glaubte man , daß ein junges
Mädchen im Laufe des Jahres heirate, wenn sie um neun Johannis-
feuer hinter einander getanzt habe. Magazin pittoresque II, 71.
3) Erckmann-Chatrian, Uifitoire d'on sous-maitre Paris 1871. p. 98—104.
Mailehen, Valentine. 457
das Fest veranstalteten, schon einige Tage vorher die Scheite
znsammgebettelt hatten. Zur verabredeten Stande legte man
Feuer an jeden Holzstoß, der nun Hymens Altar wurde, und die
Umstehenden riefen: Qui döne? Qui done? Je done! Je done! —
Qui marie? Qui marie? Jemarie! Jemarie! Monsieur N. N.
avec Mademoiselle N. N. Und sie nannten die Namen von zwei
Personen, jungen oder alten, schönen oder häßlichen, reichen
oder armen, die sie auf ihre Weise vereinigen wollten. Die ott
wider Willen in dieser Art verbundenen Paare sahen sich
genötigt, einander den Ann zu bieten und mehrere male die
Runde um den Holzstoß zu machen inmitten der lärmenden Bei-
fallsrufe, des Gelä<)bters und der neckenden Scherzreden der
Menge. Sobald die Feuer niedergebrannt waren, breitete man
sich in den Straßen der Stadt aus und begann unter den Fen-
stern, vor denen man stille stand, die Namen der Brautpaare
(fianc^s), welche man Fechenots und Fechenottes oder Valentins
und Valentines nannte, zu proklamieren. Der F^chenot mußte
seiner F^chenottte eine Putzsache, die F^chenotte ihrem Feche-
not ein buntes Hutband schenken. Den Sonntag darauf Mirte
der Bräutigam (Föchenot oder Valentin) die Braut im besten
Staate und mit den gegenseitigen Brautgeschenken angetan zum
feierlichen Tanze auf dem Danserosse oder Danseresse genann-
ten Felsen im Walde von St. Antoine. Dies durfte jedoch nur
geschehen, wenn jener Gabenaustausch wirklich vor sich gegangen
war, der als Loskauf (rachat) vom Scheiterhaufen bezeichnet
wurde. Denn anderesfalles zog man bei der Heimkehr aus dem
Walde vor die Häuser des Valentin und der Valentine und zün-
dete kleine Feuer an, in denen man ihr Bildniß verbrennen ließ
unter den Ausrufen: QuibröleV Qui brüle? Je brüle! Jebrüle!
Mr. NN. et Mlle NN. Wegen des Mißbrauchs, der mit dieser
Sitte getrieben wurde, hat die Municipalbehörde sich veranlaßt
gefunden, sie zu verbieten.^ Dieser Brauch, allen jungen Leu-
ten die künftigen Gatten oder Gattinnen zuzuweisen, ist schon
älter. Die Synode zu Toul (15. April 1663) verbot ihn mit
1) Ch. Charton, les Vosges pittoresques bei Cortet fötes religieuses.
Pftris 1867, p. 101. Statt des Dimanche des Brandons (Invocavit) hatte
die beschriebene Sitte in einigen Commnnen um Spinal am ersten Sonntage
im Märze statt. Woll', Beiträge I, 76.
458 Kapitel V. Vegetationsgebter : Maibrautschaft.
folgenden Ausdrücken , woraus wir sehen, daß er auch noch an
anderen Sonntagen der Fastenzeit geübt wurde: Encore que
chacun s^ait ass^s que le GarSme est un tems d'abstinence , non
seulement de viandes , mais de jeux et de railleries et que pour
eela mSme les noces y sont d^fendu^s, Nous sfavons n^anmoins,
qu'en plusieurs lieux de notre Diocese es jours de Dünanche de
ce Saint tems, comme aux grands et petits Brandons et autres
Dimanches il se fait des assemblöes de garQons et filles pour
danser ou avec des yiolons, ou avec des chansons immodestes
et quelquefois des honn^tes. Et de plus fönt des jeux dUs Fass^
noUes, esquels üs designent ä hauts cris des epoux et epauses a
tous les fils et ßles du vülage^ VgL femer Valentin: futur
epoux, celui qu'on signifiait a une fille, le jour des Brandons —
qui des qu'elle ^tait promise se nommait Valentine (Roquefort
Gloss. in voce).^ Mag übrigens in Frankreich der Brauch sim
ersten Fastensonntage , resp. beim Scheibentreiben dieses Tages
Lenzbuhlen zu erwählen, schon früher bestanden haben, der
Name Valentinen erklärt sich erst durch eine Uebertragung aus
dem englischen Brauche. In England nämlich war es Sitte^ daft
jeder sich am 14. Februar, St Valentinstage (von dem man
glaubte, daB an ihm die Vögel sich paaren) oder am Vorabende
dieses Tages durch das Loos auf ein Jahr lang eine Dame zum
Gegenstande seiner Aufmerksamkeiten wählte, die er mit Krän-
zen schmückte, mit Blumen beschenkte und die seine Valeniiney
wie er ihr Valentin hieß.^ Bei Shakespeare spielt Ophelia auf
diese Sitte an „to be your Valentine''^ Buchanan (Poemata
Lugd. Bat. 1628 p. 372) sagt darüber:
Festa Valentino rediit Lux —
Quisqae sibi sociam jam legit ales avem.
Inde sibi Dominam per sortes quaerere in atmum
Man Sit ab antiquis mos repetitas avis.
Qnisqne legit Dominam, qnam casto observet amore
Quam nitidis sortis, obseqnioque colat,
Mittere cui possit blandi munuscala veris etc.
1) Thiers, Traite des saperstitions Paris 1697 bei Liebrecht, Gervasias
V. Tilbury 258, 468.
2) Vgl. auch Manage, Dictionaire etymologique. S. v. Valentine.
3) Unter nns ist diese Sitte neuerdings durch 6. Freytags Lustspiel
„die Valentine'* allgemeiner bekannt geworden.
4) Hamlet, A. 4. Sc. Ö.
Maileheiiy Yalentme. 459
Schon zwei Jahrhunderte früher war dieser Braach am eng-
lischen Hofe üblich, und wir besitzen noch viele am Valentins-
tage verfaßte Kondeaus und Balladen des Herzogs Karl von Or-
leans, der vom Jahre 1415 — 1440 als Gefangener in England
weilte, worin er der Sitte als einer Landessitte Erwähnung tut
(c'est la coutume de pie ga). In einem derselben beklagt er
am Valentinsmorgen von den Vögeln geweckt, deren jeder heute
einen Gatten suche, seine Lage, die durch den Verlust seiner
Gemahlin noch trostloser geworden ist „chascun de vous (oyeaulx)
a per (d. i. pair) qui lui agr^e , et point n'en ay ; car mort , qui
m'a trahy a prins mon per;^' alle haben sich Valentinen gewählt
(Saint Valentin choisissent ceste ann^e ceulx et Celles de Tamou-
renx party), er allein hält sich trostlos fem auf dem freude-
leeren Lager. Ein andermal kann er am Valentins tage, wo man
sich eine Genossin wählen muß, (qu'il me.convient choisir un per)
dem Gedanken an seine süße Beute nicht entfliehen (Je n'y puis
eschapper pensee prens pour mon butin). Sie hat ihn morgens
geweckt, indem sie an seine Türe klopfte; will sie aber zu sehr
sein Herz bestürmen, so wird es zwischen ihnen harte Kämpfe
geben. Ja, wenn er Hoffnung auf Befreiung schöpfen könnte,
dann würde er aus ganz anderem Tone reden (je parlasse d'autre
Latin dans ce jour de Valentin). Auch der französische Hof
scheint diese Sitte damals entweder überhaupt geübt zu haben,
oder Karl hatte sie speciell in seiner Umgebung eingeflihrt. Eine
seiner Rondeaux zeigt uns die Frau von Angouleme als seine
Valentine.
A ce joTir de saint Valentin
Pnis qn'estes mon per ceste annee,
De bien henreiLse destinee
Passions -nous partir le bntin etc.
In mehreren Gedichten nennt der Herzog seine Dame geradezu seine
Valentine. Aus anderen Chansons geht hervor , daß wenn der Va-
lentinstag auf Aschermittwoch einfiel, die Wahl der „pairs" erst
am Nachmittage vorgenommen wurde; während die Morgenstunden
der kirchlichen Erbauung gewidmet blieben.^ Ziemlich gleichzeitig
mit den Poesien des Herzogs von Orleans findet sich die Sitte
1) S. Gonjet, Bibliotheqae Fran9oise ou histoirc de la litteratnre Fran-
90ise T. IX. 1745 p.2G6— 72.
460 Kapitel Y. V egctationsgeister : Maibrautschaft
der Valentinswahlen in einem Briefe vom Februar 1446* sowohl
als auch in einem Gedichte des Mönches John Lydgate (t 1440)
zu Ehren der Königin Katharina, Gemahlin Heinrichs V. (1413 —
22) erwähnt; der letztgenannte Dichter bezeichnet sie in seinem
Verzeichnisse poetischer Devisen als „chusing Loves on
St. Valentines day."* Ja schon bei Gower (f 1402) finden
wir ein französisches Valentinsgedichtchen, worin er seiner Her-
rin sagt, daß er bei Erwählung ihrer dem Beispiele der Vögel
gefolgt sei.® Madame Royal, die Tochter Heinrichs IV. baute
bei Turin ein Schloß Valentine. Beim ersten Feste das sie dort
gab, veranstaltete sie, daß die Damen ihre Liebhaber auf ein
Jahr durchs Loos wählten; nur für sich selbst nahm sie freie
Wahl in Anspruch. Auf jedem Balle während des Jahres em-
pfing jede Dame von ihrem Ritter einen Blumenstrauß, während
sie bei jedem Turnier für den Schmuck seines Rosses sorgte.*
Die Art und Weise zu seiner Valentine zu kommen, war
verschieden. Diejenige unverwandte unverheiratete Person ande-
ren Geschlechtes, aus einem anderen Hause, welche der Zufall
am Morgen des Valentinstages zuerst ent^egenflihrte, galt dafür.*
Gai schildert, wie zwei Milchmädchen an diesem Tage, da die
Vögel mit frohem Wechselgcsang ihre Liebchen finden , sich vor
Tag und Tau in den Feldern begegnen und neugierig darauf aus
sind, des ersten Burschen ansichtig zu werden, der ^vird ihre
treue Liebe sein. Uebrigcns sollen sich auch junge Männer oft
genug schon in frühester Morgenstunde in der Nähe des Hauses
oder der StraßQ aufstellen, wo ihre Geliebten vorbeikommen
müssen, und letztere gehen gern eine halbe Stunde um, um
einem Nichtersehnten aus dem Wege zu gehen, oder sie sitzen
mit zugemachten Augen den Ijalben Tag am Fenster, bis sie die
1) Fenn, Paston Letters U. 211.
2) Chaucer, Works ed. Speght. London 1602. fol. 376.
3) Warton, history of English poetry add. to VoL II. p. 31. Aufl. 1.
4) Donce , lUastrations of Shakespeare 11 , 252.
5) In der Gegend von Hüll gilt der Gebrauch noch, Choice-notes
from notes and queries. Folklore. London 1859. p. 165. Ebenso in Bucking-
hamshire. Henderson, notes on the Folkslore of the northem counties of
England. London 1866 p. 73. Die Anrede lautete hier:
Good moming to you Valentine,
First 'tis yours and then 'tis mine^
111 thank you for a Valentine.
MaileheD, Valentine. 461
Stimme des Ersehnten hören. Eine andere Weise war, die Va-
lentinen durchs Loos bestimmen zu lassen. Nach Misson versam-
melte sich schon am Vorabende die gleiche Anzahl von Jüng-
lingen, wie von jungen Mädchen. Jedes schrieb Senaten wahren
oder erdichteten Namen auf einen besonderen Zettel, rollte die-
sen zusammen und warf ihn in eine Büchse, worauf jeder junge
Mann aus der Büchse der Mädchen , jede Jungfrau aus derjenigen
der Burschen ein Loos für sich herauszog. Wen man zog^
nannte man seinen Valentin oder seine Valentine. Beide
waren verpflichtet, sich gegenseitig zu beschenken, sie trugen
ihre Zettel Tage lang auf der Brust, oder dem Arme und gaben
ihren Valentinen Gastmähler und Bälle. Doch hielten die Män-
ner mehr an denen, die ihnen zufielen, als an denen, denen
sie zugefallen waren. ^ Aus dem Scherze entwickelte sich häufig
eine wirkliche Liebe. Ja die Vereinigung als Valentinen galt
geradezu als eine günstige Vorbedeutung für die ktinftige eheliche
Verbindung. Aus Mr. Pepys Tagebuche vom Jahre 1667 ler-
nen wir, daß damals local am Valentinsmorgen die Neuvermäh'^
ten durch Musik geweckt wurden und daß die Wa^l der Valen-
tinen bereits sehr entstellte Formen angenommen hatte. Mit dem
Namen wurde zugleich ein Motto z. B. „most curteous and most
fair'^ aus dem Glückstopfe gezogen; sodann wählten auch Kinder
erwachsene und sogar verheiratete Personen anderes Geschlechts
zu Valentinen und brachten ihnen dann wohl ehrfurchtsvoll ihren
Namen auf blau Papier mit goldenen Lettern geschrieben, wäh-
rend sie ein ansehnliches Geldgeschenk empfingen. So entwickelte
sich allmählich die in den Städten Englands- herrschende Gewohn-
heit, einander am Valentinstage anonyme Liebesbriefe, launige
Liebeskarten in artistischer Ausführung verschiedenartigsten
Genres zuzusenden, denen jedoch selten ein von einem Pfeile
durchbortes Doppelherz mit der Inschrift fehlt:
Ich bin dein, wenn da bist mein,
Bin dein lieber Valentein.
I'll be yours, if yoa'll be mine,
I am yonr pleasing Valentine.
Mehrere Hunderttausende Liebeserklärungen dieser Art, auf
welche nunmehr der Name Valentine übergegangen ist, werden
1) In Schottland herrscht diese Befragung des Looses am Valentins-
abende noch. Henderson a. a. 0.
462 Kapitel Y. Vegetationsgeister : Maibrantschaft.
in London jährlich am 14. Febraar durch die Post ausgetragen.^
Mit den Engländern ist diese Sitte auch nach America gewan-
dert, wohin die lateinische Race für sich ebenfalls SproBformen
des nämlichen Gebrauches gebracht hat. Dahin rechne ich, daß
jede junge Dame in Venezuela ihren Gompadre (Freund, Ehe-
herm) hat, der jedes Neujahr von neuem ihr durch das Loos
zufällt, und das Recht hat, sie in ihrem Hanse zu besuchen und mit
ihr zu plaudern.^ In Deutschland finden wir dieses dem Mythus
entspringende Yerhältniß wiederum auf die Ehe übertragen, wenn
14 Tage vor Neujahr am Tage St Johannis des Apostels die
sämmtlichen Männer zu Obemdorf am Neckar mit ihren Weibern
ins Wirtshaus gehen/ wo die Frau ihren Gatten fragt: „Wit du
deine Alte au wieder ufF a Jär dingen ?'' „Ja wiUs wieder pro-
biere mit meiner Alten/^ Alle sind lustig, wie junge Leute,
singen und trinken bis Mittemacht. Die Frau bezahlt Man
nönnt dieses Pest „die Weiberdingete/' ^ Auch der bekannte
Brauch gehört hieher, am Neujahrsabend mit einer Dame den
Doppelkem einer Mandel zu teilen und sie dadurch zum „Viel-
Uebchen" zu erklären; wer von beiden den andern bei nächster
Zusammenkunft zuerst mit dem Namen „Yielliebchen^^ grüAt,
hat von ihm ein Geschenk zu erwarten. Schärfer kann sich
der Nationalcharacter kaum aussprechen als in der Sitte , welche
Romanen und Germanen aus der gleichen Grundlage eines und
desselben mythologischen Brauches gemacht haben; hier neben
spießbürgerlicher Ehrbarkeit der unschuldige Humor, der den
Ernst des reinsten und heiligsten Bandes würzt; dort die Frivo-
lität, welche mit demselben spielend die Fesseln in gefährlichem
Grade erweitert.
§ 9. Das Haipaar und die Sonnwendfeuer. Wichtiger
fUr unsere Untersuchungen erscheint der Umstand, daß sowohl
das Mailehen, ^ als die Ernennung der Brautpaare am ersten
1) S. Brand pop. Antiqn. I, 53- 62. Hone, every Daybook 1, 108—116.
Cf. Reinsberg-Düringsfeld, das festl. Jahr, S. 84. Nach dem Berichte des Lon-
doner Postamtes vom J. 1847 wurden daselbst in jenem Jahre am Valentinstage
420,000 Briefe, d. h. 200 biB dOO,000 mehr als an anderen Tagen ausgetragen,
abgesehen von vielen bezüglichen Inseraten der 145,000 Zeitangsnnmmem.
2) Appnn, unter den Tropen. Jena 1871. I, 544.
3) Birlinger, Volksüberlieferangen a. Schwaben II, 113, 142.
4) 0. S. 450, anch in Dänemark Myth.> 736.
Das Maipaar und die Sonnwendfeuer. 463
Fastensonntage, dem Dimanche des brandons, mit FrUWingsfeuern
verbunden sind, und daß die Teilhaber der Letzteren zuweilen
die im letzten Jahre Neuverheiraieten zwingen , einen Tanz anzu-
stellen. Hierzu stimmt einmal, daß in manchen Gommunen der
Bretagne ein Mädchen, welches den lebhaften Wunsch hat sich
zu verheiraten, um das Johannisfeuer tanzt, ^ sodann daß in Ober-
stattfeld und anderen Orten in der Eifel am ersten Fastensonntage
der eulet0t verheiratete Ehemann die große Radscheibe stellen und
anzUnden muß, welche dann vom Berge ins Tal und in den
Fluß gerollt wird. Zu dieser Geremonie sammeln die Schulkna-
ben das Stroh, die Schulmädchen aber Erbsen, welche
sie mit den Schulknaben verzehren* (vgl. o. S. 455). In
andern Dörfern derselben Gegend versammelt sich am nämlichen
Tage die männliche und weibliche Jugend von 13 — 18 Jahren
im Hause des zuletet verheirateten Ehepaars. Die Mädchen bringen
dahin den von Haus zu Hause erbettelten Vorrat von Speck,
Butter, Eiern, Milch und Mehl und machen sich daran, Pfann-
kuchen zu backen. Die Burschen aber ziehen mit dem betreffen-
den jüngsten Ehemanne auf eine Anhöhe, umwickeln einen Baum
in Form eines Kreuzes mit Reisig und Stroh (vgl. o. S. 177 ff.)
und zünden ihn beim Läuten der Abendglocke unter lautem
Gebete und entblößten Hauptes mit Fackeln an. Dann rufen sie :
„Die Burg brennt!'^ sodann umwandeln und umtanzen sie diese
flammende „Burg" oder „Hütte," deren Spitze häufig noch ein vor-
her im Dorfe umhergetragener Strohmann krönt, und deren Rauch,
wenn er zur Eomflur zieht, eine reichliche Ernte andeutet.
Zu Hause verzehren die Jünglinge mit dem jungen Ehemanne, die
Jungfrauen mit der jungen Frau an besonderen Tischen das Fest-
mahl.^ Zu Kobem in der Eifel muß die jüngste Ehefrau über
und durch das Feuer springen, welches zur Verbrennung des
zum Tode verurteilten Strohmanns am Fastnachtsdienstage ent-
loht wird (vgl. 0. S. 179).* Diese Bräuche lassen mit einmal
einen Umstand bedeutsam erscheinen, der bei dem Mittsommer-
1) De Nore , Mythes , contames etc. p. 188.
2) Zs. f D. Myth. I. 90, 7. Schmitz, Sitten und Br&nche des Eifler
Volkes S. 24 - 25.
3) Schmitz a.a.O. S.21— !
4) Schmitz a. a. 0. S. 20.
464 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibrautschaft.
feaer sich in verschiedenen Formen wiederholt. In manchen
Orten Südf'rankreichs muß das jüngste Ehepaa/r der Gemeine das
Johannisfeuer anzünden^ in Puy de Dome, wo zugleich nach den
Geschenken auf der mit Kränzen, Uhren, Weinflaschen geschmück-
ten Tanne geklettert wird, eine seit kurzem verheiratete junge
Frau, welche man in feierlichem Zage einholt. Nicht minder
läßt man in Nivernais eine seit einigen Monaten vermählte Frau
mehrere Male um das Johannisfeuer gehen und dann ein wenig
hineinspringen. Zu Jumieges in der Normandie legen dagegen
ein junger Mensch und ein junges Mädchen mit Blumen
bekränzt zu Mittsommer das Feuer an den Holzstoß. In
Deutschland wurde vielfach paarweise über das Feuer gesprungen.
Im Erzherzogthum Oesterreich geschieht das vielfach noch. Zwei
in erbettelte alte Kleider gesteckte Strohpuppen, Hansl und
GreÜ (cf. 0. S. 429) werden an der Spitze einer langen, bis zum
Grunde eingestrohten Stange befestigt, Gretl zu oberst, unter
ihr Hansel. Die Stange wird in die Mitte eines hohen Scheiter-
haufens gesteckt und angezündet Sind die beiden Puppen unter
dem Jauchzen aller Umstehenden sammt der Stange verbrannt,
so springen die Bursche und die Mädchen paarweise durch die
Flammen.^ In Ober- und Nieder -Baiem, der Oberpfalz, Ober-
schwaben und Unterschwaben besteht die Sitte ebenfalls noch.'
Je ein Jüngling und eine Jungfrau, am liebsten erklärte Liebes-
paare, umtanzen Arm in Arm oder Hand in Hand den Holzstoß
des Sonmiersonnwendfeuers und springen dann (oder, wie man
in Schwaben sagt, jucken) mit einander durch die Flamme,
damit der Hanf oder Flachs recht hoch wachse, oder um das
Jahr hindurch von ansteckenden Krankheiten verschont zu blei-
ben. So jucken oft 40 — 50 Paare hintereinander hinüber, und
wenn die Reihe zu Ende ist, fängt der Sprung von vorne an,
bis die letzte Kohle erloschen ist. Am Lech singt die paar-
weise (Bub und Dirne) nach vollendetem Reigen um den bren-
nenden Baum durch das Simetsfeuer springende Jugend: Un-
term Kopf und oberm Kopf tu i mein Hütl schwingen; Madl,
wenn d' mi gern hast, durchs Fuir must mit mi springen.^
1) Baamgarten, das Jahr und seine Tage. Linz 1860. S. 27.
2) Panzer I, 215, 241. Meier, Schwab. Sag. 423, 107. 108. 425, 110.
Birlinger n, 97, 128. 104, 129. 105, 130. 107, 131
3) Leoprechting , Aus dem Lechrain S. 182 ff.
f
Das Maipaar und die Sonnwendfenor. 4^5
Statt des HindnrchspriDgens der Liebespaare durch das Feuer
begegnet auch die andere Form, daß der Bursche am Fackel-
abende oder am Funkensonntage (ersten Sonntage in der Fasten)
für sich und sein Mädchen die im Fastnachtfeuer angezün-
dete Scheibe vom Schleuderstocke hoch im Bogen in die Luft
wirft. So noch in der Gemeinde Matt, Kanton Claras. Der
junge Mann ruft dabei:
Scbibe, Schibe
Ueberilbe !
Die soll mi und N. N. blibe.
Dieser Brauch ist deutlich nur eine wenig veränderte Form jenes
französischen (o. S. 456), beim Scheibentreiben die Namen der
Brautpaare auszurufen ^ hier übernimmt der Liebhaber nur selbst
die Verkündigung. Gewöhnlich ist die Sitte aber dahin abge-
schwächt, daß der Liebhaber die Scheibe seinem Schatze, oder
andern geliebten und geehrten Personen (den Eltern, Geschwi-
stern, der h. Dreifaltigkeit) widmet:
0 du mei liebe Scbeiben,
Wo will 1 di heit hlBtreiben?
1 waes schon wem i. maen!
Der (Walburg) ganz allaen!
Oder:
Schibi, Schibo!
Wem soU d SoMbe go?
Beim Fortschleudern der Scheibe wird dann der Name der
Geliebten genannt. Oder:
Scbeib aus, Scheib ein.
Das soll der N. N. zem L&dle 'nein.
Oder:
Scheible auf^ Scheible ab
Gät Hber alle Aecker und Wiese na,
Der N. N. eine tausend guete Nacbt.^
Da die Scheiben so geformt sind, daß sie deutlich die Sonne
darstellen sollen, mithin ihr Werfen in hohem Bogen zu Früh-
lingsanfang das Aufsteigen der Sommersonne versinnbildlichen
1) S. Vemaleken, Alpensagen 367,33. Panzer, Beitr. I, S. 210-212
No. 231 — 234. Meier, Schw. Sag. 380—383 No, 21— 27. Zingerle, Tiroler
Sitten 140, 1225. Birlinger ü, 59 ff.
Mannhardt. 30
466 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibrautschaft.
maß, bedeutet die Darbringang an das geliebte Mädchen , daß
man ihr den vollen Sonnenschein des Glückes ins Haus wünscht;
jene ältere Form der Sitte sagt aus, daß der Freier oder Ver-
ehrer sich und sein Schätzchen unter die Gunst der Gedeihen
spendenden Sonne stellt,^ d. h. er macht sich und sie zu Nach-
ahmern des dämonischen Maibrautpaars, welches von der großen
Wärmespenderin unmittelbar die Lebenskraft empfängt. Zur
Belohnung für das Scheibentreiben und als Zeichen der Gegen-
liebe erhält der Bursch von seinem Liebchen ein kranzförmiges
Gebäck, den sogenannten Funkenring, Dieser Ring (der, mit
dem runden Fladen zu Fastnacht vergleichbar, vielleicht den
jfirhring, järes umbihring, umbihwurft, orbis anni Myth.* 716 ver-
sinnbildlicht) erinnert an die Sitte im Egerlande, wo das Johan-
nisfeuer in nachstehender Weise begangen vrird. Wenn der blu-
mengeschmückte Johannisbaum niedergebrannt ist, von dem die
Bursche die durch ihre Schätzchen aufgehängten Kränze während
des Brennens herabgeholt haben, stellen sich die Jünglinge ihren
Mädchen gegenüber um das Feuer, und beide schauen sich ein-
ander durch Kränze und durch das teuer an, um zu eri'ahren,
ob sie sich treu sein und sich heiraten werden. Dann werien
sie sich nacheinander drei mal die Kränze durch oder über das
lodernde Feuer zu, und der Bursche muß, wenn er nicht einen
argen Verstoß begehen will, den Kranz fangen, den das Mäd-
chen ihm zuwirft.' Bei Bilcz in der Gegend von Sandomir in
Polen singt man das Johannisfeuer umtanzend ein Lied, in wel-
chem St. Johann selbst aufgefordert wird, sich ein Weib zu
suchen:
0 Johann, Johann, grüner Johann I
(0 Janie, Janie — Janie zielony!
Es fallen die Blätter nach allen Seiten
Und du Johann Enechtohen
1) Vgl. das VolkßUed (ühland Nr. 31):
Schein* nns du liehe Sonne,
Gieb nns lautem Schein;
Schein^ nns zwei Lieb' zusammen,
Ei die gern bei einander wollen sein.
Cf. W. Menzel in Pfeiffers Germania I, 64.
2) Reinsberg-Düringsfeld, Festkalender a. Böhmen S. 306. Vgl das
KOssen durch den Kranz im russischen Semikbrauch o. S. 435.
Das Maipaar und die Sonnwendfeuer. 467
8w^ dir eine Fvcm!
(sakay se zony)
Wo bei dem Henker, soll ich sie snchen?
Ich' werde zn Stephans gehen
Ans Fenster klopfen.
Klopf klopf ans Fenster.
Komm heraus liebes Mariechen,
Ganz allein e.
Mariechen kam nicht, sie sandte die Schwester.
Schwester^ liebe Schwester,
Stehe f&r mich scharf,
So, als wäre ich es selber.
Dann aber wendet sich das Lied so, daß in der Aufifbrderung,
ein Weib zu suchen, ein Bursche z. B. aus der Familie Tomaly
(Tomalöwparobecku) untergeschoben wird; er klopft bei Kohls
(do Kapusty) ans Fenster, Magdusch macht ihm auf und reicht
ihm das Händchen : „ Grüß dich Gott , mein Albertchen , ich werde
dich wollen.'^ Und in dieser Weise werden dann nacheinander
die Namen aller jungen Männer und Mädchen aus dem Dorfe
zusammengebracht. Oder das Lied lautet:
Wület du heiraten, weißer Johcmnes,
So wül ich dir ein Weih eufreien.
Da ist bei den Sowini
Das hübsche Mariechen,
Hat ein Kränzlein von Bösen,
Nicht wenige, nicht viele.
Ach weißer Johannes.
Willst du heiraten weiBer Johannes,
Ich will dir ein Weib freien.
Da ist ja bei Küsters
Das niedliche Eischen,
Hat ein Kränzlein von Pfingstrosen.
Bei ihr trinken die Beiterslente.
Ach weißer Johannes I
Und so fort, hintereinander werden auf diese Weise alle Mäd-
chen des Dorfes durchgehechelt.^ Eine merkwürdige Aufhellung
erhalten diese Lieder durch einige z. T. ungedruckte lettische
Johannisliedehen, deren Mitteilung und Uebersetzung ich meinem
Freund A. Bielenstem danke.
1. Johannes schrie, JohafBues rief:
Dem Johannes wwr das Weib verloren gegangen.
1) Oskar Kolberg, Lnd. Ser. I. Warszawa 1866. p. 107, 108, 119 C
30*
468 Kapitel V. Vegatationsgeister: Maibraatschaft.
Schreie nicht Johannes , rafe nicht Johannes !
Wir werden das Weibchen finden,
Wir werden das Weibchen finden^
Unter den FarrenkrantbttBchen.
2. Wer glänzte, wer flimmerte
Im Farnkrantgebüsche ?
Das silbergeschmückte
Weib des Johannes.
Büttner 2275 gewährt die Variante:
Das Weib des Johannes pflückt Kräuter,
Die Bmst vgll silberner Spangen.
3. Das Weib des Johannes
Hat eine große Brehze (Brustspange),
Sie (die Brehze) geht verloren
Am Johannisabend.
Die Sonne geht unter beim Suchen^
Die Sonne geht auf beim Finden. (Büttner 2274.)
4. Wer hat den Pfad
Mit Silber (silbernen Tautropfen? sudrabeem Plur.) begossen?
Die Geliebte (das Eheweib? lihgawa) des Johannes
* Wassertragend.
In den lettischen Johannisliedem findet sich nicht die geringste
Spur von Johannisfeuem , so daß es fraglich bleiben muß, ob die-
selben in Kurland altheimisch; oder von den Deutschen entlehnt
sind, nnzweiielhaft aber gehört die im polnischen Johannisliede
und Johannisbranch ausgesprochene Anschauung in eine Reihe
mit der Idee von dem in der Johannisnacht verschwundenen
EheWeibe des Johannes. Danach ist dem (mit dem Ealender-
namen des 23. Juni bezeichneten) mythischen Wesen zu Mittsom-
mer das Weib, die Maifrau gestorben; die silberne Spange,
welche sie trägt und die, gleich ihr, in der Nacht der Sonnen-
wende verschwindet, mag die Sonne sein. Diese Art Symbolik ist
grade dem lettischen Yolksliede geläufig. Hier ist aber genau
jenes Wesen (die Sonne?), das wir S. 431, vgl S. 444 den in
Laub gehüllten Schläfer im Frtlhjahr erwecken sahen. Fttr die
andere Jahreshälfte sucht Johannes ein anderes Weib, er findet
seine alte, aber verwandelt; oder eine neue (die winterliche Gat-
tin) zu neuer Vermählung. Von solcher mythischen Hochzeit ist
der polnische Johannisfeuerbrauch das launige Abbild. ^ In einer
1) Vgl. hinten den Nachtrag.
Das Maipaar und die Sonnwendfeuer. 469
weit derberen uralten Symbolik wird bei den Esten auf der abge-
legenen Insel Moon das „Beüager" der Johannispaare begangen.
Am 23. Juni oder am 1. Juli (Vorabend des Heu -Marientages)
werden dort große Feuer angezündet , deren Mittelpunkt wol auch
wie auf der benachbarten Insel Dagdö und im Kirchspiel Earmel
auf Oesel ein großer Baum bildet (vgl. o. S. 179 — 80). An die-
sem heiligen Abende „muß der Mooner eine Beischläferin haben.'^
Während nun die Weiber und Mädchen den Rundtanz um das
Johannisfeuer (resp. Heumarienfeuer oder Ledotulli) ausführen^
gehen die jungen Kerle um den Kreis herum, beobachten die
Mädchen, entfernen sich dann in den Wald und geben einem
Trupp kleinerer Jungen den Auftrag, ihnen die Auserkorene zu
holen. Einer derselben ruft das bezeichnete Mädchen unter irgend
einem Verwände aus dem Ringe der Tänzerinnen heraus. Die
übrigen Jungen, etwa zehn an der Zahl, umringen die Jungfrau
und schleppen sie mit Gewalt, der eine yorne am Gurt ziehend,
die andern hinten stoßend über Stock und Stein, über Zäune
und Gräben, bis der Zug nach mehrmaligem Fallen und wieder-
holtem Ringen bei dem Harrenden angelangt ist. Dieser wirft
sie nieder, legt sich neben sie und schlägt ein Bein über das
Mädchen (diese Ceremonie muß er durchaus beobachten, wenn
ihn das Mädchen nicht für emen Stümper halten soll). Ohne sie
weiter zu berühren, liegt er bis zum Morgen neben ihr. Die
Mädchen aber, denen solches widerfährt, freuen sich dessen
nicht wenig, selbst wenn man ihnen auf dem Transporte das
Hemde zerrissen hat (die Moonschen Weiber und Mädchen gehen
nämlich im bloßen Hemde, nur wenn sie zur Taufe und Hochzeit
gehen , ziehen sie einen Rock an). Die nicht gewählten Mädchen
können ihren Neid und Mißmut kaum bezwingen und die Mütter
der Bevoraugten erzählen mit Wonne den Ruhm und die Vor-
züge ihrer Töchter.^ Es gab noch rohere Formen dieser auf
Ehe , Liebe , Befruchtung bezüglichen Frühlingsgebräuche. Kemble
(Sachsen in England übers, v. Brandes I, 295) erzählt, daß zu
Inverchetm in der Osterwoche ein Priester die kleinen
Mädchen (puellulas) der Gemeine nötigte, einen Reigen aufzu-
führen, dem man auf einer Stange ein Priapusbild (membra
1) Verbandlungen der estnischen Gesellschaft VII. Dorpat 1872. 2.
p. 64— 65 vgl. 63.
470 Kapitel V. VegetatLonsgeister: Maibrautschaft
humana yirtati seminariae servientia saper asserem artificiata)
Yoraoftrag. Da eben derselbe aus Laodania ein Zeogniß Tom
Jahre 1268 beibringt , wonach »beim Notfeuer ein simalacrum
Priapi aufgestellt und mit den in Weihwasser getauchten Testi-
kehl eines Hundes das an der Lüngenseuche erkrankte Vieh
besprengt wurde, so ist es bei der Verwandtschaft der Oster-
feuer und der Notfeuer nicht unmöglich, wenngleich nicht not-
wendig, daB ersterer Brauch früher auch beim Osterfeste vor
sich ging. Cf. Kuhn, WestfU. Sag.n. 138, 406. Ueberraschend
ist es der Braut in Verbindung mit dem Johannisfeuer bereits
vor dem 12. Jahrhundert auf dem Boden des griechischen Kaiser-
tums zu begegnen. Theodor Balsamen, Diaconus und Nomo-
phylax in Byzanz , Ausgangs saec. XII. erzählt nämlich in seinem
Commentar zu Canon 65 des Trulianischen Concils: fj de xüv
nvQTiaiwv daif^ovicidrjg zeletTj ycal al y^Xfjdoveg eyivovro ^irj^HQi Trjg
iq)7if46^iag tov ayiurraTOv Ttaxqiaq^ov MixaijX zdv yeyovozog V7ta-
Tov T(3v (piXoa6q/0)v etg tccvrip^ ziiag rrjv ziov noXecDV ßaailßvov-
aotv oimag. xorra xrpf koTti^av t^g xy. tov Iowiov /Arjvdg rj^qoitovxo
ev zaig ^fiioi xal IV Tioiv oinoig avöqeg ymI ywai-Mg aal fCQCD'
TOTOxov TiOQaaiov vv/Ä(pi>Kiüg eoToXvtfOv, juerä yovv %6
ovfiTcoaiaoai xat ßaxxixdreQov oq^rpciad^ai xal xo^vaai xal ai/x-
la^ai sßaXov iv dyyei^f avOTOfu^ %oXyu^) d-aldwiov iidcjQ xai eYdrj
Tivä hidoTiiP zovTOfv dvrfKOv%av * -mal äarcsQ zf^g Ttatdog exuvrig
XaßovOTjg iaxvv ix tov aaravä TCQOftfjvveiv zä sQCüTtofiSva , ctizot
(LUV Tteql zov de zivog dya-9'ov fj xal dnocqoTtaiov dveßotov eQU)-
ZTjfiazLxäg' z6 de xoqaaiov dnb ziov ev Z(p dyyeiq) efißhj&ivziay
slduiv zo Tcaqazvxov e^ayaywv, VTteöeixvvev, S xat' kafißdrcav 6
dvorpiog zovzov deajiozrjg i7rX7]Qoq>oQ€izo zd%a zd en avzqß ovre-
X'9'^cci fdiklorza, evzvytj te xal dvozvxrj' tj enavqiov de /Äezä
zv^Ttdviov xal xoqüv avv z(p xoQaaiqt elg zovg alyiaXovg OTteqxo-
fjievoi X4xl vdwQ d'ahizzLOv dqf&ovcjg dvalafißav6/4€voi zag xazoi-
7U(Sv avzüiv e^^ivov. xal ov jnovov zavza ezekovvzo Tcaqd zwv
evowet<ozeQ(av , dkXd xal 3v olr]g zrjg vvxzog aTto xoqzov
(1. x^^TOv) TCVQxai'dg dvaTtzovzeg iTcrjdußV vTteqdvw axn&v
xxxi kxXrjdoviCfivzo 7[col efxavzevovzo Tceql eircvxiag xai dvazvxictg
xal alkiov zmov daifiovi(o3<Sg . zag de ev&ev xqxald'BV eloodovg
avziov xal z6 dij^dziov iv qt izekeizo fj xkrjdiov avv zalg Jtaqa-
xeifievoig vnai^qoig xQ^oitovoL nirtXoig xal arjqixoig xazexooftovv
elg zifxrpf xal VTcodox^jv wg eoixe zov olxeicjaafiivov avzovg
Der Brautball. 471,
aazfxvS ' a dfj navta 6 ^r/d-eig ayitjzavoq n:aTQid^rjg fievä Ttdatjg
emfielaiag Kaia^yrj&rjvaL i/tivQSipsv . o xal yiyov^ . xai vvv evdo-
xavwog ä'env zä zoiavva d-eoarvy^ egya jiaviBijüg T]7CQdxvr]aav.^
Längst hatten eingewanderte Slaven and andere Fremdlinge das
Volksleben im byzantinischen Beiche beeinflußt; vielleicht ist auf
diese Weise die überraschende Aehnlichkeit mit den nordeuro-
päischen Bräuchen zu erklären.
§ 10. Der BrautbalL Die Verbindung des Scheiben-
schlagens am ersten Fastensonntage mit der Proclamation der
Liebespaare oder mit dem neuvermählten Ehepaare scheint
einen nahen Verwandten in dem zu Ostern geübten märkischen
Brauche des Brautballs zu haben. In Tangermünde werden die
im verflossenen Jahre verlieirateten Frauen am dritten Ostertage
um den Brauthall gebeten, der nachher von den Knechten und
Mägden in den Tannen zerschlagen wird. Aehnlich bei Wer-
ben. Bei Salzwedel zieht das gesammte junge Volk am Oster-
tage oder Sonntage Jadica auf den Hof des neuen Ehepaars
und singt:
Hie sind wi Junfern alle,
Wi singen dn Bratballe.
Will nns de Brut den Ball nich gewen,
So wiirn wi är den Mann ok nemen.
Eier Mann, Eier ja;
K. I^. mit sine junge Brut
Schmit uns den Brütball herut.
So gröt as dn Zipoll (Zwiebel),
Den soirn ji woll beholFn.
Die junge Frau wirft dann einen Ball über das Dach des
Torwegs, der junge Mann zahlt einen Gulden (Thaler), die
Gesellschaft geht mit dem Segenswunsche ab, das Glück möge
jahraus jahrein währen, das Unglück zum Giebel heraus fahren;
der Ball wird am Ostertage so lange beim Ballspiel geschlagen,
bis er zertrümmert ist^ In Camem bei Sandow an der Elbe
ziehen am Sonntage Judica (14 Tage vor Ostern) die Mädchen
iUr sich, und die Bursche ftlr sich vor das Haus der seit
Jahresfrist Neuvermählten, jene mahnen sich eine große
1) Baisami Commentar. in Canones Concilii scxt. in TruUo. Can. 65.
Beveregii Synodicon sive Pandectae Canonum. Oxon. 1672. T. I. f. 234 — 35.
2) Kuhn, Mark. Sag. 313 ff.
4^2 Kapitel Y. Yegetationsgeister: Maibrantschaft.
Holzkngel (die Kliese), diese den BraufbaJl (einen großen Ball
von Leder). Mit der Eliese wird Ball aus dem Loche gespielt,
der Brantball wird so lange hin und wieder geschlagen, bis er
entzwei ist. In dem Gresange heißt es:
OrüfOdf! Gfünldf! Pris ober alle
Düssen Sommer, dflssen Sommer
Lewen de Mäkens noch alle.
Wi manen uns den Brüdeballl (de Kliese)
Unn wenn se ans den Ball (de Kliese) nich gewen,
Denn will'n wi ihr den Mann (em de Liese) wegnehmen.
Denn will'n wi'n ihr verschenken,
Si soll da wol dran denken.
Ün is der Ball von Asche
So wiirn wi uns wol waschen;
Un is der Ball von Golde
Denn wiU'n wi'n wol beholden. ^
In Arendsee in der Altmark singen die Kinder und Lehrburschen
am Ostemachmittage unmittelbar nach dem Schlüsse des Gottes-
dienstes vor den Fenstern der seit den vorigen Ostern verhei-
rateten Eheleute:
Hier stehn wir Enäblein alle
Und singen uns den Balle,
Und wiln se uns den Ball nich jeben,
Denn willn wi & den Mann wegneem;
Tünp&l will wi ä werrä jeben.
Grron Löf, gron Lofl
Jungfa schmlt se den Ball herftt.
Darauf werden mehrere (10. 30) lederne Kinderbälle und der
große mit Sägespänen gefüllte BrätUigamsball herausgeworfen,
auf den die Lehrburschen Anspruch machen. Einen hübscheren
Brautball mit Troddeln schenkt die Braut an ihre unverheirateten
Jugendgespielinnen. Nachher werden im Tannenuxüde in Gegen-
wart fast der ganzen Stadt die Bälle verspielt, d. h. im Bogen
einander zugeworfen, bis der Ball platzt. Jetzt packt jeder
mit einem Finger ins Loch und sucht einen Fetzen des Leders
0u erhalten, den er als Andenken aufhewahri^ In Hausen, Ball-
Stadt, Westhausen, Stottemheim (Sachsen -Weimar) teilen die
jungen Eheleute am ersten Osterfeiertage „Ballen" aus, welche
1) Kuhn, Nordd, Sag. 372, 16.
2) Englien und Lahn» der Yolksmund 1868 I. 230, 6.
Der Braatball. 473
die Mädchen sich schon Pahnaram bestellen ,, hübsch rund, httbsch
bunt, httbsch stachelig nnd eine lange Schleife dran/' Die von
der Neuvermählten an die Mädchen ansgegebenen Bälle sind
nämlich Nadelkissen , mit Stecknadehi besteckt (man ygl. das
zackige Sonnenbild), woneben neuerdings auch Stecknadelbrief-
chen yerabfolgt werden; den Knaben wirft der junge Ehemann
große nnd kleine Lederbälle aus dem Fenster, wonach sie laufen,
so wie Hände voll „Killercher" und „Stenner" (Schußkugeln).
In Klein- Mölsen hei Erfurt werden die Sehußkugeln vorher heiß
gemacht, so daß sich die Knaben beim Anfassen die Hände ver-
brennen. In Ellichsleben (Schwarzburg Rudolstadt) beschenkt
nur das Ehepaar, welches im ersten Jahre kinderlos geblieben
ist, die Mädchen des Ortes mit Stecknadelbriefen und einem
großen Fangball, der ganz und gar derart mit Nadeln
gespickt ist, daß die Spitzen nach außen stehen. Dieser
Ball wird auf der Wiese emporgeschleudert und gehört dem,
der ihn auffängt. Der Gewinner hängt seine mit blutiger Hand
erhaschte Beute als Ehrenzeichen im Zimmer auf.^ Im Kirch-
spiele Vieux-Pont, D6p. de TOme in der Normandie muß der
vor dem Dimanche des BraAdons (Invocavit) zuletzt
verheiratete junge Ehemann einen Ball (pelote) oder eine
Kugel, worin er Geld gesteckt hat, vom Fuße des Kreuzes
aus so hoch als möglich iiher die Kirche oder den Kirchturm
werfen. Auf der andern Seite fängt einer von den jungen Leuten
der Gemeine den Ball auf, darf denselben jedoch erst dann sein
eigen nennen, wenn er damit uneingeholt durch drei Kirchspiele
gelaufen ist. Wird er vorher von einem Mitbewerber erhascht,
80 ftlhrt man ihn zur Kirche zurück und nun wirft er den Ball
seinerseits. So geht das fort, bis derselbe einen Eigentümer
gefunden hat.* Li andern Ortfen der Normandie wirft die Braut
einen Ball über die Kirche, den die Junggesellen und verhei-
rateten Männer zu fangen suchen ; nachher tanzt man miteinander.'
In Großbritannien knüpft sich die Sitte des Bällspiels an Hoch-
zeiten, Lichtmesse, Fastnacht, Ostern, Weihnachten; auch hier
1) F. Schmidt, Sitten xml Gebrauche bei Hochzeiten in Thüringen.
Weimar 1863. S. 46 ff.
2) De Nore, contomes p. 244.
3) Brand pop. ant. qn. ed. Ellis II, 156.
474 Kapitel Y. YegetationsgeiBter: Maibrautschaft
spielen Brautleute oder Neuverheiratete die erste ;BDlle;
offenbar -ist es jüngerer Brauch, daß die Schuljugend daßir ein-
tritt. Bei den Kohlenarbeitem in Nordengland wird der nach
der Trauung aus der Kirche tretende Bräutigam um Geld zu
einem Fußball (football) gebeten und er darf' sich nicht weigern. ^
Der Fußball ist ein mehr als kopfgroßer Lederball, mit Luft
geftUlt, der mit dem Fuße fortgetrieben wird.* Eine neue Braut
mußte ihren Jugendgespielinnen ,, Ballgeld ^^ (Ballmoney) geben.'
In Schottland fand am Lichtmeßtage zwischen den verheirate-
ten Männern und den unverheirateten, oder zwischen zwei
Ejrchspielen ein Wettkampf mit dem Fußball statt, der vom
Ostende der Stadt bis 0um Westende (wie die Sonne geht) getrie-
ben wurde. Der ,,Licbtmeßball (Candlemas Ba')'' brachte die
ganze Bürgerschaft in Aufregung. In Jedburgh verpflanzten vor.
nicht allzulanger Zeit die streitenden Parteien nach zweistündigem
Kampf in den Straßen denselben in das Flußbett des Jed und
fochten ihn mit gegenseitigem Bespritzen zum großen Ergötzen
der von der Brücke zuschauenden Menge aus.^ Im Kirchspiel
Inverness (Mid Lotbian) fand jährlich am Fastnachtdienstag ein
Wettkampf mit dem Fußbali zwischen den verheirateten
und unverheirateten Frauen statt, wobei die Verhei-
rateten regelmäßig siegten.* In der Pfarrei Scone (Perth) hatte
der Kampf zwischen den verheirateten Männern und den
Junggesellen statt. Er nahm vom Kreuz (cross of Scone)
seinen Ausgang und währte von zwei Uhr bis Sonnenun.-
t e r g a n g. Wer einmal den Ball in die Hand bekam , lief damit
fort, bis einer der Gegenpartei ihn einholte; konnte er sich dann
losmachen, so lief er weiter; wo nicht, warf er den Ball von
sich, es sei denn daß die Gegner ihm denselben entwunden hät-
ten; doch niemand durfte ihn thit dem Fuße weiter stoßen.
Die Aufgabe ilir die Verheirateten bestand darin, den Ball zu
„hängen^' (hang), d. h. dreimal in ein kleines Loch im Moor zu
1) Brand II , 156.
2) Brand II, 417. Strntt, sports and pastimes 1841. p. 100.
3) Coles, Dictionary bei Brand II, 156. Cf. Chambers Edinburgh
Joum. March 12. 1842 bei Knhn, Nordd. Sag. S. 511.
4) Chambers, the Book of Days 1864. 1,214.
5) BVederick» Morton Eden^ Statistical accoant of Scotland bei Hone
1, 130.
Der BrantbaU. 475
treiben , der nach einer Seite hin die Grenze bildete ; die Auf-
gabe der Jnnggesellen war ihn zu ertränken, d. h. dreimal in
eine tiefe Stelle des Baches zu stoßen, der den Kampfplatz auf
der andern Seite begrenzte. Gewann keine Partei, so ward der
Ball bei Sonnenuntergang in zwei ganis gleiche Teile zerschnitten.^
In manchen Gegenden ist der Gegensatz zwischen Verheirateten
und Unverheirateten verwischt oder geschwunden; in einzelnen
Fällen vielleicht nur von den Berichterstattern außer Acht gelas-
sen. In Bury (St. Edmunds (Suffolk) schlagen auf Fastnacht
12 alte Frauen Ball (trap and ball) bis Sonnenuntergang.* Noch
im Jahre 1815 bestand in Teddington, Twickenham, Bushy,
Hamptonwick und andern kleinen Städten in Hamptonshire nahe
London am Fastnachtdienstag die Sitte, alle Kaufläden zu schlie-
ßen und alle Fenster mit Läden, oder darttbergenagelten Latten
zu versichern. Dann wurde von verschiedenen Gesellschaften
je ein Fußball (football) von Tür zu Tür durch die Straßen getra-
gen und Münze daillr erbettelt Um Mittag begann ein vierstün-
diges Ballspiel auf den Straßen, wobei jeder, der es vermochte,
den Ball mit dem Fuße weitertrieb. Viele angesehene Personen
wohnten dem Schauspiel bei.^ Nach Alnwickcastle in Northumber-
land kamen jährlich am Fastnachtdonnerstag um 2 Uhr die Stadt-
pfeiffer und spielten auf, dann wurde der Menge ein Fußball
über den Burgwall zugeworfen. Brand sah dies am 6. Febr.
1788.* So wird der Brautball über das Dach des Torwegs oder
der Kirche gewori'en. Schon Fitzstephen, ein Schriftsteller des
13. Jahrh. berichtet, daß die Schuljugend von London zu Fast-
nacht unmittelbar nach dem Mittagsessen auf die Felder ging
und das berühmte Ballspiel trieb, jede Partei hatte ihren beson-
deren Ball.^ Und noch 6 Jahrhunderte später nannte der Pre-
diger Kirkmichael in Perthshire den Football als gewöhnliche
Fastnachtbelustigung der Schulknaben. ^ Wol aus der Feder des
ehemaligen Stadtherolds Handel Holme stammt die Nachricht,
daß ehemals bei einem auf dem Rodee (oder Roodeye, einer
1) Morton Eden a. a. 0. Cf. Chambers a. a. 0. I, 238.
2) Hone I, 215. Ueber den trapball s. Strutt S. 107.
3) Hone 1, 123.
4) Brand I, 92.
5) Strutt 92. Brand 1 , 70.
6) John Sinclaire, Statistical account of Scotland 1795 XV^ 521. Brand 1, 70.
476 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibrautscliaft.
Wiese zwischen der Kathedrale von ehester und dem Deeflasse)
stehenden Kreuze sich am Fastnachtdienstage der Mayor sammt
dem ganzen Rat mid alle 20 Gilden der Stadt mit ihren Vor-
ständen prachtvoll geschrnttd^t einfanden, mn yon da bis znm
Bathanse Fußball zu spielen. Der Mayor mit Amtsstab , Schwert
und Schirmhaube (cap of Maintenance) stand vor dem Kreuze;
dann nahte die Zunft der Schuhmacher und ttberreichte ihm nach
nnyordenklichem Brauche einen Lederball von drei Schilling
vier Pence Wert; worauf die Sattler hoch zu Roß, in ihrem
besten Staat herankamen und blumenumwundene Holzbälle
auf die Spitze ihrer Speere gesteckt, (vgl. o. S. 134) dar-
brachten. Endlich waren alle diejenigen Bürger, welche das
erste Jahr ihrer Ehe noch nicht beendigt hatten , verpflichtet, emen
Ball von Sammt und Seide zu liefern. Alle diese Geschenke
wurden dem Mayor oder in seiner Gegenwart der Gilde der Tuch-
händler, als der vornehmsten ttbergeben. Da das Ballspiel öfter
zu Streitigkeiten fbhrte, suchte man es unter Heinrich YHI. abzu-
schaffen. Ein Verbot der Darbringung im Jahre 1533 blieb
fruchtlos; da verwandelte man 1540 die Bälle in Preise ftlr das
Wettrennen auf dem Rodehee, das nun — so scheint es — an
die Stelle des Fußballspiels trat, und flir das Bogenschießen am
Ostermontag, die Schuhmacher gaben fortan den Tuchhändlem
in Gegenwart des Mayor eine silberne Lanze, die Sattler eine
silberne Glocke, die Neuverheirateten einen silbernen Pfeil.*
Auch zu Ostern war bei Corporationen das Ballspiel ttblich.
Ehedem begaben sich Jahr um Jahr zu Ostern und Pfingsten
der Mayor, die Aldermen und der Sheriff von Newcastle, von
den Bürgerinnen erwartet, in voller Amtstracht auf den Porth,
eine Art Malliebahn, um dem Ballspiel zuzuschauen oder daran
teilzunehmen.* Eine erst in den letzten Jahrhunderten aufge-
kommene Abart des Brauches' ist[[es, daß junge Leute beiderlei
Geschlechts auf Ostern um einen Rainfamkuchen (tansycake)
Stuhlball (stoolball) oder Handball spielten.^ Dagegen spielten
1) Kings Yale Royal of England p. 197. Brand I, 92. Strntt 101. 42.
Chambers 1 , 428 £
2) Brockett, a glossary of North - conntj words s. v. Keppy-ball.
Hone I, 215. Kuhn, Nordd. Sag. 511.
3) Bonme , antiqnities of tho commun people cap. 24. Stmtt 94. Üeber
stoolball 8. Strntt 97. Der Kuchen aus Bainfarrenkraut, ein beliebtes Oster*
Der. Brautball. 477
schon im frühen Mittelalter die Geistlichen sogar in den Kirchen
Ball. Joh. Beleth,^ spricht um 1166 in seiner ,;Diyinorum officio-
mm ac eorumdem rationnm explicatio,'' wobei er vorzugsweise
Gebräuche der Kirche von Poitiers im Auge hatte , im Anschluß
an das Osterfest cap. 120 ^^de quadam libertate Decembris'^:
;,Bestat, ut de eo nunc agamus, quod ultimo loco in partitione
superiori propositum fuit; nimirum de quadam libertate Decembris,
quae hoc tempore in quibusdam locis observatur. Sunt enim
nonnullae ecdesiae, in quibus usitatum est, nt vel etiam Episcopi
et Archiepiscopi in coenobiis cum suis ludant subditis, ita ut
etiam sese ad lusum pilae demittant. Atque haec quidem
libertas ideo dicta est Decembrica, quod olim apud Ethnicos
moris fuerit; ut mense loco send et ancillae et pastores yelut
quadam libertate donarentur, fierentque cum dominis suis pari
conditione, communia festa agentes post collectionem messium.
Qnamquam vero magnae ecclesiae , ut est Remensis , hanc ludendi
consnetudinem observant^ yidetur tarnen laudabilius esse, non
ludere.^ Noch Durand (Canonicus zu Narbonne, dann Bischof
von Mende) drückt sich darüber in seinem 1286 verfaßten Ratio-
gericht, sollte angeblich zur Erinnerang an die beim Passahfest gebotenen
bitteren Kräuter gereichen. Brand I, 176 ff. Chambers I, 429. Auf die
oben im Text erw&hnten Osterbelustigungen spielt jein Gedicht von 1679 an :
At s toolball, Lucia, let us play
For sugar, cakes or wine.
Or for a tansy let us pay,
The loss be thine or mine.
If thou, my dear, a winner be
At tmndling of the ball,
The wager thou shaU have, and me
And my misfortunes all.
Von demselben Gegenstande sprechen die folgenden Verse auf Ostern in
„Poor Bobin's Almanack for 1677":
Joung men and maids
Now very brisk
At barley- break and
StoolbaU frisk.
Hone I, 215. Chambers a. a. 0.
1) üeber Beleth vgl. Piper, Monumentale Theologie S. 620 § 142.
•
2) Bationale divinorum officiorum a G. Durando concinnatum ; adjectum
fnit aliud Bationale ab J. Beletho conscriptum. Lugdini 1605. T. II, 546«
478 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibrantschaft.
nale divinorum officiorum L. VI. cap. 86 „de sancto die Paschae" § 9
nach Beleths Vorgang folgendermaßen aus : In quibusdam quoqne
locis hac die in aleis, in natali Praelati cum suis clericis ludunt,
in claustris, vel in domibus episcopalibus: itautdescen-
dant ad Indum pilae, vel etiam ad choreas et cantus quod
vocatur libertas decembrica: quia antiquitus consuetudo fuit apud
gentileS; quod hoc mense servi pastores et ancillae quadam
libertate fruerentur et cum dominis suis dominarentur et cum eis
facerent festa et convina post collectas messes : landabilins tamen
est a talibus abstinere. Während hier die Uebung des Ballspiels
noch auf das Kloster oder den bischöflichen Hof sich beschränkt,
wurde es später in England sogar in die Kirche hineingezogen
und als ein Appendix mit dem Gottesdienst verbunden. „A baU
not of size to be grasped by one band only, being giren-out
at Easter the Dean and his representatives began an antiphone,
suited to Easterday; then taking the ball in his left hand he
commenced a dance to the tune of the antiphone, the others
dancing round hand in hand. At intervals, the ball was ban-
died* as passed to each of the choristers. The organ played
according to the dance and sport. The dancing and antiphone
being concluded, the choir went to take refreshment. It was
the privilege of the lord or his locum tenens, to throw the ball;
even the archbishop did A.^'^ — Im Schottischen Hochland
gehört der Ballwettkampf (luchd-vouil) endlich auch zu den
Weihnachtsvergnügungen. '
Der Brautball muß in irgend welcher näheren Beziehung
zum grünen Laube, zur jungen Vegetation gestanden haben
(vgl. das Zerschlagen im grünen Tannenwalde), er scheint dem
jungen Ehepaare wesentlich gewesen zu sein. Ich stelle mir die
Situation so vor, daß dieses auf ein Jahr lang in Nutz-
nießung des Brautballs gedacht sei, und daß die Mädchen ihn
zurückfordern, weil mit dem Jahresschluß seine Function fttr
dieses Paar erlischt, ein anderer filr ein anderes Paar an die
1) Bandy heifit den Ball mit einem Stecken weitertreiben (Strutt 101 ff-),
das Auswerfen mit der Hand war allein dem Lord (Bischof u. s. w.) vor-
behalten.
2) Fosbroke*« Brit. Monach bei Hone I, 215. Cf. Cihambers I, 429.
3) Grant, popttlar saperstitions of the Highlands bei Hone 1,817.
Der Brantball. 479
Beihe kommen soll. Die Sache wäre klar, wenn man den Braut-
ball als Symbol des Sonnenballs (jener feurigen Scheibe, an
welche der „Ball von Asche, von Golde" (o. S. 472), das Glühend-
machen der Schußkugeln in Klein -Mölsen, die Gestalt des den
Mädchen gegebenen Zackenballs in EUichsleben u. s. w. (o. S. 473),
das vielleicht nicht bloß zufällig erinnert) und die Braut- und
jungen Ehepaare auf ein Jahr lang als Gegenbilder des Lenz-
brautpaars auffassen dürfte. DaiÜr spricht, daß es die bis zum
Dimanche des Brandons Verheirateten (o. S. 473) sein sollen.
Und die Bedrohung der jungen Frau in Arendsee, scheint sie
nicht sagen zu sollen: Deinen wie ein grüner Baum blühenden
Gatten wollen wir dir nehmen und einen dürren Stock dafdr
geben? Die Entscheidung über diese Frage wird wol davon
abhangen müssen , wie man die in Norddeutschland und England
verbreitete Sitte, zu Fastnacht, Ostern, Weihnachten Ball zu
schlagen, zu erklären hat In Landsberg a. d. Warthe spielt
man am dritten Ostertage auf einer Wiese Ball, den Beschluß
macht ein Tanz, das heißt: den Osterball feiern. In Kiez bei
Köpenick geschieht das noch am ersten Festtage vor Son-
nenaufgang, an anderen Orten zu anderen Tageszeiten, nicht
Regen noch Schneegestöber hält davon ab. Die englischen For-
men des Brauches lehren, daß auch bei diesen Begehungen der
Gegensatz der Neuvermählten und der Unverheirateten
die erste Rolle spielte, daß sie Abschwächungen der Sitte, mit
dem Brautball zu spielen waren, und mit der Entwickelung des
Ballspiels in der Gesellschaft auch vielfache Modernisierungen
erlitten. Simrock fragt (Handb. d. Myth.* 578): „Stand dies Ball-
spiel in Bezug auf die drei Freudensprünge, welche die Sonne
zu Ostern tun soll?^^ Dafür könnte sprechen, daß die Sitte
zuweilen noch vor Sonnenaufgang oder bis Sonnenunter-
gang 0. S. 474 geübt wird oder gleich der Sonne die Richtung
von Ost nach West nimmt (o. S. 474); das Hinüberwerfen des
Balls über das Dach des Torwegs oder die Kirche gleicht sich
dem-Scheibenwerfen. Die Bedeutsamkeit des Brauches der Oster-
bälle erweist der Umstand , daß die Politik der Kirche es fllr nötig
hielt, denselben zu weihen oder gar zu christianisieren, indem
sie ohne Zweifel durch gottesdienstliche Verwendung denselben
£U einem Sinnbild Christi selbst, der aufeteigenden Ostersonne,
umdeuten zu können hoffte. Nicht am wenigsten kommt zu guter-
480 Kapitel Y. Yegetationsgeister: Maibrautschaffc.
letzt unserer Deutung zu gute, daß in Oldenburg der Osterball*
in offenbarem Zusammenhange mit dem Osterfeuer zu stehen
seheint. Das Ballspiel wird an den Nachmittagen beider Fest-
tage von Kindern und Erwachsenen getrieben. In Ganderkesen
begaben sich die Erwachsenen vom BaUspiel zum Osterfeuer und
darauf ins Wirtshaus und spielten Klumpsack, wozu auch die
jungen Mädchen zugezogen wurden.^ Das Klumpsackspiel ¥mrd
in Westfalen auf dem Platze des Osterfeuers vorgenommen (Kuhn,
Westf. Sag. n, 136, 405^) und zwar vor Anzttndung desselben.
Ebenso mag auch Ballspiel zum Osterfeuer gehört haben. Oder
wäre trotz alledem die ganze Sitte des Brautballs zu Ostern kirch-
lichen Ursprungs , chrisüicher Symbolik entsprossen ? Und hinge
es damit zusammen, daß mehrfach der Ball über die Kirche
geworfen wird (o. S. 473) oder das Ballspiel vom Ej*euz aus
seinen Ausgang nimmt (o. S. 474)?
§ 11. Brantlager auf dem Aekerfelde. Der Mooner sym-
bolische Vermählungsbrauch (o. S. 4&9) rtthrt wieder an eine
eigentümliche Reihe yon Sitten, deren characteristisches Kenn-
zeichen dies ist, daß Mann und Weib verbunden sich auf dem
Äcker wälzen. In England hatte der Brauch am Maüag statt
In einem Gedichte „May-Day'^ sagt R. Fletcher im J. 1656:
The game at best, the girls May rould mnst bee,
Where Croyden and Mopsa, he and shee,
Each happy pair make one hermaphrodite.
And tnmbling, bonnce together, black and white.'
Zu Ostern und zu Pfingsten pflegten junge Paare sich vom Green-
wichhügel herabzurollen.' In der Ukraine zieht am St Georgs-
tage (23. Apr. a. St.) nach beendigtem Gottesdienst der Geistliche
in Yollem Ornat mit seinen Earchendienem und der ganzen
Gemeinde auf die ausgesäten und bereits grünenden Felder des
Dorfes, um sie nach griechischem Ritus einzusegnen. Den gan-
zen folgenden Nachmittag bis in die sinkende Nacht bringt darauf
der Bauer auf den Feldern zu. Man geht von einem Felde zum
andern, begrüBt die Nachbarn und ißt besonders Air diesen
1) Strackerjan, Abergl. n. Sag. a. Oldenburg 11,46,315.
2) Tranalations and Poems, 1656. p. 210 bei Brand, pop. antiqn. ed.
ElUs 1,181.
3) Brand a. a. 0. „the roUing of yoong couples dovn Greewiohhill , at
Easter and Whitsuntide.''
Brantlager auf dem Ackerfelde. 481
Feiertag zubereitete kalte Speisen amter dem gehörigen Zusatz
von Branntwein. Die alten Lente mit den Eandem bleiben in
der Nähe der Feldwege; die erwachsene Jugend aber entfernt
sich über die Felder, bis sie den Alten in einer Vertiefung aus
dem Gesichte verschwinden. Hier stecken sie eine Stange mit
einem angebundenen Tuche, oder einer Flagge auf, angeblich
um den Platz zu bezeichnen, auf dem sie sich vergnügen und
zum Zeichen, daß hier die Alten nichts zu suchen haben. Alle
legen sich auf die Felder, und wer eine Frau hat, wälzt sich einige
Male mit ihr auf dem Saatacker um. Wie man denken kann,
folgen diesem Beispiele auch die jungen Leute auf ihrem abseits
gelegenen Turnplätze, „So oft ich fragte — schreibt mein Bericht-
erstatter, Hofrat Hochhuth in Pilonmik bei Kiew — , weshalb
sie auf diese Weise auf den Feldern sich wälzten, erhielt ich
zur Antwort, daß das von jeher so gewesen sei; der heilige
Georg habe sich auch auf den Aeckem gewälzt, und ich würde
schon sehen, welcher Getreidesegen danach zum Vorschein komr
men werde. Dieses Wälzen auf den Feldern ist besonders in
den flachen Steppen der Ukraine üblich, die aus sehr fruchtbarer
Schwarzerde bestehen; auf dem Sand- und Lehmboden des
bewaldeten Hügellandes von Wolhynien und in Podolien am Dnie-
ster ist es mir nicht vorgekommen." — Den vorstehenden Früh-
lingsgebräuchen stehen ganz ähnliche Emtebräuche gegenüber.
In Kelbra (gold. Aue, Kr. Sangerhausen) werden die Schnitter
und Schnitterinnen, welche das erste Jahr mit auf Arbeit gehen,
Oesicht gegen Gesicht zusammengebunden und unter fröhlichem
Gelächter der anderen einen Hügel hincibgerollt. In Scharrel
(Saterland) sammelten sich früher während des Boggenmähens
allabendlich Schnitter und Schnitterinnen nach getaner Arbeit auf
dem Grünenwege und dem Langhorstesch zu Trunk und Feier.
Dann umfaßten die Mädchen die Beine der Schnitter
und die Schnitter die Beine der Mädchen, und so anein-
ander geklammert rollte und wälzte man sich herum
und nannte das walen.^ In Hessen (Gegend von Kinteln)
werden Arbeitsleute, welche zum erstenmsde ein Emtefeld besu-
chen, besonders die Männer, welche zum erstenmale auf einem
Gute beim Roggenmähen beschäftigt sind, auf Frauenspersonen
1) Stracker Jan, Abergl. a. Oldenburg U, 78, 361.
Mannhardt. 31
482 Kapitel V. YegetationsgeiBter: Maibrautschaft.
gelegt und ihnen nach dem Takte des Liedes „Als Jacob nach
der Mühle will fahren'' das Hinterteil so lange mit einem Sensen-
streicher bearbeitet (,; gebritzt '') bis sie angeloben, etwas zum
besten zu geben ; was sie je nach Beschaffenheit ihrer Unterlage
kürzere oder längere Zeit anstehen lassen.
Der Emtebrauch stellt sich als einfache Wiederholung des
Frühlingsbrauches dar; wie dieser hat er den Zweck, das Korn
auf den Aeckem reichlich wachsen zu machen; auf Georgi,
Ostern , Pfingsten , Maitag geübt erstreckt die Kitte ihre Wirkung
vermeintlich auf die diesjährige Ernte, nach dem Getreideschnitt
auf die Fruchtbarkeit des folgenden Jahres. In Greenwich roll-
ten die Paare zu Ostern, in Sangerhausen nach der Ernte vom
Hügel herunter.
Zwei ganz verschiedene Bestandteile lassen sich in den
vorstehenden Bräuchen unschwer von einander scheiden. Das
Wälzen auf dem Acker wird auch von Einzelnen geübt, ist also
zu sondern von dem Auftreten eines Paares (Mann und Weib).
In Helsingland und Jemtland pflegt der schwedische Bauer,
wenn er es im Frühjahr zum erstenmale donnern hört, sich auf
die Erde zu werfen mit dem Ausruf:
d. i.
Vi ska rnlla.
Sä at det blir körn i hvar grnbba.
Wir werden rollen,
So daß Eom entsteht in jeder Pflogfnrche ( Vertief ong im Acker).
Wer diesen Brauch übt, wird im Herbst eine reiche Ernte erhal-
ten, wer ihn aber versäumt, zur Strafe von Bttckenschmerzen
geplagt werden.^ Auch in Oberöstreich warf man sich ehedem
beim ersten Gewitter auf die Erde und wälzte sich auf dem Boden,
in der Meinung ein gutes Getreidejahr zu erwirken. Die Bulgaren
und Serben tun dasselbe, damit ihnen im Laufe des Jahres die
Knochen in den am Boden geriebenen Schultern nicht weh tun.
In der Oberpfalz, Baiem, Böhmen ho£Et man nicht minder das
Jahr hindurch von Ereuzschmerzen befreit zu sein, wenn man
beim ersten Donner im Frühling sich dreimal rückwärts nie-
derwirft, und den Rücken auf dem Boden wälzt und
1) Hylten-Gavallius, Yärend och Virdame TL TiRX.
Brautlager auf dem Ackerfelde. 483
reibt* Gradeso aber glaubt der Este, wenn er vor dem Georgs-
tage ein Gewitter zum erstenmale hört und dreimal einen Bürzel-
bäum schlägt, in der gebückten Stellung beim Komschneiden
während der Ernte weder zu ermüden, noch Rückenschmerz zu
empfinden.* In manchen Orten Böhmens, Niederöstreichs u. s. w.
gilt solches vom ersten Donner während dfer Erntezeit,^ und in
verschiedenen Gegenden Rußlands wälzen sich die Schnitter nach
Beendigung der Arbeit auf dem Rasen, indem sie sprechen:
„Stoppelfeld, Stoppelfeld! gieb mir meine Kraft zurück; indem
ich dich geschnitten habe, ist die Kraft verloren gegangen."*
Letztere Aeußerung stimmt damit überein, daß in Deutschland,
Prankreich u. s. w. von einem während der Ernte ermüdenden,
Rückenschmerz empfindenden Arbeiter der Glaube geht, der im
Ackerfeld weilende, anthropomorphische oder theriomorphische
Komdämon habe ihn berührt (der Bulle, der Austbock hat ihn
gestoßen; der Roggenwolf hat ihn untergekriegt; il a vue la
chienne blanche u. s. w.).
An die Stelle des Donners treten zuweilen die den Beginn
des Frühlings anzeigenden Vögel. Beim ersten Kukuksruf wälzt
sich der Meininger, hessische, westfälische Bauer ein paarmal
auf der Erde, um das Jahr hindurch frei von Rückenschmerzen
zu bleiben.^ Gradeso warf sich im alten Griechenland rücklings
(vjtTiog) nieder und wälzte sich auf dem Boden wer zum ersten-
male im Frühling eines Weihen (Yvcrivog) ansichtig ward.*
Andere Formen des Brauches besagen, daß man auf der
Saat sich wälzen solle, um sie ergiebig zu machen. Die
Zwiebeln wachsen groß, wenn man sich in der Johannisnacht
auf den Beeten wälzt. ^ Damit er hoch wachse, umtanzten die
1) Panzer 11, SOS. Scbönwerth 11, 125. Grohmann, Abergl. a. Böh-
men .39 , 288. Wnttke > § 535.
2) Bdcler-KreatKwald, der Ehsten abergl. Gebr. S. 84.
3) Grohmann, Abergl. a. Böhmen 40, 242. Zs. f. D. A. XII, 400.
4) Tereschtschenko IV, 184.
5) Zs. f. D. A. m, 362, 13. XII, 400. Zs. f. D. Myth. IV, 447. Kuhn,
westßl. Sag. n, 74,221.
6) Aristophan. av. 498 ff. c. scbol.: „'!Brf(>o? ÄQxofih'ov fxnrog (patveiat
ttg triv ^Ekkada . i(f w ijcfo^*vo* xilMo^Tui.**^ „ol ynQ txttvoi lo nulaibv
ioQ (ar\uaivov , ol n^vtfrfg ovv nnaXltty^mg ro? /€«/U(5i'off IxvXivdomto xal
TjQoaexurovv avrovg**
7) Chemnitzer BockenphiT. 1709 No. 124.
. 31*
484 Kapitel V. Yegetationsgeister: Maibrantschaft.
Mädchen im Saalfeldischen nachts den Flachs, zogen sich nackt
aus und wälzten sich darin.* Die Bhönleute wälzten sich in der
Christnacht auf ungedroschenem Erbsenstroh, und mengten die
ausgefallenen Erbsen unter die Aussaat, um ihr Gedeihen und
Wachstum zu sichern.* Aehnliche Absichten werden zu Grunde
liegen, wenn bei Nördlingen im Ries (Kr. Schwaben, Baiem)
derjenige, welcher den letzten Drischelschlag machte, [als Ver-
treter oder Darsteller des dem Korne innewohnenden Dämons]
in Stroh eingebunden und auf der Tenne herumgerollt wird.
In dem o. S. 434 beigebrachten Frühlingsbrauch aus dem Kreise ^
Nerechta wirft sich die Darstellerin des Vegetationsgeistes auch
auf den Boden und walzt sich darauf. Diese Handlung ist deut-
lich unterschieden von der Darstellung des Winterschlafes im
tiämlichen Brauche. Hier haben wir den vollen Beweis, daß der
Wälzende den Wachstumsdämon repräsentierte.
Unleugbar enthält die eine Hälfte der vorstehenden Gebräuche
die Absicht, dem Acker eine erhöhte Triebkraft, der Saat größe-
res Wachstumsvermögen mitzuteilen. Eine solche wird dem
Volksglauben nach durch das Gewitter hervorgebracht, das die
Pflanzen gedeihen, reichlich und üppig hervorsprießen macht
Daher heißt z. B. in Schweden das Wetterleuchten Kombiixt,
Komblick; in Norwegen Kornmode, Kommoe, das Gewitter mit
Blitz und Donner in Schweden teils Kommode,^ teils Kombonde
(der Kombauer)> Im Augenblicke des ersten Frühlingsgewitters
1) JoTirnal von und für Deutschland 1790. Myth.« LXXXVm, 519.
2) Myth.» CLm, 990.
3) In Smaland sagt man sogar, wenn ein rotbärtiger Bettler auf
den Hof kommt, „sieh da kommt der Kommode." ,,Ich glaubte es sei der
Kommode (Thor) selbst." Hyltän-Cavallius, Värend I, S. 231.
4) Kombonden gär »» det äskar (Der Korabauer geht = es gewittert).
Ein Batsei aas Oestergötland fragt: hvad ropar högare an tranan? (Was
ruft in größerer Höhe, als der Kranich?) Kornbon (äskan) ropar högare Sn
tranan. (Der Kombonde (Donner) ruft in größerer Höhe , als der Kranich.)
Dybeck, Buna 1849 p. 48 No. 17. Ein Troll, der den Donner hört, fragt
eine Frau, was das sei, sie antwortet: Det är bo'n, kör körn öfver bron.
(Das ist der Bauer , er fahrt Korn über die Brücke.) Cf . Zs. f. D. Myth. HI,
30, 12: Der Donner entsteht dadurch, daß der Herrgott Getreide in den Getroi-
dekasten schüttet (K&rnthen). Thor serena et fruges gubemat (Adam Brem).
Vgl. auch die Gebete an den finnischen Donnergott ükko. Castr^n finn.
Myth. S. 37. 46 if ; und das von Gutsleff im J. 1644 mitgeteilte an den est-
Brautlager auf dem Ackerfelde. 485
muß diese Einwirkung anf den Komwachstum als am stärksten
und wirksamsten gedacht sein; und ebenso muB der Moment des
ersten Erscheinens und des ersten Kufes der Frühlingsboten
Eukuk und Weihe als die Wachstumskraft des Lenzes in inten-
siver Weise vermittelnd gedacht sein. In dem einen oder andern
Falle schießt grade dann gleichsam die övva^ug av^rjTixij (o.
S. 196) in das Erdreich ein. Wenn aber dem Boden oder den
Pflanzen eines bestimmten Ortes diese Mitteilung vermeintlich
nicht unmittelbar 9 sondern erst durch das Medium einer auf dem
Boden sich reibenden , an ihn gleichsam die aufgenommenen Kräfte
weiter abgebenden Person zu teil ward, so liegt hier deutlich
eine mythische Personifizierung vor. Der auf der Erde sich wäl-
zendö Mensch vertritt ein mythisches Wesen, welches die im
Bischen Picker „ Lieber Donner , wir opfern dir einen Ochsen , der zwei Hör-
ner nnd vier Klauen hat, nnd wollen dich bitten um unser Pflügen und
Säen, daß unser Stroh kupferrot, unser Getreide goldgelb werde. Stoß
anderswohin alle dicken schwarzen Wolken über große Sumpfe, hohe Wälder
und breite Wüsten. Uns Pflügern und Säem gieb aber fruchtbare Zeit und
süÄen Regen. Heiliger Donner, bewahre unsem Acker, daß er trage Stroh
unterwärts, Aehren überwärts und gut Korn innenwärts." Bosenplänter,
Beitr. V, 157. Myth.« 161. Nach Michael Agricolas Vorrede zum Davidin
Psaltari 1551 wurde in Kardien, „wenn die Prühlingssaat gesät wurde,
Ukkos Schale getrunken und Ukkos Korb gesucht, so die Magd und die Frau
berauscht und viele Schandtaten begangen, die man sowol hören als sehen
konnte." Castren, finn. Myth. 317. Diesem finnischen Feste entspricht —
wie ich bereits anderswo ausgeführt habe (cf. Lasicii de diis Samagitarum
libellus ed. Mannhardt 43 ff.) — ein estnisches Fest, wobei um .die Tag- und
Nachtgleiche im Frühling (des Donnergotts) Ukkos Pandel, ein mit Opfer-
gaben gefülltes Rindenkästchen, umgeben von Speisen und Getränken aller
Art auf den Tisch der Klete gesetzt wurde , worauf der Hausvater auch noch
eine mit Körnern jede» Getreideart gefüllte Borkenschale hinzutat. Unfrucht-
bare Weiber mußten sich, nachts beim Ukkowak eingesperrt, daselbst einet
geheimen Ceremonie unterwerfen. Nachdem der Hausherr frühmorgens
nüchtern die Grenzen seines Ackers umwandelt, begann ein Bacchanal, bei
welchem namentlich die Weiber viel trinken mußten. Drei Tage nach dem
Fest wurde die Schale mit den Körnern aus der ükkopaudel herausgenom-
men, jede Getreideart wieder ausgesondert und in den Saatkasten getan.
Verhandlungen der estn. Gesellsch. z. Dorpat II , 3. 1850. S. 46 ff. Offenbar
also sollte der Gott des Frühlingsgewitters das auszustreuende Saatgetreide
fruchtbar machen; gradeso wie die Inselschweden bei der Aussaat in das
Külmit, woraus sie säen, einen Donnerkeil (Bisavigg) legen. Russwurm Eibo-
folke U, ^379.
486 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibrantschaffc.
Augenblicke des ersten Gewitters oder Yogelangangs (resp. der
Geburt Christi o. S. 434) aufs höchste erregte Wachstumskraft in
den Acker oder die Aussaat (Kom, Flachs, Zwiebeln, Erbsen
u. s. w.) ausströmt.
Anders liegt auf den ersten Anschein die Sache, wenn der
Mensch sich auf der Erde wälzt, um von Kreuzschmerzen während
der Ernte befreit zu werden, oder zu bleiben; oder wenn er (wie
in Böhmen noch im vorigen Jahrhundert geschah) sich, sobald
es donnert, auf die Erde wirft und sie kttßt;^ denn hier scheint
er der Empfangende, der die in den Acker übergegangene Kraft
des Gewitters, resp. des einziehenden Frühlings an sich zieht. ^
Wenn aber nach schwedischem Glauben die Beobachtung des
Wälzens auf dem Saatfeld eine reiche Getreideernte, die Nicht-
beobachtung dagegen Kückenschmerzen bei der Emtearbeit zur
Folge hat, so kann schwerlich der Wälzende das einemal ein
myttiisches Wesen vertreten, das anderemal in der Rolle eines
ganz gewöhnlichen Sterblichen handeln; vielmehr steht zu ver-
muten, daß beidemale entweder Bepräsentanten mythischer Per-
sonificationen , oder einfache Menschen gemeint waren. Wir wer-
den zunächst prüfen müssen, ob und wie diese Vermutung lüit
unserem vorherigen Ergebnisse im Einklänge steht, daß die auf den
Saatfeldern , den Zwiebelbeeten , dem Flachs und Erbsenstroh sich
Wälzenden Vertreter, resp. Darsteller von (Vegetations)- Dämonen
seien, welche den Früchten und Pflanzen Wachstumskraft mitteilen.
Befinden sich die des Bückenwehs halber sich Wälzenden trotz
scheinbaren Gegenteils im gleichen Falle? Die mitgeteilten Bei-
spiele ergeben, daß es sich dabei um diejenigen Kreuzschmerzen
handelt, welche Ermüdung bei der Emtearbeit erzeugte; sie wer-
den aufgefaßt als ein durch Zusammenstoß mit dem Getreidedämon
veranlaßter Kraftverlust. Nun ist es nach anderer Wendung der
1) Grohmann , Abergl. a. Böhmen 40, 243.
2) Cf. Wenn es im Frühjahr zum erstenmale donnert, soll man etwas
Schweres (einen Stein n. dgl.) heben und einige Schritte weit tragen; so
erlangt man angewöhnliche Starke, kommt das Jahr hindurch nicht Ton
Kräften und bewahrt sich bei schwerer Arbeit vor Leibesschaden. Groh-
mann, Abergl. a. Böhmen S. 39 ff. No. 237. 240. 241. Große Starke erlangt
auch wer einen Donnerkeil oder den Splitter eines vom Blitz getroffenen
Baumes bei sich trägt Grohmann a. a. 0. 40, 239. Thörr hat einen Kraft-
gürtel (Megingjardr), der 12 Männer Stärke verleiht.
Brautlager auf dem Aokerfelde. 487
Vorstellung der Getreidegenins; der den ährenschweren Halmen ein-
wohnende Geist selber, der durch den Komschnitt einen Abbruch
eine Schwächung erleidet. Berücksichtigen wir jetzt einerseits, daß
derjenige, welcher bei der Ernte den letzten Sensenhieb, oder
Drischelschlag macht, häufig den Komdämon vertritt und dar-
stellt und nun flir ein Jahr den Namen Roggenwolf, Hahn, Hafer-
bock u. s. w. erhält,^ andererseits daß der den Baumgeist durch
Schädigung der Pflanze beeinträchtigende Frevler sofort stellver-
tretend an seinem eigenen Leibe die gleiche Schädigung erlei-
det (o. S. 36 ff. 104 ff.), so führt uns die Analogie auf die An-
schauung, daß der Schnitter zur Strafe und in dem Maße kraft-
los gedacht wurde, als er durch seine Arbeit den Komdämon
gemacht hatte. Selbstverständlich konnte er dann auch nur auf
dieselbe Weise , wie dieser , seinen Verlust ersetzen , d. h. durch
Berührung mit der Erde, aus welcher die neue Pflanze her-
vorsprießen soll. Ganz parallel stehen noch zwei andere Weisen,
bei der Erntearbeit empfangene Kückenschmerzen zu bessern,
oder zu verhmdem. Man tanzt um das Johannisfeuer und springt
hindurch^ (Baiem), oder man bindet um den Leib einen Gürtel
von drei Hahnen (Niederbaiem) , oder legt sich auf den Bücken
je eine Aehre aus der ersten , zweiten und dritten im Beginn der
Ernte abgeschnittenen Handvoll Frucht (Oberpfalz cf. o. S. 210).
In diesen ersten Aehren des Schnitts lebt noch die volle Kraft
des ungeschwächten Getreidedämons. Der Sprung durch das
Johannisfeuer (vgl. o. S. 177 ff.) ist von uns (o. S. 186) als Nach-
bildung des Durchgangs der Yegetationsdämonen durch die Som-
merhitze erklärt worden; derselbe geschieht meistens paarweise,
indem Jünglinge und Mädchen dem mythischen Maibrautpaar
nacheiferten. Diese Analogien bekräftigen, wie ich glaube, den
Schluß, auch der zur Beseitigung von Kückenweh auf dem Boden
sich wälzende Abergläubige handelt als Stellvertreter oder Reprä-
sentant eines Eomgeistes.
Werden wir nunmehr noch diejenige Form des Frühlings-
und Erntebrauchs, in welcher ein Paar auf dem Acker gerollt
wird , mißverstehen können ? Seine Vereinigung stellt symbolisch
die Vermählung des Maibrautpaars dar, welche in dem
1) S. ManDbardt, Eorndämonen S.d. Boggenwolf* S. 34.
2) Cf. Wuttke» § 93.
488 Kapitel Y. Vegetationsgeister: Maibrautschaft.
Augenblicke vor sich geht, wenn das erste Frtthlingsgewitter
yermeintlich die Erde befrachtet, oder der erste FrtthlingsYogel
den Sommer mit sich bringt. Dieses feierliche and segensreiche
Brautlager einem besonderen Saatfelde recht wirksam za machen,
wälzen and reiben sich die irdischen Stellvertreter des mythischen
Paares aaf der Erde, der dadarch die Kräfte der göttlichen
Vermählnng zuströmen.
§ 12. NeuvermBlilte als Abbilder des Maipaars. Spielt
in den Fastnacht - , Oster - , Mittsommergebräachen das ziüetzi ver-
heiratete Ehepaar, oder eine fängst vermählte Ehefrau, zameist
beim Feuer eine Rolle, ^ so auf andere Weise in schwäbischen
Fastnachtsitten die jüngsten Bürger, d. h. diejenigen Männer,
welche zuletzt Hochzeit hielten j oder sämmtliche im Laufe des
letzten Jahres neuverheirateten Männer, Man bezeichnet dieselben
als „Bräutlinge'^ und nötigt sie, in den Brunnen zu springen.
Zu Munderkingen sprang der Letztvermählte am Aschermittwoche
dreimal in den zuvor gut umgerührten 10 — 12 Schuh tiefen
Marktbrunnen und brachte dort ein Vivat aus.' In Scheer und
Sigmaringen werden alle im letzten Jahre yerheirateten Männer
nacheinander am Fastnachtmontage nach der Kirche im Bohr-
hrunnen gebadet ^ zu Fulgenstadt geschah das vor etwa 50 Jah-
ren am Fastnachtsonntage im angestauten Wasser des Dorfbachs,
zu Uigendorf geschieht es noch am Fastnachtdienstage im Brunnen-
troge des Ffarrhofs. Zu Scheer und Sigmaringen halten bei dieser
Gelegenheit die ledigen Gesellen zu allen Bräutlingen einen Um-
zug, voran den Fastnachtsnarren mit RoUengeschell und mächtiger
Peitsche, der Kinder und Jungfrauen russig macht, wenn er sie
erwischt, sodann 2 — 4 Läufer ebenfalls mit Peitschen, endlich
1) Andere Verpflichtangen liegen den Neuvermählten z. B. in Thüringen
oh, wo sie einige Wochen nach der Hochzeit entweder einen Hahnenschlag
veranstalten müssen, oder am ersten Palmsonntage die ledige Jugend und
die Schulkinder mit Brctzeln heschenken (Hieben bei Gotha); Bretzeln waren
ja auch Geschenke bei Gelegenheit des Scheibentreibens s. o. S. 466. Oder
das junge Ehepaar hat im Laufe des ersten Jahres der Jugend einen Mai-
bäum mit darangehängten Halstüchern und ^Yestenstückchen u. s. w. auszu-
rüsten , der zum Burschen - oder Mädchentanz am Johannistage oder Pfingst-
tage aus ihrem Hause unter Musik abgeholt wird. F. Schmidt, Sitten und
Gebräuche bei Hochzeiten in Thüringen S. 47 — 48.
2) Meier 377 , 15.
NdüTennählte als Abbilder des Maipaars. 489
die Masikbande, in der einer einen dieken, mit Bändern
verzierten Prügel trägt. In jedes Bräatlingshans gebt der Zag
hinein, die Musik spielt auf and die jungen Eheleute tanzen
danach , indeß ihnen der Narr das Fleisch aas dem Hafen , einen
Braten vom Kamine herab stiehlt. Zuletzt wird der Bräutling
gefragt, ob er Wein oder Wasser wolle. Antwortet er Wein,
so muß er ein Stttck Geld geben, um die Gesellschaft im Gast-
hause zu bewirten, antwortet er Wasser, so wird er gebadet
Er muß auf den Prügel sitzen und wird so durchs ganze
Städtchen bis zum Rohrbrunnen getragen, um diesen
herumgeführt und hineingeworfen. So geschieht es vom
Aeltesten angefangen der Reihe nach bei allen seit Jahresfrist
Neuverheirateten. In einigen Orten bei Scheer findet der Brauch
jedoch schon am Ende des Kalenderjahres statt. Aehnlich geht
es in den andern vorhin genannten Gegenden her. Zu Fulgen-
Stadt ist der mit Musik vom Hause abgeholte, im Dorfbache
gebadete Bräutling häufig maskiert ; zu Nigendorf verstecken sich
die betreffenden jungen Ehemänner, zuweilen sogar in einem
benachbarten Dorfe und werden von den als Teufel, Hexen
u. s. w. verkleideten ledigen Burschen gesucht, bei welcher
Gelegenheit diese in den Häusern an Eßwaaren mitlaufen lassen,
was ihnen unter die Hände kommt. Die aufgefundenen , jubelnd
heimgeführten Bräutlinge worden einzeln an den Brunnentrog ins
Pfarrhaus geftlhrt und mußten sich dort entweder loskaufen oder
die Eintauchung gefallen lassen. In Sigmaringen war die Sitte
dahin verändert, daß jeder Neuvermählte des verflossenen
Jahres von den Bräutlem, d. h. ledigen unbescholtenen Bürgers-
söhnen der Stadtgemeine beim Klange eigentümlicher Musik und
drolligen Sprüngen vermummter Gestalten auf einer
gesattelten Stange mehrere male um den Marktbrun-
nen getragen wurde, worauf man ihm im Angesichte des Mut-
tergottesbildes die rechte Fußspitze wusch und ihn^ermahnte,
ein rechter ehrenfester Mann und Bürger zu sein.^ Doch nicht
allein in Süddeutschland hat sich die Sitte erhalten. Im Olden-
burgischen brachten die Junggesellen am Fastnachtdienstage
sämmtliche Verheiratete, namentlich die im Laufe des Jahres Neu-
vermählten zusammen, die dann in die Zunft der Ehemänner auf-
1) S. Birlinger, Volkstüml. a. Schwaben. H, 45— 50, No.60—64.
#.
490 Kapitel Y. Vegetationsgeister: BCaibrantschaft.
genommen wurden and bewirten moBten. Wer nicht gutwillig
kam y wurde auf einer Leiter zum Wirtshause getragen. In Schar-
rel (Saterland) stellte man bei dieser Gelegenheit den Junggesel-
len, welche die Zahl der Lebensjahre der Dreißig Überschritten,
ohne yermählt zu sein, eine bestimmte Frist, bis zu welcher sie
eme Lebensgefährtin wählen mußten. Verlief dieselbe ohne £r-
gebniß, so wurde ihr Name in ein großes Buch mit Pergamentr
Umschlag geschrieben. Im friesischen Barßel ermahnte ebenüsdls
bei dieser Gelegenheit einer der ältesten Ehemänner die Neulinge
ihren Weibern treu zu sein und mit keiner andern sich abzu-
geben.^ In den Dörfern bei Brake (Oldenburg) werden in der
Pfingstnacht die jungen neuvermählten Ehemänner, oder
die erst zu Mai angezogenen Hausväter von herumziehenden Jjcu-
ten „jfcÄojr^" d. h. auf den Armen oder einem Stuhle in die Hohe
gehohen (cf. o. S. 347) , fllr welche Ehrenbezeugung sie sich durch
Bewirtung mit Getränk erkenntlich zeigen mttssen.^ In Poitou
(D^p. Deux-Sdvres) hatte am Freitage vor dem letzten Sonntage,
zu Chätillon am letzten Freitage des Aprilmonats der Brauch
statt, den Hammel zu schlagen (fesser le mouton). Die Jüng-
linge (bacheliers) aus beiden Kirchspielen des Ortes, festlich
geschmückt mit Degen und Federbusch begaben sich, Musik
an der Spitze, zu allen im letzten Jahre verheirateten
Frauen, überreichten ihnen einen Blumenstrauß und luden sie
zum Tanze ein. Am Sonnabend Abende führte man einen
Hammel zu einer mit weißem Tischtuche gedeckten,
mit Brot und Wein besetzten Tonne und bot ihm dies als
Speise an. Nachdem er gefressen und getrunken, trieb ihn die
jsuletjst verheiratete Frau mit einer Rute dreimal um die Tonne,
worauf ihn jeder Junggeselle auf seinen Bücken hob und drei-
mal um seinen Kopf schwang. Der Abend verging mit Tänzea
Am Sonntage nach der Messe ergriffen sodann die Junggesellen
an den Kirchtüren der beiden Pfarrkirchen die beiden zuerst
hinausgehenden Bäuerinnen und tanzten mit ihnen den Hirten-
tanz. Sodann setzten sie sich in Weiß gekleidet zu Pferde und
die beiden zuletzt verheirateten Ehemänner mußten sie in ihrem
Hochzeitsstaat zu Pferde begleiten. So ritt man mehrere male
1) Strackeijan, Abergl. n. Sag. a. Oldenburg ü, 38, 305.
2) Ders. ebda. 47, 816.
Neuvermählte als Abbilder des Maipaars. 491
rttnd um den Ort, endlich stieg man auf einer benachbarten Wiese
ab, um zu tanzen; wieder im Sattel, hielt man einen Trunk,
warf das Glas zur Erde und jagte mit verhängtem Zügel zur
Stadt bis vor das Schloß. Die beiden zuerst Angekommenen
wurden als Könige (für jedes Kirchspiel einer), von ihren Lieb-
ehen gekrönt Den Rest des Abends sowie des Monats füllten
Besuche und Tänze aus, bis am letzten April der Maibaum in
den beiden Kirchspielen gepflanzt und grüne Zweige und Blumen-
ketten vor den Häusern angiebracht wurden.^ Hier sind der
Hammeltanz der neuvermählten Weiber (anstatt des Hammels ist
ursprünglich ein Widder zu denken und symbolische Beziehung
auf die Fruchtbarkeit der Ehe unabweisbar) und der Wettritt
[vgl. 0. S. 387] der neuvermählten Männer deutlich ein Vorfest
des Maibaumpflanzens. Zwei Bäuerinnen wurden zum Tanze auf-
gefordert, zwei Könige wurden gewählt, weil zwei Kirchspiele,
das der Stadtpfarre und die Pfarre der Vorstadt Saiat-Jouin
zusammen das Fest feierten. Bei dem auf Samstag fallenden
Teile der Feier waren sie also nur einfach durch die letzte Neu-
vermählte vertreten, bei derjenigen am Sonntage doppelt. In
dem Flecken Greven in Westfalen hinwiederum herrscht während
des Karnevals die Gewohn'heit, daß alle vier Jahre die inner-
halb dieser Zeit getrauten Ehepaare ohne Unterschied der Person
in einen zu diesem Zwecke auf dem Markte aufgestellten unge-
heuren Kübel kalten Wassers springen und sich durchbaden las-
sen müssen.^ Es ist deutlich, daß hier (wie häufig) die ursprüng-
lich jährlich geübte Sitte , um ihr den Reiz der Neuheit und damit
das Interesse zu erhalten, in ein erst nach bestimmtem mehr
jährigem Zeiträume wiederkehrendes Fest verwandelt ist (vgl.
o. S. 175). Wie die Feien auch auf Hochzeiten auftreten, das
Mailehen in die ernste Freierwerbung Eingang fand (o. S. 454),
ging das Bräutlingsbaden auch auf Vermählungsfeste über. Zu
Blochingen a. d. Donau führten' noch bis zum Jahre 1810 die
ledigen Bursche in der Frühe seines Hochzeittages jeden Bräu-
' tigam zum Dorfbrunnen, wo sie ihn, wenn er sich nicht los-
kaufte, untertauchten. Alle hiebei beteiligten Bursche erschienen
Nachmittags auf der Hochzeit imd schenkten etwas. ^ Es darf
1) De Nore , Mythes , coutumes etc. p. 145 ff.
2) Morgenblatt für gebildete Leser 1838 No. 307.
3) Birlinger a. a. 0. 46, 61.
4d2 E^apitdl Y. Vegetationsgeiater: Maibrantsohaft
schließlich auch daran erinnert werden, daß in Belgien die dem
Wasserbade parallel gehende Äufpeitschnng mit der Lebensrate
vorzugsweise an den im Laufe des Jahres neuvermählten
Eheleuten geübt wird (o. S. 286).
§ 13. Ergebnisse. Der Zusammenhang des Mailehens mit
der im ersten Teile dieses Abschnitts behandelten Maibrautschaft
steht wol außer Frage; von der Maibelehnung, die nicht selten
von Maifeuem begleitet ist, wird das Ausrufen der Liebespaare
(Valentinen) am Fastenfeuer und von diesem der erörterte man-
nigfache Brauch hinsichtlich neuverheirateter Ehepaare oder Lie-
besleute beim Sonnwendfeuer und außer diesem nicht getrennt
werden dürfen, so daß eine einzige, in ihren einzelnen Glie-
dern sich ergänzende und stützende Reihe von Begehungen vor-
liegt. Dieselbe ist zwar vielfach mit christlichen Festtagen zusam-
mengewachsen, findet aber, so weit meine Kenntniß reicht, keinen
Anknüpfungspunkt in den durch dieselben ausgedrückten religiö-
sen Ideen des Christentums; die Vorstellung von der Wittwen-
schaft der Kirche während der Fastenzeit (b. S. 446) widerspricht
ihr sogar. Wir werden mithin bis auf weiteres berechtigt sein,
an der natursymbolischen Deutung dieser Bräuche festzuhalten,
und nur darum wird die Untersuchung sich zu bewegen haben,
ob sie als unmittelbare und selbstständige Wurzeltriebe aus der
Metapher der Liebe, Werbung, Vermählung fbr das neue Leben
in der Natur und der Menschenbrust, das der Frühling hervor-
ruft, emporschössen, oder ob sie als Blüten auf dem Zweige
jener mythischen Illusion gewachsen sind, welche die Lenzmonate
mit dem Glauben an ein in Wahrheit personhaftes, dämonisches
Brautpaar oder junges Ehepaar eriÜUte. Alle Anzeichen sprechen
für die letztere Annahme, da manche Züge auch mit den in Rede
stehenden Sitten unabtrennbar verbunden sind, welche aus jenem
rein psychologischen Motive keineswegs abgeleitet werden kön-
nen, sich aber von Vegetationsgeistem mit Leichtigkeit erklären
(Wassertauche, Verbrennung); und in der Tat, täuscht nicht
alles, so sind das Mailehen, die Bündnisse der Valentine und
Valentinen, der gemeinsame Sprung durchs Fastnachts- oder
Johannisfeuer , Scheibenwerfen und Braütball zu Ostern, das
Bräutlingsbaden ursprüngliche Nachahmungen, vervielfältigende,
den Parallelismus des Menschenwachstums mit dem Pflanzen-
Wachstum bezeugende Darstellungen der Situationen des geister-
Ergebnisse. 498
haften Lenzpaares gewesen. Es ist größtenteils noch ein Best-
ehen der Nabelschnur vorhanden, welche die abgeleiteten Sitten
mit dieser Gnindvorstellung verbanden hat. So z. B. wird dnrch
den Hinweis auf das im Jahreslaufe seine Wirksamkeit entfal-
tende und erschöpfende dämonische Brautpaar die Verbindung
auf ein Jahr oder für den Sommer beim Mailehen, bei den eng-
lischen Valentinen, dem Gompadre und seiner Dame in Vene-
zuela und den schwäbischen Ehegatten verständlich, welcher die
Teilnahme der im Laufe des letztvergangenen Jahres verheirate-
ten Ehepaare bei den Feuern, zugleich aber auch die Wahl des
Maikönigs und Maigrafen (cf. o. S. 369 ff.) auf ein Jahr von Mai-
tag bis Maitag oder von Pfingsten bis Pfingsten entspricht. Im
polnischen Brauche (o. S. 468) ist es noch ausdrücklich der grüne
oder weiße Johannes d. h. der nach dem Mittsommertage benannte
Dämon der sommerlichen Vegetation, die schon zur Weiße des
Emtefeldes hinneigt, der ein Weib sticht, sich verheiraten will; die
menschlichen Liebespaare sind anscheinend seine glücklicheren
Nachahmer. Wie unmerklich rinnt hier in anmutigem Spiele der
Mythus in rein menschliche Verhältnisse herüber. Eine andere
Spur des Zusammenhangs mit dem Naturmythus gewährt, daß
in Westfalen beim Lehnausrufen an der Spitze der Maipaare ein
Maikönig und eine Maikönigin stehn, und daß der Maibursche
seiner Maifrau einen Maibaum setzt. Das zweite Kapitel lehrte
uns in letzterem ein Abbild, ein zweites Ich des Mädchens ken-
nen; die Nachweise dieses Kapitels ergänzen diese Vorstellung
dahin, daß das Mädchen selbst als Vertreterin des den Baum
belebenden Vegetationsgeistes, als Mainymphe gedacht' wird, und
somit der Queen of May (o. S. 815. 346), Marife de May (o.
S. 439), der litauischen Maja (o. S. 313) u. s. w. gleichsteht, die
neben dem Maibaum hergehen, oder denen man einen Maibaum
vorträgt. Wenn nun zuweilen der den Maibaum belebende Vege-
tationsgeist durch ein Liebes- oder Ehepaar dargestellt wird,
wenn andrerseits es gewiß ist, daß die Verbrennung des Mai-
baums ein altes, und, wie es scheint, notwendiges Stück der
Frühlings- und Mittsommerfeuer ausmachte (o. S. 177), woftlr als
gleichbedeutend zuweilen die Verbrennung der beiden das dämo-
nische Maipaar darstellenden Strohpuppen Hansl und Gredl (o.
S. 429) eintritt (o. S. 464), so läßt sich leicht einsehen, daß das
Scheibentreiben für ein Liebespaar, der paarweise Sprung durch
494 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibrautschaft.
ein Fastnacht- oder Johannisfener neben dem verbrennenden
Baume, oder (wo dieser fehlt) für sich allein die Verbrennung
der Vegetationsdämonen oder, wie wir oben S. 186 deuteten, den
Durchgang derselben durch den Sonnenbrand des Sommers sinn-
bildlich darstellen sollten. In der Gegend von Epinal wird das
Liebespaar, wenn es sich nicht loskauft, ja wirklich in efi&gie
verbrannt. Die Ängündung des Scheiterhaufens oder der Scheibe
durch ein junges Ehepaar (resp. eine jung verheiratete Frau oder
den jüngsten Ehemann) ist dann deutlich nur Abschwächung des
Durchgangs derselben durch die Flammen, doch erhielt sich dabei
noch die ältere Form, daß nur ein Paar statt mehrerer oder
vieler auftritt; zugleich aber erhellt, daß auch das Durchspringen
von Männern oder Frauen allein^ oder das Hindurchtreiben von
Vieh durch diese Feuer zum Zwecke der Fruchtbarmachung der
Aecker oder zur Vertreibung resp. Femhaltung von Krankheiten
den nämlichen Sinn haben muß. Daß dem in der Tat so sei,
wird der Verfolg unserer Untersuchung lehren. Dieser Gebrauch
geht genau parallel dem Schlagen von Menschen und Tieren mit
der Lebensrute (Schmackosteni), welches in so naher Beziehung
zur Pfingstbraut steht. Hier wie dort scheint das Gebahren der
Vegetationsdämonen von vielen Menschen im Interesse ihres Wol-
befindens zum Vorbilde genommen; auch beim Bräutlingsbaden
geschieht an allen jungen Ehemämiem dieselbe Wassertaufe,
welche (als Regenzauber) in Zürich zum Hirsmontage, an dem
Ghrideglade und seiner Else (o. S. 430), zum Aschermittwoche
an der Braut und dem Bräutigam (o. S. 433), in Baiem zu Mai-
tag oder Pfingsten an dem Hansl und der Gredl (o. S. 429) sowie
in verschiedenen Gegenden an dem Wasservogel, Pfingsthagen,
Laubmännchen u. s. w. geübt wurde.
Kam es diesen Auseinandersetzungen zufolge wesentlich
darauf an, in derselben Zeit, in welcher jenes göttliche Liebes-
paar seinen Bund schließt, in Nachahmung dessen menschliche
Paare zu vereinigen, so blieb eine mehrfache Weise möglich,
solche Vereinigung zu bewerkstelligen; Ar die würdigste wird
eine Götterbestimmung, ein Schicksalsspruch gegolten haben.
Das Loos, der Ausruf des orakelnden, im geheinmisvoUen Walde
verkehrenden, kräuter- und zauberkundigen Dorfhirten/ die
: ,
1) Vgl. zu der o. S. 456 aus der Gegend von Saarbnrg mitgeteilten
Sitte diejenige ans der Insel Man, wo am letzten Tage der Zwölften der
Ergebnisse. 495
gleiehsam durch höhere Eingebimg geeinigte Stimme der Um-
stehendes ^ die zufällige erste Begegnung in der Frühe des Mor-
gens (Angang) sind verschiedene Formen solcher Vorherbestim-
mung; ich vermute, daß auch der Raub (o. S. 4ö4), die älteste
Weise der Brautwerbung, ursprünglich an der zufällig zuerst
Begegnenden geübt sein wird. Die Mädchenversteigerung ergiebt
sich somit aus inneren Gründen als eine abgeleitete verhältniß-
mäßig junge und locale Gestaltung der anderswo in älteren Ent-
wicklungsstadien bewahrten Sitte. Es ist verständlich und natür-
lich, daß ebensowohl auf den ersten Fastensonntag, als auf den
14. Februar oder den ersten Maitag als Vertreter des Frühlings
die Sitte fixiert werden konnte. Der 14. Februar wurde gewählt,
weil die Volksbeobachtung auf denselben (ich weiß nicht, aus
welchem Grunde) auch die Paarung der Vögel ansetzte, so daß
es eine passende Annahme schien, auf ihn die Hochzeit der
großen Naturwesen zu verlegen. Der Ealendemame dieses Tages,
St. Valentin, ist dann zunächst auf das mythische Lenzbrautpaar
übertragen, wie sonst der Monatsname Mai, Maja, auf den Vege-
tationsdämon, und von diesem auf die dasselbe nachbildenden
Paare.* In Lothringen muß in ähnlicher Weise der Brauch, sei
es aus eigener üeberlieferung oder in Nachahmung englischer
Sitte am 14. Februar geübt sein, ehe er mit dem gleichbedeuten-
den anderer Orte am dimanche des brandons verschmolzen wurde.
Wenn man die Wiederkehr des Frühlings von der Wiederkehr
des Lichtes an rechnete ^ so war man berechtigt, schon zu Weih-
nachten oder Neujahr die Wiederkehr des Lenzbrautpaars zu
feiern. Es steht sich mythologisch gleich, ob man das Verhält-
nis des Lenzpaares als Brautschaft oder als vollzogene Ehe
bezeichnen wollte, ftlr den vorgeschritteneren Sommer, der der
Frachtreife zuneigt, war die Bezeichnung als jungvermähltes
Fiedler, welcher während dieser Festzeit aufgespielt hat, seinen Kopf in
eines Mädchens Schoos legte und der Reihe nach von einer dritten Person
nm alle unverheiratete Frauensleute befragt, von jeder aussagte, wen sie
heiraten werde. Dieser Ausspruch galt als ein untrügliches Orakel. Waldron,
Description of the Isle of Man. Works p. 155. Brand, pop. Antiqu. 1,32.
1) Die Legende des h. Valentin bietet keinen Ausgangspunkt oder An-
halt zur Erklärung des Brauches. Simrocks leichtfertige Deutung auf den nor-
dischen Gott Vali (Handb.«, 312 — 313), der Rochholz (Gaugöttinnen) beitritt,
verdient kaum Erwähnung.
496 Kapitel V. Vegetationsgeister: Maibrantschaffc.
Paar am passendsten. Wir sehen deshalb als personifizierte
Oegenbilder der die Sommerhitze passierenden Pflanzenwelt vor-
zugsweise junge Eheleute durchs Mittsommerfeuer springen. Doch
insofern das Kind, der Emtesegen, noch in der Zukunft zu erwar-
ten ist, war es immer nicht widersinnig, im Abbilde die dämo-
nische Brautschaft oder Vermählung (vgl. den estnischen Brauch
0. S. 469) zu begehen. Schließlich gewahren wir an mehreren
Beispielen, wie nach und nach auch die festen und sittlichen
Verhältnisse ernsthafter Brautwerbung und Ehe zwischen den
Menschen durchstehend als Abbilder der großen Naturvorgänge
aufgefaßt werden. Die holländischen Bursche versteigern unter
sich das Kecht, die erstrebte Braut zu besuchen; der schwäbische
Bräutigam wird am Hochzeittage gewaltsam gebadet, alle jungen
Ehemänner unterliegen der nämlichen Begehung; und die schwä-
bischen Ehegatten dingen sich wenigstens scherzweise alle Jahre
wieder.
Kapit«! Tl.
Vegetationsgeister: Sonnenzauber.
§ 1. Yerbreniiiiiig in den Faschings- und LStarege-
brBnchen. Wie durch den Nachweis des Maibrautpaars die im
4. Kapitel enthaltenen Äasflihrnngen nach einer Seite hin erwei-
tert wurden , sind die nachstehenden Blätter bestimmt , dieselben
noch nach einer anderen Richtung zu ergänzen , indem wir die
Frühlings- und Mittsommerfeuer einer nähern Betrachtung unter-
ziehen und dieselben des näheren als Darstellungen der die Vege-
tation zeitigenden Sommerwärme nachweisen. Die Untersuchungen
eines früheren Abschnittes o. S. 417 ff. nötigten uns nämlich die
Ueberzeugang auf, daß in den Frühlingsgebränchen des Todaus-
tragens , Fastnachtvergrabens u. s. w. ein aHerdings weitverzweig-
tes und unzweifelhaft altes ; aber dennoch unleugbar vorhandenes
Mißverständnis des ursprünglichen Sinnes zu einer Umdeutung
desselben gelUhrt hat. Die Eingrabung des y^Todten/' d. h. des
zur Wiederauferstehnng bestimmten vegetativen Lebens ist in ein
Hinwegschaffen, Verscharren des Todes oder des Winters ver-
ändert. Den Beweis für unsere Hypothese fanden wir unter-
stützt durch den Umstand, daß die den sogenannten Tod (oder
den Fastnachtkerl) darstellende Figur statt des Begräbnisses, oder
außerdem noch, ins Wasser geworfen wird (Begenzauber) oder
zur Verbrennimg kommt , ^ zuweilen allen dreien Ceremonien unter-
liegt. Diese Verbrennung (in der wir eine symbolische Darstel-
lung des Durchganges der Vegetation durch das Sonnenfeuer
erkennen wollten) wird die Aufgabe der nächsten Erörterungeioi
bilden. Es wird sich zeigen, daß die Verbrennung einer
menschlichen Gestalt, meistenteils aus Stroh oder zusam-
1) Myth.« 728. 730. Das Verbrennen des Todes im Eichsfelde belegt
aoB mehreren Orten Waldmann , Eichsfeld. Gebräuche nnd Sagen. 1864. 8. 14.
MAnnhardt 32
498 Kapitel VI. Vegetationsgeister: Sonnenzaiiber.
4
meDgeflochtenen Reisern ^ sowohl mit dem Todanstragen verbmi-
deii; als für sich allein einen wesentlichen Bestandteil der Oster-
(Fastnachts-) und Mittsommerfeuer bildete, daß als andere ebenso
wesentliche Bestandteile dieser Feuer die folgenden Stücke zu
betrachten sind: 1) das Scheibenschlagen oder Radwäl-
zen, 2) die Aufrichtung und Verbrennung eines Bau-
mes, in dessen Wipfel die Menschengestalt zu sitzen pflegte;
den Baum ersetzt häufig eine einfache Stange, 3) ein Fackel-
lauf, beziehungsweise die Anzündung des Scheiterhaufen» durch
Fackeln, oder der Fackeln am Scheiterhaufen, 4) der Glaube an
die Befrachtung der Felder und Obstgärten, 5) das
Hindurchspringen und Hindurchtreiben von Menschen und
Tieren behufs der Gesundheit, abgesehen von verschiede-
nen andern auf den Modus der Anzündung dieser Feuer bezüg-
lichen Erfordernissen,^ 6) ein Scheinkampf auf den Korn-
feldern, endlich 7) als Schauplatz der Feier hohe Berg-
gipfel, Anhöhen oder Kornfelder. Zu 5 gehört, wie wir
bereits gezeigt haben , die Erwählung der Maibrautpaare.
Zunächst weisen wir noch einige Beispiele nach, in denen
die sogenannte Todaustragung mit der Verbrennung endigt. In
Spachendorf (Oesterr. Schlesien) wird ein mit Schafspelz
und Pudelmütze bekleideter Strohkerl am Morgen des
Rupertstages auf einer Stange befestigt, aufs Feld
getragen und in eine weite Grube gestürzt, dann ent-
kleidet und in ein Feuer geworfen. Von den brennenden
Lumpen hascht jeder ein Stück, bindet es an den Ast des
großen Obstbaumes, oder gräbt es im Acker ein,
damit Bäume und Saaten besser gedeihen.^ In der
Umgegend von Chrudim wird der Tod erst ins Wasser gewor-
fen*, dann verbrannt.^ Am ersten Montage nach Frühlingstag-
undnachtgleiche, sammeln die Buben in Zürich, indeB die Mäd-
chen (Mareielis) einen Maibaum umtragen, tlir ihren Stroh-
mann oder Böken Gaben ein, den sie auf einem Wägel-
chen durch die Straßen ftthren, hernach Schlag 6 Uhr abends
beim Klange der Vesperglocke auf einer hohen Stange
1) Vgl. Kahn, die Herabknnft des Feuers a. m. 0.
2) Vemaleken, Oesterr. Mytb. 294, 19.
3) Ebda. 295, 20.
Yerbrennuii^ in den Faschings- und Lataregebraachen. 499
verbrennen. Dieses Fest heißt das Sechseläuten ; die Ver-
brennung geschieht an verschiedenen Stellen der Stadt. ^ Am
letzten Fastnachtstage verbrennt man zn^ Richterschwyl am
Züricher See einen Strohmann, der vorher auf eine Bahre gelegt
und von einem Zuge Vermummter auf eine Wiese getragen wird,
wo man ihn an eine hohe Stange befestigt und dann mit Fackeln
anzündet. Darauf wird seine Asche „verlochet."* Zu Cobem
an der Eifel vrird am Fastnachtdienstage ein völlig bekleideter
Strohmann, dem man sämmtliche Diebstähle der Umgegend zur
Last legt, vom Fastnachtgericht verurteilt und auf einem Schei-
terhaufen verbrannt, über den die jüngste Ehefrau springt.'' Im
Oldenburgischen machte man sich am Fastnachtdienstage 8 — 12
Fuß lange Strohbündel (Beken) von 4 — 6 Zoll Durchmesser , um-
wickelte sie straff mit Bändern , zündete sie bei Dunkelwerden an,
und schwärmte damit, tolle Lieder singend, auf den Aeckem
umher; zu guter letzt band man einen Strohkerl und verbrannte
ihn, oder setzte ihn einer beliebigen Person auf den
First des Hauses/ Zu Kaldenkirchen Kr. Kempen Rgbz.
Düsseldorf war der zu Fastnacht verbrannte „Mann" aus einer
unansgedroschenen Korngarbe gefertigt. Zu Dhom Kr. Düren,
Bgbz. Aachen brachte man am Aschermittwoche, den Erbsenbär
oder Lücketeies, einen in Erbsenstroh gehüllten Mann auf einen
bestimmten Platz, zog ihn dort heimlich aus seiner Hülle heraus
und verbrannte diese, so daß die Kinder meinten, der
Mann brenne. Zu Pier Kr. Düren gingen zwei in Erbsenstroh
gehüllte Personen , der Erbsenbär und der Lücketeies je an Seilen
umgeführt hintereinander her, beide wurden auf obige Weise ver-
brannt.
In Wälschtirol (Vallarsa) verbrennt man den Fasching , indem
man auf einem Haufen von Holz und Stroh (il camevale genannt)
eine Stange mit einem Querholze errichtet , an dessen Ende Stroh-
büschel hangen, und dann anzündet, außerdem wird ein klei-
nerer Scheiterhaufe „la spia," der Spion, in Brand gesteckt. Im
Val di Ledro dagegen ist es Sitte, am letzten Faschingstage die
1) Vernaleken, Alpensagen 363,29.
2) Ebds. 364,31.
3) Schmitz I, 20.
4) Strackeijan, Abergl. q. Sag. a. Oldenb. II, 39, 306.
32*
500 Kapitel VI. Yegctationsgeister: Sonneozanber.
Alte zu verbrennen ^^brusar la yeccia/' eine aus Stroh und Reisig
zusammengestopfte Figur. ^ In der Lombardei , Venetien und Pie-
mont geschieht das' zu Mittfasten. ^ Da an demselben Tage in
Oberitalien und Spanien vielfach eine Puppe mitten entzwei gesägt
wird, welche bald Quaresima (Fasten), bald la veccia, la vieja
(Alte) heißt, wird deutlich, daß man jetzt auch die verbrannte
Gestalt als Personification des Faschings versteht, während der
Name der Alten auf jene ältere Vorstellung hinweist, die nach
S. 359 zu beurteilen ist.
§ 2. Feuer am Fonkensonntage. Jene Feuer am Fast-
nachtdienstage haben doch schwerlich einen andern Ursprung,
noch enthalten sie einen andern Gedanken , als die Scheiterhaufen,
welche anderswo am Sonntage nachher entzündet werden, der
außer den kirchlichen Namen Quadragesimä und Invocavit noch
die Volks tttmlichen „große Fastnacht, Herrenfastnacht, AUermanns-
fastnacht, der weiße Sonntag, Funkentag, Kässonntag, Htltten-
Sonntag, Schofsonntag,'' franz. „föte, dimanche des brandons,
behourdiz'' führt. An diesem Tage zog man auf der Rhön und
in den angrenzenden Gegenden bis zpm Vogelsberge hin, wo er
nach der herkömmlichen Speise Backobst-, Hutzelsonntag heißt,
durch die Fruchtfelder auf eine Anhöhe oder einen Berg, zün-
dete hier Holzfackeln, geteerte Besen, mit Stroh umwickelte
Stangen an und lief damit durch die Saatfelder, rollte auch ein
brennstofFumflochtenes Bad die Anhöhe hinab, das Hoalrad' (Hagel-
rad, verderbt Hollerad)* hieß, weil es die Aecker vor Hagel
bewahren sollte. Zuletzt warf man die Fackeln (Blfis, Bläser),
nachdem man wie tobend mit ihnen umhergetanzt, auf einen Hau-
fen zusammen, den die Menge umstand, Gesangbuchslieder oder
Volkslieder singend. Man tat dies der h. Jungfrau zu Ehren,
damit sie das Jahr hindurch die Feldfrüchte bewahre und segne,
oder man meinte, mit den brennenden Strohwischen und Fackeln
durch die Flur laufend, den „bösen Sämann zu vertrei-
1) Schneller Chr., Märchen n. S&g, a. Wälschtirol. S. 233. 9. 234. 13.
2) Ghihriele Rosa , Dialette , costami e tradizione delle provincie di Ber-
gamo e di Brescia. 2. Anfl. Bergamo 1858. S. 178. Jahrb. für roman. u.
engl. Liter. V, 376. Opinione 11. Apr. 1852. Zs. f. d. Myth. HI, 51.
3) Auch die Myth.' 594 enrähnte Benennung im Bheingan „Hallfeaer"
ist durch Assimilatioii aus Haglfeuer entstanden.
Feuer am Fnnkensonntage. 501
ben,"^ „den Hutzelmann zu verbrennen."* An dem
nämlichen Tage hieben die Metzger und Weber von Konz die auf
dem Marxberge aufgepflanzte Eiche und rollten das bren-
nende Rad ins Tal der Mosel. In der Eifel fand dann ent-
weder das Radscheiben , d. i. die Anzttndung und Herabrollung
eines Rades oder das Burgbrennen statt , wobei alle Teilnehmer
mit angezündeten Fackeln den mit einem Strohmanne
besetzten oder durch ein Querholz zu einem (ein rohes Manns-
bild darstellenden) Kreuze umgeschaffenen hohen und schlan-
ken Buchenstamm (die Burg) unter lautem Gebete in weitem
Kreise umwandelten, zuletzt sich plötzlich umwendend mit dem
Geschrei: „die Burg brennt'' auf denselben zustürzten und ihn
in Flammen setzten. So weit das Feuer leuchtete, der Rauch
zog, sollte die Kornflur fruchtbar werden.^ Um Echtemach
heißt die nämliche Ceremonie „die Hexe verbrennen."* In Vor-
arlberg umwickelt man an diesem Sonntage den Funka, eine
schlanke junge Tanne bis fast zum Wipfel mit Stroh und
setzt die Hexe, eine aus alten Kleidungsstücken gefertigte, mit
Schießpulver gefüllte Menschengestalt in denselben, häuft Holz>
Bcheiter umher und zündets bei einbrechender Nacht an, indem
Knaben und Mädchen, brennende Fackeln schwingend,
ringsum laufen und dabei folgenden Reim singen:
Flack üs! flack üs!
Ueber alb Spitz und Berg üs!
Schmalz in der Pfanna,
Korn in der Wanna,
Pflneg in der Erda;
Gott alle grota (geraten) lot
Zwüsohat alla Stega und Wega.
Dieser Brauch heißt Funkenbrennen und Fackelschwingen.*
In Tirol werden an demselben Tage mit geringer Veränderung
die nämlichen Worte gesprochen, indem man den Namen der
Geliebten ausrufend die Scheiben schlägt* In Schwaben
1) Witzschel, Sitten u. Gebr. aus d. Umgegend von Eisenach S.U. 39.
Mülhanse, Urreligion S. 112. Panzer II, 207, 364.
2) So an der Hard im ehemals Fuldaischen. Schmeller W. B.» 1196.
3) S. 0. S. 463.
4) Zs. f. D. Myth. I, 89.
5) Vonbun, Beitr. z. D. Myth. 20.
6) Zingerle, Sitten« 140, 122*. 1225. Zs. f. D. Myth. I, 286.
502 Kapitel VI. Vegetationsgeister: Sonnenzanber.
beginnt man , sobald der Funke , d. h. der um die Hexß (das auf
einer Stange aufgerichtete mit Kleidern und Hut geputzte Strob-
weib) aufgeschichtete Stroh- und Hokhauf'e angesteckt ist, und
so lange bis dieselbe heruntergebrannt ist^ Scheiben für die
Geliebte u. s. w. zu schlagen und (oder) rotbrennende Kien-
fackeln schwingend durchs Feuer zu , Jucken '^ (springen),
während in anderen schwäbischen Orten alle Welt mit bren-
nenden Fackeln, d.h. Stangen mit oben daran befestigten
Strohbüscheln auf die Berge zieht. Die Brandreste der Strohfigur
und der Schüben trägt man nach Hause und stechet sie in der-
selben Nacht in den Flachsacker^ tvodurch das Ungesfiefer ver-
scheucht unrd.^ Zu Ertingen findet das Verbrennen der durch
eine Puppe oder durch ein einfaches ßeisbüschel oder Boggen-
schaub dargestellten Hexe in dem mit einer aufsteigenden Lunte
entzündeten St. Johannes- oder Senkafeuer statt, indeß die Buben
und Mädchen in ganzen Beihen durch die Flammen springen,
damit der Flachs drei Ellen lang werde. So weit die
Helle der Flanmie und der Bauch hinreichen, hat das Jahr
lang keine Hexe Gewalt über Fracht und Vieh, bei-
des wächst und gedeiht.^ In einigen böhmischen Orten,
z. B. Wall findet das Hexenbrennen , die Verbrennung einer weib-
lichen Figur „zur Vertreibung der die Saatfelder schä-
digenden Zauberinnen" im Mai statt.^ Woher der Wind
weht, so lange die Hexe brennt, daher weht er das ganze Jahr;
in der Bichtung, wohin die Hexe fällt, nehmen die Gewitter daB
Jahr hindurch ihre Bichtung, ohne zu schlagen; wenn der Mensch
am Funkensonntage keine Funken macht , so macht sie der Herr-
gott durch ein Wetter.* Die Anzündung des Feuers auf Korn-
feldern und das Umherlaufen mit Fackeln , wovon dieser Sonntag
in Frankreich den Namen dimanche des brandons hat, werden
wir weiterhin noch besonders in Erwägung ziehen.
§ 3. Osterfeaer. Die Osterfeuer stehen zumeist im Dienste
der katholischen Kirche. Die Vigilie am Charsamstage vor dem
1) Meier S. 380, 21. 283, 27. Birlinger H, 59, 76. 67, 77. BavBria
n, 2, 839.
2) Birünger H, 105.
3) Vemaleken, Mythen 306, 29.
4) Zß. f. D. Myth. 1, 90, Birlinger H, 67, 77. Meier 382, 24.
Osterfeaer. 503
Osterfeste war in der alten Kirche besonders feierlich. Dann
fand nach vorheriger Weihung des Taufwassers die Taute der
Catechnmenen statt. In das Taufwasser wurde die nach Aus-
löschung sämmtlicher übriger Kerzen und Lampen am Gründon-
nerstage einzig und allein brennend erhaltene , riesige, mit den
heiligen Kreuzesnägeln geschmückte Osterkerze (zuweilen waren
es deren drei) dreimal hineiugesenkt , sodann wurde sie neu ange-
zündet und mit ihr das Feuer sämmtlicher Lichter und Lampen
erneut. Zu Bonifacius Zeit war in deutschen Kirchsprengehi
bereits der damals in Eom noch unbekannte Ritus ^ aufgekommen^
das neue heilige Feuer durch Schlagen aus einem Steine oder
durch ein Brennglas von Kristall hervorzurufen, feierlich zu
weihen und daran die Osterkerze anzuzünden ; später unter Leo V .
(847 — 855) hatte dieser Brauch bereits allgemeinere Geltung,
von dem neuen Feuer wurde ans Volk ausgeteilt.' Nach und
nach hat die Ceremonie in vielen deutschen Diöcesen folgende
Grestalt angenommen. Am Gharsamstage wird im Kirchturme,'
anf dem Kirchhofe, oder auf einem anderen Platze unweit der
Kirche Brennholz (oft aus jedem Hause eines oder mehrere Schei-
ter) zusammengetragen, dieser Holzstoß mit aus dem Steine
geschlagenem Feuer angezündet und in demselben alles heilige,
im Laufe des Jahres übergebene Oel (Ohrisam) und Salz ver-
brannt. Ist nun vom Priester das Feuer geweiht und das von
den Gläubigen in Flaschen mitgebrachte Wasser gesegnet, so
werden einige glühende Kohlen ins WeihrauchfaB gelegt, lichter-
loh angeblasen und hieraus mittelst einer großen Wachskerze das
neue Licht gewonnen , mit dem jetzt die ewige Lampe und alle
Lichter der Kirche wieder entzündet werden. Dann strömt das
Volk hinzu, es wird ihm von dem neugeweihten Weihwasser aus-
geteilt, es kohlt an dem geweihten Feuer 2 — 3 Fuß lange Plähle
oder Scheiter an (von Eiche, Nußbaum, Buche), und trägt sie
1) S. den Brief des Papstes Zacharias v. 4. Not. 751. Bonifacii epi-
stolae 80. (Würdtwein 87) Jaffc, Biblioth. Ker. Genn. III, 223.
2) Vgl. Herzog, Realcncyclopfidie der protestantischen Theologie XI.
Gotha 1869. S. 163 — 4. s. v. Pascha. Binterim, Denkwürdigkeiten der
christkath. Sörche. Bd. V. Tl. I. S. 214- Martene, de antiqait. discipl.
cp. 24, S. 409. Gnil. Dorandus, Rationale divinor. ofüciorum. VI, 80, 81.
cf. J. W. Wolf, Beiträge II , 389.
3) So in Vechta-Strackeijan 11,42,311-
504 Kapitel VI. YegetationsgeiBter : Sonnenzanber.
sammt den yom Holzstoße übrigbleibenden Kohlen mit sich nach
Hause, wo ein Teil der Pfähle nnd Kohlen in einem neoange-
zündeten Feuer verbrannt wird unter der Bitte, Gott wolle die
Hofstatt vor Feuerschaden, Blitz oder Hagel bewahren. So
erhält jedes Haus „neues Feuer.'' Ein anderer Teil wird das
Jahr hindurch aufbewahrt und bei schwerem Gewitter auf das
Herdfeuer gelegt, damit der Donnerkeil nicht ins Haus falle, oder
unter das Dach gesteckt, um als Präservativ gegen Wetter zu
dienen. Ein dritter Teil (Kohlen, angebranntes Holz, Äsche)
wird (am Krenzerfindungstage oder auf Georgitag, oder sonst)
auf die Äecker, Gärten und Wiesen gehrcLcht mü dem Gebete,
Gott woUe diese vor Mißwachs und Hagd behüten.^ Solche
Äecker, Krautgärten und Wiesen gedeihen besser als andere, Jcein
Ungeziefer, keine Maus, kein Käfer frißt die Kömer aus, die
Pflanzen ab, keine Schlössen schlagen die Saoit nieder , keine Hexe
schadet, und die Aehren stehen dicht und voll} Angekohlte
Scheiter dieses Osterfeuers bringt man am Pfluge an (Eichsfeld),
Asche davon mischt man sammi der Asche von geweiJden Palmen
bei der Aussaat unter den Samen, damit* der Weizen nicht bran-
dig werde (Franken)." In den Stall oder unter die Stalltttre
gelegt schützen diese Brände das Vieh vor Schaden, die Milch
vor Zauber.^ Nicht minder hilft die Asche des Osteri'euers bei
Viehkrankheiten (Alimark). In diesem kirchlich gebotenen Oster-
feuer wird zuweilen eine hölzerne Figur verbrannt, die den
Namen des Verräters Judas trägt; daher heifit die Ceremonie das
1) S. Mainzer Agende vom Jahre 1599; Ritas von Passan bei Wald-
mann, Eichsfeldische Gebr. n. Sagen S. 5, von Hildesheim Myth.* 583. Din-
kelscherben in Schwaben. Panzer II, 241, 447. Bühl, Wnrmlingen. Meier
391, 62. Hessen, Mülhanse ürreligion S. 149. Aach in Piemont zündet man
am Charsamstage Brände am Fener des Weihranchfasses an and trfigt die-
ses geweihte Feaer sammt dem geweihten Wasser eiligen Lanfes zam Hanse.
Zs. f. D. Myth. m,51.
2) Zingerle, Sitten « S. 149, 1287—89 (Eftmthen, Tirol). Grohmann,
Abergl. a. Böhmen 62, 421. Beinsberg -Düringsfeld, Festkalender a. Böh-
men 331 (Böhmen) Wattke« § 81. S. 69.
3) Wattke« § 116. S. 91. § 652. S. 393. Vgl. am Aschermittwoche wird
die in der Kirche geweihte Asche anf die Felder gestreut. Das ist fOr die Saat
besser, als 3 Tage Regen nnd 3 Tage Sonnenschein (Baiem). Wattke a. a. 0.
4) Beinsberg -Düringsfeld, Festkalender a. Böhmen S. 134. IQngerle,
Sitten» 149, 1286.
Osterfeuer. 505
Jadasverbrennen, das Judasfener (Oberbaieiii).* Der Name
blieb, auch wo die Figur längst abgeschafft ist (Lechrain, Tirol)*.
Zuweilen wird statt des kirchlichen ein profanes Feuer nicht
bei der Kirche, sondern auf dem Äcker oder auf einer Anhöhe
außerhalb des Dorfes angefacht, es dient nicht zur Entzündung
4es neuen Kirchenlichtes, sondern wird an diesem entflammt.
Die Männer und Buben tragen* oder trugen am Gharsamstag Nach-
mittag Holzscheiter auf dem nächsten ßetreidefelde oder auf einem
Berggipfel zusammen, und befestigten in deren Mitte ein mit Stroh
umwickeltes Kreuz, das einem Manne mit ausgestreckten Armen
möglichst ähnlich gemacht wurde. Dieser Strohmann hieß der
Judas, oder der Ostermann. Nach Beendigung des Auferstehungs-
gottesdienstes zündeten die Burschen die Lichter ihrer Laternen
an dem neugeweihten Kirchenlichte der Osterkerzen an und rann-
ten zu ihrem Holzstoße. Der zuerst Angelangte entzündete mit
seinem Lichte den Strohmann und den Scheiterhaufen; Frauen
und Mädchen durften nur von ferne zusehen. Beim Verbrennen
des Strohmanns entstand immer großer Jubel, als würde der Ver-
räter des Heilands in Person bestraft. Die Asche wurde gesam-
melt und bei Sonnenaufgang in rinnendes Wasser geworfen, oder
am Ostermontage zugleich mit der Einpflanzung am Charfreitage
angebrannter Palmzweige auf die Felder gestreut, um die
Saat vor Hagel zu schützen.* Auch in Köln wurde von den
Kindern ein oft angekleideter Strohmann, der Judas, verbrannt.^
Im Mttnsterlande werden die Osterfeuer jedesmal auf bestimmten
Höhen, die davon Oster - oder Paskeberge^ heißen, angeztlndet.
1) Bavaria 1,1,371.
2) Leoprechting S. 172. Zingerle, Sitten* 149, 1286. Vgl. Laut Her-
zog Maximilians von Baiem Landgebot ¥rider die Aberglauben. München
1611 wurde in den Landkirchen am Himmelfahrtstage ein angekleidetes und
in Brand'gesteckfes Bildniß des Teufels von der Höhe berabgewor-
fen, um welches das gemeine Volk sich riß, um den Fetzen im Felde
aufzustecken, damit der Schauer nicht in dasselbe schlagen
solle. Panzer H, 281, 28.
3) Althenneberg (Ober baiern) , Panzer I, 212, 236. Freising (Ober-
baiem), Abensberg (Niederbaiern) , Aüfkirchen (Schwaben und Neu bürg).
Panzer H, 78, 114. 79, 115.
4) Wolf, Beitr. 1 , 74.
5) Man darf mithin bei diesen Ortsnamen nicht an die angebliche, wahr-
seheinlich von Beda erfundene Göttin Ostara denken. Cf. Mannhardt, Göt-
t«rwelt I, 314.
506 Kapitel VI. YegetatioDsgeister: Sonnenzauber.'
Die ganze Gemeinde ist versammelt , die verheirateten Hausväter
schließen um den Holzstoß einen Ring, den die Jünglinge mid
Jungfrauen in weitem Bogen, Osterpsalmen singend, umkrei-
sen , bis mit dem Zusammenstürzen des Feuers fUr sie der Augen-
blick naht, dasselbe zu durchspringen. Die Feier endigt mit
einem dreimaligen Umzüge um die Kirche unter Ab-
singnng geistlicher Lieder, und mit dem Umlaufe der Kna-
ben, welche brennende Strohbändel vber die Kornfelder tragen,
am dadurch Fruchtbarkeit fu/r dieselben ssu envirhen.^ Nicht
minder werden im Hildesheimischen bei dem von der ganzen
Gemeine umringten Osterfeuer Choräle gesungen.* Im Paderbor-
nischen (Warburg) singt das Volk, den flammenden Holzstoß im
Kreise umringend, ein Auferstehungslied, dann steckt jeder '
Bursch daran seine Strohfackel, eine lange mit Pech beschmierte
und Stroh umwickelte Stange an. Beim Herunterkommen vom
Berge wird die Gesellschaft mit Gesang und Fähnlein abgeholt.^
Hier und in einigen andern Orten, an denen man mit weißen
Stäben feierlich auf den Berg zog, sich wechselseitig bei den
Händen fassend Osterlieder sang, und beim Halleluja die Stäbe
zusammenschlug,^ stand der Brauch noch zur Hälfte zur Kirche m
Beziehung, er ist gleichsam Fortsetzung der kirchlichen Feier.
Diese Beziehung fehlt in den meisten Fällen , in denen wir sonst
dem Osterfeuer in Niederdeutschland begegnen. So bei dem auf
hohen Plätzen angerichteten holländischen Paaschvuur durch das
gesprungen wurde.^ In Oldenburg hat jede Straße ihr eigenes
Osterfeuer, in Delmenhorst gab es ililr die ganze Stadt ein ein-
ziges gemeinsames, dessen Mittelpunkt zwei mit je zwölf Teer-
tonnen besetzte Bäume bildeten, welche von ELnaben mit Stroh-
wiepen, d. h. 10 — 15 Fuß langen von etwa 6 Fuß aufwärts
mit Stroh umwickelten Bohnenstangen angezündet werden, nach-
dem sie die zuerst brennend im jubelnden Laufe längei'e Zeit um
den Scheiterhaufen herumgetragen haben. ^ Im Schaumburgischen
1) Strackeijan U, 43, 313.
2) Seifart, Hildesh. Sag. U, 140.
3) Kuhn, Westf. Sag. II, 136, 405 ^
4) Myth.« 582.
5) Bnddingh, Verhandeling over het WesÜand S. 140. Cf. Wolf,
Beitr. 1,75.
6) Strackeijan U, 43, 313.
Osterfeuer, 507
sieht man meilenweit von den Bergen die Osterfener leuchten,
deren Gentrum ein Teerfaß auf einer strohumwundenen Tanne
ist.^ Einen schönen Anblick gewähren auch die Osterfeuer des
Harzes ; deren man oft bis 15 von einem Punkte leuchten sieht;
die Art der Herrichtung wechselt, doch ist meistens das Reisig
um emen dazu aufgerichteten Baum aufgeschichtet. Nicht selten
werden brennende Teertonnen von den Höhen ins Tal gerollt.
Im Halberstädtischen zttndet man die Teertonnen am liebsten
mit alten Besen an. In Osterode sucht jeder einen tüchtigen
Brand zu erhaschen und springt damit herum; je besser diese
Fackel brennt, desto mehr Glück wird ihm selbst, desto mehr
Segen dem Lande zu Teil. In Grund finden dann Fackel-
laufe statt, wobei man schließlich um den Ort herumzieht.^ In
Dassel im Hildesheimischen ist die Weise diese, daß eine auf
einer Stange befestigte, mit Stroh und Teer gefüUte Tonne in
Brand gesetzt und von kräftigen Burschen eilenden Laufes den
Berg hinuntergetragen, ist der Stiel durchgebrannt, vollends ins
Tal hinabgerollt wird. Ist sie unten angelangt, so entzündet
man daran Fackeln von trockenen Birkenästen, die so lange
über die Köpfe geschwenkt werden, bis sie verlöschen.^ Um
Duderstadt lohte am Ostersamstag jenes kirchliche Feuer, am
Ostersonntage dieses weltliche.^ Auch in Hildesheim war dies
der Fall ; daselbst wälzte man bei letzterem mit Stroh umwickelte
brennende Räder und brennende Teertonnen von den Bergen
herab. ^ In der* Altmark, im Drömlingi und Lüneburgischen bren-
nen auf Anhöhen am ersten oder zweiten Ostertage an Staugen
befestigte Teertonnen oder Bienenkörbe. Die Asche sammelt
man als heilsam für Viehkrankheiten. So weit das Feuer
leuchtet, gedeiht im folgenden Jahre das Korn und
keine Feuersbrunst entsteht.^ In Mittenwald und Oberau
in Oberbaiem wurden von steilem Hügel Scheiben oder hölzerne
1) Myfch.* 582.
2) Zs. f. D. Myth. I, 79. Kuhn, Nordd. Sagen 373, 19. Auch Pröhle,
Harzhilder S. 63 berichtet über Osterfeuer im Harz, bei denen man mit
Bränden umherläuft.
3) Kuhn, Westfäl. Sag. II, 134, 404.
4) Zs. f. D. Myth. H, 107.
5) Seifart, HUdesheim. Sag. 135,. 9.
6) Kuhn, Mark. Sag. 312.
508 Kapitel IV. Vegetationsgeister : SoDnenzaaber.'
Bolzen beim Osterfeuer zu Ehren der Mädchen brennend in die
Luft geschleudert, oder ein strohumhtllltes flammendes Wagen-
rad den Berg hinuntergerollt. ^ In einigen schwäbischen Orten
wurde das Osterfeuer durch bloßes Reiben entzündet.' Zu
Bräunrode am Harz verbrannte man in demselben Eichhörnchen
(auf dieselbe Sitte deutet ein Köber Spruch);^ in Westfalen viel-
leicht ehedem Ftlchse (s. u. B. öl5), in der Altmark Knochen,^
in der Harzgegend wahrscheinlich einstmals ein Bockshorn. Doch
von diesen Dingen später ausführlich.
§ 4. Malfeuer, Johannlsfeuer. Bei dem am ersten Mai
in den schottischen Hochlanden angezündeten Bealtine, Baltein
(v. gäl. bal globe, tine fire) wird ein Kuchen durch Loßung ver-
teilt, in den eine Kohle verbacken ist. Wer verbundenen Anges
aus der Mütze das Stück mit der Kohle herausgreift, muß drei-
mal durch das Feuer laufen (is compelled to leap three times
over the flames). Die Geremonie hatte den Zweck, das Jahr
fruchtbar zu machen (in rendering the year productive of the
sustenance of men and beast).^ Vom deutschen Maifeuer, das
mit dem Mailehen verbunden ist, war S. 450 die Bede. Auch
das dänische Maifeuer (Gadeild), das Mundelstrup (Specimen
gentilismi etiamnum superstitis Hain. 1684 fol. 0. 2) in der auch
Myth.' 736 ausgehobenen Stelle schildert, ist mit der Erwählung
von Maibräuten verbunden. Jeder Teilnehmer zündet eine
1) Panzer 1 , 211 , 233. 212 , 234.
2) Birlinger U. 82, 106.
3) Rosenkranz, N. Zeitschr. f. Gesch. der germ. Völker I, 2, s. Myth.*
582. Firmenich, Völkerst. I, 426. 458. Wolf, Beitr. I, /i.
4) Kuhn, Mark. Sag. 312.
5) Sinclair, Statistical acconnt of Scotland 1794. XI, ()20. Cf. Brand,
popul. antiquit. ed. Ellis I, 224. Myth.« 579. Vielleicht ist man herechtigt das
healtine aus dem Namen des in Gallien , Norditalien , Norica heimischen kel-
tischen Sonnengottes Belenus oder Bclinus (Martin , Religion des Ganlois T. L
p. 378 ff. M. H. d'Arbois de Jubainville, Revue archeolog. Mars 1873 p. 197—
201), KU deuten, der aus Balanos „ardent resplendissant** entstanden in cambri-
sehen and comischen Denkmälern Bele, Bill gelautet zu haben scheint. (Cf.
Revue celtique T. I, p. 338. Zeuss, Gramm, celt.« p. 86. 815 — 16.) In bei-
den Fällen, ob Gäl. bal. (globe) oder Bell das Etymon sei, werden wir Son-
nenfeuer übersetzen müssen, da auch ersteres auf den Sonnenball zu gehen
scheint; falls nicht ein Gebrauch, dem deutschen Scheiben werfen analog dem
Feuer den Namen gab.
Maifener, Johannisfener. 509
lange Stange (contum) an dem großen Strohfeuer an
und schwingt sie in die Höhe; wer die seinige am höchsten
schwingt^ ist Anführer, erhält den Namen Gadebasse und wählt
sich seine Gadinde, worauf jeder andere sich auch ein Mädchen
(Gadelam) zur sonntäglichen Tanzgenossin um den mit Blumen
und Schmucksachen behängten Maibaum während des Sommers
bis zum Heuschnitt erkiest. In Schweden leuchten am Abend
des ersten Mai yielfach von allen Bergen und Hügeln die Wal-
purgisfeuer (Walborgsmesseldar) , um welche die Jugend einen
oft zweifachen, dreifachen Ring zu fröhlichem Reigentanze schließt.
Schlagen Flamme und Rauch fiach Norden, so ei'wartet
man einen kalten, ziehen sie nach Süden, einen warmen
Frühling. Nicht selten glaubt die Phantasie der Versammelten
plötzlich einen Spuk in Gestalt eines alten Zauberwei-
bes u. d^l. leibhaftig mitten im Feuer vor sich zu sehen.^
Wir kommen jetzt zu dem Johannisfener am 23. Juni. Schon
ein älterer mittelalterlicher Schriftsteller ^ hebt an demselben drei
Stücke, das Feuer selbst, den Umlauf mit Fackeln, die Umwäl-
zung des Rades hervor. Dicamus de tripudiis quae in vigilia B.
Johannis fieri solent tria genera. In vigilia enim beati Johannis
colligunt pueri in quibusdam regionibus ossa et quaedam immunda
et id , simul cremant, et exinde producitur fumus in a^'re. Faciunt
etiam brandas et circuunt arva cum brandis. Tertium de rota,
quam faciunt voki: quod cum immunda cremant, hoc habent ex
gentilibus. Der Verfasser fligt hinzu, der Rauch vertreibe die
schädlichen Drachen, welche tödliche Krankheit erzeugt^, femer:
„rata invdlvitur ad significandum, quod sol tunc ascendit ad
altiora sui circuli et statim regreditur.*' Mit dieser Aeußerung
stimmen die Auslassungen von Johann Beleth um 1162 und
Wilh. Durantis um 1296, sowohl hinsichtlich der Feuer als der
Fackeln genau überein.^ Mit einer Fackel zündete die schöne
Susanna Neithart 1497 in Kaiser Maximilians Gegenwart das
Johannisfener zu Augsburg an> Es bedarf weniger Beispiele,
1) Lloyd, Svenska Allmogens Plägseder öfvers. af Swederas. S. 125.
2) Im Mannsc. der Harlej. Bibl. British. Mus. 2845 Art. 100 ausgezo-
gen von Eeinble, Sachsen in England übers, t. Brandes I, 296 (vgl. Kuhn,
Herabkunft S. 51) und Brand pop. antiqu. 1 , 298.
3) Vgl. M}-th.» 587 mit Wolf Beitr. 11,387.
4) Myth.« 586.
510 Kapitel VI. Vegretations^eister: Sonnen zanber.
nm zu zeigen, daß auch sonst die wesentlichen Bestandteile der
bisher genannten Feuer beim Sonnwendfener (Himmelsfeuer, Ztln-
delfeuer, Senkenfeuer, oder wie sonst das Johannisfeuer heiße)
wiederkehren. In Schwaben springen dabei Buben und Mädchen
durch die Glut, man läßt brennende Strohräder die Berge hinab,
man betet, daß der Werg (Hanf) gedeihe.^ Im Lechrain wird
neben dem Sonnwendfeuer ein bis dreißig Schuh hoher strohum-
wundener Balken mit hohem Querholze aufgerichtet, den die
Buben mit zwanzig Fuß hohen Stangen, an deren Spitzen bren-
nende Besen stecken, anztlnden; um den flammenden Baum
tanzt man, bis endlich der Ring an einer Stelle zerreißt, und
der paarweise Sprung durchs Feuer beginnt. Die ungesengten
Springer bleiben fieberfrei; so hoch sie springen, wächst
der Flachs; ein angebranntes Scheit in die Flachssaat
gesetzt, befördert deren Gedeihen.* In Oesterr. Schlesien
dagegen zünden die Bursche umgekehrt ihre mit Pech getränkten,
das Jahr hindurch mit Sorgfalt gesammelten Besen im Johan-
nisfeuer an und werfen sie unter wildem Tanze in die Höhe.*
Beinsbei^s ausführliche Zusammenstellungen über das böhmische
Mittsommerfeuer zeigen uns ebenfalls den inmitten des Holzstoßes
flaqimenden Johannisbaum (vgl. o. S. 179), harzttberzogene
Wagenräder den Berg hinabrollend, brennende Besen in die
Luft geschleudert, oder hochgeschwungen in stürmischem,
lärmendem Laufe scbaarenweise auf dem Berge hin und
her und herab zu Tal getragen, so wie den Sprung des
Burschen mit seinem Mädchen über die Glut, endlich das Hin-
durchtreiben der Kühe durch das Feuer. Die Stümpfe der
Besen steckt man in die Krautgärten, um sie vor Mücken
und Raupen zu bewahren, die Brände und Kohlen des Feuers
in die besäten Felder, Wiesen und Gärten, unter das
Dach oder die Türschwelle, um Haus und Hof vor Unwetter zu
schützen. Von allen Bergen sieht man weithin die Johannisfeuer
leuchten.^ Auf dem Stromberge an der Mosel unweit Sierk und
1) Birünger n, 96, 128 ff. 108, 129 ff. Meier 423, 107 ff. 424, 109. 110
2) Leoprechting S. 182 — 83. Gf. die Sammlg. von Beweisstellen f&r
die Einwirkang der Johannisfeuer auf das Gedeihen des Flachses. Panzer,
11,549—50.
3) Peter, Volkst. a. Oesteir. Schlesien 11,287.
4) Reinsberg-Düringsfeld, böhmischer Festkalender. S. 306 — 311.
Maifeuer, Johannisfener. 511
Diedenhofen in Lothringen hatte im Jahre 1823 das Johan-
nisfener der Bauergemeinde Konz in folgender Weise statt. Die
Männer waren auf dem Stromberge, die Weiber und Mädchen
am Baubacher Brunnen versammelt Ein strohbewundenes Rad
und eine Menge Strohfackeln lag bereit. Auf ein Zeichen des
Maire von Sierk ztlndete einer mit der Fackel das Bad an,
das schnell in Bewegung gesetzt wurde; Jubelgeschrei, allge-
meines Fackelschwingen durch die Luft. Grelangt das Rad
vom größeren Teile der Männer gefolgt brennend beigab in die
Mosel, so weissagt man eine reichliche Weinernte.^
Ebenso in Frankreich. In Poitou zündet man ein mit Stroh
umwickeltes Rad an, und läuft damit durchs Feld, damit
dasselbe fruchtbar werde. In Brest schwingt man Pechfackeln,
und oft werfen Hunderte ihre Fackeln zugleich gen Him-
mel. Im Departement de la Vienne läßt man einen Strauß von
Wollkraut (Verbascum) und einen Nußbaumzweig durchs Feuer
streichen ) die man anderen Tags vor Sonnenaufgang über der
Stalltür befestigt.^ Statt des Rollens der Räder werden an ande-
ren Orten Scheiben geschlagen.^ In Edersleben bei Sanger-
hausen vrird das Rad durch eine Teertonne ersetzt, welche auf
einer hohen Stange befestigt ist, durch die eine bis zur Erde rei-
chende Kette gezogen wird. Ist das Ganze in Brand, so schwingt
man die Tonne unter großem Jubel rund um die Stange^ Den
nämlichen Character trägt die Sitte in England. Wir beschrän-
ken uns auf folgende Angaben : Ein Geistlicher berichtet im Gent-
lemen's Magazine Febr. 1795 p. 124, daß er 1782 auf der Insel
Sky das am 21. Juni angezündete Mittsommerfeuer beobachtete:
^,the people danced round the fires and at the close went
through these fires and made their söns and daughters
together with their cattle pass through the fire, and the
whole was conducted with religious solemnity." Borlase (Anti-
quities of. Comwall p. 130) beschreibt das Goluan genannte Mitt-
sommerfeuer am St. Johannisabend oder St. Peter in Comwall
y^at these fires the Comish attend with lighted torches, tarr'd
1) M^moires des antiqnairee de France. V, 383 — 386.
2) Wolt, Beitr. n,3Ö2fl:
3) Zingerle , Sitten > 159 , 1354.
4) Kuhn, Nordd. Sag. 390, 79.
512 Kapitel VI. Vegetationsgeister: Sonnenzauber.
«
and pitch'd at the end and make their preambnlations round
their fires and go from village to village carrying their torches
before them." Nach Moresin (Papatus p. 56. Face 8 ad festum divi
Petri (29. Jnni) noctu Scoti in montibns et altioribus locis discur-
rentes accendere soliti snnt Brand beschreibt die northumber-
landische Sitte desselben Tages. Te inhabitants carried some
kind of firebrand about the fields of their respective yilla-
ges. Thej made encroachments on these occasions npon the hon
fires of the neighbouring towns, of which they took away some
of the ashes by force; this they Qalied carrying of the flo-
wer of the wake."^ Aus Schweden genttge des Olaus Magnus
Aussage: Omnis^ enim generis sexusque homines tnrmatim in
publicum concurrunt exstructisque luculentis ignibus atque
accensis facibus choreis tripudiisqne se exercent.^ In Rußland
kehren die nämlichen Bräuche wieder. In Kleinrußland treibt
man am St. Johannisabende einen Pfahl (Baum) in die Erde, um-
hüllt ihn mit Stroh und setzt ihn in Flammen. Sobald er brennt^
werfen die Bäuerinnen Birkenzweige durchs Feuer mit den
Worten: „Werde mein Flachs so hoch als dieser Zweig."
Blumenbehränet, mit heiligem Kraute umgürtet ztlnden Jtlnglinge
und Mädchen am 24. Juni ein Feuer an, das Eupalo heißt,
springen selbst darüber und treiben die Heerde hijndurch,
um ihr Vieh vor den Waldgeistem (Ljeschje) zu schützen.® In
Serbien binden die Hirten am 23. Juni Fackeln aus Birken-
rinde, umschreiten damit Schafhürden und Ochsenzäune, steigen
dann auf die Berge und lassen sie verbrennen.^ Doch kehren
wir zunächst zum deutschen Mittsommerfeuer zurück. Auch die
Verbrennung menschlich gestalteter Figuren war dabei nicht
1) Wilde (Irish superstitions p. 48 ff. bei Nilsson , Ureinwohner des
Skandinavischen Nordens. Hamburg 1866. S. 24) beschreibt das irische Mitt-
sommerfeuer, das ältere Leute unter leisen Gebeten umwandelten. Wer eine
längere Beise unternehmen, wer heiraten oder ein Wagstück unternehmen
wollte, lief dreimal hin und zurück durch das Feuer, um Glfick bei seinem
unternehmen zu haben, schwangere Frauen gingen hindurch, um eine glück-
liche Niederkunft zu erlangen, selbst Kinder sah man über die
glühenden Kohlen tragen.
2) Weitere Berichte in Dybecks Buna 1844. S. 22.
3) Baiston S. 240. Myth.« 591.
4) Vuk s. V. Ivan dan.
Maifener, Johanniäfeaer. 513
selten. In Oesterreich (Marienkirchen im Innviertel) wird beim
Johannisfener hoch auf einer Stange , die an die Stelle des
belaubten Baumes trat, das anderswo auf dem Maibaume pran-
gende Puppenpaar Gretel und Hansel (o. S. 429. 464) in Flam-
men gesetzt. Zu Ertingen in Schwaben wird dann die Hexe ver-
brannt (o. S. 179). In Grätz verfertigten die gemeinen Bewohner
am 23. Juni einen Popanz, der Tatermann genannt, schleppten
ihn nach der Leinwandbleiche an der Mur und bewarfen ihn
mit brennenden Besen so lange, bis er brannte.^ Im
Unterinntal verbrennt man im Johannisfener einen Lotter (Kerl
aus Stroh und Lumpen), nachdem man ihn auf einem Karren im
Dorfe umhergeführt hat. Einige haben das Wort Lotter in Mar-
tin Luther imigedeutet, woher denn in Ambras zwei Figuren,
Luther nnd sein Katherl, auf den Holzstoß kommen.^ In franz.
Flandern verbrannte man vor der Revolution von 1789 in jeder
Gemeinde im Johannisfener eine männliche Strohpuppe , auf Petri
(29. Juni) eine weibliche Puppe. In Gambrai (Cameryk) hängen
die Kinder mit Goldpapier verzierte Puppen ins Feuer, dasselbe
Boll in Valenciennes der Fall sein.^ Zu Rottenburg wurde bis
zum Jahre 1808 ein Stotzen in den Boden getrieben und mit
umwickeltem Stroh zu einer menschlichen Gestalt geformt, welche
ausgestreckte Arme und einen vom Ha&er aus Tohn gefertigten
Kopf mit feinem und zierlichem Gesichte hatte. Diese Figur,
die man Engelmann nannte, umkleidete man von oben bis unten
mit Blumen, so daß der ganze Kerl damit bedeckt war.^ Dann
schichteten die Knaben Holz umher, und jeder faßte einen Degen.
Sobald der Holzstoß angezündet wurde, nnd die Puppe aufloderte,
hieben alle zu gleicher Zeit mit dem Degen ein und zerfetz-
1) Vemaleken , Alpensagen S. 372 , 43.
2) Zingerle» 159, 1353. 1355.
3) Mad. Clement nee Hemery, lubtoire des fHes et des nsages da Depart.
du Nord p. 363fr. Wolf, Beitr. II, 392.
4) Vgl. die Beschreibung des Johannisfeuers bei Bonneval (Mämoires
de Facad. celtique IV, 428). La veille de St. Jean un feu de joie est allumö
dans un carrefour. Au milieu du feu on place une longue perche,
qui le domine et qui est garnie de feuillages et de fleurs. Le
alerg^ se rend en grande pompe au lieu de la c^remonie, allume le feu,
entonne quelques chants et se retire; ensuite les assistans s'en eniparent,
sautent par dessus et emportent chez eux quelques tisons,
qu^ils placent sur le ciel de leur lit comme un pr^serratif contre la foudre.
Mannhardt. 33
614 ' Kapitel VI. Vegetationsgeister: Sonnenzauber.
ten die letztere; arsprttnglicli hatte dies offenbar den Zweck,
Stücke der Puppe sich anzueignen vgl. o. S. 348. 349. War sie
abgebrannt und zerhauen , so begannen die Sprünge über die
brennenden Scheiter. Das hiefi ;,den Engelmann köpfen.^'^
In einigen Gegenden Rußlands macht man am Johannisabende
eine Figur Eupalo genannt und verbrennt sie^ oder wirß sie ins
Wasser, Zuweilen fcUU man einen Baum, bedeckt ihn mit bun-
ten Bändern, und pflanzt ihn an einem dazu auserlesenen Platze
auf. In die Nähe dieses Baumes , welcher den Namen Marena
(vgl. 0. S. 413) erhält; setzt man die Strohfigur, der man die
Größe eines Knaben oder eines Mannes, aber den Anzug eines
Weibes mit Halsband und Krone von Blumen zuteilt; neben
diese eine' Tafel, auf welcher Getränke und Speisen stehen. Dann
wird em Feuer angezündet, über das die Bursche und Mädchen
paarweise springen, die Strohfigur zwischen sich
tragend. Tags darauf berauben sie Baum und Puppe ihres
Schmuckes und werfen beide in ein fließendes Wasser.*
Statt der Strohpuppe tritt bisweilen eine oms Weiden (oder
Baumzweigen) geflochtene Menschengestalt ein. Eine solche (un
mannequin d'osier) verbrannten die Einwohner der rue anx Ours
zu Paris noch im vorigen Jahrhundert bis 1743 alljährlich am
3. Juli. Die Figur, le g^ant de la rue aux Ourij genannt, hatte
etwa 6 Metres Höhe; sie wurde zuvor einige Tage feierlich durch
ganz Paris getragen. Angeblich geschah das zur Erinnerung an
die Verbrennung eines gottesschänderischen Soldaten, die im
Jahre 1418 an diesem Monatstage stattgehabt haben sollte; natür-
lich eine ätiologische Fabel zur Erklärung der lokalen Abweichung
des Kirchspiels aux Ours von der allgemeinen Sitte, das Mitt-
sommerfeuer am- 23. oder 24. Juni anzuzünden.' In Brie (Islt
de France) verbrennt man „un mannequin d'osier'^ am 23. Juni.
1) Birlüiger ü, 100, 128.
2) Balston 241.
3) De Nore Mythes p. 354. Eine andere Beschreibung des Festes s.
Magazin pittoresqae Paris 1834 p. 262. Liebrecht, Gervasius v. Tilbory
p. 212. Hienach bildeten die Bürger der rue anx Ours für diese Feier eine
Genossenschaft ,,Sociöte des bourgeois de la rue aux Ours;" sie w&hlten
sich dazu einen König. Der Weidenkerl war mit den Gewändern eines
Soldaten bekleidet. Der König zündete mit einer Fackel den Holzstoß
an. Das Volk riß sich um die üeberbleibsel der Figur. Dieselbe
hieß zuletzt ,,le Suisse de la rue aux Ours.''
Tiere im Sonnwendfeuer verbrannt. 515
§ 5. Tiere Im Sonnwendfeuer rerbrannt. Wie im Oster-
feaer Eichhörnchen, 80 werden auch im Johannisfeaer zuweilen
Tiere, sogar lebend, oder Teile von Tieren verbrannt. So hingen
in Paris auf dem Gr^veplatze an dem Mastbaume (einer Ab-
Schwächung des Maibaums) , der den Mittelpunkt des oft von den
Königen angezündeten Johannisfeuers ausmachte^ in einem Korbe,
Käfige oder Sacke Katzen (bis zu zwei Dutzenden) und zuwei-
len Füchse, deren in der Todesangst ausgestoßenes Geschrei
die Umstehenden belustigte. In den Yogesen brannte man die
Katzen beim Fastnachtfeuer auf Holzpfählen todt, in Metz zün-
dete man jährlich auf der Esplanade das Johannisfeuer an, wobei
6 Katzen auf dem Holzstoße mit verbrannt wurden. Im Elsaß
warf man sie ins Osterfeuer. Dagegen soll in Rußland zuweilen
ein weißer Hahn im Kupalofeuer verbrannt worden sein.*
In Meißen oder Thüringen warf man, um das Johannisfeuer tan-
zend ein Pferdehaupt in die Flammen.* Der Name Bockhom,
welchen die Osterfeuer ehedem allgemein im Harze ftihrten , muß
daher entstanden sein, daß man ein Bockhom ins Feuer warf,
wie sonst Knochen, was schon um 1162 Joh. Beleth bezeugt:
Solent porro hoc tempore (in festo St. Johannis) ex veteri con-
Buetudine mortuorum animalium ossa comburi.^ Einen
sehr interessanten Belag gewährt der Bericht eines Augenzeugen
über eine derartige Begehung aus neuester Zeit. Zu Luchon in
den Pyrenäen ist es Sitte, am St. Johannisabende eine aus
starken Weidenzweigen verfertigte ungefähr sech-
zig Fuß hohe Säule im Mittelpunkte der bedeutendsten Vor-
stadt zu errichten und mit grünem Laube vom Fuß bis
zur Spitze zu dnrchflechten, indeß man unten die reizend-
sten Blumengruppen anbringt, um der Scene gleichsam einen
anmutigen Hintergrund zu verleihen. Nachdem die Säule mit
brennenden Stoffen ausgeftillt ist, setzt sich zu feststehender
Stunde (abends 8 Uhr) eine große Prozession in Bewegung. Der
Klerus an der Spitze , sodann Bursche und Mädchen in Sonntags-
kleidern. Man singt geistliche Hymnen und nimmt rings um die
1) Myth.« 591. *
2) G. Strigenitius (f 1603) bei Eccard, Francia orientalis I, 425.
Myth.» 585.
3) Cf. Wolf, 11,387.
33*
516 Kapitel VI. Vegetationsgeister: Sonnenzauber.
Säule Aufstellung. Mittlerweile leuchten auf den benachbarten
Hügeln die Johannisfeuer auf, ein wundervoller Anblick. Dann
wirft man Schlangen, so viele als man sammeln konnte, in
die Säule, und fünfzig Männer und Knaben zünden dieselbe an,
mit Fackeln wie wahnsinnig ringsum tanzend. Die Schlangen
winden sich, um den Flammen zu entgehen, bis zur Spitze hin-
auf, wo sie vergeblich zur Seite auszubiegen suchen, bis sie
schließlich zu Boden fallen. Ihre ängstlichen Windungen werden
von den Umstehenden mit lautem Jubel begrüßt. ^ Wie hier wird
auch sonst, namentlich in Frankreich, mehrfach das Johannis-
feuer unter Assistenz der Geistlichkeit angezündet, gleichsam als
religiöser Akt gefeiert.
Abarten der Fastnacht >, Oster- und Johannisfeuer sind die
Weihnachtsklötze (cf o.S. 224 AT), Michaelis- und Martinsfeuer, auf
die hier nicht näher eingegangen werden soll.* Sie haben manche
Züge mit den besprochenen Feuern gemein; dem am Niederrhein
verbreiteten Martinsfeuer ist es eigentümlich, daß darin ein Korb
verbrannt wird, der ursprünglich wol überall, wie noch jetzt in
Dordrecht, allerlei Obst enthielt, das im Brennen herausgeschüt-
telt und aufgegriffen wurde.
§ 6. Frflhliiigs- und Sonnweiidfener. ErlHuterungen.
Die Uebereinstimmung aller wesentlichen Züge bei allen jenen
drei Feuern ist geeignet, die Ueberzeugung zu begründen, daß
dieselben ziemlich getreu und unverfälscht erhaltene Nachkommen
eines älteren Ritus seien. Die enge Verbindung mit kirchlichen
Ceremonien legt die Frage zu ernstlicher Erwägung nahe, ob
derselbe nicht etwa von einer Vergröberung christlicher Symbo-
lik, also entweder der kirchlichen Anzündung des neuen Feuers
zu Ostern oder einer symbolischen Darstellung des Schrifigedan-
kens m Math. 11, 11. Ev. Job. 1,7 — 9. 5, 35. 3, 30 ihren Aus-
gang genommen haben könne. Die ausgedehnte Anwendung sinn-
bildlicher Darstellungen in der Kirche des Mittelalters und daraus
entstandener Aberglaube sind mehrfach von uns besprochen und
nachgewiesen, oder in Erwägung gezogen worden (s. o. S. 230 ff.
242 ff. 281 ff. 446). Wie die Heiligkeit des Taufwassers schon
1) Athenäum, Satnrday. Joly 24. 1869. p. 115. Der Verfasser , wohl
Badegast in Lnchon, beohachtete den Brauch am 28. Juni 1868.
2) Schmitz, Sitten nnd Bräuche I, 43—45. Wolf, Beitr. 1,41—43.
Zs. f. D. Myth. 1 , 88.
Frühlings - Sonnwendfeuer. Erlauternngen. 517
früh zum Glauben an magische Wirkungen desselben Anlass
gab/ konnte das nämliche mit dem heiligen Holze des kirch-
lichen Osterfeuers geschehen sein. Wir haben jedoch — so
scheint es — hinreichende Anzeichen dafllr, daß die Kirche sich
in diesem Falle eines vor der Zeit ihrer Ausbreitung in fast ganz
Europa bestehenden Brauches ^ nachdem sie denselben Jahrhun-
derte vergeblich bekämpft hatte/ bemächtigt, und denselben an
sich zu knüpfen versucht hat, indem sie ihn christlich umdeutete,
teils (wie beim Osterfeuer) durch Hinübernahme einzelner Züge
davon in eine kirchliche Geremonie unschädlich machte , teils aus
letzterer Stücke in die trotzdem fortbestehende weltliche Uebung
übertrug. So sind unsere Frühlings- und Sommerfeuer unzwei-
felhaft Erzeugnisse einer mannichfachen Wechselwirkung kirch-
licher Politik und des zähen Beharrungsvermögens altheidnischer
Gewohnheiten. Noch entgeht uns das Material, um dieses Ver-
schmelzungsprodukt genau in seine einzelnen Bestandteile zu zer-
legen, und seine Genesis historisch zu verfolgen, aber schon hier
darf die Vergleichung des römischen Palilienfeuers, und der phö-
1) Schon zn Ohrysostomns Zeit schöpfte man in der Nacht vor Epipha-
nias (Christi Tauffcag) Wasser in Krüge nnd bewahrte es als ein Jahr lang
frischhleihend auf. um 451 bezeugt Fullo , Erzbischof von Antiochien , daß
das Volk hanfenweis herbeiströme, om von dem in der Epiphaniasvigilie
consecrierten Taufwasser zu schöpfen und es zur Vertreibung giftiger Tiere
und böser Krankheiten und zur Bespr engung der A eck er mit nach
Hause zu nehmen. Gregor von Tours f 595 berichtet, daß von dem geweih-
ten Taufwasser jeder ein volles Faß mit sich nehme , zum Schutz, des Hau-
ses und um Aecker und Weinberge segnend zu besprengen.
(Vgl. die Belege bei Pfannenschmidt, Das Weihwasser. Hannover 1869.
p. 131 — 133.) Der Glaube und die Sitte besteht in Franken und Baiern
noch bis heute fort. Wuttke » § 192. Ebenso in Tirol. Zingerle , Sitten •
127, 1138. Damit hängt doch offenbar zusammen, daß die Albanesen am
6. Januar ihre Weinberge mit Wasser besprengen, an den 4Ecken
jedes Stückes 4 Weinstöcke mit einem Strohbande zusammenbinden, darun-
ter ein Stück zu dem Ende eigends verfertigten Brodkuchens
legen und Wein darauf schütten. Hahn, alban. Studien S. 155. So geht
bei uns der erste Pflug über ein Stück Brod, in die letzte Garbe wird ein
Osterei und ein Stück Brod eingebunden (s. o. S. 158). Wie weit jener alba-
nesische Brauch von nicht christlicher Sitte durchsetzt, oder ob der genannte
deutsche Saat- und Em tege brauch kirchlichen Ursprungs sei, kann hier
nicht ausgemacht werden. Jan. 6 feierte man die Hochzeit zu Kana, da
Wasser zu Wein wurde.
2) Myth.« 592. Kuhn , Herabkunft. S. 51 Anm. *.
518 Kapitel VI. Vegetationsgeister: Sonnenzanber.
nikischen Baal (Molochs) feuer^ über welche gleichfaUs gesprangen
wurde, die symbolische Beziehung der Räder nnd aasgezackten
Scheiben auf den Naturlauf der Sonne, die Verbrennung des
0. S. 177 ff. als Maibaum nachgewiesenen Baumes, die o. S. 462 ff.
Q. 508 dargelegte Beziehung zum Frtthlingsbrautpaar, alles dieses
darf zur Bestätigung einer heidnischen Grundlage unserer Fast-
nachtfeuer, Osterfeuer und Johannisfeuer geltend gemacht
werden, selbst wenn wir nicht auf die Verwandtschaft mit dem
unzweifelhaft heidnischen Notfeuer zurückgreifen.
§ 7. Notfener. Letzteres war ein nach Auslöschung aller
übrigen Feuer im Dorfe nach urältester Weise der Feuerbereitung
durch Reibung zweier Hölzer, Umdrehung eines Stabes in einer
runden Scheibe oder der Nabe eines Rades u. s. w. erzeugtes
neues Feuer, durch welches man bei Viehseuchen die Tiere
trieb,' zu Pestzeiten selbst hindurchging.' Schon Orinmi deutete
das Rad als Bild der Sonne, von welcher Licht, Feuer und
Gesundheit ausgehe. Bekanntlich gebot unter Karlmann eine im
Jahre 742 unter dem Vorsitze des Bonifacius als Erzbischofs von
Mainz abgehaltene Synode, an der die Bischöfe von Köln, Würz-
burg, Eichstedt, Straßburg teilnahmen, den Bischöfen und Grafen
alle heidnischen Gebräuche (paganias) sorgsam zu verhindern,
als da seien Todtenopfer, Tieropfer nach heidnischem Ritus den
Heiligen dargebracht „sive illos sacrilegos ignes, quos niedfyr
vocant, sive omnes quaecunque sunt paganorum observationes."
Die Synode zu Listines in den Niederlanden ein Jahr später
handelte in dem vielgenannten Indiculus superstitionum et paga-
1) Myth.* 570—577. Krankes Vieh durch den Banch getrieben in
Indien, s. Zs. f. vgl. Sprachf. XV, 228.
2)- Wolf, Beitr. II, 379. Zn diesen Notfenem wird man hienach anch
solche Formen zn rechnen haben, in denen auf einfachere Weise als dnroh
Reibung bei allgemeiner Sterblichkeit der Scheiterhaufen entloht wird. In
Marseille starben im September 1865 viele Personen an der Cholera. In Folge
dessen zündete man nn geheure Feuer an , deren Tausende und Tausende in
den 600 Straßen und Gassen brannten. Jede Straße hatte deren mindestens
drei, eine sogar 57. Vor der Praefectnr errichtete die Feuerwehr den riesigen
Holzstoß. Um die Fener tanzten, wie auch in Toulon, junge Mftdchen und
junge Burschen. An mehreren Stellen verbrannte man 'eine Puppe mit kohl-
schwarzem Gesichte, man meinte, das sei ein Bild der Cholera. So berieb-
teten damals die Zeitungen. Cf. Härtung, Religion und Mythologie der
Griechen Bd. II. Vorw.
Notfeaer. 519
niamm ;,de simulacris de pannis faotis, de simulacro
quod per campos portant, de igne fricato de ligno
id est Nodfyr."' Kuhn hat bereits^ die ursprüngliche Iden-
tität des Notfeaers mit dem Johannisfeuer wahrscheinlich gemacht,
indem er darauf hinwies, dass bei beiden Räder resp. Scheiben
gerollt oder gedreht werden als mutmaßliche Darstellungen der
Sonne und daß nach einer in Obermediingen in Schwaben
(Panzer II, 240) erhaltenen Spur das Sonnwendfeuer ehedem
ebenfalls durch Reibung, d. h. durch Umdrehung eines Rades
um einen Pfahl entzündet wurde, hiezu aber stellt sich, daß die
Manipulation des Scheibentreibens gleicherweise wol nur
ein abgekürzter Rest jener ältesten Weise der Feuerbereitung ist,
die aus der bohrenden Drehung eines Stockes in einer Scheibe
bestand. Es ward nämlich noch vor kurzem „die Scheibe,
welche im Mittelpunkte zum Einstecken eines Stockes durchbohrt
war, im Sonnwendfeuer angezündet (statt so lange darauf gedreht,
bis^ sie brannte), sodann schwang der Bursche die Scheibe auf
dem Stocke, drehte sie auf dem Brette mit starkem Schwünge,
daß sie sich vom Stocke trennte, hoch in die Luft sprang und
glühend sich drehte, so daß man sie in weiter Feme sah/^'
Der Zweck beider Feuer war im Grunde nicht verschieden, oft
gehen sie in einander über. J)urchs Johannisfeuer treibt man
in Rußland, Serbien, Lithauen, Preußen, Böhmen, England auch
das Vieh, um es vor Seuche, Zauberei und Milchbenehmung zu
bewahren.* Das Notfeuer andrerseits wurde ebenfalls zuweilen
noch für Pflanzen günstig angesehen (in Schweden räucherte man
damit Fischnetze und Obstbäume, um sie ertragreich zu machen),
zuweilen als Yorkehrmittel gegen künftige Krankheit flir Men-
schen und Tiere zu fester Zeit und zwar am St. Johannisabende
angezündet und mit allem Zubehör ausgestattet, den wir
beim Johannisfeuer beobachteten. In Mecklenburg „warmede
men sik bi S. Johannis lod und nodfUre, . . . löp und r-önde
durch dat für, dref dat vehe dardorch un is tusent
1) Pertz, Mon. Germ. I, 17. 20.
2) Herabkunft, S. 50.
3) Panzer I, 210, 231.
4) Ralston 240. Myth.« 591. Dobrowski bei Reinaberg-Düringsfeld, Fest-
kalender a. Böhmen, S. 307. Anm. 1. Brand, pop. antiqii. I, 304.
520 Kapitel VI. Yegetationsgeister: Sonnenzauber.
froaden vul gewesen.^^ ^ In Masaren löschte man am Johannis-
abende alles Fener, rammte einen eichenen Pfahl ein, legte ein
Bad darauf und drehte es, bis es zttndete. Jeder nahm einen
Brand und steckte damit zu Hause sein Heerdfeuer wieder an.^
Lindenbrog im Glossar zu den Capitularien: Rusticani homines
in multis Germaniae locis et festo quidem Johannis Bap-
tistae die palum sepi extrahunt, extracto fimem circnmligant,
illumque huc illuc ducunt, donec ignem concipiat; quem stipula
lignisque aridioribus cnrate fovent ac cineres collectos
supra olera spargunt hoc remedio erucas abigi posse
inani superstitione credentes. Eum ergo ignem Nodfeur et Nod-
fyr quasi necessarium ignem vocant.^ Aus dem Munde eines
alten Luzemer Bauers hat Rochholz verzeichnet, wie in seiner
Jugend das Notfeuer oder „ Ankenmilchbohren '^ begangen wurde.
In den Türpfosten eines Hauses, das in einem engen Tale lag,
wurde am Johannisabende oder an einem andern Tage der
Sonnenwende durch Umdrehung eines hineingesteckten Stabes
Feuer entfacht, damit eine lange in doppelter Reihe zu beiden
Seiten der schmalen Talgasse liegender Haufen von Bohnenstroh,
Flachsagen und zerrissenen Körben in Brand gesteckt Man
trug dem Bache in Körben und auf Brettern Feuerbrände zu,'
trieb alles Vieh zwischen. den beiden Feuern hin-
durch, Bursche und Mädchen sprangen vereint durch
dieFlammen. Die Knaben zttndeten in enthusiastischer wilder
Lustigkeit Kienfackeln an' der durch Reibung neugewonnenen
Flamme an und rannten in langer Feuerzeile auf die
Almend, um diese zu durchräuchern. Das war die „Weid-
räuke," die Durchräucherung der Viehweide, damit vertrieb
man alle die Frucht und das Vieh schädigenden
Feldgespenster und Hexen. Waren auf einem Teile der
Hütung die abgebrannten Fackeln auf einen Haufen geworfen.
1) N. Gryse, Spegel des Pawess doms Bestock. 1593. p. Lin*
Myth.» 579.
2) Pisanski, N. Pr. Provincialbl VI, 148, 109.
3) Myth.« 570.
4) So ließen in Epinal die Kinder am ersten Sonntage im Märze auf
dem Bache Brettchen schwimmen, die mit kleinen Lichtem besetzt sind,
indeß die Erwachsenen beim großen Freudenfener die Paare der Valentins
und Valentines wählen. Vgl. Wolf, Beitr. I, 76.
SohlaBfolgernngen IIb. d. Bedeut. d. Frühlings- u, Mittsommerfeners. 621
SO streute man auf dem Rttckwege die Asche in die
Saatfelder and machte sie fruchtbar.^ Aach im Appenzeller
Lande kam die Asche des Notfeaers auf die Acker gegen Un-
geziefer. Da nun auch bei den profanen Osterfeuem einzeln
Anzttndung durch Reibung vorkommt (o. 8. 508), so wird man
Grimm beistimmen, daß das alte Notfeuer (d. h. erriebenes
Feuer von hniudan, hniotan), ehe seine Anwendung auf Vieh-
krankheiten eingeschränkt wurde, einen aasgedehnteren Begriff
hatte, mit dem Zusätze, daß andrerseits an den FrtthUngs- und
Mittsonmierfeuem eine Einbuße der Feuerentzttndung durch Reiben
angenommen werden muß.
§ 8. Schlußfolgerungen llber die Bedeutung des Frflh-
lings- und Mlttsomnierfeuers. Ist dies richtig, so waren die
Notfeuer einerseits, die Frühlings-, Oster- und Johannisfeuer andrer-
seits nur Differenzierungen eines älteren Feuers, welches im
Frühjahre und Mittsommer, und außer der ZqH bei außerordent-
licher Sterblichkeit angezündet wurde, es wurde durch Drehung
eines die Sonne darstellenden Rades ^ (oder einer Scheibe)
erzeugt. Rad oder Scheibe wurden bei den an bestimmte Jahres-
zeit gebundenen Feuern im Frühjahre im Bogen hoch durch die
Luft geworfen, um Mittsommer rem Berge herabgerollt. [Daher
begegnen wir jetzt bei den Früblingsfeuem öfter dem Scheiben-
treiben, bei den Mittsommerfeuem gewöhnlich dem Rade.] Des
Feuers Mitte bildete ein Baum, Pflanzen wurden hindurchgezogen,
die Tiere hindurchgetrieben, Menschen sprangen* hindurch.
Die Flamme übte vermeintlich Einfluss auf Wachstum und
Gesundheit der Gewächse, des Viehes, der Men-
schenkinder; sie tat dies activ vermöge einer ihr innewoh-
nenden zeugenden Kraft, die sich in Her Beziehung des
Frühlingsbrautpaars (o. S. 450. 462. 508) zu diesen Feuern
ausspricht; wie denn 1268 zu Fentone in England bei einer
Lungenseuche zugleich mit Anzttndung des Notfeaers ein Priap
vor der Tür des Viehhofs aufgesteckt, mit den in Weihwasser
getauchten Testikehi eines Hundes die Herde besprengt wurde. '
1) Rochholz , DentBcher Glaube und Brauch. U, 145 ff.
2) Auf der Insel Mull wird das Bad bei Erzengang des Notfeuers dem
Laufe der Sonne entsprechend ,,tumed from east to west."
3) Chronik von Lanercost bei Eemble, Sachsen in England. I, 294 ff.
Kuhn, Herabkunft S. 45.
522 Kapitel VI. Vegetationsgeister: Sonnen zauber.
Mithin sind alle die Aussagen, daß die Feuer Inseeienfraß,
Verhexung, Schädigung durch Drachen und dgl. abwenden, ent-
weder nur abgeleitete jttngere Formen oder zwar gleich alte
aber andere Seiten hervorhebende andere Wendungen des eigent-
lichen Gedankens. Durch die positive Mitteilung der Wachstum-
kraft werden zugleich die Dämonen des Mißwachses, der Krank-
heit vertrieben oder vernichtet. Vgl. o. S. 280. Hier zeigt sich
uns genau derselbe Parallelismus der Menschen, Tiere und Pflan-
zen, den wir bei der Lebensrute, beim Maibaum, Emtemai u.s.w.
beobachteten, d. h. die bei der Pflanzenwelt offenbare woltätige
Einwirkung des Sonnenlichtes auf Leben und Gesundheit, ist
symbolisch auch auf die höheren Wesen Übertragen. Mit Wolf,
Kuhn u. a. anzunehmen , daß die Osterfeuer einer Göttin Ostara,
die Frühlingsfeuer Donar, die Notfeuer und Johannisfeuer Fro
heilig gewesen seien, liegt keine Veranlassung vor. ^
In jedem der besprochenen Feuer wird zuweilen noch eine
Menschengestalt verbrannt, offenbar nach alter Ueberliefe-
rung; auch der Judas der Osterfeuer wird als ein kirchliches
Gegenstück einer dadurch zu verbannenden Volkssitte zu denken
sein. Der Name Ostermann, (o. S. 505) ist einfach der Zeit der
Festfeier entlehnt, «wie Maikönig, Mai, Maja u. s. w., ebenso die
Benennung als Fasching (o. S. 499), wol auch E^upalo (S. 514).
Sobald man die eigentliche symbolische Bedeutung des Hergangs
nicht mehr verstand, und die active Prokreation in Abwehr der
das Wachstum hindernden schädlichen Einflüsse (Lustration) um-
deutete, war es natürlich, die Verbrennung als Vernichtung auf-
zufassen,^ und deshalb die verbrannte Figur auf ein den Menschen,
Tieren und Pflanzen feindliches Wesen (Tod resp. Winter, Hexe,
Pest, Cholera) zu (feuten. Doch weisen, wie es scheint, emzehie
Spuren noch auf die ältere Vorstellung^ so die Verbrennung
des Erbsenbärs, der Vegetationsdämon ist (o. S. 499), des ans
1) Ein dem nordischen Freyr entsprechender deutscher Pro ist unbe-
wiesen, ihn aus jenem Priap des Notfeuers zu schließen, wäre leichtsinnig
und die Göttin Ostara ist, wie schon o. S. 505 erwähnt wurde, schwerlieh
etwas anderes als eine etymologische Conjectur Bedas.
2) Der unumstößliche Beweis, daß diese Verbrennung wirklich nicht
Vernichtung bedeutete, sondern nur eine unbeholfene Verbildlichung des Hin-
durchpassierens durch die Sommerhitze war, ergiebt sich wie mir scheint aas
den Gebräuchen des Pflugziehens am Ende dieses Abschnitts.
SchlQffolgenmgen ttb. d. ßedeut. d. Frühlings- u. Mittsommerfeners. 523
nnansgedroschenem Korne gefertigten Mannes (o. S. 499), des
ganz in Blumen gehttllten, also ein sommerliches Wesen
darstellenden Engelmannes (S. 514), des auf dem Baume befestig-
ten Strohmanns, des neben dem Baume vor eine reiche Tafel
gesetzten Kupalo (o. S. 514). Der in Paris verbrannte, aus
Beisem gefertigte g6ant de la rue aux Ours (o. S. 518) erinnert
an die Beisergestelle unserer Laubmänner, Pfingstlttmmel u. s. w.,
denen sich das mit grtlnen Blättern bedeckte Beisergestell jenes
Johannisbrauches aus Luchon (o. S. 515) noch mehr nähert.^
Wir wagen aus dem allen den Schluß zu ziehen, daß man einst
die Puppe im Frühlings- resp. Mittsommerfeuer als Yergegen-
1) Zunächst entspricht diese im Mittsommerfcaer verbrannte 18 Fuß
hohe Puppe aus Flechtwerk in Isle de France augenscheinlich den zu Fast-
nacht oder an einem andern Tage des Oamevals in Prozession einhergeführten
„enormes mannesquins d*osier" in Belgien und französisch Flandern, die
unter der Bezeichnung reusjes, geants fast in jeder Gemeinde hergebracht
sind. Sie fähren sehr verschiedene Sondernamen, z. B. de Bens (Antwerpen),
Mevrouw van Amazonie (Courtrai), Goliath (Ath), Ommegan (Brüssel), Lange
Man (Hasselt). Mme Clement fötes historiques II, 250 — 52. De Cousse-
macre chants pop. p. 141. Beinsberg-Dürlngsfeld, Calendrier Beige 1, 123—26.
In Dünkirchen war der Biese 40 — 50 Fuß hoch aus Eorbgeflecht und Segel-
tuch hergestellt, mehrere Menschen befanden sich in seinem Innern und
bewegten ihn von der Stelle. Zu Douai hat der Umzug an dem dem 7. Juli
zunächst liegenden Sonntage statt. Eine Figur von 24 — 30' Hohe aus
Weidengeflecht (mannequln d*osier) „le ga'ianf genannt, durch eine An-
zahl darin eingeschlossener Menschen (renfermös dans la machihe) mit Hilfe
von Wellen nnd Stricken in Bewegung gesetzt, bewegt sich langsam durch
die Straßen. Ihr Kopf aus Holz soll von Bubens geschnitzt und gemalt sein ;
sie trägt die ritterliche Bewaffnung, Lanze, Schwert, Helm und Schild.
Hinter dem Biesen (le colosse galant) gehen sein Weib mit einer Taille von
18' Umfang und seine 15' hohen Kinder Jacot, Filliou und Binbin, Weiden-
figuren nach demselben Prinzipe construiert. De Nore, coutumes mythes et
traditions p. 323. Eine eigentümliche Form dieses Umzuges war wol die
Prozession der Schmiedstubenzunft in Zürich am Hirsmontage «Montage nach
Aschermittwoch). Mit Wehr und Waifen angetan und mit klingendem Spiele
trugen sie einen Korb herum, in dem 'die Figur eines Mannes steckte
und warfen denselben schließlich in den Brunnen des Zunft-
hauses (Vemaleken, Alpensagen, Wien 1858- S. 364, 30.) Hier vertritt der
Korb das Beisergestell , die Hinabwerfnng ins Wasser ist deutlich Begen-
zanber, die Figur wird ehedem aus dem Brunnen herausgezogen und schließ-
lich verbrannt sein, wie kam sonst die Zunft der Feuerarbeiter dazu,
sich diese uralte Sitte anzueignen? Hirsmontag ist der Tag nach Funken-
sonntag. Vgl. o. S. 500 ff.
524 Kapitel VI. Vegetationsgeister: Sonnenzanber.
wärtignng des das Sonnenfener passierenden Yegetationsdämons
zu verbrennen pflegte. Wenn nun (nach S. 177 flF.) der ver-
brannte Baum dem Maibaume gleichsteht, wenn gerade so wie
hier der im Maibaume lebendige Genius nicht allein durch eine
an demselben angebrachte Figur (o. 8. 210), sondern anderswo
auch durch einen neben ihm hergehenden ganz in Laub gehüllten
oder in einem ßeisergestell steckenden Menschen (o. S. 312 ff.)
dargestellt wird, wenn (nach S. 180) der im Sonnwendfeuer ver-
brannte Maibaum durch einen den holzeinsammelnden Knaben
voraufgetragenen geputzten Baum ersetzt wird,^ wenn endlich
dem entsprechend die Anzttndung des Johannisfeuers durch die
jUngstverheiratete Ehefrau sich als Abschwächung ihres Sprunges
durch die Glut ergab (o. S. 494), so wird der nachstehende
österreichisch -bairische Brauch als eine abgeleitete oder
jüngere Form für die Verbrennung des Laubmeiers
oder Pfingstl, jenen in grüne Zweige gebundenen,
oder in ein grünbekleidetes Reisergestell gesteck-
ten Vertreter des Wachstumsgeistes verständlich. Zu
Wolfeck im Erzherzogtum Oestreich geht am Sonnwendtage ein
ganz in grüne Tannenreiser gehüllter, etwa zwölf-
jähriger Knabe unter zahlreicher lärmender Begleitung von Haus
zu Hause und sammelt die Scheiter zum Feuer mit den Worten :
Waldbäume will ich.
Trink 'ne saure Milich,
Bier und Wein,
Da kann der Waldmann schön brav lustig sein.*
Auch auf den Höhen des Jura in Mittelfranken führen die
Holzeinsammler vor Anzündung des Sibetsfeuers einen
ihrer Kameraden vom Kopf bis zur Sohle in Fichten-
zweige vermummt an einem Stricke durch das ganze Dorf.'
In Moosheim (Würtemberg) wurde am zweiten Sonntage nach
Johannis das Sante Hans Segensfeuer von einem aus dem
Walde herkommenden, in Laub und Beisig gehüllten
Burschen (der den später zu erklärenden Namen Mooskuh
führte) ausgelöscht, indem er mit seinen Füßen es zer-
1) So in Anspach, Hallstadt in Oberfranken u. s. w. Panzer I, 217. 219.
2) Baumgarten, das Jähr und seine Tage. Linz 1860. S. 27.
3) Bavaria, Mittelfranken. S. 956.
Ein altgftllisches Jahresfeuer. ^525
trat^ Dieses Austreten des Feuers ist ein deutlicher Ueberrest
«
ehemaligen Hindurchgehens durch oder über die Kohlen.
§ 9. Ein altgallisehes Jahresfeuer. Da bei verschiede-
nen asiatischen und europäischen Völkern (Phöniker, Altpreußen,
Litauer u. s. w.) Menschenopfer durch Feuertod nachweisbar sind,
und da wir lebende Tiere im Johannisfeuer bis in neurere Zeit
verbrannt sehen (o. S. 515 ff.), ist die Frage nicht müßig, ob es
eine Zeit gegeben habe, in' welcher der in Laub gehüllte oder
in einem Keisergestelle wandelnde Mann selbst, nicht bloß seine
geflochtene Hülle verbrannt wurde. J. Grimm Myth.* 579 urteilte
über das schottische Maifeuer (o. S. 508), daß der gezwungene
dreimalige Hindurchlauf des dazu durchs Loos Erwählten durch
die Flammen deutlich auf ein Opfer hinweise, welches eine
erzürnte Gottheit gnädig stimmen sollte, an dessen Stelle seiei^
später Tieropfer getreten und endlich nur ein Springen über das
Feuer bei Menschen und Tieren übrig geblieben. Es scheint
mir, als ließe sich ein altes Zeugniß aufbringen, welches die Ver-
brennung einer dem Pfingstl ähnlichen Puppe sammt mensch-
lichem Inhalte mindestens sehr wahrscheinlich zu machen geeignet
ist. Dieses Zeugniß entnehme ich einem fast zweitausend Jahre
alten Berichte über eine Feier der nämlichen Gegend, aus welcher
(o. S. 516) die Verbrennung der laubumwundenen Säule
von Flechtwerk mit Schlangenfüllung nachgewiesen wurde.
Er ist uns nicht mehr unmittelbar, sondern in dreien von ein-
ander abweichenden Auszügen bei Caesar, Diodor und Strabo
erhalten und gehört ursprünglich unzweifelhaft den Historien des
Posidonius an, des bekannten rhodischen Philosophen, der im
Jahre 104 v. Chr. von Massilia aus den den Römern seit etwa
20 Jahren unterworfenen südlichen Teil von Gallien als wissen-
schaftlicher Forschungsreisender besucht und ein nicht unbedeu-
tendes Material naturwissenschaftlicher Beobachtungen geschicht-
licher und sittengeschichtlicher Erkundigungen gesammelt hatte.
Seine Schrift liegt als Hauptquelle der Schilderung von Gallien
sowol bei Strabo (in dem 19 n. Chr. geschriebenen vierten Buche
der Erdbeschreibung) als bei Diodor (in dessen etwas frtlherer
historischer Bibliothek Buch V) zu Grunde.^ Wir stellen zunächst
1) Birlinger II, 121, 146.
2) Cf. Grosskurd Strabos Erdbeschreibung. Berl. 1831. I. p. XVIII, XLI.
Bake, Posidonii Rhodii reliquiae doctrinae Lugd. Bat 1810. p. 153.
526
Kapitel VI. Vegeiationsgeister : Sonnenzauber.
den WorÜaat der Angaben Caesars^ Strabos und Diodors znr
Vergleichnng neben einander^ um sodann den Versuch zu machen,
unter Feststellung ihres literarischen Verhältnisses den durch sie
bezeugten Sachverhalt herauszuschälen.
Caes. B. G. VI. 16.
Nachdem Caesar von
den mit Hinzuziehung
derDruiden durch Privat-
leute dargebrachten Men-
schenopfern bei Krankheit
oder Lebensgefahr gespro-
chen, fährt er fort: Publi-
cequc habent instituta
sacrificia. Alii immani
magnitudine simu-
lacra habent, quorum
contoxta viminibus
membra vivis homini-
bus complent, quibus
succensis circumventi
flamma exanimantur
ho min es. Supplicia
eorum, qui in fnrto aut
latrocinio aut aliqua
noxa sunt comprehensi.
gratiwa diis immortali-
bus esse arbitrantur, sed
cum eiu8 generis copia
deficit, etiam ad innoceo-
tium supplicia descendunt.
Strabo IV. C. 198.
^&vov Sk ovx aviv
^qvidtÜv. xal*aXla ^k
avd'QtoTita&vaiüiv tfjfj X^ye-
TM. Xttl yccQ xaTfTo^evov
Ttvas xal dvearavQOvv
Iv totg i€Qotg xal xara-
axsvdaavTie xoXoaabv
XOQtov xaC ^vltDV ffi'
ßttl6vj€g (fg TovTov ßoaxri-
ficcra xal ^rjQia navTota
xal avd-Qbtnovg (oXoxav-
TOVV,
Str. C. 197.
(Meineke 270.)
Tag Sk (fovixäg SC-
xag fiaXiOTa rourotg (^Qv'i-
^aig) IntTixQantQ dixdCetv,
otav Sk (poga xovxtav J,
fpOQttV xal Ttjg x<^Qag vo-
fi(Cova IV vnaQX^iv.
Diod. V. 32 (41Ö Dindorf).
llxoXov^tig ^k Tj xad^
auTovg dyQioTijTi xtd nfgi
Tag 9^valtt/g ixTOTTwg dae-
ßovat. xovg ydg xaxovQ'
yovg xard mvraiTtiQi^a
(pvXd^avTfg dvaaxoXonl-
Covai ToTg ^cotg. x(ä
afr' äXXtov JioXXoiv dnaQ-
X*ov xaO-ay(Co vai nvQus
nafifiiyi&f ig x«to-
axevdCovT tg, /^»yr«
<U xal ToTg af/^aXc^riu; ui
UgUoig TTQog rag tüv *fwr
Ti/aag, Tivkg <f^ adriSr xa\
tu xoTa noXtfiOV Xritp^ina
Ctpa find Tiov drd-QfOJruf
dnoxT€(vovaiV ij xara xai-
ovaiVy ri Tlaiv dXXatg n-
fxtagfaig d(favit.ovai.
Wir dürfen voraussetzen, daß Caesar, wenn er einem älteren
Berichte auch den Grundriß seiner allgemeinen Schilderung von
Gallien B. G. VI. 13—20 entnahm, bei der Fülle des ihm zu
Gebote stehenden Materiales keine Einzelheiten daraus entliehen
haben wird, welche er nicht entweder ans eigener Erfahrung
verbürgen, oder nach besserem Wissen stillschweigend berichtigen
konnte. Wahrscheinlich also ist seiner Angabe Glauben bei^^u*
messen, daß auch noch zu seiner Zeit (habent, com-
plent) aus Zweigen geflochtene menschenähnliche
Figuren mit Gliedern von übermenschlicher Größe
dazu dienten, Menschen aufzunehmen, welche nach An-
Ein altgallischeü Jahresfeuer. fiS?
attndung des Flechtwerks von unten her, d. h. vermöge eines
darum aufgeschichteten Scheiterhaufens durch Bauch und
Hitze umkamen. Es ist klar, daß diese riesigen Gebilde mit
jener am Johannistage in Luchon verbrannten Säule , mit dem
im Pariser Sonnwendfeuer entflammten ,,mannequin d'osier^^ von
dreifacher MenschengröBe y ^ sodann aber mit den Gestellen Aehn-
Uchkeit haben, in welchen unsere Laubmänner (o. S. 322. 323.
325) einherschreiten , z. B. der Latzmann am Johannistage in
einem etwa 12 Fuß hohen pyramidalen oder kegelförmigen
Lattengestelle, umherwandelt, das ganz mit grünen Tannenreisem
bekleidet ist. Doch erhellt nicht (denn der Wortlaut des latei-
nischen Textes erlaubt beide Auflassungen), ob jede solche Figur
von nur einem Menschen ausgefUUt wurde, wie bei unserni
Pfingstl, oder ob Caesar sagen wollte, daß das Reisergestell jedes-
mal mehrere Menschen, etwa in jedem Gliede einen, aufnehmen
mußte. Mit dieser Nachricht Caesars stehen die parallelen An-
gaben Strabos und Diodors ebensosehr teilweise wirklich oder
scheinbar im Widerspruch, als sie unzweifelhaft dieselbe Sache
bezeichnen sollen und auf dieselbe Grundlage zurückgehen. Für
letzteres spricht außer der allgemeinen Aehnlichkeit des im näm-
lichen Zusammenhange erwähnten Gegenstandes der überein-
stimmende Ausdruck i m m a n i magnitudine simulacra, Kokoaaog,
TivQag nafifieyed^eig; in letztere sehr allgemein gehaltene
Phrase verflüchtigt Diodor die concretere und austlihrlichere Dar-
stellung der verbrannten Kiesenpuppe und ihrer Umgebung in
seiner Vorlage, von deren Wortlaut bei ihm und Strabo noch das
Verbum yt(rvaa'K€vd(^6iv (Str. xaraoyievdaavTag , Dipd. naraanava-
LovTeg) stehen geblieben ist. Daß aber Caesar den Figuren aus-
drücklich aus Baumreisern geflochtene Glieder beilegt,
steht von Strabo ab, der den Biesenkerl aus Holz und Gras,
d. h. doch wol aus einem Gestelle von Latten oder Baumzweigen
1) Schon Liebrecht, Gervasins von Tilbury p. 213 steUt den g^nt de
la rne aux Ours mit Caesars ,, simulacra viminibas contexta" zusammen.
In Bezug auf die Zeit der letzteren Begehung bemerkt er: „daß jenes von
Caesar erwähnte Opfer zu bestimmten Zeiten veranstaltet wurde, lassen
die von ihm hinzugefugten Worte vermuten „„supplicia — descendunt.""
Wo man auch Unschuldige dem Tode preisgab und zwar nur dann, wenn es
an todeswürdigen Verbrechern zur Darbringung des Opfers fehlte, da mniite
dieses ein feststehendes, regelmäßig wiederkehrendes sein."
528 Kapitel VI. Vegetationsgeister : Sonnenzauber.
mit einer Bekleidung von grttnen Kräutern und Wiesenblumen
bestehen läßt. Strabo kann nicht durch Caesar auf seine Angabe
gekommen sein. Entweder also yereinigte die ihnen beiden za
Grunde liegende Quelle die Merkmale der Riesenpuppe, der
(menschenähnlichen) Glieder, des Geflochtenseins, der
Ueberkleidung mit Pflanzen, oder wir werden annehmen
dürfen, daß Caesar hier nach den Ergebnissen seiner Erfahrung
den Ausdruck des Originals verändert und uns dadurch ein
zweites Zeugniß itir den nämlichen Brauch aufbewahrt hat. Wir
begreifen, wie wol es möglich war, daß nach Z^qü und Ort ver-
schieden die kolossale Menschenfigur bald aus Weiden, bald aus
festeren Latten zusammengefügt sein konnte.
Caesar meldet nur die Verbrennung von Menschen; Strabo
sagt, man habe einige Menschen erschossen und (andere?) auf
Pfähle gespießt, (noch andere?) in dem von Gras umkleideten
Holzriesen verbrannt Das letztere Schicksal teilten Weidevieh
(Schafe, Ziegen, Schweine und dgl.) und andere Tiere (Hühner,
Gänse, Katzen?), indem man sie in den Koloß hineinwarf. Dio-
dor hingegen sagt aus, daß man die für «in gewisses, alle 5 Jahre
veranstaltes Opfer bestimmten Menschen (zuerst? teils?) pföble,
und (sodann? teils?) in Gemeinschaft mit vielen andern Erst-
lingen verbrenne {/MO-ayttovai). Unter uaaq/ai (ein characte-
ristischer Ausdruck, der wol aus dem Originale übrig ist) mtLssen
hier unzweifelhaft den Druiden ttbergebene und iUr diesen heiligen
Zweck aufbewahrte Erstlinge der Herde und des Federviehs
verstanden werden, die ßoay,i]f.iaca und jcavcoia i^r^gtu des Strabo.
Ihr Schicksal «war nicht durchgehend bei lebendigem Leibe zu
Asche verbrannt zu werden. Denn Diodor selbst itlhrt im An-
schlüsse an obige Notiz den Gedanken aus: Für gewöhnlich
verwendet man Verbrecher und Erstlinge (der Tiere) zu (diesen)
Opfern; unter Umständen aber (statt dessen) Kriegsgefangene
und zuweilen auch im Kriege erbeutete Tiere, welche sie zugleich
mit den Menschen tödten oder verbrennen, oder auf irgend eine
andere grausame Art aus der Welt schaffen. Da diese Beute-
tiere offenbar Stellvertreter jener anderen liiaQxa! waren, ^ hat
1) Dies bestätigt auch Caesars selbstatändige oder etwas Terftnderte
Notizy B. G. VI, 17. Hnic (Marti) cam proelio dimicare constitaeront, ea
quae bello cepenmt, deuovent; qnae snperaverint animalia capta immolant.
Ein altgalliscbes Jahresfener. 529
man sich auch diese letzteren nicht immer oder nicht sämmtlich
als verbrannt, noch weniger als sammt und sonders in das Riesen-
bild geworfen zu denken; der Originalbericht mußte dies aus-
gedrückt haben; ihrer war darin somit schon früher und nicht
in so enger Beziehung zu dem Kolosse wie bei Strabo gedacht.
Da sich Caesars Schweigen über Tieropfer hinzugesellt, liegt die
Vermutung nicht ferne, daß die Originalaufzeichnung, welche
sowol von Strabo als von Diodor stark ins Kurze gezogen wird,
zwar der Tiere und ihrer Verbrennung gedacht habe, aber nicht
als einer Füllung des menschenähnlichen Lattengehäuses, sondern
als eines notwendigen Stückes der ganzen Darbringung; daß aher
Strabo irrtümlich herauslas, sie seien nicht allein überhaupt
mitverbrannt, nicht allein auf den Scheiterhaufen geworfen, son-
dern auch in die Bildsäule hineingeschleudert worden.
Diodors Erwähnung der xcncovQyol zeigt den engen Zusam-
menhang, in welchem in der Urschrift der Caesarische Satz
„supplicia — descendunt" mit dem Inhalte der vorhergehenden
Periode stand. Sein Ende j, ad innocentium supplicia descendunt^'
entspricht den Worten: x^vtai da xal rölg alxfKxXtoTaig bei
Diodor, der den in der Urschrift ausgedrückten Gegensatz
dadurch abschwächt, daß er die zum Tode verurteilten Verbrecher
hier unerwähnt läßt, weil er sie schon früher genannt hat. Wie
Caesar die Kriegsgefangenen in unschuldige Menschen überhaupt
verallgemeinert, hat er auch den Satz „supplicia gratiora diis
immortalibus esse arbitrantur" an Stelle einer in seiner Quelle
enthaltenen bestimmteren Angabe geschrieben, die ich mit Sicher-
heit in der von Strabo wenige Zeilen weiter nach oben in einen
andern Zusammenhang, in die Aufzählung der Functionen des
Druidenstandes geschobenen Bemerkung erkennen zu dürfen meine,
den Druiden liege auch das Gericht über die Blutschulden ob,
wenn es von diesen eine Fülle (q>0Q(i = große Menge cf. cpoQa
TiQodoTiüv xal dioQodoy,iov Dem. 18, 61) gebe, so glauben sie,
erfolge auch des Landes Fülle (cpoga Fruchtertrag, Gegensatz zu
d(poQia), Im Contexte des Strabo erscheinen diese Worte un-
reliquas res in unnin locnm oonfemnt. Oifenbar wurden nicht alle im
Kampfe erbeuteten lebenden Wesen als Siegesopfer dargebracht, sondern nur
anu^X^^ davon. Es steht nichts im Wege, daß ein weiterer Teil dieser
((TtaQ/af noch bei anderen gottesdienstlichen Begehungen als den Sieges-
festen Verwendung fand.
MannhardL 34
530
Kapitel YL VegetationsgeiRter: Sonnen zanber.
gereimt, an den Blutschulden als solchen konnten die Götter
nicht Gefallen finden. Meinecke wollte vor dem ersten q^o^d^
das tlbrigens durch das zweite (poQd veranlafit und ganz der
gezierten Schreibweise des Posidonius gemäß ist, eine Lflcke
annehmen. 1 In Wirklichkeit sind aber von Strabo nur zwei
ursprünglich nicht zusammengehörige Notizen sehr ungeschickt
mit einander verbunden. Die erstere von beiden, nämlich rag
Ö€ (povixäg dixäg fiahaza Tovroig eTiexiT^itro dixaCeiv^^ ent-
spricht Caesar VI, 13: „nam fere de omnibus controversüs
publicis privatisque constituunt, si qnod est admissum facinus, si
caedes facta, si de haereditate, de finibus controversia est, iidem
decemunt, praemia poenasque constituunt^' etc. Habe nun jener
diese Angabe aus Caesar, oder fand sich dieselbe schon bei
Posidonius, jedenfalls stand sie nicht in unmittelbarem Zusammen-
hange mit dem; folgenden Satze, den Strabo, der die einzelnen
Excerpte aus seiner Vorlage nach neuen Gesichtspunkten bunt
durcheinandermischt, ^ ganz anderswoher, notwendig aber aus
einem Stücke entlehnt haben muß, in welchem von Verbrechern
1) Vindiciae Strabon. p. 44.
2) Soviel ergiebt sofort die Analyse des Kap. IV, 4, 4 — 5 bei Strabo
im Vergleich mit Diodor. Bezeichnen wir bei letzterem in Cap. V, 31 die
Reihenfolge der einzelnen S&tze mit ta, bei Strabo durch beide Capitel mit
a-n, 80 entspricht:
Strabo IV, 4, 4. C. 197.
= Diod. V. «
= Caes. B. G. VI.
a) Drei geehrte Stände , Barden, Weis-
c. 31 (ß)
13
sager (yates), Druiden.
0
cf. Ammian
Marc. Lib. XV.
b) Druiden, Philosophen und Natur-
miß)
14
kundige.
AnimlaB Marc
a. a. 0.
c) Sie haben selbst Kriege gesehlichtet.
31 (0
X
d) Blutschulden zu richten war ihnen
13
übertragen.
'a
e) War von Verbrechern Fülle, so gab
cf. Caes. 16.
es reichen Fruchtertrag.
•
f) Unsterblichkeit der Seelen und
Ammian Marc.
Eschatologie.
a. a. 0.
cf. Caes. 14.
Ein altgallisches Jahresfener.
531
die Rede war. Da dies nur noch an einer zweiten Stelle der
Fall ist, ergiebt sieh folgerichtig für die fragliche Angabe folgen-
der Platz im Gedankengange des Originals. Fttr das große zu
gewissen Zeiten zu veranstaltende Opferfest spart man
die zom Tode verurteilten Verbrecher auf. Wenn von solchen
Verbrechern eine große Zahl da ist, so glaubt man
(vo/niCovai Str., arbitrantur Caes.), daß auch des Landes
Ertrag groß sein werde. (Nicht sowo) von der Zahl der
Griminalfälle, als der Menge der Opfer hängt hiemach die Menge
der Frtlchte ab.) Wenn aber keine Fttlle vorhanden ist,
greift man zu Kriegsgefangenen. Es ist leicht einzusehen,
wie genau sich Caesar („cum eins generis copia deficit '') an das
fast gleichlautende (pogd des Posidonius anschließt. Auch das
geht wol ans Diodor hervor, daß der ursprüngliche Bericht-
erstatter, des Posidonius römischer Gastfreund oder er selbst die
beschriebene Kultushandlung auf einem großen von 5 zu 5 Jahren
wiederholten Opferfeste sah.
Waren unsere Beobachtungen und Schlüsse zutreffend, so
werden wir als ausgemacht bezeichnen dürfen, daß bei dieser
Gelegenheit aus Weiden geflochtene Menschenbilder
von mehr als Lebensgröße, in denen lebende Men-
schen steckten, verbrannt wurden, daß zugleich andere
Menschen und außerdem Tiere gepfählt, erschossen und vielleicht
Strabo IV, 4, 6. C. 197.
= Diod. V. =
= Caes. B. G. VI.
g) Gharacter der Gallier Prablsacht
31 («)
und Pntzliebe.
h) Goldene Hals- und Armbänder.
27
i) Buntgeförbte I [leider.
30
•
k) Köpfe der erschlagenen Feinde.
29
1) Weissagung bei Opfern.
31 (r)
.
m) Sie opfern niemals ohne Druiden.
31 (.F)
cf. Caes. 16.
n) Menschenopfer.
32
Aus dieser Zusammenstellung geht mit Sicherheit hervor, daß Str.:
C d, e den alten Zusammenhang b f unterbrochen, mit Wahrscheinlichkeit,
duß Str. e mit c nach m, mithin unmittelbar in die Nähe von n hingehört
habe.
34*
532 Kapitel YI. V egctatioDSgeiBter : Sonnenzanber.
auch auf demselben Scheiterhaufen mit verbrannt sind. Von
der Zahl dieser Opfer hing vermeintlich die Frucht-
barkeit des Landes (wol in dem folgenden vierjährigen Zeit-
räume) ab.
Unentschieden muß es bleiben^ ob einer oder mehrere Men-
schen, vielleicht gar Tiere in dem Beisergesteile steckten.
Caesars Ausdruck ,,deren Glieder sie ausfttllen^^ (com-
plent), würde ehei: auf die Weise unserer Laubmänner raten
lassen, so daß ein einzelner Mensch mit seinen Gliedern in den
entsprechenden Gliedern der Figur darinsteckte,^) wenn nicht
die ,,copia^^ im folgenden Satze wieder auf eine gleichzeitige
Vielheit von Menschenopfern hinwiese. Aber Caesar könnte darin
bei fluchtigem Auszuge aus Posidonius die Gepfählten und Er-
schossenen ndt einbegrifiPen haben, welche nach Strabo außerhalb
des Weidenmannes mitverbrannt wurden.
Mag nun diese Sache sich verhalten haben wie sie wolle,
so scheint mir die von Posidonius geschilderte Sitte im Zusam-
menhange mit unseren Oster- oder Johannisfeuem zu stehen;
mit anderen Worten die Feuerweihe des Vegetationsdämons oder
der Vegetationsdämonen bezeichnet zu haben. Falls die mit
grünem Kraute umhüllte zur Vermehrung des Feldertrags (fpo^d
Xitigag) verbrannte, sicher nicht bedeutungslose Riesengestalt aus
Baumzweigen nur einen Menschen enthielt, wird derselbe die ihr,
d. h. dem Baumwuchse, den Kräutern innewohnende Seele zu
bezeichnen bestimmt gewesen sein ; falls sie aber wirklich mehrere
Menschen barg, wird sie dennoch nur ein Wesen dargestellt
haben. Die Mehrheit oder Vielheit der Insassen kann dabei auf
verschiedene Weise erklärt werden. Entweder sollten dieselben
durch Vervielfältigung (Multiplication) der Menschenseele ver-
1^ Es ist schwierig, von der technischen Herstellung des Gestelles eine
Vorstellnng za gewinnen, wenn dasselbe etwa eine Figur mit ausgestreckten
Armen und gespreizten Beinen gebildet hätte, die ssur Aufnahme mehrerer
Menschen bestimmt waren. Wie hätten die Glieder ohne St&tze die Last
ertragen? Lag der Mensch horizontal darin? Oder waren die Arme z. B.
so groß; daß mehrere Menschen darin sitzen konnten? Wie riesig, der Bava-
ria in München ähnlich, hätte dann der Koloß sein müssen? Und war es
dann noch aus Korbgeflecht möglich? Verzichtete man freilich auf wol-
gestaltete Beine, nahm man Stützen zu Hilfe, so konnten immerhin nach
Art jener niederländischen Riesenbilder in Füßen oder Rumpf mehrere Men-
schen verborgen sein.
Ein altgallisches Jahresfener. 533
gleichsweise die Macht, Stärke nnd Ueberlegenheit der Seele des
Dämons ausdrücken ^ oder sie gründen sich auf die Anschauung
von einer Mehrheit in einem Leibe wohnender Seelen (o. S. 25).
In beiden Fällen würden selbst die nach Strabo in den Koloß
hineingeworfenen Tiere hinzupassen. Die Frage, ob die außer-
halb des Riesenkerls verbrannten Menschen und Tiere etwa die
nämliche oder ähnliche symbolische Bedeutung hatten, werden
wir im späteren Verlaufe unserer Untersuchungen mit mehr Erfolg
als augenblicklich verhandeln können. Bemerkt darf jedoch
werden, daß die Gepfählten, welche Strabo und Diodor erwähnen,
an jene Puppen auf den im Frühlingsfeuer verbrannten Bäumen
(o. S. 497 flF.) erinnern, und daß die Katzen, Füchse, Hühner u.s.w.,
welche wir im Johannisfeuer u. s. w. verbrannt sehen, sich
weiterhin als Repräsentanten von Komdämonen erweisen werden.
Daß der nämlidfie Gedanke durch die in der Riesenfigur
Eingeschlossenen und durch die nebenher Gepfählten doppelt
pder mehrfach dargestellt wäre, dieser Pleonasmus dürfte uns
nicht Wunder nehmen, da die Frühlings- und Emtegebräuche
tausendfach die Erfahrung bestätigen, daß von verschiedenen
Orten her verschiedene Formen eines und des nämlichen Brauches
zu emer Begehung zusammenflössen und zwar um so gewisser,
je mehr die letztere eine besonders feierliche und prächtige wird.
Das war aber hier der Fall, denn augenscheinlich nur wegen
der vorzüglich reichen und kostspieligen Ausstattung des viel-
leicht von einer ganzen Eidgenossenschaft mehrerer Stämme
gefeierten Festes war die Feier aus einer jährlichen zu einer
pentaeterischen geworden. Analogien bieten die bisher erläuter-
ten Bräuche in Fülle. Der ursprüngliche Ausritt des Maigrafen
fand in Hildesheim später nur jedes siebente Jahr statt (oben
S. 375); der Pfingstritt in Wurmlingen alle 2 — 3 Jahre
(o. S. 350),* die Questenberger Eiche (Maibaum) wird alle 7 Jahre
aufgerichtet (o. S. 175).* Um Königinhof wird der anderswo jähr-
lich beim Erntefest, zu Fastnacht oder zur Kirchweihe geübte
„Hahnschlag'' mit besonderem Glänze, aber nur alle 5 Jahre
begangen,^ das zu einer von Tausenden fremder Zuschauer
1) Papst, Fest des Maigrafen. S. 43. Meier 419, 101.
2) Reimann, D. Volksfeste. S. 250.
3) VernalekeD, Mythen und Bräuche, 805.
534 Kapitel VI. Yeg^etationsgeiater : Sonnenzanber.
besuchten Schaustellung herangewachsene^ sehr verschiedene Mai-
ond sonstige FrUhlingsgebräuohe in sich vereinigende Pflugfest
zu Hol! jedes siebente Jahr veranstaltet. Zu Greven müssen die
jungen Ehepaare zu Fastnacht alle vier Jahre in den Wasser-
kttbel springen (o. S. 491). Man braucht nicht auf das nahe-
liegende Beispiel des Oberammergauer Passionsspiels zurtlckzu-
greifen , oder auf die böotischen Daedalen y welche alle 7 Jahre
gefeiert wurden, obwohl sie die jährliche Brautschaft des Zeus
mit der Hera versinnbildlichten , um gewiA zu werden , daß ein
ganz analoger ; in der Natur der Dinge liegender Vorgang
auch schon vor Posidonius' Zeit in Gallien stattgefunden haben
konnte.
Der Kulturzustand Galliens zur Zeit des Posidonius weist
eine Mischung roher Barbarei und nicht unbedeutender Ansätze
der Bildung auf Unmöglich konnte in diesem Zeitalter begin-
nender Aufklärung das beschriebene Menschenopfer entstanden
sein, vielmehr ragt es selbst als ein wahrscheinlich schon damals
nicht mehr recht verständlicher Rest einer noch älteren Welt-
anschauung der Gallier in die Periode des Marius hinein.
Aus dem Dämmerscheine, in den für unsere Augen die
Einzelheiten dieses keltischen Ritus gehüllt bleiben, führe ich
meine Leser zurück in den hellen Tag noch lebender oder
unlängst ausgestorbener Bräuche. Unsere Frühlings- und Mitt-
sommerfeuer bieten der Betrachtung so manche fruchtbare Einzel-
heiten dar, daß eine eingehende monographische Behandlung sehr
erwünscht wäre. Wir müssen Vieles bei Seite lassen , z. B. die
eingehende Erörterung der in die Flammen geworfenen Eräuter,
sowie das dem Johannisfeuer häufig zugesellte, oft auch ftlr sich
auftretende Johannisbad in Bach, Strom oder Meer (Myth.* 555 ff.
Wolf, Beitr. II, 392. 394), das wir gleich dem Begießen zu Ostern
(o. S. 259) als Regenzauber auffassen würden, wenn nicht die
weite bis nach Afrika hinreichende Verbreitung dieser Sitte in
sehr früher Zeit zu vorsichtigem Urteil mahnte.
§ 10. Faekellanf Aber die Kornfelder. Nur einige
Ergänzungen zu den bereits behandelten Eigenschaften der Lenz-
und Sonnwendfeuer sollen an dierer Stelle Platz finden. Aus
unseren Zusammenstellungen geht mit unwiderleglicher Sicherheit
hervor, daß ein Fackelzug zu den wesentlichen Bestandteilen
aller Arten unserer Jahresfeuer gehörte. Entweder zog man
Fackellanf über die Kornfelder. 535
schon mit flammenden Fackeln auf die Anhöhe , wo das große
Frühlings- oder Sonnwendfener entloht wurde, oder man zündete
sie erstoben in demselben an, tanzte tobend nnd mit exsta-
tischen Sprüngen rings umher und lief dann talwärts
durch die Gesammtheit der zum Anbau dienenden Fel-
der (den Eschy Oesch, goth. atisks, ahd. ezzisc, bei Notker ,,der
heilego ezesg'^ Gram. II, 373). Vielfach wurde nicht mehr auf
Berggipfeln, sondern auf den Ackern selbst das Feuer entloht;
oder die ganze Begehung schrumpfte auf den Umlauf mit den
Bränden durch die Saatfelder zusammen. Vorzugsweise trat dies
bei den Feuern am Sonntage nach Fasten ein. Auf diese Weise
erlangten losgerissene Stücke des alten Brauches eine individuelle
Selbstständigkeit: oft vielleicht nicht anders als scheinbar, inso-
fern nur die Berichte der übrigen Bestandteile der Sitte
geschweigen. Es frommt, diese Verhältnisse nach Anleitung der
nachstehenden Tatsachen klar zu durchschauen.
Um Rottweil wurde am weißen Sonntage (Invocavit) im
Winterösch ein Feuer angezündet, um der Saat Gedeihen zu
erflehen und unter lautem Abbeten des Bosenkranzes umher-
gelaufen; nachher zündete man Stangen mit Strohzöpfen an,
schwang sie und sprang über das Feuer. Dann erbettelten die
Buben von Haus zu Hause Victualien. ^ In Wurmlingen dagegen
zogen die Knaben mit schon brennenden Fackeln (aus Stroh
inwendig Späne oder aus Holz von ungeheurer Länge und mit
Harz bestrichen) bei einbrechender Nacht auf den angebltbnten
Oesch hinaus, um die eben aufkeimende Saat den Sommer
hindurch vor Blitz und Hagel zu schützen.^ Noch in vie-
len anderen schwäbischen Orten ist diese Fackelprozession auf
den Kornösch, das mit lautem Jubelgeschrei bewerkstelligte
Auf- und Abziehen im Fruchtfelde, wo häufig so eben
erst der Schnee zu schmelzen beginnt, und schließlich die
Einforderung einer Steuer von Speck und Eiern dafür üblich
und führt den Namen der Fackelgang, das Saatleuchten
oder Samen zun den („der Same wird gezündet"). In benach-
barten Orten tritt dafür ein Fackelgang auf die an die Dörfer
grenzenden Höhen ein. Jene Namen sagen deutlich Zweck und
1) ßirlinger II, 109, 134.
2) Birlinger U, 108, 133.
536 Kapitel VI. Yegetationsgeister: Sonnenzanber.
Meinang der Ceremonie ans, die jedesfalls nicht, wie das schwär
bische Volk glaubt, aus einer Nachahmung der Gefangennahme
Jesu auf dem Oelberge entstand. Wir werden kaum irre gehen,
wenn wir annehmen, daß die wild geschwungenen, mehrfach
durch die Luft geworfenen Fackeln die Blitze darstellen
sollten, von denen man meinte, daß sie in segenbringender Form
auftretend der Pflanzenwelt den Lebensfunken mitteilen, während
ihre verderbenbringende Form im Unwetter die Saaten yernich-
tend niederfährt. Wie der Donnerkeil auf dem Heerde den Blitz
vom Hause abhalten soll (similia similibus), gelten daher auch
die den Blitz sinnbildlich darstellenden angekohlten Scheite oder
Fackelstumpfe ins Feld oder unter das Dach gesteckt als Amu-
lette gegen vernichtenden Wetterschlag und Hagelschlossen. In
Frankreich war der Sonntag Invocavit von seinem Fackelumzoge
le jour des brandons schon a. 1222 dominica brandonum,
oder kurzweg brandones benannt, wie sich dafür 1254 in Lothringen
der Name burae, 1251 dies focorum belegen läßt' Im Jura
laufen die Kinder bei anbrechender Nacht mit Strohfackeln
über Berge und Felder, indem sie rufen: „plus de fruits que
de feuilles.'^ In Loire et Cher glauben die Bauern die Feld-
mäuse, in anderen Gegenden die Maulwürfe, das Unkraut und
den Mehltau fernzuhalten, indem sie mit brennenden Fackeln
über die eingesäten Felder laufen; in der Champagne tun das
wieder die Knaben, aber die Alten machen von dieser Ceremonie
ihre Beruhigung über den Ausfall der Obst- und Kornernte ab-
hängig. In Yalenciennes rannten die Buben mit Pechfackeln,
„bouhours^^ genannt, durch die Straßen und sangen:
Bour peumes poires (d. i. beurre, pommes)
Des cerises noiresi u. b. w.^
Daß auch in Frankreich diese Fackelumgänge nur Ablösungen
des vollständigeren Brauches waren, geht nicht allein aus älteren
Zeugnissen, noch aus noch heute erhaltenen vollständigeren
Begehungen, welche an diesem Tage das Fackelschwingen,
1) BirliDger n, 65, 76. 71, 83. 72, 85.
2) Du Gange ed. Henschel s. v. v.
3) Mad. Clement, histoire des fetes da D6p. du Nord. Paris 1834.
p. 350 ff. Wolf, Beitr. 1, 76. Thiers, Traite des Superstitions. Paris 1697.
bei Liebrecht, Gervasius von Tilbury 229, 118.
Fackellauf Ober die Kornfelder. 537
das Scheibenwerfen and jene Proklamiernng der
Liebespaare (Valentins und Valentinen) mit einem großen
Preudenfeuer vereinigen (s. o. S. 456)/ sondern auch aus
den Reimen hervor, die anderswo z. B. bei Chartres bei der
Umtragung der Strohfackehi durch die Saatfelder gesungen wer-
den,* Verse, welche deutlich auf die dem Valentinbrauche zu
Grunde liegende Vorstellung der Lenzbuhlschaft hinweisen.
Diesen Fastnachtsgebräuchen stellen sich Begehungen der
Weihnachtszeit zur Seite. In einigen Communen der Normandie
laufen die jungen Bauern am h. Dreikönigsabende mit Stroh-
fackeln durch die Felder und rings um die Hofstötten. Im D^p.
de rOme, wo der Brauch coulines^ heißt, durchläuft man vor-
zugsweise die mit Bim- und Apfelbäumen bepflanzten Gründe,
umkreist jeden Baum, brennt ihm mit der Fackel das Moos ab
und ruft:
1) S. dn Gange s. v. y. Brandones, bnrae. Lit. remiss. ann. 1395:
CoiDine ü seit de coustume en la ville de Jangcs et an pais d*envlron de
faire chaciin an le jour des brandons apres sonpper fenx ausqnelz les bonnes
gens ont accoustnme d'enlz assembler, dancier et les jeones vailes et enfans
a santer par-dessns icenlx fenx , qnant il sont appetissiez. Ann. 1414 : Comme
il est acconstnme cbascnn an le Dimanche des Brandons faire esbatements
et dances environ le soir et avoir des faloz a bonchons de fenrre bontez en
nn baston et mettre le fen deden en les appellant les brandons. Za
Obrechies in franz. Flandern ist der Fackellanf darch die Felder mit einem
großen Fener von Stroh verbunden „nomme el feuren on fenx henreux,
usage anqnel les parents enx memes attachent des idees de prosperite.
Anch in französischen Gegenden steckte man Brände vom großen Frenden-
fener des jour des brandons in die Gärten, um ihr Gedeihen zu fördern und
große Zwiebeln zu erzielen. Thiers a. a. 0. 231, 149.
2) Brandons bmlez
Pour les filles a marier.
Memoires de Tacadeniie celtique IV, 242. Anderswo:
Brandeions bmlez
Par ces vignes, par ces bles!
Brandeions bmlez
* Ponr ces filles a marier!
Darauf schreit man: Mais les vieilles n^en auront pas. Memoires des
antiquaires I, 237.
3) Von couler, fließen, herablaufen, herunterrollen, kullern. Man rollte
dabei wol auch flammende Räder von den Anhöhen und daher der Name,
der jetzt den ,; brandons" zukommt.
538 Kapitel VI. Yegetationsgeister: Sonnenzanber.
Tanpes ei mnlots, sortez de mon enclos,
On je Yons brülerai la barbe et les os.
Bon jour, les rois, jusqu" a donze mois.
Douze mois passes, rois revenez.
Charge pommier, Charge poirier!
A chaqne petite branchette,
Tout plein ma grande ponchette.
Sind die meisten Fackeln (coulines) niedergebrannt , so vereinigt
man die ttbrigen zu einem gemeinsamen stürmischen
Laufe fon^e^ oder bonrgael^e, den ein paar Pater noster, die
Wiederholung jenes Sanges und der Ruf ,, Adieu, les rois!
beschließen.* Am Abende des nämlichen Tages (on the eve of
twelfth-day) versammelt in Gloucestershire an der Grenze von
Worcestershirey ebenso in Herefordshire jeder Farmer seine
Dienstiente und Freunde auf einem mit Winterweizen besäten
Felde, auf dem die grttne Saat zu sprossen beginnt (where
wheate is growing). Dort zünden sie auf der höchsten Stelle des
Ackers zwölf kleine Feuer und ein großes an, welches alle, der
Gutsherr an der Spitze, im Kreise umringen ,• nach Herzenslust
Apfelwein trinkend und in lautes gemeinsames Jubelgeschrei und
Hailohrufe ausbrechend, die oft von 50 — 60 Feuern her durch
die Arbeiter der benachbarten Dörfer und Felder beantwortet
werden. Nach Hause zurückgekehrt, trinkt man allen Pflugoch-
sen im Stalle zu , und spießt dem Hauptochsen einen durchlöcher-
ten Kuchen feierlich auf das Hom. Diese Begehung heißt
wassailing, d. h. das Gut -Heil wünschen;' der dem Ochsen auf-
gesetzte Kuchen bezeichnet sichtlich die Fruchtbarkeit des von
ihm bestellten oder zu bestellenden Ackers. Man vgl. nur die
bereits oben S. 313 beigebrachte russische Sitte des St. Geoi^-
tages, wonach ein ganz in Grün gekleideter Jüngling
dicFackel schwingend auf demKopfe einen runden,
1) „fou^e eine Art zn jagen des Nachts bei hellem Feuer längst dem
Gehege."
2) De Nore p. 253. Cf. Mercnre Fran?. ann. 1740 Febr. p. 266 April
p. 660 bei Da Cango s. o. flambard.
3) Brand ed. EUis 1 , 30. 33. Meistenteils bestand das „Watsail /*
„Wassailing" nur darin, daß man den Obstbäumen im Garten zutrank mit
der Aufforderung, viele Fruchte zu bringen. (Brand a. a. 0. I, 29 fr.) zuwei-
len aber war damit auch der Schlag mit der Lebensrute verbunden
(0. S. 276).
Fackellauf Aber die Kornfelder. &39
blumengeschmllckteii Kuchen anf die besäte Flur
trägt, wo man den Enchen in die Erde legt, ein
großes Fener anzttndet und umhertanzt. Jetzt wird uns
wol auch die Bedeutung der runden, durchlöcherten Kuchen
(Funkenringe) klar, welche in Schwaben am Invocavitsonntage
jedes Mädchen ihrem Liebhaber , resp. Scheibenschläger zu geben
gehalten ist. Wenn jener russische Georgstagsgebrauch und die
englische Epiphaniassitte nicht christlichen Ursprungs sind, so
müssen die nachstehenden kirchlichen Sitten um so entschiedener
als priesterliche Umänderungen älterer Volksgebräuche betrachtet
werden. In Ca^n liefen die Kinder am Weihnachtsabende mit
Feuerbränden und bunten Laternen durch die Straßen und riefen:
Adieu No^'l, Nofel s'en va. — „Flambard (fax taeda) voeant
Drocenses lignum fumo cortice avulso exsiccatum atque ad medium
usque fissum, quod in vigilia Natalis Domini clerus populusque
deferunt circa forum tectum eiusdem civitatis, suppHcantium
ordine quamvis festinanter procedentes ad ecclesiam, ante cuius
portam projiciuntur hujusmodi faces, ubi absumuntur clero decan-
tante hymnum „veni redemptor gentium '' et populo clamante:
N06I." »
Italiänische Sitte war es, die Lenzpaare beim Märzfeuer
(0. S. 455), in der Nacht zum 1. März auszurufen. Auch in fran-
zösischen Orten geschah es bisweilen am ersten Sonntage im
März. Dem entspricht, daß nach Thiers in manchen Gegenden
Frankreichs, nach Polydorus Virgilius auch in Umbrien die Kin-
der am 1. März mit Bränden durch die Felder rennen der
Befruchtung halber.' In Wälsch - Tirol (Lusema) zündet man
am letzten Sonntage im März Reisig und Strohbüschel auf hohen
Stangen an, während die Kinder mit Schellen und
Glocken läuten und schreien zum Jubel, daß der Winter
1) Du CaDge s. v. NoSl. Ganz abgeschliffen, wo nicht ganz nnab-
hängig vom praktischen Bedürfhisse geschaffen ist der schwedische Brnach,
mit riesigen, bis 12' langen Fackeln (Jula-tannar von t&nda anzün-
den genannt) am Weihnachtsabende znr Kirche zn ziehen nnd dieselben vor
der Kirchtüre anf einen Scheiterhaufen zasammenznwerfen. Uylt^n-Caval-
lins, Yärend I, 160. 296. Odman, Hagkomster fran Hembygden. üpsala
1830 p. 25 bei Liebrecht Gervasius p. 58.
2) Thiers a. a. 0. 233, 159. Foljdor Yergilins de inventione reram ¥,2.
540 Kapitel VI. Vegetationsgeister: Sonnenzanber.
Yorttber ist. Man heißt diese Flamm^i Märzenfeuer.^ Die
Knaben der YU. Communi zünden am letzten Februar oder
1. März auf einer Anhöhe Haufen von Holz und Stroh an,
springen mit Schellen in der Hand umher und rufen
durch die Gassen ziehend: Merzo, Merzo^ du pist da, schella,
sehella kttme, de kapütsen saint garivet.^
§ 11. Eoruaufwecken, Perchtelsprlngen , Fasehlngsum-
Uafe. Hier sehen wir einen neuen Zug in den Brauch eintre-
ten, bei dem Umzüge über die Felder wird mit Glocken
geläutet. Mit dem Feuer- oder Fackellaufe verbunden tritt
dieser Zug noch an mehreren Orten auf, an anderen nimmt er
selbstständig die Stelle des Fackellaufes ein. Zu Ulten rollt man
In den letzten Faschingstagen brennende Reisig- oder Strohbfln-
del über die Saatfelder hinab und nennt dies das Komaufweeken.
In Proveis zttnden die älteren Buben am Kässonntage (Invocavit)
auf Wiesen und Aeckern große Feuer an und schießen mit Büch-
sen und Pistolen, indeß die kleineren mit Schellen und Glocken
„das Korn aufwecken,'' indem sie klingelnd und schreiend wie
rasend durch die Felder laufen. Im Unterinntal „läuten^' die
Buben am 24. April „das Gras au s/^ d.h. sie läuten, damit
das Gras herauskomme, indem sie paarweise geordnet mit Schel-
len, Kuh- und Dachglocken unter schallendem Geläute auf die
DorfQuren ziehen; rückkehrend erhalten sie bei manchem Hause,
dessen Felder vom Zuge berührt wurden, Brod, Butter, Käse
oder Geld. Mehrere Masken, der starke Melker, der berußte
Wurzengräber , der Hudler (vgl. o. S. 269) sind im Zuge. In
einigen Orten des Pinzgaus und Unterinntals hat das „Gras-
ausläuten'^ am ersten Mai statt. Im Vinstgau behängen sich
die Knaben schon zu Petri Stuhlfeier (22. Februar) mit großen
Schellen und Kuhglocken und läuten nach lärmendem Um-
laufe durchs Dorf' vor allen Häusern. Dies heißt „den Langas
(Lenz) wecken,^^^ Zu Castasegna im Bergell an der lombardi-
schen Grenze ist es regelrecht wieder der erste März, der
1) Zingerle, Sitten« 143, 1243.
2) Schmeller, W. B.» 732.
3) Zingerle, Sitten* 137,1202. 141,1227. 144,1233. 154,1310. 133,
1183. Zs. f. D. Myth. I, 287. H, 360, 6. III, 339. Alpenburg, Mythen
S. 351 „Das Frühlings wecken." Vgh L. v. Hörmann, der heber gät in litun.
Innsbruck 1873. S. 47, 131—134; S. 44, 121.
Eornauf wecken , PerchtelspriDgen, Faschingsumlätife. 541
Tag der Märzfeaer und des Fackellaufes , sowie des römischen
Jahresanfanges (vgl. o. S. 455. 593), an dem alle Knaben mit
papiemen OfSziershüten geschmückt in militärischer Ordnung das
Dorf unter Anfllhrung eines Hornbläsers und eines Trommel-
schlägers mehrmals hinauf- und hinunterschreiten, indem sie
sämmtlich mit Kuhschellen läuten. Als den Zweck ihres Umzugs
geben sie an: „wir machen, daß das Crras wächst" Dafttr
erheben sie Nachmittags von den Haushaltungen den üblichen
Tribut von Wein , Brod , Kastanien , Aepfeln u. s. w. ^ Noch in
manchen anderen Orten Graubündens zieht die Jugend mit großen
und kleinen Kuhglocken behängt am 1. März durch die benach-
barten Dorfschaften und singt vor jedem Hause, wo man frei-
gebigeBewohner erwartet:
CaloDda Mars, Calond' Avril:
Laschai las vaccas or d*nyil.^
Es ist lehrreich , noch weitere Formen dieses Frühlingsbrau-
ches zu verfolgen.
Am unsinnigen Pfinztag (Donnerstag vor Fastnacht) laufen
um Hall, Insbruck, Götzens, Ambras die Hexen und Hutler, d. h.
buntgekleidete mit Besen und Peitschen versehene Jungen, wel-
che das Fastnachtsrößlein , ein künstliches Roß und seinen Reiter
begleiten, knallen und kehren die Zuschauer mit kotigen Besen
ab. Ihr Umzug gilt als unerläßlich, damit der Flachs
und Mais gedeihe; jemehr Hutler gehen, desto bes-
ser schlägt die Ernte aus.^
In vielen Dörfern des Vinstgaues laufen am unsinnigen Don-
nerstage und Fastnachtadienstage die Schemen herum; Bursche,
die Gesichter mit Ruß geschwärzt oder mit schwarzem
Tuche vermummt, welche Hemden als Röcke und Riemen
mit je einer großen Kuhschelle als Schärpen tragen und
die Begegnenden mit Kohlenstaub anschwärzen. In ihrem Zuge
fehlt niemals ein als Weib verkleideter Bursch „die Maie oder
Kübele -Maia," der Wasser in einem Kübel trägt und die Um-
1) G. Leonhardi, Rhatische Sitten und Gebräuche. St. Gallen 1844.
S. 4. 5.
2) Rocbholz, Alem. Kinderlied 505, 100:
„Der erste März und dann April,
hinaus was aus dem Stalle will."
3) Zingerle, Sitten« 135, 1196. 139, 1211 — 12.
542 Kapitel VI. Yegetationsgcister : SonnenKanber.
stehenden bespritzt, oder sogar in die Bmnnentröge springt und
Wasser naoh allen Seiten wirft. ^ (Regenzauber.)
Bei lienz fand am letzten Faschingsabende das Perehten*
laufen statt, eine Art Maskenzag, die Vermummten hießen Perch-
ten ; man unterschied sie in schöne und schieche (häßliche). Alle
trugen auf dem Kopfe eine große Schellenspitzhaube mit
Rollen und Glöckchen rings umhangen, vor dem
Gesichte Larven und in der Hand Stöcke, die der schönen
waren mit bunten Bändern geziert, die der häßlichen endig-
ten in einen Teufelskopf. Sie sprangen und stürmten in wilder
Lust tobend und rasend über die Gassen und in die Häuser.
Gab es kein gutes Erntejahr, so schrieb man die Hiß-
ernte dem unterlassenen Perchtenspringen zu.* In Mit-
tersill bilden acht bis zehn rüstige Bursche eine Gesellschaft;
zwei von ihnen stellen häßliche, mit Besen bewaflhete Gesellen
vor, die Berchten. Ihnen folgt ein buntes Gesindel von Hans-
würsten u. s. w., dann die Tänzer mit festanliegenden , buntbe-
bänderten Eleiderp, auf dem Haupte eine Krone von Hahnen-
federn, von wo unzählige lichtfarbene Bänder auf Schultern und
Rücken herabflattem. Eine Larve verdeckt ihr Gesicht, am
Ende des Rückens haben sie eine Alpenglocke angehängt,
die den Fußschlag der tanzenden Gruppe accompagniert. So
ziehen sie von Pfarre zu Pfarre und begrüßen die besseren Häu-
ser, wo ihnen der Tanz mit Brod und Branntwein gelohnt wird.^
Der Name Perchteln ist eine Uebertragung aus dem Epiphanias-
gebrauche. Denn an den „Perchtenabend," die h. Dreikönigs-
nacht (Jan. 5.) knüpfte sich die besprochene Sitte ebenfalls und
daher hatten die Festteilnehmer den Namen Perchteln oder Perch-
ten erhalten;^ von da aus erscheint Spiel und Name auf die
ganze Zeit der Zwölften, ja auf die Adventszeit rückwärts aus-
gedehnt. In den Rauchnächten (den drei Donnerstagen vor Weih-
nachten), ziehen im Pinzgau 100 — 300 Bursche, die Perchten,
in seltsamster Vermummung mit Kuhglocken und knallen-
1) Zingerle a. a. 0. 136, 1198. 1200.
2) Zingerle a. a. 0. 138—39, 1209 — 10. B. Weber, Tirol, U, 174.
3) B. Weber bei Bunge, der Bercbtoldstag in der Schweiz. Zürich
1857. S. 17. Vemaleken, Alpensagen 8.350,20.
4) Belege ans Dux und Kössen bei Zingerle a. a. 0. 128, 1148. 1150.
Eornaafwerfen , PerchtelspriDgen , Faschingsmnl&ofe. 543
den Peitschen bewaffnet umher; im Gasteiner Tal geht der
Zug, den lustige Burschen bis dreihundert anfahren, hüpfend und
springend von Ort zu Ort, von Haus zu Haus.^ Solche Sitte
des Perchtenspringens oder Perchtenlaufens ist über die
ganzen deutschen Alpen verbreitet. In Kalw und Betzingen bei
Tübingen kennt man die Sache ohne den Namen. Am h. Weih-
nachtsabend laufen die Knaben, lange Stecken in der Hand
mit Riemen voll Kuhschellen behängt von früh bis spät
durch den Ort und lärmen und läuten. Vor dem Hanse des Pfar-
rers werden sie mit Aepfeln beschenkt.* In D'onaueschingen und
um Tuttlingen läuft am schmutzigen Donnerstage und den Fa-
schingstagen der Hanseli in den Straßen herum. Er trägt einen
Fuchsschwanz im Nacken, große Sträuße von Papier und Flit-
tergold am Kopfe; sein Gesicht deckt eine schön lackierte höl-
zerne Larve; auf Bücken, Bauch und Beinen sieht man allerlei
gemalte Figuren, über der Brust kreuzen sich zwei mit Schellen
besetzte Lederriemen, die einen ohrzerreißenden Lärm geben,
zumal wenn mehrere Hanseiis zusammenkommen. In Donau-
eschingen wirft der Hansel Aepfel und Birnen unter die Kinder
aus.' In Baiem (Lechrain) heißt der Donnerstag vor Fastnacht
der gumpige Donnerstag (von gumpen, lustige Sprünge machen).
Dann besuchen die Buben des einen Dorfes das andere, alle
verkleidet und im Gesichte durch Bemalung mit Büß und Mehl
unkenntlich gemacht. In Bettlaken gehüllt, den Schellenkranz
der Rosse um den Leib, das Haupt mit Hahnenfedern geziert,
das sind di^ gewöhnlichen Masken, deren Anführer der Schel-
lenrührer heißt. ^ Nach der Mitteilung des Herrn Professor
K. Säve in Upsala banden auch in Dalame die Kinder Früh-
jahrs alle erreichbaren Kuh - und Ziegenschellen zusammen und
riefen: „längt- lain! längt -lain!^^ (langer Flachs!)
Durch ganz Deutschland und Skandinavien war der Umlauf
Vermummter zu Weihnachten oder Neujahr oder zu Fastnacht
gebräuchlich und überall trug er wesentlich denselben Character.
1) Myth.« 256.
2) Meier 464,212. Vgl. den Aufzog der Frau Perchtel im Salzbiir-
giflchen nnd im Mölltal in Kärnten. Weinhold, Weihnachtsspiele S. 20.
3) Beinsberg -Düringsfeld, das festliche Jahr. S. 38.
4) Leoprechting , Ans dem Lechrain 160, 26.
544 Kapitel VI. Vegetationsgeister: Sonnenzanber.
Ans Geilers von Kaisersberg Schildenmg ^er Fastnachtnarren
oder Bntznarren geht hervor ^ daß im Elsaß die Teilnehmer an
demselben ^^vermammt und verbntzt waren ^ Sehellen tragen, sieh
das Gesicht schwarz bebrärmt, berußt oder besudelt hatten, sich
unsinnig geberdeten, als sei der Teufel in sie gefahren, von
einem Hause zum andern liefen und in die Stuben, selbst in die
Schlafzinmier drangen, um, wie sie sagten, das Küchlein (die
Fastnachtsbretzel) zu holen/^ Sebast. Franck, Weltbuch 1534
f. L^ schildert die Fastnacht der Franken: „EÜich machen sich
als die teufel, etlich lauffend nackend on alle schäm gar ent-
plößt durch die statt. Etlich das sy kein schäm habend ver-
butzen sj sich in lamen vnnd schönpart, das man sy nit kenne
nit seer vngleich den heydnischen Luperealischen festen. Femer
f. CXXXT^ von der Faßnacht der römischen Christen überhaupt:
An diesem fest pflegt man yil kurtzweil, spectackel, spil zu hal-
ten mit stechen, thurnieren, tantzen, rockenfahrt, faßnacht-
spil. Da verkleiden sich die lettt, lauffen wie narren vnd vnsin-
nigen in der statt vmb, mit mancherley abentheur vnd fantasei,
Was sy erdencken mögen, wer ettwas närrisch erdenckt der ist
meyster. Da sihet man in seltzamer rttstung seltzame mumme-
rei, die frawen in mannskleydern, vnd die mann in weib-
licher waat. — Die herren haben yhr faßnacht an einem
Sontag, darnach auff den afftermontag die Leyen. In summa
man fahet daran an allen m&twiU vnd kurtzweil Etlich lauffen
on alle schäm allerding nackend umm. Etlich kriechen auff
allen vieren wie die thier, etlich brütlen narren auß, etlich seind
mttnch, kttnig etc. auff diß fest, des wol lachens werdt ist Ett-
lieh gehen auff hohen steltzen mit flttgeln vnd langen schnäbeln
seind storcken. Etlich Beren, etlich wild Holtzleut, ettlich
Teufel — ." Sebastian Franck schöpft aus Bo€mus Auba-
nns (mores, leges et ritus omnium gentium L. III): Qui sc Indi-
cro illi committunt, facies larvis obducunt, sexum et aetatem
mentientes viri mulierum vestimenta, mulieres virorum induunt
Quidam satyros aut malos daemones potius repraesentare volentes
minis sc aut atramento tingunt habituque nefando deturpant:
alii nudi discurrentes Lupercos agunt .... per urbem vagantes
obvios .... saccis cinere refertis percutiunt.^ Thomas Naogeor-
1) Jo. BoSmas Aubanas, Mores, Lugdani 1576 p. 277.
Komanfwecken, Perchtelspringen , Fascbingsümlaofe. 545
gos^ fahrt diese Schilderung weiter ans. Man stellte Schein-
kämpfe an (sunt qui concurrant infestis eminus hastis,
aut pugnam armati coeptent), das Pablicum nahm Partei fOr
die eine oder die andere Seite und lohnte die Sieger mit einer
gewissen Quantität Wein. Andere liefen in Teufelsgestalt mit
geschwärztem Gesicht durch die Stadt. (Ast alii horribiles vul-
tus torvamque figuram Daemonis induti tota spaciantur in urbe^
atqne occurrentes terrent, puerosque sequuntur u. s. w. *) In
größeren Städten, in Nürnberg, wo die Umlaufenden Schemen,
Schembafte, Schönbarte genannt waren,' und in Köln,* waren
die Umzttge schon früh mit aller Art Pomp und fremdartigem
Beiwerk beladen worden, gewisse Grundzüge blieben aber durch-
stehend und fast ttberall wiederkehrend. Dazu gehörte 1) ein
ungeberdiger Lauf durch die Straßen, sodann 2) Vermum-
mung oder Schwärzung der Gesichter (hieraus ist sichtlich
erst die Teufelslarve entstanden und abgeleitet), 3) die Aus-
rüstung mit Schellen, 4) der Kleidertausch zwischen den Geschlech-
tem, 5) die Einkehr in die Hänser, um Victualien, zumal „das
Küchlein,'' d.h. die sogenannten Fastnachtbretzeln, d. h.
ringförmige , oder Fastnacht fl ade n, d. h. runde scheiben-
förmige Fasttagsgebäcke abzuholen,* welche den o. S. 466 bespro-
chenen Funkenringen entsprechen und somit an eine einstige
Verbindung des Umlaufs mit dem Frühlingsfeuer erinnern. Da
vielfach (z. B. im Harz) Bretzeln den Entgelt der Mädchen an
die Burschen für das Stäupen mit Birkenzweigen ausmachen,
erhellt auch hier wieder die nahe Verwandtschaft der Fastnachts-
mummerei mit dem Umzüge behufs des Schlags mit der Lebens-
rate. Das Abholen der Bretzel weist zugleich auf jene ältere
Gestalt des Umzugs zurttck, wonach man einst als Tribut fUr
1) Begnum Papisticom L. lY. Basileae 1559. p. 140 ff.
2) Vgl. die Markgräfl. Brandenbnrgisch - Culmbachische Polizeiordnung
von 1622, worin auch das „schändliche Mummen oder Fastnachtkleiden"
streng verboten wird: ,»da die Frawen in Manns-, und der Mann in Frawenklei-
dem, auch wol des bösen Feinds Gestalt, oder sonst abschewli^h und grew-
lieh sich verstellen und verkleiden.''
3) Panzer 11,246—50.
4) Journal von und fßr Deutschland 1785. S. 452.
5) Vgl. auch die Gerichtsordnung des Klosters Adelsberg v. J. 1502
bei Besold, Docum. rediv. Monast. Wirtemberg. p. m. 70. Haltaus - Scheffer,
Jahrzeitbuch. Erlangen 1797. p. 203.
Mftxialiiardt. 35
546 Kapitel VI. Vegetation ageister: Sonnenzanber.
eine durch denselben yoUfÜhrte segensreiche Leistung von jedem
Haasstande als Steuer den Kuchen erhob. Wir mttssen es uns
versagen, auf die niederdeutsche und skandinavische Form des
Gamevals (Schödttwellöp , Fastelaunslöben) näher einzugehen.
Ich will nur darauf aufmerksam machen , daß wir fast alle jene
Züge, das Schwärzen des Gesichtes (o. S. 322. 336. 366.),
den Kleidertausch der Geschlechter (o. S. 412), die
Schellen 1 (o. S. 325. 327. 334. 416. 440) schon bei den Reprä-
sentanten des Vegetationsdämons (Herbstschmudl , Pfingstlflmmel,
Maikönig, Schnak, Kudemest, wilde Mann, Hans Trapp,
St. Niclas, Jarilo), dem Frtthlingsbrautpaar antrafen. Schellen
trugen auch die Nürnberger Schönbartläufer an Hals , Gürtel und
Kinn, nicht minder an den Knien die Schwerttänzer in Hessen,
Ditmarschen, Schlesien und Schweden;* die englischen Morris
dancers, die zu Ostern, am Maitage, zu Himmelfahrt, Pfingsten
und auf Hochzeiten auftraten, zu deren ältestem Personale die
Lady of the May, May queen, der Narr, der Pfeifer, mehrere
Tänzer* und wol auch das dem (o. S. 541) erwähnten Fastnachts-
rößlein entsprechende Hobbyhorse gehörten, hatten sowohl mit
Ruß geschwärzte Gesichter/ als Schellen an den Beinen. Alle
1) Vgl. Weinhold, Weihnachtspiele S. 22.
2) Müllenhoff , Schwerttanz S. 16. 21. 13. 15.
3) Diesen Bestand weist n. a. das zwischen 1460 — 1470 verfertigte
Bild des Israel von Mecheln (Donce Illustrations of Shakespeare II , 446) auf.
Später hieß die Lady: „Maid Marian." Ein unter Jacob I. von Vinkenbocm
verfertigtes Gemälde zeigt 7 Figuren, Narr, Hobby -horse, Maid Marian,
und 3 Tänzer (Donce a. a. 0. 470). Der Name Maid Marian ist augenschein-
lich aus einem französischen Pfingstspiele herübergenommen, le jeu du ber-
ger et de la bergfere , das zur Zeit des lebhaften Verkehrs während der eng-
lisch französischen Kriege saec. XIV — XV in Frankreich sehr beliebt war
und in welchem Bobin und Maid Marian die Hauptcharaktere waren. Cf.
du Gange s. v. Bobinetus. Liter, remiss. a. 1392: Jehan le Begue et cinq
ou siz autres escoliers , ses compagnons s'en alerent jouer par la ville d^ An-
glers, Bob in et Marion, ainsi qu'il accoustum^ de faire chascun an les
foiriez de Penthecouste en la ditte ville d'Angiers par les gens du pays,
tant par les escoliers et filz de bourgois comme autres. Daher denn die Um-
taufe des au Seite der Mylady auftretenden Lord of the May in Bobin oder
Bobin Hood. Cf. Douce a. a. 0. 451. Man sieht den Ungrund der bei deut-
schen Mythologen so beliebten Identifizierung von Bobin Hood und Wodan.
Als weitere Personen der Morristänze kamen noch hinzu Little John, Friar
Tuck, endlich noch zuweilen ein Drache und St. Georg.
4) Junius (Du Jon) has informed us (Btymologicum Anglicanum) that
the morris danoers usually blackened their faces with soot, that they might
EornanfweckeD , PerchtelBpringcn , FaschingsTunlaiife. 547
diese Spiele sind im wesentlichen mimische Frtthlingsgebräuche
von verwandtem, mythischem Inhalte. Gehört zur Ausrüstung
ihrer Figuren die Schelle seit alter Zeit und so zu sagen begriffs-
mäftig; oder ist sie erst im 14. oder 15. Jahrhundert, als diese
Tracht in Deutschland flir den Adel und die vornehmen Bttrger,
in Frankreich und England auch ftlr die Narren allgemein wurde/
in jene Darstellungen hineingetragen worden? Ist letzteres der
Fall, und dafür spricht beim ersten Anschein die Uebereinstim-
mung des Aufputzes mit dem im Ausgange des Mittelalters
gebräuchlichen, so gehören die Schellen weder beim Eomauf-
wecken. Grasausläuten, noch beim Perchtelspringen (o. S. 542)
zum wesentlichen Bestände des Brauches, und das laute unsin-
nige Geschrei beim Umlauf durch die Felder dttrfte der
Weckruf gewesen sein, durch den man vordem die schlafende
Vegetation wieder ins Leben zu bringen resp. die Geister des
Todes und Mißwachses zu bannen vermeinte. Die Hutler o. S. 541
bedienen sich ja zu gleichem Zwecke nur des Peitschengeknalles.
Dieser Auffassung stellen sich doch nicht unwichtige Bedenken
entgegen. Ließe es sich auch als abgeleitete, durch Umdeutung
entstandene Form begreifen , daß zuweilen (vgl. z. B. den Kuder-
nest 0. S. 325, die Knaben der VII. communi o. S. 540) die Glocke
vin der Hand statt an der Kleidung getragen wird, so scheint es
doch ohne die Annahme eines schon älteren Vorhandenseins der
Schelle in diesen mythischen Darstellungen schwer erklärlich,
wie dieselbe nicht allein in die Krone des Maikönigs (o. S. 342)
und das Laubgestell des Latzmanns (o. S. 325), sondern auch an
die Kleidung des russischen Jarilo (S. 416) und auf den Kttcketi
des die Getreidehenne am Shrove - Tuesday darstellenden Spielers
in England (S. 327) geriet. Da diese Schaustellungen schwerlich
vom Perchtelspringen zu trennen sind , erscheint mir die zunächst
sich darbietende einfache Erklärung, wie der Klang der
geweihten Kirchenglocke vermeintlich die Wetterdä-
be better pasa for Morris. Donce a. a. 0. 434. Sollte nicht der Name Mor-
ris dancers^ Morris dances (in den ältesten Erwähnungen in den Churchwar-
dens Books of Kinston up Thames unter Heinrich VII. Mores dawnsars^
Mores garments) einfach daher rühren, daß man die im Gesichte geschwärz-
ten Tänzer als Mohren auslegte?
1) 8. J. Falke, die deutsche Trachten- nnd Modenwelt. Lpzg. 1858.
TL 1, 149. 236—245.
35*
548 Kapitel VI. Vegctationsgeister: Sonnenzanber.
monen vertreibt/ solle das Glockengeläute auf den Al-
men die dem Wiesenwuchs feindlichen Geister vernich-
ten, nicht ausreichend. Die Glocken und Schellen der Perch-
teln u. s. w. sind ja auch weder Eirchenglocken, noch geweiht
Die Kedensart ^^das Korn aufwecken; den Langas wecken," setzt
Personification des vegetativen Lebens voraus. Durch den Hud-
1er (o. S. 268. 541) vermitteln sich der Umlauf zum Komauf-
wecken und jener Umlauf mit der Lebensrute zum Aufwecken
der Langschläfer, auch die Perchteln tragen noch lange Stöcke.
Die mit Ruß geschwärzten Gestalten sehen dem Mohrenkönige,
Kaminfeger oder schwarzen Teufel der Pfingstlümmelspiele
(o. S. 322. 349. 352. 365. 367) u. s. w. älmlich. Da schon den
Römern die Schelle (tintinnabulum) selbst in der Verwendung als
Kuhglocke bekannt war , nach einer gütigen Mitteilung des Herrn
Geheimrat Schaaffhausen in Bonn eine solche kürzlich auch in
einem fränkischen Grabe zum Vorschein kam^ kann die Verwen-
dung desselben in unseren Gebräuchen, keinen unbedingten
Beweis fbr die späte Entstehung der letzteren abgeben. Aus
allen diesen Gründen möchte ich es fttr wahrscheinlich halten,
daß die Ausrüstung der Perchteln schon seit alter Zeit die Schelle
oder das Glöckchen enthielt (cf. o. S. 325. 327), im 15. Jahrh.
aber der herrschenden Mode annähernder gemacht, und daß
zugleich die ältere Auffassung des Umlaufs als in eine Vertrei-
bung der Hexen und Feldgespenster durch Glockenschall
umgedeutet wurde. Ursprünglich wird — wie oben vermutet —
der laute Ruf, Peitschengeknall u. dgl. die Glocken ersetzt haben.
Wenn der Vergleich der Schemen, Perchteln, Fastnachtbutzen
mit dem Pfingstbutz, Kudemest, Latzmann u. s. w. stichhaltig sein
sollte , müßte angenommen werden, daß auch sie nach der Absicht
der ursprünglichen Veranstalter ihres Umlaufs Vegetationsdämonen
repräsentierten, die durch ihr bloßes Erscheinen und Rufen i^e
das Wachstum hindernden Mächte vertrieben, die noch schlummern-
den Geister der Gräser^ und Halme zu neuem Leben erweckten.
§ 12. Seheinkampf beim Mittsommerfeuer. Mit dem
Frühlingsfeuer und vielleicht ursprünglich auch dem Mittsommer-
1) Vergleiche, daß im Hildesheimischen auf Himmelfahrt die Mftdchen
mit allen Glocken vom Tnnne länten, um gnte Flachsernte zn bekommen.
Seifart U. S. 140.
Scheinkampf beim Mittsommerfeuer. " 549
fener war aufter dem Umlaufe zum Kornwecken noch ein anderer
Brauch verbunden, der auf die Fruchtbarkeit des Feldes Bezug
hatte. Der Sonntag Invocavit ftlhrte neben dem Namen dimanche
des brandons auch die Benennung behourdis^ von behourd mit-
tellat. behordium, mhd. buhurt Kampfspiel, wobei zwei ganze
Scharen auf emander eindrangen und mit Schwert, Schild und
Speer, oder da es ein bloßes Schauspiel zur Kurzweil galt,
mit Keulen oder Stäben (bouhours, mittellat. bordae)' gegenein-
ander fochten. Solche Scheinkämpfe mit Kntltteln und Stöcken
pflegten die Bauern und Städter in den beiden ersten Fasten-
sonntagen zu liefern.^ Liter, remiss. ann. 1424 ap. Du Gange
Y. brandones: „Comme le jour des brandons iceulx compaignons
tenant bouhours en leurs mains desqueiz ils esbatoient Tun
Gontre Fautre.'' Lucien de Bosny schildert in seiner Chronik den
Einzug Louis XI. in Lille: „Le 18. Fdvrier 1463 le roy Loys se
partist de Toumay et s'en alla ä Lille - les - Flandres , lequel jour
estoit le quatriesme de caresme, nuit de behourdich, que lors
on a accoustumd en la dicte ville de jouster.'^ Daß dieses Spiel
neben dem Fackellaufe herging, geht aus folgender Angabe her-
vor. Liter, remiss. 1393 Du Gange v. brandones: Gomme le
jour des brandons plujsieurs jeunes gens bouhourdaient les
uns contre les autres, Jehannin de Douligier prist une oupille
1) Liter, remiss. ann. 1393: „Le preinier Diiuanche de qaaresme appelle
le» brandons on behourdiz.*^ Du Cange, s. v. brandons.
2) Daher heißt der Sonntag Invocavit schon ann. 1249 bordae. Du
Gange s. v.
3) Vgl. Sebast. Brand, Nanenschiff, Kap. 110»» v. 76 ff. S. 112 Zarncke,
von der Fastnacht: „so ladt man dann zu dantz vnd stechen, Do müsz man
erst die sper brechen Vnd bringen narren recht zu samen. Buren hantwerck
dünt sich nit schämen Vnd nemen sich euch stechens an^ Der mancher doch
nit ryten kan. Hiezu s. Zarnckes Comnientar: „Im 16. Jahr, war Turnieren
(stechens) eine gewöhnliche Fastnachtlustbarkeit in den Städten Oberdeutsch-
lands, namentlich der vornehmen Geschlechter, doch auch der geringeren
Bürger und selbst der Bauern; ein solches Turnier beschreibt uns ausführ-
lich K. Witten Weilers Ring 11« 13 ff. [geschr. vor 1463], auch der nd. Ueber-
setzer kennt diese Sitte: „Man richtet denne oek an stekespyl. Eyn b&th
den anderen to steken uth. Dat d&nket den narren wesen gud. Amptgesel-
len vnd andere kumpanen Brinckt men tohope up de bauen. Fallet sik lam
vnd kvmpt yn noet Moet denne ynt older bidden broet. Eyn yslick desser
geckheit lacht De däuel helft dessen narren bedacht.'' Hiezu füge man das
0. S. 544 ansgehobene Zeugniß aus Seb. Franck.
550 Kapitel VI. Yegetationsgeifiter : Sonnenzauber.
(Strohfackel) allum^e de feu, comme plusiears autres gens et
enfants avoient. Wir sahen (o. S. 536) , daß in Valenciennes der
Name bouhours sogar auf die Strohfackehi übergegangen ist
Aus Zürich berichtet Vemaleken (Alpensagen S. 356) : ^^ Am Hirß-
montage (dem ersten nach Aschermittwoch, Tag nach Inyocavit)
kam die Jugend der benachbarten Gemeinden in verschiede-
nen Zügen mit Gewehr und Waffen in die Stadt Zürich
und marschierte darin herum. Diejenigen von Wiedikon
brachten neben allerhand Böken den Chridigladi (s. o. S. 430).
Abends waren Feuer (Funken) angezündet. Der Hirs-
montag war ehedem kriegerischen Spielen und Jagd-
übungen gewidme t.^^ Die Verbindung der bouhours mit dem
Fackelschwingen läßt darauf schließen , daß diese Scheinkämpfe
auch eine symbolische Beziehung zur Beförderung des Frucht-
wuchses hatten. Losgelöst von dem Feuer treten uns dieselben
auch in anderen Gegenden zur Fastnachtszeit, am Maitage und
zu Johanni entgegen. Im Freienamte ziehen am Hirsmontage
(dem Tage nach Invocavit) zwei ganze Gemeinden gegen einan-
der zu Felde , nachdem die eine der andern eine Kriegserklämng
zugesandt, etwa mit dem Vorgeben, dieselbe habe ihr einen
Geishirten geraubt und sie wolle ihn nun rächen, oder zurück-
erobern.^ Im Entlibnch (Luzem), sagt Bochholz,^ wurde am
Hirsmontage der Hirsmontagsschwung abgehalten, den der Pfar-
rer Stalder von Escholzmatt (Fragmente über das Entlibuch) so
ausführlich beschrieben hat. Es war ein Scheingefecht, das
nachdrucksam und unter großem Pompe teils um Fastnacht, teils
um Mai und Ostern, auch um Pfingsten zwischen verschiedenen
Talschaften und Ortschaften militärisch begangen wurde. Ein
solches Gefecht pflegten auch die Luzemer Nachbarorte Eoiutwii
und Büren sich alljährlich zu liefern. Die Eriegsankündignng
geschah in Knüttelversen; ein großer Schmaus vereinte beide
Parteien nach langen und listig durchgeführten Manövern. Im
Emmental (Kanton Bern) hielten die Dörfer Wyningen und Aflfol-
tem bei Burgdorf zur Maienzeit einen „Schimpf kriegt ab; die
ganze Mannschaft zog zu Fuß und Roß unter ihren Ortsfahnen
aufs Oberfeld und scharmutzierten da miteinander. Darauf zogen
1) Eochholz, Alpensagen U, 197. Ders. Alem. Einderl. 485.
2) Alem. Kinder!. 484.
Seheinkftmpfe beim Mittsoinmeifener. 551
sie Paar um Paar, je ein Affoltrer und ein Wyninger zusammen
ins Dorf zurtick, wurden vom Ammann mit einer Bewillkomm-
nungsrede empfangen und kostenfrei bewirtet. Dann geschah
dasselbe acht Tage darauf zu Affoltem.^ In Brabant und Lim-
burg teilen sich am Nachmittage des Frohnleichnamsfestes resp.
der EirmeB die Schützen in zwei Heerhaüfen , die sich bekämpfen
und von denen die eine Partei das Dorf besetzt und verteidigt^
die andere belagert und erstürmt.^ Viel altertümlicher hatte sich
der Brauch in Graubttnden bis ins 16. Jahrb. erhalten. Ich
gebe nachstehend wörtlich den Bericht von Tschudi aus dessen
^yGrundtliche vnd warhaffte beschreibung der vralten Alpischen
Bhetie'' etc. Basel 1538. Bl. 28 vw.
Von den Stopffem.
In obgedachter Riuier der Etuatiem , zu ylantz Lugnitz vnd
in der Gr&b ist der sitt von haydnischen zyten harkommen, das
sy zu ettlichen iaren gemein versamlungen hond, verbutzend
sich,^ legend harnasch vnd gwör an ynnd nimpt yeder
ein starken grossen stecken oder knttttel, ziehend also in
einer harscht^ mit einandem von eim dorff zum andern, thuüond
hoch sprüng und seltzam abenthür, als sy by warheyt veriehend,
das sy söllich sprfing, nach hinthüung jrer hämisch und endung
jres fdmemens sollicber höhe un wyte niendert gethün mögend.
Sy louffend starcks anlouffs in einandren, stossend
vnd putschend mit krefften, ye einer an den andern,
das es erhilt, sy stopffend^ lut mit jren grossen stecken
(bl. 29 VW.) danenthar werdend sy daselbß z&land die stopflfer
genempt, sy thünds das jne jr körn dester hasz geraten sol, hal-
tend also disen aberglouben.^ Joh. Stumpf, Pfarrer zu Bubikon
bei Zürich, der 1548 seine Schweizer Chronik herausgab, giebt
1) Nach der 1653 verfaßten Chronik des Bauers .Tost von Brachershau-
sen über den Banemkrieg. Schnbler, iSitten und Taten der Eidgenossen III,
367 bei Bochholz a. a. 0. 483.
2) Zs. f. D. Myth. I, 176.
3) Vermummen sich als Masken.
4) barst == Heer, Heerhaufe. Weigand, D. WB. I, 481. Grimm WB.
IV, 2, 498.
5) stopfen = stechen. Weigand WB. II , 836. unter stupf.
6) Aus Tsehudi entnahm diesen Brauch Sebastian Münster (Eosmogra-
phei III. cap. 235) , aus diesem Eirchhoff ( Wendunmuth Frankf . a. M. 1602.
IV, 286, 235.
552 Kapitel VI. Yegetationsgeister : Sonnenzauber.
den Bericht Tschndis mit einigen Zusätzen wieder, aus denen
hervorgeht; daß der Umlauf und das Gefecht der Stopfer mei-
stens zur Zeit der Sonnenwende statt hatte, zu seiner Zeit aber
schon obsolet geworden war und in keiner Achtung mehr stand. ^
Was die französischen Zeugnisse vermuten ließen, findet hier
seine völlige Bestätigung; das Kampfspiel hat nicht minder,
als der Fackellauf eine vermeintliche Einwirkung auf das
Gedeihen der Saaten. Wo wir sonst noch dem Brauche zur
nämlichen Jahreszeit begegnen, ist diese Beziehung schon abge-
streift. Im Birresbom und andern Orten der Eifel zog die
Jugend des Dorfes am Kachmittage des Johannistages in zwei
Abteilungen geschaart und an zweien Ufern eines Baches oder
Grabens aufgestellt gegen einander los, schlug sich mit Hasel-
ruten, suchte sich gegenseitig die Gerten zu entwinden und die
Gegner in die Flucht zu schlagen. Das hieß „den Ewischten
schlagen.^' ^ Im Dorfe Belling bei Pasewalk ziehen die Bauern
am Sonntage vor Johannis in zwei Abteilungen, die Herren zu
Fuß, die Knechte zu Pferde morgens früh aus dem Dorfe aufs
Feld und kämpfen mit einander, wobei die Eoiechte meistenteils
gewinnen. Nachher ist Scheibenschießen; der beste Schütze
wird König und geschmückt ins Dorf geführt.^ Außer Stande
eine durchschlagende Meinung zu begründen, sehe ich davon ab,
auch nur eine Vermutung über die Bedeutung des „ Schimpfspiels ^'
vorzutragen.*
1) Vonbnn, Beitr. z. D. Myth. Chur 1862. S. 21. Auch Ulrich Cam-
peU erwähnt dieses Volksbraaches. S. 11 und bemerkt: ,,Mit diesem Gebrauche
hing früher der Glaube zusammen, daß dessen Ausübung ein frucht-
bares Jahr bringe."
2) Schmitz , Sitten und Bräuche. Trier 1856. S. 43.
3) Kuhn, Mark. Sag. 331.
4) Daß dieses in der Tat ein feststehender Typus war, dafür sprechen
merkwürdige asiatische Analogien. In Nepal liefern sich die jungen Leute
in der nördlichen und südlichen Vorstadt Eathmandus Gefechte, um daraus
VoraiLssetzungen für die Fruchtbarkeit des kommenden Jahres zu ziehen,
A. Bastian, Wanderungen in Eambodja. Ausland 1865. p. 1160. „Das
dritte Hauptfest, welches in Maleyala gefeiert wird, heißt Onain und fallt
jedesmal auf den Neumond im September. Dann hört es auf zu regnen.
Die Natur yerjüngt sich , die Blumen sprießen von neuem hervor , die Bäume
schlagen wieder aus-, es ist die Jahreszeit, die wir in Europa Früh-
ling nennen. Das Fest scheint in der Absicht eingesetzt, etn gesegnetes
Das Pflagomzielien. 553
§ 13. Das Pflngumziehen* Unsere Dentong der Früh-
lings- und Mittsommerfener als Nachbildungen des Sonnenfeuers,
der Sommerhitze und der Fackeln als Darstellungen der Gewitter,
welche zum Gedeihen der Vegetation notwendig sind, empfängt
Bestätigung durch den englischen und deutschen Brauch des
Pflugumziehens. Sebastian Franck im Weltbuche 1534 f. 51*
teilt mit „ an dem Rhein, Frankenland und etlichen anderen orten
samlen die jungen gesellen all dantzjunckfrauwen vnd setzen sy
in ein pflüg und ziehen yhren spilman, der auf dem pflAg sitzt
vnd pfeift, in das wasser; an andern orten ziehen sy ein
feurinen pflflg mit einem meiilerlichen darauff
gemachten feur angezündet, bis er zu trümmern
f e 1 1.^' In Klein-Ludosch in Siebenbürgen im Unteralbenser Komi-
tat hat man bei anhaltender Dürre den Brauch, dafi einige
Mädchen sich gänzlich entkleiden und angeführt von einer eben-
falls nackten älteren Frau eine Egge stehlen. Diese tragen sie
in einen Bach aufs Feld. Dann setzen sie sieh auf die Egge
und unterhalten während einer Stunde auf allen 4
Ecken derselben ein kleines Flämmchen. Hierauf
lassen sie die Egge im Wasser liegen und gehen nach Hause.
Aus England erwähnt Brand I, 506 „In a compendions treetise
dialogue of Dives and pauper 1493 among superstitions censured
at the beginning of the year we find the following:
und fruchtbares Jahr zu erflehen. Es dauert acht Tage, während welcher
die Inder ihre Häuser mit Blumen schmücken und mit dem Dünger der Kuh,
dieses heiligen Tieres der Lakshmi, d. i. der indischen Ceres, hestreichen.
Auch legen sie hei der Gelegenheit neue Kleider an, werfen alle alten Töpfe
weg und ersetzen sie durch neue. Die Mannspersonen, besonders junge
Leute ^ formiei'en zwei Heere und schießen mit Pfeüen auf einander j die
zwar abgestumpft , aber sehr stark sind und mit großer Gewalt abgeschnellt
werden, so daß es auf beiden Seiten eine ganze Anzahl Verwundeter giebt.
Zu Ehren des Vishnu pflegen sie bei dieser Gelegenheit ein großes Bad, das
Symbol des Gottes [Vishnu war ursprünglich Sonnengott] atis Blumen zu
verfertigen und in den Vorhöfen ihrer Häuser aufzustellen. Sie geben dadurch
auf sinnreiche Art zu verstehen, dafi die Sonne nunmehr nach Verlauf der
Begenzeit wieder im Annähern begriffen sei und ihre Herrschaft gleichsam
von neuem antrete." Fra Paolino da San Bartolomeo, Reise nach Ostindien
hrsg. V. R. Forster. Berlin 1798. S. 362. Hier begegnen wir sogar dem
auch beim Sonnwendfeuer gebräuchlichen Sonnenrade wieder. Ueber die
merkwürdige Parallele im homerischen Hymnus an Demeter v. 266 werde ich
demnächst an anderem Orte ausführlicher yerhandeln.
554 Kapitel VI. VegetatioDsgeister: Sonnenzauber.
ledingh of the ploughe aboute the fire as for gode
beginning of the yere, that they schulde fare the better all the
yere followyng." Diese Verbrennung des Pfluges, der E^e oder
Umführung um ein Feuer, welcher der Brauch verglichen werden
muß, angekohlte Scheiter des Osterfeuers am Pfluge anzubringen,^
steht deutlich dem Hindurchgehen; dem Sprunge durch und dem
Tanze um die Frtthlings- und Mittsommerfeuer gleich, ist so zu
sagen ein Wärmezauber, um durch den Pflug, die Egge der Saat
den zu ihrem Gedeihen erforderlichen Sonnenschein u. s. w. zu
*
sichern; ihr steht der Begenzauber zur Seite, den Pflug ins
Wasser zu ziehen (vgl o. S. 332. 214 ff. 259. 327 ff. 356). Beide
Sitten sind offenbar zumal im Beginne des Jahres je nach Ter-
meintlichem Erfordemiß abwechselnd geübt worden; zuweilen
gemeinsam wie in obigem Siebenbirger Beispiel, wo die kleinen
Feuer auf den Ecken ein Uebermaß des erbetenen Regens ver-
hüten, abwechselnd Kegen und Sonnenschein hervorzaubern
sollen ; der Feuerzauber kam früher in Abgang ; der Begenzauber
und noch andere Formen des Pflugziehens dauerten vielÜEush bis
in neuere Zeit fort. Naogeorgus (in seiner 1553 zuerst erschie-
nenen Satyre Be^um papisticum B. IV) schildert die Sache am
ausführlichsten. Am Aschermittwoche rissen die Burschen die
Mägde aus den Häusern und spannten sie vor einen
Pflug, einer trieb und lenkte sie mit der Peitsche. In der Mitte
des Pfluges saß ein Spielmann, sang und spielte. Ein Sämann
folgte, der hinterher Sand oder Asche mit lächerlichen Qeberden
ausstreute. So zog man von Markt zu Markt, von Straße zu
Straße, endlich führte der Lenker (rector) die Mägde und
den Pflug in einen Bach und rief sie, naßgeworden, zu Mahl
und Tänzen.^ Dasselbe geschah (um 1592) zu Hof auf Fast-
nacht; die Mägde konnten sich jedoch mit Geld lösen und hinter
dem Pfluge säte man Heckerling und Sägespäne.^ Auch in
Leipzig geschah der Umzug am Fastnachtdienstage; verlarvte
(personati) Junggesellen zwangen die unterwegs aufgegriffenen
Jungfrauen in das Joch eines Pfluges zur Strafe, daß sie noch
1) Wuttke 2 § 81. Vgl. 0. S. 504.
2) Tlioin. Naogeorgus, Regnum Papisticum (Basileae) 1559. p. 144.
3) Enoch Wiedemaun, Chronik von Huf. Sachs. ProTinzialbl. VUl. 347.
Myth.« 243.
Das Pflugumziehen. 555
nieht geheiratet hatten. Als im Jahre 1499 eiaer der Barschen
ein beherztes Mädchen mit Gewalt für den Pfloggang pressen
wollte, erstach sie ihn mid entschuldigte sich auf frischer Tat
zmn Richter geführt , sie habe keinen Menschen, sondern ein
Gespenst (spectram) getroffen.^ Aach Hans Sachs erzählt, er
habe am Aschermittwoch bei Begensburg sechs schöne Hausmaide
an einem Pfluge daherziehn sehen, ein Bursche trieb sie mit
der Geißel, ein anderer hielt zu hinterst den Pflug; und eins
Theils Gesellen trieb noch mehr Hausmägde herzu. Es waren
die Hausmaide, die überblieben waren und bisFast-
nacht keine Männer genommen.' Bei der Ausübung des
Brauches in Neustadt a/Saale entstand im Jahre 1578 Unfug und
einer wurde todtgestochen. Deshalb stellte man die Sitte ab.
In Ulm war schon 1530 verboten, sich in der Adventszeit zu
verbutzen und Pflug und Schiff herumzufahren.^ In ein-
zeben Gegenden tritt die Egge an die Stelle des Pfluges. So
erzählt ebenfalls im 16. Jahrhundert die Chronik von Zimmern
(p. 1281 ed. Barak H, 117): „also uf die estrichen mittewochen
(Aschermittwoch), wie der prauch einest zu Scher (Dorf in Ober-
schwäben), das die mediin vnd megt auch die jungen
gesellen die eggen durch die Tonaw ziehen, do (hat)
grave Endres angericht, das dieselbigen den jungen herren, herr
Wilhelmen Wemhem ufgefangen haben, der hat inen mueßen
die eggen helfen durch die Tonaw ziehen." Vgl. den
Schwank „die Egen" (Keller, Fastnachtsp. I. no. 30. S. 246 ff,
Ausschreier: „got grüß den wirt und die wirtin. (Es kumt ein
meir mit sim gesint und der wirtin). Was heur von meiden ist
überblieben und verlegen Die sein gespant in den pflüg
und in die egen. Das sie darinnen ziehen mußen. Und dar-
innen öffentlich pueßen, Das sie sein kumen zu iren tagen, Fut
ars tutten vergebens tragen." Im Stanzertale in Tirol wurde aber
noch vor nicht langer Zeit am Ostermontag oder Osterdienstag
ein Pflug unter Jauchzen und Lärmen feierlich umgeftihrt.^ Im
1) Pfeiffer, Chronic. Lips. II. § 53. Haltaas -Scheffer, Jahrzeithuch 202.
Myth.« 243.
■
2) Schwank „Die Hausmaide im Pflug." Hans Sachs ed. A. KeHer. V, 179.
3) RatsprotocoU vom Niclasahend 1530 (Jäger, Schwab. St&dtewesen des
MA. I, 525. Myth.« 242.
4) Zingerle, «Sitten. ' S. 150, 1297. Im Zillerthal ebenso am Ascher-
mittwoch. Hörmann, der heber gät in liton. S. 44, 119.
556 Kapitel VI. Vegetationsgeister: Sonnenzanber.
«
Ansbachischen wird zu Pfingsten der geschwärzte Pfingst-
1 ü m m e 1 auf einem ans zwei Pfuggestellen zusammengesetzten
Wagen von Burschen, die mit Rollen, Schellen, Klingeln behängt
sind, umhergefahren ^ und zu MUnnerstadt i. d. Rhön tragen die
sogenannten Pfingstbuben schon im März einen kleinen Pflug auf
einem Brette von Haus zu Haus; in Bischofsheim vor der Rhön
bereits am 22. Februar (Petri Stuhlfeier, Anfang des frtther
üblichen Gemeindejahres). Die einen bitten:
Da kommen die armen Pfingstbuben,
Mit Pflug und Schar
Und wollen hinaus in den Acker fahr".
Die andern:
Steuer, Steuer Pflug!
Hat weder Sech noch Schar,
Wir woir ne lass beschlag\
Und bald 'naus 'n Acker fahr'.^
Nur von einem deutschen Orte weiß ich nachzuweisen, dafi
an ihm die Bespannung des Pfluges mit Jungfrauen bis heute
fortdauert. Zu 'Hollstadt bei Neustadt in Unterfranken findet alle
7 Jahre im Februar das Pflugfest statt, bei welchem unter
anderen Aufzügen ein Pflug von sechs ausgesucht schönen Mäd-
chen in ländlicher Festtracht dahergezogen wird, von Bauern mit
Geräten, Säeleuten, Schnittern, Dreschern, Heumachern, Winzern
u. s. w. in Bauerkleidung begleitet ; dem Pfluge folgt eine Rüben-
schleife, mit welcher man die Rüben in den Acker drückt, eben-
falls mit vier Mädchen bespannt. ^ In Kärnten ist im Fasching
der Brauch des ploh ulcöiti (den Pflug wiederherstellen) noch
jetzt fast allgemein; in den Vorstädten von Laibach hat er erst
am Aschermittwoch Nachmittag statt. Dabei wird mit einem
Pfluge der Schnee umgeackert; hinter den Arbeitern
schreitet der herrschaftliche Amtmann, der sie mit unerbittlicher
Rohheit schlägt. Die Burschen fahren jubelnd mit dem Pfluge
um die Ackergrenzen, während der Faschingsnarr in die
Küchen geiziger Hausmütterchen schleicht und mit der Ofengabel
Würste und Rauchfleisch wegstipitzt.* Ein französisches Zeugniß,
1) Panzer II, 90, 138. Cf. Liebrecht i. d. Germania. V, 51.
2) Panzer I, 239, 265. Leipz. Illustrierte Zeitung 1873. no. 1547.
3) Illustrierte Zeitung 1873. no. 1547. «
4) Ausland 1872. S. 469.
Das Pflu^mziehen. 557
wonach zu Sceaux bei Paris Barsche in Weiberkleidung auf
Fastnacht einen Pflug ziehen, ist mir nur aus einer gelegent-
lichen Mitteilung von Liebrecht bekannt. ^ In England fUhrt der
Montag nach Epiphanias sogar allgemein den Namen Plough-
monday nach dem feierlichen Umzüge mit dem Narrenpfluge
(fool-plough, auch fond-plough, stot-plough, white-plough genannt),
der vorzugsweise in Nordengland im Gebrauche war und ist
Angeblich begann dann das Pflügen und andere Feldarbeit.
Dreißig bis vierzig Bursche in Hemdsärmeln, das weiße Hemd
über die Weste geworfen und an den Schultern und Ärmehi
mit breiten, hellfarbigen Bandschleifen verziert, auf dem Kopfe
mit Bändern geschmückte Hüte, ziehen an langen Stricken den
ebenfalls mit Bändern behängten Pflug. Sie werden deshalb
zuweilen als plough-bullocks (Pflugochsen, eigentlich Bullen)
bezeichnet. Gewöhnlich begleitet sie ein altes Weib, oder ein
als solches verkleideter Bursch, Old Bessy (alte Liese) gerufen,
mit ungeheurer Nase, langem Kinn, hoher zuckerhutähnlicher
Mütze und drolligem Auiputze. Oft folgt auch ein Narr (fool)
dem Zuge. Er ist über und über mit Bändern bedeckt, ganz
und gar in Felle gekleidet und trägt einen lang
herabhangenden Schwanz; in der Hand führt er eine
Büchse, um bei den Zuschauem der Tänze, welche die Burschen
aufführen, Geld einzusammeln. Das Buch „Costume of Yorkshire
1814 bringt auf pl. XI eine Abbildung des foolplough, als dessen
Hauptcharactere treten uns entgegen: 1) die Pflugzieher, 2) der
Pflugtreiber, der als Peitsche einen Stock mit aufgeblasener
Schweinsblase ftihrt, 3) der Fiedler, 4) ein Bursche in Weiber-
tracht, endlich 5) der Befehlshaber des Ganzen, Redner und
Tänzer in einer PersoÄ, „Captain Caufstail," so genannt nach
dem Kalbsschwanze, den er trägt. Wo die Bursche keine
Gaben erhalten, pflügen sie den Düngerhaufen, oder sie ziehen
den Pflug über den Estrich und reißen den Boden vor dem
Herrenhause auf in Furchen. Brand ftihrt eine reiche Anzahl
von Belegen für das Alter und die Verbreitung der Sitte aus
Essex, Westminster, Norfolk, Lincolnshire, Yorkshire, Northumber-
land saec. 15 — 18 auf. Die christliche Priesterschaft hatte sich
auch dieses Brauchs bemächtigt, von dem Ertrage der Einsanmi-
1) Gervasins. S. 187. Anm. 57.
558 Kapitel VT. Yegetationsgeistdr: Sonnenzanber.
Inng floB ein Teil in die Kirchenkasse. Oft sind es Bruder-
schaften y welche den Umzng zum Besten der Kirche halten. In
Norfolk war laut Blomefield (Hist. of Norf. IV, 287) ehedem die
ganze Einnahme zur Unterhaitang einer danach Flow light (Pflng-
licht) zubenannten Kerze bestimmt, dergleichen die jungen und
alten Ehepaare der Gemeinde in manchen Kirchen yor den hei-
ligen Bildern unterhielten. Häufig ftlhren die Bursche, welche
den Pflug schleppen , einen Schwerttanz auf; da dieser jedoch in
England auch abgesondert und zwar zu anderen Zeiten, auf dem
Festlande aber niemals mit dem Pflugziehen yerbunden vorkommt,
so ist es wahrscheinlich, daB beide Sitten erst in neuerer Zeit
mit einander verbunden wurden. ^ In Dänemark veranstalteten
noch am Ende des vorigen Jahrhunderts die jungen Leute
beiderlei Geschlechts auf Alsen am Neujahrstage eine Gilde,
wozu sie das Geld durch den Pfluggang zusammenbrachten.
Junge Bursche zogen einen Pflug, den ein „Prediger" (Praest)
und ein „Küster" (Degn), sowie ein „Musikant" begleiteten, von
Haus zu Hause und sangen:
1) I lukke op jer Staedör
Lad Nyaar ind til jer gaa.
Velkommeii Nyaar og velkommen her!
Yi ere yelkomne i Herrens Aar og velkomne her.
2) Med Gläde og med Gammen,
Med Helbred allesammen. u. s. w.
3) Med Plommer og med Pärer
Som Sommeren frembärer. n. s. w.
4) Med laDge Rng paa Jolde
Og favre Foler i Stolde. q. b. w.
5) Med Fisk ndi vor F&nge
Og smnkke Piger i Senge»
6) Saa Vuggen den kan gange
Med deilige.Böm og mangc.
7) Nn har den Yise cn Ende
Alt Ond Gnd fra os vendel
Hierauf hielt der Prediger eine tolle Bede, der Musikant
spielte auf, man tanzte mit den Mädchen des Hauses, nahm die
Gaben in Empfang, sang ein Danklied, lud zur Gilde ein und
1) S. Hone, Every Daybook I. London 1866. p. 36. Brand, pop. antiqn.
ed. EUis 1, 1853 p. 505-519. Müllenhoff, Schwerttanz. Berl. 1871. p. ^-37.
Das Pflagnmziehen. 559
zog weiter.^ Die Kirche, das sieht man, hat es sich angelegen
sein lassen, auch diesen profanen Brauch des Pflugziehens an
sich und ihre Institutionen zu knttpfen. Hier fällt der Ertrag
der Einsammlung dem Gotteshause zu, dort wird davon eine
geweihte Kerze unterhalten, an manchen Orten mag versucht
sein, den Lenker des Pflugs durch einen Greistlichen und seinen
Küster zu ersetzen, daher der dänische Name Prsest. Von einer
andern Zeit des Frühlings wurde die Begehung auf Fastnacht
übertragen und die Aussaat von wirklichem Getreide dem Branche
des Aschermittwochs entsprechend in das Ausstreuen von
Asche und Sand (oder Heckerling) verwandelt. Vordem aber
war der Pfluggang eine von der Kirche unabhängige, ganz ernst-
haft gemeinte symbolische Handlung, welche beim Beginn des
neuen Jahres der Ackerarbeit in demselben den besten Erfolg
sichern sollte. Daß in Ulm und anderen Orten der Umzug mit
Schiffen (oder Schiffschlitten) daneben herging, läuft ganz parallel,
er war das Bittfest um günstige Schiffahrt, bevor das Wasser
wieder aufging.' In Dänemark fand der Umzug mit dem Pfluge
am Neujahrstage (1. Jan.) statt, in England am Montage nach
Epiphanias (vgl. o. S. 538), dem sogenannten großen Neujahr oder
Christen Tage (oder at the beginning of the year (o. S. 557), in
Bischofsheim am 22. Febr., dem ersten Tage des alten Civil-
Jahres (gegenüber dem Kirchenjahre und legalen Jahre). Da nun
auch der (erste) März und Ostern, die im Mittelalter ebenfalls
als Jahresanfänge vorkommen, als Tage des Pfluggangs genannt
werden, so könnten sie auch in letzterer Beziehung den Jahr-
1) Sy. GraDdtrig, Gamle Danske minder i Folkeinnnde III. Ejöbenh.
1861. p. 166— 16X. 1) Schließt auf eure Stubentür, daß das Neajahr zu euch
hereingehn. Willkommen Neujahr und willkommen' hier! Wir sind will-
kommen im Jahre des Herrn und willkommen hier. 2) Mit Freude und
Jubel, mit Gesundheit allezusammen. 3) Mit Pflaumen und Birnen, wie sie
der Sommer hervorbringt 4) Mit langem Boggpen auf dem Kornboden und
schönen Füllen im Stall. 5) Mit Fischen in unseren Netzen und schönen
Mädchen im Bett. 6) So dafi die Wiege gehen kann mit hübschen und vielen
lüüdem. 7) Nun hat das Lied ein Ende, Gott wende alles Böse von uns.
2) Es wäre möglich , dafi Tacitus (Germ.) einen derartigen Umzug als
Fest der Isis interpretierte ; an eine deutsche Göttin (Myth > 236 ff.) ist
dabei nicht zu denken; Frau Eisen, das gemeinsame Machwerk des Klee*
blatts Pseudoberosus (Annius von Yiterbo), Aventin und Simrook möge end«
lieh für immer in ihr Rchattenhaffces Nichts zurücksinken.
560 Kapitel VI. Vegetations^ister: Sonnenzaaber.
beginn bezeichnen sollen; wo nichts sind sie als Vertreter des
FrtthlingsaofaDgs aafenfassen. Der Zag bewegte sich wol
ursprünglich überall, wie in Kärnten, zuerst um
die Ackergrenzen, und man erwartete davon woltätige Wir-
kung hinsichtlich der Saatfelder, danach erst wird der Umgang
im Dorfe zur Einsanmüung der Steuer ftlr die segensreiche
Begehung, und zugleich zur Lustration von Menschen und Tieren
begonnen haben. Wir sahen, daß gewisse symbolische Acte
(Wasserguß, Fenerweihe) bei dieser feierlichen Yorpflügung
erforderlich waren; ein solcher sinnbildlicher Zug war unzweifel-
haft auch die Bespannung des Pfluges mit unverhei-
ratet gebliebenen Jungfrauen. Entsprechend jenem Um-
hauen des Emtemai (o. S. 196), der Einholung des Frtthlings-
baumes (o. S. 211) durch die Weiber, muß dadurch das empfan-
gende und gebärende Element der vor der Saatbestellung noch
jungfräulichen Erde angedeutet sein.^ Daß aber in der Tat die-
ser Zug der solennen, feierlichen, Zauberwirkung suchenden Weise
uralter, wirklicher Ackerbestellung angehört, erweist der böh-
mische Aberglaube. Nach Krolmus Staroöeske povösti II, 29.
1) Der Vergleich des Weibes mit einem Fmchtfelde ist ein alter und
weitverbreiteter. In Indien sagte man bei der Ankunft des Brautzuges im
Hause des Bräutigams: „Als Fruchtfeld kam hierher das Weib, als
beseeltes. Säet in sie, Männer, euren Samen/* Atharyaved. XIY. § 2, o. 14.
Weber, Ind. Stud. V, 205. Im Koran (Sure 2. übers, von Boysen. Halle 1774.
S. 36) heißt es: „Eure Weiber sind eure Aecker, geht zu eurem Acker hin,
wie ihr wollt.** Den Griechen war Pflügen ein ganz gewöhnlicher Tropus
für zeugen. Lucrez braucht vomer und snlcus für die männlichen und weib-
lichen Unterscheidungsteile. Umgekehrt kann daher auch das Weib die den
Samen aufnehmende Natur oder Erde bezeichnen. Zu vergleichen steht ein
indianischer Brauch, den Schoolcraffc , Besearches respecting fhe redman T. V.
p. 70; Onäota p. 83 mitteilt, ohne einen bestimmten Stamm zu nennen. Um
sich eine reiche und gesegnete Ernte zu verschaffen und ihr kleines Feld vor
Würmern, Insecten, Eichhörnchen und die Frucht vor Mehltau zu sichern,
geht die Hausfrau bei Nacht und bedecktem Himmel völlig entkleidet auf
den Acker und umwandelt ihn, ihre Macheoota (Hauptbedeckung) mit der
einen Hand hinter sich herziehend. Man setzte voraus, daß das schädliche
Gewünn nicht über die bezeichnete Linie kriechen könne. Es ist bekannt,
wie Longfellow diese Mitteilung Schoolcrafts in seinem Hiawatha XIII, übers,
von H. Schultz, Berl. 1859. p. 100 cf. 174 verwertet hat. Genau so muss
z. B. in Masuren um ein Feld, auf welches Erbsen gesät werden, ein unbe-
kleidetes Frauenzimmer gehen, oder sein Hemde getragen werden, um Mehl-
tau zu verhüten. Toppen« 93.
Das Pflngnmziehcn. 561
Grohmaiui; Abergl. 143, 1058 war es in Rosin Gebrauch, daß die
Leute bei der ersten Aussaat zur Nachtzeit in großem Zuge
ein nacktes Mädchen und einen schwarzen Kater dicht
vor einem Pfluge her aufs Feld führten, wo der Kater
lebendig vergraben wurde. Krolmus selbst sah vor etwa 40 Jahren
zu Kfeseyn drei Weiber, wie sie Gott erschaffen, zur Nachtzeit
einen Pflug, eine Schar und einen Wagen hinter sich auf den
Acker hinausziehen (a. a. 0. II, 39; Grohmann, S. 144). An diese
Sitte enthalten auch noch deutsche Sprichwörter deutliche Erinne-
rung: „t)i, sMt Aage, spSnt sin wttf föör a plugh/' Zieh, sagt
Age, da spannt er seine Frau vor den Pflug, (friesisch).
„So möft kämen, säd de Bär un spennt stn Frfi vor de %g/'^
Sollte noch ein Zweifel walten können über den Zusammenhang
jenes Neujahrs- resp. Fastnachtgebrauchs, die Mägde vor den
Pflug zu spannen, mit der soeben vorgetragenen Beackerungs-
methode, so müßten ihn die nachstehenden Sitten aus Rußland
heben, welche die solenne, zauberwirksame Weise der Feld-
bestellung auf einen Zauber zum Schutze gegen epidemische
Krankheiten angewandt zeigen, und von denen die eine jenem
Neujahrs - (Fastnachts -) brauche , die andere dem Bosiner Saat-
gebrauche näher tritt. Noch im Jahre 1871 suchten die Land-
leute im Dorfe Dawydkowo bei Moskau beim Herannahen der
Cholera die Krankheit gleichsam zu consignieren. Zwölf Jung-
frauen spannten sich um Mitternacht an einen Pflug
und zogen ihn rund um das Weichbild des Dorfelä. In
diesen Zauberkreis sollte die Cholera nicht mehr eintreten können.
Einige Tage darauf entschloß sich die Geistlichkeit des Ortes
mit allen heiligen Geräten eine Prozession um die ausgezogenen
Pflugscharfurchen zu machen, um dem Zauberkreise auch noch
ihre ganz christliche Weihe zu geben. Die Mordwinen im Gouver-
nement Simbirsk umziehen, sobald in den umliegenden Orten sich
eine Viehseuche zeigt. Nachts ihr Dorf mit einer Furche. Der
Ortsvorstand ladet behufs dessen ehrbare Greise und unchuldige
Jtbiglinge und Mädchen zu sich ein. Einer der Greise schreitet
mit dem Heiligenbilde voran und hinter ihm ziehen Jünglinge
den Hakenpflug^ den eine keusche Jungfrau lenkt. Ohne Geräusch
1) Mecblenburg bei Haupt Zs. f. D. A. VIII. 371, 336. E. Höfer, Wie
das Volk spricht. Aufl. 4. Stuttg. 1862. no. 19. 174.
Ifannbardt 36
562 Kapitel VI. Vegetationsgeister: Sonnenzaaber.
und Bede, in lautloser Stille nmiiirchen sie die Ortschaft. Bis-
weilen tragen die Ackerer, gleichsam als Opfer, ein schwarzes
Kätzchen im Kober mit sich. Aas anderen russischen Land-
schaften teilen Orest Miller und Tereschtschenko andere Einzel-
heiten über den Brauch des Pflugziehens (Opaktiovanie) mit
Bei einer Homseuche des Viehs versammeln sich die Weiber im
bloßen weißen Hemde, mit Besen und Schaufeln oder mit Sensen
und Sicheln bewaffnet Die älteste unter ihnen wird vor
einen Pflug gespannt, und muß ihn dreimal rund um das
Dorf ziehen; die übrigen folgen unter Absingung gewisser ftlr
diese Gelegenheit traditioneller Lieder (vgl. o. S. 15).* Nach
Tereschtschenko schreitet eine Jungfrau mit dem Bilde des hei-
ligen Blasius (Ylas) voran, hinterher die Dorfweiber mit Besen
und Strohbttndeln , andere auf Besenstielen reitend und Brat-
pfannen schlagend, lärmend und tanzend; den Schluß machen
einige alte Frauen, welche angezündete Kienspäne in den Händen
halten und im Kreise die vor den Pflug gespannte Oreisin, sowie
eine Wittwe umschließen, die mit nichts anderem, als
einem Pferdekummet am Halse bekleidet ist Vor
jedem Hofe macht die Prozession halt und führt hier mit Töpfen
und Pfannen eine Katzenmusik auf, indem man ausruft: „da ist
der Kuhtod! Da geht er!'^ Läuft zufällig ein Hund oder eine
Katze vorbei, so wird das Tier als der leibhaftige Kuhtod (der
Krankheitsgeist) ergriffen und getödtet Dieser Brauch gilt als
vorzügliche Vorkehrung gegen die Viehseuche. Ein anderer
wird als wirksam gegen verschiedene epidemische Krankheiten
betrachtet Die Weiber schleppen um Mittag auf jedem Elnde
des Dorfes einen Haufen von Wirtschaflsabgängen auf und stecken
beide um Mittemacht in Brand. Zum einen Feuer ziehen die
jungen Mädchen in weißen Hemden und mit lose fliegenden
Haaren einen Pflug; eine trägt ein Heiligenbild hintenan. Zur
zweiten Brandstelle am entgegengesetzten Ende der Dorfstraße
tragen die alten Frauen iichwarz gekleidet einen schwarzen Hahn
und ftihren ihn dreimal herum. Dann ergreift eine Alte den
Hahn und läuft damit zum Feuer der Mädchen * am anderen Dorf-
ende, indeß der ganze Haufe das Geschrei laut werden läßt:
„Stirb, verschwinde schwarze Seuche !'' Dort angekommen wirft
1) Orest MiUer, Opnit I, 10.
Das Pflu^umziehcn. 563
sie das Tier in die Flammen. Die Weiber ziehen jetzt den
Pflug dreimal rund um die Dorfgrenze.* Die Ackerfurche ist
heilig; ihre üeberschreitung rächt sich durch Tod oder Krank-
heit Deshalb limitierte man in Rom die neugegründete Stadt
mit dem Pfluge (primigenius sulcus), nur die Stelle der Tore
freilassend; jedes böse verderbliche Wesen vermeinte man auf.
diese Weise von dem umschlossenen Bezirke fernhalten zu kön-
nen* und aus gleichem Grunde geschah die Umfurchung des
Ortes bei Seuchen, die geheiligte Linie wehrte den Krankheits-
geist (die Pestfrau, den Viehtod u. s. w.) ab. Das Verbot der
Synode zu Lestines a. 743 (Indicul. paganiar. XXni) „de sulcis
circa villas" weist auch diese Sitte dem deutschen Heidentum
zu, wenn nicht gar die Umfurchung des Dorfes mit jenem Frtth-
lingspfluge gemeint ist. Das Ziehen der Furche aber geschah
in jedem Falle unzweifelhaft ganz nach dem fUr das Äckerungs-
vorfest hergebrachten religiösen Ritus, wobei es gleichgiltig
scheint, ob die Jungfrauen (resp. die Jungfrau oder das Weib)
dem Pfluge vorangehen, ihn ziehen oder nachfolgen. Auch die
Bessy des englischen Brauchs werden wir jetzt als das der
Ceremonie unerläßliche Weib verstehen lernen; ist ihr greisen-
haftes, zerlumptes Wesen von Bedeutung, so muß an eine Modi-
fication in der englischen Auffassung gedacht werden, wonach
auf die zur ersten Pflugzeit um Neujahr (Epiphanias) noch winter-
liche Gestalt der Erde angespielt werden sollte (vgl. o. S. 444).
Der in Felle gehüllte, geschwänzte Narr oder Pflug-
filhrer des englischen Brauchs stimmt zu der Katze, welche in
Böhmen mit aufs Feld genommen wird. Eine an anderer Stelle
zu gebende Darlegung wird über die Meinung auch dieses
Brauches willkommene Aufklärung bringen. Das Tier oder der
ein Tier darstellende Mensch repräsentieren den theriomörphi-
schen Vegetationsgeist, der nach Winters Frist wieder befruch-
tend in den Acker geht. Ob der im Simbirkischen aufs Feld
mitgenommene Kater (o.S. 561) denselben Sinn hat, oder den zu
vertilgenden Krankheitsgeist (o. S. 562) darstellen soll, lasse ich
nnausgemacht. Der auf dem Pfluge sitzende Pfingstlttmmel und
der ebenso platzierte Spielmann, der ins Wasser gefahren
1) Tereschtschenko VI, 41. Ct. Baiston, Songs 396 ff.
2) Cf. Schwegler, röm. Geach. I, 389. 438. 446 ff.
36*
564 Kapitel VI. Vcgetationsgeister: Sonnenzaabcr.
wird, dagegen sehen aus wie Darstellungen des anthropomor-
phischen Vegetationsgeistes, der im Brauehe auftritt, wo jener
fortfällt.
In England ftlhrte man zu Neujahr den Pflug ums Feuer
,,that they should fare the better all the year follow-
ing;'' also nicht bloß das Getreide soll gedeihen , alle mensch-
lichen Angelegenheiten sollen guten Fortgang haben. Das
dänische Lied beim Pfluggange nennt als die Gabe, welche die
Prozession mit sich bringt, Gesundheit des Leibes, Gedeihen des
Obstes und Getreides, des Viehes, des Fischfangs, und viele und
schöne Kinder in der Wiege. Der deutsche Umgang zu Fast-
nacht, Pfingsten u. s. w., der den Acker nicht mehr berührt, setzt
eine gleiche Verallgemeinerung der Idee der Fruchtbarkeit vor-
aus. Wir sehen also auch in diesem Falle den schon vielfach
von uns nachgewiesenen, zur vollen Identifizierung hinstrebenden
Parallelismus des Pflanzenlebens mit dem animalischen bestätigt
Ist dieses aber der Fall, war die Verbrennung eines Pfluges,
oder Umwandlung eines Feuers mit dem Pfluge nur eine Modi-
fication des Frühlings- (Fastnachts-, Oster-) feuers, so mögen auch
Menscheü durch ein solches Feuer, in dem Pflugscharen glühend
gemacht waren, gelaufen oder gesprungen sein in der Meinung,
dadurch fUr sich und alle die Ihrigen Gesundheit und alle jene
Güter der Fülle und des Wachstums zu erwerben. Die Erfah-
rung mannigfacher Verletzung bei diesem Sprunge kann den
Glauben begründet haben, daß nur der Rechtschaffene unverletzt
die Flammen durchschreite und der Heiltümer teilhaftig werde,
der Frevler zu seinem Schaden das Gegenteil erfahre. Und so
hätten wir mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die heidnische
Vorstellung und Sitte aufgefunden, an welche die christliche
Priesterschaft anknüpfte, als sie zu einer Art des Ordals, zum
Gottesgericht flür solche, die sich von einem Verdachte zu reinigen
hatten, das Ueberschreiten von neun, im Feuer
geglühten, in bestinmiter Entfernung von einander ausgelegten
Pflugscharen mit bloßen Füßen (R. A. 914) machte.V
Das Ordale der glühenden Pflugscharen hat uns wieder zu
dem Hauptgegenstande der Besprechung in dem vorliegenden
1) Doch wie verhält sich dazu der Wurf mit gltihender Pflt^char zu
Ermittelung gesetzlicher Weite? G. D. S. S. 58 £
Feaerdurcbgang. Hochzeitbraach. 565
Abschnitte, den Frühlings- und Mittsommerfeaern zurückgeführt.
Wenn es bisher etwa noch unbewiesen scheineri konnte y daß die
Verbrennung, also Vernichtung des Baumes, der Puppen u. s. w.
eine sinnbildliche Darstellung des Hindurchgangs der Vegetation,
des Vegetationsdätnons durch die Sonnenwärme des Sommers war,
so hebt die Verbrennung des Pfluges, „bis er zu Trümmern
fällt '^ (o. S. 553) jedefi Zweifel, daß in der Tat der erwähnte
Gedanke in dieser rohen Weise verbildlicht ist, daß der Umstaftd
der Vernichtung des Symbols hinsichtlich seiner Deutung nicht
in Anschlag gebracht werden darf
§ 14. Feaerdurcbgang. Hochzeitbraach. Wir schließen
mit zwei Bemerkungen. Die eine davon ist ein neuer Nachweis
des Parallelismus der Vegetationsdämonen und der Menschen-
welt. Denn nur durch Vermittlung der VorstelUing von dem
Maibrautpaare (o. S. 431 ff. 450. 462) erklärt sich, wie mir
scheint, die Uebertragung der Bräuche des Mittsommer- oder
Frühlingsfeuers auf die Hochzeit. In der Gegend von Jüterbogk
und den benachbarten Gegenden der Mark Brandenburg war es
noch im vorigen Jahrhundert Sitte , nach der Hochzeitsfeier ein
altes Wagenrad vor dem Hause oder auf einem
Hügel zu verbrennen und die Hochzeitgesellschaft einen
festlichen Tanz um dasselbe machen zu lassen. ^ Bei den Klein-
russen muß die Braut auf der Fahrt nach der neuen Heimat
mitten durch ein kleines Feuer fahren, das vor dem
Tore angezündet wird. Zieht der Hochzeitszug abends aus der
Kirche, so wird vor jedem Dorfe ein Strohfeuer entloht, bei
welchem man so lange anhält, bis die Freiwerberinnen aus dem
ersten Schlitten daran kleine Kuchen gebacken haben. Auch
der Bräutigam bei den Protestanten im Gömörer Comitat läßt,
wenn er die Braut zur Trauung abholt, den Wagen mehreremale
halten, wirft Stroh hinab, entzündet ein Feuer davor und leert
bei diesem mehrere Gläser Branntwein. In Podlachien gehört
zu den Gerichten des Hochzeitmahles ein Hahn. Diesen hat
man, ehe man ihn tödtet und brät, zuvor an eine Leiter fest-
gebunden, und über einen brennenden Scheiterhaufen
1) Kahn, Mark. Sag. S. 362.
566 Kap. VI. Yegetationsgeister : Sonnenzaaber. Yerbrennang d. Maibaoms.
hin und her laufen lassen, den man zu diesem Zwecke
auf einer Höhe errichtet hat. ^
§ 15. Yerbrennung des Maibaums. Die andere Bemer-
kung betrifft die Verbrennung des Maibaums, nachdem er ein
Jahr lang (oder wenigstens längere Zeit hindurch) seine Stelle
behauptet. Ich finde eine solche mehrfach in gewissermaßen
feierlicher Weise geschildert. Im Prager Kreise brechen sich die
jungen Leute Zweige des gemeinschai'tlichen Maibaums ab und
stecken sie in der Stube hinter den HeiUgenbildem fest, wo sie
bis zur nächsten Maitagsfeier aufgehoben und dann auf dem
Herde verbrannt werden.^ Aus Belgien berichtet Schay es :
,,ä la fin du mois de Mai on se rend la musique en tSte ä
chaque endroit, oü se trouve un mai, qui alors est cass6 on
brälö.^ InWttrtemberg verbleiben ebenfalls die auf Palmsonntag
an der Stall- resp. Haustttre aufgehängten, mit Buchsbaum, Tan-
nenzweigen, Eiern, Aepfeln und Nüssen geschmückten Büsche
daselbst, bis sie herunterfallen oder nach Jahresfrist ver-
brannt werden (o. S. 289).
Es scheint aus dieser Uebereinstimmung hervorzugehen, und
wir werden es später noch bestätigt finden, daß die Verbrennung
des alten Maibaums ein traditioneller Zug war. Lag demselben
eine tiefere Bedeutung zu Grunde, so mag es analog dem Wasser-
begießen der letzten Garbe des alten Jahres als Begenzauber
ein Sonnenzauber gewesen sein, um der neuen Vegetation Licht
und Wärme in erwünschtem Maße zu sichern.
1) Beinsberg-DüriDgsfeld, Hochzeitsbuch. S. 39. 27. 54. 46. 41.
2) Erolmus 11, 257, 22. Beinsberg - D&ruigsfeld , bohm. Festkalender.
S. 217.
3) Schay es A. G. B., Essai historiqne. Louvain 1834. p. 209.
k«ihm tu
Yegetationsdämonen : Nertlius.
§ 1. Tacitas Aber die Nerthusumfahrt. Obwohl die bis-
her erörterten Frtthliiigsgebräuche das Ansehen eines weit älte-
ren Ursprungs tragen , reichen die meisten Zeugnisse fUr diesel-
ben nicht über den Anfang dieses Jahrtausends zurück; nur eine
wertvolle Angabe des Posidonius schien uns das Vorhandensein
unserer Frühlingsfeuer in Gallien bereits im 2. Jahrhundert der
vorchristlichen Aera zu bekunden. Diese Beobachtung muß an
Wahrscheinlichkeit gewinnen, wenn es gelingen sollte^ in des
Tacitus Aufzeichnungen über Deutschland (Germania c. 40) eine
weitere Spur dieser Classe von Gebräuchen nachzuweisen. Die
Wichtigkeit dieses Stückes fär die vaterländische Altertumskunde
möge zur Entschuldigung dienen ^ wenn wir demselben eine alle
Möglichkeiten erwägende breitere Behandlung widmen. ,,Beu-
digni deinde et Aviones et Anglii et Yarini et Eudoses et Suar-
dones et Nuitones fluminibus aut silvis muniuntur. Nee quidquam
notabile in singulis, nisi quod in commune Nerthum, id est Ter-
ram matrem, colunt eamque intervenire rebus hominum, invehi
populis arbitrantur. Est in insula Oceoni castum nemus dica-
tumque in eo vehiculum, veste contectum, attingere uni sacer-
doti concessum. is adesse penetrali deam intellegit vectam-
que bubus feminis multa cum veneratione prosequitur. laeti tunc
dies, festa loca, quaecunque adventu hospitioque dignatur.
non bella ineunt, non arma sumunt, clausum omne ferrum; pax
et quies tunc tantum amata, tunc tantum nota, donec idem sacer-
dos satiatam conversatione mortalinm deam templo reddat. mox
vehiculum et vestes et, si credere velis, numen ipsum
secreto lacu abluitur. servi ministrant, quos statim lacus
haurit. arcanus hinc terror sanctaque ignorantia, quid sit illud
568 Kapitel VII. YegetationBd&mouen: Nerthos.
quod tantum peritari videnf An Ausftihrlichkeit und ABSchaa-
lichkeit kommt keine einzige Sittenschilderong in der Germania
der vorstehenden gleich; sie verrät sich als die Beobachtung
eines Römers, der auf einer Reise den ihm auffalligen Kultus-
gebrauch erlebte und weiter erkundete. Das Interesse daftir
setzt höhere Bildung voraus ; die militärische Position , die etwaige
Verteidigungsfähigkeit des Landes hatte einen Gegenstand seines
Studiums gebildet; er war vertraut mit dem Leben resp. den
geistlichen Schaustellungen in der kaiserlichen Reichshauptstadt
Zwar scheint dieser Augenzeuge nicht Tacitus selbst gewesen zu
sein; der, wenn er überhaupt aus persönlicher Beobachtung
schöpfte, allen Anzeichen nach seine Warnehmungen am Nieder-
rhein gemacht hat,^ jedesfalls aber ein ihm an Gesinnung und
Lebenstellung nahestehender Mann.
§ 2. Der Sckauplatz des Festes. Ueber den Wohnsits^
der 7 Stämme, welche den Nerthusdienst begangen haben sollen,
läßt sich nur soviel mit einiger Gewißheit sagen, daß er nördlich
vom Bardengau (im Lttneburgischen) anzusetzen ist und wol einen
großen Teil des heutigen Schleswig -Holstein (also ein Gebiet
von mindestens 100 — 200 Geviertmeilen) in sich begriff. Die
Angeln müssen im östlichen Schleswig, die Varinen ihnen zur
Seite gedacht werden, die Avionen (goth. Aujans, ahd. Ouwon,
agl. Eävan Inselbewohner?) auf den Inseln an Schleswigs Ost-
oder Westküste.^ An letzterer (im friesischen Wattenmeer) , oder
vielleicht eher noch — wie MüUenhoff will — am meerbusen-
artigen Unterlauf des einst noch breiteren Eibflusses werden
wir auch die Insel zu suchen haben, von wo aus die heilige
Prozession ihren Ausgang nahm. Der Besucher mochte mit
einem jener damals noch vereinzelten römischen Schiffe gekom-
men sein, deren ein Jahrhundert später häufig gewordenen Ver-
kehr in diesen Gegenden die schleswigschen Moorfunde zu bezeu-
gen scheinen.
§ 3. Glaabwflrdlgkelt der Nachrieht. Tacitus pflegt
seine Gewährsmänner sorgfältig zu wählen; die Glaubwürdigkeit
der berichteten Tatsachen darf daher nicht bezweifelt werden;
1) Cf. G. Freytag, Bilder ans d. d. Vergangenheit, B. I. 1867. S. 32 ff.
2) S. MüUenhoff, NordalLing. Stndien I, 117 ff. Grimm, G. D. S. 472.
Cf. C. Taciti Germania ed. Schweizer- Sidler. Halle 1871. S. 72 ff.
Glaabwürdigkeit der Nachricht. 569
aber dabei ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß er die
Aussage des Berichterstatters mißverstand und weder Vollstän-
digkeit selbst der wesentlichen Züge , noch eine zutreffende Wie-
dergabe des inneren Zusammenhanges und der Motive der ange-
schauten Handlungen steht zu erwarten, vielmehr werden grade
die Angaben über diese mit größerer Wahrscheinlichkeit den
Schlußfolgerungen des Tacitus selbst oder seines Berichter-
statters ihren Ursprung verdanken. Grade die Germania zeigt
an mehreren Stellen, daß Tacitus die Beweggründe, die psycho-,
logischen Anlässe der deutschen Sitten zu ideal, zu philosophisch
auffaßte. Vgl. z. B. was er Gap. IX über den noch bildlosen
Gottesdienst der Germanen äußert. Je deutlicher hier irgendwo
der Stempel taciteischen Geistes sich bemerkbar macht, um so
gewisser sind wir berechtigt, unbekümmert um die Auslegung
des Autors die tatsächlichen Züge herauszuheben, und nur diese
unserer eigenen Deutung zu Grunde zu legen. In hohem Grade
aber prägt sich grade in der taciteischen Schilderung des Nerthus-
dienstes der eigenartige Gharacter des Schriftstellers ab, jene
Hoheit und Würde, die Plinius ihm nachrühmt, das Bestreben,
auf das innerste Wesen, in den psychologischen Grund der
Erscheinungen einzudringen, bei der Darstellung in gedrängter
sentenziöser Kürze allein das Bezeichnende und seiner Ansicht
nach Wichtigste herauszuheben. Wenn dabei seine Subjectivität
einen weiten Spielraum fand, so mag es leicht geschehen sein,
daß er unwillkürlich seinen objectiven Stoff durch Umdeutung
veränderte. „Nee quidquam notabile in singulis nisi quod in
commune Nerthum colunt,'^ heißt das, „sie haben ein
gemeinsames Heiligtum oder Fest einer Gottheit Nerthus^' oder
„von jedem einzelnen Yolksstamme v^ßte ich nichts Besonderes
(proprium) zu sagen, aber alle diese Yolkstämme haben eine
gemeinsame, von andern Völkerschaften sie unterscheidende
Eigen tümlickheit, die Nerthusverehrung?'' Im ersteren Falle wäre
der Kult nur an einem einzigen Orte oder von einem Orte aus-
geübt, in letzterem könnte er an vielen Stellen zugleich, nur auf
gleiche oder ähnliche Weise vollzogen sein. Des Tacitus ganze
Darstellung läßt uns darüber nicht im Unklaren, daß er selbst
seinen Ausdruck in ersterem Sinne verstanden wissen wollte.
Wir werden jedoch am Ende unserer Erörterungen die Frage zu
erwägen haben, ob nicht etwa die überlieferten Tatsachen den
570 Kapitel YII. Vegetatioiuidamönen: Nerthns.
Schloß heransfordern, daß sein Gewährsmaim eine ähnliche
Wendung in anderer Meinnng gebraucht hat. Zergliedern wir
zunächst den sachlichen Inhalt der taciteischen Schilderung.
§ 4. Der Name Nerihas. Den sieben vorher genannten Stäm-
men gemeinsam war eine gottesdienstliche Begehung , in Bezug auf
welche der römische Berichterstatter den einheimischen Namen
Nerthus yemahm. Diese Lesart , welche Uhland^ zu Gunsten
der wegen des folgenden Terra mater vorgezogenen Variante
Herthum bekämpft ^^ hat die größere Beglaubigung f)lr sich.^
Von ihr müssen wir ausgehen, wenn gleich das ungewöhnliche
h nach t Anstoß und Bedenken zu erregen geeignet ist. Im
ganzen Gebiete des germanischen Sprachschatzes bietet sich keine
andere Analogie^ als der Name einer altnordischen Gottheit
Njördr j der in gothischer Sprache ausgedrückt Nairthus (Nerthus),
in althochdeutscher Zunge Nirdu gelautet haben wttrde. Aus
dieser schönen Entdeckung J. Grimms aber sofort auf eine dem
Njördr entsprechende deutsche Göttin Nerthus zu schließen,
wäre yerfrttht, da wir nicht allein die Möglichkeit einer Verderb-
niß der Ueberlieferung des Namens Nerthus von Tacitns bis auf
Enochs Msc. uns gegenwärtig halten, sondern auch dies berück-
sichtigen mttssen, daß der Ausdruck Nerthus nicht notwendig
eine Gottheit bezeichnen mußte, vielmehr möglicherweise nur die
Bezeichnung der Geremonie, oder eines wesentlichen Stückes
darin war, falls die „interpretatio Bomana: Terra mater ,^( wie
wir sehen werden , auf die Aehnlichkeit der Bräuche sich stützte.
Selbst wenn eine Gottheit und sogar eine dem nordischen Njördr
verwandte gemeint war, muß nicht unbedingt an eine weibliche
gedacht werden ; die augenfälligen Aeußerlichkeiten des bildlosen
Gultus konnten die Vergleichung mit der Terra mater hervor-
rufen, auch wenn dem Worte Nerthus in der Sprache der Ein-
1) Sagenforschungen II. Odhin. Schriften VI, 187.
2) Als durch fehlerhafte Wiederholung des ne Ton commune ans der
Lesart „in commune nehertum" entstanden.
3) Cf. Germania antiqua. Comelii Taciti libellum ed. MüUenhoffius.
S. 37. Holtzmanns Einfall (Germ. Altertümer Lpzg. 1873, S. 69. 254 die aus
in commune entstandenen Verderbnisse der Stuttgarter Codices inamine,
mamme für Herstellung einer Lesart Ammun Ertham zu verwerten, fallt
abgesehen von der Handschriftenfrage durch die Notwendigkeit des Gegen-
aataes yon in commune zu singullB.
Bedeutaug der Interpretatlo Terra mater. 571
geborenen männliches Geschlecht zukam. NjörSr durch Umlaut
entstanden aus njar-du-r (Brechung von nir-du-r) würde einem
goth. Nair-I)U-s (Brechung von Nir-pu-s) entsprechen. Dieses
wäre gebildet wie die Masculina dau - 1)U - s (Tod , Zustand des
Hinschwindens von divan stumpf sem, todt sein) lei-l)u-s Wein,
Fltlssigkeit (von Wurzel 11 flüssig sein), vahs-tu-s Wuchs (von
vahsjan wachsen) lus-tu-s Lust (Wz. lash, begehren), drauhti-
nassus, skalkinassus u. s. w. (aus drauhtmat - tu - s , skalkinat-
tu-s) Kriegsdienst, Dienst (von drauhtinön, skaUdnön dienen);
die latein. Masc. motus, exitus, fluctus, saltus, die griech. Fem.
ßorjTvg, öaizvg, idrjzvg, lauter Abstracte mit dem primären Suffix
tu von Verbis abgeleitet. Nur hlit-tu-s Dieb von hlitan stehlen
gewährt das Beispiel eines Nomen agentis. Nerthus würde nach
diesen Analogien aui' einen Stamm niran, goth. nalran zurück-
gehen, der den germanischen Sprachen verloren ist und über-
haupt als Verbum nicht mehi* vorzukommen scheint, unzweifel-
haft aber aus Skr. nara Mann, Mensch, griech. dvi^Q, umbrisch
ner Mann, osk. neres viri strenui, sabin, neriOy enes Mannheit,
Tapferkeit, Kraft, wälsch ner-th, Kraft, Macht, Hilfe, ner -thus
kräftig mächtig, gälisch near-t Gewalt, near-tor kräftig mit der
Bedeutung kräftig sein, sich als Mann beweisen, wird erschlos-
sen werden dürfen. Nerthus resp. Njördr könnten mithin Mann-
heit, Erweisung der Manneskraft, oder den als Mann sich Erwei-
senden bezeichnen.^
§ 5. Bedeatung der Interpretatlo Terra mater. Id est
Terram niatrem , das ist die Interpretatlo Romana (Germ. 43) des
in den nächsten Sätzen beschriebenen Gebrauches; und zwar
hatte Tacitus oder sein Gewährsmann dabei nicht sowol die von
der nationalen Priesterschaft bei feierlichen Gelöbnissen als
Terra mater gewöhnlich mit den Manen angerufene Tellus,'
1) H. Leo in Haupt Zs. f. D. Altert. UI, 226, 10. Simrock, Handb.
d. D. Myth.« 179. Oh. W. Glück, die kelt. Namen bei Cäsar. München
1867. Corseen, Za. f. Tgl. Spracht V, 116 ff. Cf. Cnrtius, Grundzüge.
Lpzg. 1868. S. 275 Nr. 422. Pick , Indogerm. WB. 1868. 8. 103.
2) Diis manibns matriqne Terrae. Livias 8, 6. cf. 8, 9. 10, 28. Qnum
irraens vnlgas (beim Tode Galliens) pari clamore Terram matrem Deosqae
inferos precaretnr. Anr. Yict. Caes. 33. Von Bratas: Illt tacens pronns
matri dedit oscnla Terrae. Ovid Fast. II, 719. Cf. Preller, Rom.
Myth. Aufl.' i02. Uhland, Schriften VI, 187.
573 Kapitel YII. VegetatioiiBd&moneD: Nerthas.
als vielmehr abweichend von dem sacralen nnd sonstigen Sprach-
gebrauch die phrygische magna mater, mater defim im Sinne,
welche von den römischen Gelehrten als Göttin des Erdnindes
aufgefaßt werde.* Denn die Gebräuche, welche die jährlichen
Feste der letzteren in Rom den Bewohnern der Hauptstadt zur
Schau stellten, waren in so vielen Stücken dem Nerthnskulte
gleich, daß sotbrt einleuchten muß, woher der Beobachter zu
seinem Vergleiche kam. Vorzüglich kommt hierbei das Märzfest
in Betracht, wie es seit Kaiser Claudius begangen wurde. Es
begann mit dem 22. März, der im römischen Festkalender mit
dem Namen arbor intrat bezeichnet war. Im Pinienhain der
Cybele wurde dann ein schöner Baum auserkoren, sein
Stamm mit wollenen Binden bewickelt, seine Aeste mit Krumm*
Stab, Tympana, Flöten, Klappenblechen (den Symbolen des Kul-
tus) behangen, außerdem reichlich mit frischen Veilchen, den
Erstlingen des Frühlings , geschmückt und umkränzt, und dazwi-
schen die Figur eines Jünglings, des entmannten und
gestorbenen, sodann in die Fichte verwandelten Attis, des Lieb-
lings der Cybele aufgehangen. Dieser Baum wurde abgehauen
und feierlich (solemniter) in das AUerheiligste (adyton , sacrarium)
der großen Mutter getragen.^ Es folgte eine Zeit des Fastens,
1) Nam et ipse Yarro qaasi de ipsa tnrba verecandatos anam deam
vult esse Tellnrem. Eamdem, inqait, dicunt Matreni magnam, quod
tympanum habeat, significari esse orbem terrae: quod turris in capite»
oppida; quod sedes fiugantur circa eam, cum omnia moveantur, ipsam non
moveri. Augustin. civ. Dei VII, 24. Opp. Bassan. 1797 Sp. 236. Cf. id,
VI; 8. Sp. 203. Si autem interpretationis hujus, quando agitur de sacris
Matris deüm, caputest certe^ quod Mater deüm terra est. — Lucretias
n. r. 11,657: Concedumus et hie terrarum dicat et orbem esse Deüm
matrem.
2) Amobius 5, 16. 21. Quid sibi vult illa pinus, quam semper statis
diebus in Deöm matris intromittitis sanctuario. nonne illins similitudo est
arboris, si quae sibi fnrens manus et infaelix adolescentulus intulit et gene-
trix divüm in solatium sui vulneris consecravit ? Quidlanarumyellera,
quibus arboris colligatis et circumvolvitis stipitem? Quid
compti yiolaceis coronis et redimiti arboris ramuli? Jul. Firmicus de
error. 3, p. 3. B. profan, rcl. In sacris Fhrygiis , quae matris Deum dicunt,
per annos singulos arbor pinea colitur , et in media arbore simulacrum
juvenissubligatur. Jo Lyd. de mens. lY, 41: ttqo fftxnfjiiäg Kttkavd^
AnqiKtov (ad. XI K. Apr. = 22. März) S4vS^ov nirvg na^ä rcSv Sbv^qo'
Bedeutung der Interpretatio Terra msier. 573
der Trauer^ bitterer und exstatischer Klage während melirerer
Tage, welche Macrobius unter dem Namen ycacaßaaig znsanmien-
faßt. Auf die Trauer folgte am 25. März (Hilaria) die Freude
und der Jubel, Attis wurde als wieder aufgelebt und der Göttin
wiedergegeben gefeiert, nun da der Tag merkbar den Sieg über
die Nacht gewann.^ Nach einem Ruhetag (requietio) fand am
27. März ein feierlicher Umzug statt; das Bild der Göttermutter
wurde auf einem von Bindern gezogenen Wagen durch
die Stadt gefahren (ein schwarzer eckiger Stein bildete in
Silber gefaßt das Gesicht des Idols), umdrängt und umwogt von
einer unabsehbaren vielfach maskierten Menge aus allen Ständen,
welche sich jegliche Art von Spaß erlaubte. Das Ziel des Um-
zugs war die Mttndung des Flusses Almo in die Tiber
dicht Yor der Porta Capena (Porta di San Sebastiane) dort
wurde das Bild der Göttin sammt dem Wagen gebadet,'
woher der Tag dies lavationis hieß. Auf Zeugung bezügliche
Lieder wurden bei dem Umzüge gesungen^ und wenn es mehr
als wahrscheinlich ist, daß auch in dem seit Claudius yervoU-
ständigten Kultas die älteren Bräuche noch fortdauerten, so hat
man bei der Rückkehr in die Stadt Wagen und Zugtiere mit
den jungen Blumen des Frühlings bestreut,^ während ein
(poQMf i(piQ€-io iv T^ nalvrCo'. Cf. Bötticher, BatiinlniltaB 8. 142. Preller,
Rom. Myth. Aufl. 1. p. 737.
1) Jul. de Dmatr. V, p. 168: xffivfaO-ttL yttQ ffatsi ro IfQOY i^Mnov ytt^
21» 10 quo primum tempore boI diem longiorem nocte protendit.
2) AmmiaD. Marcel. XXIII, 3 p. 259 Lindenbrog: ante diem sextum kal.,
quo Roroae matri deoram pompae celebrantur annales, et carpentnm,
qao vehitnr simalacrnm Almonis undis ablai perbibetur.
3) AngQstin Civ. Dei II, 4: Ludis tnrpissimis qui diis deabusque exhi-
bebantnr obtestabamar. Caelesti virgini et Berecyntbiae matri omnium, ante
cigiis lecticam die solemni lavationis ejus talia per publicum cantitabantnr
a neqoiBsimis scenicis , qualia non dico matrem deomm , 3bd matrem qaa-
linmcanqne senatoram vel quonimlibet honestomm yiromm immo vero qoa-
Ifa nee matrem ipsorom scenicomm deceret andire.
4) Orid Fast. IV, 336 ff.: Est locus, in Tiberin qua lubricus influit
Almo, et nomen magno perdit ab amne minor. Illic purpurea canus cum
veste sacerdos Almonis dominam sacraque layit aquis .... Ipsa
(Dea) sedens planstro porta est invectar Capena, Sparguntur junctae
flore |recente boves. Cf. die Schilderung des Lucrez vom Umzug der
574 Kapitel VII. Vegetation sdamonen: Nerthns.
Priester und eine Priesterin phrygischer Abknnft unter Flöten-
spiel und PaukenscUag und Absingung heiliger Lieder von der
Mutter (jtijTQiiKi fuh]) Stadtviertel bei Stadtviertel einen
Umgang (a;/€^/<og) hielten un.d Haus bei Haus Gaben (stips)
einsammelten, man nannte das r^ tirjTQi dyeiQuv.^ In Rom
war einzig und allein diese Collecte von Seiten religiöser
Körperschaften erlaubt.^ Die Umfahrt der großen Mutter
auf dem rinderbespannten Wagen und ihr Bad sammt
dem Fahrzeug sind so augenscheinliche Aehnlichkeiten mit dem
von Tadtus geschilderten deutschen Brauch, daß offenbar um
ihretwillen die Bezeichnung des letzteren als Kultus der Terra
mater statt hatte. Unmöglich bleibt es nicht, daß auch noch
andere Ztige des deutschen Gottesdienstes geartet waren, einen
mit dem Gybelekult der römischen Hauptstadt bekannten Mann
in dieser Gleichsetzung zu bestärken. Für uns aber tritt, da das
Urteil des Römers auf dem Vergleiche von Aeußerlichkeiten
beruhte, die Berechtigung sowol als Verpflichtung ein, lediglich
den tatsächlichen Inhalt der taciteischen Schilderung zu Rate
zu ziehen.
§ 6. Tatslehllcher Inhalt des taciteischen Beriehtes.
1) Fällt mit der Conjectur des taciteischen Gewährsmannes jeder
Beweis fUr die Geltung der Nerthus als Erdmutter, ja als eine
weibliche Gottheit überhaupt hinweg, so bleibt — wie es scheint —
als tatsächliche Grundlage des Berichtes der Glaube ttbrig, daß
ein Numen, sei dies nun weiblich oder männlich gedacht zu
gewissen Zeiten, um auf die menschlichen Angelegenheiten den
Einfluß zu üben, sich einfinde (intervenire rebus hominum) und
auf einem Wagen zu den Völkern komme (invehi populis). Die
Annahme liegt am nächsten, daß die Erscheinung der Gottheit
zu bestimmten mit Regelmäßigkeit wiederkehrenden Zeiten statt
hatte, darauf bezieht sich der erste Satz, der zweite spricht von
einer Prozession, welche nach dem Wamehmen der Erscheinung
des Numen tfegann.
mater Idaea durch die Erde ü, 639: aere atqne argento stenitiiit iter omne
▼iaram, largifica stipe ditantes, niDguntqae rosarum floribus, umbrantes
matrem oomitomqiie catervam.
1) Ovid Fast. IV, 350. Preller Rom. Myth.» S. 450 ft.
2} Cicero de leg. U. Praeter Ideae matris famalos eosqne jnstis diebus
ne quis stipem cogito.
Die Tataachen des Berichtefl. 575
2) Der Ausgangspunkt der Prozession war ein heiliger Wald,
oder vielmehr ein solcher, welcher in stiller Abgelegenheit darch
den Besuch der Menge nicht entweiht war (castum nemus). Es
wird der Wahrheit nicht fem liegen, wenn wir vermuten, daft
um dieses Umstandes willen einem Walde auf der Insel der
Vorzug vor einem solchen auf dem Festlande gegeben wurde. ^
War dies der Fall, so wird am ehesten an ein der Küste nahe
liegendes oder im Strome belegenes kleineres unbewohntes Eiland
zu denken und schon deswegen eine größere Insel, wie Rügen,
Femam u. s. w. außer Acht zu lassen sein.
3) Der Umzug begann, sobald der Priester an gewissen
Zeichen wamahm (intellegit), daß die Gottheit in ihrem Heilig-
tume (penetrale) zugegen, daß ihre Erscheinung eingetreten sei.
J^acitus will, wie es scheint, den Ausdruck penetrale auf den
verhüllten Wagen bezogen wissen, während es viel natürlicher
wäre, an das AUerheiligste des Waldes, das castum nemus zu
denken. War das Numen in diesem nicht zu allen Zeiten gegen-
wärtig, so erfUllte es unzweifelhaft, sobald es erschien, auch den
Wagen. Wie leicht konnte Tacitus hier den Worten seines
Berichterstatters durch leise Verschiedenheit der Auffassung eine
andere Wendung geben, wie leicht dieser selbst, (der doch
schwerlich mit im Walde gewesen ist) seinen Gewährsmann miß-
verstehen. Und auch dies werden wir nicht mit Notwendigkeit
dem taciteischen Bericht als tatsächlich zu entnehmen haben,
daß das dicatum vehiculum schon vorher dort bereit gestanden
habe, gleichsam das Nahen der Gottheit erwartend, sondern
es war da in dem Zeitpunkte, wann die Prozession beginnen
sollte.
4) Auf einem mit Kleidern (oder Tüchern ?) verhüllten Wagen
wurde das Numen zum Festorte gefahren. Wie der Wagen über
das Meer auf das Festland zu den „populis'' gelangte, sagt
Tacitus nicht. Diese Breviloquenz kann ein Fingerzeig sein,
daß seine Schilderung auch andere wesentliche Züge ver-
schweigt Zugleich aber dürfte die Nichterwähnung des
Schiffes eine indirecte Bestätigung der Annahme enthalten, daß
1) Sehr in die Irre geht ühland, wenn er in seiner Schwab. Sagen-
konde (Schriften YIII, 44— &3) zn erweisen sucht, der Inselhain der „Erd-
mntter" sei eine Erinnemng an die überseeische Urheimat der Grermanen.
576 Kapitel VII. Vegetationsd&inoiien : Nerthüs.
die Seefahrt keine weite , die fragliche Insel nur ein Eiland in
der Nähe des Landes war (o. S. 586).
5) Der Wagen war von Kühen (bnbns feminis) gezogen and
mit Gewandnng bedeckt (veste contectnm). Er enthielt
offenbar kein Götterbild , aber wahrscheinlich irgend ein Symbol
der Gottheit. Kinder waren die ältesten Zugtiere ; im Gottesdienst
und im Hofbranch, den trenesten und beständigsten Bewahrem
vergangener ColturzuslAnde nnd Formen y dauerten sie auch dann
noch fort, als sie längst yom feurigeren Rosse auf allen höheren
Lebensgebieten ersetzt waren. Noch die merovingischen Könige
fuhren mit Rindei^spann; bei Todtenbestattungen, die an der
Heiligkeit religiöser Acte teilnahmen, wurde der Leichnam nach
Ausweis fränkischer Heiligenlegenden mit Ktthen oder Ochsen
zu Grabe gefUirt;^ in Anhaltischen Orten unweit Zerbst läBt.
man noch heute jeden Todten auf einem mit Ochsen bespannten
Wagen zuvor in einen Teich fahren.* Bei der Feldbestellung
und im Gebrauch des kleinen Ackerbürgers dauert das Binder-
gespann dagegen vielfach noch fort Da zu Tacitus Zeit (Germ. 10)
bei anderen deutschen Stämmen bereits heilige Bosse an den
Wagen geschirrt, zu gottesdienstlichen Zwecken dienten, wird
man zweifelhaft sein, ob das Knhgespann der Nerthus eine in
diesem Kultus bewahrte archaistische Beminiscenz war, oder ob
ihm eine besondere Absicht zu Grunde lag. In diesem Falle
könnten die Binder auf eine Beziehung der Prozession zum Acker-
bau, ihr weibliches Geschlecht auf die Idee der Befruchtung hin-
weisen. Wie man sich das vehiculum veste contectum zu
denken habe, scheint eine bereits von Grimm angezogene, aber
nicht ausgenutzte Analogie deutlich genug anzuzeigen. Der
heilige Martin von Tours begegnete einst einem Leichenzuge, den
er für einen heidnischen Umgang hielt : „Accidit autem in seqnenti
tempore, dum iter ageret, ut gentilis cujusdam corpus, qnod ad
sepulcrum cum superstitioso ftinere deferebatur, obvium habere!
Conspicatusque eminus venientem turbam quidam id esset ignaros
pauUulnm stetit. Nam cum fere quingentorum passuum inter-
vallum esset, ut difficile fuerit dignoscere quid videret, tarnen
1) S. Mannhardt, Germ. Mythens. 51—52.
2) H. Pröhle, Magdeburger Correspondent 1850. Qnart. 2. H. Pröhle,
Harzsagen 1854. p. XXXI.
Die Tatsachen des Berichtes. 577
qnia rasticam mannm cerneret et agente vento linteamina
corpori saperjecta volitarent profanos Bacrificiomm ritus
agi eredidit: quia esset haec GaUorum rusticis consududo simu-
Idcra daemonum candido tecta vdamine misera per agros suos
eircumferre dementia}^ ^ Ganz so wird noch jetzt z. B: in Beken-
dorf im Halberstädtschen and zn Homhansen der Sarg jeder
Wöchnerin nnter einem weißen Laken anf den Friedhof getragen
und ins Grab gesenkt,* im Jeverland spreitet man über das
schwarze Leichentuch ein weißes.^ Nach Ausweis der Abbildung
des Bades Homhansen in Merians Theatrum Europaeum V, 1651.
p. 1080 wurde dort im 17. Jahrhundert wol jede Leiche „mit
einem weißen Tuche bedecket " getragen. Jener religiöse Umzug,
den St. Martin nahe bei Tours in dem harmlosen Leichenzuge
zu erkennen vermeinte, wird wahrscheinlich kein anderer sein,
als derjenige , den Gregor von Tours (De gloria confessor c. 55.
Opp. pior. Paris 1640. P. I, 478) aus der Umgegend von Autun
schildert: „ferunt etiam in hac urbe simulachrum fuisse
Berecynthiae, sicut sancti martyris Symphoriani declarat
historia. Hanc cum in carpento pro salvatione agrorum
et vinearum suarum misero gentilitatis more defer-
rent, adfuit supradictus Simplicins episcopus haud procul aspi-
eiens cantantes atque psallentes ante hoc. simulacrum.^^ Er macht
das Zeichen des Kreuzes und die Zugochsen bleiben stehen
(boves telluri sunt stabiliti). Sei jedoch die Sache, wie sie
wolle ; gab es wirklich in Autun ein Heiligtum und Bild der aus
der Fremde gekommenen Cybele (Berecynthia), oder wurde der
Umzug einer gallischen Gottheit durch die Aecker mit der Pro-
zession der Göttermutter verglichen (cf. Myth.* 234*), der dann
mit jener heidnischen Begehung aus der Gegend von Tours ver-
wandt sein konnte, in jedem Falle steht soviel fest, daß es in
Gallien zu heidnischer Zeit Sitte war, Götterbilder, sowie es mit
Leichnamen gehalten wurde, und in Deutschland zum Teil heute
noch gehalten wird, mit einem Tuche überdeckt auf den Aeckem
umherzutragen. Dies geschah in dem einen wie dem andern
1) Solpitii Severi Vita St. Martini cap. DL Sarins, de prob. Sotm. bist.
T. VI. Col. A^pp. 1575. p. 252.
2) H. A. Pröhle, kirchliche Sitten. Berlin 1858. S. 201. Ders., Chronik
von Homhansen 1850. S. 143.
3) Strackeijan, Abergl. n. Sagen H, 131, 460.
Mannhardt. 37
578 Kapitel YII. Vegetatiousdamonen: Nerthns.
Falle aus Ehrfurcht^ nm den geheiligten Gegenstand nicht etwa
geheim zu halten, wol aber lieblosen Blicken za entziehen. Die
Uebereinstinunung der Kultarzustände im alten Germanien, und
Gallien war bei manchem bedeutenden Unterschiede groB genug,
um es wahrscheinlich zu machen, daß auch der Nerthuswagen
einfach aus einem Gefährte bestand, das mit einem Tuche (resp.
mehreren Decken) oder mit Kleidern (veste contectum, vestes
abluntur) bespreitet war. Dieser Au£fassung entspricht auch der
Sprachgebrauch von vestis, das außer der Garderobe den Teppich
bedeutet, womit man die Polster belegte. Eine andere Möglich-
keit freilich erhellt aus einer gleichfalls von Grimm bereits bei-
gebrachten Begebenheit unter, Gothen. Sozomenos bist eccl. 1. VI.
c. 37 schildert nämlich die von Athanarich (zwischen den Jahren
370 — 372) angestellte Christenverfolgung: Uys^ai yovv äg zi
^oavov e€p* äq^a^a^Tig kanog, oi ye vavro nocsiv V7t6 ^^d^a"
vaqixov 7vqo0a%dxdni]aav, xa-^ endazrjv axijvfjv TtBqidyowsq
Twv ^^ea^tcryt^ay narayyallofievcav , iyUkavov. zovto 7cqo(Tkvp€iv
Yjui -dveiv. ziüv de TceQiaizov^iiviüv , avv airroig dv&Qi'noig Tag
a)Cf]vag evanifinquifv. Es fragt sich, ob das Gebahren des Königs
eine ausnahmsweise Maßregel oder der Yolkssitte nach gebildet
war. Hatten die Gothen den Brauch, zu gewissen Zeiten mit
dem Götterbilde von Haus zu Haus, von Zelt zu Zelt %u ziehen
und Opfergaben in Elmpfang zu nehmen, nach Art unserer Um-
gänge mit dem Maibaum, Pflingstl, Begenmädchen u. s. w., so
gab es freilich kein besseres Mittel, die Treue des Volkes gegen
den altvaterischen Glauben zu erkunden, als wenn solcher Umzug
jetzt zu außergewöhnlicher Zeit befohlen wurde. Das Götterbild
soll aber £</)' aQ/tiaftd^r^g gestanden haben. '^Qfidjua^a war ein
persischer, bedeckter Reisewagen, eine Art Kutsche {ayr^vy xtxA^d
/tecpgayfuvrj) mit Vorhängen, die man auf- und zuziehen konnte,
sodann ein Lastwagen. Demnach scheint Sozomenos sagen zu
wollen, daß das Götterbild unter einem Zelte, oder Baldachin,
von einem (aus Zeug gefertigten) Dache tlberspannt auf dem
Wagen gestanden habe. Was im 4. Jahrhundert gothische Sitte
war, konnte im ersten suevischer gemäß sein. Dazu wtlrde die
tadteische Auffassung des „penetrale'^ besser sich fügen, aber
der Ausdruck „veste contectum '^ entspricht mehr der vorhin
namhaft gemachten Form des Brauches. Und in der Tat der
bedeckte Wagen mit Gardinen war zweckmäßig, wo es galt, das
Die Tatsaehen des Berichtes. 579
anfrecbtstehende oder sitzende Holzbild bald den Äugen der
Gläubigen darzustellen, bald profanen Blicken zn verhtUlen. Es
hatte aber keinen Sinn bei bildlosem Kultus. Denn der Nerthus-
wagen enthielt noch kein Götterbild; wenigstens wußte Tacitus
nichts davon. Anderes Falles hätte dieser ja unmöglich in der
allgemeinen Schilderung Germaniens (c. 9) yersiehem können:
Geterum nee cohibere parietibus deos, neque in ullam humani
oris speciem assimulare ex magnitudine coelestium arbi-
trantur: lucos ac nemora consecrant; deorumque nominibns
appellant secretum illud quod sola reverentia vident. Auch die
Worte ,,et, si credere velis, numen ipsum abluitur^^ bewähren,
daß Tacitus den Nerthusumgang ohne Götterstatue sich denkt.
Nun ist es doch andererseits wol wahrscheinUch , wenn gleich
nicht unbedingt notwendig, daß tatsächlich die Decken des Wagens
iigend einen greifbaren Gegenstand yerhfillten, daß irgend ein
solcher gewaschen wurde, woran als einem Symbole filr die
Gläubigen anschaubar die Anwesenheit der Gottheit gekntlpft
erschien.
6) Der Priester beobachtet und bemerkt die Anzeichen,
wann das Numen zum Heiligtum kommt. Von derartigen und
anderen Beobachtungen der Göttemähe im heiligen Walde (aus
Yogelflug, Bossewiehem u. s. w. Germ. 10) zeugen die ahd. Glos-
sen zur Verdeutschung des lat. haruspex parawari und harugari
(Diutisca I. 514*». 150*. Myth.« 78), zwei Worte, die yon den
Benennungen heiliger Haine und Bäume paro, ags. bearo und
haruc ags. hearg (Myth.^ 59) abgeleitet sind. Die Angabe, einzig
und allein der Priester habe den Wagen berühren dflrfen^ erweist
sich als ungenau, da nachher bei der Wassertauche des Gefähr-
tes und der Decken ministrierende Knechte erwähnt werden.
Es mag statt des Wagens das Symbol gemeint sein, welches die
Decke barg, oder die Erlaubniß der Berührung ist stillschweigend
auch auf die Gehilfen des Priesters ausgedehnt zu denken. In
jedem Falle zeigt die Hervorhebung dieser exclusiven Berechtigung,
daß auch noch andere Leute dabei waren, welchen das Fahr-
zeug zu berühren nicht gestattet war. Lag der Nerthushain zu
gewöhnlicher Zeit auch einsam, vom Verkehr der Menschen
unentweiht, nichts hindert, daß bei Beginn der Ausfahrt den
heiligen Wagen eine feiernde Menge umdrängte. Nach Anschir-
rnng der Kühe begleitet der Priester den Wagen mit großer
37*
580 Kapitel Vn. Vegetaüoiisdämoiieo : NerÜiiis.
Ekrfiircht. Wir werden uns den Vorgang zu denken haben wie
in der Sage von Gonnar Helming (s. u.), wo das Götterbild Freys
und das für seine Fran geltende Weib auf dem Wagen Platz
haben y der yomehmste Diener aber vorauf oder daneben geht
und das Roß lenkt (enn Ounnarr var til »tlat^r at iylgja vagni-
num ok lei^a eykinn), ein größeres Gefolge von DiensÜenten
schritt vorher (ok skyldo pau* Freyr ok kona bans sitja i vagni,
en |>ionusto menn [)eirra skyldo g4nga fyrir). Das heilige Geiahrt
war nur fllr das Numen und die dasselbe darstellende Bildsäule
und Person bestimmt; als der Bosselenker sich mit auf den
Wagen setzt, wird der im Freyrbilde steckende Teufel ungeberdig
(Fommanna Sog. n, 74). Ein augenscheinliches Analogon bietet —
wie schon MttUenhoff bemerkte — der Germ. 10 als allgemein
germanisch ges<^hilderte Hergang. Proprium gentis equorum
quoque praesagia ac monitus experiri. publice aluntur iisdem
' nemoribus ac lucis, candidi et nuUo mortali opere contacti:
quos pressos curru sacerdos ac rex vel princeps civitatis
comitantur hinnitusque ac fremitus observant. nee uUi auspi-
do maior fides, non solum apud plebem, sed apud proceres,
apud sacerdotes: se enim ministros deorum, illos conscios
putant Die Annahme könnte naheliegen, daß man die Bosse
gehen Ueß, wohin sie wollten, daß die Beobachtung der von ihnen
eingeschlagenen Richtung ftlr die Weißagung mitbestimmend war,
daß aus diesem Grunde Priester und Fürst nur nebenhergingen^
ohne den Wagen zu lenken, und man könnte ein ähnliches
Gewährenlassen ftir die Kflhe des Nerthuswagens vermuten, so
daß die Wahl des Zielpunktes vom Zufall, von der jedesmaligen
Götterbestimmung abhing. Doch Tacitus nennt in dem einen
Falle ausdrücklich nur das Wiehern und Schnauben der Rosse
als Gegenstand der priesterlichen Beobachtung, und in dem
anderen Falle widerspräche ein dem ZufaU überlassenes Eintreffen
des Nerthuswagens anderen später zu erörternden Tatsachen.
7) Wohin der Wagen gelangt, da wird die Gottheit als
lieber Gast empfangen (loca quaecunque adventu hospitio-
que dignatur). Der Ort schmückt sich zum Feste, das mehrere
Tage dauert. Inzwischen ruht jede Fehde.
8) Wie viele Wohnsitze der Umzug berührte, auf wie lange
Zeit er sich .ausdehnte, sagt Tacitus nicht. Schließlich badete
der Priester mit seinen Gesellen den Wagen, die Decken und
Die Nerthasomfahrt den Frühlingsgebränchen Terwandi 581
wol auch das Symbol der Gottheit in einem einsamen von den
Wohnnngen abgelegenen, durch den Gebraneh des täglichen
Lebens anentweihten Landsee, der darum sehr wol jedermann
bekannt sein konnte. Es ist nicht nötig und folgt nicht ans
Tadtus, daß derselbe auf der Insel oder in jenem heiligen Haine
lag, von dem die Prozession ausging. Denn die Worte: „donec
idem sacerdos satlatam mortalium deam templo reddat'' enthalten
unzweifelhaft eine subj^ctive Deutung des Tacitus, der deswegen,
weil er voraussetzte, daß das heilige Fahrzeug, das Nahen der
Gottheit erwartend, im Inselhaine bereit zu stehen pflege, das-
selbe auch wieder dahin zurückkehren lassen mußte.
9) Die bei Anschirrung der Ktthe und der Wäsche des
Wagens wie der Decken hilfreichen Knechte wurden ebenfalls
ins Wasser geworfen. Dieser Tatsache fügt der Autor als seine
individuelle Auslegung hinzu, es sei geschehen, weil, wer das
Numen geschaut habe (mit Ausnahme des Priesters), sterben
mflsse. Obgleich er sich das Numen körperlos also unsichtbar
denkt, braucht er metonymisch den Ausdruck vident, da ja
die Wohnung desselben, das Innere des Wagens den Sklaven zu
Gesicht kam.
§ 7. Die Nerthusnmfahrt den FrUüIngsgebrBuclien
verwandt. Der Nachweis, daß der tatsächliche Inhalt des taci-
teischen Berichtes mit noch heute lebenden und weitverbreiteten
Frtthlingsbräuchen , wo nicht sich decke, so doch nahe verwandt
sei , wflrde nicht allein jenem Beglaubigung und Anschaulichkeit,
diesen ein zweitausendjähriges Alter sichern, sondern auch den
Nerthuscultus aus der Vereinzelung herausheben und als beson-
dere Form einer allgemeinen Erscheinung bewähren. Unsere
bisherigen Untersuchungen bieten aber hinreichendes Material,
um darzutun, daß jene Umzüge, in denen wir als Gedankeninhalt
die Einbringung des Yegetationsdämons im Lenze (in der Gestalt
des Sommers [Ljeto], Maibaums o. S. 156 ff. 160 ff., Pfingstltlmmels
o. S. 316 ff. oder ersten Pfluges o. S. 332. 553 ff.) nachwiesen, die
entschiedensten Analogien zum Nerthuskultus darbieten und daß
die nämliche Anschauung als realer Kern desselben vorausgesetzt^
alle wesentlichen Züge darin hinreichend erklärt, nur daß natür-
lich Jceine der heutigen Formen des Gebrauches der ältesten genau
gleichkommt; am nächsten steht derselben in vielen Stücken noch
die 0. S. 157 ff. beschriebene russische Semiksitte. Der Aus-
582 Kapitel VII. Vegetationsdämonen: Netthns.
gangspnnkt der Embringong des Dämons ist der Wald. S. o.
S. 157. 161 ff. 173. 320. 333. 348. 349. 431). Gradeso beginnt
die Nerthnsprozession im Walde. Zwar dieser Ausgangspunkt
mag nichts Besonderes zn haben scheinen ^ da zu Tacitus Zeit
die dottesverehrung der Germanen tiberhaupt in heiligen Hai-
nen stattfand (Myth. ^ 61); der Ausdruck des Tacitus castnm
nemus sagt aber eher aus, daß der Inselhain zu gewöhnlichen
Zeiten unbetreten, also auch nicht der Schauplatz eines ständigen
Opferdienstes war, und wenn berichtet wird, daß der Priester
daselbst die Anwesenheit der mithin nicht inmier gegenwärtigen
Gottheit an gewissen Zeichen bemerkt, so wird wahrscheinlich,
daß hier der Wald nicht bloß als Wohnstätte der Gottheit
gemeint war, sondern in einem inneren Verhältniß zur Erschein
nung der Gottheit stand. In ihm konnte jedermann, wenn die
Bäume sich belaubten, die erneute Gegenwart des Frühlings , des
Wachstumsgeistes, der Gottheit des veijüngten Jahres spüren;
ihr Nahen, ihre erste Ankunft mochte ein schärferer Beobachter
(der harugari?) etwa an dem Ergrünen gewisser Bäume oder
Zweige, an dem Erblühen der ersten Waldblume (Veilchen,
Primel), oder dem Erscheinen des ersten Käfers (Myth. * 657)
sichtlich warnehmen (intelligere). ^ Zu den frühesten Anzeichen
der Vegetation in unsem Wäldern gehört die Blüte von Daphne
mezereum, Zeidelbast, altn. T^dr, ahd. ZigeUnta, Zilant (Myth.^
1144). Sollte in diesen Namen eine Beziehung auf Zio als Frtth-
lingshimmel durchschlagen und damit die Pflanze als Frühlings-
verkünderin gekennzeichnet sein? Die Aufgabe des harugari
kann möglicherweise darin gelegen haben, das erste sichtbare
Anzeichen des in den verschiedenen Jahren früher oder später
wiedereracheinenden Lenzes zu erspähen. Hierin glaubte man
das Wachstumsnumen gegenwärtig. Der Priester mag dann den
Baum, yielleicht nur einen Zweig, abgehauen, oder die Blume
abgepflückt auf den Wagen gelegt und mit Ehrfurcht bedeckt
haben. Sind wir nicht genötigt die Zeit der Abfahrt auf den Mo-
ment der ersten Beobachtung des göttlichen Naheseins anzusetzen,
so kann auch ein schon völlig belaubter, nach gewissen dem
Priester bekannten Merkmalen ausgesuchter Baum oder Zweig
1) Man vergl. o. S. 111 die Sage von dem Erscheinen des wilden
Mannes, der den Bauern die Zeit der Aussaat verkündigt.
Die Nerthusomfafart den Frühliugsgebr&achen Terwandt. 583
den WachstnmsgeiBt vertreten haben. In diesem Falle war es
möglich y daß die Feier in jedem Jahre regelmäßig an einem
feststehenden Tage stattfand ; anderesfalls war sie wechselnd und
wurde vom Priester angesagt Ersteres hat die größere Wahr-
scheinlichkeit fUr. sich. Dem großen Wagen muß in diesen
Bräuchen nicht notwendig eine große Last entsprechen. Man
vgl. S. 214, wonach ün Emtebrauch ein winziger, den Vege-
tationsdämon darstellender Hahn den vierspännigen Leiterwagen
einnimmt Möglicherweise enthielt auch der Wagen unter der
Decke wirkUeh gar nichts, wie jener erste Pflug, jene erste Egge
(o. S. 332. 561); dann aber, sollte man denken, müßte er wenigstens
in einem bestimmten Bezüge zur Vegetation und zwar zu den
Nutzpflanzen der Menschen gestanden haben, also nach Gestalt
erkennbar etwa ein Erntewagen gewesen sein. Vielleicht
jedoch war auch das nicht einmal nötig. Man beachte nur, daß
bei Köpenik die Fischer ohne Mitflihrung irgend eines sichtbaren
Heiltums umgehen und sagen „wir sind das neue Wetterkind,''
mithin bildeten sich die Gründer dieser Geremonie ein oder
fingierten , unsichtbar den Frtthlingsdämon in ihrer Prozession
mit sich zu fahren. Uebrigens waren Baum, Zweig, Blume,
Käfer nicht bloße Symbole, sondern galten als Verkörperungen
eines Numen, der dvva/Aig av^fp;ix^. Die Einbringung des
Vegetationsdämons zu Wagen läßt sich nachweisen vom Mai-
baum, 0. S. 168. 173, von der Pinxterbloem, o. S. 318, von der
Reine de printemps, o. S. 344. Wir sahen oben S. 174. 182. 183.
das Gefährt,, auf welchem der Maibaum (Kreuzbaum) bei den
Lüneburgischen Wenden feierlich ins Dorf geführt wurde, mit
den Böcken sämmtlicher Hausväter bedeckt, und erinner-
ten schon da an das vehiculum veste contectum der Nerthus.
Wie dieses von Kühen, wurde der wendische Kreuzbaum von
einem Paare, der englische Maypole von 20 — 40 Jochen Ochsen
gezogen (o. S. 171. 174. 211). Man wird entgegenhalten, daß
der Maibaum dieser Erörterung fem bleiben mtlsse, da Tacitus
von einem Baume nichts sage, und sicherlich hat er selbst von
einem solchen nichts gewußt, vielleicht aber sein Gewährsmann.
Der mit Kränzen, Blumen, Bändern, Eiern, Backwerk und allen
mögliehen guten Sachen behangene „Sommer^' (o. S. 154) oder
„Maibaum" (o. S. 166 flf.) Birke, Tanne oder Fichte hat
aA£fallende Aehnlichkeit mit der von den Dendrophoren aus
584 Kapitel YII. Yegetationsd&moDen: NerthoB.
dem Haine der Gybele in deren Allerheiligsies getragenen, mit
Flöten y Cymbeln, Tänien nnd Veilchen behangenen Pinie, die
anf fünf Tage im Sacrarimn den Blicken des großen Haufens
verschwand. So wird jener rassische Semikbanm (o. S. 157)
nach der Einbringung aus dem Walde drei Tage lang in
einem Hause des Dorfes aufgestellt Der Maibaum (im weiteren
Sinne) wird entweder zu Wagen eingefahren, als Lebensbaum
der Gemeinde inmitten der Ortschaft aufgepflanzt und umtanzt,
oder als Sommer, Maibaum (im engeren Sinne) Johannisbaum
u. s. w. der Prozession vörhei^etragen oder nachgefilhrt, welche
gabenheischend von Haus zu Haus geht, und den Dämon der
Vegetation noch in anderer Gestalt (laubumkleideter Mensch,
Käfer u. s. w.) mit sich tUhrt Statt der geschmückten , bunt-
behangenen Bäume oder außer dem im Dorfe aufgepflanzten Mai-
baum treten oft andere grüne Zweige ein. Gf. in Schleswig noch
zwischen 1630—40 „Ein sonderbarer Aufzug der Schleswigschen
Spinnradsamazonen einen cantharidem oder Maykäfer mit
grünen Zweigen einzuholen.^' Myth. * 657. Wie wenn nun
Baum oder (resp. und) Zweige in der einen oder der andern
Weise auch einen Bestandteil der Nerthusprozession gebildet
haben und dadurch der Beobachter in seiner zuver-
sichtlichen Behauptung bestärkt wurde, dieselbe sei Ver-
ehrung der Terra mater? In seinem Berichte konnte er diesen
Umstand als selbstverständliches Zubehör des Gybeledienstes
oder als seiner Meinung nach weniger characteristisch oder be-
deutsam leicht unerwähnt oder mehr zurücktreten lassen, so daß
Tacitus darauf nicht achtete. Vielleicht auch hatte der ursprüng-
liche Beobachter zuerst den verhüllten Wagen gesehen,
dessen Decken, ihm unbewußt, den Maibaum bargen, und erst
nachher wieder den aufgerichteten Baum, den er als Hauptstttck
der Feier nicht erkannte. Liegt nach unserer Ansicht somit die
Möglichkeit (mehr behaupten wir nicht) vor, daß in der inter-
pretatio Romana Terra mater ein Zeugniß für den Maibaum als
Bestandteil der Nerthusprozession implicite enthalten sein könne,
so gewährt nun namentlich der russische Semikbrauch (o. S. 157)
die willkommenste Dlustration der Worte „laeti dies, festa loca
quaecunque adventu hospitioque dignatur.'^ Wird doch hier
der bekleidete Baum geradezu mit dem Namen „Gast^^ ange-
redet und als solcher empfangen. Man vergl. die Tänze um den
Die NerthnBomfahrt den Frfihlingsgebräaohen rerwandt 585
deutschen ans dem Walde gebrachten Maibanm. Auch bei den
sonstigen Fonnen des Brauches trifft die taciteische Schilderung
SEU. Jubelgeschreiy von Gesang begleiteter Reigentanz; Festmahl-
zeiten, die noch vielfach den Namen Gilden filhren, bezeichnen
als ein gemeinsames Zubehör aller Variationen desselben die
Ankunft des den Wachstumsgeist im Frühling einbringenden Zuges.
Sie stellea zwei wesentliche Bestandteile der altdeutschen reli-
giösen Festfeier dar, den leih, goth. laiks, ags. läc,^ den Tanz
und das geld,^ ahd. k^lt (tributum, sacrificium) die heilige Mahl-
zeit; zu welcher unter Herumführung des Heiltums von Haus zu
Haus die Naturalien gesammelt werden. Von solchem Umgang;
Haus bei HauS; der unsem Frflhlingsgebräuchen eigen ist (oben
S. 162. 264. 312. 318. 320 ff. 328. 345. 348. 366. 369. 432. 546.
557 ff.) gewährte anscheinend Sozomenos (o. S. 578) von den Gothen
her ein altes, beinahe bis an Tacitus Zeit hinaufreichendes Zeug-
niB. Die Prozession der mater magna zeichnete gleichfalls eine
solche Hauscollecte aus (o. S. 574). Hier kann derselbe Fall
einschlagen; wie hinsichtlich des Maibaums; die Einsammlung
der Steuer auf den einzelnen Häusern oder Höfen mag dazu
beigetragen haben ; den Nerthusumgang mit dem Gybeleknlt zu
identifizieren. Der Nerthuswagen wurde nach Beendigung
der Festzeit ins Wasser gezogen sammt den darüber
gespreiteten Decken und vielleicht dem unter ihnen verborgenen
Symbol; geradeso wie das Regenmädchen (S. 331) und nach
Beendigung der Festfeier der Tod S. 412 ff. 417; Kostroma
S. 414 ff.; der Maibaum S. 162. 215, der grüne Georg S. 313,
der Pfingstlümmel S. 320. 351; der erste Pflug und die erste
Egge S. 332. 558 ff. (also das Gefährt) mit Wasser begossen; oder
in Bach; Strom ; Teich oder See gestürzt werden; um auf die
Vegetation erwünschten Regen herabzulocken. Besonders beleh-
rend ist auch hier wieder der sehr altertümliche russische Semik-
brauch. Nachdem der Maibanm drei Tage als Gast
gefeiert ist; wird er vors Dorf getragen und in den
Strom (Bach) geworfen. Statt des Baumes tritt ein Mensch
(der grüne Georg; wie im Emtebrauch die letzte Binderin) ein
(o. S. 313. 215); oder man zieht Baum und Mensch ins Wasser
1) Myth.* 35. MfiUenhoff, de poesi chorica p. 4. H. Leo in Zs. f. d.
Myth. m, 20—23. 2) Mytii.» 34.
586 Kapitel YIL Vegetation&damonen : Nerthns.
(o. S. 170). Beim Pflngumziehen sahen wir das Acker-
gerät (den Wagen) selbst sammt den davorgespann-
ten Mägden ins Wasser getrieben (o. S. 554), bei ver-
schiedenen lebenden Naturvölkern lernten wir als eine Form des
Segenzanbers die Ertränkung von Menschen, vorzugsweise Sklaven
kennen (o. S. 356). Wenn nun die Umfahrt des Nerthnswagens
den Frühlingseinzttg und Empfang des Vegetationsgßistes dar-
stellte, das Bad des Wagens und seines Numen ein Regenzauber
war, so erhellt leicht, daß das Hineinwerfen der Diener in den
See einen Teil dieser Ceremonie selbst ausmachte und — gleich-
viel ob man sie dabei den Tod finden ließ, oder wieder heraus-
zog — die Wirkung der Benetzung des Wagens und seines
Inhaltes verstärken sollte. Haben wir somit fUr 5 wesentliche
Stücke, a) den Ausgangspunkt der Nerthusfahrt aus dem Walde,
b) die Wamehmung des Numens durch den Priester (harugari),
c) die Bedeckung des Wagens mit Decken oder Kleidern und
die Bespannung mit Ktthen, d) den festlichen Empfang des Wagens
und seines Inhaltes als willkommener Gäste und festliche Zeit
während ihres Weilens, e) die Wassertauche nach Beendigung
der Festzeit entschiedene und treffende Analogien bei den Cere-
monien gefunden, welche den Empfang des Vegetationsdämons
betreffen, der nahezu in den Begriff des Frühlings übergeht
(cf. Sommer, pere May, Maikönig, Msya, reine de printemps), so
scheint auch als sechstes und letztes der Name Nerthus aus
gleichem Zusanunenhange erklärbar. Falls er nämlich die Mann-
heit oder den als Mann sich Beweisenden bezeichnen
sollte (o. S. 571), würde dies für den im Frühling wiederkehren-
den Lenzgatten oder Lenzbräutigam (o. S. 436) resp. das
Fest seiner Erscheinung ein nicht unpassender Name sein. Es
darf als Analogie genannt werden, daß dem in Wald und Feld
heimischen altitalischen Gotte Mars, Marspiter, dessen Name
ja den Schimmernden, Glänzenden (ein passender Name des
Frtthlingsgottes) bezeichnet,^ eine Göttin Nerio, Nerienes, Mann-
heit zur Seite stand, die von den Weibern um glückliche Ehe
1) Corsen, Zs. f. vgl. Spraohf. II, 1—35. Preller, Rom. Myth.» 295 ff.
Roseber, Apollon and Mars. S. 18. Dagegen Graßniann, Zs. f. vgl. Sprachf.
XVI, 161 ff. Die Form Maspiter ließ Preller an Verwandtachaft mit mas
Mann denken, s. darüber Roacher, S. 19.
W. MtQler, MfQlenhoff, Simrock über NertbuB. 587
aagerafen wnrde,^ mithin doch wol arsprttnglich eine Personifica-
tion der Zeugungskraft des Frühlings gewesen ist
§ 8. W. Mflller, Mflllenhoff, Sünroek Aber ^Nerthas.
Der von uns yersuchten Erklärung sind, wie ich sehe, W. Müller,
K. MttllenhofF and Simrock bereite nahe gehommen, ohne jedoch
diese Deutung in die Einzelheiten zu verfolgen und auf die
Kritik des Taciteischen Berichtes von Einfluß werden zu lassen.^
Müller sagt in seinem System der altd. Beligion S. 133: ,,Wie
schon nach Tacitus die Nerthus auf einem Wagen durch die
Gauen im Festzuge geiUhrt wurde, finden wir noch in Christ-
liehen Zeiten besonders im Frühjahr Gebräuehe, deren
HaupthandluAg auf einem Umzüge beruht Der Festzug
geschieht entweder durch ein Dorf oder eine Stadt oder mehrere
Ortschaften, oder um die Aecker der Gemeinde, oder um die
Mark. Bei solchen Zügen wird häufig ein Symbol herumgefiihrt,
entweder ein Tier, welches in Beziehung zu irgend einem gött-
lichen Wesen stand, oder irgend ein Gerät/' Und dann ttlhrt er
die Umzüge mit Schiff und Pflug an, die er auf eine Göttin
bezieht, welche der Fruchtbarkeit der Erde und den Ehen yor>
stand. MüUenhoff setzt in seiner schönen Abhandlung de poesi
chorica, Kil. 1847. p. 8 auseinander: Yehiculum veste contectum
bubusque feminis vectum multa cum yeneratione ubi de am
adesse penetrali intellexit i. e. verno tempore sacer-
dos, cui uni et attingere concessum, prosequebatur eo modo quo
sacerdos et princeps sacrum currum equis candidis vectum. [Dar-
über vgl. 0. S. 580]. Femer nimmt er an, die Nerthus sei eine
deutsche Freyja und der Kultus sei am Niederrhein in dem
Myth. * 237 ff. beschriebenen Umzüge mit einem auf Bädern
gehenden Schiffe, in Oberdeutschland in dem Pflugumziehen
erhalten, einer Prozession, die gleich der Nerthusfahrt mit Wasser-
tauche endigte (yeterem actionem, quam lustratione aqua aut igne
facta similiter ac Tacitus de Nerthus vehiculo narrat quondam
finitam esse conjicio). Ans der Analogie dieser Umzüge mit Schiff
und Pflug zieht auch Müllenhoff folgenden Schluß: His fretis
1) Ebel, Zs. f. Tgl. SpracM. I, 307. Corsen a. a. 0. 33. Graßmann
a. a. 0. 177. Preller a. a. 0. 302.
2) Von K. Mallenhoff ist eine derartige Untersnchung anzweifelhaft im
zweiten Bande seiner Altertumskunde zu erwarten.
588 Kapitel YU. Vegetationsd&moneii : NerÜiiis.
testiinomis non dnbito, quin antiqao tempore ad talem pompam,
dednoendam non solnm dnce sacerdote vel principe quorom Ta-
citos meminit, sed qunm qaaeciinque adventa hospitioqne dea
yel dens dignaretur, loca festa laetosqne tone ibi dies ftdsse
memoretnr, nbique etiam choris juvenum virginumque
electis et arte doctis opus faerit; quibns non injuria postero
certe tempore musicorum turbam addas. Ubi enim ad vicos yen-
tnm est, chori ordine composito cirenmfasa vociferante
et jabilante multitndine, prodeontes deum vel deam advec-
tarn cantibus salutaront sacrumque vehicalam pars praecedentes,
pars et snbseqnentes ant utrimqae stipantes intus deduxerunt
Quae deinde acta sint, hoc loco exponere nostrum äon est, sed
tantum id monendum^ ut vehicuium eodem mo^o quo in vicum
duxerint, etiam ad proximum prosecuti sint/^ K. Simrock end-
lich (Handb. d. D. Myth.* 556) schreibt: Schon der Einzug der
Nerthus, wie ihn Tacitus beschreibt, war eine Schaustellung als
deren symbolischen Sinn wir die erwachte Natur, die im Früh-
ling aus der Gewalt der Riesen befreite Erdmutter kennen. Das
Volk zog ihrem Wagen, wie bei dem späteren Sommer-
empfang, der davon übrig ist, festlich entgegen.'^ Gestützt
auf die S. 571 ff. erörterten Tatsachen glauben wir unsererseits die
von Simrock mehrfach (S. 17. 177. 341) wiederholte Identifizie-
rung der Nerthus mit der allnährenden Mutter Erde, der altnord.
Jörd u. s. w. ablehnen , aus anderen Gründen aber den heutigen
Frühlingsbrauch nicht als Ueberbleibsel des Nerthustestes, sondern
als Ausläufer oder Sproßform eines früheren auch diesem Feste
zu Grunde liegenden Typus ansehen zu müssen.
§ 9. Nerthus, Njördr und Freyr, Die Gleichstellung der
(nach Tacitus Worten vorausgesetzten) Nerthus mit Freyja stützt
sich auf nachstehende Gründe. Nerthus ist sprachlich das nor-
dische Njördr, des Njördr Kinder waren Freyr und Freyja. Zu
Njörds Tagen, sagt die den Gott vermenschlichende Ynglingasaga,
war allguter Friede und so große Fruchtbarkeit aller
Art, daß die Schweden glaubten, er walte über der Fruchtbar-
keit des Jahres und dem Viehreichtum der Menschen. Auch
Freyr galt und wurde aügerufen als Geber von Frieden und
Fruchtbarkeit und erhielt dafür jährliche Gabea Noch die
euhemeristische Sagenverwässerung Snorris, die ihn zum mensch-
lichen Könige macht; weiß, daß zu seinen Tagen der Frodhi-
Nerthns, Njördr und Freyr. 589
frieden über alle Laode herschte und fraclitbare Jahre waren,
sowie y daß sein Leichnam nnverbrannt blieb in dem Glauben,
daß Friede und gute Zeit bleiben werde, so lange er in Schwe-
den sei.^ Vielleicht hatte auch der zwanzigtägige LandMede,
den man zur Julzeit ansagte (Jolafrid) auf ihn Bezug. Gemahnt
dies an den Frieden, der während des Nerthusumzuges statt-
gehabt haben soll, (obschon religiöse Ehrfurcht bei den Festen
sehr yerschiedener Gottheiten eine Unterbrechung der Fehden
herbeiAihren konnte), so kam noch hinzu, daß eine freilich späte
Quelle die abenteuerliche Erzählung von Gunnar Helming in der
größeren Olaf Tryggvasonssaga K. 173 (Fommannasög II, 73-78)
mit dem FreysbUde eine der Nerthusprozession ähnliche Umfahrt
veranstalten läßt. Die Geschichte beruht indeß auf einer älteren,
unabhängigen Aufzeichnung, offenbar schwedischen Ursprungs,
welche nur ganz iQse und ungeschickt mit dem Leben Olaf
Tryggyasons verbunden und zu diesem in Beziehung gesetzt ist.
Es ist darum wol möglich, daß in ihr einige echte Erinnerungen
an Zustände der heidnischen Zeit erhalten sind. Schauplatz der
Begebenheit ist der östliche Teil von Upland oder Södermann-
land. Hier lag ein Freystempel (hofstadr) mit vielen liegenden
Gründen. Das Volk glaubte Freys Bildsäule (likneski) lebe und
hatte ihm ein junges und schönes Weib, das seine Frau (Freys
kona) genannt wurde, zur Dienerin gegeben. Sie lebte angeblich
in wirklicher Ehegemeinschaft mit dem Gotte (ok setladu, at bann
— Freyr — mnndi {»urfa at eiga hjüskaparfar vid kono sina) und
verwaltete in seinem Namen den Tempel und dessen Besitzungen
(skyldi hün mest rdda med Frey tyrir hofstadnum ok öUu l)vi
er t>ar lä til). Im Winter fuhr die Priesterin mit der lebens-
großen, bekleideten Bildsäule Freys zu mehreren entlegenen Orten
jenseits der Berge auf heilige Gastgebote, Gilden (veizlur), um
den Menschen daselbst „ Jahrbuße ,^^ Aussicht auf Fruchtbarkeit
zu schaffen (^k er bann — Freyr — skal gera mönnum arbot).
Kamen sie zu dem Orte, wo ihnen die Gilde bereitet war, so
wurden blutige und unblutige Opfer (blöt ok fömir) dargebracht
Der Gastbesuch des Gottes und seiner Frau hatte vermeintlich
die Wirkung, daß die Witterung mild wurde und Hoffiiung auf
1) Siehe die Belagsstellen ToUstä&dig bei Ubland, Schriften VI, 155.
Anmerk. 3.
^ I
590 Kapitel VK. Vegetttionsdäinoiien: Nerthns.
eine gute Ernte sioli zeigte (var ok vedrdtta bUd ok allir latir
BY& iTVSdwtj at engl m^dr mnndi siikt). Als einst die „Fran
des Freyr^' schwanger wurde (t)ikkjast menn finna, at kona
Freys er med bami)^ hielten die Schweden das fiir ein sehr gutes
Zeichen. Ob man jedesmal nach dem Tempel zurückkehrte, oder
von einer Gilde zur andern fuhr^ ist nicht ersichtlich. In jedem
Falle hat die Ausfahrt des Freysbildes zum Gastbesuch auffäl-
lende Aehnlichkeit mit der Fahrt des Nerthuswagens. Da nun
Freyr vermutlich eben deshalb Friedensgott genannt war, weil
vorzugsweise bei seinem Feste Landfrieden eintrat, und da auch
die dänische Sage von der drei Jahre im Lande umhergefahrenen
Leiche Frodhis ebenfalls die Spur einer Umfahrt des Freyr zu
enthalten scheint,^ werden wir J. Grimms allgemein gut geheiBe-
ner Annahme eines Zusammenhanges des Nerthuskultus mit
demjenigen des Njördr und seiner Familie auch unsererseits
Wahrscheinlichkeit zuzugestehen nicht entbrechen.
Die Yermittelung dieser Hypothese mit den vorgetragenen
Ergebnissen unserer Forschung wtlrde in dem Umstände zu suchen
sein, daß der Vegetationsgenius , dessen Einholung im Frtthlinge
die taciteische Schilderung beschreibt, bei dem nordgermanischen
Volke der Svlar im Laufe weiterer Anthropomorphose zu freierer
Gharacterent Wicklung" gelangte, und in die Gestalten Njördr,
Freyr und Freyja sich spaltete. Es ist schon oft bemerkt wor-
den, daß der Vater Njördr nur als eine Wiederholung, eine
andere Form des Freyr erscheint^ der vermittelst der Freyja sein
Wesen in eine männliche und eine weibliche Seite auseinander-
legt Ueber diese Gottheiten hat am gründlichsten und zutref-
fendsten meines Erachtens Uhland gehandelt, der Schriften VI,
1 50 ff. nachweist , daß in den Vanen die milden und woltätigen
Stimmungen der Luft und des Wetters persönlich geworden
seien; darum gebieten sie ttber Regen, Sonnenschein und Wind^
und der Beginn wie die Ausbeute der Schiffahrt und des Fisch-
fanges, der Segen des Feldbaues und der Weiden hängt von
ihnen ab, sie sind die Bringer und Geber des Reichtums. Von
Thorr und Odhinn, die gleichfalls im Lnfigebiet walten, scheidet
sie die Weichheit ihres Wesens, ihre Mythen ergeben sie als
1) Saxo Gram., hist. Dan. m (I, 256 P. E. MlUler). Vgl Petersen,
Nordisk MyÜiologie. S. 338. Of. Ztschr. f. D. A. III, 43 ff.
Nerthus , Njördr and Freyr. Ö81
vorzugsweise im Frtihlinge tätig. (Vgl. Gerdhr, Beli u. s. w.)
Wenn NjörSr in Nöatun (SchiflFsstätte) wohnt und nur bei See*
fahrt und Fischfang angerufen wird, so ist er (wie Uhland mit
Recht bemerkt) darum kein Meergott, sondern er giebt guten
Wind für die Schiffahrt und das reohte Wetter flir die Fischerei.
Der kräftige warme Hauch des Frühlings läAt die erstarrte
See offen gehen; an der Befreiung des Meeres, der Ströme und
Bäche von Eises -Banden wird zuerst und am fühlbarsten der
Eintritt der neuen, die wintertodte Welt wiederbelebenden Macht
wargenommen. Wir werden daher, meine ich, Uhlands schöne
Nachweise dahin ergänzen können, daß Freyr und Frejja die
Vegetationsgenien darstellten, welche im Lenze eintreten, das
Wachstum von Pflanzen und Tieren bewirken, und zu diesem
Behnfe in Wind, Begen, Sonnenschein ihre Gegenwart spttren
lassen. Ich erinnere daran, daß nach S. 42. 149 die Baumgeister
nach S. 119 die Dames vertes auch im Winde umfahren, und
bei anderer Gelegenheit werden wir reichlichen Beispielen
begegnen, welche den Glauben an die Komdämonen, d. h. die
im Getreidekorn waltenden Greister mit der Vorstellung verbin-
det, daß dieselben im Windeswehen sich vernehmbar machen.
Als Gott der zeugenden und belebenden Naturkraft im Frühling
hat Freyr in Upsala den Beinamen Friggi d. h. goth. Frija, i. e.
amator, osculator erhalten. „Fricco, pacem voluptatemque lar-
giens mortalibus, cujus etiam simulacrum fingunt ingenti priapo.
Si nuptiae celebrandae sunt, immolant fYicconi.^' Jene Umfahrt
des Freybildes mit einer sein Weib genannten Priesterin stellt
sich so treffend zu dem in französischen, deutschen, englischen
und skandinavischen Gregenden erhaltenen Umgang des Mai-
brautpaars (o. S. 431 ff.). Während Thorr und Odhinn Namen
tragen, welche ein bestinmites Phänomen als die Naturgrundlage
ihres allmählich nut reichem geistigen Inhalt erfüllten Wesens
erkennen lassen, sagt der Name Freyr, schwed. Frö entweder
den Herrn oder den Erfreuenden, vielleidht Beides in einem aus
(Myth.' 190 ff.) und giebt sich damit als die Bezeichnung ftlr ein
unbestimmtes Etwas, als den Gesammteindruok flir eine mehr
gefühlte, als in deutlicher Begrenzung angeschaute die Welt
durchdringende Macht; veraldar god heißt er Ynglingas.
cap. 13. Treffend vergleicht sich, daß den Semiten die Worte
Baal, Adöni (Herr, mein Herr) ebenfalls zu Namen göttlicher
592 Kapitel VII. VegetatioDsdfimonen: Nerthns.
Wesen fllr nahezu denselbefn Begriff geworden sind; den wir als
Grundbedeutung von Freyr voraussetzen. War Freyr die zeu-
gende Naturmacht in der Sommerhälfte des Jahres , deren Weben
man in Sonnenstrahl und Windeswehen und in dem Erblühen
und der Vermehrung von Pflanzen , Tieren, Menschen wamahm,
so fttgt sich wol als sein Urheber die Mannheit, njördr (virtus,
virilitas, s. o. S. 571). Das Wort muß seit der Trennung der
Nord- und Sttdgermanen von einander mit der Vorstellung von
dem Vegetationsgeiste verbunden geblieben und schließlich zu
einer Hypostase des Freyr selbst geworden sein, gradeso wie
Nerio (die Mannheit) Gattin des Mars heißt (o. S. 586). Sollte
jemand f&r so entlegene Zeiten und Entwicklungsstufen unseres
Volkes die Verwendung abstracter Namen und Begriffe unwar-
scheinlich finden, so darf er vergleichsweise auf den Bigv^da
verwiesen werden , wo in einer frühen , mindestens mit dem taci-
teischen Zeitalter in Deutschland vergleichbaren Periode der Osta-
rier, Aditi (die Unendlichkeit, Ewigkeit) als die Mutter der Göt-
ter Aryaman , Varuna , Mitra , Bhaga u. s. w. genannt , hinwiederum
bald als Aditis Sohn, bald als ihr Vater Daksha mase. (Kraft)
aufgeführt wird, wie denn die Göttin häufig Dakshapitaras
d. i. den Daksha (die Kraft) zum Vater habend heißen. Im Veda
schwankt letzterer Ausdruck noch zwischen appellativer meta-
phorischer Bedeutung und Personification , in der späteren indi-
schen Mythologie, ist Daksha ein völlig anthropomorpher Gott
geworden.* Der durch kein Zeugniß belegte deutsche G Ot-
tern am e Fr 6, den Grimm aus Freyr und der ulfileischen Ueber-
setzung des biblischen TLvqioq erschloß, wird durch diesen Nach-
weis der Wtirzeln des suionischen Gottes Frö (Freyr) und seiner
Familie nicht zugleich dargetan.
§ 10. Die Umfiihrt. Zum Schlüsse kehrt unsere Erörte-
rung auf die Frage zurttck: wie haben wir uns die Gemeinsam-
keit der Nerthusverehrung bei den 7 Völkerschaften zu denken ?
Zog der eine Wagen tlurch alle 7 Gaue? Wiederholte sich in
1) y%\. J. Muir , Original Sanskrit. Texte. Vol. V, London 1872 S. 48.
53. £. Wollheim, indische Mythologie, Beri. 1856, S. 89. Aehnliche Meta-
phern sind die Epitheta: Enkel der großen St&rke (napäta savaso mahah)
Söhne der Unsterblichkeit (sannayah amritasya) für die Götter; Sohn der
Kraft (sahasah snnn) von Agni, Sohn der Macht (sayasah putra), Sohn der
Wahrheit (sonnm satyasya) von Indra. Mnir a. a. 0. 52.
Die Umfahri. 5d3
ihnen ein gleichartiger Aufzug? Oder hat eine dritte Möglich-
keit die Wahrscheinlichkeit fbr sich ? Man ist ttber diese Frage
leicht hinweggeeilt; so lange man sich keine bestimmtere Vor-
stellung von dem bei Tacitus geschilderten Brauche zu machen
wagte, sondern begnügte sich mit der von Grimm Myth.* 237 — 42
aus Budolfs Chronik von St. Trend beigebrachten Analogie des
Schiffsumznges (a. 1133) ohne sich doch über das Wesen des
letzteren hinreichend klar geworden zu sein. Offenbar war der-
selbe die Auffrischung eines in seiner Uebung ftLr einige Zeit
unterbrochen gewesenen alten Herkommens (cf. ähnliche Vorgänge
beim Maigrafen o. S. 372. 381); nur so erklärt es sich, daß die
Obrigkeiten (potestates, judices, die Grafen von Duras und der
Klostervoigt von St Trond) gegen den Willen der Geistlichkeit
das Fest erlaubten, ja begünstigten und die Weber zwingen ließen.
Jenes Herkommen war die UmfUhrung eines Schiffes vor dem
Anfange oder zur Zeit des Beginnes der Schifffahrt in einem ähn-
lichen Sinne, wie die Umfahrt des Pfluges (o. S. 553 ff.), eine Art
Zauber für ein glückliches Aufgehen des Eises und guten Betrieb
der Navigation auf Meer und Strom. Oder war mit dem Schiffe
der Glaube verbunden, daß es die bösen Geister des Winters
mitnehme und aufs unfruchtbare Meer hinaus trage? Man ver-
gleiche nur die folgende Sitte* der Malaien im hinterindischen
Archipelagus , welche A. Bastian, der Mensch in der Geschichte
II, 91 mitteilt. „Beim Beginn jeder trockenen Jahreszeit wird
ein Schiffsmodell in den Dörfern der Nicobaren herumgetragen.
Die Bewohner der Hütten jagen die Ivis oder bösen Geister * aus
denselben heraus und treiben sie an Bord des Schiffes , das dann
ins Meer gesetzt und den Winden preisgegeben wird, wie auf
den Maldivien.'^ Ebds. S. 93 : Aehnlich den Maldiviem bringen
die Bjajas auf Bomeo jährlich ihr Opfer dem Gotte des Uebels,
mdem sie eine kleine Barke, beladen mit den Sünden und Uu-
1) Cf. „ Die Vorstellungen der Nicobaren von dem, was nicht im unmit-
telbaren Bereiche ihrer Vorstellungen liegt, beschränken sich nach der Mit-
teilung eines Missionars nur auf die Furcht vor Weseu, deren £influß sie
ungewöhnliche Üngl&cksfälle zuschreiben. Diese Wesen (Ivi), die von den
Aerzten beschworen, oder vertrieben werden können , haben ihren Aufent-
halt in dem Dickicht der Wälder und von Einigen werden sie auch
als die Erhalter der Natur bezeichnet, die die Pflanzen zum Wachsen bringen
können.'* Bastian a.a.O. 11^>.
Mannbardt 38
594 Kapitel VII. Vegetationsdamonen : Kerthus.
glttcksfiülen der Nation^ vom Stapel lassen y welche dann auf das
arme Schi£fsyolk fallen werden , das so nnglttcklich ist, die-
ser geopferten Barke zu begegnen. Auf einen einzelnen Ort
bescluränkty finden wir den Umzug des wol mit Masken in Fast-
nachtstracht besetzten Schiffes mit dem des Pfluges gepaart schon
zur Adventszeit an der Donau in Ulm (Myth.' 242). Heutzutage
hält man eben daselbst noch zuweilen auf Fastnacht Umzug mit
einem Schiffe. Es wird auf einen Schlitten gestellt , wenn man
noch Schnee hat und dann fahren die Leute darin unter Musik
und Jubel in der Stadt herum. ^ Im Oldenburgischen setzt man
zuweilen während der Pfingstnacht kleine Schiffe auf einen Wagen,
mit dem man am folgenden Morgen durch die Straßen des Ortes
fährt.' In früherer Zeit wird man sich hier überall nicht mit
der Umfahrt des Schiffes durch die Stadt begnügt, sondern das-
selbe schlieBlich in den benachbarten Fluß, Strom oder Meeres-
hafen geführt, dem Wasser übergeben haben. In ganz Flandern
und manchen französischen Gegenden ist es gldchfalls Sitte, zu
Fastnacht (und auf den daher abgeleiteten Kirchweihen) ein auf
Räder oder Schlitten gesetztes Schiff mit Musikanten und
Camevalsmasken gefüllt neben anderen grotesken Gestalten (jenem
Riesen o. S. 523), Drachen, Glücksrädern, wol modernisierten
Darstellungen des Jahresringes ^ (cf. die Räder der Frühlingsfeuer)
von Pferden im Garnevalszuge durch die Stadt ziehen
zu lassen. (Hervorzuheben ist dabei der Ommegang in Brüs-
sel.)^ Dieser auf einen einzelnen Ort beschränkte, einst ernst
religiöse, dann zum Scherz herabgesunkene Umgang erscheint
nun im Flußgebiet der Maaß und Scheide durch besondere Um-
stände (als die wir die durch frühe und glänzende Entwickelung
des Handels und der Industrie, zumal der Weberei, erhöhte
Bedeutsamkeit der Schifffahrt leicht erkennen) auf ein größeres
Gebiet ausgedehnt Bei Aachen ward im Walde selbst im ersten
Frühjahr, als die Tage noch ganz kurz waren (fiigitiva adhuc
luce diei) , von emem Bauer und seinen Gesellen ein Schiff auf
1) Meier, 374, 6. In den bairischen Donangegenden zieht man Fast-
nachts Kähne anf Bollen durch die Ortschaften, die Mäste mit Eßwaaren
behängt, im Mastkorb Feuer. Bochholz, Alem. Einderl. 228,
2) Strackerjan II , S. 47, 316.
3) Vgl. auch noch Dunlop, Prosaromane übers, v. Liebrecht^ Vorr. XI.
Germania V, 50.
Die Umfahrt 595
Rädern erbaut Geschah die Erbauung im Walde, statt auf der
bequemeren Werft in der Stadt, sobald dort die ersten Pflanzen-
triebe (Baumknospen) erspäht wurden, und glaubte man so den
Frühlingsgenius (Soi de printemps) unsichtbar im Schiffe zu
haben, der ja auch das Eis des Meeres löst, milde Fahrwinde
mitbringt? Oder war sie ein archaistisches Ueberbleibsel jener
Urzeit, als die Schiffe nodi aus je einem einzigen vielleicht durch
Feuer ausgehöhlten Baumstamme (zumeist Eschen) bestanden?^
Letzteres werden wir für den FaU wahrscheinlicher finden, daß
ein Analogon zu der nicobarischen Sitte vorliegt Die Lein - und
Wollenweber wurden gezwungen, das Schiff an Stricken nach
Aachen und weiter nach Mastricht zu ziehen. Wo man hinkam,
lösten die Weber des Ortes die Ziehenden ab ; kamen sie zu spät,
so verfielen sie der Strafe (proscriptionis sententiam accipiunt).
Tag und Nacht mußten sie im vollen Waffenschmuck Ehrenwache
dabei halten, [so wird beim Maibaum gewacht o. S. 168]; nur
sie dürfen das Schiff bcFÜhren, wer außerdem anfaßt, muß
ein Pfand von seinem Halse geben (pignus de collo ereptum),
oder sich durch beliebige Gabe auslösen. In diesen Zügen offen-
bart sich ein sicheres Anzeichen von dem Alter der Sitte. Wie
die Schmackosterrute nicht mit bloßer Hand berührt werden darf
(o. S. 270), darf den Nerthuswagen und ebenso dieses Schiff niemand
aus dem Volke , nur der berechtigte Priester , oder die Schaar der
durch dsis Herkommen dazu bestellten Führer und Wächter berüh-
ren, weil ein Numen einwohnt Wer ein göttliches geisterhaftes
Wesen berührt, stirbt nach der Anschauung des Al-
tertums, oder kann nur durch Haupt- und Halslösung sich ret-
ten. Dieses der zu Grunde liegende Gedanke. Warum aber hat-
ten grade die Weber mit dem Aufzuge zu tun, deren Gewerbe
erst seit Berufung der Kegensburger Weber durch Graf Baldnin
von Flandern im J. 959 in diesen Gegenden ausgebreitet^ und
deren Vereinigung in Zünfte wenn überhaupt schon, so erst wenige
Jahre vor 1133 erfolgt war?' Vermutlich hatten sie, auch ohne
1) W. Wackernagel in Haupt, Zs. f. d. A. IX, 573. KL Schriften I,
79 — 85. Solche ans hohlen Banmstammen gefertigte Schiffe halten 30r-40
Rnderer.
2) Rehlen , Geschichte der Gewerbe. Lpzg. 1856. S. 98. v. Kampen,
Geschichte der Niederlande I, 146.
3) Wilda , Gildenwesen des Mittelalters. S. 313.
38*
596 Kapitel VII. Vegetationsdamonen : Nerthus.
rechtlieh anerkannte ständige Vereine zu bilden , im zehnten oder
elften Jahrhundert als eine Ehre für ihren Stand das Amt des
Vorspanns und der Ehrenwache in dem alten Brauche zu erlangen
gesucht; sei es, weil für die Zeugmanufactur der gute Verlauf
der Schififahrt eine Lebensfrage war, da sie ihr Rohmaterial
überwiegend aus England bezog und, da ihre Producte damals
die vorzüglichsten überseeischen Ausfuhrartikel der Niederlande
bildeten, oder sei es, weil die metaphorische Benennung eines
Arbeitsgerätes, des WeberschiiTelin ^ (radius, navicula) eine Ideen-
association des Weberhandwerks mit der Schifffahrt begründete.
In etwas späteren Zeiten sehen wir vielfach die Zünfte und Cor-
porationen bemüht, die Bräuche der alten Jahresfeste sich anzu-
eignen und zu eigentümlichen Festen ihrer Innung zu verengen,
indem sie am liebsten solche Formen wählten , welche durch irgend
eine oft untergeordnete Aeußerlichkeit auf ihre Gewohnheiten
bezogen werden konnten. Vgl. z. B. die Prozession der Züricher
Schmiedestubeuzunft am Hirsmontag (o. S. 523) und den Mai-
baum der Prager Schneider o. S. 431.) MiJglicherweise hatte die
Beteiligung der Weber an dem Umzüge doch einen andern Grund.
In Trier fanden wir Weber und Metzger (wol als die angesehen-
sten Zünfte) die Aufrichtung und Verbrennung der Frühlingseiche
am Sonntage Invocavit als bewaffnete Ehrenwache schirmen
(o. S. 501, vgl. Kuhns Herabkunft S. 96), wie an mehreren Orten
die Metzger allein mit der Lenzbraut umziehen. Als im zwölf-
ten Jahrhundert der Reichtum und Stolz der niederländischen
Weber durch das Aufblühen der Industrie und vielleicht den
neuen corporativen Zusammenschluß bedeutend wuchs, mochten
sie es nunmehr unter ihrer Würde halten, gleich Knechten das
Schiff zu ziehen und deshalb den Brauch abstellen , bis dai> nach
dem gewohnten Schauspiel begierige Volk einmal wieder sie
zwang denselben aufzunehmen. Die Prozession mit dem Schiffe
ging von Aachen nach Mastricht (4 Meilen), von Mastricht nach
Tongern (2V2 M.), Looz (2 M.), St. Trond (IV^ M.), St. Leau
(IV2 M.); die genommene Richtung läßt schließen, daß man beab-
sichtigte, das Fahrzeug direct über Löwen und Antwerpen bis
zur* Westerseheide zu führen und hier fausto omine dem Meere
zu übergeben; mit Rücksicht auf dieses Ziel [oder weil man die
1) Zarucke -Müller, mhd. W. B. s. v.
Die Umfahrt. 597
aaszutreibenden bösen Geister darin wähnte] y mag es ftir nnglttck-
lich nnd schimpflich gegolten haben , das Schiff irgenwo za behal-
ten (maligni spiritns disseminaverunt in populo, quod locus ille
et inhabitantes probroso nomine amplias notarentur, apad quos
remansisse inveniretur). Bei L^au war etwa grade die Hälfte
des zurtickzalegenden Weges erreicht; verweilte das Schiff auf
jeder Station so lange, wie 'in St. Trond (12 — 14 Tage), so
hatte es bis dahin etwa 2 Monate gebraucht nnd konnte, falls
es, wie in Ulm, im Beginne der Adventszeit die Reise begann,
Ende März , falls 1 — 2 Monate später ^ im Mai das Meer errei-
chen. Dieser Zeitraum erscheint bereits durch miBbränchliche
Ausdehnung bei Vergessenheit der eigentlichen Absicht des Brau-
ches zu lang gedehnt Auf den einzelnen Stationen wurde das
Schiff ähnlich dem trojanischen Pferde, sagt der geistliche
Berichterstatter, von den Bürgern festlich in die Stadt eingeholt,
allabendlich bildete es (wie der Maibaum) den Mittelpunkt eines
Reigentanzes, an dem beide Geschlechter, sogar die Matronen
trotz der halbwinterlichen Frtthjahrszeit in bereits sommerlicher
Kleidung Teil nahmen und wenn der Reigen sich löste, ertönte
wie unsinniges Gejuchze und Jubelgeschrei (vgl. o. S. 191). Musik
nnd weltliche, der Geistlichkeit anstößige Gesänge fehlten nicht.
Es scheint, daß während des Tanzes auf dem Fahrzeuge Mann-
schaft sich befand , welche mit Commando (celensma) und Ruder-
schlag die Bewegung eines Schiffes nachahmte. Die Geistlich-
keit war diesem Treiben entgegen , es fehlte demselben also jede
kirchliche Beziehung. War es trotzdem nicht unmöglich, so ist
es doch unwahrscheinlich, daß der Umzug seit dem 10. Jahr-
hundert entstand, aber erweitert, ausgedehnt hat er sich wahr-
scheinlich während dieser Zeit unter dem Einfluß des wachsen-
1) In Nordfriesland war Petri Stuhlfeier, 22. Februar, ein Frühliugs-
fest; dann 'tanzte man 4nit seinen Frauen und Bräuten um große Feuer
(Büken), wobei jeder Tänzer in der Hand einen brennenden Strohw^isch
schwang (also nach S. 498 Sonnenzauber bei Frühlingsanfang); dann ver-
ließen die Schiffer das Land und begaben sich wieder zur See. Mül-
lenhofT, Schleswigholst. Sag. S. 167. CCXXyUl. Auch nach deutschen,
dänischen , czechischen , französischen Sprichwörtern hebt St. Peter (22. Februar)
das Frühjahr an, geht der Winter fort, dann sucht der Storch sein Nest,
kommt von den Schwalben der Best. Keiusberg-Düringsfeldy das Wetter
im Sprichwort. 8. 17. 19. 93.
598 Kapitel YII. Vegetationsdämonen: Nerthus.
den Seeverkehrs und Exports der Niederlande und unter der
Teilnahme der Weber. In wie weit darf die Analogie dieses
Frlihlingsaufzuges zum Verständniß der Nerthusfahrt verwertet
werden? Traf unsere Deutung der letzteren zu, so gehören beide
Geremonien der nämlichen Kategorie von Gebräuchen an. Unter
Begilnstigung besonderer Verhältnisse dürfen wir uns die Um-
flihrung eines den Frühling, resp. den im Frühjahr wieder wirk-
samen Vegetationsgeist bedeutenden Symbols zu Wagen, die wir
heute auf einen einzelnen Ort (Dori', Städtchen) beschränkt,
höchstens auf einige wenige Dörfer (s. o. S. 168) erstreckt gewah-
ren, zu größerem Umfange, oder größerer Bedeutung gelangt
vorstellen, und zwar müssen Ursachen , welche heute dergleichen
zu Wege bringen, schon in alter heidnischer Zeit ähnliche Wir-
kungen erzeugt haben. Von den vielen localen Resten des mit-
telalterlichen Schauspiels hat das Oberammergauer Passionsspiel
allein sieh neuerdings zu einer von vielen Tausenden, zum TeU
aus weiter Feme besuchten geistlichen Schaustellung entwickelt;
das Pflugfest zu Hollstadt (o. S. 556), ist nur alle 7 Jahre
mit einer reicheren Ausstattung gefeiert in unserm
Jahrhundert zum Wallfahrtziel eines ganzen großen Gaus
geworden, während die entsprechenden jährlichen Feiern ande-
rer Orte über ihr Dorf hinaus unbeachtet bleiben. Im Altertume
ward durch ein eigentümliches Zusammentreffen historischer aus
politischen und geographischen Verhältnissen hervorgegangener
Constellationen die ursprünglich gemeingriechische von den Dör-
fern in ihrem Kreise geübte Saat- und Erntefeier in Elensis zu
dem so individuell ausgestatteten, jährlich von vielen Tausenden
aus allen Stämmen begangenen Mysterienkultus. Auch die
Gebräuche des delischen Apollodienstes erklären sich zum Teile
als eine unzweifelhaft durch politische Begebenheiten begründete
Erweiterung des Erntefestes, indem mehrere Stämme des näch-
sten Festlandes, wie sonst Gehöft, Weiler oder Städtchen die
Erstlinge der Frucht dem in stiller züchtiger Unberührtheit auf
einer Insel liegenden Heiligtum des Sonnengottes übersandten.
Ein Stamm wird damit begonnen haben, dem die andern sieh
allmählich anschlössen. So wird der Wald auf der Ner&usinsel
zuerst von den nächsten Anwohnern auf dem Festlande zur Ein-
holung des Frühlingssymboles benutzt sein ; der Buf besonderer
Heiligkeit und segensvoller Wirkung, welcher dem aus dem
Die Umffthrt. 599
uBbertlhrten Haine der Insel stammenden Heiltom beiwohnte,
verschaffte dem Umzug Berühmtheit und mit der Zeit Beteiligung
des ganzen angrenzenden Gans; eine Art politischer Yerbindang,
zn welcher späterhin die 7 Stämme gelangten, hat dann in den
Bundesgliedem den Wunsch rege gemacht , an der Segnung auch
ihrerseits Teil zu nehmen. Wir haben ja gesehen, wie in ein-
zehien Formen des Brauches das Abbild des Vegetationsgeistes
die Tendenz hat, sich zur Idee eines Schutzgeistes der Gemeinde,
des Staates zu erweitem (o. S. 166 ff. 303 ff.); dem zunächst-
wohnenden Stamme aber dürfte der hieratische Beiname Reudigni
d. h. wol got Biudiggai^ d. i. die Ehrwürdigen , ae^poi als den
Hütern des heiligen Inselhaines oder als denjenigen, bei welchen
die Festfeier statt hatte, ^ zugeflossen sein. So wäre erJdärlich,
daß ausnahmsweise von dem Strome historischen Lebens erfaßt
schon jsu des Tacüus Zeit den Kultus eines Bwndes von sieben
Gauen ausmachen konnte , was im übrigen DeutscJdand Begehung
ivwr eines Dorfes, oder weniger Ortschaften geblieben ist.
Unsere Untersuchung kehrt zu der bereits S. 000 berührten
Frage zurück , wie die Angabe zu yerstehen sei , daß die 7 Stämme
gemeinschaftlich (in conunune) die Nerthus verehrten. War der
Inselhain ihr unter einer Bundesverwaltung stehender Gesammt-
besitz und brachte der Priester dort im Namen des Bundes und
in Gegenwart von Gesandten der einzelnen Stämme zu bestimm-
ten Zeiten, oder ftir Private aus 'allen Gauen, so oft sie etwa
wollten, Opfer? Das ist unwahrscheinlich, weil Tacitus' Schil-
derung (zumal der Ausdruck castum nemus) einra ständigen, das
ganze Jahr hindurch geübten Opferdienst im Inselhaine aus-
schlieBt, und bei dem Feste nur den Ausgang der Prozession
aus demselben geschehen läßt (o. S. 575). Offenbar also bezieht
sich die Behauptung eines gemeinsamen Kultus auf die Festfeier,
die dann am ehesten als solcher erscheinen konnte, wenn zu ihr
an einem und demselben Orte Teilnehmer aus allen den genann-
ten Stämmen sich einfanden. Dies setzt einen vorher feststehen-
den Zeitpunkt des Festes voraus, der nicht minder durch den
unter den 7 Stämmen geltenden allgemeinen Landfrieden erfor-
dert wird, da ein solcher, wenn er nicht eine periodisch wieder-
kehrende bestinmite Stelle im Jahreslauf hatte, viele Wochen
1) Grimm, Geaoh. D. Spr. 716 ff.
600 Kapitel VII. Vegetation sdftmon en : Nerthus.
vor dem Beginn des Festes hätte angesagt werden müssen. Ohne
ein zwingendes praktisches Interesse verstanden sich die kriege-
rischen Stämme schwerlich dazu , unbedingt jeder Fehde zu enl^
sagen; ein solches war das Bediirfnift mit sicherem Geleit zum
Festortc reisen zu können, der bei starkem Besuch von entlege-
neren Landstrichen her sich von selbst zum Markt, zur Messe
gestaltete. Berücksichtigen wir diese Bemerkungen, so er^nzt
sich uns das mutmaßliche Bild des Nerthuskultus etwa in folgen-
der Weise. Der an einem bestimmten Tage des Frühlings
(1. Mai?) geübte Brauch, aus einem Walde auf nahegelegener
Insel den Vegetationsdämon einzuholen, hatte, zu einem besonders
großartigen und vielbesuchten Aufzuge geworden, vielleicht
begünstigt durch die Lage des Ortes , einen sehr lebhaften , fried-
lichem Austausch dienenden Marktverkehr hervorgerufen, an den
sich leicht eine politische Beratung von Abgeordneten des Bun-
des — wenn ein solcher bestand — anschließen mochte. Dem
römischen Reisenden , der in diesen Festverkehr hineingeriet,
vielleicht des Marktes wegen denselben aufsuchte, konnte die
Feier kaum anders erscheinen, als Tacitus sie geschildert hat.
Nur ein Umstand macht Bedenken und könnte einen gewich-
tigen Einwand gegen unsere Deutung begründen, wenn die Auf-
fassung des Tacitus genau den Tatsachen entspräche. Es ist
dies die Angabe, daß der Nerthuswagen zu den Völkern gefahren
komme (populis invehi), und* daß mehrere Orte des Eintreffens
und des Gastbesuches der Gottheit gewürdigt wurden (quaecun-
que loca adventu hospitioque dignatur). Man hat bisher diese
Stellen so ausgelegt, daß der Nerthuswagen durch die Gaue
aller 7 Stämme geftlhrt wurde. In diesem Falle mußte er min-
destens als Hauptstationen die 7 Vororte der verbündeten Can-
tone besuchen und darin verweilen. Rechnen wir auf jeden die-
ser Orte eine Woche des Verweilens und unterweges keinen
Aufenthalt, so konnte bei 40 Reisetagen von je 4— 5 Meilen
auf den noch ungebahnten Wegen jener Zeit möglicherweise in
einem Vierteljahre der Umzug vollbracht sein. Er hätte also
etwa die Jahreszeit in Anspruch genommen , welche bei uns dem
Zeitraum von Fastnacht bis Pfingsten entspricht, o4er er würde,
falls man den Endpunkt bis Mittsommer herausrücken will, die
Monate von Mitte März bis Mitte Juni erfordert haben. In bei-
den Fällen wäre jede9 Zeichen, an dem man im Anfange dieser
Die Umfahrt. 601
Periode die Ankunft des Vegetationsdämons im Walde erkennen
konnte , weit üherholt durch die inzwischen voll entwickelte , ja
bis zum Wiederabwelken reif gewordene Pflanzenwelt. Wozu
dann noch ein Umzog von Gau zu Gau mit einem Symbol, das
doch nur in den ersten Wochen des Frühlings Interesse hatte,
um daran die Wiederkehr der guten Geister des Lenzes sichtbar
anzuschauen? Was (Blume, jung ergrtlnter oder in Blattknospen
ausgebrochener Zweig oder dgl.) konnte in dem Wagen als sicht-
barer Vertreter des Wachstumsgei^tes enthalten sein, ohne im
Laute einer so langen Zeit abzusterben und zu welken? An
dem Nadelgehölz brechen die frischen Triebe erst im Ausgang
Mai oder Anfangs Juni hervor, mithin war auch wol Pichte,
Föhre uYid Tanne nicht verwendbar, falls die Umfahrt wirklich
ein Vierteljahr dauerte, alle 7 Gaue berührte. Wird durch diese
sachlichen Schwierigkeiten unsere Hypothese, daß der Umzug
des Nerthuswagens eine besondere archaistische Form der Ein-
bringung des Vegetationsdämons im Frühlinge war , umgestoßen ?
Wir glauben diese Frage wegen der 8. 581 if. dargelegten Ueber-
einstimmnngen mit nein beantworten zu sollen. Vielmehr scheint
es, als ob die einfache Erwägung der praktischen Möglichkeit
den Bericht des Tacitns als nicht völlig den Tatsachen ent-
sprechend erweise. Als gemeinsamer Kultus hatte die Um-
fahrt keinen Sinn, wenn nicht allen Stämmen Gelegenheit gege-
ben wurde den heiligen Wagen bei sich zu sehen ; die Dauer der
Reise würde sich vermutlich in Wirklichkeit länger , leicht bis zu
einem halben Jahre ausgedehnt haben. Und eine so lange Zeit
wäre (jährlich?) Landfriede geboten und gehalten? Und wo fände
sich ein zweites Beispiel einer so langen und so weiten Herum-
Whrung eines Göttersymbols? Die viel kürzere des Schiffes von
Comelimünster (o. S. 596) ist ans der Richtung nach dem Meere
erklärlich, die Freysumfahrt (o. S. 589) beschränkte sich ver-
mutlich auf die Nähe des Tempels und bestand nicht in einer
ununterbrochenen Reise von Ort zu Ort; der Empfang des Nn-
mens mit Tanz und Festmahl und der Glaube , durch seine Gegen-
wart sich der Fruchtbarkeit des Landes versichern zu können,
bildete vermuüich seine Hauptübereinstimmung mit dem Nerthus-
umzug und der Einbringung des Maibaunis. Unter diesen Um-
ständen muß ernstlich erwogen werden, ob nicht die Schwierig-
keit durch die Annahme zu lösen sei, daß jenes „in commune
602 Kapitel YII. Vegetationsdfimonen : Nerthos.
colunt'^ im Munde des ursprünglichen Gewährsmannes nichts
anderes als eine gleichartige Begehung zu gleicher Jahreszeit
(etwa im Mai) bedeutet habe ? Der Inselhain ging dann nur die
nächsten Anwohner etwas an y in deren Nähe der Berichterstatter
gelandet sein mochte, und^ wo er weiter hinkam, sah er ähn-
liche Auiztlge, die er für den nämlichen halten konnte. Wie
aber erfuhr er, daß dieser Kultus jenen 7 Stämmen gememsam
eignete ? Ehe er zum zweiten dritten Volke gelangte , mußte die
Feier liberall vorttber sein. Da somit auch diese Annahme sich
als unhaltbar erweist, bleibt es übrig, entweder einen Irrtum des
Tacitus zuzugeben , oder seinen Worten einen anderen Sinn unter-
zulegen, als man damit bisher verbunden hat. Waren Genossen
der 7 Stämme in dem Hauptort des der Insel zunächst wohnen-
den Volkes zahlreich zur Festfeier zugegen, gaben sieh die Lande
bei derselben gleichsam ein Rendezvous , konnte da nicht gesagt
werden, daß die Gottheit sich unter die Menschen mische, unter
die (zum Feste versammelten) ^ Völker hineinfahre (invehi popu-
lis)? Und wenn zwischen dem Wasser und dem Hauptorte des
Gaues noch kleinere Orte dazwischen lagen, werden nicht diese
den einziehenden Mai bei der Durchfahrt dorthin ebenfalls fest-
lich empfangen haben? Da hätten wir mehrere Orte, welche
Nerthus „adventu dignatur,^' während nur einer durch Verweilen
(hospitio) des Numens ausgezeichnet wird. Verdiente diese Er-
läuterung Beifall, so wäre jeder Einwurf gehoben, der uns
hindern könnte schon der geimanischen Urzeit jene Art von
Begehungen beizumessen , welche noch heute die Wiederkehr des
Wachstumsgeistes im Frflhlinge unserem Volke zu lebendiger
Anschauung bringen.
1) Vgl. Schillers Kraniche des Ibycus: Wer zahlt die Völker, kennt die
Namen, die gastlich hier zosamnienkamenV*'
Schlaßwort.
Baumgeist und Korndämon.
Die Hauptergebnisse unserer Betrachtungen lassen sich in
die folgenden Sätze zusammenfassen. Als Ueberlebsel der pri-
mitivsten Entwickelungszustände des menschlichen Geistes hat
sich bis in weit fortgeschrittenere Zeiten unter verschiedenen For-
men die Vorstellung von Gleichartigkeit des Menschen und des
Baumes gerettet. Die Ueberzeugung , „der Baum hat eine Seele,
wie ein Mensch," und der Wunsch zu wachsen und zu blühen,
wie ein Baum , sind auch bei den deutschen und ihren slavischen
und romanischen Nachbarn die Eltern eines weitverzweigten '
Glaubens und mannigfacher Gebräuche gewesen. Die Baumseele
webt in dem Baume als in ihrem Leibe, den sie nicht verlassen
kann, und empfängt so Opfer und Verehrung; eine rationalisti*
sehe Abart dieser Vorstellung ist die Annahme, daß die Seele
eines verstorbenen Menschen im Baume eingekörpert sei. Der
Baumleib ist dabei vielfach dem menschlichen ähnlich gedacht,
verwundet blutet er (S. 34 flF. 41 ff). So entsteht em der Phan-
tasie stätig vorschwebender Parallelismus des Menschenkörpers,
seines Wuchses und seiner Zustände mit denen des Baumes.^
1) Derselbe spricht sicli u. a. in der Sitte aas, Menschen mit ihren
Gedärmen am einen Banm zu wickeln o. S. 26 ff. Dieser graasame Branch,
der im 12. und 13. Jahrhundert in Ländern , welche vorzugsweise dem Banra-
kultus* ergeben waren, noch in wirklicher Ausübung als religiöse Begehung
stand , bezog sich ursprünglich nur auf Baumsch&ler und enthielt den Gedan-
ken, den geschädigten Baumgeist durch Ersatz zu sühnen. Er ragte offen-
bar auch in das Leben der Slayen, Letten und Finnen jener Zeit nur noch
als dunkler Rest einer längst entschwundenen, noch barbarischeren Vorzeit
hinein, stimmt aber völlig zu dem, was E. Tylor, Ausland 1874. 16. Febr.
S. 182 über die Bechtsanschauung wilder Völker bemerkt. „Wie man yoW
604 Schluüwort.
Die den Baum als Schmarotzer anfressenden Insekten gelten
zagleich als die Krankheitsursachen im tierischen Leibe (S. 1 2 flF).
Zuweilen jedoch tritt der Baumgeist aus der Fflame heraus utid
neben sie hin, so daß er zeitweilig in Menschengestalt den Pflan-
zenkörper verläßt und sich in Freiheit außer ihm bewegt, aber
mit seinem Leben an das Leben des Baumes gebutidcn bleibt
(o. S. 68. 69). Im Rauschen des Windes macht er .sein Dasein
bemerkbar [ß. 42. 43). Die Seele des Einzelbaumes erweitert sixili
sodann zum Dämon eines ganzen Waldes und stellt sich so dar
als ein Waldgeist, oder eine Schaar von Waldgeistern, bald
männlichen , bald weiblichen Geschlechtes , die mit den Bäumen
zugleich entstehen und vergehen (S. 75. 89). Oft tragen sie,
ganz in Moos gehttllt, noch deutliche Abzeichen ihrer Natur als
Personifikationen der Bäume an sich; dieselbe bricht auch in
ihren Namen (Hochrinde, Bohrinde u. s. w.) und in manchen ande-
ren Zögen ihres Wesens durch (S. 75. 147). So versichern die
Weißrussen, daß der Wuchs de^ Waldgeistes von der Höhe der-
jenigen Bäume abhängig sei, in deren Nähe er geht und steJit,^
oft ist dieser Zusammenhang mehr verwischt. Sie zeigen sich,
außerhalb der Bäume lebend, in Me^ischengestalt oder Tierge-
stalt (S. 146), fahren in Wirbelwind und Sturm daher, die
Dames veries gehen im Winde über das wogende Kornfeld
(S. 149 fl*.). Hieher gehört, daß sie zuweilen im Tanze Kinder zu
Tode kitzeln o. S. 87. 139 vgl. 89. Als Bepräsentanten des Col-
lectivbegrilfs Wald machen sie den weiteren Fortschritt zu Gei-
stern der gesammten Vegetation o. S. 77 If. 148. Wol als solche
tragen die weiblichen Waldgeister zum Anzeichen ewig wieder-
holter Geburtenftllle große herabhangefide Brüste (S. 147), als
solche verjagen sie die schädlichen Krankheitsgeister und werden
zu Heildämonen, welche pestvertreibende Kräuter wissen (S. 81.
106. 153).
Jen Wilden der brasilianischen Wälder hört, daß der Bluträcher dem
Mörder g^enan dieselben Wanden hant, oder sticht, w*elche
dieser dem Ermordeten beigebracht hat, so ist das römische lex
talionis, das jüdische Ange um Auge , Zahn um Zahn , Brennen um Brennen,
Wunde um Wunde noch heute Gesetz in Abyssinien.*' Vgl. hiczu, daß der
Baumschädiger sich genau die Wunde beibringt, die er dem Baume schlug
0. S. 36 if.
1) Afanasieff , poetische Naturanschauungen II , 330. Vgl. o. S. 138.
Banmgeist and £orndämon. 605
Dem Glauben von der zum Genius des Wachstums erweiter-
ten Baumseele und der magischen Wechselwirkung zwischen
Baum und Menschen scheint im Volksbrauch die Sitte des Mai-
baums zu entsprechen, der als Frühlingsmai, Emtemai, Richt-
mai und Brautmai vor die Tür oder auf das Bach des Hauses
gepflanzt vnrd^ und zugleich die dhajuic; äv^fjrr/.^ und wie der
Värdträd einen mythischen Doppelgänger einzelner Menschen,
oder ganzer Gemeinden darstellt. Die völlige Uebereinstimmung
des Emtemais mit der griechischen Eiresione spricht fUr den
vorchristlichen Ursprung dieser Sitten, während die S. 243 erör-
terten christlichen Vorstellungen und die Bräuche des Adams-
baumes S. 246, des Paradiesesbaumes im Oberuferer Weihnacht-
spiele S. 242 und in der Moskauer Osterprozession S. 285, des
fruchtbehangenen Palmzweiges in Frankreich und Belgien S. 28G.
287 ernstlich die Frage nahelegen, ob nicht dennoch unser Mai-
baum eine den Lebensbaum Christus inmitten der Gemeinde dar-
stellende kirchliche Sitte, ein ganz neuer Ansatz aus rein christ-
lichem Ideenkreise heraus gewesen sei. Derselbe Zweifel regt
sich hinsichtlich des Weihnachtblocks und Weihnachtbaums und
'derjenigen Bräuche, welche wir unter dem Namen „Schlag mit
der Lebensrute ^^ zusammengefaßt haben. Doch scheint -auch f^r
sie eine außerchristliche Grundlage nachweisbar. Für die Auf-
fassung des Maibaums als beseeltes Wesen spricht
die mehrfach an ihm beobachtete Bekleidung mit
dem Anzüge eines Menschen, die ihn als Person characte-
risieren sollte. Danchen wird der Baumgeist oder Vege-.
tationsdämon durch eine menschlich gestaltete, an
den Baum gehängte Puppe, also doppelt dargestellt.
S. 210. Statt der Puppen aus Brod, Korn oder Laubgeflecht
tritt auch ein ganz in Laub oder Baumzweige geJiiÜlter Mensch
neben dem Maibaum auf und wird (zuweilen sammt dem Baume,
zuweilen allein) ins Wasser geworfen, damit reichlicher Reyen
die Pflanzenwelt erquicke S. 313 — 314. Dieser mit grtlnen Zwei-
gen umhüllte Bursche (oder Mädchen) repräsentiert also den
Wachstumsdämon, und das ist auch dann der Fall, wenn der
Maibaum fortfällt und der Laubmann allein von Nachbar zu
Nachbar durchs Dorf geführt wird, um durch seine Gegenwart
die Wachstumskräfte auf Haus und Hof zu übertragen S. 316.
Der zumeist nach der Jahreszeit oder dem Kalendertage oder
606 SchlnAwort.
nach der Bekleidung Pere May^ Füstge Mai^ Grüner Georg,
PfingBtl, Pfingsbntz, Kudemest, Schnak a. s. w. benannte Laub-
mann (Mädchen) , der im Frühling bald zu Fuß, bald zu Boft
seinen Einzug ins Dorf hält^ ist mehrfach durch Bekleidung des
Halses und Gesichte mit Baumrinde o. S. 321. 326. 342. 343.
353, einmal durch den Namen ^^Pappel^' o. S. 319 als Baum-
geist, ein andermal durch die Bezeichnung ,;der wilde Mann'^
als Waldgeist characterisiert , ebenso oft bildet^ ein mit Ruß
geschum-ztes AnÜüß (S. 162. 314. 321. 322. 336. 342. 343. 349.
352. 365. 367. 426 — 28. 442. 541. 545) und eine an seinem
Körper cmgebrachte Kuhschelle (Pferdeglocke u. s. w.) (S. 324.
325. 326. 327. 342. 416. 440. 539 ff. 546) , ein Zubehör seiner
Darstellung. Zu verstehen ist er als der im Lenz als Herrscher
(Maikönig, PfongsÜcönig, Reine de printemps, Queen of May)
wiederkehrende Genius der Vegetation überhaupt, worauf u. a.
die Namen Graskönig, Lattichkönig, die Umhüllung mit Farren*
kraut (S. 324. 337), Pfriemenkraut und anderen Wiesenblumen
statt der LaubhtUle, sowie die Wassertauche hindeuten, welche
durch das Köpfen des Frosches (S. 354. 356) als Regen-
Zauber bewährt wird. Die grüne HüUe des Graskönigs'
SchoBmeiers u. s. w reißt man ihm vom Leibe, um die Teile als
Amulette in Aecker und Fenster zu stecken (S. 357). Auch wo
der Dämon als Maikönig in der Bolle des festlich einziehenden
Fürsten beritten und mit großem Gefolge auftritt, oder sich in
mehrere Personen spaltet, sehen wir häufig wieder den Mai-
bäum als seinen Doppelgänger nebenhertragen
S. 343. 349. Wer den Maikönig, Pfingstkönig, Maigrafen spielt,
behält diese Würde und diesen Namen ein Jahr lang S. 354.
371, grade so wie der Emtemai ein Jahr lang auf dem Hause
bleibt S. 202. 204. 217. Zuweilen schwächt sich die LaubhttUe
des Pfingstl in einen bloßen Kranz oder eine Blumenkrone ab.
(Vgl. den Wasservogel in Abensberg S. 353, den Maigrafen, den
Ole i skrymta S. 337, den Jack o the green in Londons Vor-
städten S. 322, die Beine de May, Queen of May S. 343. 344
vgl. mit 313. 315. Jarilo S. 415, so daß die Gestidt zuweilen
auf den ersten Blick nichts anderes als eine Personification
der Jahreszeit scheint, oder in der Tat in eine solche hinüber*
rinnt. Zuweilen ergänzt sich der eine männliche, oder weib-
liche Dämon zu einem Paare (Maipaar, Maibrautpaar), das im
Banmgeister und Kornd&mon. 607
Winter entfernt , oder schlafend gedacht war, nnd dessen Wieder-
kehr, Erwachen oder Hochzeit mit dem Erwachen der Natur
zusammenfiel. ' Wie aus dem Zuge , daß der Laubmann (Pfingstl)
sehr häufig durch den zuletzt oder zuerst Erwachten (o. S. 319.
353) den Pfingstschläfer (S. 321) dargestellt wird, die Anschauung
hervorblickt, daB der Wachstumsgeist im Winter schlummere,
wurde am 1. Mai ein in Laub gehüllter Schläfer im sttd-
französischen, durch eine russische Analogie als alt und volks-
tümlich bewährten Brauch von einem Mädchen, das seine
Braut sein will, erweckt (S. 434. 435). In feierlichem
Zuge wird „das Brautpaar" aus dem Walde gehoU, oder zum
Hochzeithause geleitet; oft führt man auch die Braut (Mai-
braut, Pfingstbraut, Blumenbraat) mit der kostbaren Brantkrone
geschmückt daher S. 431 ff.. Unzweifelhaft hiezu in Beziehung
steht es, daß am Maitag, Sonntag nach Fasten, 1. März die
sämmtlichen Liebschaften des Dorfes offenbar gemacht , die Mäd-
chen den Burschen als Mailehen, Maifrauen, Vielliebehen, Valen-
tinen u. s. w. auf ein Jahr oder für den Sommer zu Tänzerin-^
nen ausgeteilt oder angesteigert werden. Die Versteigerung
geschieht oft in Gegenwart des Maibaums, während wie-
derum im Värends \härad in Smäland (Schweden) jedes wirk-
liche Brautpaar auf dem Zuge zur Trauung mit seinem Gefolge
dreimal den vor dem Wohnhause aufgepflanzten
Maibaum (Majstäng) umreitet.^ In Hessen S. 450, Lothrin-
gen S. 456, Dänemark S. 508, Wälschtirol S. 455, Polen S. 467
(cf. die Eifel S. 455 und Estland (S. 469) ist die Sitte des Braut-
paarausrufs, mit einem Sonnwendfeuer verbunden. Hiezu stimmt
eine Reihe anderer Gebräuche (S. 462 ff.), aus denen hervorgeht,
daß einstmals die im Laufe des letzten Jahres neuver-
mählten Ehepaare oder Brautpaare durch das Feuer
sprangen, oder die als Nachbildung der Sonne dienenden Räder
oder Scheiben warfen. (Verwandt erschien die Sitte auf Ostern
den Neuvermählten den Brautball abzufordern.) In dem näm-
lichen Feuer wurde auch der Doppelgänger des Vegetationsdä-
monen, der Maibaum verbrannt S. 177 ff. Da diese Verbren-
nung unmöglich die Vernichtung der Vegetation selbst bedeuten
kann, muß ihre Reinigung von allen sie schädigenden, clas
1) Lloyd, Svenska allmogens Plägseder öfvers. af Swederus p. 18.
606 Sehioßwori
Wachstam hindernden Einflüssen, der Tod aller jener die Pflanzen
auf Aeekem, Wiesen, Obstgärten anfressenden, zerstörenden,
hindernden Insekten and Mißwachsgeister (Zauberer, Uexen^
Feldgespenster 8. 500. 501. 502. 505. 520, Ungeziefer, Baupen,
Mücken, Käfer, Mäuse S. 502. 504. 510. 520) gemeint sein.
Wenn dieselben Feuer auch von Menschen und Tieren die
Pest und andere Krankheitsgeister fem halten , Gesundheit bewir-
ken sollen, so ist dieser Parallelismus daraus zu erklären, dad
man die Krankheitsstoffe oder Krankheitsursachen der Epidemien
u. s. w. iUr Wesen hielt, welche den Mißwachs herbeiführenden
Baumschmarotzem gleichartig, wo nicht gleichgestaltig seien
(vgl. S. 13 ff.). Andererseits hat diese Entfernung der Wachs-
tumsfeinde zur notwendigen Kehrseite die positive Beförderung
der Gesundheit und des vegetativen Gedeihens, der Zeugungs-
kraft; schon der Maibaum ttlr sich bewirkt ja vermeintlich aetiv
Gesundheit und Lebensfiille sowol der Menschen und Tiere, als
der Kulturfrttchte, und grade diese active Wirksamkeit wird auch
hinsichUich des Feuers mehrfach durch drastische Symbole her-
vorgehoben S. 521. Die fraglichen Feuer, ja der von ihnen aus-
gehende Fackellauf über die Kornfelder konnten hieuach rein
als Lustration, als Feuerreinigung aufgefaßt werden, wie sie bei
vielen wilden Völkern vorkommt, welche mit Feuerbränden büse
Geister verscheuchen, mit Feuer die Wöchnerin, das Kind, die
vom Begräbnisse zurückkehrenden Hinterbliebenen von der
Befleckung und den ihnen anhaftenden bösen Mächten zu befreien
suchen. (Tylor, Anlange der Cultur II, 195. 43a ff.) Doch die
Zeit der Feuer, die als Darstellungen der Sonne aufzufassenden
Räder und Scheiben, welche dabei gerollt oder geworfen wer-
den, der Sprung der Liebespaare oder Neuvermählten (Reprä-
sentanten des Maibrautpaars) durch die Flamme, endlich der
Parallelismus einer als Regenzauber aulzufassenden Wassertanche
der jungen Eheleute, sovile auch die gleichzeitige Verbren-
nung und Benetzung des Fastnachtpfluges (S. 553), machen es
im höchsten Grade wahrscheinlich, daß in diesen Fällen das
Reinigungsfeuer als Abbild und Vertreter des Sonnenfeuers oder
als an diesem entzündet, von ihm abstammend angesehen wurde.
Schwerlich wird die Wassertauche des Pfluges, der jungen Ehe-
leute ein Regenzauber, ihre Feuerweihe daneben eine einfache
Lustration gewesen sein. Mithin hal>en wir — so scheint es —
BaniDgeist und Eornd&mon. 609
es hier mit einer NachbilduDg des Durchgangs der Vegetation
durch die Sommerwärme im Sinne und mit Wirkung einer Lustra-
tion zu tun.^ Ein altgallisches Festfeuer , das Posidonins beob-
achtete , und die von Tacitus geschilderte Nerthusverehrung gewäh-
ren Zeugnisse fllr das vorchristliche Alter der in diesem Bande
vorgetragenen Sitten, während die S. 517 Anm. 1 zusammenge-
stellten Bräuche abermals (vgl. 224 ff. 251. 281 ff. 406. 446. 480.
505) eüi auffallendes Zusammentreffen christlicher Symbolik mit
den Gebilden des Naturkultus bekunden.
Sind somit manche ungelöste Fragen im Einzelnen übrig
geblieben, muß es insonderheit mehrfach der Zukunft überlassen
bleiben, die Grenzlinie zwischen christlicher Symbolik und welt-
lichem Brauche zu ziehen, im Ganzen und Großen bewährt
sich unsere Deutung der in diesem Buche behandelten
Sagen und Sitten durch ein genau zutreffendes Seiten-
stück. Wie ich an einem anderen Orte* schon nachgewiesen
habe, dachte man sich gleich den Bäumen auch das Getreide
von einem Geiste beseelt. Der Glaube von den Komdämonen
entspricht nun in fast allen einzelnen Stücken genau den vorhin
ausgehobenen Vorstellungen und Gebräuchen hinsichtlich des
Baumgeistes. Der Dämon, welcher bald in Menschengestalt
(Mann, Frau, Kind), bald in TiergestaU (Wolf, Hund, Bock,
Riad, Schwein, Öahn u. s. w.) gedacht wird, erfiUlt zunäcJist mit
seinem Leben die eineeine Äehre, er ist der Lebensgeist, die-Sede
des fruchttragenden Getreidehalms. Daher spricht man im Für-
o
stentum Ratzeburg vom Arnkind (Aehrenkind), in England vom
Kirnbaby (Kemkind), d.h. einem göttlichen Kinde, welches in
der Aehre, im Weizenkom drinsitze, in Oestreich „hat" der-
jenige, der das letzte Getreide drischt, „die Aumsau" (aum =
Spreu); in Lothringen heißt der auf dem letzten Emtefuder auf-
gesteckte grüne Busch nach dem Komdämon chien de la moisson,
oder chien peau de balle (Hund Schlaubenfell). Diese dämo-
nischen Wesen werden also in der Kornhülse immanent gedacht.
1) In Poiton (Dcux Sovres) zündet man das .Tohannisfener an, nm dem
Heiligen zn danken „de ses graces d'avoir prÖt6g6 les famiUes en leur
preserrant lenrs prairies contre les incidents de la s^che-
resse" etc.
2) Roggenwolf und Roggenhund. Danzig 1865. Aufl.* 1866. Die
Korndämonen. Berl. 1867.
Mannhardt. 39
610 Schlußwort.
Doch tritt der Korngeist auch aus der Pflanze heraus und neben
sie; beim Ausdrusch denkt man ilm dann in Tiergestalt oder
Menschengestalt zum Vorschein kommend. Meistenteils erweitert
sich sein Wesen zu einem CoUedivgenius , zum Dämon der Vege-
tation des gesammien Ackerfeldes, das er mit seinem Numen
erfüllt, in dem er seine Wohnung hat. In den letzten Aehren
des Feldes wird er ergriffen; in sie zog er sich vor den Schnit-
tern zurück; er ist jedoch mit seinem Leben noch so sehr an
das Leben der Halme gebunden, daß er nun mit der letzten
Garbe in die Scheune wandert, oder zugleich mit dem Abmähen
der letzten Halme als getödtet betrachtet wird. ^ Nach russischem
Volksglauben in den Gouvernements Kiew und Tschemi-
goflf sind analog den Vorstellungen von der Größe des Wald-
geistes die Polewiki (Feldgeister) der Hohe des Kornes gleich ;
nach der Ernte machen sie sich aber so klein wie die Stoppeln,^
Wo aber die Sitte herrscht, nach Beendigung des Kornschnitts
oder des Dreschens auf dem eigenen Besitztum eine den Korn-
dämon darstellende Getreidepuppe dem nächsten Nachbar, der
noch nicht fertig wurde, zu überbringen, liegt unverkennbar die
Anschauung zu Grunde, daß der Dämon der Genius des Korn-
tvachstums in der gesammten Landschaft sei, mithin nach
Beendigung der Ernte auf den eigenen Aeckem doch noch
im unabgeemteten Korne des Nachbars weiterlebe. Wenn
nun in denselben Funktionen wie der „ Kommann '^ ein Grum-
metkerl, statt der Kommutter, Flachsmutter ein Arftenwtf,
Heumütterli u. s. w., statt des chien de la moisson, Weizen-
beller, Schotenmops, Dreschhund auch ein Heupudel auftritt u. s. w.,
wenn die aus der letzten Garbe gebildete Figur Wdldmann heißt
(o. S. 4T0), so gevxihren unr deutlich die Seele des Kornhalms in
den Dämon der gesammten Kulturfrucht ja der Vegetation über-
haupt übergehen.^ Er ist denn auch ebenso gut wie der vom
Baumgeist ausgehende Vegetationsgeist als Herrscher gedacht;
1) Korndämenen S. 5. 15.
2) Gouverneraentszeitang von Kiew 1845, 16. Goavernementszeitniig
von Tschemigoif 1844, 50 bei Afanasieff, Poetische Naturanschaunngen der
Russen II, S. 329. Hienach ist o. S. 138 Z. 2 v. n. zu berichtigen „welche
Polewiki (Feldgeister) heißen."
3) Vgl. Korndämonen S. 4.
Banmgeist nnd Eonidämon. 611
dem • Maiköuig , Graskönig, Lattichkönig, der Queen of the May,
reine de printemps in den FrOhlingsgebräuchen entsprechen als
Namen des in der letzten Garbe waltenden Dämons im Ernte-
brauch ein König, Kong, HaferkÖfiig, HaferJcönigin, Aehrenkö-
nigin, Harvesfqueen u. s. w.^ Wie der Baumgeist im Rauschen
des Windes seine Gegenwart bemerkbar macht, sieht die Phan-
tasie des Volkes, wenn der Wind im Getreide Wellen schlägt,
nicht allein die Dames yertes über das Korn wandeln, auch „die
Kornmutter geht über das Getreide." „Da laufen die
Wölfe," „die wilden Schweine sind im Korn" u. s. w. Die Korn-
^nutter fährt im Wirbelwinde. Wie die Wildfrauen, Lieschje
u. 8. w. Kinder zu Tode kitzeln , redet man von den im Korne
hausenden Kiddelhimden.* Wie die wilden Weiber hat die Kom-
mutter lange über die Achseln geschlagene Brüste.^ Jene Redens-
arten „die Wölfe jagen sich im Korn," „die Kornweiber laufen
durchs Korn u. s. w. lehren zugleich , daß den Waldgeistem ent-
sprechend auch bisweilen eine Vielheit von Komgeistem das
Ackerfeld erfÖUend gedacht wurde.
Wie im Frlihlingsbrauche der Dämon der Vegetation durch
den Maibaum, oder durch einen in Laub und Baumrinde gehüll-
ten Menschen, oder durch Baum und Menschen zugleich darge-
stellt wird, genau so im Emtebrauche der Komgeist. Ihn ver-
gegenwärtigt man durch die mit bunten Bändern und Blumen
geschmückten, oder zu einer Tier- oder Menschengestalt aufge-
putzte letzte Garbe, die dann auch den Namen „der Alte," „die
Kommutter," „Roggenwolf," „Roggensau," „Hafergeiß" u. s. w.
empfängt. Oft wird der Gutsherr oder der Schnitter (resp. die
Binderin) der letzten Halme ^ (dem in Grün gehüllten Pfingstbutz
entsprechend) in die letde Garbe hineingebunden und an ihm die
Wasserfauche, der Regenzauber vorgenommen (vgl. o. S. 215).
Wie man dem Graskönig die grünen Zweige vom Leibe reißt,
pflückte man dem Haferbräutigam die Haferhalme ab^ unzweifel-
haft auch, damit sie als Amulet dienen sollten. Gewöhnlich
jedoch verfällt die Darstellung des eifien Gctreidedämo)is in zwei
1) Vgl. Korndämonen S. 27.
2) S. Roggenwolf und Roggeiiliund * S. 14.
3) Korndämonen S. 20.
4) S. Korndämonen S. 30.
39
612 Schlußwort
GestaUeny die zur Puppe aufgeputzte letzte Garbe und einen
Menschen (Schnitter oder Drescher, resp. Binderin). Diese Per-
son heißt wie die letzte Garbe „der Alte," „Wolf," „Bock,"
„Hahn" u. s. w.> und hehoLt diesen Namen ein ganzes Jcihr lang
bis zur nächsten Ernte, Sie muß die ihr gleichnamige Stroh-
figur (z. B. die Roggensau) zum nächsten Nachbar tragen und
diesem in die Scheune oder auf die Tennen werfen. Wird der
Ueberbringer erwischt, so behandelt man ihn als den gefangenen
Dämon, man schwärzt Him das Gesicht mit Ruß, lockt ihn wie
die Schweine, sperrt ihn in den Stall u. s. w. Sehr deatiich
erhellt die ztviefache Darstellung desselben Begriffes aus einigen,
französischen Gebräuchen , in welchen der Grundeigentümer oder
dessen Frau die Rolle des Dämons spielen. Beim Dreschen wird
in St. Brieuc (Cötes du Nord) die letzte Garbe auf einen dicken
Stock gespießt, dessen Enden 2 Männer auf ihre Schulter neh-
men; dann setzt sich der Propri^taire rücklings neben die Garbe
und wird so zweimal auf der Tenne herumgetragen. In der
Commune Salignö Canton de Poiret (Vend^e) bindet man die
Bouigeoise nebst der letzten Garbe in ein Bettlaken ein, legt
beide auf eine Tragbahre, trägt sie bis zur Dreschmaschine
und schiebt sie darunter. Dann zieht man die Frau heraus und
drischt nun zwar die Garbe allein, aber prellt die Wirtin, d. h.
wirft sie im Bettlaken in die Höhe (Nachahmung des Worfeins).
Es ist diese Verdoppelung eben nur eine unbehilfliche Weise
des Ausdrucks für den Gedanken, daß die letzte Garbe ein
beseeltes , vernunftbegabtes Wesen sei. Besser gelungen ist diese
Darstellung schon zu Plaintel (Cöte du Nord), wo die Drescher
den Eigentümer einladen, sich auf die letzte Garbe zu setzen,
und dann im Triumphe herumtragen, oder in vielen deutschen
Gegenden, wo man die aus der letzten Garbe verfertigte Figur
dem letzten Schnitter oder Drescher auf den Bücken bindet.
Vgl. S. 383. 384 den aul' den Strauch gesetzten oder mit dem
Strauch auf dem Rücken bebundenen Frtthlingsdämon.
In diesen Fällen ist durch die Verbindung des Menschen mit
Garbe oder Strauch die Zusammengehörigkeit beider als Bezeich-
nungen des Pflanzenleibes und der ihm innewohnenden anthro-
popathischen Seele angedeutet. Wie der Pfingstbutz gabensam-
melnd von Haus zu Haus geftlhrt wird, halten in Stroh gehtUUe
Personen, Darstellungen vom Korndämon (Erbsenbär, Hafeigeiß,
Baumgeist und Eorndämon. 615
Komkater u. s. w) beim Erntefest, aber auch eu Weihnachten,
Fastnacht u. s. w. Umzug. Auch zu Maltag (s. Walber o. S. 312
Bär u. s. w.) , und wenn der erste Pflug ins Feld geht, wird
zuweilen mit einem in Korn gebundenen Manne Umgang gehal-
ten. Es sind die nach winterlicher Abwesenheit im Frühjahr
wieder Einzug haltenden Wesen der Vegetation. Wie der
Pfingstbutz mit einer oder mehreren Glocken ausgerüstet ist,
wurde in England am Fastnachtdienstag die Getreidehenne
durch einen Burschen dargestellt, dem eine Henne ^uf den
Rücken gebunden (s. o. S. 327) und mehrere Pferdeglocken
ringsum angehängt waren. Wie der Maibaum und Emtemai mit
allen Pferden des Bauers zur Stelle gefahren werden (o. S. 171.
200. 204), wird in Schlesien zur Erntezeit der Getteidehahn auf
einem vier- oder sechsspännigen Erntewagen nach dem Felde
gefahren, wo er in Nachbildung des Getreideschnitts mit der
Sense geköpft werden soll.^ Das Ganze ist ein Zauber zur
Erlangung einer schweren Ernte vgl. S. 211. 214. Wie sich
endlich dor Laubniann, Pfingstbutz, Maikönig zu einem Maipaar
ergänzt, tritt z. B. in Thüringen und Oberdeutschland, mehrlach
statt des einen Korndämous ein Brautpaar^ auf. Der Erntezug
erhält den Character eines vollständigen Hoehzeitzuges , die letzte
Garbe heißt Braut, oder»la gerbe de la jeune financee (Cöte du
Nord), mit Gcwändeni einer Braut bekleidet, wird sie mit dem
ältesten Knecht des Hauses förmlich verheiratet u. s. w. (Mayenne).
Vgl. auch S. 436. Vereinzelt findet sich auch der Wettlauf
(o. S. 391 ff. und 396 ff.) so wie die Fetterweihe auf der Seite
der Erntegebräuche wieder. In einigen Orten der Gegend von
Grenoble erhält die letzte Garbe einen Namen in Patois, der
sich durch franz. csquillot (Splitter eines zerbrochenen Beines)
wiedergeben läßt, und wird dann verbrannt. Vor dem Aus-
drusch der letzten Garbe wird im Rgbz. Aachen der jüngste
Knecht mit einem Gebunde zum Hausherrn geschickt und fragt
ihn, ob er dasselbe verbrennen oder ersäufen soll. Der Herr
antwortet ihm mit einem Eimer Wasser, das er ihm über
den Kopf gießt (Regenzauber) und geht dann unmittelbar mit
der Schnapsflasche zur Scheune. In Kückhowen Kr. Erkelenz
1) Vgl. Korndämonen S. 16.
2) Vgl Eorndämonen S. SO.
614 Schlußwort.
Bgbz. Aachen bringen bei der Flachsernte die Arbeiter, welche
zuerst fertig sind, den andern eine Fackel, d. h. sie zünden eine
Stroh umwundene Stange an und pflanzen dieselbe unter Geschrei
vor den Augen der andern auf. Gradeso verbrennt man in
Orthiz (Basses Pyren^es) eine Garbe (la gerbe de St. Jean), auf
einen hohen Stock gesteckt, im Johannisfeuer. Im Hostauer
Bezirk Kr. Pilsen in Böhmen verbrennen die Bauern nach Been-
digung der ganzen Ernte allesammt das Stroh der letzten Garben
in einem gemeinsamen Scheiterhaufen auf einem Berg-
gipfel. Bei Knin im Königreich Dalmatien wird nach der Ernte
das Feld mit Weihwasser besprengt und die letzte Garbe
(Dowrszag), die größer als die übrigen gemacht ist, in einem
Feuer von Wachholderstrauch, das die Unverheirateten um-
tanzen, verbrannt. Aus allen diesen bis ins Kleinste gehenden
Uebereinstimmungen dürfen wir mit Sicherheit die Identität der
Baumgeister und Komgeister folgern; sie sind besondere Mani-
festation e7i der Vorstellung „Vegetationsdämon"
JVaehtrag.
S. 12. Den schwedischen Iterichten schließt sich der nach-
stehende aus Saetersdal in Norwegen an. In früheren Zeiten
goß man Milch über gewisse Bäume. Das geschah am Sonn-
abend und war tllr den Baumgeist (Vaetten) bestimmt. Am
Weihnachtsabend (lille lulaften 23. Dez.) goß man Bier bei dem-
selben Baume aus. Das sollte auch der Baumgeist erhalten. Man
tat dies, um Glück bei der bevorstehenden Ernte zu
haben (dette blev gjort, for at man skulde faa Lykke af det
som var indhOstet).
S. 133. Die anscheinend boshafte Tat des Köhlers, der der
Waldfrau einen Feuerbrand unter die Kleider steckt, gewinnt
ein ganz anderes Ansehen, sobald man das wahre Motiv in der
Absicht erkennt, durch Feuer den Spuk zu vertreiben. In Ruß-
land sagt man, der Waldgeist flirchte den Feuerbrand (Russ.
Tageblatt 1859, 37. AfanasieflF 11, 329) und viele wilde Völker
haben den Glauben durch Feuerbrände oder Fackeln die bösen
Geister zu vertreiben (Tylor, Anfänge der Cultur 11, 195).
S. 132. 141. Der Waldgeist Herrscher der Waldtiere. Höchst
merkwürdig sind die Parallelen, welche neuerdings von Dr. G.
W. Leitner, Results of a Tour in Dardistan. Labore. London
1873) in Dardistan zwischen Hindukusch und Kaghan gesam-
melte Sagen darbieten. Ein berühmter Jäger, Kiba Lori, hatte
eine Fee zur Geliebten, die ihm verbot während der sieben
Hundstage auszugehen. Sie müsse ihn verlassen und er dtlrfe
ihr nicht folgen, sonst müsse er sterben. Der liebende Jäger
konnte ihre Abwesenheit jedoch nicht ertragen, sondern zog mit
seinem Gewehr aus sie zu suchen. Er überstieg einen Berg und
fand eine Ebene mit einer großen Menge Wild. Seine geliebte
Fee saß mitten dazwischen und melkte grade eine Hirschkuh in
616 Nachtiag.
ein silbernes Gefäß. Erschreckt durch das Geräusch^ das Kiba
Lori verursachte, warf sie das Gefäß um und schlug ihren Lieb-
haber ins Gesicht; gleich darauf aber rief sie, von Verzweiflung
ergriflfön: „Nun mußt du in vier Tagen sterben. Doch schieße
noch eines von diesen Tieren, damit die Leute nicht sagen, du
seist mit leeren Händen zurückgekommen/' Der arme Mann tat
dies, kehrte gebrochenen Herzens heim und starb in 4 Tagen.
Globus XXIV. Nr. 21. S. 327.
S. 142. Auch die Verwandlung der Kohle in Gold
hat nach Leitner a. a. 0. in Dardistan ein indisches Seitenstück.
Ein Mann Namens Ithuko, der an der Straße von Gilgil nach
Nagyr wohnte, hatte einen Sohn, der beim Wasserholen von
einem Jatsch gefangen wurde. Der Jatsch zog die Spring-
wurzel (Phuru) aus dem Boden, öffiiete damit eine Felsspalte
und brachte den Knaben in einen großen Palast, in welchem
Kobolde eine Hochzeit feierten. Die Brautmutter sang: „Korn
wird verteilt. Fleisch wird verteilt, Wein wird verteilt." Beim
Abschied gab der Dämon dem Knaben einen Sack Kohle und
brachte ihn durch die mit der Springwurzel gemachte OefFnung
auf die nach seinem Dorfe ftihrende Straße. Der Knabe schüttete
hier den Sack aus, nur ein kleines Stückchen Kohle
blieb darin, das sich bei der Berührung in Gold ver-
wandelte. Globus a. a. 0.
S. 231. Herrn Professor Fl. Romer in Buda-Pesth verdanke
ich die Mitteilung eines neuen Beleges fUr die Darstellung der
Verkündigung durch die S. 231 — 232 besprochene Symbolik.
In Tököl, einem Dorfe auf der großen Donauinsel Csepel (Tsche-
pel), das ein Krongnt der regierenden Familie ist, fand er ein
Meßkleid mit gewobenem Kreuze und der Jahreszahl 1444 Ihe-
sns und Maria ; femer einen Vespermantel, dessen Spie-
gel die Verkündigung Mariens in einer prachtvol-
len Stickerei enthält, welche^ da das Kleid auf einem
Krongute gefunden wurde, und das bekannte Monogramm Kai-
ser Friedrichs des Dritten an sich trägt, von einer Hofdame
herrühren könnte. Der Mantel selbst (jetzt fast ganz abge-
schlissen, einst — wie man an Fleckchen unter den Bordüren
noch recht wol erkennen kann -— dunkelblauer geschorener Sam-
met) ist in erhabener Stickerei mit goldenen, jetzt fast
silbern erscheinenden , symmetrisch zerstreuten Aehren
Nachtrag. 617
besetzt. Professor Romer möchte die Aehren etwa auf das
Brod des h. Abendmahles deuten.
S. 435. In Weißrußland ist der Brauch etwas verändert.
An einem Komfelde der Herrschaft oder eines Dorfbewohners
setzt sich das älteste Weib der Versammlung auf die Erde mit
einem an einen Strick angebundenen Bündel Nesseln, und stellt
sich dann, als ob sie spinne und in Schlaf falle. Die Mäd-
chen tanzen Hand in Hand unter Gesang um sie herum. Plötzlich
springt das alte Weib in die Höhe, so hoch sie kann, macht allerlei
Possen und Geberden und schlägt die Mädchen mit dem
Nesselbttndel auf die Hände. Grohmann, Abergl. a. Böh-
men S. 10 nach Schafarik o ßusalkich. Hier tritt statt des
schlafenden männlichen Vegetationsgeistes die im Winter schlum-
mernde Mutter ein. (Vgl. Mannhardt, German. Myth. 492 — 518.)
Unverkennbar ist im zweiten Teile des Brauchs der Schlag mit
der Lebensrute. Vgl. S. 264.
S. 466. Inzwischen hat A. Bielenstein das lettische Johannis-
fest zum Gegenstande einer eingehenden und ausgezeichneten
Untersuchung gemacht, die in der Baltischen Monatschrift N.
F. 1874 H. 1-2 veröflFentlicht ist. Hieraus geht hervor, daß
auffallend genug unter Hunderten von Johannislicdchen nur drei
das Feuer erwähnen, das im Gebrauche doch höchst wahrschein-
lich vorhanden war. Manche Lieder spielen darauf an, daß das
Mädchen in der Johannisnacht sich verlobt, ein Roß, einen
Sattel und des Bosses Reiter in dieser Nacht bekommt. Auch
die Sitte wird bezeugt, am Johannistage oder Petritage auf
Braut- oder Bräutigamsschau auszugehen. In einem Liede
preist das Mädchen die Rinder und Rößchen des Johannes, des
Reichen und möchte gern groß sein, um des Johannes Frau zu
werden. Bielenstein fragt deshalb, ob die Lieder vom Suchen
des Johannis nach der verlorenen Frau nicht etwa eine Beziehung
auf menschliche Liebesverhältnisse und menschliches Heiraten
haben , indem Johannes coUectivisch die das Fest feiernden Män-
ner, seine Geliebte die das Fest feiernden Mädchen bedeute.
Hätte Bielenstein Recht, so wäre da das nur wenig verdunkelte
Seitenstttck zu den Kapitel V § 8 dargelegten Bräuchen.
Druckfehler.
S. 62 Z. 19 V. 0. lies älfgast und elfbläst für älfgast and elfblSst
- 66 - 5 - u. - Parallelismns f. Parellelismus.
- 94-13-0. - Fengg f. Fangg.
- 128 - 3 - a. - Hallandske f. Halländske.
- 138 - 10 - 0. - viele Arbeit f. vile rbeit.
- 151 - 14 - 0. - Hohlefela f. Hohenfels.
- 193 - 10 - 0. - Zehntknecht f. Zehnknecht.
- 237 - 17 - 0. - Mittwinter f. Mitwinter.
- 287 - 7 - u. - Kirche f. Kircke.
- 295 - 15 - 0, tilge mit.
- 325 - 15-0. lies unsichtbar in f. unsichtbar aus.
- 345 - 2 - u. - Cortet f. Corelt.
- 367 - 15 - 0. - Hiesel f. Hirsel.
- 368 - 1-0. - Laubhtille f. Laubhöhle.
- 377 - 19 -'o. - focre f. fore.
- 406 - 16 - o. - Wettausritt f. Wettstreit.
- 445 - 11 - 0. - Grönjette f. Gronjette.
- 472 - 26 - 0. - Grön Löf f. Grön Löf.
- 491 - 10 - u. - Freiwerbung f. Freierwerbung.
- 492 - 4-0. - 268. f. 286.
- 523 - 16 - 0. - mannequins f. raannesquins.
- 526 - 7 - 0. - avih^mnoihtatmv f. dv&QCjnof^vmtov.
- 556 -21-0. - xttTctxaiovatv f. xarn xaCovatv.
- 526 - 13 - u. - uleciti f. ulcciti.
- 592 - 20 - 0. - Götter f. Göttin.
Register.
A.
Aarons Gerte 244.
Ahendmdlü 230.
Abrahams Same 235
Abt von Beromünsier 399.
Ackerbaufest zu Montelimart 448.
Adam und Eva (24. Dez.) 212.
Adamsapfel 283.
Adamsbatun 246. 605.
jldam« Grab 242. 291.
^dwju JV^oef/ 539.
Adler 204.
Adlerfarrenkraut 337.
Adonis 591.
^fZt?c»< 292. 293. 512. 555. 594.
-4cÄr«, Aehren. Drei 172. 209. 234.,
am Erntemai 195. 196. 199. 205.,
an der Brautmaie 222., am Mai-
bamn 172., am Holunder im Saat-
feld 210. 213., bleiben auf dem
Felde stehen 209. 210. , in die £rde
gelegt 210. Attribut der Walpur-
gis 210. Sterne 235. , bei Augen-
heilungen 17.
Affe 94.
Agni 592.
agrestes feminae 113.
Ahorn 207.
Ahuramazda 7.
albero della cuecagna 169.
cUßläst 125.
älfgust 62
Alhambra 339.
Alfild 62.
Alfloddern 19.
AhrUn Familie 51.
Alpenburg j D. J. N. , Ritter von, 101.
Andreasnacht 232.
Angane 11 6^
Alte der 196. 197.
alter Mann 358. Den alten Mann
ins Loch karren 359. 410.
Amandus, der heilige 71.
Ankenmilch bohren 520.
Anklöpflesel 293.
Annius von Viterbo 559.
Anthropogonie 8.
Anthropophagie 218.
Apfelbaum, Apfel 50. 61. HO. 166.
183. 204. 205. 230. 242. 243. 246.
247. 257. 265. 266. 276. 289. 409.
412. 419. 536. 537. 538.
Apollo 66. 296.
Artidty E. M. 131.
Arnkiel, Tr., 10.
AHusJwf 370. 372. 379.
Artussage 117.
Arve 39.
Äsen und Alfen 66.
Asche 226. 291. 292. 504. 507. 512.
520. 521., Asch abkehren 256.
Asd^miUwoch 11. 256. 411. 433. 487.
555. 559.
Aschef^aut 437. 447.
Askafroa 11. 12.
Aski' 7 ff.
620
Register.
Äsphoddos (Affodül) 37. 291.
Äst, dürrer 50.
Ästloch 62.
Äthanarich, Gothenkönig 578.
ÄUys 572 ff.
Äuerhahn 131. 132.
Aufhocken 111.
Aufwecken des Pfingstschläfers 434.
Äugen yerbinden , Darstellung der ün-
sichtbarkeit 365., Kranke geheilt 17.
Äumsau 409.
Äunt Nelly nnd Uncle Ambrose 427.
Aussaat 158. 214. 226. 394. 395. 485.
554. 560. 561.
Äustbock 483.
Äustgarto 213.
Äusiouchs, Geschwulst, Geschwür 20.
67. 226. 227.
Ävesta 8.
Äxt 36. 65. 85. 133. 135.
B.
Baal 518. 591.
Badebuhle 454.
Badnjak 224. 225. 236.
Bär 141.
Baldrian (Valeriana officinalis) 62. 81.
Ball 472. 476. 479.
BaUmoney 474.
Ballspiel 471 ff. 477.
Bauet des ardents 338.
Balsamon, Theod., 470.
Bannen der Geister 42 ff.
Bänder und Tücher am Maibaum
u. 8. w. .182.
Barbara (4. Dez.) 266.
BarbatuSy der heilige, 394.
Barthold 369.
Bastard von Bourbon 162. 368.
Bastian, A., 1.
BcUes 145.
Baum und Mensch verglichen 6., als
Person behandelt 9 ff., redet 10. 35.,
weint 35. 40. , blutet 34 ff. 41 ff.
603. — Baumseele 5. 11. 25. 603. —
Wohnung einer armen Seele 35. 41.
69. 82. Aus Leichnam hervorsprie-
ßend 65. Körper des Schntzgeistes
33. Baum Parallelismus mit Men-
schen 63. 69. 75. 89. Lebensbaum
einzelner Menschen und Tiere 49 ff.
183. 184., von Brautleuten 45 ff.
221., von Beisenden 48 ff., der Fa-
milie, des Hauses 51. 52. 53. 218.,
des Dorfes 182. 183. 189. Xm anm.
des Volkes 189. 304 ff. 309, der
Menschheit 250., der Welt 54—58.,
in der Geburtsstunde gepflanzt 49 ff.,
Wohnsitz des Tomtegubbe, der El-
fen, Unterirdischen u. s. w. 60 ff.
Entsendet Krankheitsgeister und ruft
sie zurück 12 ff. 25. Krankheit
kriecht auf den Baum 21 ff. Scha-
det Menschen und Tieren 11. 12.
65., darf nicht gehauen werden 34.
35. 51. 60. 61. 71. Vom Wind oder
Alter gefälltes Holz darf nicht weg-
geführt werden 35. 51. Baumschä-
len und Strafe dafür 12. 25. 26 —
32. 75. 360. 603., den Baum um
Verzeihung bitten 10. 35. Heiliger
Baum bei Nauders 35 ff., bei Stet-
tin 57,, zu Upsala 57., mit Lappen
und Zeugstücken behangen 182.,
mit menschlichen Gewändern beklei-
det 156. 157. 158. 200. 210., mit
Fell behangen 394. Baum pflan-
zen 48. 50. Im Baum Haare IX. 48.,
Mäuse 24., Krankheit 21 ff. ver-
pflöckcn. Baum p&opfen 31., schla-
gen , peitschen 295 ff. ; gegen einen
Baum rennen 323. 326. Baum vom
Bütz getroffen 486. Spazierstock
des wilden Mannes 97. 105. 334.
Vgl. Maibaum, Emtemai, Johan-
nisabend, Weihnachtsblock, Weih-
nachtsbaum, Värdträd, Boträ.
Baumbart (liehen barbatus) 89.
Baummann (tremadr) 73.
Baumrinde, Arme Seele in Br. geklei-
det 41. Kobold hat Gesicht wie
Br. 64. Jungfrau unter der Rinde
38. Br. Kleidung der Fanggen 89..
Kleidung des Laubmanns, Pfingst-
Begister.
e21
lümmels, Maikdnigs n. 8.,w. 320.
326. 342. 343. 350. 353. 355. 385.
606., Geister sitzen unter der Rinde
12. 25. Hexen schlüpfen nnter die
B. 275. Erankheitsgeist nnter die
Bt verkeilt IX. 22 ff. Binde abschä-
len s. Baum sch&len. Vom Maibanm
abgesch< 156. Namen eingeschnit-
ten 163. 165. Korb und Schale ans
Br. 485. Wiege von Br. 76. 142.
Batdhahn 197. 198. 201. 212.
Beatrik 116.
Beüctger der Johannispaare 469.
Bern 264.
Belemut 508 Anm. 5.
Beüe de May 345.
Belle Vwcme 99.
Berchtl 67.
Berecynthia bll,
Berguhu 127.
Besen 167. 507. 510. 513.
Betzen Hochzeit 300.
Beubier 200.
BicUe ludzie 18.
Bibemeü (Bimelle) 81. 97.
Bickbeere (Blaubeere) 289.
Bienenkorb 289.
Biet' 60. 63. 173. 200. 215.
Bilmesschneider 210.
Bümon 112.
Binse 384.
Birke 8. 34. 68. 141. 157. 158. 159.
161. 165. . 167. 169. 173. 189. 191.
192. 195. 202. 203. 254. 256. 259.
261. 265. 270. 271. 272. 298. 313.
321. 348. 353. 396. 397. 434. 512.
545. 589.
Birnbaum 14. 50. 53. 116. 536. 537.
538.
Blitz und Donner. Bäume vom Blitz
getroffen 486. Schutz dagegen die
Richtmaic 220., der Christblock 227.
229. 234., Palmbüschel , Palmzweig
258. 273. 286. 287. 288., Schnabel
des Wasservogels 557., Flurbegang
401.
I Blockfest 174. 237 ff. 427 vgl. 306.
Blockziehen 237.
Blomsterbrud 432.
Blomware 39.
Blontanz 188.
BluklHs 229.
Blumen im Wasser =^ Begenzauber
329. 331. Blumenstengel 278. mit
Blumenstrauß peitschen 264. Bin-
menumhüUung des wilden Mannes
335., des Pfingstochsen 390., des
Engelmann 513. , des schmucken
Jungen 384. Blumenumhülltes Rad
553. Blume Doppelgängerin des
Kindes 50.
Blut. Bäume bluten 34 ff. 38. 40. 41.
42. Blumen und Bäume aus dem
Blute d. i. Lebenssaft Gemordeter
39. 40. Blut und Fleisch des Opfers
auf das Saatfeld streuen 362. 363.
364. Blut in den Baum versenkt
21. Götzenbild aus Blut und Sa-
men 361.
Blutritt zu Weingarten 399.
Bock geschlachtet und wiederbelebt
116. Bockgestalt des Ljeschi 138.
Bockshorn =-- Osterfeuer 508. 515.
Bockheiligung der Sudaner 63. 69.
Boeuf gras 396.
Börner, W. 74.
Bonifacius, Apostel der Deutschen
503.
Boschenstechen 306. 389.
Botanik 297.
Boträ 59 ff.
Bouhours 536. 549. 550.
Bouquet de l& moisson 204 ff. 207.
Brandons 455. 457.
BrannUßcinflasche 215. 411.
Brand im Getreide 297.
Braut 222. 223. 248. , verlassene 435.
446., die Braut nennen 449. Vgl.
Maibraut y Aschenbraut, Brides bed,
Blomsterbrud, Mailehen, Pfingst-
braut, Brautball.
Brautball 471 ff. 492.
Brautluger auf dem Ackerfeld 480 ff.
632
Register.
Brautmaie 46. 231 ff. 295. 607.
Brautmarkt zu Eindldben 449.
Brautpaar im Walde suchen 4^31.,
ernenneD 450* 462. 465. 587.
Brautraub 445. 455. 495.
BrautschUier 223. 413.
Brautwagen 488.
BrmUling 488 if.
Breithut 41.
Bretsel s. Brod.
^rt(7e8 bed 436.
JSrod, Kuchen, Bretzel. — Symbol
der Fmchtbarkeit 158. 393., im
Weihnachtsbrauch 393 Anm. 1. im
Kultus des Swantewit 398 Anm. 1.
Kuchen unter den Pflug, auf den
Acker gelegt 158. 317. 539., dem
Pflugochsen aufs Hörn gespießt 588.,
unter den Weinstock gelegt 617.,
beim Drescherroahl 429., in die erste
oder letzte Garbe, oder Handvoll
Aehren gesteckt 158. 209. 215. 317.,
an den Maibaum, Emtemai, Som-
mer gebunden 157. 171. 200. 204.
205. 217. 387. 393., an die letzten
drei Aehren 209., an den Palm-
zweig 286., an die Wepelrot 247.
Brautkuchen 223., darin die Braut-
maie 223., an der Brautmaie 223.,
neben der Brautmaie einhergetragen
222., bei Hochzeiten vom Wagen
geworfen 184., beim Hochzeitfeuer
gebacken 565 , am Gurt des Had-
ler3 269.317. Tansycake 476. Fast-
nachtfladen 545. Funkenring 539.
Bretzel 157. 223. 288. 269. 545. 546.
H^tweggen 258. Pfefferkuchen 264 if.
Osterbrod 263. Kuchen als Pfingst-
recht gefordert 348. Brodmann am
Emtemai 205. 210. 212. 218. Wett-
lauf nach dem Stollen 396. Kuchen-
ritt zu Sindolfingen 893. Brod dem
Baume gebracht 20. 21. 157., für
die Hollen in den Wachholderbusch
gelegt 65.. für Puschkait unter
den Baum gelegt 63., mit Brod und
Salz dem Ljeschi geopfert 141.
Opfergabe an Quellen , B&umen 245.
Waldwelbehen, Hollen, Fairies.
Selige backen Brod (Kuchen) 65.
80. 103., stehlen Brod 75. 92.
107. Christus Himmelsbrod 230.
Ostern vom Kirchengewölbe h^ab-
gelassen 233. Kuchen zur Loßung
gebraucht 508. Von frischem Brode
essen 180. Brod unter dem Arme
tragen 185. Brod pipen 75. Brod-
spende an die Armen 335.
Brombeere 226.
Brosamen in den Ofen werfen 82.
Brunnen s. Wassertauche 241. 246.
259. 323. 332. 350. 374. 377. 429.
488 ff. 542. — trog mit Wein ge-
füllt 97. 98. Br. Siloah 283.
Brust große 88. 108. 117. 123. 128.
137. 138. 147. 445. 611., birnförmige
146. s. a. Slatte Langpatte.
Buche 56. 67. 76. 125. 165. 169. 195.
199. 207. 229. 271. 349. 412. 501
503.
Buchsbawm 46. 164. 256. 257. 281.
286. 287. 288. 291. 566.
Buckel s. Auswuchs.
Buddelt 256.
Bugge, S., 55.
Burghrennen 463.
Burkhard v Worms 330.
Bürste 290.
Buschjungfei' 86.
BuschniäMichen 92.
C.
Caesar, J. , 525 ff.
(^amihaum 275.
Calignaou 226. 236.
Captain C auf stau 557.
Carlblom, Pastor 53.
Casseh P., 404. 405.
Caypora 145.
Cederhaum 293.
Centeotl 360. 363.
Chcäendal 226.
Charfreitag 233. 277. 290.
Clharsamstag 502.
Register.
628
Chten de la moisson 212.
Cholera 518. 561.
ChorsiuU 47.
Chndiglade 430. 494. 536. 550.
Christus Frucht der Lenden Davids
243. Abrahams Same 234. 235.
Gerte Isai 230. 232. Apfel 230.
Nuß, Mandel 244. Woizenkorn 231.
232. 233. 616. Weizen 230 ff. Mi-
stel 249. Paradiesbaum, Lebens-
baum 243. 294. 295. 605. Brod
de^ Lebens 243. Sonne, Licht 235.
Osterball? 479. Einhorn 251.
Christ, der wahre, grüne Pruchtbaura
184. Anm. 1. 282. 294.
airisthlock 224 ff. 226 ff. 250.
Christbaum s. Weihnachtsbaum.
Christliche Bräuche (?) 210. 224 ff.
230 ff. 238 ff. 243. 251. 273. 281 ff
295. 397 ff. 402 ff 405. 406. 446. 477 ff
480. 502. 516. 517. 539. 609. 616.
Citrone 47. 285.
Compadre in Venezuela 462.
Coneil (Synode) zu Nantes 71., Ronen
71., Lestines 518., Tnülanisches
470.
Cotäines bSl.
Cour de mai 167.
Curupira 145.
Cybele 572 ff
Cypresse 45.
D.
Dädalen 534.
Daksha 592.
Dame verte 117 ff. 591. 611.
I)aj)hne 297.
DatUlpalme 287.
Daufäjer 390.
Daiisleipe 382. 390. 391.
DauscMöper 382.
Dätcestrüch 384.
De fructu 243.
Delle Vivane 115.
Delos 598.
dengeln 266.
Diale 31. 95. 115.
Dieb 68. 69. 92.
\ Diebstahl von Kraft, Nahrung 68.,
Korn 69., Saat 128., Brod 75. 92.,
Milch 92. 112., Kindern 108. durch
geisterhafte Wesen., des Maibaums
166.
Dietrich von Bern 107.
Düdrum 93.
Dimanche des brandons (Invocavit)
455 ff. 457. 500 502. 536 ff.
Diodor 525 ff.
Distel 15. 40. 69.
Djuldjul 329.
Dive zeny 86.
Dlugosz, Joh., 413. 414.
Doetor (Eisenbart) 325. 350. 352. 358.
Dodolu 330.
Dolchgriff zu Dresden 339.
Donatustag (17. Febr.) 427.
Donner 85. 484., verfolgt den Baum-
elf 68., die Skogsnufva 137. 138.,
die Trolle 128 , die Wildfrauen 109.,
Erster im Jahre 482. 486., in der
Erntezeit 483. 486. s. Blitz.
Donnerkeil 62. 485. 486. 504. 536.
Donnerstag 131., D -.abend 59. 60. D.
nach Fastnacht 178., D. vor Fast-
nacht 333., nach Pfingsten 157.
DorffiedUr 495. Anm.
Dorflinde 53.
Dorn 165. 167. 207. Dornbusch 450.,
auf den Rücken binden 351., aus-
rciten 383.
Dowrszag 614.
Drache 65. 69. 509.
Drei Aehren 171. 209 ff. 232. Drei
Donnerstage 131. Drei Jungfrauen
209. Drei Kreuze 78. 83. 106.
Drei Zweige 192. 204. 226. Drei-
facher Gürtel von Eiern 353. Vgl.
Dreisplant.
Dreifaltigkeit, h., 154. 209. 465.
Dreifaltigkeitssonntag 158. 168.
Dreikönigsabend 150. 247. 273. 537.
538. 542.
Dreisplant 384.
Dreschen 202. 206. 215. 484
Dreschhund 610.
634
Be^pster.
Dschinnen 132.
Dünger. Letzte Fnhre 192. Dünger-
Stätte 271. 411. 421.
Durchkriechen durch gespaltenen
Baum, Stein 33., unter einem Ka-
moel 32.
cy*V«|it? nv^nrtxn 196. 208. 213. 485,
583. 605.
Dziewcma 413.
E.
Eddgar von England 70.
Ebertoure 97.
EgertJiansel 445. 446.
Egge 83. 553 flf.
Eheleute neuvermählte 268. 299. 456.
461. 463. 464. 471 ff. 479. 488 ff.
492. 493. 494. 607.
Ei, Eier schmücken den Maibanm
156. 157. 160. 165. 169. 177. 181.
241. 245. 271., Emtemai203., Richt-
mai 218. Eier ganze im Brautkuchen
223., auf dem Felde gegessen 158.,
in den Acker gesteckt 291., in die
letzte Garbe gebunden 158., einge-
sammelt, collectiert fßr das Schmack-
ostem , Feien u. s. w. 181. 256. 260.
263. 264. 281. 353. 385. 427. 429.,
Gürtel des Wasservogels 353., Eier-
lauf 264.
Eiche 9. 17. 36. 39. 41. 44. 53. 67.
76. 157. 158. 164. 171. 174. 175.
178. 189. 199. 201. 202. 205. 206.
207. 224. 228. 236. 271. 273. 306.
349. 353. 385. 500. 503. 596.
EichenblaU 44.
Eichhörncken 508.
Einsegnung mit Bier 173.
Eiresione 249. 295. 297. 298. 605.
Eisen Frau 559.
Eisenach, Somro ergewinn daselbst
156.
Eisengnnd 433.
Elbe Elfen. 14. 17. 62. 63. 65. 66. 67.
125. 289.
Elenntier 131.
Eletisis 598.
Elfarrow 66.
Elfäxing 62.
Elfhläst 62. 66.
Elf holt 66.
Elfdans 62.
Elfewring 62.
Elfgräs 62.
Elhorn s. Holunder.
Elisabeth, Königin von England 341.
EUefru 11.
Ellepige 122. 125.
Eller 61.
Eis 126.
Else, rauhe 108. 113.
Elsenbaum 272. 288.
Embla 7. 8
Engelmann 513.
Enguane 73. 99. 115.
enmajoler 163.
Epheu 322. 422. 434.
J^pausee du Mai 439. 447.
Erbse 234. 463. 484. 560.
Erbsenbär 421. 442. 443. 499. 612.
Erdbeerbaum 299.
Erde 152. 216. 233. 444. 560. Mut-
ter Erde 303. 571 ff. Erdgöttin der
Khonds 356. 362. Berührung mit
der Erde 487., die Erde küssen
486. 487., sich auf der Erde wäl-
zen 482 ff. Erdstummel 228.
Erengans 202.
Erenmaie 202. 203.
Eresburg 307.
Erle 167. 207.
£mgarw 213.
Emu 77. 78. 79. 153. 158. 160.
190 ff. 215. 266. 223. 259. 332. 362.
394. 396. 463. 481. 496. 487. 536.
541. 551. 560. 585. .598. 609 ff. 615.
Erntemai 190 ff. 237. 296. 298. 315.
357. 395. 560. 605 ff Hörkelmai
(Hackelmai) 195 ff. als Mensch aas-
gekleidet 200. 210. mit Aopfeln
204. 205., mit Backwerk 200., mit
Eiern 203., mit Bierkrügen 200.
208., mit Weinflaschen 200. 203.
205. 206. 208. 215., mit Kleidern
und Tüchern u. dgl. 191. 192. 193.
Begister.
625
202., mit Aehren 193. 195. 196.
199. 205. 212., mit letzter Garbe
196.^ mit Mäusen und Maulwürfen
204., mit einer Puppe 205. 210. 408.,
mit Kränzen 195. 197. behangen,
der unteren Zweige beraubt 195.,
dem Wagen voraufgetragen 197.
202., schleift hinter dem Wagen
nach 197., in Verbindung mit Hahn
(Henne) 198. 203. 206. 211., hat
Tiemamen 192. 203. 212., heißt
Hahn 198. 199., Mockel 192. von
allen Pferden gezogen 200. 204. 214.,
im Acker eingegraben 195., von den
Mädchen herausgezogen 196., von
Mädchen eingefahren 200. 208. 211.,
in die letzte Garbe gesteckt 191.
192. 199. 207. 212. , auf oder unter
den Rauchfang 190. 198. 204., auf
das Dach der Komscheuer gesteckt
190. 203. 204. 205. 217. , über die
Tür der Komscheuer 197. 198. 202.
204. , auf das Dach 190. , des Her-
renhauses 190. 202. 217 238. , über
die Tür des Herrenhauses 197. 217.
gepflanzt, auf die Tafel gestellt
207. cf. 223.; im Hofe 202., auf
dem Schober aufgepflanzt 195. 204.
206 207., zum Kreuzstock hinaus-
gehängt 192., mit Wasser begossen
197. 198. 214., mit Wein besprengt
194., erklettert 191. 208. Tanz um
den Erntemai 193. Wettlauf nach
dem Emtemai 191. 209. 396.
Erntetcagen 583. 613.
tlsa gescot 66.
Esch, Oesch. 535.
Eschprozession 397 ff.
Esche 8. 11. 41. 56. 199.
esmayer 163. 368.
Espe 69. 349.
Eßwaart am Weihnachtsbaum 243.
vgl. Brod.
£W« 127. 147.
Ewischten schlagen 552.
Mannhardt.
F.
Fackel 71. 179. 317. 455 ff. 498 ff.
509. 614.
Fackellauf 463. 498. 500. 501. 502. ^
506. 509. 510. 511. 512. 515. 520.
534 ff. 549.
Fackelsonntag 455. 556.
Fairy 80.
Famüienbaum 51. 53.
Fanggen 89 ff.
Fänken 73. 95. 98. 106.
Farrenkraut 324. 343. 385.
Fasolt 105. 106. 148.
Fastnacht 174. 253. 254. 255. 256.
269. 276. 278. 280. 292. 332. 384.
336. 359. 410 If. 427. 445. 457. 463.
473. 488 «. 492. 555. 556. 594. 613.,
die Fastnacht vergraben 411.
Fastnachtdonnerstag 237.
Fastnachtfeuer 180 500 fT.
Fastnachtnarr 411.
Fastnachtsonntag s. Invocavit.
Fastnachtturnier 549.
Fastnachtumlauf 544 ff.
Faulheit austreiben 303.
Faunus 73. 115. 407.
FSchenot (Fassenot) 457. 4.58.
Feien 442. 443. Frau Feie 443.
Feigenbaum 296.
Feldgespenst 620.
Feldmann 410.
Fell am Baume 394.
Fenggen 73. 89 ff. 98. 103. 106.
Fetischbautn 182.
Feuer vertreibt Dämonen 133. 520.
615., dämonisches Ungeziefer 502.
504. 510. 520., auf dem Saatfelde
317. 498 ff. Peuerbrand auf Obst-
bäume gelegt 225. 498., in die letzte
Garbe gesteckt 228. Feuer bewirkt
Fruchtbarkeit des Feldes 225 ff.
463. 498. 500. 501. 502. 504. 506.
507. 508. 509. 510. 512.J519. 521.
530. 531. 535 ff. Feuer, neues im
Vestatempel 295., zu Ostern 503.,
bei Viehseuchen 518. Bestandteile
des Jahresfeuers 498. S. Johannis-
40
626
Register.
abend y Ostern» Martini, Funken-
sonntag, Kupalo. — Verbrennung
der Yegetationsdämonen 493.» des
Maibaums 177. 419. 566., des Todes
156. 419. 497. , des Pfingstl 524.,
einer menschlich gestalteten Puppe
409. 497. 498. 499. 501. 502. 505.
507. 512. 513., des Fasching 499 AT.,
des Palmbüschels 258. 289. 566.,
des Fastnachtbären 421., der letz-
ten Garbe 613 ff., des Pfluges
553., von Tieren 515., Knochen 515.,
eines obstgefullten Korbes 516.
Durch Reiben entzündet 508. 518.
Feuer mit Erwäblung von Braut-
paaren 450. 455: 456. 457. 469. 508.,
Lauf oder Sprung über oder durch
das Feuer 463. 464 ff. 487. 498.
506. 507. 508. 510. 511. 514. 520.,
entsteht, wenn der Hausgeist sich
entfernt 44. 60., verhütet durch
Schnabel des Pflngstbutzes 357.
Holunder soll nicht verbrannt wer-
den 64.
Feaerheerd 228. 228.
Firdosi 7.
Firewarks 341.
Fischnetz 519.
FiUellohn 281.
ßeeln 265.
Flachs 18. 77. 83. 107. 201. 215. 253.
255. 269. 280. 348. 357. 397. 464.
502. 510. 512. 541. 543. 614.
FUuhsmutter 610.
Fliege 18. 262. 263. 280. 290. v^^l.
Insekten.
Floh 263. 280. 290.
Flöhausklopfen 268. 303. 332.
Foolplough 557.
Frau s. Weib.
Frau Berte 112.
Frauenhöhle 100.
Fräulekopf, Berg 900.
Freibaum 38. 39.
Freitiere (Mdjus) 132.
Fre^fja 587. 588. 590. 591.
Freyr 522. 580. 588. 589. 590. 591.
592.
Freytag, G., 458. 568.
Friar Tuck 546.
Fricco 591.
Friedberg, E., 299.
Frische Grün streichen 265.
Frö 522. 592.
Frö 592.
Frohnleichnamstag 371. 379. 381. 551.
Frosch 354. 355. 606. Froschschin-
der, Padden Schinder 356.
Frostbeule 227. s. Auswuchs.
Fruchtbare Bäume 39. 56. 76.
Fruchtfeld = Weib 560.
Fuchs 290. 396. 515.
Fudelgeld 255.
fiUn, fudeln 254 ff. 256. 280. 281.
292.
Funkensoiintag 465. 500 ff.
Fuß 262. 263. 268. 269. 280. 298.
Fußspitze waschen 489.
FußbaU 475.
Füstge Mai 326. 324.
Fylgja 45. 52.
G.
Gabriel hounds 251.
Gabriels Jagd 251.
Gadeäd 508.
Gadinde 509.
Gans 389 ff.
Garbe letzte 190. 213. 393. 396. „die
Todte" 420., gerbe de la pasaion
231. 233., gerbe de la maitresse 203.»
gerbe a la galette 205., gerbe grosse
205., gerbe fleurie 207., de la fianfee
207. 613. De St. Jean 614. Anst-
garw213. Glücksgarbe 213. Stock-
garbe 213. Stamm 213. Letzte Garbe
verbrannt 613. 614., schlagen 277.
278. mit Walser begossen 214 ff.
Getränk hineingebunden 214 ff , in
bräutliches Gewand gekleidet 613^
grüner Baum hineingesteckt s. Em-
temai, dem Vieh am Weibnachts-
abend gegeben 233. Mensch hinein-
gebunden 215. 484. Brod, Eier
Register.
627
bineingebanden s. Brod, Ei. Feuer-
brand bineingebundeii 228. St. Wal-
pargis in eine Garbe gebunden 121.
Letzte Garbe erbält Tiemaraen 487.
612. Garbe » Maria 230., in Jo-
sephs Traum 234.
Garnknätui der Waldgeister 148, der
Waldfran 87., der Seligen 103., der
Schanhollen 102-
Gauden, Frau 85
giant de la me am Onrs 514.
Gd)et 53. 59. 63. 78. 141. 192. 203.
209. 213. 218. 247. 512.
Geburtsbaum 49 ff.
Gedärme ans dem Leibe winden 28 ff.
Geier 147.
Geißler, wilder 96.
Geißlerstein 96. 98.
Geld auf den Richtmai 220. 221. , in
den Baum stecken, wie die Esten
noch in ihre heiligen Bäume tun
174., in die Krippe 404., ins Weih-
nachtsfeuer 225 werfen.
Gddbeutel 284.
Gelübde 91.
Gemälde der Madonna zu Straubing,
Neumarkt , Breslau 231.^ des wilden
Mannes in der Alhambra 339. Mi-
niaturen in Handschriften : Tanz um
den Maibaum 188 Anm. 2., ballet
des ardents 338.^ Burglinden XIII.
Gemse, Haustiere der wilden (seligen)
Fräulein 100. 102. 132. 147.
Ginerra, Königin 448.
Gente salvatica 113.
Georg, der grüne, 313. 314. 316. 328.
538. 585., der h 314. 316.
Georgstag (23. Apr.) 270. 313. 317.
404. 480.
GeschvnUst 42. 64. s. Auswuchs.
Getreide s. Korn.
GewiMzauber 211. 214. 419. 613.
Gewitter s. Blitz. Donner.
Gicht B. Krankheit.
Gikigäki 91.
Gilde Opfermahlzeit 585. 428. 429.,
große 450., der Dorfburschen 450.,
Gildestube 369. 379.
Glocke (Schelle) 130. 290. 324. 325.
327. 416. 428. 433. 440. 455. 488.
539. 540. 541. 542. 543. 544. 546.
547. 548. 606. 613.
Glockenblume, blaue , 426.
Gloria 97.
Gloso 210.
Glück bringen 252. 263. 280.
Glückskorn 213.
Gode 85.
Gothe, Wolfg., V , 58. 239.
Gofar 128.
Gold aus Birkenlaub 76. 87., aus Spä-
nen 85., aus Kohlen 142. 616., aus
Baumrinde 142., aus Getreidekör-
nern 121. Geschenk der Waldgei-
ster 142. 152. Goldstück durch
den Mund ziehen 180. 187.
Gddlüie 43.
Goliath s. Köpfung des Pfingstl.
Gower 460.
Gras ausläuten 540. 547.
Graskönig 343. 347 ff. 355. 357.
Graswuchs 332.
Ch'eemoichMll 480.
Gregoriustag (12. März) 274.
Grenze. Neun Grenzen 21. Grenzbaum
27. 39. Grenze, verrücken 121.
Grenzbegang 397. 398.
Grimm, J., 2. 369. 405.
Grimnismal 54. 55.
GrönjeHe 122. 124. 445.
Gründonnerstag 184.
Giiin Grüner Junge 64. Grüne Haare
138. Grünes Holz 184. Grüner
Georg 313. 316. 317., grüne Klei-
dung 111. 448. Grüner Weiberrock
317.442. Grüner Wagen 452. Grü-
nes Gesicht 34. Grüne Hand 64.
Grünes Moosweibchon 82. Grüne
Berg 223.
Grundblock 228.
Gürtel, Geschenk der Waldfrauen und
Hexenmeister 152., silberner am Som-
40*
628
Register.
mer 156. Gürtel des Pfingstl 353.
des Ehemanns 302., aas Halmen
210.487. Thors Stärkcgürtel 186.
Gunnar Helming 580. 589 ff.
&wrö Bysserofa 147.
Gyldeeiche 9.
H.
ffaar = Laub 76. 124., grünes des
Ljeschi 64., langes, fliegendes 76-
88. 102. 117. 123. 128. 137. 148.
Haariger Körper 113 ff. 147. 338 ff.
Haar in den Banm verkeilen 48,
Hafer s. Korn.
Haferhräuiigam 610. 612.
Hafergeiß 611. 613.
Haferkönig 611.
Haferweihe 404.
Haffru 122.
UagedornruU 343. 365.
Hagel 291. 502. 504. s. Blitz. Don-
ner.
Halm (und Henne) auf Maibaum 160.
174., auf Erntemai 197.
Hahn (Henne) 183. 197. 245- 290.
315. 327. 562. 565. 583. 613.,
auf Maibauin 160. 174. 211., auf
und bei Emtemai 197. 198. 199.
201. 205. 206. 212., auf Mimameidr
56. 183. 211. , Hahnbaum 174. , auf
Branthemden 46. Opfer 148. 246.,
auf Erntewagen gefahren 613., im
Kupalofeuer vei^rannt 515. Hah-
nenschlag 488. 533. 547. Dreibei-
niger 42. Blüte des Hanfs 2.
Hain, heUiger 31. 70. 71. 572. 582.
584.
Hallfeuer 500.
Hammel 396., —tanz 387. 396. 490.
Hammerle, A. J. 101.
Hamster 538.
Hand 254. 255. 256. 262. 263. 264.
268. 280. 298., grüne 64.
Handtuch 270.
Hanf 259. 328. 464. 510. cf. Flachs.
Hansel und Gretel 429. 464. 493. 494.
513.
Hanseli 543.
Harke 197. 198.
Harkelmai 195. 196. 197. 198. , Har-
kelmaigarn 195. 196. Harkelmai-
böm 195. 196. 237.
Harugan 579. 582.
Harvestqueen 611.
Hase 141. 204. 212.
Haselnuß s. Nußbaum.
Haselnußfräuli 106.
Hatzeler 350. 351. 368. 386.
Hausgeist 44 60. 61. 64. 65. 75. 81.
90 ff 95. 96. 103. 114. 115. 119.
137. 153. 154. 215. 238.
Heckerling 559., s&en 554.
Heer wildes 67. 116. 122 ff. 145.
150 ff.
Heerdfeuer 198. 224 S. 296. 566.
Heinrich VIIL, König von England
341. 368.
Hemann 127.
Hemde 46. 156. 220. 419. 560.
Hensej G., 3.
Herbstmai 203.
Herhstschnwdl 203. 311. 314. 322.
Herbstsonntag 208. 314.
Hetweggen 253.
Hetemann 406.
Heuernte 104. 136. 192. 202. 206. 209.
217.
Heumarienfeuer 469.
Heumütterli 610.
Hexe 14. 25. 66. 116. 162. 179. 270.
. 273. 325. 329. 402. 501. 502. 504.
541.
Hieronymus von Prag, Missionar in
Niederlilaueh 36.
Hiesely der bairische 352. 367.
Himmelfahrt 397. 399. 449. 546. 548.
Hipelpipei 92.
Hirsch 132. 151.
Hirsmontag 523. 550.
Hirte 224. 230. 271 ff 290. 332. 389.
449. 456. 494.
Hoalrad 500.
Hobbyhorse 396. 546.
Hochrinta 89 ff.
Begifiter.
629
Hochzeü 45. 46. 47. 48. 184. 185.
221 ff. 223. 245. 2%. 299. 345. 442.
443. 448. 454. 468. 473. 488. 491.
546. 565. 613., des Ljeschi 143., der
Zwerge 92. 616., zu Kana 517. Hoch-
zeitlader 299. Hochzeitfener 565.
Ilojemannel 127.
Hollen und Hollinnen 65. »» Selige
Fränlein 154.. Holdichen 14.
Holla, Frau HoUe, Holt 85. 120.
Hollyboy 422.
Holtsaten 70.
Holunder 10. 11. 12. 15. 16. 20 21.
22. 52. 56. 63. 64. 70. 165. 166.
167. 189. 210. 222. 223. 257. 266. 298.
Holwidemwtter 10 ff.
Holzfahrt in Köln 375. 376.
Holzfrätdeingam 76.
Holzleute (Holzfraulein, Moosmfinnchen,
Moosweiblein) 74. 75. 76. 77. 78.
79. 80. 81. 82. 90. 91. 92. 103. 106.
114. 127. 137. 153. 217. 237. 333.
334. 335. 408. 544.
Holzhetzer 82.
Holzmuoja 127.
Holzrufut 127.
Hongatar 30.
Hopfen 232.
Hosannah, das große 282. 29 J.
HrafnagaUk Odins 55.
HtMer, HuUler 268. 269. 317. 541.
548. Hudellaufen 268.
Hügel hinabrollen 480 ff. vgl. Green-
wicbhUl.
Huiizilopoehtli 300 ff.
HiUte verbrannt 463. vgl. Laubbütte.
Hulda U)7.
Hulte, der 127.
Hund 212. 521., der wilden Jagd 137.
138. Gestalt des Uaiuara 145.
Hundeschläger 324.
Hure 441. 443.
Hut auf der Maistange 387. 392.
HxUzelmawn 501.
hvannarkdlfr 2.
Hyldemoer, Hyllefrua s. llolunder-
iuuttcr.
!•
Jack in the green 322. 342. 425.
JacohHag (25. Juli) 277.
JöUesa 138.
Jagd glückliebe, Gabe des Waldgei-
stes 130. 131. 141., des Gabriel 251.,
wüde 82 ff. 85. 105. 112. 115. 116.
121. 122 ff 137. 145. 149. 350. 151.
251.
Jahresfrist 217. 218. 371. 452. 458.
493. 566. 606., in eine nacb meb-
reren Jahren wiederkehrende cycli-
sche Feier verwandelt 172. 175.
371. 533. 534.
Janchon 145.
järes unUnhringf järhring 430. 466.
594.
Jarilo 415 ff. 547. 606.
Jauchzen. 191. 199. 202. 215. 597.
Jenn, wilder Jäger 123.
Jesse 230. 235.
Jessen, E., 54.
IlnuUeuctli 303.
Immermann, K., 300.
Indra 14. 275. 592.
Insekten, Erankheitsgeister 13. 24.
25. 290. 296. 502. 504. 510. 520.
560. 8. Fliege, Floh, Korn wurm,
Laus, Mücke, Raupe, Spinne.
Invocavit, Fackelsonntag, Funken-
sonntag, diroanche des brandons
178. 453. 455. 463. 473. 479. 488.
500 ff. 536 ff. 549. 550.
Jochträger 90 ff.
Jods 210.
Jördh 588.
Joha/nnes Personiücation des Kalen-
dertages 170. 181. 212. 311. 466 ff.
493., Weib des Johannes 468.
Johannisahend (23. Juni) 159. 172.
173. 463 ff. 469. 483. 487. 488. 508 ff.
515 ff. 519. 520.
Johannisbad 534.
Johannisbaum 244.
Jühannisfeuer 177 ff. 237. 419. 463.
464. 466 ff. 487. 502. 508 ff. 519.
522. 524. 532 ff.
630
Register.
Johannistag (24. Juni) 33. 325. 355.
552.
St. Johaiwiisaposteltag 462.
Joseph 234.
Irmin Gott 304. 309.
irmin — Verstärkungswort 304.
IrmmM 303 ff.
Irregehn 61. 84. 108. 109. 110. 118.
129. 140. 143. 144. 153.
Isegrim 433.
Isis 559.
Issiteggi 94.
Juchfoder 191.
Judas 504 ff. Judasfeuer 505.
JuddcMonntag 471.
Juidbrasa 229.
Julatannar 589.
Julfriede 589.
Jtmge, schmucker 384., bunter 884.,
grüner 64.
ividhja 55.
Ivis 593.
Ivygirl 4SSl.
K.
Xä/cr 504. 582. 584.
Kalberquieken 271. 294. 298.
JBTcwc 96. 112. 113.
Kässonntag 540.
Kalb Pflanzenschoß 2.
Jfawiec? 32. 335.
Kaminfeger 322. 352. 367. 425. 548.,
vgl. Schwärzung des Gesichts.
Kampf auf dem Komfelde 498. 548 ff.
vgl. 545.
Kaninchen 122.
Kantenreiten 387.
Kanutsgüde 379.
Ka/nzelmann 91.
Ä:arl der Große 307.
Zar i FI. JKonigr von Fratikreich 338.
XaW Herzog von Orleans 459.
Zo^tonie 207.
KaH 30.
JTat^ (Kater). Gestalt der Wald-
geister 89. 112. 146. 290., des Haus-
geistes 93., des Vegetationsdämons
und Krankheitgeistes 561 ff., im
Johannisfeuer verbrannt 515. Palm-
kätzchen 2. Katzenkopf am Mai-
baum 167.
Kenningar von Bäumen hergenom-
men 8 ff.
Kiddelhtmd 611.
•
Kinder goldene Zweige 45., Blumen
50l Geburtsbaum, Lebensbaum von
Kindern 48. Anni. 49 ff. von der
todten Mutter gepflegt 104., vom
Holunder erschreckt 12., über Jo-
hannisfeuer getragen 512. Kind
durch Baumspalt gezogen 32 ff., mit
Leinsamen besät 33. Von den El-
tern gequitzt 270. Von den Dive
zeny 87., den Fanggen 90., der
Langtüttin 108., den Seligen 107.,
dem Eis 126., dem Salvanel 113.,
dem Ljeschi 143., dem Oaypora 145-
gestohlen. Vgl. 153. Vertauscht
65- Sein Eingeweide ausgefressen
295. Weinendes Kind Gestalt des
Ljeschi 140. Kind der Waldfirau
88. 185. 142. Kindersegen erwir-
ken 184. 226. 281. 558.
Kindbett, leichtes 51. 52. 56. 183.
284. 302. 512.
Kindbetterin von den Seligen geraubt
108. 158., todte kehrt wieder 104.
vgl. 112.
Kindein 266. 292. 293.
Kindsvot 233.
King of May and Queen of Mai 424.
Kirche. Ball über die Kirche werfen
473. 480. Dreimaliger Umzug um
die Kirche 506.
Kirchenglocke 180 547.
Kirnbaby 409.
Kirnis 245.
Kirschbaum 18. 89. 41. 53. 126. 164.
167. 205. 207. 226. 236. 245. 266.
KitzeU 87. 89. 139.
Klabauterma/nn 33.
Kleidung grüne 64. 88. 111. 117. 147.
341. 368. 448., dem Waldgeist,
Zwerg u. s w- geschenkt 73. 80. 81.
Register.
631
96., einem Baum angetan 157. 158-
210.
Klettern anf den Maibaum 157. 169.
170. 172. 174. 179. 191. 209 464.
Klingel 342. vgl. Glocke.
Klinggeest 326.
Klintatanne 136.
Klopferle 44.
Klotzmarine 383.
Klumpsackspiel 480.
Knoblauch 180.
Knochen verbrannt 178. 509. 515.,
anf Maibaum 383., ins Saatfeld
gesteckt 400.
Knoten. Aehren in Knoten 209. Kno-
ten von Krankbeitsgeistem herrüh-
rend 13. 14. 15. 16. 19. 20. 22.
Knut der Große 70.
Koherstein, A. 3.
Kobold 33. 44. 64. 65. 69. 95. 96. 110.
111. 114. ff 154. vgl. Hausgeist, Kla-
bautermann , Tomtegubbe.
Koch 350. 352.
Kochlöffel 350. 428.
Kohle 142. 227. 228. 229. 504. 510.
616.
Kohl s. Krautpflanze, Kohlstamm u.
Torfsode 248.
Kokusnuß 50.
Kolibn 361.
König s. Maikönig, Pfingstkönig, Syl-
vesterkönig, König Knoblauch 93.
König der Katzen 93.
Königsstuhl 385. 392.
Köpfung, Erschießung u. s. w. des
Pfingstbutzes, Maikönigs 321. 343.
352. 353. 354. 357 ff. 364 ff . 365.
386. 421., des Goliath 352. 365.,
Ludwigs XYl. 352. 365., des Engel-
mannes 514., des wilden Mannes
335. 336. , des Fastnachtb&ren 421.
Korb mit Obst im Martinsfeuer ver-
brannt 576. Korb im Umzüge der
Schmiede zu Zürich 523. Korbtra-
ger 324.
KoriakSf Hochzeitbranch der 302.
Korn (Getreide) s. Aehre, Asche,
Christus, Ernte, Erntemai, Fackel-
lauf, Feuer, Gewichtzauber, Hutler,
Kampf, Sämann böser, Wasser^
tauche. — Himmlisches Korn »=
Christus 230. 232. Korn vom Christ-
kind mitgebracht 233. — wächst um
das Muttergottesbild 232. Auf jedem
Weizen kom ein Muttergottesbild
232. Krankes Kind 33., Weihnachts-
klotz und Polaznik 224. 225., Kru-
zifix 233., Hochzeiter 222 mit Ge-
treide beschüttet. Weibnachtsrute
ins Kom gesteckt 224. — Kom-
wachstum abhängig von den Holz-
fräulein 77 ff., Hulda und den Seli-
gen 107., St. Walpurgis 210. , Jarilo
415., Metsik 407. 408., Thorr 484.
Ukko 485. Korngeist 212. 215. 409.
410. 609 ff. Komaufwecken 540 ff.
547. 548. Kom wird fruchtbar,
Brand, Best, Hagel abgehalten
durch Umreiten des Komfeldes 350.
353. 357. 398., Eschprozession 398 ff.,
Wälzen auf dem Saatfelde 481 ff.,
Spmng durch das Feuer 464., Schlag
mit der Lebensmte 253. 255. 269.,
Gewichtszauber s. s. v., Hinein-
steckung von Palmen 291., Lorbeer
297. , Zweigen der Laubumhüllnng
des Pfingstl 348. 357., Knochen 400
in das Saatfeld, durch FackeUauf,
Feuer, Asche s. s. vv. — Aussaat
des Kornes 17. 33. 77. 159. 212.
217. 226. 232. 233. 262. 263. 488.
561. Vgl. 8a 158. 224. Kom im
Winde wogend 119. ; Tod sitzt darin
420. Einemtung 77. 80. 107. 112.
12L 190 ff 214. 420. 483. 609 ff
Dreschen 429. Fieber in Getreide-
kömer gebannt 17. Getreide steh-
len 60. 63. 65. 69. 75.
Kornbaum 190. 212.
Kornbonde 484.
Kommode 484.
Kornmutter 611.
Komun*rm 291.
632
Register.
Korowa>y 223.
Korybtwten 7.
Kosmogonie der Phryger 8.
Kostroma 414L 417 ff.
KrcOovna 342. 344.
Krankheiten und ihre Heilung. Krank-
heitsgeister , Schmarotzer in Gestalt
der Insekten 13. 14. 15. 17. 18.
Anm. 3. 20. 22. 25. 262. 263. 268.
280. 290. 292. 294. 332., anderer
Tiere : Kröte 13., Maus 23 ff., Katze
562., Hund 562., Hahn 562. Vieh-
tod, Viehschelm 290. 563. Strigen
295. ; menschengestaltige Krankheits-
geister 15., zwölf Mädchen 15 , neun
Schwestern 16. , sieben Teufel 13.,
alte Wittwen 20. Elbe , Elfen 14.
62 ff. 64. 66. Krankheit des Bau-
mes, Salvanel 113. durch Aufhocken
111., durch Anhauch 42. 62., Kreu-
zung des Pfades 140., durch Pfeil-
schuß, Azthieb 66 ff. u. s. w. von
Geistern entstanden. Krankheits-
geister im Baume heimisch und von
diesem entsandt 11. 12. 13ff. , aus
dem Walde kommend 14. 22 ff., aus
allerlei anderen Orten 22. Krank-
heit des Reisenden am zuräckge-
bliebenen Baume bemerklich 48.
Vom Baume zurückgerufen, oder
auf ihn übertragen 16. Baum hilft
gegen Kr. 52. Krankheitsgeister
in den Wald 17. 62. 257., die Wüste
17. 22., unter Steine 15. 16. 18. 21.
68. 69. verwiesen. Vom Vogel mit-
genommen 21. Waldgeister heilen
durch Kräuter 81. 97. 106. 153.
Sympathetische Kuren 16. Heilung
durch Aussaugen des Krankheits-
geistes 3. 14. Einpflöckung dessel-
ben 21 iL 24. ff. 71., durch Donner-
keil 14. 62., Kohle des Christbran-
des 229. , Durchkriechen 32 ff. 129.
226., Taufwasser 517., Gold in den
Baum stecken 174. Knoten einbin-
den vgl. Knoten. Abwehr der Krank-
heit durch Feuer 518. 519. 562.
Fouersprung 464. 518., Pflugzieben
15. 561., Schlag mit der Lebensrute
257. 270. 272. 280., Opfer an den
Baum 59., Wälzen auf dem Acker
483., Flurritt 399., Stephansritt 403.,
Palmk&tzchen 290., Lorbeer 296.,
Blut vom Aderlaß 403. — Augen-
krankheit 17. 42. 64. Ausschlag,
Auswuchs s. Geschwulst. Bein-
bruch 24. 36 ff. 105. Beinweb 263.
Bruchschaden 32. Buckel 67 (vgl.
Geschwulst) Eingeweideschmerz 14.
Elfenanhauch 62. Epilepsie 263.
296. Fieber 15. 17. 20. 23. 65. 290.
291. 292. 297. 510. Flechten 19.
Frostbeulen 227. vgl. Geschwulst
Furunkeln 226. 237. Geschwulst.
Ausschlag u. s. w. 14. Anm. 3. 19.
20. 23. 42. Gicht 13. 15. 21. Hals-
weh 290. 291. Hexenschuß 66. Irr-
sinn 13. 26. Kopfweh 13. Krätze
228. 239. vgl. Ausschlag. Kreuzweh
210. 263. 280. 482 ff. 486. 487. Ma-
genkrampf 13. Nösch 13. Pest und
Cholera 16. 22. 66. 81. 97. 290.
518. 561. 562. Rotlauf 20. 23.
Schwindsucht 13. 14. 18. 68. 229.
• 237. 290. 295. Strily 23. . Vieh-
krankheit 275. 470. 518. 521. 561.
Zahnweh 13. 17. 21. 22. 23. 290.
291.
Kranz (Krone) am Maibaum 169. 170.
171. 175. 176. 177. 272. 318. Anm.
387. 388., am Hals des Pfingstl
353., des Maigrafen 369 ff. 372. 373.
374. 375. 376. 406. 606., am Halse
des Siegers im Wettlanf 382. , des
siegenden Bosses 387., um das
Handpferd 398., um Hals, Schweif,
Hörner der Weidetiere 271. 384.
389 ff. , beim Flurumritt überreicht
399. .400. 405. Preis des Wettren-
nens 388. Khmzsteehen 888. 396.
Erntekranz 196. 197. 215. 216., über
der Tür 295. Liebende sehen sich
durch den Kranz an 466., küssen
sich durch den Kranz 484.
Register.
638
Krat 115.
Krasno hUki 18.
Krautpßame (Kohl) 248. 277. 332.
510. 520.
Kreuz aas Aehren 204. 205. 206., dem
Maibanm verglichen 173. 242. Kreuz
Yon Holander im Palmbnsch 257. 289.
Palml[reaz über der Tür 291., im Acker
291. Drei Kreuze zum Schutz für die
Waldweibchen 78. 83. 84. 106. 148.
Kreuz im Fenster 128., Fenster-
kreuz 121. 138., verleiht Schutz.
Kruzifix 233. 284. 286. BaUspiel
vom Kreuz aus 474. 476. 480.
Kreuzbaum der Wenden 174. 177,
182. 237. 305. 583. Kreuzweg =^
Wintersolstiz? 125.
Kronenbaum 173- 174. 211.
Kronengelag 169.
Krügdmann 382.
Kübelreifen 82.
Kübele 'Maja 541.
Kuchen 8. Brod.
Kudernest 325. 547.
Kügelgen W. v., 239.
Küher, wilder 96.
Kümmel 75.
Kuh feurige 146., bunte 390. 395.
Anm. , schwarze 126. , vom Wald-
geist gehütet 96 ff. 141., vom Wald-
geist im Stalle gepflegt 80, 95.
Mittel die Kuh gesund, milchreich,
fruchtbar zu machen 157. 271. 272.
287. 290. Kuh mit Buten gestri-
. eben 269 ff., bekommt Namen 271 ff.
Tauschlepper 390. , zuletzt ausge-
triebene 389 ff. Kuh (Mockel) Name
des Emtemai, der letzten Garbo
u. s. w. 192. 212. Kühe der Ner-
thus 576. Kuhschwanz der Skog-
snufva 128. 130.
Kühkrippe 290.
Kühtod 562.
Kuhstdll 290.
Kuhn, A. 55. 151. 519.
Kükük 483. 485.
Kupalo 512. 514.
Kyklopen 94. 139.
Lachen der Dames vertes 119. , des
Waldmanns 127., dor Skogsnufva
129. 130. 134., des Ljeschi 139. 140.,
des Uchuclachaqui 143. Geister
lachen ni^ht 884. Lachen wie der
Pfingstfuchs 391.
Lady of the May 181. 212.
Lärchbaum 101.
Lätare 155—158. 181. 222.244.251.
269. 294. 410. 414.
Läufer 325.
Lakshmi 553.
Lampe ewige 508.
Langas wecken 540. 548.
Langschläfer 254. 257. 259. 268. «19.
321. 328. 328. 849. 351. 353. 382.
889 ff^. 892. 893. 403. 438. 548.
LaiigtüUin 108.
Lasskowski, J. 12. 245.
Lattichkönig 843.
Latzman/n 325. 547.
Laub in Gold verwandelt 76. 87.
Laubcinkleidung 316 ff. Laubhülle
des Schoßmeiers, Pfingstquacks Amu-
let 348. 349. Laubmännchen 820.,
Laubpuppe 820.
Laubhütte des Maikönigs, Schützen-
königs 187. 315. 354. 355.
Laubhütienfest 283.
Laus 290.
Lavendel 49.
St. Lazarustag (letzter Tag der Oster-
fasten) 440.
Lebensbawn im Hochzeitliede 45., in
Hoohzeitgebräuchen 46. 221 ff. 607.,
in Frühlingsgebräuchen s. Baum,
Maibaum. Lebensbaum von Banm-
geistern 69. 75. 89. 91. Leben ei-
nes Menschen mit dem Leben eines
Baumes verknüpft 32. 83. 86. 87.
48. 49. 68. Geburtsbaum 50. Le-
bensbaum von Familien vgl. Baum,
Boträ , y&rdträd , Maibaum , Bichi-
634
Register.
mai^ Lebensbanm des Dorfes a.
Maibaum, der Welt s. Yggdrasil],
Weihnachtsbaum.
Ld)enmUe 251 ff. 386. , mit Maibanm
verglichen 279., Schlag mit der 538.
Lehmann, Chr. 74. 386.
Jjeieh 585.
Leichdorn 20. >
Leiche durch Falmzweig anyerweslich
286. 287. Palmzweig in den Sarg
mitgeben 290., aufs Grab stecken
290.
Lenzgatte 586.
St. Leonhard (6. Nov.) 404-
Lerchen wecken 253. 319.
lesni muzove 87.
lesni panny 86.
Licht s. Christas.
Licht geweihtes 559. Lichtgestalt des
V&rd 51. Lichter auf Bäumen 46.,
am Maibaum 178. 223. 244., auf
Weihnachtsbaum 238 ff. 243. , auf
Kirschbäumen bei der Burg 245.
Lichtmesse Mariae (2. Febr.) 253. 436.
447. 473.
Lichtmessbraut 431. 447.
Liehe 281-
Liebeszauber 31. 48.
Ljeschi 94. 138 ff. 408. 512., ver-
mählt mit Sterblichen 143.
Linde 8. 45. 51. 53. 58. 62. 165. 184.
187. 188. 266. 353. 449.
LinnS, Familie, ihr Familienbaum 51.
Lisunka 142.
Lito (Ljeto) 156. 157. 181. 210. 246.
253. 581.
Löfviska 11.
' Lohjungfern 74.
Lorbeer 164. 205. 207. 222. 241. 242.
242. 249. 281. 286. 287. 295. 296.
298., beseeltes Wesen 297.
Lord of the May 417. 546. Lord and
Lady of the May 424 ff.
Lubbart, Henr., 317.
Ludwig XVI, s. Eöpfnng des Pfingst-
butz.
Lücketeies 499.
Lügengarbe 213.
LuMh 283.
Luperealien 298.
Luther, Martin , 352. 367. 513.
LydgaU J. 460.
M.
Mad MoU 426.
Mädchen 50. 156. 237. 244. 245. 248.
251. 257. 260. 265. 267. 278. 281.
313. 320. 332. 357. 362. 363. 385.
386. 388. 390. 396. 414. 415. 434.
435. 450 ff. 456. 463. 469. 479. 495.
Amn. 548. 553 ff. 560. 561. , ver-
schreiben 453. vgl. Weib.
März, erster 269. 455. 539.540.541.,
zweiundzwanzigster , Anfang des
Cybelefestes 572. Märzfeuer 455.
456. 540. 541.
Mäume 92.
Mäumkenloch 92. 100.
Magnussen, F. 55.
Mahdküchel 107.
Mahjas Kungs 31. 52. 53. 245.
Mahlen Mühle 80.
Mai 1. s. Walpurgisabend.
Maja 313. 316. 338. 345. 346. 417/
495. 586.
Mai suchen, einholen 161. 316.
Maibaum 160 ff., Bedeutung dessel-
ben 180 ff-, alter ego von Menschen
u. Tieren 182. Genius des Wachs-
tums 182. »^ Eiresione 295. 298. *»
Kreuz 250., vorchristlich 297., mit
Lebensrute verglichen 279., nicht
der chrisÜLche Baum des Lebens
294. Mb. und Erntemai, Unter-
schied 211. Maibaum pflanzen 180.,
einholen 161. 162. 168., 171. 173.
182. 183. 316. 368., von Rindern
gefahren 182., mit 40 Joch Ochsen
eingeholt 171., umhergetragen 162.
180. 343. 350. 356. 375. 524., ums
Haus getragen 220., auf den Schul-
tern heimgefahrt 175., Ziel des
Wettlaufs 209. 382 ff. 387., Preis
des Wettritts 385. , erklettert 169.
170. 171. 172. 177. 179. 187. 191.,
Begister.
635
alle 3— 4 Jahre erneaert 169. 172.
Urform des Maypole 176. Maibanin
Yon Beifen umschwebt 176. 220.,
aus mehreren Stammen zusammen-
gesetzt 169. 171. 172., in schlangen-
formigen Bingeln geschält 165. 169.
170. 177. 208. 326., bemalt 172.
177., bis zur Krone abgeästet 170.
208. 273. vgl. 288. Aepfel 166.
183. 223., Aehren 171. 172. 183.
193. 209. 222. , Eier 156. 160. 165.
169. 177. 181. 183. 203. 218. 219.
241. 245. 252. 271. 566., Gebäck
166. 169. 171., Getränk 164. 166.
169. 171. 172. , Tücher 164 ff. 170.
182. 219. 220. 313., Puppe 223.,
Knochen 383., Vogel 222. 223.,
Kranz 171. 175. 179 208. 218. 219.
272., Lichter 46. 178. 223. 244. 245 ,
Devisen 164., Pflöcke, N^el 174.
176. 177., am Maibaum. Maibaum
mit Bocken bedeckt 174. 181. , auf
Tisch gestellt 223. vgl. 207., mit
Darstellung des Leidens Christi
173. Tanz um den Maibaum 164.
168. 169. 171. 174. 176. 179. 180.
187. 188. Maibaum vergraben 412.,
verbrannt 177. 186 ff. 244. 456. 463.
464. 466. 469. 506. (vgl. 507. 512.
521), nach Jahresfrist 566. Waö-
sertauche 162. 170. 221. Maibaum
aufgepflanzt im Dorfe 164. 168 ff.
172. 182. 188. (Yillage- Maypole
171. 172.), auf der Hausfirst (Dach,
Giebel) 161. 162. 165. 219. 220.
(ci 357). 451., vor dem Kammer-
fenster 166. 167., vor der Haustür
161. 163. 164. 165., vor dem Braut-
hause 223. 607., auf der Dünger-
statte 161, 165. 167., über dem
Viehstall 161. 165. , auf dem Scho-
ber 272. , an oder auf dem Brun-
nen 241. 323. 333. — Maibaum für
die Häupter der Gemeinde 163.
167., für Mädchen 161. 163. 164.
165. 166. 167. 183. 184., für Vieh
161. 174. 182. — Bekränzter Mai-
banm » Krone 16ti 170. Dürrer
Baum 165. 166. 184. — Maibaum
im Brod 223. — Maibaum der
Miaotse 189. — Neben Maibaum ein
Laubmann 311. — Vom jüngsten
Ehepaare ausgerichtet 488. — Mai-
baum der Prager Schneider 431. 596.
Maibrcmtschaft , Maibraut, Maipaar s.
Asehenbraut, Lichtmefibraut, Pfingst-
braut, Hansel und GreteL 422 ff.
437 ff. 591 , Erklärung 444 cf. 352
(Hansel und Gretel und Hochzeit-
leute) 386.
Maid Marian 423. 546.
Maienbühle 454.
Maienföder 191.
Maienführer 349. 350. 351. 352. 385.
Maiengäßlein 169.
Maienknechte 162. 349.
Maienreiten 347.
Maifeuer 178. 180. 419. 450 ff. 508 ff.
525.
Maifrau 338. 451.
Maigraf 369 ff. 432. 533. 593. 606. ;
der Name 378; aus Maibutz hervor-
gegangen 376 ff.; zu Lübeck 369,
Wismar 370, 373, Greifswald 370.
373, Stralsund 370. 372, Danzig
370. 371. 372, Heüigenbeü 370,
Beval 370. 371, Biga 370. 371,
Hildesheim 371. 373, Bremen 371,
Aalborg 371, Malmö 371, Dänemark
371—375.
Maiherr, Umritt, Heiltum für die
ganze Commune 378.
Maiinde 380. 381.
Maikönig 187. 341 ff. 347. 353. 354.
365. 366. 385. 394. 452. 493. 546.
547. 586. 606., umhergejagt 343.,
geschlagen 354., Maikönigin 347.
355. 452., Maikönig und Königin
355. 386. 422 ff.
Maüehen 165. 188. 450 ff, 492.
Mairöslein 163. 312. 318.
Mais (türk. Weizen) 269. 280. 541,
Maisblätter dürre 361., Maisstengel
362.
636
Begister.
Maistange 159.
Maiträ 159.
MamurUnda 413.
Mandel 24A.
Mannbarkeitserklärtmg 269.
Mantel des wilden Mannes 98.
Mao 112.
Marcellus BtirdigaleDsis 20. 33.
Marcsuithj AeWssin von Schildesche
401. 405.
Marena 413. 514.
Mana = Aarons Gerte 244., = Ce-
derhamn 293., = Garten mit Le-
bensbaum 242., fallt die Scheuem
mit Weizen 231., dargestellt mit
ährendarchwirktem Mantel 231. 232.,
trägt drei Aehren in der Hand 232.,
notre Dame aux trois epis 210,
läßt drei Aehren herrorsprießen 232.
Mnttergottesbild mit Getreide um-
wachsen 232., auf jedem Weizen -
und Speltkom 232.
Maria Magdalena 13.
Maiiä Verkündigung 224. 232. 407.
616.
Mariee du May 439. 493.
Markopole 63.
Marinousin 166.
Mars 586. 592.
Marsilius 375.
Martin St., der Heilige 577; Perso-
nification des Kalendertages 273.
274. 327 (Pelzmärte).
Martiniabend 273.
Martinifeuer 516.
Martinigerte 273.
Martini, W. , 394.
Marzana, Marzanka 159. 181. 413.
414.
Masdiia und Maschiäna 7.
Maika-Teppo 404.
Matrosenqiiartier in Kopenhagen 52.
Maültourf 204. 291. 536. 538.
Mavritiuspalme 8.
Maus 28. 204. 291. 504. , in Baum
Terpflöckt 24.
May Lady 315. 346.
Maypole 171. 188. 305. 315.
Mayqueen 354. 546.
Medizinischer Aberglaube s. Krank-
heiten.
Megingjarär 486.
Mehl am Kübelreifen 82, gestohlen 75.
Mehltau 536. 560.
Meienehe 454.
MeluMne 120.
Menschenfuß aus Wolken herabge-
worfen 85.
Menschenopfer 30 ff. 360 ff. 525. 526.
3ferlin 117.
Messer in den Wirbelwind werfen 132.
Metamorphose in Pflanzen 3.
Metzgerzunft zu Zürich 433., zn Mün-
ster 4.36, zu Trier 178. 596.
metsa ema 407. metsa isa 407.
Metsik 407 408.
Michaelisfetter 516.
Mülikki 408.
Miesco von Polen 413.
Milch. Opfer 11. 60. 103. 272. 390.,
erzeugt 161. 162., vermehrt 103.,
Diebstahl 92. 113., aus Milch Wachs
112., Gold 97 machen. Lohn des
wilden Geißlers 96. Nahrung des
Salvanel 113., der Seligen 103.
Mimameidr 56 183. 217.
Aimirs Brunnen 56.
Mirtesgardn 273.
Mißwachs 399. 504.
Mistel 249. 273. 279.
Mitesser 69.
Mittwinterfest heidnisches 249,
Mockel 8. Kuh.
Mohrenkönig s, Schwärzung des Ge-
sichts.
Molitzlaufen 382.
Mommsen, Th., 6.
Mond 234.
Mondard 409.
MoosUtUe 74. 75. 82. 106. 114. 137.
153. 333., MoswyQes in Flandern 74,
Mooskuh 524.
Morgentau 355.
Morris 'dancers 546.
Begister.
637
MücJcen 263. 280. 510.
Müllenhoff, K , 309. 587.
Müller, M., 55.
Müller, W., 428. 587.
Mutna padnra 106.
Musik des Windes 43. 86
Muskel 23.
MuUergarbe 191.
Mutter Pumpe 93.
Myrte 283. 284. 287.
MysteHen von Eleusis 598.
Nachtjäger 151.
Nachtrabe 151.
.Name in Maibaum geschnitten 165.
Dem Jnng?ieh gegeben 271.
Naogeorgus, Thom., 287. 288.
Naturalien einsammeln 428.
Nebel Gespinst der Franbertc 112.
Nebelhöhle 449.
Neema Tdba 148.
Nelke rote 423.
Nerio 586. b92.
Nerthrn 183. 567 ff. 587., Name 570 ft-
586. 592., Insel derselben 568. 598.
599. 600. , Umfahrt 600 ff.
Nessel 167. 184. 264.
nesso 13.
Neubauten 218 ff.
Neujahr 9. 227. 241. 205. 462. 553.
558. 559.
Neujahrsabend 150. 247. s. Sylvester.
neun Knaben 264. neun Morgen 75.
nenn Welten 55. neun Grenzen 21.
Neuvermählte s. Eheleute.
Niederfall 192.
St. Niclas Person ification des Kalen-
dertages 327.
Nimmenceh Kraut 81.
Njörd^ 571. 588. 590. 591. 592.
Nithart v. Beuental 188.
Nixen 95.
Nörglein, Org, Ork, Norg, 73. 110.
333., Wetterprophet 111.
Nörkel s. Nörglein.
Norg 8. Norglein.
Nomen 54.
Notfeuer 470. 518 ff.
Nußbaum, Nüsse (Symbole der Frucht-
barkeit) 58. 164. 165. 166. 167.
184. 199. 207. 217. 222, 223. 238.
244. 245. 246. 257. 264. 265. 266.
272. 276. 277. 289. 329. 503. 511.,
N&sse knacken >» Symbol für Zeu-
gung 184,
0.
Oblaten 233.
Oden (König) 122. 137.
Odhr 445.
Odinn 590.
Oelbaum 216. 227. 286. 288.
Oeschtreiden 400.
Old Bessy 257.
Ole i skrymta 337.
Ommegän 523.
Ovimegang 594.
Opfer 59. 64. 65. 71., bei Ernte 77.
78., für Holzfräulein 82., für arme
Seelen 82., für Ljeschi 141., für den
mahjas kungs 245. , Menschenopfer
s. 8. Y. , im Schutzhain 245. , am
Semiktage 157. 158 ; für die Skog-
snufva auf einen Stein gelegt 130.
Opferfeuer 275.
Ophelia 458.
Orakel 495.
Orangenbaum 242. 285.
Orco 110. 338.
Orddle der glühenden Pflugscharen
546.
Oi'ken 73.
OrÜes 110.
Ostara 505. 522.
Ostern 256 ff. 258. 270. 277. 278.
290. 291. 292. 335. 386. 397. 398.
4S0. 454. 469. 471. 473. 476. 477.
478. 503. 507. 546. 555. 605.
Osterberg 505.
Osierbrod, gelbes, 263.
Osterei 158.
688
Begister.
Osterfeuer 178. 180. 419. 470. 480.
502. 516. 522. 532.
Osterkerze 503.
Ostermafm 505. 522.
Osterpeitsche 261.
Osterpsalnien 506.
OsterreiUr 398.
Osterwttsser 293.
Oswald (Aswald) 209.
P.
Pdbsty Ed., 369.
Padden schinden 356.
Paderbomy Landtag zu, 71.
Pagecmts 341.
Palägabaum 275.
Pcdüien 295. 517.
Palmsormtag 231. 256. 258. 270. 273.
282. 284. 291. 292. 294. 295. 298.
488.
Palmeweig, Palmstranß 278. 281. 294.
vgl. Weide. Dem Maibaam nach-
gebildet 246. In den Sarg 290.,
aufs Grab gelegt 290. Vieh damit
aufs Feld getrieben 270. 272., aufs
Feld gesteckt schützt vor Hagel
285. 505., mit vergoldeten Eiern
geschmückt 257. , auf Scheune oder
Haustüre aufgesteckt 258. 285.,
nach Jahresfrist verbrannt 258. Palm-
besen 284. Palmsegnung 281. , in
Rom 286. Pabnblatt 145. Palm-
esel 288.
Pan 73.
PankrcOkis (12.. Mai) 402.
Papageienschießen 369.
Papageienffüde 371. 373. 379.
Papaluga 329. 330.
Pappel 165. 167. 177. 192. 207. 288.
313. 606. Darstellung des Yegeta-
tionsgeistes 319.
Paradiesesbautn 242. 243. 249. 605.
Paradiesspiel 242.
parawari 579.
Parstucken 63.
Paskeberg 505.
Passionsspid im Oberammergau 534.
598.
Pelzmärte 327.
Peperuga 329. 330.
Perchtel (Perchta) 85.
Perchtenj Perchteln 542. 548. Perch-
ten laufen 542. 543.
Pere May 314 316. 318. 417.
Personification von Kalendertagen s.
Georg, Johannes, Martin, Niclas,
Perchtl.
Peter und Paul (29. Juni) 177. 511.
513.
Petersüie 166. 185.
Petri Stuhlfeier (22. Febr.) 556. 597.
St. Petrus 274. 356.
Pfaffe vor dem Palmesel geschlagen
258.
Pfaffenköchin 120. 122. 123.
Pfefferkuchen 265. 266.
pfeffern 266. 267. 280.
Pfeisihutte 323.
Pferd 398 ff. 402 ff. 576. , das bunte
390. 391., heilige 500., bekränzt
387. Vgl. Hobbyhorse, Faserößl. —
Pferdekopf auf Maibaum 167. 383.,
im Maifeuer 178., Johannisfeuer 515
verbrannt; auf Fastnacht vergraben
411., der ungetreuen Liebsten über
die Tür gehangt 167. 185. —
Ljeschi wiehert wie ein Pferd
139. — Pferd des Teufels 120. —
Wildes Pferd in Deutschland hei-
misch 151. — Jagdobject des wilden
Jägers 151. — Heilige Rosse 580.
Pfingsten 157. 159. 168. 170. 175.
261. 264. 318 319. 325. 333. 335.
344. 350. 370. 371. 382. 383. 388.
389. 391. 393. 397. 400. 427. 432.
439. 441. 449. 476. 488. 490. 546.
594.
Pßngstbaum 211.
Pfingstblume Pflanze 318. 319. Vege-
tationsdämon 318. 366. 438. 583.
Pfingstbraut 357. 432. 438 ff. 439.
494.
Pfingstbuben 556.
Register.
689
PfingHbuU 311. 349. 368.
Pfingstfuehs 391.
Pfingsthagen 350. 351.
Pfingsthammel 391.
Pfingsthütte 333.
Pfingsthüttd 323.
Pfingstkäm 382.
PfingatMöUd 312.
Pfingstknechte 162. 387.
Pfingstkönig 187. 341 ff. 343. 385.
Pfingstkönigin 344. 345.
Pfingstkuh 390. 395.
P^n^ÄfZ 320. 331. 352 ff.
PfingsÜümmel 327. 391. 556. 581.,
zwischen 2 Begleitern 367., unter
Mist vergraben 321.
Pßngstmocke 390.
Pfingstnickel 162. 181. 212. 318. 384.
Pfingstquack 312. 348.
Pfingstrecht 347 ff. 349.
Pfingatreiter 385.
Pfingstrüt 400.
Pfingstrose 320.
PfingstsMäfer 321.
Pfingstumgang zu Lüttich 442. 443.
PfingstwettriU 404.
P^rwcÄ 164.
Pflaumen 69. 223.
P/Im^ erster 158. 214. 268. 280. 317.
332. 517. 561. 581. — Pfingstlümmel
anf Pflüg fahrend 321. 327. — Perch-
ta l&fit ihren Pflng vcrkeUen 158.
317. — Krenz anf Pflng schützt die
Moosleute 83.' — Kuchen der Moos-
weibchen und Fairies bei der Pflug-
wende 80. — Pflugumziehen, feier-
liches, 553 ff. 586 ff. 593. vgl. die
Hexe auf figgenschleife 352. —
Pflugfest zu Hollstadt 534. 556.
598. — Pflug bei Krankheiten um*s
Dorf 15. 561., ums Feuer geführt
564. 564. — von Frauen gezogen
XX. 554 ff. — Pflugochse 214. 538.
— Pflugschar glühende, Ordale 564.
Pfriemenkraut 320.
Propfen der 6&ume 31.
Phi 23.
Phummathevada 44.
PtcÄJcr 484.
PMaoatar 30.
Püosus 114. 338.
Pimpemuß 270.
Pinie 572.
Piposs 396.
Pippe kong 93.
Piru 22.
Plvnius Valerianus 20. 71.
pich uleöiti 556.
Plaughmonday 557.
ploW'light 558.
Poppig 144.
polaznik 225.
poUard'Osh 24.
Polyphem 94.
p<mlazka 259. 261. 270.
Posidonius 525 ff.
Preußen, die alten 35.
Priap 416. 417. 469. 521.
Priester 579. 580. 583. 599.
Primigenius sulcus 562.
Pripats 330.
pMus 2.
Pulsterewihli lOo.
Puppe (simulacrum) um die Felder
' geführt 405., aus Lappen 62. 167.
' 405. 406., vgl. voddeventen, in den
Wald getragen 406., an Baum ge-
hängt 156. 158., vor die Tür ge-
setzt 166.
PuschkaiHs 63. 69.
puu'halijad 68. 84.
Pyramide aus Beisern 322. 323. 326.
347. 425. 524.
Pyrpiruna 328. 330. 331.
Pysslingar 61. 127. 152.
Queen of the May 315. 347. 493.
Queste in Questenberg 175.
Quetzakoatl 361.
Quieke 279.
quUzen (quieken) 270 ff.
640
Begister.
Bad 430. 455. 46.3. 500. 501. 507.
509 510. 511. 518. 519. 520. 521.
537. 553. 565.
Rätsel TOD den Sternen 235.
BaUton, W. E. S., 15. 143. 563.
Rauhnächte (drei Donnerstage vor
Weihnachten) 542.
Raupen 13. 14. 291. 510. 520. vgl,
Insecten.
Rechtsgebräiiche, und Gewohnheits-
rechte 27 ff. 89. 171. 175. 299 ff.
323. 373 ff.
Regen, Freys Spende, 591. Begen-
mädchen 327 ff. 366.
Regenzauber s. Wassertanche. Frosch
köpfen 355. 356.
Regia 295.
RefibreU 40.
Reiben am Maibanm 174.
Reibung, Feuer durch, 518 ff.
Reine de printemps 344.
Reinsberg-D^onngsMdy 0. v., 246.
Reivaspflanze 7.
Reudingi 599.
Reusjes 523.
Richtmai 218 ff. 295. 357.
Rinder ziehen den Maibaum 171. 174.
182., den Nerthuswagen 183. 566.
576. 583.
Ring aus den Wolken 330. Ringrei-
ten 388.
Rippe ans Erlenholz 116.
Robin et Marion 546.
Robin Hood 423. 546.
Rodnerirvnevdoclten 104.
Römer, der in Frankfurt a/M. 167.
Roggenbär 421.
Roggenwolf 483. 487. 611.
RöhHnta Fanggenname 89. 90. 91.
Rollen auf der Tenne 484.
Ropenkerl 127.
Rosegger, P. K., 58.
Rosenstrauch 164. 205. 207.
Rosmarin 254. 265. 266. 281. 429.
451.
Roß s. Pferd.
Rost im Getreide 227. 297.
Rubens,, P. P., 523.
Rücken, hohler, 120. 121. 125. 126.
128. 130. 133. 134. 147. , auf den
Bücken schlagen 257. 262. 270. 272.
Rüster 61.
Rütteltoeiber 74. 82.
Rudolf von Fulda 304. 310.
Ruf des Ljeschi 139. , des Waldgei-
stes 144.
RukkhcUheviida 44.
Ruprecht, Knecht 327.
Saat s. Korn, Äehre 39. — Kampt im
Saatfeld s. Kampf. — Saatfeld vgl.
Georg, grüner. - - Holxmder im
Saatfeld 210. Saatgang 441., der
Wenden auf der Gabelhaide 401. —
Saatleuchten 455 ff. 535. — Saat-
reiter 398.-
Sägemehl säen 427.
Sämann 158., böser 500.
Säule aus Flechtwerk im Johannis-
feuer verbrannt 515. Irmensäule
s. s. V.
Salatstaude 44.
Salbaneüo 114.
Salbei wilder 88.
Salvadegh 112. 113.
Salvanel 112. 113.
Salvangs 113.
Salz 227. 237.
Samen, Götterbild von 361., Samen -
zünden 535.
Samtrügl 429.
Satyr 73. 114.
Schaaffhausen , Professor, 147. 548.
Schachtelhalm 88. 138.
Schaf 210. , schwarzes 400. Schafstall
184. 295. 389 ff.
Schanhollen 102.
Scheibentreiben 456. 465. 466. 488.
492. 498. 501. 502. 507. 511. 519.
521. 537.
Schellenmoritz 327.
Schembart, Schönbart, 545.
Register.
641
Schichsalsbaum des Einzelnen 49 ff.,
der Familie, Dorfschaft 51, der
Stadt 57.
Schiff 555. 559. 587. 593 ff. Schiffs-
kobold 33. 44.
Schilf 353.
Schüler, Fr., 6.
Schimmelreiter 442.
Schlctg mit der Lebensrute 251 ff.
Durchs Dorf peitschen 321. Peit-
schen des Pfingstkönigs 365. 366.
Schlange 8. 44., im Johannisfeuer
verbrannt 516.
Schleiermacher, Fr., 239.
ScMüsaelblume 426.
Schmaekostern 259 ff. 270. 292. 293*
311. 319. 332. 438. 595. 596.
Schmalzhaf 325.
SchmeJber 43.
Schmetterling 14. 115. 329.
SchmiedeziMift in Zürich 596.
Schnabel des Wasservogels 357.
Schnak 324. 366.
Schnee 232.
Schneefrätdein 100.
Schneidergewerk 431. 596.
Schneller, Chr., 110.
ScImiUer 481. 483.
Schnupfen 89.
Schödüwel 546.
Schönbarüaufen 334. 335.
Schöttdmay 191.
Schoolcraft 560.
Schoßmeier 348. 357. 440 ff.
Schotenklee (lotus corniculatas) 324.
Schrätel 290.
ÄcÄroÖ 115.
Schretlein 115.
Schützenfest 187. 369. 552.
Schwärzung des Gesichts, 162. 314.
321. 322. 326. 336. 342. 343. 349.
427 428. 442. 540. 541. 545. 546.
547. 548. 606. Kaminfeger 322.
352. 365. Mohrenkönig 351. 365.,
schwarzer Teufel 352. 365., tür-
kischer Kaiser 365.
Mannhardt.
Schwanz - des Skogsnufva 128. 130.
134. 135.
Schwartz, Wilh., 85. 152.
Schwarzer Mann 42.
Schwertgeburt, Maler, 239.
Schwerttanz 546. 558.
St. Sebastian (20. Jan.) 404.
Sechseläwten in Zürich 496.
SeeU arme 19. 40 ff. 82. 152. 532. «
Lufthanch 152. =» Schmetterling 329.
= Maus 24. = Hund 41. Mehrere
in einem Korper 25. 532., kommt
wieder 69., bannen 43.
Seidelbast 291.
Sea> 94.
Selige Fräulein, Salgfräulein 91. 95.
99 ff. 101. 102. 103. 104. 106. 111.
116. = Holden und weiße Frauen
154.
Semikbaum 584.
Semiktag (Donnerst, vor Pfingsten)
157. 434.
Sesleria caerulea 62.
Sevenbaum 257. 288.
shrewash 24.
Sieben Jahre (mythisch) 125. 150.
350. 445.
Sigeminne 109.
Sigufrä 445.
Süen 73.
Silvanus 113. 114.
Simrock, K.,' 93 479. 495. 559. 588.
Sinngrün 223.
Sjörä 128. 131. 136.
Skaldenpoesie 8.
Skogsnisse 130.
Skogsrä 128. 130.
Skogsnufva 73. 113. 119. 125. 127 ff.
skogtagen 130.
skoje halder 130.
Skougman 127.
Slatte Langpatte 123.
Smrt 413 420.
Sommer 156. 246. 251. 252. 295. 412.,
heißt Mai 294. Sommer u. Winter
245. Sommer einbringen 222.. Som-
mergabel 252. Sommergewinn zu
41
642
Begieter.
Eisenaeh 156, Sommerküider 252.
Sommexwecken 253.
Sonne 151. 152. 187. 234. 2d5. 362.
444. 465. 466. 468. 474. 479. 497.
508. 509. 518. 519. 521. 553. 591.
Sonnenkraut, SonnenweDde 187.
Sonnenscheibe 187.
Sonnentier 151.
Sonnwendfeuer 462 ff. Deutung 516.
521 ff.
Sonnenzaiiber 466. 521. 554. 566.
Späne goldene «» Blitze 85.
Speer ^ mit demselben Gabe reichen
134.
Spinnen 60. 65. 76. 104. 107. 112.
lia 120.
Spoitverse 343. 354.
Spreu 165. 167. 184.
Souche de No€l 226.
Stadtbanner von Köln 375.
Stadtmaye in Nürnberg 169.
stäupen 254 ff. 260.
Staffansvisa 402.
Stamm 213.
Stechpalme 204. 207. 241. 247. 273.
278. 322.
Stecknadel 67. 473. ^
Steffansritt 402 ff.
Stein auf Disteln legen 15. 69., in
der Nähe des 'Krankenhauses auf-
gehoben 18. Krankheit unter einen
Stein tragen 21., auf 'Wacholder-
busch legen 68., auf drei Halme
gelegt 210. Sitz des wilden Man-
nes 96. 97. Opfer für die Skogs-
nufva darauf gelegt ISO. — Stein-
werfen 389. 412. 413. 419.
Stephanstag (26. Dez.) 267. 402 ff
Sterne 233. 234. 235. =» Aehren 235.
Stettin, heiliger Baum daselbst 57.
Stimmen im Walde 72.
Stockgarbe 213.
StoolbaU 476.
Stopfer 551.
Stoppelhahn 199.
Strabo 525 ff
Strigen 295.
Ströhsadcfest zu Prag 430.
Strutzi'Bugei 91.
Stutzemuize (Staunze - Maunze) 89. 90.
91. 93. 106.
Stuteforche 89.
Stutzkatze 146-
Suda/uer im Samland 63. 69.
Süßholz 262.
Suso, Heinrich, 250.
Svend Vonved 117.
Swantomt 393. Anm.
Sylvesterabend 276.
Sylvesterk^ig 386.
T.
Tabacky dem Ljeschi geopfert 141.,
am £mtemai 200.
Tabeliräger 324.
Tadtus, C, 568 ff.
Tänü 182. 278.
Tälgilgen 106.
Tanne y Fichte, Kiefer, 15. 46. 47.
57. 135. 136. 156. 157 161. 164.
165. 166. 169. 170. 177. 179. 181.
189. 191. 192. 194. 196. 199. 201.
202. 203. 205. 207. 219. 222. 229.
238. 239. 240. 241. 245. 246. 249.
254. 257. 267. 278. 288. 289. 306.
313 318. 321. 325. 337. 342. 383.
385. 390. 427. 455. 501. 524. 566.
589. Stab des wilden Mannes 96.
97. 105. 340. 341. Tannzapfen,
Symbol der Fruchtbarkeit 223.
Tanz = Sturmlied 86. 87. , des Ljes-
chi = Wirbelwind 143. , um das
Feuer 518., um das Johannisfeuer
466. 469. 510. 511., um den Johan-
nisbaum 244., um das Hochzeit-
feuer 565., der Elfen 125., der Hud-
1er 269., der wilden M&nner 341.,
beim Schiffsumzug 597., am Maitag
450 ff., unter der Linde 449., beim
Begrabnisse des Jarilo 416., auf
dem Acker 253.
Tapio 408.
Tari Pennu 363.
Tatermann 513.
Begttter.
648
TcM, durch denselben ziehen 384.,
anjSangen 390.
Tauffoasser 293. 503. 517.
TeüfM 571 ff.
Teoctialo 362.
Terra mater 571 iL 584.
Xestikeln 251.
Teteionan 360. 363.
TetzcatUpoea 362.
Teufel 336. 505. 548. s. Sohwänsnng
des Gesichts.
St. Theobaldsahend 178.
Theodorstag ^L
Thorül 92.
Thorlacim, Sknlo, 55.
TÄorr 116. 484. 486. 590.
Thors pjäska 1%. 150.
Tieck, L., 239.
Tiere durch einen hohlen Baum ziehen
39. , vom Metsik gehütet 407. 408.,
mit der Lebensrute geschlagen 269 ff.
Haustiefe vom Waldgeist im Stau
gesegnet 80. 95., Segen zum €k-
deihen derselben 325. Haustiere
31. 96 ff 141. , Waldtiere 117. 131.
141. im Walde vom Waldgeist
gehütet Tiergestalt der gente sal-
vatica 113.
Tierkerl 117. 408.
Tüiander, Familie 51.
Tlaloc 356. 362.
Tod 50 , des wilden Mannes s. Eöpfung,
im Getreide 420. s. Smrt. Kinder-
spiel zur £mtezeit 420., des Haus-
herrn den Bäumen angesagt 9. Tod
austragen 155. 222. 410.
Tomtegvibhe 60. 84. 215.
Tomteträd 60.
Torfsoden 247. 248.
Tra%m 50. 75.
trifoir 226.
Trinitatissonntag 441.
Trolle 128 ff. 484.
Tschütaläuse 19.
Tuch reines, zum Anfassen der Lebens-
rute , der Mistel 279., am Maibaum
8. Maibaum, Tänie.
TücheJbaum 223.
Tünschär 247.
Twmetar 30.
Turnier 544.
Tylor, E., 327. 603.
t^viär s. Seidelbast.
ü.
Uamara 145.
üchuclla-i^Hiqui 143.
Uhland, L., 312. 369. 590 ff.
Ukko 484. ükkos Schale 485. , Korb
485., Pandel 485.
Ulme 8. 51. 172.
ütstüpen 254.
Umdrehen beim Tanz 181. 312. 318.
319. 330. 344.
Umritt um die Gemarkung 389. 397.,
der Maipaare 448.
Un (Oden) 122.
Unfruchtbar machen 31.
Unkraut 536.
Unschuldige Kinder (28. Dez.) 265 ff.
275. 292.
UnsichtbarkeU dargestellt 322. 365.,
unsichtbar machen 337.
Unterirdische 61.
Unwan, Erzbischof v. Bremen^ 70.
Uodelgart 105.
Uppstallshäume 189.
Upsaltty Göttertempel, 57.
Urdharhrunnen 57.
Urvolk wildes 148.
Urwald in Brasilien 144., in Schwe-
den 126-
T.
Vattar 63.
Valdemar König, 122. 123.
Valentin, Valentine , 457 ff. 491. 537.
Valentinshriefe 461. 462.
Valentinstag (IL Febr.) 453. 458.
495.
Vanm 590.
Värdträd 35. 51 ff. 57. 58. 59. 70.
182. 183. 217.
VäsoU 82.
n
644
Register.
VegeUxlionsgeistery Üebergang der
Waldgeiflter in 148.
VeOchen 344. 582.
Venus, Planet, 362.
Verfolgung des Pfingstkonigs 386.
Verkündigung, Darstellung der, 231.
232. 616.
Vicdin 70.
Vidofnir 183.
Vielliebchen 453. 462.
Vishnu 552.
voddeventen 166.
Völuspa 55. 56.
Vogel aD Brautmaie angebunden 222.,
nimmt das Fieber mit 21.
Vogelbeerbaum 8. 40. 165. 166. 241.
271. 272, 298.
Vorübergehende 331.
Votum 394.
W.
Wachholder (Kranewit) 34. 65. 68.
242. 247. 257. 265. 267. 272. 275.
278. 281.
Wade 255.
Wälzen auf dem Saatfelde 480 ff., auf
der Dreschtenne 484., im Grase
435.*
Wäsche der Waldfrauen 101. 112. 120.
129. 152., der Zwerge 61.
Waffenmusterung 372. 373. 381. 382.
Wagen 583. 584. 592., zerbrochener
85., mit Tüchern behangen 578 fF.
Waidhammel 391.
WaJber 312. 315. 316. 342.
WaXborgsmesseldar 509.
Wald heiliger 575.
Waldfänken 94. 95.
WaMfrauen 99.
Waldmann 410.
Wäldgeister Gestalt 146. Verschmel-
zung mit den Windgeistem 146.
üebergang in Feldgeister 154.
walen 481.
Walperherren, vier 378.
Wdlpe^sug in Erfurt 375. 376.
Walpurgis, heiUge, Personification
des Kalendertages 121. 445.
Walpwrgisabend (1. Mai) 66. 67. 93.
121. 150. 160 ff. 171. 178. 252. 264.
270 ff. 272. 273. 277. 291. 312 ff.
316. 318. 322. 368. 369. 371. 375.
426. 429. 434. 437. 439. 449 ff.
480. 508.
Walpurgistag (2. Mai) 312.
WaUminne 109.
Wedtschraie 114. 338.
Wassaüing 538.
Wasserbesprengtmg zu Ostern 289.,
des Christblocks 227. 237. , des Hau-
ses zu Himmelfahrt 399.
Wasserblume (caltha palustris) 320.
Wassermann 289. 429.
Wassertauche Begenzauber 156. 158.
159. 162. 170. 181. 197. 198. 207.
214. 21&. 216. 221. 259. 813. 314.
320. 828. 383. 337. 342. 343. 348.
350. 351. 353. 855. 357. '374. 385.
405. 409. 411. 412. 413. 414. 415.
417. 418. 429. 430. 435. 488. 491.
497. 514. vgl. 517. 553. 554. 563.
566. 573. 581. 585. 586. 587. 605.
606. 613 , bei wilden Völkern 356.
Wasservogel 352. 353. 355. 385. 389.
393. 438. 446.
Wcuservogelölume 353.
Wate 106.
Wauer, Frau, 123.
W^>en, lehren die Seligen 104.
Wiherzunft in Trier 178, in Flandern
595.
Wegedorn 295. 296.
Weib vgl. Mädchen 173. 174. 183.
211. 216 ff. 221. 238. 255. 257. 265.
267. 281. 332. 395. 412. 484. 560.
Weiberdingete 462.
Weiberkleidung der Männer 314.
Weiberrock 324.
Weide 42. 69. 195. 199. 207. 247. 252.
257. 261. 284. 288. 289. 270. 283.
291. 348. 514.
Weidräuke 520.
Weihe y Vogel, 483. 485.
Register.
645
Weihnachten 9. 150. 224. 225. 226.
228. 229. 233. 234. 265 ff. 276 292-
293. 326. 404. 442. 473. 484. Wie-
derkehr des Frühlings aDkündigend
278.
Weihnachtsbaum 224. 238 ff. 266.
605. Bedeutung desselben 250.
Weihnaditsblock 224 ff. 516. 605.
Weihwasser 215. 222. 287. 292. 297.
503. 521.
Wein, wilder Mann damit berauscht
96. 97. 112. 113., über Erntemai
195., Badnjak 225., Christblock
227. 237. ausgegossen. — Wein-
flaschen am Maibaum 164. (vgl. 166).
171., Erntemai 205. 206. — Wein-
berg und Weinernte 202. 217. 511.
517. 537. 577.
Weinhold, K., 99.
Weißdorn 65. 178. 295. 426.
Weiße Mann, der, 349. 350. 351. 365.
Weiße Weiber (witte wiwer) 122.
123. 124. =« Selige und Holden 154.
Weizen s. Korn.
St. Wenddin (20. Oct.) 404.
Wepelröt 247. 248. 311.
Wessel, Franz, 233.
Wetscho 427.
Wetterhaum, Wolken gebilde, 55.
Wetterfräulein 78.
'Wetterhexe 122 123. 294.
WeUerJcind 583.
Wettersegen 40O.
Wettlauf und Wettritt nach der letz-
ten Garbe 396, nach dem Stollen
387. 396., nach dem Maibaum 350.
382 ff., nach dem Erntemai 191.,
zu Pfingsten 344. 351 , am Steffans-
tage 403, nach dem Königsstuhl
385. 392., nach dem Hute 387.
392.
Whytepotqueen 346.
Wichtelweibchen 91.
WickelJUndcr 281.
Widewibli 106.
Widukind yon Korvey 309 ff.
Mannbardt.
'Wiederbelebung 116. 151. 395., des
Vegetationsdämons, Darstellung der-
selben 358. 359.
Wilde Häuser 87.
Wüde Jagd s. Jäger.
Wilddeutloch 88.
Wüdeleutschüssel 88.
Wildenurnnspiel 333. 334.
Wildemannstein 98.
Wildfrätdeinhaus 88.
WildfräuJeinhöle 93.
Wildfräulekrüt, Baldrian 106.
Wildfrauenloch 88.
Wildleute in Böhmen 86. 87., in
Hessen, Rheinland, Baden 87, in
der keltischen Sage 117. — Wilde
Mann 105. 357. 582. 606. Darstel-
lung in den Frühlingsgebräuchen
333—341., fällt wie todt hin 335.,
bunt bemalt 336, in der Heraldik
339 ff., Numismatik 340 ff., in Bra-
silien 145., verfolgt weiße Weiber,
Ellepige, Meerfrauen 122 ff., jagt
die Seligen 105. 106., Gemahl der
Fanggen 89. — Wildes Männchen
95. 97. 98. 110. 111. - Wüde
Frauen (Fräulein) 93. 102. 103.
106. 113. 117. 127.
Wildmann 340.
Wind 591. 604. Dames vertes gehn
im Winde übers Getreide 119.
Windsbraut 132. 152. — Wirbel-
wind 68. 72. 86. 116. 126. 127.
128. 129. 132. 139. 140. 143. 149.
Wintersonnemoende 151. 236. 443,
Wittwenschaft der Kirche 446. 492.
Wizl 92.
Wodan 546.
Wode 251.
Wolf 135. 138. 141. 433.
Wolfdietrich 108. 109.
Wolke, Wäsche der Seligen, 101. 152.
Wolle 65.
WoUkraüt (Verbascum) 511.
Woodhouse 340.
Wiirmer 560. s. auch Insect.
Würste am Emtemai 202. 203.
42
646
Begister.
Wurzelende 235.
Wushhoufids 122.
Y.
Yggdraaül 54. 70.
Yscstter-Kajsa 136.
Yuledog 229. 2: 6.
Z.
Za/m«GAmer£ren s. Krankheiten.
Zauber Abwehr 296., zum Schatze
gegen Cnrupira 145., zur Befruch-
tung der Vegetation, Begenzauber
8. Wassertanche ; znr Erzeugung
von Licht und Wärme s. Sonnen-
zauber; zur Schwere der künftigen
Ernte 214. 419., den Ertrag der
B&ume schwer zu machen 220. —
Zaubersegen für glückliche Jagd
141., um den Ljeschi herbeizurufen
141. 142.
Zeidelbast s. Seidelbast.
Zeugung 281.
Ziegenfüße der Diale 95. 115.
Zimniertnann der lahme 383.
Zimne ludzie 14.
Zingerle, J. V., 101.
Zopf flechten bei der Ernte 77.
Zuibotschnik 139.
; Zwerge 61. 92. 93. 110. 114
Zwiebel 483. 486.
Zwölften (24. Dez. — 5. Jan.) 494. 542.
Hallo, Bachdruckerei des Walaenhanses.
t * : t^ -• < '^
DER BAÜMKÜLTUS
DEB
GERMANEN UND IHRER NACHBARSTÄMME.
MYTHOLOGISCHE UNTERSUCHUNGEN
VOK
i
WILHELM MANNHARDT.
BERLIN, 1875.
GEBRÜDER BORNTRAEGER
£S. EQOERS.
r
Im Verlage von Gebrüder Borniraeger (Ed. Eggers) in Berlin ist
femer erschienen nnd durch jede Buchhandlung zu beziehen:
Kulturpflanzen und Hausthiere
in ihrem Uebei^ang
aus Asien nach Griechenland und. Italien
sowie in das übrige Etiropa.
Historisch-linguistische Skizzen von
Victor Hebn.
Zweite, umgearbeitete Auflage. 1874. gr. 8. (XU n. 553 S.)
geh. Preis 9 Mrk.
Selten wohl hat sich ein Werk in der gesammten Presse einer so nnge-
theilt anerkennenden Beurtheilung zu erfireuen gehabt, wie das oben genannte.
Prof. Friedländer la Königsberg schreibt in seiner „Sittengeschichte*' II f«
S. 31 : ifdfts ausgezeichnete in so vieler Beziehang ganz neues Licht yorbreitende
Werk von Victor Hehn, Kulturpflanzen und Hausthiere etc. Da hier alle in Betracht
kommenden Punkte mit einer noch nicht dagewesenen Sach- und Quellenkennt-
niss, Gründlichkeit und Sch&rfe behandelt sind, blieb mir nichts übrig, als meine
Abhandlung (über den Luxus) bei Seite zu werfen und die Resultate dieser neuen For-
schung in der meinem 9'vveck entsprechenden Anordnung wiederzugeben, was ich meist
mit den eigenen Worten Hehns gethan habe.*'
Das literarische Centralblatt 1870 No. 80 sagt in einem I&ngeren Referat über dieses
Werk: „Ein Buch von überraschendem Reichthum des Inhalts, hervorgegangen aas
einer Verbindung «prachwissenschaftMcTler, culturhtstorischor , naturwissenschaft-
licher, geographischer Kenntnisse und eigener auf ausgedehnten Reisen erworbener
Anschauungen, wie sie sich höchst selten zusammenfinden." „eine Fülle bedeu-
tender Aufschlüsse, scharfsinniger Combinationen und geistvoller Betrachtungen, durch*
welche sich dieses Buch auszeichnet, das man nicht aus der Hand legen kann, ohne von
wahrer Hochachtung für den Verf. erfüllt zu sein." *
Die Allgemeine Zeitung sagt darüber in der Beilage 1870 No. 97: „Bewundemswerth
ist des Verfassers Sammlerfleiss. Es wird kaum eine auf den Gegenstand bezügliche
Stelle geben in den sänmitlichcn alten Classikem, die nicht ausgeb&utet wlre; die elas-
sischen Schriftsteller sind bis ins einzelnste durchforscht, viele Stellen der lUaa und
Odyssee erhalten Ihre Beleuchtung und Erklärung, ja selbst Interpolationen in Homer
werden im Anschluss an den Gang <ler Untersuchung treffend nachgewiesen ; auf manche
Stellen des Hesiod, Theognis, der Jambiker, Tragiker, Komiker u. s. w. f&llt ein Streif-
licht; zur griechischen und römischen Alterthumskunde erhalten wir die werthvoUsten
Beiträge. Nicht minder erstaunlich, wirklich riesenhaft, ist des Verfassers Belesenheit
in der neuen Literatur; es glebt kein irgendwie auch nur von fern in den Gegenstand
einschlagendes Buch in der Gesammtliteratur von der ältesten bis in die allemeueste Zeit,
das nicht benutzt wäre. Die etymologischen Untersuchungen, von denen ein Theil in
einen besonderen Anhang verwiesen ist, enthalten in nUchtemer besonnener Forschung
eine Fülle des TrelTllchen in allen bezüglichen Sprachkreisen*'
f
Das Salz.
Eine kulturhistorische Studie von
Victor Hehn.
1873. 8. eleg. broch. 1 Mrk. 20 Pf.
Aus den vielen anerkennenden Beurtheilungen der Presse hebfen wir
folgende hervor:
Im neuen Reich 1873 N. 39 .... „weitester literarischer Gesichtspunkt, lebendige
Anschauung der Wirklichkeit, Kühnheit und Besonnenheit bei sprachgeschichtlichen Com-
binationen im richtigen Gleichgewichte, Geist in der Auslegung, Geschmack im Vortrage.'*
Daheim 1873 N. 34. ,,Man hat lange unseren Gelehrten vorgeworfen, dasa sie nicht
für das Volk zu schreiben verständen, oder dass ihre Fachschriften so trocken und unge>
nicsi^b.ar ausfielen, dass nur wenige zu deren Durcblesuug sich bequemten. Vieles ist in
der letzten Zeit da besser geworden und einer unserer eminentesten Kulturhisto-
riker, Victor Hehn, hat es namentlich verstanden, seine von tiefer sprachwissenschaft-
licher, kulturhistorischer, naturwissenschaftlicher und geographischer Kenntniss zeugenden
Schriften In so .inrauthiger Weise darzustellen, dass jeder Leser dieselben mit Genuas
und reichem Gewinn liest.''
Hallo, Buchdruckerei des Waisenhauses.
f
J