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Full text of "Der Belief in Hume's Kausalitätstheorie"

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Quast,  Otto 

Der  Belief  in  Hume's 
Kausalitätstheorie . 


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1499 
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DER  BELIEF 


IN 


HUME'S  KAUSALIWÄ 


INAUGURAL-DI 

ZUR 

ERLANGUNG  DER  PHILOSOPHISCHEN  DOKTORWÜRDE 

BEI 

DER  HOHEN  PHILOSOPHISCHEN  FAKULTÄT 

DER 

RHEINISCHEN  FRIEDRICH  WILHELMS -UNIVERSITÄT 

ZU  BONN 
EINGEREICHT  UND  MIT  DEN  BEIGEFÜGTEN  THESEN 

VERTEIDIGT 

AM  27.  MAI  1903,  MITTAGS   12  UHR 

VON 

OTTO    QUAST 


AUS   ESSEN  Ä.  D.  RUHR 

OPPONENTEN: 
DR.  MAX  HORTEN 
CAND.  PHIL.  JOSEPH  LAPPE 
CAND, 


THEOL.  WALTHER  PRUMERS    \    ^l^CR-^ij^  nf  '^^^''' 


HALLE  A.  D.  S. 

DRUCK  VON  EHRHARDT  KARRAS 

1903 


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Die  Dissertation  bildet  den  2.  Hauptteil  der  Schrift:  Der  Begriff 
des  belief  bei  David  Hume,  abgedruckt  als  Nr.  XVII  der  Abhandlungen 
zur  Philosophie  und  ihrer  Geschichte,  herausgegeben  von  Benno  Erdmann, 
Halle,  Max  Niemeyer. 


7T2in. 


Der  belief  im  Kausalzusammenhang. 

In  den  Erörterungen  des  Kausalzusammenhangs  setzt  der 
Begriff  belief  bei  Hume  erst  eigentlich  ein,  rein  statistisch,  aber 
auch  sachlich,  wie  aus  der  folgenden  Ausfühl-ung  sich  ergeben 
muss.  Statistisch,  denn  die  „Of  the  Nature  of  the  Idea  or 
ßelief",  ,0f  the  Influence  of  Belief",  „Of  the  Causes  of  Belief" 
tiberschriebenen  Abschnitte  im  dritten  Teil  des  ersten  Buchs 
des  Treatise  stehen  dort  in  dem  grösseren  Rahmen  der  Be- 
sprechung des  Verhältnisses  von  Ursache  und  Wirkung.  Die- 
selben Überschriften  finden  sich  nicht  im  Enquiry,  •)  wohl  aber 
dieselben  Erörterungen  über  den  belief  und  zwar  wieder  bei 
der  Frage  nach  der  Natur  des  Kausalzusammenhanges  in  den 
Abschnitten  4,  5,  6  und  7. 

Bei  einem  Rückblick  ferner  erklärt  Hume,  er  habe  unter- 
sucht that  belief,  which  arises  from  causes.  Ebenso  redet  er 
im  Anhang  zum  Treatise  von  that  belief,  which  arises  from 
the  relation  of  cause  and  effect. '-)  In  diesen  Zusammenhang 
muss  er  also  den  belief  hauptsächlich  gefasst  haben.  Hier 
nötigte  er  ihm  besonderes  Interesse  ab.  Zugleich  zeigt  die 
"Wendung  that  belief  statt  des  blossen  belief,  dass  derselbe 
nicht  nur  im  Kausalzusammenhang  seine  Stelle  hat.  3) 


*)  Pfleiderer,  a.  a.  0.  p.  1 78,  findet,  dass  der  Begriff  belief  „besonders" 
in  Eedaktion  I,  d.h.  im  Treatise,  „eine  den  Kausalitätsbegriflf  fast  über- 
wuchernde Rolle  spielt." 

'■')  Treat.  I,  42.5,  555.  —  Eine  ähnliche  Erwähnung  bei  einem  Rück- 
blick auch  Tr.  II,  88. 

^)  Das  ist  zu  betonen,  wenn  Pfleiderer,  a.a.O.  p.  190  erklärt,  bei  der 
unmittelbaren  Impression  „hat  es  keinen  Sinn  schon  von  belief  zu  reden, 
auch  beim  Gedächtnis  ist  es  noch  nicht  am  Platze,  sondern  erst  beim 
wirklichen  Hinausgehen  über  die  unmittelbare  oder  mittelbare  Sinnlich- 
keit." —  Die  Äusserung:  belief  arises  only  from  causation,  Treat.  I,  407 
spricht  nicht  für  Pfleiderer,  sondern  wehrt  nur  die  Entstehung  des  belief 
m  Kausalzusammenhang  aus  Ähnlichkeit  und  Kontiguität  ab. 


„Allerdings  steht  für  Hume  die  Kausalität  im  Mittelpunkt 
seines  Interesses."  „Es  ist  allgemein  bekannt,  dass  namentlich 
Hume's  Analyse  der  Kausalvorstellungen  und  der  Kausalurteile 
den  eigentlichen  Kern  seiner  Philosophie  ausmachen  und  dass 
er  damit  Schwierigkeiten  an  den  Tag  gebracht  hat,  die  seinen 
Vorgängern  diesseits  und  jenseits  des  Kanals  keineswegs  völlig 
fremd  waren,  aber  sicherlich  von  keinem  in  so  scharfem  Lichte 
gesehen,  geschweige  denn  gezeigt  worden  sind."  i)  — 

Der   obige  statistische  Befund  fordert  für  die  Einsicht  in 

den    sachlichen   Zusammenhang   eine   knappe   Darstellung    der 

Ausführungen   Hume's    über    das  Verhältnis   von  Ursache   und 

Wirkung.    Dabei  wird  der  Enquiry  vornehmlich  der  Darstellung 

zu  Grunde  gelegt,  unter  der  einstweiligen  Voraussetzung,  dass 

die  spätere,   kürzere  Fassung  im  Enquiry,   die  „alles  unnütze 

Detail  vermeiden"  will,  2)  bei  der  diese  Frage  andererseits  von 

Anfang   an  im  Vordergrunde   steht,   während   sie   im  Treatise 

erst  im  dritten  Teil  zur  Verhandlung  gelangt,  keine  wesentlichen 

Änderungen  diesem  gegenüber  bringt.  . 

*  * 

Humes  Auffassung  vom  Kausalzusammenhang. 

Hume  unterschied  von  den  Relationen  von  Ideen  die  Tat- 
sachen. Ihnen  gilt  vor  allem  im  Enquiry  seine  Untersuchung. 
Im  Unterschied  von  den  Relationen  von  Ideen  sind  Tatsachen  nie 
demonstrativ  gewiss,  nie  denknotwendig  richtig.  Die  Vorstellung 
ihres  Gegenteils  schliesst  keinen  Widerspruch  ein,  denn  keine 
wirklichen  Objekte  sind  einander  entgegengesetzt.  ^) 

Die  Evidenz  von  (realer)  Existenz  und  von  Tatsachen  — 
beide  werden  häufig  kordiniert  —  beruht  auf  dem  gegenwärtigen 
Zeugnis  der  Sinne  oder  auf  den  „Protokollen"  des  Gedächt- 
nisses. '')  Neben  diesen  beiden  Arten  der  Evidenz  von  Tatsachen, 
die  Hume  keiner  näheren  Untersuchung  würdigt,  ■'>)  gibt  es  noch 


1)  Alexias  Meinong,  Hume-Studien  II,  1882,  p.  4,  115. 

2)  Ess.  II,  12;  cf.  auch  Hume's  Urteil  bei  Burton  I,  337. 
')  Treat.  I,  529,  532. 

«)  Ess.  U,  23. 

5)  Mitunter  hat  es  sogar  den  Anschein,  als  denke  er  bei  matter  of 
fact  nur  an  die  durch  die  Kausalrelation  erschlossenen  Tatsachen,  z.  B. 
Treat.  I,  393  oben,  483  unten. 


eine  dritte.  Sie  ruht  auf  Schlüssen  (reasonings),  die  über  das 
Zeugnis  der  Sinne  und  des  Gedächtnisses  hinausgehen.') 

Vorsichtig  behauptet  dann  Hume,  was  er  weiterhin  als 
bewiesen  annimmt,  diese  Schlüsse  mit  deren  Hilfe  wir  über 
die  Evidenz  der  Sinne  und  des  Gedächtnisses  hinauskommen, 
„seheinen"  auf  der  Relation  von  Ursache  und  Wirkung  ge- 
gründet zu  sein,  und  zwar  allein  auf  dieser.-)  Diese  Relation 
ist  die  gebräuchlichste  Art  der  Verknüpfung  verschiedener  Er- 
eignisse, die  ausgedehnteste,  stärkste  Relation  und  ebenso  die 
instruktivste,  befriedigendste.  Keine  schalft  eine  kräftigere  Ver- 
knüpfung in  der  Phantasie.  Fast  alle  Erkenntnis  hängt  von 
den  Erfahrungsschlüssen  ab,  die  dem  Kausalzusammenhang 
angehören.  3) 

Causation  allein  unter  den  Relationen  informiert  uns  über 
Existenz  und  Objekte,  die  wir  „nicht  sehen  und  nicht  fühlen". 
In  ihren  Schlüssen  sieht  der  Menschengeist  hinaus  über  die 
Objekte,  die  er  „sieht  oder  erinnert".^)  Ein  Mann  „glaubt" 
—  hier  fällt  im  Enquiry  der  Ausdruck  zum  ersten  Mal  — ,  an 
eine  „abwesende"  Tatsache,  z.  B.  den  gegenwärtigen  Aufenthalt 
seines  Freundes  in  Frankreich  auf  Grund  eines  Kausalschlusses, 
der  sich  an  einen  erhaltenen  Brief  anknüpft.^) 

Die  Frage  entsteht:  Wie  kommen  wir  zur  Erkenntnis  von 
Ursache  und  Wirkung?  Antwort:  Ausnahmslos  nicht  rational, 
durch  Schlüsse  a  priori,  durch  abstraktes  Denken  oder  einen 
Reflexionsvorgang,  sondern  einzig  durch  die  Erfahrung,  dass  zwei 
Objekte  konstant  miteinander  verbunden  vorkommen.«)  Weder 
bei  uns  bisher  unbekannten,  noch  bei  uns  vertraut  gewordenen 
Gegenständen  lässt  sich  durch  blosse  Denkoperation  ihre  Ursache 
oder  ihre  Wirkung  herausfinden. ")    Das,  was  wir  Ursache,  und 

>)  Gelegentlich  tritt  für  die  Schlüsse  das  Urteil  (judgment)  ein. 
„Dieses  Prinzip  ist  es,  das  die  Welt  bevölkert  und  uns  mit  solchen 
Existenzen  bekannt  macht,  die  wegen  ihrer  Entfernung  in  Zeit  und  Raum 
über  den  Bereich  der  Sinne  und  des  Gedächtnisses  hinausliegen,"  Treat. 
I,  408. 

2)  Ess.  n,  24,  28;  Treat.  I,  376,  390. 

3)  Ess.  n,  19  Anm.;  Treat.  I,  320;  Ess.  II,  36. 
*)  Treat.  I,  377,  384. 

5)  Ess.  II,  24. 

8)  Ess.  n,  24;  Treat.  I,  372,  388  f. 

■0  Ess.  II,  24 f.;  Treat.  I,  436,  547. 


das,  was  wir  Wirkung  nennen,  sind  ganz  verschiedene  Ereignisse, 
von  denen  keines  das  andere  einsebliesst.  i)  Vernunft  kann 
niemals  in  ihre  Verknüpfung,  in  den  Grund  ihrer  Vereinigung 
eindringen.  Selbst  unterstützt  durch  vergangene  Erfahrung 
vermag  der  Verstand  keine  Verknüpfung  zwischen  gesonderten 
Existenzen  —  und  das  sind  Ursache  und  Wirkung  —  zu 
entdecken.  -) 

Die  Erfahrung  und  auch  die  mechanische  Natur erklärung 
gibt  uns  nur  wenige  oberflächliche  Qualitäten  in  den  „sinnlichen" 
Qualitäten,  nicht  die  letzten  natürlichen  Kräfte  und  Prinzipien 
oder  die  „verborgenen  Kräfte",  nicht  die  „letzte  Verknüpfung 
von  Ursache  und  Wirkung".  3)  Somit  kann  eine  Änderung  in 
den  „verborgenen  Kräften"  eintreten,  während  die  sinnlich  wahr- 
nehmbaren Qualitäten  für  unsere  Erfahrung  dieselben  bleiben. 
Der  Schluss  auf  gleiche  „verborgene  Kräfte"  ist  also  unzulässig. 
Die  „verborgenen  Kräfte"  sind  der  menschlichen  Neugier  und 
der  Forschung  entzogen,  damit  freilich  nicht  geleugnet.  4) 


1)  Ess.  II,  27;  Treat.  I,  388,  II,  186. 

2)  Treat.  I,  392,  395,  559. 

3)  Ess.  II,  27  f.;   Treat.  I,  392,  453. 

*)  Das  letztere  Argument  gegen  einen  rationalen  Zusammenhang 
zwischen  Ursache  und  Wirkung  findet  sich  auch  im  Treatise  (I,  391  f.) 
unter  der  dort  von  Hume  anscheinend  nicht  geteilten  Voraussetzung,  dass 
die  „Produktion"  eines  Objektes  durch  ein  anderes  eine  Kraft  einschliesst, 
die  mit  der  Wirkung  verknüpft  ist.  Unverkennbar  verrät  der  Enquiry 
mit  seiner  häufigen  Betoniing  der  anscheinend  doch  von  uns  völlig  un- 
abhängigen secret  powers,  particular  powers,  Springs  and  principles  für 
alle  natürlichen  Tätigkeiten  und  für  das  geistige  Geschehen  (Ess.  II,  11, 
19',  29f.,  33,  36f.,  52,  71)  eine  Schwenkung  Humes  zu  einer  realistischeren 
Fassung  des  Wirklichen.  Cf.  auch  noch  Ess.  II,  88,  39,  52  f.  Der  Treatise 
spricht  mehr  von  known  qualities  oder  properties  im  Gegensatz  zu  den 
uns  unbekannten  „vollkommen  unverständlichen  und  unerklärbaren"  ultimate 
original  qualities  oder  principles  in  materiellen  wie  immateriellen  Objekten, 
Treat.  I,  380  f.,  aber  auch  ziemlich  häufig  von  secret  causes  Tr.  I,  367,  376, 
379,  453,  455,  462.  Er  redet  zwar  auch  von  Kraft,  die  ihm  gleichbedeutend 
mit  Ursache  und  Verursachen  ist,  Treat.  I,  379,  391.  Aber  Treat.  I,  455 
heisst  es  klar  und  deutlich:  „Alle  unsere  Ideen  stammen  von  Impressionen 
und  repräsentieren  solche.  Niemals  haben  wir  irgend  eine  Impression, 
die  eine  Kraft  oder  Wirksamkeit  enthält.  Niemals  haben  wir  daher  irgend 
welche  Idee  von  Kraft."  Was  das  für  Ilume  besagt,  lehrt  p.  466:  „Wir 
können  niemals  Grund  haben,  zu  glauben,  dass  ein  Objekt  existiert,  von 
dem  wir  keine  Idee  büden  können,"    Reden  wir  von  einem  Wesen  als 


Ferner,  der  Mensehengeist   sehliesst   auf  Grund   der   ver- 
gangenen Erfahrung,  dass  ein  Objekt  immer  von  einer  Wirkung 


angetan  mit  einer  Kraft  oder  Macht,  von  notwendiger  Verknüpfung  zwischen 
Objekten,  „so  haben  alle  diese  Worte  in  Wirklichkeit  keinen  klaren  Sinn 
und  lassen  uns  bloss  gewohnte  Worte  brauchen  ohne  klare  und  deutliche 
Vorstellungen."  Darnach  scheint  seine  Ablehnung  der  „verborgenen 
Kräfte"  mit  zu  der  „Beseitigung  alles  Mysteriösen  aus  unsern  Schlüssen" 
zu  gehören,  die  er  erstrebt,  p.  466. 

Sehr  begreiflich,  dass  ßrede  a.a.O.,  p.  8  für  den  Treatise  zu  dem 
Urteil  kommt,  Hume  habe  die  Idee  der  Kraft  über  Bord  geworfen; 
ähnlich  ohne  die  Einschränkung  auf  den  Treatise,  "Burton,  a.a.O.  I,  275, 
Compayr6,  a.a.O.,  p.  82,  3S7,  498  und  Koenig,  a.a.O.,  p.  213,  215.  Nach 
Koenig  stellt  sich  Hume,  wenn  er  von  Kräften  redet,  nur  auf  den  be- 
treffenden Standpunkt,  um  zu  zeigen,  dass  auf  demselben  das  Problem 
der  Erfahrung  völlig  ebenso  besteht,  wie  auf  anderen,  die  nicht  die  An- 
nahme von  Kräften  machen. 

Freilich  gesteht  Hume  zu,  dass  die  Operationen  der  Natur  nnabhängig 
von  unserm  Denken  und  Schliessen  sind,  dass  es  verschiedene  Quahtäten 
in  materiellen  und  immateriellen  Objekten  gibt,  die  uns  völlig  unbekannt 
sind.  Diese  nach  Belieben  Kraft  oder  Wirksamkeit  zu  nennen,  scheint 
ihm  bedeutungslos,  Treat.  I,  462.  Aber  bedenklich  machen  dem  gegenüber 
seine  Sätze:  Die  Wirksamkeit  oder  Energie  von  Ursachen  liegt  weder  in 
den  Ursachen,  noch  in  der  Gottheit,  noch  im  Zusammentreffen  beider, 
sondern  gehört  gänzlich  der  Seele  an.  Dort  hat  die  reale  Kraft  der 
Ursachen,  dort  hat  die  Verknüpfung,  die  Notwendigkeit  ihren  Sitz.  Not- 
wendigkeit ist  etwas,  das  im  Geist,  nicht  in  den  Objekten  existiert.  Kraft 
und  Notwendigkeit  sind  Qualitäten  von  Perzeptionen,  nicht  von  Objekten. 
Sie  werden  von  der  Seele  inwendig  gefühlt,  erlebt,  nicht  aussen  in 
Körpern  wahrgenommen.  Die  Verknüpfung,  das  Band,  (das  Ursache  und 
Wirkung  verbindet),  die  Energie  liegen  reinweg  in  uns  und  sind  nichts 
als  die  Determination  des  Geistes,  die  durch  Gewohnheit  erworben  wird 
und  uns  von  einem  Objekt  zu  seinem  gewohnten  Begleiter  übergehen  lässt. 
Treat.  I,  460;  Ess.  II,  77,  Anm.;  Treat.  I,  461,  389,  546,  459;  Ess.  H,  62. 
Treat.  n,  182,  187,  188  f  Oder  soll  das  Alles,  wie  Brede,  p.  37  für  den 
Enquiry  annimmt,  nur  besagen,  wir  haben  keine  klare,  adäquate  Idee  der 
Kraft  in  einem  Objekt  oder  der  realen  Verknüpfung  zwischen  Ursachen 
und  Wirkungen.  Der  wirkliche  Znsammenhang  besteht  zwar,  ist  aber  für 
uns  nicht  erkennbar,  Treat.  I,  462,  455,  372,  376?  Erfahrung  lehrt  nichts 
dergleichen  erkennen.  Die  Kraft  liegt  nicht  in  den  sinnlichen  Qualitäten 
der  Ursache  und  nichts  als  diese  sind  uns  gegenwärtig. 

Im  grossen  und  ganzen  wird  zu  sagen  sein,  dass  Hume  selbst  aus 
einem  Schwanken  zwischen  realistischen  und  idealistischen  Betrachtungs- 
weisen, das  Pfleiderer,  a.a.O.,  p.  139,  144  auch  für  andere  Fragen  fest- 
stellen zu  können  meint,  nicht  herausgekommen  und  zu  keiner  völlig 
durchsichtigen  Position  gelangt  ist. 


6 

begleitet  war,  auf  die  Zukunft,  dass  andere  in  der  Erscheinung 
ähnliche  Objekte  von  ähnlichen  Wirkungen  begleitet  sein  werden. 
Aber  die  beiden  Sätze  sind  nicht  dieselben.  Sie  sind  nicht 
intuitiv  gewiss  miteinander  verknüpft,  also  sind  sie  erschlossen. 
So  brauchen  sie  ein  Medium.  Aber  rational  führt  keine  Brücke 
von  einem  Satz  zum  andern.  Der  bisher  beobachtete  Naturlauf 
kann  ohne  Widerspruch  als  sich  ändernd  gedacht  werden. 
Somit  liegt  bei  der  Übertragung  der  früheren  Erfahrung  auf 
die  Zukunft  als  deren  Mass  kein  demonstrativer  Schluss  vor, 
sondern  nur  ein  moralischer  oder  Wahrscheinlichkeitsschluss.  0 

Ähnliche  Ursachen  veranlassen  uns,  ähnliche  Wirkungen 
zu  „erwarten".  Läge  hier  ein  demonstrativ  oder  intuitiv  ge- 
wisser Schluss  vor,  so  müsste  derselbe  nach  einer  Erfahrung 
bereits  feststehen.  Dasselbe  gilt  auch  für  die  andere  Formu- 
lierung, dass  wir  nach  einer  Anzahl  gleichförmiger  Erfahrungen 
den  Schluss  auf  eine  Verknüpfung  zwischen  den  sinnlichen 
Qualitäten  und  den  „verborgenen  Kräften"  machen.  Unerklär- 
lich wäre  auch  bei  der  Annahme  eines  die  Vermittlung  bildenden 
Vernunftschlusses,  wie  der  dümmste,  unwissendste  Bauer,  wie 
Kinder  und  selbst  Tiere  ähnliche  Wirkungen  von  einer  in  den 
sinnlichen  Qualitäten  und  der  Erscheinung  ähnlichen  Ursache 
erwarten.  2) 

Die  Sachlage  ist  die,  dass  ein  Mensch,  der  in  längerer 
Erfahrung  beobachtet  hat,  wie  ähnliche  Objekte  oder  Ereignisse 
miteinander  verbunden  waren,  beim  Erscheinen  des  einen 
„sofort",  „unmittelbar",  „ohne  Besinnen",  „ohne  Zögern",  „ohne 
Ceremonie"  die  Existenz  des  anderen  Objektes  erschliesst  und 
das  eine  Ursache,  das  andere  Wirkung  nennt. 3)  Und  zwar 
vollzieht  er  diesen  Schluss  nicht  mit  Hilfe  einer  irgendwie 
erlangten  Kenntnis  von  den  verborgenen  Kräften  oder  durch 
irgendwelchen  Gedankenprozess,  sondern  „determiniert"  durch 
ein  anderes  (Assoziations)  Prinzip,  die  Gewohnheit  oder  Ge- 
wöhnung, custom  or  habit.'*)  Wirkungen  der  Gewohnheit,  nicht 
Vernunftschlüsse,  reasonings,  sind  alle  Schlüsse  (inferences)  aus 


1)  Ess.  II,  31;  Treat.  I,  390  ff. 

2)  Ess.  II,  31  f.,  34;  Treat.  I,  470  f. 

8)  Ess.  II,  37,  46;   Treat.  I,  394,  404,  431,  388;  11,  185. 
*)  Ess.  II,  37;  Treat.  I,  403,  397,  431  f. 


der  Erfahrung,  also  auch  alle  Kausalschlttsse.  Nannte  er  vorher 
Erfahrung  den  „grossen  Führer  für  das  Menschenleben",  so 
schmückt  er  jetzt  die  Gewohnheit  mit  demselben  Titel.  Ohne 
den  Einfluss  der  Gewohnheit  würden  wir  vollständig  unwissend 
sein  bezüglich  jeder  Tatsache,  die  nicht  Sinnen  und  Gedächtnis 
unmittelbar  gegenwärtig  ist.  Sie  ist  die  Grundlage  alles  Urteilens. 
Der  grösste  Teil  unseres  Denkens  samt  allen  Handlungen  und 
Affekten  kann  von  nichts  als  von  Gewohnheit  abgeleitet  werden. 
Ohne  sie  würde  alles  zweckvolle  Handeln  und  der  grösste  Teil" 
aller  „Spekulation"  aufhören,  i) 

Aber  freilich  trotz  dieser  Wirkung  der  Gewohnheit  muss 
für  die  Schlüsse  über  Sinneswahrnehmung  und  Gedächtnis 
hinaus  uns  irgend  etwas  in  der  Sinneswahrnehmung  oder  Er- 
innerung gegeben  sein.  Sonst  fehlt  der  Stützpunkt  für  die 
ganze  Schlusskette.  Werden  wir  gefragt,  warum  wir  „eine 
Tatsache  glauben"  müssen  wir  einen  Grund  dafür  angeben 
können.  Derselbe  wird  letztlich  auf  etwas  Gedächtnis  oder 
Sinnen  Gegenwärtiges,  auf  eine  Impression  des  Gedächtnisses 
und  der  Sinne  zurückgehen.  Anderenfalls  entbehrt  unser  belief 
der  Grundlage.-)  Etwas  überraschend  setzt  hier  plötzlich  der 
Terminus  ein,  ebenso  in  der  unmittelbar  darauf  folgenden  Zu- 
sammenstellung dessen,  w^as  Hume  bisher  gefunden  hat:  „Aller 
belief  an  Tatsachen  oder  reale  Existenz  stammt  reinweg  (merely) 
von  einem  dem  Gedächtnis  oder  den  Sinnen  gegenwärtigen  Objekt 
und   einer    gewohnheitsmässigen    Verbindung    (customary   con- 

junetion)    zwischen    diesem    und    einem    andern    Objekt 

Dieser  belief  ist  das  notwendige  Ergebnis  der  Versetzung  des 
Geistes  in  solche  Umstände,  eine  Operation  der  Seele  in  der 
betreffenden  Lage  so  unvermeidlich  wie  die  Empfindung  von 
Liebe  beim  Empfang  von  Wohltaten  oder  von  Hass  bei  einer 
zugefügten  Beleidigung,  eine  Art  natürlichen  Instinktes,  den 
kein  Denkprozess  und  kein  Schliessen  produzieren  oder  ver- 
hindern kann."  3) 


1)  Treat.  I,  445;  Ess.  II,  32,  39;  Treat.  I,  444,  416  f.  Lehrreich  für  die 
Bedeutung  der  Ge^yohuheit  in  Hume's  Kausalitätstheorie  ist  Treat.  I,  408 : 
by  custom  or  if  you  will  by  the  relation  of  cause  or  eflfect.  Gewohnheit 
und  Kausalrelation  fallen  da  fast  zusammen. 

2)  Ess.  II,  39;  Treat.  I,  3S4. 

ä)  Ess.  II,  40.  —  Zu  dieser  Einschätzung  von  Liebe  und  Hass  als 

2 


8 

Die  Frage  wird  sodann  aufgeworfen:  Was  ist  die  Natur,  das 
Wesen  dieses  beliefs  und  der  gewohnheitsmässigen  Verknüpfung, 
von  der  er  herstammt? 

Für  eine  historiselie  Untersuchung  des  Hume'schen  helief 
im  Kausalzusammenhang-  wird  es  geboten  sein,  seine  Aus- 
führungen nicht  unter  modernen  Gesichtspunkten  darzustellen,^) 
indem  man  etwa  die  bei  Hume  völlig  verwischte  Abgrenzung 
des  Logischen  vom  Psj^chologisehen  und  Erkenntnistheoretischen 
zum  Ausgangspunkt  nimmt.  Es  wird  sieh  vielmehr  empfehlen, 
nach  Gesichtspunkten  zu  ordnen,  die  sich  aus  unserem  Philo- 
sophen selbst  unmittelbar  ergeben.  Die  rechte  Verteilung  des 
Stoffes  bleibt  bei  der  Fülle  der  Beziehungen  herüber  und  hin- 
über schwierig.  Im  Folgenden  wird  der  Versuch  gemacht,  so 
zu  gruppieren,  2)  dass  nach  mehr  einleitenden  Bemerkungen 
über  belief  und  Gewissheit,  belief  und  Wahrscheinlichkeit  die 
Gegenstände  des  Belief:  Tatsachen  und  Existenz  behandelt 
werden.  Daran  schliessen  sich  die  Erörterungen  über  das 
Verhältnis  des  belief  zu  den  Schlüssen  und  Urteilen,  zum 
Willen,  zum  Gefühl,  zur  Imagination,  Einige  Worte  über 
die  Folgen  des  belief  und  kritische  Bemerkungen  machen  den 
Beschluss. 


Belief  und  Gewisslieit.    Belief  und  Walirsclieinliclikeit. 

Aus  der  Skizze  der  Kausalitätstheorie  ergibt  sich,  dass 
jedenfalls  für  den  Enquiry  der  belief  im  Kausalzusammenhang 
sich  mit  der  Frage  nach  der  Evidenz  berührt,  und  zwar  mit 
der  Evidenz  von  Tatsachen  und  realer  Existenz,  noch  spezieller 
mit  der  Evidenz  von  Tatsachen  und  realer  Existenz,  die  über 
das  gegenwärtige  Zeugnis  der  Sinne  und  des  Gedächtnisses 
hinausgehen.  Ein  solches  Hinausgehen  ist  nach  Hume  nur 
möglich,  wo  wir  die  Relation  von  Ursache  und  Wirkung  in 
Anwendung    bringen.     Sie    allein    kann    uns    über    Tatsachen 


rein  instiuktniässiger  Reaktionen  cf.  Treat.  11,84,  154  f.,  197,  für  andere 
Gebiete  des  Sittlichen  auch  Treat.  II,  214 f.;  Ess.  II,  194. 

')  Ein  solches  Verfahren  würde  auch  eine  völligere  Beherrschung 
des  StoflFes  und  der  Methode  erfordern,  als  der  Verfasser  sich  zutraut. 

*)  Cf.  die  genauere  Übersicht  im  Inhaltsverzeichnis. 


vergewissern.  Durch  sie  und  ihre  Argumente  allein  versichert 
uns  jene  dritte  Art  der  Evidenz  der  Tatsachen,  der  Objekte, 
die  ,,vom  gegenwärtigen  Zeugnis  unseres  Gedächtnis  und  der 
Sinne  entfernt  sind".*) 

Bei  der  Untersuchung  jener  dritten  Evidenz  tritt  ohne 
merklichen  Übergang  belief  fast  an  die  Stelle  der  Evidenz."^) 
Hume  vermeidet  eine  offene  Gleichsetzung;  aber  sie  hängen 
deutlich  eng  miteinander  zusammen. 

Im  Treatise  geht  Hume  für  die  Darstellung  seiner  Kausa- 
litätstheorie nicht  von  der  Frage  nach  der  Evidenz  aus.  Doch 
fehlt  sie  auch  dort  nicht.  Belief  and  evidence  werden  zu- 
sammengenannt. Miteinander  durch  or  verbunden  beziehen  sie 
sich  auf  geschichtliche  Ereignisse  der  Vergangenheit,  die  uns 
nur  durch  eine  lange  Kette  von  Ursachen  und  Wirkungen 
bekannt  werden.^)  Durch  eine  skeptische  eindringende  Unter- 
suchung unsrer  Urteile  und  unsrer  Fähigkeiten  werden  beide 
ausgelöscht.  Ebendort  tritt  original  evidence  für  ein  kurz 
vorher  gebrauchtes  first  belief  ein,  und  es  wechselt  belief  mit 
eonfidence.^) 

Einstweilen  wird  gesagt  werden  dürfen,  Hume's  belief 
hängt  mit  der  Gewissheit  zusammen.  Beide  werden  miteinander 
verbunden.  Belief  ist  eine  Art  der  Überzeugung  oder  Gewiss- 
heit.^)  Und  zwar  wird  hier  die  Gewissheit  über  etwas  für 
die  gegenwärtige  Sinneswahrnehmung  und  das  Gedächtnis 
Abwesendes,  über  diese  durch  die  Entfernung  in  Raum  und 
Zeit  Hinausgehendes,  die  Gewissheit  über  etwas,  was  ich  nicht 


1)  Ess.  11,24;  Treat.  1,453;  Ess.  11,134,63.  22.  Von  den  Verben 
wechseln  assure,  attain  assurance  mit  ascertain. 

2)  Besonders  deutlich  Ess.  II,  40. 

3)  Treat.  I,  474. 

*)  Treat.  1,474.  Streiten  kann  man,  ob  dies  Citat  nicht  bei  der 
skeptischen  Betrachtung  der  .knowledge"  anzuführen  war. 

s)  Cf.  für  den  Treat.  noch  I,  420,  437:  belief  or  assurance,  437  gleich 
darauf  mit  assurance  allein  wieder  aufgenommen;  ferner  den  häufigen 
Sprachgebrauch  belief  and  (or)  opinion.  Treat.  I,  555  nimmt  to  be  con- 
vinced  of  any  matter  of  fact  ein  vorangegangenes  believe  any  matter  of 
fact  auf.  Treat.  I,  396.  Anm.  2  ist  join  belief  to  the  conception  mit  to  be 
persuaded  of  the  truth  of  what  we  conceive  verwandt.  Der  belief  erscheint 
als  Wahrheitsüberzeugung  oder  letztere  erscheint  als  Folge  des  belief. 
Jedenfalls  ist  mit  dem  belief  auch  die  persuasion  aufgehoben,  Treat.  I,  403. 

2* 


10 

sehe,  nicht  fühle  und  nicht  erinnere,  mit  belief  bezeichnet. 
Belief  ist  die  Überzeugung  von  Tatsachen  und  realer  Existenz 
—  wie  Hume  es  gedrungen  ausdrückt  —  „über  das  gegen- 
wärtige Zeugnis  der  Sinne  und  des  Gedächtnisses  hinaus", 
nicht  über  alles  Zeugnis  der  Sinne  und  des  Gedächtnisses 
hinaus.  Festzuhalten  als  wesentlich  bleibt,  die  Gegenstände 
des  belief  sind  als  solche  objects  of  convictiou  and  assurance.') 

Werden  wir  dieser  Gegenstände  des  belief  durch  Kausal- 
schlüsse gewiss  und  ruhen  diese  auf  der  mehr  oder  weniger 
einförmigen  vergangenen  Erfahrung,  so  versteht  es  sich  für 
Hume  von  selbst,  dass  es  Grade  der  Evidenz  und  entsprechende 
Grade  des  belief  und  Grade  der  Gewissheit  gibt.  „In  unsern 
Schlüssen  über  Tatsachen  gibt  es  alle  denkbaren  Grade  der 
Gewissheit  (assurance)  von  der  höchsten  Gewissheit  (eertainty) 
bis  zur  niedersten  Art  moralischer  Evidenz.  Ein  weiser  Manu 
„proportions  his  belief  to  the  evidence.''  -) 

So  kennt  Hume  „absolute",  „vollkommene",  „volle"  Ge- 
wissheit und  Überzeugung  und  dem  entsprechend  „absoluten 
belief",  „füll  convictiou"  und  daneben  einen  „unvollkommenen", 
„seh wachen",  „zögernden"  (hesitating)  belief;  in  seinem  Gefolge: 
„Zweifel",  „Zögern",  „Unsicherheit",  „Zurückhaltung". 3) 

Grundsätzlich  ist  freilich  zu  betonen,  dass  der  Einfluss 
des  belief  eben  der  ist,  alle  Art  von  hesitation  und  uncertainty 
von  einer  Idee  fernzuhalten,  sie  vielmehr  zu  beleben  und  der 
Einbildungskraft  fest  einzuprägen.*)  Die  Gewissheit  „fixiert" 
eine  Idee  im  Geiste  und  hält  denselben  davon  ab,  in  der 
Wahl  seiner  Objekte  zu  schwanken.'')  Der  belief,  wie  schwach 
er  auch  sein  mag,  „fixiert  sich"  auf  ein  bestimmtes  Objekt. 
Im  belief  „fixiert"  nach  voraufgegaugener  Unruhe  der  Geist 
„sich  selbst  und  setzt  sich  zur  Ruhe".    „Verlass  und  Sicherheit" 

^)  Treat.  I,  556.  Dieselbe  Znsammenstellung  von  conviction  and  as- 
surance auch  p.  552. 

2)  Ess.  II,  89  f.  Cf.  that  degree  of  assurance  or  evidence ,  Treat.  II, 
185;  degrees  of  belief,  Treat.  I,  434;  our  degrees  of  belief  and  assurance, 
Treat.  1,440;  degree  of  belief,  476,  für  degree  of  assurance,  475;  a  higher 
degree  of  belief  or  assent,  Ess.  II,  47. 

»)  Treat.  I,  420,  422,  430,  433,  437,  426;  Ess.  II,  90,  Ess.  I,  417,  Anm.  3. 

*)  Das  Verbum  infix  auch  Treat.  I,  398.  Ess.  II,  48  spricht  von  ein- 
drücken (imprint). 

»)  Treat.  II,  227. 


11 

(reliance  and  seciirity)  machen  das  "Wesen  des  belief  aus.') 
Zu  erinnern  ist  auch  an  die  später  näher  zu  berührenden 
Wendungen,  denen  zufolge  der  belief  eine  feste,  stetige  Kon- 
zeption ist,  Solidität,  Festigkeit  und  Stetigkeit  die  geglaubte 
Idee  auszeiehnen.2) 

Wenn  dennoch  der  belief  die  obigen  Prädikate  erhält, 
Bedenken,  Unsicherheit,  Zögern,  Zweifel  von  ihm  nicht  aus- 
geschlossen sind,  so  beweist  das,  dass  Gewissheit  und  Zweifel 
für  Hume  keine  ausscbliessenden  Gegensätze  sind.  Solchen 
huldigt  er  überhaupt  nicht  gern.  Zweifel  und  Gewissheit, 
feste  Kühe  und  unsicheres  Schwanken  vermögen  neben  einander 
zu  bestehen  und  bestehen  tausendfach  neben  einander. »)  Eine 
Bestimmung,  wo  der  belief  anfängt,  ist  bei  Hume  nicht  vor- 
handen, eine  solche  unter  seinen  Voraussetzungen  zu  treffen, 
scheint  unmöglich  zu  sein.  — 

Schon  die  letzten  Erörterungen  erinnern  daran,  dass  der 
belief  hier  nicht  dem  „Wissen"  zugehört.  Er  sieht  sich  in 
das  Gebiet  der  Wahrscheinlichkeit  gewiesen.  Denn  im  Kausal- 
zusammenhang bezieht  er  sich  nicht  auf  Ideenrelationen, 
sondern  auf  Tatsachen. 

* 

Belief  und  Walirscheiuliclikeit. 

Sofern  Tatsachen  und  reale  Existenz  Gegenstände  des 
belief  sind,  erstreckt  sich  derselbe  auf  etwas,  was  weder 
demonstrativ  noch  intuitiv  gewiss  ist.  „Es  ist  allerseits  zu- 
gestanden, dass  keine  Tatsache  einer  Demonstration  fähig  isf'.^j 
Dami^^erä^  der  belief  des  Kausalzusammenhangs  mit  Demon- 
stration und  Intuition  in  Spannung.  Denknotwendigkeit  kann 
ihm  nicht  zukommen.^) 

1)  Treat.  I,  437,  556;  Ess.  II,  48.  Vielleicht  erklärt  sich  von  hier  aus 
die  Wendnng  procure  belief  and  anthority,  Treat.  I,  420,  auch  Ess.  II,  92 
zusammengenannt.  E.  Kottgen  übersetzt  „Überzeugungskraft",  Nathansohn 
in  seiner  Verdeutschung  des  Enquiry  „Glaubwürdigkeit".  Beide  werden 
damit  dem  anthority  nicht  ganz  gerecht.  —  Anders  reason  or  authority 
Ess.  II,  112,  341,  1,469. 

2)  Ess.  II,  42  f.,  Treat.  I,  396,  Anm.  2,  557;  398,  406. 

3)  Treat.  I,  430  ff. 

*)  Treat.  II,  240,  cf.  I,  395;  Ess.  II,  133  f.;  Treat.  II,  432. 

^)  Mit   der  Ablehnung   der  Möglichkeit   eines   demonstrativen   oder 


12 

Dem  „  abstrakten  oder  demonstrativen  Schliessen ",  das 
die  „abstrakten  Relationen"  unserer  Ideen  betrifft,  tritt  gegen- 
über das  „moralische"  oder  „wahrscheinliche"  Schliessen  be- 
züglich Tatsachen,  denn  die  Schlüsse  über  Tatsachen  haben 
(nur)  „moralische  Evidenz".')  Von  der  Demonstration  wird 
die  probability  unterschieden,  wie  sonst  von  der  knowledge.^) 
In  der  Wahrscheinlichkeitserkenntnis  (probability)  betrachtet 
der  Verstand  „die  Relationen,  über  die  Erfahrung  allein  Aus- 
kunft gibt".  In  allen  probable  reasonings  ist  dem  Geist  etwas 
Gesehenes  oder  Erinnertes  gegenwärtig.  Von  da  aus  erschliessen 
wir  etwas  nicht  Gesehenes  und  nicht  Erinnertes,  das  mit  dem 
ersteren  verknüpft  ist.  Die  Wahrscheinlichkeit  betrifft  die 
Relationen  von  Objekten,  nicht  die  Relationen  von  Ideen  als 
solche,  die  Welt  der  Realitäten  (I)  im  Unterschied  von  der 
Welt  der  Ideen.3)  Durch  die  Bindung  an  die  Erfahrung  wird 
der  Ausdruck  experimental  reasoning  verständlich,  aus  der 
Fassung  des  Begriffs  der  Erfahrung  bei  Hume  der  andere 
Gegensatz  zum  demonstrativen  Beweis:  der  sinnliche  Beweis 
(sensible  proof).*)  — 

Gehört  die  Relation  von  Ursache  und  Wirkung  mit  ihren 
Schlüssen  über  Tatsachen  ins  Gebiet  der  Wahrscheinlichkeit, 
so  hat  die  Behauptung  nichts  Auffälliges,  dass  der  belief  die 
Wahrscheinlichkeit  „begleitet",  dass  er  in  ihr,  bei  ihr  zu  finden 


intuitiven  Beweises  für  irgendwelche  Sätze  will  Hume  ausdrücklich  nicht 
deren  Wahrheit  oder  Gewissheit  leugnen.  „Es  gibt  verschiedene  Arten 
der  Gewissheit  und  es  gibt  solche,  die  so  befriedigend,  obwohl  nicht  so 
regelrecht  ist,  wie  die  demonstrative/'  Burton,  Life  etc.  I,  97  f. 

1)  Treat.  II,  194,  Ess.  II,  31,  Treat.  I,  390,  458,  Ess.  II,  130.  „Mora- 
lisch" setzt  Hume  also  dem  demonstrativen  entgegen.  So  versteht  sich 
Joh.  Ed.  Erdmann's  Wiedergabe  des  belief  mit  „moralischer  Gewissheit".  — 
Allgemein  bedeutsam  ist  noch  das  Urteil,  Ess.  II,  135:  moral  reasoning 
macht  den  grössten  Teil  menschlichen  Wissens  (knowledge)  (offenbar  im 
im  weiteren  Sinne)  aus  und  ist  die  Quelle  alles  menschlichen  Handelns 
und  Wandeins. 

2)  Treat.  I,  339;  II,  193;  1,473. 

^)  Treat.  II,  193;  I,  390.  —  Zu  vergleichen  ist  auch  die  Gegenüber- 
stellung von  thought  und  reality,  Treat.  II,  244.  Der  Wille  versetzt  uns 
in  die  Welt  der  „Realitäten",  Treat.  II,  193. 

*)  Ess.  11,135,  1932,  73;  Treat.  II,  223.  —  Lipps  gibt  aus  solchen 
Gedankengängen  heraus  probability  frei  mit  „Erfahrungserkenntnis"  wieder, 
Anm.  144  zur  üebersetzung  von  E.  Köttgen;  anders  Anm.  93,  p.  94. 


13 

ist.i)  Das  setzt  auch  die  Aussage  voraus,  dass  mit  der  Ver- 
ringerung der  probability  zuletzt  auch  belief  und  Evidenz  aus- 
gelöscht werden.-)  Damit  treten  „Wissen"  und  „Glauben"  in 
einen  indirekten  Gegensatz.  Irgendwelche  Ausführung  darüber 
fehlt  freilich.  Der  historisch  gewordene  Gegensatz  von  „Glauben 
und  Wissen"  besteht  für  Hume  nicht.  Es  findet  sich  nichts 
bei  ihm,  das  dem  Satze  ähnelt:  „All  unser  Wissen  von  Tat- 
sachen, namentlich  aber  über  den  Zusammenhang  derselben, 
welches  den  Inhalt  der  Naturwissenschaften  bildet,  ist  kein 
eigentliches  Wissen,  sondern  ein  Glauben."  :*)  Er  würde  wohl 
nur  sagen:  ist  Wahrscheinlichkeitserkenntnis,  die  von  belief 
begleitet  ist. 

Es  findet  sich  keine  Gleichsetzung  der  probability  mit 
dem  belief.  Das  Verhältnis  zueinander  wird  im  Bilde  so 
wiedergegeben:  die  verschiedenen  Arten  der  Wahrscheinlichkeit 
sind  vernünftige  Grundlagen  (foundations)  of  belief  and  opiuion. 
Oder  es  wird  gesagt,  jeder  Teil  der  Wahrscheinlichkeit  trägt 
zur  Hervorbringung  des  belief  bei  (contributes  to  the  production 
of  belief).  Wachsende  Wahrscheinlichkeit  erzeugt  einen  höheren 
Grad  von  belief  or  assent.^) 

Hume  stellt  „Glauben"  und  Gewissheit  zusammen,  nicht 
„Glauben"  und  Wissen  einander  gegenüber. 

Nun  ist  die  Wahrscheinlichkeit  diejenige  Evidenz,  die 
noch  von  Ungewissheit,  Unsicherheit  (uncertainty)  begleitet  ist. 
Die  entgegengesetzte  Möglichkeit  bleibt  hier  immer  möglich.^) 
Ist  belief  aber  eine  Form  der  Gewissheitsüberzeugung,  so  ist 
damit  gegeben,  dass  belief  und  probability  in  Gegensatz  treten 
können.  Entgegengesetzte  probability  kann  den  belief  stören. 
Der  Einblick  in  die  mannigfachen  Widersprüche  und  UnvoU- 
kommenheiten  der  menschlichen  Vernunft  macht  dem  Skeptiker 


1)  Treat.  I,  434. 

2)  Treat.  I,  474. 

3)  Joh.  Ed.  Erdmann,  a.a.O.,  11*,  p.  118.  —  Treat.  1,448  heisst  es 
nur:  Jede  Art  vou  Meinung  oder  Urteil,  das  an  knowledge  nicht  heran- 
reicht (which  amounts  not  to  knowl.),  stammt  gänzlich  von  der  Kraft  und 
Lebendigkeit  der  Perzeption,  und  diese  Qualitäten  konstituieren  im  Geist 
das,  was  wir  belief  nennen. 

*)  Treat.  I,  430,  434;  Ess.  II,  47,  ähnlich  48,  49. 
5)  Treat.  I,  423  f.,  433. 


14 

den  Kopf  heiss,  so  dass  er  bereit  ist,  allen  belief  und  alles 
Sehliessen  zu  verwerfen.  Er  kann  keine  Ansicht  für  wabr- 
seheinlieber  als  andere  ansehen.^)  Der  Satz  lautet,  als  bebe 
der  belief,  wo  er  vorhanden  ist,  unter  dem,  was  wahrscheinlich 
ist,  einiges  bevorzugend  heraus.^) 

Andererseits  stehen  belief  und  probability  doch  wieder  — 
und  das  dürfte  das  Normale  sein  —  in  einem  engen,  mehr 
freundschaftlichen  Verhältnis.  Die  Wahrscheinlichkeit  „von 
Zufällen",  die  Hume  von  der  „von  Ursachen"  abtrennt,  ist  von 
der  Zahl  der  möglichen  „Zufälle"  abhängig.  Wächst  die  Zahl 
der  für  eine  Seite  günstigen  „Zufälle",  so  erfährt  auch  die 
aus  ihr  resultierende  Wahrscheinlichkeit  eine  entsprechende 
Zunahme  und  erzeugt  einen  höheren  Grad  von  belief  or  assent 
auf  der  Seite,  auf  welcher  wir  die  „Überlegenheit"  entdecken. 
Hat  ein  Würfel  auf  1000  Seiten  dieselbe  Bezeichnung  und  nur 
auf  einer  eine  abweichende,  so  ist  die  Wahrscheinlichkeit, 
dass  die  erste  Bezeichnung  oben  auf  liegen  wird,  viel  grösser 
und  unser  belief  or  expectation  of  the  event  more  steady  and 
secure.  ■'^)  Da  wächst  offenbar  der  belief  mit  der  Wahr- 
scheinlichkeit.4) 

Weil  der  Kausalzusammenhang  kein  demonstrativer,  wider- 
spruchslos gewisser  ist,  nimmt  der  die  Wahrscheinlichkeit 
begleitende  belief  die  Form  der  Erwartung  an.  Jeder  Kausal- 
schluss  gründet  sich  auf  die  unerweisliche  Annahme,  dass  der 
Naturlauf  derselbe  bleiben  wird  und  die  Objekte  samt  ihren 
Verbindungen  den  in  der  früheren  Erfahrung  beobachteten 
gleichen  werden.  Erwartung  ist  die  spezielle  Form  des 
„Glaubens"  an  Zukünftiges  und  für  Hume's  Kausalauffassung 
handelt  es  sich  immer  um  etwas  Zukünftiges.  Also  ist  belief 
die  Erwartung  eines  Objekts  oder  eines  Ereignisses  verbunden 
mit  der  Überzeugung  von  seiner  Existenz;^)   so   in   dem   oben 


1)  Treat.  I,  422,  547. 

2)  Der  Ausdruck  dafür  samt  der  Sache  findet  sich  Treat.  I,  403; 
Ess.  II,  48  f. 

3)  Ess.  II,  47  f.,  ähnlich  p.  89  f. 

'')  Der  Ausdruck,  dass  der  belief  an  ein  Ereignis  je  nach  der  Zahl 
der  „Zufälle"  „wächst  oder  kleiner  wird",  findet  sich  Treat.  I,  434. 

^)  Sonst  ist  schwerlich,  wenn  Ilume  expect  and  believe  neben- 
einander setzt,   an   einen  Unterschied  gedacht.     Ess.  II,  74  spricht  von 


15 

angeführten  Beispiel  des  verschieden  bezeichneten  Würfels.  So 
führt  uns  Gewohnheit  dazu,  nach  der  Beobachtung  des  kon- 
stanten Beisammenseins  von  Flamme  und  Hitze  beim  Er- 
scheinen der  Flamme  die  Hitze  zu  „erwarten"  und  zu  ..glauben" 
(expeet  and  believe),  dass  eine  solche  Qualität  existiert  und 
sich  bei  weiterer  Annäherung  zu  erkennen  geben  wird.  Kach 
mehrfacher  Wiederholung  ähnlicher  Fälle  treibt  uns  Gewohnheit, 
beim  Erscheinen  eines  Ereignisses  dessen  gewohnten  Begleiter 
zu  „erwarten"  und  zu  ,^ glauben",  dass  er  existieren  wird.') 
Der  Weise  lässt  dabei  seinen  belief  im  Verhältnis  zur  Evidenz 
stehen.  Sind  seine  Schlüsse  auf  untrüglicher,  völlig  einförmiger 
Erfahrung  gegründet,  so  „erwartet"  er  das  Ereignis  mit  dem 
äussersten  Grad  von  Gewissheit  (assurance).  Im  andern  Fall 
geht  er  mit  grosser  Vorsicht  vor,  wägt  erst  die  entgegen- 
gesetzten Erfahrungen  gegeneinander  ab  und  neigt  sich  dann 
zu  der  durch  die  grössere  Zahl  von  Erfahrungen  unterstützten 
Seite  zögernd  und  zweifelnd  (with  doubt  and  hesitation).2) 
So  wenig  wie  oben  die  Gewissheit  ist  hier  die  Erwartung 
unvereinbar  mit  Zweifel  und  Zögern.  Es  gibt  Erwartung  mit 
möglichst  grosser  Gewissheit  und  ebenso  an  doubtful  ex- 
pectation.3) 

Manches  freilich,  das  auf  der  Relation  von  Ursache  und 
Wirkung  beruht,  kann  die  Wahrscheinlichkeit  übertreffen  und 
als  höhere  Art  der  Evidenz  gefasst  werden.  Im  Ernst  das 
Gegenteil  solcher  Sätze  behaupten  zu  wollen,  wie:  dass  die 
Sonne  morgen  aufgehen  wird,  oder,  dass  alle  Menschen  sterben 
müssen,  wäre  lächerlich,  obwohl  es  allerdings  denkmöglich  ist. 
Solche  durch  die  völlig  einförmige  Erfahrung  bewiesenen  Sätze 
„lassen  keinen  Raum  für  Zweifel  und  Opposition".  Darum 
unterscheidet   Hurae   von    der    probability   die   proofs.^)     Eine 

believe,  dass  Menschen  und  Elemente  sich  iu  ihren  Wirkungsweisen  ganz 
gleich  wie  früher  erweisen  werden.  Das  folgende  Einzelbeispiel  gibt 
statt  believe  reckon  up  und  redet  dann  von  expectations. 

')  Ess.  11,  40,  37,  62.  —  Ess.  II,  75  heisst  es  nur,  dass  durch  den 
gewohnten  Übergang  der  Geist  von  der  Erscheinung  des  einen  zum  belief 
(der  Glaubenserwartung)  des  anderen  getrieben  wird. 

2)  Ess.  II,  90,  cf.  49. 

3)  Ess.  II,  49,  57;  90;  Treat.  II,  396. 

^)  Treat.  1,423;  Ess.  11,47,  Aum.  —  nach  Compayre,  a.a.O.,  p.  215 
ein  Schatten,  ein  Schein  von  induktiver  Logik. 


16 

Bedeutung  dieser  Scheidung  für  seine  Fassung  des  belief  lässt 

sich  nicht  nachweisen.   Höchstens  wird  den  proofs  ein  stärkerer 

Grad  von  belief  zukommen. 

*  * 

Die  Gegenstände  des  belief. 

Gegenstand  der  dritten  Evidenz  und  damit  des  belief  war 
im  Enquiry  matter  of  fact  und  existence  mit  der  früher  ge- 
gebenen Einschränkung.  Teilt  der  Treatise  auch  nicht  wie 
der  Enquiry  die  Gegenstände  der  menschlichen  Vernunft  in 
Relationen  von  Ideen  und  Tatsachen,  so  ist  doch  für  den 
Kausalzusammenhang  und  Hume's  belief  insofern  kein  Unter- 
schied zwischen  Treatise  und  Enquiry,  als  sich  hier  wie  dort 
der  belief  auf  matter  of  fact  bezieht, t)  auf  particular  matter 
of  fact,  letzlich  zurückgehend  auf  ein  dem  Gedächtnis  oder 
den  Sinnen  gegenwärtiges  fact ,2)  auf  matter  of  fact  and  (or) 
existence,  „matter  of  fact,  das  ist,  Existenz  von  Objekten  und 
deren  Qualitäten,"  3)   und   viel  häufiger  auf  existence  allein.^) 

Statt  matter  of  fact  tritt  gelegentlich  object  als  Beziehungs- 
punkt des  belief  auf  ■^)  oder  determinate  object,.  wie  es  die 
frühere  Erfahrung  nicht  bietet. 6)  Oder  der  belief  geht  auf 
„äussere  Objekte"  (ein  äusseres  Universum)  unabhängig  vom 
Geist,')  endlich  auf  „Dinge"  (things).^) 


1)  Treat.  I,  393,  395,  397,  402,  555,  an  der  zuletzt  erwähnten  Stelle 
abwechselnd  mit  to  be  convinced  of  und  im  Gegensatz  zu  incredulity 
concerning  matter  of  fact.  Incredulity  ist  auch  sonst  (Treat.  I,  395,  398) 
der  Gegensatz  zu  belief. 

2)  Ess.  II,  39 f.;  particular  und  general  facts  sind  die  Bestandstücke 
der  matter  of  fact,  Ess.  II,  134  f. 

■■*)  Ess.  II,  39 f.,  134;  Treat.  I,  394.  Aach  Ess.  II,  39  f.  tritt  für  Existenz 
Objekt  und  für  dieses  bald  darauf  Qualität  ein. 

»)  Treat.  I,  408,  417,  437  f.;  spezieller:  Existenz  irgend  eines  Objektes, 
402,  444;  Gottes  395;  einer  Impression  oder  Idee  400;  von  Körpern  478, 
491,  497;  kontinuierliche,  unabhängige  Existenz  von  etwas,  was  nnsern 
Perzeptionen  ähnelt,  479,  490,  500;  Existenz  des  Freundes,  des  Vater- 
hauses Ess.  II,  45;  des  gewohnten  Begleiters  eines  Objektes  Ess.  II,  62,  87; 
Treat.  I,  432. 

5)  Treat.  I,  393,  394,  397;  Ess.  II,  43,  45. 

«)  Treat.  I,  437. 

')  Ess.  II,  124;  Treat.  1,483. 

«)  Treat.  I,  394. 


17 

Die  Frage  erhebt  sieh,  wie  ist  matter  of  fact  n<äher  zn 
bestimmen .  und  eventuell  von  Existenz  zu  unterscheiden? 

Mit  Linke  1)  wird  man  eine  „nähere  Präzision"  der  Tat- 
sachen wünschenswert  finden  können.  Aus  Hume's  Entgegen- 
setzungen ist  zu  folgern:  Tatsache  (matter  of  fact)  ist  der 
Gegensatz  zu  Ideen  und  Relationen  von  Ideen,  zu  abstrakten 
Relationen  von  Ideen.  2)  Bei  Tatsachen  handelt  es  sich  nicht 
um  abstrakte  Relationen  von  Ideen,  sondern  um  Übereinstimmung 
(conformity)  unserer  Ideen  von  Objekten  mit  ihrer  realen 
Existenz/')  um  Relationen  von  Objekten,  Yon  denen  nur  die 
Erfahrung  uns  Kunde  gibt. 

Die  Gleichsetzung  von  matter  of  fact  und  existence  durch 
ihre  Verbindung  mit  and  und  or  lässt  einen  wesentlichen 
Unterschied  zwischen  ihnen  kaum  bestehen.  Noch  mehr  gilt 
das  von  jener  Deutung  „matter  of  fact,  das  ist,  Existenz  von 
Objekten  und  deren  Eigenschaften"  und  der  Ersetzung  der 
Existenz  durch  Objekt  und  Qualitäten. 

Nun  handelt  Hume  an  zwei  Stellen  des  Treatise  aus- 
führlich über  den  Begriff  der  Existenz.  Die  Idee  der 
Existenz  ist  nicht  eine  deutliehe,  gesonderte  Idee,  die  wir 
etwa  mit  der  des  Objektes  vereinigten,  sondern  die  gleiche 
mit  der  Idee  desjenigen,  was  wir  als  existierend  vorstellen. 
Was  immer  wir  vorstellen,  stellen  wir  als  existierend  vor.^) 
Das  Stichwort  für  Berkeley:  Esse  est  pereipi,  findet  sich  nicht 
bei  ihm,  aber  wie  „jener  scharfsinnige  Autor"  behauptet  auch 
er  die  völlige  Subjektivität  nicht  nur  der  sekundären,  sondern 
auch  der  primären  Qualitäten  •^)  und  weiter,  dass  unserm  Geist 


1)  Hume's  Lehre  vom  Wissen  in  Wundt's  Philosophischen  Studien 
XVII,  p.  646. 

2)  Ess.  II,  20;  Treat.  II,  240,  244,  193.  An  der  letztgenannten  Stelle 
wird  der  anscheinend  analoge  Unterschied  gemacht:  „Welt  der  Ideen", 
„Welt  der  Kealitäten".  Die  „Kealitäten"  kämen  dann  auf  die  Seite  der 
„Tatsachen",  nicht  auf  die  der  Ideen.  Den  Ideen  bezw.  den  Eelationen 
von  Ideen  schreibt  Hume  anscheinend  weder  reale  Existenz  noch  Tat- 
sachencharakter  zu. 

3)  Treat.  II,  223.  Das  Eecht,  diese  Aeusserung  hier  zu  verwerten, 
lässt  sich  bestreiten.  Auch  in  der  Unterscheidung  der  Idee  des  Objekts 
von  dessen  realer  Existenz  steht  sie  isoliert  da. 

0  Treat.  I,  396,  Anm.,  370  f. 
5)  Treat.  I,  511  ff.;  Ess.  II,  126. 


18 

nichts  als  Perzeptionen  gegenwärtig  sind,  und  noch  weiter: 
wir  können  uns  unmöglich  eine  Idee  von  etwas  bilden,  das 
von  unserer  Perzeption  spezifisch  verschieden  ist.  Äussere 
Existenz  als  etwas  von  unsern  Perzeptionen  spezifisch  Ver- 
schiedenes ist  eine  „Absurdität",')  Ein^  spezifischen  Unter- 
schied zwisclien  Objekten  und  Impressionen  können  wir  ver- 
muten, aber  niemals  vorstellen.  Die  Idee  eines  Objekts  und 
Perzeption  ist  dasselbe,  nur  begleitet  von  der  Annahme  eines 
Unterschiedes,  der  aber  unbekannt  und  unfasslich  ist.2)  Unsere 
sinnlichen  Perzeptionen  haben  keine  gesonderte,  unabhängige 
Existenz,  denn  sie  erweisen  sich  als  abhängig  von  der  Ver- 
fassung unserer  Organe,  Nerven  und  Lebensgeister.  Sind  aber 
Farben,  Töne,  Geschmacksqualitäten  und  Gerüche  reine  Per- 
zeptionen, so  besitzt  nichts,  was  wir  perzipieren,  reale,  kon- 
tinuierliche, unabhängige  Existenz.  3)  Die  Vorstellung  realer 
gesonderter  Existenz  entsteht  nicht  aus  der  Sinneswahrnehmung 
mit  ihren  „unterbrochenen",  flüchtigen  Bildern,  auch  nicht  aus 
dem  Verstände,  sondern  aus  der  Einbildungskraft  mit  Hilfe 
der  Konstanz  der  Impressionen,  die  freilich  beträchtliche  Aus- 
nahmen aufweist,  unter  dem  Einfluss  der  Relation  der  Ähn- 
lichkeit. Wir  erklären  auf  Grund  einer  natürlichen  Neigung 
der  Einbildungskraft  ähnliche  Perzeptionen  trotz  ihrer  Unter- 
brechung und  gesonderten  Existenz  für  identisch  —  eine  „grobe 
Täuschung"  —  und  haben  dann  die  „Fiktion  einer  kontinuier- 
lichen Existenz",  aber  eben  nur  die  Fiktion,  Denn  es  ist  ein 
greifbarer  Widerspruch,  dass  eine  Perzeption  existieren  soll, 
ohne  dem  Geist  gegenwärtig  zu  sein.  Trotzdem  redet  er 
gleich  darauf  wie  auch  sonst  ruhig  von  external  objects.^) 

Oder  gilt  hier  sein  Satz,  dass  die  Schwierigkeit  nicht  in 
der  Tatsache  liegt,  sondern  nur  in  der  Weise,  wie  und  auf 
Grund  welcher  Prinzipien  unser  Geist  zu  einem  solchen  Schluss 
kommt?'')  Schwerlich!  Denn  im  weiteren  Fortgang  spricht  er 
von  der  fallacy  der  Annahme  einer  kontinuierlichen  Existenz. 
Die  Lehre  von  der  unabhängigen  Existenz  unserer  sinnlichen 


1)  Ess.  II,  124;  Treat.  I,  479. 

2)  Treat.  I,  525,  527. 

3)  Treat.  I,  498,  513. 

*)  Treat.  I,  481  ff.,  493  f. 
»)  Treat.  I,  495. 


19 

Perzeptionen  ist  der  klarsten  Erfahrung  entgegen.')  Die  Philo- 
sophie unterrichtet  uns,  dass  jedes  Ding,  das  den  Sinnen 
erseheint,  üiehts  als  eine  Perzeption,  „unterbrochen"  und  ab- 
hängig Tom  Geist  ist,  während  das  gewöhnliche  Volk  Per- 
zeptionen und  Objekte  verwechselt  und  eine  gesonderte  kon- 
tinuierliche Existenz  eben  den  Dingen  zuschreibt,  die  sie  sehen 
oder  fühlen,  eine  völlig  unvernünftige  Anschauung.  Die 
Unterscheidung  zAvischen  Perzeption  und  Objekt  ist  nichts  als 
ein  Palliativmittel  und  behält  alle  Schwierigkeiten  der  popu- 
lären Vorstellung.  Kein  Prinzip  weder  des  Verstandes  noch 
der  Phantasie  leitet  uns  direkt  (!)  dazu,  diese  Ansicht  von  der 
doppelten  Existenz  der  Perzeption  und  des  Objektes  anzunehmen 
Die  einzigen  Existenzen,  die  uns  gegenwärtig  sind,  sind  Per- 
zeptionen, die  uns  durch  das  Bewusstsein  unmittelbar  gegen- 
wärtig sind.  Schlüsse  von  der  Existenz^r  Perzeptionen  auf 
die  der  Dinge  lassen  sich  nur  mit  Hilfe_der  Relation  von 
Ursache  und  "Wirkung  ziehen.  Nun  sind  aber  dem  Geist  mir 
Perzeptionen  gegenwärtig."^)  Wir  können  erfahruugsmässig  eine 
Verknüpfung,  ein  Kausalverhältnis  immer  nur  zwischen  Per- 
zeptionen, niemals  zwischen^Perzeptioneu  und  JDbjekten  be- 
^bacht^  Einen  rechten _ScMusa  von  der  Exjstpnz  oder 
Qualitäten  unserer  Perzeptionen  auf  die  Existenz__äusserer 
dauernder  Objekte  kann  die  Relation  von  Ursache  und  Wirkung 
_an8  niemals  gewähren.  Die  Sinne  sind  nur  Einlasse,  durch 
welche  die  Perzeptionen  oder  Bilder  uns  zukommen.  Sie  sind 
nicht  imstande,  irgendwelchen  Verkehr  zwischen  dem  Geist 
und  den  Objekten  herbeizuführen. 3) 

Und  so  ist  denn  die  Verwerfung  einer  kontinuierlichen 
Existenz  für  Hume  „notwendige  Konsequenz"  aus  der  Verwerfung 
der  Unabhängigkeit  und  Kontinuierliehkeit  unsrer  Perzeptionen.^) 
Die  „philosophische  Hypothese"  einer  doppelten  Existenz  von 
Objekten  und  Perzeptionen  ist  das  „ungeheuerliche  Erzeugnis" 
entgegengesetzter  Prinzipien,  welches  Vernunft  und  Einbildungs- 
kraft gleicherweise  befriedigen  soll,  da  wir  anders  keine 
Einigung    linden.     Aber    es    bleibt    doch    absurd,    ein    Durch- 

')  Treat.  I,  498. 

2)  Treat.  I,  483,  499. 

3)  Treat.  I,  499  f.,  503;  Ess.  II,  125  f. 
*)  Treat.  I,  501  f. 


20 

einander  grundloser  und  aussergewölinlieher  Meinungen  und  ist 
durch  klare  überzeugende  Argumente  nicht  zu  rechtfertigen. 
Selbst  eine  Scheinreehtfertigung  übersteigt  schon  die  Kraft 
menschlichen  Vermögens.  Es  ist  unmöglich  für  uns,  uns  klar 
vorzustellen,  dass  Objekte  ihrer  Natur  nach  irgend  etwas 
anderes  sein  sollten  als  Perzeptionen.i)  Ein  blinder,  mächtiger, 
natürlicher  Instinkt,  eine  Voreingenommenheit  treibt  Menschen 
und  Tiere,  ohne  zu  denken,  ja  fast  vor  dem  Gebrauch  der 
Vernunft  ein  äusseres  Universum  anzunehmen,  äussere  Objekte 
zu  „glauben".  Stimmen  wir  der  Wahrheit  der  Sinne(s Wahr- 
nehmung) zu,  so  werden  wir  veranlasst,  zu  „glauben",  dass 
eben  die  Perzeptionen  oder  die  sinnlichen  Bilder  die  äusseren 
Objekte  sind,  und  die  Skeptiker  triumphieren.  Andererseits 
vermag  Vernunft  niemals  aus  Erfahrung  zu  beweisen,  dass  die 
Perzeptionen  mit  irgend  welchen  äusseren  Objekten  verknüpft 
sind.2) 

Wohl  im  Blick  auf  solche  Gedankengänge  urteilt  Koenig 
über  unsern  Philosophen:  „Die  Wirklichkeit  löst  sich  ihm  in 
pures  Phänomen  und  der  Zusammenhang  des  Wirklichen  in 
einen  psychologischen  Schein  auf."  3) 

Die  früher  aufgeworfene  Frage:  Ist  Hume  Kealist,  ist  er 
Idealist?  scheint  im  Blick  auf  seine  Fassung  der  Existenz 
allerdings  nur  nach  der  letzteren  Seite  beantwortbar  zu  sein. 
„Beraube  die  Materie  aller  ihrer  erkennbaren  Qualitäten,  der 
primären,  wie  der  sekundären,"  —  und  das  tut  Hume  —  „so 
vernichtest  du  in  einer  Weise  dieselbe  und  lässt  nur  ein  ge- 
wisses unbekanntes,  unerklärbares  Etwas  als  die  Ursache 
unsrer  Perzeptionen  übrig,  eine  Vorstellung  so  unvollkommen, 
dass  kein  Skeptiker  es  für  der  Mühe  wert  halten  wird,  da- 
gegen zu  streiten."  ^) 

Aber  gibt  Hume  mit  diesem  Schlusssatz  des  ersten  Teils 
des  Essay  über  „Akademische  Philosophie"  nicht  doch  wieder, 
wenn  auch  lange  nicht  in  dem  entschiedenen  Sinne  wie  Locke 
zu,   dass  ein  Etwas,   wenn   auch   unbekannt  und  unerklärbar, 


1)  Treat.  I,  502;  Ess.  II,  125;  Treat.  I,  504. 

2)  Ess.  II,  124,  126. 

3)  a.a.O.  p.  14. 

*)  Ess.  II,  127,  cf.  Treat.  I,  514:  Unsere  „moderne  Philosophie"  gibt 
uns  keine  richtige  und  befriedigende  Idee  von  Solidität  und  Materie. 


21 

den  Perzeptionen  als  Ursaclie  zu  Grunde  liegt?  Wohl  die 
stärkste  Parallele  dazu  fände  sich  im  Treatise,')  wo  „die  Er- 
scheinungen (appearances)  von  Objekten  für  die  Sinne"  als 
Gegenstand  der  Forschung  unterschieden  werden  von  den 
„Untersuchungen  über  ihre  reale  Natur  und  Tätigkeiten."  Be- 
schränken wir  uns  auf  die  Erscheinungen,  sind  wir  frei  von 
allen  Schwierigkeiten.  Gehen  wir  mit  unsern  Untersuchungen 
über  sie  hinaus,  so  sind  unsere  Schlüsse  des  Skeptizismus  und 
der  Unsicherheit  voll.  Denn  die  reale  Natur  der  Dinge  ist 
uns  unbekannt.  Wir  kennen  nur  ihre  Wirkungen  auf  die  Sinne. 
Schon  weiter  oben  hiess  es  einmal:  objects  which  affect  the 
senses  und  am  andern  Ort:  objects  as  they  appear  to  the 
senses.2)  Nur  für  die  Sinne  ist  appearance,  reality,  existence 
dasselbe.  Sie  geben  uns  unsere  Impressionen  nicht  als  Bilder 
oder  Vorstellungen  von  etwas  gesondertem,  unabhängigen 
Ausseren.3)  Aber  die  Erscheinungen  von  Objekten  für  die 
Sinne  werden  korrigiert  durch  den  Verstand,  die  Reflexion,  die 
Vernunft.^)  Ohne  eine  solche  Korrektur  der  Erscheinungen 
könnten  wir  bei  dem  Schwanken,  dem  unser  äusseres  und 
inneres  Wahrnehmen  ausgesetzt  ist,  niemals  über  den  Gegen- 
stand mit  einiger  Stetigkeit  denken  oder  reden.  ^) 

Danach  scheint  es  berechtigter,  von  Hume's  Phänomenalismus 
und  Positivismus  zu  sprechen  und  die  Bemerkung  Compayre's^) 
einzuschränken:  ,.er  leugnet  absolut,  was  wir  mit  dem  einzigen 
Wort  Noumena  nennen  könnten,  aber  er  glaubt  an  Phänomene." 
Berechtigter  wird  es  ferner  sein,  nur  von  „Entlehnungen  aus 
dem  Gebiete  des  Idealismus",  von  „gelegentlichen  Exkursionen 
in  das  Gebiet  des  Idealismus"  namentlich  im  Treatise,  zu  reden.') 


1)  Treat.  I,  368,  Anm. 

2)  Treat.  I,  372,  ähnlich  Ess.  II,  2S  object  as  it  appears  to  the  mind. 

3)  Treat.  I,  478  ff. 

*)  Treat.  I,  422,  II,  359;  Ess.  II,  124. 

s)  Ess.  II,  124. 

ß)  a.a.O.  p.  472;  etwas  anders  p.  86:  „Er  ist  einer  von  den  Philo- 
sophen, deren  Zahl  mehr  nnd  mehr  zunimmt,  die  die  Phänomene  als  das 
einzige  Objekt  der  menschlichen  Erkenntnis  ansehen,  aber  geneigt  sein 
würden  zu  glauben,  dass  sie  nicht  die  einzigen  Piealitäten  sind,  aber  Hume 
hat  keine  genaue  Vorstellung  dieser  Welt,  die  höher  als  alle  Erfahrung 
ist,  dieser  Noumena,  die  zuerst  zu  konzipieren  er  Kant  überlassen  hat. 

')  Speckmann,  Über  Hume's  metaphysische  Skepsis,  1877,  p.  24,  34: 


22 

Die  Veranlassung  dazu  bildet  offenbar  Berkeley's  Begriff 
der  Existenz.  Neben  dessen  idealistischer  Fassung  geht  die 
Annahme  von  verborgenen  Kräften,  ja  von  uns  allerdings  völlig 
unbekannten  Dingen  als  Ursachen  unserer  Perzeptionen  un- 
ausgeglichen nebenher.    "Wenigstens  scheint  es  so. 

Anhangsweise  dürften  in  diesem  Zusammenhang  einige 
beiläufige  Äusserungen  über  die  Entstehung  der  Impres- 
sionen Beachtung  verdienen.  Hume  hat  zwar  im  allgemeinen 
die  Frage  nach  der  Herkunft  der  Impressionen  ausdrücklich 
als  unmöglich  beantwortbar  abgelehnt.  Mit  dem  Wort  „Im- 
pression" will  er  nicht  die  Weise  kennzeichnen,  in  der  unsere 
lebendigen  Perzeptionen  hervorgerufen  werden,  sondern  nur 
diese  selbst. i)  „Sie  entstehen  ursprünglich  (originally)  in  der 
Seele  aus  unbekannten  Ursachen."  -)  Die  Untersuchung  der 
natural  und  physical  eauses  der  Impressionen,  welche  ohne 
eine  Einführung  in  der  Seele  erscheinen,  würde  ihn  —  so 
erklärt  er  merkwürdigerweise  — ,  von  seinem  Gegenstand  zu 
w^eit  ablenken  in  Anatomie  und  Naturwissenschaften.  3)  Die 
letzte  Ursache  der  Impressionen  der  Sinne  ist  für  die  mensch- 
liehe Vernunft  vollkommen  unerklärbar.  Ob  sie  unmittelbar 
vom  Objekt  entstehen  oder  durch  die  schöpferische  Kraft  und 
Energie  des  Geistes  hervorgerufen  werden,  oder  ob  sie  von 
dem  Urheber  unsres  Daseins  (von  der  ,suggestion'  eines  unsicht- 
baren uns  unbekannten  Geistes  oder  von  einer  anderen,  uns 
noch  unbekannteren  Ursache)  stammen,  das  sicher  zu  ent- 
scheiden,   wird    allezeit   unmöglich    sein.^)     Die   Eelation    von 

„Im  Enquiry  gibt  er  (Hnme)  im  allgemeinen  stillschweigend  zu,  dass 
unsere  Sinneswahrnehmungen  durch  ausser  uns  seiende  Dinge  mitbestimmt 
werden,  an  deren  Existenz  darum  nicht  zu  zweifeln  ist."  —  Brede,  p.  49, 
findet  im  Enquiry  einen  „geringen  Ansatz  zur  Bildung  eines  Substauz- 
bcgriffes". 

1)  Treat.  1,312,  Anm. 

2)  Treat.  I,  317. 

3)  Treat.  II,  76,  I,  317.    So  schon  vor  ihm  Locke,  Essay,  B.  I,  Ch.  I,  §  2. 

*)  Treat.  I,  385,  (Ess.  II,  125).  —  Interessant  ist,  dass  er  in  der  par- 
allelen dreifachen  Fragestellung  nach  dem  Sitz  der  Wirksamkeit  der 
Ursache,  mit  andern  Worten,  der  Kraft  unbedenklich  mit  vollster  Deut- 
lichkeit entscheidet:  „Die  Wirksamkeit  der  Ursachen  liegt  weder  in  den 
Ursachen  selbst,  noch  in  der  Gottheit,  noch  im  Zusammentreffen  beider, 
sondern  gehört  gänzlich  der  Seele  an,  die  die  konstante  Vereinigung  von 
zwei  oder  mehr  Objekten  in  allen  früheren  Beispielen  betrachtet,"  Treat.  1, 460. 


23 

Ursache  und  Wirkung  erlaubt  uns  ja  keinen  rechten  Sehluss 
von  der  Existenz  oder  Qualitäten  unsrer  Perzeptionen  auf  die 
Existenz  äusserer  kontinuierlicher  Objekte. »)  Aber  von  jenen 
drei  Möglichkeiten,  die  Hume  offen  hält,  ist  die  Hervorbringung 
der  Impressionen  durch  die  schöpferische  Kraft  des  Geistes 
ausgeschlossen  schon  durch  seine  Fassung  des  Geistes,  weniger 
der  Kraft;  die  Herkunft  von  dem  Urheber  unseres  Daseins 
ausgeschlossen  durch  seine  religiöse  Skepsis  und  wohl  nur  als 
Registrierung  des  Lösungsversuchs  im  Occasionalismus  und  bei 
Berkeley  zu  verstehen.  Diirnach_  bliebe  nur  die  drrtte  Möglich- 
keit, dass  die  Impressionen  unmittelbar_y_oiQ  Objekt,  entstehen. 
Und  zum  Erweis  einer  starken  realistischen  Unterströmung 
seiner  idealistischen  Gedanken  über  Existenz  dienen  gelegent- 
liche Äusserungen  von  äusseren  Objekten,  die  „uns  nur  durch 
die  Perzeptionen  bekannt  werden,  welche  sie  veranlassen" 
(occasion),2)  von  äusseren  Objekten,  welche  innere  Impressionen 
„veranlassen",  „die  zur  selben  Zeit  erscheinen,  wenn  diese 
Objekte  sich  den  Sinnen  entdecken";  von  Objekten,  welche 
die  Perzeptionen  „verursachen"  (cause)-');  von  Objekten,  Körpern, 
welche  unsere  Sinne  „affizieren"  *);  von  Impressionen,  welche 
in  der  Seele  „hervorgebracht"  werden,  (produce)  ■^).  Unter 
Hinzunahme  der  früher  berührten  Momente  wird  man  alle 
diese  Wendungen  schwerlich  mit  Pfleiderer  ß)  als  unvermeidliche 
Rückfälle  in  die  gewöhnliche  Redeweise  einschätzen. 

Kann  die  Darstellung  dessen,  was  Hume  über  die  Gegen- 
stände des  belief  uns  sagt,  nur  seine  eigenen  Worte  bestätigen, 
er  habe  „Widersprüche  und  Schwierigkeiten  in  jeder  Theorie 
über  äussere  Objekte  und  der  Vorstellung  der  Materie"  ge- 
funden,') so  werden  diese  Schwierigkeiten  in  etwa  sich  auch 
beim  belief  finden,  der  sich  auf  Tatsachen  und  Existenz  bezieht. 


')  Treat.  I,  503. 

2)  Treat.  I,  371. 

3)  Treat.  I,  461 ;  5n3. 

*)  Treat.  I,  362y3,  II,  11)4;  cf.  auch  das  frühere  Citat,  Treat.  I,  36S,  Anm. 

^)  Treat.  I,  312,  Anm.;  cf.  auch  p.  376,  wonach,  wenn  Objekte  den 
Sinnen  gegenwärtig  sind,  streng  genommen  nur  a  mere  passive  admission 
of  the  impressions  thro'  the  organs  of  Sensation  stattfindet. 

«)  a.  a.  0.,  p.  229. 

"^  Treat.  I,  516. 


u 

Das  Wesen    dieses  belief  wird   sieh   deutlicher   herausscliälen, 

wenn  man   ihn   nacheinander   im  Verhältnis   zu  den  Schlüssen 

und  zum  Urteil,  zum  Willen,  zum  Gefühl  und  zur  Imagination 

darstellt.  *  * 

* 

Belief  und  Schlüsse.     Bellet*  und  Urteil. 

Neben  dem  Zeugnis  der  Sinne  und  den  Protokollen  des 
Gedächtnisses  vergewissern  uns  Schlüsse  von  Tatsachen  und 
Existenz.  Dieselben  wurden  als  Kausalschlüsse  näher  bestimmt. 
Anderwärts  braucht  Hume  den  Ausdruck  judgment  of  causes 
and  effects.')  Sind  die  erschlossenen  Existenzen  oder  Tatsachen 
Gegenstände  des  belief,  so  werden  sich  Beziehungen  zwischen 
ihm  und  dem  Schluss-  und  Urteilsverfahren  von  selbst  ergeben. 

Das  allgemeinste  Wort  für  Schlüsse  scheint  bei  Hume 
reasoning  oder  auch  conclusion  zu  sein, 2)  inference  dagegen 
mehr  auf  den  Spezialfall  (im  Kausalzusammenhang)  zu  gehen. 
Koenig  unterscheidet  für  Hume  die  „nicht  logisch  gebildeten 
Folgerungen:  inferences  von  den  logischen:  reasonings".")  In 
der  Übersetzung  von  reasoning  wird  man  häufig  in  der  Schwebe 
lassen  müssen,  ob  es  mit  Schliessen  oder  Denken  wiederzugeben 
ist. 4)  Brede  gibt  für  den  Treatise  „logisches  Denken".  Im 
Enquiry  ist  reasoning  „der  allgemeine  Ausdruck  für  die  Tätigkeit 
des  Verstandes,  sei  es,  dass  sich  dieselbe  auf  das  Vergleichen 
von  Ideen  oder  auf  das  Bilden  von  Tatsachenschlüssen  er- 
streckt." 5) 

1)  Cf.  neben  den  früheren  Citaten  Tr.  I,  404,  407  f. 

2)  Cf.  Ess.  II,  30:  inference  made  by  a  cbain  of  reasoning,  älinlicli 
p.  119;  p.  75:  buman  reasonings  contain  inferences  und  Treat.  1,396:  tbis 
inference  is  a  true  species  of  reasoning;  I,  402:  infer  by  reasonings.  An- 
dererseits findet  sich  inference  or  (and)  conclusion  I,  556,  Ess.  11,31; 
inference  für  concUision  eintretend:  Treat.  I,  402,  436;  inference  or  reaso- 
ning, I,  37S;  reasoning  or  conclusion  Treat.  I,  403,  Ess.  II,  33,  miteinander 
wechselnd  II,  2b,  49  und  dort  gleich  mit  inference  aufgenommen. 

8)  Koenig,  a.  a.  0.  p.  223. 

♦)  Reasoning  umfasst  häufig  den  gesamten  Denkprozess,  cf  reasoning 
or  process  of  thought  (of  the  understanding),  Treat.  I,  549;  Ess.  II,  40,  48 
(29,  37);  philosopbical  reasoning  für  das  gesamte  philosophische  Denken, 
Ess.  II,  51;  ähnlich  reasoning  and  philosophy  Treat.  I,  375;  just  reasoner, 
speculative  reasoner,  Ess.  II,  132;  Burton  I,  405  und  practicc  and  reasoning 
Ess.  II,  75,  welche  Formel  das  ganze  Menschenleben  umfassen  soll. 

■'■)  Brede,  a.a.O.,  p.  10,  34.  —  Die  Annahme  eines  logischen  Unter- 


25 

Sachlich  ist  für  Hume's  Kiiusalitätstheürie  das  Folgende 
zu  sagen.  Wir  schliessen  von  der  Ursache  auf  die  Wirkung; 
ebenso  tun'  das  Tiere.')  Nun  sind  aber  Ursache  und  Wirkung 
„verschiedene  Ereignisse",  so  verschieden  und  getrennt  von 
einander  als  any  two  things  in  nature.2)  Für  sich  betrachtet 
ist  in  einem  Objekt  nichts,  was  eine  conelusion  darüber  hinaus 
erlaubt.  Die  Vernunft  kann  nie  dartun,  dass  die  Existenz 
eines  Objektes  die  eines  anderen  einschliesst. '^j  Für  den  Ver- 
stand besteht,  auch  wepn  er  durch  die  Erfahrung  konstanter 
Vereinigung  unterstützt  wird,  keine  Einigung,  keine  „entdeck- 
bare Verknüpfung"  zwischen  den  Objekten.'*)  Dann  ist  es 
vergebliche  Anmassung,  Ursachen  oder  Wirkungen  ohne  Rück- 
sicht auf  den  Bestand  der  Erfahrung  erschliessen  zu  wollen 
und  es  ergibt  sich  die  schwerwiegende  Grenzbestimmung:  Wir 
können  keinen  Schluss  ziehen  inbetreff  eines  Objektes  über 
unsre  Erfahrung  hinaus  selbst  bei  der  Beobachtung  konstanter 
Verknüpfung.  5) 

Auch  ist  bei  der  Übertragung  vergangener  Erfahrung  auf 
die  Zukunft,  die  bei  jedem  Kausalschluss  vorhanden  ist,  kein 
demonstrativ  oder  intuitiv  gewisser  Schluss  vorhanden.  Wir 
können  keinen  vernünftigen  Grund  angeben,  warum  wir  nach 
1000  Experimenten  „glauben",  dass  ein  Stein  fallen  und  Feuer 
brennen  wird.  In  jedem  Erfahrungsschluss  liegt  etwas  Irratio- 
nales und  „wird  ein  Schritt  getan,  der  nicht  durch  Argumente 
oder  durch  einen  Gedankenprozess  unterstützt  wird."  <>) 

Fragen  wir  nach  dem  Verhältnis  von  belief  und  Schluss, 
so  ist  zu  sagen:  Der  belief  ist  kein  Schluss,  sondern  wird  dem 
Schlüsse,   dem   Erschlossenen  beigelegt.')     Derselbe   Ausdruck 

schiedes  zwischen  reasoning  und  inference  ist  auch  im  Blick  auf  die 
Motive  des  Hume'schen  Pbilosophierens  höchst  unwahrscheinlich.  Hume 
ist  nicht  Kant. 

')  Treat.  1,471. 

»)  Ess.  11,27;  Treat.  II,  186. 

=•)  Treat.  I,  436,  402;  Treat.  U,  186;  I,  397. 

*)  Treat.  I,  392,  393,  403. 

°)  Ess.  II,  27;  Treat.  I,  436.  We  cannot  go  beyond  experience, 
Treat.  I,  308. 

«)  Ess.  IL  31,  133,  36. 

')  Treat.  I,  380.  Der  belief  erscheint  als  etwas  dem  Schlüsse  Nach- 
folgendes und  mit  ihm  Verbundenes ;  ähnlich  p.  402 :  von  einem  gegen- 

3* 


26 

repose  belief  iu  any  matter  of  fact  wird  zusammengestellt  mit 
dem  Sehliessen  von  Ursachen  und  Wirkungen  und  davon  unter- 
schieden, i)  Näher  scheint  an  einem  andern  Orte  „die  Kon- 
zeption, die  wir  belief  nennen",  mit  dem  Erschliessen  des 
„gewohnten  Begleiters"  zusammenzurücken."^)  Und  fast  bis  zur 
Gleichsetzung  wird  der  Schlusscharakter  des  belief  betont  in 
dem  Abschnitt  über  die  Wahrscheinlichkeit  von  Ursachen.  Bei 
der  Beobachtung  der  Art,  wie  wir  Vergangenes  auf  Zukünftiges 
tibertragen,  lehrt  uns  die  Erfahrung,  dass  der  belief,  der  ein 
Sehliessen  begleitet  (attending  any  reasoning),  in  einer  einzigen 
conclusion,'')  nicht  in  einer  Menge  solcher  besteht.  Freilich 
wird  gleich  darauf  hervorgehoben,  dass  die  Übertragung  der 
Vergangenheit  auf  die  Zukunft  reinweg  auf  eine  conclusion 
des  Verstandes  gegründet,  niemals  irgend  welchen  belief  or 
assurance  veranlassen  würde.^)  Das  mahnt,  jenes  Citat  für 
den  Schlusscharakter  des  belief  nicht  zu  sehr  zu  pressen. 

Klarer  lassen  sich  andere  Bestimmungen  geben.  Nach  der 
früheren  Darstellung  verliert  der  Kausalschluss  für  Hume  den 
rationalen  Charakter.  Denn  der  Kausalzusammenhang  ist  kein 
analytisch -rationaler.  Streng  genommen  gehört  der  Kausal- 
schluss weder  dem  Verstände,  noch  der  Vernunft  an.^)  Wir 
sehliessen  „nicht  determiniert"  durch  Vernunft  oder  Verstand.^) 
Der  Schluss  entsteht  , unmittelbar",   ohne  eine  neue  Operation 


wärtigen  Objekt  eine  conclusion  ziehen  und  Ideen  bilden,  which  I  am  said 
to  believe  or  to  assent  to. 

1)  Treat.  I,  393. 

^)  Ess.  II,  87.  Das  hier  von  den  Tieren  Gesagte  gilt  selbstverständ- 
lich auch  für  die  Menschen. 

2)  E.  Köttgen,  p.  19U:  „dass  der  Glaube,  den  irgend  ein  Schluss  er- 
weckt (?),  in  einem  Schlussurteil  sich  verwirklicht." 

*)  Treat.  I,  435,  437.  Man  wird  auch  an  Treat.  I,  .546  erinnern  dürfen: 
Es  ist  unmöglich,  richtig  und  regelrecht  von  Ursachen  und  Wirkungen  zu 
sehliessen  (reason)  und  zu  gleicher  Zeit  an  die  Existenz  der  Materie  zu 
„glauben". 

^)  Eeason  und  understanding  werden  bei  Hume  abwechselnd  ge- 
braucht, Treat.  I,  392  f.;  Ess.  II,  47  tauschen  die  „trügerischen  Deduktionen 
der  Vernunft"  mit  den  „mühsamen  Deduktionen  des  Verstandes"  ihren 
Platz.  Beider  Gegensatz  ist  fancy  und  Imagination.  Der  fancy,  nicht  dem 
Verstände,  gehört  die  Einigung  der  Objekte  im  Kausalzusammenhang  an, 
Treat.  I,  p.  393. 

«)  Treat.  I,  393,  397. 


27 


der  Vernunft  ans  Gewohnheit,  (oder)  einem  Prinzip  der  Asso- 
ziation. Denn  Gewohnheit  nennen  wir  alles  das,  was  aus 
früherer  Wiederholung  ohne  irgend  ein  neues  reasoning  or 
conelusion  hervorgeht.')  Gewohnheit  hängt  nicht  von  Erwägungen 
ab.  Sie  lässt  nicht  Zeit  zur  Reflexion.^)  Durch  die  Gewohnheit 
treibt  das  gegenwärtige  Objekt  unsre  Einbildungskraft  „un- 
mittelbar", das  gewöhnlich  mit  ihm  verbundene  Objekt  zu 
konzipieren.  Kein  anderes  Prinzip  als  Gewohnheit  erlaubt  uns, 
einen  Schluss  vom  Erscheinen  eines  Objekts  auf  die  Existenz 
eines  anderen  zu  ziehen.  3)  Ohne  sie  müsste  all  unser  Wissen 
auf  die  enge  Sphäre  von  Erinnerung  und  Sinneswahrnehmung 
beschränkt  bleiben.  <) 

Gerät  der  Kausalschluss  mit  Vernunft  und  Verstand  in 
Spannung  und  auf  die  Seite  der  Gewohnheit,  so  dürfte  von 
dem  ihn  begleitenden  belief  ein  Gleiches  gelten.  Auch  der 
belief  entsteht  ohne  eine  neue  Operation  der  Vernunft.  Er 
entstammt  ..einzig-'  der  Gewohnheit.  Der  custom  schreibt 
Hume  allen  belief  und  alles  reasoning  zu.^)  Gewohnheit  allein 
bewegt  die  Tiere,  von  jedem  ihre  Sinne  berührenden  Objekte 
seinen  gewohnten  Begleiter  zu  erschliessen,  und  treibt  ihre 
Imagination  von  der  Erscheinung  des  einen,  das  andere  in  der 
besonderen  Weise  zu  konzipieren,  die  wir  mit  belief  bezeichnen. 
Die  Erklärung  „jenes  Aktes  des  Geistes,  den  wir  belief  nennen'', 
aus  dem  Einfluss  der  Gewohnheit  auf  die  Einbildungskraft 
(Imagination)  ist  die  einzige,  welche  allen  Bedingungen  genügt 
und  befriedigte^) 

Durch  die  Trennung  von  Vernunft  und  Verstand  gewinnt 
der   Kausalschluss    einen    mehr   mechanischen    Charakter.     Er 


0  Treat.  I,  394,  397,  403. 

«)  Treat.  I,  431,  404. 

ä)  Ess.  II,  41 ;  Treat.  I,  403  f. 

')  Ess.  II,  46. 

5)  Treat.  I,  403,  413,  414.  —  Das  Unzulängliche  in  der  Zuriickfiihning 
alles  belief  auf  die  Gewohnheit  illustriert  Hume  selbst  durch  den  Hinweis 
auf  ihre  Wirkung  bei  Lügnern  Treat.  I,  387.  Und  weiter.  Den  gewohnten, 
uns  vertrauten  Ideen  der  Dichter  fehlt  „Wahrheit  und  Realität".  Sie 
werden  ganz  anders  empfunden  als  die  „ewigen,  festen  Überzeugungen", 
die  sich  auf  memory  und  custom  gründen,  p.  419,  422.  Zu  vergleichen  ist 
auch  die  Bewirkung  von  belief  durch  die  Gewöhnung  in  der  Erziehung,  p.  437. 

«)  Treat.  I,  470  f;  Ess.  II,  87. 


28 

verliert  Aktivität  und  Bewusstsein.  Aus  dem  Denkakt  wird 
ein  psychologischer  (Assoziations-)  ProzessJ)  An  seine  Stelle 
tritt  das  Hinübergleiten  (pass)  von  der  Impression  zur  Idee 
oder  zum  belief  eines  anderen.  Oder  der  Schluss  tritt  an  die 
Stelle  des  leichten,  gewohnheitsmässigen  Überganges  (customary 
transition)  von  dem  Erscheinen  des  einen  Objekts  zum  belief 
des  anderen.  Abhängig  ist  derselbe  nicht  von  der  Vernunft 
sondern  ganz  und  gar  (altogether)  von  Gewohnheit  und  Er- 
fahrung, deren  unmittelbare  Wirkung  die  ist,  unsere  Ideen  zu 
assoziieren.^) 

Der  gewohnheitsmässige  Übergang  ist  nicht  der  belief. 
Der  belief  entsteht  aus  dem  Übergang. 3)  Neben  dem  gewohn- 
heitsmässigen Übergang  ist  eine  gegenwärtige  Impression  zur 
Produktion  des  belief  absolut  notwendig.  Bei  einem  solchen 
Übergang  zwischen  Ideen,  wo  ein  der  Erinnerung  oder  den 
Sinnen  Gegenwärtiges  fehlt,  würde  in  Wirklichkeit  no  belief 
nor  persuasion  vorhanden  sein.  ^)  Belief  an  Tatsachen  oder 
reale  Existenz  stammt  ausschliesslich  von  einem  Gedächtnis 
oder  Sinnen  gegenwärtigen  Objekt  und  einer  gewohnheits- 
mässigen Verknüpfung  zwischen  diesem  und  einem  anderen 
Objekt.  5) 

Damit  hängt  eine  andere  Einschränkung  zusammen.  Belief 
entsteht  aus  Gewohnheit.  Aber  mangelt  die  Ähnlichkeit,  wie 
das  bei  dem  von  den  Theologen  eingeschärften  künftigen 
Leben  der  Fall  ist  —  dieses  hat  mit  dem  jetzigen  keine 
Ähnlichkeit,  —  so  entsteht  kein  belief,  sondern  jene  stumpfe 
Gleichgiltigkeit,  die  wir  bei  der  grossen  Menge  der  Zukunft 
gegenüber  bemerken.^) 

Endlich  ist  aus  der  Wahrseheinlichkeitslehre  im  engeren 
Sinne  noch  anzumerken:  Einander  entgegengesetzte  Ereignisse 
der  Vergangenheit  zersplittern  die  Gewohnheit,  schaffen  Ge- 
wohnheiten  mit   niederen  Graden    von   Stetigkeit   und  Gleich- 


1)  Pfleiderer,  a.a.O.,  p.  182,  cf.  Brede,  a.a.O.,  p.  23:  „Alles  Denken 
und  Schllessen  wird  ihm  Passivität  des  Geistes". 

2)  Treat.  I,  397;   Ess.  II,  75,  46;   Treat.  I,  404,  431,  411. 

3)  Treat.  1,439;  Ess.  II,  45  f. 
^)  Treat.  1,403;  Ess.  II,  43. 
5)  Ess.  II,  40. 

«)  Treat.  I,  413. 


29 

förmigkeit  und  bewirkeu  an  imperfeet  habit  and  transition 
von  der  gegenwärtigen  Impression  zu  der  in  Relation  stehenden 
Idee.  Daraus  ergibt  sich  jener  ..zögernde",  „unvollkommene" 
belief.     Unusual  und  ineredible  fordern  sieh  gegenseitig.«)  — 

In  dem  gewohnheitsmässigen  Übergang  von  einem  gegen- 
wärtigen Objekt  zur  Idee  eines  anderen  besteht  unsere  ganze 
Geistestätigkeit  bei  allen  Schlüssen  über  Tatsachen  und  Exis- 
tenz.-) Die  ..Tendenz  oder  Neigung"  dazu  rührt  von  der 
Gewohnheit  her,  dem  vielleicht  letzten,  nicht  weiter  erklär- 
baren Prinzip,  das  wir  allen  unseren  .Schlüssen  aus  Erfahrung 
anweisen  können.^)  Custom  or  a  certain  instinct  unsrer  Natur 
allein  leitet  uns  im  Kausalschluss.  Alle  Erfahrungsschlüsse 
(experiraental  reasonings)  sind  nichts  als  eine  Art  Instinkt 
oder  mechanischer  Kraft,  die  uns  unbekannt  in  uns  wirkt.^) 
Parallel  damit  geht  Humes  Anschauung,  dass  bei  gewohnheits- 
mässiger  Vereinigung  zweier  Objekte  und  der  Gegenwart  des 
einen  der  auf  das  andere  sich  richtende  belief  das  notwendige 
Ergebnis  der  Gesamtlage  unseres  Geistes  ist,  eine  unvermeid- 
liche Operation  der  Seele,  eine  Art  natürlichen  Instinktes'') 
und  unabhängig  von  jedem  Gedankenprozess  und  jedem 
Schliessen.  Diese  können  ihn  so  wenig  hervorrufen  als  ver- 
hindern.6) 


')  Treat.  I,  43U,  431,  433;  Ess.  U,  95. 

2)  Ess.  II,  46. 

»)  Ess.  n,  137. 

*)  Ess.  II,  131,  88;  cf.  Treat.  II,  38.5:  Unsere  vulgär  methods  ot 
reasoning  sind  selbst  im  gewöhnlichen  Leben  unerklärbar.  In  ihrer  An- 
wendung werden  wir  entirely  guided  by  a  kind  of  instinct  or  necessity. 

5)  Zu  natural  instinct  Ess.  II,  40,  124.  ist  zu  vergleichen  natural 
tendency  Treat.  II,  3.5b,  ferner  das  naturally  iutruduce  der  Ideen  durcli 
die  Impressionen,  Treat.  I,  31!),  322,  393;  auch  natural  foUow  und  natural 
transition,  Treat.  II,  82,  1,443.  Merkmale  dieses  ^Natürlichen-  sind  das 
Ursprüngliche,  die  Unabhängigkeit  vom  Denken,  von  der  Reflexion,  das 
Leichte,  Gewohnte,  Notwendige,  Unvermeidliche,  Konstante,  Stetige, 
Treat.  U,  76,  258;  Ess.  II,  84,  .^O'J;  Treat.  I,  501;  305;  546;  500;  Treat.  II,  79 

6)  Ess.  11,40;  cf.  Treat.  1,475.  —  Die  Ausnahmen,  dass  Reflexion 
den  belief  zu  zerstijren  vermag,  treffen  nur  den  „nachgemachten",  „un- 
echten" belief  des  Dichters,  Treat.  I,  422,  und  di-n  anderen  Fafl,  wo  die 
unmittelbare  Gegenwart  eines  Übels  (der  Mann  am  Rande  des  Abgrundes) 
die  Einbildungskraft  stark  beeinflusst  und  „eine  Art  belief"  hervorruft, 
der   danu   aber  zufolge  der  entgegengesetzten  Reflexion  auf  die  eigene 


30 

Verwandt  damit  ist  die  Äusserung:  Bei  der  Wahrschein- 
lichkeit erzeugt  das  ZusammentreflFen  mehrerer  „Aussichten" 
„unmittelbar  durch  eine  unentwirrbare  Veranstaltung  der  Natur 
das  sentiment  of  belief.') 

Belief  und  Urteil. 

Was  über  belief  und  Schlüsse  zu  sagen  war,  findet  seine 
Parallele,  wenn  man  Hume's  Äusserungen  über  das  Urteil 
(judgment)  zusammenstellt.  Beide  gehören  eng  zusammen. 
Wie  wir  durch  die  Kausalschlüsse  über  das  unmittelbar  Gegen- 
wärtige hinauskommen,  so  führt  uns  das  Urteil  darüber  hinaus 
in  das  zweite  System  der  „Realitäten ".2)  Wo  er  sonst  von 
Schlüssen  über  Ursachen  und  Wirkungen  sprach,  setzt  Hume 
mitunter  judgments  concerning  cause  and  etfect.  3)  Auch 
lassen  sich  beide  Tätigkeiten  des  Verstandes,  reasoning  wie 
judgment,  auf  das  conceive  zurückführen.  Sie  sind  nichts  als 
besondere  Weisen,  unsere  Objekte  zu  konzipieren,  ohne  einen 
bemerkenswerten  Unterschied  voneinander.^) 

Untersuchen  wir  das  Verhältnis  von  belief  und  judgment, 
so   ergibt  sich,   dass   dasselbe  unverkennbar  enger  ist  als  das 

Sicherheit  „unmittelbar  zurückgezogen"  wird,  Ess.  II,  141  f.  Man  sieht, 
Hume  selbst  findet  hier  nicht  das,  was  er  gewöhnlich  mit  belief  bezeichnet. 
Dasselbe  gilt  von  der  Stelle  Treat.  I,  413  f.,  wo  er  von  seiner  verstandes- 
kühlen Auffassung  des  religiösen  Lebens  aus,  den  „Glauben"  an  die 
Unsterblichkeit  der  Seele,  soweit  er  noch  vorhanden  ist,  auf  kühle  Reflexion 
über  die  Wichtigkeit  des  Gegenstandes  und  auf  durch  wiederholtes  Nach- 
denken erfolgte  Einprägung  der  dafür  angeführten  Argumente  zurückführt. 

Ebenso  ist  die  andere  Ausnahme  nur  scheinbar,  wenn  in  einigen 
Fällen  bei  einem  genau  beobachteten  Beispiel  anscheinend  die  Reflexion 
den  belief  an  eine  Ursache  oder  Wirkung  hervorruft.  Da  ruht  im  Hinter- 
grunde versteckt  der  Satz,  dass  gleiche  Objekte  bei  gleichen  Umständen 
gleiche  Wirkungen  hervorbringen.  Dieser  Grundsatz  beruht  nicht  auf 
Reflexion,  sondern  auf  Gewohnheit,  auf  einer  Fülle  von  Beispielen  aus 
früherer  Erfahrung,  Treat.  I,  405.  —  Nicht  ganz  ausgeglichen  ist  damit 
seine  Aussage,  dass  die  Gedankenanstrengung  bei  eindringendem  Denken, 
namentlich  bei  abstraktem  Denken,  die  Wirksamkeit  unserer  sentiments 
stört,  von  welcher  der  belief  abhängt,  Treat.  I,  476  f.,  44S. 

1)  Ess.  II,  48. 

=*)  Treat.  I,  408;  cf.  448  reasoning  and  judgment. 

3)  Treat.  I,  404,  407,  443;  ähnlich  II,  88,  194  f. 

*)  Treat.  I,  396,  Anm. 


31 

zwischen  belief  und  Sehlnss.  Der  helicf  entstammt  unsern 
Urteilen  und  ist  in  diesem  Falle  dem  belief  gleich,  der  unsere 
Erinnerung'  (unser  Gedächtnis)  begleitet.i)  Belief,  und  offenbar 
der  das  Urteil  begleitende  belief,  ist  das,  was  die  ideas  of 
judgement  von  den  Fiktionen  der  Einbildungskraft  unterscheidet, 
welche  ihrerseits  für  sich  allein  niemals  belief  erreichen 
können.2)  Scheinbar  entgegengesetzt  klingt  die  Aussage,  dass, 
wo  wir  „glauben",  unser  Urteilsvermögen  „Zustimmung  gibt", 
(to  give  assent).-^)  Auch. das  blosse  assent,  das  Hume  häufig 
synonym  allein  oder  in  Gemeinschaft  mit  believe  gebraucht, 
lässt  sich  als  eine  Form  des  Urteils,  eben  als  zustimmendes 
Urteil  fassen.^) 

Ein  Beeinflussen  des  Urteils  und  Hervorbringen  von  belief 
Igehen  nebeneinander  her.^)  Anderwärts  wird  von  produce  a 
belief  and  a  judgment  of  causes  and  effects  in  einem  Atem- 
zuge gesprochen.  Erfahrung  und  Gewohnheit  können  beides 
bei  vertraut  gewordenen  Gegenständen  produzieren,  ohne  dass 
Reflexion  oder  ein  Denkvorgang  dazwischen  tritt.  Bei  den 
allgemeinsten  Erfahrungen  erfolgt  der  „Übergang"  sofort.^) 
Gewohnheit  (custom)  ist  auch  die  Grundlage  alles  Urteilens. 
So  wenig  wie  es  Schlüsse  apriori  über  Ursache  und  Wirkung 
gibt,  so  wenig  gibt  es  entsprechende  Urteile  a  priori.  Alle 
Urteile  über  Ursachen  und  Wirkungen  sind  von  der  Erfahrung 
abhängig.') 

1)  Treat.  I,  449;  II,  SS. 

2)  Ess.  U,  42;  Treat.  1,398. 

3)  Treat.  1,419. 

•■')  Cf.  belief  or  assent,  Treat.  I,  3S7,  4o2,  426;  Ess.  11,47;  to  believe 
or  to  assent  to,  Treat.  I,  402,  439;  to  believe  wechselnd  mit  assent,  dis- 
believe  mit  not  assent  oder  dissent,  Treat.  I,  395,  396.  Anders  Treat.  I,  394 : 
the  belief  or  the  qualities  of  those  ideas  we  assent  to;  cf.  an  idea  assented 
to,  Treat.  I,39S;  the  conception  assented  to,  a  coneeption  as  commands 
our  assent,  Ess.  II,  41. 

^)  Treat.  I,  421,  425  f.;  I,  425  stellt  zusammen  judgment  and  opinion, 
I,  44S  opinion  or  judgment.  Damit  ist  zu  vergleichen  belief  and  opinion 
Treat.  I,  475,  II,  3S2;  Ess.  II,  48;  opinion  and  belief,  Ess.  II,  206;  belief  or 
opinion  Treat.  I,  49S;  Ess.  II,  47  (gleich  darauf  belief  or  assent),  94;  opinion 
or  belief,  Treat.  I,  394,  396  (in  der  „Definition"  [!J ),  397,  405.  E.  Köttgen 
übersetzt  opinion  wechselnd  mit  „Fürwahrhalten",  ,  Meinung"  oder 
„Glauben". 

«)  Treat.  I,  404. 

')  Treat.  I,  446,  404,  443. 


32 

Das  enge  Verhältnis  von  belief  und  Urteil  zeigt  sieh  auch 
in  der  Behauptung,  eine  kräftige  Idee  der  Einbildungskraft 
kann  durch  ihre  Lebendigkeit  trügerische  Wirkungen  auf  belief 
and  judgment  ausüben,  i)  Bei  widersprechender  früherer  Er- 
fahrung entsteht  der  belief  mit  dem  Fixieren  des  Urteils.^) 
Dieselbe  enge  Zusammengehörigkeit  würde  die  schon  im  ersten 
Hauptteil  angezogene  Stelle  beweisen,  in  der  our  tirst  judg- 
ment or  belief  von  first  evidence  abgelöst,  mit  first  belief 
wieder  aufgenommen  wird.  Bei  skeptischer  Betrachtung  des 
Urteilsvermögens  ist  äusserste  Zerstörung  alles  belief  und  aller 
opinion,  sowie  gänzliche  Urteilsenthaltung  die  unausbleibliche 
Folge.  3)  Zerstörung  des  belief  und  Suspension  des  Urteils 
fallen  also  zusammen. 

Nun  aber  hat  uns  die  Natur  mit  absoluter,  unwiderlegbarer 
Notwendigkeit  determiniert,  zu  urteilen,  wie  sie  uns  zwingt, 
zu  atmen  und  zu  empfinden.  Gewisse  Objekte  in  stärkerem, 
vollerem  Lichte  zu  sehen  auf  Grund  gewohnheitsmässiger  Ver- 
knüpfung mit  einer  gegenwärtigen  Impression,  —  darin  besteht 
Hume's  Kausalurteil  — ,  können  wir  so  wenig  verhindern  als 
unser  Denken,  wenn  wir  wach  sind,  oder  die  Gesichts wahr- 
wahrnehmung  der  uns  umgebenden  Körper  im  vollen  Sonnen- 
schein. Das  Urteilsvermögen  ist  uns  von  der  Natur  eingepflanzt 
und  „unvermeidlich  gemacht".*)  Damit  sind  die  Kennzeichen 
da.  die  ihn  bei  den  Kausalschlüssen  von  Instinkt  reden  Hessen. 


Belief  und  Instinkt. 
Die  Tätigkeit  des  Geistes,  durch  die  wir  gleiche  Wirkungen 
von  gleichen  Ursachen  erschliessen  und  umgekehrt,  ist  für  die 
Menschen  so  wesentlich  und  notwendig,  dass  die  weise  Natur 
sie  nicht  den  trügerischen  Deduktionen  unserer  Vernunft  und 
nicht  unsern  unsicheren  Schlüssen  und  Forschungen  anvertraut, 
sondern  sie  durch  einen  „Instinkt  oder  eine  mechanische  Ten- 
denz" gesichert  hat,  welcher  Instinkt  in  seinen  Handlungen 
untrüglich,   beim   ersten  Erscheinen   des  Lebens  und  Denkens 

1)  Treat.  I,  387. 

2)  Ess.  II,  90. 

3)  Treat.  I,  472,  474,  475. 
*)  Treat.  1,474  f. 


33 

auftritt  lind  von  allen  mnhovolleu  Deduktionen  des  Verstandes 
unabhängig   istJ)     Hume's  Interesse   am  Instinkt  ist  also   das 
Merkmal    des   Untrüglichen   und  vom   Denken   Unabhängigen. 
Dem  philosophischen  Skeptiker  fehlt  die  Zuversicht  zu  einem 
fehllosen,  bewusst  persönlichen  Denken  und  Handeln.   Er  sieht 
sich   in   dem   schmerzlieh   empfundenen  Zwiespalt:   Wirkt   der 
Verstand  allein,  so  zerstört  er  sich  selbst  völlig  und  lässt  nicht 
den   niedrigsten  Grad  von  Evidenz  an  Sätzen  der  Philosophie 
und   des   gewöhnlichen   Lebens.     Die  Philosophie  unterminiert 
alle  Schlüsse  des  gewöhnlichen  Lebens  und,  zerstört  mit  ihren 
Zweifeln    alle    Handlung    und    alle    Spekulation.^)      Aber    die 
Natur  räumt  nicht  das  Feld.   Hartnäckig  macht  sie  sich  geltend 
im   Moment,  wo   die  Spannung   der  Gedanken   nachlässt.     Sie 
zieht  uns  zurück  zu  unseren  früheren  Anschauungen.    Ja,  bis- 
weilen  hemmt   sie  mitten  in  den  tiefsten  Reflexionen  den  Ge- 
dankenlauf und  verwehrt  es  uns,  mit  allen  Konsequenzen  einer 
philosophischen   Anschauung   durchzugehen.^)     Die  Natur,   die 
hier   dem  Verstände,    dem    Gedankenprozess,    dem  Schliessen, 
der  Reflexion  gegenübergestellt  wird,  wahrt  ihre  Rechte  durch 
vom  Verstände  geschiedene  Prinzipien,  die  stärker  sind.^)    Da- 
durch   wird   sie   zuletzt  die  Oberhand  behalten  über  alles  ab- 
strakte  Schliessen.     Aber   nichts   als   die   starke  Kraft   natür- 
licher Instinkte  vermag  uns  von  der  Gewalt  des  pyrrhonischen 
Zweifels   zu   befreien.     Alles  Reden   und   Handeln   würde   un- 
mittelbar   aufhören    und    die   Menschen   in   völliger  Lethargie 
verharren,    wenn   nicht   die   ungestillten   Nöte   der   Natur   der 
elenden    Existenz    des    pyrrhonischen    Skeptikers    ein    Ende 
machten.     Die    „natürliche   Neigung"   bringt    den   skeptischen 
Philosophen    zum  ,.Glauben"   an  die  allgemeinen  Maximen  der 
Welt   zurück.^)     Nunmehr  ist  dies  die  Lage:   Natur  bricht  die 
Kraft  aller   skeptischen  Argumente   zur  rechten  Zeit  und  ver- 
hütet, dass  sie  irgend  welchen  beträchtlichen  Einfluss  auf  den 
Verstand  haben. ß) 

»)  Ess.  II,  47. 

2)  Treat.  I,  547;  Ess.  II,  36. 

3)  Treat.  I,  501  f. 
*)  Ess.  U,  36,  130. 

')  Ess.  II,  131,  133;  Treat.  I,  549. 

«)  Treat.  I,  478.    —   Die   voranfgehende   Darstellung    des   Instinkt- 
charakters des  Kausalschlusses  und  die  Gegenüberstellung  von  Vernunft, 


34 

Der  helief  kommt  mit  alledem  auf  die  Seite  der  „Natur" 
zu  stehen.  Seine  Beziehungen  zu  dieser  und  zum  Instinkt 
machen  es  für  Hume  möglich,  dass  belief  und  Skepsis,  deren 
Gegnerschaft  gegenüber  dem  belief  bereits  wiederholt  gestreift 
wurde,  nebeneinander  bestehen. 


Belief  und  Skepsis. 

Der  skeptische  Zweifel  in  Bezug  auf  Vernunft  und  Sinne 
ist  eine  unheilbare  Krankheit.  Er  entsteht  ganz  natürlich 
(naturally)  aus  tiefer,  intensiver  Reflexion.  Das  Ergebnis  alles 
Philosophierens  ist  die  Beobachtung  der  menschlichen  Blind- 
heit und  Schwäche.  Sie  begegnet  uns  allenthalben  trotz  aller 
Anstrengungen,  ihr  zu  entgehen.  Die  skeptischen  Prinzipien 
sind  schwer,  wenn  nicht  unmöglich,  zu  widerlegen.^)  Aber 
der  Skeptiker,  der  beim  Einblick  in  die  mannigfachen  Wider- 
sprüche und  Unvollkommenheiten  der  menschlichen  Vernunft 
bereit  ist,  allen  belief  und  alles  reasoning  zu  verwerfen  und 
alles  für  gleich  wahrscheinlich  anzusehen,  weil  die  skeptischen 
Prinzipien  gegen  den  Vernuuftgebrauch,  konsequent  angewandt, 
schliesslich  all  belief  and  opinion  aufs  äusserste  zerstören  und 
auslöschen  müssten;  der  Skeptiker,  der  angesichts  des  wirren 
Durcheinanders  grundloser  und  aussergewöhnlicher  Meinungen 
über  äussere  Existenz  zu  der  Frage  kommt:  Wie  können  wir 
vor  uns  selbst  irgend  welchen  belief  rechtfertigen,  den  wir  in 
sie  setzen,2)  unterliegt  trotz  aller  logisch  unlösbaren  Schwierig- 
keiten der  absoluten  Notwendigkeit  zu  denken,  zu  „glauben", 
zu   schliessen,  ja,   mit  Sicherheit  zuzustimmen,  sodass  er  von 


Verstand  und  Instinkt  kann  missverstanden  werden.  Für  Hume's  Gesamt- 
auffassung ist  hinzuzuuehmcn,  dass  ihm  anderwärts  auch  die  Vernunft  zum 
Instinkt  wird.  Richtig  besehen  ist  Vernunft  nichts  als  ein  Avanderbarer, 
nicht  weiter  verständlicher  Instinkt  unserer  Seele,  Treat.  I,  47J.  Es  be- 
steht kaum  ein  Zweifel,  dass  das  Hume's  eigentliche  Meinung  ist  und  er 
sich  an  den  übrigen  Stellen  nur  des  besseren  leichteren  Verständnisses 
wegen  der  gewohnten  Redeweise  anschliesst.  Rätselvoll  bleibt  dann 
allerdings  die  Entstehung  der  Skepsis  und  ihre  Überwindung  bezw. 
Lähmung  durch  „die  starke  Kraft  natürlicher  Instinkte". 

1)  Treat.  I,  505,  547;  Ess.  II,  27,  130. 

2)  Treat.  I,  547;  11,  382;  I,  474  f.,  504. 


35 

seinem  Gegner,  dem  Dogmatisteu ')  liöebsteus  graduell,  wenn 
überhaupt  unterschieden  ist.^)  Erfahrung  überführt  jeden  zur 
Gentige,  djtss  er,  auch  wenn  er  keinen  Fehler  in  den  Argu- 
menten des  Skeptikers  finden  kann,  doch  fortfährt,  in  gewohnter 
Weise,  zu  „glauben",  zu  denken  und  zu  schliessen.  Der 
Skeptiker  fährt  fort,  zu  schliessen  und  zu  glauben  (reason  and 
belieye),  obwohl  er  seine  reason  nicht  durch  reason  verteidigen 
kann.  So  muss  er  der  Existenz  von  Körpern  zustimmen 
(assent  synonym  von  believe),  obwohl  er  ihre  Wahrheit  durch 
kein  philosophisches  Argument  verteidigen  kann. 3)  Denn  es 
ist  unmöglich,  die  völlige  Skepsis  aufrecht  zu  erhalten  oder  sie 
in  seiner  Lebenshaltung  auch  nur  wenige  Stunden  lang  er- 
scheinen zu  lassen.  Die  Dinge  des  täglichen  Lebens  sind  die 
grossen  Zerstörer  der  übertriebenen  Skepsis. 4) 

^)  Der  Dogmatist  ist  der  Antipode  des  Skeptikers.  Ihr  Streit  wird 
hier  nur  ein  Streit  um  Worte  genannt,  der  allenfalls  die  Grade  von  Zweifel 
und  Gewissheit  betrifft.  Es  enthüllt  Hume's  Vorstellnng  von  den  letzten 
unser  geistiges  Leben  beherrschenden  Mächten,  wenn  er  ebendort  den 
Unterschied  zwischen  Dogmatiker  und  Skeptiker  für  beide  Teile  auf 
„Gewohnheit,  Laune  oder  Neigung"  zurückführt,  Treat.  11,  459,  Anm. 

Schärfer  und  andersartig  klingen  dagegen  Aussagen,  die  zugleich  den 
Begriflf  des  „Dogmatischen"  für  Hume  feststellen  helfen.  Ess.  II,  12  wird 
dogmatisch  zusammengenaunt  mit  rasch,  überstürzt  und  „kühner"  Philo- 
sophie, die  einfach  Behauptungen  aufstellt.  Die  „dogmatischen  Denker" 
sehen  ihre  Objekte  einseitig  und  stürzen  sich  blind  in  die  Prinzipien,  denen 
sie  geneigt  sind,  töricht  eingenommen  von  sich  selbst,  hochmütig,  an- 
massend,  unbescheiden  und  ohne  Nachsicht  für  entgegenstehende  Ansichten. 
Ungeduldige  Hast,  Leidenschaftlichkeit,  energische  Behauptungen  und 
Hartnäckigkeit  kennzeichnen  ihren  belief.  —  Unbedenklich  braucht  Hume 
auch  hier  seinen  Terminus.  —  Sie  merken  nichts  von  den  Schwächen  des 
menschlichen  Verstandes,  Ess.  II,  132;  Treat.  II,  467.  Drum  ist  die  un- 
wissende Menge  immer  dogmatisch,  und  der  Philosoph  verlacht  sie  mit 
ihrem  Geschrei,  Ess.  I,  475.  Denn  nichts  kann  unphilosophischer  sein,  als 
in  einem  Punkte  „positiv  oder  dogmatisch"  zu  sein.  Selbst  übertriebener 
Skeptizismus  würde  alles  richtige  Denken  und  Forschen  nicht  so  stören. 
Jene  anmassende  Sicherheit  ist  Irrtum,  denn  sie  ist  von  der  Leidenschaft 
eingegeben,  unüberlegt  und  führt  zu  den  gröbsten  Abgeschmacktheiten, 
Ess.  II,  253. 

Dem  „dogmatischen"  Denken  dürfte  auch  der  implicit  faith  mit  seiner 
Begleiterscheinung,  der  security  angehören.  Er  ist  Gift  für  alles  Denken 
und  freie  Forschen,  Ess.  II,  23  f. 

*)  Treat.  U,  459,  Anm. 

ä)  Treat.  I,  475,  478,  545. 

♦)  Treat.  n,  382;  Ess.  H,  130. 


36 

Das  kenuzeiclinet  die  beklagenswerte,  „wunderliche  *)  Lage 
des  Mensehengesehlecbts".  Sein  tiefes  Denken  führt  den  pyr- 
rhonischen  Skeptiker  in  Verwirrung,  Zweifel  und  Skrupel  hin- 
ein. Das  erste  beste  Ereignis  des  Lebens  bringt  ihn  heraus 
und  weckt  ihn  wie  aus  einem  Traum  und  zeigt  ihm  die 
„wunderliche  Lage",  in  der  die  Menschen  sich  befinden:  Sie 
müssen  handeln,  schliessen,  „glauben",  obwohl  sie  auch  durch 
die  sorgfältigsten  Untersuchungen  nicht  imstande  sind,  sich 
selbst  über  die  Grundlagen  dieser  Tätigkeiten  Befriedigung  zu 
verschaffen  oder  die  dagegen  erhobenen  Einwände  zu  be- 
seitigen. Für  unsre  allgemeinsten  und  feinsten  Prinzipien 
haben  wir  keinen  vernünftigen  Grund  ausser  der  Erfahrung 
von  ihrer  Realität.^) 

Aus  der  tiefen  Empfindung  des  inneren  Zwiespaltes  heraus 
entsteht  die  Stimmung  am  Schluss  des  Treatise.  Narren  sind 
diejenigen  sicherlich,  welche  schliessen  (denken)  und  „glauben" 
(reason  and  believe);  aber  sie  müssen  es  sein.  Das  Einzige, 
was  man  tun  kann,  ist,  seine  Narrheiten  möglichst  natürlich 
und  angenehm  sein  zu  lassen.'^)  Und  wenn  die  Anforderungen 
des  Lebens:  Mittagessen,  Freunde,  Unterhaltung,  Spiel  und 
überhaupt  jedes  Verlassen  des  Studierzimmers  dem  Skeptiker 
zeigen,  dass  er  nicht  ausschliesslich  rational  bestimmt  ist,  dass 
er  absolut  und  notwendig  determiniert  ist,  so  zu  reden  und  zu 
handeln  wie  Andere,  und  seine  Skepsis  in  ihren  Wirkungen 
aufheben;  wenn  natürliche  Neigung  und  der  Lauf  der  Lebens- 
geister und  der  Affekte  ihn  zu  diesem  sorglosen,  nachlässigem 
(indolent)  belief  an  die  allgemein  in  der  Welt  herrschenden 
Grundsätze  zurückbringen,^)  so  bleibt  doch  etwas  von  schmerz- 
lichem s)  Verzicht,  von  müder  Stimmung,  von  gebrochener 
Stellung   dem  Philosophen   zurück,   der  zeitweise  geneigt  war, 

1)  Cf.  den  Ausdruck:  die  „seltsamen  Schwächen  des  menschlichen 
Verstandes^  Ess.  II,  132. 

2)  Ess.  II,  131  f.;   Treat.  I,  3ü9. 

3)  Treat.  I,  549.  Nach  dem  Folgenden  meint  er  die  Philosophie  im 
Gegensatz  zum  (religiösen)  Aberglauben,  der  mit  seinen  kühnen  Hypothesen 
über  die  sichtbare  Welt  hinausgeht  und  eine  eigene  Welt  mit  völlig  neuen 
Szenerien,  Wesen  und  Gegenständen  eröffnet,  p.  550. 

*)  Treat.  1,548  f.;  11,384. 

5)  Cf.  die  dramatisch  bewegte  Schilderung  im  Schlussabschnitt  des 
Treatise,  Vol.  I,  Part.  IV,  sect.  7. 


hl 

alle  seine  Büeher  und  Papiere  ins  Feuer  zu  werfen.  Er  hat 
keinen  Ausgleich  gefunden.  Natur  und  Vernunft  stehen  als 
unversöhnte  Feinde  einander  gegenüber.')  Vernunft  kann  die 
Wolken  nicht  zerstreuen.  Natur  tut's  und  heilt  mich  von  der 
„philosophischen  Melancholie"  und  dem  „Delirium"  dadurch, 
dass  sie  die  Spannung  des  Geistes  löst,  oder  durch  eine  Ab- 
haltung, oder  eine  lebendige  Impression  der  Sinne,  die  mich 
alle  „Chimären"  vergessen  lässt.  Aber  radikal  kann  der 
skeptische  Zweifel  nie  geheilt  werden.  Sorglosigkeit  und  Un- 
aufmerksamkeit (Nicht-achten)  allein  können  vorübergehend 
helfen.2) 

Mehr  oder  weniger  tritt  an  all  diesen  Stellen  das  believe 
als  notwendige,  auf  ein  eindringendes  Verständnis  verzichtende 
und  darum  bequeme  Ergänzung,  als  naturhafter  Ersatz  für  die 
Lücken  des  Mühe  und  Leiden  verursachenden  Denkens  ein,  3) 
Durch  den  Ausschluss  der  Vernunft  vom  Instinkt  wird  derselbe 
und  damit  auch  der  darauf  ruhende  belief  zur  „Voreingenom- 
menheit", zu  einer  blossen  Annahme,  zu  etwas  Blindem,  zu 
einer  Meinung,  die  die  leichteste  Philosophie  zerstört.  Das 
gilt  z.  B.  von  dem  instinktiven  „  Glauben "  an  die  Wahrheit 
der  Sinneswahrnehmung,  speziell  bezüglich  der  äusseren  von 
uns  unabhängigen  Welt.  Der  belief  erscheint  dort  freilich 
mehr  als  eine  Folge  des  Instinktes,  als  etwas  von  ihm  Ver- 
anlasstes, denn  selbst  als  Instinkt.^) 


1)  Cf.  das  Motto  aus  Pascal,  das  Jakobi  seinem  „David  Hume  über 
den  Glauben  oder  Idealismus  und  Eealismus"  vorsetzt:  „La  nature  confond 
les  Pyrrhoniens  et  la  raison  confond  les  Dogmatistes." 

2)  Treat.  II,  382;  I,  502,  54S,  505.  —  Nur  in  Worten  kann  der  extreme 
Skeptiker  seine  Leugnuug  kontinuierlicher  Existenz  aufrecht  erhalten  und 
sich  selbst  doch  nicht  dazu  bringen,  sie  fest  zu  „glauben",  Treat.  I,  5ul. 

ä)  Ausdrücklich  Treat.  I,  549 f. :  If  we  believe,  that  fire  warms,  er 
water  refreshes,  'tis  only  because  it  costs  us  too  much  pains  to  think 
otherwise. 

^)Ess.  II,  124  .  .  .  men  are  carried  by  a  natural  instinct  or  pre- 
possession  to  repose  faith  in  their  senses  and . . .  without  any  reasoning  or 
even  almost  before  the  use  of  reason  we  always  suppose  an  external 
universe  .  .  .  this  belief  of  external  objects  .  .  .  this  blind  and  powerful 
instinct  of  nature  .  .  .  this  universal  and  primary  opinion;  cf.  auch  p.  126. 


38 


Belief  uud  Wille. 

Nach  allem  Vorangegangenen  kann  es  nicht  Wunder 
nehmen,  wenn  der  Wille  vom  belief  ausgeschloBsen  wird. 

Herkömmlich  wird  dem  Willen  die  Fähigkeit  der  Wahl 
zugeschrieben.  Choice  or  will  stellt  auch  Hume  zusammen.') 
Doch  hat  „Natur"  es  nicht  der  Wahl  des  Skeptikers  über- 
lassen, zu  „glauben"  und  speziell  der  Existenz  von  Körpern 
zuzustimmen."^)  Mit  der  Wahl  hängt  die  Willkür  zusammen. 
Gänzlich  willkürlich  (arbitrary)  wäre  der  Fortgang  von  einer 
gegebenen  Ursache  zu  einer  Wirkung,  wenn  Beobachtung  und 
Erfahrung  nicht  um  Rat  gefragt  werden.  Denn  ein  analytisch- 
rationaler  Zusammenhang  besteht  nicht.  Ursache  und  Wirkung 
sind  verschiedene  Ereignisse.  3) 

Mit  der  Willkür  wäre  auch  die  Zufälligkeit  gesetzt; 
arhitrary  und  casual  gehören  zusammen."*)  Geben  wir  beim 
Erscheinen  einer  Impression  arbitrarily  and  from  our  mere 
good  will  and  pleasure  einem  erdichteten  Objekt  eine  Beziehung 
zu  ihr,  so  kann  das  nur  geringen  Einfluss  auf  unsern  Geist 
haben.  Es  liegt  dann  auch  kein  vernünftiger  Grund  vor, 
warum  wir  bei  der  Wiederkehr  jener  Impression  determiniert 
sein  sollten,  dasselbe  Objekt  in  dieselbe  Relation  zu  ihr  zu 
setzen.  Die  Notwendigkeit  fehlt.  Nichts  als  reine  Laune 
könnte  den  Geist  dazu  bestimmen  und  dies  „fliessende,  unsichre 
Prinzip"  kann  unmöglich  mit  beträchtlicher  Stärke  und  Konstanz 
wirken.5)  Wer  voluntarily  eine  Idee  in  seinem  Geiste  wieder- 
holt, wird,  auch  unterstützt  durch  frühere  Erfahrung,  nicht 
mehr  geneigt  sein,  die  Existenz  ihres  Objektes  zu  „glauben", 
als  wenn  er  sich  mit  einer  Überschau  begnügt  hätte.  Die 
Absicht  (design)  wirkt  störend.  Wenn  Gewöhnung  und  Er- 
ziehung durch  solche  Wiederholungen  doch  belief  hervorbringen, 
der  nicht  aus  Erfahrung  stammt,  so  bedarf  es  dazu  eines 
langen  Zeitraums  und  absichtsloser  (undesigned)  Wiederholung. 
Sonst   kommt    neben    der   Einwirkung    der   Absicht    auch   das 


1)  Treat.  II,  243. 

2)  Treat.  I,  478. 

3)  Es8.  II,  2«  f. 

4)  Ess.  II,  36. 
»)  Treat.  I,  409. 


39 

noch  hinzu:  Jeder  Akt  des  Geistes  erfolgt  hier  besonders  und 
hat  deswegen  eine  gesonderte  Wirkung.  Er  eint  sieh  nicht 
mit  den  andern.  Da  kein  gemeinsames  sie  einigendes  Objekt 
vorhanden  ist,  fehlt  die  Relation  zwischen  ihnen,  fehlt  Kraft 
und  Lebendigkeit.') 

Im  Willen  wird  weiter  herkömmlieh  eine  Kraft,  ein  llerr- 
seiu,  ein  Gebieten -können  gesehen.  Nun  lehrt  die  tägliche 
Erfahrung,  dass  der  Menschengeist  nicht  „glauben"  kann,  was 
ihm  beliebt.  In  unserer  'Vorstellung  können  wir  dem  Rumpf 
eines  Pferdes  den  Kopf  eines  Menschen  anfügen;  aber  es  steht 
nicht  in  unserer  Macht,  zu  „glauben",  dass  ein  solches  Lebe- 
wesen jemals  existiert  hat.-j  Daraus  folgt,  dass  der  belief 
nicht  in  einer  besonderen  Idee  besteht,  denn  über  diese  hat 
der  Geist  oder  der  Wille  Autorität  und  Befehl,  sie  nach  seinem 
Belieben  zu  trennen,  zu  mischen,  zu  einigen,  zu  variieren,  kurz 
sie  ganz  nach  seinem  Willen  (voluntarily)  mit  jeder  Fiktion 
zu  verknüpfen.  Der  belief  besteht  auch  nicht  in  einer  Kon- 
zeption, denn  konzipieren  können  wir  von  jedem  „Geglaubten" 
immer  das  Gegenteil.  Der  belief  besteht  vielmehr  in  einem 
gewissen  feeling  or  sentiment,  das  mit  dem  „Geglaubten"  ver- 
knüpft ist,  das  aber  vom  Willen  nicht  abhängt  und  drum  auch 
nicht  nach  Belieben  kommandiert  werden  kann.  Aus  be- 
stimmten Ursachen  und  Prinzipien,  über  die  wir  nicht  Herr 
sind,  muss  er  entstehen.^)  Die  „geglaubte"  Konzeption  verlangt 
gebieterisch  unsere  Zustimmung  (commands  our  assent).')  Darin 
steht  ihr  Unterschied  von  der  Fiktion,  die  der  Einbildungs- 
kraft zugehört.  Das  Unterscheidende  ist  immer  nur  das  Gefühl, 
das  im  Unterschied  von  der  Konzeption,  die  wir  verwerfen, 
diejenige  begleitet,  der  wir  zustimmen.  Und  dies  „Gefühl" 
muss  von  der  Natur  —  hier  der  Gegensatz  zum  bewusst- per- 
sönlichen Willen  —  erregt  sein  wie  alle  anderen  sentiments.^) 
Denn  der  Wille  schafft  niemals  neue  seutiments.  Wir  können 
natürlicherweise   unsere   eigenen   „Gefühle"    so   wenig   ändern, 


1)  Treat.  I,  437  f. 

2)  Ess.  11,41;  Treat.  I,  555. 

3)  Ess.  II,  14,  41,  40,  Treat.  I,  555. 

*)  Ess.  II,  41.    —    Derselbe    Ausdruck    iu    auderein    Zusammeuhaug 
Treat.  I,  412;  357;  cf.  command  my  belief  and  opinion  Ess.  II,  94. 
s)  Ess.  11,42,  41. 

4 


4Ö 

als  die  Bewegungen  des  Himmels  und  durch  einen  Akt  unsres 
Willens  keine  Handlung  angenehm  oder  unangenehm  machen.') 
Unsere  gesamten  Gefühlsinhalte  sind  unfreiwillig  wie  die  Im- 
pressionen der  Figur,  der  Farbe,  der  Grösse  und  der  Aus- 
dehnung. Und  unfreivA'illig  heisst  in  diesem  Fall  wie  auch 
sonst:  notwendig.2) 

Das  Treibende  für  die  Loslösung  des  belief  vom  Willen 
dürfte  der  Ausschluss  der  Willkür  und  die  Behauptung  der 
Notwendigkeit   sein.^)     Wir   sind    „determiniert",   bei   der   er- 


0  Treat.  II,  285  f. 

^)  Treat.  I,  484;  involuntary  aud  iiecessary,  II,  363. 

•^)  Offenbar  folgt  Hiime  iu  all  diesen  Äusserungen  über  den  Willen 
der  populären  Redeweise.  Bei  seiner  eigenen  Fassung  des  Willens  hätte 
er  gar  nicht  nötig,  den  belief  davon  zu  lösen.  Der  Wille  ist  nichts  als 
eine  Impression,  der  wir  uns  bewusst  sind,  wenn  wir  wissentlich  eine 
neue  Bewegung  unsres  Körpers  oder  eine  neue  Perzeption  iinsres  Geistes 
entstehen  lassen,  unmöglich  zu  definieren  imd  unnötig  weiter  zu  beschreiben, 
Treat.  II,  181.  Wirkt  ein  Willensakt  auf  eine  Gliederbewegung  —  nichts 
ist  unerklärbarer  als  das,  I,  455  — ,  so  haben  wir  immer  nur  die  Auf- 
einanderfolge in  der  Ausführung,  nie  das  Wie  und  nie  die  Kraft.  Diese 
ist  mysteriös  und  unerkennbar,  Ess.  II,  54  f. 

Die  Annahme  eines  freien  Willens  ist  ihm  scholastische  Lehre,  Treat. 
II,  107,  und  ein  „fantastisches  System",  Absurdität,  p.  18G.  Es  gibt  keinen 
freien  Willen  in  unsern  Handlungen.  Es  ist  keine  rechte  Konsequenz,  zu 
behaupten,  was  freiwillig  ist,  ist  auch  frei.  Unsere  Handlungen  sind  frei- 
williger als  unsere  Urteile;  aber  iu  jenen  haben  wir  nicht  mehr  Freiheit 
als  in  diesen,  Treat.  II,  364.  Wenn  nichts  mehr  in  ständigem  Fluss,  nichts 
unbeständiger  zu  sein  scheint  als  bei  vielen  Anlässen  der  menschliche 
Wille,  II,  107;  wenn  nichts  launenhafter,  uuregelmässiger  und  unsicherer 
zu  sein  scheint  als  menschliches  Verhalten  und  Wünschen,  das  in  kürzester 
Frist  von  einem  Extrem  ins  andere  gerät,  II,  184,  so  rechnet  doch  jeder- 
mann iu  seinem  Verkehr  mit  anderen  Menschen  damit,  dass  die  Handlungen 
des  Willens  aus  Notwendigkeit  entstehen,  II,  186.  Die  unregelmässigen 
Handlungen  deuten  wie  die  Parallelerscheinungen  im  natürlichen  Geschehen 
auf  verborgene  Ursachen,  nicht  auf  Ursachlosigkeit,  Ess.  II,  70  f.  Genauere 
Kenntnis  des  Charakters  einer  Person  macht  unregelmässige  Handlungen 
und  Willensäusserungeu  derselben  erklärbar,  II,  72.  Mit  dem  Zugeständnis 
konstanter,  regelmässiger  Verknüpfungen  im  menschlichen  Leben  und 
Handeln  und  der  Tatsache,  dass  der  Mensch  gewohnheitsmässig  Schlüsse 
zieht  für  die  künftigen  Handlungen,  ist  die  Anerkennung  der  Notwendigkeit 
gegeben,  Ess.  11,  67  f.  Mehr  wissen  wir  auch  von  der  Notwendigkeit  in 
der  körperlichen  Natur  nicht.  Sprechen  wir  von  Zufall,  so  liegt  derselbe 
nicht  in  den  Dingen,  die  in  jedem  Fall  gleich  notwendig  sind,  sondern 
ausschliesslich  in  unserm  Urteü,  das  auf  Grund  unvollkommener  Kenntnis 


41 

fahriingsmässigen  Verknüpfung  von  Ursaclie  und  Wirkung  „ulinc 
Wahl  oder  Zögern"  von  der  Impression  oder  Idee  eines  Ob- 
jektes zu  der  Idee  oder  dem  belief  des  anderen  überzugehen, 
determiniert  nicht  durch  Vernunft,  sondern  durch  die  Prinzipien 
der  Ähnlichkeit,  Kontiguität  und  Ursächlichkeit,  welche  die 
Ideen  dieser  Objekte  assoziieren  und  sie  in  der  Einbildungs- 
kraft vereinigen,  determiniert  durch  Gewohnheit.')  Darum 
spricht  er  von  einer  habitual  determination  des  Geistes.  Ge- 
wohnheit determiniert  uns,  die  Vergangenheit  auf  die  Zukunft 
zu  übertragen.  Durch  den  Zwang  (force)  der  Gewohnheit 
bringt  das  gegenwärtige  Objekt  die  Einbildungskraft  dazu,  das 
gewöhnlich  damit  verbundene  Objekt  zu  konzipieren.-)  ßelief 
ist  nichts  als  eine  gewaltsamer  sieh  aufdrängende  (more 
forcible),^)  lebendigere,  stärkere,  festere,  stetigere  Konzeption. 
Belief  zwängt  die  „Ideen  des  Urteils"  dem  Geist  auf  (inforces 
the  ideas  of  judgment  in  the  mind)  und  macht  sie  zu  leitenden 
Prinzipien.^) 

Diese  Determination  im  Kausalzusammenhang  ist  ausser- 
ordentlich, aber  zugleich  unerklärlich,  jedoch  erfahruugsmässig 
wirklich.^) 

Hiernach  sind  auch  die  Stellen  zu  beurteilen,  die  den 
Ansehein  erwecken  könnten,  als  sei  sein  belief  nicht  nur  etwas, 

erfolgt,  Treat.  II,  1S5.    Den  Determinationen  des  Wülens  kommt  also  Not- 
wendigkeit zn,  Ess.  II,  76. 

1)  Treat.  I,  393,  397,  403,  407,  410,  450;    Ess.  II,  37. 

2)  Treat.  I,  431  ;  Ess.  II,  41,  49. 

■■')  Ess.  II,  42;  Treat.  I,  407.  E.  Küttgcn  ,  a.  a.  0.,  p.  147  und  Nathan- 
solin,  a.a.O.,  p.  Gl  geben  forcible  mit  , stärker",  der  letztere,  p.  02,  das 
gleich  zu  erwähnende  iuforce  mit  „verstärken"  wieder.  In  diesen  Über- 
setzungen fehlt  das  für  Hume  nicht  unwichtige  Moment  dos  Zwanges. 
Der  belief  ist  etwas  uns  Abgezwungenes  und  Aufgenötigtes.  Die  Kon- 
zeption, der  wir  belief  beilegen,  commands  our  assent,  Ess.  II,  41.  Selbst 
der  Skeptiker  unterliegt  der  absoluten  Notwendigkeit  zu  „glauben", 
Treat.  II,  459. 

*)  Ess.  II,  42.    Etwas  anders  auch  Treat.  I,  407. 

*)  Hiernach  ist  Überweg-Heinze,  Grundriss  der  Geschichte  der  Philo- 
sophie, III,  P,  p.  229  richtig  zu  stellen,  wonach  Hume  in  seiner  Ethik 
, entschiedener  Determinist  ist",  „obwohl  er  sich  doch  sonst  der  Kausalität 
gegenüber  skeptisch  verhält."  Skeptisch  ist  Hume  nicht  gegenüber  der 
Kausalität,  sondern  gegenüber  einer  analytisch -rationalen  Auffassung  des 
Verhältnisses  von  Ursache  und  Wirkung.  Auch  seine  Kausalauffassimg 
kennt  „Determinismus",  nur  nicht  rational  bestimmten  Determinismus. 


42 

was  der  Mensch  seinerseits  hiuzubring-t,  sondern  auch  etwas, 
über  das  der  Mensch  nach  freiem  Ermessen  verfügen,  etwas, 
das  er  gewähren  oder  versagen  könne.  Das  sind  die  Wendungen: 
join  belief  (mit  der  Konzeption),  repose  belief  (in  den  Schluss 
von  Ursachen  und  Wirkungen  oder  in  eine  Tatsache),  repose  faith 
(in  unsre  Sinneswahrnehmung),  augment  our  belief,  attribute  a 
füll  conviction,  proportion  his  belief,  retract  belief,  reject  all 
belief,  refuse  to  believe,  gather  such  a  belief.')  Sie  sind  nicht 
so  auszulegen,  als  stände  es  in  unsrer  Macht  zu  „glauben". 
Dasselbe  gilt  von  dem  Synonym  assent  und  den  Wendungen 
give  assent,  proportion  tbeir  assent,  dissent  gleich  not  assent 
und  reject; 2)  ferner  gehört  hierher  mehr  als  Wirkung  des 
belief  das  verwandte  give  the  preference  to  und  give  advant- 
age  over.^) 

Sieht  man  ferner  in  „Tat"  oder  „Tätigkeit"  den  Gegen- 
satz zur  Passivität  und  Unfreiheit,  etwa  in  der  „Tat"  den 
eigentlichsten  Ausdruck  der  Persönlichkeit  und  ihrer  Freiheit, 
so  sind  solche  für  Hume  völlig  unzutreffende  Deutungen,  als 
sähe  er  irgendwie  im  belief  ein  bewusst- persönliches  Handeln 
und  wie  Berkeley  im  Geist  ein  aktives  Prinzip,  nicht  an  seine 
Worte  von  der  „Tat"  oder  „Tätigkeit"  des  belief  anzuknüpfen.*) 


1)  Treat.  I,  396,  38(l,  393;  Ess.  II,  124;  Treat.  I,  422;  Ess.  II,  89,  104, 
142;  Treat.  II,  445,  I,  547;  Ess.  II,  92;  Treat.  II,  445. 

2)  Cf.  p.  57,  Anm.  4  dieser  Arbeit  uud  Treat.  1,419,  11,386  ähulich 
467;  386. 

3)  Treat.  I,  403;  Ess.  II,  40;  48. 

*)  Derartige  Annahmen  verbieten  sieb  für  Hume  schon  durch  seine 
Fassung  des  Geistes  trotz  aller  an  die  gewölmliche  Sprechweise  sich  an- 
lehnenden Aussagen,  in  welchen  er  als  das  einheitliche  Subjekt  einer 
Tätigkeit  oder  als  das  einheitliche  Objekt  eines  Erleidens  vorausgesetzt 
zu  sein  scheint.  Die  wahre  Vorstellung  vom  menschlichen  Geist  (mind)  — 
nach  Pfleiderer,  p.  109  soll  dieser  „schwebende  Ausdruck"  dem  deutschen 
„Gemüt"  entsprechen  —  ist  die,  ihn  anzusehen  als  ein  System  verschiedener 
Perzeptionen  oder  verschiedener  Existenzen,  die  durch  die  Relation  von 
Ursache  und  Wirkung  miteinander  verbunden  sind  uud  einander  abwechselnd 
hervorrufen,  zerstören,  beeinflussen  und  modifizieren,  Treat.  I,  541  f.  Was 
wir  Geist  nennen,  ist  nichts  als  ein  Haufe  oder  eine  Sammlung  verschie- 
dener Perzeptionen,  die  durch  gewisse  Relationen  geeint  und  fälschlich 
so  angesehen  werden,  als  seien  sie  mit  vollkommener  Einfachheit  und 
Identität  angetan,  Treat.  I,  495,  534,  540.  Eine  Aufeinanderfolge  von 
Perzeptionen,   aufeinanderfolgende   Perzeptionen,   eine  verknüpfte  Masse 


4n 

Er  spricht  mehrfach  vom  l)elief  als  act  of  thc  miiid,  anah)g  zu 
anderen  acts,  oder  als  Operation  of  the  niind,  Operation  of  the 
soul,  this  whole  Operation,  analog  zu  anderen  Operationen  des 

von  Perzeptionen  konstitnieren  nnser  Selbst,  uusre  Persönlichkeit,  den 
Geist  oder  das  denkende  Prinzip,  ein  denkendes  Wesen,  Treat.  1,545, 
584,  541,  495.  Ein  wenig  anders  klingt  p.  542:  Jene  Kette  von  Ursachen 
und  Wirkungen,  die  unser  Selbst  oder  eme  Persönlichkeit  konstituieren. 
Von  einigen  Metaphysikern  abgesehen  ist  der  Rest  der  Menschheit  nichts 
als  ein  Bündel  oder  eine  Sauimlung  verschiedener  Perzeptionen,  die  ein- 
ander mit  einer  unbegreiflichen  Schnelligkeit  folgen  und  beständig  im 
Fluss  und  in  Bewegung  sind,  Treat.  I,  534.  Jeder  Versuch,  die  Prinzipien 
zn  erklären,  welche  unsre  aufeinanderfolgenden  Perzeptionen  in  unserm 
Denken  oder  Bewusstsein  einigen,  ist  hoffnungslos,  Treat.  1,559.  Das 
unter  unseren  inneren  Perzeptionen  Einigung  schaffende  Prinzip  ist  ebenso 
unverständlich,  wie  das,  welches  die  äusseren  Objekte  einigt,  1,403,  cf. 
II,  395.  Die  letzten  Ursachen  unserer  geistigen  Handlungen,  die  ursprüng- 
lichen Qualitäten  der  Menschennatur  sind  überhaupt,  wie  die  letzten 
Prinzipien  aller  Wissenschaften,  unerklärbar,   I,  330  f.,  321,  309,  auch  40ö. 

Äusserungen  wie  I,  402,  dass  er  zu  dem  Zugeständnis  bereit  sei,  es 
könne  mehrere  Qualitäten  und  Bestandteile  in  materiellen  und  immateriellen 
Substanzen  geben,  die  uns  gänzlich  unbekannt  sind;  Ess.  II,  10,  11,  dass 
der  Geist  mit  mehreren  powers  und  faculties  angetan  durch  secret  Springs 
and  principles  in  seinen  Operationen  getrieben  werde;  oder  Ess.  II,  sS, 
dass  eine  mechanische  Kraft,  uns  unbekannt,  bei  unsern  Erfahruugsschlüssen 
in  uns  wirksam  wird,  bahnen  auch  hier  unter  Umständen  den  Weg  zu 
einer  anderen  Bestimmung  des  Geistes.  Aber  es  bleibt  doch  llume's 
Meinung,  Seele,  Selbst,  Substanz  sind  Erfindungen  einer  kontinuierlichen 
Existenz  für  unterbrochene  Perzeptionen ,  Treat.  I,  536.  Wir  haben  keine 
Idee  der  Substanz  des  Geistes,  denn  wir  haben  keine  Impression  davon, 
I,  517.  Somit  ist  die  Frage  nach  der  Substanz  des  Geistes  absolut  un- 
verständlich (unintelligible),  Treat.  I,  532.  — 

Von  mehreren  Seiten :  Brede,  a.  a.  0.,  p.  46,  Compayre,  p.  284,  Pflei- 
derer,  p.  200,  Windelband,  p.  388  Anm.  1,  ist  darauf  hingewiesen  worden, 
dass  sich  zu  den  skeptischen  Äusserungen  über  den  Geist  kein  Analogon 
aus  dem  Enquiry  aufzeigen  lässt.  Pfleiderer  ist  geneigt,  in  dem  Schweigen 
der  zweiten  Redaktion  ein  „vielsagendes  Nichtsagen"  und  zwar  einen 
.,Fortschritt"  zu  erblicken,  nämlich  die  „umbiegende  Selbstzersetzung  der 
nun  bereits  auch  an  sich  zweifelnden  Skepsis'.  Nach  Brede,  p.  49  „naüssen 
wir  annehmen,  dass  ihm  bei  der  Behandlung  des  Problems  des  Selbst- 
bewusstseins  das  Unwahrscheinliche  zum  Bewusstsein  gekommen  ist",  das 
diesen  scharfsinnigen  Erörterungen  anhaftete.  Beweisen  lässt  sich  das 
nicht.  Eher  sind  die  „bedenklichen  Folgen  für  die  religiöse  Metaphysik" 
mit  Windelband  zur  Erklärung  der  Auslassungen  im  Essay  heranzuziehen. 
Eben  daher  erklärt  sich  auch,  dass  Hume,  obwohl  er  sonst  Seele  und 
Geist  abwechselnd  braucht,  z.B.  Treat.  I,  541  f.,  von  der  Seele,  vielleicht 


44 

von  dem  Vergleich  mit  der  Republik  I,  542,  abgesehen,  keinerlei  Aussagen 
macht,  die  sich  den  obigen  über  den  Geist  zur  Seite  stellen  Hessen.  — 

Materialismus  bei  Hume? 

Dass  F.A.Lauge,  Geschichte  des  Materialismus,  IP,  p.  8  in  Hume's 
„scharfer  Bekämpfung  der  Lehre  von  der  Identität  der  Person,  der  Einheit 
des  Selbstbewusstseins  und  der  Einfachheit  und  Immaterialität"  eine 
„Verwandtschaft  mit  dem  Materialismus"  sieht  und  p.  6  behauptet:  „Hume 
steht  in  seiner  Denkweise  dem  Materialismus  so  nahe,  als  es  ein  ent- 
schiedener Skeptiker  nur  immer  tun  kann",  ist  nicht  so  ohne  weiteres  von 
der  Hand  zu  weisen;  gegen  Compayre,  a.a.O.,  p.  294,  2;)(i  und  andere. 
Kommt  diese  Anklage  überraschend  bei  einem  Philosophen,  bei  dem  man 
fortwährend  mit  der  Möglichkeit  extremem  Idealismus'  rechnen  mnss,  so 
wird  man  mit  Pfleiderer,  a.a.O.,  p.  R5  sagen  müssen:  ,,Im  Grunde  sind 
diese  beiden"  (Materialismus  und  Idealismus)  „nahe  miteinander  verwandt 
und  begegnen  sich  erkenntnistheoretisch  im  Begriff  des  Sensualismus." 

Ganz  materialistisch  klingt  jedenfalls  die  von  Lange  ebenfalls  an- 
gezogene, von  Pfleiderer,  p  121,  als  „leiser  Spott  über  die  kartesianische 
Physiologie  (Zirbeldrüse)"  ausgelegte  Erklärung  der  Verwechselung  zweier 
Ideen,  die  in  enger  Relation  stehen,  dadurch,  dass  die  rein  physisch 
gedachten  „Lebensgeister"  sich  beim  „Wecken"  der  rechten  Idee  in  die 
verkehrte  Bahn  und  damit  in  eine  benachbarte  Gehirnzelle  verirren  und 
andere  in  Relation  stehende  Ideen  an  Stelle  der  vom  Geist  gewünschten 
präsentieren,  Treat.  I,  364  f.  Ausdrücklich  bemerkt  der  erste  Satz  auf 
p.  365 ,  dass  Ilume  noch  mehr  derartige  Erklärungen  hätte  geben  können. 
Damit  berührt  sich  in  den  „Dialogen  über  natürliche  Religion"  Philo's 
Äusserung  von  „jener  kleinen  Hirnbewegung,  die  wir  Gedanke  nennen", 
Treat.  II,  39 (j  und  p.  448  desselben  Mannes  Bemerkung,  ein  paar  Striche 
am  Gehirn  des  jungen  Caligula  hätten  aus  ihm  einen  Trajan  macheu 
können.  Allerdings  stellt  Hume  die  Materialisten  ins  Unrecht,  wenn  sie 
alles  Denken  mit  Ausdehnung  verbinden,  Treat.  I,  523,  erklärt  aber  p.  532, 
dass  die  Argumente  mehr  für  die  Materialisten  als  für  ihre  Gegner  seien. 
Eine  Untersuchung  der  Beziehungen  zwischen  unsern  Bewusstseins- 
erscheinungen  und  den  Gehirnvorgängen  gibt  es  bei  Hume  nicht.  Eine 
Untersuchung  der  physischen  Ursachen  der  Impressionen  weist  er  auf- 
fallenderweise von  sich  ab  und  der  Anatomie  zu,  (cf.  hier  p.  48). 

Ähnlich  wie  in  dem  obigen  Beispiel,  aber  nicht  so  materialistisch, 
werden  Treat.  I,  . "599,  476,  492  die  „Lebensgeister"  zur  Erklärung  heran- 
gezogen. Jedenfalls  beachtet  Hume  den  engen  Zusammenhang  zwischen 
körperlichem  und  geistigem  Geschehen,  z.B.  die  Abhängigkeit  unserer 
Perzeptionen  von  unsern  Organen,  von  der  Beschatfenheit  des  Blutes,  der 
Disposition  der  Nerven  und  der  „Lebensgeister",  von  Anstrengung,  Er- 
müdung, Krankheit,  Fieber  und  Unpässlichkeit,  Treat.  I,  498,  421,  339,  477, 
311,  512,  cf.  auch  die  Gedächtnisstörung  infolge  von  Schädelverletzung 
bei  Burton,  I,  135,  auch  seinen  Brief  an  den  Arzt,  ib.  p.  35ff. 

Materialistisch  klingt  auch  die  Behauptung:  Es  gibt  nur  eine  Not- 
wendigkeit und  keinen  Unterschied  zwischen  physical  and  moral  necessity, 


r 


Geistes.')  Mit  dieser  Bezeichnuug  ist  nur  das  ausgesagt,  dass 
irgend  etwas  geschieht  und  vor  sich  geht.  Dem  entsprechen 
die  Aussagen:  der  Geist  gleitet  hinüber  (passes)  zum  belief; 
oder  der  belief  entsteht  unmittelbar  ohne  eine  neue  Operation 
der  Vernunft  oder  der  Einbildungskraft.  Da  ist  keine  eigent- 
liche Aktion  des  Geistes  vorhanden.  Der  belief  entsteht,  er- 
hebt sich  (arises)  unwillkürlich.^)  Jene  Tätigkeit  ist  ja  „un- 
vermeidlich"', eine  Art  Instinkt,  unwiderstehlich,  notwendiges 
Resultat  der  Gesamtlagt^  des  Geistes,  ein  Produkt  der  bei  der 
Wahrscheinlichkeit  zusammentreffenden,  kongruierenden  views, 
eine  Wirkung,  etwas  Verursachtes,  Veranlasstes,  ein  Erzeugnis  3) 
im  Geist,  der  selber  nur  eine  Art  Schaubühne  ist.^)  Er  ist 
etwas  feit  by  the  mind.^) 


Treat.  T,  465,  Ess.  II,  70.  Freilich  erklärt  er  es  für  eine  hinterlistige  Kon- 
struktion seiner  Worte,  wenn  jemand  ihn  sagen  liisst,  er  behaupte  die 
Notwendigkeit  der  menschlichen  Handlungen  und  setze  sie  auf  dieselbe 
Stufe  mit  den  Operationen  der  empfindungslosen  Materie;  aber  die  von 
ihm  gemachte  Unterscheidung  klingt  doch  recht  spitzfindig,  Treat.  II,  190. 

Ebenso  sind  natural  und  moral  evidence  gleich  und  entstammen 
gleichen  Prinzipien,  Ess.  II,  74,  Treat.  II,  187.  Die  Identität  der  Persön- 
lichkeit ist  dieselbe  Frage  und  mit  denselben  Mitteln  zu  entscheiden,  wie 
die  nach  der  Identität  von  Hänsern,  SchitYen,  Pflanzen  etc.,  Treat.  I,  540. 
Endlich  verdient  Treat.  II,  Tf.  Erwähnung:  Körperliche  Leiden  oder  Freuden 
entstehen  ursprünglich  in  der  Seele  oder  im  Körper,  whichever  you  please 
to  call  it!  Indirekt  kommt  schliesslich  für  „materialistische  Anwand- 
lungen" Hume"s  in  Betracht  die  grosse  Rolle,  die  bei  ihm  der  Instinkt 
und  der  Mechanismus  des  geistigen  Geschehens  spielen.  — 

Leser  seiner  Biographie  werden  ihn  allerdings  vom  theoretischen 
Materialismus  unbedingt  freisprechen. 

»)  Treat.  I,  396,  398,  407,  413,  415,  470;  557;  397  f.;  Ess.  II,  48  f.,  131, 
39,  43;  Treat.  I,  403. 

»)  Treat.  I,  393,  397;   394,  403;   403,  407,  411,  437,  439,  555;   Ess.  II, 

43,  46. 

3)  Ess.  II,  125;  Treat.  I,  402,  403,  405,  434,  437;  Ess.  II,  142;  Treat. 
I,  402  f.,  434,  497  f.;  437,  478,  497,  555;   Ess.  H,  47,  4S,  49. 

♦)  Treat.  I,  534:  „Der  Geist  ist  eine  Art  Theater,  auf  dem  mehrere 
Perzeptionen  nacheinander  auftreten,  verschwinden,  wieder  erscheinen, 
davongleiten  und  in  unendlich  mannigfachen  Lagen  und  Stellungen  sich 
vermengen.^'  Wird  der  Geist  zum  Theater,  zur  Schaubühne,  so  werden 
die  geistigen  Vorgänge  zum  reinen  Mechanismus,  cf.  den  internal  mechanism, 
Ess.  II,  155;  den  secret  mechanism,  11,57,  und  die  curious  machinery  of 
thought,  Treat.  E,  408.  — 


46 

]?elief  und  Gefühl. 

Im  Lauf  der  Darstellung  wurde  der  belief  bereits  mehr- 
fach dem  Gefühl  zugewiesen,  ja   als  ein  „Gefühl"  bezeichnet. 

Hume  spricht  von  that  sentiment,  which  we  call  belief. 
Dieser  Ausdruck  wie  der  ähnliche  the  sentiment  of  belief 
zeigen,  dass  sentiment,  Gefühl,  Empfindung  gleichsam  den 
Oberbegriff  zu  seinem  belief  abgibt.  Der  belief  besteht  in 
einem  sentiment,  dass  von  der  blossen  Konzeption  verschieden 
ist  und  hängt  von  den  Operationen  unserer  sentiments  ab.^) 
Mit  sentiment  zusammengenannt  wird  das  feeling  in  der 
Wendung  feeling  or  sentiment,  in  dieser  und  umgekehrter 
Reihenfolge.  Der  belief  besteht  in  einem  gewissen  feeling  or 
sentiment.  Belief  ist  nichts  als  ein  eigenartiges  Gefühl  (Inne- 
werden, peculiar  feeling),  verschieden  von  der  einfachen  Kon- 
zeption. Er  besteht  in  dem  feeling,  das  die  „geglaubten" 
Ideen  für  den  Geist  haben.  Belief,  this  feeling  zeigt,  dass 
feeling  hier,  wie  oben  sentiment,  der  Oberbegriff  zu  belief  ist. 
Sprechen  wir  unsern  Unglauben  an  eine  Tatsache  aus,  so 
sagen  wir,  dass  die  Argumente  für  dieselbe  nicht  das  feeling 
produzieren."^) 


Im  Blick  auf  diese  Fassung  des  Geistes  ist  allerdings  kein  absoluter 
Idealismus  für  Hume  möglich.  Ist  der  Geist  Schaubühne,  Schauplatz,  auf 
dem  gehandelt  wird,  nicht  etwas,  das  selbst  handelt;  ist  der  Geist  nur 
ein  Hanfe  sich  drängender,  unaufhörlich  wechselnder  Perzeptionen,  so 
kann  davon  keine  Rede  sein,  dass  er  die  Impressionen  hervorruft.  Es 
müssen  schon  die  Objekte  sein,  da  die  Hervorbriugung  der  Impressionen 
durch  Gott  für  Hume  ernstlich  nicht  in  Frage  kommen  kann. 

Und  zweitens  kann  die  Wirksamkeit  oder  Energie  der  Ursachen,  die 
er  weder  in  den  Ursachen,  noch  in  der  Gottheit,  noch  im  Zusammentreffen 
beider  gelegen  sein  lässt,  die  vielmehr  nach  ihm  gänzlich  der  Seele  an- 
gehört, Treat.  I,  460  (cf.  hier  p.  30,  Anm.  4)  mindestens  nicht  rein  sub- 
jektivistisch  gedacht  sein.  Der  objektive  Kausalzusammenhang  bleibt 
bestehen.  Alle  skeptisch  und  idealistisch  klingenden  Äusserungen  werden 
als  Beschreibungen  verstanden  werden  müssen,  wie  und  wieweit  wir  den 
als  objektiv  angenommenen  Zusammenhang  subjektiv  mit  dem  Verstände 
zu  fassen  vermögen. 

5)  (Zur  vorhergehenden  Seite.)    Treat.  I,  398. 

')  Ess.  II,  49,  43,  48;   Treat.  I,  556,  447. 

2)  Ess.  II,  41 ;  Treat.  I,  555  ff.,  398;  Ess.  II,  42,  41 ;  Treat.  I,  555.  — 
Brede's  Behauptung,  dass  „die  Lehre  vom  Glauben  im  Essay  sich  geändert 
habe"  und  Hume  dort  „im  Gegensatz  zu  seinen  Ausführungen  im  Treatise" 


47 

Dies  feeling  wird  eine  Weise  der  Konzeption  genannt. 
Plumc  spricht  von  feeling-  or  manner  of  eon(?eptiün.  Ein  vor- 
anfgegangenes  sentiment  of  belief  wird  mit  this  manner  of 
eoneeption  wieder  aufgenommen. •)  War  belief  vorhin  Gefühl, 
so  galt  das  nicht  von  jedem  Gefühl,  sondern  nur  von  einem 
bestimmten,  eigentümlichen  Gefühl.  Parallel  dazu  heisst  es, 
dass  der  belief  in  einer  besonderen  Weise  der  Konzeption  be- 
steht: that  particular  manner  (to  conceive),  which  we  deno- 
minate  belief.  Er  ist  sensaion  or  peeuliar  manner  of  eon- 
eeption.-) Das  sentiment,  in  dem  der  belief  besteht,  ist  von 
der  einfachen  Konzeption  verschieden.  Sonst  ständen  die 
Gegenstände  der  wildesten  Einbildungskraft  auf  gleichem  Fuss 
mit  den  festesten  Wahrheiten,  die  auf  Erfahrung  und  Geschichte 
gegründet  sind.  Freilich  unterscheidet  sie  nichts  als  ein  feeling 
or  sentiment.  Zwischen  der  Konzeption,  der  wir  zustimmen, 
und  der,  die  wir  verwerfen,  würde  ohne  jenes  sentiment  kein 
Unterschied  bestehen.^) 

Wir  konzipieren  viele  Dinge,  die  wir  nicht  „glauben"'.  P>8 
ist  ein  Unterschied,   wenn  ich  Gott  als  existierend  denke  und 


den  Glauben  ein  Gefühl  nenne,  a.a.O.  p.  31  f.  entbehrt  hiernach  der  Be- 
gründung. —  Die  von  Brede  als  Zeuge  angerufene  Abhandlung  von  Elkin 
in  der  Philosophical  Review  war  mir  leider  nicht  zugänglich. 

0  Treat.  1,398;  Ess.  II,  42,  43.  Wenn  es  Ess.  II,  42  heisst:  „belicf 
besteht  in  der  Weise  ihrer  (der  Ideen)  Konzeption  and  in  their  feeling  to 
the  mind,''  so  ist  die  „Weise  der  Konzeption"  nicht  vom  „Fühlen"  zu 
trennen.  Es  ist  dieselbe  Sache,  nicht  zweierlei,  das  Zweite  höch.stcns 
Spezialisierung  des  Ersten.  Nur  wenn  der  Geist  dnrch  Zweifel  und 
Schwierigkeiten  erregt  war  und  hinterher  seinen  Gegenstand  unter  neuen 
Gesichtspimkten  oder  mit  neuen  Argumenten  sieht  und  nun  in  einem 
festen  Schluss  und  belief  sich  fixiert  und  zur  Ruhe  kommt  (fixes  aud 
reposes  itself  in  oue  settled  conclusion  and  belief),  besteht  ein  feeling 
verschieden  und  getrennt  von  der  Konzeption.  Der  Übergang  von  zwei- 
felnder Bewegung  zur  Ruhe  bringt  dem  Geist  J.ust  und  Befriedigung, 
Treat.  I,  556  f.  —  Allerdings  hält  der  Ausdruck  p.  557:  feit  rather  thau 
conceived  eine  Unterscheidung  aufrecht.  Ob  dieselbe  in  einer  grösseren 
Unmittelbarkeit  des  feeling  liegen  soliy 

2)  Ess.  II,  87,  Treat.  I,  475.  In  diesem  Fall  jedenfalls  wäre  die 
Wiedergabe  des  Sensation  mit  Wahrnehmung,  die  Benno  Er<lmann,  Archiv 
für  Geschichte  der  Philosophie,  IV,  p.  179,  Anm.  2,  gegenüber  der  „zu 
engen"  mit  „Empfindung"  wünscht,  nicht  angebracht;  cf.  auch  Treat.  II,  197, 
I,  516:  feeling  or  Sensation  und  I,  512:  Sensation  of  pleasure. 

»)  Treat.  1,555  f.;  Ess.  II,  41. 


48 

wenn  ich  glaube,  dass  Gott  existiert,  ein  g-rosaer  Unterschied 
zwischen  der  einfachen  Konzeption  der  Existenz  eines  Objektes 
und  dem  belief  daran,  wenn  wir  belief  mit  der  Konzeption 
verbinden  und  von  deren  Wahrheit  tiberzeugt  sind.')  Nun  liegt 
der  Unterschied  nicht  in  den  Bestandteilen  oder  der  Zusammen- 
setzung der  Ideen.  Belief  ist  keine  neue  Idee  und  addiert  zur 
Idee  ihrem  Inhalt  nach  nichts  Neues  hinzu.  Die  Idee  Gottes, 
wenn  wir  ihr  „Glauben"  beilegen,  wird  nicht  grösser,  noch 
kleiner.  So  muss  der  Unterschied  in  der  Weise  der  Konzeption 
liegen.  Nur  diese,  nicht  die  Idee  selbst  kann  der  belief  ändern. 
Er  „macht  sie  für  das  feeling  verschieden",  indem  er  den  Grad 
ihrer  Lebendigkeit  und  Stärke  ändert.  Jede  andere  Änderung 
würde  die  Repräsentation  eines  anderen  Objektes  oder  eine 
andere  Impression  ergeben.-) 

Eine  Eeihe  näherer  Bestimmungen  helfen  Hume's  Gedanken 
verdeutlichen.  Belief  ist  eine  lebendige,  starke,  stetige  Kon- 
zeption. Oder  komparativisch  ausgedrückt:  Belief  ist  nichts 
als  eine  lebendigere,  intensivere,  stärkere,  sich  mehr  auf- 
drängende Konzeption  einer  Idee,  lebhafter,  fester,  stetiger,  als 
das  die  Imagination  allein  erreichen  kann  oder,  anders  ge- 
wendet, als  die  Konzeption,  welche  die  blossen  Fiktionen  der 
Imagination  begleitet.  Sind  wir  von  einer  Tatsache  überzeugt, 
so  konzipieren  wir  sie  mit  einem  certain  feeling,  verschieden 
von  dem,  das  die  blossen  Träumereien  der  Einbildungskraft 
begleitet.-*) 


»)  Treat.  I,  394,  395,  397. 

2)  Treat.  I,  395;  Ess.  II,  42;  Treat.  I,  555,  402,  395,  396. 

3)  Treat.  I,  477,  397  Anm.,  403;  Ess.  H,  43,  48;  Treat.  I,  555.  —  Zu 
beachten  ist,  dass  der  belief  bald  „Weise  der  Kouzeption",  bald  „Kon- 
zeption" oder,  wie  bald  ausführlicher  dargestellt  wird,  eine  „Idee"  genannt 
wird.  Wollte  man  das  englische  belief  mit  dem  deutschen  „Glaube" 
wiedergeben,  so  müsste  mau  bald  „der  Glaube",  bald  „das  Glauben",  bald 
„das  Geglaubte"  übersetzen.  Die  Schwierigkeit  entsteht,  weil  auch  hier 
wieder  Ilume's  Auffassung  der  Existenz  den  Hintergrund  bildet:  Das  Sein 
der  Dinge  besteht  in  ihrer  Vorstellung.  Andererseits  wird  man  auch  hier 
„jene  Unpräzision,  man  möchte  fast  sagen,  Nachlässigkeit  im  Ausdruck" 
konstatieren  dürfen,  über  die  sich  Meinong,  Humestudien,  II,  p.  30,  Anm.  2, 
56,  und  Brede,  a.a.O.  p.  3  beschweren.  Endlich  ist  die  Beseitigung  aller 
eigentlichen  Aktivität  im  Mechanismus  des  geistigen  Geschehens  einem 
solchen  Spiel  der  Bedeutungen  günstig. 


49 

Ähnlich  sind  die  Wendungen,  in  denen  Ilnme  den  belief 
nicht  als  eine  Weise  der  Konzeption  oder  als  lebendige  Kon- 
zeption beschreibt,  sondern  als  eine  besondere  Weise,  eine  Idee 
zu  formen  oder,  häufiger  noch,  als  eine  Idee,»)  ohne  dass  er 
einen  Unterschied  darin  fände.  Besonders  auffällig  ist  die 
Überschrift  der  seet  7  des  dritten  Teils  des  Treatise:  „Of  the 
nature  of  the  idea  or  belief.''  Denn  im  ersten  Satz  dieses 
Abschnittes  erklärt  er  sofort:  Die  Idee  eines  Objektes  ist  ein 
wesentlicher  Teil  des  belief 's  daran,  aber  nicht  das  Ganze. 
Sonst  miisste  jede  Konzeption  von  belief  begleitet  sein.  Belief 
ist  nur  vorhanden  bei  gewissen  Qualitäten  der  Ideen,  welchen 
wir  zustimmen.2)  Belief  ist  etwas  mehr  als  eine  einfache  Idee, 
nämlich  eine  besondere  Weise,  eine  Idee  zu  formen  (zu  bilden). 
Eine  Meinung  (opinion)  oder  belief  ist  nichts  als  eine  Idee,  die 
von  einer  Fiktion  verschieden  ist,  nicht  ihrer  Natur  oder  der 
Anordnung  ihrer  Teile  nach,  sondern  in  der  Weise  des  Kon- 
zipiertwerdens.3) 

Der  belief  gewährt  unsrer  Idee  einen  ..Zusatz  von  Kraft 
und  Lebendigkeit".  Nun  sind  nach  Hume  die  Impressionen 
natürlicherweise  die  lebendigsten  Perzeptionen.  Alle  Lebendig- 
keit unsrer  Bewusstseinsinhalte  stammt  von  ihnen  her.  Die 
Ideen  sind  ja  nur  die  ,.schwachen  Bilder"  der  Impressionen, 
nur  durch  den  geringeren  Grad  von  Kraft  und  Lebendigkeit  von 
ihnen  unterschieden.-*)  Deswegen  ist  in  den  Kausalschlüssen, 
die  uns  von  Tatsachen  vergewissern  sollen,  die  über  das  gegen- 


*)  Nach  Treat.  I,  .'594  wird  man  nnbedenklich  im  Siuue  Hume's  to 
conceive  mit  „Ideen  haben",  „Ideen  bilden"  identifizieren  dürfen.  Joh. 
Ed.  Erdmann's  Glcichsetzuug:  „Ideen  haben"  gleich  „Denken"  (a.a.O. 
II,  116)  ist  unhistorische  Interpretation. 

*)  Ganz  im  Sinne  Hnme's  imd  seiner  Identifizierung  von  Bewiisstseins- 
inhalt  und  Gegenstand  heisst  es  hier  (Treat.  I,  394):  In  urder  to  discover 
more  fuUy  the  nature  of  belief  or  the  qualities  of  thosc  ideas  we  assent 
to  . . .  Der  belief  wird  aus  einer  Aktion  oder  einem  Zustande  des  Menschen 
zn  einer  Qualität  der  Ideen.  Auch  p.  405  spricht  von  den  qualities  of 
force  and  vivacity  .  .  .  which  cunstitute  this  belief.  p.  402  heisst  es,  dass 
belief  die  Ideen  begleitet  (attends). 

*)  Treat.  I,  397.  Für  die  „Weise,  eine  Idee  zu  formen",  tritt  freilich 
sofort  die  andere  Bestimmung:  belief  ist  eine  lebendige  Idee  ein;  unmittel- 
bar darauf  this  Operation  of  the  mind. 

*)  Treat.  I,  396,  475;  496,  311,  556. 


50 

wärtige  Zeugnis  der  Sinne  und  des  Gedächtnisses  liinausliegen, 
etwas  den  Sinnen  oder  dem  Gedächtnis  Gegenwärtiges,  in 
Hume's  Sprachgebrauch,  eine  Impression  absolut  erforderlich 
und  nicht  durch  eine  Idee  ersetzbar.  Die  Überzeugung  von 
einer  kausal  erschlossenen  Tatsache,  belief  or  persuasion,  würde 
ohne  eine  gegenwärtige  Impression  nicht  vorhanden  sein.  Der 
belief  folgt  der  gegenwärtigen  Impression.  Denn  die  Lebendig- 
keit, in  der  er  im  allgemeinen  einzig  besteht,  erlangt  die  Idee 
nur  durch  ihre  Relation  zu  einer  gegenwärtigen  Impression, 
und  zwar  nur  durch  die  Kausalrelation,  nicht  etwa  schon  durch 
die  Relation  der  Ähnlichkeit.  In  der  Kausalrelation  entfalten 
die  Gewohnheit  und  der  „gewohnheitsmässige  Übergang"  ihre 
belebende  und  kräftigende  Wirkung  auf  die  in  Relation 
stehende  Idee.')  Entscheidend  bleibt  freilich  immer  die  „gegen- 
wärtige Impression".  Sie  ist  die  Grundlage,  das  Fundament 
des  belief.  Auf  der  grösseren  oder  geringeren  Kraft  und 
Lebendigkeit  der  Impression  beruht  die  der  in  Relation  zu  ihr 
stehenden  Idee  und  eben  damit  auch  der  belief.  Nach  „ge- 
nauester Definition"  ist  a  belief  or  opinion  eine  lebendige,  in- 
tensive Idee,  die  mit  einer  gegenwärtigen  Impression  in  Relation 
oder  Assoziation  steht,  oder  mehr  genetisch,  die  durch  eine 
Relation  zu  einer  gegenwärtigen  Impression  hervorgebracht 
wird,  von  ihr  stammt,  aus  ihr  hervorgeht.^) 

Unausgeglichen  mit  dieser  Betonung  der  Unentbehrlichkeit 
der  Impressionen  bleibt  die  Aussage:  „Eine  starke  Geneigtheit 
oder  Neigung  (propensity  or  inclination)  allein  ohne  irgend- 
welche gegenwärtige  Impression  wird  bisweilen  a  belief  or 
opinion  verursachen."  Das  gilt  z.  B.  von  unserem  Glauben  an 
die  kontinuierliche  Existenz  von  Körpern.  Eine  „Neigung" 
veranlasst  uns,  die  kontinuierliche  Existenz  aller  sinnlich  wahr- 
nehmbaren Objekte  zu  „erdichten".  Ferner  gewährt  sie  jener 
„Fiktion"  Lebendigkeit,  mit  anderen  Worten,  veranlasst  uns, 
die  kontinuierliche  Elxistenz  von  Körpern  zu  „glauben".  Freilich 
behauptet  Hume  in  diesem  Fall  eine  Unterstützung  jener 
Neigung  durch  gegenwärtige  Impressionen  des  Gedächtnisses.^) 

1)  Treat.  I,  385,  403,  470,  496,  II,  88,  I,  401  f.,  414  f.,  419,  (387). 
-)  Treat.  1,442,  440;   390,  394,  399,  410,    11,205;    Treat.  1,397,  403, 
405.  —  Ess.  II,  41  f.  lehnt  die  Definition  ab  und  gibt  nur  eine  Beschreibung. 
3)  Treat.  I,  497  f. 


51 

Bemerkenswert  ist  noch,  dass  die  letzten  Citate  so  gut 
wie  alle  aus  dem  Treatise  stammen  und  im  Encjuiry  die  Be- 
zeichnung des  beliet  als  Idee  fast  völlig  fehlt,  wie  denn  llume 
im  En(|uiry  aneh  weit  weniger  von  seiner  Impressioneulehrc 
Gebrauch  macht.  Das  Entscheidende  und  Einheitliehe  in 
beiden  Rezensionen  ist,  dass  der  belief  in  einem  „Gefühl",  und 
zwar  in  höheren  Graden  von  „Kraft  und  Lebendigkeit"  besteht. 
Eine  Idee,  der  wir  zustimmen,  wird  anders  empfunden  als  eine 
erdichtete.  Und  dies  difförent  feeling  sucht  er  „unphilosophisch" 
zu  erklären,  indem  er  es  eine  höhere  Kraft,  Lebendigkeit, 
Solidität,  Festigkeit  oder  Stetigkeit  nennt.  Zu  beachten  ist, 
wie  neben  den  sonst  mehr  hervorgehobenen  Momenten  der 
Stärke  und  Lebendigkeit  die  anderen  der  Solidität,  Festigkeit 
und  Stetigkeit  erscheinen.  Hume  gewinnt  damit  eher  die 
Möglichkeit,  seinen  belief  von  einer  kräftigen,  lebhaften 
Phantasievorstellung  zu  unterscheiden.  Die  „unphilosophisch 
scheinende"  Fülle  der  Ausdrücke  soll  nur  der  Verdeutlichung 
dessen  dienen,  wofür  uns  leider  das  rechte  Wort  fehlt,  i) 

Brede^)  behauptet:  „Der  Glaube  ist  weder  Ursache  noch 
Folge  dieser  Intensität  der  Idee;  er  ist  die  Intensität  selbst". 
Dem  gegenüber  ist  ein  Schwanken  Hume's,  mindestens  in  seiner 
Ausdrucksweise,  zu  konstatieren.  Der  Einfluss  des  belief  be- 
steht darin,  eine  Idee  in  der  Imagination  zu  beleben  und  „ein- 
zuheften". Anderseits  kann  eine  gegenwärtige  Impression  ver- 
bunden mit  einer  Relation  von  Ursache  und  Wirkung  eine  Idee 
beleben  und  „folglich"  belief  or  assent  produzieren.  Ähnlich 
klingt  es,  wenn  Hume  kategorisch  ablehnt,  dass  die  Relationen 
der  Ähnlichkeit  und  Koutiguität,  die  wie  die  der  Ursächlich- 
keit Kräftigung  und  Belebung  der  Ideen  wirken,  Entstehungs- 
grundlage des  belief  werden  könnten.  Dagegen  versichert 
Hume,  bei  'dem  belief,  der  sich  mit  den  durch  Gewohnheit 
häufig  aufgetretenen  Ideen  und  Meinungen  verbindet,  wie  in 
der  Erziehung,  dürfen  wir  uns  nicht  damit  begnügen,  zu  sagen, 
die  Lebendigkeit  der  Ideen  produziert  den  belief.  Wir  müssen 
vielmehr  behaupten,  dass  beide  individually  the  same  sind. 
Und   ganz  allgemein  versichert  er  als  seine  Lehre:   Belief  ist 


1)  Treat.  I,  398. 

2)  a.  a.  0.  p.  6. 


52 

dasselbe  wie  die  Lebendigkeit  (Lebhaftigkeit)  der  Idee.  Das 
Wesen  des  belief  besteht  in  der  Kraft  und  Lebendigkeit  der 
Konzeption.  Kraft  und  Lebendigkeit,  Zutrauen  und  Sicherheit 
„konstituieren"  den  belief.  Dem  gegenüber  heisst  es  ander- 
wärts, dass  Kraft   und  Lebendigkeit  (den  belief)  „begleite". i) 

Der  Einwand,  wenn  belief  nur  in  einer  Lebendigkeit  be- 
stände, die  von  einer  entsprechenden  Impression  mitgeteilt 
wird,  so  müsste  er  bei  Schlüssen  von  Ursache  und  Wirkung 
mit  einer  langen  Kette  vermittelnder  Glieder  „bei  der  Länge 
des  Übergangs"  schwinden  und  schliesslich  gänzlich  ausgelöscht 
werden;  wenn  der  belief  bei  manchen  Anlässen,  z.  B.  bei  dem 
„Glauben"  an  ein  geschichtliches  Ereignis  aus  weit  entlegener 
Vergangenheit  einer  solchen  Auslöschung  nicht  unterliege, 
müsse  er  etwas  von  dieser  Lebendigkeit  Verschiedenes  sein; 
dieser  Einwand  wird  mit  der  Behauptung  abgewiesen,  dass 
hier  die  verknüpfenden  Glieder  alle  von  derselben  Art  und 
Weise  und  einander  vollkommen  ähnlich  sind.  Deswegen  „läuft 
der  Geist  leicht  die  Reihe  entlang  und  springt  mit  Leichtig- 
keit von  einem  Gliede  zum  andern."  Von  dem  einzelnen  Glied 
bildet  er  sich  nur  eine  ganz  allgemeine  undeutliche  Vor- 
stellung. Deswegen  schwächt  die  lange  Argumentenkette  die 
ursprüngliche  Lebendigkeit  nur  sehr  wenig.2) 

Lebendigkeit  und  Kraft  charakterisierte  Hume's  belief. 
Die  „geglaubten"  Ideen  sind  stärker,  fester,  lebhafter  als  die 
Fiktionen  der  Einbildungskraft  oder,  wie  es  sonst  heisst,  als 
die  schwankenden  Träumereien  eines,  der  Luftschlösser  baut. 
Belief  ist  jener  Akt  des  Geistes,  der  uns  „Realitäten"  gegen- 
wärtiger, gewichtiger,  einflussreicher  macht.  =^)  Der  belief,  das 
heisst,  jenes  stärkere,  stetige  Gefühl,  mit  dem  wir  etwas  er- 
fassen, wird  damit  zum  Kriterium  der  Wirklichkeit  und  der 
Wahrheit.") 

Wiederum  hängt  es  mit  Hume's  idealistischer  Fassung  der 


1)  Treat.  11,227;  1,402,  407;  415;  428,  489,  405,  448;  Ess.  11,48; 
Treat.  I,  420. 

")  Treat.  I,  441  f. 

8)  Treat.  I,  398;  Ess.  II,  41,  46.  42. 

*)  Anders  freilich  Treat.  II,  236:  Reason  is  tbe  discovery  of  truth  or 
falselioüd,  und  1,472:  Unsere  Vernunft  muss  als  eine  Art  Ursache  be- 
trachtet werden,  deren  „natürliche  Wirkung"  Wahrheit  ist. 


53 

Existenz  zusammeu.  wenn  es  zweifelhaft  bleibt,  ob  mau  in 
seinem  Sinne  formulieren  darf:  Der  belief,  das  Gefühl,  die 
Lebendigkeit  ist  das  Kriterium  der  Wirklichkeit  und  der 
Wahrheit,  oder  ob  man  behaupten  muss:  das  den  belief  kon- 
stituierende Gefühl  ist  eben  das,  was  wir  Realität  nennen. 
Green  wirft  unserm  Philosophen  „fusion  of  feeling  and  reality' 
vor.  Das  feeling  selbst  sei  für  ihn  das  Objekt.  Mit  Green 
diese  durch  Hume"s  Gedankengänge  nicht  völlig  ausgeschlossene 
Deutung  bis  zu  der  Behauptung ')  zu  steigern,  die  Ideen  der 
Imagination  erwerben  durch  die  Kausalrelatiou  —  will  sagen, 
durch  Mitteilung  grösserer  Kraft  und  Lebendigkeit  im  Gefühl 
—  die  Realität,  dürfte  jedenfalls  über  Hume  hinausgehen. 

Dass  das  Getuhl  als  Kriterium  der  Realität  bei  weitem 
nicht  ausreiche,  scheint  Hume  selbst  empfunden  zu  haben, 
wenn  er  sich  dahin  ausspricht,  dass  der  belief  „Realitäten  und 
was  dafür  gehalten  wird",  uns  gegenwärtiger,  gewichtiger  und 
einflussreicher  als  Fiktionen  macht.-) 

Immerhin  ist  es  für  den  „Skeptiker"  Hume  charakteristisch, 
dass  das  Fühlen,  Empfinden  bei  ihm  eine  solche  Rolle  spielt. 
La  Sensation  est  la  mesure  de  toutes  choses.^)  Hierher  gehört 
schon  seine  Betonung  der  Impressionen,  auf  die  und  deren 
Lebendigkeit  er  alle  anderen  Bewusstseinsinhalte  zurückführt, 
j  Die  Heraushebung  der  Impressionen  und  ihre  Bestimmung  als 
lebendigere  und  stärkere  Perzeptionen  weist  schon  auf  ihren 
Gefühlscharakter.  Es  finden  sich  die  Zusammenstellungen: 
Impression  or  feeling,  sentiment  or  Impression,  impressions  or 
original  sentiments.  Während  sonst  die  Ideen  Kopien  von 
Impessiouen  sind,  behauptet  Hume  einmal,  unsere  Ideen  lassen 
sich  immer  in  solche  einfachen  Ideen  auflösen,  wie  sie  von 
einem  voraufgegangenen  feeling  or  sentiment  kopiert  wurden.-*) 
Die  Impressionen  werden  kurz  darauf  dahin  erklärt:  „Alle 
Impressionen,   das   ist,   alle  Sensationen,^)   sowohl   äussere  als 


')  Introduction  to  the  Treatise  p.  254,  173,  284. 

«)  Ess.  II,  42.  In  der  sonst  würtlich  übereinstimmenden  Parallelstelle 
Treat.  I,  398  fehlt  dieser  Zusatz. 

ä)  Compayre,  a.  a.  0.  p.  242. 

*)  Treat.  I,  556;  Ess.  II,  62,  52,  IT. 

^)  Ess.  II,  17.  Demgegenüber  die  ausdrückliche  Scheidung  der  Im- 
pressionen  in   solche  of  Sensation  und  solche  of  reflexion,  Treat.  I,  3101. 


54 

innere,  sind  stark  und  lebhaft.  An  einer  anderen  Stelle  gibt 
Hume  seine  Grundthese,  dass  alle  unsere  Ideen  nichts  als 
Kopien  unsrer  Impressionen  sind,  mit  der  Fortsetzung:  „oder 
in  anderen  Worten,  es  ist  unmöglich  für  uns,  etwas  zu  denken, 
das  wir  nicht  vorher  durch  unsere  äusseren  oder  inneren  Sinne 
,gefühlt'  haben".  Für  die  Einsicht  in  den  Unterschied  der 
Impressionen  von  den  Ideen  wird  auf  den  von  jedermann 
perzipierten  Unterschied  zwischen  feeling  und  thinkiug  zurück- 
gegriffen. Das  erstere  soll  offenbar  den  Impressionen  zu- 
kommen.i)  Auf  diesen  Gefühlscharakter 2)  der  Impressionen 
weist  auch  ihr  ursprüngliches  Entstehen  in  der  Seele  aus  un- 
bekannten unerklärbaren  Ursachen.^) 

Der  Unterschied  zwischen  Denken  und  Fühlen  besteht 
dann  nach  Green  einzig  im  höheren  Grad  der  Lebendigkeit, 
der  dem  Fühlen  zukommt.^) 

Das  Gefühl  wird  berufen,  bei  unsern  Urteilen  die  letzte 
entscheidende  Stimme  abzugeben. 

Wenn  der  Unterschied  zwischen  belief  und  Fiktion  einzig 
in  der  Weise  der  Konzeption  besteht  und  Hume  bei  dem  Ver- 
such denselben  zu  erklären,  keinen  Ausdruck  findet,  der  der 
Sache  völlig  entspricht,  so  nimmt  er  seine  Zuflucht  zu  every 
one's  feeling,  um  ihm  einen  vollkommenen  Begriff  dieser  Geistes- 
tätigkeit zu  geben.  Ahnlich  behauptet  er  bald  nachher,  es  ist 
unmöglich,  den  belief,  dies  Gefühl  oder  die  Weise  der  Kon- 
zeption vollkommen  zu  erklären.  Trotzdem  versucht  er  eine 
Definition  und  erklärt,  sie  wird  sich  als  vollkommen  überein- 
stimmend mit  every  one's  feeling  and  experience  erweisen.^) 
In  den  Parallelen  im  Essay  behauptet  Hume  bei  der  Schwierig- 
keit,   ja    Unmöglichkeit    der    Aufgabe,    den    belief   völlig    zu 


Cf.  Brede,  a.  a.  0.  p.  30:  „Durchweg  sind  im  Enquiry  die  Begriffe  Impression 
und  Sensation  Wechselbegriffe,  ein  Sprachgebrauch,  zu  dem  .  .  .  die  An- 
sätze im  Treatise  schon  vorliegen." 

')  Ess.  II,  51;  Treat.  I,  311.  Ess.  II,  13,  17  spricht  den  Impressionen 
gegenüber  von  thoughts  or  ideas,  Treat.  I,  318,  32Uf.  dagegen  von  thoughts 
er  perceptions. 

'^)  den  Pfleiderer  a.a.O.  p.  191  nicht  beachtet. 

8)  Treat.  I,  317,  321. 

*)  Introduction,  Treat.  I,  161  f. 

^)  Treat.  I,  397  f.;  cf.  548  contrary  to  every  one's  feeling  and  ex- 
perience, Treat.  II,  442  und  II,  3b5:  common  sense  and  experience. 


55 


erklären,  „im  gewülinlichen  Leben  verstellt  jedermann  den 
Ausdruck  zur  Gentige"'.  Niemand  ist  über  die  Bedeutung  des 
Ausdrucks  in  Verlegenheit,  „da  jedermann  jeden  Augenblick 
sieh  des  dadurch  repräsentierten  Gefühls  (sentiment)  be- 
wusst  ist.i) 

Hierher  gehört  auch  eine  Notiz  über  die  Geistestätigkeit 
im  Denken,  die  unmöglich  zu  definieren  oder  zu  beschreiben 
ist,  die  aber  jeder  zur  Genüge  versteht.^)  Die  obigen  Stellen 
aus  dem  Treatise  berech'tigen  dazu,  dem  Ausdruck  understand 
in  den  letzten  Citaten  nicht  allzuviel  Bedeutung  beizulegen. 
Denn  jedenfalls  für  den  Treatise  behauptet  Hume,  nicht  nur 
in  Musik  und  Dichtkunst,  sondern  gleicherweise  auch  in  der 
Philosophie  müssen  wir  dem  Geschmack  und  dem  Empfinden 
folgen  (foUow  our  taste  and  sentiment).  Alles  Denken  und 
Schliessen  im  Gebiet  der  Wahrscheinlichkeit  (!)  (all  probable 
reasoning)  ist  nichts  als  eine  Art  „Empfindung"  (Sensation). 
Wenn  ich  einer  Reihe  von  Argumenten  vor  einer  anderen  den 
Vorzug  gebe,  so  entscheide  ich  nach  meinem  Gefühl  (feeling) 
über  die  Überlegenheit  ihres  Einflusses.  Die  Überzeugung 
wird  damit  zu  einem  Gefühlsurteil.  Die  Entscheidung  liegt 
beim  (unmittelbaren)  Gefühl,  nicht  beim  (langsamen)  Verstände.^) 

Hierher   gehört   auch    die    Behauptung,   der   Wert  jedes 


1)  Ess.  n,  42.  Für  den  engen  Zusammenhang  des  „Bewusstseins" 
mit  sentiment  nnd  feeling  vergleiche  Ess.  II,  55,  «0:  sentiment  or  con- 
sciousness;  Treat.  I,  452:  consciousness  or  Sensation;  und  die  Koordination 
to  feel  and  to  be  conscious  of,  Treat.  II,  181.  Zu  der  Behauptung,  dass 
das  Gefühl  für  Hume  zum  „Wahrheitskriterium"  wird,  passt  vortrefflich 
jenes  bekannte  consciousness  never  deceives,  Ess.  II,  55,  womit  er  zunächst 
gegen  den  Begriff  der  Kraft  und  weiter  der  Freiheit  des  Willens  operiert. 
Treat.  I,  556  verwendet  er  den  Gegensatz  zu  experience  and  our  immediate 
consciousness  zur  Ablehnung  einer  Hypothese;  ähnlich  I,  403  den  Maugel 
an  Bewusstsein.  —  Anders  die  Zusammenordnung  thought  or  consciousness, 
Treat.  I,  311,  559. 

2)  Treat.  I,  406. 

•)  Treat.  I,  403.  Streng  genommen  lassen  Hume's  Aensserungen  „no 
part  of  our  natures  to  be  cogitative  at  all",  Green,  Treat.  I,  248.  —  Zu 
erwähnen  ist  die  Parallele  zu  Jacobi,  der  bei  seiner  Betonung  des 
„Glaubens"  als  eines  „Wissens  aus  Geistesgefühl"  über  das  Gefühl  so 
urteilt:  „Das  Vermögen  der  Gefühle,  behaupten  wir,  ist  im  Menschen  das 
über  alle  anderen  erhabene  Vermögen  ...  es  ist,  behaupten  wir,  mit  der 
Vernunft  eins  und  dasselbe",  Werke  II,  1S15,  p.  OOf. 


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6 


GegeiistaDdes  kann  nur  durch  das  sentiment  or  passion  jedes 
Einzelnen  bestimmt  werden.')  Wohl  erscheint  ihm  in  den 
spekulativen  Wissenschaften  der  Metaphysik,  der  Naturwissen- 
schaft und  der  Astronomie  ein  Appell  an  die  general  opinion 
mit  Recht  unzulässig  und  nichts  beweisend.  Dagegen  gibt  es 
für  Moral  und  Ästhetik  keinen  anderen  Massstab  zur  Ent- 
scheidung der  Streitigkeiten,  sodass  der  klarste  Beweis  für  das 
Irrtümliche  einer  Theorie  geliefert  ist,  wenn  sie  zu  Paradoxien 
führt,  die  den  common  sentiments  der  Menschheit,  sowie  der 
Praxis  und  der  Anschauung  aller  Völker  zu  allen  Zeiten 
widersprechen.^) 

Wohl  weist  er  es  ab,  mit  seiner  Philosophie  nur  den 
common  sense  der  Menschen  in  schöneren  und  anziehenderen 
Farben  darstellen  zu  wollen,  wie  andere  Philosophen  tun.  Doch 
hält  er  selbst  einen  gemässigten  Skeptizismus  für  den  dauer- 
haftesten und  nützlichsten,  und  dieser  ist,  teilweise  wenigstens, 
nichts  anderes  als  übertriebene  pyrrhonische  Skepsis  einiger- 
massen  korrigiert  durch  common  sense  and  reflection.  „Philo- 
sophische Entscheidungen  sind  nichts  anderes  als  die  Reflexionen 
des  gewöhnlichen  Lebens  methodisch  geordnet  und  korrigiert."^) 

Kann  nun  auch  von  einer  trotzigen  Berufung  auf  den 
„gesunden  Menschenverstand"*)  bei  Hume  keine  Rede  sein, 
j.jener  Zuflucht,  die  beweiset,  dass  die  Sache  der  Vernunft 
verzweifelt  ist",  so  ist  Hume  „du  moins  trfes  dispos^  k  s'incliner 
devant  le  sens  commun".^)  Dazu  treibt  neben  dem  Vorgang 
Berkeley's^)  der  dominierende  Einfluss  der  Sensation,  der  aller- 
dings nur  Folge,  Begleiterscheinung,  Kehrseite  seiner  Ver- 
standesskepsis   ist.    Zum  anderen  bereitet  seine  Berufung  auf 


1)  Ess.  I,  224. 

2)Ess.  1,460,  II,  KiS,  Treat.  II,  384  f.  Ein  Eiuzemill  der  Berufung 
auf  den  common  sense  in  einer  Frage  der  Moral,  Treat.  II,  320.  Common 
sense  und  reason  gehen  in  ihr  Hand  in  Hand,  Ess.  II,  170. 

3)  Ess.  II,  5,  132,  133. 

*)  Kant,  Kritik  der  reinen  Vernunft,  zweite  Auflage,  p.  811.  —  Im 
englischen  Text  tritt  deutlicher  als  in  der  missverständlichen  deutschen 
Wiedergabe  (mit  „gesunder  Menschenverstand")  der  Zusammenhang  des 
common  sense  mit  sense,  Sensation,  sentiment  zu  Tage. 

*)  Compayre,  a.  a.  0.,  p.  181. 

«)  Cf.  Sampson  I,  298,  3G7,  378,  393,  39ö,  397  und  Princ,  Intr,  sect.  1. 


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7 


die  Instinkte,  wie  Conipayre ')  hervorhebt,  die  Philosophie  Reid's 
vom  common  sense  vor.  Endlieh  dürfte  auch  hier  seine  Vor- 
liebe für  quantitative  Betrachtungsweisen,  die  au  statistischem 
Registrieren  ihre  Freude  hat,  mithineinspieleu. 


Belief  und  Imagiuatiou. 

(belief  und  fancy.) 

Zwischen  Imagination  und  Fancy,  den  beiden  Worten  zur 
Bezeichnung  der  Einbildungskraft  und  der  Phantasie  besteht 
bei  Hume  offenbar  kein  wesentlicher  Unterschied.  Fancy 
nimmt  häufig  ein  vorangegangenes  Imagination  wieder  auf  und 
ebenso  umgekehrt.  Eins  tritt  für  das  andere  ein,  ohne  dass 
ein  Wechsel  der  Bedeutung  nachweisbar  wäre.^) 

Das  Verhältnis  zwischen  belief  und  Imagination  scheint 
auf  den  ersten  Blick  ein  rein  gegensätzliches  zu  sein.  Schon 
der  Gedächtnis  und  Sinne  begleitende  belief  bestand  in  der 
Lebendigkeit  der  Perzeptionen  der  Sinne  und  des  Gedächt- 
nisses, die  sie  von  (den  Ideen)  der  Imagination  unterscheidet.^) 
Und  im  Kausalzusammenhang  war  belief  jener  Akt  des  Geistes, 
der  uns  „Realitäten"  gewichtiger  und  einflussreicher  macht 
als  die  Fiktionen  der  Imagination,  oder  die  erdichteten  Ideen, 
die  fancy  allein  präsentiert.  Die  Idee,  der  wir  zustimmen, 
wird  anders  empfunden  als  eine  erdichtete  Idee.  Was  der 
Geist  als  Tatsache  annimmt,  erfasst  er  fester  und  konzipiert 
er  stetiger  denn  Fiktionen.*) 

Von  der  Imagination  wird  dekretiert,  dass  sie  für  sich 
allein  belief  nicht  „erreichen"  kann.  Belief  war  ja  eben  die 
lebendigere,  lebhaftere,  stärkere,  festere,  stetigere  Konzeption, 
als    Imagination    allein    erreichen    kann,    als    die    Konzeption, 


1)  a.a.O.  p.  332.  Auch  Brede,  a.a.O.  p.  50  findet,  von  den  über- 
mächtigen Eindrücken  von  der  Realität  der  Aussenwelt,  denen  sich  auch 
der  Verstandesskeptiker  niemals  entziehen  kann,  „ist  nur  noch  ein  Schritt 
zu  dem  Standpunkt,  dass  man  den  common  sense,  den  guten  Menschen- 
verstand, als  gleichwertig  behandelt  mit  jenem." 

2)  Cf.  z.B.  Treat.  I,  31S,  393,  419,  420,  500,  547. 

3)  Treat.  I,  387. 

*)  l^eat.  I,  398;  Ess.  II,  42;  Treat.  I,  557. 


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welche  die  blossen  Fiktionen  der  Imagination  begleitet. t)  Sind 
wir  von  einer  Tatsache  überzeugt,  so  konzipieren  wir  sie  mit 
einem  gewissen  Gefühl,  das  verschieden  ist  von  dem,  welches 
die  blossen  Träumereien  der  Imagination  begleitet.  Bestände 
belief  nicht  in  diesem  bestimmten  feeling,  so  ständen  die 
Gegenstände  der  wildesten  Einbildungskraft  auf  gleichem  Fuss 
mit  den  festesten  Wahrheiten,  die  auf  Erfahrung  und  Geschichte 
gegründet  sind.  Fiktion  der  Imagination  (gelegentlich  auch 
der  fancy)  ist  bei  Hume  ein  festgewordener  Terminus  und 
stehender  Gegensatz  zum  belief  und  den  Realitäten,  die  der 
belief  uns  gegenwärtiger  macht  als  Fiktionen.^) 

Nichts  ist  der  Vernunft  gefährlicher  als  die  Flüge  der 
Imagination.  Nichts  hat  mehr  Irrtümer  unter  den  Philosophen 
verursacht.  Eine  natürliche  Schwäche  und  Unbeständigkeit 
zeichnet  sie  aus.  Sie  ist  launenhaft  und  unstät.  In  ihr  haben 
wir  die  leichtfertigeren  Eigenschaften  (more  frivolous  properties) 
unseres  Denkens  vor  uns.  Nichts  ist  freier  als  die  Imagination. 
Sie  hat  Gewalt  über  alle  ihre  Ideen,  sie  nach  Belieben  zu 
mischen,  zu  einigen,  zu  variieren,  zu  wechseln  und  zu  ändern.^) 

Eine  falsche  Fiktion  der  Einbildungskraft  ist  unser  Er- 
dichten (feign)  kontinuierlicher  Existenz  aller  sinnlich  wahr- 
nehmbaren Gegenstände.  Die  Annahme  kontinuierlicher  Exi- 
stenz von  Körpern  unabhängig  von  unserm  Geist,  zu  welcher 
wir  instinktiv  immer  wieder  gedrängt  werden,  gehört  nicht 
der  Vernunft,  nicht  den  Sinnen,  sondern  gänzlich  der  Imagina- 
tion zu.  In  der  Imagination  ist  diese  opinion  tief  gewurzelt. 
Imagination  tiberzeugt  uns  von  der  kontinuierlichen  Existenz 
äusserer  Objekte,  wenn  sie  den  Sinnen  nicht  gegenwärtig  sind.^) 
Denn  es  ist  eine  Eigenschaft  der  Imagination,  einmal  in  Be- 
wegung gesetzt,  auch  ohne  ein  entsprechendes  Objekt,  wie  eine 
in  voller  Fahrt  befindliche  Galeere  auch  ohne  neuen  Ruder- 
schlag in  ihrem  Lauf  zu  verharren.  So  macht  die  Imagination 


1)  Ess.  II,  42,  43,  48. 

2)  Treat.  I,  555,  444;  Ess.  II,  40  f.,  42. 

3)  Treat.  I,  547,  347,  445,  II,  275  Anm.;  Ess.  II,  40,  42;  Treat.  I,  3 IS, 
398.  Cf.  für  diese  Beurteilung  der  Imagination  noch:  illusion  of  the  Ima- 
gination (fancy)  Treat.  I,  547,  (II,  109);  reveries  of  the  Imagination  Treat. 
1,  555,  loose  reveries  of  the  fancy  Ess.  II,  41. 

*)  Treat.  I,  497,  483,  502,  540. 


59 

aus  unterbroclienen  ähnliclien  Perzeptionen  fälselilieli  ideutische, 
aus  den  mehr  oder  minder  einförmigen  und  regelmässigen  Er- 
scheinungen der  Objekte  für  die  Sinne  fälschlich  kontinuier- 
lich existierende  Dinge.  Faney  geht  von  den  unterbrochenen 
Perzeptionen  direkt  und  unmittelbar  zur  Idee  einer  anderen 
Existenz  über,  die  diesen  Perzeptionen  ihrer  Natur  nach  ähnelt, 
aber  dabei  kontinuierlich,  ununterbrochen  und  identisch  ist.') 

Allein  würde  die  Imagination  allerdings  niemals  auf  eine 
solche  Annahme  verfallen.  Lebendige  gegenwärtige  Gedächt- 
nisimpressionen helfen  dazu  und  gewähren  jener  Fiktion 
Lebendigkeit,  oder  mit  anderen  Worten,  lassen  uns  die  kon- 
tinuierliche Existenz  von  Körpern  „glauben".^) 

Hier  ist  belief  bei  einer  lebendigen  Fiktion  vorhanden  und 
der  frühere  Gegensatz,  der  allerdings  immer  nur  ein  quantita- 
tiver war,  ist  verschwunden. 

Aber  auch  sonst  ist  das  Verhältnis  von  belief  und  Imagina- 
tion nicht  rein  gegensätzlich.  Wenn  Hume  verfügt,  Imagination 
allein  kann  niemals  belief  erreichen,  so  ist  der  Nachdruck  auf 
jenes  „allein"  zu  legen.  Dcim  die  Hervorbringung  von  belief 
erscheint  als  eine  Beeinflussung  der  Imagination  und  eine 
starke,  kräftige  Imagination  ist  „von  allen  Talenten  das  ge- 
eignetste, to  procure  belief  and  authority".^)  Die  Lebhaftig- 
keit der  Imagination  eines  Schriftstellers  reisst  ihn  und  uns 
mit  fort.  Jede  Idee,  die  Kraft  und  Lebendigkeit  aufweist,  ist 
der  Imagination  angenehm.  Ein  Gemisch  von  Wahrheit  und 
Falschheit  befriedigt  sie  schon.  Ja,  die  durch  fancy  produ- 
zierte Lebendigkeit  ist  in  vielen  Fällen  grösser,  als  die,  welche 
aus  Gewohnheit  und  Erfahrung  herstammt.-») 


1)  Treat.  I,  487,  501,  487  f.,  500. 

2)  Treat.  I,  500,  497. 

3)  Ess.  II,  142;  Treat.  1,420. 

*)  Treat.  I,  420.  Fancy  (imagination),  Gewohnheit  und  Erfahrung 
sind  Quellen  der  Lebendigkeit  der  Ideen.  Erfahrung  unterweist  mich 
über  verschiedene  Vereinigungen  von  Objekten  in  der  Vergangenheit. 
Gewohnheit  determiniert  mich,  das  Gleiche  für  die  Zukunft  zu  erwarten. 
Beide  vereinigen  sich  in  ihrer  Wirkung  auf  die  Imagination  und  veranlassen 
mich,  gewisse  Ideen  intensiver  und  lebendiger  als  andere  zu  bilden,  Treat. 
I,  545.  Ebendort  findet  sich  die  Wendung:  imagination  or  (I)  the  vivacity 
of  cur  ideas. 


60 

Eine  Idee  der  Imagination  kann  solche  Stärke  und 
Lebendigkeit  erlangen,  dass  sie  für  eine  Idee  des  Gedächt- 
nisses gilt  und  fälschlich  deren  Wirkungen  auf  belief  und 
judgment  nachahmt.')  Denn  nichts  unterscheidet  die  Imagina- 
tion von  dem  Gedächtnis  als  die  geringere  Lebendigkeit.  Die 
Imagination  dem  Gedächtnis  gegenübergestellt  ist  das  Ver- 
mögen, durch  das  wir  unsere  schwächeren  Ideen  bilden.  Die 
Imagination  kann  (durch  Wiederholung,  in  der  Erziehung) 
Ideen  so  fest  eingeprägt  bekommen  haben,  und  sie  in  so 
vollem  Licht  konzipieren,  dass  sie  in  derselben  Weise  auf  den 
Geist  wirken,  wie  die,  welche  Sinne,  Gedächtnis  und  Vernunft 
uns  präsentieren.  Hume's  eigentliche  Meinung  dürfte  die  sein: 
Häufige  Wiederholung  prägt  eine  Idee  in  der  Imagination  ein: 
kann  aber  nicht  von  selbst  belief  erreichen.^) 

Den  Ausblick  auf  eine  viel  umfassendere,  grundlegende 
Bedeutung  der  Imagination  für  jeden  belief  (im  Kausal- 
zusammenhang) eröffnet  der  Satz:  Hätten  Ideen  nicht  mehr 
Einigung  in  der  fancy,  als  Objekte  dem  Verstände  zu  haben 
scheinen,  so  könnten  wir  niemals  in  irgend  eine  Tatsache  belief 
setzen.  Der  Kausalschluss,  von  dem  hier  die  Rede  ist,  hängt 
einzig  von  der  Einigung  der  Ideen  ab,  und  diese  erfolgt  in 
der  Imagination.  Damit  tritt  fancy  (Imagination)  in  unsere 
sämtlichen  reasonings  ein.^) 

Ursache  und  Wirkung  sind  ja  für  Hume  ganz  verschiedene 
Ereignisse.  Eine  Verknüpfung  zwischen  ihnen  ist  durch  Ver- 
nunft nicht  einzusehen.  Vernunft  kann  nicht  dartun,  dass  die 
Existenz  eines  Objektes  die  eines  anderen  einschliesst.'*)  Geht 
der  Geist  von  der  Idee  oder  Impression  eines  Objektes  zur 
Idee  oder  dem  belief  eines  anderen  über,  so  ist  er  nicht  durch 
Vernunft  determiniert,  sondern  durch  gewisse  Prinzipien  (Ähn- 
lichkeit, Benachbart -sein,  Verknüpfung),  die  die  Ideen  dieser 
Objekte  assoziieren  und  in  der  Imagination  einigen.  Wir 
finden,    dass   durch    die  gewohnheitsmässige   Vereinigung  die 


»)  Treat.  I,  387 ;   cf.   auch   „die   Art  belief",  welche   die  lebendige 
Imagination  dem  Manne  am  Rande  des  Abgrunds  produziert,  Ess.  II,  141  f. 
2)  Treat.  I,  317  f.,  386  f.;  416  Anm.,  II,  157  Anm.;  I,  416,  415. 
»)  Treat.  I,  393,  437. 
*)  Cf.  hier  p.  3  f.,  25. 


61 

Objekte  eine  Einigung  in  der  Imagination  erlangen.')  Sind 
wir  gewohnt,  ein  Objekt  mit  einem  anderen  vereinigt  zu 
sehen,  so  geht  unsere  Imagination  vom  ersten  zum  zweiten 
durch  einen  natürlichen  Übergang,  der  der  Reflexion  vorher- 
geht und  durch  dieselbe  nicht  gehindert  werden  kann.2)  Durch 
die  Gewohnheit  treibt  das  gegenwärtige  Objekt  die  Ein- 
bildungskraft, unmittelbar  das  gewöhnlich  mit  ihm  verbundene 
Objekt  in  der  besonderen  Weise  zu  konzipieren,  die  wir  belief 
nennen.  Durch  den  Einfluss  der  Gewohnheit  auf  die  Imagina- 
tion erklärt  Hnme  den  belief.  Als  eine  Wirkung  der  Gewohn- 
heit auf  die  Imagination  sind  die  Kausalurteile  anzusehen. 
Durch  kein  anderes  Prinzip  als  Gewohnheit,  die  auf  die 
Imagination  .wirkt,  können  wir  einen  Schluss  von  der  Er- 
scheinung eines  Objekts  auf  die  Existenz  eines  anderen 
ziehen.^) 

Die  Gewohnheit,  der  alle  Kausalurteile  zugeschrieben 
werden,  hat  keinen  anderen  Einfluss  als  den,  die  Imagination 
zu  beleben  und  uns  eine  starke  Konzeption  eines  Objektes  zu 
geben.  Das  gegenwärtige  Objekt  kräftigt  und  belebt  die 
Imagination  und  die  Ähnlichkeit  samt  der  konstanten  Ver- 
einigung überträgt  diese  Kraft  und  Lebendigkeit  auf  die  in 
Relation  stehende  Idee.^) 

Ohne  die  Einigung  der  Objekte  durch  die  Imagination 
wäre  überhaupt  kein  Kausalschluss  und  kein  belief  im  Kausal- 
zusammenhang möglich.  Imagination  lässt  uns  Schlüsse  von 
Ursachen  und  Wirkungen  bilden.  Wenn  dasselbe  Prinzip  uns 
von  der  kontinuierlichen  Existenz  äusserer  Objekte  überzeugt, 
so  ist  das  ein  direkter  Widerspruch.'^) 

»)  Treat.  I,  392  f.,  394. 

*)  Treat.  I,  443,  cf.  transition  of  the  fancy,  Treat.  I,  402;  this  custoniary 
transition  of  the  imagiuation,  Ess.  II,  (52.  —  Zu  dem  im  Nachsatz  berührten 
Punkt  cf.  Treat.  1,477:  SubtUes  Denken  verursacht  der  Imagination  An- 
strengungen und  lässt  es  nicht  zu  einem  ganzen  belief  kommen. 

3)  Ess.  n,  41,  87;  Treat.  I,  470;  450;  404. 

*)  Treat.  I,  445,  439. 

^)  Treat.  I,  546,  cf.  516:  Es  ist  ein  direkter,  völliger  Gegensatz 
zwischen  unserer  Vernunft  und  unsem  Sinnen,  oder,  besser  ausgedrückt, 
zwischen  den  Schlüssen,  die  wir  von  Ursachen  und  Wirkungen  bilden, 
und  denen,  welche  uns  von  kontinuierlicher,  unabhängiger  Existenz  von 
Körpern  überzeugen. 


62 

Ferner  spielt  faney  bei  der  „Wahrsclieinliclikeit  von  Ur- 
sachen" eine  bedeutsame  Rolle.  Fancy  schmilzt  die  einander 
entgegengesetzten  Erfahrungen  der  Vergangenheit  zu  einem  je 
nach  deren  Zahl  und  Überlegenheit  über  die  entgegengesetzten 
Erfahrungen  intensiven  und  lebendigen  „Bilde"  zusammen.  Bei 
der  Übertragung  der  Vergangenheit  auf  die  Zukunft  durch 
einen  Verstandesschluss  entstände  in  keinem  einzigen  der- 
artigen Fall  belief  oder  Gewissheit,  da  die  vergangene  Er- 
fahrung dem  Verstände  nicht  das  bestimmte  Objekt  darbietet, 
das  der  belief  bedarf.  So  entsteht  der  belief  nicht  allein  aus 
der  Übertragung  der  Vergangenheit  auf  die  Zukunft,  sondern 
von  einer  damit  verbundenen  Tätigkeit  der  fancy.  Stammt 
freilieh  die  Menge  verschiedener  Anschauungen  eines  Objektes 
nicht  aus  der  Erfahrung,  sondern  aus  einem  "Willensakt  der 
Imagination,  so  einigen  die  gleichartigen  Anschauungen  sich 
nicht  zu  einer  starken,  lebendigen  Anschauung.')  Eine  ähn- 
liche Stelle  findet  sich  im  Euquiry,  dass  bei  der  „Wahrschein- 
lichkeit" das  Zusammentreffen  mehrerer  „Aussichten"  die  Idee 
stärker  der  Imagination  einprägt,  ihr  höhere  Kraft  und 
Lebendigkeit  verleiht,  ihren  Einfluss  auf  die  passions  und 
Affekte  spürbarer  macht,  mit  anderen  Worten,  die  Zuversicht 
und  Sicherheit  erzeugt,  die  das  Wesen  des  belief  ausmachen.^) 

Dies  starke  und  offenbar  völlig  berechtigte  Hineinragen 
der  Imagination  in  den  Kausalzusammenhang  und  den  darauf 
ruhenden   belief  führt  zu  einer  anderen  Beurteilung  derselben. 

Die  vollkommene  Freiheit  der  Imagination,  Ideen  zu  ver- 
setzen lind  zu  verändern,  wird  schon  „einigermassen"  geordnet 
und  einförmiger  gemacht  durch  universelle  Prinzipien,  welche 
die  Ideen  „mit  sanfter  Gewalt"  einigen.  Die  Qualitäten,  von 
denen  diese  Assoziation  entsteht,  sind  Ähnlichkeit,  Benachbart- 
sein in  Raum  und  Zeit  und  das  Verhältnis  von  Ursache  und 
Wirkung. 3)  Noch  etwas  weiter  führt  die  Unterscheidung,  die 
er  innerhalb  der  Imagination  macht  zwischen  Prinzipien,  die 
sich  gleich  bleiben,  unwiderstehlich  und  allgemeingültig  sind 
—   zu   ihnen    gehört    der  gewohnheitsmässige   Übergang   von 


»)  Treat.  I,  437. 
2)  Ess.  II,  48. 
8)  Treat.  1,319. 


63 

IJrsaelien  zu  Wirkungen  und  von  Wirkungen  zu  Ursachen  — , 
und  Prinzipien,  die  veränderlieli,  schwach  und  unregelmässig 
Sinti.  Die  ersteren  sind  die  Grundlagen  aller  Gedanken  und 
Handlungen,  sodass  mit  ihrer  Beseitigung  die  Mensehennatur 
unmittelbar  zu  Grunde  gehen  müsste.  Die  letzteren  sind  für 
den  Menschen  weder  unvermeidlich,  noch  notwendig,  noch  für 
die  Lebensführung  nützlich  zu  nennen.  Im  Gegenteil.  Sie 
finden  sich  erfahrungsmässig  in  schwachen  Gemütern  und 
können,  da  sie  anderen 'Prinzipien  der  Gewohnheit  und  des 
Denkens  und  Sehliessens  (reasoning)  entgegengesetzt  sind, 
durch  eine  rechte  Kontrastierung  leicht  zerstört  werden.  Es 
zeichnet  die  „moderne"  Philosophie  vor  der  alten  mit  ihren 
eingebildeten  Gespenstern,  den  Fiktionen  von  Substanz  und 
Akzidenz,  von  substanziellen  Formen  und  verborgenen  Quali- 
täten aus,  dass  sie  einzig  von  den  soliden,  sich  gleichbleiben- 
den, festen  Prinzipien  der  Imagination  ausgehen  will.i) 

Der  Gegensatz  zwischen  Vernunft  und  Verstand  und 
Imagination  hört  damit  auf,  ein  absoluter  zu  sein.  Wird 
Imagination  der  Vernunft  oder  dem  Verstände  entgegengesetzt, 
so  versteht  Hume  darunter  die  Fähigkeit,  durch  welche  wir 
unsere  schwächeren  Ideen  bilden,  wobei  nur  unser  demonstra- 
tives und  „wahrscheinliches"  Schliessen  ausgenommen  ist.2) 
Der  Verstand  wird  beiläufig  einmal  als  die  allgemeinen  und 
festeren  Eigenschaften  (general  and  more  established  properties) 
der  Imagination  bestimmt. 3)  Unter  anderer  Betrachtungsweise 
heisst  es:  Gedächtnis,  Sinne  und  Verstand  sind  alle  auf  der 
Imagination  oder  (!)  Lebendigkeit  unserer  Ideen  gegründet. 
Ohne  die  Imagination  könnten  wir  niemals  einem  Argument 
zustimmen,  oder  unsern  Blick  über  die  wenigen  unseren 
Sinnen  gegenwärtigen  Objekte  hinausschweifen  lassen.  Ja, 
selbst  diesen  Objekten  könnten  wir  keine  andere  als  eine  von 
unseren  Sinnen  abhängige  Existenz  zuschreiben.  Wir  müssten 
sie  vollständig  in  jener  Sukzession  von  Perzeptionen  fassen, 
die  unser  Selbst,  unsere  Persönlichkeit  ausmacht.  Ja  mehr 
noch,  selbst  in  Rücksicht  auf  jene  Sukzession  könnten  wir  nur 


1)  Treat.  I,  511. 

2)  Treat.  I,  416  Anm..  II,  157  Anin. 

3)  Treat.  I,  547. 


64 

solche  Perzeptionen  zulassen,  die  unserm  Bewiisstsein  unmittel- 
bar gegenwärtig  sind  und  jene  lebendigen  Bilder,  welche  das 
Gedächtnis  uns  präsentiert,  könnten  niemals  als  getreue  Ge- 
mälde (pictures)  unserer  früheren  Perzeptionen  aufgenommen 
werden.  Gedächtnis,  Sinne  und  Verstand  sind  daher  sämtlich 
auf  der  Imagination  oder  der  Lebendigkeit  unserer  Ideen  ge- 
gründet.') Kein  Wunder,  dass  Hume  die  Imagination  den 
„letzten  Richter  aller  philosophischen  Systeme"  nennt.^) 

Wenn  die  Imagination  durch  eine  Gährung  im  Blut  oder 
in  den  „Lebensgeistern"  solche  Lebendigkeit  erlangt,  dass 
ihre  Kräfte  und  Vermögen  gestört  werden,  so  gibt  es  keine 
Mittel  mehr,  Wahrheit  und  Falschheit  zu  unterscheiden.  Jede 
Erdichtung  und  jede  Idee  hat  alsdann  denselben  Einfluss  wie 
die  Impressionen  des  Gedächtnisses  oder  die  Schlüsse  der 
Urteilskraft  und  wirkt  gleich  kräftig  auf  die  passions  ein. 
Eine  gegenwärtige  Impression  und  ein  gewohnheitsmässiger 
Übergang  ist  dann  zur  Belebung  der  Idee  nicht  mehr  erforder- 
lich. Jede  „Chimäre  des  Gehirns"  ist  dann  so  lebhaft  und 
intensiv  als  Schlüsse  über  Tatsachen  oder  gegenwärtige  Im- 
pressionen.3) 

Trotzdem  bleibt  auch  für  den  gesunden  Menschen  ein 
Dilemma.  Stimmen  wir  jeder  beliebigen  Anregung  der  fancy 
zu,  so  sind  diese  häufig  einander  entgegen  und  leiten  uns  in 
solche  Irrtümer,  Absurditäten  und  Dunkelheiten,  dass  wir  uns 
zuletzt  unserer  Leichtgläubigkeit  schämen  müssen.  Andererseits 
zerstört  der  Verstand  —  nach  dem  obigen  Citat  besteht  er  in 
den  allgemeinen,  gesetzteren  Eigenschaften  der  Imagination  — , 
wenn  er  seinen  allgemeinsten  Prinzipien  gemäss  wirkt,  sich 
selbst  völlig  und  lässt  in  Philosophie  und  Leben  an  keinem 
Satz  auch  nur  den  niedrigsten  Grad  von  Evidenz.  Hume  wahrt 
seinen  Ruf  als  Skeptiker.  Er  erklärt,  selbst  nicht  zu  wissen, 
was  da  geschehen  solle.  Natur  gibt  vorübergehend  die  prak- 
tische   Lösung,    welche    die    Vernunft    nicht    zu    gewähren 

vermag.^) 

*  * 

* 

1)  Treat.  I,  545. 

')  Treat.  I,  510. 

3)  Treat.  I,  421,  cf.  Ess.  II,  13. 

")  Treat.  I,  547  f. 


65 

Folgen  des  Belief. 

Unter  der  Rubrik  „Folgen  des  belief"  ist  im  wesentlichen 
nur  noch  übersichtlicher  zusammenzustellen,  was  im  Lauf  der 
Darstellung  bereits  mehrfach  hat  berührt  werden  müssen. 

Die  Zusammenstellung  ergibt  auch  hier  jenes  schon  früher 
beobachtete  Schwanken  Hume's  zwischen  Idealismus  und  Realis- 
mus, wobei  sein  Ausgangspunkt  von  den  Tatsachen  des  Be- 
wusstseins,  auf  deren  Beschreibung  er  sich  beschränkt,  ein 
durchgängiges  Überwiegen  idealistischer  Gedankenreihen  be- 
günstigt. 

Die  Ideen,  die  von  belief  begleitet  sind,  machen  auf  den 
Geist  Eindruck.  Während  wir  unsere  Ideen  mannigfach  mit- 
einander vermischen  können,  „fixiert"  der  belief  eine  Idee  und 
schafft  eine  (bestimmte)  opinion.')  Seine  Wirkung  ist  eben 
die,  eine  Idee  in  der  Imagination  zu  beleben  und  einzuheften 
und  alle  Art  Unsicherheit  in  betreff  ihrer  zu  verhindern.^)  Belief 
erteilt  der  Imagination  Lebendigkeit.  Er  gefällt  ihr  wegen 
der  Kraft  und  Lebendigkeit,  die  ihn  begleitet.  Eben  diese 
Lebendigkeit  verursacht  Lust,  ihre  Gewissheit  hindert  Un- 
behagen dadurch,  dass  sie  eine  besondere  Idee  im  Geist  fixiert 
und  diesen  davon  zurückhält,  in  der  Wahl  seiner  Objekte  zu 
schwanken.^) 

Dabei  ändert,  variiert,  modifiziert  der  belief  nur  die  Weise, 
in  der  wir  eine  Idee  oder  ein  Objekt  konzipieren.  Er  macht 
die  Idee  stärker  und  lebhafter.  Er  verleiht  unsern  Ideen 
einen  Zuwachs  an  Kraft  und  Lebendigkeit,  und  macht  sie  für 
das  feeling  verschieden,  ohne  eine  neue  Impression  zu  pro- 
duzieren.*) 

Macht  aber  belief  eine  Idee  stärker  und  lebendiger,  ist 
der   belief  nur  eine  starke,   stetige  Konzeption  einer  Idee,   so 


')  Treat.  I,  419,  396.  Hierher  gehört  aach  die  Bemerkung,  dass  bei 
der  „Wahrscheinlichkeit  von  Ursachen"  das  Zusammentreffen  mehrerer 
„Aussichten"  den  belief  erzeugt  und  dieser  dem  einen  Ereignis  vor  dem 
andern  den  Vorzug  gibt,  Ess.  II,  48,  49.  (Treat.  I,  40:i).  Fraglich  bleibt 
allerdings,  ob  Home  hier  die  Folge  oder  das  Wesen  des  beUef  kenn- 
zeichnen will. 

2)  Treat.  II,  227,  cf.  oben  p.  10. 

3)  Treat.  I,  420,  II,  227. 
*)  Treat.  I,  396,  402,  557. 


66 

ist  damit  gegeben,  dass  dieselbe  einer  unmittelbaren  Impression 
nahekommt.  Denn  die  verschiedenen  Grade  von  Kraft  und 
Lebendigkeit  machen  den  ganzen  Unterschied  zwischen  Ideen 
und  Impressionen  aus.  Die  Ideen  sind  unsere  „schwächeren 
Konzeptionen",  die  „schwachen  Abbilder"  unserer  Impressionen. 
Diese  sind  natürlicherweise  unsere  lebendigsten  Perzeptionen, 
von  welchen  alle  andere  Lebendigkeit  herstammt.') 

Darum  ist  belief,  indem  er  eine  Idee  an  Kraft  und 
Lebendigkeit  einer  Impression  nähert,  die  Ursache,  dass  eine 
Idee  die  Wirkung  einer  Impression  „nachahmt".2)  Seine 
Wirkung  besteht  darin,  eine  einfache  Idee  in  die  Gleichheit 
mit  unsern  Impressionen  zu  erheben  und  ihr  einen  gleichen 
Einfluss  auf  die  passions  zu  gewähren.^)  Die  Ideen  der  Ob- 
jekte, deren  jetzige  oder  künftige  Existenz  wir  „glauben", 
bringen  in  geringerem  Grade  dieselben  Wirkungen  hervor,  wie 
die  den  Sinnen  oder  der  Perzeption  unmittelbar  gegenwärtigen 
Impressionen.  Die  Konzeptionen,  welche  Gegenstände  der 
Überzeugung  und  Gewissheit  sind,  kommen  den  uns  unmittel- 
bar gegenwärtigen  Impressionen  näher.  Der  belief  nähert  sich 
der  Impression,  von  welcher  er  abgeleitet  ist.^) 

Nun  „gefällt  es  uns",  unsere  Impressionen,  was  immer 
unsern  inneren  Perzeptionen  oder  den  Sinnen  gegenwärtig  ge- 
wesen ist  (und  alles,  was  mit  den  gegenwärtigen  Impressionen 
vereinigt  war)'»)  im  Unterschied  von  den  reinen  Fiktionen  der 
Einbildungskraft  „Realität"  zu  nennen.  Aber  unser  Geist  be- 
gnügt sich  nicht  damit,  sondern  bildet  aus  den  mit  diesem 
„System  der  Perzeptionen"  durch  die  Kausalrelation  ver- 
knüpften Ideen    ein  neues  System,   welches  er   gleicherweise 


1)  Treat.  I,  396  Anm.;  311,  314,  403,  417;  311,  556,  496. 

2)  Treat.  I,  418. 

ä)  Treat.  1,417.  Belief  beeinflusst  die  passions  und  die  Imagination, 
1,557.  Die  Lebendigkeit  des  belief  ist  fast  absolut  erforderlich,  unsere 
passions  zu  wecken  und  zu  erregen,  Treat.  11,  205,  1,418.  Umgekehrt  sind 
die  passions  dem  belief  günstig.  Die  passiou  z.  B.  der  Überraschung  und 
Verwunderung  bei  Wunderberichten  gibt  eine  merkliche  Tendenz  zum 
belief  an  jene  Ereignisse,  Ess.  II,  95. 

*)  Treat.  I,  417,  556,  557. 

^)  Über  die  Schwierigkeit  in  Hume's  Fassung  der  Realität,  speziell 
bezüglich  des  im  Text  eingeklammerten  Satzes  vergleiche  Green's  Ein- 
leitung, Treat.  I,  279  f. 


67 

der  BezeiehnuDg  .,Realität"  würdigt.  Das  erste  System  ist 
Gegenstand  des  Gedächtnisses  und  der  Sinne,  das  zweite  des 
(Kausal-)  Urteils.  1) 

Dann  ist  belief  jener  Akt  des  Geistes,  der  Realitäten  (und, 
was  dafür  gehalten  wird)  uns  gegenwärtiger,  für  unser  Denken 
gewichtiger,  für  unsere  passions  und  emotions  einflussreieher 
macht  als  Fiktionen.  Er  unterscheidet  die  ideas  of  judgment'-) 
von  den  Fiktionen  der  Imagination,  gibt  ihnen  mehr  Kraft 
und  Einfluss,  lässt  sie  von  grösserer  Wichtigkeit  erscheinen, 
befestigt  (infixes)  sie  im  Geist,  zwingt  sie  ihm  auf  und  macht 
sie  zu  herrschenden  Prinzipien  für  unser  gesamtes  Handeln.^) 
Belief  allein  ermöglicht  es  uns,  Realitäten,  Wahrheiten,  die  auf 
Erfahrung  und'  Geschichte  (!)  gegründet  sind,  von  Fiktionen 
und  erdichteten  Ideen,  von  Träumereien  und  den  Produkten 
der  ungezügeltsten  Einbildungskraft  zu  unterscheiden.^) 

*  * 


Kritik. 

Die  Kritik  der  Hume'schen  Gedanken  muss  sich  hier  auf 
die  im  Lauf  der  Darstellung  wiederholt  hervorgetretenen 
Schwächen  seiner  Gesamtanschauung  beschränken. 

Dazu  gehört  vor  allem  sein  Versuch,  mit  lauter  quantita- 
tiven Unterschieden  auszukommen.  Quantitativ  ist  der  Unter- 
schied zwischen  Impressionen  und  Ideen.  Sie  unterscheiden 
sich  nur  dem  Grade,  nicht  der  Natur  nach.  Quantitativ  ist 
der  Unterschied  zwischen  Impressionen  des  Gedächtnisses  und 
Fiktionen  der  Einbildungskraft,  quantitativ  der  Unterschied 
zwischen    Träumereien    der    Phantasie    und    Realitäten    oder 


1)  Treat.  I,  407.  Der  anders  lautende  Sprachgebrauch  in  den  obigen 
Citaten  p.  12,  Anm.  3,  p.  17,  Anm.  2  wird  als  Anlehnung  an  die  gewöhnliche 
Redeweise  oder  als  ein  Durchschimmern  realistischer  Gedanken  zu  fassen  sein. 

2)  Von  E.  Küttgen,  a.a.O.,  p.  133  völlig  verfehlt  wiedergegeben  mit: 
,die  Vorstellungen,  die  das  Urteil  konstituieren." 

3)  Treat.  1,398;  Ess.  11,42. 

*)  Treat.  I,  398.  Fraglich  kann  erscheinen ,  wieweit  das  Überzengt- 
sein  von  der  Wahrheit  dessen,  was  wir  konzipieren,  welches  vorhanden 
ist,  wenn  wir  belief  mit  der  Konzeption  vereinigen,  Treat.  I,  396  als  Folge 
des  belief  aufgefasst  werden  darf,  cf.  oben  p.  9,  Anm.  5 ,  und  p.  52  f.  den 
belief  als  Kriterium  der  Wahrheit  und  Wirklichkeit. 


68 

Wahrheiten,  die  auf  Erfahrung  und  Geschichte  gegründet  sind, 
zwischen  Fiktionen  und  belief J)  Der  Grad  der  Lebendigkeit 
und  Kraft  der  Konzeption  soll  allein  den  Unterschied  aus- 
machen. 

Ist  der  Unterschied  ein  rein  quantitativer,  so  sind  die 
Grenzen  fliessend  und  eine  genaue  Grenzbestimmung  zwischen 
Phantasien  und  Realitäten,  zwischen  Fiktionen  und  belief  nicht 
möglich.  Hume  macht  auch  nirgends  den  Versuch,  zu  zeigen, 
bei  welchem  Grad  von  Lebendigkeit  etwa  belief  anfängt.^) 

Sicher  gehört  unter  die  elementarsten  methodischen  Grund- 
sätze des  Philosophen  die  Einsicht,  dass  „Natur"  nach  den 
einfachsten  Methoden  handelt  und  zur  Erreichung  ihrer  Zwecke  ■ 
die  dienlichsten  Mittel  wählt,  dass  wenige  einfache  Prinzipien 
die  gesamte  im  Universum  zu  beobachtende  Mannigfaltigkeit 
der  Wirkungen  erklären,  und  alles  in  der  bequemsten  und 
einfachsten  Weise  ausgeführt  wird.  Es  ist  das  Merkmal  eines 
ungeschickten  Naturforschers,  wenn  er  zur  Erklärung  jeder 
neuen  Tätigkeit  seine  Zuflucht  zu  einer  anderen  Qualität 
nimmt. 3)  Aber  ob  nicht  Hume's  Schwierigkeiten  daher  rühren, 
dass  er  die  Zahl  jeuer  erklärenden  Prinzipien  zu  klein  macht 
und  alles  rein  quantitativ  zu  begreifen  versucht?  Denn  auf 
der  anderen  Seite  verdient  doch  auch  Philo's  Äusserung  Be- 
achtung: „Natur"  hat  eine  unendliche  Zahl  von  Quellen  und 
Prinzipien,  die  sich  uns  unaufhörlich  bei  jedem  Wechsel  der 
Stellung  und  der  Lage  entdecken.*)  Die  Natur,  die  Wirklich- 
keit, das  Leben  ist  unvergleichlich  reicher,  als  dass  ein  Schema 
sie  erschöpfend  zu  erklären  vermöchte. 

Ein  zweiter  Angriffspunkt  liegt  in  der  idealistischen  Be- 
stimmung der  Existenz,  die  einem  grossen  Teil  seiner  Aus- 
führungen ihre  Färbung  gibt,  und  selbst  darauf  zurückgeht, 
dass  Hume  sich  auf  die  Bewusstseinsinhalte,  die  Perzeptionen 
beschränkt  und  es  ablehnt,  auch  nur  in  Hypothesen  über  deren 
unmittelbares  Gegebensein  hinauszugehen. 


')  Zu  beachten  ist  unter  diesem  Gesichtspunkt  auch  die  Wendung: 
Imagination  (allein)  kann  nie  belief  „erreichen"  (reach),  Ess.  II,  42. 
2)  Cf.  oben  p.  11  und  59. 
8)  Treat.  II,  455,  249,  81. 
*)  Treat.  II,  397. 


09 

Mitbestimmen  mag  ihn  dabei  ein  bei  aller  seiner  Ver- 
staudesskepsis vorhandener  naiver  intellektueller  Optimismus. 
Niemals  täuscht  uns  unser  Bewusstsein,  Die  Perzeptionen  des 
Geistes  sind  vollkommen  bekannt,  dagegen  ist  die  Zusammen- 
setzung unsrer  Körper  dunkel  und  widerspruchsvoll.  Resig- 
nierter klingt  eine  dritte  Äusserung:  Die  „Tntellektualwelt", 
obwohl  in  unendliche  Dunkelheiten  verwickelt,  wird  nicht 
durch  solche  Widersprüche  in  Verlegenheit  gesetzt,  wie  wir 
sie  in  der  „natürlichen  Welt"  entdeckt  haben.  Was  in  ihr 
bekannt  ist,  stimmt  mit  sich  überein,  und  das,  was  unbekannt 
ist,  müssen  wir  uns  begnügen,  so  zu  lassen. ') 

Hätte  Hume  sich  nicht  mit  dem  unmittelbaren  Bestand 
des  Bewusstseins  begnügt,  hätte  er,  wie  unser  Denken  es 
seiner  Natur  nach  fordert,  nach  der  Ursache  unserer  Im- 
pressionen, nach  der  Ursache  jeuer  bei  ihm  schier  alles  ver- 
mögenden Lebendigkeit  unserer  Konzeptionen,  nach  der  Ur- 
sache ferner,  der  von  ihm  zwar  gelegentlich  betonten,  aber 
nicht  weiter  ausgenutzten  Stetigkeit,  die  der  belief  im  Unter- 
schiede von  der  Fiktion  aufweist  ,"0  endlich  nach  der  Ursache 
dessen  gefragt,  dass  dieser  belief  sich  unabhängig  von  unserm 
Willen  mit  zwingender  Notwendigkeit  immer  wieder  aufdrängt 
trotz  aller  Skepsis,  und  dass  wir  immer  wieder  die  „Neigung" 
haben,  äussere,  kontinuierliche,  von  uns  unabhängige  Dinge  zu 
„erdichten",  er  hätte  seinen  Idealismus  fallen  lassen,  ihn  zum 
mindesten  mehr  einschränken  müssen.  Die  über  ihn  hinaus 
und  zur  Annahme  einer  Aussenwelt  führenden  Momente  sind 
bei  ihm  selbst  vorhanden  und  geben  bereits  stellenweise  seinem 
belief  ein  anderes  Gepräge. 

Ob  nicht  zuletzt  bei  ihm,  der  selber  gelegentlich  seiner 
Gesamttheorie  entgegenstehende  Einzelfälle  berührt,  der  wieder 
und  wieder  die  unvermeidlichen  Widersprüche  zwischen 
Vernunft  und  Sinnen,  Vernunft  und  Natur,  Vernunft  und  In- 
stinkt, zwischen  Vernunft  (Verstand)  und  Imagination  und 
selbst  zwischen  Imagination  und  Imagination  konstatiert  und 
sie    ungelöst    stehen    lässt,    seine   eigenen   Worte   Anwendung 


')  Ess.  II,  55;  Treat.  ü,  153;  I,  51Gf. 
2)  Cf.  üben  p.  48,  51,  57  Anm.  4. 


70 

finden  müssen:  Wenn  eine  Anschauung  (Meinung)  zu  Absurdi- 
täten führt,  so  ist  sie  sicherlich  falsch?') 

Speziell  für  seinen  belief  gibt  Lipps  ihm  das  Zeugnis,  dass 
er  „bei  der  Frage  nach  dem  Wesen  des  Glaubens  aus  dem 
Ringen  um  völlige  Klarheit  nie  ganz  herausgekommen  ist".^) 


1)  Treat.  II,  189;  Ess.  II,  79. 

2)  a.  a.  0.  p.  3ü5,  Anm.  334. 


Vita. 


Ich,  Otto  Karl  Wilhelm  Quast,  wurde  geboren  am 
28.  Mai  1877  zu  Essen  a.  d.  Ruhr  als  Sohn  des  Revisors  Theodor 
Quast.  Nach  vierjähriger  Vorbildung  auf  der  Elementarschule 
bezog  ich  Ostern  1887  das  Gymnasium  meiner  Vaterstadt  und 
erlangte  Ostern  1896  das  Zeugnis  der  Reife. 

Auf  der  Universität  studierte  ich  Theologie,  drei  Semester 
in  Erlangen,  die  nächsten  vier  in  Halle  a.  d.  Saale  und  bestand 
am  28.  April  1900  zu  Koblenz  das  Examen  pro  licentia  con- 
cionandi. 

Darnach  war  es  mir  vergönnt,  noch  weitere  fünf  Semester, 
vom  Sommer  1900  bis  Herbst  1902,  an  der  Bonner  Universität 
mich  ausschlielslich  dem  Studium  von  Philosophie  und  Ge- 
schichte widmen  zu  können. 

Unter  den  Professoren,  die  ich  hörte,  sind  es  vor  allem 
die  Herren  Professoren  Dr.  Erdmann  und  Dr.  von  Bezold, 
denen  ich  für  methodische  Schulung,  sachliche  Einsicht  und 
weitgehendes  persönliches  Entgegenkommen  dauernde  Dank- 
barkeit schulde. 


Thesen. 


I. 

Wo  die  Naturwissenschaft  den  Begriff  der  Kraft  einführt 
geht  sie  über  den  Bestand  der  Erfahrung  hinaus. 

IL 

David  Hume  kann  mit  ziemlicher  Gewissheit  als  „sprach- 
licher Akustiker"  in  Anspruch  genommen  werden. 

III. 

Hume's  idealistische  Bestimmung  der  Existenz  ist  von 
Berkeley  übernommen,  von  ihm  aber  im  Treatise  schärfer 
begründet  worden. 

IV. 

Kant's  Freiheitsbegriff  schliesst  die  Gesetzmässigkeit  nicht 
aus,  sondern  ein. 

V. 

Die  unter  dem  Titel  „Monachus  Sangallensis"  überlieferte 
Schrift  des  neunten  Jahrhunderts  ist  mit  gröfster  Wahrschein- 
lichkeit Notker,  dem  Stammler  zuzuschreiben. 

VI. 

Die  Darstellung,  welche  Bismarck  in  den  „Gedanken  und 
Erinnerungen"  von  der  spanischen  Thronkandidatur  gibt,  ent- 
spricht nicht  dem  Sachverhalt. 


^    fp 


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B  Quast,   Otto 

1499  Der  Belief  in  Hume«s  Kaus- 

B4Q2     Alitätstheorie»