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Full text of "Der baumkultus der Germanen und ihrer nachbarstämme. Mythologische untersuchungen"

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BRAITHWAITE-BATTY  FUND. 


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WALD-  UND  FELDKÜLTE. 


VON 


WILHELM  MANNHARDT. 


Erster  Teil. 

DER  BAÜMKÜI.TÜ8  DER  GERMANEN  UND  IHRER  NACHBARSTÄMME. 


BERLIN,  1875. 


GEBRUDER    BORNTRAEGER 

BD.   EGOBBS. 


DER  BAÜMKULTUS 


DER 


GEEMANEN  UND  IHßEß  NACHBAESTÄMME. 


MYTHOLOGISCHE    UNTERSUCHUNGEN 


VON 


WILHELM  MANNHARDT. 


BERLIN,  1875. 

GEBRÜDER  BORNTRAEGER 


ED.   EGGEBB. 


»    « 


KARL  MÜLLENHOFF 


ALS  ZEICHEN  DER  UEBE  UND  DANKBARKEIT 


ZUGEEIGNET. 


Vorwort 


Das  vorliegende  Buch ,  welchem  demnächBt  ein  zweiter  Band 
\/  „griechische  und  römische  Agrarkulte  ans  nordeuropäischen  Ueber- 

lieferungen  erläutert"  folgen  wird,  beginnt  die  Veröffentlichung 
einer  Reihe  von  Vorarbeiten,  die  sich  dem  Verfasser  als  erforder- 
lich ergeben  hatten,  um  zur  Klarheit  und  Sicherheit  über  das 
Fachwerk  zu  gelangen,  in  welches  die  einzelnen  Stücke  der  von 
ihm  unternommenen  „Sammlung  der  Acker  gebrauche"  einzuordnen 
seien.  Es  ist  hier  der  Versuch  gemacht  worden ,  die  wichtigsten 
Sagen,  Frühlings-  und  Sommergebräuche,  welche  zu  den  Emte- 
gebräuchen  in  unverkennbarer  Analogie  stehen,  einzig  und  allein 
aus  sich  selbst  heraus  einer  methodischen  Untersuchung  auf 
ihren  Inhalt  und  dessen  Bedeutung  zu  unterwerfen,  soweit  es 
der  Hauptsache  nach  auf  Grund  des  in  der  Literatur  vorhande- 
nen Materiales  schon  jetzt  geschehen  konnte.  Doch  sind  ^ 
vielen  Orten  bisher  ungedruckte  Ueberlieferungen  eingestreut. 
In  größerem  Umfange  ist  dies  bei  Gelegenheit  des  Emtemai 
geschehen;  die  rheinländischen  Sitten  und  die  zu  Kuhns  Auf- 
zeichnungen hinzugekommenen  westfälischen  verdanke  ich  schrift- 
lichen Mittheilungen,  so  auch  alle  übrigen,  dagegen  sind  die 
S.  203  ff.  verzeichneten  französischen  einer  größeren  Sammlung 
entnommen,  welche  mir  im  Jahre  1870  persönlich  aus  der  Unter- 
haltung mit  Kriegsgefangenen  zu  schöpfen  vergönnt  war.  Den 
mannigfachen  neuen  Stoff,  welchen  ich  in  dem  Abschnitte  über 
die  schwedischen   Waldgeister  verwenden  konnte,   schulde  ich 


vm  Vorwori 

dem  gütigen  and  liebreichen  Entgegenkommen  der  Herren 
D.  D.  Hildebrand  (Vater  und  Sohn)  in  Stockholm ,  Propst  E.  Rietz 
in  Tygelsjö  bei  Malmö  (inzwischen  verstorben),  und  Baron  Djurklou 
auf  Sörby  bei  Orebro,  welche  bei  meinem  ersten  Aufenthalt  in 
Schweden  im  Herbste  1867  mir  die  im  Besitze  des  Reichsanti- 
quariums,  des  Schonischen  Altertumsvereins  und  ihrer  selbst 
befindlichen  handschriftlichen  Aufzeichnungen  von  Volksttberlie- 
ferungen  mit  außerordentlicher  Liberalität  zugänglich  machten 
und  deren  Benutzung  erleichterten.  Meinem  verehrten  Freunde 
Professor  H.  Weiß,  Custos  des  Kupferstichkabinets  in  Berlin,  bin 
ich  für  den  Nachweis  mehrerer  der  auf  S.  339  —  340  erwähnten 
Kunstwerke,  den  Vorständen  und  Beamten  der  königlichen  und 
Universitätsbibliothek  zu  Berlin  für  freundlichen,  unermüdlichen 
Beistand  verpflichtet.  Vor  allem  aber  fühle  ich  mich  gedrungen, 
dem  hohen  Unterrichtsministerium  meinen  ehrerbietigsten  Dank 
für  die  fortgesetzte  hochgeneigte  Förderung  und  Unterstützung 
meiner  Bestrebungen  auszusprechen.  Eine  eingehendere  Erörte- 
rung über  die  Grundsätze,  das  Rüstzeug  und  die  Methode,  sowie 
über  die  allgemeinen  Ergebnisse  meiner  Arbeit  wird  den  zweiten 
Band  einleiten,  der  durch  treffende  Belege  die  Wahrheit  der 
aufgestellten  Sätze  zu  bestärken  Gelegenheit  giebt.  Im  übrigen 
bilden  die  in  diesem  Bande  vereinigten  Untersuchungen  ein  abge- 
schlossenes Ganzes  für  sich.  Mögen  sie  sich  Freunde  erwerben 
und  als  ein  nicht  unbrauchbarer  Beitrag  zur  Lösung  der  großen 
Aufgaben  erfunden  werden,  welche  der  Kulturgeschichte  heut- 
zutage im  Zusammenwirken  der  Wissenschaften  zugefallen  sind. 

Dan  zig,  den  13.  October  1874. 

Wilhelm  Hannhardt. 


Inhalt. 


Onmdaiisehaiiniigr.  Aus  der  Beobachtang  des  Wachstums  schloß  der 
Urmensch  auf  Wescnsgleichheit  zwischen  sich  und  der  Pflanze;  er  maß  ihr 
eine  der  seinigen  ähnliche  Seele  bei.  Auf  dieser  Grundvorstellung  beruht 
der  Baumkultus  nordeuropäischer  Völker  S.  1  —4. 

Ersteg  Kapitel. 

Die  Baumseele. 

§  1.  •  Gleichsetz ung  des  Menschen  und  der  Pflanze,  Verschiedcfie  Formet^ 
dieses  Glatibens  S.  5. 

§  2.     Mensch  und  Baum,  Gleichniß  im  Hävamdl  S.  6. 

§  3.     Änthropogonischer  Mythus  von  Äskr  und  Etiibla  S.  7. 

§  4.     Der  Baum  als  Person  behandelt  S.  9. 

§  5.  Die  HolundermuUer,  die  Eschen  fr  au  mid  i/ire  Sippe»  Verehrung  des 
Baumgeistes ,  dem  das  Vermögen  zu  schaden  beigemessen  wird ,  durch 
Opfer  und  Gebet  S.  10.    Vgl.  S.  615. 

§  6.  Niederlitauische  Baumgeister.  Verbot  des  Bauroschälens ;  zwischen 
Stamm  und  Rinde  sitzende  Geister  schaden  den  Haustieren  S.  12. 

§  7.  Baum,  Menschefdeib  und  Krankheitsdänwnen.  Die  unter  der  Borke 
weilenden  Insekten  mit  den  wurmgestaltigen  Erankheitsgeistem  (Eiben, 
bösen  Dingern,  Holdichen)  identifiziert,^  führen  zu  dem  Volksglauben, 
daß   der  Baum  Krankheiten  entsenden,  oder  entfernen  (zurückrufen) 


1)  Vgl.  auch  noch  den  franz.  Aberglauben:  daa  Haar  eines  verwundt^ten 
Menschen,  oder  Tiers  unter  die  Binde  einer  Zitterespe  gesteckt,  macht  die  Wür- 
mer aus  der  Wunde  herausfallen,  oder  sterben.  Thiers  bei  Liebrecht,  Gerva- 
sius  S.  2d8,  227. 


X  Inhalt. 

köDne  S.  12—16.  Hierans  entspringende  sympathetische  Euren,  um 
den  Erankheitsgeist  in  den  Baum  oder  Wald  zurfickzubannen  S.  16  — 
22.  Sproßform ,  Verpflockung  der  Maus  in  den  Baum  S.  23.  Hiebei 
ist  der  Baum  selbst  mit  dem  Menschenleibe  in  Parallelismus  gedacht 
S.  25. 

§  8.  Strafe  für  Baumschäler  nach  dem  Grundsatz  Auge  um  Auge»  Zahn 
um  Zahn  setzt  den  Glauben  an  Persönlichkeit  des  Baumes  voraus 
S.  26.  Vgl.  S.  603.  Historische  Zeugnisse  für  die  Ausübung  des 
Brauchs  als  religiöse  Handlung  S.  28 — 31. 

§  9.  Miteinanderwucha  des  Baumes  und  des  Menschenleibes,  Eranke  mit 
Leibessch&den  verknüpfen  ihr  Leben  auf  mystische  Weise  mit  einem 
Baume ,  indem  sie  durch  einen  Spalt  desselben  kriechen  S.  32. 

§  10.  Verletzte  Bäume  bluten.  Die  Beseelung  des  Baumes  gedeiht  bis  zur 
Annahme  menschlicher  Eörperllchkeit  unter  der  Binde.  Die  magische 
Wechselwirkung  mit  dem  Menschen  spricht  sich  in  dem  Glauben  aus, 
daß  der  Baumschädiger  sich  selbst  die  gleiche  Wunde  beibringe,  wie 
dem  Baume  S.  34— 38. 

§  11.  Freibäume y  die  nicht  gehauen  werden  durften,  von  einem  Geiste 
beseelt  S.  38. 

§  12.  Baum  zeitweilige  Hülle  einer  abgeschiedenen  Seele.  Die  Vorstellung 
von  der  Baumseele  kleidet  sich  auch  in  die  Gestalt,  daß  Bäume  aus 
dem  Leichnam  Todter  hervorsprießen,  oder  daß  die  Seelen  Verstor- 
bener im  Baume  verkörpert  sind,  oder  im  Baume  Wohnung  haben 
und  zeitweilig  außerhalb  desselben  im  Winde  umfahren  S.  39  —  44. 

§13.  Baum,  Aufenthalt  des  Hausgeistes,  Abart  der  zuletztgenannten  Vor- 
stellung S.  44. 

§  14.  BAu/ni,  Schuizgeist  oder  Sitz  des  Schutzgeistes.  Der  ideale  Doppel- 
gänger, der  Genius  einer  Menschenseele  oder  der  Seele  eines  ganzen 
Geschlechtes  mit  der  Seele  eines  bestimmten  Baumes  identifiziert 
S.44. 

§  14*.  Baum  =  Lebensbaum.  Brautleute  sehen  das  Abbild  ihrer  Person, 
ihres  Lebens  in  einem  grünen  Baume;  ein  solcher  wird  ihnen  aufs 
oder  vors  Haus  gesetzt  S.  45 — 48. 

§  14*».  Fortreisende  verknüpfen  ihr  Leben  mit  einem  Baume  S.  48—49. 

§  14^  Schicksals'  und  Geburtsbaum  von  Einzelnen  und  Familien  S.  49  — 51. 

§  14"*.  Värdträd,  der  vom  Schutzgeist  bewohnte  Schicksalsbaum  hinter  dem 
Hofe  in  Schweden,  Dänemark,  den  Alpen  S.  51  —  54. 

« 

§  15.    Der  Weltbaum  Yggdrasil!  aus  dem  Värdträd  entstanden  S.  54—- 58. 

§  16.    Erläuternde  Begegnisse  aus  dem  täglichen  Leben  S  58  —  59. 

§  17.  Boträ.  Der  Baum  am  Hause ,  beziehungsweise  dessen  Wurzel  statt 
des  einen  Schutzgeistes  von  vielen  Hauskobdlden ,  Elfen ,  Hollen  u.  s.  w. 


Inhalt  XI 

bewohnt  Der  altprenfiische  Puschkaitis  S.  59 — 60.  Baumzweige 
nachte  des  Elfenkönigs  Soldaten.  [Das  GöttergeschoB ,  ösa  gescot  in 
der  Banm  und  Mensch  gleichstellenden  Sagenfarailie  vom  Axthieb 
der  wilden  Jäger,  Hexen  n.  s.  w.  S.  66 — 67.]  Estnische  Sage  vom 
Baumelf  als  Beherrscher  der  Baumgeister  S.  68.  Baumclfen  als  Diebe 
S.  68.  Die  Baumnymphe  tritt,  mit  ihrem  Leben  an  den  Baum  geknüpft, 
aus  demselben  zeitweise  heraus  und  lebt  mit  Menschen  in  Ehegemein- 
schaft S.  69. 

§  18.    Chronologische  Zeugnisse  S.  70—71. 

Zweites  Kapitel. 

■  Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe. 

§  1.  lieber  sieht.  Aus  der  Mehrheit  der  Baumgeister  entstehen  als  ihre 
collective  Repräsentanten  die  Waldgeister;  freiwaltende  Persönlich- 
keiten, deren  Leben  jedoch  an  das  Schicksal  der  Bäume  gebunden 
ist,  äußern  sie  ihr  Dasein  im  Winde,  erweitem  sich  zu  Dämonen  der 
Vegetation.    Baummänner  im  Hävamal  S.  72. 

§  2.  HcHZ'  und  Moosfrätüein.  Gestalt;  geben  Verbote  aus  Trieb  der  Selbst- 
erhaltung S.  74  — 76.  Ihre  Garnknäuel  S.  76.  Wirksamkeit  im  gesamm- 
ten  Wachstum.  Opfer  f&r  sie  bei  der  Flachs  - ,  Heu  - ,  Korn  -  Obsternte 
S.  76  — 79.  Verbindung  mit  Menschen.  Hilfe  bei  der  Erntearbeit. 
Haussegen  S.  79  —  80.  Entfernen  als  Wachstumsgeister  Krankheit 
S.  81  —  82.  Fabren  im  Winde  vom  wilden  Jäger  verfolgt.  Drei 
Kreuze  in  die  Bäume  gehauen  S.  82 — 86. 

§  3.     WilcUetUe  in  Böhmen  S.  86. 

§  4.     Wildleute  in  Hessen y  Eheinland,  Baden  S.  87—88. 

§  5.  Die  Wüdleute  in  Tirols  Fanggen.  Kiesige  Waldgeister,  an  das 
Leben  des  Waldes  geknüpft,  fahren  im  Wirbelwinde,  werden  Haus- 
geister, Sage  vom  Tode  der  Hochrinde  S.  88 — 92. 

§  6.  Wildleute  in  Graubünden  j  Waldf&nken,  gehen  in  Zwerge  (Fenggen) 
und  Hauskobolde  über  S.  93 — 94  (Scitenstück  zur  Polyphemsage 
S.  94 — 95),    hüten   die  Kühe    in   den   Alpen,   werden   durch   Wein 

berauscht  und  gefangen  S.  96 — 99. 

■ 

§  7.  Wüdleute  in  Tirol.  Selige  Fräulein  in  Tirol ,  Wilde  Frauen  in  Salz- 
burg, eine  andere  Form  der  Tiroler  Waldgeister  in  Berg-  und  Feld- 
geister übergehend.  Wobnen  in  Berggrotten.  Gemsen  ihr  Getier. 
Verlockender  Gesang  S.  102.  Ihre  Garnknäuel  und  sonstigen  Geschenke. 
Dienen  als  Hausgeister.  Ehe  mit  Menschen  S.  104.  Spuren  ehemaliger 
Geltung  als  Baumgeister.  S.  104.  Ihr  Gatte  der  riesige  wilde  Mann, 
der  sie  im  Sturme  verfolgt  S.  105.  106.  Heilkundig  S.  106.  Kinder- 
raub.   Lange  Brüste  S.  108. 

§  8.     Wüdleute.    Die  rauhe  Else  der  Wolfdietrichssage  S.  108—110. 


XII  Inhalt. 

§  9.  Wüde  Leute.  Norggen,  d.  h.  zwerghafte  Wildmannl  sagen  die  Wit- 
terung voraus  8.  110—112. 

§10.  Wilde  Leide.  Bümon,  Salvadegh,  Salvanel  in  Wälschtirol;  gente 
salvatica  um  Mantua  den  Faunen  ähnlich  S.  112  —  114. 

§11.  Wilde  Leute.    Pilostis,  Schrat,  Schrätlein  S.  114—115. 

§  12.  Wüdleute,  DeUe  Vivane,  Enguane  in  Wälschtirol  S.  115. 

§  13.  Wilde  Leute  der  keltischen  Sage  S.  117. 

§14.  Dames  vertes  in  Frankreich  S.  117  — 120. 

§  15.  Wildfrauen  in  Steiermark.    Hohl  wie  ein  Baumstamm  S.  120. 

§  16.  St.  Walpurgü  S.  121. 

§17.  Weiße  Weiber,  Ellepiger,  Meerfrauen  in  Niederdentschland  und  Däne- 
mark. Beziehungen  zur  Pflanzenwelt.  Vom  wilden  Jäger  gejagt. 
Hohler  Rücken  S.  122  — 126. 

§  18.  Die  schwedischen  Waldgeister.  Skongmann  (Hulte)  und  Skogsnufva. 
Wirbelwind  ihr  Element  Kuhschwanz,  lang^  Brüste,  hohler  Bücken 
S.  127  — 128.  Lachen.  Irreleiten  S.  129.  Opfer  auf  einem  Steine 
S.  130.  Skogsfru  Herrin  der  Waldtiere  und  der  Jagd  S.  131  - 132. 
(vgl.  S.  615.)  Liebschaft  und  Ehe  mit  Menschen  S.  133—136.  Von 
König  Oden  verfolgt  S.  137  —  138. 

§19.  Die  russischen  Waldgeister,  Ljeschje  sind  oft  bocksgestaltig.  Ihre 
Größe  dem  Pflanzenwuchs  gleich  S.  138  (vgl.  S.  610  Anm.  2.);  haben 
ein  Auge;  walten  in  Orkan  und  Wirbelwind  S.  139  ff. ;  leiten  den 
Wanderer  irre  S.  140.  Behüten  die  Heerde,  Opfer  für  sie  auf  einem 
Baumstumpf  S.  141.  Zauberspruch,  sie  herbeizurufen  S.  141.  Machen 
Kohlen  zu  Gold  S.  142  vgl.  S.  616.  Hochzeit  im  Wirbelwind.  Kin- 
derraub S.  143. 

§20.  Peruanische  und  brasilianische  Waldgeister  den  nordeuropäischen 
ähnlich  S.  143  —  145. 

§21.  Bückblicke  imd  Ergebnisse.  Waldgeister,  Verschmelzung  von  Baum- 
geistem  und  Windgeistern  S.  145 — 146.  Ihre  Gestalt  S.  146.  Ihr 
Zusammenhang  mit  der  Baum  weit  S.  147 — 149.  Ihre  Lebensäußerung 
in  Wind  und  Wetter  S.  149- -153.  Geschlechtliche  Verbindung  mit 
Menschen  S.  152  —  153.  Raub  von  Kindern  und  Wöchnerinnen  S.  153. 
Uebergang  in  Hausgeister  S.  153,  in  Feldgeister  S.  154. 

Drittes  Kapitel. 

Die  Baumseele  als  Vegetationsdämon. 

§  1.  Genius  des  Wachstums.  Die  Baumseele,  der  Doppelgänger  und 
Schützer  menschlichen  Lebens,  wird  in  Gebr|luchen  zum  allgemeinen 
Vegetationsgeist  und  geht  in  eine  Personification  der  schönen  Jahres- 
zeit über  S.  154. 


Inhalt.  xm 

§  2.     BaufMeele,    Wciehstumsgeiat  =»  Somtner    in    den    Lataregebräuchen 
S.  155  — 157. 

§  3.  Mussische  Tfingstgcbräuche.  Als  Mensch  aasgekleidete  Birke  verehrt, 
ans  dem  Walde  geholt  S.  157  — 159. 

§  4.     Mittsommersta-ßge  in  Schweden  S.  159  — 160. 

§  5.  Maibawn.  Feierliche  Einholung  des  Maibamns  aus  dem  Walde,  Auf- 
pflanzung auf  oder  vor  Stall  und  Haus  fSr  Tiere  und  Menschen 
S.  161— 163;  Maienßtecken  fär  das  geliebte  Mädchen  S.  163  —  165, 
f&r  die  Autorit&ten  der  Gemeinde  166 — 167;  für  das  gesammte  Dorf 
(Stadtteil  u.  s.  w.).  Großer  Maibaum  mit  Bändern  und  Eßwaaren 
geschmückt;  erklettert  168  —  170.  Bemerkenswerte  Formen  des  Brau- 
ches. Maibanm  mit  3  Aehren  zu  Lucca  S.  171,  mit  Darstellung  der 
Passion  in  Oberbaiem  S.  172.  Eronenbaum  und  Kreuzbaum  der  Wen- 
den 173  —  174.  Die  Qaestenberger  Eiche  S.  175.  Die  ursprüngliche 
Gestalt  des  Maibaums  S.  176  —  177.  Maibaum  im  Maifeuer  oder  Johan- 
nisfeuer  verbrannt  S.  17  7  — 180.  Erläuterung  der  vorstehenden  Bräuche. 
Maibaum  =  Sommer  S.  181,  Lebensbaum,  Sohutzgeist,  alter  ego  der 
Tiere,  geliebten  Mädchen,  der  Gemeinde  S.  182-186;  seine  Verbren- 
nung, Darstellung  des  Durchgangs  der  Vegetation  durch  die  Sommer- 
wärme S.  186  — 187.  Die  Dorf  linde  oder  Burglinde»  ersetzt  den  Mai- 
baum S.  187  — 190. 

§  6.  Emteimai.  Auf  dem  letzten  Erntewagen  wird  ein  Maibaum  aufge- 
steckt und  auf  das  Scheunendach  befestigt  S.  190—194.  Der  Harkel- 
mai in  Westfalen  S.  194—199.  Der  Erntemai  im  Rheinland  S.  199  — 
202;  in  Elsaß  und  Lothringen  S.  202  — 203;  in  Frankreich  S.  203— 
208.  Zusammengehörigkeit  des  Maibaums  und  des  Erntemais  [drei 
Aehren  im  Emtebraach]  S.  208 — 211.  Deutung  der  gemeinsamen 
Züge  S.  212 — 221.  Maibaum  anthropopatisch  S.  212  ist  die  personifizierte 
Wachstumskraft  S.  213 ;  daher  mit  Wasser  begossen  als  Begenzauber 
S.  214  —  216;  daher  Beziehung  zum  weiblichen  Geschlecht  S.  216  und 
Aufpflanzung  auf  ein  Jahr  an  Haus,  Stall,  Scheuer  S.  217  —  218. 

§  7.  Ricktmai.  Lebensbaum  der  Bewohner  des  neaerbauten  Hauses  S.  218 — 
221. 

§  8.     Brautvhaie.    Lebensbaum  der  neugegründeten  Familie  S.  221  —  223. 

§  9.  Christbhck  xn/nd  Weihnachtsbaum.  Junge  Bäume  Weihnachten  ins 
Getreide  gesteckt  S.  224,  oder  mit  Getreide  beschüttet  und  ins  Feuer 


1)  Auf  älter(;n  Gemälden  sieht  man  häufig  «Utten  im  Burghof  einen  einzigen 
Baam  stehen,  der  offenbar  eine  symbolische  Bedeutung  hatte.  Statt  vieler  Bei- 
spiele erwähne  ich  den  „ridderlyk  Hof  van  Hollaecken  in  Brabantia  illustrata 
und  ein  Aquarell  von  Hans  Bol  a.  d.  J.  1589.*' 


XIV  Inhalt. 

gelegt  S.  225 ;  Banmzweige,  Baumklötze  im  Weihnachtsfener  ver- 
brannt haben  Zanberwirkung  für  Menschen,  Tiere,  Pflanzen  S.  226  — 
230.  Nächstliegende  Deutung  dieser  Bräuche  aus  christlicher  Symbo- 
lik. Christus  =  Gerte  Aarons,  Wurzel  Aarons,  Weizen  auf  Marien - 
Acker.  Auf  letzterem  Bilde  beruhende  Sitten  und  Sagen  S.  230 — 231. 
Die  Empfängnis  durch  Aehren  auf  dem  Mantel  der  Madonna  darge- 
stellt S.  231—232.  Vgl.  S.  616.  Christus  der  himmlische  Weizen  in 
weiteren  kirchlichen  Sitten  und  Yolksgebräuchen  S.  232—235.  Christ- 
block «:  virga  e  radice  Jesse?  S.  235.  Diese  christlichen  Deutungen 
lösen  nicht  alle  Zöge;  der  Christblock  mit  dem  Maibaum  verwandt 
S.  236—237,  ist  christlich  umgedeutet  S.  238.  Ebenso  Verhaltes  sich 
mit  dem  Weihnachtsbaum.  Derselbe  ist  erst  seit  einem  Jahrhundert 
allmählich  verbreitet  S.  238  —  241;  ging  möglicherweise  aus  demPara- 
diesesbaum  hervor  S.  242 — 243  [Versinnlichung  des  „de  fructu"  in 
der  Kirche  S.  243].  Doch  ist  ebensowenig  Uebereinstimmung  mit  dem 
Mai  bäum  zu  verkennen.  Maibäume  mit  Kerzen,  Wepelrot,  Somnier- 
umtragung  zur  Weihnachtszeit  machen  den  Maibaum  als  Figur  des 
Mittwinterfestes  und  seine  Umdeutung  in  christlichem  Sinne  wahr- 
scheinlich S.  243  ^  249.  Er  bedeutet  den  Lebensbaum  der  idealen 
Menschheit  S.  250.  Gesetz  derartiger  Umdeutungen  S.  250.  Umdeu- 
tung des  Maibaums  in  das  Kreuz,  der  Wodansjagd  in  die  Jagd  des 
Engels  Gabriel  S.  250—251. 

§  10.  Der  Schlcuf  mit  der  Lehensrute.  Menschen,  Tiere,  Pflanzen  zu  gewis- 
sen Zeiten  mit  einem  grünen  Zweige  (resp.  Stock)  geschlagen,  um 
gesund,  kräftig^  fruchtbar  zu  werden  S.  251;  zu  Lichtmesse  und  Fast- 
nacht (Pudeln)  S.  252— 256;  am  Palmsonntag  256— 257,  zu  Ostern 
(Schmackostern)  S.  258,  auf  Maitag  S.  264;  zu  Weihnachten  (Frische- 
grünstreichen, fitzeln,  pfeffern)  265  —  268.  Flöhausklappen  S.  268. 
Hudlerlauf  S.  269.  Menschen  und  Tiere  gepeitscht  S.  269—270.  Tiere 
(Kälberquieken)  S.  270  — 275;  Bäume  und  Pflanzen,  Krautköpfe,  die 
letzte  Garbe  geschlagen  S.  275 — 278.  Erläuterungen.  Die  schlagende 
Rute  (Lebensrute)  soll  Saft ,  Wachstumskraft  mitteilen ,  die  Geister  der 
Krankheit  und  des  Mißwachses  aus  dem  Körper  vertreiben  S.  278  —  281. 
Dem  ersten  Anschein  nach  sind  diese  Sitten  voA  Palmsonntag  ausge- 
gangen S.  281.  Die  Palmweihe  S.  282— 294.  Auf  den  Palmbüschel 
sind  in  Griechenland  nachweisbar  vorchristliche  Vorstellungen  über- 
tragen, welche  mit  dem  Maibaum  übereinstimmen,  den  die  Eiresione 
als  nicht  kirchlich  bewährt  S.  294  —  299.  Auch  die  Peitschung  des 
Brautpaars  oder  junger  Eheleute  S.  299  —  301,  wozu  Parallelen  bei 
Naturvölkern  S.  302—303,  soll  wol  die  der  Befruchtung  hindernden 
Dämonen  vertreiben  S.  302—303, 

§  11.  Auslauf  über  die  Irmensmde.  Neben  dem  Maibaum  als  Lebensbaum 
der  Gemeinde  war  die  Irmensul  vielleicht  Lebensbaum  des  Volkes 
S.  303 — 306,  doch  erlauben  die  historischen  Zeugnisse  keine  sichere 
Entscheidung  der  Frage  S.  307  —  310.    Vgl.  S.  389. 


Inhalt.  XV 

Vierte«  Kipitel. 

A  nthropomorphische   Wald-    und    Baumgeister 
als  Yegetationsdäiuonen. 

§  1.  Persönlick  dargestellte  Wald-  wnd  Baumgeister  als  Vegetationsdä- 
monen, Die  dem  Maibaum  innewohnende  Seele  durch  eine  daran- 
gehängte Pappe  oder  einen  nebenher  gehenden  offc  in  grünes  Laub 
gehüllten  Menschen  veranschaulicht  S.  311. 

§  2.  Doppelte  Darstellung  des  VegetaUonsdämons  dwrdt  Baum  und  Men- 
schen im  Elsaß  (Pfingstquak ,  Mairesele)  Franken  (Walber)  S.  312, 
Litauen  (Maja),  Kämthen  (Grün«r  Georg)  313,  Prankreich  (Pere  May), 
Elsaß  (Herbstschmudel)  S.  314,  England  (Maylady)  S.  315.  Der  Um- 
zug mit  diesen  Stellvertretern  des  Vegetationsnumens  eine  sakramen- 
tale Handlang  S.  316. 

§  3.  Laübeinkleidung,  Umgang  zu  Fuß,  Häufig  fallt  der  Maibaum  fort 
und  der  in  Laub  Gehüllte  allein  stellt  den  Wachsturosgeist  dar  (Grü- 
ner Georg,  Pfingstblume ,  Pappel)  S.  316 — 318;  derselbe  wird  in  feier- 
licher Prozession  zu  Fuß  aus  dem  Walde  geholt,  zuweilen  mit  Was- 
ser begossen.  Laubmännchen,  Pfingstl,  Pfingstschläfer ,  Pfingstlüm- 
roel,  Jack  in  thegreen,  Pfingsthütte,  Schak,  Füstge  Mai,  Eudemest, 
Latzmann  S.  318—325.  Erläuterung  der  aufgeführten  Sitten  S.  325  — 
327. 

§  4.  LaubdnkleidiMg,  Begenmädchen.  Auch  bei  Dürre  ein  den  Wachs- 
tumsgeist darstellender,  in  Laub  gehüllter  Mensch  behufs  Begen- 
zaubers  mit  Wasser  begossen  S.  327 — 31.  Weitere  Fälle  des  Regen- 
zaubers S.  332  — 333  vgL  S.  356. 

§  5.  Laubeinkleidung;  der  wilde  Mann.  Spielart  dos  Jjanbmännchens 
S.  333  — 337.  Darstellung  des  wilden  Mannes  als  Laubmann  oder  als 
behaarter  Waldschrat  bei  Hoffesten,  und  in  Kunst,  Heraldik  und 
Numismatik  des  Mittelalters  S.  337  —  341. 

§  6.  Matkoriig,  Pfingstkönig,  Maikönigin.  Der  Vegetationsgeist  als  Herr- 
scher aufgefaßt  wird  zum  Maikönig,  Pfingstkönig ,  .  Lattichkönig, 
Graskönig,  Maikönigin,  Reine  de  Printemps,  Reine  de  Mai  S.  341  — 
347. 

§  7.  Das  Madewreiten.  Der  Umzug  zu  Fuß  wird  in  Folge  dessen  zum 
ritterlichen  Einritt  S.  347  —  350,  bei  dem  sich  die  Figur  des  Laub- 
manns, Pflngstlümmels,  in  mehrere  spaltet  S.  351—352.  Das  böhmische 
Pfingstkönigsspiel  S.  353— 354. 

§  8.  Der  Mairitt,  Erläuterung.  Der  zu  Roß  aus  dem  Walde  geholte  Pfingst- 
lümmel  unterliegt  als  Wachstumsgeist  dem  Regenzauber  S.  355— 356. 
[Regenzauber  bei  entlegenen  Naturvölkern  S.  356].  Ihm  wird  der 
Maibaum  zur  Seite  getragen;  seine  Laubhülle  Amulet  8.  357.     Der 


PfingstkÖnig  geköpft.  Bedeatong  dieses  ßraucks  eatweder  unbehilf- 
liche Darstellung  des  voranfgegangenen  Todes  der  Vegetation  nm 
das  Auftreten  im  Frühling  als  Wiederaufleben  zu  bezeichnen  S.  357  — 
360  oder  nach  Analogie  vieler  Bräuche  bei  wilden  Völkern  (S.  360  — 
363).  üeberlebsel  einer  uralten  barbarischen  Sitte,  mit  dem  Blute 
der  geopferten  Bepräsentanten  des  Vegetationsgeistes  den  Aeckern 
Wachstumskr&fte  zu  geben  8.  363—365.  Differenzierungen  des  Piingst- 
lünmiels  S.  365.  Analogien  zum  Schlag  mit  der  Lebensrute  S.  365  — 
366.  Aemter  des  berittenen  Gefolges  S.  366  —  367.  Der  Mairitt  an 
fürstlichen  Höfen  S.  368. 

§  9.  Der  Maigraf,  ein  stadtischer  Sprosse  des  ländlichen  Pfingstlümmels. 
Die  Bräuche  des  Festes  S.  369—376.  Nachweis  der  Abzweigung  vom 
Mairitt  des  Pfingstlings  S.  376— 377.  Zeit  derselben  das  dreizehnte 
Jahrhundert  S.  377  —  378.  Weitere  Erläuterung  der  Bräuche  S.  378  — 
382. 

§10.  Pfingstwettlauf  und  Wettritt.  Wettlauf  oder  Wettritt  nach  dem 
Maibaum  S.  382  —  387. 

§11.  Pfingstwettritt f  das  Kranzstechen,  Buftchstechen ,  die  letzteren  SproR- 
formen  des  ersten  S.  387  -  389. 

§  12.    WeUaustrieh  der  Weidetiere  S.  389  —  391. 

§  13.  WetÜauf  und  Wettritt ,  Erläuterungen.  Vermutlich  liegt  als  Gedanke 
der  wetteifernde  Einzug  der  Vegetationsdämonen  und  rechtliche  Besitz- 
nahme des  Maikönigtums  zu  Grunde  S.  391 — 396. 

§  14.    Wettlauf  nach  der  letssten  Garbe  S.  396. 

§  15.  Eschprozemon ,  Flurumritt.  Umritt  um  die  Gemarkung  zum  Gedeihen 
der  Saaten ,  zumeist  kirchlicher  Brauch  S.  397  —  402. 

§  16.  Steffansritt.  Ausritt,  oder  Wettrennen  der  Pferde  am  26.  Dezember 
S.  402  —  404.  Erläuterung  der  Eschprozession  (und  des  Steffansrittes) 
als  mutmaßliche  Teile  der  Feierlichkeit  beim  Einzüge  des  Pfingst- 
königs  S.  404—406. 

§  17.  Hinaustragung  des  Vegetationsgeistes.  Darstellung  des  im  Frühjahr 
wieder  zum  Walde  kommenden  Wachstumsdämons  durch  eine  Puppe. 
Hetzmann  in  Schwaben  S.  406 ,  Metziko  in  Estiand  S.  407  -  409,  vgl. 
grand  mondard  in  Orleannais  S.  409 ,  Waldmann  bei  Eisenach  S.  410. 

§  18.  Hinaustragung  uftd  Eingrdbung  des  Vegetationsgeistes.  Todaustragen 
auf  Fastnacht  S.  410  -  414. 

§  19.  Hinaustragung  und  Eingrabu/ng  des  Vegetationsdämons  um  Mitsom- 
mer S.  414— 416.    Jarilo  415. 

§  20  Hinaustragung  und  Begräbniß  des  Vegetaiionsdämons ,  Erläuterungen. 
S.  416  — 421. 


Inhalt.  XVII 

FlifteB  Kipitel. 

Vegetationsgeister:    Maibrautschaft. 

§  1.  Dm  Maikönigspaar,  An  Stelle  des  einen  männlichen  oder  weiblichen 
Vegetationsdämons ,  Laubmanns,  Pfingstkönigs  n.  s.  w.  erscheint  oft 
ein  Paar.    König  und  Königin  S.  422—424  vgl.  S.  3S6. 

§  2.  Malier  und  Maifrau.  Lord  und  Lady  of  the  May  in  England  S.  424 — 
426;  andere  Formen  des  Brauchs.    S.  426—429. 

§  3.     Maipaare :  Haml  tmd  Gretl.    S.  429  —  481. 

§  4.  Maxbraut,  Pfings&yraut.  Das  Maipaar  als  Brautpaar  dargestellt, 
wird  im  Walde  gesucht  8. 481.  Darstellung  des  Hochzeitzuges  (Pfingst- 
braut,  Blumenbraut,  Metzgerbraut)  S.  482  — 488.  Braut  erweckt  den 
schlafenden  Laubmann  S.  484—485  vgl.  S.  617.  Verlassene  Braut 
S.  435.  Wiederkehrende  Braut  S.  486.  Metzgerbraut  in  Münster; 
Aschenbraut  S.  487.  Umzug  der  Maibraut  in  Niederdeutschland  und 
Frankreich  S.  488—440. 

§  5.  Huren,  Feien.  Ln  Thürbger  Brauche  wandelt  sich  der  Laubmann» 
Schoßmeier  in  die  mit  Weiberkleidem  geschmückte  „Hurej"  Symbol 
der  WerdefüUe  des  Sommers.  Vgl.  die  Feien  der  Altmark  S.  440— 
448. 

§  6.  Bedeutung  des  Maibrautpaars.  Der  Vegetationsdämon  rerlftßt  oder 
verliert  im  Winter  seine  Liebste  (Gattin),  im  Lenze  neue  Vermählung 
S.  448— 445.  Egarthansel  S.  445  — 446.  Kommt  christliche  Symbo- 
lik in  Frage?  S.  446  — 447. 

§  7.  NachcJimungen  des  Maibrauipactrs  durch  menschliche  Liebespaare. 
Am  1.  Mai  Hochzeitritt,  wobei  je  eine  Dame  en  Croupe  hinter  dem 
Reiter  sitzt.  Das  Brautnennen  am  Drömling.  Brautmarkt  zu  Kind- 
leben S.  447— 449. 

§  8.  Mailehen,  Valentine.  Am  1.  Mai  bei  Maibaum  und  Maifeuer  die 
Mädchen  der  Gemeinde  versteigert  (Mailehen)  S.  449  —  452.  Desglei- 
chen am  ersten  Fastensonntage  und  1.  März  S.  455.  Ausruf  der  Lie- 
bespaare (Valentins  und  Valentines)  beim  Lenzfeuer  S.  456—458. 
Erlösung  der  Geliebten  am  Valentinstage  S.  458—462.  Compadre, 
Weiberdingete ,  Vielliebchen  S.  462. 

§  ^.  Das  Maipaar  und  die  Sonnwendfeuer.  Beziehung  des  jüngst  ver- 
heirateten Ehepaars  und  der  Brautpaare  zum  Frühlings-  und  Sonn- 
wendfeuer S.  462  —  466.  Suchen  des  Weib^  oder  des  Liebchens  beim 
polnischen  und  lettischen  S.  466 — 468,  das  „Beilager"  beim  estni- 
schen Johannisfeuer  S.  469.  Priapen  beim  keltischen  Frühlings-  und 
Notfeuer  S.  469—470.  Wahrsagende  Braut  beim  griechischen  Johan- 
nisfeuer S.  470— 471.  ♦ 

§  10.  Der  Brawtbäll.  Den  Neuvermählten  zu  Ostern  der  Brautball  abge- 
fordert, und  im  grünen  Tannenwalde  zerschlagen  S.  471 — 478.    Ball- 

Mannhardt  h 


znn  Inhalt 

spiel  za  Ostern,  Fastnacht,  Liefatmesse,  Weihnachten  S.  473  — 477, 
sogar  in  der  Kirche  S.  477  —  478.  Erläutenmgen ;  Verwandtschaft  die- 
ses Brauchs  mit  den  Branchen  heim  Sonnwendfener  S.  478 — 480. 

§11.  Srautlager  auf  dem  Ackerfelde.  Mann  nnd  Weih  yerhnnden  wftl- 
zen  sich  anf  dem  Acker,  damit  das  Eom  wachse  S.  480 — 482. 
Das  Wälzen  anf  dem  Saatfelde  hezweckt  Mitteilung  von  Wachstums- 
kraft  an  das  Erdreich  S.  482—487,  die  Yerhindung  der  Geschlechter 
drückt  symbolisch  den  Augenblick  der  Vermählung  des  dämonischen 
Maibrautpaars  aus  487—488. 

§12.  Netwermählte  als  Abbilder  des  Maipaars.  Die  jungen  Ehemänner 
(Bräutlinge)  werden  zu  Fastnacht  ins  Wasser  getaucht  (Begenzauber, 
Lustration).  Uebertragung  dieses  Brauches  auf  Hochzeiten  8. 488  — 
492. 

§13.    Ergebnisse  der  Untersuchung  über  das  Maibrautpaar  S.  492 — 496. 

Sechstes  Kipitel. 

Vegetationsgeister:   Sonnenzauber. 

§  1.  Verbrennung  in  den  Faschings-  und  Lätaregebräuehen  an  einer 
Puppe,  dem  Fasching,  Tode  u.  s.  w.  geübt,  stellt  sinnbildlich  das 
Hindurchgehen  der  im  Winter  erstorbenen,  zum  Wiederaufleben 
bestimmten  Vegetation  durch  das  von  den  Erankheits-  und  Mißwachs- 
geistern  reinigende  Sonnenfeuer  dar.  Eine  menschliche  Gestalt  nebst 
einem  Baume  (dem  Maibaum)  auch  in  andern  Frühlings-  und  Sonn- 
wendfeuem  verbrannt,  zu  deren  Zubehör  auflerdem  Scheibenschlagen, 
Hindurchgang  von  Menschen  und  Tieren,  Fackellauf  über  die  Korn- 
felder, und  ein  Scheinkampf  auf  denselben  gehören  S.  497 — 500. 

2.     Feuer  am  Funkensonntage  S.  500—502. 

§  3.     Oster feuer  S.  502—508. 

§  4.  Mai  feuer,  Johannisfeuer  S.  508  —  514.  *  Menschliche  Figuren  aus 
WeidengeiSecht  verbrannt  514. 

§  5.  Tiere  im  Sonnwendfeuer  verbrannt,  z.  B.  Katzen,  Füchse,  Hähne. 
Südfranzösische  Verbrennung  von  Schlangen  in  weidengeflochtener 
Säule  S.  515  —  516.    Michaelis  und  Martinsfeuer  S.  516. 

§  6.  Frühlings '  und  Sonnwendfeuer.  Erlauterwngen.  Alle  jene  Feuer 
Nachkommen  eines  älteren  iRitus,  der  ursprünglich  heidnisch  von  der 
Kirche  in  ihren  Bereich  zu  ziehen  versucht  wurde  S.  516  —  518. 

§  7.  Notfeuer.  Zum  BeVeise  dient  die  Uebereinstimmung  aller  wesent- 
lichen Züge  beim  Notfeuer  S.  518—521. 

§  8.  Schlußfolgerungen  über  die  Bedeutung  des  FrUhUngs-  iMd  Mittsom- 
merfeuers.  Dasselbe  übt  einerseits  durch  Vernichtung  der  Mißwachs- 
und Krankheitsgeister,  anderseits  durch  Mitteilung  zeugender  Kraft 
EinfluB   anf  Wachstum   und    Gesundheit  der  Menschen ,    des  Viehes, 


lahiOt. 

der  Gewäohse.  Die  yeibraimte  MenscheBgestalt  nrBprünglich  Darstel- 
lung der  TOD  den  Krankheitsgeistem  zu  reinigenden  personifizierten 
Vegetation,  die  noch  znweilen  ein  neben  dem  Johanuisfener  hergehen- 
der Lauibmann  veranschaulicht  S.  521  —  525. 

§  9.  Ein  aligallisches  Jahres  fetter  von  pentaeterischer  Wiederkehr,  in 
welchem  mit  lebenden  Mensehen  geffillte  Menschengestalten  aus  Banm- 
zweigen  der  Fmchtbarkeit  halber  verbrannt  wurden,  von  Fosidonius 
beobachtet,  dessen  bei  Cäsar,  Strabo  und  Diodor  erhaltener  Bericht 
kritiach  antersnoht  wird  S.  525— 533.  Beispiele  f&r  den  Uebergang 
eines  j&hrlichen  Naturfestes  in  ein  nach  regelmäßigem  Zwischenraum 
mehrerer  Jahre  gefeiertes  S.  533. 

§10.  Fackeilauf  über  die  Kornfelder ,  („Samenzünden,''  „Saatleuchten,*') 
ein  Zubehör  der  Jahresfeuer  S.  534  —  540. 

§11.  Komaufweöken,  Perchtdspringen  ^  Faschingsumläufe  j  Abarten  des 
Fackellaufs  S.  540— 548. 

§12.  Scheinkampf  heim  Mittsommerfeuer  und  von  diesem  losgelöst  im 
Frühling  und  Mittsommer  auf  den  Aeckem,  damit  das  Eom  besser 
wachse.    Asiatische  Parallelen  S.  548  —  552. 

§  13.  Bas  Pfiugumziehen,  Zu  Fastnacht,  Weihnachten  und  bei  Dürre  ein 
Pflug  in  Brand  gesteckt  und  ins  Wasser  gezogen,  Begen-  und  Son- 
nenzauber S.  553—554.  Fastnachtbrauch,  ;Magde  vor  den  Pflug  oder 
die  Egge  zu  spannen  S.  554 — 557.  Foolplongh  am  Montag  nach 
Epiphanias  S.  557,  Pfluggang  zu  Neujahr  S.  558.  Die  Sitte  ein  zau- 
berisches Vorpflügungsfest  vor  Beginn  der  Ackerarbeit,  als  solches 
noch  in  Böhmen  erhalten  S.  559 — 561,*  sowie  in  daraus  abgeleiteten 
russischen  Pfluggängen  bei  Epidemien  3.561—563.  Weitere  Erläu- 
terungen S.  563.    Das  Ordale  der  glühenden  Pflugscharen  S.  564. 

§  14.    Feuerdurchgang  Hochzeitbrauch  S.  565. 

§15.     Verbrennwng  des  Maibaums  nach  Jahresfrist  S.  566. 

Siebentes  KapiteL 

Vegetationsdämonen:  Nerthus. 
§  1.     Tacibus  über  die  Nerihusumfahrt  8.  567  —  568. 
§  2.     Der  Schauplatz  des  Festes  S.  568. 
§  3.     Glaubwürdigkeit  der  Nachricht  S.  568—570. 
§  4.     Der  Name  Nerthus  S.  570—571. 
§  5.     Bedeutung  der  Interpretatio  Terra  mcOer  S.  571 — 574. 


1)  Nach  Plinius,  bist,  natur.  XYII,  5  wurde  in  Byzacium  (Africa  pro- 
pria)  ein  alte«  Weib  neben  einem  Esel  vor  den  Pflug  gespannt ,.  nach  Dureau  de 
la  Malle  in  der  Limagne  (Auvergne)  die  Fntu  des  Bauern  neben  einer  Enh. 


Inhalt. 

§  6.     Tatsäehlicher  InhaU  des  taciteischen  Berichtes  S.  574—581. 

§  7.  Die  Nerthusumfahrt  den  FrOhlingsgehräuchen  verwandt,  zumal  der 
Einholung  des  Maibaums  8.581  —  587. 

§  8.     TT.  Müller,  Müllenhoff,  Simrock  über  Nerthus  S.  587—588. 

§  9.     Nerthusy  Njördhr  und  Freyja  S.  588—592.  ' 

§10.  Die  Umfahrt.  Gewährt  der  SchifTsnmziig  des  Jahres  1133  eine  Ana- 
logie? Erl&utemng  desselben  durch  asiatische  Analogien  und  histo- 
rische Verhfiltnisse  S.  592 — 598.  Das  Nerthusfest  yermutUch  locale 
Vergrößerung  eines  allgemeinen  Frühlingsfestes  598 — 599.  Unmög- 
lichkeit der  Umfahrt  bei  allen  sieben  Stämmen;  der  wahrscheinliche 
Sachverhalt  S.  599—602. 

ScUnßwtrt. 

Baumgeist  und  Eorndämon. 

Zusammenfassende  Darstellung  der  hauptsächlichsten  Resultate.  Ein 
Hauptergebniß ,  der  Nachweis  des  in  verschiedenen  Formen  und  Zügen  aus- 
geprägten Glaubens  an  die  Baumseele ,  den  Baumgeist  S.  603  -  608,  findet 
vollständige  Bestätigung  durch  den  in  allen  Einzelheiten  Entsprechenden 
Parallelismus  des  Glaubens  vom  Eorndämon  S.  611  —  614. 

Itehtrige  S.  615—617. 


Grnndansclianiingen. 

In  dem  ewigen  Kreislauf,  der  die  Atome  aller  irdischen 
Dinge  umhertreibt  und  in  welchem  jeder,  auch  der  festeste  Kör- 
per, nichts  anderes  darstellt,  als  eine  zeitweilige  Form  der  unauf- 
haltsamen Bewegung,  einen  Strudel  im  Strome,  ist  trügendem 
Augenscheine  nach  dem  Steine  ein  ruhiges  Verharren  gegeben. 
Von  seiner  Starrheit  hebt  sich  unterscheidend  der  verhältnißmäßig 
schnelle  und  in  regelmäßiger  Wiederkehr  nachweisbare  Verlauf 
in  der  Veränderung  organischer  Bildungen  ab.  Alle  lebenden 
Wesen  vom  Menschen  bis  zur  Pflanze  haben  Geborenwerden, 
Wachstum  und  Tod  miteinander  gemein  und  diese  Gemeinsamkeit 
des  Schicksals  mag  in  einer  fernen  Kindheitsperiode  unsers  Ge- 
schlechtes so  überwältigend  auf  die  noch  ungeübte  Beobachtung 
unserer  Voreltern  eingedrungen' sein,  daß  sie  darüber  die  Unter- 
schiede übersahen,  welche  jene  Schöpfungsstufen  von  einander 
trennen.  ^ 

Die  Anerkennung  der  Gleichartigkeit  ging  so  weit,  daß 
manche  Völker  die  ersten  Menschen  aus  Bäumen  oder  Pflanzen 
gewachsen  oder  geschaflFen  annahmen;  noch  in  historischer  Zeit 
verfügt  die  Sprache  und  naturwüchsige  Dichtung  der  meisten 
Nationen  über  einen  mannigfaltigen  Vorrat  von  schönen  Verglei- 
chen des  animalischen  und  des  vegetabilischen  Lebens,  welche 
teils  als  zerbröckelte  Trümmer  uralter,  auf  das  naive  Bewußtsein 
der  Identität  gegründeter  Mythen  anzusehen  sind,  teils  die 
ursprünglichen  ästhetischen,  in  Anschauung  umgesetzten  Einpfin- 
düngen  conservieren  oder  aus  der  Tiefe  des  Menschengeistes. neu 
erzeugen,  die  auch  jenen  das  Dasein  gaben.    Am  häufigsten  fin- 

1)  Daß  der  Natannensch  den  Unterschied  von  Geist  nnd  Körper  noch 
w^nig  beachtet,  sich  mit  seinen  Nebengeschöpfen  anf  gleichem  Nircan  ran- 
giert,  nicht  nur  Menschen,  Tieren,  Pflanzen,  sondern  'aach  Steinen  and 
Hansgeraten  Seele  nnd  Wfederanfstehen  im  Jenseits  znschreibt ,  auf  Tiere 
mit  Stolz  seine  Ahnenreihe  zurückleitet  n.  s.w.  setzt  A.Bastian  in  Stcin- 
thals  ZeitBchr.  f.  Volkerpsychol.  V,  153  gut  auseinander. 

Mannhardt  1 


2  GrnndanschauQngen. 

den  wir  auf  Zustände  in  der  Entwickelnng  des  Menschen  die 
entsprechenden  Erscheinungen  des  vegetabilischen  Daseins  in 
bildlicher  Redeweise  tibertragen.  Der  Mensch  blüht,  wächst  und 
welkt;  in  seiner  Vergänglichkeit  gleicht  er  dem  Grase  des  Fel- 
des; der  Mann  in  seiner  Kraft  erinnert  an  die  starke  Eiche,  das 
hingebende,  anmutige  Weib  an  den  umrankenden  Epheu,  die 
duftende  Blume.  Der  Liebende  aller  Zeiten  und  Länder  weiß 
die  Schönheit  der  Geliebten  nicht  treffender  zu  schildern,  als 
wenn  er  das  Mädchen  als  seine  Rose,  Lilie,  als  Myrte  oder 
Granatblüte  feiert.  Die  reiche  Lese  verwandter  Wendungen, 
Beiwörter  und  Kosenamen,  welche  J.  Grimm  in  seinem  feinsinni- 
gen Aufsatze  „Frauennamen  aus  Blumen ^^  zusammengebracht  hat, 
ließe  sich .  von  allen  Feldern  der  Weltliteratur  mit  Leichtigkeit 
ins  Unübersehbare  vermehren.  Andererseits  machep  Sprache  und 
Dichtung  umgekehrt  die  Pflanze  zum  Spiegel  animalischen  Lebens. 
Der  junge  Pflanzenschoß  im  Frühlinge  wird  dem  jungen  Tiere 
verglichen.  Dem  Römer  erschien  er  wie  ein  Kind,  Füllen  oder 
Küchlein  (puUus),  dem  Griechen  wie  ein  Kälbchen  {f-ux^yog)]  die 
Berechtigung  dieser  Auffassung  werden  die  nachfolgenden  Unter- 
suchungen hoffentlich  dartun..  Unsere  Palmkätzchen  gehören 
'einer  andern  Vorstellungsgruppe  an,  sie  tragen  ihren  Namen  von 
dem  silbergrauen,  sammetweichen  Fell;  aber  im  skandinavischen 
Norden  war  kälfr  Kalb  vom  neuen  Pflanzensproß  im  Gebrauch, 
z.  B.  hvannarkalfr  Fomaldars.  I,  472  r.  1  =  üng  hvönn  Engelwurz- 
schößlein, angelica  tenella.  Die  weibliche  und  männliche  Blüte 
des  Hanfs  wird  als  Hahn  und  Henne  unterschieden,  wie  das 
Männchen  und  Weibchen  mancher  Singvögel;  und  nicht  unerwähnt 
bleibe  die  auf  dem  Gebiete  der  Pflanzennamen  reichlich  und 
schon  seit  alters  hervortretende  Neigung,  die  Gestalt  der  Kräuter 
einzelnen  Gliedmaßen  der  Tiere  zu  gleichen  (Wolfsfuß,  Gansfuß, 
Storchschnabel,  Löwenzahn  u.  s.  w.).  Auch  diesmal  bietet  die 
Menschengestalt,  welche  zwar  übrigens  im  weitesten  Abstände 
von  der  am  Boden  haftenden  Pflanze  befindlich ,  durch  ihren  auf- 
i'echten  Wuchs  derselben  sich  wiederum  am  meisten  nähert,  die 
ausgiebigste  Veranlassung  zu  personifizierenden  Gleichnissen.  Wir 
legen  den  Gewächsen  im  Schmuck  der  poetischen  Darstellung 
gerne  Fuß  und  Arm,  Kopf  und  Augen,  Brust,  Busen,  Haar  und 
Kleidung  u.  dergl.  bei.  Reichliche  Beispiele  für  diesen  Sprach- 
gebrauch bei  neueren  deutschen  Dichtern,  Shakefpeare  und  den 


Grnndanschaunngen.  8 

Autoren  des  klassischen  Altertums  ließen  sich  aus  der  reichhal- 
tigen und  lehrreichen  Schrift  von  G.  Hense  „  Personificationen  in 
griechischen  Dichtungen,  Thl.  I.  Halle  1868"  zusammenstellen. 
Schon  diese  so  zu  sagen  teilweise  und  vortlbergehende  Art  von 
Personification  setzt  Beseelung  voraus;  der  Mensch  leiht  dem 
bewußtlosen  Gewächse  Empfindung  und  weil  wir  in  demselben 
gewisse  Eigenschaften  wahrzunehmen  glauben,  die  an  verwandte 
Saiten  in  unserm  Innern  anklingen,  sucht  unsere  Phantasie  in 
ihm  ein  Leben  wie  das  unsrige,  Geist  von  unserm  Geiste.  Diese 
Vorstellung  steigerte  sich  in  früher  Vorzeit  ohne  Zweifel  zu  dem 
wirklichen  Glauben,  daß  die  Pflanze  ein  dem  Menschen  gleich- 
artiges, mit  Denken  und  Gesinnung  begabtes  Wesen,  Mann  oder 
Weib  sei.  Als  später  im  primitiven  Bewußtsein  ein  Bruch  ein- 
trat und  eine  Art  von  botanischem  Begriff  aufzukommen  begann, 
suchte  jener  Glaube  in  veränderten  Formen  sein  Dasein  zu  retten. 
Zunächst  mußte  er  sich  von  Tag  zu  Tage  fortschreitend  eine 
Einschränkung  auf  einzelne  Individuen  gefallen  lassen ,  an  denen 
das  Wunder  noch  haftete ,  während  die  große  Mehrzahl  der  Ge- 
wächse der  nüchternen  Betrachtung  und  dem  noch  mehr  ernüch- 
ternden Gebrauche  des  wirtschaftlichen  Lebens  verfiel.  Sodann 
hieß  es  nun  entweder,  die  Pflanze  sei  der  zeitweilige  Sitz,  das 
Kleid ,  die  Hülle  einer  durch  den  Tod  aus  dem  leiblichen  Dasein 
entrückten  Menschenseele.  Kobersteins  treffliche  Abhandlung  ^ 
ist  noch  immer  das  Beste,  was  bisher  über  diesen  Gegenstand 
veröffentlicht  wurde.  Nach  anderer  Auffassung  sind  gewisse 
Pflanzen  verwandelte  Menschen  oder  Halbgötter,  deren  Bewußt- 
sein durch  Zauber  oder  Schicksalsspruch  in  ihnen  noch  fortlebt. 
Hieraas  erklärt  sich  in  weit  größerem  Umfange,  als  man  bisher 
zu  wissen  scheint,  eme  Anzahl  der  vielen  Volkssagen,  in  wel- 
chen von  einer  Metamorphose  in  Pflanzen   die  Rede  ist.*    End- 

• 

1)  Koberstein,  A.,  üb.  d.  Vorstellung  v.  d.  Portleben  menschlicher  See- 
len in  der  Pflanzenwelt.  Nanmburg  1849;  wieder  abgedruckt  Weimar.  Jahr- 
buch I,  72—100.  Vgl.  den  Nachtrag  Reinhold  Köhlers  ebd.  479-483, 
Herrig,  Archiv  f.  d.  Stud.  der  n.  Spr.  XVII,  444.  Sitzungsberichte  der  Wie- 
ner Akad.  1856.  XX,  94.  Slavische  Beispiele  bei  Grohmann,*  Abergl.  a. 
Böhmen  193,  1361.    93,  648. 

2)  Gute  und  richtige  Bemerkungen  über  diesen  Gegenstand  machte 
B.  Schmidt  in  s.  hübschen  Aufsatz  übor  Calderons  Behandlung  antiker  Mj-- 
then  im  Bhein.  Museum  X,  1856,  p.  341:  „Jener  Glaube  (an  Verwandlungen 
Ton  Menschen  in  Pflanzen)  wurzelt  durchaus  in  einem  Gefühle  der  alten  Völ- 

1* 


4  GrundanBchanimgeii. 

lieh  eine  dritte  Ansehauungsweise  weiß  von  einem  geister- 
haften Wesen,  einem  Dämon,  dessen  Leben  an  das 
Leben  der  Pflanze  gebunden  ist.  Mit  ihr  wird  er 
geboren,  mit  ihr  stirbt  er.  In  ihr  hat  er  seinen  ge- 
wöhnliehen Aufenthalt,  sie  ist  gleiehsam  sein  Kör- 
per und  doeh  erscheint  er  vielfach  auch  außer  ihr  in 
Tier-  oder  Menschengestalt  und  bewegt  sich  in 
Freiheit  neben   ihr. 

Eine  Abart  dieser  Vorstellung  tritt  uns  entgegen  in  Form 
der  Annahme,  daß  der  Dämon  nicht  der  einzelnen  Pflanze,  son- 
dern einer  Vielheit  derselben,  oder  der  gesammten  Vegetation 
einwohne  und  darum  auch  nicht  im  Herbste  mit  den  einzelnen 
Gewächsen  vergehe,  sondern  irgendwo  überwintere  und  im  neuen 
Jahre  sein  Leben  in  der  Natur  weiterfllhre.  Einmal  aus  der 
Pflanze  herausgetreten,  wird  der  Dämon  endlich  zuweilen  im 
Fortschritte  der  Entwickelung  zum  Geber  oder  Schöpfer  ihres 
Lebens,  er  ist  und  webt  nun  nicht  sowohl  in  der  Vegetation,  er 
bringt  dieselbe  hervor. 

Die  auf  vorstehenden  Blättern  nach  verschiedenen  Stufen 
gesonderten  Anschauungen  gehen  in  der  Wirklichkeit  meistens 
in  einander  über.  Das  Volksgedächtniß  bewahrt  sie  neben  ein- 
ander oder  verbindet  sie  oder  ihre  Spielarten  in  mannigfaltigster 
Weise  zu  neuen  Gebilden.  Der  Verfasser  meint  dartun  zu  kön- 
nen, daß  auf  der  Entwickelung  dieser  Grundanschauungen  ein 
nicht  geringer  Teil  des  Glaubens  und  Brauches  der  europäischen 
Menschheit  und  zwar  sowohl  der  nordeuropäischen  Stämme,  als 
der  Hellenen  und  Italer  beruhte.  Das  vorliegende  Buch  ist 
bestimmt,  dem  Erweise  dieses  Satzes  zunächst  in  Bezug  auf  die 
nordeuropäischen  Baum-  und  Waldgeister  zu  dienen. 


ker,  das  der  neueren  Zeit  völlig  fremd  ist ,  in  ihrer  religiösen  Sympathie  mit 
der  Natar.  Vermöge  dieser  empfanden  sie  die  Pflanze  wie  den  Stein  nnd 
das  Gewfisser  als  individuell  begeistet,  dagegen  den  Menschen  auch  in  seinem 
geistigen  nnd  sittliehen  Dasein  als  eine  Gestalt  der  Natnr,  brachten  also  für 
ihre  Betrachtung  das  Naturleben  und  das  Leben  der  Menschen  in  ein  Ver- 
hältnis innerer  Gleichartigkeit  und  gemütlicher  Nähe  und  sahen  darum  auch 
die  Schranken  zwischen  dem  einen  und  dem  andern  als  leicht  uberschreitbar  an." 


Kapitel  I. 

Die   Baumseele. 

§.  1.  Gflcichsetznng  des  Menschen^  und  der  Pflanze. 
Verschiedene  Fonnen  dieses  Cflanbens.  'Wir  wenden  uns  zu- 
nächst der  Betrachtung  einer  Reihe  germanischer,  lettoslavischer 
und  keltisch  -  romanischer  Anschauungen  und  Bräuehe  zu,  welche 
nns  dartiber  belehren,  wie  und  in  welcher  Weise  der  Gedanke, 
daß  die  Pflanze  beseelt  sei,  in  Bezug  auf  die  Bäume  weiter 
und  in  mannigfachen  Fonnen  bis  zu  so  völliger  Gleichstellung 
mit  den  Menschen  hinausgesponnen  und  entwickelt  wurde,  daß 
die  einen  so  zu  sagen  als  vollendete  Doppelgänger  der  andern 
auftreten.  Schon  im  anthropogonischen  Mythus  nehmen  wir  eine 
Art  solcher  Gleichsetzung  wahr;  eine  andere  äußert  sich  in  der 
Behandlung  des  Baumes  als  persönliches  Wesen.  Die  Identifi- 
zierung erstreckt  sich  zuweilen  sogar  auf  eine  imaginäre  Ver- 
schmelzung der  Körperlichkeit  von  Mensch  (oder  Tier)  und 
Pflanze ,  und .  fllhrt  zu  der  Annahme ,  daß  der  Baum  der  Körper 
einer  durch  den  Tod  dem  Menschenleibe  entrückten  Seele,  der 
Wohnsitz  mehrerer  Elfen  oder  eines  Schutzgeistes  sei,  der  wieder- 
um kaum  von  einem  alter  egö  des  Menschen  zu  unterscheiden 
sein  möchte.  Zuweilen  führt  die  Baumseele  oder  der  Baumgenius 
auch  schon  ein  Leben  außer  dem  Baumleibe  in  Sturm  und  Un- 
wetter, in  Wald  und  Feld..  Da  wir  die  in  diesen  Ueberlieferungen 
sehr  scharf  und  deutlich  zu  Tage  tretenden  Verhältnisse  später 
einmal  vorzugsweise  zum  Verständniß  von  Komgeistem  ver- 
gleichend zu  nutzen  gedenken,  gestatten  wir  uns  hier  bereits 
gelegentlieh  von  selbst  aufstoßende  Uebereinstimmungen  der 
Baumsage  mit  dem  an  das  Getreide  geknüpften  Volksglauben 
vorzumerken.  Und  auch  das  möge  den  Leser  nicht  stören ,  wenn 
er  (da  sich  ein  anderer  Platz  dazu  nicht  eignete)  in  die  Darlegung 
des  Baumglaubens  nordeuropäischer  Stämme  nicht  ganz  selten 
auch  einzelne  Analogien  aus  fernen  Ländern  und  Weltteilen  ein- 


6  Kapitel  I.    Die  Baamseele: 

geflochten  findet.  Es  geschähe  gegen  unseren  Willen^  wenn 
durch  Schuld  dieser  Einschaltungen  das  Bild  des  nordischen 
Baumcultus  sich  in  einen  verschwimmenden  Allerweltsnebel  auf- 
lösen würde.  Wir  stimmen  vollkommen  den  goldenen  Worten 
Th.  Mommsens  zu  (Rom.  Chronologie):  „das  über  die  Kluft  der 
Nationen  hinweggerichtete  Auge  erfaßt  nur  allzuleicht  der  Schwin- 
del und  man  vergißt  den  wahren  und  hauptsächlichsten  Grund- 
satz aller  historischen  Kritik,  daß  die  einzelne  historische 
Erscheinung  zunächst  im  Kreise  der  Nation,  der  sie  angehört, 
geprüft  und  erklärt  werden  soll  und  erst  das  Resultat  4ieser 
Forschung  als  Grun<Uage  der  internationalen  dienen  4ar£''  Inso- 
fern es  sich  aber  bei  unseren  Zusammenstellungen  zunächst  noch 
nicht  um  die  Darlegung  irgend  welcher  historischen  Verwandt- 
schaft, sondern  um  die  Beschreibung  von  Typen  handelt,  so 
bedienen  wir  uns  desselben  Vorteils,  den  etwa  der  Botaniker 
genießt,  wenn  er  die  Coniferen  Europas  und  Amerikas  mitein- 
ander vergleichen  kann.  Die  Beobachtung  gewisser  gleicher 
Eigenschaften  bei  beiden  macht  klar,  daß  dieselben  zum  Wesen 
der  Gattung  gehören.  Gleichartigkeit  der  Vorstellungen  über  den 
nämlichen  Gegenstand  in  zwei  verschiedenen  Zonen  läßt  zumeist 
auf  eine  gewisse  psychologische  Notwendigkeit  derselben  schließen 
und  die  eine  erläutert  die  andere.  Nur  als  ein  solches  die  Natur 
und  den  Sinn  der  nordeuropäischen  Traditionen  durch  Analogie 
erläuterndes  Material  wünscht  der  Verfasser  Einschiebsel  aus  der 
Fremde  betrachtet  zu  sehen. 

§.  2.   Mensch  und  Baum.    Glelchni£  Im  Hävamäl.    Die 

germanische  Welt  hat  die  Gleichung  Mensch  und  Pflanze  zur 
mannigfachsten  Entfaltung  gebracht.  Auch  abgesehen  von  jeder 
mythisQhen  Verkörperung  war  dieselbe  in  unserer  Poesie  von 
alters  her  lebendig.  Wie  neuerdings ,  Schiller  den  von  seinen 
Anhängern  verlassenen  Wallenstein  einen  entlaubten  Stamm  nennt, 
hatte  z.  B.  schon  ein  altnorwegischer  Gnomendichter,  dessen  Sinn- 
spruch man  später  dem  Odhinn  in  den  Mund  legte,  gesagt:  der 
Baum,  der  einsam  im  Dorfe  steht,  stirbt  ab  und  nicht  Laub  noch 
Rinde  halten  ihn  ftirder  warm;  so  ist  der  Mann,  den  niemand 
liebt,  was  soll  er  länger  leben?*) 


*)   Hävam.  50.    Vgl.  Egilson,  lex.  poet.  8.  915,  der  übrigens  j&orpt  d 
abweichend  in  coili  verstanden  wissen  will. 


Anthropogonifloher  Mythus  von  Askr  und  Embla.  7 

§.  3.  Anthropogoniseher  Mythus  ron  Askr  und  Embla. 
Jahrhunderte  bevor  dieses  Stückchen  Yolksweisheit  sein  poeti- 
sches Gewand  erhielt,  mag  der  bekannte  anthropogonische  Mythus 
von  Askr  und  Embla  entstanden  sein.  Derselbe  ist  jedoch  —  ich 
folgere  dies  aus  psychologischen  Grttnden  —  unmöglich  in  der 
uns  vorliegenden  Form  zuerst  entsprungen,  sondern  wir  besitzen 
ihn  in  einer  Gestalt ,  welche  erst  das  Ergebniß  mehrfacher  Um- 
wandlungen im  Munde  der  Dichter  gewesen  zu  sein  scheint.  Wie 
die  Urform  lautete,  werden  wir  verstehen,  wenn  wir  die  noch 
einfachere  Gestalt  entsprechender  Sagen  bei  anderen  Völkern  in 
Vei^leich  ziehen. 

Bekanntlich  läßt  eine  der  eranischen  Schöpfungssagen,  aus 
denen  die  Cosmogonie  des  Bundehesch  zusammengesetzt  ist,  das 
erste  Menschenpaar  Maschia  und  MascMäna  in  Gestalt  einer 
Reivaspflanle  (rheum  ribes)  aus  der  Erde  emporwachsen.  Sie 
machten  ursprünglich  ein  ungetrenntes  Ganze  aus  und  trieben 
Blätter;  in  der  Mitte  bildeten  sie  einen  Stamm,  oben  aber  umarm- 
ten sie  sich  dergestalt,  daß  die  Hände  (Zweige,  Aeste)  des  einen 
sich  um  die  Ohren  des  andern  schlangen.  Erst  später  wurden 
sie  von  einander  getreniil  In  diesen  Körper  goß  Ahuramazda 
die  zuvor  bereitete  Seele  und  sie.  wuchsen  zur  Menschengestalt, 
indem  Jener  Glanz  geistiger  Weise  zum  Durchbruch  kam,  der 
die  Seele  kundgiebt.  ^  Diese  weder  dem  Avesta,  noch  den 
alten  von  Firdosi  benutzten  Quellen  bekannte  Anthropogonie  ^ 
macht  gleichwol  auf  hohes  Altertum  Anspruch,  insofern  sie  noch 
ziemlich  unverändert  jene  früheste  Anschauungsstufe  vor  Augen 
stellt,  wonach  Mensch  und  Pflanze  gleiches  Wesens  waren,  und 
unmittelbar  in  einander  übergingen.  Eine  ganz  ähnliche  Vorstel- 
lung begegnet  bei  den  den  Eraniem  allem  Anscheine  nach  nah- 
verwandten Phrygerri  im  Stromgebiete  des  Sangarios.  Ihnen  gal- 
ten die  Korybanten  als  die  ersten  Menschen ;  die  Sonne  beschien 
sie  zuerst,  als  sie  baumartig  (derÖQOffraU)  emporsproßten.  ^  Wir 
wissen  nicht,  wie  sich  der  Kationalismus  einer  späteren  Zeit  den 
in  der  Mythe  ausgesprochenen  Uebergang  des  Baumes  in  die 
Menschengestalt  in  diesem  Falle  zurechtlegte.  Nach  den  Sioux, 
die    gleich    den    Karaiben    und  Antillenindianem    ebenfalls    die 

1)  S.  Bandehesch  Cap.  15.    Windischraann ,  Zoroastr   Studien  S.  213. 

2)  S.  Spiegel,  Eranische  Altertumskunle  I,  457.  473  fgg. 

3)  Pindar  bei  Hippolyt,  Philos.  p.  96.  Miller. 


8  Kapitel  L    Die  Baamseele: 

Stammeltern  im  Anfange  als  zwei  Bäume  entstehen  ließen,  stan- 
den diese  viele  Menschenalter  hindurch  mit  den  Füßen  im  Boden 
haftend,  bis  eine  große  Schlange  sie  an  den  Wurzeln  benagte, 
worauf  sie  als  Menschen  weggehen  konnten.  ^  Diesen  Beispielen 
entsprechend  wird  auch  der  germanische  Mythus  die  Urahnen 
aniUnglich  nicht  aus  todten  Hölzern,  sondern  aus  lebendigen 
aus  der  Erde  aufsprießenden  Bäumen  (einem  mit  einem 
männlichen  Namen  und  einem  mit  weiblicher  Benennung)  haben 
hervorgehen  lassen;  später  hat  er  dann  zur  Motivierung  der 
freien  Beweglichkeit  des  Menschen  eine  Umänderung  dahin 
erfahren,  daß  drei  kräftige  und  liebreiche  Götter  am  Strande 
zwei  über  Meer  von  den  Wellen  ans  Land  getriebene  Bäume 
(Askr  und  Elmja  (?),  Esche  und  Ulme  (?)  fanden  und  den 
noch  Schicksalslosen  Geist,  Sprache,  Blut  und  blühende  Farbe 
einflößten.  Die  belebten  Bäume  Askr  und  Elmja  (?  fem.  zu  almr 
Ulmbaum)  waren  die  Stammeltern  aller  Menschen.  Uns  ist  diese 
Erzählung  nur  in  einer  zweiten  Umformung  bewahrt,  in  welcher 
der  schwer  über  die  Zunge  gleitende  Name  der  Stammmutter 
durch  Metathesis  mundrecht  gemacht  und  so  in  den  geläufigeren 
Embla  (aus  Emla  ^  amlja  die  arbeifäme)  verändert  ist. '  Auf 
den  von  uns  für  die  Grundform  dieser  Schöpfungssage  voraus- 
gesetzten primitiven  Standpunkt  d.  h.  bis  nahezu  an  die  Sohwelle 
wirklichen  Glaubens  an  die  Identität  von  Mensch  und  Pflanze 
würden  uns  gewisse  der  Skaldenpoesie  geläufige  Metaphern 
zurückweisen ,  falls  nicht  deren  unmittelbarer  Zusanmienhang  mit 
der  Naturpoesie  sehr  zweifelhaft  wäre.* 


1)  Catlin,  lettroB  and  notes  ou  the  manners  cnstoms  and  conditions  of 
the  North  -  America  Indiana,  2.  ed.  ü,  289.  Andere  Stammsagen  der  India- 
ner, z.B.  diejenige  der  Tamanaken  in  Gayana,  welche  die  Ureltem  aas  den 
Kernen  der  Maoritiaspalme  entsprießen  läßt  (Ausland  1872,  S.  372),  scheinen 
über  die  Art  und  Weise ,  wie  die  Trennung  der  als  Bäume  geborenen  Pro- 
toplasten vom  Mutterschoß  der  Erde  erfolgte,  sich  ebensowenig  auszuspre- 
chen^ als  die  phrygische  Sage  bei  Pindar. 

2)  Völuspä  Str.  17  fgg.  Vgl.  Uhland,  Schriften  z.  Gesch.  d.  Dichtung 
und  Sage  VI,  189. 

3)  In  der  altnorwegischen  und  altisländischen  Skaldenpoesie  werden 
nämlich  der  Mann  durch  alle  männlichen  Baumnamen  (vidr,  meidr  Baum, 
hlynr,  Platane,  askr  Esche,  reynir  Vogelbeerbaum,  das  Weib  durch  alle 
weiblichen  Baumnamen  björk,  lind,  eik,  Birke,  Linde,  Eiche  u.  s.  w.  bezeich- 
net und  durch  Hinzufügung  eines  Kennworts  näher  determiniert.    Ausdrücke 


/ 


Der  Banin  als  Person  behandelt  9 

§.  4.  Der  Baum  als  Person  behandelt.  Beruht  der 
aathropogonische  Mythus  der  Nordgermanen  auf  der  Anschauung 
yyder  Mensch  ist  wie  ein  Baum^',  so  haftet  der  umgekehrte  Ver* 
gleich  yy  der  Baum  ist  wie  ein  Mensch  '^  nicht  minder  tief  in  dem 
Volksglauben  sowol  der  skandinavischen  als  der  deutschen  Stämme, 
denen  sich  slavische  und  finnische  Nachbarn  anschließen.  Schon 
auf  den  untersten  Stufen  zeigt  sich  diese  Vorstellung  in  yerschie- 
denen  Formen,  fast  überall  jedoch  —  wo  sie  auftritt  —  hat  sie 
den  Standpunkt  der  reinen  Identität  bereits  yerlassen  und  als 
Beimischung  die  Annahme  eines  dem  Menschen  zwar  ähnlichen, 
aber  geheimnißvoUen  und  ttbemattirlichen  Wesens  erhalten.  Am 
nächsten  kommt  es  jenem  ursprünglichen  Standpunkt,  daß  der 
Mensch  den  Baum  selbst  ganz  als  eine  ihm  gleich  stehende  oder 
Übergeordnete,  mit  individuell  bestimmtem  Character,  mit  mensch- 
lichem Ethos  begabte  Persönlichkeit  behandelt  und  anredet.  Man 
kündigt  in  Westfalen  den  Bäumen  den  Tod  des  Hausherrn  an, 
indem  man  sie  schüttelt  und  gypricht:  „der  Wirt  ist  todt'^^  Die 
mährische  Bäuerin  streichelt  den  Obstbaum  mit  den  von  Berei- 
tung des  Weihnachtsteiges  klebrigen  Händen  und  sagt:  „Bäum- 
chen bringe  viele  Früchte '^>  Man  springt  und  tanzt  in  derSyl- 
vestemafht  um  die  Obstbäume  und  ruft: 

Freue  ju  Börne 

Nüjär  is  körnen! 

Dit  Jar  ne  Kare  vnll, 

Up  et  Jar  en  Wagen  vuU !  ^ 

Zwischen  Eslöf  und  Sallerup  im  Haragers  Härad  in  Schwe- 
den befand  sich  noch  1624  ein  Hain,  den  eine  Riesenjungfrau 
gesät  haben  sollte;  darin  gab  es  eine  Eiche,  die  Gyldeeiche, 
worin  in  alten  Tagen  viel  Spukerei  gespürt  war.    Wer  irgend 

wie  elmeiär  fetüpelar  Baum  des  Schwerterstnrms  d.  i.  Held  könnten  sehr 
wohl  von  dem  Bilde  des  im  Sturme  Stand  haltenden  Baumes  hergenommen 
and  zu  anderen  Umschreibungen  Anlaß  geworden  sein.  Nach  Snorris  mit 
dem  künstlichen  Character  jener  Dichtergattung  übereinstimmender  Erklä- 
rsmg  (Skaldskaparm.  31.  47.)  soll  jedoch  der  in  Bede  stehende  Sprachge- 
brauch statt  ursprünglich  in  einfacher  Naturpoesie  zu  wurzeln,  das  Froduct 
einer  technischen  Spielerei  sein.  Nur  eine  chronologische  Untersuchung  der 
erhaltenen  Beste  der  Skaldenpoesie  könnte  die  Frage  möglicherweise  zur 
Entscheidung  bringen.  ^ 

1)  Vgl.  A.  Kuhn,  Westfäl.  Sagen  II,  52, 

2)  y.  G rohmann ,  Aberglaube  aus  Böhmen  S.  87. 

3)  E.  Seifart,  Hildesheim.  Sag.  U ,  137. 


10  Kap.  I.    Baumseele: 

vorbeiging,  grüßte  den  Banm  mit  Ehrerbietung  ,, Guten  Morgen 
Gylde!"  „Guten  Abend  Gylde!'f>^  Allem  Anscheine  nach  auf 
einstigem  Gebrauche  ruht,  was  der  Tiroler  vom  Holunder  sagt: 
„der  Holer  ist  ein  so  edler  Baum,  daß  man  vor  ihm  den  Hut 
abnehmen  [soll."  ^  Die  Holzarbeiter  in  der  Oberpfalz  reden  von 
den  Waldbäumen  wie  von  Personen;  zieht  der  Wind  durch  die 
Baumkrone,  so  „neigt  sie  sich  und  beginnt  zu  sprechen";  die 
Bäume  „verstehen  sich".  Der  Baum  „singt",  wenn  die 
Luft  durch  seinen  Wipfel  streicht;  nur  ungern  „läßt  er  sein 
Leben";  unter  dem  Axtschlag  „seufzt",  zu  Boden  fallend 
„stöhnt"  er.  Ein  Förster  stritt  mit  dem  Herrn  des  Waldes, 
welche  von  den  zwei  schönen  Buchen  vor  ihnen  gefällt  werden 
solle.  Da  beugten  sich  beide  Bäume  seufzend  hin  und  wieder. 
„Wer  hat  geseufet?"  rief  der  Herr.  Es  war  aber  niemand  da, 
der  Antwort  gab.  Furcht  trieb  sie  von  dannen  und  die  herrlichen 
Bäume  blieben  verschont.  Noch  jetzt  bitten  die  Holzfäller 
den  schönen  gesunden  Baum  um  Verzeihung,  ehe  sie 
ihm  „das  Leben  abtun".* 

§.  5.  Die  Holunderinutter  9  die  Esehenfrau  und  Uire 
Sippe.  Trogill  Amkiel ,  ein  gebomer  Nordschleswiger  und  Pastor 
zu  Apenrade  erzählt  1703,  daß  in  seiner  Jugendzeit  (wieder  öfters 
gehört  und  gesehen)  niemand  es  wagte,  frischweg  einen  Elhom- 
baum  (Holunder)  zu  unterhauen ,  sondern  wo  sie  denselben  unter- 
hauen (d.  i.  die  Aeste  stutzen)  mußten,  so  pflegten  sie  vorher  mit 
gebeugten  Knien,  entblößtem  Haupte  und  gefalteten  Händen  dies 
Gebet  zu  tun:  „Frau  Elhorn  gib  mir  was  von  deinem» 
Holtze,  denn  will  ich  dir  von  meinem  auch  was  geben, 
wann  es  wächst  im  Walde."* 

Die  Wahrheit  dieser  Erzählung  erhärtet  eine  Aufzeichnung 
aus  Däaemark  v.  J.  1722:  Paganismo  ortum  debet  super- 

1)  Hyltän  -  Cavallius,  Värend  och  Virdarne.    Stockholm  1863.    I,  36. 

2)  Zingerle,  Sitten,  Bräuche  und  Meinungen  des  Tiroler  Volkes.  Aufl.  2. 
S.  105,  897.  Vgl. :  Vörm  höUerkenstrük  maut  men  'n  haut  afniämen.  Kuhn, 
Westf.  Sag.  II,  189,  533. 

3)  Schönwerth,  aus  der  Oberpfalz  U,  335.  Bavaria  II,  234.  Es  fragt 
sich  nur,  ob  Schön werths  aus  Neuenhammer  stammender  Bericht  durch- 
aus ungefärbt  sei.  Vergl.  die  übrigen  mit  Neuenhammer  bezeichneten  Stücke 
in  der  verdienstlichen  Sammlung. 

4)  Trog.  Arnkiel,  außführliche  EröfiEaung  u.  s.  w.  B.  I.  Cimbrißche  Hey- 
denreligion.    Hamburg  1703.    S.  179. 


Die  Holandenantter,  die  Eschenfrau  und  ihre  Sippe.  11 


I 


stitia,  sambacum  non  esse  exBcindendam^  nisiprias 
rogata  permissione  hisverbis:  mater  sambnci,  mater 
sambaci  permitte  mihi  tuam  caedere  silvam/'^  Der 
dänische  Name  des  angerufenen  Wesens  lautet  Hyldemoer,  es 
wird  auch  sonst  erwähnt ,  daß  man  dreimal  hinter  einander  eine 
der  Amkielschen  fast  wörtlich  entsprechende  Formel  aussprechen 
müsse  y  ehe  .man  etwas  vom  Holunderbaum  breche.'  In  Schonen 
spricht  man  ebenso  yon  der  Hyllefroa  (Holunderfrau),  in 
Ljunitshärad  ebendaselbst  von  der  Askafroa  (Eschenfrau).  Am 
Aschermittwochsmorgen  [askons  dags  morgon,  diese  Zeit  ist  nur 
wegen  des  zufälligen  Gleichklangs  mit  ask  Esche  gewählt]  opfer- 
ten die  Alten  der  Askafroa,  indem  sie  yor  Sonnenaufgang  (denn 
dann  sind  die  Geister  rege)  Wasser  über  die  Wurzeln 
des  Baumes  ausgössen  mit  den  Worten:  nu  offrar  jag, 
sä  gör  du  oss  ingen  skada.  Nun  opfere  ich,  tue  uns 
keinen  Schaden!  Wer  einen  Holunderbaum  beschädigte  oder 
yerunreinigte,  bekam  eine  Krankheit,  Hylleskäl  genannt,  dagegen 
bötete  man,  indem  man  Milch  über  die  Wurzeln  des 
Baumes  ausgoß,^  d.h.  durch  ehrerbietige  Speisung  des  im 
Baume  verkörperten  Namens  den  begangenen  .Fehler  wieder  gut 
machte.  Den  Dänen  ist  auch  eme  Ellefru  (Ellerfrau}  bekannt, 
die  im  Erlenbaum  (eile)  lebt^  In  der  Smäländischen  Landschaft 
Värend  heißt  das  der  Holunderfrau  und  Eschenfrau  entsprechende 
Wesen  in  gewissen  Laubbäumen  Löfviska.^ 

In  der  Mehrzahl  dieser  Beispiele  erscheint  der  mit  reli- 
giöser Scheu  geehrte  Dämon  auch  als  der  mit  Denkkraft  und 
Sinnen  ausgerüstete  Baum  selbst;  nicht  anders  verschieden  steht 
der  Baumgeist  dem  Holze  gegenüber,  als  der  menschliche  Geist 
dem  menschlichen  Körper.  Auch  da  noch  bilden  Baum  und 
Banmgeist  eine  geschlossene  Einheit,  wo  von  dem  Holunderbaum 


1)  Thiele,  Danake  Polkesagn.  Aufl.  1.  III,  119  —  120.  Danach  Grimm, 
Myth.»  CXVI. 

2)  J.  Boesens,  Beskriv.  over  Helsingöer  S.  23.  Bei  Thiele,  Danmarks 
Folkesagn.    Aufl.  2.    II,  283. 

3)  Hylten  -  Cavallius ,  Värend  och  Virdarne  I,  310.  Vgl.  noch  Pehr 
LoT^n,  Dissert.  de  Gothungia.  Londini  Gothonim  1745,  p.  20:  Hyllfraen, 
quam  eflfuso  lacte  placavit  incolarum  vesania. 

4)  Sy.  Grundtvig,  Gamle  Danske  Minder  i  Folkemunde  I,  1854,  S.  15. 

5)  Hylten  -  CaralUns  a.  a.  0. 


12  Kapitel  I.    Die  Banmsdele: 

auf  einem  dänischen  Pachthofe  erzählt  wird,  der  oft  in  der 
Dämmerung  spatzieren  gehe  und  durch  das  Fenster  gncke, 
wenn  die  Kinder  allein  im  Zimmer  sind.  ^  Diese  Erzählung  ist 
der  einfache  Widerschein  der  tiefen  Furcht,  welchen  abergläu- 
big erzogene  Kinder  vor  jenem  Baume  als  einem  gespenstigen 
Wesen  hegten. 

§.  6.  Niederlltanlsche  Waldgeister«  Der  Glaube,  daß 
der  von  seinem  Geiste  erfüllte  Baum  schaden  könne  (s.  o.  die 
Askafroa)  kehrt  auch  sonst  wieder.  Zwischen  1563  — 1570 
bemtthte  sich  der  Revisor  von  Niederlitauen,  Jacub  Laszkowski, 
die  noch  stark  in  heidnischen  Anschauungen  befangenen  Zemaiten 
von  ihrem  Aberglauben  abzubringen.  „Jussi  autem  a  Lascovio 
arbores  exscindere ,  invitissimi  id ,  nee  prius  quam  ipsemet  inchoar 
ret  fecerunt.  Deos  enim  nemora  incolere  persuasum  habent.  Tum 
unus  inter  alios  percontari,  num  etiam  decorticare  arbo- 
res liceret.  Annuente  praefecto  aliquot  magno  nisu  haec 
repetens  decorticavit:  Vos  me  meis  anseribus,  gallis- 
que  gallinaceis  spoliastis;  proinde  et  ego  nudas  vos 
faciam.  Gredebat  enim  demens  deos  rei  suae  familiari 
perniciosos  intra  arbores  et  cortices  latere.* 

§.  7.-  Baum,  Menschenlelb  und  EranklioltsdSinonen. 
Ein  merkwürdiger  französischer  Brauch  aus  der  Nähe  der  Pyre- 
näen schließt  uns  das  Verständniß  dieses  litauischen  Glaubens 
auf.  Lorsque  les  habitants  du  canton  de  Labruguiere  (Montagne 
noire)  ont  un  animal  malade  de  quelque  plaie  envahie  par  les 
vers,  ils  se  rendent  dans  la  campagne  aupr^s  d'un  pied  dey^ble, 
Sambucus  ebulus,  et  tordant  une  poign^e  de  cette  plante 
dans  leurs  mains ,  ils  lui  fönt  un  grand  salut  et  lui  adressent  les 
paroles  suivantes  en  patois:  „Adiü  si^s,  mousu  Taofissier, 
s6  n6  trases  pas  lous  bers  de  moun  berbenier,  vous 
coupi  la  cambo,  maY  lou  pey."  Ce  qui  veut  dire:  „Bon- 
jour  monsieur  le  yeble,  si  vous  ne  sortez  pas  les  vers  de  Tendroit 
oü  ils  sont,  je  vous  coupe  la  jambe  et  le  pied."  Cette  menace 
effectude,  la  guerison  est  assuree  ou  peu  s'en  laut*  So  weit 
de  Nore*s  Mitteilung.    Der  Askafroa,  den  niederlitauischen  Baum- 

1)  J.  M.  Thiele,  Danmarks  Folkesagn.    Kjöbenbavn  1843.  D.IT.  S.283. 

2)  Laszkowski  bei  Job.  Lasitins  de  diis  Samagitaram  46  (p.  10  Mann- 
hudt). 

3)  De  Nore,  coatames  mytbes  et  traditions  des  provinces  de  France  p.l02. 


Baum,  MenBohenleib  und  Krankheitsd&monen.  18 

dämonen,  dem  Monsieur  le  y^ble  wurde  die  Macht  zugeschriebeB, 
Menschen  und  Tieren  zu  schaden.  Dies  geschah  —  wie  der  franzö- 
sische Bericht  in  Verbindung  mit  dem  litauischen  lehrt  —  dem  Volks- 
glauben nach  vermittelst  der  Insekten  von  mancherlei  Gestalt  und 
Farbe,  welche  in  und  unter  Rinde,  Stamm  und  Wurzeln  der  Bäume 
und  Kräuter  ihren  Aufenthalt  haben.  Man  warf  dieses  Gewürm  näm- 
lich mit  den  bösen  Geistern  in  Wurmgestalt  zusammen,  welche 
nach  einer  uralten  schon  bei  den  Indem  in  dem  Atharvareda  und 
in  den  Grihyasutras  ganz  ähnlich  wie  unter  den  Germanen  ent- 
wickelten Vorstellung  sich  als  Schmetterlinge,  Raupen,  Ringel- 
wtbrmer,  Kröten  u.  s.  w.  in  den  menschlichen  oder  tierischen  Kör- 
per einschleichen  und  darin  als  Parasiten  verweilend  die 
verschiedensten  Krankheiten  (z.  B.  Schwindsucht,  Kopfweh, 
Magenkrampf,  Zahnweh,  besonders  nagende,  bohrende  und  ste- 
chende Schmerzen  u.  s.  w.)  hervorbringen  sollten.  ^    Der  Glaube 


1)  Vgl.  Myth.«  1109.  M15.  1122.  1184.  Kuhn,  Ztechr.  f.  vgl.  Sprachf. 
Xm,  63— 74.  135  —  151.  Toppen,  Abergl.  a.  Masuren«  22—28,  Grob- 
mann,,  Abergl.  aus  Böhmen  I,  147  fgg.  153.  Wnttke,  Abergl.«  §.  231,  S.  161. 
Wie  von  Motten  und  Baupen  im  Kopfe ,  spricht  man  vom  Fingerwurm,  Herz- 
wurm,  Fleischwurm,  Bein  wurm,  Markwurm,  Haarwurm  (Gicht)  u.  s.  w.  In 
einem  altsächsischen  Segen  wird  der  Wurm  nesso  (nhd.  Nösch,  laufende 
Gicht)  mit  seinen  9  Jungen  beschworen,  aus  Fleisch  und  Haut  des  spad- 
lahmen  Bosses  zu  entweichen;  eine  Pferdekrankheit  heifit  der  blasende  Wurm 
u.  s.  w.  (Myth.*  1115.  Müllenhoff  u.  Scherer,  Denkm.  IV.  5.  S.  8.  267).  Auch 
in  Fal&stina  und  wahrscheinlich  in  ganz  Vorderasien  schrieb  der  Volksglaube 
Unterleibskrankheiten  verzehrenden  Würmern  (S.  Ewald,  Gesch.  d.  Volkes 
Israel,  2.  Ausg.  1858.  B.  VII,  S.  332),  wie  überhaupt  die  Krankheiten  bösen 
Geistern  zu,  die  den  Körper  als  Schmarotzer  in  Besitz  nehmen.  Vgl.  z.  B. 
die  7  Teufel,  von  denen  Maria  Magdalena  besessen  war  (Marc.  16,  9).  Ueber 
Aegypten  s.  Zs.  f.  d.  Myth.  IV\  254  fgg.  Nicht  minder  wiederholt  sich  die 
VorsteUung  bei  Terschiedenen  wilden  Völkerschaften.  Nach  der  Behauptung 
der  Medicinmftnner  bei  den  Mundurucus  in  Brasilien  entstehen  die  mei^n 
Krankheiten  durch  einen  Wurm,  den  der  Medicinmann  entfernt,  indem  er 
die  leidende  SteUe  mit  Tabacksrauch  dampft  und  sie  dann  saugt.  Nachher 
zieht  er  einen  Wurm  aus  dem  Munde,  der  aber  nichts  anderes  ist,  als  die 
weifie  Luftwurzel  einer  Pflanze.  Globus,  1871^  XX,  S.  201.  Auch  die  Häupt- 
linge der  Chiquitos  in  Oberperu ,  die  zugleich  Aerzte  sind ,  heilen  die  Krank- 
heiten durch  Aussaugen  des  leidenden  Teiles,  weil  man  denkt,  daß  sie  durch' 
Tiergeiater  entstehen,  die  in  den  Leib  des  Kranken*  ihren  Weg  gefunden 
haben  und  ihn  von  innen  zernagen.  Waitz,  Anthropologie  der  Naturvölker, 
ni,  S.  531.  Die  Tahitier  schreiben  ihre  innerlichen  Schmerzen  Dämonen  ;ni, 
die  in  ihnen  sind  und  ihre  Eingeweide  in  Knoten   binden.    In  Folge  ahn- 


:     TT  "  "(1  1 


Banm,  Menschenleib  und  Krankbeitsdämonen.  15 

Der  eine  ist  gran, 

Der  andere  ist  blan, 

Der  dritte  ist  rot, 

Ich  wollte  wünschen ,  sie  wären  alle  drei  todt. 

Diese  Ceremonie  nennt  man  den  Baum  „  anklagen  ".  ^  Auch 
andere  Pflanzen,  als  Bäume,  stehen  im  Verdacht,  durch  ihren 
Willen  die  Würmer  im  tierischen  Organismus  festzuhalten.  So 
sehreibt  z.  B.  der  böhmische  Aberglaube  vor,  auf  dem  Felde  eine 
Distel  zu  suchen,  einen  Stein  und  eine  Ackerkrume  darauf 
zu  legen  und  zu' sagen: 

Distelchen,  Distelcben 
Ich  lass'  nicht  eher  dein  Köpfchen  los. 
So  lang  du  nicht  frei  läßt  die  Würmer  der  Knh 

(des  Pferdes  u.  dgl.).* 

Die  einmal  vorhandene  Vorstellung  von  dem  Verweilen  der 
Erankheitsgeister  im  Baume  haftete  so  sehr,  daß  man  sie  auch 
da  beibehielt,  wo  diese  Dämonen  nicht  in  Wurmgestalt,  sondern 
in  anderer  Tier-  oder  Menschengestalt  gedacht  wurden.  Auch 
da  ist  es  häufig  der  Baum,  der  durch  ihre  Entsendung  Epidemien 
hervorruft,  durch  ihre  Zurückbemfung  die  Gesundheit  wiederher- 
stellt. Lehrreich  in  dieser  Beziehung  ist  ein  Lied,  welches  bei 
einer  Seuche  die  russischen  Weiber  singen,  indem  sie  mit  einem 
Pflug  um  das  Dorf  die  die  bösen  Geister  abwehrende  Furche 
ziehen : 

Vom  Ocean,  von  der  tiefen  See 

Sind  zwölf  Mädchen  gekommen; 

Sie  nahmen  ihren  Weg  —  kein  kleiner  war's  — 

Zn  den  steilen  Höh'n,  zu  den  Bergen  empor, 

Z^  den  drei  alten  Holanderhänmen. 


1)  Priedrichshagen  bei  Köpenick.  Kuhn,  Nordd.  Sag.  S.  441,  Nr.  328. 
Vgl.  „Tannenhanm  ich  klage  dir,  die  Gicht  plagt  mich  schier."  Spricht  man 
dies  drei  Freitage  hintereinander  nach  Sonnenuntergang,  so  dörrt  der  Tan- 
nenbaum und  die  Gicht  hört  auf.  Myth.'  1122.  Mit  einem  ähnlichen  Spruche 
klagt  man  bei  Wchlau  die  neunundneunzigerlei  Gicht,  indem  man  vor  der 
Fichte  auf  die  Knie  fällt  und  sie  dreimal  umkriecht.  Frisch- 
bier, Hexenspruch  S.  63,  1.  Der  Fieberkranke  macht  einen  Knoten  (s.  o. 
S.  13)  in  die  Zweige  einer  Weide  un4  sagt  diese  Worte:  Liebe  Weide  ich 
klage  dir,   slebennndsiebenzig  Fieber  plagen  mir.    Frischbier,  a.  a.  0.  54,  5. 

2)  Grohmann  a.a.O.  153,  1107.  Vgl.  aus  Ostpreußen:  hat  ein  Vieh 
Würmer  in  Wunden,  so  knickt  man  vor  Tage  vier  rotblühende  Disteln  um 
die  vier  Köpfe  nach  den  vier  Himmelsgegenden  und  legt  einen  Stein  in  die 
Mitte.    Wuttkea  409,  §.  686.    Toppen,  Abergl.  a.  Masuren  S.  99. 


16  Kapitel  I.    Bauroseele: 

Diese  zwölf  Mädchen,  die  in  vielen  gegen  sie  gerichteten 
Beschwörungsformehl  „die  bösen  Schütteier",  oder  „Töch- 
ter des  Herodes"  oder  einzeln  mit  den  Namen  besonderer  Krank- 
heiten genannt  werden,  mithin  Personificationen-der  Krankheits- 
ursachen sind,^  werden  nun  redend  eingeführt: 

Macht  fertig  die  weißen  Eichentische, 
Schärfet  die  Messer  von  Stahl, 
Macht  heiß  die  siedenden  Kessel,  * 

Spaltet-,  durchbohrt  bis  zum  Tode 
Jedes  Leben  unter  dem  Himmel. 

Die  Holunder  geben  ihre  Zustimmung  zu  dem  Wunsche  der 
zwölf  Schwestern ;  alle  lebenden  Wesen  sind  dem  Tode  geweiht. 

In  diesen  siedenden  Kesseln 
Brennt  mit  unauslöschlichem  Feuer 
Jedes  Leben  unter  dem  Himmel. 

Doch  die  drei  Holunder  erfaßt  mitleidige  Rtihnmg: 

Bund  um  die  siedenden  Kessel 

Stehen  die  alten  Holunder. 

Die  alten  Holunder  singen, 

Sie  singen  von  Leben,  sie  singen  von  Tod, 

Sie  singen  vom  ganzen  Menschengeschlecht. 

Die  alten  Holunder  verleihen 

Der  ganzen  Welt  langes  Leben; 

Doch  dem  andern,  dem  Übeln  Tode, 

Bestimmen  die  alten  Holunder 

Eine  weite  und  große  Reise. 

Die  alten  Holunder  versprechen 

Ein  beständiges  Leben 

Dem  ganzen  Geschlechte  der  Menschen.  ^ 

Rief  der  Baumgeist  die  Krankheit  verursachenden  Eiben 
nicht  freiwillig  zurück,  so  bediente  man  sich  zauberischer  Worte 
und  symbolischer  Handlungen,  der  unter  uns  sogenannten  sym- 
pathetischen Euren,  welche  darauf  hinausgingen,  die  schäd- 
lichen Geister  unter  einen  Stein,  in  die  Wüstenei  zu  verweisen, 
einem  Vogel  zum  Mitnehmen  zu  empfehlen,  oder  sonst  zu  ver- 
bannen, vorzüglich  aber  sie  auf  einen  Baum  oder  ein  Kraut  zu 


1)  Vgl.  in  G5tzes  russ.  Volksliedern  S.  62,  Myth. «  1107  die  9  Schwe- 
stern ,  welche  das  Menschengeschlecht  mit  Fiebern  plagen ,  wenn  sie  aus  der 
Erdhöle,  in  der  sie  gefesselt  liegen,  losgelassen  werden. 

2)  Orcst.  Miller,  Opuit  istoriczeskago  obozrjonija  Russkoi  slovenosti. 
St.  Petersburg  1866.    I,  10. 


Banzn,  Menschenleib  and  Eranheitsdämonen.  17 

tibertragen,  da  sie  ja  zu  solchen  gehören,  von  solchen  ausgingen;  ^ 
oder  wo  diese  letztere  Vorstellung  nicht  mehr  obwaltete,  bewog 
die  in  der  Menschheit  ewig  rege  Selbstsucht  die  Schmerzen  des 
eigenen  Leibes  auf  einen  fremden  (den  des  Pflanzendämons)  abzu- 
leiten. Eine  von  Räucherung  geweihter  Kräuter  und  Rosenblät- 
ter begleitete  Beschwörung  in  Böhmen  lautet: 

Ich  verwünsche  euch  Gliederweh, 
Brandweh,  Beinweh 
^     In  den  tiefen  Wald, 
In  die  hohe  Eiche, 
In  das  stehende   Holz 
Und   in  das  liegende. 
Dort  schlagt  ench  herum  und  stoßet 
Und  gehet  dieser  Person  (Name)  Ruhe.* 

In  Mecklenburg'  spricht  der  Kranke  bei  abnehmendem  Monde, 
die  Würmer  anredend: 

Ji  sölt  mit  mi  führen  to  Holt, 
Dä^  steit  en  Bömken  köl  un  stolt, 
Darin  will  ik  ju  versenken, 
Ertränken  !> 

In  Böhmen  hält  der  Besegner  behufs  Entfernung  der  „fres- 
senden Würmer  in  den  Augen"  ein  Büschel  von  29  Sommer- 
komähren  an  das  kranke  Auge  und  sagt :  „  Du  N.  N.  hast  fres- 
sende Würmer  in  den  Augen.  Ich  laß  sie  nicht  dort,  ich 
bespreche  sie  heraus.  Kommt  ihr  Würmer  in  diese  Aehren."* 
Uebereinstimmend  ist  der  mit  mehriachen  Modificationen  weit 
verbreitete  Brauch,  das  Fieber  in  Getreidekörner  (Gerste,  Buch- 
weizen u.  8.  w.)  durch  Berührung  mit  dem  Körper  des  Kranken 
übergehen  zu  lassen,    und  dieselben  dann  auszusäen;    verfaulen 


1)  Sehr  h&ufig  findet  sich  für  diesen  Gedanken  nur  der  allgemeine 
Ausdruck,  daß  die  Krankheiten,  die  Elhe  in  den  wilden  Wald,  unter 
den  Busch  verwiesen  werden.  Birlinger  Volkst.  a.  Schwaben  I,  S.  209  u. 
317  und  Myth.»  CXUn.  aus  Voigt,  Quedlinb.  Hexenacten:  „Du  Eiben 
und  du  Elbinne,  mir  ist  gesagt,  du  kannst  den  König  von  der  Königin 
bringen  und  den  Vogel  von  dem  Nest,  du  sollst  nicht  ruhen  noch  lasten, 
da  kommest  denn  unter  den  Busch,  dafi  du  den  Menschen  keinen  Scha- 
den tust. 

2)  Grohmann,  Abergl.  a.  Böhmen,  S.  158,  1137. 

3)  Struck,  Sympathien,  S.  27,  14.  Wol  Vermischung  mit  einem  andern 
Segen,  wonach  die  Würmer  in  einen  Brunnen  verwiesen  werden. 

4)  Grohmann,  ÄbergL  a.  Böhmen,  I,  185,  1301. 

Mannhardt.  2 


18  Kapitel  I.    Baumseele: 

sie  in  der  Erde,  so  starb  der  Quälgeist  mit,  gehen  sie  auf  und 
schießen  in  Halmen  empor,  so  steckt  er  in  diesen  und  sie  zittern 
bei  ruhiger  Luft  beständig  in  Fieberschauem.  ^  Wer  an  Schwin- 
del leidet,  läuft  nach  Sonnenuntergang  dreimal  nackt  um  ein 
Flachsfeld,  dann  bekommt  der  Flachs  den  Schwindel.^ 

Wenn  jemandem  in  Masuren  die  krazno  lutki  (Fettleute), 
kleine  rote  Würmer,  in  den  Eingeweiden  an  der  Lunge  zehren, 
so  schneidet  man  etwa  40  Paar  Hölzchen  von  neunerlei  Holz 
(Kaddik,  Erle,  Birke  u.  s.  w.)  —  dieselben  müssen  jedoch  unter 
einem  Aestchen  abgeschnitten  sein,  so  daß  sie  mit  die- 
sem die  Gestalt  eines  Häckchens  bilden  ~  übergießt  den  Kran- 
ken mit  einem  Kübel  warmen,  bei  abnehmendem  Licht  aus  flie- 
ßendem Rinnsal  geschöpften  Wassers  und  wirft  die  Hölzchen 
paarweise  hftein.  Dann  wäscht  man  den  Leidenden  (besonders 
die  Ohren,  Nasenlöcher,  Achselgruben  und  Kniekehlen)  und  sieht 
nun  nach,  wie  viele  Hölzchen  oben  im  Wasser  schwimmen,  und 
wie  viele  zu  Boden  gesunken  sind.  Die  ersteren  zeigen  die  An- 
zahl der  krazno  lutki  an,  welche  den  Körper  des  Patienten 
bereits  verlassen  haben  (d.  h.  in  die  Baumzweige  übergegangen 
sind),  die  letzteren  entsprechen  der  Anzahl  der  noch  im  Fleisch 
und  Gebein  des  Unglücklichen  verweilenden  Plagegeister.*  An 
drei  Donnerstagen  wird  die  Procedur  wiederholt,  bis  alle  Fett- 
leute aus  dem  Körper  heraus  sind,  oder  die  Unheilbarkeit  sich 
herausstellte.  Ein  ganz  ähnliches  Verfahren  wendet  man  mit  drei 
in  81  kleine  Stäbchen  zerlegten  Zweigen  des  Kirschbaums 
an,  um  zuerkennen,  ob  jemand  mit  „weißen  Leuten'^  (bia2e 
ludzie)  in  Haut,  Blut,  Adern  und  Gelenken  behaftet  sei.  Bleiben 
alle  Stäbchen  schwimmen ,  so  ist  der  Besegnete  von  weißen  Leu- 


1)  Wuttke ,  a.  a.  0.  §.  493. 

2)  Wuttke ,  a.  a.  0.  §  489. 

3)  Als  lehrreiches  Analogen  beachte  man  das  Verbot  bei  Burchard 
T.  Worms  (Myth.  ^  XXXVIl) :  Fecisti  quod  quidam  faciunt ,  dam  visitant  ali- 
qnem  infirmom,  cum  appropinquaTerint  domoi,  ubi  infirmos  decnmbit,  si 
invenerint  aliquem  lapidem  jozta  jacentem,  revolvunt  lapidem  et 
requimnt  in  loco  ubi  jacebat  lapis,  si  ibi  sit  a liquid  subtus  qnod 
vivat,  et  si  invenerint  ibi  Inmbricam  aut  muscam  ant  formicam 
aut  all q nid  quod  se  moveat,  tunc  affirmant  aegrotam  convalesoere;  si 
autem  nihil  ibi  invenerint  quod  se  moveat,  dicunt  esse  moriturum.  Sie  sehen 
zu,  ob  die  insektenförmigen  Erankheitsgeister  schon  aus  dem  Körper  des 
Leidenden  unter  den  Stein  zurückgekehrt  seien. 


Banm,  Menschenleib  nnd  Erankheitsdämonen.  19 

ten  frei,  geht  ein  Teil  anter,  so  ist  er  mit  ihnen  in  dem  Grade 
behaftet /als  das  Verhältniß  zu  den  seh  winmienden  Zweigteilchen 
angiebt.  ^ 

Hiezu  stellt  sich  u.  a.  der  Brauch  aus  Vorarlberg,  die  Tschüta- 
läose  (d.4.  Flechten,  herpes)  einem  kranken  Tier  zu  vertreiben, 
selbst  wenn  das  Stück  entfernt  ist.  Man  bricht  bei  Sonnenunter- 
gang von  der  Holunderstaude  4rei  Schossen  ab  unter  Ver- 
wahrung für  das  namentlich  genannte  Tier,  dem  man  zu  helfen 
verlangt  (dadurch  gehen,  wie  man  sich  offenbar  vorstellte,  die 
Plagegeister  in  die  Schößlinge  über),  hernach  bindet  man  sie 
zusanmien  und  henkt  sie  in  den  Kamin  oder  sonst  in  den  Rauch; 
so  geschwind  die  Schosse  dürr  werden ,  werden  auch  die  Tschüta- 
läuse  weg  sein. '  Aus  diesen  und  ähnlichen  Bräuchen  darf  wol 
gefolgert  werden,  daß  die  Vorstellung  von  den  gespenstigen  Wür- 
merii  im  kranken  Menschenkörper  wieder  rückwärts  gewirkt 
habe  auf  die  Vorstellung  von  dem  den  Baum-  oder  sonstigen 
Pflanzenkörper  bewohnenden  Gewürm.  Nicht  allein  unter  dem 
Baume,  oder  zwischen  dessen  Borke,  sondern  (trichinenartig)  in 
seinem  Innern  dachte  man  sich  nun  wol  derartig  die  Eiben  ver- 
teilt, daß  im  Holze  jedes  Zweiges  mehrere  ihren  Sitz  hatten,  wie 
sonst  in  Fleisch  und  Gliedern  des  Menschen.  In  einen  solchen 
Zweig  sollten  die  vorstehenden  Zauberformeln  sie  zttrücklocken. 
Möglich  ist,  daß  die  Knoten  der  Ästansätze  ftlr  Anzeichen  des 
Daseins  je  eines  Eiben  oder  eines  Eibenpaares  (Elb  und  Eibin, 
wie  Wurm  und  Wttrmin)  gehalten  wurden ;  wenigstens  die  Unfor- 
men  und  auffallenden  Ejiorren  sollen  von  alten  Eiben  herrühren, 
die  sich  im  Baum  verkriechen  und  dann  verwachsen.  ^  Bei  Pots- 
dam heißen  sie  Alfloddem  und  verursachen,  wenn  man  unter 
ihnen  durchgeht,  einen  schlimmen  Kopf.  *  (Der  Alb  springt  von 
ihnen  herab  in  den  Kopf  des  Menschen.)    Im  menschlichen  Kör- 

1)  Toppen ,  Abergl.  a.  Masuren,  S.  24.  So  die  Berichte.  Aber  werden 
die  Hölzchen  nicht  unter  allen  Umständen  auf  dein  Wasser  schwimmen? 
Vergl.  Priflchbier,  Hexenspruch,  S.  74  —  78. 

2)  Vonbun,  Beitrage  z.  D.  Mythologie  gea.  in  Churrhätien.  Churl862. 
S.  128. 

3)  £.  M.  Arndt,  M&rchen  nnd  Jagenderinnerangen  bei  Mannhardt, 
Genn.  Mythenforsch.  476. 

4)  Kuhn ,  Westflü.  Sag.  II ,  55,  158.  Vgl. :  In  Strohseilknpten,  die  man 
auf  dem  Acker  findet,  sitzen  arme  Seelen;  sie  werden  erlöst,  wenn  man  den- 
selben auflöst.    Wuttke,  Abergl.  §.767. 

2* 


20  Kapitel  I.    Baumseele: 

per  entsprechen  diesen  Knorren  und  Auswüchsen  vorzugsweise 
die  G-eschwuIste,  Warzen  und  Leichdörner,  weil  diese  das  Dasein 
eines  Geistes  verraten;  auch  sie  sind  angeblich  durch  Uebertra- 
gung  auf  einen  andern  Menschen,  auf  Tiere  und  Bäume,  durch 
Regen  Wasser,  das  auf  einem  Leichensteine  gesammelt  wurde, 
u.  s.  w.  zu  heilen.  ^ 

Den  vorstehenden  Auseinandersetzungen  entspricht  es,  daß 
der  Beschwörer  den  krankheitverursachenden  Geist  bald  auf  den 
Ast  des  Baumes  sich  setzen  heißt,  bald  leibhaftig  mitten  in  das 
Innere  des  Baumkörpers  hineinzuversetzen  sucht:  „Zweig  ich 
biege  dich,  Fieber  nun  meide  mich!"  (Myth.i  CXL,  XXVl), 
oder  „Holunderast-  hebe  dich  auf,  Rotlauf  setze  dich 
drauf!"  (Myth.  *  1122),  oder  den  Holanderbaiim ,  während  man 
Fieber  hat,  schüttelnd:  „Holunder!  Holunder!  Holunder!  Auf 
mich  kriecht  die  Kälte;  wenn  sie  mich  verlassen  wird,  kriecht 
sie  dann  auf  dich!  (Wuttke,  §.  488.  Grohmann,  Abergl.  164, 1153) 
oder:  „Goden  Abend  Herr  Fleder!  hier  bring  ick  min 
Feber!"  oder  frühmorgens  drei  Knoten  in  den  Ast  eines  alten 
Weidenbaumes  knüpfend:  „Gon  morgen,  Olde,  ickgefu 
de  Kolde;  g6n  morgen,  Olde!  (Myth.**  1123).  Schon  etwas 
TJomplizierter,  mithin  auf  ältere  einfachere  Formen  zurückweisend 
ist  das  von  Plinius  Valerianus  (oder  Siberius,  einem  Gallier  des 
4/ J^^hrh.)  gemeldete  Heilmittel  fttr  das  viertägige  Fieber:  Panem 
et  sälem  in  linteo  de  lyco  (lies:  deliculo)  liget  et  circa  arborem 
licio  alliget   et  juret   ter   per  panem  et  salem:   „Grastino  mihi 

1)  Wnttke  a.  a.  0.  §.  513.  Perger,  Pflanzensagen  348.  Frischbier,  He- 
zensprucli  93.  Jetzt  wird  auch  die  Vorschrift  verstandlich,  welche  schon 
.  im  4.  Jahrh.  der  gallische  Arzt  Marcellas  von  Bordeaux  verzeichnet:  ne  inguen 
ex  ulcere  aliqno  ant  vulnere  intumescat,  surculnm  anethi  in  cingolo  ant 
in  fascia  habeto  ligatam  in  sparto  vel  quoconqne  vincnlo,  quo  holns  aut 
obsoninm  faerit  innexnm,  Septem  nodos  fades  et  per  singulos  nectens  nomi- 
nabis  singnlas  anus  viduas  et  singnlas  feras  et  in cruce  vel  brachio, 
cujus  pars  vulnerata  fuerit  alligabis.  Quae  si  prius  faeias  ante  quam  na- 
scantur  inguina  omnem  inguinum  vel  glapdularum  molestiam  prohibebis,  sl 
postea  dolorem  tumoremque  sedabis.  Inguinibus  potenter  medebere,  si  de 
licio  Septem  nodos  faeias  et  ad  singulos  viduas  nomines'et  supra  talum 
ejus  pedis  alliges ,  in  cujus  parte  erunt  inguina.  Marcell.  Burdigal.  ed.  Cor- 
nar.  cap.  32,  p.  225.  J.  Grimm  üb.  Marcellus  p.  24,  90.  El.  Sehr.  11,  141. 
Die  beim  Knotenmachen  als  Zauberinnen  und  Untiere  genannten  alten  Wei- 
ber sind. die  Geschwulst  verursachenden  Erankheitsgeister  (vgl.  o.  S.  16ff.  die 
12  li&dchen  in  dem  russischen  Zauberspruch). 


Banm,  Menschenleib  und  Krankheitsd&monen.  21 

hospites  ventari  sunt,  sngcipite  illos/^  Hoc  ter  dicat.  Plin.  Valer. 
III.  6.  p.  191^.  Die  Gäste  sind  die  Plagegeister;  der  Kranke, 
der  sie  nicht  haben  will,  bringt  sie  dem  Baum  zugleich  mit  Brod 
und  Salz,  damit  dieser  sie  bewirte.  Dazu  vgl.  Frischbier,  Hexen- 
spruch S.  53 ,  3 ,  wo  der  Fieberkranke  ein  Geldstück  und  ein 
StiLck  Brod  in  einem  Lappen  jenseits  neun  Grenzen  unter  einen 
Stein  (vgl.  o.  S.  18  Anm.  3)  trägt  und  spricht: 

„Grenze,  Grenze,  ich  klage  dir 
Kalt  und  Heiß  plaget  mir. 
Der  erste  Vogel,  der  rüher  fliegt 
Nehm*  es  unter  seine  Flucht'." 

und  dazu  wieder  den  Spruch  ebds.  4.  welcher  lehrt,  daß  auch 
dem  Baume  der  Erankheitsgeist  zuweilen  nur  übergeben  wird, 
damit  er  denselben  einem  Vogel  zum  Hinwegtragen  in  weite 
Feme  überliefere: 

Born,  Bora  öck  schödder  di, 
Dät  kolo  Feher  hring  öck  di. 
De. Erseht  Vagel,  der  räwerflücht, 
Dat  de  dat  Feber  kriege  mücht. 

lieber  die  ganze  Vorstellung  s.  Kuhn,  Zs.  f.  vgl.  Sprachf. 
Xin.  73,  der  nicht  allein  Analoga  aus  den  Veden  und  der  Edda 
anführt,  sondern  auch  an  den  Gebrauch  in  der  Altmark  erinnert, 
daß  Eopfwehkranke  einen  Faden  zuerst  dreimal  um  ihr  Haupt 
binden,  dann  in  Form  einer  Schlinge  an  einen  Baum  hängen. 
Fliegt  ein  Vogel  hindurch,  so  nimmt  er  das  Kopfweh  mit.  Ein 
Gichtkranker  soll  sich  vor  Tagesanbruch  im  Walde  einfinden,, 
dort  dreiTropfen  seines  (von  den  unsichtbaren  Plagegeistern 
erfüllten)  Blutes  in  den  Spalt  einer  jungen  Fichte  ver- 
senken und  nachdem  die  Oeffhung  mit  Wachs  von  Jungfem- 
honig verschlossen  ist,  laut  rufen:  Gut  morgen,  Frau  Fichte, 
da  bring  i  dir  die  Gichte!  was  ich  getragen  hab'  Jahr  und 
Tag,  das  sollst  du  tragen  dein  Lebetag!*  Wer  jemanden  von 
Zahnschmerzen  befreien  will  geht  rücklings  aus  der  Stube  zu 
einem  Holunderstrauch  und  spricht  dreimal 

Liehe  Hölter 
Leiht  mir  einen  Spalter 
''  Den  hring  ich  ench  wieder ! 


1)  Ernst  Wagner, --ABC  eines  Henneherg.  Fiebelschützen  Tübing.  1810, 
p.  229.  Myth. »  CXLV,  XLIV. 


22  Kapitel  I.    Baumseele: 

Unterdessen  macht  er,  sich  umdrehend,  zwei  neben  einander  lie- 
gende Einschnitte  and  schält  die  Rinde  anf  eines  Zolls  Länge, 
doch  so  daß  sie  möglichst  angerissen  anten  mit  dem  Aste  ver- 
einigt bleibt,  schneidet  aus  dem  bloßgelegten  Holz  einen  Splitter 
and  trägt  den  wieder  rücklings  gehend  in  die  Stabe.  Der  Lei- 
dende ritzt  dort  mit  dem  grünen  Splitter  sein  Zahnfleisch  bis 
derselbe  blutig  wird,  (mit  dem  Blute  den  das  Zahnweh  verur- 
sachenden Geist  in  sich  aufninunt).  Dann  bringt  ihn  der  Be- 
schwörer immer  rückwärts  gehend  wieder  zu  dem  Holderbaum, 
drückt  ihn  in  den  Splint,  legt  die  Rinde,  wie  sie  gewesen  und 
befestigt  sie  mit  einem  Bindfaden,  damit  der  Einschnitt  desto 
eher  verwachse.  Dann  noch  einiges  Gemurmel  unverständlicher 
Worte  und  der  Zahnschmerz  ist  fort.^  In  Dänemark  nimmt  man 
bei  Zahnweh  einen  Holunderzweig  in  den  Mund  und  steckt  ihn 
dann  in  die  Wand  mit  den  Worten:  „Weiche  böser  Geist."^ 

Es  ist  nun  wol  deutlich,  wie  alle  vielfachen  Kuren,  welche 
sonst  noch  auf  ein  Verpflöcken  der  Krankheit  in  den  Baum, 
(sogar  die  Pest  wird  als  Schmetterling  in  den  Baum  verkeilt), 
oder  auf  ein  Einknoten  oder  Einbinden  in  Zweige  hinausgehen 
sammt  und  sonders  auf  eine  und  dieselbe  Grandvorstellung  zurück- 
zufahren sind.^ 


1)  Westfalen.  Montanas,  Volksfeste  S.  149. 

2)  Myth.  1  CXVI.  162. 

3)  Wer  eine  lebendige  Auschanung  gewinnen  will  von  der  heidni  eben 
Vorstellung  über  die  Herkunft  der  Erankbeitsdämonen ,  unterlasse  nicbt  das 
finniscbe  Epos  Kalevala  übers,  v.  Scbiefoer.  Helsingfors  1852.  ß  XVII. 
S.  88—95  nachzulesen.  Auch  der  Finne  hält  die  Krankheiten  für  lebende 
Geister  von  böser  Natur  z.  Teil  in  Tiergestalt.  (Fingerwunn,  Zahnwurm, 
Hund  u.  s.  w.)  Castren ,  Finn  Mythol.  S.  173.  Schröter ,  finn.  Runen  S.  48  ff. 
Vgl.  Myth.^  1113.  Sie  kommen  teilweise  aus  des  bösen  Hiisi  Waldhürden, 
aus  der  holen  Föhre  Wipfel ,  aus  der  morschen  Tanne ,  der  sausenden  Fichte 
Kalevala  XVII.  V.  206  ff.)  Der  Wald  mit  seinen  Waldgeist em,  der  Wacholder 
insbesondere,  werden  angefleht  sie  zum  Weichen  zu  bringen.  (V.  270.)  Der 
Beschwörer  bannt  sie  in  Piru's  (des  Teufels)  Eberesche  (Zs.  f.  vgl.  Sprachf. 
Xm,  151)  und,  wenn  sie  dorther  kamen,  in  des  Hiisiwaldes  Schluchten,  in 
die  Wohnung  des  Föhrenhains,  in  den  Winkel  des  Tannendickichts.  (V.  384  ff.) 
Daneben  aber  giebt  es  noch  tausenderlei  andere  Krankheitsdämonen,  die  aus 
dem  Fuchsloch,  der  Löwenhöle,  aus  der  Erde  Schoß,  aus  sandiger  Wüste, 
aus  Sümpfen  und  Quellen,  aus  Schlachtfeldern  und  Gräbern,  vom  kahlen 
Kupferberge  und  öden  Meeresrücken,  vom  Pfad  der  Winde,  vom  Band  der 
Wolken,  aus  der  Umgebung  der  Zauberer,  aus  dem  Beiche  des  Todtengottes 


Baun,  Menschenleib  and  Krankheitsdamonen.  23 

Von  den  unzähligen  individuellen  AuBgestaltungen  und  Sproß- 
formen  der  dargelegten  Ideen  will  ich  nur  noch  eine  hier  erwähnen^ 
welche  aufs  neue  recht  deutlich  den  im  Volksglauben  feststehen- 
den ParallelismuB  des  Baumes  und  des  Menschenkörpers  zeigt 
Offenbar  um  seiner  Form  willen  heißt  ein  schwellend  hervor- 
springender Fleischten  bei  Menschen ,  der  Muskel ,  unter  Hellenen, 
Römern  und  Deutschen  Maus,  Mäuslein,  Mäuschen,  ahd.  müs, 
griech.  fwg,  lat.  musculuB.    Auch  von  Tieren  gilt  dasselbe  Wort. 


aufsteigen  nnd  jeder  mit  Anruf ang  der  über  die  genannten  Elemente  gebie- 
tenden gottUchen  Wesen  an  ihren  Ort  verwiesen  werden.  Ganz  dieselbe  An- 
schauung ,  wie  dieser  Gesang  aus  Kalevala,  sprechen  namentlich  auch  böhmische 
Begegnungen  unumwunden  aus.  Die  Strily  (stechende  Schmerzen)  flogen 
daher  vereinigt  mit  dem  Rotlauf  und  hielten  sich  im  Kopfe,  den  Ohren ^  den 
Zähnen.  Sie  werden  verwünscht.  Sind  sie  aus  dem  Winde,  so  sollen  sie 
wieder  in  den  Wald  (var.Wind)  gehen,  um  dort  Holz  in  den  größten  Dickich- 
ten zu  brechen ;  sind  sie  aus  dem  Wasser ,  so  sollen  sie  wieder  ins  Wasser 
zurückkehren  und  in  den  größten  Tiefen  Sand  binden ;  sind  sie  aus  den  Felsen, 
so  sollen  sie  wieder  in  die  Felsen  gehen  und  Steine  brechen;  aber  Kopf, 
Ohren  nnd  Zähne  soUen  sie  in  Ruhe  lassen  und  nicht  mehr  martern.  Man 
bannt  sie  in  eine  Hand  voll  Haferkömer.  S.  Grohmann,  Abergl.  a.  Böhmen 
S.  158—162.  N<».  1138.  1143.  1144.  —  Aehnlich  sind  auch  die  deutschen  im 
Baum  lebenden  Elbe  nur  so  zu  sagen  eine  Abteilung  einer  größeren  Genossen- 
schaft. Lehrreich  ist  es  auch  manche  analoge  Vorstellungen  anderer  fremder 
Naturvölker  zu  vergleichen.  Der  Karen  in  Hinterindien,  der  seine  malaria- 
schwangeren Wälder  bereisend  sich  vom  Fieberfrost  geschüttelt  fühlt,  glaubt 
in  seinem  Körper  das  Wüten  des  boshaften  Phi  zu  fühlen  und  beeilt  sich 
Opfergaben  an  den  Stamm  des  Baumes  zu  stellen,  unter  dem  er  zuletzt  geruht 
hat ,  denn  aus  dessen  schwankenden  Wipfeln  ist  dieser  zwischen  den  Blättern 
lauernde  Martergeist  auf  ihn  herabgefallen.  Bastian  in  Zs.  f.  Yölkerps.  Y,  287. 
Man  vgl.  was  eben  derselbe  Gelehrte  (Völker  des  Östl.  Asiens  VI.  Vorw.  VII.) 
über  den  nämUchen  Gegenstand  äußert:  „daß  sein  Nebenmensch  ihn  in  ein 
Fieber  zu  schütteln  vermöchte,  darüber  besitzt  der  Wilde  keine  Erfahrung 
und  fühlt  er  sich  also  von  demselben  gepackt,  so  bat  er  seinen  geschlossenen 
Ideenkreis  durch  Aufnahme  eines  Hilfsgliedes  zu  erweitem  und  pflegt  er  in 
dem  Fieber  einen  von  menschlicher  Existenz  abgelösten,  aber  immerhin  (weil 
am  nächsten  liegend)  in  menschlicher  Form  erscheinenden  Dämon  zu  erkennen, 
der  auf  den  Bäumen  der  Malariawälder  lauert'*  Deutlich  ist  hier  das 
Zittern  des  vom  Fieberfrost  geschüttelten  Menschenkörpers 
mit  dem  Zittern  des  vom  Winde  bewegten  BaumkÖrpers  in 
der  Idee  der  Wilden  combiniert,  und  es  darf  wol  gefragt  werden,  ob 
neben  den  Insekten  (o.  S.  13)  nicht  auch  diese  Vorstellung  zu  den  psy- 
chologischen Factoren  unserer  sympathetischen  Kuren  gehört 
habe? 


24  Kapitel  I.    Banuiseele: 

So  heißt  in  Augsburg  ein  besonders  geschätzter  Teil  des  Rind- 
fleisches Herrenmaus.  Man  hat  aber  sicherlich  diese  Stelle  einst 
auch  wirklich  von  einem  geisterhaften  Wesen  in  Mausgestalt 
erfl^Ut  gedacht.  In  vielen  Sag.en  schlüpft  die  den  Menschenleib 
bewohnende  Seele  in  Mausgestalt  aus  dem  Munde  und  verläßt 
zeitweilig  oder  fllr  immer  den  Körper.^  Auch  Hexen,  Hausgeister, 
Waldgeister  und  andere  Dämonen  nehmen  Mausgestalt  an.' 
Caspar  Peucer,  Melanchthons  Schwiegeröohn  war  doch  wol  durch 
eine  allgemeine  Anschauungsweise  seiner  Zeit  zu  der  Ueberzeu- 
gung  und  Behauptung  verleitet,  er  selbst  habe  bei  einer  beses- 
senen Weibsperson  den  Teufel  in  Gestalt  einer  Maus  unter  der 
Haut  hin  und  herlaufen  sehen.  ^  Wenn  daher  der  Aberglaube 
versicherte,  gewisse  unerklärliche  und  krankhafte  Anschwellungen 
des  Körpers  bei  Menschen  und  Vieh  rührten  daher,  weil  eine 
Feldmaus  darüber  hingelaufen  sei,  so  wird  diese  Vorstellung 
ursprünglich  ein  Hineinschlüpfen  gemeint  haben  und  nichts  anderes 
besagen,  als  daß  diese  Geschwülste  ähnlich  den  Warzen  und 
anderen  Auswüchsen  durch  einen  gespenstigen  Parasiten  und  zwar 
einen  mausgestaltigen  erzeugt  würden.  Unter  dieser  Voraus- 
setzung wird  es  dann  vollkommen  erklärbar,  weshalb  man,  um 
jene  Krankheit  zu  heben ,  eine  lebendige  Feldmaus  in  eine  Eiche, 
Ulme  oder  Esche,  (poUardash,  shrewash)  verpflöckte  und  der 
Ansicht  war,  mit  einem  Zweige  dieses  Baumes  berührt,  werde 
die  Geschwulst  sofort  aufhören.^  Natürlich,  die  gespenstige 
Maus  wurde  als  in  den  Baum  zurückgegangen  gedacht.  Man 
gewahrt  hier  aber  deutlich,  wie  durch  Analogie  und  Wechsel- 
wirkung der  Vorstellungen,  nachdem  zuerst  die  im  Baume  hau- 
senden   Insekten    mit    den     vermeintlichen    schmerzerregenden 


1)  Myth.«  1036.  Mannhardt,  Germ.  Myth.  79  Zs.  f.  D.  Myth.  IV.  449. 
Grohmann ,  Apollo  Smiutbeas  S.  21  ff. 

2)  Vernaleken,  Mythen  und  Gebr.  239.  Enhn  und  Schwarz  Nordd. 
Sag.  411. 

3)  De  praecip.  gener.  divinat.  Yiteb.  1580  S.  10  bei  Grohmann  a.  a.  0. 
S.  24. 

4)  Gil.  White,  the  natural  history  and  antiqnities  of  Selbome.  London 
1789,  4.  p.  202—204  bei  Grimm  Myth.«  1120  vgl.  K.  Studleys  Bericht  ans 
Devonshire  y.  J.  1806  Brand,  Populär  antiquities  of  Great  Britain.  ed.  Ellia. 
London  1855.  III.  S.  293.  Rob.  Plot,  natural  history  of  Staffordshire  Oxford 
1686  S.  222.  Mytb.8  1120. 


Baam,  Menschenleib  und  Erankheitsdamonen.  .25 

Würmern  identifiziert  worden  waren,  non  anch  andererseits  die 
auf  Gewürm  oder  Ungeziefer  anderer  Art  erweiterte  Vorstellmig 
Yon  den  Krankheitsgeistem  rückwärts  auf  den  Baum  als  ursprüng- 
lichen Wohnsitz  derselben  übertragen  worden  und  daher  der 
Glaube  an  die  Heilung  durch  eingepflöckte  Feldmäuse  entstanden 
ist.  Fast  überall  wird  bei  derartigen  Heilversuchen  der  Baum- 
geist angeredet,  und  von  den  Krankheit  bringenden  Geistern,  den 
Eiben,  unterschieden.  Nicht  also  das  bewußtlose  Gewächs,  son- 
dern der  empfindend  und  denkend  gedachte,  der  vollen  Anthro- 
pomorphose sich  annähernde  Baum  beherbergt,  entsendet  und 
nimmt  wieder  auf  die  schädlichen  geisterhaften .  Würmer.  ^  Jene 
Aussage  Laszkowskis  über  den  Glauben  der  Niederlitauer  wirft, 
wie  es  scheint,  die  Baumgeister  und  die  Eiben  in  eins.  Erstere 
wollte  der  erzürnte  Neubekehrte  tödten  oder  schädigen,  indem 
er  von  den  Bäumen  die  Binde  abschälte  (ego  vos  nudas 
faciam);  aber  unter  den  dem  Viehstand  schädlichen  Götterchen, 
Welche  „intra  arbores  et.cortices"  verborgen  seien,  sind  sowol  die 
den  Baum  als  ihren  Körper  erfüllende  unter  der  Binde  als  unter 
ihrer  Haut  sich  bergende  Baumseele,  welche  die  Plagegeister  auf 
Tiere  und  Menschen  entläßt,  als  die  in  Holz  und  Borke  umher- 
kriechenden den  Leib  des  Baumgeistes  bevölkernden  „  bösen 
Dinger"  von  dem  in  die  Einzelheiten  der  Vorstellung  schwerlich 
genauer    eingeweihten    Berichterstatter    zusammengefaßt.^     Die 


1)  Zuweilen  verwendet  der  aberglfinbische  Branch  freilich  auch  leblose 
Dinge  als  Vertreter  lebender  Wesen,  wie  wenn  z.  B.  das  zerbrochene  Bein 
eines  Schafes  oder  Schweines  dadarch  geheilt  werden  soll,  daß  man  das 
entsprechende  Bein  eines  Stuhles  von  gesundem  Holze  schient  und  verbindet 
and  den  Stuhl  dann  unangerührt  stehen  läßt.  Panzer  Beitr.  IT.  302.  Der 
vierbeinige  Stuhl  ist  um  seiner  Gestalt  willen  zum  Substituten  des  geschä- 
digten Tieres  gewählt.  Solche  Analogien  erhärten  aber  nur  unsere  Behauptung, 
daß  der  Baum  als  alter  ego  des  Menschen  aufgefaßt  wurde,  zu  dem  sein 
aufrechter  Wnehs  und  die  Eigenschaft  des  Wachstums  ihn  in  Parallelismus 
setzte. 

2)  Oder  nahm  der  Zemaite  etwa  mehrere  Seelen  in  einem  Baume  zu- 
gleich an  und  identifizierte  diese  mit  den  Eiben?  Aehnlich  lebt  ja  der 
Caraibe  des  Glaubens,  daß  der  Mensch  so  viele  Seelen  habe,  als  er 
Adern  in  sich  schlagen  fühle.  Die  vornehmste  Seele  habe  im  Herzen 
ihren  Sitz;  sie  gehe  nach  dem  Tode  zum  Himmel  und  lebe  dort  in  Gesell- 
schaft der  Götter  auf  die  gewohnte  Art.  Die  andern  Seelen,  die  nicht  im 
Herzen  ihren  Sitz  hatten,  begeben  sich  teils  zur  Seeseite  und  sind  Ursache, 


26  Kapitel  I.    Baomseele: 

Richtigkeit  dieser  Behauptung  werden  die  auf  den  nachfolgenden 
Seiten  anzustellenden  Untersuchungen  dartun,  welche  nachzu- 
weisen bestimmt  sind,  wie  detailliert  sich  der  Volksglaube  die 
Analogie  des  Baumleibcs  mit  dem  Menschenköi-per  weiterhin 
ausmalte. 

§.  8.  Strafe  für  BaumschSIer.  Von  allem  anderen  abge- 
sehen beweist  Laszkowkis  Mitteilung,  daß  bei  einem  Volke 
lettischen  Stanames  es  für  einen  Frevel  galt  heilige  Bäume 
der  Rinde  zu  berauben,  weil  dadurch  innewohnende  Dämo- 
nen geschädigt  würden;  wer  dies  dennoch  tat,  erwartete  tür  sich 
einen  unerhörten  Nachteil.  Hiermit  stimmt  nun  genau  das  Ver- 
bot des  Baumschälens  in  dem  uralten  Gewohnheitsrechte  der 
deutschen  Markgenossenschaften  zusammen,  welches  furchtbare 
Stj^fen  flir  solchen  Forstfrevel  androhte:  Aus  den  Weistümem 
hat  J.  Grimm  R.  A.  519  ff.  viele  Beispiele  zusammengestellt,  ihrer 
noch  weit  mehrere  sind  hie  und  dort  in  seiner  großen  Weisttfmer- 
sammlung  veröffentlicht;  sie  gleichen  sich  und  es  genügt  das  eine 
oder  das  andere  herauszuheben.*  „Item  es  soll  niemand  Bäume 
in  der  Mark  schälen,  wer  das  täte,  dem  soll  man  sein  Nabel 
aus  seinem  Bauch  schneiden  und  ihn  mit  demselben  an  den 
Baum  negeln  und  denselben  Baumschäler  um  den  Baum  ftihren, 
so  lang  bis  sein  .  Gedärm  alle  aus  dem  Bauch  auf  den  Baum 
gewunden  seien.  (Oberurseier  Weistum.)  Wenn  jemand  eine 
Weide  abschält,  soll  man  ihn  mit  seinem  Gedärme  den  Schaden 
bedecken  lassen;  kann  er  das  verwinden,  kann  es  der  Baum 
auch  verwinden.  (Wendhager  Bauemrecht.)  Der  en  fruchtbaren 
Baum  truttelde,  soll  mit  seinen  Dermen  nach  ufgeschnittenem 
Bauche  umb  den  Schaden  gebunden  und  damit  zugehelen  werden. 
Wenn  jemand  einen  fruchtbaren  Baum  abhauete  und  den 
Stamm  verdeckte  dieblicher  Weise,  dem  soll  seine  rechte  Hand 
uf  den  Rucken  gebunden  und  sein  Gemechte  uf  den  Stammen 
genegelt  werden  und  in  die  linke  Hand  eine  Axe  geben  sich 
damit  zu  lösen.  (Schaumburger  altes  Landrecht.)  Wir  haben 
meines  Wissens  keinen  Beweis  dafür,  daß  dieses  barbarische  Recht 
in  Deutschland  zu  historischer  Zeit  jemals  in  Anwendung  gebracht 


daß  die  Schiffe  nntergeben,  teils  gehen  sie  in  die  Wälder  nnd  heißen 
Mabosos..  Davies ,  history  of  the  Caribes  288  ff.  Klemm ,  Allgem.  Kalturgesch. 
n,  165. 


Strafe  f&r  Baamschftler.  27 

I 

sei.    Der  Schuldige  konnte  Hals  und  Glied  mit  einer  geringen 
Geldsumme  lösen.  ^ 

Ein  um  so  bemerkenswerteres  Zeugniß  für  die  Wahrheit  des 
Dichterwortes,  daß  „Rechte  und  Gesetze"  sieh  längst  überlebt 
wie  eine  ewige  Krankheit  fortpflanzen,  bietet  daher  u.  Ä.  das 
Protokoll  des  Holt-tings  zum  Harenberg'  unweit  Blumenau  und 
Limmer  bei  Hannover  am  13.  Nov.  1720.  Noch  damals  erklär- 
ten die  Beisitzer  des  unter  dem  Herrn  von  Holle  als  Erben  und 
Holzgrafen  zusammengetretenen  Holzgerichts:  Frage  22:  Wenn 
einer  befunden  würde  „  der  einen  Heister  (ndd.  hßster  junger 
Eich-  oder  Bucbbaum)  witjede  (von  witjen  weiß  machen,  schälen), 
wie  hoch  derselbe  soll  gestraft  werden?  Antw.:  Man  solle  dem 
Täter  das  Eingeweide  aus  dem  Leibe  schneiden  und  daran 
knüpfen  und  ihn  so  lange  umb  den  Heister  herumjagen,  bis  er 
wieder  bewunden  wird.  Fr.  23:  So  einer  befunden,  der  einem 
fruchtbaren  Heister  den  Poll  (Wipfel,  Kopf*)  abhauete,  wie 
hoch  derselbe  soll  gestrafet  werden  ?  Antw. :  Wenn  der  Heister 
fruchtbar  sei ,  solle  dem  Täter  der  Kopf  wider  abgehauen  werden. 
Fr.  24:  Wenn  einer  einen  Schnatbaum  (Grenzbaum)  abhauet,  wie 
hoch  derselbe  solle  gestrafet  werden?  Antw.:  Man  soll  dem 
Täter  den  Kopf  auf  dem  Stamm  wider  abhauen.'    Augenschein- 


1)  S.  J.  Grimm  R.  A.  S.  520.  739  ff.  G.  L.  v.  Maurer,  Geschichte  der 
MarkenverfassuDg  1856.  S.  371.  F.  Thudichum,.  die  Gau-  und  Marlcenver- 
&88ung  in  Deutschland  1860.  S.  276.  Noch  mehrere  Beispiele  aus  Grimms 
Weist&mem  sind  zusammengestellt  bei  Maurer  a.  a.  0.  370. 

2)  Vgl.  bi  de  poUe  krigen  beim  Kopf  fassen,  jemandem  In  die  Haare 
fallen;  de  polle  lüsen  die  Haare  raufen. 

3)  Grimm  Weistümer  III.  283.  Grenzbäume  hatten  besondere  Heiligkeit, 
S.  J.  Grimm  Grenzaltert.  128.  Kl.  Sehr.  U.  56.  Vgl.  noch  als  höchst  bezeich- 
nend: Wer  eine  Eiche  yerstümmelt  hat,  „den  soll  man  bringen  bei  den 
Stämmen  und  hauen  jhme  seinen  Kopf  ab  und  setzen  denselbigen  so 
lange  darauf,  bis  das  er  wieder  wächst."  (Beberer  Mark.  Grimm 
Weist,  in.  S.  305  Nr.  16.)  „Wenn  einer  einen  Baum  köpfete,  derselbe 
soll  wiederum  geköpfet  werden."  (Gümmer  Holzmark.  Weist.  HI.  288.  Nr.  26). 
„Wann  einer  einer  Eiche  den  Poll  abhauete,  dem  soll  man  den 
Kopf  abhauen  und  in  die  Stelle  setzen.  (HtLlseder  Mark.  Weist 
ni.  B02,  Nr.  25.)  Wer  Blumholz  (eine  Bloemware)  zur  Nachtzeit  (s.  o. 
S.  11)  gehauen  hatte,  sollte  mit  dem  Stamm  vor  Gericht  gebracht  und 
ihm  daselbst  auf  dem  Stamm  mit  einem  Blaser  d.  h.  mit  einem  Hiebe 
der  Kopf  abgesclilagen  werden,  (Speller  Mark.  Weist. lU.  183),  d.  h.  so,  daß 
sein  Geist  aus  dem  Haupte  in  den  Baumrumpf  übergehen  könnte. 


28  Kapitel  I.    Baamseele: 

lieh  hatten  diese  furchtbaren  Strafandrohungen  nur'  dann  Sinn, 
wenn  man  zur  Zeit,  als  sie  zuerst  ausgesprochen  wurden,  annahm, 
daß  der  Wipfel  den  Kopf,  die  deckende  Rinde  die  Haut,  der 
umwickelnde  Bast  die  Eingeweide  des  Baumes  als  eines  beseelten, 
mensehcnartig  empfindenden  Wesens  darstellten.  Wer  die  Krone 
haut,  Borke  und  Bast  »des  lebenden  Baumes  reißt,  beraubt  den 
Baumgeist  der  zum  Leben  notwendigsten  Glieder.  Vgl.  oben  den 
Zemaiten  Lazskowskis  und  unten  in  Kap.  II.  die  Moosweibchen 
im  Orlagau.  Nach  dem  Grundsatze  Auge  um  Auge,  Zahn  um 
Zahn  sollte  der  frevelnde  Mensch  mit  dem  entsprechenden  Teile 
seines  Körpers  gut  machen,  was  er  an  jenem  gesündigt;  er  sollte 
die  entfremdeten  Glieder  mit  seinen  eigenen  gleichsam  ersetzen. 
Zu  einer  gewissen  Zeit  muß  es  mit  solchen  Strafandrohungen 
auch  in  Deutschland  bitterer  Ernst  gewesen  sein,  mag  diese 
Periode  auch  vielleicht  hinter  der  Zeit  der  Bekehrung  zum  Christen- 
tum weit  zurückliegen.  In  abgelegenen  Strichen  des  Westens 
z.  B.  in  Irland  dauerte  sie  aber  im  elften  Jahrhundert,  in  den 
heidnischen  Ländern  des  Ostens  im  dreizehnten  Jahrhundert  noch 
fort.  Was  in  unsem  Weistümern  nur  als  eine  durch  die  Tradition 
fortgepflanzte,  in  der  Praxis  schwerlich  ausgeführte  Rechtsformel 
uns  entgegentritt,  war  dort  noch  ein  Stück  lebendiger  Sitte. 

Als  die  deutschen  Ordensritter  die  Eroberung  Preußens  kaum 
begonnen  hatten,  wurde,  ihnen  im  J.  1231  von  seinem  eigenen 
Oheim  einer  ihrer  hartnäckigsten  Gegner,  der  Häuptling  Pipin 
in  die  Hand  geliefert.  „Quem  deleto  Castro  suo  totaliter  pere- 
merunt.  Ventrem  namque  ipsius  circa  umbilicum  aperire  fecerunt 
et  umbilicum  arbori  affixerunt  et  per  circuitum  arboris  currere  vi 
praeceperunt,  quousque  penitus  evisceratus  fuit  et  sie  qui  multos 
Ghristianos  impie  necaverat  crudeliter  fuit  interemptus.  So  erzählt 
nach  einer  den  Ereignissen  fast  gleichzeitigen  Quelle  die  ältere 
Chronik  von  Oliva  p.  21.  (Script.  Rer.  Prussic,  edd.  Hirsch 
Strehlke,  Toppen  L  677.)  Obwohl  das  wirkliche  Verhalten  der 
deutschen  Ordensritter  keineswegs  durchaus  dem  idealen  Bilde 
entsprach,  an  welches  J.  Voigts  berühmte  Darstellung  die  Lese- 
welt gewöhnt  hat,  müßte  uns  ein  so  barbarisches  Verfahren  von 
ihrer  Seite  unbegreiflich  erscheinen,  wenn  dasselbe  nicht  eine 
ganz  besondere  Veranlassung  hatte ;  die  Verwunderung  schwindet, 
sobald  wir  der  naheliegenden  Vermutung  Raum  gebeil,  daß  die 
Deutschherren  ihrem   Gegner    diejenige    Todesart    zuerkannteil, 


Strafe  für  Baumschäler.  29 

welche  er  zuvor  einem  oder  mehreren  ihrer  Untergebenen  mochte 
angetan  haben.  Wenn  man  sich  erinnert,  daß  heilige  Bämne 
und  Haine,  denen  kein  Christ  nahen  durfte  (Adam.  Brem.  IV.  18) 
bei  den  Völkern  lettischen  Stammes  den  Fremden  als  die  augen- 
fälligste Aeußerung  ihres  Cultus  immer  zuerst  bemerkbar  gewor- 
den sind ,  daß  mithin  grade  diese  die  nächsten  Opfer  des  frommen 
Bekehrungseifers  der  Christen  sein  mußten,  so  ist  leicht  einzu- 
sehen, wie  der  preußische  Häuptling  seinerseits  freche  Eindring- 
linge f)ir  ein  an  heiligen  Bäumen  begangenes  Sacrileg  strafen  zu 
müssen  geglaubt  hat.  Wenn  die  Deutschen  dies  dann  wieder  fdr 
nichts  anderes,  als  einen  rohen  Ausbruch  blutdürstigen  Hasses 
ansahen  und  demgemäß  behandelten,  so  gewährt  uns  diese  Bloß- 
legung der  wahren  Motive  nur  einen  weiteren  Beleg  fttr  die 
traurige  Wahrheit,  daß  viele  unserem  Gefühle  Schauder  erregende 
Taten  der  beiderseitigen  Unfähigkeit  entspringen  sich  in  die  Ge- 
dankenwelt des  Gegners  zu  versetzen.  Uebrigens  darf'  uns  der 
barbarische  Character  der  Strafe  nicht  verleiten  den  Culturzustand 
der  alten  Preußen  allzuniedrig  anzunehmen^,  sie  standen  (2umal 
in  wirtschaftlicher  Beziehung,  wie  das  Neumannsche  Vocabular 
lehrt)  kaum  niedriger  als  ihre  christlichen  Nachbarn  in  Polen  und 
wenn  der  obige  Bericht  Laszkowski's  die  Entdärmung  auch  in 
lettopreußischer  Sitte  als'  anfängliche  Vergeltung  för  Baum- 
schälen  begreiflich  macht,  so  läßt  mich  der  Umstand,  daß  die 
Bekehrer  heilige  Bäume  eher  mit  .der  Axt  umzuhauen  pflegten, 
daran  denken,  daß  wol  schon  1231  jenes  Verfahren  für  jede  Art 
Verletzung  der  geweihten  Haine  und  der  mit  religiöser  Ehrfurcht 
behandelten  Stämme  in  Anwendung  gebracht  sein  mag,  und  im 
späteren  Verlauf  des  zweihundertjährigen  feeligionskrieges ,  der 
mit  der  Ankunft  der  Deutschen  anhub,  wird  es  bei  steigender 
Erbitterung  auch  in  solchen  Fällen  auf  Christen  ausgedehnt  sein, 
wenn  sie  kein  specielles  Baumheiligtum  geschädigt  hatten.^    So 


1)  Aach  anderswo  muß  das  arsprünglich  f&r  BaumbeschadigUDg  oder 
Markfrevel  giltige  Strafverfahren  des  Ausdärmens  später  rerallgemeinert  sein. 
Grimm  BA.  520.  Anm.  füQirt  ^as  der  Nialasaga  S.  158  p.  275  die.  ich  nicht 
znr  Hand  habe,  an^  daß  es  im  Juhre  1014  in  Irland  und  nicht  wegen  Mark- 
frevels an  einem  Gefangenen  zur  Anwendnng  gebracht  worde.  „Man  ritzte 
ihm  dem  Unterleib,  fährte  ihn  um  die  Eiche  und  wickelte  so  die  Gedärme 
aus  ihm,  und  nicht  eher  starb  er,  bis  sie  alle  aus  ihm  herausgewickelt 
waren." 


*  \ 


30  Kapitel  I.    Banmseele: 

wird  der  folgende  Vorgang  yerständlich.  Im  Januar  1345  erschien 
der  heidnische  Litauerkönig  mit  seinem  Heere  vor  Riga.  Festi- 
nans  ad  transitum  (Dtinabrücke  ^  die  zur  Stadt  flihrte)  occurrit 
ei  juvenis  mercator  nihil  sciens  de  guerris;  quem  apprehenderunt 
et  ligaverunt  pagani,  ventrem  ejus  sciderunt  et  circumducunt 
cum  arbori^  donec-intestina  ejus  omnia  extraheret^  deposuerunt- 
que  eum  de  trunco,  sanguinem  ejus  sacrificando  in  quo 
delectabantur  exultantes.  (Wigand  Marburg,  cap.  32.  Lat.  Ausz. 
Scr.  Rer.  Prussic.  U.  505.)  Auch  dieses  Zeugniß  bewährt,  daß 
wir  es  mit  einer  religiösen  Handlung,  nicht  mit  einer  profanen 
Strafe  oder  leeren  Grausamkeit  zu  tun  haben  ^  und  auf  eben  den- 
selben Punkt  trifft  noch  ein  weiterer  Beweis,  den  ein  Ereigniß 
aus  der  Zeit  um  1236  darbietet.  Papst  Gregor  IX.  spricht  sich 
nämlich  1238  in  einer  Bulle  über  die  Verfolgung  der  Neubekehr- 
ten in  TawasÜand  durch  die  finnischen  Heiden  folgendermaßen 
aus:  Letztere  tödten  die  getauften  Kindlein,  quosdam  adultos 
extractis  ab  eis  primo  visceribus  daemonibus  immolant  et 
alios  usque  ad  amissionem  Spiritus  arborem  circuire 
compellunt.^  Eine  so  blutige  Ceremonie  durfte  wol  von  den 
Christen  als  ein  den  Dämonen  dargebrachtes  Opfer  bezeichnet 
werden,  wenn  sie  auch  nach  Anschauung  der  Heiden  eine  Stlhne 
für  ihre  beleidigten  Götter  war.  Unter  den  letzteren  werden 
wir  auch  in  diesem  Falle  zunächst  an  jene  der  Hyldemoer,  Aska 
froa  u.  s.  w.  zu  yergleichenden  Baumnymphen  denken,  welche 
der  Finne  unter  dem  Name)i  Kati,  puiden  emuu  (Eati?  Baum- 
mutter) Tuometar  (von  tuomi  Traubenkirsche)  Katajatar,  (von 
kataja  Wacholder),  Hongatar  (von  honka  Tanne),  Fihlajatar  (von 
pihlaja  Eberesche)  als  Pflegerinnen  und  Schtttzerinnen  der  Wald- 
bäume verehrte,^  und  deren  ja  in  jedem  heiligen  Haine  eine 
oder  mehrere  zur  Stelle  waren.  Es  ftlhrt  uns  tief  in  das  frische 
Waldleben  der  Vorzeit  ein,  wenn  diese  Gottheiten  —  die  nach 
S.  22  Anm.  3  unzweifelhaft  auch  als  Menschen  und  Tieren 
gefährlich  gedacht  worden  sind  —  anderseits  angerufen  werden, 
sich  der  auf  der  Waldweide  gehenden  Viehheerden  anzunehmen 


1)  Raynald,  annal.  eccles.  Tom  XIII.  p.  457.    Liljegren,  Diplom.  Succ. 
1.  290.  Nr.  298.    Script.  Rer.  Livon.  I.  389. 

2)  Castr^n,  finn.  Mythologie  übers,  y.  Schiefner  S.  105. 


Strafe  für  Baumscbäler.  31 

nnd  ihnen  in  reichlichem  Maße  Lanb  zum  Futter  zu  spenden.^ 
Wie  durch  die  vorhergehenden  Zeugnisse  bei  Finnen  und  Litauern, 
lernen  mi  die  Sitte  der  Entdärmung  durch  Helmold  auch  als 
Brauch  der  heidnischen  Slaven  des  1 2.  Jahrhunderts  in  Wagrien, 
Polabien  und  Obotritenland  kennen.  Er  schildert  deren  Blut- 
durst und  fügt  hinzu:  ,;Wie  viele  Todesarten  sie  den  Christen 
schon  zugefügt  haben  ist  schwer  zu  erzählen,  da  sie  den 
einen  die  Eingeweide  aus  dem  Leibe  rissen,  und  sie 
um  einen  Pfahl  wickelten  (his  viscera  extorserint  palo 
circumducentes),  die  andern  ans  Kreuz  schlugen,  um  das  Zeichen 
nnserer  Erlösung  zu  verhöhnen."  *  Bei  den  Wagriem  lag  das 
ChriBtentum  damals  bereits  seit  mehreren  Jahrhunderten  mit  dem 
Heidentum  im  Kampf  und  dieser  war  zu  großer  Erbitterung 
gediehen.  Da  wir  aber  von  ihnen  ebenfalls  wissen,  daß  Land 
und  Städte  an  heiligen  Hainen  und  Hausgöttern  (luci  et  penates) 
Ueberfluß  hatten  (redundabant),^  so  ist  leicht  zu  erraten,  daß 
auch  hier  jene  Marterart  gegen  die  Christen  ursprünglich  mit 
dem  Auftreten  der  Missionare  in  Zusammenhang  gestanden  haben 
wird.* 


1)  Kalevala  B.  XXXII.  Sollte  es  gar  zu  befremdlich  scheinen ,  daß 
jemals  der  Glaube  entstehen  konnte,  das  Leben  des  Baumes  werde  gefordert, 
wenn  man  eine  entsprechende  Ceremonie  am  Körper  des  Menschen  vornehme, 
80  stellt  sich  u.  A  ein  anderer  barbarischer  Brauch  im  fernen  Orient  in 
ParaUele ,  den  uns  das  Buch  über  die  nabatftische  Landwirtschaft  überliefert. 
Das  Pfropfen  der  Bäume  ließen  die  Nabataer  durch  ein  schönes  Mädchen  vor- 
nehmen,  dem  während  dieser  Operation  ein  Man.n  auf  unnatürliche  Weise 
beiwohnte.  Hier  bietet,  wenn  ich  mich  mit  Thümmel  so  ausdrücken  darf, 
die  Inoculation  der  Liebe  das  animalische  Seitenstück  zur  Oculierung  des 
Baumes  und  soU  als  solches  den  Erfolg  desselben  fordern.  S.  Bastian,  der 
Mensch  in  der  Geschichte  ni,  319.  Vgl.  das  ekelhafte  Zaubermittel  in  einer 
Bußordnung  bei  Waschersieben,  Bußordnungen  der  abendländischen  Kirche. 
Halle  1851.  S.  576.  Ein  Weib  wird  unfruchtbar  „si  semen  yiri  sui  neglexerit 
aut  in  arborem  putridam  ponit."  Es  ist  klar,  daß  in  diesem  Brauche  der 
Baum  ein  Doppelgänger  des  Weibes  sein  soll. 

2)  Helmold,  chronicon  Slavor.  L  c.  52. 

3)  Helmold  a.  a.  0.  I,  52.  cf.  83.  Vgl.  unten  die  schwediscütien  Y&rdtr&d 
and  die  Haine  des  mahjas  kungs  bei  den  Letten. 

4)  Noch  Helmold  selbst  war  im  J.  1155  Augenzeuge  einer  fanatischen 
Vernichtung  heüiger  Bäume  und  als  dann  Priester  Bruno  nach  Aldenburg  in 
Wagrien  berufen  wurde  „  trat  er  das  Werk  Gottes  mit  großem  Eifer  an, 
indem  er  die  Haine  niederhieb.^'  Helmold  a.  a.  0.  I.  83.  So  aber 
war  es  sicher  schon  seit  Jahrhunderten  bei  jedem  neuen  Siege  der  Christen 


32  Kapitel  I.    Bamnseele: 

§.  9.  HltelnanderwuehB  des  Baumes  und  des  Menschen« 
leibes.  Das  Gegenstück  aber  za  dem  durch  die  Strafe  iUr 
Baumschäler  geforderten  Ersatz  zerstörter  Baumglieder  liefert  der 
Volksglaube ;  daß  umgekehrt  Gebrechen  des  Menschen  durch  den 
Baum  ausgeglichen  werden  könnten.  Bekommt  ein  neugeborenes 
Kind  einen  Leibesschaden ,  so  schlitzt  man  am  nächsten  Char- 
freitag  ein  Weidenstämmchen  auf ,  zieht  das  Kind  hindurch  und 
verbindet  den  Spalt  wieder,  sobald  er  verwächst  wird  das  Kind 
gesund.^  Meistens  ist  es  eine  in  der  Mitte  gespaltene  mit  großen 
Keilen  auf  eine  Weile  auseinander  gesperrte  später  wieder  fest 
verbundene  und  verklebte  junge  Eiche  oder  ein  Obstbaum,  wo- 
durch man  das  lahme,  oder  an  Nabelbruch  oder  an  zurückblei- 
bendem Wachstum  (englischer  Krankheit)  leidende  Kind  vor 
Sonnenaufgang  schweigend  und  nackt  kriechen  läßt.^  Acker- 
mann sah  um  1790  in  dem  Eichenschlage  eines  gewissen  Dorfes 
viele  junge  Eichen,  an  denen  dieser  Vereuch  gemacht  war.* 
Rückgratsverkrümmungen  heilt  man,  indem  man  den  kranken 
Kleinen  dreimal  durch  den  aus  der  Erde  hervorragenden  Bogen 
einer  Wurzel  zieht;  kann  er  nicht  gehen  lernen,  so  heißt  man 
ihn  durch  die  in  die  Erde  gewachsenen  Ranken  des  Brombeer- 
strauchs kriephen.  Wenn  der  Bruch  des  Baumes  verwächst,  ver- 
wächst der  Bruch  des  Menschenleibes,  wenn  der  Baifm,  der 
Brombeerstrauch  von  der  Wurzel  aus  grade  und  gesund  in  die 
Höhe  wächst  und  Fortgang  nimmt,  so  der  darunter  durchkriechende 
Mensch.  Derselbe  hat  sein  Schicksal,  sein  Leben  mit  demjeni- 
gen der  Pflanze  gleichsam  auf  mystische  Weise  verknüpft,  sich 
selbst  mit  ihr  so  zu  sagen  für  eins   erklärt.*    Dies  geht  noch 


getrieben  worden  und  die  Strafe  für  sacrilegiscbe  Schändung  oder  Ver^ 
nichtung  der  Banmheiligtümer  konnte  längst  traditionelle  Weise  des  Menschen- 
opfers aus  christlichen  Gefangenen  geworden  sein. 

1)  Oberpfalz,  Bavaria  II,  255. 

2)  Wuttke  a.  a.  0.  §.  503.  Grimm  Myth.«  1118.  1119.  Schiller  z. 
Tier-  nnd  Eräuterbuch  des  Mecklenburger  Volkes  III,  30. 

3)  Deutsche  Monatsschr.  1791.  S.  439. 

4)  Auf  dieselbe  Weise  identifizierte  man  das  menschliche  Leben  mit 
demjenigen  von  Tieren.  Baker,  Nilznflüsse  in  Abyssinien  I,  251  berichtet 
als  Aberglaube  der  arabischen  Weiber,  daß  Frauen,  welche  sich  in  interres- 
santen  Umständen  befinden,  einem  recht  starken  Kameel  zwischen  Vorder- 
und  Hinterbeinen  durchkriechen  in  der  Meinung,  daß  diese  Handlung  dem 
Kinde  die  Stärke  des  Tieres  mitteilen  werde. 


Miteinanderwnohs  des  Baumes  und  des  Menschenleibes.  38 

deutlicher  aus  dem  Umstände  hervor  ^  daß  es  fortan  flir  den  so 
Geheilten  sehr  gefahrvoll  sein  soll^  wenn  der  mit  ihm  in  Sym- 
pathie gebrachte  Baum  abgehauen  wird.^  Sein  Leben  geht  mit 
dem  des  Baumes  zu  Ende.  Und  mngekehrt  stirbt  der  Mensch 
zuerst,  so  geht  —  nach  Bügischem  Glauben  —  sein  Geist  in  den 
betreffenden  Baum  über  und  ynxi  der  letztere  nach  Jahren  zum 
Schiffsbau  tauglich  nnd  dazu  benutzt ,  so  entsteht  aus  dem  im 
Holze  weilenden  Geiste  der  Klabautermann,  d.  h.  der  Kobold 
oder  Schutzgeist  des  Schiffes  und  der  Schiffsmannschaft.^  Uebri- 
gens  lehrte  schon  unter  Theodosius  MarceUn^  von  Bordeaux  die 
in  Bede  stehende  Kur:  Si  puero  ramex  descenderit,  cerasum 
novellam  radicibns  suis  stantem  mediam  findito,  ita  at  per  plagam 
puer  trajici  possit ,  ac  rursus  arbosculam  conjunge  et  fimo  bubolo 
alüsque  fomentis  obline,  quo  facilius  in  se  quae  scissa  sunt  coeant. 
quanto  autem  celerius  arbuscula  coaluerit  et  cicatricem  duxerit, 
tanto  citius  ramex  pueri  sanabitur.^ 

Es  liegt  von  meinem  gegenwärtigen  Zwecke  ab  auszuMiren, 
wie  dieses  Durchkriechen  durch  einen  gespaltenen  Baum  sich 
umgesetzt  hat  in  das  Durchkrie6hen  durch  die  natürliche  Höhlung, 
welche  durch  zwei  unten  sich  trennende  oben  wieder  in  eins 
zusammen  wachsende  Aeste  gebildet  wird,  oder  durch  alle  mög- 
lichen anderen  Spalten  und  Höhlungen  z.  B.  in  Steinen,  in  der 
aufgegrabenen  Erde  (Friedberg,  Bnßbtlcher  S.  99)  u.  s.  w.  Was 
wir  jedoch  vom  Baume  geglaubt  sehen,  findet  auch  auf  das  Ge- 
treide Anwendung.  Hat  ein  Kind  kein  Gedeihen,  so  legt  man 
es  am  Johannismorgen  nackt  in  den  Rasen  und  sät  Leinsamen 
tlber  dasselbe,  oder  man  übersät  es  im  Frühjahr  mit  Sommer- 
gerste, wenn  die  Saat  aufgeht,  zu  „laufen'^  anfängt,  fängt  auch 
das  EJnd  an  zu  laufen.^  Der  aufsprießende  Halm  ist  hier  der 
Doppelgänger  des  jungen  Menschen  und  sein  Wachstum  verbürgt 
das  Emporschießen  und  die  Gesundheit  desselben.     Und  anderer- 


1)  D.  Monatschr.  1791.  a.  a.  0.  Bei  entlegenen  Naturvölkern  begegnen 
Analogien.  Nach  Bastian,  Zs.  f.  Völkerpsych.  Y,  297  knüpfen  z.  B.  die  Eüsten- 
bewohner  im  Camerongebirge^  (Guinea)  ihr  Leben  geheimnißvoll  an  einen 
Baum. 

2)  Zs.  f.  D.  Myth.  ü,  141. 

3)  MarceUus  Burdigalensis  Cap.  38,  p.  229.  Grimm,  Marcellus  p.  24,  91. 
KL  Sehr,  n,  141.  » 

4)  Wuttke  a.  a.  0.  §.  548. 

Mannhardt  3 


34  Kapitel  I.    Baumseele : 

seits  trat  an  die  Stelle  des  Menschen  auch  wol  das  Tier;  im 
7.  Jahrhundert  predigt  der  h.  Eligins  im  Frankenreiche  ^^Nullns 
praesumat  pecora  per  cavam  arborem  transire  (Myth.  *  XXX.). 
Es  ist  also  anch  das  Tier  mit  dem  Banme  gewissermaßen  iden- 
tifiziert worden. 

§.  10«  Yerletaste  Bäame  bluten.  Die  Verschmelzung  von 
Mensch  (oder  Tier)  und  Pflanze  in  der  Phantasie,  die  magische 
Wechselwirkung  zwischen  beiden,  welche  in  dem  bisher  bespro- 
chenen Volksglauben  uns  entgegentrat,  steigerte  sich  zuletzt  zu 
der  noch  mehr  anthropomorphischen  Vorstellung,  daß  heilige 
Bäume  und  andere  Pflanzen  bei  Verletzungen  bluten,  als  wären 
sie  leibhafte  Menschen  und  nur  dem  äußeren  Scheine  nach  Vege- 
tabilien.  Loccenius  im  17.  Jahrhundert  erzählt,^  daß  ein  Ejiecht 
auf  dem  Gute  Vendel  im  Kirchspiel  Osterhanning  in  Södermann- 
land  einen  schönen  schattenreichen  Wachholder  hauen  wollte, 
der  von  andern  Bäumen  umgeben  auf  einem  ebenen,  runden 
Platze  stand.  Da  hörte  er  eine  Stimme  „Haue  den  Wachholder 
nicht  I  ^  und  als  er  sich  dennoch  anschickte  zuzuschlagen,  ertönte 
die  Stimme  abermals:  „Ich  sage  dir  haue  den  Wachholder 
nicht.^'  Afzelius'  berichtet  damit  ttbereinstimmend  nach  einer 
älteren  Schrift,  als  ein  Mann  einen  Baum  im  Walde  habe  ab- 
hauen woUen,  habe  aus  der  Erde  eine  Stimme  gerufen  „Lieber, 
haue  nicht!^^  und  aus  den  Baumwurzeln  sei  Blut  geflos- 
sen. Eine  der  ersten  schwedischen  ähnliche  Sage  erzählt  man 
in  Baden  von  einem  Eirschbäumchen  bei  der  Barbarakirche  zu 
Herrenalb ,  aus  dem  sich  ein  Bauer  eine  Flegelrute  machen  wollte. 
Da  rief  es  beim  ersten  Schnitte  hinein  „Au  weh!  und  ebenso 
beim  zweiten,  worauf  der  Bauer  sich  mit  Grauen  davon  machte. 
Am  andern  Tage  war  das  Bänmchen  verschwunden.  Ein  ander 
Mal,  als  ein  Küfer  dort  eine  Birke  abschneiden  wollte,  rief  es 
bei  jedem  der  drei  Schnitte  aus  ihr  „  o  Jesus ! ''  Auf  dieses  ließ 
der  Küfer  die  Birke  stehen,  die  er  später  nicht  wiederfinden 
konnte.^  Doch  auch  der  von  Afzelius  berichtete  Zug  findet  unter 
deutschredenden  Stämmen  Analogien.  Man  vergleiche  nur  was 
Schiller  Walter  Teil  zu  seinem  Vater  sägen  läßt  (Act.  lH.  Sc.  3): 


1)  LocceniuB,  antiqnitat.  Sneogoth.  3  bei  Amkiel  a.  a.  0.  p.  179. 

2)  Volkssagen  und  Volkslieder  Schwedens,  übers,  v.  Ungewitter  II,  308. 

3)  Baader,  Volkssagen  ans  Baden.  I,  172,  185. 


Verletzte  BSnme  bluten.  85 

Vater  ists  wahr,  daß  auf  dem  Berge  dort 
Die  Bäume  bluten,  wenn  man  einen  Streich 
Drauf  führe  mit  der  Axt? 

Teil:  Wer' sagt  das  Knabe? 

Walter:  Der  Meister  Hirt  erzählte.    Die  Bäume  seien 

Gebannt,  sagt  er,  und  wer  sie  schadige 

Dem  wachse  seine  Hand  heraus  zum  Grabe. 

Grimm  Myth.«  619  fllhrt  aus  Meinerts  Kuhländchen  S.  122, 
das  mir  nicht  zur  Hand  ist,  an,  daß  die  Erle  anhebe  zu  bluten, 
zu  weinen  und  zu  reden,  wenn  einer  sie  haue.  Nach  Schön- 
werth  soll  es  auch  oberpfälzische  Sagen  geben,  daß  der  Baum 
blute,  wenn  er  umgehauen  wird.^  Derselbe  Glaube  herrscht  noch 
in  österr.  Schlesien.^  In  jeder  Hinsicht  beglaubigt  ist  femer  die 
wichtige  Aufzeichnung  von  J.  V.  Zingerle  über  den  erst  1855 
niedergehauenen  „heiligen  Baum'^  bei  Nauders  in  Tirol.  Es 
war  ein  uralter  zwieseliger  Lärchbaum,  aus  dessen  Nähe  das 
Volk  aus  heiliger  Scheu  selbst  bei  öffentlichen  Holzyerteilungen 
kein  Brenn-  oder  Bauholz  nehmen  mochte.^  Lärmen  und  Schreien 
bei  diesem  Baume  galt  für  den  größten  Unfug,  Fluchen  und 
Schelten  flbr  einen  himmelschreienden  Frevel,  der  auf  der  Stelle 


1)  Aus  der  Oberpfalz  ü,  335. 

2)  A.  Peter,  Volkstümliches  aus  Oesterr.  Schlesien.  Troppau  1867  U, 
S.  30  teilt  dftrm>er  Folgendes  mit:  In  Waldbäumen  wohnt,  wie  noch  jetzt  alte 
Leute  glauben ,  ein  höheres  Wesen.  Nicht  jeder  Landmann  gestattet  es,  daß 
man  ohne  besondere  Veranlassung  in  die  Binde  eines  Waldbaumes 
hineinschneide.  Er  hat  von  seinem  Vater  und  Großvater  gebort,  der 
angeschnittene  Baum  blute  und  die  ihm  zugefügte  Wunde  ver- 
ursache ihm  nicht  geringere  Schmerzen,  als  einem  verwunde- 
ten Menschen.  Wenn  man  einen  bejahrten  Holzhacker  im  Walde  belauscht, 
80  kann  man  hören,  wie  er  dem  Baume,  den  er  eben  fällen  will, 
Abbitte  leistet.  Fragt  man  ihn  nach  der  Ursache  dieses  sonderbaren 
Vorgangs,  so  antwortet  er,  er  müsse  das  tun;  in  jedem  Baume  wohne 
eine  arme  Seele,  der  er  dadurch,  daß  er  ihr  Abbitte  leiste, 
Erlösung  bringe,  während  sie  leiden  und  im  Baumstrunke  fortleben 
mfisse,  wenn  er  das  zu  tun  unterlasse. 

3)  Hieztt  vgl.  was  Laur.  Blumenau  im  Jahre  1457  in  s.  historia  de 
ordine  cmciferorum  doch  wol  nach  den  Üeberresten  des  Heidentums  in  seiner 
Zeit  von  den  heüigen  Wäldern  der  alten  Preußen  berichtet:  „Nonnullas  Silvas 
adeo  sacras  esse  arbitrabantur,  ut  nee  ligna  incidere,  nee  vetustate 
quidem  dejectas  arbores  inibi  abducere  permittebant.  (Cf.  Script. 
Ber.  Prussic.  I,  53).  Vom  Värdtrad  (unten  §  U^)  durfte  kein  windbrüchiges 
Holz  genommen  werden. 

3* 


36  Kapitel  L    Banmseele: 

geahndet  werde.  Oft  hörte  man  die  Warnung:  ,,Tn  nicht  so, 
hier  ist  der  heilige  Baum  und  dem  Zorne  wurde  sofort  Einhalt 
geboten.  Allgemein  herrscht  der  Glaube,  der  Baum  Hute,  wenn 
man  hineinha^  und  der  Hieh  gehe  in  den  Baum  und  in  den 
Leib  des  Frevlers  zugleich.  Der  Hieb  dringe  in  beide  gleich  weit 
ein  und  Baum  und  Leibumnde  bluten  gleich  stark,  ja  die  Wunde 
am  Leibe  heile  nicht  frOher,  als  der  Hieb  am  Baume  vernarbe. 
Ein  frecher  Knecht  nahm  sich  vor  —  so '  erzählt  man  —  den 
heiligen  Baum  zu  fällen^  um  den  Volksglauben  zu  Schanden  zu 
machen.  Schon  schwang  er  die  Axt  zum  zweiten  Hiebe ^  als 
Blut  aus  dem  Stamm  quoll  und  Blutstropfen  von  den 
Aesten  niederträufelten.  Der  Holzknecht  ließ  die  Axt  vor 
Schrecken  fallen  und  lief  davon,  fiel  aber  bald  ohnmächtig  zur 
Erde  nieder  und  kam  erst  Tags  darauf  zur  Besinnung.  Die  Blut- 
spuren blieben  noch  lange  Zeit  am  Baume  sichtbar.  Die  Narbe, 
die  von  jenem  Streiche  herrühren  sollte,  sah  man  noch  vor  eini- 
gen Jahren.  ^  Zur  Stütze  dieses  Berichtes  aus  neuester  Zeit  dient, 
was  der  (wol  zwischen  1409  — 1418)  in  Niederlitai^en  unter  den 
noch  halbheidnischen  Zemaiten  missionierende  Calmaldolenser- 
mönch  Hieronymus  aus  Prag  im  Jahre  1431  zu  Basel  dem  dama- 
ligen Secretär  Enea  i^ilvio  Piccolomini,  späteren  Papste  Rus  H. 
über  seine  Erfahrungen  mitteilte,  und  was  dieser  der  Nachwelt 
in  seiner  „ Europa '^  aufbewahrt  hat:  Postremo  alios  populos  adiit 
(Hieronymus  kam  zu  den  Leuten  eines  anderen  Gaus),  qui  sylvas 
daemonibus  consecratas  venerabantur  et  inter  alias  unam  cnltn 
digniorem  putavere.  Praedicavit  huic  genti  pluribus  diebus  fidei 
nostrae  aperiens  sacramenta,  denique  ut  sylvam  succideret  impe- 
ravit.  Ubi  populus  cum  securibus  affuit,  nemo  erat,  qui  sacrum 
lignum  ferro  contingere  änderet  Prior  itaque  Hieronymus 
assumpta  bipenni  excellentem  quandam  arborem  detruncavit. 
Tum  secuta  multitudo  alacri  certamine  alii  serris,  alii  dolabris, 
alii  securibus  sylvam  dejiciebant.  Ventum  erat  ad  medium  nemo- 
riS;  ubi  quercum  vetustissimam  et  ante  omnes  arbores  religione 
sacram  et  quam  potissime  sedem  esse  putabant  percutere  aliquam 
diu  nullus  praesumpsit.  Postremo  ut  est  alter  altero  audacior 
increpans  quidam  socios,  qui  lignum  rem  insensatam  percutere 


1)  Zingerle,  Sagen,   Märchen   und   Gebranche  aus    Tirol.     Innsbruck 
1859.    109  ff.,  176. 


Verletzte  Bäume  blaten.  37 

formidarent ,  elevata  bipenni  magno,  ictn  cum  arborem 
caedere  arbitraretur  tibiam  suam  percussit  (er  traf  sein 
Schienbein)  atqne  in  terram  semianimis  cecidit.  Atto- 
nita  circum  torba  flere  conqneri,  Hieronymum  aecusare,  qni 
sacram  dei  domnm  yiolari  snasisBet.  Neque  jam  quisquam 
erat,  qni  ferrum  exercere  änderet.  Tnm  Hieronymns  illosiones 
daemonnm  esse  affirmans ,  quae  deceptae  plebis  ocnlos  fascinarent^ 
snrgere  quem  cecidisse  vulneratum  diximns  imperavit 
et  nnlla  in  parte  laesnm  ostendit  et  mox  ad  arborem 
adacto  ferro  adjuvante  mnltitudine  ingens  onns  cum  magno  fragore 
prostravit,  totnm  nemus  succidit.  Erant  in  ea  regione  plures 
sylvae  pari  religione  sacrae.  Ad  qüas  dum  Hieronymns  ampn- 
tandas  pergit,  mulieram  ingens  nameras  plorans  atqne  ejalans 
Vitoldum  (den  Litanerberzog  Vitautas)  adit,  sacram  lacam  sacci- 
som  queritur  et  domum  dei  ademptam,  in  qua  diyinam  opem 
petere  consnevissent;  inde  pluyias,  inde  soles  obtinnisse;  nescire 
jam  quo  in  loco  denm  quaerant^  cui  domicilinm  abstalerint.  Esse 
aUqnos  minores  lacos,  in  queis  dii  coli  soleant,  eos  qnoque  delere 
Hieronymnm  velle.^  Hier  ist  von  demselben  Lande  die  Rede,  in 
welchem  noch  150  Jahre  später  Laszkowski  heilige  Bäume  um- 
hieb, (o.  S.  12).  So  tief  wurzelte  der  Glaube  an  die  geheim- 
nißvoUe  Sympathie  zwischen  dem  heiligen,  von  einem  fbr  göttlich 
erachteten  Geiste  erfüllten  Baume  und  dem  beschädigenden  Men- 
schen, daß  den  bereits  zu  der  rationellen  Erkenntniß  Vorgedrun- 
genen, die  Eiche  sei  ja  nur  ein  lebloses  Stück  Holz,  im  Augen- 
blicke als  er  den  Streich  ausführt,  jene  ältere  ihm  anerzogene 
Vorstellung  mit  Macht  wieder  überkommt  und  er  unwillkürlich 
das  Beil  auf  seinen  eigenen  Fuß  lenkt.  Ueberzeugt,  daß  er  ver- 
wundet sei,  so  tief,  als  er  vermutlich  in  den  Baum  gehauen, 
fällt  er  hin  und  bleibt  liegen,  bis  ihn  der  Mönch  au&tehen  heißt 
und  zeigt,  daß  er  keine  Wunde  davon  getragen.^    Schön  ist  die 


1)  S.  Aeneae  S^lvü  Europa,  c  XXVI.  Cf.  Script  rer.  Prassic.  lY, 
238—239. 

2)  Auch  bei  niederen  Pflanzen  läßt  sich  diese  Art  von  Anthropomorphose 
belegen,  falls  in  der  von  J.  W.  Wolf  Beitr.  U,  241  dem  Thomas  v.  Chantimpr^ 
nacherzählten  Geschichte  die  hastnla  regia  =  asphodelos,  nicht  ein  kleiner 
Baumzweig  gemeint  ist.  Zu  Mftnchengrätz  in  Böhmen  sagt  man,  daß  Blut 
ans  dem  Grase  fließe,  welches  an  Maria  Namen  gemäht  wird.  Grohmann^ 
Abergl.  a*  Böhmen  S.  90 ,  632. 


88     '  Kapitel  I.    Baamseele: 

Anwendtmg,  welche  eine  Sage  aus  Millstadt  in  Kärnten  vom 
Glauben  an  das  Bluten  der  Waldbäume  macht.  Ein  vaterloses 
Mädchen  liebt  einen  Soldaten  und  wird  deshalb  durch  den  Fluch 
seiner  Mutter  in  einen  Ahombaum  yerwttnscht;  sein  Leib  wird 
zäh;  seine  Brust  knorrig,  seine  Haut  Rinde ;  die  Hände  ästig 
und  die  Haare  Laub.  Ein  Spielmann  will  sich  von  dem  Baume 
einen  Zweig  zum  Bogen  schneiden ,  da  quillt  Blut  heraus.  Eine 
Stimme  aber  spricht:  Mein  Blut  ist  yersöhnt,  schneide  dir  einen 
Bogen  und  spiele  mir  mit  demselben  ein  Grablied;  dann  gehe 
zum  Bleicherhause  und  siehst  du  meine  Mutter,  so  geige  ihr  ein 
Sttlcklein  und  sage,  daß  der  Bogen  von  ihrem  Kinde  sei.  Als 
die  Mutter  das  Spiel  des  Bogens  hörte,  der  noch  nie  solche  Töne 
hervorgebracht  hatte,  vrie  dies  mal,  ward  sie  blaß  und  versöhnt 
und  reuevoll  rief  sie  aus:  „Fürwahr,  ein  gefallenes  Kind  ist 
besser,  als  keines.^  Hier  ist  die  Baumnymphe,  deren  Blut  dem 
verletzten  Stami)cie  entströmt,  durch  rationsdistische  Deutung  zur 
Metamorphose  einer  menschlichen  Jungfrau  geworden ;  die  ttbrigen 
Zttge  der  Sage  gehören  größtenteils  einer  zart  empAmdenen  freien 
Erdichtung  zur  Motivierung  dieser  Verwandlungsgeschichte  an, 
welche  auf  ihre  wahre  Meinung  und  ursprünglichste  Grundform 
zurttckgeftlhrt  deutlicher  als  die  vorhergehenden  Beispiele  die 
Baumgöttin  mit  der  Verschmelzung  menschenartiger  und  vegeta- 
bilischer Leiblichkeit  vor  Augen  fbhrt. 

§.11.  FrelbSome.  Derartiger  Glaube  konnte  der  Erfahrung 
des  praktischen  Lebens  gegenüber  natürlich  in  Bezug  auf  wenige 
Baumexemplare   sich   halten.     In   heidnischer  Zeit  werden   dajs 


1)  Th.  Yemaleken ,  Alpeosagen  289,  207.  Hier  findet  sich  denn 
auob  wol  der  naturgemäße  Anschluß  ffir  Yorstellungen  nnd  Sagen,  wie  die 
eines  serbiBchen  Liedes  (Yak  296.  Talvj ,  Yolksl.  d.  Serben.  Anfl.  1.  1825. 
p.  35.    Handb.  der  slay.  Sprache  und  Literatur  329): 

Fleht  zu  Gott  ein  junger  Knabe: 

„Gieb  0  Gott  mir  goldne  Homer, 

Gieb  mir  silbernes  Geweihe, 

Daß  ich  dieser  Kiefer  Rinde 

Spaltend  sehe  was  darinnen." 

Gab  ihm  Gott  die  goldnen  Hörner, 

Gab  das  silbeme  Geweihe; 

und  er  spaltete  die  Binde. 

Saß  ein  junges  Mädchen  drinnen. 

Das  gleich  einer  Sonne  strahlte. 


Freibänme.  38 

vorzugsweise  die  Bäume  geheiligter  Haine  gewesen  seiU;  welche 
dem  wirtschaftlichen  Gebrauche  durchaus  entzogen  waren.  Aber 
auch  später  noch  finden  wir,  daß  in  den  Marken  oder  Gemein- 
waldungen gewisse  Bäume  davor  geschützt  waren,  von  jedem 
Markgenossen  geschlagen  zu  werden.  Sie  umzuhauen  war  bei 
Kapitalstrafe  verboten.  Dazu  gehörten  vorzugsweise  die  ,,frucht- 
baren/^  d.  h.  zur  Mast  dienenden  Harthölzer  Eiche  und  Buche, 
(das  Blumholz ,  die  Blumware)  wogegen  es  in  alter  Zeit  jeder- 
mann freistand,  das  „unfruchtbare^^  weiche  Taub-  oder  Dust- 
holz nach  Belieben  fitr  semen  Gebrauch  zu  hauen  ;^  femer  die 
zur  Bezeichnung  der  Grenze  dienenden  Bäume.  In  manchen 
Gebirgstälern  der  Schweiz  z.  B.  im  Urserental  waren  Arven  und 
Taimen  gebannt  d.  h.  vor  dem  Axthieb  gefreit.  Auf  dem  Um- 
hauen gewisser  Grenzarven  stand  der  Tod.'  Unzweifelhaft  blieben 
einzelne  Exemplare  stäts  unbertlhrt  stehen,  während  andere  zu  Bau- 
holz angewiesen  wurden.  Solche  Schutz  -  oder  Freibäume  scheinen 
vielfach  die  Träger  der  alten  mythischen  Anschauung  geworden 
zu  sein  (vgl.  o.  S:  35).  In  Schweden  spricht  man  von  gewissen 
friträd  (Freibäumen)  welche  nicht  gehauen  werden  mögen  „denn 
die  Bewohnerin  des  Baumes  (hon  som  bor  i  trädet)  will  nicht 
gehauen  sein^^^ 

§.  12.  Baum,  zeitweilige  Hflile  einer  abgeseUedeiieii 
Seele.  In  weiterer  Entwickelui^g  nehmen  nun  die  bisher  behan- 
delten Vorstellungen  von  einem  Baumgeiste  mannigfach  andere 
Formen  an,  von  denen  wir  jedoch  nur  einige  der  einfacheren 
und  von  fremder  Beimischung  frei  gebliebenen,  teils  erwähnen, 
teils  näher  darlegen  wollen.  Aus  dem  Glauben,  daß  die 
Pflanze  eine  Seele  habe,  erwuchs  die  Ansicht,  daß 
dieselbe  der  zeitweilige  Körper  einer  Menschenseele  sei.  Die  Seelen 
Liebenider  oder  unschuldig  Gemordeter  wandehi  sich  in  weiße  * 
Lilien  und  andere  Blumen,  welche  aus  dem  Grabe,  oder  aus 
dem  hinströmenden  Blute  hervorsprießen  (S.  die  o.  S.  3  Anm.  1 
angefahrten  Schriften).  Die  70  Fuß  hohe  sogenannte  „schöne 
Eiche  ^  im  Walde  bei  LtU^how  soll  aus  dem  Munde  eines  in  der 


1)  Vgl.  Lex  Bargnnd.  XXVIII.  1—2.  Es  ist  jedermann  die  Erlanbniß 
gew&hrt  „inddendi  ligna  ad  usas  snos  de  jacentivis  et  sine  frnctu  arbori- 
bns  in  cnjuslibet  siLva.    Vgl  Boscher,  System  der  Volkswirtschaft  II,  523. 

2)  Rochholz,  Aargan.  Sagen  I,  72.    Ders.  Alemann.  Einderlied  287. 

3)  Hyltdn-CavaUius  a.  a.  0.  S.  310. 


40  Kapitel  T.    Banmseele: 

Schlacht  gefallenen  Königs  hervorgewachsen  sein.^  Ebenso  giebt 
es  viele  Sagen  von  sogenannten  Blutbäumen,  die  aus  dem  Blute 
schuldlos  Gerichteter  entstanden;  mit  dem  Blute  ging  die  Seele 
in  sie  über.  Zu  Camem  waren  das  7  Eichen,  die  sich  wunder- 
bar zu  einem  Stamme  vereinigten,  und  als  man  einst  eine  der- 
selben fällte,  schwitzte  der  Stumpf  blutige  Tränen,  bis  ein  neuer 
Baum  aus  demselben  hervorwuchs.'  Zu  MöSrufell  im  Eyjai^ördr 
auf  Island  ist  es  ein  Vogelbeerbaum  (reynir) ,  der  aus  dem  Blute 
zweier  wegen  vermeintlicher  Blutschande  unschuldig  hingerichteter 
Geschwister  entsteht.'  In  der  Höll  (Oberpfalz)  hängt  man  an  dem 
Orte,  wo  jemand  gewaltsamen  Todes  starb,  eine  Tafel  mit  einer 
Gedächtnißinschrift  an  einen  Baum.  Bei  Tag  soll  dann  die  arme 
Seele  des  Getödteten  im  Baume  hausen.  Nachts  aber  entbunden 
sein  und  in  einem  gewissen  Umkreise  frei  schalten  dürfen.* 

Doch  nicht  bloß  reine  und  selige  Menschengeister,  auch  die 
Seelen  Verdammter  nehmen  nach  dem  Tode  Pflanzenleib  an.  In 
einem  Laubwalde  zwischen  Altstrelitz  und  Neubrandenburg,  an 
einer  Stelle,  wo  einst  ein  Meuchelmord  begangen  wurde, 
stieg  täglich  mit  dem  ersten  Schlage  der  Mittagsstunde  eine 
distelähnliche  Pflanze  aus  dem .  Boden,  deren  Stamm  zwei 
mit  Stacheln  besetzte  Arme  mit  in  einander  gerungenen  Hän- 
den bildeten,  unten  am  Stiel  zwei  über  und  über  mit  Stacheln 
oder  Domen  besetzte  M'enschenköpfe.  Sobald  es  zwölf  aus- 
geschlagen hatte,  war  das  Gewächs  spurlos  verschvmnden. 
Einem  !Pastor,  der  mit  seinem  Stocke  darüber  hinfuhr,  verkohlte 

1)  N.  Vaterl.  Archiv  I,  Ml,  Harrys,  Volkssagen  Niedersachsens  184:0 
I,  88,  55. 

2)  Euhii ,  nordd.  Sagen  107,  122'. 

3)  Maurer,  Island.  Sag.  177. 

4)  Schönwerth,  ans  der  Oberpfalz  I,  291.  Näheres  über  diese  Sitte  in 
anderen  Bairischen  Landschaften  liest  man  in  Lndw.  Stenbs  Bairischem  Hoch- 
land S.  60.  Man  legt  den  Verstorbenen  sogleich  nach  dem  Tode  auf  ein 
Brett,  das  Behbrett,  (d.  i.  Leichenbrett,  vgl.  mhd.  re,  ahd.  hreo,  goth. 
faraivs  Leichnam,  vorzugsweise  wol  der  blutige,  getödtete  Leib  =  (skr.  kra- 
vis,  kravjam  rohes  Fleisch,  gr.  »(tittg,  lat.  caro  und  cmor,  lit.  kranjas  Blnt, 
altsl.  kmvi  Blnt).  Auf  dem  Behbrett  bleibt  er  bis  zum  Begrftbniß  liegen. 
Dann  giebt  man  es  dem  Maler,  der  es  blan  anstreicht,  den  Namen  des  Ver- 
storbenen ,  eine  Bitte  nm  ein  Vaterunser  und  ein  R.  i.  p.  (requiescat  in  pace) 
darauf  setzt.  Diese  Andenken  werden  dann  auf  der  Flur  oder  im  ViTalde, 
wo  die  Fußsteige  vorübergehen,  an  Feldkreuzen  oder  Baumstämmen 
festgemacht  und  bleiben  dort,  bis  sie  verwittern. 


Baiun  zeitweilige  HiUle  einer  abgeschiedenen  Seele.  41 

der  Stock  und  yerlahmte  der  Arm.^  Diese  Mecklenburger  Sage 
zeigt  eine  wunderliche  Zutat  mittelalterlichen  Fegefeuerglaubeng. 
Beiner  ist  die  bairische  yon  den  drei  verfluchten  Jungfern,  die  in 
einem  Waldschlosse  bei  Nürnberg  ein  gottloses  Leben  fährten, 
Fremde  anlockten,  ausplünderten  und  tödteten.  Gottes  Blitz- 
strahl erschlug  sie  und  verbrannte  ihr  Haus;  ihre 
Seelen  aber  fuhren  in  drei  große  Bäume  und  so  oft 
einer  davon  gefällt  wird,  geht  die  Seele  in  einen 
andern.  Nach  Gebetläuten  hört  der  Vorübergehende  von  den 
Wipfeln  dieser  Bäume  herab  lockende  Stimmen  oder  schaden- 
frohes Gekicher  und  nicht  undeutlich  glaubt  er  zwischen  den 
Aesten  eine  Gestalt  zu  sehen,  die  ihn  zu  sich  winkt. ^  Breithut, 
der  Geist  eines  berüchtigten  Baubritters  im  Geißenthäle  läßt  sich 
bie  und  da  als  Baumklotz  oder  gradezu  als  Baum  blicken.  ^  Ein 
Pfleger,  der  Waisengelder  angegriffen  hat,  spukt  im  Walde.  Er 
sieht  ans,  wie  in  Baumrinde  gekleidet,  lehnt  sich  an  einen 
Baumstamm  und  schaut  die  Holzarbeiter  starr  an,  bis  sie  ent- 
setzt fliehen.^  An  der  Pfaffenhaide  am  Hallwiler  See  stand  bis 
vor  kurzem  ein  sehr  alter  Kirschbaum.  Dahinter  sah  jeder,  der 
Nachts  vorüber  ging,  einen  Mann  stehen,  der  die  Hand  vor- 
streckte, dann  rasch  hervorsprang  und  verschwand.  Wer  sich 
nach  ihm  umsah,  dem  blieb  der  Hals  verdreht.  Eioem  Weib 
hing  er  sich  als  Dom  in  die  Jüppe  und  als  sie  diesen  entfernen 
wollte,  schwoll  ihr  der  Kopf  an.  Mau  hieb  den  Birnbaum  um. 
Seitdem  ist  auch  jene  Stelle  frei,  aber  ebenso  lange  sitzt  im 
Keller  des  nächstgelegenen  Hauses  ein  schwarzer  Hund  auf  einer 
Kiste .  und  heißt  wie  der  längst  verstorbene  Ahnherr  dieses  Hauses 
Snchelis.^  Im  Buchenwalde  auf  dem  Kestenberg  zwischen  den 
Schlössern  Wildegg  und  Brunegg  hat  sich  ein  Jäger  an  einer 
Eiche  erhängt.  Als  der  Schloßherr  ihn  fand,  vom  Wiude  in  den 
Zweigen  hin  und  her  geschaukelt,  befahl  derselbe  die  Eiche  zu 
fällen;    aber  Blut   quoU  unter  den  Axthieben   hervor   und  rote 


1)  Niederhöffer,  Mecklenbnrgs  Yolkssagen  III,  193. 

2)  Panzer,  Beitr.  z.  D.  Myth.  n.  197,  342. 

3)  Birlinger,  Yolkstüml.  a.  Schwaben  I,  10,  8. 

4)  Seh5nwerth,  ans  der  Oberpfalz  III,  131.  Vgl.  den  Geist  inüer  hohlen 
Esche  hei  Genlungen,  der  vorübergehende  Menschen  mit  in  den  Banm  zu 
nehmen  sucht.    E.  Meier,  Schwab.  Sagen  251,  280. 

5)  BochholZy  Schweizersagen  ans  dem  Aargan  B.  I.  Aaran  1856.  S.  80,  68. 


49  Kapitel  I.    Baamseele: 

Adern  durchzogen  den  Stamm.  Da  verbrannten  die  Leute  Stamm 
nnd  Leichnam.  Seitdem  pirscht  aber  der  Todte  als  Wildhans 
von  Wildegg  mit  gespenstigen  Hunden  durch  den  Wald,  oft  hört 
man  dieselben  winseln,  wenn  er  sie  an  die  Bäume  hängt,  um 
sie  mit  Riemen  zu  hauen.  ^  Eine  Variante  dieser  Sage  knttpft 
sieh  unweit  davon  an  einen  Holzbimbaum  zwischen  Wildegg 
und  Lupfig.  Der  krumme  Jäger;  der  an  diesem  Baume  seine 
Hunde  aufzuhängen  pflegte,  sich  an  ihm  erhängt  hatte  und  unter 
demselben  begraben  war,  ließ  sich  da  noch  immer  sehen  z.  B.  ' 
als  dreibemiger  Hase  mit  Augen  so  groß  wie  ein  Pflugrad.  Wer 
ihm  nachschaute,  dem  schwoll  der  Kopf.  Oder  er  stand  als 
schwarzer  Mann  hinter  dem  Baume.  Einer  der  ihn  an- 
redete, büßte  mit  gedunsenem  Mund  und  geschwollenen  Augen. 
Die  Gemeinde  beschloß  nun  den  Baum  umhauen  zu  lassen.  Aber 
während  das  Gebüsche  ringsum  unbewegt  in  der  ruhigen  Luft 
stand,  schüttelte  ein  Brausen  die  Aeste  des  Holzbimbaums.  Den 
Arbeitem  sprang  die  große  Waldsäge  ab ,  und  wo  man  mit  der 
Axt  hintraf,  war  das  Beil  stumpf  und  ein  blutroter  Saft  quoll 
nach.'  Diese  Sagen  sind  in  mancher  Hinsicht  lehrreich.  Die 
Seele  des  Verstorbenen  geht  in  den  Baum  über,  erfüllt 
ihn  gleichsam  mit  menschlichem  Leben,  so  daß  Blut 
in  seinem  Geäder  umläuft.  Zugleich  aber  läßt  sie 
sich  als  Schatten  in  Tier-  oder  Menschengestalt  außer- 
halb des  Baumes  aber  in  dessen  Nähe  sehen,  und  ihr 
Anschauen  verursacht  jene  Krankheiten,  mit  welchen 
der  unverhüllte  Anblick  von  Geistern  auch  sonst  be- 
straft wird.  Durch  die  Vernichtung  des  Baumes  frei  geworden, 
vereinigt  sie  sich  mit  dem  Winde  und  tobt  in  der  wilden  Jagd 
daher.'  Es  wird  nun  auch  wol  verständlich  sein,  weshalb  auch 
Gespenster  und  Elopfgeister  in  hohle  Bäume,  Weidenbäume 
u.  dgl.  gebannt  werden.^    Man  giebt  ihnen,  um  sie  los  zu  werden^ 

1)  Rochholz  a.  a.  0.  I,  73,  57. 

2)  Rochholz  a.  a.  0.  I,  69,  56. 

3)  Vgl.  Mannhardt ,  Götterwelt.  S.  107  ff. 

4)  Vgl.  H.  Frohle,  Harzaagen  S.  166  ff.,  I  — IV.  Den  ZoBammeuhang 
oder  die  üebergänge  der  dargelegten  Anschauungen  zeigt  u.  A.  auch'  die 
Mitteilung!  Panzers  (Beitr.  II,  302)  daß  der  Sägeschmied  zu  Esohenfelden 
in  der  Oherpfalz,  wenn  er  Fieber  hatte,  gradezu  nach  dem  Manne . schickte, 
der  sich  mit  Geistjerbannen  abgab.  Dieser  hob  die  Tfiischwelle  aus,  bannte 
den  Geist  und  keilte  ihn  in  einen  Weidenbanm  ein. 


• 


Banin  zeitweilige  Hülle  einer  abgeschiedenen  Seele.  43 

den  Baum  zum  Leibe.  Der  im  Weinkeller  spukende  Geist  eines 
bösen  Wirts  ist  in  die  Suckfelder  Linde  bei  Zurzach  gebannt 
worden.  Dort  hauste  er  in  einem  Astloch.  Nachts  saß  er  oft 
auf  einem  Aste  und  geigte  und  je  schärfer  im  Winter  die  Schnee- 
flocken über  BuckfeU  stöberten,  desto  schöner  und  schärfer 
geigte  er  drauf  los.  Ein  Bauer,  der  nach  diesen  Tönen  tanzte, 
bis  er  umfiel,  ist  von  Stund  an  der  beste  Tänzer  im  Lande 
geworden.  Dieses  zauberische  Geigenspiel  ist  die  Musik  des 
Waldes ,  das  Lied  des  Sturmes ,  welches  alles  bewegt  und  tanzen 
macht  ^  Die  breite  Eiche  auf  dem  Ble£  bei  Salzungen  war  die 
mächtigste  des  ganzen  Forstes.  Als  sie  hohl  wurde  trugen  die 
Jesuiten  manchen  Poltergeist  in  dieselbe.  Leute,  die  rorbei- 
giDgen ,  hörten  die  Geister  darinnen  rumoren.  In  die  dicht  belaub- 
ten steilen  Wände  der  wilden  Löcher  einer  Schlucht  in  der  Nähe 
dieser  Eiche  sind  ebenfalls  Poltergeister  getragen  und  festgebannt 
Noch  heute  guckt  fast  aus  jeder  Ecke  und  aus  jedem  Baum- 
stumpf ein  Spukgesicht  heraus  und  erschreckt  die  armen  Leute, 
die  dort  Leseholz  suchen.  Ein  Tagelöhner  aus  Salzungen  hatte 
hier  Baumstubben  gerodet  und  spaltete  dieselben  unter  seinem 
Fenster  vor  dem  neuen  Tore;  da  sah  er,  als  er  so  eben  einen 
Keil  eintrieb ,  aus  dem  Stubben  ein  kleines  graues  Männlein  her- 
aus und  durch  die  Tttre  in  das  Haus  schlüpfen  und  ehe  der 
Tagelöhner  sich  noch  von  seinem  Schrecken  erholt  hatte ,  guckte 
der  kleine  Mann  auch  schon  durch  die  runden  Scheiben  der 
Wohnstube,  schnitt  allerlei  Gesichter  und  trieb  so  lange  Unfug, 
bis  er  ihn  durch  einen  Geisterbanner  fangen  und  wieder  ban- 
nen ließ.' 

Noch  ein  Beispiel  sei  angefüirtj  welches  wieder  erinnern 
mag,  daß  auch  diese  Vorstellungsweise  die  Bäume  und  niederen 
Pflanzen  gemeinsam  umfaßt  Man  soll  die  Schmelber  (Schmeicher 
oder  Schmielen)  eine  hohe  schlanke  Grasart  nicht  abreißen,  oder 
damit  die  Zähne  ausstochern,  damit  man  nicht  von  den  bösen 
Geistern  oder  Teufeln  besessen  werde,  welche  oft  dahinein 
gebannt,  oder  darauf  gespießt  sind.^     Zu  vergleichen  steht  die 

1)  Bochholz  a.  a.  0.  310.  Mannhardt,  Götterwelt,  S.  113.  114.  123. 
Die  NatnrerscheiaiiDg  selbst  ist  beschrieben  in  Auerbachs  Volkskaleader  1860, 
S.  129. 

3)  S.  L.  Wucke,  Sagen  der  mittleren  Werra  U,  48. 

3)  Schönwerth,  aus  der  Oberpfalz  HI,  115.  Meier,  Schw&b.  Sag.  247,271. 


44  Kapitel  I.    Banmseele: 

von  J.  W.  Wolf,  Beitr.  II,  242  ans  Jacob  a  Voragine  angeflihrte 
Legende  yon  einem  bösen  Geist,  der  in  oder  zwischen  den  Blät- 
tern einer  Salatstaude  saß. 

§.  13.  Baum,  Aufenthalt  des  Hausgeistes.  Mit  den  znletzt 
behandelten  Sagen  bertlhrt  sich,  was  wir  schon  oben  S.  33  wahr- 
nahmen ,  daß  die  Seele  eines  durch  sympathetische  Kur  mit  dem 
Baume  yerbundenen  Menschen  nach  dem  Tode  in  ersteren  über- 
geht, nach  dem  Abholzen  des  Baumes  in  dem  daraus  gezimmer- 
ten Balken  yerbleibt  und  Klabautermann  d.  h.  Schutzgeist  des 
Schiffes  wird.  Ebenso  weilt  nach  manchen  Sagen  der  Hausgeist 
im  Hausbalken  und  bleibt  wo  dieser  verbleibt^  Er  war  wol 
auch  Yorher  Geist  des  zum  Balken  verarbeiteten  Baumstammes. 
W.  Menzel'  bezieht  auf  die  Herkunft  des  Hauskobolds  aus  dem 
Baume  vielleicht  nicht  mit  Unrecht  auch  die  folgende  Sage.  Ein 
Hausgeist  zu  Sachsenheim,  der  sogenannte  Klopferle,  schenkte 
der  Magd,  so  oft  sie  in  den  Keller  kam,  ein  Geldsttick.  Als 
ihm  aber  der  Ritter  befahl  mehr  zu  bringen,  erschien  der  Geist 
vor  dem  Ritter  mit  einem  Eichenblatte  im  Munde,  woran  drei 
Eicheln  hingen  und  verbrannte  ihn  sammt  dem  Schlosse.^  Sollte 
das  Eichenblatt  andeuten,  daß  der  Schutzgeist  des  Hauses  in 
den  Wald  zurückkehren  wolle? 

§.  14.  Baum,  Sehntzgetst  oder  Sitz  des  Schutzgelstes. 
Jedenfalls  gehört  es  in  den  Kreis  dieser  Vorstellungen,  daß  der 


1)  Müllenhoff,  Schleswigholst.  Sagen  371,  451.  Bochholz,  Schweizer- 
sagen  a.  d.  Aargau  I,  75,  59.  Vgl.:  Die  Siamesen  bringen  nach  Vollendung 
eines  Bootes  dem  Dämon  oder  Kukkhathevada  des  Baumes,  woraus  es  gezim- 
mert wurde ,  Opfergaben ,  um  ihn  zu  bewegen  in  Schlangengestalt  fortan  als 
Schutzgeist  im  Kiele  des  Fahrzeugs  zu  verbleiben.  Auch  beim  Häuserbau 
opfern  sie  den  aus  dem  Walde  herbeigebrachten  und  jetzt  in  der  Wohnung 
aufgerichteten  Pfosten,  um  die  einwohnende  Geisterkraft  als  schützenden 
Dämon  dem  Hause  zu  bewahren.  Einige  solcher  in  Bäumen  lebenden  Phum- 
mathevada  oder  Kukkhathevada  yerlassen  willig  den  unter  dem  Axthieb  fal- 
lenden Stamm,  und  suchen  einen  andern ,  andere  werden  böse  und  rächen 
sich.    A.  Bastian ,  Zs.  f.  Völkerpsych.  V,  288.  296. 

2)  Literaturgeschichte  I,  109. 

3)  Magenau ,  Schwab.  Sagen  145.  Im  Zabergau  heißt  es ,  dafi  der  ruch- 
lose Bitter  auf  Blankenhom  den  Hausgeist  durch  einen  Pfaffen  beschwören 
ließ,   um   mehr  Geld  zu  erpressen.    Da  erschien  dieser  als  ungeheuer  eine 

«Eichel  und  ein  Eichenblatt  im  Maul  und  hinter  ihm  brach  Feuer  in  den  Saal 
und  veischlang  die  Burg  sammt  allen  Bewohnern.  Klunzinger,  Geschichte 
des  Zabergaus  II,  133. 


Baum  BS  Lebendbaum.  45 

ideale  Doppelgänger  der  Menschenseele,  der  Schntzgeist  (genias 
tatelaris)  der  einzelnen  Persönlichkeit  (oder  ganzer  Geschlechter) 
die  Py^a,  wie  der  Altnorweger  sagte  (Myth.*  828  ff.  Mann- 
hardt,  germ.  Mythen  306  ff.)  in  einem  Baume  Wohnung  haben 
soll.  Um  jedoch  diese  letztere  Anschauung  vollständig  ver- 
ständlich zu  machen,  gehen  wir,  ehe  wir  ihren  Bestand  auffüh- 
ren ,  noch  einmal  auf  eine  schon  vorhin  von  einem  andern  Punkte 
aus  angeschlagene  Gedankenreihe  ein. 

§.  14*.  Baum  =  Lebensbaum.  Die  unter  uns  ganz  geläufige 
Redeweise  „der  Baum  meines,  deines,  seines  u.  s.  w.  Lebens 
grönt,  welkt,  stirbt  ab^^  zeigt  uns  den  Vergleich  menschlichen 
und  vegetabilischen  Wachstums  in  persönlichster  Anwendung  zu 
einem  stätig  dem  Bewußtsein  vorschwebenden  Bilde  gediehen. 
Während  wir  uns  aber  darüber  klar  sind,  daß  das  uns  immar 
nente  Leben,  die  Gesammtheit  der  Zustände  und  Veränderungen 
unseres  Seins  durch  dieses  Bild  ausgedrückt  werde ,  tritt  dasselbe 
ftir  das  Bewußtsein  mancher  Menschen  auf  niederen  Stufen  durch 
Hypostase  als  etwas  Reales  und  Selbständiges,  gleichsam  als 
ihr  Doppelgänger,  der  alle  ihre  Schicksale  mitmacht,  anzeigt, 
oder  gar  bestimmt,  aus  ihrer  Persönlichkeit  heraus  und  neben 
dieselbe.  Man  sehe  nur,  wie  in  einem  von  Orest  Miller^  mit- 
geteilten schönen  russischen  Hochzeitliede  aus  dem  Permschen 
Gouvernement  das  Mädchen  sein  Verhältniß  zu  dem  künftigen 
Ehegatten  schildert: 

Nnr  wenig  schlief  ich  Junge, 
Wenig  die  ganze  Nacht. 
Doch  in  dem  Schlummer  hatt'  ich 
Einen  schönen  Traum. 
Ich  sa^  in  Hofes  Mitten 
Wuchs  ein  Cypressenbaum 
Und  ihm  zur  Seit'  ein  andrer, 
Ein  zuckersüßer  Baum. 
Und  auf  dem  Baudie  waren 
Goldener  Zweige  viel, 
Zweige  von  Gold  und  Silber. 
Da  sprach  das  Haupt  des  Hauses, 
Der  Meister  „liebes  Herz, 
Soll  ich  den  Traum  dir  deuten? 
Sieh  der  Oypressenstamm 
Bin  ich,  der  ich  dein  eigen. 


1)  Ehristomatija  P.  I.    Petersburg  1866  I.  S.  28. 


46  Kapitel  L    Baomseele: 

Der  znekenfiSe  Baun 
Bist  dD,  und  du  bist  mein. 
Und  auf  dem  Baum  die  Aeste 
Sind  nnsre  Kleinen  ja. 
Die  lieben  teuren  Kinder." 

Obgleich  Hunderte  yon  Meflen  von  Perm  entfernt,  liefert 
das  Saterland  den  nächsten  Verwandten  dieses  Volksliedes  in 
einem  Hochzeitbranche.^  In  die  eine  Ecke  der  Bettlaken,  welche 
ein  Bräntigam  mitbekommt,  wenn  er  aas  dem  elterlichen  Hanse 
in  eiaen  fremden  Hof  hineinheiratet  (nnd  nnr  dann)  stickt  man  mit 
bunten  Fäden  emige  Blamen  nnd  einen  Baum,  auf  dessen 
Wipfel  und  reich  belaubten  Aesten  Hähne  (eine  leicht  yer- 
ständliche  Symbolik)  sitzen.  Zu  beiden  Seiten  des  Stammes 
stehen  die  Anfangsbuchstaben  seines  Tauf-  und  Familiennamens. 
Elbenso  sticken  die  Mädchen  in  ihre  Aussteuerhemden  am  Halse 
auf  jede  Seite  der  Spange  je  einen  Baum  und  die  Buch- 
staben ihres  Namens.  Es  ist  der  Schicksals-  oder 
Lebensbaum  der  jungen  Leute  selber  gemeint,  der  aus  dem 
heimatlichen  Boden  yerpflanzt  klinftig  auch  in  dem  neuen  Wohn- 
sitze grtinen,  wachsen  und  Frttchte  bringen  soU.  Auf  der  glei- 
chen Anschauung  beruht  eine  Reihe  schöner  Hochzeitsitten,  die 
sich  durch  viele  deutsche,  slavische  und  lettische  Landschaften 
verfolgen  lassen.  Dem  jungen  Paare  werden  bei  der  Hochzeit 
grttne  Bäume  vorangetragen,  ein  grttner  Baum  prangt  auf  dem 
Wagen,  der  die  Aussteuer  der  Braut  in  die  neue  Heimat  fthrt, 
auf  dem  Dach  oder  vor  der  Tttr  des  Hochzeithauses.  Im  Dröm- 
ling  tragen  die  Braut-  und  Bräutigamsjungfem  auf  dem  Wege 
zur  Kirche  dem  Brautpaar  brennende  Lichter  auf  jungen  Tan- 
nen oder  mit  Buchsbaum  umwundenen  Gestellen  voran.'  Im 
Hannoverschen  Wendlande  tragen  die  Kranzjungfem  während  der 
Ehrentänze  der  Brautftthrer  und  des  jungen  Ehemanns  mit  der 
Neuvermählten  mit  brennenden  Lichtern  besteckte  grüne 
Tannenbäumchen  vorauf;  indem  die  jungen  Eheleute  diese 
Lichter  mit  Tüchern  ausschlagen  (sie  wollen  ihren  Lebensbaum 
für  sich  behalten) ,  geben  sie  das  Zeichen  zum  Beginne  des  allge- 
meinen  Tanzes.'      In    den  wendischen  Dörfern   bei  Batzeburg 


1)  L.  Strackerjan,  Aberglaube  und  Sage  aus  Oldenburg  II,  124,  437. 

2)  Kuhn,  M&rk.  Sagen  357. 

3)  K.  Müldener ,  aus  allen  Welttheüen  1873  8.  200. 


Banm  «  Lebensbaum.  47 

dagegen  hatte  ein  grttner  Baum  auf  dem  Brantwagen  Platz.^ 
In  der  Oberpfalz  steckt  ebenso  vorn  auf  der  äußersten  Spitze  des 
Kammerwagens,  der  die  Aussteuer  der  Braut  trägt ,  ein  verzier- 
tes Fichtenstämmchen^'  nicht  minder  schmtlcken  den  schwä- 
bischen Brautwagen  um  Ehingen,  der  die  Kunkel  und  das  Ehe- 
bett fbbrt,  sechs  mit  seidenen  Bändern,  Goldflittem  und  Bhimen 
gezierte  Tannenbäume.'  Auf  den  lettischen  Bauerhochzeiten  in 
Kurland  wurde,  sobald  das  neue  Paar  aus  der  Brautkammer 
trat,  nachgeforscht,  ob  der  junge  Ehemann  die  Liebesprobe  kräf- 
tiglich  bestanden.  Befand  es  sich  so,  so  wurde  große  Fröhlich- 
keit geübt  und  ein  großer  grtlner  Baum  oder  Kranz  oben 
auf  das  Haus  gestellt.^  Der  Lebensbaum  des  Bräutigams, 
oder  des  neubegrttndeten  Stanunes  steht  gut,  wenn  Aussicht  auf 
Nachkommenschaft  da  ist.  In  Schweden  nimmt  man  als  Braut- 
stnhl,  auf  dem  das  Hochzeitpaar  während  der  Trauung  sitzt,  einen 
Chorstuhl,  pflanzt  zwei  Tannen  mit  Blumen  und  Goldpa- 
pier vor  dessen  Türen,  spannt  oben  eine  weiße  Decke  aus  und 
verziert  es  auffallend.  Zu  Väßbo  werden  am  Vorabend  der 
Hochzeit  an  allen  Türen ,  Pforten  und  Gattertoren  Tannen  gesetzt, 
eine  zu  jeder  Seite.  ^  Im  Zwodtagrunde  im  Voigtlande  werden, 
wie  auch  in  Thüringen  Fichten^  vor  das  Hochzeithaus  gesetzt.^ 
Im  Weimarischen  pflanzen  die  Bursche  und  Mädchen  des  Ortes 
am  Vorabend  der  Hochzeit  grüne  Tannen  vor  das  Branthaus 
und  verbinden  sie  mit  Blumengewinden,  Kränzen,  bunten  Bän- 
dern und  einer  Citrone,  worauf  die  Namen  der  Brautleute  ein- 
gestochen sind.'  Dies  geht  schon  über  in  eine  andere  Form  der 
nämlichen  Sitte,  welche  wir  später  nach  Erörterung  des  Mai- 
baums und  Emtemais  betrachten  werden. 

Nicht  selten  geschah  es,  daß  unwillkürlich  oder  mit  Absicht 
ein  bestimmter  lebender  Baum  zum  Träger  des  zweiten  Gliedes  der 
Gleichung  und  dadurch  gleichsam  dauernd  zum  alter  ego  eines 


1)  Jahrbücher  f.  Schleswigholst.  Landesknnde. 

2)  Schönwerth,  aus  der  Oberpfalz  I,  67. 

3)  BirHnger,  II,  358. 

4)  T.   Brand,   Reisen   durch  die   Mark  Brandenburg   u.  s.  w.     Wesel 
1702.  78. 

5)  Heinsberg -Düringsfeld,  Hochzeitbuch  S.  5. 

6)  Köhler,  Volksbrauch  im  Voigtlande  1867,  S.  236. 

7)  P.  Schmidt,  Sitten  und  Gebr&uche  bei  Hochzeiten  in  Thüringen,  S.  33. 


48  Kapitel  I.    Baumseele:      < 

beBtimmten  Menschen  gemacht  wurde.  In  IJochheim,  Einzuigen 
and.  anderen  Orten  in  der  Nähe  von  Gotha  z.  B.  besteht  der 
Brauch,  daß  das  Brautpaar  zur  Hochzeit  oder  kurz  danach  zwei 
junge  Bäumchen  auf  Gemeindeeigentum  pflanzen  muß.  An  sie 
knüpft  sich  der  Glaube  y  wann  das  eine  oder  das  andere  eingehe, 
müsse  auch  das  eine  oder  andere  der  Eheleute  bald  sterben.^ 
Auf  ähnliche  Anschauung,  vermöge  deren  der  Liebhaber  einen 
Baum  mit  sich  selbst  identifiziert,  gründet  sich  u.  A.  auch  der 
preußische  Aberglaube,  wenn  man  die  L^ebe  eines  Mädchens 
begehrt,  drei  Haare  desselben  in  eine  Baumspalte  einzuklemmen, 
so  daß  sie  mit  dem  Baume  verwachsen  müssen.  Das  Mädchen 
kann  dann  nicht  mehr  von  einem  lassen.' 

§.  14^.  Fortrelsende  verknfipfen  Ihr  Leben  mit  einem 
Banme,  Sehr  deutlich  springt  diese  Vorstellung  vom  Schick- 
sals- oder  Lebensbaum  in  einer  Reihe  weitverbreiteter  Traditio- 
nen hervor,  wonach  ein  Fortreisender  sein  Leben  sympathetisch 
mit  einer  daheimbleibenden  Pflanze  verknüpft.  Im  Märchen  von 
den  zwei  Brüdern  (K.  H.  M.  Nr.  60)  z.  B,  stößt  der  Fortziehende 
sein  Messer  in  den  Baum  vor  der  Tür  des  Vaterhauses.  So 
lange  es  nicht  roste,  sei  das  ein  Zeichen,  daß  er  selbst  gesund 
sei,  wie  der  Baum.  Im  Märchen  von  den  Goldkindem  (Nr.  85) 
lassen  die  beiden  Jünglinge,  als  sie  ausziehen,  um  die  Welt  zu 
sehen,  ihrem  Vater  ihre  beiden  Goldlilien  zurück.  „An  ihnen 
kannst  du  sehen,  wie  es  uns  ergeht  Wenn  sie  frisch  sind, 
befinden  wir  uns  wohl;  wenn  sie  welken,  sind  wir  krank,  wenn 
sie  abfallen  sind  wir  todt.^^  Ob  diese  Märchen,  denen  sich  ver- 
wandte Züge  nicht  allein  aus  Indien,  sondern  selbst  aus  Mexiko 
und  Aegypten  an  die  Seite  stellen  lassen,'  einheimische  Gewächse 


1)  In  Weimar  ist  der  Brauch  abgelöst;  es  wird  ein  sogenanntes  Bfium- 
chengeld  (2  Bthlr.  1  gr.  8  Pf.)  an  die  ^tadtkasse  zur  Pflege  der  Obstbaum- 
ziicht  bezahlt.  Schmidt,  Sitten  tmd  Bräuche  bei  Hochzeiten  in  Thüringen, 
S.  46.  Vgl.:  Wenn  in  British -Guyana  zwei  kleine  Kinder  mit  einander  ver- 
lobt werden,  pflanzen  die  betreffenden  Parteien  als  Zeugen  für  den  Con- 
tract  zwei  Bäume  und  wenn  einer  von  diesen  Bäumen  verdorren  sollte ,  stirbt 
das  Kind,  dem  es  angehört,  sicherlich.  Tyler,  Forschungen  über  Urgeschichte 
der  Menschheit,  S.  168  nach  Bev.  J.  H.  Bernau,  Missionary  labours  in  Bri- 
tish-Guiana,  London  1847,  S.  59. 

2)  Frischbier,  Hexenspruch  S.  160. 

3)  In  einem  von  W.  Grimm  nachgewiesenen  indischen  Volksliede 
(Broughton,  selections  from  the  populär  ^oetry  of  the  Hindoos,  London  1814, 


Schicksals-  und  Gebartsbaam  von  Einzelnen  und  Familien.  49 

seien  ist  lüehr  als  zweifelhaft;  ganz  nahe  aber  ihrem  Inhalt  liegt 
der  Gedanke  in  der  fein  empfundenen  dritten  Strophe  des  Volks- 
liedes: „Morgen  muß  ich  fort  von  hier."  Der  in  Abschiedsweh 
fast  vergehende  Liebhaber  erklärt  sein  Leben  mit  der  zurück- 
bleibenden Geliebten,  die  wie  ein  Baum  auf  grüner  Aue  sprießt, 
der  Art  eins  und  verwachsen,  daß  es  (wenn  er  mit  dem  Körper 
davonziehe)  gleichsam  dableiben  und  sein  Wiederbild  in  der 
Feme  absterben  werde: 

Dort  auf  jener  grünen  Au, 
Steht  mein  junges  Leben. 
Soll  ich  denn  mein  Lebelang 
In  der  Fremde  schweben?  . 
Hab*  ich  dir  was  L^s  getan 
Hajt  ich  um  Verzeihung  an; 
Denn  es  geht  zu  £nde.^ 

§.  l4^  Sehleksals-  und  C^eburtsbaum  von  Einzelnen 
und  Familien.  Jedesfalis  kann  nunmehr  kein  Zweifel  sein  über 
die  richtige  Auffassung  des  folgenden  von  Geyler  von  Kaisers- 
berg als  wirkliche  Geaofaichte  aus  dem  15.  Jahrhundert  berich- 
teten Vorgangs.  Als  Molber,  ein  Schuhmacher  zu  Basel,  ein , 
neues  Haus  bezog,  wählte  jedes  seiner  drei  Eonder  sich  im  Gar- 
ten einen  Baum.  Die  Bäume  der  beiden  Mädchen,  Katharina 
und  Adelheid  brachten,  „als  der  Glentz  (Lenz)  hereinstach,''  weiAe 


«I 


S.  107)  pflanzt  ein  junger  Ehemann ,  der  die  neuveimählte  Qattin  verlassen 
muß  eine  Lavendelstaude  in  den  Garten  und  heißt  sie  darauf  achten.  So 
lange  sie  grtine  und  hlühe  gehe  es  ihm  wohl,  welke  sie  aber  und  sterbe,  so 
sei  ihm  ein  Ungltiek  begegnet.  Brasseur  im  Popul  Yuh  (S.  141)  teilt  eine 
central -amerikanische  Erzählung  von  zwei  Brüdern  mit,  die  yor  dem  Beginn 
ihrer  gefährlichen  Reise  in  das. Land  Xibalba,  wo  ihr  Vater  umkam,  jeder 
ein  Bohr  in  die  Mittendes  Hauses  ihrer  Großmutter  pflanzen,  damit  dieselbe 
an  dessen  Blühen  oder  Welken  erkennen  möge,  ob  sie  lebendig  oder  todt 
seien.  (Vgl.  Tyler,  Urgeschichte  S.  168.  Max  Müller,  Essays  11,  241).  Wie 
uralt  aber  in  der  Menschheit  der  Glaube  an  diese  Art  Sympathie  zwischen 
Menschenleben  und  Pflanzenleben  sein  müsse ,  dürfte  das  bekannte  ägyptische 
Märchen  von  Satu  und  Anepu  ^us  der  Zeit  des  Mose  im  Papyrus  d'Orbiney 
I  erweisen.    Satu  verbirgt  sein  Herz  d.  h.  den  Sitz  des  Lebens  (s.  Zeitschr.  f. 

D.  Mythologie  IV,  238)  in  die  Blüte  eines  Baumes.  An  diesen  Baum  ist 
fortan  sein  Leben  geknüpft.  Als  derselbe  umgehanen  wird ,  stirbt  er  und  im 
nämlichen  Augenblicke  wird  sein  in  weiter  Entfernung  lebender  Bruder  Anepu 

seines  Todes  inne. 

I 

I  1)  Des  KniCben  Wunderhorn  III,  32. 

I 

Mannhardt.  4 


I 


50  Kapitel  I.    Banmseele: 

Blüten  hervor;  die  deuteten  auf  ihren  künftigen  Beruf  als  Non- 
nen. Der  des  Bruders  Johannes  trug  eine  rote  Rose;  er  ward 
Predigermönch  in  Prag  und  fand  als  Märtyrer  durch  die  Hussiten 
seinen  Tod.^  Die  reinste  und  folgerichtigste  Ausgestaltung  der 
hier  zu  Grunde  liegenden  Anschauung  war  die  schöne  Sitte,  schon 
in  der  Geburtstunde  eines  Kindes  ein  Bänmchen  zu  setzen.  Im 
Aargau  geschieht  das  noch  jetzt  ziemlich  allgemein  und  maoi 
meint  dort,  der  Neugebome  gedeihe  oder  serbe  (verkümmere) 
wie  dieses  Bäumchen.  Für  Knaben  setzt  man  Apfelbäume,  für 
Mädchen  Birnbäume.  Noch  in  der  letzten  Generation  kam  der 
Fall  vor^  daß  ein  Aargauer  Vater  im  Zorne  über  einen  misrate- 
nen  Sohil,  der  eben  in  der  Fremde  und  also  der  väterlichen 
Züchtigung  unerreichbar  war,  aufs  Feld  ging  und  den  dort 
gepflanzten  Geburtsbaum  wieder  umhieb.*  Zuweilen  sieht 
der  Bauer  auch  ohne  ausdrückliche  Anpflanzung  fUr  eine  bestimmte 
Person  das  Schicksal  seiner  FamiliengHeder  mit  dem  Schicksal 
der  Bäume  am  Hause  verbunden.  Der  Voigtländer  fllrchtet, 
jemand  aus  der  Familie  werde  sterben ,  wenn  ein  Baum  im  Garten, 
oder  ein  einzelner  Ast  plötzlich  dürr  wird,*  auch  in  Baiem  bedeu- 
tet ein  Baum  am  Hause,  der  verdirbt,  einen  Todten  vom  Hause* 
und  dem  Siebenbirger  Sachsen  verkündigt  es  einen  Todesfall, 
wenn  ihm  im  Traume  ein  umstürzender  Baum  zu  Gesichte  kommt.  "^ 
Genau  hiezu  passt  es,  daß  in  Siebenbirgen  (Sächsisch  Regen) 
auch  der  poetische  Glaube  herrscht,  dem  Kinde  nahe  der  Tod 
nicht  mit  der  Sense,  sondern  er  breche  im  Garten  eine  Blume 
vom  Stengel,  im  nämlichen  Augenblicke  sterbe  das  Kind.* 


1)  Geyler  v.  Eaysersberg,  Emeis  (1508  gehaltener  Predigtcyclus).  S. 
A.  Stober,  znr  Geschietite  des  Volksaberglanbens  im  Anfimge  des  16.  Jahrb., 
Basel  1856,  S.  7. 

2)  Bocbholz,  alemann.  Kinderlied,  S.  284.  286.  So  pflanzte  man  auch  in 
Polynesien  bei  der  Geburt  eines  Kindes  einen  Eokosbaum,  dessen  Knoten 
gleich  zum  Zählen  der  Jahre  dienten  und  die  Papuas  verknfipfen  das  Leben 
des  Neugebomen  mystisch  mit  einem  Baumstämme,  unter  dessen  Binde  sie 
einen  Kiesel  einfQgen  und  glauben  mit  dem  Umhauen  würde  der  Mensdi 
zugleich  sterben.    A.  Bastian,  der  Mensch  in  der  Geschichte  III,  193. 

3)  Köhler,  Volksbrauch  im  Voigtlande  S.  392. , 

4)  Panzer  I,  266,  165. 

5)  G.  Schnller,  Volkst&ml.  Glaube  und  Brauch  bei  Tod  und  BegrabniB 
im  Siebenbirger  Sachscnlande.  I.    Kronstadt  1863.  S.  37,  115. 

6)  G.  Schuller  a.  a.  0.  S.  10. 


Värdtrad.  51 

Wie  ein  Einzelner  kann  aber  auch  eine  Vereinigimg  mehrerer 
Menschen y  eine  Familie,  eine  Dorfschaft  in  einem  Banme  das 
reale  Abbild  ihres  gemeinsamen  Lebens  empfinden.  In  Schweden 
sind  nachweislich  die  Namen  mehrerer  Familien  von  einem  heili. 
gen  Baume  bei  ihrem  Stammhofe  hergenommen;  so  der  des  Ge- 
schlechts Almen  von  einer  großen  Ulme,  die  ehemals  am  Hofe 
Bjellermäla  im  Sockn  Almundsryd  stand.  Die  drei  Familien 
Linnaeus  (Linne)  Lindelius  und  Tiliander  hießen  angeblich  nach 
einem  und  demselben  Baume,  einer  großen  Linde  mit  drei 
Stämmen,  welche  zu  Jonsboda  Lindegärd  in  Hvitarydssockcin 
Landschaft  Finveden  wuclis.  Als  die  Familie  Lindelius  ausstarb, 
vertrocknete  einer  der  Hauptäste  der  alten  Linde ;  nach  dem  Tode 
der  Tochter  des  großen  Botanikea's  Linnd  hörte  der  zweite  Ast 
auf  Blätter  zu  treiben  und  als  der  Letzte  der  Familie  Tiliander 
starb,  war  die  Kraft  des  Baumes  erschöpft,  aber  der  erstorbene 
Stamm  der  Linde  steht  noch  und  wird  hoch  in  Ehren  gehalten-^ 

§.  14^.  y&rdträd.  Diese  Linde  und  ähnliche  Bäume  werden 
als  Värd-träd,  Schutzbäume,  bezeichnet.  Värd  (von  värda  warten, 
bewachen,  hüten)  bezeichnet  Fürsorge,  Obhut,  Schutz;  värdtrad 
ist  also  der  Baum,  der  die  Fürsorge,  die  Obhut  ausübt;  oder 
vielmehr  der  die  Fürsorge  persönlich  ist  Der  Värd  wird  näm- 
lich als  ein  persönliches  Wesen  gedacht,  also  ein  Geist  der  dem 
Menschen  folgt,  wohin  derselbe  geht;  er  offenbart  sich  zuweilen^ 
sei  es  als  Lichtlein,  (das  Licht  ist  eine  Form  der  Seele,  vgl. 
Lebenslicht),  sei  es  als  des  Menschen  Scbeinbild.  Es  giebt 
noch  heute  unweit  der  Gehöfte  manche  flir  heilig  gehaltene 
Bäume,  welche  Yärdträd  genaimt  sind,  offenbar  als  Wohnstätten 
der  Värdar  oder  persönlichen  Schutzgeister  der  Hofleute,  oder 
der  Familie,  die  den  Hof  bewohnt.  Vor  wenigen  Menschenaltem 
gab  es  in  der  Smäländischen  Landschaft  Yärend  einen  Värdtrad 
noch  in  der  Nähe  jedes  Hofes.  Es  war  eine  alte  Linde,  Esche 
oder  Ulme.  Niemand  brach  davon  auch  nur  ein  Blatt  und  ihre 
Beschädigung  rächte  sich  sicher  durch  Unglück,  oder  Siechtum. 
In  Hänger  erlaubte  die  Volkssitte  nicht  einmal  windbrüchigea 
Holz  davon  weg  zu  nehmen  und  zu  Hause  zu  verbrennen^  son- 
dern man  häufte  es  zu  einem  Reiserhaufen  oder  Holzstoß  („bäl") 
am  Fuße  des  heiligen  Baumes  auf.    Schwangere  umfaßten  sowol 


1)  Hylten-Cavallius^.VHrend  I,  144.    Passarge,  Schweden  S.  217. 

4* 


52  Kapitel  I.'  Baamseele: 

in  Vä/rend  als   in  Vesfbo  in  ihrer  Not  den  Värdträd,   um  eine 
leichte  Entbindung  eu  erhaltend 

Der  Värd  entspricht  genau  demjenigen  Begriffe,  den  der  Alt- 
norweger und  Isländer  mit  dem  Namen  Fylgja  verband  und  wir 
sind  somit  hier  auf  dem  Punkte  angelangt,  von  dem  aus  mit 
vollem  Verständniß  die  o.  S.  45  angekündigte  Vorstellungsreihe 
zu  verfolgen  möglich  ist.  Die  Fylgja*  (d.  h.  Folgegeist)  ist  das 
Leben,  der  Genius  des  Menschen  selbst  als  ein  besonderer  Dämon 
personifiziert  und  als  solcher  zum  Begleiter,  Schicksalsverkünder 
und  Schicksalsurheber  geworden.  Von.  da  war  es  nur  ein  un- 
merklicher Schritt  und  die  Fylgja  wurde  ein  warnender  oder 
helfender  Schutzgeist,  der  ittr  den  ihm  zugeteilten  Menschen 
liebreich  sorgte.  Die  als  Abbild  oder  Doppelgänger  eines 
menschlichen  Einzellebens  oder  des  Lebens  einer  menschlichen 
Gemeinschaft  gedachte  Baumseele  in  derselben  Weise  mit  Baum 
und  Menschen  zugleich  verbunden  und  zugleich  von  beiden  ' 
als  selbständig  hypostasiert ,  sodann  als  schützender,  helfender 
Genius  aufgefaßt  ist  der  Värd.  Die  Sitte  einen  Värdträd  hinter 
dem  Hause  zu  haben,  hatte  in  Dänemark  ein  unverkennbares 
Seitenstück.  Noch  H.  Steffens  (Gebirgssagen)  konnte  davon 
erzählen.  In  einer  entlegenen  Vorstadt  von  Kopenhagen  —  sagt 
er  —  innerhalb  der  Wälle,  bewohnen  die  Matrosen  der  dänischen 
Marine  ein  Quartier,  welches  fast  eine  eigene  Stadt  bildet.  In 
einem  jeden  Hof  ihrer  kleinen  Häuser  sieht  man  über  die  Planken 
hervorragend  einen  Holunderbaum ,  der  mit  einem  religiösen  Eifer 
unterhalten  und  gepflegt  wird.  Der  Geist  dieses  Baumes  ist 
Schutzgeist  des  Hauses.  Er  hilft  in  Krankheit,  steht  den  Frauen 
in  Kindesnöten  bei,  beschützt  die  Kinder,  aber  verschwindet  auch, 
wenn  der  Baum  abstirbt.  Sicher  aber  war  dieser  Glaube  sehr 
alt  und  in  die  heidnische  Vorzeit  hinaufreichend.  Dies  möchte 
ich  aus  der  Uebereinstimmung  mit  der  Sitte  eines  andern  auch 
am  Ostseerande  wohnenden  Volkes,  der  Letten  nämlich,  schließen, 
bei  denen  ehedem  hinter  jedem  Hause  unweit  der  Hofstatt  ein 
kleiner  Hain  von  mehreren  Bäumen  gefunden  wurde ,  in  welchem 
der  „Mahjas  kungs"  (Herr  der  Heimat,  Wohnung,  Behausung) 

1)  Hylt^n-CavaUius,  Värend  I,  p.  367  §.92.  143  ff,  §.32.   H,  Till&g 
zu  §.  32.    Vgl.  den  h.  Baum  bei  Nanders  (o.  S.  35). 

2)  Vgl.  außer  den  o.  S.  45  angeführten  Citaten  N.  M.  Petersen,  Nordisk 
Mythologi  S.  143. 


Vardtrftd.  53 

also  der  Schatzgeist  des  Hofes  wohnen  soUte ,  dem  man  von  Zeit 
zu  Zeit  kleine  blutige  und  unblutige  Opfergaben  hineinwarf.  Es 
mangelt  uns  nicht  an  älteren  Zeugnissen  über  die  Sache,  aber 
noch  1836  u.  a.  zerstörte  Pastor  Garlbom  in  dem  einen  Kirchspiel 
Ermes  in  Livland  innerhalb  14  Tagen  etwa  80  solcher  Götzen- 
haine. ^  Wer  den  Hain  umhieb,  sah  den  Mahjas  Eungs  in  Gestalt 
eines  Vogels  unter  Sturmwind  entweichen  und  mußte  des  Aus- 
sterbens seiner  Familie  und  des  Verlustes  seines  gesammten  Vieh- 
standes gewärtig  sein.^  Das  Leben  also  der  Menschen  und  der 
Tiere  in  der  gesammten  Wirtschaft  war  an  das  Wolbefinden  der 
Bäume,  resp.  des  Mahjas  Kungs  geknüpft,  der  andererseits  ihr 
Heil  ftirsorglich  in  Schutz  nahm. 

Ob  und  wieweit  auch  in  Deutschland  vor  alters  Haus  und 
Familie  ihren  Schutzbaum  hatten  und  pflegten,  darüber  kann  ich 
nichts  Ausreichendes  mitteilen.  Einzehie  Spuren  scheinen  daftlr 
zu  reden.  Der  Aelpler  im  AUgäu  und  Bregenzer  Walde  hat  noch 
einen  Familienbaum,  unter  dem  er  mit  den  Seinen  sein  Abend- 
gebet verrichtet  Viele  reservieren  sich  solche  Bäume,  wenn  sie 
auch  sonst  Hab  und  Gut  verkaufen  und  sind  bei  ihrem  Absterben 
ängstlich  um  junge  Stämme  und  Aeste  bemüht^  Manche  Namen 
deutscher  Familien  (wie  Linde ,  Eichbaum ,  Buchheister,  Holunder, 
Kirschbaum,  Birnbaum,  Eschenmayer,  Birkmayer,  Pirkmayer, 
u.  s.  w.)^  könnten  wenigstens  mittelbar  auf  unsem  Ideenkreis 
zorttdweisen,  falls  die  Bauerhöfe,  von  denen  sie  herstammten 
nach  besonders  hochgehaltenen  Bäumen  in  ihrer  Umgebung  genannt 
waren. ^  Und  wenn  es  Familienbäume  gab,  sollte  vermöge  natur- 
gemäßer Erweiterung  nicht  auch  die  Dor&chaft  in  einem  Baume 
ein  Gegenbüd  und  Symbol  ihres  Lebens,  ihren  Schutzgeist 
gesucht  haben?  Bewahren  nicht  etwa  unsere  deutschen  Dorf- 
Unden  eine  Erinnerung,  einen  Anklang  daran  ?    Es  verlohnte  sich 


1)  Inland  1836. 

2)  mündl.  Hitteilung. 

3)  Vonbnn,  Beitr&ge  z.  D.  Mythologie  124.  Wanderer  im  Allgäa. 
Kempten  1847.  p.  102  bei  Bochholz,  Alemann  Kinderlied  S.  286. 

4)  S.  Andresen,  die  deutschen  Familiennamen  1862  S.  17.  Pott^  Per- 
sonennamen Lpzg.  1853.  S.  53.  676. 

5)  Namen  von  Lehnshöfen  nach  Bänmen  führt  Birlinger,  Volkstnml.  a. 
Schwaben  11»  184,  182  auf,  die  jedoch  schwerlich  sehr  alt  sind  nnd  willkür- 
lich gegeben  zn  sein  acheinen« 


54  Kapitel  I.    Baumseele : 

woly,  diesen  Gegenstand  einmal  ernstlich  zur  Frage  tmd  Unter- 
suchung zn  stellen. 

§.15.  Weltbanm  TggdrasUl.  Falls  sich  Schutzbäame  der 
Dorfschaft  erweisen  ließen  (und  ich  bitte  den  Leser  darüber  nach- 
2SQsehen  was  ich  weiter  unten  Kap.  m.  hinsichtlich  der  Maibäume 
anmerken  werde)  so  wäre  damit  ein  wichtiges  Mittelglied '  aufge- 
lunden,  um  einer  Hypothese  zu  großer  Wahrscheinlichkeit  zu 
verhelfen ,  welche  sich  auch  ohnedem  unabweislich  mir  aufdräiigen 
will.  Ich  vermute  nämlich ,  daß  auch  der  tiefsinnigen  Eddamythe 
vom  Weltbaum  Yggdrasill  in  ihrer  ältesten  Gestalt  nichts  anderes 
als  eine  ins  Große  malende  Anwendung  der  Vorstellung  vom 
Yärdträd  auf  das  allgemeine  Menschenheim  zu  Grunde  gelegen 
habe.  Schon  diejenige  Form,  in  welcher  der  Yggdrasilmythus 
in  der  Yöluspä  uns  entgegentritt,  noch  mehr  diejenige  des 
Grimnismdl  enthält  spekulative  Gedanken  durch  Allegorie  aus- 
gedrückt, und  so  einheitlich  und  harmonisch  das  aus  allen  Vor- 
stufen als  j^chließliches  Ergebniß  hervorgegangene  großartige  und 
allumfassende,  die  Einheit  des  gesammten  Universums,  wie  es 
sich  in  Raum  und  Zeit  darstellt,  vergegenwärtigende  Bild  auch 
zu  sein  scheint,^  schon  der  Name  Yggdrasill  (Odhins  Boß),^  die 
Vorstellung,  daß  Götter  und  Nomen  als  Richter  und  Urteiler 
unter  dem  Baume  Ding  halten^  und  die  andere,  daß  die  drei 
Schicksalsfrauen  Vergangenheit,  Gegenwart  und  Zukunft  mit 
Fluten  aus  dem  Brunnen  der  Vei^angenheit  die  Erde  begießen 
und  frisch  erhalten,  stellen  ebenso  viele  verschiedene  Entwicke- 
lungsphasen  der  Sage  dar,  die  ohne  Zweifel  vor  Abfassung  der 
Völuspd  schon  längere  Zeit  von  den  Dichtem  bearbeitet  und 
unter  >stäts  neuen  und  andern  Gesichtspunkten  dargestellt .  war ; 
auch  später  noch,  wie  Grimnismäl  lehrt,  der  Gegenstand  er^n- 
zender  oder  umgestaltender  Darstellungen  bUeb.  Eine  mehrfach 
abweichende  Variante  zur  Auffassung  des  Weltbaums  neben  der- 
jenigen in  Völuspd  gewährt  das  Lied  Fjölsvinnsmil  19 — 24.*    Der 


1)  Vgl.  Lfining,  Edda  S.  46  N.  M.  Petersen ,  Nordisk  Mythologi  S.  127  flF. 

2)  Petersen  a.  a.  0.  S.  129.    Uhland,  Schriften  VI,  206. 

3)  Vgl.  Mannhardt,  öerman.  Mythenf.  S.  594— 60i. 

4)  Diese  meine  Beobachtungen  stimmen  gut  liberein  mit  den  neueren 
Ergehnissen  der  Eddabitik ,  znmal  mit  den  glänzenden  Forschnngen  E.  Jessens 
über  die  Eddalieder  in  Zachers  Zeitschrift  f.  D.  Philologie  B.  HI,  1871, 
S.  71  fif.  68.  69.   74.,   wonach  die  Völospä  eine  im  10.  Jahrh.  auf  Island  mit 


WeLtbAom  YggdiaaUl  55 

Kemstoff  der  Compositioiiy  In  welchen  alle  anderen  speculativen 
Bestige  erst  hineingebildet  wurden,  war  danach  deutlich  erkenn* 
bar  ein  koBmologisches  Philoeophem  in  Gestalt  einer  lebendigen 
mythischen  YorBtellang,  -die  Anschauung  des  Weltalls  selbst  als 
immeiigrttner  vom  Himmel  bis  in  die  Tiefep  der  Unterwelt  rei- 
chender Baum 9  der  beim  Weltuntergang  zittert,  sich  entzündet.' 
Die  erweiternde  Spekulation  zeigt  ihn  vom  Wipfel  bis  zum  Fuße 
vom  regsten  Leben  erfüllt,  an  der  Wurzel  aber  fortwährend  von 
schädlichem  Gewürme  benagt  So  ist  es  wohl  klar,  weshalb 
jede  der  neun  Welten  einen  solchen  Weltbaum  besitzt,  ein  Gegen- 
bild ihrer  selbst.'  Es  ist  aber  kaum  denkbar,  daß  jemand  darauf 
gekommen  sein  sollte  den  Doppelgähger  des  GesammÜebens 
zugleich  zum  Schicksalsbaum  zu  machen,  wenn  nicht  diese  Idee 
gleich  von  Anfang  an  mit  dem  Bilde  verbunden  gewesen  wäre. 
War  dies  aber  der  Fall,  galt  mit  der  Esche  das  Geschick  der 
Welt  von  Anfang  an  verknüpft,  war  der  Genius  des  Baumes, 
6<^er  waren  die  in  oder  unter  ihm  wohnenden  Genien  zugleich 
schützende  und  schicksalbestinmiende  Mächte  der  Menschheit,  so 


teilweiaer  wörtlicher  BenntzuBg  älterer  epischer  Lieder  verfaßte  Uebersicht 
der  Götterlehre  war ,  Grimnismäl  eine  von  eüiem  Christen  vollgepfropfte  Vor- 
ratskammer mythologischer  Specialitäten  ans  saec.  XI.  Sollten  hier  nicht 
die  Angaben  mehrerer  Lieder  über  Yggdrasill  in  eins  gezogen  sein? 

1)  Schon  Sknlo  Thorlaeins  erklärte  die  Esche  Yggdrasill  fUr  ein  Sinn- 
bild der  gesammten  Natur  (Antiqa.  bor.  IIL  Ö4.  YII.  184) ;  und  Finn  Magnaa- 
sen  sagte  (lex.  myth.  588)  ,,  der  Weltbanm  oder  nnsere  Welt  nnter  dem  Sym- 
bol oder  Bilde  der  Esche  dargestellt."  Dieser  Dentung  folgten  die  meisten 
skand.  Forscher.  Vgl.  darüber  und  gegen  die  von  A.  Kuhn  zuerst  aufgestellte 
und  dann  von  Andern  (z.  B.  seiner  Zeit  mir  selbst)  geteilte  Zusammenstellung 
Ton  Yggdrasill  mit  dem  Wetterbaum  auch  M.  Hüllers  schlagende  und  über« 
zeugende  Auseinandersetzung,  Essays  Lpzg.  1869.  Bd.  ü,  184. 

2)  Niu  man  ek  heima,  ninlvidi.  Völuspä  2.  Neun  Welten:  Yafthrudnism. 
48.  Gylfjug.  34  (dagegen  Alvism.  9  nach  Bugge  Neudichtung  eines  Interpola» 
tors)  IviAr  arbor  maxima.  S.  Weinhold,  Biesen^  Sitzungsberiehte  d.  Wien. 
Akad.  1868  S.  289  Anm.  4.  üeber  die  9  Welten  s.  Werner  Hahn  im  Archiv 
f.  neoere  Sprachen  XXXIY.  S.  440—  452.  Die  Hauksbök  liest  in  Yol.  2  statt 
ivipi  iviüQur  (Bugge  Edda  S.  1.  19).  Aus  dieser  von  Bugge  mit  Becht  ver- 
worfenen Lesart  in  Verbindung  mit  einer  Zeile  im  Gedichte  Hrafnagaldr 
OdiBS  (Str.  1  elr  ivijija)  hat  man  ehedem  auf  einen  altnorwegisehen  Baumgeist, 
eine  Dryas  Ividja  (quae  in  arbore  habitat)  geschlossen.  Seit  Bugge  a.  a.  0. 
XLVI.  LXIX.  jedoch  dargetan,'  daß  Odhins  Babengesaog  ein  gelehrtes  Mach» 
werk  des  17.  Jahrh.  sei,  ist  jeder  Beweis  für  die  Existenz  der  Ividien  aus  der 
Edda  geschwunden. 


56  Kapitel  I.    Baomseele: 

ist  in  allen  Teilen  die  Aehnlichkeit  des  Grandgedankens  so  groß^ 
daß  man  kaum  umhin  kann  den  Värdträd,  den  Schntzbaam, 
falls  dieser  —  wie  doch  wol  schwerlich  zweifelhaft  sein  kann  — 
wirklich  bis  in  die  heidnische  Zeit  hinaafreicht,  als  das  ursprüng- 
liche und  einfache  Urbild  des  Weltbaums  in  Ansprach  zu  nehmen. 
Ein  ünyerwerfliches  Beweisstück  ftlr  diese  Behauptung  wird  aus 
Fjölsvinnsm  20  ff.  Bugge  entnommen  werden  dürfen ;  wo  (was  auch 
immer  die  Beziehung  zum  Zusammenhange  der  Dichtang  sei)  der 
Mimirsbaum  (Mimameidr),  der  über  alle  Lande  seine  Zweige 
breitet,  dessen  Wurzel  niemand  kennt  und  den  kein  Feuer  noch 
Eisen  schädigt,  unwiderleglich  als  der  sonst  Yggdrasill  benannte 
Weltbanm  zu  verstehen  ist.^  Von  ihm  heißt  es,  man  solle  van 
seiner  Frucht  ins  Feuer  tragen,  dann  würden  Kindbetterinnen 
ihrer  Büi/rde  ledig  (utar  hverfa  paz  l)3er  inna  skyli).  Dieser  Zug  . 
ist  so  realistisch,  daß  er  schwerlich  aus  dem  bloßen  poetischen 
Bilde  des  Weltalls  als  eines  Baumes  entstanden  sein  kann,  son- 
dem  als  Vorbild  einen  Brauch  in  der  Wirklichkeit  voraassetzt, 
mit  den  Früchten  eines  Baumes  bei  Entbindungen  zu  räuchern. 
Diese  Form  der  Sitte  weiß  ich  nun  zwar  nicht  nachzuweisen, 
wol  aber  stellt  sich  aufs  nächste  dazu,  daß  in  Schweden 
Schwangere  in  ihrer  Wot  den  Värdträd  umfassen  und  in 
Dänemark  der  Holunder  neben  dem  Hause  den  Kreißen- 
den hilfreich  sein  soll.  (S.  o.  S.  52.)  Was  also  ist  wahr- 
scheinlicher, als  daß  von  dem  Schutzbaume  die  Idee  von  Yggdrar 
sill  ausging? 

Vom  Standpunkte  der  so  gewonnenen  Erkenntnisse  aus  ver- 
lohnt es  sich,  Nyerups*  bekannte  und  mit  so  großem  Beifall 
angenommene   Gonjectur,   daß   der    vor   dem    Göttertempel    in 


1)  Mimirs  Baum  heifit  er  nach  Mimira  Brunnen»  der  nach  Sn.  £.  I,  68 
unter  einer  Wurzel  von  Yggdrasill  quillt.  Au(kr  den  oben  angeführten 
üebereinstinimungen  vgl.  noch  die  Ausdrücke:  i  enum  häya  vidi,  ins  maera 
vidar,  med  mönnum  mjötadr  F.  M.  23.  21.  22.  von  Mimameidr;  bar  badmr. 
mjötvid  maeran,  mjötudr  Vol.  19.  2.  46  von  YggdniBill,  welche  wol  auf  eine 
von  den  Dichtem  beider  Lieder  mittelbar  oder  unmittelbar  benutzte  ältere 
IMchtnng,  zurückweisen,  die  eine  der  ursprünglichen  Vorstellung  verhaltniß- 
madig  noch  nahe  stehende  Fassung  des  Mythus  enthielt.  Schlagen  unsere 
obigen  Auseinandersetzungen  ein ,  so  war  hier  der  Weltbaum  noch  ein  Frueht- 
baum  (etwa  Buche)  und  erst  der  Verfasser  von  Völuspä  mag  dafür  die  Esche 
eingeführt  haben,  die  dann  dichterisches  Gemeingut  wurde. 

2)  Wörterbuch  der  nord.  Mythologie  S.  128.  129. 


Weltbaum  Yggdrasill  57 

Upsala  an  einer  QueUe  stehende ,  Sommer  nnd  Winter  grünende 
Baum  unbekannten  Geschlechts  ein  irdisches  Abbild  von  Yggdra- 
sill  mit  dem  Urdharbrannen  war,^  noch  einmal  zn  erwägen.  Von 
diesem  Banme  wissen  wir  aus  dem  wahrscheinlich  vom  Verfasser 
selbst  herrührenden ,  ans  einer  Mitteilung  des  Dänenkönigs  Syend 
Estrithson  oder  seiner  Hoileute  nm  1070  stammenden  Scholion 
134'  zu  des  Adam  Yon  Bremen  Schüdemng  des  Göttertempels 
in  Upsala.  Ist  die  Notiz  tatsächlich  begründet ,  wofUr  ein  gleich- 
zeitiges Analogen  aas  Pommern  spricht)^  so  ist  damit  noch  nicht 
bewiesen,  wenn  gleich  sehr  glaublich;  daß  der  Baum  religiöse 
Bedeutung  hatte.  In  diesem  Falle  scheint  es  jedoch  weit  näher 
zu  liegen ;  in  ihm  den  Värdträd  des  Upsalahofs  als  ^in  Abbild 
des  Universums  zu  vermuten.  Nyerups  Hypothese  ist  umzukehren. 
Es  läge   also   nach  unserer  Auslegung   bei  Meister  Adam   ein 


1)  Adam  Brem.  de  sitn  Dan.  IV,  26  Sohol.  1S4 :  Prope  templum  est  arbor 
maiima  late  ramos  eztendens  aeatate  et  hyeme  semper  vireos.  Cujus  illa 
generis  sit,  nemo  seit.  Ibi  etiam  est  fons,  ubi  sacrificia  paganoram  solent 
exerceri  etc. 

2)  Wattenbach,  D.  Geschicht^quelleu  Aufl.  1.  S.  253.  255. 

3)  Als  Bischof  Otto  von  Bamberg  i.  J.  1124  auf  seiner  Missions- 
reise nach  Stettin  kam,  fand  er  neben  einem  der  zu  gott  es  dienst- 
lichem Gebrauche  dienenden  Geb&ude  (Continen)  einen  heiligen 
Baum  mit  einer  Quelle:  Erat  praeterea  ibi  quercus  ingens  et 
frondosa'  et  fons  subter  eam  amoenissimus,  quam  plebs  simples 
numinis  alicujus  inhabitatione  sacram  ezistimans  magna  vene- 
ratione  colebat.  Hanc  etiam  episcopus  quum  post  destructas  continas  incidere 
vellet ,  rogatus  est  a  populo  ne  faceret.  Promittebant  enim  nunquam  se  ulte- 
rius  sub  nomine  religionis  nee  arborem  illam  colituros ,  nee  locum ,  sed  solius 
ombrae  atque  amoenitatis  gratia,  quia  hoc  peccatum  non  sit;  salvare  iOam 
potius,  quam  salvari  ab  illa  se  velle  (der  Baum  war  also  ein  Schutz- 
baum). Qua  suscepta  promissione:  Acquiesco,  inquit  episcopus,  de  arbore. 
Herbordi  vitt^Ottonis  ep.  Babenb.  1.  IL  c.  31.  Mon.  Germ.  Scr.  XII,  794. 
Ein  weit  älteres  Zeugniß  für  den  heiligen  vom  Schutzgeist  (?)  bewohnten  Ba^m 
neben  dem  Tempel  gewfthrt  des  Sulpicius  Severus  vita  Sti  Martini,  oap.  X.  ap. 
Surium  de  probatis  saActomm  historiis  T.  VI.  Colon.  1575  p.  254 :  Item  dum 
in  Tico  quodam  t^nplum  antiquissimum  diruisset  et  arborem  pinum,  quae 
fano  eratprozima,  esset  aggressus  excidere,  tum  vero  antistes  loci  illiu? 
ceteraqu^  gentilium  turba  coepit  obsistere.  Et  cum  ijdem  Uli ,  dum  templum 
evertitur  imperante  domino,  acquievissent,  succidi  arborem  non  patie- 
bantur.  Üle  quidem  eos  sedule  conomonere,  nihil  esse  religionis  in  stipite, 
Dominum  potius  oni  sorviret  ipse  sequerentor,  arborem  illam  exoidi 
pportere  quia  esset  daemoni  dedicata. 


58  Kapitel  I.    Banmseele: 

flngereeig  vor,  daB  im  11.  Jahrfa.  neben  dem  Hause  der  Gat- 
ter (ebenso  wie  neben  dem  Privathanse)  ein  Vlrdtrüd  stand,  wo- 
möglich neben  einem  Quell,  in  den  man  Gaben  ftlr  die  Gottheit 
versenkte,  *  Solche  Bäume  aber  waren  nicht  Nachbildungen ,  son- 
dern Vorbilder  des  in  norrönen  und  isltodisoben  Liedern  des 
10.  und  11.  Jahtii.'uns  entgegentretenden  Weltbaums. 

§.  16.  ErUnterade  Begegni^se  aus  dem  tlgll^hen  Leben, 
Sollte  übrigens  noch  jemand  vorhanden  sein ,  dem  die  Entstehung 
der  Vorstellungen  vom  Schutzbaum  ein  psychologisches  Rätsel 
darböte ,  so  dürfen  wir  ihn  glücklicherweise  einladen  in  den  Sohlt* 
derungen  neuerer,  aus  der  Fülle  wirklicher  Erlebnisse  schöpfender 
Dichter  Schritt  fUr  Schritt  noch  heute  so  zu  sagen  die  Genesis 
derselben  zu  belauschen.  Mit  feiner  Beobachtmigsgabe  hat  z.  B. 
Göthe  im  Werther  das  Anwachsen  gemütlicher  Beziehung^  zwi- 
schen Mensch  und  Baum  veranschaulicht  Werther  trifft  den 
alten  Pfarrer  zu  St.  auf  seinem  von  Nußbäumen  besdiatteten 
Pfarrhof.  Der  Alte  wurde  ganz  munter ,  und  da  ich  nicht  umhin 
konnte,  die  schönen*  Nußbäume  zu  loben,  die  uns  so  lieblich 
beschatteten,  fing  er  an,  wiewohl  mit  einiger  Beschwerlichkeit  die 
Geschichte  davon  zu  geben.  „Den  alten,  sagte  er,  wissen  wfr 
nicht,  wer  den  gepflanzt  hat.  Einige  sagen  dieser,  andere  jener 
Pfarrer.  Der  jüngere  aber  dahinten  ist  so  alt  als  meine  Frau, 
im  October  ftlnizig  Jahre.  Ihr  Vater  pflanzte  ihn  des  Morgens, 
als  sie  gegen  Abend  geboren  wurde.  Es  war  mein  Vorfahr  im 
Amte  und  wie  lieb  ihm  der  Baum  war, ^ist  nicht  zu  sagen;  mir 
ist  ers  gewiß  nicht  weniger.  Meine  Frau  saß  darunter,  da  ich 
vor  sieben  und  zwanzig  Jahren  als  ein  armer  Student  zum  ersten 
male  hier  auf  den  Hof  kam.''  Auch  Werthem  wachsen  diese 
Bäume  ans  Herz  und  als  später  eine  neue  P£arrerin  dieselben 
umhauen  läßt,  weil  sie  ihr  unbequem  sind,  möchte  er  rasend 
werden,  daß  es  Menschen  geben  soll  ohne  Sinn  und  Geftlhl  an 
dein  wenigen,  was  noch  auf  Erden  Wert  hat  Er  könnte  ,^den 
Hund  ermorden,  der  den  ersten  Hieb  daran  tat''  Aber  auch 
das  ganze  Dorf  murrt  und  die  Frau  Pfarrerin  soll  es  an  Butter  und 
Eiern  und  übrigem  Zutrauen  spüren,  was  für  eine  Wunde  sie 
ihrem  Orte  gegeben  hat.  Hören  wir  außer  Göthe  noch  einen 
neueren  Kenner  des  Volkslebens.  P.  K.  Bosegger  schildert  in 
seinen  „Gestalte  aus  dem  Volke  der  österr.  Alpenwelt"  S.  280  ff. 
den  reichen  Bauer  Hagenzweig  in  der  Eben,  der  so  nach  semem 


Erl&nternde  Begegnisse  aas  dem  täglichen  Leben.  59 

Gehöfte  benannt  ist,  aber  auch  wol  als  der Lmdenbaner  bezeich- 
net wird,  da  ein  mächtiger  Lindenbanm  an  der  Ecke  seiner  Stal* 
lungen  steht  Nach  diesem  Baume  kennzeichnet  man  dem  fragen- 
den Wanderer,  Holz-  oder  ViehbSndler  das  Grundstttek,  „der 
Hof,  über  den  die  alte  linde  schaut/^  Unter  ihm  rersammelt 
der  Herr  Pfarrer  die  Kinder  des  Dorfes  zuweilen  zur  Christen- 
lehre, nnter  ihm  anf  dem  Bänkchen,  das  mnd  nm  den  Stanun 
länfl,  sitzt  der  Bauer  oft  abends  mit  seiner  Familie.  Schon  den^ 
Vätern  war  der  Baum  wert,  und  der  Bauer  ehrt  ihn  mit  fast 
reli^öser  Scheu.  Tee  von  seinen  Bltlten  trinkt  er  als  unfehlbares 
Universalmittel  in  allen  Krankheiten,  und  sterbend  verweist  er 
den  Sohn  fllr  die  Zeit  der  Not  im  Alter  anf  die  alte  Linde.  'Der 
Sohn  erbt  die  Ehrfurcht  vor  dem  Baume,  trinkt  auch  seinerseits 
getreulich  Lindenblütentee  und  als  er  durch  Mißernten  verarmt, 
kann  er  sich  nicht  entschließen,  den  stattlichen  Stamm  um  den 
ihm  angebotenen  Preis  von  45  Dukaten  zu  verkaufen,  während 
er  doch  kurz  vorher  den  vergoldeten  Wetterhahn  vom  Dach  ohne 
Bedenken  veräußert  hat.  Als  bald  hernach  ein  Wetter  den  Baum 
stürzt,  daß  er  über  Haus  und  Stall  morsch  in  sich  zusammen- 
bricht ,  ist  es  dem  Lindenbaucr,  als  sei  es  mit  ihm  selbst  zu  Ende 
und  auch  er  bricht  zusammen  mit  dem  Bufe:  Jetzt  bin  ich  der 
HagenzWeig  nicht  mehr  und  jetzt  kann  ich  nicht  bleiben  im  Hof 
auf  der  Eben.  Aber  im  hohlen  Stamme  der  gefallenen  Linde 
findet  sich  ein  Topf  Geld,  den  der  Vater  dort  versteckte,  und 
so  hilft  der  Baum  dem  heruntergekommenen  Lindenbauer  wieder 
zu  Kraft  *und  Vermögen.  Wieviel  fehlte  denn  noch  daran,  daß 
der  Oesterreicher  Hagenzweig  von  seiner  Linde  dieselbe  Vor- 
stellung hegte,  wie  der  Schwede  vom  Värdträd? 

§.  17.  BotrS.  Zuweilen  erhält  der  Värdträd  den  Namen 
Bosträd  oder  Boträ  (Wohnsitzbaum)  d.  h.  entweder  Baum,  der 
zur  Wohnung  des  Menschen  gehört,  oder  der  der  Wohnsitz  gewis- 
ser Wesen  ist.  In  letzterem  Falle  bezeichnet  dieser  Ausdnick 
den  Baum  nicht  mehr  als  den  Körper  oder  als  das  Gewand, 
sondern  als  die  vertauschbare  Wohnung  eines  mythischen  Natur- 
geistes, der  außerhalb  des  Baumes  seine  Wirksamkeit  übt,  und 
bei  dessen  Untergang  heimatlos  wird.  Vor  solchen  Bäumen  hat 
man  Gebete  und  Opfer  zumal  an  Donnerstagsabenden  und  an  den 
Vorabenden  der  großen  Feste  dai^gebraicht ,  um  Siechtum,  Unglück 
und  Unheil  von  Menschen  und  Vieh  abzuwehren.     Das   Opfer 


60  Kapitel  I.    Baamaeele: 

bestand  gemeinbin  in  Milcb  oder  Bier,  das  man  über  die  Wurzeln 
des  Baumes  sprengte.  Nocb  im  Jahre  1744  vmrde  ein  Mann 
im  Fosspastorat  in  Bohnslän,  der  von  einem  Boträd  einen 
Zweig  abgehauen,  dann  aber  Yor  dem  Baume  einen  Knie- 
fall getan  und  um  Verzeihung  gebeten  hatte,  in  der  Beichte  zu 
einer  Buße  yerurteilt.  Man  denkt  sich  aber  häufig  nicht  einen 
einzelnen  Geist,  sondern  eine  ganze  Gesellschaft  als  Bewohner 
des  Baumes.  Als  einmal  ein  Bauer  im  Värend  einen  solchen 
Wohnsitzbaum  umhieb,  hörte  er  es  Abends  im  Stubben  singen 

hnsvilla  ä'  vi 
husTÜla  ä'  vi 
,  husvill  skal  du  ocksä  bli. 

d.  h.  wir  verloren  unser  Haus,  wir  verloren  unser  Haus,  auch 
du  sollst  das  deine  verlieren.  Tags  darauf  brannte  das  ganze 
Gehöft  nieder.^  Diese  mythischen  Baumbewohner  werden  Tomte- 
gubbar  benannt,  sie  sind  Vervielfältigungen  des  einen  Värd, 
den  wir  vorhin  im  Baume  walten  sahen  (o.  S.  51)  und  in  ihnen 
erscheint  uns  der  Baumgeist,  der, nach  vorhin  behandelten  Sagen 
erst  nach  der  Einfügung  des  getUllten  Baumes  als  Balken  in 
Haus  und  Schiff  zum  Hausgeist  wurde,  schon  bei  Leben  der 
Pflanze  als  solcher  tätig.  Ihre  Behausung  wird  bald  in  den 
Stamm  selbst,  bald  unter  die  Wurzeln  des  Baumes  ver- 
legt. In  Bohuslän  wohnen  die  Tomtegubbar  (die  „Alten  im  Ge- 
höfte'') d.  h.  Hauskobolde,  welche  ungesehen  dem  Bauer  hilf- 
reich m  der  Wirtschaft  zur  Seite  stehn  z.  B.  des  Viehs  sich 
annehmen,  Aehren  vom  fremden  Kornboden  auf  den  seinigen 
tragen,  das  Haus  mit  Wolstand  begaben,  und  vor  Brandschaden 
(eld  och  brand)  schützen  (weshalb  bei  ihrem  Fortgange  Feuer 
ausbricht  s.  o.  S.  44),  im  Baume  nahe  dem  Hofe;  man  hütet 
sich  Donnerstag  Abends  etwas  zu  hauen  oder  zu  spinnen,  damit 
sie  nicht  erztUnt  werden  und  mit  ihrem  Segen  entweichen.'  In 
Norwegen  soll  der  Tomtegubbe  unter  Bäumen  bei  den  Wohn- 


1)  Hylt^n  -  CaYallins  a.  a.  0.  143.  311.  Odman,  Bohnsläns  Beskrifning 
Stockh.  1746.  p.  75.  Mytli.i  CXII.  110. 

2)  Odman  a.  a.  0.  Auch-  Törner  hörto  um  1700  in  Sm&land ,  daß  man 
alte  Bäume,  welche  lange  Zeit  beim  Hofe  standen,  nicht  gerne  abhaut,  weil 
nach  dem  Volksglauben  einige  Genien  darin  ihre  Wohnung  haben,  nach 
denen  man  sie  auch  Tomtetr&d  nennt  De  reliquüs  paganismi  in  Smalan- 
dia  bei  Hylten-Cavallius,  Värend  och  Virdame  I.  Tilläg  JX. 


,     Boträ.  .  61 

hfiasern  seinen  Sitz  haben  und  deshalb  darf  man  diese  nip  ganz 
ftllen.*  Aber  auch  Zwerge,  Unteijordiske  (Unterirdische,  Unner 
erdsken)  wohnen  wie  unter  Httgehi  und  Häusern,  so  zuweilen 
unter  gewissen  Bäumen,  die  man  deshalb  nicht  fällen  darf.' 
Doch  —  das  ist  der  Unterschied  —  diese  Bäume  sind  nicht 
mehr  immer  beim  Hause,  sondern  in  Feld  und  Wald  zu  suchen^^ 
Auf  einer  Haide  zwischen  Falsterbro  und  Skanör  in  Schonen  steht 
ein  uralter  Apfelbaum,  unter  dem  kleine  Leutchen  (et  Pysslinge- 
folk)  wohnten,  eiife  Schuhmacherfamilie.  Oft  sieht  mau  sie 
noch  hei  schönem  Wetter  ihr  kleines  Leinenzeug  im 
Baume  aufhängen  und  trocknen.  Als  ein  gewisser  Jons 
Pählsson  einen  grttnen  Zweig  zum  Hirtenstabe  abhieb, 
bekam  er  Schmerzen  in  den  Eingeweiden ,  welche  erst  aufhörten, 
als  er  um  Vergebung  bat.  Ein  Seemann  in  Palsterbro,  der 
schnelle^  Aufbruchsordre  empfing  und  sein  Schuhzeug  nicht  in 
Ordnung  hatte,  rief  im  Vorbeifahren  spottend,  der  Schuhmacher 
unter  dem  Apfelbaum  solle  ihm  die  Stiefel  flicken. .  Als  er  abends 
wieder  an  jene  Stelle  kam,  wurde  er  irre  und  fuhr  die 
ganze  Nacht  um  den  Baum  herum,  die  Wagenräder  ließen 
eine  bleibende  Spur  zurück.*  Auch  in  deutschen  Sagen  liegt  der 
Eingang  zu  den  Wohnungen  der  Unterirdischen  (d.  h.  der  Zwerge) 
unter  einem  Apfelbaume,  einer  Rttster,  in  der  EUemkuhle 
u.  8.  w.*  In  Verwirrung  geraten  scheint  die  folgende  Sage.  Zu 
Menzingen  im  Kanton  Zug  stand  mitten  im  Dorf  ein  hoher  Baum, 
so  hoch,  daß  er  vom  Sturme  gebrochen  alle  Wohnungen  zer- 
schlagen hätte.    Da  .niemand  ihn  zu  fällen  wagte,  gewann  man 


1)  Vgl.  J.  N.  Wilse,  Beskrivelse'over  Spydebergs  Pra,e8tegjeld.  Christiania 
1779  p.  418. 

2)  S.  Hans  Ström ,  Beskrivelse  over  Fogderict  Söndmör  i  Bergens  Stift 
i  Norge  Soröe  1762.  I.  p.  537. 

B)  Nach  Myth.i  OXII.  jedoch  wohnen  die  UnterirdiBchen  (undeijordisk 
folk)  nti  boträ.  lü  Dänemark  weiß  man  von  einzelnen  Bäumen ,  welche  die 
Ünterjordiske  nicht  umhauen  lassen ,  dasGlück  des  Gehöftes  sinkt  dahin, 
wenn  ihnen  Gewalt  geschieht.  Ein  solcher  Baum  stand  auf  einem  Felde  hei 
Eakildstrup  Amt  Sorö;  der  Eigner  hielt  ihn  hoch  in  Ehren  und  sagte,  es 
hätten  da  früher  zwei  gleiche  Bäume  gestanden ,  als  aber  ein  Mann  den  einen 
umhauen  ließ ,  sei  alles  Unglück  Über  ihn  und  sein  Haus  gekommen.  Thiele, 
Danmarks,  Folkesagu  1843.  11,  S.  52  fr. 

4)  Nicolovius ,  Folkelifvet  i  Skyttshärad  i  Skine  S.  185. 

5)  Kuhn ,  Nordd.  Sagen  S.  262,  292.  105,  120, 1.   166,  189,  6. 


62  Kapitel  I.    Banmseele: 

eijQ  Berffmämiobeii«  Das  kappte  den  Baum  und  yerscbwaBd  dBjm 
im  hohlen  Baum  auf  immer.  Der  Berggeist  hauste  wol  auch  vor- 
her schon  im  Baume.  *  Der  Schwede  nennt  als  Bewohner  solcher 
Bäume  auch  jene. Elfen  (elfvor),  welche  wie  klejne  Puppen  gestal- 
tet auf  den  Wiesen  tanzen.  Unsichtbar  fahren  sie  mit  gleicher 
Leichtigkeit  durch  Luft,  Feuer,  Erde,  Wasser,  Berge  und  Bäume. 
Sichtbar  erscheinen  sie  in  mancherlei  Gestalt,  oft  sah  man  sie 
als  Eulen  zwischen  den  Baumästen  herumhtlpfen. 
Aufwiesen  gewahrt  man  oftBinge  von  grUnerem  und  frischerem 
Gras,  das  ist  der  sogenannte  „Elfdans^^,  da  schwangen  sich 
die  Elfen  während  lichter  Sommernächte  in  luftigem  Beigen  und 
unter  ihren  Füßen  wuchs  das  Kraut  üppiger.^  Am  liebsten  üben 
sie  ihre  Spiele  unter  Lmden  und  andern  Laubbäumen.  Sie  haben  * 
allerlei  Aufenthaltsorte  in  der  Erde,  in  Steinen,  wie  in  Bäumen, 
Wer  solchen  Bäumen  irgend  wie  schadet,  wer  durch  ein  Astloch 
nach  den  Elfen  sieht ,  oder  wer  das  Gras  der  Elfenringe  nieder- 
tritt, der  erblindet,  oder  er  wird  von  den  Geistern  angehaucht 
und  bekommt  ein  Geschwulst  oder  eine  Wunde  am  Kopf  ^  eine 
Krankheit,  die  alfild  (Elfenfeuer)  oder  alfgast  und  elfbläst  (Elfen- 
anhauch) heißt,  gradeso  wie  in  Schottland  und  Irland  schon  der 
bloße  Anblick  der  Elfen  Tod,  Fieber  oder  Verlust  des  Verstandes, 
ihr  Anhauch  Beulen  und  Krankheiten  zur  Folge  hat.  Doch  sau- 
gen die  Elfen  auch  behexten  Kindern  an  Fingern  und  Zehen ,  so 
daß  sie  klein  und  schwach  bleiben.  Als  Gegenmittel  gegen  diese 
Krankheiten  bindet  man  den  Kindern  entweder  Donnerkeile 
um  den  Hals  oder  man  schmiert  die  Löcher  oder  Vertiefungen  in 
gewissen  großen  tief  in  den  Wäldern  liegenden  Steine^i  oder 
Riesenbetten  mit  Butter  aus  und  setzt  Puppen  von  Zeuglappen 
gemacht  in  Gestalt  der  Elfen  hinein.  Oder  ein  kluger  Mann  räu- 
chert das  kranke  Kind  mit  Vendelört  (Valeriana  officinalis) ;  dann 
sieht  man  die  Elfen  in  Gestalt  kleiner  Puppen  über  den  Fußboden 
gehen  und  bitten,  man  möge  ihnen  nur  erlauben  eine  andere 
Stelle  aufzusuchen.  In  Skinnersäla  in  Vesterrumsockn  ging  eine 
Bäuerin  in  den  Wald,  um  sich  Kien  zu  hauen.    Sie  hieb  einen 


1)  Rochholz ,  Aargausagen  I.  89,  78. 

2)  Die  Pflanze  sesleria  caerulea  beißt  elfdansar ,  elfgräs,  elfaxing  (kleine 
Aehre)  dieses  Gras  breitet  sieb  kreisförmig  vom  Mittelpunkte  nacb  aUen  Seiten 
aus  und  stirbt  nacbber  in  der  Mitte  ab ;  daher  die  Ringe.    Buna  1845.  S.  50. 


ßoträ.  63 

Banmstnmpf  mit  der  Wurzel  heraus  und  wurde  sofort 
so  siech,  daft  sie  kaam  heimgehen  koomte.  Niemand  wa£te  waj3 
ihr  fehle,  bis  ein  kluger  Mann  erkannte,  daß  sie  einem  Elfen 
geschadet  haben  müsse.  Und  erholt  sich  (kommer  sig)  der  Elfe, 
sagt  er,  so  erholt  sich  die  Bäuerin  auch,  stirbt  aber  der  Elf,  so 
stirbt  die  Bäueiin  ebenfalls»  Die  Frau  sah  nun  ein,  daß  ein  Elf 
ioai  Baumstamm  gewohnt  haben  mttsse  und  starb  bald  nachher, 
denn  der  Elf  konnte  nicht  leben,  da  der  Stnbb^  mit  den  Wur^ 
zeln  ausgenommen  war.  ^  Diese  Elfen  sind  offenbar  den  deutschen 
krankheiterzeugenden  Eiben,  von  denen  wir  oben  sprachen,  aufs 
nächste  verwandt  Befalle^  sie  einen  Menschen,  so  werdeai  si^ 
in  efiBgi^  (aus  Zettglaiq;>en)  zum  Walde  zurttcl^etragfai.  Eine 
dänische  Ueberlieferung  von  1722  bezeichnet  die  in  oder  bei  deqi 
Wurzeln  des  Baumes  wohnenden  Geister  ganz  aflgemein  als 
Yaetter :  Yidemus  quoque  rusticos  orsuros  caesionem  arboris.  tff 
exspuere,  quasi  hac  excretioife  yettas  aliosque  latentes  ad 
radicem  arboris  noxios  genios  abacturos(Mjth.^GXyL  162.) 
Den  schwedischen  Erzählungen  von  äßn  Hausgeistern  unter  dem, 
Boträd  gleichen  wieder  mehr  die  Angaben  in  einer  Denksehrifl^ 
welche  zwischen  den  Jahren  1526  — 1530  über  den  heidenartigen 
Aberglauben  der  noch  ihr^  alten  ^  dem  lettischen  Stamme  ange^ 
hörigen,  Dialekt  sprechenden  Bewohijer  des  nordwestlichen  Wi4- 
kels  im  preußischen  Ssmlande  verfaßt,  aber  erst  n^h  1&60  unter 
dem  Titel  ,,yon  der  Bockheiligung  der  Sudauer^'  gedruckt  ist. 
Der  Verfasser  (wahrscheinlieh  ein  evangelischer  Geistlidber)  bezeichr 
net  die  Personificationen  des  Volksglaubens  als  heidnische  Götter. 
Naeh  Herstellung  des  Textes  ai^f  Grand  der  älteisten  Handschriftep 
ergiebt  die  Denkschrift  über  die  Verehrung  des  Holunderbaumes 
Folgendes.  Sein  Holz  gelte  für  großwürdig  und  heilig.  .  Unter 
ihm  wohne  in  der  Erde  der  Erdengott  Puschkaitis.  Di^esen  bitte 
man ,  indem  man  Brod ,  Bier  und  andere  Speisen  unter  den  Baum 
trage,  er  wolle  seine  Markopolen  d.  h.  die  Erdleutchen  und  seine 
Parstucken  d.  h.  kleine  Männlein  in  die  Scheune  schicken ,  um 
Getreide  dahinein  zu  tragen  und  wol  2;u  behüten.  In  der  Nacht 
setzen   die  Bauern  Speisen  in  die  Scheune  und  rufen  jene  zn 


1)  Anfsseichnongen  des  Herrn  M.  H.  Haltin  im  Jahre  1852  gemacht. 
Handfleb)-.  des  Beicfaaantiqu^nttins  zn  Stockholm.  Vgl,  Hylt^n  -  Carallius  255 
§.  64.  146,  §.  34.    Püttmann ,  Nord.  Elfenmärchen  S.  66.  Myth.»  430. 


64  '  Kapitel  I.    Banmsoele : 

Gaste.  Wenn  sie  morgens  viel  verzehrt  finden,  hoffen  sie  auf 
Vermehrung  ihres  Getreides.  Da  die  Namen  Puschkaitis  und 
Markopole  etymologisch  noch  unaufgeklärt  sind,  läßt  sich  nicht 
sagen,  ob  der  Verfasser  mit  seiner  Angabe  „der  Erden  Gott*' 
recht  habe.  Sei  Puschkait  jedoch  eine  Personification  wessen  er 
wolle,  jedesfalls  geht  soviel  .daraus  hervor,  daß  nach  altpreußi- 
schem Volksglauben  unter  dem  Holunder  ein  Dämon  wohnt, 
welcher  sowol  über  Zwerge  (Markopole) ,  als  Kobolde  (Parstucken. 
Fingerlinge?)  Macht  hat  und  dieselben  zu  Gunsten  oder  Schaden 
der  Menschen  aufbietet.  Nach  den  gleichzeitigen  Mitteilungen 
des  Lucas  David  war  anderswo  in  Preußen  der  Glaube  verbreitet, 
daß  wenn  man  die  Erde  unter  dem  Holunderstrauch  verunreinige, 
der  Gast,  so  unsichtbar  unter  dem  Baume  wohne,  das  Auge  ver- 
unstalte; verbrenne  man  den  Busch,  so  nehme  man  ihm  seine 
Herberge. 

Ueberschlagen  wir  alle  diese  Ueberlieferangen ,  so  wird  es 
klar,  daß  in  denselben  eine  Verschmelzung  verschiedener  Vor- 
.Stellungen  statt  hatte.  Der  Hausgeist  (Tomtegnbbe  u.  s.  w.) 
im  Boträd  tritt  uns  entgegen  gleichsam  als  der  Baumgeist,  der 
personifizierte  Baum  selbst.  Neben  anderm  wajs  wir  schon  bei- 
brachten, stimmt  hieztt  aufs  beste,  daß  der  Kobold  in  den  Nie- 
derlanden, Holstein,  Thüringen,  Hessen  und  Baden  zuweilen 
grünes  Gewand  trägt,  daß  er  in  Holland  ein  grünes  Gesicht 
und  grüne  Hände,  in  Belgien  ein  Antlitz  verschrumpelt 
wie  die  Rinde  eines  Baumes'^  haben  soll,  und  daß  er  in  der 
Mark  der  grüne  Junge  heißt.^  Diesen  Hausgeist,  der  der 
Baumdämon  selber,  sehen  wir  nun  nach  Analogie  der  „Elbe^^ 
mitunter  zu  einer  ganzen  Schaar  vervielfältigt,  die  in  oder  unter 
dem  Baume  Wohnung  nimmt  und  mit  Attributen  ausgerüstet, 
welche  diesen  als  Krankheitsgeistem  zukonmien.  Andererseits 
gewahren  wir  die  Elfen  ein  Stück  von  dem  Wesen  des  Baum- 
geistes selbst  annehmen.  Konnten  sie  dem  KOrper  des  Menschen 
und  der  Tiere  schaden,  so  mochten  sie  besänftigt  auch  woltätig 
wirkend  gedacht  sein  und  so  auch  von  dieser  Seite  her  mit  der 
Idee  des  Schutzgeistes  zusammenfließen.  Daher  erklärt  sich  das 
im  Eichsfelde  gebräuchliche  Verbot  Holunderholz  zu  verbrennen, 


1)  J.  W.  Wolf  hat  Beitr.  z.  d.  Myth.  II,  332.  33.  eine  Anzahreinschlä- 
giger  Beispiele  gesammelt 


Botr&.  65 

weil  sonst  im  ganzen  Hanse  die  Hühner  sterben.^  Das  Leben 
der  Htthner  ist  mit  dem  des  Banmes  so  zu  sagen  iden- 
tisch geworden.  Hiemit  stimmt  die  Sage  vom  Stodderstnbben 
bei  Bönsvig  (Prsestoe  auf  Seeland).  Es  ist  ein  Weißdomstnmpf, 
der  als  Seemarke  dient.  Wer  Hand  daran  legt,  dem  widerfährt 
Unglück.  Einem  Bauer ,  der  ihn  zum  Pflughaupt  abhauen  wollte, 
fuhr  die  Axt  ins  Bein  (vgl.  ob.  S.  36).  Als  er  zum  zweitenmale 
Hand  anlegte,  starb  ihm  eine  Kuh.  Stodderstubben  (Bettlerstnmpf) 
heißt  der  Baum,  weil  da  ein  Bettler  begfaben  ist  (vgl.  ob.  S.  39).* 
Endlich  treten  sogar  auch  die  Zwerge  an  die  Stelle  der  Eiben. 
Vielleicht  wird  es  weise  getan  sein  zu  erinnern ,  daß  die  von  uns 
zur  Besprechung  gebrachten  Gharacterzüge  das  Wesen  weder  der 
Kobolde  und  Hausgeister,  noch  der  Elbe  und  Zwerge  erschöpfen. 
Die  Kobolde  namentlich  gehen  fast  durchgängig  in  Personifica- 
tionen  feuriger  Lufterscheinungen  (Drachen)  über,  so  daß  die 
Bezeichnung  als  Baumgeister  eine  viel  zu  enge  wäre.  Und  auch 
von  den  Eiben  (Elfen)  hat  man  festzuhalten,  da:ß  ihr  Aufent- 
halt im  Baume  und  ihre  Eigenschaft  als  Krankheit  verursachende 
Geister  nur  eine  einzelne  unter  ihren  mannigfachen  Erschei- 
nungsformen sind,  wenn  auch  eine  nicht  ungewöhnliche,  wie  ich 
durch  noch  einige  weitere  Metamorphosen  dieser  Vorstellung 
erhärten  möchte.  Im  Waldeckischen  versteht  man  unter  den 
„Hollen"  kleine  schwarze  Leute,  welche  Züge  der  Zwergsage 
und  der  Koboldsage  vereinigen.  Sie  wohnen  im  Hollenstein, 
vertauschen  Kinder,  backen  dem  Ackerer  Kuchen,  tragen  ihren 
Lieblingen  Korn  von  eines  andern  Boden  zu.'  Doch  auch  im 
Baume  wähnt  man  sie  gegenwärtig.  Wenn  kleine  Kinder  krän- 
keln, müssen  die  Eltern  Wolle  und  Brod  in  den  Wachholder- 
busch  einer  andern  Feldflur  bringen  und  dabei  sprechen: 

Ihr  Hollen  und  Ilollinnen, 

Hier  bring'  ich  euch  was  zu  spinnen 

Und  was  zu  essen. 

Ihr  sollt  spinnen  und  essen 

Und  meines  Kindes  vergessen.^ 

1)  Seifart ,  Hildesheim.  Sagen  11, 166. 

2)  Thiele ,  Danmarks  Folkesagn  1S4S,  II,  54.  nach  Repholtzs  Beskr.  over 
Baroniet  Staropenborg  118. 

3)  Curtze,  Yolksüberlieferungen  aus  Waldeck  S.  219.  225. 

4)  Curtze  a.  a.  0.  373.    Vgl.  ob.  S.  20  nebst  dem  Fiebersegen  ans  Pli- 
nius  Valerianus  und  S.  14  die  guten  Holdichen. 

Mftnahardt  5 


66  Kapitel  L    BanmBeele: 

Auf  dem  Kirchhofe  yon  Storeheddinge  auf  der  Insel  Seeland 
finden  aich  Ueberbleibsel  eines  Eichenwaldes.  Das  sind  —  sagt 
der  gemeine  Mann  —  des  Elfenkönigs  Soldaten,  bei  Tage 
BänmC;  bei  Nacht  tapfere  Krieger.  Aus  einem  Baume  im 
Walde  zu  Bugaard  auf  derselben  Insel  wird  Nachts  ein  ganzes 
^enyolk  und  läuft  lebendig  herum.  ^  Das  sind  die  neben  dem 
eigentlichen  Baumgeist  die  Zweige  des  Baumes  bewohnenden 
Elbe.  Die  Auffassung  der  krankheitverursachenden  Elbe  als 
Wtirmer  war  die  eine  uralt  indoeuropäische  Vorstellung,  welche 
vielfach  bis  auf  die  neueste  Zeit  maßgebend  geblieben  ist  In 
den  Soldaten  der  soeben  angeführten  seeländischen  Sage  erkenne 
ich  dagegen  einen  Ausfluß  einer  andern  daneben  herlaufenden 
und,  wie  das  Beispiel  des  durch  seine  Pfeile  Pest  hervorrufenden 
Apollo  zeigt,  nicht  minder  alten  Auffassung,  wonach  die  Schmer- 
zen als  unsichtbare  Verwundungen  durch  kleine  Speere  oder 
Pfeile  von  65tterhand  oder  aus  der  Hand  der  Elfen  betrachtet 
werden.  Vgl.  die  englischen  und  schottischen  Vorstellungen  vom 
elfbolt,  elfarrow  ^  und  den  ags.  Segen  in  der  Hs.  der  Harlejaa 
Samml.  N.  585,  gegen  Stiche,'  wo  es  heißt,  daß  Hexen  gellende 
Speere  (gyUende  gäras)  Göttergeschoß,  Elfengeschoß,  Hexen- 
geschoß  (6sa  gescot,  ylfa  gescot,  hägtessan  gescot)  in  Haut,  Fleisch, 
Blut  oder  Glied  entstandten  „heraus  kleiner  Speer  (ut  lytel  spere)/' 
So  sprechen  wir  noch  heute  von  Hexenschuß,  und  dem  Schweden 
heißt  älfbläst  atich  elfskudt.  Die  Zusammenstellung  esa  gescot, 
ylfa  gescot  aber,  welche  in  der  stehenden  formelhaften  Miteinan- 
demennung  von  Äsen  und  Alfen  in  Liedern  der  älteren  Edda^ 


1)  Jonge,  Nordsiell- Landalm y  S.  dOl.  Thiele,  Danmarks  Folkesagn^ 
Ebhvn  1843,  H.  190.  53. 

j)       Grimm,  irische  Elfenmärchen  S.  CIL  CXIII.  XLV.    Myth.«  429. 

3)  Myth.*  1192.    J.  M.  Eemble,  die  Sachsen  in  England  I,  438. 

4)  Z.  B.  Hvat  er  med  äsum ,  hvat  er  med  älfnm?  Thrymsq.  7.  In  anzwei- 
felhaftem ZoBanmienhange  mit  der  oben  dargelegten  Anschauung  steht  eine 
Sagenfamilie ,  welche  die  Geister  der  wilden  Jagd ,  Hexen ,  Zwerge  oder  Frau 
Perchta  gewissermaßen  als  die  ins  Groteske  vergrößerten  Elbe  erscheinen 
läßt.  Sie  yergegenwärtigt  uns  einigermaßen  was  der  Angelsachse  unter  £sa 
gescot  verstanden  haben  wird,  and  bestätigt  zugleich,  daß  der  Parellelismus 
des  Menschen  mit  dem  Baume  auch  dieser  Anschauung  zu  Grunde  liegt 
Eine  Hexe  haut  einem  Manne  im  Vorbeireiten  während  der  Walpurgisnacht 
ein  Beil  in  die  Lende,  indem  sie  spricht:  „hier  steht  ein  Baumstumpf 
(stttke) ,  da  will  ich  mein  Beil  hineinhauen."    Kein  Arzt  vermag  es ,  das  Beil 


Boträ.  67 


flu*  Seitenstflck  hat  y  spricht  dafUr  j  dafi .  diese  Ausdrücke  auf  ger- 
manischem Boden  in  eine  dem  Heidentum  angehörige  Angelsach- 


heransznzielieD.  In  der  Walpurgisnacht  des  nächsten  Jahres  stellt  sich  der 
Mann  an  denselben  Platz.  Dieselbe  Hexe  kommt  wieder  vorbei  nnd  sagt: 
„Der  Stumpf  steht  hier  noch,  ich  wiU  mein  Beil  herausnehmen;  aber  ein 
andermal  stehe  der  Stumpf  nicht  wieder  da.'<  (Wulften,  Schambach  u.  Mül- 
ler, Nieders.  Sag.  179, 195.)  Einem  Manne  in  Mainzholzen  steckte  eine  yor- 
beifahrende  Hexe  eine  Stecknadel  in's  Knie  und  zog  sie  nach  Jahres&ist 
wieder  heraus  mit  den  Worten:  „Vor  einem  Jahre  habe  ich  eine 
Stecknadel  in  eine  alte  Buche  gesteckt,  ich  will  doch  einmal 
sehen,  ob  sie  noch  da  ist.''  (Schambach -Müller  a.a.O.  S.  Anm.  359,' 
195.)  Die  Berchtl.  an  der  Spitze  der  wilden  Fahrt  schlug  eine  Hacke  in 
das  Knie  eines  Mannes  mit  dem  Ausruf:  „Wartet'!  da  unten  ist  ein 
Stock  (Baumstumpf),  in  den  muß  ich  dieses  Hackl  hineinhauen." 
Nach  einem  Jahre  zog  sie  es  wieder  heraus  (Zingerle,  Sagen,  Märch.  und 
Gebr.  a.  Tirol  1859,  Nr.  23.  S.  17).  Ein  Knecht  legt  einen  Baumstamm  quer 
über  den  Weg,  den  die  wilde  Fahrt  daherkommt.  Als  er  Nachts  im  Bette 
liegt,  hört,er  eine  Stimme:  In  diesen  Baum  schlage  ich  eine  Hacke 
hinein.''  Alsbald  empfindet  er  große  Schmerzen  am  Fuße,  bis 
nach  Jahresfrist  die  wilde  Fahrt  ihm  diese  wieder  abnimmt.  (Zingerle  a.  a.  0. 
Nr.  24.  S.  18.)  Ein  Spiel  mann  rersteckt  sich  vor  der  wilden  Jagd  hinter  ' 
einer  Eiche.  Einer  der  wilden  Jäger  stürzt  auf  den  Baum  zu  und  ruft: 
Hier  will  ich  mein  Beil  hineinhauen.  Im  Augenblicke  empfindet  der  Spiel- 
mann einen  großen  Schlag  auf  dem  Bücken  und  von  Stunde  an  hat  er  einen 
großen  Buckel  (vgl.  S.  20  die  durch  Elbe  erzeugten  Auswüchse).  Nach 
Jahresfrist  steht  er  hinter  derselben  Eiche.  Die  wilde  Jagd  kommt  und  der- 
selbe J&gcr  stürzt  wieder  auf  den  Baum  zu:  „hier  hieb  ich  vor  einem  Jahre 
mein  Beil  hinein,  hier  will  ich's  wieder  herausziehen."  Ein  gewaltiger  Ruck 
im  Bücken  des  Spielmanns  und  der  Buckel  ist  fort.  (Templin.  Kuhn ,  Nordd. 
I  Sag.  Nr.  69.  S.  65  ff.)    Weitere  Beispiele  sind  zusammengestellt  bei  Scham- 

i  bach  und  Müller  a.a.  0.  S.  359,  und  Bochholz,  Sagen  a.  d.  Aargau  II,  147. 

!  Eine  Abart  dieser  Sagenfamilie  ist  eine  andere,  nach  welcher  ein  zauberkun- 

I  diger  Wüddieb  sich  vor  dem  nahenden  Forstwart  in  einen  daliegenden  Baum- 

I  stamm  verwandelt.    Der  Förster  aber  setzt   sich   gelassen  auf  den  Stamm, 

I  putzt  seine  Tabackspfeife  mit  dem  Messer  oder  Pfriem  aus  und  l&ßt  dieses 

I  dann  wie  aus  Vergessenheit  tief  im  Stamme  stecken.    Der  Wildschütz  erzählt 

nachher  von  den  Schmerzen,  den  ihm  das  tief  in  seinem  Kopfe  steckende 
Messer  oder  nadelformige  Instrument  verursache.  Bochholz ,  Aargaus.  Tl,  147, 
371  u.  Anm.  Wie  die  Vorstellung,  daß  die  krankheiterzeugenden  Elbe  in 
Wurmgestalt  im  Baume  verkörpert  sind  und  von  dfi  aus  zur  Qual  des  Men- 
schen ausfliegen,  nur  die  Kehrseite  der  Anschauung  ist,  daß  gleich  den  den 
Baumstamm  anbohrenden  Würmern  bohrende  und  nagende  Schmerlen  den 
menschlichen  Körper  pöinigen,  steht  neben  der  durch  die  Sage  von  Storehed- 
dinge   vertretenen  Vorstellung,   daß    durch  Schuß   verwundende  Elbe   vom 

5* 


68  Kapitel  I.    Baumseele: 

gen  und  Skandinayen  gemeinsame  Kultarepoche  zarückreichen. 
Sehr  deutlich  zeigt  uns  den  Baumgeist  als  Beherrscher  der  in 
den  Baumgliedem  lebenden  Elfen  die  estnische  Tradition.  Der 
Este  erzählt  nämlich  von  Baumelfen  puu-halijad,  welche  im 
Baume  wohnen  und  bei  aufsteigendem  Gewitter  sich  aus  Angst 
vor  der  Verfolgung  des  Donners  mehrere  Fuß  tief 
unter  des  Baumes  Wurzeln  verkriechen.  Ein  Bauersmann 
findet  einst  bei  aufsteigendem  Gewitter  einen  fremden  Mann  unter 
einem  Baume  schlafen  und  weckt  ihn.  Der  Fremde  sagt  ihm 
seine  Gegendienste  zu.  Wenn  er  einst  fem  vom  Vaterlande  ein- 
.mal  Heimweh  bekomme,  werde  er  eine  krumme  Birke  gewahren. 
Er  solle  anklopfen  und  fragen:  Ist  der  Krumme  zu  Hause?  Pies 
geschieht,  als  er  nach  Jahren  als  Kriegsmann  im  fernen  Finn- 
land dient.  Er  sieht  die  Birke,  er  fragt  nach  dem  Krummen, 
der  Fremde  steht  vor  ihm,  und  ruft  sogleich  in  den  Baum  hin- 
ein nach  den  schnellsten  von  seinen  Jungen.  Wetteifernd  drängen 
sie  sich,  endlich  erhält  einer,  schneller  als  der  Gedanke,  Befehl 
den  Kriegsmann  mit  einem  guten  Geldsack  in  seine  Heimat  zu 
tragen.     Der .  Krumme  war  der  Baumelf  (puuhalijas)  gewesen.  ^ 

Insofern  die  Elbe  dem  Menschen  und  Tiere  seine  Kraft, 
sein  Fleisch  oder  die  Nahrung  rauben  (vgl.  den  Ausdruck  Mit- 
esser) konnten  sie  wol  Diebe  genannt  werden.  Indem  man  aber 
misverständlich  „was  von  ihnen  gesagt  wurde,  auch  auf  mensch- 
liche Stehler  übertrug,  kam  man  dahin  zu  glauben,  Frau  Wach- 
holder könne  Diebe  zwingen,  gestohlenes  Gut  zurückzubringen. 
Man  geht  zu  diesem  Zwecke  vor  Sonnenaufgang  zum  Wachhol- 
derbusch,  beugt  einen  Zweig  mit  der  Linken  nach  Osten  bis  auf 
die  Erde  herab  und  legt  einen  Stein  darauf,  damit  er  nicht 
emporschnellen  kann,  und  spricht:  Wachholderstrauch ,  ich  tue 
dich  bücken  und  drücken,  bis  der  Dieb  dem  N.  N.  sein  gestohlen 
Gut  wiederbracht  hai"  Der  Dieb  wird  kommen.  Sobald  er 
aber  das  Gestohlene  gebracht  hat,  muß  man  den  Zweig  lösen 


Baume  aasgehen,  wol  als  üeberbleibsel  einer  Siteren  Stufe  unsere  Sagen- 
familie.  Ihre  Grundyorstellung  l&ßt  sich  so  ausdrücken,  daß  wie  der  Baum 
von  den  Geschossen,  oder  der  Waffe  im  Sturme  umfahrender  mächtiger  Dä- 
monen (dem  Blitz?)  getroffen  wird,  ganz  ähnlich  der  erkrankende  Menschen- 
leib den'  Schlag  oder  Stich  der  dämonischen  Waffe  empfindet 

1)  Böcler-Ereutzwald,    der  Ehsten  abergläubische  Gebräuche,  Peters- 
burg 1854,  S.  111  ff.  146. 


Boträ.  69 

und  den  Stein  genau  an  seine  vorige  Stelle  legen.  ^  Man  merke 
wohl,  wie  genau  diese  Beschwörung  der  ob.  S.  15  mitgeteilten 
gleicht  9  welche  den  Baum  bewegen  soU^  den  Erankheitsdämon 
zurückzurufen.  Dort  wurde  nämlich  ein  Stein  auf  eine  Distel 
gelegt.  Ganz  dasselbe  geschieht  in  Estland,  sobald  das  erste 
Korn  der  neuen  Ernte  zum  Dörren  aufgestellt  wird.  Man  legt 
auf  jedes  Fensterloch  eine  große  Distel  und  auf  diese 
einen  Stein.  Dann  kann  der  Kobold  während  des 
Dreschens  das  Korn  nicht  fortschleppen.  Der  korn- 
stehlende Kobold  oder  fliegende  Drache  wird  hier  deutlich 
in  die  Distel  (als  einen  seinem  Wesen  entsprechenden  Wohnsitz) 
gebannt^  Nun  erklärt  sich  auch,  weshalb  in  der  schon  erwähn- 
ten Denkschrill;  von  der  Sudaner  Bockheiligung  Puschkait  (s.  ob. 
S.  63)  bei  Diebstählen  ermahnt  wird,  den  Dieb  nicht  über  die 
Grenze  zu  lassen.^ 

Unbemerkt  gelangten  wir  der  Entwickelung  des  Baumkultus 
folgend  bereits  an  diejenige  Stufe,  welche  wir  in  der  Einleitung 
als  die  dritte  bezeichneten,  d.  h.  zu  solchen  mythischen  Gestal- 
ten, welche  scheinbar  mit  Freiheit  außerhalb  der  Pflanze  sich 
bewegen ,  mit  ihrem  Leben  aber  an  das  Geschick  derselben  gebun- 
den sind.  So  kann  die  Baumnymphe  zuweilen  der  Art  von  ihrem 
Baume  sich  lösen,  daß  sie  mit  Menschen  in  ehelicher  Gemein- 
schaft lebt  In  Böhmen  gab  es  im  Bidschower  Kreise  einmal 
eine  Familie,  deren  Mutter  Nacht  itir  Nacht  ihren  Körper  ver- 
ließ, um  in  eine  Weide  am  Bache  zu  gehen.  Als  ihr  Mann  davon 
erfuhr,  fällte  er  die  Weide,  aber  im  nächsten  Augenblick  starb 
auch  sein  Weib  wie  von  einer  Sichel  abgehauen.  Nur  die  Liebe 
zu  den  Kindern  überdauerte  die  Verstorbene.  Die  aus  der  Weide 
gemachte  Wiege  schläferte  die  zurückgebliebene  Waise  ein  und 
als  diese  heranwuchs  und  aus  dem  WeidengebUsch,  das  aus  dem 


1)  J.  W.  Wolf,  hess.  Sag.  Nr.  22.  Vgl.  Zingerle ,  Sitten ,  Aufl.  2. 
8.  73,  620. 

2)  Böcler-Erentzwald,  der  Ehsten  abergl.  Gebräuche,  S.  142. 

3)  Aus  Toppen,  Abergl.  a.  Masuren",  S.  59  ist  zu  lernen,  wie  diese  Vor- 
stellungen sich  weiter  verzweigten.  Ein  Teil  von  dem  geretteten  Gut  in 
einen  Baum  (Birkenbanin ,  Pflaumenbaum)  verkeilt,  zieht ^  sobald  es  verdirbt, 
den  Tod  des  Diebes  nach  sich.  Ist  der  Baum  eine  Espe,  so  muß  delr  Dieb 
zittern  wie  Espenlaub. 


70  Kapitel  L    Banrnseele: 

Baumstampfe  hervorwnchs , .  sich  Pfeifen  verfertigte ;  sprach  wäh- 
rend des  Pfeifens  die  Matter  mit  ihr.^ 

§.  18. '  Ckronologlsehe  Zengnisse.  Hiemit  schließen  wir 
den  schon  breit  genug  ausgelaufenen  Nachweis,  daß  und  in  wie 
mannigfachen  Gestalten  der  Volksglaube  ein  enges  und  magisches 
Band  zwischen  dem  Baume  (resp.  der  Pflanze)  und  dem  Men- 
schen als  vorhanden  setzt.  Wir  trafen  die  Baumverehrung  und 
damit  zusanmienhangende  Gebräuche  und  Anschauungen  wesent- 
lich in  denselben  Formen  aus  Skandinavien,  Deutschland,  Eng- 
land, Litauen,  Bußland,  Böhmen  und  Frankreich  bezeugt  Bei 
mehreren  derselben  fehlt  es  außer  den  inneren  Anzeichen  auch 
an  den  äußeren  Zeugnissen  jfUr  ein  hohes  Altertum  nicht. 
Wenn  unsere  Auseinandersetzungen  über  Yggdrasill  richtig  sind, 
muß  der  Glaube  an  den  Värdträd  mindestens  ins  8.  — 10.  Jahr- 
hundert zurückreichen.  Die  ins  Strafrecht  der  Holzgenossenschaf- 
ten übergegangene  Identifizierung  des  Baum  -  und  Menschenleibes 
ist  älter  als  das  11.  Jahrhundert  (ob.  S.  29);  Herzog  Bretis- 
law  n.  von  Böhmen  (1092  —  1100)  ließ  Haine  und  heidnische 
Bäume  (lucos  et  arbores  gentiles)  umhauen  (Cosmas  Prägens, 
lib.  m).  König  Knut  der  Große  (1014  —  1035)  verbietet  in  Eng- 
land die  Verehrung  jeder  Art  von  Waldbäumen  (seniges  cynnes 
wudutreöwa),  König  Eddgdr  (959 — 975)  die  eiteln  Gebräuche 
mit  Holunder  und  manchen  andern  Bäumen  (on  ellenum 
and  eic  on  odmm  mislicum  treowum),  S.  Kemble,  Sachsen  in 
England  I,  433.  436.  Schmidt,  Gesetze  der  Angelsachsen ,  Lpz. 
1858.  S.  272.  Heilige  Haine  waren  auch  den  Sachsenstämmen 
des  Festlandes  gemeinsam.  Noch  Erzbischof  Unwan  von  Bremen 
(1013  — 1029)  „ließ  die  Haine,  welche  die  Marschbewohner  sei- 
nes Sprengeis  in  törichter  Verblendung  besuchten,  niederhauen 
und  davon  die  Kirchen  neu  bauen ''  (Adam  -  Brem  1.  H,  c.  46)  und 
als  Vicelin  um  das  Jahr  1129  zu  den  Holtsaten  in  iPaldera  (Neu- 
münster) kam ,  fand  er ,  daß  sie  nichts  weiter  als  den  Namen  von 
Christen  hatten,  denn  die  Verehrung  von  Hainen  und  Quellen 
und  sonst  noch  mancherlei  Aberglaube  herrschte  bei  ihnen  (Hel- 
mold  chronic  Slavor.  I.  Cap.  47).  Schon  der  Landtag  zu  Pader- 
born im  Jahre  785,  wenige  Jahre  nach  Christianisierung  der 
Sachsen  bedrohte  unter  andern  Besten  des  Heidentums  mit  Strafe 


1)  Grohmaim,  Abergl.  a.  Böhmen,  S.  87. 


Chronologische  Zeugnisse.  71 

,;Si  qais  ad  fontes  aut  arbores  vel  lucos  yotum  fecerit  >nt 
aliquit  more  gentilium  obtulerit."  Monum.  Cren».  III,  49.  Wenn 
das  Concil  zu  Nantes  im  Jahre  895  den  Bischöfen  die  Aosrot- 
tang  der  arbores  daemonibus  cönsecratae  quas  volgas  colit  et  in 
tanta  yeneratione  habet,  ut  nee  ramum  vel  surculum  audeat  am- 
pntare  znr  Pflicht  macht,  so  brauchen  daronter  keine  andere  als 
die  vom  Banmgeist  bewohnten  verstanden  zu  werden  (Myth.^ 
XXXV);  ebenso  wie  der  Baum,  den  der'h.  Amandus  (t  671) 
unter  Nordfranken  verehrt  fand  ,,idolum  sdlicet  arborem,  quae 
erat  daemoni  dedicata^'  (Myth.^  68),  keine  andere  Interpretation 
verlangt.  Auch  die  so  oft  von  den  Bußbüchem  erwähnten  obla- 
tiones  ad  arbores  finden  durch  S.  11  hinreichende  Erklärung. 
Wahrscheinlich  schon  im  7.  Jahrhundert  (Concil  v.  Ronen  650. 
c.  4)  übten  Hirten  und  Fischer  den  Brauch  vermittelst  eines  an 
den  leidenden  Teil  angebundenen  Brodsttlcks  oder  Krautes  Yieh- 
krankheiten  in  einen  Baum  zu  verkeilen  (S.  £.  Friedberg,  aus 
deutschen  Bußbüchem  26  ff.  66.  84  ff).  In  noch  frühere  Zeit 
weisen  die  S.  20.  34  beigebrachten  Zeugnisse  aus  dem  h.  EUgius, 
Marcellus  von  Bordeaux  und  Plinius  Yalerianus.  Wenn  die  Decrete 
und  Bußbücher  der  chrii^chen  Kirche  des  Mittelalters  in  den 
vorhingenannten  Ländern  bald  nach  der  Bekehrung  noch  andere 
Arten  der  Baum  -  und  Hainverehrung  als  im  ^eidentum  gewöhnlich 
und  aus  diesem  noch  später  übrig  bezeugen  z.B.  Opfer,  Gelübde, 
Fackelanzttndung  an  Bäumen,  so  erklären  sich  auch  diese  teil-  , 
weise  aus  den  von  uns  dargelegten  Formen  des  Kultus,  teilweise 
schließen  sie  sich  an  andere  Seiten  desselben  an,  welche  weiter 
zu  verfolgen  unserm  gegenwärtigen  Zwecke  femer  liegt. 


Kapitel  0. 

Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe. 

§.  1.  Ueber sieht.  Der  Erörterong  der  Baomseelen  lassen 
wir  die  Besprechung  der  Waldgeister  folgen.  War  der  einzelne 
Baum  beseelt,  so  mußte  man  sich  den  Wald  von  eiper  Vielheit 
dämonischer  Wesen  erfttllt  denken.  Dieselben  erschemen  jedoch 
nicht  mehr  als  die. immanenten  Psychen  der  Baumleiber,  sondern 
als  selbständige  freiwaltende  Persönlichkeiten,  deren  Leben  an 
dasjenige  der  Bäume  gebunden  ist,  und  deren  Verrichtungen  zum 
Teile  aus  der  Vorstellung  des  anthropomorphisierten  Baumes 
geflossen  sind,  die  aber  gemeinhin  außerhalb  der  Bäume  wohnen 
und  handeln.  Man  könnte  es  gewissermaßen  als  ein  abgekürztes 
Verfahren  von  Seiten  der  Phantasie  bezeichnen,  wird  es  aber 
natürlich  finden,  wenn  schon  einige  wenige  dieser  Barnngeister 
ausreichen,  um  coUectivisch  den  ganzen  Wald  zu  vertreten  und 
wenn  in  die  Vorstellung  und  den  Glauben,  die  man  von  ihnen 
hegt,  Züge  übergehen,  welche  in  plastischer  Anschaulichkeit  den 
Eindruck  yerkörpem,  den  nicht  sowol  der  einzelne  Baum  als  die 
Gesanuntheit  der  Bäume  mit  ihren  Lebensäußerungen  auf  die 
menschliche  Seele  ausübt.  So  gelten  nicht  allein  die  mannig- 
fachen Stimmen  und  Töne,  die  im  Walde  laut  werden,  sondern 
auch  die  Bewegungen  der  Aeste  ftar  Anzeichen  von  dem  Dasein 
der  Waldgeister,  für  Formen  ihrer  Lebenstätigkeit.  Was  wir  oben 
S.  42  wahrnahmen ,  bestätigt  sich  hier ;  im  Rauschen  der  Blätter, 
im  Sausen  und  Brausen  der  erregten  Luft  macht  sich  die  Baum- 
seele, die  Seele  des  Waldes  selbst  bemerkbar,,  es  schweben  die 
Waldgenien  im  Wirbelwinde  und  Sturme  dahin,  und  ziehen  als 
Jäger  oder  Gejagte  in  der  wilden  Jagd  einher.  Der  grüne  Wald 
ist  die  großartigste  üppigste  und  augenfälligste  Entfaltung  von 
Pflanzenwuchs;  deshalb  wird  der  Waldgeist,  indem  er  in  aber- 
maliger Begriffserweiterung  generellen  Character  annimmt,   zum 


ÜeberBidit.  73 

Dämon  der  Vegetation ;  so  daB  er  sogar  in  dem  Leben  der  Kultur- 
pflanzen waltend,  Korn  und  Flachs  hervorbringend  gedacht  wurde. 
Und  sei  es  nun,  daß  von  hier  aus  eine  Uebertragung  stattfand, 
oder  daB  aus  dem  Pflanzenwuchs  in  Feld  und  Alpenwiese  sich 
ganz  gleichmäßig  ebenfalls  die  Gestalten  von  Vegetationsdämonen 
entwickelten ,  genug  auch  außerhalb  der  Wälder  kennt  der  Volks- 
glaube Berg-  und  Feldgeister,  welche  mit  geringer  Abweichung* 
den  geisterhaften  Waldleuten  zum  Verwechseln  ähnlich  sehen. 
Der  gemütliche  und  geistige  Reflex  localer  Naturverhältnisse  allein 
scheint  alle  diese  Wesen  durch  individuelle  Besonderheiten  unter- 
schieden zu  haben.  Die  Holz-  und  Moosleute  in  Mitteldeutsch- 
land, Franken  und  Baiem,  die  wilden  Leute  in  der  Eifel,  Hessen, 
Salzburg,  Tirol,  die  Waldfrauen  und  Waldmänner  in  Böhmen, 
die  Tiroler  Fanggen,  Fänken,  Nörgel  und  selige  Fräulein,  die 
romanischen  Orken,  Enguane,  Dialen,  die  dänischen  Ellekoner, 
die  schwedischen  Skogsnufvar,  endlich  die  russischen  Ljeschie 
bilden  auf  diese  Weise  eine  einzige  Sippe  mythischer  Gestalten. 
Es  wird  unsere  Aufgabe  sein,  im  Folgenden  die  Zusammengehö- 
rigkeit dieser  Gestalten  darzutun,  um  zugleich  an  ihnen  die 
characteristischen  Eigentümlichkeiten  in  Eigenschaften  und  Ver- 
richtungen zu  beobachten  und  uns  zum  Bewußtsein  zu  bringen, 
welche  die  Tradition  diesen  Wald-  und  Feldgeistem  zuschreibt. 
Etwas  ausführlicher  werden  wir  in  dieser  Auseinandersetzung  bei 
einigen  Sagen  verweilen  müssen,  denen  wir  q)äter  im  grauen 
Altertnme  bei  Faunen,  Satyrn,  Panen  und  SUenen  wiederbegeg- 
nen und  einen  wesentlichen  Beitrag  zum  Verständniß  der  Natur 
dieser  Wesen  verdanken  werden. 

Wir  beginnen  mit  einem  an  eine  Volkssage  oder  Volksvor- 
steUung  angelehnten  altnorwegischen  Sinnspruch,  der  wirksamer 
den  nämlichen  Gedanken  ausdrückt,  wie  unser  Sprichwort  „Klei- 
der machen  Leute '^  Das  nordische  Epigramm  lautet:  „Meine 
Kleider  gab  ich  auf  dem  Felde  zweien  Baummännern.  Sie 
dttnkten  sich  Helden,  als  sie  Gewände  hatten;  der  Schmähung  aus- 
gesetzt ist  der  nackende  Mann^^^  Der  einsame  laub-  und  rinden- 
lose Baum  (o.  S.  6)  ist  hier  deutlich  zu  einem  freibeweglichen 
koboldartigen  Wesen  geworden ;  wie  denn  von  hilfreichen  Zwergen, 


1)  Vadir  minar  gaf   ec  velli  at.tveim  trcmonnum;  reccar  pat  |>ottuz, 
er  I>eir  rift  hofSo,  ueiss  er  neycquidr  halr.    Hävam  49  Bugge. 


74  Kapitel  Ü.    Die  Waldgeister  nnd  ilire  Sippe: 

Hausgeistern  und  Kobolden  in  Deutschland  vielfach  die  Sage 
vorkommt,  daß  man  zum  Lohn  ihrer  Dienste  und  aus  Mitleid 
mit  ihrer  Nacktheit  ihnen  Kleider  schenkt ,  sobald  sie  das  sehen, 
dünken  sie  sich  zu  vornehm  zu  arbeiten  und  verschwinden. 
Diesen  aus  der  Baumseele  hervorgegangenen  nordischen  Baum- 
männem  stehen  deutsche  Waldgeister  ganz  parallel. 

§.  2.  Holz-  und  MooslMnleiii.  Wolbekannt  ist  in  Mittel- 
deutschland eine  Klasse  geisterhafter  Wesen ,  ^  welche  im  Riesen- 
gebirge als  Rüttelweiber,  im  Böhmerwalde  und  der  Oberpfalz  als 
Holzfräulein,  Waldfräulein,  Waldweiblein,  im  Orlagau  und 
Harz  als  Moosweiblein,  Holzweibel,  um  Halle  als  Lohjungfem 
(von  loch =lucus  Gebüsch)  bekannt  sind  und  denen  sich  entspre- 
chende männliche  Gestalten  Waldmännlein ,  Moosmännlein  zugesel- 
len.* Die  letzteren  sind  seltener,  als  die  Moosweibchen  und  ganz 
in  Grün  gekleidet.  In  der  Gegend  von  Saalfeld  bilden  Hand- 
werker, besonders  Drechsler  diese  Wesen  als  Püppchen  nach  und 


1)  Die  Ueberlieferung  von  diesen  Wesen  zeichnete  unter  Nenern  zuerst 
der  Leipziger  Magister  Job.  Prätorius  (f  1680)  ans  dem  Saalfeldischen  and 
dem  Biesengebirge  anf  in  seiner  Weltbeschreibung  I,  691 — 94.  Daemonologia 
RübenzahUi  II,  134—136.  Daraus  Grimm  D.  Sag.  I,  59-61.  360.  N,  47. 
48.  270.  Mit  ihm  gleichzeitig  sammelte  in  der  Zwickauer  Gegend  Christian 
Lehmann ,  der  1638—1688  Pastor  zu  Scheibenberg* war.  Seine  hiehergehörigen 
Mitteilungen  in  s.  „Histor.  Schauplatz  der  Merkwürdigkeiten  des  meißnischen 
Erzgebirges.  Aufl.  3.  Leipzig  ^699.  S.  78.  188.  757  sind,  wie  es  scheint, 
bisher  unbeachtet  geblieben.  Später  erwarb  sich  das  größte  Verdienst  darum 
Pastor  W.  Bömer  zu  findschütz  im  Voigtland ,  der  in  s.  Volkssagen  aus  dem 
Orlagau  Altenburg  1838  S.  188  —  235  8  Sagen  mitteilte  und  noch  mehrere 
weitere  Aufzeichnungen  handschriftlich  im  Archiv  des  voigtländ.  Vereins  zu 
Hohenleuben  hinterließ  Daraus  schöpfte  dann  mit  Hinzufügung  einiges  neu 
gewonnenen  Materials  B.  Eisel,  Sagenbuch  des  Voigtlandes  Gera^l871;  vor 
Bömer  hatte  bereits  Schmidt,  Topographie  der  Pflege  Beichenfels  1827,  mit 
Sorgfalt  und  Glück  gesammelt.  Neben  den  Genannten  sind  wegen  einiges 
neuen  Materiales  zu  vergleichen  A.  Witschel,  Sagen  a.  Thüringen  Wien  1866  '* 
J.  A.  E.  Köhler,  Volksbrauch  im  Voigtlande.  Lpzg.  1867;  sodann  E.  Sommer, 
Sagen  a.  Sachsen  u.  Thüringen  S.  7,  3.  Die  fränkische  und  oberpf&lzische 
Tradition  verzeichnen  die  bekannten  Bücher  von  Panzer  und  Schönwerth; 
die  Lausitzer  Haupt,  Sagenb.  d.  Lausitz  I,  40 — 43.  N.  36  —  41  und  Gräve, 
Volkss.  d.  Lausitz  S.  56. 

2)  Auch  in  Franz  Flandern  kennt  man  moswyfjes,  femmes  de  mousse. 
Ich  weiß  über  sie  jedoch  nichts  anderes  mitzuteilen,  als  was  De  Nore  p.  339 
von  ihnen  angiebt,  daß  sie  zuweilen  den  Holzarbeitern  im  Walde  sichtbar 
werden. 


Holz-  und  MoosfrSülein.  75 

sMIen  sie  zu  Verkauf;  zumal  zu  Wegmachten  stellt  man  in 
Beichenbach  noch  kleine  Moosmänner  auf  den  Tisch.  Als  Ober- 
haupt der  Moosfräulein  wird  an  der  Saale  die  Buschgroßmutter 
genannt.  Die  Moosleute  beiderlei  Geschlechts  haben  einen  behaar- 
ten Körper,  jedoch  ein  altes  runzeliges  Gesicht,  das  an  mehreren 
Stellen  gleich  alten  Baumstämmen  ganz  mit  Moos  bewachsen  ist. 
Eine  Oberpfälzer  Sage  sagt ,  das  Holzfralerl  sah  ganz  mosig  aus, 
wie  Wickelwerg,  klein  und  ohne  bestimmte  Gestalt;  eine  Harzer 
aus  Wüdemann  beschreibt  die  Moosweiblein  als  ganz  in  Moos 
gekleidet,  das  sie  wie  eine  Decke,  oder  ein  Fell  umgab. ^  Ihr 
Leben  ist  an  das  Leben  der  Waldbäume  gebunden.  So 
oft  ein  Mensch  ein  Bäumchen  auf  dem  Stamme  driebt, 
d.  h.  so  lange  umdreht,  bis  Rinde  und  Bast  abspringen, 
mufi  eines  yon  den 'Waldleuten  sterben.  Es  ist  mithin  der 
Trieb  der  Selbsterhaltung,  der  sie  veranlaßt  den  Menschen,  mit 
welchen  sie  zusammen  kommen,  als  gute  Lehre  einzuschärfen: 
„Schär    keinen   Baum''*    oder    „reiß    nicht    aus    einen 


1)  Eisel-,  Sagenbuch  des  Voigtlandes  S.  22 '  Anm.  **  nach  einer  Anf- 
zeichnimg  Bornen.    Schönwerth  II ,  359  —  368.   Pröhle ,  dentsohe  Sagen  37, 8. 

2)  Börner  a.  d.  Orlagaa  S.  190.  Der  vollständige  Sprach  der  Waldweib- 
chen lautet:  „Pip"  keinBrod,  sch&T- keinen  Baum,  erz&h'r  keinen 
Tranm,  back'  keinen  Kümmel  ins  Brod,  so  hilft  dir  Gott  in  aller  Nof 
Alle  diese  Verbote  tun  die  Waldgenien  um  ihrer  selbst  willen.  Dieselben 
pflegen  nämlich  gerne  von  den  frisch  gebackenen  Broden  aus 
dem  Backofen  zu  stehlen.  Gepiptes,  d.  h.  durch  Eindrücke  mit  den 
Fingerspitzen  bekreuztes  Brod  aber  dürfen  sie  als  heidnische  Wesen  nicht 
anrühren.  Der  Kümmel  scheint  die  Wirkung  zu  haben,  an  die  Stätte  fest 
zu  bannen ,  so  daß  die  Diebe  mit  ihrem  Baube  nicht  fortkommen  würden.  (?) 
Vgl.  Witschel ,  Sagen  aus  Thüringen  S.  241,  243.  Wir  werden  später  anders- 
wo die  Vermutung  begrflnden^  daß  die  Sage  vom  Brod -Mehl  -  u.  s.  w.  -Diebstahl 
der  Wald  -  und  Feldgeister ,  Hausgeister  u.  s.  w.  nur  eine  andere  Form  jenes 
Komdäm.  S.  8.  32  besprochenen  Glaubens  sei,  daß  die  Vegetationsgeister, 
unter  Umständen  aus  Haus-  und  Vorratskammern  die  ihnen  im  Herbst  ent- 
wendete Frucht  stehlen,  den  Kornboden  u.  s.  w.  leerfressen.  Das  Verbot  einen 
Traum  zu  erzählen  erläutert  sich  trefflich  durch  den  folgenden  irischen 
Aberglauben:  Erzähle  nie  einem  lebenden  Menschen  nüchtern  einen  Traum. 
Gehst  du  neun  Morgen  nüchtern  an  einen  Baum  voll  Laub  und 
sagst  ihm  einen  Traum,  so  wird  nach  Verfluß  dieser  Zeit  kein 
Blättchen  mehr  am  Baum,  er  wird  ganz  vertrocknet  und  ver- 
welkt sein  (K.  v.  K.  Erin  VI,  446).  Bei  Panzer  warnt  die  Holzfrau  gradezu: 
,, erzähl*  keinen  nüchternen  Traum." 


76  K^ntel  IL    Die  Waldgeirter  nd  ihn  ffippe: 

fruchtbaren  BaunL^^  Unter  dem  fimdiUMien  Baum  ist  hier 
noch  ganz  altertflmlieh  (s,  o.  S.  39)  nicht  der  Obatbanm  zn  ver- 
gtehen^  sondern  der  Waldbaom^  weldier  Eckern  (d.  h.  Fracht, 
gotL  aknm  *)  tiiLgt;  Eidie  oder  Bache.  Daa  Verbot  des  Baam- 
schälen«  gewinnt  dareh  die  vorhin  besprochenen  Strafen  (o.  S.  26 
— 32)  ebensowol  einen  tiefen  and  realen  Hinteigrand ,  als  es 
anserer  Aaseinandersetzang  darüber  zar  Bestaligang  gereicht 
Wenn  es  zaweilen  heiftt,  daA  die  Holzfräolein  lange  gelbe  Haare 
haben,'  so  darf  vergleichsweise  daranf  hingewiesen  werden,  daA 
in  dichterisdber  Sprache  nicht  selten  das  Laab  der  Bänme  als 
deren  Haar  bezeichnet  wird.^  Lassen  diese  Angaben  noch  die 
Ansicht  durchblicken,  als  wenn  die  Waldleate  den  Binmen  des 
Waldes  als  deren  Elementai^eister  immanent  seien,  so  zeigen 
andere  Aassagen  sie  in  freier  Tätigkdt,  so  jedoch,  dai  noch 
mehr  als  ein  Characterzag  eine  fortwährende  Erinnening  an  ihr 
Baomleben  bewahrt  Sie  wohnen  in  hohlen  Bäomen ,  nach  andern 
in  Mooshtttten ,  betten  ihre  Kinder  anf  Moos  oder  in  Wiegen  von 
Baamrinde,  schenken  grünes  Lanb,  das  sich  in  Gold  verwandelt 
and  spinnen  das  zarte  Miesmoos,  das  oft  viele  Schabe  lang  von 
einem  Baome  zam  andern  gleich  einem  Seile  hängt  Denn  davon 
haben  sie  ihr  Gewand.  Daher  sollen  sie  anch  wanderbare  nie 
endende  Gamknänel  an  ihre  Lieblinge  vergaben.^  Anderes  Tun 
•  von  ihrer  Seite  characterislert  sie  —  wie  es  scheint  —  als  Genien 
eines  gröfiem  Vegetationsgebiets,  oder  der  Vegetation  überhaupt 


1)  Panzer  Beitr.  z.  d.  Myth.  II,  161,  260. 

2)  Vgl.  Müllenhoff,  zur  Bonenlehre  S.  29. 

3)  Beschreibung  von  Königshain  1752.  S.  61.  Hanpt,  Sagenbach  der 
Lausitz  I,  40,  37. 

4)  Hense ,  poetiflche  Personification  S.  6  ff. 

5)  Es  ist  lehrreich,  wie  schon  anf  kleinem  Gebiete  dorch  Differenzierang 
und  Verdunkelung  der  ursprünglichen  Beziehungen  die  Vorstellung  ausein- 
andergeht. Zu  Mttnchberg  am  Fichtelgebirge  spinnen  die  Holzfräulein  das- 
Muusmoos  von  den  Bäumen.  Schönwerth  II,  378.  Ebenso  lautet  die 
Beschreibung  von  Naab:  Ihre  Kleidchen  waren  von  Baummoos,  das  sie 
von  den  Bäumen  mit  einer  Spindel  spannen.  Ders.  a.  a.  0.  366,  10 
von  Windischeschenbach  in  der  Oberpfalz.  Dagegen  berichtet  Panzer  II, 
160,  255  noch  das  Ursprünglichere.  Holzfräuleingarn  nennt  man  die 
Moosfäden  (meisfadn.) ,  welche  die  Holzfräulein  aus  Moos  (meis)  spinnen  und 
um  die  Baumäste  wie  um  einen  Haspel  winden.  Solche  Aeste 
wurden  von  den  Alten  abgehauen,  die  Fäden  sorgfältig  aufbewahrt.  Denn 
das  Holzfräuleingam  bringt  dem  Hause  Glftck  und  Segen. 


Holz-  nnd  Moosfr&xilein.  77 

Denn  me  anders  wäre  der  Zug  zu  deaten,  daß  man  z.  B.  in  der 
Oberpfalz  beim  Leinsäen  einige  Kömer  fttr  das  Holziränlein  in 
die  Bttsche  des  nahen  Waldes  warf?  War  die  Leinsaat  anfge- 
gamgen,  so  verfertigte  man  bei  Gelegenheit  des  Jätens  aus  den 
Restchen  von  Fiachsstengehi  ein  Httttchen  und  rief: 

Hnlzfral!  dan  is  daii  Dal! 

Gib  an  Flachs  an  kräftinga  Flaug, 

Nan  hob  i  un  dn  gnang.^ 

Auch  bei  der  Ernte  läßt  man  im  Frankenwalde  drei  Hände 
voll  Flachs  für  die  Holzweibel  auf  dem  Felde  liegen.*  Zu  Neuen-  > 
hammer  in  der  Oberpfalz  bindet  man  beim  Ausraufen  des  Flachses 
vom  Felde  5 — 6  Halme ,  die  man  stehen  läßt^  oben  in  einen 
Knoten  zusammen ,  damit  das  Hulzfral  sich  darunter  setze  und 
Schutz  finde.  Auch  kleidet  sich  das  Hulzfral  in  Flachs- 
halme.^  Man  traf  einst  ein  solches  zur  Erntezeit  ganz 
infFlachshalme  eingewickelt  auf  einem  Baumstumpf  im  Walde 
sitzen;  Emtearbeiter  nahmen  es  mit  nach  Hause.  Es  sprach  eine 
unverständliche  Sprache  und  winselte  so  lange  ^  bis  man  es 
wieder  an  seinen  Ort  brachte.^ 

Jener  Flachsbüschel,  welcher  vielfach  (z.  B.  Pilsen  in 
Böhmen)   auf  dem   Acker   stehen    bleibt,^  wird    mitunter 
(z.   B.  Kttps    bei  Kronach  in  Oberfr&nken)   in  Gestalt    eines  . 
Zopfes   geflochten   und  jubelnd  umtanzt,    wobei    die  jungen 
Leute  rufen: 

Holzfrala,  Holzfrala! 
Flocht  ich  dir  a  Zöpfla 
Auf  dei  nackets  Eöpfla.^ 

Panzer  bringt  aus  dem  Goburgischen  eine  Variante  bei, 
welche  besagt,  daß  man  schamhaft  bemüht  sei,  dem  durch  das 
Abernten  des  Flachsfeldes  entblößten  Mutterschoße  der  Holzfrau 
eine  Hülle  zu  bereiten.^    Aber  nicht  allein  bei  der  Flachsernte, 


1)  Schönwerth ,  a.  d.  Oberpfalz  n,  369  ff. 

2)  Schmidt,  Topographie  der  Pflege  Reichenfels  S.  147.  Myth.«  403. 

3)  Schönwerth,  U,  360. 

4)  Schönwerth,  II,  362. 

5)  Panzer  II,  160,  254. 

6)  Das  Flechten  des  Zopfes  ist  eine  ältere  Emtesitte,   üher  welche  ich 
einstweilen  anf  m.  Komdamonen  S.  23  verweise. 

7)  Panzer  H,  161,  267.  551. 


78  Kapitel  Ü.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

auch  bei  der^Hen'-  und  Kornernte  bedenkt  fromme  Einfalt 
die  Holzweibchen.  Im  Amte  Sonneberg  bei  Meiningen ,  überhaupt 
im  Meininger  Oberland ,  bei  Culmbach  in  Oberfranken  u.  b.  w.  ^ 
läßt  man,  wenn  das  Grummet  eingefahren  wird^  ein  kleines  Häuf- 
chen Heu  auf  der  Wiese  liegen  und  sagt^  das  gehöre  den  Holz- 
fräulein,  oder  dem  Hulzfräle  fllr  den  gebrachten  Segen.  End- 
lich ist  aus  dem  Böhmerwald^,  der  Oberpfalz  und  Oberfranken 
auch  die  Sitte  bezeugt  auf  dem  Fruchtacker  einige  reife  Aehren 
der  Ernte,  einen  Btischel,  als  dem  Holzfräulein,  der  Holzfrau, 
dem  Waldfräulein  zugehörig  stehen  zu  lassen,^  dann  soll  man 
im  nächsten  Jahr  desto  mehr  Segen  in  ihre  Komscheuem  ein- 
heimsen. Und  nicht  minder  bleibt  zu  Guttenberg  B.  A.  Stadt- 
steinach  in  Oberfranken  auf  jedem  Obstbaum  etwas  von 
der  Frucht  fttr  das  Holzfräulein  hangen.^ 

Deutlich  erkennt  man  in '  diesen  Gebräuchen  die  folgenden 
Anschauungen:  Wie  wir  oben  dieselben  Geister  bald  den  Baum, 
bald  niedere  Pflanzen  bewohnen,  von  ihnen  ausgehen  und  zu 
ihnen  zurückkehren  sahen,  so  zeigt  das  nämliche  Wesen,  wel- 
ches in  der  Vegetation  des  Waldes  wirksam  ist,  sich  auch  in 
dem  Leben  des  Korn-  und  Flachsfeldes  und  der  Graswiese  reg- 
sam. Es  lebt  in  ihnen  und  lebt  ihr  Leben  mit  Daher  sind  die 
Flachshahne  die  Hülle  seines  Leibes,  darum  entblößt  ihm  das 
Ausraufen  der  Hahne  Kopf  und  Schoß.  Aber  daneben  her  läuft 
wieder  die  andere  Wendung  dieser  Vorstellung,  daß  es  im  Felde 
wohne  und  den  Halmen  guten  Schutz  zum  Wachstum  gebe. 
Daher    bereitet  ihm   fronmie  Sorgfalt  ein  Hflttchen.     Man  darf 


1)  Mündlich  y  anfierdem  Witschel,  Sitten  nnd  Gebr.  a.  d.  Umgegend  von 
Eisenach.  1866.  S.  16.  Panzer  II,  161,259.  In  der  Oberpfalz  taten  die 
Leute  beim  Henmachen  "stets  einen  Teil  unter  einen  kleinen  Busch ,  drückten 
mit  der  Hand  segnend  drei  Kreuze  drauf  und  beteten  drei  Vaterunser,  daß 
das  wilde  Heer  den  Holzweiblein  nicht  ankomme.  Schönwerth  U,  378.  In 
Ahomberg  bei  Münchberg  in  Oberfranken  reißt  man  von  jeder  Fuhre  Heu 
etwas  ab  und  wirfts  auf  die  Erde,  damit  das  Holzfrala  sich  darauf  setzen 
könne,  wenn  sie  von  dem  Bösen  umgetrieben  wird. 

2)  Panzer  n,  160,  254—55.  161,  259.  Außerdem  z.  B.  Warmen steinach 
B.  A.  Baireuth,  Pressek,  L.  G.  Stadtsteinach. 

3)  Mündlich.  Zu  Pommersfelden ,  Bez.  A.  Hochstädt  in  Oberfranken 
tritt  fax  das  Holzfräulein  „das  Wetterfräulein''  ein,  dem  der  letzte 
Apfel,  die  letzte  Birne  auf  dem  Baume  zugeeignet  und  ungepflückt  belas- 
sen wird. 


Holz-  nnd  Moosfraulein.  79 

alle  diese  Bilder  und  mythischen  Vergleiche  nicht  bis  ins  Ein- 
zebie  aasmalen;  zu  ihrem  Wesen  gehört  eine  reizvolle  Unbe- 
stimmtheit Der  geistige  Eindruck,  den  die  Natur  macht,  hat 
sich  in  ihnen  zu  lebendigen  Gestalten  verkörpert,  welche  ein- 
zelne Züge  der  bildlich  angeschauten  Wirklichkeit  entlehnen,  mit 
den  übrigen  aber  durch  eine  freie  Schöpfung  der  ergänzenden 
Phantasie  beschenkt  sind.  Die  einmal  gewordene  Gestalt  lebt, 
da  sie  im  Volksglauben  eine  erträumte  Realität  besitzt,  weiter 
nnd  entwickelt,  verändert  sich  in  den  Köpfen  der  Gläubigen. 
Es  klann  daher  uns  nicht  aufifallend  sein,  neben  den  dargelegten 
Anschauungen  der  andern  Auffassung  zu  begegnen ,  daß  das  Holz- 
weibchen Eigentümerin  des  Flachses,  Getreides,  Grases  sei  und 
deshalb  ihm  wenigstens  ein  Anteil,  ein  Büschel,  eine  Handvoll 
gelassen  werden  müsse,  während  der  Mensch  das  Uebrige  in 
seinem  Nutzen  verwendet.  Ueber  diese  in  analogen  Emtege- 
bränchen  vielfach  hervortretende  Meinung  verweise  ich  einstweilen 
auf  Komdämonen  S.  7.  8.  22. 

Mehrfach  wird  erzählt,  daß  die  Holzfräulein  mit  Menschen 
Verbindungen  schlössen.  ^  Das  ist  vielleicht  ein  Reflex  des  tiefen 
unwiderstehlichen  Eindrucks,  den  die  Waldnatnr  auf  das  Gemüt 
ausübt.  Auf  einer  jungem  Entwickelungsstufe  zeigt  sich  der 
Glaube  an  die  Moosweibchen  (Holzfräulein)  in  der  Angabe,  daß 
sie  zur  Erntezeit  aus  ihrem  Walde  hervorkommen ,  um  die  Mähen- 
den zu  necken,  oder  beim  Heumachen  allerlei  Mutwillen  zu  trei- 
ben, oder  um  den  Menschen  beim  Heuen  und  Komschneiden  als 
rüstige  Arbeiter  zu  helfen.'  Dachte  man  sich  ehedem  einmal  die 
Gaben  der  Ernte  als  ihr  Werk,  so  war  es  ein  Schritt  zu  der 
Annahme,  daß  sie  auch  der  Emtearbeit  Segen  verliehen  und  so 
mochte  sich  die  Vorstellung  von  persönlicher  Mithilfe  dabei  her- 


1)  Der  Bitter  findet  nach  Jahren  seinen  mit  der  Waldfran  eneagten 
Knaben  auf  der  Jagd  verlassen  unter  einem  Baume  sitzen,  nimmt  ihn  uner- 
kannt auf  und  erzieht  ihn ;  er  wird  eine  Art  starker  Hans  und  soll  einst  als 
Kraftprobe  einen  mächtigen  Holzstoß  kleinhauen;  aus  dem  dann  das  Holz- 
fräulein hervorkommt  und  ihn  dem  Vater  zu  erkennen  giebt.  Schonwerth 
n,  371,  17.  Bech'stein,  Thüring.  Sagenbuch  nach  Bömer  im  Yoigüänd. 
Archiv.  S.  Eisel,  Sagenb.  d.  Yoigtlandes,  23,  41.  Grohmann,  Sagen  a. 
Böhmen,  S.  130.  131. 

3)  Voigtländ.  Altertumsarchiv  13  bei  Eisel,  Sagenb.  d.  VoigtL,  25,  45. 
Bomer ,  Sagen  d.  Orlagaus,  S.  189,  227.    Grohmann ,  Sagen  a.  Böhmen,  S.  127. 


80  Kapitel  ü.    Die  Waldgeister  and  ihre  Sippe: 

vorbilden.  Immerhin  kann  dieser  Zng  trotz  relativ  jungem  Alters 
in  sehr  frühe  Zeit  hinaufreichen.  Ihm  schließt  sich  aber  eine 
ganze  Reihe  von  andern  Erzählungen  an,  nach  welchen  unsere 
Waldleutchen  in  den  Dienst  der  Bauern  treten,  fleißig  das  Vieh 
im  Stalle  besorgen  und  füttern,  auf  der  Mühle  mahlen  und  Brod 
backen/  wogegen  man  ihnen  die  Ueberbleibsel  der  Mahlzeiten 
hinstellt.  So  lange  sie  im  Hause  weilen,  ist  Glück 
und  Segen  bei  den  Bewohnern.  Man  darf  sie  aber  nicht 
mit  einem  neuen  Kleide  für  die  nur  ärmlich  und  dürftig  verhüllte 
oder  ganz  unbedeckte  Blöße  ihres  haarigen  Leibes  beschenken, 
denn  dann  verschwinden  sie  augenblicklich.^    Ebenso  verschwin-. 


1)  Verschiedene  Male  kehrt  die  Sage  wieder,  wie  jemand  (zumeist  ein 
auf  dem  Acker  pflügender  oder  das  reife  Eom  schneidender  Knecht)  hörte, 
daß  die  Holzweibchen  backen  wollten.  Er  rief  ihnen  zu ,  sie  möchten  doch 
für  ihn  mitbacken.  Da  stieg  ein  schöner  Kuchen  aus  dem  Boden  auf.  Aehn- 
liches  aber  wird  von  den  ünnererdsken  und  den  Zwergen  erzählt.  Aus  der 
Furche  des  Ackers  lassen  sie  ein  Brod,  einen  Kuchen,  ein  mit  einer  leckem 
Mahlzeit  besetztes  Tuch,  ein  „Tischchen  deck  dich''  emporsteigen.  Darf  die-« 
ses  Mahl  auf  die  Tafel  gedeutet  werden,  welche  die  Eiementargeister  durch 
das  reife  Kornfeld  und  die  Baumfrucht  dem  Menschen,  und  den  Tieren  all- 
jährlich  decken?  Mich  dünkt  diese  Bedeutung  sei  noch  ziemlich  durchsichtig 
in  der  Mitteilung  von  Chambers,  populär  rhymes  p.  33:  It  was  tili  lately 
believed  by  the  ploughmen  of  Clydesdale ,  that  if  they  repeated  the  rhyme : 

Fairy,  fairy,  bake  me  a  bannok  and  roast  me  a  coUop, 

And  ril  gie  ye  a  spurtle  off  my  gad  end 
three  several  times,  on  tuming  their  cattle  at  the  terminations  of  ridges, 
they  would  find  the  said  fare*  prepared  for  them  on  reaching  the  end  of  the 
fourth  furrow.  (Vergl.  Kuhn,  Nordd.  Sag.  Nr.  189,  Anm.)  Andererseits  g^ebt 
es  in  der  Oberpfalz  noch  manche  Häuser,  in  welchen  man  beim  Brodbacken 
für  die  Holzfräulein  ein  oder  zwei  Kuchen  mitbackt  und  auf  dem  Heerde 
läßt.    Schönwerth  II,  377. 

2)  Eine  interessante  Sage  bei  Schönwerth  11,  379,  21  aus  Pfaffenreuth 
bei  Eschenbach  sagt  uns,  daß  die  Zeit  dieser  Arbeit  in  Haus  «und  Viehstall 
des  Bauern  der  Winter  war.  War  das  Fräulein  nicht  bei  den  Tieren,  so 
saß  es  Tag  und  Nacht  auf  dem  Ofenmäurl;  es  sah  blaß  aus  und  trug  einen 
zerrissenen  Bock  von  Leinwand.  Die  Leute  mußten  ihm  dreimal  des  Tages 
ein  weniges  von  ihrem  Essen  hinstellen.  Gegen  das  Frühjahr,  als  man  das 
Vieh  austrieb,  ging  sie  in  das  Gehölz  des  Hofbesitzers  hinaus.  Die  Leute 
'stellten  ihr  dann  das  Essen  auf  einen  Stock,  worauf  sie  herkam  und  es 
holte.  Das  leere  Geschirr  stellte  sie  wieder  dar.  Als  ihr  die  Bäuerin  ein 
Kleid  machen  ließ,  jammerte  sie  und  sagte,  jetzt  müsse  sie  auf's  neue 
so  lange  leiden,  bis  dieses  Kleid  zerrissen  sei.  Auch  andere 
Kobolde  und  Hausgeister  ziehen   fort  sobald  sie  ein  neues  Gewand  erhalten, 


Holz-  trnd  Mooafräolein.  81 

den  sie,  wenn  man  in  ihrer  Gegenwart  einen  Fluch  ausstößt. 
Alle  diese  Züge,  die  Pflege  der  Haustiere ,  die  Mitarbeit  bei  den 
häusfichen  Verrichtungen,  das  Verschwinden  bei  Empfang  eines 
neuen  Grewandes  und  die  Entgegennahme  von  Speiseresten  als 
ÜLgliches  Opfer  sind  Züge,  welche  in  deutscher  Sage  allen  Kobol- 
den und  Hausgeistern  gemein  sind.  Wir  entnehmen  aus  dieser 
Tatsache  einstweilen  nichts  anderes ,  als  die  unbestreitbare  Wahr- 
heit, daß  auch  die  Waldfrauen  (Moosweibchen,  Holzfränlein, 
Holzmännlein  u.  s.  w.)  in  Hausgeister  übergehen,  wie  der  Baum- 
geist, von  welchem  oben  S.  44  die  Rede  war.  Auf  die  Kräuter 
des  Waldes  verstehen  sich  diese  Wesen  gut  und  helfen  damit 
den  Menschen  bei  Krankheiten.  Zur  Zeit  der  Pest  kamen 
die  Holzfräulein  aus  dem  Walde  ^nd  riefen:  Eßt  Bi- 
mellen  und  Baldrian,  so  geht  euch  die  Pest  nicht  an. 
Und  einem  Tagelöhnerweibe  hilft  eine  Waldfrau  in 
der  Kindesnot  mit  der  schönen  blauen  Blume  Nim- 
mer weh.  ^  Auch  die  Moosweiblein  von  Wildemann  teilten  Wan- 
derern Wurzeln  und  Kräuter  zur  Nahrung  und  Gesund- 
heit mit.^  Nicht  minder  lehrt  das  Moderwitzer  Moosweiblein 
Heilmittel  gegen  Krankheiten  der  Schafe.^   Aus  diesen 

Dür  daß  der  Beweggrund  ihres  Verschwindens  yerschieden  angegeben  wird, 
z.  B.  als  kindischer  Stolz  wegen  der  Kleidung.  Da  aber  schon  Korndänionen 
S.  19.  41,  Anm.  54.  6.  7  das  Zusammenfallen  der  Hausgeister  und  Kobolde 
mit  Komdämonen  wahrscheinlich  gemacht  ist,  welche  in  Haus  und  Hof  des 
Ackerwirts  überwintern ,  und  da  diese  Annahme  durch  unsere  weiteren  Unter- 
suchungen vielfache  Bestätigung  finden  wird,  darf  gefragt  werden,  ob  obige 
Sage  nicht  etwa  den  Schlüssel  zu  jenem  seltsamen  Sagenzuge  liefere.  Der 
Dämon  der  Vegetation  erweitert  sich  zum  Genius  des  Wachstums  überhaupt 
und  zieht  sich  im  Herbst,  wenn  der  Sturm  das  Moos-  und  Blätterkleid  der 
Baume  zerreiBt,  in  Hof  und  Haus  des  Landmanns  zurück,  um  hier  als  seg- 
nender Hausgeist  fßr  Gedeihen  und  Wachstum  zu  wirken;  er  kehrt  zu  Wald 
und  Flur  zurück,  sobald  er  im  Frühlinge  ein  neues  Gewand  bekomn^t  nnd 
seine  Pfleglinge  die  Tiere  wieder  im  Freien  ihren  Aufenthalt  nehmen.  Daß 
die  Holzfrau  |sich  beklagt  wiederum  leiden  zu  müssen,  bis  auch  dieses  neue 
Kleid  zerrissen  sei,  verrät  diejenige  Anschauung,  wonach  die  Baumnymphe 
eine  arme  Seele  sei,  welche  in  den  Körper  der  Pflanze  gebannt  mit  deren 
Tode  erlöst,  frei  wird. 

1)  Panzer  H,  161,  258.  205,  857.  Vgl.  Schönwerth  H,  380,  24.  Hier 
ruft  das  Holzfräulein:  Eßt  grüne  Kramelbir  und  Binmaln,  so  wird  die  Pest 
niederfalln. 

2)  Pröhle,  D.  Sag.  37,  8. 

3)  Thuringia  1842,  S.  271.    Witschel,  Sagen a.  Thüringen,  284,235. 

Haanhardt.  6 


92  Kftpitel  IL    Die  Waldgeuler  nd  um 

Beispielen  geht  henror,  d^  die  Moodeute  und  tiolzfräuleiii 
ab  krankbeitabwebreDde,  geaandheit^erieiheiide  Wesen  gedacht 
wurden.  Im  Verein  mit  dem  Ohiaben  an  deren  Rolle  als  segen- 
bringende  Hansgeister  gebt  dieser  Zng  —  wie  später  klar  wer* 
den  wird  —  anf  die  Ornndvorstellung  znrfiek,  dafl  sie  Gdster 
des  Wachstums  seien,  mitbin  aof  die  nSmliehe  AngpJi^niii^^ 
welche  sie  aueb  im  Leben  des  Aekers  wirksam  sein  lieft. 

Der  Glanbe  von  den  HolzfiiUdein  nimmt  jedoch  vermöge  des 
ob.  S.  39  entwickelten  Gedankenprozesses  zuweilen  die  Wendong, 
daß  diese  Genien  ftür  arme  Seelen  erklärt  werden.  Auf  diese 
Eigenschaft  bezieht  sich  der  Brauch ,  für  die  Holzfiränlein  die  bei 
den  Mahlzeiten  ttbrig  gebliebenen  Brosamen  in  den  Ofen  zu  wer- 
fen, die  beim  Heraasschöpfen  am  Rande  der  Schtlssel  hangen 
gebliebenen  Tropfen,  das  am  Kttbelreifen  sitzen  gebliebene  Mehl 
ihnen  zuzueignen.^  Wenigstens  die  erstere  Sitte  ist  ein  auch 
sonst  in  Norddentschland  wie  Sttddentschland  den  armen  Seelen 
dargebrachtes  Opfer.' 

Der  Moosweibchen  und  zugleich  der  armen  Seelen  erbitterte 
Feinde  sind  die  Geister  der  wilden  Jagd,  in  der  Oberpfalz  auch 
die  Holzhetzer  genannt.  Dieselben  fahren  bekanntlieh  im  Sturm- 
winde und  Ungewitter  durch  die  Wipfel  des  Waldes  daher  Prä- 
torius  zeichnete  vor  200  Jahren  aus  der  Umgegend  von  Saalfeld 
die  Sage  auf,  wie  der  wilde  Jäger  unsichtbar  mit  seinen  Hunden 
die  Moosleute  jagte.  Der  Schall  seines  Hernes  und  das  Gebell 
der  Hunde  war  weithin  hörbar.  Ein  Bauer,  dem  sein  Vorwitz 
eingab  in  den  Jägerruf  einzustimmen,  fand  am  andern  Morgen 
an  seinem  Pferdestall  das  Viertel  eines  grünen  Moosweibchens 
aufgehängt'  So  jagt  schon  der  Stnrmriese  Väsolt  nach  dem 
Eckenlied  ein  wildes  Fräulein  im  Walde  ^  üi  Schlesien  der  Nacht- 
jäger die  mit  Moos  bekleideten  Rttttelweiber.^  Um  Halle  hetzt 
der  wilde  Jäger,  der  ohne  Kopf  auf  seinem  Schimmel  durch  die 
Luft  fährt,  mit  vielen  Hunden  die  Lohjungfem;  im  Voigtlande, 


1)  Panzer  11,  69,  92.    Schönwertd  11,  360,  §  33, 1.  §  34, 4.  365,  §  3i,  9. 

2)  Vgl.  Wuttke*  275  §430. 

3)  Prätorius,  Wcltbeschreibiuig  I,  693.    Grimm,  d.  Sag.  L  60,  48. 

4)  Eckenliet  Str.  161  —  201.  Zupitza.  Vgl.  Myth.»  CXXXII,  MytL« 
1231.  Vgl.  304.  Simrock,  Handbuch  d.  d.  Myth.«  441.  Mannhardt,  Götter- 
welt, S.  119  Anra.  *. 

5)  Prätorius,  B&bezahl  II,  134—136.    Grimm,  D.  Sag.  360,  270. 


HoIe-  und  Moofifräalein.  83 

Orlagau,  Frankep  und  Oberpfalz  jagt  der  wilde  Jäger  die  Holz- 
weibchen oder  Holzfräalein  und  ihre  Männchen.  Bald  fällt  der 
halbe  Leib  eines  dieser  Wesen,  bald  ein  Fuß  mit  grünem  Schuh 
bekleidet  dem  nachrufenden  Spötter  gleichsam  als  sein  Jagdanteil 
aus  den  Wolken  herab.  ^  Nur  dann  haben  die  kleinen  Wald- 
leute Ruhe,  wenn  sie  sich  auf  einen  Baumstumpf  retten  können, 
anf  welchen  der  Holzhauer  während  der  Baum  fiel  „bevor 
er  im  Sturz  mit  der  Spitze  den  Erdboden  erreichte"  oder  „wäh- 
rend der  Zeit,  daß  der  Schall  des  fallenden  Baumes 
noch  hörbar  war,"  mit  scharfer  Axt  drei  Kreuze  in  einem 
Zwickel  oder  keilförmigen  Dreieck  einhieb.  Deshalb 
unterlassen  die  Holzhauer  es  selten  in  der  angegebenen  Weise 
die  Stöcke  zu  kreuzen  und  man  sah  deren  in  der  ersten  Hälfte 
des  Jahrhunderts  noch  viele  in  den  Wäldern;  Bömer  erwähnt 
namentlich  die  Waldungen  des  Saalufers,  vornehmlich  bei 
Hungers-  oder  Hunnenburg;  Schwanthaler  sah  dasselbe  in  den 
Nadelwaldungen  bei  Bamberg.  Es  müssen  aber  jedesmal  2  Arbei- 
ter dabei  beschäftigt  sein,  weil  einer  es  nicht  so  schnell  fertig 
bringt  Durch  jeden  so  gekreuzten  Stock  soll  ein  Holzweibel 
erlöst  werden.  Es  setzt  sich  darauf  und  dann  kann  ihm  die 
wilde  Jagd  nichts  anhaben;'  nach  andern  werden  die  Holzträu- 
lein  durch  drei  Kreuze  auf  den  Stöcken  unschädlich, '  na^ch 
noch  andern  können  sie  dann  ihre  Wohnung,  die  sie 
bis  dahin  im  Baume  gehabt  hatten,  behaltein.^  Um 
den  Holzweibein  vor  ihrem  Feinde  noch  mehr  Schutz  zu  bieten, 
sind  „über  Mittag"  auch  auf  allen  Ackergerätschaften  (Eggen 
and  Pflügen)  dergleichen  Kreuze  angebracht  worden.^  Auch 
zwischen  den  beim  Schluß  der  Ernte  auf  dem  Acker  stehen 
gelaserenen  Flachshalmen  sucht  und  findet  die  Holzfrau  Sicherung 


1)  Sommer,  S&g,  a.  Sachsen  u.  Thüringen,  S.  7  Nr.  3.,  cf.  S.  167. 
Bomer  a.  a.  0.  212.  222.  Schönwerth  U,  162.  Enhn  und  Schwartz,  Nordd. 
Sag.  S.  478.    S.  A.  76.    Panzer  II,  70  ff. 

2)  Bömer,  Sagen  des  Orlagaas,  S.  220.  Eisel,  Sagenbuch  des  Voigt- 
landes  28,  56.  Panzer  n»  S.  69—71.  Schönwerth  II,  162.  360.  378.  Köh- 
ler, Yolksbranch  4M. 

3)  Eisel  a.  a.  0.  28 ,  56. 

4)  Schmidt,  Topographie  der  Pflege  Reichen fels  bei  Köhler,  Yolks- 
branch  im  Voigtlande  n,  45. 

5)  Bömer,  Orlagan  S.213.     Eisel  a.  a.  0.  28,  56. 


84  Eapitel  n.    Die  Waldgeister  nnd  ihre  Sippe: 

vor  dem  wflden  Jäger.  ^  Waldmännleiii  nnd  Waldweiblein  Ter- 
^elten  den  Holzhacl&eni  ihren  Liebesdienst  damit,  daß  sie  die- 
selben zur  Nachtzeit  ohne  Irrgang  ans  dem  Forste 
geleiten,  anch  manchmal  abgeworfene  Hirsch-  and 
Rehgeweihe  finden  lassen.'  Es  scheint  mir  unverkennbar, 
daß  die  Bekrenzimg  der  Banmstttmpfe  —  selbst  wenn  sie  etwa 
ursprünglich  den  nüchtern  praktischen  Zweck  gehabt  haben  sollte, 
die  abgehauenen  Stämme  als  rechtmäßig  nach  Anweisung  durch 
den  Bannwart  gefällte  zu  bezeichnen  —  nur  deswegen  in  der 
kurzen  Zeit  geschehen  sollte,  während  der  Baum  fällt,  damit  die 
Baumseele  nicht  entweiche,  sondern  noch  rechtzeitig  der  geöfifhete 
Baumleib  durch  ein  magisches  Siegel  gleichsam  wieder  geschlos- 
sen und  zugleich  gegen  Eindringlinge  von  außen  her  geschützt 
werde.  Nach  vorhin  mitgeteilten  Sagen  soll  man  ja  den  vom 
Tomtegubbe  bewohnten  .Baum  nie  ganz  umhauen;  der  Elf  stirbt, 
wenn  der  Baum  mit  den  Wurzeln  ausgerissen  wird;  unter  Um- 
ständen lebt  der  Dämon  also  auch  noch  im  Baumstumpfe  fort 
Es  ist  mithin  wol  begreiflich,  weshalb  im  bekreuzten  Stocke 
(truncus)  die  Moosleute  ihre  Wohnung  behalten  können.  Die 
wilde  Jagd  ist  eine  Personification  des  baumerschüttemden  Sturm- 
windes. Wie  nun  der  estnische  Baumelf  (ob.  S.  68)  vor  dem 
Gewitter  erschreckt  in  die  tiefsten  Wurzeln  zurückweicht,  ist 
auch  der  Sturm,  der  manchen  Stamm  damiederstreckt,  den 
Baumgeistem  gefährlich  und  veranlaßt  sie ,  sich  m  ihre  Pflanzen- 
httlle  zurückzuziehen.  Der  unberührte  Baumstamm  ist  keinen 
Augenblick  davor  sicher ,  der  Wut  des  Sturmriesen  zum  Opfer  zu 
fallen,  aber  dem  abgehauenen  Baumstumpf  kann  derselbe  nichts 
mehr  anhaben.  Dieses  muß  der  anfängliche  Gedankenkreis  sein, 
aus  welchem  nach  mehrfachen  Mittelgliedern  die  Vorstellung 
erwachsen  ist,  daß  die  Moos  -  und  Holzleute  auf  bekreuzten  Stöcken 
vor  dem  wilden  Jäger  Schutz  fänden ,  und  von  da  aus  vollzog  sich 
in  Folge  der  Identifizierung  der  Holzfrau  mit  dem  Getreidedämon 
die  weitere  Uebertragung  des  Schutzortes  auf  Ackergerätschaften, 
während  das  Flüchten  in  die  letzten  Flachshalme  wol  nur  wie- 
derum besagt,  daß  der  Genius  der  Pflanze  sich  beim  Sturm  in 
seine  eigene  Haut  zurückziehe,  wie  die  Schnecke  in  ihr  Häuschen . 


1)  Schönwerth  11 ,  360. 

2)  Panzer  II,  70,  93. 


Holz-  und  Moo^ftulein.  85 

Doch  es  erübrigt  die  HoMente  noch  von  einer  neuen  Seite 
kennen  zn  lernen.  Einem  Waldweibchen  war  der  Schiebkarren 
gebrochen.  Sie  bat  einen  Vorübergehenden  ihr  denselben  aaszn- 
bessern.  Während  dies  geschah ,  steckte  sie  ihrem  Helfer  eifrig 
die  herabfallenden  Späne  in  die  Tasche.  Der  warf  sie  verächt- 
lich heraus,  einige  wenige  aber,  welche  er  nicht  beachtet ,  hatten 
sich  am  andern  Tage  in  harte  Taler  verwandelt^  Die  .nämliche 
Sage  erzählt  man  in  allen  wesentlichen  Stücken  41bereinstimmend 
von  Frau  Gauden  (Gdde)  Holla  und  Perchta,  sie  lassen  sich  ihr 
zerbrochenes  Gefährt  (Wagen  oder  Pflug)  zimmern,  oder  einen 
Pfahl  zuspitzen,  oder  arbeiten  selbst  daran,  so  daft  die  Späne 
fliegen.  Diese  herabfallenden  Splitter  werden  schieres  rotes  Gold.^ 
Gode,  Holla  und  Perchta  fahren  im  Sturme  daher.  Während 
aber  die  Waldleute  nach  den  vorhin  angeführten  Sagen  der  wil- 
den Jagd  als  Jagdobject  dienen,  sind  diese  mythischen  Frauen 
solche  Wesen,  welche  in  übereinstimmenden  Ueberlieferungen'  als 
Anführerinnen  der  wilden  Jagd  an  der  Spitze  derselben  auftreten 
und  ein  gespenstiges  Wild  verfolgen,  auch  wol  Menschenfuß  und 
Menschenlende  dem  Spötter  aus  den  Wolken  zuwerfen.^  Auf  im 
Sturme  waltende  Wesen  passt  —  wie  es  scheint  —  sehr  wol  die 
Deutung,  welche  W.  Schwarz  den  goldenen  Spänen  des  zerbro- 
chenen Gefährtes  gegeben  hat,  indem  er  an  die  Aehnlichkeit  des 
rollenden  Donners  mit  dem  Getöse  rollender  Wagen  und  an  jene 
ditmarsische  Auffassung  des  Gewitters  erinnerte,  wonach  „  der  Alte 
da  oben  am  Himmel  wieder  einmal  fährt,  und  mit  der  Axt  an 
die  Bäder  schlägt/^  *  Danach  wären  also  jene  Sagen  der  Nieder- 
schlag eines  großartigen  Naturbildes.  Im  tobenden  Gewittersturm 
wird  der  zerbrochene  Wagen  der  wilden  Jägerin  verkeilt  und  die 


1)  Börner,  Sagen  des  Orlagaus  S.  205. 

2)  Frau  Gauden:  Myth.*  878  ff.  Gode:  Kuhn, Nordd.  Sag.  2, 1.  Holle: 
Grimm,  D.  Sag.  1, 10,  8.  Frau  Perchta:  Börner,  Sagen  d.  Orlagaus  S.  118. 
126.  173.  182.  • 

3)  Frau  Gauden:  Myth.»  877.  Kuhn,  Nordd,  Sag.  3,  2,  4.  Frau 
Holle:  Mannhardt,  Mythenforsch.  262.  Perchta:  J.  V.  Zingerle,  Sagen, 
Märchen ,  Gebräuche.  Innsbruck  1859.  S.  16  N.  22.  Landsteiner,  Beste  des 
Heidenglaubens  in  Sagen  und  Gebräuchen  des  niederösterreich.  Volkes.  Krems 
1869.  S.  34—35. 

4)  Müllenhoff,  Schleswigholst.  Sag.  S.  358. 


86  Kapitel  n.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

goldgelben  Blitze  sind  die  herabfallenden  Späne.  ^  Sei  nnn  diese 
Deutung  richtig  oder  nicht,  jedenfalls  nötigt  uns  die  Ueberein- 
stunmung  der  beigebrachten  Ueberlieferungen  mit  der  Sage  vom 
Schubkärrchen  des  Moosweibleins  entweder  in  letzterer  eine  nur 
fälschliche  Uebertragung  eines  ursprünglich  fremden  Mythenzuges 
anzunehmen  y  oder  zuzugestehen ,  daß  auch  die  Mooswdbchen  im 
Sturme  durch  die  Luft  fahrend  gedacht  wurden.  Dabei  kann  es 
uns  zunächst  gi(pz  gleichgiltig  sein,  ob  sie  als  Jagdobjeot  dienten, 
oder  selbst  als  Jägerinneh  auftreten ,  falls  in  der  Tat  die  fliegen- 
den Späne  nur  ein  bildlicher  Ausdruck  für  gewisse  Vorgänge 
beim  Gewittersturme  sind.  Nun  haben  wir  nicht  allein  schon 
oben  S.  42  gesehen ,  daß  Geister ,  welche  man  im  Baume  hausend, 
dem  Baum  einwohnend  sich  vorstellte,  gleichwol  «neb  im  Sturme 
daherzogen,  sondern  es  giebt  auch  sonst  noch  Spuren,  welche 
yerraten,  daß  man  im  Winde  die  Umfahrt  der  Waldfrauen  ver- 
nahm. In  Westfalen  sagt  man  beim  Wirbelwinde  „da  fliegen 
die  Buschjnngfern.^^'  Die  Leute  um  Warmsdorf  ün  nördlichen 
Böhmen  glauben  fest  an  das  Dasein  des  Buschweibchens;  es 
erscheint  als  steinaltes  Mütterchen ,  mit  schneeweißen  wild  herab- 
hängenden Haaren  und  moosbewachsenen  Füßen,  auf  einen  Enoten- 
stock  gestützt,  und  beschenkt  mit  gelben  Blättern,  die  zu  Gold 
werden.  Wenn  im  Frtthlinge  und  Herbste  zerrissenes'  Nebel- 
gewölk vom>Gebirge  aufsteigt,  wenn  „der  Wald  raucht^',  so 
pflegt  man  zu  sagen  „das  Buschweibchen  kocht''  Jene 
Nebelstreifen  werden  als  der  Bauch  von  seinem  Heerde  bezeichnet. 
"Naht  im  April  ein  Hagelschauer,  so  ruft  man  „das  Buschweib- 
;chen  steigt  über  das  Gebirge.''^ 

§.  3.  Wlldleute  in  BOhmen.  Bei  den  Czechen  entsprechen 
unseren  Waldweibem  die^  lesni  panny  Waldjungfem  oder  div6 
ieny  wilde  Weiber;  sie  lieben  Musik  (das  Sturmlied)  ^  und 
Tanz  (den  drehenden  Wirbel  des  Wirbelwindes)  der  von  ihnen 
bei  einem  heftigen  Sturme  mit  der  ausgelassensten 


1)  W.'SchwartZi  der  heutige  Volksglaube  und  das  Heidentum.   Aufl.  2. 
Berlin  1862.  S.  32.  37.  42. 

2)  Montanus,  die  deutschen  Volksfeste.    Iserlohn  1854.  TI,  S.  103. 

3)  Vernaleken ,  Mythen  und  Bräuche  des  Volkes  in  Oesterreich  242,  51. 

4)  Mannhardt,  Götterwelt  S.  113.  114.  117.    Vgl.  B.  Ansbachs  Volks- 
kalender  1860  S.  129. 


Wfldlente  in  Hessen,  Rheinland,  Baden.  87 

Wildheit  in  der  Luft  ausgeführt  wird.^  Ihnen  stehen  Wald- 
männer  znr  Seite  lesni  mniove,  welche  Mädchen  ranben 
und  sie  zwingen  mit  ihnen  in  Ehe  zu  leben.'  Ein  tanz- 
lustiges Mftdchen  hfttete  m  einem  Birkenwalde  die  Ziegen  und 
spann  dabei  Flachs.  Mittags  erschien  so  die  Waldfran  in  weißem 
Gewände ,  dtlnn  wie  Spinngewebe  y  mit  einem  Ejranze  von  Wald- 
blmnen  m  den  bis  zum  Gttrtel  hinabfließenden  Goldlocken.  Sie 
erfaßte  das  Mädchen  nnd  tanzte  mit  ihr  bis  Sonnenuntergang 
schön  nnd  so  leicht,  daß  sich  das  Gras  unter  ihren  Füßen  nicht 
bog,  wozu  die  Vögel  lieblich  sangen.  So  geschah  es  drei  Tage 
hinter  einander.  Um  die  Versäumniß  zu  ersetzen,  spann  die 
Waldfran  dem  Mädchen  den  Rocken  voll,  und  gab  dem  Garne 
die  Eigenschaft  nicht  abzunehmen,  so  lange  man  auch 
weifte  und  sie  Mite  ihm  die  Taschen  mit  Birkenlaub,  das  sich 
in  Gold  verwandelte  (die  nämlichen  Züge  begegneten  uns  o.  S.  76 
bei  den  Moosweibchen).  Wäre  das  Mädchen  aber  ein  Knabe 
gewesen,  so  hätte  die  Waldfrau  ihn  zu  Tode  getanzt  oder 
zu  Tode  gekitzelt.^ 

§.  4.  Wildlente  in  Hessen,  Bheinland,  Baden.  In  Hessen 
entsprechen  den  Waldfrauen  und  Waldmännem,  nur  ins  Riesen- 
hafte übersetzt,  die  wilden  Leute,  welche  im  Walde  zwischen 
den  Basaltfelsen  an  der  Einzig  ihr  Wesen  treiben.  Die  gewalti- 
gen Steinmassen,  welche  im  Bemhardswalde  bei  Schlüchtern 
niederstarren,  heißen  nach  ihnen  wilde  Häuser.  Schon  vor 
dem  11.  Jahrhundert  nennt  eine  hessische  Urkunde  bei  Dronke, 
Traditiones  Fuldenses  p.  544  in  jener  Gegend  einen  Ort  „  wilderö 
wib6  hfls"  „ad  domum  wilderö  wlbö.  Vgl.  Roth,  Kl.  Beiträge 
zur  Sprach-  Orts-  und  Namensforschung  1850  I,  231.  Landau, 
Gau  Wetareiba.  1855.  S.  128  in  der  Nähe  von  Salmtinster,  wo 
mehrere  Wildfi*auenhäuser  vorkommen.  Förstemann,  Altd.  Namenb. 
n,  1534.  Die  wilden  Männer  sind  am  vergnügtesten, 
wenn  der  Sturmwind  tobt  und  der  Blitz  aus  den  Wolken 
fährt.    Dann  gehen  sie  hoch  oben  über  die  Berge  und  rütteln 


1)  Grohmann ,  Sagen  ans  Böhmen  I,   S.  123.    Grohmann ,   Aberglauben 
ans  Böhmen  I,  14.  16.    Vemaleken  a.  a.  0.  249.  N.  55. 

2)  Grohmann,  Abergl.  15,  68.    Grohmann,  Sagen  8.  120. 

3)  Nach  Erbens  (Jitanka  S.  29.    Wenzig  westalav.  MSrchenschatz  S.  198. 
Grohmann,  Sagen  ans  Böhmen  I,  S.  124. 


88  Kapitel  ü.    Die  WfddgeiBter  und  ihre  Sippe : 

an.  den  Wipfeln  d^r  Bäume;  aber  sie  freuen  sich  auch,  wenn 
die  Aronspflanze  gedeihlich  emporwächst,  und  wenn  sie  zwisch^ 
den  Schachtelhalmen  dahergehen  können/  Ihre  großen  schönen 
Frauen  steigen  in  den  Mondnächten  in  die  Lüfte,  ihre 
Kinder  schützen  die  Kinder  der  Menschen,  weün  sie  im  Walde 
Beeren  suchen.^  Auf  dem  Hohenberg  in  Hessen  sieht  man  die 
Spuren,  wo  sie  saften  und  wo  sie  Hände  und  Füße  liegen  hatten. 
Ihre  Kleidung  ist  grün  und  rauh,  gleichsam  zottig,  ihr 
Haar  lang  und  aufgelöst.  Das  giebt  ihrem  Aussehen  etwas 
schauerlich  Wildes,  so  daß  sich  jedermann  vor  ihnen  fürchtet. 
Dabei  sind  sie  ganz  zutraulich  gegen  die  Menschen,  raten  und 
helfen  ihnen ,  wo  sie  nur  können.  Oft  werden  sie  von  den  rohen 
Bauern  Tcrfolgt,  auch  gefangen,  aber  sie  rä^^hen  sich  nie. 
In  einer  Höhle  am  Bodenstein  wohnten  zwei  wilde  Weiber.  Die 
eine  war  sehr  schön.  In  sie  verliebte  sich  ein  Jäger  und 
sie  gebar  ihm  bald  ein  Kind.  Sie  sind  in  die  Zukunft  einge- 
weiht Wenn  in  der  Gegei^d  von  Fulda  jemand  sterben  sollte, 
dann  kam  eines  aus  dem  Wildfrauenloch  heraus  und  zeigte  sich 
wehklagend  in  der  Nähe  des  Sterbehauses.  Auch  die  Kunde  der 
geheimen  Naturkräfte  wohnt  ihnen  bei.  Sie  wissen,  wozu  die 
wilden  weißen  Haiden  und  die  wilden  weißen  Selben  (Salbei)  gut 
sind;  und  wenn  die  Bauern  das  wtlßten,  würden  sie  mit  silbernen 
Karsten  hacken.'  In  der  Eifel  wohnten  die  wilden  Frauen  eben- 
falls in  Fels^rotten,  die  das  vulkanische  Gestein  gebildet  hat. 
Dergleichen  Grotten  heißen  zuweilen  „das  Wildfräuleinhaus.^' 
Darin  saßen  sie  und  boten  jedem  ihre  Brüste,  die  sie  iiber  die 
Schultern  uHtrfen,  zum  Trinken  da/r.^  Auch  im  Badischen  haben 
wilde  Leute  im  Wildeleutloch  in  einer  Höhle  des  Eichelber- 
ges bei  Oberflockenbach  gewohnt,  sie  waren  ganz  haarig  und 
fast  unbekleidet  Sie  halfen  den  Einwohnern  der  benach- 
barten Dörfer  bei  den  Feldgeschäften,  grade  so  wie  die 
Holzfräulöin.  Der  Felsen  über  ihrer  Höhle  hieß  Wildeleutstein 
und  auf  ihm  befand  sich  ein  Trog,  aus  dem  sie  zu  essen  pflegten, 
die  Wildeleutschttssel  genannt^ 


1)  Lynker,  Hessische  Sagen.    Gassel  1854.  S.  59,  91. 

2)  Wolf,  Hessische  Sagen  53  £ 

3)  Schmitz,  Sitten  und  Branche  des  Eifler  Volkes  II»  14. 

4)  Baader,  Bad.  Sagen  I,  313,  346. 


Die  Wildleute  in  Tirol:  Fanggen.  89 

§.  5.  Die  WUflleate  In  Tirol,  Fanggen.  In  d^n  Alpen- 
landern  haben  sich  die  wilden  Leute  in  yerschiedene  Gestalten 
gespalten.  Als  riesige  Waldgeister  erscheinen  die  Wildfrauen  im 
Patznaun-y  Stanzer  und  Oberinnthale  in  Tirol  unter  dem  Namen 
Fanggen  (Sing.  Fangga,  Fanggin)  Wildfanggen ,  wilde  Weiber; 
ungeheure  Gestalten  y  am  ganzen  Körper  behaart  und  beborstet ; 
ihr  Antlitz  ist  verzerrt  y  ihr  Mund  ist  yon  einem  Ohre  zum  andern 
gezogen.  Ihr  schwarzes  Haupthaar  hängt  Voll  Baumbart 
(liehen  barbatus)  und  reicht  rauh  und  struppig  über  den  Blicken. 
Ihre  Stimme  ist  rauhe  Mannesstimme ,  ihre  dunklen  Augen  sprühen 
zu  Zeiten  Blitze.  Joppen  yon  Baumrinden  und  Schürzen  yon 
Wildkatzenpelzen  bilden  ihre  Kleidung.  Sie  leben  in  GeseU- 
schaft  in  Wäldern,  vorzüglich  nannte  man  als  ihren  Aufenthalt 
einen  groBen  Urwald  im  Urgthal  zwischen  Landeck  und  Ladis 
und  einen  andern  Urwald,  den  ,,Bannwald''  (vgl.  o.  S.  39)  am 
Pillerberg  im  Oberinnthal.  Die  in  ein  und  demselben  Walde 
hausenden  Fanggen  waren  an  diesen  Wald  gebunden;  wurde  der 
Wald  gesehlagen,  so  schwanden  sie;  starb  ein  Baum,  oder  wurde 
er  gefätUy  van  dem  eine  Fa/ngga  den  Namen  trug,  so  war  auch 
ihr  Dasein  dahin.  Sie  hatten  nämlich  noch  jede  ihren  besondem 
Namen  als  Hochrinta  (hohe  Rinde)  Stutzforche  (Stutzfbhre)  Bohrinta 
(Rauhrinde)  Stutzemutze  (Stutzkatze).  Der  im  Sturm  den  Wald 
durchfahrende  Riese,  der  wilde  Mann,  wird  als  der  Gemahl  der 
Fangga  genannt.  ^  Gleich  ihm  hat  sie  menschenfresserische  Neigun- 
gen. Wenn  die  Fangga  im  Walde  von  Naßereit ,  welche  von  der 
GrOfte  eines  mittelmäßigen  Baumes  war,  kleine  Buben  zu 
fassen  bekam,  so  schnupfte  sie  dieselben  wie  Schnupf- 
taback  in  ihre  Nase,  oder  rieb  sie  an  alten  dürren 
Bäumen,  die  von  stechenden  Aesten  starrten,  bis  sie 
zu  Staub  geraspelt  waren.'  Wer  erkennt  in  diesem  Zuge 
nicht  jenes  Zutodekitzeln  wieder,  das  von  der  böhmischen  Wald- 
firau  ausgesagt  wurde,  mithin  eine  Naturauffassung  des  Wirbel- 
windes ?  (s.  0.  S.  87).  Andererseits  sind  die  Fanggen  unverkennbar 
eine  Belebung  der  mächtigen  Bäume  des  Urwaldes  im  Hochgebirge 
und  ihre  Grausamkeit  ist  Ausdruck  des  furchtbaren  und  unge- 
heuerlichen Eindrucks,  den  diese  gewaltige  Waldnatur  auf  das 


1)  Alpesbaig,  Mythen  imd  Sagen  Tirols  S.  51«  52. 

2)  Alpenbnrg  a.  a.  0.  52. 


90  Kapitel  II.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

Gemttt  macht. ^  So  bestätigt  es  sich  auch  in  diesem  Falle,  daß 
die  Baumgeister  als  Verkörperungen  von  meteori- 
schen Erscheinungen  oder  wenigstens  als  in  diesen 
einen  Teil  ihrer  Lebensäußerungen  betätigend  gedacht 
wurden.  Doch  auch  noch  andere  uns  schon  bekannte  Wahr- 
nehmungen erhärtet  die  Fanggensage  durch  neue  Beläge.  Auch 
die  Fanggen  spielen  die  Rolle  von  Hausgeistern.  Wie 
die  Holzweibchen  (o.  S.  80)  treten  sie  freiwillig  bei 
Menschen  in  Dienst  und  arbeiten  itlr  diese,  bis  plötzlich  das 
Bekanntwerden  ihrer  Herkunft  und  ihres  Namens  sie  verschwin- 
den macht.  Eine  fUr  unsere  weiteren  Untersuchungen  wichtige 
Sage,  die  darauf  Bezug  hat,  wollen  wir  mitteilen.  Bei  einem 
Bauer  zu  Flies  stand  eine  unbekannte  Dirne  im 
Dienst,  welche  riesenstark  war  und  mehr  arbeitete,  als 
zehn  andere  zusammen,  aber  nichts  vom  Christentum  wußte  und 
wollte.  Es  war  ein  Fanggenmädchen.  Einst  kam  der  Bauer 
vom  Imster  Markt  ttb^r  den  Pillerberg  nach  Hause. 
Wie  er  nun  durch  den  Bannwald  kommt,  die  Joche 
der  verkauften  Oechslein  ttber  die  Schulter  gehängt, 
hört  er  mit  einmal  aus  der  Mitte  des  Waldes  eine 
unbekannte  sehr  laute  Stimme:  Jochträger,  Joch- 
träger, sag'  der  Stutzkatze  (Stutzamutza)  die  Hoch- 
rinde (Hoachrinta)  sei  todt.  Drauf  wird  alles  wieder 
still.  Von  Angstschweiß  triefend  kommt  der  Bauer 
nach  Hause  und  erzählt  das  im  Bannwalde  erlebte  Aben- 
teuer seiner  Frau  und'  der  Dirne,  die  grade  beim 
Mußessen  sitzen.  Als  er  die  Worte  erwähnt:  „Sag 
der  Stutzkatze  die  Hochrinde  sei  todt^',  springt  die 
Magd  mit  dem  hellen  Geschrei  „die  Mutter!  die  Mut- 
ter!''  empor,  läßt  alles  stehn  und  liegen  und  läuft  dem 
Bannwalde  zu.  Niemals  wurde  sie  mehr  gesellen;  aber 
bald  verbreitete  sich  die  Nachricht,  daß  Stutzkatze 
nun  im  Walde  hause  und  das  Geschäft  ihrer  Mutter, 
Kinder  stehlen    und    fressen    fleißig    fortsetze.'     Mit 


1)  Vergl.  Weinhold,   die  Riesen.     Sitzungsberichte    der   Wien.   Akad. 
XXVI.  1858  S.290. 

2)  Alpenburg,  Mythen  und  Sagen  S.  67.    Uebereinstimmendes  wird  im 
Pratigau  von  einer  Waldfankin  erzählt    Der  aus  dem  Berge  heimkehrende 


Die  WiMleate  in  Tirol:  Fanggen.  91 

onweseniliohen  Varianten  ist  diese  Erzählung  in  Bezng  auf  Fang- 
gen nnd  verwandte  Wesen,  Holzweibchen  und  Bnschmännchen, 
Salige  Fräulein,  Nörkel,  Zwe^e,  katzengestaltige  oder  bock- 
gestaltige  Kobolde   weit  bis  in  den  Korden  verbreitet.^     Mit 


Dienstherr  hört  hier  die  Worte:  „Jochträger  sag'  der  Rüchrinden,  GiM- 
6äki  sei  todt  auf  Hnrgerhorn."  Die  Magd  wirft  den  Ldffel  weg  und  jammert 
im  Verschwinden,  ihr  Vater  sei  gestorben.  Yonbun,  Beiträge  S.  48.  Vgl. 
Panzer  II,  S.  197,  340.  l341.  wo  ein  Wichtelweiblein  oder  Ndrkelweibchen 
Stuze-müze^  die  täglich  den  Bauerhof  besucht  und  alle  Arbeiten  macht,  die 
Empföngerin  der  Nachricht  Yom  Tode  der  Bauche  Binte  ist,  worauf  das 
Wichtelweiblein  ausruft:  „Meine  Tochter  ist  gestorben."  Vgl.  femer  die 
Variante  bei  Baader,  Volkssagen  a.  Baden  I,  1851,  20,  26.  Bei  einem  Bauer 
in  Holl  dient  ein  unbekanntes  Mädchen,  das  sehr  fleißig  ist,  aber  durch- 
aus nicht  sagt,  wie  sie  heiße.  Als  einst  der  Mann  ein  Joch  tragend 
Yom  Felde  heimging ,  rief  ihm  die  Stimme  eines  Unsichtbaren  mehrmals  nach : 
Jochträger,  sage  der  Gloria,  der  Eanzelmann  sei  gestorben.  Beim  Nachtessen 
erinnert  sich  der  Bauer  des  Vorfalls  und  erzählt  ihn  dem  Mädchen  mit  dem 
Hinzufagen,  nun  wisse  er,  da0  sie  Gloria  heUe.  Da  sprang  das  Madchen 
über  Hals  und  Kopif  dayon  und  liefi  sich  nie  wieder  sehen.  Vgl.  Alpenburg, 
Alpensagen  209,  212.,  wo  das  als  Magd  dienende  Fangenkind,  dessen  Namen 
niemand  kennt,  einst  auf  der  Alp  in  großer  Gesellschaft  vom  Gebirge  her 
eine  weibliche  Stimme  rufen  hört:  Sag  zur  Struzzi-Buzzi,  Bauhrinde  sei 
todt.  Schönwerth^  a.  d.  Oberpfalz  II,  366.  Der  Fischmatz  zu  Naab  hat  ein 
Holzweiblein  gefangen.  Anderes  Tages  geht  er  wieder  ins  Holz ,  ein  Ochsen* 
joeh  über  der  Schulter.  Da  schreit  ein  anderes  Holzweiblein  vom  Baum 
herunter  „He  Mann,  Jochträger,  ist  die  Staunzen  Maunzen  zu  Hause?" 
Alle  diese  Varianten, mit  den  characteristischen  Namen  „Bauhrinde  und  Joch- 
trager'*  gehen  oftenbar  auf  eine  noch  nicht  fem  zurückliegende  gemeinsame 
Urform  zurück,  von  der  die  Erzählung  bei  Zingerle,  Sagen,  Märchen  und 
Gebr.  25,  30  aus  dem  Vintschgau  bereits  eine  Verschlechterung  darstellt. 
Danach  war  die  Dienstmagd  ein  Salgfräulein,  zu  dem  der  wUde  Mann  kam 
und  sagte:  „Stutza-Mutza,  du  sollst  heim  gehen,  der  Monn  Jochtrftger  hat 
gesagt,  deine  Mutter  sei  gestorben.'*  Auf  diese  Worte  eilt  sie  davon,  bald 
bort  man  wimmern  und  heulen.  Das  Fräulein  kam  nicht  wieder  zum  Vor- 
schein.   Cf.  auch  Alpenburg,  Alpens.  104,  167. 

1)  Wichtig,  wenn  alt  und  durchweg  echt,  ist  die  Aufzeichnung  Alpen- 
burgs,  Mythen  und  Sagen  68,  6.  In  dem  von  Fanggen  bewohnten  Urwald 
Urgenthal  waren  einst  einige  Bäume  gefällt.  Zwei  Männer  aus  Urgen  gingen 
an  der  Grenze  des  Waldes  durch  den  Gebirgssteig  hin.  Da  tönte  aus  dem 
Tannendickicht  eine  gebieterische  Stimme  an  ihre  Ohren :  „  Saget  SttUzfärche 
(Fähre) j  die  Rohrinde  sei  gefället  tmd  todt,'^  Sie  erzählten  diese  Geschichte 
daheim  einem  Bauer ,  der  einst  ein  ganz  behaartes  weibliches  Kind  gefunden 
und  aufgezogen  hat,  das  später  als  Magd  bei  ihm  diente,  am  liebsten  aber 
im  Walde  war.     Dieses  Mädchen  hört  in  der  Nebenkammer  die  Erzählung 


92  Kapitel  U.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

eisiger  Sicherheit  ist  daraas  zu  schließen ,  daß  sie  in  dem  Wesen 
der  Wald-  resp.  Erdgeister  begründet  sei.^     , 


des  unbekannten ,  fängt  an  lant  zn  jammern ,   läuit  in  die  Wildnifl  und  ist 
für  immer  verschwunden. 

1)  Ohne  iD  eine  Deutung  der  Sage  einzutreten,  wollen  wir  in  Kürze 
die  Hauptabweichungen  anderer  Fassungen  von  der  in  vorletzter  Anmerkung 
zusammengestellten  Abteilung  unserer  Sagenfamilie  angeben.  Nicht  inmier 
ist  der  abgerufene  Dämon  Dienstmagd.  Auf  dem  Heideberge  bei  Königshain 
i.  d.  Oberlausitz  ist  das  ein  Holzweiblein  gewesen ,  welches  sich  den  Winter 
über  zu  dem  Besitzer  des  Berges  in  die  Stube  geflüchtet  Im  Frühjahr  kam 
ein  anderes  Holzweiblein  ans  Fenster  und  rief  ,,  deuto!"  worauf  sie  jammernd 
verschwand.  Haupt,  Sagenb.  d.  Lausitz  1, 40, 87.  Beim  letzten  Bauern  am  Ende 
von  Königshain  lebten  die  zwei  letzten  Buschmännchen  und  zeigten  sich  zuwei- 
len. £inst  erschien  das  eine  Männchen  und  wehklagte:  Hipelpipel  ist  todti 
worauf  es  verschwand  Haupt  a.  a.  0.  40,  36.  Ein  wildes  Weibchen  kommt 
7  Jahre  hintereinander  zu  einer  Familie  im  Oberinnthal  zu  Besuch  und  setzt 
sich  schweigend  auf  den  Heerd.  Als  der  Bauer  einst  auf  einem  Berge 
Holz  hackt,  steht  ein  wilder  Mann  vor  ihm  und  spricht:  „du  Holzhacker, 
sag  zum  Stizl  zumWizl,  derThorizl  sei  gestorben.'*  Der  Bauer  teilt  abends 
heimgekommen  dem  Weiblein  die  Botschaft  mit,  das  weinend  mit  den  Wor- 
ten davongeht:  „hättet  ihr  mich  mehr  gefragt,  hätte  ich  euch  mehr  gesagt.'' 
Zingerle,  Sagen,  Märchen  und  Gebräuche  38,  48.  Zuweilen  ist  der  Heim- 
berufene  ein  Zwerg  der  sich  beim  Bauern  Milch  holt  oder  der  sich  unsicht- 
bar zum  edeln  Geschäfte  des  Milch-  oder  Broddiebstahls  (vgl.  ob.  S.  75)  im 
Hause  befindet  und  nun  aus  Schreck  seine  silberne  Kanne  oder  den  Krug  ver- 
gißt (Müllen  hoff ,  Schleswigholst.  Sag.  291,  398—399)  oder  das  Gestohlene 
fahren  läßt.  Als  einst  ein  Bauer  auf  der  Fahrt  von  Halberstadt  nach  Bor- 
neke  nahe  den  Quergeshöhlen  von  Westerhausen  am  Tekenberge  vorbeikommt» 
schreit  ihm  einer  nach:  „Kielkropf,  sage  doch  Torke,  er  soll  nach  Hause 
kommen ,  sein  Kind  sei  todt.**  Zu  Hause  erzählt  er  den  Vorfall  seiner  Frau, 
da  rufts  in  der  Stube:  „So!  dann  muB  ich  machen,  daß  ich  komme,"  und 
indem  f&llt  ein  Beutel  mit  Teig,  der  aus  ihrem  Backofen  gefüllt  war,  aus 
der  Luft  zu  Boden.  Kuhn,  Nordd.  Sag.  162,  189,  1.  Vgl.  189,  2.  Ein 
Amtmann  auf  der  Schaumburg  hat  es  mit  dem  Mäumken  (der  Zwergmutter) 
in  dem  Mäumkenloch  (Zwerghöhle)  auf  der  Pasohenburg  gehalten.  Seine  Frau 
findet  ihn  bei  dem  Mäumken  sitzen  und  führt  ihn  heraus.  Bald  hernach 
erschien  ein  Zwerg  auf  der  Spitze  des  Berges  und  rief  nach  der  Schaumburg 
hinunter:  „Die  Mäume  ist  todt!"  Lynker,  Hess.  Sag.  55)88.  Vgl.  Kuhn, 
Westfäl.  Sag.  I,  246,  282.  Eine  Zwergenhochzeit  wird  dadurch  gestört,  daß 
ein  Zwerg  hereinstürzt  und  ruft:  „0  große  Not,  die  Mutter  Pumpe  ist  todt!" 
worauf  das  kleine  Volk  wehklagend  die  Flucht  nimmt.  Bnsching,  wöchentL 
Nachrichten  I,  97  ff.  Die  Erzählung  wiederholt  sich  anderswo  mit  der  Aen- 
derung,  daß  der  Klageruf  lautet:  Urban  ist  todt!  oder  „der  König  ist 
todt."  Davon  eilend  lassen  die  Zwerge  dem  Hause,  in  welchem  sie  die 
Hochzeit  feiern ,  ein  gl&okbiingendes  Kleinod  zurück,  B&sching  a.  a.  0. 99— r  101, 


Wildlente  in  Granbflnden :  Waldftnk«]i.  9S 

§.  6.    Wlldiente   in    ftranbflnden :    WaMfKnkm.      Den 

Tiroler  Fanggen  entspreehen  die  Graabttndner  Waldfänken,  die 
besonders  in  den  deutschen  Tälern ,  im  Prätigän ,  Schalfik ,  Chur- 
waldental  nnd  Sayien  bekannt  sind.  Sie  werden  nicht  ganz  so 
unhold  geschildert,  als  die  Tiroler  Fanggen,  und  treten  öfter 
paarweise  auf.  Auch  den  Waldfdnken  mißt  die  Sage  gewaltige 
Stärke,  Körpergewandtheit,  daneben  Witz,  genaue  Wetter-  und 
Kränterkenntnisse  und  den  Besitz  von  Geheimnissen  der  Vieh- 
zucht bei.  Ihre  Weiber,  welche  häufig  auch  Waldmutem  (Wald- 
mtltter)  genannt,  werden,  sind  in  umgeworfene  Felle  gekleidet, 
die  männlichen  Waldfänken,  oder  „wilden  Männer,'^  ttber  und  über 
am  ganzen  Körper  behaart  und  mit  Eichenlaub  bekränzt.  Ihre 
Behausung  ist  der  Wald.  Auch  sie  tragen  einzelne  Personen- 
namen (weibL  Rüchrinden  u.  s.  w.,  männl.  Giki,  Gäki  u.  s.  w.) 
In  den  beiden  Vorarlbergischen  Tälern  Montavon  und  Klostertal 
endlich  heißen  die  männlichen  Wesen  Fenggen  und  unter  ihnen 
begegnen  wieder  weiblich^  Eigennamen  wie  Jochrumpia,  Joch- 
ringgla,  Muggastntz,  Bohrinda,  männliche  wie  Urhans.  Sie  wer- 
den zwar  auch  häufig  als  riesige  Wildmänner  und  WildArauen 


wie  nach  jenen  andern  Sagen  (s.  ob.  92)  die  Milchkanne.  Auch  in  Varianten 
der  letzteren  anf  Aramm  nnd  Alsen  in  Schleswig  begegnet  die  Klage  „der 
Eonig8eitodt(Noi8  Pippe  Eong  dod!)  MDUenhoff  a.  a.  0.  291  ff.  Nach 
Kahn ,  Nordd.  Sag.  289,  323  lassen  sich  Zwerge  (Oelken)  ttber  die  Ems  setzen, 
um  das  Land  ffir  immer  zu  veriassen,  indem  sie  klagen:  „der  Ednig  ist 
todt!"  Eine  englische  Erzählung  lautet:  In  einem  verfallenen  Hause  ist 
Eatzenversammlung,  die  ein  Mann  belauscht.  Da  springt  die  eine  Katze  auf 
die  Mauer  und  ruft:  Sage  Dildrum,  daß  Boldrum  todt  sei.  Der  Mann 
erzählt  dies  beim  Abendessen  seiner  Frau,  da  springt  seine  Lieblingskatze 
(also  ein  Hausgeist)  auf  und  auf  nimmer  Wiedersehen  in  den  Eamin  mit  den 
Worten  „M(Mrd  und  Doldrum  ist  todt?''  Eine  deutsche  Variante  laBt  die 
Katze  mit  den  Worten  aufspringen:  ,,So  bin  ich  König  der  Katzen!'' 
Es  verdient  doch  wol  bemerkt  zu  werden,  daß  die  obigen  oberdeutschen 
Sagen  mehrfach  den  Namen :  Stuze  -  muze  Stutzkatze  gewähren.  Mit  unrecht 
zählt  Simrock,  Handbuch  d.  Myth.'  453  die  Rede:  „Konig  Knoblauch  ist  todt" 
zu  den  Klagerufen  um  den  Tod  des  Zwergkönigs.  Grimm ,  d«  Sag.  II ,  185, 
485.  Grimms  Myth.*  422  Anm.  *  gab  die  unschuldige  Veranlassung  zu  die- 
sem Mißverständnis.  Noeh  eine  andere  Wendung  nehmen  Sagenformen,  wie 
Zingerle,  Sagen,  Märchen  S.  32,  42.  Aus  der  Wildfräuleinhöle  in  der  Gams- 
leeke  hörten  die  Talbewohner,  ehe  die  wilden  Fräulein  für  immer  ver- 
sehwanden, am  Vorabend  des  Walpurgistages  den  Klagegesang:  „die  Runa 
und  der  Tuit  sind  gestorben,  uns  trifft*s  morgen." 


94  Kapitel  11.    üie  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

beschrieben,  am  ganzen  K(^er  mit  strnppigen  Haaren  bedeckt, 
so  daA  nur  an  den  Wangen  die  Fleiscbfarbe  kümmerlich  durch- 
schimmerte, oft  aber  schreibt  man  ihnen  —  wie  zuweilen  sdion 
den  Waldfänken  in  Granbttnden  —  zwergbaften  Wachs  zn  nnd 
sie  gehen  dann  ganz  in  Zwerge  and  Haasgeister  über,  so  zwar, 
daß  sie  nan  zwar  in  Höhlen  und  Felslöchem  (Fenggalöcher,  Feng* 
gatöbler,  's  wild  Mannlis  Balma),  zuweilen  hoch  über  dem  Wald- 
wuchs  auf  hohen  AlpenrcTieren  ihre  Wohnung  anfecfalagen,  im 
übrigen  aber  dieselben  Verrichtungen  haben  und  Gegenstand  der- 
selben Erzählungen  sind,  wie  ihre  riesenhaften  Namensver- 
wandten.^  Auch  sie  verraten  noch  deutlich  Beziehungen  zum 
Leben  des  Waldes.  Sie  sind  so  alt,  als  der  und  der  Wald,  ja 
ein  Fangg  im  Kilknerwald  in  Gkischum  kommt  herzugelaufen, 
als  man  eine  Tanne  fallt  und  bittet ,  den  Baum  stehen  zu  lassen ; 
er  sei  bo  viel  Jahr  alt,  als  derselbe  Nadeln  habe,  und  könne 
wenn  er  falle  sein  Alter  nicht  mehr  zählen.' 

Es.  geht  daraus  hervor,  daß  die  Größe  der  Gestalt  keinen 
wesentlichen  Unterschied  zwischen  diesen  Geistern  bezeichnet 
Als  besonders  bemerkenswert  aus  dem  Kreise  der  Sagen ,  welche 
sich  an  diese  wilden  Leute  knüpfen ,  will  ich  nur  zwei  besonders 
hervorheben.  Die  eine  ist  ein  Seitenstück  zu  der  bekannten  Er- 
zählung von  Odysseus  Ueberlistung  des  Polyphem,  aus  deren 
weiter  Verbreitung  unter  Türken,  Arabern,  Serben,  Rumänen^ 
Esten  und  Finnen  schon  W.  Grimm '  nachwies ,  daß  sie  eine  alte 
auf  Elementargeister  bezügliche  Volkssage  sei,  die  Homer  auf 
einen  Helden  übertrug.  Die  Uebereinstimmung  der  Waldfänken- 
und  Polyphemossage  gewinnt  an  Bedeutung  durch  den  Umstand, 
daß  ein  Waldgeist,  und  zwar  der  russische  Ljeschi  (s.  u.  §.  19), 
gleich  den  Kyklopen  nur  ein  Auge  hat.  Zu  einem  Holzhauer 
im  Walde  gesellt  sich  ^  ein  geschwätziges  Fenggaweibchen  und 
verdrießt  ihn  durch  ihre  neugierigen  Fragen.  Er  giebt  sich  erst 
den  falschen  Kamen  Selb,^  während  er  doch  Hannes  heißt  und 


1)  S.  YonbuD ,  Beitrfi^e  z.  D.  Mythol.  S.  44  ff.  63. 

2)  Yonbtin,  Vorarlberg.  Sag.   1858.   S.  5.  Beiiarfige  8.47. 
8)  W.  Grimm ,  die  Sage  von  Polyphem.    Berlin ,  1857. 

4)  In  der  entspreehenden  eetnischen  Sage  von  Issiteggi  lautet  die  Rede 
des  geUendeten  Tenfels  gradeso:  ,, Selbst  tat's"  und  die  Antwort  der  pflfigen- 
den  Leute,  denen  er  sein  Leid  klagt:  „Selbeft  getan ,  selbst  liab*s!<*  Myth.* 
979.    W.  Grimm,  Polyphem  S^  17. 


Wildldiite  in  Granbflnden :  Waldfönkes.  95 

als  dann  das  Weiblein  seinen  Aerger  noch  weiter  reizt,  dabei 
aber  im  Eifer  die  Hand  in  eine  Holzspalte  bringt,  zieht  er  schnell 
Axt  und  Keil  herans  nnd  klemmt  die  jämmerlich  Schreiende  aaf 
diese  Weise  in  den  Baum  ein.  Anf  ihren  ADgstrnf  kommt  das 
wilde  Fengmännlein  hinzu  und  fragt,  wer  ihm  das  getan  habe: 
„0  selb  t&n!^'  Da  lacht  das  wilde  Männlein  nnd  ruft:  „Selb 
tan ,  selb  hän  I  Dieselbe  Erzählung  geht  von  Waldfänken ,  sowi^ 
von  Nixen  und  Zwergen.^  Die  zweite  Tradition,  von  der  wir 
reden  zu  wollen  anktlndigten,  wird  sich  späterhin  als  besonders 
wichtig  für  das  Ganze  unserer  Untersuchungen  herausstellen  und 
gleichfalls  aas  dem  alten  Griechenland  und  Italien  nachweisen 
lassen.  Sie  wird  ebensowohl  von  den  wilden  Männern  fler  rie- 
sigen Waldfänken,  als  von  den  zwei^haften  Fänkenmännlein 
erzählt.  Die  Fänkenmännlein  in  Churrhätien  nämUeh  über- 
nehmen ganz  ebenso  wie  in  Mitteldeutschland  die  Busch-  und 
Moosmännchen,  Holzfräulein  u.  s.  w.  sehr  gern  und  häufig  die 
KoUe  der  Hausgeister  und  Kobolde;  sie  besorgen  im  Stalle 
das  Vieh,  ftlttem,  tränken  und  striegeln  es  nach  schönster  Art 
oft  ganz  ohne  Lohn,  oft  niur  um  ein  paar  Käse,  um  ein  Napf- 


1)  Kuiin,  Nordd.   Sag.  S.  97,  111.     Im  ünterengadin  heißen  die  den 
Saligen  Franlein  entsprechenden  feenhaften  Weiber  Dialen;   sie  sind  frennd- 
lich  und  gutmütig,  auch  leidlieh  schdn ,  doch  haben  sie  Ziegenfttße.    Einem 
BaxLejc  in  Gnarda,  der  anf  einer  Bergwiesa  Heu  auflnd,   gesellte  sich  «ine 
Diale  nnd  half  ihm  sein  Fuder  laden.    Als  er  aber  ihre  Ziegenfnße  gewahrte^ 
erfaßte  ihm  ein  Granen  und  er  glaubte  es  mit  dem  Teufel  zu  tun  zu  haben. 
Die  Diale  fragte  nach  seinem  Namen.    Er  antwortete:  ,,ich  selbst  (eug  suess). 
Als  das  Fader  geladen  war,  stieß  d«r  Mann  der  Diale  die  eiserne  Heugabel 
durch   den   Leib  und  floh.     Bald  sammelte  sich   eine  unabsehbare  Menge 
Dialen   nnd  fragte:   Wer   hat  das  getan?    Sie  gab  sterbend  zur  Antwort: 
„ich  selbst"    Da  sagten  die  andern:   „was  man   selbst  tut,   genießt  man 
selbst'*  (chi  suess  fa,  suess  giauda")  Vemaleken,  Alpens.  S.  220,  151.    Die 
Erzählung  vom  EinkTcmmen  in  den  Spalt  ist  ebenfalls  ein  uralter,    weitver- 
breiteter in  Märchen  ftbergegangener  Zug.     Hier  sei  nur  aus  E.  B.  Tylor, 
die  Anfänge  der  Cultor  I,  875  die  folgende  Notiz  ausgehoben.     „Im  Hito- 
padesa  steht  eine  bekannte  hinduische  Fabel,  welche  als  Warnung  fttr  ein* 
fältige  Nachahmer  das  Schicksal  des  Affen  erzählt,  der  dem   Zimmermann 
nachahmte  und  in  der  Spalte  gefangen  war,    als  er  den  Keil  horausstieß. 
Diese  Fabel  wird  auf  Sumatra  als  eine  wahre  Geschichte  von  einem  der  'ein- 
gebomen  Wilden  der  Insel  erzählt''  (Marsden^  Sumatra  p.  41).   In  unseren  Mär- 
chen heftet  sieh  die  Sage  an  den  Bären  oder  den  Teufel,    cf.  Qrimm,  K.  H.  M. 
n,  n.  114  und  dazu  E.  H.  M.  UI,  S.  195.    Eisel,  Sagenb.  d.  Voigtl.  127,  330. 


96  Kapitel  II.    Die  Waldgeister  imd  ihre  Sippe: 

chen  Milch  oder  am  den  Schaam  der  Milch.  Am  liebsten  jedoch 
verstehen  sie  sich  znr  Hi\t  der  Heerden  anf  den  Alpen  und  in 
den  Maisessen  nnd  werden  daher  öfters  wilde  Ktther  oder 
wilde  Geißler  genannt  Schenkt  man  ihnen  aber  Kleider. oder 
Schabe  zam  Lohn,  so  werden  sie,  wie  im  gleichen  Falle  die 
mitteldeatschen  Waldleate  (s.  o.  S.  80)  verscheacht.  Solch  ein 
wilder  Mann  (Oeißler  oder  Ktther)  wird  regelmäßig  beschrieben 
als  von  großer  Körperstärke,  behaarten  Leibes  and  nar  mit 
einem  Scharz  von  Fellen  bekleidet.  In  der  Hand  führt  er 
eine  mit  den  Warzeln  aasgerissene  Tanne.^  Man  trieb 
ihm  die  Geiße  oder  Ktthe  der  Ortschaft  gemeinhein  vor  das  Dorf 
entgegen  bis  za  einem  großen  Steine,  solche  Felsblöcke 
werden  noch  gezeigt  and  heißen  gern  „der  Geißlerstein. ^'' 
Dort  nahm  er  schweigend  die  Tiere  in  Empfang  and  trieb  sie 
weiter,  man  wußte  nicht  wohin.  Abends  waren  sie  alle  zar 
bestimmten  Zeit  wieder  mit  strotzendem  Eater  beim  Steine,  so 
daß  sie  kaam  gehen  konnten.  Offenbar  sind  diese  wilden  Männer 
nicht  Personificationen  einzelner  Bäume,  sondern  des  gesammten 
Waldes  mit  dem  Uebergang  in  Geister  der  gesammten  Vegetation 
der  Alpe.  Dem  wilden  Geißler  gleicht  sich  die  finnische  Wald- 
Jungfrau,  welche  in  der  Kalevala  angerufen  wird,  da%  Vieh  vor 
Schaden  zu  hüten,  resp.  abends  nach  Hause  zu  treiben  (vgl.  o. 
S.  30  und  Kalev.  übers,  von  Schiefner  1852  XXXH.  v.  60  —  100); 
andererseits'  ließe  er  sich  füglich  als  ein  Spiritus  familiaris  der 
Dorfschaft  auffassen.  Auf  den  Stein  legte  man  ihm  den  ausbe- 
dungenen Lohn  an  Milch  oder  Käse.  Da  er  auf  diese  Weise 
mit  den  Leuten  in  keinen  mündlichen  Verkehr  trat,  und  niemals 
zu  den  Wohnungen  ka^l,  suchte  man  ^n  zu  fangen  und  zur 
Mitteilung  seiner  Geheimnisse  zu  bewegen.  Es  geschah  dies,  in- 
dem man  ihn  in  Wein  oder  Branntwein  berauschte.  Die  nähern 
Umstände  dieser  Begebenheit  werden  mit  kleinen  Abweichungen 
erzählt,  zu  deren  Characteristik  die  folgenden  Varianten  neben- 
einander erwähnt  werden  mögen.-  Zu  Monbiel  stellte  man  dem 
die  Heimkühe  leitenden  Männlein  einen  Schoppen  Veltliner 


••  • 


1)  Bochholz,  A^rgausagen  I,  319,  228.  (47).    Vonbnn,  Beiträge  S.  47. 
Zingerle  Sagen ,  Märchen  S.  83,  131. 

2)  Yonbnn  a.  a.  0.  ö5.  61.    Bochhola  a.  a.  0.    Vemaleken,  Alpensagen 
8.  212. 


Wildlente  in  Granbünden:  Waldfanken.  97 

auf  den  Stein.  Es  betrachtete  den  Wein  lange  and  besann 
sieh,  ob  es  trinken  solle.  Endlich  setzte  es  ganz  yorsichtig  die 
Lippen  an.  Da  mundete  ihm  das  Getränk  änfterst  wol  nnd  es 
trank  den  ganzen  Schoppen.^  Zar  Zeit,  als  die  Pest  in  Graabün- 
den  anzählige  Opfer  forderte ,  starben  keine  wilde  Weiblein  und 
Männlein  and  man  kam  zn  dem  Schiasse,  daß  sie  ein  Geheim- 
mittel besitzen  mtlssen.  Ein  Bauer  wußte  mit  List  dasselbe  einem 
Fänkenmännlein  zu  entlocken,  welches  sich  oft  auf  einem  Steine 
zeigte,  der  eine  bedeutende  Höhlung  hatte.  Ihm  war  das  Lieb- 
lingsplätzchen des  wilden  Männchens  wolbekannt,  er  ging  hin, 
füllte  die  Höhlung  des  Steines  mit  gutem  Veltlinerwein  und  ver- 
barg sich  in  der  Nähe.  Das  Männchen  war  verdutzt,  als  es  die 
Höhlung  seines  Lieblingssteines  mit  funkelndem  Naß  geftlllt  sah. 
Es  beagte  sich  mehrmals  mit  dem  Naschen  tlber  den  Wein,  winkte 
mit  dem  Zeigefinger  und  rief  „Nein  du  ttberkommst  nüch  nicht  !^^ 
Endlich  kostete  es  doch  und  immer  mehr  und  wurde  lustig  und 
lastiger  und  fing  an  allerlei  2ieuges  zu  schwatzen.  Da  trat  der 
Bauer  aus  seinem  Verstecke  hervor  und  fragte,  was  gut  sei  gegen 
die  Pest  „Ich  weiß  es  wol,  sagte  das  Männchen,  Eberwurz 
and  Bibemell;  aber  das  sage  ich  dir  noch  lange  nicht!  ^^  Jetzt 
war  der  Bauer  zufrieden  und  nach  dem  Gebrauche  von  Eber- 
würz  und  Bibemell  starb  niemand  mehr  an  der  Seuche.'  Vgl. 
o.  S.  81.  Ein  Waldfänke  bei  Conters  hütete  einst  einen  Sommer 
hindurch  die  Ziegen  des  Dorfes,  sein  Hirtenstab  war  ein 
Tannenbaum.  Hatte  er  die  Geißen  Abends  bis  zu  einer  gewis- 
sen SteUe  zurückgeftlhrt,  kehrte  er  in  den  Wald  heim.  Vergeb- 
lich sachten  ihn  die  Söhne  von  Conters  zu  fangen.  Endlich  ftUlten 
sie  cwei  Brunnentröge,  aus  denen  er  zu  trinken  pflegte,  den 
einen  mit  rotem  Weine,  und  den  andern  mit  Branntwein.  Der 
wüde  Geißler  sah  zuelrst  den  roten  Wein  und  rief  „Röteli  du 
verführst  mi  net!^'  und  labte  sich  dann  mit  Branntwein,  da  dieser 
die  Farbe  des  Wassers  trug.  In  der  darauf  folgenden  Be- 
rauschung wurde  er  gebunden  und,  da  die  Sage  ging,  die 
Fänken  wtLßten  aus  Milchschotten  Gold  zu  bereiten  und  ähn- 
liches, so  wollten  ihn  seine  Peiniger  nicht  eher  loslassen,  bis  er 
ihnen  ein  Geheimmittel  entdeckt  habe.    Er  versprach,   wenn  sie 


1)  Yonbon,  Beitr.  60.    Yemaleken,  Alpens.  212. 

2)  Yernaleken,  Alpensagen  S.  214.    Yonbnn,  Beitr.  55  ff. 

M»]inh»rdt.  7 


98  '  Kapitel  11.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

ihn  loBbändeD,  einen  guten  Bat.    Die  Barschen  lieBen  ihn  also 
frei.    Da  sagte  er  scheknisch: 

Ists  Wetter  gut,  so  nimm  dein  Oberwamms  mit. 
Wirds  daim  leidig,  kamiBt  ton  wie  du  willst. > 

Nach  der  Sage  von  Klosters  im  Prätigan  waren  es  mehrere 
neugierige  Barschen,  die  gern  die  nähere  Bekanntschaft  des 
Geißlers  gemacht  hätten.  Er  hatte  die  Gewohnheit  jeden 
Abend  ans  dem  kleinen  Brünnlein  zu  trinken,  das  zu- 
nächst dem  Geißlersteine  sich  befand.  Die  jungen 
Leute  sammelten  im  Dorfe  manche  Maß  Kirschenwasser 
und  fttllten  an  einem  heißen  Sommertage  unver- 
sehends  das  ganze  Brünnlein  damit.  Der  wilde  Mann 
schöpfte  mit  der  hohlen  Hand.  Anfangs  misfiel  ihm  der  Trunk^ 
bald  jedoch  behagte  er  ihm ;  er  trank  in  vollen  Zügen  und  sank 
bald  von  der  Wirkung  des  berauschenden  Wassers  bezwungen 
machtlos  zu  Boden.  Schnell  sprangen  die  Bursche  aus  ihrem 
Verstecke  hervor,  banden  ihn  mit  Weiden  und  Stricken  und  tru- 
gen ihn  ins  Dorf  in  eine  festverschlossene  Kammer,  aus  der  er 
um  Mittemacht  ausbrach,  um  sich  nie  wieder  sehen  zu  lassen. 
Mit  ihm  war  der  Wolstand  des  Dorfes  dahin.*  In  der 
Ueberlieferung  von  Klausen  ist  es  wiederum  ein  Brunnentrog,  den 
man  dem  riesigen,  mit  zottigen  Haaren  überwachsenen 
Wildmann  mit  Branntwein  flült.  Die  Sage  von  Afing  erzählt, 
daß  der  Wilde  auf  einen  ausgerissenen  Baum  gestützt  Tags  oder 
in  stiller  Nacht  die  Holzfäller  im  Hauserwalde  störte  und  ihnen 
das  Wasser  aus  dem  Troge  des  Schleifrads  austrank.  Um  ihm 
dies  zu  verleiden,  ftillten  sie  den  Trog  mit  Branntwein,  und  als 
er  berauscht  war,  hieben  sie  ihm  den  Kopf  ab.* 

Was  den  Namen  der  Fanggen ,  Fänken  oder  Fenggen  betriffi, 
so  hat  ein  Kenner  der  deutschen  und  romanischen  Volksdialekte 


1)  Yonbim  a.  a.  0.  47.  Vernaleken,  Alpens.  213.  Vgl.  dazu  Zingerle 
82,  129.  Der  wilde  Mann  vom  Wildemannstein  im  Langtauferstal  sah  die 
künftige  Witterung  yorans  und  verkündete  sie  den  Bauern.  Bei  schönem 
Wetter  und  Sonnenschein  stand  er  in  seinen  Mantel  gehüllt  und  vom  breit- 
kr&mpigen  Hute  beschattet  da,  als  zittere  er  vor  Frost,  bei  Regen  und  Un- 
wetter saß  er  mit  vergnü^m  Gesicht  ohne  Hut  und  Mantel  auf  dem  Steine. 

2)  Bochholz  a.  a.  O. 

3)  Zingerle,   Sagen,  Mftivhen  S.  83,  130.  131.    - 


Wildlente  in  Tirol:  Selige  Fr&nlehi.  99 

des  Alpengebiets  Chr:  Schneller  die  Vermatang  ausgesprochen,^ 
daß  er  ans  der  Mnndart  der  benachbarten  ladinischen  Gemeinden 
entlehnt  und  zwar  ans  dem  Feminin,  zn  Salvang  d.  i.  Sylyanns 
abgekürzt  sei,  mit  welchem  Worte  man  dort  den  wilden  Mann 
zn  bezeichnen  pflegt  Dieser  Meinung  stehen  zwar  einige,  doch 
wie  ich  glanbe  nicht  durchschlagende  sachliche  Oründe  entgegen ; 
nicht  aUza  sehr  ins  Gewicht  fallen  dürfte,  daß  bei  den  Ladinem 
das  Fem.  Salvan^a  bereits  ausgestorben  und  daftir  eine  andere 
Bezeichnung  der  wilden  Weiber  aufgekommen  ist  Dagegen 
mttßte  der  Uebei^ang  von  y  in  f  für  jene  Dialecte  erst  nachge- 
wiesen sdn,  ehe  wir  uns  entschließen  können  Schnellers  Bh*Uä- 
mng  beizutreten. 

§  7.  Wlldlente  In  Tirol:  Selige  FrSnleln.  Ganz  ver- 
schieden von  den  Wildfauggen  scheinen  auf  den  ersten  Blick, 
aber  auch  nur  auf  den  ersten  Blick  diejenigen  Wesen  zu  sein, 
welche  in  Deutschtirol ,  namentlich  in  Vintschgau  und  Oberinnthal, 
unter  dem  Namen  Selige  oder  Salige  Fräulein  Salgfräulein,  SaJin- 
ger,  sonst  auch  als  wilde  Frauen  oder  wilde  Fräulein,  in  Wälsch- 
tirol  als  Enguane  oder  Belle  (resp.  Delle)  Vivane  bekannt 
sind,  obwol  auch  in  ihnen  nach  einem  Worte  Weinholds,'  der 
die  Seligen  als  die  lieblichsten  Schöpfungen  unserer  Mythologie 
characterisiert ,  Wald-  und  Bergfrauen*  nicht  verkannt  werden 
können,  milde,  schöne  Geister  des  Waldes  und  Gebirges,  die 
Aber  and  unter  der  Erde  segnend  wirken ,  den  Menschen  hilfreich, 
die  Tiere  schützend.  In  der  Tat  haben  sie  fast  alle  Züge  mit 
den  Moosleuten  und  Buschfrauen  Mitteldeutschlands  gemein,  noch 
mehr  stimmen  sie  zu  den  wilden  Frauen  in  Oberbaiem  und  im 
Salzbnrgischen ,  welche  wir  als  die  Vertreterinnen  der  geogra- 
phischen wie  sachlichen  Mittelglieder  zn  den  Salgfräulein  an  dieser 
Stelle  beiläufig  in  die  Betrachtung  mit  hineinziehen  werden,  aber 
das  Kolorit  der  Sage  von  den  Seligen  und  die  Scenerie ,  in  der 
sie  auftreten,  ist  verändert  und  ihr  Wesen  verklärt  und  vergei- 
stigt In  einzelnen  flUlen  z.  B.  im  Pusterlhaie  ist  jedoch  ihre 
Gestalt  noch  nicht  von  diesem  so  zu  sagen  ätherischen  Hauche 


1)  AiiBlAnd  1871.  N.  41.  S.  966. 

3)  Wemhold ,  Sitzangvberichte  der  Wiener  Akad.  XXVI.    1858.    S.  290. 
3)  Zuweilen  heifien   sie  auch  gradezn  Waldfranen,   Waldweiblein ;    so 
Zingerle,  Märchen  und  Sagen,  30,  39. 


100  Kapitel  IL    Die  Wäldgeister  nnd  ihre  Sippe: 

umwöbeiL^  Irre  ich  nicht,  so  Bpiegelt  sich  in  ihrer  Eigentttikilich- 
keit  getreu  die  Empfindung,  welche  hoch  oben  in  der  klaren, 
freien  und  reinen  Bergluft  zwischen  den  Oletscherfimen  die  Seele 
des  Landeseinwohners  ergriff,  der  mit  dieser  Empfindung  das 
anererbte  Material  der  Wildeleutsage  durchströmte  und  so  aus 
den  Tiefen  seines  vorstellenden  und  fühlenden  Oeistes  dämonische 
Personificationen  zugleich  der  Vegetation  und  der  sonstigen  Natur 
auf  den  höchsten  Höhen  der  Alpenwelt  hervorgehen  ließ.  Sehr 
deutlich  läßt  der  Vergleich  der  Sage  von  hessischen  und  bairisch- 
salzburgischen  Wildfrauen  gewahren ,  wie  groß  der  Einfluß  gewe- 
sen ist,  den  die  Natur  des  Landes  auf  die  Umgestaltung  der 
Sage  von  den  seligen  Fräulein  ausgeübt  hat.  Diese  wohnen  in 
den  innersten  Tälern  und  Berggegenden  ;^  ihre  Behausung  sind 
schimmernde  Eis-^  und  Erystallgrotten,^  die  sich  im  Schöße  der 
Berge  zu  prachtvollen  Bäumen  erweitem  und  oftmals  talwärts 
von  einem  verborgenen  Paradiese  beblümter  Hügel  und  grüner 
Wiesen  umgeben  sein  sollen.  Hier  hegen  sie  als  ihr  Hausgetier 
die  Gemsen,  schützen  dieselben  vor  den  Jägern  und  bestrafen 
deren  Verfolgung.  Hat  ein  Gamsjäger  eines  der  Tiere  getödtet, 
so  jammern  sie,  daß  er  ihre  Kuh  erschossen  habe,  Züge  welche 
übrigens  ebensowol  auch  an  den  Fanggen  und  anderen  Wild- 
frauen haften.^  Nach  den  Seligen,  die  darauf  hausen,  ist  ein 
Femer  im  Sulzauerstock  (zwischen  den  hintersten  Alpen  des 
Stubeitals)  Fräulekopf  genannt  und  die  Fräulein  selbst  werden 
dort  häufig  auch  als  Schneefräulein  bezeichnet,  weil  sie 
nicht  allein  die  Alpweiden  segnen  und  den  Hirten  gutes  tun, 
sondern  auch  den  letzteren  Winke  zum  frühen  Abfahren  geben, 
wenn  große  Schneewetter   einzufallen  drohen.^     Oft  sieht   man 


1)  Alpenbiirg,  Alpensagen  S.  312. 

2)  Zingerle  a.  a.  0.  33,  43. 

3)  Eine  solche  Grotte  heißt  »^Salingerloch"  (AlpeDburg,  Alpens.  312,  330) 
gradeso  wie  die  Wohnungen  der  bairischen  nnd  Salzburger  Wildfranen  Wild- 
franenloeb.  Panzer  I,  200,  220.  Franenloch,  Panzer  1, 15,  16.  Franenldcber 
Panzer  I,  9,  9.  Fran^öhle  Panzer  I,  14, 15.  Fränleinhöhle  Zingerle,  31,  42. 
Vgl.  die  Höhlen  der  Fenggen  (o.  S.  94)  nnd  das  Mänmekenloch  (o.  S.  92). 

4)  Alpenbnrg,  Alpens.  210,  213.  Aipenburg,  Mythen  4—9.  17  —  21. 
Zingerle  24,  30.  35,  45.  36,  46.  66,  102  mit  der  Anmerkung.  Vgl.  Schillers 
Gemsenjäger. 

5)  Alpenburg,  Alpensagen  S.  282,  298. 


Wildlente  in  Tirol:  Sdäge  Fräulein.  101 

boch  oben  an  den  höchsten  Gipfeb  Wftsche,  schneeweiBe  Gewän- 
der oder  KindfltUchel  wie .  weiüe  Wölkchen  schweben ,  oder  an 
den  Sonnenstrahlen,  die  sich  durch  dichtes  Waldlanb  oder  Fels- 
klaosen  stehlen,  zum  Trocknen  aufgehängt.  Wenn  die  Wäsche 
an  den  Felswänden  sichtbar  wird,  giebt  es  schönes  Wetter,  deut- 
lich also  sind  es  Nebel  oder  lichte  Wölkchen,  worin  man  die 
Gewebe  der  Seligen  zu  erkennen  meinte.^  Blondlockig,  blauäugig, 
in  blendendes  Weiß  oder  Silberzindel  gekleidet,  wie  der  Schnee, 
der  die  Berggipfel  deckt,  und  das  Eis  der  Gletscher,  und  von 
Grestalt  hiitimljflch  schön  sitzen  diese  da  oben  und  lassen  einen 
wnnderlieblichen  Gesang  ins  Tal  hinabschaUto ,  der  manchem 
guten  Burschen  das  Herz  mit  unnennbarer  Sehnsucht  dehnt,  wie 
hoch  oben  auf  sonniger  schneebeglänzter  Höhe ,  wo  man  mit  sich 
undGtott  allein  ist,  dasGrefllhl  der  Unendlichkeit  die  Brust  weitet 
Nur  sittlich  reine  Menschen  dürfen  den  Fräulein  nahen.  Da 
mehrere  Berichterstatter  z.  B.  Hammerle  und  Alpenburg,  wie  es 
scheint,  durch  sentimentale  Auffassung  verleitet  wurden,  diese 
Sagen  mehr  zu  idealisieren,  als  sie  es  in  Wirklichkeit  sind,  so 
wollen  wir  zur  Kennzeichnung  derselben  dem  objectiv  berichten- 
den Zingerle  eine  der  vielen  Geschichten  nacherzählen,  welche 
im  Volksmunde  von  den  Saligen  in  Umlauf  gehen.  Bei  Graun 
im  Obervintschgau  steht  ein  Mittelgebirg,  die  „Salge^^,  hier  soUen 
vor  alten  Zeiten  die  „  Salgfräulein  '^  gehaust  haben.  Sie  wohnten 
unter  diesen  Steinblöcken  in  weiten  prachtvollen 
Räumen  und  waren  den  Menschen  hold  und  freundlich.  Oft 
saften  sie  abends  weift  gekleidet  auf  einem  groften  Stein 
unter  dem  alten  Lärchbaum  und  sangen  Lieder.  Eines 
Abends  ging  ein  Hirt  vorüber,  der  von  dem  schönen  Gesänge  so 
bezaubert  wurde,  daft  er  stille  stand,  sich  auf  einen  Stein  setzte 
und  bis  tief  in  die  Nacht  hinein  den  Salgfräulein  zuhörte.  Erst 
als  diese  mit  untergehendem  Monde  verschwanden,  gedachte  er 
seiner  Heerde  und  seines  jungen  Weibes  und  ging  heim.  Seit- 
dem aber  war  er  einsilbig  und  schwermütig  und,  ohne  seinem 


1)  lieber  diese  Wäsche  der  Seligen  und  wilden  Frauen  s.  Alpenbnrg, 
Alpens.  20,  21.  Panzer,  Beitr.  I,  11,  14.  Alpenburg,  Mythen  21.  Zingerle 
30,  39.  Im  Tale  bei  der  Trollewitschalm  hat  man  zu  Zeiten  Sauge  erblickt, 
welche  im  Loche  Wftsche  wuschen ,  aber  schnell  enteilten ,  sobald  ein  Mensch 
sich  nahte.    Alpenburg,  Alpens.  313,  330. 


102  Eapüd  IL    Die  WaUgmler  ud  ihre  ISppe: 


etwas  daYOB  za  Mgeity  ging  er  mm  oft  anf  die  Salg,  um 
dem  Gesänge  za  lansdieD.  Endlidi  worden  die  sehdnen  Fiinlein 
mii  ihm  yertranter  and  fiihrfeen  ihn  in  ilire  Grotten,  wo  ganze 
Beihen  von  Cremsen  an  Krippen  standen.  Sein  Weib  bemerkte, 
daft  er  Öfter  des  Naehts  sieh  entfernte  and  anddieb.  Um  za 
erfahren,  wohin  er  gehe,  befestigte  sie  einst  heimlich  an  einem 
seiner  Wammskndpfe  einen  Cramiaden,  behidt  aber  d^i  daran 
liangenden  Knäael  ziMxk.  Dem  leitenden  Faden  folgend  erreidite 
sie  die  Höhle  der  Saugen,  in  deren  Mitte  sie  ihren  Mann  vor- 
fand.  Da  fing  sie  an  za  weinm  and  za  klagen  and  Yer?r11nschte 
den  Tag  ihrer  Hochzeit  and  die  Salgfränlein,  die  sofort  anter 
den  Steinen  yerschwanden,  am  nicht  wieder  gesehen  za  werden.^ 
Von  den  Waldfiräalein  in  Falkwand  bei  Stals  and  noch  aasftLhr- 
licher  Ton  den  wilden  Weibern  im  Untersberge  bei  Salzbai^ 
wird  dieselbe  Geschichte  etwas  abweichend  erzählt  Eine  der 
wilden  Fraaen,  welche  oftmals  aas  dem  Unterbei^  gegen  das 
Dorf  Anif  herabkam  and  sich  aaf  dem  Felde  in  die  Erde  Löcher 
and  liegerstatt  machte,  hatte  so  schöne  lange  Haare,  daA  sie 
ihr  bis  auf  die  FuAsohlen  herabfielen.  Ein  Baaer  verliebte  sich 
haaptsächlich  am  dieses  Umstandes  willen  in  sie  and  legte  sich 
in  Einfalt  za  ihr  in  ihre  Lagerstätte,  ohne  etwas  Ungebtthrliches 
za  tan.  Am  zweiten  Abend  fragte  sie  ihn,  ob  er  eine  Fraa 
habe.  Er  leognete,  aber  am  dritten  Abend  ging  seine  Fran  ihm 
nach,  fand  ihn  and  rief,  die  Wildfran  erblickend  „0  behüte 
Gott  deine  schönen  Haare!  Was  tat  ihr  da  mit  einander?'^ 
Da  Tcrwies  die  wilde  Fraa  dem  Baaer  seine  Lüge,  schenkte  ihr 
einen  Schah  voll  Geld  and  ermahnte  ihn  seinem  Weibe  trea  za 
bleiben.'  In  der  norddeatschen  Ebene  knüpft  sich  die  noch  rohe 
Erzählong  an  solche  Zwerge  (SchanhoUen  a.  s.  w.),  welche  nar 
mit  localer  Aenderong  entschieden  den  Waldleuten  der  oberdeut- 
schen Sage  entsprechen.  Hier  schläft  der  Bauer  im  Arme  der 
Zwergin,  deren  langes  Haar  bis  auf  die  Erde  hinabhängt  Behut- 
sam hebt  seine  mit  Hilfe  des  Garnknäuels  nachgekommene  Gat- 
tin  es   auf  und  legt  es  zur  schönen  Eigentümerin  aufis  Bett' 

1)  Zingerle,  Sagen,  Härchen  und  Gebräuche  S.  28,  30. 

2)  Grimm,  D.  Sagen  I,  65.    Zingerle  a.  a.  0.    Panzer,  Beitr.  I,  13. 

8)  Kuhn,  Westf&l.  Sagen  I,  160,  165.  vgl.  246,  282.  Lynker,  HessiBche 
Sagen  55,  88.  Grimm,  D.  Sag.  I,  89,  70.  Stober,  Elsftss.  Sag.  295,  230. 
Cortze,  VolkBüberliefer.  a.  Waldeck  219,  4>1, 


Wildlente  in  Tirol:  Selige  Frftvlein.  103 

INe  Deatong  dieser  Enählnng  würdB  aa  diesem  Orte  zu  Erör- 
terungen fahren ,  welche  von  unserm  gegenwärtigen  Zwecke  seitab 
liegen;  mi  entnehmen  ans  ihr  nur  ein  ZengniA  von  der  Ueber- 
einstimmnng  der  Salgfränleinsage  mit  derjenigen  von  den  wilden 
Fronen  resp.  Waldweibem.  Wie  die  Holzfränlein  (ob.  S.  76)  nie 
endende  Garnknäuel  spenden,  schenkt  die  wilde  Frau  in  der 
Felshöhle  bei  Widreohthausen  ein  solches  dem  Widrechthäuser 
Bauer,  als  ihn  dessen  Frau  bei  ihr  schlaf(»id  gefunden  und  zum 
Zeugnift,  daß  er  ihr  eine  Haarlocke  abgeschnitten  hatte.  ^  Auch 
die  selige  Jungfrau  ans  der  Lecklahne  begabt  zum  Abschied  mit 
solchem  wunderbaren  Zwimknäuel ,  als  sie  aus  dem  Dienste  eines 
Baoem  plötzlich  scheidet,  weil  man  ihren  Namen  erfahren.' 
Auch  ein  Brodlaib  der ,  so  lange  man  davon  kein  Redens  macht, 
nicht  ein  Ende  nimmt,  wird  als  ihr  Geschenk  erwähnt.^  Gleich 
den  Holzfräulein ,  Fanggentöchtem  n.  s.  w.  sind  sie ,  ohne  Lohn 
und  Gabe  zu  nehmen  und  ohne  Namen  und  Herkunft  zu  ver- 
raten, hUfreich  in  der  Bauemwirtschaft  und,  wo  sie  weilen  und 
schaffen,  stellt  sich  Segen  und  Ueberfluß  ^in.  Alles  geddht, 
aber  sie  versehenden  und  mit  ihnen  Gedeihen  und  Beichtum, 
sobald  man  in  ihrer  Gegenwart  flucht  (vgl.  ob.  S.  81),  nach  ihnen 
schlägt ,  ihnen  Speise  vorsetzt  oder  ihren  Namen  nennt ;  oder  sie 
werden  dnrch  Ansage  eines  Todesfalles  unter  den  Ihrigen  (s.  ob. 
S.  90)  abberufen.^  Im  Stalle  sammehi  sie  die  verschüttete  MjUch 
und  trinken  daftlr  wol  —  andere  Nahrung  verschmähen  sie  — 
aus  der  Milchbutte,  in  der  dann  aber  die  Milch  nicht  ab,  son- 
dern zunimmt.^  Fast  in  jedem  Hause  wohnte  ehedem  ein  sol- 
ches geisterhaftes  Wesen.  ^  Sie  bewähren  sich  somit  voll- 
kommen als  gute  Hausgeister.  Zuweilen  gehen  sie  auch 
mit  irdischen  Männern  eine  Ehe  ein  und  gebären  l^der,  ver- 
schwinden aber,  wenn  das  Geheimniß  ihres  Namens,  oder  ihrer 
Herkunft  verletzt  wird.     Dann    kehren  sie  jedoch  noch  immer 


1)  Alpenbnrg,  Alpens.  19,  21. 

2)  Zingerle  a.  a.  0.  29,  37.     Tgl.  Hammerle ,  Neue  Erinnerungen  a.  d 
Bergen  Tirols  1B54.    S.  15.    Weitere  Zeugnisse  dafür,  daB  die  Seligen  end- 
lose Garnknäuel  yerehren,  s.  Alpenbnrg,  Myth.  33,  10.    Zingerle  77,  118. 

3)  Zingerle  a.  a.  0.  26,  31. 

4)  S.  Zingerle  25  ff.  32.    Alpenbnrg,  Alpens.  263,  274   264,  275. 

5)  Zingerle ,  Sagen  n.  M&rchen  S.  26.  32. 

6)  Zingerle,  Sagen  u.  Märchen  S.  25,  31. 


104  Kapitel  IL    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

an  gewissen   Tagen   zurflek,   um  ihre  Kinder  zn  waschen,   za 
kämmen  und  zn  kleiden.^ 

Man  erinnere  sich,  daß  wir  auch  diesem  Zage  bereits  bei 
der  Bidschower  Sage  von  der  Nymphe  eines  Weidenbanmes 
begegnet  sind  (ob.  S.  69) ;  er  wird  sonst  auch  von  Nachtmahren  * 
und  von  den  Seelen  verstorbener  Mutter  erzählt,  welche  noch  ttber 
das  Grab  hinaus  ihre  Liebe  bewähren.^  Seelen  Abgeschiedener 
und  Pflanzengeister  sahen  wir  ja  schon  mehrfach  in  einander 
Übergehen  (S.  40.  44).  Auch  noch  ein  weiterer  Zug,  daB  die 
Saugen  zuweilen  vom  Berge  niedersteigend  in  den  Spinnstuben 
sich  sehen  lassen,  und  wundersam  spinnen,  so  wie  Spinnen  und 
Weben  lehren,^  wird  anderswo  unmittelbar  von  BaumgeisterU 
berichtet^  Noch  eine  weitere  Aussage  gemahnt  unmittelbar  an 
die  (ob.  S.  36)  entwickelten  Baum  sagen,  nach  welchen  ver- 
möge der  ßympathie  zwischen  Pflanze  und  Mensch  jeder  Hieb, 
der  die  Baumnymphe  trifft,  ebenso  tief  als  ins  Holz  in  Fleisch 
und  Bein  des  Frevlers  eindringen  soll.  Wenn  das  Heu 
gemäht  wurde,  gesellten  sich  die  Fräulein  gerne  den  Menschen 
zu 'und  halfen  bei  der  Arbeit^  Wenn  der  Mähder  das  Bodnerin- 
nenlocken  übte ,  d.  h.  dreimal  mit  dem  Wetzstein  ttber  die  Sense 
strich,  so  kam  bei  diesem  schrillen,  weithin  hallenden  Tone 
jedesmal  ein  Salgfräulein  in  die  Wiese  herunter  und  ierstreute 


1)  Vernaleken ,  Mythen  246 ,  53.  ZiDgerle  29,  36.  34,  43.  Alpenburg. 
Alpens.  312,  330.  270,  283.  verschwindet  sammt  ihren  13  Kindern:  Zingerle 
27,  33.    Zß.  f.  D.  Myth.  I,  292.   n,  356.  183. 

2)  Kuhn.  Nordd.  Sag.  91, 102.  299,  338.    MtOlenhoff  243. 

3)  GnindTig,  Gamle  Danske  minder  i  Folkemund  I,  18.  Sehambach - 
Müller,  Niedersachs.  Sagen  220,  235.  Pröhle,  Harzsagen  79,  7.  Wolf, 
Niederl.  Sag.  403,  326.  Man  erkennt  die  Wiederkehr  der  verstorbenen  Wöch- 
nerin daran,  daß  man  morgens  das  Bett  eingedrückt  findet  Wnttke, 
AbergL*  §  748. 

4)  Alpenbnrg,  Mythen  n.  Sagen  S.  6.  32,  10. 

5)  In  eine  Spinnstabe  zu  Eonge-Vie  bei  Foncogney  in  den  Vogesen 
pflegten  12  liebliche  Jungfrauen  mit  ihren  niedlichen  Spindeln  zu 
kommen.  Niemand  wagte  sie  nach  ihren  Namen  und  ihrer  Abkunft  su  fra- 
gen. Ein  Bursche,  der  ihnen  neugierig  folgte,  sah  sie  auf  der  „la  planche 
aux  helles  filles''  genannten  Bergeshalde  einander  gute  Nacht  sagen,  worauf 
eine  jede  in  einen  Baum  hineinging.  Der  Vorwitzige  fiel  drei  Tage 
darauf  von  einer  Pichte,  und  brach  den  Hals.  S.  Des.  Monnier,  Traditions 
populaires  p.  407. 


Wildleate  in  Tirol:  Selige  Fr&nleiD.  105 

die  Mahden.  Ein  Bauer,  dem  dies  auch  «geschah,  vergnckte  sich 
in  das  unbekannte  Mädchen.  Als  im  Herbste  die  Heuernte  zu 
Ende  ging  und  die  Selige  das  letzte  Fuder  faAte,  machte  der 
ungeschickte  Liebhaber  ein  Schlof  in  das  Bindseil  und  band  das 
Mädchen  am  FuAe  fest  Das  Fräulein,  in  dem  Bestreben 
sich  loszumachen,  brach  das  zarte  Bein  und  verschwand 
weinend.  Anderen  Tages  brach  das  Bäuerlein  auch  ein 
Bein  und  blieb  lebenslänglich  lahm.  Sein  Geschlecht 
muß  es  noch  bis  heute  btlAen^  denn  allemal  je  ein  Glied  der 
Familie  muß  lahm  gehen.  ^  Endlich  teilt  die  Ueberlieferung  von 
den  Salgfränlein  mit  deijenigen  von  den  Busch-  und  Holzweib- 
chen auch  noch  den  Characterzug ,  daß  sie  von  dem  wilden 
Jäger  gejagt  werden,  der  hier  aber  der  wilde  Mann 
heißt  und  ganz  wie  die  uns  schon  bekannten  wilden  Männer  in 
Hessen  und  in  Graubünden  (die  Fankenmänner)  beschrieben  wird. 
%r  ist  ein  gewaltiger  Mann,  von  weitem  gleicht  er  einer 
Fichte,  die  ganz  mit  Moos  (Baumbart)  ttberkleidet 
ist  Wenn  er  auf  dem  Wege  eines  Stockes  benötigt, 
so  reißt  er  grade  einen  Baumstamm  aus  und  der 
Wurzelstock  dient  als  Staggel  unten  dran.  Bei  schö- 
nem Wetter  trägt  er  einen  Mantel,  um  bei  schlechtem  —  wie  er 
sagt  —  tun  zu  können  was  er  wolle. ^  Wer  ihm,  wenn  er  wie 
die  Windsbraut  daherstfLrmt ,  zuruft:  „halt  und  fach  (fange)!  mir 
die  Halba  und  dir  die  Halba!'^  oder  „Jag  toU!  und  bring  mer 
moarga  o  a  Viartl  davonl'^  oder  „Wilder  Mann  hual,  nimm  dein 
Tual!^',  dem  braust  bald  der  Wind  mit  fürchterlichem  Toben  um 
seine  Htttte ,  er  vernimmt  ein  herzzerreißendes  Wehgeheul  in  den 
Ltiften  und  die  erbetene  Hälfte  eines   seligen  Fräuleins   hängt 


1)  Hammerle  a.  a.  0.  17,  18.  Alpenborg,  Mythen  S.  8.  10.^  Vgl.  auch 
Yernaleken,  Mythen,  Branche  S. 245,  52. 

2)  Hammerle  a.  a.  0.  21.  Ganz  wie  der  wilde  Mann  focht  auch  Fasolt, 
der  das  wilde  Fräulein  hetzte  im  Eckenliede  mit  Baumästen.  Str.  184. 
„Her  Yäsolt  einen  ast  gevie:  den  brach  er  abe  eim  bou^le  hie,  der  was 
groz  nnde  swsere.  der  wart  im  schier  zerhouwen  gar.  er  greif  nach  einem 
andern  dar:  der  boun  wart  este  Isre.  er  geb&rte  rehte  als  er  den  walt 
wolt  lonbes  äne  machen:  wan  hörte  deste  mänicvalt  ein  halbe  mile  krachen, 
er  zart  die  boume  dazs  sich  kluben.*'  —  Auch  Fasolts  Sippe  bedient  sich  der- 
selben Waffe.  Str.  240  üodelgart  „ein  boun  s1  üz  der  erde  brach,  der  was 
grdz.  Str.  244:  des  boumes  este  brach  si  dan,  zehant  lief  si  den  Ber- 
ner  an. 


106  Kapitel  U,    Die  Waldgeigter  und  ihre  Sippe:* 

ihm  am  Türpfosten.  Nur  wemi  sie  sich  auf  einen  im  Fallen  des 
Stammes  schneU  durch  12  Axtschläge  mit  drei  Krenzen  bezeich- 
neten Baamstronk  setzen  können,  finden  die  Seligen  vor  dem 
wilden  Manne  Schatz ,  alles  dieses  den  thüringischen  und  frän- 
kischen Waldweibchen  entsprechend.  Im  Vintsohgaa  giebt  es 
noch  manchen  Holzknecht,  der  nicht  yersänmt  derartige  Krenze 
einzuhacken.^  Beziehen  sich  diese  Mythen  deutlich  aaf  Banm- 
genien,  so  weisen  andere  auf  einen  Zusammenhang  mit  der  nie- 
deren Pflanzenwelt  der  HochalpentiUer  hin.  Unter  den  Saugen 
begegnen  jene  von  Fanggen  und  Fänken  uns  bekannten  Namen 
Stutzamutza  u.  s.  w. ,  in  der  Hinterdux  jedoch  nennt  man  die  im 
Innern  des  Daxer  Femers  haasenden  Fräulein  ,, Talgilgen/' 
d.  h.  Maiblumen  (Lilien  des  Tales).  Sollte  das  nur  ihre  frühlings- 
frische Schönheit  ausdrücken?  Ln  Kanton  Glarus  heiftt  so  ein 
Bergfiräulein  bei  Schwanden  Wtdewibli  ( Weidenweiblein) ,  ein 
anderes  bei  Engl  Pulsterewibli  (Haflattichweiblem).'  ImP 
Kanton  St  Gallen  ruft  man  den  Kindern  ^  am  sie  vom  Pflücken 
der  anreifen  Haselnüsse  abzuhalten,  zu:  ^/s  Haselnußfräuli 
chumt'^  Das  Lictztere  ist  wol  eine  Personification  engerer  Art^ 
als  die  vorhergehenden.  Und  wenn  in  Montavon  eine  Art  Bal- 
drian (Valeriana  celtica)  Wildfräulekrut  heißt,^  so  hängt  das 
deutlich  damit  zusammen,  daß  die  vrilden  Frauen  auch  als  heil- 
kundig gedacht  wurden ,  wie  die  Harzer  Moosweiblein  und  ober- 
pfälzischen Holzfräulein  (S.  81.  97).  Schon  ein  altes  Zeugniß 
dafür  besitzen  wir  im  Gudrunepos  (Str.  529);  Wate  hat  von  einem 
,,  wilden  wibe^^  die  Heilkunst  gelernt  und  heilt  mit  guten  Wur- 
zeln die  Wunden  auf  dem  Schlachtfelde.  ^  Auch  im  Ecken  liet 
gräbt  das  von  Fasolt  gejagte  ,,  wilde  yrouwelin^^  eine  Wurzel, 


1)  Alpenburg,  Mythen  S.  5.  24.  29.  31.  Zingerle  24,  30,  78  —  80, 
121  —  127.  Alpenburg,  Alpens.  336,356.  287,303.  288,304.  Hammerlo 
a.  a.  0.    Schneller ,  Märchen  uud  Sagen  ans  Wälschtyrol  S.  209  ff. 

2)  Alpenbnrg ,  Mythen  n.  Sagen  33, 11.  Vernaleken ,  Alpens.  224,  154. 
Hier  darf  wohl  die  walachische  Waldfrau  Mama  padura  (Waldmntter)  ver- 
glichen werden,  welche  in  Gestalt  eines  alten  Mütterchens  verirrten  Kindern 
beisteht,  aber  wie  es  scheint  anch  in  Gestalt  einer  Pflanze  erscheint.  Denn 
der  Waldmeister  (aspernla  odorata)  heißt  ebenfalls  mnma  padnra.  Vgl. 
Schott,  Walach.  Märchen.   Stnttg.  n.  Tübing.   1845,  S.  297. 

3)  Yonbun,  Beitr.  131.  Vgl.  o.  S.  62.    Valeriana  vertreibt  Erankheitselbe. 

4)  Si  beten  in  langer  ate  da  vor  wol  vemomen,  das;  Wate  aratät  waere 
von  einem  wilden  wibe.     Als  ein  Bauer  in  Seefeld  (Tirol)  das  Wichteli,  das 


Wildleute  in  Tirol:  Selige  Frätüein.  107 

zerreibt  sie  in  der  Hand  und  bestreicht  damit  den  wunden  Diet- 
rich von  Bern  und  sein  BoA,  davon  das  Weh  verschwand  und 
alle  Müdigkeit  wich^  N.ach  den  über  die  mitteldeutschen  Holz- 
firänlein  gepflogenen  Erörterungen  darf  jedoch  das  Folgende  wol 
wieder  auf  eine  unmittelbare  Beziehhng  der  Saligen  zur  Vege- 
tation gedeutet  werden.  Wenn  Alpenburg  recht  berichtet  ist,  so 
ttberwandeln  die  Seligen  zur  Zeit  der  Flachsblilte  unter 
Anführung  ihrer  Königin  Hulda  die  Flachsfelder,  richten  geknickte 
Stengel  auf  und  segnen  Kraut  und  Blüten.'  Der  Flachsbau^ 
Spinnen  und  Weben  ist  der  Gegenstand  ihrer  besonderen  Für- 
sorge.^ Vorzüglich  aber  wenn  der  Flachs  gejätet,  das  Gras 
der  Wiese  gemäht,  das  Korn  des  Feldes  geschnitten 
wird,  stellen  die  Seligen  oder  wilden  Frauen  sich  ein,  helfen 
heuen  oder  Aehren  schneiden,  oder  eilen  vom  wilden  Mann 
gejagt  vorüber.^  Den  Mähdem  auf  den  Bergwiesen  stehlen  sie 
gerne  die  Küchlein  und  Krapfen  vom  Kohlenfeuer  und  wenn 
das  Heu  im  Winter  mit  Schlitten  von  den  Alpen 
geholt  wird)  hockt  ihrer  wohl  ein  ganzes  *  Dutzend  hintenauf 
und  fährt  mit,^  auch  ruhen  sie  gern  in  Heuschupfen. ^  In  Mar- 
tell  werden  den  Arbeitern  auf  den  Bergwiesen  immer  die  soge- 
nannten „Mahdküchel"  mitgegeben,  angeblich  für  einen  zufäl- 
ligen Besuch  der  weißen  Fräulem.  Auch  erscheint  jeder  Arbeiter 
beim  Mahle  in  Feiertagskleidem ,  was  wie  das  späte  Mittagsessen 
sonst  nicht  gebräuchlich  ist.  Alles  dies  geschieht,  wie  die  Leute 
sagen ,  „  der  Fräulein  wegen."  ^  So  wol  die  Mitarbeit  bei  der 
Ernte,  als  das  Brod-  oder  Kuchenstehlen  sind  uns  bereits  wol- 
bekannte  Züge  (ob.  S.  75).     Sollte  das  S(dilafen  im  Heuschober 


ihm  beim  Streureohen  und  anderen  Arbeiten  zu  helfen  pflegte/  fing  und 
band,  warf  es  ihm  seine  Undankbarkeit  Tor  und  sprach:  Ich  würde  dir  Krau- 
ter für  Menschen  und  Vieh  heilsam  gezeigt  haben  und  du  w&rest  ein  großer 
Arzt  geworden.    Panzer  II,  100,  151. 

1)  Ecken  liet  Str.  174  —  76.    Zupitza. 

2)  Alpenburg ,  Mythen  3.    Hammerle ,  Neue  Erinnerungen  a.  d.  Bergen 
Tirohi.    Innsbruck  1864,  S.  14. 

3}  Hammerle  a.  a.  0.  S.  8.  14  — 15.  19.    Alpenburg  a.  a.  0.  32 ,  10. 

4)  Alpenburg,  Mythen  3.  5.  31.     Panzer  I,  12.     Alpenburg ^  Alpen* 
sagen  312,  330.  287,  303.  288,  304.    Zingerle,  79, 125.  79, 123. 

5)  Zingerle  33,  43. 

6)  Alpenburg,  Alpens.  313,  330. 

7)  Zingerle,  Sitten.    Aufl.  2.  167,  1394. 


108  Kapitel  II.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

und  das  unsichtbare  Mitfahren  mit  dem  von  der  Alpe  heimge- 
führten Heu  eine  Erinnerung  daran  enthalten,  daß  die  Fräulein 
als  Vegetationsdämonen  an  das  Oras  mehr  oder  minder  gebun- 
den seien,  oder  liegt  diesen  Erzäh|ungen  ein  rein  menschliches 
Motiv  zu  Grande  ?  Zur  VerVoUständigung  der  Wildfräuleinmythen 
sei  noch  dieses  angeführt,  daß  sie  (resp.  die  Seligen)  Wöch- 
n'erinnen,  die  nicht  aufgesegnet  sind,  mit  sich  neh- 
men;^ daß  sie  Kinder  rauben,  die  später  (grüngekleidet) 
in  ihrer  Gesellschaft  gesehen  werden.*  Diese  Eigenschaft  teilen 
sie  mit  der  mehr  riesenhaften  wilden  Frau,  der  Fangg.  Eine 
solche,  die  des  wilden  Mannes  Gefährtin  ist,  heißt  in  Passeier 
Langttittin,  von  ihren  langen  Brüsten,  die  sie  den 
Kindern,  ihnen  nachlaufend,  darbietet.  Aus  der  einen 
fließt  Milch,  Eiter  aus  der  anderen  (vgl.  ob.  S.  88).' 

§.  8.  Wildleate :  die  rauhe  Else  der  Wolfdletrlchssagc. 
Wir  bemerkten  (ob.  S.  100) ,  daß  die  wilden  Frauen  in  baierischer 
Ueberlieferung  noch  eine  rohere  und  ursprünglichere  Gestalt 
bewahrten,  als  die  Tiroler  Salgfräulein.  Ein  in  Baiem  um  1221 
verfaßtes  Stück  spielmännischer  Poesie ,  das  zweite  Lied  im  Wolf- 
dietrich B.  gewährt  in  der  Episode  von  der  rauhen  Else  die  Ver- 
flechtung einer  Wildfrauensage  in  einer  dem  Zeitgeschmack  hul- 
digenden Umdichtung,  jedoch  mit  Bewahrung  mancher  noch  sehr 
altertümlicher  Züge,  in  das  Epos.  Wolfdietrich  wacht  auf  einem 
grünen  Anger  im  Walde  beim  Feuer,  indeß  seine  Gefährten 
schlafen.  Da  kriecht  auf  allen  Vieren,  wie  ein  Bär,  ein  unge- 
schlachtes behaartes  Waldweib,  die  rauhe  Else  herbei  und 
fordert  ihn  auf  sie  zu  minnen.  Da  er  sie  entrüstet  zurückweist, 
verzaubert  sie  ihn,  so  daß  er  in  derselben  Nacht  zwölf 
Meilen  läuft,  bis  er  unter  einem  schönen  Baunie  die  rauhe 
Else  abermals  triflft.  Sie  wiederholt  die  Frage:  „wilt  du  mich 
minnen?"  er  die  Weigerung.  Da  wirft  sie  zornig  einen  stärkeren 
Zauber  auf  den  Mann,  so  daß  er  schlaftrui±en  auf  den  grünen 
Plan  niedersinkt  und  sie  ihm  zwei  Haarlocken  vom  Kopfe  und 
die  Nagelspitzen  von  den  Fingern  schneiden  kann.  Jetzt  ist  er 
ihr  verfallen.    Sie  macht  ihn  zu  einem  Toren ,  so  daß  er  ein  hal- 


1)  Zingerle  27,  34. 

2)  Panzer  I,  12.    Zingerle  32,  42. 

3)  Zingerle  80,127.  81,128. 


Wildleate:  die  raube  Else  dor  Wolfdietrichssage.  109 

bes  Jahr  ohne  Besinnung  im  Walde  ,,wild  laufen'^  mnB  und 
Kräuter  von  der  Erde  als  Speise  aufrafft.  Endlich  gebietet  Gott 
dem  Weibe  durch  einen  Engel  die  Verzauberung  rttck^bgig  zu 
machen,  widrigenfalls  ihr  der  Donner  in  dreien  Tagen 
das  Leben  nehmen  werde  (oder  dir  nimt  der  donre  in  diln 
tagen  dinen  Itp).  Alsbald  stellt  sie  sich  Wolfdietrichen  wiederum 
dar  und  jetzt  willigt  er  ein,  sobald  sie  getauft  sein  werde.  Sie 
führt  ihn  zu  Schiffe  über  Meer  in  ein  Land,  drin  sie  als  Köni- 
gin schaltet  (Troja),  läßt  sich  da  in  einem  Jungbrunnen  taufen, 
legt  in  demselben  ihre  rauhe  Haut  ab  und  steigt  mit  dem  neuen 
Namen  Sigeminne  aus  demselben  als  die  schönste  aller  Weiber 
hervor.^  Nach  dem  Dichter  zog  sie  schon  drei  Jahre  dem  Hel- 
den nach,  den  sie  zum  Manne  wollte,  ihr  neuer  Imperativisch 
gebildeter  Name  soll  daher  den  Triumpf  der  Liebe  ausdrücken 
und  ist  nicht  mit  J.  Grimm  Myth.*  405  mit  waltminne  (lamia) 
merminne  (sirena)  zusammenzustellen. 

Unverkennbar  sind  die  Spuren  mehrerer  Wandlungen ,  welche 
die  Erzählung  durchgemacht  hat,  ehe  sie  in  die  Hände  des  letz- 
ten Bearbeiters  geriet  Königswttrde,  Königssitz  in  Troja,  Be- 
werkstelligung des  Zaubers  durch  ein  äuBeres  Mittel  (Ueber- 
werfen),  Namengebung  sowie  eine  spätere  Entführung  der  Sige- 
minne durch  einen  Zwergkönig  *  mögen  Erfindungen  des  Dichters 
von  WoU'dietrich  B.  sein,  einer  früheren  Bearbeitung  gehört  das 
Bad  im  Jungbrunnen  an,  doch  auch  dies  ist  kein  ursprünglicher 
Bestandteil  der  Sage,  welche  unzweifelhaft  nur  dies 
wußte,  daß  die  anfangs  in  rauher,  behaarter  Gestalt 
auftretende  Jungfrau  dem  Helden  endlich  in  lieb- 
reizender Schönheit  nahte,  falls  nicht  dies  den  ursprüng- 
lichen Schluß  der  Erzählung  bildete,  daß  Gott  dem  Waldweibe,  in 
dessen  Gewalt  der  Held  geraten  war,  befahl  denselben  loszulassen. 
In  der  Drohung  mit  dem  Donner  bricht,  wie  J.  Grimm  (Namen  des 
Donners  322  Kl.  Sehr.  H,  425)  mit  Becht  bemerkte,  ein  alter  Sa- 
genzng  durch;  der  erste  Urheber  der  Episode  wußte  noch,  daß  die 
Waldfrauen,  deren  eine  seine  Verse  verherrlichten,  dem  Volks- 
glauben nach  gewöhnlich  vjon  dem  Gewitter  verfolgt  wer- 


1)  Wolfdietrich,  B.  Str.  305  —  342.  Jänicke.    Heldenbuch  UI,  Berlin 
1871.    S.  213-r218.    Vgl.  des  Herausgebers  Einleitung. 

2)  Vgl.  Wolfdietrieli,  B.  Str.  388—455.    Heldenbnoh  a.  a.  O.L;  LXIII. 


110  Kapitel  II.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

den  (ygl.  den  estnischen  Baumelf  ob.  S.  68)  wie  die  Seligen  vom 
Stannriesen.  Weicht  schon  dieser  Zug  von  den  bisher  au%e- 
ftahrten  deutschen  Sagenformen  ab  y  so  noch  mehr ,  daß  das  Wald- 
weib den  Ritter  irre  laufen  läßt  (vgl.  ob.  S.  61  die  Sage  vom 
Apfelbaum  bei  Falsterbro)  und  daß  dasselbe  ron  s^er  Seite 
die  geschlechtliche  Verbindung  mit  Menschen  sucht 
Die  Vergleichung  der  schwedischen  Skogsnufear  wird  uns  jedoch 
Zug  für  Zug  gewiß  machen,  daß  wir  es  in  diesen  aus  der  dich- 
terischen Verarbeitung  herausgeschälten  Volksanschanungen  mit 
einer  uralten  in  Deutschland  seit  Jahrhunderten  verschollenen 
Form  der  Ueberliefemng  zu  tun  haben. 

§.  9.  Wilde  Leute:  Norggen.  Wie  in  Graubttnden  und 
Vorarlberg  die  riesigen  Fänkenmänner  in  die  zwerghaften  Feag- 
geoi  ttbergehen,  kennt  d^r  Tiroler  Volksglaube  neben  dem  unge- 
heuren wilden  Mann,  der  die  Seligen  verfolgt,  ein  harmloses 
,,Wildmännl.''  Diese  „wilden  Männlein''  ftQiren  häufig 
den  wfllschen  Namen  der  Norgen  ^  (Nöi^lein,  Orgen,  Orken,  oder 
Lorgen  d.  i.  ital.  il  orco,  franz.  ogre,  Fem.  it.  orca  fr.  ogresse 
aus  lat  Orcns,  in  orco,  ein  Name,  der  nach  der  Predigt  des 
h.  Eligius  (myth.^  XXX)  schon  im  7.  Jahrhundert  unter  den 
Romanen  des  Frankenlandes  ein  Wesen  des  Volksglaubens 
bezeichnete  und  dem  Begriffe  nach,  wol  dem  griechischen 
^6g  x^oViog,  dem  deutschen  „Unner6rdschen"  Zwerg  u.  s.  w.  ent- 
sprechen wird.  Es  ist  aber  fast  nur  der  Name  von  den  Wäl- 
schen  entlehnt,  denn  der  Orco  der  Ladiner,  ein  tttckischer  Berg- 
geist, der  den  Mensch^i  schlimm  mitspielt,  und  sich  in  alle 
Gestalten  wandeln  kann,  wird  in  vielen  und  wesentlichen  Stücken 
verschieden  von  dem'  Ork  und  Nörkele  der  Deutschtiroler  geschil- 
dert.^ Letzterer  ist  halb  Zwerg,  halb  Kobold  und  zeigt  sich  als 
soldier  gern  von  der  neckischen  Seite.  Die  Neigen  sollen  vom 
Himmel  gestürzte  Engel  sein,  weldie  im  Fall  an  Bergen  und 
Bäumen  hangen  blieben  and  noch  jetzt  in  hohlen  Bäumen  und 
andern  Löchern  und  Berghöhlen  wohnen.^    Sie  httten  dem  Bauer 


1)  Nach  den  Korken  haben  einzelne  Fds^itzen  den  Namen  z.  B.  zwi- 
schen dem  Matscher  and  Planailtale.  Chr.  Schneller  vermntet  (Ausland  1871 
N.  41,  S.  9^,  daß  auch  der  Ortles  eine  cima  d'orcles  Nörkelnspitze  sei ,  da 
im  Grodnerischen  Ü  ans  cl  entsteht. 

2)  S.  Alpenbnrg,  Mythen  S.  71—74. 

3)  Zingerle  39,  51. 


Wilde  Leute:  ^orggen.  _  111 

auf  der  Alp  oder  im  Stalle  das  Vieh,  spielen  den  Mägden  man- 
chen Possen y  gehen  davon,  sobald  man  sie  mit  neuem  Gewände 
beschenkt,  stehlen  Kinder,  hocken  dem  Wanderer  auf  nnd 
machen  sich  so  fnrchtbar  schwer,  daß  mancher  der  Last  erlag,  oder 
Krankheit  davon  trug.  Ihre  Töchter,  die  beim  Bauer  dienen,  wer- 
den auf  die  schon  bekannte  Art  durch  Ansage,  daß  der  Vater  todt 
sei,  heim  berufen  (vgl.  ob.S.  90).^  Sie  tragen  sich  gern  in  Qrün,  in 
Bergmoos^,  grttne  Jacke  und  grüne  Hosen^  oder  grttne  Strümpfe 
gekleidet/  Sie  sind  also,  abgesehen  davon ,  daß  bei  ihnen ^  etwa 
von  ihrem  ladinischen  Namensvater  dem  Orco  her ,  die  schalkhafte 
Seite  des  Koboldcharacters  mehr  herausgebildet  ist,  den  Fenggen 
Graubttndens  ganz  gleich.  Oft  erwähnt  von  diesen  wilden 
Mannein  oder  Nörgeln  ist  der  folgende  Zug,  der  übrigens  auch 
von  den  Seligen  berichtet  wird.^  Bei  herannahendem  Begen- 
wetter  läßt  sich  das  Nörgl  jauchzend  auf  einer  Anhöhe  sehen 
und  dient  als  Wetterprophet.  Im  Frühling,  oder  Spätherbst,  zur 
Zeit  der  Aussaat  erscheint  dem  Bauer  das  befreundete  wilde 
Männlein  und  bezeichnet  ihm  die  Zeit ,  wann  er  das  Feld  bebauen 
solle.  Entweder  giebt  es  durch  sein  persönliches  Erscheinen 
dieses  Zeichen  oder  indem  es  einen  Pflüg,  oder  eine  Egge  auf 
den  Acker  stellt.®  Aelter  wol  und  ursprünglicher  ist  die  erstere 
Angabe.  In  Navis  erschien  immer  zur  Zeit  der  Aus- 
saat ein  wildes  Männlein  und  die  Bauern  konnten 
darauf  rechnen,  daß  sie,  sobald  es  sich  zeigte,  aus- 
säen und  eine  gute  Ernte  hoffen  durften.  Auf  den  Vol- 
dererberg  kam  alle  Frühjahr  ein  Mannl.  Niemand  wußte 
wie  es  hieß  oder  woher  es  kam;  und  doch  stand  es  mit 
den  Bauern  auf  bestem  Fuß,  gab  ihnen  manchen  Bat  und  bestimmte 
genau  die  Tage,  an  denen  sie  diese  oder  jene  Arbeit  bestellen 
sollten.    So  lange  der  Bauer  dem  Winke  des  wilden  Männleins 


1)  ZiDgerle  38,  49. 

2)  Zingerle  52,  79. 

3)  Zingerle  53,  80, 

4)  Alpenborg,  Mythen  119,  33. 

5)  Zingerle  28,  35:  Die  Jungfrauen  von  der  Lecklabne  gaben  dem 
Loehersbanem  gute  B&te,  sie  sagten  ihm,  wann  er  sften  und  ernten  solle. 
Vgl.  ob.  S.  98,  daA  der  riesige  wilde  Mann  den  Leuten  die  Witterang  vor- 
aossagt 

6)  Zingerle  S.  45,  62.  46,  64.  47,  65.  47,  66.    Alpenbarg,  Myth.  115, 28. 


112  Kapitel  n.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe : 

(Norgleins)  folgt,  erfreat  er  sich  jedesmal  einer  reichen  Ernte. 
Was  er  einstmals  aber,  da  der  Noi^  oder  sein  Zeichen  lange 
ausbleibt ,  auf  eigene  Hand  aussät ,  oder  einheimst ,  konunt  hinter- 
her noch  ein  Unwetter,  das  die  ganze  Ernte  vernichtet.  Der 
wilde  Mann  verschwindet  ftlr  immer  mit  den  Worten :  „  hättet  ihr 
mich  viel  gefragt,  hätte  ich  euch  viel  gesagt.^' ^ 

§.  10.  Wilde  Leute:  Bllmon,  Salvadegh,  Salvanel  in 
WSlsch-TlroL  In  Wälschtirol  zumal  um  Folgareit  sprechen  die 
Deutschen  vom  wilden  mon,  Bilmon  oder  Bedelmon  (wilden 
mann),  der  in  Höhlen  wohnt  als  wilder  Jäger  zur  Zeit  des 
Heumähens  jagt  und,  wenn  man  von  ihm  einen  Jagdanteil  ver- 
langt, einen  halben  Menschenleib  an  dieHaustttre  wirft.^  ^Er 
lehrt  Holzschläger  die  Kunst  Käse  zu  machen ,  als  man  ihn  einst 
berauscht  und  so  gefangen  hat.^  Wäre  er  nicht  zu  frühe 
entkommen,  so  hätte  er  noch  manche  schöne  Dinge  gelehrt^ 
besonders  aus  Milch  Wachs  zu  machen.  Das  von  il\m  gejagte 
Weib  heiratet  einen  Menschen,  der  sie  rettet,  verläßt  denselben, 
well  er  ihr  mit  der  linken  statt  der  rechten  Hand  den  Schweiß 
getrocknet  hat,  kehrt  aber  zurück,  um  ihre  Kinder  zu  waschen 
und  zu  kämmen  (vgl.  o.  S.  104);^  oder  sie  eilt  davon,  weil  ihr 
Mann  mit  seinem  Wagen  durch  den  Wald  fahrend  plötzlich  eine 
Stimme  hört:  „Sag  der  Mao,  daß  Mamao  gestorben  ist'^^ 
Die  Frauen  d^r  wilden  Männer,  die  wilden  Weiber  heißen  in 
Folgareit  und  Trambileno  zuweilen  Frauberte,  sie  führen  den 
Wanderer  gerne  in  den  Wäldern  irre,  indem  sie  plötzlich 
Stücke  Leinwand  durch  den  Wald  spinnen  und  ihm  den 
Weg  sperren  (Nebel).  Dieser  Mrilde  Mann  wird  von  den  Ladi- 
nem  in  den  nämlichen  Tälern  von  Folgareit  und  Trambileno 
Tom  salvadegh  (=»  franz.  Fhomme  sauvage  aus  salvage,  lat. 
homo  silvaticus)  genannt    Die  entsprechende  weibliche  Form  läßt 


1)  Zingerle  46,  64.  47,  65.    Alpenbnrg,  Mythen  115,  28. 

2)  Schneller,  Märchen  nnd  Sagen  209,  1.  2.  211,  6.  212,  8. 
8)  A.  a.  0.  200,  2.  210,  3. 

4)  A.  a.  0.  211,  G.  210,  5. 

5)  A.  a.  0.  210,  4.  212,  7.  Hier  noch  der  Zag ,  daß  sie  dem.  Baner  die 
Zeit  desPflügens,  Sfiens,  Mfthens  nnd  Be^enanf  bindens  ansagt  Jene  Namen 
Mao,  Mamao,  Nachahmung  des  Eatasengescfareis  weisen  darauf  hin,  dafi  man 
sich  diese  Wesen  als  zuweilen  katzengestaltig,  wie  die  Fangen  oben 
S.  89  als  Wildkatzen  gedacht  hat. 


WUde  Leute :  Bihnon,  Salvadegh,  Salvanel  in  W&lsch  -  Tirol.        113 

sich  bereits  im  10.  Jahrhundert  aus  des  Barchard  von  Worms 
Decretensammimig  p.  198*  (myth.^  XXXVIII.)  erweisen:  Credi- 
disti  qaod  qnidam  crederesolent,  quodsint  agrestes  feminae, 
quas  silvaticas  vocant,  quas  dicunt  esse  corporeas  et 
qaando  volnerint  ostendant  se  suis  amatoribus  et  cum 
eis  dicnnt  se  oblectasse  et  item  qaando  voluerint  abscondant 
se  et  evanescanf  Deutlich  ist  „agrestis  femina''  Uebersetzung 
des  deutschen  Ausdrucks  „wilde  Frau".  (Vgl.  weiter  unten  die 
Sagen  von  der  schwedischen  Skogsnuf^a  und.  o.  S.  1 08  die  rauhe 
Else.)  In  Valsugana  um  Borgo  heißt  der  Salvadegh  Salvanel. 
Hau  erzählt  hier  von  ihm  ebenfalls,  daß  er  mitten  in  Wäldern 
Höhlen  bewohnt,  den  Hirten  die  Milch  stiehlt  und,  als  man  ihn 
einst  durch  2  mit  Wein  gefüllte  Milchgefäße  fängt 
und  bindet,  die  Bereitung  von  Butter,  Käse  und  Lab  lehrt.  Er 
raubt  kleine  Kinder,  besonders  Mädchen.  Wenn  ein  Baum  absteht 
und  auf  einer  Seite  des  Stammes  an  einer  schon  von  der  Faul- 
niß  ei^ffenen  Stelle  ein  wässeriger  Saft  abfließt,  so  sagen  im 
wälschen  Etschlande  die  Bauern,  er  habe  den  Salvanel.^ 
Salvanel  entspräche  latein.  Silvanellus ,  d.  h.  doppeltem  Diminutiv 
von  Silvanus.  In  Fassa  Ennebei^  und  der  Gegend  des  Kreuz- 
kofels führen  die  wilden  Männer  den  Namen  Salvangs  (Sing.  Sal- 
vang  Plar.  Salvegn)  ^  lat  Silvani,  Silvanü  Sie  waren  stark, 
haarig  und  hatten  lange  Nägel  an  den  behaarten  Fingern.  Man 
ftrchtete  sich  vor  ihnen,  weil  sie  gerne  Kinder  abtauschten. 
Deshalb  trifft  man  noch  jetzt  an  alten  Häusern  der  dortigen 
Gegend  nur  kleine  runde  Fenster,  die  sich  bequem  mit  einem 
Schubladen  schließen  lassen.^  Die  wilden  Weiber  der  Salvegn 
heißen  in  Fassa  Bregostane ,  in  Enneberg  Gannes  ^  (über  Fangga 
8.  o.  S.  99). 

NocU  wilder,  den  Fanggen  Deutschtirols  ähnlich,  denkt  sich 
das  Volk  um  Mantua  die  gente  salvaitica,  Geister  halb  Menschy 
halb  Tier  mit  einem  Schwänze  hinten  y  welche  Menschen  mit  sich 
in  den  Wald  tragen  und.  auffressen.  Ein  ins  Saatfeld  gesteckter 
Popanz  aus  alten  Lumpen,  von  dem  man  .den  Kindern  sagt  er 


1)  Schneller  a.  a.  0.  213,  IV. 

2)  L.  V.  Hörmann,  Mytholog.  Beitrage  a.  Wälsehtirol,   Innsbruck  1870. 
8.  8  ff. 

S)  Staffier,  Tirol  II.  S.  294.  L.  y.  Hörmann  a.  a.'O.  S.  8.  7. 

Mannhftrdt.  8 


^     I 


114  Eapitel  IT.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

werde  sie  forttragen^  wird  ebendaselbst  als  Salbanello  bezeich- 
net^ Niemand  wird  sich  hier  dem  Zageständnift  entadehen  können, 
daß  in  allmählichen  Uebergängen  ein  grader  Weg  von  den  Baom- 
genien  nnd  mitteldeutschen  Waldleaten  uns  bis  an  den  römischen 
Silvanns  und  Fannns  herangefllhrt  hat  Wir  werden  davon 
Act  nehmen  dürfen,  um  uns  dieses  Zugeständnisses  an  einem 
andern  Orte  zu  erinnern,  wenn  wir  von  ganz  anderer  Seite  den 
nämlichen  Endpunkt  erreicht'  haben  werden. 

§.11.  Wilde  Leute:  Pilosns,  Schrat^  Schrltlein.  Fflrs 
erste  liegt  uns  jedoch  die  Pflicht  ob  die  Bedeutung  noch  eines 
andern  sehr  scheinbaren  Zeugnisses  tüv  die  Uebereinstimmung 
•  unserer  Waldgeister  mit  den  Panen  und  Satyrn  auf  ihren  wahren 
Wert  hinabznstimmen.  Wir  sahen ,  daß  die  Moosleute  und  wUden 
Männer  als  am  ganzen  Leibe  behaart  geschildert  werden.  Bei 
romanischen,  deutschen  und  slavischen  Schriftstellern  des  M.  A., 
namentlich  Glossatoren  ist  die  Rede  von  geisterhaften  Wesen 
„Pilosi,  qni  graeee  panitae,  latine  incubi  appellantur^^^  von  denen 
dann  verschiedene  den  Hausgeistern,  Kobolden  und  Zwergen  zu- 
kommende Geschichten  erzählt  werden.^  Daraus  darf  aber  keines* 
weges  etwa  ein  Zeugniß  entnommen  werden,  daß  die  Erzähler 
dieser  Sagen  die  betreffenden  Hausgeister  u.  s.  w.,  denen  sie 
den  Namen  Pilosi,  salyri  u.  s.  w.  beilegen,  als  den  Faunen  oder 
Panen  in  Gestalt  oder  Verrichtungen  genauer  entsprechend  bezeich- 
nen wollen.  Vielmehr  drflckt  dieser  Name  für  sie  nur  den  all- 
gemeinen Begriff  daifuoviov  aus,  im  Anschluß  an  Jesaias  13,  21 
in  der  Vulgatattbersetzung.  Letztere  Stelle  liegt  allen  den  erwähn- 
ten Glossen  zu  Grunde,  oder  schwebt  den  meist  kirchlichen 
Schriftstellern  vor.  Deutlich  aber  läßt  sich  an  einem  einheimi- 
schen Namen,  der  zuweilen  zur  Verdeutschung  von  pilosus  gebraucht 
wird,  der  schon  oft  beobachtete  Uebergang  vom  Waldgeist  in 
den  Hflter  und  Schützer  des  Hauses  aufs  neue  beobachten. 
Althochd.  Glossen  Myth.*  447  gewährten  scratun,  pilosi;  walt- 
schrate   satyrus'  auch  mhd.  begegnet  „ein  wilder  walt- 


1)  mündlich. 

2)  Grimm,  Mytb.«  447.  449.  Grimm,  Irische  Elfenmärchen  OIX  —  CXIV. 

3)  Nach  unserer  vorstehenden  Bemerkung  war  Grimm  Myth.*  448  also 
durch  diese  Glosse  noch  nicht  berechtigt  zu  der  sachlich  yielleicht  dennoch 
zutreffenden  Schilderung:  Schrat  ein  „wilder  zottiger*'  Waldgeitt 


Wildleute:  Delle  Vivaac,  Engaane.  115 

geh  rat/'  Nax^h  Eornmann  mons  Veneria  1644  p.  161  wurde 
der  rötliche  Saft,  den  die  Schmetterlinge  an  die 
Bänme  ansetzen,  fttr  das  Blut  der  vom  Teafel  Ver- 
folgten und  verwundeten  Schretlein  gehalten.  Man 
glaubte,  daß  sie  jene  Blutspuren  zurtlcklassen,  wenn 
sie,  um  vor  dem  Bösen  sich  zu  retten,  in  das  Innere 
der  Bäume  hineinschlflpfen.  Die  Schrate  oder  Schretel, 
Schretlein  u.  s.  w.  stellten  sich  also  unsem  vom  wilden  Jäger 
gejagten  Moosleuten  und  den  estnischen  vom  Donner  verfolgten 
Baumelfen  (s.  o.  S.  68)  nahe  zur  Seite.  Zu  bemerken  ist  aber, 
daß  in  Niederbaiem  Schratl  den  Wirbelwind  bezeich- 
net' Schon  von  alter  Zeit  her  wird  den  Schraten  gleichzeitig 
auch  die  Bolle  von  Hausgeistern  und  Kobolden  zuSrteilt  Vgl. 
schretlin  penates.  Vocab.  v.  1482  srate  lares  mall  Sumerl.  10,  66. 
Jedes  Hans  hat  ein  Schrezlein;  wer  es  hegt,  dem  giebt  es 
Gut  und  Ehre  u.  s.  w.  Michel  Beham  8,  9;  screti  penates  Intimi 
et  secretales.  Wacehrad  mater  verhör.  Namentlich  ist  der  Skrat 
bei  den  Inselschweden  und  ebenso  durch  Entlehnung  von  diesen 
in  der  Form  Krat  bei  den  Esten  ein  Hausgeist  oder  Kobold,  der 
auch  mit  dem  fliegenden  Drachen  identifiziert  wird,  welcher 
seinem  Besitzer  Getreide  und  andere  Dinge  durch  die  Luft  zuträgt. ' 
Ob  in  Eckehards  Waltharius  die  flir  den  in  langer  Waldwande- 
rung an  Aussehen  verwilderten  Helden  gebrauchte  Yergleichung 
„saltibus  assuetus  Faunus^',  „Silvanus  Faunus'^  jenes  deutsche 
Waltschrate  übersetzt,  wie  Grimm  meint,  mag  dahin  gestellt 
bleiben.  Der  Schrat  wird  gewöhnlich  zwerghaft,  in  Kindesgröße 
gedacht;  aber  das  Beispiel  des  Tii'oler  wilden  Mannes  lehrt,  daß 
daneben  sehr  wohl  eine  riesige  Gestaltung  desselben  Wesens  her- 
laufen konnte.  Wir  sahen  die  gente  salvatica  vorhin  in  Tier- 
gestalt übergehen ;  schon  früher  begegnete  uns  ein  dem  Salgfräu- 
lein  entsprechendes  weibliches  Wesen,  eine  Diale  mit  Ziegen- 
fttßen  (o.  S.  95). 

§.  12.  Wildleute:  Delle  Tivane,  Enguane.  Im  Grödener 
Tale  heißen  die  Seligen  Belle  Vivane,  in  Fassa  Delle  Vivane. 
Eine  solche  hockte  jedesmal  einem  Bauer  auf  den  Wagen,  wenn 
er  Holz  von  der  Alpe  nach  Hause  führte,  und  fuhr  bis  zu  einer 


1)  Panzer,  Beitr.  11,  209. 

2)  Bnßwnrm,  Eibofolke  §.  373  ff. 

8 


116  Kapitel  11.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

gewissen  Brücke  mit.  Dem  Rate  einer  klugen  Alten  folgend 
wußte  der  Bauer  sie  zu  fangen  und  zu  bestimmen,  sein  Weib  zu 
werden.  Sie  willigte  ein,  wenn  er  sie  nie  Geiß  nennen 
wolle.  Als  er  dies  nach  Jahren  in  der  Leidenschaft  eines 
Wortwechsels  dennoch  tat,  tanzte  plötzlich  alles  im  Zim- 
mer, es  entstand  in  dessen  Mitte  ein  Staubwirbel  und 
darin  verschwand  sie.^  Im  Nonsberg  und  Valsugana  in 
Wälsch- Tirol  heißen  die  Seligen  Angane  (Enguane,  E^guane); 
Yon  ihnen  werden  die  bekannten  Wildfrauensagen  erzählt,  ihr 
Verfolger  aber  ist  ein  wilder  Jäger  Namens  Beatrik,  der  zu 
Roß  und  mit  vielen  kleinen  Hündchen,  besonders  zu  Weihnachten 
dahersttlrmt.  Wir  nennen  ihn  hier  besonders,  um  zu  erwähnen, 
daß  er  einslt  einem  Hirten  befiehlt  einen  Bock  von  der  Spitze 
eines  Httgels  zu  holen,  zu  schlachten,  zu  kochen  und 
dann  mit  zu  essen.  Nach  demEssen  warf  der  Beatrik 
die  abgezogene  Haut  des  Bockes  auf  die  wohl  aufge- 
hobenen Beine,  da  war  der  Bock  lebendig  und  ging 
zur  Tttre  hinaus,  aber  er  hinkte  ein  wenig,  weil  der 
Hirte  ein  Beinchen  vom  Fuße  verschluckt  hatte.^  Es 
ist  dieselbe  Mythe,   welche  in  der  jungem  Edda  vom  Gewitter- 

• 

gotte  Thorr,  in  Oberdeutschland  von  der  Wiederbelebung  eines 
Hasen,  einer  Gemse,  einer  Kuh  durch  das  wilde  Heer  (Nacht- 
Volk)  Zwerge,  wilde  Frauen  oder  Hexen,  in  den  Niederlanden 
und  England  von  Erneuerung  eines  Ochsen,  Kalbes  oder  Schwei- 
nes durch  die  wilde  Jägerin  Herodias  oder  durch  Heilige  berichtet 
wird.* 


1)  L.  V.  fiörmann  a.  a.  0.  8. 

2)  Schneller  a.  a.  0.  207,  5. 

3)  S.  Mannhardt,  German.  Myth.  57  —  62.  Zingerle,  Sagen,  Mfcrchen 
u.  8.  w.  10,  13.  11,  15.  411,  725.  Vgl.  Rochhok,  Aargans.  I,  S.  384.  Dera. 
Natnrmythen  S.  122.  Ders.,  Deutscher  Glaube  und  Brauch  I,  S.  222  ff.  Kuhn 
in  Zachers  Zeitschr.  f.  d.  Phil.  I,  116.  Beachtenswert  ist  die  folgende  Variante: 
Ein  Bursch,  der  auf  einem  Baume  sitzt,  sieht  Hexen  eine  aus  ihrer  Mitte  in 
Stücke  reißen  und  die  Brocken  in  die  Höhe  werfen.  Der  junge  Mann  erwischt 
eine  Kippe  und  behält  sie  bei  sich.  Bevor  die  Hexen  abziehen,  suchen  sie 
die  Stüdce  wieder  zusammen  und  formen  daraus  den  alten  Körper.  Da  sie 
die  Rippe  nicht  finden,  setzen  sie  dafür  eine  andere  aus  Erlholz  ein  und 
machen  dann  die  Todte  wieder  lebendig.  Zs.  f.  d.  Myth.  H,  178,  20. 
Zingerle,  Sagen  337,  586  vgl.  338,  587.  Wem  fiele  dabei  nicht  Pelops 
elfenbeinerne  Schulter  ein? 


Wilde.  Leate  der  kelÜBchen  Sage.     Dames  yertes.  117 

§.  13.  Wilde  Leute'  der  keltischen  Sage.  Haben  wir  ein- 
mal im  Verfolg  der  yerschiedenen  Gestalten  der  Waldgeister  die 
germanische  Grenze  nach  der  romanischen  Seite  hin  überschritten, 
so  sei  gleich  des  wilden  Mannes  and  des  wilden  Weibes 
in  der  Artussage  gedacht,  zweier  Figuren ,  welche  wahrscheinlich 
ans  der  keltischen  Ueberlieferung  der  Bretagne  ihren  Ursprung 
ableiten.  Es  sind  Kiesen  ron  grausiger  Gestalt,  eUenbreitem 
Haupt ,  ebergleichen  Stoßzähnen ,  roten  Augen  und  ttber  die  Ohren 
hinabhangendem  rußfarbenem  Haare.  Das  Weib  ist  nicht  minder 
schrecklich,  als  der  Mann.  Es  zeichnen  sie  kaum  die  Länge 
ihres  Haares  und  ihre  weit  herabhangenden  Brüste  ans 
[ir  brüste  nider  hiengen,  di  siten  si  beviengen  geltch  zwein 
grdzen  taschen  da].  Der  Mann  trägt  einen  mächtigen  Eisenkolben 
als  Waffe.  Sein  Geschäft  ist,  in  dem  märchenhaften  Walde  von 
Breziliande  als  Hirte  die  wilden  Tiere  des  Waldes,  Wi- 
sende  und  Auerochsen  zu  weiden,  die  ihm  bebend  als  ihrem 
Meister  gehorchen.^ 

§.  14.  Barnes  rertes.  Dem  ersten  Anscheine  nach  völlig 
Tou  diesen  keltischen  Wildleuten  verschieden  weisen  die  w  e  i  6  e  n 
oder  grünen  Frauen  des  Franche  Comt6  (Dames  blanches, 
Dames  vertes)  doch  auch  Verwandtschaft  mit  dem  wilden  Weibe 
in  Deutschland  auf.  Grüne  Frauen  haben  u.  a.  in  einem  Walde 
bei  Belans  D^p.  du  Jura  ihren  Aufenthalt.  An  einer  gewissen 
Eiche  (chdne  des  bras)  zünden  sie  Feuer  an,  da  hört  man  sie 
singen  und  schreien.  Auf  engem  Waldp&de  begegnen  sie  den 
Menschen  und  locken  sie  mit  unwiderstehlichen  Beizen  in  das 
tiefste  und  entlegenste  Dickicht;  da  schwindet  der  Zauber;  die 
holdseligen    Liebhaberinnen    wandeln    sich    in     erbarmungslose 


1)  Hartmann,  Iwein  y.  425  ff.  Wimt  ▼.  Grayenberg,  Wigalois  ed.  Pfeiffer 
S.  162  Lady  Gnest,  Mabinogion  I,  S.  45— 46.  Vgl.  Zingerle  i.  d.  Zs.  f.  d. 
Myth.  m,  196  ft.  und  Uhland  Schriften  III,  S.  52  ff.  und  S.  139  ff.,  wo  weitere 
Nachweisungen  aus  der  altfranzösischen  und  altenglischen  Literatur  und  den 
Mabinogion  gegeben  sind.  Vgl.  den  Zauberer  Merlin ,  der  nach  dem  Gedichte 
Galefrids  yon  Monmouth,  Yita  Merlini  saec.  XII.  im  Dickicht  der  IJrw&lder 
eine  Heerde  yon  Hirschen  und  Beben  yor  sich  hertreibt.  (Uhland  a.  a.  0. 
S.  53.  140.)  Uhland  yergleicht  den  Tierkerl  im  dänischen  Liede  yon  Syend 
Vonyed.  Derselbe  stammt  ohne  Zweifel  mit  dem  wilden  Mann  der  Iweinsage 
aus  einer  Quelle,  da  auch  die  Schicksale  Syend  Vonyeds  denjenigen  des  Eilhwch 
eines  Helden  der  Tafelrunde  in  yielen  Einzelheiten  entsprechen.  S.  Sy.  Grundt- 
yig ,  Damnaiks  H.  Folkeviser  I,  239. 


118  Kapitel  II.     Die  Waldgeister  nnd  ihre  Sippe: 

Furien^  welche  ihr  Opfer  eben  bo  eifHg  verfolgen,  als  sie  es 
zuvor  angezogen  hatten.  Die  großen  und  schönen  grünen 
Frauen  in  den  Wäldern  beim  Dorfe  Vejria  sind  so  mutwillig, 
die  Vorübergehenden  beim  Arme  zu  fassen  und  sie  zu  einem 
Gange  über  die  Ortsgrenzen  hinaus  zu  verleiten.  Da  verirren 
sie  sich  mit  ihnen  vom  rechten  Wege  und  dieselben 
kommen  zum  Verdruß  der  eifersüchtigen  Mägdlein  von  Veyria 
erst  spät  wieder.  Im  Tale  von  Salins  im  Walde  von  Andelot 
bei  Pont  d'Heiy  befindet  sich  eine  Grotte  ^^chambre  de  la 
dame  verte^'  genannt  Auf  dem  großen  Wege  unfern  davon 
läßt  sich  die  grüne  Dame  oft  genug  sehen.  Einst  traf  sie  ein 
fünfzigjähriger  Mann  aus  Andelot,  Cousin,  der  den  Spitznamen 
Badaud  (Einfaltspinsel)  führte,  wie  sie  grade  ihr  Strumpfband 
befestigte.  Er  bot  ihr  seine  Dienste  an;  sie  tat  als  nehme  sie 
sein  Anerbieten  an  und  schlug  ihm  einen  kleinen  Spatziergang 
in  den  Schonungen  und  Wäldern  vor.  Da  er  hofi&iungsvoll  und 
eifrig  darauf  einging,  nahm  sie  seinen  Arm,  drückte  ihn  fest 
an  sich  und  schleppte  ihn  dann  atemlos  durch  Dorn 
und  Hecken,  Brücher  und  Sümpfe,  wobei  sie  sich  an- 
stellte, als  merke  sie  nichts.  Als  der  Unglückliche 
endlich  um  Gnade  bat,  war  sie  so  gefällig  ihn  über 
beackertesLand,  oder  spitze  Felsen  laufen  zulassen. 
Er  hätte  ein  Bündel  auf  dem  Markte  gekauften  Flachses  bei  sich 
„Laß  uns  deinen  Flachs  spinnen,  sagte  sie,  Badaud,  laß  uns 
deinen  Flachs  spinnen  I^'  Und  dlenthalben  wurde  hier  etwas 
Flachs  von'  den  Domen  gekämmt,  blieb  dort  etwas  an  den  Baum- 
ästen hängen.  „Laß  uns  deinen  Flachs  spinnen!'^  wiederholte 
sie  und  von  seinem  Bündel  blieb  auch  kein  Faden  übrig.  In 
der  Umgegend  von  Salins  erscheint  die  grüne  Frau  oft  den  Ein- 
wohnern von  Aresches  und  Th^sy,  auch  sieht  man  sie  am  Quell 
von  Alon.  Einem  jungen  Vorwitzigen  Petit  Poulot,  der  sie  um 
den  schlanken  Leib  faßte,  um  mit  ihr  zu  schäckem,  gab  sie  eine 
derbe  Lection,  die  ihn  für  längere  Zeit  zum  Gei^)6tte  seiner 
Bekannten  machte.  Die  über  die  Combe-ä-la  Dame  unweit 
Clement  vom  Jahrmarkt  von  St.  Hippolyte  zurückkehrenden  Bursche 
finden  sich  plötzlich  im  wilden  Waldesdickicht  umringt  von  einer 
Schaar  junger  neckischer  und  niedlicher  Damen  (aussi  espiegles 
que  jolies) ;  an  ihrer  Spitze,  die  andern  um  eines  Hauptes  Länge 
überragend  die  grüne  Frau.    Sie  trieben  mit  den  Burschen  ihr 


Dames  yertea.  119 

Spiel,  allerlei  Koboldstrfeiche ,  führten  sie  vom  Wege  ab  and 
brachen  endlich  in  helles  Gelächter  auS;  weloheg 
als  vielfaches  Echo  spöttisch  wiederhallte.  Zwischen 
Nenfchatßl  und  Bömondan  heißt  ein  Berg  ;,la  röche  de  la  Dame 
Verte^^  Da  verbirgt  sich  die  grüne  Frau,  wenn  es 
regnet,  in  engem  Versteck  hinter  Bachen  und  einem 
dichten  Vorhang  biegsamer  Schlingpflanzen.  Auch 
auf  einer  Wiese .  an  den  Ufern  der  Brahxe  zwischen  Seillieres  und 
Vers  wird  eine  grüne  Dame  sichtbar ,  die  sich  auf  Kosten  der 
jungen  Leute  in  diesen  Orten  lustig  zu  machen  liebt  In  den 
sieben  Quellen  mmitten  eines  sehr  einsamen  Tales  bei  Greye 
sieht  man  die  grünen  Frauen  fröhlich  ihre  Wäsche  waschen. 
Am  liebsten  läßt  sich  die  grüne  Dame  in  Gebüschen  am  Bande 
der  Wiesen,  am  Abhänge  gegen  einen  Weiher  und  am  Ufer  der 
Quellen  sehen  und  gerne  stöfit  sie  den  Gast,  den  sie  an  sich 
gelockt  hat,  ins  Wasser.  Dr.  Gaspard  aus  Gigny  (D^p.  du  Jura) 
weiA  noch  sehr  wol  aus  seiner  Jugend  des  folgenden  Umstandes 
sich  zu  erinnern.  Wenn  man  in  der  weiten  Prairie  das  Gras 
mähte,  so  behaupteten  die  Arbeiterinnen,  welche 
das  Heu  streuten  und  umwendeten,  fast  regelmäBig 
die  „Dame  verte'^  ganz  in  ihrer  Nähe  haben  vorüber- 
gehen zu  sehen.  Dies  geschah  zumal  auf  der  sogenannten 
Bosenwiese  und  in  der  Nähe  der  „Grotten'',  wo  sie  und  ihre 
Gefährtinnen  sich  vereinigen  sollen.  Schwankten  die  KrmUer 
und  Halme  (epis)  im  Winde,  so  sagte  man^  die  grimeDame  amd 
ihre  Oefährtinnen  seien  da^  die  mit  ihren  leichten  Füjen  da/rüber 
hinwandelnd  Blumen  und  Aehren  niederbögen.  Und  bei  aller 
Tücke  in  ihrem  Wesen  leisten  doch  auch  sie  dem  nahen  Dorfe 
gewissermaßen  den  Beistand  eines  guten  Hansgeistes.  Zu  Mai- 
siires  im  Tale  von  Loue  (D^p.  du  Doubs)  erschien  die  grüne  Frau 
am  Vorabende  eines  das  Dörfchen  verheerenden  Brandes  durch 
die  Kornfelder  und  Baumgärten  wandelnd;  doch  niemand 
beachtete  ihre  stumme  Mahnung.^  Vgl.  o.  S.  108  die  rauhe  Else, 
die  feminae  agrestes  silvaticae  o.  S.  113,  und  weiter  unten  die  schwe- 
dischen Skogsnuf^ar.  Hinsichtiich  der  Wäsche  vgl.  S.  101.  112. 
Am    bemerkenswertesten   jedoch   ist   der  Umstand, 


1)  S.Monnier,  Traditions  populaires  compar^es.  Fans  1854.  S.  228— 29. 
255—260.  759  —  762. 


130  Kapitel  II.    Die  Wftldgeister  und  ihre  Sippe: 

daß  dieselben  Frauen,  welche  das  Leben  des  Waldes 
erfüllen,  anch  im  Winde  durch  oder  ttber  die  Gras- 
halme der  Wiese,  die  Kornhalme  des  Ackerfeldes 
(and  die  Wipfel  der  Obstbäume)  wandeln.  Vgl.  o.  S.  77 
die  HolsdMulein.  Die  Promenade  durch  Dom  und  Hecken  erinnert 
sehr  an  die  Stunnnatur  anderer  Waldgeister.  Das  Flachsspinnen 
gleicht  dem  Gamspinnen  der  Holzfrau  o.  S.  76. 

§.  16.  Wildfrauen  in  Steiermark.  Von  der  Abschwei- 
fang  ins  romanische  Ausland  kehren  wir  auf  deutschen  Boden 
zurtlck.  In  Steiermark  hetzt  eine  ganze  Genossen- 
schaft von  wilden  Jägern  (das  wilde  Gjaid)  in  einem 
halb  pflüg-  halb  schiffartigen  Schlitten  fahrend  und  von  den 
gleich  Rossen  vom  Schmied  beschlagenen  Geistern  böser  Dienst- 
mägde^  gezogen  die  Wildfrauen.  Diese  sind  verwunschene 
Menschen,  welche  von  der  Rückseite  hohl,  oder  mul- 
denartig gestaltet  sein  sollen.  Sie  wohnen  in  einem 
bewaldeten  Kogel  (Bei^gipfel)  und.  waschen  in  kleinen  Lachen 
ihre  Wäsche  rein  und  weiß,  die  man  sie  zum  Trocknen  aufhängen 
sieht  ^ '  Das  Verständniß  dieser  seltsamen  Beschreibung  der  Wild- 
frauen liefert  vielleicht  eine  Schilderung  der  Frau  Holle  in  hes- 
sischen Hexenacten ;  die  an  der  Spitze  des  wilden  Heeres  daheiv 
fahrende  „Frau  Holt  were  von  vorn  her  wie  ein  fein 
weibsmensch,  aber  binden  her  wie  ein  hohler  Baum 
von  rohen  Rinden'^'  Sind  die  Wildfranen  Waldgenien,  so 
liegt  es  doch  wohl  am  nächsten,  daran  zu  denken,  daß  (wie  bei 
der  Mekisine  das  menschengestaltete  Oberteil  ihr  geistiges  Wesen, 
der  fischförmige  Unterleib  ihre  Zugehörigkeit  zum  feuchten  Ele- 
mente ausspricht)   der  hohle  Rücken,   einem  vom  Alter  morsch- 


1)  Mit  diesen  Dienstmägden  vgl.  die  vom  wilden  Jäger  gejagten  soge- 
nannten Pfaffenköchinnen  (Bebelii  facetiae  Tübing.  1555  S.  11*;  Caesarius 
V.  Heisterbach,  Dialog  XII,  20.  cf.  Wolf,  Beiträge  11, 143.  Myth.  1230)  welche 
nach  andern  Berichten  des  Teufels  Pferde  sein  sollen  (Zs.  f.  d.  Myth.  III, 
314,  60.  Wolf,  Niederl.  Sag.  690  Anm.  258)  und  daß  der  Teufel  auf  Hexen, 
die  zeitweilig  in  Roßgestalt  verwandelt  sind,  durch  die  Luft -reitet  und  ihnen 
Hände  und  Fftße  mit  Hufeisen  beschlagen  läßt.  St5ber,  Sag.  d.  Elsaß  281, 
218.  Baader,  Bad.  Sag.  275.  294.  Tettau  u.  Temme,  Preuß.  Yolkss.  193, 
198.  Vemaleken,  Alpens.  283,  203.  MüUenhoff,  Schleswig  -  Holst.  Sag.  226, 
309.  310.    Wolf,  D.  M.  S.  248,  141. 

2)  Zs.  f.  D.  Myth.  II,  32,  7. 

3)  Zs.  f  D.  Myth.  1, 274.   Vgl.  Mannhardt,  Germ.  Myth.  258.  673.  Anm.  l* 


St.  Watpnrgis.  121 

gewordenen  Baume  entlehnt ,  ihr  Natarelement  andeuten  sollte.^ 
Wollte  man  jedoch  dieser  Deutung  Haum  geben,  so  mtUte  erst 
erwiesen  sein ,  daß  der  hohle  Bücken  ein  ursprüngliches  Zubehör 
der  Wildfrauengestalt  und  nicht  etwa  ein  aus  der  Beschreibung 
anderer  Geister  hergenommenes  Merkmal  gewesen  sei  An  die- 
ser Stelle  kommt  es  nur  erst  darauf  an,  dem  Leser  ein  Material 
über  Waldgenien  vorzuführen,  welches  ihn  später  befähigt  über 
die  Natur  derselben  ein  begründetes  Urteil  herauszubilden. 

§.  16.  8t.  Walpurgis.  In  den  meisten  dieser  oberdeutschen 
Ueberlieferungen  tritt  die  Beziehung  der  gejagten  Frauen 
zur  Korn-  oder  Heuernte,  welche  wir  bei  den  HolzMulein 
und  den  Seligen  beobachteten  (ob.  S.  77)  ganz  zurück.  In  einer 
niederöstereichischen  Tradition  aus  der  Gegend  von  Mank  kommt 
dieselbe  wieder  zum  Vorschein.  Die  neun  Tage*  vor  dem  1.  Mai 
heiBen  Walpurgisnächte  und  auch  andere  Tage,  besonders  die 
Emtetage,  sind  der  h.  Walpurga  gewidmet  In  diesen  Zeiten  wird 
die  heilige  Walpurga ,  ein  weißes  Weib  mit  feurigen  Schuhen  und 
goldener  Krone,  in  der  Hand  einen  Spiegel  und  eine  Spindel 
tragend,  von  bösen  Geistern  auf  weiften  Bossen  durch  die  tie- 
fen Wiesen  und  Wälder  unaufhörlich  verfolgt.  Vor  ihnen 
flüchtet  sie  sich  gerne  in  die  geöffiieten  Fenster  eines  Bauerhau- 
haus^  und  verbirgt  sich  hinter  dem  Fensterkreuz.  Einem  Bauer, 
der  bei  Nacht  sein  Getreide  heimführte,  begegnete  die  h.  Wal- 
l^nrga  auf  ihrer  Flucht  und  b9,t  ihn  um  Schutz.  Er  band  sie 
in  eine  Garbe  ein,  bis  die  wilden  Verfolger  vorübergetost 
waren.      Beim    Ausdreschen    ergab    diese    Garbe    Goldkömer.^ 

1)  Es  vertr&gt  sich  mit  dieser  Dentnng  (nach  S  14)  ganz  wol,  daß  der 
Alb  einen  Bücken  hat,  wie  ein  Teigtrog  (Myth.^  OXLIV.  Mannhardt,  Genn. 
Myth.  259) ,  und  daß  Caesarius  v.  Heisterbach  einen  koboldartigen  Teufel 
sagen  läßt:  »,wir  nehmen  menschliche  Gestalt  an,  haben  aber  keinen  Rücken" 
(Caesarius  III,  6^  s.  Mannhardt  a.  a.  0.  A.  Kaufmann,  Caesarius  v.  Heister- 
bach 140).  Schwieriger  ist  und  nur  durch  Annahme  einer  unrichtigen  üeber- 
tragung  damit  der  Umstand  zu  vereinigen,  daß  auch  die  (übrigens  ebenfalls 
im  Walde  umgehenden)  feurigen  M&nner  in  der  Oberpfalz  einen  muldenför- 
migen Kücken  besitzen,  aus  dessen  Höhlung  das  Feuer  schlägt.  Um  Tiefen - 
bacb  sehen  sie  aus ,  wie  zwei  zusammengesetzte  Metzgermulden ,  um  Ebnat 
wie  eine  Backmulde.  Schönwerth  II,  90.  Oder  hat  die  Volksphantasie  bei 
Verkörperung  dieser  verdammten  Grenzmark  verrücker  sich  au  die  phospho- 
reszierenden hohlen  Baumstämme  des  Waldes  angelehnt? 

2)  Vemaleken ,  Alpensagen  S.  109  ff.  Vgl.  Grohmann ,  Sagen  aus  Böh- 
men 8.  44 ff.  offenbar  ans  derselben  Quelle! 


122  Kapitel  ü.    Die  Waldgeister  nnd  ihre  Sippe: 

Bochbolz  (drei  Gaagöttiimen ,  Leipzig  1870)  hat .  vergeblich  ver- 
sucht nachzuweisen,  daß  Walpurgis  eine  altgennanische  Göttin 
war,  ans  deren  Sagenkreis  u.  a.  die  vorstehende  UeberMeierung 
als  Best  geblieben.  Aus  Tatsachen,  die  wir  im  Laufe  unserer 
Darlegung  mitzuteilen ,  auch  fUr  die  Erklärung  der  vorliegenden 
Sage  nutzbar  zu  machen  gedenken,  wird  vielmehr  hervorgehen, 
daB  der  Name  Walpurga  nur  von  dem  Kalendernamen  der  Zeit 
hergenommen  ist,  in  welche  der  Volksglaube  die  Jagd  auf  das 
geisterhafte  mit  den  Holzfräulein,  Seligen  u.  s.  w.  im  übrigen 
identische  Weib  verlegte, 

§.  17.  Weiße  Weiber 9  Ellepiger,  Heerfraaen.  Im  nord- 
deutschen Flachland  und  Dänemark,  soviel  ich  weiß  auch  in 
England,  treten  die  Waldgenien  als  solche  sehr  zurtlck.  Zwar 
fehlt  es  nicht  an-  Seitenstiicken  zu  vielen  der  von  den  Holzleuten 
und  wilden  Leuten  erzählten  Sagen,  aber  in  diesen  werden  an 
Stelle  jener  Wesen  die  sogenannten  Unterirdischen,  oder  weißen 
Weiber  oder  Meerfrauen  (Haffruer)  handelnd  oder  leidend  ange- 
führt, oder  es  ist  ein  einzelnes  weißes  Weib  (Frau,  Jungfrau, 
Wetterhexe,  Haffru,  Ellepige)  der  Gregenstand  der  Verfolgung 
von  Seiten  des  wilden  Jägers  (Wode,  Frau  Wauer,  in  Däne- 
mark Un,  d.  i.  Zusammenziehung  aus  Oden,  Grönjette,  Kong 
Valdemar)  und  es  wird  wol  hinzugesetzt ,  daß  es  seine  Buhle ^ 
sei,  die  er  sieben  Jahre  lang  verfolgt  habe  und  wenn  er  sie 
heute  nicht  erreiche,  so  sei  sie  erlöst.*    Dabei  kehren  mehrere 


1)  S.  Kuhn,  Nordd.  Sagen  131,  151.  Ebenso  jagt  in  der  romanischen 
Sage  der  wilde  Jäger  seine  Geliebte  (Myth.*  895)  und  bei  Caesarins  der 
infemalis  venator  die  Concubina  sacerdotis.  Wolf,  Beiträge  z.  D.  Mytb. 
II,  143. 

2)  Ebd.  145,  Tgl.  die  Sage  vom  Grönjette  aaf  Möen.  Grimm,  Mytb.' 
8%.  Die  Jagd  auf  ein  einzelnes  Weib  ist  auch  in  der  englischen  Sage  zu 
Hause.  Zu  Dartmoor  in  Devonshire  jagt  ein  wilder  Jäger  (wild  huntsman) 
Kacht  für  Nacht  mit  schwarzen  Doggen,  welche  Wushhounds  heifien.  Ein 
altes  Weib  nahm  einat  ein  weißes  Kaninchen  schützend  in  ihren  Korb  auf, 
das  sie  mit  menschlicher  Stimme  um  Hilfe  bat.  Bald  darauf  kommt  der 
wilde  Jäger  mit  seinen  feuerspeienden  Hunden  und  fragt  nach  dem  weißen 
Kanin.  Als  die  wilde  Jagd  vorbeigebraust  ist,  entsteigt  dem  Korbe  eine 
weiße  Jungfrau.  (Mitgeteilt  von  Mr.  S.  Baring-Gould).  Auch  in  Nort- 
hamptonshire  in  den  Wäldern  von  WhiÜebury  und  Bockingham  jagt  der 
wild  man  mit  seinen  wildhounds  ewig  eine  Jungfrau,  seine  Geliebte, 
um  deren  willen  er  sich  den  Tod  gab.    Täglich  tödtet  er  sie  und  täglich 


WeiBe  Weiber,  Ellepiger,  Meerfraaen.  123 


uns  bereitB  bekannte  characteristifiehe  Züge  wieder.  Die  gejag- 
-ten  Wesen  haben  lange  fliegende  (einmal  wird  aaeh 
gesagt  gelbe)  Haare.^  Der  Wilde  hängt  sie,  wenn  er  sie 
erlegt  y  mit  denselben  zusammengeknüpft  quer  über  sein  fioß. 
Aach  die  Brüste  des  verfolgten  Weibes  werden  als  lang  und  groß 
heryorgehoben ,  wovon  sie  auch  Slatte  Langpatte  heißt.* 

Als  characteristisGheZügey  die  vielleicht  von  Bedeutung  sind^ 
dürfen  vielleicht  noch  die  folgenden  hervorgehoben  werden.  Die 
verfolgte  Frau  muß  wie  auch  der  wilde  Jäger  einen  Kreuz- 
weg passieren,  der  ihre  Fahrt  unterbricht;  im  Laufe  auf  der 
Flacht  wird  sie  kleiner  und  kleiner^  bis  sie  zuletzt 
nur  auf  den  Knien  läuft.' 

Was  auch  ünmer  die  Bedeutung  der  Sage  von  der  Jagd 
des  wilden  Jägers  auf  die  einzelne  Frau,  oder  eine  Schaar  eibi- 
scher Wesen  sei  [beide  Formen  der  Tradition  sind  im  Grunde 
nicht  verschieden  ^] ,  jedenfalls  ist  die  Verwandlung  der  Verfolg- 


lebt  sie  auf,  um  aufs  neue  sein.  Jagdobject  zu  werden.    Sternberg,  the  dia- 
lect  and  folklore  of  Northamptonshire  1851,  p.  143. 

1)  MüUenhoff,  Schleswig -Holst.  Sagen  373,  500.  Der  Wode  jagt  In 
Lanenburg  die  Unnererdschen  mit  den  gelben  Haaren.  Die  Mecklenburgische 
Sage  bei  Schwartz,  Volksglaube,  Aufl.  2.  S.  43  bestätigt,  daß  der  wilde 
J&ger  zwei  kleine  Männchen  mit  den  Haaren  zusammengebun- 
den quer  Aber  dem  Pferde  liegen  hatte.  Bei  Snckowin  Mecklen- 
burg hat  Frau  Wauer  zwei  weiße  Weiber  mit  den  Haaren  zusammen- 
geknüpft. Niederhöffer,  Mecklenburgs  Yolkssagen  III,  190  ff.  Auch  die  Wet- 
terhexe ,  welche  der  Jäger  Jenn  verfolgt ,  hat  fliegende  Haare  (Nicder- 
höffer  in,  92  ff.).  Und  schon  in  der  ältesten  Aufzeichnung  unserer  Sage  bei 
Caesarius  t.  Heisterbach  werden  die  Haare  hervorgehoben  s.  J.  W.  Wolf, 
Beitr.  U,  143. 

2)  Der  wilde  Jäger  Un  hat  die  Meerfrauen  mit  den  Brüsten  zu- 
sammengebunden und  über  sein  Boß  geworfen.  Sv.  Grundtvig, 
Gramle Danske Minder i Folkcmunde UI,  58.  Eong Vallemand  jagt  eine  Frau 
mit  langen  Brüsten  und  Brustwarzen,  die  ihr  über  den  Leib 
niederh&ngen  (ebd.  60,  6).  Bei  Ringsted  hat  das  Weib  ein  Paar 
Brüste,  welche  auf  der  Erde  schleppen.  Der  Verfolger  fragt  einen 
Mann ,  ob  er  die  Frau  mit  den  schlaffen  langen  Brüsten  (Slatte  Langpatte) 
nieht  gesehen  habe  (ebd.  61 ,  9  ff.)  Auch  in  Fünen  jagt  der  Palnajäger  die 
liangpatte.    Thiele,  Danmarks  Folkes.  II,  121,  1 

3)  Kuhn ,  Nordd.  Sag.  99 ,  115. 

4)  Bald  ist  es  eine  Concubina,  bald  eine  ganze  Schaar  Pfaffenköchin- 
nen,  bald  ist  ein  weißes  Weib,  bald  sind  mehrere  die  Jagdbeute  des  gespen- 
stigen YeErfolgers.    J.  W.  Wolf  a.  a.  0.  143.  144.     Niederhöffer,  Mecklenb. 


124  Kapitel  U.    Die  Waldgeuter  und  ihre  Sippe: 

ten  in  Meerfrauen  ein  durch  die  geographische  Lage  der  dSni- 
sehen  Insehi  veranlaßtes  Misverstäa^iu^  ^u^d  ebenso  scheinen 
unter  den  Unner^rdschen  ond  weißen  Weibern  (witte  wtwer) 
hier  Dämonen  gedacht  zu  sein,  welche  Yor  andern 
Geistern  gleiches  Namens  durch  noch  deutlich 
erkennbare  Beziehungen  zur  Pflanzenwelt  sich  her- 
vortun. Sie  wohnen  zwar  meistens  auf  freiem  Felde  unter 
Büschen  oder  in  der  Erde,  oder  in  kleinen  Erdhligehi  (dem 
flachländischen  Gegenstück  der  Tiroler  Bei^höhlen)  und  wären 
danach  wol  als'  Feldgeister  zu  bezeichnen,  aber  zuweilen 
hausen  sie  auch  in  Waldlichtungen,  oder  unter  den  Wur- 
zeln alter  Bäume.  Und  wenn  man,  was  doch  wol  sehr 
wahrscheinlich  ist,  die  witte  Wtwer  in  Mecklenburg  yon  den  witte 
Wtwer  auf  dem  benachbarten  Rügen  nicht  trennen  darf,  so  bie- 
tet die  folgende  Sage  einen  directen  Belag  dafttr,  dsS  sie  teil- 
weise mit  den  Baumseelen  zusammen  fallen.  Bei  Mönchgut 
stand  eine  Eiche.  Als  die  Witten  Wtwer  von  dort 
vertrieben  wurden,  vertrocknete  die  Eiche  und  sie 
sagten,  wenn  die  Eiche  wieder  ausschlüge,  würden 
auch  sie  wieder  kommen.  Zeitschr.  f.  d.  Myth.  11,  145. 
Da  es  femer  nicht  ungewöhnlich  ist,  das  Laub  der  Bäume  als 
Haar  aufzufassen  (ob.  S.  76),  so  liegt  es  nahe  mit  Müllenhoff 
(a.  a.  0.  und  Vorr.  XLVI;  XLVU)  die  langen  (gelben)  Haare 
der  vetfolgten  Wesen  auf  ein  characteristisches  Zubehör  von  Moos- 
leuten oder  Waldfrauen ,  mit  andern  Worten  auf  das  gelb  gewor- 
dene durch  den  Sturmriesen  im  Herbste  von  den  Bäumen  gejagte 
Blättergrün  zu  deuten.  Hierauf  würde  auch  der  Name  des  Ver- 
folgers hinweisen,  wenn  man  den  Grönjätte  auf  Möen  als  Rie- 
sen d.  h.  entweder  den  riesigen  Dämon  oder  den  Vemichter, 
Veffolger  des  Grüns  fassen  dürfte.^    Das  einzelne  gejagte  Weib 

Yolkss.  a.  a.  0.  Ueber  die  verechiedenen  Formen  dieser  Sagen  and  ilffe  älte- 
sten Anfzeichnnngen  beim  Helinand  nnd  Vincentios  yon  Beanvais,  denen 
Boccaccio,  Hans  Sachs  und  Panli  mit  ihren  Bearbeitongen  folgten  vgl.  W. 
Menzel ,  Odin  Stattg.  1855.    S.  212  —  214. 

1)  Vgl.  altnord.  jötunn  van  dar  gigas  arborum  i.  e.  yentos.  Nach 
J.  £.  Bietz,  ordbog  öfycr  Syenska  allmogespräket.  Land  1866  p.  214  ist 
in  Schonen  grön  2  fem  =--  grönska ,  die  Grfine.  Vgl.  das  oberdentsche  Femin. 
grüene,  grfine  Farbe,  Lexer  125.  Doch  fragt  es  sich,  ob  nicht  der  Name 
(}rönjette  localen  Bezog  hat;  d.  h.  yon  dem  Walde  GrönysBld  hergenommen 
ist,  in  welchem  er  jagen  soll  (Thiele,  Danmarks  Folkesagn  184B  II,  119). 


Weiße  Weiber,  RUepiger,  Meerfraiieii.  125 

wäre  dann  wol  als  eine  Persanifieation  der  ganzen  VegetoHofi 
zu  verstehen,  deren  üppige  Nahrungskraft  und  Zeu- 
gung sf  Uli  e  durch  die  ungeheure  (von  der  jtingeren  Volkssage 
Bchliefilich  ins  Unschöne  übertriebene),  Entwickelung  ihrer  Brüste 
angedeutet  wird.  Im  Herbste  wird  sie  von  Tag  zu  Tage  kleiner 
und  kleiner.  Sie  war  des  sommerlichen  Gottes  Buhle ;  jetzt  ent-  * 
zieht  sie  sich  ihm,  vor  ihm  fliehend,  während  der  sieben  Win- 
termonate  (der  7  Jahre  der  Sage);  als  Kreuzweg  muß  die 
Jahreswende  (Mittwmter,  Wintersolstiz  resp.  Neujahr)  überschrit- 
ten werden.^  Wir  kommen  auf  diese  Deutung  weiterhin  noch 
einmal  zurück. 

Zuweilen  wird  die  vom  wilden  Jäger  in  Dänemark  gejagte 
Frau  gradezu  als  EUepige  (Elfenmaid)  oder  Ellefru  bezeich- 
net.^ Die  Elfen  (EUeiblket)  wohnen  im  Erlenbruch,  der  Mann 
erscheint  als  alter  Kerl  mit  breitem  Hut;  bläst  er  Menschen  an 
oder  gerät  ein  Tier  auf  die  Stelle,  wo  er  mit  den  Seinigen 
weilte ,  so  fallen  sie  in  Siechtum.  Die  Weiber  tanzen  bei  Mond- 
schein ihren  Reigen  im  grünen  Grase,  von  vorne  jung  und 
verführerisch  schön,  sind  sie  hinten  hohl  wie  ein 
Backtrog.^  Der  letztere  Zug  kehrt  aber  auch  in  dänischen 
Sagen  wieder,  welche  Waldfrauen  in  einer  ganz  ähnlidien  Weise 
schildem,  wie  die  weiterhin  zu  besprechenden  schwedischen 
SkogSBufvar.  Eines  Tages  ging  ein  Kind  mit  seiner  Mutter  zu 
Walde,  da  sah  es  ein  großes  Weib,  das  rauchte  Taback. 
Was  ist  das  für  eine?  fragte  der  Junge.  Laß  du  sie  nur  gehen, 
sagte  die  Mutter;  da  wandte  sich  das  Weib  und  zeigte  einen 
hohlen  Rücken.^  Wol  nur  irrtümlich  ist  in  der  folgenden 
Sage,  die  sonst  genau  den  Skogsnufvarsagen  entspricht,  am 
Schlüsse  auch  ein  männlicher  Elf  eingeführt.  Auf  der  Insel  Möen 
ging  Maigarete  Per  Mikaeis  als  kleines  Mädchen  einmal  durch 
den  Buchenwald  bei  Stevns,  da  begegnete  ihr  ein  großes 
Weib  mit  schwarzer  Haube  und  langen  Fingern,  die  wurde 
größer  und  größer.    Maigarete  lief  vor  ihr,  spürte  aber  bald 


1)  Vgl.   die  im  wesentlichsten  Übereinstimmende  Erklärung  A.  Kuhns, 
Nordd.  Sag.  S.  481 ,  Anm.  115. 

2)  S.  Gmndtvig,  G.  D.  Minder  i  Folkem.  I,  11.  12.    III,  62. 

3)  Thiele,  Danmarks  Folkesagn  U,  176. 

4)  Onmdtvig,  G.  D.  M.  i  F.  I,  188,  220. 


t26  Kapitel  II.    Die  Waldgeiflter  und  ihre  Sippe: 

ihre  langen  Finger  auf  der  Schalter,  das  Laub  wirbelte  in 
den  Baamwipfeln,  nnd  das  Eind  fiel  am  and  blieb  liegen, 
bis  das  anheimliche  Wesen  sich  bei  Sonnenantergang  in  eine 
schwarze  Knh  verwandelte.  Margarete  war  von  da  an  drei 
Jahre  verstörten  Geistes.  Einst  als  die  Kirschbäume  bltthten, 
'  pflückte  Margaret  aUe  Blüten  ab  und  lag  dann  9  Tage  zu  Bette, 
in  der  neunten  Nacht  erschien  ein  Männchen,  das  war  ein  Eis 
und  wollte  das  Kind  mit  sich  fortnehmen;  da  sie  aber  fest  schlief 
vermochte  er  ihr  nichts  anzuhaben.  Ein  Eis  ist  ein  Wesen  mit 
hohlem  Bücken,  das  hat  Macht  über  solche,  bei  deren  Taufe 
es  nicht  ganz  richtig  zugegangen.^  Margaret  blieb  immer  ver- 
stört; im  Walde  empfand  sie  stets  einen  unwiderstehlichen  Zug 
zu  der  Stelle,  wo  jenes  Weib  ihr  begegnet  war.* 

§.  18.  Die  schwedischen  Waldgeister.  Wie  die  dänische 
Inselnatur  der  überlieferten  Sage  durch  Verwandlung  der  gejag- 
ten Frau  in  eine  Meerfrau  ihren  Stempel  aufdrückte ,  so  auch  die 
starre  Gebirgsformation  Skandinaviens.  Um  die  Waldgeister 
Schwedens  wahrhaft  zu  verstehen,  muß  man  nach  eigener  Er- 
fahrung den  Eindruck  sich  zum  Bewußtsein  gebracht  haben,  den 
die  unermeßliche  Wildniß  des  schwedischen  Urwaldes  auf  Gemüt 
und  Phantasie  ausübt;  man  muß  den  dunkeln,  ofi;  grausigen  Skog 
kennen,  dieses  nieilenweit  ununterbrochene  chaotische  Gemisch 
von  L^ub-  und  Nadelholz  (meist  Fichten,  Kiefern,  Birken  und 
Erlen)  von  Felstrümmem  und  umgestürzten  Baumstämmen  und 
einem  Stein  und  Stock  pilzartig  überwuchernden  Teppich  von 
Moos  und  niederem  Fflanzengestrüpp.  Da  hat  man  nach  wenigen 
Minuten  P&d  und  Richtung  verloren.  Hie  und  da  leitet  dich 
wol  ein  vom  weidenden  Vieh  getretoner  Gang,  immer  aber  in 
die  Irre;  du  brichst  durch  den  Pflanzenpek,  der  die  Untiefen 
überzieht,  zerreißest  deine  Kleider,  deine  Haut  an  Gestrüpp  und 
Felskanten  und  verzichtest  auf  jedes  weitere  Vordringen.*    Wie 


1)  Man  könnte  fast  anf  den  Einfall  kommen,  daß  Rahe -Else  (ob. 
S.  106)  kein  Eigenname ,  sondern  ein  Appellatiram  sei. 

2)  Grundtvig  a.  a.  0.  I,  181,  217. 

3)  L.  Passarge,  Schweden,  Lpz.  1867.  S.  32.  Die  Grundlage  der  nach- 
stehenden Schilderung  des  schwedischen  Waldweibes  gewährte  Hylten-Ca- 
vallins,  V&rend  1,  S.  277— -281.  Ich  verweise  darauf  ein  für  allemal  und 
föhre  nur  die  außerdem  von  mir  benutzten  meist  hdschr.  Quellen  in  den  fol- 
genden Anmerkungen  an  ihrer  Stelle  auf. 


Die  sohwediachen  Waldgeister.  127 

in  Deutschland  sind  in  Schweden  männliche  nnd  weibliche  Wald* 
geister  bekannt  Der  Mann  heißt  in  Schonen  Skonman^ 
Skongman  (Waldmann).  Er  sieht  ans  wie  ein  Mann, 
stiert  man  ihn  aber  an,  so  wird  er  so  hoch  als  der 
höchste  Baumstamm.^  Fr  flihrt  die  Menschen  im  Walde  in 
die  Irre  und  wenn  sie  vor  Furcht  weinen,  lacht  er:  Ha  ha  ha!' 
Wenn  der  Berguhu  im  Walde  sich  hören  läßt,  sagt  man,  der 
Skoogman  sei  draußen  und  schreie.'  Im  übrigen  ist  er  sehr 
sinnlich  und  strebt  gerne  nach  Verbindung  mit 
christlichen  Frauen.  In  SmUand  heißt  der  Skogman  Hulte, 
er  fährt  in  Sturm  und  Unwetter  daher  und  kann 
jeden  Baum  niederwerfen.  Die  Skogsnufva,  Skogs- 
fru  aber  ist  das  Weib  des  Skogman  oder  des  Hulte.  Die 
Skogsnufva^   wird  zur  Familie  der  Trolle  gerechnet,  welche 


1)  Fdr- diesen  Zng  Iftfit  sich  ans  l>entscfaUind  ein  älteres  Analogen  bei- 
bringen. Caesar.  Heisterbac.,  Dial.  mirac.  D.  Y,  c.  &5  erzahlt  ans  dem  An* 
fange  des  13.  Jahrb.:  Der  Pfarrer  von  Rode  bei  E5ln  ging  um  Pfingsten 
durch  den  Wald.  Da  faßte  ihn  plötzlich  eine  nie  empfundene  Angst.  Er 
erblickte  einen  langen  Mann  von  Überaas  häßlichem  Aussehen, 
der  an  einen  der  B&ume  gelehnt  war.  Je  länger  der  Pfarrer  den 
Mann  ansah,  desto  riesiger  wuchs  dessen  Gestalt  empor,  bis 
sie  die  höchsten. B&ume  überragte.  Zugleich  erhob  sich  ein 
schrecklicher  Wirbelwind  und  dieser  verfolgte  den  Pfarrer,  so  schnell 
er  auch  Kode  zulief,  bis  in  sein  Dorf.  (Vgl.  Wolf,  D.  Sag.  203,  91  und 
oben  S.  41.  87.). 

2)  Diese  Form  des  Waldgeistes  entspricht  am  nächsten  den  Sagen  vom 
Hoimann,  oder  Hüamann  in  der  Oberpfalz  (Schönwerth  II ,  342—350),  vom 
HSmann  czech.  Hejkadlo  in  Böhmen.  Grohmann ,  Abergl.  a.  Böhmen  15,  69. 
Ders. ,  Sagen  a.  Böhmen  S.  118  — 19).  Vgl.  die  Hojemannlen  im  Lechrain 
(Leoprechting,  aus  dem  Lechrain  S.  32),  das  Homännchen  und  Hemann- 
chen  „in  den  Büschen"  bei  Lembeck  und  Tungerloh,  das  Heitmännchen 
bei  Sundwig,  den  RöpenkM  bei  Iburg.  Kuhn,  Westf.  Sag.  I,  S.  111  — 112, 
118—119.    146-148,  150—151.    U,  27,  72. 

8)  So  heißt  die  Eule  am  Lechrain  „Holzweibl"  und  gilt  als  der 
Waldgeist,  der  jetzt  grade  die  Gestalt  dieses  Vogels  angenommen.  Leop« 
rechting  a.  a.  0.  82.  Altdeutsche  Glossen  ergeben  wildiu  wlp  «i  ululae, 
lamiae,  holzmuoja,  holzrüna,  holzfrowe  »  lamia,  ulula  Grimm, 
Myth.«  403.  404.    Vgl.  Müllenhoff,  zur  Runenlehre  50. 

4)  Der  Name  Skogsnufva  wird  verschieden  gedeutet,  von  Grimm,  Myth.* 
455  anhelana,  von  Hylt^n - Cavallius  als  die  „Schnaubende,"  weil  sie 
Tag  und  Nacht  „snufvnr";  in  der  Zeitschr.  Buna  1844.  S.  44  vom  schoni- 
Bchen  Verbum  snua  die  Einsamkeit  suchen. 


128  Kapitel  IL    Die^Waldgeitter  und  ihre  Sippe: 

80  ziemlich  ungern  Unnererdschen  entsprechen,  dieselben  sind  zu- 
meist klein  von  Wuchs,  gebieten  über  Wald  und  Wild,  See  und 
Fische ,  Wetter  und  Wind ,  *  yertauschen  Kinder  mit  ihren  Wech- 
selbälgen; zu  ihnen  zählen  in  Schonen  auch|  die  ob.  S.  61  erwähn- 
ten Pysslingar.  Wohnen  sie  in  Berghöhlen,  so  heißen  sie  Bei^- 
troll.  Im  Wirbelwinde  fahren  sie  einher  und  da  ein  solcher 
im  Sommer  häufig  entsteht,  bevor  ein  Gewitter  losbricht,  heiM: 
es,  daB  der  Donner  (Gofar)  di.e  Trolle  verfolge.'  An  die 
Stella  des  Gattungsnamens  Troll  tritt  zuweilen  Rä  (Neutr.) 
Plur.  Bade  und  die  Skogsnufva  heißt  Skogsrä,  wie  es  ebenfalls 
ein  Sjörä  (Seerä)  giebt.  Die  Skogsnufva  ist  ein  bösgesinntes, 
leichtfertiges  und  unheilvolles  Wesen.  Sie  nimmt  das  Aussehen 
aller  Tiere,  Bäume  und  anderer  Naturdinge  an,  wdche  im 
Walde  vorkommen.  Ihre  wahre  Gestalt  ist  diejenige  eines  in 
Tierfelle  gekleideten  alten  Weibes  mit  fliegendem 
Haar  und  langen  Brüsten,  die  über  die  Achseln 
geschlängt  sind.  Im  Rücken  trägt  sie  einen  langen 
Kuhschwanz,  oder  sie  ist  hohl,  wie  ein  alter  fauler 
Baumstock  oder  ein  zu  Boden  geworfener  Stamm, 
oder  Backtrog.  Dem  Jäger  zeigt  sie  sich  gerne  als  eine 
schöne  und  verführerische  Jungfrau ,  aber  tmr  vcm  vorne ;  auf  der 
Hinterseite   kann   sie  nach   den    meisten   Sagen  ihre   Ungestalt 


1)  Die  Wirbelwinde  entstehen  vorzüglich  im  Sommer  kurz  vor 
einem  Gewitter  und  im  Frühlinge  zur  Zeit  der  Aussaat.  Im  ersteren 
Fall  sagt  man  in  Smäland:  Sieh!  der  Troll  eilt  nach  Hause,  gleich  kommt 
der  Donner  gefahren  (se  sa  troUen  f&  brädt  om  att  fara  hem;  nn  börjar 
snart  Gofar  köra);  in  letzterem  Falle  „der  Troll  ist  draußen  Saat  zu 
stehlen.''  Man  glaubt  nämlich,  daß  das  Trollweib  vor  dem  S&mann  her- 
geht und  die  Saat  in  ihrem  Kleide  auffangt.  Nun  ist  wol  sicher  verständ- 
lich, was  der  gotländische  Volksglaube  meint,  wenn  er  von  einem  Don- 
nersmädchen  Thors  pjäska  spricht.  Sie  ist  eine  Jungfrau  von  etwa 20  Jah- 
ren, kommt  beim  Gewitter  in  die  Hauser  und  bittet  um  Aufnahme.  Von 
Tome  ist  sie  schön, 'von  hinten  wie  ein  Backtrog  hohl.  Nimmt 
man  sie  ins  Haus  auf,  so  schlägt  der  Blitz  ein.  Um  dies  zu  verhin- 
dern macht  man  in  alle  Fenster  Kreuze.  (Durch  Prof.  Säve  in  TJp- 
sala.)  Die  Thors  pjäska  ist  Personification  des  vor  dem  Gewitter  entstehen- 
dep  Wirbelwindes.  Pjäske  pl.  pjäsker  (vgl.  engl,  pixy  a  fairy)  ist  ein  klei- 
ner Troll  (sm&troU);  Hempjäske  sind  Hausgeister;  der  gute  Nissen  ist  ein 
Hempjäske.  8.  44.  P.  Möller  ^  Ordbog  öfver  Halländske  landskaponSlet. 
Lund  1858  s.  v.  —  Man  vgl.  die  mitgeteilten  Züge  der  Sage  v.on  St.  Wal- 
purgisob.  S.  1.21 


Die  schwedischen  Waldgeister.  129 

nicht  verbergen.  Schützen  pnd  andere,  welche  ihre  Wege  im 
Urwald  haben ,  hören  oft  die  Skogsnufv^a  trällern,  lachen,  wis- 
pern und  flüstern  in  Busch  und  Dickicht,  denn  sie  kann  jede 
Art  Laut  annehmen.  Spricht  sie  aber,  so  geschieht  es  stäts  mifc 
heiserer  Stimme.  Ihre  Erscheinung  kündigt  sie, im  vor- 
aus mit  einem  scharfen  eigentümlichen  Wirbelwinde 
an,  der  die  Baumstämme  bis  zum  Zusammenbrechen 
schüttelt.  Hört  man  —  wie  es  zuweilen  geschieht  —  am  ein- 
samen Waldbach  einen  klatschenden  oder  schnalzenden  Laut, 
so  sagt  das  Volk:  „da  wäscht  die  Waldfrau"  und  werden 
im  Frühlinge  schneeweiße  Flecken  und  Stellen  tief  hinten  im 
dnnkehi  Walde  sichtbar,  so  „ist  das  die  Skogsnufva,  welche 
ihre  Kleider  ausbreitet"  (vgl.  die  Wildfrauen  in  Tirol 
S.  101.  112).  Wer  sich  aber  tiefer  hineinbegiebt  in  den  wilden 
Wald  mag  sich  wol  vorsehen,  denn  die  Skogsnuftra  sucht  auf 
jede  Weise  Macht  über  ihn  zu  erhalten. 

Oft  hört  man  sich  laut  bei  Namen  rufen ,  dann  antworte  man 
bei  Leibe  nicht  „ja",  sondern  „he!"  denn  die  Waldfrau  rief 
und  mit  der  Antwort  „ja "  giebt  man  sich  in  ihre  Gewalt.  Dann 
lacht  sie  laut  auf,  so  daß  es  im  ganzen  Walde  wiederhallt. 
Wer  so  in  ihrer  Macht  ist,  den  macht  sie  irre  (förvillar)  auf 
mehr  als  eine  Weise.  Er  findet  nicht  wieder  aus  dem  Walde 
heraus ,  sondern  geht  und  geht  und  kommt  immer  wieder  auf  die 
nämliche  Stelle.  Zuletzt  ist  er  so  sinnverwirrt,  daß  er  nicht  mehr 
sein  eigen  Haus  erkennt.  Oder  der  eine  Stunde  lang  vom  rech- 
ten Wege  ab  die  Kreuz  und  Quer  durch  Hag  und  -Dom  Genarrte 
glaubt  endlich  in  tiefem  Morast  zu  waten  und  schürzt  die  Kleider 
auf.  Da  hört  er  plötzlich  das  Lachen  der  Skogsnufva  im  Walde 
wiederhallen  und  sieht  sich  auf  trocknem  Boden.  ^  Das  einzige 
Gegenmittel  ist,  Wamms,  Mütze  oder  Strümpfe  umkehren,  oder 
das  Vaterunser  rückwärts  beten.  Milzsüchtige  melancholische 
Menschen,  welche  die  Einsamkeit  suchen,  stehen  in  dem  Bufe, 
daA  die  Skogsnufva  sie  locke,  oder  Macht  über  sie  bekommen 
habe.  (Vgl.  die  Saligen  o.  S.  101  ff.)  Von  dieser  Verzauberung 
kann  man  nur  frei  werden,  wenn  man  nach  der  Anordnung  eines 
„klugen  Mannes"  dreimal  durch  einen  Eichenkloben 
kriecht,  der  mit  Holzkeilen'  und  Hokaxt  ohne  Eisen  gespalten 


1)  Nicolovins,  Folkelifvet  i  Skyttshärad  i  Skäne  S.  101. 

Mannhardt.  9 


4 


130  Kapitel  II.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

ist.  Bei  Menschengedenken  ist  noch  ein  Bursche  im  Ljuder- 
socken,  der  davon  ^^Skogsnisse^'  genannt  wurde,  von  der  Skog> 
snuf^a  verwirrt  und  durch  den  beschriebenen  Act  von  ihr  befreit 
worden,  der  (nach  S.  32)  die  Identification  mit  einem  Baume 
bedeutet.  Im  mittleren  Oesterbotten  erzählt  man ,  zuweilen  werde 
das  im  Walde  weidende  Vieh,  oder  werden  Menschen  in  einem 
fttr  sterbliche  Augen  unsichtbaren,  aber  in  der  Tat  dichten  und 
undurchdringlichen  Flor  oder  Netze  gefangen,  welches  sie  wie 
ein  Dach  umhüllt,  so  daß  sie  sich  —  so  lange  sie  unter  des 
SkogsrS.  Einfluß  stehen  —  weder  rühren,  noch  um  Hilfe  rufen 
können.  Doch  der  Eirchenglocken  Klang  bricht  den  Zauber 
augenblicklich^  und  deshalb  kann  dieser  nie  länger  als  eine 
Woche  währen.  Wem  dies  begegnet,  der  heißt  „skogtagen, 
walderfaßt^^  Oft  stößt  er  morgens  aufwachend  sofort  auf  das 
ersehnte  Ziel  und  sieht,  daß  es  ihm  zur  SMte  lag.  Zuweilen 
offenbart  sich  ihm  das  Skogsrä  leibhaftig  als  altes  Weib,  großer 
Vogel,  oder  als  polternder  Greis  mit  starkem  Barte.  Man  erzählt 
manche  factische  Beispiele  von  Skogtagning,  meistens  auf  Kühe 
und  Kinder,  zuweilen  auch  auf  ältere  Personen  bezüglich.  Das 
Volk  pflegt  sich  dabei  allgemein  auszudrücken  „skoje  halder 
d.  h.  der  Wald  hält  fest",  wird  aber  gefragt,  ob  es  der 
Wald  selbst  sei^  der  festhalte,  so  erhält  man  zur 
Antwort  „Nein  die  Skogsrä"  („nej  skogsräde").*  Nur  die 
Jäger  suchen'  und  gewinnen  zuweilen  des  Waldweibes  Freund- 
schaft, denn  sie  ist  es,  die  allem  Wilde  im  weiten  Skog  gebietet 
und  wer  mit  ihr  gut  steht,  kann  schießen,  so  viel  er  will.  Alte 
Schützen  pflegen  deshalb  eine  Kupfermünze  (Slant,  Sechsstüber) 
oder  etwas  Speise  ftir  die  Skogsnuf?a  (das  Skogsrä)  auf  einen 
Baumstubben  oder  einen  Stein  als  Opfer  niederzulegen. 
Oder   man   geht  Ostermorgens   um  Sonnenaufgang    auf  so  viele 


1)  Vgl.  Einem  Bauer  erscheint  am  Sonntagsmorgen  ein  SkogsrS  in  Ge- 
stalt eines  schönen  Weibes  und  fragt  ihn:  ,, hörtest  du  da  des  Priesters 
Kuhglocken?'^  Als  der  Bauer  das  nicht  versteht,  und  „nein"  antwortet, 
wird  jnst  das  Sonntagsgel&nt  hörbar.  Da  ruft  sie  zornig:  ,»80  hörst  du  sie 
jetzt*'  und  verschwindet  mit  Gelächter,  nicht  ohne  ihren  hohlen  Bücken 
and  langenSchwanz  blicken  zu  lassen.  (Djnrklon  Anteckningar.)  Aach 
die  dentsohen  Zwerge  hassen  das  Glockengel&ut. 

2)  S.  A.  Böhm,  Nägra  Ord  om  den  Svenska  allmogens  i  meddlerste 
Osterbotten  öfvertro  etc  Hs  des  Riksantiqnarinms  in  Stockholm. 


Die  schwediscben  Waldgeister.  131 

Gnmdstttcke;  als  man  beschicken  kann,  bricht  auf  jedem 
einen  kleinen  Baum  ab  und  sagt:  Ich  opfre  dieses  fllr  mich; 
damit  ich  das  Jahr  hindurch  Glück  und  Frieden  bei  der  Jagd 
babe.^  (Vgl.  unten  das  Zaubermittel  den  russischen  Waldgeist 
herbeizurufen.)  Geht  man  drei  Donnerstage  hintereinander  nüch- 
tern auf  die  Jagd,  so  trifft  man  wol  die  Skogsfm  selbst  und 
erhält  von  ihr  das  Recht  so  viel  zu  treffen ,  als  man  Lust  hat; 
beim  Fortgehen  dart*  man  sich  aber  nicht  nach  ihr  umsehen.^ 
Dem  Schützen ;  den  sie  gern  hat,  führt  sie  zuweilen  selber  das 
Wildpret  in  den  Weg.  Dem  Förster  (Skogvaktare)  Vestholm  in 
Fryktdelsherad  in  Värmeland  begegnete  einst  die  Skogsiru  wie 
sie  einen  großen  Elennochsen  (elgoxe)  am  Hörne  führte.  Sie 
rief  „schieß!  schieß!  (skjut,  skjut!)"  doch  er  wagte  es  nicht* 
Wem  aber  das  Waldweib  nicht  hold  ist ,  den  narrt  sie  in  Gestalt 
eines  Rehbocks  oder  er  jagt  bei  aller  Mühe  vergeblich.  Ein 
Skogsrä  untersuchte,  da  sie  schliefen,  die  Büchsen  zweier  Jäger, 
die  ihr  Nachtquartier  ün  Walde  genommen  hatten.  Das  eine 
Gewehr  lobte  sie,  „gut!  gut!  gut  (bra,  bra,  bra)."  Der  Eigen- 
tümer schoß  am  nächsten  Tage  viele  Auerhä^ne.  Das  andere 
tadelte  sie:  „fi!  fi!  fi!^^  Derjenige,  dem  es  angehörte,  machte 
nur  Fehlschüsse.^  E.  M.  Arndt  erfuhr  von  einem  seiner  Führer, 
er  sei  einmal  mit  sieben  andern  aufs  Tjäderspiel  (Auerhahnjagd) 
ausgewesen.  Als  sie  nun  da  saßen  und  auf  den  Vogel  lauerten, 
fuhr  ein  Skogsrä  aus  einem  Battme  in  hellstem  Glänze 
an  ihnen  vorbei.  Sie  sahen  so  viele  Auerhähne,  wie  noch  nie, 
aber  sie  schössen  an  jedem  vorbei,  und  fingen  nicht  einen.  "Ein 
andermal  fuhr  das  Rä  mit  Sausen  aus  der  Luft  herab,  mit 
gewaltigen  breiten  Sprüngen   auf  ihn  zu  und  beschttt- 


1)  F.  L.  Bääf  bandschr.  Sammlnng  von  Zauberfonneln  (Syenska  skrak 
ok  signerier  antecknade  i  Bokstafordning)  im  Biksantiquarinni  zu  Stockbolm 
7  Bde.  8.  V.  Vgl.  Ihre  (Moman)  de  superstitionibiifi  bodiernis  e  gentilisino 
residiiis  Upsal.  1750  p.  28:  Nee  miniis  nsitatnm  est  pecnnias  et  escalenta 
dicare  Kympbis  [skogsrä]  et  najadibna  [sjörij,  nnde  piscatores  et  sagittarii 
maximam  sibi  poUicentor  lücnim.  Existimant  anteiii  qnosdant  lacns  et  sylvas 
adeo  nsqne  in  eonun  geniomm  ditione  esse,  nt  nisi  boniin  favorem  sibi  con- 
eilient,  firastranens  fatoms  sit  eormn  labor. 

2)  Bafif  a.  a.  0. 

8)  Borgstrimi;  Besaber&ttelser  nr  V&rmeland  1845.  Hdscbr.  des  Riks-» 
antiqnariams. 

4)  Anfzeicbnüng  des  Baron  G.  Djurklou  ans  Nerike. 


183  Kapitel  ü.     Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

tete  ihn  mit  Regen  aus  einer  wirbelnden  Wolke,  wäh- 
rend es  sonst  allenthalben  still  und  heiter  war.  Vierzehn 
Tage  blieb  sein  Schießen  behext,  bis  er  endlich  so  glücklich 
war  ein  Skogsrä  sausend  vorbeifahren  zu  hören  und  sein  Messer 
darüber  zu  werfen;  so  wurde  sein  Bann  gelöst.^  Einzelne  Tiere, 
Hirsche,  Rehe,  Hasen  und  Auerhühner  eignet  sich  die  Skogsfru 
ausschließlich  zu;  sie  heißen  Freitiere  (Pridjur  vgl.  ob.  S.  39  die 
Friträd)  und  niemand  kann  sie  schießen,  es  sei  denn  mit  einer 
besonders  bereiteten  Ladung.  Zielt  jemand  auf  solch  ein  dem 
Skogsrä  zugeeignetes  Tier,  so  kommt  es  ihm  nachher  immer  vors 
Gewehr,  er  kann  hundertmal  danach  schießen  und  trifft  es  nie. 
Gelingt  ihm  aber  auch  auf  die  angegebene  Weise  der  Schuß,  so 
verdirbt  jedenfalls  seine  Büchse  und  ist  verhext  und  unbrauch- 
bar. (Vgl.  die  Gemsen  der  Seligen  ob.  S.  100).  Nur  selten  ist 
die  Begegnung  des  Waldweibes  mit  Menschen  ganz  harmlos. 
Kersten  Klemens  Tochter  aus  Nykalvatten  im  Fryktdelshärad 
(Värmeland)  traf  zweimal  die  Skogsjungfru  im  Walde.  Sie  trug 
einen  blauen  Rock,  der  bfc  auf  die  Knie  reichte,  ein  weißes 
Kopflnch  und  rauhe  Hemdsärmel  mit  schönen  Säumen  an  der 
Hand.  Sie  sah  so  freundlich  aus,  daß  Kersten  sich  ärgerte 
sie  nicht  angeredet  zu  haben  und  sich  dies  flir  das  drittemal 
vornahm. 

Dem  Köhler,  der  Nachts  einsam  bei  dem  schwelenden  Mei- 
ler wacht,  oder  dem  Jäger,  der  sich  um  Mittemacht  an  einem 
Waldfeuer  ausruht,  naht  sich  die  Skogsfru  gerne  in  liebreizen- 
dem Körper  und  sucht  ihn  zur  Zärtlichkeit  zu  verlocken.  Läßt 
er  sich  von  ihr  betören,  so  sehnt  er  sich  fortan  Nacht  und  Tag 
danach  ihr  im  Walde  zu  begegnen  und  kommt  schließlich  ganz 


1)  So  macht  man  den  Neck  unschädlich  durch  etwas  Metallisches,  das 
man  ins  Wasser  wirft;  Arndt,  Beise  in  Schweden  ni,  17.  Püttmann,  Nord. 
Elfenm&rchen  150.  Ein  Messer  in  den  Wirbel  hineinzuwerfen  ist  in  Deutsch- 
land ein  Mittel,  um  den  in  der  Windsbraut  einherfahrenden  Dämon  zu 
verwunden.  Schdnwerth,  a.  d.  Oberpfalz  ü,  113.  Vgl.  Mannhardt,  Götter- 
welt S.  99.  Vgl.  die  merkwürdige  Uebereinstimmung ,  daB  nach  dem  Glau-* 
ben  des  ägyptischen  Fellah  auch  die  Dschinnen  großen  Respect  vor  dem 
Eisen  haben.  Sieht  er  einen  Wirbelwind  oder  eine  Sandhose  auf  sich 
zu  kommen,  so  ruft  er  dem  darin  sitzenden  Geiste  zu:  „Ohadid  ya 
maschun.  Eisen,  o  Unseliger!"  und  glaubt  sich  gesichert.  Grenzboten 
1863.    S.  127. 


Die  schwediflchen  Waldgeistor.  133 

von  Sinnen.  ^  Oder  das  tückische  Waldweib  schreit  laut  auf  und 
ruft  ihren  unholden  Gatten,  der  herbei  stürzt  und  den  Liebhaber 
zu  Boden  schlägt^  Dabei  ist  sie  freilich  nicht  immer  im  Unrecht 
Einen  Herbstabend  kam  ein  Skogsrä  zu  einem  Kohlenmeiler  und 
wärmte  sich.  Dem  rohen  Köhler  fiel  es  ein,  ihr  einen  Feuer- 
brand in  die  Kleider  zu  stecken,  worauf  sie  einen  Jammerschrei 
ausstieß  und  ihren  Mann  rief,  so  daß  der  ganze  Wald 
erbebte  und  die  Baumwipfel  über  ihr  sich  zusam- 
menbogen. Erschreckt  eilte  der  Köhler  heim  und  konnte 
andern  Tages  kaum  den  Platz,  da  sein  Meiler  stand,  finden.' 

Wem  fiele  nicht  auf,  daß  diese  Geschichte  natürlich  mit  ver- 
änderter Scenerie  genau  der  Erzählung  von  dem  in  eine  Baum- 
spalte eingeklemmten  Wildweibe  in  Tirol  (ob.  S.  95)  entspricht? 
In  ähnlicher  Weise  endet  die  Erzählung  auch  des  Jägers  von 
seinem  Abenteuer  fast  in  allen  FäUen.  Grade  als  sie  vor  dem 
Feuer  hochmütig  dastand  und  ihre  schöne  Gestalt  zeigte,  —  so 
erzählt  er  wol  —  nahm  ich  einen  Brand  aus  der  Flamme  und 
schlug  ihr  damit  auf  die  Hand,  indem  ich  ihr  zurief:  „Fahre  hin 
in  den  Wald,  du  böser  Geist!''  Da  ftihr  sie  mit  einem  lauten 
Wimmern  dahin  und  ein  furchtbares  Unwetter  ent- 
stand, so  daß  die  Bäume  sich  mit  den  Wurzeln  aus 
der  Erde  zu  heben  schienen,  und  als  sie  uns  den 
Bücken  zuwendete,  war  sie  anzuschauen,  wie  ein 
hohler  Baum,  oder  wie  ein  Backtrog.^  E. M.  Arndt  hörte 
von  seinem  schon  erwähnten  Führer,  als  derselbe  /einmal  auf  der 
Auerhuhqjagd  sich  ein  Feuer  anzündete  und  aß,  trat  eine  Jung- 
frau zu  ihm  in  großem  Schmuck,  grüßte  ihn  freundlich,  winkte 
und  lockte.  Sie  war  klein  von  Wuchs,  hatte  blonde  Locken, 
aber  —  o  weh!  —  Klauen  statt  der  Nägel.  Er  fragte,  ob  sie 
mit  ihm  essen,  oder  am  Feuer  sich  wärmen  wollte;  sie  nickte 
freundlich.   Da  nahm  er  behutsam  das  Ende  seiner  Axt,  legte 


1)  Hylten-Cavalliüs  a.  a.  0.  14—17.    Vgl.  ob.  S.  108  die  ranhe  Else  in 
Oberdentachland. 

2)  Annerfeldt,  framställning  af  vidskepelige  förestallningar  i  Sydyestra 
Skane.    Mac.  der  Sk&nska  fomminnes  forening. 

3)  Buna  1844.    S.  44. 

4)  Afzelins,  Yolkssagen  ans  Schwedens  älterer  und  neuerer  Zeit  tlbers. 
von  Üngewitter  II,  311. 


134  Kapitel  II.    Die  Waldgeister  aud  ihre  Sippe: 

Speise  darauf,  und  reichte  sie  ihr/  denn  die  Hände 
wollte  er  nicht  gegen  ihre  Klauen  setzen.  Sie  nahm  es  nicht, 
sondern  lächelte  und  verschwand  grade  wie  eine  Fackel 
die  man  wirft.  Ein  Waldwärter  (Skogsvaktare)  trank  auf 
einem  Fichtenstamm  sitzend  einen  Schluck  Brantwein.  Da  setzte 
sich  die  Skogsfru  auf  die  andere  Seite  des  Baumes.  Er  fragte: 
,, Trinkt  die  Jungfer?''  (Super  mamsell?)  Sie  schüttelte  den  Kopf 
und  verschwand.^  Ein  Bursche  in  Finntorp,  der  eine  Braut  in 
Billing  hatte,  lud  dieselbe  zu  einem  Stelldichein  auf  den  Lad- 
backen. Sie  blieb  aber  aus  und  die  Skogsfru  des  Berges  zog 
ihre  Gestalt  (hanm)  an,  tat  mit  dem  Jttngling  schön  und  bot 
ihm  eine  Bretzel.  Er  aß  mit  großem  Wohlgeschmack.  Kaum 
hatte  er  jedoch  den  letzten  Bissen  heruntergeschluckt,  so  lachte 
sie  aus  vollem  Halse,  so  daß  es  im  Walde  krachend 
wiederhallte  und  verschwand  zwischen  den  Felsen; 
im  Verschwinden  sah  er  den  ausgehöhlten  Bttcken  und 
langen  Schwanz.  In  der  Meinung,  das  Mädchen,  welches  sein 
Herz  gewonnen  hatte,  sei  ein  Skogsrä,  vermied  er  dasselbe 
fortan.^  Zuweilen  kommt  es  zu  einer  engem  Verbindung  zwi- 
schen der  Waldfrau  und  einem  Menschen,  welcher  Kinder  von 
größerem  Wuchs  und  höherer  Kraft  als  andere  Menschen,  nach 
andern  dagegen  abscheuliche  Mjßgeburten  entspringen.  Doch 
wird  der  Liebhaber  dieses  Verhältnisses  bald  ttberdrflssig  und  er 
sucht  dann  wol  Hilfe  bei  einem  „Klugen.^'  Allein  er  wird  das 
Skogsrä  gemeinhin  nur  los,  wenn  er  eins  ihrer  Haupthaare  um 
seine  Btlchse  wickeln  und  sie  damit  schießen  kann.  Dann  hört 
man  einen  entsetzlichen  Aufschrei,  ein  fiirchtbares  Tosen  im 
Walde  und  er  sieht  sie  niemals  wieder.  Ein  Jäger  tat  nie  einen 
Fehlschuß,  weil  er  mit  einem  Skogsrä  im  Bunde  stand  und  sich 
von  ihr  jedesmal  die  Bttchse  laden  ließ.  Endlich  faßte  er  Wider- 
willen gegen  sie,  bat  sie,  ihm  das  Gewehr  mit  tödtlichem  Mei- 
sterschuß zu  laden  und  erschoß  sie.    Seitdem  hatte  er  keine  Ruhe 


1)  Mit  der  WaiFe  (G6r  u.  s.  w.)  Gabe  reichen ,  resp.  aufnehmen  war  bei 
Begegnung  Fremder  oder  feindlichen  Stämmen  Angehöriger  eine  hoch  hinauf- 
reichende Sitte  des  deutschen  und  skandinavischen  Altertums.  S.  J.  Grimm» 
fiber  Schenken  und  Geben.    El.  Sehr.  II,  199. 

2)  Yärmeland  Fryktdelsharad  nach  Borgström  Besaberättelser  1845.  Msc. 

3)  Djurklou,  Anteckningar  ur  Nerikes  folkelif?et.    Mso. 


Die  8€hw6diachen  Waldgeister.  135 

mehr,  weder  im  Schlafen  noch  Wachen.^  In  alten  Seiten  war 
ein  Baner,  ohne  ihre  Herkunft  zu  wissen,  mit  einer  Wald- 
iran  die  Ehe  eingegangen.  Sie  lebten  manche  Jahre  glück- 
lich und  zeugten  Söhne  und  Töchter.  Als  sie  einst  gemeinsam 
im  Walde  daran  arbeiteten,  einen  fertig  gebrannten  Kohlenmeiler 
auseinander  zu  reißen ,  fand  sich ,  daß  sie  den  Speisesack  verges- 
sen hatten.  Er  ging  nach  Hanse,  denselben  zu  holen.  Da  sprach 
die  Hausfrau  „Kommst  du  zurück,  so  schlage  drei  Schläge 
in  den  und  den  Baum  da,^'  und  damit  bezeichnete  sie  eine 
Tanne,  welche  eine  gute  Strecke  von  ihnen  entfernt  stand.  Der 
Bauer  versprach  ihrem  Wunsche  nachzukommen.  Ob  er  das  aber 
vergaß  oder  ftlr  unnötig  hielt,  genug  bei  seiner  ZurUckkunft  sah 
er  zu  seinem  großen  Schrecken,  wie  sie  die  Kohlen  mit  bloßen 
Händen  aus  dem  Meiler  riß  und  mit  ihrem  langen  Schwänze 
auslöschte.  Sofort  drehte  er  um  und  tat  drei  Schläge  mit  seinem 
Axthammer  auf  die  Tanne  (slog  tre  slag  i  tauen  med  yxhamma- 
ren),  worauf  das  Weib  sich  sofort  wieder  in  gewöhnliche  und  in 
allen  Teilen  gleichartige  Menschengestalt  verwandelte.  [Nur  auf 
Grund  weitem  Materials  wollte  ich  es  unternehmen  zu  entschei- 
den ,  ob  jene  drei  Axtschläge  nur  den  Zweck  haben  die  Skogsfru 
von  der  Annäherung  ihres  rückkehrenden  Mannes  zu  benachrich- 
tigen, oder  ob  sie  zu  deren  Verwandlung  in  einer  inneren  Be- 
ziehung stehen].  Seitdem  dachte  der  Bauer  darauf  seine  Frau 
los  zu  werden.  Endlich  gab  ihm  ein  kluges  Weib  ihren  Rat  und 
zugleich  einen  großen  Zauberbeutel  als  Amulet  um  den  Hals 
zu  hängen.  Er  fährt  mit  Frau  und  Ejndem  zu  Schlitten  über 
einen  See,  angeblich  um  sie  auf  eine  Hochzeit  zu  fUhren.  In 
Sees  Mitte  liest  er  mehrere  Worte,  die  die  Alte  ihm  au%eschrie- 
ben,  und  sofort  kommt  eine  Menge  von  Wölfen  zum  Vorschein. 
Eiligst  spannt  er  das  Pferd  ans  und  reitet  davon,  wie  ängstlich 
auch  die  Gattin  ihm  nachruft:  Kehre  um,  wenn  nicht  um  meinet- 
willen, so  doch  um  Snorpipas  willen,  sonst  fressen  die  Wölfe 
uns  auf!  Snorpipa  (Schnarrpfeife)  hieß  ihr  jüngstes  Töchterchen. 
In  ihrer  Not  rief  sie  dann  aus  Leibeskräften  nach  ihrer  Schwester 
Strässa.  *  Der  Troll  in  der  Grube  (Erzgrube  ?)  Strässa  war  näm- 
lich ihre  Schwester.    Dieselbe  kam  daher  gefahren,  so  daß  es 


1)  Anfgez.  1852  von  M.  H.  Hnltiii,  Hdschr.  des  Beichsantiquariams  zu 
Stockholm. 


136  Kapitel  II.    Die  Waldgeister  and  ihre  Sippe: 

in  der  Luft  sauste  und  pfiff  und  entrückte  sie  den  W^^lfen^ 
die  schon  alle  Kinder  gefressen  hatten.  Den  bösen  Bauer  ver* 
folgte  eine  Trollkatze,  vor  deren  Wuth  ihn  das  Amulet  schützte, 
obwol  die  hinter  ihm  zuschlagende  Tür  eines  Hauses,  in  das  er 
sich  rettete,  in  Stücke  sprang.  Als  er  einst  badend  das  Amulet 
ablegte,  drehte  ihm  ein  Troll  den  Hals  um.^  So  fest  haftete  der 
Glaube  an  Liebschaften  von  Menschen  mit  Waldfrauen,  daß  z.  B. 
am  22.  —  23.  Dezember  1691  vom  Häradsgericht  ein  zwei  und 
zwanzigjähriger  Bursch  aus  dem  Markshärad  zum  Tode  verur- 
teilt wurde,  „wegen  unerlaubter  Vermischung  mit  einem 
Skogs-  oder  Bergsrä.^'  Und  noch  am  5.  August  1701  wurde 
Yolontalr  Mäns  Malm-  angeklagt  und  vor  Gericht  gezogen,  weil 
er  solle  mit  einem  Skoügrä  zu  tun  haben.  Es  verdient  hervor- 
gehoben zu  werden,  daß  diese  schwedischen  Traditionen  den 
besten  Gommentar  zu  des  Burkhard  v.  Worms  (ob.  S.  113)  Aus- 
sage über  die  Waldfrauen  liefern.  Wie  in  obiger  Sage  der  Troll 
in  der  Erzgrube  der  Skogsfru  Schwester  ist,  wird  andererseits 
der  Name  Skogsrä  auch  auf  Wesen  ausgedehnt,  welche  auf  Al- 
men (saetter)  ihren  Aufenthalt  haben.  So  weiß  man  in  den  Wald- 
gegenden der  Distrikte  Asker  und  Lennäs  in  Nerike  noch  viel 
von  einem  Skogsrä  zu  erzählen,  welches  von  der  Bergwiese 
Y-S9Btter  den  Namen  Yssetter  -  Kajsa  (Ysaetter-Kätchen)  führte. 
Als  einst  diese  Alme  gemäht  wurde,  und  die  Schnitter  beim 
Abendbrod  saßen,  rühmte  sich  ein  Bursch,  er  habe  Lust  mit  der 
Ysa3tterkajsa  Streit  anzufangen,  und  da  wolle  er  ihr  schon  auf 
den  Pelz  geben.  Kaum  sprach  er  dies,  so  hörte  man  hinter  ihm 
ein  Geräusch  und  er  erhielt  von  unsichtbarer  Hand  eine  so  derbe 
Ohrfeige,  daß  er  Blut  werfen  mußte. ^  Statt  des  Skogsrä  d.  h. 
der  Personification  des  gesammten  Waldes  wird  mitunter  auch 
das  Bä  eines  einzelnen  Baumes  genannt  und  so  zu  sagen  mit 
einem  andern  Geiste  identifiziert. 

Bei  Badelund  in  Westmannland  stand  eine  Tanne ,  die  Klin- 
tatanne  (Elintatall)  auf  kahlem  Felsen,  unter  welchem  im  Berge 
der  Tanne  Schutzgeist  (Rä)  wohnte.  Das  war  ein  Meerweib, 
welches  man  oft  aus  einer  Bucht  des  nahen  Mälarsees  schnee- 
weiße Rinder  über  die  Wiesen  zum  Baume  treiben  sah,  dessen 


1)  Djiurklou»  Anteckningar. 

2)  Djürklon  a.  a.  0. 


Die  schwedischen  Waldgeister.  137 

Aeste  niemand  anzurtthren  wagte.  ^  Ueberhaupt  stehen  sich  die 
Bergsrä,  Skogsrä  und  Sjörä  (Bergrä,  Waldrä  lyid  Seerä)  ein- 
ander sehr  nahe  and  sind  £ast  nnr  durch  ihren  Wohnsitz  und 
einige  damit  zusammenhängende  Besonderheiten  verschieden. 

Die  weibliehen  Skogsrä  kehren  zuweilen  auch  in  Mühlen, 
Ställe  y  Brennereien  u.  s.  w.  ein.  Da  kündigen  sie  ihre  Gegen- 
wart dadurch  an,  daß  die  Sachen  irgendwie  in  Unordnung  lie- 
gen. Dann  deckt  man  an  dieser  Stelle  einen  Tisch  mit  ein  wenig 
Speiseanrichtung  und  ruft  mehrmals:  ,, Findet  sieh  da  irgend  ein 
Rä,  00  konmie  hervor!''  Erweist  man  dem  erscheinenden  Geiste 
seine  liebe  mit  freundlicher  und  liebreicher  Zuspräche  und  höf- 
licher Begegnung  (weitergehender  Vertraulichkeit  bedarf  es 
nicht  notwendig)  so  erwiedert  derselbe  das  Wolwollen,  indem  er 
Botschaften  verrichtet,  dem  Hause  Glück  schafft  u.  s.  w.^  Kurzum 
auch  die  Skogisrä  gehen  in  Hausgeister  über  (vgl.  die  Dienst- 
leistungen der  Seligen  ob.  S.  90. 103  und  Moosleute  S.  80). 

Wie  alle  Trolle  haben  die  Skogsrä  Furcht  vor  dem  Donner^ 
der  sie  verfolgt  und  erschlägt.  Oft  hört  man  im  Walde  während 
des  Gewitters  den  Skogsman  und  die  Skogsfm  laut  jammern.' 
Doch  auch  der  wilden  Jagd  dienen  sie  als  Verfolgungsziel.  Ein 
Schneider  im  Nordmarkshärad  in  Värmeland  liebte  leidenschaft- 
'  lieh  die  Jagd.  Als  er  einst  Nachts  auf  dem  Anstand  lag,  floh 
ein  Skogsrä  an  ihm  vorbei  mit  großen  über  die  Achsehi  geschla- 
genen Brüsten  und  das  herabwallende  Haar  flatterte  wild  hinter 
ihr  im  Winde.  Ihr  folgte  ein  Jäger  mit  zwei  pechschwarzen 
Hunden.  Bald  kam  er  zurück  und  hatte  das  Wildpret  erlegt« 
Die  Beine  des  Skogsrä  hatte  er  über  die  Schulter  geworfen,  ihr 
Haupt  und  ihre  Brüste  schleppten  auf  dem  Boden  nach  und  troffen 
von  Blut,  das  die  Hunde  begierig  aufleckten.  Der  Jäger  fragte 
den  Schneider,  wie  er  dazu  komme  in  seinem  Walde  zu  jagen 
und  verbot  es  ihm.^  In  Smäland  und  -andern  Gegenden  wird 
gradezu  König  Oden  als  der  nächtliche  Jäger  bezeichnet,  der 
mit  Jagdhorn  und  Spieß  (resp.  Büchse)  und  mit  zwei  Hunden 


1)  Afzelins,    Volkssagen    und   Volksl.    üben.    v.   Ungewittcr  II,  308. 
Mytb.»  619.    Püttmann ,  nord.  Elfenmärchen  S.  156  ff. 

2)  RäafB  Sammlung  a.  Berseryd. 

3)  Annerfeld  a.  a.  0.  S.  92.    Djnrkloa ,  Anteckningar  Nr.  71. 

4)  BorgBtrdm,  Besaberättelser. 


138  Kapitel  U.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

daherfahrend  sich  zam  Wilde  anverttBderlich  eine  Skogsnu^ 
oder  ein  Berg^troU  aasersehen  hat,  die  vor  ihm  durch  die  Laft 
fliehen  mit  fliegendem  Haar  und  über  die  Achsefai  geschlängten 
Brüsten.  Die  Jagd  geht  über  Wald  uid  Berg,  wie  Vogelflag 
oder  Starmeswehn.  Von  der  nächtigen  Fahrt  heimkehrend  hat 
Oden  die  getödtete  Skogsnufva  quer  über  dem  Rosse  hängen. 
Einem  Soldaten  der  ihm  einst  auf  einer  Fahrt  begegnet,  giebt 
er  sich  zu  erkennen.  „Ich  bin  König  Oden  und  vom  Allmächtigen 
dazu  gesetzt,  alle  TroUe  und  Trollweiber  (alla  troll  och  pyskan 
s.  ob.  S.  128)  auszurotten.^'  Da  habt  Ihr  wol  vile  rbeit?  meinte 
der  Soldat.  König  Oden  antwortete:  „Ja,  doch  ich  habe  den 
Donner  zu  Hilfe''  (Ja  men  jag  har  äskan  til  hjelp).^  Statt  des 
Skogsrä  oder  Bergtrolls  wird  zuweilen  eine  Riesin  (jättesa)  mit 
eimergroßen  Brüsten  als  Jagdstück,  in  andern  Sagen  ihr  eige- 
ner Gatte,  oder  (entsprechend  der  ob.  S.  135  mitgeteilten  lieber- 
lieferung)  eine  Schaar  gespenstiger  Wölfe  als  Verfolger  genannt 
Oefter  sucht  die  Verfolgte  in  dem  Fenster  einer  Heuscheuer 
mitten  im  Walde  (hölada)  Schutz  und  spottet  da  der  Hunde  oder 
Wölfe ,  wird  aber  von  einem  sie  belauschenden  Menschen  unbarm- 
herzig unter  sie  hinabgestoften. 

§.  19.  Die  russischen  Waldgeister.  Der  russische  Wald- 
geist Ljeschi  (von  Ijes,  poln.  las  Wald)  wird  allgemein  in  Men-  * 
schengestalt  mit  Bockshörnern,  Bocksohren  und  Geiß- 
füßen gedacht,  die  Finger  enden  in  lange  Klauen,  Kopf 
und  Körper  werden  von  rauhen  und  zottigen  Haaren 
bedeckt,  die  häufig  von  grüner  Farbe  sind.  Er  kann  aber 
mancherlei  Gestalten  annehmen  und  seine  Größe  willkürlich  ver- 
ändern.  Geht  er  im  Fdde,  so  verkleinert  er  sich  Us  eur  Größe 
des  Grases;  geht  er  im  Walde,  so  erreicht  er  die  Hohe  der 
Bäume.*  Die  Einwohner  der  Gouvernements  Kiew  und  Tscher- 
nigoff  teilen  deshalb  die  Ljeschie  in  zwei  Klassen.  Die  einen, 
die  eigentlichen  Waldljeschie  sind  graufarbige  Biesen,  die  andern, 
welche  nicht  minder  Ljeschie  (Waldgeister)  heißen,  sind  Wesen 
des  Kornfelds,   Dämonen  des   Getreidewuchses  selbst.      Vor  der 


1)  Anfzeichnung  v.  M.  H.  HultiU  1858. 

2)  Hieraus  erklärt  sich  die  yerdnnkelte  üeberlieferung  aas  Hessen  ob. 
S.  88,  daß  die  wilden  Männer  bald  hoch  oben  durch  die  Wipfel  der  Bäume 
fahren ,  bald  sich  freuen  zwischen  den  Schachtelhalmen  einhergehen  zu  können. 


Die  niBsiaohen  Waldgeister.  139 

Ernte  haben  sie  diesdbe  Hohe,  wie  die  noch  grünen  Halme,  nach 
der  Ernte  schrumpfen  sie  ßusammm,  bis  sie  nicht  höher  sind,  als 
dfzs  Stoppelfdd.  Man  darf  daraas  schlieAen,  daß  .auch  die 
eigeDtlichen  Waldljeschie  als  Dämonen  der  Waldvegetation  zu 
denken  sind. 

Häufig  aber  nehmen  die  Ljeschie  völlig  menschliche  Gestalt 
an^  nur  daß  sie  niemals  Augenbrauen  und  Wimpern  und  häufig 
gleich  den  Kyklopen  nur  ein  Auge  haben.  Sie  tragen  dann  das 
Gewand  eines  Bauern  aus  Schaffell ,  aber  ohne  Gtlrtel ;  statt  des* 
sen  sind  die  beiden  Sockzipfel  in  einander  geschlungen.  Wirbel- 
wind und  Sturm  sind  das  Element,  in  welchem  der  Ljeschi 
seine  Anwesenheit  offenbart.  Nach  dem  Glauben  der  Bauern 
entspringen  die  Verwüstungen  der  Orkane  dem  Kampfe 
dieser  Waldgeister  gegeneinander,  wobei  sie  Baum- 
stämme und  Felsstttcke  schleudern.  Hält  der  Ljeschi  Sund- 
gang durch  sein  Reich,  so  brüllt  der  Wald  und  die  Bäume  zit- 
tern. Oder  der  Waldgeist  spnngt  spielend  von  Ast  zu  Ast  und 
wiegt  sieh  selbst  in  den  Zweigen,  wovon  er  an  einigen  Orten  ' 
Zuibotschnik  (vgL  Zuibka  Wiege)  genannt  ist  In  solchen  Stun- 
den macht  er  alle  Arten  von  Lärm.  Er  kreischt  und  lacht,  er 
klatscht  in  die  Hände,  er  wiehert  wie  ein  Pferd,  brüllt  wie 
eine  Kuh,  bellt  wie  ein  Hund.  Sein  Lachen  kann  man  meilen- 
weit in  der  Bunde  hören.  Wenn  bei  Sturmwetter  das  Knarren 
der  Aeste,  das  Krachen  der  Stämme  wiederhallt,  so  vernimmt 
der  russische  Bauer  kein  Echo,  sondern  den  Ruf  der  Ljeschie, 
welche  einen  unvorsichtigen  Jäger  oder  Holzhauer  auf  gefähr- 
lichen Grund  zu  verlocken  trachten,  um  ihn  zu  Tode  zu 
kitzeln,  sobald  sie  ihn  in  ihrer  Gewalt  haben.  [Wir  begegneten 
dem  nämlichen  Zuge  bereits  ob.  S.  87].  Nachts  Schläft  der 
Ljeschi  in  ii^nd  einer  Hütte  in  der  Tiefe  der  Wälder  und  findet 
er  etwa  seinen  Zufluchtsort  von  einem  verspäteten  Wanderer 
bereits  besetzt,  so  streicht  er  als  Wirbelwind  über  die 
Hütte,  rüttelt  an  der  Tür  und  hebt  das  Dach,  indeß 
ringsum  alle  Bäume  sich  biegen  und  winden  und  ein  furchtbares 
Geheul  durch  den  Forst  schidlt.  Und  wenn  der  ungebetene  Gast 
alle  diese  Winke  verachtet .  und  sich  nicht  entfernt,  läuft  er 
Gefahr  am  nächsten  Tage  sich  in  den  Wäldern  zu  verlieren,  oder 
in  einen  Morast  zu  versinken.  Im  Gouvernement  Archangel 
erzählt  man,  bei  einem  der  erwähnten  Kämpfe  mit  zwei  andern 


140  Kapitel  II.    Dio  Waldgeister  und  iiire  Sippe: 

Geistern  seiner  Klasse  ttber  die  Rechte  aaf  einen  gewissen  Wald 
wurde  ein  Ljeschi  einmal  überwunden  und  yon  jenen  an  den 
Händen  so  fest  zusammengeschnürt^  daß  er  sich  nicht  rühren 
konnte.  So  fand  ihn  ein  reisender  Kaufinann  und  band  ihn  los. 
Zum  Dank  sendete  er  seinen  Wohltäter  in  einem  Wirbel- 
winde heim  und  tat  nachher  noch  manches  andere  für  ihn  (vgl. 
ob.  S.  68  die  (xeschichte  des  estnischen  Banmelfen). 

Als  ehedem  die  Wälder  noch  größer  und  dichter  waren, 
denn  heutzutage,  yerlockte  der  Ljeschi  beständig  die  Wanderer 
und  flihrte  sie  vom  rechten  Wege  ab  in  die  Irre.  Bald  versetzte 
er  die  Grenzsteine,  bald  nahm  er  die  Form  eines  Baumes  an, 
nach  welchem  die  Nachbarn  die  Sichtung  zu  bestimmen  pflegten. 
Zuweilen  veränderte  er  sich  in  das  Aussehen  eines  Wanderers 
und  verflocht  den  Vorübergehenden  in  eine  Unterhaltung.  Der 
Verftlhrte  plauderte  unbefangen,  bis  er  plötzlich  gewahr  wurde, 
daß  er  sich  mitten  in  einem  Sumpf  oder  Waldbach  befinde. 
Dann  hörte  er  ein  lautes  Gelächter  und  wenige  Schritte  von  sich 
sah  er  den  Ljeschi  grinsend  in  seiner  wahren  Gestalt.  Auch 
vernimmt  der  Waldwart  mitunter  bei  Nacht  das  Weinen  eines 
IJjndes  und  Seufeer,  welche  deutlich  von  einem  Sterbenden  her- 
zurühren scheinen.  Da  tut  er  gut,  schleunig  nach  Hause  zu 
eilen^  ohne  auf  diese  Stimmen  zu  achten.  Denn  folgt  er  ihnen, 
so  gerät  er  wahrscheinlich  in  einen  reißenden  Strom,  der  daher- 
rauscht,  wo  früher  kein  Wasser  war.  Wo  immer  der  Ljeschi 
geht,  läßt  er  keine  Spur  hinter  sich  zurück,  er  verdeckt  den 
Abdruck  seiner  Füße  mit  Sand,  Laub  oder  Schnee.  Tritt  aber 
jemand  zufällig  in  seine  noch  frische  Fährte,  so  wird  derselbe 
irre  geführt  und  findet  nicht  leicht  den  rechten  Weg  wieder.  In 
dieser  Not  ist  es  das  beste  Mittel ,  das  Futter  von  Hemd,  Schuhen 
oder  Pelz  nach  außen  zu  kehren.  Doch  auch  abgesehen  von  die- 
ser Irreleitung  der  Wanderer  macht  sich  der  Waldgeist  noch 
in  mancherlei  anderer  Weise  auf  Kosten  derselben  lustig;  er 
bläst  ihnen  Sand  in  die  Augen,  schlägt  ihnen  die  Mütse  vom 
Kopfe,  läßt  ihre  Schlitten  am  Boden  fest  frieren.  ,,Geh  nicht  in 
den  Wald,''  hört  man  oft  sagen,  „der  Ljeschi  spielt  dir  da  einen 
Possen.''  Schlimmer  ist,  daß  er  oft  Krankheit  verursacht,  so  daß 
von  jemandem,  der  nach  der  Bückkehr  aus  den  Waldungen 
unpäßlich  wurde ,  die  sprichwörtliche  Bedensart  gilt :  „  er  hat  den 
Pfad  der  Ljeschie  gekreuzt"     Um  geheilt  zu  werden,   trägt  er 


Die  rnssisehen  Waldgeister.  141 

Brod  und  Salz  in  einen  reinlichen  Lappen  gebunden  in  den  Wald^ 
und  legt  es  unter  Oebet  als  Opfer  für  den  Ljeschi  ins  Moos  in 
der  festen  Ueberzeogung  bei  der  Nachhausekunft  von  seiner 
Krankheit  befreit  zu  sein.  Den  Hirten,  die  im  Walde  ihre 
Heerde  weiden ,  sangt  der  Ljeschi  gerne  das  Euter  der  Kühe  aus. 
Sie  müssen  deshalb  mit  ihm  in  gutes  Einyemehmen  zu  kommen 
suchen.  Im  Gouvernement  Olonetz  glaubt  man,  der  Hirte  müsse 
jeden  Sommer  dem  Ljeschi  eine  Kuh  geben,  geschehe  das  nicht, 
so  zerstöre  der  Waldgeist  die  ganze  Heerde.  Im  Gouvernement 
Arehangel  hält  man  daflir,  wenn  man  das  Glück  habe,  dem 
Ljeschi  zu  gefallen,  so  behüte  er  die  ganze  Heerde  auf 
der  Weide  (vgl.  ob.  S.  30  die  finnischen  Baumnymphen). 

Andererseits  stehen  alle  Vögel  und  Tiere. des  Waldes  unter 
dem  Schutz  des  Ljeschi.  In  Kleinrußland  soll  er  insonderheit 
der  Schutzherr  der  Wölfe  sein.  Gemeinhm  gilt  als  sein  Liebling 
der  Mr,  sein  Diener,  der  bei  ihm  wacht,  wenn  er  zuviel  von 
dem  starken  Getränk  genommen  hat,  das  er  so  sehr  liebt,  und 
ihn  vor  dßn  Angriffen  der  Waldgeister  behütet. 

Wenn  die  Eichhörnchen ,  Feldmäuse  und  einige  andere  Tiere 
jq  Schaaren  ihre  periodischen  Wanderungen  antreten ,  ^erklärt  das 
Volk,  die  Waldgeister  treiben  ihre  Heerde  von  einem  Wald  in 
den  andern.  Unter  solchen  Umständen  hängt  auch  der  Erfolg 
des  Waidmanns  von  seinem  Verhältniß  zum  Ljeschi  wesentlich 
ab.  Er  legt,  um  denselben  für  sich  zu  gewinnen,  ein  Stück- 
chen Brod  oder  Pfannkuchen  mit  Salz  bestreut  auf 
einen  Baumstumpf  (vgl.  ob.  S.  130),  wie  denn  die  Ljeschie 
zuweilen  auch  Kuchen  von  den  im  Wald  arbeitenden  Dorf- 
leuten fordern  (vgl.  ob.  S.  107)  und,  nachdem  sie  solche  erhal- 
ten, sich  mit  schrecklich  tönender  Stimme  entfernen.  Im  Grouver- 
nement  Perm  weihen  die  Landleute  einmal  im  Jahre  dem  Ljeschi 
ihre  Gebete  und  bringen  ihm  dabei  ein  Päckchen  Blättertaback 
dar,  worin  er  ganz  vernarrt  ist  In  einigen  Distrikten  eignen 
ihm  die  Jäger  das  erste  Tier  zu,  welches  sie  fangen,  indem  sie 
dasselbe  für  ihn  in  einem  Eichwalde  zurücklassen.  Mn  gewisser 
Zaubersegen ,  der  von  Jägern  öfter  gebraucht  wird ,  ruft  die  Teu- 
fel und  Ljeschie  an,  ihnen  die  Hasen  in  den  Schuß  zu  treibet), 
und  die  magische  Gewalt  dieses  Spruches  soll  so  groß  sein,  daß 
die  Waldgeister  gehorchen.  Wer  den  Ljeschi  selbst  her- 
beibeschwören will,   soll  eine  Anzahl  junger  Birken  ab- 


142  Kapitel  ü.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe:  > 

«rhanen  nnd  mit  den  Wipfeln  nach  innen  in  einen  Kreis 
legen.  Dann  maß  er  im  Kreise  stehend  laut  rafen:  Großvater! 
(djeduschka) ;  sofort  wird  der  Waldgeist  erscheinen.^  Oder  er 
soll  sich  auf  einen  Baamstumpf  stellen,  mit  dem  Gesichte  nach 
Osten,  soll  sich  niederbtlckend  zwischen  seinen  Beinen  durch- 
sehen und  dabei  sagen:  ,, Onkel  Ljeschi  erscheine,  nicht  als  grauer 
Wolf,  nicht  als  schwarzer  Rabe,  nicht  als  brennendes  Feuer, 
sondern  als  meines  gleichen!^'  Dann  fangen  die  Blätter  der 
Espe  an  zu  zittern,  wie  wenn  ein  sanfter  Wiild  durch  sie  hin- 
streiche,  und  der  Ljeschi  wird  sichtbar  in  Menschengestalt  Bei 
solchen  Gelegenheiten  geht  er  gerne  einen  Handel  mit  seinem 
Beschwörer  ein  und  ist  bereit  jede  Art  von  Beistand  zu  gewähren, 
wenn  ihm  daAir  des  andern  Seele  zu  Teil  wird  (aus  christlichem 
Teufelsglauben  entlehnt).  Nach  diesen  Beschwörungs- 
formeln wurde  der  Waldgeist  doch  wohl  aus  den 
Birkenwipfeln  oder  dem  Baumstumpf  hervortretend, 
also  in  diesen  weilend  gedacht.  Während  in  Deutsch- 
land und  Skandinavien  die  Wald  fr  au  die  Hauptrolle  spielt  und 
häufig  allein  auftritt,  kennt  die  russische  Sage  umgekehrt  vor- 
zugsweise den  männlichen  Waldgeist.  Zuweilen  jedoch  findet  ma» 
demselben  auch  Weib  und  Kinder,  die  Lisunki,  gesellt,  behaarte 
Wesen  von  abschreckendem  Aeußern.  Eine  kleinrussische  Er- 
zählung berichtet;  daß  ein  Menschenweib  einmal  einen  neugebor- 
nen  Ljeschi  nackend  und  kreischend  auf  der  Erde  liegen  fand. 
Sie  hob  ihn  mitleidig  auf  und  deckte  ihn  mit  ihrem  warmen 
Tuch.  Bald  darauf  kam  die  Lisunka,  die  Mutter  des  Kleinen, 
und  beschenkte  das  mitleidige  Weib  dankbar  mit  einem  Topfe 
glühender  Kohlen,  ^e  sich  hinterher  in  Gold  verwandelten.  Im 
wesentlichen  dieselbe  Greschichte  wird  in  Thüringen  von  einem 
Holzweibchen  erzählt'  '  Zuweilen  entführen  die  Ljeschi  sterbliche 
Jungfrauen  und  machen  sie  zu  ihren  Eheweibern.  Doch  ob  sie 
nun  unter  sich  eheliche  Verbindungen  schließen,  oder  mit  Sterb- 


1)  Vgl.  ob.  S.  131  deo  schwedischen  Zauberbranch. 

2)  Auf  dem  Hnngerberge  bei  Wilhelmdorf  fand  eine  Holzleserin  das 
Kind  eines  Waldweibes  in  einer  Baumrinde  wie  in  einer  Wiege  liegen.  Sie 
reichte  ihm  mitleidig  die  Brust.  Da»  kam  die  Mutter  herzu  und  beschenkte 
sie  mit  der  Wiege  des  Säuglings ;  die  Leserin  brach  von  der  Binde  einen 
Splitter  ab  und  warf  ihn  auf  ihre  Holzbtlrde.  Zu  Hause  zeigte  sichs,  daß 
er  von  Gold  gewesen     Bomer ,  Sagen  des  Orlagaus  S.  231. 


Penxanisehe  und  brasilianische  Waldgeister.  143 

Heben  j  ihre  Yermählt&ig  ist  stäts  von  lärmenden  Festlichkeiten  nnd 
heftigen  Stürmen  begleitet  Geht  der  Hochzeitzag  durch  ein  Dorf, 
80  wird  manches  Haus  zu  Schaden  kommen,  geht  er  durch  einen 
Wald,  so  kommt  mancher  Baum  zu  Falle.  Selten  wagt  es  ein 
Bauer  auf  einem  Waldpfade  sich  hinzulegen,  denn  der  Brautzug 
des  Waldgeistes  könnte  des.  Weges  kommen  und  ihn  im  Schlafe 
zermalmen.  Im  Gouvernement  Archangel  gilt  der  Wir- 
belwind als  der  Tanz  des  Ljeschi  mit  seiner  Braut. 
Den  zweiten  Tag  nach  seiner  Hochzeit  geht  der  Waldgeist  nach 
allgemein  russischer  Sitte  mit  seinem  jungen  Weibe  zum  Bade 
und  wenn  ihnen  dann  ein  Sterblicher  begegnet,  so  bespritzt  ihn 
das  würdige  Paar  mit  Wasser  und  weicht  ihn  von  Kopf  bis  zu 
Fuß  ein.  Wie  Weiber  raubt  der  Ljeschi  Kinder,  trägt 
sie  in  seine  unterirdische  Behausung  und  läßt  sie  erst  nach  Jah- 
ren ganz  verwildert  wieder  heraus.^ 

§.  20.  Pemanische  und  brasilianiselie  Waldgeister.  Zum 
Vergleich  mit  diesen  europäischen  Waldgeistem  und  ehe  wir  noch 
einmal  ihre  lange  Beihe  prüfend  tiberschauen,  setze  ich  noch  ein 
Beispiel  aus  einem  entlegenen  Weltteil  und  einer  andern  Zone  her, 
an  welchem  einigermaßen  gemessen  werden  kann,  in  wie  weit 
die  Apperception  ähnlicher  Naturverhältnisse  zu  ähnlichen  mythi- 
schen Gebilden  sich  verdichtet.  Pöppig'  fand  in  den  Wäldern 
von  Peru  den  Glauben  an  ein  gespenstiges  Wesen  lebendig,  Na- 
mens Uchuclla-chaqui.  Wo  der  Wald  am  dunkelsten  ist,  wo  die 
lichtscheuen  Amphibien  und  Nachtvögel  sich  aufhalten,  wohnt 
dieses  gefährliche  Wesen  und  versucht  in  befreundeter 
Gestalt  erscheinend  den  Indianer  zu  verderben.  Es 
giebt  die  wohlverstandenen  Zeichen,  deren  sich  die  geselligen 
Jäger  zu  bedienen  pflegen;  es  lockt  den  Getäuschten  selbst 
immer  unerreichbar  weiter  und  tiefer  in  die  Oede 
und  verschwindet  mit  lautem  Hohngelächter,  wenn 
der  Rflckweg  verloren  ist  und  die  Schrecken  der  Wildniß  durch 
die   herabsinkenden  Schatten  der  Nacht  sich  mehren.    Bisweilen 


1)  W.  R.  S.  Ralston,  the  songs  of  the  Rassian  people  153 — 160. 
Afanasieff,  Poetische  Naturanschanungen  der  Rassen  I,  140.  710.  715.  II,  235. 
243.325—349.  718.  722.  IH,  78.  303 -- 313.  803.  Cf.  Kaysarow,  Veranch 
e.  slavisclieii  Myth.,  70.  Mone,  Heidentum  im  nördlichen  Europa  I,  143. 
Waldbrflhl,  Balalaika  229.    Earamsin,  Gesch  d.  russ.  Volkes  I,  Kap.  III. 

2)  Reise  in  ChiU  und  Peru  Bd.  II.    Lpzg.  1836.    S.  358. 


144  Kapitel  IT.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

trennt  es  wohl  auch  die  gemeinsam  anf  Jagd  gezogenen,  allein 
nie  tänscht  es  den  Erfahrenen,  der  in  seinem  Mistrauen  die  Spar 
des  Feindes  untersacht.  Raum  gewahrt  er  die  ganz  ungleiche 
GröBe  des  Abdrucks  der  Füße,  so  kehrt  er  eilig  znrttck 
und  wohl  längere  Zeit  wagt  niemand  einen  Zug  in  die  Wildniß, 
denn  nur  vorübergehend  sind  die  Besuche  des  Unholds.^'  In  jener 
Fabel,  fllgt  der  Erzähler  hinzu,  gewahrt  man  den  Einfluß,  den 
die  unbeschreibliche  Wildniß  und  Trauer  der  sumpfigsten  und 
unbesuchtesten  Urwälder  selbst  auf  die  sonst  schwer  bewegliche 
Phantasie  des  Amerikaners  austlbt.  Von  ihr  schaflft  sich  kein 
Europäer  ein  Bild,  denn  die  einsamsten  Forste  seines  Weltteils 
bieten  ihm  nirgend  etwas  Aehnliches  (?).  Allgemein  verbreitet  ist 
der  Glaube  an  jenes  gespenstige  Wesen,  das  sogar  Nachts 
die  im  Freien  schlafenden  Reisenden  umlauert,  um 
sie  nach  halbem  Erwachen  unter  erlogener  Gestalt 
irre  zu  leiten.  Viele  Geschichten,  zum  Teile  der  neuesten 
Zeit  angehörig,  werden  von  solchem  Verlieren  besonders  der 
Kinder  erzählt  und  in  der  Tat  ist  nichts  leichter  möglich,  als 
in  solchem  Walde  nach  wenigen  Schritten  Entfernung  das  Lager 
nicht  wieder  finden  zu  können,  wenn  weder  ein  Lichtschein  noch 
rafende  Stimmen  die  Richtung  angeben.'^  Ganz  ttbereinstinmiende 
Erfahrungen  machten  in  neuerer  Zeit  Bates  und  nach  ihm 
R  Schlobach  in  Brasilien.^  Bates  schildert  den  fremdartigen 
Eindruck,  den  die  Düsterheit  und  Stille  im  brasilianischen  Walde 
hervorbringt  und  spricht  von  dem  betäubenden  Geheul  der  AflTen 
und  dem  plötzlichen  Todesschrei  von  Schlangen  und  Tigern  ver- 
folgter Tiere ,  sporadischen  Lauten ,  durch  welche  das  Geftihl  der 
ungastlichen  Einöde,  das  der  Wald  hervorruft,  nur  noch  mehr 
erhöht  wird.  Außerdem  hört  man  Töne,  die  man  sich  nicht 
erklären  kann,  „und  die  Eingebomen  waren  dies  —  wie  ich 
fand  —  noch  weniger  im  Stande ,  als  ich  selbst."  Zuweilen  hört 
man  Töne,  als  ob  mit  einer  eisernen  Stange  an  einen 
hohlen  harten  Baum  geschlagen  würde,  oder  ein 
durchdringender  Schrei  hallt  durch  die  Luft.  Das 
darauf  folgende  Stillschweigen  erhöht  den  unangenehmen  Ein- 
druck ;  den  solche  einzelne  nicht  wiederholte  Töne  auf  das  Gemüt 


1)  Bates,  Naturforscher  am  Amazonenstrom.    Lptg.  1866.   S.  40.    Schlo- 
bach in  d.  niastrirten  Zeitung  v.  25.  Mai  1872. 


Bückblicke  und  Ergebnisse.  145 

machen.  Bei  den  Eingebornen  ist  es  immer  der  Ca- 
rnpira,  der  wilde  Mann,  der  Waldgeist,  der  diese 
unerklärlichen  Töne  hervorbringt.  Dieser  ist  ein  sehr 
geheinmißvolles  Wesen,  dessen  Attribute  sehr  ungewiß  sind,  da 
sie  nach  der  Oertlichkeit  wechseln.  Er  hat  Weib  unä  Kind  und 
konmit  zuweilen  in  die  Bo^as  (Pflanzungen),  um  Mandioca  zu 
stehlen.  Ein  junger  Mameluco  in  Bates  Dienste,  dessen  Kopf 
mit  den  Sagen  und  Aberglauben  des  Landes  angefüllt  war,  zit- 
terte am  ganzen  Leibe,  so  oft  er  im  Walde  die  oben  erwähnten 
Laute  hörte,  kroch  hinter  Bates  und  bat  ihn  umzukehren.  Er 
wurde  erst  wieder  ruhig,  nachdem  er  ein  Zaubermittel  zum 
Schutze  gegen  den  Curupira  gemacht  hatte.  Zu  diesem  Zwecke 
nahm  er  ein  junges  Palmblatt,  welches  er  zusammenflocht  und 
einen  Bing  daraus  bildete,  den  er  an  einem  Aste  auf  dem  Wege 
aufhing.    Wollte  er  dadurch  den  Waldgeist  an  den  Baum  fessehi? 

Vergleichen  wir  noch  was  J.  G.  Müller  von  den  Waldgeistem 
der  südamerikanischen  Völker  meldet.^  Die  Gurupira  sind  necki- 
sche, schadenfrohe  Waldgeister ,  die  den  Indianern  unter  allen 
Formen  begegnen,  sich  auch  einmal  in  ein  Gespräch  mit 
ihnen  einlassen,  auch  Feindschaften  zwischen  einzelnen  Personen 
erregen  und  erhalten.  Bei  den  Botokuden  heißen  die  Waldgei- 
ster,  welche  größer  oder  kleiner  gedacht  werden,  Janchon;  sie 
beunruhigen  ebenfalls  die  Leute.  Sonst  gehört  zu  den  Waldgei- 
stem auch  Uaiuara,  bald  ein  kleines  Männchen,  bald  ein  gewal- 
tiger Hund  mit  langen  klappernden  Ohren.  Er  läßt  sich, 
wie  das  deutsche  wilde  Heer,  am  furchtbarsten  um 
Mitternacht  vernehmen.  Ein  anderer  berühmter  Waldgeist 
ist  der  Caypora  der  Küstenbewohner,  der  Kinder  und 
junge  Leute  raubt,  sie  in  hohle  Bäume  verbirgt  und  dort 
fättert" 

§.21.  Mekblieke  und  Ergebnisse.  Blicken  wir  noch 
einmal  auf  die  lange  Beihe  der  besprochenen  Wald-  und  Feld- 
geister zurück,  so  wird  das  Beispiel  der  zuletzt  aufgeführten 
südamerikanischen  Dämonen  uns  hinreichend  belehren  können, 
daß  unter  ganz  verschiedenen  Himmelsstrichen,  bei  Völkern, 
deren  Lage  jeden  Gedanken  einer  Entlehnung  von  einander  aus- 
schließt, aus  einer  Art  psychologischer  Notwendigkeit  sich  über- 


1)  Geschichte  der  amerikanischen  Urreligionen.    Basel  1855.    S.  259. 

UAnnbardt.  10 


146  Kapitel  ü.    Die  Waldgeibter  und  ihre  Sippe: 

raschend  ähnliche  Mythengestalten  erzengt  haben.  Die  lieber- 
einstimmung  jener  indianischen  Vorstellungen  vom  Waldgeist  ist 
am  größten  mit  dem  Volksglauben  in  Schweden  und  Rußland, 
zweien  europäischen  Ländern,  deren  Wald  noch  am  meisten  die 
Natur  des  Urwaldes  bewahrte.  Sie  betrifit  vorzugsweise  Charac- 
terzfige  imd  Handlungen,  welche  aus  diesem  Naturverhalt  fließen, 
Kufen,  Hohngelächter,  Irreführen.  Eine  jedoch  weit  größere 
Familienähnlichkeit  mit  einander  tragen  die  nordeuropäischen 
Waldgeister  an  sich,  sie  sind  offenbar  Varietäten  eüi  und  der- 
selben Art,  deren  verschiedene  Abwandlungen  wesentlich  durch 
die  Reflexe  der  localen  Naturverhältnisse  bedingt  werden.  Zum 
Erweise  dieser  Behauptung  stelle  ich  in  tlbersichüicher  Kürze  die 
übereinstimmenden  Züge  zusammen.  Aus  denselben  wird  hervor- 
gehen/  daß  wir  die  Waldleide  (mlden  LetUe,  Skogsnufvar,  Ljes- 
chie  u.  8.  w*)  anziAsehen  hohen  als  eine  Verschmelzung  von  Bauwr 
geistern  und  Windgeistem;  schwerlich  spielt  eine  Erinnerung  an 
wirkliche  Menschen,  rohe  halbtierische  Ureinwohner  hinein,  die 
sich  vor  unserer  Bace  in  die  Wälder  zurückgezogen  hätten  und 
im  Volksgedächtniß  zu  Dämonen  geworden  wären,  eine  Ansicht, 
die  neuerdings  allerdin^  einige  mehr  oder  minder  consequente 
Vertreter  (Hylt^n  -  Gavallius ,  Chr.  Schneller  u.  s.  w.)  gefunden  hat 
Die  Gestalt  der  Waldgeister  wird  bald  riesenhaft,  bald 
zwergisch  beschrieben,  für  gewöhnlich  menschenähnlich,  aber  in 
alle  möglichen  Tier-  und  Pflanzenformen  verwandlungsfähig. 
Tiergestalt  aui'  längere  Dauer  mißt  man  der  gente  salvatica 
S.  113,  zeitweilige  Geißgestalt  den  Ljeschi^  S.  138,  Dialen 
S.  95,  Delle  Vivane  S.  116  bei.  Die  vom  wilden  Jäger 
gejagten  ganz  in  Moos  gekleideten  Moosweibchen  in  Wildemann 
trugen  Gänsefüße.^  Die  Skogsnufvra  trägt  Tierfelle  und  Kuh^ 
schwänz  S.  128,  die  ihr  entsprechende  dänische  Waldfrau  S.  126 
verwandelt  sich  noch  altertümlicher  in  eine  Ruh.^  Wenn  die 
Fangga  sich  in  Wildkatzenfelle  kleidet  und  Stutzkatze  heißt,  so 
erblicke  ich  darin  einen  Fingerzeig ,  daß  dieses  Wesen  auch  Wüd- 


1)  Pröhle,  Deutsche  Sagen  S.  37. 

2)  So  kennt  die  Thüringische  Sage  eine  feurige  Kuh,  die  sich  in 
einen  Birnbaum  und  dann  in  ein  altes  Weib  verwandelt.  Chronicon 
monasterii  St.  Petri ,  S.  Pauliini  syntagma  p.  314  bei  Bechstein ,  Sagenschatz 
des  Thüringer  Landes  I,  126.    Witschel,  Sagen  a.  Thüringen  115,  110. 


Bückblicke  und  Ergebnisse.  147 

katzengestalt  annehineii  konnte.  Die  Holzweiber ,  wilden  Weiber 
und  der  Skongmann  sitzen  auch  wol  als  Eulen  aui'  den  Bäu- 
men S.  127  y  der  lettische  mahjas  kungs  entweicht  in  Gestalt 
eines  Vogels  S.  53,  auf  der  unersteiglichen  Alpe  Morin  in 
Tirol  sollen  drei  Selige  wohnen,  die  in  Geiergestalt  die  Gemsen 
beschützen  und  den  Jägern  feind,  den  Hirten  freund  sind.^  Das 
Aussehen  der  Waldgeister,  wenn  sie  anthropomorphisch  auftre- 
ten, enthält  manche  Züge,  welche  darauf  hindeuten ,  daß  die 
Phantasie  zu  ihrer  Ausstattung  bei  den  Bäumen  eine 
Anleihe  machte.  Sie  tragen  einen  behaarten  moosbewachsenen 
Leib 'oder  grüne  Kleidung;'  einen  Rttcken  hohl  wie  ein  morscher 
Baumstamm  oder  ein  Backtrog;'  und  ihre  großen  Brtlste  dtlrf- 
ten  als  ein  sinnlich  symbolischer  Ausdruck  der  VegetationsfÜlle 
betrachtet  werden;^  ihre  langen  gelben  oder  sonst  weithin  im 


1)  Schaubach,  die  deutschen  Alpen.    Jena  1847.   11,42. 

2)  Moosleute:  behaarter  Körper ,  runzeliges  moosbewachsenes  Gesicht. 
Waldf&irken:  behaarter  Leib,  Kopf  mit  Eichenlaub  bekrftnzt.  Wild- 
lente  in  Hessen:  Kleidung  grün  und  rauh,  gleichsam  zottig.  Nörgele: 
in  grüne  Jacke  und  Bergmoos  gekleidet.  Fanggeu:  Haar  voll  Baumbart, 
Joppen  von  Baumrinden.  Wilder  Mann  in  Tirol:  Aussehen  gleich  einer 
moosbewachsenen  Fichte.  Skogsnufva:  in  Tierfelle  gekleidet,  in  Waldtiere 
und  Bäume  verwandlungsf&hig.  Ljeschie  mit  zottigen  Haaren  bedeckt, 
die  hAnfig  grüne  Farbe  haben.    Dames  vertes:  grüne  E^leidung  (?). 

3)  Hohlen  Bücken  haben:  Frau  Hult,  Anführerin. der  wilden  Jagd 
8. 12a  Teufel  S.  121,  Feurige  Männer  8. 121.  Wildfrauen  in  Steiermark,  Ton 
der  wilden  Jagd  gejagt  S.  120.  Dan.  Waldfrauen  und  Ellefruer  S.  125.  Norweg. 
Waldfrau  Huldra  (Faye  S.  42).  Skogsnufya  von  Oden  gejagt  S.  134.  Auch 
die  als  Anführerin  des  wütenden  Heeres  (Aasgardreid)  in  Norwegen  umher- 
ziehende Guro  Bysserofa  (s.  Mannhardt,  Götterwelt  S.  155.  304  ff.)  und  ihr 
Gefolge  hat  Bücken  wie  hohle  zerspaltene  Espenbäume,  ospeskryte  (Land- 
stadt Norske  Folkeviser  p^  133).  Nichts  widerspricht  der  Annahme,  daß  der 
hohle  Bücken  ursprünglich  den  Waldgeistem  als  solchen  angehörte  und ,  da 
diese  als  im  Sturme  umfahrend  gedacht  wurden,  auch  auf  andere  im  Sturme 
waltende  Geister,  die  im  Walde  ihr  Wesen  treiben,  ausgedehnt  wurde. 

4)  Lange  Brüste:  Hessische  Waldfrau,  Gattin  des  wilden  Mannes; 
Fangga  Langtüttin,  Gesellin  des  wilden  Mannes  S.  108;  keltisches  Waldweib 
8. 117;  dänische  Meerweiber  und  Ellefruer  Jagdobjecte  des  wilden  Jägers 
8.  125;  SkogsnufTar,  Trolle  und  Biesinnen,  die  Oden  und  der  Donner  jagen 
8. 128.  Aus  einer  Notiz  des  Prof.  Schaafhausen,  Archiv  f.  Anthropologie  I, 
1866.  S.  188  ersehe  ich,  dafi  bei  den  eingebomen  Weibern  Neuholiands, 
mitbin  imter  einem  auf  niedrigster  Stufe  stehenden  wilden  Volke  birnf  ör- 
mige  Brüste,    welche  nach  Belieben  über  die  Schulter  gewor- 

10* 


148  Kapitel  II.    Die  Waldgeister  nnd  ihre  Sippe : 

Winde  flatternden  Haare  ^  erinnern  an  die  Auffasanng  des  (vom 
Sturme  darch  den  Wald  gejagten)  Laubes  als  Baunihaar.  Gn^ 
dezu  als  Pflangengeister  treten  sie  auf,  wenn  ihr  Leben  und  ihre 
Größe  an  das  Leben  der  Bäume  und  Gräser  gekntlpft  erscheint* 
Hiemit  stimmen  indireete  Zeugnisse  tiberein.  Das  Schrätlein  zieht 
sich  vom  Teufel  verfolgt  in  den  Baum  zurück  S.  115;  die  Ver- 
wundung des  seligen  Fräuleins  wird  bestraft,  wie  ein  Axthieb  in 
den  Waldbaum  S.  105.  Um  die  Holzweibel,  Seligen  u.  s.  w.  zu 
retten,  muß  man  drei  Kreuze  in  den  Baum  hauen,  wäh- 
rend er  fällt  S.  83.  106.  Auch  die  Gamknäul  der  Holzfräulein, 
Seligen,  Fanggen  und  wilden  Weiber  weisen  nach  S.  76  viel- 
leicht auf  Moosfäden  zurttck. 

Dds  Wesen  der  Waldgeister  erweitert  sieh  aber  deutlich  von 
Baumgeisfem  au  Genien  der  gesammten  Vegetation,  Die  Holz^ 
fräulein  walten  auch  im  Gras-  und  Kernwuchs  S.  77ff.,  die  Ljes- 
chie  sind  Waldgeister  und  zugleich  Dämonen  der  niedem  Kultur- 
pflanzen S.  138;  vgl.  dazu  die  hessischen  Wildleute  S.  87. 
Die  nämliche  Doppelrolle  als  Wald-  und  Komdämonen  spielen 
die  Dames  vertes.    Auch  die  wilden  Weiber  erscheinen  als  Ge- 


fen  werden  können,  in  Wirklichkeit  vorkommen.  Ich  halte  das  für  sehr 
beachtenswert,  wage  jedoch  nicht  ans  diesem'  einen  Umstände  die  Einwir- 
kung einer  realen  Erinnerung  an  wilde  Ureinwohner  auf  die  von  uns  besproche- 
nen Sagen  zu  folgern.  War  denn  in  Deutschland  und  Skandina?ien  das  näm- 
liche gleichgestaltige  Urvolk  waldflüchtig?  Oder  waren  diese  Sagen  vom 
Norden  zum  Süden  oder  umgekehrt  gewandert? 

1)  Lange  aufgelöste  Haare:  die  gejagte  Frau  bei  Cäsarius  y.  Heister- 
bach S.  128;  HolzMulein  S.  76;  hessische  Wildfrauen  und  Selige  S.  88. 102; 
Unnererdsche,  die  der  Wode  jagt  S.  128;  wei£e  Weiber  in  Mecklenburg,  Ob- 
ject  der  wilden  Jagd  S.  128;  keltisches  Waldweib  S.  117;  Skogsnufra  S.  128. 
Zupitza  macht  darauf  aufmerksam,  daß  Väsolt  (ob.  S.  82.  105)  im  Ecken- 
liede  165,  11  „här  alsam  ein  wip"  d.h.  wol  im  Winde  flatterndes  langes 
Haar  trägt.  Mit  langen  fliegenden  Haaren  stattet  auch  die  Phantasie 
des  Negers  am  Grambia  die  Waldgeister  aus,  die  er  für  mächtige  Wesen 
von  weißer  Farbe  erklärt,  deren  Zorn  dem  Beisenden  gefahrlich  sein  würde. 
Um  sie  zu  besänftigen  wird  ein  weißes  junges  Huhn  als  Opfer  an  die  Zweige 
eines  Baumes  gebunden.  S.  Mungo  Park,  Reise  [in  das  Innere  von  Afrika. 
Hamburg  1799.  S.  81.  An  einen  solchen  Baum  (Neema  Taba)  befestigte  jeder 
Beisende  ein  Stückchen  Tuch.    Mungo  Park  a.  a.  0.  60. 

2)  Moosleute  S.  75;  witte  Wiwer  S.  124:;  Fanggen  S.  89.  91  Anm.; 
Ljeschie  S.  188.  141.  Dazu  vgl.  wilde  Männer  in  Hessen  S.  88;  Dames 
vertes  S.  119;  BeUes  Alles  zu  Bouge-vie  S.  104. 


Bückblicke  und  Ergebnisse.  149 

nien  von  Eräatem  S.  106.  Die  vom  wilden  Jäger  gejagte 
Frau  läßt  sich  als  Walpurgis  in  eine  Garbe  einbinden  ob.  S.  121. 
Vgl.  den  rassischen  und  den  schwedischen  Zaubersegen  ^  um  die 
Waldgeister  herbeizurufen  S.  142. 

Ani&rers^s  springt  deutlichst  als  durchstehende  VorsteUung 
in  die  Augen,  Wirbeiwind,  Sturm  und  Gewitter  seien  Lebens- 
äußerungen  des  nämlichen  Geistes  ^  der  in  ruhigen  Momenten  — 
icie  üoir  sahen  —  in  Waidbä/umen  verkörpert  erscJiemt.^  Vom 
wilden  Jäger  oder  Teufel^  resp.  dem  Donner  gejagt  finden  wir 
die  Moosleute,  Holzfräulein,  Selige,  Schrätlein,  Wildfrauen  in 
Steiermark,  Unterirdische  und  weiAe  Weiber  in  Lauenburg  und 
Mecklenburg,  dänische  Meerfranen,  Skogsnufvar  in  Schweden. 
Nach  verschiedenen  z.  T.  den  ältesten  bezeugten  Varianten 
ist  die  gejagte  Frau  die  Buhle  des  wilden  Jägers  S.  125. 
Dem  Russen  gilt  der  Wirbelwind  als  der  Hochzeitstanz  des  Wald-  ^ 
geistes  mit  seiner  Braut  S.  143.  Da  nun  die  Krscheinung  der 
wilden  Jagd  meistenteils  mit  dem  Gewitterstnrme  zusammen- 
fÜIt,^  dem  Gewitter  aber,  das  physikalisch  betrachtet  ja  tlber- 
haupt  nur  ein  secundäres  Product  des  vom  Boden  aufsteigenden, 
oder  von  eben  her  hereinbrechenden  und  den  entgegengesetzten 
Passat  verdrängenden  Luftstromes  ist,  größtenteils  merklich  Wir- 
belwind vorangeht  und  heftigerer  Wind  nachfolgt;'  da  der  Wir- 


1)  Vgl.  Wagen  des  Waldweibchens  =-  Gewitter  stürm  S.  85.  Mnsik 
der  böhmischen  Waldweiber  S.  86.  =»  Sturm.  Tanz  und  Kitzeln  der  böh- 
mischen Waldfrau  S.  87,  des  Ljeschi  S.  139,  Schnupfen  der  Pangga  S.  89 
=  Wirbelwind.  Buschjungfem  =  Wirbelwind  S.  86.  Im  Sturm  fahrt 
der  hessische  S.  87  und  Tiroler  wilde  Mann  daher  S.  105.  Delle  Vivane  ver- 
schwinden im  Staubwirbel  S.  116.  Der  wilde  Mann  in  Tirol  S.  105,  Fän- 
kenmännlein  S.  96 ,  Waldweibchen  S.  86  fuhren  einen  (im  Sturm)  entwurzel- 
ten Baumstamm  als  Spazierstock  vgl.  Modelgart  S.  105.  Schjatl==:  Wirbel- 
winds. 115.  Dänische  Waldfrau -=  Wirbelwind  S.  126,  Hulte  =  Sturm 
S.  127,  Skogsnufva  =  Wirbelwind  S.  129,  Regen  S.  132,  Blitz  oder  Stern- 
schnuppe (Fackel,  die  man  wirft).  Vgl.  den  wie  ein  feuriger  Wiesbaum  dahin 
ziehenden  fliegenden  Drachen,  der  übrigens  häufig  auch  Personification  des 
Wirbelwindes  ist.   S.  134.  Ljeschi  =  Wirbelwind  S.  134  und  Sturm  S  139. 

.  Die  Dames  vertes  gehen  im  Windeswehen  über  die  wogenden  Kornfel- 
der S.  119. 

2)  S.  Schwartz ,  der  heutige  Volksglaube  und  das  alte  Heidentum  1862. 
S.15ff.  30-ff. 

3)  Ygl  N.  Grfiger ,  Sonnenschein  und  Regen.  Weimar  1870.  S.  164  ff. 
J.  8.  Gehler,  Physikal.  Wörterb.  IV,  2,  1582  ff. 


150  Kapitel  ü.    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

beiwind  als  fahrende  Fran,^  Hexe,<  Thors  pjäska  (S.  128) 
Windsbraut  y'  anch  sonst  in  Gestalt  eines  weiblichen  Wesens  per- 
sonifiziert wird,  so  halte  ich  es  Air  wahrscheinlich,  daß  anfäng- 
lich der  im  Wirbelwinde  sein  Dasein  bekundende  Waldgeist 
es  war,  der  vom  wilden  Jäger  (dem  nachfolgenden  stärkeren 
Unwetter)  gejagt  erschien.^  Es  ist  auch  deutlich,  warum  inson- 
derheit die  männlichen  Waldgeister  (wilder  Mann,  Hulte,  Ljes- 
chi)  sodann  aber  auch  z.  T.  eben  jene  weiblichen  Waldgenien 
ebensowol  für  sich  allein  im  Winde  daherfahrend ,  oder  als  An- 
führer der  wilden  Jagd  daherstfirmend  dargestellt  werden  konn- 
ten. Die  angegebene  Deutung  trifft  auf  die  Gewitterstürme  im 
Sommer  und  die  Mehrzahl  unserer  Sagen  vollkommen  zu.  Wenn 
aber  daneben  nach  manchen  Sagen  der  Umzug  der  wilden  Jagd 
oder  des  wütenden  Heeres  und  ebenso  der  unserer  Waldgeister 
^zu  Weihnachten  in  der  Neujahrsnacht,  oder  Dreikönigs- 
nacht vor  sich  geht,  wenn  die  Jagd  auf  das  geisterhafte  Weib 
sieben  Jahre  (d.  h.  doch  wol  die  7  Wintermonate  von  October 
bis  Mai)  dauern  soll,  so  ist  es  bei  der  Seltenheit  der  Winter- 
gewitter in  unsem  Gegenden  allerdings  offenbar,  daß  hier  die 
Jagd  auf  das  Waldweib  die  angegebene  Bedeutung  nicht  haben 
kann.  Vielmehr  sprachen  wir  schon  S.  124  unsere  Meinung 
dahin  aus,  daß  dabei  der  Gedanke  zu  Grunde  zu  liegen  scheint, 
im  Winter  sei  der  weibliche  Waldgeist,  die  Genie  des  Blät- 
t^rgrüns,  gleichsam  verzaubert  und  fliehe  vor  dem  im 
Sturme  ihm  nachsetzenden  Gefährten,  der  zum  Maitag 
(vgl.  St.  Walpurgis  S.  121)  sie  erreiche,  und  [nach  urtümlichst 
roher  Weise  der  Hochzeit  durch  Frauenraub]  quer  über  sein  Eoß 
lege.^  Ist  diese  Deutung  richtig,  so  hat  eine  Verschiebung, 
eine  Umdeutung  eines  ursprüngliphen  Gleichnisses  in  ein  ande- 
res stattgefunden.    Die  Probe  würde  erst  gemacht  werden  kön- 


1)  S.  Mannhardt ,  Götterwelt  S.  98.  Wolf,  Niederl.  Sagen  1843.  616, 
518.  519. 

2)  Mannhardt  a.  a.  0.  S.  99. 

3)  Panzer  II ,  208  if.    Schönwerth  U ,  112  ff. 

4)  S.  W.  Schwartz  a.  a.  0.  S.  25. 

5)  Vgl.  die  bekannten  DarsteUongen  des  Pluton ,  der  die  geraubte  Per- 
sepbone  quer  über  sein  Boß  geworfen  hat.  Man  muß.  dann  annehmen,  daß 
die  in  einigen  Varianten  erwähnte  Tödtung  des  Waldweibes  nur  mißver- 
ständliche Fortbildung  der  Sage  sei.    Vgl.  auch  Schwartz  a.  a.  0.  S.  65. 


Bückblicke  und  Ergebnisse.  151 

nen  durch  eine  genaue  Untersuchung  aller  sonstigen  Jagdobjecte 
des  wilden  Jägers,  denn  es  ist  jedenfalls  wichtig  zuvor  zu  wis- 
sen, ob  die  Eber,  Kosse,^  (Knder?),  Hirsche,  (Kehe),  Kanin- 
chen, Hühner,  welche  je  in  verschiedenen  Landschaften  statt  der 
Waldfrauen  den  Gegenstand  d«r  Verfolgung  von  Seiten  der  wil- 
den Jagd  ausmachen,  und  deren  Schenkel  dem  Spfötter  aus  den 
Wolken  zugeworfen  werden,  wie  der  Fuß  des  Waldweibes,  ent- 
weder sämmtlich,  bder  doch  teilweise  nur  eine  andere  Form  des- 
selben  Gedankens  sind,  den  die  gejagten  "Waldleute  ausdrücken. 
Wir  mtlssen  davon  abstehen  diese  schwierige  Frage  an  diesem 

•  

Orte  weiter  zu   verfolgen.*      Es  erscheint  uns  die  zuerst ^  von 


1)  Die  Jagd  anf  Eosse  scheint  wirklich  als  die  Spur  einer  Erinnerung 
an  eine  langst  verschwundene  Knlturphase  geltend  gemacht  werden  zu  müs- 
sen, da  neuere  Ausgrabungen  in  den  Höhlen  des  Hohenfels  in  Wnrtemberg 
erwiesen  haben,  daß  das  Roß  seit  grauem  Altertum  in  Süddeutschland  ein 
Jagdstück  war.  Ebenso  dienten  nach  den  Unterguclmngen  Duponts  in  den 
Hohlen  Belgiens  zur  Zeit  der  Eenntierperiode  daselbst  Pferde  als  Jagdtiere, 
namentlich  die  Bewohner  der  Höhle  von  Chalen  scheinen  Pferdefleisch  allem 
andern  vorgezogen  zu  haben.  Es  blieb  das  bis  in  die  späteste  Zeit  des 
Heidentums.  Vgl.  Gregorii  ep.  ad.  Bonifacium,  ep.  28  ed.  JaiFi6,  Bibl.  rer 
German.  lU,  93 :  inter  ea  agresteni  caballum  aliquantes  adiunxisti  come- 
dere ,  plerosque  et  domesticum.  Ep.  80  Jaffe  III,  222:  Ab  esu  Christia- 
norum  .  .  .  lepores  et  equi  silvatici  multo  amplius  vitandi. 

2)  A.  Kuhn  hat  in  Zachers  Zeitschr.  f.  D.  Philologie  I,  115  ff.  nicht 
ohne  einen  gewissen  Schein  die  vom  wilden  Jäger  verfolgten  Tiere,  Eber, 
Roß,  Rind  als  Naturbilder  der  Sonne  nachzuweisen  versucht.  Der  wilde 
Jäger,  Gott  des  finsteren  Sturmes,  gehe,  wie  sein  in  Deutschland  und  Schwe- 
den mehrfach  bekannter  Name  Nachtjäger  (vgl.  das  Nachtvolk  *=»  wütendes 
Heer,  den  Nachtraben  als  Begleiter  des  wilden  Jägers)  bezeuge,  mehrfach 
in  den  Begriff  eines  Dämons  der  Nacht  über.  Als  solcher  stelle  er  der  Sonne 
nach^  die  er  jeden  Abend  erreiche  und  tödte.  JTnd  neben  den  Vorstellungen  und 
Sagen  von  der  täglichen  Erlegung  des  Sonnentieres  liefen  andere  Traditionen 
her,  wonach  die  Tödtung  des  später  wieder  auflebenden  Tieres  zur  Zeit  der 
Wintersonnenwende  statt  habe.  Also  auch  Kuhn  ist  genötigt,  gleich  uns 
oben ,  eine  Verschiebung  eines  wiederholten  sommerlichen  Vorgangs  auf  einen 
einmaligen  über  längeren  Zeitraum  ausgedehnten  im  Winter  anzunehmen. 
Hätte  er  recht,  so  würde  sich  aus  dieser  Analogie  auf  das  beste  erklären, 
Sowohl,  daß  die  vom  wildman  in  Northamptonshire  gejagte  Jungfrau  all- 
nächtlich getodtet  wird  und  wieder  auflebt  (S.  122)  als  auch,  daß  die 
weiße  Frau  im  Havelländischen  bei  der  Verfolgung  immer  kleiner  wurde, 
bis  sie  nur  noch  auf  den  Knien  lief  (S.  123).  Ich  entscheide  mich  noch 
für  nichts  endgiltig,  bis  eine  umfassende,   die  Urformen  der  Tradition,  ihre 

'  Wandlungen  und  Verderbnisse  aufspürende  Untersuchung  der  Sagen  von  der 


152  Kapitel  II.    Die  Waldgeister  and  ihre  Sippe: 

W.  Schwartz  aufgestellte  Deutung,  wonach  die  von  der  wilden 
Jagd  herabgeworfene  Lende  oder  Hälfte  der  Holzfrau,  sowie  die 
in  Gold  sich  wandelnden  Geschenke  der  thüringischen  and  czechi- 
sehen  Waldweiber,  Lisuilki  u.  s.  w.  ursprünglich  den  Blitz  bedeu- 
ten, nicht  unwahrscheinlich,  wenngleich  keinesweges  gesichert. 
Mit  der  Natur  der  Waldgeister  als  Wind-  und  Wetterwesen 
scheint  auch  der  Zug  zusammenzuhängen,  daß  die  Waldfrauen 
einen  Gürtel  schenken,  welchen  sie  einen  Menschen  anlegen 
heißen.  Der  Beschenkte  umgürtet  damit  aber  zuvor  einen 
Baum  und  derselbe  springt  augenblicklich  zerrissen  und  zer- 
splittert in  Stücke.^  Einen  ebensolchen  Gürtel  verleiht  näm- 
lich auch  der  in  der  Windsbraut  umfahrende  Hexenmei- 
ster.* Der  den  Wald  erflillende  Nebel  oder  weiße  an  den  Ber- 
gen hangende  Wölkchep  gelten  als  die  Wäsche  der  Waldfrauen. 
Dergleichen  wird  erwähnt  bezüglich  der  wilden  und  seligen  Fräu- 
lein, der  Wildfrauen  in  Steiermark,  der  Froberte,  Skogsnufvar 
und  Dames  vertes,  sowie  der  Pysslingar  unter  dem  Apfelbaum 
zu  Falsterbro  (ob.  S.  61).  Da  die  menschliche  Seele  als  Luft- 
hauch  (animus,  Spiritus)  betrachtet  wurde,'  so  steht  es  auch  wol 
mit  der  Windnatur  der  Waldgeister  in  Verbindung,  daß  die  Holz- 
fräulein in  arme  Seelen ,  die  Seligen  in  die  Geister  todter  Mütter 
übergehen. 

Ihrem  Ursprünge  nach  dunkler,  als  die  bis  hieher  behan- 
delten Eigenschaften,  sind  diejenigen  Aussagen,  welche  den  Wald- 
frauen  das  Strehen  nach  der  Verbindung   mit  sterhUcJien  Man- 


wilden  Jagd  voraufgegangen  sein  wird.  In  jedem  Falle,  meine  ich  jedoch, 
würde  nur  davon  die  Rede  sein  können,  daß  etwa  secundär  die  Vorstel- 
lung und  Sage  von  dem  einer  Frau  nachsetzenden  Dämon  (Riesen ,  Gottc) 
des  Gewittersturmes  auf  die  Nacht  und  eine  Verfolgung  der  Sonne  während 
des  Tages,  endlich  in  zweiter  Linie  auf  den  Winter  und  das  Nachsetzen  des 
sommerlichen  Gottes  hinter  dem  fliehenden,  immer  schwächer  scheinenden 
Sonnenwesen  umgedeutet  wurde  und  in  einigen  Sagenformen  diese  Auffas- 
sung Ausdruck  fand.  Inwieweit  dabei  etwa  die  von  uns  bereits  Germ. 
Myth.  37  ff.  besprochene  Uebereinstimmung  vieler  Naturbilder  für  Wind, 
Wolke,  Licht  (oder  Sonne)  und  Erde  zu  solcher  Umdeutung  mitwirken  konnte, 
ist  erst  im  einzelnen  näher  zu  erforschen. 

1)  S.  Panzer,  Beitrag  I,  17,  19.     Zingerle,  Sagen,  Märchen  u.  Gebr. 
34,  44.    Vgl.  Meier,  Schwab.  Sag.  69,  4.    Panzer  I,  71,  88. 

2)  Panzer  a.  a.  0.  11,  208,  365.    Vgl.  Myth.«  907. 

3)  Mannhardt,  German.  Mythen  269. 


Bückblicke  und  Ergebnisse.  ^  153 

nem,  dem  Waldmann  die  Sticht  nach  christlichen  Frauen  isu- 
schreiben.  Die  Holzfräulein,  die  Seligen,  Fanggen,  die  Skog- 
snnfirar  und  Ljeschie  gehen  eheliche  Vereinigungen  mit  Menschen 
em  S.  79.  87.  103.  135.  i43.  Der  Gesang  und  die  schöne 
Gestalt  der  Seligen  und  wilden  Weiber  lockt  Jünglinge  und  junge 
Männer  an  ihre  Seite.  Wenn  manche  Sagen  dieses  Verhältniß 
außerordentlich  zart  und  geistig  darstellen  (S.  101),  so  zeigen 
andere   eine  rohere,  vermutlich  ältere  Form  S.  102. 

Rauhe  Else  naht,  wie  die  Skogsnufya,  dem  am  nächtigen 
Feuer  Liegenden  und  verlangt  nach  seiner  Minne  S.  108. 
Vgl.  die  agrestes  feminae  bei  Burkhard  v.  Worms  S.  143. 
Das  badische  Wildweib  hat  mit  dem  Jäger  ein  Kind,  S.  88,  und 
die  Dames  vertes  locken  den  betörten  Liebhaber  ins  Dickicht 
S.  118.  Der  Hulte  stellt  christlichen  Weibern  nach  S.  127, 
ebenso  die  lesni  muzove  in  Böhmen  S.  87. 

Daneben  wird  behauptet,  daß  die  Waldgeister  kleine  Kin- 
der rauben  oder  an  sich  ziehen  und  tödten.  Der  Salvanel,  die 
wilden  Weiber  am  Unterberge,  die  Fanggen  S.  90,  die  div6 
zeny  in  Böhmen  S.  87  stehlen^  kleine  Kinder.  Oder  die  böh- 
mische Waldfrau  lockt  sie  an  sich  S.  87.  Die  Tiroler  Lang- 
tttttin  legt  sie  an  ihre  g:roßen  unheimlichen  Brüste  S.  108.  Die 
Seligen  holen  s,ogar  Wöchnerinnen  aus  dem  Kindbett 
weg  S.  108.  Steht  dazu  in  irgend  einem  Verhältniß  der  Zug 
des  Irreleitens,  der  von  den  Froberte,  den  Dames  vertes,  der 
rauhen  Else,  der  Skogsnufya  und  ihrem  Gemahle,  dem  Hulte, 
den  Ljeschi,  wie  dem  peruanischen  UchucUa  berichtet  wird?  Bei 
unseren  Waldweibchen  und  Moosleuten  schlägt  dieser  Zug  gradezu 
in  sein  Gegenteil  um.  Die  Moosweiblein  im  Wildemann  z.  B.  lei- 
teten Fremde,  die  sich  verloren  hatten,  auf  die  rechte  Straße 
und  teilten  ihnen  Wurzeln  und  Kräuter  zur  Nahrung  und  Gesund- 
heit mit^ 

Die  Waldgeister  zeigen  sich  auch  sonst  den  Menschen  gerne 
dienstbar  und  geJien  in  Hausgeister  über.  Die  Holzfräulein  in 
Thüringen  und  Franken ,  die  wilden  Leute  in  Baden ,  die  Saligen 
in  Tirol  helfen  zur  Erntezeit  den  Arbeitern.  Aber  auch  ständig 
treten  Holzweiber  und  Waldmännchen ,  Fanggen ,  Sauge ,  zuweilen 


1)  Vemaleken,  Mythen  und  Bräuche  249,  55. 

2)  Pröhle,  D.  Sag.  S.  37,  8.    Vgl.  auch  ob.  S.  84. 


\bi  Kapitel  IL    Die  Waldgeister  und  ihre  Sippe: 

auch  Skogerä  in  den  Dienst  des  Menschen,  besorgen  das  Vieh 
im  Stalle  und  segnen  Vieh  nnd  Vorratskammer;  auch  die  8chre> 
tel  spielen  die  Rolle  der  Penaten  S.  115.  Die  wilden  Geißler 
(S.  96  flf.)  stellen  gewissermaßen  Penaten  der  Dorfschaft  vor. 
Wie  hier  in  Hausgeister  gehen  die  Wcddgeister  cmderswo  unmerk- 
lich in  andere  Elbe,  namentlich  in  Höhlen  und  ebenes  Feld  bewoh- 
nende Zwerge  über.  Die  Fanggen  verlieren  sich  in  Fenggen  and 
Fänken.  Die  von  Fanggen ,  Holzweiblein  and  wilden  Frauen 
erzählte  Geschichte  von  Todansagen  (S.  90)  wird  auch  von 
Zwergen  berichtet  Wilde  Leute  werden  local  zu  Nörgeln  and 
Norken  (S.  110),  die  Seligen  zu  Schanhollen  (S.  102).^  Und 
die  Seligen  selber,  die  in  fast  allen  Stttcken  den  Wald- 
und  Moosweibchen  entsprechen^  verlieren  den  Gharacter  eigent- 
licher Waldgenien  fast  ganz.  In  der  norddeutschen  Ebene  ver- 
treten die  UnnerSrdschen  und  weißen  Weiber  die  Waldgeister 
des  deutschen  Südens  und  skandinavischen  Nordens  (S.  124). 
Mit  einem  Worte  Wald^  und  Feldgeister  sind  sowenig  durch 
eine  feste  ScKrqLnhe  geschieden,  daß  sie  vielfach  in  einander  rinnen. 


1)  Die  Identität  der  Seligen,  witte  Wiwer  und  HoHen  erweisen  die 
Mitteilungen  von  A.  Kaufmann  und  Birlinger  in  Pfeiffers  Germania  XI,  411  ff. 
und  XVII,  78,  wonach,  in  Aufzeichnungen  des  XVI.  Jahrh.  von  niederrheini- 
schen unter  schönen  Bäumen  und  krausen  Büschen  wohnenden  Gei- 
stern die  Rede  ist,  für  welche  die  Namen  „selige  frauwen,"  „holden," 
„wyße  frauwen"  als  Synonyma  gehraucht  werden. 


Kipit«!  ni. 

Die  Baumseele  als  Vegetationsdämon. 

§.  1.  Genius  des  Wachstmns.  Die  lange  Folge  der  in  den 
beiden  ersten  Kapiteln  erläuterten  Anschauungen  wird ,  wenn  ich 
nicht  irre^  dazu  helfen  ^  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  auch 
die  Bedeutong  mehrerei"  Gebräuche  zu  erschließen  ^  welche  wir 
an  hervorragende  Jahresfeste  geknüpft  sehen.  Auch  in  ihnen  hat 
die  Vorstellung  vom  Baumgeiste  als  Doppelgänger  und  Schützer 
menschlichen  Lebens  mehrseitige  Verwertung  gefunden,  aber  in 
Verbindung  mit  einer  von  uns  bisher  noch  wenig  berührten  Idee. 
Wir  gewahren  die  Baumseele  gefaßt  als  Genius  des  Wachstums. 
Da  aber  an  der  jährlichen  Verjüngung  der  Pflanzenwelt  im  Früh- 
ling, ihrem  Absterben  im  Herbste  am  augenscheinlichsten  der 
Wechsel  der  Jahreszeiten  offenbar  wird,  liegt  es  nahe,  daß  die 
Anschauung  von  dem  im  Baume  verkörperten  Dämon  der  Vege- 
tation in  seiner  sommerlichen  Gestalt  leicht  umschlägt  in  eine 
gleichgestaltete  Personification  des  Frühlings  oder  Sommers  und 
auch  wohl  mit  diesem  Namen  benannt  wird.  Der  der  Abstraction 
ungewohnte,  für  begriffliche  Scheidungen  ungeschulte  Naturmensch 
trennt  diese  verschiedenen  Momente  nicht,  sondern  Vegetation, 
Frühling  (Sommer)  schützender  (stellvertretender)  Baumgeist  ver- 
schwimmen ihm  vielfach  in  einen  einzigen  Begriff.  Von  diesem 
Gesichtspunkte  aus  beleuchtet,  werden  uns  —  so  scheint  es  — 
mehrere  slavische  und  germanische  Lätare-,  Mai-  und  Pfingst- 
gebräuche  ihr  Geheimniß  entschleiern. 

§.  2.  Banmseele :  Waehstumgeist^  Sommer  in  den  LBtare- 
gebrBnehen.  Ich  erinnere  zunächst  an  die  Sitte  des  Todaus- 
tragens am  Lätaresonntag  bei  den  Wenden  in  der  Lausitz,  den 
Gzechen  in  Böhmen  und  bei  andern  Slaven.  Bekanntlich  zogen 
die  Frauen  der  Lausitz  am  genannten  Tage  in  Trauerschleiem 
aus 9  banden  eine  Strohpuppe,  bekleideten  sie  mit  einem  Hemde 


156  Kapitel  III.    Baumseele  als  Vegetationsdamon: 

gaben  ihr  Sense  und  Besen  in  die  Hände ,  tragen  sie  zur  Grenze 
des  nächsten  Dorfes  und  zerrissen  sie  dort;  sodann  hieben 
sie  im  Walde  einen  schönen  Baum,  hingen  das  Hemd 
daran  und  tragen  ihn  unter  Gesängen  heim.^  In  Böhmen  stür- 
zen die  jungen  Leute  eine  Puppe,  den  Tod,  ins  Wasser;  hierauf 
begeben  sich  die  Mädchen  in  den  Wald,  schneiden  ein 
junges  Bäumchen  mit  einer  grünen  Krone,  an  dem  sie 
unten  die  Rinde  abschälen,  oben  eine  Elle  lang  Zweige 
daran  lassen  und  verzieren  dasselbe  mit  Eierschalen. 
Dann  hängen  sie  eine  aus  Lumpen  gemachte  Puppe  in 
Gestalt  einer  weißgekleideten  Frau  daran,  die  sie  gleich 
den  Zweigen  mit  roten  uiüd  weißen  Bändern  schmücken. 
Dieses  Bäumchen  heißt  Lito  (Sommer),  und  damit  ziehen  die 
Mädchen  in  Procession  Gaben  sanmielnd  von  Haus  zu  Haus,  Lie- 
der singend,  in  denen  sich  der  Ruf  wiederholt: 

Smrt  neseme  ze  vsi 
Leto  nesem  do  vsi  atd. 

Den  Tod  tragen  wir  aus  dem  Dorfe, 
Den  Sommer  tragen  wir  in  das  Dorf.' 

Zuweilen  ist  dieser  böhmische  „Sommer"  ein  mit  silber- 
nen Gürteln,  goldenen  Hauben,  Perlen,  Winterkränzen, 
Eartenblättem,  bunten  Eierschalen,  gefärbtem  Papier 
gezierter  Baum;  nachdem  ihn  die  Knaben  von  Haus  zu  Haus 
getragen,  pflanzen  sie  ihn  zuletzt  einem  der  vornehmsten  ver- 
heirateten Weiber  vor  die  Tür.*  Auch  bei  der  ursprüng- 
lich unzweifelhaft  slavischen  Sitte  des  Sommergewinns  zu  Eise- 
nach am  Sonntag  Lätare*  wurde  noch  im  Anfang  des  18.  Jahr- 
hunderts einerseits  ein  Strohmann,  der  Tod,  verbrannt,  anderer- 
seits ging  man  vor  das  Georgentor  hinaus,  um  die  ausge- 
hängte und  in  einer  frischen  Tanne  oder  Fichte  sitzende 
Sommerdocke  zu  sehen,  und  sich  einen  sogenannten  Sommer 
d.  h.    Tannen    und   Fichtenreiser   mit    daran    gehängten 


1)  Christ.  Arnold,  Anhang  zu  Alex.  Rossens  nntersch.  Gh>tte8d.     Hei- 
delb.  1674  S.  135  bei  Grimm ,  Myth.a  732. 

2)  S.  Roinsberg  -  Düringsfeld ,  Festkalender  a.  Böhmen.    S.  86  — 92. 

3)  Reimann,  D.  Volksfeste  S.  18. 

4)  S.  Witschel,  der  Sommergewinn  in  Eisenach  1852.    Vgl.  Zs.  f.  D. 
Myth.  III,  318, 


RasBischer  Pfingstgebrauch.  157 

Bretzelüy  Gipstäflein  mit  biblischen  Bildern,  Bändern, 
kleinen  Kuchen,  gefärbten  Eierschalen,  Schneckenhäu- 
sern und  andern  Sachen  zu  kaufen  und  heimzutragen.  Zu- 
weilen holte  man  auch  aus  dem  Walde  bei  der  Wartburg  eine 
hohe  Tanne,  grub  sie  auf  dem  Plan  fest  ein,  schmückte  sie 
mit  Bändern  und  Tttchern  und  die  Mannsleute  kletter- 
ten nach  diesen.^  In  Schlesien  heißen  die  mit  dem  grünen 
Bäumchen,  dem  Idto,  umziehenden  Kinder  Sommerkinder. 
Will  man,  daß  die  Ktthe  gut  gedeihen,  so  soll  man  ihnen  den 
Sommer  abkaufen  und  hinter  die  Türe  des  Viehstalles 
stecken.' 

§.  3.  Bnssisehe  Pflngstgebräaehe.  Unmöglich  wäre  es, 
die  Verwandtschaft  zu  verkennen,  welche  zwischen  diesen  west- 
alayischen  Lätaregebräuchen  und  der  russischen  Pfingstsitte 
obwaltet.  Am  h.  Semiktag  d.  h.  Donnerstag  nach  Pfingsten  gehen 
die  Bauern  und  das  gemeine  Volk  der  Städter  in  die  Wälder, 
flechten  Blumengewinde  tmd  hauen  eine  junge  Birhe,  die  sie  mit 
den  Kleidern  einer  Frau  scknmeken,  oder  mit  bunten  Lappen 
und  Bändern  von  allerlei  Farben  ausputzen.  Im  Hinansgehen, 
während  sie  zu  den  Kränzen  und  Guirlanden  Blumen  sammeb, 
singen  die  Mädchen  welche  die  Birke  einholen  sollen: 

Freut  euch  nicht  ihr  Eichen, 
Freut  euch  nicht  ihr  grünen  Eichen. 
Nicht  zu  euch  ja  gehen  die  Madchen, 
Euch  nicht  hriugen  sie  den  Fleischbrei, 
Kuchen  nicht  und  Eierspeise. 
Hei  juchei.    Dreifaltigkeit! 
Freuet  euch  ihr  Birkenhäume, 
Freuet  euch  ihr  grünen  hoch! 
Denn  es  gehn  zu  euch  die  Ifögdlein, 
Bringen  euch  den  Fleischbrei  dar, 
Kuchen  euch  und  Eierspeise. 

Nach  diesen  Worten  ist  kein  Zweifel,  dafi  man  ehedem  die 
genannten  Speisen  als  Opfer  vor  die  mit  menschlichen  Kleidern 
zu  einer  Frauengestalt  aufgeputzte  Birke   stellte,   ehe  man  sie 


1)  S.  Koch,  CoUectaneen  zur  Gesch.  v.  Eisenach  1704,  bei  Witachel, 
Sitten  u.  Gebräuche  a.  Eisenach  1866,  S.  12,  Cf.  Zs.  f.  D.  M^fth.  n,  103. 
Beimann,  D.  Volksfeste  1839,  S.23>-25. 

2)  Myth.»  CLVm  1097. 


158  Kapitel  HL    Baunseele  als  Vegetationsdämoli: 

abhieb.  Ist  dieses  geschehen ,  so  folgt  noch  jetzt  ein  fedüieher 
Schmaus  hn  Angesichte  des  Baumes,  nach  dessen  Beendigung 
die  bekleidete  Birke  unt^r  jubelndem  Gesänge  heimgeftlhrt 
und  in  irgend  einem  Hause  aufgestellt  wird,  wo  sie  als  hoch- 
geehrter Gast  zwei  Tage  bis  zum  Dreifaltigkeitssonntage  ver- 
bleibt. Während  dieser  Tage  wird  das  Haus  von  Leuten  nicht 
leer,  welche  ihrem  „Qaste^^  den  schuldigen  Besuch  abzu- 
statten kamen.  Am  dritten  Tage  aber  (am  Trinitatissonntage) 
tragen  sie  ihn  8U  fließendem  Wasser^  werfen  ihn  hinein  und  ihre 
Semikkränze  und  Laubgewinde  hinterher.^ 

Die  einfachste  Ueberlegung  ergiebt,  daß  die  nach  Menschen- 
art bekleidete ,  ehrfurchtsvoll  mit  Opferspeisen  begrUBte ,  als  Gast 
hochgehaltene  Birke  etwas  anderes  als  das  seelenlose  Gewächs, 
daß  sie  einen  in  ihr  waltenden,  zur  Persönlichkeit 
gediehenen  Geist  darstellen  soll;  und  eben  denselben  Ge- 
danken drückt  auch  das  dem  lausitzischen  Bäumchen  übergezogene 
Hemd,  die  in  Böhmen  und  Eisenach  angehängte  weißgekleidete 
Docke  aus.  Doch  der  eiue  Baum,  den  man  einholt^  ist  symbo- 
lischer Vertreter  von  allen;  nicht  die  individuelle  Baumseele 
meint  man,  sondern  coUectivisch  den  Dämon  der  gesammten 
Vegetation.  Daß  die  Birke,  nicht  die  Eiche  diesen  Dämon  dar- 
stellt ist  natürlich,  da  sie  von  allen  Waldbäumen  sich  zuerst 
belaubt. 

Unsere  Auffassung  bewährt  die  Ausschmückung  des  Baumes 
mit  Eiern,  den  Sinnbildern  des  neukeimenden  Lebens. 
Denn  daß  diese  Bedeutung  auszudrücken  beabsichtigt  war,  lehrt 
der  Vergleich  anderer  Volkssitten.  So  wird  vielfach  in  die 
erste  Garbe  der  Ernte  ein  Brod  und  ein  Osterei  ein- 
gebunden als  Gewähr  des  Wiederaufkeimens  und  reichlichen 
Ertrages  der  Saat  im  nächsten  Jahre ,  *  der  erste  Pflug  über  ein 
Brod  und  Ei  in  den  Acker  geführt, •  oder  beides  wird  in  das 
besäte  Feld  vergraben,^  oder  der  Sämann  ißt  mit  seiner  Familie  ein 
paar  frische  Eier  auf  dem  so  eben  bestellten  Lande  (Thüringen).* 


1)  Ralston,  songs  of  the  Bnssian  people.    London  1872.    S.  234.  238. 

2)  Vgl.  z.  B.  Panzer,  Beitr.  z.  D.  Myth.  JI,  211  —  213. 

3)  Wntüce ,  Abergl.«  §.  428. 

4)  Panzer  a.  a.  0. 

5)  Wuttke  §.  657. 


Mittsommerstange  in  Schweden.  159 

Während  des  Winters  war  der  Vegetationsdämon  gleichsam  abwe- 
send, zn  Lätare  wiU  er  kommen ,  zn  Pfingsten  ist  er  da,  nnd 
zugleich  ist  er  der  leibhaftige  in  Blttten  und  Blättern  webende 
Sommer,  aber  nur  wie  ein  „Gast"  kam  er,  der  bald  wieder 
davongeht  Gleich  ihm  wünscht  man  auch  Tiere  und  Menschen 
verjüngt;  wir  lernten  ja  hinreichend  die  Sympathie  zwischen 
Menschenleben  und  Pflauzenleben  kennen.  So  ergab  sich  die 
Ceremonie  der  Heimholung  nach  Stadt  und  Dorf,  deren  Bewohner 
sieh  unmittelbar  und  greifbar  der  segnenden  Nähe  ihres  Schutz- 
geistes vergewissem  wollten.  Das  Hineinwerfen  der  rus- 
sischen Birke  in  fließendes  Wasser  am  Ende  des  Festes 
ist  (glaube  ich)  zu  beurteilen,  wie  die  Wassertaufe  vieler  in 
einem  späteren  Paragraphen  mitzuteilender  ydeutscher  Pfingst- 
gebräuche  und  Emtesitten  als  Begenzauber  für  das  weitere  Ge- 
deihen der  Pflanzenwelt.  Das  mythische  Wesen,  welches  diese 
slavischen  Latäre-  und  Semikgebräuche  z.  T.  unter  dem  Namen 
„Sommer"  verherrlichen,  meinen  wir  also  zwar  als  Personifica- 
tion  der  schönen  Jahreszeit  auffassen  zu  sollen,  doch  als  Dämon 
der  sommerlichen  Vegetation  näher  bestunmen  zu  können. 
Wer  die  Gesetze  der  Mythenbildung  einigermaßen  kennt,  wird 
es  nicht  verwunderlich  finden ,  daß  in  dem  westslavischen  Brauche 
ein  anderer  Dämon  der  Vegetation  in  ihrem  winterlichen  Zustande 
unter  dem  Namen  Tod,  Alter  u.  s.  w.  nebenhergeht.  Wir  werden 
bei  einem  spätem  Anlaß  noch  Gelegenheit  finden,  diese  Auffas- 
sung durch  Erläuterung  der  pohlischen  Marzana  (d.  i.  Ceres  nach 
der  Conjectur  von  Dlugosz)  zu  rechtfertigen. 

§.  4.  Mittsonmierstaiige  in  Schweden.  Das  Mittelglied 
zwischen  dem  russischen  Semik-(Pfingst-)  gebrauch  und  dem 
deutschen  Maienstecken  bildet  eine  schwedische  Mitsommersitte. 
An  St.  Johannisabend ,  wann  die  Pflanzenwelt  iu  üppigster  Kraft 
und  Schönheit  steht,  richtet  man  bei  jedem  Hofe  oder  auf 
freiem  Felde  die  sogenannte  Mittsommerstange,  Maistange  oder 
Maibaum  (Maistang,  Maiträ)  auf  und  tanzt  um  sie  herum  das 
Mittsommerspiel,  indeß  jedes  Zimmer  und  jede  Hausflur  in  den. 
Städten  sowol,  als  auf  dem  Lande,  mit  Laub  und  Blumen 
geschmückt  sind.  In  Stockholm  wird  am  22.  Juni  ein  förmlicher 
Markt  mit  Laubzweigen  und  kleinen  Maistangen  für  Kinder 
abgehalten,  wozu  die  ganze  Umgegend  die  Handelsartikel  liefert, 
welche  reichlichen  Absatz  finden.    Vielfach  ist  die  Maistange  nur 


160  Kapitel  m.    Banmseele  als  Vegetationsdämon : 

eine  hohe  Stange,  der  gradeste  und  schlankste  Baom,  den  man 
im  Walde  finden  konnte ,  einfach  mit  Laub  und  Blumen  bekränzt, 
oft  auf  der  Spitze  von  einem  roten  Wetterhahn  gekrönt,^ 
den  der  Wind  umtreibt.  Zuweilen  aber  (und  zwar  ebenfalls  in 
Smäland)  kommt  auch  noch  eine  andere  Form  vor,  welche  sich 
dem  geschilderten  russischen  Brauche  enge  anschließt.  Frau 
Flygare-  Carlen  giebt  davon  in  ihrem  Roman  Päl  Yäming  die  fol- 
gende Beschreibung.  Eine  hohe  Maistange,  welche  schon  einen 
langen  Zeitraum  hindurch  Jahr  für  Jahr  auf  einer  und  derselben 
grofien  Ebene  getront  hatte,  stand  heute  (am  Johannisabend)  wieder 
festlich  geschmttckt  in  langen  Kleidern  von  Birkenlaub; 
die  Arme  mit  bunten  Blumenkränzen  umwunden  neigten 
sich  in  stolzen  Halbbogen  gegen  die  schlanke  Mitte,  in- 
deß  der  sogenannte  Hals  von  Blattgold  und  großen  Perl- 
bändern aus  Eierschalen  leuchtete,  eine  Krone  in  gewal- 
tigem Maßstabe  schmttckte  das  Haupt  und  vollendete 
die  Kleidung.  Alles  atmete  Leben  und  Freude  und  in  buntem 
Beigen  bewegten  sich  nach  dem  Tone  der  Violine  die  frohen 
Schaaren  um  die  Braut  des  Abends,  die  geschmückte  Maistange.* 
Auch  in  Norwegen  soll  man  am  Johannisfeste  hohe  Maistangen 
aufrichten,  die  mit  Kränzen  und  Bändern  geschmttckt  sind  und 
um  welche  die  jungen  Leute  in  der  Hoffnung  auf  eine  reiche 
Ernte  singen  und  tanzen.^ 

§.  5.  Halbanm.  Am  ersten  Maitag,  zu  Pfingsten,  oder  am 
Abend  des  23.  Juni  findet  in  deutschen,  westslavischen ,  eng- 
lischen, französischen  .und  andern  keltischen  und  romanischen 
Landschaften  die  Einholung  und  AuQ)flanzung  der  Maibänme 
statt.  Diese  Sitte  erscheint  schon  in  Urkunden  des  frtthem 
Mittelalters  (13.  Jahrh.)  als  traditionell.  Vergeblich  kämpfen  die 
geistlichen   und   weltlichen    Besitzer    der    Waldungen   dagegen 


1)  Hylt^n-CaTallins  Yfirend  och  Virdarne  I,  S.  298.  328.  Westerdahl, 
Beskrifiiiiig  om  Svenska  allmogens  Seder.  Stockholm  1774.  S.  7.  Cf.  FiiiD 
Magnussen  lex  myth  552:  „gallnm  illum  qui  ad  recentiora  nsqne  tempora 
apud  Snecos  msticos  in  culmine  majalis  arboris  coUocari  solnit." 

2)  Flygare -CarWn,  Paul  Wärning  übers,  y.  C.  F,  Stuttg.  1845.  S.232. 
237.,  vgl.  Tiebrecht  in  PfeifTers  Germania  IV.  1859.  S.  379.  Vgl.  dazu  die 
Andeutong  fthnlicher  Maistangen  mit  blomenumwundenen  Bügeln  bei  Wester- 
dahl  a.  a.  0. 

3)  S.  Beimann,  D.  Volksfeste  S.  401. 


Maibanm.  161 

an.^  Sie  zer&Ut  in  mehrere  Acte^  oder  nimmt  verschiedene  For- 
men an,  von.  denen  die  einen  hier,  die  andern  dort  noch  beisam- 
men sind.  Eine  eingehendere  Monographie  wttrde  znr  Entschei- 
dung bringen  mttssen ,  wie  viele  von  ihnen  von  Anfang  zusammen- 
gehörten. Die  Schaar  der  Bfli^er  (in  späterer  Zeit  häofig  nnr 
der  Kinder  des  Ortes)  oder  der  Mitglieder  einer  zllnfligen 
Genossenschaft  (z.  B.  der  Schuster^  der  Leinweber  a.  s.  w.)  zieht 
m  den  Wald  hinaas,  um  den  Mai  zu  suchen  (quaerere  majmn, 
querir  le  may,  fetch  in  the  may)  und  bringt  grttne  Büsche  und  junge 
Bäume,  vorzugsweise  Birken  oder  Tannen  mit  heim,  welche  vor 
der  Tttr  oder  auf  der  First  des  Hauses'  auf  die  Dttnger- 
stätte  oder  vor  dem  Viehstall  aufgepflanzt  werden  und  zwar 
hier  gerne  fOr  jedes  Stttck  Vieh  (Pferde  und  Ktthe)  ein  beson- 
deres Bäumchen.     Die  Ktthe  sollen  dadurch  milchreich,  die 


1)  Vgl.  die  französischen  Belege  aus  saec.  XIU:  XIV  bei  Dn  Gange, 
gloss.  med.  lat.  ed.  Henschel  s.  v.  v.  majnm  et  majns,  einen  Aachener  ans 
aaec.  Xlli  bei  Oaeearins  t.  Heisterbach  (s.  nnten  S.  170),  die  Frankfurter  a 
saec.  XY  bei  Siiegk,  Dentsches  Bflrgertom  im  Mittelalter  1868  8.  451;  ans 
Köhi  bei  Hftllmann,  Dentsches  St&dtewesen  IV,  S.  171.  Vgl.  Schmeller  IE, 
533.  Ans  den  Niederlanden  liefert  Berichte  Westreenen  van  ThieUandt, 
▼aderl.  Letteroefen.  1831.  Nr  14. ,  1832  lY,  162.  üeber  die  jährliche  Anf- 
pflanzong  des  Maibanmes  im  Haag,  woranf  im  Jahre  1734  ein  Pfenning 
geschlagen  wnrde  (yan  Loon  NederL  Hist.  penn.  II,  225)  vgL  man  Tegenw« 
Staat  van  Holland  XVI,  100;  de  Biemer  Besohr.  van's  Gravenhage  ete.  Li 
der  Schweiz  wnrde  das  Maienhanen  im  17.  Jahrh.  dnrch  zahlreiche  Verbote 
nnterdrflokt.  Der  Winterthnrer  Bat  z.  B.  liei  1659  den  Großweibel  in  der 
Kirche  verkünden  „dafi  bei  hoher  Strafe  die  jungen  Knaben  am  Maitag  weder 
Roth  -  noch  Weifidändli  In  Mayen  hauen  soUen  als  ein  schädlich  und  unnftts 
Ding."  TroU ,  G«8ch.  von  Winterthur  UI,  188  bei  Bochholz ,  Alem.  Kinderl. 
507,  102. 

2)  Ans  Frankreich  vgl.  Du  Gange  a.  a.  0.  Urkunden  aus  .den  Jahren 
1207,  1257,  1397,  1400.  Aus  Italien  saec.  XVI,  s.  das  Zeugniß  des  Polydo- 
ms  Yergilius  de  invent  rer.  5,  2  bei  Grimm  Myth.*  741.  VgL  über  Neapel, 
wo  am  ersten  Mai  jedes  Haus  durch  ausgesteckte  Büsche  zum  Wirthshaus 
werde,  Cortese,  Giiülo  e  Pema  1,2.  Liebrecht,  Pentamerone  des  Basile  I» 
399.  Aus  England  s..die  Beschreibung  Boumes  bei  Strutt ,  Sports  and  pastimes 
of  the  people  of  England  1841,  351^358.  Brand,  populär  antiquities  e^. 
EUis  1853.  I,  212—- 247.  In  Belgien  s.  Beinsberg -Düringsfeld,  Oalendrier 
Beige  I,  278  £  .  In  DeutschLind  s.  Kuhn,  Westfäl.  Sag.  n,  168,  471.  173, 
482-^483.  156,  489--441.  Kuhn,  Nordd.  Sag.  386,  70.  Alsatia  1851,  139. 
Lyneker,  hess.  Sagen  S.  246—248.  Of.  Beinsberg -Düringsfeld,  das  festig 
Jahr  127  — 130. 

ll»iiBh»rdt  11 


102  Kapitel  HL    Baumseele  als  Vegetationsdämon: 

Hexen  vertrieben  werden.^  Zuweilen  werden  die  mit  Sträußen 
und  Bändern  verzierten  Maibänmehen  zuvor  .in  feierlichem  Um- 
züge unter  »Gesang  gabenheischend  von  Haus  zu  Haus  getragen, 
ehe  sie  vor  denjenigen  Häusern,  in  welchen  Gaben  an  Eiern, 
Speck,  Wurst  u.  s.  w.  verabfolgt  wurden,  ihren  Platz  finden. 
Die  Träger  heiBen  Maienknechte,  Pfingstknechte,  Ma^jungen  u.  s.  w.,' 
sie  werden  z.  B.  in  der  Grafechaft  Mark ,  wo  sie  mit  dem  Gesänge 
umziehen  „Hi  breng'k  ink  den  Mai  in't  Hfis'^^  mit  Wctsser 
begossen.^  In  der  Gegend  von  Zabern  bilden  sich  ver- 
schiedene Compagnien,  deren  jede  mit  einem  Maib^um 
und  einem  verkleideten  Butz,  dem  Pfingstnickdy  d,  h. 
einem  Burschen  in  weißem  Hemde  umzieht,  der  ein 
geschtpäretes  Gesicht  und  mit  Stroh  ausgestopften  Bauch 
hat.  Einer  aus  der  Gesellschaft  trägt  einen  riesigen 
Korb,  worin  sie  Eiec,  Speck  u.  d.  gl.  sammeln.  Außer 
dem  größeren  Maien,  den  man  dem  Pfing&tnickel  voran 
trägt,  führen  die  ttbrigen  Mitglieder  der  Gompagnie 
jeder  einen  kleineren.  Oft  begegnen  sich  drei  bis  vier 
Compagnien  und  es  kommt  zu  einem  Kampfe,  nach  wel- 
chem dem  unterlegenen  Teile  der  große  Mai  abgebro- 


1)  S.  Meier,  Schwab.  Sagen  397,  76.  Grater,  Biagnr  VI,  1798  S.  121. 
Peter,  VoUcBtümliches  a.  Oesterr.  Schlesien  II ,  286.  Beinsberg -Düringsfeld, 
Festkalender  a.  Böhmen  S.  210.  Cf.  „  They  fancj  a  green  hojigh  of  a  tree, 
fastened  on  May-Day  against  the  honse,  will  prodnce  plenty  of  milk  that 
Stimmer.  Camden,  antient  and  modern  manners  of  the  Irish  bei  Brand 
a.  a.  0.  227.  Weitere  Nachweisongen  aus  Dänemark  nnd  Norwegen  giebt 
Mannhardt,  Germ.  Myth.  17  ff. 

2)  Alsatia  1851  S.  144.  Enhn,  Nordd.  Sagen  887,70.  Pöter,  YoUdb- 
tümliches  aus  Oesterr.  Schlesien  II,  280.  I,  88.  Schmitz,  Sitten  nndBrfiache 
des  Eifler  Volkes  k.  Trier  1856  I,  3d.  Beinsberg -]!)&ring8feld,  das  festliche 
Jahr  130. 

3)  Fr.  Woeste,  Yolksüberl.  a.  d.  Grafschaft  Mark  26.  Im  Ifittel- 
alter  gestaltete  dieses  „den  Mai  ins  Hans  bringen'*  sich  mehrfach  su 
einem  berittenen  £inzag.  Vgl.  Le  Fövre  de  Saint- Bemy  bei  Göltet, 
FÖtes  religienses  p.  158  vom  Jahre  1414:  Messire  Hector,  b&tard  de  Bourbon, 
manda  a  cenz  de  Compiägne,  qne  le  premier  jour  de  may  11  les  irait 
esmayer;  la  quelle  chose  il  fit,  monta  a  cheyal,  ayant  en  sa  oompagnie 
d'eox  Cents  hommes  d'armes  des  plns  vaülants  avec  une  belle  oompagnie  de 
gens  de  pied  et  toos  ensemble,  chacnn  nn  chapean  de  mai  snr  lenra  har- 
nais  de  fdte,  all^rent  a  la  porte  de  Compiägne  et  avec  enz  portaient 
une  grande  brauche  de  mai  poar  les  esmayer. 


Maibanm.  163 

eben  wird  (mündl).  Oder  ein  Kind,  das  Mairesde  (Maienrös- 
lein)  j  trägt  einen  mit  Blumensträußen  und  Bändern  geschmückten 
Maien,  ein  anderes  einen  Korb,  um  die  Gaben  für  die  kleinen 
Sänger  in  Empfang  zu  nehmen ,  die  dem  Mairöslein  folgen  (Thann 
un  Oberelsaß).  Wo  nicht  vor  jedem  Hause  ein  Maibaum  aufge- 
pflanzt wird ,  beschränkt  die  Sitte  diese  Handlung  größtenteils  auf 
diejenigen  Wohnstätten ,  in  denen  heiratsfähige  Mädchen  sich 
befinden,  oder  die  Häupter  der  Gemeinde  (Stadt,  Dorfschaft 
u.  s.  w.)  ihren  Sitz  haben. 

Das  Maienstecken  für  die  jungen  Mädchen  geschieht 
entweder  als  Zeichen  der  Achtung  von  sämmtlichen  Burschen  der 
geflammten  Gemeinde  zusammen  (oft  erhält  jede  mannbare  Jung- 
frau im  Hause  ihren  besondem  Baum,  die  ältere  eine  größere, 
die  jüngere  eine  kleinere  Maie),  oder  als  Ausdruck  inniger  Liebe, 
als  symbolischer  Heiratsantrag  von  Seiten  des  Liebhabers  allein, 
und  in  diesem  Falle  schneidet  der  letztere  wol  auch  seinen 
Namen  in  die  Binde  des  Baumes  ein.^     Nur  den  ehrenwerten 


1)  In  ItaUen  heißt  majo  der  Zweig  (von  Birken  oder  Eichen)  der  der 
Geliebten  vor  die  Türe  gesetzt  wird.  Man  hat  daher  das  Sprichwort  „ap- 
piccare  U  majo  ad  ogni  nscio"  fär  ,,  inamorarsi  per  tntto."  Nach  T.  Bar- 
cinlli  im  Diritto.  Borna  1873.  n.  108  ist  es  ein  mit  woldnftenden  ginster- 
artigen Blüten  in  Tranbenform  bedeckter  Baum  (Akazie?),  den ^  man  als 
Maggie  oder  Majella  bezeichnet  und  dessen  blütenschwere  Zweige  die 
liebenden  Jünglinge  in  der  Nacht  vom  letzten  April  bis  znm  ersten  Mai  ihren 
Mftdchen  vor  die  Türe  setzen.  Man  nennt  das  „plantar  Maggie.*' 
Schon  Lorenzo  von  Medici  in  einer  seiner  Eanzonen  sagt: 

Se  tu  vuo'  appiccare  an  majo 

A  qualcuna  che  tu  ami , 

und  Michel  Angelo  Bonaroti  in  der  Tancia  spielt  darauf  an: 
^         Cosi  gettat'  ho  via  ciö,  che  fei  mai^ 

Per  lei  e  doni,  e  feste  e  serenate: 

In  vano  al  Maggie  io  le  ho  ataccati  i  maj. 
Auch  in  Spanien  ist  majo  =  arbole  de  enamorado.    Bei  den  Bum&nen  setzen 
die  Barsche  am  Himmelfahrtstage  den  stattlichen  Maibaum  vor  die  Fenster 
der  mannbaren  Mädchen.    W.  Schmidt,  das  Jahr  der  Eomänen  Siebenbürgens. 
Hermannstadt  1866.  p.  12.    In  Frankreich  vgl.  Du  Gange  a.  a.  0.,  der  z.  B. 

flg.   Urkunde  v.  läSO  beibringt.      ^,  Bobin  d'Ambert  fast  allez  avec 

certains  compaignons  de  la  ville  de  Crecy  sur  Sere  par  esbatement  cueil- 
lir  da  may  ou  aatre  veidore  pour  porter  devant  les  hotelz  des 
jeanes  filles,  si  comme  il  est  acoustome  de  faire  en  ceUe  nuit.  Die 
Sitte  Ueß  enmayoler  oder  esmayer  (verschieden  von  esmayer  d.  i.  smagare 
erschrecken).    Urk.  t.  1375:  La  searveille  du   premier  jour  de  may  ioeulx 

11* 


164  Kapitel  III.    Banmseele  als  Vegetationsdamon: 

sittlich  unbescholtenen  Jungfrauen    oder  jungen  Wittwen   wird 
diese  Ehre  zu  Teil;  denjenigen ,  welche  sich  Unkeuschheit  oder 


snpplians  yonlantaier  enmaioler  les  dittes  filles,  comme  il  est  de  coos- 
tame.  In  der  Niederbretagne  steckt  man  einen  mit  einer  Blnmenkrone 
geschmückten  Maibaum  an  die  Tür  der  Geliebten.  Cf.DeNore,  mythes 
p.  207.  Im  Dep.  da  Nord  bringt  man  am  1.  Mai  Birkenzweige  an  Fenster 
nnd  Dach  der  Wittwen  und  Jnngfranen  an.  ,De  Nore  339.  In  der  Bretagne 
(Loire  inferienre)  heftet  der  Liebhaber  seiner  Schönen  ein  Rosenbonqnet 
über  die  Tür.  Im  Niyemais  sind  es  Kirschen-  oder  Pfirsichzweige, 
die  man  dem  Schätzchen  in  der  Mainacht  oben  zur  Seite  der  Haustür 
anbringt  (mündl.)  Im  Jura  befestigen  sie  den  imt  Blumen ^  Bändern,  Kucken 
nnd  Weinflaschen  gezierten  Maien  heimlich  am  Eammerfenster  oder  oben 
am  Schornstein  des  Hauses  der  Geliebten,  fi.  Cortet,  fStes  reügieuses. 
Paris  1867,  p.  164.  üeber  die  Allgemeinheit  der  Sitte  in  Frankreich  s.  Mon- 
nier,  traditiohs  populaires.  Paris  1857,  p.  307.  In  der  Provence  hat  man  in 
Bezug  darauf  folgendes  liedchen: 

Yeci  lou  djoli  mb  de  mai, 
Que  lou  galans  plantan  lou  mal: 
N'en  planterai  ion  a  ma  mio ; 
Sara  plus  hiaut  que  sa  tiolino. 

d.  i. 

Voici  le  joii  mois  de  mai, 
Que  les  amoureux  plantent  le  mai: 
Ten  planterai  un  a  ma  mie; 
n  sera  plus  haut  que  son  toit. 

Monnier  a.  a.  0.  295  —  6.  Im  Elsaß  stellen  die  jungen  Bursche  ihren  Mfid- 
chen  in  der  Walpurgisnacht  eine  schlanke  Tanne  mit  Blumen  und  Bin- 
dern vor  das  Fenster,  indeß  die  Kinder  den  in  der  Mitte  des  Dorfes  stehen- 
den großen  Maabaum  singend  umtanzen  (Alsatia  1851 ,  141  ff.).  In  der  Gegend 
von  Zabern  setzen  die  jungen  Leute  ihrer  Liebsten  einen  Maibusch  vor  die 
Tür  oder  auf  das  Dach.  Letzteres  ist  ein  Zeichen  brennender  Liebe 
(mündl.).  In  Limburg  und  Brabant,  sowie  in  den  angrenzenden  belgischen 
Provinzen,  zieren  hohe  belaubte  Stämmchen  oder  grüne  Zweige  von  Lorbeern, 
Tannen  oder  Birken  (oft  auch  nur  Buchsbaumzweige,  Meipalmen)  mit  Bin- 
dern, buntem  Papier  und  Flittergold  geschmückt  die  Dächer,  das  Schlaf- 
stnbenfenster  oder  die  Haustür  der  geliebten  und  tugendhaften  Mfidohen. 
Zs.  f.  d.  Myth.  1, 175.  Beinsberg -Düringsfeld,  Calendrier  Beige  I,  279  —280. 
Zuweilen  sind  dem  Maibaum  Verse  angehängt,  wie  „Mai  de  chSne,  je  toub 
ar^ne  (aime)'^  oder:  „Mai  de  core  (nojer),  je  vous  adore"  Beinsberg -Dü- 
ringsfeld, CaL  Belg.  280.  Solche  Devisen  und  Bilder'  pflegten  auch  die 
Frankfurter  Patriziersöhne  den  Maien  anzuhängen,  die  sie  verehrten  Frauen 
oder  Jungfrauen  steckten;  so  Johann  Knoblauch  i.  J.  1464  den  Spruch:  „Fal- 
scher Grund  ist  meinem  Herzen  unkund"  Lersner  bei  Eriegk  a.  a.  0.  452. 
Im  Harz,  in  Sachsen,  Thüringen  nnd  im  Voigtlande  ist  ea  die  P fingst- 


Maibanm.  165 

Wankelmut  in  der  Liebe  zu  Schulden  kommen  ließen  oder  durch 
ihr  sonstiges  Betragen  Haß  und  Verachtung  auf  sich  geladen 
haben ,  setzt  man  einen  dttrren  Baum  y  oder  auch  einen  Baum  von 
besonderer  Art  (Holunder,  Hasel,  Pappel,  Vogelbeerbaum,  Dom, 
u.  s.  w.)  oder  endlich  man  verfertigt  einen  Strohmann  und  steckt 
ihnen  den  vor  die  Tür,  das  Kammerfenster  oder  auf  das  Dach 
und  bestreut  den  Weg  zwischen  ihnen  und  ihrem  unrechtmäßigen 
Liebhaber  mit  Spreu.  ^ 


nacht^  in  der  die  sämmtlichen  jungen  Barsche  den  Mädchen,  die  sie  ehren 
nnd  lieb  haben,  Maien  vor  die  Tür  setzen.  E.  Sommer,  Sag.  n.  Märchen 
S.  151.  Prohle,  Kirchl.  Sitten  S.  261.  Kuhn,  Westf.  Sag.  II,  169,  474. 
Köhler ,  Yolksbrauch  im  Yoigtlande  1867,  S.  175.  In  der  Nacht  yom  ersten 
zum  zweiten  Pfingsttag  erhält  im  Wittgensteinschen  jedes  unverheiratete 
Weib  von  den  unverheirateten  Männern  seinen  Maistrauch.  Kuhn,  Westf. 
Sagen  11,  168,  470.  In  Schwaben  stecken  die  Bursche  gemeinhin  nur  ihren 
Schätzen  die  Maitanne  oder  Maibirke  vors  Haus;  im  Oberamt  Welzheim  aber 
wird  zu  Ehren  der  Mag^  oder  Tochter  vor  den  Stall  oder  auf  den  Mist 
jedes  Hauses  ein  grüner  Zweig  gesetzt;  daran  je  nach  der  Schätzung  des 
Mädchens  mehr  oder  minder  flotte  Bänder  hangen.  Gilt  es  mehreren  Mäd- 
chen, so  wird  flir  jede  ein  besonderer  Baumzweig  gesteckt.  Meier,  397,  76. 
Ebenso  in  TrSmiö  in  Böhmen;  jedes  erwachsene  Mädchen  im  Hause  erhält 
seinen  Baum;  das  älteste  den  größten,  das  jüngste  den  kleinsten  Maien. 
Reinsberg-Düringsfeld,  Festkalender  a.  Böhmen  S.  214.  In  der  Eifel  befestigt 
jeder  Bursch  seiner  bei  der  Mädchenversteigerung  zu  Lehne  erhaltenen  Maifrau 
einen  schönen  Maien  auf  den  Giebel,  oder  das  Dach  der  Wohnung  (Schmitz 
a.  a.  O.  S.  32) ,  während  im  Bergischen  bei  der  Maisprache  die  jungen  Bursche 
der  Landgemeinde  ausmachen,  welchem  der  ausgeteilten  Mädchen  der  Mai- 
banm (eine  schöne  mit  vergoldeten,  weißen  und  bunten  Eiern, 
Blumen  und  Bändern  gezierte  Linc{e  oder  ein  Maibuchenast)  al&  beson- 
dere Ehre  vor  die  Türe  gestellt  werden  solle.  Montanus,  die  deutschen 
Volksfeste  S.  30.  Im  Prager  Kreise  schälen  viele  Bursche  die  Rinde  unter 
der  Krone  des  Maibaumes  ab  und  schneiden  ihren  Namen  hinein,  damit 
das  Mädchen  wisse,  wer  ihr  den  Maien  gesetzt  hat,  und  sie  zur  Frau 
begehrt  Beinsberg -DÜringsfeld,  Festkalender  S.  214.  In  Bheinhesscn 
und  einigen  nassauischen  Orten  haben  die  Bäume,  welche  die  Bursche  ihren 
Schätzen  am  Abend  vor  1.  Mai  vors  Haus  setzen,  keine  weitere  Verzierung, 
als  oben  unter  den  ersten  Aesten  drei  durch  Ablösen  des 
Bastes  hergestellte  Binge.  Aber  wehe  dem  Burschen,  der  diese  Auf- 
merksamkeit unterließe.  Seine  Schöne  machte  ihm  Tage  lang  ein  böses  Ge- 
sicht Denn  „wem  mr  gut  is,  dem  sticht  mrn  mai''  heißt  es.  Kehrein, 
Volksspr.  u.  Volkssitte  in  Nassau  S.  155. 

1)  Alles  in  der  vorigen  Anmerkung  Beigebrachte  gilt  aber  nur  jungen 
und  unbescholtenen  Frauen,  haftet  auf  einer  ein  sittlicher  Makel,   oder  hat 


166  Kapitel  III.    Banmseele  als  Vegetationsdämon : 

Anßer  den  Wohnungen  geehrter  Mädchen  wird  sodann  das- 
jenige Hans  darch  einen  Maien  ausgezeichnet ,  in  welchem  die 


sie  sich  eine  Untreue  gegen  den  Liebsten  zu  Schulden  kommen  lassen,  so 
tritt  an  die  Stelle  des  grünen  Maibanmes  ein  blätterloser  Banm  oder  ein 
Strohmann,  oder  irgend  ein  Banm  besonderer  Art,  zuweilen  gilt  dies  auch 
solchen,  die  sich  sonst  durch  ihr  Wesen  und  Betragen  unleidlich  gemacht 
habetL.  Auf  dem  Lechrain  steckten  zuweilen  die  Liebhaber  allein  ihren 
Sch&tzen,  zuweilen  alle  Buben  der  Gemeinde  sämmtliohen  brayen  Dirnen 
fünfzehn  bis  zwanzig  Fuß  hohe  grüne  Tannenbäume  mit  farbigen  Bän- 
dern, Marschanzkem  (d.  i.  Borstorfer  Aepfeln)  £ipferln  (Backwerk)  und 
voUen  Bosoliflasehen  geziert  auf  den  First  ihres  Hauses,  oder  yor  die 
Eammertür;  schlechten  Weibsbildern  aber  statt  dessen  dürre  Bäume  mityer- 
schmierten  Hadern  statt  der  Bänder  %md  einen  Strohmann  mit  zerrissener 
Jacke  und  Hut,  Tattermann  genannt  yon  tattern  d.  i.  erschrecken.  Leo- 
prechting ,  aus  dem  Lechrain  S.  177.  Erwarb  sich  das  Mädchen  durch  Rein- 
lichkeit und  Geschicklichkeit  die  Anerkennung  des  Orts ,  so  steckten  ihr  die 
Bursche  eine  „gestämmte  junge  Tanne,"  an  deren  Gipfelästen  die  Ge- 
schenke des  Liebhabers  hangen.  Im  andern  Falle  sieht  sie  am  Kammer- 
fenster Teile  ihres  eigenen  schmutzigen  Anzugs.  Ihr  Bub  darf 
sie  nicht  wieder  öffentlich  zeigeii ,  die  Spinnstuben  sind  ihr  yerschlossen ,  sie 
muß  auswärts  in  Dienst  treten  und  darf  erst  nach  Jahresfrist  mit  guten 
Zeugnissen  sich  wieder  zu  Hause  sehen  lassen.  Birlinger,  Yolkst.  a.  Schwa- 
ben II,  95, 125.  In  ähnlicher  Weise  bildet  überall  die  Bestrafung  der  nichts- 
nutzigen Dirne  den  Gegensatz  zum  frischen  grünen  Maien,  der  der  jungen 
und  ehrenhaften  Jungfrau  gepflanzt  wird.  Bei  Aerschot  (Südbrabant)  gilt  ein 
yertrockneter  Baumstamm  als  Spott  für  alte  und  verhaßte  Mädchen ;  bei 
Campine  setzt  man  den  ungetreuen  oder  zu  Fall  gekommenen  vollständig 
bekleidete  Strohmänner  (voddeventen  Lumpenkerle)  rittlings  aufs  Dach  oder 
auf  einen  Baum  vors  Schlafstubenfenster.  In  franz.  Flandern  heißt 
solcher  Strohmann  marmousin  (Meerkatze),  woraus  in  Ostflandern  mahomet 
wurde.  In  Limburg  heftet  man  den  unehrenhaften  Mädchen  einen  Strauß 
Petersilien  an  die  Tür  (Beinsberg - Düringsfeld ,  Calendr.  Belg.  I, 
279 — 280).  Zu  Pont  TEv^que  in  der  Normandie  fanden  gute  Gesellen  i.  J. 
1393  vor  dem  Hause  eines  jungen  Mädchens  einen  Hasel  st  rauch  als  Mai 
aufgepflanzt,  es  schien  ihnen  „  qu'il  n'estoit  pas  bien  honneste  pour  le  mettre 
devant  Tostel  d'une  bonne  Alle;  le  quel  may  ilz  osterent.*'  Im  Jahre  1367 
beklagte  sich  die  Tochter  eines  bekannten  Mannes,  Johanna,  daß  ein  gewisser 
Oaronchel  ihr  einen  Maien  gesteckt  habe  (il  Tavait  esmayöe)  und  zwar  habe 
er  ihr  einen  Holunderzweig  auf's  Haus  gesetzt,  sie  sei  aber  keine 
Frau,  der  man  dergleichen  esmayements  und  Verspottungen  bieten  dürfe, 
noch  sei  sie  so  anrüchig  (puante)  als  der  Holunder  anzeige.  S.  Du  Gange 
a.  a.  0.  In  Schmallenberg  in  Westfalen  pflanzt  man  unordentlichen  Mädchen 
statt  der  Birken  Yogelbeerbäume  (quaken)  vor's  Haus;  auch  in  Thüringen 
drückt  die  Eberesche  vor  der  Tür  des  Mädchens  Spott  oder  Abneigung  aus. 
Kuhn,  Westf.  Sag.  156,  442.     Köhler,   Volksbrauch  S.  175.     In   Thüringen, 


Maibanm.  167 


böehgte  Antorität  der  Gremeinde  tront,  die  Wohnung  des  Bürger- 
meisters, das  GeriobtshaoB  n.  dgl.,^  seltener  die  Eirehe  und  das 


am  Harz  nnd  Elm  stecken  sie  ÜDkenschen  Holander,  Fappelzweige, 
oder  DornWasen  yor  die  Fenster  (Enhn,  Nordd.  Sag.  389,  76);  im  Ber- 
gischen Kirschbanmzweige  (Montanas  S.  30),  in  Böhmen  alte  abge- 
kehrte Besen  (Schmalfaß,  d.  Deutschen  in  Böhmen  S.  71).  Häafig  aber 
vertritt  die  Stelle  des  dürren  Baames  ein  Strohmatz.  Schwangeren  Mädchen 
oder  sonst  in  übelm  Gerüche  stehenden  Personen  wird  ein  hölzerner  mit 
Lampen  and  Fetzen  bekleideter  Mann  oder  ein  Strohmann  vor  das  Eammer- 
fenster,  anf  den  Mist,  anf  einen  Baum,  oder  gar  aaf  den  First  des  Haases 
befestigt  and  der  Weg  za  ihrem  Liebhaber  mit  Sprea  oder  Heckerling 
bestreut  S.  Birlinger,  Yolkst.  a.  Schwabenil,  94,  124.  Kahn,  Nordd.  Sag. 
389,  76.  Ders.  Westf.  Sag.  156,  442.  Mülhause,  ürreligion  S.  212  (Hessen). 
Bemerkenswert  ist  die  Sitte  in  der  Gegend  von  Zabem ,  der  falschen  Geliebten 
einen  mit  mehreren  Strohseilen  amwundenen  und  mit  Herings- 
and Katzenköpfen  behangenen  Maibnsch  za  bringen;  in  derCote  d'or  and 
im  Nivemais  ihr  einen  Tierschädel  (Pferdekopf,  Ochsenkopf)  über  der 
Türe  aafzahängen.  Aach  in  England  fehlen  die  beschriebenen  Sitten  nicht. 
In  Cheshire  setzen  die  jungen  Leute  am  Maitag  Birkenzweige  Aber  die  Türe 
ihrer  Liebsten,  die  Wohnung  einer  Zänkerin  aber  bezeichnen  sie  dorch  eine 
£rle,  diejenige  einer  Schlampe  durch  einen  Nußbaumast  (Hone,  Everj 
day-book  1866,  II,  299).  In  Hitchin  (Herefordshire)  binden  die  Mayers  aus 
dem.  Walde  zurückkommend  grüne  Maizweige  an  die  Klopfer  der  Türen ,  je 
länger  der  Mai,  desto  größere  Ehre  für  das  Haus,  hat  aber  einer  der  Dienst- 
boten '  dieses  Hauses  den  Mayers  während  des  Jahres  Anstoß  (offence)  gege- 
ben, so  heften  sie  einen  Erlenzweig  mit  einem  Bunde  Nesseln  an  die  Tür 
und  das  ist  eine  große  Schande  (Hone  a.  a.  0.  I,  283). 

1)  In  der  Jurakette  von  Belley  (D^p.  de  TAin)  bis  Porentray  stellt  man 
einen  belaubten  Maibaum  vor  die  Wohnung  des  neuerwählten  Mairo.  Mon- 
nier,  trad.  pop.  p.  307.  In  Paris  bestand  noch  im  17.  Jahrb.  die  Sitte,  daß 
die  Clercs  der  Bazoche  in  dem  Cour  de  mai  benannten  Hofe  des  Justiz- 
palastes  jährlich  den  geschmückten  Maibaum  aufrichteten.  Gortet,  fetes  reli- 
gieuses  p.  158.  In  Frankfurt  a.  M.  schmückte  man  im  16.  Jahrhundert  die 
Ratsstube  zu  der  am  1.  Mai  stattfindenden  Bürgermeisterwahl  mit  Maien  aus, 
pflanzte  sodann  vor  dem  Bömer,  sovrie  vor  den  Häusern  der  ab-  und 
angehenden  Bürgermeister  und  Forstmeist((ir  (d.  h.  der  dem  Forstamte  vor- 
stehenden Batsglieder)  Maibäume  auf.  Da  der  Misbrauch  einriß,  das  auch 
außer  am  1.  Mai  zu  andern  Jahreszeiten  zu  tun,  wurde  1597  verordnet^  daß 
vor  dem  Bömer,  den  Häusern  der  Bürgermeister  und  Forstmeister  jährlich 
nur  einmal  ein  Maibaum  gesetzt  werde.  Kriegk  a.  a.  0.  452.  In  manchen 
Gegenden  Schwabens  wird  am  1.  Mai  den  Herren  d.  h.  dem  Pfarrer,  dem 
Wirten,  zu  andern  Zeiten  auch  wol  einem  neuen  Schultheißen  zu  Ehren  ein 
Maibaum  gesteckt  Meier,  Schw.  Sagen  397,  75.  In  der  Bretagne  pflanzt 
man  den  Maibaum  in  der  Mainacht  vor  die  Tür  der  Oberhäupter  größerer 
Familien.    De  Nore  207. 


168  Kapitel  III.    Baomseele  als  Vegetationsdämoii: 

SchnlhaiiB.  Alle  diese  vor  den  Häusern  angepflanzten  Maien 
müssen  nnterschieden  werden  von  dem  größeren  Maibanm  oder 
der  Maistange  (engl  maypole)  welche  in  der  Mitte  des  Dorfes; 
aof  dem  Markte  der  Stadt  unter  der  Teilnahme  der  ganzen  Ge- 
meinde, aufgerichtet  wird.  Einstimmigkeit  alier  Bauern  dazu  ist 
erforderlich,  um  diesen  Baum  feierlich  aus  dem  Walde  zu  holen. 
Im  Mittelpunkt  der  Ortschaft,  der  Straße,  oder  des  Stadtviertels 
eingegraben,  wird  er  mit  Eifersucht  bewacht;  gelingt  es  trotz- 
dem einer  fremden  Ortschaft  ihn  zu  stehlen,  so  wird  er  von  der 
Bauerschaft  ausgelöst  und  mit  grofiem  Pompe  zurückgebracht.^ 


1)  Die  hohen  aofgezierten  Maibäome  werden  anter  Teilnahme  der  gan- 
zen Gemeinde  mit  fröhlichem  Tanz  nnd  Gesang  gesetzt.  Leoprechting, 
Lechiain  S.  177.  Die  ganze  Gemeinde  muß  einig  sein,  den  Maibanm 
einzuholen.  Meier,  Schwab.  Sagen  396,  £K.  74.  Ein  schöner  Maibanm  ist 
im  Yoigtland  der  Stolz  des  Dorfes.  Köhler  a.  a.  0.  S.  177,  9.  Im  Stad- 
und  Budjadingerlande  (Oldenburg)  werden  bei  den  einzelnen  Höfen  Maibäume 
errichtet,  viele  Bauerschaften  aber  haben  einen  gemeinsamen 
Mai  bäum,  den  der  Bauer  voigt  oder  der  Wirt  das  Jahr  über  aufbewahrt, 
eine  möglichst  hohe  Stange,  deren  Höhe  mitunter  noch  durch  Stangenwerk 
vergrößert  wird.  Tags  vor  Pfingsten  wird  sie  mit  grünem  Mai,  Büschen 
und  Kränzen ,  auch  wol  mit  Flaggen  geziert  und  die  Nacht  hindurch  sorgsam 
bewacht,  wobei  nicht  wenig  gezecht  wird.  Sie  bleibt  bis  zum  Trinita- 
tissonntage  stehen.  Während  der  Maibaum  steht,  ist  es  andern  Dorf- 
schaften erlaubt,  ihn  zu  stehlen,  doch  dürfen  sie  keinen  der  Stricke,  die  ihn 
halten,  durchschneiden.  Gelang  der  Diebstahl,  so  muß  die  unachtsame  Bauer- 
Schaft  ihren  Baum  mit  einer  Tonne  Bier  lösen.  Auch  in  Jeverland  setzt 
man  Maibäume  und  es  gilt  für  sehr  ehrenvoll  einen  solchen  zu  stehlen.  Der 
gestohlene  wird  mit  großem  Pompe  zurückgebracht.  Hinter  einem  Wagen 
mit  Musikanten  folgt  auf  zweien  Wagen  der  Maibaum,  dann  auf  meh- 
reren Fahrzeugen  die  üntführer  des  Baumes  mit  ihren  Mädchen.  Pferde, 
Menschen  und  Wagen  sind  reichlich  mit  Grün  und  Blumen  geschmückt.  In 
dem  Orte ,  woher  der  Maibaum  stammt ,  empfängt  den  unter  Musikbegleitung 
nahenden  Zug  eine  filirenpforte;  hinter  derselben  steigen  die  Gäste  ab,  und 
werden,  nachdem  der  Baum  wieder  aufgerichtet  ist,  reichlich  mit  Speise  und 
Trank  bewirtet;  man  macht  ein  paar  Tänze  und  der  Zug  kehrt  zurücL 
Strackeijan,  Abergl.  u.  Sagen  a.  Oldenburg  II,  47.  §.  317.  Hiemit  stimmt 
was  Owen  in  s.  Welsh  dictionary  s.  v.  bedwen  (Birke)  aus  Wales  mitteilt: 
Bedwen  a  maypole,  because  it  is  always  made  of  birch.  It  was  oustomary 
to  have  games  of  various  sorts  round  the  bedwen,  but  the  chief  aim,  and 
of  which  the  fame  of  the  village  depended,  was  to  preserve  it 
from  being  stolen  away,  as  parties  from  other  places  were  continuaUy 
on  the  watch  for  an  opportunity,  who  if  suocessfull,  had  their  feats  recor- 
ded  in  songs  on  the  occasion.    Brand,  pop.  antiqu.  ed  EUis  1,238.    In  Bor- 


Maibanm.  169 

Von  EiöBtem  und  groften  Gmndbesitzem  war  zuweilen  die  jähr- 
liche Liefenmg  des  Maibanma  als  emphyteatische  Last  einem 
Erbpäehter  auferlegt.  Der  in  Bede  stehende  Maibanm  ist  eine 
große  Birke  oder  Tanne,  oder  ein  anderer  sehr  großer  Banm, 
dessen  Stamm  häufig  bis  unter  die  Krone  von  Zweigen  entblößt 
und  ganz  glatt  abgeschält  ist,  die  obersten  Zweige  des  Wipfels 
läßt  man  in  vollem  Laube  stehen.  Die  Abschälung  der  Binde 
geschieht  yielfach  in  sckUmgenförtnigen  Windungen  y  oder  der 
abgeschalte  Stamm  wird  auf  dieselbe  Art  in  bunten  Farben  bemalt 
und  mit  Bauschgold  und  Bändern  geschmttckt.  Zuweilen  aber 
vertritt  (ursprtlnglich  geschah  dies  ohne  Zweifel  aus  ökonomischen 
Bücksichten)  den  Maibaum  eine  große  Stange ,  welche  oben  mit 
Laub  und  Blumen  umwunden  wird,  und  nicht  selten  so  rie- 
sig ist,  daß  sie  aus  mehreren  Stämmen  zusammen  ge- 
fügt werden  mußte.  In  diesem  Falle  wird  der  Baum 
nicht  jedes  Jahr  erneut,  sondern  er  behauptet  seinen 
Platz  und  wird  nur  alljährlich  mit  frischem  Grttn  beklei- 
det. Den  Wipfel  zieren  häufig  Eier,  (am  Pfingstbaum  im  Olden- 
bnigischen  sind  sie  vei^ldet)  Wttrste,  Kuchen,  sonstige  Ess- 
waaren  darunter  zuweilen  volle  Flaschen  mit  Getränk, 
bunte  Bänder,  aber  auchTttcher  und  andere  begehrens- 
werte Dinge.  Um  den  Maibaum  wird  ein  festlicher  Beigen 
getanzt ;  die  Bursche  klettern  danach  und  suchen  wetteifernd  die 
guten  Gaben  herunterzuholen,  nach  denen  der  Baum  in  Wälsch- 
tirol  albero  della  cuccagna  Baum  des  Ueberflusses  heißt.  ^    Die 

deanx  errichteten  die  Bewohner  jeder  Strafie  ihren  hesondem  Maibanm,  nm 
den  sie  Lieder  im  Patois  singend  tanzten.  De  Nore  a.  a.  0.  187.  In  Nürn- 
berg heißt  das  Maiengäßlein  nadi  dem  bis  1561  errichteten  ,,8tadtmayen,^'' 

1)  Im  VoigtUinde  werden  auf  dem  Dorfplatz  am  Pfingstfeiertag  grflne, 
zuweilen  mit  bnnten  B&ndem  geschmückte  B&nme  aufgestellt.  Köhler,  Yollcs- 
brauch  S.  175 ,  8.  Oberhalb  Thale  im  Gebirge  findet  zu  Pfingsten  der  soge- 
nannte Birkentanz  statt;  mit  Musik  holt  man  eine  Birke  jubelnd  ins 
Dorf  und  richtet  sie  dort  auf;  um  dieselbe  wird  dann  getanzt.  In  Hasse- 
rode und  andern  Orten  hat  man  statt  der  Birke  eine  Tanne.  Kuhn,  Nordd. 
Sag.  387,  70.  In  der  Eifel  zwischen  Aachen  und  Trier  föllten  die  Bursche 
des  Ortes  in  der  Pfingstnacht  eine  junge,  schnacke  Buche,  richteten  sie  auf 
dem  Dorfplatze  auf  und  umgaben  den  Gipfel  mit  einem  Kranze  von 
Eierschalen  und  Bändern.  So  lange  der  Baum  stand,  tanzte  das 
Jungvolk  allabendlich  singend  einen  Reihen  um  denselben;  das  hieß:  „um 
die  Krone  tanzen,'*  sp&ter  wurde  der  BauA  versteigert  und  das  soge- 
nannte Kronengdag  gehalten.    Schmitz  1, 38.     Für   diesen  heutigen  Eifler 


170  Kapitel  III.    Banmseele  als  Vegetationsdfimoii: 

altertümlichste  Form  der  Ausschmtlckung  des  Baumes  mit  Speisen 
n.  d.  gl.   ist  ohne  Zweifel  in  dem  Brauche  erhalten,  von  dem 


Brauch  besitzen  wii  bereits  ein  altes  Zengniß  in  einem  Vorfall,  der  L  J. 
1225  zu  Aachen  statt  hatte.  Da  der  Pfarrer  Johannes  in  geistlichem  Eifer 
den  mit  Kränzen  geschmückten  Baum,  welchen  das  Volk  umtanzte,  umhieb 
(cum  Corona  fuit  erecta  et  Johannes  ^  arborem  succidisset  et  alias  Coronas) 
leisteten  die  Bürger  ihm  Widerstand  und  verwundeten  den  Priester.  Der 
Vogt  Wilhehn  aber  befahl  demselben  zum  Trotze  einen  höheren  Baum  zu 
errichten  (altiorem  arborem  erigere)«  Caesarius  Heisterbac.  mirac.  lib. 
I,  cap.  17.  Vgl.  A.  Kaufmann,  Caesarius  y.  Heisterbach,  Cöln  1862,  p.  190. 
121.  Anm.  2).  Die  loccUe  Form  des  Maibaumsetzens  war  also  in  der  näm- 
licheji  Gegend  schon  vor  650  Jakren  die  nämliche,  wie  heute;  es  muß  weit 
langer  her  sein,  daß  sie  sich  von  der  allgemeinen  Sitte  ablöste.  Für  diese 
selbst  reicht  man  mithin  durch  dieses  Zeugniß  schon  naher  an  die  Zeit  des 
4ö0  Jahre  früher  erloschenen  Heidentums  in  Westfalen  hinan.  Im  Weidenauer 
Bezirk  (Oesterr.  Schlesien)  wird  bei  frühestem  Morgen  den  1.  Mai  eine 
schlanke,  schon  vorher  abgeschälte  Tanne,  deren  Gipfeläste  man  stehen 
läßt,  auf  einem  freien  Platze  des  Dorfes  so  aufgerichtet,  daß 
sie  im  ganzen  Orte  gesehen  werden  kann.  Die  Aeste  sind  mit 
Bändern  und  Schnupftüchern  behangen,  welche  derjenige  erhält, 
der  den  Baum  bis  zum  Wipfel  erklettert.  Der  Baum  bleibt  8—14  Tage 
stehen.  Peter ,  Yolkstüml.  i.  Schlesien  II,  286.  In  Beichenbach  im  Yoigt- 
lande  stellte  man  am  Johannisabend  einen  Maibaum  mit  allerlei  Gegenstän- 
den behangen  auf  dem  Anger  auf,  man  t-anzte  umher  und  die  jungen  Bursche 
holten  sich  die  daran  hangenden  Sachen.  Zum  Schlüsse  warf  man  den 
Matbaum  ins  Wasser,  vorher  aber  noch  eine  Person,  welche  man  Johannes 
nannte.  Das  Spiel  hieß  Firlefanz.  Köhler  S.  176,  9.  In  Oestreich  (Innvier- 
tel)  wählt  man  zu  den  am  ersten  Sonntag  im  Mai  gesetzten  Maibäumen 
hohe  schlanke  Stämme;  man  schält  sie  völlig  ab,  den  Wipfel  aus- 
genommen, dem  Ein  de  und  Zweige  verbleiben;  der  Wipfel  wird  mit  bunten 
flatternden  Seidenbändem ,  mit  Bauschgold  und  mit  Preisen  behangen,  letz- 
tere so  gereiht,  daß  das  Beste  den  Wipfel  selbst  krönt.  Der  Stamm  ist 
bemalt.  Nach  den  Preisen  wird  geklettert.  Baurogarteu,  das  Jahr  u.  s. 
Tage ,  Linz  1860,  S.  24.  Am  Harz  wird  die  aufgerichtete  Maie  gewöhnlich 
bis  zur  Krone  geschält  und  nachher  mit  der  Binde  schlangen- 
förmig  umwunden.  Kuhn,  Nordd.  Sag.  387,  70.  In  den  wendischen 
Dörfern  der  Lausitz  holen  die  Burschen  am  Pfingstfeiertag  einen  Baum, 
schälen  den  Stamm  ab,  so  daß  er  ganz  weiß  aussieht,  und  die 
Mädchen  schmücken  den  Gipfel  mit  Tüchern.  Nachher  werden  die  Tücher 
von  den  Burschen  geholt.  Köhler,  Voigtland  S.  177,  9.  Der  Maie  luden 
katholischen  Dörfern  um  Ellwangen  in  Würtenberg  ist  eine  hohe  geschälte 
Pichte,  an  deren  obere  Spitze  noch  ein  jüngerer  mit  Bändern  geschmückter 
Fichtenbaum  als  Wipfel  angeschmiedet  ist.  (Uebrigens  werden  in  Schwaben 
zuweilen  auch  die  Bäumchen,  welche  man  geliebten  Mädchen  oder  andern 
geehrten  Personen  z.B.  dem  Pfarrer  „steckt,**   abgeschält,  bis   an  die 


Maibaum.  171 

un&  eine  Urkunde  ans  Italien  Kunde  giebt:   Prima  die  maß  cm- 
dam  emphyteusin  ab  orphanis  Lueensibus  JuibenH  id  ofms  incwmr 


Krone  geringelt  und  dann  mit  Bftndem  nnd  Kränzen  geschmückt  (Bir- 
linger  a.  a  0.  94,  124).  In  der  Umgegend  von  EllwaDgen,  wird  am  1.  Mai 
ein  großer,  oft  aas  mehreren  Stämmen  zusammengesetzter  Mai 
gesteckt;  die  Krone  ist  mit  Tpchem^und  Bändern  behangen,  die  als  Preis 
die  besten  Kletterer  erhalten.  Unter  Musik  und  Jubel  tanzt  man  nm  den 
Baum.  Meier  S.  896,  74.  In  Oberbaiem  und  dem  Salzkammergut*  ist  der 
Maibaum  häufig  oberhalb  des  grünen  Wipfels  mit  einer  Flagge,  unter- 
halb desselben  mit  mehreren  besteckt,  etwas  weiter  unten  sind  mehrere 
Kränze  wagrecht  angebracht,  so  daß  der  Schaft  des  Baumes  das 
Centrum  bildet.  Auch  in  Frankreich  und  England  wurde  der  Maibaum  vom 
Dorfe  oder  Kirchspiel  (village,  parish,  paroisse)  gemeinsam  errichtet*  und  es 
ist  deswegen  oft  von  dem  viUage-maypole  die  Bede.  In  einem  alten  fran- 
zosischen Druck  (a  Paris  chez  Mariette)  der  die  4  Jahreszeiten  darstellt 
(wiederholt  bei  Hone,  Every-Daybook  1866  II,  297)  ist  die  Aufrichtung  des 
französischen  Maibaumes  auf  dem  Dorfplatz  mit  Hilfe  von  Stricken  und 
Hebeln  dargestellt.  Nur  die  obem  Aeste  stehen  in  vollem  Laube ,  alle  untern 
Zweige  und  Aeste  sind  abgehauen.  Flatternde  Bänder,  Bandschleifen,  ein 
über  einen  Ast  geworfener  Kranz,  Backwerk  und  Weinflaschen 
schmücken  die  Krone  und  den  obem  Teil  desStanunes;  Trommler  und  Trom- 
peter erwarten  die  Vollendung  des  Werkes,  um  ihr  Spiel  zu  beginnen.  Den 
englischen  Maibaum  schildert  sehr  anschaulich  Stubbs  in  s.  anatomie  of  ab- 
uses  1585  p.  94.  Nachdem  er  erwähnt,  daß  jede  Pfarre,  Dorf  oder  Stadt, 
alt  und  jung  in  der  Mainacht  zusammen  oder  in  Gesellschaften  (com- 
panies)  geteilt  in  die  Wälder  und  Berge  gingen,  erwähnt  er,  daß 
sie  junge  Birkenzweige  und  Aeste  zugleich  mitbrachten.  Ihr  Hanptkleinod 
jedoch  war  der  Maibaum  (maiepole),  den  sie  mit  großer  Ehrerbietung  (vene- 
ration)  aus  dem  Walde  holten  zwanzig  oder  vierzig  Joch  Ochsen  mit  blu- 
menumwundenen Hörnern  zagen  den  mit  verschiedenen  Färben  bemalten  von 
der  Krone  bis  zum  Fuß  mit  Laüby  Blumen  j  Kräutern  und  Bändern  um' 
wundenen  Stamm  unter  dem  Geleite  von  200  bis  300  Menschen  (Männern, 
Weibern,  Kindern)  nach  Hause,  wo  man  Banner,  Schnupftücher,  Fahnen  an 
seinen  Wipfel  band  und  Lauben  daneben  errichtete  und  ringsumher  Tänze 
aufführte,  die  den  Verfasser  an  die  Tänze  der  Heiden  zu  Ehren  ihrer  Göt- 
ter erinnerten.  Die  Ausgelassenheit  sei  so  groß,  daß  von  den  zu  Walde 
mitgehenden  Mädchen  der  dritte  Teil  die  Ehre  verliere.  S.  Brand  ed  Ellis 
I,  235.  Strutt  a.  a.  0.  352.  Aehnlichen  Eindruck  empfing  ein  anderer  Schrift- 
steller jener  Zeit  (im  Jahre  1577).  In^Northbrookes  Treatise  etc.  wird  erzählt, 
daß  die  jungen  Leute  in  der  Mainacht  auf  fremdem  Grunde  einen  Maibaum 
stehlen  und  unter  Musikbegleitung  in  ihr  Kirchspiel  bringen;  wann  sie  ihn 
aufgestellt  haben,  bedecken  sie  ihn  mit  Blumen  und  Blumengewinden  und 
tanzen  umher,  wie  die  Kinder  Israel  um  das  goldene  Kalb.  Brand  a.a.  0. 
237.  VgL  Stevenson  in  the  Twelf  moneths  1661:  Te  tall  young  oak  is 
cut  down  for  a  maypole   and  thc  frolick  fiy  of  the  town  prevent  the 


172  Kapitel  lU.    Baamseele  als  Vegetatiposdämon: 

hü,  ut  ad  eos  arborem  majidem  defercU,  non  pcmds  tcteniis  omor 
tarn  annexis  tribt^  frumenti  spicis]  si  istae  abessent  emphyteuia 
a  benefidi  possessione  staHm  dedderet  (Maratori  antiqoit.  m,  187 
bei  Grimm  B.  A.  361).  Doch  wir  wollen  noch  ein  paar  besonders 
groteske  Beispiele  von  Bäumen  der  geschilderten  Art  im  Einzelnen 
namhaft  machen.  Ich  ftlhre  zunächst  eine  oberbairische  Form 
der  Sitte  auf:  „Noch  immer  hält  durch  das  ganze  oberbairische 
Land  ein  ehrlich  Dorf  viel  auf  einen  schönen  in  feierlichem  Zage 
aus  dem  Walde  geholten  Maibaum  für  die  gesammte  Gemeinde; 
namentlich  im  Ampergrund,  aber  auch  im  Innthal  und  im  Ghiem- 
gau  sieht  man  sie  reich  und  schön  verziert  und  alle  drei  bis 
fünf  Jahre  erneut  Neben  den  bloßen  Zierraten  (Fahnen, 
Wappen,  Kränzen,  Inschriften)  hat  der  Maibaum  auch  wesent- 
liche unerläßliche  Bestandteile,  so  den  „ Maibüschel, '^  den  grünen 


rising  of  the  sxm  and  with  joy  in  their  faces  and  bwighs  in  their  handSy 
they  march  before  it  to  the  place  of  erection.  Brand  a.  a.  0.  236.  Daß  die 
ein  för  allemal  stehen  bleibende  Maistange  nur  eine  Ersparnis  für  den  jähr- 
lich aas  dem  Walde  zu  holenden  lebendigen  Maibanm  sein  sollte,  erhellt 
deutlich  aus  Beschreibungen  wie  die  folgende  des  Maibaumes  in  Wewerham 
(Cheshire):  ,,8ideB  are  hung  with  garlands  and  the  top  terminated  by  a 
birch  or  other  tall  slender  tree  with  its  leaves  on;  the  bark 
beeing  peeled  and  the  stem  spliced  to  the  pole,  so  as  to  give 
the  appearence  of  o-ne  tree  from  the  summit.  Hone  every  day-book 
II,  299.  Die  Puritaner  des  17.  Jahrhunderts  verfolgten  die  Maibäume.  Sehn- 
süchtig, gedenkt  Pasquils  palinodia  i.  J.  1634  der  guten  alten  Zeit:  „when 
every  village  did  a  maypole  raisc.''  Brand  a.  a.  0.  239.  Auch  in 
England  kannte  man  maypoles:  „painted  yellow  and  black  in  spiral 
lines"  und  „painted  in  various  colours."  Brand  a.a.O.  237.  Vgl. 
Borlase  von  dem  Maibaum  in  Comwales:  From  town  the  make  incursions 
on  may-eve  into  the  country,  cut  down  a  tall  elm,  bring  it  into  the  town 
with  rejoicing  and  having  fitted  a  straight  taper  pole  to  the  end  of  it  and 
painted  it,  erect  in  the  most  public  part  and  upon  holidays  and 
festivals  dress  it  with  garlands  and  flowers  or  ensigns  and  streamers. 
In  Wälschtirol  ist  es  eine  Volksbelustigung  an  Kirchweihen,  einen  hohen  ent- 
ästeten und  entrindeten  wol  geglätteten  und  mit  Seife  eingeriebenen  Baum 
aufzustellen,  den  Baum  des  Ueberflusses  (Palbero  della  cuccagna)  an  dessen 
Spitze  Geld,  Kleider,  Weinflaschen,  Würste  aufgehängt  sind.  Nach  die- 
sen Gegenständen  wird  barfuß  wetteifernd  geklettert,  Schneller,  Märchen  und 
Sagen  aus  Wälschtirol,  Innsbruck  1867,  S.  237.  Aehnlich  ist  auch  in  Deutsch- 
land die  Sitte  des  Maibaumes  vielfach  zur  bloßen  Aufpflanzung  einer  mit 
Preisen  behängten  Kletterstange  am  St.  Johannisabend  und  bei  verschiedenen 
Volksfesten  geworden.  , 


Maibaum.  173 

Tannenwipfel  hoch  oben,  der  erinnern  soll,  daß  wir  nicht  vor 
einer  todten  Stange  stehen,  sondern  vor  einem  lebenden  Baum 
ans  dem  frischen  Wald,  dann  das  Leiden  Christi,  d.  h.  alle  Werk-  * 
zeuge  seines  Leidens  (Säule,  Geißel,  Rate,  Leiter,  Hahn,  Säbel, 
Laterne,  Hammer,  Zange,  Nägel,  Würfel,  Speer,  Schwamm  und 
Krag).  Dann  Kirche  und  Bauerhaas,  Bauer  und  Bäaerin,  die 
Zeichen  der  Gewerke  und  zu  unterst  vier  Armbrüste  gegen  die 
4  Winde  gespannt,  das  drohende  Symbol  bäurischer  Wehrhaftig- 
keit  gegen  den  Feind  aus  der  Zeit  des  Mittelalters  vererbt  Ein 
Freitrank  und  Freitanz  des  Wirtes,  vor  dessen  Hause  der  Baum 
errichtet  ist,  belohnt  die  Bursche  ftlr  ihre  Beihilfe  bei  Aufrich- 
tung desselben.'^  ^  Der  Ausputz  des  oberbairischen  Maibaums 
ist  mannigfach.  In  manchen  Orten  sind  darauf  Vögel,  Hirsche, 
Hirschjagden  angebracht ,  zuweilen  auch  große  in  Tuch  und  Lein- 
wand gekleidete  Holzpuppen  (Mann  und  Frau) ,  welche  mit  Hand 
und  Knien  den  Stamm  zu  erklettern  scheinen.  Dieser  ganze 
Ausputz  bleibt  auf  dem  Baume,  bis  er  von  Wind  und  Wetter 
zerstört  wird,  oder  im  nächsten  Mai  einem  neuen  Platz  macht* 
Bei  den  Wenden  nördlich  von  Salzwedel  richteten  die 
Weiber  (und  zwar  sie  allein)  alljährlich  am  St  Johannistage 
eine  Birke,  der  sämmtliche  Zweige  bis  unter  den  Gipfel  abge- 
hauen waren,  den  sogenannten  Kronenbaum  auf,  den  sie  unter 
Gesängen  aus  dem  Walde  holten,  indem  sie  sich  statt  der  Pferde 
an  den  Wagen  spannten,  (lieber  den  Namen  Kronenbaum  vgl. 
den  Kronentanz  und  das  Kronengelag  i.  d.  Eifel  ob.  S.  170.) 
Im  Dorfe  angekommen,  hieben  sie  den  alten  Kronenbaum  um,  den 
ein  Kossater  (Häusling)  um  2  Schillinge  zu  Brantwein  ftlr  die  Frauen 
kaufen  mußte ,  und  richtete^  firohlockend  den  neuen  auf,  behingen 
ihn  mit  Kränzen  und  Blumen  und  segneten  ihn  auf  ihre 
Art  mit  zwölf  Kannen  Bier  ein.'  Diese  Sitte  erinnert  leb- 
haft daran,  daß  in  Schwaben  und  an  der  Mosel  die  Weiber 


1)  Bavaria  I,  1860  S.  372.  Die  AnsBehmfielning  des  Maibanms  mit  den 
Marterwerkzeugen  bemht  auf  der  unten  §.  9  zu  bespreohenden  Vergleichang 
des  Kreuzes  mit  dem  Maibaum. 

2)  B.  Chambers,  The  Book  of  Days  I,  576  giebt  die  Abbildung  eines 
solchen  Baumes  aus  St.  Egidien  bei  Salzburg. 

3)  Visitationsbericht  des  herzogl.  zellischen  Obersuperintendenten  D.  Eil- 
debmnd  y.  Jahre  1672  zuerst  ediert  von  J.  G-.  Eeyßler  in  dessen  „Neuesten 
Beisen''  B.  II,  S.  1377  ff.    Vgl.  auch  Kuhn,  M&rk.  Sag.  S.  331  ff. 


174  Kapitel  HI.    BanniBeele  als  YegetationBdämon: 

das  Becht  hatten  alljährlich  am  Fastnacht  den  schtosten  Banm 
im  Gtemeindewalde  zu  fällen,  ins  Dorf  zu  bringen,  zu  verkaufen 
und  den  Erlös  zu  vertrinken.^  Ist  der  letztere  Brauch  vielleicht 
nur  ein  verstümmelter  Ueberrest  des  vorigen?  —  Bei  den  näm- 
lichen Eibwenden  richtete  man  auf  einem  runden  Hügel  mitten 
im  Dorfe  eine  zwanzig  oder  mehr  Ellen  hohe  Eiche,  den  soge- 
nannten Kreuzbaum  oder  Hahnbaum  auf,  der  so  lange  stehen 
blieb,  bis  er  von  selbst  umfiel.  Die  Aufrichtung  des  neuen  Bau- 
mes geschah  nie  anders  als  an  Maria  Himmelfahrt  (2.  Juli). 
Dann  tat  jeder  Hauswirt  einen  Hieb  in  den  zuvor  erwählten 
Baum  im  Walde,  bis  er  gefällt  war,  und  nun  mit  Jubelgeschrei 
auf  einem  mit  Ochsen  bespannten  Wagen,  mit  den  Röcken  der 
Hauswirte  bedeckt,  so  daß  er  nicht  zu  seihen  toar^  an  seinen  Be- 
stimnmngsort  gefahren  wurde.  Hier  wurde  er  viereckig  gehauen, 
und  auf  beiden  Seiten  Pflöcke  angebracht,  so  daß  man  hinauf- 
steigen konnte.  War  er  nun  eingegraben ,  so  kletterte  der  Schulze 
hinauf  und  brachte  ein  hölzernes  Kreuz  mit  einem  darüber  fest- 
stehenden eisernen  Hahn  [vgl.  ob.  S.  160  die  schwedische  Mitt- 
sommerstange] auf  der  Spitze  an.  Der  Hahn  war  dabei  das 
wesentlichste;  denn  in  manchen  Dörfern  war  das  Kreuz  auf  den 
Bäumen  weggelassen,  der  Vogel  aber  beibehalten.  Dann  tanzte 
man  (der  Schulze  in  Sonntagskleidern  und  weifier  Leibbinde 
voran)  mit  vollen  Sprüngen  um  den  Baum  und  segnete  mit  Bier 
jeden  Baum  in  Haus  und  Hof,  .sowie  zu  besserem  Gedeihen  das 
Vieh  ein ,  das  man  ringumher  jagte.  Auch  außerdem  wurde  alles 
Vieh  jedes  Jahr  an  einem  bestimmten  Tage  um  den  Baum  getrie- 
ben. Jede  junge  Frau,  die  aus  einem  andern  Orte  durch  Heirat 
in  ein  solches  wendisches  Dorf  kam,  mußte  einen  Tanz  um  den 
Kreuzbaum  tun,  und  etwas  Geld  hineinstecken;  ein  alter  Mann 
kniete  täglich  vor  demselben  nieder  und  hielt  seine  besondere 
Andacht  Wer  eine  Wunde  hatte,  steckte  ebenfalls  Geld  in  den 
Baum  und  rieb  sich  an  demselben;  so  glaubte  er  geheilt  zu  wer- 
den. Die  Wenden  sagten,  daß  sich  an  der  Stätte  des  Baumes 
ein  Genius  aufhalte,  von  dem  sie  nicht  sicher  wußten,  ob  er 
männlichen  oder  weiblichen  Geschlechtes  sei;  dieser  G^ist  leide 
es    nicht,    daß    jemand    mit  garstigen  Füßen  über  den  Platz 


1)  Mei4)r,  Schwab.  Sag.  379,  20.  Zs.  f.  d.  Myth.  I,  89.   Schmitz,  Sitten 
and  Gebräuche  des  £if  ler  Volkes  I.  S.  13  £ 


Maibaum.  175 

gehe.^  Ist  in  diesem  wendischen  Brauche  die  Zeit  der  Bamn- 
Pflanzung  bis  über  Mittsommer  vorgerückt  ^  so  trifft  wieder  in  den 
Frühling  die  bekannte  Sitte  der  Qaestenberger  am  Harz.  In 
Questenberg  (unweit  Stolberg- Boßla)  suchten  am  Tage  vor  Pfing- 
sten die  Bursche  alljährlich  vor  Sonnenaufgang  die  schönste  und 
größte  Eiche  im  Forste^  kappten  ihr  die  Aeste  und  brachten  sie 
am  dritte^  Ffingsttag  auf  den  die  Gegend  beherrschenden  ,,  Que- 
stenberg /^ '  befestigten  einen  von  Birkenzweigen  geflochtenen  mit 
bunten  Blumen  durchwobenen  Kranz  in  der  Größe  und  Gestalt 
eines  Wagenrades  daran ,  an  dessen  beiden  Seiten  große  Quasten 
Ton  eben  solchen  Zweigen  hingen^  und  riefen:  ^^Die  Queste  (der 
so  geschmückte  Kranz)  hängt  I'^  Dann  wurde  um  den  Baum 
getanzt,  Baum  und  Kranz  aber  jährlich  erneuert  .Später  nahm 
man  jedoch  nur  alle  sieben  Jahre  einen  neuen  Baum,  heut- 
zutage wird  nur  dann  ein  neuer  geholt ,  wenn  der  alte  umfällt; 
die  Aufhängung  des  Kranzes  geschieht  noch  jährlich.  Der  Baum 
darf  aber  nicht  herangefahren  werden ,  sondern  die  Questen- 
berger  müssen  ihn  selbst  auf  den  Schultern  herbei- 
tragen.' 

Städtische  Maibäume ,  vorzüglich  in  England  hatten  vielfach 
eine  Form  angenommen,  welche  die  einüeushe  Grundgestalt  kaum 
noch  erkennen  läßt.  Der  Vergleich  datierbarer  Abbildungen  von 
englischen,  französischen,  niederländischen  und  deutschen  Mai- 
bäumen,  deren  Chambers  the  Book  of  Days  1864  I,  572. 
575  —  76,  HoneEveiy-Daybook  1866  11,  297.  336,  Brand  popu- 
lär antiquities  ed.  Ellis  1853  I  (Titelkupfer)  eine  ansehnliche 
Anzahl   reproduziert  haben,   läßt»  aber  deutlieh  die  allmähliche 


1)  Hildebrands  Visitation  a.  a.  0.  Damach  anszfiglich  Kuhn  a.  a.  0. 
333  £L    Vgl.  Bodemeyer,  HanDöyersohe  Bechtsaltert&mer  S.  57. 

2)  Der  Berg  hat  seinen  Namen  augenscheinlich  von  dem  Gebrauch, 
nach  dem  Berge  heißt  wiederum  das  Dorf,  das  früher  Vynsterberg  genannt 
wurde,  angeblich  nrkxmdlioh  seit  dem  13.  Jahrhundert  Questenberg.  Min- 
dflstens  ebenso  alt  muß  also  auch  die  Sitte  sein.  Vgl.  Gottochalk,  Bitter- 
bnrgen  und  Bergschlosser  Deutschlands  II,  38;  daraus  Beimann  d.  Volksfeste 
244—253. 

3)  Otmars  (Nachtigalls)  Volkssagen  S.  128.  129.  Grimm,  Myth.«  51. 
Kuhn,  Nordd.  Sag.,  226,  250.  Auch  in  Wolfshagen  in  Hessen  trugen  die 
„Maijangen"  die  Maibäumchen  ehedem  auf  den  Schultern  vom  Walde  in 
die  Stadt.    Lynker,  Hess.  Sag.  247. 


176  Kapitel  III.    Baumseele  ^  als  Vegetationsd&moii : 

Entwickelung  aus  einer  Urform  und  ihren  Spielarten  von  Stufe 
zu  Stufe  verfolgen.     Danach  ergiebt  sich  als  der  den  meisten 
Sproßformen  zu  Grunde  liegende  Haupttypus  der  folgende..  Der 
Schaft  des  Maibaumes  erhob  sich  auf  einem  ktlnstlichen  mit  Gras 
bewachsenen  Erdhügel^  auf  den^  der  Beigen  statt  hatte.    Dieser 
Erdhttgel  ward  denn  vielfach  durch  eine  Umzäunung  gegen  Be- 
schädigung (Hone  a.  a.  0.  336 ,  Johannisfeststange  in  Jäschkental 
bei  Danzig),  oder  durch  Zimjnerwerk  oder  Steine  an  den  Seiten 
gegen  das  Zusammensinken  gesichert, und  bekam  dadurch  mehr- 
fach eine  polygone  Form;  auch  ließ  man  ihn  wohl  in  mehreren 
Terrassen  emporsteigen.     Vgl.  den  Maypole  auf  einem  Fenster- 
gemälde ans    Heinrichs  YHI.  Zeit   in    Betley   in    Staffordshire, 
abgebildet  im  Yariorum  Shakespeare  und  Chambers  a.  a.  0.  575 
und  den  im  Msc.  der  ,,Horae''  von  1499  (Chambers  a.  a.  0.),  so 
.  wie  den  von  St.  Andrew  Undershaft  (Brand  a.  a.  0.).    Die  Spitze 
der  unten  abgeästeten  Maistange  bildete  ursprünglich  die  leben- 
dige Krone  des  Baumes  selbst  (vgl.  den  Salzburger  Chambers  I^ 
576,  den  schottischen  Hone  H,  305,  den  englischen  Chambers 
572,  den  französischen  Hone  H,  297),  später  vielfach  em  ange- 
bundenes Bäumchen,  oder  ein  Blumentopf,  in  den  ein  lebendes 
Bäumchen  gepflanzt  war.     (Vgl.  das  niederländ.  GtemSlde  von 
1625.    Chambers  576).     Unterhalb  des  Wipfels  waren  Banner 
und  Flaggen  angebracht  (St  Georgs  rotes  Kreu2banner  auf  dem 
Fenster  von  Betley  u.  s.  w.) ,  sodann  viele  bunte  Bänder ;  schließ- 
lich ein  Kranz  oder  mehrere  Ejränze  über  die  Aeste  der  Krone 
gehängt   (Hone  H,  297),   oder  lotrecht  an   Nägeln  am   Schafte 
herabhangend  (Hone  H,  288),  oder  endUch  in  horizontaler  Lage 
den  Baum  umgebend.    In  diesem  Falle  pflegte  der  unterste  Kianz 
der  größte  und  breiteste,  jeder  nach  oben  hin  folgende  kleiner 
und  schmaler  zu  sein.     Die  Zahl  dieser  Kiiüize  oder  blumen- 
bewundenen  Reifen ,  die  an  oberhalb  am  Stamm  zusammenlaufen- 
den, den  Speichen  eines  Rades  gleichenden  Schnüren  befestigt 
waren,   machte  2  —  3  aus  (Chambers  572.  575.  576),  zuweilen 
wutden  sie  stark  z.  B.  zu  Necton  in  Norfolk  Pfingsten  1817  bis 
auf  20  vermehrt,   so  daß  sie  bis   auf  Mannshöhe  vom  Boden 
herunter  filnf  Sechstel  des  ganzen  Schaftes  umspannten  (Hone 
a.  a.  0.  336.)     Anderswo  aber  ist  aus  dem  wagrecht  befestigten 
Kranze  ein   hölzernes   (wahrscheinlich   ehedem  jedes  Jahr  mit 
frischen  Blumen  umwundenes)  Rad  geworden.     Vgl.  z.B.  die 


Maibaum.  itt 

St  Johannisstange  auf  der  Jäschkentaler  Wiese  bei  Danzig.  Von 
diesen  Kränzen  hingen  ursprünglich  vergoldete  Eier  als  Sinn- 
bilder des  neuerwachenden  Lebens  herab  (vgl.  S.  165. 169  die  Berg, 
n.  Oldenb.  Sitte),  später  wurden  dieselben  unverständlich  gewor- 
den durch  vergoldete  Bälle  von  Holz  oder  Metall  ersetzt  (Cham- 
bers 575.  576).  Unterhalb  der  großen  Kränze  setzte  sich  die 
spiralförmige  Umwindung  des  Stammes  mit  einer  eng  an  densel- 
ben angeschlossenen  Guirlande  bis  ani'  den  Erdboden  fort.  (Vgl. 
Chambers  572.  Hone  H,  288).  Hieraus  entwickelte  sich  meines 
Erachtens  die  bunte  spiralförmige  Bemalung  oder  Beschä- 
lung  vieler  deutscher  und  englischer  Maibäume  (vgl.  die  Abbil- 
dungen Chambers  575.  576.     Brand  a.  a.  0.). 

Wie  in  Schweden  wird  auch  in  Deutschland  in  germanisier- 
ten Slavenländem,  sowie  in  Frankreich  (Gironde)  die  Aufrichtung 
des  Baumes  zuweilen  um  Mittsommer  vorgenommen,  um  die  bis 
zur  Krone  geschälte  Tanne  oder  Birke  (resp.  Stange)  getanzt^ 
nach  den  angehängten  Tüchern  geklettert.^  Wir  haben  bereits 
vorhin  einige  Beispiele  namhaft  gemacht  In  Oestreich  bewahrt 
man  den  am  1.  Mai  gesetzten  Maibaum  zur  Nahrung  des  Johan- 
nisfeuers.'  Im  Departement  des  hautes  Pyr^n^es  wird  am  1.  Mai 
der  höchste  und  schlankste  Baum  (Tanne,  Fichte  oder  Pappel) 
umgehauen,  man  schlägt,  wie  beim  wend.  Kreuzbaum  S.  174 
cf.  HoneH,  288),  eine  Anzahl  fußlanger  Keile  hinein  und  bewahrt 
ihn  bis  zum  23.  Juni  auf.  Dann  wälzt  man  ihn  auf  einen  Hügel, 
rammelt  ihn  in  die  Erde,  und  setzt  ihn  in  Flammen.'  Auch  in 
andern  französischen  Gegenden  bildete  den  Mittelpunkt  des 
St  Johannisfeuers  ein  belaubter  Baum ,  wenn  auch  häufig  nur  ein 
kleinerer.  Die  schon  (o.  S.  171)  erwähnten  Kupferstiche  von  Ma- 
riette  stellen  so  den  Sommer  dar  auf  der  Tafel  „le  feu  de 
St.  Jean."  *  In  AngoulSme ,  z.  B.  im  Kirchspiel  St.  Martial ,  findet 
diese  Verbrennung  am  29.  Juni  (St.  Peter)  statt.  Schon  am  Mor- 
gen   wird    eine    hohe    und   schöne  Pappel  voll   grünen   Laub- 


1)  Kuhn ,  Nordd.  Sag.  390,  80.  391 ,  82.  Zs.  f.  d.  Myth.  I,  81,  4.  Kuhn, 
Westf.  Sag.  177,  490.  von  der  Hagen,  Germania  IX,  289.  De  Nore  a  a.  0. 
149.  Vgl.  femer  o.  S.  170. 173  die  Beispiele  aus  dem  Voigtland ,  der  Mark 
u.  8.  w. 

2)  Baumgarten,  das  Jahr  u.  s.  Tage,  Linz  1860,  S.  27. 

3)  M^moires  des  antiquitös  celtiques  V,  387.  Myth.«  589. 

4)  Wiederabgebildet  bei  Hone  a.  a.  0.  1 ,  412. 

Mannhardt.  12 


178  Kapitel  m.    Baumseele  als  Vegetationsdämon: 

Schmucks  anf  dem  Markte  aufgepflanzt  und  mit  vielen  Bündeln 
trockenen  Wachholders  umschichtet.  Abends  zündet  der  Dorf- 
pfarrer selbst  mit  seinen  Vicaren  diesen  Scheiterhaufen  an.^  Zu 
Thann  im  Elsaß  holten  in  der  Nacht  vom  30.  Juni,  dem  Vor- 
abend des  St.  Theobaldfestes,  der  Pfarrer  mit  seinen  Vicaren, 
der  Maire,  der  übrige  Ortsvorstand  und  eine  unzählige  Menschen- 
menge brennende  Kerzen  aus  dem  Münster,  und  zündeten  damit 
auf  dem  Kirchplatze  nach  und  nach  drei  vom  Stadtpfarrer 
geweihte  große  Tannenbäume  an ,  die  von  oben  bis  unten  geschlitzt 
und  mit  Holzspänen  ausgeftillt  waren.  Jeder  suchte  einen  herab- 
fallenden Hölzspan  als  Heilmittel  gegen  Fieber  zu  erobern.  Man 
bezog  diesen  Brauch  sehr  gezwungen  auf  die  Legende  des 
h.  Theobald,  des  Schutzheiligen  des  Münsters.^  Aus  England 
ist  zunächst  zu  vergleichen  was  Hutchinson  im  J.  1795  in  der 
Umgegend  von  Launceston  in  Comwall  erfuhr:  „there  was  for- 
merly  a  great  bonfire  on  Midsummer  eye,  a  large  summer  pole 
was  fixed  in  the  centre,  round  which  the  fuel  was  heaped  up. 
It  had  a  large  bush  on  the  top  of  it  Bound  this  were  parties 
of  wrestlers  contending  for  small  prizes.^  Ganz  ähnlich  ging 
es  bei  der  Maifeier  in  Dublin  und  Umgegend  zu.  Die  jungen 
Leute  holten  in  der  Mainacht  einen  4  —  5  Fuß  hohen  Busch 
(may-bush),  einen  Weißdom,  aus  dem  Walde,  pflanzten  ihn  anf 
dem  Marktplatz  auf,  besteckten  die  Zweige  mit  Kerzen 
und  häuften  einen  Scheiterhaufen  ringsum,  wofür  sie  im  Orte 
Haus  bei  Haus  Geld  einsammelten.  Auf  den  Scheiterhaufen 
gehörte  auch  noch  ein  Pferdeschädel  und  verschiedene  andere 
Knochen.  Dann  steckten  sie  die  Lichter  an,  und  tanzten  mit 
lautem  Hurrah  um  den  Maibaum.  Nach  einer  Stunde  entflanmite 
man  den  Holzstoß,  und  waren  die  Kerzen  niedergebrannt,  so 
stieß  man  den  ganzen  Maibaum  in  die  Flammen.^ 

In  Trier  hieben  schon  am  ersten  Sonntage  in  der  Fasten 
(Invocavit)  die  Metzger  und  Weber  eine  am  Donnerstage  vorher 
auf  dem  Marxberge  aufgepflanzte  Eiche  um ,  und  rollten  sie  nebst 


1)  Eine  Abbildung  ist  in  der  Illustration,  Journal  uniTersel.    Paria  1872. 
Vol.  LX.    Nr.  1534  gegeben. 

2)  A.  Stöber,  Sagen  des  Elsasses  S.  40. 

3)  History  of  Northumberland  U,  15  bei  Brand  a.  a.  O.  I,  318. 

4)  Hone  a.  a.  O.  II ,  298. 


Maibanm.  179 

einem  Feuerrade  ins  Tal  der  Mosel.  Die  erste  Erwähnung  die- 
ser Feier  findet  sich  im  Jahre  1550.^  An  demselben  Sonntage 
hänien  die  Bursche  von  Echtemach  14^  Großherzogtum  Luxemburg 
Btroh  um  einen  Baum  an  und  entloben  es.  Das  heißt  die  Hexe 
verbrennen.*  Ebenso  in  der  Eifel,  wo  die  Sitte  das  Burgbrennen 
genannt  wird,^  und  gleichfalls  in  Vorarlberg.*  In  den  Bergstädten 
des  Harzes  ward  das  Osterfeuer  am  Ghai-samstag  auch  um  einen 
Baum  aufgeschichtet;  zu-  Delmenhorst  (Oldenburg)  lieferte  der 
Förster  zu  dem  der  ganzen  Stadt  gemeinsamen  Osterfeuer  zwei 
Bäume,  welche  neben  einander  in  die  Erde  gerammt,  oben  mit 
12  übereinandergestellten  Teertonnen  besetzt,  unten  mit  Beisig 
umhäuft  und  schließlich  mit  brennenden  Strohwiepen  augezündet 
wurden,^  und  nicht  minder  bildet  in  Hessen  den  Mittelpunkt  des 
Osterfeuers  eine  in  den  Boden  gegrabene,  bis  zur  Spitze  mit 
Stroh  beworfene,  oben  mit  einer  Teertonne  besetzte  Tanne.  ^ 

Nicht  minder  schichtet  man  den  Scheiterhaufen  des  Johan- 
nisfeuers  im  Riesengebirge  gern  um  einen  hohen  Baum  auf.  Im 
Egerlande  pflegte  man  dazu  eine  hohe  und  grade,  recht  harz- 
reiche Tanne  oder  Fichte  zu  nehmen,  mit  Blumensträußen, 
Bändern  und  Kränzen  zu  behängen,  um  sie  herum  Brenn- 
materialien zu  häufen  und  dieselben  bei  Dunkelheit  anzuzünden. 
Während  das  Beisig  brannte,  kletterten  die  Bursche  auf  den 
Johannisbaum,  um  die  von  den  Mädchen  daran  befestigten  Kränze 
und  Bänder  herabzuholen.  "^  Auf  der  Halbinsel  Heia  bei  Danzig 
tanzen  die  jungen  Leute  am  Johannisabend  ebenfalls  den  Reigen 
um  eine  auf  einem  Hügel  aufgepflanzte  Fichte,  die  man  später 
mit  Stroh  und  Reisig  umhüllt  und  verbrennt;  daneben  leuchten 
Teertonnen.  Offenbar  haben  die  Esten  diese  Weise  des  Johan- 
nisfeners  von  slavischen  oder  germanischen  Nachbarn  gelernt. 
Auch  sie  zünden  dabei  nämlich  einen  Baum  an ,  der  von  der  Erde 


1)  N.    Hocker,    des   Mosellacdcs   Geschicbtcn ,    Sagen  und   Legenden. 
Trier  1852,  S.  415.    Kahn,  Herabkanft  des  Feaers  S.  96. 

2)  Zs.  f.  D.  Myth.  1 ,  89 ,  6. 

3)  Schmitz^  Sitten  n.  Branche  des  Eifler  Volkes  I,  21. 

4)  Vonbnn,  Beitr.  2.  D.  Myth.   Chnr  1862,  S.  20. 

5)  Kuhn,  Noidd.  Sag.  373, 19.    Strackerjan,  Abergl.  u.  Sag.  a,  Olden- 
burg n,  43,  313. 

6)  Lyncker,  Hessische  Sagen  S.  241. 

7)  Beinsberg -Düringsfeld,  Festkalender  a.  Böhmen.    S.  307  if. 

12" 


180  ICapitel  IQ.    Baumseele  als  Vegetationsdämon  t 

bis  zum  Wipfel  mit  brennbaren  Stoffen  umgeben  und  auf  der 
Spitze  mit  einem  Fähnlein  versehen  wird,  das  die  Bursche  mit 
einem  Ejoittel  herabzuweri'en  suchen,  ehe  es  zu  brennen  anfängt 
Wem  dies  gelisgt ,  hat  Glück  zu  erwarten.  Man  wirft  Holzreiser 
in  die  Flammen  mit  den  Worten:  ,,das  Unkraut  ins  Feuer,  den 
Flachs  aufs  Feld."i  In  Oberfranken  (Hallstadt)  und  Mittelfran- 
ken (Ansbach)  verbrannte  man  zwar  nicht  mehr  einen  Baum  im 
Johannisfeuer,  aber  dem  Knabenhaufen,  der  von  Haus  zu  Haus 
das  Holz  zu  demselben  zusammenbettelte,  trug  einer  in  feierlicher 
Prozession  noch  einen  geschmückten  Maibaum  voran,  indes 
man  sang: 

Maja,  Maja,  mia  mö; 

Wöll  mä  Holz  zusamma  tragn 

üebers  Kannesfeuer.^ 

Als  im  J.  1489  auf  dem  Markte  vor  dem  Rathause  zu  Frank- 
furt vornehme  Herren  in  Gegenwart  des  Königs  den  Beigen  um 
das  Johannisfeuer  tanzten,  prangte  auf  dem  Scheiterhaufen  zwa'r 
kein  größerer  Maibaum,  wol  aber  die  Fahne  des  Königs  nebst 
anderen  Fahnen  umgeben  von  grünen  Zweigen  (circa  ligna  rami 
virentes  positi).*  Durch  diese  Zeugnisse  erweist  sich  die  Ver- 
brennung eines  mit  den  Attributen  des  Maibaums  ausgerüsteten 
und  vielfach  unmittelbar  als  solcher  kenntlichen  Baumes  den 
Fastnacht-,  Oster-,  Mai-  und  Johannisfeuem  als  wesentlich.  In 
Perigord  hatte  dagegen  zur  Sonmiersonnenwende  ein  ganz  eigen- 
tümlicher Brauch  statt.  Man  reinigte  die  Zähne  mit  Knoblauch 
und  zog  dann  eip  Goldstück  durch  dieselben.  Hieraufpflanzte 
man  feierlich  einen  Maibaum  und  aß  vom  frischen  Brode.^ 

Diejenigen  Leser,  welche  so  geduldig  waren,  meinem  Ge- 
dankengange während  der  ersten  Darlegungen  dieses  Kapitels 
zu  folgen ,  werden  mit  mir  einverstanden  sein ,  daß  es  keine  allzu- 
große Schwierigkeit  mache,  aus  den  ziemlich  ausführlich  mitge- 
teilten Tatsachen  Antwort  auf  die  Frage  herauszuschälen,  was 
der  Maibaum  ursprünglich  war  und  was  er  zu  bedeuten  hatte. 


1)  Verhandlungen  der  ehstnischen  Gesellschaft  zu  Dorpat  B.  VII.  1872. 
H.  2.    S.  62—64. 

2)  Panaer,  Beitr.  z.  D.  Myth.  1,217,245.  219,249. 

3)  Petr.  Herb.,  Annal.  Francofurt  bei  Grimm  Myth.«  586. 

4)  De  Nore ,  Coutumes  mythes  et  traditions  S.  149. 


Maibaum.  181 

Offenbar  ist  er  nur  eine  andere  Form  jenes  slavischcn  Leto 
(o.  S.  156),  wie  der  Vergleich  des  russischen  Semikfestes  erweist, 
mithin  der  Geist  des  Frühlings  oder  des  Sommers,  die  personifi- 
zierte schöne  Jahreszeit,  als  Dämon  der  Vegetation  in  Baumge- 
stalt aufgefaßt  (s.  o.  S.  158).  Sehr  deutlich  wird  die  Identität 
des  Leto  und  des  Maibaums  durch  den  Lätarebrauch  zu  Lacza 
bei  Räuden  (Obersehlesien).  Sobald  nämlich  die  Puppe  Marzanka 
ins  Wasser  geworfen  ist,  versehen  sich  ihre  Trägerinnen  mit 
Fichten-  oder  Tannenzweigen  und  einem  besonders  geschmückten 
Bäumchen  und  kehren  ins  Dorf  zurück  unter  Einsammlung  von 
Geld  und  Eiern  singend: 

Wir  trugen  die  Pest  ans  dem  Dorfe, 

Den  Sproß  (latorösl)  bringen  wir  ins  Dorf; 

unser  Bäumchen  ist  grftn, 

Schön  aufgeputzt. 

Auf  nnserm  Maibäumchen  (na  nftszym  maiku) 

Sind  gemalte  Eierchen, 

Welche  gemalt  hat 

Unsere  Frau  Krtigerin. 

Unser  Maibanm  (maik)  ist  grftn, 

Schön  aufgeputzt. 

Auf  unscrm  Maibäumchen 

Sind  lauter  goldene  Schärpen, 

Die  wir  anhingen 

In  diesen  allerteuersten  Zeiten.* 

Hier  heißt  der  Sommer  gradezu  Sproß  (Vegetationsgeist)  und 
Maibaum.  Zu  benennen  aber  weiß  das  Volk  den  Vegetations- 
geist gemeinhin  nicht  anders ,  als  mit  dem  Namen  der  Jahreszeit 
selbst.  Deshalb  steht  neben  dem  englischen  Maypole  vielfach 
nach  alten  und  guten  Zeugnissen  eine  Lady  of  the  May,  neben 
dem  elsässischen  Maibaum  ein  Pfingstnickel,  neben  dem  Voigt- 
ländischen Johannisbaum  ein  Johannes  genannter  Mensch  (s.  o. 
S.  170).  Diese  Figuren  stellen  den  im  Baume  waltenden  Geist, 
aber  aus  diesem  herausgetreten,  neben  ihn  hingestellt  dar.  Im 
Harz  drehen  die  Mädchen  am  23.  Juni  die  mit  bunten  Eiern  und 
Blumen  geschmückten  Tannenbäume,  um  welche  sie  tanzen,  von 
der  Linken  zur  Rechten  um,  wie  die  Sonne  geht,  und  smgen 
dabei:  „die  Jungfer  hat  sich  umgedreht  u.  s.  w."*  .  Das  ist 


1)  J.  Roger,  Piesni  ludu  polskiego  o  görnym  Szlaska. 

2)  S.  J.  Prohle ,  Zs.  für  D.  Myth.  1 ,  81. 


182  Kapitel  III.     BauDoseele  als  Yegetationsdämon : 

deutlich  eine  Anspielung  auf  die  Sonnenwende.  Gleichwohl 
möchte  ich  nicht  annehmen  ^  daß  der  Baum  eine  Darstellung  der 
Sonnengöttin  sein  sollte  (vgl.  etwa  engl,  sunbeam  Sonnenstrahl),^ 
sondern  daß  die  Uebersetzung  der  mythischen  Personification  in 
einen  uns  geläufigen  Begriff  allgemeiner  das  Jahr,  die  Jahreszeit, 
die  Zeit  zu  lauten  hätte ,  und  zwar  in  Gestalt  der  Vegetation  ver- 
körpert. Sei  dem,  wie  ihm  sei,  unverkennbar  tritt  in  dem  Mai- 
baum (resp.  Johannisbaum)  außer  der  Identifizierung  des  Vege- 
tationsdämons mit  dem  Geiste  der  Jahreszeit  zugleich  derjenige 
Gedankenkreis  hervor,  den  wir  o.  S.  51ff.  bei  Gelegenheit  des 
Värdträd  erläuterten.  Der  Genius  des  Wachstums  gilt  als  der 
Schutzgeist  der  Menschen  und  Tiere,  zugleich  als  ihr  alter  ego, 
ihr  mythischer  Doppelgänger.  Der  große  Maibaum,  den  die 
gesammte  Dorfschaft  feierlich  einholt,  auf  freiem  Platze  in  ihrer 
Mitte  aufpflanzt  und  wie  ihren  Augapfel  bewacht,  damit  ihn  nicht 
neidisch  eine  fremde  Dorfschaft  entwende ,  stellt  den  Lebensbaum, 
den  genius  tutelaris,  das  zweite  Ich  der  ganzen  Gemeinde  vor. 
Ihm  zu  nahen  ist  fUr  jedes  Glied  derselben  ein  Hciltum ;  deshalb 
wird  er  in  feierlichem  Reigen  umtanzt;  man  kniet  auch  wol  vor 
ihm  betend  nieder  und  opfert  Geld,  wie  einer  Gottheit  (S.  174). 
Bunte  Bänder  schmücken  seinen  Wipfel,  wie  Taenien  im  alten 
Griechenland  die  heiligen  Bäume,  wie  Lappen  und  Zeugstücke 
die  Fetischbäume  bei  noch  lebenden  Naturvölkern  und  wiederum 
auch  in  Litauen  bunte  Bänder  die  heiligen  vom  Baunigeist  belebt 
gedachten  Stämme,  namentlich  solche,  welche  zwieselartig  ver- 
ästet oben  wieder  zusanunenwuchsen  und  nun  dazu  dienen  ver- 
krüppelte Kinder  der  Heilung  wegen  hindurchzuziehen.*  Bei 
den  Wenden  mußte  jede  aus  der  Fremde  ins  Dorf  heiratende 
Frau  den  gemeinsamen  Lebensbaum  ihrer  neuen  Heimat  (den 
Kreuzbaum),  der  Wunden  heilt  und  auch  dem  Vieh  die  Lebens- 
kraft stärkt,  durch  Verehrung  zu  ihrem  eigenen  machen  (vgl.  o. 
S.  174  u.  161).  Dieser -nämliche  Baum  wurde  auf  einem  mit 
Ochsen  bespannten  Wageti  aus  dem  Walde  geJiolt,  mit  den  Röckefi 
der  Hauswirte  bedeckt  „so  daß  er  nicht  zu  sehen  war.  (o.  S.  174.) 


1)  Cf.  Noch  bemane  ic  u  mere  by  den  zonnen  boom  en  by  der  manen. 
WiUems  Belg.  Mus.  1,326;  cf.  W.  Wolf,  Wodana  I1,XXVU.         -    ^ 

2)  Vgl.  eiustweileij   Pr&torius,  Preuß.  Schanbähne  ed  Pierson.    Berlin 
1871.     S.  16. 


Maibanm.  183 

Das  stimmt  wörtlich  zu  dem  Berichte  des  Tacitus  über  die  Ver- 
ehrung einer  norddeutschen  Gottheit,  die  er  Nerthus  oder  Terra 
mater  nennt.  Est  in  insula  oceani  castum  nemus  dicatumque  in 
eo  vehictdum  veste  contectum.  Den  heiligen  Wagen  ziehen  Kühe. 
(Germania  cap.  40)  Hier  oflfenbaren  sich  uns  einzelne  Züge  eines 
uralten  Kultus.  Der  Dämon  des  Wachstums  krönt  sich  mit 
Früchten  (deshalb  sehen  wir  den  Wipfel  des  Maibaums  mit 
Aehren,  mit  Eiern  den  Sinnbildern  des  tierischen  Werdens  und 
Wachsens,  mit  allerlei  guten  Gaben  geziert);  daran  haben  alle 
Teil,  aber  ein  Wetteifer  regt  sich,  das  Beste  für  sich  herunter- 
zuholen. Auch  der  Hahn  auf  dem  schwedischen  und  wendischen 
Johannisbaum  könnte  vielleicht  nur  das  bedeuten ,  was  der  Hahn 
auf  dem  Lebensbaum  des  saterländischen  Bräutigams,  ein  Symbol 
der  ZeugungsfÜlle  (o.  S.  46),  wenn  nicht  etwa  hier«  schon  an  die 
später  nachzuweisende  Gestalt  des  Vegetationshahns ,  Getreide- 
hahns zu  denken  ist.  Bedeutsam  darf  sein,  daß  auch  auf  Mima- 
meidr  (o.  S.  56)  ein  Hahn  (Vidofnir)  sitzt.  Wie  Mimirs  Baum 
und  der  Värdträd  gebärenden  Frauen  helfen ,  seilen  wir  mehrfach 
die  Weiher  mit  dem  ausschließlichen  Rechte  begabt,  den  als  Mai- 
baum etc.  dienendem  Baum  aus  dem  Walde  zu  holen;  es  muß 
ihm  wol  ein  besonderer  Einfluß  auch  auf  die  animalische  Frucht- 
barkeit beigemessen  sein.  (s.  o.  S.  174.)^ 

Im  wesentlichen  derselbe  Gedankeninhalt  verkörpert  sich  in 
den  kleineren  Maibäumen,  oder  Maibüschen ,  welche  dazu  dienen, 
jedem  einzelnen  Hause  die  Segnungen  de^  Ganzen  noch  beson- 
ders anzueignen  oder  zu  sichern.  Der  baumgestaltige  Schutz- 
geist der  Gemeinde  in  verkleinertem  Maßstabe  prangt  vor  den 
Gebäuden,  wo  die  majestas  populi  tront.  Den  Tieren  im  Stalle, 
der  treuerfundenen  Jungfrau  setzen  den  einen  Eigennutz,  der 
anderen  Liebe  deren  eigenen  Lebensbaum  vor  die  Tür  oder  auf 


1)  Auf  den  alsbald  zu  beßprechenden  Parallelismus  der  Jungfrau  (Frau) 
mit  dem  Baume,  der  gleichsam  ihr  alter  ego  ist,  weist  die  eigentümliche 
Form  der  Sitte  bei  den  Slovenen  in  Kärnthen.  Am  Frohnleichnamsfeste 
werden  Hunderte  von  hohen  mit  Bändern,  Blumen,  Rauschgold  und  Fähn- 
chen geschmückte  Maibäumen  (maja)  in  den  Dörfern  aufgepflanzt.  Nachbar- 
orte wettöifem  den  schönsten  und  höchsten  Maibaum  zu  haben ,  wobei  die 
Dorfmädchen  alles  aufbieten  den  Baum  prächtig  zu  schmücken,  denn 
„schöner  Maibaum  schöne  Mädchen"  heißt  es  unter  der  slovenischen 
Jugend.    Ausland  1872,  473. 


1H4  Kapitel  III.    Banmseele  als  Vegetationsdämon : 

das  Dachy  der  daxam  je  nach  dem  Alter  des  Menschen  oder 
Tieres  größer  oder  kleiner  ist.  Sittlich  verwahrloste  Mädchen 
erblicken  statt  dessen  in  dürren  Bäumchen, ^  in  abgekehrten  ganz 
entblätterten  Strauchbesen ,  in  den  mit  verschmierten  Lumpen  ihres 
eigenen  Anzuges  bekleideten  Stämmen  sich  selbst  ^  das  Doppelbild 
ihres  Wesens,  die  Gestalt  ihres  Fervers  lebhaft  vor  sich.  Nüsse 
knacken  war  ein  Euphemismus  für  Zeugung;  wenn's  viele  Nüsse 
giebt,  heißt  es,  giebt  es  viele  Kinder  der  Liebe;  und  Volklieder 
feiern  die  Tanne  im  Gegensatz  zur  Hasel  als  Symbol  der  Be- 
ständigkeit, treuer  Minne.'  Es  ist  also  wol  klar,  weshalb  die 
Haselstaude  als  Maibaum  ein  unverheiratetes  Weib  anrüchig 
macht;  eine  ähnliche  Beziehung  muß  wenigstens  einem  Teile 
auch  der  andern  Bäume,    Sträuche  oder  angehängten  Pflanzen 


1)  Vgl.  die  Warnung  der  Nachtigall  im  Volksliede  (Uhland,  Volksl. 
N.  17  A.  cf.  Uhland,  Schriften  III.  90.  427):  Und  wann  die  Lind'  ihr  Lanb 
verliert ,  behält  sie  nur  dieAeste,  daran  gedenkt  ihr  Mägdlein  jung  nnd 
haltet  eu'r  Kr&nzlein  feste!  Anch  dem  kirchlichen  Sprachgebrauch 
des  Mittelalters  war  nach  Luc.  23,  31  die  Bezeichnung  „grünes  Holz" 
fBr  sittenreine,  zur  Hervorbringung  guter  Fruchte  tüchtige  Menschen  geläu- 
fig, während  man  unter  dürrem  Holze  dem  Göttlichen  abgestorbene,  ver- 
stockte (zum  dürren  Stock  gewordene)  Menschen  verstand.  Vgl.  Eychmans 
vocab.  pred.  viridis ,  ein  grünender,  der  da  on  sunde  ist,  grün.  Weigand 
D.  Wörterb.  Art.  Gründonnerstag. 

2)  S.  meine  Nachweise  Zs.  f.  d.  Myth.  UI,  95  S.,  die  sich  überreichlich 
vermehren  ließen.  Man  vgl.  nur  z.  B.  bei  Nithard  das  Lied  vom  Bimmost, 
zu  dem  die  Wirtin  mit  dem  Sänger  braune  Nüsse  knackt.  Eine  kinderlose 
Herzogin  geht  im  Nußwalde  spatzieren,  da  begegnen  ihr  drei  Nomen  und 
versprechen  ihr  ein  Kind.  Maurer,  Island.  Volkss.  S.  284.  Eine  doppelte  oder 
mehrfache  Nuß  vergräbt  man  im  Schafstalle,  damit  die  Schafe  gedeihen  und 
Zwillingslämmer  gebären.  Bußwurm,  Eibofolke  §.  355.  Quitzuann,  Religion 
der  Baiwaren  1860  S.  90  führt  ein  bair.  Volkslied  „  des  Klausners  Abschied " 
an:  „Pfiati  Gott  Schatzerl!  —  I  muß  a  Klausna  wem;  —  hast  a's  letzt 
Schmatzerl,  Haslnußkeml  —  Wer  woaß  wer  d*  Nuß  aufbeißt,  —  wer 
woaß  wer's  Kuterl  (feminal)  z'reißt ;  —  alli  Leut  essen  gern  —  schoni  Hasl- 
nußkem.''  Im  Hannoverschen  Wendlande  verlangt  die  Dorfjugend  bei  Hoch- 
zeiten mit  lautem  Geschrei  Nüsse  (not!  not!)  die  auf  dem  Wagen  des  Braut- 
vaters bei  den  Mobilien  der  Braut  sitzende  Korbmuhme  (Korfmöm')  wirft 
dann  zwar  nicht  wirkliche  Nüsse ,  aber  ganz  kleine  Brödchen  an  deren  Stelle 
herab.  Am  Morgen  des  dritten  Hochzeittages  steigt  endlich  die  junge  Frau 
mit  Hilfe  einer  Leiter  auf  ihren  neuen  Kleiderschrank  und  wirft  von  dort 
aus  Nüsse  unter  die  unten  stehenden  Hochzeitsgäste.  B.  Müldener  in  Aus 
allen  Weltteilen  1873.  S.  200.^ 


Maibaam.  185 

beiwohnen,  dnrch  die  man  bescholtene  Frauenzimmer  kennzeich- 
net.^ Mit  der  Vorstellang,  daß  der  Maibaum  das  Ebenbild  der 
beehrten  Frau  sei,  scheint  jedoch  die  andere  abzuwechseki ,  daß 
er  den  Vegetationsdämon  und  zugleich  Lebensbaum  des  getreuen 
Liebhabers  darstelle,  der  darum  durch  die  Aufpflanzung  vor 
der  Tttr  des  Mädchens  einen  Heiratsantrag  stellt,  oder  durch 
seinen  eingeschnittenen  Namen  sich  selber  kenntlich  macht  In 
der  Cote  d'or  (Gegend  von  Dijon)  setzt  man  der  treugebliebenen 
Liebsten  einen  Strohmann,  der  im  Walde  mit  grtlnen  Blät- 
tern bekleidet  wurde,  vor  die  Tür,  während  die  ungetreue 
einen  Pferdeschädel  erhält.  Wo  nun  diese  Anschauung  maß- 
gebend ist,  sagt  der  dürre  Strohmann  vor  dem  Kammerfenster 
der  wetterwendischen  oder  unwürdigen  Braut  das  Gegenteil  aus. 
Dajs  der  fortpflanzenden  Getreidekömer  beraubte  leere  Stroh  ist 
ein  Sinnbild  der  freiwilligen  oder  erzwungenen  Ehelosigkeit, 
geschlechtlichen  Ohnmacht ,  oder  Wertlosigkeit ;  ein  Kränzlein  von 
dürrem   Stroh   auf  dem  Haupte   der  Jungfrau   galt  in   unserer 


1)  Die  Nessel  (s.  o.  S.  167)  ist  Sinnbild  einer  im  ÜebermaB  heißen, 
schmerzlich  brennenden  Liebeswunde,  daher  häufig  einer  vergeblichen,  ho£f- 
nangslosen  Liebe.  Vgl.  die  beiden  Liebeszanber  „Bedeutung  der  Blumen 
N.  29  bei  Perger,  Pflanzensagen  S.  155  und  Anzeiger  für  Kunde  d.  D.Vorzeit 
1854  S.  190,  sowie  das  Volkslied  bei  Uhland  Volksl.  N.  252:  „das  Nessel- 
kraut  ist  bitter  und  sauer  und  brennet  mich ,  verloren  hab'  ich  mein  schönes 
Lieb,  das  reuet  mich."  Entweder  also  ist  am  Maibaum  das  Symbol  über- 
mäßigen Liebesfeuers  zum  Ausdruck  unrechtmäßiger  Gluten  geworden,  oder 
es  soll  gesagt  werden ,  daß  der  bisherige  getreue  Ajibcter  die  Gefallene  nicht 
mehr  lieben  kann  und  ihr  daher  hoffnungslose  Sehnsucht  als  Anteil  zuspricht. 
Von  der  Petersilie  (o.  S.  166)  vermag  ich  nur  erotische  Beziehungen  über- 
haupt aufzuweisen:  Vgl.  das  Einderlied:  Petersilje  Soppenkrüt,  wasst  in 
üsem  Garen,  üse  Antjen  is  de  Brut;  schall  nibh  lang  mer  waren,  dat  se 
na  der  Karken  geit  un  de  Bock  cn  Polen  sleit.  (Schmidt)  Bremen ser  Kinder 
und  Ammenreime  1836,  19,  20.  Cf.  das  Schaumburger  Martinilied.  Keimann, 
D:  Volksfeste  S.  286.  —  Baben  wänt  de  rike  mann,  de  let  üs  allens  wassen, 
göd  Hawer  un  göd  Gassen  (Gerste),  godet  Petersiljenkrüt;  tokum  jS>r  is  üse 
Dochter  Brut.  Aus  dem  Kinderleben ,  Oldenburg  1851.  S.  87.  Süse  de  brüse, 
wo  wänt  Peter  Kruse,  in  de  Peter siljensträt  (Var:  Bosmarinsträt) 
war  de  wakkern  meisjcs  gät.  (Südschleswig;  Oldenburg.)  Liebende 
säen  ihren  Namen  mit  Petersilie  und  schließen  von  dem  Wachstum  auf  das 
Leben  in  der  Ehe.  —  Wenn  die  Braut  zur  Trauung  geht,  soll  sie  Petersilie 
und  Brod   unter   dem  Arme  tragen,   damit   ihr  die  bösen  Geister  nichts  an- 

• 

haben.    Mcdnianski,  Abergl.  Meinungen  71  bei  Hanusch,  Slav.  Myth.  284. 


186  Kapitel  III.    Baumseeie  als  Yegetationsdämon: 

älteren  Poesie  als  Zeichen  der  Abweisung  y  die  sie  dem  Freier 
zu  Teil  werden  läßt,  oder  als  Ausdruck  der  Klage,  daß  sie  ein- 
sam ihr  Leben  vertrauern  müsse.  ^  Der  Strohmann  soll  mithin 
ebenso  entweder  eine  Abweisung  ausdrücken;  der  ihn  anpflan- 
zende Bursche  will  sich  seiner  bisherigen  Geliebten  gegenüber 
fortan  als  Hagestolz  verhalten,  oder  der  Strohmatz  soll  als 
Doppelgänger  desjenigen  gefaßt  werden,  und  sie  zu  demjenigen 
hinweisen ,  der  sie  zur  Untreue  verleitete  und  dem  die  Eilersucht 
und  Entrüstung  des  Gekränkten  Unfruchtbarkeit  wünscht,  oder 
dessen  sittlichen  oder  persönlichen  Wert  derselbe  der  entkörnten 
Aehre  vergleicht.  Hierauf  deutet  die  bis  zu  jenem  Hause  aus- 
gestreute Spreu  (in  jüngerer  Form  Heckerling)  hin  (s.  o.  S.  167.) 
Soviel  ich  sehe,  Ihätte  ich  nur  noch  die  Frage  zu  berühren, 
was  die  mehrfach  bezeugte  Verbrennung  des  Baumes  im  Mai- 
oder  ♦  Johannisfeuer  bedeuten  soll.  Darüber  habe  ich  mir  die 
folgende  Meinung  gebildet.  Da  die  Scheiben  oder  Kader,  welche 
bei  dieser  Gelegenheit  verbrannt  oder  geschwungen  werden 
(Myth,2  586  ff.  Kuhn,  Herabkunft  des  Feuers  S.  48  —  51)  un- 
verkennbar erweisen,  daß  eine  Nachbildung  des  Sonnenfeuers 
gemeint  war,  so  vermag  ich  in  der  Verbrennung  des  Maibaumes 
nichts  anderes  zu  erblicken,  als  eine  symbolische  Darstellung 
des  Vorganges,  daß  die  Vegetation  durch  das  Sonnenlicht  und 
die  Sonnenwärme  des  Sommers  zur  Entfaltung  und  zur  Keife 
gebracht  wird,  also  gleichsam  das  Sonnenfeuer  passieren  muß 
und  zwar  stellen  die  Oster-  und  Maifeuer  dieses  Geschehen  pro- 
leptisch,  das  Johannisfeuer  als  auf  der  Höhe  stehend  dar.  Inso- 
fern der  Sonnenschein  flir  das  Gedeihen  der  zu  unserm  Bestehen 
unentbehrlichen  Pflanzenwelt  notwendig  ist,  sucht  der  Mensch 
sich  denselben  und  seinen  Segen  im  Frühjahr  für  dieses  Jahr, 
um  Mittsommer  fllr  das  nächste  Jahr  durch  nachbildende  Dar- 
stellung zu  sichern.  Wir  kommen  darauf  noch  öfter  zurück. 
Doch  schon  jetzt  darf  darauf  aufmerksam  gemacht  werden,  daß 
der  hinreichend  dargelegte  Glaube  an  die  Sympathie  zwischen 
animalischem  und  vegetabilischem  Wachstum  es  erklärt,  weshalb 
auch  Tiere  und  Menschen  durch  diese  Feuer  gehen  oder  getrie- 
ben werden,  um  Gesundheit  und  Wachstumsfiille  zu  erlangen. 
Meiner  Meinung  zu  Hilfe  kommt  der  Umstand,  daß  nicht  bloß 


1)  S.  UWand  Schriften  IE,  417. 


Maibaom.  187 

der  Maibaam  n.  s.  w.  im  Mai-  oder  Johannisfener  yerbraniit  wird; 
sondern  daß  auch  die  Menschen  mit  belaubten  Banmzweigen 
(Nußbaumästen," Tannenzweigen)  durch  das  Feuer  springen,  welche 
man  dann  über  der  Türe  des  Yiehstalles  befestigt,  oder  in  die 
Aecker  steckt,  um  sie  fruchtbar  zu  machen,  und  daß  Hinein- 
werfung von  Kräutern  zu  den  stehenden  Bestandteilen  der  Johan- 
nisfener gehört  (ygl.  Myth.^  588.  585).  Bezeichnend  ist  auch  die 
0.  S.  180  aus  Perigord  mitgeteilte  Sitte.  Denn  das  Goldstück, 
welches  man  vor  Aufrichtung  des  Maibaums  am  Sonnwendabend 
sich  durch  den  Mund  zieht,  bildet  die  runde  goldene  Sonnen- 
scheibe ab,  wie  deutlich  aus  dem  Vergleiche  des  schwäbischen 
Aberglaubens  erhellt^  das  Sonnenkraut  (Sonnenwende,  Sponsa 
Solis,^  d.  h.  weißblühende-  Wegewarte)  um  die  Mittagszeit  mit 
einem  Goldstück  abzuschneiden.^  Das  Auf|)flanzen  des  Mai- 
banmes  am  1.  Mai,  zu  Pfingsten  oder  St  Johannis  ging  allmäh- 
lich über  in  die  freiere  Sitte,  bei  Kirchweihen,  Schützenfesten 
und  andern  Festen ,  welche  übrigens  meistenteils  in  die  genannten 
Jahreszeiten  fallen,  als  Kletterstange  oder  Mittelpunkt  des  Fest- 
reigens den  Baum  zu  errichten.  Im  Frankftirter  Eidbuch  der 
Beamten,  wo  diese  Sitte  1445  als  ein  altes  Herkommen  erscheint, 
wird  der  Preis  für  einen  Maibaum  verschieden  bestimmt,  je  nach- 
dem dieser  ein  aus  dem  Walde  zu  fahrender  oder  ein  tragbarer 
ist;  doch  wird  hinzugefügt,  wenn  der  Maie  zum  Heiltum  (tUr  eine 
Prozession)  oder  zu  einer  Kirchweihe  dienen  solle,  so  sei  durch 
die  Forstmeister  ein  geringerer  Preis  zu  fordern.  Bei  Schützen- 
festen und  Tanzfesten  pflegte  man  im  Freien  neben  dem  Mai- 
baum eine  Hütte  mit  Laub  auszuschmücken ,  welche  unzweifelhaft 
ursprünglich  nichts  anderes  als  das  Zelt  des  Pfingstkönigs  oder 
Schützenkönigs  bedeutet  hatte.  ^  Für  Tanzhütten  wurde  (in  Frank- 
furt) das  Anpflanzen  eines  solchen  Baumes  untersagt,  und  statt 
dessen  empfohlen,  auf  den  Tanzplatz  ein  für  alle- 
mal eine  Linde  zu  setzen.^    Dies  stimmt  dazu,  daß  in  Mit- 


1)  K.  V.  Megenberg ,  Buch  der  Natur  V,  28.  S.  394.    Pfeiffer. 

2)  E.  Meier,  Schwab.  Sagen  S.  238,  264. 

3)  Eine  solche  Hütte  oder  Laube  (arbour)  stand  auch  neben  dem  eng- 
lischen Maypole;  darin  saß  die  Queen. of  May,  Lady  of  the  May.  Im  böh- 
mischen Frühlingfibrauch  dient  sie  dazu  während  des  Gerichts  den  Maikönig 
oder  Pfingstkönig  aufzunehmen. 

4)  Kriegk  a.  a.  0.  452. 


188  Kapitel  IQ.    Banmseele  als  Vegetationsdämon: 

telfranken  bei  der  Kirchweib  auf  dem  freien  Platze  des  Dorfes 
entweder  um  die  im  Boden  wurzelnde  Linde,  oder, 
falls  diese  fehlt,  um  einen  am  Samstag  vorher  aus  dem 
Walde  geholten  Maibaum  der  feierliche  Blontanz  aufge- 
flihrt,  d.  h.  ein  schwarzer  mit  Blumen  und  Bändern  geschmtlck- 
ter  Filzhut  nebst  Halstttchem  und  bebänderten  Pretzeln,  die 
am  Baum  hangen,  ausgetanzt  wird..^  Die  Linden  vor  oder 
neben  dem  Dorfeingang,  oder  in  Mitten  des  DorQ)latzes,  um 
welche,  sobald  die  Vögel  singen  und  der  Baum  laubt,  das 
Mädchen  „den  Sommer  kiest  (erspäht,  gewahr  wird),  den  Maien 
empfängt,^'  indem  sie  an  der  Hand  des  Knaben  zur  Handtrom- 
mel in  jenen  ländlichen  Tänzen  jubelnd  springt,  welche  Nithard 
(t  um  1237)  und  einige  andere  mit  dem  Volke  verkehrende  Min- 
nesänger wol  nach  altem  volkstümlichen  Vorbildern*  so  vielfach 
schildern ,  diese  Dorf  linden  erscheinen  danach  wie  stehend  gewor- 
dene Maibaume.  Unter  ihnen  findet  im  Bergischen,  in  der  Eifel, 
um  Gotha  u.  s.  w.  die  (später  zu  besprechende)  Mädchenver- 
steigerung (Mailehen)  statt  und  auch  die  Beziehung  auf  die  weib- 
liche Beinheit  fehlt  nicht.  Ergiebt  es  sich,  daß  ein  Mädchen  bei 
der  letzten  Kirchweihe  den  Vortanz  um  die  Dorflinde  mithielt, 
ohne  dessen  noch  wtlrdig  zu  sein,  so  wird  die  Linde  „gescheuert" 
d.  h.  der  Rasen  oder  das  Pflaster  um  dieselbe  aufgegraben  und 
neu  gemacht.*  Ebenso  wird  der  Maibaum,  um  welchen  der  Blon- 
tanz geschieht,  in  einem  solchen  Falle  heimlich  umgesägt.  Denn 
mit  Verlust  der  jungfräulichen  Ehre   auch  nur  einer  Teilhaberin 


1)  Panzer,  Bcitr.  z.  D.  Myth.  11,  242 ff.  cf.  oben  S.  170  das  Zengniß 
des  Caesarins  vom  J.  1225. 

2)  S.  Uhland  Schriften  ITI,  S.  391.  Vgl.  S.  502  Anm.  152.  Noch  Goethe: 
Und  wenn  ich  bei  der  Linde  das  junge  Völkchen  finde,  sogleich  erreg'  ich 
sie.  Und  im  Faust:  Der  Schäfer  putzte  sich  zum  Tanz,  schon  um  die  Linde 
war  es  voll,  und  Alles  tanzte  schon  wie  toll!  Juche!  Juche!  Eine  Abbil- 
dung s.  bei  P.  Lacroix,  Moeurs,  usages  et  coutumes  au  moyen  age.  Paris 
1871,  S.  259  nach  einer  Miniature  des  15.  Jahrb.  Auf  einem  freien  Platze 
tanzen  Frauen  und  Männer,  darunter  ein  Mönch,  in  bunter  Reihe  mit  Krän- 
zen und  Zweigen  geschmückt  um  einen  belaubten,  in  der  Mitte 
stehenden  Baum  den  Hingelreigen;  auf  einem  Hügel  spielt  jemand  den 
Dudelsack ;  auf  hoehliegenden  Wiesen  ringsumher  weiden  Hirten  ihre  Schafe. 
Im  Hintergrunde  sieht  man  die  Türme  einer  Stadt. 

3)  Schmitz,  Sitten  und  Bräuche  des  Eifler  Volkes  S.  32.  Monta- 
nus  S.  30. 


Maibamii.  189 

ist  der  Lebensbaum  des  ganzen  Dorfes  selbst  verunebrt  und  der 
ihn  darstellende  Maibaum  darf  nicht  bis  zum.  nächsten  Kirch- 
weihabend stehen  bleiben,  wie  sein  ehrlicher  Vorgänger,  der  erst 
nach  vollendeter  «[ahresdienstzeit  ausgegraben  und  zu  den  Vätern 
versammelt  wurde.  ^  Ob  aber  die  Dorf  linden  in  der  Tat  nur  ein 
in  verhältnißmäßig  jüngerer  Zeit  .entstandener  bleibender  Ersatz 
fbr  die  jährlich  wechselnden  Maibäume  waren,  oder  ob  sie 
ursprünglich  mit  den  neben  Burgen  und  Dörfern  gepflanzten  Mai- 
bäumen (Linden,  Eichen,  seltener  Nußbäumen,  Tannen,  Birken, 
Birnbäumen,  Holunder)  unter  denen  Volksversammlung  oder  Ge- 
richt gehalten  wurde,*  zusammen  fielen,  und  diese  mit  den 
Värdträd  Skandinaviens  eine  engere  Sippe  bilden ,  diese  und  ähn- 
liche Fragen,  müssen  monographischer  Forschung  überlassen 
bleiben.^ 

Wiewol  ich  mir  die  beherzigenswerte  Mahnung  Doves  ver- 
gegenwärtige, daß  „die  Wissenschaft  wenig  Gewinn  davon  habe, 
wenn  die  bekannten  Tatsachen  nach  geringerer  oder  größe- 
rer Analogie  sofort  jeder  neuen  Entdeckung  angepaßt  werden, 
welche  in  ihrem  noch  unentwickelten  Auftreten  alles  was  bisher 
dunkel  gewesen  aufzuhellen  verspricht  ,'^  kann  ich  die  Vermutung 
nicht  abweisen,  daß  auch  die  Irmensäulen  mit  dem  Maibaum  ver- 
wandt, daß  sie  die  Idee  eines  Lebensbaumes  der  Volksgesammt- 
heit  auszudrücken  bestimmt  sein  mochten.  Die  breitere  Erör- 
terung dieses  Gegenstandes  bleibt  jedoch  einem  dem  Schlüsse 
dieses  Kapitels  hinzugefügten  Auslauf  vorbehalten,  da  die  Ver- 
folgung der  einmal  betretenen  graden  Straße  uns  noch  weiter 


1)  Bavaria,  Mittelfranken  S.  972. 

2)  Grimm  R.  A.  795  ff.  Keysler,  Antiqn.  select.  septentr.  1720  p.  584. 
VgL  besonders  die  im  13.  Jahrb.  (A.  1220.  1248)  bezeugten  ostfriesischen 
Dingeichen,  Üppstallsbäame ,  Staleke  (arborcs  erectae?)  bei  Aurich  und 
Bramstede.    Keysler  a.  a.  0.  p.  77  —  78. 

3)  Auch  auf  Analogien  des  Maibaums  bei  fremden  und  z.  T.  entlegenen 
Völkern  kann  hier  nicht  eingegangen  werden.  Doch  diene  als  Beispiel,  daß 
die  jungen  Mäi^ner  und  Mädchen  .des  hundohrigon  oder  Drachenclans  im 
wilden  Volke  der  Miaotsze  auf  dem  Hochplateau  zwischen  den  chinesischen 
Provinzen  Jünnan  und  Ewei-Tch^u  im  Frühling  einen  Teufelsstab,  zu 
deutsch  Maibaum  errichten  und  zum  Tone  der  Castagnetten  herumtanzen, 
welche  die  M&nner  schlagen ,  während  die  mit  hellfarbigen  Bändern  geschmück- 
ten Mädchen  mit  Füßen  und  vStimme  den  Tact  dazu  geben.  Ausland  1872, 
Nr.  5.  S.  116. 


19^0  Kapitel  III.    Baumseele  als  Vegetationsdamon : 

den  Maibaum  selbst  begleiten  heißt,  der  außer  den  Frühlings - 
und  Mittsommergebräuchen  auch  zur  Erntezeit  eine  bedeutsame 
Rolle  spielt 

§.  6.  Erntemai.  Auf  dem  letzten  Emtefuder  wird  nämlich 
am  Mittel  -  und  Kiederrhein  und  in  Frankreich  ein  grtiner  Baum- 
zweig, oder  ein  ganzer  großer  Baum,  meist  mit  Aebren  und  bun- 
ten Bändern ,  zuweilen  auch  mit  andern  guten  Sachen  geschmtlekt, 
heimgeführt  und  auf  dem  Dach  oder  am  Schornstein  des 
Herrenhauses  oder  der  Kornscheuer  auf  ein  Jahr  befestigt 

Nur  ganz  vereinzelt  sind  mir  Spuren  dieser  Sitte  im  Osten 
begegnet  und  zwar  mehrfach  in  colonisierten  Gegenden,  deren 
deutsche  Bevölkerung  nachweislich  oder  wahrscheinlich  im  12. 
oder  13.  Jahrhundert  vom  Niederrhein  her  eingewandert  ist 
Bekanntlich  ist  die  Hauptmasse  der  Siebenbirger  Sachsen  zwi- 
schen Broos  und  Keps  um  die  Mitte  des  12.  Jahrb.  von  KOnig 
Geysa  U.  berufen  worden ;  die  ältesten  Urkunden  (z.  B.  diejenige 
des  Legaten  Gregorius  de  S.  Apostolo  im  J.  1189)  nennen  sie 
Flandrenses.^  In  der  Gegend  von  Schäßburg  bringen  die  Schnit- 
ter nach  Beendigung  der  Ernte  einen  künstlichen  aus  Aehren 
geflochtenen  Kornbaum  "nach  Hause  (Bodendorf)  oder  über- 
reichen solchen  dem  Pfarrer  (Gossten).  Auch  die  Festmahlzeit 
am  Schlüsse  der  Emtearbeiten  heißt  danach  ebenfalls  Korn- 
baum. Nach  Beendigung  des  Emtemahls  wünscht  der  Altknecht 
dem  Pfarrer:  „Herr  gäf  af  det  Jor  en  gesangden  Kührenbuhm, 
derao  kun  mir  weder.'^  Herr  gieb  auf  das  Jahr  einen  gesun- 
den Kombaum,  dann  kommen  wir  wieder  (Deutsch  Pien). 

Die  Insel  Fehmem  soll  zwar  um  die  Mitte  des  15.  Jahr- 
hunderts hauptsächlich  aus  Ditmarschen  ihre  jetzigen  Einwohner 
empfangen  haben,  indessen  ist  das  nur  eine  nicht  beglaubigte 
Conjectur  *  und  es  muß  vielmehr  für  wahrscheinlich  gehalten  wer- 
den, daß  dieses  noch  im  12.  Jahrb.  rein  slavische  Land,  ehe  es 
an  Dänemark  kam,  von  dem  durch  die  Holstcn  eroberten  Wagrien 
aus   mit  jenen  sogenannten   „niederländischen  Kolonisten'^  bald 


1)  S.  Eder,  de  initiis  Sazonum  Transsilyauoram.  Viennae  1792  p.  169. 
Archiv  des  Yereins  f.  Siebenbirg.  Landesk.  I,  2,  113  ff.  Wattenbaoh  im 
Archiv  d.  Vereins  f.  Siebenb.  Landesk.  N.  F.  1, 1.  p.  80.  I.  E.  Schnller,  zur 
Frage  über  die  Herkunft  der  Sachsen  in  Siebenbürgen.  Hermannstadt  1856 
S.  5.  7.  9. 

2)  G.  Waitz,  Schleswigholst.  Geschichte*  I,  345. 


Erntemai.  191 

aus  Westfalen ,  bald  ans  Holland  oder  Friesland  besiedelt  wurde, 
welche  im  12.  13.  Jahrb.  sich  in  den  entvölkerten  SlavenländeiD 
eine  neue  Heimat  schufen.*  Im  Wester-  und  Norderkircbspiel 
der  Insel  wird  das  letzte  Emtefuder  mit  Baumzweigen  geschmückt 
und  Maienföder  genannt;  die  Arbeiter  fahren  darauf  nach  dem 
Hofe  und  jauchzen,  wonach  die  Fuhre  auch  wol  Juchfoder 
getaufk  wird.  Von  jener  Sitte  heißt  das  Emtebier  ebenfalls 
Schöttelmay.*  Bei  Zempelburg  Kr.  Flatow  Rgbz.  Marienwerder 
wird  der  aus  der  letzten  Garbe  verfertigten  Puppe  in  Menschen- 
gestalt, dem  Alten,  ein  Baumzweig,  oder  ein  Baum  der  Art 
in  den  Kopf  gesteckt,  daß  er  daraus  gewachsen  zu  sein  den 
Anschein  hat  Und  ebenso  pflanzt  man  in  die  Mitte  des  letzten 
Gebundes,  des  Alten,  zu  Wolfshals  bei  Bromberg  einen  grünen 
Zweig.  Beide  Orte  sind  deutsche  Kolonien  auf  slavischem  Boden; 
ich  habe  jedoch  trotz  Schmitt  und  Behaim-Schwartzbach  nichts 
Näheres  über  die  frühere  Heimat  ihrer  jetzigen  Bewohner  fest- 
stellen können.  Auch  in  Schlesien  wird  zuweilen  in  die  mit 
Blumen  geschmückte  letzte  Garbe,  die  „Muttergarbe,"  ein  grü- 
nes Seis  gesteckt  und  auf  dem  letzten  Fuder  heimgefahren 
(Ruppersdorf  Kr.  Strehlen  Bgbz.  Breslau). 

In  Mitteldeutschland  begegnet  mehrfach  die  Sitte  beim  allge- 
meinen Erntefest,'  einen  Wettlauf  nach  einem  mit  bunten  Tüchern 
bebangenen  Birkenbusch  oder  Fichtenbaum  anzustellen,  den  der 
Gutsherr  oder  die  Gemeinde  "aufs  Feld  gesteckt  hat  (z.  B.  Ober- 
grauschwitz  A.  H.  Grinmia  Krd.  Leipzig;  Ilsenburg  Grafsch.  Wer- 
nigerode). Um  Fürstenwalde  wird  nach  der  Ernte  eine  Fichte 
sras  der  Haide  geholt,  glatt  geschält,  mitten  im  Dorfe  aufgerich- 
tet und  mit  Tüchern  und  andern  Preisen  behangen,  nach  denen 
geklettert  wird.^  Erst  in  Franken  finde  ich  den  Maibaum  auf 
dem  Erntewagen  selbst  wieder.  Zu  Ochsenfurt  setzt  man  auf  die 
letzte  Fuhre  das  mit  bunten  Tüchern  geschmückte  Tannenbäum- 


1)  Waitz  a.  a.  0.  I,  56.  Um  Segeberg  ließen  sich  nach  1142  Westfalen, 
um  Eutin  und  später  um  Oldenburg  Holländer,  um  SOßel  Friesen  nieder 
(Helmold  I,  c.  57).  In  Kiel,  das  nicht  lange  vor  1242  entstand,  bezeugt  der 
Straßenname  platea  Flamingorum  die  Fortdauer  der  Einwanderung  vom  Nie* 
derland  nach  Holstein  im  13.  Jahrb.  S.  Schleswig  Holst  Lauenb.  Jahrb.  IX, 
1866  S.  12  ff. 

2)  Mündl.   Vgl.  Schlesw.  Holst.  Lauenb.  Jahrb.  IV.  1861.    183,  94. 

3)  Kuhn,  Nordd.  Sag.  398,  106. 


Id^  Kapitel  Ul.    ßanrnseele  als  Vegetationsdämon: 

chen  (Unterfranken).  Bei  DinkelsbUhl  (Mittelfranken)  ist  es  dage- 
gen die  erste  Fuhre,  auf  welche  die  bebänderte  und  bekränzte 
Fichte  zu  stehen  kommt,  die  an  der  Scheune  mit  Jauchzen  em- 
pfangen und  feierlich  vom  Wagen  herabgeworfen  wird;  im  Fallen 
sucht  ein  jeder  Schnitter  ein  Band  oder  einen  Kranz  als  segen- 
bringend zu  erhaschen.  Gleicherweise  wird  auch  zu  Hofdorf  in 
Niederbaiem  die  letzte  Fuhre  Dünger,  die  zu  Acker  fährt,  der 
letzte  Wagen  Getreide,  der  vom  Felde  kommt,  mit  einem  drei- 
fachen Busche  von  Stauden,  Fichten-  oder  Tannenbäumchen 
geschmückt. 

Auf  alemannischem  und  rheinfränkischem  Gebiete  dagegen 
wird  der  Brauch  häufiger.  Im  Bezirk  Tobel  (Kanton  Thurgau) 
zierte  man  ehedem  das  letzte  Fuder  Getreide  mit  einer  12-15  F. 
hohen,  mit  Bändern,  Blumen  und  Nastüchem  behangenen  Palme, 
die  zu  Hause  in  die  Stube  gebracht  und  dort  zu  einem  Kreuz- 
stock hinausgesteckt  wurdet  Zu  Hofingen  im  Aargau  wird  die 
letzte  Heu  führe  mit  einem  durch  Kränze  und  bunte  Papier- 
streifen ausgezeichneten  Tannenbäumchen,  oder  einem  bloßen 
Baumast  geziert.  Oft  sitzt  ein  verkleideter  Knecht  zuvör- 
derst auf  dem  Fuder  und  schwingt  den  Tannenbaum. 

In  Würtemberg  ninmit  die  Sitte  gemeinhin  eine  andere  Ge- 
stalt an.  Auf  dem  letzten  Acker  der  Winterfrucht  bleibt 
jedesmal  eine  Hand  voll  Aehren  stehen,  die  man  vorher 
bezeichnet  und  umkreiset  hat.  In  diese  Aehren  steckt  man 
eineil  geschmückten  „Maien,"  eine  kleine  Birke  oder  Pappel, 
befestigt  die  Halme  daran  und  bekränzt  sie.^  Dieses  mit  dem 
Maibaum  zu  einem  Körper  verbundene  Gebund,  oder  den  Maien 
selbst  nennt  man  vielfach  Mo  ekel,  Kuh.  Wir  worden  später 
sehen,  daß  ein  theriomorphischer  Vegetationsdämon  damit  gemeint 
ist  Ist  der  Maie  „gesteckt,"  so  knien  die  Schnitter  nieder 
und  beten  fünf  Vaterunser  und  den  Glauben.  Das  nach  Beschluß 
der  ganzen  Ernte  folgende  Erntefest  heißt  „Niederfall."  Der  Mai 
bleibt  entweder  stehen  und  die  Vögel  fressen  die  Aehren  aus, 
oder  er  wird  zuletzt  herausgenonmien  und  auf  dem  letzten  Wagen 
heimgeführt.  Im  0.  A.  Künzelsau  im  Jaxtkreis  hält  ein  Arbeiter 
auf  dem  letzten  Fuder  einen  großen  Tannenbaum,  der  mit 


1)  Bemsthal,  Burchholz,  Zimmern,  GejOfend  vob  Gmünd /Ulm,  Wester- 
stetten.    Vgl.  Meier ,  D.  Sag.  a.  Schwaben  S.  439 ,  149. 


Erntemai.  Idd 

kleinen  Kränzen,  farbigen  Bändern  und  Taschentüchern 
geschmückt  ist.  Auch  Peitsche  und  Hut  des  Fährmanns  sind 
bekränzt.  Im  0.  A.  Waiblingen  (Neckarkr.)  steht  eine  junge  mit 
Bändern  und  seidenen  Tüchern  geputzte  Birke  auf  den  Garben 
der  letzten  Fuhre.  Hier  sind  nicht  allein  der  Fuhrmann;  sondern 
selbst  die  Pferde  und  die  Peitsche  bebändert  und  blumenge- 
schmückt Nach  E.  Meier  geschah  diese  Ausschmückung  des  letzten 
Eoinwagenfi  mit  dem  durch  allerlei  Kleidungsstücke,  Tücher 
und  Bänder  gezierten  Baum  in  Bietigheim  und  andern  Orten  des 
Neckarkreises  bei  Einholung  des  Zehnten.^  Die  Zehnknechte  teil- 
ten diese  Sachen  unter  sich.'  Auch  in  Baden  wird  auf  dem  letzten 
Wagen  ein  Maibaum  eingebracht  (z.  B.  Achem,  Ei.  Baden). 

In  Hessen  bleibt  der  Maibaum  nur  vereinzelt  Um  Gems- 
heim  (Prov.  Starkenburg)  ziert  ein  Weidenzweig  mit  Blumen  den 
Fmchtwagen,^  um  Exter  und  Rinteln  (Prov.  Kurhessen)  ein  grür 
ner  Strauch  y  an  den  mehrere  Äehren  von  verschiedenen  Fruohk- 
arten  gebunden  sind. 

Das  Gebiet,  auf  welchem  unter  den  Emtesitten  das  Auf- 
stecken des  Maibaumes  der  Art  vorhersehend  wird,  daß  man  es 
fast  ausnahmslos  von  Dorf  zu  Dorf  verfolgen  kann,  beginnt  mit 
den  preuBischen  Provinzen  Westfalen  ^  und  Bheinland.  Vereinzelt 
reicht  die  Sitte  von  hier  nördlich  des  Münsterlandes  in  die  firie- 
sische  Bevölkerung  des  Saterlandes  hinein,  wo  man  vor  alten 
Zeiten  beim  Boggenmähen  ein  Stück  des  letzten  Endes  in  runder 
Form  stehen  ließ,  einen  Maibaum  hineinsetzte  und  rund  herum 
tanzte,  trank,  sang  und  jubelte.^  Auf  niederländischem  Boden 
folgt  der  Brauch  dem  Laufe  des  Rheins  und  der  Maaß ;  ich  kann 
ihn  aus  Gelderland,  z.  B.  Apeldoom  und  Veluwe,  und  der  Insel 
Walcheren,  aus  Limburg  und  Lüttich  belegen.^  Südlich  davon 
ist  er  wiederum  fast  ausnahmlos  von  Ort  zu  Ort  in  Lothringen 
und  Elsaß,  sodann  in  der  Mehrzahl  der  zu  Frankreich  gehörigen 


1)  Hohenstanfen ,  Ellwangen.    Tgl.  Meier ,  Deutsche  Sagen  a.  Schwaben. 
&.  440, 152. 

2)  Meier  a.  a.  0.  441, 154. 

3)  Myth.»  CV,897. 

4)  Vgl.  auch  Kuhn,  Westf.  Sag.  II,  S.  179 ff. 

5)  Scharrel.    S.  Strackerjan,  Abergl.  a.  Oldenburg  II,  8.  78,  362. 

6)  Mftndl.    Tgl.  Heinsberg -Dfiringsfeld,  Calendr.  Beige  1862  11,187. 
Grenson,  Bulletin  de  la  societe  Li^geoise.  T.  VII.  Liege  1866.  p.  21,  8. 

Mannhardt.  13 


191  Kapitel  lU.    Baumaeele  als  Vegetationsdämon: 

Länder  erbalten ,  d.  h.  franz.  Flandern ,  Picardie ,  Normandie,  Isle 
de  France,  Champagne,  Angoumais,  Limousin,  Ljonnaig,  Bour- 
bonnais,  Bonrgogne,  Franche  Comt^,  Orlöannäis,  NivemaiS;  Berry, 
Maine,  Touraine,  Anjoa. 

Im  Westen  und  Süden  der  Bretagne ,  Poitou ,  Guyenne ,  Lau- 
gaed'oc,  Danpbin^  and  Provence  ist  der  Gebraacb  merklieb  sel- 
tener und  bort  zuletzt  teils  ganz  auf,  teils  gebt  er  völlig  in  die 
Aufsteckung  eines  Holz-  oder  Aebrenkreuzes  auf  dem  letzten 
Wagen ,  oder  dem  letzten  Getreidescbober  (la  croix  de  la  moisson) 
resp.  auf  dem  Dacbe  der  Scheune  über,  das  auch  vereinzelt  in 
nördlicheren  Provinzen  z.  B.  Isle  de  France,  Nivemais,  Orl^annais 
u.  s.  w.  vorkommt,  aber  in  der  Gascogne,  Navarra,  Böam,  Döp. 
du  Tarn ,  ^  de  TArdeche ,  Dep.  du  Gard ,  Dep.  Haute  Loire ,  Pro- 
vence so  zu  sagen  allgemein  vorhersehend  wird  und  in  gleicher 
Geltung  in  Venetien,  Corsika,  Rumänien,  Ungarn  sich  wieder- 
findet. Dagegen  konnte  aus  Savoien  (Annecy)  die  Sitte  verzeich- 
net werden,  auf  dem  letzten  Fruchtwagen  ein  Tannenbäum- 
eben, dessen  Zweige  mit  Bändern  aller  Farben  geschmückt 
sind,  heimzufahren,  dort  mit  Wein  zu  besprengen  und  auf 
dem  großen  Schober  vor  dem  Hause  aufzupflanzen.  Fast  scheint 
es  so,  als  ob  die  Grenzen  des  Gebrauches  so  weit  reichen,  als 
sich  an  Ortsnamen  der  Einfluß  von  Franken  und  Burgunden  auf 
romanischem  Boden  verfolgen  läßt 

In  Westfalen  (Rgbz.  Arnsberg)  wird  dieser  grüne  Baum  oder 
Zweig  im  letzten  Korne  Härkelmai,  im  Münsterlande,  Rhein- 
land, Holland,  Belgien,  Picardie  und  französisch  Flandern  Mai, 
Meie,  im  Elsaß  Mai  oder  £mmai  (Emtemai)  benannt,  in  Frank- 
reich ist  meistens,  da  derselbe  mit  Blumen  und  Aehren  geschmückt 
wird,  der  Ausdruck  bouquet,  bouquet  de  la  moisson  neben 
andern  noch  zu  erwähnenden  Sondemamen  (chien  de  la  moisson, 
coq  d'Aoüt  u.  s.  w.)  dafür  im  Gebrauche. 

In  dem  umschriebenen  Gebiete  hebt  sich  als  eigenartig  der- 
jenige Landstrich  hervor,  welcher  den  Namen  Härkelmai 
(mundartl.  Hörkelmai,  Hackelmai,  Hakelmai,  Heckelmai,  Häkel- 
mai, Harkemai,  Hackemai)  kennt.  Er  umfaßt  die  Kreise  Altena, 
Dortmund,  Hagen,  Hamm,  Iserlohn,  Meschede,  Olpe  und  Soest 
des  Regierungsbezirks  Arnsberg  und  reicht  einerseits  in  das  Mün- 
sterland, andererseits  in  den  Kr.  Lennep  Rgbz.  Düsseldorf  hinein. 
Wenn  alles  Getreide  geschnitten  und  in  Garben  gebunden  auf 


Erntemai.  195 

die  Wagen  geladen  ist,  werden  mit  einer  großen  Ziehharke 
(Treckharke)  die  zerstreut  liegenden  einzelnen  Halme  zusammen 
gerecht  Dieses  ,,  Harkelse/'  wird  mit  den  letzten  Garben  zusam- 
men auf  da|i  letzte  Emtefuder  geladen,  hicTon  erhält  der  grttne 
Zweig  oder  Baum,  der  dieses  Fuder  ziert,  die  Benennung  Har- 
kelmai.  Dieser  Name  geht  sodann  auf  den  Act  des  Abmähens 
der  letzten  Frucht,  auf  diese  selbst  („den  Hackelmai  mähen 'Q 
und  auf  das  letzte  Emtefuder  oder  auf  das  letzte  abzumähende 
FruohtsttLck  über.  Der  Emteschmaus  am  Ende  des  Schnitts, 
oder  an  einem  Sonntage  nach  Beendigung  aller  Emtearbeiten, 
oder  nach  Beendigung  des  Dreschens  gegen  Fastnacht  heißt 
„den  Harkelmai  yertSren,"  „den  Hörkelmai  fim  (feiern)"  oder 
auch  einfach  „Harkelmai,"  die  letzte  Garbe  „Harkelmaigarw," 
das  letzte  Fuder  „Harkelmaiwagen;"  (vgl.  S.  191  das  Fehma- 
rische  Schöttehnei)  und  die  übertragenen  Anwendungen  des  Wor- 
tes werden  so  vorwiegend,  daß  nun  wiederum  der  Busch  oder 
Baum  davon  meistenteils  „Harkelmaisbusk"  oder  „Harkelmai- 
b6m"  benannt  ist.  In  den  Kreisen  Hamm,  Dortmund^  Soest  und 
Iserlohn  gestaltet  sich  die  Harkelmaisitte  folgendermaßen:  Nach- 
dem der  Fruchtschnitt  auf  dem  letzten  Acker  des  zuletzt  geem- 
teten  Getreides  zu  Ende  ist^  oder,  obwol  seltener,  soeben  ehe 
man  an  das  Abmähen  des  Letzten  geht,  graben  die  Mäher 
unter  lautem  Jubel  und  Trinken  den  Harkelmaibom, 
einen  starken  grünen  Ast  oder  Baum  tief  in  das  Stop- 
pelfeld. Es  ist  das  eine  junge  Buche  (Gegend  von  Herringen, 
Unna  Kr.  Hamm),  Birke  (Herringen,  Kr.  Hanun;  Werl,  Para- 
diese Kr.  Soest),  zuweilen  auch  Weide  (Werl).  Der  Harkelmai 
hat  bisweilen  eine  recht  ansehnliche  Größe,  im  allgemeinen  pflegt 
er  3 — 4  Zoll  dick  und  über  der  Erde  15  —  25  Fuß  hoch  zu 
sein.-  Mehrere  (4  —  5)  Fuß  tief  wird  er  in  den  Boden  getrieben 
und  darin  fest  gekeilt  und  eingepfählt.  Wie  der  Maibaum  im 
Frühlinge  wird  er  gerne  seiner  untern  Zweige  beraubt, 
so  daß  die  oberen  eine  schöne  Krone  bilden  (Hilbeck, 
Haren,  Untrup,  Schmelhausen  Kr.  Hamm;  Paradiese  Kr.  Soest). 
Dieser  WipCel  wird  mit  einem  Aehrenkranze  aus  dem 
letzten  Getreide  (Herringen,  Hilbeck,  Haren  Kr.  Hamm)  oder 
mit  einzelnen  Aehrenbüscheln  geziert  (Friedrichshöhe  bei 
Unna);  es  werden  an  mehreren  Stellen  in  der  Mitte  des  Stam- 
mes  oud  oben  hie   und   da   an  den  Zweigen  der  Länge  nach 

13* 


196  Kapitel  in.    Banmseele  als  Yegetationsdämon: 

Halmbtindel,  zusammen  etwa  eine  Masse  wie  ron  3  —  4  Garben 
befestigt  (Heil  bei  Herringen,  Unna,  Kr.  Hamm;  Menden  Kr. 
Iserlohn)  oder  der  Hackelmaibusch  wird  an  der  Spitze  gradezu 
mit  der  geschnittenen  Frucht  durch  flochten  (DBttchelte).  In 
der  Gegend  von  Soest  bindet  jeder  anwesende  Schnitter  und  jede 
Schnitterin  einen  Aehrenkranz  oder  eine  Handvoll  Halme  an  den 
im  Felde  steckenden  Harkelmaibaum  oder  an  eine  denselben  ver- 
tretende Stange ,  so  daß  an  der  Anzahl  dieser  Strohbänder  jeder- 
mann die  Anzahl  der  Mäher  erkennen  kann  (Borgein,  Soest, 
Cörbefce  Kr.  Soest).  Im  Kreise  Dortmund  (z.  B.  Wickede, 
Brackel,  Kerßebtthren)  und  z.  Tl.  Kr.  Soest  (Paradiese)  wird 
unten  um  den  Fuß  des  oben  und  in  der  Mitte  mit  Aehren- 
büscheln  geschmückten  Harkelmaibaums  eine  volle  Garbe 
d.h.  wol  die  letzte,  Harkelmeigarw^  gebunden,  wodurch 
dieser  dem  schwäbischen  in  die  letzten  unabgeschnittenen  Halme 
gestellten  Maien  sehr  ähnlich  wird.  Die  Garbe  rückt  nach  oben, 
wenn  sie  bei  Unna  Kr.  Hamm  und  zu  Messerscheidt  bei  Hemer 
an  dem  Baum  aufgehängt  wird.  In  diesem  Falle  stellt 
die  Garbe  zuweilen  ein  persönliches  Wesen  vor  und  erhält  den 
Namen  „de  Olle"  '(der  Alte).  Allen  diesen  sehr  verschiedenen 
Weisen  der  Zurüstung  des  Baumes  ist  doch  unverkennbar  das 
Bestreben  gemeinsam,  in  ihm  die  Vegetationskrafl  des  Feldes  zu 
personifizieren;  die  vollen  Aehren  sollen  als  seine  Frucht,  oder 
er  aus  der  Garbe  heraussprießend  d.  i.  als  deren  dui'aftig  oi'f»?- 
TiTCT^  dargestellt  werden.  Der  Harkelmaibaum  bleibt  auf  dem 
Felde  stehen,  bis  alle  Garben  gebunden  sind,  i;esp.  bis  es  ans 
Aufladen  des  letzten  Fuders  geht.  Dann  müssen  die  Mädchen 
ihn  umwerfen  oder  herausziehen,  dürfen  dabei  aber  nur  ihre 
Hände,  niemals  Spaten  oder  andere  Gerätschaften  zum  Aus- 
graben gebrauchen.  Können  sie  das  nicht,  so  müssen  sie  die 
Knechte  tractieren  (Herringen,  Heil,  Fröndenberg,  Haren,  Hil- 
beck,  Friedrichshöhe,  Unna  u.  s.  w.  Kr.  Hamm;  Bertingloh  bei 
Menden  Kr.  Iserlohn;  Werl,  Schwefe  Kr.  Soest).  Er  prangt 
sodann  im  Vorderteile  oder  inmitten  des  letzten  Wagens  (Här- 
kelmeiwagen) ,  der  ringsui\i  mit  grünem  Buschwevk  besteckt  ist. 
(Soest,  Paradiese,  Schwefe,  Borgein  Kr.  Soest;  Friedrichshöhe 
bei  Unna,  Lünem  Kr.  Hamm  u.  s.  w.)  Die  Mägde  setzen 
sich  mit  dem  Erntekranz  zu  dem  Härkelmeib6m  auf  den 
Wagen,  indeß  der  festlich  geschmückte  Baumeister  vorne  auf 


Erntemai.  .  197 

dem  ersten  Pferde  reitet  (Haren,  Uentmp/  Schmehaasen  Kr. 
Hamm;  Paradiese  Kr.  Soest.)  Entweder  schon  auf  dem  Felde 
wird  Getränk  um  den  Busch  oder  Baum  ausgegossen  (Brockhau- 
sen bei  Deilinghoyen  Kr.  Iserlohn)  oder,  sowie  der  Herkelmei- 
wagen  auf  den  Hof  fährt,  werden  der  grüne  Baum  und  die 
ihn  einbringenden  Erntearbeiter  mit  ganzen  Eimern 
Wasser  begossen  (Bttderich  bei  Werl  Kr.  Soest)  ,,de  hörkel- 
mai  draf  net  dröj  inkommen^'  (Brockhausen).  Selten  bleibt  der 
ährengeschmtlckte  Baum  auf  dem  Acker  stehen  und  darf,  wenn 
die  letzte  Garbe  (der  Alte)  abgeholt  ist,  von  jedem  Beliebigen 
geholt  werden,  der  ihn  haben  will  (Messerscheidt  bei  Hamm, 
Borgein  Kr.  Soest).  Ebenso  selten  wird  er  hinten  am  letzten 
Wagen  angebunden  und  muß  hinten  nachschleifen 
(Werl  Kr.  Soest),  oder  man  läßt  ihn,  mit  einem  Kranze 
geschmückt,  dem  Wagen  vorauftragen  (Brockhausen). 
Dem  Fader  gehen  5 — 6  Knechte  peitschenknallend  voran.  Naht 
sich  der  Wagen^  dem  Hofe ,  so  muß  ihm  der  Bauer  ehrerbietig 
entgegenkommen  und  den  Schnittern  einen  Trunk  entgegenbringen, 
widrigenfalls  sie  das  Becht  haben,  ihm  die  Kohlköpfe  ün  Garten 
abzuschneiden.  Ist  das  Fuder  eingescheuert,  so  wird  der  Harhelr 
maibom  an  der  Einführt  der  Scheune  oder  des  Hauses  festge- 
nagelt und  verbleibt  da,  bis  der  Emtefestschmaus  „der  Harkemai^' 
oder  „Bauthahn^'  vorüber  ist  Dieser  findet  statt,  sobald  im 
October  die  erste  fette  Kuh  geschlachtet  wurde  (Heil  bei  Her- 
ringen Kr.  Hamm).  Der  Ausstattung  des  Baumes  entsprechend 
war  außer  dem  grünen  Harkelmaibusch  auch  wol  noch  ein  Ernte- 
kranz an  das  Scheunentor  genagelt  (Düingsen  Kr.  fserlohn), 
anderswo  der  aus  Aehren,  Blumen  und  wildem  Hopfen  verfer- 
tigte Erntekranz  allein  über  der  Haustür  befestigt  und  bis  zur 
Ernte  des  nächsten  Jahres  hängen  gelassen  (Hilbeck,  Ostbühren 
Kr.  Hamm).  Manchmal  aber  vertritt  eine  mit  Blumen,  Halmen 
und  grünen  Zweigen  umflochtene  Harke  die  Stelle  entweder  des 
Baumes  oder  des  Kranzes.  Auf  dem  letzten  Fuder  (Herkelmai) 
sieht  man  die  in  Laubwerk  gehüllte,  mit  Aehren  und  Blumen 
geschmückte  oder  oben  mit  einem  grünen  Kranze  versehene 
Harke  in  der  letzten  durch  Größe  und  besondere  Form  ausge- 
zeichneten Garbe,  dem  „Alten"  oder  „dicken  Jungen,"  oder 
daneben  stecken  (Apricke,  Hemer),  oder  sie  schmückt  in  Gesell- 
schaft des  Erntekranzes ,  der  später  seinen  Platz  über  der  Niendör 


198  Kapitel  III.    Banmseele  als  VegetatLonsdämon: 

(Niedertttr)  erhSlt ,  den  Harkelmeiwagen  (MesserBcheid)  oder  end- 
lich sie  wird  von  einer  Magd  dem  Herkelmeiwagen  Toraofgetra- 
gen.  Es  mnß  nun  der  Oberknecht  versuchen  das  ,,Herkelse^' 
trocken  auf  die  D61e  (Scheundiele)  zu  bringen,  die  Magd  die 
bunte  oder  ,, grüne  Harke''  gleichfalls  trocken  unter  die  Herd> 
kappe  (Bausem),  resp.  auf  den  Herd  selbst  zu  schaffen. 
Die  Haus-  oder  Etlchenmagd,  auch  wol  die  Bäuerin  selbst,  ver- 
sucht das  durch  Begießen  zu  hindern,  wird  aber,  wenn  ihr 
dies  nicht  gelingt,  selbst  tüchtig  eingeweicht  (Friedrichshöhe  bei 
Unna,  Brockhausen  bei  Iserlohn,  Bertingloh  bei  Menden).  Dringen 
dagegen  die  Emtemägde  gegen  die  Wirtin  mit  der  Harke  bis 
zur  Heerdkappe  vor  und  vermögen  sie  namentlich  ihr  den  grü- 
nen Kranz  überzuwerfen,  so  dürfen  sie  ihr  fnü  der  Harke  das 
Haar  kämmen  (Werl  bei  Soest).  Die  Harke  wird  später  aus- 
wendig an  das  Haus  resp.  über  die  Haustür  gehängt 
(Friedrichshöhe,  Froendenberg  bei  Unna).  Das  Erntefest  (Har- 
kelmeifest,  den  Hackelmei  verzehren)  folgt  dann  sogleich  zu 
Martini  oder  gegen  das  Frühjahr;  von  allem  Letzten  aber,  was 
auf  die  Neige  geht,  hat  man  die  Redensart  „Jetzt  geht's  auf  den 
JHakelmei"  (Werl). 

Noch  ist  zu  bemerken,  daß  der  Harkelmei  in  sehr  vielen 
Fällen  mit  dem  Herhsthahn  oder  Emtehahn  vermischt  oder  ver- 
bunden ist.  Auf  dem  Harkelmeiwagen  wird  nämlich  nicht  sel- 
ten statt  des  Harkelmeibaums  ein  aus  Holz  oder  aus  buntem 
Papier  gefertigter  oder  ein  lebender  Hahn  mitgeftthrt,  der  mei- 
stens ii^  oder  auf  dem  Erntekranz  befestigt  ist  (Soest,  Bergehi, 
Schwefe  Kr.  Soest;  Schmallenberg  Kr.  Meschede)  oder  auf  dem 
grünen  Hackelmaibusch  seinen  Sitz  hat  (Velmede  Kr. 
Meschede);  ja  dieser  grüne  Zweig  selbst  heißt  Bauhahn  d.i. 
Emtehahn  v.  Bau,  Baut  alts.  bewod  Ernte  (Sproekhövel  Kr.  Ha- 
gen; Witten  Ei.  Bochum).  Ebenso  wird  das  Hackelmeifest  als 
Bauthahn  oder  Stoppelhahn  bezeichnet,  man  sagt  „es  wird  der 
Baudehahne  verzehrt^'  (Herringen  Kr.  Hamm;  Brackel  Kr.  Dort- 
mund) und  vielerorts  fehlt  unter  den  Gerichten  der  Emtemahl- 
zeit  ein  Hahn  nicht  (Lünem,  Unna,  Kerßebühren  Kr.  Hamm; 
Schwefe  Kr.  Soest). 

Auch  ohne  den  Namen  Harkelmai  bleibt  die  Form  der  Sitte 
in  der  nähern  Umgebung  des  beschriebenen  Gebiets  zunächst 
sehr  ähnlich.     Im  Münsterlande  sind  es  bald  Birkenbttsche ,  die 


ErntemaL  199 

man  auf  dem ^ Fader  heimfährt,  uid  über  der  NiendOr  aufsteckt 
(z  B.  Heiden  bei  Borken) ,  bald  setzt  man  auf  das  letzte  Ernte- 
fader nach  Einheimsung  aUer  Arten  Feldfrucht  einen  Nußbaum- 
Strauch,  der  voll  von  Nüssen  hängt,  oder  irgend  einen 
Baumzweig,  an  den  Nüsse  und  kleine  Bündel  von  jeder 
Getreidesorte  (Roggen,'  Weizen,  Hafer,  Gerste,  Erbsen, 
Wicken)  gebunden  sind.  Zuweilen  heißt  dieser  Nußbaum- 
ast Stoppelhahn  (Gegend  von  Darfeld  und  Nordwalde).  So 
nehmen  auch  im  Bgbz.  Trier  Kr.  Bemkastel  die  Schnitter  einen 
ästigen  Tannenbaum  mit  aufs  Feld,  binden  nach  beendigtem 
Komschnitt  Blumen,  Streifen  färbigen  Papiers  und  Aeh- 
ren  verschiedener  Fruchtarten  daran,  dann  tragen  sie  ihn 
anter  Gesang,  wobei  sie  oft  die  Hähne  nachahmen,  bis  ans 
Herrenhaus.  Die  Ntlsse ,  die  Symbole  der  Fruchtbarkeit  (s.  o. 
S.  184)  und  das  Anbinden  von  Halmen  aller  Fruchtarten  erhärten 
und  erweitem  unsere  vorherige  Behauptung  dahin,  daß  der  Har- 
kelmaibaum  die  gesammte  Vegetation  der  angebauten  Feldflur  in 
einer  sinnbildlichen  Gestalt  zusammenfassen  sollte. 

Im  allgemeinen  nimmt  unsere  Sitte  im  Rheinlande  in  Bezug 
aaf  mehrere  Stücke  jedoch  eine  etwas  andere  Gestalt  an.  Der 
„Mai,^^  „Maistrauß,"  eine  Tanne  oder  ein  dichtbelaubter  arms- 
dicker Ast  von  Eiche,  Buche,  Birke  oder  Weide,  zuweilen  auch 
Ssohe  (Bedburdyk  Kr.  Grevenbroich)  wird  nicht  in  das  Ackerfeld 
eingegraben,  sondern  in  die  letzte  während  der  Weizenemte 
gebundene  und  durch  Größe  wie  Blumenschmuck  ausgezeichnete 
Garbe  gesteckt.  Man  sagt  daher  „den  Maien  binden"  statt  die 
letzte  Garbe  binden.  Sie  findet  auf  der  Spitze  eines  zum  Trock- 
nen aufgesetzten  Haufens  Platz,  um  den  Schnitter  und  Binderin- 
nen jauchzend  herumspringen  und  tanzen  (Nörvenick  Kr.  Düren; 
Brttl  Kr.  Mühlheim  a.  Rh.).  Dieser  Haufen  wird  ipit  besonderer 
Feierlichkeit  jedesmal  zuletzt  in  die  Scheune  gebracht  (Weiden 
Kr.  Köln;  Sechtum  Kr.  Bonn).  Dann  prangt  auf  dem  letzten 
Wagen  ein  ähnlicher,  oder  derselbe  Maistrauß  und  man  sagt:  * 
„der  mei  wiet  enngefahre."  Häufig  aber  wird  erst  beim  „Maien- 
einfahren" der  Baum  herzugebracht  und  ausgeschmückt.  Cliarac- 
teristisch  fwr  den  Act  des  Aufsteckens  ist  ein  lautes  Jauchzen 
oder  Jüchen  von  Seiten  der  Emtearbeiter  (vgl.  das  Juchfoder  auf 
Fehmam  S.  191).  Die  Ausrüstung  des  Maien  besteht  meisten- 
teils aus  bunten  Bändern,   Tüchern  und  noch  andern  Zutaten. 


900  EMfiUl  UL    Btamaede  ab  TcseiatioMdimn: 

In  Kfinkom  Kr.  Erkeleu  Bgln.  Ajusben,  wiid  W  der  Flad»- 
ifMe  anf  den  letztai  Karrrai  resp.  in  das  Feld  ein  Hai  gesteckt, 
der  mU  fofügm  Bändern^  Bingen,  Nadeln  und  üeinem  Baek- 
werk  behangen  ist  Aach  der  letzte  Wagen  der  Winterfrneht 
ist  mü  einem  grünen  Zweige  besetzt,  an  den  Binder,  TOdier 
Schurzen,  Fähnchen  von  bontem  Piqiier  n.  dgL  (Pesch,  Hnne- 
laA,  Letzerath  n.  s.  w.  Kr.  Erkelenz;  Spenrath  Kr.  Greyenbroieh; 
Bddingen  Kr.  Jfilich;  Glidin,  Karst  Kr.  Neos;  Oberpleis  Kr.  Si^; 
Kr.  Mettmann;  Kr.  Gladbach;  Kr.  Grerenbroich;  Be^  Kr.  Dfl- 
ren; Mahlten  Kr.  K9bi)  oder  Blnmen,  Bänder,  Taschen- 
tttcher,  Tabacksrollen  nnd  Paqnete  (Berknm  Kr.  Bonn), 
zuweilen  auch  Eüwaaren  vom  Gonditor  (Erkelenz  Kr.  Erke- 
lenz), mitunter  sogar  Bierhrüge  (Langenbei^g  ^.  Mettmann)  befe- 
stigt smd.  Diese  schönen  Sachen  werden  als  Geschenke  den 
Emtearbeitem  za  Teil,  wenn  sie  den  Hof  erreidit  haben.  Von 
ihnen  erhielt  der  grfine  Zweig  den  Namen  „der  honte  Maie^ 
(Birgden  Kr.  Geilenkirchen).  Eine  unzweifelhaft  sehr  alte  Form 
der  Sitte  hat  sich  in  Kamp  bei  Menrs  erhalten.  Wird  der  letzte 
weifte  Halm  (so  bezeichnet  man  alle  reifen  HalmMchte  mit  £m- 
schlnft  des  Hafers)  eingebracht ,  so  richtet  man  ein  Bäumeken  in 
der  Weise  eUy  daß  es  einem  Menschen,  resp,  einer  Puppe  sehr 
ähnlich  sieht,  schmttckt  es  mit  Blnmen  nnd  Bändern  nnd  führt 
es  anf  dem  letzten  Erntewagen  heim  (ygL  o.  S.  156  n.  o.  S.  158. 
Das  „Maienfnder^^  ist  gewöhnlich  sehr  hoch  geladen  nnd  wird 
Mindestens  von  vier  bis  sechs  Pferden,  oft  von  acht,  oder  viel- 
mehr von  sämmütchen  Pferden  gezogen,  wdche  die  Wirtschaft 
aufzuweisen  hat  (allgemein  Kreis  Grevenbroich ;  Kr.  Jülich ;  Wei- 
den Kr.  Köln;  Bnir  Kr.  Bei^heim;  Sechtnm  Kr.  Bonn),  selbst 
dann  wenn  ihrer  zwanzig  Rosse  sein  sollten  (Krabe  Kr.  Jülich). 
Der  Wagen  sowohl,  als  die  Pferde  sind  ebenfalls  mit  Laub  nnd 
bnnten  Bändern  gezibrt.  Um  den  bnnten  Maien  herum  sitzen  auf 
dem  Wagen  die  Mägde  ^  die  das  Getreide  gebunden  haben;  eine 
Küchenmagd  (Bi^m^s)  reitet  das  vorderste  Pferd,  Hinter  dem 
Wagen  geht  der  erste  Schnitter  nnd  trägt  das  Faß,  in  welchem 
sich  das  sogenannte  Benbier  befand  (Kr.  Dttren;  Ej*.  Erkelenz; 
Kr.  Grevenbroich;  Sechtnm  Kr.  Bonn;  Bergheim  Kr.  Bergheim; 
Malnten  Kr.  Köhi).  Oder  die  Mägde  übernehmen  gänzlich 
das  Fahren,  nachdem  sie  den  Knechten  tüchtig  in  Bier  nnd 
Brantwein   Bescheid  getan  haben.     Bei  der  Abfahrt  nach  dem 


Erntemai.  201 

Felde,  am  die  letzte  Karre  Fracht  za  holen,  besteigt  ein  Teil 
Ton  ihnen  die  mit  Blnmen  and  grünen  Beisem  geschmückten 
Pferde.  Sie  ziehen  za  diesem  Behufe  zar  Hälfte  Mannskleidong 
(Hat  and  blaae  Kittel)  an.  Aaf  der  Karre  selbst  befinden  sich 
die  Männer  trinkend  and  singend,  oder  das  übrige  Dienstper- 
sonal beider  Geschlechter,  womöglich  mit  1  —  2  Masikapten.  Der 
Arbeiter,  welcher  das  Getreide  aaf  den  Wagen  hinaaf reichte, 
trägt  seine  Gabel  hoch  emporgerichtet  and  an  dieser  einen  Krag 
Brantwein  hangend.  Im  Kreise  Saarloais  wird  bei  Been- 
digung der  Kartoffelernte,  wenn  man  den  letzten  Sack  vom 
Felde  holt,  ein  Arbeiter  als  Weib  verkleidet,  er  faßt 
einen  mit  banten  Papierschnitzeln  behangenen  Tannen- 
baum mit  der  Hand  and  setzt  sich  aaf  eins  der  Piferde;  die 
übrigen  Arbeiter  nehmen  aaf  dem  Wagen  Platz  and  krähen 
aus  Yollem  Halse.  Aach  im  benachbarten  Kr.  Bemkastel  wird 
der  Baam  in  der  Hand  getragen  und  der  Hahnkrat  nachge- 
ahmt (o.  S.  199).  Spielen  hier  die  Fraaen  eine  active  Rolle, 
wenn  schon  eine  andere  als  in  Westfalen,  so  anderswo  eine  ans 
schon  ans  den  Frtthlingsgebräuchen  bekannte  passive.  Fährt  in 
Wankam  Kr.  Geldern  der  Knecht  die  letzte  Karre  Flachs  zar 
Wiese,  aaf  der  geröstet  wird,  so  schmückt  er  dieselbe 
mit  einem  grünen  Bnsch,  außerdem  aber  überreicht  er 
auch  jedem  Mädchen  resp.  jeder  Frau  einen  grünen 
Zweig. ^  Seltener  als  in  Westfalen  taucht  die  Erinnerung  an 
den  Emtehahn  auf.  Zwei  Beispiele  aus  dem  Südwesten  des 
Rheinlandes  (Kr.  Bemkastel  und  Saarlouis  Regbz.  Trier)  sind 
soeben  u.  S.  199  namhaft;  gemacht,  im  Nordosten  wird  die 
letzte  mit  grünem  Eichenzweig  gezierte  vierfach  dicke  Roggen- 
garbe der  Herrschaft  mit  den  Worten:  „hier  ist  der  Hahn," 
„der  Bauhahn"  ins  Haus  gebracht  (Httnxe  a.  d.  untern  Lippe, 
Brttnen  Kr.  Rees,  Rgbz.  Düsseldorf).  Im  Trierschen  wird  der 
Mai  häufig  nicht  in  die  Korngarben  des  letzten  Fuders  gesteckt. 


1)  Vgl.  in  Hochfllzen  in  Tirol  schmückt  die  Oberdim  beim  Flachs- 
breoheln  einen  Tannenwipfel  mit  Aepfeln  und  buntfarbigen  Bändern  and 
stellt  ihn  nahe  der  Brechlstnbe  anf.  Ihr  Geliebter  hat  nnn  die  Pflicht  ihn 
jenen  zu  rauben ,  was  ihm  jedoch  sehr  erschwert  wird,  da  alle  Brechlerinnen 
dagegen  auf  der  Hut  stehen.  Gelingt  ihm  dennoch  sein  Wagestück  [bemäch- 
tigt er  sich  nach  S.  183  des  Lebensbaumes  seiner  Verehrten]  so  gilt  er  fortan 
als  znrerlässiger  Liebhaber.    Zingerle,  Sitten  Aufl.  2.  175, 1459. 


202  Kapitel  III.    Baumseele  als  VegetationBdämon : 

sondern  diesem  Yoranfgetragen  (ygl.  o.  S.  192  Hofingen  im 
Aargau).  Uebrigens  wird  nicht  allein  das  Getreide,  sondern  auch 
beim  Grasschnitt  der  letzte  Heuwagen  mit  dem  grflnen  bebän- 
derten Eichenaste  ausgezeichnet  (Brtinen  Kr.  Bees).  Der  Ernte- 
wagen mit  dem  Mai  nimmt  absichtlich  den  Weg  durch  das  Dorf, 
wenn  es  sein  kann,  durch  mehrere  Dörfer  (Pier  Kr.  Düren ,  Neu- 
kirchen Kr.  Grevenbroich).  Vor  dem  Hoftor  macht  er  halt,  und 
sein  Führer  knallt  so  lange  mit  der  Peitsche,  oder  stellt  sich 
als  mtlsse  er  stecken  bleiben,  bis  der  Bauer  oder  die  Bäuerin 
mit  dem  üblichen  Willkommstrunke  entgegenkommen.  Sodann 
wird  der  Mai  auf  dem  Hofe  aufgepflanzt  und  um  denselben 
getanzt,  gesprungen  und  gesungen  (Dormagen  Kr.  Neuß);  die 
Arbeiter  haschen .  nach  den  daran  angehängten  Geschenken. 
(Erkelenz,  Berkum  Kr.  Bonn;  Glehn  Kr.  Neuß.)  Ebenso  laufen 
die  Mägde ,  sobald  sie  beim  Flachsrösten  des  Mais  ansichtig  wer- 
den, jauchzend  auf  ihn  zu  und  berauben  ihn  seiner  schönen 
sieben  Sachen  (Klinkum  Kr.  Erkelenz).  Endlich  wird  der  ent^ 
leerte  Baumzweig,  „der  bunte  Maie^',  an  der  First  des  Hauses 
(Berkum  Kr.  Bonn)  oder  an  der  Wand  über  dem  Scheunen- 
tor (Bedburdyk  Kr.  Grevenbroich;  Vluge  Kr.  Geldern;  Gohr  Kr. 
Neuß)  befestigt  und  wird  dort  bis  zur  nächstjährigen 
Ernte  aufbewahrt.  (Birgden  Kr.  Geilenkirchen).  So  wird  auch 
in  Holland  der  grüne  Zweig  des  letzten  Emtefuders  (Mai)  gemein- 
hin an  das  Stallgebäude  angenagelt. 

Bheinaufwärts  im  Elsaß  und  Lothringen  treffen  wir  die  Haupt- 
formen der  niederrheinischen  Gebräuche  wieder.  Auf  den  letzten 
Erntewagen  wird  allgemein  ein  grüner  Baumzweig  gesteckt, 
ebenso  bei  der  Beendigung  des  Dreschens  (Zinsweiler)  sowie 
zum  Schluß  der  Weinlese  (in  manchen  Döriem  z.  B.  um  Schlett- 
stadt  bei  dieser  Gelegenheit  ausschließlich)  und  beim  Einbringen 
des  letzten  Heus  (Zinsweiler).  Es  ist  gröstenteils  eine  Tanne 
oder  Föhre,  zuweilen  (Zabem)  eine  Birke.  Dieser  Busoh  heißt 
der  firenmeie  (Emtemai),  wie  der  Sonntag,  an  welchem  das 
Erntefest  stattfindet,  £msonntag,  das  Festmahl  £rengans.  In 
der  Gegend  von  Metz  wird  bei  der  Heuernte,  Kornernte  und 
Weinlese  ein  ,^ Herbstmai"  gemacht.  Der  firenmei  (Herbstmei), 
häufig  mit  Blumen  zu  einem  Strauß  verbunden  (Saargemttnd, 
Finstingen),  ist  mit  bunten  Bändern  (Obersulz),  außerdem  mit 
Blumen,  Kuchen,  Würsten,  Schinken  (Gegend  v.  Straß- 


Erntemai.  208 

barg,  Schl^ttstadt,  MUhlhansen)  resp.  mit  Tranben  (Metz)  behangen. 
Sehr  häufig  wird  noch  das  Bfld  eines  Hahnes  oder  andern  Vogels 
hinzagefbgt.  Bei  Zabem  schmückt  den  letzten  Wagen  ein  Birken- 
zweig mit  roten  Bändern,  Blumen,  Würsten,  Aepfeln 
und  Birnen,  oben  auf  ein  Adler  von  rotem  Papier;  der  Zweig 
wird  schließlich  auf  dem  Giebel  der  Scheune  aufgepflanzt/ 
Um  Mühlhausen  ist  der  Emmaie  beim  Emteschlnß  eine  Tanne 
mit  Würsten ,  Eiern  und  Bretzeln  behangen ,  auf  der  Spitze  sitzt 
ein  Hahn  von  Gold-  und  Silberpapier;  bei  der  Weinlese  giebt 
es  auch  einen  Maien  mit  vielen  Trauben  und  bunten  Bändern 
geziert,  aber  ohne  Hahn.  Bei  Schlettstadt  dagegen  trägt  der 
Mai  (Tanne)  bei  der  Weinlese  einen  goldpapiemen  Adler,  zu- 
weilen auch  eine  Flasche  Botwein.  Um  Metz  wird  ein  leben- 
der Hahn  an  den  Emtestrauß  (Mai)  gebunden.  Um  Wesser- 
lingen  wird  der  auf  dem  letzten  Wagen  heimgefahrene  Baum- 
zweig nach  einem  andern  Tiere  Hase  genannt,  später  an  die 
Scheune  genagelt  und  verbleibt  da  bis  nach  vollbrachter 
Emtemahlzeit.  In  manchen  Dörfern  um  Mühlhausen  ist  der 
„Eremnaie^^  (Tanne  oder  Föhre)  auf  dem  letzten  Fruchtfuder  von 
dem  Strauß  unterschieden.  Es  knien  nämlich  alle  Schnitter  auf 
dem  Felde  nieder  und  beten  5  Vaterunser  und  den  Glauben. 
Dann  schneidet  eine  Jungfrau  die  letzten  Halme,  die  sie  mit 
Blumen  zu  dem  Strauße  verbindet,  der  auf  das  Dach  der 
Scheune  gesteckt  und  dort  bis  zum  nächsten  Jahre 
belassen  wird.  Am  Herbstsonntag  d.  h.  dem  Winzerfest 
verkleidet  sich  ein  Mann  als  Weibsbild  und  heißt  Her1)st- 
schmndl  und  ein  Weib  als  Mannsbild.  Der  verkleidete  Mann 
sitzt  auf  dem  Wagen,  der  die  letzten  Trauben  einbringt,  vorne 
und  hält  einen  großen  Maibaum  in  der  Hand;  das  Weib 
sitzt  nüt  dem  Bücken  gegen  ihn  und  trägt  einen  Korb  mit 
Blumen. 

Betreten  wir  nunmehr  das  romanische  Gebiet,  so  treten  uns 
in  Belgien  und  Frankreich  manche  alte  Bekannte  entgegen. 
Während  jedoch  gewisse  Züge,  die  in  Rheinland  oder  Westfalen 
u.  B.  w.  breiter  ausgebildet  sind,  hier  nur  vereinzelt  vorkommen, 
sind  andere,  welche  dort  seltener  aufstoßen,  zu  größerer  Entfaltung 
gelangt.  An  die  rheinländische  Sitte  rührt  z.  B.  der  normannische 
Brauch  in  St.  Martin  de  Gaillard,  Seine  infSrieurc.  Die  letzte 
Garbe  (la  gerbe  de  la  mattresse)  wird  von  dem  Gutsherrn  selber 


204  Kapitel  in.    Baumseele  als  Yegetationsdämon : 

gebondeiiy  gleich  der  ersten  Garbe  größer  als  alle  andere  gemacht» 
mit  Blumen  und  Bändern  geschmtlckt  und  auf  den  letzten  Wagen 
gesetzt,  wo  sie  von  der  Bourgeoise  selbst  gehalten  wird.  In  der 
gerbe  de  la  mattresse,  steht  ein  Kreuz  von  grünen  Baumzweigen 
(croix  de  la  moisson)  und  außerdem  ist  auf  den  Wagen  ein  grüner 
Baumzweig  gepflanzt  (brauche  de  la  hioisson).  Der  Bauer 
spannt  vor  diesen  Wagen  alle  seine  Pferde  (6  —  7), 
die  mit  Bändern  und  Blumen  geschmückt  sind  (vgl.  o.  S.  200). 
Wie  im  Bheinlande  und  Elsaß  ist  das  Bouquet  de  la  moisson 
zuweilen  mit  Eßwaaren  geschmückt.  In  Latour  du  Pin  (Isere 
Departement,  Dauphin^)  wird  auf  den  letzten  Wagen  ein  Lorbeer 
oder  womöglich  Stechpalmenzweig  (boux)  mit  Bändern  und 
Kucken  behangen  heimgeftihrt ;  er  bleibt  in  der  Scheuer  für  die 
Hatten.  In  der  Bretagne  (Gregend  von  Bennes)  formt  man  beim 
Emtebeginn  einige  Aehren  zu  einem  Strauß  in  Gestalt  eines 
Kreuzes;  dieser  Strauß  wird  über  der  Tür  der  Scheune 
befestigt  und  bleibt  da  das  ganze  Jahr;  beim  Emte- 
schluß  nimmt  man  einen  grünen  Aßt,  der  sich  in  drei  Zweige 
' spaltet,  behängt  ihn  mit  den  schönsten  Äepfeln,  die  man  hat, 
fügt  künstliche  Blumen  hinzu  und  bildet  so  ein  Bouquet,  das  man 
auf  dem  letzten  Fuder  einführt  Ganz  ähnlich  geschieht  es  in 
der  Gegend  von  Montauban  (Guyenne).  Wenn  die  Ernte  eröffnet 
wird,  schneidet  der  Aelteste  die  ersten  Hahne  und  macht  von 
Aehren,  Buchsbaum  und  künstlichen  Blumen  einen  Strauß,  dessen 
Stiel  von  Binsen  zusammengehalten  sich  in  drei  Zweige  verästelt 
Dieser  Strauß  wird  dem  Gutseigentümer  überbracht,  der  ihm 
unter  dem  Bauch  fang  (sous  la  chemin^e)  seine  Stelle  giebt 
Ist  die  Ernte  beendigt,  so  wird  von  allen  Arbeitern  ein  neuer 
Strauß  überreicht,  so  groß,  daß  ein  Stock  als  Stiel  dient  Dieses 
Bouquet  bekommt  seinen  Platz  auf  demjenigen  Schober  (meule 
de  bie),  der  zuletzt  gedroschen  werden  soll.  —  Eine  eigentüm- 
liche Ausschmückung  findet  zuweilen  in  der  Bourgogne  statt. 
In  der  Gegend  von  Auxerre  steht  auf  dem  letzten  Wagen  ein 
Eichenzweig,  den  man  mit  Mäusen  und  Maulwürfen,  soviel 
man  deren  bekommen  kann,  beschwert  und  über  der  Pforte  des 
Hoftors  anbringt.  Weit  gewöhnlicher,  als  in  Deutschland  (s.  o. 
S.  200  ff.) ,  begegnet  in  Frankreich  die  Ausriistung  des  Zweiges  mit 
einer  oder  mehreren  Fleuchen  Getränk,  Bei  St  Quentin  (Picardie) 
ist  der  Mai  auf  dem  letzten  Wagen  ein  an  den  Aesten  mit 


Erntemai.  205 

A ehren  und  Blumen  geschmückter  und  teilweise  mit  vollen 
Weinflaschen  beschwerter  Baumzweig.  Im  D^p.  du  Jura  (Franche 
Comt^)  setzt  man  einen  Ast  vom  Kirschbaum  (cerisier),  geschmUckt 
mit  Blumen  und  bunten  Bändern  und  behängt  mit  4  Flaschen 
Wein  auf  das  letzte  Fuder.  Bei  Nancy  macht  man  fttr  die  letzte 
Fuhre  einen  Strauß  von  Rosen,  steckt  einen  grünen  Zweig  hinein 
und  fllgt  im  Vorderteile  des  Wagens  soviel  Flaschen  Wein  hinzu, 
als  Arbeiter  da  sind.  Das  Bouquet  wird  bei  der  Heimkunft  aufs 
Dach  des  Hauses  gepflanzt.  Im  Nivemais  knüpft  man  an  einen 
Baumzweig  (meist  Eiche)  farbige  Bäi^der,  Aehren,  Rosen  und 
andere  Blumen  und  bindet  eine  Flasche  Wein  daran.  Die  Tochter 
des  Hauses  selbst  hebt  diesen  Strauß  (le  bouquet  de  la  poil^e) 
vom  Wagen  und  schenkt  ihn  als  Auszeichnung  wem  sie  will,  oder 
das  Bouquet  wird  über  der  Pforte  der  Scheune  aufgehängt.  In 
anderen  Communen  derselben  Landschaft  pflanzt  man  in  die  vom 
Patron  der  Farm  selbst  gefertigte  und  größer  als  4  andere  ge- 
machte letzte  Garbe  (la  gerbe  ä  la  galette)  ein  Kreuz  bestehend 
aus  zwei  armsdicken  noch  belaubten  Eichenästen.  Auf  der  Spitze 
und  an  jedem  Arme  des  Kreuzes  ist  eine  Flasche  Wein  befestigt. 
Auch  das  vorderste  der  drei  Pferde  vor  dem  letzten  Wagen  trägt 
an  jeder  Seite  des  Kopfes  eine  Flasche  Wein  und  auf  dem  Kopfe 
auch  eine  nebst  einem  Baumzweige.  Höchst  beachtenswert  ist 
die  Sitte  in  La  Palisse  (D6p.  de  TAllier,  Bourbonnais).  An  die  im 
letzten  Getreidefuder  aufgepflanzte  Tanne  hängt  man  mehrere 
Boufeillen  Wein  und  an  die  Spitee  einen  Mawn  aus  Brodteig. 
Baum  und  Brodmann  werden  auf  die  Mairie  gebracht  und  hier 
his  zur  Beendigung  der  Weinlese  bewahrt.  Dann  veranstaltet 
man  das  allgemeine  Fest  des  Emieschlusses ,  wobei  der  Maire 
den  Kerl  zerstuckt  und  unter  das  Volk  zum  Essen  verteilt  Sehr 
häufig  gehört,  wie  in  Westfalen,  die  Anhindung  mehrerer  Aehren 
zum  Schmucke  des  •  Emtezweiges.  In  einigen  Gemeinden  des 
Bourbonnais  ist  es  ein  ganzer  Rosenstock  (rosier  d'aoüt),  der  mit 
den  Wurzeln  ausgegraben,  mit  Aehren  und  Blumen  ausgeschmückt 
und  dem  Herrn  überbracht  wird,  der  ihn  ein  Jahr  hindurch  auf- 
bewahrt. Im  Orl^annais  (Loiret)  wird  ein  Lorbeer  mit  Aehren, 
Blumen  und  Bändern  ausgeputzt,  auf  der  letzten  Fuhre  einge- 
fahren und  an  der  Spitze  des  Scheunendaches  angebracht;  oder 
man  macht  die  letzte  Garbe  jeder  Fmchtart  sehr  dick  (la  gerbe 
grosse)  und  steckt  einen  grünen  Lorbeerzweig  hinein,  an  den 


206  Kapitel  III.    Banmseele  als  Vegetattonsd&mon : 

Frachthalme  und  künstliche  Blumen  der  Art  angebunden  sind, 
daß  sie  mit  ihm  ein  Kreuz  bilden.  Vom  letzten  Wagen  herab- 
genommen kommt  dieser  StrauB  auf  die  Spitze  des  Garben- 
haufens (gerbier)  zu  stehen,  wo  er  bleibt ,  bis  die  Einbringung 
aller  Fruchtarten  geschehen  ist  (Loire  et  Cher,  Romorantin).  Auch 
in  der  Bourgogne  (D^p.  de  la  Yonne  und  D^p.  de  VAin)  ist  es  yiel- 
fach  ein  mit  farbigen  Bändern,  Blumen  und  Komhalmen  gezierter 
Lorbeerast. 

Auch  in  Frankreich  läßt  sich  vielfach  eine  enge  Zusammen- 
gehörigkeit des  Emtezweiges  mit  dem  Emtehahn  beobachten. 
Um  Clermont  (Auvergne)  tödtet  man  eine  Henne  (oder  Ente)  und 
bindet  sie  an  den  Wipfel  des  Baumastes,  der  das  letzte  Fuder 
ziert.  In  der  Gegend  von  Lyon  bindet  man  einen  Hahn  (oder 
eine  Taube)  an  die  Tanne,  oder  den  Lorbeer  auf  dem  letzten 
Wagen;  zu  Hause  tödtet  man  das  Tier,  der  Baum  wird  vor  der 
Farm  oder  Scheuer  aufgesteckt  und  bleibt  da  das  ganze  Jahr. 
In  der  Commune  Orthez  unweit  Pau  erhält  die  letzte  Garbe  ein 
Kreuz  von  Stroh,  dessen  Spitze  eine  Blumenkrone  ziert  Der 
Patron  selbst  hebt  sie  auf  den  letzten  Wagen  und  stellt  neben 
sie  einen  mit  Bändern  und  Blumen  behangenen  Eichenzweig. 
Beides  Garbe  und  Zweig  werden  auf  den  Kornboden  gesteckt 
und  yerbleiben  da,  bis  sie  beim  Ausdrusch  des  letzten  Kornes 
auf  die  Dreschdiele  geholt  werden.  Hier  stellt  man  den  Eichenast 
in  der  Mitte  auf  und  bindet  eine  kalekutische  Henne  daran,  lebend, 
jedoch  so,  daß  ihr  Kopf  nach  unten  hängt.  Ist  alles  abgedroschen, 
so  tödtet  man  sie  zur  Abendmahlzeit.  In  Isle  de  France  steht 
auf  dem  Fuder,  das  derjenige  Arbeiter  fahren  darf,  der  keinen 
Erntewagen  umwarf,  der  geschmückte  Emtezweig  (bouquet  de  la 
moisson)  und  neben  ihm  sitzt  eine  Person,  die  einen  lebendigen 
Hahn  in  der  Hand  hält,  den  man  beim  Festmahl  verzehrt;  oder 
ein  eben  getödteter  Hahn  hängt  an  einem.  Stocke  inmitten  des 
Fuders  (Laon).  Bei  Mezi^res  (Champagne)  trägt  das  letzte  iTeu- 
fuder  das  Bouquet  aus  einem  Gartenbaum  mit  grünen  Zweigen 
und  Bändern  gebildet,  zu  jeder  Seite  ein  Hahn  und  eine 
Flasche  Wein.  Wer  vom  ganzen  Dorfe  in  der  Gegend  von 
Lüttich  zuerst  mit  der  Ernte  fertig  wird,  bringt  auf  der  Spitze 
des  letzten  Wagens  einen  bebänderten  jungen  Baum  im  Triumpf 
zur  Farm.  Das  nennt  man  „poirter  l'maie^'  (porter  le  mai)  oder 
„fer  Tcoq"  (faire  le  coq). 


/ 


'         Erntefmai.  207 

Sehr  häafigwird  das  Bouquet  de  la  moisson  in 
die  letzte  6arbe  hineingesteckt  (vgl.  o.  S.  199).  Bei  Cher- 
bonrg  (Normandie)  heißt  dieselbe  la  gerbe  flenne^  weil  die  darin 
aufgepflanzte  Tanne  mit  Bändern  und  Blumen  geputzt  ist.  In 
G6te  du  Nord  (Bretagne)  wird  ein  Lorbeer  oder  grüner  Eichen- 
zweig in  der  letzten  Garbe  (la  gerbe  de  la  flauere)  dem  Patron 
gebracht;  den  Eichenzweig  verwahrt  man  im  Hause  bis  zum 
Dreschen  (Ble  et  Vilaine).  Im  D^p.  de  lä  Yonne  (Bourgogne)  steckt 
Nußbaum  oder  Eiche  mit  Blumen  in  der  grosse  gerbe,  bei  Macon 
(Saöne  et  Loire)  Lorbeer  mit  3  —  4  Bändern;  im  Franche  Comt^ 
in  der  letzten  Oarbe  (la  gerbe  de  la  passion)  ein  geweihtes  Holz- 
kreuz und  daneben  ein  mit  Blumen  bewundener  Lorbeerzweig; 
bei  Besan^on  Lorbeer,  Buche  (hStre)  oder  Tanne.  Im  Canton  de 
Tillot  (D^p.  des  Vosges)  sitzt  der  Bauerwirt  selbst  auf  dem  letzten 
Wagen  neben  der  mit  dem  geschmückten  Baumzweige  ausge- 
rüsteten Garbe;  den  Zweig  stellt  er  auf  die  Tafel  des 
Festmahls  und  besprengt  seine  Leute  und  Kinder 
unter  dieses  ausdrückender  Anrede  mit  Wein.  Im 
Angonmais  wird  die  letzte  Garbe  mit  Lorbeerzweig  auf  den 
Schober  gestellt;  ebenso  im  D^p.  de  la  Dordogne  in  Guyenne,  wäh- 
rend die  mir  zugänglichen  Zeugen  aus  der  Gironde  einen  bloßen 
Blumenstrauß ,  aus  Aveyron  gar  kein  Bouquet  bekundeten. 

Unter  den  Bäumen^  welche  für  das  Bouquet  de  la  moisson 
zur  Verwendung  kommen,  nimmt  den  ersten  Platz  der  Lorbeer 
ein,  sodann  Tanne  und  Eiche,  aber  auch  andere  Bäume  kann  ich 
belegen  und  zwar  Bosenbaum  (Champagne,  Bourbonnais),  Kirsche 
(Franche  Comt^),  Nußbaum  (D^p.  de  la  Yonne,  Bourgogne),  Ka- 
stanie (Touraine),  Weide  (Lyonnais),  Buche  (Franche  Comt^), 
Pq)pel  (auf  dem  letzten  Heuwagen  in  ]^pinal;  auf  1.  Komfuder 
Montpellier  Langued'oc),  Erle  (a.  Heuwagen  fepinal),  Dom  (a. 
Heuwagen,  l^pinal),  Bnchsbaum  (Guyenne,  Limousin,  Basses 
Alpes,  Provence),  Stechpalme  (D^p.  de  llsere),  Ahorn  (may  de 
la  moisson,  schmucklos  Gegend  v.  Oambray;  Brie  Isle  de  France). 
Wie  vielfach  in  Deutschland  der  Träger  der  letzten  Garbe,  wird 
auch  in  Frankreich  häufig  der  letzte  Erntewagen  beim  Eintritt 
in  die  Scheune  mit  einem  Wasserguß  überschüttet  (z.  B.  Franche 
Comt^).  Auch  englische  Landschaften  haben  die  Anwendung  des 
Haibanms  bei '  der  Ernte  bewahrt.  Eine  Dame  schilderte  im 
Jahre  1826  in  einer  Zuschrift  an  W.  Hone  (Every  day  book  1866 


206  Kapitel  III.    Banrnseele  als  Vegetaüonsd&moii. 

n,  578)  nach  ihrem  Tagebuch  was  sie  im.  September  1824  aof 
einer  Heise  zu  Hawksbnry  auf  dem  Cotswold  in  Gloacester  beob- 
achtete :  yyAß  vre  approached  the  isolated  hamlet,  we  were  aware 
of  a  Maypole,  and  as  we  drew  near,  saw  that  it  was  deco- 
rated  with  ilowers  and  ribands  flattering  in  the  evening  breeze. 
Under  it  stood  a  waggon  with  its  Aill  complements  of  men,  wo- 
men ,  children ,  flowers  and  com^  and  a  handsome  team  of  horses 
tranqnilly  enjoying  tiieir  share  of  the  finery  and  reyelrj  of  the 
scene;  for  scarlet  bows  and  sunflowers  had  been  lavished  on  their 
Winkers  with  no  niggard  band.  On  the  first  horse  sat  a 
dam  sei,  no  donbt  intending  to  represent  Ceres;  she  had  on  of 
course  a  white  dress  and  straw  bonnet;  for  coald  Ceres  or  any 
other  goddess  appear  in  a  mral  English  festival  in  any  other 
costame?  A  broad  yellow  sash  encompassed  a  wsust^  that  evinced 
a  glorious  and  enormous  contempt  for  classical  proportion  and 
modern  folly  in  its  elaborate  dimensions/'  Das  ist  wieder  ganz 
übereinstimmend  mit  der  rheinländischen  Sitte  (o.  S.  200).  Schließ- 
lich kann  ich  auch  noch  lettischen  Brauch  namhaft  machen.  Ist 
das  letzte  Heufuder  aufgeladen^  so  wird  eine  y,Maie  mit  Blättern^' 
in  die  Wiese  (zumeist  an  der  Stelle,  wo  der  letzte  Heuhaufen 
stand)  gesteckt ,  damit  im  nächsten  Jahre  das  Gras  gut  wachse. 
Nach  Beendigung  des  Zeugenverhöres  halten  wir  über  die 
Ergebnisse  desselben  eine  kurze  Rückschau.  Es  kann  den  Tat- 
sachen gegenüber  niemandem  einfallen  zu  zweifeln,  daß  der  Mai- 
hawM  im  Frühling  und  der  Erntemai  im  Hochsommer  zusammen- 
gehören, eine  und  dieselbe  Idee  ausdrücken,  eine  und  dieselbe 
mythische  Gestalt  sind.  Das  beweist  schon  der  Name  „Mai^^  fiir 
den  letztem,  ebensosehr  aber  die  Uebereinstimmung  in  den  an 
beide  geknüpften  Gebräuchen.  Beide  werden  umtanzt;  Eßwaaren, 
Bänder,  Tücher  und  andere  Geschenke  werden  an  beide  gebun- 
den; auch  Weinflaschen,  Rosoliflaschen ,  Bierkrüge  u.  dgl.  fehlen 
als  Schmuck  weder  dem  Maibaum  (Jura,  Lechrain  o.  S.  169), 
noch  dem  Emtemai  (Westfalen ,  Frankreich  S.  200. 203,  205).  Der 
Haibaum  war  mit  Guirlanden  spiralförmig  umwunden  (woher  in 
Deutschland  und  England  Bemalung  in  schlangenfönniger  Um- 
windung  rührte);  auf  seinen  Aesten  hing  ein  Kranz;  nur  der 
Wipfel  blieb  belaubt,  die  untern  Aeste  waren  gekappt;  auch 
der  Hackelmai  ist  im  Kreise  Hamm  unterhalb  der  Krone  der 
Zweige^  beraubt  (o.  S.  195)  und  hie  und  da  schmückt  auch  noch 


Entemai.  S09 

der  Kranz  seine  Aeste  (S.  195.  197).  Die  Gaben  des  Maibaums 
(mit  diesem  Aosdrncke  wollen  wir  fortan  zur  Unterscheidung 
xcff'  ^^oxt}v  den  Frtthlingsbaum ,  gleichviel  ob  er  zu  Lätare, 
Fastnacht y  Maitag  oder  Pfingsten  aufgerichtet  wird,  bezeichnen) 
werden  erklettert,  die  des  Emtemai  gemeinhin  ausgeteilt,  oder 
durch  Wettlauf  gewönnen ;  das  ist  der  ganze,  teilweise  aus  prak- 
tischen Rücksichten  hervorgegangene  Unterschied.  Auch  dieser 
Unterschied  gleicht  sich  aus,  wenn  wir  zuweilen  auch  nach  dem 
Maibusch  emen  Wettlauf  angestellt  (S.  Kuhn,  Nordd.  Sag.  380,  57. 
cf.  53  —  61),  oder  den  Emtemai  erklettert  sehen.  Die  Aus- 
schmückung des  Emtemai's  durch  bunte  Bänder  und  an  die 
Zweige  geknüpfte  emzelne  Aehren  oder  Halmbüschel  (S.  193  ff. 
205)  findet  beim  Maibaum  ein  Seitenstflck  im  arbor  majalis 
non  paucis  taeuiis  omata  annexis  trilms  frumenti  spicis  zu  Lucca 
(o.  S.  Hl).*    Hiezu    stimmt  auf  das  beste  die  savoyische  Sitte 


1)  Grade  diese  Fonn  der  Sitte  ist  sehr  altertftmlich  und  wolbegrfindet, 
insofern  drei  Aehren  vielfach  die  sonst  besonders  ansgezeichnete  erste,  oder 
leiste  Garbe  der  Ernte  vertreten.  Drei  stehende  Halme  band  die  Fran  von 
Donnersberg  zu  Oberigling  (Oberbaiem)  auf  jedem  Felde,  wo  Roggeh,  Weizen 
oder  Fesen  geschnitten  werden  sollte,  unter  den  Aehren  zusammen  und  sagte, 
das  gebore  den  (mythischen)  drei  Jungfrauen  auf  dem  Jungfembüchel,  oder 
sie  ließ  drei  mit  weißen  Seidenßlden  gebundene  Kornähren  durch  ein  Kind 
unter  7  Jahren  hinlegen.  Panzer  I,  60,  66.  Drei  Aehren  wirft  man,  bevor 
die  erste  Fuhre  vom  Felde  abgeht,  in  üieOendes  Wasser  oder  Ofenfener;  drei 
Halme  läßt  man  hernach  fQr  den  OswaJdn  auf  dem  Acker  unabgeroäht  stehen 
(Niederaltaich  a.  d.  Donau ;  Panzer  II,  213,  385).  Drei  Aehren  oben  in  einen 
Knoten  verschlungen,  zuweilen  mit  Kränzchen  aus  allen  Blumen  zusammen- 
gebunden, ja  sogar  mit  einem  Brock chen  Brod  oder  einer  Nudel  besteckt, 
bleiben  auch  in  Niederbaiem,  Mittelfranken  und  Schwaben  f&r  den  Aswald 
(Panzer  II,  215,  389.  216,  393.  214,  387.  21ö,  389).  In  Oberrottal  in  Ober- 
baiem werden  beim  Schneiden  die  letzten  drei  Halme  an  einen  Stock 
geknüpft  nnd  in  einen  Strauß  Blumen  gesteckt,  dazu  beten  alle  mit- 
sammt  drei  Vaterunser.  Wenn  in  der  Gegend  von  Schlettstadt  ( Elsaß ) 
beim  Heumähen  jemand  unsauber  gearbeitet  hat,  knftpfen  ihm  zum  Spott  die 
andern  Mäher  drei  Grashalme  oben  in  einem  Knoten  zusammen, 
lassen  sie  stehen  und  nennen  das  einen  Zopf.  Wenn  die  Ernte  beginnt, 
schneidet  der  Bauer  drei  Aehren,  legt  sie  übers  Kreuz  auf  den  Acker  und 
nagelt  sie  nach  Beschluß  der  ganzen  Ernte  an  die  Haustür 
(Oberpfalz.  Panzer  U,  216,  391).  Am  ersten  Tage  der  Weizenemte  flicht 
in  Karst  Kr.  NeuU  Bgbz.  Düsseldorf  jede  Binderin  drei  Aehren  zusammen, 
und  Überreicht  sie  dem  Gutsherrn  im  Namen  der  h.  Dreifaltigkeit.  Man  steckt 
drei  Kornähren  über  den  Spiegel,  um  eine  reiche  Ernte  zu  erzielen  (Wetterao, 

Mannhardt.  14 


910  Kapitel  III.    Baumseele  als  Vegetationsdämon : 

aus  der  Gegend  von  St.  Eustache  bei  Aimecy;  von  der  ersten 
Handvoll  Getreide,  welche  währaid  der  Ernte  geschnitten  wird, 
soviele  Halme  mit  den  Aehren  aufzubewahren  ^  als  man  f^elder 
im  nächsten  Jahre  zu  besäen  hat  Am  ersten  Mai  schneidet  man 
ebensoviele  Holünderschößlinge ,  und  zwar  die  jüngsten  Triebe 
des  Baumes,  läßt  sie  am  3.  Mai  kirchlich  weihen,  bindet  an  diese 
Zweige  jene  Fruchthalme  an  und  pflanzt  sie  ins  Saatfeld.  Wie 
die  schwedische  Johannisstange  und  der  russische  Semikbaum 
ncich  Art  einer  MenschengesUxU  aufgeptdat  wird  (o.  S.  157),  der 
Leto  den  Genius  der  Vegetation  in  Form  einer  Puppe  zwischen 
seinen  Zweigen  trägt  (o.  S.  156),  sahen  wir  auch  den  Erntemaien 
(S.  200)  bei  Meurs  zu  einer  Menschenfigur  heranbilden ,  im  Bour- 
bonnais  mit  einem  Brodmann  (S.  205) ,  in  Westfalen  mit  einer 
menschlich  benannten  Garbe  (dem  Alten)  behängen.   Die  Weiber 

Schlesien,  Wattke  Volksabergl.^  §.  660).  Nach  der  Ernte  legt  man  in 
Franken  3  Kornähren  in  die  Erde,  nach  deren  Wachstum  man  den  AnsfaU 
der  nftchsten  Ernte  prophezeit.  Panzer  II,  207,  863.  Aiich  in  Schweden 
knftpft  man  bei  der  Ernte  drei  Halme  oben  in  einen  Knoten  zu- 
sammen und  legt  einen  Stein  darauf  ,,ftlr  die  GIobo"  (Hjltön-Cayallius, 
y&rend  S.  242.  Mannhardt,  Korndämonen  S.  8,  nach  persönlicher  Ansehauung). 
Ein  Gürtel  aus  drei  Halmen  um  den  Leib  gebunden,  schützt  yor  Verwundung 
mit  der  Sichel  und  gegen  Kreuzweh  bei  der  Emtearbeit  (Panzer  11^  214, 
386.  217,  396).  Drei  Halme  nach  Beendiguhg  des  Komschnittes  um  die 
Sichel  gebunden  bewirken,  daß  im  Winter  die  Schafe  nicht  [d.  h.  wol  vor 
Hunger  nicht]  blöken  (Kreuzwald -BÖcler,  der  Esten  Abergl.  Gebr.  S.  142). 
Die  ersten  drei  blühenden  Aehren  durch  den  Mund  gezogen  schützen  vor 
tollen  Hunden  und  Otterbiß,  und  schaffen  im  allgemeinen  körperliches  Wohl- 
sein (Curtze,  Yolksüberl.  a.  Waldeck  S.  402.  M.  Spieß,  Abergl.  a.  d.  S&chs. 
Obererzgebirge.  Dresden  1862  No.  398. 436.  445).  Der  Bilmesschneider  in  der 
Oberpfalz  schneidet  drei  Aehren  von  der  letzten  Ecke  eines  fremden  Feldes 
und  die  ganze  Ernte  fliegt  in  seine  Scheuer  (Schönwerth  I,  428).  Hiemit 
hängt  wol  zusammen ,  daß  die  Letten  in  Kurland  vor  dem  Boggenschnitt  je 
drei  Aehren  rings  um  das  Feld  mit  rotem  Garn  zusammenbinden,  damit 
der  Jods  (der  Schwarze,  der  Teufel)  den  Segen  nicht  nehme  (Grenzhof  in 
Kurland).  Auch  auf  St.  Walpurgis  als  Schützerin  des  Getreidewuehses  (wegen 
der  Kalenderzeit  ihres  Tages)  gingen  3  Aehren  als  Attribut  Über,  sowie 
weiterhin  auf  Maria ,  die  in  Frankreich  als  notre  Dame  de  trois  öpis  verdbürt 
wird  und  im  Elsaß  und  Pinzgau  ihre  Kirche  gebaut  haben  wiU,  wo  drei 
Aehren  aus  dem  Boden  aufsprießen  (Panzer  E,  8 — 10.  Menzel  christl.  Sym- 
bolik S.  36).  Hier  beruht  die  Beziehung  auf  christlioher  Symbolik ;  Christus 
hieß  der  alten  Kirche  der  Weizen,  der  auf  Marien  Acker  wuchs ;  die  Dreizahl 
der  Aehren  ist  aber  ans  dem  Yolksgebrauch  herübergenommen.  J.  Grimm, 
B.  A.  128.  205  gehören  wol  nicht  hieher. 


Erntamai  fill 

hoUen  bei  den  RiisBen  den  mit  menschlichen  Kleidern  geBchmttck- 
toi  Pfingstbanm  ans  dem  Walde  (S.  157),  bei  den  Wenden  den 
Kronenbanm  ein  (S.  173),  brachten  in  Wttrtemberg  nnd  der  Eifel 
m  Fastnacht  den  schönsten  Baum  aas  dem  Bosch  (S.  174).  Wei- 
ber werfen  in  Westfalen  den  Hörkelmai  nm  (S.  196)  and  fahren 
im  Rheinlande  and  Gloacestershire  (S.  200  a.  S.  208)  den  bnnten 
Maien  nach  Hanse;  ein  Arbeiter  als  Weib  verkleidet  trägt  im 
Kreise  Saarlonis  den  geputzten  Tannenbaum  in  der  Hand  (S.  201). 
Die  Maibäamchen  werden  den  Mädchen  (S.  163  ff.),  der  Sommer 
(S.  156)  einem  Tomehm  verheirateten  Weibe  vor  die  Tttre  ge- 
pflanzt ,  der  Emtemai  in  Geldern  jeder  Fran  nnd  jedem  Mädchen 
überreicht  (o.  S.  201).  Alles  dieses  erweist  eine  tief- 
begründete  Beziehnng  des  Maibanms  zum  weiblichen 
Geschlechte.  Wenn  in  England  der  Majpole  von  20 — 40 
Joch  Ochsen  eingeholt  warde  (o.  S.  171),  spannt  der  rheinlän- 
dische  nnd  normannische  Bauer  alle  seine  Pferde  vor  den  Emte- 
mai (o.  S.  200.  204).  In  Dorfes  Mitte  anf  dem  Giebel,  Dach 
oder  über  der  Tür  der  geehrten  Personen  erhält  der  Maibaum 
seinen  Ehrenplatz;  an  der  First,  auf  dem  Dach,  über  der  Tür 
der  Scheuer  oder  des  Herrenhauses  wird  der  Emtemai  angenagelt 
und  verbleibt  da  das  ganze  Jahr  hindurch  bis  zur  nächsten  Ernte. 
Die  schwedische  Malstange  und  den  wendischen  Kreuzbaum 
schmückt  ein  Hahn  (S.  160. 174)  ein  Hahn  begegnete  uns  bereits 
in  dem  saterländischen  Brauch,  den  Lebensbaum  auf  die  Braut- 
hemden zu  sticken  (o.  S.  46),  so  wie  auf  dem  Wipfel  von  Mimar 
meidr  im  Fjölsvinsmdl  o.  S.  56.  183)  auch  der  Emtemai  zeigt 
sich  so  häufig  in  Gesellschaft  dieses  Vogels,  daß  wir  darin  mehr 
als  einen  bloßen  Zufall  erkennen  müssen. 

Wenn  nach  allen  solchen  Uebereinstimmungen  die  Zusammen- 
gehörigkeit des  Maibaumes  und  Emtemais  außer  Frage  steht,  so 
ergeben  sich  ihre  Unterschiede  mit  Leichtigkeit  aus  dem  ver- 
schiedenen Character  der  Jahreszeit  ^  in  welcher  sie  zur  Verwen- 
dung kommen.  Der  aus  dem  ergrttnenden  Walde  feierlich  ein- 
geholte Maibaum  stellt  den  Genius  der  im  Frühling  erwachenden 
Vegetation  überhaupt  dar,  als  solcher  ist  er  u.  a.  mit  Eiern 
behangen,  den  Sinnbildem  des  keimenden,  sich  entwickelnde 
Lebens;  er  hat  gewissermaßen  einen  allgemeinem  Character^ 
deshalb  eignet  er  sich  sowohl  zum  Repräsentanten  des  Lebens* 
baums  der  ganzen  Dorfschaft,  als  einzelner  Personen,  wie  wir 

14* 


»3  Kapitd  DL    BamiMde  ab  TegetetumadioMB:* 

oben  anteiiuaidergesetzt  baben.  Der  EmtcBai  yeig^peDwirtigt 
dagegen  den  Geist  des  Wachstams  znnäehst  in  der  ganz 
bestimmten  Bezidumg  auf  die  Knltoifrncht  Daß  wir  in  der  Tal 
em  begeistetes  persönüdies  Wesen  anter  dem  Maien  yentebea 
sollen,  Idiren  nieht  allein  jene  Anssehmfidningoi  desselben  als 
Mensdienfigor  and  mit  einer  Mensehenigar,  scmdern  aneh  der 
Umstand,  daß  sehr  häufig  der  grttne  Erntezweig  den  Naanen  eines 
Tieres  Bantfaahn  (Emtehahn),  Hase,  eUen  de  la  moisson,  Moekel 
(d.  i  Kuh  o.  S.  192)  a.  s.  w.  erhält  Wir  werden  nämlieh  später 
dnrch  die  anzweideatigsten  Beweise  ans  davon  fibeneogen  können, 
daß  der  Dämon  der  Vegetation  bald  in  Mensdiengestalty  bald  in 
ISergestalt  gedacht  wurde,  and  daß  der  y,Hahn,  Hase,  Hund, 
Ruh^  n.  s.  w.  genannte  Maizweig  als  VerkOrpernng  dieses  Wesens 
gedacht  sein  mfisse.  Es  entspricht  wieder  genau  dem  o.  S.  4. 69 
geschilderten  Yerhältniß,  daß  der  dem  Baom  innewohnende 
Ctenius  häufig  aas  demselben  heraustretend,  sieh  neben  ihn  hin- 
stellend Yoi^estellt  wird,  wenn  dem  Maibaum  eine  Lady  of  the 
majr,  ein  Pfingstnickel,  ein  Johannes  genannter  Mensch  (vgl.  o. 
8. 181),  dem  Emtemai  ein  Herbstschmadl  zur  Seite  tritt,  oder 
wenn  zuweilen  an  den  Baum  der  innewohnende  Komgeist  als 
aus  dem  neuen  Getreide  hergestellter  Brodmann,  oder  leben- 
der Hahn  (Henne)  angehängt  erscheint  Der  im  Baume  zur 
Erscheinung  kommende  Dämon  sollte  aber  zugleich  als  die  leben- 
gebende Kraft  der  Baugewächse  bezeichnet  werden.  Um  dies 
auszudrucken  wird  der  Emtemai  in  die  auf  dem  Acker  stehen 
gelassenen  letzten  Halme  hineingebunden  (Schwaben),  in  das 
Kornfeld  gepflanzt,  und  unten  am  Stamm  mit  der  letzten  Garbe 
oder  an  den  Zweigen  mit  einzehien  Aehren  derselben  bewickelt 
(Westfalen,  Hessen,  Frankreich)  endlich  in  das  letzte  Fader 
gesteckt  (Tgl.  o.  S.  209).  Der  Sachse  in  Siebenbirgen  hat  noch 
den  Ausdruck  „Kombanm^^  bewahrt,  nur  stellt  er  denselben 
nicht  mehr  durch  einen  belaubten  Ast,  sondern  durch  ein  Aehren- 
geflecht  dar  (S.  190).  Aus  späteren  Erörterungen  wird  mit  Sicher- 
heit hervorgehen,  daß  man  die.  Anschauung  hatte,  der  Dämon 
der  Vegetation  ziehe  sich  beim  Schneiden  des  Ackerfeldes  inmier 
tiefer  in  dasselbe  zurück  und  komme  schließlich  in  den  letzten 
Hahnen,  die  geschnitten  werden,  resp.  der  letzten  Garbe,  die 
gebunden  wird,  zum  Vorschein.  Aus  diesem  Grunde  wird  diese 
Oarbe  als  die  wichtigste  der  ganzen  Ernte  betrachtet;  sie  heißt 


Erntemai.  2ia 

daher  Erntegarbe  Aastgarw,  Anstebimd  (Rgbz.  Stettin ^  Stral- 
wmdy  Priegnitz,  Uckermark,  Prov.  Sachsen)  Avreneeg,  Anrneeg 
(Falster),  £mgarWy  Emtebund  (Kr.  Wanrieben  Prov.  Sachsen, 
Gregend  zw.  Selke  and  Wipper);  Bantgarwe,  Baugarw  (Umgegend 
y.  Dortmund).  Sie  gilt  als  der  Stamm  oder  Grandstock,  von 
welchem  die  neue  Aassaat,  der  neue  Eomwachstum  des  nächsten 
Jahres  ausgehen  soll,  in  welchem  die  dirafug  av^rjrix/]  des  neuen 
Kornes  so  zu  sagen  verborgen  ruht,  und  sie  erhält  daher  auch 
die  Namen  Stamm  (Kr.  Berend  Bgbz.  Danzig),  Grundgarbe, 
Stockgarbe  (Kr.  Simmem,  Kr.  Zell  ßgbz.  Coblenz;  Kr.  St  Wen- 
del, Kr.  Bittburg  Bgbz.  Trier).  Im  Kirchspiel  St.  Lanrentii  auf 
Westerland  -  Föhr  (Schleswig)  werden  beim  Einfahren  des  Korns 
2  —  3  Garben  zu  einem  Gebunde  zusammengebunden,  welche^ 
skuf  (d.  h.  Schof ,  ags.  skeäf,  engl,  sheaf)  genannt  wird.  Von 
dieser  Garbe  erwartet  man  Glück  und  Reichtum  in  der  nächste 
Elmte.  Dafbr  zeugt  der  Ausdruck  Glücksgarbe  (Loslau  Kr. 
Rybnik  Rgbz.  Oppeln),  oder  Glückshämpfeli,  Glttckskorn 
fttr  die  letzten  Halme,  um  welche  vor  dem  Abscheren  das  ganze 
Greschnitt  niederkniet  und  5  Vaterunser  betet,  worauf  sie  zum 
Kranz  verflochten  zu  Hause  in  der  Nähe  des  Kruzifixes  auf- 
gehängt werden  (Kanton  Zürich  und  Thurgau).  Weil  die  mensch- 
Uehe  Begehrlichkeit  den  nächstjährigen  Ertrag  in  jedem  Falle 
noch  größer  wünscht,  als  den  diesjährigen,  schilt  sie  die  letzte 
Garbe  Lttgengarbe,  Lögengarw  (südwesfl.  Mecklenburg),  Heuchel- 
garbe (Kr.  Mayen  und  Kochem  Bgbz.  Coblenz;  Eifel),  indem  sie 
auf  listige  Weise  durch  den  Vorwurf,  heuer  die  gerechte  Erwar- 
tung getäuscht  zu  haben,  den  Dämon  der  Vegetation  bei  der 
Ehre  fassen  und  zu  noch  größerer  Anstrengung  in  Zukunft  ver- 
anlassen wiU.  Diesen  Namen  und  Auffassungen  entspricht  tätlich 
die  vielfach  durch  ganz  Deutschland  und  Skandinavien  bewährte 
Sitte,  die  Kömer  der  letzten  Garbe,  oder  des  Erntekranzes  ge- 
sondert aufi&ubewahren  und  unter  das  erste  Saatgetreide  zu 
mischen.  Es  ist  hienach  wol  unverkennbar,  was  der  Erntemai 
in  der  letzten  Garbe  zu  bedeuten  hat  Er  ist  die  Gewähr 
eines  guten  Gedeihens  der  neuen  Aussaat.  Sehr  deutlich  läßt 
diesen  Gedanken  die  savoyische  Sitte  aus  St.  Eustache  erkennen, 
die  Aehren  des  ersten  Emteschnitts  an  einen  in  das  Saatfeld 
gesetzten  Baumzweig  zu  binden  (o.  S.  210).  Unter  dieser  Vor- 
aussetzung  erklärt  sich   auch  der  vom  Maibaum   ans  England 


214  Kapitel  HI.    Baumseele  als  Vegetationsd&mon : 

(o.  S.  171);  Yom  Erntemai  ans  dem  Rheinland  und  der  Normandie 
belegte  Umstand,  daA  40 — 50  Joch  Ochsen,  resp.  alle  Bosse 
oder  Zugtiere  des  Gutsbesitzers  vorgespannt  werden,  um  den 
Maien  einzuholen,  auf  befriedigende  Weise.  Nach  der  Absicht 
seiner  Veranstalter  sollte  dieser  Brauch  symbolisch  das  GewicM 
des  Vegetationsgeistes  ausdrücken,  den  alle  verftlgbare  Zugkraft 
kaum  von  der  Stelle  bewege;  so  wünscht  und  erwartet  man, 
werde  er  sich  in  der  Schwere  und  Fülle  der  Garben  bei  der 
nächst  folgenden  Ernte  bewähren.  Gradeso  wird  der  hahngestal- 
tige  Eomdämon,  der  Emtehahn,  auf  einem  leeren  mit  4  Pferden 
bespannten  Leiterwagen  zur  Stätte  des  Hahnköpfens  gefahren, 
um  seine  Schwere  und  diejenige  der  erwünschten  Zukunftsemte 
zu  bezeichnen.^  Mit  einem  Worte,  die  Sitte  ist  ein  Zauber, 
welchem  sich  ein  zweiter  ganz  ähnlicher  Zauberbrauch  anreiht 
Der  Ernte mai  oder  die  letzte  Garbe,  der  Erntekranz,  oder  der 
diese  einbringende  Arbeiter  (Arbeiterin)  wird  mit  manchem 
Kübel  Wasser  begossen  „de  Hörkelmai  draf  net  dröj  inkom- 
men.^^  Diese  in  Deutschland,  Frankreich,  England  bekannte 
Sitte  erstreckt  sich  über  ein  weites  Gebiet,  auch  wo  kein  Ernte- 
mai bekannt  ist,  und  vielfach  (z.  B.  allgemein  in  Ungarn,  Sieben- 
birgen,  Bumänien,  Masuren  u.  s.  w.)  sind  sich  die  Ausüber  dabei 
noch  ganz  klar  und  bestinmit  der  Absicht  bewußt  und  sprechen 
sie  aus ,  auf  diese  Weise  hinreichenden  Begen  auf  die  Saat  des 
nächsten  Jahres  heräbisulocJcen ;  geschähe  das  nicht,  so  werde  nach 
ihrer  Meinung  die  FddfrucM  an  Dürre  zu  Grunde  gehen,  *   Bei 


1)  Mannhardt,  Komdämonen  S.  16. 

2)  Ich  will  statt  vieler  anderen  zwei  schon  gednickte  Zeugnisse  her- 
setzen. Wer  bei  den  Walaohen  der  Magd  begegnet,  welche  das  ans  den 
letzten  Aehren  gefertigte  Erenz  eintragt,  eilt  herbei  sie  mit  Wasser  zn 
begießen;  an  der  Türe  des  Grundbesitzers  sind  eigens  zwei  Knechte  zu  die- 
sem Behufe  aufgestellt.  Würde  sie  nicht  begossen,  so  müßten  im 
folgenden  Jahre  die  Früchte  an  Dürre  zu  Grunde  gehen.  Schuster, 
Woden.  Hermannstadt  1856  S.  40.  Matthaeus  Praetorius ,  Pfarrer  zu  Nie- 
budzen  bei  Gumbinnen  zeichnete  zwischen  1670—1680  aus  der  Volkssitte 
der  dortigen  Litauer  auf:  Wenn  beim  Säen  die  Arbeitsleute  Abends  barfuß 
mit  ihren  Ochsen,  Pflügen  und  Pflugeisen  nach  Hause  kommen,  passen  ihnen 
die  Wirtin,  die  Magd  und  anderes  Gesinde  mit  einem  Stüppel  Wasser  an 
der  Türe  auf  und  begießen  die  Arbeiter  pfutzennass.  Die  Arbeitsleute ,  auch 
nicht  faul,  &ssen  ihre  Begießer  ohne  alles  Ansehen  der  Person  an,  werfen 
sie  in  den  Teich,  tauchen  sie  auch  gar  unter  das  Wasser  und  spülen  sie  also 


Erntemai.  215 

Udyarhely  in  Siebenbürgen  geechieht  dies  so,  daß  eine  vorher 
dazu  bestimmte  Person  (Mann  oder  Mädehen)  einen  Kranz  von 
den  letzten  Aehren  auf  dem  Kopfe ,  den  Leib  mit  den  Kom- 
baUnen  nmwnnden  trSgt  Ins  Dorf  geführt,  wird  sie  bei 
der  Ankunft  über  und  über  mit  Wasser  begossen.  Durch 
sie  ist  der  Komdämon  persönlich  dargestellt  An  einzelnen 
andern-  Orten  (z.  B.  Eckamp  Kr.  Düsseldorf)  wird  der  Kegenzauber 
wieder  in  der  Form  geübt,  daß  nach  Beendigung  der  Ernte  die 
Binderin  von  den  Mähern  ins  Wasser,  einen  Teich 
oder  Bach  geworfen  wird;^  freilich  erlosch  hier  die  Erinne- 
rung an  die  ursprüngliche  Meinung  des  Brauches,  man  giebt  als 
Zweck  an  ,,den  Bau  (die  Ernte)  abzuwaschen.^^  Noch  andere 
schon  verblassende  Gestalten  der  Sitte  sind  die  Begiefiung  oder 
Besprengung  des  Emtemais  oder  der  letzten  Hi^e  auf  dem  Felde 
mit  Weihwasser,  Bier  oder  Wein  (vgl.  S.  204.  207).  Auf  die 
nämliche  Absicht  möchte  ich  die  vielfach  belegbare  Sitte  zurück- 
fahren, in  die  letzte  Qarbe  eine  Flasche  mit  Getränk  ein- 
zubinden, die  beim  Dreschen  zum  Vorschein  kommt,  und  mit 
vielem  Jubel  verzehrt  wird  (Kr.  Labiau  und  Stalupönen  Rgbz. 
Gnmbinnen);  oder  der  Bauer  versteckt  eine  Flasche  Brantwein 
in  diejenige  Ecke  des  Ackerfeldes,  welche  voraussichtlich  zuletzt 
geschnitten  werden  wird  (Quimper  D^p.  Finist^re;  Gegend  von 
Dieppe).^  Auch  in  Schweden  legt  man  in  die  erste  Garbe  beim 
Schneiden  eine  Bouteille  Brantwem,  um  die  Gunst  des  Tomte- 
gubbe  zu  gewinnen  (Langtora  -  Säteri  in  Upland),  oder  man 
bindet  in  die  erste  Garbe  beim  Dreschen  eine  Bier-  oder 
Brantweinflasche  und  emen  harten  Kuchen  (Sm&land).  In  Katz- 
dangen bei  Hasenpoth  in  Kurland  vergräbt  man  ins  Flachsfeld 
eine  Flasche  mit  reinem  Wasser,  dann  soll  der  Flachs  rein  von 


rein  ab ,  wiewol  sich  auch  die  Wirtin  mit  einer  Gabe  loBmacben  kann,  znmal 
wenn  sie  schwanger  ist.  Dies  bedeutet,  daß  Gott  zu  rechter  Zeit 
der  Saat  genug  Wasser  geben  wolle.  Und  bei  der  Ernte  steht  wie- 
derum, wenn  der  Komschneider  mit  dem  Kranze  aus  den  letzten  Aehren  nach 
Hanse  kommt,  die  Wirtin  mit  ihrem  Stüppel  Wasser  da  und  begpleßt  ihn, 
dabei  wtknsehend,  wie  vom  Wasser  das  Getreidig  gequollen  und  sich  yor- 
mehret,  so  quelle  und  mehre  es  sich  in  meiner  Scheune  und  Speicher. 
M.  Praetorius,  Deliciae  Prussicae  oder  Preußische  Schaubühne  ed.  Pierson 
Berlin  1871  p.55— 60. 

1)  Vgl.  aus  Hasuren,  Toppen,  Aberglauben  aus  Masuren*  S.  95. 

2)  Vgl.  Strackerjan ,  Aberglaube  und  Sagen  a.  Oldenburg  II,  S.  78,  362. 


216  Kapitel  IH.    Banniseele  als  Vegetationadamon: 

Unkraut  anfgehen.  Bei  Teresiopol  in  der  Gegend  von  Temes- 
war  in  Oberongam  stellen  die  serbischen  Schnitter  die  letzte 
Garbe  auf  einen  Stock  und  hängen  eine  Flasche  Was- 
ser daran,  damit  Gott  im  nächsten  Jahre  Regen 
gebe.  In  der  Umgegend  yon  Spalatro  in  Dahnatien  wird  bei 
der  Ernte  ein  Kranz  geflochten  und  nebst  einer  Flasche 
voll  Wasser  an  einem  Olivenbaum  aufgehängt  Ist 
die  ganze  Ernte  beendigt,  so  wird  das  Wasser  im  Weingarten 
ausgegossen.  Hier  sieht  man  die  Mittelglieder,  welche  deutlich 
machen,  weshalb  die  Ausschmückung  mit  Flaschen  oder  Krügen 
voll  Flüssigkeit  [auch  hier  smd  Bier  und  Wein  deutlich  jttngere 
Formen  für  Wasser]  ein  aus  der  Idee  desselben  entsprießendes 
Zubehör  des  Maibaums  sowohl,  als  des  Emtemais  bildet  (o.  S. 
208).  Die  speziellere  Beziehung  des  Emtemais  auf  die  Kultur- 
frucht  zeigt  sich  auch  darin,  daß  ihm  gemeinhin  ein  Verbleib  an 
oder  tlberdem  Tor  oder  auf  dem  Giebel  der  Kornscheuer 
angewiesen  wird.  Gradeso  wird  oftmals  auch  da,  wo  der  Em- 
temai  unbekannt  ist,  die  letzte  Korngarbe  auf  das  Dach  der 
Scheune  gebunden  (z.  B.  Heddesdorf  Kr.  Neuwied),  oder  von 
den  Dreschern  an  das  Schennentor  genagelt  (Kr.  Schäßbni^  Sie- 
benbirgen) ,  ebenso  der  auf  dem  letzten  Fuder  heimgebrachte  mit 
bunten  Bändern  und  Bildern  gezierte  Erntekranz,  allgemein  im 
Odenwalde,  sowie  vielfach  im  übrigen  Hessen -Darmstadt  und 
Kurhessen  an  der  Türe  der  Scheune  mit  Nägeln  oder  Bändern 
befestigt.  Nach  der  vorhin  S.  213  auseinandergesetzten  Bedeu- 
tung der  letzten  Garbe  kann  hiedurch  kein  anderer  Gedanke  aus- 
gedrückt sein,  als  der  Wunsch,  daß  das  Numen  der  Vegetation 
auch  über  der  Weiterfortpflanzung  der  in  der  Scheune  gebor- 
genen Nährfrucht  segnend  wachen  und  walten  möge.  Von  dem 
Boden  dieser  Anschauungen  aus  erklärt  sich  auch  das  ungewöhn- 
liche Hervortreten  der  -FVawew  iö  den  Bräuchen  des  Emtemai. 
Vertritt  derselbe  nämlich  das  lebengebende  Princip  des  Kom- 
wachstums,  so  muß,  um  diesen  vollständig  darzustellen,  auch 
noch  das  empfangende,  hervorbringende  zur  symbolischen 
Abbildung  gelangen.  Der  im  Acker  grünende  Lebensbaum  stirbt 
mit  der  Ernte  ab,  aber  aufs  neue  soll  er  gepflanzt  werden  in 
der  Erde  Schoß,  und  daraus  Früchte  hervortreiben.  Darum 
gehört  er  den  Frauen  zu  eigen ,  darum  dürfen  nur  diese  ihn  aus 
dem  Boden  reißen  und  nach  Hause  fahren,  resp.  im  Frühjahr 


Enitemai.  217 

ans  dem  Walde  ins  Dorf  holen  (o.  S.  174).^  Diese  ihre  Tätig- 
keit schien  den  Alten  eine  (rewähr,  daß  die  ins  Feld  gestreute 
neue  Saat  anch  die  hervorbringende  Muttererde,  den  großen 
Lebenschoß,  günstig  finden  werde.  Hier  sind  also  die  Frauen 
rein  sinnbildliche  Vertreterinnen  einer  allgemeinen  Idee,  weshalb 
ohne  Anstoß  anch  Jungfrauen  an  dem  Brauche  sich  beteiligen. 
Es  ist  aber  nun  klar,  wie  in  Folge  des  schon  mehrfach  von  uns 
bemerkten  Olaubens  an  Sympathie  zwischen  Menschenwachstum 
und  Pflanzenwachstum  verheiratete  Frauen ,  gleichsam  das  Frucht- 
feld darstellend,  dazu  kommen  konnten,  von  dem  Maibaum 
'(Krenzbaum)  und  Y&rdträd  (vgl.  Mimameidr)  o.  S.  52.  56.  174  als 
den  Repräsentanten  der  Zeugungskraft,  Kindersegen  resp.  leichte 
Entbindung  zu  erwarten.  Aehnlich  ist  es  ja,  wenn  der  vor  das 
Fenster  dA  Mädchens  gesetzte  Maibaum  mit  dem  Lebensbaume 
ihres  geliebten  Burschen  identifiziert  wird  (o.  S.  184).  Ganz  aber 
beschränkt  sich  auch  der  Emtemai  auf  die  engere  Beziehung  zu 
den  Gerealien  nicht  In  seiner  Ausschmückung  mit  Früchten 
jeder  Gattung,  mit  Nüssen,  den  Sinnbildern  der  Fruchtbarkeit 
und  Zeugung  (o.  S.  184  u.  S.  199),  mit  Kuchen  und  mancherlei 
Speisen  bricht  das  Bewußtsein  durch,  daß  er  zusammenfassend 
die  Vegetationsenergie  des  gesammten  Anbaues,  die  große  Nah- 
mng8q>enderin  der  Menschheit  darstelle;  ein  weiteres  Gebiet 
weist  ihm  sein  Gebranch  bei  der  Weinernte  und  auf  dem  letz- 
ten Heufuder  an;  also  auch  im  Graswuchs  erkannte  man  das 
nämliche  Numen  wirksam,  das  im  Kernwuchs  und  Baumwuchs 
waltete  [der  Baum  als  Verkörperung  des  Vegetationsgeistes  im 
letzten  Heufuder  und  der  letzten  Getreidegarbe  entspricht  den 
über  die  letzte  Korngarbe  und  Heubündel  gebietenden  Holzfräu- 
lein o.  S.  77  ff.].  Und  so  fehlt  die  schon  vielfach,  namentlich 
beim  Maibaum  nachgewiesene  sympathische  Verknüpfung  des 
Pflanzenlebens  mit  dem  animalischen  Leben  auch  insofern  nicht' 
ganz,  als  zuweilen  der  Emtemai  statt  auf  der  Getreidescheune 
auf  oder  an  dem  Stallgebäude,  oder  an  der  Wand 
oder  über  der  Tür,  resp.  auf  dem  Dach,  oder  an  dem 
Schornstein  (zuweilen  unter  der  Heerdkappe)  des  Her- 
renhauses  bis  zur   nächsten  Aussaat,  oder  bis   zur 


1)  An    einzelnen  Orten  treten    doch  männliche   Einholer   hiefür   ein. 
8.  nnten  $.  8. 


^18  Kapitel  III.    Banmseele  als  Yegetationsdämon : 

nächsten  Ernte  seinen  Platz  findet.  Denn  hier  kann 
nnr  die  Meinung  obwalten,  daß  das  Numen  der  Vegetation 
die  l^re  und  Menschen  frisch  und  gesund  und  bei  zunehmen- 
dem Gedeihen  erhalte.  Es  läuft  ganz  parallel,  dafi  die  Baum- 
seele  zum  Hausgeist,  Klabautermann  und  Schutzgeist  der  Familie 
und  des  Hofes  (Yärd,  V&rdträd)  wird  (o.  S.  44.  51)  und  daß  die 
Holzleute ,  Fanggen ,  Schrate  und  ihre  ganze  Sippschaft  die  Rolle 
von  Penaten  spielen  (o.  S.  153).  Recht  deutlich  als  den  Genius 
des  Wachstums  bewährt  den  Emtemai  die  o.  S.  205  aus  dem  Bour- 
bonnais  mitgeteilte  Sitte,  den  den  Dämon  darstellenden,  aus  der 
neuen  Frucht  verfertigten ,  an  den  Baum  gehängten  Brodmann  zu 
zerstückeln  und  stückweise  zum  Essen  unter  das  Volk  zu  vertei- 
len. Denn  nur  böswilliges  Nichtsehenwollen  könnte  in  diesem 
Brauche  dieselbe  Absicht  verkennen,  welche  beispiilsweise  auf 
der  Kingsmillgruppe  der  EaroUneninseln  die  Einwohner  leitet, 
wenn  sie  (die  doch  im  übrigen  keine  Kannibalen  sind)  die  Kör- 
per der  im  Kampf  erschlagenen  berühmten  Krieger  kochen,  zer- 
stückeln und  zum  Genüsse  unter  sich  verteilen,  in  dem  Wahne, 
daß  auf  diese  Weise  in  einen  jeden  von  der  Tapferkeit  des  gefal- 
lenen Helden  etwas  übergehen  werde.  So  erwartete  man  von 
dem  Genüsse  des  Vegetationsdämons  einen  Zusatz  von  Stärke, 
Kraft  und  Gesundheit.  Endlich  giebt  sich  der  Emtemai  als  ein 
Gegenstand  wahrhaft  religiöser  Beehrung,  als  Verkörperung  eines 
Numen  dadurch  kund,  daß  die  Schnitter  um  ihn  (wie  das  Glttcks- 
hämpfeli  o.  S.  213)  niederknien  und  ein  Gebet  verrichten  (o.  S. 
192  u.  S.  203)  denn  diese  Sitte  sieht  nicht  wie  ein  christlicher 
Zusatz  zum  alten  Brauche  aus. 

§.  7.  Bichtmai.  Noch  in  verschiedenen  andern  Formen  und 
Anwendungen  tritt  uns  das  bisher  als  Maibaum  und  Emtemai 
betrachtete  Gebilde  in  der  Volkssitte  entgegen.  Es  liegt  nahe 
hier  zunächst  diejenige  Gestaltung  anzuschließen,  welche  dasselbe 
bei  der  Haushebung  oder  Hausrichte  annimmt  Ich  wähle  nur 
ein  paar  prägnante  Berichte  aus  dem  deutschen  Norden  und  Süden 
aus ,  um  die  wesentlichen  Züge  des  Brauches  deuüich  zu  machen. 
Wenn  in  der  Rheinprovinz  das  Holzgerüste  eines  neugebauten 
Hauses  fertig  gezimmert  war,  so  wurde  die  Gemeinde  zum  fest- 
lichen „Maienaufstecken^^  geladen.  Eine  stattliche  Maibuche 
wurde  unter  fröhlichen  Liedern  mit  Blumen,  bunten  Bändern, 
Eierschnttren  und  anderm  Flitter  geschmückt  und  unter  feier- 


BichtmaL  219 

liehera  Crepränge  auf  dem  Gipfel  des  Hauses  als  Zeichen  der 
Vollei|flp0g  befestigt.  An  der  Spitze  des  Maibaames  prangte  die 
Krone y  der  Eirmeskrone  ähnlich,  von  den  Mädchen  des  Dorfes 
aus  Blnmen  und  buntem  Flitter  gestaltet.  Sie  wurde  von  den 
Barschen  mit  Musik  abgeholt  und  die  Mädchen  trugen  sie 
in  festlichem  Zuge.  Der  SSumnermeister  oder  einer  seiner 
redegewandesten  Gesellen  bestieg  das  dazu  auf  der  First  eigens 
verfertigte  Gerüst  und  hielt  die  sogenannte  Baupredigt ,  wobei  er 
in  herkömmlicher  schwnlstreicher  Rede  das  ehrsame  Zimmerhand- 
werk pries,  mit  frommen,  oft  sinnigen  Worten  Gottes  und  aller 
Himmelsmächte  Schutz  flir  das  Gebäude  und  seine  kthiftigen 
Bewohner  erflehte  und  das  fertige  Gerippe  der  Maurerarbeit  ttber- 
gab.  In  der  Krone  des  Maibaums  aber  war  ein  fei- 
nes seidenes  Halstuch  befestigt,  auch  wol  ein  Geldstück 
in  die  Ecke  eingebunden,  das  nestelte  der  Prediger  los  als  sei- 
nen herkömmlichen  Lohn.  Die  ganze  Dorfschaft,  ja  die  ganze 
Umgegend  lief  zu  dieser  Baupredigt  zusammen  und  ein  festliches 
Gelage  und  Tanz  schloft  diese  Feier.  ^  Ganz  ähnlich  schildert 
H.  Hartmann  aus  dem  Fürstentum  Osnabrtlck  den  Hergang.* 
Wenn  der  Hausgiebel  aufgerichtet  ist,  folgt  die  feierliche  Umher- 
ftlhrung  des  Kranzes ,  die  Befestigung  am  Giebel  und  der  Meister- 
spruch (Sermonie).  Die  Gesellen  haben  nämlich  den  Nach- 
barstöchtejn  und  Mägden  einen  hübschen  Tannen- 
baum ttbergeben  und  diese  ihn  mit  Schnüren  von  bunten  Eiern, 
Bändern  und  Fähnchen  stattlich  ausgeschmückt.  Seine 
Hauptzierde  bildet  ein  Kranz,  der  auf  4  kreuzweise  gebun- 
denen und  im  Baume  befestigten  Stäben  ruht.  Wenn  nun  die 
Haushebung  vollendet,  und  dieses  durch  weithin  schallendes  Ket- 
tengerassel  von  dem  Boden  des  neuen  Hauses  der  Gesellschaft 
angezeigt  ist,  gehen  die  Gesellen  hin,  fordern  den  Kranz 
von  den  Mädchen  und  einein  mit  dem  Trinkgelde  geftiUten 
Krug  von  dem  Bauherrn.  Nachdem  die  Mädchen  die  Mützen  der 
Zimmei^esellen  ebenfalls  mit  grünen  TannensträuBen  (Prull) 
geschmückt  haben,  bewegt  sich  der  festliche  Zug  mit  einem 
Mnsikcorps  und  dem  von  den  Kranzjungfem  getragenen  Kranze 
voran,     welchem    zunächst    der    Zimmermeister    mit   voller 


1)  Montanns,  die  deutschen  Volksfeste.    Bd.  U.   Iserlohn  1858.   S.  98. 

2)  H.  Hartmann,  Bilder  aus  Westfalen.  Osnabrftek  1871.   S.85ff. 


220  Kapitel  III.    BaumBeele  aU  Vegetationsdamon 

Flasche  in  der  Hand  und  znletzt  alle  bei  der  Hanshebimg 
beschäftigten  Personen  folgen,  über  die  Straße  des  DoridP  Der 
Zimmermeister  teilt  fleißig  den  Umstehenden  von  dem  Inhalt  sei- 
ner Flasche  mit.  Sobald  der  lärmende  Zog  nach  dem  neuen 
Hause  zurückgekehrt  ist,  wird  der  Kranz  oben  am  vordem  Gie- 
bel desselben  befestigt  und  der  Meisterknecht  (Altgesell)  steigt 
mit  dem  mit  Geld  und  Bier  geflUlten  Kruge  hinan  und  hält  die 
,,  Sermonie.^'  Hiemit  veigleiche  man  ^  den  Bericht  von  Rochholz 
aus  dem  Aargau. ^  Bei  dem  Fest  der \, Aufrichte^'  des  neugebau- 
ten Hanges  bringt  man  ein  Tannenbäumchen  voll  Gold- 
papier  und  Blumen  herbei  und  trägt  es  jubelnd  dreimal 
ums  Haus.  Bereits  steht  der  Zimmermeister  droben  auf  dem 
Firstbalken,  hält  die  Kranzrede  und  ermahnt  die  Hausfrau,  ihm 
diesen  Baum  zum  allerschwersten  zu  machen.  Letz- 
teres ist  nach  Möglichkeit  geschehen.  Die  Kinder  haben  das 
Bäumchen  mit  einem  schwebenden  Blumenreifen  um- 
geben, der  Hausherr  hat  große  und  kleine  Geldstücke  drange- 
hängt,  die  Hausfrau  dazu  ein  nagelneues  Hemd  und  bunte 
Tücher,  an  deren  Zipfel  abermals  Trinkgeld  geknüpft  ist  Nun 
wird  er  am  Seil  aufgezogen,  auf  die  First  gesteckt  und  in 
des  Meisters  Schlußwort  beschworen,  alle  Blüee  und  Stßrme 
ferne,  das  Haus  aber  auf  KindesMnd  grünend  und  blähend  gu 
erhalten.  Mit  geringen  Abänderungen  (es  trat  z.  B.  mehrfach  die 
alleinige  Krone  an  die  Stelle  des  mit  ihr  geschmückten  Baumes) 
reicht  die  besprochene  Sitte  durch  ganz  Deutschlland ;  sie  ist 
z.B.  in  Oldenburg  und  Holstein  ebensowohl,  als  in  Hessen,  im 
Hennebei^schen,  in  Ost-  und  Westpreußen  u.  s.  w.  zu  Hanse.' 
Ein  Gedicht  aus  saec.  XVni  „Augsburgisches  Jahr  einmal''^  zeigt 
uns  eine  eigenttlmliche  Form  der  Sitte.  Im  Maimonat  wird 
vor  dem  Neubau  ein  das  Dach  desselben  überragender  Baum 
aufgepflanzt. 

Sobald  als  nur  ankommt  der  Maien 
Sich  Zimmerlent'  und  Manrer  frenen 
Und  stecken  vor  des  J^anherrn  Hans 
Ein  Tanoenbaum,  der  drüber  'nans 
W^it  gehet. 

1)  Deutscher  Glaube  und  Brauch.   Bd.  II.    Berlin  1867.   S.  92. 

2)  S.  Spieß ,  Volkstümliches  a.  d.  Frank.  Henneberg.   Wien  1869.  S.  148. 
Mülhanse,  Urreligion.   Cassel  1860.    S.  236. 

3)  Biriinger  in  Bartaeh»  Germania  XYII,  8.  87. 


Brantmaie.  221 

Aas  unseren  bisherigen  Anseinandersetzmigen  ergiebt  sich 
von  selbst  ihre  Beden tnng,  welche  auch  der  fromme  Richir 
sprach  des  aargauischen  Zimmermeisiers  hinreichend  klar  erken- 
nen läftt.  Wie  der  auf  dem  Dache  angebrachte  Emtemai, 
stellt  der  Richtemai  den  Genius  des  Wachstums  dar,  der  als 
guter  Hausgeist  allezeit  über  der  neuen  Wohnstätte  walten 
soll.  Wie  Maibaum  und  Emtemai  ist  er  darum  mit  Eierta, 
Blumen,  Bändern  und  Tüchern  [wovon  Hemd  und  Taschen- 
tücher nur  durch  praktische  Verwendung  bedingte  Modemisie- 
nmgen  sind]  mit  einem  Kranze  (der  zur  Krone  wurde ,  da  er 
zuweilen  wie  auch  beim  Maibaum  o.  S.  176  den  Stamm  als  Reif 
umschwebte  o.  S.  220)  geziert,  von  den  Frauen  geschmückt 
und  geleitet;  wie  jene  wird  er  vor  der  Aufrichtung  in  feierlicher 
Prozession  durch's  Dorf,  um  das  Haus  geführt.  Eigentümlich  ist 
die  Beschwerung  des  Baumes  mit  Geld ;  sie  entspricht  dem  Wun- 
sche, daß  es  den  Bewohnern  des  neuen  Hauses  nie  an  großer 
und  kleiner  Münze  fehlen  möge.  Hiemach  dürfte  auch  der  halb 
mit  Geld ,  halb  mit  Bier  gefiülte  Krug  darauf  hinweisen ,  dafr  das 
m  so  bedeutungsvoller  Weise  den  Richtemai  oder  die  Richtekrone 
begleitende  Getränk  m(^licherweise  eine  SproBform  jenes  früher 
(o.  S.  215)  besprochenen  Regenzaubers  sei,  und  die  Idee  enthalte, 
dem  gedeihlichen  Wachstum  der  hier  ansässigen  Familie  solle 
der  himmlische  Regen,  die  Feuchtigkeit  nicht  fehlen. 

§.8.  Brautmaie.  Als  Lebensbäume,  als  Gegenbilder  der  Braut- 
leate  wurden,  wie  wir  o.  S.  46  gewahrten ,  auf  dem  Brautwagen  oder 
Yor  dem  Hochzeithause  grüne  Bäume  aufgepflanzt.  Nahverwandte 
Ideen  fanden  wir  im  Sommer,  Maibaum  und  Emtemai  verkörpert 
Der  nach  Austragung  des  Todes  eingebrachte  mit  Gold-  und  Silber- 
papier und  bunten  Bändern  geschmückte ,  grüne  Baum ,  der  Som- 
mer, wird  in  Böhmen  mehrfach  als  Vorzeichen  glücklicher  Ehe, 
vor  dem  Hause  der  vornehmsten  Neuvermählten  aufgesteckt 
Zur  Bestätigung  dieser  Nachweisungen  gereicht  es,  daß  wiederum 
der  bei  der  Hochzeit  angepflanzte  Lebensbaum  gradezu  die  beim 
Maibaum  und  Emtemai  hergebrachte  Ausrüstung  annimmt  In 
Leipzig  überbrachten  die  Jungfrauen  der  Braut  einen  mit  Kinder- 
klappem ,  kleinen  Schüsseln  und  bunten  Bändern  gezierten  Baum 
unter  Absingung  eines  Liedes,  welches  das  Lob  der  Neuver- 
mählten und  einen  Glückwunsch  enthielt  und  mit  den  Worten 
begann: 


9S2  Kapitel  m.    Baumieeld  als  Ve^^etatlonBd&mon: 

Wir  bringen  der  Brant  eine  Heye, 
Der  Blttmlein  sind  mancherleye.' 

DeüÜich  vergleicht  sich  der  nachstehende  Brauch  der  mehrfach 
erwähnten  Anbüidang  von  Hahn  oder  Gans  an  das  Bouqnet  de 
la  moisson  (o.  S.  206).  Wenn  in  Camac  (Bretagne)  die  junge 
Fran  nach  der  Tranang  ans  der  Kirche  kommt,  überreicht 
man  ihr  einen  angeheuren  Lorbeerzweig,  an  dessen 
Ende  (extr^mit^)  ein  Vogel  angebunden  ist,  dem  man 
nun  die  Freiheit  giebt^  Dem  mit  Aehren  geschmückten  Mai- 
baum S.  193  ff.  und  Emtemai  o.  S.  171  entspricht  die  Sitte  der 
Klein  russen  in  Wolhynien.  Wenn  der  von  der  Trauung  heim- 
kehrende Hochzeitzug  dem  Hause  des  Bräutigams  naht,  so 
schmückt  man  daselbst  einen  Laib  Brod  und  einen  Tannen- 
oder Fichtenast  mit  Waldholunder,  weißen  Blüten 
und  Aehren  von  Korn  und  Hafer.  Der  Bojarin  (Hoch- 
zeitführer)  trägt  die  Tanne  mit  den  darangebundenen  Aehren,  ein 
Starost  das  Brod  und  so  ziehen  beide  ins  Haus  der  Braut  Beim 
Erscheinen  der  Tanne  muß  die  Braut  schamhaft  ihr 
Gesicht  auf  den  Tisch  legen  und  es  sorgfältig  ver- 
berge n.  Der  Bräutigam  geht  dann  dreimal  um  den  Tisch, 
nimmt  ein  Tuch,  richtet  den  Kopf  der  Braut  gewaltsam  auf, 
küßt  sie  und  setzt  sich  wieder  neben  sie.  Der  Bojarin  stellt  die 
Tanne,  der  Starost  das  Brod  auf  die  Mitte  des  Tisches  dem 
Brautpaar  gegenüber.  Die  Brautmutter  beschüttet  ihren  Schwie- 
gersohn mit  Nüssen  (o.  S.  184)  und  Hafer  und  besprengt  ihn  mit 
Weihwasser.  Auch  der  erste  Strauß  Kornähren  gehört  ihm, 
worauf  die  Brau^ungfem  allen  Anwesenden  dei^leichen  Sträuße 
anstecken.^    Bei  den  Eleinrussen  in  der  Ukraine  wird  am  Tage 


1)  P.  Ch.  Hil scher,  de  ritu  Dominicae  Laetare,  quem  vulgo  appellant 
den  Tod  anBtreiben.  Lips.  1690.  §.17.  Der  Liedauf ang  ist  entlehnt  dem 
Gesänge  bei  der  Einbringung  des  Sommers.  Cf.  Bflsching,  wöchentl.  Nach- 
riehten  h  1S16.  S.  183: 

Nnn  haben  wir  den  Tod  hinansgetrieben 
und  bringen  den  lieben  Sommer  wieder. 
Den  Sommer  und  den  Meyen; 
Der  Blümlein  sind  mancherleyen. 

2)  De  Nore,  Coutnmes  mythes  et  traditions  193. 

3)  J.  ▼.  Dflringsfeld  und  O.  v.  Beinsberg -Düringsfeld,  Hochzeitsbach. 
Leipzig  1871.   S.  39. 


Braatmaie.  228 

Yor  der  Hochzeit  der  Korowaj  oder  HochzeitkHchen  von  den 
Frauen  aus  der  Verwandtschaft  des  Bräutigams  in  dessen  Hause 
unter  Absingung  bestimmter  Lieder  gebacken  und  zwar  schicht- 
weise aus  Weizen  -  und  Roggenmehl.  Tannenzapfen  [wegen  ihrer 
vielen  Samen  Symbole  der  Fruchtbarkeit]  bilden  seine  äußere 
Zierde  9  vier  ganze  Eier  (s.  o.  S.  158)  in  der  Schale  und  eine 
Münze  sind  hineinverbacken.  Während  des  Backens  schmückt 
die  Braut  mit  ihren  Brautjungfern  die  Yom  Bräutigam  gefällte 
und  in  ein  großes  Brod  auf  dem  Tisch  hineinge- 
pflanzte ,,Maie^'  (Fichte  oder  Tanne),  indem  sie  dieselbe  mit 
Gewinden  oder  Sträußen  vom  SinngrtLn,  Waldholunder  oder 
gemachten  Blumenkränzen  behängen,  auch  wol  brennende 
Lichtchen  auf  die  Aeste  kleben.  Eine  gleiche  Maie  wird 
im  Brauthause  verziert.  Ueber  den  Korowaj  wird  der  Braut- 
schleier gebreitet  Am  Hochzeittage  selbst  wird  der  Korowaj 
neben  die  Maie  auf  den  Tisch  gesetzt,  sodann  der  erstere  zer- 
schnitten und  derart  verteilt,  daß  jede  anwesende  Person  ein 
Stück  erhält  und  auch  die  abwesenden  Verwandten  bedacht  wer- 
den.^ Die  Protestanten  im  Oömörer  Komitat  (Ungarn)  richten 
am  Vorabende  der  Hochzeit  vor  dem  Brauthanse  den  Tüchel- 
ba um  auf,  einen  graden  jungen  Stamm,  an  dessen  Spitze  ein 
Tuch  nebst  Bändern  und  Bretzeln  befestigt  wird.  Da  die  Hoch- 
zeiten ziemlich  zu  gleicher  Zeit  gefeiert  werden,  so  kann  von 
der  Zahl  der  Tttchelbäume  auf  die  Zahl  der  Bräute  im  Dorfe 
geschlossen  werden.  Sobald  der  beladene  Brautwagen  sich  mit 
der  Braut  in  Bewegung  setzt,  haut  ihr  Kutscher  vorher  den 
Tttchelbaum  nieder  und  ninmit  was  an  der  Spitze  hängt  für  sich, 
dann  erhält  jeder  andere  Kutscher  auch  ein  Tuch.^  Bei  den 
Serben  bringt  die  Frau  des  Kum  (Gevatters)  am  zweiten  Hoch- 
zeittage einen  Holunderzweig  „das  grüne  Berglein ^^  genannt,- 
woran  Aepfel,  Pflaumen,  Haselnüsse,  Puppen,  Tauben  und  Ket- 
ten aus  vergoldetem  Papier  befestigt  sind.  Der  „grüne  Berg'' 
wird  am  Balken  über  dem  Eßtisch  des  jungen  Paares  aufgehängt, 
am  letzten  Tage  der  Hochzeit  aber  versteigert,  oft  um  200 — 300 
Dukaten,  die  der  Braut  zufallen.' 


1)  Beinaberg-Dfiring^eld,  Hochzeitsbncb  8.33.36. 

2)  Beinsberg -DUringsfeld,  Hochzeitsbucb  S.  46. 

3)  Beinsberg -Düringsfeld,  Hocbzeitsbncb  S.  80. 


224  Kapitel  lü.    Baumfleele  als  Vegetationadämon: 

§.  9.  ChriBfbloek  und  Weilmaehtsbauiu.  Auch  mehrere 
Weihnachtflgebränche  itlgen  sich  in  die  Reiiie  von  Sitten  ein, 
deren  Hauptglied  wir  in  dem  Maibaum  und  Emtemai  kennen 
gelernt  haben;  zugleich  aber  bieten  sie  uns  interessante  Belege 
ftlr  den  Zusammenfluß  vorchristlicher  und  christlicher  Ideen.  Die 
erste  dieser  Sitten  findet  sich  noch  anx  vollständigsten  auf  slavi- 
schem  Boden  erhalten;  aus  den  dort  bewahrten  Formen  wird 
auch  die  schon  mehr  abgeschliffene  Gestalt  des  nämlichen  Brau- 
ches bei  Romanen  und  Germanen  verständlich. 

In  Masuren  bricht  der  Gemeindehirt  am  zweiten  Weihnachts- 
feiertage schöne  grade  Birkenreiser  und  geht  damit  von  Haus 
zu  HauS;  um  seine  Ealende  einzusammeln.  Dann  zieht  die  Haus- 
frau bei  Leibe  nicht  mit  der  bloßen  Hand,  sondern  achtungsvoll 
mit  den  von  der  Schürze  umwickelten  Fingern  eine  der 
Ruten  unter  seinem  Arm  hervor ,  legt  sie  auf  den  Eßtisch  (ja 
nicht  anders  wohin),  bringt  sie  auf  den  Boden  und  steckt  sie 
endlich  in  das  vorrätig  gedroschene  Getreide,  die  Aeste 
nach  oben  d.  h.  in  der  Stellung  eines  wachsenden  Schößlings* 
und  läßt  sie  dort  bis  zum  25^  März  (matka  boza  Maria  Yerkttnd.). 
Dann  wird  die  erste  Furche  mit  dem  Pfluge  gezogen,  weshalb 
die  Jungfrau  Maria  matka  otwoma  d.  i.  die  öffnende  heißt  An 
diesem  Tage  zieht  die  Bäuerin  die  Rute  heraus ,  geht  T>hne  zu 
sprechen  und  sich  aufzuhalten  nach  dem  Stalle  und  treibt  damit 
das  Vieh  zum  erstenmale  auf  die  Weide  hinaus,  das  fortan  stäts 
.  grade  nach  Hause  kommen  und  unterwegs  nicht  stehen  bleiben 
und  brüllen  wird.^  Hiemit  vergleiche  man  die  südslavische  Sitte. 
Bei  den  Serben  und  Exoaten  heißt  der  Christabend  badi\ji  dan 
oder  badnji  ved(er);  an  diesem  Abend  werden  für  jedes  Haus, 
zwei  bis  drei  junge  Eichen  gefällt,  die  abgeästet  den  Na- 
men badnjaci  (Sing,  badnjak)  führen,  und  bei  eintretender  Däm- 
merung ins  Haus  gebracht  und  aufs  Feuer  gelegt  werden.  Das 
Fällen  geschieht  in  einigen  Gegenden  vor  Sonnenaufgang  und 
zwar,  indem  die  Bäume  mit  Getreide  unter  den  Worten  „dobro 
jutro  i  öestit  ti  badnji  dan,  guten  morgen  Weihnachtstag^^ 
beschüttet  werden.    In  Risano  und  andern  Orten  von  Niederdal- 


1)  So   steht  die  Wünschelrute    ,,üfrecht<*  Myth.«  926.     Kuhn,  Herab- 
kanft  des  Feuers  S.  234. 

2)  W.  Toppen ,  Abergl.  a.  Masuren.   Aufl.  2.    S.  96  vgl.  68. 


Christblock  and  Weilinacbtsbaiim.  ^5 

matien  umwinden  die  Frauen  und  Mädchen  die  Eichenstämme 
mit  roter  Seide,  Zwirn  und  Golddraht,  schmücken  sie  mit  Lor- 
beerblättern und  verschiedenen  Blumen.  Während  die  badnjaci 
ins  Haus  getragen  werden,  werden  auf  beiden  Seiten  der  Türe 
Kerzen  angezündet.  I^  der  Hausvater  bei  eintretender  Dämme- 
rung mit  dem  ersten  Baumstamme  über  die  Schwelle  getreten, 
so  spricht  er  den  oben  erwähnten  Spruch,  und  wird  dann  von 
einem  Hausgenossen  mit  Getreide  beschüttet. 

Statt  des  Beschüttens  mit  Getreide  hat  man  an  einigen  Orten 
das  Begießen  mit  Wein  und  in  Risano  wacht  stäts  jemand 
beim  Feuer,  um  den  badnjak,  wenn  er  durchbrennen  will,  mit 
dem  Weine  zu  begießen.  Den  ersten^Besuch  am  Weihnachtstage 
hält  man  für  wichtig,  weswegen  man  hlezu  jemanden  bestimmt. 
Um  sich  vor  jedem  Unberufenen  zu  schützen,  geht  an  diesem 
Tage  in  der  Regel  niemand  als  ein  solcher  polaznik  in  ein  frem- 
des Haus;  er  erscheint  am  frühen  Morgen,  fllhrt  im  Handschuh 
Getreide  mit  sich  und  schüttet  dasselbe  vor  der  Türschwelle  mit 
den  Worten  aus:  Hristos-  se  rodi  (Christ  ist  geboren),  worauf 
einer  von  den  Hausgenossen  ihn  ebenfalls  mit  Getreide  beschüt- 
tend erwiedert:  va  istina  rodi  (er  ist  wahrhaftig  geboren).  Da- 
nach begiebt  sich  der  polaznik  unter  Beglückwünschungen  zu  den 
badnjaci,  nimmt  die  Feuerschaufel  und  schlägt  damit  auf  den 
brennenden  badnjak ,  daß  die  Funken  stark  umherfallen  und 
spricht  dabei  einen  Wunsch  fllr  das  Gedeihen  der  Kühe,  Pferde, 
Ziegen,  Schafe  und  der  ganzen  Wirtschaft,  worauf  er  die  Asche 
auseinanderschürt  und  einige  Münzen  hinein,  oder  auf  den 
badnjak  wirft.  Denselben  läßt  man  übrigens  nicht  ganz  verbren- 
nen, sondern  nimmt  die  letzten  Enden  vom  Feuer, 
löscht  sie  aus  und  legt  sie  zwischen  dieAeste  junger 
Obstbäume,  was  döten  Wachstum  befördern  soll.* 
Die  Albanesen  der  Riga  verbringen  die  Nacht  vom  23.  —  24.  De- 
zember wachend  am  Feuer,  welches  die  ganze  Nacht  unterhalten 


1)  Stephan  Ynk^  Montenegro  nnd  die  Montenegriner.  Beisen  nnd  Lan- 
derbeschreibuDgen  der  altem  nnd  neuesten  Zeit  Lf.  XI.  Stnttg.  nnd  Tü- 
bingen 1837.  S.  103  a  Gr.  Erek ,  über  die  Wichtigkeit  der  slav.  traditio- 
nellen Literatur.  Wien  1869.  S.  24.  Ueber  Badnjak  Ygl.  auch  Snegireff, 
Volkstümliche  Festtage  nnd  aberglänbische  Gebr&nche  der  Bussen.  4  Bde., 
Moskau  1837.  Bd.  II,  S.7ff.  (russ.). 

Mannhardt.  -  ^  15 


226  Kapitel  III.    Baumseele  als  VegetatioDsdämon: 

wird  und  legt  an  dasselbe  drei  Kirschbaamzweige ,  welche,  nach- 
dem sie  eine  Weile  gebrannt  haben ,  zurückgezogen  und  aufbe- 
wahrt werden.  Diese  Operation  wird  mit  denselben  Zweigen  am 
1.  Januar  (8t  Basilius)  und  am  6.  Januar  (Theophania)  wieder- 
holt. Endlieh  werden  diese  Zweige  zugleich  mit  der  in  den  drei 
Nächten ;  in  denen  dieselben  brannten,  gesammelten  Asche  zur 
Fruchtbarmachung  in  den  Wemberg  geworfen.^  Die  südfranzö- 
sische Sitte,  wie  sie  in  Perigord  heimisch  ist,  lasse  ich  deNore^ 
schildern:  La  souche  de  NoSl  joue  un  grand  role  ä  la  fete 
du  solstice  d'hiver.  L'habitant  de  la  campagne  croit  qu'elle  doit 
etre  principalement  de  prunier,  de  oerisier  ou  de  chSne,  et  que 
plus  eile  est  grosse  mieu»  eile  vaut  Si  eile  brfile  bien  c'est 
d'un  bon  augure,  le  ciel  la  bänit.  Les  charbons  et  les  cendres, 
qu'on  recueille  avec  grand  soin,  sont  excellents  pour  guerir  les 
g^ndes  engorg^es ;  la  partie  du  tronc  que  le  feu  n'a  pas  consum6e 
sert  aux  bouyiera  pour  faire  le  töcoin  ou  cale  de  leurs 
charrues,  parce  qu'ils  pretendent  que  cela  fait  mieux 
reussir  lei;rs  semenc^s;  et  les  femmes  en  conaervent 
quelques  morceaux  jusqu'au  jour  des  Bois  pour  la  prosp^ritö  des 
poalets.  Cependant,  si  Ton  s'assied  sur  cette  souche, 
on  devient  sujet  aux  furoncles;  il  faut  allors  passer 
neuf  fois  sous.  une  tige  de  ronce  que  le  basard  aura 
plaot^e  par  les  denx  bouts.  In  der  Dauphin6  heißt  dieser  Weih- 
nofQhtsklotz  chalendal,  in  der  Provence  calignaou  (d.  i.  calendeau, 
las  calendalis  von  Weihnachten, prov.  calendas)*,  oder  trefoir,  ina 
Dep.  de  TOme  tröfouet.  Nach  Thiers  zieht  die  Familie,  sobald 
siie  sich  am  Weihnachtsabend  vollzählig  in  der  großen  Stube  des 
Hfkuses  versammelt  hat,  feierlich  hinaus,  um  den  Ghristblock 
l^ereinzuholen  und  bringt  ihn  in  ^ie  Küche  oder  in  das  Zinoimer 
des  Hausherrn.  Bei  diesem  Umzüge  singen  sie  ein  provenza- 
lisches  Liedchen,  dessei)  Uebersetzung  lautet: 

Freue  dich  Klotz, 
Morgen  ist  der  Tag  des  Brodes. 
Mag  alles  wol  einkommen, 
Die  Franen  gebärcD, 


1)  J.  G.  V.  Hahn,  albanes.  Studien.   Wien  1853.    S.  154. 

2)  De  Nore,  Coutumes  mythes  et  traditions  des  provinoes  de. France 
p.  151  ff. 

3)  Vgl.  Myth.«  594. 


Christblock  and  Weihnachtsbaum.  227 

Die  Ziegen  zickeln, 
Die  Sohafmütter  lammen; 
Viel  £orn  gebe  es  und  Mehl 
Und  des  Weins  eine  volle  Kufe. 

Dann  gießt  das  kleinste  und  jüngste  Kind  des  Hauses  über  den 
Ghristklotz  ein  Glas  mit  Wein  in  den  höchsten  Namen  aus  und 
man  wirft  denselben  ins  Feuer.  Die  Kohlen  werden  als  Heil- 
mittel das  Jahr  hindurch  aufbewahrt^  Um  Marseille  besprengt 
man  den  caUgneau,  eiuen  eichenen  Klotz  mit  Wein  oder  Oel,  in 
der  Dauphinö  begießt  man  ihn  mit  Wein.'  Nach  andern  Auf- 
zeichnungen bei  Thiers  wird  der  Tröfoir  oder  tison  de  No^l  in 
den  dreizehn  Nächten  täglich  im  Feuer  angekohlt.  Unters  Bett 
gel^  schtltzt  er  Haus  und  Hof  das  Jahr  hindurch  vor  dem 
Donner;  seine  Berührung  schützt  die  Menschen  vor  Frostbeu- 
len an  den  Füßen,  die  Tiere  vor  vielen  Krankheiten;  im  Fut* 
ter  eingegeben  läßt  er  die  Kühe  kalben,  seine  Kohle  ins  Feld 
geworfen  bewahrt  das  Getreide  vor  fiost'  Nach  de  Nore 
ist  der  Calignaou  vom  Oliven-  oder  einem  andern  Fruchtbaum 
genommen;  das  jüngste  Kind  gießt  drei  Libationen  von  Wein 
darüber  aus  mit  den  Worten  ,,Gochofu^  ven,  tout  ben  ven  d.  i. 
le  feu  cachö  vient,  tout  bien  vient/'  Dann  tragender  Aelteste 
der  Familie  und  der  Jüngste,  jeder  an  einem  Ende  anfas- 
send, den  Klotz  zum  Feuer;  das  jüngste  Familienglied  weiht, 
wie  vorher  den  Ghristblock,  so  nachher  die  Tafel,  die  mit  Früch- 
ten und  Kuchän  reich  besetzt  ist.  Zu  diesem  Feste  (Calenos 
oder  Cal^ne)  kommen  die  verheirateten  Kinder  und  Verwandten 
mit  ihrer  Nachkommenschaft  oft  von  weit  her  beim  Familien- 
hanpte  zusammea  Vor  Schlafengehen  wird  der  Klotz  aus  dem 
Feuer  genommen  und  bis  Neujahr  aufbewahrt.^  In  Vienne 
besprengt  der  Hausvater  inmitten  eines  großen,  in  tiefem  Schwei- 
gen versammelten  Zuschauerkreises  den  tison  de  Noäl  mit  Salz 
und  Wasser,  zündet  ihn  während  der  drei  Feste  an  und  bewahrt 
ein  Stückchen ,  um  es  als  Mittel  der  Abwehr  beim  Gewitter  anzu- 


1)  J.  R  Thiers,  Trait^  dea  snperstitiona  hei  Liebrecht,  Gervaeios  v.  Til- 
bury  p.  231,  152.  Cheruel  bei  E.  Cortet,  fötes  religieuses.  Paris  18G7. 
p.  266  cf.  Thitfft  a.  a.  0.  288,  281. 

2)  Millin  a.  GhanipoUioii-Figeac  bei  Grimm  Myth.«  594. 

3)  ThiefB'  a.  a^  0.  238,  281. 

4)  De  Nore  a.  a.  0.  23  if. 

16* 


2S8  Kapitel  m.    Baojnseele  als  Vegetation sd&mon: 

zünden.^  Zu  Commercy  and  überhaupt  in  Lothringen  legte  man 
einen  EJotz  von  4  Faß  Länge  in  dieser  ganzen  Länge  anf  den 
Heerd.  Dann  brannte  man  das  eine  Ende  an,  das  andere  bot 
eine  Art  Yon  Sitz  dar,  den  die  Kinder  gern  benatzten.  Man 
hinderte  sie  aber  daran  sich  darauf  zu  setzen,  „weil  sie  sonst  die 
Erätze  bekommen  würden."*  Der  Christblock  ist  auch  in  Ober- 
italien bekannt,  wo  die  Sitte  arder  il  ceppo  heißt. *  In  Deutsch- 
land wird  schon  11 84  von  dem  Pfarrer  zu  Ahlen  im  Mflnsterland 
berichtet  „et  arborem  in  nativitate  domini  ad  festiyum 
ignem  suum  adducendam  esse  dicebat.^  Von  der  Unter- 
mosel und  Obermosel  ftlhrt  Grimm  die  Weistümer  (II,  302.  264) 
von  Biol,  Velle  und  Tavem  als  ältere  Zeugnisse  ftlr  den  Weih- 
nachtsblock an.  Das  Detail  der  Sitte  lernen  wir  im  heutigen 
Brauche  der  Eifel  kennen.  Am  Weihnachtsabend  legte  man  einen 
Holzstamm  an  den  Feuerheerd,  Ghristbrand  genannt.  Was 
davon  bis  heil.  Dreikönig  nicht  verbrannt,  sondern  bloß  verkohlt 
war,  davon  wurden  Kohlen  in  den  Eornbahr  gelegt,  damit  die 
Mäuse  das  Korn  nicht  beschädigen  oföchten.^  Im  Berleburgischen 
band  man  ehedem  den  Ghristbrand  in  die  letzte  Garbe,  offen- 
bar um  die  Ernte  des  nächsten  Jahres  ergiebig  zu  machen.^ 
Verwandt  ist  jedenfalls  die  von  Montanus  aus  der  Gegend  der 
Sieg  und  Lahn  geschilderte  westfälische  Sitte  der  Neuanlage  des 
Grundblockes  am  Feuerheerde.  Ein  schwerer  Klotz  aus  Eichen- 
holz, gewöhnlich  ein  Erdstummel  wird  entweder  im  Feuer- 
heerde eingegraben,  oder  in  einer  dafttr  bestimmten  Mauernische 
unterhalb  des  Kesselhakens  angebracht.  Wenn  das  Heerdfeuer 
in  Glut  kommt,  glimmt  dieser  Klotz  mit,  doch  ist  er  so  ange- 
bracht, daß  er  kaum  in  Jahresfrist  völlig  verkohlt.  Sein  Rest  wird 
bei  der  Neuanlage  sorgfältig  herausgenommen,  zu  Staub  gestoßen 
und  während  der  dreizehn  Nächte  zwischen  Weihnachten 
und  h.  Dreikönig  auf  die  Felder  gestreut  Dies,  so  wähnte 
man,    befördere    die    Fruchtbarkeit    der    Jahresernte.' 


1)  De  Nore  p.  152. 

2)  Leronze  in  den  Mömoires  de  Tacad^mie  oehiqQe  180B  III,  441. 

3)  Liebrecht,  Gervasins  v.  Tilbnry  S.  60. 

4)  Eindlinger,  MüDstersch.  Beitr.  11 ,  ürk.   34.    Grimm  Myth.«594. 

5)  Schmitz .  Sitten  n.  Br&nche  des  Eifler  Volkes  1866.   S.  4. 

6)  Kuhn,  Westf.  Sag.  H,  187,  523.    Vgl.  ebda.  S.  104—106. 

7)  Montanna ,  die  deatschen  Volksfeste  S.  12. 


Ghristblock  UDd  Weihnachtsbaam.  229 

Hiezn  stellt  sieh,  was  J.  W.  Wolf  als  Brauch  am  Christabend 
(Kersmisavond)  za  Geerardsbergen  in  Belgien  beibringt,  daß  man 
das  Wurzelende  einer  Tanne  oder  eines  Buchenbaumes 
in  das  Feuer  legt  und  verbrennen  läßt,  alles  übrige  Licht  im 
Hause  wird  ausgel(techt.  Man  singt  dabei  und  trinkt  G^never 
und  entjQammt,  wenn  der  Baumstumpf  ausgebrannt  ist,  den  Rest 
des  Getränkes.  ^  Der  Christbrand  wird  nur  ein  wenig  angebrannt 
und  beim  Gewitter  wieder  ins  Feuer  gelegt,  well  dann  der  Blitz 
nioht  einschlagen  soll;  selbst  ein  Splitter  von  ihm  unters  Bett 
gelegt  schützt  vor  dem  Einschlagen  des  Wetters,  seine  Kohle  in 
Wasser  gegeben  heilt  die  Auszehrung.^  Die  englischen  Zeug- 
nisse ftir  den  Christmasblock  oder  Yule  clog  bieten  nichts 
besonder^  Bemerkenwertes  dar,  sie  lassen  sich  großenteils  mit 
den  Worten  Herricks  umschreiben: 

.   Eindle  the  Christnias-brand,  and  then 
Till  sanneset  let  it  burne, 
Which  quencbt,  then  laj  it  up  agen, 
Till  Christmaa  next  retnme. 
Part  must  be  kept  wherewith  to  teend 
The  ChristiTias  log  nert  yeare, 
And  where  *ti8  safely  kept,  fihe  flend 
Can  do  no  mischiefe  there.° 

Das  schwedische  Julfeuer  (julabrasa  von  brasa  angezündetes^ 
Scheitholz),  welches  früher  in  einer  Grube  am  Fußboden  mitten 
im  Hause  brannte,  wie  jetzt  noch  auf  dem  Heerde,*  sowie  der 
Blukkis  (Block),  den  die  Letten  noch  im  17.  Jahrh.  am  Weih- 
nachtsabend mit  großem  Geschrei  herumzogen  und  hernach  ver- 
brannten, und  ihre  Freude  daran  hatten,  so  daß  sie  danach  den 
Weihnachtsabend  Bluckwakar,  Blocksabend  nannten,*  gehören 
ebenfalls  hieher,  ohne  daß  ich  nähere  Einzelheiten  über  sie  mit- 
zuteilen vermöchte. 


1)  Wodana  S.  105.  Cf.  Reinsberg-Düringsfeld,  Calendr.  Beige  II,  326. 
Man  berichtige  das  Misverstandniß  von  Kuhn ,  der  a.  a.  0.  S.  105  den  Kers- 
misayond  (Christmesscnabend)  als  Kirmes  (Kirchmesse)  auffaßt. 

2)  Westfalen,  Niederland.  Kahn  a.a.O.  103,319.  Reinsberg-Dürings- 
feld, Calendrier  Beige  II,  327. 

3)  S.  Hone,  Every  day-book  1. 1866  p.  102.  Brand -EUis,  Populär  anti- 
quities  I,  1853.    S.  467  ff. 

4)  Hylten  -  Cavallius ,  Vfo'end  och  Virdarne  1 ,  175. 

5)  P.  Einhorn ,  Reformatio  gentis  Letticae.   Riga  1636.    Cap.  lY.  p.  11^. 


230  Kapitel  III.    Baomseeie  ala  Yegetationsdämon: 

Die  in  diesem  Paragraphen  zasammengesteUten  Sitten  sind 
so  entschieden  an  das  Weihnachtsfest  gekntlpft,  daA  man  ver- 
sucht  werden  muß,  dieselben  zunächst  aus  dem  Ideenkreise  des 
Christentums  zu  begründen.  Läßt  sich  aus  diesem  heraus  eine 
ausreichende  Erklärung  finden ,  so  wäre  es  unmethodisch  sich 
nach  einer  andern  umzusehen.  Auf  emen  christlichen  Ursprung 
aber  weisen  scheinbar  ganz  besonders  die  slayischen  Formen  der 
Sitte,  der  masurische  sowol  als  der  sttdslavische  Brauch  hin, 
wonach  der  Gemeindehirt  ein  Beis  bringt,  das  die  Hausfrau  mit 
heiliger  Scheu  auf  den  Tisch  legt,  dann  bis  Maria  Verkündigung 
in  den  Getreidehaufen  steckt,  oder  wonach  die  Badnjaci  sowie 
der  polaznik  unter  dem  Rufe  „Christ  i^t  geboren''  mit  Getreide 
beschüttet  werden. 

Es  liegt  nahe  in  dieser  Sitte  die  Wirkung  eines  christlichen 
Bilderkreises  zu  erkennen,  der  sich  zu  gutem  Teile  aus  vermeint- 
lichen oder  wirklichen  messianischen  Sprüchen  des  alten  Testa- 
ments und  aus  einigen  neutestamentlichen  Reden  und  Erzählungen 
gebildet  hat.  Es  war  an  vielen  Orten  Sitte,  daß  der  Dorfhirte 
am  Weihnachtsabend  von  Haus  zu  Haus  zog  und  sein  Hom 
blies,  um  an  die  Hirten  zu  erionem,  welchen  der  Engel  auf  dem 
Felde  zu  Betlehem  die  Geburt  des  Weltheilandes  verkündigte.^ 
Christus  wurde  in  der  geistlichen  Poesie  des  Mittelalters  als 
die  Gerte  (virga)  aus  der  Wurzel  Isais  oder  als  die  Frucht, 
der  Apfel  auf  der  Gerte  (Maria),  nach  Anleitung  der  BibeP 
bezeichnet.  Mit  anderm  Bilde  hieß  Christus  der  Weisen,  der 
auf  Marien  Acker  oder  in  der  Garbe  Maria  wuchs,  des  Kor- 
nes und  des  Weines  unscheinbare  Blüte,  das  sättigende  Korn, 
das  Weizenkom,  das  Himmelsbrod.  ^  Außer  dem  Mysterium  des 
Brodes  im  Abendmahl  hatte  dazu  namentlich  eine  Bibelstelle  im 
Ev.  Joh.  12,  23.  24  mitwirken  können,  wo  Jesus  sich  selbst  mit 

1)'S.  W.  Mannhardt,  Weihnachtsblüten  in  Sitte  und  Sage.  Berlin  1864. 
S.  118  if.  Vgl.  noch  Peter,  Volkstümliches  aus  Oesterreioh.  Schlesien  II,  275. 
Reinsberg-Düringsfeld;  Festkalender  a.  Böhmen  S.  548.  549.  551.  554. 

2)  S.  Jes.  11,  1  Et  egredietiir  virga  de  radice  Jesse  et  flos  de  radiee 
ejus  ascendet.  £t  reqniescet  super  eum  spiritus  Domini  cf.  11,  10.  Rom.  15, 
12.  Cf.  Venantius  Fortunatus,  hymuus  de  nativitate  4  (Wackernagel  Kirchen- 
lied 1864  B.  I  p.  60) :  Badiz  Jesse  floruit  et  virga  fructum  cdidit  Ein  Lied 
saec.  XV.  (Wackem.  I,  238):  Jessaea  stirps  effloruit,  eleota  fructum  praehuit 

3)  Hagen  Ms.  II,  340^.  Keinhot  v.  Dom,  heil  Georg.  4048.  4084.  u.  s.  w. 
$.  Eonrad  von  Würzburg ,  Goldene  Schmiede  ed.  Wilh.  Grimm  XLIX. 


Chrifitblock  und  WeihnachtBbanm.  231 

dem  Wekenkonte  vergleicht,  das  in  die  Erde  fal)en  und  ersterbe 
müsse,  um  viele  Frttchte  zu  bringeli.  Die  dirtstliche  Poesie  hat 
diesen  (bedanken  ei^riffen  and  weiter  ausgeitlhrt.  Christas  ist 
das  Korn,  das  Utthete,  zur  Garbe  heranwuchs,  gemäht,  gebunden, 
geschlagen  (gemartert),  gemahlen  (gekreuzigt),  in  den  Ofen  getan 
(begraben),  nach  dreien  Tagen  herausgenommen  ward,  und  als 
Speise  Tausende  s&ttigte.  ^  Wie  tief  diese  Idee  sich  in  das  Volk 
hinein  gelebt  hat,  so  daß  sie  nun  rückwärts  vei^eichsweise 
wieder  auf  das  wirkliche  Getreide  ttbertragen  wurde,  ersehe  ich 
aus  dem  französischem  Brauch  in  der  Franche  Gomt^  (Gantoiü 
de  Lure,  Gegend  von  Vesoul),  wo  die  letete  Garbe  der  Ernte 
la  gerbe  de  la  passion  genannt  mit  einem  am  Palmsonntage 
geweihten  hölzernen  Kreuz  und  einem  mit  Blumen  gezierten  Lor- 
beerzweig geschmttckt  und  so  auf  dem  letzten  Wagen  heimgeftlhrt 
wird.  Legende  und  Brauch  des  christlichen  Altertums  sind  pla- 
stischer Verkörperungen  der  angeftlhrten  Vergleiche  Christi  mit 
dem  Weizen  voll.  Wenn  Gregor  von  Tours  erzählt,  daß  Maria 
in  einem  Kloster  in  Jerusalem  in  einer  Naeht  alle  Scheuem  mit 
Weizen  füllte, '  so  ist  das  nur  eine  mißverständliche  Vei^röberung 
des  Wunders 9  daß  sie  in  der  Weihnacht  den  Weizen,  Christum, 
gebar.  Das  WaUfahrtbild  der  Maria  zu  Bogen  bei:  Straubing 
(Niederbaiem)  trägt  lange  goldgelbe  Haare  und  läßt  unter  dem 
Heizen  eine  strahlenumgebene  Oeffhung  des  Leibes  sehen,  in 
welcher  das  aufrecht  stehende  Jesuskind  die  Vorstellung  des 
gesegneten  Leibes  gewährt;  der  Mantel  aber  ist  rot  und  mit 
Weizenähren  durchwirkt.  •  Dergleichen  Darstellungen  waren 
nicht  ungewöhnlich.  Im  Altertumsmuseum  zu  Breslau  befinden 
sich  unter  den  Katalognummem  4420  und  4431  zwei  Gemälde 
des  16.  Jahrb.  aus  der  Pfarrkirche  zu  Neumarkt  und  dem  ehe> 
maligen  Jakobskloster  zu  Breslau.  No.  4481  zeigt  die  Jahreszahl 
1491;  das  andere  Bild  zeichnet  sich  durch  die  Lieblichkeit  und 
vorzügliche  Malerei  des  Antlitzes  aus.  Auf  beiden  wandelt  Maria, 
eine  noch  kaum  aus  der  Knospe  der  Kindheit  enti'altete  Jungfrau, 
mit  gesenktem  Blick  und  betend  zusammengetilgten  Händen,  über 
ein  t>lumiges  Gefilde ;  ihr  Fuß  berührt  kaum  schwebend  den  Erd- 


1)  Ueinr.  v.  Krolewitz,  Vaterunser  ed.  Lisch  2973.  ;K)78. 

2)  De  gloria  martyrum  L.  IX  c.  41.  p.  474.  Kuinard. 

3)  Bayaria  I.  Abtb.  2,  1000. 


282  •  Kapitel  HL    Baumseele  ab  Y^getationsdanioii: 

boden,  nur  ihr  flberlanges  Grewandy  das  in  suihlloBen  Falten  her- 
abhängt,  streift  denselben.  Dasselbe  ist  von  dunkler  Farbe  und 
übersät  mü  Weizenähren.  Ihren  Hals  und  beide  Hände  umgiebt 
eui  goldenes  Band  in  Form  von  lodernden  Flammen.  Wer  könnte 
verkennen  y  daB  hier  das  GeheimniB  der  Empfängnis  durch  den 
heiligen  (jeist^  ui  feiner  und  sinniger  Symbolik  dargestellt  sei. 
Das  Muttergottesbild  in  der  steinernen  Ki^Ue  zu  Kirchenthal  in 
Pinzgau  trägt  B  Aehren  in  der  Hand;  sie  soll  1693  auf  einem 
Platze  erbaut  sein^  den  Maria  selbst  anzeigte,  indem  sie  mitten 
im  Winter  drei  Kornähren  ans  dem  tiefen  Schnee  her- 
Yorwachsen  lieB,  deren  eine  man  noch  in  der  Schatzkammer 
bewahrt'  Hier  ist,  wie  in  jener  Erzählung  des  Gregor  von 
Tours,  die  symbolisch  ausgedrückte  Geschichte,  daß  Marien - 
Acker  im  Winter  (24.  Dez.)  das  himmlische  Korn  (Jesus)  hervor- 
sprießen  ließ,^  localisiert  Aehnliche  Legenden,  wonach  ein  Mutter- 
gottesbild  mit  Roggen  und  Weizen  umwuchs,  oder  der  Acker 
Weizenähren  höher  als  je  seit  Menschengedenken  ertrug,  in  deren 
Mitte  U«  1.  Frau  einem  armen  Weibe  erschien  und  die  Errichtung 
einer  Kapelle  forderte,  vnederholen  sich  z.  B.  zu  Kaltenbrnnn  in 
Tirol  und  Maria  Schnee  in  Kämthen.^  Christus  das  Weizenkom, 
dieser  Gedanke  findet  auch  in  dem  in  Schlesien,  Oesterreich, 
Schwaben  (vgl.  z.  B.  Meier  S.  250,  278)  u.  s.  w.  verbreiteten 
Glauben  Ausdruck,  daß  in  oder  auf  jedem  Weizen-  oder  Spelt- 
kom  die  Mutter  Gottes  mit  dem  Kinde  wahrnehmbar  sei.  War 
aber  das  Christkind  selbst  die  Himmelsspeise,  der  Weizen,  der 
vom  Himmel  kam,  so  lag  es  dem  praktischen  Bedttrfiaisse  des 
das  Geistige  versinnlichenden  Volkes  nahe  genug,  auch  den 
irdischen  Menschen-  und  Tierleib,  und  das  irdische  Getreide 
durch  dasselbe  oder  durch  Berührung,  Genuß,  Zumengung  von 
einem   Abbilde   desselben   gesegnet   zu  wähnen.    Wie  Maria  an 

1)  Cf.  Apoatelg.  IL,  3:  super  quolibet  eomm  flammala  consedit. 

2)  J.  Ealtenb&ck,  die  MarieDsagen  in  Oesterreich.  Wien  1845.  p.  261, 122. 

3)  Zu  vergleichen  ist,  daß  nach  deutschem  Yolksaberglanben  während 
der  Christmesse  der  Hopfen  fingerlange  Schossen  unter  dem  tiefsten  Schnee 
heiTortreiben,  ein  Zweig,  den  man  in  der  St.  Andreasnacht  am  Anfange  des 
Advents  in  Wasser  setzt,  in  der  Weihnacht  blühen  soll.  Siehe  den  Zweig 
(yirga)  und  die  Blüte  (flos)  aus  der  Wurzel  Jesse  (Jes.  11,  1)  aus  dem 
Winterschnee  hervorschiefiend  (ascendens,  etsurgens  Rom.  15,  12).  cf.  Mann- 
hardt,  Weihnachtsblüten  S.  169. 

4)  Kaltenbäck  a.  a.  0.  S.  61,  26.  122,  54. 


Ohristblook  und  Weibnachtsbanm.  233 

Maria  VerkUndigang  (25.  März)  das  himmlische  Weizenkom  Chri- 
stas empfing,  soll  die  Erde  sieh  an  diesem  Tage  ftlr  den  Empfang 
des  irdischen  Kornes  öfihen,  dann  werde  die  Ernte  reichlich 
sein  (s.  o.  S.  224).  In  manchen  Kirchen  des  Inntals  (Tirol)  schtittet 
man  am  Charfreitag  (vgl.  die  gerbe  de  la  passion  o.  S.  231)  ttber 
das  zar  Verehrung  gestellte  Cruzifix  türkischen  Weizen  nnd 
anderes  Getreide.  Dieses  Getreide  gehört  dem  Kttster.  Im  Unter- 
innthal legt  man  einige  Hände  davon  in  den  Getreidekasten, 
dadurch  werde  der  ganze  Vorrat  gesegnet  Die  Getreideart,  von 
welcher  das  meiste  auf  dem  ttberschtttteten  Crozifix  liegen  bleibt, 
gedeiht  am  besten.  ^  Zu  Gyperath  in  der  Eifel,  zu  Wahn  Kr.  Mül- 
heim u.  s.  w.  kehrt  man  am  h.  Weihnachtsabend  den  Feuerheerd, 
indem  man  glaubt,  es  regne  in  dieser  Nacht  [wenn  sie  hell  sei] 
Korn  vom  Himmel,  und  von  welcher  Frucht  am  meisten  falle, 
die  gedeihe  am  besten.'  Nach  Franz  Wessels  Schilderung  des 
katholischen  Gottesdienstes  zu  Stralsund  bis  z.  Jahre  1523  S.  4: 
fasteten  die  Bauerleute  den  Christabend,  bis  sie  die  Sterne  am 
Hunmel  sahen  „so  drögen  s6  garwen  in  de  koppele  efte  sus  en 
de  lucht,  dat  se  de  wint  sn§  ilp  efte  sus  de  lucht  beschinen 
konte,  dat  hStede  men  des  morgens  kindesYÖt,  dat  dMde  men 
des  morgens  allem  [v^he]  üt,  slöch  ene  garwe  2  efte  3  dt  unt 
gaf  den  swtnen  koien  enten  gensen  dat  se  alle  des  kindesvötes 
genSten  scheiden.''^  Kindsvöt  (KindsiuB)  hieß  das  Leckerwerk, 
das  man  den  Geschwistern  eines  nengebomen  Kindes  als  von 
diesem  aus  dem  Hinmiel  mitgebracht  darreichte.  Das  dem  Vieh 
zum  Gedeihen  ausgeteilte  Korn  „  Kindsvöt '^  gilt  als  vom  Christ- 
kind aus  dem  Himmel  mitgebracht;  war  nach  obigem  mithin  nur 
eme  symbolische  Wiederholung  seiner  selbst.  In  Oesterr.  Schle- 
sien setzt  der  Bauer  von  allen  Feldfrüchten  je  einen  Teller, 
offenbar  mit  Beziehung  auf  den  messianischen  Psalm  131,  11  voll 
auf  den  Tisch  (vgl.  unten  S.  243  Anm.  4),  auf  daß  das  Christ- 
kind sie  segne  und  ihm  im  nächsten  Jahr  eine  reichliche  Ernte 


1)  Zingerle,  Sitten  Aafl.  2.  148,  1276  —  1278.  In  manchen  Kirchen 
schüttete  man  im  16.  Jahrh.  zmn  Feste  der  Auffahrt  Oblaten  von  der  Höhe 
des  Gewölbes  herab,  nm  das  Himmelsbrod  anzadenten.  Bartsch  Germania 
XYII,  83.    Sebast  Franck,  Weltii)ach  1534  CXXXII  a. 

2)  Schmitz ,  Sitten  und  Bräuche  des  Eifler  Volks  I,  4. 

3)  Höfer  in  Bartsch,  Germania  XVni,  1. 


2M  Kapitel  III.    BBwnMele  mb 

yeiieihe.  ^  In  der  dirigtiiaeht  erhält  jedeg  Stftek  Vieh  ein  Wrära- 
kom. '  Weizen  und  Erbsen  am  ChriBtobend  dem  Vieh  in  die 
StiUle  geworfen  bringen  demselben  Gedeihen;  wenn  man  an 
Weihnachtgtag  während  des  Gottesdienstes  Weizen  in  der  Tasehe 
trägt  nnd  dem  Geflflgel  vorwirft,  so  wird  es  fett  nnd  legt  viele 
Eier.  Erinnern  wir  nns ,  daft  Joseph  als  ein  vorbildlicher  Typns 
von  Christo  aufgefaßt  wurde,'  so  wird  nnn  mit  Beziehni^  auf 
Josephs  zwiefachen  Traom  von  der  Garbe,  vor  der  sich  die 
andern  Garben  neigten  und  von  Sonne,  Mond  nnd  Sternen,  die 
vor  ihm  sich  beugten  (1  Mos.  37,  5  — 11)  auch  das  folgende 
Weihnaehtslied  sich  erklären,  mit  dem  polnische  Bursche  singend 
von  Hans  za  Haus  ziehen: 

Wolsein  und  Wolstand 

Zur  Gebort  des  Heiland! 

Weizen  und  Erbsen  gedeihen  heuery 

Und  der  Himmel  fälle 

Schoppen  und  Scheuer. 

Auf  dem  Felde  stehe, 

Garbe  an  Garbe, 

Schober  ar^  Schober; 

Und  zwiscJien  den  Schobern  stehe  der  Herr, 

Wie  der  Mond  zwischen  dein  Sternenheer. 

Wagen  an  Wagen  mag  zur  Scheuer  fahren, 

Wie  Bienen  zum  Bienenstöcke  sich  schaaren> 

Ob  mit  dieser  Vorstellung  der  Aberglaube  zusammenhängt,  so 
viele  Sterne  in  der  Christnacht  am  Himmel  sichtbar  sind,  so 
viele  Mandeln  Korn  wird  es  auf  dem  Felde  geben,*  ist  der 
Himmel  wolkenlos,  also  sternenklar,  so  giebt  es  eine  gute  Ernte?* 
Oder  spielt  hier  eine  andere  messianisch  gedeutete  Stelle  des 
alten  Testaments  mit  (1  Mos.  15,  5.  2  Mos.  32,  13.  1  Mos.  22,  18), 
wonach  Abrahams  Same  (der  Gal.  3,  16  auf  Christus  gedeutet 
wird)  einmal   alle  Geschlechter  der  Erden  segnen,   sodann  wie 

1)  Peter,  Volkstümliches  II,  S.  274. 

2)  Zingerle,  Sitten  Aufl.  2  p.  196,  1599. 

3)  Luther  u.  a.  sagte  „In  Josephs  Person  hat  Gott  auf  das  allerfeinste 
Christum  und  sein  ganzes  Reich  leiblich  abgemalet.'*  S.  Herzog,  Realencyclop. 
der  Protest.  Theol.  B.  Vn,  p.  22. 

4)  C.  Wurzhach,  die  Sprichwörter  der  Polen  Aufl.  2  Wien  1862  p.  148. 

5)  Glienick  l>ei  Zossen;  Bömicke  im  Havellande;  Beelitz  i.  d.  Zauche 

U.  8.  W. 

6)  Stulpe  Kr.  Jüterbogk;  Oberschlesion  u,  s.  Wt 


CboBtUock  und  Weihnachtsbaiim.  295 

die  Sterne  am  Himmel  sein  soll  ?  ^  Beim  Zastondekommen  aller 
dieser  Volksgebräache  mid  Ycriksanschaaungen  werden  ym  uns 
die  Predigt  mid  populäre  Exegese  der  aus  der  Yulgata  schöpfen- 
den Priester  des  Mittelalters  am  stärksten  beteiligt  vorstellen 
mllssen.  Wird  es  aber  nach  den  aa%eftlhrt^  Analogien  eines 
Beweises  bedürfen ,  daß  die  weihnachtliehe  Beschttttang  dea 
Bfdnjak  und  der  Menschen  mit  Weizen  unter  dem  Rufe  ^^ Christ 
ist'  geboren''  das  Geschenk  des  himmlischen  Weizens  vergegen- 
wärtigen sollte?  Und  schlieBt  sich  an  diese  Deutung  nicht  ganz 
ungezwungen  die  weitere  jener  in  Masuren  vom  Hirten  umher- 
getragenen, mit  heiligem  Schauer  empfangenen,  sodann  im  Ge- 
treidehaufen angesteckten  Birkenrute  auf  die  vitga  e  radice  Jesse 
egrediens?  ließe  sich  nun  nicht  auch  der  Weihnachtsblock,  der 
am  liebsten  ein  Wurjsdende  ist,  als  radix  Jesse,  das  Feuer, 
welches  kein  anders  Lichte  im  Hause  neben  sich  duldet,  als 
Beziehung  auf  die  himmlische  Klarheit  auffassen,  welche  die 
Hirten  auf  dem  Felde  in  der  h.  Geburtsnacht  umleuchtete,  oder 
auf  das  licht  aus  der  Höhe,  welches  vom  Christkinde  ausstrahlte. 
Der  Messias  wird  im  alten  Testament,  Christus  im  neuen,  zumal 
im  Johannisevangelium ,  ja  so  oft  das  Licht  der  Heiden,  das 
licht  in  der  Finstemiß,  das  wahrhaftige  Licht,  die  Sonne  der 
Gerechtigkeit,  der  Aufgang  aus  der  Höhe  genannt  (Jes.  9,  2. 
Matth.  4,  16.  Jes.  42,  6.  60,  1.  Luc,  2,  32.  Ev.  Joh.  1,  4  —  10. 
3,  19.  20.  8,  12.  12,  35.  36.  Luc.  1,  78),  daß  eine  Versinnlichung 
dieses  Bildes  der  Gemeinde  nicht  fernliegen  konnte.^  Daß  dann 
Menschen,  Tiere  und  Getreide  durch  den  Christblock  und  seine 
Ueberbleibsel  gesund  gemacht  und  vermehrt  werden  sollen, 
wtirde  aus  der  abergläubigen  Vorstellung,  daß  der  von  diesem 
Lichte,  welches  nach  Joh.  1,  3.  10.  das  Leben  und  die  schöpte- 

1)  Cf.  den  Hynmns  de  natiyitate  domini  saec.  XIY.  bei  Ph.  Wackernagel, 
das  d.  Kirchenlied  I,  164 :  De  semine  Abrahae  ex  regali  genere  oritnr  de 
sidere  virgine  Maria.  —  Caspar  Löner  bei  Wackernagel,  a.  a.  0.  III,  619: 
Der  sam  ist  anfijpegangen  des  vaters  Abrahe,  in  den  Got  bat  verheyssen  zn 
»egetk  ewigs  wee.  Schwerlich  liegt  hier  eine  poetische  Natnranschanung  zu 
Oninde,  wie  in  dem  lettischen  Rätsel  für  den  Himmel  mit  den  Sternen: 
t^am  kaschäks  rSgn  pilns  d.  i.  der  Vater  hat  einen  Pelz,  der  yoll  Aehren 
ist.  Oder :  Sils  del^kis  (firma  willaine)  r5gu  pilns  (pilna  balta  rogn)  d.  i. 
eine  blane  Decke  (graue  Wolldecke)  voll  weißer  Aehren  (resp.  Erbsen).  ^ 

2)  Cf.  den  Hymnus  des  h.  Ambrosius:  Nox  atra  jam  depellitur  mundi 
nitor  renascitur. 


236  Kapitel  III.    Banmseele  als  Yegetatioiiadfimoii: 

iiBche  Ursache  aller  Dinge  in  der  Welt  war  nnd  ist,  aasstrahlende 
geistliche  Segen  auch  leiblichen  Segen  nach  sich  ziehe  (Luc.  12, 
31)  erklärt  werden  k({nnen.  ^  Es  mrd,  glanbe  ich,  kein  Zweifel 
bleiben  können,  daß  die  angegebenen  Ideen  wirklich  einmal  mit 
dem  Weihnachtsklotze,  resp.  der  Weihnachtsgerte  yerbonden 
worden  sind.  Bei  alledem  aber  möchte  es  schwer  halten  nach* 
zuweisen,  daß  nnd  weshalb  diese  sinnvolle  Symbolik  grade  die 
hergebrachte  Form  annehmen  mußte,  und  immer  bleiben  yer- 
schiedene  Stücke  ttbrig,  welche  bei  Annahme  eines  christlichen 
Ursprungs  schwer  zu  begreifen  sind.  Dagegen  lösen  sich,  wie 
es  scheint,  diese  Schwierigkeiten,  sobald  wir  den  Badnjak,  Ghrist- 
block,  Calignaou,  Yule  dog,  die  masurische  Weihnachtsgerte, 
jene  albanesischen  Eirschbaumzweige  u.  s.  w.  filr  Gestalten  erklär 
ren,  welche  dem  Maibaum  und  Emtemai  parallel  gehen,  mit  dem- 
selben in  einen  Ideenkreis  gehören.  Sehr  richtig  nämlich  scheint 
mir  das  Urteil,  das  schon  Brand*  auf  Grund  der  englischen 
Bräuche  aussprach:  „I  am  pretty  confident,  that  the  Yule  dog 
will  be  found  in  its  first  use  to  haye  been  only  a  counterpart  of 
the  midsummer-fires  made  within  doors  because  of  the  cold 
weather  at  this  winter  solstice,  as  those  in  the  hot  season,  at 
the  Summer  one,  are  kindled  in  the  open  air.^'  Sahen  wir  frtther 
(o.  S.  177 ff.)  daß  im  Feuer  der  Sommersonnenwende  ein  Maibaum 
verbrannt  wurde,  als  Darstellung  der  durch  die  Glut  der  Hoch- 
sommersonne passierenden  Vegetation,  so  war  beim  Wintersolstiz 
dieselbe  Symbolik  wol  angebracht  als  zauberwirksame  Veran- 
schaulichung  der  durch  Wiederkehr  der  Sonne  neu  beginnenden 
Belebung  der  Pflanzenwelt.  Waren  demnach  jene  albanesischen 
Kirschbaumzweige,  die  noch  unzerschnittenen  (wie  die  Maibäume 
mit  Blumen  und  bunten  Fäden  geschmückten)  Eichbänmchen 
(Badnjaci)  in  Dalmatien,  oder  der  dickere  aus  praktischer  Not- 
wendigkeit zersägte  Baumstamm  in  Frankreich,  Deutschland, 
England  eine  Verkörperung  des  Vegetationsdämons,  so  erläutern 
sich  viele  bisher  undeutbare  Zttge.  Wie  der  Richtmai  (o.  S.  218) 
hält  der  Christblock  Blitzschaden  von  dem  Hause  fem,  er  vrird 

1)  Man  vgl.  das  flämische  Weihnachtslied;  ^.Heerderkes  van  hniten 
spoedt  n  op  de  heen,  met  trommelkes  en  metflaiten  regt  naer  Betlehem,  want 
daer  is  geboren  ten  god  van  al,  die  ons  het  leven  heeft  gegeven,  in 
den  stal.  Beinsberg -Düringsfeld,  Calendr.  Beige  11^  340. 

2)  Popalar  antiquities  ed  EUis  I,  471. 


Chrittblock  und  Weihnachtsbaum.  287 

als  Andentiing,  daß  dem  SonneuBchein  der  begleitende  Regen 
nicht  fehlen  solle  mit  Wasser  und  Salz^  mit  Oel;  Wein  oder 
Bier  begossen,  vde  der  Emtemai  (o.  S.  2 14  ff.)  und  der  wendische 
Kreazbaom  (o.  S.  173).  Seine  Bertthrung  verarsacht  Furunkel- 
ge schwüre,  Krätze,  und  diese  Uebel  werden  mittelst  Hindurch- 
kriechen durch  die  Wurzeln  eines  Brombeerstrauches 
geheilt,  Züge  die  wir  hinlänglich  als  Zubehör  der  Vorstellung 
von  einem  dem  Baume  innewohnenden  Dämon  kennen  gelernt 
haben  (o.  S.  20  Z.  1  ff.  32).  Daß  der  Gteist  des  Wachstums  die  Aus- 
zehrung heile,  Menschen  und  Tiere  gebären,  das  Getreide 
wachsen  mache,  ist  eine  schon  in  den  früheren  Abschnitten  reich- 
lieh belegte  Anschauung.  Ich  mache  somit  nur  noch  darauf  auf- 
merksam, daß  der  im  Johannisfeuer  entlohte  Baum  ganz  verbrannt, ' 
der  Baum  im  Weihnachtsfeuer  dagegen  nur  angekohlt  und  in 
Frachtfeld,  Weinberg,  Obstgarten  ausgetan  wird,  weil  ersteres 
die  versengende,  Laub  und  Gras  verzehrende  Glut  des  Hoch- 
sommers, dieses  die  mit  Mitwinter  beginnende  langsam  Blätter, 
Bittten  und  Frttchte  hervortreibende  Sonnenkraft  nachbilden  soll. 
Wenn  wirklich  darauf  Ge^wicht  zu  legen  ist,  daß  der  Ghristblock 
an  manchen  Orten  ein  Wurzelende  sein  mußte,  so  könnte  dies  auf  die 
Vorstellung  hindeuten,  daß  der  Baum  der  Vegetation  im  Herbste 
gleichsam  abgehauen  werde  (vgl.  daß  die  Mädchen  den  Harkel- 
maibaum  umwerfen);  nur  der  Stumpf  mit  dem  noch  inne  woh- 
nenden Dämon  [vgL  die  Moosweibchen  o.  S.  83],  die  Wurzel  bleibt 
ttbrig,  aus  der  er  im  nächsten  Jahre  neu  hervorsprießen  soll. 
Ftlr  die  Bichtigkeit  dieser  Hypothese  dürfte  die  folgende  Fast^ 
nachtsitte  aus  Nauders  in  Tirol  sprechen.  Vor  dem  Fastnacht- 
pfinztag  gehen  die  Bursche  in  den  Wald,  suchen  den  größten 
Block  aus  und  richten  ihn  schön  her,  indem  sie  ein  Loch  hinein- 
bohren und  ein  Bäumchen  hineinstecken,  das  sie  mit  Bttschehi, 
Kränzen  und  farbigen  Bändern  nach  Art  des  Maibaums  verzieren. 
Am  Fastnachtpfinztag  vermunmien  sie  sich,  meistens  in  weiße 
Kleider,  und  ziehen  den  Block  auf  einem  Schlitten  unter  großem 
Jubel  im  Dorf  herum.  Alles  freut  sich,  wenn  es  heißt:  „heuer 
ziehen  die  Buben  den  Block.''  Der  Bloek  wird  einem  ange- 
sehenen Mann  der  Gemeinde  (Landrichter,  Pfarrer,  Kaplan  u.  s.  w.) 
verehrt ,  dann  eine  Mahlzeit  gehalten.  ^    Wer  erkennt  nicht  die 

1)  Panxer  II,  246,  451.    Bine  lehrreiche  Variante  dieses  Branches  aus 
dem  Oberinnthal  s.  Zingerle,  Sitten*  134 ,  1194.    Danach  ist  es  der  größte 


238  Kapitel  HI.    Banmseele  als.  Vegetatioiisdämon: 

Verwandtschaft  dieses  Brauches  mit  der  Einholung  des  schönsten 
Banmes  durch  die  Weiber  (o.  S.  174)?  Es  ist  doch  wol  die  Ein- 
bringung des  ans  dem  verstümmelten  Vegetationsbaum  hervor- 
sprießenden neuen  Wachstnmsdämons.  Doch  dies  bleibe  dahin- 
gestellt. Daß  der  Emtemai  auf  dem  Giebel  des  Hauses  als 
Penat  befestigt  wird,  findet  somit  sein  richtiges  Seitenstttck  in 
der  Eingrabnng  des  Christklotzes  als  Grundblock  der  heiligen 
Feuerstelle.  Unsere  Beobachtungen,  falls  sie  richtig  sind,  lassen 
sich  nur  durch  den  unausweichlichen  Schluß  miteinander  vereini- 
gen, daß  hinsichtlich  des  Weihnachtsblockes  eine  Schicht  äUerer 
Volksgehräuche  und  Vorstdlungen  eine  Umdeutung  im  Sinne 
gewisser  christlicher  Ideen  erfahren  hat,  welche  es  doch  nicht 
vermochten  alle  früheren  ihnen  widerstrebenden  Züge  ganz  aus- 
zutilgen. 

Zu  ganz  demselben  Ergebniß  scheint  uns  die  Betrachtung 
des  Weihnachtsbaums  zu  ftthren,  obwol  ftlr  diesen  das  Material 
noch  kaum  in  hinreichender  Vollständigkeit  vorliegt,  um  die 
"Frage  spruchreif  zu  machen.  Der  schönste  Schmuck  des  deut- 
schen Christfestes,  seit  Monaten  vorher  die  Sehnsucht  der  seligen 
Kinderschaar,  der  grüne  Tannenbaum  mit  den  vergoldeten  Äepfeln 
und  Nüssen,  Zuckerpuppen,  bunten  Papiemetzen  und  den  viden 
brennenden  Lichtem  ist  erst  seit  verhältnißniäßig  kurzer  Zeit  so 
zu  sagen  Nationaleigentum  geworden.  Heutzutage  ein  Abzeichen 
deutscher  Abstammung  und  Gesinnung  begleitet  er  unsere  Volks- 
genossen über  Gebirge  und  Meere  und  zeugt  in  fernen  Weltteilen 
von  deutschem  Gemüt  und  deutscher  Geistestiefe.  Im  Anfange 
des  19.  Jiahrhunderts  war  er  erst  wenigen  Deutschen  bekannt; 
erst  die  gegen  die  nüchterne  Verständigkeit  des  Rationalismus 
reagierende  Vertiefung  des  religiösen  Lebens  nach  den  Freiheits- 

nnd  Behönste  Baam  des  Gemeuidewaldea,  abgeästet^  mit  Blumen« 
Krünzen,  Bändern  geschmückt,  den  die  Bursche  paarweise  vorgespannt 
am  Donnerstag  yor  Fastnacht  auf  dem  Schlitten  ins  Dorf  ziehen.  Die  den 
Schlitten  ziehenden*" Bnrsche  tragen  grüne  HosentrSger.  ihnen  geht  der 
ält'este  Junggeselle  vorauf;  auf  dem'Banme  Hlnft  ein  „Heirold"  auf 
nndiab;  der  alle  Begegnenden,  yorzüglich.  dieM&dchen  in  Reimen  Ter* 
apottet  Allerlei  MAsken  begleiten  den  Zog,  dar  sich  unter  beständigem 
Jauchzen  nnd  Schreien  durch  das  ganze  Dorf  bewegt.  Auf  niedrigen 
Scheunendächern  werden  Pfötschen  (Zwergföhren)  aufge- 
steckt. Nach  Vollendung  des  Zuges  versteigert  man  den  Baum,  und  ver- 
zehrt, den  l^rloi  im  WlriahitnBe^ 


CSiristiilodc  und  WeUmacbtsbaQm.  289 

kriogoa  beförderte  seine  Ansbreitang,  welche  derjenigen  der  deat- 
sehen  Sdkflftsprache  ähnlieh  vor  sich  ging,  mit  dem  Waehstam  der 
natioBalen  Idee  gleiehlanfend  Fortschritte  machte  und  mit  dem  Wer- 
den des  Beaehes  den  Particnlarismas  ttberwand.  Es  fehlt  noch  an 
UntersQchangen  ttber  sein  erstes  Auftreten  und  seine  ältere  Ver- 
breitung. Ja  Schweden  unbekannt,  war  er  doch  bei  den  Insel- 
sebweden  an  der  russischen  Kttste  auf  Dago  und  Worms  im 
Anfange  unseres  Jahrhunderts  häufiger  als  jetat  im  Gebrauch;  an 
der  mit  Nttssen  und  Aepfeln  behangenen  Tanne  standen  je  5 
kleine  Wachslichter  auf  einem  Zweige.^  Auch  in  Norwegen  und 
Dänemark  ist  er  in  den  Städten  mindestens  ebenso  lange  ver- 
breilei'  Das  protestantische  Norddeutsehland  hegt  ihn  seit  gerau- 
mer Zeit  in  seinen  Städten  (nach  Oldenbuig  soll  er  gegen  das 
Ende  des  18.  Jahrhunderts  gekommen  sein),^  aber  dem  nieder- 
deotochen  Bauer  in  der  Provinz  PreuBen,  in  Pommern,  Mecklen- 
burg j  Holstein  u.  s.  w.  war  er  noch  in  den  ersten  Jahrzehnten 
unseres  Jahrhunderts  fast  unbekannt  Schleiermacher  in  seiner 
1805  zuerst  erschi^aenen  ^^Weihnaditfeier^'  und  Tieck  (Noyelle 
Weihnachtabend)  erwähnen  ihn  noch  nicht  als  Bestandteil  der 
Festfeier  in  Berlin.  Aehnlich  verhält  es  sich  wol  ia  IkUtteldeutseb- 
land;  so  im  Sächsischen  Erzgebirge^  und  im  Voigtlande ^  der 
Baum  ist  hier  keineswegs  allgemein.'^  äoetbes  Freund  Schwerdt- 
geburt  in  Weimar  aber  verwandte  den  Weihnachtsbaum  auf  sei- 
nem berühmten  Lutberbilde  und  schon  1765  fand  der  junge 
Student  Goethe ,  alp  er  damals  im  elterlichen  Hanse  von  Ki^mers 
Mutter )  Minna  Stocks  in  Leipzig  Weihnacht  feierte,  dn  Christr 
bäumchen  angestellt  mit  allerlei  Süß^keitea  behangen ,  darunter 
Lamm  und  Krippe  mit  zuckeraem  Christkind,  Mutter  Maria  und 
Joseph  nebsti  Ochs  und  Eselein;  davor  aber  em  Tisehchen  mit 
bnmnen  Pfefferkuchen  fbr  die  .Kinder.  (Vgl.  Kunst  und  Leben 
ans  Friedr.  Försters  Nachlaß  1873.).  Dem  antapreohend  bescihreibt 
auch  Ktlgelgen  (Jugenderinnerungen  1870  S.  79)  die  mit  glitzern- 
dem Banschgoldy  bunten  Papifursehmt^i^elR' nnd.  goldenen  Früchten 


1)  K.  Bußwnrm,  Eibofolke  H,  p.  96.   §.  296. 

2)  Of.  Andersen,  M&rchen. 

8)  Strackerjan  H.  S.  26,^4, 

4)  M.  Spieß,  Abergl.  Sitten  n.  Gebr.  im  säclu^  Erag^bixge.    Dresden 
1862.  p.  4ß.    §,.50, 

5)  E.  Köhler ,  Vol^br^\ich.  i«i  Voigtlande  a  166  ff. 


240  Kapitel  DI.    Banmseele  als  VegetatioDsdfimon: 

versehenen  Weihnachtsbäume  aaf  dem  Christmarkt  zn  Dresden  im 
J.  1807,  und  ihren  Kerzenschmnck.  Nach  Danzig  brachten  den 
Weihnachtsbaum  nach  dem  Jahre  1815  die  preußischen  Offiziere 
und  Beamten;  gleichzeitig  gewann  er  im  Mttnsterland  durch  die 
gröf^re  Anzahl  Protestanten,  welche  mit  der  preußischen  Herr- 
schaft ins  Land  kamen,  an  Ausbreitung.  In  Wttrtemberg  soll  er 
zwar  nach  £.  Meier  ziemlich  aUgemein  sein,  doch  ttbte  noch  vor 
10  Jahren  der  Tttbinger  Bürger  den  Brauch  nur  spftilich;^  im 
Fränkisch  -  Hennebergischen  sieht  man  selbst  bei  dem  Landvolk 
hie  und  da  ein  Chrisibäumchen,  an  welchem  ein  paar  Stückchen 
Suhler  Zucker  (Marzipan),  Aepfel  und  Nüsse  hangen,  in  den 
Häusern,  aber  es  fehlt  der  Lichterschmuck.*  Im  Elsaß  eiferte 
schon  im  17.  Jahrhundert  Dannhauer,  Professor  in  Straßburg, 
gegen  den  Tannenbaum  oder  Weihnachtsbaum ,  den  man  zu  Hanse 
aufrichtet,  mit  Puppen  und  Zucker  behängt  und  hernach  schüt- 
teln und  abblümen  läßt^  Er  erwähnt  der  Lichter  nicht,  welche 
jedodi  die  heutige  Sitte  im  Elsaß  anwendet^  In  der  Schweiz 
hängt  man  nach  Stalder  schon  am  Niklasabend  (5.  Dezbr.)  die 
Gaben  fiir  die  Kinder  an  ein  mit  Flittei^old  und  kleinen  Wachs- 
lichtchen verziertes  Bäumchea^  Auch  in  vielen  czechischen 
Familien  in  Böhmen  bildet  der  Baum  (Tanne  oder  Fichte)  mit 
Obst,  Backwerk,  Papierguirlanden  und  Kleidungsstücken  behangen, 
sowie  mit  Lichtem  besteckt,  den  Schmuck  des  mit  glänzend 
weißem  Tischtuch  bedeckten  Ehrentisches  im  Winkel  der  Stube, 
an  welchem  man  das  Abendessen  einnimmt,,  und  der  Hausherr 
mit  dem  Gesmde  kniend  und  stehend  vor  und  nach  dem  Essen 
betet  und  Weihnachtslieder  (Kolendalieder)  singt*  In  Ungarn 
piegen  deutsche  Bürgerfamilien  und  hohe  magyarische  Häuser 
etwa  seit  dem  Jahre  1830  den  Christbaum;  ganz  neuerdings  fand 
er  durch  den  Prinzen  Albert  auch  in  England,  unter  Louis 
Philipp  durch  die  Herzogin  Helene  von   Orleans  in  Frankreich 


1)  E.  Meier,  Schwab.  Sagen  462,  205. 

2)  L.    Spieß,    Volktüml.   aus   dem   Fränkisch -Hennebergis^en.    Wien 
1869.  S.  102. 

3)  GatechiBmiu- Milch  V,  649. 

4)  Alsatia  1851.   S.  164  ff.   1852.  p.  146. 

5)  Idiotikon  H,  299. 

6)  Reinsberg-Düringsfeld,  Festkalender  a.  B5hmen  S.  552  nach  Krol- 
niQg  staroceske  povästi:  V.  Präze  1845—1851.   p.  476. 


Ckristblock  and  Weihnachtsbaum.  241 

Eingang y    das  ihn   ebensowenig,    wie  die  Niederlande,   Italien, 
Bunänien  u.  s.  w.  ursprünglich  kannte.^      In  manchen  Gegenden 
Westfalens,  wo  die  Christbäume  nicht  in  Gebrauch  sind,  setzen 
die  Leute  am  Christabend  Tannenzweige   vor   ihre   Haustüre;^ 
ebenso    schildert    Finn    Magnussen    im  Jahre    1828   als  unter- 
scheidende  Sitte  der  Schweden  „Sueci  virides    arbores   (pinus 
yel  abietes)  sub  dio  ad  oppida  vel  aedes  erigunt,  at  Dani  Nor- 
vegi  et  Gennani  in  ipsis  aedibus.'^  ®    Auf  einen  ähnlichen  Brauch 
auf  Island  deutet  yieUeicht  die  Sage  zu  Mödrufell  im  Ejjaigördr, 
daß  der  aus  dem  Blute    zweier  unschuldig  Hingerichteten  enir 
sjMrossene  Yogelbeerbaum   (o.  S.  40)  früher  in  der  Weihnachts- 
nacht mit  Lichtem  aoi'  allen  Zweigen  besetzt  gefunden  wurde, 
welche  selbst  beim  stärksten  Winde  nicht  erloschen/    In  einigen 
Dörfern  des  £ls^,  zumal  in  den  franzüsischen  Ortschaften  der 
Yc^esen  hat  sich  die  sehr  verbreitelte  Sitte  erhalten,  zu  Neujahr 
den  Brunnen  mit  einem  Mai  zu  schmücken,  der  mit  dem  Weib- 
nachtsbaum die  größte  AehnJichkeit  hat.    Die  jungen  Madchefn^ 
welche  den  Brunnen  besuchen,   verschaffen  sich  nämlich  einen 
kleinen  Tannen-  oder  Siechpaimenbaum ,   zieren  ihn  mit  Bän- 
dern, Eierschalen  j  Meinen  Figuren,  die  einen  Hirten  oder  einen 
Mann  Torstellen,  der  seine  Frau  schlägt,  und  stecken  den  so 
geschmückten   Baum    in    der  Neujahrsnacht  auf  den   Brünnen. 
Während  des  Neujahrstages  besucht  man  die  Brunnen,  in  deren 
Schmuck  sich  die  Mädchen  zu  überbieten  suchen ,  und  sobald  der 
Abend   anbricht,  wird  ^der  Schnee   um  den  Brunnen  sorgfältig 
weggekehrt  und  die  jungen  Mädchen  tanzen  singend  einen  Reigen, 
an  dem  sich  die  jungen  Bursche  nur  mit  ihrer  ErlaubniB  betei- 
ligen dürfen.    Die  Lieder,  welche  dabei  gesungen  werden,  sind 
meistens   gewöhnliche  Bundtanzlieder  ohne   Beziehung  zu   dem 
Baum,   der  das  Jahr   hindurch  als  schützendes   Symbol  fUr 
diejenigen  stehen  bleibt,  die  ihn  errichtet  haben.    In  Italien  hatte 
Papst  Martiauus  verboten:  „non  licet  iniquas  observationes  agere 
Galendarum  et  otüs  yacare  neqt^  lauro  aut  mriditaie  arborum 


1)  Vgl.  0.  Schade ,  Klopfan  S.  61. 

2)  Montanna  1, 11. 

3)  Lorio.  mythol.  779. 

4)  Mohr,  Forsög  til  en  Islandsk  Natarhistorie.    Kjöbenhavn  1786  p.  187. 
Maurer ,  Island.  Sagen.    Lpzg.  1860.   S.  178. 

Mftiiiih»rdt.  16 


242  Kapitel  III.     BMUoseele  als  Vegetationadämoii: 

dngere  domos;  onmis  haec  observatio  paganorntii  est/'^  In 
England  wurden  der  Boden  der  Kirche  mit  Lorbeensweigen  nnd 
immergrünem  Rosmarin  bestreu^^  und  grüne  Zweige  von 
Orangenbäumen  (Pomeranzen)  an  den  Kirchen  herumgesteckt,  die 
bis  Ostern  daran  blieben.^ 

Auch  den  Weihnachtsbaum  wird  man  geneigt  sein,  sich 
zunädist  aus  christlichen  'Anschauungen  zu  erkULren.  Der 
24.  Dezember  ist  der  Tag  Adami  und  Evae.  Die  Kirche  hatte 
durch  die  Wahl  dieses  Namens  die  Idee  ausdrücken  wollen ,  daft 
Christus  als  der  zweite  Adam  den  Verlust  des  ersten  wieder  ein- 
bringe. Denselben  Gedanken  drückte  die  Legende  so  aus,  daft 
Adam  einen  Apfel  oder  Ableger  des  Baumes  der  Erkenntnis  aus 
dem  Paradiese  mit  sich  nahm,  und  einpflanzte,  daraus  sproß  ein 
Baum,  aus  dessai  Holze  das  Kreuz  gemadit  wurde,  an  dem  der 
Erlöser  hing.  Oder  man  sagte ,  daB  auf  Adams  Grabe  ein  Beis 
▼om  Baume  des  Lebens  wuchs,  von  dem  Christus  die  Frucht 
der  Erlösung  brach.^  Demnach  wird  das  Kreuz  in  der  altehrist- 
lieh^Q  Vorstellung  und  Poesie  als  der  neugepflanzte ,  frucht- 
tragende ,  himmlisch  nährende  Paradiesesbaum  inmitten  der  erlös- 
ten Mensdiheit  gefaftt^  In  den  in  Folge  dieses  Gredankenganges 
an  die  dramatischen  Weihnachtsspiele  des  Mittelalters  angeschlos- 
seneil  Paradiesspielen  (seit  d.  12.  Jahrh.  nachweisbar),  in  welchen 
man  den  Sttnd^'all  als  der  durch  Christi  Geburt  beginn^iden 
Erlösung  vorangehend  yeranschaulichte  ^  wurde  dieser  Paradies- 
baum,' der  zum  Lebensbaum  gewordene  Erkenntnifibanm ,  dem 
Volke  zuweilen  dargestellt ,  in  Oberufer  bei  Preftburg  ab  dn  sechs 
Schuh  hoher  schöner  Kränewit  (Wachholder),  der  mit  groften 
flatternden  Bändern  geschmückt  und  ganz  mit  Aepfeln  behangen 
ist*     In  Kunstdarstellungen  wprde   das   Kreuz  als  Baum   des 


1)  Burcli.  V.  Worms  X,  15.  myth.»  XXXV. 

2)  Cassel ,  Weihnachten  S.  136. 

8)  Gervacrius  v.  Tilbaiy  ed.  Liebrecht.  Hannover  1856.  LIV.  S.  25. 
Vgl.  p.  125.  E.  Weinhold,  Weihnachtspiele.  1853.  S.  328;  K.  J.  Schröer, 
deutsche  Weihnachtsspiele  a.  Ungarn.  Wien  1858.  S.  36.  Anm.  * ;  Fried- 
reich, Symbolik  der  Mythologie  nnd  Natur.  1869.  S.  178  —  179;  Piper;  evan- 
gel.  Kalender  1863  p.  52  ff.  74.    Mannhardt,  Weihnaehtsbltten  S.  170. 

4)  P.  Cassel,  Weihnachten  S.  143. 

5)  Weinhold  a.  a.  0. 

6)  Schröer  a.a.  0.  9  —  10.  36. 


Ckruttblock  a^  Wettm«clitsUiitn.  *-  243 

LebeoB  mehrfach  wie  ein  Stamm  mit  Wnrzehi,  Blättern  imd 
Fruchten  gebildet.  Doch  auch  diese  Wendung  nahm  der  Gedanke, 
daß  Christofi  selber  als  der  wiedererbrachte  Lebensbaum  geprie- 
sen wurde,  der  einst  im  Paradiese  gestanden.  Der  Baum  des 
Lebens,  sagt  ein  Offieinm  der  griechischen  Kirche  znr  Vorfeier 
def  Weihnacht,  erblühte  in  der  Höhle  (dem  (kte  der  Gebnrt)  Von 
der  Jungfrau.  ,,Denn  es  zeigte  sieh  ihr  Ldb  als  das  geistliche 
Paradies,  worin  die  götttidie  Pflamee  geboren  wird,  welehe  Leb^ 
giebt,  wenn  wir  uns  von  ihr  nähren.^^  Hogo  Ton  8t  Victor 
(t  1146)  sagt:  Christas  steht  in  der  Mitte  der  Kir^e  als  der 
Baum  des  Paradieses.  Und  anderswo  wird  Maria  gesclnldert  als 
der  bltlhende  und  unvergängliche  Garten,  in  welchem  der  Baum 
des  Lebens  gepflanzt  sei,  der  Allen  ungehindert  die  Frucht  der 
Unsterblichkeit  mitteile.^  Gassei  hat  treffend  gezeigt,  da£  die 
viel  verbreitete  Sage  von  ApfelUtomen ,  welche  in  der  Weih- 
nachtszeit mitten  im  Schnee  Knospen  treiben,  Blflten  und  Früchte 
bringen,  auf  diese  allegorische  Aufi'assung  Christi  als  Lebensbanai 
sich  grttnde.'  Wir  haben  hier  einen  der  mittelalterlichen  Kirche 
aoBerordentlibh  geläiifigen  Ideenkreis ,  aus  welchem  der  Ursprung 
des  Weihnachtsbaulns  sammt  seinen  Aepfefai  und  seinem  Lichter- 
schmnck  als  Diurstellung  des  zum  Lebensbaume  gewordesien 
ErkeantniBbaumes  und  Christi  selbst  als  Baum  des  Lebens  und 
Lidit  der  Welt  sich  höchst  wahrseheinlich  machen  liefte.'  Die 
VervoUständiguiig  der  Aepfel  durch  andere  Frtichte,  Zuekerbrod 
und  sonstige  Eßwaaren  wäre  aus  einer  Vervollständigui^  der 
attegorisdben  Beziehungen  durch  Christi  Benennung  afe  Brod 
des  Lebens  und  Frucht  der   Lenden  Davids  sehr  begreiflich.^ 

1)  S.  im  allgemeineD  über  alle  diese  Vorstellungen  die  ansfiÜirUchen 
und  gründlichen  Naehweisnngen  von  Piper  a.  a.  0.  17 — 94. 

2)  P.  Cassel,  Weihnachten  S.  140—142. 
8)  Vgl.  besonders  Piper  a.  a.  0.  74^76. 

4)  Von  Yifl  vielen  Ssiten  die  messianischen  Allegorien  den  Festbranch 
bereicherten,  beweise  n.  a.  eine  kirchliche  Sitte,  die  zn  Monthe  (D^. 
de  Donbe)  geübt  wurde.  As  einem  der  Weihnaehtstage  trug  man  in  die 
Kirche  Pasteten,  Sohinken,  Kuchen,  Zaekerwerk  und  andere  Eßwaaaren  und 
voiD  besten  Wein,  den  man  hatte.  Man  stellte  diese  sieben  Sachen  in  einem 
besondem  Winkel  der  Kirche  auf  und  nannte  das  Ganze  „de  fructu.*' 
Sobald  mf»  wählend  der  Vesper  zn  dem  Verse  „De  fructu  yentris  tui 
p»nam  svper  sadem  tuam  Ps.  131, 11  gekommen  war,  machten  sich  alle 
Umstehenden  mit  Eifer  darüber  her  md  eigneten  sich  die  Leckerbissen  unter 

16* 


2i4  Kapitel  III.    Baamaeele  «k  Vegetationsdämon : 

Znmal   die  Nüsse   gehören  in    den   Kreis  der  weihnachtiioheii 
Symbolik.' 

Gleichwohl  darf  und  moB  die  Frage  erhobt  werden,  ob 
nicht  trotz  alledem  der  W^hnachtsbaum  die  christliche  Umden- 
tong  einer  älteren  dem  Kreise  der  Naturfeste  angehOiigen  Sitte 
war.  Weinhoki  hat  schon  mit  Becht  auf  die  Aehnlichkeit  des- 
selben mit  dem  schlesischen  Sommer  am  Lätaresonntag  (o.  S.  156) 
hingewiesra«'  In  einigen  andern  Gegenden  (z.  B.  Speier)  ist  der 
y, Sommer^'  wie  der  y^Weihnachtsbaom'^  mit  Bretzeln  und  ähnliehen 
Dingen  behangen.  Viel  augenscheinlicher  noch  ist  die  Ueberein- 
stuamong  mit  dem  bunt  bebänderten ,  mit  Eßwaren,  veigoldeten 
Eiejii  u.  s.  w.  gezierten  Maibanm,  Johannisbaum  und  Brntemai. 
Auch  bei  diesen  fehlt  der  scheinbar  eigenttlm]i<äie  Sdbmuck  des 
Weihnachtsbaums,  der  Liehterglanz  nidit  immer.  Im  Ober- 
erzgebirge tanzt  man  zur  Sommersonnenwende  um  den  „Johan- 
msbaom'^;  das  ist  eine  ans  4  Stäben  bestehende  mit  Kränzen 
und  Blumen  verzierte  Pyramide,  welche  in  der  Stube  oder  auf 
der  Strate  auf  ein  Tischchen  gestellt  wurd.  Abends  wird  dieselbe 
mit  läehtem  besteckt  Die  Tänzer  sind  dabei  weiB  gekleidet 
und  singen  yersehiedjNiie  Liedchen  (Zwickau.)'  In  Gelderland 
pflanzte  man  Maiabends  Bäume  auf,  die  geschmttekt  und  mit 
Kerzen  besteckt  wurden/  Auch  zu  Yenloo  in  Limburg,  wo  die 
Ausschmückung  des  Maibaums  ein  Gegenstand  des  Wetteifers 
und  der  Ekersudit  zwischen  den  Einwohnern  der  versdiiedenen 
Stadtviertel  ist,  trägt  am  Maiabend  jedes  junge  Mädchen  eine 
Kerze  herbei.  Bei  einbrechender  Dunkelheit  steckt  man  sie  auf 
den  Baum,  zllndet  sie  an  und  tanzt  um  denselb^.^  Aucih  der 
bei  der  Maifeier  in  Dublin  verbrannte  Maibusch  ist  mit  Lichtem 


heiligen  Gesangen  untermischt  von  Schreien ,  oft  auch  Streitreden  und 
Beschimpfungen  zu.  Für  den  Bestand  dieser  Sitte  sorgte  eine  Stiftung, 
welche  die  Geschwomen  des  Orts  venralteten.  Berne  de  la  Franche  Comte 
hei  Cortet,  fdtes  religieuses  p.  265. 

1)  Vgl.  das  Melker  Marienhüd  (MüUenhoff  o.  Scherer,  Denkmäler  XXXIX 
S.  115):  Jll  leit  in  erde  Aardn  ^ne  gerte:  diu  gehar  nflsze,  mandalon  also 
edile.  diu  süezze  hast  dH  fftre  hräht,  muoter  ine  mannes  rat,  Saneta  Maria. 

2)  WeUmaohtspiele  1853.   S.  16. 

3)  M.  Spieß,  Aherglauhen  des  sächsisehen  Oherensgebirges  S.  14, 148. 

4)  Geldersche  Yolksalmanach  Toor  1835.  10— 18.  bei  Grimm  Myth.«  738. 

5)  Beinsberg -Dfiringsfeld,  Caleadrier  Beige  I,  285. 


Chrisiblock  and  Weihnaehtsbaum.  245 

befletst  (o.  S.  178).  Bei  den  Lttnebuiiger  Wenden  werden  Mf 
Hochzeiten  mit  Lichtem  besetzte  Maien  dem  Brantpaar  voran- 
getragen  (o.  S.  46),  in  der  Ukraine  vor  das  Brautpaar  auf  den 
Tisch  gesetzt  (o.  S.  223).  Der  uns  schon  von  S.  t2  bekannte 
Jaeab  Laszkowski ,  Revisor  von  Niederlitauen  mn  1570,  bezeugte 
von  dem  Abei^lanben  der  Zemaiten  redend:  ,,Kimi8  caerasos 
arcis  alicnjus  (wie  aus  ^  einer  späteren  Stelle  hervorgeht  ist  Ploteli 
gemeint)  secandum  lacum  sitae  curat,  in  quos  placandi  ejus  causa 
gallos  mactatoB  injiciunt ,  caereosqne  accensos  in  eis  figunt.^ 
Sehen  wir  ab  von  dem  Namen  des  Dämons  der  Bäume  oder  des 
Ortes,  Kimis,  der  augenscheinlich  verderbt  ist,  jedenfalls  ist  hier 
von  einem  nicht  christlichen  Gebrauche  zu  Ehren  eines  dämoni- 
schen Wesens  die  Rede.  Da  Kimis  nachher  „(smgnlaris)  deus 
agri  Plotelscä^'  genannt  wird,  ist  vielleicht  an  den  von  Kirsch- 
bämnen  gebildeten  h.  Hain  des  Schutzgeistes  (vgl.  o.  S.  53.)  der 
Burg  Ploteli  zu  denken,  den  man  zu  gewissen  Zeiten  mit  geschlach- 
teten Hähnen^  und  angezündeten  Lichtern  ehrte.  Dieser  im 
Haine  oder  Baum  wohnefnde  Schutzgeist  des  Hauses,  Hofes  und 
seiner  Bewohner  steht  aber  dem  schwed.  Värdträd,  deutschen 
Maibaum  so  nahe,  daB  auch  die  Sitte,  Kerzen  auf  diesem  anzu- 
zünden, sieh  dem  litauischen  Brauche  vergleichen  und  iHr  nicht 
christiieh  erklären  läßt^  Femer  ist  z.  B.  der  von  den  kleinen 
Mädchen  im  Kuhländchen  (Kr.  Troppau)  beim  Maiengehen  umher- 
getragene Tannenbaum  aufter  mit  Eiem  und  bunten  Bändern  auch 
mit  vergoldeten  Nttssen  geziert  Auch  wird  bei  der  Darstellung 
des  bekannten  Wettstreits  zwischen  Sammer  und  Winter  (Uhland 
Sehriften  HI,  18  ff.)  der  Sommer  in  Baiera  stäts  als  ein  Mann 
mit  grttnem  Zweige  in  der  Hand,  in  der  Schweiz  einen  Baum 


1)  S.  J.  Lasicii  de  dies  Samagitanun  libellas  p.  47  ed.  Manubardt. 
Mitau  1868.   p.  11.    Cf.  Haupt,  Zs.  f.  d.  A.  I,  139. 

2)  So  warf  der  Lette  das  frische  nnd  blutige  Fleisch  geschlachteter 
Tiere,  vorzugsweise  von  Hähnen  in  den  hinter  dem  Hause,  häufig  in  einer 
Ecke  des  Gfurtena  stehenden  Harn  des  mahjas  Enngs  »,des  Herrn  d«8  Gehöf- 
tes/' der  Este  in  den  Schutzhain  u.  s.  w. 

«  3)  Vgl.  auch  das  Verbot  heidnischer  Sitte  in  den  Poenitentiaricn  an 
heiligen  Quellen,  auf  Felsen  und  an  heilig  gehaltenen  Bäumen  keine  Lichter 
oder  Fackeln  „pro  yeneratione *'  anzuzünden,  noch  Brod  oder  andere  Opfer- 
gaben niederzulegen,  Begino  II.  Cap.  5.  N.  48.  Poenitent.  Merseburg.  Vgl. 
Priedberg,  Bußbücher  S.  24.  61.  86. 


246  Kapitel  HL    Baani«eeU  als  VegetatUmfd&moii : 

mit  Aepfeln  und  Birnen  in  Flittergold  gehttllten  Nttssen  and  flat- 
ternden Bftndem  in  der  Hand  haltend  dargestellt;^  in  Oestreidi 
trägt  die  schlacke  Gestalt  des  Sommers  ein  weiAes  wallendes 
Kleid  9  von  breitem  Goldgttrtel  zusammen  gehalten  mid  einen  mit 
grttnen  Bändern  geschmttekten  Strohhat;  seinen  Stab  krönt  ein 
Tannenwipfel  mit  ktinstlichen  Blättern  und  yom  Herbst  her 
bewahrten  Fruchten.  Der  Anftag  findet  am  Frühlingsanfang 
statt'  Es  ist  aber  dieser  Yon  einer  „Sommer^'  boiannten  Person 
in  der  Hand  getragene  Baam  onverkennbar  nichts  anderes,  als 
jener  aafgepflanzte  oder  in  Prozession  einhergetragene  Baum,  der 
selbst  Sommer,  Leto  u.  s.  w.  heiSt  Von  letzterem  bildet  dann 
wiederam  nur  eine  Spielart  der  nach  kirchlichen  Ansehaaongen 
wol  nor  benannte  Adamsbaam,  der  im  Saulgaa  (Wttrtembei^)  am 
Sonntag  nach  Lichtmesse  durch  einen  in  Schafspelz  gehüllten 
Mann,  unter  Voraustritt  eines  Fahnenträgers,  eines  Pfeiffers,  eines 
Trommlers  and  eines  Latemenknechts  von  den  Mitgliedern  der 
Feaerlöschmannschaft  umhergetragen  wird.  Es  ist  ein  mäßiges 
Bäamchen,  woran  lauter  Aepfel  und  essige  Dinge  steck- 
ten, die  an  die  zugespitzten  und  abgeschälten  Aestchen  au^e* 
spießt  sind.  Der  Zug  nmschreitet  dreimal  jeden  Brunnen;  tot 
der  Herberge  angelangt  wirft  man  plötzlich  den  Adamsbaom  in 
die  Jugend  hinein,  die  darüber  herfällt  und  sich  darum  sdilägt' 
Eine^andere  Spielart  des  lito  ist  der  Palmenstrauß ,  der  in  man- 
chen katholischen  G^enden  am  Palmensonntage  ttUieh  ist  (s. 
Beinsberg -Dttringsfeld,  Das  festliche  Jahr  S.  94  —  98).  Inder 
Umgebung  Yon  Basel  besteht  er  aus  einem  Tannenbaom  von 
zwölf'  oder  mehr  Fuß  Höhe,  der  geschält  und  seiner  Zweige 
beraubt  ist,  so  daß  nur  eine  zierliche  Ejrone  übrig  bleibt  In  diese 
werden  mit  gespaltenen,  oben  und  .unten  mit  Buchsbaum  und 
Sävenbaum  verzierten  Weidenbändem  Stechpalmenzweige  hinein- 
gebunden. Diese  ganze  mit  Palmzweigen  geschmückte  Krone 
umgeben  aber  schützend  4  aus  den  Hecken  geholte  Haselzweige, 
welche  unterhalb  der  Krone  im  spitzen  Winkel  vom  Stamme  des 
Tannenbaumes  abwärts  stehend  über  dem  Wipfel  nach  innen 
zusammengebogen  und  mit  einem  flatternden ,  buntfarbigen  Seiden- 


1)  Vgl.  ühland  a.  a.  0.  S.  41.    Vernalekeii ,  Alpensagen  S.  359. 

2)  A.  Baumgarten,  das  Jahr  und  seine  Tage.    Linz  1660.    S.  35. 

3)  Birlinger,  Volkstttml.  a.  Schwaben  II,  S.  50,  65. 


ChriBtblock  und  Weihnaohtsbaiim.  247 

bände  zosamineiigebimdeii  sisd^  nachdem  man  auf  jede  8 — 4 
der  schöBfiten  rotbackigen  Aepfel  in  gleichmäßigem  Abstände 
gesteckt  hat  Jedes  Hans  läßt  einen  soldien  Palmstrauft  in  der 
Kirche  weihen  und  pflana^  ihn  dann  bis  Ostern  im  Garten  auf. 
Dann  wird  er  feierlich  ins  Haus  getragen ;  und  in  einer  Kammer 
verwahrt;  bei  Gewittern  verbr^nt  man  Zweige  dayen  auf  dem 
Heerde,  die  Haselruten  werden  in  den  Viehställen  angesteckt 
Genau  zu  diesem  Baseler  PaJmstrauß  stimmt  die  im  Saterlande 
gebräuchliche  Wepelröt  oder  Werpelrot.  Fräher  bestand  die- 
selbe einfach  aus  einem  astreichen  Baumzweige  (zumeist  Wach- 
"holder  oder  Stechpalme  ilex  aquifolium)  von  iVt — 2  F.  Höhe, 
mit  Bändern  und  Blumen  geschmückt,  dessen  Spitzen  mit  Aepfeln 
und  Kuchen  besteckt  waren.  Im  Amte  Kloppenburg  ist  es  noch 
jetzt  ein  geschälter,  geraspelter,  mit  A.epfeln  und  Neujahrskuchen 
versehener,  mit  Flittergold  und  Band  verzierter  Weidenstock. 
Gewöhnlich  jedoch  erhält  die  Wepelröt  heutzutage  im  Saterlande 
eine  kunstvollere  Gestalt,  indem  die  mehrzinkige  Gabel  der  Aeste 
die  regelmäßige  Form  eines  aufrecht  stehenden  Bades  angenom* 
men  hat;  dessen  Speichen  über  die  Felge  hervorragen  und  mit 
Aepfehi  und  Kuchen  besteckt  sind,  indeß  die  Nabe  durch  ein 
Herz  aus  vergoldetem  Holze  dargestellt  wird.  Am  Nei^gahrs- 
abende  schleichen  sich  die  verliebten  Burschen,  welche  freien 
wollen,  zu  den  Häusern  ihrer  Freundinnen  und  suchen  die  Wepel- 
röt heimlich  zur  Türe  hineinzuwerfen,  worauf  sie  durch  einen 
Spruch  und  einen  Pistolenschuß  ihre  Gegenwart  ankündigen.  Die 
Hausbewohner  verfolgen  den  eilig  Davonlaufenden.  Wird  er 
erwischt,  so  muß  er  auf  dem  Kesselhaken  reiten  und  Wasser 
mit  Kaminruß  trinken;  dann  wird  er  festlich  bewirtet  Die 
Beschenkte,  welche  die  Gabe  nicht  zurückweist,  muß  dieselbe 
am  h.  Dreikönigstage  auf  die  nämliche  Art  mit  der  „Tünschär 
oder  Tfinskör'^  erwiedem,  welche  gegenwärtig  der  Wepelröt  an 
Gestalt  gleich  ist,  ehedem  aber  in  einem  IV2  F.  langen  Kohl- 
stamme bestand,  der  in  einen  Torfsoden  gesteckt  war,  an  der 
Spitze  eine  Papierlateme  und  an  dem  Stamm  mehrere  fußlange 
dünne  Stäbchen  trug,  an  denen  Kuchen  und  Aepfel  u.  s.  w. 
hifigen.  Ehedem  diente  die  Wepelröt  auch  zur  Erforschung  der 
Zukunft.  Der  Hausherr  setzte  sich  in  der  Neujahrsnacht  an  das 
Heerdfeuer,  Gebete  sprechend,  auf  dem  Haupte  das  Zeichen  der 
Freiheit,   den  Hut,  in  der  Hand  die  Bute,  und  schleuderte  die- 


248  Kapitel  III.    Baamaeele  als  Vegetationsdämon : 

selbe,  sobald  er  den  richtigen  Augenblick  gekommen  wähnte, 
über  den  Kopf  nach  dem  Dielenranm.  Wohin  die  Spitze  der 
Wepelrot  zeigte,  dorther  kam  im  Laafe  des  Jahres  die  Braut 
seines  großjährigen  Sohnes,  oder  dahin  zog  seine  erwachsene 
Tochter  als  Fraa.^  Die  nrsprttngliche  Form  der  Wepelrot  stimmt 
fast  ganz  genau  mit  der  am  2.  Sonntag  des  März  umhergetrage- 
nen Sommergabel  in  Speier  (s.  u.  S.  262).  Daß  sie  den  Gelieb- 
ten gebracht  wird,  ist  eine  Eigenschaft,  die  sie  mit  dem  Maibaum 
teilt,  die  Art  ihrer  Ueberbringnng  ist  genau  dieselbe,  welche  nach 
Beendigung  der  Ernte  bei  der  Ueberbringnng  der  den  Getreide- 
dämon darstellenden  Komfigur  von  einem  Nachbar  zum  andern 
beobachtet  wird.  Der  Ueberbringer  stellt  den  aus  der  Pflanze 
heraus  und  neben  sie  hingetretenen  Vegetationsgeist  selber  yor. 
Das  sind  drei  auf  den  nämlichen  Punkt  weisende  Fingerzeige, 
welche  uns  bestimmen  mttssen,  die  saterländische  Wepelrot  ftr 
eine  eigentflmliche  Form  der  Darstellung  des  Lebensbaumes  oder 
baumgestaltigen  Vegetationsdämons ,  tVr  den  bei  Beginn  des  neuen 
Lichtes  in  der  Wintersonnenwende  auftretenden  Doppel^nger 
des  Maibaums  zu  erklären ,  der  mit  dem  Maibaum  auch  die  Eigen- 
schaft teilt,  den  liebenden  Burschen  als  Symbol  ihres  eigenen, 
der  begehrten  Jungfrau  entgegengebrachten  Lebensbaumes  zu 
dienen.  Die  als  Gegengeschenk  dargebrachte  Torfsode  mit  dem 
grttnen  Eohlstamme  bedeutet,  daß  die  Jungfrau  sich  dem  wer- 
benden Geliebten  als  Eigentum  hinzugeben  bereit  sei.  Denn 
Torf  und  Zweig,  oder  grüner  Torf  d.  h.  ein  ausgeschnittenes 
Erd-  oder  Rasenstück  mit  einem  grttnen  Aste  darin  war  nach 
altdeutschem  Rechte  das  Symbol,  mittelst  dessen  ein  Grundstttck 
aufgelassen  d.  h.  aus  dem  rechtiichen  Besitze  des  seitherigen 
Inhabers  gesetzt  und  dem  neuen  Herrn  zu  Pfand  oder  Eigentum 
übertragen  wurde  (R.  A.  110.  115).  Hier  aber  mag  wol  noch 
die  tiefere  Beziehung  hinzukommen,  daß  die  Jungfrau  nun  auch 
Jhren  Lebensbaum  aus  dem  Täterlichen  Boden  gelöst  dem  Bi^u- 
tigam  zum  Eigentum  entgegenbringt.  Doch  dem  sei,  wie  ihm 
wolle,  unsere  Schlußfolgerung  aus  den  vorstehenden  Ausftihmngen 


1)  S.  Kiüm,  Noidd.  Sag. 406, 142.  Strackerjan  I,  88, 115.  II,  32,  298. 
Das  goldene  Herz  inmitten  der  Wepelrot  ist  ein  durch  die  Verwendung  bei 
der  Freierei  hervorgerufener  Zierrat.  Kuhn  a.  a.  0.  518,  J.  W.Wolf,  Beitr. 
I,  114  u.  Simrock,  Handb.  Aufl.  2.  S.  570  haben  Unrecht  in  der  modernen 
Form  des  Wepelrot  ein  Bild  der  Sonne  zu  suchen. 


Ohristblook  und  Weihnachtsbaum.  249 

geht  darauf  hinaus  ^  daß  der  fruchibeladeney  lichtererheJUe  Weih- 
nachtsbaum flieht  dUein  äußerlich  gewissen  Formen  des  Mai- 
baums, Johannisbawn  u.  s.  w.  lAto,  entspreche ,  sondern  daß  auch 
in  der  Neujahrs  -  oder  Weihneuhtzeit  gawf  unmittelbar  das  Auf- 
treten des  den  Sommer,  d.  h.  den  Vegetationsdämon  darstellenden 
Baumes  in  mehreren  Formen  nachgewiesen  werden  kann.  Auch 
jene  westnUische^  aehwedische  und  italische  Sitte  (o.  S.241),  vor 
den  Häusern  die  grttnen  Tannenbäume^  oder  Lorbeerzweige  auf- 
eustecken,  die  eisässisdie  zu  Neujahr  den  Brunnen  mit  einem 
Mai  zu  sehmttcken,  sehen  nicht  aus  wie  ein  Ausfluß  des 
christlichen  Ideenkreises  und  sind  von  der  Ausschmttckmig 
der  englischen  Kirchen  mit  Orangenzweigen  vielleicht  ebenso 
zu  trennen  y  wie  von  der  Ausschmückung  der  englischen  Häu- 
ser mit  dem  Mistelzweig,  die  möglicherweise  wiederum  mes- 
sianisches  Symbol  waren  ;^  faUs  nicht  auch  diese  erst  allmäh- 
lich ans  profaner,  auf  die  Jahreswende  bezüglichen  Anwendung 
in  christlichen  Anschauungen  umgedeutet  und  in  kirchlichen 
Gebrauch  gezogen  sind.  Will  man  nicht  den  Sommer  im  Lätare- 
brauch,  den  Maibaum  und  Emtemai  yom  Paradiesesbaum  oder 
,Ghristbaum  ableiten  (was,  wie  wir  später  sehen  werden,  die 
griechische  Eiresione  auf  das  bestimmteste  verbietet),  so  bleibt 
auch  hier  nichts  anderes  übrig,  als  die  Annahme,  daß  parallel 
dem  Mittsommeifeste  ein  heidnisches  Mittwinterfest  gefeiert  wurde, 
an  welchem  man  in  einzelnen  Orten  oder  Gegenden  den  baum- 
gestaltigen  Dämon  der  Vegetation  proleptisch  ganz  nach  Art  des 
Maibanms  darstellte ;  und  daß*  dann  im  Mittelalter  irgendwo  diese 
ältere  jetzt  nur  in  seltenen  Resten  noch  erhaltene  Sitte  des  Land- 
Yolkes  aufgenommen,  im  Sinne  der  christlichen  Weihnachtsmytho- 
logie umgedeutet  und  soweit  es  nötig  war,  umgestaltet  ist.  So 
entstand  unser  Weihnachtsbaum.  Es  ist  kein  Zufall,  daß  dieser 
im  Laufe  unseres  Jahrhunderts  sein  Herrschaftsgebiet  allmählich 
auf  und  über  die  ganze  deutsche  Nation  erweitert  hat.  Ist  der 
frische,  immergrüne  Baum  doch  ein  Symbol,   das,   so  lange  er 


1)  Die  anf  einem  andern  Baume  wachsende;  vermeintlich  vom  Himmel 
gefaUene,  von  den  Druiden  zur  Winterszeit  mit  goldener  Sichel  abgeschnit- 
tene Mistel  galt  als  Sinnbild  des  vom  Himmel  stammenden  auf  dem  Kreu- 
zesholze  Frucht  bringenden  Erlösers.  Seb.  Bouillard,  Parthenie  ou  histoire 
de  la  tres  auguste  -  et  tres  devote  eglise  de  Chartres.  Paris  1609  p.  51. 
LftBt  sich  diese  Auffassung  schon  aus  Uterer  Zeit  nachweisen? 


250  Kapitel  III.    Banmseele  als  Vegetationsdämon: 

nicht  dnrcb  Ueberladimg  yerunstaltet  wird,  niemals  veralten  and 
den  Schönheitssinn  beleidigen,  oder  zur  Verwechselung  yoQ  Bild 
und  Sache  Anlaß  geben  kann ,  ein  Symbol  und  treffendes  Gleich- 
nifi  für  das  Leben  der  nach  Licht  (Erkenntnis)  und  Widirheit 
strebenden,  Frttchte  der  Liebe  treibenden  reinen  Menschheit,  des 
Gattnngsideales,  das  wir  zu  yerwirklichen  streben,  dessen  Beprä- 
sentant  uns  Christus  ist  Und  ein  froher  Gedanke  darf  es  uns 
sein,  daß  unser  Volk,  indem  es  dieses  Symbol  in  gewissem 
Sinne  zum*  Kennzeichen  seiner  Nationalität  gemacht  hat,  den 
Lebensbaum  der  rdnen  Menschheit,  wie  sie  sein  soll,  als  iden- 
tisch erklärte  mit  seinem  eigenen  Leben. 

Nicht  ein  bloßer  Namentausch  ging  hier  vor  sich,  sondern 
die  alteinheimische  Natursymbolik  und  die  christliche  Poesie 
trafen  in  mehreren  Punkten  zusammen,  in  der  Idee  des  Lebens- 
baums und  in  der  Zeit  seiner  Darstellung  (Wintersonnenwende, 
Weihnachten).  Diese  gleichen  Elemente  zogen  sich  an,  flössen 
'irusammen  und  führten  damit  zugleich  die  Vereinigung  auch  der 
übrigen  widerstrebenden  Glieder  der  beiderseitigen  Ideenkreise 
mit  sich.  Der  Nachweis  eines  derartigen  Herganges,  wie  wir  ihn 
hier  am  Ohristblock  und  Christbaum  beobachtet  haben,  wird  fllr 
unsere  ganzen  weitem  Untersuchungen  fruchtbar  und  von  Wichtige 
keit  werden.  Festigen  wir  deshalb  unsere  Beobachtung  zum  Schlüsse 
dieses  Abschnittes  durch  zwei  naheliegende  sichere  Analogiea 

Die  allegorische  Auffassung  des  Kreuzes,  des  Erlösers  und 
der  Madonna  als  Lebensbaum  führte  dahin,  diesdben  auch  mit 
dem  Maibaum  zu  yergleichen;  dergleichen  Vergleiche  finden  sieh 
häufig  bei  dem  Mystiker  Heinr.  Suso  und  in  holländischen  Volks- 
liedern ^  z.  B. 

Die  meie,  die  is  al  bi  den  weoh  gheset 

Op  eenen  beroh,  die  staet  also  hoghe, 

Ora  dat  een  jeghelyc  soude,  sonder  let,. 

Den  soeten  cruicen  mei  aenscbonwen  moghen. 

Nu  staen  des  meien  tacken  uitghespreit. 

Ende  bloeyen  schoon  gbelyc  rode  rosen. 

So  wie  syn  senden  bier  bescbreit, 

Onder  desen  boem  eal  hi  hem  verposen. 

Diese  Vorstellung  des  Kreuzes  als  Maibaum  ist  auch  in  tien  Volks- 
gebrauch übergegangen.    Vgl.  o.  S.  173  die  Ausschmückung  des 


1)  HofFmann  yon  Fallersieben,  Holl.  Yolksl.  24t»  25. 


Der  Schlag  imt  4er  Lebensrüt«.  861 

MaibamiiB  mit  den  Marterwerkseugen  CäiriBti.  Lehrreicher  noch 
ist  die  Umdentimg,  welche  die  Yoratelluig  vom  wilden  Jlkg&t 
(Wode),  der  xnn  die  Wintersonnenwende  mit  seinen  Hunden  darch 
die  Laft  tährt^  durch  fromme  Geistliche  des  Mittelalters  erfuhr, 
welche  daraus  den  Engel  Gabriel  machten^  der  mit  seinen 
Bracken  (Wahrheit,  Gerechtigkeit,  Friede!  und  Erbarmen)  das 
Eiohom  (Christas)  üi  den  Schoß  der  Maria  jagt.  ^  Diese  den 
BatschluA  der  Erlösung  verbildlichende  Scene,  die  den  likigel  als 
Jäger  mit  dem  Hifthorn  zeigt,  war  während  des  14.  und  15. 
Jahrhunderts  häufig  Gegenstand  der  -Darstellung  auf  kirchlichen 
Kunstwerken.'  Aus  dieser  Zeit  wird  daher  auch  der  nach- 
stehende Volki^laube  stammen.  In  Staffordhire  nennt  man  die 
wilde  Jagd  „Gabriel  hounds'^  und  zuLembeck  in  Westfalen  „de 
engelske  Jagd^  d.  L  Jagd  des  Engels.^  Hier  trafen  wieder  die 
Begriffe  Jagd,  Hunde  und  Zeit  der  Jagd  von  beiden  Seiten 
zusammen  und  bewirkten  die  Verschmelzung  der  Vorstellungen. 

§.  9.  Der  Sehlas  mit  der  Lebensrute.  Die  südslavische 
Weihnachtsgerte  und  der  Christiblock  sollten,  wie  wir  sahen, 
sowol  das  Oetreide  vermehren,  als  das  Wohlsein  der  Menschen 
und  sämmtlicher  verschiedener  Tiergattungen  befördern.  Wir 
faMen  sie  sammt  dem  Christbaum  als  christlich  umgedeutete 
wioterliche  Formen  des  Maibaums,  somit  als  Verkörperungen  des 
Vegetationsdämons  auf.  Nahe  Verwandte  begegnen  uns  in  einer 
Reihe  von  Sitten,  welche  man  unter  dem  gememsamen  Namen 
„Schlag  mit  der  Lebensrute^'  zusammenfassen  könnte;  Menschen, 
Tiere,  Pflanzen  werden  zu  verschiedenen  Zeiten  des  Jahres  mit 
einem  grünen  Zweige  (resp.  Stock)  geschlagen  oder  gepeitscht, 
um  gesund  und  kiMig  zu  werden.  In  Böhmen  ist  es  der 
0.  S.  155ff.  besprochene  „Sommer,''  der  zu  diesen  Gebräuchen 
verwandt  wird.  In  einigen  Orten  des  Königsgi^tzer  Kreises 
verstecken  die  Mädchen  am  Lätaretage  ihren  Sommer,  der  aus 
mehreren  mit  bunten  Bändern  durchöochtenen  Weidengerten 
best^t,  unter  der  Schürze  und  warten  hinter  irgend  einer  Tür, 


1)  S.  Mannhardt,  Weihnachtsblüten  S.  161. 

2)  Piper,  eraBgl.  Kalender  1859  S.  38  ff.  R.  Bergan,  Altprenfi.  Monatschr. 
IV,  723 — 27.  Erans  in  Jahrbfloher  des  Vereins  der  Altertnmsfrennde  im 
Sheinlande  XLIX.  1870.  S.  128—134. 

3)  Choicenotes  from  notes  and  qneries.  Folklore  London  1859  S.  247.  -- 
Kühn,  Westf.  Sagen  II,  13,  83. 


252  Kapitel  DI.    Baomsede  ala  Vegetatioiisdämoii: 

oder  einem  Torweg  auf  die  jongen  Bnrsche,  um  sie  imYersefa^idfl 
damit  zu  schlagen;  anderswo  in  Böhmen  schlagen  die  Fraaen  mit 
dem  Sommer  ihre  Männer,  indem  sie  rafen:  ;,gieb  was,  gieb  was, 
gieb  was !  ^  Jeder  Barsehe  oder  Mann  trSgt  Aepfel  bei  sich,  um 
sich  Yon  weitem  Schlägen  loszukaufen.  ^  Auch  die  Knaben  gehen 
an  diesem  Tage  mit  ihrem  bebänderten  und  eierbehan- 
genen  Bäumchen  umher,  indem  sie  zugleich  Peitschen  f&hren, 
die  ans  Weidenzweigen  mit  jungen  Trieben  (Pabnkätzchen) 
geflochten  sind.  Damit  schlagen  sie  die  begegnenden  Mädchen 
und  fordern  Yon  denselben' unter  eigenen  Benennungen  ein  Geld- 
geschenk.* Dieselbe  Sitte  hat  mit  geringer  Abänderung  am  Mai- 
tag mit  den  Maibäumchen  statt  In  der  Umgegend  yon  Prag 
ziehen  am  ersten  Mai  die  Musikanten  auf  den  Dörfern  herum. 
Ihnen  folgen  im  Laufe  alle  erwachsene  jui^en  Bursche  mit 
Maienzweigen  in  der  Hand  und  schlagen  einander  damit  gegen- 
seitig unter  den  Worten:  „da  hast  du  Glttck!^^  Wer  es  ver* 
gißt,  den  bittet  der  andere  darum,  indem  er  sagt:  „Gieb  mir 
Glttck^'  und  er  erwiedert  mit  dem  Schlage:  „da  hast  du's.'^^  Auch 
in  andern  Landschaften  begegnet,  wenn  gleich  nur  noch  in  ver- 
blaßter Spur  das  Schlagen  von  Seiten  der  Sommerkinder. 
Am  zweiten  Sonntage  im  Monat  März,  dem  sogenannten  Sommer- 
tag fand  in  Speier  (wie  vielerorten  am  Main,  Unter-  und  Mittel* 
rhein)  ein  Kampf  zwischen  dem  in  Stroh  gehüllten  Winter  und 
dem  bekränzten  Sommer  statt;  am  nämlichen  Tage  zogen  und 
ziehen  noch  die  Kinder  mit  .der  Sommergabel  einher,  einer 
fußlangen  Holzrute,  die  sich  oben  gabelförmig  teilt,  geschält  und 
bandförmig  bemalt  ist  [wie  der  Maibaum  o.  S.  177j,  in  Zwi- 
schenräumen sind  ans  abgeschältem  Holze,  wie  bei  den  bekannten 
Fliegenwedeln,  wulstige  Ringe  gebildet.  In  die  Gabel  ist  eine 
Bretzel  von  mttrbem  Teige  gesteckt,  auf  die  Gabelspitzen  unmer- 
grttne  Buchsbaumsträußchen  und  auf  ein  Aestchen  unter  der  Gabel 
ein  Apfel;  einige  von  oben  herabhangende  bunte  Bänder  vollen- 
den die  Ausstattung  der  Sommergabel.  Die  Knaben  singen  von 
Haus  zu  Haus  gehend  und  Geld,  Obst,  Backobst  einsammelnd: 

1)  Krolmus,   Staroc^eske  poveati  II,   19  —  20.     Reinaberg  -  Döringsfeld, 
Festkalender  a,  Böhmen.    Wien  and  Prag  1861.  S.  92. 

2)  Panorama  des  Universums  Prag  1834.  S.  347.    Beinsberg -IMiriiigs- 
feld  a.  a.  0.  93. 

3)  Krolmus  a.  a.  0.  U,  249.    Beinsberg -Düringsfeld  206. 


Der  SchlAg  mit  der  Lebensmte.  253 

Trariro, 

Der  Sommer  der  ist  do. 
Zum  Biere^  zum  Biere! 
Der  Winter  liegt  gefangen. 
Und  wer  nicht  dazu  kömmt, 
Den  schlagen  wir  mit  Stangen. 

Audenwo  in  dereelben  Gegend: 

Trariro,  der  Sommer  ist  do.  ^ 

Wir  wollen  hinaus  in  den  Garten, 
Und  wollen  des  Sommers  warten. 
Wir  wollen  hinter  die  Hecken 
Und  wollen  den  Sommer  wecken. 
Der  Winter  hats  verloren, 
Der  Winter  liegt  gefangen. 

Und  wer  nicht  dazu  kommt  [wer  säumig  im  Hause  oder 

Bette  weilt?] 
Den  schlagen  wir  mit  Stangen. ' 

Wir  werden  dasselbe  Weseli,  wie  den  Maibaum  und  Lito,  den 
baamgestaltigen  Geist  des  Wachstnms  erkennen,  auch  wo  wir 
diesen  Znsammenhang  nicht  mehr  so  unmittelbar  vor  Augen  sehen, 
wie  in  den  namhaft  gemachten  Beispielen.  Wir  folgen  bei  Dar- 
stellung der  einschlägigen  Sitten  zunächst  dem  Laufe  des  Jahres. 
An  Maria  Lichtmesse  (2.  Februar)  peitschen  die  ICnechte  und 
Mägde  um  Halle  a.  d.  S.  einander  mit  Ruten  aus  dem  Bette; 
diese  Ceremonie  heißt  das  Lerckenwecken ,  mit  andern  Worten 
also  den  Frtthling  herbeiftthren. '  In  Westfalen  schrieb  man  f tl  r 
das  Gedeihen  des  Flachses  vor,^  daß  die  Weiber  am 
Ldchtmesstage  im  Freien  (auf  dem  Acker)  tanzten.  Bei  diesem 
Tanze  trugen  sie  Holundergerten  in  Händen,  mit  denen  sie 
auf  die  Männer  losschlugen,  die  sich  der  Tanzstelle  näherten. ' 
In  Niedersachsen  (Mecklenburg,  Holstein,  Hannover,  Schaumburg  - 
Lippe)  ist  Fastnacht  der  begünstigte  Tag  ftlr  die  Ausübung  dieser 
Brtluche.  An  diesem  Tage  backt  man  dreieckige  oder  runde 
Fladen,  heiße  Wecken  (hStweggen^  hetwigen)  genannt,  mit  denen 
sieh  die  Geschlageneu  loskaufen  oder  bedanken  müssen.  Davon 
erhält  der  ganze  Gebrauch  vielfach  den  Namen  H&tweggen  ütstü- 
pen,  hStweggenstäupung  (Mecklenburg,  Holstein).    Man  treibt  die 


1)  Beimann,  D.  Volksfeste  S.  30.    Myth.»  725.    Vgl.  weiter  unten,  dafi 
anch  Tiere  tob  den  Todaastrügem  nü  Stecken  gesohla^en  werden. 

2)  £.  Sommer  S  147. 

3)  Montanus,  die  deataohea  Volksfeste  S,  2L 


254  Kapitel  m.    Banmseele  als  Vegetationsdamon : 

Langschläfer  mit  Birkenruten  aus  den  Betten;  die  Barsche  ton« 
dies  den  Mädchen  an;  oder  man  schlägt  die  Entgegenkommenden 
des  andern  Geschlechts.  In  einigen  Städten  stäupt  man  nur  die 
Finger.  Sodann  beschenkt  man  sich  gegenseitig  mit  ^en  Fastel- 
abendsruten.  Statt  der  grünen ,  vom  lebenden  Banme  genom- 
menen Gerten  benutzte  man  dazu  mehrfach  auch  zarte  aus 
Silberdraht  gewundene  Ruten,  an  welche  Wickel- 
kinder, schnäbelnde  Täubchen  und  dergleichen  Spiel- 
werk angebunden  waren. ^  Im  Hannoverschen,  Hildesheimi- 
schen, Schaumburgischen  ist  der  Brauch  unter  dem  Namen  fuen 
(ehedem  fudeln,  oder  futtehi)  bekannt.  In  Hannover  beginnt  schon 
einige  Zeit  vor  Fastnacht  das  Hedwigenbacken  aus  Weizenmehl 
und  Konnten  und  'die'  Lehijungen  der  Bäcker  und  Böttcher 
besorgen  sich  Zweige  der  immergrünen  stachlichen  Stechpalme 
(Stecheiche,  Hülsenstrauch,  ilex  aquifoUum).  Daraus  verfertigen 
sie  Fu^bttsdie,  indem  sie  sie  mit  Knittergold  und  bunten  Bändern 
schmücken  und  bebinden.  Hiemi^  versehen  erbetteln  sie  aa  den 
Häusern  der  Kunden  Trinkgeld,*  von  den  Mägden  bunte  Bänder; 
im  Weigerungsfalle  werden  letztere  atrf  Hände  und  Arme  mit 
den  stachlichen  Hülsen  tüchtig  geschlagen.  Das  nennt  man  „fn^n.^' 
Am  Fastnachttage  wird  der  Brauch  allgemeiner  und  spielt  auch 
namentlich  auf  den  Dörfern  eine  größere  Bolle,  wo  sich  das 
Jungvolk  wochenlang  vorher  auf  den  muntern  Scherz  freut '  Im 
Hildesheixoischen  wird  statt  der  Stechpalme  mit  einem  bänder- 
geschmückten kleinen  Tannenbäumchen  oder  mit  einem 
Rosmarinstengel  ,ygefuhef  Die  Kinder  und  Bursche  schla- 
gen die  Frauen  und  Mädchen  damit  an  die  Knöchel  und  rufen 
dabei  ^vmtte  gSm  gäwen?  (willst  du  gern  geben?)  Am  Tage 
4arauf  fuhen  die  Frauen  und  Mädchen.  Die  Geschlagenen  mtlssen 
sich  mit  kleinen  Geschenken  lösen.  ^   In  der  Grafschaft  Schaum- 


1)  J.  P.  Schmidt,  Fastelabendgebräuche  2.  Anfi.  Rostock  1752  p.  Sd. 
Jahrfoftcher  für  Landeskunde  von  Schleswig- Holstein -Laaenburg  Bd.  VI. 
Kiel  1868  S.  S96,  18.  Köhis  faraejal,  ,wie  er  war,  ist  nnd  sein  wird.  S.IS. 
14.  In  Holstein  singt  man  beim  Utstdpen:  „Stup  üt,  sttLp  üt  min  Hede- 
weck —  tot  Osten  tot  westen,  —  de  fettsten  sünd  de  besten:  —  Sund  se 
denn  to  kl6n,  —  so  gifffc  et  tw6  for  6n;  —  sünd  se  denn  to  gröt,  —  so  het 
et  6k  k^n  nM;/' 

2)  B. Seemann,  HannoTorscfae  Sitten  nnd  Gebr&nehe  in  ihrer  Beriekong 
zur  Pflanzenwelt  Leipzig  1862.  S.  24. 

3)  K.  Seifart,  Hildesbekn.    Sagm  H.  1860.  S.  188. 


Der  Schlag  mit  der  Jiebensrute.  265 

bnig  binden  die  Kneehte  dagegen  wieder  aus  Stechpalmen  Httlsen 
oder  Fnesträache  zosammen;  mit  denen  sie  am  Fastnachtabend 
sogar  in  die  Häuser  dringen  nnd  den  Mädchen  und  Franen 
die   Waden   so  derbe   peitschen ^   daß   oft  Blut  fließt.    Dabei 

singen  sie: 

Fq«,  fvä  Fafilahmt  (Fastelabend)! 

Wenn  du  geren  geben  wntt, 

Schast  da  sau  langen  Flass  hebben! 

Sie  machen  hiezu  eine  Geberde,  um  anzuzeigen,  wie  hoch  der 
Flachs  werden  soll.  Sind  die  Weiber  tüchtig  gefugt,  so  muß 
Branntwein  und  Wurst  angetragen  werden.  Am  zweiten  Fast- 
nachtstag haben  auch  die  Mädchen  das  Becht  des  Fuens,  wobei 
die  Männer  nicht  ohne  blutige  Hände  davon  kommen;  in  gan? 
fremde  Häuser  wird  eingedrungen,  weder  der  Püarrer  noch  die 
Gutsherrschaft  bleibt  verschont.  ^  Ehedem  machte  nicht  einmal 
die  Landesherrschaft  eine  Ausnahme,  alte  Bechnungen  des  Fürstl. 
Gesammtarchivs  zu  BUckeburg  weisen  noch  die  Trinkgelder  nach, 
mit  welchen  der  Fürst  sich  loskaufte.  Landau  im  Archiv  f.  Hess. 
Gesch.  U,  278  liefert  folgende  Belege:  1584  am  3.  März  zu  Haus- 
beigen:  daselbat  aas  S.  G.  beueUch  den  Megten  im  Neuen  Haus, 
als  sie  S.  G.  Im  Fastelabent  steupen  wollen,  Vt  Taler; 
1685  am  23.  Februar  (FaBtnachtabend  war  der  21.  Febr.)  M.  g. 
Hern  zum  Haus  Berge  bei  (durch)  s.  G.  Jungen  gesandt^  so  die 
Megte  zum  Fudelgelde  bekommen  12  Groschen.  1586  am 
14.  Febr. :  daselbst  den  Megten  zu  Arnssburg,  so  m.  g.  Here  Ihnen 
zu  Futelgeld  geben,  1  silbern  Dicker.  Wie  roh  es  übrigens 
in  der  guten  alten  Zeit  bei  solcher  Gelegenheit  herging,  kann 
der  nachstehende  Bericht  zeigen :  nee  minus  poena  aliqua  arbitra- 
ria  severiori  animadverti  posse  videtur  in  eos,  qui  uti  in  locis 
aüquibns  praesertim  inferioris  Germaniae  vulgo  ac  plebejis  mos 
est,  tempore  quadragesimali  im  Fachtnacht  mulieres  sibi  obviam 
factas  inhonesto  ioco  interdum  denudatis  posterioribus 
virgis  vel  etiam  herba  aliqua  pungente  feriunt,  cum  non 
solum  foeminis,  quae  saepius  hunc  iocum  male  ferunt,  haud 
levem  iniuriam  infligant,  sed  scandalum  etiam  praebeant,  vel 
ipsa  turpi  hac  detectione,  vel  quod  sanctisshnas  Christi  piagas 
CO  tempore  ob  peccata  nostra  tolerataa  deludere  ac  in  iocum  con- 


1)  Lynker,  Hessische  Sagen  8.237. 


Sft6  Kapitel  III.    Banmseele  als  Vegetationsdämon: 

yertere  ab  alüs  videri  possint  ^  Eine  ältere  noch  rohere  Form 
des  Gebrauchs  VSM  die  längst  vergessene  Grondbedentang  der 
Worte  fuSn  d.  i.  faden ,  Fiidelgeld,  Fnttelgeld  erraten ,  welche, 
da  nhd.  fiiden  faden,  ahd.  fao^an  alere,  in  semer  niederd.  Form 
föden^  fben  absteht,  schwerlich  anders,  denn  als  Denominativa 
zu  vnt,  ynd  in  dem  Sinne  von  moliebria  virga  contingere  erklärt 
werden  können.  Die  Stänpnng  der  Frauen  wäre  danach  ursprüng- 
lich der  wichtigste  Teil  der  Ceremonie  gewesen.  In  der  Alt- 
mark ziehen  Fastnachtabend  die  Knechte  mit  Musik  von  Hof 
zu  Hof,  und  stäupen  mit  Birkenreisern  fein  nach  der  Ord- 
nung zuerst  die  Hausfrau,  dann  die  Töchter,  zuletzt  die  Mägde; 
die  Hausfrau  giebt  Schnaps,  Eier-  und  Mettwurst,  die  Mädchen 
einen  bebänderten  Strauß  yon  Buchsbaum  oder  anderm  Grün  auf 
den  Hut  der  Knechte.  *  Zwischen  Halberatadt  und  Braunschweig 
peitscht  man  sich  am  Aschermittwoch  gegenseitig  mit  Tannen- 
reisem  und  nennt  das  nach  dem  Tage  „äschern,  Asch  abkehren/^' 
Der  Carmelitergeneral  Jo.  Bapt.  Mantuanus  (Spagnoli  f  1518) 
schildert  uns  in  seinem  dem  Ovid  nachgeahmten  Festkalender 
(Fasti)  den  itaUänischen  Festgebrauch^  seiner  Zeit.  Sein  Bericht 
fiberbietet  nocl^  die  Notiz  Tilemanns.  Nachdem  er  an  das  römi- 
sche Luperealienfest  erinnert,  bei  welchem  umlaufende  Jünglinge 
die  Hände  der  Frauen  mit  Riemen  aus  Boekshäuten  schlagen, 
fthrt  er  fort: 

Ista  BuperstitiOy  levis  haec  insania  nostros 

Transllf  in  mores 

Per  fora ,  per  vicos  it  personata  libido 
Et  censore  carens  snbit  omnia  tecta  volnptas, 
Nee  numum  palmas,  sed  membra  recondita  pulsat. 
Perque  douios  remanent  foedi  vestigia  capri. 

Bei  den  Letten  in  Kurland  gehen  zu  Fastnacht  die  buddeli,  in 
umgekehrte  Pelze  gehüllte  Personen  herum,  welche  komische 
Tänze  aufiftthren  und  Groß  und  Klein  mit  langen  Ruten  schla- 
gen,  bis  sie  tractiert  werden. 

Der  Paimsonntagj   oder,   wie  er  in  der  Ukraine  heißt ,   der 
Weidensonntag,    gilt  dem  Russen   als  das  Vörfest   yon  Ostern. 


1)  Tilemanni  commentatio  histor.  moralis  von  dem  Becht  der  nackigen 
Haupter,  Brüste,  Bäuche,  Scbaam  und  Füße.   Cap.  DI.  §.  2. 

2)  Kuhn,  Mark.  Sag.  307. 

3)  Sommer  S.  147. 


Der  Schlag  mit  der  Lebensrate.  257 

An  diesem  Tage  drängen  sich  Tausende  am  die  Kirche,  um  dort- 
hin in  Prozession  Weidenzweige  mit  Palmkätzohen  znr  Weihnng 
«1  tragen.  Kaum  hat  das  Volk  nach  Beendigung  der  heiligen 
Handlang  die  Eirchtür  hinter  sieh,  so  werden  yomehmlich  von 
den  jungen  Barschen  die  Weidenraten  geschwnngen  and  anter 
dem  Bafe:  „die  Weide  schlägt,  nicht  ich,  in  einer  Woche  ist 
Ostern!'^  ansanfk- aaf  den  Bttcken  der  Zonächststehenden,  mit 
Vorliebe  aber  der  Fraaen  and  Mädchen  fallen  gelassen.  Am 
nächsten  Moigen  jagt  das  jnnge  Volk  bei  der  Bttckkehr  aas  der 
Frühmesse  alle  die  Langschläfer,  welche  die  Kirche  versäumt 
haben,  mit  seinen  Buten  aus  den  Betten,  iodem  man  spricht: 

Nicht  ich  schlage, *die  Weide  schlägt; 
In  einer  Woche  der  große  Tag; 
Werde  groß,  wie  die  Weide, 
Uftd  gesund,  wie  das  Wasser, 
Und  reich,  wie  die  Erde. 

Auch  in  Großrudland  ist  es  bei  den  niederen  Ständen  Üblich 
mit  dem  Ausruf:  „nicht  ich  schlage,  die  Weide  schlägt,^'  dieje- 
nigen, welche  die  Frtüimesse  verschliefen,  zu  schlagen;  während 
m  Botroßland  die  aus  der  Kirche  kommenden  Andächtigen  ihre 
zu  Hause  gebliebenen  Kinder  und  Dienstboten  mit  den  Palmen- 
zweigen schlagen,  indem  sie  sagen: 

Nicht  ich  schlage, 

Die  Weide  schlägt; 

In  einer  Woche  ist  Ostertag. 

Krankheit  in  den  Wald! 

Gesundheit  in  die  Geheine! 

Diesem  Wunsche  entsprechend  essen  arme  Leute  häufig  am 
Palmsonntag  die  Kätzchen  def  Weide  zu  Brei  gekocht.  Die 
Zweige  selbst  bewahrt  man  das  Jahr  hindurch  mit  vieler  Ehr- 
furcht auf  ^  In  Würtemberg  schlagen  die  Knaben  am  Palmsonn- 
tag nach  der  Kirche  mit  den  geweihten  Palmen  auf  einander  ein, 
welche  aus  Bnchsbaum,  Seven,  Wachholder,  Tannenzweigen, 
Holunderkreuzen,  Aepfeln,  vergoldeten  Eiern  und  Nüssen  zusam- 
mengesetzt sind  (vgl.  0.  S.  246) ,  ans  Scheunentor  oder  an  die 


1)  Magazin  f.  Literatur  des  Auslandes  1855.  Mai  15.  N.  58.  Beins- 
berg-Dilringsfeld,  Illnstr.  Zeitung  1874.  N.  1605.  Derselbe^  Nationalzeitung 
1874.  N.  187. 

Mannhardt  17 


358  Kapitel  III.  Banmseele  als  Vegetationsdamon: 

Stall-  resp.  Hanstttr  genagelt  werden  und  dort  verbleiben, 
bis  sie  von  selbst  herunterfallen ,  oder  nach  Jahresfrist  ver- 
brannt werden.  In  Ellwangen  prügeln  die  städtischen  Jnngen 
damit  die  Buben  der  Filialdörfer  und  diese  geben  die  Hiebe  derb 
genug  zurück.  Ebenso  in  Saulgau,  wo  zuerst  nach  den  Aepfeln 
an  den  Palmen  der  Gegner  gestupft  und  geschlagen  wird,  wo 
aufierdem  nach  der  Palmsonntagsprozession  sogar  der  Pfarrer  vor 
dem  Kornhaus  auf  dem  Markte  sich  nieder  legte  und  von 
einem  andern  Geistlichen  mit  einer  Sevenbaumrute  gestri- 
chen wurde.  In  Oberbettringen  klopfen  die  Buben  zuerst 
beharrlich  mit  ihren  Palmbesenstielen  auf  den  Boden  /  dann  den 
andern  mit  den  Besen  an  die.  Köpfe. ^  ,,Auff  diß  kumpt  der 
Palmtag,  da  tragen  die  Christen  den  tempel  voll  großer  bttschel 
Palmbeum  und  angebunden  äst,  die  weihet  man  fiir  alles 
vngewitter  an  das  feür  gelegt.  Vod  fitrett  ein  httltzin  Esel  auff 
einem  wägelin  mit  einem  darauff  gemachten  bild  yhres  Gots  in 
der  statt  herumb,  singen,  werffen  palmen  für  yhn  und  treiben  vil 
abgötterei  mit  disem  yhrem  httltzinen  Gott  Der  Pfarrer  legt 
sich  vor  diesem  bild  nider,  den  schlecht  ein  ander 
Pfaff.  Die  schttler  singen  und  deuten  mit  fingern  darauff. 
Zwen  Bachanten  legen  sich  auch  mit  seltzamer  Ceremoni  vnd 
gesang  vpr  dem  bild  nider,  da  wirffl;  jedermann  mit  palmen  zu, 
der  den  ersten  erwisch  treibt  vil  Zauberei  damif ' 

Es  sind  meist  slavische  oder  ehedem  slavische  und  erst 
durch  Germanisierung  deutsch  gewordene  Landschaften,  in  denen 
sich  unser  Brauch  am  Osterfeste  abspielt,  Westpreußen,  Ost- 
preußen (Masuren,  Samland,  Litauen),  Neumark,  Uckermark, 
Voigtland,  Schlesien,  Oesterr.  Schlesien,  Mähren,  Böhmen,  Ober- 
hessen.'   Im  Voigtlande  heißt  er  „aufhauen"  oder  „aulpeitschen," 


1)  Birlinger,  Volkstüml  a.  Schwaben  II,  72  —  75.  N.  86—92. 

2)  Sebast  Praock,  Weltbuch.   1534  f.  CXXXP. 

3)  Wuttke,  Abergl.  §.83.  Peter,  Volkstural.  a.  Oesterr.  Schlesien  U, 
285.  Vemaleken,  Mythen  u.  Gebr.  in  Oestr.  300  if.  Krolmus  a.  a.  0.  II,  33. 
Beinsberg -Dflringsfeld,  Böhm. -Festkai.  163.  Hinz,  die  gute  alte  Sitte  in 
Altprenßen.  Kgbg.  1862.  S.  51.  N.  Pr.  Provinzialbl.  B.  VI.  Kgbg.  1848. 
227,  94.  Toppen,  Abergl.  a.  Masuren,  Aufl.  2.  S.  69.  A.  Englienu.  W.  Lahn, 
der  Volksmund  in  Brandenburg.  Berlin  1868.  S.  232,  13.  231,  9.  Kuhn, 
Nordd.  Sag.  373, 17.  Köhler,  Yolksbrauch  im  VoigtUnde.  Lpz.  1867.  8.173. 
Estor,  Oberhess.  Idiotikon  s.  y.  smakustem. 


Der  Sohlag  mit  der  Lcbensrute.  259 

in  der  Neumark  und  Uckermark  „stäupen/'  „stiepen/'  sonst 
überall  „schmacköstem/^  ,,8chnieck5stem/'  „schmagÖBtem'^  (Schie- 
nen) ;  ,,  schmaknstem '^  (Oberhessen).  Die  Gzechen  nennen  das 
Schlagen  mit  der  Ostergerte  vymrskati  auspeitschen,  bei  Policka 
im  Kreise  Ghrudim  gmerkust.  Schmackoster,  Schmagoster,  Oster- 
sehmflck  (Kreis  Saatz)  heißt  dann  in  Ostpreußen ,  Schlesien  und 
Nordböhmen  auch  die  Gerte,  oder  das  Geflecht,  mit  welchem  die 
Schläge  erteilt  werden.  Die  Gzechen  sagen  dafür  pomlazka. 
Dem  deutschen  Ausdruck  ,, stäupen/'  ,,8tiepen''  entspricht  der 
slaviscfae  smagac,  peitschen  (verwandt  mit  smacke,  smicke, 
Peitsche),  den  die  Kassuben  bei  Dauzig  ftlr  den  Gebrauch  rer- 
wenden.  Der  polnische  Name  für  Schmackostem  lautet  smignst 
Yon  der  Nebenform  smigad  peitschen ,  stäupen,  prügeln.  Hieraus 
ist  das  deutsche  Schmeckostem  (das  mit  dem  Imperativ  schmecke 
zusammengesetzte  Hauptwort  Ostern)  volksetymologische  Umdeu- 
tung.^  Sonst  ist  im  Kassubischen  für  die  Handlung  gewöhnlich 
das  Verbum  dyggowac  gebräuchlich,  das  eigentlich  auf  die 
gegenseitige  Wasserbespritzung  geht,  welche  in  diesen 
Landschaften  vielfach  das  Schmackostem  zu  begleiten  pflegt, 
wogegen  den  Wasserpolacken  in  Oberschlesien  und  noch  sonst 
bei  Polen  umgekehrt  smigurst,  smigust  die  gewaltsame  Taufe 
der  Mägde  am  zweiten  Ostertage  bedeutet.'    In  Masuren  gilt  es 


1)  Vgl.   Hennig,    Preuß.   Wb.    Kgbg.  1785.    S.  175.     Grimm,  Myth.« 
557.  Zeitschr.  f.  vgl.  Sprachf.  1.255.  11,52.    Mrongovins,  poln.  Wb.486. 

2)  Vgl.  Myth.*  557.  Amn.  *:  „In  Polen,  Schlesien  werden  am  zweiten 
Ostertage  die  Mädchen,  welche  die  Frühmesse  verschlafen  haben, 
von  den  Burschen  gewaltsam  mit  Wasser  he  gössen  und  mit  Birken- 
rnten  geschlagen;  oft  reißt  man  sie  hei  Nacht  ans  den  Betten,  schleppt 
sie  in  einen  Fluß  oder  Röhrtrog,  in  eine  wassergefüllte  Krippe  und  läßt 
sie  das  Bad  aushalten.  Die  Schlesier  nennen  das  Schmackostem.*'  —  Im 
Komitat  Kolos  Bezirk  Teckcndorf  (Siebenbirgen)  begießt  man  zu  Ostern  die 
Frauen  und  Mfidehen,  damit  der  Hanf  im  Laufe  des  Sommers  gut  wachse. 
In  Ungarn  (namentlich  im  Presburger ,  Neutraer  und  Bacser  Comitat)  werden 
die  Madchen  am  Ostermontage  von  den  Burschen  mit  ganzen  Eimern  Wasser 
blossen,  wo  sie  sich  nur  hlicken  lassen.  Beim  Adel  ist  diese  Sitte  zum 
Besprengen  aus  Fläschchen  voll  Rosenwasser  verfeinert.  I^afÜr  rächen  sich 
die  Mädchen  am  Osterdienstag  mit  Fitzelruten  an  allem  Mannsvolk,  oft  selbst 
an  den  geistliehen  Herrn.  Diese  Ruten  „schibäks"  von  slovak.  schibät  fitzeln 
sind  sechs-  bis  achtfach  geflochtene  Weidenruten  mit  bunten  Bändern  und 
farbigen  Zeugstreifen  umwunden.  S.  O.  Schade,  Klopfan.  S.  59ft.  Uebrigens 
ist  diese  Sitte  seihst  von  Geistlichen  geübt  worden.     Das  Concil  zu  Nantes 

17* 


260  Kapitel  LEI.    Banmseele  als  Vegetationsdämon : 

als  eine  besondere  Aufmerksamkeit ,  wenn  ein  junger  Mann  ein 
junges  Mädchen,  oder  umgekehrt  eine  Jungfrau  den  Jüngling 
am  Ostermontag  (resp.  Ostersonntag)  schmackostert  oder  begießt 
Sehr  häufig  sind  heutzutage  nur  die  Kinder  die  Träger  der  alten 
Sitte  y  vielfach  aber  noch  die  erwachsene  Jugend  des  LandTolks, 
Bursche  und  Jungfrauen ,  wie  junge  Eheleute.  So  schlagen  z.  B. 
im  Kreise  Chrudim  vom  frühen  Morgen  an  die  Männer  ihre 
Frauen  y  die  Bursche  die  Mädchen ,  die  Knechte  die  Mägde  und 
die  kleinen  Knaben  die  kleinen  Mädchen.  Meistentdls  gehen  die 
Knaben  oder  jungen  Bursche  am  Ostermontag  truppweise  im 
Dorfe  von  Haus  zu  Haus,  oder  einzeln  in  die  Häuser  ihrer 
Bekannten  und  schlagen  jedes  begegnende  Mädchen  oder  Weib, 
treffen  sie  sie  ^  noch  im  Bette ,  so  peitschen  sie  sie  buchstäblich 
hinaus  mit  dem  Rufe:  „Schmeck  Ostern  (Darkehmen),  oder: 
Steh  auf,  Ostern  ist  da!^^  (Schlesien).  Im  böhmischen  Oberlande 
(Komotau,  Saaz)  begiebt  sich  der  Knabe  im  Festgewand  —  ein 
Tüchlein  an  den  Zipfeln  haltend  —  zu  Paten,  Vettern  und 
etwa  auch  andern  reichen  Leuten,  tritt  vor  die  Zimmertflr  und 
ruft:  „rote  Eier  heraus,  oder  ich  peitsche  die  Mädeln  aus!'^ 
Am  Osterdienstage  rächen  sich  dann  oft,  aber'  nicht  immer  in 
gleicher  Weise  die  Mädchen,  nur  daß  sie  meistenteils  nicht  auf 
der  Straße  von  Hof  zu  Hof  umherziehen,  sondern  sich  damit 
begnügen  die  im  eigenen  Hause  befindlichen  Mannsleute  aus  den 
Betten  zu  treiben.  Kinder  schmackostem  auch  wohl  ohne  Unter- 
schied des  Geschlechts  Eltern  und  Verwandte  und  Bekannte  und 
jeden  Begegnenden.  Seltener  findet  das  Schlagen  schon  am 
Ostersonntag  statt  und  zwar  entweder  vor  der  Frühmesse,  oder 
nach  dem  Nachmittagsgottesdieuste ;  die  Heiligkeit  des  ersten 
Festtages  tat,  so  scheint  es,  gegen  den  weltlichen  Brauch  Ein- 


1431  verbot  als  ünfng:  In  crastino  Paschae  clerici  ecdesiarum  et  alii 
ad  domos  adjacentes  accedunt,  cameras  intrant,  jacentes  in  lectis 
'  capiunt  et  nodos  dncnnt  per  vicos  et  plateas  et  ad  ipsas  ecdesias 
non  sine  magno  clamore  et  super  altare  et  alibi  aqnam  super  ipsos 
projiciunt:  ex  quibus  sequitur  diyini  officii  turbatio,  oorporam  laesio  et 
inembrorum  quandoqae  mutilatio.  Insuper  quideui  alii  tarn  olerioi  qnam  laici 
prima  die  Maji  de  mane  ad  domos  aliomm  accedunt  et  capiunt  et  oagunt 
per  captionem  vestium  et  aliorum  bonorum  et  se  redimere  oportet.  Aehn- 
liebes  wurde  im  Concil.  Andegav.  ann.  1448  verboten.  Mercur.  Fran9. 
1735.   p.  897.   Du  Gange  s.  v.  prisio. 


Der  Schlag  mit  der  Lebensrute.  261 

gpraeh.  Im  Voigtlande,  wo  die  Knaben  in  der  Frtthe  des  ersten 
Ostertages  aufhauen,  üben  die  Mädchen  erst  am  ersten  Pfingst- 
tage  das  Veigeltungsrecht.  Vielfach  beschränkt  sich  die 
Sitte  darauf;  die  Frauen  zu  schmackostern.  Zuweilen 
Bchmackostem  schon  am  Ostermontag  die  beiden  Geschlechter 
sich  gegenseitig.  Ein  altes  Zeugniß  f&r  das  Schmackostern 
gewährt  schon  um  1160  Job.  Beleth  in  seinem  Rationale  divino- 
mm  offieiorüm:  Notandum  quoque  est  in  plerisque  regionibus 
secundo  die  post  pascha  mulieres  maritos  snos  verberare  ac 
vicissim  viros  eas  tertia  die:  quod  ob  eam  rem  faciunt,  ut  osten- 
dant  sc  mutuo  debere  eorrigere,  ne  tempore  illo  alter  ab  alter- 
ntro  thori  debitum  exigat.  Durch  solche  Deutung  suchte  die  Geist- 
lichkeit die  Volkssitte  christlich  zu  rechtfertigen.  Das  Werkzeug, 
mit  welchem  die  Schläge  erteilt  werden,  ist  oft  noch  ein  mit 
jungen  BläMem  grün  ausgescMagenes  Birkenreis  (Litauen,  Sam- 
land,  Neumark,  Obererzgebirge).  Haben  die  Birken  im  Freien 
noch  keine  Knospen,  so  werden  die  Ruten  einige  Tage,  ja  selbst 
wochenlang  vorher  in  warmes  Wasser  gestellt  und,  hilft  auch 
das  nicht,  die  Abende  vorher  in  die  aus  dem  geheizten  Ofen 
in  den  Schornstein  mtlndeude  Röhre  gehalten.  Gemeinhin  nimmt 
man  statt  der  Birkenreiser  Weidenzweige  mit  Palmkätzchen,  die 
erforderlichenfalls  ebenfalls  durch  Wasser  und  Ofenwärme  her- 
vorgetrieben werden.  Mit  Vorliebe  werden  mehrere  solcher  Bir- 
ken- oder  Weidenzweige  zu  einer,  Rute  verbunden,  die  in  Böh- 
men, Mähren,  Schlesien  durch  weitem  Schmuck  eigentümliche 
Formen  annimmt^  und  den  Namen  pomlazka,  pomlaska  oder 
pomrhoda  ft[hrt.  Die  pomlazka  ist  zwar  zuweilen  eine  einzelne 
mit  ^Bändern  und  Flittern  geschmückte  Gerte,  gewöhnlich  jedoch 
eine  Peitsche,  welche  von  3,  6  oder  9  (zuweilen  auch  4  oder  8), 
mitunter  bis  gegen  die  Spitze  hin  geschälten  Weidenruten  zusam- 
men gedreht  und  mit  bunten  Bändern,  so  viel  umwunden  oder 
mit  bunten  Papierschnitzeln  so  dicht  durchflochten  wurde,  daß 
sie  wie  ein  farbiger  und  knospenreicher  Blumenstengel  aussieht, 
in  Nordböhmen  bilden  auch  noch  wirkliche  Frühlingsblumen  den 
Aasputz.  In  der  Gegend  von  Komotau  und  Saaz  sind  die  Palm- 
zweige mit  Streifen  von  buntem  Seidenzeuge  oder  Kattun  an  der 
Spitze  und  am  Handende  zusammengebunden  und  von  oben  bis 
unten  mit  ähnlichen  Streifen  verziert.  Statt  der  Weidenruten 
(Mähren)  oder  mit  denselben  zusammen  (Oesterr.  Schlesien)  ver- 


262  Kapitel  m.    Banmseele  als  Vegetationsdftroon: 

wendet  man  auch  wol  Süßholz  oder  Süßholm/ourzdn  ^  in  der 
Weingegend  B(>hmen8  abgebrochene  Weinrehen  (dann  heiftt 
die  Schmackoster  yinoyacka)^  oder  man  bedient  sieh  sogar  einer 
kttnstlieh  aus  bunten  Lederriemen  hergestellten  Osterpeitsche  (Mäh- 
ren,  Oesterr.  Schlesien).  Das  Hauen  mit  der  Schmackoster  oder 
pomlazka  wählt  sich  vorzugsweise  die  FUfie  (OstpreuBen)  und 
Händey  resp.  Fingerspitzen  (Elbing)  der  Begegnenden  zum  Ziel. 
Geben  die  Knaben  um  Deutschbrod  den  Frauen  nur  leichte 
Schläge ;  so  peitschen  sie  um  Mährisch  Trttbau  die  Mädchen  ganz 
ernstlich  an  den  Füßen.  Bei  den  Kassuben  ging  es  noch  vor 
30  Jahren  in  der  rohen  Weise  her ,  welche  Tilemann  (o.  S.  255) 
beschreibt.  Wie  aber  die  in  Oesterr.  Schlesien  beim  Schmack- 
ostem  gesungenen  Lieder  lehren,  erforderte  ehedem  der  vollstän- 
dige Brauch  y  daß  von  oben  herab  [aUe  Glieder^  Kopf,  Rttcken, 
Arme,  Hand,  Beine,  Fttße  schmackostert  wurden.  Hier  eins  aus 
Zuckmantel,  aus  dem  dialektischen  Original  in  die  Schriftsprache 
übertragen: 

Heut  ist  Ostern; 

Da  geht  man  sohmackostern, 

Um  den  Bfioken,  um  den  Band, 

Da  kommen  die  Fliegen  rausgerannt. 

Wenn  sie  werden  nicht  weichen, 

Werden  wir  sie  runterstreichen. 

Meine  Schmackoster    ist  süßei 

Da  han  ich  dich  nm  die  FttSe. 

Laßt  euch  nicht  lange  pnffen 

Um  ein  Stücklein  Kuchen. 

Ein  anderer  Gesang  aus  Hotzenplotz: 

Jetzt  kommen  wir  zum  liehen  Ostem, 

Laß  das  Töchterlein  ein  wenig  schmackostenL 

Dann,  dann  am  den  Kopf, 

Daß  du  denkst,  es  ist  ein  Klösetopf; 

Dann,  dann  um  den  Bücken, 

Daß  dich  nicht  die  Bürden  drücken; 

Dann,  dann  um  die  Arme, 

Daß  dn  dich  lernst  der  Lent  erbarmen; 

Dann,  dann  um  die  Hand, 

Daß  die  Leute  werden  erkannt; 

Dann,  dann  um  die  Beine, 

Pafi  du  immer  bleibst  daheime; 

Dann,  dann  um  die  Füße, 

Daß  du  lernst  die  Alten  grüßen; 


Der  Schlag  mit  der  Lebensrate.  263 

Dann,  dann  daheram. 

Die  Fliegen  lanfen  dort  hinum; 

Dann,  dann  dorthinum, 

Die  Fliegen  laufen  dahemm.i 

Das  in  diesen  Liedern  erwähnte  Austreiben  der  Fliegen 
bezieht  sich  auf  den  Volksglauben,  daß  die  mit  der  Osterrute 
Gepeitschten  den  Sommer  hindurch  nicht  vom  Ungeziefer  (zumal 
Fliegen 9  Flöhen  und  Mücken)  zu  leiden  haben  sollen.'  Sonst 
beißt  es  auch,  wer  scÜage  bringe  Glück.  Der  Schmackosterte 
wird  nach  dem  Hotzenplotzer  Gesang  das  Jahr  hindurch  keine 
Rückenschmerzen  empfinden;  im  Erzgebirge  sollen  demjenigeui 
der  am  2.  Ostertage  sich  peitschen  läßt,  oder  selbst  peitscht,  im 
nächsten  Jahr  die  Beine  nicht  weh  tun;^  in  Böhmen  empfiehlt 
man  das  Prügeln  mit  frischen  Weidenruten  als  Mittel  gegen  die 
fallende  Sucht  (Epilepsie).^  Meistenteils  jedoch  sind  diese  von 
der  Ceremonie  des  Schmackostems  erwarteten  Wirkungen  ver- 
gessen und  der  Brauch  wird  nur  noch  des  Spaßes  halber  und 
um  des  Geschenkes  willen  geübt ,  mit  dem  die  Geschlagenen  sich 
bedanken,  resp.  von  weitern  Schlägen  loskaufen  müssen.  Dieses 
Geschenk  besteht  der  Hauptsache  nach  aus  rohen  oder  gekochten 
weißen,  oder  buntgefärbten  (bemalten,  mit  Inschriften  versehenen) 
Eiern y  dazu  konunt  auch  wol  ein  Kuchen  (Fladen),  gelbes  (mit 
Safran  gefärbtes)  Osterbrod;  ältere  Verwandte  und  Junggesellen 
geben  auch  wol  etwas  Geld.  Die  Frauen  und  Mädchen  werden 
80  lange  auf  Hände  und  Füße  geschlagen,  bis  sie  mit  ihren 
Eiern  herausrücken.  Bald  ist  das  nur  ein  buntbemaltes  Ei,  so 
im  Bunzlauer  Kreise,  das  giebt  £e  Jungfrau  dem  Burschen,  der 
sie  geschlagen  hat  mit  den  Worten: 

Wem  das  Ei  icb  schenken  werde, 
Den  lieb  ich  aus  vollem  Herzen; 
Wem  das  Eichen  schenke  ich, 
Den  hab  von  Herzen  lieb  ich. 

Anderswo  (Melnik)  lösen  sich  die  Wirtin  und  die  kleinen 
Mädchen  mit  je  drei,   die  erwachsenen  Mädchen  und  Mägde  mit 


1)  Peter,  Volkstümliches  ans  Oesterr.  Schlesien.  Troppan  1855  I»  87—88. 

2)  Beinsberg -Diiringsfeld  8. 167. 

3)  M.  Spidfi,  Abergl.  ans  dem  Obererzgebirge  8.  11. 

4)  W.  Grohmann,  Abergl.  a.  Böhmen  176»  1253. 


264  Kapitel  UI.    Baumseele  als  YegetationsdämoD: 

je  sieben  bis  vierzehn  Eiem.  Von  dieser  Gegengabe  der  Geprügel- 
ten heißt  der  ganze  Umzug  ün  Kreise  Saaz,  nm  Komotan  und 
Erzgebirge  das  „Eierlaufen,"  das  „Eierpeitschen."  Die  jungen 
Leute  verschenken  als  Gegengabe  ihre  „Schmtlckosterruten" 
(Grüneberg  Schlesien),  oder  sie  finden  sich,  wenn  sie  am  Oster- 
dienstag  von  den  Weibern  gestäupt  werden,  mit  Marzipan  und 
Pfefferkuchen  ab;  endlich  führen  sie  das  Mädchen,  welches  am 
meisten  Eier  giebt,  den  nächsten  Sonntag  am  fleißigsten  zum 
Tanz  bei  dem  Festmahl,  das  von  den  gesammelten  Eiem  ange- 
stellt wird.  In  der  Uckermark  müssen  die  am  ersten  Ostertage 
gestiepten  Mägde  am  2.  Festtag  den  Knechten  Fische  und  Kar- 
toffeln im  Wirtshause  auftischen,  die  Knechte  aber  die  Musik 
zum  Tanz  besorgen. 

Daß  auf  den  Maitag  im  wesentlichen  dieselbe  Sitte  geübt 
wurde,  ist  schon  o.  S.  252  nachgewiesen.  In  Sttdirland  ist  es 
allgemeiner  Brauch  der  Schulbuben  an  diesem  Tage  mit  einem 
Bunde  Nesseln  (bunch  of  nettles)  wie  wild  umherzulaufen  und 
Gesicht  und  Hände  ihrer  Mitschüler  und  so  vieler  anderer 
Personen  damit  zu  schlagen,  als  sie  ungestraft  wagen  zu  kön- 
nen glauben.^  Zu  Eichicht  und  Bergen  im  Voigtlande  werden 
die  Mädchen  zu  Pfingsten  von  den  Burschen  mit  Blumen- 
sträußen gepeitscht.*  Zu  Holzheim  in  Schwaben  und  Neuburg 
gehen  an  den  drei  Sonntagen  vor  Pfingsten  neun  Knaben  mit 
Haselruten  von  Haus  zu  Haus  und  sagen  ein  Sprüchlein.'  Aus 
Frankreich  ist  der  Brauch  zu  Pfingsten  schon  ani  Ende  des 
14.  Jahrh.  nachweisbar.* 

Dem  niedersächsischen  Fastnachtsbrauche  und  der  slavischen 
Ostersitte  gegenüber  steht  in  Mittel  -  und  Südwestdeutschland  die 


1)  HoDe,  every  daj-book  I.   London  1866.   p.  297. 

2)  Köhler,  Yolksbranch  im  Voigtlande  S.  176. 

3)  Panzer,  Beitr.  II,  85,  129. 

4)  Liter,  remiss.  ann.  1400  bei  Dn  Cange  t.  Pentecoste:  Comme  le 
lendemain  de  la  Pentecoasto,  au  qnel  jonr  Ten  a  aconstam^  dualer 
gaiger  par  maniere  d^esbatement  ceulx,  qui  ne  sont  pas  levez  ponr  aler  boire 
BOT  le  diz  gaiges,  Estenart  acompaigni^  de  la  femme  Jehan  Paon  ala  en 
Fostel  de  Jehan  Daquief  de  la  ville  et  prist  des  gaiges  en  sa  maison  par 
bonne  amonr  et  esbatement  ponr  ce  que  le  dit  Dnqnief  de  la  Tille  n'estoit 
pas  yestn  et  ce  fait  alerent  en  Tostel  de  Jehan  Lenrenz  portenr  des  pardons 
et  y  entrerent  par  Tnys  de  derriere  et  ponrce   qu'il  n'estoit  pas  ler^ 


J 


Der  Schlag  mit  der  Lebensrate.  265 

ioeihfMchÜiche  Gewohnheü  des  ;,FrischgrtinstreicheDs/^  Fitzelns 
oder  Pfeffems.  In  mehreren  Thüringischen  Waldorten  z.  B.  Hohen- 
felden  bei  Weimar  schwärmen  die  Kinder  am  Tage  der  anschul- 
digen EJndlein  (28.  Dez.)  auf  den  Gassen  nnd  schlagen  die 
VorObei^henden  mit  Birkenreisern  am  die  Beine,  wofbr  sie 
Aepfel,  Ntlsse;  Pfefferscheiben  und  Schnittchen  bekommen.  In 
Weida  im  Weimarischen  gehen  sie  mit  Tannenzweigen ,  oft  sehr 
großen  9  umher  und  schlagen  auf  der  Strafte  alle  Begegnenden 
nnd  in  den  Häusern  die  Dienstmägde.  ^  Im  Voigtlande  und  am 
ganzen  sächsischen  Erzgebirge  peitschen  die  Bursche  die  Frauen 
und  Jungfrauen  am  zweiten  Weihnachtstag,  wo  möglich  wenn  sie 
noch  im  Bette  liegen,  mit  ausgeschlagen  en  Birkenruten,  die 
mit  rotem  Bande  zusammengebunden  sind ,  oder  mit  irgend  etwas 
Grttnem  (Kosmarinstengeln  oder  Wachholderruten).  Dazu 
singen  die  Schlagenden: 

Frische  Grün,  hübsch  und  fein, 
Pfefferknchen  und  Branntwein! 

Im  Orlagau,  wo  die  confirmierten  und  nicht  confirmierten 
Mädchen  am  zweiten,  die  Knaben  und  jungen  Bursche  am  drit- 
ten Weihnachtsfeiertage  ihre  Eltern  und  Paten  mit  grttnen  Tan- 
nenreisem,  Dienstboten  ihre  Herrschaften  mit  Rosmarinstengeln 
prügelten,  lautete  der  Spruch: 

Frisdies  Grün!    Langes  Lehen! 

Ihr  sollt  mir*n  blanken  Taler  (Nüsse  n.  s.  w.)  geben.* 

Dann  erhalten  sie  eine  Bewirtung  mit  Stollen,  oder  Pfeffer- 
kuchen und  Branntwein.  Am  dritten  Feiertage  zahlen  die  Frauen 
den  Männern  die  Schläge  zurück.^  In  der  Gegend  von  Hof 
peitschen  oder  „fitzeln^^  (d.  h.  mit  Ruten  streichen:  Grimm,  W.  B. 
III,  1696,  3)  die  Bursche  am  3.  Feiertage  Nachts  12  Uhr,  die 
Mädchen  zu  Neujahr.    In  gleicher  Weise  peitschen  (Böhmen)  die 


prindrent  semblableroent  des  gaiges  en  sa  maison  par'bonne  amonr  et  esba- 
tement;  et  qnant  vins  a  heare  de  disner  le  dlt  Estenart  apella  ou  envoya 
querir  le  dit  Dvqnief  de  la  Tille  '  ponr  venir  disner  en  Tostel  du  dlt  des 
Man»  snr  les  diz  gaiges. 

1)  0.  Schade,  Klopfan  S.  57. 

2)  O.  Schade  a.  a.  0. 

3)  Spiefi,  Abergl.  d.  sachs.  Erzgeb.   8.  9.  11.    Köhler,  Yolksbranch  im 
Yoigtlande  S.  174. 


»      • 


366  Kapitel  III.    Banraseele  als  Vegetationsdämon: 

Burschen  mit  Bflscheln  von  Weidenzweigen,  die  bereits  am 
4.  Dezember  (Barbara)  gebrochen  und  seitdem  klinstlich  getrieben 
sind  (Barbarakätzchen)  am  Tage  der  onschnldigen  Kinder 
(28.  Dezbr.)  ans;  an  dem  nämlichen  Tage  flbt  den  Brauch  in 
Untersteiermark  die  erwachsene  Jugend.  Im  Coburgischen  pfef- 
fern^ oder  „dengeln"  (d.i.  hämmern  Grimm,  Wb.  11,926) 
Knaben  die  Frauenzimmer  am  ersten  Weihnachtstage,  die  Mäd- 
chen die  Mannspersonen  am  Neujahrstage  mit  einem  grünen 
Strauß  eben,  wie  es  grade  zu  haben  ist  (Bnchsbaum  u.  dgl.); 
auch  im  Wasser  durch  Zimmerwärme  getriebene  blühende  Flie- 
der-, Kirschbaum-  oder  Lindenäste  dienen  ebensowohl  zu 
Weihnachtsbäumen,  als  zum  Pfeffern.  Mi  Vorliebe  wählt 
man  dazu  2  Rosmarinstengel.  Neuerdings  sind  auch  bel^nderte 
Ruten  in  Uebung  gekommen.  Die  Knaben,  welche  Pfefferkuchen, 
Aepfel  und  Nüsse,  heutzutage  auch  wol  als  Lohn  erbitten,  haben 
dabei  bestimmte  Sprüche,  wie  sie  in  Oesterr.  Schlesien  beim 
Schmackostem ,  im  Voigtlande  beim  Frischegrünstreichen  üblich 
sind.    Z.  B. 

1.  Stöhne  (kräana),  stöhne,  stöhne! 

Dn  wirst  mich  hent  noch  lohnen  (lUna) 
Mit  Pfefiferkuchen  und  Brantewein  n.  s.  w. 

2.  Ich  pfeif  er'  euch  von  oben  herein  (nnten  heran), 
Drei  Batzen  nehm'  ich  ein  (nehm*  ich  an); 
Weniger  nehm'  ich  nicht, 

Mag's  recht  sein  oder  nicht. 

3.  Ich  pfeifer'  Sie  von  nnten  'ran. 
In  der  Mitt'  ein  GÖckelhahn, 
Obendrauf  die  Krone, 

Sie  werden  mir  gern  noch  l'ohnen 
Mit  Pfefferkuchen  dameben; 
Das  Pfeffern  ist  mein  Leben. 


1)  Dieser  Name  rührt  her  von  den  Pfefferkuchen,  Pfefferzelten,  d.  L 
Gewftrzkuchen ,  Lebkuchen,  welche  als  „Lohn'*  von  den  (beschlagenen  den 
Schlägern  gegeben  wurden.  Schon  eine  Mfinchener  Yirgilhandsehrift  aus 
saec.  X— XI  gewährt  „liba  pfehorceltun."  Schmeller,  Bair.  W.  B.  1,306  ff 
Vgl.  das  Papistenbuch  saec.  XVI:  Den  nechsten  Tag  darnach  an  der  unschul- 
digen kindlen  tag  gehen  die  jungen  Gesellen  herumb  mit  einer  Buten ,  schla- 
gen die  Junckfrawen  um  den  Lebkuchen  und  difi  nennen  etlich  den  Pfeffer- 
tag.   Pfeiffers  Germania  XVII^dO  Tgl.  90. 


Der  Schlag  mit  der  Lebensrate.  267 

Ein  Mädchenspraoh : 

4.   Ich  pfeffer'  einen  schönen  Herrn, 

Ich  weiß  er  hat  das  Pfeffern  (die  Jungfern)  gern, 

Ich  pfeffer'  ihn  aus  Herzensgrand. 

Gott  erhalt*  den  schönen  Herrn  gesund.^ 

Eine  ehemals  im  Plassenbnrger  Archiv  befindliche  Polizeiver- 
Ordnung  der  Herrschaft  Lauenstein  vom  Jahre  1599  verbietet 
das  Kindlen  oder  Dingein  das  zu  Weyhnachten  getrieben  wird, 
da  die  großen  y  starken  knecht  den  Leuten  in  die  Hensser  laufen, 
die  Mägde  und  Weiber  entblösen  und  mit  Gerten  oder 
Ruten  hauen.'  In  Schwaben  gehen  am  unschuldigen  Kindertag 
die  Buben  in  den  Häusern  herum  und  bestreichen  mit  Btltlein 
jeden,  den  sie  treffen,  besonders  aber  die  Weiber.  Dabei  rufen 
sie  in  der  EUwanger  Gegend  Zelten  räß!  (scharfe  Fladen  d.  i 
Pfefferkuchen).^  In  Wurmlingen  „pfeffern"  die  Kinder  die  Haus* 
mutter  mit  den  Worten: 

Pfeffer,  Nüssen,  Kuchen  raus! 

Oder  ich  laß  den  Mader  (Marder)  ins  Hühnerhaas!* 

In  Augsburg  verbot  der  Rat  1538  das  „Lebzeltenstreichen."* 
Auch  in  Baiern,  Franken,  Oestreich  kennt  man  am  Tage  der 
unschuldigen  Kinder,  oder  am  St.  Stephanstage  (27.  Dezbr.)  das 
Pfeffern  mit  Wachholderstauden.  Die  pfeffernden  Jungen  sagen 
un  Schwabachgrunde  (Mittelfranken)  das  Sprüchlein: 

Schraeckts  Pfefferle  gut? 

Ists  gesalzen,  ists  g'schmalzen ,  schmeckts  noch  mal  so  gut.^ 

In  der  Gegend  von  Tübingen  und  Eßlingen  heißt  dagegen  der 
Weihnachtsdienstag  Pfeffertag.  Dann  sammeln  die  Knaben,  mit 
Ruten  von  „Weckholder"  oder  Tannen  umziehend  Nüsse,  Aepfel, 
Brod  ein ,  nur  guten  Bekannten  schlagen  sie  mit  der  Wachholder- 


1)  A.  Schleicher,  Volkstümliches  a'.  Sonnenberg.  Weimar  1858.  S.91— 92. 

2)  SpioB,  Archivalische  Nebenstanden  ni,  89.    Haltans-Soheffer,  Jahr- 
xeitbnch  167i    Lichtenfels  unweit  Coburg.    Vgl.  Sehade  a.  a.  0. 

3)  S.  A.  Birlinger,  Wörterbtichlein  zum  Volkstümlichen  in   Schwaben. 
Preiburg  i.  Breisgau  1862.    S.  75.  ^chmeller,  Wb.  HI,  126. 

4)  A.  Birlinger,  Volkstümliches  a.  Schwaben  11,12,24. 

5)  Birlinger  a.  a.  0.  H,  453. 

6)  Bavaria,  Mittelfranken  S.  957.    Vgl.  auch  noch  Weiteres  bei  Schmel- 
1er  W.  B.  I,  580  8   v.  fitzen,  306 ff.  s.  v.  pfeffern. 


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268  Kapitel  III.    Baumseele  als  Yegetationsdftmon: 

auf  die  Hand,^  wie  denn  überhaupt  in  Schwaben ,  der  Ober- 
pfalz, Franken  teils  die  Finger  teils  die  Füße  gepfeffert  wer- 
den. '  In  der  nördlichen  Schweiz  war  es  zu  Hospinians .  21eit 
(t  1626)  Sitte,  daß  die  Eltern  am  Morgen  des  Kindertages  mit 
Buten  aus  den  Betten  trieben.^  Auch  in  Frankreich  empfingen 
die  Kinder ,  welche  sich  in  der  Frühe  jenes  Tages  noch  im  Bette 
antrefien  ließen ,  einige  Schläge  auf  ihre  Hinterseite ,  wenn  sie  es 
verdienten  auch  wol  noch  etwas  mehr;  in  der  Normandie  aber 
taten  die  Frühaufsteher  unter  den  jungen  Leuten  selbst  diese 
Ehre  den  Langschläfern  an,  man  nannte  das  „bailler  les  Inno- 
cents  k  quelqu'un/^^  oder  innocenter.  In  Belgien  wurden  alle, 
welche  man  am  Allerkinderentag  im  Bette  überraschen  konnte, 
vorzugsweise  aber  die  im  Laufe  des  Jahres  verheirateten  junger^ 
Eheleute  mit  Ruten  gestrichen.^  In  England  war  die  Sitte  nicht 
unbekannt  „to  whip  up  the  children  upon  Innocents  Day.^'^ 
Endlich  heißt  auch  bei  den  Südslaven  in  Krain  tepeshkati  die 
Rute  geben  am  Tage  der  unschuldigen  Kinder. 

Noch  zweier  eigentümlicher  Formen  des  Brauches  will  ich 
gedenken.  Wenn  im  Schaumburgischen  das  „erste  Spann  getan,*' 
d.  h.  in  dem  Jahre  zuerst  uneder  gepflügt  ist,  schleichen  sich  die 
Knechte  zu  den  Mägden  und  peitschen  sie,  an  manchen  Orten  das 
ganze  weibliche  Personal  des  Hofes,  unter  dem  Ruf:  „teuf  (wehrte) 
ek  unll  dek  de  Fleie  (Flöhe)  ütklappen!'*  so  lange,  bis  sie  unter 
lautem  Holloh  vom  Hofe  entfliehen,  worauf  denn  die  Knechte 
noch  eine  Zeit  lang  mit  der  Peitsche  hinter  dreinlaufen.^  In  der 
Umgegend  von  Hall  im  nördlichen  Tirol  findet  am  unsinnigen 
oder  schmutzigen  Donnerstage  (dem  Donnerstag  vor  Fastnacht) 
das  Hudellaufen  statt.  Ein  mit  buntscheckiger  Kleidung  und 
emer  Larve  verkleideter  (gewöhnlich  reicher  und  angesehener) 


1)  Meier  S.  467,  219.  II,  12,  24. 

2)  0.  Schade,  Elopfan  S.  57. 

3)  Hospinian ,  do  Origine  festorum  OhriBtianorum.   Genevae  1674  f.  172. 

4)  Dnfressus  zu  Clement  Marots  Epigram  135.  Les  Origines  des 
quelques  coutames  anciennes.  Caen.  12^  1672  p.  141.  Cf.  Brand  pop.  antiqa. 
I,  536.  537.   De  Fnreti^re  Dictionnaire,  n.  Trevoox  Dictionaire'  s.  v.  innocenter. 

5)  Schayes,  essai  historiqae  sur  les  nsages  des  Beiges.  Louvain.  1834. 
p.  139. 

6)  Brand,  pop.  antiqa.  1,536. 

7)  Lyncker ,  hess.  Sagen.   S.  257,  341 ;  mündl. 


Der  Sehlag  mit  der  Lebensrute.  369 

Bauer  springt  von  den  Buben  herausgefordert  aus  dem  Wirts- 
hause hervor  ^  um  die  Lenden  einen  mit  Semmeln  besteckten  GuKt 
und  in  der  Hand  eine  lange  Peitsche,  an  welcher  mehr  als  50 
Bretzdn  hängen.  Er  wirft  die  Schnur  mit  den  Bretzehi  unter 
die  Buben  aus,  die  sich  sofort  um  die  Bretzehi  balgen,  bei  die- 
ser Gelegenheit  aber  mit  der  Peitsche  tüchtig  durchgegerbt  wer- 
den. Sodann  durchzieht  der  Hudler  die  Reihen  der  Bauern, 
welche  sich  inzwischen  in  einer  langen  Gasse  gelagert  haben, 
und  sucht  sich  einen  aus,  der  ihm  vorlaufen  soll.  Während 
dieser  sich  dazu  anschickt,  eilt  er  ihm  nach  und  schlägt  ihn 
ununterbrochen  so  lange  unter  die  Füße,  bis  er  ihn  eingeholt 
h(ü.  Dann  führt  er  den  Ereilten  in  die  Schenke,  bewirtet  ihn 
liebreich  mit  einer  Semmel  und  einem  Glase  Wein,  und  beginnt 
von  neuem  seinen  Lauf  mit  einem  andern  Bauern.  Dieses  Hudel- 
laufen dauert  immer  bis  Sonnenuntergaiig,  dann  entlarvt  sich 
der  Hudler  und  fahrt  im  Wirtshaus  den  Tanzreigen  auf.^  Das 
Hudler-  (oder  Hutler)laufen  hat  den  Zweck,  dem  Flachs  und 
Mais  ein  schönes  Gedeihen  zu  sichern.  Diesem  Tiroler  Fastnachts- 
brauch schließt  sich  der  schwäbische  an,  in  der  Faschingszeit  einen 
Schulknaben  in  Stroh  einzubinden,  der  mit  einer  Hasel- 
gerte in  der  Hand  als  „Butzenmann^^  empfangen  unter  die 
Dorfjugend  hervortritt,  und  wen  er  erwischt,  Buben  ader  Mäd- 
chen, mit  seiner  Rute  züchtigt.' 

Doch  nicht  bloß  auf  die  Menschen  erstreckt  sich  die  Sitte 
des  Auspeitschens,  sondern  auch  Tiere  und  Pflanzen  werden 
geschlagen.  Die  Albanesen  der  Riga  schlagen  Menschen  und 
Vieh  am  Morgen  des  l.  März  mit  einem  Komelkirschzweig,  was 
der  Gesundheit  sehr  zuträglich  sein  soll.^  Die  vom  Tod- 
austragen Heimkehrenden  am  Lätaresonntag  schlagen  begegnen- 
des Vieh  mit  Stäben  im  Glauben,  daß  es  dadurch  fruchtbar 
werde.  ^  Im  lettischen  Orte  Samiten  (Kurland)  werden  von  den 
Raten,  mit  denen  man  Fastnachtscherz  getrieben,  einige  Zweige 
verwahrt  und  damit  beim  ersten  Austreiben  die  Kühe  geschla- 


1)  J.   Gebhard ,   Oesterr.  Sagenbuch.    Pest  1862.   S.  471  ff.      Zingerle, 
Sitten*  139,  1211  —  1212. 

2)  Birlinger,  YolkstOml.  a;  Schwaben  11^23,50. 

3)  Hahn,  albanes.  Stadien  S.  15ö. 

4)  Myth.>  728. 


270  Kapitel  III.    Bftainseele  als  Vegetationsdämon: 

I 

gen^  die  dann  im  Sommer  nicht  von  den  Bremsen  leiden  sollen 
(mttndl.).  ,  Bei  Gumbinnen  nimmt  der  Hansherr  am  Ostermorgen 
Palmzweige y  die,  damit  sie  ausschlagen  sollten,  einige  Tage  im 
Schafstall  oder  unter  Schafdtinger  gelegen  haben,  und  erteät 
jedem  Stück  Vieh  (Pferd,-' Bind ,  Sehtoein,  Gans,  Huhn)  einige 
Sehl-äge  damit  auf  den  Rücken ,  dann  tut  er  dassdbe  mit  Frau, 
Kindern  und  Gesinde  (mfindL).  In  Qilgenburg  (Ostpreußen) 
nimmt  man  dem  Kinde,  das  schmeckostem  geht,  fein  ehrfurchts- 
voll mit  einem  Handtuch  eine  belidbige  Rute  aus  der  Hand, 
bewahrt  sie  auf  und  treibt  damit  das  Vieh  zum  erstenmale  ans.^ 
In  lichten  (Oesterr.  Schlesien)  schmeckostert  am  Ostermontag 
auch  der  Hirt  seine  Schafe,  damit  sie  das  ganze  Jahr  gut  folgen.* 
Vieh  mit  der  Ostermte  (pomlaska)  geschlagen  soll  stäts  munter 
bleiben.'  Auch  in  GroßruBland  steckt  das  Volk  einige  der  am 
Palmsonntag  geweihteu  Weidenzweige  in  die  Winkel  der  Schup- 
pen und  Viehställe,  damit  die  Hexen  den  Ktthen  nicht  schaden. 
Manche  schlagen  auch  ihr  Vieh  leicht  mit  einer  geweihten  Palme 
und  ziemlich  allgemein  ist  es  Sitte  am  St.  Georgstag  (23.  Apr.) 
die  Tiere  mit  den  geweihten  Weidenzweigen  auf  das  Feld  zu 
treiben,  um  sie  yor  Krankheit  und  Unglücksfällen  zu  behüten.^ 
Bei  den  Gzechen  läßt  die  Hausfrau  am  Palmsonntag  Birken- 
und  Pimpernußzweige  weihen,  um  damit  am  Kuhfest  die  Kühe 
rückwärts  aus  dem  Stalle  zu  treiben.^  In  Mecklenburg  steckte 
man  Quitzensträuche  (d.  h.  Zweige  des  Quitschenböm,  Vogelbeer- 
baum (sorbus  aucnparia)  am  Walpurgisabend  (1.  Mai)  über  der 
Stalltüre  auf,  um  die  Hexen  abzuhalten,  und  „strich^'  oder 
„quitzte^^  damit  am  andern  Morgen  die  Kühe,  damit  sie  reich- 
lich Milch  gäben;  aber  auch  Menschen  (der  Bruder,  von  der 
Schwester,  die  Eltern  yon  den  Kindern)  wurden  damit  gequitzt 
und  mußten  dagegen  ein  kleines  Geldgeschenk  geben.  Diese 
Sitte,  schon  1670  nachweisbar,  erlosch  im  Schwerinschen  im 
Laufe  unseres  Jahrhunderts.^     Bei  Iserlohn  (Westfalen)  werdai 


1)  Toppen ,  Abergl.  a.  Masuren.    S.  69  vgl.  Wuttke  §.  83. 

2)  Peter,  Volktttml.  a.  Oesterr.  Schlesien  II.  S.  285. 

3)  Grohmann,  Abei^l.  a.  Böhmen.    S.  137,  1001. 

4)  Beinsberg-Düringsfeld,   Nationalzeitung  1874.  Nr.  187. 

5)  Reinsberg-Düringsfeld,  Festkal.  a.  Böhmen  S.  110. 

6)  Schiller,    zum    Tier-    und   Eräuterbnobe   des   Mecklenbiirg.   Volkes. 
Schwerin  1861.  I.   S.  28. 


Der  Scblag  mit  der  Lebensrnte.  271 

noch  heute  am  ersten  Maitage  die  Kälber  ^^gequiekf  Mit  einem 
Ratz  schneidet  auf  einem  Berge  der  Hirte  bei  Sonnenaufgang  das- 
jenige Vogelbeerbäumchen  (quike)  ab,  auf  welches  die  ersten 
Strahlen  der  Sonne  fallen ,  versammelt  auf  dem  Hofe  die  Hans- 
leate  und  Nachbarn  und  schlägt  mit  drei  Schlägen  die  Stärke 
(junge  Kuh,  die  noch  nicht  gekalbt  hat)  auf  dem  Dttngerplatz 
mit  einem  Zweige  des  Yogelbeerbaums  auf  das  Kreuz,  auf 
die  Hüfte  und  auf  das  Euter  unter  Sprüchen,  von  denen  der 
erste  lautet: 

Qnlk,  qnik,  qü!k, 

brenk  miälke  in  den  strik  (Zitze  des  Euters); 

de  säp  es  in  den  biärken, 

En  namen  kritt  de  stiärken. 

quik^  qnik,  qnik 

brenk  miälke  in  den  strlk! 

Der  zweite  den  Schlag  auf  Hüften  und  Euter  begleitende  Spruch 
besagt,  wie  der  Saft  in  die  Buchen,  das  Laub  in  die  Eichen 
konune,  möge  der  Vogelbeerzweig  der  Kuh  Milch  in  das  Euter 
bringen.  Unter  dem  dritten  Schlag  auf  das  Euter  erhält  das 
iTer  einen  Namen  (Goldblume  u.  dgl.).  In  Hemer  lautet  der 
Spruch:  „Saft  in  die  Eiche,  Honig  in  die  Buche!  Den  Namen 
sollst  du  geneußen,  Kohlhenne  sollst  du  heißen/^ 

Nachdem  dann  die  Hausfrau  ihre  Stärke  besehen  hat ,  nimmt 
sie  den  Hirten  mit  ins  Haus  und  beschenkt  ihn  mit  Eiern.  Die 
Gabe  fallt  aus,  je  nachdem  das  Tier  gut  geweidet  worden  ist. 
Mit  den  Schalen  der  verzehrten  Eier,  bunten  Bändern  und  But- 
terblumen wird  das  aufgeflammte  Bäumchen  (Quekris)  verziert 
und  an  manchen  Orten  über  der  StalUiir  aufgehängt.  In  Schtir- 
feld  erhält  der  Hirt  einen  Eierkuchen,  in  welchen  so  manches 
£i  geschlagen,  als  Blätter  an  dem  Queckenzweige,  womit  das 
Kalb  geweiht  wurde,  hangen  blieben.^  In  Dalsland  (Schweden) 
treibt  der  Hirt  sein  Vieh  an  einem  dem  Himmelfahrtstag  vorher- 
gehenden oder  nachfolgenden  Tage  schon  um  Mittag  heim ,  nach- 
dem er  die  Homer  der  Tiere  mit  Blumen  bekränzt  hat.  Der 
Heerde  vorauf  trägt  er  mit  beiden  Händen  einest  ebenfalls  mit 


1)  Fr.  Wöste,   Volksüberlieferangen  in  der  Grafschaft  Mark.  Iserlohn ' 
1848.   S.  25.     Wöste  bei   Knhn,   Herabknnffc  des  Feners  nnd  Göttertrankes. 
Berlin  1859.   S.  185.    Wöste ,  Zs.  f.  d.  Myth.  II ,  85. 


272  Kapitel  ITT.    Batunüeele  als  Yegetationsd&mon : 

einem  den  Wipfel  schmückenden  Blumenkrane  verzierten  Vogd- 
beerbaum  (rönn).  Wenn  das  Vieh  auf  dem  Viehhof  seinen  Stand- 
ort eingenommen  hat,  geht  er  durch  die  Gieheltür  hinaus  und 
pflanzt  den  bekränzten  Baum  auf  dem  Schober  auf^  wo 
derselbe  die  ganze  Weidezeit  hindurch  stehen  bleibt.  Die  Schel- 
lenkfihe  erhalten  jetzt  ihre  Schellen ,  das  Jungvieh  wird  benannt, 
indem  es  unter  Ausrufung  des  ihm  erteilten  Namens  dreimal  mit 
einer  Rute  des  Vogelbeerbaums  auf  den  Rücken  geschlagen  wird.^ 
Von  den  Schweden  ist  der  Brauch  zu  den  Esten  ttbergegamgen.* 
Im  Böhmerwalde  tragen  die  Dorfbewohner,  welche  das  Vieh 
beaufsichtigen,  am  1.  Mai,  wann  dasselbe  zum  erstenmal  ausge- 
trieben wird,  geweihte  Ruten  in  der  Hand,  d.  h.  Birkengerten, 
welche  gegen  das  Ende  mit  einem  Strauß  von  geweihten  Palm- 
zweigen, wilden  Staudenfrüchten  und  Blumen  geschmückt  sind. 
Sie  sollen  eine  wunderbare  Macht  zur  Trennung  des  kämpfenden 
Hornviehs  austtben.  Ein  Schlag  mit  dieser  Rute  schützt 
ein  Haustier  das  ganze  Jahr  vor  tödtlicher  Verwundung.* 
Auch  bei  den  Rutenen  findet  das  Kälberquiken  mit  Birkenruten 
und  Haferhalmen  statt.  In  der  Normandie  schlägt  man  die  Kühe, 
um  sie  milchreich  zu  machen,  dreimal  mit  einer  Haselrute  auf 
die  Seite.*  Eine  Hexe  bekannte  in  Hessen  1596:  „Wenn  sie  auf 
Walburgstag  eines  Nachbarn  Kue  mit  einem  Rüdtlin  in  Teufels 
Namen  geschlagen,  habe  sie  das  ganze  Jar  über  obige  Kue  mel- 
ken können.  Solches  Rüdtlin  habe  sie  in  ihrem  Stall  stehen 
gehabt.*  Um  sich  Milch  von  fremden  Kühen  zu  verschaffen, 
bricht  eine  Hexe  zu  Gfrees  in  der  Oberpfalz  Zweige  von  einem 
Elsenbaum  und  versetzt  den  Tieren  damit  drei  Streiche  unter 
gewissen  Zauberworten. •  Will  eine  Kuh  keine  Milch  geben,  so 
nehme  man  stillschweigend  und  unberufen  eines  Bettelmanns 
Stock  (einen  Haselstecken)  und  schlage  sie  dreimal  damit.  Hiezu 
stimmt  der  folgende  bairische  Brauch.  Am  Lechrain  streicht 
man  beim  erstmaligen  Austrieb  des  Viehes  der  Kuh  mit  einem 


1)  S.  R.  Dybeck,  Runa  1844  Maiheft  S.  9.  bei  Kuhn,  Herabkunft  S.  185. 
Vgl.  Dybeck,  Runa  1845  p.  63.  bei  Mannhardt,  German.  Myth.  19. 

2)  Vgl.  Mannhardt,  Germ.  Mythen     S.  20. 

3)  J.  Rank,  aus  dem  Böhmerwalde  S.  127. 

4)  De  Nore,  Coutumes,  mythes  et  traditions  p.  270. 

5)  Zs.  f.  D.  Myth.  11,72. 

6)  Schönwerth  1 ,  335. 


Der  Sehlag  mit  der  Lebensrate.  273 

Haselstecken  über  den  Rücken,  um  andern  Kühen  zn  Gunsten 
der  seinigen  die  Milch  zu  nehmen.    Zweige  der  Palmweide  mit 
ihren  jungen  Mudeln,  Mistel,  Sävling,  Kranewit  und  Stechpal- 
men sind  an  diesen  Haselstecken  angebunden,  der  bis  auf  die 
Handhabe  geschält  ist,  damit  die  Hexen  nicht  zwischen  Busch 
und  Binde  (vgl.  o.  S.  12.  25)  schliefen.     Palmsonntag  kirchlich 
geweiht  und  beim  Wetter  teilweise  ins  Heerdfeuer  geworfen,  schützt 
dieser  Palmbusch    vor  Blitz  ^    (vgl.  o.  S.  247).      In  Niederbaiem, 
Oberpfalz,  Oestreich  werden  die  Kühe  am  Martiniabend  10.  Nov. 
zum   letztenmale  .ausgetrieben.      Dann    verfertigt  der  Hirte   die 
sogenannte  Martinigerte  (österr.  Mirtcsgard'n).*     In  der  Gegend 
von  Landau  a.  Isar  ist  das  ein  Birkenreis,  dessen  Blätter  und 
Zweige   bis   an   den    Gipfel,   wo   einige   stehen   bleiben, 
abgestreift  sind  (vgl.  den  Maibaum  S.  169).    Die  stehen  geblie- 
benen   Zweige  werden  mit  Eichenlaub  und  Wachholderzweigen 
durch  eine  Weidengerte  zu  einem  Busch  gebunden.    In  der  Ober- 
pfalz besteht  die  Mirtesgard'n  aus  Palmzweigen  mit  den  Kätzchen, 
Kranewitspitzen ,   spitzen  Blättern    vom  Segelbaum  und  Eichen- 
blättem.    Diese  Gerten  bewahrt  der  Rinderhirte  in  der  Oberpfalz 
bei  sich,  läßt  sie  am  h.  Dreikönigstage  kirchlich  weihen  und  sein 
Weib  trägt  sie  am  Walbemabend  (1.  Mai)  gegen  ein  Geschenk 
in  die  Häuser,   damit  am  folgenden  Tage   damit   das  Vieh  zum 
erstenmäle  wieder  ausgetrieben  werde.    In  Baiern  und  Oestreich 
überreicht  der  Hirt  die  Gerten  schon  am  Martiniabend,  und  zwar 
in   den   einzelnen  Häusern    ein   bis   zwei  Gerten.     Die  Bauern 
stecken  sie  hinter  den  Kühbarn  (Raufe),  auf  das  Dach  oder 
über  die  Tür  des  Stalles  (vgl.  o.  S.  l6l.  20Ji)  und  nehmen  sie 
im  Frühling  wieder  herab,  damit  die  Dirnen  damit  vor  dem  ersten 
Weidegang  die  Kühe  aus  dem  Stalle  treiben.    Sie  bedienen  sich 
dabei  altertümlicher  Sprüche ,  welche  die  Fruchtbarkeit  der  Heerde, 
der  Wiese ,  des  Ackers  fllr  das  folgende  Jahr  anwünschen ;  z.  B. 
in  Etaendorf  in  Niederbaiem: 

Kommt  der  lieilig  St.  Märten  (Mirte) 
Mit  seiner  Gerten. 


1)  Leoprechtingt  ans  dem  Lechndn  S.  169. 170. 

2)  Die  folgenden  Gebräuche  sind  verzeichnet  Panzer  II,  40  —  42. 
Nr.  45—48.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  IV,  27.  Schönwerth,  a.  d.  Oberpfalz 
1,321,  11.  et.  Mannbardt,  Germ.  Myth.  15  Anm.  3.  Enhn,  Herabkonft 
S.  188—189. 

Mannhardt  18 


274  Kapitel  III.     Baniiiseele  alt  Yeipetatioiisdämoii 

Soviel  KraDewitbeeren» 

Soviel  Ochsen  und  Stiere. 

Soviel  Zweige,   soviel  Fuder  Heu! 

Steckt  sie  hinter  den  Eübbam, 

So  wird  aufs  Jahr  keine  Kuh  verloren, 

und  steckt  sie  hinter  die  Stalltftr, 

Treibt  sie  anf  8  Jahr  mit  Freuden  herffir. 

In  Niederöflterreicli : 

In  Gottes  Namen  trett  ich  herein, 
Ein  Unglück  hinaus,  und  Glück  herein! 
Gott  behtlt  eure  Rind  und  Schweine, 
Eure  Lämmer  und  Schaaf, 
Euer  Haus  und  Hof. 


Kommt  der  Sanct  Mirt  mit  seiner  Ruten; 

Soviel  als  die  Rute  Zweige  hat, 

Soviel  soll  auch  der  Bauer  Vieh  haben. 

Nehmt  ihr  die  Ruten  in  eure  Hand. 

Steekt  ihr^s  wol  auf  ober  der  Wand, 

Wol  hinter  das  Dach 

Am  Sankt  Gregoriustag  (12.  März,  Tag  des  ersten  Austreibens) 

Treibt  das  arme  Vieh  aus, 

Durch  alle  Engeln  aus. 


Ins  Gehölz  und  auf  die  Heid\ 

Damit  das  Vieh  alle  Tag  find'  sein  Weid, 

Damit  es  mit  Gesund  ißt  und  trinkt, 

Mit  Gesund  zu  Haus  und  Hof  heimkimmt. 

Ist  der  heiige  Petrus  auch  dabei 

Mit  seinem  Himmelsschlfissel; 

Er  sperrt  wol  dem  wilden  Wolf 

Seinen  Schlund  und  seinen  Rüssel  u.  s.  w.^* 

A.  Kuhns  Forschung  verdanken  wir  die  Kenntniß  einer  offen- 
bar verwandten  Sitte,  welche  im  fernen  Osten ,  in  Indien  en 
Hause  war.  Im  Yajurveda  und  den  dazu  gehörigen  Commen- 
taren  wird  nämlich  die  Geremonie  besehrieben ,  welche  angewandt 
wurde,    um   reine    Opfermilch  von   frisohmilchenden   Etlhen  zu 


1)  Dieses  Lied  Zs.  f.  D.  Myth.  IV,  27.  TgL  Panzer  II,  41,  45.  findet 
sich  bereits  in  einer  Fassung  aus  saee.  XY.  Myth.*  CXXXVII 14.  Myth.>  1189; 
offenbar  ist  es  noch  viel  älter.  Bruchstücke  desselben  in  einer  Fassung  des 
10.  Jahrh.  sind  in  dem  Wiener  HundesQgen  (MUllenhoff  und  SoJierer,  Denkm. 
IV  3.  S.  7.)  erhalten. 


Der  Schlag  mit  der  Jiebensrute.  275 

erhalten.  Der  Opferpriester  schneidet  im  Neumond  einen  nach 
Osten  oder  Norden  gewachsenen  Zweig  des  Palä^a-Fama-  oder 
des  Qamibanmes  mit  den  Worten  ^^zur  Kraft  (schneide  ich)  dich^^ 
aby  streift  mit  den  Worten  ,,zum  Saft  dich/^  die  Blätter  herun- 
ter, 80  daß  nur  eitw  recht  UMterreiche  Krone  stehen  bleibt  (vgl. 
S.  169.  184).  Hierauf  stellt  er  etwa  6  Kühe  mit  ihren  Kälbern 
zusammen  j  treibt  letztere  mit  dem  Palä^azweige  unter  feierlichen 
Sprüchen  von  den  Müttern  fort,  damit  sie  dieselben  nicht  mehr 
absaugen  und  jagt  sie  allein  zur  Weide.  Jetzt  berührt  er  auch 
eine  der  Kühe  statt  aller  mit  dem  Zweige,  indem  er  den  Segens- 
wunsch über  sie  ausspricht,  sie  möchten  dem  Indra  (Donnergott) 
sein  Teil  an  Opfermilch  mehren,  kälberreich,  kraI]^kheits- 
und  seuchelos  keinem  Räuber  oder  Bösen  zur  Beute  werden, 
dauernd  und  zahlreich  bei  ihrem  Herrn  verweilen.  Unter  den 
Worten:  „schütze  des  Opfernden  Rinder"  (vgl.  o.  S.  30. 141)  wird 
hierauf  der  Zweig  an  erhöhter  Stätte  mit  der  Krone  aufrecht 
nach  oben  und  ostwärts  gerichtet  vor  dem  Opferfeuer  oder  vor 
dem  Hausfeuer  aufgepflanzt  Er  soll  die  Wirkung  haben,  die 
im  Walde  gehenden  Rinder  vor  Dieben  und  wilden  Tieren  zu 
schützen  und  sie  Abends  ohne  Unfall  nach  Hause  kommen  zu 
lassen.  Je  buschiger,  blätterreicher  der  Zweig  oben  ist, 
desto  rinderreieher  wird  der  Hans'herr;  ist  er  an  der  Spitze 
trocken  (vgl.  o.  S.  166.  184),  so  wird  derselbe  rinderlos.  Nach 
den  Brahmanas  wird  der  Zweig  persönlich  gedacht,  er  gilt  als  die 
Verkörperung  eines  Qottes,  und  hieraus  erklärt  sich,  weshalb  er 
(wie  die  finnischen  Walc^ungfrauen)  seine  Wirkung  zum  Schutze 
des  Viehes  auch  in  die  Feme  hin  übt  Nach  einer  Mythe  ist  der 
Pama  aus  einem  Flügel  der  den  himmlischen  Soma  (Unsterblich- 
keitstrank, das  Wolkennaß)  herabtragenden  Gayatri  entstanden 
and  was  vom  Soma  in  das  Parnablatt  eindrangt  soll  in  die  Kühe 
oder  Kälber  übergehen.^ 

Wir  erwähnten  bereits,  daß  auch  den  Bäumen  und  Pflanzen 
in  der  Oster-,  Faschings-,  Maien-  und  Weihnachtszeit  die  näm- 
lichen Schläge  zu  Teil  werden,  wie  Menschen  und  Tieren.  Im 
Rhöngebirge  peitscht  man  auf  Unschuldigenkindertag  jeden  Er- 
wachsenen mit  einer  Rute,  um  ihn  dadurch  zu  verbinden  ein 


1)  A.   Kahn,    Herabkunft    des  Feuers    und  des   Göttertranks  S.  148. 
180—183. 

18» 


276  Kapitel  HL    Banmseele  als  Y egetationsdämon : 

^  Neues  Jahr^'  herzugeben ,  und  gleichzeitig  erweist  man  dieselbe 
Ehre  den  Bäumen  anf  dem  Felde ,  damit  sie  im  folgenden  Jahre 
viele  Frucht  bringen.^  Der  nämliche  Brauch  wird  in  yielen 
Oegenden  geübt  In  Kurland  schlägt  man  am  ersten  Weihnachts- 
feiertag mit  einem  Stock  an  die  Apfelbäume ,  dann  giebts  gutes 
Obst^Autz).  Im  Thuigau  schlug  man  in  gleicher  Absicht  mit 
Stangen  an  die  Nußbäume.  Meistens  jedoch  werden  sämmtliche 
Obstbäume  geprügelt  oder  gepeitscht  (Mecklenburg  ^  Oldenburg, 
Tirol).    Man  sagt  dabei  in  Rangen  (Tirol). 

Bam,  wach  und  trag, 
heint  ist  der  heilige  Tag.* 

In  England  (Sussex,  Devonshire  u.  s.  w.)  liefen  Knaben  am 
Sylvesterabend  truppweise  durch  die  Obstgärten,  schlössen  um 
die  Apfelbäume  einen  Kreis  und  riefen,  indem  sie  dieselben  mit 
Stocken  schlugen: 

Stand  fest  root,  bear  well  top, 

Pray  6od  send  us  a  good  howling  crop; 

Every  twig  applea  big, 

Every  bongh  apples  enou; 

Hats  fall,  Caps  fall 

Füll  qnarter  sacks  füll! 

Dann  jauchzen  sie  im  Chorus,  indeA  einer  sie  auf  dem  Kuh- 
hom  begleitete.' 

In  Westflandem  schlug  man  zu  Fastnacht  die  Apfelbäume 
mit  einer  Peitsche  und  sang  während  dessen: 

appelboomtje  wilt  niet  klagen, 
al  kriegt  gy  na  wat  klagen, 
gy  moet  van  dit  jaer  dragen 
appeltjes  zeer  frisch  en  rood 
van  meer  dan  een  pond  groot, 
op  jeder  tak 
een  moatzak.'* 

Ebenso  schlug  man  in  Wälschtirol  am  letzten  Faschingstage 
hie  und  da  an  die  Bäume  der  Fruchtbarmachung  halber.'^   Während 


1)  Jäger,  Briefe  ftber  die  Bh6n  1803.  HI,  6.     Panzer  U,  206,  364. 

2)  Vgl.  Wattke  §.  668.    Zingerle,  Sitten«  190,  1568.  1569.. 

3)  Brand,  pop.  Antiqa.  ed.  Ellis  I,  9. 10. 

4)  Zs.  f.  D.  Myth.  DI,  164. 

5)  Schneller,  M&rchen  n.  Sagen  a.  W&lschtirol,  Innsbraok  1867.  284, 12. 


Der  Sehlag  mit  der  Lebensmte.  277 

man  im  Lechthal  (Tirol)  am  Gharfreitag  frühe  mit  einem  Schlä- 
gel die  Bäume  schlägt,  gehen  die  Gzechen  an  diesem  Tage  in 
den  Baumhof  y  fallen  vor  irgend  einem  Baume  auf  die  Ejiie  und 
sagen:  Ich  bete  o  Baum,  daß  Gott  dich  gut  mache!  und  in  der 
folg^Qiden  Nacht  laufen  sie  rund  um  den  Garten  und  rufen: 
Treibt  Knospen  ihr  Bäume,  oder  ich  werde  euch  mit 
Buten  schlagen!  ^  In  Westprenßen  streicht  man  die  Obstbtome 
Ostern  mit  Ruten.  Als  Anton  Prätorius  1697  zu  Büdingen  ver* 
weilte,  zogen  die  Bürger  in  der  Walpurgisnacht  (1. — 2.  Mai) 
scharenweise  mit  Büchsen  aus,  schössen  über  die  Aecker  und 
sehlugen  gegen  die  Bäume,  um  die  Hexen  m  verjagen.^  Am 
Feste  Peter  und  Paul  (29.  Juni)  schlagen  die  Jungen  in  Rumä- 
nien mit  Keulen  das  Obst  von  den  Bäumea'  In  Schwaben  glaubt 
man  den  unfruchtbaren  Nußbaum  zu  reichlichem  Ertrage  im 
nächsten  Jahre  zwingen  zu  können ,  wenn  man  zur  Zeit  der  Nuß- 
ernte  hinaufsteigt,  so  tut  als  ob  er  ganz  voll  säße,  und  in  den 
Zweigen  herumschlägt,  daß  das  Laub  davon  fliegt.*  In  Nas- 
sau schlägt  man  am  Jacobstage  (25.  Juli)  mit  einem  Stecken  die 
Krautpflanzen  und  ruft:  „Jacob  Dickkopp!  Dann  sollen  die 
Krautköpfe  groß  und  stark  werden.^  Jener  schwäbischen  Sitte, 
bei  der  Ernte  den  Nußbaum  zu  prügeln,  tritt  ein  rheinischer  Em- 
tebraueh  an  die  Seite.  Zu  Buir  Kr.  Bergh^im  Bgbz.  Köln  wird 
die  letzte  Garbe  in  Gestalt  einer  Frau  geformt  und  mit 
Kleidern  ausgeputzt.  Auf  dem  letzten  Erntewagen  zur  Scheune 
geführt,  wird  sie  dort  von  den  Schnittern  mit  einem  Stecken 
begrüßt  und  geprügelt,  indem  sie  irgend  welche  lächerliche 
Beschuldigung  ihr  entgegenrufen:  „du  hast  mir  den  Taback  ver- 
steckt,'' „du  bist  bei  meinem  Kruge  Bier  gewesen,''  oder  „du 
hast  mir  die  Suppe  gegessen.'^  Ohne  Zweifel  beruhen  diese 
scherzhaften  Vorwürfe    auf    Mißverständniß    des  ursprünglichen 

1)  Zingerle  a.  a.  0.  148,  1274.  Orest  Miller,  Opuit  etc.  Petersburg  1869. 
1,48.    Ralston,  the  songs  of  the  Eussian  people.    London  1872  p.  219. 

2)  A.  Prfitorins,  Bericht  von  Zauberei  und  Zauberern.  2.  Aufl.  1613,  114. 

3)  W.  Schmidt,  das  Jahr  und  seine  Tage  bei  den  Rumänen  Sieben- 
birgens.    Herm^nstadt  1866.  S.  18. 

4)  Meier,  Deutsche  Sagen,  Sitten  u.  Gebr.  a.  Schwaben  S.  250,2. 

5)  Im  Waldeckschen  föllt  das  Prügeln  fort;  man  nimmt  Jacobi  Mittags 
11  — 12  von  jeder  Kohlpflanze  ein  Blatt  und  spricht:  „Jakob  Dickkopp, 
werd'  so  dick,  wie  mein  Kopp!"  dann  werden  die  Kohlköpfe  recht  dick.  Der 
Jacobs  tag  ist  also  gewählt  wegen  der  Namens&hnlichkeit  mit  Kopp  (Kopf). 


278  Kapitel  III.    Bannaeele  sJb  VegetatiaBsdimon: 

Sinnes  der  Ceremonie,  die  kaum  etwas  anderes  bezweckte ,  als 
Frachtbarkeit  des  Getreides  im  kommenden  Jahre.  Und  in  der 
Tat,  zur  rollen  Gewißheit  wird  diese  Vermatang  durch  den  Em- 
tebraach  der  Rossen  bei  Smolensk.  Die  in  Gestalt  eines  Weibes 
mit  Kleidern  geschmttckte  letzte  Garbe  wird  Ton  zwei  Mädchen 
auf  den  Herrenhof  getragen,  wo  sie  in  Gegenwart  des  beglttck- 
wünschten  Gntsherm  von  allen  Schnittern  mit  einem  Birkenbesen 
geschlagen  urird  in  der  Meinung,  daß  dadurch  die  dem  Gedeihen 
der  Fddfrucht  schädlichen  Tiere  vernichtet  werden. 

Noch  schwieriger,  als  t>ei  den  Weihnachtsgebräachen  erscheint 
es,  in  den  yorstehenden  Sitten  die  Bestandteile  yon  einander  zu 
sondern,  welche  das  Christentum  und  die  christliche  Kirche  einer- 
seits und  andererseits  das  von  diesen  noch  unberührte  Volksleben 
dazu  geliefert  haben.  Weder  der  Breite,  noch  der  Tiefe  nach 
ist  das  Torliegende  Material  schon  ausreichend,  den  Verlauf  und 
die  Wege  des  Ver^chmelzungsprozesses  in  seinen  Einzelheiten 
erikennen  zu  lassen,  aber  als  feststehende  Ausgangspunkte,  von 
denen  aus  die  Assimilation  vor  sich  ging,  sind  einerseits  die 
Palmweihe  am  Sonntage  vor  Ostern  und  andererseits  der~  Mai- 
bäum  wahrnehmbar.  Vergegenwärtigen  wir  uns  zuerst  einmal 
den  gemeinschaftlichen  Inhalt  der  Sitte.  In  der  Zeit,  wenn  die 
Natur  aus  ihrem  Winterschlafe  sich  erhebt  (Fastnacht,  Ostern, 
Mattag)  oder  die  Wiederkehr  des  Lichtes  die  gewisse  Zukunft 
des  Frühlings  ankflndigt  (Weihnachten)  —  wir  lassen  es  zunächst 
dahingestellt,  ob  die  Kirchenfeste ,  oder  die  Jahreszeit  das  bedeut- 
same und  bestimmende  Element  waren  — ,  werden  Menschen^ 
Haustiere,  Obstbäume  mit  einem  oder  mehreren  Baumsfweigen 
geschlagen,  welche  durch  frisch  ausgebrochene  Knospen  oder  grü- 
nen Blätterschmuck  der  gleichzeitigen  Pflanzenwelt  voraus  sind, 
überdies  häufig -durch  bunte  Bänder  oder  Papierstreifen  gleich 
mit  Tänien  behängten  heiligen  Bäumen  als  etwas  Besonderes  hoch 
und  heilig  gehaltenes  gekennzeichnet  werden;  Blumenstengel, 
oder  Nachahmungen  von  Blumenstengeln  aus  dem  dauerhafteren 
Material  von  Lederriemen,  zuweilen  auch  Holzstöcke  ersetzen  in 
einzelnen  Fällen  die  grünen  Gerten.  Die  Tanne  dient  als  immer- 
grüner Baum  zu  gleicher  Symbolik;  die  immergrüne  Stechpalme 
(ilex  aquifolium),  die  wir  o.  S.  207  als  Vertreterin  des  Emtemai 
kennen  lernten ,  desgleichen ;  vorzugsweise  jedoch  wird  die  Weide 
mit  ihren  ersten  Knospen,  den  Palmkätzchen,  verwandt    Noch 


Der  Schlag  mit  der  Lebensrate.  279 

ftthlt  man  die  unendliche  Elirftiroht  der  Alten  vor  dieser  Gerte 
in  der  eigenen  Brost  nachzittem,  wenn  man  erfährt,  wie  bei 
Gilgenbnrg  nicht  mit  bloßer  Hand,  sondern  in  heiliger  Scheu 
nur  mittels  eines  reinen  Tuches  der  Vorgänger  des  Pflanzen- 
Wachstums,  der  Zweig  berührt  wird  (S.  S70  vgl.  die  Weihnaohts- 
rate  S.  224);  anderswo  in  Böhmen  blieb  von  diesem  Brauche 
wenigstens  soviel,  daft  noch  ein  reines  Tuch  neben  ihm  in  der 
Hand  getragen  ist  (o.  S.  260).^  Das  ist  ganz  der  Zartheit  christ- 
licher Frönmiigfceit  gemäß;  doch  berichtet  auch  Plinins  bist, 
natur.  16,44,  von  d§m  Abschneiden  des  heiligen  Mistelzweiges 
dareh  die  Druiden  „candido  id  excipitur  sago/' 

In  Westfalen  wird  die  „Qnike^^  (o.  S.  270)  wie  der  Sommer 
(S.  155  ff.)  und  der  Maibaum  (S.  160  ff.)  mit  Bändern  und  Eiern, 
in  Schweden  (o.  S.  272)  wie  letzterer  (o.  S.  176)  mit  einem  Kranze 
aufgeputzt;  wie  beide  werden  die  Qnitsche  in  Mecklenburg 
(S.  270)  und  die  Mirtisgardn  in  Baiem  und  Oestreich  (S.  273) 
über  der  Stalltür,  die  Quike  in  Westfalen  auf  dem  Dünger- 
haufen vor  dem  Stalle  (S.  271),  der  schwedische  rönn  auf  dem 
Schober  (S.  272)  aufgesteckt  Wie  der  Maibaum  ist  die  Mir- 
tesgardn  bis  zur  Krone  der  Zweige  beraubt  (o.  S.  273).  In  Böh- 
men ist  die  Identität,  resp.  Zusammengehörigkeit  des  Sommers 
und  des  Maibaums,  mit  unserer  Schlagrute  teilweise  noch  unmit- 
telbar erhalten  (S.  251).  Wenn  wir  auf  die  von  derselben  erwar- 
teten Wirkungen  sehen,  werden  wir  nicht  unrecht  tun,  ihre  ver- 
schiedenen Formen  hinfort  unter  dem  Namen  Lebensrute  zusam- 
menzufassen. Der  Name  Quike,  Quitsche  engl,  quickbeam, 
den  der  hiezu  in  Norddeutschland  und  Skandinavien  verwandte 
Vogelbeerbaum  und  der  Name  Weckholder,  ahd.  qu^kholter  ags. 
oviebe^^  den  der  in  Sttddeutschland  vielfach  gebrauchte  Wach- 
holder führt,  bedeuten  Lebensbaum;  quiken  ist  stark,  kräftig, 
jung  und  frisch  machen  vgl.  nhd.  erquicken,  neues  Leben  ein- 
hauchen, goth.  quius,  ahd.  qußk,  quik;  mhd.  qu^k,  k^,  lat. 
vivus  aus  guigvus.  Es  soll  Lebens-  und  Wachstumskraft  durch 
die  Bute  mitgeteilt,  jedes  dem  entgegenwirkende  feindliche 
Gespenst   vertrieben   werden.^     Wer  mit  ihr   am   Maitag  oder 

1)  So  wird  in  manchen  Gemeinden  das  h.  Abendmahlsbrod  oder  die 
Oblate  nach  der  Austeilung  bis  zum  gemeinsamen  Qenuß  in  einem  reinen 
weiBen  Tuche  aufgenommen  und  gehalten. 

2)  Vgl.  Kuiuip  Hexabkunft  S.  191. 


280  Kapitel  III.    Baomseele  als  Vegetationsdfiinon: 

OBtern  schlaf,  giebt  Glflck  (o.  S.  252  a.  S.  263).  Das  Sehlagen 
mit  der  Holanderrate  za  Liehtmessen ,  das  Fo6n  und  Hadellanfen 
za  Fastnaeht  verleiht  dem  Flachse  (und  tttrk.  Weizen)  Wachstum 
and  Gedeihen  (o.  S.  253  n.  S.  269).  Soviel  Zweige  die  Martinsgerte 
hat,  so  viele  Fuder  Heu  soll  es  geben.  Im  Rhi^ngebi^e  schlägt 
man  mit  derselben  Rute,  mit  der  Menschen  gepfeffert  werden, 
die  Obstbäume,  um  sie  fruchtbar  zu  machen;  man  erkennt  leicht, 
daB  das  Peitschen  und  Stockprtlgeln  der  Bäume  und  Krautpflan- 
zen an  andern  Orten  nur  jüngere  abgeleitete  Formen  derselben 
Sitte  sind.  Die  letzte  Garbe  wird  geprttgelt,  um  fUrs  nächste 
Jahr  Fruchtbarkeit  des  Korns  zu  erzielen  und  das  das  Wachs* 
tum  hindernde  Ungeziefer  zu  vertreiben.  Befördert  soodt  die 
Lebensrute  zunächst  v^etabilische  Fruchtbarkeit,  so  verleiht  sie 
gleicherweise  dem  animalischen  Körper  Gesundheit,  Lebenskraft, 
Nachkommenschaft.  Das  Vieh  bleibt  stäts  munter  (S.  270),  Hexen 
(die  Krankheitsgeister)  bleiben  ihm  ferne  (S.  270  n.  S.  273);  es  ist 
vor  tödtlicher  Verwundung  (S.  272)  resp.  vor  wundenbringenden 
Kämpfen  unter  einander  (S.  272)  geschützt.  Die  Schafe  folgen 
dem  Hirten  gut,  der  ftir  sie  die  beste  Nahrung  aussucht  (S.  272). 
Die  Ktthe  kalben  und  werden  milchreich  (S.  271).  Es  giebt  soviel 
junges  Vieh,  als  die«  Rute  Beeren,  oder  Zweige  hat  Auch  den 
Menschen  wird  Gesundheit  zu  teil  (Albanesen  S.  269  „Gott  erhalte 
den  Herrn  gesund^'  S.  267);  die  Krankheit  weicht  von  ihnen  in 
den  Wald  (vgl.  o.  S.  17),  die  Gesundheit  zieht  in  ihr  Gebein  ein 
o.  S.  257;  sie  bekommen  keinen  Rückenschmerz  (S.  263),  ihnen 
tun  die  Beine  nicht  weh  (S.  263);  heißt  das,  sie  können  in  Fttlle 
der  Lebenskraft  Lasten  tragen  und  laufen  ohne  zu  ermüden? 
Daß  vorzugsweise  Hände  (Fingerspitzen)  und  Fuße  (Beine,  Waden) 
geschlagen  werden,  mag  sich  darauf  beziehen,  daß  Hand  und 
Fuß,  die  zur  Arbeit  unentbehrlichsten  Glieder  des  Menschen  vor- 
zugsweise ihr  ihre  Verrichtungen  ki^tig  und  tttehtig  gemacht 
werden  sollten.  Vor  dem  Schlag  der  Lebensruten  entweichen 
Mücken,  Fliegen  (S.  262)  und  Flöhe  (S.  268),  d.  h.  die  insekten- 
fönnigen  Geister  der  Krankheit  (vgl.  S.  13. 18)  aus  dem  Körper 
des  Menschen.  Mit  dem  ersten  Pflügen  wird  ja  der  Vege- 
tationsdämon wieder  zu  Lande  ins  Feld,  in  den  Acker  einziehend 
gedacht,  ihn  tragen  die  vom  Pfluge  zurückkehrenden  Ejiechte  in 
ihrer  Peitsche  (ursprünglich  wol  auch  einer  grünausgekeimten 
Gerte)  heim.     Die  Gabe,  welche  dem  Sohmackostemden  oder. 


Der  Schlag  mit  der  Lebensrnte.  281 

Pfeffernden  gereicht  wird,  fassen  die  Geber  meistens  als  eine 
Art  Ablösung  auf,  doch  bleiben  noch  genug  Spuren  davon  übrig, 
daß  sie  ursprünglich  einen  ganz  andern  Gharacter,  den  des  Ent- 
geltes oder  Dankes  für  die  durch  den  Schlag  mit  der  Lebens- 
rute empfangene  Wohltat  trug;^  sehr  angemessen  werden  darum 
namentlich  von  Seiten  der  Frauen  Eier  (die  Symbole  des  neuent- 
stehenden Lebens  (o.  S.  158)  als  Gegengabe  gespendet. 

Man  fue't,  schmackostert,  pfeffert  zwar  jedermann;  beide 
Geschlechter  schlagen  sich  gegenseitig,  kein  Stand  und  Alter  ist 
ausgeschlossen;  vorzugsweise  jedoch  wird  auf  das  Peitschen  der 
erwachsenen  Mädchen  und  Frauen  durch  die  Männer  Gewicht 
gelegt ,  und  unverkennbar  knüpfen  sich  auch  die  Ideen  der  Liebe 
nnd  Zeugung  an  den  Brauch.  Bei  Bunzlau  schenkt  die  Jungfrau 
dem  Schmackostemden  ein  Ei  mit  der  Versicherung  herzinniger 
liebe  (o.  S.  263).  An  die  Ruten  sind  Wickelkinder,  schnäbelnde 
Täubchen  u.  s.  w.  gebunden  (S.  254).  Häufig  werden  Rosmarin- 
zweige als  Ruten  verwandt.'  Wenn  unsere  Deutung  des  Wortes 
fudeln,  fnden,  fu&  (o.  S.  256)  richtig  war,  so  muß  geschlossen 
werden,  daß  man  in  Vorzeiten  den  Schoß  der  Ehefrau^  mit  der 
Fastnachtgerte  berührte,  um  ihnen  Kindersegen  zu  sichern,  und 
daß  dieses  Stück  der  Ceremonie'  mindestens  örtlich  für  das  Haupt- 
stück,  flir  so  wichtig  angesehen  wurde,  um  allen  andern  Teilen, 
dem  Gepeitschtwerden  der  Männer  und  Mädchen  auf  Rücken, 
Hand,  IHlße  seinen  Namen  mitzuteilen. 

Wenden  wir  nunmehr  der  Frage  unsere  Aufinerksamkeit  zu, 
woher  diese  Sitten  ihren  Ursprung  nahmen,  so  bleibt  unser  Blick 
zuvörderst  auf  dem  kirchlichen  Brauche  der  Palm  Segnung  haf- 
ten, dem  wir  um  der  .Wichtigkeit  der  Sache  willen  eine  etwas 
eingehendere  Betrachtung  widmen  müssen.  Schon  seit  dem 
4.  Jahrhundert  ist  in  der  orientalischen  Kirche  eine  Ged'ächtniß- 
ieier  des  letzten  Einzuges  Christi  in  Jerusalem  (Math.  21,  l  — 16) 


1)  So  heißen  in  Franken  die  Geschenke  an  Geld,  Spielsachen  und 
and  ESwaaren ,  welche  die  mit  Zweigen  von  Waebholder ,  Bnchsbanm ,  Lorheer 
oder  Rosmarin  geschlagenen  Eltern  den  Kindern  geben,  Fitzellohn,  in 
Schwaben  Pfefferleinelohn.    Haltaas -Scheffer,  Jahrzeitbach  S.  166. 

2)  Der  Rosmarin  schmückt  in  Hessen  die  Braat  beim  Kirchgänge,  in 
der  Mark  das  Brautpaar.  „In  Mägdeflecken  giebt  es  anterschiedliche 
Gassen  als  die  lange,  die  breite,  die  enge,  die  rechte,  die  krumme,  die 
^osmarinstraße'*  A.  Gryphias,  Peter  Squenz.    Vgl.  o.  S.  185  Anm.  1. 


282  Kapitel  III.    Baamseele  als  Veg^tationsdämon : 

nnter  dem  Namen  Ij^uga  ttov  ßatcov  nachweisbar.  Epiphanias, 
Bischof  zu  Salamis  auf  Cypem  (geb.  310  f  403)  sagt  in  einer 
seiner  beiden  Homilien  jr^Qi  ßatcov  (de  palmis):^  „Hier  sind  wir 
heute,  wir  die  ganze  junge  Mannschaft  (vsoXala),  wir  sdbst  einem 
fruchttragenden  Oelbaum  (Uaia)  gleich,  den  Odzweig  tragend 
uud  den  Erbarmer  Christas  anrufend.  Wir,  gepflanzt  im  Hause 
des  Herrn  und  in  seinen  Yorhöfen  wie  Frühlingsblumen  auf- 
blühend, feiern  dieses  Fest,  da  wir  sehen,  daß  der  Winter  des 
Gesetzes  vorübergegangen  ist.''  Der  Redner  hebt  sodann  mehr- 
fach nachdrücklich  hervor,  daß  (Math.  21,  15.  16)  Kinder  es 
waren,  welche  Fahnen  schwingend  Hosianna  sangen,  und  nach 
Anleitung  von  Math.  21,9»Ps.  18,  26  bezieht  er  die  Auffor- 
derung in  Ps.  118,  27:  „Schmücket  das  Fest  mit  Mayen  bis  an 
die  Homer  des  Altars''  auf  den  Palmsonntag.  Ob  er  aber  nur 
von  einer  geistlichen  Feier  redet,  oder  bereits  auf  eine  mit  wirk- 
lichen Baumzweigen  veranstaltete  Prozession  anspielt,  ist  nieht 
deutlich  ersichtlich.  Jedesfalls  setzte  sich  bloße  Verlesung  des 
Festevangeliums  allmählich  in  eine  solche  um  und  es  ist  in  hohem 
Grade  wahrscheinlich,  daß,  als  dieses  geschah,  bei  Darstellung 
der  Hosianna  rufenden  Menge  die  jüdische  Yolksitte  der  „Palm- 
tragung"  (ßaiofpoQia)  zum  Vorbild  genommen  ist,  welche  beim 
Feste  der  Tempelweihe,  am  Passah  (?),  besonders  aber  am  Laab- 
hüttenfest  geübt  ^  und  an  letzterem  am  7.  Tage  (21.  Tisdiri)  unter 
dem  Namen  „das  große  Hosannah"  besonders  feierlich  beäu- 
gen wurde.  Das  Laubhttttenfest  verschmolz  die  Bedeutung  des 
alten  Erntefestes  im  Herbst  nach  Emsammlung  aller  Früchte 
(2  Mos.  23,  16.  3  Mos.  23,  39.  5  Mos.  16, 13)  mit  der  Erinnerung 
an  die  historische  Tatsache  der  Wüsten  Wanderung  Israels;  es  ist 
deutlich,  daß  diese  letztere  Beziehung  erst  hineingetragen  wurde, 
als  die  jenisalemitische  Priesterschaft  das  gesammte  Volksleben 
in  ihre  theokratischen  Ordnungen  hineinzog.^     Somit  stammt  aus 


1)  Epiph.  Opp.  ed.  Petav.  Paris.  1622.  T.  II ,  251  -  58.  300  -  308. 
Augusti,  Denkwürdigk.  a.  d.  christl.  Archäologie  1818.  U.  8.59—73.  Vgl. 
besonders  64.  68.  70.  71. 

2)  1  Makk.  13,  51.  2  Makk.  10,  6.  7.  Joseph.  Antiq.  XIII,  13,  6.  Augu- 
sti,  Denkw.  11,47.   Herzog,  Realencycl.  d.  protest.  Theol.  XVIII,  223. 

3)  Vgl.  Pfieiderer ,  die  Religion ,  ihr  Wesen  und  ihre  Geschichte  1869. 
n,  297. 


Der  Sehlag  mit  der  Lebensrnte.  288 

dem  alten  Erntefeste  das  biblische  Gebot  (3  Mos.  23,  40  ^)  4  yer- 
scUedeDe  Gewächse,  Früchte  von  schönen  Bäumen,  Pahnen- 
zweige,  Zweige  von  dichtem  Gebüsch  nnd  Bachweiden  zu  ver- 
wenden. Zur  Zeit  des  zweiten  Tempels  wnrde  ein  Myrtenzweig, 
ein  Weidenzweig  and  ein  Palmzweig  (lulabh)  durch  drei  Binge 
Yon  dünnen  Palmblättem  zu  einem  Büschel  von  16  Querfinger 
liüage  verbunden,  den  man  die  sieben  Festtage  in  der  Rechten 
trog,  während  die  Linke  eine  Art  Citronenapfel  (Paradiesapfel, 
Adamsapfel,  Meerapfel)  hielt.  Mit  dem  Feststranft  zog  man  täg- 
lich in  den  TempeP  und  umwandelte  den  Altar,  indem  man  die 
Zweige  dreimal  vorwärts,  dreimal  nach  der  rechten  und  dreimal 
nach  der  linken  Seite,  dreimal  aufwärts  und  dreimal  abwärts 
schüttelte.  Am  7.  Tage,  dem  groBen  Hosanna,  nahm  man  zu 
den  übrigen  Gewächsen  noch  ein  Bündel  von  4  Bachweidenzwei- 
gen hinzu,  nnd  umging  siebenmal  den  Brandopferaltar.  Nach 
dem  Gebet  schlug  man  mit  jenem  aus  4  Bachweiden 
bestehenden  Bündel  so  lange  auf  die  Erde,  bis  alles 
Laub  abgefallen  war.  Während  des  ganzen  Festes  wurde 
täglich  Wasser  vom  Brunnen  Siloah  mit  Trankopferwein  ver- 
mischt ausgegossen,  man  hatte  die  Tradition,  daß  diese  Cere- 
numie  auf  das  ersehnte  Eintreten  der  RegeneeU  bei  bevorstehen^ 
der  Aussaat  und  auf  ein  fruditbares  kommendes  Jah/r  bezüglich 
seiy  wogegen  andere  Rabbinen,  der  historischen  Auslegung  treu, 
dieselbe  als  eine  Erinnerung  an  den  in  der  Wüste  aus  dem  Fel- 
sen geschlagenen  Wasserquell  deuteten.  Nach  Zerstörung  des 
Tempels  blieben  im  wesentlichen  dieselben  Bräuche  bestehen, 
nur  daß  man  mit  den  Lulabhtn  statt  des  Altars  den  Platz  um- 
wandelt,' von  wo  aus  die  h.  Schrifl  verlesen  wird.  Das  aus- 
geklopfte Weidenbüschel  wird  in  dem  Beutel,  der  die  Gebeta- 


1)  Die  Ritaalgesetze  des  2.  u.  3.  B.  Mose  verdanken  ja  allem  Anscheine 
nach  sammt  der  „  Grundschrift "  'der  ersten  Bücher  des  Pentateuch  der  ange- 
gebenen Periode  ihre  Entstehung.  Vgl.  Th.  Nöldecke,  alttestamentl.  Litera- 
tur. Lp£g.  1868.  S.  27.  T Westen  y  die  religi&Ben  politiBchen  and  socialen 
Ideen  der  asiatischen  Culturvölker  IL  1872.    S.  611. 

2)  Plutarch  Symp.  I V  6 ,  2. 

B)  SaalschQtz,  das  mosaische  Becht  1853.  S.  420.  Herzog,  Realencl. 
Vm.  218. 221.  Schröder,  Satzangen  n.  Gebr.  des  rabb.  Jadentams  1851. 
8. 140.  Bon.  Mayer,  d.  Judentom  in  s.  Gebeten,  Qtebr.  a.  s.  w.  Regensborg 
184B.  S.  195  iL 


284  Kapitel  III.    Bamnseele  als  YegetatioiiBdäinoii : 

riemen  enthält,  aufbewahrt ,  die  Myrthe  in  das  Sabbatbflchslein 
getan y  den  Stiel  des  Paradiesapfels  ließ  man  noch  unlängst  von 
Schwangeren  abbeißen.  Daß  ans  diesen  jüdischen  Bräuchen 
das  Vorbild  für  die  christliche  Palmsonntagsfeier  entlehnt  wurde, 
wird  mir  aus  der  Uebereinstimmnng  in  mehreren  Einzelheiten 
wahrscheinlich.  Die  Pahnsonntagspalmen  bestehen  meistenteils 
gleich  dem  Laubhttttenstrauße  aus  mehreren  Zweigen  eines  und 
desselben  Gewächsea^  die  zu  einem  Strauß  oder  Bündel  vereinigt 
sind;  die  Bachweide  spielt  unter  diesen  Pflanzen  die  Hauptrolle, 
so  daß  häufig  der  Name  Palme  auf  ihre  Frühlingsgestalt  über- 
geht; [wie  bei  den  Juden  der  siebente  >Tag  als  „der  Weiden - 
tag/^  wird  in  Rußland  der  Palmsonntag  als  Weidensonntag 
bezeichnet].  Im  russischen  Brauche  erinnert  auch  der  mit  Früch- 
ten behangene  Citronenbaum  an  den  Citronapfel  (Paradiesapfel) 
des  Laubhüttenfestes.  Wie  der  Jude  mit  den  4  Weidenzweigen 
am  7.  Tage  auf  den  Boden  (resp.  Tür  oder  Fenster)  schlägt, 
klopfen  die  Buben  in  Ellwangen  vor  der  Palmweihe  mit  ihren 
Palmbesen  beharrlich  auf  die  Erde  (vgl.  o.  S.  258).  Und  in  Eng- 
land steckt  man  die  Palmweide  in  die  Geldbörse,  wie  in  jüdi- 
schen Hanshaltungen  den  Weidenzweig  in  den  GebetsbeuteL 
Immerhin  waren  es  nur  gewisse  Aeußerlichkeiten ,  welche  man 
dem  israelitischen  Kultus  entlehnte,  die  Entwickelnng  des  christr- 
lichen  Situs  nahm,  sobald  dies  geschehen  war,  ihren  eigenen 
Weg.  '  Die  Palmen  und  Baumzweige  wurden  bei  der  Umwand- 
lung des  Altars  zuerst  nur  durch  Verlesung  des  Evangeliums, 
später  durch  eine  besondere  Benedictionsformel  geweiht;  endlich 
erweiterte  sich  die  Prozession  zu  einer  bildlich -dramatischen 
Darstellung,  wobei  der  erste  Priester  das  AUerheiligste  tragend 
auf  einem  Esel  ritt,  oder  ein  Ghristusbild  auf  einem  hölzernen 
Esel  dabergezogen  wurde.  Priester  und  Laien  warfen  Blumen 
und  geweihte  Baumzweige  ihm  zu  Füßen.  Es  verlohnt  sich  einige 
der  Formen  zu  vergleichen,  welche  dieser  Ritus  in  verschiedenen 
Ländern  angenommen  hat,  und  den  Volksglauben,  der  sich  daran 
knüpft.    In  Konstantinopel  trug  man  Palmzweige  und  Kreuze.^ 


1)  Vgl.  Vita  St.  Andr.  Sal.  (BoUand.  T.  VI.  append.  p.  70)  bei  Binterim, 
Denkwtirdigk.  der  christkath.  Kirche  V.  1,  176.  ad  finem  aliquando  vergebat 
diernm  qnadraginta  jejtminm  et  nrbis  Constantinopolitanae  habitatores  ramis 
palmaram  sacrisque  hyniniB  Jesam   Chr.  venerabantar,    com  virom  senem 


Der  Schlag  mit  der  Lebensrute.  285 

Als  der  Umritt  des  Patriarchen  aaf  dem  Palmesel  aufkam,  hielt 
der  griechische  Kaiser  diesem  bei  der  Prozession  die  Zügel.  In 
Moskau  trag  man  im  17^  Jahrh.  aus  der  Himmelfabrtskirche 
einen  mächtig  großen  Baum  heraus,  der  mit  verschiedenen  Früch- 
ten und  Gonfect  behangen  war,  stellte  ihn  auf  zwei  zusammen- 
gebundene Schlitten  und  fuhr  ihn  langsam  fort.  Unter  dem 
Baume  standen  fünf  Knaben  in  weißen  Gewändeili  und  sangen 
fromme  Lieder.  Hinter  dem  Schlitten  gingen  viele  junge  Leute 
mit  brennenden  Wachskerzen  und  mächtigen  Laternen,  dann  folg- 
ten Kirchenfahnen,  WeihrauchiUsser ,  Heiligenbilder,  Pagen, 
Würdenträger,  endlich  der  Metropolit  auf  dem  Esel,  das  Eran- 
gelienbuch  tragend,  ihm  zur  Seite  der  Czar,  mit  einer  Hand  den 
Zfigel  des  Tieres,  mit  der  andern  einen  echten  von  Pilgern  aus 
Palästina  mitgebrachten  Palmzweig  haltend.  Seit  1700  stellte 
Peter  der  Große  die  Beteiligung  des  Monarchen  bei  dem  Umgang 
ab;  der  trotzdem  wenig  von  seiner  Großartigkeit  verlor.  Das 
Volk  strömt  hier  und  in  allen  übrigen  Kirchen  schon  Mhmorgens 
mit  seinen  „Palmzweigen''  zusammen  und  läßt  dieselben  weihen, 
bevor  der  Umgang  beginnt.  Es  sind  das  Weiden,  den  Tag  vor- 
her eigenhändig  am  Ufer  der  Neglina  gebrochen,  oder  auf  dem 
reichlich  damit  geiUUten  Markte,  der  zur  Erinnerung  an  das 
Hosiannarufen  der  jüdischen  Kinder  auch  hunderterlei 
Kindergeschenke  enthält,  gekauft;  statt  der  natürlichen  Wei- 
denzweige nimmt  man  auch  künstliche  Orangen-  und  Citro- 
nenzweige,  welche  mit  Blüten  und  Früchten  und  an  der  Spitze 
mit  Cherubim  aus  buntfarbigem  Papier  geziert  sind.  Nach  dem 
Gottesdienst  werden  diese  „Palmen''  über  den  Heiligen- 
bildern in  der  Stube,  oder  über  der  Haustür  aufgesteckt, 
nicht  minder  im  Kuhstall  und  auf  dem  Acker.  Auch  schlägt 
man  sich  damit  gegenseitig  (vgl.  o.  S.  257).*  Die  erste  Spur  der 
Palmprozession  und  Palmbenediction  begegnet  in  Italien  im  Anti- 
phonarium  Gregors  des  Großen;  die  Prozession  bewegte  sich  nach 
dem  Lateran.?    Jetzt  segnet  der  Papst  in  der  Sixtinischen  Kapelle 

conspicit  Andreas  in  Sacro  D.  Sophiae  templo,  comitante  turba  innn- 
merabili,  palmaram  ramos  et  cruces  fulgnris  in  modum  corus- 
cantea  tenente. 

1)  Tgl.  Beinaberg-Daringsfeld,  Nationalseitang  1874.  Nr.  187.  u.  o. 
S.  257. 

2)  Opp.  8.  Gregorii  M.  T.  XIL  p.  66.  Nr.  2.     Binterim  a.  a.  0.  174. 


286  Kapitel. III.    Bauiuseele  als  VegeiatioiiBdämoD : 

zuerst  zwei  große  Pabnen  von  7  -  >  8  F.  Länge ,  sodann  kleinere 
Palmzweige  von  5 — 6  F.  ^r  die  Kardinäle  ein^  sie  sind  kunst- 
reich geflochten  aus  Stroh  und  Scbili'blättem  und  an  der 
Spitze  einigen  wirklichen  Palmblättem^  die  von  auswärts  einge- 
sandt wurden;  ein  kleines  Kreuz  ist  darangehängt.  Der  niedere 
Klerus  erhält  Olivenzweige  und  die  Menge  Oliven  -  oder  Lorbeer- 
zweige, ebenfalls  mit  einem  Kreuz  behängt.  Nach  der  Weihung 
kflßt  ein  jeder  der  Kardinäle  die  Hand  des  Papstes  und  seine 
ihm  dargereichte  Palme;  die  Erzbischöfe  nehmen  die  ihrige  mit 
einem  Kuß  auf  Hand  und  Fuß  des  h.  Vaters  auf,  die  übrigen 
küssen  dabei  nur  den  Pantoffel.  Aehnlich  geht  es  bei  der  Palm- 
weihe in  den  Landkirchen  zu.  Man  steckt  die  geweihten  Baum- 
zweige  ins  Haus,  um  den  Blitz  abzuwenden  und  in  die 
Fruchtfelder,  um  sie  vor  Hagelschlossen  zu  schtttzen.^ 

Im  12.  Jahrh.  faßte  mau,  wie  es  seheint,  in  Frankreich 
Baumzweige,  Blumen  und  Palmen  in  ein  Bttndel  (?)  zusammen. 
Bischof  Hildebert  von  Tours  (f  1136)  in  einer  seiner  Predigten: 
,,Gi\jus  triumphi  gloriam  hodie  sancta  recolens  ecclesia,  in  signo 
crucis  et  vexillo  celebrat  solemnem  proc^ssion^m ,  virentes 
arborum  ramos  ac  flores  cum  palmis  post  vexillum 
sanetae  crucis  in  manibus  gestans^^  etc.'  Heute  verwendet  man 
in  den  meisten  französischen  Landschaften  Buchsbaum  an  Stelle 
der  Palmzweige.  Di^  Kinder  schmücken,  ihren  Buchshcmmzweig 
mit  btmten  Bändern,  Kuchen,  Äepfeln,  welche  am  Palmsonntag- 
abend von  der  Familie  verspeist  werden.  Dann  bringt  man 
den  grünen  Busch  über  dem  Kopfkissen,  oder  unter 
dem  Kruzifix  des  Familienzimmers  an,  wo  er  als 
Gewitterschutz  bis  zum  nächsten  Jahre  verbleibt, 
er  müßte  denn  ein^n  verstorbenen  Familiengliede  in  d^[i~Sarg 
mitgegeben  werden.  Dann  soll  —  wie  man  in  der  Provence  und 
Nordspanien  glaubt  —  die  Leiche  nicht  verwesen,  ja  mehrfach 
ist  ein  solcher  Zweig  als  grüner  Baum  aus  dem  Grabe  hervor- 
gewachsen und  die  Vögel  haben  in  seiner  Krofte  gesungea    In 


1)  J.  J.  Blunt,  ünproog  religiöser  Ceremonien  und  Crebr&uche  der 
römisch-katholischen  Kirche,  besonders  in  Italien  und  Sieilien.  Lpzg.  u. 
Darmstadt  1826.  S.  186.  Opinione  1852.  Apr.  11.  Zs.  t  D.  Myth.  UI ,  50. 
Hone  II,  1%. 

2)  Serm.  4  in  Dominic.  Palmar,  p.  385.    Binterim  a.  a.  0.  175. 


Der  Schlag  mit  der  Lebensrate.  287 

der  Bretagne  dient  Lorbeer ,  an  der  Provence  M7i:te  und  Lorbeer 
zu  gleichem  Zwecke.^  —  In  Spanien  trägt  die  Geifitlichkeit  bei 
ihrem  feierlichen  Umznge  am  Palmsonntage  eine  Anzahl  von 
Zweigen  der  Dattelpalme  zu  einem  Strauß  aufein- 
andergebunden,  welche  noch  über  die  Köpfe  der  andächtigen 
Menge  emporragend  bei  jedem  Schritte  sich  neigen ;  sie  sind  vor 
der  Prozession  vom  ministrierenden  Priester  feierlich  geweiht  und 
werden  nachher  vom  Klerus  seinen  guten  Freunden  ins  Haus 
geschickt,  um  als  Schutzmittel  gegen  Blitz  aufs  Eisen- 
geländer der  Balkone  gebunden  zu  werden.^  In  Belgien 
trug  (zu  Tirlemont)  das  in  der  Palmsonntagsprocession  auf  dem 
Esel  umgefllhrte  Bild  Christi  einen  Palmisweig  in  der  Hand,  mit 
Trauben  und  Kuchen  behangen,  welche  die  Kinder  während  des 
Umzugs  herabzureißen  suchten.^  Vor  dem  Beginn  der  M6sse 
segnet  der  Priester  die  am  Fuß  des  Altars  niedergelegten  Baum- 
zweige; die  herzuströmenden  Bauern  lassen  große  Büschel  Buchs- 
baum, die  sie  „ Palmtakken ^^  nennen,  mitweihen,  um  sie  nachher 
in  kleinen  Bündeln  als  Blitzableiter  unter  das  Hausdach  und  in 
alle  Räume  des  Wohnhauses,  der  Viehställe  und  Komscheuem 
zu  verteilen;  ein  Sträußchen  stecken  sie  in  das  Hutband,  emeu 
Zweig  als  Sprengwedel  ins  Weihwassertaß ,  um  damit  bei  heran- 
nahendem Sturm  die  Hausräume,  bei  Todesfällen  die  im  Sarge 
liegende  Leiche  zu  besprengen.  Auch  in  den  Ecken  der  Saat- 
felder befestigt  man  geweihte  Zweige,  um  sie  vor  Hagelwetter 
und  Yerhexung  der  Früchte  zu  schützen  und  reichen  Ernteertrag 
zu  bewirken;  ins  Viehfutter  gelegt  vernichten  die  geweih- 
ten Buchsbaumzweige  die  Würmer,  welche  dasselbe 
verderben;  fünf  Blätter  werden  Palmsonntags  ins  Getränk  der 
Kühe  getan,  um  diese  zu  reinigen  (purger).^ 

Aus  Deutschland  berichtet  Thom.  Naogeorgus  (Kirchmayr),  geb. 
1511  zu  Straubingen,  in  seinem  Gedicht  über  die  Gebräuche  der 
katholischen  Kircke  (Regnum  papisticum  Bas.  1553.  Ausg.  2.  1559), 
daß  das  Volk  vor  dem  auf  hölzernem  Esel  in  die  Kirche  gefahrenen 


1)  Gortet,  Fdtes  reÜgienses.    S.  117. 

2)  Doblado  bei  Hone  n,  197. 

3)  Beinsberg -Düringsfeld,  Galendrier  Beige  I,  212. 

4)  Beinsberg  -  Düringsfeld  a.  a.  0.  213—215.    Tbiers,  Trait^  desSaper- 
Btitions  bei  Liebrecbt,  Gerrasins  v.  Tilbnry  S.  227,  94.  229,  126.  239,  244. 


288  Kapitel  III.    Baumseele  als  Vegetationsdämon: 

Christasbilde  die  geweihten  aus  grünen  Banmzweigen  und 
Bachweiden  bestehenden  Palmen  aul  den  Weg  streute,  und 
dieselben  nachher  wetteifernd  auflas  in  dem  Glauben,  daß 
dieselben  große  Kraft  gegen  Stürme  und  Donnerschlag 
hätten.  Daß  ein  Priester  sich  vor  dem  Bilde  zu  Boden  warf 
und  von  einem  andern  mit  der  Baumrute  geschlagen  wurde, 
haben  wir  schon  o.  S.  258  aus  einem  deutschen  Vorgänger  des 
Naogeorgus  mitgeteilt.*  Jener  Aberglaube  dauert  noch  heute  in 
weiter  Verbreitung  fort.  Beim  Gewitter  werden  3  am  Palm- 
sonntag geweihte  Palmkätzchen  (Weiden),  oder  Zweige  ins  Feuer, 
oder  kreuzweise  auf  den  Tisch  gelegt*  So  lange  der  Ranch 
solcher  Zweige  aufsteigt,  schlägt  der  Blitz  nicht  ein.'  Auch  bei 
Hagelschauer  verbrennt  man  Palmen.*  Als  Schutzmittel  gegen 
das  Gewitter  werden  3  Palmkätzchen  verschluckt.*  Die  Palme 
besteht  aus  einem  Bündel  verschiedener  grüner  Zweige  (Weiden, 
Elsen,  Pappeln),  die  schon  seit  vier  Wochen  zum  Grünwerden 
und  Blühen  im  Wasser  standen,^  oder  aus  einem  größeren  oder 
längeren  Stiel,  an  welchen  mehrere  Zweige  oder  Bündel  gebun- 
den sind.  So  um  Basel  ans  einem  Tannenbänmchen  von  oft 
12  F.  Höhe,  das  bis  auf  die  Krone  geschält  und  mit  Hasel- 
ruten, Buchsbaum,  Sävenbaum  und  Aepfeln  künstlich  bebunden 
ist.  (o.  S.  246.)  Die  Palmen  in  Nordtirol  sind  ein  Busch  blühen- 
der Weiden  an  der  Spitze  einer  sehr  langen  Stange  befestigt 
und  mit  Seidenbändern,  oft  auch 'Bretzeln  verziert,  während  in 
Südtirol  dieser  bunte  Flitter  fehlt  und  nur  Oelzweige  mit  Palm- 


1)    —    —    —   popnlns  venit  omnis 

ArboreoB  portans   ramos,  salicesque  virentes, 
Quos  tempeatatis  contra  coeliqae  fragorem 
Adjavat  pastor  multo  grandique  precata. 
Mox  querno  sese  coram  prostemit  aseUo 
SacrificuB  longa  quem  virga  percutit  alter. 

2)  ZiDgerle,  Sitten«  109,  939.  115,  1018.  Schönwerth  II,  116  ff.  Meier, 
Sagen  ans  Schwaben,  385,  33.  Leoprechting,'  Lechrain  170.  Reins^erg- 
Düringsfeld,  Festkai.  a.  Böhmen  110.  Zs.  f.  D.  Myth.  III,  338.  Strackerjan 
Sag.  u.  Abergl.  a.  Oldenb.  II,  40,  308.    Wnttke«  §  449. 

3)  Strackerjan  I,  63,  67. 

4)  Zingerle  116,  1023.    Landsteiner,  Reste  des  Heidengl.  S.  43. 

5)  Zingerle  a.  a.  0.  109,  940. 

6)  Meier  385.  33. 


Der  Schlag  mit  der  Lebensnit«.  289 

kätzchen  geweiht  und  herumgetragen  werden.^  Id  Baiem  und 
Oestreich  bilden  Zweigbüscbel  von  Bachweiden ,  Stechpalmen. 
Ktranewit,  Sävenbaum  und  Mistel  die  Krone  des  Palmstabes.' 
In  Ertingen  sind  die  Palmen  geschälte  Haselruten  mit  gekreuzten 
Holunderstäbchen,  zwischen  denen  je  ein  vergoldetes  Ei  und  ein 
Apfel  prangt,^  in  Oldenburg  wird  auf  ein  fingerdickes  von  der  Rinde 
entblößtes  Weidenstäbchen  ein  Büschel  von  Buchsbaum,  Bickbeere 
oder  Tannenzweigen  gebunden.*  Vielfach  besteht  der  Palmbesen 
aus  einem  Stiel  mit  sovielen  an  einander  gebundenen  Palmbttn* 
dein,  als  man  Gelasse  in  Haus,  Scheuer  und  Stallung 
hat.  Nach  der  kirchlichen  Weihe  werden  diese  Bündel  ausein- 
ander genommen  und  in  die  verschiedenen  Räume  verteilt,  in 
Stube  und  Kammer  vom  Hausvater  selbst  hinter  das  Kruzifix 
gesteckt.  Anderswo  wird  „der  Palmen"  an  die  Stall-  oder 
Hau«türe  oder  ans  Scheuertor  genagelt  und  verbleibt 
daselbst,  bis  er  herunterfällt.'^  Zuweilen  wird  der  Palmbesen 
vor  dem  Hause  autgestellt  und  bleibt  dort,  bis  es  zum  ersten- 
mal donnert;  dann  setzt  man  ihn  in  den  Yiehstall,  wo  er  seinen 
Platz  behauptet,  bis  ihn  im  nächsten  Frühjahr  ein  neuer  ersetzt. 
Dann  wird  er  verbrannt*  Auch  in  Westfalen  pflegt  man  auf 
Stuben  und  Bienenkörben  Zweige  von  am  Palmsonntag  geweihtem 
Buchsbaum  anzubringen.''  Das  Wohnhaus,  und  den  Viehstall 
soll  der  Palmzweig  vor  Blitzschlag  und  vor  dem  Eintritt  feind- 
licher dem  Leben  und  der  Gesundheit  schädlicher  Mächte 
bewahren.  Durch  ein  Fenster,  in  dem  ein  Palmzweig  steckt^ 
kann  keine  Hexe  (d.  h.  Elbe,  Krankheitsgeist)  hereinkommen.® 
Derselbe  Gedanke  liegt  dem  Glauben  zu  Grunde,  daß  man. mit 
einem  Pahnsonntag  geweihten  Zweige  (vom  Pimpemußbaum)  den 
Wassermann  bewältigen    (erschlagen)    könne. ^     Ein    Vieh,   das 


1)  Zingerle  a.  a.  0.  146,  1268. 

2)  Schmeller  I,  281.    Ausg.  2  I,  387.    Leoprechting  169.    Baumgartcn, 
das  Jahr  und  s.  Tage  21. 

8)  ßirlinger,  Volkst  a.  Schwab.  II,  75,  91. 
4)  Strackeijan  ü,  40,  308. 
*      5)  BirliDger  I,  74.  88. 

6)  Birlinger  ü,  74.  89. 

7)  Kuhn,  Westf.  Sag.  145,  418. 

8)  Zingerle  109,  938. 

9)  Grohmann,  Abergl.  a.  Böhmen  18,  52.  54. 

MAnnhardt.  19 


290  Kapitel  ÜI.    Baumseele  als  Vegetationsdamon: 

Schrätelesz^pfe  (Wichtelzöpfe)  hat,  sehlage  man  dreimal  mit  drei 
Palmzweigen,  dann  flieht  das  Schrätel  in  Gestalt  einer  Katze.* 
Als  Dämonenvertreiber  hält  der  am  Palmsonntag  geweihte  Zweig, 
sofort  nach  dem  Gottesdienst  im  Knhstall  hinter  einem  Balken 
verborgen,  die  Rinderpest  fem.*  Auch  die  Pest  wurde  ja  als 
persönliches  Wesen,  Viehschelm  u.  s.  w.  gedacht.  In  den  Kör- 
per hinein  kriechend,  oder  in  Insektengestalt  ihn  abweidend 
bewirken  die  Krankheitsgeister  Abzehrung,  trockenes  Euter  u.  s.  w. 
Hiemach  ist  zu  beurteilen,  daß  man  den  Pferden  und  Rindern 
3  Palmen  zu  fressen  giebt;^  die  Kühe  geben  dann  gute  Milch. 
Schon  eine  Handschrift  in  St  Florian  aus  Saec.  XIV.  (Myth.* 
XLVII.  10 — 13)  sagt  „So  man  die  palm  haimtrait  von  Kirchen, 
so  legent  sy  sew  ee  in  die  chue  chrip,  ee  das  sy  sew  vnder 
das  tach  tragent.  so  gent  die  chue  des  iars  gern  haim.  item  die 
pursten  die  man  zu  den  palm  stekcht,  do  pursten  sy  das  viech 
mit,  so  wemt  sie  nicht  lausig,  item  palm  legent  sy  under  das 
chrawt  hefen,  so  vallent  nicht  fl engen  in  das  chrawt  item  sy 
tragent  umb  das  haws ,  ee  si  sew  hie  in  tragent ,  so  essent  di 
luchs  der  huner  nicht.*  {Ueber  die  Insekten  als  vermeintlich 
dämofiische  Wesen ,  die  die  Pflanze  und  den  Tierkörper  abzehren 
oder  ausfressen,  vgl.  o.  S.  13  u.  280.)  Mit  dem  „Palmzweig 
schlägt  man  beim  ersten  Austrieb  die  Kühe  ^  und  in  Tirol  betritt 
kein  Hirte  die  Alme  ohne  ihn.  -Wenn  die  Kühe  sich  mit  den 
Köpfen  so  enge  verketten,  daß  sie  nur  mit  Mühe  auseinanderzu- 
bringen sind,  löst  ein  geweihter  Palmzweig  den  schlimmen  Zustand.* 
Wie  dem  Tierleibe  bringt  der  Palmzweig  durch  Entfernung  der 
dem  Wachstum  feindliehen  Geister  dem  menschlichen  Körper 
Wolsein  und  Gedeihen.     Man  ißt  Palmkätzchen  als  Präservativ 


1)  Panzer  II,  189,  320. 

2)  Reinsberg-Dtiriogsfeld  Pestkai.  a.  Böhmen  111. 

3)  Banmgarten,  das  Jahr  S.  21 

4)  Vgl.  Flohe  vertreibt  man  so:  man  wickelt  in  der  Charwocbe  ein 
Bündel  geweihter  Palmzweige  in  ein  Tuch  und  steckt  es  hinter  ein  Mntter- 
gottesbild;  wenn  dann  Ostern  die  Glocken  zur  Auferstehung  läuten,  schwingt 
man  das  Bündel  dreimal  und  ruft:  „fort  mit  allen  Tieren,  die  keine  Knochen 
haben",  so  sind  die  Flöhe  für  das  ganze  Jahr  vertrieben.  Grohmann,  Abergl. 
a.  Böhmen  85,  618. 

5)  Leoprechting  170. 

6)  Alpenburg,  Mythen  396. 


Der  Schlag  mit  der  LebeDsrate.  291 

gegen  Fieber,^  Zahnweh  oder  Halsweh.*  Wie  in  Frankreich  der 
Pahnzweig  demTodten  in  denSai^  mitgegeben  wird,  steckt  man 
ihn  in  Böhmen  und  Oldenburg  als  Lebensrute  auf  das  Grab.* 

Auch  die  dem  Wachstum  der  Pflanzen  feindlichen  Dämonen 
sollen  durch  die  Palmen  verscheucht  werden.  In  Baiem  tut 
man  dieselben  sammt  den  am  Gharfreitag  gebrannten  Holzstäbchen 
und  Asche  des  Osterfeuers  aufs  Feld,  um  dasselbe  gegen  Hagel- 
schlag zu  sichern,*  in  Oberbaiem  sind  es  Palmkreuze,  die  neben 
geweihten  Eiern  in  jede  Ecke  des  Ackers  gesteckt  werden.* 
Dadurch  yermeint  man  die  Raupen,  Komwtirmer,  Mäuse  und 
Maulwürfe  zu  vertreiben.*  Steckt  man  Palmen  in  die  Wintersaat, 
so  wächst  diese  so  hoch,  als  die  Palmen  sind.^  Man  wirft  auch 
nur  einige  PalmblUten  in  die  grüne  Saat,  um  diese  zu  segnen.® 
Vielfach  werden  Ostern,  zuweilen  Maitag  die  Felder  gepalmt* 
In  Ostpreußen  steckt  man  in  die  Ecke  des  Misthaufens  Palmen, 
dann  wird  er  sehr  fruchtbar.*^ 

In  Schottland  (Lanark)  hielten  auch  1795  die  Schulknaben 
am  Tage  vor  Palmsonntag  einen  feierlichen  Umzug  mit  einem 
langen  Weidenbaum ,  woran  Affodill ,  Seidelbast  und  Buchsbaum 
befestigt  waren. ^*  In  England  setzte  man  am  Palmsonntag 
geweihte  Palmkreuze  über  die  Türen  und  tat  sie  in  die 

-     1)  Birlinger,  U,  74,  89.    Reinsberg-Düringsf.  S.  111. 

2)  Zingerle«  147,  1264.  109,  942.  943. 

3)  Beinsberg  -  Düringsfeld ,  Festkalender  a.  Böhmen  116.  Strackerjan 
a.  a.  0.  Vgl.  daß  nach  der  Legende  der  Baum  des  Lebens  aof  Adams  Grabe 
wSchst.    Piper,  evang.  KaL  1863.   8.  52.  60. 

4)  Panzer  II,  79,  114. 

5)  Panzer  11,  212,  380.  VgL  ebda.  S.  534.  „  In  Bering  ist  der  mitt- 
lere aufrechtstehende  Teil  des  Kreuzes  ein  Palnizweig,  welcher  am  Palm- 
sonntage geweiht  worden  ist.  Dieser  Zweig  wird  oben  gespalten,  um  einen 
Zweig  des  Lebensbaumes  und  einen  Weidenzweig  mit  den  Kätzchen  (Palm- 
mudeln)  befestigen  zu  können,  welche  beide  Zweige  die  Anne  des  Kreuzes 
bilden.  Am  Oatertag  gebt  jeder  Bauer  mit  seinen  Dienstleuten  um  jeden 
seiner  Aeoker ,  steckt  auf  jedes  Eck  ein  solches  Kreuz  und  Stück  eines  geweih- 
ten Ostereis,  in  die  Mitte  des  Feldes  ein  ganzes  rotgefärbtes  Ei,  das  Kreaz 
und  ein  am  Gharfreitag  angebranntes  spitzes  Holzstück.'' 

6)  Grohmann  61,  449.    Wuttke«  §  647. 

7)  Beinsberg -Düringsfeld^  Festkalender  a.  Böhmen.  110. 

8)  Ebds.  S   111. 

9)  Kuhn,  Westf.  Sag.  H,  145,  418.  155,  437. 

10)  Wuttke«  §  650 

11)  Brand,  pop.  antiqa.  ed.  EUis  I,  121. 

19* 


2d2  Kapitel  III.    Banmseele  als  Vegetationsdämon: 

Geldbeutel,  (vgl.  o.  S.  283),  um  den  Teufel  zu  verjagen. 
Asche  des  geweihten  Buchsbaums  galt  mit  Weihwasser  vermischt 
als  wirksames  Heilmittel  gegen  das  kalte  Fieber  und  sollte  die 
Würmer  tödten.* 

Die  ausgehobenen  Belege  sind  in  vollstftndigs^m  Maße,  aus- 
reichend, um  darzutun,  daß  die  wichtigsten  Stttcke  des  an  den 
Schlag  mit  der  „Lebensrute"  gehefteten  Volksglaubens  den 
Palmbüscheln  auch  ohnehin  schon  (zukommen,  vornehmlich  die 
Kraft^ Dämonen,  dem  Körper  schädliche  Geister  zu  vertreiben  und 
dadurch  Menschen,  Tieren,  Pflanzen  Wachstum  und  Gedeihen  zu 
sichern.  Wie  der  Maibaum,  Emtemai,  Richtmai  werden  sie  zu 
solchem  Behufe  aufs  Dach  gesetzt,  in  den  Wohnräumen  ange- 
bracht, wie  der  Richtmai  schützen  sie  vor  Blitz  und  Stürmen. 
Ja  sie  sind  ein  Symbol  des  aus  dem  Grabe  wieder  erblühenden 
Lebens  (S.  286.  287.  291).  Es  erhellt,  daß  der  Schlag  mit  dem 
Palmbündel  besonders  nachdrücklich  die  Heilswirkungen  übertragen 
und  vermittehi  sollte,  welche  den  vereinigten  Zweigen  an  sich 
beiwohnten.  Um  so  weniger  werden  wir  uns  der  VennutUng 
entziehen  können,  daß  die  Schmackosterrute  (o.  S.  258  ff.)  die 
Kindelrute  (o.  S.  265  ff.),  der  Fuöstrauch  (Fastelabendrute)  zu  Ostern, 
Weihnachten,  Fastnacht  durch  Uebertragung  auf  ein  anderes 
Kirchenfest  aus  dem  Palmsonntagsbrauch  entstanden  und  mit  der 
Kirche  und  ihrer  Ausbreitung  gewandert  seien.  Die  Uebertragung 
auf  Ostern  vorwärts  und  auf  Fastnacht  rückwärts  lag  nahe.  Auch 
spricht  ftlr  dieselbe  deutlich  der  Umstand,  daß  die  Schmackoster 
gemeinhin  aus  einem  Bündel  von  mehreren  Weidenzweigen 
besteht.  Eben  dasselbe  ist  zuweilen  bei  dem  zu  Weihnaehten 
oder  am  Tage  der  unschuldigen  Kinder  gebrauchten  Schlaginstru- 
mente der  Fall.  Auf  den  letztem  Tag  (28.  Dez.)  an  welchem 
die  kirchlichen  Geremonien  durch  Kinder  nachgeahmt  wurden, 
wollte  man  um  so  eher  die  Darstellung  der  dem  Palmsonntag 
identischen  Festgeschichte  des  1.  Advent  übertragen,  da  die 
Beteiligung  der  Kinder  am  festlichen  Empfange  des  Heilandes  in 
Jerusalem  in  älterer  Zeit  mit  besonderer  Betonung  hervorgehoben 
wurde,  (o.  S.  282.  285.  291.)  Vom  28.  Dez.  aus  ergab  sich  sehr 
einfach  die  Verschiebung  auf  den  3.  Weihnachtstag.     So  nahe 


1)  Dialoge  betwene  two  Neigbonrs  1554  bei  Brand'  a  a.  0.  127.  New- 
ton, Herball  to  the  Bible  p.  207.    Brand  a.  a.  0.  126. 


Der  Sehlag  mit  der  Lebensrate.  293 

« 

nun  diese  Yermutungen  liegen ,  sind  dagegen  doch  die  beiden 
Umstände  in  Erwägung  zu  ziehen,  daft  einmal  eine  dramatische 
Veranschaulichong  des  Einzugs  Jesu  in  der  Adventszeit  (so  yiel 
ich  mich  erinnere)  nicht  bekannt  ist,^  dann  daß  meistenteils  nicht 
Weidenbtlndel ,  sondern  einzelne  grün  ausgeschlagene  Aeste 
anderer  Bäume  zum  Frischegrünpeitschen,  Fitzeln  u.  s.  w.  ver- 
wandt werden,  die  Weiden  somit  erst  durch  Analogie  mit  dem 
Palmsonntags  -  und  Osterbrauch  von  diesem  her  in  die  schon  fest- 
stehende Weihnachtssitte  vereinzelt  herttbergenommen  sein  könnten. 
Wieder  auf  einen  kirchlichen  Brauch  und  zwar  auf  einen  der 
zunächst  vom  Osterfest  entlehnt  sein  möchte,  scheint  auch  der 
Umstand  zu  weisen,  daß  in  Frankreich  saec.  XV.  die  durch  die 
Rutenschlagung  unzweifelhaft  zu  er^zende  Sitte,  Leute  früh- 
morgens aus  den  Betten  gerissen  mit  Wasser  zu  begießen  (o.  S.  260) 
am  Altar  der  Kirche  und  von  Klerikern  geübt  wurde.  Denn  zu 
Ostern  findet  sich,  auch  außerhalb  des  Gotteshauses  der  nämliche 
Brauch  (o.  S.  259),  zu  dessen  Erklärung  sich  zunächst  die  aus  der 
Eigenschaft  des  Osterfestes  als  vorzüglichste  Taufzeit  entsprun- 
gene Heiligkeit  des  Osterwassers  darbietet. 

Nahm  die  Schmackoster  -  Fastnachts  -  Kindelrute  vom  Palm- 
busch ihren  Ausgang,  so  muß  auch  das  Schlagen  aus  dem  Ideen- 
kreise des  letzteren  erklärt  werden.  Die  dem  Heiland  zu  Füßen 
geworfenen,  von  ihm  beschrittenen  Baumzweige,  deren  gleich- 
wirksame Stellvertreter  die  vom  Priester  geweihten  Ruten  waren, 
konnten  .als  seiner  Kraft,  seines  Wesens  teilhaftig  geworden 
betrachtet  werden. 

So  gut  man  von  Maria  dichtete: 

„dt  bist  sam  der  c^derbonm, 
den  da  flluhet  der  wurm",* 

mochte  die  das  Geistige  vergröbernde  und  in  den  Bann  des  Sinn- 
lichen herabziehende  Phantasie  des  christlichen  Volkes  mithin  die 
„Fahnen'^  in  materiellerer  Auffassung  als  Dämonenvertilger,  Wurm- 
vertreiber bezeichnen.  Die  schnelle,  schüttelnde  Bewegung  des  jüdi- 
schen Weidenbüschels  am  großen  Hosanna  wäre  der  Ausgangspunkt 
gewesen ,  von  welchem  aus  die  christliche  Festsitte  zur  Uebertra- 


1)  Dafi  in  Tirol  der  Schinimclrciter  Anldöpflesel  genannt  wird,  Zs.  f.  D. 
Mjth.  in,  387,  darf  doch  schwerlich  dafür  angesehen  werden. 

2)  Melker  Marienlied.    MüUenhoff  n.  Scherer,  Denkmäler  deutscher  Poesie 
und  Prosa  1864  XXXIX  S.  117. 


2d4  Kapitel  DL    Bauzuseele  als  Yegetatipnfid&mon: 

gang  der  dem  Zweige  einwolmendeii  Kräfte  auf  MensoheB,  Tiere, 
Pflanzen  durch  Berührung ,  durch  Schläge  mit  demselben  sich 
fortbildete.  Als  Dämonenvertreiber  hätte  derselbe  zugleich  seinen 
Platz  auf  dem  Dache  des  Wohnhauses  oder  Viehstalles  gefunden, 
um  die  Wetterhexen  und  Krankheitsgeister  abzuhalten.  Mit  einem 
Worte,  mit  den  Kräften  Jesu,  des  LebensfUrsten  erfüllt  hätte  der 
Baumzweig,  oder  Zweigbündel  dadurch  alle  jene  Eigenschaften 
der  Lebensrute  überkommen,  welche  wir  o.  S.  278—281  zusammen- 
gestellt haben. 

Enthielten  diese  Ausführungen  den  wirklichen  Sachyerhall^ 
so  würde  die  Consequenz  erfordern  auch  das  Schlagen  mit  dem 
Sommer-  und  Maibusch  (S.  252.  264)  das  Kälberquieken  (o.  S.  270) 
für  Uebertragungen  der  Palmrute  auf  einen  anderen  Jahrestag  zu 
erklären.  Und  in  der  Tat  weist  die  Gestalt  des  in  Böhmen  zum 
Schlagen  verwandten  Sommers  „Bündel  von  Weiden,  mit  bunten 
Bändern  durchflochten,  statt  des  sonst  zu  diesem  Behufe  dienen- 
den Bäumchens  auf  eine  Vermischung  vonLätare-  und  Palmarum- 
gebräuehen hin ;  und  auch  sonst  ist  eine  derartige  Uebertragung 
nicht  selten  nachweisbar.  In  Oberschlesien  z.  B.  heiBt  der 
„Sommer^',  das  am  Lätaresonntag  einhergetragene  gesclmittckte 
Bäumchen,  durchstehend  „Mai^V  ^^^  ^^  ^^^  ^^^  ^^^  Sache 
nach  nächstverwandten  Brauche  4^^  Namen  empfangen.  Da  wir 
in  der  Palmsonntagsprozession  sowohl  in  Moskau  o.  S.  285,  als 
in  Frankreich  o.  S.  286  und  Belgien  S.  287  einen,  wie  der  Mai- 
baum und  Sommer ,  mit  bunten  Bändern ,  Früchten ,  Kuchen  aus- 
gerüsteten Baum  entweder  als  Palmbusch  verwandt  oder  dem 
Umgange  vorausgefahren,  oder  endlich  in  der  Hand  des  Christus- 
bildes  befindlich  sehen;  wobei  wieder  der  erste  Gedanke  auf 
einen  Ausfluß  christlicher  Symbolik  (o.  S.  242  ff.)  sich  richten  muß,' 
so  werden  wir  sogar  der  Frage  nicht  ausweichen  dürfen ,  ob  nicht 
der  Maibaum,  weit  entfernt  als  Verkörperung  des  Vegetations- 
dämons „Lebensbaum'^  zu  sein,  vielmehr  ursprünglich  aus  dem 
Palmsonntagbrauche  abstammend  der  (Baum  des  Lebens  in  christ- 


1)  S.  o.  S.  181.  Vgl.  „den  Maien  Bingen**  am  Maiensonntag  (L&tare)- 
za  Brieg.  Koch  (Gierth),  Denkwürdigkeiten  der  Herzogin  Dorothea  SibyUa 
S.  42  if.   In  Oesterr.  Schlesien  „Sommer  oder  Mai"  Peter,  Volkstüml.  II,  280. 

2)  Vgl.  Pipers  Nachweis  über  den  in  Fasten  predigten  der  griech.  Kirche 
gewöhnlichen  Vergleich  des  in  die  Mitte  der  Fasten  aufgenommenen  Kreuzes 
mit  dem  Baume  des  Lebens  mitten  im  Paradiese.    £v.  Kai.  1863.    S.  72. 


Der  Schlaft  mit  der  Lebensrute.  2d5 

Uchem  Sinne  gewesen  und  sammt  Bichtmai  und  Brautanaie  aus 
rein  kirchlichen  Ideen  entsprungen  sei.  Selbst  die  o.  S.  182  nach- 
gewiesene Eigenschaft  desselben  als  tnythischer  Doppelgänger 
des  Menschen  würde  sich  dieser  Erklärung  fügen,  da  (ygl.  o.  S.  282) 
der  grüne  Fruohtbaum  auch  ein  Bild  des  wahren  Christen  war. 
Solcher  Annahme  stehen  jedoch  die  gewichtigsten  Tateachen 
widerspruchsvoll  gegenüber.  Der  Maibaum  kann  von  dem  Som- 
mer,  dem  Emtemai,  dem  Richtmai  und  der  Brantmaie  nicht 
getrennt  werden.  Der  „Sommer^'  als  Gegensatz  des  ,, Todes '^ 
im  Frühimg  hat  augenscheinlich  reine  Naturbedeutung.  Der 
Erntemai  aber  entspricht  in  allen  Stücken,  Ausrüstung  mit 
Bändern,  Früchten,  Backwerk  und  Gefäßen  mit  Flüssigkeit, 
Anpflanzung  vor  dem  Hause  (oder  Tempel),  Verbleib  an  diesem 
Orte  bis  zur  nächsten  Ernte,  Verbrennung  nach  Jahresfrist  so 
genau  mit  der  griechischen,  schon  von  Aristophanes  bezeugten 
Eiresione,  daß  man  an  dessen  vorchristlicher  Entstehung  nicht 
zweifeln  dari'.^  Die  dem  Maibaum  und  Palmsonntagsstrauß 
gemeinsamen  Züge  begegnen  ebenfalls  schon  im  italischen  und 
hellenischen  Altertum.  In  Rom  besteckte  man  (zur  Abwehr  von 
Mißwachs  und  Krankheit  der  Gewächse,  Tiere  und  Menschen) 
bei  den  Palilien  am  21.  April  den  Schaistall  mit  einem  grün 
belaubten  Zweige,  die  Tür  mit  einem  Kranze*,  Weißdomruten 
und  Wegedom  wurden  (am  ersten  Juni)  über  Tür  und  Fenster 
angebracht,  um  alles  Unheil  (noxas)  davon  hinwegzutreiben  und 
vor  allem  die  gespenstischen,  eulengestaltigen  Strigen,  Geister 
der  Krankheit  und  Auszehrang,  welche  den  Wiegenkindem  die 
Eingeweide  ausfressen,  fernzuhalten.^  Am  ersten  März  pflanzte 
man  junge  Lorbeerbäume  je  einen  vor  die  Türe  der  Regia,  der 
Curien  und  die  Hänser  der  Flamines ,  nachdem  man  die  vorjähri- 
gen entfemt  hatte  (laureae  veteres  novis  laureis  mutabantur). 
Zugleich   wurde   neues  Feuer  im  Vestatempel  angezündet.^     In 

1)  Da  ich  Über  die  Eiresione  demnächst  an  einem  anderen  Orte  aus- 
föhrlicher  handeln  werde,  verweise  ich  einstweilen  auf  Bötticher,  Banrnknl- 
tus  der  Hellenen  S.  893  Ä.  A.  Mommsen  Heortologie  S.  194.  271.  275.  Prel- 
ler, Griech.  Myth.   Aufl.  2.   I.  S.  203. 

2)  Ovid,  fast.  IV,  737. 

3)  Ovid,  fast.  VI,129ir.^ 

4)  Macrob.  Saturn ,  1 ,  12.*    Cf.  Ovid ,  fast.  III ,  137  fif. : 

Laurea  flaminibus,  quae  toto  perstitit  anno, 
ToUitur:  et  frondes  sunt  in  honore  novae. 


296  Kapitel  III.    Baauiseele  als  Vegetationsdämon. 

Hellas  pflanzte  man  Lorbeerreiser  vor  dem  Hanse  auf,  oder  lieft 
Lorbeer  und  Wegedom  (^aftvog)  über  der  Haustüre  aushängen.' 
Wie  der  Maibaum  das  Dach  der  beliebten  Jungfrau  oder  des 
Hochzeithauses  schmückt;  so  stattete  man  in  Rom  die  Türen  des 
Brauthauses  mit  Lorbeer  aus*  und  die  athenischen  Eupatriden- 
familien  steckten  sowol  bei  den  Hochzeiten  als  bei  dem  Feste 
der  Mannbarkeitserklärung  ihrer  Söhne  und  Töchter  mit  Binden 
gezierte  Lorbeerzweige  vor  den  Türen  auf.  Dies  geschah  einer- 
seits zum  Schutz  vor  Gewitter,  denn  wo  Lorbeer  ist,  schlägt  nie 
der  Blitz  ein;"  andererseits  zur  Abwehr  feindlicher  Dämonen. 
Wo  sich  Lorbeer  befindet  —  heißt  es  —  stellt  sich  ebensowenig 
die  Epilepsie  ein,  als  der  Blitz  dahin  komme,  wo  er,  oder  ein 
Feigenbaum  stehe-/  er  halte  die  Dämonen  ab  und  zerstreue 
^en  Zauber.^  Der  Lustration  wegen,  zur  Abwehr  von  Zauber 
wird  Lorbeer  auf  dem  Heerde  verbrannt,*  nach  Hesiod  0.  e.  D. 
433  ist  er  nicht  dem  Wurmfraß  ausgesetzt  (axicjiMiog).  Das 
Haus  und  seine  Bewohner  aber  gelten  durch  die  Aufhängung  oder 
Einpflanzung  von  Lorbeerzweigen  oder  Lorbeerbäumen  vor  den 
Krankheiten  des  Gemütes ,  wie  des  Leibes  bewahrt. ''  Zur  Hei- 
lung von  Irrsinn  wurden  Lorbeerkränze  um  den  Hals  gelegt. 


Janaa  nnnc  regis  posita  viret  arbore  Phoebi: 
Ante  tuas  fit  idem,  curia  prisca,  fores. 

Yesta  quoqne  nt  folio  niteat  velata  recenti, 
Cedit  ab  IliaoiB  laurea  cana  focis. 

1)  Diog.  La6rt.  4,  57:  ^afivov  t€  xal  xliiSov  ^dtpvrjg  vnkQ  &vQav  ^&fjx(r, 
Hesych.:  xotfivd-a*  Satp'tiv  r\v  laräai  ttqo  t^v  nvliov.    Cf.  Dioscorid.  I,  119. 

2)  Javenal.  Sat.  6,  80:  Omentor  postes  et  grandi  janna  lanro.  Sohol. 
vel  frondiboB  et  ramis  laureis  ad  celebritatem  nuptiarom  omato*  postes  et 
janoam. 

3)  Non.  morb.  curat  c.  259  p-  294:  ra  cf^  (fvlaaaovra  an 6  x^Qavvtav 
€tai  ravra ,  iv  filv  roTg  (pvroTg  cTa^^i}  xal  ai'xrj.    Cf.  Botticher  S.  363. 

4)  Etym.  M.  xoQVxf-dkrj ,  rj  n^b  t(ov  0-v^iov  Jithe/ii^vrj  Jdffyjj ,  ^ßriadinraiv 
yuQ  risiv  vioiV  xu\  d-vyaT^QCüy ,  ddtpvae  nQoeTlbovv  itprißCoi^g  xal  ydfiotg  tig 
To  SCxQov.    Hesych.:  xoQv&aUa  ddifvti  larefifÄiprj,    Cf.  B5tticher  S.  373. 

5)  Boissonad.  Anecd.  Gr.  1, 1.  p.  425:  ov^k  yäo  l((>a  voaog  ^  dtti/iav 
na^svo^lii  rß  Jontp  h  tp  ^dtpvij  (ailv,  SanfQ  oM^  xiqawbg  Snov  avx^, 
dXXa  xal  axtdaarixfj  (paQfddxatv  i(n(v.  Geop.  11,  0.2:  o^-ev  xal  dm^S-dvitai 
dal/dotxiry  xal  ^v&a  av  ^  Sdipvri  ixno^ioy  datjuov fs.    Cf.  Bötticher  S.  360. 

6)  Bötticher  S.  365. 

7)  Bötticher  S.  360. 


Der  Schlag  mit  der  Lebensrute.  297 

Mit  Binden  geschmückte  Lorbeerzweige  dienten  als  Sprengwedel, 
mit  denen  sich  der  Gottesftlrchtige  beim  Eintritt  in  den  Tempel 
mid  beim  Ausgange  ans  demselben  aus  dem  Weihwasserbecken 
besprengte  (vgl.  o.  S.  287)  und  von  welchem  er  beim  Herausgehen 
ein  Blatt  za  sich  nahm  und  möglichst  lange  bei  sich  trug  (vgl. ^ 
0.  S.  291  die  gegen  Fieber  genossenen  Palmkätzchen),  um  die 
empfangene  Reinheit  dauernder  zu  machen.  Solches  Besprengen 
befreite  angeblich  von  der  Pest.*  Auch  ins  Saatfeld  wurde  ein 
Lorbeerzweig  gesteckt,  um  das  Getreide  vor  Rost  und  Brand  zu 
behüten.*  Uebrigens  war  der  Lorbeer  ursprünglich,  wie  der 
Maibaum,  als  beseeltes  Wesen  gedacht.  Diese  Tatsache  ist  der 
sichere  Gewinn,  den  die  Mythenanalyse  aus  der  Sage  von  der 
durch  Apoll  verfolgten  und  in  den  Baum  verwandelten  NympKe 
Daphne  ziehen  kann.  Denn  Apollos  Liebschaft  ergab  sich  ein- 
fach aus  der  Stellung,  welche  die  Pflanze  in  seinem  Kultus  ein- 
nahm ,  und  die  Metamorphose  mit  allen  ihren  näheren  Umständen 
war  nichts  als  ein  Versuch ,  die  im  Glauben  ihren  Platz .  behaup- 
tende Baumseele  mit  der  Botanik  in  Einklang  zu  bringen. 

Es  zeigt  sich  also,  daß  die  Mehrzahl  derjenigen  abergläu- 
bischen Sätze  und  Bräuche,  welche  der  Volksglaube  gleicher- 
weise an  den  Maibaum  wie  an  den  Palmbttschel  heftete,  schon 
vor  der  Entstehung  des  Christentums  vorhanden  waren.  Wir 
dürfen  daraus  mit  Sicherheit  schließen,  daß  sie  nicht  erst  aus 
den  Anschauungen  des  letzteren  heraus  entwickelt,  sondern  aus 
älterer  Tradition  so  zu  sagen  fertig  aufgenommen,  mit  äußerlich 
ähnlichen  Stücken  seines  Kultus  verbunden,  und  in  seinem  Sinne 
umgedeutet  sind.  Somit  hat  zwar  wahrscheinlich  eine  Ueber- 
tragung  der  Palmrute  vom  Sonntage  Palmarum  auf  andere  christ- 
liche Festtage  stattgefunden,  aber  die  daran  gehefteten  Vorstel- 
lungen und  Bräuche,  welche  den  Palmbttschel  als  Lebensrute 
characterisieren ,  sind  durch  unbewußte  oder  bewußte  Verschmel- 
zung mit  älteren  Bräuchen  hinsichtlich  eines  Baumzweiges  ent- 
standen, der  in  Italien  und  Hellas  im'Lorbeer  (Eiresione  u.  s.  w.) 


1)  Theophrast.  Char.  16.  Clemens  Alex.  Strom.  YIIL  §.  49.  Bötticher  370. 

2)  Plin.  bist.  nat.  XYIII.  45:  Bnbigo  quidem,  maidma  segetnm  pestis, 
lanri  ramis  in  arvo  defixia  transit  in  ea  folia  ex  arvis.  Geopon.  V,  33,  4.: 
(pjal  Sk  Anovlr^iogy  iay  ^dffvrjs  Iv  Tj  aQOVQtf  xXddovs  ßdXrjig,  fiiTaßatvuv 
efs  avtövs  rriv  ßXufiriv  irjg  i(ßva{ßrjg,    Bötticher  362. 


2d8  Kapitel  HL    Baumseele  ab  Vegetationsdamon: 

im  Norden  im  Maibaum  (Sommer)  Beinen  Hauptrepräsentanten 
hat  DaB  Hereindringen  des  abergläubischen,  der  Naturreligion 
aagehörigen  Elements  in  den  Falmsonntagsbrauch  war  um  so 
leichter  möglich ,  als  derselbe  in  letzter  Grundlage  ja  auf  einen 
Emtebrauch  zurückging  (o.  S.  282),  und  somit  von  Hause  aus 
unserm  Emtemai  und  der  griechischen  Eiresione  verwandt  war. 
Wann  und  wo.  aber  die  christliche  Sitte  die  superstitiosen  Zutaten 
in  sich  aufnahm,  ob  der  Hauptsache  nach  schon  vor  ihrer  Wan- 
derung in  den  Occident,  oder  ob  dies  an  verschiedenen  Punkten 
mehrmals  selbständig  und  auf  zwar  ähnliche,  aber  doch  im  ein- 
zelnen abweichende  Weise  und  in  verschiedenem  Maße  geschah, 
darüber  erlaubt  das  bis  jetzt  vorliegende  historische  Material 
noch  keine  Entscheidung. 

Sind  die  übrigen  Bräuche ,  das  Aufstecken  des  Palmbfischels 
auf  Haus  und  Viehstall,  und  ins  Saatfeld,  seine  Anwendung  als 
Dämonenvertreiber  gegen  Krankheit,  Ungeziefer  u.  s.  w.  heid- 
nischen Sitten  nachgebildet,  so  wird  die  Vermutung  berechtigt 
sein,  daß  auch  der  Schlag  mit  demselben,  wie  mit  der  Schmack- 
oster-,  Fastelabend -^,  Fitzelrute  seine  Entstehung  der  Ueber- 
tragung  einer  vorchristlichen  Begehung  auf  die  kirchlich  geseg- 
nete Palmrute  und  ihre  Sproßformen  verdanke.  Hieftlr  spricht 
der  Umstand,  daß  d^  gegenseitige  Schlagen  der  beiden  Geschlech- 
ter, der  Schlag  auf  Fuß  und  Hand,  so  viel  ich  sehe,  aus  christ- 
lichen Ideen  kaum  eine  Erklärung  gestattet,  dagegen  bei  ver- 
gleichender Betrachtung  der  römischen  Luperealienbräuche  uralte 
Analogien  findet  Und  in  der  Tat,  wenn  der  für  Menschen  und 
Tiere  als  mythischer  alter  ego  auf  Häuser  und  Ställe  gepfianzte, 
im  Saati'eld  als  Emtemai  die  Bolle  des  Wachstumsgeistes  aus- 
flillende,  häufig  (gleich  dem  Palmbusch  zu  Ostern)  am  ersten 
Mai  in  Form  eines  Birkenzweiges,  Holunderbusches,  Vogelbeer- 
baumes y  in  den  Acker  gesteckte  Maibaum ,  wie  die  Eiresione  und 
der  griechische  Lorbeer,  einer  anderen,  beziehungsweise  älteren 
Schicht  des  Volkslebens  seinem  Ursprünge  nach  angehört,  als  das 
Palmarumfest,  so  wird  das  Kälberquieken  (o.  S.  270)  nicht  davon 
getrennt  werden  dürfen ;  und  grade  dieses  findet  sein  Gegenstück 
in  einem  schon  in  den  Veden  erwähnten  indischen  Brauche  (o. 
S.  275).  Wir  stoßen  hier  mithin  auf  eine  anscheinend  sichere 
Spur  davon,  daß  das  Schlagen  mit  grünem  Zweige  der  Befruch- 
tung halber  unabhängig  von  christlichen  Ideen  entbtanden  ist  und 


Der  Schlag  mit  der  Lebensrate.  2d9 

geübt  Würde.  Eine  zweite  solehe  Spur  ist  der  aus  Rheinland 
und  Rußland  nachgewiesene  Erntebrauch  (o.  S.  277).  In  Rom 
schlug  man ,  um  die  Strigen  zu  verscheuchen  und  das  Gedeihen 
des  Kindes  zu  bewirken  ^  Tür  und  SchweUe  der  Kinderstube  drei 
mal  mit  belaubtem  Erdbeerbaumzweige.  ^  In  diesen  Fällen  kann 
unmöglich  der  doppelte  Gedanke  verkannt  werden,  daß  der 
Schlag  mit  dem  grünen  saftreichen  (vom  Vegetationsdämon  beseel- 
ten) Gewächse  die  Miswachsgeister  vertreibe ,  und  zugleich  ande- 
rerseits positiv  mit  Saft  und  Lebenskraft  und  Wachstumsver- 
mögen begäbe.    Vgl.  ^^Frisches  Grün,  langes  Leben! ^^  o.  S.  265. 

Auf  dieselbe  Vorstellung,  die  Austreibung  der  das  Wachs- 
tum hindernden  Dämonen,  scheint  mir  eine  Reihe  von  Hochzeit- 
sitten zurückzuführen,  welche  längst  die  Aufmerksamkeit  der 
Forscher  auf  sich  gezogen  haben,  bisher  aber  anders  gedeutet 
smd.  Am  fleißigsten  hat  Friedberg  in  seinem  trefflichen  Buche 
„Das  Recht  der  Eheschließung^^  das  Material  zusammengestellt, 
dem  ein  Teil  der  folgenden  Beispielsammking  entnommen  ist. 

Um  Roding  in  der  Oberpfalz  treibt  der  Hochzeitlader  vor 
der  Trauung  die  Braut  mit  einem  weißen  abgeschabten 
Birkenrütlein  unter  beständigem  Schlagen  von  der 
Kirchtüre  bis  in  den  Stuhl,  welchem  gegenüber  der  Bräutigam 
seinen  Platz  einnimmt.  ^  Bei  den  Katholiken  des  polnischen  Erm- 
landes  pflegt  man  gleich  nach  der  Hochzeit  die  Braut  aus  dem 
Hause  zu  schicken  und  mit  fichtenen  Stöcken  nach  den  beiden 
sich  entiemenden  jungen  Ehegatten  zu  schlagen.^  Wir  reihen 
hier  gleich  die  Form  des  Brauches  bei  verschiedenen  lettischen 
Stämmen  an.  Die  Sudauer  im  westlichen  Samlande  fahrten  um 
1526  bei  der  Hochzeit  die  Braut  feierlich  zu  Bette  und  schlu- 
gen sie.  Bei  den  Litauern  peitschte  um  1690  der  Führer 
des  Brautwagens  die  Braut  in  die  Klete  (das  Schlafgemach). 
Bei  den  Letten  in  Kurland  wurden  die  jungen  Eheleute  um  1700 
bei  der  Ankunft  in  des  Bräutigams  Hause  sofort  in  die  Klete 
ins  Bett  geworfen,  und  bei  zwei  Stunden  eingeschlossen.  Dann 
kamen  die  Verwandten  mit  Stöcken,  öflheten  leise  die  Tür 
und    prügelten    den  jungen  Ehemann,  wenn    er  nicht  schnellep 

1)  Ovid.  fas^.  VI,  155:  ProtiDUs  arbutea  postes  ter  in  ordine  tangit 
fronde:  ter  arbutea  limliia  fronde  notat. 

2)  Schönwerth  1,87. 

3)  Toppen,  Abergl.  a.  Masaren.   Aufl.  2.   S.  89. 


300  Kapitel  III.    Baomseele  als  Vegetationsdämon: 

Sprunges  entwischte.  Besondere  Prügel  erhielt  er,  sobald  es  sich 
zeigte,  daß  er  sich  bei  seiner  ehelichen  Obliegenheit  lässig  oder 
nntttchtig  benommen.^  Sehr  ergötzlich  beschreibt  bekanntlich. 
Immermann  im  Münchhs^usen ,  wie  bei  einer  westfälischen  Hoch- 
zeit während  der  Traurede  Männer,  Frauen,  Mädchen  und  Bur- 
schen dicke  Knittel  aus  Sacktüchern  hervorziehen;  kaum  ist  die 
Feierlichkeit  vorbei,  so  stürzen  sie  in  wildem  Tumult  auf  den 
Bräutigam  zu  und  lassen  ihre  Knittel  auf  seinen  Rücken,  seinen 
Schultern  und  überhaupt  aller  Orten,  wo  Platz  ist,  tanzen.  Der 
Brauch  existiert  noch  in  der  Soester  Börde,  wo  man  irrtümlich 
als  Grund  angiebt,  der  Bräutigam  solle  fühlen,  wie  Schläge 
schmecken  und  seine  Frau  damit  verschonen.^  Im  Saterlande 
schlugen  die  Jünglinge  den  jungen  Ehemann,  wenn  er  aus  der 
Kirche  kam ,  mit  Hüten  und  Schnupftüchern ,  weil  er  ein  Abtrün- 
niger sei.^  Gegen  diesen  Brauch  erließ  der  Erzbischof  von  Köln 
1607,  andere  Kirchenflirsten  und  Concile  schon  früher  Verord- 
nungen.* Schon  im  15.  Jahrhundert  tritt  er  uns  im  Schwanke 
von  Mayr  Betzen  Hochzeit  106  — 113  in  einer  offenbar  verderb- 
ten und  abgeschliffenen  Form'  entgegen: 

Für  die  kirchen  man  in  (den  Bräutigam)  fürt, 

Manig  ackerknab  da  nach  im  türt. 

Seit  still!  sprach  der  mesner. 

Die  törpel  namen  Betzen  her, 

Sy  erwüsten  in  bi  dem  bar 

Und  rauften  in  zwar 

So  grimmeclich  vnd  hart, 

Das  er  ser  schreyen  wart, 

Als  dann  ist  der  pawren  sit. 

Von  der  Kirchen  hiemit 

Giengen  si  wider  hain.* 

Im  Hannoverschen  schlug  man  sich  nach  der  Copulation  mit 
Fäusten.*    Gradeso  geschah  es  nach  Rabelais  in  Frankreich:  Les 

1)  Lepner,  der  prenß.  Litauer.  Danzig  1744.  p.  41.  Von  Brand,  Bei- 
Ben  durch  die  Mark  u.  s.  w.    Wesel  1702.  p.  78. 

2)  Kuhn,  Westföl.  Sag.  11,42,112. 

3)  Globus  XXn,  1872.    S.  199. 

4)  Cf.  Köln  1536  bei  Harzheim ,  Concil.  Germ.  VI ,  289. 

5)  Klara  Hätzlerin,  Liederbuch  ed.  Haltaus  260  —  61.  Noch  andere 
Beispiele  sind  bei  Weinhold,  die  deutschen  Frauen  S.  2(^2  und  bei  Friedberg, 
das  Recht  der  Eheschließung  Lpzg.  1865  S.  86.  96.  angef&hrt. 

6)  Hoyasche  Kirchenordnung  v.  1577  bei  Richter  evang.  Kirchenordn. 
Weimar  1846  H,  357. 


Der  Schlag  mit  der  Lebensrate.  301 

parolles  dictes  et  la  marine  baisee  au  sou  da  tabour  voub  toiis 
baillerez  Yung  ä  Taultre  du  Bonbvenir  des  nopces:  ce  sont  petitz 
coapz  de  poing.  Tels  coups  seront  donnez  en  riant  selon  la 
contame  observ^e  en  toates  fian^ailles.^  In  der  Gegend  von 
Chartres  schlugen  die  Nächststehenden  die  jungen  Eheleute  wäh- 
rend Erhebung  der  Monstranz  dreimal  mit  einem  Messerstiel  zwi- 
schen die  Achseln,  damit  sie  nicht  eifersüchtig  würden.'  Nach 
einem  von  Wackemagel  mitgeteilten  Trauibrmular  aus  saec.  XV. 
soll  der  Priester  selbst  dem  Bräutigam  einen  Schlag  auf  die 
Schulter  geben.  ,,Et  sie  percute  cum  supra  scapulas.^'^  Bei  Olaus 
Magnus  L.  XIV.  c.  9  wird  von  den  schwedischen  Hochzeiten 
erwähnt  y  daß  sich  die  Jungen  gegenseitig  prügeln  ,,dorso  tenus 
pngno  se  astantes  impetunt,  ut  actum  corroborent.'^ 

Offenbar  ist  von  den  vorstehenden  Bräuchen  der  russische 
nicht  zu  trennen,  obgleich  derselbe  noch  scheinbarer  als  diese 
wenn  auch  ebenso  mißverständlich  durch  ein  den  heutigen  Ver- 
hältnissen entnommenes  Motiv  gedeutet  wurde.  Am  ersten  Tage 
nach  der  Trauung  steckte  der  Mann  in  einen  seiner  Stiefel  eine 
Peitsche.  Die  junge  Frau,  welcher  die  Verpflichtung  oblag  ihm 
die  Stiefel  auszuziehen,  konnte  wählen,  mit  welchem  sie  begin- 
nen wollte.  Erwischte  sie  den  mit  dem  Strafinstrument  zuerst, 
so  versetzte  ihr  der  Mann  einen  Schlag  über  den  Rücken.  Die- 
ses schlagende  Beispiel  sollte  ihr  beweisen,  daß  der  Gemahl  voll- 
ständige Gewalt  über  sie  besitze.  In  andern  Gegenden  heißt  der 
Vater,  der  eine  Tochter  vermählt,  am  Morgen  vor  der  Hochzeit 
dieselbe  ein  Bündel  Ruten  hereintragen,  und  versetzt  ihr  damit 
einige  leichte  Hiebe,  indem  er  bemerkt,  daß  er  sein  Züchtigungs- 
recht von  nun  an  ihren  zukünftigen  Mann  abtrete.^  Doch  es 
bleibe  dahingestellt,  ob  hier  wirklich  eine  Symbolik  der  väter- 
lichen Rechte  der  Ausgangspunkt  oder  nur  eine  Ursache  der 
Umdeutung  des  Brauches  war.  Um  so  unzweideutiger  ist  die 
Uebereinstimmung,  welche  ein  asiatischer  Brauch  mit  dem  deut- 


1)  Pantagruel  IV.  A.  2.  Cf.  die  Synoden  von  Wladislaw  1568  und 
Besan^on  1669,  bei  Thiers,  SaperstitLons  aDciennes  et  modernes.  AmBterd. 
1736  IV,  460.  464. 

2)  M^oires  de  Tacad.  celt.  IV,  242,  Myth.»  CXVni,  19. 

3)  Haupt,  Zs.  f.  D.  Alt.  ü,  556. 

4)  Heiraten  und  Hochzeiten  aller  Völker  der  Erde.   Lpzg.  sa.  S.  34—35. 


302  Kapitel  ITI.    Banmsccle  als  Yegetatioiisdämon: 

sehen  zeigt.  Bei  den  Koriaks  auf  Kamschatka  wird  der  Bräu- 
tigam, wenn  er  seine  Braut  empfängt,  von  seinen  zukünftigen 
Verwandten  und  Nachbarn  mit  Stöcken  geschlagen,  üebersteht 
er  dies  mannhaft,  so  erweist  er  sich  als  fähig  „die  Mühen  des 
Lebens  zu  ertragen,"  und  wird  ohne  weitere  Umstände  in  das 
Gemach  seiner  Verlobten  geführt.*  Auch  in  Abyssinien  hat  der 
Bräutigam  von  Seiten  der  Verwandten  seiner  Braut  eine  Prüfung 
zu  bestehen.  Sie  peitschen  ihn  aus,  um  zu  sehen,  ob  er  Mut 
hat.  Zuweilen  fällt  die  Strafe  übertrieben  hart  aus,  denn  man 
vollzieht  sie  kräftigst  mit  der  Kurbatsch  oder  Peitsche  von  Nil- 
pferdhaut. Will  der  Liebende  für  einen  Mann  gelten ,  so  muß  er 
die  Züchtigung  mit  freudigen  Mienen  hinnehmen  und  in  diesem 
Falle  wird  er  vom  Schwaime  der  Weiber  bewundert  und  mit 
einem  schrillen  Geschrei  belohnt*  Daß  nach  diesem  Zeugen  ver- 
hör die  von  W.  Wackemagel  und  Friedberg  vertretene  Ansicht 
festgehalten  werden  müsse,  die  den  jungen  Eheleuten  erteilten 
Schläge  seien  lediglich  ein  symbolisches  Hilfsmittel  gewesen,  um 
dem  Gedächtnisse  an  ihren  Treuschwur  nachzuhelfen,  wage  ich 
riiit  ziemlicher  Sicherheit  zu  verneinen.  Sollen  wir  diese  juri- 
dische Absicht  auch  den  Koriaken  und  Abyssiniem  dabei  zuschrei- 
ben? Viel  zusagender  ist  dem  Standpunkte  der  Naturvölker 
der  Wunsch,  aus  den  jungen  Eheleuten,  die  die  Befruchtung  und 
Geburt  zurückhaltenden  Dämfonen  auszutreiben  und  die  Ent- 
fernung des  die  Entbindung  hindernden  bösen  Geistes  wird  auch 
die  Absicht  in  dem  folgenden  neugriechischen  Brauche  sein. 
Denn  nicht  nur  bei  der  Hochzeit  machen  die  Eheleute  mit  Schlä- 
gen Bekanntschaft.  In  Griechenland  kommt  der  Ehemann  seiner 
in  Kindesnöten  kreißenden  Ehehälfte  zu  Hilfe,  indem  er  ihr  mit 
den  Quasten  seines  Gürtels  auf  die  Schulter  schlägt  und  sagt: 
Ich  habe  dich  beladen  und  Gott  soll  dich  wieder  eqtladen  (fyci 
a'  ffpoQTtoaa,  x/'  6  d-aog  ai  ^eq^oQTcoorjl)  Dann  wird  sie  leicht 
gebären.* 

Bei   verschiedenen,    ganz   fernen  Naturvölkern  wiederholen 
sich  noch  andere  Begehungen,   welche  in  entschiedener  Ideen- 


1)  A.  S.    Bickiuore,   the   AIdos   or  hairy   men,     American  Journal  of 
science,  May  1868  p.  12  bei  M  Müller  Essays.   Lpzg.  1869  II,  p.331. 

2)  Baker )  Nilznfl&sse  in  Abyssinien  I,  117. 

3)  Bybilakis,  neugriechisches  Leben  S.  4. 


'  Anslanf  über  die  Irmensäule.  803 

Verwandtschaft  zn  den  erläuterten  Branchen  stehen.  In  Nen- 
califomien  wird  das  Mädchen  beim  Eintritt  der  Pnbertät  in 
die  Erde  gegraben  nnd  diese  mit  Raten  geschlagen  ^^  offenbar, 
nm  das  jnnge  Weib  durch  Verjagung  der  Unfruchtbarkeitsdämo- 
nen der  großen  Gebärerin  Erde  gleich  zur  Erfüllung  der  Mutter- 
pflichten tauglich  zn  machen.  Ganz  ähnlich  dem  Schaumburgi- 
schen Flöhausklappen  (o.  S.  268)  wird  von  den  Salivas  (Süd- 
amerika) erwähnt;  daß  sie  vor  Beginn  der  Feldarbeit  die  jungen 
Leute  auszupeitschen  pflegten,  um  ihnen,  wie  sie  sagten,  die 
Faulheit  auszutreiben.'  Bei  den  Mandurucas  (Brasilien)  und  Aro- 
waken (Britisch  Guyana)  sollen  beim  Tanz  zu  Ehren  eines  Todten 
die  Waden  blutig  gepeitscht  werden.^  Dies  geschieht,  um  die 
Seele  des  Todten  zu  verscheuchen.  Dieser  Tanz  gesellt  sich  zu 
dem  indianischen  Brauche,  der  von  der  Bestattung  des  Gatten 
heimkehrenden  Wittwe  mit  einer  Hand  voll  grüner  Zweige  wie 
mit  einer  Fliegenklatsche  um  den  Kopf  zu  fächeln ,  um  den  Geist 
des  Verstorbenen  von  ihr  zn  treiben ,  ^damit  sie  wieder  Freiheit 
habe  zu  heiraten.^  In  Mexico  wurde  am  Feste  der  Göttin  des 
Greisenalters ,  d.  b.  der  Göttin ,  welche  den  Menschen  Gesundheit 
und  langes  Leben  verlieh,  Ilmateuctli,  eine  Weibsperson,  die  die 
Göttin  darstellte,  geopfert.  Sodann  liefen  die  Priester  durch  die 
Gassen  und  sehlugen  die  ihnen  begegnenden  Personen  weiblichen 
Geschlechtes  mit  Heubündeln.  ^ 

Aus  diesen  Parallelen  wird  der  Sinn  des  alten  Brauches 
mit  welchem  vermutlich  christlicher  Ritus  zur  Palmsonntags-, 
Schmackoster-,^  Kindeltagssitte  in  eins  verschmolz,  deutlich  her- 
vorgehen. Es  war  die  Baumseele,  der  Wachstumgeist,  der  durch 
schlagende  Berührung  mit  dem  grünen,  saftigen  Zweige  mitgeteilt 
die  Gespenster  des  Mißwachses  und  der  Krankheit  vertrieb  und 
Gedeihen  und  Fruchtbarkeit  hervorrief. 

§.  10.  Auslauf  Aber  die  IrmcnsSule.  Es  handelt  sich  um 
die  Frage,  ob  auch  die  Irmensäulen,  welche  viele  Forscher  mit 
Yggdrasill  zusammenstellen,  in  den  Kreis  der  im  Kapitel  I.  und 


1)  Waitz,  Anthropologie  der  Naturvölker  IV,  243  nach  Schoolcraft. 

2)  Waitz  a.  a.  0.  Ul ,  394  nach  Alcedo. 

3)  Waitz  m ,  393. 

4)  Tylor,  die  Anftnge  der  Cultnr.   Lpz.  1873  I,  p.  447. 

5)  Müller,  Geschichte  der  amerik.  ÜTreligionen  S.  572. 


304  Kapitel  III.    BaumBeele  als  Yegetationsdämon: 

m.  behandelten  Gebilde  sich  einreiben.  Es  könnte  wol  so  schei- 
nen. Das  Wort  Irmensül  bedeutet  Säule  der  Volksgesanmdheit 
resp.  des  Gesammtvolkes ,  Sätde  die  von  Allen  verehrt  wird,  oder 
die  fwr  Alle  ein  Heütum  ist.^  Wenn  wir  dem  Abte  Rudolf  von 
Fulda,  der  70  —  80  Jahre  nach  der  Bekehrung  der  Sachsen 
schrieb  und  mit  des  Sachsenherzogs  Wittekind  Enkel  bekannt  war, 
glauben  wollen,^  so  bestand  die  Irmensäule  aus  einem  unter 
freiem  Himmel  in  die  Höhe  gerichteten,  in  die  Erde 
gegrabenen  Baumstamm  von  bedeutender  Größe.'     Wie 


1)  Vgl.  Gramm,  II,  448— 449.  Vilmar,  Altertümer  im  Heljand.  Aufl.  2. 
1862.  S.  62— 64.  Mit  feinem  Sinne  führte  Vilmar  aus,  daß  der  Stamm 
alth.  irmin— ,  ags.  eormen  —  ,  altn.  jörmun —  zwar  allgemein  (univer- 
salis)  bedeute,  jedoeh  mit  verschwindenden  Ausnahmen  stäts  in  Beziehung 
auf  Völker  und  auf  den  von  ihnen  bewohnten  Boden  gebraucht  werde.  So 
bedeutet,  um  aller  anderen  Beispiele  zu  geschweigen ,  irmin -thjod,  irmindeot 
(Hildebrandl.)  die  Volksgesammtheit  als  organische  Einheit  der  verschiedenen 
Stamme  und  St&nde,  die  Nation;  aus  vielen  solcher  irmin -tbjodi  setzt  sieh 
die  Universalmonarohie  (Helj.  10,  20  Schmeller),  aus  noch  mehreren  die 
Menschheit  zusammen  (Helj.  102,  3);  goth.  Airraana - reiks  (Name  oder  Titel?) 
Herrscher,  der  über  solche  irminthjodi  gebietet;  vgl.  ags.  Eorraenraed.  Wie 
aber  der  Begriff  thjod  ein  relativer  ist  und  auf  engere  oder  weitere  Gemein- 
schaften angewandt  werden  kann,  konnte  auch  irmin -thjod  im  Sinne  des 
Altertums  ebensowol  eine  größere  Stammgcmeinschaft ,  wie  etwa  die  Sach- 
sen ,  als  eine  größere  Stammabteilung ,  z.  B.  Westfalen  oder  Engem  gegen- 
über den  Gauen,  in  welche  diese  zerfielen,  bezeichnen.  Vgl.  Helj.  87, 13, 
wo  die  12  Stämme  Israels  irminthioda  genannt  sind.  Irminsül  vergleicht 
sich  zunächst  dem  Ausdruck  irmingot  Hildebrl.  30.  d.h.  Gott,  der  von  Allen, 
von  der  Volksgesammtheit,  dem  irminthjod,  (resp.  der  Menschheit!)  ver- 
ehrt wird,  der  für  Alle  wirksam  ist,  im  Gegensätze  zu  den  Göttern  der 
einzelnen  Stämme  oder  Gaue  und  den  Schiftzgöttem  und  Fetischen  Einzel- 
ner. Der  Ausdruck  thjod -god  konnte  den  umständen  nach  einen  engeren 
Kreis  umfassen  als  irmingod,  oder  aber  mit  letzterem  zusammenfallen.  Die 
Sprache  erlaubt  schwerlich  an  die  Bildsäule  des  Gottes  Irmin  zu  denken ,  der 
aus  den  Herminones  in  Tacitus  Germ.  II.  und  der  unbelegten  Glosse  irmi- 
neswagen  für  den  großen  Bären  gefolgert  wird.  J.  Grimm ,  der  Myth.*  326 
dieae  schon  von  Leibnitz  und  Grupen  vertretene  Gombination  aufnimmt, 
sagt  Myth.*  104  ganz  correct:  „daß  sie  (die  Irmensäule)  einem  einzelnen 
Gotte  geweiht  war,  liegt  nicht  in  dem  Ausdrucke.*' 

2)  Die  Zuverlässigkeit  seiner  Angabe  betont  unter  Neueren  u.  A.  Sig. 
Abel,  Jahrbücher  des  Frank.  Reichs  I.  1866  S.  105.  106. 

3)  Transl.  S.  Alexandr.  Pertz,  Mon.  Germ.  II,  676:  Frondosis 
arboribus  f ontibusque  venerationem  exhibebant :  truncum  quoque  ligni 
non  parvae  magnitudinis  in  altum  erectum  sub  divo  colebant,  patria  eum 


Ansknif  über  die  Irmeiis&iile.  805 

wenn  wir  uns  danuiter  n«ßh  Art  unserer  Maibäiime ,  der  Qaesten- 
berger  Eiche ,  des  wendischen  Kreuz-  nnd  Kroneobaumes ,  der 
englischen  Maypoles  einen  etwa  bis  hinauf  zur  Krone,  oder  ganz 
und  gar  der  Zweige  beraubten ,  nnr  zu  festliehen  Zeiten  mit  Laub 
geschmückten  Baum  vorzusteUen  hätten,  der  als  Lebens-  nnd 
Schicksalsbaum  der  gröfieren  Gemeinschaft  des  Stam- 
mes oder  Volkes  betrachtet  wurde  im  Unterschiede  von  den 
entsprechenden  LebenslAumen  der  Ehüzelnen  nnd  der  Gemeinde? 
Säule  konnte  ein  solcher  Baumstamm  wol  genannt  werden ,  zumal 
wenn  er  wie  der  Maibaum  im  Innthal  (Oberiystreioh)  die  Höhe 
von  40  F.  erreichte,  oder  wie  der  20 — 25  F.  hohe  Krenzbaum  der 
Eibwenden  einen  Hahn  gleichsam  als  Statue  auf  der  Spitze  trug. 
Noch  passender  ließen  sich  die  Londoner  Maibäume  yon  St.  An- 
drews Undershaft  und  auf  dem  Strande  vergleicfaen.^    Aus  dem 


lingua  Irminsul  appellantes ,  qnod  latine  dicitur  universalis  columna.  Seibertz, 
Landes-  nnd  Rechtsgeschichte  des  Herzogturas  Westfalen.  Arnsberg  1861  L 
8. 185  legt  sich  Rudolfs  Werte  so  zu  recht,  daß  er  damit  einen  Baumstamm 
bezeichnen  wollte,  der  mit  seinen  kräftigen  Zweigen  eine  fthnliche  Idee  wie 
der  himmeltragende  Atlas  auszudrücken  bestimmt  war.  Vgl.  J.  Grimms  Aenfte- 
rung  Myth.*  107:  ,,  Unter  truocus  ligni  dachte  sich  Ruodolf  wahrscheinlicher 
einen  auserlesenen,  heiliggehaltenen  Baumstamm,  als  eine  von  Menschen- 
hand gezimmerte  Säule."  »»Der  westfälischen  Irmens&ule  liegt  die  Vorstel- 
lung von  der  hessischen  Donnereiche  sicher  ganz  nahe."  Und  ehenders. 
Mjth.<  64:  „von  dem  heiligen  Baume  der  altsächsischen  Irmensul  wird  das 
sechste  Oap.  handeln.'*  Beide,  Grimm  und  Seibertz,  scheinen  einen  leben- 
den ,  an  Ort  und  Stelle  gewachsenen  Baum  im  Sinne  zu  haben.  Wenngleich 
dieser  metonymische  Gebranch  für  tmncus  zuweilen  vorkommt ,  zeigt  doch  die 
Verbindung  truncum  erectum,  daß  hier  nur  von  einem  künstlich  aufgerich- 
teten, mitiiin  am  Fuß  verstümmelten,  über  der  Wurzel  abgehauenen  Baume, 
einem  mastbaumartigen ,  hölzernen  Schaft  die  Rede  sein  könne. 

1)  Von  der  St.  Andreaskirche  an  der  Nordwestecke  von  Aldgate  wurde 
während  des  15.  Jahrb.  alljährlich  ein  Maibaum  aufgerichtet,  der  die 
Spitze  des  Kirchturms  überragte.  Nach  ihm  hieß  die  Kirche 
8t  Andrews  Undershaft,  und  eine  Allee,  an  deren  einer  Häuserreihe 
er  unter  den  Vordächern  auf  großen  eisernen  Haken  den  größten  Teil  des 
Jahres  aufbewahrt  wurde,  Shaftalley.  Seit  einem  Aufstände  im  J.  1517 
wurde  er  nicht  mehr  aufgerichtet  und  1552  ganz  zerstört  (Stow  bei  Hone, 
Every  daybook  I,  278).  Die  Puritaner  eröffneten  einen  Feldzug  gegen  alle 
Ifaibäume  und  setzten  1644  ein  Verbot  derselben  durch  Parlamentsbeschluß 
durch.  Schon  1634  Wird  der  Untergang  des  Maibaums  auf  dem  Strande 
(Bcke  der  Katharinenstraßc)  beklagt ,  der  so  hoch  war  wie  der  Turm  von 
Clarkenwell  nnd  schöner,  als  irgend  eine  Stadt,  Gemeinde  oder  Straße  im 

IfAnnbArdt  20 


d06  Kapitel  IIL    BamnBeele  «Is  YegeiBtionsdämon : 

nämlicheii  Gedanken  wie  die  Mai-  und  J(4iaimisbäanie  herror- 
gegangen  konnte  der  den  Stammesbaiun  darstellende  Baamstamm 
entsprechend  der  GröBe  der  in  ibm  znr  Ersehdanng  gebrachten 
Idee  and  in  Folge  der  dadurch  gebotenoi  reicheren  Aus- 
schmückung bedeut^de  Umwandlungen  in  Form  und  MaSen, 
möglicherweise  selbst  im  Material  erlitten  haben;  es  konnte  ans 
der  einfachen  Logik  der  Veiiiättnisse  schon  damals  geschehen 
sem,  was  sich  später  an  unseren  Pfingst-  nnd  Maibäumen  viel- 
fach wiederholte.  Die  kolosside  Dimension  nötigte  den  Banm 
ständig  zu  machen  und  auf  die  lebende  Blätteikrone  zu  yendch- 
ten;  die  Säulenform  stellte  sich  von  selbst  ein  und  in  der  Fülle 
ethischer  und  politischer  Ideen ,  welche  sich  an  den  Stamm  knüpf- 
ten,  ward  das  einfache  poetische  Bild  nnkenntUch,  das  nraprttng- 
lich  zu  Grunde  lag.'  Ein  treffendes  ZeugniA  für  die  Umwandlang 
in  Säulenform  gewähren  uns  die  bei  Panzer  I^  237,  262.  11,  82, 
125  verzeichneten  Branche  des  Boschenstechens  in  Niederbaiem. 
Hier  tritt  der  Maibaum  auf  in  Gestalt  einer  sechs  Fuß  hohen 
eichenen  Säule ,  die  in  den  Boden  gepflanzt  allezeit  stehen  bleibt 
Um  ihren  oberen  Teil  ist  ein  hölzernes  Faß  mit  Seifen  herum- 
gelegt mid  mit  Steinen  geftfllt  Ganz  oben  an  der  Säule  ist  em 
Loch,  in  welches  alljährlich  am  Pfingstmontag  ein  .Fichtenbänm- 


Lande  einen  hatte  „Ml  the  parish  did  in  one  combine  to  mount  the  road 
of  peace  —  and  all  the  Insty  yonkers  i  a  rout  with  merry  lasses  danncd 
the  rod  about"  Als  die  Eestauration  unter  Karl  II.  auch  die  Maibaome 
wieder  einführte,  wurde  aaf  Kosten  des  Kirchspiels  1.  J.  1661  auch  der  „ma^f- 
pole  in  the  Strand"  auf  dem  alten  Platze,  aber  größer  und  prachtvoller 
wieder  errichtet.  Er  war  134  Fuß  hoch,  wurde  mit  tfusikbegleitnng  unter 
Voraustragung  eines  wehenden  Banners  in  2  St&cken  an  Ort  and  Stelle 
geführt  und  da  die  Landzimmerleute  damit  nicht  fertig  wurden ,  von  12  See- 
leuten mit  allem  Werkzeug  in  die  Höhe  gebracht,  zusammengefügt  und  mit 
Eisenb&ndem  und  6  Ankern  verfestigt.  Auf  der  Spitee  war  ein  purpurnes 
Bauner  mit  dem  Wappen  des  Königs  angebracht.  Zuerst  hielten  Morris- 
tänzer,  dann  die  Menge  den  Tanz  um  den  Baum.  Dieser  blieb  über  ein 
halbes  Jahrhundert  auf  demselben  Platze  stehen  und  wurde  bei  allen  fest- 
lichen Gelegenheiten  mit  Fahnen ,  Flaggen,  Guirlanden  und  Blumen  geschmückt, 
bis  er  i.  J.  1717  dem  großen  Astronomen  Newton  geschenkt  wurde,  um  zu 
Wanstead  in  Essex  als  Stütze  für  das  damals  größte  Telescop  der  Welt  zu 
dienen.    Hone  a.a.  0.  I,  279—280.  H,  330. 

1)  Wie  nahe  uns  heute  noch  immer  die  Beproduction  des  nämlicheii 
poetischen  Bildes  liegt,  zeigen  unsere  neueren  Dichter  zur  Genüge.  Ygl. 
z.B.  „Wachse  du  deutsches  Reich,  grüne  der  Eiche  gleich.    (Geibel.) 


Anslauf  über  die  Irmenaftole.  807 

dbea  out  Tttohem,  Spiehseng  u.  g.  w.  behängen  eingepflanzt  wird. 
Naeti  einem  Umritt  nm  den  Landbezirk  wird  dieser  Maibnsoh 
von  den  Beitem  herabgeetochen ,  das  dem  ganzen  Bezirke  Segen 
verleihende  HeUtam  aof  diese  Weise  angeeignet.  Wäre  nnsere 
Erwägung  richtig ,  so  wäre  zwischen  dem  schwedischen  and  däni- 
schen Schutzbaum  des  Hasses  nnd  der  Familie,  dem  skandina- 
visch-deutschen^  englischen  und  französischen  Banme  der  Dorf- 
schaft und  Stadtgemeinde,  and  dem  altnorwegischen  Weltbaom 
das  einzige  noch  fehlende  Mittelglied,  der  Lebensbanm  des  Vol- 
kes oder  Stammes  in  der  Innensnl  anfgewiesen.  ^  Wie  anlockend 
diese  Vermatang  immer  sein  möge,  die  Armnt  unserer  Qaellen 
Über  die  tnnensäalen  reicht  zwar  aas,  um  dieselbe  in  mancten 
wesentlichen  Stücken  zu  ontersttftzen ,  nicht  jedoch  nm  eine  ent^ 
scheidende  Bestätigung  zu  gewähren.  Das  wichtigste  Zeugnift 
bleibt  der  ofiSziöse  Bericht  der  annales  Laurissenses  über  den 
Feldzug  Karls  des  Großen  gegen  die  Sachsen  im  Jahre  772, 
Karl  habe  die  Eresburg  eingenommen,  sei  von  da  aus  bis  zur 
Ermensäule  gelangt  (ad  Ermensfll  nsque  pervenit)  habe  das  Heilig- 
tum (fannm)  zerstört,  das  Gold  und  Silber,  welches  sich  dort 
vorfond,  we^enommen  und  drei  Tage  am  Orte  verweilt,  um  die 
Zerstörung  vollständig  zu  machen.  Alle  übrigen  Annalen  sind 
abgeleitete  Qaellen.  Aus  jenem  authentischen  Berichte  aber  geht 
Folgendes  hervor.  Eine  geraume  Strecke  von  der  Eresbarg^ 
entfernt  lag  der  heilige  Bezirk  (fanum,'  w!h,  hamg),  der  nach 

1)  Noch,  an  den  aus  dem  Maibaum  entstandenen  Freiheitsbänmen  des 
repnbliluiBischen  Frankreich  sieht  man,  wie  tief  die  Anlage  zn  politischen 
Ideen  in  der  Ghnmdidee  steckte. 

2)  £resbnrg  oder  mons  Martis,  erst  seit  saec.  XIV.  Stadtbergen  a.  d. 
Dieme]  genannt.  S.  die  urkundlichen  Belege  bei  Seibertz  a.  a.  0.  1, 188. 
Ebenders.  Urknndenbnch  I,  N.  1.  3.  3.  4.  51.  70  ~  105  n.  s.  w.  Ftbr  den  Stand- 
ort der  Irmensänle  in  der  Gegend  des  BuUerboms  bei  lippspringe  sind  die 
von  Fürstenberg  (Monnjnenta  Paderborn.  241)  aufgebrachten  Beweise  aner- 
kanntermaßen durchschlagend.  Sie  stand  also  in  Engem,  in  der  Mitte  des 
Sachsenlandes.    S.  Zeuss ,  die  Deutschen  und  ihre  Nachbarstftmme  S.  890. 

3)  So  beseichnet  der  Sprachgebrauch  jener  Zeit  die  Eultusstätten  der 
Sachsen.  In  der  785  erlassenen  Capitulatio  de  partibus  Saxoniae  (Pertz 
III ,  48)  werden  der  Verleihung  des  Asjlreehts  <  an  die  christiichen  Kirchen 
die  Worte  yorangeschickt:  Placuit  omnibus,  ut  ecclesiae  Christi  quo  modo 
(1.:  quaennodo)  consträuntur  in  Sazonia  et  Deo  sacratae  sunt  non  min<>rem 
habeaat  honorem  sed  majorem  et  excellentiorem ,  quam  vana  (1.  fana)  babuis- 
sent  idolorunL    Of.  Abel  a.  a.  0.  408. 

20* 


508  \  Kapitel  III.    Baumseele  als  VegeiationsdfimoD : 

der  IrmeBSäule  als  seinem  wiehtigsten  Heiltum  benannt  war, 
übrigens  aber  Anlagen  von  ziemlich  bedeutendem  Umfange  nm- 
faBt  baben  mnft,  wonmter  auch  Gebäude  und  Bdöglicherweise  die^ 
Kultusstätten  mehrerer  Götter  sich  befanden^  da  das  Heer  drei 
Tage  zu  deren  Zerstörung  brandite.  Daß  Karl  dies^  Heiligtum 
zum  Zielpunkte  seines  ersten  planmäßigen  Erobemngszuges  nach 
Sachsen  wähUe  und  eine  so  lange  Zeit  darauf  verwandte,  um  es 
¥om  Erdboden  zu  yertilgen;  zeigt,  daß  er  ihm  eine  hervorragende 
politische  Bedeutung  beimaß,  macht  wahrscheinlich,  daß  es  ein 
Nationalheiligtum  in  besonderem  Sinne  war.  Hiezu  stimmt 
sowol  die  Größe  des  heiligen  Schatises,  als  der  Name  des  Heilig- 
tums „Säule  der  Gesammtheit,  Säule  fttr  AUe/^  Hier  hört  nun 
zwar  das  Tatsächliche  auf,  aber  es  liegt  die  Hypothese  sehr 
nahe,  daß  diese  Irminsul  der  nationale  Mittelpunkt  des  Engem- 
Stammes,  das  Symbol  der  Stammesgemeinschaft  aUer  Engemgane 
gewesen  sei.^ 


1)  Yilnar  a.  a.  0.  meint  des  ganzen  großen  Sachsenstammes.  Nnn  ist 
freilich  dies  g6infi,  daß  wol  sohon  im  Heldentum  sieh  die  Saohsen  als 
nationale  Gemeinschaft  gefiüilt  haben.  Denn  zwar  yexsch&rft  und  gereift 
unter  der  Herrschaft  der  Karolinger,  im  Gegensatz  zu  ihr,  kann  die  Idee  sein, 
welche  im  10.  Jahrhundert  bei  dem  Mönche  Widnkind  die  herrschende  ist, 
dem  sich  die  gens  Saxonica,  der  populus  Saxonicus  als  die  oberste  Einheit 
darstellen,  in  der  (abgesehen  ton  der  christlichen  Kirche)  sich  alle  Verschie- 
denheiten und  Gegens&tae  des  Blutes  und  der  Stellung,  der  Yolksstämme, 
Stande  und  Individuen  aufheben  und  zu  einem  lebensvollen  Organismus  an 
einander  sdiHeSen,  (S.  R.  Köpke,  Widnkind  r.  Correy.  Berlin  1867.  S.78ff.), 
aber  entstanden  sein  mu&  diese  Idee  bereits  in  der  Zeit  der  volklieben  Selb- 
ständigkeit, lieber  das  Bewußtsein  gleicher  Stammeigentftmliohkeit  und 
gleicher  Lebensinteressen  hinaus  gedieh  jedoch  vor  der  Einrichtung  eines 
sftchsischen  Herzogtums  das  G«meingef&hl  kaum;  mindestens  eine  geeohlos- 
sene  politische  Einheit  bildete  der  Sachsenstamm  nicht;  nicht  einmal  die 
größeren  Abteilungen  (Westfalen,  Engem,  Oetfalen,  Nordleute)  schlössen 
sich  zu  einer  solchen  zusammen;  nur  im  Kriege  nnd  auch  da  nicht  regel- 
mftßig  einten  sich  die  yerschiedenen  Gaue  der  einzelnen  Abteilungen  zu 
gemeinsohaftlichem  Angriff,  oder  Widerstand  unter  einem  Fflhrer.  (S. 
Waitz,  D.  VerfaBsnngsgesch.  Ausg.  1.  HI,  112  ff.)  Aus  diesem  Grunde  wird 
die  im  10.  Jahrb.  (Hucbaldi  Tita  Lebuini)  auftauchende  Nachricht  von  einer 
jährlichen  Landesversammlnng  Gesammtsachsens  zu  Marklo  mit  gutem  Recht 
fnr  aprokryph  oder  ungenau  gehalten  (Waitz  a.  a.  0.  IH,  114.  Nr.  B.  Sehan- 
mann,  Gesch.  des  Niedersächs.  Volks.  S.  73.)  Hienach  möge  man  beurtei- 
len^ ob  es  wahrscheinlich  sei,  daß  die  Irmensul  eine  weitere  GemeinsehBft» 
als  die  der  Stammabteilung  vertreten  habe. 


AwUuf  Ober  die  Irmens&Qle.  300 

Dag  ist  Alks  9  was  wir  über  die  vob  Ki^rl  dem  Groften  aer- 
störte  Säule  mit  Sicherheit  wissen.  Widukind  von  Korvey,  der 
bekanDtlich  um  967  die  Vorzeit  seines  Stammes  naeh  dem  soebeA 
verkliBgenden  Heldenepos  (S.  Wattenbach  a.  a.  0.  1 68.  Köpke, 
Widukind  S.  3)  schilderte ,  berichtet  noch  von  einer  andern  Irmen- 
soI,  welche  die  Sadbisen  im  Jahre  532  nach  der  Eroberung  von 
Scheidungen  a.  Unstrut  vor  dem  östlichen  Stadttor  als  göttlich 
geehrtes  Siegesmal  (ara  viotoriae)  errichtet  hätten.^  Ist  diese 
Tatsache  auch  unhistorisch;'  so  dürfen  wir  aus  der  Dichtung 
doch  abnehmen,  daß  die  Irmensäulen  eine  ni^ht  auf  einen  Ort 
beschränkte,  gelegentlich  auf  JBöhepunkten  des  nationalen  Lebens 
Bur  Anwendung  gebrachte  Institution  waren.  In  diesen  beiden 
historischen  Zeugnissen  der  annales  Laurissenses  und  Widnkinds 
ist  nichts  enthalten  was  unserer  Hypothese  von  der  Irmensäule 
als  Lebensbaum  der  Volksgesammtheit  widerspräche.  Daß  der 
„Stammesbaum^^  inmitten  eines  sonst  schon  mit  Heiligtllmem 
geschmückten  Ortes  aufgepflanzt  wurde,  oder  daß  um  ihn  her 
andere  Heiligtümer  entstanden^  wie  am  BuUerbom  wäre  natür- 
lich. Und  daß  an  einem  eroberten  Platze  als  Siegeszeichen  der 
Lebensbaum  des  siegreichen  Volkes  (sigefolc)  aufgerichtet  sei^ 
wäre  nicht  unwahrscheinlich.  Der  Deutung  auf  eine  einfache 
Trophäe  als  Entlehnung  von  den  Denksäulen  der  Römer  wider- 
spricht der  Name  Irmin-sfil.  Doch  bei  allem  dem  bleibt  immer 
die  Möglichkeit  lUr  diese  oder  jene  andere  Erklärung  der  Irmen- 
sul  offen,  so  lange  nicht  die  Form  und  der  Baustoff  derselben 
uns  authentisch  und  genauer  bekannt  ist.     Die  epische  lieber- 


1)  Pertsfi  Scr.  lU,  423.  vgl.  Grimm  Myth.a  100.  Man  wird  sich  Widu- 
kinds  Vorlage  etwa  bo  vorstellen  müssen:  /Sigebökan  9ettun  endi  wilidaa» 
trminsüi  ,fora  östardomn.  Was  Widukind  noch  sonst  hinzufügt  ist  ein  Ans- 
flnß  seiner  ,,Dbel  angewandten  Schulgelehrsamkeit.''  £r  entnimmt  nämlich 
aus  dem  Worte  Irmensul,  das  er  vermöge  falscher  Etymologie  in  einen  Eigen- 
namen und  ein  Appellativum  zerlegt,  und  der  Lage  vor  dem  Ostertor  einen 
dreifachen  Vergleich  1)  des  Namens  Irmin  mit  Hermes,  den  er  wegen  des 
,, SiegcsdenkmaLs "  für  Mars  hält,  2)  der  Säule  mit  Herkules,  dem  die  Säu- 
len heilig  sind ,  3)  der  Lage  mit  dem  Sonnengotte  Apollo.  Von  einem  Gotte, 
dem  die  Irmensul  geweiht  war '  und  von  deren  Aussehen  stand  augenschein- 
lich in  seiner  Quelle ,  dem  Heldenliede,  nichts.  Vgl.  a.  S.  Abel  a.  a.  0. 105  —  106. 
Dagegen  bleibt  Müllenhoffs  in  verschiedenen  Stücken  abweichende  Auffassung 
(A.  Schmidt,  allg.  Zs.  f.  Geschichte  VIII,  3  p.  209  ff.)  ernstlich  zu  erwägen. 

2)  S.  Glo^l,  in  den  Forschungen  z.  D.  Geschichte  IV,  189. 


dlO  Kapitel  III.    BaniDseele  als  V egetationedämoTi : 

liefenmg  bei  Widakind  nnd  der  liistoriscbe  Bericht  in  den  Annar 
len  gewähren  darüber  gar  nichts;  die  Aussage  des  späteren 
Rudolf  von  Fnlda  aber ,  welche  scheinbar  uns  zu  Gunsten  spricht, 
erweist  sich  zwar  nicht  als  unglaubhaft/  aber  doch  als  zu 
unsicher,  um  darauf  als  einem  festen  Fundamente  zu  bauen. 
Hiemit  sei  der  Betrachtung  eines  Oegenstandes  genug  getan,  dem 
ein  wissenschaftlicher  Brauch  seit  Jahrhunderten  einen  breiteren 
Platz  in  der  Behandlung  unserer  Altertümer  gesichert  hat. 


1)  So  viel  ich«vreiß,  Utt  Rudolfs  ZengDiß  noch  niemals  einer  eingehen- 
deren Wdrdignng  nnteisogen  worden.  Woher  entnahm  derselbe  70  Jahre 
nach  dem  Erlöschen  des  sächsischen  Heidentums  seine  Angabe?  Auffallen 
mnß,  daß  er  den  Worten  „truncnm  —  snb  divo  colebant"  hinzofagt  „patria 
eum  lingua  Irminsül  appellantes,  quod  latine  dicitar  columna  universalis 
quasi  sustinens  omnia.  Sollen  die  letzten  beiden  Worte  eine  tJebersetzung 
von  irmin  (omnia)  sül  (sustinens)  sein,  denkt  sich  also  Rudolf  unter  einer 
Säule  einen  Gebalk  tragenden  Pfeiler,  so  begreift  man  nicht,  wie  derselbe 
Mann  auf  den  Einfall  kam ,  die  Lrminsul  zu  einem  unter  freiem  Himmel  ein- 
gegrabenen Baumstamm  zu  machen.  Hatte  er  mithin  eine  wirkliche  üeber- 
lieferung,  die  er  nicht  ganz  verstand?  Da  das  Andenken  an  die  Irmensäu- 
len  im  Liede  fortlebte,  konnte  er  eben  dort,  wo  er  die  sächsische  Stamm- 
sage  hernahm  (vgl,  Wattenbach  a.  a.  0.  180),  auch  davon  etwas  erfahren 
haben.  Eine  einfache  Ueberlegung  führt  auf  eine  andere  Ffthrte.  Die  Irmen- 
sfiule  ist  der  einzige  Gegenstand  altsächsisohen  Kultus,  von  dem  die  Anna- 
len  etwas  wissen ,  ganz  natürlich  weil  das  Ereigniß  des  Jahres  772  die  Kunde 
davon  im  Frankenreiche  verbreiten  mußte.  Ist  nun  aber  nicht  bedenklich, 
daß  Rudolf  (abgesehen  von  dem  aus  der  Germania  entnommenen  Stoffe)  von 
dem  unzweifelhaft  reichen  und  mannigfaltigen  Götterdienst  der  Altsachsen 
(cf.  die  abrenuntiatio) ,  nichts  zu  nennen  weiß  als  Baum-  und  Quellendienst 
und  wieder  die  Irmensul?  Liegt  da  nicht  der  Schluß  nahe,  daß  er  eben- 
falls einem  Bericht  über  die  Geschichte  des  Feldzugs  von  772,  oder  den  Anna- 
len  selbst  seine  Kunde  verdanke?  In  ersterem  Falle  müßte  er  etwa  gelegent- 
lich in  seiner  Jugend  irgendwo ,  oder  später  am  kaiserlichen  Hofe  mit  einem 
der  wenigen  bejahrten  Augenzeugen,  oder  einem  Nachkommen  von  Augen- 
zeugen zusammengetroffen  seift  und  aus  deren  Munde  eine  Erz&hlung  jenes 
Ereignisses  vomommen  haben,  unmöglich  war  das  nicht,  aber  fast  ein  zu 
großer  Zufall,  um  wahrscheinlich  gefunden  zu  werden.  Dennoch  sehe  ich 
keinen  andern  Ausweg,  als  diesen  Fall  anzunehmen.  Denn  noch  unwahr- 
scheinlicher ist  es,  daß  außerhalb  der  uns  bekannten  Annalen  eine  verein- 
zelte schriftliche  Notiz  darüber  aufgezeichnet  war,  die  Rudolf  zu  Händen 
kam,  oder  daß  er  den  kurzen  Bericht  der  Annales  Fuldenses  oder  der  Lau- 
rissenses  min.  (fanum  et  lucum  eorum  famosum  lrminsul  subvertit)  durch 
Conjectur  interpretierte. 


Eapitel  IV. 

Anthropomorphische  Baum-  und  Waldgeister  als 

Vegetationsdämonen. 


§  1.  PersSnIlch  dargestellte  Baum-  und  Waldgeister 
als  Tegetatiens '  DBmonen«  Den  Uebergang  der  Baumseele  in 
den  allgemeinen  Begriff  des  Vegetationsgeistes  haben  wir  in  den 
innerhalb  des  vorigen  Kapitels  besprochenen  Gebräuchen  beob- 
achtet Wir  gewahrten  dabei  mehrere  Beispiele,  in  denen  das 
dem  Gewächse  innewohnende  dämonische  Wesen  noch  besonders 
durch  eine  menschliche  Persönlichkeit  dargestellt  wurde,  welche 
neben  dem  in  Prozession  umhergetragenen,  oder  feierlich  aufge- 
pflanzten Baume  auftritt  (z.  B.  Pfingstbutz  und  Johannes  neben 
dem  Maibaum,  Herbstschmudl  neben  dem  Emtemai  o.  S.  162. 
170.  203.  212)  und  ließe  es  sich  vielleicht  vermuten,  dafi  der  die 
Wepelröt  werfende  Bursche  (o.  S.  247)  sowie  die  mit  der 
Schmackosterrute  Schlagenden  und  Geschlagenen  ebenfalls  Reprä- 
sentanten von  Vegetationsdämonen  seien,  eine  Art  dramatisieren- 
der Darstellung,  welche  z.  B.  den  die  heiligen  Dreikönige  der 
geistlichen  Legende  nachbildenden  Sternsingern  zu  vergleichen 
wäre.  Daneben  wurden  wir  andere  Fälle  gewahr,  in  denen  der 
dem  Maibaum  innewohnende  Dämon  durch  eine  demselben  ange- 
hängte Puppe  veranschaulicht  wurde.  Wir  werden  diese  Bei- 
spiele einer  zwiefachen  Verbildlichung  des  Vegetationsgeistes  durch 
Baum  und  Mensch  (resp.  Baum  und  Menschenfigur)  mit  einigen 
weitem  voti  besonderm  Interesse  vermehren,  um  sodann  eine 
Reihe  solcher  Fälle  zu  verfolgen ,  in  denen  der  Baum  hinwegfällt 
und  der  Genius  des  Wachstums  nur  durch  eine  menschliche  Per- 
sönlichkeit zur  Darstellung  kommt,  deren  Gestalt  und  Auffassung 
teils  den  Waldgeistem  sich  anschließt,  teils  in  eine  Personifica- 
tion  d^r  Jahreszeit  übergeht    Ruhte  mithin  bei  den  dem  vorigen 


312  Kapitel  lY.    BaumgeiBtcr  als  V egetationsd&monen : 

Hauptstttck  einverleibten  Gebräuchen  unserem  ersten  ILapitel  ent- 
sprechend der  Nachdruck  auf  dem  Nachweise,  daß  in  dem  Baume 
oder  Baumzweig  ein  dämonisches  Wesen  verkörpert  gedacht 
werde,  so  haben  es  die  nachstehenden  Blätter  analog  dem  zwei- 
ten Kapitel  mit  der  anthropomorphischen  Personwerdung  des 
Dämons  der  Pflanzenwelt,  insofern  sie  in  Gebräuchen  hervortritt, 
zu  tun. 

§  2.  Doppelte  Darstellung  des  TegetatlonsdlmoBS  durch 
Baum  und  Menschen.  Die  den  Mai  bäum  in  Prozession  um- 
hertragenden Knaben  in  Zabem  itibren  einen  in  Stroh  gehtillten 
Kameraden  mit  sich,  den  Pfingstnickel ;  in  Buchsweiler  dagegen 
wurde  ein  mit  Laub  und  Blumen  von  Kopf  bis  zu  den  Füßen 
bedeckter  Knabe  umhergeflhrt ,  der  Pfingklötzel  genannt^  noch 
anderswo  in  Elsaß  der  Pfingstquack,  in  Thann  das  Maien* 
röslein  (Mairesele)  ein  Mädchen  in  weißem  Kleide,  das  emen 
mit  Blumenkränzen  und  Bändern  verzierten  Mai^ibaum  trägt 
Seine  Begleiter  singen ,  indem  sie  an  den  Tttren  Gaben  sammeln, 
ein  Lied,  dessen  Anfang  lautet: 

Maienröslein  kehr  dioh  dreimal  eram, 
Jiaß  dich  beschauen  'rom  and  ^rum! 
Maienröslein,  komm  in  grünen  Wald  hinein» 
Wir  alle  wollen  lustig  sein. 
So  fahren  wir  vom  Maien  in  die  Rosen. 

Im  Verlaufe  des  Liedes,  sagt  Uhland,  wird  den  Leuten,  die 
nicht  Eier,  Wein,  Oel,  Brod  spenden  wollen,  angewtinscht,  daß 
der  Marder  die  Hühner  nehme,  der  Stock  keine  Trauben,  der 
Baum  keine  Nüsse,  der  Acker  keine  Frucht  mehr  gebe:  das 
Erträgniß  des  Jahres  hängt  von  dem  kleinen  Frühlingsopfer  ab.' 
Hiezu  will  ich  zunächst  ^inen  fränkischen  Brauch,  sodann  zwei 
Zeugnisse  aus  dem  lettischen  und  slaviscben  Osten  stellen.  Im 
bairischen  Frankenlande  tanzt  am  Walburgistag  (2  Mai)  um  den 
vor  dem  Wirtshause  aufgepflanzten  Walberbaum  ein  vom  Scheitel 
bis  zur  Zehe  in  Stroh  gewickelter  Mann,  dem  die  Äehren  in 
Form  einer  Krone  über  dem  Kopfe  zusammengebundei%  sind,  der 
Walber.  Früher  wurde  diese  Figur  in  den  kleinen  Städten  die- 
ser Gebend    in    feierlichem  Zuge   durch    die   mit  Birkenreisem 


1)  A.  Stober,  Alsatia  1851  p.  147. 

2)  Aug.  Stöber,  Elsfiss.  Volksbttchlein ,  Strafiburg  1842.    S.  56.    Alsatia 
Vibl  S,  140.    Uhknd  in  Pfeiffers  Germania  V,  275.    Ders.  Sehr,  m,  30.  46. 


Doppelte  Daratell.  d.  Vegetationsdämons  dnroh  Baum  n.  Menschen.    318 

geschiDttdcten  Straßen  geführt  Alle  Gewerksleute  mit  dem  Emblemen 
ihres  Handwerks  begleiteten  ihn.^  In  mss.  Litauen  stellte  man 
ehedem  am  1.  Maitag  einen  grtlnansgeschlagenen  bunt  bebänder» 
ten  Baum  auf  einer  Wiese  vor  dem  Dorfe  auf.  Dann  wählte 
die  DorQogend  aus  ihrer  Mitte  das  schönste  Mädchen, 
setzte  ihr  einen  Kranz  auf  den  Kopf,  umwand  ihre 
Gestalt  mit  Birkenzweigen  und  führte  sie  so  auf  den 
Spielplatz  neben  dem  Maibaum,  wo  der  vergnQgte  Haute  Tänze 
und  Gesänge  begann,  welche  tou  dem  fortwährenden  Ausruf 
0  Maja!  O  Maja!  unterbrochen  werden.*  Das  am  Tage  des 
h.  Georg  (24.  April)  begangene  Frühlingsfest  der  Slovenen  in 
Kämthen  und  Krain  wird  folgendermaßen  geschildert.  Nach 
Beendigung  des  Nachmittagsgottesdienstes  strömt  die  freudig 
bewegte  Jugend  durcheinander  dem  Orte  zu,  wo  der  am  Vor- 
abend gefällte  und  entrindete  Baum  (Pappel  oder  Tanne)  liegt, 
und  schmückt  ihn  unter  Gesäugen  mit  Blumen  und  Kränzen. 
Auf  die  am  Baume  angebrachten  Querhölzer  werden  von  den 
Mädchen  verschiedenartige  Tticher  aus  Seiden-  und  Baumwollen- 
stoff gebunden.  Drei  Bauerbursche  tragen  den  großen  Baum 
der  Art,  daß  zwei  zu  beiden  Seiten  des  Hauptträgers  mit  Unter- 
sttttzungsstangen  das  Gleichgewicht  erhalten.  Langsam  bewegt 
sich  der  Zug,  voran  Pfeiffer  und  Hornbläser,  deren  Instrumente 
zumeist  ans  Kirschbaumrinde  gemacht  sind ,  mit  wilder  Musik  die 
sanften  Melodien  der  Mädchen  begleitend,  indeß  die  zuschauende 
Jugend  begeisterte  Jubelrufe  ertönen  läßt.  Die  Hauptperson  im 
Zuge  ist  der  grüne  Georg  (zelene  Juri),  ein  Bursche  von 
Kopf  bis  zu  Fuß  in  grüne  Birkenzweige  eingehüllt 
Auf  dem  Festplatze  wird  der  Maibaum  an  eines  der  höchsten 
Häuser  angelehnt,  und  nachdem  Musikanten,  Sängerinnen  und 
Spaßmacher  ihr  Bestes  geleistet  haben ,  lösen  die  an  den  Fenstern 
harrenden  Mädchen  Tücher  und  Kränze,  zerbrechen  die  bunten 
Querhölzer  und  ein  Blumenregen  auf  die  jubelnde  Menge  beschließt 
das  Fest.  Während  des  allgemeinen  Jubels  wird  der  grüne  Georg 
(d.  h.  eine  ihn  darstellende  Puppe)  ins  Wasser  geworfen. 
Besondere  Anerkennung  findet  ein  Buri^che,  welcher  die  Ver- 
wechselung   so    flink    zu    bewerkstelligen    weiß,    daß   sie  nicht 


1)  Bavaria  III.  1,  357. 

2)  Tereschtschenko ,  Bait  Kaskago  naroda.    Petersburg  18i8.   VI.  212. 


814  Kapital  lY.    Banmgeister  als  Vegetationsdamoiien: 

bemerkt  wird.  In  maneben  Gegenden  badet  man  aber  den 
lebenden  grünen  Georg  selbst  in  einem  Flusse  oder  Teiche 
und  zwar  in  der  ausgesprochenen  Absicht ,  damit  er  durch  Regen- 
gflsse  während  des  Sommes  Felder  und  Fluren  grttnen  lasse. 

An  einigen  Orten  treibt  man  auch  das  Vieh  bekriUizt  aus 
dem  Stalle  und  singt:  • 

Zelenigo  Jorja  vodimo,  den  grünen  Georg  führen  wir, 

Zeleniga  Jurje  spramano,  den  grünen  Georg  begleiten  wir, 

naj  nade  ^de  pasel  bo,  die  Heerden  er  uns  weide  wohl. 

^Ce  nö  ga  w'  Todo  sünemo.  Wenn  nicht,  er  in  das  Wasser  solL^ 

Diesen  beiden  slavischen  Bräuchen  reihen  wir  noch  einen 
französischen,  einen  elsässischen  und  einen  englischen  an.  Bei 
Brie  (Isle  de  France)  wird  am  Maitag  ein  Maibaum  d.  h.  ein  mit 
einer  Blumenkrone  am  Wipfel  geschmückter;  weiter  unten  mit 
Laub  und  kleinen  Zweigen  umwundener,  unten  mit  großen  grünen 
Aesten  umsteckter  Baumstamm  in  der  Mitte  des  Dorfes  aufge- 
pflanzt und  die  Mädchen  tanzen  umher.  Zugleich  aber  wird  ein 
in  Laub  gehüllter  Bursch,  le  pere  May  umhergeftlhrt. 
In  Mels  (Elsaß)  veranstaltet  man  bei  Beendigung  der  Weinlese 
ein  Erntefest,  den  „Herbstsonntag"  bei  welchem  sich  ein 
Mann  als  Weibsbild,  ein  Weib  als  Mann  verkleidet 
Der  verkleidete  Mann  sitzt  vorne  im  Wagen,  der  die  letzten 
Trauben  nach  Hanse  iUhrt;  er  heißt  HerbstschmudI  und  hält 
einen  großen  Maibaum  in  der  Hand,  das  Weib  sitzt  mit 
dem  Rücken  gegen  ihn  und  trägt  einen  Korb  Blumen.  Bei 
Mühlhausen  im  Elsaß  trilgt  das  angebliche  Weib  eine  m()glichst 
kostbare  altmodische  Bauertracht  (Weiberrock  mit  goldenen 
Schaumünzen  behangen),  der  Mann  ein  mit  Ruß  geschwärztes 
Gesicht.  Sie  herzen,  küssen  und  drücken  einander  und  machen 
allerlei  Unsinn.  In  manchen  Orten  (z.  B.  um  Schlettstadt)  sitst 
auf  der  letzten  Karre  mit  Trauben  neben  den  schmucklosen  Maien 
nur  ein  ganz  russiger  HerbstschmudI,  der  alle  Begegnenden  mit 
seinen  russigen  Händen  schwarz  zu  machen  sucht.  Den  Wagen 
umgeben'  die  übrigen  Arbeiter,  welche  im  Weinberge  sich  in 
altfränkischer  Tracht,  die  Weiber  als  Männer  die  Männer 
als  Weiber  ausgeputzt  haben.     Erwähnt  sei  endlich  der  . 


1)  Ausland  1872.  S.  471. 


Doppelte  Bantell.  d.  VegetationedämoiM  durch  Baam  n.  Menschen.    815 

en^iflohe  Braueh  eine  ^^May  Lady,  Lady  of  the  May, 
Qneen  of  the  May  d.  h.  entweder  eine  sobenannte  lebende 
Person  in  ^e  Laube  neben  den  Maibanm  za  setzen,  oder  eine 
Pappe  dieses  Namens  an  denselben  zu  hSngen.  Browne  in 
seinen  „Britania  pastorals  1626.  II,  122  beschreibt  das  Maifest 
folgendennaBen : 

As  J.  have  seene  the  Lady  of  the  May 

Set  in  an  arbonr  (on  a  boly-day) 

Bnilt  by  the  Mai -pole,  where  the  jocond  swaines 

Dance  with  the  maideRs  to  the  bagpipes  straines. 

In  Gentlemans  magazine  Octob.  1793  p.  188  wird  von 
Dr.  Geddes  erzählt,  er  sei  ein  großer  Liebhaber  unschuldiger 
Festlichkeiten  gewesen,  „He  was  seen  in  the  snmmer  of  that 
year  mounted  on  the  poles  behind  the  Qneen  of  May 
at  Marsden  Fair  in  Oxfordshire.^' ^  In  einigen  abgelegenen 
Orten  tragen  die  Kinder  noch  jetzt  eine  ganz  in  grttnbelaubte 
Banmzweige  gehüllte  Puppe  und  mehrere  kleine  mit 
Kränzen  geschmückte  Nachbildungen  des  größeren  May  pol  es 
einher  und  bitten  die  Vorübergehenden  um  einen  halfpenny.' 

Die  angezogenen  Bräuche  reichen  aus,  um  die  Gewißheit 
zu  begründen,  daß  in  den  Frühlings-  (res^.  Ernte)  aufzügen 
der  Dämon  der  Vegetation  häufig  außer  dem  Maibaum  durch 
einen  in  junges  grünes  Laub  oder  Blumen  gehüllten  Bur- 
schen, oder  ein  ebenso. geschmücktes  Mädchen  dargestellt  wird. 
Es  ist  derselbe  Genius,  der  den  Baum  beseelt  und  in  der  nie- 
dem  Pflanze  wirksam  ist,  und  den  wir  schon  des  genauem  in 
dem  Abschnitte  über  den  Maibaum  und  Emtemai  kennen  lemten. 
Es  ist  ganz  folgerichtig,  daß  er  auch  in  der  ersten  Blume  des 
Frühlings  sein  Dasein  offenbarend  gedacht  und  durch  ein  das 
Mairöslein  repräsentierendes  Mägdlein,  nicht  minder  aber  in 
Gestalt  des  Walber  (o.  S.-  313)  als  Bringer  der  Getreideernte 
yeranschaulicht  wird.  Der  Umzug  dieser  Nachbildung  des  gött- 
lichen Wesens  brachte  vermeintlich  die  nämlichen  Wirkungen  iHr 
das  Gedeihen  des  Federviehes,  der  Obstbäume,  der 
Ackerfrucht  hervor,  als  die  Gegenwart  der   Gottheit  selbst    Mit 


1)  Brand,  pop.  Antiqu.  I.  S.  221.  258. 

2)  B.  Chambers ,  The  book  of  Days  1864  I,  573 ,  wo  aaeh  eine  Ahbil- 
dnng  des  Brauches  gegeben  ist. 


316  Kapitel  lY.    Baanigeister  als  Vegetattousdamonön: 

andarti  Worten,  nicht  aU  ein  Abbild,  sondern  als  eine  wirkliche 
Stellvertreterin  des  Vegetationsnnmens  galt  die  Maske;  deshalb 
wänseht  die  mit  dem  Maienröslein  nnd  dem  Maibanm  umziehende 
Compagnie  demjenigen  Häusern,  welche  4^  Gabe  von  Mem  und 
Schinken  u.  s.  w.  verweigern,  daB  ftlr  sie  die  Segnungen  der 
dem  einhergeflihrten  Dämon  innewohnenden  Kräfte  nicht  wirksam 
werden  mögen.  Wir  werden  schließen  dürfen,  daß  überall  jene 
Bittgänge  mit  dem  Maibaum  (Maizweig)  von  Tür  zu  Tür  (o.  S.  1 62), 
„den  Mai,  den  Sommer  bringen",  auch  wenn  der  Dämon  nicht 
noch  besonders  durch  einen  Menschen  verbildlicht  tmrd,  ursprüng- 
lich eine  ernst  gemeinte,  so  zusagen  sakramentale  Handlung 
waren;  man  glaubte  ja  wirklich -in  dem  Zweige  unsichtbar  die 
Gottheit  des  Wachstums  gegenwärtig;  die  durch  die  Prozession 
jedem  Hause  zur  Heilspendung  nahe  gebracht  wurde.  Benannt 
ist  auch  der  menschlich  dargestellte  Vegetationsdämon  sehr  häufig 
analog  den  Bezeichnungen  „Sommer,  Mai,  Harkelmai"  für  den 
Maibaum  und  Emtebaum  als  Maja,  Pere  May,  May-Lady,  Qneen 
of  the  may,  er  verschmilzt  mithin  mit  einer  Personification  der- 
jenigen Jahreszeit,  in  welcher  er  seine  augenfälligste  Wirksam- 
keit übt.  Noch  deutlicher  ist  dieser  Vorgang  bei  dem  fränkischen 
Walber  (o.  S.  313)  zu  beobachten.  So  enthält  auch  der  Name 
„grüne  Georg"  eine  Personification  desjenigen  Tages,  der  den 
Ostslaven  als  Tag  des  Frühlingsanfangs  gilt,^  indeß  der  Begriff 
unverkennbar  der  weit  ältere  des  Wachstumsgeistes  ist  Im 
Emtegebrauch  des  elsässiscben  Herbstschmudl  sehen  wir  statt 
des  einen  weiblichen  oder  männlichen  Dämons  ein  Paar,  Mann 
und  Weib,  auftreten  und  es  wird  sich  weiterhin  ausweisen,  daß 
auch  diese  Variation  Grund  nnd  Verbreitung  hat. 

§  3.  Lanbcinkleidnng.  Umgang  zn  Faß.  Diese  Beob- 
achtungen an  die  Spitze  unserer  Erörterungen  in  diesem  Kapitel 
gesetzt  müssen,  sich  als  entschieden  hinreichend  erzeigen,  um  die 
fieihenfolge  der  im  Nachfolgenden  zur  Besprechung  kommenden 


1)  Die  rassischen  Bauern  in  vielen  Gegenden  beginnen  am  St.  Georgstage 
die  Landarbeit.  Der  h.  Jnri  (Georg),  sagt  man,  Öffne  die  Erde,  führe  den 
Tan  herab.  Ein  serbisches  Land  sagt,  daß  bei  Teilung  der  Erde  St  Georg 
Frühlingsblumen  bekam.  .  Nach  bulgarischen  Gedichten  umgeht  Georg  die 
Ackerplätze  und  sieht,  ob  das  Getreide  gut  wachse  u.  s.  w.  Afanaaieff  I, 
705.    Vgl.  o.  S.  313  u.  S.  317. 


Lanbeinkleidnng.     Umgang  zu  Ftiß.  817 

mjrthologischen  Figuren  als  eine  einheitliche  sofort  und  zweifellos 
erkennen  zu  lassen. 

Zunächst  ist  wohl  soTiel  klar,  dai^  der  in«grttne  Zweige 
gehüllte  Mensch  am  FrtlhUngsfeste  auch  dann  den  im  Maibanm 
verkörperten  Dämon  darstellt ,  wenn  dieser  nicht  besonders  durch 
ein  einzelnes  individuell  hervorgehobenes  Baumexemplar,  sondern 
durch  eine  Menge  in  Prozession  eingebrachter  grtlner  Aeste,  oder 
auch  gar  nicht  vertreten  ist  Zum  Erweise  hebe  ich  vorläufig  die 
folgenden  Brt&uche  hervor.  Nach  Henr.  Lubbart,  Pastor  zu  Boh- 
lendorf bei  Ltlbeok  (f  1703)  wurden  im  März  von  den  Kindern 
lange,  mit  grttnem  Laub  bewundene  Stecken  von  Haus 
zu  Haus  getragen,  während  die  Knechte  mit  einem  Dudel- 
sack umherziehend  einen  mit  sich  führten,  der  mit  einem 
grünen  Weiberrock  behängen  war.*  Diese  in  grünes  Zeug,  geklei- 
dete Weibermaske  neben  den  Maienstecken  steht  der  litauischen 
Maie  neben  dem  Maibaum  gleich.  Wie  in  Kämthen  wird  in  ver- 
schiedenen Gegenden  Rußlands  zum  Georgstage  ein  schöner 
junger  Mann  ausgesucht  und  ganz  und  gar  in  Grün  geklei- 
de  t.  Man  legt  ihm  einen  großen ,  runden  mit  Blumen  geschmflck- 
teB  Kuchen  auf  den  Kopf.  Er  trägt,  in  der  Hand  eine  Fackel 
schwingend,  diesen  Kuchen  ins  Feld  und  die  ihm  nachfolgenclen 
Mädchen  singen  zu  Ehren  St  Georg's  hergebrachte  Gesänge. 
So  umwandeln  sie  dreimal  in  der  Runde  die  besäten  Fluren. 
Dann  bilden  sie  einen  Kreis  und  legen  inmitten  desselben  den 
Kuchen  in  eine  Yertieiung  der  Erde.  Jetzt  wird  ein  Feuer  ange- 
macht, ein  Schmaus  bereitet  und  bei  diesem  der  wieder  aufge- 
nommene Kuchen  verteilt,  und  verzehrt,  so  daß  jeder  ein  Stück 
erhält^  Dieser  russische  Jüngling  ist  doch  offenbar  identisch 
mit  dem  grünen  Georg  der  Slovenen;  der  bekränzte  Kuchen,  den 
er  auf  dem  Kopfe  ins  Ackerfeld  trägt  und  dort  niederlegt,  ist 
eins  mit  dem  Brode,  das  man  in  Deutschland  beim  Beginn  der 
Ackerarbeit  unter  den  Pflug  legt,  oder  bei  der  Ernte  in  die  letzte 
Garbe  bindet  (o.  S.  158)  sowie  mit  den  Semmeln,  welche  der 
Hadler  an  seinem  Leibe  trägt  (o.  S.  269)  ein  Symbol  der  Nah- 
rongsfillle  der  ktlnftigen  Ernte,  an  der  jeder  sein  Teil  haben 
goll.     Die  Fackel  werden  wir  später  nocjj  verstehen  lernen.    Der 


1)  Fastnaebtsteofel  p.  6.    Myth.^  7B0. 

2)  Afanasieff  I,  706. 


318  Kapitel  IV.    Baangeüater  als  Yegetatioiisd&inoDeii : 

PWesaion  des  pdre  Maj  in  Brie  (a  S.  314)  entsprieht  es,  daft 
im  D^p.  de  TAin  (Bonrgogne)  am  ersten  Mai  8  — 10  Knaben  su 
einer  Compagnie  zusammentreten  ^  einen  ihrer  Genossen  in  Laub 
kleiden  und  von  Haus  zu  Haus  gebend  Gaben  einsammebi.  Der 
Umhergefllhrte  heißt  le  fouUl^  (»  le  fenül^?).  Hier  fehlt  der 
Maibaum  aber  die  im  übrigen  vWige  Uebereinstiamiang  mit  dem 
Umgang  des  elsässischen  Pfingstniekel ;  Pfingstklötzel  bewährt 
diesen  Umzug  als  denjenigen  des  Vegetationsgeistes. 

Dem  Mairöslein  im  Elsaß  entspricht  in  niederdeutschen  Land* 
Schäften  die  „  PfingsMume.'*  In  Flandern  sang  im  17.  Jahrh. 
zu  Pfingsten  ein  ganz  junges  weiß  gekleidetes  Mädchen  mit 
Blumen  und  Bändern  geschmflckt  ^^die  Pinxterbloeme^^,  die  Straße 
hin  geistliche  Lieder  und  sammelte  Ahnosen.^  In  Holland  soll 
nach  Grimm  noch  in  neuerer  Zeit  zur  Pfingstzeit  von  armen 
Weibern  die  Pinxterbloem  ^  ein  kleines  blumengeschmflcktes 
Mädchen,  auf  einem  Wagen  sitzend  umgeftlhrt  worden  sein, 
um  Greld  zu  erbetteln;^  in  Nordbrabant  umtanzt  man  dann  eine 
mit  der  Pfingstblume  (pinxterbloem,  uiyersbloem  d.  i.  Iris  pseud- 
aeorus  nach  Buddingh,  oder  wahrschdnlicher  noch  Oonvallaria 
bifolia,  die  in  Oldenburg  Pinxterblome  heißt  ^),  gekränzte  Jung- 
frau und  singt  ein  Lied,  dessen  Anfang  lautet: 

Pmxterbloni  PfingstUaune 

Keer  on  rets  om        Kehrt  eaeh  einmal  am.^ 

Ganz  ähnlich  ist  der  Zuruf  ans  Mairesele  ,,dreh  dich  dreimal 
um!^'*     In  der  Grafschaft;  Teklenburg  (Westphalen)  ziehen  die 


1)  Willems,  oude  vlaemsche  liiederen.  Inleid.  VIII. 

2)  Myth.«  748. 

3)  Strackerjan ,  Abergl.  a.  Sag.  a.  Oldenburg  U,  52,  319. 

4)  Dr.  Hermalis  Aardb.  381.  Buddiogh,  VerhaDdeling  orer  bet  West- 
land. .  Leyden  1844  p.  210  —  211.  351. 

5)  Zu  vergleicben  steht  auch  die  folgende  an  den  Maibanm  gekn&pfte 
Sitte.  •  In  Elgersburg  bei  Ilmenau  ward  am  ersten  Pfingsttage  eine  bis  zur 
Krone  abgeschälte  Tanne,  an  der  ein  Kranz  aufgehängt  ist,  in  feierlicher 
Ph)zes8ion  eiDgeboK,  anf gerichtet  und  von  den  Kindern  am  swdten  Pfingst- 
tage  nmt4Q2t.  Dabei  büden  sie  einen  großen  Kreis  um  den  Baum.  Zwei 
aber  von  ihnen  drehen  sich ,  mit  einer  Hand  den  JBaum  erfassend  um  den- 
selben bald  rechts,  bald  link^,  bis  eines  das  andere  wegstoßt.  Dieses  treibt 
wieder  eins  ans  dem  Kreise  zum  Baume  und  der  Vorgang  wiederholt  sich. 
Dabei  singen  sie:  Der  Summer,  der  Summer  iat  ane  sehene  Zait,  Dos  mer 
sollen  lustig  sain  alle  junge  Lait.    Sehen's  &U  af  mich  und  tuen's   all  af 


LavbduiUeidimir.    Umgai^^  za  FuS.  819 

Kinder  am  Pfingstnadumttage  einher,  indem  sie  mit  Enitteln 
bewaffiiet  einen  Knaben ,  der  ganz  mit  grttnen  Beisem  und  Pf ne- 
menkrant  (Ginster)  bedeckt  ist,  und  eine  Biumenkrone  aaf 
dem  Kopfe  trägt  vor  sieh  her  treiben.  Man  hat  daza  offen- 
bar denjenigen  ausersehen,  der  moi^ens  zuletzt  aus  dem  Bette 
kam.    Denn  die  Verfolger  singen: 

Pingsterblome 

fftle  süge  (San)! 

harstu  Sr  uppestann 

harr  et  di  ken  leid  edannP 

Gleicherweise  nennt  man  zu  Wittmund  in  Ostfriesland  das 
zuletzt  aufgestandene  Mädchen  Pingsterbloeme.  ^  Man  erinnere 
sich,  dafi  mit  der  Schmackostej -  und  sonstigen  LfCbensrute  die 
Langschläfer  aus  dem  Bette  getrieben  wurden  (o.  S.  257  ff.)  und  dafi 
diese  Sitte  auch  die  Lerchen,  also  den  Frühling  wecken  hiefi 
(o.  S.  253).  Lag  diesem  Zuge  yielleicht  ursprtIngliGh  die  Bedeu- 
tung einer  Darstellung  der  Ueberlieferung  der  TrieU:raft  des 
alten  Jahres  an  die  aus  dem  Winterschlate  geweckten  Vegeta- 
tionsdämonen des  neuen  Jahres  zu  Grunde  V  Dann  dürfte  auch 
hier  die  Pfingstblume  den  zuletzt  erwachten,  jüngsten  Pflan- 
zengeist  des  Frühlings  veranschaulichen.  Der  Identifizierung  des 
Waehstumsgepius  mit  einer  Blume  entspricht  es,  wenn  der  ihn 
repräsentierende  Mensfdi  nach  einem  Baume  benannt  ist  Im 
Gouvernement  Woronesch  hidt  man  am  Trinitatissonntage  einen 
Umgang  mit  einem  Mädchen,  welches  „Pappd"  genannt  wurde 
und  hellglänzende  Blumen  in  ihren  Haaren  trug.' 

Erscheint  hier  der  Dämon  in  einer  (alle  übrigen  mit  vertre« 
tenden)  Pflanze  verkörpert,  so  lassen  andere  Formen  desselben 
Gebrauches  deutlicher  den  Gedanken  an  das  gesammte  Pflanzen- 
grün hervortreten.  Unter  diesen  Bräueben  kann  man  zwei  Haupt- 
formen unterscheiden;  nach  der  einen  wird  die  in  Laub  einge- 
kleidete  Person  zu  Fuße  ins  Dorf  geftlhrt,  nach  der  andern  in 
einem  berittenen  Zuge  aus  dem  Walde  geholt 


mich —  Dreh  dich  mal  Um  nnd  noch  emal  um  und  wieder 

mal  rümro.    Kuhn,  Mark.  Sag. 325.    Cf.  auch  o.  S.  181. 

1)  Kuhn,  WestfaL  Sag.  11,160,400.     Firmenioh,  Germ.  Völkerstim- 
men I,  359. 

2)  Kuhn,  Nordd.  Sag.  388,  72. 

3)  Balaton  S.  234. 


380  Kapitel  lY.    Baumgeuter  als  YegetatioiMdainanen: 

In  der  Rohla  ziehen  die  Kinder  y  sobald  die  Bäume  an&ngra 
grttn  zu  werden,  in  den  wiederbelaabten  Wald^  wählen  eines 
ans  ihrer  Mitte  zum  Laubmännchen,  dieses  binden  sie  vom 
Kopf  zum  FuBe  in  grüne  Banmzweige,  so  dafi  nur  seine  Schuhe 
sichtbar  bleiben.  Wo  die  Augen  sind,  bat  man  kleine  Oefihungen 
gelassen  und  über  dem  Kopfe  sind  die  Zweige  zu  einer  Art  Krone 
geformt.  Bunte  Bänder,  wollene  und  seidene  Tücher, 
die  von  den  Mädchen  zu  diesem  Zwecke  hergeliehen 
sind,  hängen  zu  allen  Seiten  des  Laubmännchens  herab, ^ 
welches  seine  Gespielen  tanzend  und  singend  durchs  Dorf  führen. 
Ebenso  geschah  es^in  dem  benachbarten  Ettenhausen  bei  Mark- 
suhl und  in  Allendorf  bei  Salzungen  (Meininger  Oberland).  Die 
Begleiter  des  Laubmännchens  begehrten  und  erhielten  bei  ihrem 
Umzüge  von  Haus  zu  Haus  Victnalien  (Eier,  Speck,  Würste, 
Kuchen).  Zuletzt  besprengten  sie  den  Laubmann  mit 
Wasser  und  hielten  von  den  gesammelten  Oabai  einen  gemein- 
sehaiUichen  Schmauß.^ 

In  der  Gegend  von  Usingen  (Nassau)  ist  „Laubpuppe^' 
der  Name  des  eingehüllten  Knaben.^  In  Niederbaiem  hieß  das 
Laubmännchen  Pfingstl.  Er  trug  eine  sehr  hohe,  spitzig  aus- 
laufende, auf  den  Schultern  ruhende  Kappe  aus  Wasserblumen 
(caltha  palustris?)  und  ihren  langen  Stengeln  gemacht,  ihre  Spitze 
zierte  ein  Kranz  von  Pfingstrosen.  Nur  zwei  Oeffiiungen  für  die 
Augen  waren  gelassen,  über  denen  zwei  Kränze  von  Wicken - 
und  Feldblumen  angebracht  waren.  Aus  Wasserpflanzen  bestan- 
den auch  die  Aermel  der  Kleider.  Was  Kappe  und  Aermel  nicht 
deckten ,  wurde  mit  Erlen  -  und  Haselnußlaub  bekleidet.  So  war 
der  Pfingstl  ganz  in  Laub  und  Blumen  eingehüllt.  Zu  beiden 
Seiten  gingen  die  Weiser,  welche  dem  Pfingstl  die  ausgestreck- 
ten Arme  trugen.  Sie  und  alle  Knaben,  welche  den  Pfingstl 
von  Haus  zu  Hause  begleiteten,  trugen  entblößte  Schwer- 
ter, nur  die  Träger  der  eingesammelten  Geschenke  nicht.  Die 
Leute  erwarteten  den  Pfingstl  im  Verborgenen  und  übersohüt- 


1)  Also  genau  so  wie  beim  Maibanm  geschieht. 

2)  Rcimann,  D.  Volksfeste  S.  159— GO.   A.  Witschel,  Sitten  u.  Gebr&uche 
a.  d.  Umgegend  v.  Eisenach  1866.   S.  13. 

3)  Kehrein,  Volkssprache  und  Yolkssitte  im  Herzogt.  Nassau.    Volks- 
Sitte  S.  156»  3.  / 


Lanbeinkleidung.    Umgang  zu  Faß.  321 

teten  ihn  mit  Wasser,  soviel  sie  konnten.  Alle 
jubelten  und  freuten  sich,  wenn  der  Pfingstl  tUch- 
tig  begossen  wurde.  Während  des  Beschttttens 
gingen  einige  Knaben  in  das  Haus  und  erhielten  eine 
Gabe.  War  so  der  Zug  durch  das  ganze  Dorf  gewandert,  so 
wurde  der  Pfingstl  in  den  Bach  hineingeftthrt,  wo  er  bis 
zur  Bütte  des  Leibes  im  Wasser  stand.  Dann  ging  einer  der 
Weiser  auf  den  Steg  und  haute  dem  Pfingstl  den  Kopf 
ab.  Den  Schluil  bildete  ein  fröhliches  Mahl,  wol^i  die  gesam- 
melten Oaben  verzehrt  wurden.'  In  Schwaben  vermummen 
die  Viehhirten  oder  sonstige  Bursche  vielfach  einen  ihrer  Kame- 
raden in  bltthende  Pfriemen  (ein  Strauch  mit  gelben  scho- 
tenartigen  Blumen),  überziehen  sein  Gesicht  mit  Baum- 
rinde, setzen  ihm  eine  grttne  spitze  Laubmtttze  auf  den  Kopf, 
und  behängen  ihn  von  vorne  und  hinten  mit  Kuhschellen 
und  Kuhglocken.  In  manchen  Oegenden  besteht  die  Ver- 
mummung  aus  Tannenreisem.  Der  Vermummte  heißt  P  fing  st - 
Itlmmel,  oder  Pfingstbutz.  Er  wird  Gaben  heischend  durchs 
Dorf  geibhrt,  zuletzt  wol  auch  unter  Stroh  und  Mist 
vergraben** 

Im  Erzgebirge*  wird  der  am  ersten  Pfingsttag  zuletzt  aus- 
treibende IBrte  verlacht  und  Pfingstlttmmel  gescholten,  so 
auch  in  jedem  Haus  der  zuletzt  im  Bette  Angetrof- 
fene. In  mehreren  Tfaflringisehen  Orten  wird  schon  am  ersten 
Pfingattage  der  Knecht ,  der  sein  Vieh  am  spätesten  auf  die  Weide 
treibt,  in  Tannen-  und  Birkenzweige  gehüllt  und  unter 
dem  lauten  Geschrei:  „Pfingstschläfer!  Pfingstschläfer!^' 
durch  das  Dorf  gepeitscht.'  Dieses  Peitschen  des  Lang- 
sohläfers  erinnert  an  das  aus  dem  Bette  Peitschen  mit  der  Schmack- 
osterrute. 

Abweichend  ist  die  Ausrüstung  des  Pfingstlümmels  im 
Ansbachischen.  Da  verkleiden  die  Buben  einen  aus  ihrer  Mitte 
mit  alten  zerrissenen  Kleidern,  schwärzen  ihm  das  Gesicht 
mit  Kufi,  umflechten  ihn  mit  Strohbändem  und  fahren  ihn  mit 
Eile  und  großem  Lärm  auf  einem  von  2  Pfluggestellen  zusam- 


1)  Pftnzer  1,235,261. 

2)  £.  Meier  S.  403,  94.  9ö. 

3)  Myth.*  746. 

MannhardL  21 


dS2  Kapitel  lY;    Baomgeister  als  VegetatioiMdämoneii: 

mengesetzten  Wagen  von  Hans  zn  Hans.^  Die  Sehwärznng  des 
Oesiehts  trafen  wir  schon  beim  H^bstsclunndl  an,  wir  werden 
ihr  in  den  Emtegebränchen  bei  Darstellung  der  KomdämoneB 
yielüach  wiederbegegnen.  Sie  ist  mithin  keineswegs  bedentnngs- 
los  und  zwar  scheint  sie  mir  in  roher  Weise  ausdrücken  m  sol- 
len, daß  der  dargestellte  Dämon  ein  nicht  sichtbares,  für  mensch- 
liche Augen  dunkles  unheimliches  Wesen,  ein  Schatten,  ein 
Gespenst  sei.'  Mit  dieser  Art  Darstellung  mag  es  Ytelleicfat 
zusammenhangen.,  da^  in  London  die  Kaminfeger  am  ersten  Mai 
sich  gleichsam  sämmtlich  als  Vertreter  dieser  unsichtbaren  Vege- 
tationsdämonen  constituieren ,  und  in  Compagnien  geteilt 
unter  närrischen  VerUeidangen  von  Goldpapier  u.  s.  w.  die  Straften 
durchziehen,  indem  sie  zum  Tacte  ihrer  Schaufeln  und^ttisten 
tanzen.  Gr^Were  Compagnien  haben  einen  Fiedler  bei  sich  und 
einen  Hans  in  Grün  (Jack  in  the  green),  d.h.  einen 
Burschen,  der  in  einer  zuckerhutf^rmigen  Pyramide 
von  Reiserwerk  steckt,  welche  mitBlumen  und  grü- 
nem Laube  (oft  Stechpalmen  undEpheu)  bedeckt  ist, 
und  oben  in  eine  Krone  von  Blumen  und  Bändern  aus- 
läuft, welche  von  einem  Fähnchen  überragt  wird.  Dieses  Gestell 
über  den  Kopf  gestülpt,  tanzt  er  seinen  GefAhrten  zum  großen 
Vergnügen  der  Zuschauer  vor.  Zuweilen  gesellen  sich  auch  noch 
ein  Lord  und  eine  Lady  of  the  may  hinzu.  Von  diesen  später.^ 
Doch  auch  andere  Leute  aus  dem  andern  Volk  putzten  „Jacks 
o  the  green''  aus,  welche  in  den  Vorstädten  Londons  tanzten, 
und  auch  die  benachbart»  Orte  und  kleinan  Städte  besuchten. 
Sie  trugen  oft  nur  die  stattliche  Livree  eines  Lordmayorsdieners^ 
dabei  aber  einen  mit  Bändern  und  Blumen  geschmückten  Hot 
und  einen  in  Blumen  gehüllten  Stab,  deutlieh  eine  Abschwäohung 
der  Laubeinhüllung.  ^ 

1)  Panzer  11,90,  138.    Geschwärztes  Gesicht  auch  o.  S.  162.  314. 

2)  Tgl.  die  Darstellung  des  Todes  als  langer  schwarzer  JBfohr. 
Q.  ScfavlUr,  Volkstttml.  Glanbe  nnd  Brauoh  bei  Tod  m»d  Begrfibnie  in  Sie- 
-benbtUige«  I,  S.  5.  Ba0swmnn,  Eibofolke  II,  §395»ö:  Schwärt  wird  aiMh 
der  Teufel  gedacht  als  nächtiges  Wesen.    Myth.*  945, 

3)  S.  Strutt  f  the  Sports  and  pastimes  of  the  people  of  England.  Lon- 
don 1841.  p.  358,  XX.  Hone,  Every  Daybook  1866'.  1,  292  ff.  Daselbst 
befindet  sich  eine  Abbildung  des  Aufzuges  aus  deui  Jahre  1825.  Brand, 
populär,  antiqn.  ed.  Ellis  1 ,  231  — 232. 

4)  Hone,  Every  Daybook  11,289. 


La^beiBkl^idnng.    Umgang  zu  FnfL  d28 

Aach  iii  migeu  G^geaden  FraDkraicha  z.  B.  (Moni  de  Mar«^ 
san  D^p.  des  Laades)  wird  ein  BeisergeBtell  nüt  Laub  bekleidet^ 
ein  Bursche    hineingesteckt   und   durchs  Dorf  gefUhrt  (mtlftdl.) 
Im  Frickthal  (Aargau)  bezeichnet  man  ein  ganz  ähnUcdies  Kofb^ 
gefiecht    mit   dem  Ausdruck  Pfeisthutte  (Pfingstkorb).     Auf 
einem  lange  yorher,  sobald  die  Bliume  ergrflnen,  aaserseheien 
Platze  y  wird  es  im  Walde  in  aller  Heimliokkeit  verfertigt ,  damit 
andere   mit   gleichem   Vorhaben   den   Veranataltem  nicht  etwa 
zuvorkommen.    Lange  Laubzweige  sind  pyramidal  um  zwei  Bei- 
fen  zuisammengefloohten  y  die^  in  Mannsh($he  paridlel  ttber  einan* 
der  gestellt  sind  und  von  der  Spitze  herab  muß  eki  groBer  Blu^ 
menstrauft  nicken.      Dem    hineingeachlttpften   Knaben  sitzt  der 
Oberreif  auf  der   Schulter  auf  und   erleichtert  die  Tracht;   der 
untere  hilft  die  Waden  dediien ;  wo  das  Gesicht  zu  stehen  kommt; 
macht-  der  Träger  sich  etwas  Luft  zum  Atme»  und  Durchblicken; 
die    gan^e  Gestalt   erscheint  wie  ein  wandelnder^  rauschender 
Busch.     Während    des  Bo^enkrirnzgebetes  am  Abend   um  ftlof 
erscheint  diese  Pfingsthtttte  plötdich  im  Dorfe.     Drei  Knaben 
marschieren  vorauf  und  blasen  auf  dem  aus  Weidenrinde  geschnitr 
tenen  Pfing^thoru»    Von  Pfarrer  und  Wirt  erhält  der  Umzug  ein 
Glas  Wein.     Dajrum  ist  es  aber  den  Veranstaltern  weniger  zu 
tun,  als  um  das  Recht,  ihre  Pfingsthutte  zum  Schluß  auf 
den    Hauptbrunnen    des    Dorfes    zu    pflanzen  nnd  hier 
behaupten  zu  können.    Denn  gleich  sind  dann  auch  die 
Buben  des  obern  oder  untern  Dorfes  bei  der  Hand,  um 
die  Hütte  hier  abzunehmen,  zu  erobern  und  im  Triumphe 
auf   dem  Brunnenatocke    ihres  eigenen   Dorfteile«  auf- 
zupflanzen.  Daß  es  dabei  schließlich  zum  Handgemenge 
kommt,  bedarf  keiner  Versicherung.     Dieser  Brauch,  der 
im  Badischen  das  Pfingsthüttel  heißt, ^  berührt  sich  auf  das  nächste 
mit  dem  o.  S.  241  beigebrachten  Brauch  der  Elsässer,  zu  Neujahr 
einen  Maibanm  auf  den  Brunnenrand  zu  pflapzen ,  und  lehrt  wieder 
die  mythologische  Identität  des  Bamnes  und  des  lanbeingehüUten 
Menschen.    In  Hessen  wurde  derjenige  Hirt,  welcher  zuletzt  auf 
der  Pfingst;9^.eid^^  ankam,  an  Armen  unfl  Beinen  gefaßt , und.  ^it 
der  Kehrseite  gegen  einen  Baum  gerannt.     Hierauf  spielte 
man  allerlei  heitere  Spiele,  z.B.  bewand  man  in  Rauschen- 


1)  Bochholz,  Alemannisches  Kinderlied  507 --8, 102. 

21* 


824  Kapitel  lY.    Baumgeistdr  als  Vegetationsd&monen: 

berg  einen  Mann  vom  Kopf  bis  zu  Fttßen  ganz  dicht  mit 
gelben  Wiesenblumen.^  Zu  Lanfenfelden  b.  Langenschwal- 
baeh  in  Nassau  mrd  am  2.  Pfingsttag  der  Schnak  gemacht 
Die  Buben  des  Ortes  bewickeln  in  einer  Scheune  einen  dazu  aus- 
ersehenen Kameraden  an  Händen ,  Fttfien  und  am  ganzen  Körper 
mit  Farrenkraut  (Schnakenkraut).  Auf  den  Kopf  wird  ein  Kreuz 
gebunden y  das  mit  Herrgottsschttckelchen  (Schotenklee,  lotus 
comiculatus)  geziert  ist.  An  das  rechte  Bein  wird  eine 
Schelle  gebunden^  in  die  rechte  Hand  bekommt  er  einen 
dicken  Knotenstock.  Nach  beendigter  Nachmittagskirche  wird 
der  Schnak  zur  Schau  im  Ort  hcFumgetrieben.  Seine  Begleiter, 
deren  jeder  von  einem  Mädchen  einen  SchnakensCraufr  erhält^ 
teils  mit  langen  Buten,  teils  mit  Sftbehi,  Geldbücdisen  u.  s.  w. 
versehen,  laufen  von  Haus  zu  Hans  und  sammehi  Eier,  Kreuzer, 
Speck  u.  8.  w.*  Am  Drömling  (Altmark)  wird  am  2.  Pfiifgsttag 
von  den  Hirtenjungen  einer  der  Art  verkleidet,  daß  man  ihm 
zwei  Weiberröcke  anzieht,  deren  einer  Über  den  Kopf  genom- 
men und  zugebunden  wird.  Dann  htlllt  man  ihn  in  Maien  ein, 
hängt  ihm  Blum^ikränze  um  Hals  und  Arme  und  setzt  ihm  eine 
Blumenkrone  auf  den  Kopf.  Er  beißt  „der  füstge  Mai.'' 
Die  mit  ihm  umziehenden  Knaben  singen  vor  den  Häusern:   t 

Göden  Dag,  gdden  Dag! 
Wat  gebet  j^cb  (ihr)  den  Füstge  Mai?      ^ 
Qehet  jQch  tsch  (uns)  Schock  Eier  nistt» 
So  weren  (gewährleisten?  schützen?)  wi  Wischen  (Wiesen) 

und  Koren  (Korn)  nist' 

Bei.  Oebesfelde  (Kr.  Gardelegen)  lautet  der  Spruch  beim 
Umzöge  des  Fttstje  Maier: 

g&wen  se  ans  de  eier  nich, 

so  legen  de  höner  upt  j&r  6k  nich. 

80  weren  wi  wischen  nn  kören  6k  nick 

Dem  Füstge  Maien  stehen  (zuweilen)  ein  König  und  mehrere 
Beamte  zur  Seite,  ein  Führer  (Leier),  ein  Korbträger  (zur  An- 
nahme der  Eier),  ein  TabeltrSIger  (für  den  Speck),  ein  Hunde- 
schläger   und   Katzenschläger,    um    Hunde    und    Katzen    abzu- 


1)  Mülhanse ,  ürreligion  S.  216. 

2)  Kehrein,  Volkssitte  S.  157, 4. 

3)  Knhn,  Mark.  Sag.  d21  ff. 


Laabnnihülliing.    Der  Umgang  zn  Fafi.  325 

wehren.^  Um  Fttrstenwalde  heifit  der  von  den  Ochse^jungen  am 
zweiten  Pfingsttage  nmliergeflihrte  Knabe,  der  in  Maibnsch 
gehOUt,  eine  Blamenkrone  anf  dem  Kopfe  nnd  in  jeder 
Hand  eine  Glopke  trägt,  Kadernest  oder  Kandemest  In 
dem  Bettelliede  heifit  es: 

^         Eüdemest»  kudernest 
hippel  nf  de  Straße, 
hat  in'n  jdlen  strük  gelSjen, 
is  janz  jrün  und  jSl  jeworden.* 

In  der  Gegend  von  Ertingen  (Wttrtemberg)  lüBt  man  am 
Vormittage  des  Johannistages  den  Latzmann  im  Dorfe 
sehen.  Dieser  Latzmann  (der  faule  Mann  von  ahd.  laz  träge/ 
weil  wahrscheinlich  ehedem  derjenige  den  Latzman  spielen  mußte, 
der  zuletzt  aus  dem  Bette  gekommen  war)  ist  ein  Knabe,  der 
unsichtbar  aus  einem  aus  Stangen  und  Latten  zusammengenagel- 
ten^ Gestell,  welches  völlig  mit  Tannenreisem  verkleidet  ist, 
herumgeht  Er  hat  eine  Glocke  bei  sich  drin  nnd  schellt, 
während  er  geht.  Sein  Gefolge  besteht  aus  einer  ganzen  Anzahl 
charaeteristisch  herausgeputzter  Personen,  einem  Läufer  mit  rot- 
bebänderter  Peitsche,  einem  Oberst  mit  GfGziershut  und  Säbel, 
dazu  kommen  der  Trabant,  der  Hanswurstl,  der  Metzgerbnrsch, 
der  Schmalzhaf,  der  Mehlsack,  der  Eierkrätt,  der  Engel,  der 
Teufel,  die  Hexe,  das  Bäuerlein,  das  Bttntelein  und  zuletzt  der 
Doctor.  Jede  dieser  Personen  sagt  vor  den  einzelnen  Häusern 
einen  Spruch  her.  In  Sauggart  geht  der  Latzmann  schon  am 
zweiten  Pfingsttag  mit  seinem  Gefolge  umher.  Hier  ist  es  aber 
ein  vom  Kopf  bis  zu  den  Füßen  in  Stroh  gehüllter  Bursche ,  den 
Schulbuben  mit  Strohseilen  hoben  und  drüben  fahren.^ 

Wir  machen  eine  kurze  Rast,  um  schon  jetzt  wieder  aus 
den  mitgeteilten  Traditionen  die  bedeutsamen  Züge  hervorzuheben 
und,  soweit  es  bis  dahin  schon  geschehen  kann,  zu  erläutern. 
Die  Figur,  welche  unter  dem  Namen  grüner  Georg,  le  fouilW, 
Laabmännchen ,    Laubpuppe,  Pfingstl,  Pfingstnickel ,  Pfingstlüm- 


1)  Kahn ,  Nordd.  Sag.  382 ,  63. 

2)  Kuhn  a.  a.  0.  385 ,  67. 

3)  Birlinger^  Wörterbüchlein  znm  Volkstümlichen  ans  Schwaben.   Frei- 
bnrg  i.  Br.  1862.    S.  57. 

4)  Birlinger,  Yolkstüml.  a.  Schwaben  II.   S.  114, 144  ff.  120, 145. 


^26  Kapitel  IV.    Batungeister  als  VogetationBdtoonen : 

inel;  Pfingstbutz,  Küdemest,  Schnak,  Latzmann  n.  s.  w.  zn 
St.  Georg,  Maitag,  Pfingsten  oder  St.  Johannis  von  Haus  zu 
Haas  geftlhrt  wird,  ist  entweder  in  ein  mit  Laub  and  Blumen 
umwickeltes  Reisei^stell  (Jack  in  green,  Pfinggthütte,  Latzmann) 
versteckt,  oder  unmittelbar  in  Baumzweige,  Wald-  und  Wiesen- 
blumen gehüllt.  Sein  Gesicht  deckt  zuweilen  (Pfingstlümmel  in 
Schwaben)  eine  Maske  aus  Baumrinden.  Er  soll  also  den 
im  Baume  hausenden  Geist  darstellen ;  denselben  Gedanken  drückt 
die  hessische  Ceremonie  aus,  den  letzten,  der  auf  der  Pfingst- 
weide  ankam,  mit  der  Kehrseite  gegen  einen  Baum  zu  rennen; 
er  wird,  als  mit  dem  Baomgeiste  identisch  bezeichnet  Diese 
Identität  drückt  auch  noch  ein  anderer  Umstand  aus.  In  Wahr- 
stedt  bei  Oebisfelde  wird  zu  Pfingsten  gelost,  wer  Füstge  Maier 
(o.  S.  324)  sein  soll.  Das  den  Füstge  Maier  anzeigende  Loos  ist 
dadurch. besonders  kenntlich,  daß  derStab  geschält 
und  die  Rinde  nachher  in  Schlangenlinien  darum 
gewickelt  ist^'  gradeso,wie  der  Maibaum  in  Ringeln 
geschält  ist.'  Oft  bilden  nur  Feldblumen  (Pfriemkraut),  Kraut 
(Farrenkraut)  oder  Stroh  die  UmhtUlung;  danach  heißt  der 
Pfingstl  im  Nassauischen  Schnak,  in  der  Altmark  zuweilen 
der  bunte  Junge.®  Diese  Verkleidung  und  die  noch  häufigere 
Mischung  von  Laub  und  Blumen  erweisen  deutlich,  daß  nicht 
allein  der  in  den  Bäumen,  sondern  auch  der  in  Wald  und  Feld- 
kräutem  lebendige  Genius  gemeint  sei.  Einen  Versuch,  die 
geisterhafte  Natur  dieses  Wesens  anzudeuten,  iianden  wir  in  der 
Schwärzung  mit  Ruß,  welche  einige  Beispiele  aufweisen  (o.  S.  822) 
Pfitngstlümmel ,  Kudemest,  Schnak  und  Latzmaim  sind  sämmtlich 
mit  einer  oder  mehreren  Glocken  oder  Sohellen  ausgerüstet, 
welche  ans  Bein  gebunden,  in  der  Hand  getragen,  um  den  gan- 
zen Körper  gehängt  werden.  Ich  halte  dazu,  daß  in  den 
Weihnachtsgebräuchen  der  bescheerende  heil.  Christ  darch  ein 
geheimnißvoUes  Geklingel  mit  feinem  Glöokchen  seine  Ankunft 
verrät  und  daher  Klinggeest   (der  klingende  Geist)  benannt 


1)  Kuhn,  Nordd.  Sag.  383,63. 

2)  Vgl.  0.  S.  169.  172.  177  und  vielfach  sonst  Z.B.  in  Belgien,  „tont 
autour  de  Tarbre  une  longue  raie,  qui  de  loin  ressemble  a  un  bean  et  large 
ruban"  Coremans,  Fannee  Belgique  p.  137. 

3)  Kahn ,  m&rk.  Sagen  S.  317. 


LaabeiBkleidiiDg.    Regentn&dchen.  327 

wurde. ^  und  daft  St  l^iklaB,  Knecht  Ruprecht;  Pekmärte  u.  s.  w. 
mit  Schellen  behängen  auftreten.'  Wir  werden  später  auch  in 
dieser  bald  Klas,  bald  Ruprecht,  oder  Märten  benannten  Figur 
eine  besondere  Form  des  Yegetationsdämons  kennen  lernen.  Auch 
im  deutschen  und  englischen  Fastnachtbrauch  trägt  der  den 
hahngestaltigen  Dämon  des  Getreides  darstellende  Mensch  eine 
0 locke  auf  dem  Rttcken.  Ich  schlief  daher,  daß  Glocke  oder 
Schelle  zur  ursprünglichen  Darstellung  des  Wachstumsgeistes 
gehörten  und  eine  notwendige  Seite  seines  Wesens  andeuten 
soUten.  Zur  £ri:lärung  kommt  mir  die  feine  Beobachtung  Edw. 
Tylors  in  den  Simi,  daß  Naturvölker  den  Abgeschiedenen  oder 
Gespenstern,  Summen,  Schwirren,  Pfeifen,  Qniken  oder  Zirpen 
gleichsam  den  Geist  einer  Stinmie  als  Sprache  zuschreiben  ^  und 
ebendahin  schlägt  ein,  daß  die  Erscheinung  der  Gespenster  sich 
so  häufig  durch  Kettengerassel  anktlndigt.  Sollte  nicht  die  Glocke 
die  geisterhafte  Stimme  des  Vegetationsdämons  auszudrtlcken 
bestimmt  gewesen  sein?  Die  Umfahrt  des  Pfingstltimmels  auf  2 
Pfluggestellen  und  die  Drohung  mit  der  Uni'ruchtbarkeit  der  Htlh- 
ner ,  der  "Wiesen  und  des  Komackers  ttber  die  Verächter  des 
Kudemestes  bewährt;  daß  man  von  dem  Umgange  ganz  ernstlich 
eine  segnende  Einwirkung  auf  Haustiere,  Heuertrag  und 
Ackerfrucht  erwartete  (vgl.  S.  312). 

§.  4.  LanbumUeldiuig.  Regenmädehen.  Eine  besondere 
Betrachtung  verdient  die  Wasserbegießung  oder  die  Eintauchung 
in  Bach  oder  Teich ,  welcher  wir  das  Laubmännchen ,  den  Pfingstl 


1)  S.  Handelmann,  Weihnachten  in  Schleswig- Holstein  S.  19.  Schätze, 
IdiotUcon  I,  10.  II,  17.  In  Hamburg  hing  ein  großer  Junge  ein  Bettlaken 
um  und  strich  die  Treppen  auf  und  nieder  mit  feinen  Gldckohen  und  Schel» 
kn  klingelud.  —  Nicht  hieher  zu  wichen  ist  der  Schellenmoritz  des  Lette* 
witzer  Pfingsturogangs ,  denn  dieser  heißt  nach  dem  h.  Mauritius,  dessen 
1411  verfertigtes  Steinbild  in  der  Moritzkirche  zu  Halle  nach  der  Sitte  jener 
Zeit  am  Gürtel  mit  Schellen  und  Kettchen  behangen  steht. 

2)  Vgl.  den  Beim  aus  Friedrichstadt  a.  Eider:  St.  Niklasäwen,  denn  geit 
wi  na  haben,  denn  klingelt  de'klokken,  denn  danzen  de  poppen  u.  s.  w. 

Im  Danziger  Werder:  Heiige  Krist  du  göde  mann,  treck  diu  besten  tab- 
bertan,  komm  vcer  onse  deer,  kling  er  ons  wat  veer.  —  Im  Bemsthal  in 
Würtemberg  hält  in  der  Adventezeit,  sonst  in  Schwaben  am  Weihnachtsabend 
der  Pelzmärte  seinen  Umzug;  er  trägt  eine  alte  Schelle  (und  einen  Koch- 
hafen) Meier,  Sagen  S.460, 1%.  465,  214. 

3)  Urgeschichte  der  Menschheit  I,  446. 


328  Kapitel  IV.    Baomgeister  als  yegetattonsdamonen: 

unterworfen  sahen.  Denn  dies  stimmt  genau  dazu,  daA  jener 
mit  weiblichen  Gewändern  bekleidete  Baum  bei  den  Russen  (o. 
S.  157)  am  Trinitatisfeste;  im  Voigtlande  zu  St  J(diannis  der 
Maibaom  und  der  Johannes  (o.  S.  170),  in  Kämthen  am  Maitag 
der  grflne  Georg  (o.  S.  313)  ins  Wasser  geworfen,  in  der 
Grafschaft  Mark  die  mit  dem  Mai  umgehende  Compagnie  der 
Pfingstknechte  oder  Maienknechte  mit  Wasser  besprengt  (o.  S.  162), 
in  Polen,  Schlesien  und  Siebenbirgen  das  Mädchen,  welches  zu 
Ostern  die  Frtthmette  verschlafen  hat  [d.  h.  zuletzt  erwacht  ist, 
wie  der  Pfingstlfimmel,  Pfingstschlftfer  u.  s.  w.  o.  S.  321]  gewalt- 
sam gebadet,  resp.,  damit  der  Hanf  gut  wachse,  benetzt, 
bei  der  Ernte  der  Träger  des  Emtemais ,  resp.  dieser  selbst  oder 
die  letzte  Garbe  begossen  wird  (o.  S.  214).  Wir  wissen  bereits, 
daß  diese  Ceremonie  ein  Regenzauber  war ,  woftir  sttdeuropäische 
Bräuche,  die  schon  J.  Grimm  teilweise  angezogen  hat  (myth.* 
561)  den  vollständigen  Beweis  liefern.  Wir  vermögen  von  dem 
gewonnenen  Standpunkte  aus  etwas  tiefer  in  ihre  Bedeutung  ein- 
zudringen. Nach  Dr.  Theod.  Kind,  in  seiner  Sammlung  nei^rie- 
chischer  Volkslieder.  Lpz.  1833  S.  13  wählen  die  Kinder  auf 
Dörfern  und  in  kleinen  Städten  in  Griechenland,  wenn  über 
vierzehn  bis  zwanzig  Tage  anhaltende  Dürre  und  Trockenheit 
herrschte,  unter  sich  eines,  am  liebsten  ein  Waisenkind,  weil 
Gk>tt  die  Bitten  der  Armen  und  Waisen  besonders  erhöre.  Dieses 
Kind  wird  mit  Kräutern  und  Blumen  des  Feldes  vom  Kopfe  bis 
zu  den  Fußen  geschmückt  und  verhüiU,  ncLchdem  es  vorher  bis 
auf  die  bloße  Haut  entkleidet  worden  ist;  man  nennt  es  llvQ/rrp 
Qovva,  Die  andern  Kinder  dehen  mit  ihm  von  Haus  zu  Haas 
und  singen  das  nachfolgende  Lied.  Je^er  Hausherr  und  jede 
Hausfrau  müssen  der  UvqnrjQnvva  einen  Para  (Vj  Pfenning)  geben, 
und  ein  Fäßehen  Wasser  über  ihr  Haupt  ausgießen.  Das  Lied 
lautet : 

PyrpüruDa  geht  umher, 
Betet,  fleht  zu  Gott  dem  Herrn ; 
Einen  Regen  gieb'  nne,  Gott, 
Einen  Regen,  fmohtbar  sanft. 
Daß  da  keimen,  daß  da  bltlhen 
Und  anf  daß  die  Welt  bereichem 
Des  Getreides  grüne  Saaten 
Und  der  Baumwoll'  teure  Pflanzen, 
und  die  frischen  duftgen  Kräuter! 


Laabeittkleidang.    RegcDmädcben.  329 

Wasser  PÜMzen,  Pföteen  hoch, 
ÜDd  ein  Haufen,  Haufen  Frucht I 
Bring'  ein  Malter  jede  Aehr'; 
Jeder  Weinstock  eine  Last, 
Trauben  eine  Wanne  voll!* 

Die  Kumänen  in  der  Gegend  von  Mediasch  (Siebenbirgen) 
ziehen  bei  Begenmangel  einem  kleinen  unter  zehn  Jahren  stehen- 
den Mädchen  ein  aus  Kräutern  und  Blumen  zusammengesetztes 
Hemde  an  und  alle  Altersgenossen  folgen  der  kleinen  yermum- 
ten^  Papaluga  genannten  Person,  tanzend  und  singend: 

Papaluga  steig  in  den  Himmel» 
Oeffne  seine  Türen» 
Sende  von  oben  Begen  herab, 
Daß  gut  wachse  der  Hoggen. 

Dem  Zuge  wird,  wohin  er  kommt,  von  den  Weibern  kaltes 
Wasser  über  die  Köpfe  gegossen,*  Die  Bulgaren  kleiden  bei 
Dtlrre  ein  Mädchen  in  Nußbaumzweige,  Blumen,  Bohnen-,  Kar- 
toffel- und  Zwiebelkraut  und  geben  ihr  in  die  Hände  einen  Blu- 
menstrauß. Sie  nennen  sie  Djuldjul  oder  Peperuga;  mit  letz- 
terem Worte  bezeichnen  sie  nicht  allein  das  Mädchen,  sondern 
auch  den  ihr  angeblich  inne  wohnenden  Geist,  ähnlich  wie  serb. 
vieätiza  zugleich  die  Hexe  und  ihre  in  Gestalt  des  Schmetter- 
lings zuweilen  den  Körper  verlassende  Seele  bezeichnet.  Die 
Peperuga  geht  in  Begleitung  eines  großen  Gefolges  zu  den  Häu- 
sern umher;  der  Hauswirt  empfängt  sie  mit  einem  Kessel  voll 
Wasser,  auf  dessen  Oberfläche  hineingeworfene  Blu- 
men schwimmen,  und  begießt  den  erwünschten  Gast  damit 
beim  Gesänge  folgenden  Liedes: 

Es  flog  die  Peperuga; 

Gieb  Gott  Regen, 

Daß  gedeihen  möge  das  Korn,  die  Hirse,  der  Weizen. 

(Var.  Flachs  bis  zum  GOrtel)."     In  Dalmatien  tritt  an  die  Stelle 
des  Mädchens    ein  junger  unverheirateter  Mann,    der  im  Laub- 


1)  Cf.  auch  Firmenicb  TQcyonhu  Pwfjimxa.    Tbl.  II,  S.  163  und  Grimm 
Myth.«  561. 

,^  2)  W.  Schmidt,  das  Jahr  und  seine  Tage  in  Meinung  und  Brauch  der 
Bomftnen  Siebenbirgens.  Hermannstadt  1866.  S.  17.  Anton,  Versuch  ttber 
die  Slaven  I,  73. 

3)  Afanafiie£f,  poet.  Naturanschauungen  II,  S.  176. 


390  Kapitel  lY.    Baomgeifiter  als  Vegetatioiifid&moneii: 

schmuck  tanzt,  er  heiflt  Pripats  und  seine  (refährten  Prpo- 
rushe.  Potebnia  und  Afanasieff  erkennen  wol  mit  Recht  in  den 
Namen  sttdsl.  PrporuSa,  prprruäa^  bulg.  peperuga,  preperuga, 
griech.  rivQni^Qovra,  wal.  papaluga  durch  den  Uebergang  von  r 
zu  1  vermittelte  Varianten  einer  und  derselben  reduplizierten 
Form,  ob  aber  in  russ.  priskat  spritzen,  czech.  prSeti  regnen  das 
Etymon  stecke,*  mögen  die  Slavisten  entscheiden.  Dem  bulga- 
rischen Djuldjul  entspricht  der  serbische  Name  Dodola  fttr  das 
nackt  ausgezogene,  vom  Scheitel  bis  zur  Zehe,  sogar  im 
Gesichte  mit  Gras,  Kräutern,  Blumen  verhüllte  Mädchen, 
das  inmitten  eines  Reigens  von  anderen  Jungfrauen  stehend  vor 
jedem  Hause  in  einem  fort  sich  umdreht  und  tanzt,  indeß  der 
Ring  eines  der  sogenannten  Dodolalieder  singt  und  die  Hausfrau 
eine  Mulde  Wasser  über  es  ausschttttet  Jeder  Zeile  des 
Liedes  wird  der  Ausruf:  „Oj  dodo!  oj  dodo!"  eingeschaltet 
Zu  dem  von  Grimm  Myth.'  561  angeftlhrten  Liede  ftlge  ich  hier 
ein  zweites: 

Wir  gehen  d;urch  das  Dorf, 

Die  Wolken  gehen  am  Himmel; 

Wir  gehen  schneller, 

Schneller  gehen  die  Wolken; 

Sie  haben  uns  überholt 

Und  das  Korn  benetzt  and  den  Weinstock. 

oder  Wir  gehen  dnrch  das  Dorf, 

Die  Wolken  gehen  am  Himmel; 
Aus  den  Wolken  fiel  ein  Bing, 
Ihn  ergriff  die  Ohorfübrerin. 

Bei  Burkhard  von  Worms  (f  1024)  findet  sich  bei  zwanzig 
Tagen  Kirchenbuße  mit  Wasser  und  Brod  ein  verwandter  Regen- 
zauber verboten,  der,  wie  es  scheint,  im  Anfange  des  11.  Jahrh. 
aus  lebendiger  Erfahrung  in  Hessen  oder  am  Rhein  geschöpft 
ist.*  Bei  großer  Trockenheit  entkleideten  Jungfrauen  ein  kleines 
Mädchen,  tUhrten  sie  nackt,  wie  sie  war,  vor  das  Dorf  zu  einer 
Stelle,  wo  Bilsenkraut  (belisa)  wuchs,  und  hießen  sie  mit  dem 
kleinen  Finger  der  rechten  Hand  dasselbe  sammt  der  Wurzel 
ausreißen,  sodann  an  den  kleinen  Zeh  ihres  rechten  Fußes  bin- 


1)  Afanasieff  a.  a.  0.  177. 

2)  S.  Friedberg,  aus  deutschen  Bußbüchem.     Halle  1868.    S.  81.  101. 
Grimm  Myth.'  560. 


Lanbeinkleidung.    RegenmftdcheH.  331 

den.  so  ^aß  es  hinter  ihr  nachsehleppte.  Jede  Jungfrau  hatte 
eine  Rute  in  Händen.  Sie  Aihrten  das  Regenmädehen  in  den 
nächsten  FluB  hinein,  besprengten  sie  vermöge  der  Ruten 
mit  der  Flut  desselben  und  sangen  Besehwörungen  (inean- 
tationes),  um  Regen  zu  erlangen.  Endlich  fllhrten  sie  jene  nach 
Art  des  Krebses  rückwärts  schreitend  vom  Flusse  zum  Dorfe 
zurück.'  Eine  Ueberschau  der  zusammengestellten  slavischen 
Brauche;  im  Vergleich  mit  den  deutschen  vom  Pfingstl  u.  s.  w. 
begründet  die  Ueberzeugung,  daß  die  Pyrpiruna,  (Papaluga, 
Pepemga^  Dodola)  eine  Darstellung  des  als  weiblich  vorgestell- 
ten Vegetationsgenius,  eine  möglichst  concret  gedachte  Personi- 
fication  des  Pflanzenwuchses  selbst  sein  sollte ,  auf  die  man  durch 
die  Wasserbegießung  oder  Wassereintauchung  den  Regen  herab-, 
locken  wollte.  Als  derartige  Darstellung  eines  Geistes  charsfete- 
risiert  sie  auch  die  Anrufung  des  rumänischen  und  bulgarischen 
Liedes,  daß  Papaluga  in  den  Himmel  steigen  möge,  seine  Pfor- 
ten zu  öffnen ,  Peperuga  fliege.  Daß  die  Darstellerin  jeder  Klei- 
dung sich  entäußert,  bevor  an  ihren  Leib  sich  eng  und  dicht  die 
Laubhülle  anschließt,  sollte  ausdrücken,  daß  letztere  nicht  nur 
ein  vertauschbares  Gewand,  sondern  ein  Zubehör  ihres  Wesens, 
gleichsam  ihre  Haut  ausmache;  so  nur  mochte  die  Maske  geeig- 
net erscheinen  die  im  Innern  der  Pflanzenwelt  wirksame  Seele 
zu  vergegenwärtigen.  Fein  ist  der  Zug  des  bulgarischen 
Brauches,  in  das  zum  Begießen  gebrauchte  Wasser  Blumen  zu 
mischen,  denn  solche  sollen  ja  der  Erfolg  des  durch  die  Gere- 
monie  herbeizuzaubemden  Regens  sein.  In  Rußland,  im  Gouver- 
nement Kursk  ergreifen  bei  langer  Dürre  die  Weiber  einen  Vor- 
übergehenden und  werfen  ihn  in  den  Fluß,  oder  begießen  ihn 
von  Kopf  bis  zu  Füßen, ^  und  in  Tirol  (Bui^eis)  werden  in  glei- 
cher Weise  am  ersten  Mai  Mädchen,  die  sich  auf  dem  Wege 
zeigen,  von  den  Burschen  eingefangen  und  begossen  oder  ins 
Nasser  gestellt.*  Wir  werden  später  aus  unwiderleglichen  Bewei- 
sen ersehen,  daß  am  Erntefelde,  dem  Orte  des  Maitestes  u.  s.  w. 


1)  Burchard.  Worm.  Cannon.  LXIX   Col.  1548  S.  201»»     Grimm  myth.» 
XL.  Bibl.  patr.  ed.  Migne  CXL.   Paris  1853.  p.  974. 

2)  Afanasieff  II,  174.    In  einigen  Dörfern  hielt  man  es  nach  den  Gebe* 
ten  gegen  die  Dürre  für  nötige  den  Popen  ausznbaden. 

8)  Zingerle,   Tiroler   Sitten:   Aufl.  2.  .S.  154,  1309.     Zs.  f.  D.   Myth. 
n,  360. 


332  Kapitel  IV.    Bamngeiater  als  VegctatioDsdämoneii: 

vorttbergehende  unbekannte  Fremde  fllr  Ersoheintingen  des  Vege- 
iationsdämons  angesehen  und  als  solche  behandelt  wurden.  Ver- 
blauter ist  die  Sitte  dort,  wo  der  erste  ans  dem  Felde  znrttok- 
kehrende  Pflug  sammt  dem  Zugvieh  und  dem  Ackersmaim  von 
den  Frauen  and  Mädehen,  die  dies  als  ein  Beoht  in  Anspruch 
nehmen,  mit  einem  tttchtigen  WasserguB  durchnäBt  wird.^  Wie 
Schmackostem  und  WasserguA  (o.  S.  259)  gehört  dieses  Begießen 
des  Pfluges  und  das  hessische  Auspeitschen  der  Mädchen  (Flöh- 
ausklopfen 0.  S.  268)  zusammen.  Ebenso  wird  aber  von  den 
Weibern  der  Hirte,  der  zum  erstenmale  im  Frtlhjahr  auf  die 
Weide  treibt,  von  den  Männern  die  Magd,  welche  zum  ersten- 
male im  Garten  gegraben,  oder  die  erste  Last  Gras  nach  Hause 
getragen  hat,  besprengt,  begossen,  oder  in  einen  Bach  gefllhrt 
und  gebadet  Alles  dieses  geschieht ,  damit  das  Kraut  im  Garten, 
das  Gras  auf  der  Weide ,  das  Korn  auf  dem  Acker  gut  wachse 
und  gedeihe,  im  Sommer  kein  Ungeziefer  (Mttcken,  Flöhe  u.dgl.) 
die  Begossenen  plage ,  d.  h.  nach  unserer  o.  S.  280  gegebenen 
Erklärung  die  Krankheitsgeister  von  ihnen  weichen.  In  West-, 
fftlen  (Wittgenstein),  beschütteten  noch  vor  50  Jahren  Knechte 
und  Mägde  am  Fastnaehttage ,  ja  sogar  die  Schulkinder  sich 
gegenseitig  eimerweise  mit  Wasser;'  in  Schlesien  schleppte  man 
dann  die  Mädchen  Nachts  aus  dem  Bette  an  den  Brunnen. 
Ich  erwähne  diese  in  Deutschland  weit  verbreiteten  Gebräuche 
nur,  ohne  hier  ihre  Verbreitung  und  ihre  mannigfachen  Spiel- 
arten im  einzelnen  darzulegen.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  ver- 
knüpfen sie  die  Erinnerung  an  den  persönlichen  Vegetations- 
dämon  mit  derjenigen  Person,  welche  durch  ihre  Arbeit  im  Früh- 
jahr zuerst  mit  der  Vegetation  in  Acker  und  Wiese  in  Berührung 
kommt,  den  Geist  derselben  gleichsam  an  sich  genommen  hat' 
Die  zuletzt  erwähnte  westfälische  und  schlesische  Form  des 
Brauches   erklärt  sich,  wie  das  Schmackostem,  aus  dem  sym- 


1)  In  ganz  Hessen  (Mülhause  S.  130);  in  Westfalen  (Kuhn,  W.  Sag. 
II,  153,  428);  Henneberg  (Zs.  f.  D.  A.  IH,  361,  9). 

2)  Kuhn ,  Westf.  Sag.  II,  129,  389. 

3)  Grade  so  wird  bei  der  Ernte  der  mit  dem  Schneiden  der 
letzten  Halme  oder  mit  demBinden  der  letzten  Garbe  beschäf- 
tigte Arbeiter  (resp.  Arbeiterin)  mit  dem  im  Korne  hausenden 
Yegetationsdämon  identifiziert  und  deshalb,  wie  dieser  der 
die)  Alte,  Wolf,  Hahn  u.  s.  w.  genannt 


LanbeinkleiduDg.     Der  wilde  Mann.  333 

padiiflchen  ParallelismuB  des  Menschen  -  and  Pflanzenlebens.  Das 
Alter  dieser  Sitten  erweist  u.  a.  schon  die  ans  Burkhard  ausge- 
hobene Stelle;  auch  in  einem  Erfurter  Zuchtbriefe  v.  Jahre  1351 
findet  sich  die  folgende  Bestimmung:  Das  niemant  den 
andern  in  das  waszer  trage.  Unser  bem  verbieten  auch^ 
das  niemant  ^xl  Ostern,  zu  Pfingsten,  noch  zu  einer 
andern  zeit  den  andern  in  das  waszer  tragen  oder 
werffen  soll,  als  dicke  sei  er  X  Schillinge  geben,  vermag  er 
des  geldes  nicht,  so  sal  er  seyn  buess  leyden  in  dem  stocke/^ ^ 
Daß  die  Aufpflanznng  des  Maibaums,  oder  der  Pfingsthtltte  (o. 
S.  323)  auf  dem  Brunnenrande  nur  eine  abgeschwächte  Form  der 
WasserbegieBung  ist,  wird  jedem  Leser  klar  sein. 

§.'5.  LanbeinUeldung.  Der  wilde  Mann.  Doch  genug 
der  Abschweifang ,  zu  der  uns  die  Betrachtung  einer  einzelnen 
traditionellen  Handlung  in  dem  Umgange  des  Laubmanns  oder 
Pfingstlttmmels  am  Maitag  oder  Pfingsttag  Veranlassung  gab. 
Wir  nehmen  jetzt  den  durch  die  Begengebräuche  unterbrochenen 
Faden  wieder  auf.  Dem  aufmerksamen  Beobachter  kann  es 
schwerlich  entgangen  sein,  wie  sehr  der  durch  Laubeinkleidnng 
dargestellte  Vegetationsdämon  des  Volksbrauchs  den  in  einem 
früheren  Abschnitt  behandelten  Gestalten  der  Volkssage,  den 
Moosleuten  und  dem  wilden  Manne  (Körglein  u.  s.  w.)  entspreche, 
der  im  Frtthlinge  oder  Herbste  erscheinen  und  den  Bauern  die 
Zeit  der  Aussaat  verkündigen  soll  o.  S.  111.  Noch  schlagender 
tritt  diese  Ueberelnstimmung  in  einer  bestimmten  Spielart  der 
behandelten  Gebräudie  hervor,  in  denen  auch  der  Name  des 
Pfingsd  u.  s.  w.  mit  demjenigen  des  vrilden  Mannes  vertauscht 
ist  Im  Etschlande,  Ulten  und  Vintschgau  wurde  im  vorigen 
Jahrhundert  noch  allgemein  an  jedem  Donnerstage  vor  Fastnacht 
von  den  Schulkindern  das  Wildemannspiel  aufgeiUhrt.' 
Zingerle  hat  nach  der  Erzählung  einer  alten  Magd  den  Hergang 
dieses  Spieles  zu  Marling  bei  Meran  verzeichnet  Festlich  geklei- 
det und  mit  weißen  Schürzen  angetan  gingen  die  Schulmädchen 
in  den  Wald  gegen  St  Felix ,  wo  eine  Höhle  war ,  und  suchten 
nach  dem  wilden  Mann ,  bis  sie  ihn  fanden.    Es  war  ein  Bursche, 


1)  Mittheil,  des  thüring.  -  sächs.  Altertamsvereins  VII,  H.  2, 125. 

2)  Zingerle,  Sitten,  Branche  n.  Meinungen.-  Anfl.  2.    Innsbruck  1871. 
S.  134,  1192. 


334  Kapitel  IV.     B&QmgeiBter  als  Vegetationsdämonen : 

d-essen  Kleid  nur  ans  Baumbart  und  Haaren  bestand; 
sein  Gesicht  schien  mit  Bart  und  Moos  so  ttberwaebsen,  daß 
man  nur  die  Augen  sah.  Als  Schmuck  führte  er  Ketten  yon 
Sohneekenschalen y  die  laut  rasselten,  wenn  er  aufsprang,  oder 
sich  sonst  bewegte  (vgl.  o.  S.  326).  In  seiner  Rechten  führte 
er  einen  jungen  Baum  statt  eines  Stockes  (o.  S.  97). 
Der  wilde  Mann  hatte  immer  zwei  Junge  bei  sich,  die  ebenso 
wie  ihr  Vater  gekleidet  waren,  und  aus  der  Höhle  herausgeholt 
werden  mußten.  Sie  waren  gar  munter  und  sahen  wie  Aeffch^ 
aus.  Wenn  man  aller  drei  habhaft  war,  wurden  sie  von  den 
singenden  Mädchen  mit  roten  Seidenbändem  gebunden  und  ins 
Dorf  geführt ,  wct  der  wilde  Mann  allerlei  Spaße  machte.  Sehließ- 
lich  wurden  sämmtUche  Kinder  und  die  drei  Wilden  mit  Wein, 
Brod,  Käse  und  Obst  bewirtet.  In  Folge  der  rationalistischen 
Richtung  wurde  dieses  Spiel  unter  Kaiser  Joseph  abgestellt;  ia 
einzelnen  Gegenden  ist  es  später  erneut,  aber  in  modernisierter 
Fassung.  Ein  ergötzliches  Beispiel  einer  solchen  allegorischen 
Umdeutung  bietet  ein  von  Zingerle  aufgefundener  Text  der  Auf- 
fllhrung  des  Wildemannspiels  zu  Burgeis  im  Vintschgan  aus  dem 
Jahre  1829.^  Erkennen  wir  im  Wildemannspiel  mit  Recht  eine 
Darstellung  des  Frühlingseinzuges,  so  wtirde  dandt  nicht  im 
Widerspruche  stehen,  daß  zur  nämlichen  Jahreszeit,  d.  h.  am 
Fastnachttage  zu  NtLmberg  in  dem  das  Frtthlingsfest  feiern- 
den Aufzüge  der  Metzger,  dem  sogenannten  Schönbartlaufen' 
unter  andern  Mummereien  auch  ein  wilder  Mann  und  ein 
wildes  Weib  auftraten.'  Zwar,  in  der  ältesten  Zeit  yon 
1350 — 1464^  wird  noch  kein  wilder  Mann  erwähnt.  Dagegen 
kommen  der  wilde  Mann  und  die  wilde  Frau  in  den  Jahren 
1521,  1524  und  beim  letzten  Sohönbart  1539  vor.  „Bei  diesem 
Schönbartlaufen  (1539)  fanden  sich  auch  schöne  und  wolgezierte 
Holzmannlein  und  Holzfräulein,  deren  Führer  warw^lbert 
Scheury  Bei  dem  wilden  Manne  liest  man  in  den 
Scfaönbartbttchem  folgende  Reimen: 


1)  Zisfi^erle  in  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  u.  Sittenk.  UI,  200ff. 

2)  S.  MüUenhoff  über  den  Schwerttanz  S.  11.  36. 

3)  Vgl.   Kleine  Geschichte    des  Nürnberger  Schönbartlanfens.     Altdorf 
1761.    S.  10.   Panaer,  Beitr.  11,248. 

4)  Vgl.  Maxim.  Mayer,  Nürnberg.  Schembartbach.    Erstes  Heft.  Nürn- 
berg 1803.  . 


LaabeiDkleidnng.    Der  wilde  Mann.  385 

In  eines  wilden  Mannes  Qstalt  ifih 
Bei  dem  Schönbart  ließ  finden  mich. 

Bei  dem  wilden  Weibe: 

Die  weil  mein  Mann  sich  macht  auf  d'  Straßen 
Will  ich  ihm  folgen  gleichermaßen.^ 

Gehörten  hiernach  die  beiden  Figuren  wol  nicht  ursprünglicb 
und  notwendig  zum  Nttmberger  Fastnachtaufznge ,  so  mögen  sie 
aus  dem  Fastnachtbrauche  ein^s  anders  Ortes  hergeholt  und  dem 
Tanze  der  Metzger  nachträglich  einverleibt  sein.  So  tanzt  z.  B. 
am  ersten  Fastnachtsonntag  (Invocavit)  in  Basel  bei  dem  soge- 
nannten Morgenstreich  neben  andern  Masken  ein  wilder  Mann 
mit  einem  entwurzelten  Baume  in  der  Hand^  und  Laub  um 
Haupt  und  Lenden  gewunden.  Zu  B^ziers  in  Langued'oc  fand 
vor  1793  alljährlich  am  Himmelfahrtstage  die  promenade  du 
chameau  statt.  Ein  künstliches  Eameel,  das  ein  in~^der  Maske 
steckender  Mann  bewegte,  wurde  durch  die  Stadt  geführt  Die 
städtischen  Behörden  und  die  ZUnile  schritten  dem  Zuge  vorauf^ 
dem  Kameele  folgte  ein  mit  grtlnen  Büschen  zu  einer  Laube 
gestalteter  Wagen,  den  mit  blauen  Bändern  geschmückte  Mäuler 
zogen.  Eine  Anzahl  wilder  Männer,  d.  h.  in  Blumen  und 
grüne  Baumzweige  gehüllte  Personen  schlössen  die  Pro- 
zession, die  nach  Beendigung  des  Umzuges  durch  die  Stadt  vor 
der  Kathedrale  vom  Domkapitel  empfangen  an  der  Kapelle  der 
blauen  Büßer  mit  einer  Brodspende  an  die  Armen  endigte.' 
Näher  zu  der  Tiroler  Sitte  stellt  sich  der  Pfingstbrauch  thürin- 
gischer Orte.  Mit  mannichfachen  Abweichungen,  sagt  Sommer, 
erscheint  zu  PlSngsten  das  Spiel:  „den  wilden  Mann  aus  dem 
Busche  jagen,^'  oder,  den  wilden  Mann  aus  dem  Holze 
holen.  Die  gewöhnlichste  Form  ist  folgende:  Ein  Bursphe  wird 
in  Laub  und  Moos  gehüllt  und  heißt:  „der  wilde  Mann.''  „Er 
yersteckt  sich  im  Walde.''  Die  übrigen  Burschen  des  Dorfes 
ziehen  ans  ihn  zu  suchen,  finden  ihn,  tlihren  ihn  als  Gefangenen 
aus  dem  Walde  und  schießen  draußen  mit  blindgeladenen  Geweh- 
ren nach  ihm.  Er  fällt  wie  todt  zu  Boden,  wird  aber 
wieder  ins  Leben  gebracht.    Dann  jubeln  die  andern,  setzen 

1)  Ntkniberg.  Schönbaft-Bnch  und  Gesellen -Siechen.    Aus  einem  alten 
Mannacript  zum  Dmck  befördert  1764.   S.  47. 

2)  S.  die  Beschreibnng  von  M.  Pfaunptre  in  Hones  Every  Daybook  IJ, 
921.    Vgl.  De  Nore,  eoatnmes,  mythes  et  traditiona  p.  74. 


3d6  Kapitel  IV.    Baumgeister  als  Yegetationsdämonen : 

ihn  auf  den  Wagen ,  binden  ihn  fest  nnd  nun  fahren  sie  ins  Dorf 
und  erzählen  der  versammelten  Gemeinde^  wie  sie  den  wilden 
Mann  gefangen  haben  and  vor  jedem  Hanse  erhalten  sie  ein 
Geschenk.  Offenbar  eine  jüngere  Form  dieser  Sitte  ist  diejenige, 
wonach  der  wilde  Mann  nicht  in  Laub  und  Moos  gekleidet^  son- 
dern mit  Farben  bunt  bemalt  wird.  An  einigen  Orten  heißt 
das  Spiel:  ,,den  Teufel  aus  dem  Busch  holen/'  Dann  ist  der 
Gesuchte  von  oben  bis  unten  mit  Ruß  geschwärzt  [der 
Name  Teufel  entstand  nur  aus  dem  rußigen  Aussehen  des  wil- 
den Mannes.  Vgl.  o.  S.  322.]  Zuweilen  erscheint  er  in  einer 
beliebigen  Bekleidung  und  dann  verkleiden  sich  auch  die ,  welche 
ausziehen  ihn  zu  suchen.^  Aus  dem  Erzgebirge  schildert  Christian 
Lehmann,  Pastor  zu  Scheibenberg,  Kr.  Dir.  Zwickau  (1638  —  88) 
die  Sitte ;  wie  sie  im  Anfange  des  siebenzehnten  Jahrhunderts 
bestand.  „In  unserm  Gebirge  trägt  man  sich  mit  einer  alten 
Tradition,  daß  wilde  Waldleutc  bißweilen  an  die  Waldhäuser 
und  zu  den  Weibern  in  Waldräumen  kommen.  Solcher  wilden 
gebirgischen  Satyren  erinnerten  sich  von  Alters  die  Einwohner 
und  Bergleute  bei  irem  ^nass  und  Fastnachtspiel,  bei  welchem 
sie  jährlich  2  wilde  Männer  verkleidet,  den  einen  in  Reisig  in 
MooS;  den  andern  in  Stro,  solche  auf  den  Gassen  umgeitlret, 
endlich  aber  auf  dem  Markt  herumgejagt  und  niedergeschossen 
und  gestochen,  welche  dann  mit  herumtaumeln  und  seltsame 
Geberden  Gelächter  machten  und  mit  angefüllten  Blutblasen 
unter  die  Leute  sprUtzten,  ehe  sie  gar  niederfielen.  Da  fas- 
seten  sie  die  Jäger  als  tot  auf  Bretter  und  tragen  sie 
ins  Wirtshaus.  Die  Bergleut  gingen  dameben  her,  bliesen  eines 
durch  ire  I^echpfeifen  und  Grubenleden  auf,  als  hätten  sie  statt- 
lich WiWpret  gefangen.  Dergleichen  Aufzüge  hielt  man  vor  dem 
30jahrigen  Kriege,  aber  nun  sind  sie  abgekommen."*  Ganz 
ähnlich  ist  heute  noch  der  Brauch  in  der  Gegend  von  Schlucke- 
nau  (Kr.  Leitmeritz  in  Böhmen).  Hier  verfolgte  die  Volksmenge 
zu  Fastnacht  einen  Mann,  der  so  vermummt  ist,  daß  er  das  Aus- 
sehen eines  Wilden  erhält,  durch  mehrere  Straßen,  bis  ein  vor- 


1)  Sommer,    Sftgen^  Märchen   und  Gebrävcfae  Ans  BftcbieB  und  Tbfi- 
ringen  S.  154. 

2)  HiBtorisc^er  Schauplatz  der  natürlichen  Merkwürdigkeiten   in  dem 
meiBnischen  ober  Erzgebirge.   3.  Anfl.  Leipzig  1699.  40.  S.  757. 


,  Lanbeinkleidniig.    Der  wilde  Mann.  337 

gezogener  Striek  ihn  aafhält.  Er  wird  gefangen;  der  Scharf- 
richter dnrohbohrt  die  blutgefflllte  Blase^  welche  der 
Wilde-  um  den  Leib  gebunden  hat,  mit  seinem  Schwert^ 
and  der  Wilde  stirbt,  indem  ein  Strom  von  Bhit  die  Erde  rötet. 
Nmi  wird  er  anf  einen  Schlitten  (oder  Bahre)  gelegt  und  fort- 
getragen. Am  nächsten  Tage  wird  eine  ihm  (dem  Wilden)  ähn- 
liche Strohpuppe  unter  zahlreicher  Begleitung  zu  einem 
Teiche  getragen  und  ertränkt  Man  nennt  das  den 
Fasching  begraben.  ^  Im  Harz  tritt  alljährlich  am  Freischießen, 
das  man  um  Johannis  hält,  ein  wilder  Mann  mit 
einer  Tanne  in  der  Hand  und  ganz  in  Moos  gekleidet  auf.' 
In  Westmannland  in  Schweden  spielen  die  jungen  Bursche  an 
Sonntagsabenden  Olaf  im  Versteck  (Ole  i  skrymta).  Einer  ron 
ihnen  kehrt  sein  rauhes  Wollenwamms  um,  einige  laubreiche 
Büschel  Adlerfarnkraut  (nägra  jfrige  ormbunkar,  d.  i.  pteris 
aquiKna)  werden  auf  seine  Mütze  gesetzt,^  ein  gewaltiger 
Stab  wird  in  seine  Hand  gegeben.  Im  übrigen  so  schrecklieh 
als  m^lich  ausstaffiert  wird  er  unter  überlautem  Gelächter  der 
Gesellschaft  in  ein  dichtes  Gebüsch  geleitet,  wo  er  auf 
einem  Steine  Platz  nimmt.  Nach  gewissen  Rufen  und  Ge- 
längen kommt  er  sodann  mit  furchtbarer  Miepe  aus  seinem  Ver- 
stecke in  den  Wald  heraus  und  sucht  einen  von  der  Gesellschaft 
zu  fangen.  Wen  er  zuerst  mit  seinem  Stabe  berührt,  muß,  wie 
er  gekleidet,  und  unter  großen  Freudenbezeügungen  ins  Gebüsch 
geifthrt  seine  Stelle  einnehmen.^ 

Der  Znsammenhang  dieser  Wildemannspiele  im  Frühling  mit 
iea  Bräuchen  des  Pfingstlümmels ,  Laubmanns  u.  s.  w.  steht  außer 
Frage;  stellen  die  meisten  die  Frühlingseinholung  des  wilden 
Mannes  als  Vegetationsdämons  dar,  so  macht  das  zuletzt 
erwähnte  schwedische  den  Eindruck,  als  ob  es  die  Redensart: 
„der  Wald  hält"  (skoje  halder)  o.  S.  130  verköi-pem  solle.    Das 

mir  bis  heute  zustehende  Material  reicht  nicht  aus,  um  die  Frage 

— . % 

1)  Krolmus»  Staro^ke  povesty  1,410.  Beinsberg- Düringsfeld ,  Böhm. 
Festkalender  8.  61.  ^ 

2)  Kuhn,  Nordd.  Sagen  188,  211. 

3)  Diese  Pflanze  soll  dem  Volksglauben  nach  nnr  in  der  Mittsom- 
mernaeht  blühen ,  Glück  verleihen nnd  nn sichtbar  machen.  S.  Hylten - 
Catallias,  Yfirend  och  Virdame  IT,  Anh.  XXI.     Cf.  den  Sohnak  o.  S.  3^. 

4)  Dybeck,  Runa  1842.   S.  20. 

Mannhardt  22 


338  Kapitel  IV.    Bauingeister  als  VegetaüoBsdämonen: 

ZU  lösen,  die  ich  fttr's  erste  nur  anfVrerfen  kann,  in  welohem 
YerhältniB  zu  diesen  DarsteHnngen  des  wilden  Mannes  dorch 
laabbekleidete  Bursche  andere  Repräsentationen  desselben  als 
durchweg  behaarter  Waldsehrat  (Pilosus)  o.  S.  114  stehen.  Ein 
Beispiel  dieser  Art  Darstellungen  gewährt  ein  unter  dem  Nam^ 
ballet  des  ardents  bekanntes  Ereigniß  der  franzi^scben  Geschichte. 
König  Karl  VI.  gab  am  29.  Jan.  1393  im  Hotel  royal  de  Saint 
Paul  ein  Fest  zu  Ehren  der  zweiten  Heirat  einer  Hofdame  der 
Königin  Isabella  yon  Baiem.  Ein  normannischer  Edelmann  kam 
deshalb  auf  den  Gedanken  eines  Gharivari.  Der  König  und  4 
Herren  vom  Hofe  führten  einen  Tanz  als  wilde  Männer  auf, 
vom  Kopf  bis  zu  Fuß  in  eng  anschließende  Leinwand  ein- 
genäht, auf  welche  mittelst  Harzpech  Werg  in  Form  von  zot- 
tigen Haaren  aufgelegt  war.  Der  Herzog  von  Orleans  kam  einem 
dieser  Cavaliere  mit  einer  Fackel  zu  nahe,  derselbe  fing  Feuer 
und  alle  verbrannten  mit  Ausnahme  des  Königs,  über  den  seine 
Tante,  die  Herzogin  von  Berry,  ihn  erkennend,  schnell  ihre 
Bobe  warf.^  Sollten  diese  Schaustellungen  einer  romanischen 
Form  des  fraglichen  Frühlingsbrauches  ihren  Ursprung  verdan- 
ken? Wenigstens  gab  es  auch  in  Spanien  neben  den  Darstel- 
lungen der  Maifrau  (Maja  -s.  unten)  auch  solche  des  wilden  Man» 
nes  orco  (o.  S.  110).  So  wird  in  einer  Bußordnung  der  spani- 
schen Kirche,  dem  wahrscheinlich  im  8.  Jahrh.  verfaßten  zum 
Teil  aus  fränkischen  Quellen  excerpierten  Poenitentiale  Vigilar 
num  cap.  84  verboten:  Qui  in  saltatione  femineum  habitum 
gestiunt  et  monstruose  se  fingunt  et  majas  et  orcum  et  pelam 
et  bis  similia  exercent  I   ann.  poen.^    Es  seheinen  bereits  im 


1)  Froissart  lY,  52.  Paris  1574  lY  157  ff.  nennt  als  Tag  des  Ereigus* 
ses  mardi  devant  la  chandelenr  1393.  Nach  ihm  ließ  HatI  anfertigen  „m 
cottes  de  teile  connertes  de  deli^  lin  en  forme  et  conlenr  de  cheveax."  „  Ils 
furent  Testns  de  ces  cottes ,  qni  estoient  faites  a  leur  point  et  ils  forent  dedans 
consus  et  ils  se  monstroient  estre  hommes  saanages,  ils  estoient  tons 
chargez  de  poil  depuis  le  chef  jnsqnes  a  la  plante  dn  pi4.  Eine  Abbildung 
des  Tanzes  nach  einer  Miniatur  in  einer  Handsohrift  des/  Froiasart  ans 
saec.  XV.  s.  bei  P.  Lacroix ,  moenrs  usages  et  costnmes  dn  moyen  age.  Pftris 
1871  p.263.    Fig.  185. 

2)  V^asohersleben,  Bnflordn.  der  abendl.  £irche.  Halle  1851.^  S.  533. 
Cf.  p.  71.  Ueber  die  Maja  wird  spater  nooh  die  Bede  sein ;  pelo  bedeutet 
im  Spanischen  einen  reichgekleideten  Knaben,  der  auf  den  Sohult^m  eines 
Mannes  am  Frohnleichnamfeste  dahergetragen  wird. 


Lanlrainkleidung.    Der  wilde  Mann.  339 

14.  Jahrhundert y  vielleicht  noch  früher,  diese  Darstellungen  ans 
dem  Volke  in  den  Festbranch  der  Fürstenhöfe  übergegangen  und 
hier  vielfech  verändert  als  sinnbildliche  Vergegenwärtigungen  der 
rohen  y  ungezügelten  Naturkraft  und  Sinnlichkeit  anfge&ßt  zu  sein. 
In  dieser  Anffassung  zeigen  uns  den  wilden  Mann  mehrere  Kunst- 
werke des  14.  Jahrb.,  von  denen  ich  das  Kuppelgemälde  eines 
abendländischen  Künsflers  in  der  Gerichtshalle  der  Alhambra  und 
einen  in  braunem  Holze  geschnitzten  Dolchgriff  des  historischen 
Museums  zu  Dresden  erwähnen  will.^  Im  Laufe  des  flinfzehnten 
Jahrhunderts  ging  dann  diese  Verbildliehung  des  wilden  Mannes 
in'  den  Gebrauch  der  Heraldik  als  Wappenhalter  über,  ver- 
mutlich als  Darstellung  der  durch  Geist  und  Herrscherwillen  des 
Menschen  gebändigten  und  unterworfenen  rohen  Natur  und  der 
von  ihr  aus  entstehenden  Hindemisse  des  Lebens.    Ein  Beispiel 


1)  Bas  Gemälde  zeigt  eine  gras-  a.  blumenreiche  mit  Bäumen  und 
Vögeln  belebte  Flur,  in  deren  Mitte  sich  ein  Schloß  mit  Türmen  und  Zinnen 
erhebt.  Aub  dem  Obergeschoß  schauen  eine  Dame  und  ihre  Zofe.  Zur  Rech- 
ten des  Schlosses  (vom  Beschauer)  sieht  man  ein  Turnier  zwischen  einem 
christlichen  Ritter  und  einem  Mauren.  Letzterer  durchbohrt  seinen  Gegner. 
Zur  Linken  ist  eine  reichgekleidete  christliche  Frau  dargestellt ,  welche  einen 
rahenden  Löwen  an  der  Kette  hält.  Ein  wildrer  Mann  mit  Ausnahme 
Ton  Händen  und  Fttßen  TÖUig  behaart,  mit  fliegendem  Haar, 
langem  zweiteiligen  Bart ,  bekleidet  mit  einer  von  den  Hüften  bis  etwas  über 
die  Knie  reichenden  faltigen  weißen  Hose ,  faßt  mit  seinen  Händen  die  bei- 
den Arme  der  Dame ,  während  er  selbst  Ton  einem  christlichen  Bitter  durch 
dessen  Lanze  in  die  Brust  getroffen  wird.  Unter  den  zur  Rechten  turnieren- 
den Rittern  yrird  ein  Eber  Ton  Hunden  gehetzt.  Gänzlich,  ähnlich  ibt  die 
Daratefllung  auf  dem  wenig  älteren  (1840 — 1350?)  Dolche ,  von  dem  sich  bei 
G.  Klemm  Werkzeuge  und  Waffen.  Lpzg.  1854.  S.  174  und  P.  A.  Prenzel, 
Führer  ,  durch  das  historische  Museum  zu  Dresden.  Lpz.  1850.  S.  98  Abbil- 
dungen finden.  Auf  der  einen  Seite  sitzt  unter  einer  gothischen  torf5rmigen 
mit  Türmen  gekrönten  Architectur  eine  geflügelte  weibliche  Figur ,  einen  Hund 
unter  dem  Anne  auf  zwei  zottig  behaarten  männlichen  Gestalten, 
wovon  man  nur  Kopf  und  Brust  mit  vorgestreckten  Händen  zu  beiden  Seiten 
bemerkt  Auf  der  entgegengesetzten  Seite  sind  ein  Weib  und  der  ganz 
behaarte  wilde  Mann  zu  sehen,  letzterer  mit  einem  Ringe  um  den 
Hals  und  zusammengelegten ,  mit  einer  Kette  gefesselten  Händen.  Das  Weib 
hat  mit  der  Rechten  den  Ring,  mit  der  Linken  das  Ende  der  Kette  ergrif- 
fen. Heber  beiden  ein  ruhender  Hirsch  und  darüber  der  wilde  Mann,  sitzend, 
mit  der  Linken  eine  Kette  haltend,  daran  ein  Affe  gefesselt  ist,  der  sich 
im  Spiegel  sieht.  Offenbar  doch  sollte  hier  die  Macht  des  Weibes,  der  Sieg 
der  Weiblichkeit,  der  Lieb6  Über  die  rohe  Kraft  dargestellt  Werden. 

22* 


B40  Kapitel  lY.    Baiungeister  als  Vegetationsdftmoneii: 

gewährt  ein  in  Silber  getriebener  Pokal  ans  den  Jahren  1450 — 
1500.^  Anf  deutschen  Münzen  und  Wappenbildem  wird  im 
16^  Jahrhundert  der  wilde  Mann  nackt  oder  behaart  mit  Schilf- 
oder  Laubkrone  auf  dem  Kopf  und  LaubumhttUung  um  die  Len- 
den, in  der  Hand  einen  entwurzelten  Baumstamm  trag^id  abge- 
bildet. Ich  nenne  beispielsweise  die  braunschweigisch-lttnebur- 
gischen  Wildemannsmttnzen  (Thaler,  vergoldete  Euftfenntlnzen, 
Dukaten,  Gulden),'  sowie  ein  Wappenschild  der  Familie  Holz- 
hausen. ^  Auch  auf  den  großem  Volksfesten  deutscher  und  eng- 
lischer Städte ,  bei  besondem  fbrstiichen  Hoffesten ,  Vermählungen 
Feuerwerken  u.  dgl.  spielten  im  16.  und  17.  Jahrhundert  der 
wilde  Mann  und  die  wilde  Frau  in  dem  beschriebenen  Au&uge 
äne  fioUe^  in  England  heißt  er  Wildman,  Woodhouse  (Wald- 
haus), oder  green  man,  er  wurde  entweder  mit  Moos  bedeckt, 
oder  in  bäuerlichem  Anzug  mit  einem  einfachen  Laub-  oder 
Sctülfkranze  um  den  Kopf,  oder  in  einer  aus  zottigen  Tierfellen 
bestehenden,  den  ganzen  Körper  mit  Ausnahme  der  freibleiben- 
den Hände  und  Füße  bedeckenden  Kleidung  mit  grüner  Laubum- 


1)  J.  V.  Hefner-Alteneok,  Ger&the  des  christl.  Mittelalters.  Bd.  III. 
Taf.  50.  Der  Pokal  ruht  auf  drei  wilden  MäBnero,  welche  auf  dem 
rechten  ßeine  kniend  in  der  Linken  ein  Wappenschild  halten.  Ihr  Körper 
ist  durchaus  hehaart,  vergoldet»  nur  H&nde  und  Kopf  sind  von  reinem  Silber. 
Schon  der  Kupferstecher  Martin  Schongauer  (1420?  — 1488)  verwandte  den 
wilden  Mann  als  Wappenhalter.  Vgl.  Bartsch,  Peintres  gravenrs.  Schon- 
gauer N.  103.  104.  105. 

2)  Z.  B.  Thaler  Heinrichs  IV.  v.  Wolfenbüttel  1554.  Der  wüde  Mann 
mit  unbedeckten  j>udendis ,  in  der  rechten  Hand  einen  Baum ,  in  der  Linken 
eine  Bergistufe  haltend.  —  Goldgulden  Heinrichs  IV.  1558.  Wilder  Mann 
mit  Baum  in  der  Bechten.  Der  Thaler  desselben  Fürsten  v.  1541  wird  nur 
als  Brustbild  eines  wilden  Mannes  mit  bloBen  Pudendis  beschrieben.  Vgl. 
J.  T.  Köhler,  voUstand.  Ducatenkabinet  II  1760.  S.  550.  Nr.  1755.  Madai, 
Thalerkabinet.  B.  IH  Königsberg  1767.  S.  242— 44.  Dritte  Fortsetzung  1774. 
S.  205.  Nr.  6549. 

3)  Dasselbe  stellt  als  Schildhalter  einep  nackten  wilden  Mann  dar  mit 
langem  auf  die  Hüften  hinabhangendem  Bart,  Lenden  und  Haupt  mit  Blät- 
tern und  Zweigen  umkränzt,  als  Stab  einen  entwurzelten  Baum  tragend. 
Jost  Amanns  (Ammons)  Wappenbnch  1579.  Cf.  C.  Bitter  von  Mayer,  heral- 
disches A.  B.C. -Buch.  München  1857.  Taf.  LIV.  1.  Vgl.  Jost  Ammons 
Kunstbüchlein.  Frankf.  1599.  Zur  Bechten  eines  leeren  Wappenschildes  steht 
ein  wildes  Weib  eine  Frucht  tragend ,  zur  Linken  der  wüde  Mann ,  jeder  von 
ihnen  hält  einen  entwurzelten  grünen  Baumstamm. 


Maikönig,  Pfingstkönig,  Maikönigin.-  341 

kiHnzang  yon  Hanpt  und  Lenden  dargestellt,  oder  er  war  ganz 
mid  gar  in  Ekhenblätter  oder  Epheu  gehttllt.  In  der  Hand  trug 
er  einen  noeh  grünen  Baumstamm. '  In  den  Zwölften  (twelfe 
nights)  1515  ftlhrte  man  vor  König  Heinrich  VIII.  in  der  Halle 
von  Greenwich  ein  Pageant  auf.  Ein  goldenes  Zelt  ward  herein- 
gebracht ^  vor  dem  reich  armierte  Ritter  standen.  Sodainlay  came 
out  of  a  place  lyke  a  wood  8  wyldemen,  all  apparayled 
in  grene  mosse  made  with  sleved  sylke  with  uggly 
weapons  and  terrible  visages  and  there  foughte  with  the  knyghtes 
8  to  8  and  after  long  fighting  the  armed  knightes  draue  the 
wylde  men  out  of  their  places  and  foUowed  the  chace  out  of 
the  hall;  and  when  they  were  departed,  the  tent  opened  and 
there  came  out  6  lordes  and  6  ladyes  rychely  apparayled  and 
dauneed  a  great  iyme.^  Im  Jahre  1575  wurde  Königin  Elisa- 
beth in  Kenilworth  mit  verschiedenen  Schaustellungen  empfangen. 
Unter  anderem  kam  der  Dichter  Thomas  Gascoyne,  als  sie  am 
10.  JnH  Abends  9  Uhr  von  der  Jagd  heimkehrte,  plötzlich  aus 
dem  Walde  ganz  in  Epheu  gehttllt,  ein  mit  den  Wurzeln  aus- 
gerissenes Eichenbäumchen  vor  sich  hertragend,  und  sprach 
einige  selbst  erfundene  Verse  zu  ihrem  Lobe.  Abbildungen  des 
wilden  Mannes  nach  Ütem. Kupferstichen  liefert  Strutt.^  Es  ver- 
dient näher  untersucht  zu  werden,  ob  die  höfischen  und  städti- 
schen Darstellungen  des  wilden  Mannes  in  den  englischen 
pageants  und  firewarks  und  in  den  deutschen  Schaustellungen 
sieh  unabhängig  von  jenen  französisch -spanischen  Darstellungen 
aus  dem  Frühlingsbrauche  der  Dörfer  entwickelt  haben,  in  wel- 
chem historischen  Verhältniß  sie  selbst  zu  einander  stehen,  und 
wann  zuerst,  wie  und  auf  welchem  Wege  jene  Figuren  in  den 
Apparat  der  bilden4en  Kunst  übergegangen  sind.  Wir  dttrfen 
hier  diese  Probleme  nur  andeuten,  ohne  ihre  Lösung  zu  ver- 
suchen, die  doch  dazu  ertbrderlich  sein  wird,  um  den  von  uns 
behandelten  mythologischen  Volksbranch  nach  allen  Seiten  hin 
klar  abzugrenzen  und  die  gewonnene  Bedeutung  zu  sichern. 

§  6.  MaikSnlg,  PflngstkSnig,  MaikOnlgin.    Statt  des  Na- 
mens Laubmann ,  PfingstlOmmel  n.  s.  w.  begegnet  mehrfach  der 


1)  Thom.  HaUs  Ohroniele  (ed.  princ.  1548).     London  1809  p.  580. 

2)  S.  Strutt,  the  sports  ad  pastimes  of  the  people  of  England.    Lon- 
don 1841  p.  377  —  78.  cf.  376.  253.  XLL 


342  Kapitel  IV.    Bmngeütor  als  Y^fetationsdimoneii : 


Name  Maikönig,  Pfingstkönig  und  an  Stelle  des  p^  May  tritt 
in  Frankreich  ebenso  nicht  selten  eine  reine  de  may,  reine  de 
print^npgy  in  England  eine  Maylady,  Qneen  of  May,  in  Böhmen 
eine  Kraloyna  (Königin)  ein.  Diese  Baiennangen  setzen  die 
Anschaming  yoraas,  daft  der  in  der  V^etation  verkörperte 
Dämon  ein  Herrscher  sei,  dessen  schöpferische  Gewalt  ttber 
Höhen  und  Tal,  über  weite  Lande  sich  erstrecke.  „König  Mai, ' 
König  hduz"  dind  übrigens  so  naheliegende  Personifieationen,  daA 
die  Dichter  des  Mittelalters  und  der  Nenseit  sie  hnndertmal  wie- 
derholt oder  neugeschaffen  haben.  Es  ist  nicht  bedentongslos, 
daß  der  englische  Jack  in  the  green  (o.  S.  322)  anf  dem  Koph 
eine  Blnmenkrone,  der  Walber  (o.  S.  312)  eine  Aehrenkrone  trägt. 
Die  Herrschematar  des  Dämons  sollte  angedeutet  werden.  In 
KL  Scheppenstedt ,  Cremlingen  and  andern  Braonschweigischen 
Orten  wnrde  ein  ganz  in  Maibttsche  eingehüllter  Maikimig 
gemacht,  zu  Molmerswende  am  Harz  ein  Pßngstkonig.  In  der 
goldenen  Aue  ist  es  wieder  ein  MaUcönig.  Man  baut  ein  Holz- 
gesteil  von  Mannesgröße,  umwickelt  es  mit  Birkenzweigen  und 
$et0t  der  so  gebildeten  Figur  (wie  dem  Jack  in  the  green)  eine 
Krone  von  Birken  und  Blumen  ou/*,  m  welcher  zugleich  eine 
Klingel  (o.  S.  324  ff.)  befestigt  wird.  Im  nahen  Gehölz  wiid 
dann  jemand  hineingesteckt  und  noo  versteckt  man  ihn  im 
Busch.  Die  Uebrigen  ziehen  hinaus  und  suchen  ihn.  Mit  dem 
Gefundenen  geht  es  ins  Dorf  zum  Amtmann ,  Prediger  und  ande- 
ren Wtlrdenträgem.  Sie  müssen  raten,  wer  drin  sei.  Baten  sie 
falsch,  so  schüttelt  der  König  seine  Klingel  und  man  zieht  wei- 
ter ;  sie  aber  müssen  fttr's  Nichtraten  einen  Eimer  Bier  als  Strafe 
geben.  Bei  Apolda  wird  der  Maikönig  in  Stroh  statt  in  Laub 
eingekleidet  (vgl.  den  Walber  o.  S.  312).^  Auch  in  Oestreich 
wählen  die  DorQungen  einen  Pßngstkönig,  kleiden  ihn  mit  grü- 
nen Zweigen ,  schubsten  ihm  das  Angesicht  (o.  S.  322)  und  wer- 
fen ihn  in  den  Bach.*  Im  Kreise  Budweis  stecken  sich  die  Bur- 
sche am  Pfingstmontag  in  Anzüge  ans  Fichtenripde  und  setzen 
Mützen  aul\  welche  gleichfalls  aus  Binde  gemacht  und  mit 
Büschen  von  Knabenkraut  und  andern  Wiesenblumen  versehen 
sind.    Emer   wird   als  König  gekleidet  auf  einer  Art  Schlitten 


1)  Kuhn,  Nordd.  Sag.  383— 84,  64.  65. 

2)  Denis,  Lesefrüchte  1, 130.  Myth.>  562. 


Maikönig,  Püngstkönig,  Maikönigin.  '     348 

zum  Dor^mts  gefahren  and  unterwegs  mit  lautem  Hailoh  in 
einen  Wasserpfuhl  geworfen.  Sein  Gefolge  besteht  aas 
Pfeiffem  mit  Flöten  aas  Weidenrinde  ^  von  denen  einige  Larven 
tragen y  andere  nur  das  Gesicht  geschwärzt  haben.  Aofdem 
Dorfjriatz  scblieAen  sie  feierlich  um  den  König  einen  Kreis  und 
ein  Aosrnfer  springt  auf  einen  Stein  und  ruft  ttber  jedes  Hans 
emige  Spott-  oder  Lobverse  aus.  Wird  die  Gesellschaft 
nicht  mit  Prttgeln  davon  gejagt ,  oder  hat  der  König  noch  kein 
Bad  empfangen,  so  wird  dann  ein  Strohmann  ins  Wasser 
geworfen.  Nach  Ablegung  der  Rindenhttlle  ziehen  dann  die 
jongen  Leute  mit  Musik  und  einem  Maibäumchen,  das  in 
einem  hölzernen  Teller  steckt,  durchs  Dort*  und  sammeln  Gaben 
ein.^  In  Semic  wird  der  König  geköpft.  Ein  ziemlich  starker 
Trupp  junger  Leute  bewaffnet  sich  mit  emem  Holzsäbel,  einem 
Gürtel  aus  Baumrinde  und  einer  Trompete  aus  Weidenrinde. 
Der  König  trägt  einen  mit  Blumen  verzierten  Ornat  aus  Baum- 
rinde, eine  mit  Blumen  und  Zweigen  ausgeschmückte  Rinden- 
krone auf  dem  Haupt,  die  Fttße  mit  Farrenkraut  umwunden, 
eine  Papierlarve  vor  dem  Gesieht  und  skett  des  Zepters  eine 
lange  HagedomrtUe  in  der  Hand.  Einer  von  den  Barschen  ftlhrt 
ihn  an  einem  Sdl,  das  ihm  an  den  FuB  gebunden  ist,  durch 
das  Dorf,  indeß  die  andern  herumspringen ,  trompeten  und  pfeüen. 
In  jedem  Gehöft  wird  der  König  in  der  Stube  im  Kreise  umher^ 
gßfogt  und  unter  Lärmen  schlägt  ihm  einer  mit  dem  Säbel  auf 
den  Ornat,  so  daß  es  schallt  Dann  fordert  man  Geschenke.' 
Anderswo  in  der  Mark,  Thttringen,  Böhmen,  Baiem,  Ungarn 
wird  der  Pfingstkönig,  Oraskönig  oder  LaUichkönig  beritten  dar- 
gestellt Davon  soll  im  nächsten  Abschnitte  die  Bede  sein.  In 
Frankreich  (Dauphin^ ,  Döp.  de  Tlsöre)  feiern  die  Kinder  in  den 
ersten  Tagen  des  Mai  ein  Fest  (nude)  wobei  sie  einen  unter  sich 
auiputzen  und  König  (roi)  nennen.'  Dem  Maikönig  oder  Pfingst- 
könig  entspricht  eine  Königin.  Sie  wird  gememhin  von  den 
Mädchen  dargestellt  und  zum  Gegenstande  einer  besondem  Pro- 
zession gemacht     In   Deutsch  -  Ungam  halten  die  Bursche  am 


1)  Das  Panorama  des  Universums.   Prag  1834  —  48.  V,  309.   Beinsberg - 
Düringsfeld,  bohm.  Festkalender  S.  261. 

2)  Heinsberg -Düringsfeld  a.  a.  0.  263. 

3)  Champollion,  recherehes  nur  le  Fatois  p.  183. 


344  Kapitel  IV.    Banmgeinter  als  Vegetations^imonen: 

roten  Pfingsttag  einen  Wettritt  Der  Sieger  wird  Pfinggtkönig. 
Die  Mädchen  dagegen  y^Ien  fttr  sich  beeonders  die  schönste 
Maid  zur  Pfingstkönigin,  schlingen  einen  großartig  auf- 
getürmten Kranz  um  ihre  Stirne  und  freien  sie  singend 
durch  die  Straften  des  Dorfes.  Vor  jedem  Hause  halten 
sie  stille,  schließen  einen  Kreis  um  sie^  singen  altheigebrachte 
Volkslieder  von  großer  Schönheit  und  nehmen  Gaben  in  Empfang.^ 
In  der  Gegend  von  Libchowic  a.  d.  Eger  in  Böhmen  führen  am 
fünften  Fastensonntag  die  MädcheS  in  weißen  Kleidern  ^  mit  roten 
Bändern  und  vergoldeten  Sternchen  im  Haare  und  mü  dm  ersten 
FrüMingsblfWien  (Veilchen)  und  Maßlieben  geschmückt  eine  soge- 
nannte Königin  (Kr&loyna),  die  mü  Blmnen  bekränsst  istj  im  Dorf 
umher.  Während  des  Umzuges,  der  sehr  feierUch  vor  sid^ 
geht,  darf  keines  der  Mädchen  stille  stehen,  sondern 
alle  müssen  sich  fortwährend  singend  drehen  (vgl.  das 
Mairöslein  o.  S.  312.  u.S.  318,  das  B^enmädehen  o.  S.  330  und 
die  Johannisfeier  o.  S.  181).  Die  Königin  verktbidet  in  jedem 
Hause  die  Ankunft  des  FrtthUngs  und  wünscht  den  Bewohnern 
Glück  und  Segen-,  wofür  sie  dann  emige  Geschenke  erhält'  Aus 
den  Niederlanden  bringt  Grimm  myth.'  1225  schon  ein  altes 
Zeugniß  fUr  die  Pfingstkönigin.  Der  Gisterziensermöndi  Aegidius 
im  13.  Jahrb.,  der  eine  Geschichte  der  Lütticher  Bischöfe  ver- 
faßte, erzählt  Yon  einem  Ereigniß  unter  Bischof  Albero  (f  1155): 
„sacerdotes  ceteraeque  ecclesiasticae  personae  cum  universo 
populo  in  solemnitatibus  paschae  et  pentecostes  aüquam 
ex  sacerdotum  concubinis  purpuratam  ac  diademate  renitentem 
in  eminentiori  solio  constitutam  et  cortinis  velatam  r^nam  crech 
bant  et  coram  ea  assistentes  in  choreis  iympanis  et  aUis  musiea- 
libus  instrumentis  tota  die  psallebant  et  quasi  idolatrae  effecti 
ipsam  tanquam  idolum  -  coMxmt"  Chapeaville  U,  98.  Diese 
Sitte  nähert  sich  der  alsbald  darzulegenden  provenzalischen  Weise. 
In  Frankreich  ist  die  Maikönigin  fast  im  ganzen  Süden  bekannt. 
Am  ersten  Mai  wird  in  der  Oöte  d'or  (Bourgogne)  Reine  de  prin- 
temps,  in  Weiß  gekleidet,  mit  einer  Blumenkrone  auf  dem  Kopfe 
in  einem  Wagen   dem  Zuge  vorangefahren,   welcher  in  Pro- 


1)  Gebhard ,  Oesterr.  Sagenbuch.    Pest  1862.   S.  488. 

2)  Hanuä ,  Bäjeslovny  Ealendar  slovansky.  Y.  Pra2e  1860.  S.  98.  Beins- 
berg-Düringsfeld,  Festkalender  a.  Böhmen  S.  d3. 


Haikdiiig,  Pfingstkönig,  Mailronigiii.  345 

Zession  folgt  (mttndl.).  Im  Departement  -  da  Jnra  heißt  das  von 
den  Hirten  umhergefblirte  ganz  in  Blnmen  nnd  Bänder  gehttllte 
Mädchen  la  Bdle  de  mai,  la  Beine  de  Mai.^  Im  Jahre  1466 
ttbemahm  der  Prior  yon  Saint -Claude  (D6p.  da  Jura)  in  den 
damals  aofgestellten  Klosterregefai  aaf  seine  Präbende  die  jähr- 
Hebe  AoszaUang  von  Gaben  an  die  Königin  (Reine)  und  die 
kleinen  Mädchen  anter  nenn  Jahren,  welche  ihre 
Begleitang  bildeten.  Dieselben  sollten  aber  niemals  in  den 
Sebla&aal  •  oder  das  Kapitel  kommen  dürfen ,  und  der  ehrwür- 
dige Vater  sollte  ihnen  geben,  so  viel  ihm  beliebe ;,sans  y  estre 
tena  nollement  fear  [d.  i.  si  non]  qae  par  bonne  coastame  et  de 
gr&ce/'^  Za  Lons-Ie-Saanier  and  Saint  Amoar  im  Jura  wnrde 
die  Schönste  mit  Blamen  geschmückt  and  von  den  jungen 
Leuten  auf  ihren  Armen  von  Haus  zu  Haus  getragen 
(vgl.  0.  die  Ungar.  Pfingstkönigin  S.  344),  wo  man  Eier  und 
amdere  Eßwaaren  einsammelte,  indeß  die  Hirten  auf  Weiden- 
flöten spielten.^  Herr  Balleydier^  erzählt,  daß  er  dicht  vdr 
St  Peray  (D^p.  de  TArdeche,  Langnedoc)  auf  dem  Wege  nach 
Valence  ein  junges  Mädchen  auf  einem  erhöhten  mit  Guirlanden 
geschmückten  Sitze  gewahrte.  Sie  trug  einen  Kranz. von  weißen 
Rosen,  einen  Zepter  von  Blumen  und  war  umgeben  von  Gefähr- 
tinnen ,  welche  den  Hof  dieser  ländlichen  Königin ,  oder  wie  man 
sagte,  der  „MaYa,^'  der  Maischönen  bildeten.  Ehedem  mußte 
jeder  Vorübergehende  der  MaYa  einen  Kuß  geben,  bis 
man  aaf  den  guten  Einfall  kam  sich  durch  ein  kleines  Geldstück 
von  diesem  erzwungenen  Tribut  los  zu  kaufen;  jetzt  ist  nur  das 
Geldgeschenk  übrig  geblieben.  So  lautete  die  Auskunft,  welche 
Herr  Balleydier  auf  sein  Befragen  von  diesen  Dingen  erhielt. 
Monnier  glaubt  wohl  mit  Recht,  daß  die  Vorübergehenden  den 
Kuß  von  der  Maikönigin,  dem  schönsten  und  blühendsten  Mäd- 
chen der  Ortschaft  schwerlich  als  eine  aufgezwungene  Last 
betrachtet,  noch  denselben  durch  eine  Geldgabe  abgelöst  haben 
würden;  vielmehr  daß  diese  Sitte  den  Hochzeitfesten  nachgebil- 
det sei,  bei  welchen  die  Braut  alle  diejenigen  küsse,  welche  ihr 


1)  Monnier,  Traditions  popnlaires  p.  285. 

2)  Monnier  a.  a.  0.  ^4. 

3)  Corelt,  Fdtes  religienses  etc.  S.  161. 

4)  Guide  des  voyagenrs  sar  les  rives  da  Rhone  bei  Monnier  S.  296. 


346  Kapitel  IT.     BaomgeiBtor  ak  Vegetatioa«dlimoneii: 

ein  Geldstttck  zur  Alissfeener  darbringien.  Der  KqB  der  Beaie 
de  Mai  sei  eine  Dankbeaeugung  für  die  ihr  daiig;ebrachte  Gabe, 
welche  nicht  erst  bei  Aufhören  desselben  eingeführt  wurde, 
gewesen.  In  Ntmes  führen  am  eraten  Maitag  die  Kuoder  ein 
junges  Mädchen  umher,  du  sie  2a  Beine  Mma  nennen.  Man 
setet  sie  an  einem  Krenzwege  in  eine  Art  blomengesehmlickter 
Nische  und  ihre  Begleiter  bitten  die  Vorübergehenden  am  eine 
Gabe  zum  Brantsohatz  (dot)  für  sie.^  In  der  ganzen  Provence 
sieht  man  diese  Majas  auf  blamengeschmttckten  Estraden  oder 
auf  Bittgängen  durch  den  Ort.^  Neuerdings  sind  an  die  Stelle 
der  lebenden  Personen  yielfaoh  kleine  mit  weißen  Rosen  bekränzte 
Madonnenbilder  getreten,  welche  die  Kinder  in  den  Straften  anf 
weißgedeckten  Tischchen  aufstellen ,  indem  sie  die  Vorfiber^hen- 
den  anbetteln:  „an  sous  pour  ma  vieige!^  Man  sieht  sehr  viele 
solcher  Schaustellungen  in  einem  und  demselben  Orte.  Aus  Spa- 
nien haben  wir  schon  oben  S.  338  ein  Zeogniß  des  8.  Jahrh.  für 
die  Maikönigin  (Maja)  beigebracht.  Es  ist  zu  bemerken,  daß 
von  dem  überladenen  Aufpatz  dieser  Majas  im  Spanischen  die 
Phrase  Maja  (resp.  majo)  ttbrig  geblieben  ist,  womit  junge  Leute 
auf  dem  Lande  bezeichnet  werden ,  welche  durch  eine  affeotierte 
und  übertriebene  Eleganz  der  Kleidung  und  eine  gewisse  Frech- 
heit und  Bflcksichtslosigkeit  des  Betragens  sich  auszeichnen  und 
den  Ton  bei  allen  Festlichkeiten  angeben.  Nach  Audley'  klei* 
deten  auch  die  englischen  Kinder  zu  Cambridge  eine  Puppe  in 
grotesker  Manier  aus,  nannten  sie  May -Lady,  setzten  sie  auf 
einen  Tisch,  auf  dem  Wein  u.  dgl.  stand,  und  sprachen  die 
Vorübergehenden  um  eine  Gabe  mit  den  Worten  an:  „Pray 
remember  the  poor  May -Lady!"  an.  Aus  andern  englisehen 
Gegenden  berichtet  üouce ,  daß  die  Lady  of  the  May  zaweilen 
auf  den  Schultern  der  Männer  in  Prozession  dahergetragen 
wurde,  und  Stephen  Batman  sagt,  daß  der  Papst  in  derselben 
Weise  auf  dem  Rücken  von  4  Diakonen  umhergefbhrt  werde, 
wie  die  Eierkäseköniginnen  (Whytepot  queenes)  in  den  Maispie- 
len der  englischen  Hebriden.    Ohne  Zweifel,  fUgt  er  hinzu,  sei 


1)  Miliin ,  snr  le  midi  de  la  France  bei  Üonnier  p.  297. 

2)  De  Nore,  contomes  S.  17. 

3)  Companion  to  the  Almanaok  1802  p.  21  bei  Brand ,  pop.  anüqa.  ed. 
EUis  I»  221. 


Da«  MAienraten.  347 

die,  „Queen  of  May'^  eine  DarateUung  der  Flora. ^  Von  der 
Mayqneen  igt  bereits  o.,S.  31 5  die  Rede  gewesen.  Auf  der  Insel  Man 
kämpfte  eine  Queen  of  May  mit  einer  Queen  of  winter  und  naban 
sie  gefangen.^  Weiter  unten  werden  wir  auf  den  Maikönig  und 
die  Maikönigin  zurücksukommen  dureb  eine  Reihe  von  Gebräu- 
chen Gelegenheit  finden ,  in  welchen  beide  als  Gatten  vereint  mit 
einander  auftreten.  In  Ungarn,  im  Jura,  in  England  sahen  wir 
die  Maiköaigin  beim  feierlichen  Umgange  getragen.  Dieser  Um* 
stand  ist  somit  weder  zufällig  noch  bedeutungslos.  Batmans 
Vergleich  desselben  mit  dem  Umzüge  des  Papstes  hat  insofern 
guten  Grund,  tds  in  beiden  Fällen  das  nämliche  Motiv  der  Ehr- 
furcht der  Ceremonie  den  Ursprung  gab.  So  trägt  man  seit 
grauem  Altertum  Götterbilder  und  Gegenstände  von  religiöser 
Heiligkeit;  nur  entfernter  darf  an  die  Schilderhebung  deutscher 
Könige  (R.  A.  234  ff.)  erinnert  werden. 

§  7,  Das  MJaienreiten.  Einen  großartigeren  Character  nimmt 
die  EinholuD^  des  Laubmanns  an,  wo  er  selbst  und  sein  Gefolge 
beritten  sind;  das  Geleite  wird  häufig  sehr  groß;  mehrere  typi- 
sche Figuren  treten  auf,  eine  Art  dramatischer  Rede  und  Wech- 
selrede, Fahnen-  und  Wafienschmuek  machen  dieses  Schauspiel 
in  seinen  entwickelteren  Formen  farbenreich;  im  wesentlichen 
weicht  es  nicht  von  der  Grundlage  ab ,  welche  aus  dem  Umgange 
des  Laubmännchens  zu'Fuß  uns  bereits  bekannt  ist.  In  den  mei-* 
sten  FäUeu  aber  hat  sieh  die  Gabe,  welche  in  Empfang  genom- 
men wird  und  ihr  Maß  zu  einem  festen  Gewohnheitsrecht  aus- 
gebildet, welches  unter  dem  Namen  Pfingstrecht  durch  die 
Berittenen  als  Schuldigkeit  in  Anspruch  genommen  wird.  Sehr 
einfach  war  noch  der  Umritt  des  Graskönigs  zu  Großvargula  bei 
Langensalza  am  dritten  Pfingstfeiertage ,  wie  er  uns  aus  dem 
vorigen  Jahrhundert  geschildert  wird.  Derselbe  steckte  in  d^ 
uns  schon  bekannten  Pyramide  aus  Pappekweigen ,  deren  Spitze 
eine  aus  Zweigen  und  Blumen  geschickt  geflochtene  Kaiserkrone 
mit  einem  Fähnlein  schmückte  (vgl.  o.  S.  342).  Der  Graskönig 
ward  auf  ein  lediges  Pferd  gesetzt  und  die  Pyramide  über  ihn 
gesttüpt,  deren  untere  Endzweige  bis  auf  die  Erde  hinabreichten, 
bloß  ftir   sein  Gesicht   blieb   eine  OeShung.     Die  anderen  berit- 


1)  Brand  I,  258. 

2)  Waldron,  Description  of  the  Isle  of  Man.  Works  p.  154.  Brand  1,257. 


348  Kapitel  IV.     Batungeister  als  VegetationadfimoBen: 

tenen  Bursche  nahmen  ihn  in  ihre  Mitte;  zwei  der  Ange- 
sehensten in  stattlichem  Anzüge  mit  weißen  Stäben 
fthrten  den  Zag.  Dann  folgten  die  Mnsiker.  Nachdem  die  An- 
ftlhrer  gefragt  hatten,  ob  es  ihnen  erlaubt  sei,  nach  alter  Sitte 
den  GraskOnig  antzaftlhren ,  ging  der  Zug  vor  das  Amtshaus, 
die  Pfarrwohnung,  das  Lntterodische  Gut  zu  den  Ober-Gemejnde- 
Heimbtirgen^  endlich  zu  den  beiden  Kämmerern.  Dort  erhielten 
sie  jedesmal  sämmtlich  einen  Trunk  Bier;  die  vier  letzten  mußten 
jeder  einen  Kuchen  geben.  Unter  den  sieben  Linden  des  nahen 
Sommerberges  wird  dann  der  GraskOnig  seiner  Httlle  entkleidet, 
die  Krone  dem  AmtmamT  überreicht;  die  Büsche'  steckte  man 
gerne  auf  den  Leinacker ^  um  langen  Flachs  dadurch  zu  bekommen.^ 
Die  männliche  Jugend  von  Deuna  reitet  am  zweiten  Pfingsttage 
im  Festgewande  auf  geschmückten  Rossen  im  schnellsten  Trabe 
vor  den  nahen  Wald.  Hier  findet  sie  einen  armen  Knaben, 
den  der  Flurdiener  vorher  so  mit  Zweigen  von  Birken, 
Saalweiden  und  andern  Bäumen  bedeckt  hat,  daß  ihn 
niemand  mehr  erkennen  kann.  Mit  diesem  kehrt  der  Zug 
ins  Dorf  zurück,  indem  der  Verhüllte  zwischen  zwei  andern  rei- 
tet, die  ihn,  wenn  es  nötig  ist,  halten;  man  sagt:  „der  Schoß' 
meier  wird  eingeführt,*'  Man  reitet  zuerst  auf  die  beiden  adeligen 
Güter,  deren  Besitzer  den  Schoßmeier  erraten  und  jeder  dem 
Festzuge  zwei  Eimer  Bier  geben  muß ;  sodann  vor  das  Wirtshaus, 
wo  der  Orts  vorstand  den  Zug  erwartet.  Sobald  dieser,  dem  eine 
Tonne  Bier  beizusteuern  obliegt,  den  Schoßmeier  erraten  hat, 
wird  derselbe  entkleidet,  seme  Hülle  in  ihre  einzelnen  Zweige 
aufgelöst  und  diese  an  alle  Gegenwärtigen,  Fremde  und  Ein- 
heimische,  besonders  aber  an  junge  Mädchen  verteilt ,  welche  sie 
an  ihre  Fenster  stechen,^  In  der  Voigtei  Dorla  bei  Mülhausen 
wird  der  hoch  zu  Roß  in  stattlichem  Laub-  und  Blnmenkleide 
eingeführte  Schoßmeier  nach  dem  Umzüge  in^s  Wasser  gestürzt.^ 
Zu  Hinterweidental  in   der  Pfalz,   wo  der  Pßngstquack  ganz  in 


1)  Gnädigst  priTÜegirte  thöring.  Vaterlandskunde   1801  —  1802.     Bei* 
mann,  D.  Volksfeste  S.  157  —  59. 

2)  Waldmann,  Eichsfeldsche Gebräuche  und  Sagen,  Heiligenstadt  1864. 
S.  8,  3. 

3)  A.  Witzscbel ,  Sitten  and  Gebräuche  aus  der  Umgegend  von  Eisenaeh 
1866  S.  13,  53. 


Das  Maienreiten.  349 

farbiges  Ooldpapier  eingehüllt  im  Galopp  zwiBchen  4  Reitern  mit 
geschwärzten  Gesichtern,  hohen  spitzigen  Kappen  und  hölzer- 
nem Schwertern,  reitet,  indeß  die  Pferde  mit  Brttmelbeerblüten 
geziert  sind,  lautet  der  vor  jedem  Hause  angebrachte  Spruch: 

Da  kommen  die  armen  Pfingfitknecht ! 
Sie  hätten  gern  das  Pfingstrecht; 
Ein  Stückel  Speck,  oder  drei  Eier, 
Oder  ein  Händel  voll  Mehl, 
Baß  es  ein  Simrä  Knöpf  gieht. 

Sind  die  Gaben  eingesammelt,  so  reiten  sie  auf  einen  freien 
Platz  und  bilden  um  den  Pfingstquack  einen  Kreis.  Dieser  sieht 
zu  entkommen.  Wird  er  erreicht  ^  so  reißt  man  ihm  sein  schö- 
nes Gewand  txm  Leib  imd  jeder  sudd  ein  Stück  zu  erhaschen.^ 
Ausgebildeter  und  zu  einem  förmlichen  Spiele  geworden  ist  der 
Pfingstritt  in  Schwaben.  Die  Wurmlinger  Sitte  möge  als  Beispiel 
dienen.  Zwanzig  ledige  Bursche  oder  mehr  kleiden  sich  in  feine 
weiße  Hemden  und  weifte  Beinkleider  mit  scheinen  Hosenträgem. 
Mit  roten  Schärpen  und  Säbeln  reiten  sie  auf  buntbebänderten 
Pferden  unter  Anführung  zweier  Trompeter  in  den  Wald  und 
hflllen  den  Pfingstbutz  von  Kopf  bis  Ftiden  in  belaubte  Eichen- 
zweige^  jedoch  jedes  Bein  besonders,  so  daß  er  sich 
auf's  Pferd  setzen  kana  Man  macht  ihm  einen  langen 
kflnstlichen  Hals  und  steckt  einen  TLoigS  mit  einer  Maske  drauf. 
Aus  den  Worten,  die  er  nachher  zu  sagen  hat,  geht  hervor,  daß 
Pfingstbutis  derjenige  sein  mußte,  weicher  beim  Ausreiten ^  der 
allerletzte  war.  Außerdem  schneiden  die  Buben  einen  etwa  zehn 
Fuß  langen  Buchen  -  oder  Espenstamm  als  „Maien,^^  schmücken 
ihn  mit  gemeinsam  gekauften  bunten  Maitttchem  und  seidenen 
Bändern  und  übergeben  ihn  einem  besondem  „Maienführer.^' 
Jetzt  reiten  sie  ins  Dorf,  ein  Platemeister  voran;  im  Zuge  befin- 
det sich  noch  ein  Korpoiral  mit  einem  Stock;  ein  Mohrenkönig 
mit  russigem  Gesicht,  goldpapiemer  Krone,  wdßem  Ueberhemde 
und    goldener   Schärpe,    der   weiße  Mann   mü  weißem  Haar, 


1)  Panzer  1,238,264.  Öradeso  lautet  der  Spruch  beim  tJmzoge  ded 
Elsässer  Pfingstquack:  ,,Da  kommen  die  Maienknecht;  sie  haben  gern 
ihr  Pfingstrecht.  Drei  Eier  und  ein  Stück  Speck  von  der  der  mohre 
Seit  erweck,  ein  ^b  Maß  Wein  in  den  Kübel  hinein,  da  wolPn  die  Main- 
knecht zufrieden  sein." 


350  Kapitel  IV.    Banmgeister  als  Vegetationsdämoneii: 

f/omßer  Kappe,  weißem  Ueberhemd  and  roter  Sehfirpe,  der  Koch 
mit  dem  Kochlöffel,  der  Kellermeister  mit  zwei  Kamien  voll 
Bier  and  Wein,  der  Doctor  Eisenbart,  endlich  der  Hen- 
ker. Anf  einem  freien  Platze  machen  sie  halt  und  ein  jeder 
hält  eine  gereimte  Anrede.  Zoletzt  erklärt  der  Henker,  'dem 
Pfingstbatz  sei  das  Todesurteil  gesprochen  und  haut  ihm 
den  falschen  Kopf  ab.  Dann  beginnt  ein  Wettritt  tMch  dem 
einige  BüehsmiscMisse  vom  Sammelplätze  aufgepflanzten  Maien; 
wer  ihn  im  Vorbeijagen  ans  dem  Boden  ziehen  kann,  hat  ihn 
aammt  allen  Bändern  gewonnen.  So  wird  dieser  Pfingst- 
ritt  gewöhnlich  alle  zwei,  drei  Jahre  in  Wurmlingea 
aufgeführt^  AehnKch  geht  es  vielfach  in  Schwaben  zu.  Zu 
Friedingen  a.  d.  Donau  besteht  die  zwölf  oder  mehr  Reiter  starke 
Gesellschaft  aus  dem  in  Tannenrinde  und  Lanb  gehüllten  Pfingst- 
butz,  dem  Platzmeister,  Oberst,  Rittmeister,  Fähndrich  mit  der 
Fahne,  Maienftlhrer  mit  dem  Maien  u.  s.  w.  Vor  dem 
Pfiarrhaose  antwortet  anf  die  Frage  des  zur  Räumung  des  Platzes 
vorausgeeilten  Platzmeisters:  „woher  treibt  euch  der  Wind,  daß 
eure  Sehnh  und  Strümpfe  so  staubig  sind?^  der  Rittmeister:  „ah 
alle  Wiesen  und  Aedoer^  Maienflibrer  and  Oberst  schwenken  den 
Degen  und  versprechen  tapfer  mit  dem  Türken  fechten  zu  wol- 
len. Dann  reiten  alle  dreimal  um  den  Dorfbrunnen 
und'  baden  den  Pfingstbutz  darin,  worauf  sie  mit  ihm 
zum  Betteln  ausreiten,  zuerst  vor  das  Pfarrhaus.  Einer  sagt 
einen  Spruch  her,  wonach  sie  hier  den  armen  Mann 
bringen,  der  sieben  Jahre  im  Waide  gelebt  hat,  von 
allen  Doctors  and  Balbierers  beschaut  ist ,  sie  rieten  -  ihn  za  baden 
lieber  in  Wein,  als  in  Wasser.*  Birlinger  (Volkst.  a.  Schw.  H, 
S.  122  —  160  Nr.  148  —  154)  teilt  eine  ganze  Reihe  solcher  Spiel- 
weisen und  Spieltexto  aus  Schwaben  mit,, wir  wollen  uns  begnü- 
gen einige  characteristiscbe  Züge  daraus  hervorzuheben.  Der 
berittene  Eingebrachte  heißt  Pfingstlttmmel,  Pfingsthagen,  Pfingst- 
botz ,  oder  Hatzeler  (vgl.  Hatzer ,  Hezer  vettnnmmte  G^talt).  Er 
ist  in  Blumen,  grünes  Reisig  oder  auch  bloß  ins  Stroh  ein- 
gebunden, so  daß  er  unkenntlich  wird  und  ganz  dick  aussieht 
Er  reitet  zwischen  zwei  Mitkameraden,  z.  B.  zwischen  2  Maien- 


1)  Meior,  8ohw.  8agr.  409, 101  ff. 

2)  Meier  a.a.O.  404,98. 


Das  Haienreiteii.  361 

flihrern  oder  zwei  Trabanten  u.  b.  w.  ,  die  ihn  faäafig  wie  eindn 
Gefangenen  an  eineni  Beile  halten.  Hiemit  stimmt  die  Auf- 
fassung des  PfingstlttBunels  als  armer  oder  alter  Mann ;  die  noch 
mehrfaeh  z.  K  zn  Fnlgenstadt/zn  Zimmern  und  Bettringen  (Bir- 
linger  S.  129.  138.  155)  wiederkehrt  Zn  Hohenstadt  ist  nicht 
der  Pfingstlümmel )  sondern  der  Maienftibrer  in  Laub  gekleidet^ 
in  Zimmern  bei  Rottweil  der  grüne  Pfingstbagen,  der  ungeratene 
Sohn  des  Mohrenkönigs.  Mitunter  (Fnlgenstadt ^  Nusplingen) 
giebt  sich  der  Pfingstbutz  oder  Hatzeler  durch  seine  Reden  als 
eine  Person  mit  fuchsrotem  Haar  und  als  derjenige  zn  erken- 
nen, welcher  der  allerletzte  bei  dem  Wettritt  geworden, 
der  ttber  die  Verteilung  der  Rollen  im  Anfinge  entschieden  hat. 
In  Hohenstadt  ist  der  Pfingstlflmmel  jedesmal  der  Zweitstärkste 
im  Wettringen,  das  zu  gleichem  Zwecke  angestellt  wurde;  aber 
anter  ihm ,  dem  laubbekleideten  Maienftlhrer  u.  s.  w.  nimmt  n.  a. 
auch  derjenige  am  Zuge  Teil,  der  bei  dem  Weidetreiben  des 
Viehs  in  der  Frühe  des  Pfingstsonntags  der  Letzte  war.  Die* 
sem  wird  ein  Dornenbttschel  auf  den  Rücken  gebun- 
den. Wenn  nach  dem  Schluß  des  Gottesdienstes  der  Wetter* 
segen  geläutet  wurde,  kam  der  Pfingstritt  in  den  Flecken  hinein, 
umritt  dreimal  die  Httle  vor  der  Kirche  (die  zistemenar- 
tige  Regenwassergrube);  man  nahm  jenem  das  Domenbüsohlein 
vom  Rücken  und  warf  es  ins  Wasser;  dagegen  wird  zn 
Nusplingen  und  Bettringen  wiederum  der  Pfingstibutz  selbst  ins 
Wasser  geworfen.  Dem  weißen  Ma/nn  in  Wurmlingen  (o. 
S.  349)  entspricht  in  Nusplingen  der  schneeweiß  GemaM ,  der  von 
Kopf  bis  zu  Fttften  weiß  gekleidet  ist  Die  Pfingstbuben  oder 
Pfingstreiter  insgemein  sind  in  ihre  Festkleider  gehüllt,  darüber 
tragen  sie  ein  weißes  Hemd ,  das  mit  roten  Bändern  und  Maschen 
geziert  ist,  und  um  die  Lenden  einen  Gürtel;  ihr  Kopf  ist  zu 
Bettringen  mit  einem  Kranz  von  gelben  Butterblumen  (caltfaa 
palustris)  &st  ganz  bedeckt  Auoh  die  Köpfe  der  wohlgenährten 
Bosse  sind  mit  diesen  gdben  Blumen  verziert  Zuweilen  aber 
(Fiilgenstadt)  trägt  nur  der  erste  Reiter  diesen  Blumensohmuck. 
Die  Zahl  der  stehenden  Figuren  des  Ffingstritts^  zu  denen  jedes^ 
mal  ein  oder  zwei  Maienfiihrer  mU  ihrem  veraierten  Maien 
(Birke,  Buche  oder  Tanne)  gehören,  wächst  zuweilen  ansehnliek 
an.  In  Zimmern  bei  Rottweil  besteht  der  Pfingstritt  aus  dem 
Mobrenkönig  und  seinem  Sohn  dem  Pfingsthagen,  zweien' 


d52  Kapitel  IV.     Baumgeiater  als  Vegetationsdamonen: 

Maienführern  eu  dessen  Seiten,  Goliath  and  König  David, 
Vorreiter y  Hauptmann,  Offizier,  dem  ersten  nnd  zweiten  Hnsa* 
ren^  dem  Oberjäger  and  Unterjäger,  dem  armen  Bauer  nnd 
dem  Koch.  In  NuspUngen  treten  auf  der  Platzmeister,  der 
Quartienneister,  Franziskas  römischer  Kaiser,  Ludwig  XVI. 
König  Yon  Frankreich,  der  türkische  Kaiser  oder  Sultan,  die 
rassische  Kaiserin,  ihr  General,  der  Maien fflhrer,  der 
Fähndrieh,  der  Pfingstbutz,  der  schneeweiße  Gemahl, 
der  Koch. 

Aus  Oberbaiem,  wo  der  Pfingstling,  wie  wir  sogleich  sehen 
werden,  Wasservogel  heißt,  wird  uns  vom  Jahr  1840  eine  noch 
viel  buntere  Zusammensetzung  der  Pfingslprozession  zu  Sauerlach 
geschildert  Im  berittenen  Zuge  befanden  sich  folgende  Personen 
resp.  Gruppen:  1.  der  Nachtwächter,  2.  Feldmesser,  3.  Trom- 
peter, 4.  Trommelschläger,  5.  Fähndriah,  6.  vierzig  Mann 
Reiterei,  7. berußter  Kaminfeger,  S.Hanswurst,  S.Schlei- 
fer, 10.  Doctor,  11.  Hansgrobian,  12.  Krügelmann,  13.  der 
Vater  der  Hochzeiterin ,  14.  die  Hauptperson,  der  im  belaub- 
ten Reisergestell  steckende  Wasservogel  zu  Pferd, 
16.  der  Landrichter,  16.  Bauer,  17.  Stadtherr  und  Bauermäd- 
chen, 18.  der  Klausner,  19.  ein  Weibsbild  mit  Kindern,  20.  ein 
Tiroler,  21.  Bacchus  auf  einem  Faß  sitzend,  22.  der  Pfarrer, 
23.  der  schwarze  Teufel,  auf  welchen  öfter  geschos- 
sen wurde,  24.  der  bairisehe  Hiesel,  26.  Hansel  und  Gre- 
tele  von  Stroh  auf  einem  Schleifrad,  26.  der  Küchen- 
wagen mit  zerbrochenen  Hansgeräten,  27.  die  Hexe  auf  einer 
Eggenschleife  mit  einer  Flachsschwinge,  28.  Martin  Luther  mid 
Kätehen,  29.  ein  Scluifer  mit  seinem  Hund,  30.  Hoohzeit- 
leute  mit  Braut  und  Bräutigam,  31.  Jäger,  32.  Roßdieb, 
33.  Gensdarmen.  Jede  dieser  Masken  sagt  einige  ihrem  Character 
entsprechende  Verse  her.  In  der  bair.  Provinz  Schwaben  und 
Neuburg,  in  Niederbaiem,  Oberbaiem  ist  der  Brauch  im  alige- 
meinen noch  einfacher,  häufig  nur  von  7  oder  9  Knaben  oder 
erwachsenen  Burschen  geübt,  oder  wenn  von  mehreren,  ohne 
die  vielfachen,  in  bunten  Mummenschanz  auslaufenden  Aem- 
ter.  Der  feierlich  Eingebrachte  heißt  Pfingsflümmel,  Pfingst- 
hansl,  Pfingstling  oder  Pfingstl,  gemeinhin  aber  Wasservogel, 
weil  er  fast  durchgehend  vor  jedem  Hause,  von  der  Schwelle 
der  Haustttr  aus  oder  vom  oberen  Stock  herab  mit  Kübeln  Was- 


Das  Maienreiten.  853 

8er  beschüttet  wird;  der  yorausreitende  Bube  fordert  dazu  mit 
den  Worten  auf: 

Pfingstl  he!  Püngstl  he!  der  Pfingstl  is  da; 

Nehmts  en  KiDgl  voU  Wasser  und  schütt's  'n  hrav  al 

oder  man  wirft  ihn  von  der  Brücke  hinab  in  den  Bach 
oder  Fluß,  taucht  ihn  dreimal  in  den  Brunnentrog,  oder 
läßt  ihn  in  den  Bach  hineinreiten,  zieht  ihn  dort  vom  Pferde 
und  steckt  ihn  ins  Wasser.  Woher  die  Bezeichnung  als  Vogel 
rührt,  wird  bei  einer  anderen  Gelegenheit  zu  erörteni  sein.  Zur 
Laubeinkleidung  des  Wasservogels  dienen  je  nach  GrUtdtlnken 
Birke,  Eiche,  Linde,  Wassenrogelblumen ,  Schilf,  oft  nur  Stroh; 
auf  seinem  Kopf  trägt  er  oft  eine  Blumenkrone;  mitunter  besteht 
seine  ganze  Ausrüstung  aus  einem  um  den  Hals  geworfenen 
Kranz  von  Laub  und  Blumen  (Abensberg  Niederbaiern).  Zu- 
weilen wird  beim  Pfingstreiten  oder  Wasservogelreiten  (man  sagt; 
„wir  reiten  den  Wasservogel")  kein  lebender  Mensch  eingeführt, 
sondern  eine  Puppe  mit  einem  vom  Schreiner  geschnitzten  und 
bemalten,  mit  dreieckigem  Hute  bedeckten  Kopf,  ausgezacktem 
Papierkoller  um  den  Hals,  Bekleidung  von  Schmalzblumen  und 
Wasservogelblumen  um  Arme  und  Leib;  dreifachem  Oürtel 
aus  ausgeblasenen  Eiern  (o.  S.  158)  um  die  Lenden  (Holz> 
heim  in  Schwaben).  Wasservogel  wird ,  wer  am  Pfingsttag  beim 
Weidetreiben  oder  beim  Wettrennen  der  Letzte  war. 

Der  Umritt,  der  nach  einem  Liede  zu  Holzheim  in  Schwa- 
ben ehedem  auch  rund  um  das  Kornfeld  („wir  reiten  um  das' 
Kornfeld"  Panzer  n,.86)^  gegangen  sein  muß,  läuft  stäts  in  eine 
Collecte  von  Eiern,  Schmalz,  Butter,  Geld  aus,  wovon  eine 
gemeinsame  Abendmahlzeit  mit  Musik  und  Tanz  im  Wirtshause 
bestritten  wird.^  Während  in  Baiern  sich  das  Hauptinteresse  um 
die  Wassertauche  des  Piingstlings  dreht,  tritt  in  Böhmen  das 
Köpfen  desselben  entschieden  in  den  Vordergrund.  Der  präch- 
tig herausgeputzte  König  wie  seine  Söldner  ganz  oder  teilweise 
in  Baumrinde  gekleidet,  mit  Blumen  und  Bändern  geschmückt 
und  mit  Säbeln  ausgerüstet ,  sitzen  auf  Pferden ,  die  gleichfalls 
mit  grünen  Zweigen  und  Blumen  verziert  sind.  Sie  umreiten 
dreimal  im  Kreise  eine  Laubhütte  aus  grünen  Maien,  in  der  der 


1)  Panzer  I.  234,  259.  235,  260.     Tl.  83,  126.  90,  136.     Schmeller, 
bair.  Wörterbuch.   Aufl.  2.    S.  436. 

Mannhardt.  23 


864  Kapitel  IV.    Baumgeister  als  Yegetationsdämonen: 

König  Platz  nimmt  [vgl.  die  Laube,  arbonr,  mit  derMayqueen  in 
England  o.  S.  315].  Nun  werden  die  Hausfrauen,  Hauswirte 
und  Mädchen  im  Dorfe  in  Versen  kritisiert,  während  dessen 
aber  steckt  man  einen  mitgebrachten  Frosch  in  eine 
Kneipe  und  zwackt  und  sticht  ihn,  bis  er  quakt.  Aus 
der  Art  seines  Geschreis  pflegen  die  Leute  zu  weissa- 
gen. Der  König  spricht  das  Todesurteil  über  ihn  ans, 
worauf  der  Henker  dem  Frosch  den  Kopf  abschlägt, 
und  den  zappelnden  blutigen  Körper  sammt  der  Kneipe 
anter  die  Umstehenden  wirft.  Zuletzt  wird  der  König 
aus  der  Hütte  gejagt  und  von  den  Söldnern  verfolgt^ 
Gelingt  es  nicht,  den  mit  einigen  Schritten  Vorsprung  in  Carriere 
Davonreitenden  einzuholen,  so  behält  er  noch  ein  Jahr  seine  Wurde 
und  die  Bursche  müssen  am  Abend  im  Wirtshause  seine  Zeche 
bezahlen^  wird  er  aber  gefangen,  so  peitscht  nuin  ihn  entweder 
mit  Haselruten  oder  schlägt  ihn  mit  hölzernen  Säbeln.  Er  muß 
niederknien  und  der  Scharfrichter ,  dem  auf  die  Frage :  „  Soll  ich 
diesen  König  köpfen?"  die  Antwort  „köpfen"  zu  Teil  geworden 
ist,  schlägt  ihm  mit  geschwungenem  Schwert  die  Krone  vom 
Kopf,  worauf  er  unter  großem  Geschrei  der  Umstehenden  zu 
Boden  fällt,  auf  eine  Tragbahre  gelegt  und  ins  nächste  Gehöft 
getragen  wird.*  Anderswo  werden  dem  vom  Bichter  verurteilten 
König  drei  bis  vier  Hüte  übereinander  auf  den  Kopf  gesetzt  und 
die  Hinrichtung  wird  dargestellt,  indem  man  die  Hüte  herunter- 
haut. Dem  beschriebenen  Character  des  böhmischen  Königs- 
spieles gemäß  treten  die  einzelnen  Mitglieder  gemeinhin  in  folgen- 
den GharacterroUen  auf.  Der  Fähndrich  mit  geschmücktem  Maien 
eröfinet  den  Zug,  dann  folgen  Trompeter  und  Pfeiffer,  nach  ihnen 
der  König,  der  Kn^z,^  der  Bichter,  der  Henker  sammt  seinem 
Henkersknecht,  der  Büttel,  zuletzt  die  Soldaten  oder  Söldner. 
Der  König  trägt  häufig  ein  Bäumchen  als  Zepter  und  in 
der  Linken  einen  Spieß,  an  dessen  Spitze  ein  Laub- 
frosch  angebunden  ist.  Der  Verfolgung  und  dem  Köpfen 
des  Königs  pflegt  ein  Umgang  oder  Umritt  durch  das  Dorf,  das 


1)  Krolmus  T.  III,  p.  138—40.    Heinsberg  -  Büringsfeld  S.  262.  . 

2)  Krolmas  III,  92  —  122.     Beinsberg -Düringsfeld,  Böhmischer  Fest- 
kalender S.  264— 65. 

3)  d.  i.  Priester. 


Der  Mairitt,  Erläuterung.  355 

Oericht  über  die  Dorf leate  unter  dem  Maibaam,  oder  in  der 
Maihtttte,  sowie  das  Köpfen  der  Frösche  (wobei  oft  mehrere 
dieser  vorher  an  den  Maibäumen  aufgehängten  Tiere 
unter  das  Volk  geworfen  werden)  fast  jedesmal  vorauszugehen. 
Den  König  begleitete  zum  Dorfgericht  zuweilen  eine  Königin.^ 

§  8.  Der  Malritt,  ErlSuterung.  Doch  hier  halten  wir  wie- 
der einmal  ein.  Statt  noch  weiter  das  Füllhorn  der  Ueberliefe- 
rung  vor  dem  Leser  auszuschütten,  machen  wir  den  Versuch, 
das  Verständnis  zu  fördern,  indem  wir  die  in  den  einzelnen 
Traditionen  zerstreuten  Züge  nach  einheitlichen  Gesichtspunkten 
sammeln,  ordnen  und  beleuchten.  Wir  verfahren  dabei  der  Art, 
daß  wir  zunächst .  einige  sämmtlichen  Formen  der  Laubeinklei- 
dung gemeinsame  Stücke  mit  Hilfe  des  vermehrten  Materiales 
besser  ins  Licht  stellen ,  sodann  den  Eigentümlichkeiten  des  Mai- 
reitens unsere  Aufmerksamkeit  zuwenden.  Zunächst  ist  es  klar, 
daß  im  wesentlichen  ein  Unterschied  zwischen  dem  zu  Fuße  em- 
gebrachten  und  dem  zu  Rosse  eingeftihrten  Pfingstlümmel  nicht 
besteht.  Die  Einhüllung  in  Baumrinde ,  Laub ,  Blumen  oder  Korn- 
stroh (o.  S.  353)  ebenso  wie  der  Name  Graskönig  (o.  S.  347) 
characterisiert  ihn  als  den  im  Wachstum  der  Bäume,  Blumen,  Grä- 
ser und  Kulturpflanzen  waltenden  Vegetationsdämon  und  stellt 
ihn  der  serbischen  Dodola  und  ihrer  Sippe  zur  Seite,  gleich  der 
er,  um  Regen  über  die  Pflanzenweit  herabzulocken,  mit  Wasser 
begossen,  oder  in  Teich,  Bach,  Brunnen  gebadet  wird.  Dieses 
Bad  nimmt  zuweilen  einen  sogar  gewaltsamen  Gharacter  an 
(Sturz  von  der  Brücke).  So  notwendig  erscheint  der  Regenzauber 
dem  Einritte  des  Pfingstlings  zugehörig,  daß  dieser  davon  in 
Baiern  fast  allgemein  Wasservogel  zubenannt  ist.  Ganz  die 
nämliche  Bedeutung  hat  das  Kneipen  oder  Köpfen  des  Frosches 
(o.  S.  354),  denn  da  die  Laubfrösche  schreien,,  wenn  Regen  bevor- 
steht, so  sagt  der  Volksglaube,  wenn  man  einen  Frosch  tödte, 
gebe  es  Regen.' 


1)  Vgl.  Reinsberg-Dfiringsfeld  a.  a.  0.  231  —  34.  253—71. 

2)  Kuhn,  Westfäl.  Sag.  II,  80,  244.  —  Der  gleiche  Aberglaube  herrscht 
allgemein  bei  den  Walachen.  W.  Schmidt,  das  Jahr  und  seine  Tage  in 
Meinung  und  Brauch  der  Romfinen  Siebenbirgens ,  Hermannstadt  1866  S.  17. 
Nun  erklären  sich  auch  die  folgenden  Ueberlieferungen  als  Ueberbleibsel  vol- 
lerer. Wer  von  den  Httterbuben  in  Oestreich  am  St.  Johannistag  morgens 
zu  früh  mit  der  Peitsche  knallt,   wird  durch   den  Morgentau  gezogen  und 

23* 


366  Kapitel  IV.    Banmgeister  als  Yegetationsdämonen: 

Durch  eine  ganze  Reihe  übereinstimmender  Ztige  wird  die 
Yoi^etragene  Ansicht  über  den  PfingstlOmmel  bestätigt.  Der  6ttr> 
tel  der  ihn  darstellenden  Poppe  besteht  ans  Eiern ,  den  Symbolen 
des  Lebens  (o.  S.  353).  Der  sogenannte  Maienftthrer  resp. 
Fähndrich  tiügt  ihm  den  Maibanm  voraus  (o.  S.  850 ff.)  oder  er 
selbst  trägt  den  Maibaom  ^in  der  Hand  (o.  S.  354).    Es  ist  also 


beifit  das  Jabr  Tanwäscher;  wer  verschläft  und  zuletzt  austreibt, 
ist  ,,Fro8cbsehinder.'*  Baumgarten,  das  Jahr  und  seine  Tage,  Linz 
1860  S.  27.  Auch  zu  Elsdorf  bei  Teupitz  heißt  es.  wessen  Kuh  am  Pfing- 
sten zuletzt  hinausgetrieben  wird,  der  müsse  Padden  schinden.  Kuhn« 
Nordd.  Sag.  389,  74.  üebrigens  erscheint  es  nicht  öberfläsäig  zu  S.  314.  .127  ft. 
nachzutragen ,  daß  ähnlicher  Regenzauber  sich  bei  verschiedenen  wilden  Völ- 
kern wiederfindet  Die  Mexikaner  riefen  im  6.  Monat  den  Tlaloc,  den  Gott 
des  Regens,  und  Gewitters  an,  dem  sie.  als  dem  duftge^albten ,  blumenbe- 
kränzten Könige  des  Paradieses  bei  Dürre  klagten,  daß  die  Götter  des 
Regens  s^ch  entfernt  und  die  Götter  des  Ueberflusses  mit  sich  fortgeführt 
hätten.  Sie  stellten  ihm  den  trockenen  Mnnd  und  die  verdorrte  Pflanze  vor, 
holten  Schilf  aiis  dem  See,  um  damit  die  Tempel  zu  decken  und  ziileUt 
fuhren  sie  auf  den  See  zu  einem  Wasüertüirbel  und  opferteti  dort  einen 
Knaben  und  ein  Mädchen,  J.  G.  Müller,  Amerik.  ürrelig.  501.  —  Wenn 
die  Saat  aufging,  ver senkte  man  einen  Knaben  und  ein  Mädchen  aus  ed^^lm 
GeacMecJite  dem  Tlaloc  zu  Ehren  ina  Wasser,  Torquemada,  libros  rituales 
y  monarquia  Indiana.  Madrid  1723,  VII, 21.  Wuitz,  Anthropologie  IV.  159. 
In  Stkdcarolina  wurde  bei  Gelegenheit  eines  Festes  ein  hölzernes  Bild  im 
Acker  aufgestellt  und  verehrt ,  darauf  aber  ins  Wasser  geworfen ,  angeblich, 
um  den  Gott ,  von  dem  man  das  Gedeihen  der  Fcldfrüchte  erwartete ,  zu  den 
übrigen  Wassergöttern  zurückkehren  zu  lassen.  Herrera,  Descripcion  de  las 
Indias  occidentales.  Madr.  1730,  II,  10,6.  Waitz,  Anthropologie  III,  204. 
Im  nördlichen  Africa  z.  B.  im  Gebiet  von  Constantine  in  Algier  besteht  die 
Gewohnheit ,  daß  jedes  Jahr  bei  langandauernder  Trockenheit  die  Muselman* 
ner  einen  oder  mehrere  arme  Marabuts  halb  freiwillig  halb  gezwungen  im 
Fluß  untertauchen ,  worauf  sofort  Regen  erfolgen  soll.  J.  Grimm ,  Kl.  Sehr. 
II ,  449.  In  Joruba  (Westafrica)  wird  bei  anhaltender  Dürre  ein  Sklave  fest- 
lich bekränzt,  zum  Flusse  gefH/irt  und,  um  die  Wassergöttin  zu  versöfinen^ 
in  ihr  Element  geworfen  ^  wo  ihn  rasch  die  Krokodile  verzehren.  Bastian, 
geogr.  u.  ethnogr.  Bilder,  Jena  1873,  S.  183.  Wenn  der  Khonde  die  Men- 
schenopfer m%rtert,  die  der  Erdgöttiu  dargebracht  werden,  so  freut  er  sich, 
sie  reichlich  Trähncn  vergießen  zu  sehen ^  denn  das  ist  ein  Zeichen,  daß 
häufige  Regenschauer  auf  sein  Land  niederfallen  werden.  Mac()her80u  India 
p.  130.  363.  Tylor  II ,  272.  Der  stideuropäische  Landmann  taucht  eine  Bild- 
säule der  Jungtrau  oder  St  Petrus  ins  Wasser,  um  Regen  zu  erzielen.  £s 
geht  daraus .  hervor ,  daß  die  Laubeinkleiduug  nicht  notwendig  zum  Regen- 
Zauber  gehört. 


Der  Mairitt,   Erlftntemng.  357 

hier  dasselbe  Yerhältniß  eingetreteD ,  wie  beim  grünen  Georg  and 
seiner  Sippe  (o.  S.  312  flF.);  der  Maibaum  und  der  in  Laub  geklei- 
dete Mensch  bilden  die  doppelte  Darstellung  eines  und  desselben 
Gedankens.  Wie  der  Maibaum  wird  der  Pfingstlümmel  Frühjahrs 
im  Walde  gefunden  (o.  S.  348).  Wie  der  Maibaum  auf  das  Dach 
des  Herrenhauses  oder  der  Scheune  gepflanzt  wird,  findet  auch 
das  Laub-  und  Reisergestell  des  Wasservogels,  wie  wir  sehen 
werden,  auf  dem  Giebel  des  Stadels  der  Pfingstbrant  Platz  und 
bleibt  dort  das  ganze  Jahr  bis  zum  nächsten  Pfingsten.^  Oder 
wo  der  aus  Stroh  gemachte  Wasservogel,  resp.  der  als  solcher 
vermummte  Barsche  (dem  Namen  entsprechend)  mit  einem  großen 
hölzernen  Schnabel  ausgerüstet  wird  [eine  theriomorphische  Form 
des  Vegetationsdämons,  über  die  wir  später  des  weiteren  ver- 
handeln werden],  nagelt  man  den  Schnabel,  nachdem  der  Vogel 
ins  Wasser  geworfen  wurde ,  auf  den  Scheunenfirst  als  Amulet 
gegen  Blitz  und  Feuer,  gradeso  wie  den  Emtemai  und  Richtmai 
(o.  S.  216.  220).»  Die  Pfingstreiter  ritten  „rund  am  das 
Kornfeld"  (o.  S.  353)  und  „ab  alle  Aecker"  (o.  S.  350);  man 
erwartete  Segen  flir  die  Saat  von  ihrem  Umritt.  Die  grüne  Hülle 
des  Graskönigs  zu  Großvargula  wird  in  ihre  einzelnen  Zweige 
aufgelöst  an  die  Dorfgenossen  verteilt  und  in  die  Leinäcker 
gesteckt,  um  hohen  Flachs  eu  bekommen  (o.  S.  348);  diejenige  des 
Schoßmeiers  wird  ebenso  verteilt  und  von  den  jungen  Mädchen 
an  ihre  Fenster  gesteckt,  (o.  S.  348).  Dem  Pfiögstquack  in  der 
Pfalz  reißt  man  sein  schönes  goldpapierenes  Gewand  vom  Leibe 
und  jeder  sucht  ein  Stück  davon  zu  erhaschen  (o.  S.  349). 

Eän  verbreiteter  u^id  jedenfalls  uralter  Gebrauch  muß  in  der 
Hinrichtung  des  Pfingstbutz  erkannt  werden.  Die  wilden  Männer 
im  Erzgebirge  wurden  scheinbar  niedergestoßen  und  gestochen; 
man  spritzte  mit  blutgefttUten  Schweinsblasen  unter  die  Leute 
(o.  S.  336).  Ebenso  wird  in  Thüringen  der  wilde  Mann  erschos- 
sen, so  daß  er  wie  todt  zu  Boden  fällt  (o.  S.  335).  In  Böhmen 
dagegen  geschieht  die  Köpfung  allgemein,  indem  man  schallend 
mit  dem  Schwert  auf  die  Laubhülle  schlägt,  oder  den  falschen 
Reiserkopf,  die  Königskrone  oder  einen  von  mehreren  über  ein- 
ander gesetzten  Hüten  herunterhaut  (o.  S.  354).    In  Niederbaiern 


1)  Panzer  11,87,129. 

2)  Bavaria  1,375  ff.  1003. 


358  Kapitel  IV.    Baumgeister  als  Yegetationsd&moDen : 

finden  wir  Eegenzauber  und  Tödtung  verbanden ,  insofern  der 
Pfing8tl  ins  Wasser  geführt  and  dort  geköpft  wird,  während  bei 
Leitmeritz  der  Tödtangsact  mit  obligatem  Durchstechen  einer  dem 
Wilden  uqter  das  Wamms  gebundenen  Blatblase  rorangeht  und 
das  Ertränken  einer  ähnlichen  Strohpuppe  im  Teiche  nachfolgt 
In  Thüringen  bringt  ein  als  Arzt  verkleideter  Bursche  den 
getödteten  Wilden  wieder  ins  Leben  (o.  S.  335)  und  dieser  näm- 
Uche  Zug  scheint  in  den  bairischen  und  schwäbischen  Spielfor- 
men vorhanden  gewesen,  zu  seln^  da  ohne  Zweifel  daraus  das 
Auftreten  des  Wunderdoctors  Eisenbart  (o.  S.  350)  odei:  schlecht- 
hin des  Doctors  (o.  S.  352)  zu  erklären  sein  dürfte.  Offenbar 
eine  sehr  befremdliche  Erscheinung  ist  der  Umstand,  daß  der 
Bepräseiitant  des  Wachstums  und  des  Lebens  in  mimischer  Nach- 
ahmung getödtet  wird.  Wie  kam  man  auf  diesen  Gedanken, 
welches  Motiv  liegt  ihm  zu  Grunde?  Man  müßte  doch  eher 
erwarten,  das  der  Winter  im  Bilde  vernichtet  würde,  aber  die- 
sen kann  der  in  Grün  und  Blumen  Gekleidete ,  feierlich  aus  dem 
Walde  Geholte  doch  keineswegs  vertreten?  Für  die  Erklärung 
des  Rätsels  scheinen  mir  zwei  Möglichkeiten  sich  darzubieten, 
d^e  vielleicht  vereinigt  das  Richtige  ergeben. 

a.  Falls  der  in  der  heutigen  Tradition  sehr  verdunkelte  Act 
der  Wiederbelebung  ursprünglich  einen  unerläßlichen  und  not- 
wendigen Bestandteil  des  Brauches  ausmachte ,  wäre  es  denkbar, 
daft  die  Hinrichtungsscene  den  Tod  des  Yegetationsdämons  durch 
den  Winter  versinnbildlichen  sollte  und  daß  die  Darstellung  die- 
ses der  Zeit  nach  um  7  Monate  zurückliegenden  Vorgangs  in  den 
Frtthlingsgebrauch  hineingeschoben  sei,  und  das  Erwachen  der 
Natur  aus  dem  Tode,  die  Wiederbelebung  sichtlich  machen 
zu  können.  Denn  wie  wollte  man  das  Auferstehen  anders  ver- 
bildlichen, als  durch  vorgängige  Darstellung  des  Todes?  Die 
Pflanzenwelt,  welche  der  wilde  Mann  repräsentiert,  ist  ja  die 
nämliche,  wie  die  abgestorbene  des  vorigen  Jahres  und  doch 
wieder  eine  neue.  Diesen  Gedanken  sehen  wir  anders  auch  so 
aufi^drttckt,  daß  der  so  feierlich  eingeholte  laubbekleidete 
Pfingstl  ein  alter  armer  Mann  genannt  wird,  der  sieben 
Jahre  im  Wald  gelebt  habe,  d.  h.  der  Yegetationsgenius  des 
vergangenen  Jahres  ist  während  der  sieben  Monate  des  Winters 
verarmt,  seiner  Schätze  beraubt  gewesen,  alt  und  schwach  gewor- 
den (o.  S.  350).     Folgerechterweise  sollte  nun  eine  Veijttngongs- 


'~N 


Der  Mairitt,  Erläntoning.  359 

soene  folgen,  diese  scheint  meistenteils  verloren  gegangen;  doeh 
vielleidit  sehetnt  es  nur  so.  Man  beachte  die  folgenden  Bräuche. 
In  Beideburg  bei  Halle  a.  S.  hanen  die  Ffingstbnrsche  frühmor- 
gens im  Walde  die  Pfingstmaie  und  ftihren  sie  unter  Musikbeglei- 
tung auf  einem  besonderen  Wagen  ins  Dorf.  Nachmittags  findet 
ein  Fest  statt ,  zu  welchem  die  Bewohner  der  Nachbardörfer  feier- 
lich eingeladen  wurden.  Die  Maie  mit  einem  Preise,  Tuch  oder 
Westenzeug  geschmückt  wird  aufgepflanzt.  Ein  Strohmann  wird 
auf  eine  Karre  gelegt  und  eine  Grube  von  der  Länge  eines  Men- 
schen gegraben.  Einer  von  den  Pfingstburschen  nach  dem  andern 
sucht  mit  verbundenen  Augen  den  Strohmann  in  die  Grube  zu 
karren.  Wem  es  gelingt,  die  letztere  zu  treffen,  erhält  den  an 
die  Maie  gebundenen  Preis.  Der  Strohmann  bleibt  in  der  Grube, 
das  Grab  wird  zugeschüttet;  man  tanzt  um  den  Maibaum.  Das 
Spiel  nennt  man:  „den  alten  Mann  ins  Loch  karren/*^  So 
wird  nun  auch  in  Wttrtemberg  der  Fastnachtsbär,  eine  therio- 
morphisehe  Figur  des  Yegetationsdämons ,  in  Böhmen  der  uns 
schon  bekannte  wilde  Mann  zu  Fastnacht  im  Strohbilde  erst 
feierlich  geköpft,  so  daß  das  Blut  aus  der  verborgenen  Blut- 
wurst, Spritze  oder  Schweinsblase  hervorspritzt  (o.  S.  336),  sodann 
begraben ,  und  wir  werden  in  einem  der  nachfolgenden  Abschnitte 
diesen  Begräbnißbrauch  durch  die  Fastnachts-,  Lätare-  und  Mitt- 
sommersitte  zu  verfolgen  Anlaß  haben.  So  schwierig  die  Beur- 
teilung dieser  Sitten  auch  ist,  so  erlauben,  die  Umstände  kaum 
einen  andern  Schluß,  als  daß  dieselben  das  Begriibniß  des  aus- 
gelebten Yegetationsdämons  des  alten  Jahres  darstellen  sollten, 
der  in  den  Boden  verscharrt,  unter  Mist  begraben  wird,  um  neu- 
geboren aufeuerstehen.  Ist  das  richtig,  so  stellt  der  Maibaum 
im  Reideburger  Brauch  den  auferstandenen  Yegetationsdämon, 
der  in's  Loch  gekarrte  alte  Mann  den  dahingeschiedenen  des 
alten  Jahres  dar.  Wir  werden  später  sehen,  daß  auch  in  den 
den  nordeuropäischen  durchaus  verwandten  asiatischen  Gebräu- 
chen des  Attis-  und  Adoniskultus  die  Darstellung  des  Todes  und 
der  Wiederbelebung  des  Yegetationswesens  dicht  an  einanderge-' 
rückt  in  einem  Feste  verbunden  sind.  Wie  also,  wenn  wir  es 
in  unsereh  Mai-,  (Pfingst -)gebräuchen  nur  mit  verderbten  und  in 


1)  Sommer,  Sagen,  Mftrcben  a.  Qebr.  a.  Sachsen  q.  Thttringen.    Halle 
1846.  8.152. 


360  Kapitel  IV.    Baningeister  als  Vegetatiousdämoneii: 

Verwirrung  geratenen  Bruchstttcken  eines  Hrsprflnglich  voll- 
ständigeren Branches  zu  tun  hatten ,  dessen  Zusammenhang  etwa 
der  folgende  war?  Auszug  nach  dem  Walde,  Tödtung  (Köpftmg) 
des  Pfingstl  daselbst  (Begräbniß),  Wiederbelebung,  feierliche 
Heimftthrung  ins  Dorf,  Wassertanche. 

b.  Zwei  Umstände  freilich  bereiten  dieser  Annahme  Schwie- 
rigkeit Es  ist  schwer  ersichtlich,  wie  der  Tödtungsact  von  dem 
Anfange  des  Spieles  an  das  Ende  geriet,  wenn  man  nicht  etwa 
annehmen  will,  daß  dies  aus  Mißverstand  geschah,  oder  daß  er 
proleptisch  schon  das  spätere  Ende  der  Vegetation  im  Hochsom- 
mer und  Herbste  bezeichnen  soll.  Sodann  ist  die  Darstellung  der 
Hinrichtung  eine  so  drastische,  daß  man  durch  die  vielfache 
Analogie  der  Abschwächung  alter  Gebräuche  sich  zu  der  Ver- 
mutung veranlaßt  finden  kann,  die  gewaltsame  Tödtung  des  in 
Grttn  gehüllten  Menschen  sei  in  einer  fernab  liegenden  barba- 
rischen Urzeit,  deren  Nichtachtung  des  Menschenlebens  uns  u.  a. 
die  Strafe  für  Baumschälen  (o.  S.  26  ff.)  zeigte ,  nicht  nur  schein- 
bar, sondern  der  fiegel  nach  wirklich  gettbt  worden.  Die  Mög- 
lichkeit einer  derartigen  Annahme  entnehme  ich  verschiedenen 
bei  Saat-  und  Erntefesten  in  Anwendung  gewesenen  oder  noch 
befindlichen  Bräuchen  wilder  oder  halbbarbarischer  Völker.  Bei 
den  Mexicanem  wurde  im  Sommer  zu  Ehren  der  Göttin  des 
Welschkorns  und  des  Ackerbaues  GenteoÜ  ein  Fest  gefeiert,  wo- 
bei sie  nach  der  weichen  Maisähre  Xilotl  den  Beinamen  Xilooe 
führte.  Am  letzten  Tage  des  Festes  tanzte  ein  Weib,  das  die 
Göttin  darstellte,  und  dieses  wurde  nachher  geopfert^  Teteio- 
nan ,  die  Göttermutter  und  Mutter  des  Hauptgottes  und  Herrn  der 
Pflanzenwelt  Hnitzilöpochtli,  eine  der  Centeotl  nahverwandte 
Gestalt,  hatte  in  Mexico  ebenfalls  ein  besonderes  Fest,  bei  wei- 
chem eine  weibliche  Person  als  die  Göttin  gekleidet  imd  geopfert 
wurde,  indem  man  ihr  auf  den  Schultern  eines  andern  Weibes 
den  Kopf  abschnitt  und  die  Haut  abzog,  in  welche  man  eioeu 
Jtingling  hüllte,  der  so  in  zahlreicher  Begleitung  zum  Tempel 
des  Hnitzilöpochtli  zog.^  lin  Mai  d.  h.  im  Beginn  der  Regen- 
zeit, wenn  plötzlich  alles  grün  wird,  feierte  man  in  Mexico  das 
Jahresfest  des  Hnitzilöpochtli  selber ,  das  Fest  der  wiederbelebten 


1)  Müller,  Gesch.  der  amerik.  Urreligionen  S.493. 

2)  MäUer  a.  a.  O.  494.  599.    Vgl.  598. 


y 


Der  Mairitt,  £rl&ütening.  361 

Natar^  dann  yerfertigte  man  ein  Bild  des  Gottes  aus  einer 
eftbaren  Pflanze  und  aus  Honig  in  der  Oröfte  seines  höl- 
zernen Tempelbildes.  Jünglinge  sangen  des  Gottes  Taten  und 
heilige  Gebetslieder  um  Regen  und  Fruchtbarkeit.  Dann  folgten 
Wachtelopfer  ^  Räucherungen  und  der  bedeutsame  Tanz  der  hei- 
ligen Jungfrauen  und  der  Priester.  Die  Jungfrauen  hießen  an 
diesem  Tage  Schwestern  Huitzilöpochtli's  ^  sie  trugen  auf  dem 
Haupte  Kränze  von  dttrren  Maisblättern,  in  den  Händen 
gespaltene  Rohre  und  stellten  so  die  dem  Mai  vorangegangene 
dürre  Zeit  dar.  Ihnen  gegenüber  versinnbildlichte  sich  die  neu 
belebte  Natur  in  den  Priestern,  deren  jeder  einen  Stab  trug,  auf 
dem  eine  Blume  von  Federn  steckte  nnd  deren  Lippen  mit  Honig 
bestrichen  waren ,  wie  der  Kolibri  (die  Tiergestalt  und  das  Sym- 
bol Hnitzilöpochtlis)  um  diese  Zeit  ans  den  Blumen  seine  Nahrung 
zieht  und  seine  Jungen  an  seiner  mit  Honigsaft  bedeckten  Zunge 
saugen  läßt  Zwischen  den  Priestern  befand  sich  ein  seit  Jahres- 
frist zum  Opfer  bestimmter  Gefangener,  „weiser  Herr  des 
Himmels ^^  genannt,  der  den  Gott  selbst  darstellte  -  und  die 
Freiheit  hatte,  die  Stunde  der  Qpferung  selbst  zu  bestimmen; 
er  starb  nicht  wie  die  übrigen  Kriegsgefangenen  auf  dem  Opfer- 
stein, sondern  auf  den  Schultern  der  Priester.^  Zur  Zeit  der 
Wintersonnenwende,  wenn  in  Mexico  Schnee  die  Gebirge  deckt, 
die  Pflanzen  keine  Nahrung  mehr  finden,  viele  Bäume  ihr  Laub 
verlieren ,  verfertigten  die  Priester  ein  großes  Bild  Huiteilopocht- 
li's  von  allerlei  Samen,  die  mit  dem  Blute  geopferter  Kinder 
zusammengebacken  waren.  Ein  Priester  des  QuetzalcoatI,  des 
Gottes  der  Fruchtbarkeit,  wie  sie  durch  den  woltätigen  Einfluß 
der  Luft  zu  Tage  tritt  (Müller  a.  a.  0.  583)  durchschoß  mit  einem 
Pfeile  dieses  aus  Feldfrüchten  verfertigte  Idol  und  schnitt  ihni, 
wie  den  Menschenopfern,  das  Herz  aus,  das  der  König,  der 
Stellvertreter  Gottes  auf  Erden ,  zu  essen  erhielt ;  den  Leib  aber 
verteilten  sie  für  die  Quartiere  der  Stadt  so,  daß  jeder  Mann 
ein  Stückchen  erhielt,  das  hieß  man  Teocnalo,  der  Gott,  den 
man   ißt'     Nach  Torquemada   u.  al   wurde   zu  derselben  Zeit 

1)  Prescott)  Eroberung  v.  Mexico  1, 601.  Clavigero  1, 417  ff.  Bemal.  Diaz, 
Entdeckung  von  Neuspanien  übers,  v.  Kehfueft  II ,  275.   Müller  a.  a.  0.  603  ff. 

2)  Clavigero  I ;  428.  343.  354.  421  ff.  Humboldt  Monum ,  134.  Tor- 
quemada Ind.  Monvohie  VI,  38.  Müller  a.a.O.  605.  Waitz»  Anthropolo- 
gie IV,  159. 


362  Kapitel  IV.     Baamgeister  als  Vegetationsdamonen: 

(Ende  December)  dem  Tialoc  (Gott  der  Feuchtigkeit  and  der 
Gewässer)  oder  den  Tlalocs  ein  gleicties  Opfer  im  Tempel  dar- 
gebracht oder  man  verfertigte  in  den  Häosern  Idole  aus  Samen, 
mit  denen  man  wie  mit  den  Menschenopfern  verfuhr,  während 
im  Tempel  ^wieder  einige  wirkliche  Menschen  geopfert  wurden.^ 
Am  10.  Mai,  am  Ende  der  dürren  Zeit  und  eben  vor  Anfang  der 
Begenmonate  nahm  der  in  der  Kleidung  und  mit  den  Attributen 
des  höchsten  Gottes  TetzcatUpoca  auftretende ,  mit  seinem  Namen 
benannte  Oberpriest^r  Staub  von  der  Erde  und  yerschluckte  ihn, 
am  19.  Mai  trugen  dann  in  den  Gott  verkleidete  Priester  das 
Bild  Tetzcatlipocas  auf  einem  aus  gedörrten  Maisstengeln  ver- 
fertigten Sessel  daher,  der  für  ein  Sinnbild  der  Dürre  erklärt 
wurde.  Die  Tempel  -  Jttnglinge  und  -Jungfrauen  und  viele  Vor- 
nehme trugen  ebenfalls  solche  Stengel  um  den  Hals  und  in  den 
Händen.  Neben  dem  Bilde  des  (Lottes  schritt  ein  seit  Jahres- 
frist mit  tiefster  Devotion  und  Verehrung  für  die  Rolle  des  Tets- 
oatUpoca  vorbereiteter  und  unterrichteter  schöner  Sclave,  dem 
man  20  Tage  vor  seinem  Tode  4  junge  Mädchen  zur  Gesell- 
schaft gegeben  und  seit  ö  Tagen  prächtige  Mahlzeiten  ausgerich- 
tet hatte.  Man  opferte  ihn,  bot  sein  Herz  dem  Götzenbilde, 
dann  der  Sonne  dar,  sein  Leib  wurde  von  Vornehmen  und  Prie- 
stern verspeist.^  Diesen  mexicanischen  Cultgebräuchen  stehen 
noch  einfachere  Formen  bei  wilden  Indianerstämmen  und  barba- 
rischen Völkern  Indiens  und  Airioas  zur  Seite.  Die  Panis  auf 
der  Westseite  des  Missisippi  pflegten  dem  von  ihnen  besonders 
verehrten  großen  Sterne,  der  Venus,  alljährlich  im  Frflhlinge 
(zuletzt  1837  oder  38)  ein  Opfer  zur  Erlangung  einer  guten 
Ernte  zu  bringen.  Der  Gefangene,  den  man  dazu  ausersehen 
hatte  (es  war  in  den  letzten  und  bekanntesten  Fällen  ein  Sioux- 
mädchen),/ wurde  wol  genährt  und  gepflegt,  über  sein  Schicks^ 
aber  in  Unwissenheit  gelassen.  Man  band  das  Opfer  auf  einen 
Scheiterhaufen  und  durchschoß  es  mit  Pfeilen ,  doch  ehe  es  starb, 
schnitt  man  Stücke  Fleisch  von  ihm  ab  und  ließ 
das  Blut,  welches  man  herauspreßte,  auf  die  junge 
Saat  fallen.^     Die  Khonds  in  Indien  brachten  der  Erdgöttin 

1)  Müller  a.  a.  0.  502.    V^Taitz  IV,  161. 

2)  MftUer  a.  a.  0.  S.  617.    Waitz  IV,  159. 

3)  De  Smet,  Mütsions  de  FOregon  et  voy.  anx  montagnes  roefaenses  1845, 
Gandl848.   J.  Imng,  Indian  sketches,  London  1835,  U,  136.   VV^aits  HI,  207. 


Der  Mairitt,  Erläatemog.  363 

Tan  Pennn  anter  Tänzen,  trunkenen  Orgien  ond  einem  Myste- 
rienspiel y  das  in  dramatiBchem  Dialog  den  Zweek  des  Bitos  dar- 
legte, ein  Mensehenopfer  dar,  dessen  vom  Schmerz  ausge- 
preßte Trähnen  die  Regenschauer  bedeuteten,  welche 
ihr  Land  befruchten  sollten.  Dann  rissen  sie  denOpfer- 
sclaven  in  Stücke  und  streuten  dieselben  ttber  die  Fel- 
der, die  sie  befruchtet  haben  wollten.^  In  Lagos  (Africa) 
wurde  alljährlich  ein  Mädchen  gepfählt,  um  ein  fruchtbares  Jahr 
EU  erzielen.'  So  gewiB  als  jede  Vermutung  historischer  Ver- 
wandtschaft zwischen  diesen  Bräuchen  ttberseeischer  Völker  und 
denen  des  europäischen  Landvolks  ausgeschlossen  ist,  bieten 
dieselben  brauchbare  Fingerzeige,  um  den  unter  verschiedenen 
Himmelsstrichen  sich  wiederholenden  Gedankengang  solcher  Natur- 
menschen ,  wie  auch  unsere  Vorfahren  unzweifelhaft  ehedem  waren, 
verstehen  zu  lernen.  Aus  verschiedenen  Analogien  ist  als  der 
diesen  Sitten,  zu  Grunde  liegende  Gedanke  die  Vorstellung  ^u 
entnehmen,  daft  der  Geist  des  geopferten  Sclaven  vermöge  des 
Blutes  oder  Fleischpartikels  auf  den  Acker  Ubeigehe  und  darin 
als  Fruchtbarkeit  erzeugender  Dämon  wirke.  Einen  ganz  ähn- 
lichen Grund  muß  die  Opferung  der  als  Centeotl,  Teteionan  und 
als  Huitzilöpochtli  in  seiner  Frtthlingsgestalt  gekleideten  und  nach 
diesen  Göttern  benannten  Sclaven  gehabt  haben,  welche,  (wie 
unsere  laubeingekleideten  Bursche,  neben  dem  Maibaum)  neben 
den  aus  grünen  Pflanzen^  oder  Samen  gefertigten  Götterbildern 
lüs  Doppelgänger  hei^ehn;  das  Blut  und  Fleisch  derselben  sollte 
die  Kraft  und  den  Segen  der  Fruchtbarkeitsgottheiten  auf  die 
Genießenden  übertragen.  In  einigen  dieser  Gebräuche,  welche 
kaum  Bchari'  von  den  andern  unterschieden  sind,  hat  es  den  An- 
sehein ,  als  ob  der  Tod  des  Gottes  nebenbei  die  Darstellung  eines 
Naturvorganges  sein  solle ;  die  Durchschießung  des  Bildes  üuitzi- 
löpochüis  zur  Zeit  der  Wintersonnenwende  und  die  Hinrichtung 
des  den  Tetzcatlipoca  darstellenden  Sclaven  zur  Zeit  der  Dürre 
Anfangs  Mai,  werden  von  Müller  nicht  ohne  Wahrscheinlichkeit 
aufgefaßt   als  Vergegenwärtigungen    des   ersehnten   und  bevor- 


1)  Macpherson,  India  oap.  VI.    Tylor,  Anfänge  der  Coltur  I,  117.  II, 
272.    Vgl.  Bastian  in  Zb.  f.  Völkerpsych.  V,  313. 

2)  J.  Adams,  Sketches  taken  during  ten  voyages  to  Africa  (1786  — 1800) 
London  s.  a.  p.  25.    Waiti  a.  a.  0.  II,  197. 


364  Kapitel  IV.    Banmgeister  als  Yegetationsdämoneii : 

stehenden  Dahinseheideng  dieser  Götter  in  ihrer  sehädliehen 
Naturform,  die  ja  sofort  in  anderer  Gestalt  als  segnende  Jahres* 
mächte  wieder  erscheinen  werden,  l'rotzdem  aber  versehen  Blut 
and  Fleisch  dieser  dahinsterbenden  Götter  oder  ihrer  Abbilder 
die  nämliche  Function,  die  wir  dem  Gottesleibe  in  den  Torher- 
gehenden  Beispielen  beigelegt  sahen.  Ich  bilde  mir  ein,  daß 
diese  Analogien  die  Frage  nach  der  Bedeutung  des  Köpfens 
unserer  Laubmänner,  wenn  auch  noch  nicht  zu  lösen,  so  doch 
auf  einen  zur  endlichen  Lösung  hiniUhrenden  Weg  zu  weisen 
wol  geeignet  sind.  Jedenfalls  ist  die  Möglichkeit  einer  Erklärung 
des  rätselhaften  Tödtungsprocesses  der  in  den  Mai-  und  Pfingst- 
brauchen  laubomhüllten  Personen  ohne  Widerapruch  mit  ihrer 
anderweitig  feststehenden  Bedeutung  als  Repräsentanten  der  Vege- 
tationsdämonen  erwiesen.  Nicht  mehr  beispiellos  dürfte  die  An- 
nahme genannt  werden ,  daß  man  in  grauer  Vorzeit  die  mit  Laub 
bedeckten  feierlich  aus  dem  Walde  geholten  Abbilder  des  Wachs- 
tumsgeistes oder  des  Frühlings  einst  zu  guterletzt  tödtete,  um 
die  mit  ihrem  Blute  besprengten  Aecker  und  Personen  in  gestei- 
gertem Grade  ihres  Lebens,  ihrer  göttlichen  Kraft  teilhaftig  zu 
machen.  Und  noch  eine  Möglichkeit  scheint  mir  aus  den  bei- 
gebrachten Analogien  hervorzugehen.  Für  gewisse  Fälle  dürfte 
eine  Vereinigung  beider  in  a  und  b  aufgestellter  Erklärungsver- 
suche das  Rechte  treffen,  insofern  es  auch  Gebräuche  giebt, 
welche,  wie  es  scheint,  zunächst  den  Tod  der  winterlichen 
Gestalt  des  Vegetationsdämons  darstellen  sollen ,  die  Darstellung 
in  ihren  Aeußerlichkeiten  aber  ganz  der  Analogie  des  Brauches 
folgen  lassen,  welcher  nichts  weiteres  als  die  Mitteilung  des 
Leb^ssaftes  und  der  Lebenskraft  des  Numen  bezweckte.  Da  es 
uns  einstweilen  noch  unmöglich  ist,  die  im  Vorstehenden  aas- 
gesprochenen Vermutungen  durch  kritische  Vergleichung  zu  ent- 
schiedenem Beweise  zu  bringen,  begnügen  wir  uns  damit,  die- 
selben als  eine  eingehenderer  späterer  Prüfung  und  Erörterung 
bedürftige  Hypothese  mitgeteilt  zu  haben,  und  wenden  uns  zur 
Besprechung  weiterer  Züge  in  der  Einholung  des  Pfingstlümmels 
und  seiner  Sippschaft  zurück. 

In  mehreren  Spielarten  wird  der  rohere  Brauch  der  Köpfung 
des  Pfingstlümmels  oder  Pfingstkönigs  durch  das  Eintreten  einer 
oder  mehrerer  neuer  Gestalten  ersetzt,  welche  nur  durch  ihren 
Namen  an  eine  derartige  Handlung  erinnern;   so  ia  Zimmern 


Der  Mairitt»  Erlftntenuig.    '  366 

darch  Goliath  nnd  David  (o.  S.  352)^  in  Nugplingen  durch  König 
Ludwig  XVI.  von  Frankreich  (o.  S.  352).  Wie  hier  der  eine  Vege- 
tationsd'ämon  in  die  Gestalten  des  PfingsÜ  und  des  enthaup- 
teten  Franzosenkönigs  gespalten  ist,  so  in  Nusplingen  in  die 
des  Pfingstbutz  und  des  nach  S.  322  uns  wohlverständlichen 
berußten  Mohrenkönigs;  in  Zimmern  ist  der  Pfingsthagen  der 
ungeratene  Sohn  des  Mohrenkönigs  und  daneben  tritt  als  dritte 
Verkörperung  desselben  Gedankens  Goliath  auf  (o.  S.  351).  In 
Sanerlach  in  Oberbaiem  erscheinen  außer  ^em  Wasservogel  ein 
rußiger  Kaminfeger  und  ein  schwarzer  Teufel  (o.  S.  3r>2);  im 
Hinterweidental  in  der  Pfalz  wird  der  Pfingstquack  zwischen 
4  Reitern  mit  geschwärzten  Gesichtern  dahergeftlhrt.  Im  Kreise 
Budweis  tragen  die  Pfeiffer  im  Gefolge  des  Pfingstkönigs  ein 
geschwärztes  Antlitz  (349.  342).  Zu  Nusplingen  ist  der  Mohren- 
könig  zu  einem  türkischen  Kaiser  oder  Sultan  geworden  (o.  S.  352). 
Hier  tiberall  wird  durch  diese  Gestalten  die  Unsichtbarkeit,  die 
geisterhafte  Natur  des  Vegetationsdämons  angedeutet,  die  im 
bairischen  Brauche  ungeschickt  genug  auch  so  dargestellt  wird, 
daß  dem  Wasservogel  die  Augen  verbunden  werden  mit  naiver 
Umkehmng  des  Sachverhalts;  statt  zu  machen,  daß  er  von  den 
andern  nicht  gesehen  werde ,  bewirkt  man ,  daß  er  sie  nicht  sehen 
kann.^  Was  der  weiße  Mann  in  Wurmlingen,  der  schnee- 
weiße Gemahl  in  Nusplingen  bedeute,  wage  ich  nicht  zu  sagen; 
die  in  einem  folgenden  Abschnitt  von  der  Maibraut  aufgeftihrten 
Tatsachen  leiten  darauf  hin ,  auch  in  ihm  eine  Gestalt  des  Vege- 
tationsgeistes im  Lenze  zu  erkennen ,  unwillkürlich  lenkt  sich  der 
Gedanke  auf  den  weißen  Blütenschuee  (o.  H.  351). 

Der  böhmische  Maikönig,  der  eine  lange  Hagedomrute  in 
der  Hand  trägt,  wird  im  Kreise  umhergejagt  (o.  S.  343)  oder, 
falls  er  beim  Wettritt  eingeholt  wird,  mit  Haselruten  gepeitscht 
(o.  S.  354).  Im  Wurmlinger  Pfingstritt  ist  nur  etwas  verblaßt 
derselbe  Zug  erhalten.  Der  mit  Ruß  geschwärzte  Mohrenkönig 
wird  vom  Korporal  mit  einem  Stock  geschlagen.  Der  Korporal 
wirft  dem  Könige  vor,  daß  er  zu  lange  im  Bette  gelegen  habe 
und  zu  spät  aufgestanden  sei ,  droht  ihn  im  Wasser  zu  ertränken 
und  sagt  schließlich:  „Den  Stock  ftthr'  ich  allezeit  mit  mir,  kann 
eins-  'naufschlagen  dir.''    Der  König,   der  Land  und  Leute  ver- 


1)  Panzer  U,  89,  134. 


S66  Kapitel  tV.    BftningeiBter  als  Vegetationsdamonen:  ^ 

loren  hat  und  lieber  im  Bette,  als  auf  dem  Felde  schl&ft,  da 
wegen  der  kalten  Herbst-  und  Wintermonate  es  auf  dem  Felde 
nicht  gnt  wähnen  sei,  bittet  vergeblich:  ,, Korporal,  laB  mich 
unkeit''  (ungeschlagen).^  Im  Erzgebirge  wird  der  Pfingstlttmmel 
durchs  Dorf  gepeitscht  (o.  S.  321),  die  Begleiter  des  Schnak 
tragen  lange  Rnten  (o.  S.  324).  Nicht  minder  wird  zu  Zimmern 
im  Remstale  der  Pfingstlttmmel  mit  „Prttgeln^'  bedroht*  Auch 
in  der  Grafschaft  Teklenbnrg  wird  der  die  Pinxterblome  darstel- 
lende Barsche  mit  Stecken  einhergetrieben  (o.  S.  319)  und  nicht 
minder  tragen  die  Jungfrauen  im  Gefolge  des  Regenmädchens 
bei  Burkhard  von  Worms  jede  eine  Rute  in  der  Hand.  Diese 
Zttge  mttssen,  da  auch  der  Vorwurf  des  Zuletztaufstehens  gegen 
den  Pfingstlttmmel  mit  dem  gleichen  Vorwurf  gegen  die  Schmack- 
osterten  hinzukommt  (o.  S.  253.  257.  259  u.  s.  w.)  auf  die  Lebens- 
rute gedeutet  worden.  Sie  verstärken  die  o.  S.  319  ausgespro- 
chene Vermutung,  daß  die  mit  dieser  Rute  Schlagenden  und 
Geschlagenen  mythische  Wesen,  Vegetationsdämonen  (Baum-, 
Korn  - ,  Pfianzengeister)  nachahmen  sollen.  Die  mehrfach  hervor- 
tretende Laubeinhttllung ,  oder  Rindenbekleidung  auch  der  Beglei- 
ter des  Pfingstkönigs  (o.  S.  343)  läßt  ebenso  wie  die  Ceremonie 
des  Wettritts,  die  Rede  vom  Zuletztattfstehen  (o.  S.  351)  erken- 
nen, daß  von  einer  Mehrheit,  einer  ganzen  Schaar  von  Vege- 
tationsdämonen die  Rede  war,  unter  denen  der  Maikönig  nur 
als  der  vorzüglichste  hervorragt  und  daß  die  ihn  festlich  aus  dem 
Walde  einholenden  Mensehen  von  diesem  Gefolge  zu  trennen  sein 
werden. 

Im .  allgemeinen  ist  der  Pfingstritt  nichts  anderes ,  als  eine 
feierlichere  Weise  der  Einholung  des  Laubmanns  oder  Maikönigs. 
Dem  Könige  gebtthrt  reisiges  und  wehrhaftes  Gefolge  und  die 
Ehre  des  Empfangs  durch  wafienfrohe  und  berittene  Mannschaft; 
daher  die  vielen  Namen  kriegerischer  Aemter  im  Aufzuge ,  neben 
denen  doch  noch  im  Koch,  Kellermeister,  Krflgelmann  (o.  S.  350) 
nnd  ähnlichen  Gestalten  die  Erinnerung  an  •  die  zur  Annahme 
der  Victualien  ausgerttsteten  Beamten  des  Umgangs  (Eierkrätt, 
Schmalzhaf  (o.  S.  325)  fortdauert  Daß  der  Maienführer,  Fähndrich 
oder  Oberst  auf  den  Säbel  an  der  Seite  pochend  sich  rtthmte, 


1)  Meier  S.  412. 

2)  Meier  406 ,  100. 


Der  Mairitt,  ErÜiatefiing.  d67 

mit  den  Tttrken  müsse  er  streiten,  ist  wol  nur  soldatische  Prah- 
lerei und  keinesweges  fiest  der  Darstellung  eines  Kampfes  mit 
den  Mächten  des  Winters,  der  allerdings  in  vereinzelten  Formen 
verwandter  Gebräuche  in  das  Spiel  mit  hineingezogen  ist  In 
mehreren  Spielformen  sehen  wir  den  Pfingstkönig  nnd  seine 
Hypostasen  (Mohrenkönig,  Teufel,  Kaminfeger,  schneeweift  Gemahl, 
Goliath  n.  s.  w.)  sammt  dem  notwendigen  Gefolge  reisiger  Tra- 
banten nnd  Kttchenbeamten  durch  fremde  Gestalten  vermehrt, 
welche  entweder  aus  anderen  Frflhlingsaufzttgen  verwandter  Bedeu- 
tung hinttbergenommen  sind  (wie  Hansel  und  Gretel  auf  dem 
Schleifrade ,  Hochzeitleute  mit  Braut  und  Bräutigam)  oder  welche 
für  den  Gedanken  des  Festes  ganz  bedeutungslos  nur  die  Ten- 
denz verraten,  die  bunte  Fülle  der  Masken  durch  einige  auffal- 
lende Figuren  zu  vergrößern  (sg.  Stadtherr  und  Bauermädchen, 
der  bairische  Hirsel,  Bacchus,  Hexe,  Martin  Luther  und  Kätchen, 
Schäfer  und  Hund ,  RoBdieb  u.  s.  w.).  Der  Sinn  der  Feier  wird 
überhaupt  nicht  mehr  verstanden.  Dies  lehren  aufs  deutlichste 
die  sinnlosen  oder  mindestens  großenteils  jedes  Bezuges  auf  die 
Bedeutung  der  Prozession  entbehrenden ,  nur  aus  dem  ihnen  zuge- 
schriebenen Gharacter  hervorgehenden  Reden,  welche  den  ein- 
zelnen Personen  der  Handlung  in  den  Mund  gelegt  werden. 
Ohne  die  innere  Einheit  einer  dramatischen  Action  ist  hier  doch 
ein  Ansatz  zu  einer  dramatischen  Schaustellung  gemacht,  deren 
Figuren  von  der  starren  Natnrgebundenheit  sich  loslösen  und  der 
Freiheit  eines  menschlichen  Gharacters  entgegenstreben.  Wo  der 
Aufzog  ganz  vollständig  ist,  reitet  ein  Platzmeister  voraus,  der 
den  Ort  der  Darstellung  fttr  die  Begehung  derselben  freimacht 
und  von  dem  Zudrange  des  Publicums  säubert.  Einer  oder  meh- 
rere bebänderte  Maibäume  werden  dem  Zuge  vorausgetragen; 
der  Pfingstl,  Pfingstlümmel  reitet  oder  geht  in  der 
Mitte  zweier  Begleiter,^  deren  Fürsorge  für  ihn  nötig  war. 


I)  Der  Pfingstl  in  Niedcrbaiern  geht  zwischen  den  zwei  Weisern  o. 
S.  320.  Panzer  I,  236.  Der  Wasser  vogel  in  Angshnrg  wird  von  zwei  an  den 
Knahen  in  der  Stadt  hemmgef&hrt.  Meier  420,  104.  Die  primitivste  Art 
des  Pfingstreitens  ist  dem  entsprechend  die,  daß  der  Pfingstlümmel  nur  von 
2  Reitern  im  Dorfe  umhergeführt  wird.  So  im  Remstale.  Meier  408,  100; 
ferner  in  Markt  -  Biberbach  in  Schwaben.  Panzer  II,  89,135.  Diese  Beglei- 
tang  bleibt  in  der  Regel  aach  dort,  wo  das  Gefolge  des  Pfingstbutsen  sich 
vergrößert.    So   hat  der  Pfingstlfimmel  zn  Hohenstadt  2  Trabanten  rechts 


368  Kapitel  IV.    BanmgeiBter  ala  Vegetationsdämonen: 

da  er  in  seiner  Laubböhle  nichts  oder  wenig  seilen  konnte.  Der 
Pfingstritt  in  den  beschriebenen  deutschen  Formen  ist  zunächst 
verwandt  mit  der  o.  S.  162  Anm.  3  angeführten  französischen 
Sitte,  wonach  am  1.  Mai  1414  der  Bastard  von  Bourbon  mit 
200  Rittern  und  einem  stattlichen  Gefolge  von  Faßvolk  nach  vor- 
heriger Ansage  den  Btlrgem  von  Gompiegne  den  Mai  brachte;  in 
festlichen  (uicht  zam  ernsten  Kampfe  bestimmten)  Harnischen 
(hamais  de  föte)  zogen  sie  vor  das  Tor  der  Stadt,  indem  sie 
einen  groften  grünen  Zweig  mit  sich  führten  ,,poar  les  esniayer/' 
Hier  wird  also  statt  des  Pfingstbatzes  und  des  Maibaums  der 
letztere  allein  beritten  eingebracht;  die  Empfängerin  ist  eine  Stadt 
und  die  geleitenden  Reisigen  stellen  ein  kriegerisch  geschmücktes 
Ehrengefolge  dar.  Da  sehen  wir  den  bäurischen  Aufzug  der 
vorigen  Beispiele  ins  Ritterliche  übersetzt.  Auch  in  England 
gingen  die  Mairitte  und  zwar,  schließlich  in  ein  Schützenfest  aus- 
laufend ,  ins  Hof  leben  über.  König  Heinrich  VUI.  übte  den  Brauch 
fast  jährlich.  So  1511:  The  first  of  maye  the  kinge  accom 
paignied  with  many  lusty  Batchelers  on  greate  and  well  doing 
horses  rode  to  the  wodde  to  fetch  May,  where  a  man  might  have 
Seen  many  a  horse  raysed  on  highe  with  galope,  turne  and 
stoppe ,  meruaylous  to  behold :  where  he  and  3  other  . . .  whieh 
were  chalengers  with  the  kyng  shyfted  them  selfes  into  cotes  of 
grene  satyn,  garded  with  crymosyn  veluet  1510:  On  mayday, 
than  next  folowyng  in  the  2  yere  of  bis  reygne  hys  grace  beynge 
yonge  and  willyng  not  to  be  idell,  rose  in  the  momynge  very 
early  to  fetche  May  or  grene  bowSy  hym  seife  freshe  and  lychely 
appareyled  and  clothed  all  bis  knyghtes  Squyers  and  Gentlemen  in 
whyte  satyn  and  all  hys  garde  and  yomen  of  the  croune  in 
white  sarcenet :  and  so  went  every  man  with  bis  bove  and  arrows 
shotyng  to  the  wood  and  to  repaired  to  the  court  every  man 
with  a  grene  bough  in  his  cappe  and  at  bis  retumyng  many 
hearynge  of  bis  gooyng  a  Maiyng  were  desirous  to  se  bim 
shote,  for  at  that  tyme  his  grace  shotte  as  strong  a»  any  of 
his  garde.  ^ 


und  links  Birlinger  II »  123 .  148.  Zu  Fulgenstadt-  wird  der  fiatzeler  in  Mitte 
zweier  Mitkameraden ,  die  ilrn  an  einem  Seile  halten,  dnrchs  Dorf  geritten. 
Birlinger  a.  a.  0.  136,  150. 

1)  HaUs  Chronicle  (1548)  London  1809  p.  520.  515. 


Der  Maigraf.  d69 

§  9.  Ber  'Mal^af.  Eine  besondere  Spielaxt  des  Pfingstritts 
bildete  der  mailiche  Festbranch  mittelalterlicher  Schutzgilden^ 
welcher  in  den  hanseatischen  Städten  Niederdeutschlands,  sowie 
in  mehreren  dänischen  und  schwedischen  Ohen  yorzttglich  wäh< 
rend  des  15.  und  16.  Jahrhunderts  in  Blttte  war,  sodann  verfiel 
und  im  17.  an  einigen  Orten  erst  im  18.  Jahrhundert  sein  Ende 
erreichte.  Sein  hervorstechendstes  Merkmal  war  der  Name  Mai- 
graf, Maigrave  flir  den  Pfingstl.  Am  ersten  Maitag,  oder  zu 
Pfingsten  ritten  die  Brttder  der  Gilde  in  blankem  Waffenschmuek 
mit  dem  Maigrafen  des  alten  Jahres  vor  die  Stadt  hinaus  ins 
freie  Feld;  hier  wurde  der  neue  Maigraf  gekoren;  man  hing  ihm 
einen  natürlichen  oder  künstlichen  Kranz  um  den  Hals.  Dann 
hielt  er  seinen  feierlichen  Einzug  in  die  Stadt,  wo  der  alte  Mai- 
graf auf  der  Gildestube  einen  «großartigen  Festschmauft  auszurich- 
ten pflegte.  Im  I^iaufe  der  nächsten  Wochen  folgte  bisweilen  ein 
mehrmaliger  Ausritt  des  neuen  Maigrafen  und  kleinere  Trink- 
gelage. Mit  dem  Maigrafenfest  waren  öfters  Schützenfeste,  Vogel- 
schießen (Papageienschießen)  verbunden.  Dies  der  allgemeine 
Charaeter  des  Festbrauchs ,  dessen  Einzelheiten  wir  einer  Abhand- 
lang entnehmen  dürfen,  welche  jüngeren  Fachgenossen  als  ein 
recht  vielfacher  Nachfolge  würdiges  Muster  monographischer 
Behandlung  empfohlen  zu  werden  verdient.  Nachdem  zuerst 
Jacob  Grimm  ^  mehri'ache  Zeugnisse  ftir  den  Maigrafen  zusam- 
mengelesen, sodann  Barthold'  und  Uhland^  denselben  bespro- 
chen hatten,  hat  Eduard  Pabst  ihm  eine  eigene  Schrift:  „die 
Volksfeste  des  Maigrai'en^'  Berlin  1865.  gr.  4.  89  S.  gewidmet, 
welche  eine  sehr  reichhaltige  und  sorgfältige  Sammlung  und  kri- 
tische Erörterung  der  Originalnachrichten  über  diesen  Gegenstand 
enthält  Die  älteste  Erwähnung  bezöge  sich  auf  die  Metropole 
der  Hansastädte,  wenn  die  Angabe  Hnitfeldts  (f  1j608)  histo- 
rische Glaubwürdigkeit  hätte,  daß  die  Lübecker  im  Jahre  1'226 
das  Joch  der  Dänen  am  St.  Walpurgistag  abgeschüttelt  hätten, 
indem  sie  den  dänischen  Voigt  unter  dem  Vorgeben,  ihn  zum 


1)  Myth.»  4414  Myth.«  735—38. 

2)  DentBches  Bürgortam  in  Pommern  in  Räumers  liistor.  Taschenbuch 
X.  1839.  S.  66  ff.  Ders.  Geschichte  der  deutschen  Städte  III.  '  Lpz^.  1851. 
8.  31  ff. 

3)  Pfeiffers  Germania  V,  S.  276 -83.    Schriften  III,  1866  S.  3i— 35. 

Hannhsrdt.  24 


370  Kapitel  IV.    Baamgeister  als  Vegetationsdamonen : 

Maigrafen  wählen  zu  wollen  Tor  die  Stadt  auf  das  freie  Feld 
lockten,  indeß  die  Bflrger  seine  Zwingburg  einnahmen  und  bra* 
eben.  Diese  Erzählung  beruht  aber  nur  auf  einer  unverbürgten 
Sage,  und  man  wird  kaum  umhin  können,  Pabst  Recht  zu  geben, 
wenn  er  als  wahrscheinlich  annimmt,  daß  hier  ein  mythisches 
Factum,  die  Niederreißung  der  Burg  des  Winters  am  Maitage,  mit 
einer  geschichtlichen  Erinnerung  sich  verbunden  habe.  Nur  so 
viel  wird  auch  dieser  Sage  zu  entnehmen  sein,  daß  in  Lübeck 
im  16.  Jahrhundert  das  Maigrafenfest  nicht  unbekannt  war.  In 
Wismar  wird  dasselbe  zuerst  um  1400  in  den  Gesetzen  der 
Papageiencompagnie,  einer  seit  Mitte  des  14.  Jahrhunderts 
bestehenden  reich  begüterten  Gilde  der  Brauer  und  Kaufleate 
als  eines  ihrer  Feste  erwähnt;  in  Greifswald  1528,  in  Stralsund 
1474.  Dort  (in  Grei&wald)  erscheint  der  Mairitt  als  Sache  des 
Rates,  hier  als  Festlichkeit  der  auf  König  ArendshoiT  (Artushof) 
sich  versammelnden  Gilden.  In  Danzig  beginnen  die  Nachrich- 
ten über  das  Fest ,  das  von  der  St  Georgenbrüderschail ,  die  ans 
Abkömmlingen  ritterbürtiger  Geschlechter,  sowie  dem  Schoppen- 
und  Ratscollegium  bestand,  und  die  eine  vornehmere  Hauptab* 
teilung  der  auf  dem  Artushofe  tagenden  Brüdei^schaft  bildete, 
am  Pfingstmontage  oder  Dienstage  in  Verbindung  mit  dem  Vogel- 
schießen begangen  wurde,  erst  1486,  in  Heiligenbeil  1543.^  In 
Riga  wird  des  Maigrafen  zuerst  in  gewissen  aus  Anfang  saec.  XV. 
herrührenden  Bestimmungen  in  der  Schra  der  Kumpanie  der 
Kaufleute  gedacht,  welche  sich  später  große  GUde  nannte  and 
mit  den  Schwarzen -Häuptern  zusammen  im  König  Artushofe 
zusammen  kam.  Sie  hielt  zu  gleicher  Zeit  mit  dem  Maigrafen- 
fest ein  Schützenfest  und  Schützentrünke.  In  Reval  tritt  der 
Maigraf  schon  etwas  früher,  Ende  saee.  XIV.,  in  Verbindung  mit 
einem  Papageienschießen  aui';  1408  ist  das  erste  bestimmt  nenn- 
bare  Jahr.  Auch  hier  war  die  Groß-  oder  Kaufmannsgilde, 
weldie   auch   Kindergilde  hieß,   die  Veranstalterin   des   Festes. 


1)  Herzog  Albrecht  von  Preußen  sagt  1543  in  der  Anordnung  f&r  die 
Stadt  Heiligenbeil.  F.  D.  befinden,  daß  man  jährlich  einen  Gebrauch  in 
Kinholung  des  Meygrebcns  hat  und  denen ,  die  nicht  genug  dazu  haben ,  den- 
noch zum  selbigen  zwingen  thnt;  derwegon  ist  F.  Durchlaucht  Befehl,  daß 
man  hinfort  zu  demselbigen  Brauch  niemand  zwinge.  Weil  aber  dieß  Jahr 
einer  um  eine  Tonne  Bier  gebüßt  seyn  soll,  soll  man  ihm  diese  wieder 
erstatten.    Katsbuch  115. 


Der  Maigraf.  371 

In  Hiidesheim,  woher  uns  eine  ausführliche  Beschreibung  aus 
dem  18.  Jahrhundert  zusteht,  welche  Nachrichten  des  16.  Jahr- 
hunderts willkommen  ergänzt ,  war  E.  E.  Bat  der  Stadt  der  Fest- 
geber. Auch  zu  Bremen  wird  1547  auf  Befehl  des  Bates  der 
Kämmerer  Thiele  von  Gleve  am  Pfingsttag  den  29.  Mai  zum 
Maigrafen  gewählt,  der  dann  mit  einem  stattlichen  Grefolge  von 
Beitem  in  die  Stadt  geflihrt,  das  Gastgebot  hielt  Zu  Aalborg 
war  es  die  aus  dänischen  und  deutschen  Kaufleuten  (mit  Aus- 
schluß der  Handwerker)  bestehende,  1441  gestiftete  Fapagoien- 
gilde  (oder  Gudlegemslaug),  welche  am  Walpurgistage  im  Holze 
die  Maigrevenwahl  vornahm,  sodann  den  Papagei  von  der  errich- 
teten Stange  abschoß  und  mit  ihrem  Papageienkönig  und  Mai- 
greyen  zur  Stadt  zog.^  In  Malmö  und  Lund  feiern  die  Kanuts- 
gilden ^  (A.  1549.  1586)  am  Walborgstag  den  Einritt  des  Mai- 
grafen; in  letzterer  Stadt  giebt  es  auch  ein  Papageienschiefien. 
In  Dänemark  finden  wir  endlich  den  Einritt  des  Maigreve  mit 
darauffolgendem  Gelage  (Gilde)  als  Maitagsbelustigung  der  Dörf- 
ler wieder.  Die  ausitlhrhchsten  Nachrichten  tlber  den  Festbrauch 
besitzen  wir  aus  Beval,  Biga,  Danzig  und  Hildesbeim.  In  Beval 
wurde  der  Maigraf  (1473)  wol  am  Walbuigistag  auf  freiem  Felde 
von  dem  bisherigen  oder  alten  Maigrafen,  dem  Aeltermann  der 
GiMe,  seinen  Beisitzern  und  den  dazu  eigens  eingeladenen  Bür- 
germeister und  Batmannen  gekoren.  Er  mußte  bemittelt  sein, 
um  die  kostspielige  Pflicht,  reiche  Pracht  zu  entfalten  und  bei 
eigenem  Buhm.  ftlr  Anderer  Lust  und  G^nuß  zu  sorgen,  über- 
nehmen zu  können.  Am  nämlichen  Tage  scheint  man  mit  ihm 
feierUeh  in  die  Stadt  eingeritten  zu  sein,  derselben  den  Mai 
gebracht  zu  haben.  Der  neue  Maigraf  hielt  Pfingstmontag  und 
<  Dienstag  noch  einen  Ausritt.  Am  Frohnleichnamstage  nahm  er 
unter  Vortritt  zweier  Wachskerzenträger  an  hervorragendem  Platze 
zwischen  den  vornehmsten  Korporationen  der  Stadt,  dem  Sacra- 
mente  voransohreitend ,  an  der  Prozession  Teil.  Sein  Amt  behielt 
er  ein  Jahr  lang.  Am  Abend  der  Wahl  des  Maigrafen  fand  ein 
kostbares  Bankett  auf  der  Gildestube  statt;  es  ist  nicht  festzu- 
stellen, ob  der  Abtretende,  oder  Neueintretende  es . auszurichten 
verpflichtet  war.     Auch  die  Bigenser  kflren  ihren  Maigrafen  auf 


1)  Wilda,  das  Gildenwesen  im  Mittelalter,  Berlin  18B1.  S.  286. 

2)  Ueber  diese  s.  Wilda  a.  a.  0.  100  fL 

24* 


372  Kapitel  IV.    Baumgeister  als  Vegetationsdamonen: 

freiem  Felde  aus  den  Gildebrttdern ^  die  mit  aasgeritten  sind;  er 
wählt  sofort  seine  Amtsieute  (d.  h.  den  Marsehall  und  den  Bei* 
reiter),  weil  diese  schon  bei  dem  feierlichen  Einritt  zn  ihngieren 
haben ;  die  Schaffer  ernennt  er  erst  in  der  Gildestube  mit  Bewil- 
ligung des  Aeltermanns  und  seiner  Weisesten.  Am  Maitag  ist 
sein  höchster  Ehrentag;  dann  giebt  der  alte  Maigraf  seine  „rechte 
Kost;^^  der  neue  darf  noch  mehrere  Ausritte  halten  bis  zur  Woche 
nach  Pfingsten.  In  Danzig  war  die  Karalkade  des  Mairittes  im 
Anfange  des  16.  Jahrhunderts  zu  besonderer  Pracht  gediehen. 
Nicht  allein  die  Junker  der  St.  Georgenbrttderschafty  zu  der  wol 
fast  sämmtliche  Mitglieder  des  Bates  gehört  haben  werden  j  ritten 
am  Pfingstmontag  mit  kostbar  ausgerüsteter  Kavalkade  ins  Feld, 
um  daselbst  einen  Obersten,  den  sie  Maigrafen  nannten,  zu  wäh- 
len und  ihm  einen  Kranit  von  Mai  um  den  Leih  eu  hängen, 
sondern  1515  hatte  E.  E.  Bat,  auf  daß  die  Harnische,  Spiefte 
und  Wehren  rein  und  bei  der  Hand  gehalten  werden,  befohlen, 
daß  sich  die  waffenfähige  Bürgerschaft  mit  in  den  Mai  rüsten  sollte, 
ein  jeder  nach  seiner  Gelegenheit  zu  Fuße  und  zu  Rosse.  Im 
Jahre  1552  wurde  der  Maigrefe  eingeholt  mit  234  Pferden  in 
vollem  Harnisch  und  Rüstung ,  460  Fnß^ngem  mit  langen  Spießen 
und  Harnischen,  480  andern  die  mit  Hellebarden  und  Schlacht* 
Schwertern  bewaffnet  waren.  Die  Uebrigen  trugen  Feuergewehre 
(Röhre).  Im  Ganzen  waren  es  1844  in  4  Fähnlein  mit  Pfeiffen 
und  Trommeln.  Hatten  die  Junker  sodann  aus  ihrer  Mitte  den 
Maigrafen  gekoren ,  und  waren  sie  mit  ihm  feierlich  eingeritten, 
so  speisten  sie  mit  ihm  auf  ihrem  besonderen  Versammlnngshanse 
(am  jetzigen  Langgasser  Tore) ;  Nachmittags  fand  in  ihrem  Som- 
merschießgarten am  Hagelsberge  das  Vogelschießen  mit  Arm- 
brüsten, am  Abende  das  große  Banket  und  Tanz  mit  Jungfern 
und  Frauen  im  Artnshofe  statt.  In  Stralsund  war  es  Sitte,  daß 
der  Maigraf,  wenn  er  bei  einem  Maireiten  abschied,  seinen 
Kranz  dem  erwählten  Nachfolger  überreichte,  der  nachher  des- 
selben Jahres  auch  in  den  Mai  ritt  und  sein  Gelage  auf  dem 
Artushofe  gab,  aber  beim  nächsten  Mairitt  des  folgenden  Jahres 
den  Kranz  fUr  den  Nachfolger  wieder  hinausbrachte.  Als  1564 
das  Maigrafenfest  nach  einer  längeren  Unterbrechung,  die  durch 
die  großen  Unkosten  des  auszurichtenden  Schmauses  herbeige- 
llihrt  war  (Herr  Johann  Hofmeister  hatte  200  Fl.  aufgewandt), 
wieder  erneuert  wurde,  brachte  statt  des  inzwischen  gealterten 


Der  Maigraf.  373 

letzten  Maigrafen  ein  Ratsherr  den  Kranz  hinaus.  Im  Zage 
befanden  sich  ein  Bflrgermeister,  4  Ratmanne  und  ungefähr  200 
Mann  mit  Harnisch  gerüstet  zu  Pferde;  nach  einer  andern  Nach- 
richt wären  es  100  ziemlich  gerüstete  Pferde  gewesen.  Wahr- 
scheinlich gehörten  diese  den  eigentlichen  Festgebem,  Mitglie- 
dern des  Artttshofes  an.  Es  wird  ausdrücklich  erwähnt,  daß  sie 
das  Fest  erneuerten ,  um  die  Rüstungen  und  Wehren  zu  mustern. 
In  Greifswalde  scheint  der  Brauch  darauf  hinaus  gegangen  zu 
sein ,  daß  der  Maigraf  bei  seinem  Festgelage  den  Kranz  dem 
jüngsten  Ratsherrn  aufsetzte  und  diesen  dadurch  zum 
Nachfolger  weihte.  Derselbe  ritt  dann  am  Maitag  des  näch- 
sten Jahres  in  dem  Mai  aufs  Feld  und  wieder  zurück,  wobei 
ihm  ein  Knabe  aus  vornehmer  Familie  als  Schildjunge  den  Kranz 
vorfllhrte ,  den  er  wiederum  bei  seinem  Gelage  dem  nun  jüngsten 
GoUegen  übergab.  Der  Kranz  mag  demnach  wol  ein  künstlicher 
gewesen  sein.  —  Wenn  in  Wismar  in  der  Pfingstwoche  vor  dem 
Lttbischen  Tore  der  Vogel  abgeschossen  werden  sollte,  setzte 
sich  die  Papageiengesellschaft  in  folgender  Ordnung  nach  dem 
Schießplatze  in  Bewe^ng.  Voran  zwei  Bürgermeisterdie- 
ner, die  zwischen  sich  einen  aufs  beste  geschmückten 
Knaben  auf  einem  Pferde  führten,  sodann  der  alte  Schützen- 
könig in  Begleitung  der  Bürgermeister  an  der  Spitze  des  ganzen 
Rats^  drittens  der  (alte)  Maigraf  zwischen  zwei  Schaffern 
der  Papageiengesellschaft,  zum  Schluß  die  gesammten  Glie- 
der der  Gesellschaft.  Bei  dem  Bankett  nach  beendigtem  Schießen 
hielten  der  alte  und  der  neue  Schützenkönig,  drei  verheiratete 
und  vier  unverheiratete  Bürger  sammt  ebenso  vielen  Frauen  und 
Jungfrauen  den  ersten,  der  Maigraf  mit  seinem  Zuge  ordneten 
den  zweiten  Tanz.  Einige  Tage  später  gab  der  neue  Schützen- 
könig sein  Gelage.  In  einer  früheren  Stunde  dieses  Tages  wurde 
solenniter  der  neue  Maigraf  gewählt,  der  darauf  wol  seinen  Ein- 
ritt hielt  In  Hildesheim  wurde  ein  vom  Riedemeisteramte  prä- 
sentierter und  vom  Magistrat  erwählter  junger  Bürger  zum  Mai- 
grafen des  Jahres  bestellt.  Am  Tage  vor  Pfingsten  erfolgte  sein 
Ausritt  Morgens  um  sechs  Uhr  marschierten  24  Stadtsoldaten 
mit  2  Unteroffizieren  nach  Uppen  und  begleiteten  von  dort  einen 
bereitstehenden  vierspännigen  Maiwagen  in  den  Wald.  Daselbst 
lag,  naßh  Anweisung  der  Holzgeschworenen  durch  die  Holzerben 
von  sieben  Dörfern  gehauen,  der  grüne  Mai,  den  die  Stadt  zum 


374  EApitel  IV.    Baumgeister  als  Vegeti^tionsdämonen: 

Pfingstfichmnek  branehte;  was  gehauen  war,  mußte  aufgeladen 
*  werden.  Die  Holzen  begleiteten  den  beladenen  Wagen  bis  Up- 
pen.  Hierhin  setzte  sich  etwas  später  als  jenes  Gommando  der 
8tadtsoldaten  der  aus  seinem  Hause  von  den  Riedemeistem  und 
Gefolge  abgeholte  von  seiner  Freundschaft  begleitete  Maigraf  in 
Bewegung,  der  an  Pracht  und  Kostbarkeit  das  möglichste  zu 
leisten  suchte.  Voraus  ritten  der  Stallmeister  und  der  Bauver- 
Walter  nebst  Dienern,  sodann  der  Maigraf  zwischen  den 
beiden  Riedemeistern,  endlich  zwei  Abteilungen  der  bewaff- 
neten und  berittenen  ßüi^erschaft  unter  Vorritt  von  Trompetern, 
drei  Msüm  hoch.  An  der  Hauptwache  und  dem  Ostertore  prä- 
sentierte eine  Ehrenwache  von  Stadtsoldaten  das  Gewehr.  Im 
Passe  zu  Uppen  begegnete  man  dem  aus  dem  Walde  heraus- 
kommenden Maiwagen,  den  man  im  Kreise  umschloß,  worauf 
der  Bauverwalter  im  Namen  E.  E.  Rates  von  Hildesheim  die 
Holzerben  begrüßte,  von  ihnen  den  Maikranz  empfing  und  dem 
Riedemeister  präsentierte.  Dieser  tibergab  den  Kranz  im  Namen 
des  Bttrgermeisters  und  Magistrats  nach  feierlicher  Anrede  dem 
Maigrafen;  der  Stallmeister  hing  ihm  denselben  schräge 
ttber  die  Brust.  Hierauf  wurde  vom  Maigrafen  in  vorher  auf- 
geschlagenen Zelten  den  Holzerben,  den  begleitenden  Freunden, 
Bttrgem,  Fuhrleuten  und  Stadtsoldaten  eine  GoUation  von  Essen 
und  Trinken  dargeboten,  bei  der  es  ziemlich  unmäßig  zuging; 
den  Holzen  mußten  Krebse  vorgesetzt  werden;  zu  den  Gresund- 
heiten  während  der  Tafel  gab  das  Militair  Salven  ab.  Um  4^2 
Uhr  bliesen  die  Trompeter  zum  Aufbruch;  der  Maigraf  mit  sei- 
nem Kranze  hielt  seinen  feierlichen  Einzug  in  die  Stadt,  alle 
Wachen  salutierten,  die  Kanonen  wurden  gelöst  Man  ritt  ttber 
den  Markt  und  (um  den)  Brunnen  der  Neustadt,  sodann- ttber 
den  Markt  der  Altstadt  und  (um)  den  Pipenbrunnen,  vor  die 
Tür  des  regierenden  Bttrgermeisters  und  zuletzt  zum  Hause  des 
Maigrafen.  Inzwischen  ist  auch  das  Maifuder,  von  einigen  Rats- 
herren und  einer  Gompagnie  Soldaten  empfangen  und  mit  Fiin- 
tensalven  begrttßt,  zur  Stadt  gekommen  und  sein  Inhalt  an  den 
Maigrafen ,  die  Herren  und  Verwandten  des  Rats ,  an  die  Kirchen 
und  Klöster  verteilt  Am  Dienstag  nach  Pfingsten  Itlhrte  der  Magi- 
strat den  Maigrafen  unter  Trompeten  und  Paukenschlag  nach 
dem  Ratsweinkeller  und  bewirtete  ihn  da  Namens  der  Stadt 
Der  Aufwand,  den  der  Maigraf  machen  mußte,  war  bedeutend, 


Der  Maigraf.  375 

im  Anfang  des  18.  Jahrhunderte  betrag  er  jedesmal  zwischen 
700  —  800  Taler.  Schon  1627  erließ  der  liat  dagegen  ein  Luxus- 
gesetz, sodann  wurde  des  Kostenpunktes  wegen  der  Brauch  nur 
alle  7  Jahre,  später  nur  alle  14  Jahre  gettbt;  1782  ist  er  defini- 
tiv abgeschafft.  Diese  Beispiele  gentigen.  Nur  des  ländlichen 
Maigrafen  in  Dänemark  will  ich  noch  etwas  eingehender  geden- 
ken. Zwei  Schaff  er  ritten  am  Walburgestage  ihm  voran,  um 
den  Zug  anzumelden.  Zwei  alte  Männer  folgten ,  deren  jeder  eine 
hohe  mit  Bändern,  Kränzen  und  seidenen  Tüchern  geschmückte 
Statage  [Mai bäum]  in  der  Hand  trug.  Nach  ihnen  kam  der  Mai- 
graf zwischen  seinen  zwei  Gesellen;  endlich  der  ganze  Zug 
paarweise  in  blauen  Böcken ,  weiße  Handtücher  von  der  Schulter 
herabhangend.  Der  Maigraf  trug  zwei  Kränze,  einen  über 
jeder  Schulter,  jeder  der  Uebrigen  einen  Kranz.  Auf  jeder 
Feldmark  legten  sie  einen  Kranz  auf  die  Hecktür,  jeden  Hof 
umritten  sie  nach  erbetener  Erlaubniß  dreimal  und ,  wenn  sie  bei 
den  Fenstern  vorbei  kamen,  grüßten  sie.  Dann  stiegen  sie  von 
den  Pferden,  sangen  ein  Lied,  in  dem  sie  erklärten,  den  Mai 
ins  Dorf  und  ins  Haus  zu  bringen,  tanzten  eine  Weile,  stiegen 
wieder  zu  Bosse  und  ritten  weiter.  Zur  richtigen  Beurteilung 
des  Maigrafen  seien  noch  die  Holzfahrt  der  Kölner  und  der  Wal- 
perzug der  Erfurter  erwähnt,  zwei  den  vorstehenden  Bräuchen 
der  Sache  nach  eng  verwandte  Feste,  bei  denen  aber  der  Name 
Maigraf  nicht  vorkommt.  In  Köln  feierte  man  den  Donnerstag 
nach  Pfingsten  als  Hölzgestag.  Nachdem  schon  Tags  zuvor  ein 
großes  Vogelschießen  gehalten  war ,  wählten  sich  die  Bürger  jetzt 
zur  „Holzfahrt^'  einen  Anführer,  den  sie  Rittmeister  nannten, 
der  sie  nach  dem  Ostendorfer  Busch  iUhrte,  wo  man  ihm  einen 
Kranz  aufsetzte,  der  Sage  nach  zur  Erinnerung  an  einen  Sieg, 
den  einst  ein  römischer  Statthalter  Marsilius  durch  die  Hölzges- 
fahrt  über  die  Feinde  errungen.  Feierlich  kehrte  der  Rittmeister 
mit  seinem  Kranze  zur  Stadt  zurück  und  beschloß  den  Tag  mit 
einer  Gasterei  in  seinem  Hause ,  zu  welcher  die  Vornehmsten  der 
Stadt  geladen  waren,  indeß  die  übrigen  Bürger  und  selbst  die 
Klöster  bei  sich  die  Holzfahrt  mit  Schmausereien  feierten. 
Der  Kranz  wurde  beim  Stadtbanner  in  einem  eigenen 
Schreine  aufbewahrt,  man  zeigte  ihn  der  Bürgerschaft, 
so  oft  bei  drohender  Gefahr  oder  feierlichen  Gelegen- 
heiten, oder  nach  dem  Aussterben  des  halben  Banner- 


376  Kapitel  IV.    Baanigeister  als  Vegetationsdämonen: 

rats  das  Stadtbanner  aasgesteckt  wurde,  um  sie  gleich- 
sam an  jenen  Hieg  des  Marsilins  zu  mahnen.  L.  Ennen  glaubt, 
unzweifelhaft  mit  Recht,  schon  in  dem  gleichzeitigen  Berichte 
des  Htadtschreibers  Gottfr.  Hagen  über  eine  Begebenheit  des 
Jahres  1257  eine  Erwähnung  der  Holzfahrt,  d.  h.  des  Hölzges- 
festes  nachweisen  zu  können.  Jedesfalls  wird  dasselbe  in  den 
Htadtrechnungen  des  14.  Jahrhunderts  bei  Gelegenheit  der  dem 
Kate  daraus  erwachsenden  Kosten  (49  Mark,  4  Schilling  u.  s.  w.) 
erwähnt.^  Der  Erfurter  Walperzug,  der  urkundlich  seit  dem 
Jahre  1310  nachweislich  ist  und  bis  in  die  erste  Hältle  des 
18.  Jahrhunderts  in  Uebung  blieb,  bestand  darin,  daß  am  Wal- 
bnrgstage  die  Bürger  zu  Pferd  und  Fuß  nach  einent  dem  Kur- 
fürsten von  Mainz  gehörigen  Gehölz,  der  Wagew^ide  auf  der 
Steigerhöhe  zogen,  wo  sie  an  diesem  Tage  4  Eichen  fällen 
durften.  Fahnenträger,  SpieUeute  und  aus  jedem  der  4  Stadt^ 
viertel  je  ein  Walperherr  einen  bekränzten  Stab  tragend,  gingen 
im  Zuge.  Ein  großer  Teil  der  Bevölkerung  folgte,  lagerte  sich 
gruppenweise  in  Zelten  unter  den  Bäumen  des  Steigerwaldes, 
jubelte  und  zechte  und  erst  abends  kehrte  der  Zug,  grttne 
Maien,  die  man  im  Walde  geschnitten,  in  den  Händen 
unter  Absingung  eines  bezüglichen  Liedes  zur  Stadt  zurück.  In 
seiner  Mitte  führte  man  zwei  Knaben  mit  Goldketten 
und  anderem  Geschmeide  ausgeschmückt  zu  Rosse  in 
die  Stadt  ein.  Man  erzählte  sich,  der  Walperzug  sei  die  Erin- 
nerung an  die  dereinst  am  1.  Mai  1289  geschehene  Eroberung 
und  Zerstörung  des  auf  der  Wageweide  belegenen  Raubschlosses 
Dienstbuig,  dessen  Burgfrau  durch  einen  Fußfall  vom  Kaiser 
Rudolf  die  Lebensrettung  wenigstens  ihrer  beiden  jungen  Söhne 
erbeten  habe. 

Auf  Grund  dieser  um  ein  weniges  vermehrten  Auszüge  aus 
Pabsf  s  fleißiger  Arbeit  glauben  wir  folgende  Sätze  dem  Leser  ein- 
leuchtend machen  zu  können.  1.  Der  Maigrafenritt  ist  eine  Ab- 
zweigung der  allgemein  deutschen  Sitte  des  Mairitts  oder  Pfingst- 
ritts.  Der  Maigraf  entspricht  dem  Laubkönig ,  Graskönig,  Pfingstl 
n.  s.  w.;  seine  Darstellung  durch  einfaches  Ueberwerfen  eines 
'  Kranzes  statt  der  vollständigen  LaubumhttUung  entspricht  genau 


1)  L.  Ennen,  Geschichte  der  Stadt  Köln.    Köln  und  Neuß  1865,  Bd.  II, 
128.  638. 


Der  Maigraf.  377 

der  Weise ;  wie  in  Abensberg  in  Kiederbaiem  der  Wasservogel 
dargestellt  wird  (o.  S.  353).  Wie  der  PfingsÜ  zwischen  zwei 
Beglciitem  zu  reiten  pflegt  (o.  S.  367),  so  der  Maigraf  in  Hildes- 
heim  zwischen  zwei  Kiedemeistem,  der  dänische  zwischen  zwei 
Gesellen ;  der  Wismarische  zwischen  zwei  Schaffem  und  der 
Danziger  zwischen  zweien  der  yomehmsten  Männer.  In  Däne- 
mark wird  ihm,  wie  dem  schwäbischen  und  böhmischen  Pfingstr 
bntz  nnd  Pfingstkönig  (o.  8. 356)  noch  der  geschmückte  Maibaum 
vorangetragen.  Wie  der  böhmische  Maikönig  behält  er  ein  Jahr 
hüidurch  seine  Würde.  Der  stattliche  Einritt  mit  bewaffnetem 
Gefolge  gleicht  hier  noch  mehr,  als  in  dem  bäuerlichen  Maibrauch, 
dem  Gepränge  eines  einziehenden  Fürsten.  Bei  dem  Hildeshei- 
mer  Maigrafenritt  hat  sich  auch  noch  eine  Spur  der  Wasser- 
tauche in  dem  Bitt  „über  den  Brunnen^^  sowol  der  Altstadt, 
b\»  der  Neustadt  erhalten.  Die  Erinnerung  an  die  mythische 
Bedeutung  des  Aufzuges  halten  die. technischen  Benennungen  des- 
selben noch  lange  aufrecht:  In  dat  meien  rtden,  umme  dat  meien 
rtden  (Stralsund) ,  in  den  Mai  reiten ,  in  das  Feld  reiten ,  sich  in 
d^i  Mai  rüsten  (Danzig),  at  fore  sommer  i  by,  at  ride  somoier 
i  by,  den  Mai  ins  Dorf,  in  die  Stadt  einAihren,  reiten  (Däne- 
mark, Biga  u.  s.  w.).  2.  Ebensowenig  als  die  Grundlagen  des 
Maigrafenfestes  lassen  sich,  so  viel  auch  noch  dunkel  bleibt,  die 
Hauptumrisse  der  weiteren  Entwiekelung  desselben  verkennen. 
Der  Pfingstritt  in  der  Form ,  daß  der  Dämon  der  lenzemeuten 
Vegetation  durch  einen  Mann  mit  übergeworfenem  Kranze  dar- 
gestellt wird,  wurde  von  den  Landbesitzern,  die  sich  als  Bürger 
in  niederdeutschen  Städten  niederlicBen ,  dorthin  mitgebracht  und 
als  Brauch  der  Bürgerschaft,  wie  sonst  der  Dorfschaft  geübt. 
Der  Pfingstl  hiefi  noch  nicht  Maigraf,  sondern  irgendwie  anders 
(Oberst,  Kittmeister,  Maikönig,  Walburgsherr,  Maiherr  u.  s.w.). 
Ein  Bild  dieser  Entwickelungsstnfe  des  Brauches  stellt  uns  noch, 
wenigstens  nach  einer  Seite  hin  ein  in  mehr  als  einer  Bücksicht 
merkwürdiges  Zeugniß  aus  Lüttichs  Umgegend  vor  Augen.  Albe- 
ricus  trium  fontium  U,  513  schildert  einen  Festzug,  der  sich  in 
den  Pfingsttagen  1224  durch  die  Straße  von  Huy  bei  Lüttich 
bewegte :  Universitas  Hoyensium  tum  senes  quam  juvenes  mascu- 
lini  sexus  antiqüos  ludos  vestibus  mulierum  induti  barbis 
rasis  reducunt  ad  memoriam :  habebant  enim  praecellentes  perso- 
nas  secundum  diversitates  locorum  Imperatorem  viddicet,  Regem, 


V 


378  Kapitel  IV.    Baamgeister  als  YogetationsdämoDeB: 

DuceMj  comitem  et  abbaiem,  Qmdam  earum  eratU  armati  loricis 
et  geUeis  fulgentibus ,  ghidiosque  rnidos  portantes  in  tnanibus  suis 
pellifices  habebant  pellioea  grisea  et  vulpina  deforis  pilos  hal>eDtia 
et  omnes  alii  prout  poterant  ad  modum  malieriim  erant  adornati, 
qai  qaolibet  die  festi  pentecostes  nallo  dorn!  remanente  ibant  pro- 
cessionaliter  bini  et  bhii  per  vieos  et  plateas  cantando.  ^  In  die- 
sem Pfingstanfzug  gab  es  yersehiedene  Bestandteile ,  z.  B.  Tier- 
masken  ^  Darstellung  von  Weibern  u.  dgl. ,  neben  dem  Umzüge 
oder  Einzüge  der  Be^joaffneten  mit  ihrem  Oberhaupt.  Dasselbe 
ibhrte  damals  in  den  versehiedenen  niederländisehen  Gegenden 
noch  verschiedene  Namen:  Kaiser,  König,  Herzog,  Graf  oder 
Abt;  wahrscheinlich  parallel  mit  der  Würde  des  Landeaherm  in 
jedem  der  vielgeteilten  Gebiete  (Herzogtum  Limburg,  Abtei  Stablo, 
Grafschaft  Namttr  u.  s.  w.).  Ein  späteres  Beispiel  der  nämlichen 
Vorstufe  des  Maigraienbrauches  gewährt  die  Sitte  in  Köln,  ebenso 
die  Erfurter,  wo  die  4  Walperherren  nur  eine  Vervielfältigung 
des  einen  Maiherm  sind  und  ein  jedes  Stadtviertel  den  seinen 
flir  sich  haben  wollte.  Hieraus,  vrie  aus  der  Aufbewahrung  des 
Kranzes  neben  dem  Stadtbanner  zu  Köln  geht  hervor,  daß  man 
den  Einritt  des  Maiherm  gradeso  wie  anderswo  die  Aufrichtung 
des  Maibaums  als  Heiltum  ftir  die  ganze  Commune  erachtete. 
In  irgend  einer  niederdeutschen  Stadt  vertauschte  man  im  Laufe 
des  14.  (spätestens  im  Anfange  des  15.)  Jahrhunderts  den  Namen 
Maiherr,  oder  wie  er  sonst  lautete,  mit  Maigreß  (nach  Analogie 
anderer  Amtsnamen,  Holtgrefe,  Deichgrefe.  Of.  Grefe,  Grebe  als 
Bezeichnung  der  sächsischen  Dorfobrigkeit  und  das  gravo  prae- 
ses  ahd.  Glossen).  Es  mufi  dies  eine  Stadt  gewesen  sein,  in 
welcher  die  reichsten  oder  vornehmsten,  beziehungsweise  die 
Altbttrger  zu  gegenseitigem  Schutz,  gemeinsamen  geselligen  Zu- 
sammenkünften und  gottesdienstlichen  Begehungen  den  Hand- 
werkern sowie  anderen  Neubtirgem  gegentiber  in  einer  brüder- 
lichen Genossenschaft,  Gilde,  große  Gilde  (summum,  majus  con- 
vivium,  major  gylda')  vereinigt  waren.  Diese  ftihlte  sich  als 
die  eigentliche  Bürgerschaft  und  stellte  darum  den  Einritt  des 
Maigrafen  zum  Besten  der  Stadt  und,  was  nahezu  dann  zusam- 
menfiel, ihrer  eigenen  Corporation  alljährlich  dar.^    Von  jenem 

1)  Cf.  Liebrecht  in  Pfeiffers  Germania  XVI ,  227. 

2)  Wilda  a.  a.  0.  73.  170. 

3)  Cf.Wüda  a.  a.  0.  77  ff. 


j 


Der  Maigraf.  379 

uns  unbekannten  Entstehnngsorte  aus  (LttbeckV)  hat  sieh  die  Sitte 
des  Maigrafenfestes  sodann  in  der  dort  angenommenen  Form  nnd 
zwar  als  Uebong  der  ersten  Gilde  mit  unwesentlichen  Modifica- 
tionen  su  andern  niederdeutschen  Städten  fortgepflanzt  ^  in  denen 
bereits  ähnliche  Gilden  bestanden  ^  oder  neue  gestiftet  wurden. 
Vorzüglich  scheint  es  der  hanseatische  Großhändler  gewesen  zu 
sein,  durch  den  der  Brauch  bis  in  die  deutschen  Kolonien  an 
der  baltischen  Süd-  und  Ostktlste  und  nach  Skandinavien  ver- 
breitet ist  Ein  schlagendes  Beispiel  des  Hergangs  besitzen  wir 
an  dem  Maigrafenfest  der  o.  S.  371  erwähnten  Papageien-  oder 
Frohnleichnamsgilde  zu  Aalborg.  Dieselbe  ist  1441  als  gemein- 
sames Convivium  deutscher  und  dänischer  Kaufleute  mit  Zulas- 
sung der  hohen  Geistlichkeit  und  adeliger  Herren ,  aber  mit  Aus- 
schluß der  Handwerker  gegründet  worden.^  Die  Kanutsgilden 
zu  Mahnö  und  Lund  sind  echt  dänische  Schöpfungen,*  sie  haben 
ihren  Maigrafen  unzweifelhaft  von  den  hanseatischen  Factoreien 
in  ihrer  nächsten  Nähe  ttberkommen.  Die  St.  Georgsbruderschaft 
in  Danzig  und  ihr  Gildehaus,  der  Artushof  ftlhren  zwar,  wie 
Th.  Hirsch  nachgewiesen  hat,^  gleich  allen  gleichnamigen  Insti- 
tuten in  Preußen  auf  englische  Anregung  in  saec.  XIV.  zurück, 
aber  doch  nur  die  dem  Vorbilde  der  Artnsromane  entlehnte  Form 
einer  ihrer  jährlichen  rittermäßigen  Vergnügungen  und  den  Namen, 
vielleicht  auch  die  Gestalt  der  gebauten,  nun  zugleich  als  Gilde- 
stnbe  gebrauchten  Halle;  die  sonstige  Einrichtung  der  Korporation 
entsprach  durchaus  den  längst  in  den  deutschen  Städten  bestehen* 
den  Schatz-  und  Kaufmanngilden,  von  denen  mithin  auch  das 
Maigrai'enfest  mit  herübei^enommen  ist  Aehnlich  wird  es  sich 
in  Biga,  Beval  und  Stralsund  ^  verhalten  haben.  Da  das  Vogel- 
schießen in  den  meisten  Fällen  mit  dem  Maigrafenausritt  verbun- 
den war,  scheint  dasselbe  zu  dem  ursprünglichen  Bestände  die- 
ses städtischen  Festes  gehOrt  zu  haben.  Die  Bedeutung  dessel- 
ben können  wir  jedoch  erst  an  einer  späteren  Stelle  unserer 
Untersnchungen  klar  legen.    Rätselhaft  ist  im  Brauche  von  Wismar 


1)  Wilda  a.  a.  0.  284  ff. 

2)  Wilda  a.  a.  0.  92.  100  —  101. 

3)  In  dem  vortrefflichen  Aufsatze  über  den  Ursprung  der  Preuß.  Artus- 
höfe.    Poß,  Zeitschr.  f.  Preuß.  Geschichte  und  Landeskunde  I,  1864.  S.  23. 

4)  Doch  Tgl.  Hirsch  a.  a.  0.  S.  31.  Anm.  25. 


380  Kapitel  IV.    Bauingeister  als  Yegetationsdamonen : 

der  wolgeschmttckte  Knabe,  welcher  von  zwei  Btti^enneisterdie- 
nem  geflihrt  dem  Maigrafen  voranreitet  Er  erinnert  an  die  bei- 
den  mit  Goldketten  und  Geschmeiden  behangenen  Knaben  im 
Walperzuge  zu  Eriiirt,  sowie  vielleicht  an  den  Schildjangen ,  der 
in  Greii'swalde  dem  Btti^rmeister  den  Kranz  voranftrug.  Hatte 
aach  dieser  Knabe  symbolische  Bedentnng?  Personifizierte  er 
etwa  in  Gestalt  eines  Kindes  die  Anfänge  der  Vegetation,  den 
ersten  Frühling  (wir  werden  später  die  mythische  Gestalt  eines 
Yegetationskindes  des  breiteren  kennen  lernen)  während"  der 
Maigrat*  den  yorangeschrittenen  Lenz,  den  Sommeranfang  mit 
seiner  WachstamsfÜUe  darstellte  ?  Doch  waroon'  findet  sich  dann 
anderswo  beim  Maigrafenfest  keine  Spur  von  jenem  Knaben 
mehr  vor?  Man  mflftte  annehmen,  daß  nrsprflnglich  auch  der 
städtische  Maigrafenbranch  noch  voller  and  reichhaltiger  war, 
als  er  ans  später  geschildert  wird.  So  würde  es  sich  erklären, 
daß  dänische  Landgemeinden ,  nachdem  sie  von  den  Städtern  den 
Maigrafen  entlehnten,  diesem  noch  ganz  so  wie  der  Baier  nnd 
Schwabe  den  Maibaam  vorauftmgen ,  während  dieser  Zag  in  den 
Festberichten  aas  den  deutschen  Städten  selbst  nicht  mehr  ei'wähnt 
wird,  weil  sie  als  Bauern  die  ursprüngliche  Form  des  überkom- 
menen Brauches  conservativer  bewahrten,  als  jede  dem  beweg- 
teren Flusse  politischen  Lebens  ausgesetzte  Bttrgergemeinde. 
Oder  wäre  der  dänische  einheimische  Maibrauch  dem  süddeut- 
schen Pfingstritt  so  wunderbar  ähnlich  gewesen  und  hätte  hier 
nur  eine  Entlehnung  des  fremden  Namens  Maigref^e  von  den 
Städten  her  stattgefunden?  Wir  wagen  darüber  noch  nicht  za 
entscheiden,  denn  für  die  letzte  Ansicht  spricht  die  eigentüm- 
liche nirgend  in  den  niederdeutschen  Städten  nachweisbare  Sitte, 
welche  mit  dem  Maigref^eritt  der  dänischen  Bauern  verbanden  war, 
daß  zugleich  die  Mädchen  den  Sommer  ins  Dorf  liefen  (lob  som* 
mer  i  Bye)  mit  grünen  und  weißen  Kleidern  angetan  and  Kiilnze 
um  Kopf  und  Schaltern.  An  dem  Orte,  wo  das  Gelage  statt- 
finden sollte,  versammelten  sie  sich;  dann  gingen  sie  aafs  Feld 
hinaus  und  der  Schaffer  probierte  an  jeder  einen  gewissen  Kranz. 
Traf  er  endlich  eine,  der  er  paßte,  so  war  diese  Maiinde. 
Mit  ihr  liefen  sie  ins  Dorf  und  zu  den  einzelnen  Häusern.  Vor 
den  Höfen,  wo  man  sie  empfangen  wollte,  war  eine  bekränzte 
S^tange  aufgerichtet.  Oder  der  Maigrefve  warf,  wenn  sie  vom 
Zuge  heimkamen,  einen  Kranz  über  dasjenige  Mädchen,  das  er 


Der  Maigraf.  381 

zur  Maiin  de  erwäiilen  wollte.  Jetzt  begann  ein  Wechselgesang 
der  Barsche  und  Jungfrauen,  in  denen  die  Aasrafe  wiederkeh- 
ren :  Maie  J  ere  velkomne !  Mai  ihr  seid  willkommen !  and :  Glsede 
jer  Gud  saa  den  soede  sommer!  Letze  euch  Gott  auch  so 
den  sttßen  Sommer.  Vielleicht  sind  beide  Möglichkeiten  in  einer 
dritten  zu  vereinigen,  wonach  ein  nationaldänischer  Maibrauch 
bestand,  der  nicht  allein  im  Namen,  sondern  auch  im  Ritus 
durch  die  damals  noch  vollständigere  Maigrafenceremonie  der 
Städte  einige  Abänderung  erfuhr.  3.  Ursprünglich  war  der  Brauch 
auch  in  den  Städten  noch  durchsichtig  und  sinnvoll,  man  ahnte 
seine  Bedeutung,  hatte  eine  Erinnerung  daran,  daß  er  eine  heil- 
kräftige Wirkung  ftür  die  Gemeinde  haben  solle.  Die  ganze 
daraus  entspringende  Herzlichkeit  lebte  noch  spät  in  dem  länd- 
lichen Maigrafenbrauch  in  Dänemark  fort  und  sprach  sich  in  den 
dabei  gesungenen  Liedern  aus;  ebenso  in  Rev<al  in  der  offiziellen 
Teilnahme  des  Maigrafen  an  der  gottesdienstlichen  Feier  des 
Frohnleichnamstages.  Es  war  darum  eine  hohe  Ehre,  Maigraf 
za  sein  und  der  Patrizier,  dem  sie  zu  Teil  wurde,  setzte  seinen 
Stolz  darin,  diese  Rolle  würdig  ja  glanzvoll  zu  repräsentieren. 
Mit  der  Zeit  aber  entschwand  das  Geftihl  ftlr  die  eigentliche 
Bedeutung  des  Aufzugs,  derselbe  wurde  zu  einer  bloßen  schwel- 
gerischen Lustbarkeit;  Luxusgesetze  suchten  den  Aufwand  bei 
den  Mahlzeiten  und  den  Pomp  der  Kleider  zu  beschränken,  den 
nur  die  Reichsten  und  Vornehmsten  auf  sich  nehmen  konnten; 
man  ließ  der  Kosten  wegen  zwischen  den  einzelnen  Begehungen 
des  Festes  oft  mehrere  Jahre  ausfallen,  bis  endlich  das  Mai- 
grafenamt, nachdem  es  lange  Zeit  eine  gern  ttbemommene  Leitnr- 
gie  gewesen  war,  vollends  zu  einer  Last  wurde.  Schon  1474 
entfloh  in  Stralsund  der  Kosten  wegen  der  Junker  Krassow,  der 
in  den  Mai  reiten  sollte,  nach  Rostock  und  der  Rat  mußte  ihm 
bei  Strafe  gebieten ,  sich  einzustellen.  Um  inzwischen  der  unver- 
si^ndKch  gewordenen  Feier  einen  ostensiblen  Zweck  zu  geben, 
wurde  im  16.  Jahrhundert  der  Ausritt  der  vornehmsten  Bürger 
in  Harnisch  und  blanker  Wehre  als  gute  Gelegenheit  benutzt, 
eine  Musterung  über  den  Zustand  der  Waffen  der  nach  Befehl 
des  Rates  dem  Zuge  sich  anschließenden  Bürgerschaft  anzustel- 
len. So  in  Danzig  1515,  wie  1564  in  Stralsund.  In  letzterem 
Orte  wird  als  Grund ,  warum  man  das  Maireiten  iu  voller  Rüstung 
wiederum  anrichtete,  angegeben,  daß  das  Jahr  zuvor  1563  als 


382  Kapitel  IV.    Baumgeister  als  Vegetationsd&moneii: 

Herzog  Erich  von  BrannBchweig  durch  Pimmiern  zog,  die  BQr- 
gersehaft  antgeboten  sei,  nm  zu  sehen,  was  an  Rüstangen  und 
Wehren  in  der  Stadt  sei;  sie  sei  aber  nicht,  wie  es  gev^flnsohet, 
gertlstet  gewesen,  etziiche  haben  ihre  Harnische  damals,  welche 
viel  Jahre  unter  den  Betten  gelegen,  aufgesucht  Endlich  ging 
das  Maigratenfest  ganz  ein,  oder  wurde  mit  Abschaffung  des 
Ausrittes  zu  einem  blofien  Schmause  der  ratsherrlichen  Familien 
(Greifswald  1560)  oder  endlich  zu  einem  Feste  der  Schaljagend 
(in  Pasewalk  schon  vor  1563).  In  Westfalen,  Holstein  u.  s.  w. 
ist  aafterdem  mehrfach  der  Name  des  städtischen  Maigrafen  ani' 
ländliche  Maifeste  übertragen,  welche  nur  in  weiterer  Verwandt- 
schaft mit  diesem  Brauche  stehen. 

§  10.  PflDggt-WettlaHf  nnd  -Wettritt.  Nicht  außer  Acht 
lassen  dürfen  wir  noch  einen  Zug,  einen  Wettlaui'  zu  Fuß  oder 
einen  Wettritt,  der  den  Frfihlingsgebräachen  und  zwar  vorzugs- 
weise den  auf  Pfingsten  getlbten  wesentlich  zu  sein  scheint  Der 
Wettlauf  findet  in  der  Mark  und  Provinz  Sachsen  zumeist  in  den 
Pfingsttagen  auf  der  zu  Ostern  oder  Pfingsten  abgesteckten  Pfingst- 
weide  nach  einem  Maienbusche  statt.  Zu  Groß  -  Wiebelitz  bei 
Saizwedel  wird  der  im  Wettlaufe  nach  dem  im  Felde  aufgestedt- 
ten  Busche  siegende  Junge  König  und  erhält  einen  Blumen- 
kranz um  den  Hals  (wie  der  Maigraf)  und  einen  Maien- 
busch in  die  Hand,  mit  dem  er  nachher  beim  Umzüge  den 
Tau  wegfegt,  daher  ist  er  Dauschlöper  zabenannt.  Der  Letzte 
heißt  Pfingstkäm  (wie  in  andern  Orten  der  in  Laub  gehttUte 
Pfingstlttmmel  o.  S.  321)  und  muß  das  mit  Blumen  geschmtickte 
Rick  tragen ,  an  das  Speck  und  Würste  gehängt  werden.  ^  Auch 
in  manchen  Döri'em  südlich  von  Lehnin  findet  zu  Pfingsten  ein 
Wettlauf  nach  einem  im  Felde  eingegraben^a  Maibusch  ^statt, 
während  in  andern  Dörfern  der  mit  Geschenken  behangene  Mai- 
baum  erklettert  wird.'  Zu  Brunau  in  der  Altmark  h^ßt  der 
Pfingstwettlauf  auf  der  Pfingstweide  das  Molitzlaufen.  Der  Letzte 
wird  nämlich  Molitz  genannt,  muß  sich  em  Strohband  ums  Kniee 
binden  und  hinken,  weil  er  sich  angeblich  ins  Knie  gehauen 
habe.^    Hiemit  stimmt  der  Brauch  im  K^lbeschen  Werder  überein, 


1)  KuhTi,  Nordd.  Sag.  380,  57. 

2)  Kuhn ;  Nordd.  Sag.  387,  70. 

3)  Kuhn  a  a.  O.  380, 56. 


Pfingst-WetÜauf  und  -Wefctritt.  383 

WO  schon  am  Charfreitag  oder  ersten  Ostertag  die  Jungen  den 
Weitlanf  nach  einer  auf*  einem  Hügel  in  der  Nähe  der  so  eben 
abgesteckten  Pfingstweide  aufgepflanzten,  mit  Knochen  behänge- 
nen,  mit  einem  Pferdesohädel  gekrönten  Tanne  anstellen.  Hier 
wird  der  Sieger  ebenfalls  König,  der  Letzte  stellt  sich,  als  sei 
ihm  ein  Bein  gebrochen ,  und  heißt  der  lahme  Zimmermann.  ^  In 
Haiberstadt  läuft  am  dritten  Ffingsttag  die  männliche  Jugend  auf 
dem  Anger  um  die  Wette  nach  einem  mit  seidenen  Tüchern 
geschmückten  Maibaum,  darauf  die  weibliche  nach  einem  Mai- 
busch ,  neben  dem  ein  Lamm  steht  Der  letzte  Bursche  bekommt 
den  Namen  Lämböm  oder  Lämbö,  das  letzte  Mädchen  erhält 
einen  Klotz  (vgl.  o.  S.  173  ff.  237)  und  heißt  Klotz -Marine.  Beide 
sammt  dem  Klotz  werden  schUeßlich  auf  eine  Tragbahre  gesetzt 
und  unter  Spott  und  Gelächter  zur  Stadt  gebracht.'  Der  Wett- 
lauf  geht  häufig  in  einen  Wettritt  über,  oder  beide  Formen 
erscheinen  neben  einander.  So  wurde  zu  Bissingen  in  Schwaben 
auf  dem  sogenannten  oberen  Bennwauien  bis  Anfang  dieses  Jahr- 
hunderts jährlich  am  Pfingstmontag  ein  Wettrennen,  Wettlauf 
gehalten.^  In  Stapel  (Altmark)  fand  zu  Pfingsten  zuerst  ein 
WetÜauf  zu  Fuß  statt,  der  Sieger  wurde  König,  der  Letzte 
trog  die  Teerlappen  zum  Schmieren  der  Pdtschen.  Dann  folgte 
ein  Wettrennen  zu  Pferde,  wobei  der  Läuferkonig  den  Ehren- 
platz als  Erster  in  der  Reihe  inne  hatte/  Eine  Uebergangsform 
ist  das  Karrenrennen  bei  Wangen  im  AUgäu,  wo  die  Bursche  ihre 
Geliebten  zu  Pfingsten  im  Wettlauf  auf  Karren  nach  einem  mit 
Bändern,  Nastüchem  und  andern  Preisstücken  behangenen  Mai- 
baume schieben.^ 

Das  Wettrennen  tritt  viel  häufiger  auf,  es  verhält  sich  zum 
Wettlauf  wie  die  berittene  Einholung  des  Pfingstl  zu  der  zu  Fuße 
geschehenen.  Zu  Wallenhausen  in  Schwaben  hat  man  ehedem 
am  Pfingstmontag  das  Dornbüschele  ausgeritten.  Drei  Buben 
ritten  nach  einem  Ziel.  Die  ersten  Beiden  erhielten  Preise,  dem 
Dritten  aber  wurde  ein    Dornbüschele   auf  den  Rücken 


1)  Xuhn,  mark.  Sag.  324. 

2)  Kuhn ,  Nordd.  Sag.  386 ,  68. 

3)  Birlinger  II,  160, 154. 

4)  Kuhn,  Nordd.  Sag.  379,  55 

5)  Zö.  f.  D.  Myth.  1,443,  4. 


384  Kapitel  IV.    Bamngeister  atti  Vegetationsdäinonen : 

gebunden^  cf.  o.  S.  351.  In  Westfalen  wurde  die  von  den  Pfer- 
dejungen zu  Ostern  ausgesteckte  Pfingstweide  am  ersten  Pfingst- 
tage  gemeinschaftlich  eingeweiht,  indem  alle  Jungen  Nachts 
12  Uhr  zu  Pferde  saßen  und  dorthin  ritten.  Wer  zuerst  ankam, 
wurde  Däwestrttch  (Taustrauch)  genannt,  oben  auf  einem 
Berge  auf  einen  Strauch  gesetzt  und  unter  allgemeinem 
Preudengeschrei  bis  unten  ins  Tal^  durch  den  Tau  gezogen. 
Alle  seine  Pferde  erhielten  Kränze  von  Maien.  Wer  zuletzt 
ankam,  hiej  Pßngstmocke  und  seine  Pferde  bekamen  Kränze  von 
Blumen.*  Wie  hier  in  der  Ausschmtlckung  des  zuerst  und  des 
zuletzt  Angekommenen  ein  Unterschied  gemacht  wird,  so  in 
einigen  Gegenden  in  der  Nähe  von  Salzwedel,  wo  der  Si^er 
im  Wettrennen  auf  dem  Pfingstheij  mit  Maien,  rotem  Peder- 
busch  und  hölzernem  Säbel  geschmtlckt  und  mit  drei  Vorreitem 
zum  Einritt  in  das  Dorf  beehrt,  sein  Pferd  durch  einen  Drei- 
spinnt^  von  Maibusch  mit  Knittergold  auf  dem  Kopfe 
ausgezeichnet  wird;  während  man  den  Lictzten  „smuk  mäkt'' 
d.  h.  in  Blumen  hüllt  und  daher  den  schmucken  Jungen  nennt 
Im  Hause  des  Schmucken  wird  getanzt  Vergleiche  auch  noch, 
daß  in  anderen  Dörfern  der  Altmark  der  Junge,  dessen  Pferd 
Pfingsten  zuerst  zur  Weide  kommt  zum  Tauschlepper ,  der  zuletzt 
hinaustreibende  zum  bunten  Jungen  ernannt  wird.  Letzterer 
wird  von  Kopf  bis  Püßeh  mit  Peldblumen  behangen  und  Mittags 
im  Dorfe  von  Hof  zu  Hof  gefUhrt.^     Bis  tief  nach  Sachsen  und 


1)  Panzer  H,  200,  345. 

2)  Kuhn,  Westf.  Sag.  1Ö4,  461. 

3)  Dieser  Dreisplant  kehrt  auch  noch  in  den  märkischen  Dorfern  um 
Benzendorf  wieder.  Wenn  die  Roggenbjume,  Mohn  und  Rade  in  Blflte 
stehen,  wird  ein  Pferd  mit  huntbebänderten  Kränzen  geschmückt,  auf- seinem 
Kopf  ein  mit  den  schönsten  Blumen  reichumvmndener  dreispaUiger  Stock 
angebracht.  Ein  mit  Blumenguirlanden  hehangener  Pferdejonge,  auf  dem 
Kopf  eine  aus  Binsen  geflochtene  Mütze  (s.  o.  S.  321)  reitet  auf  diesem  Roß 
von  der  Pfingstweide  ins  Dorf  ein  und  dreimal  um  die  Kirche,  darf  aber 
dabei  nicht  lachen,  obwol  man  alles  mögliche  vornimmt,  um  ihn  dazu  zu 
verleiten.  Kuhn ,  mark.  Sag.  327.  Er  stellt  den  (diesmal  ohne  Gefolge)  ein- 
reitenden Yegetationsgeist  dar.  Geister  lachen  nicht.  (S.  W.  Müller  Nie- 
ders.  Sag.  S.380.  Mannhardt,  Germ.  Mythenf.  S.  303.  309.  314).  Der  Drei- 
splant  muß  wol  auf  Ueberlieferung  beruhen,  da  auch  der  Erntemai  in  Frank- 
reich mehrfach  die  Gestalt  eines  in  drei  Aeste  gespaltenen  Zweiges  annimmt 
S.  0.  S.  204. 

4)  Kuhn,  Mark.  Sag.  S.  317. 


Pfingflt-  WettUnf  und  -  Wettritt.  385 

Thttringen  hinein  ttbt  man  den  Wettritt  Ein  Beispiel  gewähre 
Asendorf  bei  Sohafstädt,  wo  man  eine  Tanne  oder  Birke  ans 
dem  Walde  holt  und  im  Dorfe  als  Maibaum  anfpflanzt,  sodann 
im'  Felde  einen  Maienbasch  aufsteckt  und  nach  diesem  reitet. 
Der  Sieger  wird  als  Maikömg  ins  Dorf  zurtickgeflihrt.*  In  der 
Neumark  ist  das  Ziel  des  Wettrennens  zuweilen  kein  Maibusch, 
sondern  ein  in  gewisser  Entfernung  aufgestellter  Stuhl;  wer  die- 
sen zuerst  erreicht  und  sich  auf  ihn  setzt,  wird  in  Laub  ein- 
gekleidet als  König  ins  Dorf  gebracht.'  Zu  Weißingen  in 
Sehwaben  halten  sieben  Bauerbursche  Pfingstmontag  ein  Wett^ 
rennen'  zu  Pferde.  Der  Erste  am  Ziel  erhalt  einen  reich  mit 
Bändern  gezierten  Baum,  den  die  Mädchen  schmücken,  der 
Zweite  ein  Schwert ,  der  Dritte  einen  Geldbeutel ,  der  Vierte  einen 
Eierkorb,  der  Fttnite  einen  Schmalzhafen,  der  Sechste  ist  der 
Wasservogel.*  Aehnlich  in  Dinkelscherben  Kr.  Schwaben, 
wo  der  Erste  als  Preis  ein  Sacktuch  u.  s.  w.  erhält,  der  Letzte 
als  Wasservogel  in  Laub  eingebunden  und  ins  Wasser 
geworfen  wird.^  In  einzelnen  schwäbischen  Gegenden  findet 
der  Wettritt  nach  dem  mit  Bändern  gezierten  Maien  schon  am 
Ostennontag  statt.  ^  Bei  dem  alle  drei  Jahre  begangenen  Pfingst- 
ritt  zu  Wurmlingen  wird  zuerst  dem  in  Eichenzweige  gekleideten 
Pfingstl  der  Kopf  abgehauen,  darauf  der  etwa  10  Fuß  hohe  mit 
bunten  Nastttchem  imd  seideneu  Bändern  geschmückte  Maie,  den 
bis  dahin  der  Maienftthrer  trug,  drei  bis  vier  Bttchsenschttsse 
vom  Sammelplatze  dicht  an  der  Straße  nur  leicht  in  die  Erde 
gesteckt.  Dann  steUen  sich  alle  Pfingstreiter  in  eine  Linie  und 
jagen  auf  das  Gommando  „Marsch!^'  in  gestrecktem  Galopp  davon. 
Wer  den  Maien  zuerst  erreicht  und  aus  dem  Boden  hebt^  hat 
ihn  sammt  seinem  Schmucke  gewonnen.®  In  Semic,  Kr.  Pilsen 
in  Böhmen  dagegen  ist  die  etwas  ältere  F«rm  des  Brauches 
erhalten,  wonach  der  in  Baumrinde,  Baumzweige,  Blumen  und 
Farrenkraut  gehüllte  Pfingstkönig  nach  geschehenem  Umritt  und 
abgehaltenem  Gericht  unter  dem  Maibaum  von  den  in  zwei  Reihen 


1)  Kuhn ,  Mark.  Sag.  S.  325. 

2)  Kuhn,  Westfal.  Sag.  164,  460. 

3)  Panzer  11,87,  132. 

4)  Panzer  a.  a.  0.  87,  131. 

5)  E.  Meier,  Schwab.  Sag.  394,  «9.. 

6)  Meier  a.  a.  O.  418, 101.    Vgl.  o.  S.  349  -  50. 

Mannhardt.  25 


386  Kapitel  lY.    BanmgeiBter  als  Vegetationsd&monen: 

angestellten  berittenen  Barschen  in  Carri^re  verfolgt  wird.  Gelingt 
seine  Einholung  nicht,  so  bleibt  er  noch  ein  Jahr  Könige  ein* 
geholt  wird  er  geköpft.^  Diese  Sitte  aas  obigem  Zusammen- 
hange herauszulösen  und  als  proleptische  Darstellung  einer  Ver- 
folgung des  im  Herbste  wieder  entfliehenden  fUr  den  Winter 
sterbenden  Vegetationsdämons  zu  erklären,  könnten  die  o.  S.  360  ff. 
beigebrachten  E^ägungen  anraten,  zu  dem  die  Analogie  des 
nachstehenden  Silvesterabendbrauchs  in  Mank  (Niederöstreich). 
Da  wird  der  Tölpelhafteste  aus  dem  Hausgesinde  als  Süvester- 
könig  mit  einem  Strohkranze  gekrönt  und  ihm  ein  Strohbflschel 
in  die  Hand  gegeben.  Die  übrigen  jagen  ihn  dann  mit  einer 
aus  Stroh  geflochtenen  Peitsche  durch  TiMr  und  Tor.  Er  mud  so 
lange  vor  der  Tttr  stehen ,  bis  sich  die  jüngste  Dirne  seiner 
annimmt  und  ihn  hereinführt.  Diese  Dirne  ist  nun  das  Haupt 
des  Gesindes  fttr  das  kommende  Jahr  und  den  ganzen  Abend 
werden  ihr  Gltlckwünsche  dargebracht.  ( Venialeken ,  Mythen  und 
Bräuche  S.  291,  14.)  Hier  scheint  die  Hinausjagung  des  Sil- 
vesterkönigs  doch  die  winterliche  Entfernung  des  sommerlichen 
Vegetationsdämons  zu  bedeuten,  bis  er  zur  Vermählung  mit  dem 
jüngsten  Mädchen  (der  Lenzbraut,  s.  unten  Cap.  V)  wiederkehrt 
Die  Ceremonie  des  Hinauspeitschens  selbst  mag  jedoch  älteren 
and  anderen  Ursprung  und  Sinn  haben ,  beziehungsweise  mit  der 
Lebensrute  zusanunenhangen  (s.  o.  S.  365  ff.).  An  eine  noch  frühere 
Stelle  d.  h.  ganz  in  den  Anfang  des  Pfingstspiels  yerweist  den 
Wettritt  die  Sitte  zu  Fulgenstadt  (in  Würtemberg).  Hier  werden 
nämlich,  ähnlich  wie  in  Weißingen  o.  S.  385 ^  durch  denselben 
schon  8  Tage  vorher  die  Rollen  ausgelost,  welche  die  einzelnen 
Buben  bei  dem  feierlichen  Einritt  des  in  frisches  Laub  gehüllten 
Hatzelers  (o.  S.  350)  zu  spielen  haben.  ^  Auf  Gülzow  und  andern 
Rittergütern  in  L^uenburg  wird  um  Pfingsten  herum  alljährlich 
ein  Knechtereiten  veranstaltet.  Die  Reiter  sind  mit  SträuBen ,  die 
Pferde  mit  Bändern  geschmückt.  Der  Sieger  heißt  König  und 
erhält  eine  fingierte  Braut  (cf.  unten  Cap.  V)  als  Königin  an  seine 
Seite.  ^      In    Chätillon  (Dep.    de  deux    Sevres)*    begegnet   uns 

1)  ReinslSerg-Düringsfeld,  böhmiacher  Festkalender  S.  264.  255. 

2)  Birlinger  II,  136,150. 

3)  Jahrbücher  für  Landeskunde  von   Schleswig -Holätein.     LaueabuTg- 

Kiel  1861.    S.  181 ,  92. 

4)  De  Nore,  (-ontuines,  mythes  et  traditions  p.  145. 


PfijDgstwettritt,  dos  Kranzstechen ,  Buschstechen.  387 

8.  w.  u.  der  Mairitt  gleichfalls.  Am  letzten  Sonnabend  im 
April  findet  ein  Hammeltanz  mit  der  znletzt  verheirateten  Ehe- 
frau, am  Sonntage  ein  Wettreiten  mit  dem  znletzt^  verheirateten 
Ehemann,  am  30.  April  endlich  die  Aufrichtung  des  Maibau- 
mes  statt, 

§  11.  Pflngstwettritt,  das  Eranzsteehen ,  Bnschsteclieii. 
Der  mit  Bändern  und  Tüchern  geschmückte  Maibaum,  welcher 
so  vielfach  das  Ziel  des  Wettritts  ausmacht,  ist  im  Böhmerwalde 
zu  einer  Fahne  geworden,  an  deren  Stange  die  Preise  ilir  die 
Sieger  (Westenzeug,  Halstuch,  Hosenträger)  hangen.  ^  Zu  ßlumen- 
hagen  bei  Vierraden  bildet  ein  Semmelweck,  auf  eine  Stange 
gesteckt  das  Mal  beim  Kantenreiten  am  ersten  Pfingsttag.^  Noch 
anderswo ,  z.  B.  Schiettau  bei  Halle ,  Edersleben  bei  Sangerhau- 
sen steckt  statt  dessen  ein  Hut  auf  der  Spitze  der  Stange.^ 
Mehrfach  vertritt  den  Baum  ein  Krane  auf  der  Stange.^  So  im 
Harz.  Aus  den  Dörfern,  wo  noch  das  Pfingstreiten  herrscht, 
kommen  die  „Pfingstknechte^^  auf  die  benachbarten  Döri'er  und 
Städtchen,  nm  Gaben  einzusammeln.  Dann  folgt  zu  Hause  auf 
dem  Dori'anger  das  Reiten  selber.  Die  Pferde  haben  Quasten 
(bunte  Bänder)  an  Köpfen  und  Schwänzen,  die  Knechte  an 
Mützen  und  Schultern.  Dem  Pferde^  welches  das  Mal  zuerst 
erreicht,  wird  der  daselbst  aufgehängte  Kranz  um  den 


1)  S.  die  lebendige  und  ausführliche  Beschreibung  dieses  Pfingstrcnnens 
bei  J.  Rank ,  Aus  dem  Böhmerwalde ,  Lpzg.  1843,  S.  81  —  86. 

2)  Kuhn ,  Nordd.  Sag.  381 ,  60. 

3)  Kuhn  a.  a.  0.  381,  61. 

4)  Vgl.  Im  Saterlande  bestand  der  zu  Pfingsten  aufgerichtete  Maibaum, 
den  König  und  Königin  dreimal  umtanzten,  aus  einer  hohen  Stange,  an  der 
oben  eine  grüne  Birke  befestigt  war,  unter  dieser  hing  an  einer  Querstange 
an  einem  Arm  ein  Kranz,  an  dem  andern  ein'  hölzerner  Schinken. 
Strackerjan,  Abergl.  u.  Sag.  a.  Oldenburg,  11,52,319.  Zu  Elgersburg  bei 
Ilmenau  besteht  die  am  ersten  Pfingsttagc  feierlich  eingeholte  und  umtanzte 
Tanne  aus  einem  hohen  abgesch&lten  Baume,  dem  man  nur  unter  der 
Spitze  einen  kleinen  Nadelbusch  stehen  läßt;  darunter  aber 
befestigt  man  einen  großen  BlumenkraiTz.  Kuhn,  Mark.  Sag.  325. 
Genau  so  mit  nur  einem  großen  Kranze  unter  dem  Wipfel  ist  der  franzö- 
sische Maibaum  in  den  Marietteschen  Bildern  (Hone,  every  Daybook  II,  297) 
dargestellt,  englische  Maypoles  bestehen  zuweilen  einzig  aus  einer  Stange, 
an  der  mehrere  Kränze  hangen.  (S.  Beschreibung  und  Abbildung  bei  Hone 
a.a.O.  11,288).  Den  deutschen  Maibäumen  fehlen  Kränze  als  Teile  ihrer 
Ausschmückung  fast  niemals.     Vgl.  o.  S.  176  —  177. 

25* 


388^  Kapitel  IV.    Banmgeiatdr  als  Vegetationsdämonen : 

Hals  gehängt.  (Lassfelde.  Wülferstadt  bei  Gr.  Oschersleben.^) 
In  der  Nähe  von  Saizwedel,  Perleberg,  Harelberg  findet  em 
zweimaliges  Wettrennen  zu  Pferde  nach  dem  an  der  Stange  auf- 
gehängten und  reich  bebänderten  Kranze  statt.  Wer  beidemale 
den  Kranz  herunterreißt  wird  als  König  begrüßt  und  gekrönt; 
er  erhält  als  Preis  ein  von  den  Mägden  gekauftes  Tuch.  Jubelnd 
wird  er  ins  Dorf  zurückgeftlhrt  und  hier  wird  geschmaust  und 
getanzt.^  Im  Wendlande  zwischen  Salzwedel  und  Gartow  wird 
um  Johannls  nach  dem  Kranze  geritten;  der  beim  dritten  Wett- 
reiten Siegende  wird  König,  der  nächste  nach  ihm  sein  Bedien- 
ter, der  dritte  heißt  der  Pracher.^  In  Wunderthausen  in  West- 
falen wird  dreimal  gerannt,  und  das  Tuch  ist  gleich  am  Kranze, 
wie  sonst  am  Maibaum  befestigt.^  Diese  Sitte  geht  wiederum  in 
die  neue  Form  tiber,  im  Keiten  den  Krcmz  herahzustechen  und 
so  die  Königswürde  zu  verdienen.^  Beim  Kranzstechen  am  Nach- 
mittage des  ersten  Pfingsttages  muß  der  Sieger  mit  allen  Mäd- 
chen, die  zu  dem  als  Preis  ausgesetzten  seidenen  Tuche  etwas 
gegeben  haben,  tanzen;  am  zweiten  Pfingsttag  zieht  man  dann 
umher  und  sammelt  Gaben  ein.^  Aus  dem  Kranzstecfaen  aber 
erwuchs  in  Schleswig- Holstein  das  Ringreiten,  welches  in  Hol- 
stein zu  Pfingsten,  in  Nordschleswig  zur  Fastenzeit  derart  geübt 
wird,  daß  die  auf  blumengeschmückten  Pferden  selbst  bekränzt 
Reitenden  nach  einem  Ringe^  stechen,  der  von  einem  zwischen 
zwei  Piählen  ausgespannten  Seile  herabhängt.  Der  Sieger  wird 
König  und  wählt  sich  seine  Königin.  Umzug  und  Gabensamm- 
lung im  Dorf,  Tanz  und  Gelage  beschließen  das  Fest'  Wie 
hier  der  Ring,  ist  sonst  mehrfach  der  den  Maibaum  vertretende 
Kranz  aufgehängt  So  spannt  man  zu  Yechta  auf  Pfingsten  an 
vielen  Stellen  durch  die  ganze  Stadt  Kränze  über  die  Straße; 
in  der  Mitte   des  Kranzes    hängt  eine  bebänderte  Blumenkrone 


1)  J.  Pröhle  in  Ze.  f.  d.  Myth.  I,  80,  3.    Pröhle,  Harzbilder  S.  66. 

2)  Knbn ,  Mark.  Sug.  S.  325. 

3)  Kuhn,  Nordd.  Sag.  390,81.    Pracher  =  Bettler. 

4)  Kuhn ,  ^Westfäl.  Sag.  11 ,  166 ,  464. 

5)  Basnm   bei  Osnabrfick.    Kuhn,  Nordd.  Sag.  400,117.     Seeburg  bei 
Göttingen.    Kuhn,  Westfal.  Sag.  163,  458. 

6)  Kuhn  a.a.O.  163,  459. 

7)  S.  H.    Handelmann,    Volks-   und    Kinderspiele    der    Heraogtnmer 
Schleswig- Holstein -Lauenbnrg.    Kiel  1862,  8.2—4. 


Wettaustrieb  der  Weidetiere  389 

unter  der  getanzt  wird.*  Dem  Herabstechen  des  Kranzes  geht 
in  Niederbaiern  als  offenbar  gleich  bedeutend  noch  eine  andere 
Form  des  Brauches,  das  Boschenstechen  oder  der  Was- 
servogel  zur  Seite.  Zu  Baumgarten  umreiten  am  Pfingst- 
montage Mittags  12  Uhr  mehrere  Reiter  unter  Anführung 
des  Patrimonialgerichtsdieners  die  eine  Hälfte  des  Bezir- 
kes^ im  nächsten  Jahr  die  andere  Hälfte.  (Diese  Tei- 
lung geschah  wegen  der  zu  großen  Ausdehnung  des  Bezirks.) 
Während  des  Umritts  befestigen  die  Schloßkttfner  auf 
einer  Säule  ein  Faß,  das  ganz  mit  Keifen  belegt  ist, 
und  auf  die  Säule,  einen  Fichtenbusch,  an  welchem 
Gewinnste  z.  B.  Halsttlcher,  Spielzeug  für  Kinder  u.  dgl.  ange- 
hängt »ind.  Bei  der  Rückkehr  hat  jeder  Reiter  eine  Stange  mit 
einem  schneidenden  Eisen  und  sucht  damit,  in  schnellem  Trabe 
vortiberjagend ,  zuvor  einen  Reifen  vom  Faß ,  dann  „  den  Boschen " 
abzustechen.  Derjenige,  bei  welchem  der  „Boschen"  fällt, 
erhält  die  Gewinnste. '  Zu  Baumbach  war  die  6  Fuß  hohe  eichene 
Säule  in  den  Boden  gepflanzt  und  blieb  immer  stehen.  Oben 
in  der  Säule  steckte  in  einem  Loche  das  Stämmchen  eines  Fich- 
tenboschens,  um  das  Oberende  der  Säule  war  ein  kleines  hölzer- 
nes Faß  mit  hölzernen  Reifen  herumgelegt  und  mit  Steinen  aus-' 
gefällt.  Bei  klingendem  Spiel  und  zahlreicher  Versammlung 
suchten  die  Bursche  Pfingstmontag  im  schnellen  Laufe  der  Pferde 
die  Reifen  des  Fasses  zu  durchstoßen,  so  daß  die  Steine  herab- 
fielen ,  dann  den  Fichtenbosch  herabzustechen ,  der  an  der  Spitze 
des  Reiterzuges  dreimal  um  den  Schloßhof  geführt  wurde.  ^ 

§  12.  Wettanstrieb  der  Weidetiere.  An  Stelle  des  Wett- 
ritts tritt  mehrfach  eine  andere  Form  der  Wette  dort,  wo  am 
Pfingsttage  das  Vieh  zum  erstenmal  im  Jahr  auf  die  Brach  weide 
getrieben  wird.  Die  Bauermägde  oder  Bauerbursche  beeilen  sich 
wetteifernd  nämlich  ihre  Kühe  (Schafe,  Gänse)  so  frtth  als  mög- 
lich auf  die  Weide  oder  dem  Hirten  zuzutreiben.  Niemand  will 
der  Letzte  sein.  Wenn  dann  Abends  die  Tiere  heimkehren,  so 
bindet  der  Hirt  dem  zuerst  ausgetriebenen  einen  Kraüz  oder 
Basch  um  den  Hals  oder  an  den  Schweif  und  giebt  ihm  einen 

1)  Strackerjan,  Sag.  u/  Abergl.  a.  Oldenb.  II,  48,  318.  Cf.  Kuhn, 
Nordd.  Sag.  391 ,  82. 

2)  Panzer  1,237,262. 

3)  Panzer  ü,  82, 125.    Vgl.  o.  S.  306. 


390  Kapitel  IV.    Bannigoiäter  als  VegetatiousdämoneD : 

bezüglichen  Namen.  Vielfach  heißt  die  erstausgetriebene 
^Kuh  Daufäjer  oder  Daußchlöpper  und  erhält  einen  Mai  husch, 
die  „Dausleipe,"  an  den  Schwanz,  während  die  zuletzt 
ausgetriebene  Kuh,  die  bunte  Kuh  genannt,  einen  Kranz 
an  den  Hörnern  trägt,  oder  mit  Tannenreisem  allerhand  Grün 
und  Feldblumen  aufgeputzt  wird.  Zu  Sprakenhahl  bei  Wittingen 
im  Hannoverschen  heißt  dagegen  die  letzte  Kuh  Dauschlöpper 
und  die  erste  Pingstkärel;  ebenso  erhielt  in  Havelberg  die  letzte 
Kuh  die  Dausleipe,  die  erste  eine  Blumenkrone.  In  Westfalen 
wird  die  zuletzt  auf  dem  Plan  erscheinende  Kuh  Pingstkau,  der 
letzte  Ochse,  wenns  ein  solcher  ist,  Kngstoss  genannt  und  unter 
großem  Jubel  mit  Blumen  und  Laub  geschmückt  (gekrönet); 
daher  heißt  es  von  einem  geschmacklos  mit  Blumen  in  den 
Haaren  geschmückten  Mädchen  „se  is  gekrönet  as  en  pingstosse" 
und  von  überladenem  Putz  überhaupt  sagt  man :  Geputzt  wie  ein 
Pfingstochse.  In  den  Wendendörfem  bei  Salzwedel  (namentlich 
Seeben)  wird  auf  die  bunte,  d.  h.  die  zuletzt  ausgetriebene  Kuh 
eine  reich  mit  Feldblumen  geschmückte  menschengestaltige  Puppe 
aus  Tannenzweigen,  Heu  und  Stroh  in  aufrecht  sitzender  Stel- 
lung gebunden.  Das  Tier  wird  so  lange  im  Dorfe  von  Haus  zu 
Haus  getrieben,  bis  die  Puppe  herabfällt,  oder  in  Stücke  geht.* 
Die  Dausleipe  erläutert  ein.  czechischer  Brauch.  Die  Czechen 
nämlich  schmiicken  eine  von  ihren  Kühen  mit  grünen  Zweigen^ 
bedecken  sie  mit  einer  reinen  Decke  und  führen  sie  so  aufc 
Feld  an  einen  Kreuzweg.  Dort  nehmen  sie  nach  Gebet  die  Decke 
ab,  fangen  darin  den  Tau  des  Wiesengrases  und  der  Getreide- 
saaten auf  und  legen  die  Decke  wiederum  auf  die  Kuh,  die  nun 
zu  Hause  geführt  und  der  Decke  abermals  entkleidet  wird.  Man 
hängt  die  letztere  an  einem  Türpfosten  auf,  giebt  ihr  die  Gestalt 
eines  Kuheuters  mit  4  Zitzen  und  windet  sodann  den  Tau  in 
ein  Gefäß  aus.  Von  dem  aaf  diese  Weise  erlangten  Tau  mischen 
sie  Einiges  in  das  Getränk  der  Kühe,  wodurch  diese  gesund 
und  milchreich  werden  sollen;  mit  einem  andern  Teile  waschen 
sich  die  Mädchen,  um  gesund  und  schön  zu  bleiben.*  In  West- 
falen hieß  aber,   wie  wir  sahen  (o.  S.  384)  der  zuletzt  ankom- 


1)  Kuhn ,   Nordd.  Sag.  S.  388 ,  72.     Kuhn ,  Mark.  Sag..  315  ff.    Kahn, 
Westf&l.  Sag.  159,  449.  161 ,  451—52. 

2)  Afanasieff  U,  492. 


Wettlauf  und  Wettritt,  Erl&aterongen.  391 

mende  Pferdejnnge  zuweilen  Pßngstmocke^  PcDgestmocke  (Pfingst- 
kuh;  mocke»Kuhy  die  BrüUerin,  vgl.  mugire);  im  Süden  des 
Rothaargebirges  die  zuletzt  austreibende  Magd  Pfingstmucker.^ 
Aueh  das  zuerst  auf  der  Weide  eintreffende  Pferd  bekommt  die 
Dausleipe,  das  letzte  wird  in  Grün  gehüllt  und  das  bunte 
Pferd  genannt  (Mark  Br.)*  Anderswo  in  Westfalen  schilt 
man  den  beim  Austreiben  des  Viehs  zuletzt  Kommenden  (Bur- 
schen oder  Magd),  oder  das  zuletzt  zum  Melken  auf  die  Weide 
kommende  Mädchen  Fuchs  ^  Pingstfoss.    Man  singt  wol: 

Pinkestfoss,  da  änlenkopp, 
staist  am  niegen  €oer  op, 
waerst  en  bietken  aer  npstan, 
waersta  keinen  pinkstfoss  warn. 

und  hat  die  Kedensart  ,,he  lachet  as'n  Pingstfoss/'  ;,he  lüert 
as'n  Pingstfoss."  *  In  Silberg  a.  d.  Verse  hieß  der  zuerst  aus- 
treibende WSxUi  Ncichtrawe  y  der  Zweite  Dauensliepcr,  u.  s.  w.,  der 
Letzte  Pinkestfoss,  Der  Pinkestfoss  wurde,  wenn  nmn  ihn  erwi- 
schen konnte,  in  einen  Teich  gesteckt,^  Im  Oldenburgischen  heiBt 
Pingstfoss  y  wer  am  Pfingstmorgen  der  letzte  im  Bette  ist.*  Zu 
Theden  a.  d.  Lenne  wird  derjenige,  welcher  Pfingsten  seine 
Kühe  zuletzt  austreibt  Pfingsthammel  gescholten.^  Zu  Mergers- 
heim  in  Schwaben  wirft  der  Hirt  der  zuletzt  ausgetriebenen  Ruh 
einen  bereit  gehaltenen  Kranz  aus  Feldblumen  über  den  Hals 
und  nennt  sie  Waidhammel.  Ebenso  geschieht  es  beim  Austrei- 
ben der  Gänse.  Die  letzte  Gans  heißt  der  Pßngstlümiml  und 
erhält  einen  Feldblumenkranz  um  den  Hals.^ 

§  13.  Wettlauf  und  Wettritt,  ErlSuterungen.  Sobald 
wir  ins  Auge  fassen,  daß  in  einigen  dieser  Ueberliefemngen  die 
richtige  Reihenfolge  der  Begehungen  verschoben  sein  muß,  fällt 
es  nicht  schwer,  ihren  Sinn  und  die  ihnen  zukommende  Stellung 
im    Ganzen    der    Maitags-    (Pfingst-) gebrauche    warzunehmen. 


1)  Kahn,  Westföl.  Sag.  U,  165,  461.  163,  457. 

2)  Kahn ,  kärk.  Sag.  316. 

3)  Kuhn,  Westfäl.  Sagen  U,  160,  449.  161,  453.  162,  454.    v.  d.  Ha- 
gens  Germania  IX,  289. 

4)  Kahn  a.  a.  0.  162,  455. 

5)  Straekoijan,  Ahergl.  a.  Sagen  a.  Oldenburg  11,47,316. 

6)  Kuhn,  Westf.  Sag.  II.  163,457. 

7)  Panzer  n,  181,303. 


3d2  Kapitel  IV.    Banmgeister  als  Vegetationsdämonen : 

Denn  augenscheinlich  sind  Wettritt  und  Wettlauf  nur  durch  größe- 
ren oder  geringeren  Aufwand  unterschiedene  Formen  derselben 
Geremonie;.  diese  selbst  aber  stimmt  zusammen  sowol  mit  dem 
Zuge,  daß  zu  Ostern  der  Langschläfer  mit  grünen  Ruten  aus 
dem  Bette  getrieben ,  als  daß  anderswo  der  zuletzt  aus  dem  Bette 
Aufgestandene  zur  Pfingsterblume,  zum  Pfingstlflmmel,  Pfingstl 
und  zu  anderen  Darstellern  des  Yegetationsdämons  verwandt 
werden.  Vgl.  o.  S.  257  ff.  319  ff.  351.  353.  Wir  suchten  schon 
früher  darin  eine  Verbildlichung  des  jüngsten,  zuletzt  erwachten 
Ptfanzengeistes  im  Frühling.  Der  Wettlauf  nun  scheint  den  wett- 
eifernden Einzug  der  Pflanzengenien  in  Wald  und  Feld  nachzu- 
bilden und  es  ist  davon  yielleicht  ihre  feierliche  Einholung  ins 
Dorf,  resp.  die  Stadt  durch  die  Menschen  als  zweiter  Act  des 
Dramas  zu  trennen.  Weil  die  Personen  dieses  Wettlaufs  Pfl^n- 
zengeister  darstellen/  ist  ihr  Ziel  der  Maibusch  oder  Maibaum, 
er  ist  per  Synekdochen  der  f.  Vertreter  der  Baumwelt,  in  welche 
die  vom  Winterschlaf  erwachenden  Vegetationsgenien  jetzt  wieder 
ihren  Einzug  halten.  Die  ideelle  Identität  der  Wettläufer  (Wett- 
reiter) und  der  Gewächse  ist  nicht  minder  dadurch  ausgedrückt, 
daß  der  zuerst  Ankommende  auf  einen  Strauch  gesetzt  und  durch 
den  Tau  gezogen.,  oder  daß  dem  zuletzt  Angelangten  ein  Busch 
des  Dornstrauchs  auf  den  Rücken  gebunden  wird;  daß  der  Sie- 
ger oder  der  Letzte  die  Würde  des  Maikönigs,  Pfingstlümmels 
davonträgt  und  in  grünes  Laub  gehüllt  oder  am  Halse  mit  einem 
Blumenkranze  geschmückt  daherprangt.  Der  Ritt  nach  dem  auf- 
gesteckten Hute  (cf.  R.  A.  148  ff.)  oder  aufgestellten  KönigsstuM 
(R.  A,  187.  242.  253)  bedeuten  auch  nur  die  rechtliche  Besitz- 
nahme des  Maikönigtnma.  Erstes  Geschäft  eines  Königs  war  es, 
sein  Land  zu  umreiten,  oder  durch  das  Land  zu  reiten,  sich  den 
Untertanen  zu  zeigen  und  ihnen  Recht  und  Frieden  zu  bestätigen. 
(R.  A.  237  —  38.)  Vgl.  J.  Grimm,  Grenzaltertümer  132  (kl.  Sehr. 
II,  61):  „Ein  solcher  Begang  konnte  gefordert  werden,  wenn  ein 
Grundstück  aus  einer  in  die  andere  Hand  übertragen  wurde;  der 
Neuerwerbende  ergriff  eben  dadurch  leiblichen  Besitz,  daß  er 
sich  zu  dem  Grund  und  Boden  hinbegab ,  auf  einem  dreibeinigen 
Stuhl  in  der  Mitte  desselben  niederließ,  dann  aber  auch  alle 
Enden  und  Wenden  in  Augenschein  nahm.  So  hatte  selbst  der 
neue  König  beim  Antritt  der  Herrschaft  sein  Reich  nach  bestimm- 
ten Wegen   zu   durchziehen   und   von   allen  Marken  feierlichen 


Wetüauf  und  Wettritt,  Erlaaterongen.  393 

Besitz  zu  nehmen/'  Dem  entsprechend  ist  anch  im  Plingstspiel^ 
nrsprthiglieh  der  Wettritt  nach  Hut  oder  Stahl  dem  feierlichen 
Einritt  in  das  Dorf  oder  um  die  Grenzen  seiner  Gemarkung  vor- 
ausgegangen. Wenn  zu  Blumenhagen  eine  auf  die  Stange 
gespiefite  Semmel  das  Mal  des  Wettritts  ist,  so  will  man  andeu- 
ten^ daß  die  Kornernte  das  Ziel  der  Bewegung  der  Vegetation 
sei.  Vgl.  den  Brodmann  am  Emtemai  in  La  PaUsse,  (o.  S.  205. 
212)  das  Brod,  über*  welches  der  erste  Pflug  ins  Land  geht 
(o.  S.  168)  oder  welches  in  die  letzte  Garbe  eingebunden  wird 
(o.  S.  158),  den  vom  grflnen  Georg  aufs  Feld  getragenen  Kuchen 
0.  S.  317;  das  in  England  am  Dreik^nigsabend  dem  Ochsen  auf 
die  HOmer  gespiefite  Gebäck,  s.  unten  Gap.  VI,  §  10  und  den 
Kuchenritt  zu  Sindolfingen.^  Bestätigt  wird  unsere  Ansicht  auch 
durch  den  Umstand,  dafi  der  erste  und  letzte  Ankömmling  im 
Wettritt  durch  gnv/nen  Maihusch  und  hunte  Blumen  unterschieden 
werden.  Denn  offenbar  stellt  ersterer  das  frühere  Stadium  des 
Ergrttnens,  letzterer  die  spätere  Periode  der  bunten  BlüteniWle 
in  der  Natur  dar.  An  dem  Maibaum ,  wenn  er  unterhalb  der 
Krone  mit  einem  Blumenkranze  geschmückt  wird,  sind  beide 
Momente,  so  scheint  es,  in  eins  gezogcJn  und  zugleich  zur  Dar- 
stellung gebracht.  Wo  dagegen  beim  Wettlauf  oder  Wettritt  die 
Rollen  derartig  verteilt  werden ,  dafi  der  Erste  den  Maibaum  (oder 
abgekürzt  auch  nur  einzelne  der  ehedem  daran  gehängten  Preise) 
empfängt,  der  Letzte  (als  Wasservogel  u.  s.  w.)  in  Laub  gehüllt 
wird,  erscheint  keine  Unterscheidung  zwischen  zu  verschiedener 


1)  Berittene  Burschen ,  Musik  an  der  Spitze,  führten  jährlich  am 
Pflng'stdienstag  (früher  Pfingstmontag)  4  große  hunt  bebänderte  Kuchen, 
welche  gewisse  Mühlen  zu  liefern  verpflichtet  waren ,  auf  Stangen  durch  den 
Ort;  sie  umzogen  dreimal  den  großen  Kloßterhrunnen  und  endigten  mit 
Gastmahl  und  Tanz  auf  dem  Bathause.  Meier,  421,  105.  In  i^ußland  ver- 
birgt sich  der  Hausherr  zu  Weihnachten  hinter  einem  Kuchen  und  erwartet, 
wenn  er  nicht  gesehen  wird,  ein  fruchtbares  Jahr.  Afanasieff,  Poet.  Natur- 
ansch.  d.  Russ.  III,  745.  Das  ist  noch  ganz  das  Orakel,  welches  nach  Saxo 
im  12.  Jahrh.  der  Priester  des  Swantowit  auf  Arkona  übte:  „Placenta  quo- 
que  muUo  oonfecta  rotnndae  formae,  g^anditatis  vero  tantae«  utpaene  homi- 
nis staturam  aequaret,  sacrificio  admovebatur.  Quam'sacerdos  sibi  ac  populo 
mediam  interponens,  an  a  Bugianis  cerneretur,  percontari  solebat.  Quibus 
illum  a  se  videri  respondentibus,  ne  post  annum  ab  hisdem  cerni  posset 
optabat.  Quo  precationis  modo  non  suum  aut  fatum,  sed  futura  messis 
inerementa  aptabat.    Saxo  gram.  III,  40^.  Klotz. 


394  Kapitel  IV.    Baumgeister  als  Vegetationsdibnonen: 

Jahreszeit  auftretenden  Vegetationsgeistem  gemacht,  sondern  ein 
und  derselbe  Begriff  auf  doppelte  Weise  durch  Baum  und  Mensch 
dargestellt.  Das  Wettrennen  nimmt  mehrfach  den  Anschein  einer 
Verfolgung  des  Pfingstkönigs  u.  s.  w.  an. 

Der  mit  Gefolge  einziehende  Maikönig  ist  meistens  beritten 
und  mit  kriegerischem  Schmucke  angetan  gedacht  Er  wird  bei 
dem  Wettritt  nach  den  Insignien  seiner  Würde  oder  seines  Wesens 
(dem  Maibusch,  Bosehen,  Kranz)  diese  mit  dem  Speer  berührt 
und  so  die  Erreichung  des  Zieles  bezeichnet  haben.  Das  kann 
bei  Verdunkelung  des  ursprünglichen  Sinnes  leicht  zum  Wurfe 
mit  dem  Speere  nach  Baum ,  Kranz ,  Ring  u.  s.  w.  geworden  sein. 
Diese  Bemerkung  läßt  mich  ein  bereits  älteres  2^ugniß  für  unsere 
Sitte  in  einer  Nachricht  in  der  saec.  IX.  geschriebenen,  wie  man 
annimmt  auf  älteren  der  Hauptsache  nach  glaubwürdigen  Quellen 
beruhenden  Vita  St.  Barbati  erkennen.  Zur  Zeit  König  Grimualds 
(662  —  671)  predigte  in  Benevent  der  Priester  Barbatus  gegen 
die  Ueberreste  des  Heidentums  'in  der  Sitte  der  Langobarden. 
U.  a.  verehrten  sie  einen  Baum,  der  nicht  weit  von  den  Mauern 
von  Benevent  stand,  als  heilig;  sie  hingen  ein  FeU  daran  auf, 
ritten  alle  zusamunen  um  die  Wette,  so  daß  die  Pferde  von  den 
Sporen  bluteten,  hinweg,  warfen  mitten  im  Laufe  mit  den  Spee- 
ren rückwärts  nach  dem  Fell  und  erhielten  dann  jeder  einen 
Teil  davon  zum  Verzehren.  Dieser  Ort  hieß  noch  im  9.  Jahr- 
hundert Votum. ^  Auf  das  am  Baume  hängende  Fell,  welches 
hier  das  Ziel  des  Wettritts  bildete,  wirft  ein  litauischer  Brauch 
Licht,  den  Wilhelm  Martini,  Pfarrer  zu  Werden  im  Amte  Memel 
um  1645  in  dem  Dörichen  Matemick  a.  d.  Szuhze  beobachtete. 
Daselbst  war  zu  Anfang  des  Einsäens  der  Wintersaaten  von  den 
Bauern  eine  2iiege  geschlachtet,  das  Fleisch  mit  vielen  aber- 
gläubischen Geremonien  und  begleitendem  Trinkgelage  verzehrt, 
das  FeU  aber  auf  einer  sehr  hohen  Stange  aufgerichtet  y  in  der 
Nähe  einer  alten  Eiche  und  eines  5  Schritt  davon  liegenden 
großen  Steines.  Dort  blieb  das  Fell  bis  zur  Ernte ;  sodann  wurde 
über  demselben  ein  großer  Busch  von  allerlei  Getreide  und  Kraut 
angebracht  und  das  Dorf  strömte  zusammen.  Ein  alter  Mann 
faßte  eine  Schale  (Kaußel)  mit  Bier  und  dankte  Gott,  daß  er 
ihnen  Essen,  Trinken,  Nahrung  und  Aufenthalt  gegeben,  worauf 


1)  S.  0.  Abel,  Paulus  Diakonus.    Berlin  18^U.   S.  24B. 


Wetüaaf  und  Wetbitt,  Erläuterungen.  395 

das  junge  Volk  am  die  Stange  and  Eiche  tanzte.  Sobald  der 
Reigen  geendigt,  betete  der  alte  Mann  wieder,  trank  das  Bier 
ans  and  rührte  die  Stange  an.  Alle  sprangen  hereu,  hoben  die 
Stange  at^s  und  jeder  griff  nach  dem  Bloche.  Von  dem  Kraat 
and  den  Aehren  auf  der  Spitze  der  Stange  erhielt  jeder  durch 
den  Alten  ein  spärliches  Teil,  das  Fell  der  Letztere  fttr  seine 
Mtthe.  Em  mehrt%iges  Trinkgelage  folgte.  ^  Diese  mit  Kraut 
and  (frischen)  Aehren  geschmttckte  Stange  entspricht  dein  Ernte- 
mai,  ihre  Aushebung  dem  Ausheben  desselben  durch  die  Weiber 
(o.  S.  196).  Später  zu  veröffentlichende  Untersuchungen  werden 
durch  unabweisliche  Analogien  unzweifelhaft  erweisen ,  daß  das 
hei  der  Aussaat  am  Baume  aufgehängte  Fell  ebenso  wie  jene  im 
Kalbischen  Werder  zu  Ostern  mit  Knochen  und  Pterdeschädel 
geschmttckte  Tanne  (o.  S.  383)  eine  Verbildlichung  des  theriomar- 
phisch  gedachten  Vegetationsdämons  sein  sollen,  der  aus  den 
Resten,  den  abgehauenen  Gliedern  seines  bei  der  letzten  Ernte 
getödteten  Vor^gers  im  Acker  zu  neuem  Leben  aufersteht. 
Stellte  aber  das  in  Litauen  von  der  Aussaat  bis  zur  Ernte  am 
Baume  hangende  Tierfell  den  tiergestaltigen  Wachstumsgeist  dar, 
so  kann  das  auch  bei  jenem  langobardischen  Brauche  der  Fall 
gewesen  sein  und  auf  diese  Weise  stellt  sich  die  von  Barbatus 
beobachtete  Sitte  nicht  nur  als  äußerlich  ähnlich,  sondern  auch 
als  innerlich  im  wesentlichen  gleichbedeutend  zu  unserm  Kranz- 
reiten. 

Erst  die  Betrachtung  der  in  den  Emtegebräuchen  hervortre- 
tenden Komdämonen  wird  dem  Leser  die  tiergestaltigen  Vege- 
tationsgenien  in  ihrer  Art  und  Weise  völlig  klar  machen.  Wir 
müssen  jedoch  schon  hier  darauf  hinweisen ,  wie  die  Namen  und 
Gestalten  der  Pingstmocke  (Pfingstkuh)  oder  bunten  kuh,^  des 
bunten  Pferdes,  des  Pfingsthammels  und  Pfingstfuchses  schon  hier 
im  Bereiche  der  Frtthlingsgebräuche  den  Glauben  an  solche  in 
der  Pflanzenwelt  waltende  Tierdämonen  zu  bezeugen  scheinen, 
die  statt  der  menschlich  gedachten  Vegetationsgeister  noch  hie 


1)  S.  Math.  Pr&torins,  Deliciae  Fnusicae  oder  Prenß.  Schauböhne,  Buch 
IV,  §  12.  Vgl.  einstweilen  Piersons  Ausgabe  der  Deliciae  Pr.,  Berlin  1871. 
S.  23  — 24. 

2)  Merkw&rdig  ist  die  in  Pommerellen  gebräuchliche  Redensart:  „  Weiß 
(rott  und  die  bunte  Kuhj**  um  etwas  völlig  Rätselhaftes  zu  bezeichnen. 


396  Kapitel  ly.    Baumg^eister  als  Vegetationsdämonen : 

• 

und  da  im  Volksgebraach  hervortreten  und  von  denen  dann  bald 
menschliche  Personen  bald  Tiere  als  Bepräsentanten  gelten.  Es 
fehlt  dnrchans  nicht  an  Sparen,  welche  den  Frtthlingseinzug  die- 
ser Dämonen  auch  in  sonstigen  Sitten  aufweisen.  Dazu  rechne 
ich  den  Umzug  des  Pip-oss  zu  Ostern  in  Oldenburg,  die  Pro- 
zessionen der  Metzger  mit  dem  geschmückten  Fastnachtsochsen 
(boeuf  gras,  boeuf  violet)  u.  s.  w.,  das  Auftreten  des  Schim- 
mels (chevalet,  hobbyhorse)  zu.  Fastnacht  und  Maitag,  wie  zur 
Ernte;  den  angeblichen  Umzug  des  Fuchses  beim  Osterfeuer, 
das  Umtragen  eines  Fuchses  im  Frühling  u.  s.  w.  Hierher 
auch  gehört  jener  Lauf  nach  dem  Lamm  oder  Hammel  und 
die  Hammeltänze  in  verschiedener  Form  sowie  manches  andere. 
Wir  werden  diese  Sitten  bei  der  allgemeinen  sowie  bei  der 
speziellen  Erörterung  der  theriomorphischen  Komdämonen  mit- 
besprechen. 

§  14.  Wettlauf  naeh  der  letzten  Oarbe.  Eine  Schwierig- 
keit An  Betre£f  meiner  Deutung  sehe  ich  in  dem  Umstände  sich 
erheben ,  daß  auch  bei  der  Ernte  ein  Wettlauf  nach  der  letzten 
Garbe  angestellt  wurde,  die  als  der  Sitz  des  Getreidedämons 
galt.  Um  Ghambery  heiBt  sie  la  gerbe  du  jeune  boeuf  und  alle 
Schnitter  laufen  danach  um  die  Wette.  In  Pommern  wird  sie 
der  Alte  genannt  und  erhält  die  Gestalt  eines  Mannes.  In  einer 
gewissen  Gegend  dieser  Provinz  stellen  die  Mädchen  nach 
dem  Alten  einen  Wettlauf  an;  die  Siegerin  wird  die  erste  Tän- 
zerin am  Abend  des  Erntefestes.^  Zu  Ober-Grauschvritz,  Amts- 
hauptQiaimsch.  Grinmia  (Kgr.  Sachsen)  findet  am  allgemeinen 
Erntefest  ein  Wettlaüf  nach  einem  mit  Tüchern  behangenen  Bir- 
kenbusch statt.  Zu  Besdau  bei  Luckau  stellen  am  Erntefest 
Knechte  und  Mägde  einen  Wetüauf  nach  dem  zu  dieser  Fefer 
gebaokenen  großen  Stollen  an  (vgl.  o.  S.  393).*  Zu  Bei^kirchen 
bei  Minden  hält  man  zur  Ernte  das  Kranzstechen  oder  Kranz- 
reiten (o.  S.  387).^  Wenn  der  Wettlauf  nach  dem  Maibusch  den 
Frühlingseinzug  der  Yegetationsgeister  in  die  Pflanze  darstellt, 
was  soll  dann  der  Wettlauf  nach  der  letzten  Garbe  im  Herbste? 
Man  sollte  doch  erwarten,  daß  jetzt  der  Abzug,  der  Davonlauf 


1)  Kuhn,  Mark.  Sag.  342. 

2)  Kuhn ,  Nordd.  Sag.  399 ,  109. 

3)  Kuhn  a.  a.  0.  400, 117. 


Esehprotession ,  Flurumrltt.  397 

der  Wachstumsdämonen  Yer8mn]i)ildlicht  werden  müBte?  Da  aber 
die  letzte  Garbe  das  Ziel  bildet,  war  unsere  Deutung  des  Frtlh- 
lingswettrennens  unrichtig?  Oder  unterliegt  dem  Herbstrennen 
eine  von  diesem  yerschiedene  Bedeutung?  etwa  der  Wettlauf 
von  Menschen  um  das  entweichende  Getreidewesen  zu  fassen,  zu 
haschen  und  für  den  Winter  bei  sich  zu  bergen  ?  Oder  sind  die 
Herbstrennen  nach  bloßer  Analogie  zu  den  Frtlhlingswettritten 
entstanden  und  geformt?  Oder  endlich  war  der  Wettlauf  zur 
letzten  Garbe  vielleicht  ursprünglich  eine  rohe  Darstellung  des 
Entweichens  des  in  der  letzten  Garbe  verborgenen  Dämons  und 
seines  Gefolges;  sodann  übergegangen  in  die  Auffassung  als  ein 
Wettlauf  von  Menschen,  um  den  fliehenden  Genius  zu  halten; 
endlich  mehrfällig  gemodelt  und  ungeformt  nach  Analogie  des 
lebendiger  ausgebildeten  Frühlingslaufes  ?  Es  will  mich  die  letz- 
tere Erklärung  die  wahrscheinlichste  bedünken. 

§  15.  Esehprozession,  Flnrumritt.  Wie  die  Sache  sich 
auch  verhalte,  wir  haben  noch  schließlich  als  einen  mit  dem 
Wettlauf  oder  Wettritt  zusanmienhangenden  aber  davon  deutlich 
unterschiedenen  Umgang  oder  Umritt,  den  Umzug  um  die  Gren- 
zen des  Saatfeldes  resp.  der  Gemarkung  zu  betrachten.  Wir 
sahen,  daß  in  Niederbaiem  am  Pfingstmontage  die  Grenze  des 
Gerichtsbezirkes  umritten,  sodann  der  Busch  (Bosehen)  im  Wett- 
ritt  gestochen  wurde  (o.  S.  389).  Vermutlich  war  einstmals  die 
Ordnung  der  Ceremonie  umgekehrt;  man  ritt  um  die  Wette  und 
umritt  nun  erst  mit  dem  Busch  die  Gemarkung.^  Für  sich  allein 
tritt  die  Sitte  solches  Grenzbeganges  oder  Grenzumrittes  zu 
Ostern,  Himmelfahrt,  Pfingsten,  Maitag  in  verschiedenen  Gegen- 
den hervor.  Im  Erzherzogt.  Oestreich  reiten  die  Söhne  und 
Knechte  des  Hauses  Ostern  vor  Sonnenaufgang  im  schnellsten 
Laufe  um  die  Felder;  oft  fanden  sich  30  —  40  Bursche  ein,  und 
wo  drei  Pfarren  zusammengränzten ,  ließ  man  die  Pferde  die 
junge  Saat  abgrasen.  Es  schützte  sie  gegen  den  Bost.  Im  Inn- 
viertel  ritten  schon  in  der  Nacht  vorher  12  Bursche  aus  Raab 
und  der  Bauernschaft  nach  Maria  BrtlndL     Hier  ließen  sie  ihre 


1)  Man  vgl.  nur,  daß  in  Baiern  die  von  den  Knaben  bei  den  Prozes- 
sionen getragenen  Palmstangen,  lange  Tannenstangen  mit  kleinen  Fähn- 
chen in  die  Getreidefelder,  in  Pranken  sogar  von  den  Evangelischen  die 
Birken  zweige  der  Prohnleichnamsprozession  in  die  Flachsäcker  gesteckt 
werden.    Bavaria  III,  342. 


396  Kapitel  IV.    Baningeister  als  -  Vegetationsdämonen : 

i^erde  zur  Kirche  hineinsehen ,  trabten  um  die  Kornfelder  hemm 
und  sodann  heim.^  Im  Wagstädter  Bezirk  (Oestr.  Schlesien) 
wird  in  den  einzelnen  Höfen  das  schönste  Handpferd  (das  Pferdy 
das  rechts  eingespannt  war),  am  Ostertage  mit  Bändern  und 
Kränzen  geschmückt.  Nach  dem  Nachmittagsgottesdienst  verlas- 
sen die  Bursche  auf  ihren  geschmtlckten  Pferden  das  Dorf  und 
reiten  an  der  Grenze  so  lange  hin,  bis  sie  zu  dem  Gehöfte 
eines  Bauers  vom  benachbarten  Dorie  kommen.  Dort  läßt  man 
sie  ein  und  sie  reiten  dreimal  im  Hofe  herum  unter  dem  Absingen 
heiliger  Lieder,  die  gewöhnlich  mit  dem  klösterlichen  Alleluja 
beschlossen  werden.  Der  Hausvater  bewirtet  sie  mit  einem  fri- 
schen Trunk  Keres  oder  Weines.^  In  Thüringen  ist  es  noch  an 
verschiedenen  Orten  um  Eisenach  Sitte,  daß  die  Bauern  und  ihre 
Knechte  in  der  Ostemacht  die  Pferde  ins  Wasser  reiten  und 
dann  in  ein  Saatfeld ,  damit  dieselben  etwas  von  der  jungen  Saat 
fressen.  Um  Marksuhl  reitet  man  die  Pferde  ebenfalls  ins  Oster- 
wasser  und  dann  in  die  grüne  Saat,  damit  dieselbe  bes- 
ser gedeihe.^  In  Reichenbach  zogen  ehedem  „Saatreit^^"  am 
Ostermorgen  mit  Gesang  und  Musik  um  die  Felder  der  Stadt, 
jetzt  giebt  es  nur  „Saatgänger,''  welche  das  feierliche  „Freu 
dich,  Maria  Himmelskönigin''  in  aller  Frühe  anstimmen/  In 
den  böhmischen  Döri'em  an  der  sächsischen  Grenze  versammeb 
sich,  sobald  mit  Sonnenaufgang  die  Glocken  zu  läuten  anfangen, 
die  „Usterreiter"  (Osterreiter)  auf  dem  Anger  vor  der  Kirche 
und  ziehen,  voran  ein  Fahnenträger  unter  Glockengeläut,  em 
Osterlied  singend,  dreimal  um  die  Kirche,  sodann  von  Haus  zu 
Haus  vor  jedem  singend  und  in  einer  Büchse  Gaben  ÜLr  die 
Kirche  sammelnd.^  In  den  katholischen  Gemeinden  Schwabens 
fand  ehedem  am  Himmeliahrtstage  die  Eschprossession ,  ^<Qt  Esch- 
gang (v.  esch  goth.  atisks)  oder  i^W^an^  zur  Segnung  der  Saatfelder 
statt.  Ehedem  umzog  man  die  gesammte  Gemarkung;  jetzt  geht 
man  mitten  hindurch,  so  daß  man  alle  Grenzen  übersehen  kann. 


1)  Baumgarten,  das  Jahr  und  seine  Tage,   S.  22. 

2)  Peter,  Volkstum!,  a.  Oestr.  Schlesien  U,  8.2^5. 

3)  A.  Witzschel,    Sitten  u.   Gebräuche    a.  d.   Umgegend  von  Eisenach. 
S.  13,  51. 

4)  Reinsberg-Biiringsfeld,  Böhm.  Pestkalender.    S.  140. 

5)  Ebd.  S.  139. 


Eschprozession ,  Fluniinritt.  Bd9 

An  4  Stellen  wird  halt  gemacht,  ein  Stttck  ans  den  Evangelien 
gelesen,  der  Wettersegen  gesprochen  and  ein  Gracifix  umher* 
geträgen.  Außerdem  wurde  an  diesem  Tage  das  ganze  Haus, 
Menschen  und  Tiere,  geweiht  und  mit  heiligem  Wasser  besprengt.^ 
Von  der  Benedictinerabtei  Weingarten  bei  Altdorf  ans  wird  am 
Himmelfahrtstage  der  berühmte  Blutritt  gehalten,  bei  welchem 
in  feierlicher  Prozession  der  eingefaßte  Tropfen  vom  heiligen  Blut 
Christi  vom  weißgekleideten  und  auf  einem  Schimmel  sitzenden 
Gustos  durch  die  Felder  getragen  und  das  Korn  gesegnet  wird, 
damit  kein  Wetter  ihm  schade.  Seit  alter  Zeit  geht  der  Zug 
durch  die  Scheuer  eines  Bauers  bei  Weingarten.  Die  meisten 
Teilnehmer  sind  zu  Pferde  mit  Fahnen,  Musik  u.  s.  w.;  auch  den 
Pferden  bringt  der  Umzug  Gedeihen.^  Eine  der  großartigsten 
Prozessionen  dieser  Art  geht  alljährlich  auf  Himmelfahrt  vom 
Chorhermstift  Beromttnster  im  Kanton  Luzem  schon  um  fttnf  Uhr 
morgens  aus ,  nachdem  an  5  Altären  der  Stiftskirche  Messe  gele- 
sen ist.  Dreißig  Dragonern  und  Trompetern  folgt  der  Stifts- 
weibel  im  Scharlachmantel,  der  sein  Boß  mitbedeckt,  an  einem 
Fahnenstabe  den  h.  Michael  tragend,  von  allen  Unterbeamten 
des  Stiffces  zu  Pferde  begleitet;  dann  Fahnenträger,  Kreuzträger, 
Latementräger;  nach  ihnen  die  Chorherm  und  Kapläne  mit  bren- 
nenden Wachskerzen,  der  Abt  mit  der  Monstranz,  alle  beritten, 
zuletzt  Batsglieder,  Beamte  und  Btlrger  und  Bauern  des  Orts 
und  der  Umgegend;  dem  Reiterzuge  strömt  die  noch  größere 
Schaar  der  übrigen  Wallfahrer  zu  Fuß'  nach.  Im  Jahre  1797 
betrug  die  Zahl  der  Reiter  200,  die  der  Fußgänger  4000;  im 
Jahre  1816  stieg  die  Zahl  der  ersteren  auf  302,  die  der  letz- 
teren auf  9460.  Die  Prozession  durchzieht  das  ganze  dem  Mün- 
ster gehörige  Gebiet  in  einem  siebensttlndigen  Marsche  zum 
Schutze  gegen  Viehseuchen,  Mißwachs  und  Yerhageiung 
der  Felder.  Am  Hofe  Hasenhausen  ist  der  Batier  verpflichtet^ 
dem  Äbte  einen  schönen  BltMnenhranz  zu  überreichen.  Dieser 
windet  ihn  um  die  Monstranz.  Im  Hofe  Maihausen  überreicht 
der  Hofbauer  jedem  Reiter  eme  Ankenschnitte  (Butterbrod).  Die- 
ser stößt  sie  dem  Brauche  gemäß  seinem  Rosse  ins  Maul.  Unter- 
ließe der  Bauer  diese  Bewirtung,   so  würde   sein  Vieh  sterben, 


1)  Meier  S.  400 ,  «5. 

2)  Meier  S.  399,  84. 


400  Kapitel  IV.    Baumgeister  als  Tegetationsdamonen: 

sein  Getreide  verhageln.  Auf  zweien  findet  Feldpredigt  statt.  * 
Im  Dürkheimer  Landgericht  in  Sehwaben  ist  das  ^^Oescht-reiden'' 
(s.  0.  S.  398)  am  Pfingstmontag  gebräuchlich  ^  auf  welchen  Tag 
auch  sonst  meistenteils  der  Eschgang  verlegt  wurde.  Der  Pfar- 
rer zu  Pferd  mit  der  Kreuzpartikd  und  hinter  ihm  alle  jungen 
Leute  gleichfalls  zu  Roß  umreiten  die  ganze  Dorfiflur,  begleitet 
von  zahlreichen  Fußgängern.  An  den  4  Ecken  wird  das  Evan- 
gelium gelesen  und  dctö  Wetter  gesegnet.^  Zu  Kötzting  im  Baier- 
walde  nimmt  der  Pfingstritt  die  folgende  Gestalt  an;  am  Pfingst* 
montage  flihren  berittene  Männer  und  Bursche  unter  Anftlhrung 
des  Geistliehen  mit  dem  Allerheiligsten  eine  Wallfahrt  nach  dem 
im  Walde  gelegenen  Kirchlein  St  Nikolaus  in  Steinbtthl  aus. 
Unterwegs  empfängt  auf  einer  freien  Wiese  ein  tugendreicher 
Kötztinger  Bttrgerssohn  aus  der  Hand  des  Geistlichen  ein  aus 
Flieder,  rotem  Band  und  Silberdfaht  geflochtencß  Kränzchen  um 
den  linken  Arm.^  In  östr..  Schlesien  reiten  am  Pfingsmontage 
der  Dorfrichter  und  andere  aus  der  Gemeinde  auf  schönen  Pfer- 
den ins  Feld  und  umreiten  langsam  und  mit  Andacht  ihre  Aecker, 
singen  und  beten.  Sie  hoffen  dadurch  Gattes  Segen  für  ihre 
jungen  Saaten  zu  erflehen  und  Wetterschaden  abzuhalten.  Wer 
das  schönste  Pferd  bei  dieser  Feierlichkeit  hai^  wird  als  König 
anerkannt.  Nachmittags .  läßt  der  König  ein  schwarzes  Schaf 
braten ,  von  dem  jeder  andere  morgens  vor  Sonnenaufgang  einen 
Knochen  in  seine  Saaten  steckt.^  Schon  vor  300  Jahren  wurde 
in  Franken  der  Pfingstritt  in  ganz  ähnlicher  Weise  geflbt 
S.  Sebast.  Franck,  Weltbuch  1534  f.  CXXXI.  „Auff  diß  fest 
(Ostern)  kompt  die  cretttz  woch,  da  g6het  die  gantz  statt  mit 
dem  cretttz  wallen  auß  der  statt,  ettwan  in  ein  dorff  zu  eynem 
heyligen,  das  er  das  treyd  wöU  bewaren  vnd  wolfeyle  zeit  vmb 
got  erwerben.  Das  geschieht  drei  tag  an  eynander,  da  isset 
man  eyer  vnd  was  man  guts  hat  im  gtflnen  graß  auff  dem 
kirchoff  vnd  ermeyen  sich  die  leüt  wol.  —  (fronlichnamstag) 
Auff  diß  fest  (Pfingsten)  kompt  vnsers  herm  fronlichnamstag,  da 


1)  Eochholz,  Nattmnythen,  S.  17—20. 

2)  Panzer  11,90,137. 

3)  Das  Königreich  Baiern  in    seinen  Schönheiten  III^  7.     Schöppner, 
Sagenhach  der  Bair.  Lande  I,  91  N.  91. 

4)  Vernaleken ,  Mythen  306 ,  28. 


Eschprozession,  Flaramritt.  401 

tregt  man  das  Sacrament  mit'  einer  pfafifen  procession,  vnder 
einem  köstlichen  verdeckten  hymmel^  den  vier  mit  kemtzen 
geziert  tragent^  in  einer  monstantzen  herumb.  —  An  diesem  tag 
folgt  man  auch  an  vil  orten  vmb  den  fluor,  dz  ist/ymb  das 
kom  mit  vil  kertzen  Stangen ,  der  Pfaff  reyt  auch  mit,  tregt 
ynsem  hergott  leiphafftig  am  hals  in  einem  seckel,  an  bestimpten 
orten  sitzt  er  ab,  singt  ein  Evangelium  ttber  das  kom,  vnd  singt 
deren  vier  an  vier  orten,  biß  er  vmb  den  fluor  reyt.  Die  junck- 
frawen  gehn  schön  geschmückt  in  einer  Procession  auch  mit, 
singen  vnd  lassen  jnen  wol  sein,  vnd  geschieht  vil  hoffart,  mut- 
will vnd  büberey  von  rennen,  schwetzen,  singen,  sehen  vnd 
gesehen  wollen  sein/'  Im  15.  Jahrhundert  hielten  die  wendischen 
Bewohner  auf  der  Gabelhaide  a.  d.  Sude  in  Mecklenburg  noch 
alljährlich  im  Sommer,  im  Mai  einen  festliehen  Umzug  um  ihre 
Saatfelder;  vorauf  der  Spielmann,  der  eine  mit  Hundsfell  bezo- 
gene Pauke  ftthrte,  gleich  hinter  ihm  der  Yortänzer,  dann  alle 
übrigen.  Sie  liefen  und  tanzten  mit  lautem  Gesänge  an 
den  Hufen  hin  und  her  und  meinten  dadurch  die  grü- 
nende Saat  vor  Schaden  durch  Regen  und  Gewitter  zu 
schützen.^  Ein.  günstiges  Geschick  hat  uns  ein  älteres  Zeugniß 
aus  jener  Zeit  bewahrt,  als  die  deutsche  Earche  begann,  den 
ans  dem  Heidentum  übrig  gebliebenen  Flurbegang  sich  selbst 
zuzueignen  und  für  ihre  Zwecke  umzuformen.  Es  ist  dies  eine 
um  940  erlassene  Verordnung  de^r  Aebtissin  Marcsuith  im  Kloster 
Schildesche  bei  Bielefeld,  durch  welche,  unzweifelhaft  nach  dem 
Vorgange  anderer  Kirchen,  die  vermutlich  in  der  nämlichen 
Jahreszeit  geübte  jprofane  Sitte  fortan  in  eine  geistliche  Begehung 
verändert  wurde:  Statuimus,  ut  annuatim  secunda  feria  pente- 
costes  patronum  ecclesia«  in  parochiis  nostris  longo  am- 
bitu  bircumferentes  et  domos  vestros  lustrantes  et  pro  genti- 
licio  ambarvali  in  lacrymis  et  varia  devotione  vos  ipsos  mac- 
tetis  et  ad  refectionem  pauperum  eleemosynam  compor- 
tetis  et  in  hac  curti  pemoctantes  super  reliquias  vigiliis  et  can- 
tibuB  solennisetis ;  ut  praedicto  mane  determinatum  a  vobis  am- 
bitum   pia  lustratione    complentes   ad  monasterium  cum   honore 


1)  Nicolai  Marescalci  Chronicon  I,  14.  Nicolai  Marescalci  annales  I,  9. 
Die  beiden  Berichte  desselben  Verfassers  ergänzen  sich.  S.  Giesebrecht, 
wendische  Geschichten,  Berlin  1843,  1,83.  cf.  Kuhn,  Mark.  Sag.  335. 

Mannhardt.  26 


402  Kapitel  IV.    Baomgeister  als  Vegetationsdämonen: 

debito  reportetis:  Confido  autem  de  patroni  hnjas  misericordia, 
qaod  sie  ab  eo  gyrade  terrae  semna  tAerius  provemant  et  variae 
aeris  indementiae  cessent.^ 

§  16.  Steffansritt.  Außer  Ostern  ^  Himmelfahrt  nnd  Pfing- 
sten findet  der  Umritt  noch  za  andern  Zeiten  z.  B.  in  der  Weih- 
nachtszeit  statt ,  die  wir  ja  bereits  als  ideellen  Anfang  des  Früh- 
lings,  des  neuen  Jahres  kennen.  Im  Erzherzogtum  Oestreich 
fand  der  ^^Pfarritt/'  d.  h.  das  Umreiten  der  Pfarrmarkung  von 
Seiten  der  Bauern  unter  Anftlhmng  eines  Priesters,  wobei  man 
an  den  Feldkapellen  Stationen  machte,  und  oft  mit  Einrechnung 
mehrerer  Raststunden  zur  Einnahme  von  Erfrischungen ,  den  gan- 
zen Tag  zubrachte,  bis  in  die  Zeiten  der  Kaiserin  Maria  The- 
resia alljährlich  statt,  im  Traunviertei  bald  nach  Ostern  mit 
Beginn  des  Frühjahrs,  in  und  um  Kremsmünster  auf  Pankratius 
(12.  Mai),  jenseits  der  Traun  am  Stephanstage  (26.  December).* 
Anderswo  ist  nun  aber  dieser  Ausritt  um  die  Gemarkung  auf 
St.  Stephan  von  der  Kirche  aufgegeben  und  daher  verblaßt  zu 
einer  Begehung  geworden,  welche  das  Gedeihen  der  Bosse 
sichern  soll.  Zu  Backnang  in  Schwaben  reitet  man  am  26.  De- 
cember  die  Pferde  aus  und  zwar  so  schnell  als  möglich,  um  sie 
dadurch  vor  Hexen  zu  schützen,^  ebenso  erhalten  dann  im  Hohen- 
lohischen  sämmtliche  Knechte  von  ihren  Herren  Erlaubniß  zum 
Ritt  und  ziehen  truppweise  in  die  benachbarten  Ortschaften,  wo 
wacker  gezecht  wird.^  In  mehreren  schwedischen  Provinzen 
halten  Gesellschaften  von  Bauerbnrschen  am  St.  Stephanstage 
einen  Umritt  von  Dorf  zu  Dorf  und  Haus  zu  Haus,  ein  gevris- 
ses  Volkslied  (Staffansvisa)  singend,  woher  sie  Steffansmän 
(Stephansleute)  heißen.  Zugleich  erneut  man  an  diesem  Tage 
die  Streu  der  Pferde,  giebt  ihnen  besseres  Futter  und  reicht 
ihnen  Tränke,  die  sie  vor  Unglück  bewahren  sollen.  Die  ätio- 
logische Sage  hat  sich  dieses  Brauches  bemächtigt  und  daraus 
die  Geschichte  eines  einheimischen  Heiligen  geformt,  der  von 
Heiden  auf  der  Grenze  von  Gestrikland  und  Helsingland  im 
düsteren  Walde  erschlagen  sein  und  in  Norrala  begraben  sein 


1)  Vita  Marcsvidis  bei  Eccard  I,  437.    Myth.»  1202.  cf.  Pfannenschroid, 
Das  Weihwasser  S.  113. 

2)  BauiDgarten,  d.  Jahr  u.  s.  Tage,  S.  25. 

3)  Meier  466,  216. 

4)  Birlinger  II,  12,  23. 


Steffansritt.  403 

t 

soll.  Er  war  sein  Lebtage  ein  Stallknecht  (stalledräng)  der  all- 
morgenUch  schon  vor  Sonnenaufgang  bei  Stemenlicht  Beine  5  Rosse, 
zwei  rote,  zwei  weiße,  einen  Apfelschimmel  besorgte,  Goldzaum 
und  Goldsattel  auflegte  und  zur  Quelle  ritt.  Diese  Legende 
wird  in  der  Staffansvisa  mit  dem  wiederholten  Refrain  „holt  dig 
väl  folan  min''  erzählt;  Varianten  lassen  St.  Steffan  um  Sonnen- 
aufgang ausreiten  und  mit  dem  Laufe  der  Sonne  Schwedens  ver- 
schiedene Provinzen  durchmessen.^  In  der  Umgegend  von  Krempe 
(Holstein)  begeben  sich  die  jungen  Bursche  in  der  Steffansnacht 
haufenweise  in  die  Häuser  der  Hausleute,  um  deren  Pferde  zu 
putzen,  dann  besteigen  sie  dieselben,  reiten  auf  der  Haus- 
flur umher,  machen  auch  sonst  so  viel  Lärm  als  möglich  und 
lassen  sieh  bewirten.  Darum  heißt  dieser  Tag  auch  der  Peerde- 
steifen.^  Im  Dorfe  WaJlsbttU  an  der  sogenannten  friesischen 
Landstraße  von  Flensburg  nach  Leck  und  Tondem  hielten  die 
Bauerbursche  früh  am  Morgen  des  Steffanstages  ein  Wettrennen 
vom  Dorf  bis  zu  einem  kleinen,  jetzt  niedergerissenen  Krug  im 
nördlichen  Teile  des  Kirchspiels,  wer  zuerst  ankam  erhielt  den 
Ehrennamen  Steffen  und  wurde  im  Wirtshaus  bewirtet.  Im  Dorfe 
Yiöl  bei  Bredstadt  dagegen  erhielt  dasjenige  Kind,  welches  am 
26.  December  zuletzt  aufstand,  den  Namen  Steffen  und  mußte 
zum  Nachbarn  auf  einer  Heugabel  reiten,  erhielt  dort  zwar 
Leckerbissen,  wurde  dann  aber  mit  den  Worten  zur  Tür  hinaus- 
gejagt: y,du  bist  ein  fauler  Hund  und  sollst  das  ganze  Jahr 
der  Faulste  sein,  du  Langschläfer,*^^  In  andern  deutschen 
Gegenden  heißt  St,  Steffanstag  „der  große  Pferdetag;"  man 
bringt  an  ihm  den  Rossen  geweihtes  Futter,  tummdt  sie  sodann 
im  schnellsten  Laufe  auf  den  Feldern  umher,  bis  sie  über  und 
ttber  schwitzen,  dann  reitet  man  zur  Schmiede  und  läßt  sie  zur  Ader, 
damit  sie  das  Jahr  über  gesund  bleiben;  das  Blut  aber  bewahrt 
man  als  bewährtes  Heilmittel  gegen  verschiedene  Krankheiten  auf.^ 

1)  Qeijer  och  Afzelius,  Svenska  folkvisor  T.  III.  Stockholm  1816, 
p.  206  — 17.  Pinn.  Magnussen,  lex  Mythol.  781.  Cf.  Lloyd,  Svenska  allmo- 
gens  plagseder,  öfvers.  af  Swederns.    Stockholm  1871.   S.  108 ff. 

2)  Schütze ,  Schleswigholst.  Idioticon  III ,  200. 

3)  Daselbst.  Slesvigske  Provindsialefterretninger  IV,  368.  cf.  S.  44.  Han- 
delmann ^  Weihnachten  in  Schleswigholstein.     S.  44. 

4)  Haltaus -Scheifer,  Jahrceitbuch,  Erlangen  1797.  S.  164.  Th.  Nao- 
georgns,  Begnum  papisticum  (Basileae)  1553  p.  132.  Wolf,  Beitr.  I,  230,  356. 
Panzer  II,  283,  32. 

26* 


404  Kapitel  IV.     Banmgeister  als  Vegetationsdftmonen : 

Ebenso  in  England^  nnd  Estland.^  Die  Finnen  endlich  werfen 
am  St.  SteffanBtag  eine  Mttnze  oder  ein  Geldstück  in  den  Trog 
der  Pferde,,  und  St.  Steffan  wird  von  ihnen  unter  dem  Namen 
Matka-Teppo  (Reise  -  Steffan)  als  Gott  des  Weges  (tie-jnmala) 
und  Beschützer  der  Keise  angerufen.*  Gf.  noch  St  Stephanus 
in  der  Zauberformel  für  kranke  ßosse,  Myth.^  1184.  So  ist 
St.  Steffan  zu  einem  Beschützer  der  Pferde  geworden ,  nur  des- 
halb, weil  man  auf  den  nach  ihm  benannten  Kalendertag  den 
Ausritt  der  Pferde  verlegte,  von  dem  an  einzelnen  Orten  (o. 
S.  403)  eine  entschiedene  Verwandtschaft  mit  dem  Pfingstwett- 
ritt  noch  durchbricht^  Trotzdem  hier  und  in  einigen  zunächst 
verwandten  Begehungen  der  Umritt  um  das  Saatfeld  und  die 
Gemarkung  nicht  mehr  oder  nur  selten  und  undeutlich  erwähnt 
wird,  meine  ich  diese  Bräuche  von  den  vorherstehenden  nicht 
trennen  und  deshalb  auch  nicht  mit  üassel  ^  auf  die  altchristliche 
Auffassung  des  Proto^artyr  Stephanus  als  „invictus  signifer  coe- 
lestis  militiae^^  und  daher  als  berittener  Held  zurückführen  zu 
sollen.  Dagegen  meine  ich  die  Sitte,  in  der  St  Steffans-  oder 
Weihnachtsnacht  den  Hafer  behufs  einer  gesegneten  Haferemte 
durch  eine  solenne  Messe  zu  weihen,®  resp.  einen  Karren  mit 


1)  ßrand,  pop.  antiqn.  ed.  Ellis  I,  532.  Hone,  Every  Daybook  1866, 
I,  822. 

2)  Böcler-Kreutzwald,  Der  Ehsten  abergläubische  Gebr&ucbe  S.  95. 

3)  Brand  a.  a.  0.  Castr^n  finnische  Mythologie ,  übers,  v.  Schiefner. 
S.  118.  328. 

4)  Im  Eichsfelde  werden  am  Sonntage  nach  einem  Marienfeste,  in  der 
Oberpfalz  an  St.  Sebastian  (20.  Jan.),  in  Baiem  an  Georgi  (24.  Apr.),  am 
St.  Leonhardstage  (6.  Nov.)  die  Pferde  vor  dem  Hochamte  dreimal  um  eine 
Kirche  geritten,  damit  sie  gesund  bleiben,  und  die  Kranken  genesen.  Die 
Kirchen,  um  welche  der  Umritt  gehalten  wird,  liegen  zumeist  außerhalb  des 
Dorfes  vereinzelt  auf  einer  Wiese  oder  schließen  durch  eine  Bingmauer  einen 
grünen  Kasenplatz  ein.  Auch  am  Tage  der  Kirch  weih  geschieht  der  Umritt 
(Wuttke«  §  711.  Bavaria  I,  384.  1001).  Am  Tage  des  h.  Wendelin  (20.  Oct), 
dessen  Schutz  vornehmlich  die  Pferde  genießen,  treibt  man  an  der  Lauter- 
ach das  Vieh  der  ganzen  Gemarkung  auf  einem  Wiesenplane  zusammen  und 
läßt  es  vom  Pfarrer  aussegnen ;  auch  bleibt  es  diesen  Tag  vom  Spanndienste 
befreit,  während  im  Begenthale  dieser  Tag  durch  einen  Flurumgang  unter 
Anführung  des  Pfarrers  und  Umtragen  des  Kreuzes  gefeiert  wird.  Bava- 
ria 11,311. 

5)  P.  Cassel ,  Weihnachten ,  S.  217. 

6)  Knauth,   Hist.  veter.  Cell.  P..  VIII.  p.  44G  bei  Haltaus  a.  a.  0.  164. 


Steffansritt.  405 

Häcksel  oder  ein  Gefäß  mit  Hafer  oder  Gerste  ins  Freie  zu 
setzen  und  den  Tau  der  heiligen  Nacht  darauffallen  zu  lassen 
damit  Pferde  und  Menschen  gesund  bleiben;^  nach  Cassels  Vor- 
gänge ftir  christlichen  Ursprungs  ansehen  und  aus  der  Versinn- 
Hebung  des  messianisch  gedeuteten  Spruches  ,,  Tauet  ihr  Himmel '^ 
Jesaia,  45,  4.  ableiten  zu  mttssen.*  Wie  wir  sehen,  ist  die  Um- 
wandlung des  älteren  profanen  Brauches  nicht  tiberall  auf  gleiche 
Weise  erfolgt,  bald  mehr,  bald  weniger  in  kirchlichem  Sinne 
gelungen,  bald  auf  Ostern,  bald  auf  Himmelfahrt,  bald  auf 
Pfingsten,  bald  auf  Weihnachten  verlegt.  Wie  die  heidnische 
Prozession  gestaltet  war,  wird  sich  im  einzelnen  schwer  aus- 
machen lassen.  Eccard  und  Grimm  erinnern  mit  Recht  an  das 
„simulacrum  quod  per  campos  portant,''  das  die  Synode  zu  Lesti- 
nes  im  Jahre  743  zugleich  mit  den  „simulacris  de  pannis  factis^' 
verbot.  Man  wird  an  eine  aus  Stroh  oder  Aehren  gefertigte, 
vielleicht  mit  grünen  Zweigen  umhüllte  Pappe  denken  müssen, 
welche  um  die  Felder  roitgeführt  wurde.  Nach  der  Aebtissin 
Marksvid  hat  es  den  Anschein,  als  sei  auch  ein  Tier  mitgeflihrt 
und  nachher  geschlachtet  worden;  auf  diese  Frage  kommen  wir 
bei  späterer  Gelegenheit  wieder  zurück.  Bei  dem  Umzüge  wur- 
den, wie  es  scheint,  in  den  Dörfern  auch  die  einzelnen  Häuser 
berührt  und  bei  ihnen  Gaben  eingesammelt,  welche  Marksvid 
m  Almosen  für  die  Armen  verwandelt  haben  wollte.  Entweder 
nun  verstand  Marksvid  diese  Begehung  der  Häuser  mit  deip 
Ausdruck  lustrare ,  oder  sie  wollte  damit  vorschreiben ,  wie  Pfan- 
nenschmfd  will,  und  der  Brauch  bei  der  schwäbischen  Eschpro- 
zession als  mögUeh  erscheinen  läftt,  dieselben  mit  Weihwasser 
zu  besprengen.  War  das  der  Fall,  so  konnte  solche  Vorschrift 
bestimmt  sein,  die  Wasserbeschüttung  (Begenzauber)  zu  ersetzen, 
welche  in  den  einzelnen  Häusern  oder  Höfen  dem  Pfingstl  zu 
teil  wurde.  An  den  ehemaligen  profanen  Pfingstritt  erinnern 
auch  sonst  noch  einzelne  als  Rudimente  stehen  gebliebene  Züge. 
Der  Blumenkranz,  welcher  im  Luzemischen  dem  Abte  von 
Beromünster  überreicht  (o.  S.  399) ,  im  Baierwalde  dem  tugend- 
haftesten Jüngling  um  den  Arm  gehängt  wird  (o.  S.  400),  ver- 


1)  Kuhn,  Westfal.  Sag.  II,  101,  313.    Nordd.  Sag.  404,  131.  '  Gerva- 
sins  V.  Tilbury  ed.  Liebrecht  p.  2. 

2)  P.  Cassel,  Weihnachten,  S.  247  —  50. 


406  Kapitel  IV.     Baumgeister  als  Vt^getationsdämonen: 

gleicht  sich  dem  Kranze,  den  der  Maigraf  bei  seinem  Ein- 
ritte trägt  (o. -S.  376)  und  welcher  sich  zur  vollen  Laubum-^ 
kleidang  grade  so  verhält,  wie  jener  Wettritt  nach  dein  Kranze 
zum  Wettritte  nach  dem  Maibaum  (o.  S.  387).  Andererseits  ist 
auch  hier  festzustellen,  daß  die  Kirche  vermutlich  ihrerseits 
bereits  eine  Flurprozession  dem  deutschheidnischen  Brauche  ent- 
gegenbrachte. Wenigstens  läßt  sich  bereits  aus  dem  dritten  Jahr- 
hundert als  eine  altertümliche  christliche  Sitte  in  Mesopotamien 
ein  jährlicher  Gang  der  Bevölkerung  aufs  Feld  nachweisen,  um 
daselbst  unter  Fasten  und  Wachen  von  Gott  reichlichen  Segen 
flir  die  Feldfrttchte  zu  erbitten.^ 

Ueberschlage  ich  alle  erläuterten  Ueberlieferungen ,  so  tritt 
mir  das  Büd  eines  vollständigen  Brauches  vor  das  innere  Äuge, 
von  welchem  die  bis  heute  erhaltenen  Sitten  nur  die  zersprengten 
und  isolierten  Ueberreste  sind.  Die  Ceremonie  begann  1.  mit 
dem  Wettlauf  oder  Wettstreit  mm  Maibusch ,  2.  sie  setzte  sich 
fort  in  dem  feierlichen  Einzug  mit  dem  Maibusch  (resp,  Mair 
bäum)  und  Pfingstkönig  in  das  Dorf,  S.  in  dem  Utnzug  von 
Haus  zu  Hause,  4,  und  schloß  mit  der  Prozession  um  die  Gren- 
zen  der  Aecker  und  der  ganzen  Gemarkung, 

§17.  Hlnanstragmig  des  Yegetationsgelstes.  Stellten 
unsere  früheren  Untersuchungen  uns  die  Einholung  des  Frühlings- 
geistes aus  dem  Walde  in  Gestalt  des  wilden  Mannes,  Pfingstl, 
Maigrafen  u.  s.  w.  vor  Augen ,  so  lehrt  der  nachstehende  in  Gab- 
lingen  (Schwaben)  geübte  Brauch ,  daß  man  den  nämlichen  Gedan- 
ken, die  Erscheinung  des  Yegetationsdämons  auch  auf  andere 
Weise,  d.  h.  durch  Hineintragung  einer  Puppe  in  den  Wald 
ausgedrückt  hat.  Zur  Fasten  nämlich  macht  man  einen  Mann 
aus  Lumpen  und  trägt  ihn  ins  Feld  hinaus.  Hierauf  verbindet 
man  einem  Burschen  die  Augen,  der  nun  auf  den  Mann 
losgeht,  ihn  erfaßt  und  in  den  Wald  hineinträgt.  Findbt  er  die 
Puppe  nicht,  so  wird  auf  diese  ein  Hund  losgelassen,  wovon  sie 
Hetzmann  heißt.  Der  Hund  bellt  die  Figur  an  und  zeigt  so 
dem  Burschen  den  rechten  Weg.  Am  anderen  Tage  wird  der* 
Hetzmann  wieder  aus  dem  Walde  geholt.*  Das  Verbinden  der 
Augen  drückt  die  Unsichtbarkeit  des  dargestellten  Dämons  aus 


1)  Piper,  Evang.  Kai.  1854.    S.  62. 

2)  Panzer  U,  8^^123. 


Hinanßtragang  des  Yegetationfgeistes.  407 

(cf.  o.  S.  365),  von  dem  vorausgesetzt  wird;  daß  der  Hund  ihn 
^v^amimmt;  denn  Hunde  gelten  als  geistersicfatig.  ^ 

Diesem  deutschen  Brauche  entspricht  genau  ein  estnischer 
Yon  welchem  der  Chronist  Thomas  Hiäm  (f  1500)  die  erste 
Kunde  giebt.^  Sie  haben  in  Estland,  sagt  er,  noch  diesen  aber- 
gläubischen Gebrauch,  daß  sie. alle  neue  Jahr  einen  Götzen  von 
Stroh  in  Gestalt  eines  Mannes  machen,  den  sie  Metziko  [Mets-ik 
Waldmann  von  mets  Wald]  nennen.  Sie  eignen  ihm  die  Kraft 
zu ,  daß  er  ihr  Vieh  vor  den  wilden  Tieren  bewahren  und  ihre 
Grrenee  hüten  solle.  Diesen  begleiten  sie  alle  aus  dem  Dorf  und 
setzen  ihn  auf  die  Grenzen  auf  den  nächsten  Baum.  Kreutzwald 
hat  auf  dem  Festlande  diese  Festlichkeit  nur  noch  durch  Hören- 
sagen kennen  gelernt.  Sie  fand  indessen  am  Ende  des  ^vorigen 
Jahrhunderts  noch  häufig  statt  und  hieß  metsa  oder  metsika 
pide  (Wald-  oder  Waldmannfest).  Am  Mariäverkündigungstage 
wurde  eine  große  Strohpuppe  angefertigt,  welche  bald  metsa  isa 
(Waldvater),  ein  andermal  metsa  ema  (Waldmutter)  benannt 
und  demgemäß  männlich  oder  weiblich  bekleidet  wurde.  Man 
bewahrte  sie  auf  dem  Boden  des  Yiehstalles  auf  bis  zu  dem 
Tage  der  feierlichen  Prozession  in  den  Wald.  Dann  steckte  man 
sie  auf  eine  la/nge  Stange,  trug  sie  erst  im  Dorfe  herum  und 
brachte  sie  dann  in  den  Wcdd,  wo  der  Metsik  (Metsaisa,  Met- 
saema)  auf  einen  Baum  gesetzt  wurde.  Dann  folgte  ein  Baccha- 
nal, bei  welchem,  wie  es  scheint,  die  skandalösesten  und  unzttch- 
tigsten  Gebräuche  vorkamen,  auf  die  kein  Erzähler  sich  weiter 
einlassen  wollte.  Im  Fennerschen  Walde  wollte  man  noch  vor 
wenigen  Jahren  solche  Puppen  gefunden  haben.  ^  Auf  der  Insel 
Oesel  ist  noch  bis  heute  der  Metsik  und  das  im  Frühjahr 
gefeierte  Metsikfest  (Metsiko  piddo)  wolbekannt,  zumal  in  den 
Dörfern  des  Kirchspiels  Karmel.  Der  Metsik  gilt  (jetzt)  für 
einen  bösen  Geist,  der  über  die  Herden  und  über  das  Gedeihen 
des  Viehs  sowie  der  Aeeker  zu  gebieten  hat.    In  jedem  Früh- 


1)  Wnttke-,  D.  Volksabergl.  Aufl.  2.  1 268.  Myth.»  Abergl.  1111.  Myth.« 
632.  Eine  fast  wunderbare  üebereinstimmung  ist  es ,  daß  die  Fauni ,  welche 
genau  uusern  Waldgeistem  entsprechen,  von  den  Hunden  gesehen  werden, 
w&hrend  sie  den  Menschen  unsichtbar  bleiben.    Plin.  bist.  nat.  YIII.  40,  62. 

2)  Monum.  Livon.  antiqn.  I,  30.         . 

3)  J.  W.  Böcler,  der  Eihsten  abergL  Gebrftuche  beleuchtet  von  Fr. 
B.  Kreutzwald,  St  Petersburg  1854,  S.  12.  81. 


406  Kapitel  IV.    BaamgeiBter  als  Yegetationsdäroonen: 

jähr  bestimmt  der  Aelteste  des  Dorfes  einen  Tag^  an  welchem 
sich  alle  Einwohner  desselben  versammeln.  Dann  macht  man 
ein  Bild  des  Metsik,  indem  man  Kleider  voll  Stroh  stopft;  der 
Aelteste  hebt  die  Gestalt  auf  und  trägt  sie  in  Begleitung  der 
ganzen  Versammlung  auf  die  Dorfweide  ^  wo  er  sie  tmf  einen 
hohen  Baum  setzt,  der  nun  einige  fncUe  lärmend  umtanet  wird,  ' 
In  anderen  Dörlem  wird  der  Metsik  aus  Korngarben  verfertigt 
und  an  irgend  einer  abgelegenen  Stelle,  an  einem  Zaunstecken, 
am  liebsten  auf  einem  hohen  Baum  im  Walde  aufgestellt  Man 
macht  vor  ihm  allerlei  Faxen  und  Figuren  (der  Berichterstatter 
versteht  unter  diesem  Ausdruck  unzüchtige  und  unanständige 
Geberden  und  Bewegungen),  damit  er  das  Getreide,  das 
Vieh  und  alles  andere  beschützen  solle.  Fast  an  jedem 
Tage  des  Jahres  wird  er  durch  Opfer  gebeten,  das  Vieh  doch 
zu  sctitttzen.  Da  er  die  Gebete  selbstverständlich  nicht  immer 
erhört,  gilt  er  für  böse* oder  schlecht  —  und  deshalb  heiBt  der 
Zuruf:  „Sinna  Metsik!  d.  i.  Du  Metsik^'  soviel  als:  Du  Hallunke! 
Das  Bild  des  Metäik  verbleibt  das  Jahr  über  am  betreffenden  Orte 
und  wird  im  nächsten  Jahre  erneut.  ^  Daß  der  Waldmann  die 
Tiere  beschützt,  kann  aus  zwei  sehr  verschiedenen  Anlässen  ent- 
springen; entweder  übt  er  diese  Function,  weil  der  Wald  ur- 
sprünglich die  Weidestätte  war  (cf.  den  finnischen  Tapio,  Met- 
sän  ukko  Waldgreis,  seine  Gemahlin  Mielikki  metsän  emänttt 
Waideswirtin  und  ihr  ganzes  Gefolge  o.  S.  80  sowie  die  russi- 
schen Ljeschie  o.  S.  141  und  den  Tierkerl  o.  S.  117),  oder  er 
sorgt  iUr  das  Gedeihen  der  Herde  aus  demselben  Grunde,  wie 
ftir  das  Gedeihen  des  Getreides;  als  Vegetationsdämon  über- 
haupt und  als  solcher  vergleicht  er  sich  dann  ziemlich  genau  den 
deutschen  Holzfräulein  (o.  S.  76).  Daß  er  zugleich  die  Grenzen 
schützt  ist  ein  Anzeichen  der  Ausdehnung  seiner  Wirksamkeit 
auf  die  Menschen  und  ihr  Gemeinwesen.  Die  Puppe  auf  dem 
Baume  gleicht  sich  der  bekleideten  Birke  am  Semikfeste  (S.  157), 
dem  mit  einer  Puppe  geschmückten  Maibaum  oder  Sommer 
iß.  156),  dem  am  Emtemai  hangenden  Brodkerl  im  La  Palisse 
(o.  S.  210),  der  in  der  Fastenzeit  auf  dem  Baume  verbrannten 
Figur.     Jene  Geberden  und  Bewegungen,   deren, Beschreibung 


1)  VerhandliiDgen  der  estnischen  Gesellschaft  zu  Dorpat,  Bd.  VH,  H.  2, 
S.  10—11.       • 


Hinanstfagnng  des  VegetationsgeisteB.  409 

das  Schamgeftlhl  der  Berichterstatter  uns  vorenthält,  dienten 
angenscheinlioh  daza,  den  Metsik  als  Dämon  der  vegetativen 
wie  tierischei;  Fruchtbarkeit  zu  kennzeichnen  und  sich  seine 
Segenswirkung  zu  sichern. 

Mit  dem  estnischen  Brauche  stimmt  ein  französischer  voll- 
kommen Uberein.  In  der  Beance  (Orl^nnais)  wird  am  24.  oder 
25.  April  ein  Strohmann  gemacht,  den  bezeichnet  man  als  den 
Repräsentanten  des  „grand  mandard,'^  Man  sagt,  der  alte  Mon- 
dard sei  inzwischen  verstorben,  man  müsse  ihm  eine  Statue 
setzen.  Nachdem  sie  zu  diesem  Behufe  die  Strohpuppe  verfer- 
tigt haben,  tragen  sie  s^ie  in  feierlicher  Prozession  im  Dorfe  um- 
her und  setzen  sie  endlich  auf  den  ältesten  Apfelbaum.  Da  bleibt 
sie  bis  zur  Apfelemte.  Jetzt  holt  man  den  Strohmann  herunter^ 
verbrennt  ihn  und  streut  die  Asche  ins  Wasser,  oder 
wirft  ihn  selbst  ins  Wasser.  Auf  diejenige  Person  aber, 
welche  die  erste  Frucht  vom'  Apfelbaum  nimmt,  geht 
der  Name  le  grand  mondard  über.  Wir  werden  bei  späterer 
Gelegenheit  an  sehr  zahlreichen  Beispielen  kennen  lernen,  wie 
auf  den  Arbeiter,  welcher  bei  der  Ernte  die  letzten  Halme  eines 
Ackers  schneidet  oder  bindet,  der  Name  des  vermeintlich  darin 
weilenden  K'orndäiüons  übertragen  wird.  Analog  muft  „le 
grand  mondard ''  auch  den  im  Wüchse  der  Aepfel  waltenden, 
resp.  den  allgemein  wirksamen  Vegetationsgeist  bezeichnen, 
womit  die  Verbrennung  oder  Wassertauche  der  Puppe  als  Son- 
nen- und  Regenzauber  ftlr  die  nächstjährige  Vegetation  ttberein^ 
kommt  Mondard  scheint  mit  der  Ableitungssylbe  -ard  (dem 
deutschen  -hart),  welche  an  Apellativa  und  Verba  gehängt  wird,^ 
von  monder,  schälen,  enthülsen,  aushülsen  gebildet.  (Man  sagt 
monder  fUr  nettoyer  de  Torge,  des  amandes,  en  öter  la  pellioule 
vgl.  mit.  mundilia,  ital.  mondiglie,  Abfälle,  Schnitzel,  Spreu, 
Abgänge  beim  Sieben.  Darf  man  das  Wort  „der  Aushülsekerl'' 
in  dem  Sinne  verstehen ,  daB  •  darunter  der  beim  Auskernen  der 
Aepfel  zum  Vorschein  kommende  in  den  Kernen  sein  Leben  und 
Wesen  habende  Geist  gemeint  sei?  Das  würde  später  reichlich 
anzuftlhrenden  sachlichen  Analogien  (der  Aumsau  d.  i.  Spreusau, 
dem  Kimbaby  u.  s.  w.)  treffend  entsprechen.  An  eine  Ableitung 
von   monde   (der  große  Weltkerl?)   ist  doch   nicht  zu  denken? 


1)  Diez,  Qram.  d.  Rom.  Sprachen,  Bonn  1871,  11,386. 


410  Kapitel  IV.    Bauiiigeifiter  als  Vegetationsdämoaen: 

Doch  dies  bleibe  dahingestellt  Deatlich  erscheint,  daß  dieser 
Dämon  im  Winter  für  gestorben  galt,  daß  die  erneute  Aufrichr 
tung  seines  Bildes  vom  Frühling  bis  zum  Herbste  sein  Wieder- 
aufleben, seinen  Wiedereinzug  in  die  Natur  und  sein  sommer- 
langes  Verweilen  darin  darstellen  soll.  Hier  haben  wir  eine 
Form  des  Frflhlingsbrauchs ,  welche  (so  dünkt  mich)  die  in  §  19 
gegebenen  Erörterungen  über  das  sogenannte  Todaustragen  in 
den  Lätaregebräuchen  augenfällig  bestätigt.  In  der  Zeit  der 
Feier,  in  Bezug  auf  -die  Prozession  im  Dorfe  und  hinsichtlich 
der  Aussetzung  auf  dem  Baume  berührt  sich  der  Mondard  mit 
dem  Metsik. 

Letzterem  soll  auch  noch  eine  deutsche  Sitte  verglichen 
werden,  welche  eigentlich  schon  in  den  Kreis  der  in  einem  spä- 
teren Buche  zu  behandelnden  Vorstellungen  von  den  Korndämo- 
nen gehört,  zu  diesen  eine  Brücke  bildet.  Um  Eisenach  und 
Marksnhl  wird  aus  der  letzten  Garbe  der  Ernte  eine  Puppe  ver- 
fertigt, welche  Waldmann  oder  Feldmann  genannt  wird.  In 
Unterellen  bei  Eisenach  läßt  man  den  Waldmann  als  Wächter 
des  Kornes  draußen  auf  dem  Felde  bis  zur  Einfahrt  des  letzten 
Fuders;  dann  wird  er  mit  einem  frischen  Kranze  geschmückt 
und  auf  dem  Komwagen  vom  Vorschnitter  gehalten,  während 
der  Wagen,  begleitet  von  den  Schnittern,  die  Lieder  allerle 
Inhalts  singen ,  langsam  zum  Dorfe  und  auf  den  Hof  des  Besitzers 
einfährt.^  Es  ist  unverkennbar,  daß  der  Geist  der  im  Walde 
waltenden  Vegetation  in  diesem  Gebrauche  auch  als  Hervorbringer 
des  Korn  Segens  aufgefaßt  erscheint,  grade  so  wie  der  Metsik  und 
wie  die  Holzfräulein. 

§  18.  HinaaBtragung  Jini  Elngrabung  des  Tegetations- 
geistes.  Todaustragen.  Die  Hinaustragung  des  Hetzmann, 
Metsik,  Mondard  aufs  Feld,  gewährt  uns  den  Anlaß  und  die 
Möglichkeit,  mit  Nutzen  die  o.  S.  359  ausgesetzte  Untersuchung^ 
der  Sitte,  den  alten  Mann  ins  Loch  zu  karren,  wieder  aufzu- 
nehmen. In  der  Nähe  von  Tübingen  wird  zu  Fastnacht  der 
Fastnachtbär,  ein  aus  Stroh  gemachter  mit  einem  Paar  alter 
Hosen  bekleideter  Mann,  in  dessen  Hals  eine  frische  Blutwurst, 
oder  mit  Blut  gefüllte  Spritze  steckt,  nach  isinef  förmlichen  Ver- 


1)  Cf.  Witzschel ,  Sitten  nnd  Gebräuche  ans  der  Umgegend  von  Eisenach 
1866,  S.  16. 


Hinaustragnng  n.  Eingrabong  d.  Vegetatiousgeistes,  Todanstragen.    411 

urteflung  geköpft  und  begraben.  Er  wird  in  einen  Sarg  gelegt 
UBil  am  Aflcbermittwoch  nach  der  Kirche  beerdigt  ^  gewöhnlich 
am  Orte  selbst  Das  nennt  man  die  Fastnacht  yergraben.^  Zu- 
weilen wird  die  Puppe  unter  Stroh  und  Mist  eingegraben  oder 
ins  Wasser  gestürat  Statt  des  Butzen  trug  man  auch  einen 
lebendigen  Menschen  auf  einer  Bahre  oder  sonst  von  Stroh 
bedeckt  umher  und  stellte  sich  so,  als  welle  man  ihn  begraben; 
oder  man  machte  den  Fastnachtsnarren  trunken  und  begrub  ihn 
mit  großem  Jammergeschrei  unter  Stroh  oder  warf  ihn  unter 
Trauermusik  ins  Wasser.  Das  hieß  die  Fastnacht  begraben. 
In  Wurmlingen  tanzt  ein  in  Stroh  gehüllter  Bursche  an  einem 
Seile  durchs  Dorf  geführt  am  Fastnachtstage  als  Bär;  am 
.Aschermittwoch  wird  ein  falscher  Strohmann  in  einen  Trog 
gelegt^  aufs  Feld  hinausgefahren  und  begraben. '  Sehr  ausflihrlich 
beschreibt  Leoprechting  das  Begraben  der  Fastnacht  in  Lechrain. 
Ein  Mann  in  schwarzer  weiblicher  Tracht  wird  auf  einer  Reiß- 
trage von  vier  Männern  einhergefilhrt,  von  als  Klageweibern 
verkleidetenMännern  bejammert,  vor  dem  größten  Dung- 
haufen des  Dorfes  herantergeworfen,  mit  Wasser  begossen, 
in  die  Mistgrube  eingegraben  und  mit  Stroh  bedeckt.^  Wie  hier, 
ein  lebender  Mensch,  wird  in  Marsberg  (Westfalen)  die  Fast- 
nacht als  Strohpuppe  auf  der  Düngerstätte, ^  in  der  Eifel  die 
Kirmes,  ein  Strohmann  nebst  Flasche  und  Glas,  in  einer  Grube 
vor  dem  Dorfe  eingescharrt,^  wogegen  in  Balwe  (Westfalen)  die 
betreffende,  die  Fastnacht  darstellende  Strohpuppe  in  clen  Fluß, 
die  Rönne  geworfen  wird.^  Eine  andere  Form  ist  es,  wenn  zu 
Fastnacht  oder  bei  der  Kirmes  statt  der  Strohpuppe  ein  Koß- 
schädel,^  eine  noch  andere  aber  jüngere  abgeleitete,  wenn  eine 
Geige, ^  ein  Glas  mit  Schnaps^  oder  dergleichen  vergraben  wird. 
Zu  Vaihingen  an  der  Enz  wurde  ehedem  am  Schluß  des  Maien- 


1)  £.  Meier,  Sagen,  Sitten  n.  Gebräuche  a.  Schwaben,  S.  371, 1. 

2)  Meier  S.  373. 

3)  Leoprechting ,  Ans  dem  Lechrain  S.  162  ff. 

4)  Enhn,  Westföl.  Sag.  n,  131,  394. 

5)  Schmitz,  Sitten  n.  Branche  des  Eifler  Volkes,  I,  50. 

6)  Kuhn,  Westf&l.  Sag.  130,  393. 

7)  Montanns ,  VoUcsfeste  59.  60. 

8)  Beinsberg -Düringsfeld,  Böhm.  Festkalender  S.  63. 

9)  Pröhle,  Harzbilder,  54. 


412  Kapitel  IV.    Baumgeister  als  VegetationsdAmonen: 

tages,  auch  der  Maie  vergraben,  wobei  die  Burschen  Mädchen- 
Jdeidqr,  die  Mädchen  MannsMeider  anhcUten.^  Ganz  außerordent- 
lich ähnlich,  ja  im  wesentlichen  hiemit  identisch  sind  die 
Gebräuche  des  sogenannten  Todaustragens  am  Lätaresonntag. 
In  Nürnberg  trugen  festlich  geschmückte  Mädchen  eine  Puppe  in 
einem  offenen  kleinen  Sarge,  von  welchem  ein  weißes  Leidien- 
tuch  herabhing,  oder  einen  grünen  Buchenzweig  mit  in  die  Höhe 
gerichtetem  -Stiel,  woran  ein  Apfel  statt  des  Kopfes  befestigt  war, 
in  einer  Schachtel  und  sangen  dabei:  „Wir  tragen  den  Tod  ins 
Wasser,  wol  ist  das!",  oder:  „Wir  trafen  den  Tod  ins  Wasser, 
wir  trafen  Um  nein  und  wieder  raus*'^  Das  Gemeinsame  der 
in  Franken,  Thüringen,  Meißen,  dem  Vogtland,  Schlesien,  der 
Lausitz  weitverbreiteten  Formen  desselben  Brauches  ist  es, 
daß  eine  mit  dem  Namen  Tod  bezeichnete  weibliche  oder  männ- 
liche Figur  aus  Stroh  oder  Holz  von  jungen  Leuten  des  anderen 
Geschlechtes  herumgetragen  ins  Walser,  in  einen  Tümpd  gewor- 
fen  oder  verbrannt  wurde.  Nach  dem  Austragen  des  Todes  wird 
vielfach  sofort  der  Sommer  in  Gestalt  eines  grünen  Maibaumes 
oder  eines  Baumes  mit  daran  gehängter  Puppe  eingebracht.  Ich 
erinnere  nur  an  die  schon  o.  S.  155  angezogene  Lausitzer  Sitte, 
wonach  die  Frauen,  die  dabei  keine  Männer  dulden,  mit 
Trauerschleiern  behängt  umziehen,  eine  Strohpuppe  mit 
einem  weißen  Hemde  bekleiden,  mit  einer  Sense  und  einem 
Besen  in  der  linken  und  rechten  Hand  ausrüsten,  von 
steinwerfenden  Buben  verfolgt,  bis  zur  Grenze  tragen  und  dort 
zerreißen,  worauf  sie  jenes  nämliche  Hemde  an  einen  schönen 
Waldbaum  hängen,  diesen  abhauen  und  heimtragen.  In  der 
Oberlausitz  wird  der  Tod,  eine  Figur  aus  Stroh  und  Hadern, 


1)  E.  Meier,  Schwab.  Sag.  398,  80.  So  tragen  die  Mägde,  welche  den 
rheinischen  Emtemai  einführen ,  Männerkleider  (o.  S.  201) ,  bei  der  Wein- 
lese im  Elsaß  sind  die  Männer  zuweilen  als  Weiber,  die  Weiber  als  Män- 
ner angezogen;  von  den  beiden  Herbstschmudl  ist  der  eine  ein  als  Weib 
verkleideter  Mann,  der  andere  ein  als  Mann  maskiertes  Weib  (o.  S.  203. 314). 
In  Ost  -  Lancashire  ziehen  die  jungen  Barsche  in  der  Woche  vor  Ostern  auf 
dem  Lande  umher,  wobei  die  einen  Instrumente  spielen,  die  andern  tanzen. 
Gelegentlich  schließen  sich  auch  junge  Frauenzimmer  an,  die  dann  Män- 
nerkleidung tragen,  während  die  Bursche  sich  als  Weiber  kleiden, 
Liebrecht  in  Pfeiifers  Germania  XYI ,  228. 

2)  Myth.«  727. 


Hinaastra^^g  n.  Eingrabang  d.  Vegetationsgeistes ,  Todaustragen.    413 

mit  dem  Hemde  des  letzten  Todten  and  dem  Schleier  der 
letzten  Braut  im  Dorfe  angetan  von  der  stärksten  Dirne  auf 
einer  Stange  einhergetragen,  sodann  mit  Steinen  und  Stecken 
bewarfen  und  zuletzt  in  einem  Wasser  vor  dem  Dorfe  ersäuft, 
worauf  alle  Teilhaber  des  Zuges  ein  grünes  Zweiglein  brechen 
und  heimbringen.^  Ganz  ähnlich  wird  in  Böhmen  und  Mähren 
unmittelbar  nach  einander  der  Tod  aus  dem  Dorf  getragen;  der 
Sommer  ins  Dorf  getragen,  wobei  die  den  Tod  darstellende 
Puppe,  die  ebenfalls  vielfach  mit  einer  Sichel  in  der  Hand  aus- 
gerttstet  ist,  zuerst  zerschlagen  oder  zerrissen,  resp.  im  Walde 
dreimal  an  eine  Eiche  geschlagen  und  so  entzweigemacht^ 
sodann  von  einer  Brücke  oder  einem  Felsen  in  die  Tiefe  eines 
Wassers  hinuntergestürzt,  häufig  aber  herausgezogen,  heimge- 
tragen und  schließlich  verbrannt  wird.  An  vielen  andern  Orten 
aber  tritt  das  feierliche  Begräbniß  des  Todes  in  einem  Garten, 
auf  einer  Wiese ,  auf  dem  Acker  oder  hinter  einer  Scheuer  dafUr 
ein.'  Die  Puppe  heißt  statt  Smrt  Tod,  auch  wol  Marena^  bei 
anderen  Slaven  Mamurienda,  Muriena,  „Wir  wollen  MamA- 
rienda  austragen;  wir  haben  Muriena  aus  dem  Dorf  und  den 
jungen  Mai  ins  Dorf  getragen.'^  Doch  auch  in  Podlachien 
ertränkt  man  am  Todtensonntag  den  Smierc  (Tod),  ein  aus 
Hanf  oder  Haim  geflochtenes  Menschenbild  nach  feierlichem  Um- 
züge durch  die  Stadt  in  einem  nahen  Sumpf  oder  Weiher. 
Ein  älteres  Zieugniß  flir  diese  Bräuche  gewährt  im  15.  Jahr- 
hundert der  Krakauer  Domherr  Johann  Dlugosz,  der  in  seiner 
Historia  Poloniae  1.  U,  p.  94,  Francof  1711  berichtet,  der  erste 
christliche  Herrscher  Polens  Miesco  habe  allen  Gemeinden  und 
Dörfern  befohlen,  an  einem  und  dem  nämlichen  Tage  d.  h.  am 
7.  März  sämmtliche  Götzenbilder  zu  vernichten,  d.  h.  zu  zer- 
brechen, in  Sümpfe,  Seen  oder  Teiche  zu  versenken  (in  paludes 
lacus  et  stagna  demergere)  und  mit  Steinen  zu  ttberschtttten 
(saxis  obruere).  Zur  Erinnerung  werde  dieser  Vorgang  noch 
heute  alljährlich  in  vielen  polnischen  Ortschaften  wiederholt 
Quae  quidam  ....  idolorum  confractio  et  immersio  tunc  facta 
apud  nonnullas  Polonorum  villas  simulacra  Dziewannae  et  Mar- 
zaunae  in  longo  ligno  extollentibus  et  in  paludes  in  Do- 


1)  Myth.«  731  —  32. 

2)  Heinsberg  -  Dttringsfeld ,  Böhm.  Fcstkal.  87  ff . 


414  l^pitel  IV.     Bantiigeister  als  Vegetationsd&monöni 

minica  Quadragesimae  Laetare  projicientibns  et  demer- 
gentibus  repraesentatur  (et)  renovatur  in  hunc  diem.  Derselbe 
Schriftsteller  sagt  einige  Seiten  vorher  bei  Aufzählung  der  heid- 
nischen Gk)ttheiten  des  alten  Polens:  Ceres  autem  mater  et  Dea 
frugum,  quarum  satis  regio  indigebat,  Marzana  vocata  apud  eos 
in  praecipuo  cultn  et  veneratione  habita  fuit  Da  des  Dlugosz 
polnische  Gottheiten  sammt  jenem  Gebote  Miescos  offenbar  nichts 
anderes  sind  als  RttckschltLsse  aus  der  lebenden  Volkssitte,  so 
muß  er  die  Gleichstellung  der  Marzana  mit  Ceres  aus  irgend 
einem  dem  Lätarebrauch  anhaftenden  Umstände  gefolgert  haben; 
sei  es,  daß  auch  die  polnischen  Strohpuppen  eine  Sichel  in  der 
Hand  hielten ,  oder  aus  unausgedroschenen  Getreidehalmen  bestan- 
den und  somit  dieselbe  Gestalt  hatten,  wie  die  Emtepuppen. 

§  19.  Hlnaustragung  und  Eingrabung  des  Tegetatlons- 
dSmons.  Doch  nicht  allein  Fastnacht  und  Lätare  (Todtensonn- 
tag),  Tage  des  Frühlingsanfangs,  geben  Gelegenheit  zu  diesen 
Gebräuchen,  in  Rußland  finden  wir  dieselben  auch  an  St.  Peter, 
ct.  i.  29.  Juni,  also  an  Mittsommer  oder  Frtthlingsende  geknttpft. 
An  diesem  oder  dem  folgenden  Tage  gehen  nämlich  Yplksnm- 
zttgeim  Schwange,  welche  den  Namen  Begräbniß  der  Kostroma 
oder  des  Jarilo  tragen.  Nach  Sacharoff  hatte  das  Begräbniß  der 
Kostroma  in  den  Gouvernements  Simbirsk  und  Pensa  folgenden 
Hergang.  Nachdem  am  28.  Juni  abends  ein  Scheiterhaufen 
gebrannt  hatte,  und  am  Morgen  des  29.  das  Spiel  der  aufgehen- 
den Sonne  beobachtet  war,  wählten  die  Jungfrauen  eine  aus  ihrer 
Mitte,  welche  die  Kostroma  darzustellen  verpflichtet  sein  sollte. 
Ihre  Gespielinnen  traten  unter  tiefen  Verbeugungen  an  sie  heran, 
legten  sie  auf  ein  Brett  und  trugen  sie  zum  Flusse.  Dort  began- 
nen sie  sie  zu  baden,  wobei  die  älteste  Teilnehmerin  eine  Lischke 
(Korb)  von  Lindenbast  machte  und  darauf  wie  auf  eine  Trommel 
schlug.  Ins  Dorf  zurückgekehrt,  beendigten  sie  den  Tag  mit 
Umztlgen,  Spiel  und  Tanz.  Im  Kreise  Murom  wird  statt  des- 
sen eine  Strohpuppe,  die  mit  weiblichen  Gewändern  und  Elu- 
men  bekleidet  ist,  in  einen  Trog  gelegt  und  unter  Gesängen, an 
da«  Ufer  eines  Sees  oder  Flusses  getragen.  Hier  teilt  sich  die 
am  Ufer  harrende  Menge  in  zwei  Parteien,  deren  eine  die  Puppe 
beschützt,  während  die  andere  sie  zu  erobern  bemüht  ist.  Zuletzt 
siegen  die  Angreifer,  berauben  die  Figur  des  Schmucks  und  der 
Kleider,   zerreißen  sie,   treten  das  Stroh,  woraus  sie  gemacht 


Hinanstragttng  und  Eingrabmig  des  Vegetationsd&mond.  415 

war,  mit  Fttßen  nnd  werfen  es  in  den  Strom ,  indeß  die  Vertei- 
diger das  Gesicht  mit  den  Händen  bedecken  und  sich  anstellen, 
als  ob  sie  den  Tod  der  Eostroma  bejammern.  Afanasieff  ver- 
mutet,  daß  die  Pappe  ursprünglich  nicht  ans  Stroh  sondern  ans 
Feldkräntem  verfertigt  war,  indem  er  annimmt,  daß  kostra, 
kostrier,  kostiera,  Kute,  Strauch,  Unkraut  im  Korn  das  Etymon 
von  Kostroma  sei.  Nach  Tereschtschenko  heißt  im  Qouv.  Sara- 
tow  kostroma  ein  Bund  Stroh,  das  zu  Neujahr  verbrannt  wird; 
das  müßte  schon  eine  abgeleitete  Form  der  Sitte  sein.  In  Klein- 
rußland war  die  am  Montag  nach  dem  Peterstage  begrabene 
Strohpuppe  kostrub  genannt.    Man  singt:  • 

Es  starb,  es  starb,  es  starb  kostrubonko, 
Der  graae,  liebliche,  blaue.^ 

Im  Gouvernement  Saratow  wird  am  30.  Juni  eine  Strohpuppe 
mit  Sarafan  und  Kokoschka  bekleidet  im  Dorf  umhergetragen 
und  hernach  dieser  Kleidungsstücke  beraubt  ins  Wasser  gewor- 
fen. Das  nennt  man  provod  VjeSnji,  Zug  des  Frühlings,  dem 
entsprechend  ist  in  andern  Gegenden  das  Begräbniß  des  Jarilo. 

Jarilo  von  jar  Frühling  ist  eine  in  Rußland  weit  verbreitete 
Personification  des  Lenzes  oder  der  Wachstumskraft  im  Lenze. 
In  Weißrußland  versammeln  sich  die  Mädchen  Ende  April  ange- 
sichts der  jungen  Saaten  und  wählen  aus  ihrer  Zahl  eine,  welche 
den  Jarilo  darstellen  soll,  so  wie  sie  sich  ihn  vorstellen.  Sie 
kleiden  sie  aus  wie  einen  Mann  mit  weißem  Mantel,  der  auf 
dem  Kopfe  einen  Kranz  von  Frühlingsblumen  trägt,  in  der  Linken 
eine  Handvoll  geschnittener  Aehren  hält;  unbeschuht  sind  die 
Füße.  Sie  setzen  den  Jarilo  auf  ein  weißes  Boß  und  führen 
ihn,  ist  das  Wetter  warm  und  hell,  hinaus  ins  freie  Feld  aui* 
die  besäten  Fluren:  Hier  umschlingt  ihn  in  Gegenwart  der 
"Greise  ein  Beigen  der  bekränzten  Gespielinnen,  die  zu  Ehren 
des  Jarilo  ein  Lied  singen,  wie  er  umherziehe,  das  Getreide  auf 
den  Fluren  wachsen  lasse  und  den  Menschen  gutes  Gedeihen 
gebe.  „Wo  er  geht  mit  bloßen  Füßen,  heißt  es,  da  ist  das 
Korn  schockweise ,  und  wo  er  hinblickt ,  da  erblühen  die  Halme.^' ' 
In  Woronesch  kam  am  29.  Juni  eine  Menge  Volks  auf  dem 
Stadtmarkt  zusammen  und  bestimmte,  wer  von  den  Anwesenden 


1)  Afanasieff,  Poetische  Nataranschaanngen  der  Bnssen,  111,724  — 2C. 

2)  Afanasieff,  a.  a.  0.  I,  441. 


416  Kapitel  IV.     Baumgeister  als  Vegetationsdämonen: 

der  Darsteller  des  Jarilo  sein  solle.  Diesem  zogen  sie  eine 
bunte  blumige  Kleidung  an^  die  außerdem  mit  Blumen  und 
Bändern  geschmückt  und  mit  Meinen  Glöckchen  behängt  wo/Tj 
setzten  ihm  einen  bemalten  Kaipak  von  Papier  mit  einer  Hahnen- 
feder darauf  auf  den  Kopf  and  gaben  ihm  in  die  Hand  ein 
Stöckchen  mit  einem  Klopfer  versehen.  So  zog  er  singend, 
tanzend  und  verschiedene  komische  Bewegungen  ausführend  unter 
Trommelbegleitung'  umher,  von  einer  großen  Volksmenge  beglei- 
tet, die  nach  verschiedenen  Tänzen  und  Spielen  sich  in  zwei 
Parteien  teilte  und  das  Fest  mit  einer  Art  Faustkampf  endigte. 
An  anderen  O^n  nun  wird  «am  29.  oder  30.  Juni  das  Begräb- 
niß  des  Jarilo  aufgefUhrt.  Im  Kostromskischen  Kreise  übergab 
man  einem  alten  Manne  einen  kleinen  Sarg,  der  eine  den 
Jarilo  darstellende  Puppe  mit  einem  Ungeheuern  Priap 
enthielt.  Der  Greis  trug  denselben  vor  die  Stadt,  ihm  folgten 
die  Weiber,  Klagelieder  singend  und  durch  ihre  Geberden 
Schmerz  und  Verzweiflung  ausdrückend,  bis  zum  Grabe  auf 
freiem  Felde,  wo  hinein  man  unter  Weinen  und  Wehgeschrei 
die  Gestalt  versenkte.  Darauf  begannen  sofort  Tänze,  welche 
an  die  altslavische  Sitte  der  Kampfspiele  (trisna)  beim  Begräbniß 
erinnern  konnten.  In  Kleinrußland  wurde  die  Jarilo  benannte 
Puppe,  die  mit  allen  dem  Manne  zukommenden  Attributen  aus- 
gerüstet war,  auch  in  einen  Sarg  gelegt  und  nach  Sonnenunter- 
gang auf  die  Straße  getragen.  Betrunkene  Weiber  umringten 
den  Sarg  und  wiederholten  traurig:  „Er  ist  gestorben!  Er  ist 
gestorben!'^  Die  Männer  erhoben  und  schüttelten  die 
Puppe,  als  wenn  sie  sich  bemühten,  den  Todten  ins 
Leben  zurückzurufen  und  sagten  nachher:  „He!  He!  Ihr 
Weiber,  heult  nicht.  Ich  kenne,  was  noch  ßüßer  ist,  als  Honig.^' 
Doch  die  Weiher  fuhren  fort  zu  jammern  und  zu  singen,  wie 
bei  Begräbnissen  üblich  ist:  „Wessen  war  er  schuldig?  Er  war 
so  gut.  Er  wird  nicht  mehr  aufstehen.  0  wie  sollen  wir  uns 
von  dir  trennen?  Was  ist  das  Leben ^  wenn  du  nicht  mehr  da 
bist!  Erhebe  dich,  wenn  auch  nur  auf  ein  Stündchen;  aber  er 
steht  nicht  auf,  er  steht  nicht  auf!''  Endlich  verscharren  sie 
Jarilo  in  einer  Grube.  ^ 


1)  Sacharoff  11,42,91 -93.    Tereschtschenko  V,  100  — 104.    Afanasieflf 
111,726  —  27. 


Hinaustragang  n.  Begräbniß  d.  Vegeiationsd&tnous,  Erläaterangen.    417 

§  20.  Hlnaustragnng  und  BegribnLß  des  Yegetations- 
dSmons,  ErUutemngcn.  Uebrigens  besteht  eine  auffallende 
Aehnliehkeit  zwischen  den  Sitten:  den  alten  Mann  ins  Loch  zu 
karren,  die  Fastnacht  zu  köpfen,  zu  begraben  oder  zu  erträur 
ken,  den  Tod  zu  beerdigen  oder  zu  ersäufen  und  den  Jarilo 
resp.  die  Kostroma  zu  bestatten  oder  ins  Wasser  zu  werfen. 
Untersuchen  wir  genauer,  ob  die  Uebereinstimmung  mehr  als 
Schein  ist  Das  Begräbniß  des  Jarilo  ist  an  und  für  sich  klar 
und  verständlich.  Eine  ganz  ähnliche  Gestalt  wie  der  P6re  May, 
Roi  de  Maj,  Lord  of  the  May,  die  Maja,  stellt  er  zwar  den  Lenz, 
die  Jahreszeit  dar,  aber  nicht  abstract  als  solche,  sondern  als 
die  bewegende  Ursache  und  Grundkraft  des  Pflanzenwuches ; 
dies  bezeugt  sein  blumiges  Gewand,  das  wol  auf  ehemalige 
LaubumhtUlung  zurückweist,  dies  die  Ausrüstung  seines  Bildes 
mit  dem  Priap,  dies  das  zu  seinen  Ehren  gesungene  Lied.  Es 
ist  schwerlich  Zufall,  daß  seine  Kleidung  mit  Glöckchen  besetzt 
ist,  wie  diejenige  des  Pfingstlümmels  (o.  S.  326).  Im  Beginn 
der  Hundstage,  zu  Mittsommer,  wenn  die  Aehren  gelb  werden, 
ist  der  zeugungskräftige  Frühling  dahin;  trauernd  wird  er  zu 
Grabe  geleitet.  In  dem  Woronescher  Brauch  dagegen  scheint 
er  als  noch  bis  in  den  Hochsommer  hinein  in  der  Rolle  des 
Yegetationsdämons  fortdauernd  wirksam  gefeiert  zu  werden. 
Sollte  der  Tod  und  die  Bestattung  des  Kostrubonko,  der  Kostroma 
eine  andere  Auffassung  fordern?  Schwerlich,  außer,  daß  hier 
noch  .entschiedener  die  Bedeutung  des  Vegetationsgeistes  die 
Oberhand  hat.  Schwer  aber  zu  begreifen  dürfte  es  sein,  wie 
man  dazu  kam,  das  Dahinscheiden  derselben  durch  Ertränken 
darzustellen.  Dasselbe  hätte  nur  Sinn  als  Ausdruck  der  Erre- 
gung und  des  Zornes  über  allzulange  Dauer  des  Frühlings,  oder 
als  Darstellung  der  Tatsache  seines  gewaltsam  durch  das  feuchte 
Element  herbeigeführten  Endes.  Da  aber  beides  nicht  zutrifft, 
es  müßten  denn  die  Regengüsse  des  Herbstes  gemeint  sein ,  wel- 
che Frühling  und  Sommer  vom  Wachstum  des  nächsten  Jahres 
scheiden,  so  stehe  ich  nicht  an  als  meine  Vermutung  auszu- 
sprechen, daß  die  Wassertauche  auch  hier  denselben  Sinn 
habe,  wie  in  so  vielen  anderen  auf  die~  Vegetationsdämonen 
bezüglichen  Gebräuchen,  daß  sie  ein  Abbild  des  Regens  sein 
solle  und  entweder  den  bevorstehenden  Tod  der  Pflanzenwelt 
durch  die  Gewässer  der  Herbstregen  darstellen,  oder  im  voraus 

Mannhardt  27 


418  Kapitel  IV.     Banmgeister  als  Vegetationsdämonen: 

(wiO'  in  den  Emtegebriluchen  o.  S.  214,  vgl.  S.  314  o.)  die  atmo- 
sphärische Feuchtigkeit  für  die  Vegetation  des  nächsten  Jahres 
sichern  sollte.  Bei  aller  augenscheinlichen  Verwandtschaft  scheint 
obenhin  angesehen  der  Lätaregebrauch  ganz  das  Gegenteil  zu 
diesen  Mittsonunersitten  ausdrücken  zu  sollen;  nicht  das  Leben 
sondern  der  Tod  wird  begraben ,  dessen  populäre  .Personification 
als  Schnitter  mit  Sense ,  Sichel ,  oder  Hippe  ^  zur  Ausrüstung  der 
Strohpuppe  mit  solchen  Emtewerkzeugen  Anlaß  gegeben  haben 
kann.  Aus  dem  Gegensatze  des  nach  Austragung  des  Todes 
eingebrachten  „Sommers'^  ergiebt  sich  jedoch,  daß  ursprünglich 
nicht  sowol  die  das  tierische  Leben  abschneidende  Naturgewalt, 
als  vielmehr  der  Winter  im  Lätaregebrauch  unter  dem  Namen 
des  Todes  gemeint  war;  wahrscheinlich  dürfen  wir  noch  einen 
Schritt  weiter  gehen.  Wenn  der  eingebrachte  durch  einen  grünen 
Baum  dargestellte  Sommer  nicht  sowol  eigentlich  die  Jahres* 
zeit,  als  den  sommerlichen  Vegetationsgeist ^  oder  die  sommer- 
liche Vegetationskraft  bedeutet,  so  wird  auch  sein  Gegensatz, 
der  Tod  oder  der  Winter  den  Vegetationsdämon  in  seiner  winter- 
lichen Gestalt  nicht  als  tödtend,  sondern  als  todt  oder  getödtet 
darstellen.  Tod  also  wäre  hier  nach  unserer  Ansicht  passiv  zu 
verstehen  als  das  ertödtete  vegetative  Leben  im  Winter;  nicht 
die  'lebenraubende  Naturmacht,  nicht  die  winterliche  Jahreszeit 
sollte  durch  Vergraben  vernichtet  welrden,  sondern  der  erstorbene 
Vegetationsdämon  wird  in  die  Erde  eingescharrt,  um  im  Frtth- 
linge  aus  dem  Boden  wiedererweckt  und  neu  belebt  emporzu- 
steigen. Wäre  diese  Anschauung  richtig,  so  würde  die  äußer- 
liche Uebereinstimmung  des  Sommer-  und  des  Frühlingsbranches 
sich  nun  auch  als  eine  innerliche,  auf  gleicher  Bedeutung  beruhende 
erwiesen  haben;  das  Begräbniß  des  Jarilo,  das  Vergraben  oder 
die  Wassereinsenkung  der  Kostroma  hätten  danach  im  wesent- 
lichen den  nämlichen  Sinn,  wie  die  Grablegung  und  Wasser- 
tauche  des  Todes;  nur  daß  die  Darstellung  desselben  Voi^ngs 
das  einemal  an  den  Anfang  der  bösen,  Leben  und  Wachstum 
tödtenden  Zeit  verlegt,  das  anderemal  an  das  Ende  derselben 
gerückt  und  mit  der  Feier  der  Auferstehung  des  Pflanzenwuchses 


1)  Vgl.  G.  Schuller,  Volksttiml.  Glaube  und  Brauch  bei  Tod  und 
Begräbniß,  Kronstadt  1863,  S.  4. 10.  Vgl.  das  Kirchenlied:  „Es  ist  ein 
Schnitter,  der  heißt  Tod." 


Hinaostragung  n.  Begr&bniß  d.  Vegetationsd&mons ,  ErlftnternDgen.    419 

verbunden  ist.     Die  Wassertauche  als  Regenzauber  ftlr  die  ktinf- 
tige  Vegetation  dem  Vertreter  der  dahingeschiedenen  des  alten 
Jahres   gewidmet,  ist  uns  ja  bereits  aus  den  Emtegebi^uchen 
bekannt,  wo  die  letzte  Garbe  der  alten  Ernte  gradeso  wie  der 
Maibaum  begossen,   das  in  die  letzte  Garbe  eingebundene,  den 
Komdämon  darstellende  Mädchen  resp.  die  Binderin  gleich  dem 
in   Laub  gehtlllten   giünen  Georg,   Pfingstbutz  u.  s.  w  in   einen 
Bach  geführt  wird  (o.  S.  214),   damit  die  nächstfolgende  Pflan- 
zengeneration  gute  Früchte  hervorbringe.    Ist  es  irgendwie  wahr- 
scheinlich, daß  die  Wassereintauchung  bei  der  den  Tod  darstel- 
lenden Puppe   etwas   ganz  Entgegengesetztes  bedeute,   als   bei 
dem  so  häufig  gleich  nachher  eingeholten  Maien ,  daß  sie  in  dem 
einen  Falle  ein  Symbol  des  Absehens,   der  gewtinschten   Ver- 
nichtung, im  andern  ein  Anzeichen  des  Wunsches,  ja  ein  Zauber- 
mittel  sein  sollte?     Wer   die  hier  aulgestellte   Erklärung  nicht 
zulässig  finden   wollte,   müßte   mithin   vorher  nachweisen,    daß 
auch  die  Wassertauche  des  Maibaums  u.  s.  w.  keinen  Bezug  auf 
die    atmosphärische    Feuchtigkeit    habe.      Geben    wir   dagegen 
unserer  Hypothese  Saum,   so   gewinnt  auch  der  mehrfach  und 
entschieden  bedeutsame  Zug  der  Sieimgung  ein  anderes  Ansehn, 
als  auf  den  ersten  Augenschein.    In  einer  späteren  Untersuchung 
wird  der  Verfasser  den  Nachweis  eines  uralten  Brauches  bei  der 
Ernte  resp.  im  Frühjahr  fähren,  daß  Bäume  und  Pflanzen,  sowie 
die  Abbilder   der   Vegetationsdämonen   mit   Steinen   belegt  oder 
beworfen  unirden,  um  die  Schwere  der  erhofften  FruehtftUle  der 
nächsten  Ernte  auszudrücken.    So  kann  auch  hier  die  Steinigung 
des  sogenannten  Todes  ein  dem  Begenzauber  ähnliches  Zauber- 
mittel  gewesen  sein.      Unter  solchen  Gesichtspunkten  erscheint 
endlich  auch  das  zuweilen  an  die  Stelle  des  Begrabens  oder  Was- 
sereintauchens   tretende    Verbrennen    des   Todes  dem   Verbren- 
nen   des    Maibaums    im   OsCer-,.Mai-    oder   Johannisfeuer   (o. 
S.  177  ff.)   parallel.     Noch   andere  Umstände  gereichen  unserer 
Hypothese    zur  Unterstützung.     Wenn  in  jener    Lausitzer  Sitte 
das  Hemde  der  den  Tod  darstellenden  Strohpuppe  dem  Wald- 
baum  übergeworfen  wird  (o.  S.  156),  so  soll  dieser  doch  wol  als 
Nachfolger,   als  dasselbe  Wesen  in  verjüngter  Gestalt  bezeichnet 
werden.     Der  Nürnberger  Brauch  stellt   den  Tod,  wie  den  Mai 
(Sommer) ,  darch  einen  grtlnen  Zweig  mit  einem  Apfel  dar.    Wenn 
in  Podlachien   das  den  Tod  darstellende  Menschenbild  noch  aus 

27* 


420  Eapitol  lY.    Bamngeister  als  Ye^etatioDsdämonen: 

Korohalmen  g^ochten  wird,  während  es  sonst  meistenteils  ans 
leerem  Stroh  gefertigt  ist,  giebt  es  andererseits  verschiedene 
Sparen,  daft  die  im  Hochsommer  gereifte  abgestorbene  Vege- 
tation der  Kalturfrttchte ,  welche  gewöhnlich  niiter  der  Gestalt 
eines  alten  Mannes  oder  einer  alten  Frau  {der  AUe,  die  AUe; 
so  heißt  die  ans  der  letzten  Garbe  gefertigte  Menschengestalt) 
personifiziert  wird,  zuweilen  als  die  Todte  oder  als  der  Tod  auf- 
gefaßt wurde.  So  heißt  zu  Schwarzwaldau  (Kr.  Troppau)  die 
letzte  Garbe  geradezu  die  „  Todte  '*  mortua.  Jeder  Bauer  ver- 
gräbt die  seinige  auf  dem  Acker  in  den  Boden.  Nach  etwa 
2  Wochen  gehen  sie  an  einem  verabredeten  Tage  aufs  Feld  und 
sehen  nach,  ob  die  eingegrabenen  Garben  grttn  ausgekeimt  sind 
Ist  dies  der  Fall,  so  ist  dies  ein  gutes  Zeichen  fllr  die  £mte  d^s 
nächsten  Jahres.  Diejenige  „Toä^,''  welche  am  meisten  grtln 
ausgewachsen  ist,  wird  wieder  ausgegraben  und  ein  Hahn  [d.  L 
ein  Abbild  des  hahngestaltigen  Vegetationsdämons  ^]  in  sie  hin- 
eingebunden; je  mehr  dieser  schreit,  desto  ergiebiger  und  frucht- 
barer wird  das  nächste  Jahr  sein.  Es  wird  späterhin  aus  viel- 
fachen Beispielen  erhellen,  daß  man  die  Kinder  vor  den  im 
Korne  hausenden  Vegetationsdämonen  zu  warnen  pflegt.  Im 
Kreise  Hradisch  in  Mähren  warnt  man  die  Kinder  ins  Korn  zu 
gehen ,  denn  da  sitze  der  zahnlose  Tod  (bezzub4  Smrt)  mit  einer 
Sense  drin,*  oder  der  bezhlav^  muS,  Mann  ohne  Kopf.  Im  Kreise 
Gomör  in  Oberungam  heißt  es  der  Tod  (Smrt)  sitze  im  Korne 
und  fresse  die  Kinder;  auch  im  Komitat  Gran  sagt  man,  im 
wallenden  Kornfeld  reite  der  Tod  auf  einem  Pferde  und  bespritze 
die  vorwitzig  sich  hineinwagenden  Kinder  mit  Feuer.  Die  Sach- 
sen in  Siebenbürgen  spielen  während  der  Wälschkomemte  ein 
Kinderspiel,  schionpelän  d!d,  d.  i.  schampelnder  Tod  genannt 
Einer  der  Mitspielenden,  der  Tod,  wird  ganz  mit  Maisblättem 
bedeckt,  die  Andern  stellen  sich  im  Kreise  herum  und  rufen: 
„schämpelän  d!d  stand  äf,  es  bot  iilt  (eins)  geschlön'^,  er  ant- 
wortet: ach  lot  mich  noch  et  w€nig  schlöfen.  Anrede  und  Ant- 
wort wiederholen  sich  je  um  eine  Stunde  vorrtlckend,  bis  es 
heißt:  „es  höt  zwölf  geschldn!'^  ^  Da  springt  der  Verhüllte  auf 
und  wen  er  erhaschen  kann,  muß  an  seine  Stelle  treten.^    Wird 

1)  S.  ManDbardty  Korndämonen  S.  13  ff. 

2)  G.  Schnller,  Volkst.  Glanbes  n.  Brancb  I,  Kronstadt  1863,  S.  11.  IffiUer, 
8iebenbirg.  Sag.  389.  Haltrich,  Archiv  f.  Siebenbirg.  Landeskunde  N.  F.  DI,  31)9. 


Hinaastragung  u.  Begräbniß  des  Vegetationsdämons,  Erläaternngen.    421 

es  hiernach  kaum  zweifelhaft,  daB  der  Yegetationsdämon  in  der 
Zeit  der  Fruchtreife,  der  ^mte  nicht  selten  als  alter  abgelebter 
Greis,  als  Todter  oder  der  Tod  aufgefaßt  wurde,  so  mag  die 
Ausrüstung  der  Lätarepuppe  mit  Sichel  oder  Sense  nunmehr 
vfclleicht  mit  besserem  Rechte  darauf  bezogen  werden,  daß  die- 
selbe grade  so  aussah  und  eben  dasselbe  bedeuten  sollte,  als 
die  aus  der  letzten  Garbe  bei  der  Ernte  gefertigte  Figur.  Auch 
diese  erhält  zuweilen  eine  Sichel  in  die  Hand.  Ein  weiteres 
Beweisstück  für  unsere  Auffassung  liefert  die  Köpfung  und  Bestat- 
tung oder  Verbrennung  des  Fastnachtsbären  (o.  S.  410),  da  die- 
ser unzweifelhaft  mit  dem  Erbsenbär,  Roggenbär,  einer  therio- 
morphischen  Form  des  Vegetationsdämons  identisch  ist.  Endlich 
stimmt  auch  der  Zug,  daß  die  am  Todtensonntag  verfertigte 
Puppe,  ist  sie  männlich,  von  Weibern,  ist  sie  weiblich,  von  Man- 
nern  getragen  und  ins  Wasser  geworfen  werden  muß  (o.  S.  412) 
zu  einem  Wesen  der  Fruchtbarkeit.  Daß  das  Ertränken  oder 
Vergraben  der  Fastnacht  nur  eine  verhältnißmäßig  junge  Um- 
deutang  des  nämlichen  Frtthlingsbrauches  sei,  lehrt  die  einfache 
Vergleichung.  Eine  Personification  des  Festes  ist  an  die  Stelle 
des  namenlosen  Wesens  getreten,  das  im  Lätaregebrauch  als 
Tod  bezeichnet  wird.  Daß  hier  die  Puppe,  resp.  ein  lebender 
Mensch  wie  zuweilen  der  geköpfte  Pfingstbutz  (o.  S.  321)  unter 
Mist  und  Stroh  begraben  wird  (o.  S.  411),  würde  ganz  unver- 
ständlich sein,  wenn  es  sich  wirklich  um  eine  Bestattung  des 
dahingeschiedenen  Festes  handelte ,  da  doch  wahrlich  kein  Grund 
dazu  da  war,  demselben  hinterher  einen  Fußtritt  zu  geben,  ihm 
Verachtung  zu  bezeugen.  Ganz  anders  stellt  sich  die  Sache, 
wenn  von  dem  winterlichen  oder  verstorbenen  und  zum  Wieder- 
aufleben in  den  Schoß  der  Erde  zu  senkenden  Vegetationsdämon 
die  Rede  war,  da  der  Dünger  die  Triebkraft  der  Pflanzen  erhöht. 


Kapitel  V, 

Vegetationsgeister :   Maibraulschaft. 

§  1.  Das  MaikSnigspaar.  Unsere  bisherigen  Untersuchun- 
gen zeigten  uns  den  Dämon  der  Vegetation  bald  in  männlicher, 
bald  in  weiblicher  Gestalt  verkörpert.  An  einem  und  demselben 
Orte  wurden  zuweilen  beide,  die  eine  von  den  Mädchen,  der 
andere  von  den  Burschen  zu  gleicher  Zeit  dargestellt,  aber 
getrennt  umhergeflihrt  Ein  noch  unerwähntes  Beispiel  aus  Ost- 
Kent  gewährt  der  Fastnachtsbrauch,  daß  die  Mädchen  von 
18  —  5  Jahren  ein  den  Burschen  gestohlenes  Mannsbild,  den 
Holly-hoy,  Stechpalmenknaben,  die  jungen  Leute  eine  den  Mäd- 
chen entwendete  Frauenfigur  Jvy-girl,  Epheumädchen ,  unter 
lautem  Geschrei  umherfllhrten  und  verbrannten  (tlber  das  Ver- 
brennen s.  0.  S.  177  ff.,  419).*  Doch  lernten  wir  bereits  einige 
Darstellungen  kennen,  in  denen  Maikönig  und  Maikönigin  als 
ein  Ehepaar  verbunden  auftreten.  So  beim  Königsspiel  in  Böh- 
men (vgl.  0.  S.  355).  In  Wfeskow  bei  Königsgrätz  z.  B.  gehen 
König  und  Königin  in  ihrem  besten  Sonntagsstaat  unter  einem 
Baldachin,  die  Königin  hat  einen  Kranz  auf  dem  Kopfe;  das 
jüngste  Mädchen  trägt  ihr  zwei  Kränze  auf  einem  Teller  nach. 
Das  nächste  Gefolge  besteht  aus  Burschen  und  Mädchen ,  welche 
wie  Brautführer  und  Brautjungfern  gekleidet  sind.  Von  Haus 
zu  Haus  werden  Gaben  eingesammelt  und  die  Kinder  mitgenom- 
men. Dann  folgt  das  Gericht  über  die  Dorfgenossen  und  die 
Verurteilung  des  Königes  zur  Enthauptung.  Doch  stellt  der  als 
Ausrufer  und  Henker  fungierende  Bursche  in  Aussicht,  daß  die 
Königin  ihren  Gemahl  loskaufen  könne  und  nennt  eine  fabelhafte 
Summe.     Sie  zögert;  nachdem  aber  der  blanke  Säbel   dreimal 


1)  (xentlemaD*8  Magazine  1779.    Brand,  po^.  antiqnities  I,  68. 


Das  Maüönigspaar.  423 

am  den  Nacken  des  Königs  geschwungen  ist,  legt  sie  ein  anstän> 
diges  Lösegeld  (oft  bis  nenn  Zwanziger)  auf  den  Teller,  nimmt 
ihren  Kranz  vom  Kopf  und  setzt  ihn  unter  allgemeinem  Jubel 
über  seine  Erhaltung  und  unter  Lobpreisungen  ihrer  Güte  dem 
Losgekauften  auf.  Doch  wird  ihm  dieser  Kranz  wieder  abge- 
nommen und  beiden  werden  die  Blumenkronen  aufgesetzt^  welche 
das  junge  Mädchen  nachtrug.^  Hiemit  vergleiche  man  den  Brauch 
in  der  Gemeinde  Wehden ,  Kr.  Lübbeke  (Osnabrück).  Hier  wurde 
zu  Pfingsten  das  schönste  und  beliebteste  Mädchen  von  12  — 14 
Jahren  erkoren,  ergriffen  und  festlich  geschmückt;  ebenso 
bemächtigte  man  sich  des  beliebtesten  Knaben  aus  demselben 
Lebensalter,  zierte  sein  Haupt  mit  einer  hohen  aus  bunten  Bän- 
dern und  Goldpapier  gefertigten  Krone  und  tUhrte  beide  jubelnd 
im  Dorf  umher.  Dieser  Umzug  hieß  Gummanie  (d.  i.  Cumpanie, 
Gompagnie).^  Auch  in  Frankreich  erwählt  man  z.  B.  in  der 
Gegend  von  Grenoble  am  1.  Mai  einen  König  und  eine  Königin 
(roi  et  reine)  und  setzt  sie  wie  sonst  die  Königin  allein  (o. 
S.  345  ff.)  auf  einem  Trone  den  Blicken  der  Vorübergehenden 
aus.^  In  den  englischen  Frühlingsgebräuchen  begegnet  uns  gleich- 
falls dieses  Ehepaar  in  mehrfachen  Formen  wieder.  Dahin  gehört 
unzweifelhaft  schon  das  Verbot  der  Synode  zu  Worcester  a.  d.  J. 
1240,  can.  38:  Ne  intersint  ludis  inhonestis  nee  sustineant  ludos 
fieri  de  rege  et  regina,  nee  arietes  levari  nee  palestras  publicas.^ 
Ans  Bechnungen  der  Kirchenrorsteher  zu  Kingston  upon  Thames 
Yom  Jahre  1604  geht  freilich  hervor,  daß  man  das  Königsspiel 
damals  auch  um  die  Mitsommerzeit  zum  besten  der  Kirchen- 
kasse aufführte,^  aber  das  war  wol  nur  eine  locale  Verschiebung 
des  Zeitpunktes  der  Aufführung.  In  den  Maispielen  stellte  man 
(saec.  XVI.)  dem  Robin  Hood  als  seine  Geliebte  eine  Maid 
Marian  zur  Seite,  bräutlich  gekleidet  oder  königlich  geschmückt 
und  eine  rote  Nelke,  die  Frühlingsbotin  in  der  Hand.  •  Wie   er 


1)  Beinsberg-Düringsfeld,  Böhmischer  Feetjcalender  S.  265  —  67. 

2)  MüUer,  Zs.  f.  Kultorgesch.  1872  I,  S.  452. 

3)  ChAmpoliion-Figeac  bei  Monnier,  Traditiona  populaires  comp.  p.  304. 

4)  Brand,  pop.  antiqu.  ed.  Ellls  I,  260. 

5)  ,,Mem.  That  the  27  day  of  Joun  a<>  21  kjnk  H.  7,  thatwe  Adam 
Bakhous  and  Harry  Nycol^  hath  made  account  for  the  kenggam,  that 
8ame  tym  don  Wylm  kempe,  kenge  and  Joan  Whytebrede,  qtien,  and  aU 
costs  dedncted  ...  i^  4  sh.  5  d.  o.'*    Brand ,  pop.  ant.  1 ,  260. 


424  Kapitel  V.    VegetationsgeiBter:  Maibrautschaft 

King  of  May*  wurde  sie  queen  of  May  genannt  Darans 
geht  mindestens  so  viel  hervor,  daß  in  den  Maygames  ein  king 
of  may  neben  einer  qneen  of  may  aufgetreten  wa'r,  den  man  mit 
dem  Robin  Hood  und  seiner  Geliebten  identifizierte.  Die  May- 
queen  allein  haben  wir  schon  oben  S.  346  ff.  kennen  gelernt. 

§  2.  Maiherr  und  Malfrau.  Anderswo  nannte  man  das 
Paar  Lord  and  Lady  of  the  may.  Vom  30.  Mai  1557  wird  eines 
Maigame  in  Fenchnrehstreet  Erwähnung  getan  mit  einem  Aus- 
ritt der  neun  Helden  („with  the  nine  worthies,  who  rode")  einem 
Morristanz  und  Lord  and  Lady  of  the  May  appearing  to  make 
up  the  show.*  In  einem  Artikel  der  Literary  -  Gazette  (May 
1847)  gab  Mr.  L.  Jewitt  als  Augenzeuge  eine  liebliche  Schilderung 
der  Sitte,  wie  sie  damals  noch  zu  Headington,  zwei  Meilen  von 
Oxford',  geübt  wurde.  Zwei  kleine  Mädchen  im'  Sonntagsstaat, 
ganz  in  Weiß  gekleidet,  mit  langer  Schärpe  und  bunt  bebändert, 
eine  geschmackvoll  mit  Blumen  verzierte  Kopfbedeckung  aof 
dem  Haupt,  tragen  auf  einer  langen  Stange  eine  große,  ans 
Tonnenreifen  verfertigte,  mit  Immergrttn  und  Blumen  überzogene 
Krone,  deren  Spitze  wieder  von  einer  kleineren  Krone  oder 
einem  prächtigen  Blumenstrauß  überragt  wird.  Solch  eine  Krone 
heißt  garland  (Guirlande).  Zwei  andere  Kinder  folgen,  ein 
Knabe  und  ein  Mädchen,  der  Lord  und  die  Lady,  miteinander 
durch  ein  weißes  Taschentuch  verbunden,  von  dem  jedes  einen 
Zipfel  hält.  Sie  sind  so  freundlich  als  möglich  mit  Bändern, 
Schärpen,  Rosetten  und  Blumen  herausgeputzt,  und  die  Lady 
trägt  eine-  möglichst  große  Geldtasche.  Von  Haus  zu  Haus 
gehend  singen  sie  nach  einer  sehr  einfachen  Melodie: 

Gentlemen  and  Ladies, 
We  vrish  you  kappy  may! 
We  come  to  sbow  you  a  garland 
Because  it  is  May-day. 

Eine  der  Trägerinnen  der  Krone  fragt:  Please  to  handsei  the 
Lords  and  Ladys  purse?  Giebt  einer  eine  Münze,  so  zieht  der 
Lord  den  Hut,  ergreift  mit  der  Rechten  eine  Hand  der  Lady, 
umschlingt  mit   dem   linken  Arm   ihre  Hüfte  und   küßt 


I 


1)  Dalrymple  a.  1576  bei  Brand  I,  261. 

2)  Strype   eccles.    Mem.    Vol.  III,    cap.  49  p.  377.      Strutt  a.  a.  0. 
a53,  XVL 


Haiherr  und  Maifrau.  435 

sie,  die  Mttnze  wandelt  in  die  Geldtasche,  nnd  die  Prozession 
zieht  weiter,  um  vor  dem  nächsten  Hause  die  nämliche  Ceremo- 
nie  zu  wiederholen.  Im  Dorfe  gab  es  ein  Dutzend  solcher  Guir- 
landen  mit  ihren  Lords  und  Ladies ,  die  dem  Orte  ein  lustiges  und 
belebtes  Ansehen  verliehen.^  Aus  dem  Berichte  eines  Augen- 
zeugen ttber  das  Maifest  der  Londoner  Kaminfeger  im  Jahre 
1825  entnehmen  wir,  daß  damals  nach  alter  Sitte  dem  in  der 
Lanbpyramide  daherschreitenden  Jack  in  the  green  ein  Lord 
und  eine  Lady  vortanzten.  Der  Lord,  sagt  der  Berichterstatter, 
war  jedesmal  der  größte  Mann  in  der  Gesellschaft.  Er  trug  eine 
Kleidung,  welche  zwischen  einer  Hofimiform  und  Gallalivree  die 
Mitte  hielt,  auf  der  Brust  einen  ungeheuren  Blumenstrauß,  in 
der  rechten  Hand  einen  großen  Stock  mit  blinkendem  Metall- 
knopf, in  der  Linken  ein  weißes  Taschentuch,  an  emem  Zipfel 
gefaßt.  Die  Lady  wurde  mitunter  von  einer  drallen  Dirne, 
gewöhnlich  von  einem  Burschen  in  Weiberkleidung  gespielt;  ihr 
Anzug  entsprach  dem  des  Lord,  sie  hielt  in  einer  Hand  einen 
kupfeinen  Kochlöffel ,  in  der  andern  gleich  dem  Lord  ein  Taschen- 
tuch. So  oft  der  Zug  stille  stand,  entwickelten  beide  alle  ihre 
Anmut  in  einem  Menuet  de  la  cour  oder  einem  anderen  gehal- 
tenen Tanze,  bald  aber  ging  derselbe  in  einen  lebhafteren  und 
komischeren  über ,  wobei  sie  sich  drehend  und  wendend  einander 
zuwinkten  und  lockten ,  indeß  Jack  in  the  Green  sich  fortwährend 
zwischen  ihnen  im  Tanze  umdrehte  und  die  tibrigen  berußten 
Mitglieder  der  Compagnie  mit  Kellen  und  Besen  klapperten. 
Nach  beendigtem  Tanz  verbeugten  sich  Lord  und  Lady  gegen- 
einander. Der  Lord  zog  seinen  Hut  und  wendete  sich  mit  ein- 
dringlichen Blicken  und  höflichen  Bttcklingen  zu  den  Zuschauem 
an  den  Fenstern  und  auf  der  Straße.  Zu  gleicher  Zeit  streckte 
die  Lady  ihren  Löffel  aus  und  die  andern  hielten  ihre  Kellen 
hin,  um  auch  die  kleinsten  Gaben  dankend  zu  empfangen.'  Es 
ist  interessant  zu  beobachten,  wie  19  Jahre  später  laut  einem 
Artikel  der  Times  v.  2.  Mai  1844  der  moderne  Geschmack  diese 
Lustbarkeit  der  Kaminieger  fast  bis  zur  Unkenntlichkeit  entstellt 
hatte.     An  Stelle  des  Lord  und  der  Lady  wurden  eine  Ballet- 


1)  8.  Brand  a.  a.  0.  I,  233  — 34. 

2)  Hone,  Every  day  book  I,292ff.     V^l.  Reinsberg-DtSringsfeld,  das 
/estliche  Jahr.    S.  134. 


426  Kapitel  Y.    Vegetattonsg^ister :  Maibraatschaft 

tänzerin ,  Marmsell  Molliowfiki  genannt ,  und  ihr  Impressario  Jem 
Crow  yorgefbhrt,   statt    der   Menaet   ein  Polka  getanzt.^     £in 
Berichterstatter  aus  Hitohin  (Herefordshire)  beschreibt  in  einem 
vom  1.  May  1823  datierten  Briefe  an  Mr.  Hone  eine  Gruppe  von 
Mayers,  welche  an  diesem  Tage,  nachdem  sie  den  Mädchen  und 
Dienstboten  Maibüsohe  die  Ttbre  geheftet,  frohlockend  durch  die 
Stadt  zogen.    Zuerst  kamen  die  toUe  Moll  und  ihr  Mann  (Mad 
Moll  and  her  husband),  d.  h.  2  Männer  mit  gesckwäreten  Gesich- 
tern; der  eine  von  diesen  hatte  einen  künstlichen  Buckel  und, 
trug  einen  Birkenbesen  in  der  Hand;  der  andere,  ganz  in  zer- 
lumpte Frauenkleidung  gehttUt,  eine  Strohmütze  und  einen  Koch- 
l9ffeL    Hinter  diesem  Paare  kam  ein  zweites  Paar,  „der  Lord 
und  die  LadyJ^     Der  Lord   war  phantastisch  mit  bunten  seide- 
nen Taschentüchern    und  Bändern   herausgeputzt    und  trug  ein 
Schwert;   die  Lady,    ein  als    feine  Dame   in   weißen  Musselin 
gekleideter,    über    und    über  mit  buntem   Bandwerk  bedeckter 
Bursche.    Ein  Gefolge  von  6  —  7  anderen  ähnlich  ausgeschmück- 
ten Paaren  schloß  sich  an,  nur  fährten  die  Männer  keine  Schwer- 
ter.     Derartiger    Compagnien    durchziehen  mehrere  wetteifernd 
die  Straßen.     Hat  eine  derselben  vor  einem  Hause  eine  reich- 
liche Gabe  erhalten,  so  giebt  es  davor  Musik  und  Tanz,  wobei 
das  Publicum  sich  vorzüglich  an  den  possierlichen  Geberden  and 
Mienen  von  Mad  MoUs  Mann  zu  ergötzen  pflegt.^    Aus  Chep»- 
towcastie  an  der  Mündung  der  Wye  in  den  Bristolcanal  (Mon- 
mooth)  empfing  Hone  die  folgende  Beschreibung  des  Maifestes: 
Die   Milchmägde  hielten   einen   Umzug,    wobei    sie  im   Reigen 
singend  einen   alten    Mann   umtanzten,    dessen   graue   spärMe 
Haare  ein  Kranz   von  Feldblumen    schmückte;   in   seiner 
rechten  Hand  trug  er  einen  blühenden  Weißdorn  (hawthom)) 
in  der  Linken  einen  mit  Primeln  (Schlüsselblumen)  und  blauen 
Glockenblumen  umwundenen  Stab.    Ueber  der  Schulter  hing  ihm 
ein  iKuhhom,  auf  dem  er  vor  jedem  Hause  blies.    Der  Beigen 
bestand   aus   30 — 40    jungen   Burschen  und  Mädchen,   welche 
Arme,  Kopf  und  Hals  mit  Büschehi  von  Maiglöckchen  und  wil- 
den Rosen  geziert  hatten.     Dahinter  kam  eine  Dame  mit  apfet 
roten  Wangen,  mit  einer  Brille  und  mit  niedrigem,  breitkrämpigem 


1)  Brand  ed.  EUis  I,  231  —  33. 

2)  Hone  a.  a.  0. 1 ,  283. 


Haiherr  Qnd  Maifrau.  427 

Hat,  kurzem  Book,  wollener  Schärpe,  blauen  Strümpfen,  hohen 
Schuhen.     In  der  einen  Hand  trug  sie  einen  blankgescheuerten 
Kupferkessel  voll  Sahne,  in  der  andern  einen  Korb  mit  Wald- 
erdbeeren und  jedem,  der  mit  einer  Tasse  oder  Schale  zu  ihr 
kam,. gab  sie  auf  eine  artige  Weise  von  ihrer  Sahne  und  Frfich- 
ten.     Sie  war  Tante  Cornelia  (aunt  Nelly),  und  ihr  „Zweig- 
träger^'  (bougbearer) ,  Onkd  Anibrosius  (Uncle  Ambrose)  geheißen. 
Den  Schluß  des  Zuges  bildeten  sechs  mit  Blumen  verzierte  Ziegen, 
welche   Geiiktschaften    zum   Melken    und    Buttermachen   trugen, 
sowie   der  Milchpächter  mit  einem   Stiere,   der  gleichfalls  mit 
Produkten  von  Feld  und  Wiese  herausgeputzt  war.^    Mit  dieser 
englischen  Sitte   stimmt  eine  deutsche  aus  Schorau  bei  Zerbst 
nahe  ttberein.     Hier  wird  das  Pfingstgelage  durch  Aufrichtung 
eines  Maibaums  gefeiert,   nachher    ist  Musik  und  Tanz,  wobei 
alljährlich   neue  Platzmeister  gewählt  werden;    die  vorjährigen 
wählen  ftlr   sich  allein.     Vor  dem   Tanz   erscheint   gewöhnlich 
ein  Paar  aus  der  aUeth  Zeit,  ein  alter  Mann  und  eine  alte  Frau 
(zuweilen   zwei  Paare),  die  meistens  Larven  vor  dem  Gesichte 
haben;  die  Alte  wird  dabei  immer  durch  einen  Mann  dargesteUt^ 
Nicht   minder   aber    gehört  hierher  eine  Tiroler  Faschingssitte. 
Am  Fastnachtsdienstag  gehen  zwei  Bursche  um,  von  denen  der 
eine  ein  zerlufwptes  altes  Weib  darstellt.    Der  andere  trägt  einen 
Strohhöcker,  der  durch   ein  darüber  geworfenes  Hemd  verhtillt 
ist,   und  hat  eine  hohe  Mutze  auf  dem  Kopfe.    Dieser  heißt  der 
.Alte  (Wetscho),  jene  die  Alte  (Wetscha).     Die  Alte  hat  einen 
Becher  und  eine  Schweinsblase,  der  Alte  trägt  eine  Stange 
(v^L  0.  S.  365).    Beide  sind  voll  Ruß  und  suchen  andere,  beson- 
ders Mädchen  zu  berußen.     Sie  gehen  vor  die  Häuser,  kehren 
dort,    säen  Sägemehl    für  Rttben    und    schreien    dabei.     Daftlr 
bekommen  sie  in  jedem  Hause  Eier,  aus  deren  Erlöse  sie  eine 
Messe  lesen  lassen.'     Nach  6abr.  Ruesch  wird  in  der  Schweiz 
im  Hirtenlande  das  Blockfest  (s.  o.  S.  174.  237  ff.,  vgl.  306)  am 
X>oiiata8tage  (17.  Februar)  der  Art  gefeiert,  daß  ein  mit  Tannen- 
r eisern,   Waldblumen    und    hänfenen   Guirlanden    geschmtlckter 


1)  Hone  a..a.  0.  II,   781  —  82.     Vgl.    Reinsberg-Düringsfeld,  festl. 
Jahr  132. 

2)  Kuhn,  Nordd.  Sag.  386,  70. 

3)  Zingerle  Sitten,  Aufl.  2.  137,  1205. 


428  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:    Maibrautschaft. 

Baumstamm  im  Trimnfe  durch  das  Dorf  gezogen  wird.  Ein 
Mann  und  ein  Weib  in  alter  SchtoeizertracM  mit  Glocken  (o. 
S.  326)  behangen  Bcfareiten  der  FrozesBion  voraus.^  Der  alte 
Onkel  Ambrosius  im  Schmucke  der  Frühlingsblumen  kann  kaum 
etwas  anderes  bedeuten,  als  den  neuverjttngten  Alten  der  Vege- 
tation (s.  0.  S.  359),  den  der  Alte  in  Schorau  und  Tirol  mit  ihren 
Ehehälften  noclT  unverjüngt  vorftlhren.  Und  die  nämliche  Vor- 
steUung  des  winterlichen  Yegetationsgeistes  als  des  wieder  som- 
merlich gewordenen  •  durch  zwei  Paare  ausgedrtlekt  wird  man 
yielleicht  in  der  tollen  Moll  und  ihrem  berußten  bucMigen  zer- 
lumpten Oatten  neben  der  schmucken  Lady  mit  ihrem  Lord 
annehmen  dtlrfen,  falls  nicht  hier  eine  emfache  Verdoppelimg 
vorliegt  wie  in  dem  Mohrenkönig  neben  dem  PfingsÜ  (o.  S.  365), 
wobei  dann  die  Lumpen,  Buckel  und  possierliche  Gebärden  nur 
in  Anknüpfung  an  das  rußige  Aussehen  aus  dem  Bedürfnifise 
eines  komischen  Gegengewichtes  gegen  den  Ernst  des  Aufzuges 
hervorgegangen,  somit  lediglich  dem  Volkshumor  entsprossen 
wären.  Es  darf  aber  zur  Unterstützung  der  ersten  Annahme 
angeführt  werden ,  daß  nach  Wilhelm  Müllers  leseitswerten  Nach- 
weisungen in  vielen  deutschen  Volkssagen  von  mythischem  Gehalte 
die  aus  Verbannung  in  ein  fernes  Land,  d.  h.  das  Todtenreich 
oder  den  Winter  zurückkehrenden  (sommerlichen)  Hßlden  m 
schlechtem  zerlumptem  Aufzuge,  an  Körper  und  Kleidung  ver- 
wandelt, jedenfalls  unkenntlich,  oder  von  Schmutz. starrend,  als 
Bettler  oder  Pilger  heimkommen.^  Wie  die  geschwärzten  Gesich- 
ter einzelner  Mitglieder  der  Prozession ,  sowie  des  Tiroler  Alten, 
dem  rußigen  Jack  in  green,  dem  Mohrenkönig  des  Pfingstritta 
u.  s.  w.  entsprechen ,  so  begegnet  der  von  der  Lady ,  Mad  Mtrfl 
oder  Tante  Nelly  geftttirte  Kochlöffel  resp.  Kessel  in  den  deut- 
schen Maiomgängen  in  der  Hand  des  Kochs  oder  SchmalzhaÜB 
wieder;  dieses  Instrument  stammt  aus  einer  Periode,  in  welcher 
es  den  Umgängern  noch  wesentlich  darum  zu  tun  war,  die  Steuern 
in  Form  von  Naturalien  einzusammeln,  welche  gemeinsam  ver- 
zehrt wurden.  Ursprünglich  war  dieser  zum  gemeinsamen 
Wirtshausvergnügen  herabgesunkene  Schmaus  ein  gemeinschaft- 
liches Mahl  von  religiöser  Bedeutung ,  eine  Einigung  (Gommunio), 


1)  Veinal^ken,  Alpensagen  S.  S53,  22. 

2)  NiedersächB.  Sagen,  S.  395 ff.    Vgl.  namentlich  S.  388.  405. 


Maipaare;  Hansl  and  Gretl.  429 

oder  nach  altgermanischem  Begriff  eine  Gilde  gewesen.  Die 
Maylady  wird  übrigens  zuweilen  nicht  durch  eine  lebende  Per- 
son, sondern  durch  eine  Puppe  dargestellt  So  besteht  bei 
Kingsthorpe  in  Northamptonshire  die  oben  bei  Headington  beschrie- 
bene Guirlande,  welche  am  Maimorgen  durch  die  Mädchen  auf 
einer  etwa  5'  hohen  Stange  von  Haus  zu  Haus  getragen  wird, 
aus  zwei  über  einander  gekreuzten  Tonnenreifen ,  zwischen  deren 
4  Abteilungen  je  eine  große  hübsch  gekleidete  weibliche  Puppe 
angebracht  ist.  ^  \^ie  hier  die  Maifrau  allein ,  finden  wir  in  bairi 
sehen  Bräuchen  das  Maipaar  nur  in  primitiverer  Weise  der 
Ausführung  dargestellt. 

§  3.  Malpaare;  Hansl  and  €fretl.    Hans  und  Gretd  sind 
ausgestopfte    Figuren,    welche    an    den    entgegengesetzten 
Enden  eines  umlaufenden  Rades  befestigt  sich  wie  zum 
Tanze   die   Hände   reichen.     Sie  werden  am  Pfingstmontag 
unter  allerlei  Sprüchen   von  Trüppchen  reitender  Bauerbnrsche 
herumgeführt,  um  die  „Samtrügl^^  genannte  GoUecte  von  Butter, 
Schmalz,  Eiern  und  Geld  einzusammeln,  deren  Ertrag  dann  im 
Wirtshause  verzehrt  wird.      So   produzierten  sie  sich  ehemals 
sogar  in  der  Stadt  MfLnchen.    Uns  begegneten  Hansel  und  Gretel 
von  Stroh  auf  dem  Schleifrade  bereits  oben  S.  352  in  dem  Gefolge 
des   Wasservogels.      Auch    auf   dem  Maibaum    aieht  man 
häufig   den   Hansl   mit  der   Gretl  auf  einem   Windräd- 
chen tanzend  figurieren.     Zuweilen  saß  nur  die  eine  Puppe 
(Gretl)   auf  dem  Rade;   sie   wurde  hinterher   in   den  Brunnen 
gestürzt y    die  männliche  Figur  hieß  dann   Wdssermann,  wurde 
hinter  dem  Schleifrade  hergetragen  und  schließlich  dem  Bauer, 
der   im  Jahre  etwas  verschuldet  hat,  auf  die  Haustenne  gewor- 
fen y  wozu  stimmt,  daß  in  Miesbach  derjenige  Arbeiter,  welcher 
den   letzten  Drischelschlag  beim  Komdreschen  geführt  hat,  zum 
Dreschermahl  einen  großen  mit  der  bräutlichen  Pflanze  Ros- 
marin (o.  S.  281)  bekränzten  Kuchen  erhält,  auf  dem  Hans 
und  Gretel,  zwei  buntgekleidete  Puppen,  stehen.     Mit- 
unter  aber   wurden  Hansl  und  Gretl    auch  als  Hauptpersonen 
des  Pfingstritts    durch    lebende    Menschen  gegeben   und   Hansl 
sagte  vor  jedem  Hause   einen   Spruch  her,    in   dem   es   u.  a. 
hieß,    sie    seien   aus  dem   rechten   Paradies,   wo   viel  Weizen, 


1)  Hone,  Every-day  book  II,  308. 


4dO  Kapitel  V.    Vegetationsgeister!  Maibrautschaft. 

Korn,  Haber  und  Gerste  wachse.^    Ganz  ähnlich  war  in  Zürich 
neben  anderen  AafRlhrangen  am  iHirsmontag  (dem  ersten  Montag 
in  der  Fasten),  an  welchem  abends  Feuer  angezündet  wurden, 
der  Umzug  des  aus  Stroh  und  Federn  gefertigten  Ckridiglade 
und  seines  Weibes  Else  <mf  dem  Schleifrad;  awcÄ  diese  beiden 
Puppen  sollen  ins  Wasser  und  zwar  in  den  See  geworfen  wor- 
den ^ein,*    Wie  Hansl  und  Gretl  im  Maibranch  wird  beim  Ernte- 
fest ein  den  Dämon  des  Getreidewachstums  darstellender  Hahn 
nicht    selten    auf  ein  in  Umdrehung  versetztes  Rad  gebunden.' 
Unverkennbar  liegt  in  diesem  Zuge  eine  Symbolik  des  rollenden 
Jahres  (järes  umbihring  Myth.^  716),  das  bei  regelmäßiger  Um- 
drehung das  Maipaar  wieder  zur  Stelle  bringt.    Es  ist  bemerkens- 
wert, wie  auch  hier  der  Begenzauber  (vgl.  o.  S.  214  ff.,  327  ff., 
S.  355)  in  Form  der  Wassertauche  nicht  ferne  blieb.    Im  Dorfe 
BubenS  bei  Prag  beging  man  frtlher  am  5.  Mai  (St.  Godehard) 
das  Kirchweihfest.     Die  Andächtigen  walliahrteten  schon  in  der 
Frühe  zu  dem  Brunnen  Sw^tiSka  unterhalb  der  Höhe,  worauf 
die  St.  Oodehardskirche  liegt  und  wuschen  sich  darin ,  nach  dem 
Hochamt  zogen  sie  mit  einer  schön  geschmückten  Maie  in 
den  Baumgarten,  um  dort  den  Rest  des  Tages  vergnüglich  zuzu- 
bringen.   An  der  Maie,  die  unweit  des  Brunnens  im  Boden  der 
Wiese  befestigt  wurde,  hing  ein  mit  buntfarbigen  Bändern  und 
grünen  Zweigen  verzierter  weißer  Strohsack,  auf  wdchem  zwei 
ausgestopfte  Figuren ,  eineti  jungen  Mann  und  ein  junges  Mäd- 
chen vorstellend,  aufgenäfit  waren.    Man  tanzte  und  spielte  um 
die  Maie.     Später  soll  diese  Lustbarkeit  auf  den  Dienstag  nach 
Ostern  verlegt  sein  und  das  sogenannte  Strohsackfest  veranlaßt 
haben.     In  Redeis  Sehenswürdigem,  Prag  1728,  S.  311  wird  in 
der  Tat  gesagt,  daß  am  dritten  Ostertag  viele  tausend  Menschen 
zu  Wagen,  Pferde  und  Fuß  nach  dem  Park  von  Bubenö  (dem 
heutigen  Baumgarten)  hinausgehen,   weil  sodann  die  Kirchmesse 
dieses  Dörfchens  und  Mayerhoffs  ist.     Spuren  in  chronikiiliscben 
Nachrichten  scheinen  zu  ergeben,  daß  ehedem,  schon  1501  und 


1)  Schmeller,  Bair.  Wörterb.    2.  Aufl.  I,  Sp.  436.  1018.    Panier  1,234, 
259.  11,81,124.222,  415. 

2)  Vernaleken,    Alpensagen,   S.  356,  25.      Runge,   Quellkultus   in  der 
Schweiz ,  S.  27.   Anm.  6. 

3)  Of.  Mannhardt,  Korndänionen  S.  18. 


Maibrant,  Pdngstbraut.  481 

noch  1624,  der  Baumgarten  am  Ostermontag  das  Local  eines 
Volksfestes  war,  an  dem  verschiedene  6ewerke  teilnamen.  Bei 
Menschengedenken  waren  die  Prsj^er  Schneider  die  Haaptacteurs 
des  Festes  am  Osterdienstag.  Die  jungen  Schneidermeister  zer- 
schnitten einen  Strohsack  von  weiBer  Leinwand,  die  Gesellen 
nnd  Lehrbttrschen  nähten  ihn  sauber,  verzierten  ihn  mit  Band- 
schleifen roter,  grüner,  blauer  und  gelber  Farbe,  brachten  die 
Figuren  des  Jünglings  und  des  Mädchens  darauf  an  und  hingen 
ihn  am  Maibaume  auf,  dessen  Krone  mit  den  ersten  Frühlings- 
blumen, in  Ermangelung  dessen  mit  einem  Strauß  von  Zweigen 
bereits  ausgeschlagener  Bäume,  so  wie  mit  Bändern  geschmtickt 
war.  Unter  großem  Zudrange  von  Menschen  zog  man  mit  der 
Maie  nach  dem  vorhin  beschriebenen  Platze  in  der  Nähe  des 
Quells  SwStiöka  (des  heiligen  Quells?)  und  tanzte  um  sie  herum 
auf  der  Wiese,  unter  den  Bäumen,  aß,  trank,  wlirfelte,  spielte 
bis  zum  späten  Abend.  Vor  den*  Wirtshäusern,  an  den  Ueber- 
fähren,  auf  Buden,  Barken  u.  s.  w.  fast  Überall  sah  man  an  die- 
sem Tage  eine  Wiederholung  des  Strohsacks  mit  seinen  Figuren 
an  Bäumen,  Stangen,  Erkern  u.  s.  w.  prangen.^  Man  sieht,  wie 
das  ehrsame  Schneidergewerk  sich  einen  allgemeineren  Brauch 
znrecht  gemacht  hat,  um  iUr  seine  Gilde  sich  den  Segen  dessel- 
ben besonders  anzueignen. 

§4.    Maibrant,  Pfingstbrant     Das  paarweise   Auftreten 
der   Wachstnmsgeister   hätte   keinen   Sinn,    wenn   es  nicht  die 
Annahme  verkörpern  sollte,    daß  die  jugendliche  GeburtenfüDe 
des  Frühlings  gleich  menschlichem  Kindersegen  der  Verbindung 
zweier  Gesohlechter  entsprieße.     LebhafEer  als  durch  die  bloße 
Nebeneinanderstellung  eines  Mannes  und  einer  Frau  spricht  sich 
dieser  Gedanke  in  der  Annahme  oder  Darstellung  eines  Liebes- 
bnndes  oder  bräutlichen  Verhältnisses,  oder  einer  Vermählungs- 
feier der  Beiden ,  aus.     So  verkleiden  sich  in  Volkstädt,  Thon- 
dorf  und  manchen  anderen  sächsischen  Dörfern  am  zweiten  Pfingst- 
feiertage  ein  Barsch  und  ein  Mädchen  und  verstecken  mih  außer- 
halb  des  Dorfes  im  Gebüsche  oder  hohen  Chrase.    Dann  zieht  das 
ganze  Dorf  mit  Musikanten  aus,    „das  Brautpaar  zu  suchen/^ 
Wenn  es  gefunden  ist,  wird  es  von  der  Gemeinde  umringt,  die 


1)  Krolmns,  Staroceske  provesti,  Prag  1845  —  51.  II,  89 --93.    Reins- 
berg  -  Dörmgsfeld ,  Festkalender  a.  Böhmen  174.  225. 


482  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  Maibrautschaft. 

Musikanten  spielen  auf ,  und  so  erfolgt  der  jubelnde  Einzug  ins 
Dorf,  wo  abends  ein  Tanz  stattfindet.  Nur  zuweilen  heiBt  das 
Brautpaar  Prinz  und  Prinzessin.^  In  einigen  Holsteinischen  Dör- 
fern feierte  man  noch  1802  ein  Volksfest  Maigrön  (Maigrfln) 
geheiBen,  wobei  ein  Paar  unverehelichte  Leute  in  bestem  Hoch- 
zeitsschmucke Bf'ßfd  und  Bräutigam  vorstellten.  Man  nannte 
den  Bräutigam  Maigrewe  (Maigraf).  Mit  Laub  und  Maigrün 
bekränzt  begleitete  man  Beide  unter  Musik  in  ein  Wirts-  oder 
anderes  Haus,  wo  gezecht  und  getanzt  wurde. ^  Zwischen  Bipen 
und  Tondem  ist  es  noch  jetzt  gebräuchlich ,  daß  am  Nachmittage 
des  ersten  oder  zweiten  Pfingsttages  die  Kinder  zusammenkom- 
men und  aus  ihrer  Mitte  •  ein  Brautpaar  wählen.  Die  Pßngst- 
h'äut  (Pindsebrud)  wird  mit  Bändern  und  Blumen  und  was  man 
sonst  herbeischaffen  kann,  ausgeschmückt,  ebenso  die  Braut- 
führer in.  Hintenan  geht  einer  mit  dem  Korbe,  um  Gaben  ein- 
zusammehi.  Ist  genug  eingekommen,  so  geht  man  nach  dem 
sogenannten  Hochzeithause,  wo  es  Speckpfannekuchen,  Kaffee, 
Kuchen  und  Met  giebt  und  dann  lustig  getanzt  wird.'  Aehnlich 
war  es  in  Schweden.  Im  stldlichen  Halland  flihrten  noch  vor 
wenigen  Jahren  Jünglinge  und  Jungfrauen,  wie  heutzutage  noch 
die  Kinder,  zu  Pfingsten  einen  vollständigen  Hochzeitszug  auf 
mit  Brautführern  (Brudriddare),  Spielmann  u.  s.  w.  Eine  Jung- 
frau, Pfingsibraut  genannt,  als  Brcmt  mü  der  kostbar eti  Braut- 
kröne  geschmückt,  nahm  die  Gaben  in  Ihnpfang,  welche  auf  den 
Herrenhöfen  und  in  den  Dörfern  gegeben  wurden,  die  der  Zug 
besuchte,  und  davon  richtete  man  em  Festmahl  (Gille)  aus.^ 
In  Oestergötland  hieß  die  Pingstbrud  Blumenbraut,  Blomsterbntd. 
Man  hatte  aber  den  Aberglauben,  wer  die  Blomsterbrud  gespielt 
habe,  werde  nie  eine  wirkliche  Brautkrone  tragen.^  Etwa  weil 
die  erstere  Begehung  einst  itlr  zu  heilig  galt,  um  durch  mensch- 
liche Wiederholung  profaniert  werden  zu  dürfen,  oder  weil  die 


1)  E.  Sommer,  Sagen  ana  Sachsen  und  Thfiringen,  S.  151  —  52. 

2)  Schütze,  Schleawigholst  Idiotikon  lU.  Hamburg  1802  S.  72.     Vgl. 
Pabst»  die  Feste  des  Maigrafen.   S.  37.  §  41. 

3)  Grundtvig,  Gamle  Danske  Minder  i  Folkemunde,  III,  169.    Cf.  Jahr- 
bücher f.  Schleswigholst  Landeskunde.   Bd.  IV.    Kiel  1861.    S.  181. 

4)  P.  Möljer,  Ordbog  öfyer  Hallandska  landskapsmälet.     Land.  1858  s. 
Y.  Pingstbrud. 

5)  Törner,  Lector  in  Linkjoping  (t  1760)  hss.    Sämling  af  Vidskepp. 


Maibrant,  Pfingstbrant.  4^ 

Pfingstbraut  eioem  unsichtbaren  Wesen  wirklich  angetraut  galt? 
In  diesem  Falle  würde  man  vermuten  mlissen ,  daß  dem  Umzüge 
ein  sichtbarer  Bräutigam  fehlte.  Im  Erzherzogtum  Oestreich 
aber  fand  dieser  Brauch  bereits  am  Faschingssonntage  statt. 
Junge  Bursche ;  meist  ohne  Larven,  aber  abenteuerlich  gekleidet, 
stellten  eine  ganze  Hochzeit  vor,  BratU  v/nd  Bräutigam ,  Braut- 
führer und  Kranisjungfer,  den  Procnrator,  der  bei  Hochzeiten 
alles  der  Sitte  und  dem  Herkommen  gemäß  anzuordnen  hat,  die 
Gäste,  Musikanten  u.  s.  w.,  nachdem  sie  schon  vorher  das  Haus- 
geräte der  Braut,  aus  lauter  schlechtem  Gerumpel  bestehend,  in 
das  Haus  des  Bräutigams  gebracht  und  die  Braut  feierlich  abge- 
holt hatten.^  In  Zürich  hielten  die  Metzger  ehedem  jährlich  am 
Äschermittwoch  einen  Umzug,  angeblich  zum  Andenken  an  die 
Mordnacht  von  1330,  in  der  sie  sich  durch  Tapferkeit  ausge- 
zeichnet hatten.  Dabei  wurde  ein  in  eine  Bärenhaut  einge- 
kleideter Mensch  an  einer  Kette  umhergeführt  und  die 
vordere  Hälfte  eines  künstlichen  Löwen  mit  klingendem  Spiele 
dahei'getragen.  Statt  des  Löwen  hat  man  ehedem  unzweifelhaft 
einmal  einen  Wolf  gehabt,  da  die  Figur  noch  immer  Isegrim 
oder  Eisengrind  hieß.  Zu  beiden  Seiten  des  Eisengrind  gingen 
zwei  Ejiechte  mit  großen  Schlachtbeilen.  Gehamischte  mit  Spießen 
die  Stadtfahne  (resp.  Zunfitfahne)  umgebend  begannen  und  schlös- 
sen den  Zug.  Die  Hauptfiguren  aber  waren  im  16.  Jahrhundert 
nach  BuUinger  (Chronic.  Tigur  I.  8.  cap.  2)»eiwe  Braut  und  ein 
Bräutigam:  „Sie  tragen  wohl  der  Stadt  Fähnli  um  den  Leuen- 
kopf zwischen  den  Schlachtbielen  herum ,  nennend  aber  den  stri- 
tenden  Leuen  den  Isengrind,  und  muß  denselben  tragen,  der  des 
Jahres  im  viehkauf  den  hosten  kauf  gethan  hat,  denn  mengklich 
nit  anders  meint,  denn  er  trage  darum  den  Isengrind  herum. 
Dazu  hat  man  erst  gethan  ein  unfläthig  spiel,  ein  brut  und 
ein  brtUigam,  um  welche  alles  voüauft  narren  und  butzen 
(baren  u.  s.  w.)  mit  schellen,  trünklen  (Kuhglocken)  Kuh- 
schwäntzen  und  allerlei  wusts.  .  Es  wird  auch  somlicher 
Umzug  anders  nüt  genennt,  denn  der  Meteger  brut;  und  wirft 
man    endlich   den    brütigam    mit    der   brut  in    den  brunnen"* 


1)  Baumgarten ,  das  Jahr  und  seine  Tage.  Linz  1860.   S.  18. 

2)  Venuileken,    Alpensagen    S.  354  ff.     BuDge,   Quellcoltas    in    der 
Schweiz.   S.  26. 

MannbardC  28 


434  Kapitel  Y.    Vegetationggeister:  Haibraatschaft 

Früher  Bcheint  (wie  Range  mit  Hecht  bemerkt)  bei  diesem 
Zttrefaer  Fastnachtaufzuge  auch  Lanbeinkleidung  stattgefimdeii  asu 
haben,  da  ein  Verbot  aus  Waldmanns  Zeit  besagt:  AUes  Bntzen- 
(Böggen-) werk  auf  den  drei  Fastnachten  in  bloßen  Hemdem, 
Epheu,  Laub  u.  s.  w.  ist  bei  zwei  Mark  Silbers  verboten.^ 
Ganz  besonders  lehrreich  dttrfte  der  nachstehende  Brauch  aus 
der  Umgegend  von  Briangon  im  D^p.  Hautes  Alpes  (Dauphin^) 
sein,  km  entei  lai  hillei  4i6  Jug»  LeiU  eiiei  limhai,  ietiei  iriit  Ua 
Liebste  ibi  Terhuuei,  betiekugsweise  elioi  aiien  «[eheirttet  bat,  ii  giiaei  Laib  eia. 
Er  legt  lieh  aif  die  Erde  iid  schlift  scbeiibar.  lau  beut  eil  lidebei,  dai  ibi 
gerne  hat  ond  bereit  w&re  iba  zu  beiraten,  weebt  iba,  bebt  ibii  anf,  reiebt  iba  lei 
Ann  nnd  eine  Fabne.  So  zieht  man  zum  Wirtshause,  wo  dieses  Paar 
den  ersten  Tanz  hat.  Sie  müssen  sich  aber  im  nächsten  Jahre 
heiraten^  sonst  gelten  sie  als  Hagestolz  und  alte  Jungfer  und 
ausgeschieden  aus  dem  Kreise  der  Jugend.  Der  Bursche  heißt: 
„le  fiance  du  mois  de  May/^  Im  Wirtshause  legt  er  die  Hülle 
ab.  Daraus  sammelt  am  Abend  seine  Tänzerin  einen  Strauß, 
den  sie  mit  Blumen  durchwindet  und  am  anderen  Tage  vor  der 
Brust  trägt,  wenn  ihr  Tänzer  sie  wieder  zum  Wirtshause  gelei- 
tet.* Ganz  genau  hiezu  stimmt  der  russische  Brauch  am  Semik- 
feste  (Donnerstag  vor  Pfingsten,  Semik  s.  o.  S.  157)  im  Kreise 
Nerechta.  Dort  ziehen  die  Mädchen  hinaus  in  einen  Birkenwald, 
umwinden  eine  schöne  Hängebirke  mit  einem  Gürtel  oder  Band, 
verflechten  ihre  unteren  Zweige  zu  einem  Kranze  und  küssen 
sich  durch  denselben  hindurch  paarweise  gegenseitig,'  indem  sie 
sich  so  zu  Gevattern  ernennen  und  reden: 

Seid  gesund  Gevatter  und  GteyatteEin, 
Die  ihr  die  Birke  geflochten  habt. 

Dann  verzehren  sie  unter  dem  Baume  Pflinzen  und  Kringel.'^ 
Nun  tritt  eines  der  Mädchen  in  den  Kreis  steUt  einen  betrnnkenen  lann 
Ter,  wirft  sieb  anf  den  Beden,  wälzt  sieb  im  ^Irase,  flUt  endUcb  ur  Erde  nnd  tnt, 


1)  Füßli,  Waldmann  S.  89. 

2)  Mündlich  von  einem  Kriegsgefangenen. 

3)  Hiezn  halte  man ,  daß  beim  Johannisfener  im  Egerlande  sich  Barsche 
nnd  Mfidchen  durch  die  vom  verbrannten  Baum  herabgeholten  Krfinze  an- 
schauen (u.  S.  466). 

4)  Vgl.  damit,  daß  bei  den  Rumänen  Siebenbirgens  im  ersten  Frühjahr 
am  Theodorstage  die  Knaben  und  Mädchen  unter  sich  Freundschaft  schließen, 
indem  sie  die  zu  diesem  Zwecke  eigens  gebackenen  Kuchen,  dieses  aUge- 
meine  Symbol  des  (redeihens  und  der  Fruchtbarkeit  an  einen  Baum  hängen 


Maibrant,  Pfingstbrant.  435 

•Is  lellafe  ik  fest  ein.  IIb  dei  SeUafeidei  geht  «ii  udera  IMchei  ii  ier  MIa 
to  Fnw  heru,  erweckt  ihi,  Ußt  iki  BBd  der  gtiie  Mgei  verllßt  den  Plnti 
und  zieht  mit  andern  Liedern  in  den  Wald^  um  die  Kränze  zu 
winden ,  welche  entweder  noch  am  Abend  oder  am  Pfingsttag 
ins  Wasser  geworfen  werden  and  die  Zukunft  verkünden  sollen. 
Den  ganzen  Mimus  begleitet  ein  erklärender  Gesang ,  ^  der  natür- 
lich von  der  eigentlichen  Bedeutung  der  Geremonie  keine  Ahnung 
mehr  hat.  Man  erkennt  noch  deutlich,  daß  dieser  Brauch 
ursprünglich  von  Darstellern  verschiedener  Geschlechter  geübt 
wurde,  ehe  ein  Mädchen  auch  die  Rolle  des  Mannes  überkam 
und  ehe  die  Gevatterschaft  nur  noch  unter  Jungfrauen  geschlos- 
sen wurde.  Drei  Actionen  müssen  unterschieden  werden,  das 
Küssen  mehrerer  Paare  durch  den  Kranz,  das  Wälzen  im  Grase, 
der  Schlaf  und  das  Aufwecken  durch  ein  Weib.  Die  Trun- 
kenheit des  Schläfers  ist  nichts  als  eine  rohe  miBverständ- 
liche  Motivierung  des  Einschlafens.  Spätere  Untersuchungen 
werden  wahrscheinlich  machen ,  daß  ursprünglich  die  Reihenfolge 
der  Begehungen  vielleicht  umgekehrt  war,  als  jetzt;  Schlaf  und 
Aufweckung,  Wälzen  im  Grase,  Bruder-  und  Schwesterkuß  der 
Maipaare.  Wie  in  jener  Sitte  von  Brian^on  von  einem  verlas- 
senen Bräutigum  die  Rede  ist,  so  in  der  folgenden  von  einer 
verlassenen  Braut  Die  Slovenen  in  Oberkrain  fahren  zu 
Fastnacht  eine  Strohpuppe  (den  Fasching,  pust)  jauchzend  im 
Dorfe  umher  und  werfen  sie  dann  ins  Wasser  oder  verbrennen 
sie,  wobei  aus  der  höheren  oder  niederen  Feuersäule  auf  die 
Ergiebigkeit  der  nächsten  Ernte  geschlossen  wird.  Den  lärmen- 
den Zug  beschließt  eine  weibliche  Maske,  die  an  einem 
Stricke  ein  großes  Brett  (deno.  S.237  erörterten  Block?)  nach 
sich  zieht,  heult  und  schreit,  sie  sei  eine  verlassene  Braut.  Vor 
jedem  Hause,  in  welchem  eine  sitzengebliebene  Schöne  wohnt, 
macht  der  Zug  halt  und  läßt  es  an  derben  Witzen  nicht  fehlen.* 
Wenn  nicht  diese  Sitte  auf  christlicher  Symbolik  beruht,  eine 
Frage,  die  wir  weiter  unten  erörtern  werden,  und  dann  der 
Anschauung  zum  Ausdrucke  dient,  daß  die  Kirche  in  der  Pas- 


nnd,  nacfadem  sie  denselben  unter  Gesang  mehrmals  nmkreist  nnd  amtanzt, 
wechselseitig  tauschen  und  verspeisen.   W.  Schmidt,  das  Jahr  u.  s.  Tage.  S.  6. 

1)  Heinsberg -Dliringsfeld,    lUnstr.- Zeitung    1873.    Nr.  1561.     S.  414. 
Eine  Variante  aus  Weißrußland  s.  hinten  im  Nachtrag. 

2)  Ausland  1872.  S.  469. 

28». 


436  Kapitel  V.    Yegetstioiugeister:  Haihraatschaft 

nonffiBeit  eine  vom  Bräatigam  verlassene  Braat  6ei,  wenn  es 
erlaubt  ist  Natnrsymbolik  in  der  Begehung  zu  vermuten  ^  so 
werden  wir  die  Vorstellung  voraussetzen  dürfen,  daß  die  bis 
dahin 9  d.  h.  während  des  Winters,  verlassene  Braut  jetzt  einen 
neuen  BiHutigam  finden  werde.  Gleicherweise  werden  wir  auch, 
wo  uns  sonst  in  den  Frtihlingsgebräuchen  die  Braut  allein  begeg- 
net, dieselbe  zu  einem  Paare  ergäozen  und  den  Glauben  ver- 
muten dürfen,  daß  nunmehr  die  entflohene  Braut  wiederkehre, 
oder  daß  der  verlassene  Bräutigam  eine  neue  Geliebte,  die  ver- 
lassene Braut  einen  andern  Bräutigam  erhalten  werde.  Wir 
wollen  die  betreffenden  Gebräuche  in  der  Ordnung  der  Kalender- 
tage, an  welche  sie  geknüpft  sind,  hier  aufitlhren,  unbeschadet 
emer  Sonderung  verschiedener  Fälle,  welche  künftig  unter  ihnen 
noch  vorzunehmen  sein  dürfte,  lif  lei  MridM  Mlwei  &■  UchtBeßtage 
(1  Mr.)  41«  laufrai  ud  die  iiaistk^tei  in  jeder  Puülie  elie  lifergirk  wrf 
pitiei  lie  Hit  den  Heiden  eiies  Weiki  u  eiier  Frioeigestalt  herais,  steUei  sie 
ii  eiiei  greßei  Eerb,  lekiei  eiiei  hilnrneD  Eiittel  daran  iid  leuei  das  du  Bett 
der  Braut:  „Brides  kd/'  weraif  die  üusfrai  oid  die  Bieistktei  drewal  aisnfei: 
Brlde  is  eenie,  Iride  is  weleeae!  Bie  Braut  ist  gekeauien,  willkaui- 
■ei  sei  die  Braut!  Bies  tut  sie  ekn  fer  n  Bette  gehei,  und  weil  sie  Bargen 
ufstehei,  sehet  sie  naeh  der  Iscbe  ii  der  Brwartnig,  darii  eiaei  Eiidriek  vas  den 
Biittel  der  Braut  st  iidei.  fiesehieht  dies,  se  eraehteu  sie  es  fir  elie  Verledeatug 
eiier  gutei  Ernte  ud  eines  ginstigen  Jahres,  das  flegenteii  halten  sie  fir  ein 
schlechtes  Zeichen. ^  „Kommt''  die  Braut  in  den  ersten  Frühlings- 
tagen, 80  ist  sie  zur  Winterszeit  nicht  dagewesen.    Ihr  Knüttel 

■  

erinnert  an  die  o.  S.  251  ff.  erläuterte  Lebensrute.  Der  Metzgerbraut 
in  Ztlrich  entsprach  der  Fastnachtsumzug  der  Fleischer  in  Münster 
nach  Schilderung  einer  Chronik  des  16.  Jahrh.  Die  Fleischer 
ritten  und  gingen  am  Fastnachtdienstag  abends  durch  die  ganze 
Stadt  in  alle  Fieischerhäuser.  Hinter  den  Stadtspielleuten  ritten 
zwei  Gildemeister  dem  Zuge  voraus,  deren  jeder  eine  Fahne 
ftUirte.  Alle  Fleischersöhne,  so  echt  und  recht  geboren  waren, 
folgten  paarweise  nach.  Die  so  groß  waren,  daß  sie  sich  allein 
auf  den  Pferden  heli'en  konnten,  ritten  allein;  die  kleineren 
wurden  von  daneben  gehenden  Männern  festgehalten ;  die  kleinen 
Wiegenkinder  hatten  andere  vor  sich  auf  dem  Sattel  und  waren 
alle  schön  mit  Gold  und  Silber  gezieret.  Auf  sie  folgten  die 
zwei  anderen  Gildemeister  mit  der  Braut  zu  Fuße ;  hinter  diesen 

1)  Martin,  Description  on  the  Western  Islanda  1716  p.  119.     Brand 
ed.  Ellifl  1,51. 


Maibrant,  Pfingstbraut.  437 

aber  sämmtliche  übrige  Fleischer  Paar  bei  Paar  nach  ihrem 
Alter.  Die  Braat,  welche  sie  also  nmführteD,  war  keine 
wirkliche  Braut,  sondern  die  älteste  noch  anverhei- 
ratete  Tochter  in  der  Zunft.  Die  Zunft  verehrte  ihr  auch 
ein  Kleid,  wenn  sie  so  mit  umging.  Den  Beschluß  des  Zuges 
machten  die  Knechte  und  Jungen,  zwischen  ihnen  Fackelträger. 
Jeder  Fleischer  und  jeder  Knecht  trug  einen  von  Zeug  (Schnupf- 
tuch oder  anderem  Stoffe)  «gemachten  Kranz  in  der  Hand.  Kamen 
sie  vor  eines  Fleischers  Haus,  so  öffnete  man  die  Türen  weit, 
die  Reitenden  blieben  draußen  auf  ihren  Pferden  sitzen,  die 
Gildemeister  aber  gingen  mit  der  Braut  in  einer  Reihe 
in  das  Haus,  und  hinter  ihnen,  einer  in  des  andern  Kranz  fas- 
send, die  übrigen  Fleischer  und  Knechte.  Wenn  es  an  die 
Klnechte  kam,  zogen  diese  den  Schwengel,  daß  der  eine  hier, 
der  andere  dort  lag,  wobei  es  viel  zu  lachen  gab.  In  jedem 
Hause  gab  es  Bewirtung  mit  Wein  und  Bier.  Zuletzt  zogen  sie 
wieder  auf  den  Markt,  die  Fußgänger  umwandelten  die  Kränze 
anfassend  mit  der  Braut  dreimal  die  Schäme  (Fleischbank, 
Schrägen)  und  sangen  ein  Lied,  das  niemand  verstand  und  das 
sie  auch  niemand  lehrten,  als  der  zu  ihnen  gehörte.^  In  Dentsch- 
böhmen  ftlhren  die  Bursche  am  Aschermittwoche  eine  Aschen- 
hraut  von  Tür  zu  Türe.*  In  den  Dörfern  am  Südrande  des 
Drömlings  (Pr.  Altmark)  führen  die  Mädchen,  während  die  Jungen 
mit  dem  in  Laub  gehüllten  und  einer  Blumenkrone  geschmückten 
Ftistge  Mai  umgehen,  die  Maibraut  von  Haus  zu  Hause,  welche 
wie  eine  Braut  mit  Bändern  geschmückt  ist  und  namentlich  das 
hinten  bis  zur  Erde  herunterhangende  Brautband  trägt.  Auf 
dem  Kopfe  hat  sie  einen  großen  Blumenstrauß.    Sie  singt: 

Maibnit,  Maibrüt! 

Wat  gebet  ju  de  kleine  Maibrut? 

Gebet  ja  wat,  so  het  se  wat, 

So  het  se't  ganze  Jär  wat. 

Gebet  ja  nist,  so  bet  se  nist, 

So  het  se't  ganze  Jär  nist.  a.  s.  w. 

In  andern  Dörfern  des  Drömlings  (z.  B.  Neu-Ferchau  und 
Köbbelitz),  wo  der  laubeingehüllte  Junge  Pmgstkääm  heißt, 
singen  die  mit  der  Maibraut  umgehenden  Mädchen: 

1)  Beiblatt  za  Nr.  1.  der  Rheinischen  Provinzialbl.   Köln  18S8.  S.  3— 4. 

2)  Reinsberg-Düringsfeld,  Böhm.  Festkalender  S.  50. 


438  Kapitel  V.    Yegetationsgeister:  Maibrantschaft. 

Halla  tu  tat!    ün  dat  is  gut! 

Dat  is  unse  Maibrüt 

Gäwen  86  wat,  het  se  wat^ 

So  het  se*t  ganze  Jar  wat  n.  s.  w.  ^ 

Auch  in  den  Dörfern  um  Braanschweig.  erscheint  zuweilen 
eine  mit  Blumen  bekränzte  Maibraut .^  In  der  Grafschaft  Mark 
(Westfalen)  führen  zwei  Mädchen  ein  blumenbekränztes  drittes 
„de  IHngstbrüt/^  Eier  heischend  von  Tür  zu  Türe,  indem 
sie  singen: 

Bütl  Büt! 

Da  kaem  wi  met  der  Brut. 

De  Brut,  d&  es  van  Niggeruo'e  (Neurode), 

Drum  mach  se  game  Aierdao*er  (Eidotter); 

Aierduo'er  int  Molkenfatt, 

Da  wärt  Brümer  (Bräutigam)  un  Brut  van  satt.' 

In  andern  westfälischen  Gegenden  wird  Pingsfbrut  oder 
Pingstjuffer  (Pfingstjungfer)  dasjenige  Mädchen  genannt,  welches 
beim  Austreiben  des  Viehes  zuletzt  auf  dem  Felde  ankommt. 
Sie  wird  unter  großem  Jubel  ,,gekrönt/'  d.  h.  mit  Laub  und  Blu- 
men geschmttckt;  an  einigen  Orten  freilich  erhält  sie  nicht  Blu- 
men ,  sondern  einen  Strohkranz  oder  Kesselkranz  als  Putz.  Beim 
Umherftlhren  durchs  Dorf  singt  man: 

Pingstbrüt,  f&le  Hut! 

Wörst  du'n  bitken  froer  upst&n, 

WÖr't  di'n  bitken  beater  gan. 

Zuweilen  endlich  ist  das  zuerst  erscheinende  Mädchen  Pfingst- 
braut  und  Königin  des  Festes.^  Auch  in  der  Oldenburger  Marsjch 
heißt  die  Magd,  welche  zuletzt  zum  Melken  kommt,  die  Pßngsir 
hraut^  Die  Langschläferin  grüßt  uns  sofort  als  alte  Bekannte, 
ihr  Antlitz  verleugnet  die  Familienähnlichkeit  mit  den  schmack- 
osterten  oder  gepfefferten  Burschen  und  Mägdlein,  (o.  S.  259. 
268),  der  Pfingstblume  (o.  S.  318),  dem  Pfingsthagen  (o.  S.  351) 
nicht.  Zu  Holzheim  in  Schwaben  wird  vor  dem  Festmahle  des 
Maifestes  der  Wasservogel  (o.  S.  352)  ausgepascht.    Der  Grewin- 


1)  Kuhn,  Mark.  Sagen  8.319—322. 

2)  Kuhn,  Nordd.  Sagen  384,  64. 

3)  Fr.  Woeste,  Volksüberl.  a.  d.  Grafschaft  Mark  26,5. 

4)  Kuhn,  Westf&l.  Sagen  n,  160,  449.  161,  451, 

5)  Strackerjan,  Abergl.  u.  Sagen  a.  Oldenburg,  1867.   11,47,  316. 


Maibraat,  Pfiiigstbraut.  439 

nende  fthrt  seine  Tochter  oder  Schwester  zum  Mahle.  Dadurch  ' 
wird  sie  die  Pfingsthraut  und  erhält  einen  Ehrenplatz  am  Tische, 
so  wie  den  mit  Eiern  behangenen  Schnürriemen  (Leibgürtel)  des 
Wasservogels.  Letzterer  wird  nach  Abnehmung  dieses  Gürtels 
auf  das  Dach  der  Pfingstbraut  gesetzt,  wo  er  das  ganze  Jahr 
bis  zur  nächsten  Pjfingsten  bleibt.  *  Nicht  weniger  als  in  Deutsch- 
land ist  die  Maibraut  in  Frankreich  gefeiert.  In  der  Umgegend 
von  Grenoble  feiert  man  „la  feto  du  premier  mai  et  de  son 
epousee,"  indem  ein  König  und  Königin  auf  einem  Trone  sich 
den  Blicken  der  Vorübergehenden  darstellen.*  Wir  sahen  o. 
S.  346,  wie  in  Süd -Frankreich  z.  B.  Nimes  flir  die  „Keine 
Mala''  öder  „Belle  de  Mai"  ein  Hocheeitsgeschenh  erbeten 
wurde.  An  den  Ufern  der  Seille  sangen  die  Hirten,  am  Maitage 
ein  blumengeschmttcktes  Mädchen  umflihrend: 

Etrennez  notre  Spoiisie; 

Voici  le  mois, 

Le  joli  mois  de  mai. 

£trennez  notre  epoasäe 

En  belle  etrenne! 

Voici  le  mois, 

Le  joli  mois  de  mai. 

Qu'on  vouß  amöne.» 

In  der  Bresse  heißt  die  Gefeierte  „la  Mariee,"  Ein  Baum- 
träger (dendrophore)  mit  grünem  Maibaume  geht  ihr  voraus,  dann 
folgt  sie ,  von  einem  galanten  Burschen  geführt  und  bedeckt  mit 
Blumen,  Bändern,  Schmucksachen;  nach  ihr  das  übrige  Land- 
volk, ein  Lied  in  Patois  singend,  aus  dessen  französischer  Ueber- 
setzung  wir  einige  Strophen  hersetzen  wollen: 

Voici  venu  le  joli  mois 
L'alouette  plante  le  mai. 
Voici  venu  le  joli  mois; 
L'alouette  le  plante; 
Le  coq  prend  sa  voläe, 
Et  la  volaille  chante. 

Voici  venu  le  joli  mois, 
La  cle  de  ma  mie  j'ai. 


1)  Panzer  H,  87,  129. 

2)  E.  Cortet ,  fetes  feligieuses.    Paris  1867.   p.  161. 

3)  Monnier  et  Vingtrinier,  Traditions  populaires  compar^es,  283. 


440  Kapitel  V.    Y egetationsgeiBter :  Maibrautschaft. 

Voici  Tenti  le  joli  mois, 
Tai  la  d^  de  ma  inie; 
La  cle  de  ma  mie  j^ai, 
Pendue  a  ma  ceintare. 

Voici  venu  le  joli  mois; 
Notre  maitre,  le  bonsoir! 
Voici  venu  le  joli  mois ; 
Bonsoir  donc,  notre  maitre, 
Vous  plairait-il  de  yotib  lever 
Ponr  nons  donner  a  boir? 

Voici  venu  le  joli  mois, 
La  MariSe  fCa  pas  soif, 
Voici  venu  le  joli  mois, 
La  Mariee  est  saole; 
Non,  la  mariee  n*a  pas  soif, 
Elle  a  bn  ä  la  fiole.^ 

Die  öpousee  de  mai  ist  sprichwörtlich  geworden.  Wenn  eine 
Frau  oder  Jungfrau  sich  überladen  herausgeputzt,  mit  Schmuck 
oder  Blumen  behangen  hat,  s^  man  spöttisch:  „Elle  est  beUe 
comme  Vepousee  du  mois  de  mai^^  oder  man  nennt  sie:  „la  Belle 
de  mai,  la  Reine  de  mai.'  Nicht  allein  in  Südwesten,  auch 
südöstlich  greift  der  Brauch ,  die  Frühlingsbraut  umzufUhren ,  weit 
über  die  deutschen  Grenzen  hinaus.  Bei  den  Albanesen  ziehen 
am  Lazarustage  (dem  letzten  Tage  der  Osterfasten)  Knaben  ver- 
kleidet und  mit  Schellen  behangen  von  Dorf  zu  Dorf.  Jeder 
Trupp  besteht  in  der  Regel  aus  sechs  Köpfen,  einer  trägt  einen 
Korb  zum  Einsammeln,  ein  anderer  trompetet  auf  einem  Destil- 
lierhelm, und  ein  dritter  ist  als  Braut  verkleidet,^ 

§  5.  Euren,  Feien.  Eine  eigentümliche  Abart  der  vor- 
stehenden Bräuche  fand  sich  noch  im  vierten  Jahrzehnt  unseres 
Jahrhunderts  im  Marktflecken  Großen -Göttern,  Kr.  Langensalza, 
Rgbz.  Erfurt.  Dieser  Ort  steht  unter  einer  einheitlichen  und 
gemeinsamen  Schulzenverwaltung,  umfaßt  aber  zwei  evangelische 
Kirchspiele  mit  besonderen  Gotteshäusern,  Schulen  und  Pfarrern. 
Am  ersten  Pfingstfeiertage  hüllen  einerseits  die  erwachsenen 
Bursche,  andererseits  die  Knaben  jedes  Kirchspiels  für  sich,  einen 
der  Ihrigen    in  Lindenlaub  als  Schoßnieier    (o.  S.  348)  ein  und 


1)  Monnier  a.  a.  0.  283—84'. 

2)  Monnier  a.  a.  0.  285. 

3)  Hahn ,  Albanes.  S^dien  3. 156. 


Hnren,  Feien.  441 

setzen  ihm  womöglich  einen  Blamenstrauß  als  Krone  auf ,  so  daß 
im  Ganzen  4  Schoßmeier  vorhanden  sind.  Zwei  Fahnenträger, 
zwei  Platzmeister  mit  Pritschen,  ein  Musikcorps  voran  durch- 
ziehen die  Bursche  beider  Kirchspiele  mit  ihren  Schoßmeiem 
über  Mittag  auf  den  besten  und  schönsten  Pferden  gesondert  die 
beiden  Pfarreien;  ebenso  die  Knaben,  die  größeren  auf  Gäulen 
geringerer  Qualität,  die  jüngeren  auf  buntbemalten  Steckenpfer- 
den. Begegnen  die  Bursche  beider  Kirchspiele  oder  die  Schul- 
knaben einander,  so  kommt  es  zu  einer  Prügelei,  bei  der  es 
darauf  abgesehen  ist,  der  andern  Partei  die  Fahne  zu  rauben, 
und  wobei  namentlich  der  mit  einem  tüchtigen  Stecken  (vgl. 
0.  S.  434.  343)  bewaffnete  öchoßmeier  seine  Pflicht  zu  tun 
hat.  Die  Besiegten  müssen  ihre  Fahne  durch  eine  Geldein- 
zahlnng  in  die  Festkasse  einlösen.  Nach  dem  Umzüge  werden 
4  Tanzplätze  und  Lauben  (vgl.  o.  S.  187)  fllr  die  Musikanten 
hergerichtet.  Dort  findet  am  2.  Feiertage  in  den  besten  Klei- 
dern der  Tanz  statt.  Am  Pfingstdienstage  wiederholt  sich  der 
Umzug,  jedoch  nur  je  in  dem  eigenen  Kirchspiele.  Dabei  spie- 
len dieselben  Personen,  welche  Schoßmeier  waren,  die  Haupt- 
rolle, aber  sie  tragen  nicht  mehr  das  Laubgewand,  sondern  zer- 
rissene Weiherkleider,  Gesichtslarven,  Körbe  und  Kober,  und 
man  nennt  sie  Huren.  Etwas  zudringlich  sammeln  sie  zwei  Tage 
hindurch  Eier,  Schinken,  Würste  und  eigens  t\ir  das  Fest 
gebackene  Kuchen  ein,  welche  bei  den  bis  zum  Mittwoch  Abend 
dauernden  Tanzgelagen  verzehrt  werden.  Dann  ruht  die  Feier 
drei  Tage,  bis  sie  am  Trinitatissonntage  abends  mit  einer  Pro- 
zession der  vier  Gelagstruppen  beiderlei  Geschlechtes  auf  die 
Felder  mit  heiterer  Musikbegleitung  endigt,  wo  jeder  Fahnen- 
träger in  ein  grünes  Roggenstück  hineingeht  und  seine  Fahne 
horizontal  über  dasselbe  schwenkt;  indeß  alle  übrigen  einen 
Choral  „Nun  danket  alle  Gott"  oder  ein  ähnliches  Lied  singen. 
Diese  Roggenstücke  hält  der  Volksglaube  ttir  besonders  geseg- 
net* Auch  in  der  Altmark  ziehen  mehrfach  am  dritten  Pfingst- 
feiertage   die  Tänzer  und  Tänzerinnen  von  Hof  zu  Hofe,  darun- 


1)  Möndl.  Zn  dem  letzten  Acte  des  Festes  vgl.  den  Saatgang  der 
Fuhr-  und  Ackerleute  nach  den  Niederhöfen  zu  Langensalza  am  Nachmit- 
tage des  Trinitatissonntages.  A.  Witzschel  Sitten  u.  Gebräuche  aus  der 
Umliegend  v.  Eisenach.    Eisenach  1866.   S.  13 ,  54, 


442  Kapitel  Y.    Vegetationsgeister:  Maibrautschaft. 

ter  befinden  sich  mehrere  junge  Barsche  in  Yermam- 
mung  mit  Weiberkleidern,  und  einer  trägt  einen  geitUlten 
Bierkrag y  den  er  jedem  Hofwirte  and  seiner  Praa  reicht,  dann 
wird  einige  Minuten  aal'  der  Tenne  getanzt,  indeß  die  Wirtin 
mit  ihren  Gaben  heraasrlickt^  Man  erinnere  sich  des  o.  S.  377 
erwähnten  Lutticher  Pfingstamgangs  vom  Jahre  1224,  bei  wel- 
chem „onmes  alii,  proat  poterant,  ad  modum  mulieram  erant 
adomati'^  and  „tam  senes  quam  javenes  masculini  sexas  antiquos 
lados  vestibas  malieram  indati  barbis  rasis  reducant  ad  memo- 
riam.''  Nach  Labbert  wurde  bei  Lübeck  schon  am  Sonntage 
Quinquagesimä  ein  mit  einem  grünen  Weiberrocke  behange- 
ner  Knecht  umhergeftlhrt  (o.  S.  317).  In  der  Grafschaft  Bap- 
pin  (Altmark)  wiederum  gehen  in  der  Woche  vor  Weihnachten 
mit  dem  Schimmelreiter  und  Christmann  auch  die  Feien  um,  als 
Weiber  gekleidete  Bursche  mit  geschwärzten  Gesichtern,^  die  sich 
allerhand  Neckereien  und  Zudringlichkeiten  erlauben,  und  eben 
diese  Feien  (auch  wol  einfach  Maschkers,  Vermummte,  genannt, 
zuweilen  in  der  Dreizahl)  stellen  sich  auch  bei  Hochzeiten  ein, 
während  der  Zug  sich  nach  der  Kirche  bewegt  und  suchen  den- 
selben durch  Possen  zu  stören  und  zum  Lachen  zu  bringen,* 
oder  sie  treten  am  Abend  in  Begleitung  des  Erbsenbärs  auf  und 
tanzen  mit  der  Braute 

Obgleich  in  den  letzten  Beispielen  statt  der  einen  Maibrant 
mehrere  Frauengestalten  auftreten,  und  auch  der  Bräutigam  fehlt, 
wird  es  schwerlich  zu  bezweifeln  sein,  daß  diese  Bräuche  nur 
mit  etwas  verschiedener  Wendung  denselben  Gedanken  enthalten, 
wie  diejenigen,  in  denen  ein  Brautpaar  dargestellt  wird.  Denn 
diese  Mai-  und  Fastnachtsgebräuche  sind  ja  unwillktlrliche  Yer- 
anschaulichungen  des  Gedankens,  daß  die  Natur  im  Begriffe  sei 
eine  neue  Generation  hervorzubringen.  Dieser  Gedanke  ist 
mythisch  ausgedrückt  durch  die  Vereinigung  eines  männlichen 
und  eines  weiblichen  dämonischen  Wesens,  in  deren  Verhältniß 
wiederum  die  Stimmung  sich  abspiegelt,  welche  im  Frühjahre 
jede  noch  unverdorbene  Menschenseele  ergreift,  die  zarte  Sehn- 


1)  Kuhn ,  M&rk.  Sagen  S.  327. 

2)  Knhn,  Mark.  Sag.  346.    Kuhn,  Nordd.  Sag.  402,  125. 

3)  Kuhn,  Mark.  Sag.  362. 

4)  Kahn ,  Nordd.  Sag.  433,  2b0. 


Bedeataug  des  Maibrantpaars.  443 

sucht,  das  süße  Verlangen ,  der  goldene  und  reine  Traum  von 
Glück  und  Liebe ,  denen  das  Herz  sich  öfhet,  wenn  im  Februar 
der  Saft  in  die  Bäume  steigt  und  im  Mai  die  Knospen  springen. 
Wo  aber  der  grüne  Vegetationsgeist  (der  Schoßmeier)  in  die 
Hure  sich  wandelt ,  liegt  der  nämliche  Grundgedanke  der  Pro- 
creation  vor ,  nur  ist  die  unermeßliche  Werdettille  des  vorgeschrit- 
tenen Frühlings  und  Sommers  in  den  Vordergrund  gestellt  und 
durch  ein  Uebermaß  der  Zeugungen  symbolisch  angedeutet.  Daß 
auch  die  Feien  nur  Vervielfältigungen  dieser  Figur  sind,  die 
in  jener  Lübecker  Sitte  noch  einfach  auftritt,  erweist  sowohl  ihr 
Name ,  der  jauf  den.  Begriff  des  Zauberkräftigen ,  Wunderwirken- 
den ausgeht,^  als  ihr  Auilreten  in  Begleitung  des  Schimmelrei- 
ters  und  des  Erbsenbärs  (wie  wir  später  sehen  werden,  zweier 
Vegetationsdämonen)  und  auf  Hochzeiten,  wo  sie  doch  offenbar 
die  Fruchtbarkeit  des  neugeschlossenen  Ehebundes  bewirken  soll- 
ten. Zur  Zeit  der  Wintersonnenwende  erscheinen  sie,  weil  dann 
der  Frühling  vorspukt  (vgl.  o.  S.  236).  Jener  Lütticher  Umgang 
erweist,  daß  ihre  Vervielfältigung  local  schon  im  13.  Jahrhundert 
eingetreten  war. 

§  6.  Bedeutung  des  Maibrautpaars.  Mit  vollem  Rechte 
wird  an  uns  die  Frage  gerichtet  werden,  ob  die  Bedeutung  des 
Brautpaares  nicht  noch  näher  zu  bestimmen  sein  möchte,  als  es 


I)  In  diesem  Sinne  mag  das  romanische,  aus  fata  entstandene  Wort 
von  städtischen  Pfingstgebräuchen,  welche  Scenen  der  Artusromane  nach- 
bildeten, entlehnt,  and  auf  die  ländliche  Festfeier  übertragen  sein.  Vgl. 
Müller -Zamke  mhd.  Wb.  s.  v.  Feie.  So  erzählt  bekanntlich  die  Magde- 
burger Schöppenchronik  zum  Jahre  1285 ,  daß  za  den  Pßngstspielen  dieses 
Jahres  der  gelehrte  Konstabel  Brun  von  Sconebeke  auf  Bitte  seiner  Gollegen 
am  Stadtregimente  ein  Festspiel  dichtete,  dessen  Stoff  der  mit  der  Artussage 
verbundenen  Gralssage  entlehnt  war.  Die  Hauptsache  dabei  war  ein  Lanzen- 
rennen, wobei  eine  fahrende  Schöne,  Frau  Feie  genannt,  als  Siegespreis 
aasgesetzt  war  (se  hedden  eyne  schone  vrowen ,  de  het  vrow  Feye ,  de  scheide 
men  ghewen  den,  de  se  vorwerwen  künde  mit  tnchten  und  manheyt).  Ein 
alter  Kaufmann  aus  Goslar  gewann  sie,  der  sie  mit  sich  nahm,  aber  mit 
einer  guten  Mitgift  ausgestattet  einem  ehrlichen  Manne  zur  Ehe  gab ,  so  daß 
das  zuchtlose  Weib  ihr  wildes  Leben  nicht  mehr  übte.  Magdeburg.  Schop- 
penchronik ed.  Janike  B.  IL  (Chronik  der.  d.  Städte  VII.  168  —  169.  cf. 
Th.  Hirsch  über  die  Artushöfe  S.  23.  31.)  Janikes  Vermutung,  Feye  sei 
hier  Abkürzung  des  Namens  Sophia,  (niederd.  Fike,  fries.  Vye)  dünkt  mich 
wenig  wahrscheinlich. 


444  Kapital  V.    Vegetationsgeister:  Maibrantschaft. 

bis  dahin  von  uns  geschehen  ist.  Wer  ist  die  Braut  und  wer 
ist  der  Bräutigam?  Der  in  Laub  gehüllte  Fiance  du  mois  de 
may  in  der  Dauphin^,  welcher  nach  Verlust  der  Braut  schläft^ 
und  von  einer  neuen  wieder  erweckt  wird,  ist  doch  deutlich  der 
im  Winter  schlummernde  Geist  der  Pflanzenwelt,  und  wenn  man 
die  Geliebte  mit  einer  bestimmten  Naturerscheinung  zu  identi- 
fizieren genötigt  wäre,  wtlrde  man  am  ehesten  an  den  Sonnen- 
schein, oder  die  Sonne  denken,  die  in  der  zweiten  Jahreshälfte 
80  zu  sagen  davongeht  und  dier  in  der  ersten  Hälfte  des  folgen- 
den Jahres  gleichsam  als  eine  andere  wiederkehrt  und  das  Grün 
von  neuem  wachruft;  oder  an  die  Erde,  welche  im  Winter,  un- 
fruchtbar geworden,  sich  dem  Genius  des  Wachstums  entzieht, 
im  Frühjahr  aufs  neue  ftlr  ihn  bräutlich  sich  schmückt.  Sehr 
leicht  ließe  sich  die  Anschauung  umkehren,  so  daß  Sonne  oder 
Erde  als  die  vom  Wachstumsgeist  verlassenen  erscheinen,  da 
ja  das  anthropomorphische  Bild  von  der  Untreue  oder  dem  Tode 
des  Gatten  oder  Verlobten  nur  die  Unterbrechung  oder  Auf- 
hebung der  zeugenden  und  gebärenden  Naturgewalt  darstellen 
soll.  Man  vergleiche  nur,  wie  Hölderlin  I,  S.  99  sich  ausdrückt: 
„Mutter  Erde,  rief  ich,  du  bist  zur  Wittwe  geworden,  dürftig 
und  kinderlos  lebst  du  in  langsamer  Zeit."  Doch  ich  meine,  daß 
von  einer  rohen  Identifi^sierung  der  Maibraut  mit  einer  solchen 
bestimmten  Naturerscheinung  überhaupt  abzusehen  sei,  daß  viel- 
mehr das  Verhältniß  der  Brautschaft,  Ehe,  Vermählung, 
den  Kern  des  mythischen  Gedankens  ausmacht,  der  an  und  fttr 
sich  unbestimmt,  verschiedener  Anknüpfung  und  Wendung  fähig 
war,  wie  denn  z.  B.  der  Dichter  Logau  denselben  Gedanken 
anschlägt,  wenn  er  in  seinem  bekannten  Epigramme  vom  Mai 
sagt:  Dieser  Monat  ist  ein  Kuß,  den  der  Himmel  giebt  der  Erde, 
daß  sie  jetzo  seine  Braut,  künftig  aber  Mutter  werde.  Und  Gei- 
bel:  Der  Himmel  selbst  ist  tief  herabgesunken,  daß  liebend  er 
der  Erde  sich  vermähle.  Zwei  uns  wolbekannte  Züge ,  das  Lang- 
schläfertum ,  d.  h.  Aufstehen  aus  langem  Schlafe  und  der  Regen- 
zauber sind  übrigens  untrügliche  Merkmale,  daß  es  sich  bei 
unserem  Paare  um  Vegetationsdämonen  handelt.  Die  Entfernung 
des  Gatten  oder  Bräutigams  von  der  mit  einem  andern  buhlen- 
den, verlobten  oder  vermählten  Gattin  oder  Braut,  sein  vermeint- 
licher Tod,  sein  Verweilen  in  entlegener  Feme  (die  sich  durch 
verschiedene  symbolische  Züge  als  das  Todtenreich  characterisiertj 


y 


Bedeutung  des  Maibrautpaars.  445 

and  seine  wunderbare  Rückkehr  aud  Wiedervermählang  nach 
geraumer  Zeit  (meist  nach  7  Jahren)  sind  ebenfalls  ein  der  ger- 
manischen Mythe  und  Sage  ganz  geläufiges  Bild,  um  den  Wech- 
sel der  Jahreszeiten  zu  bezeichnen.^  In  gleichem  Sinne  kennt 
die  Mythe  den  umgekehrten  Zug  der  Untreue  des  den  winter- 
lichen Ma<5hten  verfallenden  Bräutigams  gegen  die  erste  Verlobte 
(Sigufrit).  Dem  nordischen  Mythus  von  der  trähnenschönen  Göt- 
tin Freyja,  die  von  ihrem  Gemahle  Odr  verlassen  suchend  ihm 
nachzog  von  Land  zu  L^de,'  steht  auf  deutscher  Seite  wie  es 
scheint  gegenüber  die  (o.  S.  122  flf  erörterte)  Sage  vom  wilden 
Jäger  (Gronjette  u.  s.  w.),  der  sieben  Jahre  seiner  vor  ihm  fliehen- 
den Geliebten  nachjagt,  bis  er  sie  erlegt  und  quer  über  sein 
Roß  geworfen  davon  führt.  Daß  eine  Ueberlieferung  die  Gejagte 
St.  IjTalpurgis  nennt  und  die  Jagd  in  den  Frühlingszwölfien 
1. — 12.  Mai  vor  sich  gehen  läßt  (o.  S.  121),  macht  es  ziemlich 
gewiß,  daß  letztere  nach  alter  Vorstellung  überhaupt  im  Mai 
endigte  (mithin,  wenn  man  7  Jahre  ftlr  den  mythischen  Ausdruck 
von  Monaten  gelten  läßt)  von  Anfang  October  bis  Anfangs  Mai 
dauernd  gedacht  wurde.  Darf  diese  Jagd  auf  die  Frau  mit  den 
großen  Brüsten,  in  welcher  wir  das  Blättergrün,  die  Pflanzen- 
fUUe  erkennen  wollten  (o.  S.  124)  mit  Kuhn  als  eine  rohe  und 
sehr  altertümliche  Form  des  Brautraubes  aufgefaßt  werden,  so 
findet  die  Vermählung  des  Paares  im  Mai  statt  und  wir  haben 
in  jener  Wodanssage  ein  Analogen  zu  den  Gebräuchen  von  der 
Maibraut.  Die  Uebereinstimmung  ist  um  so  augenfälliger,  wenn 
man  sich  vergegenwärtigt,  daß  Verbannung,  Flucht,  Tod  und 
Schlaf  der  Götter  nur  verschiedene  Wandelungen  des  Mythus 
beim  Ausdrucke  eines  und  des  nämlichen  Gedankens  sind.  Wir 
werden  nach  allem  diesem  über  den  Gedankeninhalt  der  nach- 
stehenden Tiroler  Sitte  nicht  mehr  im  Dunkeln  sein  können. 
Am  unsinnigen  Pfinztag,  d.  h.  Faschingsdienstag  verfertigt  man 
aus  Stroh  und  alten  lumpigen  Kleidern  einen  großen  Mann,  den 
Egerthansel,  und  trägt  ihn  auf  einer  eigens  dazu  bereiteten 
Tragbahre  herum.  Auf  den  Plätzen  und  bei  verschiedenen  Häu- 
sern halten  die  Träger  an  und  fragen  den  Strohmann  um  Neuig- 


1)  Ich  verweise   nnr  auf  W.  Müllers    Erörterung,  Niedersächs.    Sag. 
396 — 407,  der  sich  Vieles  anreihen  liefie. 

2)  Gylfaginning  c.  35.  Sn.  E.  Am.  1 ,  114. 


446  Kapitel  V.    Yegetationsgeister:  Maibrantschaft. 

keiten,  worauf  ein  Bursche,  im  Namen  der  Puppe  antwortend, 
alle  anstößigen  Tagesgeschichten  kundmacht.  Schliejlich  wird 
der  Egerihansd  einer  alten  ^  aber  dennoch  heiratslustigen  Jung- 
frau als  Bräutigam  beschert  und  über  ihrer  Haustüre  aufgehängt. 
Ein  gemeinsamer  Tanz  im  Wirtshause  beschließt  den  Tag.^  Die 
Egert,  Egärt,  Egerten  ist  eine  ehemals  gepflügte,  Acker  gewe- 
sene Feldfläche,  welche  in  Folge  des  Wirtschaftssystems  ober- 
deutscher Gebirgslandschaften  (der  sogenannten  Egartenwirtschaft) 
später  ftir  eine  Zeit  lang  zu  Graswuchs,  Holz  oder  gar  keinem 
Anbau  öde  liegen  geblieben  ist.^  Der  Egarthansel  darf  mithin 
yerstanden  werden  als  der  Dämon,  der  ehedem  in  dem  Leben 
des  Saatfeldes  tätig ,  nun  seit  geraumer  Zeit  in  der  unfruchtbaren 
Wildniß  oder  Oede  weilte,  sein  zerlumptes  Aussehen  stellt  ihn 
dem  Onkel  Ambrosius  und  anderen  Vegetationsalten  (o.  Sf  427) 
zur  Seite.  Dürfen  wir  dieses  Verweilen  in  der  Wildniß  als  sei- 
nen winterlichen  Zustand  auffassen,  so  ist  die  Symbolik  klar, 
weshalb  er,  nun  zurückkehrend,  einer  Braut  zu  teil  wird,  welche 
lange  sehnsüchtig  gewartet  hat  und  über  dem  Warten  alt  wurde 
(vgl.  die  verlassene  Braut  jenes  kämtischen  Fastnachtsaufznges 
0.  S.  435),  aber  noch  immer  mit  angetrübter  Hoffnung  der  Ver- 
mählung entgegenträumt.  Im  übrigen  hat  die  Sitte,  den  Egert- 
hansel  der  heiratelustigen  Alten  auf  den  Stadel  zu  setzen,  ihre 
nächste  Verwandtschaft  in  jenem  bairischen  Brauche,  der  Pfingst- 
.braut  den  Wasservogel  aufs  Dach  zu  pflanzen  o.  S.  439. 

Ergiebt  sich  nach  allem  diesem  ftir  jenen  Brauch  in  Kärnten, 
auf  Fastnacht  eine  verlassene  Braut  darzustellen,  die  Möglichkeit 
einer  bloßen  Variation  anderer  Frühlingsgebräuche,  so  schwächt 
sich  damit  die  sonst  große  Wahrscheinlichkeit  ftir  eine  christ- 
liche Deutung  desselben  ab,  auf  welche  eine  Aeußerung  Beleths 
zu  ftlhren  scheint.  „Septuagesima  incipit  a  moerore  et  finitur 
cum  gaudio,  sicut  psalmi  poenitentiales  utTocant.  Septuagesima 
vero  sonat  sexies  decem  et  significat  tempus  yiduitatis 
ecclesiae  ac  moerorem  ejus  propter  absentiam  sponsi. 
Licet  enim  Christus  sit  nobis  praesens,  secundum  divinitatem  juxta 
illud:  Vobiscum  sum  usque  ad  consummationem  seculi,  tarnen 
secundum,   quod  est  homo,   in  coelo  est  et  sedet  ad  dexteram 


1)  Zingerle ,  Sitten.    Aufl.  2.   135,  1195. 

2)  Scbmeller,  Bair.  Wb.   Aofl.  2.    d45. 


Nachahmungen  des  Maibraatpaares.  447 

patris,  id  est,  patri  est  co^qualis.^^  ^  Diese  Anffassang  beruht 
auf  dem  Aassprach  Christi  Lac.  5,  35:  Es  werden  Tage  kommen, 
da  der  Bräutigam  wird  von  ihnen  genommen  werden,  alsdann 
werden  sie  fasten  in  denselben  Tagen.  Schon  TertuUian  schrieb 
(Lib.  contr.  Psychicos  cap.  2) :  Certe  in  Evangelio  illos  dies  jeju- 
niis  determinatos  putant,  in  qoibus  ablatus  est  sponsus.  Der- 
selbe a.  a.  0.  cap.' 13:  Ecce  convenio  vos  et  praeter  pascha  jeja- 
nantes  citra  illos  dies,  qoibus  ablatus  est  sponsus.  Es  liegt 
durchaus  nahe,  aus  diesem  Gedankenkreise  heraus  die  Kärntner 
Fastnachtbraut  (o.  S.  435),  vielleicht  auch  die  Aschenbraut  (S.  437), 
als  Darstellung  der  in  der  Passionszeit  verlassenen  Braut  Christi, 
der  Kirche,  zu  deuten;  die  Pfingstbraut,  Maibraut,  L'^pousäe 
du  mois  de  May;  die  den  in  Laub  gehtlllten  verlassenen  Bräu- 
tigam aus  dem  Schlaf  erweckende  Jungfrau  (o.  S.  431),  die  in 
Gestalt  einer  aus  Haferähren  geformten  Figur  auftretende,  froh 
willkommen  geheißene  Lichtmeßbraut  (o.  S.  436)  sind  jedoch  un- 
strdtig  bildlicher  Naturanschauung  entsprungen,  und  es  wäre  wie- 
der ein  fast  wunderbar  zu  nennendes  Zusammentreffen  ganz  hetero- 
gener christlicher  und  außerchristlicher  Ideen  in  der  gleichen  Form 
eines  zu  gleicher  Jahreszeit  geübten  Brauches,  wenn  wir  die  obigen 
Fastenbräuche  *  von  den  Darstellungen  des  Maipaars  trennen  und 
der  Kirche  als  Erzeugnisse  ihrer  Gedankenarbeit  zuweisen  mtlßten. 
§  7.  Nachahmimgen  des  Malbrautpaares.  Auch  dem 
MaipcMre  (wir  bezeichnen  mit  diesem  Ausdrucke  der  Ktlrze 
wegen  die  beiden  dämonischen  Wesen,  deren  Vereinigung  im 
FrtUgahr ,  resp.  SonMner ,  sei  es  zu  Fastnacht ,  zu  Walpurgis  oder 
gar  zu  Johannis  gefeiert  wird)  entbricht  eine  Eigenschaft  nicht, 
welche  wir  mit  fast  allen  übrigen  Gestalten  des  Wachstumsgeistes 
(Baumseele,  Waldgeistem,  Maibaum,  Erntemai,  Lebensrute  u.  s.  w.) 
verbunden  fanden;  ich  meine  jene  Fähigkeit  und  Tendenz  als 
Vorbild  des  Menschen  zu  dienen,  der  sich  selbst  mit  ihnen,  sein 
individuelles  Geschick  mit  demjenigen  der  Natur  identifizierte 
und  dadurch  ihrer  Kraft ,  Gesundheit  und  Fülle  teilhaftig  zu  wer- 
den gläubig  erwartete.  Aus  diesen  Eigenschaften  fließt  eine 
Reihe  von  Handlungen,  denen  zufolge  sich  die  gesanmite  männ- 
liche Bevölkerung  in  erwachsenem  Alter,  resp.  die  unverheiratete 


1)  J.  Belethi  Bationale  divinonim  officionun  cap.  77  (una  cum  Durando 
ecL  Com.  Lauriman.    Lagd.  1605.  p.  526). 


448  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  MaibrautRchaffc. 

Jugend  das  Gebahren  des  Maipaares  aneignete  nnd  durch  Wahl 
einer  Maibrant  (Fastnachtsbrant)  dasselbe  darstellend  nachbildete. 
Wir  beginnen    unsere  Nachweise   mit  einer  französischen  Sitte, 
welche  an  die  oben  (S.  122)  erwähnte  Sage  vom  wilden  Jäger 
erinnert.     Zu  Mont^limart  D^p.  de  Drome  in  der  Dauphin^  war 
es  nämlich  Brauch,  daß  die  Ackerbürger  (laboureurs)  mit  den 
Amtleuten  (bayles)  am   30.  April  jedes  Jahres  auf  einem  davon 
Mai    oder  des  Bouviers   (Rinderhirten)   benannten  Platze   den 
Maibaum  pflanzten.     Am  1.  Mai  bestiegen  sodann  die  Acker- 
btlrger  und  ihre  Amtleute  (syndics)  prachtvoll  aufgeschirrte  und 
mit  Bändern  geschmückte  Mäuler,  ein  jeder  nahm  ein  Bauerweib, 
oder  eine  Bauertochter  hinter  sich  aufs  Tier  (en  Croupe)  und  so 
ritten  sie  mit  Musik  auf  den  Dörfern  der  Umgegend  von  Hof 
zu   Hofe,   teilten   geweihtes   Brod  aus,   sangen  und  ließen  die 
Bauermädel  tanzen,  wofür  sie  überall  eine  Bewirtung  empfingen. 
In  den  Pfingsttagen  fand  endlich  ein  früher  dreitägiges,   in  der 
Revolutionsepoche  abgestelltes ,  seit  seiner  Erneuerung  im  Jahre 
1818  auf  einen  Tag  beschränktes  Ackerbaufest  statt,  bei  welchem 
die  jungen  Leute  einen  Aehrenstrauß  im  Enopfloche  trugen  und 
einen  König    wählten,    der    ein   mit  Aehren   gekröntes  Zepter 
führte.  ^    In  der  englischen  Bearbeitung  des  Romans  von  Arthurs 
Tod  ist  die  nämliche  Sitte  beschrieben ,  ob  schon  das  französische 
Original  sie  kennt,  habe  ich  nicht  feststellen  können.    Im  lustige^ 
Monat   Mai,  heißt   es,   rief  Königin   Genever   die  Ritter  der 
Tafelrunde    und    gab    ihnen   einen   Wink,    sie  werde  früh   am 
Morgen  den  Mairitt  in  die  Wälder  und  Felder  bei  Westminster 
halten  (ride   on  maying).     Alle  Ritter    waren   dabei    in   Grün 
geMeidet,  wol  beritten,  und  jeder  haUe  eine  Lady  hinter  sichy 
ein  Schildknappe,  zwei  Trabanten  folgten.^      Daß  es  sich  bei 
diesen  Sitten   in   der  Tat  um  die  Nachbildung   einer  Hochzeit 
handelt,  geht  aus  der  Hochzeitsitte  im  Yogelsbergischen  (Hessen) 
hervor.    Am  Morgen  des  Hochzeittages  begiebt  sich  der  Bräuti- 
gam mit  berittenem  Gefolge  zur  Braut.     Hier  finden  die  Reiter 
eine  gleiche  Anzahl  junger  Mädchen,  deren  jedes  einen  Ej'anz 
aus  Kunstblumen,  Gold-  und  Silberflittem  auf  dem  Kopfe  trägt 


1)  M.  de  Groix ,  Statistiqne  da  D^p.  de  Dröme  bei  Monnier  p.  303. 

2)  Morte  Arthur,  translated  from  the  French  by  Sir  Thomas  Mallory 
knigbt,  and  first  printed  by  Cazton  A.  D.  1481  bei  Stmtt  a.  a.  0.  357. 


Mailehen^  Yalentme.  449 

Nach  dem  Frühstück  wird  der  Rückzag  angetreten.  Voran  ziehen 
die  Spielleute,  hinter  ihnen  die  Brautwerber  in  schwarzen  Män- 
teln mit  dem  Bräutigam  in  ihrer  Mitte.  Dann  folgt  einer  der 
Brautflihrer,  hinter  welchem  die  Braut  sitzt  ^  und  nun  der  Reihe 
nach  die  übrigen  Reiter,  jeder  ein  geschmücktes  und  bekränztes 
Mädchen  auf  seinem  Pferde  haltend.  Kaum  ist  der  Zug  auf 
einer  Ebene  angekomjnen,  so  verstummt  die  Musik,  die  Mädchen 
huschen  schnell  vom  Herde  und  es  beginnt  ein  vollständiges 
Wettrennen  nach  einem  Ziele,  an  das  ein  seidenes  Halstuch,  ein 
Paar  Handschuhe  und  ein  Band  als  Preise  befestigt  sind.  Wer 
sie  gewinnt,  schmückt  sein  Pferd  damit  (Brautlauf). 

Im  Drömling  ziehen  die  Hirtenjungen  am  weißen  Sonntage 
(Judica,  14  Tage  vor  Ostern)  hinaus  auf  die  Weide  und  stecken 
einen  Platz  ab,  auf  welchen  bis  zum  Pfingstfeste  niemand  sein 
Vieh  treiben  darf.  Ist  dies  geschehen,  so  nennen  die  Heineren 
den  größeren  ihre  Braut  und  keiner  darf  den  Kamen  verraten. 
Darauf  ziehn  sie  ins  Dorf  und  sammeln  Gaben  ein,  welche  auf 
der  Weide  verzehrt  werden.  Zu  Pfingsten  wird  die  abgesteckte 
Weide  frei  und  jeder  darf  auch  die  ihm  bezeichnete  Braut  nen- 
nen.^ In  Kindleben  bei  Gotha  findet  am  Hinmielfahrtstage  eine 
Art  Br^utmarkt  statt,  indem  sich  dort  alljährlich  die  Bursche 
und  Mädchen  der  Umgegend  zur  Brantschau  stellen.  Die  Bursche 
kommen  in  ihrem  höchsten  Staate  und  mit  vollem  Beutel,  um 
den  Naumburger  W6in  reichlich  fließen  zu  l^en,  die  Mädchen 
mit  dreifacher  Garderobe,  da  sie  sich  dreimal  umkleiden  müs- 
sen. In  Kindleben  entspinnen  sich  die  meisten  ehelichen  Verbin- 
dungen, welche  die  Statistik  unter  den  Bauern  jener  Umgegend 
verzeichnet  und  manche  heiße  Debatte  über  Land  und  Geld  fand 
dort  statt.  Der  Tanz  unter  der  alten  Kindleber  Linde,  so  wie 
die  gemeinsame  Heimfart  sind  entschiedenere  Wahrzeichen  ihres 
Bundes,  als  der  erste  öffentliche  Ausgang  eines  Brautpaars  in 
der  Stadt.  Eine  ähnliche  Bedeutung  mag  der  Tanz  auf  der 
Wiese  über  der  Nebelhöhle  in  der  schwäbischen  Alb  gehabt 
haben,  zu  dem  an  jedem  Pfingstmontage  die  jungen  Leute 
der  weiteren  Umgegend  zusammen  strömen. 

§  8.  Mallehen,  Valentine.  In  Hessen,  Westfalen,  Rhein- 
land werden   am  Maitage  die  Mädchen  versteigert  oder  zu  Mai- 


1)  Kuhn ,  Mark.  Sag.  321. 

Mannhardt.  29 


460  ICapitel  Y.    Vegetationsgeister:  Maibrantschaft. 

leben  ausgegeben.  In  der  Scbwalmgegend  zieben  die  beirats- 
fäbigen  Burscbe,  im  Ziegenbainiacben  nur  diejenigen,  welcbe 
dnreb  einen  besonderen  Act  in  die  junge  Mannscbaft  au%enom- 
men  sind,  wäbrend  der  Walpurgisnaebt  singend,  mit  Peitscben 
knaUend  auf  eine  Anböbe  vor  dem  Dorfe ,  wo  sie  frtlber  bei  die- 
ser Gelegenbeit  ein  Feuer  ansfueimden  pflegten  (tote  in  den  Krei- 
sen Kirchhain  und  Ziegenhain  noch  jetist  geschieht).  Einer  stellt 
sieb  auf  einen  Stern  und  ruft: 

Hier  steh'  ich  auf  der  Höhen 

Und  rnfe  ans  das  Lehen, 

Das  Lehn,  das  Lehn, 

Das  erste  (zweite  n.  s.  w.)  Lehn, 

Daß  es  die  Herren  recht  verstehn! 

Wem  soll  das  sein? 

Dann  antwortet  die  Versammlung,  indem  sie  den  Namen  emes 
Burscben  und  eines  Mädcbens  nennt,  mit  dem  Zusätze: 

In  diesem  Jahre  noch  zor  Ehe. 

Dann  beginnt  au&  neue  Gesang  und  PeitscbengeknaU ,  bis  die 
Beihe  der  Heiratsfähigen  durchgegangen  ist  Dies  nennt  man 
das  Maileben.  Aus  demselben  entspringt  fbr  beide  Teile  die 
Yerpflicbtung,  das  ganze  Jabr  mit  keinem  oder  keiner  dritten 
zu  tanzen.  Das  Mädcben  befestigt  seinem  Burscben  einen  soge- 
nannten Lebnstraut  an  den  Hut  Im  Kirebbainer  und  Ziegen- 
hainer  Xreise  wifll  angesichts  des  lodernden  Maifeuers 
„das  Mailehen"  zwar  auch  der  Art  ausgerufen,  daß  der  Aus- 
rufer ein  Mädcben  und  einen  Jfingling  (und  zwar  einen  solchen, 
den  sie  schon  zum  Liebsten  bat,  oder  mit  dem  man  sie  gern 
beglücken  möchte)  nennt,  aber  jeder  darf  auf  das  Leben,  d.  h. 
auf  das  ausgerufene  Mädcben  bieten.  Es  wird  nun  geboten  und 
der  Liebhaber  darf  sich  nicht  lumpen  lassen,  um  die  Seme 
davonzutragen.  Das  erlöste  Geld  wird  im  Wirtsbause  verzehrt 
Mißfällt  ein  Mädcben,  so  schweigen  aUe,  oder  man  bietet  eine 
geringftlgige  lächerliche  Sache.  Am  nächsten  Sonntage  finden 
die  mit  einem  Liebsten  beglückten  Mädcben  einen  Strauß  oder 
Maibusch  auf  ihrem  Kirchensitze,  die  Verschmähten  einen  Dor- 
nen- oder  vertrockneten  Zweig  (vgl.  o.  S.  165.  184).  Dem  Mäd- 
chen steht  es  frei,  seinen  Käufer  beim  ersten  Tanze  durcb  einen 
verneinenden  Knix  abzulehnen  (ist  wol  eine  moderne  Mildemng 
der  alten  Sitte)  oder  ihn  durch  Anbeftung  der  Blumen  an  seine 


Mailehen,  Valentiiid.  451 

Mutze  als  Liebsten  anzuerkennen.^  An  der  Eifel  und  Ahr  und 
im  Jttlicher  Lande  yersammeln  sich  schon  am  Vorabende  des 
Mäitags  alle  Barsche ,  welche  eine  Gilde  mit  gewählten  Schalt- 
heißen,  Schöffen  and  Schreibern  bilden,  unter  der  Linde  oder 
vor  der  Kirchtttre;  der  Schaltheiß  oder  ein  Schöffe  bietet  die 
Mädchen  des  Dorfes  anter  Anpreisung  ihrer  Vorzüge  einzeln  aas 
and  tibergiebt  jede  feierlich  dem  Meistbietenden,  zuerst  die 
Schönste,  die  zumeist  der  Reichste  davonträgt,  wo  nicht  beson- 
dere Herzensneigung  zu  größeren  Geldopfem  anspornt.  In  abstei- 
gender Linie  geht  er  alle  Mädchen  durch;  diejenigen,  aufweiche 
kein  Angebot  erfolgte,  bilden  den  Bündel  und  Kümmel  und  wer- 
den zusammen  in  Bausch  und  Bogen  einem  Burschen  angesteigert. 
Der  Schultheiß  hat  beim  Ansteigen!  die  Vorhand  und  führt  mit 
seiner  ErsteigerteiT  immer  den  Tanz  an.  Die  Ersteigerten  heißen 
Maifrauen  oder  Maüienen.  Der  Ansteigerer  hat  das  Recht, 
während  des  ganzen  Frühlings  und  Sommers  mit  seiner  Maifrau 
ausschließlich  zu  tanzen  und  als  ihr  Bevorzugter  zu  gelten.  Er 
beeilt  sich  sofort  nach  der  Versteigerung  ihr  einen  schönen 
Maien  auf  den  Giebel  zu  setzen  und  sie  schmückt  seinen 
Hut  mit  Blumen.  Von  dem  erworbenen  Gelde  werden  die  Musi- 
kanten bezahlt  und  der  Ueberschuß  verbraucht,  um  die  Maifrauen 
mit  Wein  und  Speisen  zu  bewirten.  In  der  Wetterau  überreicht 
das  zu  Lehn  angenommene  Mädchen  seinem  Ersteigerer  den 
„Keim'^  einen  Rosmarinstrauß.  In  anderen  Dörfern  der 
Eifel  (z.  B.  Uelmen)  werden  die  Mädchen  4  —  5  Wochen  vor  der 
Kirmes  versteigert,  sie  werden  von  da  an  bis  zur  Kirmes  des 
Meistbietenden  Tänzerinnen.'    In  St.  Goar  fand  die  Versteigerung 


1)  Lyncker,  Hessische  Sagen  [235,  317  nach  Landan  Zeitschr.  f.  hess. 
Gesch.  II,  272  ff.  Mülhanse,  ürreligion  S.  177.  Nach  Soldan  (Geschichte  der 
Hexenprocesse  S.  248)  hegehen  sich  die  jnngen  Barsche  in  der  ersten  Mai- 
nacht vor  das  Hans  ihrer  Geliebten,  schießen,  knallen  mit  den  Peitschen 
nnd  rufen: 

Ich  rafe  mir  N  N  zum  Lehen  ans; 
Ein  Lehen  ist  ein  Lehen; 
Wers  nicht  will,  läßt  es  gehen. 

2)  Schmitz,  Sitten  nnd  Branche  des  Eifler  Volkes  I,  32.48.  Kinkel 
die  Ahr  S.  116  ff.  E.  Weyden,  das  Ahrthal.  S.  215.  Dieffenbach,  Urge- 
schichte der  Wetteran.    In  Brohl,  Meckendorf  nnd  anderen  Dörfern  der  Eifel 

29* 


452  Kapitel  Y.    Vegetationsgeister:  Maibrautschaft. 

der  Mailehen  sogar  aol'  dem  Rathanse  statt  und  das  erlöste  Geld  fiel 
in  die  Stadtkasse.  ^  Aus  dem  Herzogtum  Berg  schildert  der  Pseudo- 
nyme'Montanas  den  Hergang  ganz  ähnlich  mit  geringen  Modificatio- 
nen. '  Statt  der  Schultheißen ,  Schöffen  und  Schreiber  genannten 
Beamten  wählen  die  am  Maiabende  unter  der  Linde  versammelten 
Bursche  sich  einen  Maikönig  und  zwei  Maigrafen,  die  diesem  als 
Richter  zur  Seite  stehen.  Sie  heben  den  Maigesang  an,  den  die 
Mädchen  fem  her  vom  Dorfe  erwiedem.  Dann  wird  die  Liste 
der  unverheirateten  und  heiratsfähigen  JUnglinge  und  Jungfrauen 
neu  aufgestellt  und  der  Maikönig  wählt  siqh  eine  Maikönigin. 
Jetzt  ruft  der  eine  Maigrai'  nach  der  Reihe  die  Namen  jedes 
Jünglings  auf,  die  Versammlung  fragt:  Wer  soll  seine  Liebste 
sein?  und  der  zweite  Maigraf  nennt  den  Namen  der  Jungfrau, 
die  ihm  zugeteilt  wird.  Burschen  und  Mädchen  unlauteren  Rufes 
gingen  dieser  Ehre  verlustig;  beliebten  Jungfrauen  wurde  die 
Aufpflanzung  des  ehrenden  Maibaums  vor  ihre  Tür  zuerkannt 
Am  Maitage  selbst  brachte  jeder  dem  bei  der  Maisprache  ihm 
zuerteilten  Mädchen  Spruch  und  Gruß  und  empfing  Dank  und 
einen  Maiblumenstrauß,  dann  brachten  alle  singend  der  mit  Blu- 
men gekrönten  Maikönigin  ihre  Huldigung  dar.  Nachmittags 
begann  der  Maireigen  unter  der  Linde,  zu  dem  jeder  Jüngling 
an  der  Hand  des  ihm  zuerteilten  Maimädchens  trat.  Er  behielt 
es  bis  zum  andern  Mkiabend  und  hatte  es  zu  Kirmes  und  Johan- 
nisreigen,  zum  Vogelschießieste  und  zum  Schwingtage  zu  ilihren, 
abzuholen  und  heimzugeleiten.  Maikönig  und  Maikönigin 
hatten  überall  den  Vorsitz,  die  Maigrafen  hielten  die  Ordnung 
aufrecht  und  schlichteten  mit  dem  Könige  alle  Zwiste  in  Liebes- 
händeln.' Südlicher  finden  wir  die  Spuren  des  Mailehens  in 
Frankiurt  am  Main  wieder,  wo  im  Anfange  des  vorigen  Jahr- 
hunderts Kinder  in  einem  grünen  Wägelchen  von  Haus  zu 
Hause  fuhren  und  die  Verse  sangen: 

Hente  zum  I^heD, 

Morgen  zur  Ehe, 

Uebers  Jahr  zu  einem  Paar. 


maß  die  Maifrau  mit  ihrem  Ansteigerer  nicht  allein  ausschließlich  tanzen, 
sondern  sie  darf  sich  auch  mit  keinem  andern  unterhalten,  bis  man  Blüten 
an  den  dicken  Bohnen  im  Freien  sieht, 

1)  Kriegk,  deutsches  Bürgertum  i.  Mittelalter.  Frankf.  a.  M.  1868.  S.  4^. 

2)  Montanns,  die  deutschen  Volksfeste  1,  1854.  S.  2»  ff. 


Mailehen,  Valentine.  453 

Der  Berichterstatter  ist  der  Ansicht,  es  seien  das  dieselben 
Worte,  mit  denen  vor  1232  ehe  von  Heinrich  VII.  das  Ehezwangs- 
recht  aufgehoben  sei,  ein  Herold  zuweilen  einer  Bttrgerstochter 
angekündigt  habe,  daß  der  Kaiser  sie  der  Hofleute  einem  zur 
Ehe  verleihe.  ^  Um  Kirchheimbolanden ,  Stetten  u.  s.  w.  in  der 
Rheinpfalz  werden  wiederum  heute  noch  in  der  ersten  Mainacht 
die  heiratsfähigen  Mädchen  in  öffentlicher  Versammlung  zur  Ver- 
steigerung einzeln  ausgeboten  und  dem  Höchstbietenden  zuge- 
schlagen. Der  Erlös  ist  kein  unbedeutender.^  Dagegen  fand 
an  der  Mosel  die  Verteilung  der  mannbaren  Mädchen  an  die 
Ortsburschen,  das  Mailehen,  schon  am  ersten  Sonntage  in  der 
Fasten  (Invocavit)  statt  und  hieß  daselbst  der  Vcdentinstag,  es 
wurde  1799  polizeilich  verboten.*  Hierüber  äußert  sich  Zuccal- 
maglio^  folgendermaßen:  „Von  den  witzigsten  Burschen  werden 
am  Bhein  und  weit  nach  Lothringen  hinein  alljährlich  am  ersten 
Sonntag  in  den  Fasten  die  „Liebchen/^  „Vielliebchen ,'*  Valeftr- 
H^when*^  ausgerufen,  deren  Namen  an  der  Sprachstelle  jedesmal 
eingeschaltet  wird.  Steht  einem  jungen  Manne  die  zuerteilte 
Jungfrau  an,  so  geht  er  am  Sonntag  zu  ihr,  di«  Bretzel  zu 
brechen,  ihr  auch  wol  ein  kleines  Geschenk  zu  machen;  wo 
nicht,  so  wird  am  zweitfolgenden  Sonntag  sein  Name  von  den 
Ausrufern  auf  einem  Zettel  feierlich  verbrannt.  Daß  aus  dieser 
mutwilligen  Verlobung  manche  ernste  folgt,  läßt  sich  denken.**^ 
Das  Beispiel  eines  betreffenden  Ausrufes  lautet: 

Ich  weiß  iott!    Was  weißte  denn? 

Der  Peters  Olof  en  det  Dolfes  Drückchen  det  sind  zwihn, 

Mer  machen  e  Paar  dorus  recht  schün 

Zo  Ostern  geft  et  em  Blomenstrüß, 

ün  Ufer  et  Jör  die  Wegen  et  Hüs!« 

Auch  die  Knechte  zu  Dobischwald  in  Oesterr.  Schlesien  nehmen 
schon  am  ersten  Fastensonntage  das  Mädchetiverschreiben  vor, 
indem  ein  aus  ihrer  Mitte  gewählter  Fürsprech  jedem  nach 
Maßgabe  seines  Angebots  ein  schOnes  oder  minder  schönes  Mäd- 

1)  Aug.  F.  V.  Lerßner,  Chronik  der  Stadt  Frankfurt  1706.  I.  59.  Grimm, 
R.  A.  438.  Anm.  vgi.  436—38. 

2)  Bavaila  IV,  2,364. 

3)  Hocker,  das  Moselthal.  S.  24  bei  Rochholz  drei  Gaugöttinnen  S.  41. 

4)  Znccalmagllo  (Eretschmer) ,  Deutsche  Volkslieder  mit  ihren  Original- 
weisen.    T.  n.    Berl.  1840.    S.  502. 

5)  Ebds.  Nr.  277.    S.  501. 


454  Kapitel  Y.    Yegetatioiisgeister:  Maibrantschaft. 

eben  als  ausschlieAliche  Tänzerin  zuschreibt^  Kriegk  erwähnt, 
daB  es  auch  deutsche  Orte  habe,  an  denen  die  Versteigerung 
am  Ostermontage  statt  hatte.  ^  In  den  meisten  der  aufgeführten 
Fälle  ist  durch  die  Gesetze  der  Gilde  streng  fbr  Ordnung  gesorgt, 
und  jeder  Verstoß  gegen  die  SitÜichkeit  wird  mit  Geldbufte  oder 
Ausstoßung  aus  dem  Vereine  der  Burschen  (der  Burschenschaft 
oder  Enabenschaft)  bestraft.  Das  Mailehen  ftihrt  oft  zu  wirk- 
licher Brautschaft.  Und  in  Holland  ist,  me  es  scheint,  dieses 
Spiel  der  Liebe  auf  die  ernste  Freischaft  übergegangen,  indem 
die  Bewerber  eines  yielbegehrten  Mädchens  unter  sich  das  Recht 
versteigern  und  bis  50  Fl.  bezahlen,  dasselbe  zwei  bis  drei 
Monate  ausschließlich  bei  ihren  Eltern  besuchen  und  zum  Tanze 
ftlhren  zu  dürfen.  Gelingt  dem  Glücklichen  während  dieser  Zeit 
seine  Liebeswerbung  nicht,  so  tritt  ein  anderer  ein,  bis  sie  end- 
lich an  den  Rechten  Herz  und  Hand  vergeben  hat.^  Doch  auch 
ohne  ErSteigerung  gewann  man  im  Mittelalter  ein  Weib  als  Mai- 
frau,  der  man  während  einer  gewissen  Zeit  seine  Ritterdienste 
weihen  durfte ;  der  Scherz  des  Mailehens  wurde  in  der  vornehmen 
Welt  auf  zeitweilige  gesellige  Vereinigungen  übertragen.  Als  im 
Frühlinge  des  Jahres  1474  Hans  von  Waldheim  zu  Oberbaden 
im  Aargau,  dem  berühmtesten  Badeorte  seiner  Zeit  weilte,  war 
da  viel  Adel  aus  der  Schweiz,  dem  Breisgau  und  Schwaben, 
und  Hans  von  Ems,  sein  guter  Freund,  gab  ihm  artig  seine 
Frau  zu  einer  MaienbuJüe,^    Eine  ganz  altertümliche  Form  der 


1)  A.  Peter,  Yolkstunil.  a.  Oesterr.  Schlesien  11,280. 

2)  A.  a.  0.  420.  Vgl.  über  die  Mailehen  noch  Giebel  nnd  Kaufmann  in 
Falke  u.  Müller  Zeitachr.  für  die  Kultargeschichte  1857.  S.  95-105.  Mer- 
nig,  Geschiebte  der  Bnrgen,  Rittergüter,  Abteien  in  den  Bheinlanden.  Köln 
1837.   H.  4.   S.  8  ff.   Pfeiffer ,  Germania  1 ,  65. 

3)  Wolf  Wodana  II,  203. 

4)  Hans  von  Waldheim,  Beise,  Msc.  in  Wolfenbüttel.  S.  Ebert,  Ueber- 
liefernngen  zur  Geschichte  der  Litteratur  nnd  Eijiinst  1825.  Vgl.  daher  sogar 
in  geistlichen  Liedern  den  übertragenen  Ausdruck  „badenbule."  „lyrti 
hadenbide  sie  Die  allerschönst  Marie.' '  Wackemagel,  D.  Kirchenl.  641. 
ühland,  Schriften  III,  470.  Zuweilen  ist  von  einer  im  Mai  auf  Zeit,  für 
die  Sommermonate  geschlossenen  Knappen -,  Pfaffen  -  oder  Meienehe  die  Bede 
(Agricola  Sprichwörter  Bl.  129).    Darauf  spielt  schon  saec.  XIII.  Nithardt  an. 

des  wil  ich  disen  snmer  lanc 
sin  släfgeselle  sin. 

Ms.  m,  217»  3.    ühland  a.  a,  0.  390.  470. 


Mailehen,  Valentine.  455 

Sitte  hat  sich  zu  Nalbach  im  Kreise  Saarlouis  erhalten ,  wo  jeder 
Baaerbursche  am  Kirchweihfeste  Nachmittags  nach  der  Vesper 
(oft  sogar  noch  in  der  Kirche)  dasjenige  Mädchen  rauht,  das  er 
an  diesem  Abende  und  das  ganze  Jahr  zum  Tanze  illhren  will.^ 
Zu  einer  breiteren  eigentttmlichen  Entwickelung  ist  in  Wälsch- 
iiioly  Frankreich  und  England  jene  Wahl  des  LenebuMen  am 
letzten  Februar,  am  ersten  Fastensonntage  oder  am  Valentins- 
tage (14.  Februar)  gediehen;  den  Uebergang  bildet  die  Form  der 
Sitte  am  Leutschi'elder  Berg  an  der  Kyll  (Eifel),  wo  die  im 
Herbst  bei  der  Kirmes  versteigerten  Mädchen  (o.  S.  451), 
nur  sie,  am  ersten  Fastensonntage,  während  ihre  Lehnsherrn 
das  große  Feuerrad  vom  Berge  rollen,  sich  im  Schulhause 
versammeln,  um  den  Herabkommenden  Backwerk  darzubieten.^ 
In  Wälschtirol  zünden  die  Bursche  am  Abend  des  letzten  Februar 
auf  Htigeln  oder  Bergvorsprttngen  die  sogenannten  Märzfeuer  an 
und  rufen  dabei  singend  Heiraten  aus.  Ein  solcher  Reimspruch 
bei  Pergine  lautet: 

Entra  Marzo  e  bnonora  sia, 

I  cani  air  erba  e  Tom  all'  ombria, 

La  pecorella 

Giü  per  la  vallicella: 

In  qnesto  Marzo  chi  h  la  pin  bella 

Tra  le  pntte  da  inantar? 

La  pin  bella  e  N.  N. 

A  cbi  la  Yogliamo  dar? 

A  chi  non  la  Yogliamo  dar? 

Diamola  a  N.  N.t  che  Te  un  bei  par! 

Zu  jeder  einzelnen  Ausrulimg  werden  dann  Flintenschüsse 
abgefeuert  und  mit  Schellen,  Hörnern  u.  s.  w.  Lärm  gemacht.* 
Auf  dem  Berge  Sardagna  bei  Trient  versammebi  sich  die  jungen 
Bursche  am  Abend  des  1.  März  und  rufen  zum  Scherz  gewählte 
Bräute  mit  Jubelgeschrei  aus.*  Der  Sonntag  Invocavit  heißt 
bekanntlich  in  Frankreich  le  dimanche  des  brandons,  Fackel- 
sonntag, weil  man  dann  große  Feuer  anfachte  und  mit  daran 
entzündeten  Strohbündeln  und  Tannenreisem  durch  die  Obstgärten 


1)  Zb.  f.  D.  Myth.  1,89,3. 

2)  Schmitz  a.  a.  0.  25. 

3)  SchneUer ,  Märchen  und  Sagen  auB  Wälschtirol  S.  235. 

4)  V.  Pallhausen ,  Bojoariae  Topographia  Romano  -  Celtica.  I.  München 
1810.  S.  68, 


456  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  Maibrautachaft. 

und  Saaten  lief.  Diese  Feuer  und  Fackelzüge  werden  uns  noch 
später  beschäftigen,  hier  haben  wir  nur  ihre  dem  italiänischen 
Märzfeuer  entsprechende  Beziehung  auf  Liebe  und  Heirat  zu 
erwähnen.  In  Yerges  auf  der  Lheute,  einer  Nebenkette  des 
Jura  in  Franche  Comt^  erklimmt  man  die  Spitze  des  Gebirges, 
baut  dort  um  drei  Bäume  je  ein  Strohnest  und  setzt  es  in  Flam- 
men. Zu  den  Aesten  der  allmählich  auch  in  Brand 
geratenen  Bäume  (cf.  o.  S.  177  ff.)  springen  die  Umstehenden 
in  die  Höhe,  um  daran  trockene  Lindenzweige  anzuzünden. 
Diese  hoch  in  der  Luft  schwingend,  steigt  man  in  Prozession 
herab,  fordert  Haus  bei  Haus  geröstete  Erbsen  und  zwingt  die 
im  letfsten  Jahre  Neuverheiratekn  ^  einen  Tanz  anzustellen.^  In 
ganz  Westfrankreich  waren  diese  Feuer  Sitte,  und  man  sagte, 
wer  durch  die  Flamme  springe,  ohne  die  brennenden  Holzscheite 
zu  berühren,  werde  sich  im  nächsten  Jahre  verheiraten.*  In  dem 
nördlichen  Teile  der  Vogesen  (Gegend  von  Saarburg,  Heming, 
u.  s.  w.)  findet  am  Anfange  der  Fastenzeit  das  Scheibentreiben 
(schibe-tribe)  statt.  Abends  neun  Uhr  wird  auf  einer  der  Schi- 
beberg (la  röche  des  Ghib^s)  benannten  Felskuppe ,  der  höchsten 
der  Gegend ,  von  den  Burschen  ein  Feuer  aus  Brombeergesträuch 
und  Haidekraut  angezündet,  indeß  die  mannbaren  Mädchen  neu- 
gierig in  den  Büschen  sich  verstecken.  Plötzlich  tritt  der  Dorf- 
hirte  auf,  eine  ktlnstliche  Bocklarve  auf  dem  Haupte  (?),  einen 
langen  spitzen  Bart  unter  dem  Kinne,  ein  wollenes  Fließ  über 
die  Schulter  geworfen  und  proklamiert,  je  den  Namen  eines 
Burschen  und  einer  Jungfrau  mit  der  Stimme  eines  Stiers  in  die 
Nacht  hinausbrüllend,  die  sämmüichen  heimlichen  Liebschaflen 
und  Jcünfligen  Ehebündnisse  der  Gemeinde,  im  nämlichen  Augen- 
blicke aber  werden  runde,  in  Flammen  gesetzte  Holzscheiben  mit 
Hilfe  eines  Stockes  in  die  Luft  geschleudert.^  In  den  südlichen 
Vogesen,  zumal  in  der  Gegend  von  j^pinal,  errichtete  man  an 
mehreren  Stellen  der  Stadt  und  an  den  Ufern  der  Mosel  Holz- 
stöße »in  pyramidaler  Form,   zu  welchen  die  jungen  Leute,   die 


1)  Monnier  a.  a.  0.  191. 

2)  Monnier  a.  a.  0.  203.  In  der  Bretagne  glaubte  man ,  daß  ein  junges 
Mädchen  im  Laufe  des  Jahres  heirate,  wenn  sie  um  neun  Johannis- 
feuer  hinter  einander  getanzt  habe.    Magazin  pittoresque  II,  71. 

3)  Erckmann-Chatrian,  Uifitoire  d'on  sous-maitre  Paris  1871.  p.  98—104. 


Mailehen,  Valentine.  457 

das  Fest  veranstalteten,  schon  einige  Tage  vorher  die  Scheite 
znsammgebettelt  hatten.  Zur  verabredeten  Stande  legte  man 
Feuer  an  jeden  Holzstoß,  der  nun  Hymens  Altar  wurde,  und  die 
Umstehenden  riefen:  Qui  döne?  Qui  done?  Je  done!  Je  done!  — 
Qui  marie?  Qui  marie?  Jemarie!  Jemarie!  Monsieur  N.  N. 
avec  Mademoiselle  N.  N.  Und  sie  nannten  die  Namen  von  zwei 
Personen,  jungen  oder  alten,  schönen  oder  häßlichen,  reichen 
oder  armen,  die  sie  auf  ihre  Weise  vereinigen  wollten.  Die  ott 
wider  Willen  in  dieser  Art  verbundenen  Paare  sahen  sich 
genötigt,  einander  den  Ann  zu  bieten  und  mehrere  male  die 
Runde  um  den  Holzstoß  zu  machen  inmitten  der  lärmenden  Bei- 
fallsrufe, des  Gelä<)bters  und  der  neckenden  Scherzreden  der 
Menge.  Sobald  die  Feuer  niedergebrannt  waren,  breitete  man 
sich  in  den  Straßen  der  Stadt  aus  und  begann  unter  den  Fen- 
stern, vor  denen  man  stille  stand,  die  Namen  der  Brautpaare 
(fianc^s),  welche  man  Fechenots  und  Fechenottes  oder  Valentins 
und  Valentines  nannte,  zu  proklamieren.  Der  F^chenot  mußte 
seiner  F^chenottte  eine  Putzsache,  die  F^chenotte  ihrem  Feche- 
not  ein  buntes  Hutband  schenken.  Den  Sonntag  darauf  Mirte 
der  Bräutigam  (Föchenot  oder  Valentin)  die  Braut  im  besten 
Staate  und  mit  den  gegenseitigen  Brautgeschenken  angetan  zum 
feierlichen  Tanze  auf  dem  Danserosse  oder  Danseresse  genann- 
ten Felsen  im  Walde  von  St.  Antoine.  Dies  durfte  jedoch  nur 
geschehen,  wenn  jener  Gabenaustausch  wirklich  vor  sich  gegangen 
war,  der  als  Loskauf  (rachat)  vom  Scheiterhaufen  bezeichnet 
wurde.  Denn  anderesfalles  zog  man  bei  der  Heimkehr  aus  dem 
Walde  vor  die  Häuser  des  Valentin  und  der  Valentine  und  zün- 
dete kleine  Feuer  an,  in  denen  man  ihr  Bildniß  verbrennen  ließ 
unter  den  Ausrufen:  QuibröleV  Qui  brüle?  Je  brüle!  Jebrüle! 
Mr.  NN.  et  Mlle  NN.  Wegen  des  Mißbrauchs,  der  mit  dieser 
Sitte  getrieben  wurde,  hat  die  Municipalbehörde  sich  veranlaßt 
gefunden,  sie  zu  verbieten.^  Dieser  Brauch,  allen  jungen  Leu- 
ten die  künftigen  Gatten  oder  Gattinnen  zuzuweisen,  ist  schon 
älter.     Die   Synode   zu  Toul   (15.  April  1663)   verbot  ihn   mit 


1)  Ch.  Charton,  les  Vosges  pittoresques  bei  Cortet  fötes  religieuses. 
Pftris  1867,  p.  101.  Statt  des  Dimanche  des  Brandons  (Invocavit)  hatte 
die  beschriebene  Sitte  in  einigen  Commnnen  um  Spinal  am  ersten  Sonntage 
im  Märze  statt.    Woll',  Beiträge  I,  76. 


458  Kapitel  V.    Vegetationsgebter :  Maibrautschaft. 

folgenden  Ausdrücken ,  woraus  wir  sehen,  daß  er  auch  noch  an 
anderen  Sonntagen  der  Fastenzeit  geübt  wurde:  Encore  que 
chacun  s^ait  ass^s  que  le  GarSme  est  un  tems  d'abstinence ,  non 
seulement  de  viandes ,  mais  de  jeux  et  de  railleries  et  que  pour 
eela  mSme  les  noces  y  sont  d^fendu^s,  Nous  sfavons  n^anmoins, 
qu'en  plusieurs  lieux  de  notre  Diocese  es  jours  de  Dünanche  de 
ce  Saint  tems,  comme  aux  grands  et  petits  Brandons  et  autres 
Dimanches  il  se  fait  des  assemblöes  de  garQons  et  filles  pour 
danser  ou  avec  des  yiolons,  ou  avec  des  chansons  immodestes 
et  quelquefois  des  honn^tes.  Et  de  plus  fönt  des  jeux  dUs  Fass^ 
noUes,  esquels  üs  designent  ä  hauts  cris  des  epoux  et  epauses  a 
tous  les  fils  et  ßles  du  vülage^  VgL  femer  Valentin:  futur 
epoux,  celui  qu'on  signifiait  a  une  fille,  le  jour  des  Brandons  — 
qui  des  qu'elle  ^tait  promise  se  nommait  Valentine  (Roquefort 
Gloss.  in  voce).^  Mag  übrigens  in  Frankreich  der  Brauch  sim 
ersten  Fastensonntage ,  resp.  beim  Scheibentreiben  dieses  Tages 
Lenzbuhlen  zu  erwählen,  schon  früher  bestanden  haben,  der 
Name  Valentinen  erklärt  sich  erst  durch  eine  Uebertragung  aus 
dem  englischen  Brauche.  In  England  nämlich  war  es  Sitte^  daft 
jeder  sich  am  14.  Februar,  St  Valentinstage  (von  dem  man 
glaubte,  daB  an  ihm  die  Vögel  sich  paaren)  oder  am  Vorabende 
dieses  Tages  durch  das  Loos  auf  ein  Jahr  lang  eine  Dame  zum 
Gegenstande  seiner  Aufmerksamkeiten  wählte,  die  er  mit  Krän- 
zen schmückte,  mit  Blumen  beschenkte  und  die  seine  Valeniiney 
wie  er  ihr  Valentin  hieß.^  Bei  Shakespeare  spielt  Ophelia  auf 
diese  Sitte  an  „to  be  your  Valentine''^  Buchanan  (Poemata 
Lugd.  Bat.  1628  p.  372)  sagt  darüber: 

Festa  Valentino  rediit  Lux  — 

Quisqae  sibi  sociam  jam  legit  ales  avem. 

Inde  sibi  Dominam  per  sortes  quaerere  in  atmum 

Man  Sit  ab  antiquis  mos  repetitas  avis. 

Qnisqne  legit  Dominam,  qnam  casto  observet  amore 

Quam  nitidis  sortis,   obseqnioque  colat, 

Mittere  cui  possit  blandi  munuscala  veris  etc. 


1)  Thiers,  Traite  des  saperstitions  Paris  1697  bei  Liebrecht,  Gervasias 
V.  Tilbury  258,  468. 

2)  Vgl.  auch  Manage,  Dictionaire  etymologique.    S.  v.  Valentine. 

3)  Unter  nns  ist  diese  Sitte   neuerdings  durch  6.  Freytags   Lustspiel 
„die  Valentine'*  allgemeiner  bekannt  geworden. 

4)  Hamlet,  A.  4.  Sc.  Ö. 


Maileheiiy  Yalentme.  459 

Schon  zwei  Jahrhunderte  früher  war  dieser  Braach  am  eng- 
lischen Hofe  üblich,  und  wir  besitzen  noch  viele  am  Valentins- 
tage verfaßte  Kondeaus  und  Balladen  des  Herzogs  Karl  von  Or- 
leans,  der  vom  Jahre  1415 — 1440  als  Gefangener  in  England 
weilte,  worin  er  der  Sitte  als  einer  Landessitte  Erwähnung  tut 
(c'est  la  coutume  de  pie  ga).  In  einem  derselben  beklagt  er 
am  Valentinsmorgen  von  den  Vögeln  geweckt,  deren  jeder  heute 
einen  Gatten  suche,  seine  Lage,  die  durch  den  Verlust  seiner 
Gemahlin  noch  trostloser  geworden  ist  „chascun  de  vous  (oyeaulx) 
a  per  (d.  i.  pair)  qui  lui  agr^e ,  et  point  n'en  ay ;  car  mort ,  qui 
m'a  trahy  a  prins  mon  per;^'  alle  haben  sich  Valentinen  gewählt 
(Saint  Valentin  choisissent  ceste  ann^e  ceulx  et  Celles  de  Tamou- 
renx  party),  er  allein  hält  sich  trostlos  fem  auf  dem  freude- 
leeren Lager.  Ein  andermal  kann  er  am  Valentins  tage,  wo  man 
sich  eine  Genossin  wählen  muß,  (qu'il  me.convient  choisir  un  per) 
dem  Gedanken  an  seine  süße  Beute  nicht  entfliehen  (Je  n'y  puis 
eschapper  pensee  prens  pour  mon  butin).  Sie  hat  ihn  morgens 
geweckt,  indem  sie  an  seine  Türe  klopfte;  will  sie  aber  zu  sehr 
sein  Herz  bestürmen,  so  wird  es  zwischen  ihnen  harte  Kämpfe 
geben.  Ja,  wenn  er  Hoffnung  auf  Befreiung  schöpfen  könnte, 
dann  würde  er  aus  ganz  anderem  Tone  reden  (je  parlasse  d'autre 
Latin  dans  ce  jour  de  Valentin).  Auch  der  französische  Hof 
scheint  diese  Sitte  damals  entweder  überhaupt  geübt  zu  haben, 
oder  Karl  hatte  sie  speciell  in  seiner  Umgebung  eingeflihrt.  Eine 
seiner  Rondeaux  zeigt  uns  die  Frau  von  Angouleme  als  seine 
Valentine. 

A  ce  joTir  de  saint  Valentin 

Pnis  qn'estes  mon  per  ceste  annee, 

De  bien  henreiLse  destinee 

Passions -nous  partir  le  bntin  etc. 

In  mehreren  Gedichten  nennt  der  Herzog  seine  Dame  geradezu  seine 
Valentine.  Aus  anderen  Chansons  geht  hervor ,  daß  wenn  der  Va- 
lentinstag auf  Aschermittwoch  einfiel,  die  Wahl  der  „pairs"  erst 
am  Nachmittage  vorgenommen  wurde;  während  die  Morgenstunden 
der  kirchlichen  Erbauung  gewidmet  blieben.^  Ziemlich  gleichzeitig 
mit  den  Poesien  des  Herzogs  von  Orleans  findet  sich  die  Sitte 

1)  S.  Gonjet,  Bibliotheqae  Fran9oise  ou  histoirc  de  la  litteratnre  Fran- 
90ise  T.  IX.  1745  p.2G6— 72. 


460  Kapitel  Y.    V egctationsgeister :  Maibrautschaft 

der  Valentinswahlen  in  einem  Briefe  vom  Februar  1446*  sowohl 
als  auch  in  einem  Gedichte  des  Mönches  John  Lydgate  (t  1440) 
zu  Ehren  der  Königin  Katharina,  Gemahlin  Heinrichs  V.  (1413  — 
22)  erwähnt;  der  letztgenannte  Dichter  bezeichnet  sie  in  seinem 
Verzeichnisse  poetischer  Devisen  als  „chusing  Loves  on 
St.  Valentines  day."*  Ja  schon  bei  Gower  (f  1402)  finden 
wir  ein  französisches  Valentinsgedichtchen,  worin  er  seiner  Her- 
rin sagt,  daß  er  bei  Erwählung  ihrer  dem  Beispiele  der  Vögel 
gefolgt  sei.®  Madame  Royal,  die  Tochter  Heinrichs  IV.  baute 
bei  Turin  ein  Schloß  Valentine.  Beim  ersten  Feste  das  sie  dort 
gab,  veranstaltete  sie,  daß  die  Damen  ihre  Liebhaber  auf  ein 
Jahr  durchs  Loos  wählten;  nur  für  sich  selbst  nahm  sie  freie 
Wahl  in  Anspruch.  Auf  jedem  Balle  während  des  Jahres  em- 
pfing jede  Dame  von  ihrem  Ritter  einen  Blumenstrauß,  während 
sie  bei  jedem  Turnier  für  den  Schmuck  seines  Rosses  sorgte.* 

Die  Art  und  Weise  zu  seiner  Valentine  zu  kommen,  war 
verschieden.  Diejenige  unverwandte  unverheiratete  Person  ande- 
ren Geschlechtes,  aus  einem  anderen  Hause,  welche  der  Zufall 
am  Morgen  des  Valentinstages  zuerst  ent^egenflihrte,  galt  dafür.* 
Gai  schildert,  wie  zwei  Milchmädchen  an  diesem  Tage,  da  die 
Vögel  mit  frohem  Wechselgcsang  ihre  Liebchen  finden ,  sich  vor 
Tag  und  Tau  in  den  Feldern  begegnen  und  neugierig  darauf  aus 
sind,  des  ersten  Burschen  ansichtig  zu  werden,  der  ^vird  ihre 
treue  Liebe  sein.  Uebrigcns  sollen  sich  auch  junge  Männer  oft 
genug  schon  in  frühester  Morgenstunde  in  der  Nähe  des  Hauses 
oder  der  StraßQ  aufstellen,  wo  ihre  Geliebten  vorbeikommen 
müssen,  und  letztere  gehen  gern  eine  halbe  Stunde  um,  um 
einem  Nichtersehnten  aus  dem  Wege  zu  gehen,  oder  sie  sitzen 
mit  zugemachten  Augen  den  Ijalben  Tag  am  Fenster,  bis  sie  die 

1)  Fenn,  Paston  Letters  U.  211. 

2)  Chaucer,  Works  ed.  Speght.    London  1602.   fol.  376. 

3)  Warton,  history  of  English  poetry  add.  to  VoL  II.  p.  31.    Aufl.  1. 

4)  Donce ,  lUastrations  of  Shakespeare  11 ,  252. 

5)  In  der  Gegend  von  Hüll  gilt  der  Gebrauch  noch,  Choice-notes 
from  notes  and  queries.  Folklore.  London  1859.  p.  165.  Ebenso  in  Bucking- 
hamshire.  Henderson,  notes  on  the  Folkslore  of  the  northem  counties  of 
England.    London  1866  p.  73.    Die  Anrede  lautete  hier: 

Good  moming  to  you  Valentine, 
First  'tis  yours  and  then  'tis  mine^ 
111  thank  you  for  a  Valentine. 


MaileheD,  Valentine.  461 

Stimme  des  Ersehnten  hören.  Eine  andere  Weise  war,  die  Va- 
lentinen durchs  Loos  bestimmen  zu  lassen.  Nach  Misson  versam- 
melte sich  schon  am  Vorabende  die  gleiche  Anzahl  von  Jüng- 
lingen, wie  von  jungen  Mädchen.  Jedes  schrieb  Senaten  wahren 
oder  erdichteten  Namen  auf  einen  besonderen  Zettel,  rollte  die- 
sen zusammen  und  warf  ihn  in  eine  Büchse,  worauf  jeder  junge 
Mann  aus  der  Büchse  der  Mädchen ,  jede  Jungfrau  aus  derjenigen 
der  Burschen  ein  Loos  für  sich  herauszog.  Wen  man  zog^ 
nannte  man  seinen  Valentin  oder  seine  Valentine.  Beide 
waren  verpflichtet,  sich  gegenseitig  zu  beschenken,  sie  trugen 
ihre  Zettel  Tage  lang  auf  der  Brust,  oder  dem  Arme  und  gaben 
ihren  Valentinen  Gastmähler  und  Bälle.  Doch  hielten  die  Män- 
ner mehr  an  denen,  die  ihnen  zufielen,  als  an  denen,  denen 
sie  zugefallen  waren.  ^  Aus  dem  Scherze  entwickelte  sich  häufig 
eine  wirkliche  Liebe.  Ja  die  Vereinigung  als  Valentinen  galt 
geradezu  als  eine  günstige  Vorbedeutung  für  die  ktinftige  eheliche 
Verbindung.  Aus  Mr.  Pepys  Tagebuche  vom  Jahre  1667  ler- 
nen wir,  daß  damals  local  am  Valentinsmorgen  die  Neuvermäh'^ 
ten  durch  Musik  geweckt  wurden  und  daß  die  Wa^l  der  Valen- 
tinen bereits  sehr  entstellte  Formen  angenommen  hatte.  Mit  dem 
Namen  wurde  zugleich  ein  Motto  z.  B.  „most  curteous  and  most 
fair'^  aus  dem  Glückstopfe  gezogen;  sodann  wählten  auch  Kinder 
erwachsene  und  sogar  verheiratete  Personen  anderes  Geschlechts 
zu  Valentinen  und  brachten  ihnen  dann  wohl  ehrfurchtsvoll  ihren 
Namen  auf  blau  Papier  mit  goldenen  Lettern  geschrieben,  wäh- 
rend sie  ein  ansehnliches  Geldgeschenk  empfingen.  So  entwickelte 
sich  allmählich  die  in  den  Städten  Englands-  herrschende  Gewohn- 
heit, einander  am  Valentinstage  anonyme  Liebesbriefe,  launige 
Liebeskarten  in  artistischer  Ausführung  verschiedenartigsten 
Genres  zuzusenden,  denen  jedoch  selten  ein  von  einem  Pfeile 
durchbortes  Doppelherz  mit  der  Inschrift  fehlt: 

Ich  bin  dein,  wenn  da  bist  mein, 
Bin  dein  lieber  Valentein. 

I'll  be  yours,  if  yoa'll  be  mine, 
I  am  yonr  pleasing  Valentine. 

Mehrere  Hunderttausende  Liebeserklärungen  dieser  Art,  auf 
welche  nunmehr  der  Name  Valentine  übergegangen  ist,  werden 

1)  In  Schottland  herrscht  diese  Befragung  des  Looses  am  Valentins- 
abende  noch.    Henderson  a.  a.  0. 


462  Kapitel  Y.    Vegetationsgeister :  Maibrantschaft. 

in  London  jährlich  am  14.  Febraar  durch  die  Post  ausgetragen.^ 
Mit  den  Engländern  ist  diese  Sitte  auch  nach  America  gewan- 
dert, wohin  die  lateinische  Race  für  sich  ebenfalls  SproBformen 
des  nämlichen  Gebrauches  gebracht  hat.  Dahin  rechne  ich,  daß 
jede  junge  Dame  in  Venezuela  ihren  Gompadre  (Freund,  Ehe- 
herm)  hat,  der  jedes  Neujahr  von  neuem  ihr  durch  das  Loos 
zufällt,  und  das  Recht  hat,  sie  in  ihrem  Hanse  zu  besuchen  und  mit 
ihr  zu  plaudern.^  In  Deutschland  finden  wir  dieses  dem  Mythus 
entspringende  Yerhältniß  wiederum  auf  die  Ehe  übertragen,  wenn 
14  Tage  vor  Neujahr  am  Tage  St  Johannis  des  Apostels  die 
sämmtlichen  Männer  zu  Obemdorf  am  Neckar  mit  ihren  Weibern 
ins  Wirtshaus  gehen/  wo  die  Frau  ihren  Gatten  fragt:  „Wit  du 
deine  Alte  au  wieder  ufF  a  Jär  dingen ?''  „Ja  wiUs  wieder  pro- 
biere mit  meiner  Alten/^  Alle  sind  lustig,  wie  junge  Leute, 
singen  und  trinken  bis  Mittemacht.  Die  Frau  bezahlt  Man 
nönnt  dieses  Pest  „die  Weiberdingete/' ^  Auch  der  bekannte 
Brauch  gehört  hieher,  am  Neujahrsabend  mit  einer  Dame  den 
Doppelkem  einer  Mandel  zu  teilen  und  sie  dadurch  zum  „Viel- 
Uebchen"  zu  erklären;  wer  von  beiden  den  andern  bei  nächster 
Zusammenkunft  zuerst  mit  dem  Namen  „Yielliebchen^^  grüAt, 
hat  von  ihm  ein  Geschenk  zu  erwarten.  Schärfer  kann  sich 
der  Nationalcharacter  kaum  aussprechen  als  in  der  Sitte ,  welche 
Romanen  und  Germanen  aus  der  gleichen  Grundlage  eines  und 
desselben  mythologischen  Brauches  gemacht  haben;  hier  neben 
spießbürgerlicher  Ehrbarkeit  der  unschuldige  Humor,  der  den 
Ernst  des  reinsten  und  heiligsten  Bandes  würzt;  dort  die  Frivo- 
lität, welche  mit  demselben  spielend  die  Fesseln  in  gefährlichem 
Grade  erweitert. 

§  9.  Das  Haipaar  und  die  Sonnwendfeuer.  Wichtiger 
fUr  unsere  Untersuchungen  erscheint  der  Umstand,  daß  sowohl 
das  Mailehen, ^  als  die  Ernennung  der  Brautpaare  am  ersten 


1)  S.  Brand  pop.  Antiqn.  I,  53-  62.  Hone,  every  Daybook  1, 108—116. 
Cf.  Reinsberg-Düringsfeld,  das  festl.  Jahr,  S.  84.  Nach  dem  Berichte  des  Lon- 
doner Postamtes  vom  J.  1847  wurden  daselbst  in  jenem  Jahre  am  Valentinstage 
420,000  Briefe,  d.  h.  200  biB  dOO,000  mehr  als  an  anderen  Tagen  ausgetragen, 
abgesehen   von  vielen  bezüglichen  Inseraten  der  145,000  Zeitangsnnmmem. 

2)  Appnn,  unter  den  Tropen.    Jena  1871.  I,  544. 

3)  Birlinger,  Volksüberlieferangen  a.  Schwaben  II,  113, 142. 

4)  0.  S.  450,  anch  in  Dänemark  Myth.>  736. 


Das  Maipaar  und  die  Sonnwendfeuer.  463 

Fastensonntage,  dem  Dimanche  des  brandons,  mit  FrUWingsfeuern 
verbunden  sind,  und  daß  die  Teilhaber  der  Letzteren  zuweilen 
die  im  letzten  Jahre  Neuverheiraieten  zwingen ,  einen  Tanz  anzu- 
stellen. Hierzu  stimmt  einmal,  daß  in  manchen  Gommunen  der 
Bretagne  ein  Mädchen,  welches  den  lebhaften  Wunsch  hat  sich 
zu  verheiraten,  um  das  Johannisfeuer  tanzt, ^  sodann  daß  in  Ober- 
stattfeld und  anderen  Orten  in  der  Eifel  am  ersten  Fastensonntage 
der  eulet0t  verheiratete  Ehemann  die  große  Radscheibe  stellen  und 
anzUnden  muß,  welche  dann  vom  Berge  ins  Tal  und  in  den 
Fluß  gerollt  wird.  Zu  dieser  Geremonie  sammeln  die  Schulkna- 
ben das  Stroh,  die  Schulmädchen  aber  Erbsen,  welche 
sie  mit  den  Schulknaben  verzehren*  (vgl.  o.  S.  455).  In 
andern  Dörfern  derselben  Gegend  versammelt  sich  am  nämlichen 
Tage  die  männliche  und  weibliche  Jugend  von  13  — 18  Jahren 
im  Hause  des  zuletet  verheirateten  Ehepaars.  Die  Mädchen  bringen 
dahin  den  von  Haus  zu  Hause  erbettelten  Vorrat  von  Speck, 
Butter,  Eiern,  Milch  und  Mehl  und  machen  sich  daran,  Pfann- 
kuchen zu  backen.  Die  Burschen  aber  ziehen  mit  dem  betreffen- 
den jüngsten  Ehemanne  auf  eine  Anhöhe,  umwickeln  einen  Baum 
in  Form  eines  Kreuzes  mit  Reisig  und  Stroh  (vgl.  o.  S.  177  ff.) 
und  zünden  ihn  beim  Läuten  der  Abendglocke  unter  lautem 
Gebete  und  entblößten  Hauptes  mit  Fackeln  an.  Dann  rufen  sie : 
„Die  Burg  brennt!'^  sodann  umwandeln  und  umtanzen  sie  diese 
flammende  „Burg"  oder  „Hütte,"  deren  Spitze  häufig  noch  ein  vor- 
her im  Dorfe  umhergetragener  Strohmann  krönt,  und  deren  Rauch, 
wenn  er  zur  Eomflur  zieht,  eine  reichliche  Ernte  andeutet. 
Zu  Hause  verzehren  die  Jünglinge  mit  dem  jungen  Ehemanne,  die 
Jungfrauen  mit  der  jungen  Frau  an  besonderen  Tischen  das  Fest- 
mahl.^ Zu  Kobem  in  der  Eifel  muß  die  jüngste  Ehefrau  über 
und  durch  das  Feuer  springen,  welches  zur  Verbrennung  des 
zum  Tode  verurteilten  Strohmanns  am  Fastnachtsdienstage  ent- 
loht wird  (vgl.  0.  S.  179).*  Diese  Bräuche  lassen  mit  einmal 
einen  Umstand  bedeutsam  erscheinen,   der  bei  dem  Mittsommer- 


1)  De  Nore ,  Mythes ,  contames  etc.  p.  188. 

2)  Zs.  f  D.  Myth.  I.  90,  7.    Schmitz,  Sitten  und  Br&nche  des  Eifler 
Volkes  S.  24  -  25. 

3)  Schmitz  a.a.O.  S.21— ! 

4)  Schmitz  a.  a.  0.  S.  20. 


464  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  Maibrautschaft. 

feaer  sich  in  verschiedenen  Formen  wiederholt.  In  manchen 
Orten  Südf'rankreichs  muß  das  jüngste  Ehepaa/r  der  Gemeine  das 
Johannisfeuer  anzünden^  in  Puy  de  Dome,  wo  zugleich  nach  den 
Geschenken  auf  der  mit  Kränzen,  Uhren,  Weinflaschen  geschmück- 
ten Tanne  geklettert  wird,  eine  seit  kurzem  verheiratete  junge 
Frau,  welche  man  in  feierlichem  Zage  einholt.  Nicht  minder 
läßt  man  in  Nivernais  eine  seit  einigen  Monaten  vermählte  Frau 
mehrere  Male  um  das  Johannisfeuer  gehen  und  dann  ein  wenig 
hineinspringen.  Zu  Jumieges  in  der  Normandie  legen  dagegen 
ein  junger  Mensch  und  ein  junges  Mädchen  mit  Blumen 
bekränzt  zu  Mittsommer  das  Feuer  an  den  Holzstoß.  In 
Deutschland  wurde  vielfach  paarweise  über  das  Feuer  gesprungen. 
Im  Erzherzogthum  Oesterreich  geschieht  das  vielfach  noch.  Zwei 
in  erbettelte  alte  Kleider  gesteckte  Strohpuppen,  Hansl  und 
GreÜ  (cf.  0.  S.  429)  werden  an  der  Spitze  einer  langen,  bis  zum 
Grunde  eingestrohten  Stange  befestigt,  Gretl  zu  oberst,  unter 
ihr  Hansel.  Die  Stange  wird  in  die  Mitte  eines  hohen  Scheiter- 
haufens gesteckt  und  angezündet  Sind  die  beiden  Puppen  unter 
dem  Jauchzen  aller  Umstehenden  sammt  der  Stange  verbrannt, 
so  springen  die  Bursche  und  die  Mädchen  paarweise  durch  die 
Flammen.^  In  Ober-  und  Nieder -Baiem,  der  Oberpfalz,  Ober- 
schwaben und  Unterschwaben  besteht  die  Sitte  ebenfalls  noch.' 
Je  ein  Jüngling  und  eine  Jungfrau,  am  liebsten  erklärte  Liebes- 
paare, umtanzen  Arm  in  Arm  oder  Hand  in  Hand  den  Holzstoß 
des  Sonmiersonnwendfeuers  und  springen  dann  (oder,  wie  man 
in  Schwaben  sagt,  jucken)  mit  einander  durch  die  Flamme, 
damit  der  Hanf  oder  Flachs  recht  hoch  wachse,  oder  um  das 
Jahr  hindurch  von  ansteckenden  Krankheiten  verschont  zu  blei- 
ben. So  jucken  oft  40  —  50  Paare  hintereinander  hinüber,  und 
wenn  die  Reihe  zu  Ende  ist,  fängt  der  Sprung  von  vorne  an, 
bis  die  letzte  Kohle  erloschen  ist.  Am  Lech  singt  die  paar- 
weise (Bub  und  Dirne)  nach  vollendetem  Reigen  um  den  bren- 
nenden Baum  durch  das  Simetsfeuer  springende  Jugend:  Un- 
term Kopf  und  oberm  Kopf  tu  i  mein  Hütl  schwingen;  Madl, 
wenn   d'   mi  gern   hast,   durchs  Fuir  must  mit  mi  springen.^ 

1)  Baamgarten,  das  Jahr  und  seine  Tage.    Linz  1860.   S.  27. 

2)  Panzer  I,  215,  241.     Meier,  Schwab.   Sag.  423, 107. 108.  425, 110. 
Birlinger  n,  97, 128.  104, 129.  105, 130.  107,  131 

3)  Leoprechting ,  Aus  dem  Lechrain  S.  182  ff. 

f 


Das  Maipaar  und  die  Sonnwendfenor.  4^5 

Statt  des  HindnrchspriDgens  der  Liebespaare  durch  das  Feuer 
begegnet  auch  die  andere  Form,  daß  der  Bursche  am  Fackel- 
abende oder  am  Funkensonntage  (ersten  Sonntage  in  der  Fasten) 
für  sich  und  sein  Mädchen  die  im  Fastnachtfeuer  angezün- 
dete Scheibe  vom  Schleuderstocke  hoch  im  Bogen  in  die  Luft 
wirft.  So  noch  in  der  Gemeinde  Matt,  Kanton  Claras.  Der 
junge  Mann  ruft  dabei: 

Scbibe,  Schibe 

Ueberilbe ! 

Die  soll  mi  und  N.  N.  blibe. 

Dieser  Brauch  ist  deutlich  nur  eine  wenig  veränderte  Form  jenes 
französischen  (o.  S.  456),  beim  Scheibentreiben  die  Namen  der 
Brautpaare  auszurufen  ^  hier  übernimmt  der  Liebhaber  nur  selbst 
die  Verkündigung.  Gewöhnlich  ist  die  Sitte  aber  dahin  abge- 
schwächt, daß  der  Liebhaber  die  Scheibe  seinem  Schatze,  oder 
andern  geliebten  und  geehrten  Personen  (den  Eltern,  Geschwi- 
stern, der  h.  Dreifaltigkeit)  widmet: 

0  du  mei  liebe  Scbeiben, 
Wo  will  1  di  heit  hlBtreiben? 

1  waes  schon  wem  i.  maen! 
Der  (Walburg)  ganz  allaen! 

Oder: 

Schibi,  Schibo! 

Wem  soU  d  SoMbe  go? 

Beim  Fortschleudern  der  Scheibe  wird  dann  der  Name  der 
Geliebten  genannt.    Oder: 

Scbeib  aus,  Scheib  ein. 

Das  soll  der  N.  N.  zem  L&dle  'nein. 

Oder: 

Scheible  auf^  Scheible  ab 

Gät  Hber  alle  Aecker  und  Wiese  na, 

Der  N.  N.  eine  tausend  guete  Nacbt.^ 

Da  die  Scheiben  so  geformt  sind,  daß  sie  deutlich  die  Sonne 
darstellen  sollen,  mithin  ihr  Werfen  in  hohem  Bogen  zu  Früh- 
lingsanfang  das  Aufsteigen   der  Sommersonne   versinnbildlichen 


1)  S.  Vemaleken,  Alpensagen  367,33.  Panzer,  Beitr.  I,  S.  210-212 
No.  231  — 234.  Meier,  Schw.  Sag.  380—383  No,  21— 27.  Zingerle,  Tiroler 
Sitten  140, 1225.    Birlinger  ü,  59  ff. 

Mannhardt.  30 


466  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  Maibrautschaft. 

maß,  bedeutet  die  Darbringang  an  das  geliebte  Mädchen ,  daß 
man  ihr  den  vollen  Sonnenschein  des  Glückes  ins  Haus  wünscht; 
jene  ältere  Form  der  Sitte  sagt  aus,  daß  der  Freier  oder  Ver- 
ehrer sich  und  sein  Schätzchen  unter  die  Gunst  der  Gedeihen 
spendenden  Sonne  stellt,^  d.  h.  er  macht  sich  und  sie  zu  Nach- 
ahmern des  dämonischen  Maibrautpaars,  welches  von  der  großen 
Wärmespenderin  unmittelbar  die  Lebenskraft  empfängt.  Zur 
Belohnung  für  das  Scheibentreiben  und  als  Zeichen  der  Gegen- 
liebe erhält  der  Bursch  von  seinem  Liebchen  ein  kranzförmiges 
Gebäck,  den  sogenannten  Funkenring,  Dieser  Ring  (der,  mit 
dem  runden  Fladen  zu  Fastnacht  vergleichbar,  vielleicht  den 
jfirhring,  järes  umbihring,  umbihwurft,  orbis  anni  Myth.*  716  ver- 
sinnbildlicht) erinnert  an  die  Sitte  im  Egerlande,  wo  das  Johan- 
nisfeuer  in  nachstehender  Weise  begangen  vrird.  Wenn  der  blu- 
mengeschmückte Johannisbaum  niedergebrannt  ist,  von  dem  die 
Bursche  die  durch  ihre  Schätzchen  aufgehängten  Kränze  während 
des  Brennens  herabgeholt  haben,  stellen  sich  die  Jünglinge  ihren 
Mädchen  gegenüber  um  das  Feuer,  und  beide  schauen  sich  ein- 
ander durch  Kränze  und  durch  das  teuer  an,  um  zu  eri'ahren, 
ob  sie  sich  treu  sein  und  sich  heiraten  werden.  Dann  werien 
sie  sich  nacheinander  drei  mal  die  Kränze  durch  oder  über  das 
lodernde  Feuer  zu,  und  der  Bursche  muß,  wenn  er  nicht  einen 
argen  Verstoß  begehen  will,  den  Kranz  fangen,  den  das  Mäd- 
chen ihm  zuwirft.'  Bei  Bilcz  in  der  Gegend  von  Sandomir  in 
Polen  singt  man  das  Johannisfeuer  umtanzend  ein  Lied,  in  wel- 
chem  St.  Johann   selbst   aufgefordert  wird,   sich  ein   Weib  zu 

suchen: 

0  Johann,  Johann,  grüner  Johann I 
(0  Janie,  Janie  —  Janie  zielony! 
Es  fallen  die  Blätter  nach  allen  Seiten 
Und  du  Johann  Enechtohen 


1)  Vgl.  das  VolkßUed  (ühland  Nr.  31): 

Schein*  nns  du  liehe  Sonne, 
Gieb  nns  lautem  Schein; 
Schein^  nns  zwei  Lieb'  zusammen, 
Ei  die  gern  bei  einander  wollen  sein. 

Cf.  W.  Menzel  in  Pfeiffers  Germania  I,  64. 

2)  Reinsberg-Düringsfeld,   Festkalender  a.  Böhmen  S.  306.     Vgl  das 
KOssen  durch  den  Kranz  im  russischen  Semikbrauch  o.  S.  435. 


Das  Maipaar  und  die  Sonnwendfeuer.  467 

8w^  dir  eine  Fvcm! 

(sakay  se  zony) 

Wo  bei  dem  Henker,  soll  ich  sie  snchen? 

Ich'  werde  zn  Stephans  gehen 

Ans  Fenster  klopfen. 

Klopf  klopf  ans  Fenster. 

Komm  heraus  liebes  Mariechen, 

Ganz  allein e. 

Mariechen  kam  nicht,  sie  sandte  die  Schwester. 

Schwester^  liebe  Schwester, 

Stehe  f&r  mich  scharf, 

So,  als  wäre  ich  es  selber. 

Dann  aber  wendet  sich  das  Lied  so,  daß  in  der  Aufifbrderung, 
ein  Weib  zu  suchen,  ein  Bursche  z.  B.  aus  der  Familie  Tomaly 
(Tomalöwparobecku)  untergeschoben  wird;  er  klopft  bei  Kohls 
(do  Kapusty)  ans  Fenster,  Magdusch  macht  ihm  auf  und  reicht 
ihm  das  Händchen :  „  Grüß  dich  Gott ,  mein  Albertchen ,  ich  werde 
dich  wollen.'^  Und  in  dieser  Weise  werden  dann  nacheinander 
die  Namen  aller  jungen  Männer  und  Mädchen  aus  dem  Dorfe 
zusammengebracht.    Oder  das  Lied  lautet: 

Wület  du  heiraten,  weißer  Johcmnes, 

So  wül  ich  dir  ein  Weih  eufreien. 

Da  ist  bei  den  Sowini 

Das  hübsche  Mariechen, 

Hat  ein  Kränzlein  von  Bösen, 

Nicht  wenige,  nicht  viele. 

Ach  weißer  Johannes. 

Willst  du  heiraten  weiBer  Johannes, 

Ich  will  dir  ein  Weib  freien. 

Da  ist  ja  bei  Küsters 

Das  niedliche  Eischen, 

Hat  ein  Kränzlein  von  Pfingstrosen. 

Bei  ihr  trinken  die  Beiterslente. 

Ach  weißer  Johannes  I 

Und  so  fort,  hintereinander  werden  auf  diese  Weise  alle  Mäd- 
chen des  Dorfes  durchgehechelt.^  Eine  merkwürdige  Aufhellung 
erhalten  diese  Lieder  durch  einige  z.  T.  ungedruckte  lettische 
Johannisliedehen,  deren  Mitteilung  und  Uebersetzung  ich  meinem 
Freund  A.  Bielenstem  danke. 

1.  Johannes  schrie,  JohafBues  rief: 

Dem  Johannes  wwr  das  Weib  verloren  gegangen. 


1)  Oskar  Kolberg,  Lnd.  Ser.  I.   Warszawa  1866.  p.  107,  108,  119  C 

30* 


468  Kapitel  V.    Vegatationsgeister:  Maibraatschaft. 

Schreie  nicht  Johannes ,  rafe  nicht  Johannes ! 
Wir  werden  das  Weibchen  finden, 
Wir  werden  das  Weibchen  finden^ 
Unter  den  FarrenkrantbttBchen. 

2.  Wer  glänzte,  wer  flimmerte 
Im  Farnkrantgebüsche  ? 
Das  silbergeschmückte 
Weib  des  Johannes. 

Büttner  2275  gewährt  die  Variante: 

Das  Weib  des  Johannes  pflückt  Kräuter, 
Die  Bmst  vgll  silberner  Spangen. 

3.  Das  Weib  des  Johannes 

Hat  eine  große  Brehze  (Brustspange), 

Sie  (die  Brehze)  geht  verloren 

Am  Johannisabend. 

Die  Sonne  geht  unter  beim  Suchen^ 

Die  Sonne  geht  auf  beim  Finden.  (Büttner  2274.) 

4.  Wer  hat  den  Pfad 

Mit  Silber  (silbernen  Tautropfen?  sudrabeem  Plur.)  begossen? 
Die  Geliebte  (das  Eheweib?  lihgawa)  des  Johannes 
*    Wassertragend. 

In  den  lettischen  Johannisliedem  findet  sich  nicht  die  geringste 
Spur  von  Johannisfeuem ,  so  daß  es  fraglich  bleiben  muß,  ob  die- 
selben in  Kurland  altheimisch;  oder  von  den  Deutschen  entlehnt 
sind,  nnzweiielhaft  aber  gehört  die  im  polnischen  Johannisliede 
und  Johannisbranch  ausgesprochene  Anschauung  in  eine  Reihe 
mit  der  Idee  von  dem  in  der  Johannisnacht  verschwundenen 
EheWeibe  des  Johannes.  Danach  ist  dem  (mit  dem  Ealender- 
namen  des  23.  Juni  bezeichneten)  mythischen  Wesen  zu  Mittsom- 
mer das  Weib,  die  Maifrau  gestorben;  die  silberne  Spange, 
welche  sie  trägt  und  die,  gleich  ihr,  in  der  Nacht  der  Sonnen- 
wende verschwindet,  mag  die  Sonne  sein.  Diese  Art  Symbolik  ist 
grade  dem  lettischen  Yolksliede  geläufig.  Hier  ist  aber  genau 
jenes  Wesen  (die  Sonne?),  das  wir  S.  431,  vgl  S.  444  den  in 
Laub  gehüllten  Schläfer  im  Frtlhjahr  erwecken  sahen.  Fttr  die 
andere  Jahreshälfte  sucht  Johannes  ein  anderes  Weib,  er  findet 
seine  alte,  aber  verwandelt;  oder  eine  neue  (die  winterliche  Gat- 
tin) zu  neuer  Vermählung.  Von  solcher  mythischen  Hochzeit  ist 
der  polnische  Johannisfeuerbrauch  das  launige  Abbild.  ^    In  einer 


1)  Vgl.  hinten  den  Nachtrag. 


Das  Maipaar  und  die  Sonnwendfeuer.  469 

weit  derberen  uralten  Symbolik  wird  bei  den  Esten  auf  der  abge- 
legenen Insel  Moon  das  „Beüager"  der  Johannispaare  begangen. 
Am  23.  Juni  oder  am  1.  Juli  (Vorabend  des  Heu -Marientages) 
werden  dort  große  Feuer  angezündet ,  deren  Mittelpunkt  wol  auch 
wie  auf  der  benachbarten  Insel  Dagdö  und  im  Kirchspiel  Earmel 
auf  Oesel  ein  großer  Baum  bildet  (vgl.  o.  S.  179  —  80).  An  die- 
sem heiligen  Abende  „muß  der  Mooner  eine  Beischläferin  haben.'^ 
Während  nun  die  Weiber  und  Mädchen  den  Rundtanz  um  das 
Johannisfeuer  (resp.  Heumarienfeuer  oder  Ledotulli)  ausführen^ 
gehen  die  jungen  Kerle  um  den  Kreis  herum,  beobachten  die 
Mädchen,  entfernen  sich  dann  in  den  Wald  und  geben  einem 
Trupp  kleinerer  Jungen  den  Auftrag,  ihnen  die  Auserkorene  zu 
holen.  Einer  derselben  ruft  das  bezeichnete  Mädchen  unter  irgend 
einem  Verwände  aus  dem  Ringe  der  Tänzerinnen  heraus.  Die 
übrigen  Jungen,  etwa  zehn  an  der  Zahl,  umringen  die  Jungfrau 
und  schleppen  sie  mit  Gewalt,  der  eine  yorne  am  Gurt  ziehend, 
die  andern  hinten  stoßend  über  Stock  und  Stein,  über  Zäune 
und  Gräben,  bis  der  Zug  nach  mehrmaligem  Fallen  und  wieder- 
holtem Ringen  bei  dem  Harrenden  angelangt  ist.  Dieser  wirft 
sie  nieder,  legt  sich  neben  sie  und  schlägt  ein  Bein  über  das 
Mädchen  (diese  Ceremonie  muß  er  durchaus  beobachten,  wenn 
ihn  das  Mädchen  nicht  für  emen  Stümper  halten  soll).  Ohne  sie 
weiter  zu  berühren,  liegt  er  bis  zum  Morgen  neben  ihr.  Die 
Mädchen  aber,  denen  solches  widerfährt,  freuen  sich  dessen 
nicht  wenig,  selbst  wenn  man  ihnen  auf  dem  Transporte  das 
Hemde  zerrissen  hat  (die  Moonschen  Weiber  und  Mädchen  gehen 
nämlich  im  bloßen  Hemde,  nur  wenn  sie  zur  Taufe  und  Hochzeit 
gehen ,  ziehen  sie  einen  Rock  an).  Die  nicht  gewählten  Mädchen 
können  ihren  Neid  und  Mißmut  kaum  bezwingen  und  die  Mütter 
der  Bevoraugten  erzählen  mit  Wonne  den  Ruhm  und  die  Vor- 
züge ihrer  Töchter.^  Es  gab  noch  rohere  Formen  dieser  auf 
Ehe ,  Liebe ,  Befruchtung  bezüglichen  Frühlingsgebräuche.  Kemble 
(Sachsen  in  England  übers,  v.  Brandes  I,  295)  erzählt,  daß  zu 
Inverchetm  in  der  Osterwoche  ein  Priester  die  kleinen 
Mädchen  (puellulas)  der  Gemeine  nötigte,  einen  Reigen  aufzu- 
führen, dem  man   auf  einer  Stange  ein  Priapusbild  (membra 


1)  Verbandlungen  der   estnischen  Gesellschaft  VII.     Dorpat  1872.   2. 
p.  64—  65  vgl.  63. 


470  Kapitel  V.    VegetatLonsgeister:  Maibrautschaft 

humana  yirtati  seminariae  servientia  saper  asserem  artificiata) 
Yoraoftrag.  Da  eben  derselbe  aus  Laodania  ein  Zeogniß  Tom 
Jahre  1268  beibringt ,  wonach  »beim  Notfeuer  ein  simalacrum 
Priapi  aufgestellt  und  mit  den  in  Weihwasser  getauchten  Testi- 
kehl  eines  Hundes  das  an  der  Lüngenseuche  erkrankte  Vieh 
besprengt  wurde,  so  ist  es  bei  der  Verwandtschaft  der  Oster- 
feuer  und  der  Notfeuer  nicht  unmöglich,  wenngleich  nicht  not- 
wendig, daB  ersterer  Brauch  früher  auch  beim  Osterfeste  vor 
sich  ging.  Cf.  Kuhn,  WestfU.  Sag.n.  138,  406.  Ueberraschend 
ist  es  der  Braut  in  Verbindung  mit  dem  Johannisfeuer  bereits 
vor  dem  12.  Jahrhundert  auf  dem  Boden  des  griechischen  Kaiser- 
tums zu  begegnen.  Theodor  Balsamen,  Diaconus  und  Nomo- 
phylax  in  Byzanz ,  Ausgangs  saec.  XII.  erzählt  nämlich  in  seinem 
Commentar  zu  Canon  65  des  Trulianischen  Concils:  fj  de  xüv 
nvQTiaiwv  daif^ovicidrjg  zeletTj  ycal  al  y^Xfjdoveg  eyivovro  ^irj^HQi  Trjg 
iq)7if46^iag  tov  ayiurraTOv  Ttaxqiaq^ov  MixaijX  zdv  yeyovozog  V7ta- 
Tov  T(3v  (piXoa6q/0)v  etg  tccvrip^  ziiag  rrjv  ziov  noXecDV  ßaailßvov- 
aotv  oimag.  xorra  xrpf  koTti^av  t^g  xy.  tov  Iowiov  /Arjvdg  rj^qoitovxo 
ev  zaig  ^fiioi  xal  IV  Tioiv  oinoig  avöqeg  ymI  ywai-Mg  aal  fCQCD' 
TOTOxov  TiOQaaiov  vv/Ä(pi>Kiüg  eoToXvtfOv,  juerä  yovv  %6 
ovfiTcoaiaoai  xat  ßaxxixdreQov  oq^rpciad^ai  xal  xo^vaai  xal  ai/x- 
la^ai  sßaXov  iv  dyyei^f  avOTOfu^  %oXyu^)  d-aldwiov  iidcjQ  xai  eYdrj 
Tivä  hidoTiiP  zovTOfv  dvrfKOv%av  *  -mal  äarcsQ  zf^g  Ttatdog  exuvrig 
XaßovOTjg  iaxvv  ix  tov  aaravä  TCQOftfjvveiv  zä  sQCüTtofiSva ,  ctizot 
(LUV  Tteql  zov  de  zivog  dya-9'ov  fj  xal  dnocqoTtaiov  dveßotov  eQU)- 
ZTjfiazLxäg'  z6  de  xoqaaiov  dnb  ziov  ev  Z(p  dyyeiq)  efißhj&ivziay 
slduiv  zo  Tcaqazvxov  e^ayaywv,  VTteöeixvvev,  S  xat'  kafißdrcav  6 
dvorpiog  zovzov  deajiozrjg  i7rX7]Qoq>oQ€izo  zd%a  zd  en  avzqß  ovre- 
X'9'^cci  fdiklorza,  evzvytj  te  xal  dvozvxrj'  tj  enavqiov  de  /Äezä 
zv^Ttdviov  xal  xoqüv  avv  z(p  xoQaaiqt  elg  zovg  alyiaXovg  OTteqxo- 
fjievoi  X4xl  vdwQ  d'ahizzLOv  dqf&ovcjg  dvalafißav6/4€voi  zag  xazoi- 
7U(Sv  avzüiv  e^^ivov.  xal  ov  jnovov  zavza  ezekovvzo  Tcaqd  zwv 
evowet<ozeQ(av ,  dkXd  xal  3v  olr]g  zrjg  vvxzog  aTto  xoqzov 
(1.  x^^TOv)  TCVQxai'dg  dvaTtzovzeg  iTcrjdußV  vTteqdvw  axn&v 
xxxi  kxXrjdoviCfivzo  7[col  efxavzevovzo  Tceql  eircvxiag  xai  dvazvxictg 
xal  alkiov  zmov  daifiovi(o3<Sg  .  zag  de  ev&ev  xqxald'BV  eloodovg 
avziov  xal  z6  dij^dziov  iv  qt  izekeizo  fj  xkrjdiov  avv  zalg  Jtaqa- 
xeifievoig  vnai^qoig  xQ^oitovoL  nirtXoig  xal  arjqixoig  xazexooftovv 
elg    zifxrpf    xal    VTcodox^jv    wg    eoixe    zov    olxeicjaafiivov   avzovg 


Der  Brautball.  471, 

aazfxvS '  a  dfj  navta  6  ^r/d-eig  ayitjzavoq  n:aTQid^rjg  fievä  Ttdatjg 
emfielaiag  Kaia^yrj&rjvaL  i/tivQSipsv .  o  xal  yiyov^ .  xai  vvv  evdo- 
xavwog  ä'env  zä  zoiavva  d-eoarvy^  egya  jiaviBijüg  T]7CQdxvr]aav.^ 
Längst  hatten  eingewanderte  Slaven  and  andere  Fremdlinge  das 
Volksleben  im  byzantinischen  Beiche  beeinflußt;  vielleicht  ist  auf 
diese  Weise  die  überraschende  Aehnlichkeit  mit  den  nordeuro- 
päischen Bräuchen  zu  erklären. 

§  10.  Der  BrautbalL  Die  Verbindung  des  Scheiben- 
schlagens  am  ersten  Fastensonntage  mit  der  Proclamation  der 
Liebespaare  oder  mit  dem  neuvermählten  Ehepaare  scheint 
einen  nahen  Verwandten  in  dem  zu  Ostern  geübten  märkischen 
Brauche  des  Brautballs  zu  haben.  In  Tangermünde  werden  die 
im  verflossenen  Jahre  verlieirateten  Frauen  am  dritten  Ostertage 
um  den  Brauthall  gebeten,  der  nachher  von  den  Knechten  und 
Mägden  in  den  Tannen  zerschlagen  wird.  Aehnlich  bei  Wer- 
ben. Bei  Salzwedel  zieht  das  gesammte  junge  Volk  am  Oster- 
tage oder  Sonntage  Jadica  auf  den  Hof  des  neuen  Ehepaars 
und  singt: 

Hie  sind  wi  Junfern  alle, 

Wi  singen  dn  Bratballe. 

Will  nns  de  Brut  den  Ball  nich  gewen, 

So  wiirn  wi  är  den  Mann  ok  nemen. 

Eier  Mann,  Eier  ja; 

K.  I^.  mit  sine  junge  Brut 

Schmit  uns  den  Brütball  herut. 

So  gröt  as  dn  Zipoll  (Zwiebel), 

Den  soirn  ji  woll  beholFn. 

Die  junge  Frau  wirft  dann  einen  Ball  über  das  Dach  des 
Torwegs,  der  junge  Mann  zahlt  einen  Gulden  (Thaler),  die 
Gesellschaft  geht  mit  dem  Segenswunsche  ab,  das  Glück  möge 
jahraus  jahrein  währen,  das  Unglück  zum  Giebel  heraus  fahren; 
der  Ball  wird  am  Ostertage  so  lange  beim  Ballspiel  geschlagen, 
bis  er  zertrümmert  ist^  In  Camem  bei  Sandow  an  der  Elbe 
ziehen  am  Sonntage  Judica  (14  Tage  vor  Ostern)  die  Mädchen 
iUr  sich,  und  die  Bursche  ftlr  sich  vor  das  Haus  der  seit 
Jahresfrist   Neuvermählten,   jene    mahnen   sich  eine  große 


1)  Baisami  Commentar.   in  Canones  Concilii  scxt.  in  TruUo.    Can.  65. 
Beveregii  Synodicon  sive  Pandectae  Canonum.    Oxon.  1672.   T.  I.  f.  234  —  35. 

2)  Kuhn,  Mark.  Sag.  313 ff. 


4^2  Kapitel  Y.    Yegetationsgeister:  Maibrantschaft. 

Holzkngel  (die  Kliese),  diese  den  BraufbaJl  (einen  großen  Ball 
von  Leder).  Mit  der  Eliese  wird  Ball  aus  dem  Loche  gespielt, 
der  Brantball  wird  so  lange  hin  und  wieder  geschlagen,  bis  er 
entzwei  ist.    In  dem  Gresange  heißt  es: 

OrüfOdf!    Gfünldf!    Pris  ober  alle 

Düssen  Sommer,  dflssen  Sommer 

Lewen  de  Mäkens  noch  alle. 

Wi  manen  uns  den  Brüdeballl  (de  Kliese) 

Unn  wenn  se  ans  den  Ball  (de  Kliese)  nich  gewen, 

Denn  will'n  wi  ihr  den  Mann  (em  de  Liese)  wegnehmen. 

Denn  will'n  wi'n  ihr  verschenken, 

Si  soll  da  wol  dran  denken. 

Ün  is  der  Ball  von  Asche 

So  wiirn  wi  uns  wol  waschen; 

Un  is  der  Ball  von  Golde 

Denn  wiU'n  wi'n  wol  beholden.  ^ 

In  Arendsee  in  der  Altmark  singen  die  Kinder  und  Lehrburschen 
am  Ostemachmittage  unmittelbar  nach  dem  Schlüsse  des  Gottes- 
dienstes vor  den  Fenstern  der  seit  den  vorigen  Ostern  verhei- 
rateten Eheleute: 

Hier  stehn  wir  Enäblein  alle 

Und  singen  uns  den  Balle, 

Und  wiln  se  uns  den  Ball  nich  jeben, 

Denn  willn   wi  &  den  Mann  wegneem; 

Tünp&l  will  wi  ä  werrä  jeben. 

Grron  Löf,  gron  Lofl 

Jungfa  schmlt  se  den  Ball  herftt. 

Darauf  werden  mehrere  (10.  30)  lederne  Kinderbälle  und  der 
große  mit  Sägespänen  gefüllte  BrätUigamsball  herausgeworfen, 
auf  den  die  Lehrburschen  Anspruch  machen.  Einen  hübscheren 
Brautball  mit  Troddeln  schenkt  die  Braut  an  ihre  unverheirateten 
Jugendgespielinnen.  Nachher  werden  im  Tannenuxüde  in  Gegen- 
wart fast  der  ganzen  Stadt  die  Bälle  verspielt,  d.  h.  im  Bogen 
einander  zugeworfen,  bis  der  Ball  platzt.  Jetzt  packt  jeder 
mit  einem  Finger  ins  Loch  und  sucht  einen  Fetzen  des  Leders 
0u  erhalten,  den  er  als  Andenken  aufhewahri^  In  Hausen,  Ball- 
Stadt,  Westhausen,  Stottemheim  (Sachsen -Weimar)  teilen  die 
jungen  Eheleute  am  ersten  Osterfeiertage  „Ballen"  aus,  welche 


1)  Kuhn,  Nordd,  Sag.  372,  16. 

2)  Englien  und  Lahn»  der  Yolksmund  1868  I.  230,  6. 


Der  Braatball.  473 

die  Mädchen  sich  schon  Pahnaram  bestellen  ,, hübsch  rund,  httbsch 
bunt,  httbsch  stachelig  nnd  eine  lange  Schleife  dran/'  Die  von 
der  Neuvermählten  an  die  Mädchen  ansgegebenen  Bälle  sind 
nämlich  Nadelkissen ,  mit  Stecknadehi  besteckt  (man  ygl.  das 
zackige  Sonnenbild),  woneben  neuerdings  auch  Stecknadelbrief- 
chen  yerabfolgt  werden;  den  Knaben  wirft  der  junge  Ehemann 
große  nnd  kleine  Lederbälle  aus  dem  Fenster,  wonach  sie  laufen, 
so  wie  Hände  voll  „Killercher"  und  „Stenner"  (Schußkugeln). 
In  Klein- Mölsen  hei  Erfurt  werden  die  Sehußkugeln  vorher  heiß 
gemacht,  so  daß  sich  die  Knaben  beim  Anfassen  die  Hände  ver- 
brennen. In  Ellichsleben  (Schwarzburg  Rudolstadt)  beschenkt 
nur  das  Ehepaar,  welches  im  ersten  Jahre  kinderlos  geblieben 
ist,  die  Mädchen  des  Ortes  mit  Stecknadelbriefen  und  einem 
großen  Fangball,  der  ganz  und  gar  derart  mit  Nadeln 
gespickt  ist,  daß  die  Spitzen  nach  außen  stehen.  Dieser 
Ball  wird  auf  der  Wiese  emporgeschleudert  und  gehört  dem, 
der  ihn  auffängt.  Der  Gewinner  hängt  seine  mit  blutiger  Hand 
erhaschte  Beute  als  Ehrenzeichen  im  Zimmer  auf.^  Im  Kirch- 
spiele Vieux-Pont,  D6p.  de  TOme  in  der  Normandie  muß  der 
vor  dem  Dimanche  des  BraAdons  (Invocavit)  zuletzt 
verheiratete  junge  Ehemann  einen  Ball  (pelote)  oder  eine 
Kugel,  worin  er  Geld  gesteckt  hat,  vom  Fuße  des  Kreuzes 
aus  so  hoch  als  möglich  iiher  die  Kirche  oder  den  Kirchturm 
werfen.  Auf  der  andern  Seite  fängt  einer  von  den  jungen  Leuten 
der  Gemeine  den  Ball  auf,  darf  denselben  jedoch  erst  dann  sein 
eigen  nennen,  wenn  er  damit  uneingeholt  durch  drei  Kirchspiele 
gelaufen  ist.  Wird  er  vorher  von  einem  Mitbewerber  erhascht, 
80  ftlhrt  man  ihn  zur  Kirche  zurück  und  nun  wirft  er  den  Ball 
seinerseits.  So  geht  das  fort,  bis  derselbe  einen  Eigentümer 
gefunden  hat.*  Li  andern  Ortfen  der  Normandie  wirft  die  Braut 
einen  Ball  über  die  Kirche,  den  die  Junggesellen  und  verhei- 
rateten Männer  zu  fangen  suchen ;  nachher  tanzt  man  miteinander.' 
In  Großbritannien  knüpft  sich  die  Sitte  des  Bällspiels  an  Hoch- 
zeiten, Lichtmesse,  Fastnacht,  Ostern,  Weihnachten;  auch  hier 


1)  F.  Schmidt,   Sitten  xml  Gebrauche   bei  Hochzeiten  in  Thüringen. 
Weimar  1863.    S.  46  ff. 

2)  De  Nore,  contomes  p.  244. 

3)  Brand  pop.  ant.  qn.  ed.  Ellis  II,  156. 


474  Kapitel  Y.    YegetationsgeiBter:   Maibrautschaft 

spielen  Brautleute  oder  Neuverheiratete  die  erste  ;BDlle; 
offenbar  -ist  es  jüngerer  Brauch,  daß  die  Schuljugend  daßir  ein- 
tritt. Bei  den  Kohlenarbeitem  in  Nordengland  wird  der  nach 
der  Trauung  aus  der  Kirche  tretende  Bräutigam  um  Geld  zu 
einem  Fußball  (football)  gebeten  und  er  darf'  sich  nicht  weigern.  ^ 
Der  Fußball  ist  ein  mehr  als  kopfgroßer  Lederball,  mit  Luft 
geftUlt,  der  mit  dem  Fuße  fortgetrieben  wird.*  Eine  neue  Braut 
mußte  ihren  Jugendgespielinnen  ,, Ballgeld ^^  (Ballmoney)  geben.' 
In  Schottland  fand  am  Lichtmeßtage  zwischen  den  verheirate- 
ten Männern  und  den  unverheirateten,  oder  zwischen  zwei 
Ejrchspielen  ein  Wettkampf  mit  dem  Fußball  statt,  der  vom 
Ostende  der  Stadt  bis  0um  Westende  (wie  die  Sonne  geht)  getrie- 
ben wurde.  Der  ,,Licbtmeßball  (Candlemas  Ba')''  brachte  die 
ganze  Bürgerschaft  in  Aufregung.  In  Jedburgh  verpflanzten  vor. 
nicht  allzulanger  Zeit  die  streitenden  Parteien  nach  zweistündigem 
Kampf  in  den  Straßen  denselben  in  das  Flußbett  des  Jed  und 
fochten  ihn  mit  gegenseitigem  Bespritzen  zum  großen  Ergötzen 
der  von  der  Brücke  zuschauenden  Menge  aus.^  Im  Kirchspiel 
Inverness  (Mid  Lotbian)  fand  jährlich  am  Fastnachtdienstag  ein 
Wettkampf  mit  dem  Fußbali  zwischen  den  verheirateten 
und  unverheirateten  Frauen  statt,  wobei  die  Verhei- 
rateten regelmäßig  siegten.*  In  der  Pfarrei  Scone  (Perth)  hatte 
der  Kampf  zwischen  den  verheirateten  Männern  und  den 
Junggesellen  statt.  Er  nahm  vom  Kreuz  (cross  of  Scone) 
seinen  Ausgang  und  währte  von  zwei  Uhr  bis  Sonnenun.- 
t  e  r  g  a  n  g.  Wer  einmal  den  Ball  in  die  Hand  bekam ,  lief  damit 
fort,  bis  einer  der  Gegenpartei  ihn  einholte;  konnte  er  sich  dann 
losmachen,  so  lief  er  weiter;  wo  nicht,  warf  er  den  Ball  von 
sich,  es  sei  denn  daß  die  Gegner  ihm  denselben  entwunden  hät- 
ten; doch  niemand  durfte  ihn  thit  dem  Fuße  weiter  stoßen. 
Die  Aufgabe  ilir  die  Verheirateten  bestand  darin,  den  Ball  zu 
„hängen^'  (hang),  d.  h.  dreimal  in  ein  kleines  Loch  im  Moor  zu 


1)  Brand  II ,  156. 

2)  Brand  II,  417.    Strntt,  sports  and  pastimes  1841.  p.  100. 

3)  Coles,    Dictionary   bei  Brand  II,  156.      Cf.   Chambers   Edinburgh 
Joum.  March  12.  1842  bei  Knhn,  Nordd.  Sag.  S.  511. 

4)  Chambers,  the  Book  of  Days  1864.  1,214. 

5)  BVederick»  Morton  Eden^    Statistical  accoant  of  Scotland  bei  Hone 
1,  130. 


Der  BrantbaU.  475 

treiben ,  der  nach  einer  Seite  hin  die  Grenze  bildete ;  die  Auf- 
gabe der  Jnnggesellen  war  ihn  zu  ertränken,  d.  h.  dreimal  in 
eine  tiefe  Stelle  des  Baches  zu  stoßen,  der  den  Kampfplatz  auf 
der  andern  Seite  begrenzte.  Gewann  keine  Partei,  so  ward  der 
Ball  bei  Sonnenuntergang  in  zwei  ganis  gleiche  Teile  zerschnitten.^ 
In  manchen  Gegenden  ist  der  Gegensatz  zwischen  Verheirateten 
und  Unverheirateten  verwischt  oder  geschwunden;  in  einzelnen 
Fällen  vielleicht  nur  von  den  Berichterstattern  außer  Acht  gelas- 
sen. In  Bury  (St.  Edmunds  (Suffolk)  schlagen  auf  Fastnacht 
12  alte  Frauen  Ball  (trap  and  ball)  bis  Sonnenuntergang.*  Noch 
im  Jahre  1815  bestand  in  Teddington,  Twickenham,  Bushy, 
Hamptonwick  und  andern  kleinen  Städten  in  Hamptonshire  nahe 
London  am  Fastnachtdienstag  die  Sitte,  alle  Kaufläden  zu  schlie- 
ßen und  alle  Fenster  mit  Läden,  oder  darttbergenagelten  Latten 
zu  versichern.  Dann  wurde  von  verschiedenen  Gesellschaften 
je  ein  Fußball  (football)  von  Tür  zu  Tür  durch  die  Straßen  getra- 
gen und  Münze  daillr  erbettelt  Um  Mittag  begann  ein  vierstün- 
diges Ballspiel  auf  den  Straßen,  wobei  jeder,  der  es  vermochte, 
den  Ball  mit  dem  Fuße  weitertrieb.  Viele  angesehene  Personen 
wohnten  dem  Schauspiel  bei.^  Nach  Alnwickcastle  in  Northumber- 
land  kamen  jährlich  am  Fastnachtdonnerstag  um  2  Uhr  die  Stadt- 
pfeiffer und  spielten  auf,  dann  wurde  der  Menge  ein  Fußball 
über  den  Burgwall  zugeworfen.  Brand  sah  dies  am  6.  Febr. 
1788.*  So  wird  der  Brautball  über  das  Dach  des  Torwegs  oder 
der  Kirche  gewori'en.  Schon  Fitzstephen,  ein  Schriftsteller  des 
13.  Jahrh.  berichtet,  daß  die  Schuljugend  von  London  zu  Fast- 
nacht unmittelbar  nach  dem  Mittagsessen  auf  die  Felder  ging 
und  das  berühmte  Ballspiel  trieb,  jede  Partei  hatte  ihren  beson- 
deren Ball.^  Und  noch  6  Jahrhunderte  später  nannte  der  Pre- 
diger Kirkmichael  in  Perthshire  den  Football  als  gewöhnliche 
Fastnachtbelustigung  der  Schulknaben.  ^  Wol  aus  der  Feder  des 
ehemaligen  Stadtherolds  Handel  Holme  stammt  die  Nachricht, 
daß    ehemals  bei  einem  auf  dem  Rodee  (oder  Roodeye,  einer 


1)  Morton  Eden  a.  a.  0.    Cf.  Chambers  a.  a.  0.  I,  238. 

2)  Hone  I,  215.    Ueber  den  trapball  s.  Strutt  S.  107. 

3)  Hone  1, 123. 

4)  Brand  I,  92. 

5)  Strutt  92.    Brand  1 ,  70. 

6)  John  Sinclaire,  Statistical  account  of  Scotland  1795  XV^  521.  Brand  1, 70. 


476  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  Maibrautscliaft. 

Wiese  zwischen  der  Kathedrale  von  ehester  und  dem  Deeflasse) 
stehenden  Kreuze  sich  am  Fastnachtdienstage  der  Mayor  sammt 
dem  ganzen  Rat  mid  alle  20  Gilden  der  Stadt  mit  ihren  Vor- 
ständen prachtvoll  geschrnttd^t  einfanden,  mn  yon  da  bis  znm 
Bathanse  Fußball  zu  spielen.  Der  Mayor  mit  Amtsstab ,  Schwert 
und  Schirmhaube  (cap  of  Maintenance)  stand  vor  dem  Kreuze; 
dann  nahte  die  Zunft  der  Schuhmacher  und  ttberreichte  ihm  nach 
nnyordenklichem  Brauche  einen  Lederball  von  drei  Schilling 
vier  Pence  Wert;  worauf  die  Sattler  hoch  zu  Roß,  in  ihrem 
besten  Staat  herankamen  und  blumenumwundene  Holzbälle 
auf  die  Spitze  ihrer  Speere  gesteckt,  (vgl.  o.  S.  134)  dar- 
brachten. Endlich  waren  alle  diejenigen  Bürger,  welche  das 
erste  Jahr  ihrer  Ehe  noch  nicht  beendigt  hatten ,  verpflichtet,  emen 
Ball  von  Sammt  und  Seide  zu  liefern.  Alle  diese  Geschenke 
wurden  dem  Mayor  oder  in  seiner  Gegenwart  der  Gilde  der  Tuch- 
händler, als  der  vornehmsten  ttbergeben.  Da  das  Ballspiel  öfter 
zu  Streitigkeiten  fbhrte,  suchte  man  es  unter  Heinrich  YHI.  abzu- 
schaffen. Ein  Verbot  der  Darbringung  im  Jahre  1533  blieb 
fruchtlos;  da  verwandelte  man  1540  die  Bälle  in  Preise  ftlr  das 
Wettrennen  auf  dem  Rodehee,  das  nun  —  so  scheint  es  —  an 
die  Stelle  des  Fußballspiels  trat,  und  flir  das  Bogenschießen  am 
Ostermontag,  die  Schuhmacher  gaben  fortan  den  Tuchhändlem 
in  Gegenwart  des  Mayor  eine  silberne  Lanze,  die  Sattler  eine 
silberne  Glocke,  die  Neuverheirateten  einen  silbernen  Pfeil.* 
Auch  zu  Ostern  war  bei  Corporationen  das  Ballspiel  ttblich. 
Ehedem  begaben  sich  Jahr  um  Jahr  zu  Ostern  und  Pfingsten 
der  Mayor,  die  Aldermen  und  der  Sheriff  von  Newcastle,  von 
den  Bürgerinnen  erwartet,  in  voller  Amtstracht  auf  den  Porth, 
eine  Art  Malliebahn,  um  dem  Ballspiel  zuzuschauen  oder  daran 
teilzunehmen.*  Eine  erst  in  den  letzten  Jahrhunderten  aufge- 
kommene Abart  des  Brauches' ist[[es,  daß  junge  Leute  beiderlei 
Geschlechts  auf  Ostern  um  einen  Rainfamkuchen  (tansycake) 
Stuhlball  (stoolball)  oder  Handball  spielten.^     Dagegen  spielten 


1)  Kings  Yale  Royal  of  England  p.  197.    Brand  I,  92.    Strntt  101.  42. 
Chambers  1 ,  428  £ 

2)  Brockett,    a  glossary   of  North  -  conntj   words   s.   v.   Keppy-ball. 
Hone  I,  215.    Kuhn,  Nordd.  Sag.  511. 

3)  Bonme ,  antiqnities  of  tho  commun  people  cap.  24.    Stmtt  94.    Üeber 
stoolball  8.  Strntt  97.    Der  Kuchen  aus  Bainfarrenkraut,  ein  beliebtes  Oster* 


Der.  Brautball.  477 

schon  im  frühen  Mittelalter  die  Geistlichen  sogar  in  den  Kirchen 
Ball.  Joh.  Beleth,^  spricht  um  1166  in  seiner  ,;Diyinorum  officio- 
mm  ac  eorumdem  rationnm  explicatio,''  wobei  er  vorzugsweise 
Gebräuche  der  Kirche  von  Poitiers  im  Auge  hatte ,  im  Anschluß 
an  das  Osterfest  cap.  120  ^^de  quadam  libertate  Decembris'^: 
;,Bestat,  ut  de  eo  nunc  agamus,  quod  ultimo  loco  in  partitione 
superiori  propositum  fuit;  nimirum  de  quadam  libertate  Decembris, 
quae  hoc  tempore  in  quibusdam  locis  observatur.  Sunt  enim 
nonnullae  ecdesiae,  in  quibus  usitatum  est,  nt  vel  etiam  Episcopi 
et  Archiepiscopi  in  coenobiis  cum  suis  ludant  subditis,  ita  ut 
etiam  sese  ad  lusum  pilae  demittant.  Atque  haec  quidem 
libertas  ideo  dicta  est  Decembrica,  quod  olim  apud  Ethnicos 
moris  fuerit;  ut  mense  loco  send  et  ancillae  et  pastores  yelut 
quadam  libertate  donarentur,  fierentque  cum  dominis  suis  pari 
conditione,  communia  festa  agentes  post  collectionem  messium. 
Qnamquam  vero  magnae  ecclesiae ,  ut  est  Remensis ,  hanc  ludendi 
consnetudinem  observant^  yidetur  tarnen  laudabilius  esse,  non 
ludere.^  Noch  Durand  (Canonicus  zu  Narbonne,  dann  Bischof 
von  Mende)  drückt  sich  darüber  in  seinem  1286  verfaßten  Ratio- 


gericht, sollte  angeblich  zur  Erinnerang  an  die  beim  Passahfest  gebotenen 
bitteren  Kräuter  gereichen.  Brand  I,  176  ff.  Chambers  I,  429.  Auf  die 
oben  im  Text  erw&hnten  Osterbelustigungen  spielt  jein  Gedicht  von  1679  an : 

At  s toolball,  Lucia,  let  us  play 

For  sugar,  cakes  or  wine. 

Or  for  a  tansy  let  us  pay, 

The  loss  be  thine  or  mine. 

If  thou,  my  dear,  a  winner  be 

At  tmndling  of  the  ball, 

The  wager  thou  shaU  have,  and  me 

And  my  misfortunes  all. 

Von  demselben  Gegenstande  sprechen  die  folgenden  Verse  auf  Ostern  in 
„Poor  Bobin's  Almanack  for  1677": 

Joung  men  and  maids 
Now  very  brisk 
At  barley- break  and 
StoolbaU  frisk. 

Hone  I,  215.    Chambers  a.  a.  0. 

1)  üeber  Beleth  vgl.  Piper,  Monumentale  Theologie  S.  620  §  142. 

•  

2)  Bationale  divinorum  officiorum  a  G.  Durando  concinnatum ;  adjectum 
fnit  aliud  Bationale  ab  J.  Beletho  conscriptum.    Lugdini  1605.   T.  II,  546« 


478  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  Maibrantschaft. 

nale  divinorum  officiorum  L.  VI.  cap.  86  „de  sancto  die  Paschae"  § 9 
nach  Beleths  Vorgang  folgendermaßen  aus :  In  quibusdam  quoqne 
locis  hac  die  in  aleis,  in  natali  Praelati  cum  suis  clericis  ludunt, 
in  claustris,  vel  in  domibus  episcopalibus:  itautdescen- 
dant  ad  Indum  pilae,  vel  etiam  ad  choreas  et  cantus  quod 
vocatur  libertas  decembrica:  quia  antiquitus  consuetudo  fuit  apud 
gentileS;  quod  hoc  mense  servi  pastores  et  ancillae  quadam 
libertate  fruerentur  et  cum  dominis  suis  dominarentur  et  cum  eis 
facerent  festa  et  convina  post  collectas  messes :  landabilins  tamen 
est  a  talibus  abstinere.  Während  hier  die  Uebung  des  Ballspiels 
noch  auf  das  Kloster  oder  den  bischöflichen  Hof  sich  beschränkt, 
wurde  es  später  in  England  sogar  in  die  Kirche  hineingezogen 
und  als  ein  Appendix  mit  dem  Gottesdienst  verbunden.  „A  baU 
not  of  size  to  be  grasped  by  one  band  only,  being  giren-out 
at  Easter  the  Dean  and  his  representatives  began  an  antiphone, 
suited  to  Easterday;  then  taking  the  ball  in  his  left  hand  he 
commenced  a  dance  to  the  tune  of  the  antiphone,  the  others 
dancing  round  hand  in  hand.  At  intervals,  the  ball  was  ban- 
died*  as  passed  to  each  of  the  choristers.  The  organ  played 
according  to  the  dance  and  sport.  The  dancing  and  antiphone 
being  concluded,  the  choir  went  to  take  refreshment.  It  was 
the  privilege  of  the  lord  or  his  locum  tenens,  to  throw  the  ball; 
even  the  archbishop  did  A.^'^  —  Im  Schottischen  Hochland 
gehört  der  Ballwettkampf  (luchd-vouil)  endlich  auch  zu  den 
Weihnachtsvergnügungen. ' 

Der  Brautball  muß  in  irgend  welcher  näheren  Beziehung 
zum  grünen  Laube,  zur  jungen  Vegetation  gestanden  haben 
(vgl.  das  Zerschlagen  im  grünen  Tannenwalde),  er  scheint  dem 
jungen  Ehepaare  wesentlich  gewesen  zu  sein.  Ich  stelle  mir  die 
Situation  so  vor,  daß  dieses  auf  ein  Jahr  lang  in  Nutz- 
nießung des  Brautballs  gedacht  sei,  und  daß  die  Mädchen  ihn 
zurückfordern,  weil  mit  dem  Jahresschluß  seine  Function  fttr 
dieses  Paar  erlischt,  ein  anderer  filr  ein  anderes  Paar  an  die 


1)  Bandy  heifit  den  Ball  mit  einem  Stecken  weitertreiben  (Strutt  101  ff-), 
das  Auswerfen  mit  der  Hand  war  allein  dem  Lord  (Bischof  u.  s.  w.)  vor- 
behalten. 

2)  Fosbroke*«  Brit.  Monach  bei  Hone  I,  215.    Cf.  Cihambers  I,  429. 

3)  Grant,  popttlar  saperstitions  of  the  Highlands  bei  Hone  1,817. 


Der  Brantball.  479 

Beihe  kommen  soll.  Die  Sache  wäre  klar,  wenn  man  den  Braut- 
ball als  Symbol  des  Sonnenballs  (jener  feurigen  Scheibe,  an 
welche  der  „Ball  von  Asche,  von  Golde"  (o.  S.  472),  das  Glühend- 
machen der  Schußkugeln  in  Klein -Mölsen,  die  Gestalt  des  den 
Mädchen  gegebenen  Zackenballs  in  EUichsleben  u.  s.  w.  (o.  S.  473), 
das  vielleicht  nicht  bloß  zufällig  erinnert)  und  die  Braut-  und 
jungen  Ehepaare  auf  ein  Jahr  lang  als  Gegenbilder  des  Lenz- 
brautpaars auffassen  dürfte.  DaiÜr  spricht,  daß  es  die  bis  zum 
Dimanche  des  Brandons  Verheirateten  (o.  S.  473)  sein  sollen. 
Und  die  Bedrohung  der  jungen  Frau  in  Arendsee,  scheint  sie 
nicht  sagen  zu  sollen:  Deinen  wie  ein  grüner  Baum  blühenden 
Gatten  wollen  wir  dir  nehmen  und  einen  dürren  Stock  dafdr 
geben?  Die  Entscheidung  über  diese  Frage  wird  wol  davon 
abhangen  müssen ,  wie  man  die  in  Norddeutschland  und  England 
verbreitete  Sitte,  zu  Fastnacht,  Ostern,  Weihnachten  Ball  zu 
schlagen,  zu  erklären  hat  In  Landsberg  a.  d.  Warthe  spielt 
man  am  dritten  Ostertage  auf  einer  Wiese  Ball,  den  Beschluß 
macht  ein  Tanz,  das  heißt:  den  Osterball  feiern.  In  Kiez  bei 
Köpenick  geschieht  das  noch  am  ersten  Festtage  vor  Son- 
nenaufgang, an  anderen  Orten  zu  anderen  Tageszeiten,  nicht 
Regen  noch  Schneegestöber  hält  davon  ab.  Die  englischen  For- 
men des  Brauches  lehren,  daß  auch  bei  diesen  Begehungen  der 
Gegensatz  der  Neuvermählten  und  der  Unverheirateten 
die  erste  Rolle  spielte,  daß  sie  Abschwächungen  der  Sitte,  mit 
dem  Brautball  zu  spielen  waren,  und  mit  der  Entwickelung  des 
Ballspiels  in  der  Gesellschaft  auch  vielfache  Modernisierungen 
erlitten.  Simrock  fragt  (Handb.  d.  Myth.*  578):  „Stand  dies  Ball- 
spiel in  Bezug  auf  die  drei  Freudensprünge,  welche  die  Sonne 
zu  Ostern  tun  soll?^^  Dafür  könnte  sprechen,  daß  die  Sitte 
zuweilen  noch  vor  Sonnenaufgang  oder  bis  Sonnenunter- 
gang 0.  S.  474  geübt  wird  oder  gleich  der  Sonne  die  Richtung 
von  Ost  nach  West  nimmt  (o.  S.  474);  das  Hinüberwerfen  des 
Balls  über  das  Dach  des  Torwegs  oder  die  Kirche  gleicht  sich 
dem-Scheibenwerfen.  Die  Bedeutsamkeit  des  Brauches  der  Oster- 
bälle  erweist  der  Umstand ,  daß  die  Politik  der  Kirche  es  fllr  nötig 
hielt,  denselben  zu  weihen  oder  gar  zu  christianisieren,  indem 
sie  ohne  Zweifel  durch  gottesdienstliche  Verwendung  denselben 
£U  einem  Sinnbild  Christi  selbst,  der  aufeteigenden  Ostersonne, 
umdeuten  zu  können  hoffte.    Nicht  am  wenigsten  kommt  zu  guter- 


480  Kapitel  Y.    Yegetationsgeister:  Maibrautschaffc. 

letzt  unserer  Deutung  zu  gute,  daß  in  Oldenburg  der  Osterball* 
in  offenbarem  Zusammenhange  mit  dem  Osterfeuer  zu  stehen 
seheint.  Das  Ballspiel  wird  an  den  Nachmittagen  beider  Fest- 
tage von  Kindern  und  Erwachsenen  getrieben.  In  Ganderkesen 
begaben  sich  die  Erwachsenen  vom  BaUspiel  zum  Osterfeuer  und 
darauf  ins  Wirtshaus  und  spielten  Klumpsack,  wozu  auch  die 
jungen  Mädchen  zugezogen  wurden.^  Das  Klumpsackspiel  ¥mrd 
in  Westfalen  auf  dem  Platze  des  Osterfeuers  vorgenommen  (Kuhn, 
Westf.  Sag.  n,  136,  405^)  und  zwar  vor  Anzttndung  desselben. 
Ebenso  mag  auch  Ballspiel  zum  Osterfeuer  gehört  haben.  Oder 
wäre  trotz  alledem  die  ganze  Sitte  des  Brautballs  zu  Ostern  kirch- 
lichen Ursprungs ,  chrisüicher  Symbolik  entsprossen  ?  Und  hinge 
es  damit  zusammen,  daß  mehrfach  der  Ball  über  die  Kirche 
geworfen  wird  (o.  S.  473)  oder  das  Ballspiel  vom  Ej*euz  aus 
seinen  Ausgang  nimmt  (o.  S.  474)? 

§  11.  Brantlager  auf  dem  Aekerfelde.  Der  Mooner  sym- 
bolische Vermählungsbrauch  (o.  S.  4&9)  rtthrt  wieder  an  eine 
eigentümliche  Reihe  yon  Sitten,  deren  characteristisches  Kenn- 
zeichen dies  ist,  daß  Mann  und  Weib  verbunden  sich  auf  dem 
Äcker  wälzen.  In  England  hatte  der  Brauch  am  Maüag  statt 
In  einem  Gedichte  „May-Day'^  sagt  R.  Fletcher  im  J.  1656: 

The  game  at  best,  the  girls  May  rould  mnst  bee, 
Where  Croyden  and  Mopsa,  he  and  shee, 
Each  happy  pair  make  one  hermaphrodite. 
And  tnmbling,  bonnce  together,  black  and  white.' 

Zu  Ostern  und  zu  Pfingsten  pflegten  junge  Paare  sich  vom  Green- 
wichhügel  herabzurollen.'  In  der  Ukraine  zieht  am  St  Georgs- 
tage (23.  Apr.  a.  St.)  nach  beendigtem  Gottesdienst  der  Geistliche 
in  Yollem  Ornat  mit  seinen  Earchendienem  und  der  ganzen 
Gemeinde  auf  die  ausgesäten  und  bereits  grünenden  Felder  des 
Dorfes,  um  sie  nach  griechischem  Ritus  einzusegnen.  Den  gan- 
zen folgenden  Nachmittag  bis  in  die  sinkende  Nacht  bringt  darauf 
der  Bauer  auf  den  Feldern  zu.  Man  geht  von  einem  Felde  zum 
andern,    begrüBt   die  Nachbarn  und  ißt  besonders  Air  diesen 

1)  Strackerjan,  Abergl.  n.  Sag.  a.  Oldenburg  11,46,315. 

2)  Tranalations  and  Poems,  1656.  p.  210  bei  Brand,  pop.  antiqn.  ed. 
ElUs  1,181. 

3)  Brand  a.  a.  0.  „the  roUing  of  yoong  couples  dovn  Greewiohhill ,  at 
Easter  and  Whitsuntide.'' 


Brantlager  auf  dem  Ackerfelde.  481 

Feiertag  zubereitete  kalte  Speisen  amter  dem  gehörigen  Zusatz 
von  Branntwein.  Die  alten  Lente  mit  den  Eandem  bleiben  in 
der  Nähe  der  Feldwege;  die  erwachsene  Jugend  aber  entfernt 
sich  über  die  Felder,  bis  sie  den  Alten  in  einer  Vertiefung  aus 
dem  Gesichte  verschwinden.  Hier  stecken  sie  eine  Stange  mit 
einem  angebundenen  Tuche,  oder  einer  Flagge  auf,  angeblich 
um  den  Platz  zu  bezeichnen,  auf  dem  sie  sich  vergnügen  und 
zum  Zeichen,  daß  hier  die  Alten  nichts  zu  suchen  haben.  Alle 
legen  sich  auf  die  Felder,  und  wer  eine  Frau  hat,  wälzt  sich  einige 
Male  mit  ihr  auf  dem  Saatacker  um.  Wie  man  denken  kann, 
folgen  diesem  Beispiele  auch  die  jungen  Leute  auf  ihrem  abseits 
gelegenen  Turnplätze,  „So  oft  ich  fragte  —  schreibt  mein  Bericht- 
erstatter, Hofrat  Hochhuth  in  Pilonmik  bei  Kiew  — ,  weshalb 
sie  auf  diese  Weise  auf  den  Feldern  sich  wälzten,  erhielt  ich 
zur  Antwort,  daß  das  von  jeher  so  gewesen  sei;  der  heilige 
Georg  habe  sich  auch  auf  den  Aeckem  gewälzt,  und  ich  würde 
schon  sehen,  welcher  Getreidesegen  danach  zum  Vorschein  komr 
men  werde.  Dieses  Wälzen  auf  den  Feldern  ist  besonders  in 
den  flachen  Steppen  der  Ukraine  üblich,  die  aus  sehr  fruchtbarer 
Schwarzerde  bestehen;  auf  dem  Sand-  und  Lehmboden  des 
bewaldeten  Hügellandes  von  Wolhynien  und  in  Podolien  am  Dnie- 
ster  ist  es  mir  nicht  vorgekommen."  —  Den  vorstehenden  Früh- 
lingsgebräuchen stehen  ganz  ähnliche  Emtebräuche  gegenüber. 
In  Kelbra  (gold.  Aue,  Kr.  Sangerhausen)  werden  die  Schnitter 
und  Schnitterinnen,  welche  das  erste  Jahr  mit  auf  Arbeit  gehen, 
Oesicht  gegen  Gesicht  zusammengebunden  und  unter  fröhlichem 
Gelächter  der  anderen  einen  Hügel  hincibgerollt.  In  Scharrel 
(Saterland)  sammelten  sich  früher  während  des  Boggenmähens 
allabendlich  Schnitter  und  Schnitterinnen  nach  getaner  Arbeit  auf 
dem  Grünenwege  und  dem  Langhorstesch  zu  Trunk  und  Feier. 
Dann  umfaßten  die  Mädchen  die  Beine  der  Schnitter 
und  die  Schnitter  die  Beine  der  Mädchen,  und  so  anein- 
ander geklammert  rollte  und  wälzte  man  sich  herum 
und  nannte  das  walen.^  In  Hessen  (Gegend  von  Kinteln) 
werden  Arbeitsleute,  welche  zum  erstenmsde  ein  Emtefeld  besu- 
chen,  besonders  die  Männer,  welche  zum  erstenmale  auf  einem 
Gute  beim  Roggenmähen  beschäftigt  sind,  auf  Frauenspersonen 


1)  Stracker  Jan,  Abergl.  a.  Oldenburg  U,  78,  361. 

Mannhardt.  31 


482  Kapitel  V.    YegetationsgeiBter:  Maibrautschaft. 

gelegt  und  ihnen  nach  dem  Takte  des  Liedes  „Als  Jacob  nach 
der  Mühle  will  fahren''  das  Hinterteil  so  lange  mit  einem  Sensen- 
streicher bearbeitet  (,; gebritzt '')  bis  sie  angeloben,  etwas  zum 
besten  zu  geben ;  was  sie  je  nach  Beschaffenheit  ihrer  Unterlage 
kürzere  oder  längere  Zeit  anstehen  lassen. 

Der  Emtebrauch  stellt  sich  als  einfache  Wiederholung  des 
Frühlingsbrauches  dar;  wie  dieser  hat  er  den  Zweck,  das  Korn 
auf  den  Aeckem  reichlich  wachsen  zu  machen;  auf  Georgi, 
Ostern ,  Pfingsten ,  Maitag  geübt  erstreckt  die  Kitte  ihre  Wirkung 
vermeintlich  auf  die  diesjährige  Ernte,  nach  dem  Getreideschnitt 
auf  die  Fruchtbarkeit  des  folgenden  Jahres.  In  Greenwich  roll- 
ten die  Paare  zu  Ostern,  in  Sangerhausen  nach  der  Ernte  vom 
Hügel  herunter. 

Zwei  ganz  verschiedene  Bestandteile  lassen  sich  in  den 
vorstehenden  Bräuchen  unschwer  von  einander  scheiden.  Das 
Wälzen  auf  dem  Acker  wird  auch  von  Einzelnen  geübt,  ist  also 
zu  sondern  von  dem  Auftreten  eines  Paares  (Mann  und  Weib). 
In  Helsingland  und  Jemtland  pflegt  der  schwedische  Bauer, 
wenn  er  es  im  Frühjahr  zum  erstenmale  donnern  hört,  sich  auf 
die  Erde  zu  werfen  mit  dem  Ausruf: 


d.  i. 


Vi  ska  rnlla. 

Sä  at  det  blir  körn  i  hvar  grnbba. 

Wir  werden  rollen, 

So  daß  Eom  entsteht  in  jeder  Pflogfnrche  ( Vertief ong  im  Acker). 


Wer  diesen  Brauch  übt,  wird  im  Herbst  eine  reiche  Ernte  erhal- 
ten, wer  ihn  aber  versäumt,  zur  Strafe  von  Bttckenschmerzen 
geplagt  werden.^  Auch  in  Oberöstreich  warf  man  sich  ehedem 
beim  ersten  Gewitter  auf  die  Erde  und  wälzte  sich  auf  dem  Boden, 
in  der  Meinung  ein  gutes  Getreidejahr  zu  erwirken.  Die  Bulgaren 
und  Serben  tun  dasselbe,  damit  ihnen  im  Laufe  des  Jahres  die 
Knochen  in  den  am  Boden  geriebenen  Schultern  nicht  weh  tun. 
In  der  Oberpfalz,  Baiem,  Böhmen  ho£Et  man  nicht  minder  das 
Jahr  hindurch  von  Ereuzschmerzen  befreit  zu  sein,  wenn  man 
beim  ersten  Donner  im  Frühling  sich  dreimal  rückwärts  nie- 
derwirft,   und   den  Rücken   auf  dem   Boden   wälzt  und 


1)  Hylten-Gavallius,  Yärend  och  Virdame  TL  TiRX. 


Brautlager  auf  dem  Ackerfelde.  483 

reibt*  Gradeso  aber  glaubt  der  Este,  wenn  er  vor  dem  Georgs- 
tage ein  Gewitter  zum  erstenmale  hört  und  dreimal  einen  Bürzel- 
bäum  schlägt,  in  der  gebückten  Stellung  beim  Komschneiden 
während  der  Ernte  weder  zu  ermüden,  noch  Rückenschmerz  zu 
empfinden.*  In  manchen  Orten  Böhmens,  Niederöstreichs  u.  s.  w. 
gilt  solches  vom  ersten  Donner  während  dfer  Erntezeit,^  und  in 
verschiedenen  Gegenden  Rußlands  wälzen  sich  die  Schnitter  nach 
Beendigung  der  Arbeit  auf  dem  Rasen,  indem  sie  sprechen: 
„Stoppelfeld,  Stoppelfeld!  gieb  mir  meine  Kraft  zurück;  indem 
ich  dich  geschnitten  habe,  ist  die  Kraft  verloren  gegangen."* 
Letztere  Aeußerung  stimmt  damit  überein,  daß  in  Deutschland, 
Prankreich  u.  s.  w.  von  einem  während  der  Ernte  ermüdenden, 
Rückenschmerz  empfindenden  Arbeiter  der  Glaube  geht,  der  im 
Ackerfeld  weilende,  anthropomorphische  oder  theriomorphische 
Komdämon  habe  ihn  berührt  (der  Bulle,  der  Austbock  hat  ihn 
gestoßen;  der  Roggenwolf  hat  ihn  untergekriegt;  il  a  vue  la 
chienne  blanche  u.  s.  w.). 

An  die  Stelle  des  Donners  treten  zuweilen  die  den  Beginn 
des  Frühlings  anzeigenden  Vögel.  Beim  ersten  Kukuksruf  wälzt 
sich  der  Meininger,  hessische,  westfälische  Bauer  ein  paarmal 
auf  der  Erde,  um  das  Jahr  hindurch  frei  von  Rückenschmerzen 
zu  bleiben.^  Gradeso  warf  sich  im  alten  Griechenland  rücklings 
(vjtTiog)  nieder  und  wälzte  sich  auf  dem  Boden  wer  zum  ersten- 
male im  Frühling  eines  Weihen  (Yvcrivog)  ansichtig  ward.* 

Andere  Formen  des  Brauches  besagen,  daß  man  auf  der 
Saat  sich  wälzen  solle,  um  sie  ergiebig  zu  machen.  Die 
Zwiebeln  wachsen  groß,  wenn  man  sich  in  der  Johannisnacht 
auf  den  Beeten  wälzt. ^     Damit  er  hoch  wachse,  umtanzten  die 


1)  Panzer  11,  SOS.  Scbönwerth  11,  125.  Grohmann,  Abergl.  a.  Böh- 
men .39 ,  288.    Wnttke  >  §  535. 

2)  Bdcler-KreatKwald,  der  Ehsten  abergl.  Gebr.  S.  84. 

3)  Grohmann,  Abergl.  a.  Böhmen  40,  242.    Zs.  f.  D.  A.  XII,  400. 

4)  Tereschtschenko  IV,  184. 

5)  Zs.  f.  D.  A.  m,  362, 13.  XII, 400.  Zs.  f.  D.  Myth.  IV,  447.  Kuhn, 
westßl.  Sag.  n,  74,221. 

6)  Aristophan.  av.  498  ff.  c.  scbol.:  „'!Brf(>o?  ÄQxofih'ov  fxnrog  (patveiat 
ttg  triv  ^Ekkada  .  i(f  w  ijcfo^*vo*  xilMo^Tui.**^  „ol  ynQ  txttvoi  lo  nulaibv 
ioQ  (ar\uaivov ,  ol  n^vtfrfg  ovv  nnaXltty^mg  ro? /€«/U(5i'off  IxvXivdomto  xal 
TjQoaexurovv  avrovg** 

7)  Chemnitzer  BockenphiT.  1709  No.  124. 

.    31* 


484  Kapitel  V.    Yegetationsgeister:  Maibrantschaft. 

Mädchen  im  Saalfeldischen  nachts  den  Flachs,  zogen  sich  nackt 
aus  und  wälzten  sich  darin.*  Die  Bhönleute  wälzten  sich  in  der 
Christnacht  auf  ungedroschenem  Erbsenstroh,  und  mengten  die 
ausgefallenen  Erbsen  unter  die  Aussaat,  um  ihr  Gedeihen  und 
Wachstum  zu  sichern.*  Aehnliche  Absichten  werden  zu  Grunde 
liegen,  wenn  bei  Nördlingen  im  Ries  (Kr.  Schwaben,  Baiem) 
derjenige,  welcher  den  letzten  Drischelschlag  machte,  [als  Ver- 
treter oder  Darsteller  des  dem  Korne  innewohnenden  Dämons] 
in  Stroh  eingebunden  und  auf  der  Tenne  herumgerollt  wird. 
In  dem  o.  S.  434  beigebrachten  Frühlingsbrauch  aus  dem  Kreise  ^ 
Nerechta  wirft  sich  die  Darstellerin  des  Vegetationsgeistes  auch 
auf  den  Boden  und  walzt  sich  darauf.  Diese  Handlung  ist  deut- 
lich unterschieden  von  der  Darstellung  des  Winterschlafes  im 
tiämlichen  Brauche.  Hier  haben  wir  den  vollen  Beweis,  daß  der 
Wälzende  den  Wachstumsdämon  repräsentierte. 

Unleugbar  enthält  die  eine  Hälfte  der  vorstehenden  Gebräuche 
die  Absicht,  dem  Acker  eine  erhöhte  Triebkraft,  der  Saat  größe- 
res Wachstumsvermögen  mitzuteilen.  Eine  solche  wird  dem 
Volksglauben  nach  durch  das  Gewitter  hervorgebracht,  das  die 
Pflanzen  gedeihen,  reichlich  und  üppig  hervorsprießen  macht 
Daher  heißt  z.  B.  in  Schweden  das  Wetterleuchten  Kombiixt, 
Komblick;  in  Norwegen  Kornmode,  Kommoe,  das  Gewitter  mit 
Blitz  und  Donner  in  Schweden  teils  Kommode,^  teils  Kombonde 
(der  Kombauer)>    Im  Augenblicke  des  ersten  Frühlingsgewitters 


1)  JoTirnal  von  und  für  Deutschland  1790.    Myth.«  LXXXVm,  519. 

2)  Myth.»  CLm,  990. 

3)  In  Smaland  sagt  man  sogar,  wenn  ein  rotbärtiger  Bettler  auf 
den  Hof  kommt,  „sieh  da  kommt  der  Kommode."  ,,Ich  glaubte  es  sei  der 
Kommode  (Thor)  selbst."    Hyltän-Cavallius,  Värend  I,  S.  231. 

4)  Kombonden  gär  »»  det  äskar  (Der  Korabauer  geht  =  es  gewittert). 
Ein  Batsei  aas  Oestergötland  fragt:  hvad  ropar  högare  an  tranan?  (Was 
ruft  in  größerer  Höhe,  als  der  Kranich?)  Kornbon  (äskan)  ropar  högare  Sn 
tranan.  (Der  Kombonde  (Donner)  ruft  in  größerer  Höhe ,  als  der  Kranich.) 
Dybeck,  Buna  1849  p.  48  No.  17.  Ein  Troll,  der  den  Donner  hört,  fragt 
eine  Frau,  was  das  sei,  sie  antwortet:  Det  är  bo'n,  kör  körn  öfver  bron. 
(Das  ist  der  Bauer ,  er  fahrt  Korn  über  die  Brücke.)  Cf .  Zs.  f.  D.  Myth.  HI, 
30, 12:  Der  Donner  entsteht  dadurch,  daß  der  Herrgott  Getreide  in  den  Getroi- 
dekasten  schüttet  (K&rnthen).  Thor  serena  et  fruges  gubemat  (Adam  Brem). 
Vgl.  auch  die  Gebete  an  den  finnischen  Donnergott  ükko.  Castr^n  finn. 
Myth.  S.  37.  46  if ;  und  das  von  Gutsleff  im  J.  1644  mitgeteilte  an  den  est- 


Brautlager  auf  dem  Ackerfelde.  485 

muß  diese  Einwirkung  anf  den  Komwachstum  als  am  stärksten 
und  wirksamsten  gedacht  sein;  und  ebenso  muB  der  Moment  des 
ersten  Erscheinens  und  des  ersten  Kufes  der  Frühlingsboten 
Eukuk  und  Weihe  als  die  Wachstumskraft  des  Lenzes  in  inten- 
siver Weise  vermittelnd  gedacht  sein.  In  dem  einen  oder  andern 
Falle  schießt  grade  dann  gleichsam  die  övva^ug  av^rjTixij  (o. 
S.  196)  in  das  Erdreich  ein.  Wenn  aber  dem  Boden  oder  den 
Pflanzen  eines  bestimmten  Ortes  diese  Mitteilung  vermeintlich 
nicht  unmittelbar  9  sondern  erst  durch  das  Medium  einer  auf  dem 
Boden  sich  reibenden ,  an  ihn  gleichsam  die  aufgenommenen  Kräfte 
weiter  abgebenden  Person  zu  teil  ward,  so  liegt  hier  deutlich 
eine  mythische  Personifizierung  vor.  Der  auf  der  Erde  sich  wäl- 
zendö  Mensch   vertritt  ein  mythisches  Wesen,   welches  die  im 


Bischen  Picker  „  Lieber  Donner ,  wir  opfern  dir  einen  Ochsen ,  der  zwei  Hör- 
ner  nnd   vier  Klauen  hat,   nnd  wollen    dich  bitten  um  unser  Pflügen  und 
Säen,   daß   unser  Stroh   kupferrot,    unser  Getreide   goldgelb   werde.      Stoß 
anderswohin  alle  dicken  schwarzen  Wolken  über  große  Sumpfe,  hohe  Wälder 
und  breite  Wüsten.     Uns  Pflügern  und  Säem  gieb  aber  fruchtbare  Zeit  und 
süÄen  Regen.    Heiliger  Donner,  bewahre  unsem  Acker,  daß  er  trage  Stroh 
unterwärts,  Aehren    überwärts   und   gut    Korn  innenwärts."     Bosenplänter, 
Beitr.  V,  157.    Myth.«  161.     Nach  Michael  Agricolas  Vorrede  zum  Davidin 
Psaltari    1551  wurde   in  Kardien,   „wenn   die  Prühlingssaat  gesät   wurde, 
Ukkos  Schale  getrunken  und  Ukkos  Korb  gesucht,  so  die  Magd  und  die  Frau 
berauscht  und  viele  Schandtaten  begangen,  die  man  sowol  hören  als  sehen 
konnte."     Castren,   finn.  Myth.  317.     Diesem  finnischen  Feste  entspricht  — 
wie   ich  bereits  anderswo   ausgeführt  habe  (cf.  Lasicii  de  diis  Samagitarum 
libellus  ed.  Mannhardt  43  ff.)  —  ein  estnisches  Fest,  wobei  um  .die  Tag-  und 
Nachtgleiche  im  Frühling  (des  Donnergotts)  Ukkos  Pandel,  ein  mit  Opfer- 
gaben gefülltes  Rindenkästchen,  umgeben  von  Speisen  und  Getränken  aller 
Art  auf  den  Tisch  der  Klete  gesetzt  wurde ,  worauf  der  Hausvater  auch  noch 
eine  mit  Körnern  jede»  Getreideart  gefüllte  Borkenschale  hinzutat.    Unfrucht- 
bare Weiber  mußten  sich,   nachts  beim  Ukkowak  eingesperrt,  daselbst  einet 
geheimen    Ceremonie    unterwerfen.      Nachdem    der   Hausherr    frühmorgens 
nüchtern  die  Grenzen  seines  Ackers  umwandelt,  begann   ein  Bacchanal,  bei 
welchem  namentlich  die  Weiber  viel  trinken  mußten.    Drei  Tage  nach  dem 
Fest  wurde  die  Schale  mit  den  Körnern  aus  der  ükkopaudel  herausgenom- 
men, jede   Getreideart  wieder  ausgesondert  und  in  den   Saatkasten  getan. 
Verhandlungen  der  estn.  Gesellsch.  z.  Dorpat  II ,  3.   1850.    S.  46  ff.    Offenbar 
also  sollte  der  Gott  des  Frühlingsgewitters  das  auszustreuende  Saatgetreide 
fruchtbar  machen;   gradeso   wie  die  Inselschweden  bei  der  Aussaat  in  das 
Külmit,  woraus  sie  säen,  einen  Donnerkeil  (Bisavigg)  legen.   Russwurm  Eibo- 
folke  U,  ^379. 


486  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  Maibrantschaffc. 

Augenblicke  des  ersten  Gewitters  oder  Yogelangangs  (resp.  der 
Geburt  Christi  o.  S.  434)  aufs  höchste  erregte  Wachstumskraft  in 
den  Acker  oder  die  Aussaat  (Kom,  Flachs,  Zwiebeln,  Erbsen 
u.  s.  w.)  ausströmt. 

Anders  liegt  auf  den  ersten  Anschein  die  Sache,  wenn  der 
Mensch  sich  auf  der  Erde  wälzt,  um  von  Kreuzschmerzen  während 
der  Ernte  befreit  zu  werden,  oder  zu  bleiben;  oder  wenn  er  (wie 
in  Böhmen  noch  im  vorigen  Jahrhundert  geschah)  sich,  sobald 
es  donnert,  auf  die  Erde  wirft  und  sie  kttßt;^  denn  hier  scheint 
er  der  Empfangende,  der  die  in  den  Acker  übergegangene  Kraft 
des  Gewitters,  resp.  des  einziehenden  Frühlings  an  sich  zieht. ^ 
Wenn  aber  nach  schwedischem  Glauben  die  Beobachtung  des 
Wälzens  auf  dem  Saatfeld  eine  reiche  Getreideernte,  die  Nicht- 
beobachtung  dagegen  Kückenschmerzen  bei  der  Emtearbeit  zur 
Folge  hat,  so  kann  schwerlich  der  Wälzende  das  einemal  ein 
myttiisches  Wesen  vertreten,  das  anderemal  in  der  Rolle  eines 
ganz  gewöhnlichen  Sterblichen  handeln;  vielmehr  steht  zu  ver- 
muten, daß  beidemale  entweder  Bepräsentanten  mythischer  Per- 
sonificationen ,  oder  einfache  Menschen  gemeint  waren.  Wir  wer- 
den zunächst  prüfen  müssen,  ob  und  wie  diese  Vermutung  lüit 
unserem  vorherigen  Ergebnisse  im  Einklänge  steht,  daß  die  auf  den 
Saatfeldern ,  den  Zwiebelbeeten ,  dem  Flachs  und  Erbsenstroh  sich 
Wälzenden  Vertreter,  resp.  Darsteller  von  (Vegetations)- Dämonen 
seien,  welche  den  Früchten  und  Pflanzen  Wachstumskraft  mitteilen. 
Befinden  sich  die  des  Bückenwehs  halber  sich  Wälzenden  trotz 
scheinbaren  Gegenteils  im  gleichen  Falle?  Die  mitgeteilten  Bei- 
spiele ergeben,  daß  es  sich  dabei  um  diejenigen  Kreuzschmerzen 
handelt,  welche  Ermüdung  bei  der  Emtearbeit  erzeugte;  sie  wer- 
den aufgefaßt  als  ein  durch  Zusammenstoß  mit  dem  Getreidedämon 
veranlaßter  Kraftverlust.     Nun  ist  es  nach  anderer  Wendung  der 


1)  Grohmann ,  Abergl.  a.  Böhmen  40,  243. 

2)  Cf.  Wenn  es  im  Frühjahr  zum  erstenmale  donnert,  soll  man  etwas 
Schweres  (einen  Stein  n.  dgl.)  heben  und  einige  Schritte  weit  tragen;  so 
erlangt  man  angewöhnliche  Starke,  kommt  das  Jahr  hindurch  nicht  Ton 
Kräften  und  bewahrt  sich  bei  schwerer  Arbeit  vor  Leibesschaden.  Groh- 
mann, Abergl.  a.  Böhmen  S.  39  ff.  No.  237.  240.  241.  Große  Starke  erlangt 
auch  wer  einen  Donnerkeil  oder  den  Splitter  eines  vom  Blitz  getroffenen 
Baumes  bei  sich  trägt  Grohmann  a.  a.  0.  40,  239.  Thörr  hat  einen  Kraft- 
gürtel (Megingjardr),  der  12  Männer  Stärke  verleiht. 


Brautlager  auf  dem  Aokerfelde.  487 

Vorstellung  der  Getreidegenins;  der  den  ährenschweren  Halmen  ein- 
wohnende Geist  selber,  der  durch  den  Komschnitt  einen  Abbruch 
eine  Schwächung  erleidet.  Berücksichtigen  wir  jetzt  einerseits,  daß 
derjenige,  welcher  bei  der  Ernte  den  letzten  Sensenhieb,  oder 
Drischelschlag  macht,  häufig  den  Komdämon  vertritt  und  dar- 
stellt und  nun  flir  ein  Jahr  den  Namen  Roggenwolf,  Hahn,  Hafer- 
bock u.  s.  w.  erhält,^  andererseits  daß  der  den  Baumgeist  durch 
Schädigung  der  Pflanze  beeinträchtigende  Frevler  sofort  stellver- 
tretend an  seinem  eigenen  Leibe  die  gleiche  Schädigung  erlei- 
det (o.  S.  36  ff.  104  ff.),  so  führt  uns  die  Analogie  auf  die  An- 
schauung, daß  der  Schnitter  zur  Strafe  und  in  dem  Maße  kraft- 
los gedacht  wurde,  als  er  durch  seine  Arbeit  den  Komdämon 
gemacht  hatte.  Selbstverständlich  konnte  er  dann  auch  nur  auf 
dieselbe  Weise ,  wie  dieser ,  seinen  Verlust  ersetzen ,  d.  h.  durch 
Berührung  mit  der  Erde,  aus  welcher  die  neue  Pflanze  her- 
vorsprießen soll.  Ganz  parallel  stehen  noch  zwei  andere  Weisen, 
bei  der  Erntearbeit  empfangene  Kückenschmerzen  zu  bessern, 
oder  zu  verhmdem.  Man  tanzt  um  das  Johannisfeuer  und  springt 
hindurch^  (Baiem),  oder  man  bindet  um  den  Leib  einen  Gürtel 
von  drei  Hahnen  (Niederbaiem) ,  oder  legt  sich  auf  den  Bücken 
je  eine  Aehre  aus  der  ersten ,  zweiten  und  dritten  im  Beginn  der 
Ernte  abgeschnittenen  Handvoll  Frucht  (Oberpfalz  cf.  o.  S.  210). 
In  diesen  ersten  Aehren  des  Schnitts  lebt  noch  die  volle  Kraft 
des  ungeschwächten  Getreidedämons.  Der  Sprung  durch  das 
Johannisfeuer  (vgl.  o.  S.  177  ff.)  ist  von  uns  (o.  S.  186)  als  Nach- 
bildung des  Durchgangs  der  Yegetationsdämonen  durch  die  Som- 
merhitze erklärt  worden;  derselbe  geschieht  meistens  paarweise, 
indem  Jünglinge  und  Mädchen  dem  mythischen  Maibrautpaar 
nacheiferten.  Diese  Analogien  bekräftigen,  wie  ich  glaube,  den 
Schluß,  auch  der  zur  Beseitigung  von  Kückenweh  auf  dem  Boden 
sich  wälzende  Abergläubige  handelt  als  Stellvertreter  oder  Reprä- 
sentant eines  Eomgeistes. 

Werden  wir  nunmehr  noch  diejenige  Form  des  Frühlings- 
und Erntebrauchs,  in  welcher  ein  Paar  auf  dem  Acker  gerollt 
wird ,  mißverstehen  können  ?  Seine  Vereinigung  stellt  symbolisch 
die  Vermählung   des  Maibrautpaars  dar,   welche  in  dem 


1)  S.  ManDbardt,  Eorndämonen  S.d.    Boggenwolf*  S.  34. 

2)  Cf.  Wuttke»  §  93. 


488  Kapitel  Y.    Vegetationsgeister:  Maibrautschaft. 

Augenblicke  vor  sich  geht,  wenn  das  erste  Frtthlingsgewitter 
yermeintlich  die  Erde  befrachtet,  oder  der  erste  FrtthlingsYogel 
den  Sommer  mit  sich  bringt.  Dieses  feierliche  and  segensreiche 
Brautlager  einem  besonderen  Saatfelde  recht  wirksam  za  machen, 
wälzen  and  reiben  sich  die  irdischen  Stellvertreter  des  mythischen 
Paares  aaf  der  Erde,  der  dadarch  die  Kräfte  der  göttlichen 
Vermählnng  zuströmen. 

§  12.  NeuvermBlilte  als  Abbilder  des  Maipaars.  Spielt 
in  den  Fastnacht  - ,  Oster  - ,  Mittsommergebräachen  das  ziüetzi  ver- 
heiratete  Ehepaar,  oder  eine  fängst  vermählte  Ehefrau,  zameist 
beim  Feuer  eine  Rolle, ^  so  auf  andere  Weise  in  schwäbischen 
Fastnachtsitten  die  jüngsten  Bürger,  d.  h.  diejenigen  Männer, 
welche  zuletzt  Hochzeit  hielten  j  oder  sämmtliche  im  Laufe  des 
letzten  Jahres  neuverheirateten  Männer,  Man  bezeichnet  dieselben 
als  „Bräutlinge'^  und  nötigt  sie,  in  den  Brunnen  zu  springen. 
Zu  Munderkingen  sprang  der  Letztvermählte  am  Aschermittwoche 
dreimal  in  den  zuvor  gut  umgerührten  10  — 12  Schuh  tiefen 
Marktbrunnen  und  brachte  dort  ein  Vivat  aus.'  In  Scheer  und 
Sigmaringen  werden  alle  im  letzten  Jahre  yerheirateten  Männer 
nacheinander  am  Fastnachtmontage  nach  der  Kirche  im  Bohr- 
hrunnen  gebadet  ^  zu  Fulgenstadt  geschah  das  vor  etwa  50  Jah- 
ren am  Fastnachtsonntage  im  angestauten  Wasser  des  Dorfbachs, 
zu  Uigendorf  geschieht  es  noch  am  Fastnachtdienstage  im  Brunnen- 
troge  des  Ffarrhofs.  Zu  Scheer  und  Sigmaringen  halten  bei  dieser 
Gelegenheit  die  ledigen  Gesellen  zu  allen  Bräutlingen  einen  Um- 
zug, voran  den  Fastnachtsnarren  mit  RoUengeschell  und  mächtiger 
Peitsche,  der  Kinder  und  Jungfrauen  russig  macht,  wenn  er  sie 
erwischt,  sodann  2  —  4  Läufer  ebenfalls  mit  Peitschen,  endlich 


1)  Andere  Verpflichtangen  liegen  den  Neuvermählten  z.  B.  in  Thüringen 
oh,  wo  sie  einige  Wochen  nach  der  Hochzeit  entweder  einen  Hahnenschlag 
veranstalten  müssen,  oder  am  ersten  Palmsonntage  die  ledige  Jugend  und 
die  Schulkinder  mit  Brctzeln  heschenken  (Hieben  bei  Gotha);  Bretzeln  waren 
ja  auch  Geschenke  bei  Gelegenheit  des  Scheibentreibens  s.  o.  S.  466.  Oder 
das  junge  Ehepaar  hat  im  Laufe  des  ersten  Jahres  der  Jugend  einen  Mai- 
bäum  mit  darangehängten  Halstüchern  und  ^Yestenstückchen  u.  s.  w.  auszu- 
rüsten ,  der  zum  Burschen  -  oder  Mädchentanz  am  Johannistage  oder  Pfingst- 
tage  aus  ihrem  Hause  unter  Musik  abgeholt  wird.  F.  Schmidt,  Sitten  und 
Gebräuche  bei  Hochzeiten  in  Thüringen  S.  47  —  48. 

2)  Meier  377 ,  15. 


NdüTennählte  als  Abbilder  des  Maipaars.  489 

die  Masikbande,  in  der  einer  einen  dieken,  mit  Bändern 
verzierten  Prügel  trägt.  In  jedes  Bräatlingshans  gebt  der  Zag 
hinein,  die  Musik  spielt  auf  and  die  jungen  Eheleute  tanzen 
danach ,  indeß  ihnen  der  Narr  das  Fleisch  aas  dem  Hafen ,  einen 
Braten  vom  Kamine  herab  stiehlt.  Zuletzt  wird  der  Bräutling 
gefragt,  ob  er  Wein  oder  Wasser  wolle.  Antwortet  er  Wein, 
so  muß  er  ein  Stttck  Geld  geben,  um  die  Gesellschaft  im  Gast- 
hause  zu  bewirten,  antwortet  er  Wasser,  so  wird  er  gebadet 
Er  muß  auf  den  Prügel  sitzen  und  wird  so  durchs  ganze 
Städtchen  bis  zum  Rohrbrunnen  getragen,  um  diesen 
herumgeführt  und  hineingeworfen.  So  geschieht  es  vom 
Aeltesten  angefangen  der  Reihe  nach  bei  allen  seit  Jahresfrist 
Neuverheirateten.  In  einigen  Orten  bei  Scheer  findet  der  Brauch 
jedoch  schon  am  Ende  des  Kalenderjahres  statt.  Aehnlich  geht 
es  in  den  andern  vorhin  genannten  Gegenden  her.  Zu  Fulgen- 
Stadt  ist  der  mit  Musik  vom  Hause  abgeholte,  im  Dorfbache 
gebadete  Bräutling  häufig  maskiert ;  zu  Nigendorf  verstecken  sich 
die  betreffenden  jungen  Ehemänner,  zuweilen  sogar  in  einem 
benachbarten  Dorfe  und  werden  von  den  als  Teufel,  Hexen 
u.  s.  w.  verkleideten  ledigen  Burschen  gesucht,  bei  welcher 
Gelegenheit  diese  in  den  Häusern  an  Eßwaaren  mitlaufen  lassen, 
was  ihnen  unter  die  Hände  kommt.  Die  aufgefundenen ,  jubelnd 
heimgeführten  Bräutlinge  worden  einzeln  an  den  Brunnentrog  ins 
Pfarrhaus  geftlhrt  und  mußten  sich  dort  entweder  loskaufen  oder 
die  Eintauchung  gefallen  lassen.  In  Sigmaringen  war  die  Sitte 
dahin  verändert,  daß  jeder  Neuvermählte  des  verflossenen 
Jahres  von  den  Bräutlem,  d.  h.  ledigen  unbescholtenen  Bürgers- 
söhnen der  Stadtgemeine  beim  Klange  eigentümlicher  Musik  und 
drolligen  Sprüngen  vermummter  Gestalten  auf  einer 
gesattelten  Stange  mehrere  male  um  den  Marktbrun- 
nen  getragen  wurde,  worauf  man  ihm  im  Angesichte  des  Mut- 
tergottesbildes  die  rechte  Fußspitze  wusch  und  ihn^ermahnte, 
ein  rechter  ehrenfester  Mann  und  Bürger  zu  sein.^  Doch  nicht 
allein  in  Süddeutschland  hat  sich  die  Sitte  erhalten.  Im  Olden- 
burgischen brachten  die  Junggesellen  am  Fastnachtdienstage 
sämmtliche  Verheiratete,  namentlich  die  im  Laufe  des  Jahres  Neu- 
vermählten zusammen,  die  dann  in  die  Zunft  der  Ehemänner  auf- 


1)  S.  Birlinger,  Volkstüml.  a.  Schwaben.    H,  45— 50,  No.60—64. 


#. 


490  Kapitel  Y.    Vegetationsgeister:  BCaibrantschaft. 

genommen  wurden  and  bewirten  moBten.  Wer  nicht  gutwillig 
kam  y  wurde  auf  einer  Leiter  zum  Wirtshause  getragen.  In  Schar- 
rel  (Saterland)  stellte  man  bei  dieser  Gelegenheit  den  Junggesel- 
len, welche  die  Zahl  der  Lebensjahre  der  Dreißig  Überschritten, 
ohne  yermählt  zu  sein,  eine  bestimmte  Frist,  bis  zu  welcher  sie 
eme  Lebensgefährtin  wählen  mußten.  Verlief  dieselbe  ohne  £r- 
gebniß,  so  wurde  ihr  Name  in  ein  großes  Buch  mit  Pergamentr 
Umschlag  geschrieben.  Im  friesischen  Barßel  ermahnte  ebenüsdls 
bei  dieser  Gelegenheit  einer  der  ältesten  Ehemänner  die  Neulinge 
ihren  Weibern  treu  zu  sein  und  mit  keiner  andern  sich  abzu- 
geben.^ In  den  Dörfern  bei  Brake  (Oldenburg)  werden  in  der 
Pfingstnacht  die  jungen  neuvermählten  Ehemänner,  oder 
die  erst  zu  Mai  angezogenen  Hausväter  von  herumziehenden  Jjcu- 
ten  „jfcÄojr^"  d.  h.  auf  den  Armen  oder  einem  Stuhle  in  die  Hohe 
gehohen  (cf.  o.  S.  347) ,  fllr  welche  Ehrenbezeugung  sie  sich  durch 
Bewirtung  mit  Getränk  erkenntlich  zeigen  mttssen.^  In  Poitou 
(D^p.  Deux-Sdvres)  hatte  am  Freitage  vor  dem  letzten  Sonntage, 
zu  Chätillon  am  letzten  Freitage  des  Aprilmonats  der  Brauch 
statt,  den  Hammel  zu  schlagen  (fesser  le  mouton).  Die  Jüng- 
linge (bacheliers)  aus  beiden  Kirchspielen  des  Ortes,  festlich 
geschmückt  mit  Degen  und  Federbusch  begaben  sich,  Musik 
an  der  Spitze,  zu  allen  im  letzten  Jahre  verheirateten 
Frauen,  überreichten  ihnen  einen  Blumenstrauß  und  luden  sie 
zum  Tanze  ein.  Am  Sonnabend  Abende  führte  man  einen 
Hammel  zu  einer  mit  weißem  Tischtuche  gedeckten, 
mit  Brot  und  Wein  besetzten  Tonne  und  bot  ihm  dies  als 
Speise  an.  Nachdem  er  gefressen  und  getrunken,  trieb  ihn  die 
jsuletjst  verheiratete  Frau  mit  einer  Rute  dreimal  um  die  Tonne, 
worauf  ihn  jeder  Junggeselle  auf  seinen  Bücken  hob  und  drei- 
mal um  seinen  Kopf  schwang.  Der  Abend  verging  mit  Tänzea 
Am  Sonntage  nach  der  Messe  ergriffen  sodann  die  Junggesellen 
an  den  Kirchtüren  der  beiden  Pfarrkirchen  die  beiden  zuerst 
hinausgehenden  Bäuerinnen  und  tanzten  mit  ihnen  den  Hirten- 
tanz. Sodann  setzten  sie  sich  in  Weiß  gekleidet  zu  Pferde  und 
die  beiden  zuletzt  verheirateten  Ehemänner  mußten  sie  in  ihrem 
Hochzeitsstaat  zu  Pferde  begleiten.     So  ritt  man  mehrere  male 


1)  Strackeijan,  Abergl.  n.  Sag.  a.  Oldenburg  ü,  38,  305. 

2)  Ders.  ebda.  47,  816. 


Neuvermählte  als  Abbilder  des  Maipaars.  491 

rttnd  um  den  Ort,  endlich  stieg  man  auf  einer  benachbarten  Wiese 
ab,  um  zu  tanzen;  wieder  im  Sattel,  hielt  man  einen  Trunk, 
warf  das  Glas  zur  Erde  und  jagte  mit  verhängtem  Zügel  zur 
Stadt  bis  vor  das  Schloß.  Die  beiden  zuerst  Angekommenen 
wurden  als  Könige  (für  jedes  Kirchspiel  einer),  von  ihren  Lieb- 
ehen gekrönt  Den  Rest  des  Abends  sowie  des  Monats  füllten 
Besuche  und  Tänze  aus,  bis  am  letzten  April  der  Maibaum  in 
den  beiden  Kirchspielen  gepflanzt  und  grüne  Zweige  und  Blumen- 
ketten vor  den  Häusern  angiebracht  wurden.^  Hier  sind  der 
Hammeltanz  der  neuvermählten  Weiber  (anstatt  des  Hammels  ist 
ursprünglich  ein  Widder  zu  denken  und  symbolische  Beziehung 
auf  die  Fruchtbarkeit  der  Ehe  unabweisbar)  und  der  Wettritt 
[vgl.  0.  S.  387]  der  neuvermählten  Männer  deutlich  ein  Vorfest 
des  Maibaumpflanzens.  Zwei  Bäuerinnen  wurden  zum  Tanze  auf- 
gefordert, zwei  Könige  wurden  gewählt,  weil  zwei  Kirchspiele, 
das  der  Stadtpfarre  und  die  Pfarre  der  Vorstadt  Saiat-Jouin 
zusammen  das  Fest  feierten.  Bei  dem  auf  Samstag  fallenden 
Teile  der  Feier  waren  sie  also  nur  einfach  durch  die  letzte  Neu- 
vermählte vertreten,  bei  derjenigen  am  Sonntage  doppelt.  In 
dem  Flecken  Greven  in  Westfalen  hinwiederum  herrscht  während 
des  Karnevals  die  Gewohn'heit,  daß  alle  vier  Jahre  die  inner- 
halb dieser  Zeit  getrauten  Ehepaare  ohne  Unterschied  der  Person 
in  einen  zu  diesem  Zwecke  auf  dem  Markte  aufgestellten  unge- 
heuren Kübel  kalten  Wassers  springen  und  sich  durchbaden  las- 
sen müssen.^  Es  ist  deutlich,  daß  hier  (wie  häufig)  die  ursprüng- 
lich jährlich  geübte  Sitte ,  um  ihr  den  Reiz  der  Neuheit  und  damit 
das  Interesse  zu  erhalten,  in  ein  erst  nach  bestimmtem  mehr 
jährigem  Zeiträume  wiederkehrendes  Fest  verwandelt  ist  (vgl. 
o.  S.  175).  Wie  die  Feien  auch  auf  Hochzeiten  auftreten,  das 
Mailehen  in  die  ernste  Freierwerbung  Eingang  fand  (o.  S.  454), 
ging  das  Bräutlingsbaden  auch  auf  Vermählungsfeste  über.  Zu 
Blochingen  a.  d.  Donau  führten'  noch  bis  zum  Jahre  1810  die 
ledigen  Bursche  in  der  Frühe  seines  Hochzeittages  jeden  Bräu- 
'  tigam  zum  Dorfbrunnen,  wo  sie  ihn,  wenn  er  sich  nicht  los- 
kaufte, untertauchten.  Alle  hiebei  beteiligten  Bursche  erschienen 
Nachmittags  auf  der  Hochzeit  imd  schenkten  etwas.  ^     Es  darf 

1)  De  Nore ,  Mythes ,  coutumes  etc.  p.  145  ff. 

2)  Morgenblatt  für  gebildete  Leser  1838  No.  307. 

3)  Birlinger  a.  a.  0.  46,  61. 


4d2  E^apitdl  Y.     Vegetationsgeiater:  Maibrantsohaft 

schließlich  auch  daran  erinnert  werden,  daß  in  Belgien  die  dem 
Wasserbade  parallel  gehende  Äufpeitschnng  mit  der  Lebensrate 
vorzugsweise  an  den  im  Laufe  des  Jahres  neuvermählten 
Eheleuten  geübt  wird  (o.  S.  286). 

§  13.  Ergebnisse.  Der  Zusammenhang  des  Mailehens  mit 
der  im  ersten  Teile  dieses  Abschnitts  behandelten  Maibrautschaft 
steht  wol  außer  Frage;  von  der  Maibelehnung,  die  nicht  selten 
von  Maifeuem  begleitet  ist,  wird  das  Ausrufen  der  Liebespaare 
(Valentinen)  am  Fastenfeuer  und  von  diesem  der  erörterte  man- 
nigfache Brauch  hinsichtlich  neuverheirateter  Ehepaare  oder  Lie- 
besleute beim  Sonnwendfeuer  und  außer  diesem  nicht  getrennt 
werden  dürfen,  so  daß  eine  einzige,  in  ihren  einzelnen  Glie- 
dern sich  ergänzende  und  stützende  Reihe  von  Begehungen  vor- 
liegt. Dieselbe  ist  zwar  vielfach  mit  christlichen  Festtagen  zusam- 
mengewachsen,  findet  aber,  so  weit  meine  Kenntniß  reicht,  keinen 
Anknüpfungspunkt  in  den  durch  dieselben  ausgedrückten  religiö- 
sen Ideen  des  Christentums;  die  Vorstellung  von  der  Wittwen- 
schaft  der  Kirche  während  der  Fastenzeit  (b.  S.  446)  widerspricht 
ihr  sogar.  Wir  werden  mithin  bis  auf  weiteres  berechtigt  sein, 
an  der  natursymbolischen  Deutung  dieser  Bräuche  festzuhalten, 
und  nur  darum  wird  die  Untersuchung  sich  zu  bewegen  haben, 
ob  sie  als  unmittelbare  und  selbstständige  Wurzeltriebe  aus  der 
Metapher  der  Liebe,  Werbung,  Vermählung  fbr  das  neue  Leben 
in  der  Natur  und  der  Menschenbrust,  das  der  Frühling  hervor- 
ruft, emporschössen,  oder  ob  sie  als  Blüten  auf  dem  Zweige 
jener  mythischen  Illusion  gewachsen  sind,  welche  die  Lenzmonate 
mit  dem  Glauben  an  ein  in  Wahrheit  personhaftes,  dämonisches 
Brautpaar  oder  junges  Ehepaar  eriÜUte.  Alle  Anzeichen  sprechen 
für  die  letztere  Annahme,  da  manche  Züge  auch  mit  den  in  Rede 
stehenden  Sitten  unabtrennbar  verbunden  sind,  welche  aus  jenem 
rein  psychologischen  Motive  keineswegs  abgeleitet  werden  kön- 
nen, sich  aber  von  Vegetationsgeistem  mit  Leichtigkeit  erklären 
(Wassertauche,  Verbrennung);  und  in  der  Tat,  täuscht  nicht 
alles,  so  sind  das  Mailehen,  die  Bündnisse  der  Valentine  und 
Valentinen,  der  gemeinsame  Sprung  durchs  Fastnachts-  oder 
Johannisfeuer ,  Scheibenwerfen  und  Braütball  zu  Ostern,  das 
Bräutlingsbaden  ursprüngliche  Nachahmungen,  vervielfältigende, 
den  Parallelismus  des  Menschenwachstums  mit  dem  Pflanzen- 
Wachstum  bezeugende  Darstellungen  der  Situationen  des  geister- 


Ergebnisse.  498 

haften  Lenzpaares  gewesen.  Es  ist  größtenteils  noch  ein  Best- 
ehen der  Nabelschnur  vorhanden,  welche  die  abgeleiteten  Sitten 
mit  dieser  Gnindvorstellung  verbanden  hat.  So  z.  B.  wird  dnrch 
den  Hinweis  auf  das  im  Jahreslaufe  seine  Wirksamkeit  entfal- 
tende und  erschöpfende  dämonische  Brautpaar  die  Verbindung 
auf  ein  Jahr  oder  für  den  Sommer  beim  Mailehen,  bei  den  eng- 
lischen Valentinen,  dem  Gompadre  und  seiner  Dame  in  Vene- 
zuela  und  den  schwäbischen  Ehegatten  verständlich,  welcher  die 
Teilnahme  der  im  Laufe  des  letztvergangenen  Jahres  verheirate- 
ten Ehepaare  bei  den  Feuern,  zugleich  aber  auch  die  Wahl  des 
Maikönigs  und  Maigrafen  (cf.  o.  S.  369  ff.)  auf  ein  Jahr  von  Mai- 
tag bis  Maitag  oder  von  Pfingsten  bis  Pfingsten  entspricht.  Im 
polnischen  Brauche  (o.  S.  468)  ist  es  noch  ausdrücklich  der  grüne 
oder  weiße  Johannes  d.  h.  der  nach  dem  Mittsommertage  benannte 
Dämon  der  sommerlichen  Vegetation,  die  schon  zur  Weiße  des 
Emtefeldes  hinneigt,  der  ein  Weib  sticht,  sich  verheiraten  will;  die 
menschlichen  Liebespaare  sind  anscheinend  seine  glücklicheren 
Nachahmer.  Wie  unmerklich  rinnt  hier  in  anmutigem  Spiele  der 
Mythus  in  rein  menschliche  Verhältnisse  herüber.  Eine  andere 
Spur  des  Zusammenhangs  mit  dem  Naturmythus  gewährt,  daß 
in  Westfalen  beim  Lehnausrufen  an  der  Spitze  der  Maipaare  ein 
Maikönig  und  eine  Maikönigin  stehn,  und  daß  der  Maibursche 
seiner  Maifrau  einen  Maibaum  setzt.  Das  zweite  Kapitel  lehrte 
uns  in  letzterem  ein  Abbild,  ein  zweites  Ich  des  Mädchens  ken- 
nen; die  Nachweise  dieses  Kapitels  ergänzen  diese  Vorstellung 
dahin,  daß  das  Mädchen  selbst  als  Vertreterin  des  den  Baum 
belebenden  Vegetationsgeistes,  als  Mainymphe  gedacht'  wird,  und 
somit  der  Queen  of  May  (o.  S.  815.  346),  Marife  de  May  (o. 
S.  439),  der  litauischen  Maja  (o.  S.  313)  u.  s.  w.  gleichsteht,  die 
neben  dem  Maibaum  hergehen,  oder  denen  man  einen  Maibaum 
vorträgt.  Wenn  nun  zuweilen  der  den  Maibaum  belebende  Vege- 
tationsgeist durch  ein  Liebes-  oder  Ehepaar  dargestellt  wird, 
wenn  andrerseits  es  gewiß  ist,  daß  die  Verbrennung  des  Mai- 
baums ein  altes,  und,  wie  es  scheint,  notwendiges  Stück  der 
Frühlings-  und  Mittsommerfeuer  ausmachte  (o.  S.  177),  woftlr  als 
gleichbedeutend  zuweilen  die  Verbrennung  der  beiden  das  dämo- 
nische Maipaar  darstellenden  Strohpuppen  Hansl  und  Gredl  (o. 
S.  429)  eintritt  (o.  S.  464),  so  läßt  sich  leicht  einsehen,  daß  das 
Scheibentreiben  für  ein  Liebespaar,  der  paarweise  Sprung  durch 


494  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  Maibrautschaft. 

ein  Fastnacht-  oder  Johannisfener  neben  dem  verbrennenden 
Baume,  oder  (wo  dieser  fehlt)  für  sich  allein  die  Verbrennung 
der  Vegetationsdämonen  oder,  wie  wir  oben  S.  186  deuteten,  den 
Durchgang  derselben  durch  den  Sonnenbrand  des  Sommers  sinn- 
bildlich darstellen  sollten.  In  der  Gegend  von  Epinal  wird  das 
Liebespaar,  wenn  es  sich  nicht  loskauft,  ja  wirklich  in  efi&gie 
verbrannt.  Die  Ängündung  des  Scheiterhaufens  oder  der  Scheibe 
durch  ein  junges  Ehepaar  (resp.  eine  jung  verheiratete  Frau  oder 
den  jüngsten  Ehemann)  ist  dann  deutlich  nur  Abschwächung  des 
Durchgangs  derselben  durch  die  Flammen,  doch  erhielt  sich  dabei 
noch  die  ältere  Form,  daß  nur  ein  Paar  statt  mehrerer  oder 
vieler  auftritt;  zugleich  aber  erhellt,  daß  auch  das  Durchspringen 
von  Männern  oder  Frauen  allein^  oder  das  Hindurchtreiben  von 
Vieh  durch  diese  Feuer  zum  Zwecke  der  Fruchtbarmachung  der 
Aecker  oder  zur  Vertreibung  resp.  Femhaltung  von  Krankheiten 
den  nämlichen  Sinn  haben  muß.  Daß  dem  in  der  Tat  so  sei, 
wird  der  Verfolg  unserer  Untersuchung  lehren.  Dieser  Gebrauch 
geht  genau  parallel  dem  Schlagen  von  Menschen  und  Tieren  mit 
der  Lebensrute  (Schmackosteni),  welches  in  so  naher  Beziehung 
zur  Pfingstbraut  steht.  Hier  wie  dort  scheint  das  Gebahren  der 
Vegetationsdämonen  von  vielen  Menschen  im  Interesse  ihres  Wol- 
befindens  zum  Vorbilde  genommen;  auch  beim  Bräutlingsbaden 
geschieht  an  allen  jungen  Ehemämiem  dieselbe  Wassertaufe, 
welche  (als  Regenzauber)  in  Zürich  zum  Hirsmontage,  an  dem 
Ghrideglade  und  seiner  Else  (o.  S.  430),  zum  Aschermittwoche 
an  der  Braut  und  dem  Bräutigam  (o.  S.  433),  in  Baiem  zu  Mai- 
tag oder  Pfingsten  an  dem  Hansl  und  der  Gredl  (o.  S.  429)  sowie 
in  verschiedenen  Gegenden  an  dem  Wasservogel,  Pfingsthagen, 
Laubmännchen  u.  s.  w.  geübt  wurde. 

Kam  es  diesen  Auseinandersetzungen  zufolge  wesentlich 
darauf  an,  in  derselben  Zeit,  in  welcher  jenes  göttliche  Liebes- 
paar seinen  Bund  schließt,  in  Nachahmung  dessen  menschliche 
Paare  zu  vereinigen,  so  blieb  eine  mehrfache  Weise  möglich, 
solche  Vereinigung  zu  bewerkstelligen;  Ar  die  würdigste  wird 
eine  Götterbestimmung,  ein  Schicksalsspruch  gegolten  haben. 
Das  Loos,  der  Ausruf  des  orakelnden,  im  geheinmisvoUen  Walde 
verkehrenden,    kräuter-    und   zauberkundigen  Dorfhirten/  die 

: , 

1)  Vgl.  zu  der  o.  S.  456  aus  der  Gegend  von  Saarbnrg  mitgeteilten 
Sitte  diejenige  ans  der  Insel  Man,  wo  am  letzten  Tage  der  Zwölften  der 


Ergebnisse.  495 

gleiehsam  durch  höhere  Eingebimg  geeinigte  Stimme  der  Um- 
stehendes ^  die  zufällige  erste  Begegnung  in  der  Frühe  des  Mor- 
gens (Angang)  sind  verschiedene  Formen  solcher  Vorherbestim- 
mung; ich  vermute,  daß  auch  der  Raub  (o.  S.  4ö4),  die  älteste 
Weise  der  Brautwerbung,  ursprünglich  an  der  zufällig  zuerst 
Begegnenden  geübt  sein  wird.  Die  Mädchenversteigerung  ergiebt 
sich  somit  aus  inneren  Gründen  als  eine  abgeleitete  verhältniß- 
mäßig  junge  und  locale  Gestaltung  der  anderswo  in  älteren  Ent- 
wicklungsstadien bewahrten  Sitte.  Es  ist  verständlich  und  natür- 
lich, daß  ebensowohl  auf  den  ersten  Fastensonntag,  als  auf  den 
14.  Februar  oder  den  ersten  Maitag  als  Vertreter  des  Frühlings 
die  Sitte  fixiert  werden  konnte.  Der  14.  Februar  wurde  gewählt, 
weil  die  Volksbeobachtung  auf  denselben  (ich  weiß  nicht,  aus 
welchem  Grunde)  auch  die  Paarung  der  Vögel  ansetzte,  so  daß 
es  eine  passende  Annahme  schien,  auf  ihn  die  Hochzeit  der 
großen  Naturwesen  zu  verlegen.  Der  Ealendemame  dieses  Tages, 
St.  Valentin,  ist  dann  zunächst  auf  das  mythische  Lenzbrautpaar 
übertragen,  wie  sonst  der  Monatsname  Mai,  Maja,  auf  den  Vege- 
tationsdämon, und  von  diesem  auf  die  dasselbe  nachbildenden 
Paare.*  In  Lothringen  muß  in  ähnlicher  Weise  der  Brauch,  sei 
es  aus  eigener  üeberlieferung  oder  in  Nachahmung  englischer 
Sitte  am  14.  Februar  geübt  sein,  ehe  er  mit  dem  gleichbedeuten- 
den anderer  Orte  am  dimanche  des  brandons  verschmolzen  wurde. 
Wenn  man  die  Wiederkehr  des  Frühlings  von  der  Wiederkehr 
des  Lichtes  an  rechnete  ^  so  war  man  berechtigt,  schon  zu  Weih- 
nachten oder  Neujahr  die  Wiederkehr  des  Lenzbrautpaars  zu 
feiern.  Es  steht  sich  mythologisch  gleich,  ob  man  das  Verhält- 
nis des  Lenzpaares  als  Brautschaft  oder  als  vollzogene  Ehe 
bezeichnen  wollte,  ftlr  den  vorgeschritteneren  Sommer,  der  der 
Frachtreife   zuneigt,    war   die    Bezeichnung   als  jungvermähltes 


Fiedler,  welcher  während  dieser  Festzeit  aufgespielt  hat,  seinen  Kopf  in 
eines  Mädchens  Schoos  legte  und  der  Reihe  nach  von  einer  dritten  Person 
nm  alle  unverheiratete  Frauensleute  befragt,  von  jeder  aussagte,  wen  sie 
heiraten  werde.  Dieser  Ausspruch  galt  als  ein  untrügliches  Orakel.  Waldron, 
Description  of  the  Isle  of  Man.    Works  p.  155.    Brand,  pop.  Antiqu.  1,32. 

1)  Die  Legende  des  h.  Valentin  bietet  keinen  Ausgangspunkt  oder  An- 
halt zur  Erklärung  des  Brauches.  Simrocks  leichtfertige  Deutung  auf  den  nor- 
dischen Gott  Vali  (Handb.«,  312  —  313),  der  Rochholz  (Gaugöttinnen)  beitritt, 
verdient  kaum  Erwähnung. 


496  Kapitel  V.    Vegetationsgeister:  Maibrantschaffc. 

Paar  am  passendsten.  Wir  sehen  deshalb  als  personifizierte 
Oegenbilder  der  die  Sommerhitze  passierenden  Pflanzenwelt  vor- 
zugsweise junge  Eheleute  durchs  Mittsommerfeuer  springen.  Doch 
insofern  das  Kind,  der  Emtesegen,  noch  in  der  Zukunft  zu  erwar- 
ten ist,  war  es  immer  nicht  widersinnig,  im  Abbilde  die  dämo- 
nische Brautschaft  oder  Vermählung  (vgl.  den  estnischen  Brauch 
0.  S.  469)  zu  begehen.  Schließlich  gewahren  wir  an  mehreren 
Beispielen,  wie  nach  und  nach  auch  die  festen  und  sittlichen 
Verhältnisse  ernsthafter  Brautwerbung  und  Ehe  zwischen  den 
Menschen  durchstehend  als  Abbilder  der  großen  Naturvorgänge 
aufgefaßt  werden.  Die  holländischen  Bursche  versteigern  unter 
sich  das  Kecht,  die  erstrebte  Braut  zu  besuchen;  der  schwäbische 
Bräutigam  wird  am  Hochzeittage  gewaltsam  gebadet,  alle  jungen 
Ehemänner  unterliegen  der  nämlichen  Begehung;  und  die  schwä- 
bischen Ehegatten  dingen  sich  wenigstens  scherzweise  alle  Jahre 
wieder. 


Kapit«!  Tl. 

Vegetationsgeister:    Sonnenzauber. 

§  1.  Yerbreniiiiiig  in  den  Faschings-  und  LStarege- 
brBnchen.  Wie  durch  den  Nachweis  des  Maibrautpaars  die  im 
4.  Kapitel  enthaltenen  Äasflihrnngen  nach  einer  Seite  hin  erwei- 
tert wurden ,  sind  die  nachstehenden  Blätter  bestimmt ,  dieselben 
noch  nach  einer  anderen  Richtung  zu  ergänzen ,  indem  wir  die 
Frühlings-  und  Mittsommerfeuer  einer  nähern  Betrachtung  unter- 
ziehen und  dieselben  des  näheren  als  Darstellungen  der  die  Vege- 
tation zeitigenden  Sommerwärme  nachweisen.  Die  Untersuchungen 
eines  früheren  Abschnittes  o.  S.  417  ff.  nötigten  uns  nämlich  die 
Ueberzeugang  auf,  daß  in  den  Frühlingsgebränchen  des  Todaus- 
tragens ,  Fastnachtvergrabens  u.  s.  w.  ein  aHerdings  weitverzweig- 
tes und  unzweifelhaft  altes ;  aber  dennoch  unleugbar  vorhandenes 
Mißverständnis  des  ursprünglichen  Sinnes  zu  einer  Umdeutung 
desselben  gelUhrt  hat.  Die  Eingrabung  des  y^Todten/'  d.  h.  des 
zur  Wiederauferstehnng  bestimmten  vegetativen  Lebens  ist  in  ein 
Hinwegschaffen,  Verscharren  des  Todes  oder  des  Winters  ver- 
ändert. Den  Beweis  für  unsere  Hypothese  fanden  wir  unter- 
stützt durch  den  Umstand,  daß  die  den  sogenannten  Tod  (oder 
den  Fastnachtkerl)  darstellende  Figur  statt  des  Begräbnisses,  oder 
außerdem  noch,  ins  Wasser  geworfen  wird  (Begenzauber)  oder 
zur  Verbrennimg  kommt ,  ^  zuweilen  allen  dreien  Ceremonien  unter- 
liegt. Diese  Verbrennung  (in  der  wir  eine  symbolische  Darstel- 
lung des  Durchganges  der  Vegetation  durch  das  Sonnenfeuer 
erkennen  wollten)  wird  die  Aufgabe  der  nächsten  Erörterungeioi 
bilden.  Es  wird  sich  zeigen,  daß  die  Verbrennung  einer 
menschlichen   Gestalt,  meistenteils  aus  Stroh  oder  zusam- 


1)  Myth.«  728.  730.    Das  Verbrennen  des  Todes  im  Eichsfelde  belegt 
aoB  mehreren  Orten  Waldmann ,  Eichsfeld.  Gebräuche  nnd  Sagen.  1864.  8.  14. 

MAnnhardt  32 


498  Kapitel  VI.    Vegetationsgeister:  Sonnenzaiiber. 

4 

meDgeflochtenen  Reisern  ^  sowohl  mit  dem  Todanstragen  verbmi- 
deii;  als  für  sich  allein  einen  wesentlichen  Bestandteil  der  Oster- 
(Fastnachts-)  und  Mittsommerfeuer  bildete,  daß  als  andere  ebenso 
wesentliche  Bestandteile  dieser  Feuer  die  folgenden  Stücke  zu 
betrachten  sind:  1)  das  Scheibenschlagen  oder  Radwäl- 
zen, 2)  die  Aufrichtung  und  Verbrennung  eines  Bau- 
mes, in  dessen  Wipfel  die  Menschengestalt  zu  sitzen  pflegte; 
den  Baum  ersetzt  häufig  eine  einfache  Stange,  3)  ein  Fackel- 
lauf, beziehungsweise  die  Anzündung  des  Scheiterhaufen»  durch 
Fackeln,  oder  der  Fackeln  am  Scheiterhaufen,  4)  der  Glaube  an 
die  Befrachtung  der  Felder  und  Obstgärten,  5)  das 
Hindurchspringen  und  Hindurchtreiben  von  Menschen  und 
Tieren  behufs  der  Gesundheit,  abgesehen  von  verschiede- 
nen andern  auf  den  Modus  der  Anzündung  dieser  Feuer  bezüg- 
lichen Erfordernissen,^  6)  ein  Scheinkampf  auf  den  Korn- 
feldern, endlich  7)  als  Schauplatz  der  Feier  hohe  Berg- 
gipfel, Anhöhen  oder  Kornfelder.  Zu  5  gehört,  wie  wir 
bereits  gezeigt  haben ,  die  Erwählung  der  Maibrautpaare. 

Zunächst  weisen  wir  noch  einige  Beispiele  nach,  in  denen 
die  sogenannte  Todaustragung  mit  der  Verbrennung  endigt.  In 
Spachendorf  (Oesterr.  Schlesien)  wird  ein  mit  Schafspelz 
und  Pudelmütze  bekleideter  Strohkerl  am  Morgen  des 
Rupertstages  auf  einer  Stange  befestigt,  aufs  Feld 
getragen  und  in  eine  weite  Grube  gestürzt,  dann  ent- 
kleidet und  in  ein  Feuer  geworfen.  Von  den  brennenden 
Lumpen  hascht  jeder  ein  Stück,  bindet  es  an  den  Ast  des 
großen  Obstbaumes,  oder  gräbt  es  im  Acker  ein, 
damit  Bäume  und  Saaten  besser  gedeihen.^  In  der 
Umgegend  von  Chrudim  wird  der  Tod  erst  ins  Wasser  gewor- 
fen*, dann  verbrannt.^  Am  ersten  Montage  nach  Frühlingstag- 
undnachtgleiche, sammeln  die  Buben  in  Zürich,  indeB  die  Mäd- 
chen (Mareielis)  einen  Maibaum  umtragen,  tlir  ihren  Stroh- 
mann oder  Böken  Gaben  ein,  den  sie  auf  einem  Wägel- 
chen durch  die  Straßen  ftthren,  hernach  Schlag  6  Uhr  abends 
beim  Klange   der   Vesperglocke   auf   einer  hohen   Stange 


1)  Vgl.  Kahn,  die  Herabknnft  des  Feuers  a.  m.  0. 

2)  Vemaleken,  Oesterr.  Mytb.  294, 19. 

3)  Ebda.  295,  20. 


Yerbrennuii^  in  den  Faschings-  und  Lataregebraachen.  499 

verbrennen.  Dieses  Fest  heißt  das  Sechseläuten ;  die  Ver- 
brennung geschieht  an  verschiedenen  Stellen  der  Stadt.  ^  Am 
letzten  Fastnachtstage  verbrennt  man  zn^  Richterschwyl  am 
Züricher  See  einen  Strohmann,  der  vorher  auf  eine  Bahre  gelegt 
und  von  einem  Zuge  Vermummter  auf  eine  Wiese  getragen  wird, 
wo  man  ihn  an  eine  hohe  Stange  befestigt  und  dann  mit  Fackeln 
anzündet.  Darauf  wird  seine  Asche  „verlochet."*  Zu  Cobem 
an  der  Eifel  vrird  am  Fastnachtdienstage  ein  völlig  bekleideter 
Strohmann,  dem  man  sämmtliche  Diebstähle  der  Umgegend  zur 
Last  legt,  vom  Fastnachtgericht  verurteilt  und  auf  einem  Schei- 
terhaufen verbrannt,  über  den  die  jüngste  Ehefrau  springt.''  Im 
Oldenburgischen  machte  man  sich  am  Fastnachtdienstage  8  — 12 
Fuß  lange  Strohbündel  (Beken)  von  4  —  6  Zoll  Durchmesser ,  um- 
wickelte sie  straff  mit  Bändern ,  zündete  sie  bei  Dunkelwerden  an, 
und  schwärmte  damit,  tolle  Lieder  singend,  auf  den  Aeckem 
umher;  zu  guter  letzt  band  man  einen  Strohkerl  und  verbrannte 
ihn,  oder  setzte  ihn  einer  beliebigen  Person  auf  den 
First  des  Hauses/  Zu  Kaldenkirchen  Kr.  Kempen  Rgbz. 
Düsseldorf  war  der  zu  Fastnacht  verbrannte  „Mann"  aus  einer 
unansgedroschenen  Korngarbe  gefertigt.  Zu  Dhom  Kr.  Düren, 
Bgbz.  Aachen  brachte  man  am  Aschermittwoche,  den  Erbsenbär 
oder  Lücketeies,  einen  in  Erbsenstroh  gehüllten  Mann  auf  einen 
bestimmten  Platz,  zog  ihn  dort  heimlich  aus  seiner  Hülle  heraus 
und  verbrannte  diese,  so  daß  die  Kinder  meinten,  der 
Mann  brenne.  Zu  Pier  Kr.  Düren  gingen  zwei  in  Erbsenstroh 
gehüllte  Personen ,  der  Erbsenbär  und  der  Lücketeies  je  an  Seilen 
umgeführt  hintereinander  her,  beide  wurden  auf  obige  Weise  ver- 
brannt. 

In  Wälschtirol  (Vallarsa)  verbrennt  man  den  Fasching ,  indem 
man  auf  einem  Haufen  von  Holz  und  Stroh  (il  camevale  genannt) 
eine  Stange  mit  einem  Querholze  errichtet ,  an  dessen  Ende  Stroh- 
büschel hangen,  und  dann  anzündet,  außerdem  wird  ein  klei- 
nerer Scheiterhaufe  „la  spia,"  der  Spion,  in  Brand  gesteckt.  Im 
Val  di  Ledro  dagegen  ist  es  Sitte,  am  letzten  Faschingstage  die 


1)  Vernaleken,  Alpensagen  363,29. 

2)  Ebds.  364,31. 

3)  Schmitz  I,  20. 

4)  Strackeijan,  Abergl.  q.  Sag.  a.  Oldenb.  II,  39,  306. 

32* 


500  Kapitel  VI.    Yegctationsgeister:  Sonneozanber. 

Alte  zu  verbrennen  ^^brusar  la  yeccia/'  eine  aus  Stroh  und  Reisig 
zusammengestopfte  Figur.  ^  In  der  Lombardei ,  Venetien  und  Pie- 
mont  geschieht  das' zu  Mittfasten.  ^  Da  an  demselben  Tage  in 
Oberitalien  und  Spanien  vielfach  eine  Puppe  mitten  entzwei  gesägt 
wird,  welche  bald  Quaresima  (Fasten),  bald  la  veccia,  la  vieja 
(Alte)  heißt,  wird  deutlich,  daß  man  jetzt  auch  die  verbrannte 
Gestalt  als  Personification  des  Faschings  versteht,  während  der 
Name  der  Alten  auf  jene  ältere  Vorstellung  hinweist,  die  nach 
S.  359  zu  beurteilen  ist. 

§  2.  Feuer  am  Fonkensonntage.  Jene  Feuer  am  Fast- 
nachtdienstage haben  doch  schwerlich  einen  andern  Ursprung, 
noch  enthalten  sie  einen  andern  Gedanken ,  als  die  Scheiterhaufen, 
welche  anderswo  am  Sonntage  nachher  entzündet  werden,  der 
außer  den  kirchlichen  Namen  Quadragesimä  und  Invocavit  noch 
die  Volks tttmlichen  „große  Fastnacht,  Herrenfastnacht,  AUermanns- 
fastnacht,  der  weiße  Sonntag,  Funkentag,  Kässonntag,  Htltten- 
Sonntag,  Schofsonntag,''  franz.  „föte,  dimanche  des  brandons, 
behourdiz''  führt.  An  diesem  Tage  zog  man  auf  der  Rhön  und 
in  den  angrenzenden  Gegenden  bis  zpm  Vogelsberge  hin,  wo  er 
nach  der  herkömmlichen  Speise  Backobst-,  Hutzelsonntag  heißt, 
durch  die  Fruchtfelder  auf  eine  Anhöhe  oder  einen  Berg,  zün- 
dete hier  Holzfackeln,  geteerte  Besen,  mit  Stroh  umwickelte 
Stangen  an  und  lief  damit  durch  die  Saatfelder,  rollte  auch  ein 
brennstofFumflochtenes  Bad  die  Anhöhe  hinab,  das  Hoalrad' (Hagel- 
rad, verderbt  Hollerad)*  hieß,  weil  es  die  Aecker  vor  Hagel 
bewahren  sollte.  Zuletzt  warf  man  die  Fackeln  (Blfis,  Bläser), 
nachdem  man  wie  tobend  mit  ihnen  umhergetanzt,  auf  einen  Hau- 
fen zusammen,  den  die  Menge  umstand,  Gesangbuchslieder  oder 
Volkslieder  singend.  Man  tat  dies  der  h.  Jungfrau  zu  Ehren, 
damit  sie  das  Jahr  hindurch  die  Feldfrüchte  bewahre  und  segne, 
oder  man  meinte,  mit  den  brennenden  Strohwischen  und  Fackeln 
durch  die  Flur  laufend,  den  „bösen  Sämann  zu  vertrei- 


1)  Schneller  Chr.,  Märchen  n.  S&g,  a.  Wälschtirol.    S.  233.  9.  234. 13. 

2)  Ghihriele  Rosa ,  Dialette ,  costami  e  tradizione  delle  provincie  di  Ber- 
gamo e  di  Brescia.  2.  Anfl.  Bergamo  1858.  S.  178.  Jahrb.  für  roman.  u. 
engl.  Liter.  V,  376.    Opinione  11.  Apr.  1852.    Zs.  f.  d.  Myth.  HI,  51. 

3)  Auch  die  Myth.'  594  enrähnte  Benennung  im  Bheingan  „Hallfeaer" 
ist  durch  Assimilatioii  aus  Haglfeuer  entstanden. 


Feuer  am  Fnnkensonntage.  501 

ben,"^  „den  Hutzelmann  zu  verbrennen."*  An  dem 
nämlichen  Tage  hieben  die  Metzger  und  Weber  von  Konz  die  auf 
dem  Marxberge  aufgepflanzte  Eiche  und  rollten  das  bren- 
nende Rad  ins  Tal  der  Mosel.  In  der  Eifel  fand  dann  ent- 
weder das  Radscheiben ,  d.  i.  die  Anzttndung  und  Herabrollung 
eines  Rades  oder  das  Burgbrennen  statt ,  wobei  alle  Teilnehmer 
mit  angezündeten  Fackeln  den  mit  einem  Strohmanne 
besetzten  oder  durch  ein  Querholz  zu  einem  (ein  rohes  Manns- 
bild darstellenden)  Kreuze  umgeschaffenen  hohen  und  schlan- 
ken Buchenstamm  (die  Burg)  unter  lautem  Gebete  in  weitem 
Kreise  umwandelten,  zuletzt  sich  plötzlich  umwendend  mit  dem 
Geschrei:  „die  Burg  brennt''  auf  denselben  zustürzten  und  ihn 
in  Flammen  setzten.  So  weit  das  Feuer  leuchtete,  der  Rauch 
zog,  sollte  die  Kornflur  fruchtbar  werden.^  Um  Echtemach 
heißt  die  nämliche  Ceremonie  „die  Hexe  verbrennen."*  In  Vor- 
arlberg umwickelt  man  an  diesem  Sonntage  den  Funka,  eine 
schlanke  junge  Tanne  bis  fast  zum  Wipfel  mit  Stroh  und 
setzt  die  Hexe,  eine  aus  alten  Kleidungsstücken  gefertigte,  mit 
Schießpulver  gefüllte  Menschengestalt  in  denselben,  häuft  Holz> 
Bcheiter  umher  und  zündets  bei  einbrechender  Nacht  an,  indem 
Knaben  und  Mädchen,  brennende  Fackeln  schwingend, 
ringsum  laufen  und  dabei  folgenden  Reim  singen: 

Flack  üs!  flack  üs! 

Ueber  alb  Spitz  und  Berg  üs! 

Schmalz  in  der  Pfanna, 

Korn  in  der  Wanna, 

Pflneg  in  der  Erda; 

Gott  alle  grota  (geraten)  lot 

Zwüsohat  alla  Stega  und  Wega. 

Dieser  Brauch  heißt  Funkenbrennen  und  Fackelschwingen.* 
In  Tirol  werden  an  demselben  Tage  mit  geringer  Veränderung 
die  nämlichen  Worte  gesprochen,  indem  man  den  Namen  der 
Geliebten  ausrufend  die   Scheiben  schlägt*     In  Schwaben 


1)  Witzschel,  Sitten  u.  Gebr.  aus  d.  Umgegend  von  Eisenach  S.U. 39. 
Mülhanse,  Urreligion  S.  112.    Panzer  II,  207,  364. 

2)  So  an  der  Hard  im  ehemals  Fuldaischen.    Schmeller  W.  B.»  1196. 

3)  S.  0.  S.  463. 

4)  Zs.  f.  D.  Myth.  I,  89. 

5)  Vonbun,  Beitr.  z.  D.  Myth.  20. 

6)  Zingerle,  Sitten«  140,  122*.  1225.    Zs.  f.  D.  Myth.  I,  286. 


502  Kapitel  VI.    Vegetationsgeister:  Sonnenzanber. 

beginnt  man ,  sobald  der  Funke ,  d.  h.  der  um  die  Hexß  (das  auf 
einer  Stange  aufgerichtete  mit  Kleidern  und  Hut  geputzte  Strob- 
weib)  aufgeschichtete  Stroh-  und  Hokhauf'e  angesteckt  ist,  und 
so  lange  bis  dieselbe  heruntergebrannt  ist^  Scheiben  für  die 
Geliebte  u.  s.  w.  zu  schlagen  und  (oder)  rotbrennende  Kien- 
fackeln schwingend  durchs  Feuer  zu  , Jucken '^  (springen), 
während  in  anderen  schwäbischen  Orten  alle  Welt  mit  bren- 
nenden Fackeln,  d.h.  Stangen  mit  oben  daran  befestigten 
Strohbüscheln  auf  die  Berge  zieht.  Die  Brandreste  der  Strohfigur 
und  der  Schüben  trägt  man  nach  Hause  und  stechet  sie  in  der- 
selben Nacht  in  den  Flachsacker^  tvodurch  das  Ungesfiefer  ver- 
scheucht unrd.^  Zu  Ertingen  findet  das  Verbrennen  der  durch 
eine  Puppe  oder  durch  ein  einfaches  ßeisbüschel  oder  Boggen- 
schaub  dargestellten  Hexe  in  dem  mit  einer  aufsteigenden  Lunte 
entzündeten  St.  Johannes-  oder  Senkafeuer  statt,  indeß  die  Buben 
und  Mädchen  in  ganzen  Beihen  durch  die  Flammen  springen, 
damit  der  Flachs  drei  Ellen  lang  werde.  So  weit  die 
Helle  der  Flanmie  und  der  Bauch  hinreichen,  hat  das  Jahr 
lang  keine  Hexe  Gewalt  über  Fracht  und  Vieh,  bei- 
des wächst  und  gedeiht.^  In  einigen  böhmischen  Orten, 
z.  B.  Wall  findet  das  Hexenbrennen ,  die  Verbrennung  einer  weib- 
lichen Figur  „zur  Vertreibung  der  die  Saatfelder  schä- 
digenden Zauberinnen"  im  Mai  statt.^  Woher  der  Wind 
weht,  so  lange  die  Hexe  brennt,  daher  weht  er  das  ganze  Jahr; 
in  der  Bichtung,  wohin  die  Hexe  fällt,  nehmen  die  Gewitter  daB 
Jahr  hindurch  ihre  Bichtung,  ohne  zu  schlagen;  wenn  der  Mensch 
am  Funkensonntage  keine  Funken  macht ,  so  macht  sie  der  Herr- 
gott durch  ein  Wetter.*  Die  Anzündung  des  Feuers  auf  Korn- 
feldern und  das  Umherlaufen  mit  Fackeln ,  wovon  dieser  Sonntag 
in  Frankreich  den  Namen  dimanche  des  brandons  hat,  werden 
wir  weiterhin  noch  besonders  in  Erwägung  ziehen. 

§  3.    Osterfeaer.    Die  Osterfeuer  stehen  zumeist  im  Dienste 
der  katholischen  Kirche.    Die  Vigilie  am  Charsamstage  vor  dem 


1)  Meier  S.  380,  21.  283,  27.    Birlinger  H,  59,  76.  67,  77.     BavBria 
n,  2,  839. 

2)  Birünger  H,  105. 

3)  Vemaleken,  Mythen  306,  29. 

4)  Zß.  f.  D.  Myth.  1,  90,    Birlinger  H,  67,  77.    Meier  382,  24. 


Osterfeaer.  503 

Osterfeste  war  in  der  alten  Kirche  besonders  feierlich.  Dann 
fand  nach  vorheriger  Weihung  des  Taufwassers  die  Taute  der 
Catechnmenen  statt.  In  das  Taufwasser  wurde  die  nach  Aus- 
löschung sämmtlicher  übriger  Kerzen  und  Lampen  am  Gründon- 
nerstage einzig  und  allein  brennend  erhaltene ,  riesige,  mit  den 
heiligen  Kreuzesnägeln  geschmückte  Osterkerze  (zuweilen  waren 
es  deren  drei)  dreimal  hineiugesenkt ,  sodann  wurde  sie  neu  ange- 
zündet und  mit  ihr  das  Feuer  sämmtlicher  Lichter  und  Lampen 
erneut.  Zu  Bonifacius  Zeit  war  in  deutschen  Kirchsprengehi 
bereits  der  damals  in  Eom  noch  unbekannte  Ritus  ^  aufgekommen^ 
das  neue  heilige  Feuer  durch  Schlagen  aus  einem  Steine  oder 
durch  ein  Brennglas  von  Kristall  hervorzurufen,  feierlich  zu 
weihen  und  daran  die  Osterkerze  anzuzünden ;  später  unter  Leo  V . 
(847  —  855)  hatte  dieser  Brauch  bereits  allgemeinere  Geltung, 
von  dem  neuen  Feuer  wurde  ans  Volk  ausgeteilt.'  Nach  und 
nach  hat  die  Ceremonie  in  vielen  deutschen  Diöcesen  folgende 
Grestalt  angenommen.  Am  Gharsamstage  wird  im  Kirchturme,' 
anf  dem  Kirchhofe,  oder  auf  einem  anderen  Platze  unweit  der 
Kirche  Brennholz  (oft  aus  jedem  Hause  eines  oder  mehrere  Schei- 
ter) zusammengetragen,  dieser  Holzstoß  mit  aus  dem  Steine 
geschlagenem  Feuer  angezündet  und  in  demselben  alles  heilige, 
im  Laufe  des  Jahres  übergebene  Oel  (Ohrisam)  und  Salz  ver- 
brannt. Ist  nun  vom  Priester  das  Feuer  geweiht  und  das  von 
den  Gläubigen  in  Flaschen  mitgebrachte  Wasser  gesegnet,  so 
werden  einige  glühende  Kohlen  ins  WeihrauchfaB  gelegt,  lichter- 
loh angeblasen  und  hieraus  mittelst  einer  großen  Wachskerze  das 
neue  Licht  gewonnen ,  mit  dem  jetzt  die  ewige  Lampe  und  alle 
Lichter  der  Kirche  wieder  entzündet  werden.  Dann  strömt  das 
Volk  hinzu,  es  wird  ihm  von  dem  neugeweihten  Weihwasser  aus- 
geteilt, es  kohlt  an  dem  geweihten  Feuer  2 — 3  Fuß  lange  Plähle 
oder  Scheiter  an  (von  Eiche,   Nußbaum,  Buche),   und  trägt  sie 


1)  S.  den  Brief  des  Papstes  Zacharias  v.  4.  Not.  751.  Bonifacii  epi- 
stolae  80.  (Würdtwein  87)  Jaffc,  Biblioth.  Ker.  Genn.  III,  223. 

2)  Vgl.  Herzog,  Realcncyclopfidie  der  protestantischen  Theologie  XI. 
Gotha  1869.  S.  163  —  4.  s.  v.  Pascha.  Binterim,  Denkwürdigkeiten  der 
christkath.  Sörche.  Bd.  V.  Tl.  I.  S.  214-  Martene,  de  antiqait.  discipl. 
cp.  24,  S.  409.  Gnil.  Dorandus,  Rationale  divinor.  ofüciorum.  VI,  80,  81. 
cf.  J.  W.  Wolf,  Beiträge  II ,  389. 

3)  So  in  Vechta-Strackeijan  11,42,311- 


504  Kapitel  VI.    YegetationsgeiBter :  Sonnenzanber. 

sammt  den  yom  Holzstoße  übrigbleibenden  Kohlen  mit  sich  nach 
Hause,  wo  ein  Teil  der  Pfähle  nnd  Kohlen  in  einem  neoange- 
zündeten  Feuer  verbrannt  wird  unter  der  Bitte,  Gott  wolle  die 
Hofstatt  vor  Feuerschaden,  Blitz  oder  Hagel  bewahren.  So 
erhält  jedes  Haus  „neues  Feuer.''  Ein  anderer  Teil  wird  das 
Jahr  hindurch  aufbewahrt  und  bei  schwerem  Gewitter  auf  das 
Herdfeuer  gelegt,  damit  der  Donnerkeil  nicht  ins  Haus  falle,  oder 
unter  das  Dach  gesteckt,  um  als  Präservativ  gegen  Wetter  zu 
dienen.  Ein  dritter  Teil  (Kohlen,  angebranntes  Holz,  Äsche) 
wird  (am  Krenzerfindungstage  oder  auf  Georgitag,  oder  sonst) 
auf  die  Äecker,  Gärten  und  Wiesen  gehrcLcht  mü  dem  Gebete, 
Gott  woUe  diese  vor  Mißwachs  und  Hagd  behüten.^  Solche 
Äecker,  Krautgärten  und  Wiesen  gedeihen  besser  als  andere,  Jcein 
Ungeziefer,  keine  Maus,  kein  Käfer  frißt  die  Kömer  aus,  die 
Pflanzen  ab,  keine  Schlössen  schlagen  die  Saoit  nieder ,  keine  Hexe 
schadet,  und  die  Aehren  stehen  dicht  und  voll}  Angekohlte 
Scheiter  dieses  Osterfeuers  bringt  man  am  Pfluge  an  (Eichsfeld), 
Asche  davon  mischt  man  sammi  der  Asche  von  geweiJden  Palmen 
bei  der  Aussaat  unter  den  Samen,  damit*  der  Weizen  nicht  bran- 
dig werde  (Franken)."  In  den  Stall  oder  unter  die  Stalltttre 
gelegt  schützen  diese  Brände  das  Vieh  vor  Schaden,  die  Milch 
vor  Zauber.^  Nicht  minder  hilft  die  Asche  des  Osteri'euers  bei 
Viehkrankheiten  (Alimark).  In  diesem  kirchlich  gebotenen  Oster- 
feuer  wird  zuweilen  eine  hölzerne  Figur  verbrannt,  die  den 
Namen  des  Verräters  Judas  trägt;  daher  heifit  die  Ceremonie  das 


1)  S.  Mainzer  Agende  vom  Jahre  1599;  Ritas  von  Passan  bei  Wald- 
mann,  Eichsfeldische  Gebr.  n.  Sagen  S.  5,  von  Hildesheim  Myth.*  583.  Din- 
kelscherben in  Schwaben.  Panzer  II,  241,  447.  Bühl,  Wnrmlingen.  Meier 
391,  62.  Hessen,  Mülhanse  ürreligion  S.  149.  Aach  in  Piemont  zündet  man 
am  Charsamstage  Brände  am  Fener  des  Weihranchfasses  an  and  trfigt  die- 
ses geweihte  Feaer  sammt  dem  geweihten  Wasser  eiligen  Lanfes  zam  Hanse. 
Zs.  f.  D.  Myth.  m,51. 

2)  Zingerle,  Sitten «  S.  149,  1287—89  (Eftmthen,  Tirol).  Grohmann, 
Abergl.  a.  Böhmen  62,  421.  Beinsberg -Düringsfeld,  Festkalender  a.  Böh- 
men 331  (Böhmen)  Wattke«  §  81.   S.  69. 

3)  Wattke«  §  116.  S.  91.  §  652.  S.  393.  Vgl.  am  Aschermittwoche  wird 
die  in  der  Kirche  geweihte  Asche  anf  die  Felder  gestreut.  Das  ist  fOr  die  Saat 
besser,  als  3  Tage  Regen  nnd  3  Tage  Sonnenschein  (Baiem).    Wattke  a.  a.  0. 

4)  Beinsberg -Düringsfeld,  Festkalender  a.  Böhmen  S.  134.  IQngerle, 
Sitten»  149,  1286. 


Osterfeuer.  505 

Jadasverbrennen,  das  Judasfener  (Oberbaieiii).*  Der  Name 
blieb,  auch  wo  die  Figur  längst  abgeschafft  ist  (Lechrain,  Tirol)*. 
Zuweilen  wird  statt  des  kirchlichen  ein  profanes  Feuer  nicht 
bei  der  Kirche,  sondern  auf  dem  Äcker  oder  auf  einer  Anhöhe 
außerhalb  des  Dorfes  angefacht,  es  dient  nicht  zur  Entzündung 
4es  neuen  Kirchenlichtes,  sondern  wird  an  diesem  entflammt. 
Die  Männer  und  Buben  tragen*  oder  trugen  am  Gharsamstag  Nach- 
mittag Holzscheiter  auf  dem  nächsten  ßetreidefelde  oder  auf  einem 
Berggipfel  zusammen,  und  befestigten  in  deren  Mitte  ein  mit  Stroh 
umwickeltes  Kreuz,  das  einem  Manne  mit  ausgestreckten  Armen 
möglichst  ähnlich  gemacht  wurde.  Dieser  Strohmann  hieß  der 
Judas,  oder  der  Ostermann.  Nach  Beendigung  des  Auferstehungs- 
gottesdienstes zündeten  die  Burschen  die  Lichter  ihrer  Laternen 
an  dem  neugeweihten  Kirchenlichte  der  Osterkerzen  an  und  rann- 
ten zu  ihrem  Holzstoße.  Der  zuerst  Angelangte  entzündete  mit 
seinem  Lichte  den  Strohmann  und  den  Scheiterhaufen;  Frauen 
und  Mädchen  durften  nur  von  ferne  zusehen.  Beim  Verbrennen 
des  Strohmanns  entstand  immer  großer  Jubel,  als  würde  der  Ver- 
räter des  Heilands  in  Person  bestraft.  Die  Asche  wurde  gesam- 
melt und  bei  Sonnenaufgang  in  rinnendes  Wasser  geworfen,  oder 
am  Ostermontage  zugleich  mit  der  Einpflanzung  am  Charfreitage 
angebrannter  Palmzweige  auf  die  Felder  gestreut,  um  die 
Saat  vor  Hagel  zu  schützen.*  Auch  in  Köln  wurde  von  den 
Kindern  ein  oft  angekleideter  Strohmann,  der  Judas,  verbrannt.^ 
Im  Mttnsterlande  werden  die  Osterfeuer  jedesmal  auf  bestimmten 
Höhen,  die  davon  Oster  -  oder  Paskeberge^  heißen,  angeztlndet. 

1)  Bavaria  1,1,371. 

2)  Leoprechting  S.  172.  Zingerle,  Sitten*  149,  1286.  Vgl.  Laut  Her- 
zog Maximilians  von  Baiem  Landgebot  ¥rider  die  Aberglauben.  München 
1611  wurde  in  den  Landkirchen  am  Himmelfahrtstage  ein  angekleidetes  und 
in  Brand'gesteckfes  Bildniß  des  Teufels  von  der  Höhe  berabgewor- 
fen,  um  welches  das  gemeine  Volk  sich  riß,  um  den  Fetzen  im  Felde 
aufzustecken,  damit  der  Schauer  nicht  in  dasselbe  schlagen 
solle.    Panzer  H,  281,  28. 

3)  Althenneberg  (Ober baiern) ,  Panzer  I,  212,  236.  Freising  (Ober- 
baiem),  Abensberg  (Niederbaiern) ,  Aüfkirchen  (Schwaben  und  Neu  bürg). 
Panzer  H,  78, 114.  79,  115. 

4)  Wolf,  Beitr.  1 ,  74. 

5)  Man  darf  mithin  bei  diesen  Ortsnamen  nicht  an  die  angebliche,  wahr- 
seheinlich  von  Beda  erfundene  Göttin  Ostara  denken.  Cf.  Mannhardt,  Göt- 
t«rwelt  I,  314. 


506  Kapitel  VI.    YegetatioDsgeister:  Sonnenzauber.' 

Die  ganze  Gemeinde  ist  versammelt ,  die  verheirateten  Hausväter 
schließen  um  den  Holzstoß  einen  Ring,  den  die  Jünglinge  mid 
Jungfrauen  in  weitem  Bogen,  Osterpsalmen  singend,  umkrei- 
sen ,  bis  mit  dem  Zusammenstürzen  des  Feuers  fUr  sie  der  Augen- 
blick naht,  dasselbe  zu  durchspringen.  Die  Feier  endigt  mit 
einem  dreimaligen  Umzüge  um  die  Kirche  unter  Ab- 
singnng  geistlicher  Lieder,  und  mit  dem  Umlaufe  der  Kna- 
ben, welche  brennende  Strohbändel  vber  die  Kornfelder  tragen, 
am  dadurch  Fruchtbarkeit  fu/r  dieselben  ssu  envirhen.^  Nicht 
minder  werden  im  Hildesheimischen  bei  dem  von  der  ganzen 
Gemeine  umringten  Osterfeuer  Choräle  gesungen.*  Im  Paderbor- 
nischen (Warburg)  singt  das  Volk,  den  flammenden  Holzstoß  im 
Kreise  umringend,  ein  Auferstehungslied,  dann  steckt  jeder  ' 
Bursch  daran  seine  Strohfackel,  eine  lange  mit  Pech  beschmierte 
und  Stroh  umwickelte  Stange  an.  Beim  Herunterkommen  vom 
Berge  wird  die  Gesellschaft  mit  Gesang  und  Fähnlein  abgeholt.^ 
Hier  und  in  einigen  andern  Orten,  an  denen  man  mit  weißen 
Stäben  feierlich  auf  den  Berg  zog,  sich  wechselseitig  bei  den 
Händen  fassend  Osterlieder  sang,  und  beim  Halleluja  die  Stäbe 
zusammenschlug,^  stand  der  Brauch  noch  zur  Hälfte  zur  Kirche  m 
Beziehung,  er  ist  gleichsam  Fortsetzung  der  kirchlichen  Feier. 
Diese  Beziehung  fehlt  in  den  meisten  Fällen ,  in  denen  wir  sonst 
dem  Osterfeuer  in  Niederdeutschland  begegnen.  So  bei  dem  auf 
hohen  Plätzen  angerichteten  holländischen  Paaschvuur  durch  das 
gesprungen  wurde.^  In  Oldenburg  hat  jede  Straße  ihr  eigenes 
Osterfeuer,  in  Delmenhorst  gab  es  ililr  die  ganze  Stadt  ein  ein- 
ziges gemeinsames,  dessen  Mittelpunkt  zwei  mit  je  zwölf  Teer- 
tonnen besetzte  Bäume  bildeten,  welche  von  ELnaben  mit  Stroh- 
wiepen, d.  h.  10  — 15  Fuß  langen  von  etwa  6  Fuß  aufwärts 
mit  Stroh  umwickelten  Bohnenstangen  angezündet  werden,  nach- 
dem sie  die  zuerst  brennend  im  jubelnden  Laufe  längei'e  Zeit  um 
den  Scheiterhaufen  herumgetragen  haben. ^    Im  Schaumburgischen 


1)  Strackeijan  U,  43,  313. 

2)  Seifart,  Hildesh.  Sag.  U,  140. 

3)  Kuhn,  Westf.  Sag.  II,  136,  405 ^ 

4)  Myth.«  582. 

5)  Bnddingh,   Verhandeling    over    het    WesÜand    S.  140.     Cf.  Wolf, 
Beitr.  1,75. 

6)  Strackeijan  U,  43,  313. 


Osterfeuer,  507 

sieht  man  meilenweit  von  den  Bergen  die  Osterfener  leuchten, 
deren  Gentrum  ein  Teerfaß  auf  einer  strohumwundenen  Tanne 
ist.^  Einen  schönen  Anblick  gewähren  auch  die  Osterfeuer  des 
Harzes ;  deren  man  oft  bis  15  von  einem  Punkte  leuchten  sieht; 
die  Art  der  Herrichtung  wechselt,  doch  ist  meistens  das  Reisig 
um  emen  dazu  aufgerichteten  Baum  aufgeschichtet.  Nicht  selten 
werden  brennende  Teertonnen  von  den  Höhen  ins  Tal  gerollt. 
Im  Halberstädtischen  zttndet  man  die  Teertonnen  am  liebsten 
mit  alten  Besen  an.  In  Osterode  sucht  jeder  einen  tüchtigen 
Brand  zu  erhaschen  und  springt  damit  herum;  je  besser  diese 
Fackel  brennt,  desto  mehr  Glück  wird  ihm  selbst,  desto  mehr 
Segen  dem  Lande  zu  Teil.  In  Grund  finden  dann  Fackel- 
laufe  statt,  wobei  man  schließlich  um  den  Ort  herumzieht.^  In 
Dassel  im  Hildesheimischen  ist  die  Weise  diese,  daß  eine  auf 
einer  Stange  befestigte,  mit  Stroh  und  Teer  gefüUte  Tonne  in 
Brand  gesetzt  und  von  kräftigen  Burschen  eilenden  Laufes  den 
Berg  hinuntergetragen,  ist  der  Stiel  durchgebrannt,  vollends  ins 
Tal  hinabgerollt  wird.  Ist  sie  unten  angelangt,  so  entzündet 
man  daran  Fackeln  von  trockenen  Birkenästen,  die  so  lange 
über  die  Köpfe  geschwenkt  werden,  bis  sie  verlöschen.^  Um 
Duderstadt  lohte  am  Ostersamstag  jenes  kirchliche  Feuer,  am 
Ostersonntage  dieses  weltliche.^  Auch  in  Hildesheim  war  dies 
der  Fall ;  daselbst  wälzte  man  bei  letzterem  mit  Stroh  umwickelte 
brennende  Räder  und  brennende  Teertonnen  von  den  Bergen 
herab. ^  In  der* Altmark,  im  Drömlingi und  Lüneburgischen  bren- 
nen auf  Anhöhen  am  ersten  oder  zweiten  Ostertage  an  Staugen 
befestigte  Teertonnen  oder  Bienenkörbe.  Die  Asche  sammelt 
man  als  heilsam  für  Viehkrankheiten.  So  weit  das  Feuer 
leuchtet,  gedeiht  im  folgenden  Jahre  das  Korn  und 
keine  Feuersbrunst  entsteht.^  In  Mittenwald  und  Oberau 
in  Oberbaiem  wurden  von  steilem  Hügel  Scheiben  oder  hölzerne 


1)  Myfch.*  582. 

2)  Zs.  f.  D.  Myth.  I,  79.  Kuhn,  Nordd.  Sagen  373, 19.  Auch  Pröhle, 
Harzhilder  S.  63  berichtet  über  Osterfeuer  im  Harz,  bei  denen  man  mit 
Bränden  umherläuft. 

3)  Kuhn,  Westfäl.  Sag.  II,  134,  404. 

4)  Zs.  f.  D.  Myth.  H,  107. 

5)  Seifart,  HUdesheim.  Sag.  135,. 9. 

6)  Kuhn,  Mark.  Sag.  312. 


508  Kapitel  IV.    Vegetationsgeister :  SoDnenzaaber.' 

Bolzen  beim  Osterfeuer  zu  Ehren  der  Mädchen  brennend  in  die 
Luft  geschleudert,  oder  ein  strohumhtllltes  flammendes  Wagen- 
rad den  Berg  hinuntergerollt.  ^  In  einigen  schwäbischen  Orten 
wurde  das  Osterfeuer  durch  bloßes  Reiben  entzündet.'  Zu 
Bräunrode  am  Harz  verbrannte  man  in  demselben  Eichhörnchen 
(auf  dieselbe  Sitte  deutet  ein  Köber  Spruch);^  in  Westfalen  viel- 
leicht ehedem  Ftlchse  (s.  u.  B.  öl5),  in  der  Altmark  Knochen,^ 
in  der  Harzgegend  wahrscheinlich  einstmals  ein  Bockshorn.  Doch 
von  diesen  Dingen  später  ausführlich. 

§  4.  Malfeuer,  Johannlsfeuer.  Bei  dem  am  ersten  Mai 
in  den  schottischen  Hochlanden  angezündeten  Bealtine,  Baltein 
(v.  gäl.  bal  globe,  tine  fire)  wird  ein  Kuchen  durch  Loßung  ver- 
teilt, in  den  eine  Kohle  verbacken  ist.  Wer  verbundenen  Anges 
aus  der  Mütze  das  Stück  mit  der  Kohle  herausgreift,  muß  drei- 
mal durch  das  Feuer  laufen  (is  compelled  to  leap  three  times 
over  the  flames).  Die  Geremonie  hatte  den  Zweck,  das  Jahr 
fruchtbar  zu  machen  (in  rendering  the  year  productive  of  the 
sustenance  of  men  and  beast).^  Vom  deutschen  Maifeuer,  das 
mit  dem  Mailehen  verbunden  ist,  war  S.  450  die  Bede.  Auch 
das  dänische  Maifeuer  (Gadeild),  das  Mundelstrup  (Specimen 
gentilismi  etiamnum  superstitis  Hain.  1684  fol.  0.  2)  in  der  auch 
Myth.'  736  ausgehobenen  Stelle  schildert,  ist  mit  der  Erwählung 
von  Maibräuten   verbunden.     Jeder  Teilnehmer  zündet   eine 


1)  Panzer  1 ,  211 ,  233.  212 ,  234. 

2)  Birlinger  U.  82, 106. 

3)  Rosenkranz,  N.  Zeitschr.  f.  Gesch.  der  germ.  Völker  I,  2,  s.  Myth.* 
582.    Firmenich,  Völkerst.  I,  426.  458.    Wolf,  Beitr.  I,  /i. 

4)  Kuhn,  Mark.  Sag.  312. 

5)  Sinclair,  Statistical  acconnt  of  Scotland  1794.  XI,  ()20.  Cf.  Brand, 
popul.  antiquit.  ed.  Ellis  I,  224.  Myth.«  579.  Vielleicht  ist  man  herechtigt  das 
healtine  aus  dem  Namen  des  in  Gallien ,  Norditalien ,  Norica  heimischen  kel- 
tischen Sonnengottes  Belenus  oder  Bclinus  (Martin ,  Religion  des  Ganlois  T.  L 
p.  378  ff.  M.  H.  d'Arbois  de  Jubainville,  Revue  archeolog.  Mars  1873  p.  197— 
201),  KU  deuten,  der  aus  Balanos  „ardent  resplendissant**  entstanden  in  cambri- 
sehen  and  comischen  Denkmälern  Bele,  Bill  gelautet  zu  haben  scheint.  (Cf. 
Revue  celtique  T.  I,  p.  338.  Zeuss,  Gramm,  celt.«  p.  86.  815 — 16.)  In  bei- 
den Fällen,  ob  Gäl.  bal.  (globe)  oder  Bell  das  Etymon  sei,  werden  wir  Son- 
nenfeuer übersetzen  müssen,  da  auch  ersteres  auf  den  Sonnenball  zu  gehen 
scheint;  falls  nicht  ein  Gebrauch,  dem  deutschen  Scheiben  werfen  analog  dem 
Feuer  den  Namen  gab. 


Maifener,  Johannisfener.  509 

lange  Stange  (contum)  an  dem  großen  Strohfeuer  an 
und  schwingt  sie  in  die  Höhe;  wer  die  seinige  am  höchsten 
schwingt^  ist  Anführer,  erhält  den  Namen  Gadebasse  und  wählt 
sich  seine  Gadinde,  worauf  jeder  andere  sich  auch  ein  Mädchen 
(Gadelam)  zur  sonntäglichen  Tanzgenossin  um  den  mit  Blumen 
und  Schmucksachen  behängten  Maibaum  während  des  Sommers 
bis  zum  Heuschnitt  erkiest.  In  Schweden  leuchten  am  Abend 
des  ersten  Mai  yielfach  von  allen  Bergen  und  Hügeln  die  Wal- 
purgisfeuer  (Walborgsmesseldar) ,  um  welche  die  Jugend  einen 
oft  zweifachen,  dreifachen  Ring  zu  fröhlichem  Reigentanze  schließt. 
Schlagen  Flamme  und  Rauch  fiach  Norden,  so  ei'wartet 
man  einen  kalten,  ziehen  sie  nach  Süden,  einen  warmen 
Frühling.  Nicht  selten  glaubt  die  Phantasie  der  Versammelten 
plötzlich  einen  Spuk  in  Gestalt  eines  alten  Zauberwei- 
bes u.  d^l.  leibhaftig  mitten  im  Feuer  vor  sich  zu  sehen.^ 
Wir  kommen  jetzt  zu  dem  Johannisfener  am  23.  Juni.  Schon 
ein  älterer  mittelalterlicher  Schriftsteller  ^  hebt  an  demselben  drei 
Stücke,  das  Feuer  selbst,  den  Umlauf  mit  Fackeln,  die  Umwäl- 
zung des  Rades  hervor.  Dicamus  de  tripudiis  quae  in  vigilia  B. 
Johannis  fieri  solent  tria  genera.  In  vigilia  enim  beati  Johannis 
colligunt  pueri  in  quibusdam  regionibus  ossa  et  quaedam  immunda 
et  id  ,  simul  cremant,  et  exinde  producitur  fumus  in  a^'re.  Faciunt 
etiam  brandas  et  circuunt  arva  cum  brandis.  Tertium  de  rota, 
quam  faciunt  voki:  quod  cum  immunda  cremant,  hoc  habent  ex 
gentilibus.  Der  Verfasser  fligt  hinzu,  der  Rauch  vertreibe  die 
schädlichen  Drachen,  welche  tödliche  Krankheit  erzeugt^,  femer: 
„rata  invdlvitur  ad  significandum,  quod  sol  tunc  ascendit  ad 
altiora  sui  circuli  et  statim  regreditur.*'  Mit  dieser  Aeußerung 
stimmen  die  Auslassungen  von  Johann  Beleth  um  1162  und 
Wilh.  Durantis  um  1296,  sowohl  hinsichtlich  der  Feuer  als  der 
Fackeln  genau  überein.^  Mit  einer  Fackel  zündete  die  schöne 
Susanna  Neithart  1497  in  Kaiser  Maximilians  Gegenwart  das 
Johannisfener  zu  Augsburg  an>     Es  bedarf  weniger  Beispiele, 


1)  Lloyd,  Svenska  Allmogens  Plägseder  öfvers.  af  Swederas.    S.  125. 

2)  Im  Mannsc.  der  Harlej.  Bibl.  British.  Mus.  2845  Art.  100  ausgezo- 
gen von  Eeinble,  Sachsen  in  England  übers,  t.  Brandes  I,  296  (vgl.  Kuhn, 
Herabkunft  S.  51)  und  Brand  pop.  antiqu.  1 ,  298. 

3)  Vgl.  M}-th.»  587  mit  Wolf  Beitr.  11,387. 

4)  Myth.«  586. 


510  Kapitel  VI.    Vegretations^eister:  Sonnen zanber. 

nm  zu  zeigen,  daß  auch  sonst  die  wesentlichen  Bestandteile  der 
bisher  genannten  Feuer  beim  Sonnwendfener  (Himmelsfeuer,  Ztln- 
delfeuer,  Senkenfeuer,  oder  wie  sonst  das  Johannisfeuer  heiße) 
wiederkehren.  In  Schwaben  springen  dabei  Buben  und  Mädchen 
durch  die  Glut,  man  läßt  brennende  Strohräder  die  Berge  hinab, 
man  betet,  daß  der  Werg  (Hanf)  gedeihe.^  Im  Lechrain  wird 
neben  dem  Sonnwendfeuer  ein  bis  dreißig  Schuh  hoher  strohum- 
wundener Balken  mit  hohem  Querholze  aufgerichtet,  den  die 
Buben  mit  zwanzig  Fuß  hohen  Stangen,  an  deren  Spitzen  bren- 
nende Besen  stecken,  anztlnden;  um  den  flammenden  Baum 
tanzt  man,  bis  endlich  der  Ring  an  einer  Stelle  zerreißt,  und 
der  paarweise  Sprung  durchs  Feuer  beginnt.  Die  ungesengten 
Springer  bleiben  fieberfrei;  so  hoch  sie  springen,  wächst 
der  Flachs;  ein  angebranntes  Scheit  in  die  Flachssaat 
gesetzt,  befördert  deren  Gedeihen.*  In  Oesterr.  Schlesien 
dagegen  zünden  die  Bursche  umgekehrt  ihre  mit  Pech  getränkten, 
das  Jahr  hindurch  mit  Sorgfalt  gesammelten  Besen  im  Johan- 
nisfeuer an  und  werfen  sie  unter  wildem  Tanze  in  die  Höhe.* 
Beinsbei^s  ausführliche  Zusammenstellungen  über  das  böhmische 
Mittsommerfeuer  zeigen  uns  ebenfalls  den  inmitten  des  Holzstoßes 
flaqimenden  Johannisbaum  (vgl.  o.  S.  179),  harzttberzogene 
Wagenräder  den  Berg  hinabrollend,  brennende  Besen  in  die 
Luft  geschleudert,  oder  hochgeschwungen  in  stürmischem, 
lärmendem  Laufe  scbaarenweise  auf  dem  Berge  hin  und 
her  und  herab  zu  Tal  getragen,  so  wie  den  Sprung  des 
Burschen  mit  seinem  Mädchen  über  die  Glut,  endlich  das  Hin- 
durchtreiben  der  Kühe  durch  das  Feuer.  Die  Stümpfe  der 
Besen  steckt  man  in  die  Krautgärten,  um  sie  vor  Mücken 
und  Raupen  zu  bewahren,  die  Brände  und  Kohlen  des  Feuers 
in  die  besäten  Felder,  Wiesen  und  Gärten,  unter  das 
Dach  oder  die  Türschwelle,  um  Haus  und  Hof  vor  Unwetter  zu 
schützen.  Von  allen  Bergen  sieht  man  weithin  die  Johannisfeuer 
leuchten.^    Auf  dem  Stromberge  an  der  Mosel  unweit  Sierk  und 


1)  Birünger  n,  96, 128  ff.  108,  129  ff.    Meier  423, 107  ff.  424,  109. 110 

2)  Leoprechting  S.  182 — 83.  Gf.  die  Sammlg.  von  Beweisstellen  f&r 
die  Einwirkang  der  Johannisfeuer  auf  das  Gedeihen  des  Flachses.  Panzer, 
11,549—50. 

3)  Peter,  Volkst.  a.  Oesteir.  Schlesien  11,287. 

4)  Reinsberg-Düringsfeld,  böhmischer  Festkalender.    S.  306 — 311. 


Maifeuer,  Johannisfener.  511 

Diedenhofen  in  Lothringen  hatte  im  Jahre  1823  das  Johan- 
nisfener  der  Bauergemeinde  Konz  in  folgender  Weise  statt.  Die 
Männer  waren  auf  dem  Stromberge,  die  Weiber  und  Mädchen 
am  Baubacher  Brunnen  versammelt  Ein  strohbewundenes  Rad 
und  eine  Menge  Strohfackeln  lag  bereit.  Auf  ein  Zeichen  des 
Maire  von  Sierk  ztlndete  einer  mit  der  Fackel  das  Bad  an, 
das  schnell  in  Bewegung  gesetzt  wurde;  Jubelgeschrei,  allge- 
meines Fackelschwingen  durch  die  Luft.  Grelangt  das  Rad 
vom  größeren  Teile  der  Männer  gefolgt  brennend  beigab  in  die 
Mosel,  so  weissagt  man  eine  reichliche  Weinernte.^ 
Ebenso  in  Frankreich.  In  Poitou  zündet  man  ein  mit  Stroh 
umwickeltes  Rad  an,  und  läuft  damit  durchs  Feld,  damit 
dasselbe  fruchtbar  werde.  In  Brest  schwingt  man  Pechfackeln, 
und  oft  werfen  Hunderte  ihre  Fackeln  zugleich  gen  Him- 
mel. Im  Departement  de  la  Vienne  läßt  man  einen  Strauß  von 
Wollkraut  (Verbascum)  und  einen  Nußbaumzweig  durchs  Feuer 
streichen )  die  man  anderen  Tags  vor  Sonnenaufgang  über  der 
Stalltür  befestigt.^  Statt  des  Rollens  der  Räder  werden  an  ande- 
ren Orten  Scheiben  geschlagen.^  In  Edersleben  bei  Sanger- 
hausen vrird  das  Rad  durch  eine  Teertonne  ersetzt,  welche  auf 
einer  hohen  Stange  befestigt  ist,  durch  die  eine  bis  zur  Erde  rei- 
chende Kette  gezogen  wird.  Ist  das  Ganze  in  Brand,  so  schwingt 
man  die  Tonne  unter  großem  Jubel  rund  um  die  Stange^  Den 
nämlichen  Character  trägt  die  Sitte  in  England.  Wir  beschrän- 
ken uns  auf  folgende  Angaben :  Ein  Geistlicher  berichtet  im  Gent- 
lemen's  Magazine  Febr.  1795  p.  124,  daß  er  1782  auf  der  Insel 
Sky  das  am  21.  Juni  angezündete  Mittsommerfeuer  beobachtete: 
^,the  people  danced  round  the  fires  and  at  the  close  went 
through  these  fires  and  made  their  söns  and  daughters 
together  with  their  cattle  pass  through  the  fire,  and  the 
whole  was  conducted  with  religious  solemnity."  Borlase  (Anti- 
quities  of.  Comwall  p.  130)  beschreibt  das  Goluan  genannte  Mitt- 
sommerfeuer am  St.  Johannisabend  oder  St.  Peter  in  Comwall 
y^at  these  fires  the  Comish  attend  with  lighted  torches,  tarr'd 


1)  M^moires  des  antiqnairee  de  France.   V,  383 — 386. 

2)  Wolt,  Beitr.  n,3Ö2fl: 

3)  Zingerle ,  Sitten  >  159 ,  1354. 

4)  Kuhn,  Nordd.  Sag.  390,  79. 


512  Kapitel  VI.    Vegetationsgeister:  Sonnenzauber. 

« 

and  pitch'd  at  the  end  and  make  their  preambnlations  round 
their  fires  and  go  from  village  to  village  carrying  their  torches 
before  them."  Nach  Moresin  (Papatus  p.  56.  Face 8  ad  festum  divi 
Petri  (29.  Jnni)  noctu  Scoti  in  montibns  et  altioribus  locis  discur- 
rentes  accendere  soliti  snnt  Brand  beschreibt  die  northumber- 
landische  Sitte  desselben  Tages.  Te  inhabitants  carried  some 
kind  of  firebrand  about  the  fields  of  their  respective  yilla- 
ges.  Thej  made  encroachments  on  these  occasions  npon  the  hon 
fires  of  the  neighbouring  towns,  of  which  they  took  away  some 
of  the  ashes  by  force;  this  they  Qalied  carrying  of  the  flo- 
wer  of  the  wake."^  Aus  Schweden  genttge  des  Olaus  Magnus 
Aussage:  Omnis^  enim  generis  sexusque  homines  tnrmatim  in 
publicum  concurrunt  exstructisque  luculentis  ignibus  atque 
accensis  facibus  choreis  tripudiisqne  se  exercent.^  In  Rußland 
kehren  die  nämlichen  Bräuche  wieder.  In  Kleinrußland  treibt 
man  am  St.  Johannisabende  einen  Pfahl  (Baum)  in  die  Erde,  um- 
hüllt ihn  mit  Stroh  und  setzt  ihn  in  Flammen.  Sobald  er  brennt^ 
werfen  die  Bäuerinnen  Birkenzweige  durchs  Feuer  mit  den 
Worten:  „Werde  mein  Flachs  so  hoch  als  dieser  Zweig." 
Blumenbehränet,  mit  heiligem  Kraute  umgürtet  ztlnden  Jtlnglinge 
und  Mädchen  am  24.  Juni  ein  Feuer  an,  das  Eupalo  heißt, 
springen  selbst  darüber  und  treiben  die  Heerde  hijndurch, 
um  ihr  Vieh  vor  den  Waldgeistem  (Ljeschje)  zu  schützen.®  In 
Serbien  binden  die  Hirten  am  23.  Juni  Fackeln  aus  Birken- 
rinde, umschreiten  damit  Schafhürden  und  Ochsenzäune,  steigen 
dann  auf  die  Berge  und  lassen  sie  verbrennen.^  Doch  kehren 
wir  zunächst  zum  deutschen  Mittsommerfeuer  zurück.  Auch  die 
Verbrennung    menschlich    gestalteter   Figuren    war    dabei    nicht 


1)  Wilde  (Irish  superstitions  p.  48  ff.  bei  Nilsson ,  Ureinwohner  des 
Skandinavischen  Nordens.  Hamburg  1866.  S.  24)  beschreibt  das  irische  Mitt- 
sommerfeuer,  das  ältere  Leute  unter  leisen  Gebeten  umwandelten.  Wer  eine 
längere  Beise  unternehmen,  wer  heiraten  oder  ein  Wagstück  unternehmen 
wollte,  lief  dreimal  hin  und  zurück  durch  das  Feuer,  um  Glfick  bei  seinem 
unternehmen  zu  haben,  schwangere  Frauen  gingen  hindurch,  um  eine  glück- 
liche Niederkunft  zu  erlangen,  selbst  Kinder  sah  man  über  die 
glühenden  Kohlen  tragen. 

2)  Weitere  Berichte  in  Dybecks  Buna  1844.   S.  22. 

3)  Baiston  S.  240.    Myth.«  591. 

4)  Vuk  s.  V.  Ivan  dan. 


Maifener,  Johanniäfeaer.  513 

selten.  In  Oesterreich  (Marienkirchen  im  Innviertel)  wird  beim 
Johannisfener  hoch  auf  einer  Stange ,  die  an  die  Stelle  des 
belaubten  Baumes  trat,  das  anderswo  auf  dem  Maibaume  pran- 
gende Puppenpaar  Gretel  und  Hansel  (o.  S.  429.  464)  in  Flam- 
men gesetzt.  Zu  Ertingen  in  Schwaben  wird  dann  die  Hexe  ver- 
brannt (o.  S.  179).  In  Grätz  verfertigten  die  gemeinen  Bewohner 
am  23.  Juni  einen  Popanz,  der  Tatermann  genannt,  schleppten 
ihn  nach  der  Leinwandbleiche  an  der  Mur  und  bewarfen  ihn 
mit  brennenden  Besen  so  lange,  bis  er  brannte.^  Im 
Unterinntal  verbrennt  man  im  Johannisfener  einen  Lotter  (Kerl 
aus  Stroh  und  Lumpen),  nachdem  man  ihn  auf  einem  Karren  im 
Dorfe  umhergeführt  hat.  Einige  haben  das  Wort  Lotter  in  Mar- 
tin Luther  imigedeutet,  woher  denn  in  Ambras  zwei  Figuren, 
Luther  nnd  sein  Katherl,  auf  den  Holzstoß  kommen.^  In  franz. 
Flandern  verbrannte  man  vor  der  Revolution  von  1789  in  jeder 
Gemeinde  im  Johannisfener  eine  männliche  Strohpuppe ,  auf  Petri 
(29.  Juni)  eine  weibliche  Puppe.  In  Gambrai  (Cameryk)  hängen 
die  Kinder  mit  Goldpapier  verzierte  Puppen  ins  Feuer,  dasselbe 
Boll  in  Valenciennes  der  Fall  sein.^  Zu  Rottenburg  wurde  bis 
zum  Jahre  1808  ein  Stotzen  in  den  Boden  getrieben  und  mit 
umwickeltem  Stroh  zu  einer  menschlichen  Gestalt  geformt,  welche 
ausgestreckte  Arme  und  einen  vom  Ha&er  aus  Tohn  gefertigten 
Kopf  mit  feinem  und  zierlichem  Gesichte  hatte.  Diese  Figur, 
die  man  Engelmann  nannte,  umkleidete  man  von  oben  bis  unten 
mit  Blumen,  so  daß  der  ganze  Kerl  damit  bedeckt  war.^  Dann 
schichteten  die  Knaben  Holz  umher,  und  jeder  faßte  einen  Degen. 
Sobald  der  Holzstoß  angezündet  wurde,  nnd  die  Puppe  aufloderte, 
hieben  alle  zu  gleicher  Zeit  mit  dem  Degen  ein  und  zerfetz- 


1)  Vemaleken ,  Alpensagen  S.  372 ,  43. 

2)  Zingerle»  159, 1353.  1355. 

3)  Mad.  Clement  nee  Hemery,  lubtoire  des  fHes  et  des  nsages  da  Depart. 
du  Nord  p.  363fr.    Wolf,  Beitr.  II,  392. 

4)  Vgl.  die  Beschreibung  des  Johannisfeuers  bei  Bonneval  (Mämoires 
de  Facad.  celtique  IV,  428).  La  veille  de  St.  Jean  un  feu  de  joie  est  allumö 
dans  un  carrefour.  Au  milieu  du  feu  on  place  une  longue  perche, 
qui  le  domine  et  qui  est  garnie  de  feuillages  et  de  fleurs.  Le 
alerg^  se  rend  en  grande  pompe  au  lieu  de  la  c^remonie,  allume  le  feu, 
entonne  quelques  chants  et  se  retire;  ensuite  les  assistans  s'en  eniparent, 
sautent  par  dessus  et  emportent  chez  eux  quelques  tisons, 
qu^ils  placent  sur  le  ciel  de  leur  lit  comme  un  pr^serratif  contre  la  foudre. 

Mannhardt.  33 


614  '    Kapitel  VI.    Vegetationsgeister:  Sonnenzauber. 

ten  die  letztere;  arsprttnglicli  hatte  dies  offenbar  den  Zweck, 
Stücke  der  Puppe  sich  anzueignen  vgl.  o.  S.  348.  349.  War  sie 
abgebrannt  und  zerhauen ,  so  begannen  die  Sprünge  über  die 
brennenden  Scheiter.  Das  hiefi  ;,den  Engelmann  köpfen.^'^ 
In  einigen  Gegenden  Rußlands  macht  man  am  Johannisabende 
eine  Figur  Eupalo  genannt  und  verbrennt  sie^  oder  wirß  sie  ins 
Wasser,  Zuweilen  fcUU  man  einen  Baum,  bedeckt  ihn  mit  bun- 
ten Bändern,  und  pflanzt  ihn  an  einem  dazu  auserlesenen  Platze 
auf.  In  die  Nähe  dieses  Baumes ,  welcher  den  Namen  Marena 
(vgl.  0.  S.  413)  erhält;  setzt  man  die  Strohfigur,  der  man  die 
Größe  eines  Knaben  oder  eines  Mannes,  aber  den  Anzug  eines 
Weibes  mit  Halsband  und  Krone  von  Blumen  zuteilt;  neben 
diese  eine'  Tafel,  auf  welcher  Getränke  und  Speisen  stehen.  Dann 
wird  em  Feuer  angezündet,  über  das  die  Bursche  und  Mädchen 
paarweise  springen,  die  Strohfigur  zwischen  sich 
tragend.  Tags  darauf  berauben  sie  Baum  und  Puppe  ihres 
Schmuckes  und  werfen  beide  in  ein  fließendes  Wasser.* 
Statt  der  Strohpuppe  tritt  bisweilen  eine  oms  Weiden  (oder 
Baumzweigen)  geflochtene  Menschengestalt  ein.  Eine  solche  (un 
mannequin  d'osier)  verbrannten  die  Einwohner  der  rue  anx  Ours 
zu  Paris  noch  im  vorigen  Jahrhundert  bis  1743  alljährlich  am 
3.  Juli.  Die  Figur,  le  g^ant  de  la  rue  aux  Ourij  genannt,  hatte 
etwa  6  Metres  Höhe;  sie  wurde  zuvor  einige  Tage  feierlich  durch 
ganz  Paris  getragen.  Angeblich  geschah  das  zur  Erinnerung  an 
die  Verbrennung  eines  gottesschänderischen  Soldaten,  die  im 
Jahre  1418  an  diesem  Monatstage  stattgehabt  haben  sollte;  natür- 
lich eine  ätiologische  Fabel  zur  Erklärung  der  lokalen  Abweichung 
des  Kirchspiels  aux  Ours  von  der  allgemeinen  Sitte,  das  Mitt- 
sommerfeuer am-  23.  oder  24.  Juni  anzuzünden.'  In  Brie  (Islt 
de  France)  verbrennt  man  „un  mannequin  d'osier'^  am  23.  Juni. 

1)  Birlüiger  ü,  100,  128. 

2)  Balston  241. 

3)  De  Nore  Mythes  p.  354.  Eine  andere  Beschreibung  des  Festes  s. 
Magazin  pittoresqae  Paris  1834  p.  262.  Liebrecht,  Gervasius  v.  Tilbory 
p.  212.  Hienach  bildeten  die  Bürger  der  rue  anx  Ours  für  diese  Feier  eine 
Genossenschaft  ,,Sociöte  des  bourgeois  de  la  rue  aux  Ours;"  sie  w&hlten 
sich  dazu  einen  König.  Der  Weidenkerl  war  mit  den  Gewändern  eines 
Soldaten  bekleidet.  Der  König  zündete  mit  einer  Fackel  den  Holzstoß 
an.  Das  Volk  riß  sich  um  die  üeberbleibsel  der  Figur.  Dieselbe 
hieß  zuletzt  ,,le  Suisse  de  la  rue  aux  Ours.'' 


Tiere  im  Sonnwendfeuer  verbrannt.  515 

§  5.  Tiere  Im  Sonnwendfeuer  rerbrannt.  Wie  im  Oster- 
feaer  Eichhörnchen,  80  werden  auch  im  Johannisfeaer  zuweilen 
Tiere,  sogar  lebend,  oder  Teile  von  Tieren  verbrannt.  So  hingen 
in  Paris  auf  dem  Gr^veplatze  an  dem  Mastbaume  (einer  Ab- 
Schwächung  des  Maibaums) ,  der  den  Mittelpunkt  des  oft  von  den 
Königen  angezündeten  Johannisfeuers  ausmachte^  in  einem  Korbe, 
Käfige  oder  Sacke  Katzen  (bis  zu  zwei  Dutzenden)  und  zuwei- 
len Füchse,  deren  in  der  Todesangst  ausgestoßenes  Geschrei 
die  Umstehenden  belustigte.  In  den  Yogesen  brannte  man  die 
Katzen  beim  Fastnachtfeuer  auf  Holzpfählen  todt,  in  Metz  zün- 
dete man  jährlich  auf  der  Esplanade  das  Johannisfeuer  an,  wobei 
6  Katzen  auf  dem  Holzstoße  mit  verbrannt  wurden.  Im  Elsaß 
warf  man  sie  ins  Osterfeuer.  Dagegen  soll  in  Rußland  zuweilen 
ein  weißer  Hahn  im  Kupalofeuer  verbrannt  worden  sein.* 
In  Meißen  oder  Thüringen  warf  man,  um  das  Johannisfeuer  tan- 
zend ein  Pferdehaupt  in  die  Flammen.*  Der  Name  Bockhom, 
welchen  die  Osterfeuer  ehedem  allgemein  im  Harze  ftihrten ,  muß 
daher  entstanden  sein,  daß  man  ein  Bockhom  ins  Feuer  warf, 
wie  sonst  Knochen,  was  schon  um  1162  Joh.  Beleth  bezeugt: 
Solent  porro  hoc  tempore  (in  festo  St.  Johannis)  ex  veteri  con- 
Buetudine  mortuorum  animalium  ossa  comburi.^  Einen 
sehr  interessanten  Belag  gewährt  der  Bericht  eines  Augenzeugen 
über  eine  derartige  Begehung  aus  neuester  Zeit.  Zu  Luchon  in 
den  Pyrenäen  ist  es  Sitte,  am  St.  Johannisabende  eine  aus 
starken  Weidenzweigen  verfertigte  ungefähr  sech- 
zig Fuß  hohe  Säule  im  Mittelpunkte  der  bedeutendsten  Vor- 
stadt zu  errichten  und  mit  grünem  Laube  vom  Fuß  bis 
zur  Spitze  zu  dnrchflechten,  indeß  man  unten  die  reizend- 
sten Blumengruppen  anbringt,  um  der  Scene  gleichsam  einen 
anmutigen  Hintergrund  zu  verleihen.  Nachdem  die  Säule  mit 
brennenden  Stoffen  ausgeftillt  ist,  setzt  sich  zu  feststehender 
Stunde  (abends  8  Uhr)  eine  große  Prozession  in  Bewegung.  Der 
Klerus  an  der  Spitze ,  sodann  Bursche  und  Mädchen  in  Sonntags- 
kleidern.   Man  singt  geistliche  Hymnen  und  nimmt  rings  um  die 


1)  Myth.«  591.     * 

2)  G.    Strigenitius    (f  1603)    bei   Eccard,    Francia  orientalis    I,  425. 
Myth.»  585. 

3)  Cf.  Wolf,  11,387. 

33* 


516  Kapitel  VI.    Vegetationsgeister:  Sonnenzauber. 

Säule  Aufstellung.  Mittlerweile  leuchten  auf  den  benachbarten 
Hügeln  die  Johannisfeuer  auf,  ein  wundervoller  Anblick.  Dann 
wirft  man  Schlangen,  so  viele  als  man  sammeln  konnte,  in 
die  Säule,  und  fünfzig  Männer  und  Knaben  zünden  dieselbe  an, 
mit  Fackeln  wie  wahnsinnig  ringsum  tanzend.  Die  Schlangen 
winden  sich,  um  den  Flammen  zu  entgehen,  bis  zur  Spitze  hin- 
auf, wo  sie  vergeblich  zur  Seite  auszubiegen  suchen,  bis  sie 
schließlich  zu  Boden  fallen.  Ihre  ängstlichen  Windungen  werden 
von  den  Umstehenden  mit  lautem  Jubel  begrüßt.  ^  Wie  hier  wird 
auch  sonst,  namentlich  in  Frankreich,  mehrfach  das  Johannis- 
feuer unter  Assistenz  der  Geistlichkeit  angezündet,  gleichsam  als 
religiöser  Akt  gefeiert. 

Abarten  der  Fastnacht >,  Oster-  und  Johannisfeuer  sind  die 
Weihnachtsklötze  (cf  o.S.  224  AT),  Michaelis-  und  Martinsfeuer,  auf 
die  hier  nicht  näher  eingegangen  werden  soll.*  Sie  haben  manche 
Züge  mit  den  besprochenen  Feuern  gemein;  dem  am  Niederrhein 
verbreiteten  Martinsfeuer  ist  es  eigentümlich,  daß  darin  ein  Korb 
verbrannt  wird,  der  ursprünglich  wol  überall,  wie  noch  jetzt  in 
Dordrecht,  allerlei  Obst  enthielt,  das  im  Brennen  herausgeschüt- 
telt und  aufgegriffen  wurde. 

§  6.  Frflhliiigs-  und  Sonnweiidfener.  ErlHuterungen. 
Die  Uebereinstimmung  aller  wesentlichen  Züge  bei  allen  jenen 
drei  Feuern  ist  geeignet,  die  Ueberzeugung  zu  begründen,  daß 
dieselben  ziemlich  getreu  und  unverfälscht  erhaltene  Nachkommen 
eines  älteren  Ritus  seien.  Die  enge  Verbindung  mit  kirchlichen 
Ceremonien  legt  die  Frage  zu  ernstlicher  Erwägung  nahe,  ob 
derselbe  nicht  etwa  von  einer  Vergröberung  christlicher  Symbo- 
lik, also  entweder  der  kirchlichen  Anzündung  des  neuen  Feuers 
zu  Ostern  oder  einer  symbolischen  Darstellung  des  Schrifigedan- 
kens  m  Math.  11,  11.  Ev.  Job.  1,7  —  9.  5,  35.  3,  30  ihren  Aus- 
gang genommen  haben  könne.  Die  ausgedehnte  Anwendung  sinn- 
bildlicher Darstellungen  in  der  Kirche  des  Mittelalters  und  daraus 
entstandener  Aberglaube  sind  mehrfach  von  uns  besprochen  und 
nachgewiesen,  oder  in  Erwägung  gezogen  worden  (s.  o.  S.  230  ff. 
242  ff.  281  ff.  446).     Wie  die   Heiligkeit  des  Taufwassers  schon 

1)  Athenäum,  Satnrday.  Joly  24.  1869.  p.  115.  Der  Verfasser ,  wohl 
Badegast  in  Lnchon,  beohachtete  den  Brauch  am  28.  Juni  1868. 

2)  Schmitz,  Sitten  nnd  Bräuche  I,  43—45.  Wolf,  Beitr.  1,41—43. 
Zs.  f.  D.  Myth.  1 ,  88. 


Frühlings  -  Sonnwendfeuer.    Erlauternngen.  517 

früh  zum  Glauben  an  magische  Wirkungen  desselben  Anlass 
gab/  konnte  das  nämliche  mit  dem  heiligen  Holze  des  kirch- 
lichen Osterfeuers  geschehen  sein.  Wir  haben  jedoch  —  so 
scheint  es  —  hinreichende  Anzeichen  dafllr,  daß  die  Kirche  sich 
in  diesem  Falle  eines  vor  der  Zeit  ihrer  Ausbreitung  in  fast  ganz 
Europa  bestehenden  Brauches  ^  nachdem  sie  denselben  Jahrhun- 
derte vergeblich  bekämpft  hatte/  bemächtigt,  und  denselben  an 
sich  zu  knüpfen  versucht  hat,  indem  sie  ihn  christlich  umdeutete, 
teils  (wie  beim  Osterfeuer)  durch  Hinübernahme  einzelner  Züge 
davon  in  eine  kirchliche  Geremonie  unschädlich  machte ,  teils  aus 
letzterer  Stücke  in  die  trotzdem  fortbestehende  weltliche  Uebung 
übertrug.  So  sind  unsere  Frühlings-  und  Sommerfeuer  unzwei- 
felhaft Erzeugnisse  einer  mannichfachen  Wechselwirkung  kirch- 
licher Politik  und  des  zähen  Beharrungsvermögens  altheidnischer 
Gewohnheiten.  Noch  entgeht  uns  das  Material,  um  dieses  Ver- 
schmelzungsprodukt genau  in  seine  einzelnen  Bestandteile  zu  zer- 
legen, und  seine  Genesis  historisch  zu  verfolgen,  aber  schon  hier 
darf  die  Vergleichung  des  römischen  Palilienfeuers,  und  der  phö- 


1)  Schon  zn  Ohrysostomns  Zeit  schöpfte  man  in  der  Nacht  vor  Epipha- 
nias (Christi  Tauffcag)  Wasser  in  Krüge  nnd  bewahrte  es  als  ein  Jahr  lang 
frischhleihend  auf.  um  451  bezeugt  Fullo ,  Erzbischof  von  Antiochien ,  daß 
das  Volk  hanfenweis  herbeiströme,  om  von  dem  in  der  Epiphaniasvigilie 
consecrierten  Taufwasser  zu  schöpfen  und  es  zur  Vertreibung  giftiger  Tiere 
und  böser  Krankheiten  und  zur  Bespr  engung  der  A  eck  er  mit  nach 
Hause  zu  nehmen.  Gregor  von  Tours  f  595  berichtet,  daß  von  dem  geweih- 
ten Taufwasser  jeder  ein  volles  Faß  mit  sich  nehme ,  zum  Schutz,  des  Hau- 
ses und  um  Aecker  und  Weinberge  segnend  zu  besprengen. 
(Vgl.  die  Belege  bei  Pfannenschmidt,  Das  Weihwasser.  Hannover  1869. 
p.  131  — 133.)  Der  Glaube  und  die  Sitte  besteht  in  Franken  und  Baiern 
noch  bis  heute  fort.  Wuttke »  §  192.  Ebenso  in  Tirol.  Zingerle ,  Sitten  • 
127,  1138.  Damit  hängt  doch  offenbar  zusammen,  daß  die  Albanesen  am 
6.  Januar  ihre  Weinberge  mit  Wasser  besprengen,  an  den  4Ecken 
jedes  Stückes  4  Weinstöcke  mit  einem  Strohbande  zusammenbinden,  darun- 
ter ein  Stück  zu  dem  Ende  eigends  verfertigten  Brodkuchens 
legen  und  Wein  darauf  schütten.  Hahn,  alban.  Studien  S.  155.  So  geht 
bei  uns  der  erste  Pflug  über  ein  Stück  Brod,  in  die  letzte  Garbe  wird  ein 
Osterei  und  ein  Stück  Brod  eingebunden  (s.  o.  S.  158).  Wie  weit  jener  alba- 
nesische  Brauch  von  nicht  christlicher  Sitte  durchsetzt,  oder  ob  der  genannte 
deutsche  Saat-  und  Em tege brauch  kirchlichen  Ursprungs  sei,  kann  hier 
nicht  ausgemacht  werden.  Jan.  6  feierte  man  die  Hochzeit  zu  Kana,  da 
Wasser  zu  Wein  wurde. 

2)  Myth.«  592.    Kuhn ,  Herabkunft.   S.  51  Anm.  *. 


518  Kapitel  VI.    Vegetationsgeister:  Sonnenzanber. 

nikischen  Baal  (Molochs)  feuer^  über  welche  gleichfaUs  gesprangen 
wurde,  die  symbolische  Beziehung  der  Räder  nnd  aasgezackten 
Scheiben  auf  den  Naturlauf  der  Sonne,  die  Verbrennung  des 
0.  S.  177  ff.  als  Maibaum  nachgewiesenen  Baumes,  die  o.  S.  462  ff. 
Q.  508  dargelegte  Beziehung  zum  Frtthlingsbrautpaar,  alles  dieses 
darf  zur  Bestätigung  einer  heidnischen  Grundlage  unserer  Fast- 
nachtfeuer, Osterfeuer  und  Johannisfeuer  geltend  gemacht 
werden,  selbst  wenn  wir  nicht  auf  die  Verwandtschaft  mit  dem 
unzweifelhaft  heidnischen  Notfeuer  zurückgreifen. 

§  7.  Notfener.  Letzteres  war  ein  nach  Auslöschung  aller 
übrigen  Feuer  im  Dorfe  nach  urältester  Weise  der  Feuerbereitung 
durch  Reibung  zweier  Hölzer,  Umdrehung  eines  Stabes  in  einer 
runden  Scheibe  oder  der  Nabe  eines  Rades  u.  s.  w.  erzeugtes 
neues  Feuer,  durch  welches  man  bei  Viehseuchen  die  Tiere 
trieb,'  zu  Pestzeiten  selbst  hindurchging.'  Schon  Orinmi  deutete 
das  Rad  als  Bild  der  Sonne,  von  welcher  Licht,  Feuer  und 
Gesundheit  ausgehe.  Bekanntlich  gebot  unter  Karlmann  eine  im 
Jahre  742  unter  dem  Vorsitze  des  Bonifacius  als  Erzbischofs  von 
Mainz  abgehaltene  Synode,  an  der  die  Bischöfe  von  Köln,  Würz- 
burg, Eichstedt,  Straßburg  teilnahmen,  den  Bischöfen  und  Grafen 
alle  heidnischen  Gebräuche  (paganias)  sorgsam  zu  verhindern, 
als  da  seien  Todtenopfer,  Tieropfer  nach  heidnischem  Ritus  den 
Heiligen  dargebracht  „sive  illos  sacrilegos  ignes,  quos  niedfyr 
vocant,  sive  omnes  quaecunque  sunt  paganorum  observationes." 
Die  Synode  zu  Listines  in  den  Niederlanden  ein  Jahr  später 
handelte  in  dem  vielgenannten  Indiculus  superstitionum  et  paga- 


1)  Myth.*  570—577.  Krankes  Vieh  durch  den  Banch  getrieben  in 
Indien,  s.  Zs.  f.  vgl.  Sprachf.  XV,  228. 

2)-  Wolf,  Beitr.  II,  379.  Zn  diesen  Notfenem  wird  man  hienach  anch 
solche  Formen  zn  rechnen  haben,  in  denen  auf  einfachere  Weise  als  dnroh 
Reibung  bei  allgemeiner  Sterblichkeit  der  Scheiterhaufen  entloht  wird.  In 
Marseille  starben  im  September  1865  viele  Personen  an  der  Cholera.  In  Folge 
dessen  zündete  man  nn geheure  Feuer  an ,  deren  Tausende  und  Tausende  in 
den  600  Straßen  und  Gassen  brannten.  Jede  Straße  hatte  deren  mindestens 
drei,  eine  sogar  57.  Vor  der  Praefectnr  errichtete  die  Feuerwehr  den  riesigen 
Holzstoß.  Um  die  Fener  tanzten,  wie  auch  in  Toulon,  junge  Mftdchen  und 
junge  Burschen.  An  mehreren  Stellen  verbrannte  man  'eine  Puppe  mit  kohl- 
schwarzem Gesichte,  man  meinte,  das  sei  ein  Bild  der  Cholera.  So  berieb- 
teten  damals  die  Zeitungen.  Cf.  Härtung,  Religion  und  Mythologie  der 
Griechen     Bd.  II.   Vorw. 


Notfeaer.  519 

niamm  ;,de  simulacris  de  pannis  faotis,  de  simulacro 
quod  per  campos  portant,  de  igne  fricato  de  ligno 
id  est  Nodfyr."'  Kuhn  hat  bereits^  die  ursprüngliche  Iden- 
tität des  Notfeaers  mit  dem  Johannisfeuer  wahrscheinlich  gemacht, 
indem  er  darauf  hinwies,  dass  bei  beiden  Räder  resp.  Scheiben 
gerollt  oder  gedreht  werden  als  mutmaßliche  Darstellungen  der 
Sonne  und  daß  nach  einer  in  Obermediingen  in  Schwaben 
(Panzer  II,  240)  erhaltenen  Spur  das  Sonnwendfeuer  ehedem 
ebenfalls  durch  Reibung,  d.  h.  durch  Umdrehung  eines  Rades 
um  einen  Pfahl  entzündet  wurde,  hiezu  aber  stellt  sich,  daß  die 
Manipulation  des  Scheibentreibens  gleicherweise  wol  nur 
ein  abgekürzter  Rest  jener  ältesten  Weise  der  Feuerbereitung  ist, 
die  aus  der  bohrenden  Drehung  eines  Stockes  in  einer  Scheibe 
bestand.  Es  ward  nämlich  noch  vor  kurzem  „die  Scheibe, 
welche  im  Mittelpunkte  zum  Einstecken  eines  Stockes  durchbohrt 
war,  im  Sonnwendfeuer  angezündet  (statt  so  lange  darauf  gedreht, 
bis^  sie  brannte),  sodann  schwang  der  Bursche  die  Scheibe  auf 
dem  Stocke,  drehte  sie  auf  dem  Brette  mit  starkem  Schwünge, 
daß  sie  sich  vom  Stocke  trennte,  hoch  in  die  Luft  sprang  und 
glühend  sich  drehte,  so  daß  man  sie  in  weiter  Feme  sah/^' 
Der  Zweck  beider  Feuer  war  im  Grunde  nicht  verschieden,  oft 
gehen  sie  in  einander  über.  J)urchs  Johannisfeuer  treibt  man 
in  Rußland,  Serbien,  Lithauen,  Preußen,  Böhmen,  England  auch 
das  Vieh,  um  es  vor  Seuche,  Zauberei  und  Milchbenehmung  zu 
bewahren.*  Das  Notfeuer  andrerseits  wurde  ebenfalls  zuweilen 
noch  für  Pflanzen  günstig  angesehen  (in  Schweden  räucherte  man 
damit  Fischnetze  und  Obstbäume,  um  sie  ertragreich  zu  machen), 
zuweilen  als  Yorkehrmittel  gegen  künftige  Krankheit  flir  Men- 
schen und  Tiere  zu  fester  Zeit  und  zwar  am  St.  Johannisabende 
angezündet  und  mit  allem  Zubehör  ausgestattet,  den  wir 
beim  Johannisfeuer  beobachteten.  In  Mecklenburg  „warmede 
men  sik  bi  S.  Johannis  lod  und  nodfUre,  .  .  .  löp  und  r-önde 
durch   dat   für,    dref  dat   vehe   dardorch   un   is   tusent 


1)  Pertz,  Mon.  Germ.  I,  17.  20. 

2)  Herabkunft,  S.  50. 

3)  Panzer  I,  210,  231. 

4)  Ralston  240.  Myth.«  591.  Dobrowski  bei  Reinaberg-Düringsfeld,  Fest- 
kalender a.  Böhmen,  S.  307.  Anm.  1.    Brand,  pop.  antiqii.  I,  304. 


520  Kapitel  VI.    Yegetationsgeister:  Sonnenzauber. 

froaden  vul  gewesen.^^  ^  In  Masaren  löschte  man  am  Johannis- 
abende  alles  Fener,  rammte  einen  eichenen  Pfahl  ein,  legte  ein 
Bad  darauf  und  drehte  es,  bis  es  zttndete.  Jeder  nahm  einen 
Brand  und  steckte  damit  zu  Hause  sein  Heerdfeuer  wieder  an.^ 
Lindenbrog  im  Glossar  zu  den  Capitularien:  Rusticani  homines 
in  multis  Germaniae  locis  et  festo  quidem  Johannis  Bap- 
tistae  die  palum  sepi  extrahunt,  extracto  fimem  circnmligant, 
illumque  huc  illuc  ducunt,  donec  ignem  concipiat;  quem  stipula 
lignisque  aridioribus  cnrate  fovent  ac  cineres  collectos 
supra  olera  spargunt  hoc  remedio  erucas  abigi  posse 
inani  superstitione  credentes.  Eum  ergo  ignem  Nodfeur  et  Nod- 
fyr  quasi  necessarium  ignem  vocant.^  Aus  dem  Munde  eines 
alten  Luzemer  Bauers  hat  Rochholz  verzeichnet,  wie  in  seiner 
Jugend  das  Notfeuer  oder  „  Ankenmilchbohren  '^  begangen  wurde. 
In  den  Türpfosten  eines  Hauses,  das  in  einem  engen  Tale  lag, 
wurde  am  Johannisabende  oder  an  einem  andern  Tage  der 
Sonnenwende  durch  Umdrehung  eines  hineingesteckten  Stabes 
Feuer  entfacht,  damit  eine  lange  in  doppelter  Reihe  zu  beiden 
Seiten  der  schmalen  Talgasse  liegender  Haufen  von  Bohnenstroh, 
Flachsagen  und  zerrissenen  Körben  in  Brand  gesteckt  Man 
trug  dem  Bache  in  Körben  und  auf  Brettern  Feuerbrände  zu,' 
trieb  alles  Vieh  zwischen. den  beiden  Feuern  hin- 
durch, Bursche  und  Mädchen  sprangen  vereint  durch 
dieFlammen.  Die  Knaben  zttndeten  in  enthusiastischer  wilder 
Lustigkeit  Kienfackeln  an' der  durch  Reibung  neugewonnenen 
Flamme  an  und  rannten  in  langer  Feuerzeile  auf  die 
Almend,  um  diese  zu  durchräuchern.  Das  war  die  „Weid- 
räuke,"  die  Durchräucherung  der  Viehweide,  damit  vertrieb 
man  alle  die  Frucht  und  das  Vieh  schädigenden 
Feldgespenster  und  Hexen.  Waren  auf  einem  Teile  der 
Hütung  die  abgebrannten  Fackeln  auf  einen  Haufen  geworfen. 


1)  N.  Gryse,  Spegel  des  Pawess  doms  Bestock.  1593.  p.  Lin* 
Myth.»  579. 

2)  Pisanski,  N.  Pr.  Provincialbl  VI,  148,  109. 

3)  Myth.«  570. 

4)  So  ließen  in  Epinal  die  Kinder  am  ersten  Sonntage  im  Märze  auf 
dem  Bache  Brettchen  schwimmen,  die  mit  kleinen  Lichtem  besetzt  sind, 
indeß  die  Erwachsenen  beim  großen  Freudenfener  die  Paare  der  Valentins 
und  Valentines  wählen.    Vgl.  Wolf,  Beitr.  I,  76. 


SohlaBfolgernngen  IIb.  d.  Bedeut.  d.  Frühlings-  u,  Mittsommerfeners.    621 

SO  streute  man  auf  dem  Rttckwege  die  Asche  in  die 
Saatfelder  and  machte  sie  fruchtbar.^  Aach  im  Appenzeller 
Lande  kam  die  Asche  des  Notfeaers  auf  die  Acker  gegen  Un- 
geziefer. Da  nun  auch  bei  den  profanen  Osterfeuem  einzeln 
Anzttndung  durch  Reibung  vorkommt  (o.  8.  508),  so  wird  man 
Grimm  beistimmen,  daß  das  alte  Notfeuer  (d.  h.  erriebenes 
Feuer  von  hniudan,  hniotan),  ehe  seine  Anwendung  auf  Vieh- 
krankheiten eingeschränkt  wurde,  einen  aasgedehnteren  Begriff 
hatte,  mit  dem  Zusätze,  daß  andrerseits  an  den  FrtthUngs-  und 
Mittsonmierfeuem  eine  Einbuße  der  Feuerentzttndung  durch  Reiben 
angenommen  werden  muß. 

§  8.  Schlußfolgerungen  llber  die  Bedeutung  des  Frflh- 
lings-  und  Mlttsomnierfeuers.  Ist  dies  richtig,  so  waren  die 
Notfeuer  einerseits,  die  Frühlings-,  Oster-  und  Johannisfeuer  andrer- 
seits nur  Differenzierungen  eines  älteren  Feuers,  welches  im 
Frühjahre  und  Mittsommer,  und  außer  der  ZqH  bei  außerordent- 
licher Sterblichkeit  angezündet  wurde,  es  wurde  durch  Drehung 
eines  die  Sonne  darstellenden  Rades  ^  (oder  einer  Scheibe) 
erzeugt.  Rad  oder  Scheibe  wurden  bei  den  an  bestimmte  Jahres- 
zeit gebundenen  Feuern  im  Frühjahre  im  Bogen  hoch  durch  die 
Luft  geworfen,  um  Mittsommer  rem  Berge  herabgerollt.  [Daher 
begegnen  wir  jetzt  bei  den  Früblingsfeuem  öfter  dem  Scheiben- 
treiben, bei  den  Mittsommerfeuem  gewöhnlich  dem  Rade.]  Des 
Feuers  Mitte  bildete  ein  Baum,  Pflanzen  wurden  hindurchgezogen, 
die  Tiere  hindurchgetrieben,  Menschen  sprangen*  hindurch. 
Die  Flamme  übte  vermeintlich  Einfluss  auf  Wachstum  und 
Gesundheit  der  Gewächse,  des  Viehes,  der  Men- 
schenkinder; sie  tat  dies  activ  vermöge  einer  ihr  innewoh- 
nenden zeugenden  Kraft,  die  sich  in  Her  Beziehung  des 
Frühlingsbrautpaars  (o.  S.  450.  462.  508)  zu  diesen  Feuern 
ausspricht;  wie  denn  1268  zu  Fentone  in  England  bei  einer 
Lungenseuche  zugleich  mit  Anzttndung  des  Notfeaers  ein  Priap 
vor  der  Tür  des  Viehhofs  aufgesteckt,  mit  den  in  Weihwasser 
getauchten  Testikehi  eines  Hundes  die  Herde  besprengt  wurde. ' 


1)  Rochholz ,  DentBcher  Glaube  und  Brauch.  U,  145  ff. 

2)  Auf  der  Insel  Mull  wird  das  Bad  bei  Erzengang  des  Notfeuers  dem 
Laufe  der  Sonne  entsprechend  ,,tumed  from  east  to  west." 

3)  Chronik  von  Lanercost  bei  Eemble,  Sachsen  in  England.  I,  294  ff. 
Kuhn,  Herabkunft   S.  45. 


522  Kapitel  VI.    Vegetationsgeister:  Sonnen zauber. 

Mithin  sind  alle  die  Aussagen,  daß  die  Feuer  Inseeienfraß, 
Verhexung,  Schädigung  durch  Drachen  und  dgl.  abwenden,  ent- 
weder nur  abgeleitete  jttngere  Formen  oder  zwar  gleich  alte 
aber  andere  Seiten  hervorhebende  andere  Wendungen  des  eigent- 
lichen Gedankens.  Durch  die  positive  Mitteilung  der  Wachstum- 
kraft  werden  zugleich  die  Dämonen  des  Mißwachses,  der  Krank- 
heit vertrieben  oder  vernichtet.  Vgl.  o.  S.  280.  Hier  zeigt  sich 
uns  genau  derselbe  Parallelismus  der  Menschen,  Tiere  und  Pflan- 
zen, den  wir  bei  der  Lebensrute,  beim  Maibaum,  Emtemai  u.s.w. 
beobachteten,  d.  h.  die  bei  der  Pflanzenwelt  offenbare  woltätige 
Einwirkung  des  Sonnenlichtes  auf  Leben  und  Gesundheit,  ist 
symbolisch  auch  auf  die  höheren  Wesen  Übertragen.  Mit  Wolf, 
Kuhn  u.  a.  anzunehmen ,  daß  die  Osterfeuer  einer  Göttin  Ostara, 
die  Frühlingsfeuer  Donar,  die  Notfeuer  und  Johannisfeuer  Fro 
heilig  gewesen  seien,  liegt  keine  Veranlassung  vor.  ^ 

In  jedem  der  besprochenen  Feuer  wird  zuweilen  noch  eine 
Menschengestalt  verbrannt,  offenbar  nach  alter  Ueberliefe- 
rung;  auch  der  Judas  der  Osterfeuer  wird  als  ein  kirchliches 
Gegenstück  einer  dadurch  zu  verbannenden  Volkssitte  zu  denken 
sein.  Der  Name  Ostermann,  (o.  S.  505)  ist  einfach  der  Zeit  der 
Festfeier  entlehnt, «wie  Maikönig,  Mai,  Maja  u.  s.  w.,  ebenso  die 
Benennung  als  Fasching  (o.  S.  499),  wol  auch  E^upalo  (S.  514). 
Sobald  man  die  eigentliche  symbolische  Bedeutung  des  Hergangs 
nicht  mehr  verstand,  und  die  active  Prokreation  in  Abwehr  der 
das  Wachstum  hindernden  schädlichen  Einflüsse  (Lustration)  um- 
deutete, war  es  natürlich,  die  Verbrennung  als  Vernichtung  auf- 
zufassen,^ und  deshalb  die  verbrannte  Figur  auf  ein  den  Menschen, 
Tieren  und  Pflanzen  feindliches  Wesen  (Tod  resp.  Winter,  Hexe, 
Pest,  Cholera)  zu  (feuten.  Doch  weisen,  wie  es  scheint,  emzehie 
Spuren  noch  auf  die  ältere  Vorstellung^  so  die  Verbrennung 
des  Erbsenbärs,   der  Vegetationsdämon  ist  (o.  S.  499),  des  ans 


1)  Ein  dem  nordischen  Freyr  entsprechender  deutscher  Pro  ist  unbe- 
wiesen, ihn  aus  jenem  Priap  des  Notfeuers  zu  schließen,  wäre  leichtsinnig 
und  die  Göttin  Ostara  ist,  wie  schon  o.  S.  505  erwähnt  wurde,  schwerlieh 
etwas  anderes  als  eine  etymologische  Conjectur  Bedas. 

2)  Der  unumstößliche  Beweis,  daß  diese  Verbrennung  wirklich  nicht 
Vernichtung  bedeutete,  sondern  nur  eine  unbeholfene  Verbildlichung  des  Hin- 
durchpassierens  durch  die  Sommerhitze  war,  ergiebt  sich  wie  mir  scheint  aas 
den  Gebräuchen  des  Pflugziehens  am  Ende  dieses  Abschnitts. 


SchlQffolgenmgen  ttb.  d.  ßedeut.  d.  Frühlings-  u.  Mittsommerfeners.    523 

nnansgedroschenem  Korne  gefertigten  Mannes  (o.  S.  499),  des 
ganz  in  Blumen  gehttllten,  also  ein  sommerliches  Wesen 
darstellenden  Engelmannes  (S.  514),  des  auf  dem  Baume  befestig- 
ten Strohmanns,  des  neben  dem  Baume  vor  eine  reiche  Tafel 
gesetzten  Kupalo  (o.  S.  514).  Der  in  Paris  verbrannte,  aus 
Beisem  gefertigte  g6ant  de  la  rue  aux  Ours  (o.  S.  518)  erinnert 
an  die  Beisergestelle  unserer  Laubmänner,  Pfingstlttmmel  u.  s.  w., 
denen  sich  das  mit  grtlnen  Blättern  bedeckte  Beisergestell  jenes 
Johannisbrauches  aus  Luchon  (o.  S.  515)  noch  mehr  nähert.^ 
Wir  wagen  aus  dem  allen  den  Schluß  zu  ziehen,  daß  man  einst 
die  Puppe   im  Frühlings-   resp.  Mittsommerfeuer  als  Yergegen- 


1)  Zunächst  entspricht  diese  im  Mittsommerfcaer  verbrannte  18  Fuß 
hohe  Puppe  aus  Flechtwerk  in  Isle  de  France  augenscheinlich  den  zu  Fast- 
nacht oder  an  einem  andern  Tage  des  Oamevals  in  Prozession  einhergeführten 
„enormes  mannesquins  d*osier"  in  Belgien  und  französisch  Flandern,  die 
unter  der  Bezeichnung  reusjes,  geants  fast  in  jeder  Gemeinde  hergebracht 
sind.  Sie  fähren  sehr  verschiedene  Sondernamen,  z.  B.  de  Bens  (Antwerpen), 
Mevrouw  van  Amazonie  (Courtrai),  Goliath  (Ath),  Ommegan  (Brüssel),  Lange 
Man  (Hasselt).  Mme  Clement  fötes  historiques  II,  250 — 52.  De  Cousse- 
macre  chants  pop.  p.  141.  Beinsberg-Dürlngsfeld,  Calendrier  Beige  1, 123—26. 
In  Dünkirchen  war  der  Biese  40 — 50  Fuß  hoch  aus  Eorbgeflecht  und  Segel- 
tuch hergestellt,  mehrere  Menschen  befanden  sich  in  seinem  Innern  und 
bewegten  ihn  von  der  Stelle.  Zu  Douai  hat  der  Umzug  an  dem  dem  7.  Juli 
zunächst  liegenden  Sonntage  statt.  Eine  Figur  von  24  —  30'  Hohe  aus 
Weidengeflecht  (mannequln  d*osier)  „le  ga'ianf  genannt,  durch  eine  An- 
zahl darin  eingeschlossener  Menschen  (renfermös  dans  la  machihe)  mit  Hilfe 
von  Wellen  nnd  Stricken  in  Bewegung  gesetzt,  bewegt  sich  langsam  durch 
die  Straßen.  Ihr  Kopf  aus  Holz  soll  von  Bubens  geschnitzt  und  gemalt  sein ; 
sie  trägt  die  ritterliche  Bewaffnung,  Lanze,  Schwert,  Helm  und  Schild. 
Hinter  dem  Biesen  (le  colosse  galant)  gehen  sein  Weib  mit  einer  Taille  von 
18' Umfang  und  seine  15'  hohen  Kinder  Jacot,  Filliou  und  Binbin,  Weiden- 
figuren nach  demselben  Prinzipe  construiert.  De  Nore,  coutumes  mythes  et 
traditions  p.  323.  Eine  eigentümliche  Form  dieses  Umzuges  war  wol  die 
Prozession  der  Schmiedstubenzunft  in  Zürich  am  Hirsmontage  «Montage  nach 
Aschermittwoch).  Mit  Wehr  und  Waifen  angetan  und  mit  klingendem  Spiele 
trugen  sie  einen  Korb  herum,  in  dem 'die  Figur  eines  Mannes  steckte 
und  warfen  denselben  schließlich  in  den  Brunnen  des  Zunft- 
hauses  (Vemaleken,  Alpensagen,  Wien  1858-  S.  364,  30.)  Hier  vertritt  der 
Korb  das  Beisergestell ,  die  Hinabwerfnng  ins  Wasser  ist  deutlich  Begen- 
zanber,  die  Figur  wird  ehedem  aus  dem  Brunnen  herausgezogen  und  schließ- 
lich verbrannt  sein,  wie  kam  sonst  die  Zunft  der  Feuerarbeiter  dazu, 
sich  diese  uralte  Sitte  anzueignen?  Hirsmontag  ist  der  Tag  nach  Funken- 
sonntag.    Vgl.  o.  S.  500  ff. 


524  Kapitel  VI.    Vegetationsgeister:  Sonnenzanber. 

wärtignng  des  das  Sonnenfener  passierenden  Yegetationsdämons 
zu  verbrennen  pflegte.  Wenn  nun  (nach  S.  177  flF.)  der  ver- 
brannte Baum  dem  Maibaume  gleichsteht,  wenn  gerade  so  wie 
hier  der  im  Maibaume  lebendige  Genius  nicht  allein  durch  eine 
an  demselben  angebrachte  Figur  (o.  8.  210),  sondern  anderswo 
auch  durch  einen  neben  ihm  hergehenden  ganz  in  Laub  gehüllten 
oder  in  einem  ßeisergestell  steckenden  Menschen  (o.  S.  312  ff.) 
dargestellt  wird,  wenn  (nach  S.  180)  der  im  Sonnwendfeuer  ver- 
brannte Maibaum  durch  einen  den  holzeinsammelnden  Knaben 
voraufgetragenen  geputzten  Baum  ersetzt  wird,^  wenn  endlich 
dem  entsprechend  die  Anzttndung  des  Johannisfeuers  durch  die 
jUngstverheiratete  Ehefrau  sich  als  Abschwächung  ihres  Sprunges 
durch  die  Glut  ergab  (o.  S.  494),  so  wird  der  nachstehende 
österreichisch -bairische  Brauch  als  eine  abgeleitete  oder 
jüngere  Form  für  die  Verbrennung  des  Laubmeiers 
oder  Pfingstl,  jenen  in  grüne  Zweige  gebundenen, 
oder  in  ein  grünbekleidetes  Reisergestell  gesteck- 
ten Vertreter  des  Wachstumsgeistes  verständlich.  Zu 
Wolfeck  im  Erzherzogtum  Oestreich  geht  am  Sonnwendtage  ein 
ganz  in  grüne  Tannenreiser  gehüllter,  etwa  zwölf- 
jähriger Knabe  unter  zahlreicher  lärmender  Begleitung  von  Haus 
zu  Hause  und  sammelt  die  Scheiter  zum  Feuer  mit  den  Worten : 

Waldbäume  will  ich. 

Trink  'ne  saure  Milich, 

Bier  und  Wein, 

Da  kann  der  Waldmann  schön  brav  lustig  sein.* 

Auch  auf  den  Höhen  des  Jura  in  Mittelfranken  führen  die 
Holzeinsammler  vor  Anzündung  des  Sibetsfeuers  einen 
ihrer  Kameraden  vom  Kopf  bis  zur  Sohle  in  Fichten- 
zweige vermummt  an  einem  Stricke  durch  das  ganze  Dorf.' 
In  Moosheim  (Würtemberg)  wurde  am  zweiten  Sonntage  nach 
Johannis  das  Sante  Hans  Segensfeuer  von  einem  aus  dem 
Walde  herkommenden,  in  Laub  und  Beisig  gehüllten 
Burschen  (der  den  später  zu  erklärenden  Namen  Mooskuh 
führte)  ausgelöscht,  indem  er  mit  seinen  Füßen  es  zer- 


1)  So  in  Anspach,  Hallstadt  in  Oberfranken  u.  s.  w.  Panzer  I,  217.  219. 

2)  Baumgarten,  das  Jähr  und  seine  Tage.    Linz  1860.    S.  27. 

3)  Bavaria,  Mittelfranken.    S.  956. 


Ein  altgftllisches  Jahresfeuer.  ^525 

trat^    Dieses  Austreten  des  Feuers  ist  ein  deutlicher  Ueberrest 

« 

ehemaligen  Hindurchgehens  durch  oder  über  die  Kohlen. 

§  9.  Ein  altgallisehes  Jahresfeuer.  Da  bei  verschiede- 
nen asiatischen  und  europäischen  Völkern  (Phöniker,  Altpreußen, 
Litauer  u.  s.  w.)  Menschenopfer  durch  Feuertod  nachweisbar  sind, 
und  da  wir  lebende  Tiere  im  Johannisfeuer  bis  in  neurere  Zeit 
verbrannt  sehen  (o.  S.  515  ff.),  ist  die  Frage  nicht  müßig,  ob  es 
eine  Zeit  gegeben  habe,  in' welcher  der  in  Laub  gehüllte  oder 
in  einem  Keisergestelle  wandelnde  Mann  selbst,  nicht  bloß  seine 
geflochtene  Hülle  verbrannt  wurde.  J.  Grimm  Myth.*  579  urteilte 
über  das  schottische  Maifeuer  (o.  S.  508),  daß  der  gezwungene 
dreimalige  Hindurchlauf  des  dazu  durchs  Loos  Erwählten  durch 
die  Flammen  deutlich  auf  ein  Opfer  hinweise,  welches  eine 
erzürnte  Gottheit  gnädig  stimmen  sollte,  an  dessen  Stelle  seiei^ 
später  Tieropfer  getreten  und  endlich  nur  ein  Springen  über  das 
Feuer  bei  Menschen  und  Tieren  übrig  geblieben.  Es  scheint 
mir,  als  ließe  sich  ein  altes  Zeugniß  aufbringen,  welches  die  Ver- 
brennung einer  dem  Pfingstl  ähnlichen  Puppe  sammt  mensch- 
lichem Inhalte  mindestens  sehr  wahrscheinlich  zu  machen  geeignet 
ist.  Dieses  Zeugniß  entnehme  ich  einem  fast  zweitausend  Jahre 
alten  Berichte  über  eine  Feier  der  nämlichen  Gegend,  aus  welcher 
(o.  S.  516)  die  Verbrennung  der  laubumwundenen  Säule 
von  Flechtwerk  mit  Schlangenfüllung  nachgewiesen  wurde. 
Er  ist  uns  nicht  mehr  unmittelbar,  sondern  in  dreien  von  ein- 
ander abweichenden  Auszügen  bei  Caesar,  Diodor  und  Strabo 
erhalten  und  gehört  ursprünglich  unzweifelhaft  den  Historien  des 
Posidonius  an,  des  bekannten  rhodischen  Philosophen,  der  im 
Jahre  104  v.  Chr.  von  Massilia  aus  den  den  Römern  seit  etwa 
20  Jahren  unterworfenen  südlichen  Teil  von  Gallien  als  wissen- 
schaftlicher Forschungsreisender  besucht  und  ein  nicht  unbedeu- 
tendes Material  naturwissenschaftlicher  Beobachtungen  geschicht- 
licher und  sittengeschichtlicher  Erkundigungen  gesammelt  hatte. 
Seine  Schrift  liegt  als  Hauptquelle  der  Schilderung  von  Gallien 
sowol  bei  Strabo  (in  dem  19  n.  Chr.  geschriebenen  vierten  Buche 
der  Erdbeschreibung)  als  bei  Diodor  (in  dessen  etwas  frtlherer 
historischer  Bibliothek  Buch  V)  zu  Grunde.^  Wir  stellen  zunächst 

1)  Birlinger  II,  121,  146. 

2)  Cf.  Grosskurd  Strabos  Erdbeschreibung.  Berl.  1831.  I.  p.  XVIII,  XLI. 
Bake,  Posidonii  Rhodii  reliquiae  doctrinae  Lugd.  Bat  1810.  p.  153. 


526 


Kapitel  VI.     Vegeiationsgeister :  Sonnenzauber. 


den  WorÜaat  der  Angaben  Caesars^  Strabos  und  Diodors  znr 
Vergleichnng  neben  einander^  um  sodann  den  Versuch  zu  machen, 
unter  Feststellung  ihres  literarischen  Verhältnisses  den  durch  sie 
bezeugten  Sachverhalt  herauszuschälen. 


Caes.  B.  G.  VI.  16. 

Nachdem  Caesar  von 
den  mit  Hinzuziehung 
derDruiden  durch  Privat- 
leute dargebrachten  Men- 
schenopfern bei  Krankheit 
oder  Lebensgefahr  gespro- 
chen, fährt  er  fort:  Publi- 
cequc  habent  instituta 
sacrificia.  Alii  immani 
magnitudine  simu- 
lacra  habent,  quorum 
contoxta  viminibus 
membra  vivis  homini- 
bus  complent,  quibus 
succensis  circumventi 
flamma  exanimantur 
ho  min  es.  Supplicia 
eorum,  qui  in  fnrto  aut 
latrocinio  aut  aliqua 
noxa  sunt  comprehensi. 
gratiwa  diis  immortali- 
bus  esse  arbitrantur,  sed 
cum  eiu8  generis  copia 
deficit,  etiam  ad  innoceo- 
tium  supplicia  descendunt. 


Strabo  IV.   C.   198. 

^&vov  Sk  ovx  aviv 
^qvidtÜv.  xal*aXla  ^k 
avd'QtoTita&vaiüiv  tfjfj  X^ye- 
TM.  Xttl  yccQ  xaTfTo^evov 
Ttvas  xal  dvearavQOvv 
Iv  totg  i€Qotg  xal  xara- 
axsvdaavTie  xoXoaabv 
XOQtov  xaC  ^vltDV  ffi' 
ßttl6vj€g  (fg  TovTov  ßoaxri- 
ficcra  xal  ^rjQia  navTota 
xal   avd-Qbtnovg    (oXoxav- 

TOVV, 

Str.  C.  197. 
(Meineke  270.) 

Tag  Sk  (fovixäg  SC- 
xag  fiaXiOTa  rourotg  (^Qv'i- 
^aig)  IntTixQantQ  dixdCetv, 
otav  Sk  (poga  xovxtav  J, 
fpOQttV  xal  Ttjg  x<^Qag  vo- 
fi(Cova IV  vnaQX^iv. 


Diod.  V.  32  (41Ö  Dindorf). 

llxoXov^tig  ^k  Tj  xad^ 
auTovg  dyQioTijTi  xtd  nfgi 
Tag  9^valtt/g  ixTOTTwg  dae- 
ßovat.  xovg  ydg  xaxovQ' 
yovg  xard  mvraiTtiQi^a 
(pvXd^avTfg  dvaaxoXonl- 
Covai  ToTg  ^cotg.  x(ä 
afr'  äXXtov  JioXXoiv  dnaQ- 
X*ov  xaO-ay(Co  vai  nvQus 
nafifiiyi&f ig  x«to- 
axevdCovT  tg,  /^»yr« 
<U  xal  ToTg  af/^aXc^riu;  ui 
UgUoig  TTQog  rag  tüv  *fwr 
Ti/aag,  Tivkg  <f^  adriSr  xa\ 
tu  xoTa  noXtfiOV  Xritp^ina 
Ctpa  find  Tiov  drd-QfOJruf 
dnoxT€(vovaiV  ij  xara  xai- 
ovaiVy  ri  Tlaiv  dXXatg  n- 
fxtagfaig  d(favit.ovai. 


Wir  dürfen  voraussetzen,  daß  Caesar,  wenn  er  einem  älteren 
Berichte  auch  den  Grundriß  seiner  allgemeinen  Schilderung  von 
Gallien  B.  G.  VI.  13—20  entnahm,  bei  der  Fülle  des  ihm  zu 
Gebote  stehenden  Materiales  keine  Einzelheiten  daraus  entliehen 
haben  wird,  welche  er  nicht  entweder  ans  eigener  Erfahrung 
verbürgen,  oder  nach  besserem  Wissen  stillschweigend  berichtigen 
konnte.  Wahrscheinlich  also  ist  seiner  Angabe  Glauben  bei^^u* 
messen,  daß  auch  noch  zu  seiner  Zeit  (habent,  com- 
plent)  aus  Zweigen  geflochtene  menschenähnliche 
Figuren  mit  Gliedern  von  übermenschlicher  Größe 
dazu  dienten,  Menschen  aufzunehmen,  welche  nach  An- 


Ein  altgallischeü  Jahresfeuer.  fiS? 

attndung  des  Flechtwerks  von  unten  her,  d.  h.  vermöge  eines 
darum  aufgeschichteten  Scheiterhaufens  durch  Bauch  und 
Hitze  umkamen.  Es  ist  klar,  daß  diese  riesigen  Gebilde  mit 
jener  am  Johannistage  in  Luchon  verbrannten  Säule ,  mit  dem 
im  Pariser  Sonnwendfeuer  entflammten  ,,mannequin  d'osier^^  von 
dreifacher  MenschengröBe  y  ^  sodann  aber  mit  den  Gestellen  Aehn- 
Uchkeit  haben,  in  welchen  unsere  Laubmänner  (o.  S.  322.  323. 
325)  einherschreiten ,  z.  B.  der  Latzmann  am  Johannistage  in 
einem  etwa  12  Fuß  hohen  pyramidalen  oder  kegelförmigen 
Lattengestelle,  umherwandelt,  das  ganz  mit  grünen  Tannenreisem 
bekleidet  ist.  Doch  erhellt  nicht  (denn  der  Wortlaut  des  latei- 
nischen Textes  erlaubt  beide  Auflassungen),  ob  jede  solche  Figur 
von  nur  einem  Menschen  ausgefUUt  wurde,  wie  bei  unserni 
Pfingstl,  oder  ob  Caesar  sagen  wollte,  daß  das  Reisergestell  jedes- 
mal mehrere  Menschen,  etwa  in  jedem  Gliede  einen,  aufnehmen 
mußte.  Mit  dieser  Nachricht  Caesars  stehen  die  parallelen  An- 
gaben Strabos  und  Diodors  ebensosehr  teilweise  wirklich  oder 
scheinbar  im  Widerspruch,  als  sie  unzweifelhaft  dieselbe  Sache 
bezeichnen  sollen  und  auf  dieselbe  Grundlage  zurückgehen.  Für 
letzteres  spricht  außer  der  allgemeinen  Aehnlichkeit  des  im  näm- 
lichen Zusammenhange  erwähnten  Gegenstandes  der  überein- 
stimmende Ausdruck  i m m a n i  magnitudine  simulacra,  Kokoaaog, 
TivQag  nafifieyed^eig;  in  letztere  sehr  allgemein  gehaltene 
Phrase  verflüchtigt  Diodor  die  concretere  und  austlihrlichere  Dar- 
stellung der  verbrannten  Kiesenpuppe  und  ihrer  Umgebung  in 
seiner  Vorlage,  von  deren  Wortlaut  bei  ihm  und  Strabo  noch  das 
Verbum  yt(rvaa'K€vd(^6iv  (Str.  xaraoyievdaavTag ,  Dipd.  naraanava- 
LovTeg)  stehen  geblieben  ist.  Daß  aber  Caesar  den  Figuren  aus- 
drücklich aus  Baumreisern  geflochtene  Glieder  beilegt, 
steht  von  Strabo  ab,  der  den  Biesenkerl  aus  Holz  und  Gras, 
d.  h.  doch  wol  aus  einem  Gestelle  von  Latten  oder  Baumzweigen 


1)  Schon  Liebrecht,  Gervasins  von  Tilbury  p.  213  steUt  den  g^nt  de 
la  rne  aux  Ours  mit  Caesars  ,,  simulacra  viminibas  contexta"  zusammen. 
In  Bezug  auf  die  Zeit  der  letzteren  Begehung  bemerkt  er:  „daß  jenes  von 
Caesar  erwähnte  Opfer  zu  bestimmten  Zeiten  veranstaltet  wurde,  lassen 
die  von  ihm  hinzugefugten  Worte  vermuten  „„supplicia  —  descendunt."" 
Wo  man  auch  Unschuldige  dem  Tode  preisgab  und  zwar  nur  dann,  wenn  es 
an  todeswürdigen  Verbrechern  zur  Darbringung  des  Opfers  fehlte,  da  mniite 
dieses  ein  feststehendes,  regelmäßig  wiederkehrendes  sein." 


528  Kapitel  VI.    Vegetationsgeister :  Sonnenzauber. 

mit  einer  Bekleidung  von  grttnen  Kräutern  und  Wiesenblumen 
bestehen  läßt.  Strabo  kann  nicht  durch  Caesar  auf  seine  Angabe 
gekommen  sein.  Entweder  also  yereinigte  die  ihnen  beiden  za 
Grunde  liegende  Quelle  die  Merkmale  der  Riesenpuppe,  der 
(menschenähnlichen)  Glieder,  des  Geflochtenseins,  der 
Ueberkleidung  mit  Pflanzen,  oder  wir  werden  annehmen 
dürfen,  daß  Caesar  hier  nach  den  Ergebnissen  seiner  Erfahrung 
den  Ausdruck  des  Originals  verändert  und  uns  dadurch  ein 
zweites  Zeugniß  itir  den  nämlichen  Brauch  aufbewahrt  hat.  Wir 
begreifen,  wie  wol  es  möglich  war,  daß  nach  Z^qü  und  Ort  ver- 
schieden die  kolossale  Menschenfigur  bald  aus  Weiden,  bald  aus 
festeren  Latten  zusammengefügt  sein  konnte. 

Caesar  meldet  nur  die  Verbrennung  von  Menschen;  Strabo 
sagt,  man  habe  einige  Menschen  erschossen  und  (andere?)  auf 
Pfähle  gespießt,  (noch  andere?)  in  dem  von  Gras  umkleideten 
Holzriesen  verbrannt  Das  letztere  Schicksal  teilten  Weidevieh 
(Schafe,  Ziegen,  Schweine  und  dgl.)  und  andere  Tiere  (Hühner, 
Gänse,  Katzen?),  indem  man  sie  in  den  Koloß  hineinwarf.  Dio- 
dor  hingegen  sagt  aus,  daß  man  die  für  «in  gewisses,  alle  5  Jahre 
veranstaltes  Opfer  bestimmten  Menschen  (zuerst?  teils?)  pföble, 
und  (sodann?  teils?)  in  Gemeinschaft  mit  vielen  andern  Erst- 
lingen verbrenne  {/MO-ayttovai).  Unter  uaaq/ai  (ein  characte- 
ristischer  Ausdruck,  der  wol  aus  dem  Originale  übrig  ist)  mtLssen 
hier  unzweifelhaft  den  Druiden  ttbergebene  und  iUr  diesen  heiligen 
Zweck  aufbewahrte  Erstlinge  der  Herde  und  des  Federviehs 
verstanden  werden,  die  ßoay,i]f.iaca  und  jcavcoia  i^r^gtu  des  Strabo. 
Ihr  Schicksal  «war  nicht  durchgehend  bei  lebendigem  Leibe  zu 
Asche  verbrannt  zu  werden.  Denn  Diodor  selbst  itlhrt  im  An- 
schlüsse an  obige  Notiz  den  Gedanken  aus:  Für  gewöhnlich 
verwendet  man  Verbrecher  und  Erstlinge  (der  Tiere)  zu  (diesen) 
Opfern;  unter  Umständen  aber  (statt  dessen)  Kriegsgefangene 
und  zuweilen  auch  im  Kriege  erbeutete  Tiere,  welche  sie  zugleich 
mit  den  Menschen  tödten  oder  verbrennen,  oder  auf  irgend  eine 
andere  grausame  Art  aus  der  Welt  schaffen.  Da  diese  Beute- 
tiere offenbar  Stellvertreter  jener  anderen  liiaQxa!  waren, ^  hat 


1)  Dies  bestätigt  auch  Caesars  selbstatändige  oder  etwas  Terftnderte 
Notizy  B.  G.  VI,  17.  Hnic  (Marti)  cam  proelio  dimicare  constitaeront,  ea 
quae  bello  cepenmt,  deuovent;  qnae  snperaverint  animalia  capta  immolant. 


Ein  altgalliscbes  Jahresfener.  529 

man  sich  auch  diese  letzteren  nicht  immer  oder  nicht  sämmtlich 
als  verbrannt,  noch  weniger  als  sammt  und  sonders  in  das  Riesen- 
bild geworfen  zu  denken;  der  Originalbericht  mußte  dies  aus- 
gedrückt haben;  ihrer  war  darin  somit  schon  früher  und  nicht 
in  so  enger  Beziehung  zu  dem  Kolosse  wie  bei  Strabo  gedacht. 
Da  sich  Caesars  Schweigen  über  Tieropfer  hinzugesellt,  liegt  die 
Vermutung  nicht  ferne,  daß  die  Originalaufzeichnung,  welche 
sowol  von  Strabo  als  von  Diodor  stark  ins  Kurze  gezogen  wird, 
zwar  der  Tiere  und  ihrer  Verbrennung  gedacht  habe,  aber  nicht 
als  einer  Füllung  des  menschenähnlichen  Lattengehäuses,  sondern 
als  eines  notwendigen  Stückes  der  ganzen  Darbringung;  daß  aher 
Strabo  irrtümlich  herauslas,  sie  seien  nicht  allein  überhaupt 
mitverbrannt,  nicht  allein  auf  den  Scheiterhaufen  geworfen,  son- 
dern auch  in  die  Bildsäule  hineingeschleudert  worden. 

Diodors  Erwähnung  der  xcncovQyol  zeigt  den  engen  Zusam- 
menhang, in  welchem  in  der  Urschrift  der  Caesarische  Satz 
„supplicia  —  descendunt"  mit  dem  Inhalte  der  vorhergehenden 
Periode  stand.  Sein  Ende  j,  ad  innocentium  supplicia  descendunt^' 
entspricht  den  Worten:  x^vtai  da  xal  rölg  alxfKxXtoTaig  bei 
Diodor,  der  den  in  der  Urschrift  ausgedrückten  Gegensatz 
dadurch  abschwächt,  daß  er  die  zum  Tode  verurteilten  Verbrecher 
hier  unerwähnt  läßt,  weil  er  sie  schon  früher  genannt  hat.  Wie 
Caesar  die  Kriegsgefangenen  in  unschuldige  Menschen  überhaupt 
verallgemeinert,  hat  er  auch  den  Satz  „supplicia  gratiora  diis 
immortalibus  esse  arbitrantur"  an  Stelle  einer  in  seiner  Quelle 
enthaltenen  bestimmteren  Angabe  geschrieben,  die  ich  mit  Sicher- 
heit in  der  von  Strabo  wenige  Zeilen  weiter  nach  oben  in  einen 
andern  Zusammenhang,  in  die  Aufzählung  der  Functionen  des 
Druidenstandes  geschobenen  Bemerkung  erkennen  zu  dürfen  meine, 
den  Druiden  liege  auch  das  Gericht  über  die  Blutschulden  ob, 
wenn  es  von  diesen  eine  Fülle  (q>0Q(i  =  große  Menge  cf.  cpoQa 
TiQodoTiüv  xal  dioQodoy,iov  Dem.  18,  61)  gebe,  so  glauben  sie, 
erfolge  auch  des  Landes  Fülle  (cpoga  Fruchtertrag,  Gegensatz  zu 
d(poQia),     Im  Contexte   des  Strabo   erscheinen  diese  Worte  un- 


reliquas  res  in  unnin  locnm  oonfemnt.  Oifenbar  wurden  nicht  alle  im 
Kampfe  erbeuteten  lebenden  Wesen  als  Siegesopfer  dargebracht,  sondern  nur 
anu^X^^  davon.  Es  steht  nichts  im  Wege,  daß  ein  weiterer  Teil  dieser 
((TtaQ/af  noch  bei  anderen  gottesdienstlichen  Begehungen  als  den  Sieges- 
festen Verwendung  fand. 

MannhardL  34 


530 


Kapitel  YL    VegetationsgeiRter:  Sonnen  zanber. 


gereimt,  an  den  Blutschulden  als  solchen  konnten  die  Götter 
nicht  Gefallen  finden.  Meinecke  wollte  vor  dem  ersten  q^o^d^ 
das  tlbrigens  durch  das  zweite  (poQd  veranlafit  und  ganz  der 
gezierten  Schreibweise  des  Posidonius  gemäß  ist,  eine  Lflcke 
annehmen.  1  In  Wirklichkeit  sind  aber  von  Strabo  nur  zwei 
ursprünglich  nicht  zusammengehörige  Notizen  sehr  ungeschickt 
mit  einander  verbunden.  Die  erstere  von  beiden,  nämlich  rag 
Ö€  (povixäg  dixäg  fiahaza  Tovroig  eTiexiT^itro  dixaCeiv^^  ent- 
spricht Caesar  VI,  13:  „nam  fere  de  omnibus  controversüs 
publicis  privatisque  constituunt,  si  qnod  est  admissum  facinus,  si 
caedes  facta,  si  de  haereditate,  de  finibus  controversia  est,  iidem 
decemunt,  praemia  poenasque  constituunt^'  etc.  Habe  nun  jener 
diese  Angabe  aus  Caesar,  oder  fand  sich  dieselbe  schon  bei 
Posidonius,  jedenfalls  stand  sie  nicht  in  unmittelbarem  Zusammen- 
hange mit  dem;  folgenden  Satze,  den  Strabo,  der  die  einzelnen 
Excerpte  aus  seiner  Vorlage  nach  neuen  Gesichtspunkten  bunt 
durcheinandermischt,  ^  ganz  anderswoher,  notwendig  aber  aus 
einem  Stücke  entlehnt  haben  muß,  in  welchem  von  Verbrechern 


1)  Vindiciae  Strabon.  p.  44. 

2)  Soviel  ergiebt  sofort  die  Analyse  des  Kap.  IV,  4,  4 — 5  bei  Strabo 
im  Vergleich  mit  Diodor.  Bezeichnen  wir  bei  letzterem  in  Cap.  V,  31  die 
Reihenfolge  der  einzelnen  S&tze  mit  ta,  bei  Strabo  durch  beide  Capitel  mit 
a-n,  80  entspricht: 


Strabo  IV,  4,  4.  C.  197. 

=  Diod.  V.  « 

=    Caes.  B.  G.  VI. 

a)  Drei  geehrte  Stände ,  Barden,  Weis- 

c. 31  (ß) 

13 

sager  (yates),  Druiden. 

0 

cf.  Ammian 
Marc.  Lib.  XV. 

b)  Druiden,    Philosophen    und    Natur- 

miß) 

14 

kundige. 

AnimlaB  Marc 
a.  a.  0. 

c)  Sie  haben  selbst  Kriege  gesehlichtet. 

31  (0 

X 

d)  Blutschulden   zu    richten   war   ihnen 

13 

übertragen. 

'a 

e)  War  von  Verbrechern  Fülle,   so  gab 

cf.  Caes.  16. 

es  reichen  Fruchtertrag. 

• 

f)  Unsterblichkeit     der     Seelen      und 

Ammian  Marc. 

Eschatologie. 

a.  a.  0. 
cf.  Caes.  14. 

Ein  altgallisches  Jahresfener. 


531 


die  Rede  war.  Da  dies  nur  noch  an  einer  zweiten  Stelle  der 
Fall  ist,  ergiebt  sieh  folgerichtig  für  die  fragliche  Angabe  folgen- 
der Platz  im  Gedankengange  des  Originals.  Fttr  das  große  zu 
gewissen  Zeiten  zu  veranstaltende  Opferfest  spart  man 
die  zom  Tode  verurteilten  Verbrecher  auf.  Wenn  von  solchen 
Verbrechern  eine  große  Zahl  da  ist,  so  glaubt  man 
(vo/niCovai  Str.,  arbitrantur  Caes.),  daß  auch  des  Landes 
Ertrag  groß  sein  werde.  (Nicht  sowo)  von  der  Zahl  der 
Griminalfälle,  als  der  Menge  der  Opfer  hängt  hiemach  die  Menge 
der  Frtlchte  ab.)  Wenn  aber  keine  Fttlle  vorhanden  ist, 
greift  man  zu  Kriegsgefangenen.  Es  ist  leicht  einzusehen, 
wie  genau  sich  Caesar  („cum  eins  generis  copia  deficit '')  an  das 
fast  gleichlautende  (pogd  des  Posidonius  anschließt.  Auch  das 
geht  wol  ans  Diodor  hervor,  daß  der  ursprüngliche  Bericht- 
erstatter, des  Posidonius  römischer  Gastfreund  oder  er  selbst  die 
beschriebene  Kultushandlung  auf  einem  großen  von  5  zu  5  Jahren 
wiederholten  Opferfeste  sah. 

Waren  unsere  Beobachtungen  und  Schlüsse  zutreffend,  so 
werden  wir  als  ausgemacht  bezeichnen  dürfen,  daß  bei  dieser 
Gelegenheit  aus  Weiden  geflochtene  Menschenbilder 
von  mehr  als  Lebensgröße,  in  denen  lebende  Men- 
schen steckten,  verbrannt  wurden,  daß  zugleich  andere 
Menschen  und  außerdem  Tiere  gepfählt,  erschossen  und  vielleicht 


Strabo  IV,  4,  6.  C.  197. 

=   Diod.  V.  = 

=    Caes.  B.  G.  VI. 

g)  Gharacter    der    Gallier    Prablsacht 

31  («) 

und  Pntzliebe. 

h)  Goldene  Hals-   und  Armbänder. 

27 

i)  Buntgeförbte  I [leider. 

30 

• 

k)  Köpfe  der  erschlagenen  Feinde. 

29 

1)  Weissagung  bei  Opfern. 

31  (r) 

. 

m)  Sie  opfern  niemals  ohne  Druiden. 

31  (.F) 

cf.  Caes.  16. 

n)  Menschenopfer. 

32 

Aus  dieser  Zusammenstellung  geht  mit  Sicherheit  hervor,  daß  Str.: 
C  d,  e  den  alten  Zusammenhang  b  f  unterbrochen,  mit  Wahrscheinlichkeit, 
duß  Str.  e  mit  c  nach  m,  mithin  unmittelbar  in  die  Nähe  von  n  hingehört 
habe. 

34* 


532  Kapitel  YI.    V egctatioDSgeiBter :  Sonnenzanber. 

auch  auf  demselben  Scheiterhaufen  mit  verbrannt  sind.  Von 
der  Zahl  dieser  Opfer  hing  vermeintlich  die  Frucht- 
barkeit des  Landes  (wol  in  dem  folgenden  vierjährigen  Zeit- 
räume) ab. 

Unentschieden  muß  es  bleiben^  ob  einer  oder  mehrere  Men- 
schen, vielleicht  gar  Tiere  in  dem  Beisergesteile  steckten. 
Caesars  Ausdruck  ,,deren  Glieder  sie  ausfttllen^^  (com- 
plent),  würde  ehei:  auf  die  Weise  unserer  Laubmänner  raten 
lassen,  so  daß  ein  einzelner  Mensch  mit  seinen  Gliedern  in  den 
entsprechenden  Gliedern  der  Figur  darinsteckte,^)  wenn  nicht 
die  ,,copia^^  im  folgenden  Satze  wieder  auf  eine  gleichzeitige 
Vielheit  von  Menschenopfern  hinwiese.  Aber  Caesar  könnte  darin 
bei  fluchtigem  Auszuge  aus  Posidonius  die  Gepfählten  und  Er- 
schossenen ndt  einbegrifiPen  haben,  welche  nach  Strabo  außerhalb 
des  Weidenmannes  mitverbrannt  wurden. 

Mag  nun  diese  Sache  sich  verhalten  haben  wie  sie  wolle, 
so  scheint  mir  die  von  Posidonius  geschilderte  Sitte  im  Zusam- 
menhange mit  unseren  Oster-  oder  Johannisfeuem  zu  stehen; 
mit  anderen  Worten  die  Feuerweihe  des  Vegetationsdämons  oder 
der  Vegetationsdämonen  bezeichnet  zu  haben.  Falls  die  mit 
grünem  Kraute  umhüllte  zur  Vermehrung  des  Feldertrags  (fpo^d 
Xitigag)  verbrannte,  sicher  nicht  bedeutungslose  Riesengestalt  aus 
Baumzweigen  nur  einen  Menschen  enthielt,  wird  derselbe  die  ihr, 
d.  h.  dem  Baumwuchse,  den  Kräutern  innewohnende  Seele  zu 
bezeichnen  bestimmt  gewesen  sein ;  falls  sie  aber  wirklich  mehrere 
Menschen  barg,  wird  sie  dennoch  nur  ein  Wesen  dargestellt 
haben.  Die  Mehrheit  oder  Vielheit  der  Insassen  kann  dabei  auf 
verschiedene  Weise  erklärt  werden.  Entweder  sollten  dieselben 
durch   Vervielfältigung   (Multiplication)    der   Menschenseele    ver- 


1^  Es  ist  schwierig,  von  der  technischen  Herstellung  des  Gestelles  eine 
Vorstellnng  za  gewinnen,  wenn  dasselbe  etwa  eine  Figur  mit  ausgestreckten 
Armen  und  gespreizten  Beinen  gebildet  hätte,  die  ssur  Aufnahme  mehrerer 
Menschen  bestimmt  waren.  Wie  hätten  die  Glieder  ohne  St&tze  die  Last 
ertragen?  Lag  der  Mensch  horizontal  darin?  Oder  waren  die  Arme  z.  B. 
so  groß;  daß  mehrere  Menschen  darin  sitzen  konnten?  Wie  riesig,  der  Bava- 
ria  in  München  ähnlich,  hätte  dann  der  Koloß  sein  müssen?  Und  war  es 
dann  noch  aus  Korbgeflecht  möglich?  Verzichtete  man  freilich  auf  wol- 
gestaltete  Beine,  nahm  man  Stützen  zu  Hilfe,  so  konnten  immerhin  nach 
Art  jener  niederländischen  Riesenbilder  in  Füßen  oder  Rumpf  mehrere  Men- 
schen verborgen  sein. 


Ein  altgallisches  Jahresfener.  533 

gleichsweise  die  Macht,  Stärke  nnd  Ueberlegenheit  der  Seele  des 
Dämons  ausdrücken  ^  oder  sie  gründen  sich  auf  die  Anschauung 
von  einer  Mehrheit  in  einem  Leibe  wohnender  Seelen  (o.  S.  25). 
In  beiden  Fällen  würden  selbst  die  nach  Strabo  in  den  Koloß 
hineingeworfenen  Tiere  hinzupassen.  Die  Frage,  ob  die  außer- 
halb des  Riesenkerls  verbrannten  Menschen  und  Tiere  etwa  die 
nämliche  oder  ähnliche  symbolische  Bedeutung  hatten,  werden 
wir  im  späteren  Verlaufe  unserer  Untersuchungen  mit  mehr  Erfolg 
als  augenblicklich  verhandeln  können.  Bemerkt  darf  jedoch 
werden,  daß  die  Gepfählten,  welche  Strabo  und  Diodor  erwähnen, 
an  jene  Puppen  auf  den  im  Frühlingsfeuer  verbrannten  Bäumen 
(o.  S.  497  flF.)  erinnern,  und  daß  die  Katzen,  Füchse,  Hühner  u.s.w., 
welche  wir  im  Johannisfeuer  u.  s.  w.  verbrannt  sehen,  sich 
weiterhin  als  Repräsentanten  von  Komdämonen  erweisen  werden. 

Daß  der  nämlidfie  Gedanke  durch  die  in  der  Riesenfigur 
Eingeschlossenen  und  durch  die  nebenher  Gepfählten  doppelt 
pder  mehrfach  dargestellt  wäre,  dieser  Pleonasmus  dürfte  uns 
nicht  Wunder  nehmen,  da  die  Frühlings-  und  Emtegebräuche 
tausendfach  die  Erfahrung  bestätigen,  daß  von  verschiedenen 
Orten  her  verschiedene  Formen  eines  und  des  nämlichen  Brauches 
zu  emer  Begehung  zusammenflössen  und  zwar  um  so  gewisser, 
je  mehr  die  letztere  eine  besonders  feierliche  und  prächtige  wird. 
Das  war  aber  hier  der  Fall,  denn  augenscheinlich  nur  wegen 
der  vorzüglich  reichen  und  kostspieligen  Ausstattung  des  viel- 
leicht von  einer  ganzen  Eidgenossenschaft  mehrerer  Stämme 
gefeierten  Festes  war  die  Feier  aus  einer  jährlichen  zu  einer 
pentaeterischen  geworden.  Analogien  bieten  die  bisher  erläuter- 
ten Bräuche  in  Fülle.  Der  ursprüngliche  Ausritt  des  Maigrafen 
fand  in  Hildesheim  später  nur  jedes  siebente  Jahr  statt  (oben 
S.  375);  der  Pfingstritt  in  Wurmlingen  alle  2 — 3  Jahre 
(o.  S.  350),*  die  Questenberger  Eiche  (Maibaum)  wird  alle  7  Jahre 
aufgerichtet  (o.  S.  175).*  Um  Königinhof  wird  der  anderswo  jähr- 
lich beim  Erntefest,  zu  Fastnacht  oder  zur  Kirchweihe  geübte 
„Hahnschlag''  mit  besonderem  Glänze,  aber  nur  alle  5  Jahre 
begangen,^    das    zu    einer    von    Tausenden   fremder  Zuschauer 


1)  Papst,  Fest  des  Maigrafen.     S.  43.    Meier  419,  101. 

2)  Reimann,  D.  Volksfeste.    S.  250. 

3)  VernalekeD,  Mythen  und  Bräuche,  805. 


534  Kapitel  VI.    Yeg^etationsgeiater :  Sonnenzanber. 

besuchten  Schaustellung  herangewachsene^  sehr  verschiedene  Mai- 
ond  sonstige  FrUhlingsgebräuohe  in  sich  vereinigende  Pflugfest 
zu  Hol!  jedes  siebente  Jahr  veranstaltet.  Zu  Greven  müssen  die 
jungen  Ehepaare  zu  Fastnacht  alle  vier  Jahre  in  den  Wasser- 
kttbel  springen  (o.  S.  491).  Man  braucht  nicht  auf  das  nahe- 
liegende Beispiel  des  Oberammergauer  Passionsspiels  zurtlckzu- 
greifen ,  oder  auf  die  böotischen  Daedalen  y  welche  alle  7  Jahre 
gefeiert  wurden,  obwohl  sie  die  jährliche  Brautschaft  des  Zeus 
mit  der  Hera  versinnbildlichten ,  um  gewiA  zu  werden ,  daß  ein 
ganz  analoger ;  in  der  Natur  der  Dinge  liegender  Vorgang 
auch  schon  vor  Posidonius'  Zeit  in  Gallien  stattgefunden  haben 
konnte. 

Der  Kulturzustand  Galliens  zur  Zeit  des  Posidonius  weist 
eine  Mischung  roher  Barbarei  und  nicht  unbedeutender  Ansätze 
der  Bildung  auf  Unmöglich  konnte  in  diesem  Zeitalter  begin- 
nender Aufklärung  das  beschriebene  Menschenopfer  entstanden 
sein,  vielmehr  ragt  es  selbst  als  ein  wahrscheinlich  schon  damals 
nicht  mehr  recht  verständlicher  Rest  einer  noch  älteren  Welt- 
anschauung der  Gallier  in  die  Periode  des  Marius  hinein. 

Aus  dem  Dämmerscheine,  in  den  für  unsere  Augen  die 
Einzelheiten  dieses  keltischen  Ritus  gehüllt  bleiben,  führe  ich 
meine  Leser  zurück  in  den  hellen  Tag  noch  lebender  oder 
unlängst  ausgestorbener  Bräuche.  Unsere  Frühlings-  und  Mitt- 
sommerfeuer bieten  der  Betrachtung  so  manche  fruchtbare  Einzel- 
heiten dar,  daß  eine  eingehende  monographische  Behandlung  sehr 
erwünscht  wäre.  Wir  müssen  Vieles  bei  Seite  lassen ,  z.  B.  die 
eingehende  Erörterung  der  in  die  Flammen  geworfenen  Eräuter, 
sowie  das  dem  Johannisfeuer  häufig  zugesellte,  oft  auch  ftlr  sich 
auftretende  Johannisbad  in  Bach,  Strom  oder  Meer  (Myth.*  555  ff. 
Wolf,  Beitr.  II,  392.  394),  das  wir  gleich  dem  Begießen  zu  Ostern 
(o.  S.  259)  als  Regenzauber  auffassen  würden,  wenn  nicht  die 
weite  bis  nach  Afrika  hinreichende  Verbreitung  dieser  Sitte  in 
sehr  früher  Zeit  zu  vorsichtigem  Urteil  mahnte. 

§  10.  Faekellanf  Aber  die  Kornfelder.  Nur  einige 
Ergänzungen  zu  den  bereits  behandelten  Eigenschaften  der  Lenz- 
und  Sonnwendfeuer  sollen  an  dierer  Stelle  Platz  finden.  Aus 
unseren  Zusammenstellungen  geht  mit  unwiderleglicher  Sicherheit 
hervor,  daß  ein  Fackelzug  zu  den  wesentlichen  Bestandteilen 
aller  Arten   unserer   Jahresfeuer   gehörte.     Entweder  zog   man 


Fackellanf  über  die  Kornfelder.  535 

schon  mit  flammenden  Fackeln  auf  die  Anhöhe ,  wo  das  große 
Frühlings-  oder  Sonnwendfener  entloht  wurde,  oder  man  zündete 
sie  erstoben  in  demselben  an,  tanzte  tobend  nnd  mit  exsta- 
tischen Sprüngen  rings  umher  und  lief  dann  talwärts 
durch  die  Gesammtheit  der  zum  Anbau  dienenden  Fel- 
der (den  Eschy  Oesch,  goth.  atisks,  ahd.  ezzisc,  bei  Notker  ,,der 
heilego  ezesg'^  Gram.  II,  373).  Vielfach  wurde  nicht  mehr  auf 
Berggipfeln,  sondern  auf  den  Ackern  selbst  das  Feuer  entloht; 
oder  die  ganze  Begehung  schrumpfte  auf  den  Umlauf  mit  den 
Bränden  durch  die  Saatfelder  zusammen.  Vorzugsweise  trat  dies 
bei  den  Feuern  am  Sonntage  nach  Fasten  ein.  Auf  diese  Weise 
erlangten  losgerissene  Stücke  des  alten  Brauches  eine  individuelle 
Selbstständigkeit:  oft  vielleicht  nicht  anders  als  scheinbar,  inso- 
fern nur  die  Berichte  der  übrigen  Bestandteile  der  Sitte 
geschweigen.  Es  frommt,  diese  Verhältnisse  nach  Anleitung  der 
nachstehenden  Tatsachen  klar  zu  durchschauen. 

Um  Rottweil  wurde  am  weißen  Sonntage  (Invocavit)  im 
Winterösch  ein  Feuer  angezündet,  um  der  Saat  Gedeihen  zu 
erflehen  und  unter  lautem  Abbeten  des  Bosenkranzes  umher- 
gelaufen; nachher  zündete  man  Stangen  mit  Strohzöpfen  an, 
schwang  sie  und  sprang  über  das  Feuer.  Dann  erbettelten  die 
Buben  von  Haus  zu  Hause  Victualien.  ^  In  Wurmlingen  dagegen 
zogen  die  Knaben  mit  schon  brennenden  Fackeln  (aus  Stroh 
inwendig  Späne  oder  aus  Holz  von  ungeheurer  Länge  und  mit 
Harz  bestrichen)  bei  einbrechender  Nacht  auf  den  angebltbnten 
Oesch  hinaus,  um  die  eben  aufkeimende  Saat  den  Sommer 
hindurch  vor  Blitz  und  Hagel  zu  schützen.^  Noch  in  vie- 
len anderen  schwäbischen  Orten  ist  diese  Fackelprozession  auf 
den  Kornösch,  das  mit  lautem  Jubelgeschrei  bewerkstelligte 
Auf-  und  Abziehen  im  Fruchtfelde,  wo  häufig  so  eben 
erst  der  Schnee  zu  schmelzen  beginnt,  und  schließlich  die 
Einforderung  einer  Steuer  von  Speck  und  Eiern  dafür  üblich 
und  führt  den  Namen  der  Fackelgang,  das  Saatleuchten 
oder  Samen  zun  den  („der  Same  wird  gezündet").  In  benach- 
barten Orten  tritt  dafür  ein  Fackelgang  auf  die  an  die  Dörfer 
grenzenden  Höhen  ein.    Jene  Namen  sagen  deutlich  Zweck  und 

1)  ßirlinger  II,  109,  134. 

2)  Birlinger  U,  108,  133. 


536  Kapitel  VI.    Yegetationsgeister:  Sonnenzanber. 

Meinang  der  Ceremonie  ans,  die  jedesfalls  nicht,  wie  das  schwär 
bische  Volk  glaubt,  aus  einer  Nachahmung  der  Gefangennahme 
Jesu  auf  dem  Oelberge  entstand.  Wir  werden  kaum  irre  gehen, 
wenn  wir  annehmen,  daß  die  wild  geschwungenen,  mehrfach 
durch  die  Luft  geworfenen  Fackeln  die  Blitze  darstellen 
sollten,  von  denen  man  meinte,  daß  sie  in  segenbringender  Form 
auftretend  der  Pflanzenwelt  den  Lebensfunken  mitteilen,  während 
ihre  verderbenbringende  Form  im  Unwetter  die  Saaten  yernich- 
tend  niederfährt.  Wie  der  Donnerkeil  auf  dem  Heerde  den  Blitz 
vom  Hause  abhalten  soll  (similia  similibus),  gelten  daher  auch 
die  den  Blitz  sinnbildlich  darstellenden  angekohlten  Scheite  oder 
Fackelstumpfe  ins  Feld  oder  unter  das  Dach  gesteckt  als  Amu- 
lette gegen  vernichtenden  Wetterschlag  und  Hagelschlossen.  In 
Frankreich  war  der  Sonntag  Invocavit  von  seinem  Fackelumzoge 
le  jour  des  brandons  schon  a.  1222  dominica  brandonum, 
oder  kurzweg  brandones  benannt,  wie  sich  dafür  1254  in  Lothringen 
der  Name  burae,  1251  dies  focorum  belegen  läßt'  Im  Jura 
laufen  die  Kinder  bei  anbrechender  Nacht  mit  Strohfackeln 
über  Berge  und  Felder,  indem  sie  rufen:  „plus  de  fruits  que 
de  feuilles.'^  In  Loire  et  Cher  glauben  die  Bauern  die  Feld- 
mäuse, in  anderen  Gegenden  die  Maulwürfe,  das  Unkraut  und 
den  Mehltau  fernzuhalten,  indem  sie  mit  brennenden  Fackeln 
über  die  eingesäten  Felder  laufen;  in  der  Champagne  tun  das 
wieder  die  Knaben,  aber  die  Alten  machen  von  dieser  Ceremonie 
ihre  Beruhigung  über  den  Ausfall  der  Obst-  und  Kornernte  ab- 
hängig. In  Yalenciennes  rannten  die  Buben  mit  Pechfackeln, 
„bouhours^^  genannt,  durch  die  Straßen  und  sangen: 

Bour  peumes  poires  (d.  i.  beurre,  pommes) 
Des  cerises  noiresi  u.  b.  w.^ 

Daß  auch  in  Frankreich  diese  Fackelumgänge  nur  Ablösungen 
des  vollständigeren  Brauches  waren,  geht  nicht  allein  aus  älteren 
Zeugnissen,  noch  aus  noch  heute  erhaltenen  vollständigeren 
Begehungen,  welche  an  diesem  Tage  das  Fackelschwingen, 


1)  BirliDger  n,  65,  76.  71,  83.  72,  85. 

2)  Du  Gange  ed.  Henschel  s.  v.  v. 

3)  Mad.  Clement,  histoire  des  fetes  da  D6p.  du  Nord.  Paris  1834. 
p.  350  ff.  Wolf,  Beitr.  1,  76.  Thiers,  Traite  des  Superstitions.  Paris  1697. 
bei  Liebrecht,   Gervasius  von  Tilbury  229,  118. 


Fackellauf  Ober  die  Kornfelder.  537 

das  Scheibenwerfen  and  jene  Proklamiernng  der 
Liebespaare  (Valentins  und  Valentinen)  mit  einem  großen 
Preudenfeuer  vereinigen  (s.  o.  S.  456)/  sondern  auch  aus 
den  Reimen  hervor,  die  anderswo  z.  B.  bei  Chartres  bei  der 
Umtragung  der  Strohfackehi  durch  die  Saatfelder  gesungen  wer- 
den,* Verse,  welche  deutlich  auf  die  dem  Valentinbrauche  zu 
Grunde  liegende  Vorstellung  der  Lenzbuhlschaft  hinweisen. 

Diesen  Fastnachtsgebräuchen  stellen  sich  Begehungen  der 
Weihnachtszeit  zur  Seite.  In  einigen  Communen  der  Normandie 
laufen  die  jungen  Bauern  am  h.  Dreikönigsabende  mit  Stroh- 
fackeln durch  die  Felder  und  rings  um  die  Hofstötten.  Im  D^p. 
de  rOme,  wo  der  Brauch  coulines^  heißt,  durchläuft  man  vor- 
zugsweise die  mit  Bim-  und  Apfelbäumen  bepflanzten  Gründe, 
umkreist  jeden  Baum,  brennt  ihm  mit  der  Fackel  das  Moos  ab 
und  ruft: 


1)  S.  dn  Gange  s.  v.  y.  Brandones,  bnrae.  Lit.  remiss.  ann.  1395: 
CoiDine  ü  seit  de  coustume  en  la  ville  de  Jangcs  et  an  pais  d*envlron  de 
faire  chaciin  an  le  jour  des  brandons  apres  sonpper  fenx  ausqnelz  les  bonnes 
gens  ont  accoustnme  d'enlz  assembler,  dancier  et  les  jeones  vailes  et  enfans 
a  santer  par-dessns  icenlx  fenx ,  qnant  il  sont  appetissiez.  Ann.  1414 :  Comme 
il  est  acconstnme  cbascnn  an  le  Dimanche  des  Brandons  faire  esbatements 
et  dances  environ  le  soir  et  avoir  des  faloz  a  bonchons  de  fenrre  bontez  en 
nn  baston  et  mettre  le  fen  deden  en  les  appellant  les  brandons.  Za 
Obrechies  in  franz.  Flandern  ist  der  Fackellanf  darch  die  Felder  mit  einem 
großen  Fener  von  Stroh  verbunden  „nomme  el  feuren  on  fenx  henreux, 
usage  anqnel  les  parents  enx  memes  attachent  des  idees  de  prosperite. 
Anch  in  französischen  Gegenden  steckte  man  Brände  vom  großen  Frenden- 
fener  des  jour  des  brandons  in  die  Gärten,  um  ihr  Gedeihen  zu  fördern  und 
große  Zwiebeln  zu  erzielen.    Thiers  a.  a.  0.  231,  149. 

2)  Brandons  bmlez 

Pour  les  filles  a  marier. 

Memoires  de  Tacadeniie  celtique  IV,  242.    Anderswo: 

Brandeions  bmlez 
Par  ces  vignes,  par  ces  bles! 
Brandeions  bmlez 
*  Ponr  ces  filles  a  marier! 

Darauf  schreit  man:  Mais  les  vieilles  n^en  auront  pas.  Memoires  des 
antiquaires  I,  237. 

3)  Von  couler,  fließen,  herablaufen,  herunterrollen,  kullern.  Man  rollte 
dabei  wol  auch  flammende  Räder  von  den  Anhöhen  und  daher  der  Name, 
der  jetzt  den  ,; brandons"  zukommt. 


538  Kapitel  VI.    Yegetationsgeister:   Sonnenzanber. 

Tanpes  ei  mnlots,   sortez  de  mon  enclos, 

On  je  Yons  brülerai  la  barbe  et  les  os. 

Bon  jour,  les  rois,  jusqu"  a  donze  mois. 

Douze  mois  passes,  rois  revenez. 

Charge  pommier,  Charge  poirier! 

A  chaqne  petite  branchette, 

Tout  plein  ma  grande  ponchette. 

Sind  die  meisten  Fackeln  (coulines)  niedergebrannt ,  so  vereinigt 
man  die  ttbrigen  zu  einem  gemeinsamen  stürmischen 
Laufe  fon^e^  oder  bonrgael^e,  den  ein  paar  Pater  noster,  die 
Wiederholung  jenes  Sanges  und  der  Ruf  ,, Adieu,  les  rois! 
beschließen.*  Am  Abende  des  nämlichen  Tages  (on  the  eve  of 
twelfth-day)  versammelt  in  Gloucestershire  an  der  Grenze  von 
Worcestershirey  ebenso  in  Herefordshire  jeder  Farmer  seine 
Dienstiente  und  Freunde  auf  einem  mit  Winterweizen  besäten 
Felde,  auf  dem  die  grttne  Saat  zu  sprossen  beginnt  (where 
wheate  is  growing).  Dort  zünden  sie  auf  der  höchsten  Stelle  des 
Ackers  zwölf  kleine  Feuer  und  ein  großes  an,  welches  alle,  der 
Gutsherr  an  der  Spitze,  im  Kreise  umringen ,•  nach  Herzenslust 
Apfelwein  trinkend  und  in  lautes  gemeinsames  Jubelgeschrei  und 
Hailohrufe  ausbrechend,  die  oft  von  50  —  60  Feuern  her  durch 
die  Arbeiter  der  benachbarten  Dörfer  und  Felder  beantwortet 
werden.  Nach  Hause  zurückgekehrt,  trinkt  man  allen  Pflugoch- 
sen im  Stalle  zu ,  und  spießt  dem  Hauptochsen  einen  durchlöcher- 
ten Kuchen  feierlich  auf  das  Hom.  Diese  Begehung  heißt 
wassailing,  d.  h.  das  Gut -Heil  wünschen;'  der  dem  Ochsen  auf- 
gesetzte Kuchen  bezeichnet  sichtlich  die  Fruchtbarkeit  des  von 
ihm  bestellten  oder  zu  bestellenden  Ackers.  Man  vgl.  nur  die 
bereits  oben  S.  313  beigebrachte  russische  Sitte  des  St.  Geoi^- 
tages,  wonach  ein  ganz  in  Grün  gekleideter  Jüngling 
dicFackel  schwingend  auf  demKopfe  einen  runden, 


1)  „fou^e  eine  Art  zn  jagen  des  Nachts  bei  hellem  Feuer  längst  dem 
Gehege." 

2)  De  Nore  p.  253.  Cf.  Mercnre  Fran?.  ann.  1740  Febr.  p.  266  April 
p.  660  bei  Da  Cango  s.  o.  flambard. 

3)  Brand  ed.  EUis  1 ,  30.  33.  Meistenteils  bestand  das  „Watsail  /* 
„Wassailing"  nur  darin,  daß  man  den  Obstbäumen  im  Garten  zutrank  mit 
der  Aufforderung,  viele  Fruchte  zu  bringen.  (Brand  a.  a.  0.  I,  29  fr.)  zuwei- 
len aber  war  damit  auch  der  Schlag  mit  der  Lebensrute  verbunden 
(0.  S.  276). 


Fackellauf  Aber  die  Kornfelder.  &39 

blumengeschmllckteii  Kuchen  anf  die  besäte  Flur 
trägt,  wo  man  den  Enchen  in  die  Erde  legt,  ein 
großes  Fener  anzttndet  und  umhertanzt.  Jetzt  wird  uns 
wol  auch  die  Bedeutung  der  runden,  durchlöcherten  Kuchen 
(Funkenringe)  klar,  welche  in  Schwaben  am  Invocavitsonntage 
jedes  Mädchen  ihrem  Liebhaber ,  resp.  Scheibenschläger  zu  geben 
gehalten  ist.  Wenn  jener  russische  Georgstagsgebrauch  und  die 
englische  Epiphaniassitte  nicht  christlichen  Ursprungs  sind,  so 
müssen  die  nachstehenden  kirchlichen  Sitten  um  so  entschiedener 
als  priesterliche  Umänderungen  älterer  Volksgebräuche  betrachtet 
werden.  In  Ca^n  liefen  die  Kinder  am  Weihnachtsabende  mit 
Feuerbränden  und  bunten  Laternen  durch  die  Straßen  und  riefen: 
Adieu  No^'l,  Nofel  s'en  va.  —  „Flambard  (fax  taeda)  voeant 
Drocenses  lignum  fumo  cortice  avulso  exsiccatum  atque  ad  medium 
usque  fissum,  quod  in  vigilia  Natalis  Domini  clerus  populusque 
deferunt  circa  forum  tectum  eiusdem  civitatis,  suppHcantium 
ordine  quamvis  festinanter  procedentes  ad  ecclesiam,  ante  cuius 
portam  projiciuntur  hujusmodi  faces,  ubi  absumuntur  clero  decan- 
tante  hymnum  „veni  redemptor  gentium ''  et  populo  clamante: 
N06I." » 

Italiänische  Sitte  war  es,  die  Lenzpaare  beim  Märzfeuer 
(0.  S.  455),  in  der  Nacht  zum  1.  März  auszurufen.  Auch  in  fran- 
zösischen Orten  geschah  es  bisweilen  am  ersten  Sonntage  im 
März.  Dem  entspricht,  daß  nach  Thiers  in  manchen  Gegenden 
Frankreichs,  nach  Polydorus  Virgilius  auch  in  Umbrien  die  Kin- 
der am  1.  März  mit  Bränden  durch  die  Felder  rennen  der 
Befruchtung  halber.'  In  Wälsch  -  Tirol  (Lusema)  zündet  man 
am  letzten  Sonntage  im  März  Reisig  und  Strohbüschel  auf  hohen 
Stangen  an,  während  die  Kinder  mit  Schellen  und 
Glocken  läuten  und  schreien  zum  Jubel,  daß  der  Winter 


1)  Du  CaDge  s.  v.  NoSl.  Ganz  abgeschliffen,  wo  nicht  ganz  nnab- 
hängig  vom  praktischen  Bedürfhisse  geschaffen  ist  der  schwedische  Brnach, 
mit  riesigen,  bis  12'  langen  Fackeln  (Jula-tannar  von  t&nda  anzün- 
den genannt)  am  Weihnachtsabende  znr  Kirche  zn  ziehen  nnd  dieselben  vor 
der  Kirchtüre  anf  einen  Scheiterhaufen  zasammenznwerfen.  Uylt^n-Caval- 
lins,  Yärend  I,  160.  296.  Odman,  Hagkomster  fran  Hembygden.  üpsala 
1830  p.  25  bei  Liebrecht  Gervasius  p.  58. 

2)  Thiers  a.  a.  0.  233, 159.    Foljdor  Yergilins  de  inventione  reram  ¥,2. 


540  Kapitel  VI.     Vegetationsgeister:  Sonnenzanber. 

Yorttber  ist.  Man  heißt  diese  Flamm^i  Märzenfeuer.^  Die 
Knaben  der  YU.  Communi  zünden  am  letzten  Februar  oder 
1.  März  auf  einer  Anhöhe  Haufen  von  Holz  und  Stroh  an, 
springen  mit  Schellen  in  der  Hand  umher  und  rufen 
durch  die  Gassen  ziehend:  Merzo,  Merzo^  du  pist  da,  schella, 
sehella  kttme,  de  kapütsen  saint  garivet.^ 

§  11.  Eoruaufwecken,  Perchtelsprlngen ,  Fasehlngsum- 
Uafe.  Hier  sehen  wir  einen  neuen  Zug  in  den  Brauch  eintre- 
ten,  bei  dem  Umzüge  über  die  Felder  wird  mit  Glocken 
geläutet.  Mit  dem  Feuer-  oder  Fackellaufe  verbunden  tritt 
dieser  Zug  noch  an  mehreren  Orten  auf,  an  anderen  nimmt  er 
selbstständig  die  Stelle  des  Fackellaufes  ein.  Zu  Ulten  rollt  man 
In  den  letzten  Faschingstagen  brennende  Reisig-  oder  Strohbfln- 
del  über  die  Saatfelder  hinab  und  nennt  dies  das  Komaufweeken. 
In  Proveis  zttnden  die  älteren  Buben  am  Kässonntage  (Invocavit) 
auf  Wiesen  und  Aeckern  große  Feuer  an  und  schießen  mit  Büch- 
sen und  Pistolen,  indeß  die  kleineren  mit  Schellen  und  Glocken 
„das  Korn  aufwecken,''  indem  sie  klingelnd  und  schreiend  wie 
rasend  durch  die  Felder  laufen.  Im  Unterinntal  „läuten^'  die 
Buben  am  24.  April  „das  Gras  au s/^  d.h.  sie  läuten,  damit 
das  Gras  herauskomme,  indem  sie  paarweise  geordnet  mit  Schel- 
len, Kuh-  und  Dachglocken  unter  schallendem  Geläute  auf  die 
DorfQuren  ziehen;  rückkehrend  erhalten  sie  bei  manchem  Hause, 
dessen  Felder  vom  Zuge  berührt  wurden,  Brod,  Butter,  Käse 
oder  Geld.  Mehrere  Masken,  der  starke  Melker,  der  berußte 
Wurzengräber ,  der  Hudler  (vgl.  o.  S.  269)  sind  im  Zuge.  In 
einigen  Orten  des  Pinzgaus  und  Unterinntals  hat  das  „Gras- 
ausläuten'^  am  ersten  Mai  statt.  Im  Vinstgau  behängen  sich 
die  Knaben  schon  zu  Petri  Stuhlfeier  (22.  Februar)  mit  großen 
Schellen  und  Kuhglocken  und  läuten  nach  lärmendem  Um- 
laufe durchs  Dorf'  vor  allen  Häusern.  Dies  heißt  „den  Langas 
(Lenz)  wecken,^^^  Zu  Castasegna  im  Bergell  an  der  lombardi- 
schen Grenze  ist  es  regelrecht  wieder  der  erste   März,   der 


1)  Zingerle,  Sitten«  143, 1243. 

2)  Schmeller,  W.  B.»  732. 

3)  Zingerle,  Sitten*  137,1202.  141,1227.  144,1233.  154,1310.  133, 
1183.  Zs.  f.  D.  Myth.  I,  287.  H,  360,  6.  III,  339.  Alpenburg,  Mythen 
S.  351  „Das  Frühlings  wecken."  Vgh  L.  v.  Hörmann,  der  heber  gät  in  litun. 
Innsbruck  1873.    S.  47,  131—134;  S.  44, 121. 


Eornauf wecken ,  PerchtelspriDgen,  Faschingsumlätife.  541 

Tag  der  Märzfeaer  und  des  Fackellaufes ,  sowie  des  römischen 
Jahresanfanges  (vgl.  o.  S.  455.  593),  an  dem  alle  Knaben  mit 
papiemen  OfSziershüten  geschmückt  in  militärischer  Ordnung  das 
Dorf  unter  Anfllhrung  eines  Hornbläsers  und  eines  Trommel- 
schlägers mehrmals  hinauf-  und  hinunterschreiten,  indem  sie 
sämmtlich  mit  Kuhschellen  läuten.  Als  den  Zweck  ihres  Umzugs 
geben  sie  an:  „wir  machen,  daß  das  Crras  wächst"  Dafttr 
erheben  sie  Nachmittags  von  den  Haushaltungen  den  üblichen 
Tribut  von  Wein ,  Brod ,  Kastanien ,  Aepfeln  u.  s.  w.  ^  Noch  in 
manchen  anderen  Orten  Graubündens  zieht  die  Jugend  mit  großen 
und  kleinen  Kuhglocken  behängt  am  1.  März  durch  die  benach- 
barten Dorfschaften  und  singt  vor  jedem  Hause,  wo  man  frei- 
gebigeBewohner  erwartet: 

CaloDda  Mars,  Calond'  Avril: 
Laschai  las  vaccas  or  d*nyil.^ 

Es  ist  lehrreich ,  noch  weitere  Formen  dieses  Frühlingsbrau- 
ches zu  verfolgen. 

Am  unsinnigen  Pfinztag  (Donnerstag  vor  Fastnacht)  laufen 
um  Hall,  Insbruck,  Götzens,  Ambras  die  Hexen  und  Hutler,  d.  h. 
buntgekleidete  mit  Besen  und  Peitschen  versehene  Jungen,  wel- 
che das  Fastnachtsrößlein ,  ein  künstliches  Roß  und  seinen  Reiter 
begleiten,  knallen  und  kehren  die  Zuschauer  mit  kotigen  Besen 
ab.  Ihr  Umzug  gilt  als  unerläßlich,  damit  der  Flachs 
und  Mais  gedeihe;  jemehr  Hutler  gehen,  desto  bes- 
ser schlägt  die  Ernte  aus.^ 

In  vielen  Dörfern  des  Vinstgaues  laufen  am  unsinnigen  Don- 
nerstage und  Fastnachtadienstage  die  Schemen  herum;  Bursche, 
die  Gesichter  mit  Ruß  geschwärzt  oder  mit  schwarzem 
Tuche  vermummt,  welche  Hemden  als  Röcke  und  Riemen 
mit  je  einer  großen  Kuhschelle  als  Schärpen  tragen  und 
die  Begegnenden  mit  Kohlenstaub  anschwärzen.  In  ihrem  Zuge 
fehlt  niemals  ein  als  Weib  verkleideter  Bursch  „die  Maie  oder 
Kübele -Maia,"  der  Wasser  in  einem  Kübel  trägt  und  die  Um- 

1)  G.  Leonhardi,  Rhatische  Sitten  und  Gebräuche.  St.  Gallen  1844. 
S.  4.  5. 

2)  Rocbholz,  Alem.  Kinderlied  505, 100: 

„Der  erste  März  und  dann  April, 
hinaus  was  aus  dem  Stalle  will." 

3)  Zingerle,  Sitten«  135, 1196.  139,  1211  —  12. 


542  Kapitel  VI.    Yegetationsgcister :  SonnenKanber. 

stehenden  bespritzt,  oder  sogar  in  die  Bmnnentröge  springt  und 
Wasser  naoh  allen  Seiten  wirft.  ^    (Regenzauber.) 

Bei  lienz  fand  am  letzten  Faschingsabende  das  Perehten* 
laufen  statt,  eine  Art  Maskenzag,  die  Vermummten  hießen  Perch- 
ten ;  man  unterschied  sie  in  schöne  und  schieche  (häßliche).  Alle 
trugen  auf  dem  Kopfe  eine  große  Schellenspitzhaube  mit 
Rollen  und  Glöckchen  rings  umhangen,  vor  dem 
Gesichte  Larven  und  in  der  Hand  Stöcke,  die  der  schönen 
waren  mit  bunten  Bändern  geziert,  die  der  häßlichen  endig- 
ten in  einen  Teufelskopf.  Sie  sprangen  und  stürmten  in  wilder 
Lust  tobend  und  rasend  über  die  Gassen  und  in  die  Häuser. 
Gab  es  kein  gutes  Erntejahr,  so  schrieb  man  die  Hiß- 
ernte dem  unterlassenen  Perchtenspringen  zu.*  In  Mit- 
tersill  bilden  acht  bis  zehn  rüstige  Bursche  eine  Gesellschaft; 
zwei  von  ihnen  stellen  häßliche,  mit  Besen  bewaflhete  Gesellen 
vor,  die  Berchten.  Ihnen  folgt  ein  buntes  Gesindel  von  Hans- 
würsten u.  s.  w.,  dann  die  Tänzer  mit  festanliegenden ,  buntbe- 
bänderten Eleiderp,  auf  dem  Haupte  eine  Krone  von  Hahnen- 
federn, von  wo  unzählige  lichtfarbene  Bänder  auf  Schultern  und 
Rücken  herabflattem.  Eine  Larve  verdeckt  ihr  Gesicht,  am 
Ende  des  Rückens  haben  sie  eine  Alpenglocke  angehängt, 
die  den  Fußschlag  der  tanzenden  Gruppe  accompagniert.  So 
ziehen  sie  von  Pfarre  zu  Pfarre  und  begrüßen  die  besseren  Häu- 
ser, wo  ihnen  der  Tanz  mit  Brod  und  Branntwein  gelohnt  wird.^ 
Der  Name  Perchteln  ist  eine  Uebertragung  aus  dem  Epiphanias- 
gebrauche. Denn  an  den  „Perchtenabend,"  die  h.  Dreikönigs- 
nacht (Jan.  5.)  knüpfte  sich  die  besprochene  Sitte  ebenfalls  und 
daher  hatten  die  Festteilnehmer  den  Namen  Perchteln  oder  Perch- 
ten  erhalten;^  von  da  aus  erscheint  Spiel  und  Name  auf  die 
ganze  Zeit  der  Zwölften,  ja  auf  die  Adventszeit  rückwärts  aus- 
gedehnt. In  den  Rauchnächten  (den  drei  Donnerstagen  vor  Weih- 
nachten), ziehen  im  Pinzgau  100 — 300  Bursche,  die  Perchten, 
in  seltsamster  Vermummung  mit  Kuhglocken  und  knallen- 


1)  Zingerle  a.  a.  0.  136, 1198.  1200. 

2)  Zingerle  a.  a.  0.  138—39,  1209  —  10.     B.  Weber,  Tirol,  U,  174. 

3)  B.  Weber  bei   Bunge,   der  Bercbtoldstag   in   der  Schweiz.    Zürich 
1857.   S.  17.    Vemaleken,  Alpensagen  8.350,20. 

4)  Belege  ans  Dux  und  Kössen  bei  Zingerle  a.  a.  0.  128,  1148.  1150. 


Eornaafwerfen ,  PerchtelspriDgen ,   Faschingsmnl&ofe.  543 

den  Peitschen  bewaffnet  umher;  im  Gasteiner  Tal  geht  der 
Zug,  den  lustige  Burschen  bis  dreihundert  anfahren,  hüpfend  und 
springend  von  Ort  zu  Ort,  von  Haus  zu  Haus.^  Solche  Sitte 
des  Perchtenspringens  oder  Perchtenlaufens  ist  über  die 
ganzen  deutschen  Alpen  verbreitet.  In  Kalw  und  Betzingen  bei 
Tübingen  kennt  man  die  Sache  ohne  den  Namen.  Am  h.  Weih- 
nachtsabend laufen  die  Knaben,  lange  Stecken  in  der  Hand 
mit  Riemen  voll  Kuhschellen  behängt  von  früh  bis  spät 
durch  den  Ort  und  lärmen  und  läuten.  Vor  dem  Hanse  des  Pfar- 
rers  werden  sie  mit  Aepfeln  beschenkt.*  In  D'onaueschingen  und 
um  Tuttlingen  läuft  am  schmutzigen  Donnerstage  und  den  Fa- 
schingstagen der  Hanseli  in  den  Straßen  herum.  Er  trägt  einen 
Fuchsschwanz  im  Nacken,  große  Sträuße  von  Papier  und  Flit- 
tergold am  Kopfe;  sein  Gesicht  deckt  eine  schön  lackierte  höl- 
zerne Larve;  auf  Bücken,  Bauch  und  Beinen  sieht  man  allerlei 
gemalte  Figuren,  über  der  Brust  kreuzen  sich  zwei  mit  Schellen 
besetzte  Lederriemen,  die  einen  ohrzerreißenden  Lärm  geben, 
zumal  wenn  mehrere  Hanseiis  zusammenkommen.  In  Donau- 
eschingen wirft  der  Hansel  Aepfel  und  Birnen  unter  die  Kinder 
aus.'  In  Baiem  (Lechrain)  heißt  der  Donnerstag  vor  Fastnacht 
der  gumpige  Donnerstag  (von  gumpen,  lustige  Sprünge  machen). 
Dann  besuchen  die  Buben  des  einen  Dorfes  das  andere,  alle 
verkleidet  und  im  Gesichte  durch  Bemalung  mit  Büß  und  Mehl 
unkenntlich  gemacht.  In  Bettlaken  gehüllt,  den  Schellenkranz 
der  Rosse  um  den  Leib,  das  Haupt  mit  Hahnenfedern  geziert, 
das  sind  di^  gewöhnlichen  Masken,  deren  Anführer  der  Schel- 
lenrührer  heißt.  ^  Nach  der  Mitteilung  des  Herrn  Professor 
K.  Säve  in  Upsala  banden  auch  in  Dalame  die  Kinder  Früh- 
jahrs alle  erreichbaren  Kuh  -  und  Ziegenschellen  zusammen  und 
riefen:  „längt- lain!  längt -lain!^^  (langer  Flachs!) 

Durch  ganz  Deutschland  und  Skandinavien  war  der  Umlauf 
Vermummter  zu  Weihnachten  oder  Neujahr  oder  zu  Fastnacht 
gebräuchlich  und  überall  trug  er  wesentlich  denselben  Character. 


1)  Myth.«  256. 

2)  Meier  464,212.     Vgl.  den  Aufzog  der  Frau  Perchtel  im   Salzbiir- 
giflchen  nnd  im  Mölltal  in  Kärnten.    Weinhold,  Weihnachtsspiele  S.  20. 

3)  Beinsberg -Düringsfeld,  das  festliche  Jahr.    S.  38. 

4)  Leoprechting ,  Ans  dem  Lechrain  160,  26. 


544  Kapitel  VI.    Vegetationsgeister:  Sonnenzanber. 

Ans  Geilers  von  Kaisersberg  Schildenmg  ^er  Fastnachtnarren 
oder  Bntznarren  geht  hervor  ^  daß  im  Elsaß  die  Teilnehmer  an 
demselben  ^^vermammt  und  verbntzt  waren  ^  Sehellen  tragen,  sieh 
das  Gesicht  schwarz  bebrärmt,  berußt  oder  besudelt  hatten,  sich 
unsinnig  geberdeten,  als  sei  der  Teufel  in  sie  gefahren,  von 
einem  Hause  zum  andern  liefen  und  in  die  Stuben,  selbst  in  die 
Schlafzinmier  drangen,  um,  wie  sie  sagten,  das  Küchlein  (die 
Fastnachtsbretzel)  zu  holen/^  Sebast.  Franck,  Weltbuch  1534 
f.  L^  schildert  die  Fastnacht  der  Franken:  „EÜich  machen  sich 
als  die  teufel,  etlich  lauffend  nackend  on  alle  schäm  gar  ent- 
plößt  durch  die  statt.  Etlich  das  sy  kein  schäm  habend  ver- 
butzen  sj  sich  in  lamen  vnnd  schönpart,  das  man  sy  nit  kenne 
nit  seer  vngleich  den  heydnischen  Luperealischen  festen.  Femer 
f.  CXXXT^  von  der  Faßnacht  der  römischen  Christen  überhaupt: 
An  diesem  fest  pflegt  man  yil  kurtzweil,  spectackel,  spil  zu  hal- 
ten mit  stechen,  thurnieren,  tantzen,  rockenfahrt,  faßnacht- 
spil.  Da  verkleiden  sich  die  lettt,  lauffen  wie  narren  vnd  vnsin- 
nigen  in  der  statt  vmb,  mit  mancherley  abentheur  vnd  fantasei, 
Was  sy  erdencken  mögen,  wer  ettwas  närrisch  erdenckt  der  ist 
meyster.  Da  sihet  man  in  seltzamer  rttstung  seltzame  mumme- 
rei, die  frawen  in  mannskleydern,  vnd  die  mann  in  weib- 
licher waat. —  Die  herren  haben  yhr  faßnacht  an  einem 

Sontag,  darnach  auff  den  afftermontag  die  Leyen.  In  summa 
man  fahet  daran  an  allen  m&twiU  vnd  kurtzweil  Etlich  lauffen 
on  alle  schäm  allerding  nackend  umm.  Etlich  kriechen  auff 
allen  vieren  wie  die  thier,  etlich  brütlen  narren  auß,  etlich  seind 
mttnch,  kttnig  etc.  auff  diß  fest,  des  wol  lachens  werdt  ist  Ett- 
lieh  gehen  auff  hohen  steltzen  mit  flttgeln  vnd  langen  schnäbeln 
seind  storcken.      Etlich  Beren,  etlich  wild  Holtzleut,    ettlich 

Teufel — ."     Sebastian  Franck  schöpft  aus  Bo€mus  Auba- 

nns  (mores,  leges  et  ritus  omnium  gentium  L.  III):  Qui  sc  Indi- 
cro  illi  committunt,  facies  larvis  obducunt,  sexum  et  aetatem 
mentientes  viri  mulierum  vestimenta,  mulieres  virorum  induunt 
Quidam  satyros  aut  malos  daemones  potius  repraesentare  volentes 
minis  sc  aut  atramento  tingunt  habituque  nefando  deturpant: 
alii  nudi  discurrentes  Lupercos  agunt  ....  per  urbem  vagantes 
obvios  ....  saccis  cinere  refertis  percutiunt.^    Thomas  Naogeor- 


1)  Jo.  BoSmas  Aubanas,  Mores,  Lugdani  1576  p.  277. 


Komanfwecken,  Perchtelspringen ,  Fascbingsümlaofe.  545 

gos^  fahrt  diese  Schilderung  weiter  ans.  Man  stellte  Schein- 
kämpfe an  (sunt  qui  concurrant  infestis  eminus  hastis, 
aut  pugnam  armati  coeptent),  das  Pablicum  nahm  Partei  fOr 
die  eine  oder  die  andere  Seite  und  lohnte  die  Sieger  mit  einer 
gewissen  Quantität  Wein.  Andere  liefen  in  Teufelsgestalt  mit 
geschwärztem  Gesicht  durch  die  Stadt.  (Ast  alii  horribiles  vul- 
tus  torvamque  figuram  Daemonis  induti  tota  spaciantur  in  urbe^ 
atqne  occurrentes  terrent,  puerosque  sequuntur  u.  s.  w.  *)  In 
größeren  Städten,  in  Nürnberg,  wo  die  Umlaufenden  Schemen, 
Schembafte,  Schönbarte  genannt  waren,'  und  in  Köln,*  waren 
die  Umzttge  schon  früh  mit  aller  Art  Pomp  und  fremdartigem 
Beiwerk  beladen  worden,  gewisse  Grundzüge  blieben  aber  durch- 
stehend und  fast  ttberall  wiederkehrend.  Dazu  gehörte  1)  ein 
ungeberdiger  Lauf  durch  die  Straßen,  sodann  2)  Vermum- 
mung oder  Schwärzung  der  Gesichter  (hieraus  ist  sichtlich 
erst  die  Teufelslarve  entstanden  und  abgeleitet),  3)  die  Aus- 
rüstung mit  Schellen,  4)  der  Kleidertausch  zwischen  den  Geschlech- 
tem, 5)  die  Einkehr  in  die  Hänser,  um  Victualien,  zumal  „das 
Küchlein,''  d.h.  die  sogenannten  Fastnachtbretzeln,  d.  h. 
ringförmige ,  oder  Fastnacht fl ade n,  d.  h.  runde  scheiben- 
förmige Fasttagsgebäcke  abzuholen,*  welche  den  o.  S.  466  bespro- 
chenen Funkenringen  entsprechen  und  somit  an  eine  einstige 
Verbindung  des  Umlaufs  mit  dem  Frühlingsfeuer  erinnern.  Da 
vielfach  (z.  B.  im  Harz)  Bretzeln  den  Entgelt  der  Mädchen  an 
die  Burschen  für  das  Stäupen  mit  Birkenzweigen  ausmachen, 
erhellt  auch  hier  wieder  die  nahe  Verwandtschaft  der  Fastnachts- 
mummerei  mit  dem  Umzüge  behufs  des  Schlags  mit  der  Lebens- 
rate.  Das  Abholen  der  Bretzel  weist  zugleich  auf  jene  ältere 
Gestalt  des  Umzugs  zurttck,   wonach  man  einst  als  Tribut  fUr 

1)  Begnum  Papisticom  L.  lY.  Basileae  1559.   p.  140  ff. 

2)  Vgl.  die  Markgräfl.  Brandenbnrgisch  -  Culmbachische  Polizeiordnung 
von  1622,  worin  auch  das  „schändliche  Mummen  oder  Fastnachtkleiden" 
streng  verboten  wird:  ,»da  die  Frawen  in  Manns-,  und  der  Mann  in  Frawenklei- 
dem,  auch  wol  des  bösen  Feinds  Gestalt,  oder  sonst  abschewli^h  und  grew- 
lieh  sich  verstellen  und  verkleiden.'' 

3)  Panzer  11,246—50. 

4)  Journal  von  und  fßr  Deutschland  1785.    S.  452. 

5)  Vgl.  auch  die  Gerichtsordnung  des  Klosters  Adelsberg  v.  J.  1502 
bei  Besold,  Docum.  rediv.  Monast.  Wirtemberg.  p.  m.  70.  Haltaus  -  Scheffer, 
Jahrzeitbuch.    Erlangen  1797.    p.  203. 

Mftxialiiardt.  35 


546  Kapitel  VI.    Vegetation ageister:  Sonnenzanber. 

eine  durch  denselben  yoUfÜhrte  segensreiche  Leistung  von  jedem 
Haasstande  als  Steuer  den  Kuchen  erhob.  Wir  mttssen  es  uns 
versagen,  auf  die  niederdeutsche  und  skandinavische  Form  des 
Gamevals  (Schödttwellöp ,  Fastelaunslöben)  näher  einzugehen. 
Ich  will  nur  darauf  aufmerksam  machen ,  daß  wir  fast  alle  jene 
Züge,  das  Schwärzen  des  Gesichtes  (o.  S.  322.  336.  366.), 
den  Kleidertausch  der  Geschlechter  (o.  S.  412),  die 
Schellen  1  (o.  S.  325.  327.  334.  416.  440)  schon  bei  den  Reprä- 
sentanten des  Vegetationsdämons  (Herbstschmudl ,  Pfingstlflmmel, 
Maikönig,  Schnak,  Kudemest,  wilde  Mann,  Hans  Trapp, 
St.  Niclas,  Jarilo),  dem  Frtthlingsbrautpaar  antrafen.  Schellen 
trugen  auch  die  Nürnberger  Schönbartläufer  an  Hals ,  Gürtel  und 
Kinn,  nicht  minder  an  den  Knien  die  Schwerttänzer  in  Hessen, 
Ditmarschen,  Schlesien  und  Schweden;*  die  englischen  Morris 
dancers,  die  zu  Ostern,  am  Maitage,  zu  Himmelfahrt,  Pfingsten 
und  auf  Hochzeiten  auftraten,  zu  deren  ältestem  Personale  die 
Lady  of  the  May,  May  queen,  der  Narr,  der  Pfeifer,  mehrere 
Tänzer*  und  wol  auch  das  dem  (o.  S.  541)  erwähnten  Fastnachts- 
rößlein  entsprechende  Hobbyhorse  gehörten,  hatten  sowohl  mit 
Ruß  geschwärzte  Gesichter/  als  Schellen   an  den  Beinen.    Alle 

1)  Vgl.  Weinhold,  Weihnachtspiele  S.  22. 

2)  Müllenhoff ,  Schwerttanz  S.  16.  21.  13. 15. 

3)  Diesen  Bestand  weist  n.  a.  das  zwischen  1460  — 1470  verfertigte 
Bild  des  Israel  von  Mecheln  (Donce  Illustrations  of  Shakespeare  II ,  446)  auf. 
Später  hieß  die  Lady:  „Maid  Marian."  Ein  unter  Jacob  I.  von  Vinkenbocm 
verfertigtes  Gemälde  zeigt  7  Figuren,  Narr,  Hobby -horse,  Maid  Marian, 
und  3  Tänzer  (Donce  a.  a.  0.  470).  Der  Name  Maid  Marian  ist  augenschein- 
lich aus  einem  französischen  Pfingstspiele  herübergenommen,  le  jeu  du  ber- 
ger et  de  la  bergfere ,  das  zur  Zeit  des  lebhaften  Verkehrs  während  der  eng- 
lisch französischen  Kriege  saec.  XIV — XV  in  Frankreich  sehr  beliebt  war 
und  in  welchem  Bobin  und  Maid  Marian  die  Hauptcharaktere  waren.  Cf. 
du  Gange  s.  v.  Bobinetus.  Liter,  remiss.  a.  1392:  Jehan  le  Begue  et  cinq 
ou  siz  autres  escoliers ,  ses  compagnons  s'en  alerent  jouer  par  la  ville  d^ An- 
glers, Bob  in  et  Marion,  ainsi  qu'il  accoustum^  de  faire  chascun  an  les 
foiriez  de  Penthecouste  en  la  ditte  ville  d'Angiers  par  les  gens  du  pays, 
tant  par  les  escoliers  et  filz  de  bourgois  comme  autres.  Daher  denn  die  Um- 
taufe des  au  Seite  der  Mylady  auftretenden  Lord  of  the  May  in  Bobin  oder 
Bobin  Hood.  Cf.  Douce  a.  a.  0.  451.  Man  sieht  den  Ungrund  der  bei  deut- 
schen Mythologen  so  beliebten  Identifizierung  von  Bobin  Hood  und  Wodan. 
Als  weitere  Personen  der  Morristänze  kamen  noch  hinzu  Little  John,  Friar 
Tuck,  endlich  noch  zuweilen  ein  Drache  und  St.  Georg. 

4)  Junius  (Du  Jon)  has  informed  us  (Btymologicum  Anglicanum)  that 
the  morris  danoers  usually  blackened  their  faces  with  soot,  that  they  might 


EornanfweckeD ,  PerchtelBpringcn ,  FaschingsTunlaiife.  547 

diese  Spiele  sind  im  wesentlichen  mimische  Frtthlingsgebräuche 
von  verwandtem,  mythischem  Inhalte.  Gehört  zur  Ausrüstung 
ihrer  Figuren  die  Schelle  seit  alter  Zeit  und  so  zu  sagen  begriffs- 
mäftig;  oder  ist  sie  erst  im  14.  oder  15.  Jahrhundert,  als  diese 
Tracht  in  Deutschland  flir  den  Adel  und  die  vornehmen  Bttrger, 
in  Frankreich  und  England  auch  ftlr  die  Narren  allgemein  wurde/ 
in  jene  Darstellungen  hineingetragen  worden?  Ist  letzteres  der 
Fall,  und  dafür  spricht  beim  ersten  Anschein  die  Uebereinstim- 
mung  des  Aufputzes  mit  dem  im  Ausgange  des  Mittelalters 
gebräuchlichen,  so  gehören  die  Schellen  weder  beim  Eomauf- 
wecken.  Grasausläuten,  noch  beim  Perchtelspringen  (o.  S.  542) 
zum  wesentlichen  Bestände  des  Brauches,  und  das  laute  unsin- 
nige Geschrei  beim  Umlauf  durch  die  Felder  dttrfte  der 
Weckruf  gewesen  sein,  durch  den  man  vordem  die  schlafende 
Vegetation  wieder  ins  Leben  zu  bringen  resp.  die  Geister  des 
Todes  und  Mißwachses  zu  bannen  vermeinte.  Die  Hutler  o.  S.  541 
bedienen  sich  ja  zu  gleichem  Zwecke  nur  des  Peitschengeknalles. 
Dieser  Auffassung  stellen  sich  doch  nicht  unwichtige  Bedenken 
entgegen.  Ließe  es  sich  auch  als  abgeleitete,  durch  Umdeutung 
entstandene  Form  begreifen ,  daß  zuweilen  (vgl.  z.  B.  den  Kuder- 
nest  0.  S.  325,  die  Knaben  der  VII.  communi  o.  S.  540)  die  Glocke 
vin  der  Hand  statt  an  der  Kleidung  getragen  wird,  so  scheint  es 
doch  ohne  die  Annahme  eines  schon  älteren  Vorhandenseins  der 
Schelle  in  diesen  mythischen  Darstellungen  schwer  erklärlich, 
wie  dieselbe  nicht  allein  in  die  Krone  des  Maikönigs  (o.  S.  342) 
und  das  Laubgestell  des  Latzmanns  (o.  S.  325),  sondern  auch  an 
die  Kleidung  des  russischen  Jarilo  (S.  416)  und  auf  den  Kttcketi 
des  die  Getreidehenne  am  Shrove  -  Tuesday  darstellenden  Spielers 
in  England  (S.  327)  geriet.  Da  diese  Schaustellungen  schwerlich 
vom  Perchtelspringen  zu  trennen  sind ,  erscheint  mir  die  zunächst 
sich  darbietende  einfache  Erklärung,  wie  der  Klang  der 
geweihten    Kirchenglocke    vermeintlich    die  Wetterdä- 


be  better  pasa  for  Morris.  Donce  a.  a.  0.  434.  Sollte  nicht  der  Name  Mor- 
ris dancers^  Morris  dances  (in  den  ältesten  Erwähnungen  in  den  Churchwar- 
dens  Books  of  Kinston  up  Thames  unter  Heinrich  VII.  Mores  dawnsars^ 
Mores  garments)  einfach  daher  rühren,  daß  man  die  im  Gesichte  geschwärz- 
ten Tänzer  als  Mohren  auslegte? 

1)  8.  J.  Falke,  die  deutsche  Trachten-  nnd  Modenwelt.    Lpzg.  1858. 
TL  1,  149.  236—245. 

35* 


548  Kapitel  VI.    Vegctationsgeister:  Sonnenzanber. 

monen  vertreibt/  solle  das  Glockengeläute  auf  den  Al- 
men die  dem  Wiesenwuchs  feindlichen  Geister  vernich- 
ten, nicht  ausreichend.  Die  Glocken  und  Schellen  der  Perch- 
teln  u.  s.  w.  sind  ja  auch  weder  Eirchenglocken,  noch  geweiht 
Die  Kedensart  ^^das  Korn  aufwecken;  den  Langas  wecken,"  setzt 
Personification  des  vegetativen  Lebens  voraus.  Durch  den  Hud- 
1er  (o.  S.  268.  541)  vermitteln  sich  der  Umlauf  zum  Komauf- 
wecken  und  jener  Umlauf  mit  der  Lebensrute  zum  Aufwecken 
der  Langschläfer,  auch  die  Perchteln  tragen  noch  lange  Stöcke. 
Die  mit  Ruß  geschwärzten  Gestalten  sehen  dem  Mohrenkönige, 
Kaminfeger  oder  schwarzen  Teufel  der  Pfingstlümmelspiele 
(o.  S.  322.  349.  352.  365.  367)  u.  s.  w.  älmlich.  Da  schon  den 
Römern  die  Schelle  (tintinnabulum)  selbst  in  der  Verwendung  als 
Kuhglocke  bekannt  war ,  nach  einer  gütigen  Mitteilung  des  Herrn 
Geheimrat  Schaaffhausen  in  Bonn  eine  solche  kürzlich  auch  in 
einem  fränkischen  Grabe  zum  Vorschein  kam^  kann  die  Verwen- 
dung desselben  in  unseren  Gebräuchen,  keinen  unbedingten 
Beweis  fbr  die  späte  Entstehung  der  letzteren  abgeben.  Aus 
allen  diesen  Gründen  möchte  ich  es  fttr  wahrscheinlich  halten, 
daß  die  Ausrüstung  der  Perchteln  schon  seit  alter  Zeit  die  Schelle 
oder  das  Glöckchen  enthielt  (cf.  o.  S.  325.  327),  im  15.  Jahrh. 
aber  der  herrschenden  Mode  annähernder  gemacht,  und  daß 
zugleich  die  ältere  Auffassung  des  Umlaufs  als  in  eine  Vertrei- 
bung der  Hexen  und  Feldgespenster  durch  Glockenschall 
umgedeutet  wurde.  Ursprünglich  wird  —  wie  oben  vermutet  — 
der  laute  Ruf,  Peitschengeknall  u.  dgl.  die  Glocken  ersetzt  haben. 
Wenn  der  Vergleich  der  Schemen,  Perchteln,  Fastnachtbutzen 
mit  dem  Pfingstbutz,  Kudemest,  Latzmann  u.  s.  w.  stichhaltig  sein 
sollte ,  müßte  angenommen  werden,  daß  auch  sie  nach  der  Absicht 
der  ursprünglichen  Veranstalter  ihres  Umlaufs  Vegetationsdämonen 
repräsentierten,  die  durch  ihr  bloßes  Erscheinen  und  Rufen  i^e 
das  Wachstum  hindernden  Mächte  vertrieben,  die  noch  schlummern- 
den Geister  der  Gräser^  und  Halme  zu  neuem  Leben  erweckten. 

§  12.    Seheinkampf   beim  Mittsommerfeuer.     Mit   dem 

Frühlingsfeuer  und  vielleicht  ursprünglich  auch  dem  Mittsommer- 


1)  Vergleiche,  daß  im  Hildesheimischen  auf  Himmelfahrt  die  Mftdchen 
mit  allen  Glocken  vom  Tnnne  länten,  um  gnte  Flachsernte  zn  bekommen. 
Seifart  U.   S.  140. 


Scheinkampf  beim  Mittsommerfeuer.  "  549 

fener  war  aufter  dem  Umlaufe  zum  Kornwecken  noch  ein  anderer 
Brauch  verbunden,  der  auf  die  Fruchtbarkeit  des  Feldes  Bezug 
hatte.  Der  Sonntag  Invocavit  ftlhrte  neben  dem  Namen  dimanche 
des  brandons  auch  die  Benennung  behourdis^  von  behourd  mit- 
tellat.  behordium,  mhd.  buhurt  Kampfspiel,  wobei  zwei  ganze 
Scharen  auf  emander  eindrangen  und  mit  Schwert,  Schild  und 
Speer,  oder  da  es  ein  bloßes  Schauspiel  zur  Kurzweil  galt, 
mit  Keulen  oder  Stäben  (bouhours,  mittellat.  bordae)'  gegenein- 
ander fochten.  Solche  Scheinkämpfe  mit  Kntltteln  und  Stöcken 
pflegten  die  Bauern  und  Städter  in  den  beiden  ersten  Fasten- 
sonntagen zu  liefern.^  Liter,  remiss.  ann.  1424  ap.  Du  Gange 
Y.  brandones:  „Comme  le  jour  des  brandons  iceulx  compaignons 
tenant  bouhours  en  leurs  mains  desqueiz  ils  esbatoient  Tun 
Gontre  Fautre.''  Lucien  de  Bosny  schildert  in  seiner  Chronik  den 
Einzug  Louis  XI.  in  Lille:  „Le  18.  Fdvrier  1463  le  roy  Loys  se 
partist  de  Toumay  et  s'en  alla  ä  Lille  -  les  -  Flandres ,  lequel  jour 
estoit  le  quatriesme  de  caresme,  nuit  de  behourdich,  que  lors 
on  a  accoustumd  en  la  dicte  ville  de  jouster.'^  Daß  dieses  Spiel 
neben  dem  Fackellaufe  herging,  geht  aus  folgender  Angabe  her- 
vor. Liter,  remiss.  1393  Du  Gange  v.  brandones:  Gomme  le 
jour  des  brandons  plujsieurs  jeunes  gens  bouhourdaient  les 
uns  contre  les  autres,  Jehannin  de  Douligier  prist  une  oupille 


1)  Liter,  remiss.  ann.  1393:  „Le  preinier  Diiuanche  de  qaaresme  appelle 
le»  brandons  on  behourdiz.*^    Du  Cange,  s.  v.  brandons. 

2)  Daher  heißt  der  Sonntag  Invocavit  schon  ann.  1249  bordae.  Du 
Gange  s.  v. 

3)  Vgl.  Sebast.  Brand,  Nanenschiff,  Kap.  110»»  v.  76 ff.  S.  112  Zarncke, 
von  der  Fastnacht:  „so  ladt  man  dann  zu  dantz  vnd  stechen,  Do  müsz  man 
erst  die  sper  brechen  Vnd  bringen  narren  recht  zu  samen.  Buren  hantwerck 
dünt  sich  nit  schämen  Vnd  nemen  sich  euch  stechens  an^  Der  mancher  doch 
nit  ryten  kan.  Hiezu  s.  Zarnckes  Comnientar:  „Im  16.  Jahr,  war  Turnieren 
(stechens)  eine  gewöhnliche  Fastnachtlustbarkeit  in  den  Städten  Oberdeutsch- 
lands, namentlich  der  vornehmen  Geschlechter,  doch  auch  der  geringeren 
Bürger  und  selbst  der  Bauern;  ein  solches  Turnier  beschreibt  uns  ausführ- 
lich K.  Witten  Weilers  Ring  11«  13  ff.  [geschr.  vor  1463],  auch  der  nd.  Ueber- 
setzer  kennt  diese  Sitte:  „Man  richtet  denne  oek  an  stekespyl.  Eyn  b&th 
den  anderen  to  steken  uth.  Dat  d&nket  den  narren  wesen  gud.  Amptgesel- 
len  vnd  andere  kumpanen  Brinckt  men  tohope  up  de  bauen.  Fallet  sik  lam 
vnd  kvmpt  yn  noet  Moet  denne  ynt  older  bidden  broet.  Eyn  yslick  desser 
geckheit  lacht  De  däuel  helft  dessen  narren  bedacht.''  Hiezu  füge  man  das 
0.  S.  544  ansgehobene  Zeugniß  aus  Seb.  Franck. 


550  Kapitel  VI.    Yegetationsgeifiter :  Sonnenzauber. 

(Strohfackel)  allum^e  de  feu,  comme  plusiears  autres  gens  et 
enfants  avoient.  Wir  sahen  (o.  S.  536) ,  daß  in  Valenciennes  der 
Name  bouhours  sogar  auf  die  Strohfackehi  übergegangen  ist 
Aus  Zürich  berichtet  Vemaleken  (Alpensagen  S.  356) :  ^^  Am  Hirß- 
montage  (dem  ersten  nach  Aschermittwoch,  Tag  nach  Inyocavit) 
kam  die  Jugend  der  benachbarten  Gemeinden  in  verschiede- 
nen Zügen  mit  Gewehr  und  Waffen  in  die  Stadt  Zürich 
und  marschierte  darin  herum.  Diejenigen  von  Wiedikon 
brachten  neben  allerhand  Böken  den  Chridigladi  (s.  o.  S.  430). 
Abends  waren  Feuer  (Funken)  angezündet.  Der  Hirs- 
montag war  ehedem  kriegerischen  Spielen  und  Jagd- 
übungen gewidme t.^^  Die  Verbindung  der  bouhours  mit  dem 
Fackelschwingen  läßt  darauf  schließen ,  daß  diese  Scheinkämpfe 
auch  eine  symbolische  Beziehung  zur  Beförderung  des  Frucht- 
wuchses hatten.  Losgelöst  von  dem  Feuer  treten  uns  dieselben 
auch  in  anderen  Gegenden  zur  Fastnachtszeit,  am  Maitage  und 
zu  Johanni  entgegen.  Im  Freienamte  ziehen  am  Hirsmontage 
(dem  Tage  nach  Invocavit)  zwei  ganze  Gemeinden  gegen  einan- 
der zu  Felde ,  nachdem  die  eine  der  andern  eine  Kriegserklämng 
zugesandt,  etwa  mit  dem  Vorgeben,  dieselbe  habe  ihr  einen 
Geishirten  geraubt  und  sie  wolle  ihn  nun  rächen,  oder  zurück- 
erobern.^ Im  Entlibnch  (Luzem),  sagt  Bochholz,^  wurde  am 
Hirsmontage  der  Hirsmontagsschwung  abgehalten,  den  der  Pfar- 
rer Stalder  von  Escholzmatt  (Fragmente  über  das  Entlibuch)  so 
ausführlich  beschrieben  hat.  Es  war  ein  Scheingefecht,  das 
nachdrucksam  und  unter  großem  Pompe  teils  um  Fastnacht,  teils 
um  Mai  und  Ostern,  auch  um  Pfingsten  zwischen  verschiedenen 
Talschaften  und  Ortschaften  militärisch  begangen  wurde.  Ein 
solches  Gefecht  pflegten  auch  die  Luzemer  Nachbarorte  Eoiutwii 
und  Büren  sich  alljährlich  zu  liefern.  Die  Eriegsankündignng 
geschah  in  Knüttelversen;  ein  großer  Schmaus  vereinte  beide 
Parteien  nach  langen  und  listig  durchgeführten  Manövern.  Im 
Emmental  (Kanton  Bern)  hielten  die  Dörfer  Wyningen  und  Aflfol- 
tem  bei  Burgdorf  zur  Maienzeit  einen  „Schimpf kriegt  ab;  die 
ganze  Mannschaft  zog  zu  Fuß  und  Roß  unter  ihren  Ortsfahnen 
aufs  Oberfeld  und  scharmutzierten  da  miteinander.    Darauf  zogen 


1)  Eochholz,  Alpensagen  U,  197.    Ders.  Alem.  Einderl.  485. 

2)  Alem.  Kinder!.  484. 


Seheinkftmpfe  beim  Mittsoinmeifener.  551 

sie  Paar  um  Paar,  je  ein  Affoltrer  und  ein  Wyninger  zusammen 
ins  Dorf  zurtick,  wurden  vom  Ammann  mit  einer  Bewillkomm- 
nungsrede  empfangen  und  kostenfrei  bewirtet.  Dann  geschah 
dasselbe  acht  Tage  darauf  zu  Affoltem.^  In  Brabant  und  Lim- 
burg teilen  sich  am  Nachmittage  des  Frohnleichnamsfestes  resp. 
der  EirmeB  die  Schützen  in  zwei  Heerhaüfen ,  die  sich  bekämpfen 
und  von  denen  die  eine  Partei  das  Dorf  besetzt  und  verteidigt^ 
die  andere  belagert  und  erstürmt.^  Viel  altertümlicher  hatte  sich 
der  Brauch  in  Graubttnden  bis  ins  16.  Jahrb.  erhalten.  Ich 
gebe  nachstehend  wörtlich  den  Bericht  von  Tschudi  aus  dessen 
^yGrundtliche  vnd  warhaffte  beschreibung  der  vralten  Alpischen 
Bhetie''  etc.    Basel  1538.    Bl.  28  vw. 

Von  den  Stopffem. 
In  obgedachter  Riuier  der  Etuatiem ,  zu  ylantz  Lugnitz  vnd 
in  der  Gr&b  ist  der  sitt  von  haydnischen  zyten  harkommen,  das 
sy  zu  ettlichen  iaren  gemein  versamlungen  hond,  verbutzend 
sich,^  legend  harnasch  vnd  gwör  an  ynnd  nimpt  yeder 
ein  starken  grossen  stecken  oder  knttttel,  ziehend  also  in 
einer  harscht^  mit  einandem  von  eim  dorff  zum  andern,  thuüond 
hoch  sprüng  und  seltzam  abenthür,  als  sy  by  warheyt  veriehend, 
das  sy  söllich  sprfing,  nach  hinthüung  jrer  hämisch  und  endung 
jres  fdmemens  sollicber  höhe  un  wyte  niendert  gethün  mögend. 
Sy  louffend  starcks  anlouffs  in  einandren,  stossend 
vnd  putschend  mit  krefften,  ye  einer  an  den  andern, 
das  es  erhilt,  sy  stopffend^  lut  mit  jren  grossen  stecken 
(bl.  29  VW.)  danenthar  werdend  sy  daselbß  z&land  die  stopflfer 
genempt,  sy  thünds  das  jne  jr  körn  dester  hasz  geraten  sol,  hal- 
tend also  disen  aberglouben.^  Joh.  Stumpf,  Pfarrer  zu  Bubikon 
bei  Zürich,  der  1548  seine  Schweizer  Chronik  herausgab,  giebt 

1)  Nach  der  1653  verfaßten  Chronik  des  Bauers  .Tost  von  Brachershau- 
sen  über  den  Banemkrieg.  Schnbler,  iSitten  und  Taten  der  Eidgenossen  III, 
367  bei  Bochholz  a.  a.  0.  483. 

2)  Zs.  f.  D.  Myth.  I,  176. 

3)  Vermummen  sich  als  Masken. 

4)  barst  ==  Heer,  Heerhaufe.  Weigand,  D.  WB.  I,  481.  Grimm  WB. 
IV,  2,  498. 

5)  stopfen  =  stechen.    Weigand  WB.  II ,  836.  unter  stupf. 

6)  Aus  Tsehudi  entnahm  diesen  Brauch  Sebastian  Münster  (Eosmogra- 
phei  III.  cap.  235) ,  aus  diesem  Eirchhoff  ( Wendunmuth  Frankf .  a.  M.  1602. 
IV,  286,  235. 


552  Kapitel  VI.    Yegetationsgeister :  Sonnenzauber. 

den  Bericht  Tschndis  mit  einigen  Zusätzen  wieder,  aus  denen 
hervorgeht;  daß  der  Umlauf  und  das  Gefecht  der  Stopfer  mei- 
stens zur  Zeit  der  Sonnenwende  statt  hatte,  zu  seiner  Zeit  aber 
schon  obsolet  geworden  war  und  in  keiner  Achtung  mehr  stand.  ^ 
Was  die  französischen  Zeugnisse  vermuten  ließen,  findet  hier 
seine  völlige  Bestätigung;  das  Kampfspiel  hat  nicht  minder, 
als  der  Fackellauf  eine  vermeintliche  Einwirkung  auf  das 
Gedeihen  der  Saaten.  Wo  wir  sonst  noch  dem  Brauche  zur 
nämlichen  Jahreszeit  begegnen,  ist  diese  Beziehung  schon  abge- 
streift. Im  Birresbom  und  andern  Orten  der  Eifel  zog  die 
Jugend  des  Dorfes  am  Kachmittage  des  Johannistages  in  zwei 
Abteilungen  geschaart  und  an  zweien  Ufern  eines  Baches  oder 
Grabens  aufgestellt  gegen  einander  los,  schlug  sich  mit  Hasel- 
ruten, suchte  sich  gegenseitig  die  Gerten  zu  entwinden  und  die 
Gegner  in  die  Flucht  zu  schlagen.  Das  hieß  „den  Ewischten 
schlagen.^' ^  Im  Dorfe  Belling  bei  Pasewalk  ziehen  die  Bauern 
am  Sonntage  vor  Johannis  in  zwei  Abteilungen,  die  Herren  zu 
Fuß,  die  Knechte  zu  Pferde  morgens  früh  aus  dem  Dorfe  aufs 
Feld  und  kämpfen  mit  einander,  wobei  die  Eoiechte  meistenteils 
gewinnen.  Nachher  ist  Scheibenschießen;  der  beste  Schütze 
wird  König  und  geschmückt  ins  Dorf  geführt.^  Außer  Stande 
eine  durchschlagende  Meinung  zu  begründen,  sehe  ich  davon  ab, 
auch  nur  eine  Vermutung  über  die  Bedeutung  des  „  Schimpfspiels  ^' 
vorzutragen.* 


1)  Vonbnn,  Beitr.  z.  D.  Myth.  Chur  1862.  S.  21.  Auch  Ulrich  Cam- 
peU  erwähnt  dieses  Volksbraaches.  S.  11  und  bemerkt:  ,,Mit  diesem  Gebrauche 
hing  früher  der  Glaube  zusammen,  daß  dessen  Ausübung  ein  frucht- 
bares Jahr  bringe." 

2)  Schmitz ,  Sitten  und  Bräuche.    Trier  1856.    S.  43. 

3)  Kuhn,  Mark.  Sag.  331. 

4)  Daß  dieses  in  der  Tat  ein  feststehender  Typus  war,  dafür  sprechen 
merkwürdige  asiatische  Analogien.  In  Nepal  liefern  sich  die  jungen  Leute 
in  der  nördlichen  und  südlichen  Vorstadt  Eathmandus  Gefechte,  um  daraus 
VoraiLssetzungen  für  die  Fruchtbarkeit  des  kommenden  Jahres  zu  ziehen, 
A.  Bastian,  Wanderungen  in  Eambodja.  Ausland  1865.  p.  1160.  „Das 
dritte  Hauptfest,  welches  in  Maleyala  gefeiert  wird,  heißt  Onain  und  fallt 
jedesmal  auf  den  Neumond  im  September.  Dann  hört  es  auf  zu  regnen. 
Die  Natur  yerjüngt  sich ,  die  Blumen  sprießen  von  neuem  hervor ,  die  Bäume 
schlagen  wieder  aus-,  es  ist  die  Jahreszeit,  die  wir  in  Europa  Früh- 
ling nennen.    Das  Fest  scheint  in  der  Absicht  eingesetzt,  etn  gesegnetes 


Das  Pflagomzielien.  553 

§  13.  Das  Pflngumziehen*  Unsere  Dentong  der  Früh- 
lings- und  Mittsommerfener  als  Nachbildungen  des  Sonnenfeuers, 
der  Sommerhitze  und  der  Fackeln  als  Darstellungen  der  Gewitter, 
welche  zum  Gedeihen  der  Vegetation  notwendig  sind,  empfängt 
Bestätigung  durch  den  englischen  und  deutschen  Brauch  des 
Pflugumziehens.  Sebastian  Franck  im  Weltbuche  1534  f.  51* 
teilt  mit  „  an  dem  Rhein,  Frankenland  und  etlichen  anderen  orten 
samlen  die  jungen  gesellen  all  dantzjunckfrauwen  vnd  setzen  sy 
in  ein  pflüg  und  ziehen  yhren  spilman,  der  auf  dem  pflAg  sitzt 
vnd  pfeift,  in  das  wasser;  an  andern  orten  ziehen  sy  ein 
feurinen  pflflg  mit  einem  meiilerlichen  darauff 
gemachten  feur  angezündet,  bis  er  zu  trümmern 
f  e  1 1.^'  In  Klein-Ludosch  in  Siebenbürgen  im  Unteralbenser  Komi- 
tat  hat  man  bei  anhaltender  Dürre  den  Brauch,  dafi  einige 
Mädchen  sich  gänzlich  entkleiden  und  angeführt  von  einer  eben- 
falls nackten  älteren  Frau  eine  Egge  stehlen.  Diese  tragen  sie 
in  einen  Bach  aufs  Feld.  Dann  setzen  sie  sieh  auf  die  Egge 
und  unterhalten  während  einer  Stunde  auf  allen  4 
Ecken  derselben  ein  kleines  Flämmchen.  Hierauf 
lassen  sie  die  Egge  im  Wasser  liegen  und  gehen  nach  Hause. 
Aus  England  erwähnt  Brand  I,  506  „In  a  compendions  treetise 
dialogue  of  Dives  and  pauper  1493  among  superstitions  censured 
at  the  beginning    of  the  year  we   find  the  following: 


und  fruchtbares  Jahr  zu  erflehen.  Es  dauert  acht  Tage,  während  welcher 
die  Inder  ihre  Häuser  mit  Blumen  schmücken  und  mit  dem  Dünger  der  Kuh, 
dieses  heiligen  Tieres  der  Lakshmi,  d.  i.  der  indischen  Ceres,  hestreichen. 
Auch  legen  sie  hei  der  Gelegenheit  neue  Kleider  an,  werfen  alle  alten  Töpfe 
weg  und  ersetzen  sie  durch  neue.  Die  Mannspersonen,  besonders  junge 
Leute  ^  formiei'en  zwei  Heere  und  schießen  mit  Pfeüen  auf  einander j  die 
zwar  abgestumpft ,  aber  sehr  stark  sind  und  mit  großer  Gewalt  abgeschnellt 
werden,  so  daß  es  auf  beiden  Seiten  eine  ganze  Anzahl  Verwundeter  giebt. 
Zu  Ehren  des  Vishnu  pflegen  sie  bei  dieser  Gelegenheit  ein  großes  Bad,  das 
Symbol  des  Gottes  [Vishnu  war  ursprünglich  Sonnengott]  atis  Blumen  zu 
verfertigen  und  in  den  Vorhöfen  ihrer  Häuser  aufzustellen.  Sie  geben  dadurch 
auf  sinnreiche  Art  zu  verstehen,  dafi  die  Sonne  nunmehr  nach  Verlauf  der 
Begenzeit  wieder  im  Annähern  begriffen  sei  und  ihre  Herrschaft  gleichsam 
von  neuem  antrete."  Fra  Paolino  da  San  Bartolomeo,  Reise  nach  Ostindien 
hrsg.  V.  R.  Forster.  Berlin  1798.  S.  362.  Hier  begegnen  wir  sogar  dem 
auch  beim  Sonnwendfeuer  gebräuchlichen  Sonnenrade  wieder.  Ueber  die 
merkwürdige  Parallele  im  homerischen  Hymnus  an  Demeter  v.  266  werde  ich 
demnächst  an  anderem  Orte  ausführlicher  yerhandeln. 


554  Kapitel  VI.    VegetatioDsgeister:  Sonnenzauber. 

ledingh  of  the  ploughe  aboute  the  fire  as  for  gode 
beginning  of  the  yere,  that  they  schulde  fare  the  better  all  the 
yere  followyng."  Diese  Verbrennung  des  Pfluges,  der  E^e  oder 
Umführung  um  ein  Feuer,  welcher  der  Brauch  verglichen  werden 
muß,  angekohlte  Scheiter  des  Osterfeuers  am  Pfluge  anzubringen,^ 
steht  deutlich  dem  Hindurchgehen;  dem  Sprunge  durch  und  dem 
Tanze  um  die  Frtthlings-  und  Mittsommerfeuer  gleich,  ist  so  zu 
sagen  ein  Wärmezauber,  um  durch  den  Pflug,  die  Egge  der  Saat 
den  zu  ihrem  Gedeihen  erforderlichen  Sonnenschein  u.  s.  w.  zu 

* 

sichern;  ihr  steht  der  Begenzauber  zur  Seite,  den  Pflug  ins 
Wasser  zu  ziehen  (vgl  o.  S.  332.  214  ff.  259.  327  ff.  356).  Beide 
Sitten  sind  offenbar  zumal  im  Beginne  des  Jahres  je  nach  Ter- 
meintlichem  Erfordemiß  abwechselnd  geübt  worden;  zuweilen 
gemeinsam  wie  in  obigem  Siebenbirger  Beispiel,  wo  die  kleinen 
Feuer  auf  den  Ecken  ein  Uebermaß  des  erbetenen  Regens  ver- 
hüten, abwechselnd  Kegen  und  Sonnenschein  hervorzaubern 
sollen ;  der  Feuerzauber  kam  früher  in  Abgang ;  der  Begenzauber 
und  noch  andere  Formen  des  Pflugziehens  dauerten  vielÜEush  bis 
in  neuere  Zeit  fort.  Naogeorgus  (in  seiner  1553  zuerst  erschie- 
nenen Satyre  Be^um  papisticum  B.  IV)  schildert  die  Sache  am 
ausführlichsten.  Am  Aschermittwoche  rissen  die  Burschen  die 
Mägde  aus  den  Häusern  und  spannten  sie  vor  einen 
Pflug,  einer  trieb  und  lenkte  sie  mit  der  Peitsche.  In  der  Mitte 
des  Pfluges  saß  ein  Spielmann,  sang  und  spielte.  Ein  Sämann 
folgte,  der  hinterher  Sand  oder  Asche  mit  lächerlichen  Qeberden 
ausstreute.  So  zog  man  von  Markt  zu  Markt,  von  Straße  zu 
Straße,  endlich  führte  der  Lenker  (rector)  die  Mägde  und 
den  Pflug  in  einen  Bach  und  rief  sie,  naßgeworden,  zu  Mahl 
und  Tänzen.^  Dasselbe  geschah  (um  1592)  zu  Hof  auf  Fast- 
nacht; die  Mägde  konnten  sich  jedoch  mit  Geld  lösen  und  hinter 
dem  Pfluge  säte  man  Heckerling  und  Sägespäne.^  Auch  in 
Leipzig  geschah  der  Umzug  am  Fastnachtdienstage;  verlarvte 
(personati)  Junggesellen  zwangen  die  unterwegs  aufgegriffenen 
Jungfrauen  in   das  Joch  eines  Pfluges  zur  Strafe,  daß  sie  noch 


1)  Wuttke  2  §  81.    Vgl.  0.  S.  504. 

2)  Tlioin.  Naogeorgus,  Regnum  Papisticum  (Basileae)  1559.  p.  144. 

3)  Enoch  Wiedemaun,  Chronik  von  Huf.  Sachs.  ProTinzialbl.  VUl.  347. 
Myth.«  243. 


Das  Pflugumziehen.  555 

nieht  geheiratet  hatten.  Als  im  Jahre  1499  eiaer  der  Barschen 
ein  beherztes  Mädchen  mit  Gewalt  für  den  Pfloggang  pressen 
wollte,  erstach  sie  ihn  mid  entschuldigte  sich  auf  frischer  Tat 
zmn  Richter  geführt ,  sie  habe  keinen  Menschen,  sondern  ein 
Gespenst  (spectram)  getroffen.^  Aach  Hans  Sachs  erzählt,  er 
habe  am  Aschermittwoch  bei  Begensburg  sechs  schöne  Hausmaide 
an  einem  Pfluge  daherziehn  sehen,  ein  Bursche  trieb  sie  mit 
der  Geißel,  ein  anderer  hielt  zu  hinterst  den  Pflug;  und  eins 
Theils  Gesellen  trieb  noch  mehr  Hausmägde  herzu.  Es  waren 
die  Hausmaide,  die  überblieben  waren  und  bisFast- 
nacht  keine  Männer  genommen.'  Bei  der  Ausübung  des 
Brauches  in  Neustadt  a/Saale  entstand  im  Jahre  1578  Unfug  und 
einer  wurde  todtgestochen.  Deshalb  stellte  man  die  Sitte  ab. 
In  Ulm  war  schon  1530  verboten,  sich  in  der  Adventszeit  zu 
verbutzen  und  Pflug  und  Schiff  herumzufahren.^  In  ein- 
zeben  Gegenden  tritt  die  Egge  an  die  Stelle  des  Pfluges.  So 
erzählt  ebenfalls  im  16.  Jahrhundert  die  Chronik  von  Zimmern 
(p.  1281  ed.  Barak  H,  117):  „also  uf  die  estrichen  mittewochen 
(Aschermittwoch),  wie  der  prauch  einest  zu  Scher  (Dorf  in  Ober- 
schwäben),  das  die  mediin  vnd  megt  auch  die  jungen 
gesellen  die  eggen  durch  die  Tonaw  ziehen,  do  (hat) 
grave  Endres  angericht,  das  dieselbigen  den  jungen  herren,  herr 
Wilhelmen  Wemhem  ufgefangen  haben,  der  hat  inen  mueßen 
die  eggen  helfen  durch  die  Tonaw  ziehen."  Vgl.  den 
Schwank  „die  Egen"  (Keller,  Fastnachtsp.  I.  no.  30.  S.  246  ff, 
Ausschreier:  „got  grüß  den  wirt  und  die  wirtin.  (Es  kumt  ein 
meir  mit  sim  gesint  und  der  wirtin).  Was  heur  von  meiden  ist 
überblieben  und  verlegen  Die  sein  gespant  in  den  pflüg 
und  in  die  egen.  Das  sie  darinnen  ziehen  mußen.  Und  dar- 
innen öffentlich  pueßen,  Das  sie  sein  kumen  zu  iren  tagen,  Fut 
ars  tutten  vergebens  tragen."  Im  Stanzertale  in  Tirol  wurde  aber 
noch  vor  nicht  langer  Zeit  am  Ostermontag  oder  Osterdienstag 
ein  Pflug  unter  Jauchzen  und  Lärmen  feierlich  umgeftihrt.^    Im 

1)  Pfeiffer,  Chronic.  Lips.  II.  §  53.  Haltaas -Scheffer,  Jahrzeithuch  202. 
Myth.«  243. 

■ 

2)  Schwank  „Die  Hausmaide  im  Pflug."  Hans  Sachs  ed.  A.  KeHer.  V,  179. 

3)  RatsprotocoU  vom  Niclasahend  1530  (Jäger,  Schwab.  St&dtewesen  des 
MA.  I,  525.    Myth.«  242. 

4)  Zingerle, «Sitten. '    S.  150,  1297.    Im  Zillerthal  ebenso  am  Ascher- 
mittwoch.   Hörmann,  der  heber  gät  in  liton.    S.  44,  119. 


556  Kapitel  VI.    Vegetationsgeister:  Sonnenzanber. 

« 
Ansbachischen  wird  zu  Pfingsten  der  geschwärzte  Pfingst- 

1  ü m m e  1  auf  einem  ans  zwei  Pfuggestellen  zusammengesetzten 
Wagen  von  Burschen,  die  mit  Rollen,  Schellen,  Klingeln  behängt 
sind,  umhergefahren  ^  und  zu  MUnnerstadt  i.  d.  Rhön  tragen  die 
sogenannten  Pfingstbuben  schon  im  März  einen  kleinen  Pflug  auf 
einem  Brette  von  Haus  zu  Haus;  in  Bischofsheim  vor  der  Rhön 
bereits  am  22.  Februar  (Petri  Stuhlfeier,  Anfang  des  frtther 
üblichen  Gemeindejahres).    Die  einen  bitten: 

Da  kommen  die  armen  Pfingstbuben, 

Mit  Pflug  und  Schar 

Und  wollen  hinaus  in  den  Acker  fahr". 

Die  andern: 

Steuer,  Steuer  Pflug! 
Hat  weder  Sech  noch  Schar, 
Wir  woir  ne  lass  beschlag\ 
Und  bald  'naus  'n  Acker  fahr'.^ 

Nur  von  einem  deutschen  Orte  weiß  ich  nachzuweisen,  dafi 
an  ihm  die  Bespannung  des  Pfluges  mit  Jungfrauen  bis  heute 
fortdauert.  Zu 'Hollstadt  bei  Neustadt  in  Unterfranken  findet  alle 
7  Jahre  im  Februar  das  Pflugfest  statt,  bei  welchem  unter 
anderen  Aufzügen  ein  Pflug  von  sechs  ausgesucht  schönen  Mäd- 
chen in  ländlicher  Festtracht  dahergezogen  wird,  von  Bauern  mit 
Geräten,  Säeleuten,  Schnittern,  Dreschern,  Heumachern,  Winzern 
u.  s.  w.  in  Bauerkleidung  begleitet ;  dem  Pfluge  folgt  eine  Rüben- 
schleife, mit  welcher  man  die  Rüben  in  den  Acker  drückt,  eben- 
falls mit  vier  Mädchen  bespannt.  ^  In  Kärnten  ist  im  Fasching 
der  Brauch  des  ploh  ulcöiti  (den  Pflug  wiederherstellen)  noch 
jetzt  fast  allgemein;  in  den  Vorstädten  von  Laibach  hat  er  erst 
am  Aschermittwoch  Nachmittag  statt.  Dabei  wird  mit  einem 
Pfluge  der  Schnee  umgeackert;  hinter  den  Arbeitern 
schreitet  der  herrschaftliche  Amtmann,  der  sie  mit  unerbittlicher 
Rohheit  schlägt.  Die  Burschen  fahren  jubelnd  mit  dem  Pfluge 
um  die  Ackergrenzen,  während  der  Faschingsnarr  in  die 
Küchen  geiziger  Hausmütterchen  schleicht  und  mit  der  Ofengabel 
Würste  und  Rauchfleisch  wegstipitzt.*    Ein  französisches  Zeugniß, 


1)  Panzer  II,  90,  138.    Cf.  Liebrecht  i.  d.  Germania.  V,  51. 

2)  Panzer  I,  239,  265.    Leipz.  Illustrierte  Zeitung  1873.  no.  1547. 

3)  Illustrierte  Zeitung  1873.   no.  1547.  « 

4)  Ausland  1872.    S.  469. 


Das  Pflu^mziehen.  557 

wonach  zu  Sceaux  bei  Paris  Barsche  in  Weiberkleidung  auf 
Fastnacht  einen  Pflug  ziehen,  ist  mir  nur  aus  einer  gelegent- 
lichen Mitteilung  von  Liebrecht  bekannt.  ^    In  England  fUhrt  der 
Montag  nach  Epiphanias  sogar  allgemein  den  Namen  Plough- 
monday  nach  dem  feierlichen  Umzüge  mit  dem  Narrenpfluge 
(fool-plough,  auch  fond-plough,  stot-plough,  white-plough  genannt), 
der   vorzugsweise   in  Nordengland  im  Gebrauche  war  und   ist 
Angeblich    begann    dann   das    Pflügen   und    andere    Feldarbeit. 
Dreißig  bis  vierzig  Bursche  in  Hemdsärmeln,  das  weiße  Hemd 
über  die  Weste  geworfen  und  an  den  Schultern  und  Ärmehi 
mit  breiten,  hellfarbigen  Bandschleifen  verziert,  auf  dem  Kopfe 
mit  Bändern  geschmückte  Hüte,  ziehen  an  langen  Stricken  den 
ebenfalls   mit  Bändern    behängten   Pflug.     Sie   werden   deshalb 
zuweilen  als  plough-bullocks  (Pflugochsen,  eigentlich  Bullen) 
bezeichnet.    Gewöhnlich  begleitet  sie  ein  altes  Weib,  oder  ein 
als  solches  verkleideter  Bursch,  Old  Bessy  (alte  Liese)  gerufen, 
mit  ungeheurer  Nase,   langem  Kinn,   hoher   zuckerhutähnlicher 
Mütze  und  drolligem  Auiputze.    Oft  folgt  auch  ein  Narr  (fool) 
dem  Zuge.    Er  ist  über  und  über  mit  Bändern  bedeckt,  ganz 
und    gar    in  Felle   gekleidet   und    trägt    einen   lang 
herabhangenden    Schwanz;    in    der   Hand   führt   er    eine 
Büchse,  um  bei  den  Zuschauem  der  Tänze,  welche  die  Burschen 
aufführen,  Geld  einzusammeln.    Das  Buch  „Costume  of  Yorkshire 
1814  bringt  auf  pl.  XI  eine  Abbildung  des  foolplough,  als  dessen 
Hauptcharactere  treten  uns  entgegen:   1)  die  Pflugzieher,    2)  der 
Pflugtreiber,    der    als   Peitsche   einen   Stock    mit    aufgeblasener 
Schweinsblase  ftihrt,   3)  der  Fiedler,   4)  ein  Bursche  in  Weiber- 
tracht,   endlich   5)  der  Befehlshaber  des   Ganzen,   Redner   und 
Tänzer  in  einer  PersoÄ,   „Captain  Caufstail,"  so  genannt  nach 
dem  Kalbsschwanze,  den  er  trägt.    Wo  die  Bursche  keine 
Gaben  erhalten,  pflügen  sie  den  Düngerhaufen,   oder  sie  ziehen 
den   Pflug  über   den   Estrich   und  reißen   den  Boden   vor   dem 
Herrenhause  auf  in  Furchen.     Brand  ftihrt  eine   reiche  Anzahl 
von  Belegen  für  das  Alter  und  die  Verbreitung  der  Sitte  aus 
Essex,  Westminster,  Norfolk,  Lincolnshire,  Yorkshire,  Northumber- 
land  saec.  15  — 18  auf.    Die  christliche  Priesterschaft  hatte  sich 
auch  dieses  Brauchs  bemächtigt,  von  dem  Ertrage  der  Einsanmi- 


1)  Gervasins.    S.  187.    Anm.  57. 


558  Kapitel  VT.    Yegetationsgeistdr:  Sonnenzanber. 

Inng  floB  ein  Teil  in  die  Kirchenkasse.  Oft  sind  es  Bruder- 
schaften y  welche  den  Umzng  zum  Besten  der  Kirche  halten.  In 
Norfolk  war  laut  Blomefield  (Hist.  of  Norf.  IV,  287)  ehedem  die 
ganze  Einnahme  zur  Unterhaitang  einer  danach  Flow  light  (Pflng- 
licht)  zubenannten  Kerze  bestimmt,  dergleichen  die  jungen  und 
alten  Ehepaare  der  Gemeinde  in  manchen  Kirchen  yor  den  hei- 
ligen Bildern  unterhielten.  Häufig  ftlhren  die  Bursche,  welche 
den  Pflug  schleppen ,  einen  Schwerttanz  auf;  da  dieser  jedoch  in 
England  auch  abgesondert  und  zwar  zu  anderen  Zeiten,  auf  dem 
Festlande  aber  niemals  mit  dem  Pflugziehen  yerbunden  vorkommt, 
so  ist  es  wahrscheinlich,  daB  beide  Sitten  erst  in  neuerer  Zeit 
mit  einander  verbunden  wurden.  ^  In  Dänemark  veranstalteten 
noch  am  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  die  jungen  Leute 
beiderlei  Geschlechts  auf  Alsen  am  Neujahrstage  eine  Gilde, 
wozu  sie  das  Geld  durch  den  Pfluggang  zusammenbrachten. 
Junge  Bursche  zogen  einen  Pflug,  den  ein  „Prediger"  (Praest) 
und  ein  „Küster"  (Degn),  sowie  ein  „Musikant"  begleiteten,  von 
Haus  zu  Hause  und  sangen: 

1)  I  lukke  op  jer  Staedör 
Lad  Nyaar  ind  til  jer  gaa. 
Velkommeii  Nyaar  og  velkommen  her! 

Yi  ere  yelkomne  i  Herrens  Aar  og  velkomne  her. 

2)  Med  Gläde  og  med  Gammen, 
Med  Helbred  allesammen.    u.  s.  w. 

3)  Med  Plommer  og  med  Pärer 

Som   Sommeren  frembärer.    n.  s.  w. 

4)  Med  laDge  Rng  paa  Jolde 

Og  favre  Foler  i  Stolde.    q.  b.  w. 

5)  Med  Fisk  ndi  vor  F&nge 
Og  smnkke  Piger  i  Senge» 

6)  Saa  Vuggen  den  kan  gange 
Med  deilige.Böm  og  mangc. 

7)  Nn  har  den  Yise  cn  Ende 
Alt  Ond  Gnd  fra  os  vendel 

Hierauf  hielt  der  Prediger  eine  tolle  Bede,  der  Musikant 
spielte  auf,  man  tanzte  mit  den  Mädchen  des  Hauses,  nahm  die 
Gaben  in  Empfang,   sang  ein  Danklied,  lud  zur  Gilde  ein  und 


1)  S.  Hone,  Every  Daybook  I.  London  1866.  p.  36.    Brand,  pop.  antiqn. 
ed.  EUis  1,  1853  p.  505-519.  Müllenhoff,  Schwerttanz.  Berl.  1871.  p.  ^-37. 


Das  Pflagnmziehen.  559 

zog  weiter.^  Die  Kirche,  das  sieht  man,  hat  es  sich  angelegen 
sein  lassen,  auch  diesen  profanen  Brauch  des  Pflugziehens  an 
sich  und  ihre  Institutionen  zu  knttpfen.  Hier  fällt  der  Ertrag 
der  Einsammlung  dem  Gotteshause  zu,  dort  wird  davon  eine 
geweihte  Kerze  unterhalten,  an  manchen  Orten  mag  versucht 
sein,  den  Lenker  des  Pflugs  durch  einen  Greistlichen  und  seinen 
Küster  zu  ersetzen,  daher  der  dänische  Name  Prsest.  Von  einer 
andern  Zeit  des  Frühlings  wurde  die  Begehung  auf  Fastnacht 
übertragen  und  die  Aussaat  von  wirklichem  Getreide  dem  Branche 
des  Aschermittwochs  entsprechend  in  das  Ausstreuen  von 
Asche  und  Sand  (oder  Heckerling)  verwandelt.  Vordem  aber 
war  der  Pfluggang  eine  von  der  Kirche  unabhängige,  ganz  ernst- 
haft gemeinte  symbolische  Handlung,  welche  beim  Beginn  des 
neuen  Jahres  der  Ackerarbeit  in  demselben  den  besten  Erfolg 
sichern  sollte.  Daß  in  Ulm  und  anderen  Orten  der  Umzug  mit 
Schiffen  (oder  Schiffschlitten)  daneben  herging,  läuft  ganz  parallel, 
er  war  das  Bittfest  um  günstige  Schiffahrt,  bevor  das  Wasser 
wieder  aufging.'  In  Dänemark  fand  der  Umzug  mit  dem  Pfluge 
am  Neujahrstage  (1.  Jan.)  statt,  in  England  am  Montage  nach 
Epiphanias  (vgl.  o.  S.  538),  dem  sogenannten  großen  Neujahr  oder 
Christen  Tage  (oder  at  the  beginning  of  the  year  (o.  S.  557),  in 
Bischofsheim  am  22.  Febr.,  dem  ersten  Tage  des  alten  Civil- 
Jahres  (gegenüber  dem  Kirchenjahre  und  legalen  Jahre).  Da  nun 
auch  der  (erste)  März  und  Ostern,  die  im  Mittelalter  ebenfalls 
als  Jahresanfänge  vorkommen,  als  Tage  des  Pfluggangs  genannt 
werden,   so  könnten  sie  auch  in  letzterer  Beziehung  den  Jahr- 


1)  Sy.  GraDdtrig,  Gamle  Danske  minder  i  Folkeinnnde  III.  Ejöbenh. 
1861.  p.  166— 16X.  1)  Schließt  auf  eure  Stubentür,  daß  das  Neajahr  zu  euch 
hereingehn.  Willkommen  Neujahr  und  willkommen'  hier!  Wir  sind  will- 
kommen im  Jahre  des  Herrn  und  willkommen  hier.  2)  Mit  Freude  und 
Jubel,  mit  Gesundheit  allezusammen.  3)  Mit  Pflaumen  und  Birnen,  wie  sie 
der  Sommer  hervorbringt  4)  Mit  langem  Boggpen  auf  dem  Kornboden  und 
schönen  Füllen  im  Stall.  5)  Mit  Fischen  in  unseren  Netzen  und  schönen 
Mädchen  im  Bett.  6)  So  dafi  die  Wiege  gehen  kann  mit  hübschen  und  vielen 
lüüdem.    7)  Nun  hat  das  Lied  ein  Ende,  Gott  wende  alles  Böse  von  uns. 

2)  Es  wäre  möglich ,  dafi  Tacitus  (Germ.)  einen  derartigen  Umzug  als 
Fest  der  Isis  interpretierte ;  an  eine  deutsche  Göttin  (Myth  >  236  ff.)  ist 
dabei  nicht  zu  denken;  Frau  Eisen,  das  gemeinsame  Machwerk  des  Klee* 
blatts  Pseudoberosus  (Annius  von  Yiterbo),  Aventin  und  Simrook  möge  end« 
lieh  für  immer  in  ihr  Rchattenhaffces  Nichts  zurücksinken. 


560  Kapitel  VI.    Vegetations^ister:  Sonnenzaaber. 

beginn  bezeichnen  sollen;  wo  nichts  sind  sie  als  Vertreter  des 
FrtthlingsaofaDgs  aafenfassen.  Der  Zag  bewegte  sich  wol 
ursprünglich  überall,  wie  in  Kärnten,  zuerst  um 
die  Ackergrenzen,  und  man  erwartete  davon  woltätige  Wir- 
kung hinsichtlich  der  Saatfelder,  danach  erst  wird  der  Umgang 
im  Dorfe  zur  Einsanmüung  der  Steuer  ftlr  die  segensreiche 
Begehung,  und  zugleich  zur  Lustration  von  Menschen  und  Tieren 
begonnen  haben.  Wir  sahen,  daß  gewisse  symbolische  Acte 
(Wasserguß,  Fenerweihe)  bei  dieser  feierlichen  Yorpflügung 
erforderlich  waren;  ein  solcher  sinnbildlicher  Zug  war  unzweifel- 
haft auch  die  Bespannung  des  Pfluges  mit  unverhei- 
ratet gebliebenen  Jungfrauen.  Entsprechend  jenem  Um- 
hauen des  Emtemai  (o.  S.  196),  der  Einholung  des  Frtthlings- 
baumes  (o.  S.  211)  durch  die  Weiber,  muß  dadurch  das  empfan- 
gende und  gebärende  Element  der  vor  der  Saatbestellung  noch 
jungfräulichen  Erde  angedeutet  sein.^  Daß  aber  in  der  Tat  die- 
ser Zug  der  solennen,  feierlichen,  Zauberwirkung  suchenden  Weise 
uralter,  wirklicher  Ackerbestellung  angehört,  erweist  der  böh- 
mische Aberglaube.     Nach   Krolmus   Staroöeske  povösti  II,  29. 

1)  Der  Vergleich  des  Weibes  mit  einem  Fmchtfelde  ist  ein  alter  und 
weitverbreiteter.  In  Indien  sagte  man  bei  der  Ankunft  des  Brautzuges  im 
Hause  des  Bräutigams:  „Als  Fruchtfeld  kam  hierher  das  Weib,  als 
beseeltes.  Säet  in  sie,  Männer,  euren  Samen/*  Atharyaved.  XIY.  §  2,  o.  14. 
Weber,  Ind.  Stud.  V,  205.  Im  Koran  (Sure  2.  übers,  von  Boysen.  Halle  1774. 
S.  36)  heißt  es:  „Eure  Weiber  sind  eure  Aecker,  geht  zu  eurem  Acker  hin, 
wie  ihr  wollt.**  Den  Griechen  war  Pflügen  ein  ganz  gewöhnlicher  Tropus 
für  zeugen.  Lucrez  braucht  vomer  und  snlcus  für  die  männlichen  und  weib- 
lichen Unterscheidungsteile.  Umgekehrt  kann  daher  auch  das  Weib  die  den 
Samen  aufnehmende  Natur  oder  Erde  bezeichnen.  Zu  vergleichen  steht  ein 
indianischer  Brauch,  den  Schoolcraffc ,  Besearches  respecting  fhe  redman  T.  V. 
p.  70;  Onäota  p.  83  mitteilt,  ohne  einen  bestimmten  Stamm  zu  nennen.  Um 
sich  eine  reiche  und  gesegnete  Ernte  zu  verschaffen  und  ihr  kleines  Feld  vor 
Würmern,  Insecten,  Eichhörnchen  und  die  Frucht  vor  Mehltau  zu  sichern, 
geht  die  Hausfrau  bei  Nacht  und  bedecktem  Himmel  völlig  entkleidet  auf 
den  Acker  und  umwandelt  ihn,  ihre  Macheoota  (Hauptbedeckung)  mit  der 
einen  Hand  hinter  sich  herziehend.  Man  setzte  voraus,  daß  das  schädliche 
Gewünn  nicht  über  die  bezeichnete  Linie  kriechen  könne.  Es  ist  bekannt, 
wie  Longfellow  diese  Mitteilung  Schoolcrafts  in  seinem  Hiawatha  XIII,  übers, 
von  H.  Schultz,  Berl.  1859.  p.  100  cf.  174  verwertet  hat.  Genau  so  muss 
z.  B.  in  Masuren  um  ein  Feld,  auf  welches  Erbsen  gesät  werden,  ein  unbe- 
kleidetes Frauenzimmer  gehen,  oder  sein  Hemde  getragen  werden,  um  Mehl- 
tau zu  verhüten.    Toppen«  93. 


Das  Pflngnmziehcn.  561 

Grohmaiui;  Abergl.  143, 1058  war  es  in  Rosin  Gebrauch,  daß  die 
Leute  bei  der  ersten  Aussaat  zur  Nachtzeit  in  großem  Zuge 
ein  nacktes  Mädchen  und  einen  schwarzen  Kater  dicht 
vor  einem  Pfluge  her  aufs  Feld  führten,  wo  der  Kater 
lebendig  vergraben  wurde.  Krolmus  selbst  sah  vor  etwa  40  Jahren 
zu  Kfeseyn  drei  Weiber,  wie  sie  Gott  erschaffen,  zur  Nachtzeit 
einen  Pflug,  eine  Schar  und  einen  Wagen  hinter  sich  auf  den 
Acker  hinausziehen  (a.  a.  0.  II,  39;  Grohmann,  S.  144).  An  diese 
Sitte  enthalten  auch  noch  deutsche  Sprichwörter  deutliche  Erinne- 
rung: „t)i,  sMt  Aage,  spSnt  sin  wttf  föör  a  plugh/'  Zieh,  sagt 
Age,  da  spannt  er  seine  Frau  vor  den  Pflug,  (friesisch). 
„So  möft  kämen,  säd  de  Bär  un  spennt  stn  Frfi  vor  de  %g/'^ 
Sollte  noch  ein  Zweifel  walten  können  über  den  Zusammenhang 
jenes  Neujahrs-  resp.  Fastnachtgebrauchs,  die  Mägde  vor  den 
Pflug  zu  spannen,  mit  der  soeben  vorgetragenen  Beackerungs- 
methode,  so  müßten  ihn  die  nachstehenden  Sitten  aus  Rußland 
heben,  welche  die  solenne,  zauberwirksame  Weise  der  Feld- 
bestellung auf  einen  Zauber  zum  Schutze  gegen  epidemische 
Krankheiten  angewandt  zeigen,  und  von  denen  die  eine  jenem 
Neujahrs  -  (Fastnachts  -)  brauche ,  die  andere  dem  Bosiner  Saat- 
gebrauche näher  tritt.  Noch  im  Jahre  1871  suchten  die  Land- 
leute im  Dorfe  Dawydkowo  bei  Moskau  beim  Herannahen  der 
Cholera  die  Krankheit  gleichsam  zu  consignieren.  Zwölf  Jung- 
frauen spannten  sich  um  Mitternacht  an  einen  Pflug 
und  zogen  ihn  rund  um  das  Weichbild  des  Dorfelä.  In 
diesen  Zauberkreis  sollte  die  Cholera  nicht  mehr  eintreten  können. 
Einige  Tage  darauf  entschloß  sich  die  Geistlichkeit  des  Ortes 
mit  allen  heiligen  Geräten  eine  Prozession  um  die  ausgezogenen 
Pflugscharfurchen  zu  machen,  um  dem  Zauberkreise  auch  noch 
ihre  ganz  christliche  Weihe  zu  geben.  Die  Mordwinen  im  Gouver- 
nement Simbirsk  umziehen,  sobald  in  den  umliegenden  Orten  sich 
eine  Viehseuche  zeigt.  Nachts  ihr  Dorf  mit  einer  Furche.  Der 
Ortsvorstand  ladet  behufs  dessen  ehrbare  Greise  und  unchuldige 
Jtbiglinge  und  Mädchen  zu  sich  ein.  Einer  der  Greise  schreitet 
mit  dem  Heiligenbilde  voran  und  hinter  ihm  ziehen  Jünglinge 
den  Hakenpflug^  den  eine  keusche  Jungfrau  lenkt.   Ohne  Geräusch 


1)  Mecblenburg  bei  Haupt  Zs.  f.  D.  A.  VIII.  371,  336.    E.  Höfer,  Wie 
das  Volk  spricht.    Aufl.  4.    Stuttg.  1862.    no.  19.  174. 

Ifannbardt  36 


562  Kapitel  VI.    Vegetationsgeister:  Sonnenzaaber. 

und  Bede,  in  lautloser  Stille  nmiiirchen  sie  die  Ortschaft.    Bis- 
weilen tragen  die  Ackerer,  gleichsam  als  Opfer,  ein  schwarzes 
Kätzchen  im   Kober   mit   sich.    Aas   anderen   russischen  Land- 
schaften teilen  Orest  Miller  und  Tereschtschenko  andere  Einzel- 
heiten  über   den    Brauch   des   Pflugziehens  (Opaktiovanie)   mit 
Bei  einer  Homseuche  des  Viehs  versammeln  sich  die  Weiber  im 
bloßen  weißen  Hemde,  mit  Besen  und  Schaufeln  oder  mit  Sensen 
und    Sicheln    bewaffnet     Die    älteste    unter   ihnen    wird    vor 
einen  Pflug  gespannt,   und  muß  ihn  dreimal  rund  um  das 
Dorf  ziehen;   die  übrigen   folgen  unter  Absingung  gewisser  ftlr 
diese   Gelegenheit  traditioneller  Lieder   (vgl.  o.  S.  15).*     Nach 
Tereschtschenko  schreitet  eine  Jungfrau  mit  dem  Bilde  des  hei- 
ligen Blasius  (Ylas)  voran,  hinterher  die  Dorfweiber  mit  Besen 
und   Strohbttndeln ,   andere   auf  Besenstielen   reitend  und  Brat- 
pfannen schlagend,   lärmend  und  tanzend;   den  Schluß  machen 
einige  alte  Frauen,  welche  angezündete  Kienspäne  in  den  Händen 
halten  und  im  Kreise  die  vor  den  Pflug  gespannte  Oreisin,  sowie 
eine    Wittwe  umschließen,    die    mit   nichts    anderem,    als 
einem  Pferdekummet   am   Halse   bekleidet  ist    Vor 
jedem  Hofe  macht  die  Prozession  halt  und  führt  hier  mit  Töpfen 
und  Pfannen  eine  Katzenmusik  auf,  indem  man  ausruft:  „da  ist 
der  Kuhtod!    Da  geht  er!'^    Läuft  zufällig  ein  Hund  oder  eine 
Katze  vorbei,  so  wird  das  Tier  als  der  leibhaftige  Kuhtod  (der 
Krankheitsgeist)  ergriffen  und  getödtet    Dieser  Brauch  gilt  als 
vorzügliche    Vorkehrung   gegen    die    Viehseuche.      Ein    anderer 
wird  als  wirksam  gegen  verschiedene  epidemische  Krankheiten 
betrachtet    Die  Weiber  schleppen  um  Mittag  auf  jedem  Elnde 
des  Dorfes  einen  Haufen  von  Wirtschaflsabgängen  auf  und  stecken 
beide  um  Mittemacht  in  Brand.    Zum  einen  Feuer  ziehen   die 
jungen   Mädchen   in   weißen   Hemden   und   mit   lose  fliegenden 
Haaren  einen  Pflug;  eine  trägt  ein  Heiligenbild  hintenan.    Zur 
zweiten  Brandstelle  am   entgegengesetzten  Ende  der  Dorfstraße 
tragen  die  alten  Frauen  iichwarz  gekleidet  einen  schwarzen  Hahn 
und  ftihren   ihn   dreimal  herum.    Dann   ergreift  eine  Alte  den 
Hahn  und  läuft  damit  zum  Feuer  der  Mädchen  *  am  anderen  Dorf- 
ende,  indeß   der  ganze  Haufe   das  Geschrei   laut  werden  läßt: 
„Stirb,  verschwinde  schwarze  Seuche !''    Dort  angekommen  wirft 


1)  Orest  MiUer,  Opnit  I,  10. 


Das  Pflu^umziehcn.  563 

sie   das   Tier  in   die  Flammen.    Die  Weiber  ziehen  jetzt   den 
Pflug  dreimal  rund   um  die  Dorfgrenze.*    Die  Ackerfurche  ist 
heilig;  ihre  üeberschreitung  rächt  sich  durch  Tod  oder  Krank- 
heit   Deshalb  limitierte   man  in  Rom   die  neugegründete  Stadt 
mit  dem  Pfluge  (primigenius  sulcus),    nur  die  Stelle  der  Tore 
freilassend;  jedes  böse   verderbliche  Wesen  vermeinte  man  auf. 
diese  Weise  von  dem  umschlossenen  Bezirke  fernhalten  zu  kön- 
nen*  und  aus   gleichem  Grunde   geschah   die  Umfurchung  des 
Ortes  bei  Seuchen,   die  geheiligte  Linie  wehrte  den  Krankheits- 
geist (die  Pestfrau,   den  Viehtod  u.  s.  w.)   ab.    Das  Verbot  der 
Synode  zu  Lestines  a.  743  (Indicul.  paganiar.  XXni)  „de  sulcis 
circa  villas"  weist  auch  diese  Sitte  dem  deutschen  Heidentum 
zu,  wenn  nicht  gar  die  Umfurchung  des  Dorfes  mit  jenem  Frtth- 
lingspfluge   gemeint  ist.    Das  Ziehen   der  Furche  aber  geschah 
in  jedem  Falle  unzweifelhaft  ganz  nach  dem  fUr  das  Äckerungs- 
vorfest    hergebrachten    religiösen    Ritus,    wobei    es    gleichgiltig 
scheint,  ob  die  Jungfrauen  (resp.  die  Jungfrau  oder  das  Weib) 
dem  Pfluge  vorangehen,  ihn  ziehen  oder  nachfolgen.    Auch  die 
Bessy   des   englischen   Brauchs  werden   wir  jetzt  als   das    der 
Ceremonie  unerläßliche  Weib  verstehen  lernen;  ist  ihr  greisen- 
haftes, zerlumptes  Wesen  von  Bedeutung,  so  muß  an  eine  Modi- 
fication  in  der  englischen  Auffassung   gedacht  werden,  wonach 
auf  die  zur  ersten  Pflugzeit  um  Neujahr  (Epiphanias)  noch  winter- 
liche Gestalt  der  Erde  angespielt  werden  sollte  (vgl.  o.  S.  444). 
Der  in   Felle   gehüllte,   geschwänzte   Narr   oder  Pflug- 
filhrer  des  englischen  Brauchs  stimmt  zu  der  Katze,  welche  in 
Böhmen  mit  aufs  Feld  genommen  wird.    Eine  an  anderer  Stelle 
zu    gebende   Darlegung    wird   über    die   Meinung    auch    dieses 
Brauches  willkommene  Aufklärung  bringen.    Das  Tier  oder  der 
ein  Tier  darstellende  Mensch  repräsentieren  den    theriomörphi- 
schen  Vegetationsgeist,  der  nach  Winters  Frist  wieder  befruch- 
tend in   den  Acker   geht.    Ob  der  im  Simbirkischen  aufs  Feld 
mitgenommene  Kater  (o.S.  561)  denselben  Sinn  hat,  oder  den  zu 
vertilgenden  Krankheitsgeist  (o.  S.  562)  darstellen  soll,  lasse  ich 
nnausgemacht.     Der  auf  dem  Pfluge  sitzende  Pfingstlttmmel  und 
der  ebenso  platzierte  Spielmann,  der  ins  Wasser  gefahren 


1)  Tereschtschenko  VI,  41.    Ct.  Baiston,  Songs  396  ff. 

2)  Cf.  Schwegler,  röm.  Geach.  I,  389.  438.  446  ff. 

36* 


564  Kapitel  VI.    Vcgetationsgeister:  Sonnenzaabcr. 

wird,  dagegen  sehen  aus  wie  Darstellungen  des  anthropomor- 
phischen  Vegetationsgeistes,  der  im  Brauehe  auftritt,  wo  jener 
fortfällt. 

In  England  ftlhrte  man  zu  Neujahr  den  Pflug  ums  Feuer 
,,that  they  should  fare  the  better  all  the  year  follow- 
ing;''  also  nicht  bloß  das  Getreide  soll  gedeihen ,  alle  mensch- 
lichen Angelegenheiten  sollen  guten  Fortgang  haben.  Das 
dänische  Lied  beim  Pfluggange  nennt  als  die  Gabe,  welche  die 
Prozession  mit  sich  bringt,  Gesundheit  des  Leibes,  Gedeihen  des 
Obstes  und  Getreides,  des  Viehes,  des  Fischfangs,  und  viele  und 
schöne  Kinder  in  der  Wiege.  Der  deutsche  Umgang  zu  Fast- 
nacht, Pfingsten  u.  s.  w.,  der  den  Acker  nicht  mehr  berührt,  setzt 
eine  gleiche  Verallgemeinerung  der  Idee  der  Fruchtbarkeit  vor- 
aus. Wir  sehen  also  auch  in  diesem  Falle  den  schon  vielfach 
von  uns  nachgewiesenen,  zur  vollen  Identifizierung  hinstrebenden 
Parallelismus  des  Pflanzenlebens  mit  dem  animalischen  bestätigt 
Ist  dieses  aber  der  Fall,  war  die  Verbrennung  eines  Pfluges, 
oder  Umwandlung  eines  Feuers  mit  dem  Pfluge  nur  eine  Modi- 
fication  des  Frühlings-  (Fastnachts-,  Oster-)  feuers,  so  mögen  auch 
Menscheü  durch  ein  solches  Feuer,  in  dem  Pflugscharen  glühend 
gemacht  waren,  gelaufen  oder  gesprungen  sein  in  der  Meinung, 
dadurch  fUr  sich  und  alle  die  Ihrigen  Gesundheit  und  alle  jene 
Güter  der  Fülle  und  des  Wachstums  zu  erwerben.  Die  Erfah- 
rung mannigfacher  Verletzung  bei  diesem  Sprunge  kann  den 
Glauben  begründet  haben,  daß  nur  der  Rechtschaffene  unverletzt 
die  Flammen  durchschreite  und  der  Heiltümer  teilhaftig  werde, 
der  Frevler  zu  seinem  Schaden  das  Gegenteil  erfahre.  Und  so 
hätten  wir  mit  einer  gewissen  Wahrscheinlichkeit  die  heidnische 
Vorstellung  und  Sitte  aufgefunden,  an  welche  die  christliche 
Priesterschaft  anknüpfte,  als  sie  zu  einer  Art  des  Ordals,  zum 
Gottesgericht  flür  solche,  die  sich  von  einem  Verdachte  zu  reinigen 
hatten,  das  Ueberschreiten  von  neun,  im  Feuer 
geglühten,  in  bestinmiter  Entfernung  von  einander  ausgelegten 
Pflugscharen  mit  bloßen  Füßen  (R.  A.  914)  machte.V 

Das  Ordale  der  glühenden  Pflugscharen  hat  uns  wieder  zu 
dem  Hauptgegenstande   der  Besprechung   in   dem  vorliegenden 


1)  Doch  wie  verhält  sich  dazu  der  Wurf  mit  gltihender  Pflt^char  zu 
Ermittelung  gesetzlicher  Weite?    G.  D.  S.  S.  58  £ 


Feaerdurcbgang.    Hochzeitbraach.  565 

Abschnitte,  den  Frühlings-  und  Mittsommerfeaern  zurückgeführt. 
Wenn  es  bisher  etwa  noch  unbewiesen  scheineri  konnte  y  daß  die 
Verbrennung,  also  Vernichtung  des  Baumes,  der  Puppen  u.  s.  w. 
eine  sinnbildliche  Darstellung  des  Hindurchgangs  der  Vegetation, 
des  Vegetationsdätnons  durch  die  Sonnenwärme  des  Sommers  war, 
so  hebt  die  Verbrennung  des  Pfluges,  „bis  er  zu  Trümmern 
fällt '^  (o.  S.  553)  jedefi  Zweifel,  daß  in  der  Tat  der  erwähnte 
Gedanke  in  dieser  rohen  Weise  verbildlicht  ist,  daß  der  Umstaftd 
der  Vernichtung  des  Symbols  hinsichtlich  seiner  Deutung  nicht 
in  Anschlag  gebracht  werden  darf 

§  14.  Feaerdurcbgang.  Hochzeitbraach.  Wir  schließen 
mit  zwei  Bemerkungen.  Die  eine  davon  ist  ein  neuer  Nachweis 
des  Parallelismus  der  Vegetationsdämonen  und  der  Menschen- 
welt. Denn  nur  durch  Vermittlung  der  VorstelUing  von  dem 
Maibrautpaare  (o.  S.  431  ff.  450.  462)  erklärt  sich,  wie  mir 
scheint,  die  Uebertragung  der  Bräuche  des  Mittsommer-  oder 
Frühlingsfeuers  auf  die  Hochzeit.  In  der  Gegend  von  Jüterbogk 
und  den  benachbarten  Gegenden  der  Mark  Brandenburg  war  es 
noch  im  vorigen  Jahrhundert  Sitte ,  nach  der  Hochzeitsfeier  ein 
altes  Wagenrad  vor  dem  Hause  oder  auf  einem 
Hügel  zu  verbrennen  und  die  Hochzeitgesellschaft  einen 
festlichen  Tanz  um  dasselbe  machen  zu  lassen.  ^  Bei  den  Klein- 
russen muß  die  Braut  auf  der  Fahrt  nach  der  neuen  Heimat 
mitten  durch  ein  kleines  Feuer  fahren,  das  vor  dem 
Tore  angezündet  wird.  Zieht  der  Hochzeitszug  abends  aus  der 
Kirche,  so  wird  vor  jedem  Dorfe  ein  Strohfeuer  entloht,  bei 
welchem  man  so  lange  anhält,  bis  die  Freiwerberinnen  aus  dem 
ersten  Schlitten  daran  kleine  Kuchen  gebacken  haben.  Auch 
der  Bräutigam  bei  den  Protestanten  im  Gömörer  Comitat  läßt, 
wenn  er  die  Braut  zur  Trauung  abholt,  den  Wagen  mehreremale 
halten,  wirft  Stroh  hinab,  entzündet  ein  Feuer  davor  und  leert 
bei  diesem  mehrere  Gläser  Branntwein.  In  Podlachien  gehört 
zu  den  Gerichten  des  Hochzeitmahles  ein  Hahn.  Diesen  hat 
man,  ehe  man  ihn  tödtet  und  brät,  zuvor  an  eine  Leiter  fest- 
gebunden,  und  über  einen  brennenden  Scheiterhaufen 


1)  Kahn,  Mark.  Sag.    S.  362. 


566  Kap.  VI.  Yegetationsgeister :  Sonnenzaaber.  Yerbrennang  d.  Maibaoms. 

hin  und  her   laufen  lassen,   den  man  zu  diesem  Zwecke 
auf  einer  Höhe  errichtet  hat.  ^ 

§  15.  Yerbrennung  des  Maibaums.  Die  andere  Bemer- 
kung betrifft  die  Verbrennung  des  Maibaums,  nachdem  er  ein 
Jahr  lang  (oder  wenigstens  längere  Zeit  hindurch)  seine  Stelle 
behauptet.  Ich  finde  eine  solche  mehrfach  in  gewissermaßen 
feierlicher  Weise  geschildert.  Im  Prager  Kreise  brechen  sich  die 
jungen  Leute  Zweige  des  gemeinschai'tlichen  Maibaums  ab  und 
stecken  sie  in  der  Stube  hinter  den  HeiUgenbildem  fest,  wo  sie 
bis  zur  nächsten  Maitagsfeier  aufgehoben  und  dann  auf  dem 
Herde  verbrannt  werden.^  Aus  Belgien  berichtet  Schay es : 
,,ä  la  fin  du  mois  de  Mai  on  se  rend  la  musique  en  tSte  ä 
chaque  endroit,  oü  se  trouve  un  mai,  qui  alors  est  cass6  on 
brälö.^  InWttrtemberg  verbleiben  ebenfalls  die  auf  Palmsonntag 
an  der  Stall-  resp.  Haustttre  aufgehängten,  mit  Buchsbaum,  Tan- 
nenzweigen, Eiern,  Aepfeln  und  Nüssen  geschmückten  Büsche 
daselbst,  bis  sie  herunterfallen  oder  nach  Jahresfrist  ver- 
brannt werden  (o.  S.  289). 

Es  scheint  aus  dieser  Uebereinstimmung  hervorzugehen,  und 
wir  werden  es  später  noch  bestätigt  finden,  daß  die  Verbrennung 
des  alten  Maibaums  ein  traditioneller  Zug  war.  Lag  demselben 
eine  tiefere  Bedeutung  zu  Grunde,  so  mag  es  analog  dem  Wasser- 
begießen der  letzten  Garbe  des  alten  Jahres  als  Begenzauber 
ein  Sonnenzauber  gewesen  sein,  um  der  neuen  Vegetation  Licht 
und  Wärme  in  erwünschtem  Maße  zu  sichern. 


1)  Beinsberg-DüriDgsfeld,  Hochzeitsbuch.    S.  39.  27.  54.  46.  41. 

2)  Erolmus  11,  257,  22.    Beinsberg  -  D&ruigsfeld ,  bohm.  Festkalender. 
S.  217. 

3)  Schay  es  A.  G.  B.,  Essai  historiqne.    Louvain  1834.    p.  209. 


k«ihm  tu 

Yegetationsdämonen :  Nertlius. 

§  1.  Tacitas  Aber  die  Nerthusumfahrt.  Obwohl  die  bis- 
her erörterten  Frtthliiigsgebräuche  das  Ansehen  eines  weit  älte- 
ren Ursprungs  tragen ,  reichen  die  meisten  Zeugnisse  fUr  diesel- 
ben nicht  über  den  Anfang  dieses  Jahrtausends  zurück;  nur  eine 
wertvolle  Angabe  des  Posidonius  schien  uns  das  Vorhandensein 
unserer  Frühlingsfeuer  in  Gallien  bereits  im  2.  Jahrhundert  der 
vorchristlichen  Aera  zu  bekunden.  Diese  Beobachtung  muß  an 
Wahrscheinlichkeit  gewinnen,  wenn  es  gelingen  sollte^  in  des 
Tacitus  Aufzeichnungen  über  Deutschland  (Germania  c.  40)  eine 
weitere  Spur  dieser  Classe  von  Gebräuchen  nachzuweisen.  Die 
Wichtigkeit  dieses  Stückes  fär  die  vaterländische  Altertumskunde 
möge  zur  Entschuldigung  dienen  ^  wenn  wir  demselben  eine  alle 
Möglichkeiten  erwägende  breitere  Behandlung  widmen.  ,,Beu- 
digni  deinde  et  Aviones  et  Anglii  et  Yarini  et  Eudoses  et  Suar- 
dones  et  Nuitones  fluminibus  aut  silvis  muniuntur.  Nee  quidquam 
notabile  in  singulis,  nisi  quod  in  commune  Nerthum,  id  est  Ter- 
ram  matrem,  colunt  eamque  intervenire  rebus  hominum,  invehi 
populis  arbitrantur.  Est  in  insula  Oceoni  castum  nemus  dica- 
tumque  in  eo  vehiculum,  veste  contectum,  attingere  uni  sacer- 
doti  concessum.  is  adesse  penetrali  deam  intellegit  vectam- 
que  bubus  feminis  multa  cum  veneratione  prosequitur.  laeti  tunc 
dies,  festa  loca,  quaecunque  adventu  hospitioque  dignatur. 
non  bella  ineunt,  non  arma  sumunt,  clausum  omne  ferrum;  pax 
et  quies  tunc  tantum  amata,  tunc  tantum  nota,  donec  idem  sacer- 
dos  satiatam  conversatione  mortalinm  deam  templo  reddat.  mox 
vehiculum  et  vestes  et,  si  credere  velis,  numen  ipsum 
secreto  lacu  abluitur.  servi  ministrant,  quos  statim  lacus 
haurit.  arcanus  hinc  terror  sanctaque  ignorantia,  quid  sit  illud 


568  Kapitel  VII.    YegetationBd&mouen:  Nerthos. 

quod  tantum  peritari  videnf  An  Ausftihrlichkeit  und  ABSchaa- 
lichkeit  kommt  keine  einzige  Sittenschilderong  in  der  Germania 
der  vorstehenden  gleich;  sie  verrät  sich  als  die  Beobachtung 
eines  Römers,  der  auf  einer  Reise  den  ihm  auffalligen  Kultus- 
gebrauch erlebte  und  weiter  erkundete.  Das  Interesse  daftir 
setzt  höhere  Bildung  voraus ;  die  militärische  Position ,  die  etwaige 
Verteidigungsfähigkeit  des  Landes  hatte  einen  Gegenstand  seines 
Studiums  gebildet;  er  war  vertraut  mit  dem  Leben  resp.  den 
geistlichen  Schaustellungen  in  der  kaiserlichen  Reichshauptstadt 
Zwar  scheint  dieser  Augenzeuge  nicht  Tacitus  selbst  gewesen  zu 
sein;  der,  wenn  er  überhaupt  aus  persönlicher  Beobachtung 
schöpfte,  allen  Anzeichen  nach  seine  Warnehmungen  am  Nieder- 
rhein gemacht  hat,^  jedesfalls  aber  ein  ihm  an  Gesinnung  und 
Lebenstellung  nahestehender  Mann. 

§  2.  Der  Sckauplatz  des  Festes.  Ueber  den  Wohnsits^ 
der  7  Stämme,  welche  den  Nerthusdienst  begangen  haben  sollen, 
läßt  sich  nur  soviel  mit  einiger  Gewißheit  sagen,  daß  er  nördlich 
vom  Bardengau  (im  Lttneburgischen)  anzusetzen  ist  und  wol  einen 
großen  Teil  des  heutigen  Schleswig -Holstein  (also  ein  Gebiet 
von  mindestens  100  —  200  Geviertmeilen)  in  sich  begriff.  Die 
Angeln  müssen  im  östlichen  Schleswig,  die  Varinen  ihnen  zur 
Seite  gedacht  werden,  die  Avionen  (goth.  Aujans,  ahd.  Ouwon, 
agl.  Eävan  Inselbewohner?)  auf  den  Inseln  an  Schleswigs  Ost- 
oder  Westküste.^  An  letzterer  (im  friesischen  Wattenmeer) ,  oder 
vielleicht  eher  noch  —  wie  MüUenhoff  will  —  am  meerbusen- 
artigen Unterlauf  des  einst  noch  breiteren  Eibflusses  werden 
wir  auch  die  Insel  zu  suchen  haben,  von  wo  aus  die  heilige 
Prozession  ihren  Ausgang  nahm.  Der  Besucher  mochte  mit 
einem  jener  damals  noch  vereinzelten  römischen  Schiffe  gekom- 
men sein,  deren  ein  Jahrhundert  später  häufig  gewordenen  Ver- 
kehr in  diesen  Gegenden  die  schleswigschen  Moorfunde  zu  bezeu- 
gen scheinen. 

§  3.  Glaabwflrdlgkelt  der  Nachrieht.  Tacitus  pflegt 
seine  Gewährsmänner  sorgfältig  zu  wählen;  die  Glaubwürdigkeit 
der  berichteten  Tatsachen  darf  daher  nicht  bezweifelt  werden; 


1)  Cf.  G.  Freytag,  Bilder  ans  d.  d.  Vergangenheit,  B.  I.  1867.  S.  32  ff. 

2)  S.  MüUenhoff,  NordalLing.  Stndien  I,  117  ff.    Grimm,  G.  D.  S.  472. 
Cf.  C.  Taciti  Germania  ed.  Schweizer-  Sidler.   Halle  1871.   S.  72  ff. 


Glaabwürdigkeit  der  Nachricht.  569 

aber  dabei  ist  die  Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen,  daß  er  die 
Aussage  des  Berichterstatters  mißverstand  und  weder  Vollstän- 
digkeit selbst  der  wesentlichen  Züge ,  noch  eine  zutreffende  Wie- 
dergabe des  inneren  Zusammenhanges  und  der  Motive  der  ange- 
schauten Handlungen  steht  zu  erwarten,  vielmehr  werden  grade 
die  Angaben  über  diese  mit  größerer  Wahrscheinlichkeit  den 
Schlußfolgerungen  des  Tacitus  selbst  oder  seines  Berichter- 
statters ihren  Ursprung  verdanken.  Grade  die  Germania  zeigt 
an  mehreren  Stellen,  daß  Tacitus  die  Beweggründe,  die  psycho-, 
logischen  Anlässe  der  deutschen  Sitten  zu  ideal,  zu  philosophisch 
auffaßte.  Vgl.  z.  B.  was  er  Gap.  IX  über  den  noch  bildlosen 
Gottesdienst  der  Germanen  äußert.  Je  deutlicher  hier  irgendwo 
der  Stempel  taciteischen  Geistes  sich  bemerkbar  macht,  um  so 
gewisser  sind  wir  berechtigt,  unbekümmert  um  die  Auslegung 
des  Autors  die  tatsächlichen  Züge  herauszuheben,  und  nur  diese 
unserer  eigenen  Deutung  zu  Grunde  zu  legen.  In  hohem  Grade 
aber  prägt  sich  grade  in  der  taciteischen  Schilderung  des  Nerthus- 
dienstes  der  eigenartige  Gharacter  des  Schriftstellers  ab,  jene 
Hoheit  und  Würde,  die  Plinius  ihm  nachrühmt,  das  Bestreben, 
auf  das  innerste  Wesen,  in  den  psychologischen  Grund  der 
Erscheinungen  einzudringen,  bei  der  Darstellung  in  gedrängter 
sentenziöser  Kürze  allein  das  Bezeichnende  und  seiner  Ansicht 
nach  Wichtigste  herauszuheben.  Wenn  dabei  seine  Subjectivität 
einen  weiten  Spielraum  fand,  so  mag  es  leicht  geschehen  sein, 
daß  er  unwillkürlich  seinen  objectiven  Stoff  durch  Umdeutung 
veränderte.    „Nee  quidquam  notabile  in  singulis  nisi  quod  in 

commune  Nerthum colunt,'^  heißt  das,   „sie  haben  ein 

gemeinsames  Heiligtum  oder  Fest  einer  Gottheit  Nerthus^'  oder 
„von  jedem  einzelnen  Yolksstamme  v^ßte  ich  nichts  Besonderes 
(proprium)  zu  sagen,  aber  alle  diese  Yolkstämme  haben  eine 
gemeinsame,  von  andern  Völkerschaften  sie  unterscheidende 
Eigen tümlickheit,  die  Nerthusverehrung?''  Im  ersteren  Falle  wäre 
der  Kult  nur  an  einem  einzigen  Orte  oder  von  einem  Orte  aus- 
geübt, in  letzterem  könnte  er  an  vielen  Stellen  zugleich,  nur  auf 
gleiche  oder  ähnliche  Weise  vollzogen  sein.  Des  Tacitus  ganze 
Darstellung  läßt  uns  darüber  nicht  im  Unklaren,  daß  er  selbst 
seinen  Ausdruck  in  ersterem  Sinne  verstanden  wissen  wollte. 
Wir  werden  jedoch  am  Ende  unserer  Erörterungen  die  Frage  zu 
erwägen  haben,  ob  nicht  etwa  die  überlieferten  Tatsachen  den 


570  Kapitel  YII.    Vegetatioiuidamönen:  Nerthns. 

Schloß  heransfordern,  daß  sein  Gewährsmaim  eine  ähnliche 
Wendung  in  anderer  Meinnng  gebraucht  hat.  Zergliedern  wir 
zunächst  den  sachlichen  Inhalt  der  taciteischen  Schilderung. 

§  4.  Der  Name  Nerihas.  Den  sieben  vorher  genannten  Stäm- 
men gemeinsam  war  eine  gottesdienstliche  Begehung ,  in  Bezug  auf 
welche  der  römische  Berichterstatter  den  einheimischen  Namen 
Nerthus  yemahm.  Diese  Lesart ,  welche  Uhland^  zu  Gunsten 
der  wegen  des  folgenden  Terra  mater  vorgezogenen  Variante 
Herthum  bekämpft ^^  hat  die  größere  Beglaubigung  f)lr  sich.^ 
Von  ihr  müssen  wir  ausgehen,  wenn  gleich  das  ungewöhnliche 
h  nach  t  Anstoß  und  Bedenken  zu  erregen  geeignet  ist.  Im 
ganzen  Gebiete  des  germanischen  Sprachschatzes  bietet  sich  keine 
andere  Analogie^  als  der  Name  einer  altnordischen  Gottheit 
Njördr  j  der  in  gothischer  Sprache  ausgedrückt  Nairthus  (Nerthus), 
in  althochdeutscher  Zunge  Nirdu  gelautet  haben  wttrde.  Aus 
dieser  schönen  Entdeckung  J.  Grimms  aber  sofort  auf  eine  dem 
Njördr  entsprechende  deutsche  Göttin  Nerthus  zu  schließen, 
wäre  yerfrttht,  da  wir  nicht  allein  die  Möglichkeit  einer  Verderb- 
niß  der  Ueberlieferung  des  Namens  Nerthus  von  Tacitns  bis  auf 
Enochs  Msc.  uns  gegenwärtig  halten,  sondern  auch  dies  berück- 
sichtigen mttssen,  daß  der  Ausdruck  Nerthus  nicht  notwendig 
eine  Gottheit  bezeichnen  mußte,  vielmehr  möglicherweise  nur  die 
Bezeichnung  der  Geremonie,  oder  eines  wesentlichen  Stückes 
darin  war,  falls  die  „interpretatio  Bomana:  Terra  mater ,^(  wie 
wir  sehen  werden ,  auf  die  Aehnlichkeit  der  Bräuche  sich  stützte. 
Selbst  wenn  eine  Gottheit  und  sogar  eine  dem  nordischen  Njördr 
verwandte  gemeint  war,  muß  nicht  unbedingt  an  eine  weibliche 
gedacht  werden ;  die  augenfälligen  Aeußerlichkeiten  des  bildlosen 
Gultus  konnten  die  Vergleichung  mit  der  Terra  mater  hervor- 
rufen, auch  wenn  dem  Worte  Nerthus  in  der  Sprache  der  Ein- 


1)  Sagenforschungen  II.  Odhin.  Schriften  VI,  187. 

2)  Als  durch  fehlerhafte  Wiederholung  des  ne  Ton  commune  ans  der 
Lesart  „in  commune  nehertum"  entstanden. 

3)  Cf.  Germania  antiqua.  Comelii  Taciti  libellum  ed.  MüUenhoffius. 
S.  37.  Holtzmanns  Einfall  (Germ.  Altertümer  Lpzg.  1873,  S.  69.  254  die  aus 
in  commune  entstandenen  Verderbnisse  der  Stuttgarter  Codices  inamine, 
mamme  für  Herstellung  einer  Lesart  Ammun  Ertham  zu  verwerten,  fallt 
abgesehen  von  der  Handschriftenfrage  durch  die  Notwendigkeit  des  Gegen- 
aataes  yon  in  commune  zu  singullB. 


Bedeutaug  der  Interpretatlo  Terra  mater.  571 

geborenen  männliches  Geschlecht  zukam.  NjörSr  durch  Umlaut 
entstanden  aus  njar-du-r  (Brechung  von  nir-du-r)  würde  einem 
goth.  Nair-I)U-s  (Brechung  von  Nir-pu-s)  entsprechen.  Dieses 
wäre  gebildet  wie  die  Masculina  dau  -  1)U  -  s  (Tod ,  Zustand  des 
Hinschwindens  von  divan  stumpf  sem,  todt  sein)  lei-l)u-s  Wein, 
Fltlssigkeit  (von  Wurzel  11  flüssig  sein),  vahs-tu-s  Wuchs  (von 
vahsjan  wachsen)  lus-tu-s  Lust  (Wz.  lash,  begehren),  drauhti- 
nassus,  skalkinassus  u.  s.  w.  (aus  drauhtmat  -  tu  -  s ,  skalkinat- 
tu-s)  Kriegsdienst,  Dienst  (von  drauhtinön,  skaUdnön  dienen); 
die  latein.  Masc.  motus,  exitus,  fluctus,  saltus,  die  griech.  Fem. 
ßorjTvg,  öaizvg,  idrjzvg,  lauter  Abstracte  mit  dem  primären  Suffix 
tu  von  Verbis  abgeleitet.  Nur  hlit-tu-s  Dieb  von  hlitan  stehlen 
gewährt  das  Beispiel  eines  Nomen  agentis.  Nerthus  würde  nach 
diesen  Analogien  aui'  einen  Stamm  niran,  goth.  nalran  zurück- 
gehen, der  den  germanischen  Sprachen  verloren  ist  und  über- 
haupt als  Verbum  nicht  mehi*  vorzukommen  scheint,  unzweifel- 
haft aber  aus  Skr.  nara  Mann,  Mensch,  griech.  dvi^Q,  umbrisch 
ner  Mann,  osk.  neres  viri  strenui,  sabin,  neriOy  enes  Mannheit, 
Tapferkeit,  Kraft,  wälsch  ner-th,  Kraft,  Macht,  Hilfe,  ner  -thus 
kräftig  mächtig,  gälisch  near-t  Gewalt,  near-tor  kräftig  mit  der 
Bedeutung  kräftig  sein,  sich  als  Mann  beweisen,  wird  erschlos- 
sen werden  dürfen.  Nerthus  resp.  Njördr  könnten  mithin  Mann- 
heit,  Erweisung  der  Manneskraft,  oder  den  als  Mann  sich  Erwei- 
senden bezeichnen.^ 

§  5.  Bedeatung  der  Interpretatlo  Terra  mater.  Id  est 
Terram  niatrem ,  das  ist  die  Interpretatlo  Romana  (Germ.  43)  des 
in  den  nächsten  Sätzen  beschriebenen  Gebrauches;  und  zwar 
hatte  Tacitus  oder  sein  Gewährsmann  dabei  nicht  sowol  die  von 
der  nationalen  Priesterschaft  bei  feierlichen  Gelöbnissen  als 
Terra  mater  gewöhnlich  mit  den  Manen  angerufene  Tellus,' 


1)  H.  Leo  in  Haupt  Zs.  f.  D.  Altert.  UI,  226, 10.  Simrock,  Handb. 
d.  D.  Myth.«  179.  Oh.  W.  Glück,  die  kelt.  Namen  bei  Cäsar.  München 
1867.  Corseen,  Za.  f.  Tgl.  Spracht  V,  116  ff.  Cf.  Cnrtius,  Grundzüge. 
Lpzg.  1868.    S.  275  Nr.  422.    Pick ,  Indogerm.  WB.  1868.   8. 103. 

2)  Diis  manibns  matriqne  Terrae.  Livias  8,  6.  cf.  8,  9.  10,  28.  Qnum 
irraens  vnlgas  (beim  Tode  Galliens)  pari  clamore  Terram  matrem  Deosqae 
inferos  precaretnr.  Anr.  Yict.  Caes.  33.  Von  Bratas:  Illt  tacens  pronns 
matri  dedit  oscnla  Terrae.  Ovid  Fast.  II,  719.  Cf.  Preller,  Rom. 
Myth.  Aufl.'  i02.    Uhland,  Schriften  VI,  187. 


573  Kapitel  YII.    VegetatioiiBd&moneD:  Nerthas. 

als  vielmehr  abweichend  von  dem  sacralen  nnd  sonstigen  Sprach- 
gebrauch die  phrygische  magna  mater,  mater  defim  im  Sinne, 
welche  von  den  römischen  Gelehrten  als  Göttin  des  Erdnindes 
aufgefaßt  werde.*  Denn  die  Gebräuche,  welche  die  jährlichen 
Feste  der  letzteren  in  Rom  den  Bewohnern  der  Hauptstadt  zur 
Schau  stellten,  waren  in  so  vielen  Stücken  dem  Nerthnskulte 
gleich,  daß  sotbrt  einleuchten  muß,  woher  der  Beobachter  zu 
seinem  Vergleiche  kam.  Vorzüglich  kommt  hierbei  das  Märzfest 
in  Betracht,  wie  es  seit  Kaiser  Claudius  begangen  wurde.  Es 
begann  mit  dem  22.  März,  der  im  römischen  Festkalender  mit 
dem  Namen  arbor  intrat  bezeichnet  war.  Im  Pinienhain  der 
Cybele  wurde  dann  ein  schöner  Baum  auserkoren,  sein 
Stamm  mit  wollenen  Binden  bewickelt,  seine  Aeste  mit  Krumm* 
Stab,  Tympana,  Flöten,  Klappenblechen  (den  Symbolen  des  Kul- 
tus) behangen,  außerdem  reichlich  mit  frischen  Veilchen,  den 
Erstlingen  des  Frühlings ,  geschmückt  und  umkränzt,  und  dazwi- 
schen die  Figur  eines  Jünglings,  des  entmannten  und 
gestorbenen,  sodann  in  die  Fichte  verwandelten  Attis,  des  Lieb- 
lings der  Cybele  aufgehangen.  Dieser  Baum  wurde  abgehauen 
und  feierlich  (solemniter)  in  das  AUerheiligste  (adyton ,  sacrarium) 
der  großen  Mutter  getragen.^     Es  folgte  eine  Zeit  des  Fastens, 


1)  Nam  et  ipse  Yarro  qaasi  de  ipsa  tnrba  verecandatos  anam  deam 
vult  esse  Tellnrem.  Eamdem,  inqait,  dicunt  Matreni  magnam,  quod 
tympanum  habeat,  significari  esse  orbem  terrae:  quod  turris  in  capite» 
oppida;  quod  sedes  fiugantur  circa  eam,  cum  omnia  moveantur,  ipsam  non 
moveri.  Augustin.  civ.  Dei  VII,  24.  Opp.  Bassan.  1797  Sp.  236.  Cf.  id, 
VI;  8.  Sp.  203.  Si  autem  interpretationis  hujus,  quando  agitur  de  sacris 
Matris  deüm,  caputest  certe^  quod  Mater  deüm  terra  est.  —  Lucretias 
n.  r.  11,657:  Concedumus  et  hie  terrarum  dicat  et  orbem  esse  Deüm 
matrem. 

2)  Amobius  5,  16.  21.  Quid  sibi  vult  illa  pinus,  quam  semper  statis 
diebus  in  Deöm  matris  intromittitis  sanctuario.  nonne  illins  similitudo  est 
arboris,  si  quae  sibi  fnrens  manus  et  infaelix  adolescentulus  intulit  et  gene- 
trix  divüm  in  solatium  sui  vulneris  consecravit ?  Quidlanarumyellera, 
quibus  arboris  colligatis  et  circumvolvitis  stipitem?  Quid 
compti  yiolaceis  coronis  et  redimiti  arboris  ramuli?  Jul.  Firmicus  de 
error.  3,  p.  3.  B.  profan,  rcl.  In  sacris  Fhrygiis ,  quae  matris  Deum  dicunt, 
per  annos  singulos  arbor  pinea  colitur ,  et  in  media  arbore  simulacrum 
juvenissubligatur.  Jo  Lyd.  de  mens.  lY, 41:  ttqo  fftxnfjiiäg  Kttkavd^ 
AnqiKtov  (ad.  XI  K.  Apr.  =  22.   März)  S4vS^ov  nirvg  na^ä   rcSv  Sbv^qo' 


Bedeutung  der  Interpretatio  Terra  msier.  573 

der  Trauer^  bitterer  und  exstatischer  Klage  während  melirerer 
Tage,  welche  Macrobius  unter  dem  Namen  ycacaßaaig  znsanmien- 
faßt.  Auf  die  Trauer  folgte  am  25.  März  (Hilaria)  die  Freude 
und  der  Jubel,  Attis  wurde  als  wieder  aufgelebt  und  der  Göttin 
wiedergegeben  gefeiert,  nun  da  der  Tag  merkbar  den  Sieg  über 
die  Nacht  gewann.^  Nach  einem  Ruhetag  (requietio)  fand  am 
27.  März  ein  feierlicher  Umzug  statt;  das  Bild  der  Göttermutter 
wurde  auf  einem  von  Bindern  gezogenen  Wagen  durch 
die  Stadt  gefahren  (ein  schwarzer  eckiger  Stein  bildete  in 
Silber  gefaßt  das  Gesicht  des  Idols),  umdrängt  und  umwogt  von 
einer  unabsehbaren  vielfach  maskierten  Menge  aus  allen  Ständen, 
welche  sich  jegliche  Art  von  Spaß  erlaubte.  Das  Ziel  des  Um- 
zugs war  die  Mttndung  des  Flusses  Almo  in  die  Tiber 
dicht  Yor  der  Porta  Capena  (Porta  di  San  Sebastiane)  dort 
wurde  das  Bild  der  Göttin  sammt  dem  Wagen  gebadet,' 
woher  der  Tag  dies  lavationis  hieß.  Auf  Zeugung  bezügliche 
Lieder  wurden  bei  dem  Umzüge  gesungen^  und  wenn  es  mehr 
als  wahrscheinlich  ist,  daß  auch  in  dem  seit  Claudius  yervoU- 
ständigten  Kultas  die  älteren  Bräuche  noch  fortdauerten,  so  hat 
man  bei  der  Rückkehr  in  die  Stadt  Wagen  und  Zugtiere  mit 
den  jungen  Blumen  des  Frühlings  bestreut,^  während  ein 


(poQMf  i(piQ€-io  iv  T^  nalvrCo'.    Cf.  Bötticher,  BatiinlniltaB  8. 142.    Preller, 
Rom.  Myth.  Aufl.  1.   p.  737. 

1)  Jul.  de  Dmatr.  V,  p.  168:  xffivfaO-ttL  yttQ  ffatsi  ro  IfQOY  i^Mnov  ytt^ 

21»  10  quo  primum  tempore  boI  diem  longiorem  nocte  protendit. 

2)  AmmiaD.  Marcel.  XXIII,  3  p.  259  Lindenbrog:  ante  diem  sextum  kal., 
quo  Roroae  matri  deoram  pompae  celebrantur  annales,  et  carpentnm, 
qao  vehitnr  simalacrnm  Almonis  undis  ablai  perbibetur. 

3)  AngQstin  Civ.  Dei  II,  4:  Ludis  tnrpissimis  qui  diis  deabusque  exhi- 
bebantnr  obtestabamar.  Caelesti  virgini  et  Berecyntbiae  matri  omnium,  ante 
cigiis  lecticam  die  solemni  lavationis  ejus  talia  per  publicum  cantitabantnr 
a  neqoiBsimis  scenicis ,  qualia  non  dico  matrem  deomm ,  3bd  matrem  qaa- 
linmcanqne  senatoram  vel  quonimlibet  honestomm  yiromm  immo  vero  qoa- 
Ifa  nee  matrem  ipsorom  scenicomm  deceret  andire. 

4)  Orid  Fast.  IV,  336  ff.:  Est  locus,  in  Tiberin  qua  lubricus  influit 
Almo,  et  nomen  magno  perdit  ab  amne  minor.  Illic  purpurea  canus  cum 
veste  sacerdos  Almonis  dominam  sacraque  layit  aquis  ....  Ipsa 
(Dea)  sedens  planstro  porta  est  invectar Capena,  Sparguntur  junctae 
flore  |recente   boves.     Cf.  die  Schilderung  des  Lucrez  vom  Umzug  der 


574  Kapitel  VII.    Vegetation sdamonen:  Nerthns. 

Priester  und  eine  Priesterin  phrygischer  Abknnft  unter  Flöten- 
spiel und  PaukenscUag  und  Absingung  heiliger  Lieder  von  der 
Mutter  (jtijTQiiKi  fuh])  Stadtviertel  bei  Stadtviertel  einen 
Umgang  (a;/€^/<og)  hielten  un.d  Haus  bei  Haus  Gaben  (stips) 
einsammelten,  man  nannte  das  r^  tirjTQi  dyeiQuv.^  In  Rom 
war  einzig  und  allein  diese  Collecte  von  Seiten  religiöser 
Körperschaften  erlaubt.^  Die  Umfahrt  der  großen  Mutter 
auf  dem  rinderbespannten  Wagen  und  ihr  Bad  sammt 
dem  Fahrzeug  sind  so  augenscheinliche  Aehnlichkeiten  mit  dem 
von  Tadtus  geschilderten  deutschen  Brauch,  daß  offenbar  um 
ihretwillen  die  Bezeichnung  des  letzteren  als  Kultus  der  Terra 
mater  statt  hatte.  Unmöglich  bleibt  es  nicht,  daß  auch  noch 
andere  Ztige  des  deutschen  Gottesdienstes  geartet  waren,  einen 
mit  dem  Gybelekult  der  römischen  Hauptstadt  bekannten  Mann 
in  dieser  Gleichsetzung  zu  bestärken.  Für  uns  aber  tritt,  da  das 
Urteil  des  Römers  auf  dem  Vergleiche  von  Aeußerlichkeiten 
beruhte,  die  Berechtigung  sowol  als  Verpflichtung  ein,  lediglich 
den  tatsächlichen  Inhalt  der  taciteischen  Schilderung  zu  Rate 
zu  ziehen. 

§  6.  Tatslehllcher  Inhalt  des  taciteischen  Beriehtes. 
1)  Fällt  mit  der  Conjectur  des  taciteischen  Gewährsmannes  jeder 
Beweis  fUr  die  Geltung  der  Nerthus  als  Erdmutter,  ja  als  eine 
weibliche  Gottheit  überhaupt  hinweg,  so  bleibt  —  wie  es  scheint  — 
als  tatsächliche  Grundlage  des  Berichtes  der  Glaube  ttbrig,  daß 
ein  Numen,  sei  dies  nun  weiblich  oder  männlich  gedacht  zu 
gewissen  Zeiten,  um  auf  die  menschlichen  Angelegenheiten  den 
Einfluß  zu  üben,  sich  einfinde  (intervenire  rebus  hominum)  und 
auf  einem  Wagen  zu  den  Völkern  komme  (invehi  populis).  Die 
Annahme  liegt  am  nächsten,  daß  die  Erscheinung  der  Gottheit 
zu  bestimmten  mit  Regelmäßigkeit  wiederkehrenden  Zeiten  statt 
hatte,  darauf  bezieht  sich  der  erste  Satz,  der  zweite  spricht  von 
einer  Prozession,  welche  nach  dem  Wamehmen  der  Erscheinung 
des  Numen  tfegann. 


mater  Idaea  durch  die  Erde  ü,  639:  aere  atqne  argento  stenitiiit  iter  omne 
▼iaram,  largifica  stipe  ditantes,  niDguntqae  rosarum  floribus,  umbrantes 
matrem  oomitomqiie  catervam. 

1)  Ovid  Fast.  IV,  350.    Preller  Rom.  Myth.»  S.  450  ft. 

2}  Cicero  de  leg.  U.  Praeter  Ideae  matris  famalos  eosqne  jnstis  diebus 
ne  quis  stipem  cogito. 


Die  Tataachen  des  Berichtefl.  575 

2)  Der  Ausgangspunkt  der  Prozession  war  ein  heiliger  Wald, 
oder  vielmehr  ein  solcher,  welcher  in  stiller  Abgelegenheit  darch 
den  Besuch  der  Menge  nicht  entweiht  war  (castum  nemus).  Es 
wird  der  Wahrheit  nicht  fem  liegen,  wenn  wir  vermuten,  daft 
um  dieses  Umstandes  willen  einem  Walde  auf  der  Insel  der 
Vorzug  vor  einem  solchen  auf  dem  Festlande  gegeben  wurde.  ^ 
War  dies  der  Fall,  so  wird  am  ehesten  an  ein  der  Küste  nahe 
liegendes  oder  im  Strome  belegenes  kleineres  unbewohntes  Eiland 
zu  denken  und  schon  deswegen  eine  größere  Insel,  wie  Rügen, 
Femam  u.  s.  w.  außer  Acht  zu  lassen  sein. 

3)  Der  Umzug  begann,  sobald  der  Priester  an  gewissen 
Zeichen  wamahm  (intellegit),  daß  die  Gottheit  in  ihrem  Heilig- 
tume  (penetrale)  zugegen,  daß  ihre  Erscheinung  eingetreten  sei. 
J^acitus  will,  wie  es  scheint,  den  Ausdruck  penetrale  auf  den 
verhüllten  Wagen  bezogen  wissen,  während  es  viel  natürlicher 
wäre,  an  das  AUerheiligste  des  Waldes,  das  castum  nemus  zu 
denken.  War  das  Numen  in  diesem  nicht  zu  allen  Zeiten  gegen- 
wärtig, so  erfUllte  es  unzweifelhaft,  sobald  es  erschien,  auch  den 
Wagen.  Wie  leicht  konnte  Tacitus  hier  den  Worten  seines 
Berichterstatters  durch  leise  Verschiedenheit  der  Auffassung  eine 
andere  Wendung  geben,  wie  leicht  dieser  selbst,  (der  doch 
schwerlich  mit  im  Walde  gewesen  ist)  seinen  Gewährsmann  miß- 
verstehen. Und  auch  dies  werden  wir  nicht  mit  Notwendigkeit 
dem  taciteischen  Bericht  als  tatsächlich  zu  entnehmen  haben, 
daß  das  dicatum  vehiculum  schon  vorher  dort  bereit  gestanden 
habe,  gleichsam  das  Nahen  der  Gottheit  erwartend,  sondern 
es  war  da  in  dem  Zeitpunkte,  wann  die  Prozession  beginnen 
sollte. 

4)  Auf  einem  mit  Kleidern  (oder  Tüchern  ?)  verhüllten  Wagen 
wurde  das  Numen  zum  Festorte  gefahren.  Wie  der  Wagen  über 
das  Meer  auf  das  Festland  zu  den  „populis''  gelangte,  sagt 
Tacitus  nicht.  Diese  Breviloquenz  kann  ein  Fingerzeig  sein, 
daß  seine  Schilderung  auch  andere  wesentliche  Züge  ver- 
schweigt Zugleich  aber  dürfte  die  Nichterwähnung  des 
Schiffes  eine  indirecte  Bestätigung  der  Annahme  enthalten,  daß 


1)  Sehr  in  die  Irre  geht  ühland,  wenn  er  in  seiner  Schwab.  Sagen- 
konde  (Schriften  YIII,  44— &3)  zn  erweisen  sucht,  der  Inselhain  der  „Erd- 
mntter"  sei  eine  Erinnemng  an  die  überseeische  Urheimat  der  Grermanen. 


576  Kapitel  VII.    Vegetationsd&inoiien :  Nerthüs. 

die  Seefahrt  keine  weite ,  die  fragliche  Insel  nur  ein  Eiland  in 
der  Nähe  des  Landes  war  (o.  S.  586). 

5)  Der  Wagen  war  von  Kühen  (bnbns  feminis)  gezogen  and 
mit  Gewandnng  bedeckt  (veste  contectnm).  Er  enthielt 
offenbar  kein  Götterbild ,  aber  wahrscheinlich  irgend  ein  Symbol 
der  Gottheit.  Kinder  waren  die  ältesten  Zugtiere ;  im  Gottesdienst 
und  im  Hofbranch,  den  trenesten  und  beständigsten  Bewahrem 
vergangener  ColturzuslAnde  nnd  Formen  y  dauerten  sie  auch  dann 
noch  fort,  als  sie  längst  yom  feurigeren  Rosse  auf  allen  höheren 
Lebensgebieten  ersetzt  waren.  Noch  die  merovingischen  Könige 
fuhren  mit  Rindei^spann;  bei  Todtenbestattungen,  die  an  der 
Heiligkeit  religiöser  Acte  teilnahmen,  wurde  der  Leichnam  nach 
Ausweis  fränkischer  Heiligenlegenden  mit  Ktthen  oder  Ochsen 
zu  Grabe  gefUirt;^  in  Anhaltischen  Orten  unweit  Zerbst  läBt. 
man  noch  heute  jeden  Todten  auf  einem  mit  Ochsen  bespannten 
Wagen  zuvor  in  einen  Teich  fahren.*  Bei  der  Feldbestellung 
und  im  Gebrauch  des  kleinen  Ackerbürgers  dauert  das  Binder- 
gespann dagegen  vielfach  noch  fort  Da  zu  Tacitus  Zeit  (Germ.  10) 
bei  anderen  deutschen  Stämmen  bereits  heilige  Bosse  an  den 
Wagen  geschirrt,  zu  gottesdienstlichen  Zwecken  dienten,  wird 
man  zweifelhaft  sein,  ob  das  Knhgespann  der  Nerthus  eine  in 
diesem  Kultus  bewahrte  archaistische  Beminiscenz  war,  oder  ob 
ihm  eine  besondere  Absicht  zu  Grunde  lag.  In  diesem  Falle 
könnten  die  Binder  auf  eine  Beziehung  der  Prozession  zum  Acker- 
bau, ihr  weibliches  Geschlecht  auf  die  Idee  der  Befruchtung  hin- 
weisen. Wie  man  sich  das  vehiculum  veste  contectum  zu 
denken  habe,  scheint  eine  bereits  von  Grimm  angezogene,  aber 
nicht  ausgenutzte  Analogie  deutlich  genug  anzuzeigen.  Der 
heilige  Martin  von  Tours  begegnete  einst  einem  Leichenzuge,  den 
er  für  einen  heidnischen  Umgang  hielt :  „Accidit  autem  in  seqnenti 
tempore,  dum  iter  ageret,  ut  gentilis  cujusdam  corpus,  qnod  ad 
sepulcrum  cum  superstitioso  ftinere  deferebatur,  obvium  habere! 
Conspicatusque  eminus  venientem  turbam  quidam  id  esset  ignaros 
pauUulnm  stetit.  Nam  cum  fere  quingentorum  passuum  inter- 
vallum esset,  ut  difficile  fuerit  dignoscere  quid  videret,  tarnen 


1)  S.  Mannhardt,  Germ.  Mythens.  51—52. 

2)  H.  Pröhle,  Magdeburger  Correspondent  1850.   Qnart.  2.    H.  Pröhle, 
Harzsagen  1854.  p.  XXXI. 


Die  Tatsachen  des  Berichtes.  577 

qnia  rasticam  mannm  cerneret  et  agente  vento  linteamina 
corpori  saperjecta  volitarent  profanos  Bacrificiomm  ritus 
agi  eredidit:   quia  esset  haec  GaUorum  rusticis  consududo  simu- 
Idcra  daemonum  candido  tecta  vdamine  misera  per  agros  suos 
eircumferre  dementia}^  ^  Ganz  so  wird  noch  jetzt  z.  B:  in  Beken- 
dorf  im  Halberstädtschen  and   zn  Homhansen   der  Sarg  jeder 
Wöchnerin  nnter  einem  weißen  Laken  anf  den  Friedhof  getragen 
und   ins  Grab  gesenkt,*  im  Jeverland   spreitet  man   über  das 
schwarze  Leichentuch  ein  weißes.^    Nach  Ausweis  der  Abbildung 
des  Bades  Homhansen  in  Merians  Theatrum  Europaeum  V,  1651. 
p.  1080  wurde  dort  im   17.  Jahrhundert  wol  jede  Leiche  „mit 
einem  weißen  Tuche  bedecket "  getragen.  Jener  religiöse  Umzug, 
den  St.  Martin  nahe  bei  Tours  in  dem  harmlosen  Leichenzuge 
zu  erkennen  vermeinte,  wird  wahrscheinlich  kein  anderer  sein, 
als  derjenige ,  den  Gregor  von  Tours  (De  gloria  confessor  c.  55. 
Opp.  pior.  Paris  1640.  P.  I,  478)  aus  der  Umgegend  von  Autun 
schildert:    „ferunt  etiam  in  hac  urbe  simulachrum  fuisse 
Berecynthiae,    sicut    sancti    martyris   Symphoriani    declarat 
historia.    Hanc  cum  in  carpento  pro  salvatione  agrorum 
et  vinearum  suarum  misero  gentilitatis  more  defer- 
rent,  adfuit  supradictus  Simplicins  episcopus  haud  procul  aspi- 
eiens  cantantes  atque  psallentes  ante  hoc.  simulacrum.^^  Er  macht 
das  Zeichen   des   Kreuzes   und   die   Zugochsen   bleiben    stehen 
(boves  telluri  sunt  stabiliti).    Sei  jedoch  die  Sache,   wie  sie 
wolle ;  gab  es  wirklich  in  Autun  ein  Heiligtum  und  Bild  der  aus 
der  Fremde  gekommenen  Cybele  (Berecynthia),  oder  wurde  der 
Umzug  einer  gallischen  Gottheit  durch  die  Aecker  mit  der  Pro- 
zession der  Göttermutter  verglichen  (cf.  Myth.*  234*),  der  dann 
mit  jener  heidnischen  Begehung  aus  der  Gegend  von  Tours  ver- 
wandt sein  konnte,  in  jedem  Falle  steht  soviel  fest,  daß  es  in 
Gallien  zu  heidnischer  Zeit  Sitte  war,  Götterbilder,  sowie  es  mit 
Leichnamen  gehalten  wurde,  und  in  Deutschland  zum  Teil  heute 
noch  gehalten  wird,  mit  einem  Tuche  überdeckt  auf  den  Aeckem 
umherzutragen.    Dies  geschah   in   dem   einen  wie  dem  andern 


1)  Solpitii  Severi  Vita  St.  Martini  cap.  DL  Sarins,  de  prob.  Sotm.  bist. 
T.  VI.   Col.  A^pp.  1575.  p.  252. 

2)  H.  A.  Pröhle,  kirchliche  Sitten.  Berlin  1858.  S.  201.    Ders.,  Chronik 
von  Homhansen  1850.   S.  143. 

3)  Strackeijan,  Abergl.  n.  Sagen  H,  131,  460. 

Mannhardt.  37 


578  Kapitel  YII.    Vegetatiousdamonen:  Nerthns. 

Falle  aus  Ehrfurcht^  nm  den  geheiligten  Gegenstand  nicht  etwa 
geheim  zu  halten,  wol  aber  lieblosen  Blicken  za  entziehen.  Die 
Uebereinstinunung  der  Kultarzustände  im  alten  Germanien,  und 
Gallien  war  bei  manchem  bedeutenden  Unterschiede  groB  genug, 
um  es  wahrscheinlich  zu  machen,  daß  auch  der  Nerthuswagen 
einfach  aus  einem  Gefährte  bestand,  das  mit  einem  Tuche  (resp. 
mehreren  Decken)  oder  mit  Kleidern  (veste  contectum,  vestes 
abluntur)  bespreitet  war.  Dieser  Au£fassung  entspricht  auch  der 
Sprachgebrauch  von  vestis,  das  außer  der  Garderobe  den  Teppich 
bedeutet,  womit  man  die  Polster  belegte.  Eine  andere  Möglich- 
keit freilich  erhellt  aus  einer  gleichfalls  von  Grimm  bereits  bei- 
gebrachten Begebenheit  unter,  Gothen.  Sozomenos  bist  eccl.  1.  VI. 
c.  37  schildert  nämlich  die  von  Athanarich  (zwischen  den  Jahren 
370 — 372)  angestellte  Christenverfolgung:  Uys^ai  yovv  äg  zi 
^oavov  e€p*  äq^a^a^Tig  kanog,  oi  ye  vavro  nocsiv  V7t6  ^^d^a" 
vaqixov  7vqo0a%dxdni]aav,  xa-^  endazrjv  axijvfjv  TtBqidyowsq 
Twv  ^^ea^tcryt^ay  narayyallofievcav ,  iyUkavov.  zovto  7cqo(Tkvp€iv 
Yjui  -dveiv.  ziüv  de  TceQiaizov^iiviüv ,  avv  airroig  dv&Qi'noig  Tag 
a)Cf]vag  evanifinquifv.  Es  fragt  sich,  ob  das  Gebahren  des  Königs 
eine  ausnahmsweise  Maßregel  oder  der  Yolkssitte  nach  gebildet 
war.  Hatten  die  Gothen  den  Brauch,  zu  gewissen  Zeiten  mit 
dem  Götterbilde  von  Haus  zu  Haus,  von  Zelt  zu  Zelt  %u  ziehen 
und  Opfergaben  in  Elmpfang  zu  nehmen,  nach  Art  unserer  Um- 
gänge mit  dem  Maibaum,  Pflingstl,  Begenmädchen  u.  s.  w.,  so 
gab  es  freilich  kein  besseres  Mittel,  die  Treue  des  Volkes  gegen 
den  altvaterischen  Glauben  zu  erkunden,  als  wenn  solcher  Umzug 
jetzt  zu  außergewöhnlicher  Zeit  befohlen  wurde.  Das  Götterbild 
soll  aber  £</)'  aQ/tiaftd^r^g  gestanden  haben.  '^Qfidjua^a  war  ein 
persischer,  bedeckter  Reisewagen,  eine  Art  Kutsche  {ayr^vy  xtxA^d 
/tecpgayfuvrj)  mit  Vorhängen,  die  man  auf-  und  zuziehen  konnte, 
sodann  ein  Lastwagen.  Demnach  scheint  Sozomenos  sagen  zu 
wollen,  daß  das  Götterbild  unter  einem  Zelte,  oder  Baldachin, 
von  einem  (aus  Zeug  gefertigten)  Dache  tlberspannt  auf  dem 
Wagen  gestanden  habe.  Was  im  4.  Jahrhundert  gothische  Sitte 
war,  konnte  im  ersten  suevischer  gemäß  sein.  Dazu  wtlrde  die 
tadteische  Auffassung  des  „penetrale'^  besser  sich  fügen,  aber 
der  Ausdruck  „veste  contectum '^  entspricht  mehr  der  vorhin 
namhaft  gemachten  Form  des  Brauches.  Und  in  der  Tat  der 
bedeckte  Wagen  mit  Gardinen  war  zweckmäßig,  wo  es  galt,  das 


Die  Tatsaehen  des  Berichtes.  579 

anfrecbtstehende  oder  sitzende  Holzbild  bald  den  Äugen  der 
Gläubigen  darzustellen,  bald  profanen  Blicken  zn  verhtUlen.  Es 
hatte  aber  keinen  Sinn  bei  bildlosem  Kultus.  Denn  der  Nerthus- 
wagen  enthielt  noch  kein  Götterbild;  wenigstens  wußte  Tacitus 
nichts  davon.  Anderes  Falles  hätte  dieser  ja  unmöglich  in  der 
allgemeinen  Schilderung  Germaniens  (c.  9)  yersiehem  können: 
Geterum  nee  cohibere  parietibus  deos,  neque  in  ullam  humani 
oris  speciem  assimulare  ex  magnitudine  coelestium  arbi- 
trantur:  lucos  ac  nemora  consecrant;  deorumque  nominibns 
appellant  secretum  illud  quod  sola  reverentia  vident.  Auch  die 
Worte  ,,et,  si  credere  velis,  numen  ipsum  abluitur^^  bewähren, 
daß  Tacitus  den  Nerthusumgang  ohne  Götterstatue  sich  denkt. 
Nun  ist  es  doch  andererseits  wol  wahrscheinUch ,  wenn  gleich 
nicht  unbedingt  notwendig,  daß  tatsächlich  die  Decken  des  Wagens 
iigend  einen  greifbaren  Gegenstand  yerhfillten,  daß  irgend  ein 
solcher  gewaschen  wurde,  woran  als  einem  Symbole  filr  die 
Gläubigen  anschaubar  die  Anwesenheit  der  Gottheit  gekntlpft 
erschien. 

6)  Der  Priester  beobachtet  und  bemerkt  die  Anzeichen, 
wann  das  Numen  zum  Heiligtum  kommt.  Von  derartigen  und 
anderen  Beobachtungen  der  Göttemähe  im  heiligen  Walde  (aus 
Yogelflug,  Bossewiehem  u.  s.  w.  Germ.  10)  zeugen  die  ahd.  Glos- 
sen zur  Verdeutschung  des  lat.  haruspex  parawari  und  harugari 
(Diutisca  I.  514*».  150*.  Myth.«  78),  zwei  Worte,  die  yon  den 
Benennungen  heiliger  Haine  und  Bäume  paro,  ags.  bearo  und 
haruc  ags.  hearg  (Myth.^  59)  abgeleitet  sind.  Die  Angabe,  einzig 
und  allein  der  Priester  habe  den  Wagen  berühren  dflrfen^  erweist 
sich  als  ungenau,  da  nachher  bei  der  Wassertauche  des  Gefähr- 
tes und  der  Decken  ministrierende  Knechte  erwähnt  werden. 
Es  mag  statt  des  Wagens  das  Symbol  gemeint  sein,  welches  die 
Decke  barg,  oder  die  Erlaubniß  der  Berührung  ist  stillschweigend 
auch  auf  die  Gehilfen  des  Priesters  ausgedehnt  zu  denken.  In 
jedem  Falle  zeigt  die  Hervorhebung  dieser  exclusiven  Berechtigung, 
daß  auch  noch  andere  Leute  dabei  waren,  welchen  das  Fahr- 
zeug zu  berühren  nicht  gestattet  war.  Lag  der  Nerthushain  zu 
gewöhnlicher  Zeit  auch  einsam,  vom  Verkehr  der  Menschen 
unentweiht,  nichts  hindert,  daß  bei  Beginn  der  Ausfahrt  den 
heiligen  Wagen  eine  feiernde  Menge  umdrängte.  Nach  Anschir- 
rnng   der  Kühe   begleitet  der  Priester  den  Wagen  mit  großer 

37* 


580  Kapitel  Vn.    Vegetaüoiisdämoiieo :  NerÜiiis. 

Ekrfiircht.  Wir  werden  uns  den  Vorgang  zu  denken  haben  wie 
in  der  Sage  von  Gonnar  Helming  (s.  u.),  wo  das  Götterbild  Freys 
und  das  für  seine  Fran  geltende  Weib  auf  dem  Wagen  Platz 
haben  y  der  yomehmste  Diener  aber  vorauf  oder  daneben  geht 
und  das  Roß  lenkt  (enn  Ounnarr  var  til  »tlat^r  at  iylgja  vagni- 
num  ok  lei^a  eykinn),  ein  größeres  Gefolge  von  DiensÜenten 
schritt  vorher  (ok  skyldo  pau*  Freyr  ok  kona  bans  sitja  i  vagni, 
en  |>ionusto  menn  [)eirra  skyldo  g4nga  fyrir).  Das  heilige  Geiahrt 
war  nur  fllr  das  Numen  und  die  dasselbe  darstellende  Bildsäule 
und  Person  bestimmt;  als  der  Bosselenker  sich  mit  auf  den 
Wagen  setzt,  wird  der  im  Freyrbilde  steckende  Teufel  ungeberdig 
(Fommanna  Sog.  n,  74).  Ein  augenscheinliches  Analogon  bietet  — 
wie  schon  MttUenhoff  bemerkte  —  der  Germ.  10  als  allgemein 
germanisch  ges<^hilderte  Hergang.  Proprium  gentis  equorum 
quoque  praesagia  ac  monitus  experiri.  publice  aluntur  iisdem 
'  nemoribus  ac  lucis,  candidi  et  nuUo  mortali  opere  contacti: 
quos  pressos  curru  sacerdos  ac  rex  vel  princeps  civitatis 
comitantur  hinnitusque  ac  fremitus  observant.  nee  uUi  auspi- 
do  maior  fides,  non  solum  apud  plebem,  sed  apud  proceres, 
apud  sacerdotes:  se  enim  ministros  deorum,  illos  conscios 
putant  Die  Annahme  könnte  naheliegen,  daß  man  die  Bosse 
gehen  Ueß,  wohin  sie  wollten,  daß  die  Beobachtung  der  von  ihnen 
eingeschlagenen  Richtung  ftlr  die  Weißagung  mitbestimmend  war, 
daß  aus  diesem  Grunde  Priester  und  Fürst  nur  nebenhergingen^ 
ohne  den  Wagen  zu  lenken,  und  man  könnte  ein  ähnliches 
Gewährenlassen  ftir  die  Kflhe  des  Nerthuswagens  vermuten,  so 
daß  die  Wahl  des  Zielpunktes  vom  Zufall,  von  der  jedesmaligen 
Götterbestimmung  abhing.  Doch  Tacitus  nennt  in  dem  einen 
Falle  ausdrücklich  nur  das  Wiehern  und  Schnauben  der  Rosse 
als  Gegenstand  der  priesterlichen  Beobachtung,  und  in  dem 
anderen  Falle  widerspräche  ein  dem  ZufaU  überlassenes  Eintreffen 
des  Nerthuswagens  anderen  später  zu  erörternden  Tatsachen. 

7)  Wohin  der  Wagen  gelangt,  da  wird  die  Gottheit  als 
lieber  Gast  empfangen  (loca  quaecunque  adventu  hospitio- 
que  dignatur).  Der  Ort  schmückt  sich  zum  Feste,  das  mehrere 
Tage  dauert.    Inzwischen  ruht  jede  Fehde. 

8)  Wie  viele  Wohnsitze  der  Umzug  berührte,  auf  wie  lange 
Zeit  er  sich  .ausdehnte,  sagt  Tacitus  nicht.  Schließlich  badete 
der  Priester  mit  seinen  Gesellen  den  Wagen,  die  Decken  und 


Die  Nerthasomfahrt  den  Frühlingsgebränchen  Terwandi  581 

wol  auch  das  Symbol  der  Gottheit  in  einem  einsamen  von  den 
Wohnnngen  abgelegenen,  durch  den  Gebraneh  des  täglichen 
Lebens  anentweihten  Landsee,  der  darum  sehr  wol  jedermann 
bekannt  sein  konnte.  Es  ist  nicht  nötig  und  folgt  nicht  ans 
Tadtus,  daß  derselbe  auf  der  Insel  oder  in  jenem  heiligen  Haine 
lag,  von  dem  die  Prozession  ausging.  Denn  die  Worte:  „donec 
idem  sacerdos  satlatam  mortalium  deam  templo  reddat''  enthalten 
unzweifelhaft  eine  subj^ctive  Deutung  des  Tacitus,  der  deswegen, 
weil  er  voraussetzte,  daß  das  heilige  Fahrzeug,  das  Nahen  der 
Gottheit  erwartend,  im  Inselhaine  bereit  zu  stehen  pflege,  das- 
selbe auch  wieder  dahin  zurückkehren  lassen  mußte. 

9)  Die  bei  Anschirrung  der  Ktthe  und  der  Wäsche  des 
Wagens  wie  der  Decken  hilfreichen  Knechte  wurden  ebenfalls 
ins  Wasser  geworfen.  Dieser  Tatsache  fügt  der  Autor  als  seine 
individuelle  Auslegung  hinzu,  es  sei  geschehen,  weil,  wer  das 
Numen  geschaut  habe  (mit  Ausnahme  des  Priesters),  sterben 
mflsse.  Obgleich  er  sich  das  Numen  körperlos  also  unsichtbar 
denkt,  braucht  er  metonymisch  den  Ausdruck  vident,  da  ja 
die  Wohnung  desselben,  das  Innere  des  Wagens  den  Sklaven  zu 
Gesicht  kam. 

§  7.  Die  Nerthusnmfahrt  den  FrUüIngsgebrBuclien 
verwandt.  Der  Nachweis,  daß  der  tatsächliche  Inhalt  des  taci- 
teischen  Berichtes  mit  noch  heute  lebenden  und  weitverbreiteten 
Frtthlingsbräuchen ,  wo  nicht  sich  decke,  so  doch  nahe  verwandt 
sei ,  wflrde  nicht  allein  jenem  Beglaubigung  und  Anschaulichkeit, 
diesen  ein  zweitausendjähriges  Alter  sichern,  sondern  auch  den 
Nerthuscultus  aus  der  Vereinzelung  herausheben  und  als  beson- 
dere Form  einer  allgemeinen  Erscheinung  bewähren.  Unsere 
bisherigen  Untersuchungen  bieten  aber  hinreichendes  Material, 
um  darzutun,  daß  jene  Umzüge,  in  denen  wir  als  Gedankeninhalt 
die  Einbringung  des  Yegetationsdämons  im  Lenze  (in  der  Gestalt 
des  Sommers  [Ljeto],  Maibaums  o.  S.  156  ff.  160  ff.,  Pfingstltlmmels 
o.  S.  316  ff.  oder  ersten  Pfluges  o.  S.  332.  553  ff.)  nachwiesen,  die 
entschiedensten  Analogien  zum  Nerthuskultus  darbieten  und  daß 
die  nämliche  Anschauung  als  realer  Kern  desselben  vorausgesetzt^ 
alle  wesentlichen  Züge  darin  hinreichend  erklärt,  nur  daß  natür- 
lich Jceine  der  heutigen  Formen  des  Gebrauches  der  ältesten  genau 
gleichkommt;  am  nächsten  steht  derselben  in  vielen  Stücken  noch 
die  0.  S.  157  ff.   beschriebene  russische  Semiksitte.     Der  Aus- 


582  Kapitel  VII.    Vegetationsdämonen:  Netthns. 

gangspnnkt  der  Embringong  des  Dämons  ist  der  Wald.  S.  o. 
S.  157.  161  ff.  173.  320.  333.  348.  349.  431).  Gradeso  beginnt 
die  Nerthnsprozession  im  Walde.  Zwar  dieser  Ausgangspunkt 
mag  nichts  Besonderes  zn  haben  scheinen  ^  da  zu  Tacitus  Zeit 
die  dottesverehrung  der  Germanen  tiberhaupt  in  heiligen  Hai- 
nen stattfand  (Myth.  ^  61);  der  Ausdruck  des  Tacitus  castnm 
nemus  sagt  aber  eher  aus,  daß  der  Inselhain  zu  gewöhnlichen 
Zeiten  unbetreten,  also  auch  nicht  der  Schauplatz  eines  ständigen 
Opferdienstes  war,  und  wenn  berichtet  wird,  daß  der  Priester 
daselbst  die  Anwesenheit  der  mithin  nicht  inmier  gegenwärtigen 
Gottheit  an  gewissen  Zeichen  bemerkt,  so  wird  wahrscheinlich, 
daß  hier  der  Wald  nicht  bloß  als  Wohnstätte  der  Gottheit 
gemeint  war,  sondern  in  einem  inneren  Verhältniß  zur  Erschein 
nung  der  Gottheit  stand.  In  ihm  konnte  jedermann,  wenn  die 
Bäume  sich  belaubten,  die  erneute  Gegenwart  des  Frühlings ,  des 
Wachstumsgeistes,  der  Gottheit  des  veijüngten  Jahres  spüren; 
ihr  Nahen,  ihre  erste  Ankunft  mochte  ein  schärferer  Beobachter 
(der  harugari?)  etwa  an  dem  Ergrünen  gewisser  Bäume  oder 
Zweige,  an  dem  Erblühen  der  ersten  Waldblume  (Veilchen, 
Primel),  oder  dem  Erscheinen  des  ersten  Käfers  (Myth.  *  657) 
sichtlich  warnehmen  (intelligere).  ^  Zu  den  frühesten  Anzeichen 
der  Vegetation  in  unsem  Wäldern  gehört  die  Blüte  von  Daphne 
mezereum,  Zeidelbast,  altn.  T^dr,  ahd.  ZigeUnta,  Zilant  (Myth.^ 
1144).  Sollte  in  diesen  Namen  eine  Beziehung  auf  Zio  als  Frtth- 
lingshimmel  durchschlagen  und  damit  die  Pflanze  als  Frühlings- 
verkünderin  gekennzeichnet  sein?  Die  Aufgabe  des  harugari 
kann  möglicherweise  darin  gelegen  haben,  das  erste  sichtbare 
Anzeichen  des  in  den  verschiedenen  Jahren  früher  oder  später 
wiedereracheinenden  Lenzes  zu  erspähen.  Hierin  glaubte  man 
das  Wachstumsnumen  gegenwärtig.  Der  Priester  mag  dann  den 
Baum,  yielleicht  nur  einen  Zweig,  abgehauen,  oder  die  Blume 
abgepflückt  auf  den  Wagen  gelegt  und  mit  Ehrfurcht  bedeckt 
haben.  Sind  wir  nicht  genötigt  die  Zeit  der  Abfahrt  auf  den  Mo- 
ment der  ersten  Beobachtung  des  göttlichen  Naheseins  anzusetzen, 
so  kann  auch  ein  schon  völlig  belaubter,  nach  gewissen  dem 
Priester  bekannten  Merkmalen  ausgesuchter  Baum   oder  Zweig 


1)  Man  vergl.   o.  S.  111   die  Sage   von   dem  Erscheinen   des   wilden 
Mannes,  der  den  Bauern  die  Zeit  der  Aussaat  verkündigt. 


Die  Nerthusomfafart  den  Frühliugsgebr&achen  Terwandt.  583 

den  WachstnmsgeiBt  vertreten  haben.  In  diesem  Falle  war  es 
möglich  y  daß  die  Feier  in  jedem  Jahre  regelmäßig  an  einem 
feststehenden  Tage  stattfand ;  anderesfalls  war  sie  wechselnd  und 
wurde  vom  Priester  angesagt  Ersteres  hat  die  größere  Wahr- 
scheinlichkeit fUr.  sich.  Dem  großen  Wagen  muß  in  diesen 
Bräuchen  nicht  notwendig  eine  große  Last  entsprechen.  Man 
vgl.  S.  214,  wonach  ün  Emtebrauch  ein  winziger,  den  Vege- 
tationsdämon darstellender  Hahn  den  vierspännigen  Leiterwagen 
einnimmt  Möglicherweise  enthielt  auch  der  Wagen  unter  der 
Decke  wirkUeh  gar  nichts,  wie  jener  erste  Pflug,  jene  erste  Egge 
(o.  S.  332.  561);  dann  aber,  sollte  man  denken,  müßte  er  wenigstens 
in  einem  bestimmten  Bezüge  zur  Vegetation  und  zwar  zu  den 
Nutzpflanzen  der  Menschen  gestanden  haben,  also  nach  Gestalt 
erkennbar  etwa  ein  Erntewagen  gewesen  sein.  Vielleicht 
jedoch  war  auch  das  nicht  einmal  nötig.  Man  beachte  nur,  daß 
bei  Köpenik  die  Fischer  ohne  Mitflihrung  irgend  eines  sichtbaren 
Heiltums  umgehen  und  sagen  „wir  sind  das  neue  Wetterkind,'' 
mithin  bildeten  sich  die  Gründer  dieser  Geremonie  ein  oder 
fingierten ,  unsichtbar  den  Frtthlingsdämon  in  ihrer  Prozession 
mit  sich  zu  fahren.  Uebrigens  waren  Baum,  Zweig,  Blume, 
Käfer  nicht  bloße  Symbole,  sondern  galten  als  Verkörperungen 
eines  Numen,  der  dvva/Aig  av^fp;ix^.  Die  Einbringung  des 
Vegetationsdämons  zu  Wagen  läßt  sich  nachweisen  vom  Mai- 
baum,  0.  S.  168.  173,  von  der  Pinxterbloem,  o.  S.  318,  von  der 
Reine  de  printemps,  o.  S.  344.  Wir  sahen  oben  S.  174.  182.  183. 
das  Gefährt,,  auf  welchem  der  Maibaum  (Kreuzbaum)  bei  den 
Lüneburgischen  Wenden  feierlich  ins  Dorf  geführt  wurde,  mit 
den  Böcken  sämmtlicher  Hausväter  bedeckt,  und  erinner- 
ten schon  da  an  das  vehiculum  veste  contectum  der  Nerthus. 
Wie  dieses  von  Kühen,  wurde  der  wendische  Kreuzbaum  von 
einem  Paare,  der  englische  Maypole  von  20 — 40  Jochen  Ochsen 
gezogen  (o.  S.  171.  174.  211).  Man  wird  entgegenhalten,  daß 
der  Maibaum  dieser  Erörterung  fem  bleiben  mtlsse,  da  Tacitus 
von  einem  Baume  nichts  sage,  und  sicherlich  hat  er  selbst  von 
einem  solchen  nichts  gewußt,  vielleicht  aber  sein  Gewährsmann. 
Der  mit  Kränzen,  Blumen,  Bändern,  Eiern,  Backwerk  und  allen 
mögliehen  guten  Sachen  behangene  „Sommer^'  (o.  S.  154)  oder 
„Maibaum"  (o.  S.  166  flf.)  Birke,  Tanne  oder  Fichte  hat 
aA£fallende  Aehnlichkeit   mit   der   von    den  Dendrophoren  aus 


584  Kapitel  YII.    Yegetationsd&moDen:  NerthoB. 

dem  Haine  der  Gybele  in  deren  Allerheiligsies  getragenen,  mit 
Flöten y  Cymbeln,  Tänien  nnd  Veilchen  behangenen  Pinie,  die 
anf  fünf  Tage  im  Sacrarimn  den  Blicken  des  großen  Haufens 
verschwand.  So  wird  jener  rassische  Semikbanm  (o.  S.  157) 
nach  der  Einbringung  aus  dem  Walde  drei  Tage  lang  in 
einem  Hause  des  Dorfes  aufgestellt  Der  Maibaum  (im  weiteren 
Sinne)  wird  entweder  zu  Wagen  eingefahren,  als  Lebensbaum 
der  Gemeinde  inmitten  der  Ortschaft  aufgepflanzt  und  umtanzt, 
oder  als  Sommer,  Maibaum  (im  engeren  Sinne)  Johannisbaum 
u.  s.  w.  der  Prozession  vörhei^etragen  oder  nachgefilhrt,  welche 
gabenheischend  von  Haus  zu  Haus  geht,  und  den  Dämon  der 
Vegetation  noch  in  anderer  Gestalt  (laubumkleideter  Mensch, 
Käfer  u.  s.  w.)  mit  sich  tUhrt  Statt  der  geschmückten ,  bunt- 
behangenen  Bäume  oder  außer  dem  im  Dorfe  aufgepflanzten  Mai- 
baum treten  oft  andere  grüne  Zweige  ein.  Gf.  in  Schleswig  noch 
zwischen  1630—40  „Ein  sonderbarer  Aufzug  der  Schleswigschen 
Spinnradsamazonen  einen  cantharidem  oder  Maykäfer  mit 
grünen  Zweigen  einzuholen.^'  Myth.  *  657.  Wie  wenn  nun 
Baum  oder  (resp.  und)  Zweige  in  der  einen  oder  der  andern 
Weise  auch  einen  Bestandteil  der  Nerthusprozession  gebildet 
haben  und  dadurch  der  Beobachter  in  seiner  zuver- 
sichtlichen Behauptung  bestärkt  wurde,  dieselbe  sei  Ver- 
ehrung der  Terra  mater?  In  seinem  Berichte  konnte  er  diesen 
Umstand  als  selbstverständliches  Zubehör  des  Gybeledienstes 
oder  als  seiner  Meinung  nach  weniger  characteristisch  oder  be- 
deutsam leicht  unerwähnt  oder  mehr  zurücktreten  lassen,  so  daß 
Tacitus  darauf  nicht  achtete.  Vielleicht  auch  hatte  der  ursprüng- 
liche Beobachter  zuerst  den  verhüllten  Wagen  gesehen, 
dessen  Decken,  ihm  unbewußt,  den  Maibaum  bargen,  und  erst 
nachher  wieder  den  aufgerichteten  Baum,  den  er  als  Hauptstttck 
der  Feier  nicht  erkannte.  Liegt  nach  unserer  Ansicht  somit  die 
Möglichkeit  (mehr  behaupten  wir  nicht)  vor,  daß  in  der  inter- 
pretatio  Romana  Terra  mater  ein  Zeugniß  für  den  Maibaum  als 
Bestandteil  der  Nerthusprozession  implicite  enthalten  sein  könne, 
so  gewährt  nun  namentlich  der  russische  Semikbrauch  (o.  S.  157) 
die  willkommenste  Dlustration  der  Worte  „laeti  dies,  festa  loca 
quaecunque  adventu  hospitioque  dignatur.'^  Wird  doch  hier 
der  bekleidete  Baum  geradezu  mit  dem  Namen  „Gast^^  ange- 
redet und  als  solcher  empfangen.    Man  vergl.  die  Tänze  um  den 


Die  NerthnBomfahrt  den  Frfihlingsgebräaohen  rerwandt  585 

deutschen  ans  dem  Walde  gebrachten  Maibanm.  Auch  bei  den 
sonstigen  Fonnen  des  Brauches  trifft  die  taciteische  Schilderung 
SEU.  Jubelgeschreiy  von  Gesang  begleiteter  Reigentanz;  Festmahl- 
zeiten, die  noch  vielfach  den  Namen  Gilden  filhren,  bezeichnen 
als  ein  gemeinsames  Zubehör  aller  Variationen  desselben  die 
Ankunft  des  den  Wachstumsgeist  im  Frühling  einbringenden  Zuges. 
Sie  stellea  zwei  wesentliche  Bestandteile  der  altdeutschen  reli- 
giösen Festfeier  dar,  den  leih,  goth.  laiks,  ags.  läc,^  den  Tanz 
und  das  geld,^  ahd.  k^lt  (tributum,  sacrificium)  die  heilige  Mahl- 
zeit;  zu  welcher  unter  Herumführung  des  Heiltums  von  Haus  zu 
Haus  die  Naturalien  gesammelt  werden.  Von  solchem  Umgang; 
Haus  bei  HauS;  der  unsem  Frflhlingsgebräuchen  eigen  ist  (oben 
S.  162.  264.  312.  318.  320  ff.  328.  345.  348.  366.  369.  432.  546. 
557  ff.)  gewährte  anscheinend  Sozomenos  (o.  S.  578)  von  den  Gothen 
her  ein  altes,  beinahe  bis  an  Tacitus  Zeit  hinaufreichendes  Zeug- 
niB.  Die  Prozession  der  mater  magna  zeichnete  gleichfalls  eine 
solche  Hauscollecte  aus  (o.  S.  574).  Hier  kann  derselbe  Fall 
einschlagen;  wie  hinsichtlich  des  Maibaums;  die  Einsammlung 
der  Steuer  auf  den  einzelnen  Häusern  oder  Höfen  mag  dazu 
beigetragen  haben ;  den  Nerthusumgang  mit  dem  Gybeleknlt  zu 
identifizieren.  Der  Nerthuswagen  wurde  nach  Beendigung 
der  Festzeit  ins  Wasser  gezogen  sammt  den  darüber 
gespreiteten  Decken  und  vielleicht  dem  unter  ihnen  verborgenen 
Symbol;  geradeso  wie  das  Regenmädchen  (S.  331)  und  nach 
Beendigung  der  Festfeier  der  Tod  S.  412  ff.  417;  Kostroma 
S.  414  ff.;  der  Maibaum  S.  162.  215,  der  grüne  Georg  S.  313, 
der  Pfingstlümmel  S.  320.  351;  der  erste  Pflug  und  die  erste 
Egge  S.  332.  558  ff.  (also  das  Gefährt)  mit  Wasser  begossen;  oder 
in  Bach;  Strom ;  Teich  oder  See  gestürzt  werden;  um  auf  die 
Vegetation  erwünschten  Regen  herabzulocken.  Besonders  beleh- 
rend ist  auch  hier  wieder  der  sehr  altertümliche  russische  Semik- 
brauch.  Nachdem  der  Maibanm  drei  Tage  als  Gast 
gefeiert  ist;  wird  er  vors  Dorf  getragen  und  in  den 
Strom  (Bach)  geworfen.  Statt  des  Baumes  tritt  ein  Mensch 
(der  grüne  Georg;  wie  im  Emtebrauch  die  letzte  Binderin)  ein 
(o.  S.  313.  215);  oder  man  zieht  Baum  und  Mensch  ins  Wasser 


1)  Myth.*  35.    MfiUenhoff,  de  poesi  chorica  p.  4.    H.  Leo  in  Zs.  f.  d. 
Myth.  m,  20—23.         2)  Mytii.»  34. 


586  Kapitel  YIL    Vegetation&damonen :  Nerthns. 

(o.  S.  170).  Beim  Pflngumziehen  sahen  wir  das  Acker- 
gerät (den  Wagen)  selbst  sammt  den  davorgespann- 
ten  Mägden  ins  Wasser  getrieben  (o.  S.  554),  bei  ver- 
schiedenen lebenden  Naturvölkern  lernten  wir  als  eine  Form  des 
Segenzanbers  die  Ertränkung  von  Menschen,  vorzugsweise  Sklaven 
kennen  (o.  S.  356).  Wenn  nun  die  Umfahrt  des  Nerthnswagens 
den  Frühlingseinzttg  und  Empfang  des  Vegetationsgßistes  dar- 
stellte, das  Bad  des  Wagens  und  seines  Numen  ein  Regenzauber 
war,  so  erhellt  leicht,  daß  das  Hineinwerfen  der  Diener  in  den 
See  einen  Teil  dieser  Ceremonie  selbst  ausmachte  und  —  gleich- 
viel ob  man  sie  dabei  den  Tod  finden  ließ,  oder  wieder  heraus- 
zog —  die  Wirkung  der  Benetzung  des  Wagens  und  seines 
Inhaltes  verstärken  sollte.  Haben  wir  somit  fUr  5  wesentliche 
Stücke,  a)  den  Ausgangspunkt  der  Nerthusfahrt  aus  dem  Walde, 

b)  die  Wamehmung  des  Numens  durch  den  Priester  (harugari), 

c)  die  Bedeckung  des  Wagens  mit  Decken  oder  Kleidern  und 
die  Bespannung  mit  Ktthen,  d)  den  festlichen  Empfang  des  Wagens 
und  seines  Inhaltes  als  willkommener  Gäste  und  festliche  Zeit 
während  ihres  Weilens,  e)  die  Wassertauche  nach  Beendigung 
der  Festzeit  entschiedene  und  treffende  Analogien  bei  den  Cere- 
monien  gefunden,  welche  den  Empfang  des  Vegetationsdämons 
betreffen,  der  nahezu  in  den  Begriff  des  Frühlings  übergeht 
(cf.  Sommer,  pere  May,  Maikönig,  Msya,  reine  de  printemps),  so 
scheint  auch  als  sechstes  und  letztes  der  Name  Nerthus  aus 
gleichem  Zusanunenhange  erklärbar.  Falls  er  nämlich  die  Mann- 
heit  oder  den  als  Mann  sich  Beweisenden  bezeichnen 
sollte  (o.  S.  571),  würde  dies  für  den  im  Frühling  wiederkehren- 
den Lenzgatten  oder  Lenzbräutigam  (o.  S.  436)  resp.  das 
Fest  seiner  Erscheinung  ein  nicht  unpassender  Name  sein.  Es 
darf  als  Analogie  genannt  werden,  daß  dem  in  Wald  und  Feld 
heimischen  altitalischen  Gotte  Mars,  Marspiter,  dessen  Name 
ja  den  Schimmernden,  Glänzenden  (ein  passender  Name  des 
Frtthlingsgottes)  bezeichnet,^  eine  Göttin  Nerio,  Nerienes,  Mann- 
heit  zur  Seite  stand,  die  von  den  Weibern  um  glückliche  Ehe 


1)  Corsen,  Zs.  f.  vgl.  Spraohf.  II,  1—35.  Preller,  Rom.  Myth.»  295  ff. 
Roseber,  Apollon  and  Mars.  S.  18.  Dagegen  Graßniann,  Zs.  f.  vgl.  Sprachf. 
XVI,  161  ff.  Die  Form  Maspiter  ließ  Preller  an  Verwandtachaft  mit  mas 
Mann  denken,  s.  darüber  Roacher,  S.  19. 


W.  MtQler,  MfQlenhoff,  Simrock  über  NertbuB.  587 

aagerafen  wnrde,^  mithin  doch  wol  arsprttnglich  eine  Personifica- 
tion  der  Zeugungskraft  des  Frühlings  gewesen  ist 

§  8.  W.  Mflller,  Mflllenhoff,  Sünroek  Aber  ^Nerthas. 
Der  von  uns  yersuchten  Erklärung  sind,  wie  ich  sehe,  W.  Müller, 
K.  MttllenhofF  and  Simrock  bereite  nahe  gehommen,  ohne  jedoch 
diese  Deutung  in  die  Einzelheiten  zu  verfolgen  und  auf  die 
Kritik  des  Taciteischen  Berichtes  von  Einfluß  werden  zu  lassen.^ 
Müller  sagt  in  seinem  System  der  altd.  Beligion  S.  133:  ,,Wie 
schon  nach  Tacitus  die  Nerthus  auf  einem  Wagen  durch  die 
Gauen  im  Festzuge  geiUhrt  wurde,  finden  wir  noch  in  Christ- 
liehen  Zeiten  besonders  im  Frühjahr  Gebräuehe,  deren 
HaupthandluAg  auf  einem  Umzüge  beruht  Der  Festzug 
geschieht  entweder  durch  ein  Dorf  oder  eine  Stadt  oder  mehrere 
Ortschaften,  oder  um  die  Aecker  der  Gemeinde,  oder  um  die 
Mark.  Bei  solchen  Zügen  wird  häufig  ein  Symbol  herumgefiihrt, 
entweder  ein  Tier,  welches  in  Beziehung  zu  irgend  einem  gött- 
lichen Wesen  stand,  oder  irgend  ein  Gerät/'  Und  dann  ttlhrt  er 
die  Umzüge  mit  Schiff  und  Pflug  an,  die  er  auf  eine  Göttin 
bezieht,  welche  der  Fruchtbarkeit  der  Erde  und  den  Ehen  yor> 
stand.  MüUenhoff  setzt  in  seiner  schönen  Abhandlung  de  poesi 
chorica,  Kil.  1847.  p.  8  auseinander:  Yehiculum  veste  contectum 
bubusque  feminis  vectum  multa  cum  yeneratione  ubi  de  am 
adesse  penetrali  intellexit  i.  e.  verno  tempore  sacer- 
dos,  cui  uni  et  attingere  concessum,  prosequebatur  eo  modo  quo 
sacerdos  et  princeps  sacrum  currum  equis  candidis  vectum.  [Dar- 
über vgl.  0.  S.  580].  Femer  nimmt  er  an,  die  Nerthus  sei  eine 
deutsche  Freyja  und  der  Kultus  sei  am  Niederrhein  in  dem 
Myth.  *  237  ff.  beschriebenen  Umzüge  mit  einem  auf  Bädern 
gehenden  Schiffe,  in  Oberdeutschland  in  dem  Pflugumziehen 
erhalten,  einer  Prozession,  die  gleich  der  Nerthusfahrt  mit  Wasser- 
tauche endigte  (yeterem  actionem,  quam  lustratione  aqua  aut  igne 
facta  similiter  ac  Tacitus  de  Nerthus  vehiculo  narrat  quondam 
finitam  esse  conjicio).  Ans  der  Analogie  dieser  Umzüge  mit  Schiff 
und  Pflug   zieht  auch  Müllenhoff  folgenden   Schluß:   His  fretis 


1)  Ebel,  Zs.  f.  Tgl.  SpracM.  I,  307.    Corsen  a.  a.  0.  33.    Graßmann 
a.  a.  0.  177.    Preller  a.  a.  0.  302. 

2)  Von  K.  Mallenhoff  ist  eine  derartige  Untersnchung  anzweifelhaft  im 
zweiten  Bande  seiner  Altertumskunde  zu  erwarten. 


588  Kapitel  YU.    Vegetationsd&moneii :  NerÜiiis. 

testiinomis  non  dnbito,  quin  antiqao  tempore  ad  talem  pompam, 
dednoendam  non  solnm  dnce  sacerdote  vel  principe  quorom  Ta- 
citos  meminit,  sed  qunm  qaaeciinque  adventa  hospitioqne  dea 
yel  dens  dignaretur,  loca  festa  laetosqne  tone  ibi  dies  ftdsse 
memoretnr,  nbique  etiam  choris  juvenum  virginumque 
electis  et  arte  doctis  opus  faerit;  quibns  non  injuria  postero 
certe  tempore  musicorum  turbam  addas.  Ubi  enim  ad  vicos  yen- 
tnm  est,  chori  ordine  composito  cirenmfasa  vociferante 
et  jabilante  multitndine,  prodeontes  deum  vel  deam  advec- 
tarn  cantibus  salutaront  sacrumque  vehicalam  pars  praecedentes, 
pars  et  snbseqnentes  ant  utrimqae  stipantes  intus  deduxerunt 
Quae  deinde  acta  sint,  hoc  loco  exponere  nostrum  äon  est,  sed 
tantum  id  monendum^  ut  vehicuium  eodem  mo^o  quo  in  vicum 
duxerint,  etiam  ad  proximum  prosecuti  sint/^  K.  Simrock  end- 
lich (Handb.  d.  D.  Myth.*  556)  schreibt:  Schon  der  Einzug  der 
Nerthus,  wie  ihn  Tacitus  beschreibt,  war  eine  Schaustellung  als 
deren  symbolischen  Sinn  wir  die  erwachte  Natur,  die  im  Früh- 
ling aus  der  Gewalt  der  Riesen  befreite  Erdmutter  kennen.  Das 
Volk  zog  ihrem  Wagen,  wie  bei  dem  späteren  Sommer- 
empfang, der  davon  übrig  ist,  festlich  entgegen.'^  Gestützt 
auf  die  S.  571  ff.  erörterten  Tatsachen  glauben  wir  unsererseits  die 
von  Simrock  mehrfach  (S.  17.  177.  341)  wiederholte  Identifizie- 
rung der  Nerthus  mit  der  allnährenden  Mutter  Erde,  der  altnord. 
Jörd  u.  s.  w.  ablehnen ,  aus  anderen  Gründen  aber  den  heutigen 
Frühlingsbrauch  nicht  als  Ueberbleibsel  des  Nerthustestes,  sondern 
als  Ausläufer  oder  Sproßform  eines  früheren  auch  diesem  Feste 
zu  Grunde  liegenden  Typus  ansehen  zu  müssen. 

§  9.  Nerthus,  Njördr  und  Freyr,  Die  Gleichstellung  der 
(nach  Tacitus  Worten  vorausgesetzten)  Nerthus  mit  Freyja  stützt 
sich  auf  nachstehende  Gründe.  Nerthus  ist  sprachlich  das  nor- 
dische Njördr,  des  Njördr  Kinder  waren  Freyr  und  Freyja.  Zu 
Njörds  Tagen,  sagt  die  den  Gott  vermenschlichende  Ynglingasaga, 
war  allguter  Friede  und  so  große  Fruchtbarkeit  aller 
Art,  daß  die  Schweden  glaubten,  er  walte  über  der  Fruchtbar- 
keit des  Jahres  und  dem  Viehreichtum  der  Menschen.  Auch 
Freyr  galt  und  wurde  aügerufen  als  Geber  von  Frieden  und 
Fruchtbarkeit  und  erhielt  dafür  jährliche  Gabea  Noch  die 
euhemeristische  Sagenverwässerung  Snorris,  die  ihn  zum  mensch- 
lichen Könige  macht;  weiß,   daß  zu  seinen  Tagen  der  Frodhi- 


Nerthns,  Njördr  und  Freyr.  589 

frieden  über  alle  Laode  herschte  und  fraclitbare  Jahre  waren, 
sowie  y  daß  sein  Leichnam  nnverbrannt  blieb  in  dem  Glauben, 
daß  Friede  und  gute  Zeit  bleiben  werde,  so  lange  er  in  Schwe- 
den sei.^  Vielleicht  hatte  auch  der  zwanzigtägige  LandMede, 
den  man  zur  Julzeit  ansagte  (Jolafrid)  auf  ihn  Bezug.  Gemahnt 
dies  an  den  Frieden,  der  während  des  Nerthusumzuges  statt- 
gehabt haben  soll,  (obschon  religiöse  Ehrfurcht  bei  den  Festen 
sehr  yerschiedener  Gottheiten  eine  Unterbrechung  der  Fehden 
herbeiAihren  konnte),  so  kam  noch  hinzu,  daß  eine  freilich  späte 
Quelle  die  abenteuerliche  Erzählung  von  Gunnar  Helming  in  der 
größeren  Olaf  Tryggvasonssaga  K.  173  (Fommannasög  II,  73-78) 
mit  dem  FreysbUde  eine  der  Nerthusprozession  ähnliche  Umfahrt 
veranstalten  läßt.  Die  Geschichte  beruht  indeß  auf  einer  älteren, 
unabhängigen  Aufzeichnung,  offenbar  schwedischen  Ursprungs, 
welche  nur  ganz  iQse  und  ungeschickt  mit  dem  Leben  Olaf 
Tryggyasons  verbunden  und  zu  diesem  in  Beziehung  gesetzt  ist. 
Es  ist  darum  wol  möglich,  daß  in  ihr  einige  echte  Erinnerungen 
an  Zustände  der  heidnischen  Zeit  erhalten  sind.  Schauplatz  der 
Begebenheit  ist  der  östliche  Teil  von  Upland  oder  Södermann- 
land.  Hier  lag  ein  Freystempel  (hofstadr)  mit  vielen  liegenden 
Gründen.  Das  Volk  glaubte  Freys  Bildsäule  (likneski)  lebe  und 
hatte  ihm  ein  junges  und  schönes  Weib,  das  seine  Frau  (Freys 
kona)  genannt  wurde,  zur  Dienerin  gegeben.  Sie  lebte  angeblich 
in  wirklicher  Ehegemeinschaft  mit  dem  Gotte  (ok  setladu,  at  bann 
—  Freyr  —  mnndi  {»urfa  at  eiga  hjüskaparfar  vid  kono  sina)  und 
verwaltete  in  seinem  Namen  den  Tempel  und  dessen  Besitzungen 
(skyldi  hün  mest  rdda  med  Frey  tyrir  hofstadnum  ok  öUu  l)vi 
er  t>ar  lä  til).  Im  Winter  fuhr  die  Priesterin  mit  der  lebens- 
großen, bekleideten  Bildsäule  Freys  zu  mehreren  entlegenen  Orten 
jenseits  der  Berge  auf  heilige  Gastgebote,  Gilden  (veizlur),  um 
den  Menschen  daselbst  „  Jahrbuße  ,^^  Aussicht  auf  Fruchtbarkeit 
zu  schaffen  (^k  er  bann  —  Freyr  —  skal  gera  mönnum  arbot). 
Kamen  sie  zu  dem  Orte,  wo  ihnen  die  Gilde  bereitet  war,  so 
wurden  blutige  und  unblutige  Opfer  (blöt  ok  fömir)  dargebracht 
Der  Gastbesuch  des  Gottes  und  seiner  Frau  hatte  vermeintlich 
die  Wirkung,  daß  die  Witterung  mild  wurde  und  Hoffiiung  auf 


1)  Siehe  die  Belagsstellen  ToUstä&dig  bei  Ubland,   Schriften  VI,  155. 
Anmerk.  3. 


^    I 


590  Kapitel  VK.    Vegetttionsdäinoiien:  Nerthns. 

eine  gute  Ernte  sioli  zeigte  (var  ok  vedrdtta  bUd  ok  allir  latir 
BY&  iTVSdwtj  at  engl  m^dr  mnndi  siikt).  Als  einst  die  „Fran 
des  Freyr^'  schwanger  wurde  (t)ikkjast  menn  finna,  at  kona 
Freys  er  med  bami)^  hielten  die  Schweden  das  fiir  ein  sehr  gutes 
Zeichen.  Ob  man  jedesmal  nach  dem  Tempel  zurückkehrte,  oder 
von  einer  Gilde  zur  andern  fuhr^  ist  nicht  ersichtlich.  In  jedem 
Falle  hat  die  Ausfahrt  des  Freysbildes  zum  Gastbesuch  auffäl- 
lende Aehnlichkeit  mit  der  Fahrt  des  Nerthuswagens.  Da  nun 
Freyr  vermutlich  eben  deshalb  Friedensgott  genannt  war,  weil 
vorzugsweise  bei  seinem  Feste  Landfrieden  eintrat,  und  da  auch 
die  dänische  Sage  von  der  drei  Jahre  im  Lande  umhergefahrenen 
Leiche  Frodhis  ebenfalls  die  Spur  einer  Umfahrt  des  Freyr  zu 
enthalten  scheint,^  werden  wir  J.  Grimms  allgemein  gut  geheiBe- 
ner  Annahme  eines  Zusammenhanges  des  Nerthuskultus  mit 
demjenigen  des  Njördr  und  seiner  Familie  auch  unsererseits 
Wahrscheinlichkeit  zuzugestehen  nicht  entbrechen. 

Die  Yermittelung  dieser  Hypothese  mit  den  vorgetragenen 
Ergebnissen  unserer  Forschung  wtlrde  in  dem  Umstände  zu  suchen 
sein,  daß  der  Vegetationsgenius ,  dessen  Einholung  im  Frtthlinge 
die  taciteische  Schilderung  beschreibt,  bei  dem  nordgermanischen 
Volke  der  Svlar  im  Laufe  weiterer  Anthropomorphose  zu  freierer 
Gharacterent Wicklung"  gelangte,  und  in  die  Gestalten  Njördr, 
Freyr  und  Freyja  sich  spaltete.  Es  ist  schon  oft  bemerkt  wor- 
den, daß  der  Vater  Njördr  nur  als  eine  Wiederholung,  eine 
andere  Form  des  Freyr  erscheint^  der  vermittelst  der  Freyja  sein 
Wesen  in  eine  männliche  und  eine  weibliche  Seite  auseinander- 
legt Ueber  diese  Gottheiten  hat  am  gründlichsten  und  zutref- 
fendsten meines  Erachtens  Uhland  gehandelt,  der  Schriften  VI, 
1 50  ff.  nachweist ,  daß  in  den  Vanen  die  milden  und  woltätigen 
Stimmungen  der  Luft  und  des  Wetters  persönlich  geworden 
seien;  darum  gebieten  sie  ttber  Regen,  Sonnenschein  und  Wind^ 
und  der  Beginn  wie  die  Ausbeute  der  Schiffahrt  und  des  Fisch- 
fanges, der  Segen  des  Feldbaues  und  der  Weiden  hängt  von 
ihnen  ab,  sie  sind  die  Bringer  und  Geber  des  Reichtums.  Von 
Thorr  und  Odhinn,  die  gleichfalls  im  Lnfigebiet  walten,  scheidet 
sie  die  Weichheit  ihres  Wesens,  ihre  Mythen  ergeben   sie  als 


1)  Saxo  Gram.,  hist.  Dan.  m  (I,  256  P.  E.  MlUler).    Vgl  Petersen, 
Nordisk  MyÜiologie.    S.  338.    Of.  Ztschr.  f.  D.  A.  III,  43  ff. 


Nerthus ,  Njördr  and  Freyr.  Ö81 

vorzugsweise  im  Frtihlinge  tätig.  (Vgl.  Gerdhr,  Beli  u.  s.  w.) 
Wenn  NjörSr  in  Nöatun  (SchiflFsstätte)  wohnt  und  nur  bei  See* 
fahrt  und  Fischfang  angerufen  wird,  so  ist  er  (wie  Uhland  mit 
Recht  bemerkt)  darum  kein  Meergott,  sondern  er  giebt  guten 
Wind  für  die  Schiffahrt  und  das  reohte  Wetter  flir  die  Fischerei. 
Der  kräftige  warme  Hauch  des  Frühlings  läAt  die  erstarrte 
See  offen  gehen;  an  der  Befreiung  des  Meeres,  der  Ströme  und 
Bäche  von  Eises -Banden  wird  zuerst  und  am  fühlbarsten  der 
Eintritt  der  neuen,  die  wintertodte  Welt  wiederbelebenden  Macht 
wargenommen.  Wir  werden  daher,  meine  ich,  Uhlands  schöne 
Nachweise  dahin  ergänzen  können,  daß  Freyr  und  Frejja  die 
Vegetationsgenien  darstellten,  welche  im  Lenze  eintreten,  das 
Wachstum  von  Pflanzen  und  Tieren  bewirken,  und  zu  diesem 
Behnfe  in  Wind,  Begen,  Sonnenschein  ihre  Gegenwart  spttren 
lassen.  Ich  erinnere  daran,  daß  nach  S.  42. 149  die  Baumgeister 
nach  S.  119  die  Dames  vertes  auch  im  Winde  umfahren,  und 
bei  anderer  Gelegenheit  werden  wir  reichlichen  Beispielen 
begegnen,  welche  den  Glauben  an  die  Komdämonen,  d.  h.  die 
im  Getreidekorn  waltenden  Greister  mit  der  Vorstellung  verbin- 
det, daß  dieselben  im  Windeswehen  sich  vernehmbar  machen. 
Als  Gott  der  zeugenden  und  belebenden  Naturkraft  im  Frühling 
hat  Freyr  in  Upsala  den  Beinamen  Friggi  d.  h.  goth.  Frija,  i.  e. 
amator,  osculator  erhalten.  „Fricco,  pacem  voluptatemque  lar- 
giens  mortalibus,  cujus  etiam  simulacrum  fingunt  ingenti  priapo. 
Si  nuptiae  celebrandae  sunt,  immolant  fYicconi.^'  Jene  Umfahrt 
des  Freybildes  mit  einer  sein  Weib  genannten  Priesterin  stellt 
sich  so  treffend  zu  dem  in  französischen,  deutschen,  englischen 
und  skandinavischen  Gregenden  erhaltenen  Umgang  des  Mai- 
brautpaars (o.  S.  431  ff.).  Während  Thorr  und  Odhinn  Namen 
tragen,  welche  ein  bestinmites  Phänomen  als  die  Naturgrundlage 
ihres  allmählich  nut  reichem  geistigen  Inhalt  erfüllten  Wesens 
erkennen  lassen,  sagt  der  Name  Freyr,  schwed.  Frö  entweder 
den  Herrn  oder  den  Erfreuenden,  vielleidht  Beides  in  einem  aus 
(Myth.'  190  ff.)  und  giebt  sich  damit  als  die  Bezeichnung  ftlr  ein 
unbestimmtes  Etwas,  als  den  Gesammteindruok  flir  eine  mehr 
gefühlte,  als  in  deutlicher  Begrenzung  angeschaute  die  Welt 
durchdringende  Macht;  veraldar  god  heißt  er  Ynglingas. 
cap.  13.  Treffend  vergleicht  sich,  daß  den  Semiten  die  Worte 
Baal,  Adöni  (Herr,  mein  Herr)  ebenfalls  zu  Namen  göttlicher 


592  Kapitel  VII.    VegetatioDsdfimonen:  Nerthns. 

Wesen  fllr  nahezu  denselbefn  Begriff  geworden  sind;  den  wir  als 
Grundbedeutung  von  Freyr  voraussetzen.  War  Freyr  die  zeu- 
gende Naturmacht  in  der  Sommerhälfte  des  Jahres ,  deren  Weben 
man  in  Sonnenstrahl  und  Windeswehen  und  in  dem  Erblühen 
und  der  Vermehrung  von  Pflanzen ,  Tieren,  Menschen  wamahm, 
so  fttgt  sich  wol  als  sein  Urheber  die  Mannheit,  njördr  (virtus, 
virilitas,  s.  o.  S.  571).  Das  Wort  muß  seit  der  Trennung  der 
Nord-  und  Sttdgermanen  von  einander  mit  der  Vorstellung  von 
dem  Vegetationsgeiste  verbunden  geblieben  und  schließlich  zu 
einer  Hypostase  des  Freyr  selbst  geworden  sein,  gradeso  wie 
Nerio  (die  Mannheit)  Gattin  des  Mars  heißt  (o.  S.  586).  Sollte 
jemand  f&r  so  entlegene  Zeiten  und  Entwicklungsstufen  unseres 
Volkes  die  Verwendung  abstracter  Namen  und  Begriffe  unwar- 
scheinlich  finden,  so  darf  er  vergleichsweise  auf  den  Bigv^da 
verwiesen  werden ,  wo  in  einer  frühen ,  mindestens  mit  dem  taci- 
teischen  Zeitalter  in  Deutschland  vergleichbaren  Periode  der  Osta- 
rier, Aditi  (die  Unendlichkeit,  Ewigkeit)  als  die  Mutter  der  Göt- 
ter Aryaman ,  Varuna ,  Mitra ,  Bhaga  u.  s.  w.  genannt ,  hinwiederum 
bald  als  Aditis  Sohn,  bald  als  ihr  Vater  Daksha  mase.  (Kraft) 
aufgeführt  wird,  wie  denn  die  Göttin  häufig  Dakshapitaras 
d.  i.  den  Daksha  (die  Kraft)  zum  Vater  habend  heißen.  Im  Veda 
schwankt  letzterer  Ausdruck  noch  zwischen  appellativer  meta- 
phorischer Bedeutung  und  Personification ,  in  der  späteren  indi- 
schen Mythologie,  ist  Daksha  ein  völlig  anthropomorpher  Gott 
geworden.*  Der  durch  kein  Zeugniß  belegte  deutsche  G Ot- 
tern am  e  Fr 6,  den  Grimm  aus  Freyr  und  der  ulfileischen  Ueber- 
setzung  des  biblischen  TLvqioq  erschloß,  wird  durch  diesen  Nach- 
weis der  Wtirzeln  des  suionischen  Gottes  Frö  (Freyr)  und  seiner 
Familie  nicht  zugleich  dargetan. 

§  10.  Die  Umfiihrt.  Zum  Schlüsse  kehrt  unsere  Erörte- 
rung auf  die  Frage  zurttck:  wie  haben  wir  uns  die  Gemeinsam- 
keit der  Nerthusverehrung  bei  den  7  Völkerschaften  zu  denken  ? 
Zog  der  eine  Wagen  tlurch  alle  7  Gaue?    Wiederholte  sich  in 


1)  y%\.  J.  Muir ,  Original  Sanskrit.  Texte.  Vol.  V,  London  1872  S.  48. 
53.  £.  Wollheim,  indische  Mythologie,  Beri.  1856,  S.  89.  Aehnliche  Meta- 
phern sind  die  Epitheta:  Enkel  der  großen  St&rke  (napäta  savaso  mahah) 
Söhne  der  Unsterblichkeit  (sannayah  amritasya)  für  die  Götter;  Sohn  der 
Kraft  (sahasah  snnn)  von  Agni,  Sohn  der  Macht  (sayasah  putra),  Sohn  der 
Wahrheit  (sonnm  satyasya)  von  Indra.    Mnir  a.  a.  0.  52. 


Die  Umfahri.  5d3 

ihnen  ein  gleichartiger  Aufzug?  Oder  hat  eine  dritte  Möglich- 
keit die  Wahrscheinlichkeit  fbr  sich  ?  Man  ist  ttber  diese  Frage 
leicht  hinweggeeilt;  so  lange  man  sich  keine  bestimmtere  Vor- 
stellung von  dem  bei  Tacitus  geschilderten  Brauche  zu  machen 
wagte,  sondern  begnügte  sich  mit  der  von  Grimm  Myth.*  237  — 42 
aus  Budolfs  Chronik  von  St.  Trend  beigebrachten  Analogie  des 
Schiffsumznges  (a.  1133)  ohne  sich  doch  über  das  Wesen  des 
letzteren  hinreichend  klar  geworden  zu  sein.  Offenbar  war  der- 
selbe die  Auffrischung  eines  in  seiner  Uebung  ftLr  einige  Zeit 
unterbrochen  gewesenen  alten  Herkommens  (cf.  ähnliche  Vorgänge 
beim  Maigrafen  o.  S.  372.  381);  nur  so  erklärt  es  sich,  daß  die 
Obrigkeiten  (potestates,  judices,  die  Grafen  von  Duras  und  der 
Klostervoigt  von  St  Trond)  gegen  den  Willen  der  Geistlichkeit 
das  Fest  erlaubten,  ja  begünstigten  und  die  Weber  zwingen  ließen. 
Jenes  Herkommen  war  die  UmfUhrung  eines  Schiffes  vor  dem 
Anfange  oder  zur  Zeit  des  Beginnes  der  Schifffahrt  in  einem  ähn- 
lichen Sinne,  wie  die  Umfahrt  des  Pfluges  (o.  S.  553  ff.),  eine  Art 
Zauber  für  ein  glückliches  Aufgehen  des  Eises  und  guten  Betrieb 
der  Navigation  auf  Meer  und  Strom.  Oder  war  mit  dem  Schiffe 
der  Glaube  verbunden,  daß  es  die  bösen  Geister  des  Winters 
mitnehme  und  aufs  unfruchtbare  Meer  hinaus  trage?  Man  ver- 
gleiche nur  die  folgende  Sitte*  der  Malaien  im  hinterindischen 
Archipelagus ,  welche  A.  Bastian,  der  Mensch  in  der  Geschichte 
II,  91  mitteilt.  „Beim  Beginn  jeder  trockenen  Jahreszeit  wird 
ein  Schiffsmodell  in  den  Dörfern  der  Nicobaren  herumgetragen. 
Die  Bewohner  der  Hütten  jagen  die  Ivis  oder  bösen  Geister  *  aus 
denselben  heraus  und  treiben  sie  an  Bord  des  Schiffes ,  das  dann 
ins  Meer  gesetzt  und  den  Winden  preisgegeben  wird,  wie  auf 
den  Maldivien.'^  Ebds.  S.  93 :  Aehnlich  den  Maldiviem  bringen 
die  Bjajas  auf  Bomeo  jährlich  ihr  Opfer  dem  Gotte  des  Uebels, 
mdem   sie  eine  kleine  Barke,  beladen  mit  den  Sünden  und  Uu- 


1)  Cf.  „ Die  Vorstellungen  der  Nicobaren  von  dem,  was  nicht  im  unmit- 
telbaren Bereiche  ihrer  Vorstellungen  liegt,  beschränken  sich  nach  der  Mit- 
teilung eines  Missionars  nur  auf  die  Furcht  vor  Weseu,  deren  £influß  sie 
ungewöhnliche  Üngl&cksfälle  zuschreiben.  Diese  Wesen  (Ivi),  die  von  den 
Aerzten  beschworen,  oder  vertrieben  werden  können ,  haben  ihren  Aufent- 
halt in  dem  Dickicht  der  Wälder  und  von  Einigen  werden  sie  auch 
als  die  Erhalter  der  Natur  bezeichnet,  die  die  Pflanzen  zum  Wachsen  bringen 
können.'*    Bastian  a.a.O.  11^>. 

Mannbardt  38 


594  Kapitel  VII.    Vegetationsdamonen :  Kerthus. 

glttcksfiülen  der  Nation^  vom  Stapel  lassen  y  welche  dann  auf  das 
arme  Schi£fsyolk  fallen  werden ,  das  so  nnglttcklich  ist,  die- 
ser geopferten  Barke  zu  begegnen.  Auf  einen  einzelnen  Ort 
bescluränkty  finden  wir  den  Umzug  des  wol  mit  Masken  in  Fast- 
nachtstracht besetzten  Schiffes  mit  dem  des  Pfluges  gepaart  schon 
zur  Adventszeit  an  der  Donau  in  Ulm  (Myth.'  242).  Heutzutage 
hält  man  eben  daselbst  noch  zuweilen  auf  Fastnacht  Umzug  mit 
einem  Schiffe.  Es  wird  auf  einen  Schlitten  gestellt ,  wenn  man 
noch  Schnee  hat  und  dann  fahren  die  Leute  darin  unter  Musik 
und  Jubel  in  der  Stadt  herum.  ^  Im  Oldenburgischen  setzt  man 
zuweilen  während  der  Pfingstnacht  kleine  Schiffe  auf  einen  Wagen, 
mit  dem  man  am  folgenden  Morgen  durch  die  Straßen  des  Ortes 
fährt.'  In  früherer  Zeit  wird  man  sich  hier  überall  nicht  mit 
der  Umfahrt  des  Schiffes  durch  die  Stadt  begnügt,  sondern  das- 
selbe schlieBlich  in  den  benachbarten  Fluß,  Strom  oder  Meeres- 
hafen geführt,  dem  Wasser  übergeben  haben.  In  ganz  Flandern 
und  manchen  französischen  Gegenden  ist  es  gldchfalls  Sitte,  zu 
Fastnacht  (und  auf  den  daher  abgeleiteten  Kirchweihen)  ein  auf 
Räder  oder  Schlitten  gesetztes  Schiff  mit  Musikanten  und 
Camevalsmasken  gefüllt  neben  anderen  grotesken  Gestalten  (jenem 
Riesen  o.  S.  523),  Drachen,  Glücksrädern,  wol  modernisierten 
Darstellungen  des  Jahresringes  ^  (cf.  die  Räder  der  Frühlingsfeuer) 
von  Pferden  im  Garnevalszuge  durch  die  Stadt  ziehen 
zu  lassen.  (Hervorzuheben  ist  dabei  der  Ommegang  in  Brüs- 
sel.)^ Dieser  auf  einen  einzelnen  Ort  beschränkte,  einst  ernst 
religiöse,  dann  zum  Scherz  herabgesunkene  Umgang  erscheint 
nun  im  Flußgebiet  der  Maaß  und  Scheide  durch  besondere  Um- 
stände (als  die  wir  die  durch  frühe  und  glänzende  Entwickelung 
des  Handels  und  der  Industrie,  zumal  der  Weberei,  erhöhte 
Bedeutsamkeit  der  Schifffahrt  leicht  erkennen)  auf  ein  größeres 
Gebiet  ausgedehnt  Bei  Aachen  ward  im  Walde  selbst  im  ersten 
Frühjahr,  als  die  Tage  noch  ganz  kurz  waren  (fiigitiva  adhuc 
luce  diei) ,  von  emem  Bauer  und  seinen  Gesellen  ein  Schiff  auf 


1)  Meier,  374,  6.  In  den  bairischen  Donangegenden  zieht  man  Fast- 
nachts  Kähne  anf  Bollen  durch  die  Ortschaften,  die  Mäste  mit  Eßwaaren 
behängt,  im  Mastkorb  Feuer.    Bochholz,  Alem.  Einderl.  228, 

2)  Strackerjan  II ,  S.  47,  316. 

3)  Vgl.  auch  noch  Dunlop,  Prosaromane  übers,  v.  Liebrecht^  Vorr.  XI. 
Germania  V,  50. 


Die  Umfahrt  595 

Rädern  erbaut  Geschah  die  Erbauung  im  Walde,  statt  auf  der 
bequemeren  Werft  in  der  Stadt,  sobald  dort  die  ersten  Pflanzen- 
triebe (Baumknospen)  erspäht  wurden,  und  glaubte  man  so  den 
Frühlingsgenius  (Soi  de  printemps)  unsichtbar  im  Schiffe  zu 
haben,  der  ja  auch  das  Eis  des  Meeres  löst,  milde  Fahrwinde 
mitbringt?  Oder  war  sie  ein  archaistisches  Ueberbleibsel  jener 
Urzeit,  als  die  Schiffe  nodi  aus  je  einem  einzigen  vielleicht  durch 
Feuer  ausgehöhlten  Baumstamme  (zumeist  Eschen)  bestanden?^ 
Letzteres  werden  wir  für  den  FaU  wahrscheinlicher  finden,  daß 
ein  Analogon  zu  der  nicobarischen  Sitte  vorliegt  Die  Lein  -  und 
Wollenweber  wurden  gezwungen,  das  Schiff  an  Stricken  nach 
Aachen  und  weiter  nach  Mastricht  zu  ziehen.  Wo  man  hinkam, 
lösten  die  Weber  des  Ortes  die  Ziehenden  ab ;  kamen  sie  zu  spät, 
so  verfielen  sie  der  Strafe  (proscriptionis  sententiam  accipiunt). 
Tag  und  Nacht  mußten  sie  im  vollen  Waffenschmuck  Ehrenwache 
dabei  halten,  [so  wird  beim  Maibaum  gewacht  o.  S.  168];  nur 
sie  dürfen  das  Schiff  bcFÜhren,  wer  außerdem  anfaßt,  muß 
ein  Pfand  von  seinem  Halse  geben  (pignus  de  collo  ereptum), 
oder  sich  durch  beliebige  Gabe  auslösen.  In  diesen  Zügen  offen- 
bart sich  ein  sicheres  Anzeichen  von  dem  Alter  der  Sitte.  Wie 
die  Schmackosterrute  nicht  mit  bloßer  Hand  berührt  werden  darf 
(o.  S.  270),  darf  den  Nerthuswagen  und  ebenso  dieses  Schiff  niemand 
aus  dem  Volke ,  nur  der  berechtigte  Priester ,  oder  die  Schaar  der 
durch  dsis  Herkommen  dazu  bestellten  Führer  und  Wächter  berüh- 
ren, weil  ein  Numen  einwohnt  Wer  ein  göttliches  geisterhaftes 
Wesen  berührt,  stirbt  nach  der  Anschauung  des  Al- 
tertums, oder  kann  nur  durch  Haupt-  und  Halslösung  sich  ret- 
ten. Dieses  der  zu  Grunde  liegende  Gedanke.  Warum  aber  hat- 
ten grade  die  Weber  mit  dem  Aufzuge  zu  tun,  deren  Gewerbe 
erst  seit  Berufung  der  Kegensburger  Weber  durch  Graf  Baldnin 
von  Flandern  im  J.  959  in  diesen  Gegenden  ausgebreitet^  und 
deren  Vereinigung  in  Zünfte  wenn  überhaupt  schon,  so  erst  wenige 
Jahre  vor  1133  erfolgt  war?'    Vermutlich  hatten  sie,  auch  ohne 

1)  W.  Wackernagel  in  Haupt,  Zs.  f.  d.  A.  IX,  573.  KL  Schriften  I, 
79  —  85.  Solche  ans  hohlen  Banmstammen  gefertigte  Schiffe  halten  30r-40 
Rnderer. 

2)  Rehlen ,  Geschichte  der  Gewerbe.  Lpzg.  1856.  S.  98.  v.  Kampen, 
Geschichte  der  Niederlande  I,  146. 

3)  Wilda ,  Gildenwesen  des  Mittelalters.    S.  313. 

38* 


596  Kapitel  VII.    Vegetationsdamonen :  Nerthus. 

rechtlieh  anerkannte  ständige  Vereine  zu  bilden ,  im  zehnten  oder 
elften  Jahrhundert  als  eine  Ehre  für  ihren  Stand  das  Amt  des 
Vorspanns  und  der  Ehrenwache  in  dem  alten  Brauche  zu  erlangen 
gesucht;  sei  es,  weil  für  die  Zeugmanufactur  der  gute  Verlauf 
der  Schififahrt  eine  Lebensfrage  war,  da  sie  ihr  Rohmaterial 
überwiegend  aus  England  bezog  und,  da  ihre  Producte  damals 
die  vorzüglichsten  überseeischen  Ausfuhrartikel  der  Niederlande 
bildeten,  oder  sei  es,  weil  die  metaphorische  Benennung  eines 
Arbeitsgerätes,  des  WeberschiiTelin  ^  (radius,  navicula)  eine  Ideen- 
association  des  Weberhandwerks  mit  der  Schifffahrt  begründete. 
In  etwas  späteren  Zeiten  sehen  wir  vielfach  die  Zünfte  und  Cor- 
porationen  bemüht,  die  Bräuche  der  alten  Jahresfeste  sich  anzu- 
eignen und  zu  eigentümlichen  Festen  ihrer  Innung  zu  verengen, 
indem  sie  am  liebsten  solche  Formen  wählten ,  welche  durch  irgend 
eine  oft  untergeordnete  Aeußerlichkeit  auf  ihre  Gewohnheiten 
bezogen  werden  konnten.  Vgl.  z.  B.  die  Prozession  der  Züricher 
Schmiedestubeuzunft  am  Hirsmontag  (o.  S.  523)  und  den  Mai- 
baum der  Prager  Schneider  o.  S.  431.)  MiJglicherweise  hatte  die 
Beteiligung  der  Weber  an  dem  Umzüge  doch  einen  andern  Grund. 
In  Trier  fanden  wir  Weber  und  Metzger  (wol  als  die  angesehen- 
sten Zünfte)  die  Aufrichtung  und  Verbrennung  der  Frühlingseiche 
am  Sonntage  Invocavit  als  bewaffnete  Ehrenwache  schirmen 
(o.  S.  501,  vgl.  Kuhns  Herabkunft  S.  96),  wie  an  mehreren  Orten 
die  Metzger  allein  mit  der  Lenzbraut  umziehen.  Als  im  zwölf- 
ten Jahrhundert  der  Reichtum  und  Stolz  der  niederländischen 
Weber  durch  das  Aufblühen  der  Industrie  und  vielleicht  den 
neuen  corporativen  Zusammenschluß  bedeutend  wuchs,  mochten 
sie  es  nunmehr  unter  ihrer  Würde  halten,  gleich  Knechten  das 
Schiff  zu  ziehen  und  deshalb  den  Brauch  abstellen ,  bis  dai>  nach 
dem  gewohnten  Schauspiel  begierige  Volk  einmal  wieder  sie 
zwang  denselben  aufzunehmen.  Die  Prozession  mit  dem  Schiffe 
ging  von  Aachen  nach  Mastricht  (4  Meilen),  von  Mastricht  nach 
Tongern  (2V2  M.),  Looz  (2  M.),  St.  Trond  (IV^  M.),  St.  Leau 
(IV2  M.);  die  genommene  Richtung  läßt  schließen,  daß  man  beab- 
sichtigte, das  Fahrzeug  direct  über  Löwen  und  Antwerpen  bis 
zur*  Westerseheide  zu  führen  und  hier  fausto  omine  dem  Meere 
zu   übergeben;  mit  Rücksicht  auf  dieses  Ziel  [oder  weil  man  die 

1)  Zarucke -Müller,  mhd.  W.  B.  s.  v. 


Die  Umfahrt.  597 

aaszutreibenden  bösen  Geister  darin  wähnte]  y  mag  es  ftir  nnglttck- 
lich  nnd  schimpflich  gegolten  haben ,  das  Schiff  irgenwo  za  behal- 
ten (maligni  spiritns  disseminaverunt  in  populo,  quod  locus  ille 
et  inhabitantes  probroso  nomine  amplias  notarentur,  apad  quos 
remansisse  inveniretur).  Bei  L^au  war  etwa  grade  die  Hälfte 
des  zurtickzalegenden  Weges  erreicht;  verweilte  das  Schiff  auf 
jeder  Station  so  lange,  wie  'in  St.  Trond  (12  — 14  Tage),  so 
hatte  es  bis  dahin  etwa  2  Monate  gebraucht  nnd  konnte,  falls 
es,  wie  in  Ulm,  im  Beginne  der  Adventszeit  die  Reise  begann, 
Ende  März ,  falls  1  —  2  Monate  später  ^  im  Mai  das  Meer  errei- 
chen. Dieser  Zeitraum  erscheint  bereits  durch  miBbränchliche 
Ausdehnung  bei  Vergessenheit  der  eigentlichen  Absicht  des  Brau- 
ches zu  lang  gedehnt  Auf  den  einzelnen  Stationen  wurde  das 
Schiff  ähnlich  dem  trojanischen  Pferde,  sagt  der  geistliche 
Berichterstatter,  von  den  Bürgern  festlich  in  die  Stadt  eingeholt, 
allabendlich  bildete  es  (wie  der  Maibaum)  den  Mittelpunkt  eines 
Reigentanzes,  an  dem  beide  Geschlechter,  sogar  die  Matronen 
trotz  der  halbwinterlichen  Frtthjahrszeit  in  bereits  sommerlicher 
Kleidung  Teil  nahmen  und  wenn  der  Reigen  sich  löste,  ertönte 
wie  unsinniges  Gejuchze  und  Jubelgeschrei  (vgl.  o.  S.  191).  Musik 
nnd  weltliche,  der  Geistlichkeit  anstößige  Gesänge  fehlten  nicht. 
Es  scheint,  daß  während  des  Tanzes  auf  dem  Fahrzeuge  Mann- 
schaft sich  befand ,  welche  mit  Commando  (celensma)  und  Ruder- 
schlag die  Bewegung  eines  Schiffes  nachahmte.  Die  Geistlich- 
keit war  diesem  Treiben  entgegen ,  es  fehlte  demselben  also  jede 
kirchliche  Beziehung.  War  es  trotzdem  nicht  unmöglich,  so  ist 
es  doch  unwahrscheinlich,  daß  der  Umzug  seit  dem  10.  Jahr- 
hundert entstand,  aber  erweitert,  ausgedehnt  hat  er  sich  wahr- 
scheinlich während  dieser  Zeit  unter  dem  Einfluß  des  wachsen- 


1)  In  Nordfriesland  war  Petri  Stuhlfeier,  22.  Februar,  ein  Frühliugs- 
fest;  dann  'tanzte  man  4nit  seinen  Frauen  und  Bräuten  um  große  Feuer 
(Büken),  wobei  jeder  Tänzer  in  der  Hand  einen  brennenden  Strohw^isch 
schwang  (also  nach  S.  498  Sonnenzauber  bei  Frühlingsanfang);  dann  ver- 
ließen die  Schiffer  das  Land  und  begaben  sich  wieder  zur  See.  Mül- 
lenhofT,  Schleswigholst.  Sag.  S.  167.  CCXXyUl.  Auch  nach  deutschen, 
dänischen ,  czechischen ,  französischen  Sprichwörtern  hebt  St.  Peter  (22.  Februar) 
das  Frühjahr  an,  geht  der  Winter  fort,  dann  sucht  der  Storch  sein  Nest, 
kommt  von  den  Schwalben  der  Best.  Keiusberg-Düringsfeldy  das  Wetter 
im  Sprichwort.   8.  17.  19.  93. 


598  Kapitel  YII.    Vegetationsdämonen:  Nerthus. 

den  Seeverkehrs  und  Exports  der  Niederlande  und  unter  der 
Teilnahme  der  Weber.  In  wie  weit  darf  die  Analogie  dieses 
Frlihlingsaufzuges  zum  Verständniß  der  Nerthusfahrt  verwertet 
werden?  Traf  unsere  Deutung  der  letzteren  zu,  so  gehören  beide 
Geremonien  der  nämlichen  Kategorie  von  Gebräuchen  an.  Unter 
Begilnstigung  besonderer  Verhältnisse  dürfen  wir  uns  die  Um- 
flihrung  eines  den  Frühling,  resp.  den  im  Frühjahr  wieder  wirk- 
samen Vegetationsgeist  bedeutenden  Symbols  zu  Wagen,  die  wir 
heute  auf  einen  einzelnen  Ort  (Dori',  Städtchen)  beschränkt, 
höchstens  auf  einige  wenige  Dörfer  (s.  o.  S.  168)  erstreckt  gewah- 
ren, zu  größerem  Umfange,  oder  größerer  Bedeutung  gelangt 
vorstellen,  und  zwar  müssen  Ursachen ,  welche  heute  dergleichen 
zu  Wege  bringen,  schon  in  alter  heidnischer  Zeit  ähnliche  Wir- 
kungen erzeugt  haben.  Von  den  vielen  localen  Resten  des  mit- 
telalterlichen Schauspiels  hat  das  Oberammergauer  Passionsspiel 
allein  sieh  neuerdings  zu  einer  von  vielen  Tausenden,  zum  TeU 
aus  weiter  Feme  besuchten  geistlichen  Schaustellung  entwickelt; 
das  Pflugfest  zu  Hollstadt  (o.  S.  556),  ist  nur  alle  7  Jahre 
mit  einer  reicheren  Ausstattung  gefeiert  in  unserm 
Jahrhundert  zum  Wallfahrtziel  eines  ganzen  großen  Gaus 
geworden,  während  die  entsprechenden  jährlichen  Feiern  ande- 
rer Orte  über  ihr  Dorf  hinaus  unbeachtet  bleiben.  Im  Altertume 
ward  durch  ein  eigentümliches  Zusammentreffen  historischer  aus 
politischen  und  geographischen  Verhältnissen  hervorgegangener 
Constellationen  die  ursprünglich  gemeingriechische  von  den  Dör- 
fern in  ihrem  Kreise  geübte  Saat-  und  Erntefeier  in  Elensis  zu 
dem  so  individuell  ausgestatteten,  jährlich  von  vielen  Tausenden 
aus  allen  Stämmen  begangenen  Mysterienkultus.  Auch  die 
Gebräuche  des  delischen  Apollodienstes  erklären  sich  zum  Teile 
als  eine  unzweifelhaft  durch  politische  Begebenheiten  begründete 
Erweiterung  des  Erntefestes,  indem  mehrere  Stämme  des  näch- 
sten Festlandes,  wie  sonst  Gehöft,  Weiler  oder  Städtchen  die 
Erstlinge  der  Frucht  dem  in  stiller  züchtiger  Unberührtheit  auf 
einer  Insel  liegenden  Heiligtum  des  Sonnengottes  übersandten. 
Ein  Stamm  wird  damit  begonnen  haben,  dem  die  andern  sieh 
allmählich  anschlössen.  So  wird  der  Wald  auf  der  Ner&usinsel 
zuerst  von  den  nächsten  Anwohnern  auf  dem  Festlande  zur  Ein- 
holung des  Frühlingssymboles  benutzt  sein ;  der  Buf  besonderer 
Heiligkeit    und   segensvoller   Wirkung,    welcher  dem  aus  dem 


Die  Umffthrt.  599 

uBbertlhrten  Haine  der  Insel  stammenden  Heiltom  beiwohnte, 
verschaffte  dem  Umzug  Berühmtheit  und  mit  der  Zeit  Beteiligung 
des  ganzen  angrenzenden  Gans;  eine  Art  politischer  Yerbindang, 
zn  welcher  späterhin  die  7  Stämme  gelangten,  hat  dann  in  den 
Bundesgliedem  den  Wunsch  rege  gemacht ,  an  der  Segnung  auch 
ihrerseits  Teil  zu  nehmen.  Wir  haben  ja  gesehen,  wie  in  ein- 
zehien  Formen  des  Brauches  das  Abbild  des  Vegetationsgeistes 
die  Tendenz  hat,  sich  zur  Idee  eines  Schutzgeistes  der  Gemeinde, 
des  Staates  zu  erweitem  (o.  S.  166 ff.  303  ff.);  dem  zunächst- 
wohnenden Stamme  aber  dürfte  der  hieratische  Beiname  Reudigni 
d.  h.  wol  got  Biudiggai^  d.  i.  die  Ehrwürdigen ,  ae^poi  als  den 
Hütern  des  heiligen  Inselhaines  oder  als  denjenigen,  bei  welchen 
die  Festfeier  statt  hatte, ^  zugeflossen  sein.  So  wäre  erJdärlich, 
daß  ausnahmsweise  von  dem  Strome  historischen  Lebens  erfaßt 
schon  jsu  des  Tacüus  Zeit  den  Kultus  eines  Bwndes  von  sieben 
Gauen  ausmachen  konnte ,  was  im  übrigen  DeutscJdand  Begehung 
ivwr  eines  Dorfes,  oder  weniger  Ortschaften  geblieben  ist. 

Unsere  Untersuchung  kehrt  zu  der  bereits  S.  000  berührten 
Frage  zurück ,  wie  die  Angabe  zu  yerstehen  sei ,  daß  die  7  Stämme 
gemeinschaftlich  (in  conunune)  die  Nerthus  verehrten.  War  der 
Inselhain  ihr  unter  einer  Bundesverwaltung  stehender  Gesammt- 
besitz  und  brachte  der  Priester  dort  im  Namen  des  Bundes  und 
in  Gegenwart  von  Gesandten  der  einzelnen  Stämme  zu  bestimm- 
ten Zeiten,  oder  ftir  Private  aus  'allen  Gauen,  so  oft  sie  etwa 
wollten,  Opfer?  Das  ist  unwahrscheinlich,  weil  Tacitus'  Schil- 
derung (zumal  der  Ausdruck  castum  nemus)  einra  ständigen,  das 
ganze  Jahr  hindurch  geübten  Opferdienst  im  Inselhaine  aus- 
schlieBt,  und  bei  dem  Feste  nur  den  Ausgang  der  Prozession 
aus  demselben  geschehen  läßt  (o.  S.  575).  Offenbar  also  bezieht 
sich  die  Behauptung  eines  gemeinsamen  Kultus  auf  die  Festfeier, 
die  dann  am  ehesten  als  solcher  erscheinen  konnte,  wenn  zu  ihr 
an  einem  und  demselben  Orte  Teilnehmer  aus  allen  den  genann- 
ten Stämmen  sich  einfanden.  Dies  setzt  einen  vorher  feststehen- 
den Zeitpunkt  des  Festes  voraus,  der  nicht  minder  durch  den 
unter  den  7  Stämmen  geltenden  allgemeinen  Landfrieden  erfor- 
dert wird,  da  ein  solcher,  wenn  er  nicht  eine  periodisch  wieder- 
kehrende bestinmite   Stelle  im  Jahreslauf  hatte,   viele  Wochen 


1)  Grimm,  Geaoh.  D.  Spr.  716  ff. 


600  Kapitel  VII.    Vegetation sdftmon en :  Nerthus. 

vor  dem  Beginn  des  Festes  hätte  angesagt  werden  müssen.  Ohne 
ein  zwingendes  praktisches  Interesse  verstanden  sich  die  kriege- 
rischen Stämme  schwerlich  dazu ,  unbedingt  jeder  Fehde  zu  enl^ 
sagen;  ein  solches  war  das  Bediirfnift  mit  sicherem  Geleit  zum 
Festortc  reisen  zu  können,  der  bei  starkem  Besuch  von  entlege- 
neren Landstrichen  her  sich  von  selbst  zum  Markt,  zur  Messe 
gestaltete.  Berücksichtigen  wir  diese  Bemerkungen,  so  er^nzt 
sich  uns  das  mutmaßliche  Bild  des  Nerthuskultus  etwa  in  folgen- 
der Weise.  Der  an  einem  bestimmten  Tage  des  Frühlings 
(1.  Mai?)  geübte  Brauch,  aus  einem  Walde  auf  nahegelegener 
Insel  den  Vegetationsdämon  einzuholen,  hatte,  zu  einem  besonders 
großartigen  und  vielbesuchten  Aufzuge  geworden,  vielleicht 
begünstigt  durch  die  Lage  des  Ortes ,  einen  sehr  lebhaften ,  fried- 
lichem Austausch  dienenden  Marktverkehr  hervorgerufen,  an  den 
sich  leicht  eine  politische  Beratung  von  Abgeordneten  des  Bun- 
des —  wenn  ein  solcher  bestand  —  anschließen  mochte.  Dem 
römischen  Reisenden ,  der  in  diesen  Festverkehr  hineingeriet, 
vielleicht  des  Marktes  wegen  denselben  aufsuchte,  konnte  die 
Feier  kaum  anders  erscheinen,  als  Tacitus  sie  geschildert  hat. 

Nur  ein  Umstand  macht  Bedenken  und  könnte  einen  gewich- 
tigen Einwand  gegen  unsere  Deutung  begründen,  wenn  die  Auf- 
fassung des  Tacitus  genau  den  Tatsachen  entspräche.  Es  ist 
dies  die  Angabe,  daß  der  Nerthuswagen  zu  den  Völkern  gefahren 
komme  (populis  invehi),  und*  daß  mehrere  Orte  des  Eintreffens 
und  des  Gastbesuches  der  Gottheit  gewürdigt  wurden  (quaecun- 
que  loca  adventu  hospitioque  dignatur).  Man  hat  bisher  diese 
Stellen  so  ausgelegt,  daß  der  Nerthuswagen  durch  die  Gaue 
aller  7  Stämme  geftlhrt  wurde.  In  diesem  Falle  mußte  er  min- 
destens als  Hauptstationen  die  7  Vororte  der  verbündeten  Can- 
tone  besuchen  und  darin  verweilen.  Rechnen  wir  auf  jeden  die- 
ser Orte  eine  Woche  des  Verweilens  und  unterweges  keinen 
Aufenthalt,  so  konnte  bei  40  Reisetagen  von  je  4— 5  Meilen 
auf  den  noch  ungebahnten  Wegen  jener  Zeit  möglicherweise  in 
einem  Vierteljahre  der  Umzug  vollbracht  sein.  Er  hätte  also 
etwa  die  Jahreszeit  in  Anspruch  genommen ,  welche  bei  uns  dem 
Zeitraum  von  Fastnacht  bis  Pfingsten  entspricht,  o4er  er  würde, 
falls  man  den  Endpunkt  bis  Mittsommer  herausrücken  will,  die 
Monate  von  Mitte  März  bis  Mitte  Juni  erfordert  haben.  In  bei- 
den Fällen  wäre  jede9  Zeichen,  an  dem  man  im  Anfange  dieser 


Die  Umfahrt.  601 

Periode  die  Ankunft  des  Vegetationsdämons  im  Walde  erkennen 
konnte ,  weit  üherholt  durch  die  inzwischen  voll  entwickelte ,  ja 
bis  zum  Wiederabwelken  reif  gewordene  Pflanzenwelt.  Wozu 
dann  noch  ein  Umzog  von  Gau  zu  Gau  mit  einem  Symbol,  das 
doch  nur  in  den  ersten  Wochen  des  Frühlings  Interesse  hatte, 
um  daran  die  Wiederkehr  der  guten  Geister  des  Lenzes  sichtbar 
anzuschauen?  Was  (Blume,  jung  ergrtlnter  oder  in  Blattknospen 
ausgebrochener  Zweig  oder  dgl.)  konnte  in  dem  Wagen  als  sicht- 
barer Vertreter  des  Wachstumsgei^tes  enthalten  sein,  ohne  im 
Laute  einer  so  langen  Zeit  abzusterben  und  zu  welken?  An 
dem  Nadelgehölz  brechen  die  frischen  Triebe  erst  im  Ausgang 
Mai  oder  Anfangs  Juni  hervor,  mithin  war  auch  wol  Pichte, 
Föhre  uYid  Tanne  nicht  verwendbar,  falls  die  Umfahrt  wirklich 
ein  Vierteljahr  dauerte,  alle  7  Gaue  berührte.  Wird  durch  diese 
sachlichen  Schwierigkeiten  unsere  Hypothese,  daß  der  Umzug 
des  Nerthuswagens  eine  besondere  archaistische  Form  der  Ein- 
bringung des  Vegetationsdämons  im  Frühlinge  war ,  umgestoßen  ? 
Wir  glauben  diese  Frage  wegen  der  8.  581  if.  dargelegten  Ueber- 
einstimmnngen  mit  nein  beantworten  zu  sollen.  Vielmehr  scheint 
es,  als  ob  die  einfache  Erwägung  der  praktischen  Möglichkeit 
den  Bericht  des  Tacitns  als  nicht  völlig  den  Tatsachen  ent- 
sprechend erweise.  Als  gemeinsamer  Kultus  hatte  die  Um- 
fahrt keinen  Sinn,  wenn  nicht  allen  Stämmen  Gelegenheit  gege- 
ben wurde  den  heiligen  Wagen  bei  sich  zu  sehen ;  die  Dauer  der 
Reise  würde  sich  vermutlich  in  Wirklichkeit  länger ,  leicht  bis  zu 
einem  halben  Jahre  ausgedehnt  haben.  Und  eine  so  lange  Zeit 
wäre  (jährlich?)  Landfriede  geboten  und  gehalten?  Und  wo  fände 
sich  ein  zweites  Beispiel  einer  so  langen  und  so  weiten  Herum- 
Whrung  eines  Göttersymbols?  Die  viel  kürzere  des  Schiffes  von 
Comelimünster  (o.  S.  596)  ist  ans  der  Richtung  nach  dem  Meere 
erklärlich,  die  Freysumfahrt  (o.  S.  589)  beschränkte  sich  ver- 
mutlich auf  die  Nähe  des  Tempels  und  bestand  nicht  in  einer 
ununterbrochenen  Reise  von  Ort  zu  Ort;  der  Empfang  des  Nn- 
mens  mit  Tanz  und  Festmahl  und  der  Glaube ,  durch  seine  Gegen- 
wart sich  der  Fruchtbarkeit  des  Landes  versichern  zu  können, 
bildete  vermuüich  seine  Hauptübereinstimmung  mit  dem  Nerthus- 
umzug  und  der  Einbringung  des  Maibaunis.  Unter  diesen  Um- 
ständen muß  ernstlich  erwogen  werden,  ob  nicht  die  Schwierig- 
keit durch  die  Annahme  zu  lösen  sei,  daß  jenes  „in  commune 


602  Kapitel  YII.    Vegetationsdfimonen :  Nerthos. 

colunt'^  im  Munde  des  ursprünglichen  Gewährsmannes  nichts 
anderes  als  eine  gleichartige  Begehung  zu  gleicher  Jahreszeit 
(etwa  im  Mai)  bedeutet  habe  ?  Der  Inselhain  ging  dann  nur  die 
nächsten  Anwohner  etwas  an  y  in  deren  Nähe  der  Berichterstatter 
gelandet  sein  mochte,  und^  wo  er  weiter  hinkam,  sah  er  ähn- 
liche Auiztlge,  die  er  für  den  nämlichen  halten  konnte.  Wie 
aber  erfuhr  er,  daß  dieser  Kultus  jenen  7  Stämmen  gememsam 
eignete  ?  Ehe  er  zum  zweiten  dritten  Volke  gelangte ,  mußte  die 
Feier  liberall  vorttber  sein.  Da  somit  auch  diese  Annahme  sich 
als  unhaltbar  erweist,  bleibt  es  übrig,  entweder  einen  Irrtum  des 
Tacitus  zuzugeben ,  oder  seinen  Worten  einen  anderen  Sinn  unter- 
zulegen, als  man  damit  bisher  verbunden  hat.  Waren  Genossen 
der  7  Stämme  in  dem  Hauptort  des  der  Insel  zunächst  wohnen- 
den Volkes  zahlreich  zur  Festfeier  zugegen,  gaben  sieh  die  Lande 
bei  derselben  gleichsam  ein  Rendezvous ,  konnte  da  nicht  gesagt 
werden,  daß  die  Gottheit  sich  unter  die  Menschen  mische,  unter 
die  (zum  Feste  versammelten)  ^  Völker  hineinfahre  (invehi  popu- 
lis)?  Und  wenn  zwischen  dem  Wasser  und  dem  Hauptorte  des 
Gaues  noch  kleinere  Orte  dazwischen  lagen,  werden  nicht  diese 
den  einziehenden  Mai  bei  der  Durchfahrt  dorthin  ebenfalls  fest- 
lich empfangen  haben?  Da  hätten  wir  mehrere  Orte,  welche 
Nerthus  „adventu  dignatur,^'  während  nur  einer  durch  Verweilen 
(hospitio)  des  Numens  ausgezeichnet  wird.  Verdiente  diese  Er- 
läuterung Beifall,  so  wäre  jeder  Einwurf  gehoben,  der  uns 
hindern  könnte  schon  der  geimanischen  Urzeit  jene  Art  von 
Begehungen  beizumessen ,  welche  noch  heute  die  Wiederkehr  des 
Wachstumsgeistes  im  Frflhlinge  unserem  Volke  zu  lebendiger 
Anschauung  bringen. 


1)  Vgl.  Schillers  Kraniche  des  Ibycus:  Wer  zahlt  die  Völker,  kennt  die 
Namen,  die  gastlich  hier  zosamnienkamenV*' 


Schlaßwort. 

Baumgeist  und  Korndämon. 

Die  Hauptergebnisse  unserer  Betrachtungen  lassen  sich  in 
die  folgenden  Sätze  zusammenfassen.  Als  Ueberlebsel  der  pri- 
mitivsten Entwickelungszustände  des  menschlichen  Geistes  hat 
sich  bis  in  weit  fortgeschrittenere  Zeiten  unter  verschiedenen  For- 
men die  Vorstellung  von  Gleichartigkeit  des  Menschen  und  des 
Baumes  gerettet.  Die  Ueberzeugung ,  „der  Baum  hat  eine  Seele, 
wie  ein  Mensch,"  und  der  Wunsch  zu  wachsen  und  zu  blühen, 
wie  ein  Baum ,  sind  auch  bei  den  deutschen  und  ihren  slavischen 
und  romanischen  Nachbarn  die  Eltern  eines  weitverzweigten ' 
Glaubens  und  mannigfacher  Gebräuche  gewesen.  Die  Baumseele 
webt  in  dem  Baume  als  in  ihrem  Leibe,  den  sie  nicht  verlassen 
kann,  und  empfängt  so  Opfer  und  Verehrung;  eine  rationalisti* 
sehe  Abart  dieser  Vorstellung  ist  die  Annahme,  daß  die  Seele 
eines  verstorbenen  Menschen  im  Baume  eingekörpert  sei.  Der 
Baumleib  ist  dabei  vielfach  dem  menschlichen  ähnlich  gedacht, 
verwundet  blutet  er  (S.  34  flF.  41  ff).  So  entsteht  em  der  Phan- 
tasie stätig  vorschwebender  Parallelismus  des  Menschenkörpers, 
seines  Wuchses   und  seiner  Zustände   mit  denen  des  Baumes.^ 


1)  Derselbe  spricht  sicli  u.  a.  in  der  Sitte  aas,  Menschen  mit  ihren 
Gedärmen  am  einen  Banm  zu  wickeln  o.  S.  26  ff.  Dieser  graasame  Branch, 
der  im  12.  und  13.  Jahrhundert  in  Ländern ,  welche  vorzugsweise  dem  Banra- 
kultus*  ergeben  waren,  noch  in  wirklicher  Ausübung  als  religiöse  Begehung 
stand ,  bezog  sich  ursprünglich  nur  auf  Baumsch&ler  und  enthielt  den  Gedan- 
ken, den  geschädigten  Baumgeist  durch  Ersatz  zu  sühnen.  Er  ragte  offen- 
bar auch  in  das  Leben  der  Slayen,  Letten  und  Finnen  jener  Zeit  nur  noch 
als  dunkler  Rest  einer  längst  entschwundenen,  noch  barbarischeren  Vorzeit 
hinein,  stimmt  aber  völlig  zu  dem,  was  E.  Tylor,  Ausland  1874.  16.  Febr. 
S.  182  über  die  Bechtsanschauung  wilder  Völker  bemerkt.     „Wie  man  yoW 


604  Schluüwort. 

Die  den  Baum  als  Schmarotzer  anfressenden  Insekten  gelten 
zagleich  als  die  Krankheitsursachen  im  tierischen  Leibe  (S.  1 2  flF). 
Zuweilen  jedoch  tritt  der  Baumgeist  aus  der  Fflame  heraus  utid 
neben  sie  hin,  so  daß  er  zeitweilig  in  Menschengestalt  den  Pflan- 
zenkörper verläßt  und  sich  in  Freiheit  außer  ihm  bewegt,  aber 
mit  seinem  Leben  an  das  Leben  des  Baumes  gebutidcn  bleibt 
(o.  S.  68.  69).  Im  Rauschen  des  Windes  macht  er  .sein  Dasein 
bemerkbar  [ß.  42.  43).  Die  Seele  des  Einzelbaumes  erweitert  sixili 
sodann  zum  Dämon  eines  ganzen  Waldes  und  stellt  sich  so  dar 
als  ein  Waldgeist,  oder  eine  Schaar  von  Waldgeistern,  bald 
männlichen ,  bald  weiblichen  Geschlechtes ,  die  mit  den  Bäumen 
zugleich  entstehen  und  vergehen  (S.  75.  89).  Oft  tragen  sie, 
ganz  in  Moos  gehttllt,  noch  deutliche  Abzeichen  ihrer  Natur  als 
Personifikationen  der  Bäume  an  sich;  dieselbe  bricht  auch  in 
ihren  Namen  (Hochrinde,  Bohrinde  u.  s.  w.)  und  in  manchen  ande- 
ren Zögen  ihres  Wesens  durch  (S.  75.  147).  So  versichern  die 
Weißrussen,  daß  der  Wuchs  de^  Waldgeistes  von  der  Höhe  der- 
jenigen  Bäume  abhängig  sei,  in  deren  Nähe  er  geht  und  steJit,^ 
oft  ist  dieser  Zusammenhang  mehr  verwischt.  Sie  zeigen  sich, 
außerhalb  der  Bäume  lebend,  in  Me^ischengestalt  oder  Tierge- 
stalt (S.  146),  fahren  in  Wirbelwind  und  Sturm  daher,  die 
Dames  veries  gehen  im  Winde  über  das  wogende  Kornfeld 
(S.  149  fl*.).  Hieher  gehört,  daß  sie  zuweilen  im  Tanze  Kinder  zu 
Tode  kitzeln  o.  S.  87.  139  vgl.  89.  Als  Bepräsentanten  des  Col- 
lectivbegrilfs  Wald  machen  sie  den  weiteren  Fortschritt  zu  Gei- 
stern der  gesammten  Vegetation  o.  S.  77  If.  148.  Wol  als  solche 
tragen  die  weiblichen  Waldgeister  zum  Anzeichen  ewig  wieder- 
holter Geburtenftllle  große  herabhangefide  Brüste  (S.  147),  als 
solche  verjagen  sie  die  schädlichen  Krankheitsgeister  und  werden 
zu  Heildämonen,  welche  pestvertreibende  Kräuter  wissen  (S.  81. 
106.  153). 


Jen  Wilden  der  brasilianischen  Wälder  hört,  daß  der  Bluträcher  dem 
Mörder  g^enan  dieselben  Wanden  hant,  oder  sticht,  w*elche 
dieser  dem  Ermordeten  beigebracht  hat,  so  ist  das  römische  lex 
talionis,  das  jüdische  Ange  um  Auge ,  Zahn  um  Zahn ,  Brennen  um  Brennen, 
Wunde  um  Wunde  noch  heute  Gesetz  in  Abyssinien.*'  Vgl.  hiczu,  daß  der 
Baumschädiger  sich  genau  die  Wunde  beibringt,  die  er  dem  Baume  schlug 
0.  S.  36  if. 

1)  Afanasieff ,  poetische  Naturanschauungen  II ,  330.    Vgl.  o.  S.  138. 


Banmgeist  and  £orndämon.  605 

Dem  Glauben  von  der  zum  Genius  des  Wachstums  erweiter- 
ten  Baumseele    und    der  magischen  Wechselwirkung   zwischen 
Baum  und  Menschen  scheint  im  Volksbrauch  die  Sitte  des  Mai- 
baums zu  entsprechen,   der  als  Frühlingsmai,   Emtemai,   Richt- 
mai und  Brautmai  vor  die  Tür  oder  auf  das  Bach  des  Hauses 
gepflanzt  vnrd^   und  zugleich  die  dhajuic;  äv^fjrr/.^  und   wie  der 
Värdträd    einen  mythischen    Doppelgänger   einzelner   Menschen, 
oder  ganzer  Gemeinden  darstellt.    Die  völlige  Uebereinstimmung 
des  Emtemais  mit  der   griechischen  Eiresione   spricht  fUr  den 
vorchristlichen  Ursprung  dieser  Sitten,  während  die  S.  243  erör- 
terten christlichen  Vorstellungen   und   die  Bräuche   des  Adams- 
baumes S.  246,  des  Paradiesesbaumes  im  Oberuferer  Weihnacht- 
spiele S.  242  und  in  der  Moskauer  Osterprozession  S.  285,  des 
fruchtbehangenen  Palmzweiges  in  Frankreich  und  Belgien  S.  28G. 
287   ernstlich  die  Frage  nahelegen,  ob  nicht  dennoch  unser  Mai- 
baum eine  den  Lebensbaum  Christus  inmitten  der  Gemeinde  dar- 
stellende kirchliche  Sitte,  ein  ganz  neuer  Ansatz  aus  rein  christ- 
lichem Ideenkreise  heraus  gewesen  sei.     Derselbe  Zweifel  regt 
sich  hinsichtlich  des  Weihnachtblocks  und  Weihnachtbaums  und 
'derjenigen  Bräuche,  welche  wir  unter  dem  Namen  „Schlag  mit 
der  Lebensrute  ^^  zusammengefaßt  haben.    Doch  scheint -auch  f^r 
sie  eine  außerchristliche  Grundlage  nachweisbar.    Für  die  Auf- 
fassung des  Maibaums  als  beseeltes  Wesen  spricht 
die   mehrfach  an   ihm    beobachtete   Bekleidung   mit 
dem  Anzüge  eines  Menschen,  die  ihn  als  Person  characte- 
risieren  sollte.    Danchen  wird  der  Baumgeist  oder  Vege-. 
tationsdämon   durch  eine  menschlich  gestaltete,   an 
den  Baum  gehängte  Puppe,   also  doppelt  dargestellt. 
S.  210.      Statt  der  Puppen  aus  Brod,    Korn  oder  Laubgeflecht 
tritt  auch  ein  ganz  in  Laub   oder  Baumzweige  geJiiÜlter  Mensch 
neben  dem  Maibaum  auf  und  wird  (zuweilen  sammt  dem  Baume, 
zuweilen  allein)  ins    Wasser  geworfen,   damit  reichlicher  Reyen 
die  Pflanzenwelt  erquicke  S.  313  —  314.    Dieser  mit  grtlnen  Zwei- 
gen  umhüllte   Bursche    (oder   Mädchen)   repräsentiert   also   den 
Wachstumsdämon,   und   das   ist   auch  dann  der  Fall,   wenn  der 
Maibaum    fortfällt   und   der  Laubmann    allein  von  Nachbar   zu 
Nachbar  durchs  Dorf  geführt  wird,   um  durch  seine  Gegenwart 
die  Wachstumskräfte  auf  Haus  und  Hof  zu  übertragen  S.  316. 
Der   zumeist  nach  der  Jahreszeit  oder  dem  Kalendertage  oder 


606  SchlnAwort. 

nach  der  Bekleidung  Pere  May^  Füstge  Mai^  Grüner  Georg, 
PfingBtl,  Pfingsbntz,  Kudemest,  Schnak  a.  s.  w.  benannte  Laub- 
mann  (Mädchen) ,  der  im  Frühling  bald  zu  Fuß,  bald  zu  Boft 
seinen  Einzug  ins  Dorf  hält^  ist  mehrfach  durch  Bekleidung  des 
Halses  und  Gesichte  mit  Baumrinde  o.  S.  321.  326.  342.  343. 
353,  einmal  durch  den  Namen  ^^Pappel^'  o.  S.  319  als  Baum- 
geist,  ein  andermal  durch  die  Bezeichnung  ,;der  wilde  Mann'^ 
als  Waldgeist  characterisiert ,  ebenso  oft  bildet^  ein  mit  Ruß 
geschum-ztes  AnÜüß  (S.  162.  314.  321.  322.  336.  342.  343.  349. 
352.  365.  367.  426  —  28.  442.  541.  545)  und  eine  an  seinem 
Körper  cmgebrachte  Kuhschelle  (Pferdeglocke  u.  s.  w.)  (S.  324. 
325.  326.  327.  342.  416.  440.  539  ff.  546) ,  ein  Zubehör  seiner 
Darstellung.  Zu  verstehen  ist  er  als  der  im  Lenz  als  Herrscher 
(Maikönig,  PfongsÜcönig,  Reine  de  printemps,  Queen  of  May) 
wiederkehrende  Genius  der  Vegetation  überhaupt,  worauf  u.  a. 
die  Namen  Graskönig,  Lattichkönig,  die  Umhüllung  mit  Farren* 
kraut  (S.  324.  337),  Pfriemenkraut  und  anderen  Wiesenblumen 
statt  der  LaubhtUle,  sowie  die  Wassertauche  hindeuten,  welche 
durch  das  Köpfen  des  Frosches  (S.  354.  356)  als  Regen- 
Zauber  bewährt  wird.  Die  grüne  HüUe  des  Graskönigs' 
SchoBmeiers  u.  s.  w  reißt  man  ihm  vom  Leibe,  um  die  Teile  als 
Amulette  in  Aecker  und  Fenster  zu  stecken  (S.  357).  Auch  wo 
der  Dämon  als  Maikönig  in  der  Bolle  des  festlich  einziehenden 
Fürsten  beritten  und  mit  großem  Gefolge  auftritt,  oder  sich  in 
mehrere  Personen  spaltet,  sehen  wir  häufig  wieder  den  Mai- 
bäum  als  seinen  Doppelgänger  nebenhertragen 
S.  343.  349.  Wer  den  Maikönig,  Pfingstkönig,  Maigrafen  spielt, 
behält  diese  Würde  und  diesen  Namen  ein  Jahr  lang  S.  354. 
371,  grade  so  wie  der  Emtemai  ein  Jahr  lang  auf  dem  Hause 
bleibt  S.  202.  204.  217.  Zuweilen  schwächt  sich  die  LaubhttUe 
des  Pfingstl  in  einen  bloßen  Kranz  oder  eine  Blumenkrone  ab. 
(Vgl.  den  Wasservogel  in  Abensberg  S.  353,  den  Maigrafen,  den 
Ole  i  skrymta  S.  337,  den  Jack  o  the  green  in  Londons  Vor- 
städten S.  322,  die  Beine  de  May,  Queen  of  May  S.  343.  344 
vgl.  mit  313.  315.  Jarilo  S.  415,  so  daß  die  Gestidt  zuweilen 
auf  den  ersten  Blick  nichts  anderes  als  eine  Personification 
der  Jahreszeit  scheint,  oder  in  der  Tat  in  eine  solche  hinüber* 
rinnt.  Zuweilen  ergänzt  sich  der  eine  männliche,  oder  weib- 
liche Dämon  zu  einem  Paare  (Maipaar,   Maibrautpaar),   das  im 


Banmgeister  und  Kornd&mon.  607 

Winter  entfernt ,  oder  schlafend  gedacht  war,  nnd  dessen  Wieder- 
kehr, Erwachen  oder  Hochzeit  mit  dem  Erwachen  der  Natur 
zusammenfiel. '  Wie  aus  dem  Zuge ,  daß  der  Laubmann  (Pfingstl) 
sehr  häufig  durch  den  zuletzt  oder  zuerst  Erwachten  (o.  S.  319. 
353)  den  Pfingstschläfer  (S.  321)  dargestellt  wird,  die  Anschauung 
hervorblickt,  daB  der  Wachstumsgeist  im  Winter  schlummere, 
wurde  am  1.  Mai  ein  in  Laub  gehüllter  Schläfer  im  sttd- 
französischen,  durch  eine  russische  Analogie  als  alt  und  volks- 
tümlich bewährten  Brauch  von  einem  Mädchen,  das  seine 
Braut  sein  will,  erweckt  (S.  434.  435).  In  feierlichem 
Zuge  wird  „das  Brautpaar"  aus  dem  Walde  gehoU,  oder  zum 
Hochzeithause  geleitet;  oft  führt  man  auch  die  Braut  (Mai- 
braut, Pfingstbraut,  Blumenbraat)  mit  der  kostbaren  Brantkrone 
geschmückt  daher  S.  431  ff..  Unzweifelhaft  hiezu  in  Beziehung 
steht  es,  daß  am  Maitag,  Sonntag  nach  Fasten,  1.  März  die 
sämmtlichen  Liebschaften  des  Dorfes  offenbar  gemacht ,  die  Mäd- 
chen den  Burschen  als  Mailehen,  Maifrauen,  Vielliebehen,  Valen- 
tinen u.  s.  w.  auf  ein  Jahr  oder  für  den  Sommer  zu  Tänzerin-^ 
nen  ausgeteilt  oder  angesteigert  werden.  Die  Versteigerung 
geschieht  oft  in  Gegenwart  des  Maibaums,  während  wie- 
derum im  Värends  \härad  in  Smäland  (Schweden)  jedes  wirk- 
liche Brautpaar  auf  dem  Zuge  zur  Trauung  mit  seinem  Gefolge 
dreimal  den  vor  dem  Wohnhause  aufgepflanzten 
Maibaum  (Majstäng)  umreitet.^  In  Hessen  S.  450,  Lothrin- 
gen S.  456,  Dänemark  S.  508,  Wälschtirol  S.  455,  Polen  S.  467 
(cf.  die  Eifel  S.  455  und  Estland  (S.  469)  ist  die  Sitte  des  Braut- 
paarausrufs, mit  einem  Sonnwendfeuer  verbunden.  Hiezu  stimmt 
eine  Reihe  anderer  Gebräuche  (S.  462  ff.),  aus  denen  hervorgeht, 
daß  einstmals  die  im  Laufe  des  letzten  Jahres  neuver- 
mählten Ehepaare  oder  Brautpaare  durch  das  Feuer 
sprangen,  oder  die  als  Nachbildung  der  Sonne  dienenden  Räder 
oder  Scheiben  warfen.  (Verwandt  erschien  die  Sitte  auf  Ostern 
den  Neuvermählten  den  Brautball  abzufordern.)  In  dem  näm- 
lichen Feuer  wurde  auch  der  Doppelgänger  des  Vegetationsdä- 
monen, der  Maibaum  verbrannt  S.  177  ff.  Da  diese  Verbren- 
nung unmöglich  die  Vernichtung  der  Vegetation  selbst  bedeuten 
kann,    muß    ihre  Reinigung  von    allen    sie   schädigenden,  clas 


1)  Lloyd,  Svenska  allmogens  Plägseder  öfvers.  af  Swederus  p.  18. 


606  Sehioßwori 

Wachstam  hindernden  Einflüssen,  der  Tod  aller  jener  die  Pflanzen 
auf  Aeekem,  Wiesen,  Obstgärten  anfressenden,  zerstörenden, 
hindernden  Insekten  and  Mißwachsgeister  (Zauberer,  Uexen^ 
Feldgespenster  8.  500.  501.  502.  505.  520,  Ungeziefer,  Baupen, 
Mücken,  Käfer,  Mäuse  S.  502.  504.  510.  520)  gemeint  sein. 
Wenn  dieselben  Feuer  auch  von  Menschen  und  Tieren  die 
Pest  und  andere  Krankheitsgeister  fem  halten ,  Gesundheit  bewir- 
ken  sollen,  so  ist  dieser  Parallelismus  daraus  zu  erklären,  dad 
man  die  Krankheitsstoffe  oder  Krankheitsursachen  der  Epidemien 
u.  s.  w.  iUr  Wesen  hielt,  welche  den  Mißwachs  herbeiführenden 
Baumschmarotzem  gleichartig,  wo  nicht  gleichgestaltig  seien 
(vgl.  S.  13  ff.).  Andererseits  hat  diese  Entfernung  der  Wachs- 
tumsfeinde  zur  notwendigen  Kehrseite  die  positive  Beförderung 
der  Gesundheit  und  des  vegetativen  Gedeihens,  der  Zeugungs- 
kraft; schon  der  Maibaum  ttlr  sich  bewirkt  ja  vermeintlich  aetiv 
Gesundheit  und  Lebensfiille  sowol  der  Menschen  und  Tiere,  als 
der  Kulturfrttchte,  und  grade  diese  active  Wirksamkeit  wird  auch 
hinsichUich  des  Feuers  mehrfach  durch  drastische  Symbole  her- 
vorgehoben S.  521.  Die  fraglichen  Feuer,  ja  der  von  ihnen  aus- 
gehende Fackellauf  über  die  Kornfelder  konnten  hieuach  rein 
als  Lustration,  als  Feuerreinigung  aufgefaßt  werden,  wie  sie  bei 
vielen  wilden  Völkern  vorkommt,  welche  mit  Feuerbränden  büse 
Geister  verscheuchen,  mit  Feuer  die  Wöchnerin,  das  Kind,  die 
vom  Begräbnisse  zurückkehrenden  Hinterbliebenen  von  der 
Befleckung  und  den  ihnen  anhaftenden  bösen  Mächten  zu  befreien 
suchen.  (Tylor,  Anlange  der  Cultur  II,  195.  43a  ff.)  Doch  die 
Zeit  der  Feuer,  die  als  Darstellungen  der  Sonne  aufzufassenden 
Räder  und  Scheiben,  welche  dabei  gerollt  oder  geworfen  wer- 
den, der  Sprung  der  Liebespaare  oder  Neuvermählten  (Reprä- 
sentanten des  Maibrautpaars)  durch  die  Flamme,  endlich  der 
Parallelismus  einer  als  Regenzauber  aulzufassenden  Wassertanche 
der  jungen  Eheleute,  sovile  auch  die  gleichzeitige  Verbren- 
nung und  Benetzung  des  Fastnachtpfluges  (S.  553),  machen  es 
im  höchsten  Grade  wahrscheinlich,  daß  in  diesen  Fällen  das 
Reinigungsfeuer  als  Abbild  und  Vertreter  des  Sonnenfeuers  oder 
als  an  diesem  entzündet,  von  ihm  abstammend  angesehen  wurde. 
Schwerlich  wird  die  Wassertauche  des  Pfluges,  der  jungen  Ehe- 
leute ein  Regenzauber,  ihre  Feuerweihe  daneben  eine  einfache 
Lustration  gewesen  sein.    Mithin  hal>en  wir  —  so  scheint  es  — 


BaniDgeist  und  Eornd&mon.  609 

es  hier  mit  einer  NachbilduDg  des  Durchgangs  der  Vegetation 
durch  die  Sommerwärme  im  Sinne  und  mit  Wirkung  einer  Lustra- 
tion zu  tun.^  Ein  altgallisches  Festfeuer ,  das  Posidonins  beob- 
achtete ,  und  die  von  Tacitus  geschilderte  Nerthusverehrung  gewäh- 
ren Zeugnisse  fllr  das  vorchristliche  Alter  der  in  diesem  Bande 
vorgetragenen  Sitten,  während  die  S.  517  Anm.  1  zusammenge- 
stellten Bräuche  abermals  (vgl.  224  ff.  251.  281  ff.  406.  446.  480. 
505)  eüi  auffallendes  Zusammentreffen  christlicher  Symbolik  mit 
den  Gebilden  des  Naturkultus  bekunden. 

Sind  somit  manche  ungelöste  Fragen  im  Einzelnen  übrig 
geblieben,  muß  es  insonderheit  mehrfach  der  Zukunft  überlassen 
bleiben,  die  Grenzlinie  zwischen  christlicher  Symbolik  und  welt- 
lichem Brauche  zu  ziehen,  im  Ganzen  und  Großen  bewährt 
sich  unsere  Deutung  der  in  diesem  Buche  behandelten 
Sagen  und  Sitten  durch  ein  genau  zutreffendes  Seiten- 
stück. Wie  ich  an  einem  anderen  Orte*  schon  nachgewiesen 
habe,  dachte  man  sich  gleich  den  Bäumen  auch  das  Getreide 
von  einem  Geiste  beseelt.  Der  Glaube  von  den  Komdämonen 
entspricht  nun  in  fast  allen  einzelnen  Stücken  genau  den  vorhin 
ausgehobenen  Vorstellungen  und  Gebräuchen  hinsichtlich  des 
Baumgeistes.  Der  Dämon,  welcher  bald  in  Menschengestalt 
(Mann,  Frau,  Kind),  bald  in  TiergestaU  (Wolf,  Hund,  Bock, 
Riad,  Schwein,  Öahn  u.  s.  w.)  gedacht  wird,  erfiUlt  zunäcJist  mit 
seinem  Leben  die  eineeine  Äehre,  er  ist  der  Lebensgeist,  die-Sede 
des  fruchttragenden  Getreidehalms.    Daher  spricht  man  im  Für- 

o 

stentum  Ratzeburg  vom  Arnkind  (Aehrenkind),  in  England  vom 
Kirnbaby  (Kemkind),  d.h.  einem  göttlichen  Kinde,  welches  in 
der  Aehre,  im  Weizenkom  drinsitze,  in  Oestreich  „hat"  der- 
jenige, der  das  letzte  Getreide  drischt,  „die  Aumsau"  (aum  = 
Spreu);  in  Lothringen  heißt  der  auf  dem  letzten  Emtefuder  auf- 
gesteckte grüne  Busch  nach  dem  Komdämon  chien  de  la  moisson, 
oder  chien  peau  de  balle  (Hund  Schlaubenfell).  Diese  dämo- 
nischen Wesen  werden  also  in  der  Kornhülse  immanent  gedacht. 


1)  In  Poiton  (Dcux  Sovres)  zündet  man  das  .Tohannisfener  an,  nm  dem 
Heiligen  zn  danken  „de  ses  graces  d'avoir  prÖt6g6  les  famiUes  en  leur 
preserrant  lenrs  prairies  contre  les  incidents  de  la  s^che- 
resse"  etc. 

2)  Roggenwolf  und  Roggenhund.  Danzig  1865.  Aufl.*  1866.  Die 
Korndämonen.    Berl.  1867. 

Mannhardt.  39 


610  Schlußwort. 

Doch  tritt  der  Korngeist  auch  aus  der  Pflanze  heraus  und  neben 
sie;  beim  Ausdrusch  denkt  man  ilm  dann  in  Tiergestalt  oder 
Menschengestalt  zum  Vorschein  kommend.  Meistenteils  erweitert 
sich  sein  Wesen  zu  einem  CoUedivgenius ,  zum  Dämon  der  Vege- 
tation des  gesammien  Ackerfeldes,  das  er  mit  seinem  Numen 
erfüllt,  in  dem  er  seine  Wohnung  hat.  In  den  letzten  Aehren 
des  Feldes  wird  er  ergriffen;  in  sie  zog  er  sich  vor  den  Schnit- 
tern zurück;  er  ist  jedoch  mit  seinem  Leben  noch  so  sehr  an 
das  Leben  der  Halme  gebunden,  daß  er  nun  mit  der  letzten 
Garbe  in  die  Scheune  wandert,  oder  zugleich  mit  dem  Abmähen 
der  letzten  Halme  als  getödtet  betrachtet  wird.  ^  Nach  russischem 
Volksglauben  in  den  Gouvernements  Kiew  und  Tschemi- 
goflf  sind  analog  den  Vorstellungen  von  der  Größe  des  Wald- 
geistes  die  Polewiki  (Feldgeister)  der  Hohe  des  Kornes  gleich ; 
nach  der  Ernte  machen  sie  sich  aber  so  klein  wie  die  Stoppeln,^ 
Wo  aber  die  Sitte  herrscht,  nach  Beendigung  des  Kornschnitts 
oder  des  Dreschens  auf  dem  eigenen  Besitztum  eine  den  Korn- 
dämon  darstellende  Getreidepuppe  dem  nächsten  Nachbar,  der 
noch  nicht  fertig  wurde,  zu  überbringen,  liegt  unverkennbar  die 
Anschauung  zu  Grunde,  daß  der  Dämon  der  Genius  des  Korn- 
tvachstums  in  der  gesammten  Landschaft  sei,  mithin  nach 
Beendigung  der  Ernte  auf  den  eigenen  Aeckem  doch  noch 
im  unabgeemteten  Korne  des  Nachbars  weiterlebe.  Wenn 
nun  in  denselben  Funktionen  wie  der  „  Kommann '^  ein  Grum- 
metkerl, statt  der  Kommutter,  Flachsmutter  ein  Arftenwtf, 
Heumütterli  u.  s.  w.,  statt  des  chien  de  la  moisson,  Weizen- 
beller,  Schotenmops,  Dreschhund  auch  ein  Heupudel  auftritt  u.  s.  w., 
wenn  die  aus  der  letzten  Garbe  gebildete  Figur  Wdldmann  heißt 
(o.  S.  4T0),  so  gevxihren  unr  deutlich  die  Seele  des  Kornhalms  in 
den  Dämon  der  gesammten  Kulturfrucht  ja  der  Vegetation  über- 
haupt übergehen.^  Er  ist  denn  auch  ebenso  gut  wie  der  vom 
Baumgeist  ausgehende  Vegetationsgeist    als  Herrscher  gedacht; 


1)  Korndämenen  S.  5. 15. 

2)  Gouverneraentszeitang  von  Kiew  1845,  16.  Goavernementszeitniig 
von  Tschemigoif  1844,  50  bei  Afanasieff,  Poetische  Naturanschaunngen  der 
Russen  II,  S.  329.  Hienach  ist  o.  S.  138  Z.  2  v.  n.  zu  berichtigen  „welche 
Polewiki  (Feldgeister)  heißen." 

3)  Vgl.  Korndämonen  S.  4. 


Banmgeist  nnd  Eonidämon.  611 

dem  •  Maiköuig ,  Graskönig,  Lattichkönig,  der  Queen  of  the  May, 
reine  de  printemps  in  den  FrOhlingsgebräuchen  entsprechen  als 
Namen  des  in  der  letzten  Garbe  waltenden  Dämons  im  Ernte- 
brauch ein  König,  Kong,  HaferkÖfiig,  HaferJcönigin,  Aehrenkö- 
nigin,  Harvesfqueen  u.  s.  w.^  Wie  der  Baumgeist  im  Rauschen 
des  Windes  seine  Gegenwart  bemerkbar  macht,  sieht  die  Phan- 
tasie des  Volkes,  wenn  der  Wind  im  Getreide  Wellen  schlägt, 
nicht  allein  die  Dames  yertes  über  das  Korn  wandeln,  auch  „die 
Kornmutter  geht  über  das  Getreide."  „Da  laufen  die 
Wölfe,"  „die  wilden  Schweine  sind  im  Korn"  u.  s.  w.  Die  Korn- 
^nutter  fährt  im  Wirbelwinde.  Wie  die  Wildfrauen,  Lieschje 
u.  8.  w.  Kinder  zu  Tode  kitzeln ,  redet  man  von  den  im  Korne 
hausenden  Kiddelhimden.*  Wie  die  wilden  Weiber  hat  die  Kom- 
mutter  lange  über  die  Achseln  geschlagene  Brüste.^  Jene  Redens- 
arten „die  Wölfe  jagen  sich  im  Korn,"  „die  Kornweiber  laufen 
durchs  Korn  u.  s.  w.  lehren  zugleich ,  daß  den  Waldgeistem  ent- 
sprechend auch  bisweilen  eine  Vielheit  von  Komgeistem  das 
Ackerfeld  erfÖUend  gedacht  wurde. 

Wie  im  Frlihlingsbrauche  der  Dämon  der  Vegetation  durch 
den  Maibaum,  oder  durch  einen  in  Laub  und  Baumrinde  gehüll- 
ten Menschen,  oder  durch  Baum  und  Menschen  zugleich  darge- 
stellt wird,  genau  so  im  Emtebrauche  der  Komgeist.  Ihn  ver- 
gegenwärtigt man  durch  die  mit  bunten  Bändern  und  Blumen 
geschmückten,  oder  zu  einer  Tier-  oder  Menschengestalt  aufge- 
putzte letzte  Garbe,  die  dann  auch  den  Namen  „der  Alte,"  „die 
Kommutter,"  „Roggenwolf,"  „Roggensau,"  „Hafergeiß"  u.  s.  w. 
empfängt.  Oft  wird  der  Gutsherr  oder  der  Schnitter  (resp.  die 
Binderin)  der  letzten  Halme  ^  (dem  in  Grün  gehüllten  Pfingstbutz 
entsprechend)  in  die  letde  Garbe  hineingebunden  und  an  ihm  die 
Wasserfauche,  der  Regenzauber  vorgenommen  (vgl.  o.  S.  215). 
Wie  man  dem  Graskönig  die  grünen  Zweige  vom  Leibe  reißt, 
pflückte  man  dem  Haferbräutigam  die  Haferhalme  ab^  unzweifel- 
haft auch,  damit  sie  als  Amulet  dienen  sollten.  Gewöhnlich 
jedoch  verfällt  die  Darstellung  des  eifien  Gctreidedämo)is  in  zwei 


1)  Vgl.  Korndämonen  S.  27. 

2)  S.  Roggenwolf  und  Roggeiiliund  *  S.  14. 

3)  Korndämonen  S.  20. 

4)  S.  Korndämonen  S.  30. 

39 


612  Schlußwort 

GestaUeny   die   zur  Puppe  aufgeputzte  letzte  Garbe  und  einen 
Menschen  (Schnitter  oder  Drescher,  resp.  Binderin).    Diese  Per- 
son  heißt  wie  die  letzte  Garbe  „der  Alte,"   „Wolf,"    „Bock," 
„Hahn"  u.  s.  w.>  und  hehoLt  diesen  Namen  ein  ganzes  Jcihr  lang 
bis  zur  nächsten  Ernte,     Sie  muß  die  ihr  gleichnamige  Stroh- 
figur  (z.  B.   die  Roggensau)   zum  nächsten  Nachbar  tragen  und 
diesem  in  die  Scheune  oder  auf  die  Tennen  werfen.    Wird  der 
Ueberbringer  erwischt,  so  behandelt  man  ihn  als  den  gefangenen 
Dämon,  man  schwärzt  Him  das  Gesicht  mit  Ruß,   lockt  ihn  wie 
die   Schweine,    sperrt  ihn  in  den  Stall  u.  s.  w.     Sehr  deatiich 
erhellt  die  ztviefache  Darstellung  desselben  Begriffes  aus  einigen, 
französischen  Gebräuchen ,  in  welchen  der  Grundeigentümer  oder 
dessen  Frau  die  Rolle  des  Dämons  spielen.    Beim  Dreschen  wird 
in  St.  Brieuc  (Cötes  du  Nord)  die  letzte  Garbe  auf  einen  dicken 
Stock  gespießt,  dessen  Enden  2  Männer  auf  ihre  Schulter  neh- 
men; dann  setzt  sich  der  Propri^taire  rücklings  neben  die  Garbe 
und  wird    so   zweimal   auf  der  Tenne  herumgetragen.     In  der 
Commune  Salignö  Canton    de  Poiret  (Vend^e)  bindet  man  die 
Bouigeoise  nebst  der  letzten  Garbe  in  ein  Bettlaken  ein,  legt 
beide  auf  eine    Tragbahre,  trägt  sie   bis    zur  Dreschmaschine 
und  schiebt  sie  darunter.     Dann  zieht  man  die  Frau  heraus  und 
drischt  nun  zwar  die  Garbe  allein,   aber  prellt  die  Wirtin,  d.  h. 
wirft  sie  im  Bettlaken  in  die  Höhe  (Nachahmung  des  Worfeins). 
Es  ist  diese  Verdoppelung  eben   nur  eine  unbehilfliche  Weise 
des  Ausdrucks   für    den  Gedanken,   daß   die   letzte  Garbe  ein 
beseeltes ,  vernunftbegabtes  Wesen  sei.    Besser  gelungen  ist  diese 
Darstellung  schon  zu  Plaintel  (Cöte  du  Nord),  wo  die  Drescher 
den  Eigentümer   einladen,   sich  auf  die  letzte  Garbe  zu  setzen, 
und  dann  im  Triumphe  herumtragen,  oder  in  vielen  deutschen 
Gegenden,  wo  man  die  aus  der  letzten  Garbe  verfertigte  Figur 
dem  letzten    Schnitter    oder  Drescher  auf  den  Bücken   bindet. 
Vgl.  S.  383.  384  den  aul'  den  Strauch  gesetzten  oder  mit  dem 
Strauch  auf  dem  Rücken  bebundenen  Frtthlingsdämon. 
In  diesen  Fällen   ist   durch   die  Verbindung   des  Menschen   mit 
Garbe  oder  Strauch  die  Zusammengehörigkeit  beider  als  Bezeich- 
nungen des  Pflanzenleibes  und  der  ihm  innewohnenden  anthro- 
popathischen  Seele  angedeutet.     Wie  der  Pfingstbutz  gabensam- 
melnd von  Haus  zu  Haus  geftlhrt  wird,  halten  in  Stroh  gehtUUe 
Personen,   Darstellungen  vom  Korndämon  (Erbsenbär,  Hafeigeiß, 


Baumgeist  und  Eorndämon.  615 

Komkater  u.  s.  w)  beim  Erntefest,  aber  auch  eu  Weihnachten, 
Fastnacht  u.  s.  w.  Umzug.  Auch  zu  Maltag  (s.  Walber  o.  S.  312 
Bär  u.  s.  w.) ,  und  wenn  der  erste  Pflug  ins  Feld  geht,  wird 
zuweilen  mit  einem  in  Korn  gebundenen  Manne  Umgang  gehal- 
ten. Es  sind  die  nach  winterlicher  Abwesenheit  im  Frühjahr 
wieder  Einzug  haltenden  Wesen  der  Vegetation.  Wie  der 
Pfingstbutz  mit  einer  oder  mehreren  Glocken  ausgerüstet  ist, 
wurde  in  England  am  Fastnachtdienstag  die  Getreidehenne 
durch  einen  Burschen  dargestellt,  dem  eine  Henne  ^uf  den 
Rücken  gebunden  (s.  o.  S.  327)  und  mehrere  Pferdeglocken 
ringsum  angehängt  waren.  Wie  der  Maibaum  und  Emtemai  mit 
allen  Pferden  des  Bauers  zur  Stelle  gefahren  werden  (o.  S.  171. 
200.  204),  wird  in  Schlesien  zur  Erntezeit  der  Getteidehahn  auf 
einem  vier-  oder  sechsspännigen  Erntewagen  nach  dem  Felde 
gefahren,  wo  er  in  Nachbildung  des  Getreideschnitts  mit  der 
Sense  geköpft  werden  soll.^  Das  Ganze  ist  ein  Zauber  zur 
Erlangung  einer  schweren  Ernte  vgl.  S.  211.  214.  Wie  sich 
endlich  dor  Laubniann,  Pfingstbutz,  Maikönig  zu  einem  Maipaar 
ergänzt,  tritt  z.  B.  in  Thüringen  und  Oberdeutschland,  mehrlach 
statt  des  einen  Korndämous  ein  Brautpaar^  auf.  Der  Erntezug 
erhält  den  Character  eines  vollständigen  Hoehzeitzuges ,  die  letzte 
Garbe  heißt  Braut,  oder»la  gerbe  de  la  jeune  financee  (Cöte  du 
Nord),  mit  Gcwändeni  einer  Braut  bekleidet,  wird  sie  mit  dem 
ältesten  Knecht  des  Hauses  förmlich  verheiratet  u.  s.  w.  (Mayenne). 
Vgl.  auch  S.  436.  Vereinzelt  findet  sich  auch  der  Wettlauf 
(o.  S.  391  ff.  und  396  ff.)  so  wie  die  Fetterweihe  auf  der  Seite 
der  Erntegebräuche  wieder.  In  einigen  Orten  der  Gegend  von 
Grenoble  erhält  die  letzte  Garbe  einen  Namen  in  Patois,  der 
sich  durch  franz.  csquillot  (Splitter  eines  zerbrochenen  Beines) 
wiedergeben  läßt,  und  wird  dann  verbrannt.  Vor  dem  Aus- 
drusch der  letzten  Garbe  wird  im  Rgbz.  Aachen  der  jüngste 
Knecht  mit  einem  Gebunde  zum  Hausherrn  geschickt  und  fragt 
ihn,  ob  er  dasselbe  verbrennen  oder  ersäufen  soll.  Der  Herr 
antwortet  ihm  mit  einem  Eimer  Wasser,  das  er  ihm  über 
den  Kopf  gießt  (Regenzauber)  und  geht  dann  unmittelbar  mit 
der  Schnapsflasche  zur  Scheune.     In  Kückhowen  Kr.  Erkelenz 


1)  Vgl.  Korndämonen  S.  16. 

2)  Vgl   Eorndämonen  S.  SO. 


614  Schlußwort. 

Bgbz.  Aachen  bringen  bei  der  Flachsernte  die  Arbeiter,  welche 
zuerst  fertig  sind,  den  andern  eine  Fackel,  d.  h.  sie  zünden  eine 
Stroh  umwundene  Stange  an  und  pflanzen  dieselbe  unter  Geschrei 
vor  den  Augen  der  andern  auf.  Gradeso  verbrennt  man  in 
Orthiz  (Basses  Pyren^es)  eine  Garbe  (la  gerbe  de  St.  Jean),  auf 
einen  hohen  Stock  gesteckt,  im  Johannisfeuer.  Im  Hostauer 
Bezirk  Kr.  Pilsen  in  Böhmen  verbrennen  die  Bauern  nach  Been- 
digung der  ganzen  Ernte  allesammt  das  Stroh  der  letzten  Garben 
in  einem  gemeinsamen  Scheiterhaufen  auf  einem  Berg- 
gipfel. Bei  Knin  im  Königreich  Dalmatien  wird  nach  der  Ernte 
das  Feld  mit  Weihwasser  besprengt  und  die  letzte  Garbe 
(Dowrszag),  die  größer  als  die  übrigen  gemacht  ist,  in  einem 
Feuer  von  Wachholderstrauch,  das  die  Unverheirateten  um- 
tanzen, verbrannt.  Aus  allen  diesen  bis  ins  Kleinste  gehenden 
Uebereinstimmungen  dürfen  wir  mit  Sicherheit  die  Identität  der 
Baumgeister  und  Komgeister  folgern;  sie  sind  besondere  Mani- 
festation e7i  der  Vorstellung  „Vegetationsdämon" 


JVaehtrag. 

S.  12.  Den  schwedischen  Iterichten  schließt  sich  der  nach- 
stehende aus  Saetersdal  in  Norwegen  an.  In  früheren  Zeiten 
goß  man  Milch  über  gewisse  Bäume.  Das  geschah  am  Sonn- 
abend und  war  tllr  den  Baumgeist  (Vaetten)  bestimmt.  Am 
Weihnachtsabend  (lille  lulaften  23.  Dez.)  goß  man  Bier  bei  dem- 
selben Baume  aus.  Das  sollte  auch  der  Baumgeist  erhalten.  Man 
tat  dies,  um  Glück  bei  der  bevorstehenden  Ernte  zu 
haben  (dette  blev  gjort,  for  at  man  skulde  faa  Lykke  af  det 
som  var  indhOstet). 

S.  133.  Die  anscheinend  boshafte  Tat  des  Köhlers,  der  der 
Waldfrau  einen  Feuerbrand  unter  die  Kleider  steckt,  gewinnt 
ein  ganz  anderes  Ansehen,  sobald  man  das  wahre  Motiv  in  der 
Absicht  erkennt,  durch  Feuer  den  Spuk  zu  vertreiben.  In  Ruß- 
land sagt  man,  der  Waldgeist  flirchte  den  Feuerbrand  (Russ. 
Tageblatt  1859,  37.  AfanasieflF  11,  329)  und  viele  wilde  Völker 
haben  den  Glauben  durch  Feuerbrände  oder  Fackeln  die  bösen 
Geister  zu  vertreiben  (Tylor,  Anfänge  der  Cultur  11,  195). 

S.  132.  141.  Der  Waldgeist  Herrscher  der  Waldtiere.  Höchst 
merkwürdig  sind  die  Parallelen,  welche  neuerdings  von  Dr.  G. 
W.  Leitner,  Results  of  a  Tour  in  Dardistan.  Labore.  London 
1873)  in  Dardistan  zwischen  Hindukusch  und  Kaghan  gesam- 
melte Sagen  darbieten.  Ein  berühmter  Jäger,  Kiba  Lori,  hatte 
eine  Fee  zur  Geliebten,  die  ihm  verbot  während  der  sieben 
Hundstage  auszugehen.  Sie  müsse  ihn  verlassen  und  er  dtlrfe 
ihr  nicht  folgen,  sonst  müsse  er  sterben.  Der  liebende  Jäger 
konnte  ihre  Abwesenheit  jedoch  nicht  ertragen,  sondern  zog  mit 
seinem  Gewehr  aus  sie  zu  suchen.  Er  überstieg  einen  Berg  und 
fand  eine  Ebene  mit  einer  großen  Menge  Wild.  Seine  geliebte 
Fee  saß  mitten  dazwischen  und  melkte  grade  eine  Hirschkuh  in 


616  Nachtiag. 

ein  silbernes  Gefäß.  Erschreckt  durch  das  Geräusch^  das  Kiba 
Lori  verursachte,  warf  sie  das  Gefäß  um  und  schlug  ihren  Lieb- 
haber ins  Gesicht;  gleich  darauf  aber  rief  sie,  von  Verzweiflung 
ergriflfön:  „Nun  mußt  du  in  vier  Tagen  sterben.  Doch  schieße 
noch  eines  von  diesen  Tieren,  damit  die  Leute  nicht  sagen,  du 
seist  mit  leeren  Händen  zurückgekommen/'  Der  arme  Mann  tat 
dies,  kehrte  gebrochenen  Herzens  heim  und  starb  in  4  Tagen. 
Globus  XXIV.  Nr.  21.  S.  327. 

S.  142.  Auch  die  Verwandlung  der  Kohle  in  Gold 
hat  nach  Leitner  a.  a.  0.  in  Dardistan  ein  indisches  Seitenstück. 
Ein  Mann  Namens  Ithuko,  der  an  der  Straße  von  Gilgil  nach 
Nagyr  wohnte,  hatte  einen  Sohn,  der  beim  Wasserholen  von 
einem  Jatsch  gefangen  wurde.  Der  Jatsch  zog  die  Spring- 
wurzel (Phuru)  aus  dem  Boden,  öffiiete  damit  eine  Felsspalte 
und  brachte  den  Knaben  in  einen  großen  Palast,  in  welchem 
Kobolde  eine  Hochzeit  feierten.  Die  Brautmutter  sang:  „Korn 
wird  verteilt.  Fleisch  wird  verteilt,  Wein  wird  verteilt."  Beim 
Abschied  gab  der  Dämon  dem  Knaben  einen  Sack  Kohle  und 
brachte  ihn  durch  die  mit  der  Springwurzel  gemachte  OefFnung 
auf  die  nach  seinem  Dorfe  ftihrende  Straße.  Der  Knabe  schüttete 
hier  den  Sack  aus,  nur  ein  kleines  Stückchen  Kohle 
blieb  darin,  das  sich  bei  der  Berührung  in  Gold  ver- 
wandelte.   Globus  a.  a.  0. 

S.  231.  Herrn  Professor  Fl.  Romer  in  Buda-Pesth  verdanke 
ich  die  Mitteilung  eines  neuen  Beleges  fUr  die  Darstellung  der 
Verkündigung  durch  die  S.  231 — 232  besprochene  Symbolik. 
In  Tököl,  einem  Dorfe  auf  der  großen  Donauinsel  Csepel  (Tsche- 
pel),  das  ein  Krongnt  der  regierenden  Familie  ist,  fand  er  ein 
Meßkleid  mit  gewobenem  Kreuze  und  der  Jahreszahl  1444  Ihe- 
sns  und  Maria ;  femer  einen  Vespermantel,  dessen  Spie- 
gel die  Verkündigung  Mariens  in  einer  prachtvol- 
len Stickerei  enthält,  welche^  da  das  Kleid  auf  einem 
Krongute  gefunden  wurde,  und  das  bekannte  Monogramm  Kai- 
ser Friedrichs  des  Dritten  an  sich  trägt,  von  einer  Hofdame 
herrühren  könnte.  Der  Mantel  selbst  (jetzt  fast  ganz  abge- 
schlissen, einst  —  wie  man  an  Fleckchen  unter  den  Bordüren 
noch  recht  wol  erkennen  kann  -—  dunkelblauer  geschorener  Sam- 
met)  ist  in  erhabener  Stickerei  mit  goldenen,  jetzt  fast 
silbern  erscheinenden ,  symmetrisch  zerstreuten  Aehren 


Nachtrag.  617 

besetzt.  Professor  Romer  möchte  die  Aehren  etwa  auf  das 
Brod  des  h.  Abendmahles  deuten. 

S.  435.  In  Weißrußland  ist  der  Brauch  etwas  verändert. 
An  einem  Komfelde  der  Herrschaft  oder  eines  Dorfbewohners 
setzt  sich  das  älteste  Weib  der  Versammlung  auf  die  Erde  mit 
einem  an  einen  Strick  angebundenen  Bündel  Nesseln,  und  stellt 
sich  dann,  als  ob  sie  spinne  und  in  Schlaf  falle.  Die  Mäd- 
chen tanzen  Hand  in  Hand  unter  Gesang  um  sie  herum.  Plötzlich 
springt  das  alte  Weib  in  die  Höhe,  so  hoch  sie  kann,  macht  allerlei 
Possen  und  Geberden  und  schlägt  die  Mädchen  mit  dem 
Nesselbttndel  auf  die  Hände.  Grohmann,  Abergl.  a.  Böh- 
men S.  10  nach  Schafarik  o  ßusalkich.  Hier  tritt  statt  des 
schlafenden  männlichen  Vegetationsgeistes  die  im  Winter  schlum- 
mernde Mutter  ein.  (Vgl.  Mannhardt,  German.  Myth.  492  —  518.) 
Unverkennbar  ist  im  zweiten  Teile  des  Brauchs  der  Schlag  mit 
der  Lebensrute.     Vgl.  S.  264. 

S.  466.  Inzwischen  hat  A.  Bielenstein  das  lettische  Johannis- 
fest  zum  Gegenstande  einer  eingehenden  und  ausgezeichneten 
Untersuchung  gemacht,  die  in  der  Baltischen  Monatschrift  N. 
F.  1874  H.  1-2  veröflFentlicht  ist.  Hieraus  geht  hervor,  daß 
auffallend  genug  unter  Hunderten  von  Johannislicdchen  nur  drei 
das  Feuer  erwähnen,  das  im  Gebrauche  doch  höchst  wahrschein- 
lich vorhanden  war.  Manche  Lieder  spielen  darauf  an,  daß  das 
Mädchen  in  der  Johannisnacht  sich  verlobt,  ein  Roß,  einen 
Sattel  und  des  Bosses  Reiter  in  dieser  Nacht  bekommt.  Auch 
die  Sitte  wird  bezeugt,  am  Johannistage  oder  Petritage  auf 
Braut-  oder  Bräutigamsschau  auszugehen.  In  einem  Liede 
preist  das  Mädchen  die  Rinder  und  Rößchen  des  Johannes,  des 
Reichen  und  möchte  gern  groß  sein,  um  des  Johannes  Frau  zu 
werden.  Bielenstein  fragt  deshalb,  ob  die  Lieder  vom  Suchen 
des  Johannis  nach  der  verlorenen  Frau  nicht  etwa  eine  Beziehung 
auf  menschliche  Liebesverhältnisse  und  menschliches  Heiraten 
haben ,  indem  Johannes  coUectivisch  die  das  Fest  feiernden  Män- 
ner, seine  Geliebte  die  das  Fest  feiernden  Mädchen  bedeute. 
Hätte  Bielenstein  Recht,  so  wäre  da  das  nur  wenig  verdunkelte 
Seitenstttck  zu  den  Kapitel  V  §  8  dargelegten  Bräuchen. 


Druckfehler. 


S.  62  Z.  19  V.  0.  lies  älfgast  und  elfbläst  für  älfgast  and  elfblSst 

-  66  -  5   -  u.  -  Parallelismns  f.  Parellelismus. 

-  94-13-0.  -  Fengg  f.  Fangg. 

-  128  -  3   -  a.  -  Hallandske  f.  Halländske. 

-  138  -  10  -  0.  -  viele  Arbeit  f.  vile  rbeit. 

-  151  -  14  -  0.  -  Hohlefela  f.  Hohenfels. 

-  193  -  10   -  0.  -  Zehntknecht  f.  Zehnknecht. 

-  237  -  17    -  0.  -  Mittwinter  f.  Mitwinter. 

-  287  -  7    -  u.  -  Kirche  f.  Kircke. 

-  295  -  15   -  0,  tilge  mit. 

-  325  -  15-0.  lies  unsichtbar  in  f.  unsichtbar  aus. 

-  345  -  2   -  u.  -  Cortet  f.  Corelt. 

-  367  -  15   -  0.  -  Hiesel  f.  Hirsel. 

-  368  -  1-0.  -  Laubhtille  f.  Laubhöhle. 

-  377  -  19  -'o.  -  focre  f.  fore. 

-  406  -  16   -  o.  -  Wettausritt  f.  Wettstreit. 

-  445  -  11   -  0.  -  Grönjette  f.  Gronjette. 

-  472  -  26  -  0.  -  Grön  Löf  f.  Grön  Löf. 

-  491  -  10   -  u.  -  Freiwerbung  f.  Freierwerbung. 

-  492  -  4-0.  -  268.  f.  286. 

-  523  -  16   -  0.  -  mannequins  f.  raannesquins. 

-  526  -  7    -  0.  -  avih^mnoihtatmv  f.  dv&QCjnof^vmtov. 

-  556  -21-0.  -  xttTctxaiovatv  f.  xarn  xaCovatv. 

-  526  -  13   -  u.  -  uleciti  f.  ulcciti. 

-  592  -  20   -  0.  -  Götter  f.  Göttin. 


Register. 


A. 

Aarons  Gerte  244. 

Ahendmdlü  230. 

Abrahams  Same  235 

Abt  von  Beromünsier  399. 

Ackerbaufest  zu  Montelimart  448. 

Adam  und  Eva  (24.  Dez.)  212. 

Adamsapfel  283. 

Adamsbatun  246.  605. 

jldam«  Grab  242.  291. 

^dwju  JV^oef/  539. 

Adler  204. 

Adlerfarrenkraut  337. 

Adonis  591. 

^fZt?c»<  292.  293.  512.  555.  594. 

-4cÄr«,  Aehren.  Drei  172.  209.  234., 
am  Erntemai  195.  196.  199.  205., 
an  der  Brautmaie  222.,  am  Mai- 
bamn  172.,  am  Holunder  im  Saat- 
feld 210.  213.,  bleiben  auf  dem 
Felde  stehen  209.  210. ,  in  die  £rde 
gelegt  210.  Attribut  der  Walpur- 
gis  210.  Sterne  235. ,  bei  Augen- 
heilungen 17. 

Affe  94. 

Agni  592. 

agrestes  feminae  113. 

Ahorn  207. 

Ahuramazda  7. 

albero  della  cuecagna  169. 

cUßläst  125. 

älfgust  62 

Alhambra  339. 


Alfild  62. 

Alfloddern  19. 

AhrUn  Familie  51. 

Alpenburg j  D.  J.  N. ,  Ritter  von,  101. 

Andreasnacht  232. 

Angane  11 6^ 

Alte  der  196.  197. 

alter   Mann  358.      Den   alten    Mann 

ins  Loch  karren  359.  410. 
Amandus,  der  heilige  71. 
Ankenmilch  bohren  520. 
Anklöpflesel  293. 
Annius  von  Viterbo  559. 
Anthropogonie  8. 
Anthropophagie  218. 
Apfelbaum,  Apfel   50.  61.    HO.  166. 

183.  204.   205.   230.  242.  243.  246. 

247.  257.  265.  266.  276.  289.  409. 

412.  419.  536.  537.  538. 
Apollo  66.  296. 
Artidty  E.  M.  131. 
Arnkiel,  Tr.,  10. 
AHusJwf  370.  372.  379. 
Artussage  117. 
Arve  39. 

Äsen  und  Alfen  66. 
Asche  226.  291.   292.   504.   507.  512. 

520.  521.,  Asch  abkehren  256. 
Asd^miUwoch  11.  256.  411.  433.  487. 

555.  559. 
Aschef^aut  437.  447. 
Askafroa  11.  12. 
Aski'  7  ff. 


620 


Register. 


Äsphoddos  (Affodül)  37.  291. 

Äst,  dürrer  50. 

Ästloch  62. 

Äthanarich,  Gothenkönig  578. 

ÄUys  572  ff. 

Äuerhahn  131.  132. 

Aufhocken  111. 

Aufwecken  des  Pfingstschläfers  434. 

Äugen  yerbinden ,  Darstellung  der  ün- 

sichtbarkeit  365.,  Kranke  geheilt  17. 
Äumsau  409. 

Äunt  Nelly  nnd  Uncle  Ambrose  427. 
Aussaat  158.  214.  226.  394.  395.  485. 

554.  560.  561. 
Äustbock  483. 
Äustgarto  213. 
Äusiouchs,  Geschwulst,  Geschwür 20. 

67.  226.  227. 
Ävesta  8. 
Äxt  36.  65.  85.  133.  135. 

B. 

Baal  518.  591. 

Badebuhle  454. 

Badnjak  224.  225.  236. 

Bär  141. 

Baldrian  (Valeriana  officinalis)  62.  81. 

Ball  472.  476.  479. 

BaUmoney  474. 

Ballspiel  471  ff.  477. 

Bauet  des  ardents  338. 

Balsamon,  Theod.,  470. 

Bannen  der  Geister  42  ff. 

Bänder  und  Tücher  am  Maibaum 
u.  8.  w.  .182. 

Barbara  (4.  Dez.)  266. 

BarbatuSy  der  heilige,  394. 

Barthold  369. 

Bastard  von  Bourbon  162.  368. 

Bastian,  A.,  1. 

BcUes  145. 

Baum  und  Mensch  verglichen  6.,  als 
Person  behandelt  9  ff.,  redet  10.  35., 
weint  35.  40. ,  blutet  34  ff.  41  ff. 
603.  —  Baumseele  5. 11. 25. 603.  — 
Wohnung  einer  armen  Seele  35.  41. 
69.  82.    Aus  Leichnam  hervorsprie- 


ßend 65.  Körper  des  Schntzgeistes 
33.  Baum  Parallelismus  mit  Men- 
schen 63.  69.  75.  89.  Lebensbaum 
einzelner  Menschen  und  Tiere  49  ff. 
183.  184.,  von  Brautleuten  45  ff. 
221.,  von  Beisenden  48  ff.,  der  Fa- 
milie, des  Hauses  51.  52.  53.  218., 
des  Dorfes  182.  183. 189.  Xm  anm. 
des  Volkes  189.  304  ff.  309,  der 
Menschheit  250.,  der  Welt  54—58., 
in  der  Geburtsstunde  gepflanzt  49  ff., 
Wohnsitz  des  Tomtegubbe,  der  El- 
fen, Unterirdischen  u.  s.  w.  60  ff. 
Entsendet  Krankheitsgeister  und  ruft 
sie  zurück  12  ff.  25.  Krankheit 
kriecht  auf  den  Baum  21  ff.  Scha- 
det Menschen  und  Tieren  11.  12. 
65.,  darf  nicht  gehauen  werden  34. 
35.  51.  60.  61.  71.  Vom  Wind  oder 
Alter  gefälltes  Holz  darf  nicht  weg- 
geführt werden  35.  51.  Baumschä- 
len  und  Strafe  dafür  12.  25.  26  — 
32.  75.  360.  603.,  den  Baum  um 
Verzeihung  bitten  10.  35.  Heiliger 
Baum  bei  Nauders  35  ff.,  bei  Stet- 
tin 57,,  zu  Upsala  57.,  mit  Lappen 
und  Zeugstücken  behangen  182., 
mit  menschlichen  Gewändern  beklei- 
det 156.  157.  158.  200.  210.,  mit 
Fell  behangen  394.  Baum  pflan- 
zen 48.  50.  Im  Baum  Haare  IX.  48., 
Mäuse  24.,  Krankheit  21  ff.  ver- 
pflöckcn.  Baum  p&opfen  31.,  schla- 
gen ,  peitschen  295  ff. ;  gegen  einen 
Baum  rennen  323.  326.  Baum  vom 
Bütz  getroffen  486.  Spazierstock 
des  wilden  Mannes  97.  105.  334. 
Vgl.  Maibaum,  Emtemai,  Johan- 
nisabend,  Weihnachtsblock,  Weih- 
nachtsbaum, Värdträd,  Boträ. 

Baumbart  (liehen  barbatus)  89. 

Baummann  (tremadr)  73. 

Baumrinde,  Arme  Seele  in  Br.  geklei- 
det 41.  Kobold  hat  Gesicht  wie 
Br.  64.  Jungfrau  unter  der  Rinde 
38.  Br. Kleidung  der  Fanggen  89.. 
Kleidung  des  Laubmanns,  Pfingst- 


Begister. 


e21 


lümmels,  Maikdnigs  n.  8.,w.  320. 
326.  342.  343.  350.  353.  355.  385. 
606.,  Geister  sitzen  unter  der  Rinde 
12.  25.  Hexen  schlüpfen  nnter  die 
B.  275.  Erankheitsgeist  nnter  die 
Bt  verkeilt  IX.  22  ff.  Binde  abschä- 
len s.  Baum  sch&len.  Vom  Maibanm 
abgesch&lt  156.  Namen  eingeschnit- 
ten 163. 165.  Korb  und  Schale  ans 
Br.  485.    Wiege  von  Br.  76.  142. 

Batdhahn  197.  198.  201.  212. 

Beatrik  116. 

Beüctger  der  Johannispaare  469. 

Bern  264. 

Belemut  508  Anm.  5. 

Beüe  de  May  345. 

Belle  Vwcme  99. 

Berchtl  67. 

Berecynthia  bll, 

Berguhu  127. 

Besen  167.  507.  510.  513. 

Betzen  Hochzeit  300. 

Beubier  200. 

BicUe  ludzie  18. 

Bibemeü  (Bimelle)  81.  97. 

Bickbeere  (Blaubeere)  289. 

Bienenkorb  289. 

Biet'  60.  63.  173.  200.  215. 

Bilmesschneider  210. 

Bümon  112. 

Binse  384. 

Birke  8.  34.  68.  141.  157.  158.  159. 
161.  165. .  167.  169.  173.  189.  191. 
192.  195.  202.  203.  254.  256.  259. 
261.  265.  270.  271.  272.  298.  313. 
321.  348.  353.  396.  397.  434.  512. 
545.  589. 

Birnbaum  14.  50.  53.  116.  536.  537. 
538. 

Blitz  und  Donner.  Bäume  vom  Blitz 
getroffen  486.  Schutz  dagegen  die 
Richtmaic  220.,  der  Christblock  227. 
229.  234.,  Palmbüschel ,  Palmzweig 
258.  273.  286.  287.  288.,  Schnabel 
des  Wasservogels  557.,  Flurbegang 
401. 


I  Blockfest  174.  237  ff.  427   vgl.  306. 

Blockziehen  237. 

Blomsterbrud  432. 

Blomware  39. 

Blontanz  188. 

BluklHs  229. 

Blumen  im  Wasser  =^  Begenzauber 
329.  331.  Blumenstengel  278.  mit 
Blumenstrauß  peitschen  264.  Bin- 
menumhüUung  des  wilden  Mannes 
335.,  des  Pfingstochsen  390.,  des 
Engelmann  513. ,  des  schmucken 
Jungen  384.  Blumenumhülltes  Rad 
553.  Blume  Doppelgängerin  des 
Kindes  50. 

Blut.  Bäume  bluten  34  ff.  38.  40.  41. 
42.  Blumen  und  Bäume  aus  dem 
Blute  d.  i.  Lebenssaft  Gemordeter 
39.  40.  Blut  und  Fleisch  des  Opfers 
auf  das  Saatfeld  streuen  362.  363. 
364.  Blut  in  den  Baum  versenkt 
21.  Götzenbild  aus  Blut  und  Sa- 
men 361. 

Blutritt  zu  Weingarten  399. 

Bock  geschlachtet  und  wiederbelebt 
116.  Bockgestalt  des  Ljeschi  138. 
Bockshorn  =--  Osterfeuer  508.  515. 
Bockheiligung  der  Sudaner  63.  69. 

Boeuf  gras  396. 

Börner,  W.  74. 

Bonifacius,  Apostel  der  Deutschen 
503. 

Boschenstechen  306.  389. 

Botanik  297. 

Boträ  59  ff. 

Bouhours  536.  549.  550. 

Bouquet  de  l&  moisson  204  ff.  207. 

Brandons  455.  457. 

BrannUßcinflasche  215.  411. 

Brand  im  Getreide  297. 

Braut  222.  223.  248. ,  verlassene  435. 
446.,  die  Braut  nennen  449.  Vgl. 
Maibraut  y  Aschenbraut,  Brides  bed, 
Blomsterbrud,  Mailehen,  Pfingst- 
braut,  Brautball. 

Brautball  471  ff.  492. 

Brautluger  auf  dem  Ackerfeld  480  ff. 


632 


Register. 


Brautmaie  46.  231  ff.  295.  607. 

Brautmarkt  zu  Eindldben  449. 

Brautpaar  im  Walde  suchen  4^31., 
ernenneD  450*  462.  465.  587. 

Brautraub  445.  455.  495. 

BrautschUier  223.  413. 

Brautwagen  488. 

BrmUling  488  if. 

Breithut  41. 

Bretsel  s.  Brod. 

^rt(7e8  bed  436. 

JSrod,  Kuchen,  Bretzel.  —  Symbol 
der  Fmchtbarkeit  158.  393.,  im 
Weihnachtsbrauch  393  Anm.  1.  im 
Kultus  des  Swantewit  398  Anm.  1. 
Kuchen  unter  den  Pflug,  auf  den 
Acker  gelegt  158.  317.  539.,  dem 
Pflugochsen  aufs  Hörn  gespießt  588., 
unter  den  Weinstock  gelegt  617., 
beim  Drescherroahl  429.,  in  die  erste 
oder  letzte  Garbe,  oder  Handvoll 
Aehren  gesteckt  158.  209.  215. 317., 
an  den  Maibaum,  Emtemai,  Som- 
mer gebunden  157.  171.  200.  204. 
205.  217.  387.  393.,  an  die  letzten 
drei  Aehren  209.,  an  den  Palm- 
zweig 286.,  an  die  Wepelrot  247. 
Brautkuchen  223.,  darin  die  Braut- 
maie 223.,  an  der  Brautmaie  223., 
neben  der  Brautmaie  einhergetragen 
222.,  bei  Hochzeiten  vom  Wagen 
geworfen  184.,  beim  Hochzeitfeuer 
gebacken  565 ,  am  Gurt  des  Had- 
ler3  269.317.  Tansycake  476.  Fast- 
nachtfladen 545.  Funkenring  539. 
Bretzel  157.  223.  288.  269.  545.  546. 
H^tweggen  258.  Pfefferkuchen  264  if. 
Osterbrod  263.  Kuchen  als  Pfingst- 
recht  gefordert  348.  Brodmann  am 
Emtemai  205.  210.  212.  218.  Wett- 
lauf nach  dem  Stollen  396.  Kuchen- 
ritt zu  Sindolfingen  893.  Brod  dem 
Baume  gebracht  20.  21.  157.,  für 
die  Hollen  in  den  Wachholderbusch 
gelegt  65..  für  Puschkait  unter 
den  Baum  gelegt  63.,  mit  Brod  und 
Salz    dem    Ljeschi    geopfert    141. 


Opfergabe  an  Quellen ,  B&umen  245. 
Waldwelbehen,  Hollen,  Fairies. 
Selige  backen  Brod  (Kuchen)  65. 
80.  103.,  stehlen  Brod  75.  92. 
107.  Christus  Himmelsbrod  230. 
Ostern  vom  Kirchengewölbe  h^ab- 
gelassen  233.  Kuchen  zur  Loßung 
gebraucht  508.  Von  frischem  Brode 
essen  180.  Brod  unter  dem  Arme 
tragen  185.  Brod  pipen  75.  Brod- 
spende an  die  Armen  335. 

Brombeere  226. 

Brosamen  in  den  Ofen  werfen  82. 

Brunnen  s.  Wassertauche  241.  246. 
259.  323.  332.  350.  374.  377.  429. 
488  ff.  542.  —  trog  mit  Wein  ge- 
füllt 97.  98.    Br.  Siloah  283. 

Brust  große  88.  108.  117.  123.  128. 
137.  138.  147. 445.  611.,  birnförmige 
146.  s.  a.  Slatte  Langpatte. 

Buche  56.  67.  76.  125.  165.  169.  195. 
199.  207.  229.  271.  349.  412.  501 
503. 

Buchsbawm  46.  164.  256.  257.  281. 
286.  287.  288.  291.  566. 

Buckel  s.  Auswuchs. 

Buddelt  256. 

Bugge,  S.,  55. 

Burghrennen  463. 

Burkhard  v   Worms  330. 

Bürste  290. 

Buschjungfei'  86. 

BuschniäMichen  92. 

C. 

Caesar,  J. ,  525  ff. 
(^amihaum  275. 
Calignaou  226.  236. 
Captain  C auf  stau  557. 
Carlblom,  Pastor  53. 
Casseh  P.,  404.  405. 
Caypora  145. 
Cederhaum  293. 
Centeotl  360.  363. 
Chcäendal  226. 
Charfreitag  233.  277.  290. 
Clharsamstag  502. 


Register. 


628 


Chten  de  la  moisson  212. 

Cholera  518.  561. 

ChorsiuU  47. 

Chndiglade  430.  494.  536.  550. 

Christus  Frucht  der  Lenden  Davids 
243.  Abrahams  Same  234.  235. 
Gerte  Isai  230.  232.  Apfel  230. 
Nuß,  Mandel 244.  Woizenkorn  231. 
232.  233.  616.  Weizen  230  ff.  Mi- 
stel 249.  Paradiesbaum,  Lebens- 
baum 243.  294.  295.  605.  Brod 
de^ Lebens  243.  Sonne,  Licht  235. 
Osterball?  479.    Einhorn  251. 

Christ,  der  wahre,  grüne  Pruchtbaura 
184.  Anm.  1.  282.  294. 

airisthlock  224  ff.  226  ff.  250. 

Christbaum  s.  Weihnachtsbaum. 

Christliche  Bräuche  (?)  210.  224  ff. 
230  ff.  238  ff.  243.  251.  273.  281  ff 
295. 397  ff.  402  ff  405. 406. 446. 477  ff 
480.  502.  516.  517.  539.  609.  616. 

Citrone  47.  285. 

Compadre  in  Venezuela  462. 

Coneil  (Synode)  zu  Nantes  71.,  Ronen 
71.,  Lestines  518.,  Tnülanisches 
470. 

Cotäines  bSl. 

Cour  de  mai  167. 

Curupira  145. 

Cybele  572  ff 

Cypresse  45. 

D. 

Dädalen  534. 

Daksha  592. 

Dame  verte  117  ff.  591.  611. 

I)aj)hne  297. 

DatUlpalme  287. 

Daufäjer  390. 

Daiisleipe  382.  390.  391. 

DauscMöper  382. 

Dätcestrüch  384. 

De  fructu  243. 

Delle  Vivane  115. 

Delos  598. 

dengeln  266. 

Diale  31.  95.  115. 

Dieb  68.  69.  92. 


\  Diebstahl  von  Kraft,  Nahrung  68., 
Korn  69.,  Saat  128.,  Brod  75.  92., 
Milch  92.  112.,  Kindern  108.  durch 
geisterhafte  Wesen.,  des  Maibaums 
166. 

Dietrich  von  Bern  107. 

Düdrum  93. 

Dimanche  des  brandons  (Invocavit) 
455  ff.  457.  500   502.  536  ff. 

Diodor  525  ff. 

Distel  15.  40.  69. 

Djuldjul  329. 

Dive  zeny  86. 

Dlugosz,  Joh.,  413.  414. 

Doetor  (Eisenbart)  325.  350.  352.  358. 

Dodolu  330. 

Dolchgriff  zu  Dresden  339. 

Donatustag  (17.  Febr.)  427. 

Donner  85.  484.,  verfolgt  den  Baum- 
elf 68.,  die  Skogsnufva  137.  138., 
die  Trolle  128  ,  die  Wildfrauen  109., 
Erster  im  Jahre  482.  486.,  in  der 
Erntezeit  483.  486.  s.  Blitz. 

Donnerkeil  62.  485.  486.  504.  536. 

Donnerstag  131.,  D -.abend  59.  60.  D. 
nach  Fastnacht  178.,  D.  vor  Fast- 
nacht 333.,  nach  Pfingsten  157. 

DorffiedUr  495.  Anm. 

Dorflinde  53. 

Dorn  165.  167.  207.  Dornbusch  450., 
auf  den  Rücken  binden  351.,  aus- 
rciten  383. 

Dowrszag  614. 

Drache  65.  69.  509. 

Drei  Aehren  171.  209  ff.  232.  Drei 
Donnerstage  131.  Drei  Jungfrauen 
209.  Drei  Kreuze  78.  83.  106. 
Drei  Zweige  192.  204.  226.  Drei- 
facher Gürtel  von  Eiern  353.  Vgl. 
Dreisplant. 

Dreifaltigkeit,  h.,  154.  209.  465. 

Dreifaltigkeitssonntag  158.  168. 

Dreikönigsabend  150.  247.  273.  537. 
538.  542. 

Dreisplant  384. 

Dreschen  202.  206.  215.  484 

Dreschhund  610. 


634 


Be^pster. 


Dschinnen  132. 

Dünger.  Letzte  Fnhre  192.  Dünger- 
Stätte  271.  411.  421. 

Durchkriechen  durch  gespaltenen 
Baum,  Stein  33.,  unter  einem  Ka- 
moel  32. 

cy*V«|it?  nv^nrtxn  196.  208.  213.  485, 
583.  605. 

Dziewcma  413. 

E. 

Eddgar  von  England  70. 

Ebertoure  97. 

EgertJiansel  445.  446. 

Egge  83.  553  flf. 

Eheleute  neuvermählte  268.  299.  456. 
461.  463.  464.  471  ff.  479.  488  ff. 
492.  493.  494.  607. 

Ei,  Eier  schmücken  den  Maibanm 
156.  157.  160.  165.  169.  177.  181. 
241.  245.  271.,  Emtemai203.,  Richt- 
mai 218.  Eier  ganze  im  Brautkuchen 
223.,  auf  dem  Felde  gegessen  158., 
in  den  Acker  gesteckt  291.,  in  die 
letzte  Garbe  gebunden  158.,  einge- 
sammelt, collectiert  fßr  das  Schmack- 
ostem ,  Feien  u.  s.  w.  181.  256.  260. 
263.  264.  281.  353.  385.  427.  429., 
Gürtel  des  Wasservogels  353.,  Eier- 
lauf 264. 

Eiche  9.  17.  36.  39.  41.  44.  53.  67. 
76.  157.  158.  164.  171.  174.  175. 
178.  189.  199.  201.  202.  205.  206. 
207.  224.  228.  236.  271.  273.  306. 
349.  353.  385.  500.  503.  596. 

EichenblaU  44. 

Eichhörncken  508. 

Einsegnung  mit  Bier  173. 

Eiresione  249.  295.  297.  298.  605. 

Eisen  Frau  559. 

Eisenach,  Somro  ergewinn  daselbst 
156. 

Eisengnnd  433. 

Elbe  Elfen.  14.  17.  62.  63.  65.  66.  67. 
125.  289. 

Elenntier  131. 

Eletisis  598. 

Elfarrow  66. 


Elfäxing  62. 

Elfhläst  62.  66. 

Elf  holt  66. 

Elfdans  62. 

Elfewring  62. 

Elfgräs  62. 

Elhorn  s.  Holunder. 

Elisabeth,  Königin  von  England  341. 

EUefru  11. 

Ellepige  122.  125. 

Eller  61. 

Eis  126. 

Else,  rauhe  108.  113. 

Elsenbaum  272.  288. 

Embla  7.  8 

Engelmann  513. 

Enguane  73.  99.  115. 

enmajoler  163. 

Epheu  322.  422.  434. 

J^pausee  du  Mai  439.  447. 

Erbse  234.  463.  484.  560. 

Erbsenbär  421.  442.  443.  499.  612. 

Erdbeerbaum  299. 

Erde  152.  216.  233.  444.  560.  Mut- 
ter  Erde  303.  571  ff.  Erdgöttin  der 
Khonds  356.  362.  Berührung  mit 
der  Erde  487.,  die  Erde  küssen 
486.  487.,  sich  auf  der  Erde  wäl- 
zen 482  ff.     Erdstummel  228. 

Erengans  202. 

Erenmaie  202.  203. 

Eresburg  307. 

Erle  167.  207. 

£mgarw  213. 

Emu  77.  78.  79.  153.  158.  160. 
190  ff.  215.  266.  223.  259.  332.  362. 
394.  396.  463.  481.  496.  487.  536. 
541.  551.  560.  585.  .598.  609  ff.  615. 

Erntemai  190  ff.  237.  296.  298.  315. 
357.  395.  560.  605  ff  Hörkelmai 
(Hackelmai)  195  ff.  als  Mensch  aas- 
gekleidet   200.    210.    mit   Aopfeln 

204.  205.,  mit  Backwerk  200.,  mit 
Eiern  203.,  mit  Bierkrügen  200. 
208.,    mit  Weinflaschen   200.   203. 

205.  206.  208.  215.,  mit  Kleidern 
und  Tüchern  u.  dgl.   191.  192.  193. 


Begister. 


625 


202.,  mit  Aehren  193.  195.  196. 
199.  205.  212.,  mit  letzter  Garbe 
196.^  mit  Mäusen  und  Maulwürfen 
204.,  mit  einer  Puppe  205.  210.  408., 
mit  Kränzen  195.  197.  behangen, 
der  unteren  Zweige  beraubt  195., 
dem  Wagen  voraufgetragen  197. 
202.,  schleift  hinter  dem  Wagen 
nach  197.,  in  Verbindung  mit  Hahn 
(Henne)  198.  203.  206.  211.,  hat 
Tiemamen  192.  203.  212.,  heißt 
Hahn  198.  199.,  Mockel  192.  von 
allen  Pferden  gezogen  200. 204. 214., 
im  Acker  eingegraben  195.,  von  den 
Mädchen  herausgezogen  196.,  von 
Mädchen  eingefahren  200.  208.  211., 
in  die  letzte  Garbe  gesteckt  191. 
192.  199.  207.  212. ,  auf  oder  unter 
den  Rauchfang  190.  198.  204.,  auf 
das  Dach  der  Komscheuer  gesteckt 
190.  203.  204.  205.  217. ,  über  die 
Tür  der  Komscheuer  197.  198.  202. 
204. ,  auf  das  Dach  190. ,  des  Her- 
renhauses 190.  202.  217  238. ,  über 
die  Tür  des  Herrenhauses  197.  217. 
gepflanzt,  auf  die  Tafel  gestellt 
207.  cf.  223.;  im  Hofe  202.,  auf 
dem  Schober  aufgepflanzt  195.  204. 
206  207.,  zum  Kreuzstock  hinaus- 
gehängt 192.,  mit  Wasser  begossen 
197.  198.  214.,  mit  Wein  besprengt 
194.,  erklettert  191.  208.  Tanz  um 
den  Erntemai  193.  Wettlauf  nach 
dem  Emtemai  191.  209.  396. 

Erntetcagen  583.  613. 

tlsa  gescot  66. 

Esch,  Oesch.  535. 

Eschprozession  397  ff. 

Esche  8.  11.  41.  56.  199. 

esmayer  163.  368. 

Espe  69.  349. 

Eßwaart    am    Weihnachtsbaum    243. 
vgl.  Brod. 

£W«  127.  147. 

Ewischten  schlagen  552. 

Mannhardt. 


F. 

Fackel    71.  179.  317.  455  ff.   498  ff. 

509.  614. 
Fackellauf  463.  498.   500.   501.   502.  ^ 

506.  509.  510.  511.  512.  515.  520. 
534  ff.  549. 

Fackelsonntag  455.  556. 

Fairy  80. 

Famüienbaum  51.  53. 

Fanggen  89  ff. 

Fänken  73.  95.  98.  106. 

Farrenkraut  324.  343.  385. 

Fasolt  105.  106.  148. 

Fastnacht  174.  253.  254.  255.  256. 
269.  276.  278.  280.  292.  332.  384. 
336.  359.  410  If.  427.  445.  457.  463. 
473.  488  «.  492.  555.  556.  594.  613., 
die  Fastnacht  vergraben  411. 

Fastnachtdonnerstag  237. 

Fastnachtfeuer  180  500  fT. 

Fastnachtnarr  411. 

Fastnachtsonntag  s.  Invocavit. 

Fastnachtturnier  549. 

Fastnachtumlauf  544  ff. 

Faulheit  austreiben  303. 

Faunus  73.  115.  407. 

FSchenot  (Fassenot)  457.  4.58. 

Feien  442.  443.    Frau  Feie  443. 

Feigenbaum  296. 

Feldgespenst  620. 

Feldmann  410. 

Fell  am  Baume  394. 

Fenggen  73.  89  ff.  98.  103.  106. 

Fetischbautn  182. 

Feuer  vertreibt  Dämonen  133.  520. 
615.,  dämonisches  Ungeziefer  502. 
504.  510.  520.,  auf  dem  Saatfelde 
317.  498  ff.  Peuerbrand  auf  Obst- 
bäume gelegt  225.  498.,  in  die  letzte 
Garbe  gesteckt  228.  Feuer  bewirkt 
Fruchtbarkeit  des  Feldes  225  ff. 
463.  498.   500.  501.  502.  504.  506. 

507.  508.  509.  510.  512.J519.  521. 
530.  531.  535  ff.  Feuer,  neues  im 
Vestatempel  295.,  zu  Ostern  503., 
bei  Viehseuchen  518.  Bestandteile 
des  Jahresfeuers  498.    S.  Johannis- 

40 


626 


Register. 


abend y  Ostern»  Martini,  Funken- 
sonntag, Kupalo.  —  Verbrennung 
der  Yegetationsdämonen  493.»  des 
Maibaums  177.  419.  566.,  des  Todes 
156.  419.  497. ,  des  Pfingstl  524., 
einer  menschlich  gestalteten  Puppe 
409.  497.  498.  499.  501.  502.  505. 
507.  512.  513.,  des  Fasching  499  AT., 
des  Palmbüschels  258.  289.  566., 
des  Fastnachtbären  421.,  der  letz- 
ten Garbe  613  ff.,  des  Pfluges 
553.,  von  Tieren  515.,  Knochen  515., 
eines  obstgefullten  Korbes  516. 
Durch  Reiben  entzündet  508.  518. 
Feuer  mit  Erwäblung  von  Braut- 
paaren 450.  455:  456.  457.  469.  508., 
Lauf  oder  Sprung  über  oder  durch 
das  Feuer  463.  464  ff.  487.  498. 
506.  507.  508.  510.  511.  514.  520., 
entsteht,  wenn  der  Hausgeist  sich 
entfernt  44.  60.,  verhütet  durch 
Schnabel  des  Pflngstbutzes  357. 
Holunder  soll  nicht  verbrannt  wer- 
den 64. 

Feaerheerd  228.  228. 

Firdosi  7. 
Firewarks  341. 
Fischnetz  519. 
FiUellohn  281. 
ßeeln  265. 

Flachs  18.  77.  83.  107.  201. 215.  253. 
255.  269.  280.  348.  357.  397.  464. 
502.  510.  512.  541.  543.  614. 

FUuhsmutter  610. 

Fliege  18.  262.  263.  280.  290.  v^^l. 
Insekten. 

Floh  263.  280.  290. 
Flöhausklopfen  268.  303.  332. 
Foolplough  557. 
Frau  s.  Weib. 
Frau  Berte  112. 
Frauenhöhle  100. 
Fräulekopf,  Berg  900. 
Freibaum  38.  39. 
Freitiere  (Mdjus)  132. 
Fre^fja  587.  588.  590.  591. 


Freyr  522.  580.  588.  589.  590.  591. 
592. 

Freytag,  G.,  458.  568. 

Friar  Tuck  546. 

Fricco  591. 

Friedberg,  E.,  299. 

Frische  Grün  streichen  265. 

Frö  522.  592. 

Frö  592. 

Frohnleichnamstag  371. 379.  381.  551. 

Frosch  354.  355.  606.  Froschschin- 
der, Padden Schinder  356. 

Frostbeule  227.  s.  Auswuchs. 

Fruchtbare  Bäume  39.  56.  76. 

Fruchtfeld  =  Weib  560. 

Fuchs  290.  396.  515. 

Fudelgeld  255. 

fiUn,  fudeln  254  ff.  256.  280.  281. 
292. 

Funkensoiintag  465.  500  ff. 

Fuß  262.  263.  268.  269.  280.  298. 
Fußspitze  waschen  489. 

FußbaU  475. 

Füstge  Mai  326.  324. 

Fylgja  45.  52. 

G. 

Gabriel  hounds  251. 

Gabriels  Jagd  251. 

Gadeäd  508. 

Gadinde  509. 

Gans  389  ff. 

Garbe  letzte  190.  213.  393.  396.  „die 
Todte"  420.,  gerbe  de  la  pasaion 
231.  233.,  gerbe  de  la  maitresse  203.» 
gerbe  a  la  galette  205.,  gerbe  grosse 
205.,  gerbe  fleurie  207.,  de  la  fianfee 
207.  613.  De  St.  Jean  614.  Anst- 
garw213.  Glücksgarbe  213.  Stock- 
garbe 213.  Stamm  213.  Letzte  Garbe 
verbrannt  613.  614.,  schlagen  277. 
278.  mit  Walser  begossen  214  ff. 
Getränk  hineingebunden  214  ff ,  in 
bräutliches  Gewand  gekleidet  613^ 
grüner  Baum  hineingesteckt  s.  Em- 
temai,  dem  Vieh  am  Weibnachts- 
abend gegeben  233.  Mensch  hinein- 
gebunden  215.   484.     Brod,    Eier 


Register. 


627 


bineingebanden  s.  Brod,  Ei.  Feuer- 
brand  bineingebundeii  228.  St.  Wal- 
pargis  in  eine  Garbe  gebunden  121. 
Letzte  Garbe  erbält  Tiemaraen  487. 
612.  Garbe  »  Maria  230.,  in  Jo- 
sephs Traum  234. 

Garnknätui  der  Waldgeister  148,  der 
Waldfran  87.,  der  Seligen  103.,  der 
Schanhollen  102- 

Gauden,  Frau  85 
giant  de  la  me  am  Onrs  514. 
Gd)et  53.   59.  63.   78.   141.  192.  203. 
209.  213.  218.  247.  512. 

Geburtsbaum  49  ff. 

Gedärme  ans  dem  Leibe  winden  28  ff. 

Geier  147. 

Geißler,  wilder  96. 

Geißlerstein  96.  98. 

Geld  auf  den  Richtmai  220.  221. ,  in 
den  Baum  stecken,  wie  die  Esten 
noch  in  ihre  heiligen  Bäume  tun 
174.,  in  die  Krippe  404.,  ins  Weih- 
nachtsfeuer 225  werfen. 

Gddbeutel  284. 
Gelübde  91. 

Gemälde  der  Madonna  zu  Straubing, 
Neumarkt ,  Breslau  231.^  des  wilden 
Mannes  in  der  Alhambra  339.  Mi- 
niaturen in  Handschriften :  Tanz  um 
den  Maibaum  188  Anm.  2.,  ballet 
des  ardents  338.^  Burglinden  XIII. 

Gemse,  Haustiere  der  wilden  (seligen) 
Fräulein  100.  102.  132.  147. 

Ginerra,  Königin  448. 
Gente  salvatica  113. 

Georg,  der  grüne,  313.  314.  316.  328. 
538.  585.,  der  h  314.  316. 

Georgstag  (23.  Apr.)  270.  313.  317. 
404.  480. 

GeschvnUst  42.  64.  s.  Auswuchs. 
Getreide  s.  Korn. 
GewiMzauber  211.  214.  419.  613. 
Gewitter  s.  Blitz.     Donner. 
Gicht  B.  Krankheit. 
Gikigäki  91. 


Gilde  Opfermahlzeit  585.  428.  429., 
große  450.,  der  Dorfburschen  450., 
Gildestube  369.  379. 

Glocke  (Schelle)  130.  290.  324.  325. 
327.  416.  428.  433.  440.  455.  488. 
539.  540.  541.  542.  543.  544.  546. 
547.  548.  606.  613. 

Glockenblume,  blaue ,  426. 

Gloria  97. 

Gloso  210. 

Glück  bringen  252.  263.  280. 

Glückskorn  213. 

Gode  85. 

Gothe,  Wolfg.,  V ,  58.  239. 

Gofar  128. 

Gold  aus  Birkenlaub  76.  87.,  aus  Spä- 
nen 85.,  aus  Kohlen  142.  616.,  aus 
Baumrinde  142.,  aus  Getreidekör- 
nern 121.  Geschenk  der  Waldgei- 
ster 142.  152.  Goldstück  durch 
den  Mund  ziehen  180.  187. 

Gddlüie  43. 

Goliath  s.  Köpfung  des  Pfingstl. 

Gower  460. 

Gras  ausläuten  540.  547. 

Graskönig  343.  347  ff.  355.  357. 

Graswuchs  332. 

Ch'eemoichMll  480. 

Gregoriustag  (12.  März)  274. 

Grenze.  Neun  Grenzen  21.  Grenzbaum 
27.  39.  Grenze,  verrücken  121. 
Grenzbegang  397.  398. 

Grimm,  J.,  2.  369.  405. 

Grimnismal  54.  55. 

GrönjeHe  122.  124.  445. 

Gründonnerstag  184. 

Giiin  Grüner  Junge  64.  Grüne  Haare 
138.  Grünes  Holz  184.  Grüner 
Georg  313.  316.  317.,  grüne  Klei- 
dung 111.  448.  Grüner  Weiberrock 
317.442.  Grüner  Wagen  452.  Grü- 
nes Gesicht  34.  Grüne  Hand  64. 
Grünes  Moosweibchon  82.  Grüne 
Berg  223. 

Grundblock  228. 

Gürtel,  Geschenk  der  Waldfrauen  und 
Hexenmeister  152.,  silberner  am  Som- 

40* 


628 


Register. 


mer  156.    Gürtel  des  Pfingstl  353. 
des   Ehemanns   302.,    aas   Halmen 
210.487.     Thors  Stärkcgürtel  186. 
Gunnar  Helming  580.  589  ff. 
&wrö  Bysserofa  147. 
Gyldeeiche  9. 

H. 
ffaar  =  Laub   76.   124.,  grünes  des 
Ljeschi  64.,   langes,    fliegendes  76- 
88.   102.   117.    123.  128.  137.  148. 
Haariger  Körper  113  ff.  147.  338  ff. 
Haar  in  den  Banm  verkeilen  48, 
Hafer  s.  Korn. 
Haferhräuiigam  610.  612. 
Hafergeiß  611.  613. 
Haferkönig  611. 
Haferweihe  404. 
Haffru  122. 
UagedornruU  343.  365. 
Hagel  291.  502.  504.  s.  Blitz.    Don- 
ner. 
Halm  (und  Henne)  auf  Maibaum  160. 

174.,  auf  Erntemai  197. 
Hahn  (Henne)  183.  197.  245-  290. 
315.  327.  562.  565.  583.  613., 
auf  Maibauin  160.  174.  211.,  auf 
und  bei  Emtemai  197.  198.  199. 
201.  205.  206.  212.,  auf  Mimameidr 
56.  183.  211. ,  Hahnbaum  174. ,  auf 
Branthemden  46.  Opfer  148.  246., 
auf  Erntewagen  gefahren  613.,  im 
Kupalofeuer  vei^rannt  515.  Hah- 
nenschlag 488.  533.  547.  Dreibei- 
niger 42.  Blüte  des  Hanfs  2. 
Hain,  heUiger  31.  70.  71.  572.  582. 

584. 
Hallfeuer  500. 

Hammel  396.,  —tanz  387.  396.  490. 
Hammerle,  A.  J.  101. 
Hamster  538. 
Hand  254.  255.  256.  262.  263.  264. 

268.  280.  298.,  grüne  64. 
Handtuch  270. 

Hanf  259.   328.  464.  510.  cf.  Flachs. 
Hansel  und  Gretel  429.  464.  493.  494. 

513. 
Hanseli  543. 


Harke  197.  198. 

Harkelmai  195.  196.  197.  198. ,  Har- 

kelmaigarn    195.  196.     Harkelmai- 

böm  195.  196.  237. 

Harugan  579.  582. 
Harvestqueen  611. 
Hase  141.  204.  212. 
Haselnuß  s.  Nußbaum. 
Haselnußfräuli  106. 
Hatzeler  350.  351.  368.  386. 

Hausgeist  44    60.  61.  64.  65.  75.  81. 

90  ff   95.   96.  103.   114.  115.   119. 

137.  153.  154.  215.  238. 
Heckerling  559.,  s&en  554. 

Heer  wildes    67.    116.    122  ff.    145. 

150  ff. 
Heerdfeuer  198.  224  S.  296.  566. 
Heinrich  VIIL,  König  von  England 

341.  368. 
Hemann  127. 

Hemde  46.  156.  220.  419.  560. 
Hensej  G.,  3. 
Herbstmai  203. 

Herhstschnwdl  203.  311.  314.  322. 
Herbstsonntag  208.  314. 
Hetweggen  253. 
Hetemann  406. 
Heuernte  104.  136.  192.  202.  206.  209. 

217. 
Heumarienfeuer  469. 
Heumütterli  610. 

Hexe  14.  25.  66.  116.  162.  179.  270. 
.  273.  325.  329.  402.  501.  502.   504. 

541. 
Hieronymus  von  Prag,  Missionar  in 

Niederlilaueh  36. 

Hiesely  der  bairische  352.  367. 
Himmelfahrt  397.  399.  449.  546.  548. 
Hipelpipei  92. 
Hirsch  132.  151. 
Hirsmontag  523.  550. 
Hirte  224.  230.  271  ff  290.  332.  389. 
449.  456.  494. 

Hoalrad  500. 
Hobbyhorse  396.  546. 
Hochrinta  89  ff. 


Begifiter. 


629 


Hochzeü    45.  46.   47.   48.   184.   185. 

221  ff.  223.  245.  2%.  299.  345.  442. 

443.  448.  454.  468.  473.  488.  491. 

546.  565.  613.,  des  Ljeschi  143.,  der 

Zwerge  92. 616.,  zu  Kana  517.  Hoch- 

zeitlader  299.    Hochzeitfener  565. 
Ilojemannel  127. 
Hollen  und   Hollinnen  65.  »»  Selige 

Fränlein  154..    Holdichen  14. 
Holla,  Frau  HoUe,  Holt  85.  120. 
Hollyboy  422. 
Holtsaten  70. 
Holunder  10.   11.  12.  15.  16.  20   21. 

22.   52.   56.   63.    64.  70.  165.   166. 

167. 189. 210. 222.  223.  257.  266.  298. 
Holwidemwtter  10  ff. 
Holzfahrt  in  Köln  375.  376. 
Holzfrätdeingam  76. 
Holzleute  (Holzfraulein,  Moosmfinnchen, 

Moosweiblein)   74.   75.   76.    77.  78. 

79.  80.  81.  82.  90.  91.  92. 103.  106. 

114.  127.  137.   153.  217.  237.  333. 

334.  335.  408.  544. 
Holzhetzer  82. 
Holzmuoja  127. 
Holzrufut  127. 
Hongatar  30. 
Hopfen  232. 

Hosannah,  das  große  282.  29  J. 
HrafnagaUk  Odins  55. 
HtMer,  HuUler  268.  269.  317.  541. 

548.    Hudellaufen  268. 
Hügel  hinabrollen  480  ff.  vgl.  Green- 

wicbhUl. 
Huiizilopoehtli  300  ff. 
HiUte  verbrannt  463.   vgl.  Laubbütte. 
Hulda  U)7. 
Hulte,  der  127. 
Hund  212.  521.,  der  wilden  Jagd  137. 

138.    Gestalt  des  Uaiuara  145. 
Hundeschläger  324. 
Hure  441.  443. 

Hut  auf  der  Maistange  387.  392. 
HxUzelmawn  501. 
hvannarkdlfr  2. 
Hyldemoer,    Hyllefrua    s.    llolunder- 

iuuttcr. 


!• 

Jack  in  the  green  322.  342.  425. 

JacohHag  (25.  Juli)  277. 

JöUesa  138. 

Jagd  glückliebe,  Gabe  des  Waldgei- 
stes 130. 131.  141.,  des  Gabriel  251., 
wüde  82  ff.  85.  105.  112.  115.  116. 
121.  122  ff  137.  145.  149.  350. 151. 
251. 

Jahresfrist  217.  218.  371.  452.  458. 
493.  566.  606.,  in  eine  nacb  meb- 
reren  Jahren  wiederkehrende  cycli- 
sche  Feier  verwandelt  172.  175. 
371.  533.  534. 

Janchon  145. 

järes  unUnhringf  järhring  430.  466. 
594. 

Jarilo  415  ff.  547.  606. 

Jauchzen.  191.  199.  202.  215.  597. 

Jenn,  wilder  Jäger  123. 

Jesse  230.  235. 

Jessen,  E.,  54. 

IlnuUeuctli  303. 

Immermann,  K.,  300. 

Indra  14.  275.  592. 

Insekten,  Erankheitsgeister  13.  24. 
25.  290.  296.  502.  504.  510.  520. 
560.  8.  Fliege,  Floh,  Korn  wurm, 
Laus,  Mücke,  Raupe,  Spinne. 

Invocavit,  Fackelsonntag,  Funken- 
sonntag, diroanche  des  brandons 
178.  453.  455.  463.  473.  479.  488. 
500  ff.  536  ff.  549.  550. 

Jochträger  90  ff. 

Jods  210. 

Jördh  588. 

Joha/nnes  Personiücation  des  Kalen- 
dertages 170.  181.  212.  311.  466  ff. 
493.,  Weib  des  Johannes  468. 

Johannisahend  (23.  Juni)  159.  172. 
173.  463  ff.  469.  483.  487.  488.  508  ff. 
515  ff.  519.  520. 

Johannisbad  534. 

Johannisbaum  244. 

Jühannisfeuer  177  ff.  237.  419.  463. 
464.  466  ff.  487.  502.  508  ff.  519. 
522.  524.  532  ff. 


630 


Register. 


Johannistag  (24.  Juni)  33.  325.  355. 
552. 

St.  Johaiwiisaposteltag  462. 

Joseph  234. 

Irmin  Gott  304.  309. 

irmin  —  Verstärkungswort  304. 

IrmmM  303  ff. 

Irregehn  61.  84.  108.  109.  110.  118. 
129.  140.  143.  144.  153. 

Isegrim  433. 

Isis  559. 

Issiteggi  94. 

Juchfoder  191. 

Judas  504  ff.    Judasfeuer  505. 

JuddcMonntag  471. 

Juidbrasa  229. 

Julatannar  589. 

Julfriede  589. 

Jtmge,  schmucker  384.,  bunter  884., 
grüner  64. 

ividhja  55. 

Ivis  593. 

Ivygirl  4SSl. 

K. 

Xä/cr  504.  582.  584. 

Kalberquieken  271.  294.  298. 

JBTcwc  96.  112.  113. 

Kässonntag  540. 

Kalb  Pflanzenschoß  2. 

Jfawiec?  32.  335. 

Kaminfeger  322.  352.  367.  425.  548., 
vgl.  Schwärzung  des  Gesichts. 

Kampf  auf  dem  Komfelde  498.  548  ff. 
vgl.  545. 

Kaninchen  122. 

Kantenreiten  387. 

Kanutsgüde  379. 

Ka/nzelmann  91. 

Ä:arl  der  Große  307. 

Zar i  FI.  JKonigr  von  Fratikreich  338. 

XaW  Herzog  von  Orleans  459. 

Zo^tonie  207. 

KaH  30. 

JTat^  (Kater).  Gestalt  der  Wald- 
geister  89.  112. 146.  290.,  des  Haus- 
geistes 93.,  des  Vegetationsdämons 
und    Krankheitgeistes    561  ff.,    im 


Johannisfeuer  verbrannt  515.  Palm- 
kätzchen 2.  Katzenkopf  am  Mai- 
baum 167. 

Kenningar  von  Bäumen  hergenom- 
men 8  ff. 

Kiddelhtmd  611. 

• 

Kinder  goldene  Zweige  45.,  Blumen 
50l  Geburtsbaum,  Lebensbaum  von 
Kindern  48.  Anni.  49  ff.  von  der 
todten  Mutter  gepflegt  104.,  vom 
Holunder  erschreckt  12.,  über  Jo- 
hannisfeuer getragen  512.  Kind 
durch  Baumspalt  gezogen  32  ff.,  mit 
Leinsamen  besät  33.  Von  den  El- 
tern gequitzt  270.  Von  den  Dive 
zeny  87.,  den  Fanggen  90.,  der 
Langtüttin  108.,  den  Seligen  107., 
dem  Eis  126.,  dem  Salvanel  113., 
dem  Ljeschi  143.,  dem  Oaypora  145- 
gestohlen.  Vgl.  153.  Vertauscht 
65-  Sein  Eingeweide  ausgefressen 
295.  Weinendes  Kind  Gestalt  des 
Ljeschi  140.  Kind  der  Waldfirau 
88.  185.  142.  Kindersegen  erwir- 
ken 184.  226.  281.  558. 

Kindbett,    leichtes   51.  52.   56.   183. 

284.  302.  512. 
Kindbetterin  von  den  Seligen  geraubt 

108.  158.,  todte  kehrt  wieder  104. 

vgl.  112. 

Kindein  266.  292.  293. 

Kindsvot  233. 

King  of  May  and  Queen  of  Mai  424. 

Kirche.    Ball  über  die  Kirche  werfen 

473.  480.     Dreimaliger  Umzug  um 

die  Kirche  506. 

Kirchenglocke  180  547. 
Kirnbaby  409. 
Kirnis  245. 

Kirschbaum  18.  89.  41.  53.  126.  164. 
167.  205.  207.  226.  236.  245.  266. 
KitzeU  87.  89.  139. 
Klabauterma/nn  33. 

Kleidung  grüne  64.  88.  111.  117. 147. 
341.  368.  448.,  dem  Waldgeist, 
Zwerg  u.  s  w-  geschenkt  73.  80.  81. 


Register. 


631 


96.,  einem  Baum  angetan  157.  158- 

210. 

Klettern  anf  den  Maibaum  157.  169. 
170.  172.  174.  179.  191.  209  464. 

Klingel  342.  vgl.  Glocke. 

Klinggeest  326. 

Klintatanne  136. 

Klopferle  44. 

Klotzmarine  383. 

Klumpsackspiel  480. 

Knoblauch  180. 

Knochen   verbrannt    178.    509.  515., 

anf   Maibaum    383.,    ins    Saatfeld 

gesteckt  400. 

Knoten.  Aehren  in  Knoten  209.  Kno- 
ten von  Krankbeitsgeistem  herrüh- 
rend 13.  14.  15.  16.  19.  20.  22. 

Knut  der  Große  70. 

Koherstein,  A.  3. 

Kobold  33.  44.  64.  65.  69.  95.  96. 110. 
111. 114.  ff  154.  vgl.  Hausgeist,  Kla- 
bautermann ,  Tomtegubbe. 

Koch  350.  352. 

Kochlöffel  350.  428. 

Kohle  142.  227.  228.  229.  504.  510. 
616. 

Kohl  s.  Krautpflanze,  Kohlstamm  u. 
Torfsode  248. 

Kokusnuß  50. 

Kolibn  361. 

König  s.  Maikönig,  Pfingstkönig,  Syl- 
vesterkönig,  König  Knoblauch  93. 
König  der  Katzen  93. 

Königsstuhl  385.  392. 

Köpfung,  Erschießung  u.  s.  w.  des 
Pfingstbutzes,  Maikönigs  321.  343. 
352.  353.  354.  357  ff.  364  ff .  365. 
386.  421.,  des  Goliath  352.  365., 
Ludwigs  XYl.  352.  365.,  des  Engel- 
mannes 514.,  des  wilden  Mannes 
335.  336. ,  des  Fastnachtb&ren  421. 

Korb  mit  Obst  im  Martinsfeuer  ver- 
brannt 576.  Korb  im  Umzüge  der 
Schmiede  zu  Zürich  523.  Korbtra- 
ger  324. 

KoriakSf  Hochzeitbranch  der  302. 


Korn  (Getreide)  s.  Aehre,  Asche, 
Christus,  Ernte,  Erntemai,  Fackel- 
lauf, Feuer,  Gewichtzauber,  Hutler, 
Kampf,  Sämann  böser,  Wasser^ 
tauche.  —  Himmlisches  Korn  »= 
Christus  230.  232.  Korn  vom  Christ- 
kind mitgebracht  233.  —  wächst  um 
das  Muttergottesbild  232.  Auf  jedem 
Weizen  kom  ein  Muttergottesbild 
232.  Krankes  Kind  33.,  Weihnachts- 
klotz und  Polaznik  224.  225.,  Kru- 
zifix 233.,  Hochzeiter  222  mit  Ge- 
treide beschüttet.  Weibnachtsrute 
ins  Kom  gesteckt  224.  —  Kom- 
wachstum  abhängig  von  den  Holz- 
fräulein  77  ff.,  Hulda  und  den  Seli- 
gen 107.,  St.  Walpurgis  210. ,  Jarilo 
415.,  Metsik  407.  408.,  Thorr  484. 
Ukko  485.  Korngeist  212.  215.  409. 
410.  609  ff.  Komaufwecken  540  ff. 
547.  548.  Kom  wird  fruchtbar, 
Brand,  Best,  Hagel  abgehalten 
durch  Umreiten  des  Komfeldes  350. 
353. 357. 398.,  Eschprozession  398  ff., 
Wälzen  auf  dem  Saatfelde  481  ff., 
Spmng  durch  das  Feuer  464.,  Schlag 
mit  der  Lebensmte  253.  255.  269., 
Gewichtszauber  s.  s.  v.,  Hinein- 
steckung von  Palmen  291.,  Lorbeer 
297. ,  Zweigen  der  Laubumhüllnng 
des  Pfingstl  348.  357.,  Knochen  400 
in  das  Saatfeld,  durch  FackeUauf, 
Feuer,  Asche  s.  s.  vv.  —  Aussaat 
des  Kornes  17.  33.  77.  159.  212. 
217.  226.  232.  233.  262.  263.  488. 
561.  Vgl.  8a  158.  224.  Kom  im 
Winde  wogend  119. ;  Tod  sitzt  darin 
420.  Einemtung  77.  80.  107.  112. 
12L  190  ff  214.  420.  483.  609  ff 
Dreschen  429.  Fieber  in  Getreide- 
kömer  gebannt  17.  Getreide  steh- 
len 60.  63.  65.  69.  75. 

Kornbaum  190.  212. 

Kornbonde  484. 

Kommode  484. 

Kornmutter  611. 

Komun*rm  291. 


632 


Register. 


Korowa>y  223. 

Korybtwten  7. 

Kosmogonie  der  Phryger  8. 

Kostroma  414L  417  ff. 

KrcOovna  342.  344. 

Krankheiten  und  ihre  Heilung.  Krank- 
heitsgeister ,  Schmarotzer  in  Gestalt 
der  Insekten  13.  14.  15.  17.  18. 
Anm.  3.  20.  22.  25.  262.  263.  268. 
280.  290.  292.  294.  332.,  anderer 
Tiere :  Kröte  13.,  Maus  23  ff.,  Katze 
562.,  Hund  562.,  Hahn  562.  Vieh- 
tod, Viehschelm  290.  563.  Strigen 
295. ;  menschengestaltige  Krankheits- 
geister 15.,  zwölf  Mädchen  15 ,  neun 
Schwestern  16. ,  sieben  Teufel  13., 
alte  Wittwen  20.  Elbe ,  Elfen  14. 
62  ff.  64.  66.  Krankheit  des  Bau- 
mes, Salvanel  113.  durch  Aufhocken 
111.,  durch  Anhauch  42.  62.,  Kreu- 
zung des  Pfades  140.,  durch  Pfeil- 
schuß, Azthieb  66  ff.  u.  s.  w.  von 
Geistern  entstanden.  Krankheits- 
geister im  Baume  heimisch  und  von 
diesem  entsandt  11.  12.  13ff. ,  aus 
dem  Walde  kommend  14.  22  ff.,  aus 
allerlei  anderen  Orten  22.  Krank- 
heit des  Reisenden  am  zuräckge- 
bliebenen  Baume  bemerklich  48. 
Vom  Baume  zurückgerufen,  oder 
auf  ihn  übertragen  16.  Baum  hilft 
gegen  Kr.  52.  Krankheitsgeister 
in  den  Wald  17.  62.  257.,  die  Wüste 
17.  22.,  unter  Steine  15.  16.  18.  21. 
68.  69.  verwiesen.  Vom  Vogel  mit- 
genommen 21.  Waldgeister  heilen 
durch  Kräuter  81.  97.  106.  153. 
Sympathetische  Kuren  16.  Heilung 
durch  Aussaugen  des  Krankheits- 
geistes 3.  14.  Einpflöckung  dessel- 
ben 21  iL  24.  ff.  71.,  durch  Donner- 
keil 14.  62.,  Kohle  des  Christbran- 
des  229. ,  Durchkriechen  32  ff.  129. 
226.,  Taufwasser  517.,  Gold  in  den 
Baum  stecken  174.  Knoten  einbin- 
den vgl.  Knoten.  Abwehr  der  Krank- 
heit   durch  Feuer    518.   519.   562. 


Fouersprung  464.  518.,  Pflugzieben 
15.  561.,  Schlag  mit  der  Lebensrute 
257.  270.  272.  280.,  Opfer  an  den 
Baum  59.,  Wälzen  auf  dem  Acker 
483.,  Flurritt  399.,  Stephansritt  403., 
Palmk&tzchen  290.,  Lorbeer  296., 
Blut  vom  Aderlaß  403.  —  Augen- 
krankheit 17.  42.  64.  Ausschlag, 
Auswuchs  s.  Geschwulst.  Bein- 
bruch 24.  36  ff.  105.  Beinweb  263. 
Bruchschaden  32.  Buckel  67  (vgl. 
Geschwulst)  Eingeweideschmerz  14. 
Elfenanhauch  62.  Epilepsie  263. 
296.  Fieber  15.  17.  20.  23.  65.  290. 
291.  292.  297.  510.  Flechten  19. 
Frostbeulen  227.  vgl.  Geschwulst 
Furunkeln  226.  237.  Geschwulst. 
Ausschlag  u.  s.  w.  14.  Anm.  3.  19. 
20.  23.  42.  Gicht  13.  15.  21.  Hals- 
weh  290.  291.  Hexenschuß  66.  Irr- 
sinn 13.  26.  Kopfweh  13.  Krätze 
228.  239.  vgl.  Ausschlag.  Kreuzweh 
210.  263.  280.  482  ff.  486.  487.  Ma- 
genkrampf 13.  Nösch  13.  Pest  und 
Cholera  16.  22.  66.  81.  97.  290. 
518.  561.  562.  Rotlauf  20.  23. 
Schwindsucht  13.   14.  18.  68.  229. 

•  237.  290.  295.  Strily  23. .  Vieh- 
krankheit 275.  470.  518.  521.  561. 
Zahnweh  13.  17.  21.  22.  23.  290. 
291. 

Kranz  (Krone)  am  Maibaum  169.  170. 
171.  175.  176.  177.  272.  318.  Anm. 
387.  388.,  am  Hals  des  Pfingstl 
353.,  des  Maigrafen  369  ff.  372.  373. 
374.  375.  376.  406.  606.,  am  Halse 
des  Siegers  im  Wettlanf  382. ,  des 
siegenden  Bosses  387.,  um  das 
Handpferd  398.,  um  Hals,  Schweif, 
Hörner  der  Weidetiere  271.  384. 
389  ff. ,  beim  Flurumritt  überreicht 
399.  .400.  405.  Preis  des  Wettren- 
nens 388.  Khmzsteehen  888.  396. 
Erntekranz  196.  197.  215.  216.,  über 
der  Tür  295.  Liebende  sehen  sich 
durch  den  Kranz  an  466.,  küssen 
sich  durch  den  Kranz  484. 


Register. 


638 


Krat  115. 
Krasno  hUki  18. 

Krautpßame  (Kohl)  248.  277.  332. 
510.  520. 

Kreuz  aas  Aehren  204.  205.  206.,  dem 
Maibanm  verglichen  173.  242.  Kreuz 
Yon  Holander  im  Palmbnsch  257. 289. 
Palml[reaz  über  der  Tür  291.,  im  Acker 
291.  Drei  Kreuze  zum  Schutz  für  die 
Waldweibchen  78.  83.  84.  106.  148. 
Kreuz  im  Fenster  128.,  Fenster- 
kreuz 121.  138.,  verleiht  Schutz. 
Kruzifix  233.  284.  286.  BaUspiel 
vom  Kreuz  aus  474.  476.  480. 
Kreuzbaum  der  Wenden  174.  177, 
182.  237.  305.  583.  Kreuzweg  =^ 
Wintersolstiz?  125. 

Kronenbaum  173-  174.  211. 
Kronengelag  169. 
Krügdmann  382. 
Kübelreifen  82. 
Kübele 'Maja  541. 
Kuchen  8.  Brod. 
Kudernest  325.  547. 
Kügelgen  W.  v.,  239. 
Küher,  wilder  96. 
Kümmel  75. 

Kuh  feurige  146.,  bunte  390.  395. 
Anm. ,  schwarze  126. ,  vom  Wald- 
geist gehütet  96  ff.  141.,  vom  Wald- 
geist im  Stalle  gepflegt  80,  95. 
Mittel  die  Kuh  gesund,  milchreich, 
fruchtbar  zu  machen  157.  271.  272. 
287.   290.     Kuh  mit  Buten  gestri- 

.  eben  269  ff.,  bekommt  Namen  271  ff. 
Tauschlepper  390. ,  zuletzt  ausge- 
triebene 389  ff.  Kuh  (Mockel)  Name 
des  Emtemai,  der  letzten  Garbo 
u.  s.  w.  192.  212.  Kühe  der  Ner- 
thus  576.  Kuhschwanz  der  Skog- 
snufva  128.  130. 

Kühkrippe  290. 
Kühtod  562. 
Kuhstdll  290. 
Kuhn,  A.  55.  151.  519. 
Kükük  483.  485. 


Kupalo  512.  514. 
Kyklopen  94.  139. 


Lachen  der  Dames  vertes  119. ,  des 
Waldmanns  127.,  dor  Skogsnufva 
129.  130.  134.,  des  Ljeschi  139.  140., 
des  Uchuclachaqui  143.  Geister 
lachen  ni^ht  884.  Lachen  wie  der 
Pfingstfuchs  391. 

Lady  of  the  May  181.  212. 

Lärchbaum  101. 

Lätare  155—158.  181.  222.244.251. 
269.  294.  410.  414. 

Läufer  325. 

Lakshmi  553. 

Lampe  ewige  508. 

Langas  wecken  540.  548. 

Langschläfer  254.  257.  259.  268.  «19. 
321.  328.  328.  849.  351.  353.  382. 
889  ff^.  892.  893.  403.  438.  548. 

LaiigtüUin  108. 

Lasskowski,  J.  12.  245. 

Lattichkönig  843. 

Latzman/n  325.  547. 

Laub  in  Gold  verwandelt  76.  87. 
Laubcinkleidung  316  ff.  Laubhülle 
des  Schoßmeiers,  Pfingstquacks  Amu- 
let  348.  349.  Laubmännchen  820., 
Laubpuppe  820. 

Laubhütte  des  Maikönigs,  Schützen- 
königs 187.  315.  354.  355. 

Laubhütienfest  283. 

Laus  290. 

Lavendel  49. 

St.  Lazarustag  (letzter  Tag  der  Oster- 
fasten)  440. 

Lebensbawn  im  Hochzeitliede  45.,  in 
Hoohzeitgebräuchen  46.  221  ff.  607., 
in  Frühlingsgebräuchen  s.  Baum, 
Maibaum.  Lebensbaum  von  Banm- 
geistern  69.  75.  89.  91.  Leben  ei- 
nes Menschen  mit  dem  Leben  eines 
Baumes  verknüpft  32.  83.  86.  87. 
48.  49.  68.  Geburtsbaum  50.  Le- 
bensbaum von  Familien  vgl.  Baum, 
Boträ ,  y&rdträd ,  Maibaum ,  Bichi- 


634 


Register. 


mai^    Lebensbanm    des    Dorfes   a. 

Maibaum,   der   Welt  s.  Yggdrasil], 

Weihnachtsbaum. 
Ld)enmUe  251  ff.  386. ,  mit  Maibanm 

verglichen  279.,  Schlag  mit  der  538. 
Lehmann,  Chr.  74.  386. 
Jjeieh  585. 
Leichdorn  20.  > 
Leiche  durch  Falmzweig  anyerweslich 

286.  287.     Palmzweig  in  den  Sarg 

mitgeben  290.,   aufs  Grab  stecken 

290. 
Lenzgatte  586. 
St.  Leonhard  (6.  Nov.)  404- 
Lerchen  wecken  253.  319. 
lesni  muzove  87. 
lesni  panny  86. 
Licht  s.  Christas. 
Licht  geweihtes  559.   Lichtgestalt  des 

V&rd  51.    Lichter  auf  Bäumen  46., 

am  Maibaum  178.  223.   244.,   auf 

Weihnachtsbaum   238  ff.   243. ,   auf 

Kirschbäumen  bei  der  Burg  245. 
Lichtmesse  Mariae  (2.  Febr.)  253. 436. 

447.  473. 
Lichtmessbraut  431.  447. 
Liehe  281- 

Liebeszauber  31.  48. 
Ljeschi    94.    138  ff.    408.  512.,  ver- 
mählt mit  Sterblichen  143. 
Linde  8.  45.  51.  53.  58.  62.  165. 184. 

187.  188.  266.  353.  449. 
LinnS,  Familie,  ihr  Familienbaum  51. 
Lisunka  142. 
Lito  (Ljeto)  156.  157.  181.  210.  246. 

253.  581. 
Löfviska  11. 
'  Lohjungfern  74. 
Lorbeer  164.  205.  207.  222.  241.  242. 

242.  249.  281.  286.  287.  295.  296. 

298.,  beseeltes  Wesen  297. 
Lord  of  the  May  417.  546.    Lord  and 

Lady  of  the  May  424  ff. 
Lubbart,  Henr.,  317. 
Ludwig  XVI,  s.  Eöpfnng  des  Pfingst- 

butz. 
Lücketeies  499. 


Lügengarbe  213. 

LuMh  283. 

Luperealien  298. 

Luther,  Martin ,  352.  367.  513. 

LydgaU  J.  460. 

M. 

Mad  MoU  426. 

Mädchen  50.  156.  237.  244.  245.  248. 
251.  257.  260.  265.  267.  278.  281. 
313.  320.  332.  357.  362.  363.  385. 
386.  388.  390.  396.  414.  415.  434. 
435.  450  ff.  456.  463.  469.  479.  495. 
Amn.  548.  553  ff.  560.  561. ,  ver- 
schreiben 453.  vgl.  Weib. 

März,  erster  269.  455.  539.540.541., 
zweiundzwanzigster ,  Anfang  des 
Cybelefestes  572.  Märzfeuer  455. 
456.  540.  541. 

Mäume  92. 

Mäumkenloch  92.  100. 

Magnussen,  F.  55. 

Mahdküchel  107. 

Mahjas  Kungs  31.  52.  53.  245. 

Mahlen  Mühle  80. 

Mai  1.  s.  Walpurgisabend. 

Maja  313.  316.  338.  345.  346.  417/ 
495.  586. 

Mai  suchen,  einholen  161.  316. 

Maibaum  160  ff.,  Bedeutung  dessel- 
ben 180  ff-,  alter  ego  von  Menschen 
u.  Tieren  182.  Genius  des  Wachs- 
tums 182.  »^  Eiresione  295.  298.  *» 
Kreuz  250.,  vorchristlich  297.,  mit 
Lebensrute  verglichen  279.,  nicht 
der  chrisÜLche  Baum  des  Lebens 
294.  Mb.  und  Erntemai,  Unter- 
schied 211.  Maibaum  pflanzen  180., 
einholen  161.  162.  168.,  171.  173. 
182.  183.  316.  368.,  von  Rindern 
gefahren  182.,  mit  40  Joch  Ochsen 
eingeholt  171.,  umhergetragen  162. 
180.  343.  350.  356.  375.  524.,  ums 
Haus  getragen  220.,  auf  den  Schul- 
tern heimgefahrt  175.,  Ziel  des 
Wettlaufs  209.  382  ff.  387.,  Preis 
des  Wettritts  385. ,  erklettert  169. 
170.  171.  172.  177.  179.  187.  191., 


Begister. 


635 


alle  3— 4  Jahre  erneaert  169.  172. 
Urform  des  Maypole  176.  Maibanin 
Yon  Beifen  umschwebt  176.  220., 
aus  mehreren  Stammen  zusammen- 
gesetzt 169.  171. 172.,  in  schlangen- 
formigen  Bingeln  geschält  165. 169. 

170.  177.  208.  326.,  bemalt  172. 
177.,  bis  zur  Krone  abgeästet  170. 
208.  273.  vgl.  288.  Aepfel  166. 
183.  223.,  Aehren  171.  172.  183. 
193.  209.  222. ,  Eier  156.  160.  165. 
169.  177.  181.  183.  203.  218.  219. 
241.  245.  252.  271.  566.,  Gebäck 
166.  169.  171.,  Getränk  164.  166. 
169.  171.  172. ,  Tücher  164  ff.  170. 
182.  219.  220.  313.,  Puppe  223., 
Knochen  383.,  Vogel  222.  223., 
Kranz  171.  175.  179  208.  218.  219. 
272.,  Lichter  46.  178.  223.  244.  245 , 
Devisen  164.,  Pflöcke,  N^el  174. 
176.  177.,  am  Maibaum.  Maibaum 
mit  Bocken  bedeckt  174.  181. ,  auf 
Tisch  gestellt  223.  vgl.  207.,  mit 
Darstellung  des  Leidens  Christi 
173.  Tanz  um  den  Maibaum  164. 
168.  169.  171.  174.  176.  179.  180. 
187.  188.  Maibaum  vergraben  412., 
verbrannt  177.  186  ff.  244.  456.  463. 
464.  466.  469.  506.  (vgl.  507.  512. 
521),  nach  Jahresfrist  566.  Waö- 
sertauche  162.  170.  221.  Maibaum 
aufgepflanzt  im  Dorfe  164.  168  ff. 
172.    182.    188.    (Yillage- Maypole 

171.  172.),  auf  der  Hausfirst  (Dach, 
Giebel)  161.  162.  165.  219.  220. 
(ci  357).  451.,  vor  dem  Kammer- 
fenster 166.  167.,  vor  der  Haustür 
161.  163.  164.  165.,  vor  dem  Braut- 
hause 223.  607.,  auf  der  Dünger- 
statte 161,  165.  167.,  über  dem 
Viehstall  161.  165. ,  auf  dem  Scho- 
ber 272. ,  an  oder  auf  dem  Brun- 
nen 241.  323.  333.  —  Maibaum  für 
die  Häupter  der  Gemeinde  163. 
167.,  für  Mädchen  161.  163.  164. 
165.  166.  167.  183.  184.,  für  Vieh 
161.  174.  182.  —  Bekränzter  Mai- 


banm  »  Krone  16ti  170.  Dürrer 
Baum  165.  166.  184.  —  Maibaum 
im  Brod  223.  —  Maibaum  der 
Miaotse  189.  —  Neben  Maibaum  ein 
Laubmann  311.  —  Vom  jüngsten 
Ehepaare  ausgerichtet  488.  —  Mai- 
baum der  Prager  Schneider  431.  596. 

Maibrcmtschaft ,  Maibraut,  Maipaar  s. 
Asehenbraut,  Lichtmefibraut,  Pfingst- 
braut,  Hansel  und  GreteL  422  ff. 
437  ff.  591 ,  Erklärung  444  cf.  352 
(Hansel  und  Gretel  und  Hochzeit- 
leute) 386. 

Maid  Marian  423.  546. 

Maienbühle  454. 

Maienföder  191. 

Maienführer  349.  350.  351.  352.  385. 

Maiengäßlein  169. 

Maienknechte  162.  349. 

Maienreiten  347. 

Maifeuer  178.  180.  419.  450  ff.  508  ff. 
525. 

Maifrau  338.  451. 

Maigraf  369  ff.  432.  533.  593.  606. ; 
der  Name  378;  aus  Maibutz  hervor- 
gegangen 376  ff.;  zu  Lübeck  369, 
Wismar  370,  373,  Greifswald  370. 
373,  Stralsund  370.  372,  Danzig 
370.  371.  372,  Heüigenbeü  370, 
Beval  370.  371,  Biga  370.  371, 
Hildesheim  371.  373,  Bremen  371, 
Aalborg  371,  Malmö  371,  Dänemark 
371—375. 

Maiherr,  Umritt,  Heiltum  für  die 
ganze  Commune  378. 

Maiinde  380.  381. 

Maikönig  187.  341  ff.  347.  353.  354. 
365.  366.  385.  394.  452.  493.  546. 
547.  586.  606.,  umhergejagt  343., 
geschlagen  354.,  Maikönigin  347. 
355.  452.,  Maikönig  und  Königin 
355.  386.  422  ff. 

Maüehen  165.  188.  450  ff,  492. 

Mairöslein  163.  312.  318. 

Mais  (türk.  Weizen)  269.  280.  541, 
Maisblätter  dürre  361.,  Maisstengel 
362. 


636 


Begister. 


Maistange  159. 

Maiträ  159. 

MamurUnda  413. 

Mandel  24A. 

Mannbarkeitserklärtmg  269. 

Mantel  des  wilden  Mannes  98. 

Mao  112. 

Marcellus  BtirdigaleDsis  20.  33. 

Marcsuithj  AeWssin  von  Schildesche 
401.  405. 

Marena  413.  514. 

Mana  =  Aarons  Gerte  244.,  =  Ce- 
derhamn  293.,  =  Garten  mit  Le- 
bensbaum 242.,  fallt  die  Scheuem 
mit  Weizen  231.,  dargestellt  mit 
ährendarchwirktem  Mantel  231.  232., 
trägt  drei  Aehren  in  der  Hand  232., 
notre  Dame  aux  trois  epis  210, 
läßt  drei  Aehren  herrorsprießen  232. 
Mnttergottesbild  mit  Getreide  um- 
wachsen 232.,  auf  jedem  Weizen - 
und  Speltkom  232. 

Maria  Magdalena  13. 

Maiiä  Verkündigung  224.  232.  407. 
616. 

Mariee  du  May  439.  493. 

Markopole  63. 

Marinousin  166. 

Mars  586.  592. 

Marsilius  375. 

Martin  St.,  der  Heilige  577;  Perso- 
nification  des  Kalendertages  273. 
274.  327  (Pelzmärte). 

Martiniabend  273. 

Martinifeuer  516. 

Martinigerte  273. 

Martini,  W. ,  394. 

Marzana,  Marzanka  159.  181.  413. 
414. 

Masdiia  und  Maschiäna  7. 

Maika-Teppo  404. 

Matrosenqiiartier  in  Kopenhagen  52. 

Maültourf  204.  291.  536.  538. 

Mavritiuspalme  8. 

Maus  28.  204.  291.  504. ,  in  Baum 
Terpflöckt  24. 

May  Lady  315.  346. 


Maypole  171.  188.  305.  315. 

Mayqueen  354.  546. 

Medizinischer  Aberglaube  s.  Krank- 
heiten. 

Megingjarär  486. 

Mehl  am  Kübelreifen  82,  gestohlen  75. 

Mehltau  536.  560. 

Meienehe  454. 

MeluMne  120. 

Menschenfuß  aus  Wolken  herabge- 
worfen 85. 

Menschenopfer  30  ff.  360  ff.  525.  526. 

3ferlin  117. 

Messer  in  den  Wirbelwind  werfen  132. 

Metamorphose  in  Pflanzen  3. 

Metzgerzunft  zu  Zürich  433.,  zn  Mün- 
ster 4.36,  zu  Trier  178.  596. 

metsa  ema  407.  metsa  isa  407. 

Metsik  407   408. 

Michaelisfetter  516. 

Mülikki  408. 

Miesco  von  Polen  413. 

Milch.  Opfer  11.  60.  103.  272.  390., 
erzeugt  161.  162.,  vermehrt  103., 
Diebstahl  92.  113.,  aus  Milch  Wachs 
112.,  Gold  97  machen.  Lohn  des 
wilden  Geißlers  96.  Nahrung  des 
Salvanel  113.,  der  Seligen  103. 

Mimameidr  56   183.  217. 

Aimirs  Brunnen  56. 

Mirtesgardn  273. 

Mißwachs  399.  504. 

Mistel  249.  273.  279. 

Mitesser  69. 

Mittwinterfest  heidnisches  249, 

Mockel  8.  Kuh. 

Mohrenkönig  s,  Schwärzung  des  Ge- 
sichts. 

Molitzlaufen  382. 

Mommsen,  Th.,  6. 

Mond  234. 

Mondard  409. 

MoosUtUe  74.  75.  82.  106.  114.  137. 
153.  333.,  MoswyQes  in  Flandern  74, 

Mooskuh  524. 

Morgentau  355. 

Morris 'dancers  546. 


Begister. 


637 


MücJcen  263.  280.  510. 
Müllenhoff,  K ,  309.  587. 
Müller,  M.,  55. 
Müller,  W.,  428.  587. 
Mutna  padnra  106. 
Musik  des  Windes  43.  86 
Muskel  23. 
MuUergarbe  191. 
Mutter  Pumpe  93. 
Myrte  283.  284.  287. 
MysteHen  von  Eleusis  598. 

Nachtjäger  151. 

Nachtrabe  151. 

.Name   in  Maibaum   geschnitten   165. 

Dem  Jnng?ieh  gegeben  271. 
Naogeorgus,  Thom.,  287.  288. 
Naturalien  einsammeln  428. 
Nebel  Gespinst  der  Franbertc  112. 
Nebelhöhle  449. 
Neema  Tdba  148. 
Nelke  rote  423. 
Nerio  586.  b92. 
Nerthrn  183.  567  ff.  587.,  Name  570  ft- 

586.  592.,  Insel  derselben  568.  598. 

599.  600. ,  Umfahrt  600  ff. 
Nessel  167.  184.  264. 
nesso  13. 
Neubauten  218  ff. 
Neujahr  9.   227.    241.  205.  462.  553. 

558.  559. 
Neujahrsabend  150.  247.  s.  Sylvester. 
neun  Knaben  264.    neun  Morgen  75. 

nenn  Welten  55.  neun  Grenzen  21. 
Neuvermählte  s.  Eheleute. 
Niederfall  192. 

St.  Niclas  Person ification  des  Kalen- 
dertages 327. 
Nimmenceh  Kraut  81. 
Njörd^  571.  588.  590.  591.  592. 
Nithart  v.  Beuental  188. 
Nixen  95. 
Nörglein,  Org,  Ork,  Norg,  73.   110. 

333.,  Wetterprophet  111. 
Nörkel  s.  Nörglein. 


Norg  8.  Norglein. 

Nomen  54. 

Notfeuer  470.  518  ff. 

Nußbaum,  Nüsse  (Symbole  der  Frucht- 
barkeit) 58.  164.  165.  166.  167. 
184.  199.  207.  217.  222,  223.  238. 
244.  245.  246.  257.  264.  265.  266. 
272.  276.  277.  289.  329.  503.  511., 
N&sse  knacken  >»  Symbol  für  Zeu- 
gung 184, 

0. 

Oblaten  233. 

Oden  (König)  122.  137. 

Odhr  445. 

Odinn  590. 

Oelbaum  216.  227.  286.  288. 

Oeschtreiden  400. 

Old  Bessy  257. 

Ole  i  skrymta  337. 

Ommegän  523. 

Ovimegang  594. 

Opfer  59.  64.  65.  71.,  bei  Ernte  77. 
78.,  für  Holzfräulein  82.,  für  arme 
Seelen  82.,  für  Ljeschi  141.,  für  den 
mahjas  kungs  245. ,  Menschenopfer 
s.  8.  Y. ,  im  Schutzhain  245. ,  am 
Semiktage  157.  158  ;  für  die  Skog- 
snufva  auf  einen  Stein  gelegt  130. 

Opferfeuer  275. 

Ophelia  458. 

Orakel  495. 

Orangenbaum  242.  285. 

Orco  110.  338. 

Orddle    der    glühenden   Pflugscharen 

546. 
Oi'ken  73. 
OrÜes  110. 
Ostara  505.  522. 

Ostern  256  ff.    258.   270.   277.    278. 

290.  291.  292.  335.  386.  397.  398. 

4S0.  454.  469.  471.  473.  476.  477. 

478.  503.   507.  546.  555.  605. 
Osterberg  505. 
Osierbrod,  gelbes,  263. 
Osterei  158. 


688 


Begister. 


Osterfeuer  178.    180.  419.   470.  480. 

502.  516.  522.  532. 
Osterkerze  503. 
Ostermafm  505.  522. 
Osterpeitsche  261. 
Osterpsalnien  506. 
OsterreiUr  398. 
Osterwttsser  293. 

Oswald  (Aswald)  209. 

P. 

Pdbsty  Ed.,  369. 

Padden  schinden  356. 

Paderbomy  Landtag  zu,  71. 

Pagecmts  341. 

Palägabaum  275. 

Pcdüien  295.  517. 

Palmsormtag  231.  256.  258.  270.  273. 

282.  284.  291.  292.  294.  295.  298. 

488. 

Palmeweig,  Palmstranß  278.  281.  294. 
vgl.  Weide.  Dem  Maibaam  nach- 
gebildet 246.  In  den  Sarg  290., 
aufs  Grab  gelegt  290.  Vieh  damit 
aufs  Feld  getrieben  270.  272.,  aufs 
Feld  gesteckt  schützt  vor  Hagel 
285.  505.,  mit  vergoldeten  Eiern 
geschmückt  257. ,  auf  Scheune  oder 
Haustüre  aufgesteckt  258.  285., 
nach  Jahresfrist  verbrannt  258.  Palm- 
besen 284.  Palmsegnung  281. ,  in 
Rom  286.  Pabnblatt  145.  Palm- 
esel 288. 

Pan  73. 

PankrcOkis  (12..  Mai)  402. 

Papageienschießen  369. 

Papageienffüde  371.  373.  379. 

Papaluga  329.  330. 

Pappel  165.  167.  177.  192.  207.  288. 
313.  606.  Darstellung  des  Yegeta- 
tionsgeistes  319. 

Paradiesesbautn  242.  243.  249.  605. 
Paradiesspiel  242. 
parawari  579. 
Parstucken  63. 
Paskeberg  505. 


Passionsspid  im  Oberammergau  534. 
598. 

Pelzmärte  327. 

Peperuga  329.  330. 

Perchtel  (Perchta)  85. 

Perchtenj  Perchteln  542.  548.  Perch- 
ten  laufen  542.  543. 

Pere  May  314  316.  318.  417. 

Personification  von  Kalendertagen  s. 
Georg,  Johannes,  Martin,  Niclas, 
Perchtl. 

Peter  und  Paul  (29.  Juni)  177.  511. 
513. 

Petersüie  166.  185. 

Petri  Stuhlfeier  (22.  Febr.)  556.  597. 

St.  Petrus  274.  356. 

Pfaffe  vor  dem  Palmesel  geschlagen 
258. 

Pfaffenköchin  120.  122.  123. 

Pfefferkuchen  265.  266. 

pfeffern  266.  267.  280. 

Pfeisihutte  323. 

Pferd  398  ff.  402  ff.  576. ,  das  bunte 
390.  391.,  heilige  500.,  bekränzt 
387.  Vgl.  Hobbyhorse,  Faserößl.  — 
Pferdekopf  auf  Maibaum  167.  383., 
im  Maifeuer  178.,  Johannisfeuer  515 
verbrannt;  auf  Fastnacht  vergraben 
411.,  der  ungetreuen  Liebsten  über 
die  Tür  gehangt  167.  185.  — 
Ljeschi  wiehert  wie  ein  Pferd 
139.  —  Pferd  des  Teufels  120.  — 
Wildes  Pferd  in  Deutschland  hei- 
misch 151.  —  Jagdobject  des  wilden 
Jägers  151.  —  Heilige  Rosse  580. 

Pfingsten  157.  159.  168.  170.  175. 
261.  264.  318  319.  325.  333.  335. 
344.  350.  370.  371.  382.  383.  388. 
389.  391.  393.  397.  400.  427.  432. 
439.  441.  449.  476.  488.  490.  546. 
594. 

Pßngstbaum  211. 

Pfingstblume  Pflanze  318.  319.  Vege- 
tationsdämon 318.  366.  438.  583. 
Pfingstbraut    357.    432.   438  ff.    439. 

494. 
Pfingstbuben  556. 


Register. 


689 


PfingHbuU  311.  349.  368. 

Pfingstfuehs  391. 

Pfingsthagen  350.  351. 

Pfingsthammel  391. 

Pfingsthütte  333. 

Pfingsthüttd  323. 

Pfingstkäm  382. 

PfingatMöUd  312. 

Pfingstknechte  162.  387. 

Pfingstkönig  187.  341  ff.  343.  385. 

Pfingstkönigin  344.  345. 

Pfingstkuh  390.  395. 

P^n^ÄfZ  320.  331.  352  ff. 

PfingsÜümmel  327.  391.  556.  581., 
zwischen  2  Begleitern  367.,  unter 
Mist  vergraben  321. 

Pßngstmocke  390. 

Pfingstnickel  162.  181.  212.  318.  384. 

Pfingstquack  312.  348. 

Pfingstrecht  347  ff.  349. 

Pfingatreiter  385. 

Pfingstrüt  400. 

Pfingstrose  320. 

PfingstsMäfer  321. 

Pfingstumgang  zu  Lüttich  442.  443. 

PfingstwettriU  404. 

P^rwcÄ  164. 

Pflaumen  69.  223. 

P/Im^  erster  158.  214.  268.  280.  317. 
332.  517.  561.  581.  —  Pfingstlümmel 
anf  Pflüg  fahrend  321. 327.  —  Perch- 
ta  l&fit  ihren  Pflng  vcrkeUen  158. 
317.  —  Krenz  anf  Pflng  schützt  die 
Moosleute  83.' — Kuchen  der  Moos- 
weibchen und  Fairies  bei  der  Pflug- 
wende 80.  —  Pflugumziehen,  feier- 
liches, 553  ff.  586  ff.  593.  vgl.  die 
Hexe  auf  figgenschleife  352.  — 
Pflugfest  zu  Hollstadt  534.  556. 
598.  —  Pflug  bei  Krankheiten  um*s 
Dorf  15.  561.,  ums  Feuer  geführt 
564.  564.  —  von  Frauen  gezogen 
XX.  554  ff.  —  Pflugochse  214.  538. 
—  Pflugschar  glühende,  Ordale  564. 

Pfriemenkraut  320. 

Propfen  der  6&ume  31. 

Phi  23. 


Phummathevada  44. 

PtcÄJcr  484. 

PMaoatar  30. 

Püosus  114.  338. 

Pimpemuß  270. 

Pinie  572. 

Piposs  396. 

Pippe  kong  93. 

Piru  22. 

Plvnius  Valerianus  20.  71. 

pich  uleöiti  556. 

Plaughmonday  557. 

ploW'light  558. 

Poppig  144. 

polaznik  225. 

poUard'Osh  24. 

Polyphem  94. 

p<mlazka  259.  261.  270. 
Posidonius  525  ff. 
Preußen,  die  alten  35. 
Priap  416.  417.  469.  521. 
Priester  579.  580.  583.  599. 
Primigenius  sulcus  562. 
Pripats  330. 
pMus  2. 
Pulsterewihli  lOo. 

Puppe  (simulacrum)   um    die  Felder 
'     geführt  405.,  aus  Lappen  62.   167. 
'     405.  406.,  vgl.  voddeventen,  in  den 
Wald  getragen  406.,   an  Baum  ge- 
hängt 156.  158.,   vor  die  Tür  ge- 
setzt 166. 

PuschkaiHs  63.  69. 
puu'halijad  68.  84. 
Pyramide  aus  Beisern  322.  323.  326. 
347.  425.  524. 

Pyrpiruna  328.  330.  331. 
Pysslingar  61.  127.  152. 

Queen  of  the  May  315.  347.  493. 

Queste  in  Questenberg  175. 

Quetzakoatl  361. 

Quieke  279. 

quUzen  (quieken)  270  ff. 


640 


Begister. 


Bad  430.  455.  46.3.  500.  501.  507. 
509  510.  511.  518.  519.  520.  521. 
537.  553.  565. 

Rätsel  TOD  den  Sternen  235. 

BaUton,  W.  E.  S.,  15.  143.  563. 

Rauhnächte  (drei  Donnerstage  vor 
Weihnachten)  542. 

Raupen  13.  14.  291.  510.  520.  vgl, 
Insecten. 

Rechtsgebräiiche,  und  Gewohnheits- 
rechte 27  ff.  89.  171.  175.  299  ff. 
323.  373  ff. 

Regen,  Freys  Spende,  591.  Begen- 
mädchen  327  ff.  366. 

Regenzauber  s.  Wassertanche.  Frosch 
köpfen  355.  356. 

Regia  295. 

RefibreU  40. 

Reiben  am  Maibanm  174. 

Reibung,  Feuer  durch,  518  ff. 

Reine  de  printemps  344. 

Reinsberg-D^onngsMdy  0.  v.,  246. 

Reivaspflanze  7. 

Reudingi  599. 

Reusjes  523. 

Richtmai  218  ff.  295.  357. 

Rinder  ziehen  den  Maibaum  171. 174. 
182.,  den  Nerthuswagen  183.  566. 
576.  583. 

Ring  aus  den  Wolken  330.  Ringrei- 
ten 388. 

Rippe  ans  Erlenholz  116. 

Robin  et  Marion  546. 

Robin  Hood  423.  546. 

Rodnerirvnevdoclten  104. 

Römer,  der  in  Frankfurt  a/M.  167. 

Roggenbär  421. 

Roggenwolf  483.  487.  611. 

RöhHnta  Fanggenname  89.  90.  91. 

Rollen  auf  der  Tenne  484. 

Ropenkerl  127. 

Rosegger,  P.  K.,  58. 

Rosenstrauch  164.  205.  207. 

Rosmarin  254.  265.  266.  281.  429. 
451. 

Roß  s.  Pferd. 


Rost  im  Getreide  227.  297. 

Rubens,,  P.  P.,  523. 

Rücken,  hohler,  120.  121.  125.  126. 
128.  130.  133.  134.  147. ,  auf  den 
Bücken  schlagen  257.  262.  270.  272. 

Rüster  61. 

Rütteltoeiber  74.  82. 

Rudolf  von  Fulda  304.  310. 

Ruf  des  Ljeschi  139. ,  des  Waldgei- 
stes 144. 

RukkhcUheviida  44. 

Ruprecht,  Knecht  327. 

Saat  s.  Korn,  Äehre  39.  —  Kampt  im 
Saatfeld  s.  Kampf.  —  Saatfeld  vgl. 
Georg,  grüner.  -  -  Holxmder  im 
Saatfeld  210.  Saatgang  441.,  der 
Wenden  auf  der  Gabelhaide  401.  — 
Saatleuchten  455  ff.  535.  —  Saat- 
reiter 398.- 

Sägemehl  säen  427. 

Sämann  158.,  böser  500. 

Säule  aus  Flechtwerk  im  Johannis- 
feuer  verbrannt  515.  Irmensäule 
s.  s.  V. 

Salatstaude  44. 

Salbaneüo  114. 

Salbei  wilder  88. 

Salvadegh  112.  113. 

Salvanel  112.  113. 

Salvangs  113. 

Salz  227.  237. 

Samen,  Götterbild  von  361.,  Samen - 
zünden  535. 

Samtrügl  429. 

Satyr  73.  114. 

Schaaffhausen ,  Professor,  147.  548. 

Schachtelhalm  88.  138. 

Schaf  210. ,  schwarzes  400.  Schafstall 
184.  295.  389  ff. 

Schanhollen  102. 

Scheibentreiben  456.  465.  466.  488. 
492.  498.  501.  502.  507.  511.  519. 
521.  537. 

Schellenmoritz  327. 

Schembart,  Schönbart,  545. 


Register. 


641 


Schichsalsbaum  des  Einzelnen  49  ff., 
der  Familie,  Dorfschaft  51,  der 
Stadt  57. 

Schiff  555.  559.  587.  593  ff.  Schiffs- 
kobold 33.  44. 

Schilf  353. 

Schüler,  Fr.,  6. 

Schimmelreiter  442. 

Schlctg  mit  der  Lebensrute  251  ff. 
Durchs  Dorf  peitschen  321.  Peit- 
schen des  Pfingstkönigs  365.  366. 

Schlange  8.  44.,  im  Johannisfeuer 
verbrannt  516. 

Schleiermacher,  Fr.,  239. 

ScMüsaelblume  426. 

Schmaekostern  259  ff.  270.  292.  293* 

311.  319.  332.  438.  595.  596. 
Schmalzhaf  325. 
SchmeJber  43. 
Schmetterling  14.  115.  329. 
SchmiedeziMift  in  Zürich  596. 
Schnabel  des  Wasservogels  357. 
Schnak  324.  366. 
Schnee  232. 
Schneefrätdein  100. 
Schneidergewerk  431.  596. 
Schneller,  Chr.,  110. 
ScImiUer  481.  483. 
Schnupfen  89. 
Schödüwel  546. 
Schönbarüaufen  334.  335. 
Schöttdmay  191. 
Schoolcraft  560. 
Schoßmeier  348.  357.  440  ff. 
Schotenklee  (lotus  corniculatas)  324. 
Schrätel  290. 
ÄcÄroÖ  115. 
Schretlein  115. 
Schützenfest  187.  369.  552. 

Schwärzung  des  Gesichts,  162.  314. 
321.  322.  326.  336.  342.  343.  349. 
427  428.  442.  540.  541.  545.  546. 
547.  548.  606.  Kaminfeger  322. 
352.  365.  Mohrenkönig  351.  365., 
schwarzer  Teufel  352.  365.,  tür- 
kischer Kaiser  365. 

Mannhardt. 


Schwanz  -  des    Skogsnufva    128.   130. 

134.  135. 
Schwartz,  Wilh.,  85.  152. 
Schwarzer  Mann  42. 
Schwertgeburt,  Maler,  239. 
Schwerttanz  546.  558. 
St.  Sebastian  (20.  Jan.)  404. 
Sechseläwten  in  Zürich  496. 
SeeU  arme  19.  40  ff.  82.  152.  532.  « 
Lufthanch  152.  =»  Schmetterling  329. 
=  Maus  24.  =  Hund  41.    Mehrere 
in  einem  Korper  25.  532.,  kommt 
wieder  69.,  bannen  43. 
Seidelbast  291. 
Sea>  94. 

Selige  Fräulein,  Salgfräulein   91.  95. 

99  ff.   101.  102.  103.  104.  106.  111. 

116.  =  Holden  und  weiße  Frauen 

154. 

Semikbaum  584. 

Semiktag    (Donnerst,    vor   Pfingsten) 

157.  434. 
Sesleria  caerulea  62. 
Sevenbaum  257.  288. 
shrewash  24. 
Sieben    Jahre    (mythisch)    125.    150. 

350.  445. 
Sigeminne  109. 
Sigufrä  445. 
Süen  73. 

Silvanus  113.  114. 
Simrock,  K.,'  93  479.  495.  559.  588. 
Sinngrün  223. 
Sjörä  128.  131.  136. 
Skaldenpoesie  8. 
Skogsnisse  130. 
Skogsrä  128.  130. 

Skogsnufva  73.  113.  119.  125.  127  ff. 
skogtagen  130. 
skoje  halder  130. 
Skougman  127. 
Slatte  Langpatte  123. 
Smrt  413   420. 

Sommer  156.  246.  251.  252.  295.  412., 
heißt  Mai  294.  Sommer  u.  Winter 
245.  Sommer  einbringen  222..  Som- 
mergabel 252.     Sommergewinn  zu 

41 


642 


Begieter. 


Eisenaeh  156,  Sommerküider  252. 
Sommexwecken  253. 

Sonne  151.  152.  187.  234.  2d5.  362. 
444.  465.  466.  468.  474.  479.  497. 
508.  509.  518.  519.  521.  553.  591. 

Sonnenkraut,  SonnenweDde  187. 

Sonnenscheibe  187. 

Sonnentier  151. 

Sonnwendfeuer  462  ff.  Deutung  516. 
521  ff. 

Sonnenzaiiber  466.  521.  554.  566. 

Späne  goldene  «»  Blitze  85. 

Speer ^  mit  demselben  Gabe  reichen 
134. 

Spinnen  60.  65.  76.  104.  107.  112. 
lia  120. 

Spoitverse  343.  354. 

Spreu  165.  167.  184. 

Souche  de  No€l  226. 

Stadtbanner  von  Köln  375. 

Stadtmaye  in  Nürnberg  169. 

stäupen  254  ff.  260. 

Staffansvisa  402. 

Stamm  213. 

Stechpalme  204.  207.  241.  247.  273. 
278.  322. 

Stecknadel  67.  473.     ^ 

Steffansritt  402  ff. 

Stein  auf  Disteln  legen  15.  69.,  in 
der  Nähe  des  'Krankenhauses  auf- 
gehoben 18.  Krankheit  unter  einen 
Stein  tragen  21.,  auf 'Wacholder- 
busch legen  68.,  auf  drei  Halme 
gelegt  210.  Sitz  des  wilden  Man- 
nes 96.  97.  Opfer  für  die  Skogs- 
nufva  darauf  gelegt  ISO.  —  Stein- 
werfen 389.  412.  413.  419. 

Stephanstag  (26.  Dez.)  267.  402  ff 

Sterne  233.  234.  235.  =»  Aehren  235. 

Stettin,  heiliger  Baum  daselbst  57. 

Stimmen  im  Walde  72. 

Stockgarbe  213. 

StoolbaU  476. 

Stopfer  551. 

Stoppelhahn  199. 

Strabo  525  ff 

Strigen  295. 


Ströhsadcfest  zu  Prag  430. 

Strutzi'Bugei  91. 

Stutzemuize  (Staunze  -  Maunze)  89.  90. 

91.  93.  106. 
Stuteforche  89. 
Stutzkatze  146- 
Suda/uer  im  Samland  63.  69. 
Süßholz  262. 
Suso,  Heinrich,  250. 
Svend  Vonved  117. 
Swantomt  393.  Anm. 
Sylvesterabend  276. 
Sylvesterk^ig  386. 

T. 

Tabacky  dem  Ljeschi  geopfert  141., 
am  £mtemai  200. 

Tabeliräger  324. 

Tadtus,  C,  568  ff. 

Tänü  182.  278. 

Tälgilgen  106. 

Tanne y  Fichte,  Kiefer,  15.  46.  47. 
57.  135.  136.  156.  157  161.  164. 
165.  166.  169.  170.  177.  179.  181. 
189.  191.  192.  194.  196.  199.  201. 
202.  203.  205.  207.  219.  222.  229. 
238.  239.  240.  241.  245.  246.  249. 
254.  257.  267.  278.  288.  289.  306. 
313  318.  321.  325.  337.  342.  383. 
385.  390.  427.  455.  501.  524.  566. 
589.  Stab  des  wilden  Mannes  96. 
97.  105.  340.  341.  Tannzapfen, 
Symbol  der  Fruchtbarkeit  223. 

Tanz  =  Sturmlied  86.  87. ,  des  Ljes- 
chi =  Wirbelwind  143. ,  um  das 
Feuer  518.,  um  das  Johannisfeuer 
466.  469.  510.  511.,  um  den  Johan- 
nisbaum  244.,  um  das  Hochzeit- 
feuer 565.,  der  Elfen  125.,  der  Hud- 
1er  269.,  der  wilden  M&nner  341., 
beim  Schiffsumzug  597.,  am  Maitag 
450  ff.,  unter  der  Linde  449.,  beim 
Begrabnisse  des  Jarilo  416.,  auf 
dem  Acker  253. 

Tapio  408. 

Tari  Pennu  363. 

Tatermann  513. 


Begttter. 


648 


TcM,  durch  denselben  ziehen  384., 
anjSangen  390. 

Tauffoasser  293.  503.  517. 

TeüfM  571  ff. 

Teoctialo  362. 

Terra  mater  571  iL  584. 

Xestikeln  251. 

Teteionan  360.  363. 

TetzcatUpoea  362. 

Teufel  336.  505.  548.  s.  Sohwänsnng 
des  Gesichts. 

St.  Theobaldsahend  178. 

Theodorstag  ^L 

Thorül  92. 

Thorlacim,  Sknlo,  55. 

TÄorr  116.  484.  486.  590. 

Thors  pjäska  1%.  150. 

Tieck,  L.,  239. 

Tiere  durch  einen  hohlen  Baum  ziehen 
39. ,  vom  Metsik  gehütet  407.  408., 
mit  der  Lebensrute  geschlagen  269  ff. 
Haustiefe  vom  Waldgeist  im  Stau 
gesegnet  80.  95.,  Segen  zum  €k- 
deihen  derselben  325.  Haustiere 
31.  96  ff  141. ,  Waldtiere  117.  131. 
141.  im  Walde  vom  Waldgeist 
gehütet  Tiergestalt  der  gente  sal- 
vatica  113. 

Tierkerl  117.  408. 

Tüiander,  Familie  51. 

Tlaloc  356.  362. 

Tod  50 ,  des  wilden  Mannes  s.  Eöpfung, 
im  Getreide  420.  s.  Smrt.  Kinder- 
spiel zur  £mtezeit  420.,  des  Haus- 
herrn den  Bäumen  angesagt  9.  Tod 
austragen  155.  222.  410. 

Tomtegvibhe  60.  84.  215. 

Tomteträd  60. 

Torfsoden  247.  248. 

Tra%m  50.  75. 

trifoir  226. 

Trinitatissonntag  441. 

Trolle  128  ff.  484. 

Tschütaläuse  19. 

Tuch  reines,  zum  Anfassen  der  Lebens- 
rute ,  der  Mistel  279.,  am  Maibaum 
8.  Maibaum,  Tänie. 


TücheJbaum  223. 
Tünschär  247. 
Twmetar  30. 
Turnier  544. 
Tylor,  E.,  327.  603. 
t^viär  s.  Seidelbast. 

ü. 

Uamara  145. 
üchuclla-i^Hiqui  143. 
Uhland,  L.,  312.  369.  590  ff. 
Ukko  484.    ükkos  Schale  485. ,  Korb 
485.,  Pandel  485. 

Ulme  8.  51.  172. 

ütstüpen  254. 

Umdrehen  beim  Tanz   181.  312.  318. 

319.  330.  344. 
Umritt  um  die  Gemarkung  389.  397., 

der  Maipaare  448. 

Un  (Oden)  122. 

Unfruchtbar  machen  31. 

Unkraut  536. 

Unschuldige  Kinder  (28.  Dez.)  265  ff. 
275.  292. 

UnsichtbarkeU  dargestellt  322.  365., 
unsichtbar  machen  337. 

Unterirdische  61. 

Unwan,  Erzbischof  v.  Bremen^  70. 

Uodelgart  105. 

Uppstallshäume  189. 

Upsaltty  Göttertempel,  57. 

Urdharhrunnen  57. 

Urvolk  wildes  148. 

Urwald  in  Brasilien  144.,  in  Schwe- 
den 126- 

T. 

Vattar  63. 

Valdemar  König,  122.  123. 

Valentin,  Valentine ,  457  ff.  491.  537. 

Valentinshriefe  461.  462. 
Valentinstag   (IL   Febr.)   453.    458. 

495. 
Vanm  590. 
Värdträd  35.   51  ff.   57.   58.  59.  70. 

182.  183.  217. 
VäsoU  82. 


n 


644 


Register. 


VegeUxlionsgeistery      Üebergang     der 
Waldgeiflter  in  148. 

VeOchen  344.  582. 
Venus,  Planet,  362. 
Verfolgung  des  Pfingstkonigs  386. 
Verkündigung,  Darstellung  der,  231. 
232.  616. 

Vicdin  70. 
Vidofnir  183. 
Vielliebchen  453.  462. 
Vishnu  552. 
voddeventen  166. 
Völuspa  55.  56. 

Vogel  aD  Brautmaie  angebunden  222., 
nimmt  das  Fieber  mit  21. 

Vogelbeerbaum  8.  40.  165.  166.  241. 

271.  272,  298. 
Vorübergehende  331. 
Votum  394. 

W. 

Wachholder  (Kranewit)  34.    65.   68. 

242.  247.  257.  265.  267.  272.  275. 

278.  281. 
Wade  255. 
Wälzen  auf  dem  Saatfelde  480  ff.,  auf 

der  Dreschtenne    484.,    im    Grase 

435.* 
Wäsche  der  Waldfrauen  101.  112.  120. 

129.  152.,  der  Zwerge  61. 
Waffenmusterung  372.  373.  381.  382. 
Wagen  583.  584.  592.,    zerbrochener 

85.,  mit  Tüchern  behangen  578  fF. 
Waidhammel  391. 
WaJber  312.  315.  316.  342. 
WaXborgsmesseldar  509. 
Wald  heiliger  575. 
Waldfänken  94.  95. 
WaMfrauen  99. 
Waldmann  410. 

Wäldgeister  Gestalt  146.    Verschmel- 
zung mit   den    Windgeistem    146. 

üebergang  in  Feldgeister  154. 
walen  481. 

Walperherren,  vier  378. 
Wdlpe^sug  in  Erfurt  375.  376. 


Walpurgis,    heiUge,    Personification 

des  Kalendertages  121.  445. 
Walpwrgisabend  (1.  Mai)  66.  67.  93. 

121.  150.  160  ff.  171.  178.  252. 264. 

270  ff.  272.  273.  277.  291.  312  ff. 

316.  318.  322.   368.  369.  371.  375. 

426.  429.   434.    437.  439.    449  ff. 

480.  508. 
Walpurgistag  (2.  Mai)  312. 
WaUminne  109. 
Wedtschraie  114.  338. 
Wassaüing  538. 
Wasserbesprengtmg  zu   Ostern  289., 

des  Christblocks  227.  237. ,  des  Hau- 
ses zu  Himmelfahrt  399. 
Wasserblume  (caltha  palustris)  320. 
Wassermann  289.  429. 
Wassertauche  Begenzauber  156.  158. 

159.  162.  170.  181.  197.  198.  207. 

214.  21&.  216.  221.  259.  813.  314. 

320.  828.  383.  337.  342.  343.  348. 

350.  351.  353.  855.  357. '374.  385. 

405.  409.  411.  412.  413.  414.  415. 

417.  418.  429.  430.  435.  488.  491. 

497.  514.  vgl.  517.  553.  554.  563. 

566.  573.  581.  585.  586.  587.  605. 

606.  613 ,  bei  wilden  Völkern  356. 
Wasservogel  352.  353.  355.  385.  389. 

393.  438.  446. 
Wcuservogelölume  353. 
Wate  106. 
Wauer,  Frau,  123. 
W^>en,  lehren  die  Seligen  104. 
Wiherzunft  in  Trier  178,  in  Flandern 

595. 
Wegedorn  295.  296. 
Weib  vgl.  Mädchen    173.    174.   183. 

211.  216  ff.  221.  238.  255.  257.  265. 

267.  281.  332.  395.  412.  484.  560. 
Weiberdingete  462. 
Weiberkleidung  der  Männer  314. 
Weiberrock  324. 
Weide  42.  69.  195.  199. 207. 247.  252. 

257.  261.  284.  288.  289.  270.  283. 

291.  348.  514. 
Weidräuke  520. 
Weihe y  Vogel,  483.  485. 


Register. 


645 


Weihnachten  9.  150.  224.  225.  226. 
228.  229.  233.  234.  265  ff.  276  292- 
293.  326.  404.  442.  473.  484.  Wie- 
derkehr des  Frühlings  aDkündigend 
278. 

Weihnachtsbaum  224.  238  ff.  266. 
605.    Bedeutung  desselben  250. 

Weihnaditsblock  224  ff.  516.  605. 
Weihwasser  215.   222.  287.  292.  297. 
503.  521. 

Wein,  wilder  Mann  damit  berauscht 
96.  97.  112.  113.,  über  Erntemai 
195.,  Badnjak  225.,  Christblock 
227.  237.  ausgegossen.  —  Wein- 
flaschen am  Maibaum  164.  (vgl.  166). 
171.,  Erntemai  205.  206.  —  Wein- 
berg und  Weinernte  202.  217.  511. 
517.  537.  577. 

Weinhold,  K.,  99. 

Weißdorn  65.  178.  295.  426. 

Weiße  Mann,  der,  349.  350.  351.  365. 

Weiße  Weiber  (witte  wiwer)  122. 
123.  124.  =«  Selige  und  Holden  154. 

Weizen  s.  Korn. 

St.  Wenddin  (20.  Oct.)  404. 

Wepelröt  247.  248.  311. 

Wessel,  Franz,  233. 

Wetscho  427. 

Wetterhaum,  Wolken gebilde,  55. 

Wetterfräulein  78. 
'Wetterhexe  122  123.  294. 

WeUerJcind  583. 

Wettersegen  40O. 

Wettlauf  und  Wettritt  nach  der  letz- 
ten Garbe  396,  nach  dem  Stollen 
387.  396.,  nach  dem  Maibaum  350. 
382  ff.,  nach  dem  Erntemai  191., 
zu  Pfingsten  344.  351 ,  am  Steffans- 
tage  403,  nach  dem  Königsstuhl 
385.  392.,  nach  dem  Hute  387. 
392. 

Whytepotqueen  346. 

Wichtelweibchen  91. 

WickelJUndcr  281. 

Widewibli  106. 

Widukind  yon  Korvey  309  ff. 

Mannbardt. 


'Wiederbelebung  116.  151.  395.,  des 
Vegetationsdämons,  Darstellung  der- 
selben 358.  359. 

Wilde  Häuser  87. 

Wüde  Jagd  s.  Jäger. 

Wilddeutloch  88. 

Wüdeleutschüssel  88. 

Wildenurnnspiel  333.  334. 

Wildemannstein  98. 

Wildfrätdeinhaus  88. 

WildfräuJeinhöle  93. 

Wildfräulekrüt,  Baldrian  106. 

Wildfrauenloch  88. 

Wildleute  in  Böhmen  86.  87.,  in 
Hessen,  Rheinland,  Baden  87,  in 
der  keltischen  Sage  117.  —  Wilde 
Mann  105.  357.  582.  606.  Darstel- 
lung in  den  Frühlingsgebräuchen 
333—341.,  fällt  wie  todt  hin  335., 
bunt  bemalt  336,  in  der  Heraldik 
339  ff.,  Numismatik  340  ff.,  in  Bra- 
silien 145.,  verfolgt  weiße  Weiber, 
Ellepige,  Meerfrauen  122  ff.,  jagt 
die  Seligen  105.  106.,  Gemahl  der 
Fanggen  89.  —  Wildes  Männchen 
95.  97.  98.  110.  111.  -  Wüde 
Frauen  (Fräulein)  93.  102.  103. 
106.  113.  117.  127. 

Wildmann  340. 

Wind  591.  604.  Dames  vertes  gehn 
im  Winde  übers  Getreide  119. 
Windsbraut  132.  152.  —  Wirbel- 
wind 68.  72.  86.  116.  126.  127. 
128.   129.   132.  139.   140.  143.  149. 

Wintersonnemoende  151.  236.  443, 

Wittwenschaft  der  Kirche   446.  492. 

Wizl  92. 

Wodan  546. 

Wode  251. 

Wolf  135.  138.  141.  433. 

Wolfdietrich  108.  109. 

Wolke,  Wäsche  der  Seligen,  101.  152. 

Wolle  65. 

WoUkraüt  (Verbascum)  511. 

Woodhouse  340. 

Wiirmer  560.  s.  auch  Insect. 

Würste  am  Emtemai  202.  203. 

42 


646 


Begister. 


Wurzelende  235. 
Wushhoufids  122. 

Y. 

Yggdraaül  54.  70. 
Yscstter-Kajsa  136. 
Yuledog  229.  2: 6. 

Z. 

Za/m«GAmer£ren  s.  Krankheiten. 

Zauber  Abwehr  296.,  zum  Schatze 
gegen  Cnrupira  145.,  zur  Befruch- 
tung der  Vegetation,  Begenzauber 
8.  Wassertanche ;  znr  Erzeugung 
von  Licht  und  Wärme  s.  Sonnen- 
zauber; zur  Schwere  der  künftigen 


Ernte  214.  419.,  den  Ertrag  der 
B&ume  schwer  zu  machen  220.  — 
Zaubersegen  für  glückliche  Jagd 
141.,  um  den  Ljeschi  herbeizurufen 
141.  142. 

Zeidelbast  s.  Seidelbast. 

Zeugung  281. 

Ziegenfüße  der  Diale  95.  115. 

Zimniertnann  der  lahme  383. 

Zimne  ludzie    14. 

Zingerle,  J.  V.,  101. 

Zopf  flechten  bei  der  Ernte  77. 

Zuibotschnik  139. 
;  Zwerge  61.  92.  93.  110.  114 

Zwiebel  483.  486. 

Zwölften  (24.  Dez.  —  5.  Jan.)  494.  542. 


Hallo,  Bachdruckerei  des  Walaenhanses. 


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DER  BAÜMKÜLTUS 


DEB 


GERMANEN  UND  IHRER  NACHBARSTÄMME. 


MYTHOLOGISCHE   UNTERSUCHUNGEN 


VOK 


i 


WILHELM  MANNHARDT. 


BERLIN,  1875. 

GEBRÜDER  BORNTRAEGER 


£S.   EQOERS. 


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Im  Verlage  von  Gebrüder  Borniraeger  (Ed.  Eggers)  in  Berlin  ist 
femer  erschienen  nnd  durch  jede  Buchhandlung  zu  beziehen: 

Kulturpflanzen  und  Hausthiere 

in  ihrem  Uebei^ang 

aus    Asien   nach   Griechenland  und.  Italien 

sowie  in  das  übrige  Etiropa. 

Historisch-linguistische   Skizzen   von 

Victor  Hebn. 

Zweite,  umgearbeitete  Auflage.    1874.    gr.  8.    (XU  n.  553  S.) 

geh.    Preis  9  Mrk. 

Selten  wohl  hat  sich  ein  Werk  in  der  gesammten  Presse  einer  so  nnge- 
theilt  anerkennenden  Beurtheilung  zu  erfireuen  gehabt,  wie  das  oben  genannte. 

Prof.  Friedländer   la  Königsberg    schreibt    in   seiner     „Sittengeschichte*'    II f« 

S.  31 : ifdfts  ausgezeichnete  in  so  vieler  Beziehang  ganz  neues  Licht  yorbreitende 

Werk  von  Victor  Hehn,  Kulturpflanzen  und  Hausthiere  etc.  Da  hier  alle  in  Betracht 
kommenden  Punkte  mit  einer  noch  nicht  dagewesenen  Sach-  und  Quellenkennt- 
niss,  Gründlichkeit  und  Sch&rfe  behandelt  sind,  blieb  mir  nichts  übrig,  als  meine 
Abhandlung  (über  den  Luxus)  bei  Seite  zu  werfen  und  die  Resultate  dieser  neuen  For- 
schung in  der  meinem  9'vveck  entsprechenden  Anordnung  wiederzugeben,  was  ich  meist 
mit  den  eigenen  Worten  Hehns  gethan  habe.*' 

Das  literarische  Centralblatt  1870  No.  80  sagt  in  einem  I&ngeren  Referat  über  dieses 
Werk:  „Ein  Buch  von  überraschendem  Reichthum  des  Inhalts,  hervorgegangen  aas 
einer  Verbindung  «prachwissenschaftMcTler,  culturhtstorischor ,  naturwissenschaft- 
licher, geographischer  Kenntnisse  und  eigener  auf  ausgedehnten  Reisen  erworbener 
Anschauungen,  wie  sie  sich  höchst  selten  zusammenfinden." „eine  Fülle  bedeu- 
tender Aufschlüsse,  scharfsinniger  Combinationen  und  geistvoller  Betrachtungen,  durch* 
welche  sich  dieses  Buch  auszeichnet,  das  man  nicht  aus  der  Hand  legen  kann,  ohne  von 
wahrer  Hochachtung  für  den  Verf.  erfüllt  zu  sein."  * 

Die  Allgemeine  Zeitung  sagt  darüber  in  der  Beilage  1870  No.  97:  „Bewundemswerth 
ist  des  Verfassers  Sammlerfleiss.  Es  wird  kaum  eine  auf  den  Gegenstand  bezügliche 
Stelle  geben  in  den  sänmitlichcn  alten  Classikem,  die  nicht  ausgeb&utet  wlre;  die  elas- 
sischen  Schriftsteller  sind  bis  ins  einzelnste  durchforscht,  viele  Stellen  der  lUaa  und 
Odyssee  erhalten  Ihre  Beleuchtung  und  Erklärung,  ja  selbst  Interpolationen  in  Homer 
werden  im  Anschluss  an  den  Gang  <ler  Untersuchung  treffend  nachgewiesen ;  auf  manche 
Stellen  des  Hesiod,  Theognis,  der  Jambiker,  Tragiker,  Komiker  u.  s.  w.  f&llt  ein  Streif- 
licht; zur  griechischen  und  römischen  Alterthumskunde  erhalten  wir  die  werthvoUsten 
Beiträge.  Nicht  minder  erstaunlich,  wirklich  riesenhaft,  ist  des  Verfassers  Belesenheit 
in  der  neuen  Literatur;  es  glebt  kein  irgendwie  auch  nur  von  fern  in  den  Gegenstand 
einschlagendes  Buch  in  der  Gesammtliteratur  von  der  ältesten  bis  in  die  allemeueste  Zeit, 
das  nicht  benutzt  wäre.  Die  etymologischen  Untersuchungen,  von  denen  ein  Theil  in 
einen  besonderen  Anhang  verwiesen  ist,  enthalten  in  nUchtemer  besonnener  Forschung 
eine  Fülle  des  TrelTllchen  in  allen  bezüglichen  Sprachkreisen*' 


f 


Das  Salz. 

Eine  kulturhistorische  Studie  von 
Victor  Hehn. 

1873.    8.    eleg.  broch.    1  Mrk.  20  Pf. 

Aus  den  vielen  anerkennenden  Beurtheilungen  der  Presse  hebfen  wir 
folgende  hervor: 

Im  neuen  Reich  1873  N.  39  ....  „weitester  literarischer  Gesichtspunkt,  lebendige 
Anschauung  der  Wirklichkeit,  Kühnheit  und  Besonnenheit  bei  sprachgeschichtlichen  Com- 
binationen im  richtigen  Gleichgewichte,  Geist  in  der  Auslegung,  Geschmack  im  Vortrage.'* 

Daheim  1873  N.  34.  ,,Man  hat  lange  unseren  Gelehrten  vorgeworfen,  dasa  sie  nicht 
für  das  Volk  zu  schreiben  verständen,  oder  dass  ihre  Fachschriften  so  trocken  und  unge> 
nicsi^b.ar  ausfielen,  dass  nur  wenige  zu  deren  Durcblesuug  sich  bequemten.  Vieles  ist  in 
der  letzten  Zeit  da  besser  geworden  und  einer  unserer  eminentesten  Kulturhisto- 
riker,  Victor  Hehn,  hat  es  namentlich  verstanden,  seine  von  tiefer  sprachwissenschaft- 
licher, kulturhistorischer,  naturwissenschaftlicher  und  geographischer  Kenntniss  zeugenden 
Schriften  In  so  .inrauthiger  Weise  darzustellen,  dass  jeder  Leser  dieselben  mit  Genuas 
und  reichem  Gewinn  liest.'' 

Hallo,  Buchdruckerei  des  Waisenhauses. 


f 


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