Quast, Otto
Der Belief in Hume's
Kausalitätstheorie .
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1499
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s.
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DER BELIEF
IN
HUME'S KAUSALIWÄ
INAUGURAL-DI
ZUR
ERLANGUNG DER PHILOSOPHISCHEN DOKTORWÜRDE
BEI
DER HOHEN PHILOSOPHISCHEN FAKULTÄT
DER
RHEINISCHEN FRIEDRICH WILHELMS -UNIVERSITÄT
ZU BONN
EINGEREICHT UND MIT DEN BEIGEFÜGTEN THESEN
VERTEIDIGT
AM 27. MAI 1903, MITTAGS 12 UHR
VON
OTTO QUAST
AUS ESSEN Ä. D. RUHR
OPPONENTEN:
DR. MAX HORTEN
CAND. PHIL. JOSEPH LAPPE
CAND,
THEOL. WALTHER PRUMERS \ ^l^CR-^ij^ nf '^^^'''
HALLE A. D. S.
DRUCK VON EHRHARDT KARRAS
1903
■c
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Die Dissertation bildet den 2. Hauptteil der Schrift: Der Begriff
des belief bei David Hume, abgedruckt als Nr. XVII der Abhandlungen
zur Philosophie und ihrer Geschichte, herausgegeben von Benno Erdmann,
Halle, Max Niemeyer.
7T2in.
Der belief im Kausalzusammenhang.
In den Erörterungen des Kausalzusammenhangs setzt der
Begriff belief bei Hume erst eigentlich ein, rein statistisch, aber
auch sachlich, wie aus der folgenden Ausfühl-ung sich ergeben
muss. Statistisch, denn die „Of the Nature of the Idea or
ßelief", ,0f the Influence of Belief", „Of the Causes of Belief"
tiberschriebenen Abschnitte im dritten Teil des ersten Buchs
des Treatise stehen dort in dem grösseren Rahmen der Be-
sprechung des Verhältnisses von Ursache und Wirkung. Die-
selben Überschriften finden sich nicht im Enquiry, •) wohl aber
dieselben Erörterungen über den belief und zwar wieder bei
der Frage nach der Natur des Kausalzusammenhanges in den
Abschnitten 4, 5, 6 und 7.
Bei einem Rückblick ferner erklärt Hume, er habe unter-
sucht that belief, which arises from causes. Ebenso redet er
im Anhang zum Treatise von that belief, which arises from
the relation of cause and effect. '-) In diesen Zusammenhang
muss er also den belief hauptsächlich gefasst haben. Hier
nötigte er ihm besonderes Interesse ab. Zugleich zeigt die
"Wendung that belief statt des blossen belief, dass derselbe
nicht nur im Kausalzusammenhang seine Stelle hat. 3)
*) Pfleiderer, a. a. 0. p. 1 78, findet, dass der Begriff belief „besonders"
in Eedaktion I, d.h. im Treatise, „eine den Kausalitätsbegriflf fast über-
wuchernde Rolle spielt."
'■') Treat. I, 42.5, 555. — Eine ähnliche Erwähnung bei einem Rück-
blick auch Tr. II, 88.
^) Das ist zu betonen, wenn Pfleiderer, a.a.O. p. 190 erklärt, bei der
unmittelbaren Impression „hat es keinen Sinn schon von belief zu reden,
auch beim Gedächtnis ist es noch nicht am Platze, sondern erst beim
wirklichen Hinausgehen über die unmittelbare oder mittelbare Sinnlich-
keit." — Die Äusserung: belief arises only from causation, Treat. I, 407
spricht nicht für Pfleiderer, sondern wehrt nur die Entstehung des belief
m Kausalzusammenhang aus Ähnlichkeit und Kontiguität ab.
„Allerdings steht für Hume die Kausalität im Mittelpunkt
seines Interesses." „Es ist allgemein bekannt, dass namentlich
Hume's Analyse der Kausalvorstellungen und der Kausalurteile
den eigentlichen Kern seiner Philosophie ausmachen und dass
er damit Schwierigkeiten an den Tag gebracht hat, die seinen
Vorgängern diesseits und jenseits des Kanals keineswegs völlig
fremd waren, aber sicherlich von keinem in so scharfem Lichte
gesehen, geschweige denn gezeigt worden sind." i) —
Der obige statistische Befund fordert für die Einsicht in
den sachlichen Zusammenhang eine knappe Darstellung der
Ausführungen Hume's über das Verhältnis von Ursache und
Wirkung. Dabei wird der Enquiry vornehmlich der Darstellung
zu Grunde gelegt, unter der einstweiligen Voraussetzung, dass
die spätere, kürzere Fassung im Enquiry, die „alles unnütze
Detail vermeiden" will, 2) bei der diese Frage andererseits von
Anfang an im Vordergrunde steht, während sie im Treatise
erst im dritten Teil zur Verhandlung gelangt, keine wesentlichen
Änderungen diesem gegenüber bringt. .
* *
Humes Auffassung vom Kausalzusammenhang.
Hume unterschied von den Relationen von Ideen die Tat-
sachen. Ihnen gilt vor allem im Enquiry seine Untersuchung.
Im Unterschied von den Relationen von Ideen sind Tatsachen nie
demonstrativ gewiss, nie denknotwendig richtig. Die Vorstellung
ihres Gegenteils schliesst keinen Widerspruch ein, denn keine
wirklichen Objekte sind einander entgegengesetzt. ^)
Die Evidenz von (realer) Existenz und von Tatsachen —
beide werden häufig kordiniert — beruht auf dem gegenwärtigen
Zeugnis der Sinne oder auf den „Protokollen" des Gedächt-
nisses. '') Neben diesen beiden Arten der Evidenz von Tatsachen,
die Hume keiner näheren Untersuchung würdigt, ■'>) gibt es noch
1) Alexias Meinong, Hume-Studien II, 1882, p. 4, 115.
2) Ess. II, 12; cf. auch Hume's Urteil bei Burton I, 337.
') Treat. I, 529, 532.
«) Ess. U, 23.
5) Mitunter hat es sogar den Anschein, als denke er bei matter of
fact nur an die durch die Kausalrelation erschlossenen Tatsachen, z. B.
Treat. I, 393 oben, 483 unten.
eine dritte. Sie ruht auf Schlüssen (reasonings), die über das
Zeugnis der Sinne und des Gedächtnisses hinausgehen.')
Vorsichtig behauptet dann Hume, was er weiterhin als
bewiesen annimmt, diese Schlüsse mit deren Hilfe wir über
die Evidenz der Sinne und des Gedächtnisses hinauskommen,
„seheinen" auf der Relation von Ursache und Wirkung ge-
gründet zu sein, und zwar allein auf dieser.-) Diese Relation
ist die gebräuchlichste Art der Verknüpfung verschiedener Er-
eignisse, die ausgedehnteste, stärkste Relation und ebenso die
instruktivste, befriedigendste. Keine schalft eine kräftigere Ver-
knüpfung in der Phantasie. Fast alle Erkenntnis hängt von
den Erfahrungsschlüssen ab, die dem Kausalzusammenhang
angehören. 3)
Causation allein unter den Relationen informiert uns über
Existenz und Objekte, die wir „nicht sehen und nicht fühlen".
In ihren Schlüssen sieht der Menschengeist hinaus über die
Objekte, die er „sieht oder erinnert".^) Ein Mann „glaubt"
— hier fällt im Enquiry der Ausdruck zum ersten Mal — , an
eine „abwesende" Tatsache, z. B. den gegenwärtigen Aufenthalt
seines Freundes in Frankreich auf Grund eines Kausalschlusses,
der sich an einen erhaltenen Brief anknüpft.^)
Die Frage entsteht: Wie kommen wir zur Erkenntnis von
Ursache und Wirkung? Antwort: Ausnahmslos nicht rational,
durch Schlüsse a priori, durch abstraktes Denken oder einen
Reflexionsvorgang, sondern einzig durch die Erfahrung, dass zwei
Objekte konstant miteinander verbunden vorkommen.«) Weder
bei uns bisher unbekannten, noch bei uns vertraut gewordenen
Gegenständen lässt sich durch blosse Denkoperation ihre Ursache
oder ihre Wirkung herausfinden. ") Das, was wir Ursache, und
>) Gelegentlich tritt für die Schlüsse das Urteil (judgment) ein.
„Dieses Prinzip ist es, das die Welt bevölkert und uns mit solchen
Existenzen bekannt macht, die wegen ihrer Entfernung in Zeit und Raum
über den Bereich der Sinne und des Gedächtnisses hinausliegen," Treat.
I, 408.
2) Ess. n, 24, 28; Treat. I, 376, 390.
3) Ess. n, 19 Anm.; Treat. I, 320; Ess. II, 36.
*) Treat. I, 377, 384.
5) Ess. II, 24.
8) Ess. n, 24; Treat. I, 372, 388 f.
■0 Ess. II, 24 f.; Treat. I, 436, 547.
das, was wir Wirkung nennen, sind ganz verschiedene Ereignisse,
von denen keines das andere einsebliesst. i) Vernunft kann
niemals in ihre Verknüpfung, in den Grund ihrer Vereinigung
eindringen. Selbst unterstützt durch vergangene Erfahrung
vermag der Verstand keine Verknüpfung zwischen gesonderten
Existenzen — und das sind Ursache und Wirkung — zu
entdecken. -)
Die Erfahrung und auch die mechanische Natur erklärung
gibt uns nur wenige oberflächliche Qualitäten in den „sinnlichen"
Qualitäten, nicht die letzten natürlichen Kräfte und Prinzipien
oder die „verborgenen Kräfte", nicht die „letzte Verknüpfung
von Ursache und Wirkung". 3) Somit kann eine Änderung in
den „verborgenen Kräften" eintreten, während die sinnlich wahr-
nehmbaren Qualitäten für unsere Erfahrung dieselben bleiben.
Der Schluss auf gleiche „verborgene Kräfte" ist also unzulässig.
Die „verborgenen Kräfte" sind der menschlichen Neugier und
der Forschung entzogen, damit freilich nicht geleugnet. 4)
1) Ess. II, 27; Treat. I, 388, II, 186.
2) Treat. I, 392, 395, 559.
3) Ess. II, 27 f.; Treat. I, 392, 453.
*) Das letztere Argument gegen einen rationalen Zusammenhang
zwischen Ursache und Wirkung findet sich auch im Treatise (I, 391 f.)
unter der dort von Hume anscheinend nicht geteilten Voraussetzung, dass
die „Produktion" eines Objektes durch ein anderes eine Kraft einschliesst,
die mit der Wirkung verknüpft ist. Unverkennbar verrät der Enquiry
mit seiner häufigen Betoniing der anscheinend doch von uns völlig un-
abhängigen secret powers, particular powers, Springs and principles für
alle natürlichen Tätigkeiten und für das geistige Geschehen (Ess. II, 11,
19', 29f., 33, 36f., 52, 71) eine Schwenkung Humes zu einer realistischeren
Fassung des Wirklichen. Cf. auch noch Ess. II, 88, 39, 52 f. Der Treatise
spricht mehr von known qualities oder properties im Gegensatz zu den
uns unbekannten „vollkommen unverständlichen und unerklärbaren" ultimate
original qualities oder principles in materiellen wie immateriellen Objekten,
Treat. I, 380 f., aber auch ziemlich häufig von secret causes Tr. I, 367, 376,
379, 453, 455, 462. Er redet zwar auch von Kraft, die ihm gleichbedeutend
mit Ursache und Verursachen ist, Treat. I, 379, 391. Aber Treat. I, 455
heisst es klar und deutlich: „Alle unsere Ideen stammen von Impressionen
und repräsentieren solche. Niemals haben wir irgend eine Impression,
die eine Kraft oder Wirksamkeit enthält. Niemals haben wir daher irgend
welche Idee von Kraft." Was das für Ilume besagt, lehrt p. 466: „Wir
können niemals Grund haben, zu glauben, dass ein Objekt existiert, von
dem wir keine Idee büden können," Reden wir von einem Wesen als
Ferner, der Mensehengeist sehliesst auf Grund der ver-
gangenen Erfahrung, dass ein Objekt immer von einer Wirkung
angetan mit einer Kraft oder Macht, von notwendiger Verknüpfung zwischen
Objekten, „so haben alle diese Worte in Wirklichkeit keinen klaren Sinn
und lassen uns bloss gewohnte Worte brauchen ohne klare und deutliche
Vorstellungen." Darnach scheint seine Ablehnung der „verborgenen
Kräfte" mit zu der „Beseitigung alles Mysteriösen aus unsern Schlüssen"
zu gehören, die er erstrebt, p. 466.
Sehr begreiflich, dass ßrede a.a.O., p. 8 für den Treatise zu dem
Urteil kommt, Hume habe die Idee der Kraft über Bord geworfen;
ähnlich ohne die Einschränkung auf den Treatise, "Burton, a.a.O. I, 275,
Compayr6, a.a.O., p. 82, 3S7, 498 und Koenig, a.a.O., p. 213, 215. Nach
Koenig stellt sich Hume, wenn er von Kräften redet, nur auf den be-
treffenden Standpunkt, um zu zeigen, dass auf demselben das Problem
der Erfahrung völlig ebenso besteht, wie auf anderen, die nicht die An-
nahme von Kräften machen.
Freilich gesteht Hume zu, dass die Operationen der Natur nnabhängig
von unserm Denken und Schliessen sind, dass es verschiedene Quahtäten
in materiellen und immateriellen Objekten gibt, die uns völlig unbekannt
sind. Diese nach Belieben Kraft oder Wirksamkeit zu nennen, scheint
ihm bedeutungslos, Treat. I, 462. Aber bedenklich machen dem gegenüber
seine Sätze: Die Wirksamkeit oder Energie von Ursachen liegt weder in
den Ursachen, noch in der Gottheit, noch im Zusammentreffen beider,
sondern gehört gänzlich der Seele an. Dort hat die reale Kraft der
Ursachen, dort hat die Verknüpfung, die Notwendigkeit ihren Sitz. Not-
wendigkeit ist etwas, das im Geist, nicht in den Objekten existiert. Kraft
und Notwendigkeit sind Qualitäten von Perzeptionen, nicht von Objekten.
Sie werden von der Seele inwendig gefühlt, erlebt, nicht aussen in
Körpern wahrgenommen. Die Verknüpfung, das Band, (das Ursache und
Wirkung verbindet), die Energie liegen reinweg in uns und sind nichts
als die Determination des Geistes, die durch Gewohnheit erworben wird
und uns von einem Objekt zu seinem gewohnten Begleiter übergehen lässt.
Treat. I, 460; Ess. II, 77, Anm.; Treat. I, 461, 389, 546, 459; Ess. H, 62.
Treat. n, 182, 187, 188 f Oder soll das Alles, wie Brede, p. 37 für den
Enquiry annimmt, nur besagen, wir haben keine klare, adäquate Idee der
Kraft in einem Objekt oder der realen Verknüpfung zwischen Ursachen
und Wirkungen. Der wirkliche Znsammenhang besteht zwar, ist aber für
uns nicht erkennbar, Treat. I, 462, 455, 372, 376? Erfahrung lehrt nichts
dergleichen erkennen. Die Kraft liegt nicht in den sinnlichen Qualitäten
der Ursache und nichts als diese sind uns gegenwärtig.
Im grossen und ganzen wird zu sagen sein, dass Hume selbst aus
einem Schwanken zwischen realistischen und idealistischen Betrachtungs-
weisen, das Pfleiderer, a.a.O., p. 139, 144 auch für andere Fragen fest-
stellen zu können meint, nicht herausgekommen und zu keiner völlig
durchsichtigen Position gelangt ist.
6
begleitet war, auf die Zukunft, dass andere in der Erscheinung
ähnliche Objekte von ähnlichen Wirkungen begleitet sein werden.
Aber die beiden Sätze sind nicht dieselben. Sie sind nicht
intuitiv gewiss miteinander verknüpft, also sind sie erschlossen.
So brauchen sie ein Medium. Aber rational führt keine Brücke
von einem Satz zum andern. Der bisher beobachtete Naturlauf
kann ohne Widerspruch als sich ändernd gedacht werden.
Somit liegt bei der Übertragung der früheren Erfahrung auf
die Zukunft als deren Mass kein demonstrativer Schluss vor,
sondern nur ein moralischer oder Wahrscheinlichkeitsschluss. 0
Ähnliche Ursachen veranlassen uns, ähnliche Wirkungen
zu „erwarten". Läge hier ein demonstrativ oder intuitiv ge-
wisser Schluss vor, so müsste derselbe nach einer Erfahrung
bereits feststehen. Dasselbe gilt auch für die andere Formu-
lierung, dass wir nach einer Anzahl gleichförmiger Erfahrungen
den Schluss auf eine Verknüpfung zwischen den sinnlichen
Qualitäten und den „verborgenen Kräften" machen. Unerklär-
lich wäre auch bei der Annahme eines die Vermittlung bildenden
Vernunftschlusses, wie der dümmste, unwissendste Bauer, wie
Kinder und selbst Tiere ähnliche Wirkungen von einer in den
sinnlichen Qualitäten und der Erscheinung ähnlichen Ursache
erwarten. 2)
Die Sachlage ist die, dass ein Mensch, der in längerer
Erfahrung beobachtet hat, wie ähnliche Objekte oder Ereignisse
miteinander verbunden waren, beim Erscheinen des einen
„sofort", „unmittelbar", „ohne Besinnen", „ohne Zögern", „ohne
Ceremonie" die Existenz des anderen Objektes erschliesst und
das eine Ursache, das andere Wirkung nennt. 3) Und zwar
vollzieht er diesen Schluss nicht mit Hilfe einer irgendwie
erlangten Kenntnis von den verborgenen Kräften oder durch
irgendwelchen Gedankenprozess, sondern „determiniert" durch
ein anderes (Assoziations) Prinzip, die Gewohnheit oder Ge-
wöhnung, custom or habit.'*) Wirkungen der Gewohnheit, nicht
Vernunftschlüsse, reasonings, sind alle Schlüsse (inferences) aus
1) Ess. II, 31; Treat. I, 390 ff.
2) Ess. II, 31 f., 34; Treat. I, 470 f.
8) Ess. II, 37, 46; Treat. I, 394, 404, 431, 388; 11, 185.
*) Ess. II, 37; Treat. I, 403, 397, 431 f.
der Erfahrung, also auch alle Kausalschlttsse. Nannte er vorher
Erfahrung den „grossen Führer für das Menschenleben", so
schmückt er jetzt die Gewohnheit mit demselben Titel. Ohne
den Einfluss der Gewohnheit würden wir vollständig unwissend
sein bezüglich jeder Tatsache, die nicht Sinnen und Gedächtnis
unmittelbar gegenwärtig ist. Sie ist die Grundlage alles Urteilens.
Der grösste Teil unseres Denkens samt allen Handlungen und
Affekten kann von nichts als von Gewohnheit abgeleitet werden.
Ohne sie würde alles zweckvolle Handeln und der grösste Teil"
aller „Spekulation" aufhören, i)
Aber freilich trotz dieser Wirkung der Gewohnheit muss
für die Schlüsse über Sinneswahrnehmung und Gedächtnis
hinaus uns irgend etwas in der Sinneswahrnehmung oder Er-
innerung gegeben sein. Sonst fehlt der Stützpunkt für die
ganze Schlusskette. Werden wir gefragt, warum wir „eine
Tatsache glauben" müssen wir einen Grund dafür angeben
können. Derselbe wird letztlich auf etwas Gedächtnis oder
Sinnen Gegenwärtiges, auf eine Impression des Gedächtnisses
und der Sinne zurückgehen. Anderenfalls entbehrt unser belief
der Grundlage.-) Etwas überraschend setzt hier plötzlich der
Terminus ein, ebenso in der unmittelbar darauf folgenden Zu-
sammenstellung dessen, w^as Hume bisher gefunden hat: „Aller
belief an Tatsachen oder reale Existenz stammt reinweg (merely)
von einem dem Gedächtnis oder den Sinnen gegenwärtigen Objekt
und einer gewohnheitsmässigen Verbindung (customary con-
junetion) zwischen diesem und einem andern Objekt
Dieser belief ist das notwendige Ergebnis der Versetzung des
Geistes in solche Umstände, eine Operation der Seele in der
betreffenden Lage so unvermeidlich wie die Empfindung von
Liebe beim Empfang von Wohltaten oder von Hass bei einer
zugefügten Beleidigung, eine Art natürlichen Instinktes, den
kein Denkprozess und kein Schliessen produzieren oder ver-
hindern kann." 3)
1) Treat. I, 445; Ess. II, 32, 39; Treat. I, 444, 416 f. Lehrreich für die
Bedeutung der Ge^yohuheit in Hume's Kausalitätstheorie ist Treat. I, 408 :
by custom or if you will by the relation of cause or eflfect. Gewohnheit
und Kausalrelation fallen da fast zusammen.
2) Ess. II, 39; Treat. I, 3S4.
ä) Ess. II, 40. — Zu dieser Einschätzung von Liebe und Hass als
2
8
Die Frage wird sodann aufgeworfen: Was ist die Natur, das
Wesen dieses beliefs und der gewohnheitsmässigen Verknüpfung,
von der er herstammt?
Für eine historiselie Untersuchung des Hume'schen helief
im Kausalzusammenhang- wird es geboten sein, seine Aus-
führungen nicht unter modernen Gesichtspunkten darzustellen,^)
indem man etwa die bei Hume völlig verwischte Abgrenzung
des Logischen vom Psj^chologisehen und Erkenntnistheoretischen
zum Ausgangspunkt nimmt. Es wird sieh vielmehr empfehlen,
nach Gesichtspunkten zu ordnen, die sich aus unserem Philo-
sophen selbst unmittelbar ergeben. Die rechte Verteilung des
Stoffes bleibt bei der Fülle der Beziehungen herüber und hin-
über schwierig. Im Folgenden wird der Versuch gemacht, so
zu gruppieren, 2) dass nach mehr einleitenden Bemerkungen
über belief und Gewissheit, belief und Wahrscheinlichkeit die
Gegenstände des Belief: Tatsachen und Existenz behandelt
werden. Daran schliessen sich die Erörterungen über das
Verhältnis des belief zu den Schlüssen und Urteilen, zum
Willen, zum Gefühl, zur Imagination, Einige Worte über
die Folgen des belief und kritische Bemerkungen machen den
Beschluss.
Belief und Gewisslieit. Belief und Walirsclieinliclikeit.
Aus der Skizze der Kausalitätstheorie ergibt sich, dass
jedenfalls für den Enquiry der belief im Kausalzusammenhang
sich mit der Frage nach der Evidenz berührt, und zwar mit
der Evidenz von Tatsachen und realer Existenz, noch spezieller
mit der Evidenz von Tatsachen und realer Existenz, die über
das gegenwärtige Zeugnis der Sinne und des Gedächtnisses
hinausgehen. Ein solches Hinausgehen ist nach Hume nur
möglich, wo wir die Relation von Ursache und Wirkung in
Anwendung bringen. Sie allein kann uns über Tatsachen
rein instiuktniässiger Reaktionen cf. Treat. 11,84, 154 f., 197, für andere
Gebiete des Sittlichen auch Treat. II, 214 f.; Ess. II, 194.
') Ein solches Verfahren würde auch eine völligere Beherrschung
des StoflFes und der Methode erfordern, als der Verfasser sich zutraut.
*) Cf. die genauere Übersicht im Inhaltsverzeichnis.
vergewissern. Durch sie und ihre Argumente allein versichert
uns jene dritte Art der Evidenz der Tatsachen, der Objekte,
die ,,vom gegenwärtigen Zeugnis unseres Gedächtnis und der
Sinne entfernt sind".*)
Bei der Untersuchung jener dritten Evidenz tritt ohne
merklichen Übergang belief fast an die Stelle der Evidenz."^)
Hume vermeidet eine offene Gleichsetzung; aber sie hängen
deutlich eng miteinander zusammen.
Im Treatise geht Hume für die Darstellung seiner Kausa-
litätstheorie nicht von der Frage nach der Evidenz aus. Doch
fehlt sie auch dort nicht. Belief and evidence werden zu-
sammengenannt. Miteinander durch or verbunden beziehen sie
sich auf geschichtliche Ereignisse der Vergangenheit, die uns
nur durch eine lange Kette von Ursachen und Wirkungen
bekannt werden.^) Durch eine skeptische eindringende Unter-
suchung unsrer Urteile und unsrer Fähigkeiten werden beide
ausgelöscht. Ebendort tritt original evidence für ein kurz
vorher gebrauchtes first belief ein, und es wechselt belief mit
eonfidence.^)
Einstweilen wird gesagt werden dürfen, Hume's belief
hängt mit der Gewissheit zusammen. Beide werden miteinander
verbunden. Belief ist eine Art der Überzeugung oder Gewiss-
heit.^) Und zwar wird hier die Gewissheit über etwas für
die gegenwärtige Sinneswahrnehmung und das Gedächtnis
Abwesendes, über diese durch die Entfernung in Raum und
Zeit Hinausgehendes, die Gewissheit über etwas, was ich nicht
1) Ess. 11,24; Treat. 1,453; Ess. 11,134,63. 22. Von den Verben
wechseln assure, attain assurance mit ascertain.
2) Besonders deutlich Ess. II, 40.
3) Treat. I, 474.
*) Treat. 1,474. Streiten kann man, ob dies Citat nicht bei der
skeptischen Betrachtung der .knowledge" anzuführen war.
s) Cf. für den Treat. noch I, 420, 437: belief or assurance, 437 gleich
darauf mit assurance allein wieder aufgenommen; ferner den häufigen
Sprachgebrauch belief and (or) opinion. Treat. I, 555 nimmt to be con-
vinced of any matter of fact ein vorangegangenes believe any matter of
fact auf. Treat. I, 396. Anm. 2 ist join belief to the conception mit to be
persuaded of the truth of what we conceive verwandt. Der belief erscheint
als Wahrheitsüberzeugung oder letztere erscheint als Folge des belief.
Jedenfalls ist mit dem belief auch die persuasion aufgehoben, Treat. I, 403.
2*
10
sehe, nicht fühle und nicht erinnere, mit belief bezeichnet.
Belief ist die Überzeugung von Tatsachen und realer Existenz
— wie Hume es gedrungen ausdrückt — „über das gegen-
wärtige Zeugnis der Sinne und des Gedächtnisses hinaus",
nicht über alles Zeugnis der Sinne und des Gedächtnisses
hinaus. Festzuhalten als wesentlich bleibt, die Gegenstände
des belief sind als solche objects of convictiou and assurance.')
Werden wir dieser Gegenstände des belief durch Kausal-
schlüsse gewiss und ruhen diese auf der mehr oder weniger
einförmigen vergangenen Erfahrung, so versteht es sich für
Hume von selbst, dass es Grade der Evidenz und entsprechende
Grade des belief und Grade der Gewissheit gibt. „In unsern
Schlüssen über Tatsachen gibt es alle denkbaren Grade der
Gewissheit (assurance) von der höchsten Gewissheit (eertainty)
bis zur niedersten Art moralischer Evidenz. Ein weiser Manu
„proportions his belief to the evidence.'' -)
So kennt Hume „absolute", „vollkommene", „volle" Ge-
wissheit und Überzeugung und dem entsprechend „absoluten
belief", „füll convictiou" und daneben einen „unvollkommenen",
„seh wachen", „zögernden" (hesitating) belief; in seinem Gefolge:
„Zweifel", „Zögern", „Unsicherheit", „Zurückhaltung". 3)
Grundsätzlich ist freilich zu betonen, dass der Einfluss
des belief eben der ist, alle Art von hesitation und uncertainty
von einer Idee fernzuhalten, sie vielmehr zu beleben und der
Einbildungskraft fest einzuprägen.*) Die Gewissheit „fixiert"
eine Idee im Geiste und hält denselben davon ab, in der
Wahl seiner Objekte zu schwanken.'') Der belief, wie schwach
er auch sein mag, „fixiert sich" auf ein bestimmtes Objekt.
Im belief „fixiert" nach voraufgegaugener Unruhe der Geist
„sich selbst und setzt sich zur Ruhe". „Verlass und Sicherheit"
^) Treat. I, 556. Dieselbe Znsammenstellung von conviction and as-
surance auch p. 552.
2) Ess. II, 89 f. Cf. that degree of assurance or evidence , Treat. II,
185; degrees of belief, Treat. I, 434; our degrees of belief and assurance,
Treat. 1,440; degree of belief, 476, für degree of assurance, 475; a higher
degree of belief or assent, Ess. II, 47.
») Treat. I, 420, 422, 430, 433, 437, 426; Ess. II, 90, Ess. I, 417, Anm. 3.
*) Das Verbum infix auch Treat. I, 398. Ess. II, 48 spricht von ein-
drücken (imprint).
») Treat. II, 227.
11
(reliance and seciirity) machen das "Wesen des belief aus.')
Zu erinnern ist auch an die später näher zu berührenden
Wendungen, denen zufolge der belief eine feste, stetige Kon-
zeption ist, Solidität, Festigkeit und Stetigkeit die geglaubte
Idee auszeiehnen.2)
Wenn dennoch der belief die obigen Prädikate erhält,
Bedenken, Unsicherheit, Zögern, Zweifel von ihm nicht aus-
geschlossen sind, so beweist das, dass Gewissheit und Zweifel
für Hume keine ausscbliessenden Gegensätze sind. Solchen
huldigt er überhaupt nicht gern. Zweifel und Gewissheit,
feste Kühe und unsicheres Schwanken vermögen neben einander
zu bestehen und bestehen tausendfach neben einander. ») Eine
Bestimmung, wo der belief anfängt, ist bei Hume nicht vor-
handen, eine solche unter seinen Voraussetzungen zu treffen,
scheint unmöglich zu sein. —
Schon die letzten Erörterungen erinnern daran, dass der
belief hier nicht dem „Wissen" zugehört. Er sieht sich in
das Gebiet der Wahrscheinlichkeit gewiesen. Denn im Kausal-
zusammenhang bezieht er sich nicht auf Ideenrelationen,
sondern auf Tatsachen.
*
Belief und Walirscheiuliclikeit.
Sofern Tatsachen und reale Existenz Gegenstände des
belief sind, erstreckt sich derselbe auf etwas, was weder
demonstrativ noch intuitiv gewiss ist. „Es ist allerseits zu-
gestanden, dass keine Tatsache einer Demonstration fähig isf'.^j
Dami^^erä^ der belief des Kausalzusammenhangs mit Demon-
stration und Intuition in Spannung. Denknotwendigkeit kann
ihm nicht zukommen.^)
1) Treat. I, 437, 556; Ess. II, 48. Vielleicht erklärt sich von hier aus
die Wendnng procure belief and anthority, Treat. I, 420, auch Ess. II, 92
zusammengenannt. E. Kottgen übersetzt „Überzeugungskraft", Nathansohn
in seiner Verdeutschung des Enquiry „Glaubwürdigkeit". Beide werden
damit dem anthority nicht ganz gerecht. — Anders reason or authority
Ess. II, 112, 341, 1,469.
2) Ess. II, 42 f., Treat. I, 396, Anm. 2, 557; 398, 406.
3) Treat. I, 430 ff.
*) Treat. II, 240, cf. I, 395; Ess. II, 133 f.; Treat. II, 432.
^) Mit der Ablehnung der Möglichkeit eines demonstrativen oder
12
Dem „ abstrakten oder demonstrativen Schliessen ", das
die „abstrakten Relationen" unserer Ideen betrifft, tritt gegen-
über das „moralische" oder „wahrscheinliche" Schliessen be-
züglich Tatsachen, denn die Schlüsse über Tatsachen haben
(nur) „moralische Evidenz".') Von der Demonstration wird
die probability unterschieden, wie sonst von der knowledge.^)
In der Wahrscheinlichkeitserkenntnis (probability) betrachtet
der Verstand „die Relationen, über die Erfahrung allein Aus-
kunft gibt". In allen probable reasonings ist dem Geist etwas
Gesehenes oder Erinnertes gegenwärtig. Von da aus erschliessen
wir etwas nicht Gesehenes und nicht Erinnertes, das mit dem
ersteren verknüpft ist. Die Wahrscheinlichkeit betrifft die
Relationen von Objekten, nicht die Relationen von Ideen als
solche, die Welt der Realitäten (I) im Unterschied von der
Welt der Ideen.3) Durch die Bindung an die Erfahrung wird
der Ausdruck experimental reasoning verständlich, aus der
Fassung des Begriffs der Erfahrung bei Hume der andere
Gegensatz zum demonstrativen Beweis: der sinnliche Beweis
(sensible proof).*) —
Gehört die Relation von Ursache und Wirkung mit ihren
Schlüssen über Tatsachen ins Gebiet der Wahrscheinlichkeit,
so hat die Behauptung nichts Auffälliges, dass der belief die
Wahrscheinlichkeit „begleitet", dass er in ihr, bei ihr zu finden
intuitiven Beweises für irgendwelche Sätze will Hume ausdrücklich nicht
deren Wahrheit oder Gewissheit leugnen. „Es gibt verschiedene Arten
der Gewissheit und es gibt solche, die so befriedigend, obwohl nicht so
regelrecht ist, wie die demonstrative/' Burton, Life etc. I, 97 f.
1) Treat. II, 194, Ess. II, 31, Treat. I, 390, 458, Ess. II, 130. „Mora-
lisch" setzt Hume also dem demonstrativen entgegen. So versteht sich
Joh. Ed. Erdmann's Wiedergabe des belief mit „moralischer Gewissheit". —
Allgemein bedeutsam ist noch das Urteil, Ess. II, 135: moral reasoning
macht den grössten Teil menschlichen Wissens (knowledge) (offenbar im
im weiteren Sinne) aus und ist die Quelle alles menschlichen Handelns
und Wandeins.
2) Treat. I, 339; II, 193; 1,473.
^) Treat. II, 193; I, 390. — Zu vergleichen ist auch die Gegenüber-
stellung von thought und reality, Treat. II, 244. Der Wille versetzt uns
in die Welt der „Realitäten", Treat. II, 193.
*) Ess. 11,135, 1932, 73; Treat. II, 223. — Lipps gibt aus solchen
Gedankengängen heraus probability frei mit „Erfahrungserkenntnis" wieder,
Anm. 144 zur üebersetzung von E. Köttgen; anders Anm. 93, p. 94.
13
ist.i) Das setzt auch die Aussage voraus, dass mit der Ver-
ringerung der probability zuletzt auch belief und Evidenz aus-
gelöscht werden.-) Damit treten „Wissen" und „Glauben" in
einen indirekten Gegensatz. Irgendwelche Ausführung darüber
fehlt freilich. Der historisch gewordene Gegensatz von „Glauben
und Wissen" besteht für Hume nicht. Es findet sich nichts
bei ihm, das dem Satze ähnelt: „All unser Wissen von Tat-
sachen, namentlich aber über den Zusammenhang derselben,
welches den Inhalt der Naturwissenschaften bildet, ist kein
eigentliches Wissen, sondern ein Glauben." :*) Er würde wohl
nur sagen: ist Wahrscheinlichkeitserkenntnis, die von belief
begleitet ist.
Es findet sich keine Gleichsetzung der probability mit
dem belief. Das Verhältnis zueinander wird im Bilde so
wiedergegeben: die verschiedenen Arten der Wahrscheinlichkeit
sind vernünftige Grundlagen (foundations) of belief and opiuion.
Oder es wird gesagt, jeder Teil der Wahrscheinlichkeit trägt
zur Hervorbringung des belief bei (contributes to the production
of belief). Wachsende Wahrscheinlichkeit erzeugt einen höheren
Grad von belief or assent.^)
Hume stellt „Glauben" und Gewissheit zusammen, nicht
„Glauben" und Wissen einander gegenüber.
Nun ist die Wahrscheinlichkeit diejenige Evidenz, die
noch von Ungewissheit, Unsicherheit (uncertainty) begleitet ist.
Die entgegengesetzte Möglichkeit bleibt hier immer möglich.^)
Ist belief aber eine Form der Gewissheitsüberzeugung, so ist
damit gegeben, dass belief und probability in Gegensatz treten
können. Entgegengesetzte probability kann den belief stören.
Der Einblick in die mannigfachen Widersprüche und UnvoU-
kommenheiten der menschlichen Vernunft macht dem Skeptiker
1) Treat. I, 434.
2) Treat. I, 474.
3) Joh. Ed. Erdmann, a.a.O., 11*, p. 118. — Treat. 1,448 heisst es
nur: Jede Art vou Meinung oder Urteil, das an knowledge nicht heran-
reicht (which amounts not to knowl.), stammt gänzlich von der Kraft und
Lebendigkeit der Perzeption, und diese Qualitäten konstituieren im Geist
das, was wir belief nennen.
*) Treat. I, 430, 434; Ess. II, 47, ähnlich 48, 49.
5) Treat. I, 423 f., 433.
14
den Kopf heiss, so dass er bereit ist, allen belief und alles
Sehliessen zu verwerfen. Er kann keine Ansicht für wabr-
seheinlieber als andere ansehen.^) Der Satz lautet, als bebe
der belief, wo er vorhanden ist, unter dem, was wahrscheinlich
ist, einiges bevorzugend heraus.^)
Andererseits stehen belief und probability doch wieder —
und das dürfte das Normale sein — in einem engen, mehr
freundschaftlichen Verhältnis. Die Wahrscheinlichkeit „von
Zufällen", die Hume von der „von Ursachen" abtrennt, ist von
der Zahl der möglichen „Zufälle" abhängig. Wächst die Zahl
der für eine Seite günstigen „Zufälle", so erfährt auch die
aus ihr resultierende Wahrscheinlichkeit eine entsprechende
Zunahme und erzeugt einen höheren Grad von belief or assent
auf der Seite, auf welcher wir die „Überlegenheit" entdecken.
Hat ein Würfel auf 1000 Seiten dieselbe Bezeichnung und nur
auf einer eine abweichende, so ist die Wahrscheinlichkeit,
dass die erste Bezeichnung oben auf liegen wird, viel grösser
und unser belief or expectation of the event more steady and
secure. ■'^) Da wächst offenbar der belief mit der Wahr-
scheinlichkeit.4)
Weil der Kausalzusammenhang kein demonstrativer, wider-
spruchslos gewisser ist, nimmt der die Wahrscheinlichkeit
begleitende belief die Form der Erwartung an. Jeder Kausal-
schluss gründet sich auf die unerweisliche Annahme, dass der
Naturlauf derselbe bleiben wird und die Objekte samt ihren
Verbindungen den in der früheren Erfahrung beobachteten
gleichen werden. Erwartung ist die spezielle Form des
„Glaubens" an Zukünftiges und für Hume's Kausalauffassung
handelt es sich immer um etwas Zukünftiges. Also ist belief
die Erwartung eines Objekts oder eines Ereignisses verbunden
mit der Überzeugung von seiner Existenz;^) so in dem oben
1) Treat. I, 422, 547.
2) Der Ausdruck dafür samt der Sache findet sich Treat. I, 403;
Ess. II, 48 f.
3) Ess. II, 47 f., ähnlich p. 89 f.
'') Der Ausdruck, dass der belief an ein Ereignis je nach der Zahl
der „Zufälle" „wächst oder kleiner wird", findet sich Treat. I, 434.
^) Sonst ist schwerlich, wenn Ilume expect and believe neben-
einander setzt, an einen Unterschied gedacht. Ess. II, 74 spricht von
15
angeführten Beispiel des verschieden bezeichneten Würfels. So
führt uns Gewohnheit dazu, nach der Beobachtung des kon-
stanten Beisammenseins von Flamme und Hitze beim Er-
scheinen der Flamme die Hitze zu „erwarten" und zu ..glauben"
(expeet and believe), dass eine solche Qualität existiert und
sich bei weiterer Annäherung zu erkennen geben wird. Kach
mehrfacher Wiederholung ähnlicher Fälle treibt uns Gewohnheit,
beim Erscheinen eines Ereignisses dessen gewohnten Begleiter
zu „erwarten" und zu ,^ glauben", dass er existieren wird.')
Der Weise lässt dabei seinen belief im Verhältnis zur Evidenz
stehen. Sind seine Schlüsse auf untrüglicher, völlig einförmiger
Erfahrung gegründet, so „erwartet" er das Ereignis mit dem
äussersten Grad von Gewissheit (assurance). Im andern Fall
geht er mit grosser Vorsicht vor, wägt erst die entgegen-
gesetzten Erfahrungen gegeneinander ab und neigt sich dann
zu der durch die grössere Zahl von Erfahrungen unterstützten
Seite zögernd und zweifelnd (with doubt and hesitation).2)
So wenig wie oben die Gewissheit ist hier die Erwartung
unvereinbar mit Zweifel und Zögern. Es gibt Erwartung mit
möglichst grosser Gewissheit und ebenso an doubtful ex-
pectation.3)
Manches freilich, das auf der Relation von Ursache und
Wirkung beruht, kann die Wahrscheinlichkeit übertreffen und
als höhere Art der Evidenz gefasst werden. Im Ernst das
Gegenteil solcher Sätze behaupten zu wollen, wie: dass die
Sonne morgen aufgehen wird, oder, dass alle Menschen sterben
müssen, wäre lächerlich, obwohl es allerdings denkmöglich ist.
Solche durch die völlig einförmige Erfahrung bewiesenen Sätze
„lassen keinen Raum für Zweifel und Opposition". Darum
unterscheidet Hurae von der probability die proofs.^) Eine
believe, dass Menschen und Elemente sich iu ihren Wirkungsweisen ganz
gleich wie früher erweisen werden. Das folgende Einzelbeispiel gibt
statt believe reckon up und redet dann von expectations.
') Ess. 11, 40, 37, 62. — Ess. II, 75 heisst es nur, dass durch den
gewohnten Übergang der Geist von der Erscheinung des einen zum belief
(der Glaubenserwartung) des anderen getrieben wird.
2) Ess. II, 90, cf. 49.
3) Ess. II, 49, 57; 90; Treat. II, 396.
^) Treat. 1,423; Ess. 11,47, Aum. — nach Compayre, a.a.O., p. 215
ein Schatten, ein Schein von induktiver Logik.
16
Bedeutung dieser Scheidung für seine Fassung des belief lässt
sich nicht nachweisen. Höchstens wird den proofs ein stärkerer
Grad von belief zukommen.
* *
Die Gegenstände des belief.
Gegenstand der dritten Evidenz und damit des belief war
im Enquiry matter of fact und existence mit der früher ge-
gebenen Einschränkung. Teilt der Treatise auch nicht wie
der Enquiry die Gegenstände der menschlichen Vernunft in
Relationen von Ideen und Tatsachen, so ist doch für den
Kausalzusammenhang und Hume's belief insofern kein Unter-
schied zwischen Treatise und Enquiry, als sich hier wie dort
der belief auf matter of fact bezieht, t) auf particular matter
of fact, letzlich zurückgehend auf ein dem Gedächtnis oder
den Sinnen gegenwärtiges fact ,2) auf matter of fact and (or)
existence, „matter of fact, das ist, Existenz von Objekten und
deren Qualitäten," 3) und viel häufiger auf existence allein.^)
Statt matter of fact tritt gelegentlich object als Beziehungs-
punkt des belief auf ■^) oder determinate object,. wie es die
frühere Erfahrung nicht bietet. 6) Oder der belief geht auf
„äussere Objekte" (ein äusseres Universum) unabhängig vom
Geist,') endlich auf „Dinge" (things).^)
1) Treat. I, 393, 395, 397, 402, 555, an der zuletzt erwähnten Stelle
abwechselnd mit to be convinced of und im Gegensatz zu incredulity
concerning matter of fact. Incredulity ist auch sonst (Treat. I, 395, 398)
der Gegensatz zu belief.
2) Ess. II, 39 f.; particular und general facts sind die Bestandstücke
der matter of fact, Ess. II, 134 f.
■■*) Ess. II, 39 f., 134; Treat. I, 394. Aach Ess. II, 39 f. tritt für Existenz
Objekt und für dieses bald darauf Qualität ein.
») Treat. I, 408, 417, 437 f.; spezieller: Existenz irgend eines Objektes,
402, 444; Gottes 395; einer Impression oder Idee 400; von Körpern 478,
491, 497; kontinuierliche, unabhängige Existenz von etwas, was nnsern
Perzeptionen ähnelt, 479, 490, 500; Existenz des Freundes, des Vater-
hauses Ess. II, 45; des gewohnten Begleiters eines Objektes Ess. II, 62, 87;
Treat. I, 432.
5) Treat. I, 393, 394, 397; Ess. II, 43, 45.
«) Treat. I, 437.
') Ess. II, 124; Treat. 1,483.
«) Treat. I, 394.
17
Die Frage erhebt sieh, wie ist matter of fact n<äher zn
bestimmen . und eventuell von Existenz zu unterscheiden?
Mit Linke 1) wird man eine „nähere Präzision" der Tat-
sachen wünschenswert finden können. Aus Hume's Entgegen-
setzungen ist zu folgern: Tatsache (matter of fact) ist der
Gegensatz zu Ideen und Relationen von Ideen, zu abstrakten
Relationen von Ideen. 2) Bei Tatsachen handelt es sich nicht
um abstrakte Relationen von Ideen, sondern um Übereinstimmung
(conformity) unserer Ideen von Objekten mit ihrer realen
Existenz/') um Relationen von Objekten, Yon denen nur die
Erfahrung uns Kunde gibt.
Die Gleichsetzung von matter of fact und existence durch
ihre Verbindung mit and und or lässt einen wesentlichen
Unterschied zwischen ihnen kaum bestehen. Noch mehr gilt
das von jener Deutung „matter of fact, das ist, Existenz von
Objekten und deren Eigenschaften" und der Ersetzung der
Existenz durch Objekt und Qualitäten.
Nun handelt Hume an zwei Stellen des Treatise aus-
führlich über den Begriff der Existenz. Die Idee der
Existenz ist nicht eine deutliehe, gesonderte Idee, die wir
etwa mit der des Objektes vereinigten, sondern die gleiche
mit der Idee desjenigen, was wir als existierend vorstellen.
Was immer wir vorstellen, stellen wir als existierend vor.^)
Das Stichwort für Berkeley: Esse est pereipi, findet sich nicht
bei ihm, aber wie „jener scharfsinnige Autor" behauptet auch
er die völlige Subjektivität nicht nur der sekundären, sondern
auch der primären Qualitäten •^) und weiter, dass unserm Geist
1) Hume's Lehre vom Wissen in Wundt's Philosophischen Studien
XVII, p. 646.
2) Ess. II, 20; Treat. II, 240, 244, 193. An der letztgenannten Stelle
wird der anscheinend analoge Unterschied gemacht: „Welt der Ideen",
„Welt der Kealitäten". Die „Kealitäten" kämen dann auf die Seite der
„Tatsachen", nicht auf die der Ideen. Den Ideen bezw. den Eelationen
von Ideen schreibt Hume anscheinend weder reale Existenz noch Tat-
sachencharakter zu.
3) Treat. II, 223. Das Eecht, diese Aeusserung hier zu verwerten,
lässt sich bestreiten. Auch in der Unterscheidung der Idee des Objekts
von dessen realer Existenz steht sie isoliert da.
0 Treat. I, 396, Anm., 370 f.
5) Treat. I, 511 ff.; Ess. II, 126.
18
nichts als Perzeptionen gegenwärtig sind, und noch weiter:
wir können uns unmöglich eine Idee von etwas bilden, das
von unserer Perzeption spezifisch verschieden ist. Äussere
Existenz als etwas von unsern Perzeptionen spezifisch Ver-
schiedenes ist eine „Absurdität",') Ein^ spezifischen Unter-
schied zwisclien Objekten und Impressionen können wir ver-
muten, aber niemals vorstellen. Die Idee eines Objekts und
Perzeption ist dasselbe, nur begleitet von der Annahme eines
Unterschiedes, der aber unbekannt und unfasslich ist.2) Unsere
sinnlichen Perzeptionen haben keine gesonderte, unabhängige
Existenz, denn sie erweisen sich als abhängig von der Ver-
fassung unserer Organe, Nerven und Lebensgeister. Sind aber
Farben, Töne, Geschmacksqualitäten und Gerüche reine Per-
zeptionen, so besitzt nichts, was wir perzipieren, reale, kon-
tinuierliche, unabhängige Existenz. 3) Die Vorstellung realer
gesonderter Existenz entsteht nicht aus der Sinneswahrnehmung
mit ihren „unterbrochenen", flüchtigen Bildern, auch nicht aus
dem Verstände, sondern aus der Einbildungskraft mit Hilfe
der Konstanz der Impressionen, die freilich beträchtliche Aus-
nahmen aufweist, unter dem Einfluss der Relation der Ähn-
lichkeit. Wir erklären auf Grund einer natürlichen Neigung
der Einbildungskraft ähnliche Perzeptionen trotz ihrer Unter-
brechung und gesonderten Existenz für identisch — eine „grobe
Täuschung" — und haben dann die „Fiktion einer kontinuier-
lichen Existenz", aber eben nur die Fiktion, Denn es ist ein
greifbarer Widerspruch, dass eine Perzeption existieren soll,
ohne dem Geist gegenwärtig zu sein. Trotzdem redet er
gleich darauf wie auch sonst ruhig von external objects.^)
Oder gilt hier sein Satz, dass die Schwierigkeit nicht in
der Tatsache liegt, sondern nur in der Weise, wie und auf
Grund welcher Prinzipien unser Geist zu einem solchen Schluss
kommt?'') Schwerlich! Denn im weiteren Fortgang spricht er
von der fallacy der Annahme einer kontinuierlichen Existenz.
Die Lehre von der unabhängigen Existenz unserer sinnlichen
1) Ess. II, 124; Treat. I, 479.
2) Treat. I, 525, 527.
3) Treat. I, 498, 513.
*) Treat. I, 481 ff., 493 f.
») Treat. I, 495.
19
Perzeptionen ist der klarsten Erfahrung entgegen.') Die Philo-
sophie unterrichtet uns, dass jedes Ding, das den Sinnen
erseheint, üiehts als eine Perzeption, „unterbrochen" und ab-
hängig Tom Geist ist, während das gewöhnliche Volk Per-
zeptionen und Objekte verwechselt und eine gesonderte kon-
tinuierliche Existenz eben den Dingen zuschreibt, die sie sehen
oder fühlen, eine völlig unvernünftige Anschauung. Die
Unterscheidung zAvischen Perzeption und Objekt ist nichts als
ein Palliativmittel und behält alle Schwierigkeiten der popu-
lären Vorstellung. Kein Prinzip weder des Verstandes noch
der Phantasie leitet uns direkt (!) dazu, diese Ansicht von der
doppelten Existenz der Perzeption und des Objektes anzunehmen
Die einzigen Existenzen, die uns gegenwärtig sind, sind Per-
zeptionen, die uns durch das Bewusstsein unmittelbar gegen-
wärtig sind. Schlüsse von der Existenz^r Perzeptionen auf
die der Dinge lassen sich nur mit Hilfe_der Relation von
Ursache und "Wirkung ziehen. Nun sind aber dem Geist mir
Perzeptionen gegenwärtig."^) Wir können erfahruugsmässig eine
Verknüpfung, ein Kausalverhältnis immer nur zwischen Per-
zeptionen, niemals zwischen^Perzeptioneu und JDbjekten be-
^bacht^ Einen rechten _ScMusa von der Exjstpnz oder
Qualitäten unserer Perzeptionen auf die Existenz__äusserer
dauernder Objekte kann die Relation von Ursache und Wirkung
_an8 niemals gewähren. Die Sinne sind nur Einlasse, durch
welche die Perzeptionen oder Bilder uns zukommen. Sie sind
nicht imstande, irgendwelchen Verkehr zwischen dem Geist
und den Objekten herbeizuführen. 3)
Und so ist denn die Verwerfung einer kontinuierlichen
Existenz für Hume „notwendige Konsequenz" aus der Verwerfung
der Unabhängigkeit und Kontinuierliehkeit unsrer Perzeptionen.^)
Die „philosophische Hypothese" einer doppelten Existenz von
Objekten und Perzeptionen ist das „ungeheuerliche Erzeugnis"
entgegengesetzter Prinzipien, welches Vernunft und Einbildungs-
kraft gleicherweise befriedigen soll, da wir anders keine
Einigung linden. Aber es bleibt doch absurd, ein Durch-
') Treat. I, 498.
2) Treat. I, 483, 499.
3) Treat. I, 499 f., 503; Ess. II, 125 f.
*) Treat. I, 501 f.
20
einander grundloser und aussergewölinlieher Meinungen und ist
durch klare überzeugende Argumente nicht zu rechtfertigen.
Selbst eine Scheinreehtfertigung übersteigt schon die Kraft
menschlichen Vermögens. Es ist unmöglich für uns, uns klar
vorzustellen, dass Objekte ihrer Natur nach irgend etwas
anderes sein sollten als Perzeptionen.i) Ein blinder, mächtiger,
natürlicher Instinkt, eine Voreingenommenheit treibt Menschen
und Tiere, ohne zu denken, ja fast vor dem Gebrauch der
Vernunft ein äusseres Universum anzunehmen, äussere Objekte
zu „glauben". Stimmen wir der Wahrheit der Sinne(s Wahr-
nehmung) zu, so werden wir veranlasst, zu „glauben", dass
eben die Perzeptionen oder die sinnlichen Bilder die äusseren
Objekte sind, und die Skeptiker triumphieren. Andererseits
vermag Vernunft niemals aus Erfahrung zu beweisen, dass die
Perzeptionen mit irgend welchen äusseren Objekten verknüpft
sind.2)
Wohl im Blick auf solche Gedankengänge urteilt Koenig
über unsern Philosophen: „Die Wirklichkeit löst sich ihm in
pures Phänomen und der Zusammenhang des Wirklichen in
einen psychologischen Schein auf." 3)
Die früher aufgeworfene Frage: Ist Hume Kealist, ist er
Idealist? scheint im Blick auf seine Fassung der Existenz
allerdings nur nach der letzteren Seite beantwortbar zu sein.
„Beraube die Materie aller ihrer erkennbaren Qualitäten, der
primären, wie der sekundären," — und das tut Hume — „so
vernichtest du in einer Weise dieselbe und lässt nur ein ge-
wisses unbekanntes, unerklärbares Etwas als die Ursache
unsrer Perzeptionen übrig, eine Vorstellung so unvollkommen,
dass kein Skeptiker es für der Mühe wert halten wird, da-
gegen zu streiten." ^)
Aber gibt Hume mit diesem Schlusssatz des ersten Teils
des Essay über „Akademische Philosophie" nicht doch wieder,
wenn auch lange nicht in dem entschiedenen Sinne wie Locke
zu, dass ein Etwas, wenn auch unbekannt und unerklärbar,
1) Treat. I, 502; Ess. II, 125; Treat. I, 504.
2) Ess. II, 124, 126.
3) a.a.O. p. 14.
*) Ess. II, 127, cf. Treat. I, 514: Unsere „moderne Philosophie" gibt
uns keine richtige und befriedigende Idee von Solidität und Materie.
21
den Perzeptionen als Ursaclie zu Grunde liegt? Wohl die
stärkste Parallele dazu fände sich im Treatise,') wo „die Er-
scheinungen (appearances) von Objekten für die Sinne" als
Gegenstand der Forschung unterschieden werden von den
„Untersuchungen über ihre reale Natur und Tätigkeiten." Be-
schränken wir uns auf die Erscheinungen, sind wir frei von
allen Schwierigkeiten. Gehen wir mit unsern Untersuchungen
über sie hinaus, so sind unsere Schlüsse des Skeptizismus und
der Unsicherheit voll. Denn die reale Natur der Dinge ist
uns unbekannt. Wir kennen nur ihre Wirkungen auf die Sinne.
Schon weiter oben hiess es einmal: objects which affect the
senses und am andern Ort: objects as they appear to the
senses.2) Nur für die Sinne ist appearance, reality, existence
dasselbe. Sie geben uns unsere Impressionen nicht als Bilder
oder Vorstellungen von etwas gesondertem, unabhängigen
Ausseren.3) Aber die Erscheinungen von Objekten für die
Sinne werden korrigiert durch den Verstand, die Reflexion, die
Vernunft.^) Ohne eine solche Korrektur der Erscheinungen
könnten wir bei dem Schwanken, dem unser äusseres und
inneres Wahrnehmen ausgesetzt ist, niemals über den Gegen-
stand mit einiger Stetigkeit denken oder reden. ^)
Danach scheint es berechtigter, von Hume's Phänomenalismus
und Positivismus zu sprechen und die Bemerkung Compayre's^)
einzuschränken: ,.er leugnet absolut, was wir mit dem einzigen
Wort Noumena nennen könnten, aber er glaubt an Phänomene."
Berechtigter wird es ferner sein, nur von „Entlehnungen aus
dem Gebiete des Idealismus", von „gelegentlichen Exkursionen
in das Gebiet des Idealismus" namentlich im Treatise, zu reden.')
1) Treat. I, 368, Anm.
2) Treat. I, 372, ähnlich Ess. II, 2S object as it appears to the mind.
3) Treat. I, 478 ff.
*) Treat. I, 422, II, 359; Ess. II, 124.
s) Ess. II, 124.
ß) a.a.O. p. 472; etwas anders p. 86: „Er ist einer von den Philo-
sophen, deren Zahl mehr nnd mehr zunimmt, die die Phänomene als das
einzige Objekt der menschlichen Erkenntnis ansehen, aber geneigt sein
würden zu glauben, dass sie nicht die einzigen Piealitäten sind, aber Hume
hat keine genaue Vorstellung dieser Welt, die höher als alle Erfahrung
ist, dieser Noumena, die zuerst zu konzipieren er Kant überlassen hat.
') Speckmann, Über Hume's metaphysische Skepsis, 1877, p. 24, 34:
22
Die Veranlassung dazu bildet offenbar Berkeley's Begriff
der Existenz. Neben dessen idealistischer Fassung geht die
Annahme von verborgenen Kräften, ja von uns allerdings völlig
unbekannten Dingen als Ursachen unserer Perzeptionen un-
ausgeglichen nebenher. "Wenigstens scheint es so.
Anhangsweise dürften in diesem Zusammenhang einige
beiläufige Äusserungen über die Entstehung der Impres-
sionen Beachtung verdienen. Hume hat zwar im allgemeinen
die Frage nach der Herkunft der Impressionen ausdrücklich
als unmöglich beantwortbar abgelehnt. Mit dem Wort „Im-
pression" will er nicht die Weise kennzeichnen, in der unsere
lebendigen Perzeptionen hervorgerufen werden, sondern nur
diese selbst. i) „Sie entstehen ursprünglich (originally) in der
Seele aus unbekannten Ursachen." -) Die Untersuchung der
natural und physical eauses der Impressionen, welche ohne
eine Einführung in der Seele erscheinen, würde ihn — so
erklärt er merkwürdigerweise — , von seinem Gegenstand zu
w^eit ablenken in Anatomie und Naturwissenschaften. 3) Die
letzte Ursache der Impressionen der Sinne ist für die mensch-
liehe Vernunft vollkommen unerklärbar. Ob sie unmittelbar
vom Objekt entstehen oder durch die schöpferische Kraft und
Energie des Geistes hervorgerufen werden, oder ob sie von
dem Urheber unsres Daseins (von der ,suggestion' eines unsicht-
baren uns unbekannten Geistes oder von einer anderen, uns
noch unbekannteren Ursache) stammen, das sicher zu ent-
scheiden, wird allezeit unmöglich sein.^) Die Eelation von
„Im Enquiry gibt er (Hnme) im allgemeinen stillschweigend zu, dass
unsere Sinneswahrnehmungen durch ausser uns seiende Dinge mitbestimmt
werden, an deren Existenz darum nicht zu zweifeln ist." — Brede, p. 49,
findet im Enquiry einen „geringen Ansatz zur Bildung eines Substauz-
bcgriffes".
1) Treat. 1,312, Anm.
2) Treat. I, 317.
3) Treat. II, 76, I, 317. So schon vor ihm Locke, Essay, B. I, Ch. I, § 2.
*) Treat. I, 385, (Ess. II, 125). — Interessant ist, dass er in der par-
allelen dreifachen Fragestellung nach dem Sitz der Wirksamkeit der
Ursache, mit andern Worten, der Kraft unbedenklich mit vollster Deut-
lichkeit entscheidet: „Die Wirksamkeit der Ursachen liegt weder in den
Ursachen selbst, noch in der Gottheit, noch im Zusammentreffen beider,
sondern gehört gänzlich der Seele an, die die konstante Vereinigung von
zwei oder mehr Objekten in allen früheren Beispielen betrachtet," Treat. 1, 460.
23
Ursache und Wirkung erlaubt uns ja keinen rechten Sehluss
von der Existenz oder Qualitäten unsrer Perzeptionen auf die
Existenz äusserer kontinuierlicher Objekte. ») Aber von jenen
drei Möglichkeiten, die Hume offen hält, ist die Hervorbringung
der Impressionen durch die schöpferische Kraft des Geistes
ausgeschlossen schon durch seine Fassung des Geistes, weniger
der Kraft; die Herkunft von dem Urheber unseres Daseins
ausgeschlossen durch seine religiöse Skepsis und wohl nur als
Registrierung des Lösungsversuchs im Occasionalismus und bei
Berkeley zu verstehen. Diirnach_ bliebe nur die drrtte Möglich-
keit, dass die Impressionen unmittelbar_y_oiQ Objekt, entstehen.
Und zum Erweis einer starken realistischen Unterströmung
seiner idealistischen Gedanken über Existenz dienen gelegent-
liche Äusserungen von äusseren Objekten, die „uns nur durch
die Perzeptionen bekannt werden, welche sie veranlassen"
(occasion),2) von äusseren Objekten, welche innere Impressionen
„veranlassen", „die zur selben Zeit erscheinen, wenn diese
Objekte sich den Sinnen entdecken"; von Objekten, welche
die Perzeptionen „verursachen" (cause)-'); von Objekten, Körpern,
welche unsere Sinne „affizieren" *); von Impressionen, welche
in der Seele „hervorgebracht" werden, (produce) ■^). Unter
Hinzunahme der früher berührten Momente wird man alle
diese Wendungen schwerlich mit Pfleiderer ß) als unvermeidliche
Rückfälle in die gewöhnliche Redeweise einschätzen.
Kann die Darstellung dessen, was Hume über die Gegen-
stände des belief uns sagt, nur seine eigenen Worte bestätigen,
er habe „Widersprüche und Schwierigkeiten in jeder Theorie
über äussere Objekte und der Vorstellung der Materie" ge-
funden,') so werden diese Schwierigkeiten in etwa sich auch
beim belief finden, der sich auf Tatsachen und Existenz bezieht.
') Treat. I, 503.
2) Treat. I, 371.
3) Treat. I, 461 ; 5n3.
*) Treat. I, 362y3, II, 11)4; cf. auch das frühere Citat, Treat. I, 36S, Anm.
^) Treat. I, 312, Anm.; cf. auch p. 376, wonach, wenn Objekte den
Sinnen gegenwärtig sind, streng genommen nur a mere passive admission
of the impressions thro' the organs of Sensation stattfindet.
«) a. a. 0., p. 229.
"^ Treat. I, 516.
u
Das Wesen dieses belief wird sieh deutlicher herausscliälen,
wenn man ihn nacheinander im Verhältnis zu den Schlüssen
und zum Urteil, zum Willen, zum Gefühl und zur Imagination
darstellt. * *
*
Belief und Schlüsse. Bellet* und Urteil.
Neben dem Zeugnis der Sinne und den Protokollen des
Gedächtnisses vergewissern uns Schlüsse von Tatsachen und
Existenz. Dieselben wurden als Kausalschlüsse näher bestimmt.
Anderwärts braucht Hume den Ausdruck judgment of causes
and effects.') Sind die erschlossenen Existenzen oder Tatsachen
Gegenstände des belief, so werden sich Beziehungen zwischen
ihm und dem Schluss- und Urteilsverfahren von selbst ergeben.
Das allgemeinste Wort für Schlüsse scheint bei Hume
reasoning oder auch conclusion zu sein, 2) inference dagegen
mehr auf den Spezialfall (im Kausalzusammenhang) zu gehen.
Koenig unterscheidet für Hume die „nicht logisch gebildeten
Folgerungen: inferences von den logischen: reasonings".") In
der Übersetzung von reasoning wird man häufig in der Schwebe
lassen müssen, ob es mit Schliessen oder Denken wiederzugeben
ist. 4) Brede gibt für den Treatise „logisches Denken". Im
Enquiry ist reasoning „der allgemeine Ausdruck für die Tätigkeit
des Verstandes, sei es, dass sich dieselbe auf das Vergleichen
von Ideen oder auf das Bilden von Tatsachenschlüssen er-
streckt." 5)
1) Cf. neben den früheren Citaten Tr. I, 404, 407 f.
2) Cf. Ess. II, 30: inference made by a cbain of reasoning, älinlicli
p. 119; p. 75: buman reasonings contain inferences und Treat. 1,396: tbis
inference is a true species of reasoning; I, 402: infer by reasonings. An-
dererseits findet sich inference or (and) conclusion I, 556, Ess. 11,31;
inference für concUision eintretend: Treat. I, 402, 436; inference or reaso-
ning, I, 37S; reasoning or conclusion Treat. I, 403, Ess. II, 33, miteinander
wechselnd II, 2b, 49 und dort gleich mit inference aufgenommen.
8) Koenig, a. a. 0. p. 223.
♦) Reasoning umfasst häufig den gesamten Denkprozess, cf reasoning
or process of thought (of the understanding), Treat. I, 549; Ess. II, 40, 48
(29, 37); philosopbical reasoning für das gesamte philosophische Denken,
Ess. II, 51; ähnlich reasoning and philosophy Treat. I, 375; just reasoner,
speculative reasoner, Ess. II, 132; Burton I, 405 und practicc and reasoning
Ess. II, 75, welche Formel das ganze Menschenleben umfassen soll.
■'■) Brede, a.a.O., p. 10, 34. — Die Annahme eines logischen Unter-
25
Sachlich ist für Hume's Kiiusalitätstheürie das Folgende
zu sagen. Wir schliessen von der Ursache auf die Wirkung;
ebenso tun' das Tiere.') Nun sind aber Ursache und Wirkung
„verschiedene Ereignisse", so verschieden und getrennt von
einander als any two things in nature.2) Für sich betrachtet
ist in einem Objekt nichts, was eine conelusion darüber hinaus
erlaubt. Die Vernunft kann nie dartun, dass die Existenz
eines Objektes die eines anderen einschliesst. '^j Für den Ver-
stand besteht, auch wepn er durch die Erfahrung konstanter
Vereinigung unterstützt wird, keine Einigung, keine „entdeck-
bare Verknüpfung" zwischen den Objekten.'*) Dann ist es
vergebliche Anmassung, Ursachen oder Wirkungen ohne Rück-
sicht auf den Bestand der Erfahrung erschliessen zu wollen
und es ergibt sich die schwerwiegende Grenzbestimmung: Wir
können keinen Schluss ziehen inbetreff eines Objektes über
unsre Erfahrung hinaus selbst bei der Beobachtung konstanter
Verknüpfung. 5)
Auch ist bei der Übertragung vergangener Erfahrung auf
die Zukunft, die bei jedem Kausalschluss vorhanden ist, kein
demonstrativ oder intuitiv gewisser Schluss vorhanden. Wir
können keinen vernünftigen Grund angeben, warum wir nach
1000 Experimenten „glauben", dass ein Stein fallen und Feuer
brennen wird. In jedem Erfahrungsschluss liegt etwas Irratio-
nales und „wird ein Schritt getan, der nicht durch Argumente
oder durch einen Gedankenprozess unterstützt wird." <>)
Fragen wir nach dem Verhältnis von belief und Schluss,
so ist zu sagen: Der belief ist kein Schluss, sondern wird dem
Schlüsse, dem Erschlossenen beigelegt.') Derselbe Ausdruck
schiedes zwischen reasoning und inference ist auch im Blick auf die
Motive des Hume'schen Pbilosophierens höchst unwahrscheinlich. Hume
ist nicht Kant.
') Treat. 1,471.
») Ess. 11,27; Treat. II, 186.
=•) Treat. I, 436, 402; Treat. U, 186; I, 397.
*) Treat. I, 392, 393, 403.
°) Ess. II, 27; Treat. I, 436. We cannot go beyond experience,
Treat. I, 308.
«) Ess. IL 31, 133, 36.
') Treat. I, 380. Der belief erscheint als etwas dem Schlüsse Nach-
folgendes und mit ihm Verbundenes ; ähnlich p. 402 : von einem gegen-
3*
26
repose belief iu any matter of fact wird zusammengestellt mit
dem Sehliessen von Ursachen und Wirkungen und davon unter-
schieden, i) Näher scheint an einem andern Orte „die Kon-
zeption, die wir belief nennen", mit dem Erschliessen des
„gewohnten Begleiters" zusammenzurücken."^) Und fast bis zur
Gleichsetzung wird der Schlusscharakter des belief betont in
dem Abschnitt über die Wahrscheinlichkeit von Ursachen. Bei
der Beobachtung der Art, wie wir Vergangenes auf Zukünftiges
tibertragen, lehrt uns die Erfahrung, dass der belief, der ein
Sehliessen begleitet (attending any reasoning), in einer einzigen
conclusion,'') nicht in einer Menge solcher besteht. Freilich
wird gleich darauf hervorgehoben, dass die Übertragung der
Vergangenheit auf die Zukunft reinweg auf eine conclusion
des Verstandes gegründet, niemals irgend welchen belief or
assurance veranlassen würde.^) Das mahnt, jenes Citat für
den Schlusscharakter des belief nicht zu sehr zu pressen.
Klarer lassen sich andere Bestimmungen geben. Nach der
früheren Darstellung verliert der Kausalschluss für Hume den
rationalen Charakter. Denn der Kausalzusammenhang ist kein
analytisch -rationaler. Streng genommen gehört der Kausal-
schluss weder dem Verstände, noch der Vernunft an.^) Wir
sehliessen „nicht determiniert" durch Vernunft oder Verstand.^)
Der Schluss entsteht , unmittelbar", ohne eine neue Operation
wärtigen Objekt eine conclusion ziehen und Ideen bilden, which I am said
to believe or to assent to.
1) Treat. I, 393.
^) Ess. II, 87. Das hier von den Tieren Gesagte gilt selbstverständ-
lich auch für die Menschen.
2) E. Köttgen, p. 19U: „dass der Glaube, den irgend ein Schluss er-
weckt (?), in einem Schlussurteil sich verwirklicht."
*) Treat. I, 435, 437. Man wird auch an Treat. I, .546 erinnern dürfen:
Es ist unmöglich, richtig und regelrecht von Ursachen und Wirkungen zu
sehliessen (reason) und zu gleicher Zeit an die Existenz der Materie zu
„glauben".
^) Eeason und understanding werden bei Hume abwechselnd ge-
braucht, Treat. I, 392 f.; Ess. II, 47 tauschen die „trügerischen Deduktionen
der Vernunft" mit den „mühsamen Deduktionen des Verstandes" ihren
Platz. Beider Gegensatz ist fancy und Imagination. Der fancy, nicht dem
Verstände, gehört die Einigung der Objekte im Kausalzusammenhang an,
Treat. I, p. 393.
«) Treat. I, 393, 397.
27
der Vernunft ans Gewohnheit, (oder) einem Prinzip der Asso-
ziation. Denn Gewohnheit nennen wir alles das, was aus
früherer Wiederholung ohne irgend ein neues reasoning or
conelusion hervorgeht.') Gewohnheit hängt nicht von Erwägungen
ab. Sie lässt nicht Zeit zur Reflexion.^) Durch die Gewohnheit
treibt das gegenwärtige Objekt unsre Einbildungskraft „un-
mittelbar", das gewöhnlich mit ihm verbundene Objekt zu
konzipieren. Kein anderes Prinzip als Gewohnheit erlaubt uns,
einen Schluss vom Erscheinen eines Objekts auf die Existenz
eines anderen zu ziehen. 3) Ohne sie müsste all unser Wissen
auf die enge Sphäre von Erinnerung und Sinneswahrnehmung
beschränkt bleiben. <)
Gerät der Kausalschluss mit Vernunft und Verstand in
Spannung und auf die Seite der Gewohnheit, so dürfte von
dem ihn begleitenden belief ein Gleiches gelten. Auch der
belief entsteht ohne eine neue Operation der Vernunft. Er
entstammt ..einzig-' der Gewohnheit. Der custom schreibt
Hume allen belief und alles reasoning zu.^) Gewohnheit allein
bewegt die Tiere, von jedem ihre Sinne berührenden Objekte
seinen gewohnten Begleiter zu erschliessen, und treibt ihre
Imagination von der Erscheinung des einen, das andere in der
besonderen Weise zu konzipieren, die wir mit belief bezeichnen.
Die Erklärung „jenes Aktes des Geistes, den wir belief nennen'',
aus dem Einfluss der Gewohnheit auf die Einbildungskraft
(Imagination) ist die einzige, welche allen Bedingungen genügt
und befriedigte^)
Durch die Trennung von Vernunft und Verstand gewinnt
der Kausalschluss einen mehr mechanischen Charakter. Er
0 Treat. I, 394, 397, 403.
«) Treat. I, 431, 404.
ä) Ess. II, 41 ; Treat. I, 403 f.
') Ess. II, 46.
5) Treat. I, 403, 413, 414. — Das Unzulängliche in der Zuriickfiihning
alles belief auf die Gewohnheit illustriert Hume selbst durch den Hinweis
auf ihre Wirkung bei Lügnern Treat. I, 387. Und weiter. Den gewohnten,
uns vertrauten Ideen der Dichter fehlt „Wahrheit und Realität". Sie
werden ganz anders empfunden als die „ewigen, festen Überzeugungen",
die sich auf memory und custom gründen, p. 419, 422. Zu vergleichen ist
auch die Bewirkung von belief durch die Gewöhnung in der Erziehung, p. 437.
«) Treat. I, 470 f; Ess. II, 87.
28
verliert Aktivität und Bewusstsein. Aus dem Denkakt wird
ein psychologischer (Assoziations-) ProzessJ) An seine Stelle
tritt das Hinübergleiten (pass) von der Impression zur Idee
oder zum belief eines anderen. Oder der Schluss tritt an die
Stelle des leichten, gewohnheitsmässigen Überganges (customary
transition) von dem Erscheinen des einen Objekts zum belief
des anderen. Abhängig ist derselbe nicht von der Vernunft
sondern ganz und gar (altogether) von Gewohnheit und Er-
fahrung, deren unmittelbare Wirkung die ist, unsere Ideen zu
assoziieren.^)
Der gewohnheitsmässige Übergang ist nicht der belief.
Der belief entsteht aus dem Übergang. 3) Neben dem gewohn-
heitsmässigen Übergang ist eine gegenwärtige Impression zur
Produktion des belief absolut notwendig. Bei einem solchen
Übergang zwischen Ideen, wo ein der Erinnerung oder den
Sinnen Gegenwärtiges fehlt, würde in Wirklichkeit no belief
nor persuasion vorhanden sein. ^) Belief an Tatsachen oder
reale Existenz stammt ausschliesslich von einem Gedächtnis
oder Sinnen gegenwärtigen Objekt und einer gewohnheits-
mässigen Verknüpfung zwischen diesem und einem anderen
Objekt. 5)
Damit hängt eine andere Einschränkung zusammen. Belief
entsteht aus Gewohnheit. Aber mangelt die Ähnlichkeit, wie
das bei dem von den Theologen eingeschärften künftigen
Leben der Fall ist — dieses hat mit dem jetzigen keine
Ähnlichkeit, — so entsteht kein belief, sondern jene stumpfe
Gleichgiltigkeit, die wir bei der grossen Menge der Zukunft
gegenüber bemerken.^)
Endlich ist aus der Wahrseheinlichkeitslehre im engeren
Sinne noch anzumerken: Einander entgegengesetzte Ereignisse
der Vergangenheit zersplittern die Gewohnheit, schaffen Ge-
wohnheiten mit niederen Graden von Stetigkeit und Gleich-
1) Pfleiderer, a.a.O., p. 182, cf. Brede, a.a.O., p. 23: „Alles Denken
und Schllessen wird ihm Passivität des Geistes".
2) Treat. I, 397; Ess. II, 75, 46; Treat. I, 404, 431, 411.
3) Treat. 1,439; Ess. II, 45 f.
^) Treat. 1,403; Ess. II, 43.
5) Ess. II, 40.
«) Treat. I, 413.
29
förmigkeit und bewirkeu an imperfeet habit and transition
von der gegenwärtigen Impression zu der in Relation stehenden
Idee. Daraus ergibt sich jener ..zögernde", „unvollkommene"
belief. Unusual und ineredible fordern sieh gegenseitig.«) —
In dem gewohnheitsmässigen Übergang von einem gegen-
wärtigen Objekt zur Idee eines anderen besteht unsere ganze
Geistestätigkeit bei allen Schlüssen über Tatsachen und Exis-
tenz.-) Die ..Tendenz oder Neigung" dazu rührt von der
Gewohnheit her, dem vielleicht letzten, nicht weiter erklär-
baren Prinzip, das wir allen unseren .Schlüssen aus Erfahrung
anweisen können.^) Custom or a certain instinct unsrer Natur
allein leitet uns im Kausalschluss. Alle Erfahrungsschlüsse
(experiraental reasonings) sind nichts als eine Art Instinkt
oder mechanischer Kraft, die uns unbekannt in uns wirkt.^)
Parallel damit geht Humes Anschauung, dass bei gewohnheits-
mässiger Vereinigung zweier Objekte und der Gegenwart des
einen der auf das andere sich richtende belief das notwendige
Ergebnis der Gesamtlage unseres Geistes ist, eine unvermeid-
liche Operation der Seele, eine Art natürlichen Instinktes'')
und unabhängig von jedem Gedankenprozess und jedem
Schliessen. Diese können ihn so wenig hervorrufen als ver-
hindern.6)
') Treat. I, 43U, 431, 433; Ess. U, 95.
2) Ess. II, 46.
») Ess. n, 137.
*) Ess. II, 131, 88; cf. Treat. II, 38.5: Unsere vulgär methods ot
reasoning sind selbst im gewöhnlichen Leben unerklärbar. In ihrer An-
wendung werden wir entirely guided by a kind of instinct or necessity.
5) Zu natural instinct Ess. II, 40, 124. ist zu vergleichen natural
tendency Treat. II, 3.5b, ferner das naturally iutruduce der Ideen durcli
die Impressionen, Treat. I, 31!), 322, 393; auch natural foUow und natural
transition, Treat. II, 82, 1,443. Merkmale dieses ^Natürlichen- sind das
Ursprüngliche, die Unabhängigkeit vom Denken, von der Reflexion, das
Leichte, Gewohnte, Notwendige, Unvermeidliche, Konstante, Stetige,
Treat. U, 76, 258; Ess. II, 84, .^O'J; Treat. I, 501; 305; 546; 500; Treat. II, 79
6) Ess. 11,40; cf. Treat. 1,475. — Die Ausnahmen, dass Reflexion
den belief zu zerstijren vermag, treffen nur den „nachgemachten", „un-
echten" belief des Dichters, Treat. I, 422, und di-n anderen Fafl, wo die
unmittelbare Gegenwart eines Übels (der Mann am Rande des Abgrundes)
die Einbildungskraft stark beeinflusst und „eine Art belief" hervorruft,
der danu aber zufolge der entgegengesetzten Reflexion auf die eigene
30
Verwandt damit ist die Äusserung: Bei der Wahrschein-
lichkeit erzeugt das ZusammentreflFen mehrerer „Aussichten"
„unmittelbar durch eine unentwirrbare Veranstaltung der Natur
das sentiment of belief.')
Belief und Urteil.
Was über belief und Schlüsse zu sagen war, findet seine
Parallele, wenn man Hume's Äusserungen über das Urteil
(judgment) zusammenstellt. Beide gehören eng zusammen.
Wie wir durch die Kausalschlüsse über das unmittelbar Gegen-
wärtige hinauskommen, so führt uns das Urteil darüber hinaus
in das zweite System der „Realitäten ".2) Wo er sonst von
Schlüssen über Ursachen und Wirkungen sprach, setzt Hume
mitunter judgments concerning cause and etfect. 3) Auch
lassen sich beide Tätigkeiten des Verstandes, reasoning wie
judgment, auf das conceive zurückführen. Sie sind nichts als
besondere Weisen, unsere Objekte zu konzipieren, ohne einen
bemerkenswerten Unterschied voneinander.^)
Untersuchen wir das Verhältnis von belief und judgment,
so ergibt sich, dass dasselbe unverkennbar enger ist als das
Sicherheit „unmittelbar zurückgezogen" wird, Ess. II, 141 f. Man sieht,
Hume selbst findet hier nicht das, was er gewöhnlich mit belief bezeichnet.
Dasselbe gilt von der Stelle Treat. I, 413 f., wo er von seiner verstandes-
kühlen Auffassung des religiösen Lebens aus, den „Glauben" an die
Unsterblichkeit der Seele, soweit er noch vorhanden ist, auf kühle Reflexion
über die Wichtigkeit des Gegenstandes und auf durch wiederholtes Nach-
denken erfolgte Einprägung der dafür angeführten Argumente zurückführt.
Ebenso ist die andere Ausnahme nur scheinbar, wenn in einigen
Fällen bei einem genau beobachteten Beispiel anscheinend die Reflexion
den belief an eine Ursache oder Wirkung hervorruft. Da ruht im Hinter-
grunde versteckt der Satz, dass gleiche Objekte bei gleichen Umständen
gleiche Wirkungen hervorbringen. Dieser Grundsatz beruht nicht auf
Reflexion, sondern auf Gewohnheit, auf einer Fülle von Beispielen aus
früherer Erfahrung, Treat. I, 405. — Nicht ganz ausgeglichen ist damit
seine Aussage, dass die Gedankenanstrengung bei eindringendem Denken,
namentlich bei abstraktem Denken, die Wirksamkeit unserer sentiments
stört, von welcher der belief abhängt, Treat. I, 476 f., 44S.
1) Ess. II, 48.
=*) Treat. I, 408; cf. 448 reasoning and judgment.
3) Treat. I, 404, 407, 443; ähnlich II, 88, 194 f.
*) Treat. I, 396, Anm.
31
zwischen belief und Sehlnss. Der helicf entstammt unsern
Urteilen und ist in diesem Falle dem belief gleich, der unsere
Erinnerung' (unser Gedächtnis) begleitet.i) Belief, und offenbar
der das Urteil begleitende belief, ist das, was die ideas of
judgement von den Fiktionen der Einbildungskraft unterscheidet,
welche ihrerseits für sich allein niemals belief erreichen
können.2) Scheinbar entgegengesetzt klingt die Aussage, dass,
wo wir „glauben", unser Urteilsvermögen „Zustimmung gibt",
(to give assent).-^) Auch. das blosse assent, das Hume häufig
synonym allein oder in Gemeinschaft mit believe gebraucht,
lässt sich als eine Form des Urteils, eben als zustimmendes
Urteil fassen.^)
Ein Beeinflussen des Urteils und Hervorbringen von belief
Igehen nebeneinander her.^) Anderwärts wird von produce a
belief and a judgment of causes and effects in einem Atem-
zuge gesprochen. Erfahrung und Gewohnheit können beides
bei vertraut gewordenen Gegenständen produzieren, ohne dass
Reflexion oder ein Denkvorgang dazwischen tritt. Bei den
allgemeinsten Erfahrungen erfolgt der „Übergang" sofort.^)
Gewohnheit (custom) ist auch die Grundlage alles Urteilens.
So wenig wie es Schlüsse apriori über Ursache und Wirkung
gibt, so wenig gibt es entsprechende Urteile a priori. Alle
Urteile über Ursachen und Wirkungen sind von der Erfahrung
abhängig.')
1) Treat. I, 449; II, SS.
2) Ess. U, 42; Treat. 1,398.
3) Treat. 1,419.
•■') Cf. belief or assent, Treat. I, 3S7, 4o2, 426; Ess. 11,47; to believe
or to assent to, Treat. I, 402, 439; to believe wechselnd mit assent, dis-
believe mit not assent oder dissent, Treat. I, 395, 396. Anders Treat. I, 394 :
the belief or the qualities of those ideas we assent to; cf. an idea assented
to, Treat. I,39S; the conception assented to, a coneeption as commands
our assent, Ess. II, 41.
^) Treat. I, 421, 425 f.; I, 425 stellt zusammen judgment and opinion,
I, 44S opinion or judgment. Damit ist zu vergleichen belief and opinion
Treat. I, 475, II, 3S2; Ess. II, 48; opinion and belief, Ess. II, 206; belief or
opinion Treat. I, 49S; Ess. II, 47 (gleich darauf belief or assent), 94; opinion
or belief, Treat. I, 394, 396 (in der „Definition" [!J ), 397, 405. E. Köttgen
übersetzt opinion wechselnd mit „Fürwahrhalten", , Meinung" oder
„Glauben".
«) Treat. I, 404.
') Treat. I, 446, 404, 443.
32
Das enge Verhältnis von belief und Urteil zeigt sieh auch
in der Behauptung, eine kräftige Idee der Einbildungskraft
kann durch ihre Lebendigkeit trügerische Wirkungen auf belief
and judgment ausüben, i) Bei widersprechender früherer Er-
fahrung entsteht der belief mit dem Fixieren des Urteils.^)
Dieselbe enge Zusammengehörigkeit würde die schon im ersten
Hauptteil angezogene Stelle beweisen, in der our tirst judg-
ment or belief von first evidence abgelöst, mit first belief
wieder aufgenommen wird. Bei skeptischer Betrachtung des
Urteilsvermögens ist äusserste Zerstörung alles belief und aller
opinion, sowie gänzliche Urteilsenthaltung die unausbleibliche
Folge. 3) Zerstörung des belief und Suspension des Urteils
fallen also zusammen.
Nun aber hat uns die Natur mit absoluter, unwiderlegbarer
Notwendigkeit determiniert, zu urteilen, wie sie uns zwingt,
zu atmen und zu empfinden. Gewisse Objekte in stärkerem,
vollerem Lichte zu sehen auf Grund gewohnheitsmässiger Ver-
knüpfung mit einer gegenwärtigen Impression, — darin besteht
Hume's Kausalurteil — , können wir so wenig verhindern als
unser Denken, wenn wir wach sind, oder die Gesichts wahr-
wahrnehmung der uns umgebenden Körper im vollen Sonnen-
schein. Das Urteilsvermögen ist uns von der Natur eingepflanzt
und „unvermeidlich gemacht".*) Damit sind die Kennzeichen
da. die ihn bei den Kausalschlüssen von Instinkt reden Hessen.
Belief und Instinkt.
Die Tätigkeit des Geistes, durch die wir gleiche Wirkungen
von gleichen Ursachen erschliessen und umgekehrt, ist für die
Menschen so wesentlich und notwendig, dass die weise Natur
sie nicht den trügerischen Deduktionen unserer Vernunft und
nicht unsern unsicheren Schlüssen und Forschungen anvertraut,
sondern sie durch einen „Instinkt oder eine mechanische Ten-
denz" gesichert hat, welcher Instinkt in seinen Handlungen
untrüglich, beim ersten Erscheinen des Lebens und Denkens
1) Treat. I, 387.
2) Ess. II, 90.
3) Treat. I, 472, 474, 475.
*) Treat. 1,474 f.
33
auftritt lind von allen mnhovolleu Deduktionen des Verstandes
unabhängig istJ) Hume's Interesse am Instinkt ist also das
Merkmal des Untrüglichen und vom Denken Unabhängigen.
Dem philosophischen Skeptiker fehlt die Zuversicht zu einem
fehllosen, bewusst persönlichen Denken und Handeln. Er sieht
sich in dem schmerzlieh empfundenen Zwiespalt: Wirkt der
Verstand allein, so zerstört er sich selbst völlig und lässt nicht
den niedrigsten Grad von Evidenz an Sätzen der Philosophie
und des gewöhnlichen Lebens. Die Philosophie unterminiert
alle Schlüsse des gewöhnlichen Lebens und, zerstört mit ihren
Zweifeln alle Handlung und alle Spekulation.^) Aber die
Natur räumt nicht das Feld. Hartnäckig macht sie sich geltend
im Moment, wo die Spannung der Gedanken nachlässt. Sie
zieht uns zurück zu unseren früheren Anschauungen. Ja, bis-
weilen hemmt sie mitten in den tiefsten Reflexionen den Ge-
dankenlauf und verwehrt es uns, mit allen Konsequenzen einer
philosophischen Anschauung durchzugehen.^) Die Natur, die
hier dem Verstände, dem Gedankenprozess, dem Schliessen,
der Reflexion gegenübergestellt wird, wahrt ihre Rechte durch
vom Verstände geschiedene Prinzipien, die stärker sind.^) Da-
durch wird sie zuletzt die Oberhand behalten über alles ab-
strakte Schliessen. Aber nichts als die starke Kraft natür-
licher Instinkte vermag uns von der Gewalt des pyrrhonischen
Zweifels zu befreien. Alles Reden und Handeln würde un-
mittelbar aufhören und die Menschen in völliger Lethargie
verharren, wenn nicht die ungestillten Nöte der Natur der
elenden Existenz des pyrrhonischen Skeptikers ein Ende
machten. Die „natürliche Neigung" bringt den skeptischen
Philosophen zum ,.Glauben" an die allgemeinen Maximen der
Welt zurück.^) Nunmehr ist dies die Lage: Natur bricht die
Kraft aller skeptischen Argumente zur rechten Zeit und ver-
hütet, dass sie irgend welchen beträchtlichen Einfluss auf den
Verstand haben. ß)
») Ess. II, 47.
2) Treat. I, 547; Ess. II, 36.
3) Treat. I, 501 f.
*) Ess. U, 36, 130.
') Ess. II, 131, 133; Treat. I, 549.
«) Treat. I, 478. — Die voranfgehende Darstellung des Instinkt-
charakters des Kausalschlusses und die Gegenüberstellung von Vernunft,
34
Der helief kommt mit alledem auf die Seite der „Natur"
zu stehen. Seine Beziehungen zu dieser und zum Instinkt
machen es für Hume möglich, dass belief und Skepsis, deren
Gegnerschaft gegenüber dem belief bereits wiederholt gestreift
wurde, nebeneinander bestehen.
Belief und Skepsis.
Der skeptische Zweifel in Bezug auf Vernunft und Sinne
ist eine unheilbare Krankheit. Er entsteht ganz natürlich
(naturally) aus tiefer, intensiver Reflexion. Das Ergebnis alles
Philosophierens ist die Beobachtung der menschlichen Blind-
heit und Schwäche. Sie begegnet uns allenthalben trotz aller
Anstrengungen, ihr zu entgehen. Die skeptischen Prinzipien
sind schwer, wenn nicht unmöglich, zu widerlegen.^) Aber
der Skeptiker, der beim Einblick in die mannigfachen Wider-
sprüche und Unvollkommenheiten der menschlichen Vernunft
bereit ist, allen belief und alles reasoning zu verwerfen und
alles für gleich wahrscheinlich anzusehen, weil die skeptischen
Prinzipien gegen den Vernuuftgebrauch, konsequent angewandt,
schliesslich all belief and opinion aufs äusserste zerstören und
auslöschen müssten; der Skeptiker, der angesichts des wirren
Durcheinanders grundloser und aussergewöhnlicher Meinungen
über äussere Existenz zu der Frage kommt: Wie können wir
vor uns selbst irgend welchen belief rechtfertigen, den wir in
sie setzen,2) unterliegt trotz aller logisch unlösbaren Schwierig-
keiten der absoluten Notwendigkeit zu denken, zu „glauben",
zu schliessen, ja, mit Sicherheit zuzustimmen, sodass er von
Verstand und Instinkt kann missverstanden werden. Für Hume's Gesamt-
auffassung ist hinzuzuuehmcn, dass ihm anderwärts auch die Vernunft zum
Instinkt wird. Richtig besehen ist Vernunft nichts als ein Avanderbarer,
nicht weiter verständlicher Instinkt unserer Seele, Treat. I, 47J. Es be-
steht kaum ein Zweifel, dass das Hume's eigentliche Meinung ist und er
sich an den übrigen Stellen nur des besseren leichteren Verständnisses
wegen der gewohnten Redeweise anschliesst. Rätselvoll bleibt dann
allerdings die Entstehung der Skepsis und ihre Überwindung bezw.
Lähmung durch „die starke Kraft natürlicher Instinkte".
1) Treat. I, 505, 547; Ess. II, 27, 130.
2) Treat. I, 547; 11, 382; I, 474 f., 504.
35
seinem Gegner, dem Dogmatisteu ') liöebsteus graduell, wenn
überhaupt unterschieden ist.^) Erfahrung überführt jeden zur
Gentige, djtss er, auch wenn er keinen Fehler in den Argu-
menten des Skeptikers finden kann, doch fortfährt, in gewohnter
Weise, zu „glauben", zu denken und zu schliessen. Der
Skeptiker fährt fort, zu schliessen und zu glauben (reason and
belieye), obwohl er seine reason nicht durch reason verteidigen
kann. So muss er der Existenz von Körpern zustimmen
(assent synonym von believe), obwohl er ihre Wahrheit durch
kein philosophisches Argument verteidigen kann. 3) Denn es
ist unmöglich, die völlige Skepsis aufrecht zu erhalten oder sie
in seiner Lebenshaltung auch nur wenige Stunden lang er-
scheinen zu lassen. Die Dinge des täglichen Lebens sind die
grossen Zerstörer der übertriebenen Skepsis. 4)
^) Der Dogmatist ist der Antipode des Skeptikers. Ihr Streit wird
hier nur ein Streit um Worte genannt, der allenfalls die Grade von Zweifel
und Gewissheit betrifft. Es enthüllt Hume's Vorstellnng von den letzten
unser geistiges Leben beherrschenden Mächten, wenn er ebendort den
Unterschied zwischen Dogmatiker und Skeptiker für beide Teile auf
„Gewohnheit, Laune oder Neigung" zurückführt, Treat. 11, 459, Anm.
Schärfer und andersartig klingen dagegen Aussagen, die zugleich den
Begriflf des „Dogmatischen" für Hume feststellen helfen. Ess. II, 12 wird
dogmatisch zusammengenaunt mit rasch, überstürzt und „kühner" Philo-
sophie, die einfach Behauptungen aufstellt. Die „dogmatischen Denker"
sehen ihre Objekte einseitig und stürzen sich blind in die Prinzipien, denen
sie geneigt sind, töricht eingenommen von sich selbst, hochmütig, an-
massend, unbescheiden und ohne Nachsicht für entgegenstehende Ansichten.
Ungeduldige Hast, Leidenschaftlichkeit, energische Behauptungen und
Hartnäckigkeit kennzeichnen ihren belief. — Unbedenklich braucht Hume
auch hier seinen Terminus. — Sie merken nichts von den Schwächen des
menschlichen Verstandes, Ess. II, 132; Treat. II, 467. Drum ist die un-
wissende Menge immer dogmatisch, und der Philosoph verlacht sie mit
ihrem Geschrei, Ess. I, 475. Denn nichts kann unphilosophischer sein, als
in einem Punkte „positiv oder dogmatisch" zu sein. Selbst übertriebener
Skeptizismus würde alles richtige Denken und Forschen nicht so stören.
Jene anmassende Sicherheit ist Irrtum, denn sie ist von der Leidenschaft
eingegeben, unüberlegt und führt zu den gröbsten Abgeschmacktheiten,
Ess. II, 253.
Dem „dogmatischen" Denken dürfte auch der implicit faith mit seiner
Begleiterscheinung, der security angehören. Er ist Gift für alles Denken
und freie Forschen, Ess. II, 23 f.
*) Treat. U, 459, Anm.
ä) Treat. I, 475, 478, 545.
♦) Treat. n, 382; Ess. H, 130.
36
Das kenuzeiclinet die beklagenswerte, „wunderliche *) Lage
des Mensehengesehlecbts". Sein tiefes Denken führt den pyr-
rhonischen Skeptiker in Verwirrung, Zweifel und Skrupel hin-
ein. Das erste beste Ereignis des Lebens bringt ihn heraus
und weckt ihn wie aus einem Traum und zeigt ihm die
„wunderliche Lage", in der die Menschen sich befinden: Sie
müssen handeln, schliessen, „glauben", obwohl sie auch durch
die sorgfältigsten Untersuchungen nicht imstande sind, sich
selbst über die Grundlagen dieser Tätigkeiten Befriedigung zu
verschaffen oder die dagegen erhobenen Einwände zu be-
seitigen. Für unsre allgemeinsten und feinsten Prinzipien
haben wir keinen vernünftigen Grund ausser der Erfahrung
von ihrer Realität.^)
Aus der tiefen Empfindung des inneren Zwiespaltes heraus
entsteht die Stimmung am Schluss des Treatise. Narren sind
diejenigen sicherlich, welche schliessen (denken) und „glauben"
(reason and believe); aber sie müssen es sein. Das Einzige,
was man tun kann, ist, seine Narrheiten möglichst natürlich
und angenehm sein zu lassen.'^) Und wenn die Anforderungen
des Lebens: Mittagessen, Freunde, Unterhaltung, Spiel und
überhaupt jedes Verlassen des Studierzimmers dem Skeptiker
zeigen, dass er nicht ausschliesslich rational bestimmt ist, dass
er absolut und notwendig determiniert ist, so zu reden und zu
handeln wie Andere, und seine Skepsis in ihren Wirkungen
aufheben; wenn natürliche Neigung und der Lauf der Lebens-
geister und der Affekte ihn zu diesem sorglosen, nachlässigem
(indolent) belief an die allgemein in der Welt herrschenden
Grundsätze zurückbringen,^) so bleibt doch etwas von schmerz-
lichem s) Verzicht, von müder Stimmung, von gebrochener
Stellung dem Philosophen zurück, der zeitweise geneigt war,
1) Cf. den Ausdruck: die „seltsamen Schwächen des menschlichen
Verstandes^ Ess. II, 132.
2) Ess. II, 131 f.; Treat. I, 3ü9.
3) Treat. I, 549. Nach dem Folgenden meint er die Philosophie im
Gegensatz zum (religiösen) Aberglauben, der mit seinen kühnen Hypothesen
über die sichtbare Welt hinausgeht und eine eigene Welt mit völlig neuen
Szenerien, Wesen und Gegenständen eröffnet, p. 550.
*) Treat. 1,548 f.; 11,384.
5) Cf. die dramatisch bewegte Schilderung im Schlussabschnitt des
Treatise, Vol. I, Part. IV, sect. 7.
hl
alle seine Büeher und Papiere ins Feuer zu werfen. Er hat
keinen Ausgleich gefunden. Natur und Vernunft stehen als
unversöhnte Feinde einander gegenüber.') Vernunft kann die
Wolken nicht zerstreuen. Natur tut's und heilt mich von der
„philosophischen Melancholie" und dem „Delirium" dadurch,
dass sie die Spannung des Geistes löst, oder durch eine Ab-
haltung, oder eine lebendige Impression der Sinne, die mich
alle „Chimären" vergessen lässt. Aber radikal kann der
skeptische Zweifel nie geheilt werden. Sorglosigkeit und Un-
aufmerksamkeit (Nicht-achten) allein können vorübergehend
helfen.2)
Mehr oder weniger tritt an all diesen Stellen das believe
als notwendige, auf ein eindringendes Verständnis verzichtende
und darum bequeme Ergänzung, als naturhafter Ersatz für die
Lücken des Mühe und Leiden verursachenden Denkens ein, 3)
Durch den Ausschluss der Vernunft vom Instinkt wird derselbe
und damit auch der darauf ruhende belief zur „Voreingenom-
menheit", zu einer blossen Annahme, zu etwas Blindem, zu
einer Meinung, die die leichteste Philosophie zerstört. Das
gilt z. B. von dem instinktiven „ Glauben " an die Wahrheit
der Sinneswahrnehmung, speziell bezüglich der äusseren von
uns unabhängigen Welt. Der belief erscheint dort freilich
mehr als eine Folge des Instinktes, als etwas von ihm Ver-
anlasstes, denn selbst als Instinkt.^)
1) Cf. das Motto aus Pascal, das Jakobi seinem „David Hume über
den Glauben oder Idealismus und Eealismus" vorsetzt: „La nature confond
les Pyrrhoniens et la raison confond les Dogmatistes."
2) Treat. II, 382; I, 502, 54S, 505. — Nur in Worten kann der extreme
Skeptiker seine Leugnuug kontinuierlicher Existenz aufrecht erhalten und
sich selbst doch nicht dazu bringen, sie fest zu „glauben", Treat. I, 5ul.
ä) Ausdrücklich Treat. I, 549 f. : If we believe, that fire warms, er
water refreshes, 'tis only because it costs us too much pains to think
otherwise.
^)Ess. II, 124 . . . men are carried by a natural instinct or pre-
possession to repose faith in their senses and . . . without any reasoning or
even almost before the use of reason we always suppose an external
universe . . . this belief of external objects . . . this blind and powerful
instinct of nature . . . this universal and primary opinion; cf. auch p. 126.
38
Belief uud Wille.
Nach allem Vorangegangenen kann es nicht Wunder
nehmen, wenn der Wille vom belief ausgeschloBsen wird.
Herkömmlich wird dem Willen die Fähigkeit der Wahl
zugeschrieben. Choice or will stellt auch Hume zusammen.')
Doch hat „Natur" es nicht der Wahl des Skeptikers über-
lassen, zu „glauben" und speziell der Existenz von Körpern
zuzustimmen."^) Mit der Wahl hängt die Willkür zusammen.
Gänzlich willkürlich (arbitrary) wäre der Fortgang von einer
gegebenen Ursache zu einer Wirkung, wenn Beobachtung und
Erfahrung nicht um Rat gefragt werden. Denn ein analytisch-
rationaler Zusammenhang besteht nicht. Ursache und Wirkung
sind verschiedene Ereignisse. 3)
Mit der Willkür wäre auch die Zufälligkeit gesetzt;
arhitrary und casual gehören zusammen."*) Geben wir beim
Erscheinen einer Impression arbitrarily and from our mere
good will and pleasure einem erdichteten Objekt eine Beziehung
zu ihr, so kann das nur geringen Einfluss auf unsern Geist
haben. Es liegt dann auch kein vernünftiger Grund vor,
warum wir bei der Wiederkehr jener Impression determiniert
sein sollten, dasselbe Objekt in dieselbe Relation zu ihr zu
setzen. Die Notwendigkeit fehlt. Nichts als reine Laune
könnte den Geist dazu bestimmen und dies „fliessende, unsichre
Prinzip" kann unmöglich mit beträchtlicher Stärke und Konstanz
wirken.5) Wer voluntarily eine Idee in seinem Geiste wieder-
holt, wird, auch unterstützt durch frühere Erfahrung, nicht
mehr geneigt sein, die Existenz ihres Objektes zu „glauben",
als wenn er sich mit einer Überschau begnügt hätte. Die
Absicht (design) wirkt störend. Wenn Gewöhnung und Er-
ziehung durch solche Wiederholungen doch belief hervorbringen,
der nicht aus Erfahrung stammt, so bedarf es dazu eines
langen Zeitraums und absichtsloser (undesigned) Wiederholung.
Sonst kommt neben der Einwirkung der Absicht auch das
1) Treat. II, 243.
2) Treat. I, 478.
3) Es8. II, 2« f.
4) Ess. II, 36.
») Treat. I, 409.
39
noch hinzu: Jeder Akt des Geistes erfolgt hier besonders und
hat deswegen eine gesonderte Wirkung. Er eint sieh nicht
mit den andern. Da kein gemeinsames sie einigendes Objekt
vorhanden ist, fehlt die Relation zwischen ihnen, fehlt Kraft
und Lebendigkeit.')
Im Willen wird weiter herkömmlieh eine Kraft, ein llerr-
seiu, ein Gebieten -können gesehen. Nun lehrt die tägliche
Erfahrung, dass der Menschengeist nicht „glauben" kann, was
ihm beliebt. In unserer 'Vorstellung können wir dem Rumpf
eines Pferdes den Kopf eines Menschen anfügen; aber es steht
nicht in unserer Macht, zu „glauben", dass ein solches Lebe-
wesen jemals existiert hat.-j Daraus folgt, dass der belief
nicht in einer besonderen Idee besteht, denn über diese hat
der Geist oder der Wille Autorität und Befehl, sie nach seinem
Belieben zu trennen, zu mischen, zu einigen, zu variieren, kurz
sie ganz nach seinem Willen (voluntarily) mit jeder Fiktion
zu verknüpfen. Der belief besteht auch nicht in einer Kon-
zeption, denn konzipieren können wir von jedem „Geglaubten"
immer das Gegenteil. Der belief besteht vielmehr in einem
gewissen feeling or sentiment, das mit dem „Geglaubten" ver-
knüpft ist, das aber vom Willen nicht abhängt und drum auch
nicht nach Belieben kommandiert werden kann. Aus be-
stimmten Ursachen und Prinzipien, über die wir nicht Herr
sind, muss er entstehen.^) Die „geglaubte" Konzeption verlangt
gebieterisch unsere Zustimmung (commands our assent).') Darin
steht ihr Unterschied von der Fiktion, die der Einbildungs-
kraft zugehört. Das Unterscheidende ist immer nur das Gefühl,
das im Unterschied von der Konzeption, die wir verwerfen,
diejenige begleitet, der wir zustimmen. Und dies „Gefühl"
muss von der Natur — hier der Gegensatz zum bewusst- per-
sönlichen Willen — erregt sein wie alle anderen sentiments.^)
Denn der Wille schafft niemals neue seutiments. Wir können
natürlicherweise unsere eigenen „Gefühle" so wenig ändern,
1) Treat. I, 437 f.
2) Ess. 11,41; Treat. I, 555.
3) Ess. II, 14, 41, 40, Treat. I, 555.
*) Ess. II, 41. — Derselbe Ausdruck iu auderein Zusammeuhaug
Treat. I, 412; 357; cf. command my belief and opinion Ess. II, 94.
s) Ess. 11,42, 41.
4
4Ö
als die Bewegungen des Himmels und durch einen Akt unsres
Willens keine Handlung angenehm oder unangenehm machen.')
Unsere gesamten Gefühlsinhalte sind unfreiwillig wie die Im-
pressionen der Figur, der Farbe, der Grösse und der Aus-
dehnung. Und unfreivA'illig heisst in diesem Fall wie auch
sonst: notwendig.2)
Das Treibende für die Loslösung des belief vom Willen
dürfte der Ausschluss der Willkür und die Behauptung der
Notwendigkeit sein.^) Wir sind „determiniert", bei der er-
0 Treat. II, 285 f.
^) Treat. I, 484; involuntary aud iiecessary, II, 363.
•^) Offenbar folgt Hiime iu all diesen Äusserungen über den Willen
der populären Redeweise. Bei seiner eigenen Fassung des Willens hätte
er gar nicht nötig, den belief davon zu lösen. Der Wille ist nichts als
eine Impression, der wir uns bewusst sind, wenn wir wissentlich eine
neue Bewegung unsres Körpers oder eine neue Perzeption iinsres Geistes
entstehen lassen, unmöglich zu definieren imd unnötig weiter zu beschreiben,
Treat. II, 181. Wirkt ein Willensakt auf eine Gliederbewegung — nichts
ist unerklärbarer als das, I, 455 — , so haben wir immer nur die Auf-
einanderfolge in der Ausführung, nie das Wie und nie die Kraft. Diese
ist mysteriös und unerkennbar, Ess. II, 54 f.
Die Annahme eines freien Willens ist ihm scholastische Lehre, Treat.
II, 107, und ein „fantastisches System", Absurdität, p. 18G. Es gibt keinen
freien Willen in unsern Handlungen. Es ist keine rechte Konsequenz, zu
behaupten, was freiwillig ist, ist auch frei. Unsere Handlungen sind frei-
williger als unsere Urteile; aber iu jenen haben wir nicht mehr Freiheit
als in diesen, Treat. II, 364. Wenn nichts mehr in ständigem Fluss, nichts
unbeständiger zu sein scheint als bei vielen Anlässen der menschliche
Wille, II, 107; wenn nichts launenhafter, uuregelmässiger und unsicherer
zu sein scheint als menschliches Verhalten und Wünschen, das in kürzester
Frist von einem Extrem ins andere gerät, II, 184, so rechnet doch jeder-
mann iu seinem Verkehr mit anderen Menschen damit, dass die Handlungen
des Willens aus Notwendigkeit entstehen, II, 186. Die unregelmässigen
Handlungen deuten wie die Parallelerscheinungen im natürlichen Geschehen
auf verborgene Ursachen, nicht auf Ursachlosigkeit, Ess. II, 70 f. Genauere
Kenntnis des Charakters einer Person macht unregelmässige Handlungen
und Willensäusserungeu derselben erklärbar, II, 72. Mit dem Zugeständnis
konstanter, regelmässiger Verknüpfungen im menschlichen Leben und
Handeln und der Tatsache, dass der Mensch gewohnheitsmässig Schlüsse
zieht für die künftigen Handlungen, ist die Anerkennung der Notwendigkeit
gegeben, Ess. 11, 67 f. Mehr wissen wir auch von der Notwendigkeit in
der körperlichen Natur nicht. Sprechen wir von Zufall, so liegt derselbe
nicht in den Dingen, die in jedem Fall gleich notwendig sind, sondern
ausschliesslich in unserm Urteü, das auf Grund unvollkommener Kenntnis
41
fahriingsmässigen Verknüpfung von Ursaclie und Wirkung „ulinc
Wahl oder Zögern" von der Impression oder Idee eines Ob-
jektes zu der Idee oder dem belief des anderen überzugehen,
determiniert nicht durch Vernunft, sondern durch die Prinzipien
der Ähnlichkeit, Kontiguität und Ursächlichkeit, welche die
Ideen dieser Objekte assoziieren und sie in der Einbildungs-
kraft vereinigen, determiniert durch Gewohnheit.') Darum
spricht er von einer habitual determination des Geistes. Ge-
wohnheit determiniert uns, die Vergangenheit auf die Zukunft
zu übertragen. Durch den Zwang (force) der Gewohnheit
bringt das gegenwärtige Objekt die Einbildungskraft dazu, das
gewöhnlich damit verbundene Objekt zu konzipieren.-) ßelief
ist nichts als eine gewaltsamer sieh aufdrängende (more
forcible),^) lebendigere, stärkere, festere, stetigere Konzeption.
Belief zwängt die „Ideen des Urteils" dem Geist auf (inforces
the ideas of judgment in the mind) und macht sie zu leitenden
Prinzipien.^)
Diese Determination im Kausalzusammenhang ist ausser-
ordentlich, aber zugleich unerklärlich, jedoch erfahruugsmässig
wirklich.^)
Hiernach sind auch die Stellen zu beurteilen, die den
Ansehein erwecken könnten, als sei sein belief nicht nur etwas,
erfolgt, Treat. II, 1S5. Den Determinationen des Wülens kommt also Not-
wendigkeit zn, Ess. II, 76.
1) Treat. I, 393, 397, 403, 407, 410, 450; Ess. II, 37.
2) Treat. I, 431 ; Ess. II, 41, 49.
■■') Ess. II, 42; Treat. I, 407. E. Küttgcn , a. a. 0., p. 147 und Nathan-
solin, a.a.O., p. Gl geben forcible mit , stärker", der letztere, p. 02, das
gleich zu erwähnende iuforce mit „verstärken" wieder. In diesen Über-
setzungen fehlt das für Hume nicht unwichtige Moment dos Zwanges.
Der belief ist etwas uns Abgezwungenes und Aufgenötigtes. Die Kon-
zeption, der wir belief beilegen, commands our assent, Ess. II, 41. Selbst
der Skeptiker unterliegt der absoluten Notwendigkeit zu „glauben",
Treat. II, 459.
*) Ess. II, 42. Etwas anders auch Treat. I, 407.
*) Hiernach ist Überweg-Heinze, Grundriss der Geschichte der Philo-
sophie, III, P, p. 229 richtig zu stellen, wonach Hume in seiner Ethik
, entschiedener Determinist ist", „obwohl er sich doch sonst der Kausalität
gegenüber skeptisch verhält." Skeptisch ist Hume nicht gegenüber der
Kausalität, sondern gegenüber einer analytisch -rationalen Auffassung des
Verhältnisses von Ursache und Wirkung. Auch seine Kausalauffassimg
kennt „Determinismus", nur nicht rational bestimmten Determinismus.
42
was der Mensch seinerseits hiuzubring-t, sondern auch etwas,
über das der Mensch nach freiem Ermessen verfügen, etwas,
das er gewähren oder versagen könne. Das sind die Wendungen:
join belief (mit der Konzeption), repose belief (in den Schluss
von Ursachen und Wirkungen oder in eine Tatsache), repose faith
(in unsre Sinneswahrnehmung), augment our belief, attribute a
füll conviction, proportion his belief, retract belief, reject all
belief, refuse to believe, gather such a belief.') Sie sind nicht
so auszulegen, als stände es in unsrer Macht zu „glauben".
Dasselbe gilt von dem Synonym assent und den Wendungen
give assent, proportion tbeir assent, dissent gleich not assent
und reject; 2) ferner gehört hierher mehr als Wirkung des
belief das verwandte give the preference to und give advant-
age over.^)
Sieht man ferner in „Tat" oder „Tätigkeit" den Gegen-
satz zur Passivität und Unfreiheit, etwa in der „Tat" den
eigentlichsten Ausdruck der Persönlichkeit und ihrer Freiheit,
so sind solche für Hume völlig unzutreffende Deutungen, als
sähe er irgendwie im belief ein bewusst- persönliches Handeln
und wie Berkeley im Geist ein aktives Prinzip, nicht an seine
Worte von der „Tat" oder „Tätigkeit" des belief anzuknüpfen.*)
1) Treat. I, 396, 38(l, 393; Ess. II, 124; Treat. I, 422; Ess. II, 89, 104,
142; Treat. II, 445, I, 547; Ess. II, 92; Treat. II, 445.
2) Cf. p. 57, Anm. 4 dieser Arbeit uud Treat. 1,419, 11,386 ähulich
467; 386.
3) Treat. I, 403; Ess. II, 40; 48.
*) Derartige Annahmen verbieten sieb für Hume schon durch seine
Fassung des Geistes trotz aller an die gewölmliche Sprechweise sich an-
lehnenden Aussagen, in welchen er als das einheitliche Subjekt einer
Tätigkeit oder als das einheitliche Objekt eines Erleidens vorausgesetzt
zu sein scheint. Die wahre Vorstellung vom menschlichen Geist (mind) —
nach Pfleiderer, p. 109 soll dieser „schwebende Ausdruck" dem deutschen
„Gemüt" entsprechen — ist die, ihn anzusehen als ein System verschiedener
Perzeptionen oder verschiedener Existenzen, die durch die Relation von
Ursache und Wirkung miteinander verbunden sind uud einander abwechselnd
hervorrufen, zerstören, beeinflussen und modifizieren, Treat. I, 541 f. Was
wir Geist nennen, ist nichts als ein Haufe oder eine Sammlung verschie-
dener Perzeptionen, die durch gewisse Relationen geeint und fälschlich
so angesehen werden, als seien sie mit vollkommener Einfachheit und
Identität angetan, Treat. I, 495, 534, 540. Eine Aufeinanderfolge von
Perzeptionen, aufeinanderfolgende Perzeptionen, eine verknüpfte Masse
4n
Er spricht mehrfach vom l)elief als act of thc miiid, anah)g zu
anderen acts, oder als Operation of the niind, Operation of the
soul, this whole Operation, analog zu anderen Operationen des
von Perzeptionen konstitnieren nnser Selbst, uusre Persönlichkeit, den
Geist oder das denkende Prinzip, ein denkendes Wesen, Treat. 1,545,
584, 541, 495. Ein wenig anders klingt p. 542: Jene Kette von Ursachen
und Wirkungen, die unser Selbst oder eme Persönlichkeit konstituieren.
Von einigen Metaphysikern abgesehen ist der Rest der Menschheit nichts
als ein Bündel oder eine Sauimlung verschiedener Perzeptionen, die ein-
ander mit einer unbegreiflichen Schnelligkeit folgen und beständig im
Fluss und in Bewegung sind, Treat. I, 534. Jeder Versuch, die Prinzipien
zn erklären, welche unsre aufeinanderfolgenden Perzeptionen in unserm
Denken oder Bewusstsein einigen, ist hoffnungslos, Treat. 1,559. Das
unter unseren inneren Perzeptionen Einigung schaffende Prinzip ist ebenso
unverständlich, wie das, welches die äusseren Objekte einigt, 1,403, cf.
II, 395. Die letzten Ursachen unserer geistigen Handlungen, die ursprüng-
lichen Qualitäten der Menschennatur sind überhaupt, wie die letzten
Prinzipien aller Wissenschaften, unerklärbar, I, 330 f., 321, 309, auch 40ö.
Äusserungen wie I, 402, dass er zu dem Zugeständnis bereit sei, es
könne mehrere Qualitäten und Bestandteile in materiellen und immateriellen
Substanzen geben, die uns gänzlich unbekannt sind; Ess. II, 10, 11, dass
der Geist mit mehreren powers und faculties angetan durch secret Springs
and principles in seinen Operationen getrieben werde; oder Ess. II, sS,
dass eine mechanische Kraft, uns unbekannt, bei unsern Erfahruugsschlüssen
in uns wirksam wird, bahnen auch hier unter Umständen den Weg zu
einer anderen Bestimmung des Geistes. Aber es bleibt doch llume's
Meinung, Seele, Selbst, Substanz sind Erfindungen einer kontinuierlichen
Existenz für unterbrochene Perzeptionen , Treat. I, 536. Wir haben keine
Idee der Substanz des Geistes, denn wir haben keine Impression davon,
I, 517. Somit ist die Frage nach der Substanz des Geistes absolut un-
verständlich (unintelligible), Treat. I, 532. —
Von mehreren Seiten : Brede, a. a. 0., p. 46, Compayre, p. 284, Pflei-
derer, p. 200, Windelband, p. 388 Anm. 1, ist darauf hingewiesen worden,
dass sich zu den skeptischen Äusserungen über den Geist kein Analogon
aus dem Enquiry aufzeigen lässt. Pfleiderer ist geneigt, in dem Schweigen
der zweiten Redaktion ein „vielsagendes Nichtsagen" und zwar einen
.,Fortschritt" zu erblicken, nämlich die „umbiegende Selbstzersetzung der
nun bereits auch an sich zweifelnden Skepsis'. Nach Brede, p. 49 „naüssen
wir annehmen, dass ihm bei der Behandlung des Problems des Selbst-
bewusstseins das Unwahrscheinliche zum Bewusstsein gekommen ist", das
diesen scharfsinnigen Erörterungen anhaftete. Beweisen lässt sich das
nicht. Eher sind die „bedenklichen Folgen für die religiöse Metaphysik"
mit Windelband zur Erklärung der Auslassungen im Essay heranzuziehen.
Eben daher erklärt sich auch, dass Hume, obwohl er sonst Seele und
Geist abwechselnd braucht, z.B. Treat. I, 541 f., von der Seele, vielleicht
44
von dem Vergleich mit der Republik I, 542, abgesehen, keinerlei Aussagen
macht, die sich den obigen über den Geist zur Seite stellen Hessen. —
Materialismus bei Hume?
Dass F.A.Lauge, Geschichte des Materialismus, IP, p. 8 in Hume's
„scharfer Bekämpfung der Lehre von der Identität der Person, der Einheit
des Selbstbewusstseins und der Einfachheit und Immaterialität" eine
„Verwandtschaft mit dem Materialismus" sieht und p. 6 behauptet: „Hume
steht in seiner Denkweise dem Materialismus so nahe, als es ein ent-
schiedener Skeptiker nur immer tun kann", ist nicht so ohne weiteres von
der Hand zu weisen; gegen Compayre, a.a.O., p. 294, 2;)(i und andere.
Kommt diese Anklage überraschend bei einem Philosophen, bei dem man
fortwährend mit der Möglichkeit extremem Idealismus' rechnen mnss, so
wird man mit Pfleiderer, a.a.O., p. R5 sagen müssen: ,,Im Grunde sind
diese beiden" (Materialismus und Idealismus) „nahe miteinander verwandt
und begegnen sich erkenntnistheoretisch im Begriff des Sensualismus."
Ganz materialistisch klingt jedenfalls die von Lange ebenfalls an-
gezogene, von Pfleiderer, p 121, als „leiser Spott über die kartesianische
Physiologie (Zirbeldrüse)" ausgelegte Erklärung der Verwechselung zweier
Ideen, die in enger Relation stehen, dadurch, dass die rein physisch
gedachten „Lebensgeister" sich beim „Wecken" der rechten Idee in die
verkehrte Bahn und damit in eine benachbarte Gehirnzelle verirren und
andere in Relation stehende Ideen an Stelle der vom Geist gewünschten
präsentieren, Treat. I, 364 f. Ausdrücklich bemerkt der erste Satz auf
p. 365 , dass Ilume noch mehr derartige Erklärungen hätte geben können.
Damit berührt sich in den „Dialogen über natürliche Religion" Philo's
Äusserung von „jener kleinen Hirnbewegung, die wir Gedanke nennen",
Treat. II, 39 (j und p. 448 desselben Mannes Bemerkung, ein paar Striche
am Gehirn des jungen Caligula hätten aus ihm einen Trajan macheu
können. Allerdings stellt Hume die Materialisten ins Unrecht, wenn sie
alles Denken mit Ausdehnung verbinden, Treat. I, 523, erklärt aber p. 532,
dass die Argumente mehr für die Materialisten als für ihre Gegner seien.
Eine Untersuchung der Beziehungen zwischen unsern Bewusstseins-
erscheinungen und den Gehirnvorgängen gibt es bei Hume nicht. Eine
Untersuchung der physischen Ursachen der Impressionen weist er auf-
fallenderweise von sich ab und der Anatomie zu, (cf. hier p. 48).
Ähnlich wie in dem obigen Beispiel, aber nicht so materialistisch,
werden Treat. I, . "599, 476, 492 die „Lebensgeister" zur Erklärung heran-
gezogen. Jedenfalls beachtet Hume den engen Zusammenhang zwischen
körperlichem und geistigem Geschehen, z.B. die Abhängigkeit unserer
Perzeptionen von unsern Organen, von der Beschatfenheit des Blutes, der
Disposition der Nerven und der „Lebensgeister", von Anstrengung, Er-
müdung, Krankheit, Fieber und Unpässlichkeit, Treat. I, 498, 421, 339, 477,
311, 512, cf. auch die Gedächtnisstörung infolge von Schädelverletzung
bei Burton, I, 135, auch seinen Brief an den Arzt, ib. p. 35ff.
Materialistisch klingt auch die Behauptung: Es gibt nur eine Not-
wendigkeit und keinen Unterschied zwischen physical and moral necessity,
r
Geistes.') Mit dieser Bezeichnuug ist nur das ausgesagt, dass
irgend etwas geschieht und vor sich geht. Dem entsprechen
die Aussagen: der Geist gleitet hinüber (passes) zum belief;
oder der belief entsteht unmittelbar ohne eine neue Operation
der Vernunft oder der Einbildungskraft. Da ist keine eigent-
liche Aktion des Geistes vorhanden. Der belief entsteht, er-
hebt sich (arises) unwillkürlich.^) Jene Tätigkeit ist ja „un-
vermeidlich"', eine Art Instinkt, unwiderstehlich, notwendiges
Resultat der Gesamtlagt^ des Geistes, ein Produkt der bei der
Wahrscheinlichkeit zusammentreffenden, kongruierenden views,
eine Wirkung, etwas Verursachtes, Veranlasstes, ein Erzeugnis 3)
im Geist, der selber nur eine Art Schaubühne ist.^) Er ist
etwas feit by the mind.^)
Treat. T, 465, Ess. II, 70. Freilich erklärt er es für eine hinterlistige Kon-
struktion seiner Worte, wenn jemand ihn sagen liisst, er behaupte die
Notwendigkeit der menschlichen Handlungen und setze sie auf dieselbe
Stufe mit den Operationen der empfindungslosen Materie; aber die von
ihm gemachte Unterscheidung klingt doch recht spitzfindig, Treat. II, 190.
Ebenso sind natural und moral evidence gleich und entstammen
gleichen Prinzipien, Ess. II, 74, Treat. II, 187. Die Identität der Persön-
lichkeit ist dieselbe Frage und mit denselben Mitteln zu entscheiden, wie
die nach der Identität von Hänsern, SchitYen, Pflanzen etc., Treat. I, 540.
Endlich verdient Treat. II, Tf. Erwähnung: Körperliche Leiden oder Freuden
entstehen ursprünglich in der Seele oder im Körper, whichever you please
to call it! Indirekt kommt schliesslich für „materialistische Anwand-
lungen" Hume"s in Betracht die grosse Rolle, die bei ihm der Instinkt
und der Mechanismus des geistigen Geschehens spielen. —
Leser seiner Biographie werden ihn allerdings vom theoretischen
Materialismus unbedingt freisprechen.
») Treat. I, 396, 398, 407, 413, 415, 470; 557; 397 f.; Ess. II, 48 f., 131,
39, 43; Treat. I, 403.
») Treat. I, 393, 397; 394, 403; 403, 407, 411, 437, 439, 555; Ess. II,
43, 46.
3) Ess. II, 125; Treat. I, 402, 403, 405, 434, 437; Ess. II, 142; Treat.
I, 402 f., 434, 497 f.; 437, 478, 497, 555; Ess. H, 47, 4S, 49.
♦) Treat. I, 534: „Der Geist ist eine Art Theater, auf dem mehrere
Perzeptionen nacheinander auftreten, verschwinden, wieder erscheinen,
davongleiten und in unendlich mannigfachen Lagen und Stellungen sich
vermengen.^' Wird der Geist zum Theater, zur Schaubühne, so werden
die geistigen Vorgänge zum reinen Mechanismus, cf. den internal mechanism,
Ess. II, 155; den secret mechanism, 11,57, und die curious machinery of
thought, Treat. E, 408. —
46
]?elief und Gefühl.
Im Lauf der Darstellung wurde der belief bereits mehr-
fach dem Gefühl zugewiesen, ja als ein „Gefühl" bezeichnet.
Hume spricht von that sentiment, which we call belief.
Dieser Ausdruck wie der ähnliche the sentiment of belief
zeigen, dass sentiment, Gefühl, Empfindung gleichsam den
Oberbegriff zu seinem belief abgibt. Der belief besteht in
einem sentiment, dass von der blossen Konzeption verschieden
ist und hängt von den Operationen unserer sentiments ab.^)
Mit sentiment zusammengenannt wird das feeling in der
Wendung feeling or sentiment, in dieser und umgekehrter
Reihenfolge. Der belief besteht in einem gewissen feeling or
sentiment. Belief ist nichts als ein eigenartiges Gefühl (Inne-
werden, peculiar feeling), verschieden von der einfachen Kon-
zeption. Er besteht in dem feeling, das die „geglaubten"
Ideen für den Geist haben. Belief, this feeling zeigt, dass
feeling hier, wie oben sentiment, der Oberbegriff zu belief ist.
Sprechen wir unsern Unglauben an eine Tatsache aus, so
sagen wir, dass die Argumente für dieselbe nicht das feeling
produzieren."^)
Im Blick auf diese Fassung des Geistes ist allerdings kein absoluter
Idealismus für Hume möglich. Ist der Geist Schaubühne, Schauplatz, auf
dem gehandelt wird, nicht etwas, das selbst handelt; ist der Geist nur
ein Hanfe sich drängender, unaufhörlich wechselnder Perzeptionen, so
kann davon keine Rede sein, dass er die Impressionen hervorruft. Es
müssen schon die Objekte sein, da die Hervorbriugung der Impressionen
durch Gott für Hume ernstlich nicht in Frage kommen kann.
Und zweitens kann die Wirksamkeit oder Energie der Ursachen, die
er weder in den Ursachen, noch in der Gottheit, noch im Zusammentreffen
beider gelegen sein lässt, die vielmehr nach ihm gänzlich der Seele an-
gehört, Treat. I, 460 (cf. hier p. 30, Anm. 4) mindestens nicht rein sub-
jektivistisch gedacht sein. Der objektive Kausalzusammenhang bleibt
bestehen. Alle skeptisch und idealistisch klingenden Äusserungen werden
als Beschreibungen verstanden werden müssen, wie und wieweit wir den
als objektiv angenommenen Zusammenhang subjektiv mit dem Verstände
zu fassen vermögen.
5) (Zur vorhergehenden Seite.) Treat. I, 398.
') Ess. II, 49, 43, 48; Treat. I, 556, 447.
2) Ess. II, 41 ; Treat. I, 555 ff., 398; Ess. II, 42, 41 ; Treat. I, 555. —
Brede's Behauptung, dass „die Lehre vom Glauben im Essay sich geändert
habe" und Hume dort „im Gegensatz zu seinen Ausführungen im Treatise"
47
Dies feeling wird eine Weise der Konzeption genannt.
Plumc spricht von feeling- or manner of eon(?eptiün. Ein vor-
anfgegangenes sentiment of belief wird mit this manner of
eoneeption wieder aufgenommen. •) War belief vorhin Gefühl,
so galt das nicht von jedem Gefühl, sondern nur von einem
bestimmten, eigentümlichen Gefühl. Parallel dazu heisst es,
dass der belief in einer besonderen Weise der Konzeption be-
steht: that particular manner (to conceive), which we deno-
minate belief. Er ist sensaion or peeuliar manner of eon-
eeption.-) Das sentiment, in dem der belief besteht, ist von
der einfachen Konzeption verschieden. Sonst ständen die
Gegenstände der wildesten Einbildungskraft auf gleichem Fuss
mit den festesten Wahrheiten, die auf Erfahrung und Geschichte
gegründet sind. Freilich unterscheidet sie nichts als ein feeling
or sentiment. Zwischen der Konzeption, der wir zustimmen,
und der, die wir verwerfen, würde ohne jenes sentiment kein
Unterschied bestehen.^)
Wir konzipieren viele Dinge, die wir nicht „glauben"'. P>8
ist ein Unterschied, wenn ich Gott als existierend denke und
den Glauben ein Gefühl nenne, a.a.O. p. 31 f. entbehrt hiernach der Be-
gründung. — Die von Brede als Zeuge angerufene Abhandlung von Elkin
in der Philosophical Review war mir leider nicht zugänglich.
0 Treat. 1,398; Ess. II, 42, 43. Wenn es Ess. II, 42 heisst: „belicf
besteht in der Weise ihrer (der Ideen) Konzeption and in their feeling to
the mind,'' so ist die „Weise der Konzeption" nicht vom „Fühlen" zu
trennen. Es ist dieselbe Sache, nicht zweierlei, das Zweite höch.stcns
Spezialisierung des Ersten. Nur wenn der Geist dnrch Zweifel und
Schwierigkeiten erregt war und hinterher seinen Gegenstand unter neuen
Gesichtspimkten oder mit neuen Argumenten sieht und nun in einem
festen Schluss und belief sich fixiert und zur Ruhe kommt (fixes aud
reposes itself in oue settled conclusion and belief), besteht ein feeling
verschieden und getrennt von der Konzeption. Der Übergang von zwei-
felnder Bewegung zur Ruhe bringt dem Geist J.ust und Befriedigung,
Treat. I, 556 f. — Allerdings hält der Ausdruck p. 557: feit rather thau
conceived eine Unterscheidung aufrecht. Ob dieselbe in einer grösseren
Unmittelbarkeit des feeling liegen soliy
2) Ess. II, 87, Treat. I, 475. In diesem Fall jedenfalls wäre die
Wiedergabe des Sensation mit Wahrnehmung, die Benno Er<lmann, Archiv
für Geschichte der Philosophie, IV, p. 179, Anm. 2, gegenüber der „zu
engen" mit „Empfindung" wünscht, nicht angebracht; cf. auch Treat. II, 197,
I, 516: feeling or Sensation und I, 512: Sensation of pleasure.
») Treat. 1,555 f.; Ess. II, 41.
48
wenn ich glaube, dass Gott existiert, ein g-rosaer Unterschied
zwischen der einfachen Konzeption der Existenz eines Objektes
und dem belief daran, wenn wir belief mit der Konzeption
verbinden und von deren Wahrheit tiberzeugt sind.') Nun liegt
der Unterschied nicht in den Bestandteilen oder der Zusammen-
setzung der Ideen. Belief ist keine neue Idee und addiert zur
Idee ihrem Inhalt nach nichts Neues hinzu. Die Idee Gottes,
wenn wir ihr „Glauben" beilegen, wird nicht grösser, noch
kleiner. So muss der Unterschied in der Weise der Konzeption
liegen. Nur diese, nicht die Idee selbst kann der belief ändern.
Er „macht sie für das feeling verschieden", indem er den Grad
ihrer Lebendigkeit und Stärke ändert. Jede andere Änderung
würde die Repräsentation eines anderen Objektes oder eine
andere Impression ergeben.-)
Eine Eeihe näherer Bestimmungen helfen Hume's Gedanken
verdeutlichen. Belief ist eine lebendige, starke, stetige Kon-
zeption. Oder komparativisch ausgedrückt: Belief ist nichts
als eine lebendigere, intensivere, stärkere, sich mehr auf-
drängende Konzeption einer Idee, lebhafter, fester, stetiger, als
das die Imagination allein erreichen kann oder, anders ge-
wendet, als die Konzeption, welche die blossen Fiktionen der
Imagination begleitet. Sind wir von einer Tatsache überzeugt,
so konzipieren wir sie mit einem certain feeling, verschieden
von dem, das die blossen Träumereien der Einbildungskraft
begleitet.-*)
») Treat. I, 394, 395, 397.
2) Treat. I, 395; Ess. II, 42; Treat. I, 555, 402, 395, 396.
3) Treat. I, 477, 397 Anm., 403; Ess. H, 43, 48; Treat. I, 555. — Zu
beachten ist, dass der belief bald „Weise der Kouzeption", bald „Kon-
zeption" oder, wie bald ausführlicher dargestellt wird, eine „Idee" genannt
wird. Wollte man das englische belief mit dem deutschen „Glaube"
wiedergeben, so müsste mau bald „der Glaube", bald „das Glauben", bald
„das Geglaubte" übersetzen. Die Schwierigkeit entsteht, weil auch hier
wieder Ilume's Auffassung der Existenz den Hintergrund bildet: Das Sein
der Dinge besteht in ihrer Vorstellung. Andererseits wird man auch hier
„jene Unpräzision, man möchte fast sagen, Nachlässigkeit im Ausdruck"
konstatieren dürfen, über die sich Meinong, Humestudien, II, p. 30, Anm. 2,
56, und Brede, a.a.O. p. 3 beschweren. Endlich ist die Beseitigung aller
eigentlichen Aktivität im Mechanismus des geistigen Geschehens einem
solchen Spiel der Bedeutungen günstig.
49
Ähnlich sind die Wendungen, in denen Ilnme den belief
nicht als eine Weise der Konzeption oder als lebendige Kon-
zeption beschreibt, sondern als eine besondere Weise, eine Idee
zu formen oder, häufiger noch, als eine Idee,») ohne dass er
einen Unterschied darin fände. Besonders auffällig ist die
Überschrift der seet 7 des dritten Teils des Treatise: „Of the
nature of the idea or belief.'' Denn im ersten Satz dieses
Abschnittes erklärt er sofort: Die Idee eines Objektes ist ein
wesentlicher Teil des belief 's daran, aber nicht das Ganze.
Sonst miisste jede Konzeption von belief begleitet sein. Belief
ist nur vorhanden bei gewissen Qualitäten der Ideen, welchen
wir zustimmen.2) Belief ist etwas mehr als eine einfache Idee,
nämlich eine besondere Weise, eine Idee zu formen (zu bilden).
Eine Meinung (opinion) oder belief ist nichts als eine Idee, die
von einer Fiktion verschieden ist, nicht ihrer Natur oder der
Anordnung ihrer Teile nach, sondern in der Weise des Kon-
zipiertwerdens.3)
Der belief gewährt unsrer Idee einen ..Zusatz von Kraft
und Lebendigkeit". Nun sind nach Hume die Impressionen
natürlicherweise die lebendigsten Perzeptionen. Alle Lebendig-
keit unsrer Bewusstseinsinhalte stammt von ihnen her. Die
Ideen sind ja nur die ,.schwachen Bilder" der Impressionen,
nur durch den geringeren Grad von Kraft und Lebendigkeit von
ihnen unterschieden.-*) Deswegen ist in den Kausalschlüssen,
die uns von Tatsachen vergewissern sollen, die über das gegen-
*) Nach Treat. I, .'594 wird man nnbedenklich im Siuue Hume's to
conceive mit „Ideen haben", „Ideen bilden" identifizieren dürfen. Joh.
Ed. Erdmann's Glcichsetzuug: „Ideen haben" gleich „Denken" (a.a.O.
II, 116) ist unhistorische Interpretation.
*) Ganz im Sinne Hnme's imd seiner Identifizierung von Bewiisstseins-
inhalt und Gegenstand heisst es hier (Treat. I, 394): In urder to discover
more fuUy the nature of belief or the qualities of thosc ideas we assent
to . . . Der belief wird aus einer Aktion oder einem Zustande des Menschen
zn einer Qualität der Ideen. Auch p. 405 spricht von den qualities of
force and vivacity . . . which cunstitute this belief. p. 402 heisst es, dass
belief die Ideen begleitet (attends).
*) Treat. I, 397. Für die „Weise, eine Idee zu formen", tritt freilich
sofort die andere Bestimmung: belief ist eine lebendige Idee ein; unmittel-
bar darauf this Operation of the mind.
*) Treat. I, 396, 475; 496, 311, 556.
50
wärtige Zeugnis der Sinne und des Gedächtnisses liinausliegen,
etwas den Sinnen oder dem Gedächtnis Gegenwärtiges, in
Hume's Sprachgebrauch, eine Impression absolut erforderlich
und nicht durch eine Idee ersetzbar. Die Überzeugung von
einer kausal erschlossenen Tatsache, belief or persuasion, würde
ohne eine gegenwärtige Impression nicht vorhanden sein. Der
belief folgt der gegenwärtigen Impression. Denn die Lebendig-
keit, in der er im allgemeinen einzig besteht, erlangt die Idee
nur durch ihre Relation zu einer gegenwärtigen Impression,
und zwar nur durch die Kausalrelation, nicht etwa schon durch
die Relation der Ähnlichkeit. In der Kausalrelation entfalten
die Gewohnheit und der „gewohnheitsmässige Übergang" ihre
belebende und kräftigende Wirkung auf die in Relation
stehende Idee.') Entscheidend bleibt freilich immer die „gegen-
wärtige Impression". Sie ist die Grundlage, das Fundament
des belief. Auf der grösseren oder geringeren Kraft und
Lebendigkeit der Impression beruht die der in Relation zu ihr
stehenden Idee und eben damit auch der belief. Nach „ge-
nauester Definition" ist a belief or opinion eine lebendige, in-
tensive Idee, die mit einer gegenwärtigen Impression in Relation
oder Assoziation steht, oder mehr genetisch, die durch eine
Relation zu einer gegenwärtigen Impression hervorgebracht
wird, von ihr stammt, aus ihr hervorgeht.^)
Unausgeglichen mit dieser Betonung der Unentbehrlichkeit
der Impressionen bleibt die Aussage: „Eine starke Geneigtheit
oder Neigung (propensity or inclination) allein ohne irgend-
welche gegenwärtige Impression wird bisweilen a belief or
opinion verursachen." Das gilt z. B. von unserem Glauben an
die kontinuierliche Existenz von Körpern. Eine „Neigung"
veranlasst uns, die kontinuierliche Existenz aller sinnlich wahr-
nehmbaren Objekte zu „erdichten". Ferner gewährt sie jener
„Fiktion" Lebendigkeit, mit anderen Worten, veranlasst uns,
die kontinuierliche Elxistenz von Körpern zu „glauben". Freilich
behauptet Hume in diesem Fall eine Unterstützung jener
Neigung durch gegenwärtige Impressionen des Gedächtnisses.^)
1) Treat. I, 385, 403, 470, 496, II, 88, I, 401 f., 414 f., 419, (387).
-) Treat. 1,442, 440; 390, 394, 399, 410, 11,205; Treat. 1,397, 403,
405. — Ess. II, 41 f. lehnt die Definition ab und gibt nur eine Beschreibung.
3) Treat. I, 497 f.
51
Bemerkenswert ist noch, dass die letzten Citate so gut
wie alle aus dem Treatise stammen und im Encjuiry die Be-
zeichnung des beliet als Idee fast völlig fehlt, wie denn llume
im En(|uiry aneh weit weniger von seiner Impressioneulehrc
Gebrauch macht. Das Entscheidende und Einheitliehe in
beiden Rezensionen ist, dass der belief in einem „Gefühl", und
zwar in höheren Graden von „Kraft und Lebendigkeit" besteht.
Eine Idee, der wir zustimmen, wird anders empfunden als eine
erdichtete. Und dies difförent feeling sucht er „unphilosophisch"
zu erklären, indem er es eine höhere Kraft, Lebendigkeit,
Solidität, Festigkeit oder Stetigkeit nennt. Zu beachten ist,
wie neben den sonst mehr hervorgehobenen Momenten der
Stärke und Lebendigkeit die anderen der Solidität, Festigkeit
und Stetigkeit erscheinen. Hume gewinnt damit eher die
Möglichkeit, seinen belief von einer kräftigen, lebhaften
Phantasievorstellung zu unterscheiden. Die „unphilosophisch
scheinende" Fülle der Ausdrücke soll nur der Verdeutlichung
dessen dienen, wofür uns leider das rechte Wort fehlt, i)
Brede^) behauptet: „Der Glaube ist weder Ursache noch
Folge dieser Intensität der Idee; er ist die Intensität selbst".
Dem gegenüber ist ein Schwanken Hume's, mindestens in seiner
Ausdrucksweise, zu konstatieren. Der Einfluss des belief be-
steht darin, eine Idee in der Imagination zu beleben und „ein-
zuheften". Anderseits kann eine gegenwärtige Impression ver-
bunden mit einer Relation von Ursache und Wirkung eine Idee
beleben und „folglich" belief or assent produzieren. Ähnlich
klingt es, wenn Hume kategorisch ablehnt, dass die Relationen
der Ähnlichkeit und Koutiguität, die wie die der Ursächlich-
keit Kräftigung und Belebung der Ideen wirken, Entstehungs-
grundlage des belief werden könnten. Dagegen versichert
Hume, bei 'dem belief, der sich mit den durch Gewohnheit
häufig aufgetretenen Ideen und Meinungen verbindet, wie in
der Erziehung, dürfen wir uns nicht damit begnügen, zu sagen,
die Lebendigkeit der Ideen produziert den belief. Wir müssen
vielmehr behaupten, dass beide individually the same sind.
Und ganz allgemein versichert er als seine Lehre: Belief ist
1) Treat. I, 398.
2) a. a. 0. p. 6.
52
dasselbe wie die Lebendigkeit (Lebhaftigkeit) der Idee. Das
Wesen des belief besteht in der Kraft und Lebendigkeit der
Konzeption. Kraft und Lebendigkeit, Zutrauen und Sicherheit
„konstituieren" den belief. Dem gegenüber heisst es ander-
wärts, dass Kraft und Lebendigkeit (den belief) „begleite". i)
Der Einwand, wenn belief nur in einer Lebendigkeit be-
stände, die von einer entsprechenden Impression mitgeteilt
wird, so müsste er bei Schlüssen von Ursache und Wirkung
mit einer langen Kette vermittelnder Glieder „bei der Länge
des Übergangs" schwinden und schliesslich gänzlich ausgelöscht
werden; wenn der belief bei manchen Anlässen, z. B. bei dem
„Glauben" an ein geschichtliches Ereignis aus weit entlegener
Vergangenheit einer solchen Auslöschung nicht unterliege,
müsse er etwas von dieser Lebendigkeit Verschiedenes sein;
dieser Einwand wird mit der Behauptung abgewiesen, dass
hier die verknüpfenden Glieder alle von derselben Art und
Weise und einander vollkommen ähnlich sind. Deswegen „läuft
der Geist leicht die Reihe entlang und springt mit Leichtig-
keit von einem Gliede zum andern." Von dem einzelnen Glied
bildet er sich nur eine ganz allgemeine undeutliche Vor-
stellung. Deswegen schwächt die lange Argumentenkette die
ursprüngliche Lebendigkeit nur sehr wenig.2)
Lebendigkeit und Kraft charakterisierte Hume's belief.
Die „geglaubten" Ideen sind stärker, fester, lebhafter als die
Fiktionen der Einbildungskraft oder, wie es sonst heisst, als
die schwankenden Träumereien eines, der Luftschlösser baut.
Belief ist jener Akt des Geistes, der uns „Realitäten" gegen-
wärtiger, gewichtiger, einflussreicher macht. =^) Der belief, das
heisst, jenes stärkere, stetige Gefühl, mit dem wir etwas er-
fassen, wird damit zum Kriterium der Wirklichkeit und der
Wahrheit.")
Wiederum hängt es mit Hume's idealistischer Fassung der
1) Treat. 11,227; 1,402, 407; 415; 428, 489, 405, 448; Ess. 11,48;
Treat. I, 420.
") Treat. I, 441 f.
8) Treat. I, 398; Ess. II, 41, 46. 42.
*) Anders freilich Treat. II, 236: Reason is tbe discovery of truth or
falselioüd, und 1,472: Unsere Vernunft muss als eine Art Ursache be-
trachtet werden, deren „natürliche Wirkung" Wahrheit ist.
53
Existenz zusammeu. wenn es zweifelhaft bleibt, ob mau in
seinem Sinne formulieren darf: Der belief, das Gefühl, die
Lebendigkeit ist das Kriterium der Wirklichkeit und der
Wahrheit, oder ob man behaupten muss: das den belief kon-
stituierende Gefühl ist eben das, was wir Realität nennen.
Green wirft unserm Philosophen „fusion of feeling and reality'
vor. Das feeling selbst sei für ihn das Objekt. Mit Green
diese durch Hume"s Gedankengänge nicht völlig ausgeschlossene
Deutung bis zu der Behauptung ') zu steigern, die Ideen der
Imagination erwerben durch die Kausalrelatiou — will sagen,
durch Mitteilung grösserer Kraft und Lebendigkeit im Gefühl
— die Realität, dürfte jedenfalls über Hume hinausgehen.
Dass das Getuhl als Kriterium der Realität bei weitem
nicht ausreiche, scheint Hume selbst empfunden zu haben,
wenn er sich dahin ausspricht, dass der belief „Realitäten und
was dafür gehalten wird", uns gegenwärtiger, gewichtiger und
einflussreicher als Fiktionen macht.-)
Immerhin ist es für den „Skeptiker" Hume charakteristisch,
dass das Fühlen, Empfinden bei ihm eine solche Rolle spielt.
La Sensation est la mesure de toutes choses.^) Hierher gehört
schon seine Betonung der Impressionen, auf die und deren
Lebendigkeit er alle anderen Bewusstseinsinhalte zurückführt,
j Die Heraushebung der Impressionen und ihre Bestimmung als
lebendigere und stärkere Perzeptionen weist schon auf ihren
Gefühlscharakter. Es finden sich die Zusammenstellungen:
Impression or feeling, sentiment or Impression, impressions or
original sentiments. Während sonst die Ideen Kopien von
Impessiouen sind, behauptet Hume einmal, unsere Ideen lassen
sich immer in solche einfachen Ideen auflösen, wie sie von
einem voraufgegangenen feeling or sentiment kopiert wurden.-*)
Die Impressionen werden kurz darauf dahin erklärt: „Alle
Impressionen, das ist, alle Sensationen,^) sowohl äussere als
') Introduction to the Treatise p. 254, 173, 284.
«) Ess. II, 42. In der sonst würtlich übereinstimmenden Parallelstelle
Treat. I, 398 fehlt dieser Zusatz.
ä) Compayre, a. a. 0. p. 242.
*) Treat. I, 556; Ess. II, 62, 52, IT.
^) Ess. II, 17. Demgegenüber die ausdrückliche Scheidung der Im-
pressionen in solche of Sensation und solche of reflexion, Treat. I, 3101.
54
innere, sind stark und lebhaft. An einer anderen Stelle gibt
Hume seine Grundthese, dass alle unsere Ideen nichts als
Kopien unsrer Impressionen sind, mit der Fortsetzung: „oder
in anderen Worten, es ist unmöglich für uns, etwas zu denken,
das wir nicht vorher durch unsere äusseren oder inneren Sinne
,gefühlt' haben". Für die Einsicht in den Unterschied der
Impressionen von den Ideen wird auf den von jedermann
perzipierten Unterschied zwischen feeling und thinkiug zurück-
gegriffen. Das erstere soll offenbar den Impressionen zu-
kommen.i) Auf diesen Gefühlscharakter 2) der Impressionen
weist auch ihr ursprüngliches Entstehen in der Seele aus un-
bekannten unerklärbaren Ursachen.^)
Der Unterschied zwischen Denken und Fühlen besteht
dann nach Green einzig im höheren Grad der Lebendigkeit,
der dem Fühlen zukommt.^)
Das Gefühl wird berufen, bei unsern Urteilen die letzte
entscheidende Stimme abzugeben.
Wenn der Unterschied zwischen belief und Fiktion einzig
in der Weise der Konzeption besteht und Hume bei dem Ver-
such denselben zu erklären, keinen Ausdruck findet, der der
Sache völlig entspricht, so nimmt er seine Zuflucht zu every
one's feeling, um ihm einen vollkommenen Begriff dieser Geistes-
tätigkeit zu geben. Ahnlich behauptet er bald nachher, es ist
unmöglich, den belief, dies Gefühl oder die Weise der Kon-
zeption vollkommen zu erklären. Trotzdem versucht er eine
Definition und erklärt, sie wird sich als vollkommen überein-
stimmend mit every one's feeling and experience erweisen.^)
In den Parallelen im Essay behauptet Hume bei der Schwierig-
keit, ja Unmöglichkeit der Aufgabe, den belief völlig zu
Cf. Brede, a. a. 0. p. 30: „Durchweg sind im Enquiry die Begriffe Impression
und Sensation Wechselbegriffe, ein Sprachgebrauch, zu dem . . . die An-
sätze im Treatise schon vorliegen."
') Ess. II, 51; Treat. I, 311. Ess. II, 13, 17 spricht den Impressionen
gegenüber von thoughts or ideas, Treat. I, 318, 32Uf. dagegen von thoughts
er perceptions.
'^) den Pfleiderer a.a.O. p. 191 nicht beachtet.
8) Treat. I, 317, 321.
*) Introduction, Treat. I, 161 f.
^) Treat. I, 397 f.; cf. 548 contrary to every one's feeling and ex-
perience, Treat. II, 442 und II, 3b5: common sense and experience.
55
erklären, „im gewülinlichen Leben verstellt jedermann den
Ausdruck zur Gentige"'. Niemand ist über die Bedeutung des
Ausdrucks in Verlegenheit, „da jedermann jeden Augenblick
sieh des dadurch repräsentierten Gefühls (sentiment) be-
wusst ist.i)
Hierher gehört auch eine Notiz über die Geistestätigkeit
im Denken, die unmöglich zu definieren oder zu beschreiben
ist, die aber jeder zur Genüge versteht.^) Die obigen Stellen
aus dem Treatise berech'tigen dazu, dem Ausdruck understand
in den letzten Citaten nicht allzuviel Bedeutung beizulegen.
Denn jedenfalls für den Treatise behauptet Hume, nicht nur
in Musik und Dichtkunst, sondern gleicherweise auch in der
Philosophie müssen wir dem Geschmack und dem Empfinden
folgen (foUow our taste and sentiment). Alles Denken und
Schliessen im Gebiet der Wahrscheinlichkeit (!) (all probable
reasoning) ist nichts als eine Art „Empfindung" (Sensation).
Wenn ich einer Reihe von Argumenten vor einer anderen den
Vorzug gebe, so entscheide ich nach meinem Gefühl (feeling)
über die Überlegenheit ihres Einflusses. Die Überzeugung
wird damit zu einem Gefühlsurteil. Die Entscheidung liegt
beim (unmittelbaren) Gefühl, nicht beim (langsamen) Verstände.^)
Hierher gehört auch die Behauptung, der Wert jedes
1) Ess. n, 42. Für den engen Zusammenhang des „Bewusstseins"
mit sentiment nnd feeling vergleiche Ess. II, 55, «0: sentiment or con-
sciousness; Treat. I, 452: consciousness or Sensation; und die Koordination
to feel and to be conscious of, Treat. II, 181. Zu der Behauptung, dass
das Gefühl für Hume zum „Wahrheitskriterium" wird, passt vortrefflich
jenes bekannte consciousness never deceives, Ess. II, 55, womit er zunächst
gegen den Begriff der Kraft und weiter der Freiheit des Willens operiert.
Treat. I, 556 verwendet er den Gegensatz zu experience and our immediate
consciousness zur Ablehnung einer Hypothese; ähnlich I, 403 den Maugel
an Bewusstsein. — Anders die Zusammenordnung thought or consciousness,
Treat. I, 311, 559.
2) Treat. I, 406.
•) Treat. I, 403. Streng genommen lassen Hume's Aensserungen „no
part of our natures to be cogitative at all", Green, Treat. I, 248. — Zu
erwähnen ist die Parallele zu Jacobi, der bei seiner Betonung des
„Glaubens" als eines „Wissens aus Geistesgefühl" über das Gefühl so
urteilt: „Das Vermögen der Gefühle, behaupten wir, ist im Menschen das
über alle anderen erhabene Vermögen ... es ist, behaupten wir, mit der
Vernunft eins und dasselbe", Werke II, 1S15, p. OOf.
K
6
GegeiistaDdes kann nur durch das sentiment or passion jedes
Einzelnen bestimmt werden.') Wohl erscheint ihm in den
spekulativen Wissenschaften der Metaphysik, der Naturwissen-
schaft und der Astronomie ein Appell an die general opinion
mit Recht unzulässig und nichts beweisend. Dagegen gibt es
für Moral und Ästhetik keinen anderen Massstab zur Ent-
scheidung der Streitigkeiten, sodass der klarste Beweis für das
Irrtümliche einer Theorie geliefert ist, wenn sie zu Paradoxien
führt, die den common sentiments der Menschheit, sowie der
Praxis und der Anschauung aller Völker zu allen Zeiten
widersprechen.^)
Wohl weist er es ab, mit seiner Philosophie nur den
common sense der Menschen in schöneren und anziehenderen
Farben darstellen zu wollen, wie andere Philosophen tun. Doch
hält er selbst einen gemässigten Skeptizismus für den dauer-
haftesten und nützlichsten, und dieser ist, teilweise wenigstens,
nichts anderes als übertriebene pyrrhonische Skepsis einiger-
massen korrigiert durch common sense and reflection. „Philo-
sophische Entscheidungen sind nichts anderes als die Reflexionen
des gewöhnlichen Lebens methodisch geordnet und korrigiert."^)
Kann nun auch von einer trotzigen Berufung auf den
„gesunden Menschenverstand"*) bei Hume keine Rede sein,
j.jener Zuflucht, die beweiset, dass die Sache der Vernunft
verzweifelt ist", so ist Hume „du moins trfes dispos^ k s'incliner
devant le sens commun".^) Dazu treibt neben dem Vorgang
Berkeley's^) der dominierende Einfluss der Sensation, der aller-
dings nur Folge, Begleiterscheinung, Kehrseite seiner Ver-
standesskepsis ist. Zum anderen bereitet seine Berufung auf
1) Ess. I, 224.
2)Ess. 1,460, II, KiS, Treat. II, 384 f. Ein Eiuzemill der Berufung
auf den common sense in einer Frage der Moral, Treat. II, 320. Common
sense und reason gehen in ihr Hand in Hand, Ess. II, 170.
3) Ess. II, 5, 132, 133.
*) Kant, Kritik der reinen Vernunft, zweite Auflage, p. 811. — Im
englischen Text tritt deutlicher als in der missverständlichen deutschen
Wiedergabe (mit „gesunder Menschenverstand") der Zusammenhang des
common sense mit sense, Sensation, sentiment zu Tage.
*) Compayre, a. a. 0., p. 181.
«) Cf. Sampson I, 298, 3G7, 378, 393, 39ö, 397 und Princ, Intr, sect. 1.
r
7
die Instinkte, wie Conipayre ') hervorhebt, die Philosophie Reid's
vom common sense vor. Endlieh dürfte auch hier seine Vor-
liebe für quantitative Betrachtungsweisen, die au statistischem
Registrieren ihre Freude hat, mithineinspieleu.
Belief und Imagiuatiou.
(belief und fancy.)
Zwischen Imagination und Fancy, den beiden Worten zur
Bezeichnung der Einbildungskraft und der Phantasie besteht
bei Hume offenbar kein wesentlicher Unterschied. Fancy
nimmt häufig ein vorangegangenes Imagination wieder auf und
ebenso umgekehrt. Eins tritt für das andere ein, ohne dass
ein Wechsel der Bedeutung nachweisbar wäre.^)
Das Verhältnis zwischen belief und Imagination scheint
auf den ersten Blick ein rein gegensätzliches zu sein. Schon
der Gedächtnis und Sinne begleitende belief bestand in der
Lebendigkeit der Perzeptionen der Sinne und des Gedächt-
nisses, die sie von (den Ideen) der Imagination unterscheidet.^)
Und im Kausalzusammenhang war belief jener Akt des Geistes,
der uns „Realitäten" gewichtiger und einflussreicher macht
als die Fiktionen der Imagination, oder die erdichteten Ideen,
die fancy allein präsentiert. Die Idee, der wir zustimmen,
wird anders empfunden als eine erdichtete Idee. Was der
Geist als Tatsache annimmt, erfasst er fester und konzipiert
er stetiger denn Fiktionen.*)
Von der Imagination wird dekretiert, dass sie für sich
allein belief nicht „erreichen" kann. Belief war ja eben die
lebendigere, lebhaftere, stärkere, festere, stetigere Konzeption,
als Imagination allein erreichen kann, als die Konzeption,
1) a.a.O. p. 332. Auch Brede, a.a.O. p. 50 findet, von den über-
mächtigen Eindrücken von der Realität der Aussenwelt, denen sich auch
der Verstandesskeptiker niemals entziehen kann, „ist nur noch ein Schritt
zu dem Standpunkt, dass man den common sense, den guten Menschen-
verstand, als gleichwertig behandelt mit jenem."
2) Cf. z.B. Treat. I, 31S, 393, 419, 420, 500, 547.
3) Treat. I, 387.
*) l^eat. I, 398; Ess. II, 42; Treat. I, 557.
r
8
welche die blossen Fiktionen der Imagination begleitet. t) Sind
wir von einer Tatsache überzeugt, so konzipieren wir sie mit
einem gewissen Gefühl, das verschieden ist von dem, welches
die blossen Träumereien der Imagination begleitet. Bestände
belief nicht in diesem bestimmten feeling, so ständen die
Gegenstände der wildesten Einbildungskraft auf gleichem Fuss
mit den festesten Wahrheiten, die auf Erfahrung und Geschichte
gegründet sind. Fiktion der Imagination (gelegentlich auch
der fancy) ist bei Hume ein festgewordener Terminus und
stehender Gegensatz zum belief und den Realitäten, die der
belief uns gegenwärtiger macht als Fiktionen.^)
Nichts ist der Vernunft gefährlicher als die Flüge der
Imagination. Nichts hat mehr Irrtümer unter den Philosophen
verursacht. Eine natürliche Schwäche und Unbeständigkeit
zeichnet sie aus. Sie ist launenhaft und unstät. In ihr haben
wir die leichtfertigeren Eigenschaften (more frivolous properties)
unseres Denkens vor uns. Nichts ist freier als die Imagination.
Sie hat Gewalt über alle ihre Ideen, sie nach Belieben zu
mischen, zu einigen, zu variieren, zu wechseln und zu ändern.^)
Eine falsche Fiktion der Einbildungskraft ist unser Er-
dichten (feign) kontinuierlicher Existenz aller sinnlich wahr-
nehmbaren Gegenstände. Die Annahme kontinuierlicher Exi-
stenz von Körpern unabhängig von unserm Geist, zu welcher
wir instinktiv immer wieder gedrängt werden, gehört nicht
der Vernunft, nicht den Sinnen, sondern gänzlich der Imagina-
tion zu. In der Imagination ist diese opinion tief gewurzelt.
Imagination tiberzeugt uns von der kontinuierlichen Existenz
äusserer Objekte, wenn sie den Sinnen nicht gegenwärtig sind.^)
Denn es ist eine Eigenschaft der Imagination, einmal in Be-
wegung gesetzt, auch ohne ein entsprechendes Objekt, wie eine
in voller Fahrt befindliche Galeere auch ohne neuen Ruder-
schlag in ihrem Lauf zu verharren. So macht die Imagination
1) Ess. II, 42, 43, 48.
2) Treat. I, 555, 444; Ess. II, 40 f., 42.
3) Treat. I, 547, 347, 445, II, 275 Anm.; Ess. II, 40, 42; Treat. I, 3 IS,
398. Cf. für diese Beurteilung der Imagination noch: illusion of the Ima-
gination (fancy) Treat. I, 547, (II, 109); reveries of the Imagination Treat.
1, 555, loose reveries of the fancy Ess. II, 41.
*) Treat. I, 497, 483, 502, 540.
59
aus unterbroclienen ähnliclien Perzeptionen fälselilieli ideutische,
aus den mehr oder minder einförmigen und regelmässigen Er-
scheinungen der Objekte für die Sinne fälschlich kontinuier-
lich existierende Dinge. Faney geht von den unterbrochenen
Perzeptionen direkt und unmittelbar zur Idee einer anderen
Existenz über, die diesen Perzeptionen ihrer Natur nach ähnelt,
aber dabei kontinuierlich, ununterbrochen und identisch ist.')
Allein würde die Imagination allerdings niemals auf eine
solche Annahme verfallen. Lebendige gegenwärtige Gedächt-
nisimpressionen helfen dazu und gewähren jener Fiktion
Lebendigkeit, oder mit anderen Worten, lassen uns die kon-
tinuierliche Existenz von Körpern „glauben".^)
Hier ist belief bei einer lebendigen Fiktion vorhanden und
der frühere Gegensatz, der allerdings immer nur ein quantita-
tiver war, ist verschwunden.
Aber auch sonst ist das Verhältnis von belief und Imagina-
tion nicht rein gegensätzlich. Wenn Hume verfügt, Imagination
allein kann niemals belief erreichen, so ist der Nachdruck auf
jenes „allein" zu legen. Dcim die Hervorbringung von belief
erscheint als eine Beeinflussung der Imagination und eine
starke, kräftige Imagination ist „von allen Talenten das ge-
eignetste, to procure belief and authority".^) Die Lebhaftig-
keit der Imagination eines Schriftstellers reisst ihn und uns
mit fort. Jede Idee, die Kraft und Lebendigkeit aufweist, ist
der Imagination angenehm. Ein Gemisch von Wahrheit und
Falschheit befriedigt sie schon. Ja, die durch fancy produ-
zierte Lebendigkeit ist in vielen Fällen grösser, als die, welche
aus Gewohnheit und Erfahrung herstammt.-»)
1) Treat. I, 487, 501, 487 f., 500.
2) Treat. I, 500, 497.
3) Ess. II, 142; Treat. 1,420.
*) Treat. I, 420. Fancy (imagination), Gewohnheit und Erfahrung
sind Quellen der Lebendigkeit der Ideen. Erfahrung unterweist mich
über verschiedene Vereinigungen von Objekten in der Vergangenheit.
Gewohnheit determiniert mich, das Gleiche für die Zukunft zu erwarten.
Beide vereinigen sich in ihrer Wirkung auf die Imagination und veranlassen
mich, gewisse Ideen intensiver und lebendiger als andere zu bilden, Treat.
I, 545. Ebendort findet sich die Wendung: imagination or (I) the vivacity
of cur ideas.
60
Eine Idee der Imagination kann solche Stärke und
Lebendigkeit erlangen, dass sie für eine Idee des Gedächt-
nisses gilt und fälschlich deren Wirkungen auf belief und
judgment nachahmt.') Denn nichts unterscheidet die Imagina-
tion von dem Gedächtnis als die geringere Lebendigkeit. Die
Imagination dem Gedächtnis gegenübergestellt ist das Ver-
mögen, durch das wir unsere schwächeren Ideen bilden. Die
Imagination kann (durch Wiederholung, in der Erziehung)
Ideen so fest eingeprägt bekommen haben, und sie in so
vollem Licht konzipieren, dass sie in derselben Weise auf den
Geist wirken, wie die, welche Sinne, Gedächtnis und Vernunft
uns präsentieren. Hume's eigentliche Meinung dürfte die sein:
Häufige Wiederholung prägt eine Idee in der Imagination ein:
kann aber nicht von selbst belief erreichen.^)
Den Ausblick auf eine viel umfassendere, grundlegende
Bedeutung der Imagination für jeden belief (im Kausal-
zusammenhang) eröffnet der Satz: Hätten Ideen nicht mehr
Einigung in der fancy, als Objekte dem Verstände zu haben
scheinen, so könnten wir niemals in irgend eine Tatsache belief
setzen. Der Kausalschluss, von dem hier die Rede ist, hängt
einzig von der Einigung der Ideen ab, und diese erfolgt in
der Imagination. Damit tritt fancy (Imagination) in unsere
sämtlichen reasonings ein.^)
Ursache und Wirkung sind ja für Hume ganz verschiedene
Ereignisse. Eine Verknüpfung zwischen ihnen ist durch Ver-
nunft nicht einzusehen. Vernunft kann nicht dartun, dass die
Existenz eines Objektes die eines anderen einschliesst.'*) Geht
der Geist von der Idee oder Impression eines Objektes zur
Idee oder dem belief eines anderen über, so ist er nicht durch
Vernunft determiniert, sondern durch gewisse Prinzipien (Ähn-
lichkeit, Benachbart -sein, Verknüpfung), die die Ideen dieser
Objekte assoziieren und in der Imagination einigen. Wir
finden, dass durch die gewohnheitsmässige Vereinigung die
») Treat. I, 387 ; cf. auch „die Art belief", welche die lebendige
Imagination dem Manne am Rande des Abgrunds produziert, Ess. II, 141 f.
2) Treat. I, 317 f., 386 f.; 416 Anm., II, 157 Anm.; I, 416, 415.
») Treat. I, 393, 437.
*) Cf. hier p. 3 f., 25.
61
Objekte eine Einigung in der Imagination erlangen.') Sind
wir gewohnt, ein Objekt mit einem anderen vereinigt zu
sehen, so geht unsere Imagination vom ersten zum zweiten
durch einen natürlichen Übergang, der der Reflexion vorher-
geht und durch dieselbe nicht gehindert werden kann.2) Durch
die Gewohnheit treibt das gegenwärtige Objekt die Ein-
bildungskraft, unmittelbar das gewöhnlich mit ihm verbundene
Objekt in der besonderen Weise zu konzipieren, die wir belief
nennen. Durch den Einfluss der Gewohnheit auf die Imagina-
tion erklärt Hnme den belief. Als eine Wirkung der Gewohn-
heit auf die Imagination sind die Kausalurteile anzusehen.
Durch kein anderes Prinzip als Gewohnheit, die auf die
Imagination .wirkt, können wir einen Schluss von der Er-
scheinung eines Objekts auf die Existenz eines anderen
ziehen.^)
Die Gewohnheit, der alle Kausalurteile zugeschrieben
werden, hat keinen anderen Einfluss als den, die Imagination
zu beleben und uns eine starke Konzeption eines Objektes zu
geben. Das gegenwärtige Objekt kräftigt und belebt die
Imagination und die Ähnlichkeit samt der konstanten Ver-
einigung überträgt diese Kraft und Lebendigkeit auf die in
Relation stehende Idee.^)
Ohne die Einigung der Objekte durch die Imagination
wäre überhaupt kein Kausalschluss und kein belief im Kausal-
zusammenhang möglich. Imagination lässt uns Schlüsse von
Ursachen und Wirkungen bilden. Wenn dasselbe Prinzip uns
von der kontinuierlichen Existenz äusserer Objekte überzeugt,
so ist das ein direkter Widerspruch.'^)
») Treat. I, 392 f., 394.
*) Treat. I, 443, cf. transition of the fancy, Treat. I, 402; this custoniary
transition of the imagiuation, Ess. II, (52. — Zu dem im Nachsatz berührten
Punkt cf. Treat. 1,477: SubtUes Denken verursacht der Imagination An-
strengungen und lässt es nicht zu einem ganzen belief kommen.
3) Ess. n, 41, 87; Treat. I, 470; 450; 404.
*) Treat. I, 445, 439.
^) Treat. I, 546, cf. 516: Es ist ein direkter, völliger Gegensatz
zwischen unserer Vernunft und unsem Sinnen, oder, besser ausgedrückt,
zwischen den Schlüssen, die wir von Ursachen und Wirkungen bilden,
und denen, welche uns von kontinuierlicher, unabhängiger Existenz von
Körpern überzeugen.
62
Ferner spielt faney bei der „Wahrsclieinliclikeit von Ur-
sachen" eine bedeutsame Rolle. Fancy schmilzt die einander
entgegengesetzten Erfahrungen der Vergangenheit zu einem je
nach deren Zahl und Überlegenheit über die entgegengesetzten
Erfahrungen intensiven und lebendigen „Bilde" zusammen. Bei
der Übertragung der Vergangenheit auf die Zukunft durch
einen Verstandesschluss entstände in keinem einzigen der-
artigen Fall belief oder Gewissheit, da die vergangene Er-
fahrung dem Verstände nicht das bestimmte Objekt darbietet,
das der belief bedarf. So entsteht der belief nicht allein aus
der Übertragung der Vergangenheit auf die Zukunft, sondern
von einer damit verbundenen Tätigkeit der fancy. Stammt
freilieh die Menge verschiedener Anschauungen eines Objektes
nicht aus der Erfahrung, sondern aus einem "Willensakt der
Imagination, so einigen die gleichartigen Anschauungen sich
nicht zu einer starken, lebendigen Anschauung.') Eine ähn-
liche Stelle findet sich im Euquiry, dass bei der „Wahrschein-
lichkeit" das Zusammentreffen mehrerer „Aussichten" die Idee
stärker der Imagination einprägt, ihr höhere Kraft und
Lebendigkeit verleiht, ihren Einfluss auf die passions und
Affekte spürbarer macht, mit anderen Worten, die Zuversicht
und Sicherheit erzeugt, die das Wesen des belief ausmachen.^)
Dies starke und offenbar völlig berechtigte Hineinragen
der Imagination in den Kausalzusammenhang und den darauf
ruhenden belief führt zu einer anderen Beurteilung derselben.
Die vollkommene Freiheit der Imagination, Ideen zu ver-
setzen lind zu verändern, wird schon „einigermassen" geordnet
und einförmiger gemacht durch universelle Prinzipien, welche
die Ideen „mit sanfter Gewalt" einigen. Die Qualitäten, von
denen diese Assoziation entsteht, sind Ähnlichkeit, Benachbart-
sein in Raum und Zeit und das Verhältnis von Ursache und
Wirkung. 3) Noch etwas weiter führt die Unterscheidung, die
er innerhalb der Imagination macht zwischen Prinzipien, die
sich gleich bleiben, unwiderstehlich und allgemeingültig sind
— zu ihnen gehört der gewohnheitsmässige Übergang von
») Treat. I, 437.
2) Ess. II, 48.
8) Treat. 1,319.
63
IJrsaelien zu Wirkungen und von Wirkungen zu Ursachen — ,
und Prinzipien, die veränderlieli, schwach und unregelmässig
Sinti. Die ersteren sind die Grundlagen aller Gedanken und
Handlungen, sodass mit ihrer Beseitigung die Mensehennatur
unmittelbar zu Grunde gehen müsste. Die letzteren sind für
den Menschen weder unvermeidlich, noch notwendig, noch für
die Lebensführung nützlich zu nennen. Im Gegenteil. Sie
finden sich erfahrungsmässig in schwachen Gemütern und
können, da sie anderen 'Prinzipien der Gewohnheit und des
Denkens und Sehliessens (reasoning) entgegengesetzt sind,
durch eine rechte Kontrastierung leicht zerstört werden. Es
zeichnet die „moderne" Philosophie vor der alten mit ihren
eingebildeten Gespenstern, den Fiktionen von Substanz und
Akzidenz, von substanziellen Formen und verborgenen Quali-
täten aus, dass sie einzig von den soliden, sich gleichbleiben-
den, festen Prinzipien der Imagination ausgehen will.i)
Der Gegensatz zwischen Vernunft und Verstand und
Imagination hört damit auf, ein absoluter zu sein. Wird
Imagination der Vernunft oder dem Verstände entgegengesetzt,
so versteht Hume darunter die Fähigkeit, durch welche wir
unsere schwächeren Ideen bilden, wobei nur unser demonstra-
tives und „wahrscheinliches" Schliessen ausgenommen ist.2)
Der Verstand wird beiläufig einmal als die allgemeinen und
festeren Eigenschaften (general and more established properties)
der Imagination bestimmt. 3) Unter anderer Betrachtungsweise
heisst es: Gedächtnis, Sinne und Verstand sind alle auf der
Imagination oder (!) Lebendigkeit unserer Ideen gegründet.
Ohne die Imagination könnten wir niemals einem Argument
zustimmen, oder unsern Blick über die wenigen unseren
Sinnen gegenwärtigen Objekte hinausschweifen lassen. Ja,
selbst diesen Objekten könnten wir keine andere als eine von
unseren Sinnen abhängige Existenz zuschreiben. Wir müssten
sie vollständig in jener Sukzession von Perzeptionen fassen,
die unser Selbst, unsere Persönlichkeit ausmacht. Ja mehr
noch, selbst in Rücksicht auf jene Sukzession könnten wir nur
1) Treat. I, 511.
2) Treat. I, 416 Anm.. II, 157 Anin.
3) Treat. I, 547.
64
solche Perzeptionen zulassen, die unserm Bewiisstsein unmittel-
bar gegenwärtig sind und jene lebendigen Bilder, welche das
Gedächtnis uns präsentiert, könnten niemals als getreue Ge-
mälde (pictures) unserer früheren Perzeptionen aufgenommen
werden. Gedächtnis, Sinne und Verstand sind daher sämtlich
auf der Imagination oder der Lebendigkeit unserer Ideen ge-
gründet.') Kein Wunder, dass Hume die Imagination den
„letzten Richter aller philosophischen Systeme" nennt.^)
Wenn die Imagination durch eine Gährung im Blut oder
in den „Lebensgeistern" solche Lebendigkeit erlangt, dass
ihre Kräfte und Vermögen gestört werden, so gibt es keine
Mittel mehr, Wahrheit und Falschheit zu unterscheiden. Jede
Erdichtung und jede Idee hat alsdann denselben Einfluss wie
die Impressionen des Gedächtnisses oder die Schlüsse der
Urteilskraft und wirkt gleich kräftig auf die passions ein.
Eine gegenwärtige Impression und ein gewohnheitsmässiger
Übergang ist dann zur Belebung der Idee nicht mehr erforder-
lich. Jede „Chimäre des Gehirns" ist dann so lebhaft und
intensiv als Schlüsse über Tatsachen oder gegenwärtige Im-
pressionen.3)
Trotzdem bleibt auch für den gesunden Menschen ein
Dilemma. Stimmen wir jeder beliebigen Anregung der fancy
zu, so sind diese häufig einander entgegen und leiten uns in
solche Irrtümer, Absurditäten und Dunkelheiten, dass wir uns
zuletzt unserer Leichtgläubigkeit schämen müssen. Andererseits
zerstört der Verstand — nach dem obigen Citat besteht er in
den allgemeinen, gesetzteren Eigenschaften der Imagination — ,
wenn er seinen allgemeinsten Prinzipien gemäss wirkt, sich
selbst völlig und lässt in Philosophie und Leben an keinem
Satz auch nur den niedrigsten Grad von Evidenz. Hume wahrt
seinen Ruf als Skeptiker. Er erklärt, selbst nicht zu wissen,
was da geschehen solle. Natur gibt vorübergehend die prak-
tische Lösung, welche die Vernunft nicht zu gewähren
vermag.^)
* *
*
1) Treat. I, 545.
') Treat. I, 510.
3) Treat. I, 421, cf. Ess. II, 13.
") Treat. I, 547 f.
65
Folgen des Belief.
Unter der Rubrik „Folgen des belief" ist im wesentlichen
nur noch übersichtlicher zusammenzustellen, was im Lauf der
Darstellung bereits mehrfach hat berührt werden müssen.
Die Zusammenstellung ergibt auch hier jenes schon früher
beobachtete Schwanken Hume's zwischen Idealismus und Realis-
mus, wobei sein Ausgangspunkt von den Tatsachen des Be-
wusstseins, auf deren Beschreibung er sich beschränkt, ein
durchgängiges Überwiegen idealistischer Gedankenreihen be-
günstigt.
Die Ideen, die von belief begleitet sind, machen auf den
Geist Eindruck. Während wir unsere Ideen mannigfach mit-
einander vermischen können, „fixiert" der belief eine Idee und
schafft eine (bestimmte) opinion.') Seine Wirkung ist eben
die, eine Idee in der Imagination zu beleben und einzuheften
und alle Art Unsicherheit in betreff ihrer zu verhindern.^) Belief
erteilt der Imagination Lebendigkeit. Er gefällt ihr wegen
der Kraft und Lebendigkeit, die ihn begleitet. Eben diese
Lebendigkeit verursacht Lust, ihre Gewissheit hindert Un-
behagen dadurch, dass sie eine besondere Idee im Geist fixiert
und diesen davon zurückhält, in der Wahl seiner Objekte zu
schwanken.^)
Dabei ändert, variiert, modifiziert der belief nur die Weise,
in der wir eine Idee oder ein Objekt konzipieren. Er macht
die Idee stärker und lebhafter. Er verleiht unsern Ideen
einen Zuwachs an Kraft und Lebendigkeit, und macht sie für
das feeling verschieden, ohne eine neue Impression zu pro-
duzieren.*)
Macht aber belief eine Idee stärker und lebendiger, ist
der belief nur eine starke, stetige Konzeption einer Idee, so
') Treat. I, 419, 396. Hierher gehört aach die Bemerkung, dass bei
der „Wahrscheinlichkeit von Ursachen" das Zusammentreffen mehrerer
„Aussichten" den belief erzeugt und dieser dem einen Ereignis vor dem
andern den Vorzug gibt, Ess. II, 48, 49. (Treat. I, 40:i). Fraglich bleibt
allerdings, ob Home hier die Folge oder das Wesen des beUef kenn-
zeichnen will.
2) Treat. II, 227, cf. oben p. 10.
3) Treat. I, 420, II, 227.
*) Treat. I, 396, 402, 557.
66
ist damit gegeben, dass dieselbe einer unmittelbaren Impression
nahekommt. Denn die verschiedenen Grade von Kraft und
Lebendigkeit machen den ganzen Unterschied zwischen Ideen
und Impressionen aus. Die Ideen sind unsere „schwächeren
Konzeptionen", die „schwachen Abbilder" unserer Impressionen.
Diese sind natürlicherweise unsere lebendigsten Perzeptionen,
von welchen alle andere Lebendigkeit herstammt.')
Darum ist belief, indem er eine Idee an Kraft und
Lebendigkeit einer Impression nähert, die Ursache, dass eine
Idee die Wirkung einer Impression „nachahmt".2) Seine
Wirkung besteht darin, eine einfache Idee in die Gleichheit
mit unsern Impressionen zu erheben und ihr einen gleichen
Einfluss auf die passions zu gewähren.^) Die Ideen der Ob-
jekte, deren jetzige oder künftige Existenz wir „glauben",
bringen in geringerem Grade dieselben Wirkungen hervor, wie
die den Sinnen oder der Perzeption unmittelbar gegenwärtigen
Impressionen. Die Konzeptionen, welche Gegenstände der
Überzeugung und Gewissheit sind, kommen den uns unmittel-
bar gegenwärtigen Impressionen näher. Der belief nähert sich
der Impression, von welcher er abgeleitet ist.^)
Nun „gefällt es uns", unsere Impressionen, was immer
unsern inneren Perzeptionen oder den Sinnen gegenwärtig ge-
wesen ist (und alles, was mit den gegenwärtigen Impressionen
vereinigt war)'») im Unterschied von den reinen Fiktionen der
Einbildungskraft „Realität" zu nennen. Aber unser Geist be-
gnügt sich nicht damit, sondern bildet aus den mit diesem
„System der Perzeptionen" durch die Kausalrelation ver-
knüpften Ideen ein neues System, welches er gleicherweise
1) Treat. I, 396 Anm.; 311, 314, 403, 417; 311, 556, 496.
2) Treat. I, 418.
ä) Treat. 1,417. Belief beeinflusst die passions und die Imagination,
1,557. Die Lebendigkeit des belief ist fast absolut erforderlich, unsere
passions zu wecken und zu erregen, Treat. 11, 205, 1,418. Umgekehrt sind
die passions dem belief günstig. Die passiou z. B. der Überraschung und
Verwunderung bei Wunderberichten gibt eine merkliche Tendenz zum
belief an jene Ereignisse, Ess. II, 95.
*) Treat. I, 417, 556, 557.
^) Über die Schwierigkeit in Hume's Fassung der Realität, speziell
bezüglich des im Text eingeklammerten Satzes vergleiche Green's Ein-
leitung, Treat. I, 279 f.
67
der BezeiehnuDg .,Realität" würdigt. Das erste System ist
Gegenstand des Gedächtnisses und der Sinne, das zweite des
(Kausal-) Urteils. 1)
Dann ist belief jener Akt des Geistes, der Realitäten (und,
was dafür gehalten wird) uns gegenwärtiger, für unser Denken
gewichtiger, für unsere passions und emotions einflussreieher
macht als Fiktionen. Er unterscheidet die ideas of judgment'-)
von den Fiktionen der Imagination, gibt ihnen mehr Kraft
und Einfluss, lässt sie von grösserer Wichtigkeit erscheinen,
befestigt (infixes) sie im Geist, zwingt sie ihm auf und macht
sie zu herrschenden Prinzipien für unser gesamtes Handeln.^)
Belief allein ermöglicht es uns, Realitäten, Wahrheiten, die auf
Erfahrung und' Geschichte (!) gegründet sind, von Fiktionen
und erdichteten Ideen, von Träumereien und den Produkten
der ungezügeltsten Einbildungskraft zu unterscheiden.^)
* *
Kritik.
Die Kritik der Hume'schen Gedanken muss sich hier auf
die im Lauf der Darstellung wiederholt hervorgetretenen
Schwächen seiner Gesamtanschauung beschränken.
Dazu gehört vor allem sein Versuch, mit lauter quantita-
tiven Unterschieden auszukommen. Quantitativ ist der Unter-
schied zwischen Impressionen und Ideen. Sie unterscheiden
sich nur dem Grade, nicht der Natur nach. Quantitativ ist
der Unterschied zwischen Impressionen des Gedächtnisses und
Fiktionen der Einbildungskraft, quantitativ der Unterschied
zwischen Träumereien der Phantasie und Realitäten oder
1) Treat. I, 407. Der anders lautende Sprachgebrauch in den obigen
Citaten p. 12, Anm. 3, p. 17, Anm. 2 wird als Anlehnung an die gewöhnliche
Redeweise oder als ein Durchschimmern realistischer Gedanken zu fassen sein.
2) Von E. Küttgen, a.a.O., p. 133 völlig verfehlt wiedergegeben mit:
,die Vorstellungen, die das Urteil konstituieren."
3) Treat. 1,398; Ess. 11,42.
*) Treat. I, 398. Fraglich kann erscheinen , wieweit das Überzengt-
sein von der Wahrheit dessen, was wir konzipieren, welches vorhanden
ist, wenn wir belief mit der Konzeption vereinigen, Treat. I, 396 als Folge
des belief aufgefasst werden darf, cf. oben p. 9, Anm. 5 , und p. 52 f. den
belief als Kriterium der Wahrheit und Wirklichkeit.
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Wahrheiten, die auf Erfahrung und Geschichte gegründet sind,
zwischen Fiktionen und belief J) Der Grad der Lebendigkeit
und Kraft der Konzeption soll allein den Unterschied aus-
machen.
Ist der Unterschied ein rein quantitativer, so sind die
Grenzen fliessend und eine genaue Grenzbestimmung zwischen
Phantasien und Realitäten, zwischen Fiktionen und belief nicht
möglich. Hume macht auch nirgends den Versuch, zu zeigen,
bei welchem Grad von Lebendigkeit etwa belief anfängt.^)
Sicher gehört unter die elementarsten methodischen Grund-
sätze des Philosophen die Einsicht, dass „Natur" nach den
einfachsten Methoden handelt und zur Erreichung ihrer Zwecke ■
die dienlichsten Mittel wählt, dass wenige einfache Prinzipien
die gesamte im Universum zu beobachtende Mannigfaltigkeit
der Wirkungen erklären, und alles in der bequemsten und
einfachsten Weise ausgeführt wird. Es ist das Merkmal eines
ungeschickten Naturforschers, wenn er zur Erklärung jeder
neuen Tätigkeit seine Zuflucht zu einer anderen Qualität
nimmt. 3) Aber ob nicht Hume's Schwierigkeiten daher rühren,
dass er die Zahl jeuer erklärenden Prinzipien zu klein macht
und alles rein quantitativ zu begreifen versucht? Denn auf
der anderen Seite verdient doch auch Philo's Äusserung Be-
achtung: „Natur" hat eine unendliche Zahl von Quellen und
Prinzipien, die sich uns unaufhörlich bei jedem Wechsel der
Stellung und der Lage entdecken.*) Die Natur, die Wirklich-
keit, das Leben ist unvergleichlich reicher, als dass ein Schema
sie erschöpfend zu erklären vermöchte.
Ein zweiter Angriffspunkt liegt in der idealistischen Be-
stimmung der Existenz, die einem grossen Teil seiner Aus-
führungen ihre Färbung gibt, und selbst darauf zurückgeht,
dass Hume sich auf die Bewusstseinsinhalte, die Perzeptionen
beschränkt und es ablehnt, auch nur in Hypothesen über deren
unmittelbares Gegebensein hinauszugehen.
') Zu beachten ist unter diesem Gesichtspunkt auch die Wendung:
Imagination (allein) kann nie belief „erreichen" (reach), Ess. II, 42.
2) Cf. oben p. 11 und 59.
8) Treat. II, 455, 249, 81.
*) Treat. II, 397.
09
Mitbestimmen mag ihn dabei ein bei aller seiner Ver-
staudesskepsis vorhandener naiver intellektueller Optimismus.
Niemals täuscht uns unser Bewusstsein, Die Perzeptionen des
Geistes sind vollkommen bekannt, dagegen ist die Zusammen-
setzung unsrer Körper dunkel und widerspruchsvoll. Resig-
nierter klingt eine dritte Äusserung: Die „Tntellektualwelt",
obwohl in unendliche Dunkelheiten verwickelt, wird nicht
durch solche Widersprüche in Verlegenheit gesetzt, wie wir
sie in der „natürlichen Welt" entdeckt haben. Was in ihr
bekannt ist, stimmt mit sich überein, und das, was unbekannt
ist, müssen wir uns begnügen, so zu lassen. ')
Hätte Hume sich nicht mit dem unmittelbaren Bestand
des Bewusstseins begnügt, hätte er, wie unser Denken es
seiner Natur nach fordert, nach der Ursache unserer Im-
pressionen, nach der Ursache jeuer bei ihm schier alles ver-
mögenden Lebendigkeit unserer Konzeptionen, nach der Ur-
sache ferner, der von ihm zwar gelegentlich betonten, aber
nicht weiter ausgenutzten Stetigkeit, die der belief im Unter-
schiede von der Fiktion aufweist ,"0 endlich nach der Ursache
dessen gefragt, dass dieser belief sich unabhängig von unserm
Willen mit zwingender Notwendigkeit immer wieder aufdrängt
trotz aller Skepsis, und dass wir immer wieder die „Neigung"
haben, äussere, kontinuierliche, von uns unabhängige Dinge zu
„erdichten", er hätte seinen Idealismus fallen lassen, ihn zum
mindesten mehr einschränken müssen. Die über ihn hinaus
und zur Annahme einer Aussenwelt führenden Momente sind
bei ihm selbst vorhanden und geben bereits stellenweise seinem
belief ein anderes Gepräge.
Ob nicht zuletzt bei ihm, der selber gelegentlich seiner
Gesamttheorie entgegenstehende Einzelfälle berührt, der wieder
und wieder die unvermeidlichen Widersprüche zwischen
Vernunft und Sinnen, Vernunft und Natur, Vernunft und In-
stinkt, zwischen Vernunft (Verstand) und Imagination und
selbst zwischen Imagination und Imagination konstatiert und
sie ungelöst stehen lässt, seine eigenen Worte Anwendung
') Ess. II, 55; Treat. ü, 153; I, 51Gf.
2) Cf. üben p. 48, 51, 57 Anm. 4.
70
finden müssen: Wenn eine Anschauung (Meinung) zu Absurdi-
täten führt, so ist sie sicherlich falsch?')
Speziell für seinen belief gibt Lipps ihm das Zeugnis, dass
er „bei der Frage nach dem Wesen des Glaubens aus dem
Ringen um völlige Klarheit nie ganz herausgekommen ist".^)
1) Treat. II, 189; Ess. II, 79.
2) a. a. 0. p. 3ü5, Anm. 334.
Vita.
Ich, Otto Karl Wilhelm Quast, wurde geboren am
28. Mai 1877 zu Essen a. d. Ruhr als Sohn des Revisors Theodor
Quast. Nach vierjähriger Vorbildung auf der Elementarschule
bezog ich Ostern 1887 das Gymnasium meiner Vaterstadt und
erlangte Ostern 1896 das Zeugnis der Reife.
Auf der Universität studierte ich Theologie, drei Semester
in Erlangen, die nächsten vier in Halle a. d. Saale und bestand
am 28. April 1900 zu Koblenz das Examen pro licentia con-
cionandi.
Darnach war es mir vergönnt, noch weitere fünf Semester,
vom Sommer 1900 bis Herbst 1902, an der Bonner Universität
mich ausschlielslich dem Studium von Philosophie und Ge-
schichte widmen zu können.
Unter den Professoren, die ich hörte, sind es vor allem
die Herren Professoren Dr. Erdmann und Dr. von Bezold,
denen ich für methodische Schulung, sachliche Einsicht und
weitgehendes persönliches Entgegenkommen dauernde Dank-
barkeit schulde.
Thesen.
I.
Wo die Naturwissenschaft den Begriff der Kraft einführt
geht sie über den Bestand der Erfahrung hinaus.
IL
David Hume kann mit ziemlicher Gewissheit als „sprach-
licher Akustiker" in Anspruch genommen werden.
III.
Hume's idealistische Bestimmung der Existenz ist von
Berkeley übernommen, von ihm aber im Treatise schärfer
begründet worden.
IV.
Kant's Freiheitsbegriff schliesst die Gesetzmässigkeit nicht
aus, sondern ein.
V.
Die unter dem Titel „Monachus Sangallensis" überlieferte
Schrift des neunten Jahrhunderts ist mit gröfster Wahrschein-
lichkeit Notker, dem Stammler zuzuschreiben.
VI.
Die Darstellung, welche Bismarck in den „Gedanken und
Erinnerungen" von der spanischen Thronkandidatur gibt, ent-
spricht nicht dem Sachverhalt.
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B Quast, Otto
1499 Der Belief in Hume«s Kaus-
B4Q2 Alitätstheorie»